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Full text of "Kleinere schriften"

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KLEINERE SCHRIFTEN 


VON 


WILHELM WACKERNAGEL. 


DRITTER BAND. 


ABHANDLUNGEN ZUR SPRACHKÜNDE. 


LEIPZIG 

VERLAG VON S. HIRZEL. 

1874. 


Oswald Weisre! 


KLEINERE SCHRIFTEN 


VON 


WILHELM WACKERNAGEL. 


DRITTER BAND. 


ABHANDLUNGEN ZUR SPBACHKÜNDE. 


LEIPZIG 

VERLAG VON S. HIEZEL. 

1874. 


ABHANDLUNGEN 


ZUB 


SPRACHKUNDE 


VON 


WILHELM WACKERNAGEL, 


MIT EINEM ANHANGE: 

BIOGRAPHIE 
UND SCHRIFTENVERZEICHNIS DES VERFASSERS, 


LEIPZIG 

VERLAG VON S. HIßZEL. 

1874. 


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• * \y 


Vorwort. 


Mit dem vorliegenden dritten Bande schliesst die Amwahl 
am W. WacJcemagels Meinen Schriften, wie sie nach dein Vor- 
hericht zum ersten Bande in Aussicht genommen war. Der 
erste der Aufsätze, über den Ursprung und die Entwickelimf 
der Sprache, ist bereits 1872 als Einzeldruck erschienen, jedoch 
ohne die Anmerkungen, die, wie den Text selbst, Herr Biblio- 
thekar Dr. Sieber aus der Originalhandschrift für den Druck 
gerichtet hat. Diese letztere wies auf fernere sechs Beilagen 
hin, welche einzelnes der Arbeit noch schärfer fassen und be- 
gründen sollten; doch sind diese Beilagen im Nachlasse nicht 
gefunden worden. Zu den übrigen Abhandlungen sind die zahl- 
reichen Nachträge in den Handexemplaren des Verfassers ziem- 
lich vollständig hinzugefügt, nur bei no. 4, der Umdeutschung 
fremder Wörter, konnte nichts als eine' Auswahl gegeben werden, 
da die handschriftlichen Bemerkungen oft nur Stichwörter für 
eine künftig zu unternehmende Neubearbeitung schienen. — Die 
Handexemplare %ind Manuscripte des Verfassers werden der 
hiesigen Universitätsbibliothek übergeben werden. 

Die Lebensskizze und da» .Schriftenverzeichnis Wacker- 
nagels, aus- Zacher s Zeitschrift wieder abgedruckt, lelzteres um 
einige Nummern durch Herrn Dr. Sieber vermehrt, dürften als 
Anhang dieses Bandes nicht unwillkommen sein. 

Basel den 27. November 1874. 


Marit» Heyne. 


ABHANDLUNGEN 


ZUB 


SPRACHKUNDE. 




Ueber den Ursprung und die Entwickelung 

der Sprache. 


Äcademische Festrede j gehalten am 8. November 1866, bei der 
Jahresfeier der Universität Basel. 


Bei der Jahresfeier der Universität und der academischen 
Zunft hat man es, wie Gelehrte der verschiedensten Fächer und 
zahlreiche Gebildete sich dazu vereinigen, schon seit langem für 
angemessen erachtet, dass der bestellte Festredner einen Gegen- 
stand behandle, an welchem, näher oder entfernter, das Zusammen- 
gehn und der innere Zusammenhang aller Wissenschaften sich 
erweise, welcher eine allgemeinere Bedeutung und damit Belang 
und Anziehungskraft auch für solch« habe, die auf Fachgelehr- 
samkeit keinen Anspruch machen. Ich hoffe dieser wohlbe- 
gründeten Uebung gleichfalls zu genügen, ja schmeichle mir, 
bei dem Reiz den die Culturgeschichte und den die etymologische 
Seite der Sprachforschung auch für den Nichtsprachforscher be- 
sitzt, einer verbreiteten Neig*ung entgegenzukommen, indem ich 
heut, wo die Rectoratsrede mir obliegt, es versuchen will der 
geehrten Versammlung einige Betrachtungen und Nachweise 
vorzutragen über den Ursprung und die Entwickelung der 
Sprache, über das Aufkommen und den Verfall derselben und 
die Mittel, die sie jeweilen braucht sich wieder daraus empor- 
zurafiFen. Es sind das Erörterungen, die allerdings auf einen 
langen Weg, einen Weg durch Jahrtausende, die auf ein weites, 
hochgelegenes, vielfach schon betretenes Gebiet öder, wenn Sie 
wollen, in ein Weltmeer fuhren. Wenn gleichwohl auch ich in 
solche Endlosigkeit mich hinauswage und noch Sie um Ihre 
Begleitung dabei bitte, so kann es nicht meine Absicht sein die 

Wctckemagel, Schriften. HL 1 


i Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

Fahrt nach allen Seiten hin zu lenken und überall in Beschau- 
ung zu verweilen: dazu würde weder die Zeit, die uns, noch die 
Kraft, die mir vergönnt ist, reichen: schlagen wir nur die haupt- 
sächlichsten Wege ein, und streben. wir namentlich Standpunkte 
zu gewinnen, die bisher noch nicht sind eingenommen worden, 
und Gegenden ins Auge zu fassen, die noch unbeachtet ge- 
blieben sind. 

„Im Fleiss kann dich die Biene meistern, 
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein, 
Dein Wissen theilest du mit vorgezognen Geistern: 
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.*' 

Dies Wort unsers grossen Dichters passt aber ebenso wohl 
auf die Sprache: denn auch sie ist ein Eigenthum und ein 
Eecht, das der Mensch vor den Thieren und, wenn ich so sagen 
darf, vor Gott seihst voraus hat. Zwar in den Dichtungen der 
Heiden werden uns deren Götter, es wird oft genug in der 
heiligen Schrift auch der eine Jehovah nach Menschenart sprechend 
vorgeführt: wer aber möchte darin etwas andres erkennen als 
einen Zug mehr jener naiven Vermenschlichung, die sich den 
Unsichtbaren nur in einem Leibe, wie wir ihn tragen, und mit 
leiblichen Thätigkeiten, wie wir sie üben, vorzustellen weiss? 
Für die reinere Anschauung Gottes liegt darin eine Ungebühr, 
und der Empfindung davon haben selbst die Heiden insofern 
nachgegeben, dass sie den Göttern doch eine von der mensch- 
lichen verschiedene Sprache beimessen: wiederholendlich merken 
die griechische und die nordische Dichtung an, so heisse eine 
Person oder Sache bei den Menschen und so bei den Göttern^), 
und noch im Mittelalter lehrte man dem ähnlich, der Mess- 
gesang vereinige in sich vier Sprachen, Lateinisch, Griechisch, 
Hebräisch und die der Engel, diese mit dem Worte Hallelujah^). 
Freilich auch hiebei bleibt noch immer die Annahme, dass die 
Engel, die Götter gleichfalls mit irdischen Stimm Werkzeugen 
belastet seien. 

Aber auch den Thieren sind solche, ihnen sind wie dem Men- 
schen tönende Organe in Kehle und Mund gelegt. Zwar nicht 


1) J. Grimms Deutsche Mythol. S. 307—310. 

2) Bihtebuoch von Oberlin S. 77 {g. 


Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 3 

allen : ihrer aach genug sind stnmm, die Fische, die Würmer, die 
Insecten, diejenigen also, die mit ihrem Sein und Thun an ein 
Element oder an nur einen Ort und gleichförmig an nur eine 
Beschäftigung gebunden sind. Wohl aber sind die mit Stimme 
begabt, deren Bewegung freier die Käunüichkeit wechselt, deren 
Thätigkeit sich mannigfacher gestaltet, die YierfQsser und die 
Vögel, und eine je höhere Stufe solcher Entwickelnng das Thier 
einnimmt, desto ausdrucksvoller pflegen die Töne, die es von 
sich giebt, zu sein, desto mehr haben sie gleich der Sprache 
des Menschen den Zweck der gegenseitigen Mittheilung, desto 
entechiedener wirkt auf sie derselbe Nachahmungstrieb, der 
unter den Menschen die Sprache von dem einen auf den andern 
bringt'). Und so erzählt denn auch die Sage der Vorzeit und 
erzählt der Aberglaube noch jetzt von Thieren, die wirklich 
sprechen, bei Homer zum Beispiel und in Dichtungen der deutsc&en 
wie der slavischen Völker von sprechenden Eossen^), auf deut- 
schem wie auf romanischem und celtischem Boden von den Ge- 
sprächen, welche die Thiere des Stalls in der Christnacht führen^), 
überall aber (denn in der That sind unter sämmtlichen Thieren 
die Vögel die beredtesten) von einer Vogelsprache ^). Üiese 
letztere, man fasste sie nicht etwa so wie heut, wenn man die 
einzelnen Arten des Finkenrufs'') und die Stimmen anderer 
Vögel in ähnlich klingende deutsche Worte®) oder doch in arti- 


3) Von Vögeln, welche die Stimmen andrer Thiere und die des 
Menschen, den Ton musikalischer Instrumente u. s. f, nachahmen, handeln 
Plinius Hist. nat. X, 57 — 59 und Aelianus de nat. anlm. VI, 19. Der 
amerikanische Spottvogel singt seihst wie eine Nachtigall, ahmt aher auch 
die Stimmen aller andern Vögel und sonstigen Thiere nach. 

4) II. XIX, 404 fgg.; Märchen d. Br. Grimm 89; Lieder d. Serhen, 
Talvj 1, 15. II. 81. Dietrichs Kuss. Volksmärchen S. 18. 43. 48; Schleichers 
litauische Märchen S. 37. Vgl. die sprechende Eselinn Bileams Mos. IV, 
22, 28 fgg. 

5) Aug. Stöher in d. Alsatia 1851 S. 169 fg.; Weinholds Weihnachts- 
spiele S. 27. 

6) "Eicea TcrepocvTa S. 16 fgg. 

7) Ernst Wagners Reisen aus der Fremde in die Heimath I (1808) 
S. 50; Bechsteins Forst- und Jagdwissenschaft X, 1, 629. 

8) Hauptbeispiel das 171ste Märchen ^der Grimmischen Sammlung; 
andre in Simrocks Kinderbuch S. 167 fgg. 

1* 


4 Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

culierte Laute ^) bringt, auch nicht so wie dort das Sprechen der 
Bosse oder der' Rinder^ die einfach in der jedesmal üblichen 
Landessprache reden: sondern man schrieb den Vögeln ihre ganz 
eigene Sprache zu, die sie nur könnten, nur sie verstünden^ die 
unter den Menschen nur dem verständlich sei, welchem Zauber- 
kunst oder göttliche Gnade das Ohr dafür geöffnet. Solche An- 
nahme von Sprachbefähigung und Sprachbesitz auch auf Seiten 
der Thiere liegt jener Annahme einer Göttersprache parallel 
gegenüber, wie der Göttersage die Thiersage gegenüberliegt: das 
Eine wie das Andre ein Wiederschein, den die Poesie von der 
Menschenwelt aus hier nach oben, dort nach unten hin fallen 
lässt^®). Und sie geht in diesem Drange das Untermenschliche 
auch so zu erheben, zu beseelen, zu vermenschlichen noch um 
einen guten Schritt' weiter: in der Fabel sprechen auch Bäume 
mit einander ^^), und nicht bloss zum Scherz, ebenso wohl in 
ganz ernsthafter Weise wird auch das Geläut der Glocken ^^) und 
das Klappern der Mühlräder ^^) auf Worte der Menschensprache 
ausgedeutet. 

Treten wir nun aber nach allem diesem, was nur geschicht- 
liche Nachweisung über die Sache ist, nunmehr an die Sache 
selbst heran. 

Die Töne, die wir von den Thieren vernehmen, sind stets 
nur der Ausdruck einer mehr oder minder grob sinnlichen Em- 
pfindung und meist wohl ein ganz unwillkürlicher Ausdruck: 
vor Fressgier heult der Wolf, in Liebe flötet und schmettert die 
Nachtigall. Und obschon mehr als ein Thier körperlich wohl 
darauf eingerichtet wäre den ausgestossenen Lauten eine Articulation 
zu geben, keines von ihnen thut das, keines also spricht in 


9) Unter den älteren Beispielen das umfangreichste Oswald v. 
Wolkenstein XLI, 11 fgg. 

10) Vgl. meine Abhandlung über die epische Poesie im Schweizerischen 
Museum für histor. Wissenschaften I (1837), 356 fg. 

11) So schon in der ältesten, die wir haben, Bichter IX, 8 fgg. 

12) Pfeiffers Germania IV,^ 159. 

-13) Altd. Wälder d. Br. Grimm 1, 107 fg. J. Grimm in Haupts Zeitschr. 
IV, 511 fg.; vgl. den Eingang des 171sten Märchens. Dsls Accipe, ctocipe, 
accipe — Reddey redde, redde — Fuge, fuge, fuge der Gesta Eoman. 20 
ist ursprünglich gewiss Mühlradsprache: vgl. die Erzählung derselben 
Geschichte in den Deutschen Sagen der Br. Grimm 480. 


üeber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 5 

Worten: was sie zu sagen haben, dafür passt und genügt auch 
der unarticulierte Laut^ Wenn gleichwohl einzelne Vogelarten 
durch angebomen Trieb und durch Gewöhnung dazu kommen 
die Bede der Menschen stückweis nachzuahmen, so ist das eben 
kein Sprechen dieser Vögel selbst, nur gleichsam eine ferne 
Vorahnung davon, die uns, wie so vieles im Leben der Thiere, 
an das tiefsinnige Bibelwort von dem Sehnen und Seufzen der 
Creatur**) gemahnt und dieses Wort mit erläutert. Der Mensch 
dagegen giebt mit den Lauten seiner Stimmorgane freilich wohl 
auch die blosse Empfindung kund, die auf seiner thierischen 
Seite ihn berührt, und giebt sie kund mit Lauten gleich jenen 
der Thiere, bald unwillkürlich, wie das neugebome Kind mit 
Geschrei und Wimmern ^^), bald wiUkürlich und bewusst, wie 
wenn er lacht; die meisten Interjectionen, die man im engern 
Sinn Empfindungswörter nennt, sind bloss Naturlaute von solcher 
Art. Aber der Mensch hat auch VemuDft, und auch diese 
äussert er in Lauten und giebt vermittelst derselben seinen 
Begriffen und Gedanken von den Diagen um ihn, von ihren 
Thätigkeiten , ihren Eigenschaften, ihren gegenseitigen Verhält- 
nissen Ausdruck : nothwendiger Weise und dem gemäss, um was 
es sich handelt, verfliessen hier die Laute nicht wie dort ins 
Unbestimmte, sondern grenzen sich ab in fester Gestaltung, sie 
gliedern, sie articulieren sich^^), sie vereinigen sich in Worten: 
hier und so denn wird eigentlich erst gesprochen, hier erst 
haben wir Sprache. Schön und bedeutsam ergänzen sich der 
alte deutsche und ein griechischer Name des Menschen: Mann 
der ihn als den Denkenden, (x^poi]> der ihn als den bezeichnet, 
welcher seine Laute gliedert"). 

„Die Sprache, Mensch, hast du allein." Unter allem, worin 
der Vorrang und das Vorrecht des Menschen vor dem Thiere 


\14) Köm. VIII, 19 fgg. 

15) Daranf zielen niuklahs und nyklakinn, wie das Gothische und 
das Altnordische ein neugeborenes Kind und das Kind überhaupt benennen. 

16) Eigenthümlich fasst Aldhelm de re grammatica ac metrica (Mai 
Classic, auctor. Y, 569) den Ausdruck vox articulata auf: ^artieulaia 
hominum tantummodo est dicta, ^quod articulo scrihenti conprehendi 
potest 

17) Den gleichen Namen führt eine Spechtart, einer der Vogel, die 
dem Menschen nachsprechen lernen. 


6 Ueber den Ursprung und die Elitwickelung der Sprache. 

beruht, ist sie das zuvorderst und am - unmittelbarsten Wahrzu- 
nehmende, und er bedarf ihrer auch in höherem Grade als das 
Thier: denn ihn erfüllt ein noch stärkerer Trieb zur Geselligkeit, 
und weil er geselliger und weil er mit Geiste begabt ist, waltet 
auch in ihm ein stärkeres Bedürfnis« nach Mittheilung, nach 
geistigem Geben und Empfangen. Diesem Zwecke aber dient 
kein Mittel besser als der hörbare Laut, ein Mittel das unter 
allen Umständen Anwendbarkeit besitzt, in jeder Richtung wirkt, 
am weitesten reicht, am mannigfaltigsten kann ausgebildet 
werden. Nur geistige Trägheit, wie die mancher Bewohner des 
heisseren Südens ^^), zieht der Lautsprache die armselige Ge- 
berdensprache vor, oder man bedient sich einer solchen (und so 
geschah und geschieht es namentlich in den Klöstern^®) um 
auch da zu sprechen, wo ein hörbares Sprechen verboten ist, 
oder um so zu sprechen, dass niemand, der nicht im Geheimniss 
der festgesetzten Zeichen ist, es verstehen könne, oder endlich 
es ist der Blödsinnige, der Taubstumme, den sein leiblich- 
geistiger Mangel von der Wohlthat einer Sprache in Lauten 
ausschliesst. Wie aber der Mensch auch sprechen möge, sei es 
nur mit Hilfe der Hand, sei es voller, fliessender, allgemeiner 
verständlich vermittelst des Mundes^ sei es mit Hand und Mund, 
indem das gesprochene Wort noch von einer Geberde begleitet 
und bekräftigt wird^^), immer hat er dabei den Zweck geselliger 
Mittheilung an einen Andern, und es bleibt dieser Zweck, auch 
wo er ein Selbstgespräch führt ^^): da ist er sich selbst zugleich 
der Andre und redet sein eignes Ich als ein Du oder alterthüm- 
licher redet seine Seele, sein Herz als ein von ihm Verschiedenes 
an 2^). Mithin ganz ebenso in der Sprache wie in der Kunst: 


18) Altes und Neues der Art stellt Jovio zusammen, Mimica degli 
antichi investigata nel gestire Napoletano, Neapel 1832. 

19) Ich verweise der Kürze wegen nur auf Du Gange unter Signum 9. 

20) Ore et manu, mit handen und mit munden, mit worten und mit 
handen: J.Grimms Rechtsalterthümer S. 139; digito et lingua: DuCange 
nnter d. W. 

21) Ein Selbstgespräch in Geberden schildert Plautus, Mil. glor. II, 
2, 27 fgg. 

22) Z.B. Psalm CIII, 1. CIV, 1. CXLVI, 1: Lohe den Herrn, meine 
Seele! Er. Luc. XII, 19: und will sagen zu meiner Seele ,,Liehe Seele, 
du hast einen grossen Yorrath auf viel Jahre: habe nun Buhe, iss, trink 


Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 7 

auch bei deren Darstellungen ist es stets auf Mittheilung ab- 
gesehen, und wäre ein Maler wunderlich genug seine Gemälde 
niemand sonst als nur sich zu zeigen, so träte er doch nur 
inmier aufs neue mit seiner Einbildungskraft und seiner Em- 
pfindung an die Stelle Anderer und würde er jedesmal nur sich 
selbst als einen Anderen setzen. 

So hoch aber den Menschen seine Vernunft über die Thier- 
welt erhebt, wir wissen dennoch, wie er hilfloser beinah als jedes 
Thier sein Leben beginnt, und wie wenig er auch fernerhin ver- 
mag unmittelbar durch die Kraft und die Geschicklichkeit der 
eigenen Glieder sich das Leben zu fristen und es gar zu ver- 
schönen: ohne die Liebe der Mutter, das Eind yerschmachtete; 
ohne den überlegenen Geist, ohne die WafTen und Geräthe^ 
welche dieser erfindet, die schwache Hand allein würde dem 
Menschen weder Nahrung noch Kleidung noch Wohnung schaffen. 
Der Art verhält es sich auch mit seinem Sprechen: was er mit 
auf die Welt bringt, sind nur jene unarticulierten Laute, welche 
Mensch und Thier mit einander theilen, zuerst nur ein wimmern- 
der Schrei des Frostes und des Hungers; und wohl bringt er 
auch die Sprachorgane mit, aber nicht die Sprache: Monden 
lang, Jahre lang bleibt er ein vt]tcioc, ein infans, ein Nicht- 
sprechender, und nur allgemach, erst durch die Nachahmung 
Anderer lernt er auch jene Glieder zu dem gebrauchen, wozu 
sie geschafTen und gestaltet sind, lernt er mit ihnen sprechen. 
Und er empfängt dieses Hauptstück seines geistigen Lebens zu- 
nächst und zumeist durch dasselbe Wesen, aus dessen Schoss 
und von dessen nährender Brust auch das Leben seines Leibes 
zunächst herrührt: darum sagen wir zwar Vaterland, aber 
Muttersprache, sinniger als die Römer sermo patrim. Das 
Thier bedarf eines solchen Unterrichts nicht: man nehme einen 
Vogel noch im Elaum seiner ersten Tage aus dem Nest, er 
wird späterhin, ohne dass er Vater und Mutter jemals singen 
gehört, dennoch singen wie sie. Die Sprache des Menschen aber 
geht nur auf dem Wege einer beständig sich wiederholenden 


und habe guthenMuth!'^ So auch P.Gerhardt: ,, Nicht so traurig, nicht so 
sehr, meine Seele, sei betrübt/' B. Schmolck: „Sede, sei zufrieden!*' u.a. 
Odyss. XX, 18: T^rXaSt öitj, xpaStT]* xal xuvTEpov dcXXo uot' tAr\<z. 


8 Ueber den Ursprung und die Ent Wickelung der Sprache. 

Vermittelung durch Hören und durch Nachahmen des Gehörten 
weiter fort auf Kind und Kindeskind; der Taubgeborene wird 
auch stumm, und wären Bomulus und Bemus bei der Wölfinn, 
welche sie gesäugt, geblieben, es ist kein Zweifel, sie hätten 
dann auch nie lateinisch sprechen, sondern nur mit den Wölfen 
heulen gelernt. 

In solcher Art denn stehen die Stimmorgane des Menschen 
im Dienste seines Geistes, und von der Stunde an, wo das Kind 
noch unbeholfen die ersten Worte stammelt, wächst die Sprach- 
fertigkeit mit dem Geiste und wächst in unausbleiblicher Eück- 
wirkung der Geist mit der Sprachfertigkeit: es ist wie bei der 
Kunst und deren Werkzeugen und Mitteln, die auch fort und 
fort sich gegenseitig yervollkomnmen. Denken und Sprechen 
werden hiemit zu einem und demselben, und während und weil 
das Sprechen ein Denken ist, das sich äusserlich hörbar macht, 
ist das Denken nur noch ein inneres Sprechen; lebhafteren 
Menschennaturen (wir alle kennen dergleichen) begegnet es des- 
halb, dass sie nur zu denken vermeinen, wider Wissen und 
Wollen aber auch laut genug aussprechen, was sie denken, und 
im Drama wird einer Person, die in der Wirklichkeit eher ge- 
schwiegen hätte, die ganze Reihenfolge ihrer stillen Gedanken 
als Monolog in den Mund gelegt. Diese engste Zusammen- 
gehörigkeit, diese Einheit des Denkens und des Sprechens hat 
mehr als ein Volk von je her wohl erkannt und ausgedrückt: 
^Xdyo^ bezeichnet den Griechen erstlich Rede, dann Vernunft; 
umgekehrt besass unser Kode zuerst den letzteren Begriff^*), 
und redlich war auf Altdeutsch s. v. a. vernünftig; taub hat 
früher auch stumpfsinnig, vTQTctoc auch schwach von Verstand, 
dumm im Gothischen s. v. a. stumm bedeutet, und in der 


23) Und zwar im Gothischen, wo es, dem lat. ratio noch ganz ähn- 
lich, raihjö lautet, mit Beschränkung auf nur eine Veraunftthätigkeit, 
die aber zu den wichtigsten und nothwendiger Weise zu den ältesten ge- 
hört, auf die des Zählens und des Bechnens : rathjö bedeutet Zahl , Bechnung, 
Eechenschaft; so ist auch gerade, althochd. her ad, nur ein Bechnungs- 
ausdruck: dagegen althochd. radja, redja, reda befasst in sich den all- 
gemeinen Sinn von Vernunft und Verstand, den besonderen von Bechen- 
schaft und schon auch den, welchen jetzt das Wort allein besitzt. Der- 
selbe Fortschritt der Begriffe bei zala und zeUan: numerus oder ratio und 
oratio, numerare und dicere und narrare. 


IJeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 9 

That, wie gebunden ist der Geist des Tauben und Stummen, 
eh seiner Noth die Liebe zu Hilfe kommt und ihn wenigstens 
-gleichsam sprechen lehrt ! Den Schatten der Homeriscben Unter- 
welt mangelt nicht allein darum die Sprache ^^), weil sie eben 
nur Schatten, nur ein traumbildartiger ITeberrest sind (denn 
Fleisch und Bein hat der Leichenbrand verzehrt), sondern weil 
auch die Kraft des Denkens und das Bewusstsein ihnen mangelt ^^). 

Aus dieser Wechselbeziehung der Menschensprache zu dem 
Geiste des Menschen wie aus der Erhaltung und Fortpflanzung 
derselben durch immer sich erneuendes Lernen geht noch ein 
weiterer, der letzte und nicht unerheblichste Unterschied zwischen 
ihr und der Sprache der Thiere hervor. 

Allerdings sind beide von gleichem Alter, und schon die 
ersten Menschen haben ebenso gut gesprochen als in ihrer Art 
die ersten Yierfiisser und Vögel. Annehmen, dass eine ganze 
längere Beihe von Geschlechtem dahingegangen sei, bevor aus 
ihrer Eehle das geflügelte Wort emporstieg, heisst für wahr an- 
nehmen, was der griechische Mythus von dem Scheinleben der 
Menschen des Prometheus dichtet'^), heisst annehmen, dass sie 
noch unvernünftig gleich den Thieren oder doch blöden Geistes 
gleich den Taubstummen, dass sie ungesellig und ungesellt, 
dass sie unbedürftig einer Darstellung des Angeschauten und 
einer Mittheilung desselben, mit einem Wort, dass sie noch 
keine Menschen gew^en seien, heisst annehmen^ dass sie den 
kunstvollen Bau ihrer Stimmwerkzeuge zwecklos und unbenutzt 
gelassen, als hätten sie wohl auch Hände und Füsse gehabt, 
aber noch nicht gelernt sie zum Greifen und zum Gehn und 
Stehen brauchen, Lungen gehabt, aber noch nicht verstanden 
damit' zu athmen. Was anstatt dessen das einzig Bichtige ist, 
deijtet uns schon die Mosaische Erzählung von der Welt- und 
Menschenschöpfung an^^): „Als Gott der Herr gemacht hatte von 
der Erde allerlei Thiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter 
dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, dass er sähe, 
wie er sie nennete: denn wie der Mensch allerlei lebendige 


24) n. xxm, 101. Od. xxiv, 5. 

25) IL XI, 392. XXI, 466. XXII, 389. XXIH, 104; Od. X, 494 fg. 
XI, 15a. 476. 

26) Aeschylus Prom. 444 fgg. 27) Mose I, 2, 19 fg. 


lÖ Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

Thiere nennen würde, so sollten sie heissen; und der Mensch 
gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und 
Thiere auf dem Felde seinen Namen/' Diesem Winke der 
ältesten und ehrwürdigsten Geschichtsurkunde gegenüber muss 
uns die Frage nach dem Ursprung der Sprache, so viele und 
darunter je die gelehrtesten und weisesten sie auch schon be- 
schäftigt hat, beinahe müssig erscheinen (Goethe nennt sie so'^), 
jedesfalls aber die Antworten, die man darauf zu geben pflegt, 
bald verkehrt, bald zum mindesten unbefriedigend. Schon die 
ersten Menschen müssen sprechen gekonnt, müssen gesprochen 
haben. Nicht zwar, dass ihnen die Sprache zugleich mit den 
Sprachwerkzeugen fertig anerschaffen war: warum dann nicht 
ebenso ihren Nachkommen P Gott ist seinen Menschen allezeit 
gleich gütig gewesen: aber jeder dieser unzählbaren Späteren 
hat immer aufs neue, langsam, mühsam und jedesmal so, wie 
es gerade von der Mutter her ihm in das Ohr erklang, die 
Sprache lernen müssen. Auch nicht, dass sie unseren Ureltem 
durch eine göttliche Offenbarung mitgetheilt worden, oder, was 
wesentlich dieselbe Meinung ist, nur in unverhüllter gröberer 
EigentUchkeit ausgedrückt, dass zuerst Gott ihnen vorgesprochen: 
in solchem Sinne ist Gott nicht das Wort; selber das Heiden* 
thum hat etwa die Buchstabenschrift^^), nie jedoch die mensch- 
liche Sprache als Werk und Geschenk einer Gottheit angesehen; 
wir aber wissen nur von einem Feste der Pfingsten mit wunder- 
barer Sprachbegabung. Sondern die Sprache ist dutch den 
Menschen und ist bereits durch die ersten Menschen geschaffen 
worden; auf ihre eigene Schöpfung durch Gott ist alsobald, da 
die Hand, welche sie gebildet, gleichsam noch frisch auf ihnen 
ruhte und an Leib und Geist sie. leitete, ist alsobald die 
Schöpfung der Sprache durch sie erfolgt; wie schon der erste 
Baum dieser Welt seine Samenkörner um sich streute, so auch 
hat schon die erste Mens(;henmutter den Samen der Bede in den 
Geist des ersten Geborenen geworfen, und das erste Eind schon 
hat dem Buf seiner Mutter geantwortet, wie das erste Lamm 
der seinigen. 


28) Aus meinem Leben: Werke XXV (1829), 802. 

29) J. Grimms Mythol. S. 136. 310. 


Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 1 1 

So im Anfange dieser unsrer Welt. Yod da an aber und 
seit der Gemeinsamkeit der ersten Schöpfung, was nun die Fort- 
entwickelung betrifft, haben sich beide, die Sprache der Menschen 
und die der Thiere, in durchaus verschiedener Art verhalten. 

Die Empfindungen, von denen die dunkle Seele des Thieres 
bewegt^ die Triebe, von denen es bei all seinem Thun und 
Lassen geleitet wird, bleiben unwandelbar durch alle Jahrtausende 
hin dieselben und ebenso unwandelbar die Laute, in denen es 
seine Empfindung äussert: gleich wie die Biene von heut die 
Winkel ihrer Zelle noch genau so misst, wie die erste, die auf 
Honig ausflog, bellt auch der Hund von heute noch ebenso wie 
jener, von dem ein alter Bathselscherz sagt, dass ihn die ganze 
Welt habe hören können*®). Wesentliche Einwände hiegegen 
sind es nicht, wenn das feiner aufmerkende Ohr und der Nach- 
ahmungstrieb einzelner Thierarten vorübergehend eine Art von 
Bewegung in diesen vieltaiisendjährigen Stillstand bringt, wenn 
Hunde, mit denen man sich häufiger, auch sprechend, abgiebt, 
ein mannigfaltiger beredtes Bellen entwickeln oder die Finken 
eines Waldes von Zeit zu Zeit die Melodien wechseln, weil einer 
aus der Genossenschaft irgendwo sonst etwas neues gelernt hat. 
Diese Thatsachen werden nicht zu bestreiten sein: aber auch die 
steht fest, dass mit aller Beredtsamkeit einzelner Individuen das 
Hundegeschlecht insgesammt noch um nichts weiter in seiner 
Sprache gelangt ist, und dass die Finken nach jeder neuen 
Mode des Schiagens doch alsobald wieder in ihre altgewohnte 
Nationalart fallen. 

Ganz anders der Mensch und seine Sprache. Diejenigen 
Laute, deren Anlass er mit den Thieren theilt, solche mit denen 
auch er nur eine augenblickliche Empfindung des Leibes und 
der Seele kundgiebt^ diese freilich ändern sich ebeofalls mit 
keiner Zeit: das zu jüngst geborene Kind sehreit, wie bereits 
Abel geschrieen, und wie jetzt wir, hatte man schon vor zwei 
Jahrtausenden in Bom die Ausrufungen ah und ahah und o, 
hui und phy, hei und hem, eia und ohe, hahahe und vae. Die 
eigentliche, Menschensprache jedoch, in der sich Begriffe hörbar 
verkörpern und die durch Lehren und Lernen sich fortverpflanzt, 


30) Freidank 10940 fg. derTannhauserin v.d.Hagens Minnesingern II, 97 b. 


12 Ueber den Ursprung und die £ntwickeliuig der Sprache. 

die somit von Geist auf Geist gleichsam immer aufs neue ge- 
schaffen wird, sie schreitet f(»rt, wie von Geschlecht zu Geschlecht 
der Geist fortschreitet; sie bewegt, sie entwickelt sich, wie der 
Geist des Einzelnen, des Volkes, der Menschheit in unablässiger 
Bewegung sich entwickelt; sie hat ihre Wandelungen gleich und 
mit dem Menschen, sie hat eine Geschichte wie die Völker. Und 
diese Verschiedenheiten liegen nicht bloss in chronologischer 
Folge hinter einander da, sondern zugleich als ein Gegenstand 
synchronistisch -ethnographischer Betrachtung neben einander: 
jegliches Volk hat seine besondere Sprache, und die besondere 
Sprache ist das Hauptmerkmal der Nationalität'^): unser Alt- 
deutsch kann deshalb spräche und zunge, das Mittellatein sammt 
dem Romanischen ebenso Unfftui geradezu auch im Sinne von 
Volk gebrauchen'*). 

Sehen wir uns jedoch vor, eh wir diese Mannigfaltigkeit 
der Sprachen für eine uranfangliche halten'') um aus ihr einen 
Beweis zu entnehmen für die Abstammung der Menschheit von 
mehr als einem Eltempaare. Die Forschung erlauscht inmier 
mehr Zusammenklang zwischen den einzelnen Sprachen und 
Sprach&milien, z. B. eben jetzt zwischen der indogermanischen 
und der semitischen'^), und nachdem das Mittelalter wahrschein- 
lich aus Anlass einer Evangelien stelle '^) noch siebzig oder 
zweiundsiebenzig verschiedene Sprachen angenonmaen '*), führt 


31) An spräche, an mäze und an gewande Ist underscheiden lant 
von lande; Der wertde dinc stH überal An spräche, an mäze, an teäge, 
an zal Renner Z. 22212 fgg.; darnach der Spruch in Eschenburgs Denk- 
mälern S. 423. 

32) Spräche Helbling XV, Jßl. Zunge Hartmann v. Aue in d. Minne- 
sanges Frühling 218, 18. Walther v. d. Vw. 10, 3. 41, 18? 67, 17? 
Meissner Minnes. III, 102 b. Gute Frau Z. 1281; von lande ze lande, von 
Zungen ze zungen Augsb. Stadtrecht S. 57. — Lingua, langue u. s. w. 
8. Du Gange unter jenem Worte. 

33) Wie Aelian, indem er die verschiedenen Sprachen der Menschen 
den Stimmen der verschiedenen Thierarten gleich steUt: Hist. animal. V, 51. 

34) Bud. y. Raumer in seinen gesammelten sprachwissenschaftL 
Schriften (1863) S. 460 fgg.: Die Urverwandtschaft der semitischen und 
indoeuropäischen Sprachen. 

35) Luc. X, 1. 

36) Seit der Babylonischen Trennung siebzig Sprachen: z. B. Anno 
Z. 161; zweiundsiebenzig: z. B. Wolframs Wilh. 171, 22. v.d.Hagens Minne- 


Ueber den Ursprung und die £ntwickelnng der Sprache. 13 

nunmehr sie die bunt wechselnde Menge mit solcher Gewissheit 
auf immer weniger und immer einheitlichere Gruppen zurück, 
dass im entlegensten Hintergrunde wohl eine einzige Ursprache 
denkbar wird, denkbarer als noch vor kurzem erscheinen durfte. 
War doch bei dem Beichthum an gleichbedeutenden Worten, der 
aller älteren Sprachgestaltung eigen ist'^), Zeug genug da um 
von noch so viel Kindern, die aus dem Elterlichen Hause schieden, 
jedem seine Aussteuer zu fernerer eigner Haushaltung, sein 
Pfund zum Wuchern mitzugeben. Somit wird einsti/lreüen auch 
für diesen Funkt die Mosaische Darstellung^^) das Sichtige 
treffen, welche die Theilung der Sprache erst geraume Zeit nach 
deren Schöpfung geschehen lässt und sie unmittelbar in Ver- 
bindung bringt mit der ersten Theilung der Menschheit in ver- 
schiedene Völker. Volk und Volk, das aber ist im Sinne des 
Alterthums ebenso viel als Feind und Feind: die gesellige Natur 
des Menschen hatte die Sprache zuerst mit ins Leben gerufen, 
feindselige üngeselligkeit zersplitterte sie. Selbst den, der über 
all der Spaltung als die unwandelbare und untheUbare höchste 
Einheit steht, und dessen sich die Völker von Anfang an als 
ihres Schöpfers und des Lenkers ihrer Geschicke sämmtlich be* 
wusst sind, nennt doch beinah ein jedes anders, und sogax solche, 
deren Sprachen im Uebrigen enger verwandt geblieben, weichen 
doch in der Namengebung für ihn auf das mannigfachste ab. 
Zwar die Gelten sagen duw, die Römer deus, die Litthauer 
diewas, wie es im Sanskrit dSvcis heisst, von einer Wurzel div 
s. V. a. glänzen, die Griechen aber (ihr Ausdruck klingt jenen 
ähnlich und ist doch davon verschieden) ^eoc d. 1. der Schaffende, 


Binger I, 6 b; gleichbedeutend damit 72 Lande oder Königreiche : Leseb. I, 
965, 10 u. B. w. S. Oswald Z. 198 u. s. w. Orendel 116 n. s. w. So 
auch 72 Namen Gottes d. h. je einer aus jeder Sprache: Uhlands Volks- 
lieder S. 816. 821. Das Gedicht von K. Rother Z. 2556 u. s. w. lässt 
noch aus der Wüste Babylonia 72 Könige kommen. Ein bedeutsam er- 
fundenes Gegenstück zu diesen 72 Terschiedenen Sprachen ist die bekannte 
Sage von den 72 oder genauer (vgl. Luc. X, 1) zweimal 86 Hebräern, die 
von einander getrennt und dennoch alle übereinstimmend das Alte Testa- 
ment ins Griechische bringen. 

37) Belege aus dem deutschen Gebiet die skaldischen Synonymenver- 
zeichnisse in der Edda Snorra, Reylgavik 1848 S. 96 fgg. 222 fgg. 

38) Mos. I, 11, 1—9. 


t4 Ueber den Ursprang und 'die Eutwickelnng der Sprache. 

der Waltende, von ri'^svat'^), die Slaven hog d. i. der Verehrte, 
endlich wir vom Germanenstamme Gott, und wie schdn haben 
damit bereits unsre heidnischen Väter das Wort des Herrn ge- 
troffen „Niemand ist gut denn der einige Gott*^):" denn Oott 
kann nur s. v. a. gid bedeuten*^). 

Wir kommen zurück auf die geschichtliche Entwickelung 
der Sprache. Diese in ihren Fortschritten nimmt einen Gang, 
der ebenso auf- und abgestuft ist wie die leiblich-geistige Ent- 
wickelung Mes Menschen: überall, mögen wir nun auf einzelne 
Völker, mögen wir auf ganze Völkerfamilien, mögen wir auch 
auf die gesammte Menschheit blicken, überall in der Sprache 
dasselbe allmähliche Zurückweichen der leiblichen, sinnlichen, 
bloss materiellen und dasselbe stets breitere Vordringen der 
geistigen Eraft, das wir nach der Jugend am Mannes- und 
Greisenalter gewahren; wie hier so dort ein Umschlag aus der 
zuerst gleichmässigen Wechselwirkung beider in ein Wirken fast 
nur von der einen, der geistigen Seite her. So liegt der Weg 
namentlich in dem grossen Gebiet der Indogermanischen Sprachen- 
familie vor uns, derjenigen die den längsten Verlauf mannig- 
fachster Beurkundung vor den andern voraus hat, deren weit- 
geschlagener Kreis gerade auch jene drei Völker in sich schliesst, 
die in der Beherrschung der Welt und der Weltgeschichte 
einander gefolgt sind, die Griechen, die Römer und zuletzt und 
zumal den Germanischen Stamm mit seinen schon anderthalb 
Jahrtausenden voll mundartlicher Entwickelung und voll von 
Litteratur all dieser Mundarten. 

Freilich bis in die Jugend und gar bis in die Kindeszeit, 
bis dahin zurück, wo die Schöpfung der Sprache noch in dem 
ersten vollsten Triebe stand und der unterste Grund zu ihr ge- 
legt ward, reicht weder bei uns noch irgendwo sonst innerhalb 
des ganzen Stammverbandes die litterarische Beglaubigung. Und 


39) 0{>T» Zeu« äett) Odyss. VIII, 465. XV, 180 wie auf deutsch 
Das walte Oottl Tt^^vat mit unserem thun von einer Wurzel. 

40) Matth. XIX, 17. Marc. X, 18. Luc. XVIII, 19. Vgl. Du bist 
genant der guote got Haupts Zeitschr. IV, 539: thes lihbiendies göden 
godes H^liand 155, 7, got der guote M&rtm, Gregorius 748. 757. Nib. 
1043, 3 u. a. 

41) J. Grimms Deutsche Mythologie S. 12. 176. 


Ueber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache. 15 

dennoch besitzen wir die Möglichkeit uns auch von jenen Ur- 
zuständen und ürvorgängen eine Vorstellung zu bilden, die fnr 
alles Hauptsächliche mit Gewissheit zutrifft. Es giebt nämlich 
(und wir treten hiemit auf andren, dem Indogermanischen fremden 
Boden), es giebt Sprachen, die ganz oder beinahe ganz ohne 
weitre Entwicklung gleich im Anfange stehn geblieben sind, die 
bereits Jahrtausende zählen, aber heut noch eine Gestaltung 
zeigen, wie sie nur zu der frühen, ja zu der frühesten Jugend 
passt, noch gleichsam den ürboden ohne Flötz und ohne Auf- 
schwemmung. Einmal die sogenannten isolierenden Sprachen 
(auch der Name analytisch wäre passlich)^ die ohne irgendwelche 
Aenderung durch Flexion u. dgl. vorzunehmen und damit die 
Wechselbezüge der Begriffe erkennbar zu machen lediglich 
Wurzel auf Wurzel und alle nur von einer Sylbe folgen lassen: 
Hauptbeispiel der Art das Chinesische und zugleich ein Haupt- 
beleg, wie wunderlich bei diesem Volke die ünbeweglichkeit mit 
dem Fortschritt sich verbindet. Sodann die Sprachen, welche 
man agglutinierende, anfügende nennt. Auch hier noch erfahren 
die Wurzeln selbst keinerlei Wandelung: schon aber wird ein 
Versuch zur Synthesis gemacht: denn ein Theil der Worte, 
Pronomina und Partikeln, treten in eine untergeordnete Stellung 
zurück um sich, voran oder hintennach gesetzt, an die begriffs- 
volleren, die Verba oder Nomina, anzulehnen. Von dieser Art 
z. B. die Sprachen der Tataren; mit ihnen ist, während jenes 
isolierende Sprechen noch durchaus kindlich erscheint, darüber 
der Sprachgeist schon hinaus gelangt, innerhalb der Jugendzeit 
aber steht er auch so noch. Nicht anders nun dürfen wir uns 
den Beginn auch derjenigen Sprachen denken, die den Gang der 
Entwickelung weiter fort und bis zu Ende geführt haben, für 
die jedoch bloss die späteren Fortschritte litterarisch- belegt und 
urkundlich nachweisbar sind, den Beginn all der hauptsächlichen 
Sprachen der Welt und so auch unsrer indogermanischen. Noch 
wie diese in ausgereifter Gestaltung vor uns stehen, zeigen sie 
uns so vieles, was die deutlichste Nachwirkung ebensolch einer 
Jugend ist, dass wir schon daraus allein und auch ohne die 
willkonmiene Ergänzung^ welche die isolierenden und die an- 
fügenden Sprachen bieten, auf Anfänge der Art zurückschliessen 
könnten, zurückschliessen müssten. Wohl ist Pallas Athene gleich 
in der ganzen Vollendung ihrer strengen Schönheit und mit all 


16 Ueber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 

ihren Waffen angeihan aus dem Haupte des Zeus hervor- 
gesprungen: welche Vorstellung auch wäre eine kindliche Pallas! 
Aber die Sprache des Menschen, deren Geburtsstätte nur das 
menschliche Haupt ist, hat auch ihr Leben nur wie ein andres 
Menschenkind begonnen, mit den Mängeln der ünbeholfenheit, 
mit den Beizen der Nai?etät. 

Suchen wir uns jetzt von diesem Jugendalter der Sprache, 
das neben und vor der Kindheit zugleich die Schöpfung, die 
erste Entstehung derselben in sich schliesst, mit wenigen 
schnellen Zügen und solchen, die nur geringeren Baum in An- 
spruch nehmen, ein Bild zu entwerfen. 

Wie im Kinde und noch im Jüngling der leibliche und der 
geistige Theil das rechte Ebenmass des Zusammenwirkens noch 
nicht gefunden haben, das Leibliche noch vorwaltet, der Geist 
noch unter dessen Einflüsse steht und nur allmählich sich dem 
entzieht und flücke wird, ganz so in der Sprache, die erst be- 
ginnt: auch hier ist Körperlichkeit, ist Sinnlichkeit, ist eine. 
Phantasie, die Alles in sinnlichster körperlichster Weise an- 
schaut, das herrschende Merkmal. Der Nachahmungstrieb, der 
mit in der geselligen Natur des Menschen wurzelt und der nach 
Aristoteles treffender Bemerkung**) den ersten Anstoss zu der 
Kunstthätigkeit desselben gegeben hat, kaum doch führt er 
schon jetzt zur Kunst, zu bildender Kunst: um so ungetheilter 
kann er und kann die Phantasie sich auf die Schöpfung und 
Gestaltung der Sprache richten, der Sprache, die neben der 
Kunst das andre und so schon das älter geübte Vorrecht des 
Menschen ist. Und es fehlen zu solchem Wirken nicht die 
Mittel: noch sind die Laute alle so rein und bestimmt^ dass die 
nachahmende Einbildungskraft sie wohl gebrauchen mag um 
allem und jedem, was den Menschen umgiebt, einen Namen zu 
finden, der es malerisch darstelle. Wenn es Wange, wanken, 
wälzen, weben, wehen, Welle, winden, Woge heisst und dem 
gegenüber Stah, Stamm, starr, stechen, stehen, steigen. Stein, 
Stock, Stumpf, wenn also w das Bunde, das ««reiche, das Be- 
M^egte, st das Aufrechte, das Harte, das unbewegt Buhende aus- 
drückt, wie eben deshalb «^ schon allein der uralte Befehl des 


42) Poet. IV, 1. 


Üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache» 17 

Stillschweigens ist*®), wer empfände in solchen Fällen nicht 
heute noch die treflfende Passlichkeit der Lautgebung? Derselbe 
Trieb mithin, der die bereits gegebene Sprache fortverpflanzt, der 
Nachahmungstrieb giebt sie auch zu allererst und pflanzt sie. 
Für das Bewusstsein aber der Sprechenden selbst besteht zwischen 
der sprachlichen Nachahmung und deren Gegenständen kein 
wesentlicher Unterschied; die Sache wird von dem Worte dafür, 
das Ding von seinem Namen so vollständig gedeckt, dass beide 
in einen und denselben Begriff zusammenfliessen: gerad diese 
Ausdrücke Ding und Sache und das verschollene rahha haben 
noch im Mittelalter die eine wie die andere Bedeutung**), des 
fiures name ist ebenso viel als das einfache fiur^% und das 
lateinische res die Sache kommt von der griechischen Wurzel 
peo ich sage. So ist auch jener Zeit noch alle Uneigentlichkeit 
und blosse Bildlichkeit der Bede fremd: wenn das altdeutsche 
Hut d. h. Volk von liudan, dem gothischen Worte für das 
Wachsthum der Pflanzen, stammt und auf Althochdeutsch und 
Gothisch ferah Leib, firahu Mensch, firahi Volk, fairhvus Welt 
bedeutet, dies alles aber in seiner Wurzel eins ist mit fereha 
Eiche, dem lateinischen qtierciis^^), so hat das ursprünglich die 
Menschen mit den Bäumen nicht bloss seitab und vergleichungs- 
weise zusammenstellen, sondern auf Grund bekannter Mythen 
sie als solche bezeichnen sollen, die wirklich und in der That 
einst Bäume gewesen, aus Bäumen geschaffen, in Baumesgestalt 
gewachsen seien, wie das griechische Xa6<; sie der Sage von 
Deukalion wegen Steine nennt*'). Und noch weniger als mit 

43) Von den romanischen Sprachen mit Ungeschick zu einem ganzen, 
ja zweisylbigen und selbst der Morierung fähigen Wort erweitert; franz. 
chut, Span, chito, ital. zitto und weiblich zitta. 

44) Die beiden ersten insofern sie auch die Besprechung einer Rechts- 
sache bezeichnen; das gpthische Zeitwort sakan, althochd. aahhan ist ntir 
s. y. a. litigare. Vgl. althochd. chdsa (aus lat. causa) Kechtshandel und 
Gespräch, chösön sprechen. 

45) Haupts Zcitschr. VI, 299. 

46) Fereha: s. Graffs Althochd. Sprachschatz III, 385. QuercuSf wie 
querquetum zeigt, s. v. a. querquus. Auch PercunaSf der litthauische 
Name des Donnergottes, gehört hieher: man kennt den überall geltenden 
Bezug der Eiche zu dieser Gottheit. 

47) Haupts Zeitschr. VI, 15 fgg. Das althochd. und altsächsische 
liutstam (Volk) enthält jene mythische Bezeichnung sogar doppelt; wir in 
unserem Volksatamm spüren davon nichts mehr. 

Waekemag0l, Schriften. IIL 2 


\% Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Spraehe. 

abgeblasster Bildlichkeit wird Jetzt schon irgend ein Gegenstand 
mit Abstraction ergriffen : denn noch hält der reflectierende Ver- 
stand sich zurück, und es ist die schaffende, wiederschaffende 
Phantasie, die eben Allem voransteht. Die Phantasie ist aber 
wesentlich ein inneres Sehen: darum geht die Sprache, indem 
sie jetzt den Grundstock ihres gesammten Schatzes an Worten 
herausstellt, an Worten d. h. an Begriffen die ihre Gestalt zwar 
für den edlen Sinn des Gehöres empfangen haben, sie geht doch, 
was deren Gehalt betrifft, überall zimächst auf die Wahrnehmungen 
des noch edleren Sinnes, des Gesichtes, und erst von da aus, 
übertragungs weise auch auf die der andern: auch das Gehörte, 
das Gefühlte u. s. w. fasst sie auf als ein Gesehenes: ich er- 
innere Beispiels halb an (fdoQ und (fd^ai, an Itix und loqui, für 
das Deutsche an hell und grell und dunkel, die sämmtlich zu- 
erst von dem Licht und der Farbe gelten, an unser taeich, das 
von weichen, an süss, das von säzen kommt und eigentlich s.v.a. 
ruhig ^^), an riechen, das eigentlich rauchen bedeutet: wiederum 
hier in der vordersten Linie lauter Sichtbarkeiten. Selten und 
nur in bescheidenstem Mass und fast unmerklich knüpft die 
Schöpfung der Worte an gegebene Laute an, wie wenn es Mund, 
Zahn, Zunge, Gaumen, Kehle heisst, diese Glieder und Leibes- 
theile also gleidii im Beginn mit Gonsonanten bezeichnet werden, 
die von ihnen ausgehn. Wirklich als Abweichung aber und als 
Ausnahme sind solche Fälle zu betrachten, wo der Mensch auch 
Laute, die aus der unvernünftigen und unbelebten Welt her an 
sein Ohr gelangen, wo er Naturlaute unmittelbar und lediglich 
nachahmt, wo er. z. B. von dem Frosche sagt, dass er quake, 
von der Katze dass sie maue, von dem Huhne dass es gackre 
und gluckze^^); dergleichen onomatopoetische Worte sondern sich 
meist auch dadurch von allen übrigen ab, dass sie eben wie jene 
Ausdrücke bloss der Empfindung, die der Mensch mit dem 


48) In der gothischen Form sutiy die sich noch unmittelbar an sitan 
anschliesst , während das althochd. suozi denselben» Fortschritt der Yo- 
calisiernug zeigt wie das griech. rfi^^ und das lat. södes (ein Ausdruck 
der unserm veralteten lieher vor Imperativen zu vergleichen ist) und sitddus, 
sudvis zu E^cOy avISavco, aedeo. Noch weiter geht althochd. aiuza, sioza, 
siaza, angelsächs. seote stabulum, präedium: J.Xxrimm in Haupts Zeitschr. 
II, 5 fg. Graffs Sprachfleh. VI, 307 fg. 

49) Siehe Beilage I. 


üeber den Ursprung und die £niwickelung der Sprache. 19 

Thiere gemein hat, unfruchtbar für die fernere Sprachentwickelung 
bleiben: es sind das keine Wurzeln, aus denen noch etwas 
wächst. Das Sehen wird also auf das Gebiet der anderen Sinne/ 
noch um einen Schritt weiter wird es auf die ganz unsinnlichen 
Begriffe der Zeit übertragen: alle Zeitanschauungen sind zuerst 
Anschauungen des Baums und der Bewegung in demselben: 
gleich die Namen der drei Abstufimgen Vergangenheit, Gegen- 
wart^^) und Zukunft haben eigentlich keinen andern Sinn als 
diesen räumlichen: wir freilich denken daran nicht mehr. Ich 
habe gesagt „d^^ Bewegung im Baume ^^: nämlich auch das ge- 
hört zu den Hauptmerkmalen der ersten Sprachschdpfung,/ dass 
sie voraus die Bewegung, die bewegte Thätigkeit ins Auge fasst. 
Die Worte hiefür, die Zeitwörter, machen deshalb in ihr den 
Anfang, und dann erst kommen, auf sie begründet, die übrigen 
Wortarten: ein Yerhältniss, das bereits die Grammatik des 
dassischen Alterthums wohl verstanden hat und treffend aus- 
drückt, indem sie diesen Bedetheil §%\kOL oder verbum, ihn also 
vorzugsweise das Wort nennt; die chinesischen Grammatiker 
sagen, auch nicht uneben, „lebendiges Wort". Und diese Ur- 
wörter bezeichnet ganz besonders eine Eigenheit: während näm« 
lieh in Urnen der Wurzelvocal noch keinerlei Aenderung erleidet, 
pflegt eben derselbe späterhin, wo die Gonjugation auch andere 
Laute neben ihm entwickelt, dem Tempus praeteritum zuzufallen, 
und es weisen z. B. nur die Imperfecta rann und trieb noch die 
ursprüngliche Wurzelform von rinnen und treiben auf: schliessen 
wir hieraus zurück, so sind die Zeitwörter (wir können diesen 
Schluss mit genügender Sicherheit thun) im Anfenge stets nur 
erzählend gewesen. Wirklich auch tritt Bewegung und Thätig- 
keit am unmittelbarsten da vor Augen, wo man erzählt, wo man 
von Ereignissen redet, die eines nach dem andern vergangen 
sind, und dass Erzählung den nächst natürlichen Inhalt alles 


50) Denn die althochd. Adjectiva gaganwarti und antwert, antwart, 
antwurtif goth. andvairth, wovon die Substantira gaganwerti, gaganwurH, 
oHtumr^i, andvairthi, beruhen in ihrem zweiten Theile, dem auch sonst 
gebrauchten Adj. wert oder vairth, unserem wärts, auf dem Zeitwort 
werden {werdan, vairthan), das ursprünglich denselben Raum- und Be- 
wegnngsbegriff der Bichtun^ gehabt wie im Lateinischen vertere. Eben- 
solche Bildungen im Gothischen und Althochd. für die Bezeichnung des 
Zukünftigen: anavairth, anawert, anawart. 

2* 


20 lieber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 

Sprechens macht, darauf deuten schon Worte wie im Griechischen 
?7co<;, piO^oc, Xoyoc, im Mittelalter rede und jetzt noch Sage hin, 
die sämmtlich auch den Sinn der Erzählung in sich aufgenommen 
haben *^). Gegenüber den Verben, den lebendigen Worten, 
werden die Substantiva ?on der chinesischen Grammatik todte 
Wörter genannt, ebenso passlich, nur in anderer Art, als wenn 
unsre Puristen „Hauptwort*^ sagen: mag sich immerhin an 
solchen Begriffen das Leben nicht in der gleichen Bewegtheit 
zeigen, es wohnt auch ^n ihnen, oder wenn sie an sich auch 
wirklich leblos sind, die schöpferische Phantasie belebt sie 
dennoch: denn dass sie in der Sprache auch todten Dingen ein 
Geschlecht giebt und sie bald männlich, bald weiblich benennt, 
geschieht ja nur, indem sie dieselben sich als Thiere vorstellt 
oder noch lieber als Personen*^). Endlich, was uns jetzt für 
die Verbindung der Worte zu Sätzen unentbehrlich dünkt, 
irgendwelche Flexion der Verba und der Nomina, sei sie auch 
noch so dürftig, ist in dieser Anfangszeit noch nicht vorhanden: 
Person, Numerus, Tempus, Modus, Casus, für alles das treten 
Pronomina und Partikeln ein und stellen sich, wie das vorher 
schon ist angegeben worden, entweder als Worte gleicher Geltung 
mit in die Beihe der übrigen Wurzeln oder ordnen sich unter 
und heften sich seitwärts enger an dieselben an, oder aber es 
braucht die Sprache noch naivere Mittel und bezeichnet z. B. 
die Vollendung einer Thätigkeit, die Vielzahl einer Substanz und 
sonstwie jegliche Steigerung eines Begriffes durch Wiederholung 
des Ausdrucks, durch Gemination. Bei solch einer Satzbildung 
musste sich, namentlich auf der untersten noch Alles gleich 
isolierenden Stufe ein Sprechen von ganz ähnlicher Art ergeben, 
wie einst die Dichtkunst ihre Verse bilden durfte, in lauter 
Hebungen ohne Senkung dazwischen: freilich ein noch höchst 
unvollkommener Rhythmus, und dennoch wird, frisch und hell 
und voll wie die Laute eben erst dem Brunnen der Schöpfung 
entquollen waren, das Sprechen jetzt viel eher noch ein Singen 
gewesen sein, zwischen Singen und Sprechen kaum schon ein 
Unterschied bestanden haben (eine Bückahnung davon noch in 


51) Sage: Geschichte d. Deutschen Litteratnr 8.39; rede: ebd. S. 145; 
zeUan sagen und erzählen: oben Anm. 23. 

52) Pfeiflfers Germania IV, 129 fg. 


üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 21 

der Folgezeit, wenn sie singen und sagen gern in gleicher Be- 
deutung mit einander und eines für das andere braucht^') und 
ebenso wenig schon ein Unterschied zwischen Poesie und sonstiger 
Darstellungsweise: wie Leben und iSinnlichkeit und anschaulichste 
Nachahmung jedes Wort erfüllte, war die ganze Sprache Dicht- 
kunst. 

AllmäUch jedoch reift sie aus solcher Jugendlichkeit in das 
Mannesalter hinüber: das sinnliche und das geistige Element 
finden ihr Gleichgemcht, das sich aber je mehr und mehr in 
ein Uebergewicht des letzteren neigt; neben die Phantasie und 
vor dieselbe tritt die zartere Empfindung und tritt der Verstand, 
und dem sinnlich angeschauten gesellt sich um es gemach zu- 
rückzudrängen das seelisch empfundene, dem Goncreten das 
Abstracto bei. Diess nun ist die Stufe, die einerseits von den 
Indogermanischen Sprachen mit ihren einsylbigen, andrerseits 
von den Semitischen mit Wurzeln eingenommen wird, die wenn 
auch nicht zu wirklicher Zweisylbigkeit, doch jedesfaUs in anderer 
Art der Gestaltung als die indogermanischen erwachsen sind. 
Nicht so, dass diese oder jene sämmtlich denselben Platz be- 
haupteten: sondern wie das Hebräische von seinen jüngeren 
Schwestern sich dadurch unterscheidet, dass es noch zu einem 
guten Theil in den Eigenheiten der früheren bloss agglutinieren- 
den Zeit befangen ist, so hat auch der indogermanische Stanun 
seine mannigfach weitere Gliederung und Abstufung, und dem 
strengen Ebenmass, der Einfachheit und auch schon der Ver- 
armung gegenüber, die z. B. das Gothische zeigt, steht am 
äussersten Ende dieser Reihe das Sanskrit da, das auch den 
geringsten Eeim nicht unentwickelt gelassen, das in üppigster 
Fülle, schwelgerisch, verschwenderisch Laub und Blüte und 
Frucht getrieben und gezeitigt hat. Indess, wie grosse Ver- 
schiedenheiten sich auch sonst erweisen, all diese Sprachen sind 
im Gegensatze zu jenen isolierenden und bloss anfügenden nun 
flectierende, sind nicht mehr analytisch, sondern sie, und zwar 
die indogermanischen auf das vollkommenste, synthetisch, und 
sie sind das geworden durch Weiterbildung jener früheren Zu- 
stände : die Pronomüla oder Partikeln, welche dort noch in voller 


58) Geschichte d. Deutschen Litteratur S. 19. 62 fg. 147. 


# 

22 lieber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

Selbständigkeit dem Verbum und dem Nomen Hilfe leisteten 
oder sich nur, noch immer ablösbar, an deren Wurzelform 
hängten, sind hier an dieselbe fest heran, ja in sie hinein ge- 
wachsen, und es drückt nun eine oft ganz unscheinbare Endung 
oder ein blosser Wandel des Wurzelvocales kürzer und durch 
die grössere Kürze nur noch bestimmter all die Verhältnisse der 
Thätigkeiten und der Eigenschaften und der Substanzen aus, 
die bisher bloss mit der schwerfälligsten Wörterhäufung auszu- 
drücken waren: ein einziger Laut genügt um das Medium und 
Passiv vom Activum, den Conjunctiv vom Indicativus, den Dual 
vom Pluralis, den Locativ und den Instrumentalis von den 
übrigen Fällen der Declination zu unterscheiden. Und diese 
Verschmelzung der früher gesonderten Redetheil^ diese mass- 
volle Verkürzung alles dessen, was nur Mittel, nicht Inhalt und 
Gegenstand des Sprechens ist, greift überall hindurch: Worte, 
die früher bloss neben einander gestanden, werden nun gelegent- 
lich in eines zusammengesetzt, und aus der Gemination, der 
vollständigen Wiederholung desselben Ausdruckes, wird nun die 
unvollständige, nur noch halbe, die unsre Grammatiker, nicht 
eben genau, Beduplication benennen. Gleichwohl verschwinden 
jene untergeordneten Wörter keinesweges: so mannigfach aus- 
gebildet die Flexion auch ist, sie reicht für das Bedürfiiiss doch 
nicht hin, und es entwickelt sich noch neben ihr eine immer 
grössere, immer feiner unterschiedene Fülle selbständiger Par- 
tikeln und Pronomina und welcherlei Worte sonst an gleicher 
Art nur zur Beihilfe dienen. Alles das, damit die Sprache be- 
fähigt sei jeden Gedanken mit Deutlichkeit, jede Empfindung 
mit weicher Schmiegsamkeit vorzutragen; alles das, weil solche 
Deutlichkeit und Geschmeidigkeit nun ihr Character geworden ist. 
Schon aber beginnt, und von Jahrhundert zu Jahrhundert 
nimmt sie zu, eine Gleichgültigkeit der Sprechenden gegen den 
eigentlichen Sinn und Gehalt der Wursreln wie dör Bildungs- 
mittel, das Bewusstsein, was diese Laute, diese Worte eigentlich 
bedeuten, erlischt, und in demselben Maasse, als der Ausdruck 
der ganzen Gedanken klarer wird, trübt sich die Durchsichtig- 
keit des Ausdruckes der einzelnen Begriffenes werden zum Bei- 
spiel zahlreiche Zusammensetzungen durch schwächende Auf- 
fassung ihres zweiten Theiles zu dem, was in der Grammatik 
nun Ableitung heisst, und in den Ableitungen von steigerndem. 


üeber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache. 23 

und verkleinerndem Sinne häufen sich die bezeichnenden Laute 
schrittweis einer auf den andern, damit dieser Sinn, nachdem er 
sich immer wieder verwischt hat, immer wieder erkennbar werde : 
so ist unser Bächelchen dreifach verkleinert^*), das lateinische 
postremus vier- oder gar fünffach gesteigerte^). Denn derselbe Geist, 
dem früher inmitten all der sinnlich belebten Anschaulichkeiten 
so heimisch wohl gewesen, ist jetzt darüber hinaus und empor 
gewachsen zu stets höherer Erkenntniss, höheren Bedürfnissen; 
es giebt nun Poesie und Prosa, wie sich gleichmässig der Ge« 
sang mit Entschiedenheit vom Sprechen trennt: aber sogar für 
die Poesie taugt die Sinnlichkeit des Ausdruckes nur noch als 
Gleichniss und als uneigentliche Bede, nur noch in solcher 
matteren Abspiegelung: sie selbst, iju^er ganzen wahren Fülle 
nach, muss aus der Sprache in die bildende Kunst sich hinüber« 
flüchten, die jetzt ersteht um mit anderen Mitteln zu leisten, 
wozu die Sprache nicht mehr befähigt ist. 

Und noch Anderes übt auf die neue Bichtung einen be- 
stimmenden und verstärkenden Einfluss aus. Auf dieser zweiten 
Stufe der Sprache wird zugleich die Schrift für. sie erfunden. 
Die Schrift, die Buchstabenschrift;: wie unempfindlich wird doch 
der Mensch gegenüber dem Grossen, dessen er gewohnt ist ! Den 
Telegraphen, der im Nu den weitesten Baum überspringt und 
die sprachliche Mittheilung auf das geringste Zeitmass verkürzt, 
staunen wir deshalb noch täglich an: über die Schrift verwundert 
sich der Mensch schon längst nicht mehr, und doch, wie sie die 
Mittheilung auf eine Unendlichkeit der Zeiten ausdehnt und mit 
den Jahrtausenden sie fort und fort durch den Baum und in 
immer entlegenere Fernen trägt, mangelt wahrlich auch dieser 
so viel älteren Erfindung die wundervollste Grossartigkeit nicht, 
und sie zuerst ja hat, was hier von Allem das Wesentlichste 
und auch für den Telegraphen stets noch die Hauptsache ist, 
den Laut, den das Ohr vernimmt , in ein Bild für das Auge, in 
ein Zeichen imagewandelt. Nachdem aber diess geschehen war 
und sich der Sprache zur Seite die Schrift gestellt, da erst be^ 


54) Mit el althochd. il, mit ch ahd. ihh, mit en ahd. in. 

55) Mit s, mit t, mit r, wiederum mit s (demi nur der Ausfall eines 
solchen dürfte das lange e erklärlich machen) und mit m: Grundwort 
ist pone. 


24 üeber den Ursprung und die Kntwiekelun^ der Sprache. 

gaun denn auch die eigentliche Litteratur, und es traten damit 
an die Sprache neue Forderungen heran und mann^altige tief 
greifende Einwirkung: eine Thatsache, die weder des Beweises 
noch der weiteren Ausführung benöthigt ist. Zwar dürfte viel- 
leicht jemand vermeinen, durch die Fassung in Schrift werde 
die Sprache sofort auf den Fleck festgebannt, auf welchem sie 
gerade stehe, und allem Fortgange sei damit Einhalt gethan: 
die Erfahrung jedoch widerspricht dem aufs bestimmteste: sie 
lehrt ims, dass Sprachen vielmehr dann erstarren, wenn sie nie 
bis zu einer wirklich litterarischen Ausbildung gediehen oder 
derselben nach früherem Besitze wieder verlustig gegangen sind: 
Beleg die pelasgischen Nebenmundarten des Feloponneses und 
Italiens, die litthauische Sprache, die friesische des Mittelalters 
und die Isländische von heut, denen allen nur aus dieser Ur- 
sache die gleiche AlterthümUchkeit unverrückt die längsten Zdten 
hindurch eigen geblieben. Nein, dem ähnlich wie Thiere und 
Pflanzen durch die Cultur veredelt werden, ebenso die Sprache, 
solange sie nämlich noch auf dieser zweiten Stufe sich behauptet, 
durch litterarische üebung: das Bingen mit dem Stoff und der 
Form, das nun ihr auferlegt ist, kräftigt sie, schmeidigt sie, 
beschleunigt ihre Entwickelung, letzteres allerdings zugleich mit 
dem Erfolge, dass sie um so schneller bei der Neigung anlangt, 
die hinab ans Ende führt. 

Neben der Schrift und der Litteratur konount hier aber noch 
ein Zweites in Betracht, ein Ferment, das im Inneren der 
Sprache selbst arbeitet und von da aus deren Leben sowohl 
steigert als zersetzt. Mit dem Uebergange von der Agglutination 
zur Flexion sind die Worte in Bewegung, die Laute in Fluss 
gerathen: was früherhin für alle Fälle gleichmässig rein und be- 
stimmt und fest, aber deshalb auch in Starrheit da gestanden, 
das ändert sich nun bald so, bald so, und es hebt eine Beihe 
von Wandelungen theils der Yocale, theils der Consonanten an, 
bei denen der Geist der Sprechenden in keiner Art mehr mit- 
wirkt, die aber von so gesetzmässiger und so durchaus von 
objectiv naturgeschichtlicher Beschaffenheit sind, dass Sprach- 
forscher, die auf sie ihr vorzügliches oder gar das einzige Augen- 
merk richten, um ihretwillen die Sprachen überhaupt als orga- 
nische Naturkörper und die ganze Erforschung derselben nur als 
ein Stück Naturforschung ansehn. Den Grundzug all dieser 


Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 25 

Aenderungen bildet das Streben der Sprache ihre einzelnen Laute 
in Uebereinstimmung und Gleichgewicht zu bringen und sie 
darin zu erhalten, die Angleichung und die Ausgleichung der- 
selben; der Sinn der Worte bleibt hiebei unbeachtet und unbe- 
rührt, es gilt lediglich den Lauten an und für sich selbst, wie 
je das bezügliche Sprachwerkzeug sie hervorbringt. Dahin ge- 
hören vor allem aus die zahlreichen und mannigfachen Fälle, 
wo die Wurzel den Yoeal der Schlusssylbe auch in sich herüber 
nimmt und in Folge davon diphthongiert oder gebrochen oder 
umgelautet oder abgelautet wird, und wie die Grammatik sonst 
es nenne; es gehört dahin auch jene Lautverschiebung, die 
zwischen einigen Sprachen und Mundarten des indogermanischen 
Stammes, nach neuesten Ermittelungen^^) sogar zwischen dem 
Indogermanischen überhaupt und dem Semitischen waltet: denn 
wenn es z. B. im Lateinischen und Griechischen dens, dentis^ 
65ou(;, oSovToc, im Gothischen tunthtis, im Althochdeutschen zand 
heisst oder ^'T(o<;y fagus auf Gothisch böka^ auf Althochdeutsch 
puohha, so ist das ebenfalls eine Ausgleichung, nur im grössten 
Massstabe, über die ganzen Sprachen hin: weil sich die Media, 
gleichviel auf welchen Anlass, zur Tenuis verhärtet, so steigert 
die Tenuis sich ihres Theils zur Aspirata, und folgerecht sinkt 
die Aspirata wieder in die Weichheit der Media herab. 

Diese und die übrigen Aenderungen nun, einem so festen 
Gesetze auch jede Erscheinung der Art folgt, sie beh^rschen 
doch keineswegs das ganze Gebiet, einer Sprache oder gar einen 
ganzen Sprachstamm mit überall gleichmässiger und nie unter- 
brochener Geltung, wie ja z. B. die Lautverschiebung voll und 
streng durchaus nicht alle Glieder der indogermanischen Familie 
trifft: sondern während dieselben . hier immer weiter schreiten, 
wird dort damit alsobald innegehalten, oder es treten hier nur 
diese, dort nur jene Yerwandelungen ein, und so geschieht es., dass 
eine Sprache, die ursprünglich eine einzige und in sich einige 
gewesen ist, sich in Mundarten und, wenn die Mundarten je 
mehr und mehr aus einander gehn, sidi in neue verschiedene 
Sprachen theilt^ Von besonders masssgabender Bedeutung sind 
hiebei die politischen Verhältnisse, die innerhalb dess Volkes be- 


56) Eud. V. Kaumer (Anm. 34) S. 504 fgg. 


26 üeber den Ursprung and die Entwickelang der Sprache. 

stehn, und yielleicht in noch höherem Grad die Yersohieden- 
heiten der Lebensweise: wo letztere alterthümlich einfacher ist, 
wird auch die Sprache in der grösseren Einfachheit un4 Alter- 
thämlichkeit veiiiarren, und so im Gegentheil. Land und Luft 
aber wirken, wenn überhaupt, doch gewiss nicht so unmittelbar 
bestimmend auf den Character einer Sprache ein, als man das 
gewohnt ist anzunehmen: die Mundart des Friesen auf seiner 
flachen Nordseekuste ist reichlieh ebenso rauh als die bairische 
und die alamannische der Hochgebirge und die Sprache der 
Schweden und die der Bussen im kältesten Norden kaum weniger 
weich und melodisch als die italiänische. 

Lenken wir jedoch von dieser Betrachtung, die zwar mit 
auf dem Gebiete, das wir durchwandern, aber etwas seitab ge- 
legen, wieder auf den geraden Hauptweg ein. Die berührten 
Lautänderungen mögen der Sprache immer mehr Zusammen- 
klang in sich verleihen und, wo demselben Störung droht, ihn 
wiederherstellen; sie mögen die Consonanten und zumal die 
Vocale, deren ursprünglich nur einige sehr wenige gewesen, zu 
immer grösserer Zahl und Mannigfaltigkeit entwickeln, dass die 
Sprache von ihnen wie ein Begenbogen im buntesten Farben- 
wechsel stralt^^); sie mögen auch der Flexion, des Zeitwortes 
nailientlich, einen noch reicheren Wechsel verachiedener, ver- 
schiedenartiger Formen zuführen: dennoch ist eben diess der 
Weg, auf welchem die Sprache zuletzt und rasch in das Gegen- 
theil von alle dem hinabsinkt. Denn der Fluss der Laute, 
nachdem dieselben eil^nal so beweglich geworden, steht nicht 
wieder still, und es treten alsbald auch unorganische Laut- 
wechsel ein, wie in den beiden pelasgischen Sprachen die häu- 
figen Vertauschungen von p und f und k und überall die von 
s gegen r, oder es föUt von der Wurzel ein wesentliches Stück 
dahin, wie im Deutschen wenn da schon frühzeitig das h vor 
Liquiden und vor w verschwindet, oder Vocale, falls sie auch 
bestehen bleiben, erleiden doch solche Verwischungen ihrer Laut- 
fülle und der ursprünglichen Quantitätsunterschiede, dass zuletzt 
alle Farbe abgeschossen ist und Wort für Wort eintönig das- 
selbe Blassgrau überzieht. Da fehlt es denn nicht, es treffen 


57) Beispiele das Sanskrit, die Jonische Mnndart und die mittel- 
rheinische Otfrieds, 


üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 27 

Begriffe, die vonnals im Ausdruck wie dem Inhalte nach sehr 
bestimmt yan einander verschieden waren, häufig nun in den 
gleichen Ausdruck zusammen, wie wenn laden bereits im Mittel- 
hochdeutschen sowohl den Sinn Ton onerare als den von invitare 
, hat, auf Alüiochdeutscli aber im ersteren Falle noch mit hl be- 
ginnt; da muss sich auch Vieles, ja das Meiste von dem ver- 
lieren, was an den Lauten der Sprachwurzeln das eigentlich 
characteristische, das malerisch darstellende ist, und namentlich 
hat die Lautverschiebung, der unser Deutsch gleich in seinen 
ersten Anfängen unterliegt, auch gleich im Anfenge mit Ver- 
derbnissen der Art eingegriffen. Der allgemeinen Regel nach 
werden allerdings Worte, die einen Naturlaut nachahmen, ebenso 
wenig von ihr betroffen als jene Empfindungswörter, die selbst 
nur Naturlaute sind: der Deutsche lacht, wie schon die Grriechen 
und Bömer es gethan, nAihaha, und da der Frosch uns nicht 
anders schreit ^Is bereits ihnen, so hat nicht allein der Grieche 
sein xoa^ und der Bömer sein quaxare oder coaxare, sondern 
wir auch sagen qtmken, Indess die Lautverschiebung lässt so- 
gar dergleichen Ausdrücke nicht unangetastet. Ein Beispiel. 
Die griechischen Wörter xpa^siv, xpogetv, xpauyiq, x5pa^ und 
xopovTfj, die lateinischen crocire, crocitare, corvus, cornix und 
mit erweichtem Anlaute gracvlus, gracillare, gradtare zeigen 
alle die Verbindung von k oder g mit r, gut onomatopoetisch, 
wie man ja auch gewohnt ist den Schrei des Raben und der 
Krähe als ein hra aufzufassen^^); nicht anders die deutschen 
Namen dieser Vögel, mundartlich Krapp der Elabe, althochdeutsch 
chräa die Krähe, im Altnordischen hräkr Rabe und weiblich 
hräka Krähe, femer das Zeitwort chräan unser krähen, krachen, 
althochdeutsch chradam Lärm, chreho und chron beides s. v. a. 
garrulus, krizen unser kreischen, althochdeutsch chrockezan und 
neuhochdeutsch krächzen: wenn aber daneben einige andre Aus- 
drücke desselben Sinnes und derselben Wurzel von der Ver- 
schiebung der Laute mitgeführt werden, wenn das Krähen des 
Hahnes auf Gothisch hrukjan, der Rabe auf Althochdeutsch 


58) Die Ausdeutung des Eabengeschreis auf das lat. cras hat schon 
im zwölften Jahrhundert das Gedicht von der Litanei Z. 488, später 
Berthold (die Taube rufe hodUj der Babe eras) 423, 8 fgg. u. a. Der 
Froschmeuseler I, 2, 8 giebt dem Raben den Namen Hippocras, 


28 Ueber den Ursprung nnd die Entwickelang der Sprache. 

hraban lüid der Häher hruoch heisst, so ist mit diesem h die 
Lautmalerei bereits sehr geschwächt, und gar ein Hauptstück 
davon wird gänzlich ausgetilgt, wenn das spätere Deutsch auch 
noch das h beseitigt, also Babe, Rappe sagt und mundartlicher 
Weise Ruech und rucken im Sinne von girren. Ich kann mich 
nicht enthalten dem noch ein zweites Beispiel anzufügen, welches 
zugleich einen Weg der Wortschöpfung kennen lehrt, den die 
Sprache sonst nie mehr Gelegenheit gehabt hat zu betreten. Die 
ersten bestimmteren Laute, die das Sand hervorbringt, die 
ersten, weil sie ihm am leichtesten fallen, sind die Lippenlaute 
m und p, und es bedient sich deren sofort (ich weiss aber nicht, 
ob aus sich selbst oder auch das durch Lehre) um das ihm zu- 
nächst angelegene zu bezeichnen, trinken und essen, Mutterbrust 
und Mutter und Vater; derselbe Sinn verbleibt dann dem m 
und p noch über die Einderzeit und die Einderwelt hinaus. Mit 
m also memm, wie unsre Einder zu trinken fordern, die Mutter- 
brust auf Lateinisch mamma und mamiUa, die Mutter auf 
Griechisch und Lateinisch mamma^^) oder umgestellt amma^^) 
und ebenso auf Althochdeutsch, in der gereifteren Sprache aber 
abgeleitet (xiqnfip, maiier, Mtdter^^), Mit p theils auch Be- 
nennungen des Trinkens wie papilla, irfvd) u^icoxa, potus, po^ 
ctdum, puteus^^, theils aber des Essens: pappa^ wenn die rö- 
mischen Einder das verlangten, potöco, pcibulum, panis, TzoLz£o\LOii; 
und des Vaters: iroc, Tcaiuxac oder umgestellt oItztzol in der 
Eindersprache Griechenlands und Boms und wieder mit eineni 
ableitenden Zusätze xanfp und pater: der Eürze wegen lasse 
ich auch hier unangeführt, was von demselben Wurzellaut her 


59) Ist Memme, wie wir in weiblicher Form einen weibischen Mann 
nennen, eigentlich auch s. v. a. Mutter? Der alteren Sprache war das 
Wort noch fremd. 

60) Angeführt und in seiner Weise erklärt von Isidor Origg. XII, 7, 
42: Haec avis (strix) vulgo dicitur amma ah amando parvidos, unde et 
lac praebere fertur nascentibus. Wahrscheinlich ist amita ein Deminutiv 
hiezu. 

61) Das althochd. muomä (Mutterschwester) ist eine kindliche Ver- 
schmelzung von muoter und mamma oder besser nur eine Ablautbildung 
zu dem letzteren: vgl. die nächstfolgenden Anmerkungen. 

62) Mit Erweichung in die Media ist bu der lateinische Einderruf 
nach Trinken, bua das Substantiv dazu, bä>ere das Zeitwort der Er- 
wachsneren. 


Ueber den Ürsprtmg imd die Entwickelang der Spraehe. . 29 

die übrigen indogermanischen und mit ihnen die semitischen 
Sprachen bieten. Diess characteristische p nun halten für die 
Vorstellungen Essen und Vater allerdings auch unsre Kinder 
fest: sie können nicht wohl anders; und ihnen zu lieb wird ein 
Brei auch noch von uns älter gewordenen Pappe genannt*^): 
höher hinauf jedoch hat auch dieser gleich anderen Lauten sich 
der Verschiebung fägen d. h. sich aspirieren müssen, und es 
heisst nun Vater und Fidter und dem griechischen SjcTca ent^ 
sprechend der Grossvater auf Altnordisch afi: Umformungen, die 
nichts mehr haben von jener ersten Stimme der Natur. So viel 
über das m und das p der Kinder. Wenn aber das Sprachver* 
mögen noch etwas weiter gewadisen und von der Lippe zurück 
auch auf Zahn und Zunge gewandert ist, dann werden die 
Mutterbrust und die Amme und die Grossmutter auf Griechisch 
TtT^t) und vrfi'ti, der Vater auf Griechisch und Lateinisch tata 
und atta genannt und ziemlich ebenso die Mutterbrust althoch- 
deutsch tuUd, Pathe und Pathinn, d. i. Vater und Mutter im 
geistlichen Sinne, toto und totä, der leibliche Vater gothisch 
atta^^) und jetzt noch in Mundarten AMo und verkleinert Aetti 
oder Taä und TäUe. Aber wiederum hier die störende Laut- 
verschiebung: neben Atta und Tato, die unser Alterthum auch 
als Eigennamen braucht, kommt in solcher Anwendung zugleich 
Azzo und Zazo vor*^), auf das gothische AtHla^^) folgt im 


es) Die althochd. Mannsnamen Appo, Abbo, Papo, Babo, und ab- 
lautend I^^opo, Buoho werden zuerst auch nur Schmeichelworte für den 
Appellativbegriff Vater gewesen sein; es widerspricht dem nicht, dass 
dann auch weibliche Namen, Äppa, Ahba, Bdbd, Paopd, Buohd, davon 
sind abgeleitet worden. 

64) Ablaut dazu die althochd. Kamen Uoto und Uotä, kaum aber 
(gegen J. Grimm in Haupts Zeitschr. I, 21) das altnord. 64ha Urgross- 
mutter: diess dh oder, wie Grimm es ändert, d ist weder mit dem 
pelasgischen noch mit dem gothischen tt zu vereinigen. 

65) Und ebenso stehn Tuto und Zuzo, Tutilo und Zozzolo neben 
einander; da sich auch Zuozo findet, wird es um so mehr erlaubt sein 
mit J. Grimm (Gesch. d. Deutschen Spr. I, 272) das goth. T6tila eben- 
falls hieher zu ziehen : die andre Erklärung, die Grimm in Haupts Zeitschr. 
VI, 540 giebt, empfiehlt sich weniger. 

66) Als gothischer Name und Schmeichelname derselben Art zu ver- 
stehn wie das so eben angeführte Tötila , wie Badvila (so. hiess Totila 
eigentlich), Blivila, MSrila, Mundila, Sunila, SvintMla, Vulfila u a.: 
vgl. Gesch. d. Deutschen Litt. S. 16. 


30 . üeber den Ursprung und die Entwlckelnng der Sprache. 

Althochdeutschen Azzilo, für tuUä hat sich Zitze eingedrängt, 
und sstäzdn ist s. y. a. saugen. 

Es sind jedoch nicht allein die characteristischen Wurzel- 
laute, die so Yor der neuen Sprachbewegung zu Grunde gehn: 
auch die Flexion wird von ihr auf das empfindlichste geschädigt, 
sogar sie, um derentwillen allein der sprechende Geist auf den 
jetzigen Standpunkt sich begeben hat Denn in Folge der er- 
wähnten Lautschwächungen und sonstigen Verderbnisse ver- 
wischen und vermischen sich je mehr und mehr die unterschiede 
der flectierten Formen, und die Sprache muss schrittweis eine 
derselben nach der andern wiederum fallen lassen: so hat schon 
das Gothische keinen Locativus mehr, schon das Althochdeutsche 
keinen vom Accusativ verschiedenen Nominativ und Vocativ und 
kein Medium oder Passivum und das Mittelhochdeutsche nur 
noch verwehte Spuren des Dualis und des Instrumentalis. 

unter solchen Einbussen gleitet die Sprachje allgemach und 
unmerklidb (wer vermochte die Grenzlinie mit Bestimmtheit an- 
zugeben?) auf ihre dritte und letzte Stufe, in das Greisenalter 
hinab, wo alles Sinnliche, alles Körperliche welkt, aber auch, 
wenn man will, hinauf in das Greisenalter mit seinen gehäuften 
Weisheitsschätzen, in die Zeit, wo der Geistesfanke vor dem 
letzten Erlöschen noch einmal am hellsten flammt und fast nur 
noch dieses geistige Element zu gewahren ist. Durch alle 
sprachliche Darstellung hin weht nun ein kühler scharfer Zug 
der Abstraction; was im Beginn die unmittelbarste sinnliche 
Anschauung, dann wenigstens ein Bild gewesen, jetzt ist das 
meist nur noch ein Rahmen, in den je nach Umständen sehr 
wechselnde Begriffe zu fugen sind: die Philosophie versteht das 
wohl auszunützen. Aber die Worte eignen sich auch zu solcher 
Behandlung; fast alle sind sie bis auf das Aeusserste entstellt 
und befinden sich, wie diese ihre Laute den eigentlichen Gehalt 
nicht mehr erkennen lassen, auf dem geraden Wege blosse 
V Chiffern zu werden. Darum ist auch für das Gefühl der 
Sprechenden kein rechter Unterschied mehr vorhanden z frischen 
einheimischen und fremden Worten: die einen sind ja um nichts 
verstandener und liegen dem etymologischen Bewusstsein um 
nichts mehr näher als die andern ; während die einheimischen 
in Menge, ja familien weis aussterben , überhäuft sich die Sprache, 
auch massen- und familienweis mit solchen, die sie rings aus 


üeber den Ursprimg tmd' die Entwickelung der Sprache. 31 

aller Welt zusammenborgt, und wie oft doch sind diese Fremd- 
wörter vollkommen entbehrlich, wie oft auch voll von barbarischen 
Verstössen gegen die Sprachen selbst, denen man sie entnommen 
vermeint: man erlaube mir hiebei besonders an den Wörter- 
schätz der Naturforschung und der Mathematik zu denken; ja 
wie oft sind es nicht einmal rechte Fremdworte, sondern gut 
und alt einheimische, und es hat ihnen das Ausland nur ein 
neues Kleid gegeben ^^): aber diess ausländische Kleid machte 
sie unkenntlich oder empfahl sie besser. Wenn z. B. wir von 
Banditen und Spionen, von Fresco und ihnaü und Qravierung 
sprechen, so kUngt das wohl wie Italiänisch und Französisch, 
der Kern und Grund davon ist aber deutsch, unsre Worte bannen 
und spähen, frisch und sehmdzen und graben, 

Diess alles bringt die letzte Sprachstufe in den entschieden- 
sten Gregensatz zu der ersten und zu deren Kraft aus eigener 
Fülle zu schöpfen und zu der Sinnlichkeit jeder ihrer Schöpfungen. 
Am auffallendsten das in einer Beziehung, wo auf den ersten 
bloss flüchtigen Blick hin beide vielmehr überein zu stimmen 
scheinen. Dort, im Anfange, war noch keinerlei Flexion vor- 
handen: man brachte noch, was späterhin durch diese bezeichnet 
wird, in selbständig aufgestellte Worte. Hier, am Ende, giebt 
es nur noch höchst dürftige Flexion und theilweis wiederum gar 
keine mehr, und wiederum treten im Sinne derselben und an 
deren Statt eigene Zu- und Vorsatz worte ein, Hilüsverben um 
die Tempora, Präpositionen oder, wie im Schwedischen, im Dä- 
nischen, im Bumänischen, der hinten angehängte Artikel um die 
Fälle der Declination zu umschreiben, und wie viel andres von 
der gleichen Art! Aber (und darin liegt der Unterschied) alles 
das ist hier nur Ersatz für erlittene Verluste, frische Analyse 
einer bereits vorangegangenen Synthesis, alles das eben nur 
Umschreibung, und den Worten und Wörtchen, die man dazu 
braucht, wohnt kein eigener Bedeutungswerth mehr inne: auf 
sie passt der Name, den die chinesische Grammatik, für ihre 
Sprache noch ungehörig, 4^n Pronominibus und Partikeln giebt: 
sie sind „leere Wörter". Während die älteste Zeit in der ein- 
facheren Art des Alt^humes mit jedem Worte gleichsam Gold 


67J Die ümdeutschung fremder Wörter S. 6. 


32 lieber den Unprang und die £nt Wickelung der Sprache. 

um (^old darwog, ist, was die neueste zahlt, stark untermisclit 
mit Scheidemünze oder gar mit blossen Bechenpfennigen. Und 
je massenhafter solch kleines Geld mit unterläuft, je mehr es 
an volleren und dadurch bestimmenden Formen der Worte selbst 
gebricht, desto unfreier muss auch der Bau der Sätze werden 
und desto beengender die Segeln, nach welchen die einzelnen 
Glieder derselben theils zu verbinden, theils zu trennen sind: 
man halte nur um dafür einen Beleg zu haben irgend einen 
griechischen oder lateinischen Satz geg^n dessen französische 
oder auch die deutsche üebertragung. Und doch, so herab- 
gesunken nach dem allem die letzte Sprachgestaltung erscheinen 
muss, insofern man auf ihren leiblichen Theil und die sinnliche 
Seite der Formgebung achtet, so ist wahrlich damit nicht aus- 
geschlossen, im Qegentheil, es ist nun eine Nothwendigkeit, dass 
sich in ihr der grösste ßeichthum geistiger Art auspräge, und 
während sie es allerdings ermöglicht mit dem breitesten Strome 
von Worten zuletzt nichts zu sagen, bietet sie ebenso wohl die 
Mittel dar auch das tiefst und feinst gedachte noch in Klarheit 
und Schärfe mitzutheilen und jedem Streiflicht, jedem leisesten 
Schatten der Empfindung einen Ausdruck zu geben, der zum 
Nachempfinden sowohl nöthigt als befähigt. Nur eben auf eines 
muss auch hiebei stets verzichtet werden: was an der Sprache 
tönende Form ist, wird nie mehr so wie vordem characteristisch 
mit dem Inhalte zusammenklingen: dafür ist dieselbe jetzt zu 
einfarbig und entfärbt, noch entfärbter als schon auf der Senkung 
der vorigen Stufe, dafür ist sie den Sprechenden meist zu gleich- 
gültig geworden. Namentlich in Folge dessen nimmt nun auch 
die Musik eine von der bisherigen weit abweichende Stellung zu 
der Sprache der Dichtung ein. Im Anfange waren Sprechen 
und Singen wesentlich eins, in der mittleren Zeit Poesie und 
Gesang zum mindesten noch eng verbunden : jetzt in der dritten 
wird .gesanglos gedichtet, und während Mherhin die Instrumen- 
talmusik sich dem Gesänge unterzuordnen pflegte (ein altdeut- 
scher Dichter nennt Getön ohne Worte einen todten Lärm**), 
steht sie nun lieber für sich allein da, auf ihren eigenen stolzen 
Füssen, und trägt uns „Lieder ohne Worte" vor. Das heisst: 


68) Der Meissner, Minnesinger III, 96 b. 


Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 33 

der Tonsinn, der einmal im Mensehen lebt, der aber jetzt über 
die Sprache des Menschen nicht mehr waltet und dem die 
Sprache nicht mehr taugt, er sucht seine Befriedigung ausser- 
halb derselben, ganz wie auf der vorigen Stufe, als sich zuerst 
in der Sprache die Körperlichkeit der Anschauungen schwächte, 
dem Triebe dazu Ersatz und Genüge in der bildenden Kunst 
ward. TJebrigens habe ich hier zumal Deutschland, und was 
dazu gehört, im Auge; es wird kaum ein Zufall sein, dass 
Italien , dessen Sprache selbst noch so voll von Wohllaut ist, 
imnier noch mehr die Yocalmusik als die instrumentale pflegt. 
Die durchgehende Vergeistigung der Sprache, die ich ver- 
sucht habe darzulegen , würde die sichere Vorbotinn ihres baldigen 
Absterbens sein, wenn nicht ein Umstand sie aufrecht erhielte, 
wenn nicht eine Art von Erstarrung, in welche sie gerade jetzt 
verfällt, sie bewahrte vor der Auflösung und Verwesung. Auf 
der vorigen Stufe hatte sie sich zu einer Sprache der Litteratur 
erhoben: auf dieser letzten entsteht, bei den Völkern der neueren 
Welt noch unterstützt durch die Erfindung der Buchdrucker- 
kunst, die Schriftsprache, und wohl geschieht das in Weiter- 
wirkung jenes früheren Vorgangs: doch aber tritt ein Unter- 
schied dazwischen, ebenso gross und weit, als es ein Andres ist, 
ob die Bichtigkeit des Sprechens und Schreibens einzig in der 
lebendigen Uebung oder zuvörderst auf der Theorie beruht, ob 
die Sprache den in ihr selber liegenden Gesetzen folgt oder 
Eegeln, die von aussen her ihr auferlegt werden. Letzteres aber 
widerfahrt der Sprache nun: sie steht jetzt unter der Schulzucht 
der G-ranomatiker. Und wie schon diese den todten Buchstaben 
gern über Alles setzen ®®) und ihr Wissen und Wirken gelegentlich 


69) In Deutschland und bei uns in der Schweiz den zufälligen deut- 
schen Buchstaben über den wirklichen deutschen Laut, wenn sie in den 
Schulen von klein auf es erzwingen, dass z. B. erträglich und wählen, 
Hände und mächtig auch mit ä^ ja nicht mit e gesprochen werden. Und 
selbst den Buchstaben und Buchstabenlaut der fremden und todten Sprachen 
über den der lebenden eignen: Beispiel das griechische ph, das schon seit 
langem in dem ganz ungriechischen Worte Epheu, Ep-heu zu hören ist 
(Mancher schreibt deshalb sogar ein /"), und die y und v nach griechischer 
und lateinischer Weise, die man neuerdings in so deutsche Namen bringe 
wie Sybel und Vilmar, Die aber machen es eigentlich am schlimmsten, 
die jetzt uns im Neuhochdeutschen mit einer alt- und mittelhochdeutschen 

Waekernagel, Schriften. III. 3 


34 üeber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 

ganz aufgeht in rechtschreiberische Absonderlichkeit und Quälerei, 
so ist auch anderweitig die Schrift für die Schriftsprache nicht 
umsonst das zuerst genannte. Wir haben vorher das Denken 
als ein inneres Sprechen bezeichnet; bloss die Schriftsprache und 
deren Zeitalter ins Auge gefasst, würden wir vielleicht noch 
besser sagen, das Sprechen und schon vor dem Sprechen das 
Denken sei ein inneres Schreiben. Die ganze Sprache ist nun 
wie gesättigt mit Tinte und mit der Schwärae des Bücher- und 
des Zeitungsdruckes; kaum hat das Kind zu sprechen, kaum zu 
denken angefangen, so lernt es auch schon lesen und schreiben, 
und welche Einbusse dadurch, der Lähmung des Gedächtnisses 
gar nicht zu erwähnen, die 3abe der freier fliessenden Bede 
leidet, das erfahren die Meisten von uns zu ihrem Verdrusse 
täglich an sich selber. Und auch wer, was das Seltnere ist, 
sich diese Gabe unverkümmert bewahrt oder sie trotzdem sich 
erworben hat, auch ein solcher spricht doch oft nur wie ge- 
druckt oder wie für den Druck und baut, wenn er als Redner 
vor uns tritt, Perioden, welche die rechte üebersichtlichkeit und 
Verständlichkeit erst dann erlangen würden, wenn sie uns Schwarz 
auf Weiss vor Augen lägen, oder erinnert (das Beispiel ist un- 
scheinbar, doch bezeichnend) seine Zuhörer gelegentlich an etwas, 
das er schon „oben" gesagt habe. Das also ist hier der grosse 
Gegensatz zwischen der früheren und dieser spätem Stufe: als 
die Sprache zuerst Litteratursprache ward, lüfteten sich ihr erst 
recht die Schwingen zu weiterem schnellem Flug auf dem Wege 
der Entwickelung: nun sie Schriftsprache ist, sind ihr die Flügel 
beschnitten, und sie ist von den Buchstaben und von den Segeln 
der Grammatiker,^ die sie rings umgeben, wie von Zauber- 
characteren und Zauberformeln festgebannt. Aber eben dadurch 
auch festgestellt und auf lange hinaus verwahrt gegen ferneres 
und gegen das allerletzte Sinken. 

Während jedoch so die Sprache selbst ihr Leben behauptet, 
wirkt sie um sich her ertodtend: Mundarten, welche einst auf 


Unterscheidung von ss und sz behelligen: hier ist der Buchstabe gar ein 
todter und die Unterscheidung lediglich eine des Schreibens, in keiner Art 
mehr des Sprechens: denn der Laut seihst des altdeutschen z oder sz ist 
schon seit einem halben Jahrtausend und darüber erstorben und für uns 
nnwiederßndbar. 


üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 35 

gleicher Linie neben der gestanden, die nur ein Zufall zur 
Schriftsprache gemacht hat, Mundarten, welche vielleicht noch 
besser berechtigt gewesen wären eine so erhöhte Stellung ein- 
zunehmen, jetzt liegen sie tief unter den Füssen jener .und ver- 
armen und werden unbeholfen in ihrem Mangel an litteratur, 
arten in Bohheit aus, weil die gebildete Welt sie zurückstösst, 
und verstummen und sterben eine nach der andern. Auch die 
Bergmannssprache, die Jägersprache, die Gaunersprache haben 
dem gegenüber, was in der Litteratur und 4er Gesellschaft gilt 
und verstanden wird, etwas Mundartmässiges : sie aber trifft 
kein solches Schicksal: denn es ist keine Besonderheit der Laute 
noch der Bildungs- noch Biegungs weise, worin hier die Ab- 
weichung beruht, es ist nur ein Vorrath mannigfach eigenthüm- 
licher Worte, und deren Bestand wird sowohl durch die Dinge 
selbst gesichert, für welche sie der Ausdruck sind, als durch 
das Standesgefühl derer, die so sprechen. 

Den Uebergang nun in dieses Greiöenalter mit seiner Dürf- 
tigkeit und Erstarrung in leiblichen, seinem Keichthum und seiner 
Beweglichkeit in geistigen Dingen kann, wie im Leben des ein- 
zelnen Menschen, so in dem der Sprache eine schwere Krank- 
heit, vielleicht auch nach der Krankheit ein nochmaliges Auf- 
leuchten der Lebenskraft bezeichnen, das beinah jugendlich er- 
scheint, aber doch nur so, wie oft Spätjahrstage uns frühlingshaft 
gemuthen. Ich denke dabei an die grausenhafte Zertrümmerung 
des Lateins, welche die des römischen Beiches selbst begleitete, 
und wie sodann aus diesem Schutt und Moder die Sprachen der 
romanischen Völker sich aufgebaut haben, wiederum in solcher 
Gesetzlichkeit, dass die Sprat^hgeschichte schwerlich ein zweites 
gleich wunderbares Ereigniss kennt; ich denke dabei an die 
Englische Sprache, diess Kind einer gehäuften Bastardzeugung, 
das Ergebniss wiederholter Völker- und Sprachenmischung durch 
Blut und Eisen, aber auch sie bewundernswerth , als ein schla- 
gendes Beispiel, wie der Menschengeist es vermag sogar mit 
den unvollkommensten Mitteln und mit einem äusserst geringen 
Aufwände von Mitteln doch zu äusserst grossen Erfolgen zu ge- 
langen: denn wie diese Sprache von halben und zerdrückten 
Lauten überflutet ist, die jeder Darstellung durch den Buch- 
staben spotten (nach alter Unterscheidung aber wird daran der 
articulierte Laut erkannt, dass er geschrieben, und daran der 

8* 


36 Üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

unarticulierte, dass er nicht kann geschrieben werden'*^), wie sie 
zugleich in Betreff der Flexion eine Verarmung zeigt, die nicht 
mehr weit abliegt von der gänzlichen Flexionslosigkeit jener 
ersten, der chinesischen Stufe, da möchte fürwahr kaum eine 
andre leiblich zurückgekommener ßein als sie: wer aber dürfte 
das auch von dem Geiste sagen, der in dieser unschönen Hülle 
wohnt? 

Und unser Deutsch? Zwar ist es mit diesem noch nicht 
ebenso weit gediehen: wohl aber (und ich habe ja mehr als 
einen der bisher beigebrachten Gharacterzüge gerade aus ihm 
entnehmen können), wohl steht unser Deutsch bereits auf dem 
Abschuss des Weges; es ist auch nach den fünfzehn Jahr- 
hunderten seiner Litteraturgeschichte und den wer weiss wie 
vielen, die ohne Litteratur noch jenseits liegen, wahrlich jetzt 
alt genug für das Greisenalter, und nicht erst in der neueren 
und neusten Zeit ist diese Senkung von ihm betreten worden, 
sondern wir können vereinzelte Anfänge des Endes und Vorbe- 
reitungen darauf schon im Mittelalter gewahren. Lassen Sie 
mich hier und von hier an nur noch für einen Punkt, der aber 
ein Hauptpunkt ist, Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen: 
ich meine das Entschwinden des Bewusstseins von dem eigent- 
lichen Sinn und der früheren sinnlichen Eigentlichkeit der Worte. 
Wir geben dieselben aus, wir nehmen sie ein, gleichgültig, ohne 
Gehalt und Prägung zu beachten: wollten wir das aber auch, 
so ist doch die Prägung meist verschliffen und damit zugleich 
das alte Metall selbst unscheinbar geworden und entwerthet, an 
Gewicht verringert. Manch altes Wort zwar hat sich nicht 
weiter verändert, als der allgemeine und gesetzmässige Gang 
der Lautent Wickelung es mit sich brachte, und doch verstehn 
wir es nicht, weil es innerhalb der jetzigen Sprache keine Ver- 
wandten mehr hat, die uns etwa zum Verständi^iiss hülfen, weil 
es ein verwaister Schoss aus weit entlegener, tief verschütteter 
Wurzel ist: so wird es denn unverstanden gebraucht, gelegent- 
lich auch missverstanden und missbraucht. Andre aber, und 


70) Omnia vox aut est articulata aut confusa. Ärticulata est ho" 
minum, confusa animalium.- Ärticulata est guae scribi potest, confusa 
quae scribi non potest: Isid. Origg. I, 14; ebenso Aldhelm: vgl. oben 
Anmerk. 16. x 


Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 37 

solcher möchte die grössere Zahl sein, haben sich mehr und 
nicht auf die Art umgestaltet, wie eigentlich recht und nöthig 
war: sie sind verderbt und entstellt, weil man sie schon längst 
nicht mehr versteht, und man versteht sie nicht mehr, weil sie 
schon längst so entstellt sind. Wie gesagt, diese Verdunkelung 
der Worte hat nicht erst im neueren, sondern theilweis schon 
im älteren Deutschen angehoben'*), schon auf der zweiten Stufe 
des Sprachganges, wie auf entsprechender Stelle genug der Art 
auch im Griechischen und Lateinischen vorkommt. Wir wissen 
ja, auf welche Irrwege die römischen Sprachforscher und nicht 
bloss Männer wie Nonius und Fulgentius, sondern bereits der 
alte Varro zu gerathen pflegen, auf welche auch Plato, wenn 
sie über den Ursprung und den ursprünglichen Sinn eines grie- 
chischen oder lateinischen Wortes Auskunft suchen; nicht 
schlümner noch besser sind bei den Deutschen des Mittelalters 
die Etymologien des Deutschen, und sie beherrscht namentlich 
die verkehrte Neigung wo möglich nur Entlehnungen und Ent- 
stellungen aus den classischen Sprachen zu erblicken. Ent- 
schuldigen wir die Einen wie die Andern: beiden mangelte noch, 
was die einzige Schule einer gesunden Etymologie ist, Sprach- 
geschichte und Sprachvergleichung, und das Mittelalter, Isidor 


71) Einige Beispiele. Fiant mochte man im Althochd. noch verstehn, 
da das Zeitwort ßin (hassen) noch vorhanden war, friunt schon nicht 
mehr, da man das goth. frijdn (lieben) bereits eingebüsst hatte. Ebenso 
war die Angleichung von weralt in worolt nur darum möglich und ginöz 
konnte nur darum in dem allgemeinen Sinne von socius gebraucht werden 
und gisello auch in der Zusammensetzung herigisello, weil man sich des 
Ursprunges und des eigentlichen Sinns dieser Worte schon im achten Jahr- 
hundert u. s. f. nicht mehr bewusst war: weralt aber heisst s. v. a. 
Menschenalter und ginöz ist genauer nur ein Mitgeniessender, gisello ein 
Mitwohnender, von sal Haus. Aus dem Mittelhochd. will ich hier nur 
noch anführen, wie da auch gesinde, eigentlich die Reisebegleitung {sind 
Weg) doch mit heim und in, Immgesinde und ingesinde, zusammengesetzt, 
wie beizen j erheizen d. h. das Pferd weiden lassen ganz im Sinne von ab- 
steigen gefasst und construiert und z. B. auch nider beizen, nider er- 
heizen gesagt wird, wie sich der alte Genit. plur. frönt d. i. der Herren 
in ein Adjectiv frön d. i. heilig umwandelt, wie man hiezu, indem man 
es mit frö vermischt, ein Zeitwort frcenen d. i. erfreuen bildet und fruot 
(weise, verständig) sich in die Bedeutung von früeje, von frö und frech 
miiss hinüber spielen lassen: Walther v. Klingen S. 12 (oben Bd. 2 S. 341). 


38 üeber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 

an der Spitze, folgte lediglich nach, wie die Bömer ihm voran- 
gegangen. Indess so überall undurchsichtig ist den Deutschen 
ihr Deutsch doch erst später geworden, und wenn es unter den 
Karolingern, ja den Hohenstaufen meist noch möglich gewesen 
wäre ein Wort aus der Sprache der Zeit selber zu erklären, 
heut zu Tage ist es in zahllosen Fällen nicht mehr so: wir 
müssen zu dem Ende um Jahrhunderte, oft um ein Jahrtausend 
und weiter rückwärts. 

Mitunter freilich möchte es scheinen, das Nichtkenneii und 
Nichtbeachten der Etymologie sei eben kein Schade für uns, und 
in der That für Manchen wäre es vielleicht sogar ein Aerger- 
niss, wenn unser Bewusstsein uns noch stets daran erinnerte, 
dass die Ostern, das höchste Fest der christlichen Kirche, ihren 
Namen haben von Östarä, einer Frühlingsgöttinn unsrer heid- 
nischen Vorfahren ^^), und ebenso der Freitag von Fria, der 
alten Götterköniginn. Dafür aber ist es, was nun den Karfreitag 
angeht, ganz nützlich zu wissen, es komme diess kar von einem 
altdeutschen Zeitwort karen d. i. wehklagei^ her und habe mit 
dem griechischen idgiQ nichts zu thun: ergiebt sich doch daraus 
die höchst wichtige Lehre, dass man eben Karfreitag schreiben 
müsse, nicht Charfreitag mit eh. Wenn ich dem noch einige 
andre Beispiele von demselben geistlich-sittlichen Gebiete hinzu- 
fügen darf, was denken wir uns bei den Worten Elend und 
Wonne, bei Glauben, Liebe, Treue? Elend, vormals elilenti, 
bedeutete da das andre Land, die Fremde: es ist schön und für 
das Vaterlandsgefühl unseres Volkes bezeichnend, wie daraus die 
jetzige Bedeutung hat folgen können''^); Wonne besitzt, in der 
gothischen Grundgestalt mnja und der althochdeutschen winne, 
später auch noch in der ßechtsformel wunne und weide den 


72) J. Grimms Mythol. S. 266 fgg. Die Pluralform des Wortes, 
welche von je her die gebrauchtere ist um das Kirchenfest zu bezeichnen, 
hat aber schwerlich, wie Grimm angiebt, ihren Grund in der Zweizahl der 
Festtage, sondern geht auf die jährliche Wiederkehr. Mit derselben 
iterativen Bedeutung heisst es Pfingsten und Weihnachten , mittelhochd. 
auch ze sunewenden, auf griechisch [liaai vJxTe?, avaxoXaC, ÖuajxaC. 

73) Nu riazen elilentS in fremidemo lante — joh thidten hiar nu nöti 
bitter 6 ziti — Wolaga, elilenti/ haHo histu herti — Mit aräbeitin werbent, 
thi^ heiminges tharb^nt u. s. f. Otfried I, 18, 16 — 27; das bitter Elend 
bauen in der Fremde wohnen: Zinckgref, Leseb. 11^ 307, :3. 


üeber den ürsprang and die Entwickelimg der Sprache. 39 

Sinn von Weide oder Wiese, und der Wonnemonat der Mai, ^ 
althochdeutsch winnemändt, ist eigentlich nur der, in welchem 
das Wiesenland bestellt wird: der neuere Begriff des Wortes 
beruht auf derselben Anschauung wie unser Augenweide. So 
sind auch Glaube und Liebe und Treue echteste Ausdrücke des 
Lebens in der Freiheit und der Fülle der Natur: denn die 
beiden ersteren (Glaube ist syncopiert aus Gdmibe) und mit 
ihnen Lob und geloben und erlauben kommen ebenso aus einem 
und demselben Stamm mit dem Worte Lauh^ wie in den pelas- 
gischen Sprachen 9{Xo(; und 9uXa^ sich vereinigen mit fuXXov 
und folium'^^): der sinnliche Gnmdbegriff ist der des bedecken- 
den und erfreuenden üebergrünens , des Grünseins, wie ja wir 
noch bildlicher Weise von der Gunst und Freundlichkeit sagen; 
die Treue aber, die gleich einem Baume auf fester Wurzel steht 
und nach Darstellungen der alten Kunst, deren auch unsre 
Mittelalterliche Sammlung einige besitzt ^^), als Blüte "von dem 
Baum der Liebe gepflückt oder in denselben geimpft wird, hat 
ihren Namen von dem Zeitwort triuwan^ welches das kräftige 
Wachsthum der Pflanzen, und von triu, das einen Baum be- 
zeichnet'^). 

Diese letzten Andeutungen sind mir ein Fingerzeig noch 
zu einigen Beispielen ganz gegenseitiger Art überzugehn, zu 
Worten der Naturgeschichte wie Eidechse, Heuschrecke, Elster, 
Lerche. Eidechse bezieht sich zugleich auf die ünheimlichkeit 


74) Und zwar halte ich die deutschen und die verglichenen pelas- 
gischen Worte auch für eins in der Wurzel, nur dass die Consonanten 
ihre Stellung wechseln und sie bloss in libere lubere sich ebenso folgen 
wie im Deutschen. Solcher ümkehrungen giebt es noch genug, z. B. 
alnu8j ahd. elira (d. h. elisa wie germanisch Aliso, nhd. Else) und erila; 
ßofäo?, ßaW? und goth. diup; ahd. huhilf mhd. hühel und hühel (W. 
Müllers Wörterhuch setzt unrichtig hüebel an); aicag, goth. fahan und lat. 
caperCf izixzvt, \&t.pectere, goih.fah8 und \aX.capUlu8; specere, ahd. speha 
und ox^TcreaSat; ferah u. s. w. (s. ohenS. 17) und hrefj lat. corpus; u9av, 
ahd. wepatif wabo und lat. favus; febris, ahd. fiebar, mhd. fieber und 
biever; favilla und ital. f€Uavesca, ahd. falawisca; j^eucvuvai, dtcere, goth. 
teihap und haitan; TiT^x(d und rCxTCd; axaXov{> und axaXa^; acetumy goth. 
akeit und ahd. ezzich; 'scintilla, altfr. escintele und stenceUj itincelle; 
haedus, goth. gaits, ahd. keiz und zigä. Vgl. unten Anm. 82. 

75) Die Holzschnitzerei XIV, 92 und der Teppich XV, 212. 

76) Vgl. J. Grimm in Pfeiffers Germania XI, 244. 


40 Ueber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 

dieses Beptils und auf die characteristische Beweglichkeit seines 
Schwanzes : denn egidehsa (so lautet das Wort ursprünglich) be- 
deutet danz übereinstimmend mit dem griechischen xpoxoSeiXo^, 
bekanntlich dem Wort auch für die kleineren Eidechsarten Eu- 
ropas, s. y. a. Schreckschwanz oder schrecklich wedelnd; es 
war, da eben Ei-dechse, nicht Eid-echse abzutheileij ist, gerade 
nicht der glücklichste Einfall dem Griphosaurus der Urwelt auf 
Deutsch die Benennung Bäthsdechse zu geben. Heuschrecke, so 
fürchterlich auch dieses klingt, bezeichnet das Insect doch nur 
als einen Springer im Grase (denn schricken ist auf Altdeutsch 
springen) ^^) und hat somit keinen anderen Sinn als all die 
übrigen landschaftlich beschränkten oder veralteten Namen des- 
selben Thieres'®). Elster, zusammengezogen aus ägalsträ (unser 
Äegerste hält sich dem noch merklich näher), ist die übel 
singende, bösen Zauber singende, von galan singen, demselben 
Wort, das auch der NachtigaW^^) ihren Namen gegeben, oder un- 
mittelbarer von galstar Gesang, Zaubergesang, Zauber, nodt Hin- 
deutung also auf das Vorzeichen, das der Aberglaube in dem 
Geschrei und schon der blossen Erscheinung dieses Vogels er- 


77) Unser Schreck nnd erschrecken eigentlich s. v. a. auf- nnd zu- 
^rückspringfen. 

78) Althochd. u. s. f. hewiskrekeo nnd houscrichel; mdtoscrech; 
mittelhd. mdtschrecke (mdt Hen, Wiese); mhd. haherschrecke ; in der 
Schweiz Heugumper d. h. Heuspringer, anderswo Grashupfer (Frischs 
Wörter-Buch I, 367 c) und Heupferd; mit Bezug auf das langbeinige 
Schreiten ahd. howistapho, hewistaffol, mhd. höustaffel und (die Ent- 
stellung beginnt auch hier) höustüffel, schweizerisch Heustöffel, Heuströffel 
und Heustraffel: Stalders Idiot. 11, 41. Nur auf das Springen ohne vom 
Gras zu sprechen geht das goth. thramstei: J. Grimms Gesch. d. Deut- 
schen Sprache I, 337. 

79) Althochd. nahtagalä, nahtigalä. Itie Formen nahtegelä (Haupts 
Zeitschr. lU, 315 a. 474 b) und nahtegulä (Haupts und Hofimanns Altd. 
Blätter II, 215) zeigen jedoch, dass hinter dem Zeitworte galan ^ Imperf. 
guol (biguol Altd. Leseb. 19) noch ein andres älteres mit dem Ablaute 
tau liegt. Unser Nachtigall hat ebenso wunderlich das ♦ des althochd. 
nahtigala wiederhergestellt (mittelhochd. heisst es nahtegaJ) wie Br^uti' 
gam das von hrütigomo Brautmann, mhd. briutegom u. dgl. Aehnlichen 
Sinnes mit dem deutschen scheint der lat. Name luscinia zu sein, faUs 
nämlich lus mit luscus und luridus zu verbinden ist: also Sängerinn im 
Zwielicht, Dämmeruugssängerinn. 


üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 41 

kenat®®); die mundartlichen Synonyma Hätz oder Atzd, Aetzd, 
Hätzel gehen auf ägazä, die alte Abkürzung von ägalsträ 
zurück®^). Endlich Lerche, althochdeutsch lerohhä und Urahhä: 
noch früher muss das leisioahhä gelautet haben: der Sinn ist 
Furchenwacherinn^^): kaum graut der Morgen, und schon aus 
dem Acker steigen die Lerchen auf. LeiswcAhä, Urohhä, damit 
ist ein Wort ausgesprochen, das uns alle, die wir uns hier ver- 
sammelt sehn, berührt, und das zugleich ein Beispiel von mehr 
denn tausendjähriger Verdunkelung ist, das Wort Lehre und 
was sonst dazu gehört. Leisa, leise ist so viel als Spur und 


80) "ETCea icTepoevra S. 25. 

81) Althochdi. ägalstrdf dgalastrd, dgelestrd, dgeleistrd, dgdstrd Altd. 
Blätter II, 213. Haupts Zeitschr. III, 476 a. dgiUtrd Altd. Bl. 11, 214. 
dglastrdf dglesterd Haupts Zeitschr. HI, 377 b. dgistrd Altd. Bl. 11, 212. 
Mittelhochd. dgcUster, dgelster, dgelaster, dgarltister, dgelester, dgeleister, 
dglaster Kenner 8688. dglester, dglister Carmina Burana S. 175. aegelster, 
aegester, dgrest, dlistery alster Helbling VIII, 386. elster. Neuhochdeutsch 
in den Mundarten der Schweiz aegriste Nie. Manuel S. 395. Agerist, 
Ägerste, Aegerste, Agertsche, Agretsche, Es nimmt also das Wort in 
seinen Umbildungen fast ganz denselben Gang wie ganeistra Funke. Die 
Länge des Anlautes wird durch die jetzige Aussprache von Ageraie, Aegerste 
u. 8. f., durch Verse wie Parzival 1, 6 u. a. und dadurch verbürgt, dass 
age nirgend in ei zusammengezogen ist: sonst müsste man das Wort mit 
dem goth. aglaitei Ünkeuschheit und dem ahd. agaleizi Schnelligkeit zu 
verbinden suchen, und ageleistrd wäre dann keine Entstellung. Die Kose- 
form dgazd dient mit Anderem der Art zur Ergänzung von J. Grimms 
Grammatik III, 694; die Weiterbildungen atzel (Leseb. II, 163, 16. Sitte- 
wald 1665. II, 217) und etzelin zeigen sich schon im späteren Mittelhoch- 
deutschen, Hetze Eselkönig 218 fgg. in einem Volkslied bei ühland S. 39. 

82) Haupts Zeitschr. V, 14. Leisa Furche wie lat. lira: Frisch I, 
354 b. In l^ochd Haupts Zeitschr. III , 374 a sind w und a zu o ver- 
schmolzen; die Tilgung des ersteren in ISrahhd ist wie in den Eigen- 
namen Gund-aco, Everacus, Ehuracary G\indacharj Otachar (die J. Grimm 
in Haupts Zeitschr. HI, 351 mit Gundhari und Othari vermengt) und 
dem Adj. evachar neben Evenvach Cäsar Heisterbac. Dialog. XII, 23 und 
Odtvcicear: vgl. was in der fünften Beilage zu den Volksnamen auf wari 
und in der sechsten zu den persönlichen auf walt bemerkt ist. Althoch- 
deutsch also heisst die Lerche lerohhd, Urahhdy l^ehhd, Urihha und mit 
einer Sjncope, die wohl bereits damals das e verkürzt hat, lerchd; mittelhd. 
leriche, lerike, Ureke, lerche, lerke; mit Umstellung des r und des alten 
i€ (vgl. oben Anm. 74) und weiteren dadurch veranlassten Missbildungen 
und Erneuerungen angelsächs. Idverce, niederd. Uwerke, mhd. ISwerch und 
lovinke, neuhochd. im 88sten Märchen d. Br. Grimm Lötveneckerchen. 


42 lieber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 

als Furche: laisjan, womit ülfila das griechische SiSaoxetv über- 
setzt, heisst also eigentlich auf die Spur bringen: das Althoch- 
deutsche, indem es daraus ISran und substantivisch lera macht, 
während es doch in leisa Spur die ursprünglichen Laute bei- 
behält, verkennt und verwischt bereits jene sinnliche Grundlage 
des Begriffes. 

In welchem Mass aber die Entstellung gleich einem ver- 
zehrenden Bost sich an die Worte legt, das zeigen am auf- und 
augenfälligsten die zahlreichen Zusammensetzungen, deren zweiter 
Bestandtheil, weil seine Betonung von je her nur eine schwächere 
gewesen, zu gänzlicher Tonlosigkeit, fast auch zur Lautlosigkeit 
des Vocals und mit beiden zu dem Anschein einer bloss ab- 
leitenden Endsylbe heruntergesunken, ja vielleicht so eingeschwun- 
den ist, dass von ihm, der Benennung des eigentlichen Haupt- 
und Grundbegriffes, nur noch ein einziger Consonant als letzte 
verstohlene Spur zurückbleibt. Nehmen wir als Beispiele (eigent- 
lich ist schon Lerche ein solches gewesen) die Worte Adler, 
albern oder wie noch Lessing gesagt hat alber, bieder, Eimer, 
Messer, Wimper, Zuber. Das klingt zwar jetzt alles in die 
Bildungs weise von nieder, von TadUr, Beimer, Feldmesser n.s.t. 
hinein : blicken wir jedoch in der Sprachgeschichte rückwärts, so 
ist Adler aus adelar^^), aiber aus alawäri entstanden, und diess 
bedeutet ganz wahrhaft: erst die herzlose Verständigkeit der 
Nachgeborenen hat auch hier das Einfältige, das Schlecht und 
Bechte zum Gespött gemacht; ferner bieder aus bidarbi brauch- 
bar®*); Eimer und Zuber aus einbar und zwibar, Gefass das 
mit einer und das mit zwei Handhaben getragen wird®^); 
Wimper aus tointbräwa, der Braue die das Auge gegen den 
Wind schützt®^); eni^ch Messer, nämlich als Neutrum, hat eine 
Geschichte, die etwas länger und umständlicher ist: die älteste 


83) umgekehrt scheint man sparwdri Sperber, das von spare Sper- 
ling abgeleitet ist, gelegentlich auch als eine Zusammensetzung wie 
addar gefasst zu haben: Hoffin. Sumerlaten 47, 80 sparwar. 

84) Der Schlusslaut der Wurzel ward bereits im Mittelhochd. so wenig 
mehr vernommen, dass man hiderbe auf widere reimen und schon damals 
die Zusammensetzung bidermann bilden konnte. 

85) Dieselbe Zahlbedeutung in der ersten Sylbe von sittda und amphora, 

86) Ebenso das von Schmeller I, 11 angeführte Äeber aus oucbrA, 
ougbrAwa» 


üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 43 

V 

Form war mezzisahs, gebildet aus dem gothischen Zeitwort 
matjan essea und dem Substantiyum sahs^ das schon selbst 
s. y. a. Messer war: hieraus denn ist (man kann es Schritt för 
-Schritt verfolgen) zunächst mezzirahs und mezzareks, dann 
mezziras und mezzires, sodann mezzers und, mit letzter Ent- 
stellung, mezzer geworden ^^). Ursprünglich also in dieser Beihe 
von Worten welch eine Mannigfaltigkeit der Laute und Be* 
griffe! Jetzt treffen sie alle in einen und denselben lautlosen, 
tonlosen, nichts besagenden Schluss zusanunen. Vorzüglich aber 
gewähren die Eigennamen, die von Personen wie die geogra- 
phischen, Beleg über Beleg für den Sprachvoi^ang, den wir 
jetzt behandeln: beiderlei Worte werden so viel mehr als andre 
gebraucht, dass sie auch stärkeif und früher und häufiger sich 
abzunutzen pflegen. Zum Beispiel Walter und Römer und der 
Flussname Eider, die jetzt alle drei wieder in er auslaufen , ur- 
sprünglich haben sie, sehr ungleich unter einander, WaUhari 
Gewaltheer, Bomwari Vertheidiger Boms und Agadorä, Egidord 
Thor des Meeres**) gelautet. Ja es kommt hier vor, dass in- 
folge derartiger Schwächung der zweite Bestandtheil ganz be- 
seitigt wird: so hiess es Anfangs Wisuraha^^) oder zusammen- 
gezogen und ang^Uchen, aber noch als Benennung desselben 


87) Schöne Nachweisung SchmcUers, Bair. Wörterb. 11, 632. HI, 193. 
Ist auf ähnliche Weise Sarraa, der Yolksmässig scherzende Ausdruck für 
Degen oder Säbel aus althochd. scarasahs, scarsahs, aarsahs hervor- 
gegangen? 

88) Noch bezeichnender auf Altnordisch mit genitivischer Form, also 
persönlichem Sinne des ersten Bestandtheiles Oegis-dyr Thür des Meeres- 
und Schreckensgottes: vgl. J. Grimms Mythol. S. 219. Die Dänen als 
deren Hauptgottheiten Jupiter und Neptunns genannt werden (Ermoldus 
Nigellus HI, 5 fgg. lY, 451 fgg.) mochten die Mündung dieses ihres 
Grenzflusses dem letzteren geheiligt haben. Den angelsächsischen Namen 
Fifeldor deutet Kieger in Pfeiffers Germania III, 173 fg. Thor des Todten- 
reiches. 

89) Die Bömer haben eine andre Zusammensetzung, Visurgis mit 
kurzem t, gehört; dasselbe gis in zahlreichen Eigennamen wie Ädalgis, 
Ädalgisa u. dgl. und den Ortsnamen Ängelgisej Humilgise und Widergisay 
in letzteren, wenigstens in Humilgise, jetzt Himmelgeist, mit gedehntem 
Yocal.^ Zu Grunde liegt eine Wurzel geisa gais gisum, deren Bedeutung 
J. Grimm Gramm. H, 46 mit ferire, EttmüUer Lexic. Anglosax. S. 433 
passlicher mit agi, vehementer ferri ausdrückt. 


44 Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 

Flusses Wirraha, dann Wimrä und Wirrä, endlich jetzt, in- 
dena man die beiden Formen geographisch unterscheidet, Weser 
und Werra: von dem alten aha Wasser ist an der ersteren 
nichts mehr übrig. 

Es geht jedoch nicht überall und allein in dieser Weise zu. 
Der Greis findet Mittel um noch auf einige Jahre hinaus sich 
frisch zu verjüngen: so auch und auch nicht erfolglos regt in 
der absterbenden Sprache sich der Trieb von neuem eine grössere 
Fülle sinnlicher Anschaulichkeit herzustellen. Ich sage das zu- 
nächst von dem letzten Zeitalter unseres Deutschen: es ist das 
aber auch ein Hauptmerkmal der sogenannten silbernen Latinität, 
und das Streben des jetzigen Englischen wieder sächsischer zu 
werden hat im Wesentlichen denselben Anlass. Zu diesem 
Zwecke schlägt die Sprache unter anderm und vorzüglich den 
Weg ein, dass sie mit den gegebenen alten Worten ein neues 
etymologisches Bewusstsein zu verbinden sucht. Ein neues, das 
heisst ein andres als das eigentlich richtige: es wird nicht etwa 
die ursprüngliche Form wieder ins Leben gerufen: die ist ein- 
mal dahin, ist verschollen und vergessen; sondern nach Laune 
und Zufall und aufs Gerathewohl tritt diese oder jene Umge- 
staltung ein, die das verdunkelte Wort in neue Färbung und 
Beleuchtung rückt, ihm andere Laute und damit wieder einen 
Sinn giebt, einen Sinn der zur Sache passt, vielleicht auch einen 
ganz schiefen, vielleicht einen der baarer Unsinn ist: aber man 
denkt sich doch nun wieder etwas bei dem Worte, es klingt 
zum wenigsten so, als solle und könne man sich etwas dabei 
denken. In solchem Verfahren zeigt sich besonders deutlich, 
wie nun die Sprache sogar zu ihren eignen und den heimathlich 
ererbten Schätzen steht: denn eben dasselbe hat sie von je ge- 
than um sich entlehntes fremdes Gut, um sich Fremdwörter an- 
zueignen, indem da z. B. Antichristus , treffend genug, auf 
Deutsch in Endekrist umgebildet ward, cavezzone in Kappzaum, 
Serpentin in Scharpfentiner^^), tartoufle in Kartoffel, Ertoffel, 
Erdapfel^^): ich habe diese „Umdeutschungen" bei einer früheren 


90) Frisch II, 163 b. 

91) Diez WÖrterb. d. Boman. Sprachen I, 431. Erdapfel für Kar- 
toffel vergleicht sich dem andern provinziellen Wort' G rundbirne ; im Sinne 
von Melone war es schon ein althochdeutscher Ausdruck. 


Ueber den Ursprung' und die Entwickelung der Sprache. 45 

Gelegenheit ausführlich behandelt*^. Und wohl darf beiderlei 
Worten gegenüber das Gleiche gelten : beide sind unverständlich, 
beide unverstanden: deshalb wird dort der fremden, hier der 
abgeschliffenen heimischen Münze ein frisches Gepräge aufge« 
drückt und so dieselbe neu in Umlauf gesetzt. Dergleichen 
Wiederbelebung erstorbener Worte hat allerdings schon die 
mittlere und schon früher die althochdeutsche Zeit geübt, wie 
auch die romanischen, wie auch schon die beiden pelasgischen 
Sprachen davon wissen*^): in rechter Fülle jedoch und als voll- 
endete Eigenheit stellt sie sich zuerst im Neuhochdeutschen dar. 
Ich bin meinen Zuhörern auch hievon Beispiele schuldig; bei 
der Unmenge, die vorliegt, muss ich es wieder mehr dem Zu- 
fall überlassen, ob die wenigen, die ich herausgreife, gerade 
auch die passlichsten sind. 

Zuweilen bleibt das alte Wort selber noch unangetastet, 
und es tritt nur um dessen Sinn auszudeuten und dadurch neu 
zu beleben ein anderes hinzu, welches ganz oder theilweise den 
gleichen Begriff enthält, aber der jüngere, jünger übliche Aus- 
druck dafür ist; es tritt hinzu ^ vor oder hinter das veraltete, 
indem es sich entweder vermittelst eines und demselben bei- 
ordnet oder, enger verknüpft, eine Zusammensetzung mit ibm 
bildet. Wie also ntdi und nichtig, Lob und Preis, wie Pöbd" 
volk und bei den Schwaben Lichtkarz zur Umdeutschung des 
Fremden, der Worte mdl und Preis, Pöbel und Kerze dienen, 
ebensolche Verbindungen und Bildungen werden nun auch zur 
Erneuerung des Alten getroffen. Beiordnungen mit und z. B. 
Fug und Recht, Leib und Leben, Schiff und Gesehirr^% wo 
das Alte voransteht, Schatz und H(yrt^% Nutz und Geniess, 
Schutz und Schirm, wo es den zweiten Platz einnimmt. Zu- 
sammensetzungen, die mit dem Jüngeren beginnen, Flossfeder, 
Fusspfad, Tischgenosse: schon Feder allein war früherhin^ im 


92) Die Umdeutschung fremder Wörter, Basel 1861. 1862. 

93) Umdeutschung S. 7. 

94) Schiff s. Y. a. Gefäss: alt- und mittelhochd. scef vas, sciphl 
phiala, schifelin cymbium; letzteres noch jetzt mundartlich so gebraucht. 

95) Nicl. Manuel v. Grüneisen S. 394. 


46 üeber den Ursprang nnd die Entwickelimg äer Sprache. 

Altsächsischen wenigstens, s. v. a. Flosse*^), Pfad ein Fussw^, 
Genosse ein Mitessender. Oder das besser verstandene jüngere 
Wort steht hintennach, und wir sagen Lindwurm^'^), Sprich' 
wort^^), toMfremd, während ursprünglich schon der ein&che erste 
Theil genügt hat auszudrücken, was gemeint ist. 

In den weitaus meisten Fällen jedoch findet kein solcher 
Zusatz eines zweiten neueien Wortes statt, sondern das alte 
Wort selbst und allein wird umgestaltet, wird in veränderte 
Laute und so in den Anschein wiederum eines Begriffs hinüber- 
gezogen: hiemit denn geschieht die Erneuerung ganz und voll 
und in der eigentlichsten Weise. 

Als ein Hauptkennzeichen der sinkenden Sprache haben wir 
vorher deren Neigung kennen gelernt Zusammensetzungen so zu 
verderben, dass sie wie Ableitungen aussehn: dem stellt sich 
hier das gerade umgekehrte gegenüber: es werden Ableitungen, 
iüdem man der Schlusssylbe eine grössere Fülle des Lautes und 
des Sinnes belässt und giebt, in Zusammensetzungen verwandelt: 
ein Widerspiel, das, wie einmal jetzt die Entwickelung der 
Sprache vor sich geht, durchaus nur folgerecht erscheinen darf. 
Zum Beispiel Einöde und weissagen hat erst eine jüngere Zeit 
so doppelhaltig belebt: im Althochdeutschen waren eindti und 
foizagon lediglich noch Ableitungen von ein und von wizago 
d. i. Prophet, letzteres wieder eine Ableitung von tvizan schauen: 
die Aenderung'in idssago, die Umdeutung also auf die Begriffe 
weise und sagen, ftngt übrigens schon im zwölften Jahrhundert 
an. Ebenso kommt trübselig von Trübsal und dergleichen mehr: 
manche Bevölkerung, auch die hiesige, spricht das aber mit ä, 
trübsälig aus, als ob trübe und sdig zusanmiengesetzt wären. 

Gewöhnlich jedoch sind es nicht so wie in diesen Worten 


96) Visc fldt aftar themo watare: verbruaten sind vetherün: Riegers 
Alt- und angelsächs. Lesebuch S. 48. 

97) Lintwurm bereits im Althochdeutschen, neben dem einfachen lint; 
im Mittelhochdeutschen auch linttrache: aber das letztere scheint dabei 
an linde gedacht zu haben : es ist eine Linde, unter welcher Siegfried den 
linttrachen, den lintwurm tödtet: Nib. Str. 101. 845. Hörnen Siegfr. 
Str. 7 fg. 

98) Das einfache sprich oder spriche d. i. Wort in der Windberger 
Psalmenübersetzung zu Ps. CXUI, 20: von zuein sprichen. Seit wann 
besteht die ganz ungrammatische Schreibung SprUchwort? 


üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 47 

die beschliessenden Nebenlaute, sondern die Yoeale und die 
Consonanten der Wurzel selbst, welche die umdeutende Neu- 
gestaltung trifft. Ich nehme die ersten Beispiele gern abermals 
von Basler und sonst von Schweizer Boden. Bethätigm wird 
hier oft so gebraucht, dass es den Sinn von zureden, beschwich- 
tigen haben soll: dafür ist jedoch die eigentliche Form he- 
tädigen, noch eigentlicher beteidingen, und das kommt ebenso 
wie verteidigen, verteidingen von tagedinc teidinc täding Ver- 
handlung vor Gericht und überhaupt s. y. a. Bede. Eine Ab- 
gabe von Lebensmitteln, die zum Verkauf eingeführt werden, 
nannte man hier wie sonst anfänglich ungelt, mit demselben un 
zur Bezeichnung des Lästigen wie z. B. in Unkosten^ ^): daraus 
ist zunächst Urngeld und aus Umgeld, indem man das Wort 
auf die Abgabe von Gretränken eingeschränkt, wieder Ohmgeld 
geworden^®®). Fronfasten, der Name derjenigen Hauptfasttage 
der alten Kirche, die sich auf die Quatember, die quatuor tern^ 
pora, vertheileu : er bedeutet dasselbe, was der anderswo übliche 
Ausdruck Weihfasten, nändich heilige Fasten: Anschauung und 
Sprache des Volkes stellt aber eine Art von mythischer Persön- 
lichkeit, die Frau Faste, daraus her^^^), ganz ähnlich, wie aus 
dem berhten d. i. dem leuchtenden tage, der früheren deutschen 
Benennung des Festes Epiphanias ^^^), schon im Mittelalter seit 
1300 eine nachträgliche Spukgöttinn, die Frau Berchte, er- 
wachsen ist^^^), der zu Ehren unsre Freunde in Zürich heut 
. noch gleich nach Jahresanfang „bechtelen^®^)." Ferner, wir 
haben ein Zunfthaus zu Spinnwettern: nach dem Wortlaut wären 
das Spinngewebemacher: die früheren Benennungen aber, die der 


99) Im Benner die weitläufige Behandlung des „lasterbleches'^ un 
länft Z. 9188 in den Gegensatz von gelt und ungelt aus. 

100) Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel S. 31. 

101) Hebels Werke 1838. I, 180. 11, 272. Stalders Idiot. I, 394. 

102) Haltaüs Jahrzeitbüch S. 75. J. Grimms M^^thol. S. 259. 

103) Andere Vorgänge dieser Art s. Umdeutschung S. 55. J. Grimm 
zieht es freilich vor die ,,Perahta^' aus germanischer Urzeit, noch aus dem 
wirklichen Heidenthum herzuleiten. 

104) So mit ausgestossenem r sagt schon 1435 Eonrad von Dankrats- 
heim (Strobel, Beiträge z. deutschen Literatur S. 123) die mute hehte und 
im Zeitwort hehteny S. Brant Narrensch. LXVI, 102 hackten: er meint, es 
komme das von Bacchus. 


48 Ueber den Uraprung und die Entwickelang der Sprache. 

verdiente Topograph des alten Basel nachweist ^'^^), sind Spiip- 
werters, Sptwerters^ Spichwerters hüs, und dieses letztere, Spich- 
werter^ ist unter König Albrecht I. der Name eines Mannes 
aus Seckingen gewesen*®*): hier müssen wir freilich mit Er- 
klären innehalten, und es bleibt zu vermuthen, dass Spichwerter 
selbst schon irgendwie entstellt sei. Verlassen wir aber jetzt 
die Stadt und wenden uns auswärts. Vordem, da wir noch zu 
Fusse nach Aarau giengen, nahmen wir den Weg gern über die 
Schaf matt: das klingt nun ganz idyllisch: im Mittelalter jedoch 
hiess dieser Bergübergang die Schachmat d. i. die Raubmatte *®^. 
Dann Wiesendangen bei Winterthur, Wiesensteig bei Ulm und 
gar WieserUhau bei Forchheim, lachen uns diese Dorfnamen 
nicht wie eine wonnige Frühlingslandschaft an? Es war anders, 
da man noch Wisuntwanga, Wisontessteiga , WisenUmwa sagte, 
Feld und Steig und Au des Wisentochsen: hier also ist wirklich 
ein Thier und ein wilderes als dort der Namengeber. Beispiele 
aus Speier und Frankfurt: eine Brücke in jener Stadt, die man 
später Diebsbrücke genannt, hiess ursprünglich diäbrucge Volks- 
brücke, eine Brücke für Alle*"®), und umgekehrt das jetzige 
Gallenthor in Frankfurt das Galgenthor^^^). Endlich noch ent- 
fernter gen Norden Holstein und die Holsteiner, Laute die uns 
an einen hohlen Fels zu denken nöthigen: indess der heimische 
Name des Volkes dort und darnach des Landes ist Holsten, diess 
aber zusammengezogen aus HoUseten Holzsassen d. i. Wald- 
sassen**®), ebenwie das Niederdeutsche auch insete Insasse, 
lantsäe Landsasse, drochtsäe drossete Truchsesse so zusammen- 
zieht, dass daraus inste, lanste, droste wird. 


105) Fechter: Basel im Tierz. Jahrhundert S. 52. 

106) Das Hahsburg-Oesterreichische Urbarbach, hsggb. v. Pfeiffer, 
S. 339, 31. 340, 24. 

107) Urkunde von 1363 in Herrgotts Geneal. diplom. Habsb. II, 2, 
708. Aus schdch als Namen des Spieles ist ebenfalls schäf geworden: 
8chäfzagel d. i. Schafschwanz für achächzabel d. i. Schachbrett. 

108) Die freie Reichsstadt Speier y. Zeuss S. 19. Den Uebergang 
bildet die Angleichung diepprucke, 

109) Battonus Ortl. Beschreibung d. Stadt Frankfurt a. M., hsggb. 
V. Euler, S. 117 fgg. 

110) Holcetae dicti a Büvis quas ineolunt oder accolunt: Annalisten- 
stellen die Förstemann anführt, Altd. Namenbuch II, 797. 


Ueber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 49 

In Fällen, wie die bisherigen, und am ärgsten wohl in dem 
letztangeführten, geht die Yerderbniss der Laute Hand in Hand 
mit einer Verderbniss und Verkehrung des Sinnes: in anderen 
dagegen ist einzuräumen, dass mit der neuen Lautgebung ein 
passlichster Sian neu hergestellt und in der That ein Gewinst 
für die Sprache ist erreicht worden. Auch daron Beispiele. 
Man hat in früherer Zeit allgemein, wie das noch jetzt in 
Mundarten des Südens geschieht, Fasnacht oder vollständiger 
Fasenacht gesprochen, von einem Stanoünwort faaen d. i. spielen, 
scherzen*^*), und hat die Vorhöfe der Kirchen, da solche auch 
als Freistätten dienten*^*), frithof geheissen, von frUen schonen: 
beides ist frisch in unser Verständmss herßingerückt, seitdem 
wir mit Bezug auf die Fasten, die der Fasnacht folgen, Fast" 
nacht sagen ^^*), und einen Kirchhof, den Buheplatz der Tbdten, 


111) Faaen in der angegebenen Bedeutung ist allerdings unnacbweis- 
bar (das althochd. fctsön dient zur üebersetzung von vestigare, quaerere), 
aber faseln hat sie, und schon die Wurzel fisa fas fisum scheint sie be- 
seäsen zu haben: wenigstens geht aus dieser (s. J. Grimms Gramm. II, 52) 
noch eine Anzahl anderer Worte von eben dem weiteren Sinne herror, 
den auch faseln und Uich und spielen selbst aus jenem Grundbegriff ent- 
wickeln. Spü Geschlechtstheil: Docens Miscellaneen II, 169; overspil 
Ehebruch: Schmeller III, 562; spilen Beischlaf üben: Hoffmanns Fund- 
gruben II, 37, 24. 43, 37. Wemher v. Niederrhein 69, 2. ühlands Volks- 
lieder S. 220. 773. Leich auf Neuhochdeutsch, in der Schreibung Laich, 
der Same der Fische und der Frösche. Vasel als Masculinum Zucht- 
stier, als Neutrum Viehjunges; faseln Junge bekommen; vaselrint, phasel- 
rint Zuchtstier: J. Grimms Weisthümer I, 96. 674; Faselsau, Fasel- 
sehwein Zuchtsau; endlich vaselvihe der Gesammtausdruck für Zuchtthiere 
männlichen Geschlechts: Weisth. I, 426. II, 17. 156. 263. — Eine andre 
und doch nicht weit abgehende Erklärung des Wortes Fasnacht giebt 
Moscherosch in der Vorrede zum zweiten Theil der Gesichte Philanders 
von SittewaM S. 3: „Solche Orgja Bacchi, solche Zusammenkunfften vnd 
Waldfahrten worden den Satyren zu gehorsammen Ehren gehalten; auff 
welchen sie auch an Eeyen die voruembste waren, das beste thaten, sich 
mit den Hey den toll vnd voll soffen, im Waldt vnd dem Gebürg mit vnden 
mit oben lagen tag vnd nacht in grossem Geschrey vnd Fatzerey zu- 
brachten, Schwarmfest vnd Fassnacht hielten. Einander durch zogen; 
dahero die Fafsnacht als Fassnacht oder Fat zn acht ihren Ursprung vnd 
Namen bekommen." 

112) J. Grimms Beehtsalterthümer S. 886 fgg. 

113) Es geschah das in zerstreuten Fällen schon gegen Ende des 
vierzehnten Jahrhunderts. 

WaektmagBl, Schriften. UL 4 


50 üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

nicht Freithof nennen, wie das alte Wort doch eigentlich jetzt 
lauten sollte, sondern Friedhof. Bei Nagelbohr haben wir den 
Nagel im Sinne, der in die vorgebohrte Oeflfnung soll geschlagen 
werden, und Handwerk ist (es kann nicht fehlen) die Arbeit 
der Hände: inzwischen lehrt die Geschichte der Sprache, dass 
Nagelbohr zunächst aus nagebor, diess aus nageber, diess wieder 
durch Umstellung aus nabeg$r entstanden ist^^*): nabeger aber 
(wir haben das Wort noch in dem Geschlechtsnamen Näbiger) 
bezeichnet ein Eisen, welches sich dreht wie eine Nabe; und 
dieselbe lehrt, dass unser Handwerk umgebildet ist aus antwerc, 
welches zuerst die Benennung einer Gerätschaft zum Entwürken, 
einer Angriffs- und, Zerstörungsmaschine, wie man sie bei Be- 
lagerungen brauchte, dann einer Maschine überhaupt, dann jedes 
Werkzeuges, dann auch der Berufsarbeit damit gewesen^ ^^). 

Und nun die letzten Belege: ich wende mich mit denselben 
wiederum gern zu den verehrten Amtsgenossen von der natur- 
wissenschaftlichen Seite meiner Facultät; es mag da treffende 
Erneuerung mit unzutreffender wechseln. Wir sagen Maid- 
wurf^^^): er wirft aber das Erdreich mit den Schaufeln seiner 
Vorderfüsse auf; er hat auch nichts von einem jungen Hunde 
oder gar einem Affen, noch wirthschaftet er in Mauern, und 
doch nennen ihn jetzt die Franken Mauraff und nannte man 


114) Althochd. nahagiry nabuger, nahig^r; mittelhoehd. nabeger , 
nehegSr, wie noch jetzt in Baiern Näbiger und Näbinger, und nagdfer, 
negeberf nagewer, nagwer Hoifm. Sumerlaten 32, 49. wie jetzt in der 
Schweiz nägwer, aber auch schon tiägbor, negbor Vocabularius optimus 
XII, lOj in Baiern die Zusammenziehungen Neiber, Nepper, 

115) Die Umbildung hantwerc kommt hie und da schon im Mittel- 
hochdeutschen vor, aber nicht bloss um den jetzigen Sinn des Wortes aus- 
zudrücken, sondern als Bezeichnung einer Belagerungsmaschine: man wollte 
sich einmal der Partikel, die unverständlich geworden war, entschlagen. 
Das althochd. hantwerch hat weder die eine noch die andre Bedeutung: 
Notker übersetzt damit opera manuum und facta manuum, und ebenso 
braucht das Wort noch Konrad v. Würzburg nach v. d. Hagens richtiger 
Besserung (der Schreiber hat sogar hier das ihm gewohntere antwere ge- 
setzt) Minnesinger II, 312 a: wercman höchf du weidest dich län verseren 
d\n hantwerc: das Werk deiner Hände, den von dir geschaffenen Menschen. 

116) Wie sich schon im fünfzehnten Jahrhundert maulworif findet 
(Schmeller III, 566)*, im vierzehnten und sechzehnten mülwerf Jung. 
Titurel Str. 2761. Maulwerf B. Waldis Aesop III, 79. 


Ueber d^n Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 51 

iha mittelhochdeutsch gelegentlich mülweip^'^), weif aber ist da 
zunächst das Junge eines Hundes: anders und passlicher, uns 
zwar unverständlich, sind die zwei altern Namen gebildet, 
mtätmirf d. h. der den Grund aufwirft ^^**) und müwerf der 
das in Heimlichkeit thut^^^): jenes abenteuerliche Mauraflf ist 
aus der volleren Form m«ttt?ßra/* hervorgegangen ^^^). Wachholder: 
teine Zusanmiensetzung mit Holdei^ Holunder, wenn auch wir, 
zugleich mit einer Betonung die auf jeden Fall verkehrt ist, so 
aussprechen und meist auch schreiben, ebenso wenig als Zapf- 
holdem, der Name eines Bauernhofes in Baselland, aus Zapfen 
und Holder zusammengesetzt ist: sondern tv^chaUer, wie es 
früher- geheissen,' hat als ersten Theil ein Adjectivum wechal 
d. h. wach, lebendig, als zweiten aber das entstellte Substan- 
tivum triu Baum ^2^): der Wachholder, der juniperus, erscheint 


117) Minnesinger II, 385 b; mülwelpfe Berthold I, 563, 30. 

118) KÜhochA., mulUcurf, moUwerf, mittelhd. moltworf: goth. tnulda, 
ahd. moUa Staub, Erde. 

119) Ahd. müwerf y müwerft^ müwerf Oy müworfo Haupts Zeitschr. III, 
380 b. niuurf d. i. müwurf, rahd. mütcerfe Renner 4855. Mu bezeichnet 
den ßömern, {jlO den kriechen, uns mit reduplicativer Zuthat mumm einen 
verstohlenen, kaum hörbaren Laut. Daran schliessen sieh, gleichfalls noch 
als Lautbenennungen, (xusiv, (xu^eiv, mutirey mussare, mussitare, mummeln, 
muckzefiy althochd. muceazan und die Substantiva Mucks y [luia, musca, 
ahd. muccä; sodann (es wird hier im Gegensatz zu dem oben auf S. 18 
bemerkten von dem Sinn des Gehöres aus und auf den des Gesichtes über- 
gegangen) als Ausdrücke für ein verstohlenes unsichtbares Sein und Thun 
wiederum fiuetv, mucken, ahd. mühhan auf nächtlichen Raub ausgehn, wo- 
von weiter unser meucheln, substantivisch jxui;, lat. und deutsch müs, 
mühho Heimchen und mit mü beginnend unser müwerf. 

120) Vgl. Adalberaht Äddlherht Adalbert und Adalbraht Älbrecht, 
&g<Ü8trä dgala&trä dgelestrd und dglastrd dglesterd oben Anm. 81. 

121) Der Wacbholder hat ausser anderen Namen die drei gleich- 
gebildeten und gleichbedeutenden wechalter (wecholter, wecheltery wechUtery 
weckolter Strassb. Handschr. D 3 = Grieshabers Predigten I, 164, 
wekilter Schlettstädter Glossen XXXVIII, 1?. wachüter; mit Erweichung 
des t nach der Liquida wecheldery wechihier Altd. Blätter II, 212. wecholdevy 
toechuldery wachalder Hoffm. Sumerlaten 54, 28. 46. 57, 37; durch Um- 
stellung des r verderbt werchel Altd. Bl. II, 213; neuhochd. auch weck- 
holder und entstellt Weghafterer Schmeller IV, 46. niederd. macholler, 
Wachandel und Machandel Märchen d. Br. Grimm 47), queckolter und 
reckalter (recolter, rechelter Haupts Zeitschr. III, 473 b. recholdirjy keiner 
derselben vor dem zwölften Jahrhundert nachweisbar. Wechal y das sich 

4* 


52 Ueber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache. 

ja immer lebend und immer jung^'*), und so, als einen Baum 
der Verjüngung und des Lebens, braucht ihn auch unsere 
Mythendichtung ^'^). ZappuMem aber enthält den auf gleiche 
Art gebildeten Baumnamen apfoüer^^^) und davor noch ein zu, 
bedeutet also „bei den Apfelbäumen^': meine Zuhörer erinnern 
sich nun von selbst der Dörfer AffoUem im Zürichbiet, früher 
Affaltrahe d. i. Apfelbaumbach, und Affdtrangm im Thurgau, 


auch in ^Weehdeich findet (vgl. lat. viffil tmd ahd. trachal), ist Ton der 
Wurzel des Adjectivoms wachf queckol wie ahd. qüiculunga von quec 
lebendig» reckal ebenso von recken abgeleitet: ygl. ^'Eicea irrep; S. 45. 
Dass sodann ter hier wie in andern gleichausgehenden Baumnamen auf 
triUf dem griech. Äpu;, beruhe (J. Grimms Gramm. 11, 832. 530. Schmel- 
1er I, 45), ist unzweifelhaft: in wechelt (Predigten v. Grieshaber I, 164) 
und dem schwäbischen Wechetdure {Wechelduren-, Wacheldurenbeere 
Schwab. Wörterb. v. Schmid S. 520) scheint jener Grund noch mit 
grösster peutlichkeit hervor und ebenso darin, dass die Blaubeurer 
Predigthandschrift Bl. 48 a wekaltir als Neutrum braucht, wie goth. 
iriu^ angelsächs. treovy altsächs. treOf altnord. tri neutral sind. Sonst 
werden dergleichen Worte vom Althochdeutschen an entweder MascuHna 
und endigen dann auf tar, mhd. ter: Beispiel dieses Geschlechts taeekoUer 
an dem angeführten Ort; oder da allgemeiner Kegel nach die Namen der 
Bäume weiblich sind, sie werden Feminina und endigen althochdeutsch 
auf trd, ierd, mittelhochd. auf tere, meist jedoch wiederum auf ter: 
Beispiele davon queckolter Leseb. I, 965, 18. fraw weeholter Spiegel 177, 
34. unter eine Wachholdern noch bei Luther Eon. I, 19, 4 fg.; die 
jetzige Sprache, verleitet durch das Aussehen der £udung macht sie ins- 
gesammt zu Masculinis. Schon im Altdeutschen aber gewinnen, da triu 
so entstellt ist, auch diese Zusammensetzungen den Auschein blosser Ab- 
leitungen, und ihr Sinn verdunkelt -sich so, dass sie nicht bloss aufs neue 
mit houm componiert werden können, wie recheUerhoumf wechcdterpoum, 
werchelbaum, und bei Williram affalterboutn, sondern auch weeholter 
die Bedeutung von Wachholderbeere annimmt: Haupts Zeitschr. III, 30. 
Nur die jetzige Yerrückung des Accentes war der älteren Zeit noch fremd : 
das beweisen die häufigen Formen mit Schwächung des zweiten, gerade des 
jetzt allein betonten Vocales, wechelter, wechüter u. s. w. 

122) Der angelsächsische Name cvieheAm drückt das noch kürzer und 
deutlicher aus. 

123) *'ETCca TCTtpoevTa S. 44 fg. 

124) Althochd. apholträ, affoltrd, affultrd, affaltrd, affaldrd, affeUrd 
Altd. Blätter II, 211. affUtrd, affoUerd, ajfalterd, affolderd; mhd. aphoUere, 
apfoHer, apf alter, affdltere, afftdter, äff elter Hoffin. Sumerlaten 45, 63. 
affeldre. 


lieber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 53 

früher AffuUarwangen Apfelbaumfeld. Mehlthau: allerdings 
keine üble Bezeichnung des weissen staubigen Aussehens, das 
die erkrankte Pflanze von den microscopischen Filzen erhält; 
auch der mittelhochdeutsche Name milcJUou war nicht unpassend: 
ursprünglich jedoch hat man müitou, miltou gesagt, und das 
kommt entweder, wie noch in neuerer Zeit die mundartliche 
Form Milhthau begegnet, von miliwa, müwe Milbe, man sah 
also die Pilze für ein Ungeziefer an; oder aber, indem man 
Mehlthau und Honigthau beide zuerst mit demselben Wort be- 
nannte, von dem gothischen milith Honig. Höhenratwh oder 
Hehrrauch oder Heerratich oder Herdrauch, auf welche Form 
bat die Naturwissenschaft sich jetzt vereinigt? Alle zusanunen 
sind nur Eatstellungen und zwar eines und desselben süddeut- 
schen Ausdruckes, nämlich Heirauch, woneben auch Heiruck, 
Heidampf und Heinebel gilt: hei die brennende Sommerhitze. 
Wetterleuchten: diess wieder eine ganz gute Auffrischung: das 
alte Substantivum Wetterleich mit seinem Zeitworte wetterleichen 
oder wetterleichnen lebt zwar noch in der bairischen und der 
schwäbisch-alamannischen Mundart und daneben dort mit gleicher 
Bedeutung Himmelleich und himmelleichen, kaum jedoch dass 
man das eine und das andre noch versteht: leichy im Altdeut- 
schen s. V. a. Spiel und Tanz, geht auf das zuckende Spiel der 
entfernten Blitze ^*^). Und endlich nun, nachdem sie nicht ohne 
Ungeduld solch eine Flut von Beispielen haben über sich er- 
gehen lassen, möge das letzte in der langen Keihe diess Wort 
selber sein:^ denn auch diess ist nur eine Erneuerung und Um- 
deutung. Die ursprüngliche Form lautet btspel und so heisst 
'eine Erzählung, bei der noch etwas gemeint ist, durch die noch 
auf etwas anderes hingewiesen wird» eine Fabel, eine Gleichniss-' 
rede: hieraus der neuere Sinn eines zur Vergleichung gezogenen 
Ereignisses oder Dinges oder Wortes, und dieser so ausgedruckt, 
dass nmn den naheliegenden Begriff der Anspielung bereijEitonen 
lässt. 

Ich habe mich bei diesen letzteren Dingen vielleicht nach 
Ihrem Urtheil unverbältnissmässig lange, aber doch nicht ab- 
sichtslos so lange verweilt Mir scheinen nämlich Beispiele wie 


125) Den Donner nennt der Sancfcgallische Mareianus Capeila 6. 93 
einen clafteich» 


54 üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 

die vorgeführten der Erneuerung des Alten besonders geeignet 
um Ihre Aufmerksamkeit schliesslich auf noch einen Punkt, der 
für unsre heutige Betrachtung von Belang ist, hinzulenken und 
noch einen Grundzug anschaulich zu machen, der von je durch 
die gesammte Sprachentwickelung und schon bei der Sprach- 
schöpfung gewaltet hat. 

Wenn die Sprache dßs Menschen in Allem und Jedem eine 
unabänderlich strenge Richtigkeit befolgte und nie seitab aus 
der geraden Linie der Regel wiche, so wäre das allerdings ein 
Merkmal für uns, entweder sie sei lediglich ein Naturereigniss, 
oder aber, da so ohne weiteres diess nicht anzunehmen noch 
zuzugeben ist, es wirke bei ihr unausgesetzt üeberlegung und 
Absicht, und Wort für Wort suche und wisse der Verstand sich 
Rechenschaft zu leisten über jedes einzelne Was und Wie; dann 
würde auch in den Zeiten, wo es bereits G-rammatiker giebt, die 
Sprache nicht allein von denselben gemeistert, sie würde recht 
eigentlich deren Werk und Verdienst sein. Dem allem ist aber 
nicht so: welche nachdenkliche Erwägung wäre das, die dazu 
führen könnte, aus dem berhten tage heraus eine Frau Berchte 
zu ersinnen oder muUwurf und müwerf in Maulwurf und 
Mauraff umzuwandeln? Vielmehr liegt gerade in diesen Er- 
neuerungen veralteter deutscher und ebenso in den Umdeutschungen 
fremder Wörter ein Wink, der auf eine ganz andre Kraft hin- 
weist, welche noch hier thätig sei, auf einen ganz anderen Weg, 
den der menschliche Geist einschlage, indem er die Sprache 
fortgestaltet, und. schon indem er sie zuerst erschafft. Er geht 
dabei mit Genialität, mit Naivität, so wenig mit Refleidon, 
sondern auch dabei so durchaus instinctiv zu Werke, wie er' 
instinctiv und ohne jedesmal frisch zu reflectieren die Lungen 
athmen lässt und die Glieder sich bewegen: so instinctiv, dass 
man sagen möchte, nicht der Mensch sei es, der diess und das 
an der Sprache und mit der Sprache thue, es sei die Sprache 
selbst; so naiv, so naturwüchsig, dass wieder von diesem Stand- 
punkt aus diejenigen nicht so ganz Unrecht haben, denen die 
Sprache überhaupt nur als ein Gegenständ naturgeschichtlicher 
Betrachtung gilt; so genial, dass damit ein um so entschiede- 
neres Urtheil geföllt ist über all jene Halbgelehrsamkeit und 
Altklugheit, welche meint, es stehe nur bei ihr die Sprache 
durch Vorwärts- oder Rückwärtsschieben oder sonstige Erfin- 


Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 55 

düngen ihrer Willkür zu verbessern, es sei, da die Sprache eine 
Schöpf ang des menschlichen Geistes ist, die Befugniss jedes 
Ersten Besten nun auch seines Theils ein Stuck Sprache zu 
machen. Schon das ausgehende griechisch-römische Aiterthum 
hatte seine Pedanten dieser Art, und auch die römischen Tochter-» 
Völker sind nicht arm daran: aber reich daran ist leider zumal 
unser deutsches Volk, die Deutschen inner- wie ausserhalb der 
ehemaligen Bundesgrenzeu, und sind es gewesen, noch ehe diese 
Grenzen gezogen waren, schon im achtzehnten, schon im sieb- 
zehnten, schon im sechzehnten Jahrhundert. Und nicht genug 
an dem einen Felde, auf dem die Pedanterei am liebsten ihre 
Thaten thut und sich Lorbeem erwirbt, nicht genug an der 
Orthographie, wie dass man mit Gewalt uns gelehrt hat, sdig 
verlange ein doppeltes e, da es von Seele, und echt ein ä, da 
es von achten konune, während doch echt aus ehaft d. h. ge- 
setzlich zusammengezogen ist^^^), selig aber, althochdeutsch säUg, 
mit Seele; althochdeutsch sela, sSiUa, gothisch saivala, nichts zu 
thun hat, wie übrigens noch jetzt die genauere Aussprache des 
Wortes zeigt, sondern al^eleitet ist von einem Adjectivum säl, 
auf Gothisch sil, s. v. a. gut: nicht genug au solchem, nodi 
öfter und noch unbescheidener geht dieses Meistern, das doch 
nur ein Pfuschen ist, über das Kleid der Schrift hinweg und 
noch gewaltthätiger an Fleisch und Bein der Sprache selbst. 
Da heisst man uns Augenbraunen sprechen, nicht Augenbrauen, 
mögen dieselben auch glänzend schwarz oder schneeweiss vom 
Alter sein^*^), und gehör chaam und hostbälig^ nicht gehorsam 
und kostspielig, lieber ein sinnloses als ein halb unverständliches 
oder nur von dem Lehrer nicht verstandenes Wort: denn ge^ 
hören, wozu gehorsam gebildet ist, hat eigentlich auch den Sinn 
von gehorchen, kostspielig aber vertritt ein älteres kostspildig, 


126) Und zwar so, dass im Mittelalter ehaft und echt, z. B. ehaft dinc 
nnd echt ding, ihaft ndi nnd echt not, einander noch als Hochdeutsch und 
Sächsisch gegenüberstehn. 

127) Man könnte, falls man davon nur wüsste, als Beweis anführen, 
dass wirklich die Angelsachsen und Nordmannen brün für Augenbraue 
gesagt haben (für die Wimper breäv und brd)^ mit einer Vocalisierung 
also die sich näher als da» A in brduda Braue dem griechischen dqppu^ an- 
schliesst: welch ein Beweis wäre das aber in Bezug auf unser Hochdeutsch? 
Biess hat einmal Ton je her brätcOf ougbrdwa, wititbrAt^a u. s. f. gesagt. 


56 üeber den ürsprniig und die Entwickelnng der Sprache. 

und spildig ist, wer viel verthut^^*). Zum Glück indessen 
halten all solche Funde nur selten Stand: das sind nicht ge- 
wordene, das sind gemachte IJmdeutungen ; nicht frei gewachsen, 
nicht aus der Sprache selbst, sei es auch noch so verkehrt, her- 
vorgetrieben , gleichen sie Beisem, die ein spielendes Kind in 
den Boden steckt, damit sie schon in der nächsten Stunde welk 
und morgen verdorrt seien. Ebenso unnaturwüchsig aber und 
noch ungenialer ist es, wenn wieder Andere nicht mit vermein- 
ter Ausdeutui^ veralteter und verdunkelter Wortformen uns 
behelligen, sondern dem gerade entgegengesetzt mit deren Wieder- 
herstellung, so viel sie davon durch Zufall haben kennen lernen, 
mit der Wiederherstellung des Alten, wo doch die Sprache schon 
längst ein Neues dafür aus sich erzeugt hat, wenn man zum 
Beispiel für Sündflut wiederum nach Luthers Bibel Sindflut ein- 
führen will. Sündflut aber ist geradezu ein Hauptbeispiel ge- 
• lungenster Sprachemeuerung. Sindflut, was in aller Welt be- 
sagt das noch für unser Verständniss? Die Vorzeit konnte 
eigentlich jede üeberschwemmung so benennen ^^^; was aber 
jenen Verbesserem unsrer Sprache noch entgeht, in der ur- 
sprünglichen Echtheit des Ausdruckes hat es nicht einmal sint" 
fluot geheissen, sondem sinfluot, mit demselben verstärkenden 
sin, das wir noch in Sinngrün, dem deutschen Namen der Per- 
vinca oder Semperviva, brauchen. Sündflut dagegen, welche 
einfach treffende Umgestaltung! Ein Wort das seine Anwendung 
ganz bestimmt nur in diesem einen geschichtlichen Bezüge 
findet^'*®) und so die Bedeutung gleichsam eines Eigennamens 
hat, das inhaltsvoll zugleich das Ereigniss und dessen Ursache 
angiebt, ein recht eigentlich pragmatisches Wort, wie Sindflut 
das fürwahr nicht ist. Und die neuere Form ist keineswegs so 
neu, als man wähnt und thut: zwar Luthers Bibel hat sie erst 


128) Solcher Beispiele noch mehr, wie etwa Geradewohl fär Gerathe- 
wohl, Hüfthorn für Hifthorn (richtiger Hie f hörn: Frisch I, 452 b), das 
Maul offen viel haben für Matdaffen feil hieben (ygl. Haupts Zeitschr. VI, 
257 )i Seheidel für Seheitel, weihsagen für weissagen, sind höchstens der 
Anführung unter dem Texte werth. 

129) Auch mit sinwdgi wird catadysmus wiedergegeben. 

130) Denn auch Psalm XXIX, 10 wird Luther nach alter Auslegung 
eine Noachische Flut verstanden haben. 


Ueber den Ursprung und die Entwickeluog der Sprache. 57 

• 

)n dem Frankfurter Drucke von 1589: aber früher, als jene 
überhaupt in die Welt getreten, sagt z. B. schon Nielas Manuel 
auch sündtfluss^^^). 

Geehrte Versammlung, wir nennen es in politischen Dingen 
einen Frevel gegen das höhere Becht der Geschichte, eine Auf- 
lehnung gegen die Gedanken Gottes, die nach unserm armen 
Yerständniss sich in ihr bewegen, wenn eine Partei mit rück- 
sichtsloser Ueberstürzung vorwärts oder mit Widerstreben aufs 
neue zurück will; wir nennen es einen Frevel gegen die Heilig- 
keit der Wissenschaft, wenn ein Diener derselben geschichtliche 
Thatsachen oder Wahrnehmungen aus dem Reiche der Natur 
muthwillig verfälscht: warum denn soll die Sprache in Becht- 
losigkeit dastehn? Auch sie ist geschichtlich geworden, ge- 
schichtlich gegeben, und zugleich schliesst auch sie eine Summe 
von Erscheinungen in sich, die wesentlich in den Bereich der 
Naturwissenschaft gehören und deshalb nur durch eben jenes 
exacte Forschen zu erkennen sind, das man den Studien der 
Mathematik und der Natur als unterscheidendes Merkmal vor- 
zubehalten pflegt. Dass aber eine solche Betrachtungs - und 
Betriebsweise in der That schon längst gewonnen, solch ein 
Standpunkt je mehr und mehr unter uns befestigt ist, dass so- 
mit die Kundigen auch gelernt haben die Grammatik über die 
Willkür der Grammatiker und die Sprache selbst über das be- 
wusste und beflissene Dazuthun der Sprechenden erheben, muss 
als eine der grössten Errungenschaften unseres Jahrhunderts 
bezeichnet werden: denn erst auf diesem Wege sind wir und 
sind wir zuerst zu einer Wissenschaft der Sprache gelangt, welche 
des hohen Namens werth ist, zu einer Sprachwissenschaft, wie 
sich ihrer kein früheres Zeitalter rühmen durfte. Dem Manne, 
der vor allen Anderen den Grund dazu gelegt und selbst auch 
das Gebäude hoch und fest emporgeführt, der durch Zergliede- 


181) Grüneisen S. 391: „Sändtfluss, Wölcher vber die Menschen gangen 
ist, z& der Zeit N.oe, von wägen jres Sündtlichen läbens, auss dem sibenden 
Capittel Genesis. Im Thon, Frölich so wiU ich singen, mit Inst, &c. [von 
Gwer Ritter] Getruckt zu Basel bey Samuel Apiario". In der Magdeburger 
Ausgabe des Froschmeuselers von 1600 ist II, 3, 4 und III, 3, 1 Sintfluth 
4ind Sindfluth gedruckt, daneben aber an der ersteren Stelle auch Sunt" 
fluth. 


58 


üeber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 


rung der Sprachen des indogermanischen Stammes G^heimnis^ 
über Geheimniss des Sprachenwachsthums aufgedeckt und durch 
weitausgreifende Vergleichung den Blick über ein Netz lebendiger 
Wasser eröffnet hat, die alle aus einem und demselben Urquell 
strömen, FBAN'Z BOPP, sind am sechzehnten Mai dieses Jahres, 
als dem fünfzigsten G^dächtnisstag seines ersten und sofort 
bahnbrechenden Werkes, die Danksagungen und Wünsche Eu- 
ropas und nicht Europas allein dargebracht worden: gern nehme 
ich des späteren Heutigen Festanlasses wahr und benütze, so 
dass noch dem letzten Wort eine höhere Weihe zu Theil wird, 
diesen Festvortrag um dem grossen Manne nun auch in Ihrem 
und, bescheiden wie es mir geziemt, in meinem Namen den 
Zoll dankbarer Ehrerbietung auszusprechen. 


Die deutschen Appellativnamen. 


(Aus Pfeiffers Germnfna, Bd. 4, S, 129—159. 5, 290—356), 


Ursprünglich giebt es zwischen Appellativen und Eigen- 
namen keinen Unterschied. Die Sprache hat sich um letztere 
zu bilden nirgend besondre eng und bloss persönliche Begriffe 
vorbehalten: sie verwendet dazu stets Worte von appellativer, 
ja meistens von ganz unpersönlicher Bedeutung und verleiht 
denselben nun erst die persönliche. Z. B. in den althochd. 
Männernamen Warmimt und Albrät, angelsächs. ÄlfrM, den 
Weibemamen Sigilind und Orhnhüt hat der zweite und für den 
Begriff des Ganzen hauptsächliche Bestandtheil der Zusammen- 
setzung hier einen concreten, dort sogar einen abstracten, kein- 
mal aber einen auch nur allgemein persönlichen Sinn: munt ist 
8. V. a. Hand, r&t, ags. red unser Eath, sinnlicher Hilfe, Und 
ein Drache, hiltja der Kampf; nicht viel anders der erste Theil, 
der ohnediess, auch wenn er überall persönlich wäre, doch über 
das Ganze nicht entscheiden würde: aberwarl ist Vertheidigung, 
Schutz, sfgrw oder sigi Sieg, grtma ein Helm, und nur (üb oder 
älf ist ein persönliches, aber ein appellatives, ein Gattungswort, 
unser Elfe: also Warmunt Wehrhand, Alfred Elfenhilfe, Sigilind 
Siegdrache, GrimhiU Helmkampf ;^ erst nachdem diese Worte 
einzelnen Personen als Eigennamen beigelegt sind, erscheint 
Alfred als ein Mann, den die Elfen unterstützen, und Grtmhilt 
als eine Kämpferinn im Helme. 

Umgekehrt, von der anderen Seite her, verfliessen wiederum 
auch die sachlichsten Appellativa insofern mit den Namen der 
Personen, als wenigstens diejenigeu Benennungen lebloser Dinge, 
welche Masculina oder Feminina sind, auf den Grund einer per- 


60 ^^ deutschen AppellatiTnamen. 

s5nlichen Auffassung derselben fussen: denn nur für diese hat es 
einen Sinn die Geschlechter zu unterscheiden; einer persönlichen, 
nicht überhaupt einer bloss animalisch belebenden: Thiere pflegt 
auch das Deutsche mit Epicoenis zu benennen. Wenn Tvir, um 
nur einen Beleg und ganz aus der Alltagssprache unserer Zeit 
zu bringen, Geräthe mit den Worten Fächer, Reiber, Heber 
u. dgl. belegen, Worten, die ganz so gebildet sind wie die per- 
sönlichen Schacher, Schreiber, Reber d. h. Bebmann, so geschieht 
das nur, weil wir, bewusst oder unbewusst, uns eben auch den 
Fächer u. s. f. in persönlicher Weise tbätig, als einen Arbeiter 
und Diener denken: Zusammensetzungen mit Knecht, wie Brat- 
knecht, Raitknecht, Schüsselknecht (Schmeller 2, 370) stellen das 
noch viel augenfälliger heraus^). 

Indessen, sobald einmal eine Sprache gelernt hat die all- 
gemeinen und unpersönlichen Appellativa zugleich als persönliche 
Einzelnamen abzugrenzen, alsobald befestigen sich auch mannig- 
fache Unterschiede zwJBchen den beiden ursprünglich nicht ge- 
trennten Wortarten, und Appellativa und Nomina propria nehmen 
in der Grammatik gesonderte Stellen ein, syntactisch wie der 
Bildung und der Biegung nach: imperativische Zusammen- 
setzungen wie Thudichum, Bleibimhaus , Hebdenstreit, Hctssen- 
pflüg sind im Deutschen zuerst nur so als Beinamen einzelner 
Personen gebraucht, die Eigennamen sind hier von je her anders 
als die übrigen Substantiva decUniert worden, und ebenso alt 
ist die Begel, dass man ihnen im Satzbau keinen Artikel gebe. 

Nichts desto weniger geht, auch nachdem schon die Eigen- 
namen etwas besonderes geworden sind, hin und her zwischen 
ihnen und den Appellativen eine beständige Berührung und 


1) Vergl. ferner Riecher d. i. Nase, Klopfer; nihd. bücUere, hildencere 
Vorbild, Muster. Dinge mit THemamen: Hundy Schubkarren in Berg- 
werken. Kleidungsstücke und Geräthe nach Personen benannt: Fiffchen, 
AtlaSf Begine, Pompadour, Rogudaure, Fontange (Falke 2, 245), Spencer 
(das. S. 310), Talma, Machintosh; Silhouette, Manaarde, Montgolfihre, 
Guillotine, Kuchenreuter, — Unter Jude versteht man auch einen Stoppel- 
bart. — goth. mavi Mädchen, mhd. mouwe Ermel; vergl, J. Grimm, Diph- 
thonge S. 6 (kleine Schriften 3, 109 f.) — Samiklaus, verderbt aus sant 
Nikolaus, ein Geschenk das Eltern ihren Kindern durch eise vermummt« 
Person, so genannt, machen: Stalder 2, 299. 


Die deutschen AppellatiTnamen. 61 

Umtauschung fort, auf Grund jener ihrer ursprünglichen Zu- 
sammengehörigkeit. 

Einmal, es werden einzelne Dinge so lebhaft und leibhaft 
personificiert , dass man ihnen Namen wie sonst nur Menschen 
beilegt, Personennamen, die frisch und eigens fär sie gebildet 
oder auch (diess jedoch erst später und dann zum Schaden der 
rechten Personificierung) von den Menschen her auf sie über- 
tragen werden. So, wenn nach der nordischen Thidhriks Saga 
(Cp. 19 u. 20) der Held Heimi ein Schwert Namens Blödhgäng 
d. i. Blutgang, der im Blute wandelnde, wenn in mehr als 
einer Stadt ein hoher Wartthurm den Namen Luginsland führt ^)': 
Wortbildungen gleich den menschlichen Namen und Beinamen 
Hruodgang, Irreganc, Springinsfeld; oder wenn (Mumers König 
aus Engelland, Scheible S. 979) ein Strassburger Geschütz das 
Ketterlin von Einsen hiess. 

Sodann, Eigennamen, welche schon vorhanden imd üblich 
und durch besonders häufige üeblichkeit schon halb appellativ 
geworden sind, treten ganz in die letztere Auffassung hinüber 
und werden zu appellatiyen Qattungsworten , für Menschen und 
auch für Dinge. Michel ist nicht bloss einer, der wirklich 
Michael heisst, sondern ' nun auch jeder gut oder dumm ein- 
fältige, mit Trägheit oder Eigensinn irgend worauf versessene, 
geistig oder leiblich unbeholfene Mensch. Den sprichwörtlichen 
Deutschen Michd^) haben schon Philander von Sittewald (Strassb. 
1666. 1, 35. 123) und der Simplicissimus (Stuttg. 1854. 2, 
1047 fgg.), der Erziehungsroman Spitzbart (Leipz. 1779. S. 105) 
dem gegenüber einen Lateinischen Michd^ den Vetter Michel 
auch ein Lied Göthes, die gemeine Sprache hie und da einen 
Dreckmichel ^ einen Säumtchel, in Niederdeutschland einen 
Schnobbemichd d. h. Schnaufmiehel, Schlafmichel, in der Schweiz 
auch als Bezeichnung eines dicken Kindes einfach Michel ^ und 
der Uhrautomat auf dem Perlachthurme zu Augsburg ' wird der 
Thurn-Michele, eine Art bairischen Backwerkes Küchel- Michel 
d. h. Küchen-Michel genannt (Schmeller 2, 564)*). 


2) zu Basel. Vergl. ferner Stalder 2, 183. Schmeller 2, 457. 

3) der teutsche Michel: Hub, kom. Pros. 2, 47. Anzeiger des german. 
Mus.' 1865, 102 fgg. 1866, 94 fg. 1869, 164 fgg. fürs Michele halten zum 
Besten haben: Schmid schwäb. Wörterb. 306. 

4) Klotzmichel: Schmeller 2, 366. Leuszmichel: Zamcke Universitäten 


g2 ^i^ deutschen Appellativnamen. 

Jenes erstere Verfahren, wo man den Dingen Eigennamen 
gleich den menschlichen giebt, ist das ältere und ist auch wesent- 
lich alterthümücher: es steht noch näher bei der AJles personi- 
ficierenden Art der frühesten Sprachschöpfung; es ist dichterischer, 
wie alle Dichtung des Mittelalters ein Zug nach Personification 
beherrscht und da nicht bloss die auch uüs geläufige Ver- 
weiblichung abstracter Begriffe, z. B. im Welschen Gast 10081 
der Ausdruck ^^zom ist niftel der trunkenheit" und ebenso im 
Narrenschiff Cp. 53 nyd als weibliches Wort behandelt vor- 
konmit, sondern wie auch, und das noch viel öfter, ims jedoch 
befremdlieh, vor concrete und abstracto Dingworte die Titel Herr 
und Frau gesetzt werden (J. Grinuns Gramm. 3, 346. 356 fg. 
Mythol. 845 fgg.): Frau Ehre, Frau Minne ^ Frau Saide, Frau 
Welt, in Liedern des Volkes Frau Nachtigall, beim Kegelspiele 
Frau Xiigel, beim Trinken Herr Kopf d. i. Becher (Fichards 
Frankf. Arch. 3, 259), in einem Minneliede Herr Anger, anderswo 
Herr Hahn (v. d. Hagens* Minnesinger 2, 195 b), Herr Hirsch, 
Herr Falke (ebd. 388 b), in einem Spruche Walthers v. d. 
Vogelweide Herr Stock, nämlich Almosenstock ^); es hat endlich 
etwas Episches, Heroisches, Mythologisches: in der Edda trägt 
jedes Thier, jedes auch leblose Ding, das in den Mythus gehört, 
seinen Eigennamen (man lese z. B. das Grimnis mal), und die 
Thiersage nennt den Wolf, den Fuchs, den Bären nicht so 
appellätiv Wolf und Fuchs und Bär, sie nennt dieselben, wie 
auch Menschen heissen konnten, tsengrtn, Beinhart, Brün. Da- 
gegen die Ausdehnung allüblicher Eigennamen auf ganze Gattungen 
von Menschen und Dingen, des Michel z. B. auf ^lle Deutschen . 
und alle Schläfer und sogar eine Art von Backwerk, wie diese 
erst durch eine allmäliche Abnutzung, durch ein Abblassen und 
Verschwimmen der persönlich festgestalteten Begriffe möglich 
geworden, ist sie auch das viel jüngere, ist nachmittelalterlich, 


im Mittelalter 1 , 124. Felztnickel der die Kinder zur Weihnachtszeit er- 
schreckt. In Darmstadt Kirschenmichel ein Kirschpudding, franz. miquelets, 
Fussvolk in den Pyrenäen, Schnaphahnen, miguelot, Betteljung, der unter 
dem Schein der Wallfahrt auf St. Michel üher Meer fähret, dass er da- 
selbst bettele, item ein Kopfhänger, ein Heuchler: Frisch Dict. des passägers 
(1730) 1, 1107. 

5) frö Böne: Walther 17, 25. 


Die deutschen AppellatiTnamen. 63 

• 

ist modera, ist überall -auch nur Sache des Spottes und des 
Scherzes, während z. B. selbst jener personificierte Herr Stock 
in eitlem so ernst und streng gehaltenen Gedichte steht, dass 
der alte Gleim seine Uebersetzung desselben mit getrostem Miss- 
verstand überschreiben konnte „An Herrn Stock, päbstUchen 
Legaten in Deutschland". 

Es stehen jedoch diese beiden Verfahrungsarten nicht mit 
so gänzlich schroffer Trennung neben und nach einander .da: es 
giebt noch eine dritte, die in Beschaffenheit und zeitUeher Ord- 
nung den Uebergang von der einen zu der andern bildet. In 
diese gehören diejenigen Fälle, wo persönliche Namen, gleichviel 
ob sie sonst auch üblich oder nur den üblichen nachgebildet 
seien, mit Bewusstsein ihres eigentlichen Sinnes auf Menschen 
oder auf sachliche, zumal aber auf abstracte Begriffe angewendet 
werden um dieselben Wortspiels- und anspielungsweise characte- 
ristisch zu bezeichnen. Den Gedanken z. B., dass, wer mit 
Geräusch auftrete und reich sei und geben könne, mehr An- 
sehens geniesse als der Edle, oder abstr acter, dass Pralerei, 
ßeichthum und Freigebigkeit den Vorrang vor dem Adel haben, 
drückt nun Hugo von Trimberg im Renner 1600 fg. so aus: 
„Klinchart, Bichart und Gebehart sint werder vil denn Adel^ 
harif^. Namenbildungen solcher Art sind eine unterscheidende 
Eigenheit der lehrhaften und satirischen Poesie und Prosa in 
den letzten Jahrhunderten des Mittelalters^); die neuere Zeit 
braucht deren nur noch seltener, wie etwa, wenn der Wind und 
ein Räuschlein scherzweise Blasias oder Blasi genannt werden 
(Abrahams a S. Cl. Judas, Passauer Ausg. 4, 101; Schmeller 
1, 238; Schmid Schwab. Wb. S. 72). An die ältere Personi- 
ficierung der Dinge rühren dieselben dadurch, dass eben auch 
hier und mit Sach- und Sprachbewusstsein eine Personificierung 
Statt zu finden pflegt: aber es ist meist ein abstracter Begrifff 
der davon getroffen wird , und das Wortspiel und die Anspielung 
öffnen den W^ in die appellative Allgemeinheit. Jeder Neidische 
heisst ein Neidhart, und nach Miminc, ursprünglich nur dem 
Schwerte Wittigs, hat zuletzt jedes Schwert, das man rühmen 
oder von dem inan auch nur sprechen wollte, so geheissen. 


6) Vergl. Pfeiffers Gennania 14, 220. 


64 ^^^ deutschen Appellativnamen. 

Sollen diese drei in Ursprung und Sinn so verschiedenen 
Arten uneigentlich gebrauchter Eigennamen dennoch unter eine 
und dieselbe Bezeichnung zusammengefasst werden, so dürfte 
man vielleicht am schicklichsten Appellativname sagen: ein 
Ausdruck, der zugleich auf die Venrendung der Nomina propria 
für Appellativbegriffe und auf deren Verflachung in Appellativ- 
worte ^enge. Oder wäre gerade diese schillernde Mehrdeutig- 
keit gegen den Ausdruck einzuwenden? 

Indem ich endlich jetzt zu einer näheren Erörterung der 
deutschen Appellativnamen und somit dahin gelange, das bisher 
nur eingeleitete und umrissene auch im Einzelnen auszufahren, 
glaube ich es gleich im Beginn als eine mir bewusste und nicht 
ohne Widerstreben geflissentliche Absicht und Rücksicht aus- 
sprechen zu sollen, dass ich, so lockend und oft auch vortheil- 
haft sich die vergleichende Hereinziehung ausserdeutscher Bei- 
spiele anbieten mag, mich dennoch alles dessen enthalten werde, 
was über den Bereich deutscher Sprache und Sitte hinausgeht: 
ohne solch eine Beschränkung möchte es schwierig sein, die so 
schon übergrosse Masse des Stoffes zu bewältigen und den Leser 
durch eine noch länger sich dahin erstreckende Gleichartigkeit 
nicht noch mehr zu ermüden; mit solcher Beschränkung scheint 
immerhin der Bahmen aufgestellt, in welchen nun Jeder nach 
Belieben bald diese, bald jene Parallele von aussen her nach- 
tragen mag. Das Deutsche aber, das jedesfalls die grösste 
Menge und Mannigfaltigkeit hieher bezüglicher Beispiele ge- 
währt, ist dadurch am geeignetsten auch für die Betrachtung des 
Gegenstandes überhaupt die Grundlage herzugeben. 

L 

Wir besprechen zunächst die erste, älteste, alterthümlichste 
Classe der Appellativnameu, diejenigen Fälle, wp Gegenstände 
nicht menschlicher Art dennoch mit Namen nach Art der 
menschlichen belegt und diese doch nicht damit zu bloss appel- 
lativen Worten herabgesetzt werden. Es handelt sich hier um 
die Eigennamen für Waffen und Hausthiere und dergleichen 
andere Dinge, die dem Besitzer vertraulich nah gleich einem 
Familiengliede stehn, denen etwa eine dämonische Beseelung 
und somit in der That eine Persönlichkeit, eine göttliche sogar, 
inne zu wohnen scheint, die vielleicht auch wie Schwert und 


Die deutschen AppellatiTnamen. 65 

Helm und Panzer ein so seltener und kostbarer Besitz sind, 
dass sie nicht mehr in den gewohnten Bereich der appellativen 
Gattungsbegriflfe fallen: denn unter den Waffen zeigen sich nur 
Schwert, Panzer und Helm mit Eigennamen, Speer und Schild 
dagegen nicht ^). Das sind Anlässe und setzt Zustände voraus, 
die ganz in solcher Gestaltung und Wirksamkeit nur die früheste, 
die germanische Zeit gekannt hat, nur die Zeit noch, aus welcher 
Tacitus von den Tencterern berichtet „hi lusus infantium; haec 
juvenum aemulatio ; perseverant senes. inter familiam et penates 
et jura successionum equi traduntur: excipit filius, non ut cetera 
maximus natu, sed prout ferox hello et melior" (Germ. 32) und 
von den Germanen überhaupt, dass wohl jeder Krieger mit 
Speer und Schild bewaffnet sei, mit Schwert, Panzer und Helm 
jedoch nur wenige (Cp. 6), und Ammianus Marcellinus von den 
Quaden „eductis mucronibus, quos pro numinibus oolunt, jura^- 
vere se permansuros in fide" (17, 12; vgl. J. Grimms Mythol. 
S. 185®). In solcher und nur in solch einer Zeit lag eö denn 
auch mit vollster Natürlichkeit, ich möchte sagen mit Noth* 
wendigkeit nahe, dem ßosse, dem Schwert, dem Helm, dem 
Panzer seinen Eigennamen zu geben und einen Namen, der 
etwas bedeutete. Wie aber der Schwur auf das Schwert noch 
in den spätem christlichen Jahrhunderten fortgedauert hat (J. 
Grimms Rechtsalterth. S. 166. 896), und wie von den Personen- 
namen, die aus den Benennungen von Waffen und von wilden 
Thieren schon der kri^s- und jagdfreudige Sinn des Germanen 
gebildet, mancher sogar noch heut besteht, so hat auch die Sitte 
Bosse und Waffen eigens und bedeutsam zu benennen sich noch 
weit in das Mittelalter hinab vererbt, wo doch schon jeder edle 
Krieger seinen Helm und sein Schwert führte und jeder Bitter 
sein Boss; ja die wirklich belegenden Zeugnisse gehören, was 


7) Vereinzeltes Gegenbeispiel Skrepping^ in einem dänischen Helden- 
liede (Grimm S. 19) der Name Yon Wittigs Schild: W. Grimm, deutsche 
Heldensage S. 30S. 

8) Ein Zengniss, das noch schwerer woge, moss gleichwohl bei Seite 
bleiben, weil es nicht den Sachverhalt selber, sondern nur eine Taciteische 
Auslegung gewährt, die Stelle der Germania Cp. 18 „ — boves et frenatum 
equum et scutum cum framea gladioque. in haec munera uxor accipitur, 
atque invicem ipsa armorum aliquid viro affert. hoc maximum yinculum, 
haec arcana sacra,^hos conjugales deos arbi tränt ur". 

Waekernagel, Schriften. III. ^ 5 


()6 Die deutseben Appellativnamen. 

die Abfassung in Wort und Schrift angeht, sämmtlich erst dem 
Verlaufe des Mittelalters. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen, 
die meisten darunter und die eigentlich charactervoUen sind 
Zeugnisse aus jener Heldensage, deren Ursprung über das Mittel- 
alter zurückreicht, nicht aus dem Leben des Mittelalters selbst 
und der erst in ihm entsprungenen Dichtung. Zwar in dem 
ßolandsliede des Pfaffen Konrad (117, 13 fgg.) trägt Venerant, 
der Helm des Helden, als Inschrift einige Worte , die er selbst 
persönlich genug in erster Person spricht: „Elliu werltwäfen, di 
müzen mich maget läzen; mit du mich gewinnen, du fürest 
scaderi hinnen" (bei der Helminschrift im Orendel 1243 ge- 
schieht nur der Buchstaben, nicht der Worte Erwähnung); in 
demselben Gedichte 169, 20 fgg. 237, 3 fgg. und in der Klage 
847 fgg. weiden Schwerter Menschen gleich angeredet'), im 
Wigalois 168, 9 fgg. angeredet und geküsst, wiederum im 
EolandsUede 272, 16. 278, 8 (vgl. S. 343) gilt der Name des 
Schwertes Preciosa wie etwa sonst ein Heiligenname auch als 
Feldgeschrei, und wenn noch ein Sprichwort des 13. Jhd. auf 
eine Weise, die hier mit einschlägt, den getreuen Freund und 
das erprobte Schwert verbindet ^^): „gewissen vriunt, versuochtiu 
swert sol man ze nceten sehen" (Walther 31, 2; vgl. Freidank 
95, 18 u. V. d. Hagens Minnes. 3, 14 a), so mögen auch die 
bis in eben diess Jahrhundert beliebten Schwertinschriften ^ ^) 
gelegentlich mehr als bloss den Namen des Gebers oder Eigen- 
thümers (auf einem Basrelief im Kreuzgange des Zürcher Gross- 
münsters ein Schwert mit der Inschrift Gvido) und auch Worte 
von andrem Inhalt als jene auf dem Schwert Herrn Konrads 
von Winterstetten (Haupts Zeitschr. 1, 194), sie mögen ebenso 
wohl persönliche Rede gegeben haben, wie dort die Inschrift des 
Helmes Venerant; die Runen auf dem Schwertgriff im Beowulf 


9) Tizona und Jimena zusammengestellt: Cid 68. 

10) getriuwe friunde, versuochtiu swert sint in noeten goldes wert: 
Benner 17184. alter freund, altes weins, und alter Schwerter sol man sich 
trösten: S.Frank, Sprichw. 1, 81b. vergl. Albr. d. Eolbe 24c. d. Singen- 
berg 210, 17 fgg. Eyering S. 85 fg. 

11) Schwert des 18. Jahrhunderts mit der Inschrift ßenedictus deus 
meus: Hefher Trachten des M. A. 1, 88. Inschrift eines Schwertes in der 
Yisio Karoli: Graffs Sprachschatz 3, 855. 


Die deutschen Appellatiynamen. 67 

3381 fgg. enthielten zugleich mythische Erzählung und den 
Nam«n dessen, für den die Waffe zuerst war gefertigt worden. 
Wie tief aber doch auf diesem Gebiete die eigene frische Namen- 
schöpfung des Mittelalters sich allmäUch abgeschwächt, das 
zeigen, die überhaupt jetzt waltende Armuth an neuen Beispielen 
ungerechnet, am besten die Namen, welche man im 14. und 15. 
Jhd. dem Bosse des Meers, dem Schiff, beilegen mochte, so ganz 
unheldenhafte wie z. B. Kuh und Garn. Auch eine frühere 
Zeit, wie sie Menschen nach den edleren Thieren benannte, hatte 
ebenso Thiernamen auf Boss und Schiff übertragen: aber es war 
doch etwas anderes, wenn das Pferd Walthers von Aquitanien 
(Waltharins 327) und ebenso Hildebrands Lowe hiess (Dietrichs 
Drachenkämpfe Str. 108. 185), Dieterichs und Wolfdietrichs 
Falke (W. Grimms Heldens. S. 195. 208. 243; 236) und das 
Schiff Olaf Tryggvasojis Schlange oder Drache, altnordisch Qrm 
(dessen Saga Cp. 211). Die neueste Zeit nun gar i^egt auf 
die Thiere des Hauses Personennamen von solcher üeblichkeit 
anzuwenden und wechselt dabei so wenig mit verschiedenen ab, 
dass hier die Nomina propria sich fast gänzlich in den appella- 
tiven Sinn verlieren: wenn Hof für Hof alle Stuten Ldse und 
Haus für- Haus alle Canarienvögel Männi d. i. Emanuel heissen, 
so ist zuletzt zwischen lise und Stute, zwischen Männi und 
Canarienvögel kaum noch ein Unterschied. 

Genauer aufgezählt, sind die Gegenstände, für die sich 
Appellativnamen dieser ersten Art in Gebrauch zeigen, ScTiwerter, 
Helme, Panzer, Hörner, Binge, Bosse, Hunde, andre gezähmte 
und an das Haus gewöhnte Thiere, Schiffe, Geschütze, Thürme 
und Glocken. 

A. Schwerter persönlich und in männlicher Weise per- 
sönlich aufzufassen war durch das männliche Geschlecht der 
ältesten Appellativausdrücke, der gothischen Worte hairus und 
mekeiSy nahe gelegt; ja im Grunde beruhte schon eben diess 
Geschlecht auf soloh einer Auf&ssung. Den • Glauben dämo- 
nischer Beseelung versinnlicht die in den Sagen des* Nordens 
Öfter wiederkehrende Angabe, dass in Griff und Spitze ausge- 
zeichneter Schwerter Wurm und Natter wohnen (Mythol. S. 652) 
dem sich anschliessend, erzählt die christliche Dichtung von 
darein gelegten kostbaren Beliquien (BolandsL 239, 3 fgg.). Die 
yielen und mannigfachen Benennungen, die für das Schwert die 


68 Die dentsclien Appellatiynamen. 

altnordische Dichtersprache besitzt^*), . Appellati va vermischt 

mit Eigennamen, verzeichnet ein Gedicht der jüngeren Edda 

(Reykjavik 1848, S. 114 — 115), und theilweise erörtert dieselben 

Jac. Grimms Grammatik (3, 440 — 442); der gemeindeutschen 

Heldensage, mit Einschluss auch der engeren Sage von den 

Hegelingen, gehören folgende Namen zu. 

Adelring, in den dänischen Liedern das Schwert. Siegfrieds: W. 
Grimms Heldens. S. 307. Nach Snorra Edda S. 115 a war 
schon das einfache hringr ein Wort für Schwert; vgl. weiter- 
hin Nagelrinc, 

Balmunc^ in der deutschen Dichtung Siegfrieds Schwert; jüngere 
Entstellungen des Namens s. in W. Grimms Bosengarten S. 
V. Ich habe bereits anderswo (oben Bd. 1, S. 47, Anm. 6) 

' Herleitung von balma Felswand, Pelshöhle vermuthet. 

BiUerfSr, in Hornchilde und Bimenild (Heldens. S. 278) ein von 
Wieland . geschmiedetes Schwert und das Gegenstück zu 
Miming, sonst nirgend erwähnt; fer s. v. a. engl, fair, angels. 
fäger schön. 

Bldögäng, das Schwert Heimis, s. oben S. 61. 

Brinnig, nach Alphart Str. 350 Schwert Hildebrands. Aus 
Brinninc entstellt? Benennungen des Schwertes, die demselben 
einen bildlichen Bezug auf das Feuer geben, s. in J. Grimms 

' Gr. 3, 441. 

Däinsleif, in der eddischen Erzählung der Hegelingensage (Snorra 
Edda' S. M) das Schwert Högnis. Der Name erinnert an das 
hochd. tdtleibe, das Heergewäte, dessen symbolisches Haupt- 
stück das Schwert des Verstorbenen ist: Eeohtsalterth. S. 569. 
Haupts Zeitschr. 2, 543. 

Eckesahs, auch bloss Sahs und daz alte Sahs genannt (Heldens. 
S. 58), zuletzt im Besitze Dietrichs von Bern. 

Freise, nach Siegenot und Dietrichs Drachenkämpfen (Heldens. 
S. 267. 274) das Schwert Hüdebrands, 

Gleste, Schwert* Eckehards von Breisach, nur in Alpharts Tod 
Str. 380. 

Gram, der altnordische Name von Siegfrieds Schwerte: so in den 
Prosazusätzen zu den Sigurdsliedem und in der Yölsunga 
Saga; auch von dem Verfasser der Thiöriks Saga gebraucht, 
Cp. 167. 190. 219. 222. 

12) [Tyrfing: Hervarar Saga Cap. 2.] 


Die deutschen AppellatiYiiainen. 69 

Hombil oder HornhU, Schwert Biterolfs 12261, d. i. ein Schwert 
oder Beil, das die Hornschuppen des Panzers zerhaut. 

Hrdtti, von Sigurd in dem Schatze Fafnis gefunden und mit 
daraus entfuhrt: scheint so als Eigenname nur in dem pro- 
saischen Schlusszusatze zu Fafnis mal, sonst ein Appellatiyum. 

Lagulf d. h. Stechwolf, wiederum ein Schwert des alten Hilde- 
brand: Thiöriks Saga tp. 389. 

Miminc, in der Thiöriks Saga Mimüng, im dänischen Helden- 
liede (Heldens. S. 308) Mimring, auf deutsch auch in Meinung, 
Menung und sonst entstellt und zugleich mit Balmung ver- 
wechselt (Heldens. S. 245. 320. Eoseng. S. V), das Schwert 
Wittigs. 

NagdrinCy Schwert Heimes: ein aus Nägeln zusammengeschmiede- 
tes? vgl. oben Adelring. BeowuKs Schwert heisst Z. 5354 
patronymisch gebildet Nägling^^). 

Rose, das Schwert Ortnits, dann seines Erben Wolfdieterich, 
durch Namenverwechselung auch auf Dietrich von Bern über- 
tragen: Heldens. S. 227. 234. 250. 

Schrit, ein zweites Schwert Biterolfs 123: das schlangenartig 
gleitende (Schmeller 3, 519) oder dem lat. Gradivus zu ver- 
gleichen. 

Waske oder Wasche d, h. Baske, im Biterolf 12285 Schwert 
Walthers von Spanien, im Nibelungenliede 1988, 4 Irings. 
Endlich 

Welsunc, zuerst wiederum Biterolfs, dann seines Sohnes Dietleib 
Schwert: Heldens. S. 16. 148. 280. Ein Wort mit dem 
Manns- und Geschlechtsnamen althochd. Welisunc, altnord. 
Völsüng, angels. VcUsing, über welchen J. Grimm in Haupts 
Zeitschr. 1, 3 zu vergleichen. 
Nicht ohne Beflissenheit werden im Biterolf 12291 fgg. 

sieben dieser Schwerter, Hombil, Welsunc, das alte Sahs, Miminc, 

Nagelrinc, Balmunc und Waske, dicht nach einander aufgeführt: 


13) [Hrödgärs Schwert Hrunting: Beov. 3317. vergl. den ahd. Namen 
Hruftzolf: Pörstemann 1, 748. — ein suert, "daz hiez mal (:stäl): Roth. 
4153. — Schwert einem Waldmanne Mimring von Hother abgenommen: 
Saxo Gramm. S. 40. — Nagelring: Nagel Verzierung? vergl. nägledbord 
EttmüUer S. 233. näglede heägas Grein 1, 247, 34. Zarncke mhd. Wörterb. 
2, 1, 297. 298. — niederd. Osterspiel bei Mone 2, 39: ein ßitter ,min 
swert dat het klinghe*.] y^fTj 


^FO# 


70 ^0 deutschen Appcllativnamen. 

die zumeist aber darunter gefeierten sind Eckesabs, Miminc und 
Nagelrinc, die so auch Heinrich v. Veldeke in seiner Aeneide 
160, 22 fgg. zusammenstellt: „dar zu sander ime ein swert, 
daz scharpher unde herter was dan der t&re Eckesas noch der 
märe Mimink noch der gute Nagelrink^S Jedes derselben hat 
von dem Schmied an, der es fertigt, und dann, wie es von 
einem Helden an den andern kommt, seine ganze Geschichte 
(vgl. W. Grinuns Heldens. S. 56 — 59), die ausgeführteste 
Eckesachs, den zuletzt f)ieterich von Bern besitzt, einst aber im 
heidnischen Mythus ein Gott mag besessen haben. Da nämlich 
neben Eckesahs auch die Form Uokesahs oder Üekesahs erscheint 
(vckesachs als Variante zu Aen. 160, 22), so kann hier ecke 
nicht wohl wie sonst die Schärfe des Schwertes, sondern wird 
in verhärteter Form das althochd. egi Schrecken sein, Eckesahs 
also gleich jenem Freise, den Hildebrand führt, ein Schreckens- 
schwert bedeuten ^^). Ganz so hat, mit einem Laute, welcher 
der Form Üekesahs an die Seite tritt, der alte Norden in Sage 
und Sprichwort einen Helm des Schreckens, (Bgishitüm: Oegi aber 
oder, wie es auf althochd. heissen würde, TJogi, Uoki ist ein 
Meergott (J. Grimms Mythol. S. 216 fg.). Nach dem Dresdener 
Texte des Liedes von Ecken Ausfahrt Str. 85 haben den Ecke- 
sachs drei Zwerge geschmiedet: „das machten di*aw gezwerge^^; 
hier nun ist zwar die ältere Lassbergische Lesart „Das smittont 
vil getwerge" (Str. 79) grammatisch richtiger: wirklich aber 
kommen anderswo, sagenhaft verbunden und mit Angabe der 
Namen, drei Schmiede berühmter Schwerter vor: im Biterolf 
126 fgg. sind es Mime, Hertnch und Wielant, in dem franzö- 
sischen Prosaromane von Fierabras (das ältre Gedicht hat nichts 
dem entsprechendes) die Brüder Ainsiax, Magnificans und Galand 
(Heldens. S. 43), d. h. wiederum Wielant, während Ainsiax zu- 
gleich Missverstand und Entstellung von Eckesahs sein mag. 


14) Nur wie ein Spass kUngt, so ernstlich sie auch gemeint sein wird, 
die Namenserklärung in der Thidriks Saga Cp. 98: That sverd hcitir 
Eckisax, thvi heitir that sva, at eckt sax ne sverd var iamgott borit 
or eldi''. Empfohlener schiene die Herleitung Ton dem Namen Eckes, des 
letzten Besitzers vor Dieterich, wenn dem nicht schon manch andrer Be- 
sitzer vorangegangen und wenn die alsdann gebührende Form Ecken sahs 
öfter und besser als durch ein einziges spätes Beispiel (Ecken Ausfahrt, 
V. d. Hag. Str. 205) belegt wäre. 


Die deutschen Appellativnamen. 71 

Dort im Biterolf scfamieden Mime und Hertrich zusammen zwölf 
Schwerter, und von diesen zwölfen scheint die Sage auch sonst 
erzählt zu. haben (W. Grimms Roseng. S. V fg.); ein dreizehn- 
tes, Miminc, schmiedet nicht, wie man erwarten sollte, gleich- 
falls Mime, sondern Wielant, der Vater Witeges, für diesen 
seinen Sohn: ebenso ist in der ThiÖriks Saga Cp. 67 Mimung 
ein Werk Velents. Im Fierabras aber fertigen Galand und seine 
Brüder je drei Schwerter und lauter solche, die in der Karls- 
sage der Franzosen namhaft sind: die namhaftesten hievon fügt 
auch Veldekes Aeneide sogleich jenen drei deutschen bei, „noch 
Haltecleir noch Durendart", das erstere Oliviers, das letztere 
Rolands Schwert ^5). 

Von Durendatt oder Dumdart handelt ausführlicher unsers 
Pfaffen Konrad Gedicht S. 117 fg. und 237—239, womit in 
W. Grinmis Anmerkungen S. 338 fg. die anderweitigen Nach- 
richten über die Geschichte dieses Schwertes zu vergleichen; den 
Haltecleir nennt Konrad 190, 13 u. a. Älteclere als schwaches 

« 

Masculinum. Die ausserdem noch bei ihm auftretenden Schwert- 
namen sind Älmice 232, 7, die Waffe Erzbischof Turpins, 
ClarMtne 169, 15 u. 21, des Herzogs Engelirs, Joidse 291, 14, 
Kaiser Karls selbst (und des Markgrafen Wilhelm: Schoyüse 
Wilh. 37, 10 u. s. f.), Mugelar oder Midagir 58, 1 (vgl. S. 320), 
Herzog Geneluns, und endlich Preädsa 272, 7, des Heiden- 
königes Paligan. Mugelar (ich weiss nicht, ob eine französische 
Entstellung des althochd. mttchildri sicarius; vgl. müchilswert 
sica) hat zuerst dem Herzog Naimes von Baiern gehört (58, 14) 
und ist das Werk eines bairischen Schmiedes, Madelger zu 
Regensburg (58, 17): in Verbindung mit dem, wie Konrad noch 
sonst die scharfen Schwerter der Baiem rühmt (238, 4. 266, 13), 
auch diess ein mittelalterlicher Nachklang des altgepriesenen 
Noricm ensis: vgl. Haupts Zeitschr. 9, 563 fg. (oben Bd. 1, S. 60). 
B. Namen der Helme sind uns viel weniger zahlreich als 
der Schwerter überliefert, und es ist das schwerlich ein Mangel 
bloss der Ueberlieferung. Mochte auch der in mannigfacher 
Thiergestalt gebildete Helmschmuck, der uns für die Cimbrischen 
Reiter (Plut. Mar. 25), für die Galater Diodors (5, 30), für die 


15) Französische Schwertnamen: Tobler, Epos d. Fr. 200 fgg. Cids 
Tizona: yergl. tizon titio. 


72 Die deatBchen Appellatiynamen. 

Angelsachsen (J. örimms Andr. u. Elene S. XXVni u. Mythol. 
S. 195) bezeugt ist, dieser Schutzwaffe ein lebensvolleres An- 
sehen geben, sie war doch eben stets nur eine Schutzwaffe und 
als solche selbstiin dem heldenhaftesten Kampfe stets nur leidend 
betheiligt, nicht wie das Schwert mithandelnd und gleichsam 
ein Geföhrte des Kämpfers. Zudem ist die Sitte des Helm- 
schmuckes, in Deutschland wenigstens, gleich mit dem Beginn 
des Mittelalters wieder abgängig geworden und erst, da das 
Bitterthum sich ausgebildet hatte, von neuem entstanden; Wilh. 
örimm (Haupts Zeitschr. 2, 251) meint sogar, erst im drei- 
zehnten Jahrhundert, und allerdings zeigen z. B. weder die alten 
Bilder zum Rolandsliede noch die der Herrad einen Schmuck 
des Helmes: indess kommt ein solcher, mit einer phantastischen 
Uebertreibung , die dem Werth des Zeugnisses keinen Abbruch 
thut, bereits im Orendel vor, Z. 1245 fgg. 

Oegishialm, dessen schon vorher S. 70 Erwähnung ge- 
schehen^®), ist weder in Sinn noch in Bildung ein Eigenname: 
wohl aber sind das zwei andre altnordische Worte, Hildisvin 
und Hildigölt (Snorra Edda S. 82), beide für uns noch in so 
fem von besonderer Bedeutung, als sie nun auch für den scan- 
dinavischen Norden das sonst nur bei den Angelsachsen nach- 
weisbare Eberbild des Helmes darthun: denn göU heisst Eber. 
Gleichfalls mit hiUja Kampf, altnord. hild zusanmiengesetzt und 
die Umkehrung des Weiberaamens GrimhiU ist Hütegrim oder 
Hildegrin, der Name von Dietrichs Helme (Heldens. S. J69); 
die Thiöriks Saga Cp. 17 will denselben nach Grim und Hild, 
einem Riesen und dessen Weibe, denen Dietrich diess kostbarste 
Kleinod abgenommen, benannt wissen: natürlicher aber ist eben 
an das appellative hild und an grima Maske oder Helm zu 
denken ^^). Bei Wittig zwei Helmnamen, mittelhochdeutsch 
Limine (Biterolf 161, im Alphart Str. 449 entstellt Lone\ im 
dänischen Liede Blank: Heldens. S. 3Q8. Der erstere mag 
wieder in alterthümUchem Bezüge auf den Eberschmuck stehn, 
da limmen (s. Müllers mittelhochd. Wörterb.) besonders von 
dem Knirschen des Ebers gebraucht wird. Aus der Karlssage 


16) [egiagrtmolt dcetnon : Graflfs Sprachschatz 1 , 1 04. vergl. Mythol. S.2 1 8.] 

17) Der erste Begriff wird der einer Maske sein, wegen des Zeitworts 
grinen, greinen lachend oder knurrend oder weinend den Mund verziehen. 


Die deutschen Appellati vnainen. 73 

den Venerant Rolands haben wir schon oben S. 66 kennen 
lernen. 

C, Panzer haben noch seltner als die Helme Namen ge- 
führt; der örund ist derselbe wie bei diesen. Die Lieder (Lassb. 
Str. 77 fgg., V. d. Hag. Str. 85 fgg.) sprechen z. B. ausführ- 
lich genug wie von Eckes Schwerte, so auch von dessen Helm 
und Brünne: aber nur dem Schwert wird dabei eine Name ge- 
geben. Ich kenne nur einen altnordischen Fanzemamen, Finns- 
Idf, aus Snorra Edda S. 82. 

' D. Ein Hörn mit eigenem Namen ist Rolands Olivant oder 
Olifantj beim Pf. Konrad 214, 27, beim Stricker 8126, u. a. 
(Tobler, a. a. 0. S. 203). Ursprünglich (der Lautwechsel ist 
derselbe wie im goth. ulbandus, althochd. olpentd, mittelhochd. 
olbente Kamel) bezeichnet das altfranzösische olifant den Ele- 
fanten, dann den Elefantenzahn und das Elfenbein : s. W. Grrimms 
Anm. S. 338. Den gleichen Fortschritt der Begriffe zeigt uns 
später in der Schweiz der Stür von Uri, ein zum Blasen her- 
gerichtetes Auerochsenhorn. Die zwei Homer, mit denen von 
einem inneren Thorthurme der Stadt Breslau Peuerlärm ge- 
blasen wird, heissen Kuh und Kalb, 

E. Benamte Ringe sind Oöins Draupni (Mythol. S. 528. 
1227) und Aöils von üppsal Sviag^-ts (Snorra Edda S. 82). 
Ändvara naut dagegen, der Pluchring unserer Heldensage (W. 
Grimm S. 385 fg.), ist so wenig ein Eigenname als Brisinga 
mm, das Halsband Freyjas (Mythol. S. 283), das im Beowulf 
2403 als Brosinga mene und als Schatz und Beute irdischer 
Helden wiederkehrt. 

F. Der Rosse^®) erstes ist Sleipni, Oöins Ross (Mythol. 
S. 140): „3eztr ioa Sleipnir*' Grimnis mal Str. 44. Dem ir- 


18) [Bosse Hectors: IL 8, 185. Achills: II. 16, 149 fg. 19, 400. redend 
ebenda 404 fgg. weinend 17, 426 fgg. vgl. Isidor. Orig. 12, 1; Adrasts 
Arion, weissagend (vocalis) Prop. 2, 34, 37; Marcos Scharatz weinend Talvj 
1, 240; sprechende Bosse in Dietr. russ. Volksm. S. 18. 43. 48. Talvj 1, 
15. 2, 81. vergl. Bileams Eselin 4. Mos. 22, 28 fgg. In Grimms Märch. 
no. 126 ist das sprechende Boss ein verwünschter Prinz, »eine Gottheit lebt 
in einem edeln Bosse': Somadeva 2, 9. vgl. Alexanders Bukephalos, Cids 
Babie9a, Pontifer Kaiser Octavians, Don Quixotes Bocinante (Diez Wb. 
1, 359); Bosse werden menschlich persönlich bezeichnet: Benner. Läufer 
(Micha 1, 13). Araber u. s. w. kastelän. spanjöl.] 


74 1^1® deutschen AppellatiTnamen. 

dischen Herren folgt gleich anderen Dienern das Bobs auch in 
das Jenseits mit: es wird mit ihm verbrannt (Tac. Qerm. 27, 
Snorra Edda S. 38), mit ihm geopfert (Dietm. y. Merseb. 1,9. 
Ausg. V. Wagner S. 13, Adam v. Bremen 4, 27); und so für 
eins gilt es mit seinem Beiter, dass sogar in Bezug auf Odin 
und dessen achtfüssigen Sleipni ein altnordisches Bäthsel fragen 
kann (Hervarar Saga S. 175 Suhm) „Wer sind die zwei zu 
Dinge fahrenden? Sie haben zusammen drei Augen, zehn Füsse 
und einen Schweif." Noch weiter greifende Vermenschlichung 
lässt Bosse und selbst noch den Schädel eines getödteten mit 
dem Herren sprechen (Märchen d. Br. Grinmi Nr. 89 und 126), 
die Annahme dämonischer Beseelung sie Weissagungen ertheilen 
(Tac. Qerm. 10; de auguriis vel avium vel equorum: Indiculus 
paganiarum 13). 

Sleipni wird zum angelsächs. sUpan, hochd. slifen gleiten 
gehören, ein andrer altnordischer Name, Slüngni, E. AÖils von 
Uppsal Boss (Snorra Edda S. 83), zu diunga schwingen ; Hrafn, 
das Boss E. Alis von Norwegen (ebd. S. 82), bedeutet Babe. 
Die Heldensage nennt folgende. 

Bdche, das Boss Dietrichs: W. Grimms Heldens. S. 127. Ap- 
pellativ ist hdche, ahd. pelichä, pelaha das schwarze Wasser- 
huhn mit einem weissen Hautfleck über dem Schnabel; dieses 
Merkmales wegen wird es auch Blässhuhn oder Blässlein ge- 
nannt und ebenso ein Pferd mit derselben Zeichnung der 
Stirne Blass oder Blässei (Schmeller 1, 238). 
Benig, Mönch Ilsans Boss: Boseng. v. d. Hag. 451; ich denke, 

von bane, banen, ahd. pandn. 
Blanke, wiederum Ilsans oder Dietrichs: Heldens. S. 209. 
Falke: s. oben S. 67. 

Grani, Siegfrieds, altnordisch: SigurÖar qviöa 1, Str. 5. 13; 
Prosaeingang der zweiten und Prosaschluss des Fafnis mal; 
ThiÖriks Saga Cp. 167 u. s. f. Der Norden scheint selbst 
den Namen auf grä grau und gräna grau werden bezogen 
zu haben, da anstatt Grani in SigurÖar qviÖa 3, 10 grä ior 
graues Boss gesagt wird. [s. v. a. bärtig. — grama: H. Sachs 
2, 201. graman Grauschimmel? Hub 2, 49.] 
[Kerne: Fragm. XXXVHI c] 
Lewe, Leo: s. oben S. 67. 


Die deutschen AppellatiTnamen. 75 

„KüedegSrs ros Poimutü^^: Klage 1426; in der Form Bohemund 
ein bekannter Mannsname. 

Rispa, Heimis: Thidriks Saga Cp. 19. Nordisch ist rispa, 
hochd. respen raffen, rupfen. 

JSftöcA«, Eckehards: Biterolf 10227; verkleinert £o«rA2lii: Alphart 
445. Vgl. rosch, althochd. rosk rasch, munter. 

Schemine, Schemminc, nord. Sketnning, in den dänischen Liedern 
Skimming, Wittigs Boss: Heldens. S. 195 fg. 308; nach 
Thiöriks Saga Cp. 91. 190 der Bruder Falkos, Granis und 
Bispas, nach Boseng. y. d. Hag. 442 auch Benigs. Von scheine 
Schimmer und s. v. a. unser neuhochd. Schimmd? 

Sviptdh^ Svegjot, SporvUni, Mdni, Mylni Bosse der Granmars- 
Söhne: Helga qyiöa Hundings bana 1, 46. 50. Svipa heisst 
schwingen, sveigja biegen, Sparvüni ist der Spurwissende, 
Mdni wie Mylni der Stiebende, Stäubende. 
Aus der Earlssage und sonst französischen Ursprunges sind 

[Tobler a. a. 0. 204 fg.]: 

Bayart, das Boss der vier Heimonskinder. 

BonthaH, des Grafen Budolf 25, 3. 22. 24. 26. Von bondir 
dröhnen, schmettern (Diez Wb. 2, 231)? [hondir springen]. 

Brahdne, Terramers: Wilh. 21, 17 u. s. f. 

Entercadovy Kaiser Karls: Bolandslied 265, 11; vgl. S. 342. 

[Faris, Gr. Budolfe 8. 25.] 

Gratamunt, Valdepruns: Bolandsl. 187, 11; vgl. S. 332. 

Oringidjete, von Muntsalväsche gekommen (Farziv. 340, 1), zu- 
erst von Läheltn erbeutet (261, 28. 340, 2), dann seines 
Bruders Orilus (540, 30), zuletzt Gawans (339. 27. 541, 1). 

Gumrjorz, des Königs Clamid§: Farziv. 210, 7. 211, 14. 

Ingliart, Gawans, dann Parzivals: Farziv. 389, 26. 398, 14. 

Lignmaredi, des Foydwiz: Wilh. 420, 23. 27. 

Marschibeiz, Talimons: Wilh. 56, 26. 57, 5. 

Puzät, Puzzät, Wilhelms: Wilh. 37, 11. 56, 11 u. s. f. 

VcUentich Stricker 4067 u. s. f., Velentich Ff. Konr. 118, 19 
u. s. f., das Boss Bolands. 

VoMin, Arofels, nach dessen Tode Wilhelms: Wilh. 81, 1. 82, 
4 u. s. f. Vermischungen und Verwechselungen von Valentich 
und Volatin weist W. Grimm Märch. 3, 158 nach, indem er 
als weitre Aenderung auch Fdlada, den Namen des wunder- 
baren Fferdes im 89sten Märchen, mit herbeizieht. 


76 1^16 deutschen Appellatimamen. 

ünsre Zeit schreibt in den Ställen der Vornehmen übei* den 
einzelnen Pferden auch allerhand vornehme Namen an, franzö- 
sische, wie vielleicht schon die Bitterzeit den Bittergedichten 
nachgemacht, englische, morgenländische: der gemeine Mann 
bleibt bei heimathlich gemeineren , nur eben auch zu allgemeinen : 
Tausende von Gäulen heissen da des weissen Stirnfieckens wegen 
Bloss oder Blässd (S. 74) oder, indem man ihnen beson- 
ders häufige und dadurch halb entwerthete Menschennamen 
giebt, Hans und Hansel und Hainzel und Hienz, wenn sie 
männlichen (Schmeller 2, 215. 220), Lise und Lisd, wenn sie 
weiblichen Geschlechtes (ebd. 499), Hankelein, wenn sie noch 
jung (ebd. 214), und Nickel, wenn sie von kleiner Art sind 
(Frisch 2, 17 c. Schm. 2, 677; Bräunl ebenda 1, 259). 

G. Fast mehr noch als das Pferd hat von je her der Hund 
einer Eigenbenamung werth und bedürftig erscheinen müssen: 
denn er tritt dem Menschen in noch viel stärkerem Maasse und 
viel mannigfacher gemüthlich nahe. Die liebreiche Schmeichelei, 
deren er fähig ist, die Künste, zu denen er in seiner Gelehrig- 
keit kann abgerichtet werden, erschienen gelegentlich so wunder- 
bar, dass man jene von dem Innewohnen der Seele eines früheren 
Menschen, diese von dämonischer Eingebung herleiten wollte, 
und weil er die Sprache des Menschen versteht, liess man ihn 
epischer Weise wohl auch selber sprechen. In einer Erzählung 
Bruder Johannes Paulis (Schimpf u. Ernst Ixviij, Prankf. 1538: 
Leseb. 3, 1, 77) „Also hett auch einer ein hund, der künde 
sich wol lieben, das mann sprach nach ettlicher irrung, er wer 
ein mensch gewesen in der alten ehe.^'; so ferner im Buodlieb, 
wo ein Hund^^) es herausbringt, wer seinem Herrn die Sporen 
weggenommen, und der Entwender nun sagt „Hsbc a sella de- 
nodavi modo vestra: Tunc ibi nemo fuit viventum nemoque vidit, 
Neve canis sciret, a dsemone ni didicisset^^ (13, 63), und in 
einer späteren deutschen Dichtung dieses Gespräch zwischen 
einem Mann und seinem Hunde Willebrecht (Liedersaal 1, 297): 
„Er sprach „Lieber hunt min. Weitest mir gevolgic sin, Daz 
würde dir her nach guot. Und tastest mir nach mtnem muot.'* 
„Herre, daz tuen ich gerne; Und solt ich [varn] g§n Salerne, 

19) Schwed. Märchen S. 238 fgg. die drei wunderbar kräftigen, auch 
sprachbegabten Hunde Hall, Slit und Ly. — xuve? l^vSoSot: PoU. onomost. 
5, 42—98 (Bekker). 


Die deutschen Appellati vnameii. 77 

Dar zuo wolt ich sin bereit." Er sprach „Du bist mtn hunt 
gemeit. Du solt lernen eine kunst, Zelten wol mit vernunst." 
„Daz sol sin, lieber herre min." Indess auch ohne solche 
Abenteuerlichkeiten schon die Wirklichkeit des alltäglichen 
Lebens empfahl dieses Thier ganz besonders zur namengebenden 
Yermenschlichung. Es galt ja von allen, was das eben ange* 
führte Gedicht von dem Hunde Willebrecht sagt: „Der tet als 
ein getriuwer knecht, Der stnem herren ist getriu"; es galt von 
den tapferen und klugen Jagdhunden, die deshalb auch einst 
dem gestorbenen Herrn zusammt dem menschlichen Knechte auf 
den Scheiterhaufen und den geopferten in die Opferung und das 
Jenseits folgten (Edda d. Br. Grimm 1, 272 fg.; Dietmar v. 
Merseburg S. 13, Adam v. Bremen 4, 27), wie von den kleinen 
zierlichen, die eine Kurzweil der Frauen waren '^) und ihnen 
noch auf dem Grabstein pflegten unter den Fuss gelegt zu 
werden, und von den Hunden, welche die Heerde, wie von denen, 
die das Haus behüteten. Getreue Diener dieser letzteren Art 
hatten selbst die wandernden Gimbern mit sich geführt, zum 
Schutz ihrer Wagenhöuser (Canes defendere Oimbris caesis domus 
eorum plaustris impositas: Flin. H. N. 8, 61); das Mittelalter 
gab ihnen schon eine Appellativbenennung ganz persönlichen 
Sinnes: es nannte solch einen Hund hovaivart d. i. Hofhüter, 
wie es einen Thürhüter turiwart nannte^ und hovewart selbst 
war auch s. v. a. miles (Graflfe Sprachsch. 1, 956), bezeichnete 
den kriegerischen Diener eines Fürstenhofes, wie jetzt in Baiem 
Husswackerl sowohl ein Hund als ein Mensch ist, der von Allem 
Laut giebt*^). Und während es nicht an Erzählungen fehlt, die 
veranschaulichen sollen, wie der Hund ein getreuerer Freund sei 
als selbst das Weib (Märchen 3, 171. Aufeess Anz. 2, 239), 


20) „Wie ist gestalt ir hündeltn, Daz bi ir loufet wnnneclich?'' Hätzi. 
223 a. „Cleine hündlin, salterbuoch Si m den schdzen valten" (schnell 
aufspringende Pranen) Dietr. Drachenk. Str. 230. Bilder in der Pariser 
Handschrift der Lyriker: v. d. Hagens Minnes. 4, 111. 123. 142. 251. 625 
u. a. [Hund Geschenk an die Geliebte: Shakespeare two gentlemen of 
Verona 4, 4.] 

21) Schmeller 4, ^0. Huss hat hier nicht den Sinn des Hetzens 
(ebd. 253. Abr. a SCI. Judas 5, 341), sondern den des Heransrufens: vgl. 
in der Vita Hludowici Cp. 64 (Pertz Monnm. 2, 648) „indignando qno- 
dammodo bis dixit htitz, hutz, quod signilicat foras." 


78 Die deatschen Appellatiynameii. 

ist auch nach der rauhen Auffassung des alten Bechtes nicht 
das Weib, sondern es ist der Hund und mit ihm etwa Hahn 
und Eatze das Merkmal menschlicher Wohnung und Haus- 
haltung ''); da war zu acht Menschen der Hund der neunte 
(Bechtsalterth. S. 588), und wer in gegebenen Fällen keinen 
menschlichen Zeugen hatte, brachte dafür seinen Hund mit vor 
Gericht: so giebt Joh. v. Müller (Schweizergesch. 1816. 4, 26) 
folgende Bechtsübung des alten Sissgaus [vgl. Weist. 4, 470]: 
„Wer bei einem ganz ohne Hausgesinde lebenden Mann nach 
der Nachtglocke mörderlich einfiel, dessen Frevel, wenn er um- 
gebracht wurde, bewies der Angegriffene so, dass er drei Halme 
von seinem Strohdach, seinen Hund an einem Seil (hatte er 
keinen Hund, entweder die Eatze, welche bei dem Heerd ge- 
sessen, oder den Hahn, welcher bei den Hühnern wachte) vor 
den Richter nahm und schwur.^^ Noch heute gilt ein Schiffs- 
wrack, auf dem nur ein lebender Hund noch sich befindet, nicht 
für gänzlich verlassen und herrenlos. 

unter solchen Umständen haben die mannigfachen. Namen, 
die auch der Hund empfieng, ursprünglich mehr als bloss den 
Sinn eines Bufes gehabt. Die Beispiele aber, die noch aus 
früheren Zeiten (wir wollen hier bis in das siebzehnte Jahrhundert 
rechnen) übrig sind, vertheilen sich sehr üngleichmässig. Namen 
von andern als Jagdhunden haben die alten Quellen nur selten 
Gelegenheit anzubringen: doch ist Oarm, von dem Grtmnis mal 
Str. 44 sagt, dass er der erste der Hunde sei, der Hofwart der 
Hölle (Völu spä Str. 41. 49). Ein besonders häufiger Haus- 


22) Kechtsalterth. S. 588. vgl. 697. 698. Hund und Hahn : J. Grimms 
Weisthümer 2, 508; Uhlands Yolksl. S. 524. Hund und Katze: Weistb. 
2, 384. 3, 34. Hund, Hahn und Eatze: ebd. 2, 308; schon Reinmar v. 
Zweter (y. d. Hagens Minnes. 2, 207 a) „der hunt, diu katze und ouch der 
han heizent hüageneie. [mit eim sim knecht und stnem hunde . . . and 
sfner katz und mit sinem geseUen: Weisth. 4, 322. Esel mit Hund, Hahn 
und Katze: Märch. 27. Froschmäus. 3, 1, 8. Hund, Hahn und Katze Be- 
wohner eines einsamen Jagdschlosses: Wuk Stephanowitsch Karadschitsch 
Yolksm. d. Serben S. 201. 204. Hund und Hahn über das Geschick ihres 
Herrn sich unterhaltend: ebenda S. 22. Sprache des Hundes und Hahnes 
verstanden: Elegast 766 fgg. Königstochter mit einer Dienerin, mit Hund 
und Hahn in einer Erdhöhle: Schwed. Märchen S. 320. — Katzen. Hund: 
Mythol. Abergl. 155. 499. Katze und Hahn: Weisth. 4, 312. Hahn: 
Weisth. 3, 308.] 


Die deutsclieii Appellatiynainen. 79 

hundname scheint Wacker d. i. wachsam gewesen zu sein'^, 
zugleich einer der ältesten und schon germanischen Manns- 
namen: bereits bei Agathias kommt ein Yarine Vakkaros vor 
(Förstemanns Altd. Namenb. Sp. 1224). In einem satirischen 
Thierroman von 1625, dem Eselkönig, heisst der Hund „Herr 
Wacker, ein Engelländer 'S und bekleidet am Hofe des Löwen 
das Wachtmeisteramt. Wenn aber die jetzige Sprache und 
schon hundert Jahre vor dem Eselkönige Hans Sachs den glei- 
chen Namen lediglich im Sinne von Hund überhaupt verwenden 
(„So will ich mein grossen Wacker mitnehmen", „Wo ist mein 
Wäckerlein? ^'^ Schmeller 4, 19), so beweist diese appellative 
Schwächung die Häufigkeit des Gebrauches. Für Hirtonhunde 
haben wir in der Olaf Tryggvasons Saga Cp. 35 den nordischen 
Namen Vigi, der sich dem althochd. Mannsnameu Wigo, appel- 
lativ s. V. a^ Kämpfer (mdartvigo rebellis: Sprachsch. 1, 707) 
vergleicht, im sechzehnten Jahrhundert bei Burkard Waldis Strom 
(Esop 3, 5. 4, 94), Oreiff^^) und Trostrein (4, 94): letzteres 
wird den Beschützer der Schafe auf den grasigen Abhängen be- 
zeichnen sollen, Strom aber wie der überall durch Deutschland 
beliebte Name Wasser [Wassermann], der niederdeutsche Bin 
(Reineke 1770), der bairische Donau (Schmeller 2, 253), der 
basellandschaftliche Birs in einem Aberglauben begründet sein: 
der Name Wasser, hat mir einmal ein märkischer Bauer erklärt, 
schütze den Hund gegen die Erdmännchen, Element gleichsam 
gegen Element. KoUel (Schm. 2, 290) meint wohl nur einen 
schwarzen Hund: in der Schweiz werden besonders Pferde von 
solcher Farbe Koli oder KcUi genannt. Ein Frauenhündchen ^^), 
dergleichen die Frauen als Liebespfand auch an Männer schenk- 
ten, ein flämisches, welches Low heisst, also wohl einen so- 
genannten Löwenhund, hat Joh. Pauli in der schon oben S. 76 
angezogenen Erzählung eines auch sonst vorkommenden Schwankes, 
ein andres mit dem l^d^xn&fi Angst eine Geschichte des Augs- 
burger Bäthselbuches aus dem Beginn des 16. Jahrb., BL c üij 


23) Ags. Eddvacer: Höpfners a. Zachers Zeitschr. 1, 217. Wickerlin 
Weckerlin: Garg. 310 b (307 b.) — da Ht min hunt, der heizet Grin: 
Fragm. XXXVnic. 

24) GreyfF, Halt: Froschmäns. E. Sa. 

25) Ein Frauenhund heisst Swänke: Lauremberg Satir. 1, 82. 


80 1^0 deatscljen AppellatiTnamen. 

rw.: „Es schanckt ain klosterfraw ainem edelman ain hondt. als 
aber der edelman eylent ynd haimlich von dannen muosst vnd 
des hunds namen zuo fragen vergessen het. schickt er sein 
knecht wider hinder sich in das kloster den namen zuo erlernen, 
do er dann der frawen drey bey ainander fand, sprechen [1. sprach 
er]. Ich frag euch all drey. ich waiss nit welch es sey. die 
mir mag sagen, wie hayst das. sy weyss wol was. die zwo ver- 
wunderten sich der frömden red. des gleichen stellt sich auch 
die rechtschuldig, vnd sprach, ich will den gauch schon ab- 
fertigen, ein thoret red darff kainer weysen antwurt. vnd sagt 
dem gedachten knecht. dir ist als mir. also heyst das. du weisst 
wol wa^. das sag dem. du weisst wol wem. Nun ist die frag. 
Wie der hundt gehayssen hab. Antwurt. Angst, dann es was in 
bayden der guotten frawen vnd dem guoten gesellen angst". 

Es sind zumeist Namen von Jagdhunden, die uns über- 
liefert werden: von diesen, den Geföhrten einer friedlichen Kriegs- 
lust, deren schon das früheste Mittelalter eine grosse Mannig- 
faltigkeit sorgsam gehegter Arten zeigt (Lex Alam. 82, Baiwar. 
19 und darnach später das Schwab. Landr. 278), kann eben 
auch die erzählende Dichtung eher sprechen, und die Sage der 
Vorzeit hat eben so berühmte Hunde als Rosse und Schwerter 2^). 
Hauptzeugniss ein Abschnitt der Thiöriks Saga, wo die wild 
abenteuerlichen Jagdzüge des Grafen Iren von Brandenbürg er- 
zählt werden: sechzig Hunde führt er mit sich; die Namen der 
besten sind Stapp, Stuft, Lusca, Busca^ Paron, Bonikt, Bracka 
und Porsa (Cp. 257. 263). Und die Namen werden, wie schon 
Uhland in der Germania 1, 9 bemerkt hat, in der Art aufge- 
zählt, dass Stapp und Stutt, Paron und Bonikt, Bracka und 
Porsa je paarweise zusammenstehn: diese aber allitterieren, wäh- 
rend Lusca und Busca reimen: das weist auf ältre dichterische 
Abfassung hin: wirklich heisst es auch mitten inne Cp. 258: 
„Es wird erzählt in den Sagen, dass nie bessere Jagdhunde 
könnten gefunden werden, als er hatte; zwölf waren die aller- 
besten darunter, und die sind alle in deutschen Liedern genannt." 


26) [Xenoph. Cyneget. 7, 5. Ovid. Metam. 8, 206 sqq. Hyginus 181. 
— Namen der Hunde Giovan Maria Viscontis (f 1412): Corio, Storia di 
Milano Bl. 301 fgg. — Karl der Gr. schenkt Hunde an den König der 
Perser: Mon. S. Gall. 2, 9.] 


Die deutschen Appellativnamen. 81 

Der üebergang aus dem Deutschen ins Nordische hat Gestalt 
und Sinn eines Theils dieser Namen unkenntlich gemacht: Stapp 
und Stutt würden jetzt auf Hochdeutsch Stapf und Stutz d. i. 
Schritt und Trotz lauten; Bracka ist unser Bracke Spürhund, 
eigentlich also kein diesem Thier allein geschöpfter Name; Paron 
mag aus althochd. Baro Mann entstellt sein, Porsa zu birsm 
birschen gehören {kamerbirse^'^ und kamerbeJle sind gleichbe- 
deutend spöttische Benennungen einer Kammerfrau: v. d. Hag. 
Gesammtabent. t, 2t9. 223), Lusca den heimlich schleichenden 
(althd. luscMn, losken delitescere), Rmca den raschen, munteren 
meinen, und wenn ebenso in der Sage das Pferd Eckehards 
Rusche oder Roschltn heisst, wenn der Hund Bonikt^^) an 
Benig y das Pferd Ilsans (ebend.), anklingt und auch uns Kolli 
für beiderlei Thiere gilt (S. 79), so wollen wir dem zur Er- 
klärung uns der Worte des Plinius erinnern (H. N. 8, 61) 
„fidelissimum ante omnia homini canis atque equus." Noch 
mehr entstellt sind die Namen eines zweiten daran ebenso reichen 
Hauptbeleges, einer Erzählung der Gesta Romanorum (Cp. 142), 
wo zu den „quatuor generibus canum'*, mit denen dort ein 
Wilddieb auszieht, die Namen Richer, Emideym^ Havegiff^^), 
Bandyn^ Orismel, Egofyn, Beamis et Revelin angegeben werden: 
bei mehreren aber schimmert der deutsche Grund noch sichtlich 
durch: Orismel mag der im Staube kriechende sein. Sodann die 
Geschichte des Ritters Heinrich von Neuenach (Liedersaal 2, 
411 fgg.)» dessen Hund Harm stets Wildbret auf die Tafel des 
sonst nicht reichen Herren schaift und aus einem Kampf mit 
den Hunden des neidischen Kaisers, zuletzt mit zwölfen auf ein- 
mal, doch als Sieger hervorgeht. Man braucht bei Harm nicht 
an den vorher angeführten Angst zu denken: Äarw ist auch die 
altdeutsche Benennung des Hermelins, und gerade mit dioßem 
werden Hunde auch sonst der Farbe halb verglichen (Germ. 1, 
10). Ferner, der Pfalzgraf von Tübingen in jener schwäbischen 
Weidmannssage, die Uhland aus der Chronik der Herren von 
Zimmern bekannt gemacht hat (Germ. 1, 2 fgg.)i nimmt als 


27) hamerhirs Hennann von Sachsenheim Spiegel 153, 11. 

28) [Ahd. punU diadenta, pontt tiara: Graff Sprachsch. 3, 341.] 

29) So ist Hanegiff unzweifelhaft zu bessern, da die Moralisatio den 
Namen mit accipite et donate auslegt, 

Wfickernagel, Schriften. III. 6 


82 Die deutschen AppellatiYnamen. 

Jäger ein Erdmännlein an, „das fuert zwai jaghündlin mit sich 
an ainer kuppel; das mendlin nampt sich maister Epp, der- 
gleichen die hündlin das ain Will, das ander PTaß." Will und 
Wall, die ebenso der Ablaut -verbindet, wie dort die Hundepaare 
des Grafen Iron die Allitteration und der Reim, kommen jeder 
auch als Mannsname vor^^), althochd. TFi'Zto und Wallo (Förste- 
maun Sp. 1302. 1230): für Jagdhunde Hess sich dabei an den 
volleren BegriiF des appellativen willo, Impetus, und an wall(hi 
ambulare denken (Genn. 1, 10); ein mit wille zusammengesetz- 
tes Willehr eht haben wir schon oben S. 76 gehabt: auoh das 
ist als Mannsname häufig (Förstern. 1305). Endlich^^), ein 
passlichster Name für einen Spürhund oder, wie man auch 
sagte, smchhunt (Iwein 3894), der Name Suoche: dieser in 
einem Liede Suchensinns, eines fahrenden Meistersingers gegen 
1400: „Suche ist geheissen myn hunt, der lange hat gesuchet" 
Fichards Frankf. Arch. 3, 245. 

Ich habe eben gesagt Endlich: aber der Leser muss die 
Jagdlust unserer Alten doch noch länger büssen. Suchensiuns 
Hund Suche ist nur bildlich gemeint, wie überhaupt das Mittel- 
alter es liebte, von dem edlen Weidwerk allerhand Bildlichkeiten 
der Anschauung und des Ausdrucks herzunehmen (vgl. die 
Minnelieder Burkards v. Hohenfels bei v. d. Hagen 1, 202 fgg.)i 
ja wie ganze grosse Gedichte lediglich auf diese Bildlichkeit 
gegründet wurden: Hauptbeispiel Hadamars von Laber Jagd der 
Minne; dort in den Gestis Romanorum der Jäger bedeutet auch 
nur den Teufel, der auf den Menschen seine Hunde, d. h. die 
Versuchungen dieser Welt loslässt: die Moralisatio legt Richer 
und Emuleym auf divitias et voluptates, Beamis auf die luxuria 
u. s. w. aus. Da fehlt es denn auch nicht an Beispielen, dass 
Hunden als Namen entweder Worte ganz abstracten Sinnes ge- 
geben werden oder zwar, übliche Handenamen, aber solche, deren 
Laut und concreter Begriff zugleich in einen abstracten hinüber- 
spielt *^). So fahrt Hadamar aus mit den Hunden Herze, 


30) Gab es auch ein Appellativ walle Waller? Froschmäus. Viij a. 
Wallen weisz, 

31) [Name der Jagdhunde in Shakespeares Taming of the shrew, in- 
duction: Merriwaw, Clowder, Silver, Beltnan, Echo.] 

32) [Ein hündlin zöch frau Schand, das ist geheissen Triegolf: Herrn. 
v.Sachsenh. Spiegel S. 148,30.— ilfeW, TrostySuch: Wien.Sitzung8ber.54,323.] 


Die dentschen Appellatiynamen. g3 

Gdücke, Triuwe, Stcete, Lust, Liebe, Leide, Genäde, Fröude, 
Wille, Wunm, Harre (Str. 9 — 18) u. s. f.; wesentlich eben die- 
selben, nur dass die Zahl kleiner ist, in zwei andern, kürzeren 
Allegorien (Liedersaal 2, 293 fgg. und Spiegel S. 126) und 
wieder in beiden auch der Hund Wille. Den einträglichsten 
Beleg aber gewährt ein Gedicht Siegfried Helblings, sein viertes, 
Z. 410 — 460: denn eigentlich hier erst erscheinen nicht so bloss 
Abstracta, sondern beiderlei Namen durch einander, als da sind 
NU, Valsch, Haz, Fuhs, Wolf, Fürst, Wenk, Werre, Triuwe, 
Schilt, Milt, £lr, Erge, Grife, Rasp, Gite, Wünsch, Merk, 
Striun, Wän, Wank, Fruot, Frank, Sturm, Drenk, L(mf, 
Schenk: Raspe, das wir auch als persönlichen Beinamen kennen, 
gehört zu raspen raffen, und striunan heisst im Althochd. Ge- 
winn machen, das jetzige streunen auf kleine Vortheile ausgehn 
(Schm. 3, 686). Zu all diesen dichterischen Zeugnissen kommt 
zuletzt noch eines aus der bildenden Kunst, ein Gemälde der 
grossherzoglichen Sammlung zu Weimar, das nach einer alt- 
beliebten Symbolik den Sohn Gottes als das Einhorn darstellt, 
welches sich in den Schoss. einer Jungfrau flüchtet und so, wäh- 
rend kein Jäger es erjagen kann, von dieser gefangen wird: der 
verkündende Engel ist hier der Jäger, und indem er ins Hörn 
stösst, ertönt daraus die Begrüssung „Ave, gracia plena: do- 
minus tecum^^; an der Hand aber führt er zusammengekoppelt 
die vier Hunde Justicia, Misericordia, Fax und Veritas: sie 
tragen selbst diese Namen auf Spruchzetteln im Mund. Ab- 
bildungen in Vulpius Curiositäten 6, 133 und in Pipers Evangel. 
Jahrbuch 1859, S. 38.' 

Wir haben vorher aus den Gestis ßomanorum den Hunds- 
namen Beamis vernommen: dieser kann uns geschichtlich weiter 
fahren. Der französische Einfluss, von dem seit dem zwölften 
Jahrhundert das ganze höhere und nicht bloss das höhere Leben 
Deutschlands gesättigt ward, machte sich je mehr und 'mehr 
auch auf dem Gebiete geltend^ das jetzt uns vor Augen liegt. 
Gottfrieds Tristan Sp. 7 1 fg. zeigt uns die Jägerei in Form und 
Wort schon durchaus französisch aufgefasst: damit kamen denn 
auch französische Namen für die Hunde auf. Zwar in eben 
diesem^Tristan'*) das zauberhaft schöne Hündchen Petitcriü d. h. 


33) Tristans Br&cke Hiud an 418, 15. 25. 433, 17. — l^awio Garg. 313. 

6* 


84 Die*deutschen Appellativnamen. 

Klein wachsen , das eine Fee dem Herzoge Gilan geschenkt hat 
und das Tristan demselben abgewinnt um es wieder seiner Isolt 
zu schenken (Sp. 397 fgg»), ist aus der französischen Urschrift 
herübergekommen: dagegen für Gar^levtaz, „daz kiut Huete der 
verte" (Garde- voyage), den Bracken in Wolframs TiturelStr. 143, 
nöthigt uns nichts das Gleiche anzunehmen, und noch weniger 
für jenen Beamis der Gesta ßomanorum: beamis d. i. schoener 
vriunt, so redete man sonst in feinerer Sprache den Freund und 
den Geliebten an (Heinr. Tristan 1850. Wolfr. TituVel 59, 1), 
im alten Weidmannsdeutsch aber ebenso den Hund Lieber Gesell, 
lieber Gesellmann ^*), traut guter Gesellmann (Had. v. Laber 
Str. 21; Altd. Wald. 3, 130). Es mag ein Spott auf das 
moderne Weidmannswelsch sein, wenn das „hundeken Wackerlos''' 
im Beineke Fuchs Z. 71 trotz seinem gutdeutschen Namen 
Französisch spricht^^). Recht in Aufnahme jedoch kam auch 
dieses erst mit dem Zeitalter Ludwigs XIV: das wird am besten 
aus den Hundeverzeichnissen des Sächsischen und des Dessauischen 
Hofes ersichtlich, welche Döbel in seiner Jäger-Practica mit- 
theilt: hier verschwinden fast die seltenen deutschen unter den 
Hunderten von französischen, zum Theil auch italienischen Namen. 
Die neueste, unsere Zeit fährt darin kaum geändert fort, nur 
dass jetzt die Jäger mit ihren Hunden allenfalls auch noch 
Englisch sprechen: ein Fcdke (auch so haben wir schon Bosse 
nenrren hören), ein Waldmann, ein Feldmann klingt ihnen alt- 
fränkisch und nicht herrenhaft genug ^^). Nicht besser ausser- 
halb der Jägerei, obschon, wenn nun auch der Bauer gern seinem 
Hofhund Bello ruft, er das deutsche bellen und nichts Italienisches 
im Sinne hat^^), Merkenswerth ist die eigenthümliche Volks- 
ironie den doch so lieben Hund nach verhassten Menschen zu 
benennen, z. B. Türk oder Sultan, [Cartouche] oder wie zumal 
in der Pfalz Melac^^): es soll damit nicht der Hund als ein 


34) Geselman: Schade Sat. 1, 148 fgg. Erneuert Seelmann! Waidm. 
Spr. S. 42. 

35) [Wacherlosz ganz appeUativ Froachmäus. Dva. (Cij b.). Kein 
Wacherlosz und Vernim ebenda Bbb 5 b.] 

36) Dachshunde heissen Bergmannj weibl. Berginne. 

37) Vgl. Bellart, den Namen des Haushundes Froschmäus. 1, 2, 5. 6. 25. 

38) Lackel Name für Metzgerhunde, vielleicht aus Meldckel: Schna. 
2, 431. 


Die deutachen Appellativnamen. 85 

französischer Mordbrenner, sondern der französische Mordbrenner 
als ein Hund bezeichnet werden. Vor etwa dreissig Jahren gab 
Jemand in Berlin seinem Hunde den Namen Krelinger; als ihn 
der Mensch, der Crelinger hiess, deshalb vor Grericht zog, wandte 
er ein, dass sein Hund sich Krelinger schreibe**). Gewöhnlich 
jedoch sind auch hier die Namen, gleichviel ob einheimisch oder 
fremd, ob liebkosend oder in solcher Art beschimpfend, durch 
die beständig wiederkehrende Benutzung so abgenutzt, dass der 
einzelne Hund wenig Eigenes mehr daran hat. Ringgi z. B. in 
der Schweiz ist nur noch ziemlich ebenso viel als Haushund 
überhaupt („hie und da bellte ein Ringgi sie an": Gotthelfs Uli 
d. Knecht S. 336); man nennt jeden Hund, der sein Kalb oder 
seinen Mann zu fassen vermag, einen Packan; Wacker und 
Wäckerlein sind in gleichem Bezug schon früher (S. 79) her- 
vorgehoben worden. 

H. Unter den übrigen Hausthieren und denen , die sich der 
Mensch immer von neuem zähmt, ist das Rind ihm das ver- 
trauteste nächst Hund und Pferd und auch diess zugleich in 
religiöser Weise und um einer höheren seelischen Begabung 
willen angesehn*®). Wie der Wagen der Nerthus von Kühen 
gezogen wird, wohin diese wollen, und der Priester nur mitgeht 
(Tac. Germ. 40), erseheinen Rinder auch in Sage und Legende 
vielfach so, dass es ihnen überlassen ist den Weg einzuschlagen 
und das rechte Ziel zu finden: vgl. z." B. Deutsche Sagen der 
Br. Grimm 1, 449.454.258. Niederländ. Sagen v. Wolf S. 423. 
Darum denn auch hier bereits von früheren Zeiten an die Be- 
zeichnung und Auszeichnung durch mannigfaltige Eigennamen. 
Ein Beispiel des dreizehnten Jahrhunderts die vier Ochsen t^wer, 
Räme, Erge und Simne im Meier Helmbrecht 809 fgg.: Räme 
kann, je nachdem man es auf räm oder auf rämen bezieht, die 
Russfarbe oder die Stössigkeit meinen, besser das erstere, da in 
der Schweiz noch jetzt ein Rind mit schwarzen Flecken Räm 
oder Rämi heisst (Stalder 2, 256), Üwer dagegen nur die Aehn- 
lichkeit mit dem ür^^), aber nicht wohl einen gezähmten Auer- 


39) Wiedu Htindename: Grobianus Buch 2, Cap. 2. Garg. M 6 ä. 

40) Eherner Stier der Cimbem: Plutarch Mar. 23. Kuh mit Opfern 
verehrt; Olaf Tryggvasons Saga Cap. 71. 

41) [üeber Ouwer, wie für Üwer zu lesen, vgl. Meier Helmbrecht von 
Keinz S. 76.] 


gg Die deutschen Appellati vnamen. 

ochsen selbst: „adsuescere ad homines et mansuefieri ne parvuli 
quidem excepti possunt" (Cäsar B. Gr. 6, 28). Von Menschen 
her übertragen sind Barthd und Heinz, jenes für Kühe, dieses 
für Zugochsen und beide im sechzehnten Jahrhundert üblich 
(Pischarts Gargantua 1582, M 7 rw. Frisch 1, 438 b). Nach 
neuerem Brauche jedoch pflegen die Namen der Ochsen auf den 
öeburtsmonat zu gehn, z. B. Horni, Merz, Laubi d. i. April, 
Lusti d. i. Mai (Hebels Werke 1838. 2, 278 fg.), die der Kühe 
ebenso auf den Wochentag der Geburt, z. B. Pfinztag die am 
Donnerstag geboren ist, oder auf die Farbe und sonstige Merk- 
male im Aeussern wie jenes Rämi, wie Möhrli, Röthl, Stemd, 
Krumphörnl, Grossbuch: man sehe die Verzeichnisse bei Wyss, 
Eeise ins Bemer Oberland S. 563, und bei Schmeller 2, 274 
und die Schweizer Kühreihen in des ersteren Sammlung S. 19 
fgg. und 38 fgg.**); Bloss und Blässei (Sprichwort: „Man sagt 
selten zur Kuh *du Blässle', ausser sie hat ein Stemle": Sailers 
Weish. auf d. Gasse S. 130*^) ist uns auch schon unter den 
Pferdenamen begegnet (oben S. 74. 76); Kuo Brüni hat bereits 
das alte Lied von dem Streite zu Sempach (AM. Leseb. 930, 
38. 932, 4). Uebrigens wiederholt sich hier die bei Pferd und 
Hund gemachte Bemerkung: so zahlreich auch die Namen, die 
in den Viehzucht treibenden Ländern gäng und gäbe sind, es 
wird nicht für jedes Rind ein neuer ihm nur eigener geschöpft, 
sondern gewisse kehren immer wieder und verlieren sich damit 
halb in das Gebiet der Appellativa. Das gilt in noch viel 
höherem Grade für die andern hier noch in Betracht kommenden 
Thiere, zumal uns für diese fast allein aus neuerer und neuester 
Zeit Eigenbenennungen bekannt sind und beinah lauter solche, 
die eigentlich Menschen gehören. 

Für die Ziege**) gewährt ein schweizerischer Geissreihen 
von Kuhn (Wyss Kühreihen S. 48 fg.) die Namen Hüdel, 
Strudel, Schabe, Länder, Speiche; in Spees Trutznachtigall 
(Cösfeld 1841, S. 272) ist Hitzlein, ich weiss nicht ob Ver- 


42) Die Kühe auf dem Witwald hiessen 1862 Blümli Gemsi Leu Schild 
Schnepf Spiri Stolzi Tübi. kü Blüemle: Sempacher Lied bei Uhland Volksl. 
S. 408. Agricola Sprichw. 388. Frisch. 1, 113 a. 

43) Kein i^^äszUn nennt man bald ain ku, sie hob ain flecken dan 
dar zu: Fischarts Dichtungen v. Kurz 3, 228. 

44) Weigand im oherhess. Int. BI. 1846 no. 61. 


Die deutschen Appellativnamen. 37 

kleinenmg von Heinz, der Name einer jungen Ziege. Der Bock 
heisst Uermann^^) (J. Grimms Gesch. d. deutschen Sprache 1, 
35), Herman stoss nicht und Moses (Gargantua M 6 rw.); 
Bartholt wie Bartman bei Burkard Waldis (Esop 3, 27) mag 
nur ein gelegentliches Wortspiel des Dichters sein. 

Dem Esel wird Martin gerufen (Gargantua M 7 vw.); er 
wird aber auch in einer Fabel von Burkard Waldis (Esop 4, 1) 
„Herr Heyntz'''' angeredet, eben wie das edlere Pferd Hainzel 
und Himz: oben S. 76*^). 

Das Schwein heisst gleichfalls Heyntztin und ausserdem 
Kuntz: Gargantua M 6 rw. 

Und wiederum auch die männliche Katze niederdeutsch im 
Eeineke und sonst noch Hinze, hochdeutsch im Proschmeuseler 
und noch jetzo (Schmeller 2, 220) Heinz^'^). Daneben Mumer: 
schon vor 350 Jahren Thomas Murner ist im Eingange des 
Karsthans und sonst damit verspottet worden; im Eselkönig S. 18 
„Herr Murner, die Katz, ein Spanier, Hoffcaplan". 

Der gezähmte Affe wird von dem Gaukler, der ihn zur 
Schau stellt, Meister Märtin^^) genannt (Gargantua M 7 vw.): 
Anlass dazu wohl die gleiche Benennung in der älteren, schon 
der französischen Thierepik (J. Grimms Reinhart Fuchs CXXV fgg.)- 

Der Bär, der im Mittelalter viel häufiger als jetzt gezähmt 
und zur Kurzweil gehalten ward (Haupts Zeitschr. 6, 185 fg.), 
hiess nach der Angabe Fischarts bei den Churwalen d. i. den 
Bündnern ebenfalls Martin (Grargantua M 7 vw.); üblicher ist 
die Benennung Meister Petz, die kürzeste Koseform zu Bernhard : 
ein bekanntes Gedicht des vierzehnten Jahrhunderts (Diutiska 2, 


45) Hermen Reinke Vos 1771 (Methe de zege unde Hermen de hok). 
Germanus f Hermanus Abr. a. S. Clara 1, 143. BelUn Herman Froschmäus. 
Oij b, vgl. Bb 7 a. verbessertes ernstliches Mandat Hermanni Sartorii, des 
uralten löbl. Schneiderei Ordens erwehlten General. Diebingen (52 Seiten 4.). 

46) Herri der Esel: Fischart Garg. M 6 rw. Dichtungen 3, 34 Kurz, 
wie Waldis und nach ihm Eyering S. 325. Vergl. ital. arr\ antreibender 
Zuruf an Esel und Pferd. 

47) Heinz Froschmäuseier Bbb 8 b. Der Katemame auf den heiligen 
Heinrich übertragen : ebenda Rij a. Kater Heinz in einer Ingolstadter 
Schrift von 1584: Frejrtags Bilder aus d. deutschen Vergangenheit (1863) 
1, 370. — Katze heisst ztse: Fragm. XXXVIII c. — Der Kater auch Peter > 

48) [Der Hase im niederd. Märten. '\ 


88 I^i© deutschen Appellativnamen. 

78 u. a.) hat einen Bauern des Namens meier Bez oder Pez^% 
Diess Wort mit Bätz, einem landschaftlichen Ausdrucke für 
Schaf, in Verbindung zu bringen, weil der Bär „wegen seiner 
rauchen Haar einem Schaf gleich sieht" (Frisch 1, 74 c), ist 
ebenso irrig als die landläufige Herleitung des Wortes Batzen 
von PetZy weil zuerst die Bemer Batzen geprägt und dieselben 
mit ihrem Wappenthier dem Bären bezeichnet hätten. Die Be- 
nennung Batzen ist älter und viel allgemeiner; sie soll diese 
Münze im Gegensatz zu den Bracteaten als Dickmünze bezeich- 
nen (vgl. Baiz, Batzen bei Frisch 1, 74 b und Schmeller 1, 
228), ganz wie Groschen, das vom mittellateinischen grossus 
kommt. Auch nennen die Berner selbst ihren Bären gar nicht 
Bätz oder Petz, sondern Midz, wahrscheinlich, da mutzen s. v. a. 
stutzen ist (Stalder 2, 227), wegen der auffallenden Schwanz- 
losigkeit des Thieres; ein brunmiiger Mensch heisst davon auch 
in der übrigen Schweiz ein Surrimidz^^). 

Unter den gezähmten Vögeln steht dem Pferd und dem 
Hund zunächst an der Seite der zur Jagd abgerichtete Falke, 
der Habicht, der Sperber. Er gehört mit dem Boss zusammen 
wie die Hand mit dem Fuss, die rechte Hand, die den Jagd- 
vogel trägt, mit dem linken Fusse, der in den Stegreif tritt: 
darum auch werden in peinlicher Strafe die rechte Hand und 
der linke Fuss zusammen abgehauen (Bechtsalterth. S. 705 fg.; 
vgl. Gesch. d. Deutschen Spr. 1, 44 fg.). Mit dem Hund ver- 
bunden zeigt ihn eine Sage in ängstlich treuer Wache bei dem 
schlafenden Kind seines Herren (Diocletianus von Hans v. Bühel 
S. 30); mit eben demselben begleitet er den gestorbenen Herrn 
auf den Scheiterhaufen (Edda d. Br. Grimm 1, 272 fg.) und 
mit Hund und Boss^^) in die Opferung: Dietmar v. Merseburg 
S. 13 „Est unus in his partibus locus, caput istius regni, Le- 
derun nomine, in pago, qui Selon dicitur, ubi post VIHI annos 
mense Januario post hoc tempus, quo nos theophaniam domini 


49) oder Betz, Verkleinerung von Bär? wie Götze, Spatz, ahd. agazä, 
chazzä? vergl. Grimm Gramm. 3, 694. — Mica aurea und Innocentia die 
zwei Bärinnen des Kaiser Yalentinian I: Amm. Marc. 29, 3. 

50) Herr Mötzlin: Justinger 191. sonst mutz ein 'Gaul: Hub, kom. 
Pros. 2, 53. mutz Katze: Schmeller 2, 664; vergl. Leseb. 1^ 653, 2fgg. 
[Ein Elefant Namens Abulabaz: Einhardi Ann. 802.] 

51) Boss, Hund, Habicht: Sid. ApoU. Ep. 3, 3. 4, 9. Carm.7, 192 sqi^. 


Die deutschen Appellativnanien. 89 

celebramus, omnes convenerunt et ibi diis suismet LXXXX et 
Villi homines et totidem equoa cum canibus et gallis pro ac- 
cipitribus oblatis (falls keine Habichte oder nicht genug vor- 
handen sind) immolant, pro certo, ut praedixi, putantes hos 
eisdem apud inferos servituros et commissa crimina apud eosdem 
placaturos/^ Um so mehr darf es uns befremden, zugleich aber 
nur als ein Zufall erscheinen, dass neben so viel Ross- und 
Hundenamen kein einziger eines Falken überliefert ist, nur aus- 
genommen den des mythischen ersten, des Götterfalken Hdbroc 
d. i. Hochhose, inGrimnis mal Str. 44. 

Den Staar im Käfig und im Zinamer pflegt man Matz d. i« 
Matthäus und, da der Name denn auch auf andre Vögel der 
Art übergeht, zu genauerer Bezeichnung Staarmaiz zu nennen. 
Der Staar von Segringen in einer bekannten Erzählung Hebels 
(Werke 3, 133) hiess Hansel. 

Oanarienvögel redet man in der Schweiz lieber mit 
Männi d. h. Emanuel an [sonst Mätzchen]^ Papageien überall 
mit Jacoh^^), 

Endlich beim Storch noch einmal der Name Heini: der 
Kinderreim, der anderswo „Storch, Storch Steiner*' oder „Storch, 
Storch Steine" beginnt (Simrocks Deutsches Kinderbuch S. 146 
fgO» beginnt hier in Basel „Storke, Storkeheini^^y. 

L Zur Eigenbenamung der Schiffe haben mehrfache An- 
lässe zusammengewirkt. Gestalt und Bewegung mahnen zugleich 
an den schwimmenden Vogel und an das rennende Pferd: auch 
wir sprechen von Schiffsschnäbeln, und von dem Glückhaften 
Schiff der Zürcher sagt Fischart Z. 221 fgg. „Da gieng es da- 
her in der wog, Als ob es in dem wasser flog; Die rüder giengen 
auf und ab Schnell, das es ein ansehen gab. Als ob ein frembdt 
ungwont gefügel Da auf dem wasser rhürt die fligel"; als das 
Koss des Meeres (seltner sind andre dem ähnliche Vergleichungen: 
Snorra Edda S. 118) bezeichnen es mannigfaltige Wendungen 


52) Im nordöstl. Deutschland Jacob der aUgemeine Name der Dohlen. 
Papagei, rom. Peter: Diez etymol.. Wörterb. der rom. Spr. 1, 307 (s. v. 
parrocchetto). 

53) [Heimi Name eines Drachen, auf Studas, der ihn getödtet, über- 
gehend: Saga Thidriks Cap. 18 ] 


90 I^ie deutschen Appellativnamen. 

der altnordischen und angelsächsischen Dichtersprache*^^), (J. 
Grimm zu Andr. u. Elene S. XXXIV fg. und Mythol. S. 839; 
Haupts Zeitschr. 9, 576 = oben Bd. 1, S. 83), und noch 
Friedrich von Spee nennt es ein holzen Boss (Trutznachtigall 
S. 96) und nimmt es als Boss und als Beiter und als Vogel 
zugleich, wenn er in einer Schilderung des Meeres die Verse 
wagt (ebd. S. 149) „Ei da nun, ihr unzählbar Schiff, Wasser- 
wald bescheren! Euch eben recht ich jetzt betriff, Bäum zu 
Land geboren! Ach zäumet auf den vollen Trab, Legt hin die 
flache Sporen! Die flachsen Feder spannet ab: Die Zeit bleibt 
unverloren". Schon allein auf Grund einer so all- und alt- 
gewohnten Vergleichung hätten diejenigen, die ihre Bosse nach 
Menschenart benannten, dasselbe nun auch mit ihren Schiffen 
thun können: aber es kam um darin zu bestärken noch Andres 
hinzu. Schnitzarbeit, die das Vordertheil zierte (es gedenken 
solcher bereits Geschichte und Becht und Dichtung des alten 
Nordens), liess das Ganze, wenn es Andren entgegen oder zu 
Lande fuhr, als einen Drachen, weshalb auch dreht der alt- 
nordische Name einer eigenen Schiffart ist, oder sonst in un- 
geheuerlicher Menschen- oder Thiergestalt erscheinen, so dass, 
wie ein Verbot sich ausdrückt, die Landgeister sich entsetzten 
(Altnord. Leben v. Weinhold S. 130. 136). Es kam also mit 
dem Bildwerk wie ein dämonisches Leben in das Hola, und 
wirklich schrieb man auch sonst den Schiffen ein solches zu^*). 
Die Friöthiofs Saga Cp. 6 lässt ihren Helden sein Schiff Miöi^^) 


54) Vgl. hrimhengest Andr. 513. smhengest 488. fearodhengest Elene 
226. vcpghengest Gudl. 1303. El. 236. ecemearh Cod. Exon. 361. Andr. 
267. Elene 228. 245. ydmear Cod. Exon. 363. lagumearg Gudl. 1306. 
Schiff reitet: Cädm. Genesis 1392. 

55) Vgl. noch unsere Benennungen Dreimaster ß Schnellsegler, Kreuzer, 
Dampfer» 

56) d. h. Sturmfahrer. Weil das Wort auch appellativ, als Benen- 
nung, wie es scheint, einer besonderen Art von Schiffen gebraucht wird, 
hält Weinhold S. 137 den appellativen Sinn für den ursprünglichen und 
den engeren eines Eigennamens für abgeleitet. Es dürfte jedoch der Weise 
des alten Nordens gemässer sein, die appellative Verallgemeinerung für 
das Jüngere zu halten. Noch weniger richtig scheint der ebendort auf- 
gf stellte etymologische Zusammenhang mit Läditif der Benennung der 
grössten Schiffe des Bodensees (Schmeller 2, 434) : denn diese kommt doch 
wohl einfach von lade d. h. Bohle. [Ledischiffe auch auf dem Zürcher 
See: Ledi Ladung.] 


Die deutschen Appellativnamen. 91 

ermuthigend ansingen, und diese Zurufe, heisst es, wirkten so 
auf das Schiff, als wenn es die menschliche Sprache verstanden 
hätte*'); später kommt es auch in altenglischer Dichtung vor, 
dass ein Königssohn Abschiedsworte an sein Schiff richtet und 
ihm Gruss und Botschaft in das Heimathland aufträgt (Hom- 
childe in Ritsons Ancient romances 3, 97). Rechnen wir diess 
alles zusammen, so hat der immer noch bestehende Gebrauch 
der Schiffbenamung, dem die neuere Zeit durch eine Art von 
Taufe einen frischen Halt zu geben sucht, einen für das Alter- * 
thum ganz naturgemässeu Ursprung genommen. Die frühesten 
Belege werden uns vom Norden her, schon in den Göttersagen 
desselben, dann in der Geschichte seiner Helden und Könige 
überliefert (J. Grimms Gramm. 3, 434. Weinhold S. 131 fg.): 
Baldurs Schiff z. B. hiess mit Bezug auf den Ringschmuck seines 
Stevens Hringhorni, ein Schiff König Sverris Öskmey d. i. 
Wunschjungfrau, Valkyrje, eines des heil. Olaf Vimnd, ein 
andres, dessen Steven in Gestalt eines Königshauptes ausge- 
schnitzt war, Karlhöfdi Mannshaupt**). Jünger sind die Belege, 
die auf Deutschland fallen, jünger wie hier die Seeschifflfahrt 
selbst und meist auch weniger alterthümlich. Pilgertu und 
Vridelant d. h. Beschütze-das-Land, die Namen zweier „her- 
schiffe" des Deutschen Ordens in Preussen (Pfeiffers Jeroschin 
S. 271), gehn noch im höheren Styl: aber tief fällt es ab, in 
den ironischen Ton, welchen freilich die spätere Zeit überall 
liebte, wenn das Schiff, dem die Hamburger im Jahre 1402 
ihren Sieg über den Seeräuber das Störtebeker verdankten, die 
bunte kd hiess (Zeitschr. f. Hamb. Geschichte 2, 289) und auf 
den grossen Landseen der Schweiz im J. 1314 die Luzerner 
eine Gans, die Urner einen Fuchs (J. v. Müller 2, 131), im 
Zürichkrieg die Zürcher eine Gans und eine Ente, ihre Gegner 
die Schwyzer nicht bloss einen Bären, sondern auch eine Schnecke 
hatten (J. v. Müller 5, 92. 114. 115): die Zusanoimengehörig- 
keit mit den übrigen Namen verbietet es hier das Wort Schnecke 
so zu verstehn, wie es sonst allerdings gebraucht wird, als die 


57) Argo sprechend: Paulis Realencyclop. 1, 724. 

58) SkSdbladnir Sn. Edda S. 27. Hringhorni S. 37. Naglfar S. 41. 
Vergl. Cädmons Genesis 1418. 1433. Heliand 35, 17. 


92 IWe deutschen Appellativnamen. 

appellative Benennung einer ganzen besonderen Art von See- 
schiffen. 

K. Geschütze und andre dem ähnliche Geräthschaften*^), 
wie schon das frühere Mittelalter sie bei. Belagerung und Ver- 
theidigung fester Oil^e brauchte, hatte diess gern, und es folgte 
darin dem Vorgänge des griechisch-römischen Alterthumes, nach 
Thieren benannt^®), jedoch in durchaus appellativer Weise, so 
dass die einzelnen Thiernamen je eine ganze Art jener Geräthe 
bezeichneten^^): dergleichen sind katze, krebz, tärant und igel; 
besonders berühmt wurden ihrer Zeit die Katze und der 
Krebs (cattus et Cancer), mit denen Albrecht I die Mauern 
Bingens brach; der Meister, der sie gefertigt hatte, hiess Böter- 
melin (Ottocar Cp. 716; Ann. Colmar. z. J. 1301; Narratio de 
reb. gest. Archiepisc. Mogunt. in Böhmers Fontes 2, 572). l^an 
fuhr in derselben Richtung fort, als an die Stelle der alten 
Wurf- und Stossmaschinen die Feuergeschütze rückten: aber die 
Freude an der Neuerung vertauschte nun jene Appellativa gegen 
wirkliche Eigennamen, schuf Einzelnamen für jedes einzelne Ge- 
schütz und entwickelte die so erwachsende Menge dadurch auch 
zu gross ter Mannigfaltigkeit, dass sie die Namen nicht mehr 
bloss aus der Thierwelt, sondern auch aus der menschlichen 
und von noch anderen Gebieten des Lebens holte. Thiernamen 
sind z.B. (ich gebe nur Beispiele des 15. und 16. Jahrhunderts 
und entnehme dieselben zumeist aus Schmellers Bair. Wörterb. 
1, 147 und der Geschichte der Zürcherischen Artillerie v. 
Nüscheler, Zürich 1850, S. 15 fgg.) Äff, Brach, Falk, Fdlkonet, 
Fledermaits, Fuchs, Harnuss, Hurlebus oder Hurlebaus d. h. 
Brummkatze (vgl. Kurz zu Murners Lutherischem Narren S. 226), 
Lewe (Uhlands Volksl. S. 494), Luchs, NacJdigal (ühland 
S. 472), Püfel d. h. Büffel, Purleham oder Purlapam s. v. a. 
Hurlebus (ühland S. 460. Kurz a. a. 0.; burren brummen: 
Schmeller 1, 193), Schlange, Schrötel d. h. Schröter, Hirsch- 
käfer, und Wolf; drei davon, Falkonet, Hurlebaus und Schlange, 


59) Kriegswagen: Grimm. Gramm. 3, 455. Du Gange v. Carrocinm. 
Fahnen: Auriflamma: Du Gange. Old Jack die englische Flagge. 

60) Griech. xptd^, ffvaypo?, axopitfo?; lat. aries, aseUus, testudo. 

61) Hör. Belg. 5, 120 fg. Dn Gange s. y. Gata, Gatus, Scropha. 
triboc, driboc: s. Diez Wörterb. d. rom. Spr. 1, 92 und Du Gange, • 


Die dentschen Appellativnamen. 93 

namentlich diess letztere (Uhland S. 472. Schmeller 1, 147 und 
3, 451), hat die häufige Anwendung schon frühzeitig in appella- 
tive Allgemeinheit abgeschwächt**). Persönlichen Sinnes oder 
Personification junkfraw Falkenet (Uhland S. 472), Dronietterin, 
Manrhrecherin, Singerin (uhland S. 472), Nar, Raraff, diese 
beiden zu Strassburg und letzterer mit Bezug auf das Wahr- 
zeichen der Stadt, ein lächerliches Bauembild an der Münster- 
orgel, benannt (Kurz a. a. 0. S. 242; vgl. Brants Narrenschiff 
V. Zarncke S. 434), gleichfalls dort das schon oben S. 61 er- 
wähnte Ketterlin von Einsen d. h. Ensisheim, ferner Metz, 
niederdeutsch Mette und Metteke, das Kosewort zu Mechtild, 
worüber ausführlicher im dritten Abschnitte zu handeln ist, 
auch diess aus dem ursprünglichen Sinn einer Eigenbenamung 
alsbald ein Appellativ geworden (Frisch 1, 662 b; Uhland S. 47 2; 
Schmeller 1, 147 u. 3, 663), ebenso endlich das Imperativisch 
gebildete Weckauf (Uhland S. 460. Schmeller 4, 20). Aber 
auch die Monatnamen zeigen sich als Namen von Geschützen 
angewandt (Nüscheler S. 15 fg. 19), und man dürfte das der 
gleichen Art die Zugochsen zu benennen (oben S. 86) zur Seite 
stellen, wenn nicht die Meinung doch wohl eine so zu sagen 
gelehrtere wäre: in derselben Eichtung, nur noch etwas unleben- 
diger, kommen hier auch die Namen der Planeten und der 
Zeichen des' Thierkreises, ja einer nach dem andern die Buch- 
staben des Alphabetes vor (Nüscheler a. a. 0.); bekannt ist, 
wie Moritz von Oranien, als er im J. 1591 die Stadt Nim wegen 
aus solch einem ABC beschoss, von den Belagerten voreilig als 
ABC-Schütze verspottet ward. Unsere Zeit numeriert nur noch 
die Geschütze ; wo aber wiederum sie eine neue Freude empfindet, 


62) üeber Geschütznamen vergl. Frisch 1, 166 a. Max Müller Wissensch. 
der Sprache 2, 218. Wunderhorn 2, 349 fg. 353. Bei Nüscheler S. 60 im 
Jahre 1630 Adler, Falke, Geier, Habicht, Sperber, Eule. Lerche vl. Falhe: 
Leseb. 2, 518, 15. Nachtigall: Pfeiffers Germ. 3, 138 fg. Schmeller 2, 
672. Greif: Bädekers Paris S. 258. hürlebausz: Dioclet. 2482. das 
Hurlebausisch Geschütz: Garg. Y 1 rw., Ee a rw. Vor Frankfurt a. M. 
1552 Rehhock, Kauz, Landsknecht, Hahn, Stephan, Schlange, Singerin: 
Wunderhorn 2 (1846) 349 fg.; Hahn, Rehhock, Kauz, Landsknecht, Bär, 
bös Eis, Baur: ebenda 353. — romanisch esmeril, falconete, moschetto, 
sagro, terzeruolo: vergl. Diez, Wörterb. 1, 170. 281. 363. 414. 


94 ^^^ deutschen Appellatiynamen. 

an den Locomotiven der Eisenbahnen, liebt und übt auch sie die 
Eigenbenamung. 

L. Gleich den Geschützen haben dann auch die TJiürme, 
die als Warten gegen drohende und belagernde Feinde und selbst 
als Stätten zu deren Beschiessung über den Kranz der Mauern 
sich erheben, öfters ihre Eigennamen empfangen. Ein häufig 
wiederkehrender ist schon oben angeführt worden, der Impera- 
tivische Luginsland (S. 61); ebenso gebildet ist Schutt dm 
heim, den ein Volkslied des fünfzehnten Jahrhunderts (ühland 
S. 303) zu Neuburg an der Donau nennt. Einem hohen Kirch- 
thurm, den man überall in der Stadt wiedersieht, giebt man im 
Scherz wohl den Namen Hans in allen Gassen: so vormals in 
Berlin dem Thurm der Marienkirche. Und wie Thürme zugleich 
als Gefängniss dienen, z. B. jenejr Schutt den heim zu Neuburg, 
so kommt auch bei Gefangnissen die Eigenbenamung vor. Eine, 
die sodann auch appellative Anwendung gefunden, die Kuh, 
lernen wir durch Schmeller (2, 279 fg.) kennen: doch hat seine 
Yermuthung, dass ursprünglich nicht das Gefängniss selbst, 
sondern ein Stock oder Foltergeräth darin so geheissen habe, 
viel Wahrscheinlichkeit: gerade für dergleichen Dinge liebt der 
grausame Scherz der Vorzeit die friedfertigsten und sogar hei- 
tersten Namen: ich erinnere an Worte wie Harfe, Geige, Fiedel 
(Basel im 14. Jhd. S. 383 = oben Bd. 1 S. 311). 

M. Endlich hoch oben in den Kirchthürmen die weitrufen- 
den Herolde des Gottesdienstes, die Glocken. Der Gebrauch 
diese, bevor sie ihr Amt antreten, förmlich auf einen Eigen- 
namen zu taufen, wird kaum viel jünger als der Gebrauch 
solcher Glocken gelbst sein: wenn sich letzterer nur bis in die 
zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts zurückverfolgen lässt 
(Ottes Glockenkunde S. 3), so war schon zwei Jahrhunderte 
nachher die Einsegnung mit Wasser und Salz und Oel, die das 
Ritual der Kirche hier allein vorschrieb, in den Sinn einer 
Taufe, d. h. auch einer Namengebung ausgeartet, und Karl 
der Grosse musste in dem Capitulare von 789, 18 (Pertz 
Monum. 3, 69) das Verbot ergehen lassen „Ut clocas non bap- 
tizent.^^ Das Capitulare fährt sogldch fort „nee cartas per 
perticas appendant propter grandinem", man solle auch keine 
Zettel mit Segenssprüchen gegen ' den Hagel an Stangen be- 
festigen. Diess deutet darauf hin, was vorzüglich mit der Taufe 


Die deutschen AppellativnameB. 96 

der ölocken bezweckt worden: es sind von je her zuvörderst 
Heilige gewesen, auf deren Namen man die Glocken tauft, und 
dieser Name, dieser Heilige selbst soll nun gegen das Hagel- 
wetter schützen. Karls Verordnung ist erfolglos geblieben: bis 
auf den heutigen Tag braucht der Aberglaube die Glocken zum 
Wetterläuten und die auf dem Aberglauben beruhende Sitte 
tauft und benennt sie; mit dem ältesten nachweisbaren Beispiel 
einer eigenbenamten Glocke steht sogar ein Pabst selber in Ver- 
bindung, Johannes XUI, der im J. 968 einer Glocke des Laterans 
zugleich nach sich und nach dem "Heiligen der Kirche den 
Namen Johannes gab (Otte S, 12). Und wie uns dieser Beleg 
nach Italien und dem Mittelpunkte der abendländischen Christen- 
heit führt, so gilt der Gebrauch der Glockennamen für alle 
Völker und Zungen derselben, nicht bloss und auch nicht vor- 
zugsweise für die Deutschen; Sagen, wie sie hie und da auf 
deutschem Boden vorkommen, dass Glocken, die nicht getauft 
und benannt, also noch unheilig und gleichsam wesenlos sind, 
darum ein Spiel und ein Raub des Teufels werden (z. B. Wolfs 
Deutsche Sagen S. 446 und dessen Niederländ. Sagen S. 300. 
560 fgg.), dergleichen Sagen konamen gewiss auch ausserhalb 
Deutschlands vor und überall Inschriften, welche die Glocke 
selbst in erster Person reden lassen, und auch andere Völker, 
nicht bloss wir, kennen die scherzhafte ümdeutung des Glocken- 
geläutes in Worte der menschlichen, der Landessprache, wie zum 
Beispiel, als sich vor einem Jahrzehend die Naturforscher in 
Wien versammelten, das Geläute der Kirchenglocken von ausser- 
halb der Stadt an bis in deren Mitte folgender Maassen aus- 
gelegt ward: „Sie kommen, sie kommen; Sie sind schon da, sie 
sind schon da; Was wollen sie machen? was woUen sie machen? 
Fressen und saufen, fressen und saufen; Wer wirds zahlen? 
wer wirds zahlen? Bürger und Bauern, Bürger und Bauern", 
und der richtige Berliner sogar von der Getrauten^irche, von 
dem Dom u. s. f. herab die Namen seiner Lieblingsbranntweine 
hört: Kümmel- Anis, Wachholder, Pomeranzen*^). Kürzer ein 


63) Zu Stein a. Eh. zwei Eathhausglocken; die kleinere ySind d Lum" 
pen all da?*, die grössere fii n dm (bei einem)*. Das Zürcher Ilochzeita- 
geläute: erste Glocke fach min Gott, ach min Gott/* zweite Chrüz und 
Noth, Chrüz und Nothf^ Zusammenläaten ,und das mi Lebe lang, und 


y 


98 ^^ deutschen AppellatiYnamen. 

solche Worte zu setzen, die selbst im Ausdruck unpei'sönlich 
und abstract verblieben. 

Der Tannhäuser: Bodmer 2, 67 b, v. d. Hagen 2, 94 a. 

Ich denke, erbüwe ich mir ein hüs nach tumber linte rate, 
die mir des helfen wellent nü, die sint also genennet: 
Unrdt und her Schaffe niht die koment mir vil dräte 
und einer, heizet Selten rieh, der mich vil wol erkennet; 
Her Zadel und her Zwivel^) sint min staetez ingesinde; 
her Schade und ouch her Umbereit^) ich dicke bt mir vinde. 
und Wirt mtn hüs alsd yolbraht von dirre massente, 
sd wizzent, daz mir von dem bü her in den buosen snle. 

Süsskind von Trimberg: Bodmer 2, 178 b fg., v. d. Hagen 
2, 259 b. 

Wd heb üf und Niht envint 
tuot mir vil dicke leide; 
her Bigenöt von Darbidn 
der ist mir vil gevaere. 
Des weinent dicke miniu kint; 
boes ist ir snabelweide: 
er hat si selten sat getan, 
wan ofte froeiden laere'). 
In mtnem hüs her Dünnehähe 
mir schaffet*) ungeraete; 

er ist zer weit ein müelich knabe. A 

ir muten, helfent mir des boesewihtes abe! 
er swechet mich an spise und ouch an wsete. 

Hugos von Trimberg Eenner, Bamberger Ausg. S. 57 b. | 

Gltikeit hat alters eine 
mit aller nlf ssetat gemeine: ' 
bösheit ist ir kamererinne, 
karkeit ist ir kelnerinne, 
untriuwe ist ir rätgebinne, 
unkust ist ir härflehterinne; 
liegen, triegen mac wol sin 
ir schenkinne unde ir truhsszln; 
unwirde ist ir splserin, 
ameichen ir ennelprlserln; 


1) Bodmer und v. d. Hagen statt her beidemal der, 

2) Von beiden in Unbereit geändert. 

3) Bodmer bis auf die frmdenbere, v. d. Hagen biz uf die vröuden- 
beere. Der Fehler wird durch einen norddeutschen Schreiber verschuldet 
sein, für den, wenn er nur die einzelnen Worte nahm, wan ofde gleichen 
Sinn hatte mit biz üf die, 

4) Beide schaffet mir. 


Die deutschen AppellatiTnamen. 99 

Spar heHbUnc der pforten pfligt, 
Pfürpfel acte daz göurich wigt; 
ir marschalc ist her Zitterort, 
ir putigler her Bitter wort; 
Ungunst schribt ir rechnnng an; 
her Nidunc ist ir cappellän. 

Ebenda S. 107 b, 108 a. 

Eeinez lehen, adel, Ininst 
beltbent an des päbstes gnnst, 
ezn kom dan mit an die vart 
Richart, Klinchart und Gebehart^), 
swer die bringt, der wirt gewert, 
swes er in dem hove gert: 
alle Sache sint entwiht, 
haben si der fürsprechen niht. 
wan Ahlceser und Nemehart, 
Nimmer vol und Nagehart % 
Schinden gast und Lügenhart 
und sin bruoder Trügenhart, 
Smeichart, Swerolt, GUhsenhart, 
108b Slinthart, Kratzhart% Judenbart, 
Leeren biutel und Füllen sac 
pflegent des hoves naht und tac. 
her Kratzhan und her Kratzidn 
behaltent des niht umb ein blat, 
daz wllent meister Graciän 
üf gotes genäde geschriben hat. 
ein decretäl und ein decr^t 
sint in des päbstes hove bekant 
„swer zuo pair rltet oder g§t^), 
der füll mit silber mir die haut 
und mit golde: s6 wirt er 
sän zehant von mir gewert 
durch die heiligen marterer*), 
swes sin herz von mir begert". 
wan Sant AUAnes heilictuom 
und Sant Ruftnes sint sd wert, 
daz si noch hänt den obersten ruom^^) 
vor allem heilictuom als vert. 
swem si mit vollen gnaden bl 
wonent, der ist ein sselic man: 
er sl eigen oder frl*^), 
sd betet man doch daz heiltuom^^) an. 


5) In der Bamb. Ausg. gebhart. 

6) naghart. 7) kratzbart, 

8) 9) 10) 11) Dieser und der vorhergehende Vers umgestellt. 

12) heüigtvm. 

7* 


100 I^io deutschen Appellati vnamen. 

Noch stehen im Benner auf 8. 10 b die Verse: 

Swenn si'(die Kinder) die kintheit übentrebent 
und nimmer in vorhten lebent, 
sän kumt her Virwitz gerant 
und loest den meiden tf diu baut; 
. die knehte loest her Selphart. 

Eben dieser Selphart, die Personificierung des Eigenwillens und 
der Selbstsucht, die Zusammenfassung aller Selbstsüchtigen und 
Eigenwilligen, macht den Mittelpunkt einer dem Kenner etwa 
gleichzeitigen Prosaschrift religiös-satirischen Inhaltes aus (Altd. 
Leseb. Sp. 687 = 901 = 811), der Schilderung eines Klosters, 
das auf die Regula Selphardi gestiftet ist und dessen Abt 
Bdswiht heisst, der Prior An tugent, der Küster ClafSre von der 
werüe, der Cantor Kiverere, andere Brüder Hh'stuol, Zornlin, 
Ergdtn, Werre oder Werräj Irre sich selben oder Triuc sich 
selben^ GeUchesSre, Hinderspräche, Itel spät, Clüterere oder 
Riserer, ScKimphelin, Unmicozze, ZUverlies, Itel Sre und Clafun- 
nüzze. Darf ich solchen zusammenhangenden Belegstellen der 
frühesten Zeit endlich noch eine viel spätere beifügen, so mag 
dieselbe vom Schluss des siebzehnten Jahrhunderts, aus dem 
Judas Abrahams a S. Clara entnommen werden: „Wie diese 
(die fünf thörichten) Jungfrauen haben geheissen, schreibet der 
hl. Evangelist Matthäus nit, ausser dass er von ihnen den üblen 
Nachklang setzet ,dormitaverunt omnes et dormierunt', sie seind 
schläferige Menscher gewest. Ich mein, die erste^hat geheissen 
Schlaf ofta, die andere Schlenziana, die dritte Faulberga, die 
vierte Thuenixa, die fünfte Ranzinbeta. Gewiss ist es, dass sie 
faule schläferige Menscher gewest" (Passauer Ausg. 2, 259). 

Diese Appellativnamen (man dürfte sie , freilich wiederum 
nicht ganz zutreffend und genügend, unter die Benennung der 
allegorischen zusammenfassen) verhalten sich aber, wie schon 
aus dem bisher angeführten sich ergiebt, in Ursprung und Bil- 
dung nicht alle auf die gleiche Art:, theils stellen sie wirkliche 
Eigennamen, also Taufnamen, theils nur Beinamen vor, und die 
einen wie die andern sind abermals bald so, bald so beschaffen. 
Wir werden am füglichsten vier Gruppen unterscheiden. 

A. Eigennamen, die sonst auch üblich sind, werden nun 
wortspielsweise angewendet. 


Die deutachen Appellativnamen. 101 

Beispiele. 

Adelger y einer von den sechs klagenden Rittern am Grabe Ulrichs 
von Pfannberg bei Suchenwirth 11, 105 fgg., wie 

Adelhart, oben S. 63 Personification des Adels und Zusammen- 
fassung der Adlichen. 

Adelhsit nennt sich die hl. Jungfrau in Frauenlobs erstem Leich 
12, 37. 

Adeltrüt eine von den fünf Jungfrauen der Frau firenkranz: 
lieders. 1, 381. 

Adelunc kommt meines Wissens weder alt- noch mittelhoch- 
deutsch als Appellativum (diess lautet ediling, edüinc), wohl 
aber als Eigenname vor: damit ein Wortspiel in der Nach- 
rede zum zweiten Theil des Passionais Z. 145 „da ISrt sin 
Adelunges site sich in niht vil bekumbern mite*'. 

Alman. Der Glaube d. h. die Treue ist „Ein seltzam kraut: 
in Almans garten Darf maus zu wachsen nicht erwarten": 
Waldis Esop 1, 94. Sprichwörter: „Allmanns Freund Jeder- 
manns Geck", „Was Allmann sagt, ist gern wahr", „All- 
manns Rath ist gute Theilung" Simrock S. 8. [Froschmäus. 
F f 4 a. b.] 

Billunc Neider, Neid: Renner 161b, 166 a. In der ersteren 
Stelle wird Billunc unter „dös nides spiezsltfaere" gerechnet: 
der Dichter bezieht, wie es scheint, den alten in Geschichte 
und Sage bedeutenden Namen (vgl. Mythol. S. 347) auf das 
Zeitwort Uller^ d. i. mit einem spitzen Eisen hauen. [Der 
Sachsenherzog Bernhard Billung, wie Adam von Bremen 2, 
46 ihn characterisiert?] 

Bitterolf schilt im hl, Georg 4144 die Kaiserinn ihren Gemahl, 
den Wütherich. 

Blasi, Wind, Rausch: s. oben S. 63. 

[Coloman: sant Kolbman H. Sachs 2, 246.] 

Engelmär: „mtn Engelmär" sagt von Gott die heil. Jungfrau 
in Frauenlobs Leich 1, 12,' 38. 

[Ernst: meister Emest Minnes. 2, 205 b. 221 b.] 

Fridrich. Wenn der Krieg eine schlechte Wendung nimmt, 
„Denn hangen solch gsellen den schwänz Und rufen Fride- 
richen an": Waldis 1, 55. „Du aber zählest lieber zwei als 
eines, bist öfter zu Penzing als Friedberg, hast mehr Krug 


102 ^i^ deutschen Appellativnamen. 

als Kandel, bist öfter ein Hadrian (Haderer, Zänker) als ein 
Friederich": Abr. Judas 5, 250. [Friedrich Proschmäus. T vb.] 

Vromuot froher Sinn: Neidh. 32, 1. 85, 14. 

Gebehart im Benner oben S. 63 und S. 99. [Simon (vergl. 
4152) und Gevert: Reinke 6771.] 

Gotliep die Liebe zu Gott: unter den sechs Sittem bei Suchen- 
wirth 11, 102 fgg. 

Heimer an d. i. Heimeram für Emmeram: „der Haimerl ein 
heimtückischer und dabei dummer Mensch" Schmeller 2, 195. 

Kilian (mtKil, Schreibkiel bezogen), Federheld: Schuppii Schrif- 
ten 2, 54 „demselben und andern octavo Julii natis mehr, 
welche dem hochlöblichen Frauenvplk ihren Vorzug und ge- 
bührende Gewalt gern abschneiden wollten". 

[Lawel (Nicolaus? bezogen auf lau, lauein: Schmeller 2, 406) 
dummer Mensch: Hub, kom. Pros. 2, 44. 45.] 

Lene, Abkürzung von Helene, im Wortspiel mit lehnen ein faules 
Weibsbild. (Wolt ich nicht heissen) „Jungfrau Län, von wegen 
einer faulen Länen?^*^ Fischarts Gargantua M. 7 vw. [H 4 
VW. Pract. Cüij vw.] 

Lutz, Lndzl d. h. Lucia, Weibsperson, die gerne trinkt, Bierlutz, 
Branntweinlutzl: lutzein (niederd. lutschen) schlürfen, saufen: 
Schmeller 2, 532. 

[Mangold: S. Mangold (Mangel) Pischart Pract. A 2 b. 

Nicolaus: seine Fenster waren . . dem Sant Nitglasz gewidmet: 
Simpl. 1, 1, 1 S. 11 Kurz; während mancher sauern Stunde 
hatten wir für den S. Niclaus (für nichts) gearbeitet: Hart- 
manns Eiltabendgeschichten 1, 154.] 

Nidinc, Nidunc Neider, Neid. Her Ären-nidinc bei Boppe, v. 
d. Hag. Minnes. 2, 384 a; -Nidunc bei Eeinmar v. Zweter 
ebd. 214 a, und im Kenner oben S. 99 u. Sp, 161b. 

Ntthart Neider, Neid: Kenner 161 b; Narreuschiff Op. 53, 
üeberschr. u. 77, 59; Her Nythardes spei speien: Keineke 

• 4394; Neidharts Spil treiben, sich Neidharts Ding gebrauchen: 
Schmeller 2, 681. „Wie denn der Neid an Fürstenhöfen 
gross ist und der Neidhart fast regieret": ebd. aus Aventinus. 
„Gott schafft, dass Neidhart und untrew Sein eigen Meister 
erst gerhew" Waldis Esop. 1, 35. In der Heidelberger Hand- 
schrift 643 '(Wilken S. 505) „Georg Maiss von Laugingen 
Abhandlung wider den Neidhart (Hass und Zwietracht) — 


Die deutschen AppellatiTnamen. 103 

1688". „Durch solchen Traum wollte Gott schon von fern 
andeuten, wie dass der gerechte Joseph zu hohen Würden soll 
gelangen, seine Brüder aber der Lakaien Stell verrichten, 
denen der Schneidermeister Neydhart die Livree verfertigt** 
.Abr. Judas 1, 21; der neue Herausgeber fügt dem die Er- 
klärung bei „Wahrscheinlich ein damals in Wien berühmter 
Schneider'*. [Nachbar Neidhart: Musäus 734.] An solcher 
Häufigkeit der uneigentlichen Verwendung mag der Ruf des 
ebenso benannten Dichters um so eher Antheil haben, als 
dieser vielleicht selbst schon mit seinem Namen so gespielt 
und ihn auf den Neid ausgedeutet hatte (47, 16. vgl. v. d. 
Hag. Minnes. 3, 264 a): auffallend aber bleibt es, wie daneben 
nicht bloss im elften Jahrhundert Nithard mit „odiosus vel 
valde malignus** (Pez Thesaur. anecd. 3, 2, 609), sondern so- 
gar noch im fünfzehnten mit „odium durum** (Felix Hemmer- 
lin V. Eeber S. 365) übersetzt, auch da noch auf den Hass, 
nicht auf den Neid bezogen wird. 

Jiich<irt im Benner oben S. 63 und 99. 

Simon ein Mann, der weibisch und dessen Sie der Mann ist: 
Schmeller 3, 182; „Ducke dich, Simon, duck dich! Duck dich, 
lass fürüber gan! Die fraw wil iren willen han*' Uhlands 
Volksl. S. 758. Deutscher gemacht 8i7nan, Sieman: Waldis 
Esop. 4, 70; „Siman, weil — man Gaucheyerbrütlern also 
ruffet** Fischarts Gargantua M. 7 vw.; Sitte walds Gesichte 
(Strassb. 1650) 1, 366. In Oesterreich sollen die Simannl 
von Krems sprichwörtlich sein. Dem Simon steht als Name 
der Herrscherinn Erweib zur Seite: Schmeller a. a. 0.; doch 
' wird diese selbst auch Siman genannt: so in einem noch 
weiter ausgesponnenen Wortspiel Abrahams a S. Clara Judas 
4, 306. Als Bezeichnung der Weiberherrschaft Doctor Sieman: 
Waldis, 4, 81. [Simon Siman: Weitenfelders Lobspr. der 
Weiber von Haydinger S, 4. 7 — 9. 13—15. Schmeller Mund- 
arten Bayerns S. 521 fg. Eyering S. 70. Hub 2, 334. Fraw 
Simon: Gödekes Gengenbach 583. vgl. Schubart, Ad., Haus- 
tmffd d. i. der Meister Sieman, wie die bösen Weiber ire 
fromme Männer, und wie die bösei^ leichtfertigen buben ire 
fromme Weiber plagen, ein zu Frankfurt 1565 in 8®. er- 
schienenes Keimwerk. Nimmt ein armer ein Reiches Weib, 


104 ^^ deutschen Appellativnamen. 

SO hat er kein Weib, sonder ein Herrin und Sieman, deren 
er fär ein Knecht dient: Elezbell 6a.] 

Ulrich. Dem Uolerich rüefen (Uhland S. 577), den heiligen 
Ulriöh oder Uele anrufen (Schmeller 1, 46) heisst sich vom 
vielen Trinken übergeben: der trunken Üelin (Gengenbach .v. 
Gödeke S. 520. 682) bezeichnet diese ekelhafte Gestalt der 
Völlerei collectiv und abstract. Ein Wortspiel, indem es ein 
Spiel mit nachahmenden Lauten ist. [In der Schweiz dem 
Ueli winken; dem Utzen rufen Garg. Gap. 8 (Trunkenen- 
Litanei). Daselbst der Utz ein Trunkener: herausz mit dem 
Butzen, halt den Kopf dem Utzen. üeli (von Stouflfen) 
Narrensch. 4 Holzschnitt, Anmerk. S. 307. Weinül? Weinuel? 
J. Pauli Schimpf u. Ernst 21. 271. vgl. Weigand im Oberhess. 
Intelligenzbl. 1845 no. 83. Laurembergs Sat. 3, 331. Anmerk. 
S. 230.] 

Valtl aus Valentin ist den Baiem appellativ ein Einfaltspinsel: 
Schmeller 1, 628. Dagegen auf fallen wird der Name aus- 
gedeutet, wenn das fallende Weh S. Valtins Krankheit, S, 
Veltins Siechtag, VeUens Tanz oder bloss Vaitin, VaUen 
heisst: Frisch 2, 396 b; „Yalentinus comitiali morbo labo- 
rantes sanat, quapropter nos epilepsiam Yalentini morbum 
vocamus** Haupts Zeitschr. 1, 144; „Valten, Vaitin kompt 
von fallen und ist das fallend übel — darzu Sanct Vaitin 
(ist anders irgent ein heilig im Himel, der also heisst) Apo- 
tekerknecht ist" Agricola Sprichw. 500. vgl. 475. [Sant 
Vaitin, Veiten Hub kom. Pros. 2, 78. 116.] Häufig wie 
Anderes der Art in Verwünschung und Fluch und Schwur: 
„das deich sant Veltins arbeit besteh !^^ Manuel S. 432; „dal&s 
dich Sant Veltes Krisem anstoss" Sittew. 1, 265; „dass dich 
Sanct Veiten ankomme oder sehende!" Agric. a. a. 0.; „hat 
mich S. Veiten mit euch Welt-Narren beschissen?" udgl. 

. Sittew. 1, 216. 271. 2, 35; „hat dis dann S.Veiten gesagt?" 
Simplic. 1, 487; „zuckte darauf meinen Prügel und jagte sie 
damit für alle Sanct Veiten hinweg" ebd. 2, 779; „beim 
Veiten!" A. GrypWus P. Squenz S. 6; „ei zum S. Veiten!" 
Weise im Tobias ; na^t Voranstellung des in solchen . Aus- 
drücken üblichen, hier zwar wie öfters eigentlich bedeutungs- 
losen potz, d. i. Gottes, „botz Veiten — s. v. a. die schwere 
Noth!" Frisch a. a. 0., „o potz tausend feiten!" P. Squenz 


Die deatschen AppellatiTnamen. 105 

S. 13, „das dich potz Yaltin schendt!" Jac. Ayrer bei Krm 
zu Marners luth. Narren 8. 216 u. dgl. Unrichtig also hält 
J. Grimm Myth. S. 956 in diesem Fluche Veiten für einen 
Namen des Teufels mit Anspielung auf välant. 
[Viüielmm Strohsack: Pischart Garg. 258,] 

In Hadrian, in Simon, in Valtl u. s. f. wird ein fremder 
Name deutsch verkehrt: anderswo bleibt die Gelehrsamkeit inner- 
halb ihrer Sprache, oder zieht gar einen deutschen in dieselbe 
herüber. „Was geht das Graf Ego an?" Hoflfmanns Spenden 
1, 150 (vgl. Lieders. 3, 563); „Ein guter Servativs macht einen 
guten Bonifacium^'^ ebd. S. 56. [waz gät ez gräv Egen an? 
lieders. 3, 563. vgl. Eyering 776. Garg. 273. Graf Efeo bawet 
wol und hat schone Pferd: S. Franck Sprichw. 2, 42 rw. Gispel 
gedankenloser Mensch, Schmeller 2, 77, flatterhafter Mensch, 
Stalder 1, 449, erscheint als Gispus Abr. a S. Clara 1, 147. 
Zu Olims Zeit Bürger 24 b.] Die Uebertragung der Heiligen- 
namen AUnnus und Bufinus auf die edlen Metalle und den 
Beichthum daran oben S. 99 ist an den deutschen Dichter von 
altem Lateinern gekommen: s. Carmina Burana S. 15 a und 
Albert von Beham S. 72; an jenem Orte S. 238 b auch „vinum 
et Albinum et Rufinum.^^ 

. JS. Es werden Namen nach Art der Taufnamen neu und 
eigens gebildet. 

Schon den Sanctgallern um das Jahr 1000 lag es in Sinn 
und Ohr, wie häufig und durch die Häufigkeit fast bedeutungs- 
los in der Ableitungssylbe und dem zweiten Bestandtheil die auf 
ing und ung und olf ausgehenden Namen seien: sie übersetzten 
Achates mit Steinung (Ps. 18, 11), Penates, Favores, Opertcmei, 
Cunctalis mit Hüsinga, Liuniendinga, Tougeninga, Samahafting, 
ohne doch ein patronymisches Verhältnlss, Noctumus und Consus 
mit Nahtolf und Wiüolf (Marcianus Capeila S. 40 fgg.) ohne 
dabei noch den Begriff eines Wolfes meinen zu können; und so 
wird auch, wenn Notker Ps. 48, 12 den reichen Mann des evan- 
gelischen Gleichnisses Rtchölf nennt, diess olf weiter keine Be- 
deutung als die ganz allgemeine einer namenbildenden Sylbe 
haben. Auf gleiche Art nun verfuhr die mittelhochdeutsche 
Zeit und gab den neu geschaffnen appellativeu Eigennamen, da- 
mit sie auch recht wie Eigennamen klängen, in der Mehrzahl 


106 ^6 deutschen Appellatiyiui.inen. 

der Fälle die Schlusssylben, die zu blossen Schlnsssylben herab- 
gesunkenen Schlussworte ine, holt, hart, hiU, olf und oU, 
Her OUdinc Scheltname von unklarer Bedeutung in v. d. Hag. 
Minnes. 2, 384 a. Siurinc, von sür, unter dem Gesinde des 
Neides aufgezählt im Eenner 161 b. Her Slihtinc, Schelt- 
name jemandes, der sich als ßichter und Schlichter aufdrängt: 
Altd. Wald. 3, 208. [her Berting Leseb. 1 S 1215, 9. her 
Weichelinc Minnes. 3, 90 a.] 
Her Trunkenbolt v. d. H. MS. 2, 197 b. Wankdholt unbestän- 
diger, unzuverlässiger Mensch: Georg 3038. 5748. Witzbold 
der sich der weiseste dünkt: „Es gibt keine andere Waare, 
wenn Witzbold seine auslegt" Hoffmanns Spenden 1, 68. [her 
Wankdbolt Helbling 7, 135 fgg. her WerreboU ßitterspiegel 
1027. alle Witzboldi: Garg. S 7 vw. (290).] 
Ahselhart der von sparsamem Leben mager ist: Helbling 1, 
1082*^). .^Faulert bohrt nicht gerne dicke Bretter"; „Paniert 
muss zerrissen gehn": Sprichwörter bei Simrock S. 105. 
Glihsenhart, Klinchart, Kratzhart, Lügenhart, Nagehart, 
Nemehart, Selphart, Slinthart oben S. 63 und 99. Slunt^ 
hertlin ein Kind, dem die Worte im Halse stecken bleiben: 
Eenner 169 b. Slurchart, v. d. H. MS. 2, 213 b, zu schlurken 
d. h. mit träge geschleiften Füssen gehn: Stalder 2, 324. 
333; Schmids Schwab. Wörterb. S. 468. SmeichaH, Trügen- 
hart oben S. 99. Wankelhart s. v. a. vorher Wankelbolt: 
„der leu nu zeinem fuhse wart; Wendelmuot und Wankelhart 
der gräf mit fltz ze hüse bat; unmäz da vor der milte trat; 
diu gaeh wart wlns und willen sat" Ulrich v. d. Thürlein 
Wilhelm, Heidelb. Handschr. 395, §. 20. [Faulhart Eyering 
803. Bockhard Abr. a S. Clara 11, 79.] 
Spothüt: „0 weit, dein name heisst Spothilt" Priamel in Eschfen- 
burgs Denkmälern S. 405. TugenthiU eine von den Jung- 
frauen der Frau Drenkranz: Lieders. 1, 381. [Spothüd, 
12. Jahrb., Haupts Zeitschr. 12, 410*] 


13) Als Zuname (nicht Eigenname) in Passauer Urkunden von 1288 
nnd 1308: Haupts Zeitschr. 4, 578. Das Adjectivurn thunegischerj das 
bei Helbling vorangeht, ist in tuonegischer oder, falls man mit der Aen- 
derung noch weiter greifen muss, in iuonegeuscher zu bessern: Tuonahgowe, 
Tuonagowe u. s. f. althochd. Donaugau: Förstemann 2, 410. 


Die deutschen AppellatiTnamen. 107 

Giemolf Scheltname bei Franenlob, Spruch 166, 1: wohl mit 
goume zu giwm das Maul aufsperren. Zwei Namen der Art 
in dem Sprichworte ^^Wänolf Triegolfs bruoder ist" Boner 80, 
23; Wdndf Btriegolfs bruoder ist" Narrensch. 67, 64: d.h. 
wer bloss meint ohne zu denken, betrügt sich leichtlich selbst. 
[,ünd als ich nun schlieff , da dunkt mich wie mir jemand rieff. 
Und als ich acht hett auff die Stimm, sprach sie, hör Warkolf, 
mich vernim. Schaw ich bin die Praw Phantasey* u. s. w. 
Ganskönig D 1 vw. Schenteln und Schandolf Berthold S. 115, 
6 fg. ein schandolf 115, 24. als Teufels- und Spielmanns- 
name 156, 1.] 
DieboU v. d. Hag. MS. 2, 214a: Wortspielswendung eines sonst 
wirklichen Eigennamens, der jedoch, aus JDietboU, DietbaU 
entstanden, keinen Bezug auf diep hat. Ebensoich ein Spiel 
wäre, falls das unverständliche Manolt am gleichen Orte so 
zu lesen ist, Meindt: der auf althochd. Maginwald beruhende 
Name hier auf mein d. i. Falschheit, Missethat, Schädigung 
umgedeutet. Ebenda RouboÜ und oben S. 99 SweroU. [Sant 
Frumhold Eyering S. 436. B. Waldis Esop 4, 3, 55.] 
Nächst all diesen kommen, jedoch um vieles seltner, auch 
Nachbildungen andrer üblicher Namenarten vor, zwei drei männ- 
liche, wie Erwart und Mildemär bei Suchenwirth 11, 103 fgg. 
und Sparmund oder lateinisch gemacht Sparmundus: „Bed ist 
nit gut zu allen zeiten: Darumb so lern Sparmunde miachen" 
Mumers Schelmenzunffc Cp. 48; „Wir werden müssen Spar- 
mundus halten und Hunger leiden" Schmeller 3, 573. Spar- 
mund ist wie das oben S. 5^ besprochene Warmund, nur dass 
mund hier eben Mund (althochd. mund, altnord. munn und müb, 
angelsächs. mM\ nicht Hand und Schutz (althochd. munt, 
altnord. u. angels. mund) sein soll. Sonst lauter weibliche: 
denn die Personificierung hat eine Vorliebe for diess Geschlecht: 
oben S. 62. [her Aentric: Haupts Zeitschr. 1, 233. 235. 
249. 261.] 

An die wirklichen Namen mit berga und bürg (Förstemann 

1, 262 fg. u. 293 fg.) schliessen sich Faulberga oben S. 100 und 

Mäzeburc, eine Jungfrau der Frau Urenkranz, Lieders. 1, 381. 

Au die mit gund (Förstem. Sp. 555 fg.) Schamigunt, 

gleichfalls im Lieders. 1, 381. 

An die mit liuba (Förstem. Sp. 848) ebend. ZuhÜiebe. 


108 I>ie deutschen Appellativnamen. ' 

Wanddfmu>t und Wendelmtiot sind in dieser Form selbst schon 
alte Eigennamen (Förstern. Sp. 1226): die Allegorie deutet 
aber den ersten Bestandtheil, der ursprünglich den Namen der 
Yandalen enthalten mag, auf das appellative wandet und auf 
wenden um, und Wandelmuot und Wendelmuot bezeichnen 
nun den unbeständigen oder sonstwie tadelhafben Sinn, sind 
weiblich dasselbe, was männlich Wankelbolt und Wankelhart. 
Mit letzterem haben wir auch Wendelmuot schon zusammen- 
gestellt gesehen; ausserdem findet sich vrou Wendelmuot 
noch an einer andern Stelle von Thürleins Wilhelm (Casparson 
S. 128 a), bei Konrad von Würzburg (v. d. Hag. MS. 1, 
313 a) und noch im sechzehnten Jahrhundert (Schmeller 4, 
106), frd Wandelmuot im Liedersaal 2, 157 und 3, 88. [min 
vrou heyt wendelmoet^ Haupts Ztschr. 1, 243.] 
Endlich mit lateinischem Ausgang F. Abrahams ScUenziana 
oben S. 100: schlenzen ist was sonst schlendern. 

C. Die Personification einer Handlungsweise, die Zusammen- 
fassung der so oder so handelnden Personen wird durch einen 
Beinamen bezeichnet, dessen erstes Wort ein Imperativ und 
dessen Sinn ein ironischer, durch Ironie scherzender oder spotten- 
der ist: denn zum Schein wird gerade das, was man tadeln will, 
befohlen. Wortbildungen der Art kommen vor dem dreizehnten 
Jahrhundert noch so gut als gar nicht vor: lechespiz, im zwölf- 
ten (Diutiska 3, 156) die Uebersetzung von liia, steht ganz 
vereinzelt (später in Wittenweilers Ring Z. 24 ein Bauer Rüfli 
Lekdenspiss) und wenescaft, wovon im Sanctgallischen Marcianus 
Cai>lella S. 84 das Zeitw. wenescaftdn, steht insofern abweichend 
da, als damit kein Tadel gemeint und der Begriff durchaus un- 
ironisch der eines Speerschwingers ist: hwenjan im Althochd. 
schwingen. Das dreizehnte Jahrhundert aber und ihm folgend 
die weitere Zeit hat diese ironischen Imperative zuvörderst nur 
in persönlichen Beinamen verwendet, und als Namen solcher 
* Personen, denen gegenüber Scherz und Spott und Tadel und 
Verurtheilung, Geringschätzung oder Hass am Platze war^*): 


U) [Schindengast, vgl. Pfeiffers Germania 8, 26. SptspUa Reinardus 
3, 749. Leckespiz Berthold 479, 14, vgl. Garg. Ff 7 vw. vgl. Shakespeare, 
hengeisen Weisth. 4, 185. 190. hengtsel 207. 208. — sie ist mein täglicher 
Hehenstreit: H. Sachs 1, 84.] 


Die deutschen AppeUatiynameii. 109 

Bauern z. B. hdssen Fäcfuemtier, Greif in peutl, Prichenfrid, 
Baumentegl, Schew den galgen, Schreckhenvd d. h. den Fohlen, 
Trinchsaus, Trüebenpach (Aufsess und Mones Anzeiger 3, 84), 
Käuber wie im Meier Helmbrecht 1186 fgg. Miischenkelch, 
Bütelschrin, SUckenmder, Slintezgeu, Schildknecbte wie in den 
, Osterspielen Hitzenplitz, Schl(zchinhaufen, Schiirenprand, Wagen- 
drüssel, Wagsring (Germania 3, 273 und Drama d. Mittelalters 
in Tirol v. Pichler S. 45 fgg. 144 fgg.)? fahrende Sänger und 
Sprecher Lobdenfrumefi, Rümezlant, Singüf, Sorgnit, Suochensin, 
Suochenwirt (Litt. Gesch. S. 118). Herbort im Trojanerkriege 
2274 bildet dem das gelegentliche Schimpfwort zetebrief nach; 
andre dergleichen Namen hat die Neidhartisch volksmässige 
Lyrik und besonders zahlreich die Konük der Fastnachtsspiele 
für ihre Bauern und Schelme nach- und hinzuerfunden: so noch 
bei Niclaus Manuel (Grüneisen S. 346 fgg.). Sebctstian Schind 
den puren, Elsli Trib zuo, Jacob Gryfs an, Policarpus Schab 
gnaw, NicMi Zett mist, Lupoid Schuck nit und in einem pro- 
saischen Gespräch desselben (ebd. S. 426) die Helfershelfer des 
Pabstes Hans Strich den bart, Kunz Sihe sur, Claus Fluoch 
übel, Uoli Boch den tisch. Ebensolche sind denn auch, gleich 
jenen, die wie eigentliche, wie Taufnamen aussehen sollten, oft 
genug und gleichfalls von der Mitte des dreizehnten Jahrhun- 
derts an für den allegorischen Gebrauch, der uns hier beschäf- 
tigt, erfunden worden. Belege. 
[Des Achts nit Bruder: Fischart Dichtungen 2, 83, 3124 Kurz. 

Achtseinnicht Froschmäus. Y y 7 a.] 
Her Brich den eit: Konrad v. Ammenhausen im Schachzabel- 
buch, Kurz u. Weissenbachs Beiträge 1, 52. 
Dunkel guot v. d. H. MS. 2, 384 a: d. i. Dunkeguot, mit dem- 
selben unorganischen / wie Dunkelboden (Schmoll. 1, 377), 
Fasielabend, Findelkind, Heidelbeere, KMbdtac, Schickelmann, 
Scheidelsäme, Werkeltag. 
y^EiU sehr brach den Hals": Sprichwort bei Simrock S. 89. 

[S. Frank 2, 69 b.] 
„Seine Hände heissen Greif zu^^: ebd. S. 185. 
Irre sich selben und Claf unnüzze oben S. 100. 
Leeren biutel und Füllen sac oben S. 99. 
Pfürpfd sac objn S. 99: der die Tasche voll pfropft. 
Banzinbeta: oben S. 100, die sich im Bette ranzt d. h. mit 


110 Die deutschen Appellatiynamen. 

Faulheit streckt. „Der über disch allein sich kennt Und dar 
uff legt arbeit und flyss, Das er allein esß alle spyss Und er 
allein mög füllen sich Und andern nit göndt auch des glich, 
Die selben heiss ich Rum den hag, Lcerss kärly, Schmirwanst, 
Füll den mag''*' Brants Narrensch. 170a, 69 fg.: kärly Ver- 
kleinerungswort zu kar Gefäss. 
Schaffe nifU oben S. 98. Schinden gast S. 99. ScMafofta 
S. 100. Spar helblinc S. 99. Swende lär Verschwender, Ver- 
schwendung: V. d. H. MS. 3, 167 b. 
Thv^nixa oben S. 100. „2Vaw wol reitts Pferd weg'*: Sprich- 
wort noch bei Schmeller 1, 466; bei Schuppius 1, 358 ^^Trau 
zu viel reit das Pferd weg*', im Simplicissimus (Stuttg. 1854) 
2, 689 „der Trau woKl reitet oft Pferd hinweg"; im Narren- 
schifif 69, 24 abstract infinitivisch „Wol truwen rytt vil pferd 
hin wägk". [Trauwol ridts pferd hin: S. Franck Sprichw. 
1, 101 VW., Trauwol rit das pferd hin weg: ebenda 2, 16 vw. 
(erzählend). Trauwol, reitet das Pferd weg: Agric. 16 vw. 
vgl. Der Traw nicht viel: Froschmäus. Küij a.] Anders ge- 
wendet und trüwen nicht im Sinne von trauen, sondern in 
dem von erwarten verstanden, „Getrüt sin niht reit den hengst 
hin" Helbl. 15, 512: das Subject ich ist ausgelassen wie in 
dem Spruche Freidanks 116, 1 „Waenich unde trüwes niht 
diu habent mit den tören pfliht": hier zeigt wiederum das 
neutrale diu die unpersönlich abstracto Auffassung. 
TriiLc sich selben oben S. 100: auch diess mit dem auffalligen 
Object wie vorher Irre sich selben: der Verfasser begann wohl 
Imperativisch, dachte aber sogleich weiter an eine dritte Person, 
die sich selbst betrügt, sich selber irre führt. 
„Viel borgen hat eine Stiefmutter, heisst Verkauf dein Gut; 
die gebiert eine Tochter, heisst Giebs toohlfeil; dieselbige 
Tochter hat einen Bruder, der heisst Zum Thor hinaus ^^: 
Märchen d. Br. Grimm 3, 225. 
Wä heb üf und Niht envint ob.en S. 98; wä d. h. sich wä, hier! 
Noch einige andre Beispiele werden uns in der dritten Ab- 
theilung auf Anlass der Appellativnamen Hans und Heinz ent- 
gegentreten. 

D. Endlich viertens werden allegorische Namen noch in all 
der Mannigfaltigkeit anderer Bildungs weisen ermüden, die auch 
wirklichen Beinamen zusteht. 


Die deutschen Appellatiynaineii. 111 

a. Adjectivisch. Are v. d. Hagens Minnesinger 2, 214 a. 
Manhaft Suchenwirt 11, 107 fgg. Nimmer vol oben S. 99. 
Schanden decke Uöz v. d. Hag. Mannes. 2, 384 b. Seltm rieh 
oben S. 98. Sdten satt Narrenschiff 72, 34. Umbereit oben 
S. 98. Sprichwörtliche Bedensart ^^Ungeschickt lässt grüssen^^ 
Ungetcis v. d. H. MS. 2, 214a. ^^Vil karc unde Same karc 
Selten teilen drt marc: Yil karc woldez bezzer hän, Same karc 
woldes niht län. Der strtt ist ungescheiden ünder den kargen 
beiden^^ Freidank 132, 26 u. 158, 14: d. h. sehr geizig und 
ebenso geizig: es ist, wie wenn wir sagten „Geizhals und (nach 
Schweizerart) Geizkragen". Vriddds MS. 2, 214 a. Wuest 
genuog Narrensch. 72, 34. [UebelheriUen will stets vornen dran 
sein: Hoffmann Spenden 1, 41. Untrew sein eigen Herren 
schlecht: Froschmäus. V 6 a.] Vielleicht auch, falls das Wort 
ursprünglich ein Adjectivum ist (es gehört zu nipfen, naffezen, 
althd. hnaffezen, angelsächs. hnappjan dormitare), S, Neff, der 
ersonnene Schutzheilige der Schläfrigkeit und Verzagtheit: 
Schmeller 2, 683; wir werden später dem ähnlich einen S. 
Grobian^ S. Stolprian kennen lernen. 

i. Substantivisch. ÄUöser Abschneider oben S. 98. Bdstviht, 
ErgelAn, Gelichsire S. 100. Mit lateinischer Endung Glimpfius 
Narrensch. 72, 7. Hirstuol, Hinderspräche, Kiverere, Clüterire 
(Beschmutzer) oben S. 100. Kratzhan S. 99. Liegdt, Pärät 
MS. 2, 213 b. [her Pdver Pärät: Krone 8798. Meister Baraet 
von Lozane: Haupts Zeitschr. 1, 235.] Biserer, Schimpf din 
oben S. 100. Schade S. 98. ^ßchickelmann wohnt am^Wege" 
oder „an der Strasse" Frisch 1. 177 a. [Agricol. Sprichw. 670.] 
Simrock S. 423. Fraw SeUenfrid Mumers Schelmenzunfk Cp. 
19. Stich MS. 2, 213 b. Snüdel, Sürtel eM. Z8i 2Lb (Schnudd 
Setz, serten stuprare). Triegät, Trumphatdr 213b. ^^Übdleb 
kauft dem Wohlleb sein Haus ab" Sprichwort bei Simrock S. 
502; Wohlleb auch wirklich ein Geschlechtsname. Unmtwzze 
oben S. 100. Unrat S. 98. Valscher MS. 2, 213 b. [Meister 
Vaere und Meister WiderstrUe jung. Tit. 2900 ff.] Virwüz 
oben S. 100; Fürwitz Uhlands Volkslieder S. 636. Werre oder 
Werrd (Imperativisch?) oben S. 100. Zadd> S. 98. Zitterort 
S. 99. ZUverlies, Zornltn S. 100. Zwtvd S. 98. Mit ad- 
jectivischer Bekleidung Dünne habe oben S. 98; Gdreuwer rät 
Suchenw. 11, 103 fgg.; ßel ^e, Itel spot S. 100. Mit gpni- 


112 Die dentschfin AppellatiTiiameiL 

tivischer Fiau ilren kränz Lieders. 1, 381; Niemans vriunt 
MS. 2, 384 a. Mit präpositioneil vermittelter Clafire von der 
werüe oben S. 100. Substantivurn mit vorangesetzter Präposi- 
tion, einem adjectivischen Beinamen gleich^ An tugmt oben 
S. 100. 

€, Adverbial. Bi gendt oben S. 98: das heisst wohl nah 
bedrängend und beengend, während Otfrieds Mgondto (b, 19, 
12 fgg.) ein bescheiden gemässigtes ganz und gar zu sein scheint. 
Gar aus Saufaus: Phil. Wackemagels Kirchenlied S. 693 ff.; 
womit zu vergleichen Haut ab, Halb am und Ganz aus, die 
Namen der drei vorgeblichen Eatzenkinder im zweiten Märch. 
d. Br. Grimm. Hie und dort Georg 5748. Süfer ins dorf 
Narrensch. 72, 21. Zum Thor hinaus oben unter (7. Vil an- 
ders Lieders. 1, 389 fgg.: die Satire mag einen Menschen des 
Tirolischen Orts- und Geschlechtsnamens Vilanders im Sinne 
haben. 

d. Ganze, wennschon elliptische Sätze: „Der Arm heisst 
dass QoU erharwf' Sprichwort bei Sailer S. 69; Simrock S. 23. 
JA herre MS. 2, 214a; vergl. zur Erklärung Freidank 50, 2 
und Berthold S. 421, der sogar ein Zeitwort jäherren braucht. 

Wiederum noch andere mit Hans und Kunz gebildete im 
dritten Abschnitt. 

So weit die allegorischen Personennamen. Sie sind aber, da 
ihnen die individuelle Abgrenzug gebricht, nur in so schwacher 
und halber Weise Eigennamen, dass sie oft genug auch zu 
blossen Appellativen für persönliche, ja für Sachbegriffe sich 
haben verflachen können. Neidhart z. B. ist keine Personifica- 
tion mehr, sondern nur noch ein Appellativ gleich andern*), 
wenn Luther im Jesus Sirach 25, 19 übersetzt „Es ist kein 
Lauern über des Neidharts Lauern^^ (griech. (jiiaotJVTov) ; ebenso 
in Burkard Waldis Esop 1, 6 u. 4, 77 und in dem Beijnspruche 
(Hoffmanns Spenden 1, 5) „Sorg das Herz, Mott das Kleid, Den 
Neidhart frisst sein eigen Neid^'; nicht anders wird schon bei 
der Fabel in den Altd. Wäldern 2, 96 die lateinische üeber- 
Schrift „de nithardo^^ gemeint sein. Und jener Heiligenname, 


*) [NUhart, plur. Liliencron Volksl. 1, 176 a. Der nythari der ist 
noch nit dot: Braut Narrensch. Cap. 58 Ueberscfar.] 


Die deutschen AppellatiYnainen. 113 

den wir vorher in Bezug auf das Erbrechen gesehen haben 
(S. 104), bezeichnet den Ostschweizem in der Zusammensetzung 
Mtwstwli das Brustläppchen, das den kleinen Kindern vorge- 
bunden wird um die wieder ausgebrochene Nahrung aufzufangen. 
Vornehmlich eben mit hart, dann auch mit bold giebt es eine 
ganze Beihe von Appellativen, die ursprünglich Eigennamen, 
wirkliche oder allegorische, gewesen oder doch in der Art und 
nach dem Vorgänge solcher gebildet sind. 
Churzibolt, der zweite Name, den Graf Konrad oder Kuno, ein 
getreuer Held K. Heinrichs I, der Kleinheit seines Leibes 
wegen empfangen hatte (Eckehard IV. v. St. Gallen in Pertz 
Monum. 2, 104), erscheint in den nächsten Jahrhunderten als 
Benennung eines Kleidungsstückes (cyclas), eines Rockes doch 
wohl von sonst nicht gewohnter Kürze: Stellen in GraflFs 
Sprachsch. 3, 113 und in W. Müllers Mittelhd. Wörterb. 
1, 221, denen noch Diut. 1, 359 beizufügen. Die üeber- 
tragung begreift sich aus der Berühmtheit im Munde des 
Volkes, deren der Held genoss: er war im J. 948 gestorben 
(der Fortsetzer Reginos bei Pertz 1, 620), und noch um 
hundert Jahre später konnte Eckehard berichten „Multa sunt, 
quae de illo concinnantur et canuntur". [Curtzipoltz, Haupts 
Zeitschr. 3, 188.] 
HetzeboU, Häzbolt, so heisst ein Thüringischer Lyriker in der 
Ueberschrift, die seinen Liedern gegeben wird, und in einem 
dieser Lieder selbst (v. d. Hagens Minnes. 2, 22): eigentlich 
wohl nur ein Beiname, der ihn ebenso als einen eifrigen Jäger 
bezeichnen sollte, wie das Bild der Pariser Handschr. (ebd. 
4, 317) ihn als solchen darstellt. Bei Jeroschin aber kommt 
hetzeboU appellativ s. v. a. Jäger vor: Pfeiffer S. 69. 
Raufbold, Trunkenbold, Tückebold, Witzbold: den zweiten und 
den letzten haben wir vorher (S. 106) allegorisch gebraucht 
gesehen; wir jetzt brauchen alle vier appellativ, und trunken- 
bdt findet sich bereits im vierzehnten Jahrhundert so: Altt. 
Schausp. V. Mone S. 119. [Tnmkenbolt Kolmarer Handschr. 
CXCVI, 1. trunkenbolz B. Waldis Esop 3, 99b. 4, 69, 42. 
98, 98. Schmeller 1, 173. trunken bdze Minnes. 2, 387a. 
ein trunkner bosz Waldis Esop 3, 87, 12.] Witzbold scheint 
die frühere Zeit auf altkluge Kinder beschränkt zu haben: in 
Seb. Francks Sprichwörtern 1, 106 b „Das sehen wir auch an 

Wachernagel, Schriften. IIL 8 


114 ^ie deutschen AppellativnaTnen. 

Witzbolden und früezeitigen kinden, das sie ir früe angeflogiie 
Witz selten wohl anlegen, sonder wann ir weisshevt an solt 
gehn, so ist sie schon verflogen** u. 2, 14a „Wir nassen die 
Witzbold, so zu früezeitig in der witz ansetzen. Die Kinder 
sterben gmeynlich oder verwuodlen wie ein hopf, das sie selten 
zeitig werden, sonder irer weissheyt zuo früe niderkommen, 
das in wie ein missburt abgeht, und die selten wohl anlegen: 
dann sie haben zuo früe angesetzt und den herbst oder eriidt 
nit erlangt." 
„Der Dinghart, Dinghärtel, ungefälliger Mensch (der gerne dingt, 

streitet, zankt?)" Schmeller 2, 241. 
Freihart Landstreicher u. dgl.: s. Haltaus Sp. 507 u. Haupts 
Zeitschrift 8, 510; im Ambraser Liederb. S. 171 ein Meister- 
gesang „Von einem Preyhart und Kunz Zwergen." 
„Der Nothart y Mensch, von bittrer Noth gedrückt" Schmeller 

2, 241. Als althochd. Eigenname bei Förstemann Sp. 963. 
Trottart d. h. Trotthart ^ der Name eines im J. 1480 aufge- 
kommenen Tanzes: StoUes Thüring. Chronik S. 189; im 
Narrenschiflf 85, 94 bereits entstellt Trotter, Zarnckes An- 
merkung zu letzterer Stelle fuhrt die Herleitung von drotten 
treten aus. 
Wakhart (zu wagen, sich bewegen, sich wiegen) im Eckenliede 
Lassb. Str. 166 ein Zopfband, im Servatius 594, wo walchart 
verschrieben ist, das Band, das zu beiden Seiten von der Bi- 
schofsmütze herabhängt ^*). 
Häufiger jedoch als im Hochdeutschen treten uns diese 
Appellativbildungen mit hart im Niederländischen und theils 
durch nachbarliche Einwirkung der Niederlande, theils durch 
anderweitigen und noch älteren deutschen Einfluss sogar in den 
romanischen Sprachen, der französischen, der italiänischen u. s. f. 
entgegen; der den Romanen nothwendige, den Niederländern 
auch in wirklichen Eigennamen geläufige Uebergang in ärd, ard, 
ardo, wodurch hart den Anschein einer blossen Ableitungssylbe 


14) [Eothwälsch Breithart toeitin. Boszhart fleisch, Funchart feuer. 
Floszhart wasser, Fluckart hün oder vogel. Glathart disch. Ganhart 
teuffei, Grunhart feldt, luffart der da rot ist oder Freyheit, Rauschart 
strosack. Bippart sechel. SpracJcart saltz, Stupart mel. Voppart narr 
(coppen liegen): die Rotwelsch Grammatic o. 0. u. J. 4^ Biochart blin- 
der. Burckhart S, Antonius-Bettler: ebenda.] 


Die deutschen Appellativnamen. 115 

gewinnt (vgl. oben S. 106 Faidert), diese Abschwächung der 
Eorm^^) hat auch die appellative Abschwächung des Begriffs er- 
leichtert. Also niederländisch galghaeH Galgenvogel, dronkärd 
Trunkenbold, grtzdrd Graubart, französisch criard Schreier, 
grognard Murrkopf, vieillard Greis, italiänisch heffardo Spott- 
vogel, leccardo Lecker, testardo Starrkopf, und andre, die man 
in J. Grimms deutscher Grammatik 2, 340 und in Diezens ro- 
manischer 2, 359 fg. verzeichnet findet. Mehrere sind erst aus 
dieser Fremde ins Hochdeutsche gekonmaen und gehen hier nun 
wieder auf hart aus, sind wohl auch sonst noch auf Deutsch 
zurechtgelegt. Aus dem französisch-niederl. begaerd ist im Mit- 
telhd. begehart, beghart, bekart, aus lollaerd zunächst lolhart, 
dann auch nolhart geworden ^^), aus bastard, neufranzösisch bä- 
iardy d. h. Sattelsohn, basthart; aus estendard, Tieufr. etendard 
(xon extendere entfalten), stanthart; [aus bombarde grosse Pfeife 
bumhart Frisch 1, 119 a.;] aus tabard (von tapes?) daphart oder 
daphart, der Name eines Mantels von dickem grobem Zeuge; 
aus hasard, einem für die romanischen Sprachen noch dunklen 
Worte (s. Diez Wörterb. S. 33), ha^ehart oder hashart Würfel- 
spiel (s. J. Grimm in Haupts Zeitschr. 1, 576; Gute Frau 1094), 
das eben wie das französische Urwort selber (Mysteres par Ju- 
binal 2, 388 fgg.) und wie das mittellat. decitts der Würfel 
(Carmina Burana S. 233. 248 fg.) auch personificiert vorkommt 
(ebd. S, 252b) und auch in dem Sinne von Unfall, Unglück 


15) [vergl. auch deutsch Lienertj Lehnert; und wie aus Seifrid Sei- 
fert Seifart wird. Franz. aus Caspar Gaspard; der Eigenname lienard 
wird appellativ renardy weiblich renarde, — , Mummart momordit me: 
Cäs. Heisterb. 7, 45.] 

16) Belege für lolhart und nolhart in Gödekes Gengenbach S. 605 fg. 
Während der Ursprung des Namens der Beginen und Begarden noch un- 
ausgemacht und nur so viel sicher ist, dass er nicht yon dem engl, beg 
betteln und heggar Bettler kommt [von hegue stammelnd?], sondern eher 
diess von ihm (Wörterb. d. Br. Grimm 1, 1295), und so viel wahrschein- 
lich, dass, wie oben geschehen, das e von Mgehart lang anzusetzen sei, 
wegen der Umformung hiegger Gleissner (Bonerius 43), bieggerie Gleiss- 
nerei (Mart. 52, 52), empfiehlt für lollaerd, mittellat. lullardus der gleich- 
bedeutende Ausdruck lollebroeder die Herleitung von lullen, niederländ. 
8. V. a. schmatzend saugen, mucken, betrügen. Eben hienach ist bei Kö- 
nigshofen S. 200 („alle beginen und zullebrüeder oder begeharde") lulU" 
brüeder zu bessern [zulbruder Alsatia 1860 S. 223], 

8* 


116 I^ie deutechen Appellati vnamen. 

(hdsart im Französischen der verlierende Wurf: J. Grimm, a. a. 0. 
S. 577) personificiert wird: „daz dich Hasehart verzer!" ist eiue 
Verwünschung (v. d. Hagens Gesammtabent. 3, 78); die Be- 
ziehung auf hase, die in der deutschen Umformung liegt, ver- 
anschaulicht eine Stelle des Kenners (S. 133a) „des erbarme 
got, Daz der tiufel s6 getane not Mit sinem goukel machet! 
Ich weiz wol, daz er lachet, Swenn er (der Würfelspieler) üz 
würfeln drin wil jagen Ein hasen, der bi siben tagen Mit drin 
guoten winden Küm einen möhte vinden. Des kostet mangen 
der selbe hase, Daz vater, muoter und sin base Für in rinder 
unde swtn Gerne 'gseben, möht ez gesin. Swer disem hasen 
jaget nach, Dem ist gen himelrich nicht gäch'' u. s. w. 

Nächst diesen mit boU und hart die andern ihnen gleich- 
artigen Beispiele stehen nicht so gruppenhaft da: ich weiss deren 
nur einige vereinzelte anzuführen. 

Bozolt eigentlich wohl die Benennung eines Tanzes G»des träten 
sie den b."), bei dem etwa in besonderer Weise mit den 
Füssen gestossen und aufgeschlagen ward, aber in zweideu- 
tigem Scherze gebraucht: v. d. Hag. Gesammtabent. 1, 436. 
[Kothwälsch BüboU Freiheit. S. Frumholt bei B. Waldis, s. 
oben S. 107.] 
Dieterich, nebst seiner Abkürzung Diez schon im fünfzehnten 
Jahrhundert (Fastnachtsspiele von Keller 3, 1289) s. v.. a. 
Nachschlüssel, scheint mir lediglich ein euphemistisches Wort- 
spiel gleichsam mit Dieberich zu sein. Den Stellen im Wörter- 
buche der Br. Grimm 2, 1145 mögen hier- noch zwei aus 
Abraham a S. Clara beigefügt werden: „Das Almosen ist ein 
Schlüssel in Himmel: der Geizige hält nicht viel auf diesen 
Schlüssel: ihm ist ein Dietrich lieber, den alle Dieb brauchen; 
denn das Fest S. Donati in seinem Calender nicht anzutreffen 
ist'' Judas 7, 213; „Ich weiss, dass der armen Leut Vergelts 
Gott ein rechter Dietrichschlüssel in Himmel ist" ebd. 27. 
[Rothwälsch Bschiderich amptman. Glesterich glasz. Herterich 
messer, tegenn. Senfftrich bett. Wendrich kesz.] 
Wüetelgöz, einigemal in Uetelgdz entstellt, zeigen spätere Lieder 
in Neidharts Art wiederholendlich als bäurischen Eigennamen: 
V. d. Hag. Minnes. 3, 202a. 213a. 220b fg. 241a. 278b fg. 
280 b: aber eben ein solches verwendet ihn auch appellativ, 
zur Bezeichnimg, wie es scheint, eines Menschen von un- 


Die deutschen Appellativnamen. 117 

widerstehlicher Leidenschaftlichkeit: 208b; ähnlich das Passio- 
nal, wenn ihm (Hahn 64, 41) Barrabas „ein wütegdz un- 
reiner" heisst*). Damit wird der Name in seinem vordem 
Theil auf umot bezogen [wuotan tyrannus, Graflfs Sprachsch. 
1, 767]; goz aber, auch dieses sonst ein Eigenname, hat die- 
selbe Abschwächung in den Begriff eines Menschen ohne Sinn 
und Vorstand erlitten, wie an einer Stelle von Betzen und 

r 

Hetzen Hochzeit (Diut. 2, 89): „dö wart der arme göz ge- 
worfen in den mülbach": mit dem Vodelgeat oder Vedelgeat 
der angelsächsischen Stammsage (J. Grimm in Haupts Zeitschr. 
1, 577) besteht nur in den Buchstaben noch ein Zusammen- 
hang. 
Die gleiche Appellativbedeutung hat Wüetertch: schon in hoch- 
deutschen Glossen des zwölften Jahrhunderts imcotefich tyran- 
nus (Diut. 3, 146); in niederdeutschen wüdrich truculentus, 
'atrox, funestus (Nyerups Symbolse Sp. 323); in Wernhers 
Maria (Pundgr. 2, 209, 1) die wuotriche des Herodes; beson- 
ders oft aber (der Druck giebt wüetreich) braucht Ottocar das 
Wort [Wüttrich Proschm. Tvb]. Die Form ist wiederum 
die eines Eigennamens^''). 
Kaum minder zahlreich als die Fälle, in denen Taufnamen 
so gänzlich appellativ gewendet oder* Appellativa wie Taufnamen 
gebildet sind, dürften diejenigen sein, wo Imperativische Bil- 
dungen, ursprünglich eine Lieblingsform der Beinamen, derselben * 
Wendung unterliegen. Bei Betzen Hochzeit ein Bauer Streuz- 
guot (Diut. 2, 82): in Fischarts Gargantua SfraiesgütUn die 
appellative Bezeichnung eines Verschwenders (ßecension der 
deutschen Gramm. S. 49); Springinsfeld den Hexen ein Name 
des Teufels (J. Grimms Mythol. S. 1016), den Böttichern ein 
Schleifname dessen, der Geselle wird (Altd. Wald. 1, 10 t), und 
im zweiten Theile des Simplicissimus der Nam§ des Helden: 
uns jetzt ein volles Appellativum ; Saufaus, auch dieses ein 


*) So auch bei Jeroschin S. 284. Pfeiffer. 

17) [Wiserich Tanzname? Wolfr. Willeh. 383, 20. Vergl. Förstemann 
1, 1330. — Kothwälsche Namen auf llng: Derling würffei. Drittling 
schüch. Dierling aug, Floszling fisch. Feling kremerey. Grifling finger. 
Leuszling ohr. Rihling würffel. Reiling saw. Eauling gantz iung kindL 
Bümpfling senff. Schreiling kindt. Spelting heller. Spitzling hdbern, 
Streifling hossen, Zwirling aug. Zwengering wammes.] ^ KjmjJi 


118 . Die deutschen Appellativnamen. 

Schleifname (Altd. Wald. 1, 104): jetzt s. v. a. Säufer über- 
haupt; Gar am, wenn schon kein eigentlicher Imperativ, doch 
immerhin ein Zuruf, zuerst der allegorische Name eines Säufera 
(oben S. 112): jetzt, mit Beibehaltung des persönlich-männliclien 
Geschlechtes, s. v. a. Ende [Schmeller 2, 60]. Ebenso alltäg- 
liche Ausdrücke z. B. Störenfried, Taugenichts, Thunichtgut, 
Waghals; andre, seltnere, in J. Grimms Grammatik 2, 961 fg., 
in Meusebachs Becension derselben S. 40 fgg. und in Mass- 
manns Nachträgen, Aufsess und Mones Anzeiger 3, 85 fgg. 
Jetzt kommen denn auch solche hinzu, die nicht um zu spotten 
und zu tadeln nur ironisch befehlen, sondern gerades Weges 
und positiv ausdrücken, was geschehen soll und was geschieht: 
so die Blumennamen Vergiss nit mein, Hab mich lieh, Schah ab 
(ühländs Volkslieder S. 108 flf. u. a.), letztere dem Liebhaber 
ein Zeichen, dass er abgewiesen sei, dass er abschaben solle 
(üsteris Vicari Z. 393); so femer Benennungen von Tänzön, 
wie Hüpfauf, Kehraus und schon in einem nach-neidhartischen 
Liede (v. d. Hag. Minnes. 3, ^64 a) swingenvnoz; wie Hupfauf 
und Kehraus, weil dabei an Tanz gedacht wird, männlichen 
Geschlechtes sind, soll vielleicht das ebenfalls männliche Reiss- 
aus in bitterem Scherz auch gleichsam einen Tanz bedeuten. 
[Bappuse? Jer. 15, 13. 1?, 3. Hesek. 23, 46.] 

In den bisher besprochenen Fällen des allegorischen und 
weiteren appellativen Gebrauchs der Eigennamen und der ihnen 
nachgebildeten Ausdrücke findet überall ein Wortspiel statt: 
mit Festhaltung der gegebenen Laute und im Bewusstsein des 
Sinnes, der in ihnen liegt oder doch kann in sie gelegt werden, 
wird Neidhard auf alle Neider und auf den Neid selbst^ Simon 
auf jeden Mann, der zum Weibe geworden, Streusgut auf jeden 
Verschwender und Kurzebold sogar auf einen Kock, der wie der 
zuerst so benannte Held nur kurz ist, übertragen und ausge- 
dehnt. Ein andres Verfahren, obschon äusserlich verschieden, 
liegt doch seinem Wesen nach ganz in derselben Kichtung: die 
Anspielung, die bloss den Begriff, nicht den Wortlaut auffasst 
und in solcher Art einem Eigennamen appellative Anwendung, 
und Verallgemeinerung giebt. Es kann nicht die Aufgabe dieser 
Arbeit sein, eine Zusammenstellung alles dessen zu versuchen, 
was im Fache der Anspielung die Gelehrsamkeit und die Pe- 
danterie der Deutschen seit Jahrhunderten gethan, so wenig als 


Die deutschen Appellativnamen. 119 

bisher an die Wiederaufführung all der Wortspiele mit Eigen- 
namen hat gedacht werden dürfen, die etwa P. Abraham und 
Fischart machen: ich beschränke mich besser auf einige wenige 
Proben aus der lebensvolleren Sprache des Volkes und des 
Alterthums. 

Im südlichen Deutschland ist die Häufigkeit, mit der vor- 
mals Standbilder des heil. Leonhard gefertigt wurden, Anlass 
gewesen, jedes Standbild überhaupt, das nur einen Mann vor- 
stellt, Lienel zu nennen (Schmeller 2, 473), ähnlich wie der 
Neptun mit dem Dreizack, der auf einem Brunnen zu Breslau 
steht, der Gtibeljörge genannt wird, weil er das Volk an die 
vertrauteren und länger vertrauten Bilder des heil. Georg mit 
dem Speer erinnert. Zuweilen hat aber auch ein migefüger 
Klotz den heil. Leonhard bedeuten müssen ; einen solchen trugen 
dann die Wallfahrter von Dorf zu Dorf, um ihn gelegentlich 
wohl auch in den Bach zu werfen: mit Anspielung hierauf heisst 
Jemand und Jeder, der unbehilflich und trag und einföltig ist, 
in Baiern ein Liend oder Bachlienel (Schmeller 1, 143. 2, 
473 fg.), in Schwaben Hans Leard, und durch Trägheit und 
Dummheit etwas verlieren oder verabsäumen heisst es verkam- 
leartlen (Mörikes Hutzelmännlein S. 166. Schmids Schwab. 
Wörterb. S. 261). Ganz so wird in Nürnberg der steinen Steffan 
(Schmeller 3, 618) und ist vielleicht, wie wir späterhin sehen 
werden, einst der Name Stoffel d. h. Christophorus gebraucht 
worden. Auch die Ausdrücke Götze (ühland Volksl. S. 754 fg.) 
und Odgötze vergleichen den schwerfalligen und dummen Men- 
schen mit einem todten Heiligenbilde und den Bildsäulen des 
Oelberges an katholischen Kirchen (vgl. J. Grimms Mythol. 
S. 13 fg.): dem Lienel und Hans Leard und steinen Steflfan 
giebt aber die eigenbenamte Anspielung mehr Gestalt und 
Farbe ^ »). 


18) [Hans von Jena Gesicht mit aufgesperrtem Mattl au der Uhr des 
Rathhauses daselbst und s. v. a. ein Neugieriger, ein Maulaflfe: Luthers 
Predigt über Ev. Matth. 22, l — 44. ein recht alber Götz: Froschmäus. 
J 8b. Götz = Klotz: Hub, kom. Pros. 2, 44. Nach Agric. Sprichw. 
88 VW. Ölgötze ein mit Oelfarbe gemalter Bildstock, schweizer, ffüler 
Baudi (Baudouin, Baldewin, Esel).* vergl. franz. marionette und marotte 
für maHotte, Diez. Wörterb. d. rom. Spr. 2, 371, ital. manigoldo Henker 
ebenda 2, 45. — Hi^pocras oben Band 1 S. 102. Mithridat: Krumm- 


12Q Die deatachen Appellati vnamen. 

Euffd oder Euglin ist in dem alten Siegfriedsliede der 
Name eines Zwergenkönigs: jetzo wird hier zu Lande ein kleiner 
Mensch Zwerg Euggel genannt. 

Wir haben oben Miminc als den Namen von Wittigs 
Schwerte, Hiltegrtrn als den von Dietrichs Helm kennen gelernt: 
der sprüchwörtliche Kuhm und die natürlicher Weise oft vor- 
kommende Anspielung hat den einen wie den andern auch appel- 
lativ und zu Benennungen ausgezeichneter Schwerter und Helme 
überhaupt werden lassen. In dem Gedichte von Etzels Hof- 
haltung Str. 168 trägt jeder der beiden Kämpfer, nicht bloss 
Dietrich, sondern auch der Wunderer, einen hildegrein: „Sie 
slugen auf ' einander, Das wilde fäur erschein. Die zwen fürsten 
salbander. Aus ihren hildegrein.** Noch mehr. Die Ursache, 
dass Dietrichs Helm Hildegrim in dunkelster Nacht so hell 
leuchtet, ist ein KarfuiAel, der denselben ziert (Ecken Ausfahrt, 
V. d. Hag. Str. 201): in dem älteren . Gedichte von Dietrichs 
und seiner Gesellen Kämpfen Str. 36 wird eben ein solches 
Helmjuwel, das ein Sarazene führt, nun auch ein hiltegrin ge- 
heissen. Miminc sodann, wenn in einem niederdeutschen Oster- 
spiele ein Bitter sagt „Mtn swert h§t Mummink Und löset 
platen, panzer und rink** (Mones Schausp. d. Mittelalt. 2, 38), 
ist hier noch als Eigenname entlehnt: es ist aber appellativ ver- 
standen, wenn in einem Liede Neidharts, das die Kleidung und 
Büstung eines Bauern beschreibt (Haupt 91, 36. 92, 7: „er 
treit einen msßcheninc, der sntdet als ein schsßre" — „sin swert 
daz ist gelüppet**) die Hagensche Handschrift nicht mcecheninc 
und swert f sondern beidemal meminck, meningk liest: letzteres 
eine Entstellung des Wortes, dergleichen auch sonst vorkommt: 
vergl. Menung in W. Grimms Boseng. S. 2 und Meynung in 
dessen Heldensage S. 320. 

Wir sind noch nicht fertig. Bisher hat uns der uneigent- 
lich^ Gebrauch beschäftigt, den Wortspiel und Anspielung von 
persönlichen Eigennamen machen: aber auch geographische wer- 
den in die Allegorie gezogen: es werden auch Lands- und Volks- 
und Ortsnamen, die wirklich bestehen, wortspielsweise umgedeutet 
und zu Appellativen erweitert^*), es werden andre den wirklich 

hölzöl und MHhridat muszte sich der Hund "bequemen ^ wider Willen, 
einzunehmen: Geliert 1, 37.] 

19) [A2t«XoC, KtX<07i(8ai: Aristoph. Eq.79. Piacenza: ErasmiAdag.565 b.] 


Die deutschen Appellativnamen. 121 

bestehenden characteristisch nacherfunden. Diese geographische 
AUegorik ist mit jener der Personennamen wie aus dem gleichen 
Boden ^ so auch zu der gleichen Zeit erwachsen: auch von ihr 
ist die lehrhafte Dichtung des dreizehnten und der folgenden 
Jahrhunderte voll, und die Spruch Weisheit und der spottende 
Scherz des Volkes liebt auch sie noch heute; nicht selten auch 
zeigt die eine mit der andern sich unmittelbar verbunden. Ich 
will der vereinzelnden Aufzählung wieder einige Stellen voran- 
schicken, welche die Beispiele in grösserem Zusammenhange 
häufen. 

Hugo von Trimberg im Renner S. 244b ^®). 

BoBsia wort und bcesiu werc 
^ habent die von Lasterherc. 
süeziu wort und süeziu werc ' • 

habent die von Sceldenherc. 
guotiu wort und übeliu werc 
habent die von Trügenherc, 

Ein Nachahmer Neidharts in v. d. Hageus Minnesingern 
3, 200b. 

Pdter wolt von Lenken nü die bluomen hän, 

dar vil törper kam, die ich wol nennen kan. 

daz sint die von Jochhusen (1. Gouchhüsen) unde die von Tumhenrein; 

seht, da sint ouch bl in die von Narrental; 

von Affenherc die tanzten schöne über al: 

die wolten ouch die bluomen gerne mit in vüeren hein. 

Allegorisches Gedicht von Frau Ehrenkranz: Lassbergs 
Liedersaal 1, 385. 

Sagt mir, wä sol ich finden iu? 

„In minem hüs Beltbentriu, / 

da findest du mich, lieber zwerc, 

oder da ze Harrenherc 

in dem laut ze Hoffenheü** 

Konrads von Ammenhausen Schachzabelbuch: Aufsess und 
Mones Anzeiger 3, 21 fg.; Kurz und Weissenbachs Beiträge zur 
Geschichte und Litteratur 1, 51 fg. ^^) 


20) [Hadamar von Laber: Schalkeswalt 428. 443. Rumelslibe 434. 
Affental 444. Tantenherc 457. 458. 459.] 

21) [W^iener Sitzungsberichte 54, 322 fgg. vergl. ferner Gedicht deß 
Teichners in Zarnckes Narrenschiif S. LXI fg. Paulus Olearius de fide 
concubinarum : Zarnckes Universitäten im Mittelalter 1, 94. 96. Abraham 
a S. Clara ,auf auf, ihr Christen*, Anfang. ,Jeckel von Viltzhofen, do 
aller Huotter \'atter begraben ligt': Hub, kom. Prosa 2, 78.] 


122 Die dcutschcD AppoUativnanicn. 

In Swäben von MUrdelinr/en, 

der gesiebte wahset sere. 

ich wil ir nennen inere, 

die oueh in Swäben beginneut komen, 

als ich diu msere hßn vernonicn: 

von Trügenegge, von Valschenberc, 

von Spottenouwe; si sint niht getwerc 

ir künste, si sint groze risen. 

von Verrdtenburc hoerent wol zuo disen; 

von Lügenitz der ist ein michel diet. 

her Brich den eit sich nie geschiet 

von dien, die ich vor hän genant. 

Endlich Abraham a S. Clara in Judas dem Erzschelm 1, 142. 
„Was der verlorne Sohn für ein Landsmann gewest, ist eigent- 
lich nit bekannt: ich glaube aber, ein Irrländer. Wie er ge- 
lieissen hat, ist nit bewusst: ich glaube aber, Malefacius. Von 
was für einem Ort er sich geschrieben hab, allweil er ein Edel- 
mann, hat man noch nit erfahren: ich glaub aber wohl, von 
Mcedelsberg und Frauhofen. Was er im Wappen geführt, hat 
es niemand beschrieben: ich glaube aber wohl, einen Saumagen 
in grünem Feld." Und im Bescheid-Essen S. 556 von den 
zwölf Monaten als Söhnen des Jahrs: „Der erste wohnt zu 
Kaltenherg; der andere Sohn befindet sich zu Lappenhausen; 
der dritte haltet sich auf in der heiligen Stadt; der vierte Sohn 
ist nirgends recht beständig, bald da, bald dort; der fünfte Sohn 
lässt sich finden zu Bhimenthal; der sechste ist zu Lenzenau; 
der siebente wohnt zu Hevdorf; der achte Sohn ist anzutreffen 
zu Birnberg; der neunte Sohn lässt sich sehen zu Lerchenfeld; 
der zehnte schreibt sich von Weinhaus; der eilfte ist wohnhaft 
zu Heiligberg; den zwölften findet einer zu Wintering/^ 

A. Zuerst die anderen Einzelfälle, wo das allegorisierende 
Wortspiel einen schon vorhandenen Namen ungeändert benützt. 
Bethlehem: altübliche Ausdeutung auf den Bettd. „Die Un- 
mässigkeit und üeberfluss des Weines wie auch der Speisen 
sind Gott missfällig, und diese hindern und mindern die 
Wirthschaft dergestalten, dass aus dem Wort Gula durch den 
Buchstabenwechsel ein Gaul wird, auf dem man spornstreichs 
nach Bethlehem und Leiden reisen thut": Abr. a S. Clara 
Judas 6, 148. Seb. Brant im Narrenschiff 63, 17, einer Stelle, 
wo doch ganz eigentlich Bethlehem gemeint ist, sagt Bettle- 
heyn, im Keime auf beyn. 


Die deutschen Appellati vuainen. . 1 23 

Bettingen, Dorf bei Basel. Auf Bettingen gehn, nach B. wollen: 
Wortspiel mit Bett. 

Engelland, als Land der Engel verstanden. „An der creatüre 
ram Würk ich unde tuen bekant, Wie schoen ez si in Engel- 
lantf^ Tochter Sion 18. Oefters auch in der Martina (218, 60. 
286, 6. 289, 97) und bei Abraham a S. Clara: Judas 7, 210; 
Hui u. Pfui S. 6; Gehab dich wohl S. 383 „Jetzt geht mein 
Leben allgemach auf das La ri fa aus, d. i. Lass mich fahren 
auf Engelland zu, will dannenhero meine Seel versorgen": 
zugleich Beziehung auf den Refrain eines alten Trinkliedes 
(Uhlands Volksl. S. 589). Wie bereits der heil. Gregorius 
mit Angli und migeU ein Wortspiel gemacht, ist bekannt aus 
Bedas Kirchengeschichte 2, 1. 

Gibefiach, Dorf bei Basel. Man sagt von einem, der ungern 
giebt^ er sei nicht von Gibenach. 

Giebichensteln. „Wer geht nach Giebichenstein (zu viel ver- 
schenkt), kommt selten wieder heim" Simrock S. 143. 

Kandelberc ist im Mittelhochdeutschen (z. B. v. d. Hagens Ge- 
sammtabent. 3, 586. Kenner 810. Cantelberg Strobels Bei- 
träge S. 123) und von da ab in noch späterer Zeit (z. B. 
Abraham a S. Clara Judas 6, 105) der umdeutende Name 
von Canterburg, angelsächs. Cantvaraburh; das althochd. Kan- 
tilbirja (Trierer Glossen 10, 11) vermittelt den üebergang. 
Bei P. Abraham zu einem oft wiederholten Wortspiel mit 
Kandel d. i. Kanne benutzt: „eine Bürgerinn zu Kandelberg" 
Jud. 2, 20; ebd. 3, 88. 5, 114; „Kandelberger, welche nach 
viel Rundtrinken, Grundtrinken, Pfundtrinken und Schlund- 
trinken in das obere Zimmer also eindämpfen, dass ihnen der 
Verstand auf Stelzen geliet und den Bachzuber für einen 
Pudelhund ansehen'' Reim dich S. 297 u. a. 

Nassauer d. i. Regenwetter. 

Oberlant und Niderlant Himmel und Hölle; ebenso Oberlender 
und Niderlender: Predigt Br. Bertholds S. 315 fgg. Oder 
Himmel und Erde: Wolkenstein 106, 1. Bloss Oberlaut: 
Muscatblut 13, 1; Gott „der smit von Oberlande" Frauen- 
lobs Leich 1, 11, 1. 

Riuwentah Ein Wortspiel hiemit hatte schon Neidhart von 
Reuenthal selbst gemacht: „Swie Riuwental mm eigen si, ich 
bin doch disen sumer ulier minor sorgen fri'^ (Haupt 5, 32): 


124 I^ie deutschen Appellativnaiiieii. 

alle<?orisch uneigentlich wird der Name, wie der jüngere Ti- 
turel Str. 3773 fg. Freudental und Riuwental einander gegen- 
über und Hadlaub 7, 2 es mit Siuftenhein und Soryenrcin 
zusammenstellt. Vgl. v. d. Hagens Minnes. 4, 437. 

Schalksberg. In den Schalksberg hauen d. h. ein Schalk sein: 
s. J. Grimms Mythol. S. 645. 

Schieissheim. Auf Schieissheim gehn d. h. zerreissen: Schmeller 
3, 458. 

Speier. Nach Speier appellieren d. h. sich erbrechen. Abr. Ju- 
das 1, 76 „allerlei stinkendes Aas und ünsauberkeit, dass es 
einem den Magen auf Speier einladet". 6, 454 „Aus uns hat 
ebenfalls das Maul gestaubt, dass es hätte mögen die Stadt- 
mauern zu Speier einwerfen". Gehab dich wohl S. 267 „die 
sich dergestalten anfressen, bis sie endlich gar nach Speier 
reisen"; ähnlich S. 374; S. 395 „Nach Weinhaus reisen geht 
noch hin: aber nach Speier, das ist zu grob". 

Spiegelherc. „Speculieren ist ein (1. min, der Speculatio) werc: 
da von heiz ich von Spiegelberc" Tochter Sion 32 ^^). 


22) [vgl. zu diesem Verzeichniss die reichen Nachträge Germania 7, 
235—237. 9, 208 fg. 449 fgg. 14, 220. Alsatia 1854 187 fg. und fol- 
gende andere. Puer natus in Bettelszheym: Zamckes ünivers. 1, 136. 
Brandenberg: Garg. 181. Danzig (auf tanzen bezogen): Abr. a S. Clara 
1, 270. Darmstadtf Eszlingen: Garg. 143. 320. Füzhofen: Hub. kom. 
Pros. 2, 78. Flandern: Schmeller 1, 588. In Breslau: er ist nicht von 
Gebersdorf; vergl. Geverow Germania 14, 219. In Basel: de isch vo 
Habse (Habsheim, Dorf im Elsass), nit vo Gibenach. Hadersdorf: Abr. 
a S. Clara 1, 243. Hiezing: 9, 13. Kachelberg: Fischart Practic A iij 
rw. Leonhard Kandelberger: Abr. a S. Clara 19, 207. Frau von Laufen- 
burg, der Durchfall. Leipzig: Abr. a S. Clara 1, 270. Meister Barant 
von Lozane (mfr. losenge): Haupts Zeitschr. 1, 235. Ofen: Fischart 
Pract. Aiij rw. Biiij vw. Offenburg: Hönigers Narrensch. 142 fgg. Böb- 
lingen: Rollwagenbüchlein 35, 9 Kurz. In Schande hat alle Ehre und 
Redlichkeit ein Ende: sächsisches Sprichwort, Wortspiel mit dem an der 
böhmischen Grenze liegenden Dorf? Schandau. Schwenkfelder Säufer 
(Gläserschwenker)? Landstreicher? Hebel 3, 10. Sorge und Kummernigk, 
Dörfer unweit Breslau; schlesischer Volksreim: Obernigk 

liegt zwischen Sorge und Kummernigk. 

Wer sich dorten will ernähren, 

Der muss suchen Pilz' und Beeren; 

Kann er aber die nicht finden, 

Muss er lernen Besen binden. 

Holtei, Vierzig Jahre 2 (1862), 18. 


Die deutschen Appellativnamen. 125 

B. Erfundene Namen. Manche davon zeigen einen bewuss- 
ten Anklang an wirklich vorhandene, wie schon vorher z. B. 
Ammenhausens Mürdelingen an Nördlingen und Nürtingen; andre 
mögen nur in der Meinung dessen, der sie gebraucht, 'erfunden, 
ihm unbekannt aber sonst auch wirkliche Namen sein. Affen- 
thal und Gauchsberg z. B. sind in der That Ortsnamen, jenes 
ein breisgauischer, diess ein pfälzischer: ist aber die beliebte 
Allegorisierung beider davon ausgegangen? ist man solch eines 
Ausganges sich bewusst geblieben? Schwerlich: sie würde alsdann 
auch auf die Nachbarschaft der sonst bedeutungslosen Orte be- 
schränkt geblieben sein, eben wie jene Scherze mit Bettingen 
und Gibenach auf Basel und Umgegend, und -wie den Bündne- 
rischen Orts- und Adelsnamen Lügenitz wohl der Schwabe zu 
Stein am Rhein auf die Lügner zieht (oben S. 122), andre aber 
und entfernter wohnende nicht. Kaum ein Name wäre für den 
allgemeinsten Gebrauch der Art so geeignet gewesen, als der 
des Bairischen Schlosses Trausnicht, jetzo Trausnitz (Schmeller 
1, 466): aber nur dem gefangenen K. Friedrich von Oesterreich 
wird ein ihn ausdeutendes und anwendendes Wortspiel in den 
Mund gelegt: „Du heist wol recht Trauschnitz: ich habe sein 
ie nicht getrauet, das ich solt dermassen also daher gefangen 
gefürt werden" (Aventinus 1566, Bl. 487 rw.): für weitere 
Kreise hat trüwes niht sonstwie sprichwörtlich, Getrüt sin niht 
durch Personification allegorisch werden müssen : s. oben S. 110. 
Affenberc oben S. 121. „S6 volg ich den von Affenberc: Der 
wort sint wise, tump ir werc" Miscell. 2, 187; vgl. unten^ 
Gouchesberc. Affenberck auch im Narrenschiflf 48, 70. 95, 1. 
Affental. „Swer lebt an ere in frier wal, der — hüset in dem 
Aflfental" Winsbecke 45; die Lesart „in der äffen tal" hat 
ihre Parallele in v. d. Hagens Minnes. 3, 213b „si sint üz 
der äffen tal", und wenn das von Bauern, die mit Hoffart an 
einen Beigen gehen, gesagt wird, so heisst es wieder im Renner 
S. 187a „Mit boeser höfart manger leie hebt sich der Affen- 
taler reie". In Waldis Esop 4, 75 zeigt der König der Affen 
einem Menschen, „Wie er regiert im Affenthal*^ 
Belibentriu oben S. 121: ein pluralischer Imperativ. 


Spiegelherc: Br. Berthold 336, 26. 379, 38. Straszhurg: Eyering 648. 
791. Waggenthaler? Stalder 2, 428.] 


126 I>ie deutschen Appellativnamen. 

Darbiän: Her Bigenöt von Darbiän oben S. 98: als Landsname 
der Art wie Indiän^ Libidn gemeint. 

DarhstäU. „Es gehen viel Strassen nach Darbstätt und Mangel- 
bürg'' Sailer S. 73; Simrock S. 68. 

Dölpelbach. „Die tollen Leut zu Dölpelbaeh'' Waldis 4, 90: 
Name wie Laienburg und auch eine Geschichte der Art. 

Dotenheim. „So fert der siech goen Dottenhaym" Narrensch. 
55, 6. 

Eselberc, Elblin von Eselberk angenommener Name eines Dich- 
ters: s. die Ausgabe Kellers, Tüb. 1856, S. 10 fgg. Es heisst 
bei ihm zweimal (1, 546 fg. 2, 547 fg.) „Unweise wort und 
tumbe werk Treib ich Elblin von Eselberk", womit oben Affen- 
berc, nachher Gouchesberc und S. 121 die Stelle des Kenners 
zu vergleichen, so wie 

Eselsheim: „An här, an gwant, an gebaer Islicher gerne wser 
von Eselsheim üz der stat'' Helbling 2, 1471. 

Fretidental oben S. 124. 

Gebhausen. „Der Herr von Gebhausen ist todt" Sailer S. 104. 

Gebingen, „Er ist nicht von G^bingen, sondern von Nehmhigen'' 
Simrock S. 142. 

Gouchesberc, „Wisiu wort und tumbiu werc Diu habent die von 
Gouchesberc" Preidank 82, 9 (S. 356) u. Boner 65, 52. 

Gouchhüsen oben S. 121. 

Harrenberc und Hoffenheil oben S. 121: harren und hoffen plu- 
ralische Imperative. • 

Hungertal: „Er nimt sin fuoter und sin huon Und ritet heim 
gen Hungertal, Da guots und eren diu pfruond ist smal Und 
unrätes ein voUez hüs. In dem ofte manec müs Getanzet und 
gereiet hat, S6 si anders wä was worden sat" Renner 25 b. . 

Laienburg: Geschichten der Laien zu Laienburg (der sonst so 
genannten Schildbürger) in dem 1597 und mehrmals vorgeb- 
lich auch zu Laienburg gedruckten Laienbuch; davon sprich- 
wörtlich ein Lalenburger Streich. Lali ein Laffe, Maulaffe: 
Schmeller 2, 463. 

Lasterberc oben S. 121. 

Lügenlingen. „Miner vrouwen hovesite Vert von Lügenlingen: 
da ist ein schuole, hoere ich sagen, Voller trügenheit" v. d. 
Hag. MS. 3, 252 a. 

Narragonia, Narragonien in Braute Narrenschiff und seit dem- 


Die deutschen Appellativnamen. 127 

selben der Name des Narrenlandes: Wortspiel mit Arragonia, 
wie 108, 8 Narragün mit Arragtln, der deutschen Form des 
Namens. 

Narrenher g. „Der heisst wohl Herr von Narrenberg, Dann er 
all narren übertriflFt" Narrensch. 28, 86. 

Narrental oben S. 121.^ 

Nütigen, wo nüt d. h. nichts ist. „Dem sehe man es an, dass 
er nicht zNütigen daheim sei" Jer. Gotthelfs Uli der Knecht 
S. 247. 

Papelfels. „Lass stehen dein Fluchen; sag nicht von Papel- 
felä neue Mähr; hau nicht über dich: so fallen dir die Späne 
nicht in die Augen" Ackermann v. Bcsheim Cp. 6: päppeln 
schwatzen. 

So'ldetiberc oben S. 121. 

Siuftenecke: „mtnes guotes wart ir da daz beste teil: da liez 
ich der vrouwen Siuftenecke" Neidhart 47, 39. Bezug auf 
sein wortspielsweise verstandenes Riuwental: s. oben S. 123. 

Siuftenhein und Sorgenrein, „S6 gist in (der Frau und den 
Kindern) dan Eiuwental und Siuftenhein und Sorg^nrein, als 
der niht anders hat" Hadlaub 7, 2. 

Spottetiouwe oben S. 122. 

Trüebenhüsen. „Ich hän verkunnen tröstes mich, gedinges bin 
ich worden am; swer iener müge, der trceste sich: ich 
muoz ze Trüebenhüsen varn" der von Gliers, v. d. H. MS. 
1, 105a. 

Trügenherc, Trüge^iegge oben S. 121. 122. 

Tttgentherc. „Die werdent äne meil Und kument ze stajtem 
heil Uf die burc ze Tugentberc: Da sint erkant des wisen 
werc": aus einer Heidelb. Handschrift bei W. Grimm über 
Freidank S. 67. 

Tumhenrein oben "S. 121. 

Valschenberc, Verrätenburc oben S. 122. 

Witzenhürger , Titel des zweiten Theils des Grillenvertreibers 
(d. i. der Schildbürger) 1605. Schuppius 1, 142 bei Erzählung 
einer, ich weiss nicht ob aus diesem Buch entlehnten Ge- 
schichte (er führt sie ein mit dem Wort „Man sagt") braucht 
die Form Witzeburger, Witzebürger ^^). 

23) [Ferner: Beiteinweil: Garg. 437. ßyheneck? Fischarts Dichtungen 
von Kurz 2, 116. Dflrstherg: Fischart Pract. Cj rw. DurstVmgen: 


128 I^ie deutschen AppellatiTnamen. 

« 

III. 

Die dritte Art der Appellativnamen, diejenigen, die auch 
aus persönlichen nominibus propriis, aber ohne Wortspiel und 
ohne allegorische Verflüchtigung, vielmehr stäts mit vollster Be- 
hauptung eines sinnlichen Begriffes appellativ geworden sind, 
diese ganze lange buntgemischte Beihe ist zwar, von einigen 
wenigen, zum Theil noch zweifelhaften Ausnahmen abgesehen, 
dem Mittelalter selbst bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein 
noch fremd gewesen: sie hat jedoch ihren hauptsächlichen Anlass 
in Umständen, die theilweise schon das frühere Mittelalter ge- 
kannt hat und hat kennen müssen, so dass sich hier alte und 
neue Zeit wenigstens durch Ursache und Wirkung mit einander 
verknüpft zeigen. Suchen wir uns diesen Hauptanlass in dem 
abgestuften Fortschritt seiner Entwicklung und alsobald auch 
in einigen Hauptbeispielen zu vergegenwärtigen. 

In gewissen Familien, Ständen, Berufsarten, Ort- und Land- 
schaften sind je für das eine und das andre Geschlecht auch 
gewisse Namen besonders häufig, zuweilen sogar die ausschliess- 
lich angewendeten^). So, wenn die von Laber in Baiern gern 
und gewöhnlich, die Erstgeborenen wahrscheinlich immer Hade- 
mär Wessen (Hadamars von Laber Jagd, hsg. v. Schmeller, 
S. IX), die von Steinach in der Rheinpfalz meistens BlikPr 
(v. d. Hagens Minnesinger 4, 254 fgg.)i die von Rinach im 
Aargau Hesso (ebd. S. 147 fg.), die Manessen in Zürich Rü- 
diger ^ die Grafen von Leiningen Emicho, die von ZoUem Fried- 
rich, die von Henneberg Poppe, die von Neuenburg Rudolf, die 


Garg. 181. Freudenthal: Günthers Gedichte S. 103. In der Grillenaw 
zum Tölpelszhagen: Kirchhof Wendunm. 1, 160. Lappenhausen: Witten- 
weiler King 2, 2 u. s. f., vergl. Pfeiflfers Germ. 1, 134. Lappenheuser: 
Froschmäus. K 7b. Ff Sa. Merkingen: er ist nicht von Merkingen (mag 
nicht merken, nicht verstehen, was man meint): in Basel. Narrenheim: 
Wittenweiler Bing 47 d, 9. Nirgendsheim: Andreas Gryphius Horribilicri- 
brifax S. 18. Ödelingen: Kolmarer Handschr. CXXXIV, 14. 22. Toren- 
hofen: Wittenweiler Ring 47 d, 14. Tugendthoffen, Lugenstall, Goldburg: 
Fischart Pract. Bij rw. Vrudenbach und Trurendal: Haupts Zeitschr. 1, 
234. Von Wartenweiler gebürtig (saumselig, sich verspätend) sein: B. 
Auerbach, neues Leben 1, 203. Wenscenhorch: ^Haupts Zeitschr. 1, 258.] 

1) [Sint Mcpcenates, non deerunt, Flacce, Marones: Martial. Epigr. 
8, 55. Wo wohnen denn die Teile, wo die Winkelriede: Jlückcrt.J 


Die deutschen Appellativnamen. 129 

Schauenburger in Holstein Adolf y die Herzoge von Zähringen 
Berthold und die Grafen und Fürsten Beuss nun seit Jahrhun- 
derten schon insgesammt Heinrich, Ebenso haben von jenem 
Balduin dem Eisernen an, der im J. 864 Graf von Flandern 
ward, alle Erstgeborenen des Hauses*) bis zu dem söhnelosen 
Kaiser von Konstantinopel den Namen ßaWwm geführt, so.dass, 
wenn gerade die altflandrischen Dichter der Thiersage für den 
Esel den gleichen Namen schöpften, darin eine »Absicht muss 
gelegen haben, Hohn und Hass etwa gekränkter Geistlichkeit. 
Namen sodann, welche Örtlich und landschaftlich vor anderen 
gang und gäbe waren und damit gleich die Heinaath ihres Trä- 
gerä verriethen, lernen wir für das sechzehnte Jahrhundert aus 
Fischarts Gargantua kennen: „Schöne Namen reitzen auch zu 
schönen thaten: darumb muss es Gargantubisch auff den glück- 
fall ausserlesen sein, nicht dass alle Schlesier Furmansdatis, 
Lübecker Till, Nörnberger Sehald ^), Augspurger Urli, die Weber 
Galle, die Kuh Bartel, die Holländer Florentz^ Schotten Andres, 
Spanier Ferrnant, Portugaler Jacob, Engellender Bichart und 
Edward, Böhmen Wenzel, Polen Stenzel,rTJvLgeTn Stephan, Pom- 
mern Ott, Preussen Albrecht, Lotringer Clauäy, Plemming Bai- 
duin, Francken Kilian, Westfalen Gisbart, Märker Jochen etc.*) 
heissen. Sonder eim iden ein sondern heim aufgesetzt: so kent 
man die Mummer unter einander" (1582. M. 7 rw.). Bei der 
Mehrzahl dieser Namen liegt es auf der Hand, weshalb sie ge- 
rade in den angegebenen Grenzen so gebräuchlich gewesen: es 
sind die Namen der Stadt- und Landesheiligen oder, wie z. B. 
eben der flämische Balduin, ein altverehrter Name der regieren- 
den Herrn. Wir Aelteren hier zu Lande hätten dem Verzeich- 
niss für unsere Zeit noch hinzufügen können „Zürcher Johann 
Caspar [Heinrich], und Basler Johann JacobJ^ Der Basler 
Boppi oder Böppi (Boppi die Verkleinerung zu Boppe und diess 


2) Wenn Lambert v. Hersfeld sagt (Ann. ed. Hess 1843, ,pg. 85), 
je der liebste dem Vater habe den Namen Balduin und das Nachfolgerecht 
erhalten, so ist das erstere kaum denkbar und beides nicht nachzuweisen. 

3) [seibeln nürnbergisch sprechen {Seibel S. Sebald): Schmeller 
8, 185.] 

4) [Hans -Jochen -Winkel Theil der Altmark Brandenburg (zwischen 
Salzwedel und Disdorf), so genannt, weil dort jener Name vorherrscht.] 

Wackemagel, Schriften. III. 9 


130 ^ic deatschen Appellativnamen. 

die Koseform zu Jacob ^) ist in der übrigen Schweiz sprichwört- 
lich, und Böppi bedeutet da in ganz appellativer Art schlecht- 
weg einen Basler. Ferner haben schon seit längerer Zeit durch 
ganz Deutschland hin die Bauern eine Vorliebe für die zwei 
Namen Hans und Grete d. i. Johannes und Margareta, beides 
hochangesehene Heiligennamen, Johannes, weil sogar zwei der 
grössten Heiligen so heissen, Margareta, deren Legende auch 
von der deutschen Dichtung des Mittelalters auffallend oft er- 
zählt wird (Litt. Gesch. 8. 163. Diemers Beiträge 1, 122. 
Germ. 4, 440), vielleicht deshalb, weil sie für eine Haupthelfe- 
rinn in Kindesnöthen gilt (v. d. Hagens Grundriss 8. 279. 
Haupts Zeitschr. 1, 144. 187 fg.). Eine Wirkung dieser Vor- 
liebe ist, dass auch die Lieder und Märchen und Sprichworter 
des Volkes, wo bestimmte Namen benöthigt sind, am liebsten 
die zwei gebrauchen: Beispiele bei ühland S. 670, bei den Br. 
Grimm Nr. 16, 34, 84, 106, 108, 136—166, bei Simrock 
S. 199 „„Das hätten wir gehabt ^^ sagte Hans, als er seinen 
Vater begrub;"" eine ganze Beihe solcher dem Hans in den Mund 
gelegten Sprichwörter bei E. Höfer, wie das Volk spricht. 3. Aufl. 
S. 31. 32; und weiter, dass Hans nun überhaupt s. v. a. Bauern- 
bursche oder Bauer, Grete s. v. a. Bauerndii-ne oder Bäuerinn 
besagt: Andr. Gryphius im Öorribilicribrifax S. 5 „dass eine 
Bauer-Greta viel besser sich auf dem Strosack befinde, als des 
gelehrtesten Mannes Frau auf Schwanenfedern." Zumal aus dem 
Landvolk geht die grosse Zahl der Dienenden hervor, und mit 
um deswillen mag es die Knaben gern Johannes, gleichsam nach 
dem Schutzheiligen taufen: denn auf Johannis Baptistse fällt von 
Alters her der grosse Gesindewechsel (Konrad v. Dankratsheim 
S. 114 fg.): Hans und Grete ^) sind nun auch die üblichsten 
Namen von Knecht und Magd: norddeutsche Lieder haben einen 
Henneke kriecht oder Hansken (ühland S. 447. 450. 955), ein 
Volksmärchen den getreuen Johannes als Diener eines Königs, 
ein andres eine kluge Gretel als Köchinn (Br. Grimm 6. 77); 


5) Wie im Eiiglischeii Bob und Bohhy zu Robert, italiänisch Pepe 
zu Giuseppe ^ italiänisch und deutsch Pippo (Basel im 14. Jahrh. S. 119) 
zu Filipjjo, Philipp, Förstemann im Altd. Namenbuch 1, 271 fg. ver- 
mengt die Namen Popo und Puopo. 

6) [Jena" (dänisch), und Margrit Laurembergs Satir. 2, 144. 236.] 


Die deatschen Appellativnamen. ]31 

Schuppius in der Predigt „Gedenk daran, Hamburg" (1659, 
Schriftea 1, 202) „„Ich weiss wol, wie ihr oft kommt zu den 
Knechten und Mägden und sagt „0 du ehrlicher Hans, du liebe 
Margaretha, du must Tag und Nacht genugsam arbeiten, und 
dein Herr ist ein rechter Nabal, ein rechter Hund, ein rechter 
Pharao"*', und derselbe in seinem Eegentenspiegel, wo er das 
verschiedene Verhalten der Wirthe gegen ihre Gäste schildert 
(1, 113), „„Geld dutzt den Wirth. Es sagte mir einmal ein 
Gastgeber in einer vornehmen grossen Stadt, er ^ehe nicht gerne, 
wenn ein fremder Mann zu ihm komme und viel Complimente 
gebrauche, den Hut immer in der Hand behalte und sage 
„Guten Abend, Herr Wirth! Kann ich wol über Nacht Herberge 
bei dem Herrn haben? Ich will gerne vorlieb nehmen.'' Wann 
er solche Complimente von einem frembden Gast höre, so denke 
er alsbald, dass sein Beutel die Schwindsucht habe, und dass 
er vielleicht Schmalhausens Bruder sei. Wann aber einer komme, 
poche und schnarche und sage „Wirth, hast du etwas guts zu 
fressen? Wo ist dein Hausknecht? da, lass ihn das Pferd in 
den Stall führen", alsdann thue sich sein Herz auf, und denke, 
„der bringt Geld". Alsdann ruf er allen seinen Leuten zu und 
schreie „Hans! Caspar! Margreta! Volk! wo seid ihr? Da, Jung, 
nimm -ihr Gnaden Felleiss und trage es auf die Kammer. Ge- 
liebt E. Gnaden in die Stube zu spazieren?"" Einen Schritt 
weiter bezeichnet der Eigenname den Knechtsbegi'iflf schon als 
Appellativum: „mein Johann" ist im nördlichen Deutschland 
„mein Bedienter." Bauernbursche und Knechte gelten aber auqh 
als faul und liederlich und zumal als dumm, Dirnen und Mägde 
als dumm und faul und zumal als liederlich: auch dafür werden 
Hans und Grete nun die persönlichen Appellativausdrücke, und 
es erzählen nicht bloss, noch mit wirklichen Eigennamen, Kinder- 
lieder und Märchen von dem Hansel, der närrisch, und der 
Gretel, die nit gscheidt ist (Simrocks Kinderbuch S. 91, 251 fgg.)» 
von dem gescheidten Hans und dem klugen Hans und vom Hans 
im Glücke, die aber alle dumm sind (Br. Grimm Nr. 32, 83, 
162), und das Gretlein wird, wo in dem alten Liede vom Schla- 
raffenland gesagt ist „liederlichs Gsind, faul Megd und Knecht 
sein in das Land gar eben recht", namentlich aufgerufen (Haupts 
Zeitschr. 2, 566): es heisst nun auch, allgemein appellativ ver- 
standen, „Hans hinüber, Gans herüber" (Sittewald 2, 179), was 

9* 


132 ^^^ deutschen Appellatiynameii. 

der Hamburger Job. Doman geschickt in ein Wortspiel mit 
dem Namen der Hanse verflicht (Leseb. 2, 239 fg.); „zum 
Hämclien haben^^ bedeutet zum Narren haben (Bagatellen v. 
Anton Wall 2, 88), hänseln und hansen verspotten, namentlich 
jemanden mit allerlei Fopperei und Qual in eine Genossenschaft 
aufnehmen: die Herleitung von Hanse, goth. und althochd. hansa 
dürfte zu edel für den Begriff des Wortes sein; schon im vier- 
zehnten Jahrhundert ist HenneMn (Mones Altt. Schausp. S. 127), 
im fünfzehnten und sechzehnten Henselin s. v. a. Ix)tterbube 
(Brants Narrenschiff 27, 32. Geilers Narrensch. v. Nicol. Hö- 
niger, Basel 1574, Bl. 90 vw. Karsthans in Murners Lutheri- 
schem Narren, Ausg. V. Kurz S. 190, 17) nnd , Schönhenselin, 
wie Murner voü einem seiner Gegner genannt wird (Luth. Narr 
S. Vni), davon nur eine bittere Versüssung. Gretlin aber braucht 
z. B. ebed dieser Mumer (Luth. Narr 1524. 4121) lediglich 
im Sinne eines leichtfertigen Weibsbildes. Noch weiter. Die 
Zahl der Bauern, der Dienstboten, der Dummen, der Lieder- 
lichen und zugleich die Zahl derer, die jene Namen wirklich 
führen, ist überall so gross, dass zuletzt niemand mehr auch 
vor dem appellativen Hans oder Grete sicher ist, Hans nur noch 
irgend einen Er'), Grete irgend eine Sie bezeichnet und nur 
etwa ein unbestimmter Schimmer von Spott und Tadel noch da- 
neben hinstreift: wo wirklich und ausdrücklich ein solcher ge- 
meint ist, liegt er viel mehr in einem zweiten gleich dem Ge- 
schlechtsnamen noch hinzugefügten oder durch Zusammensetzung 
oder sonstwie noch davor gestellten Worte. Belege, zuerst 
für Hans, 

Schuppius, indem er nur beispielsweise einen männlichen 
Namen braucht, setzt Hans und Hänslein: „Von einem kleinen 
Kind sagt man nicht „das ist der grosse Hans", sondern „Das 
ist das^kleine Hänslein, mein Söhnlein, mein Herzchen*; (1, 792); 
ebenso Mumer in der Geuchmatt (Scheibles Kloster 8, 970) 
„Wie trüw sy" nämlich die Weiber „sindt, frag Henssly drumb" 
d. h. den ersten den besten, welchen Mann du wiUst. Hans- 
chen im Keller^) ein noch uugeborner Sohn (Frisch 1, 415b); 
Münchhausen, als einige Gäste des älterlichen Hauses auf ihn, 


7) Göth^41. 143. 

8) Laurembergs Sat. 2, 764 fg. 


Die deutschen Appellativnamen. 133 

der sich noch in diesem Zustande befand, die Gesundheit 
„Häuschen im Keller" ausgebracht, antwortete laut „Bedanke 
mich". Sprichwörter „Häuschen, lern nicht zu viel: du must 
sonst zu viel thun"; „Was Häuschen nicht lernt, lernt Harn 
nimmermehr"; „Wer weiss, wo Hans ist, wenns Gras wächst": 
Simrock S. 199. Spruch, der in einem alten Liede (Uhland 
S. 758) und hie und da auch als Inschrift vorkommt ,, Ducke 
dich, 'Hensd, duck dich! Duck dich, lass fürüber gan! Das 
Wetter wil sein willen hau": vgl. oben S. 103. Hans heissen 
Andren seiner Art voranstehen (Schmeller 2, 216. Domans Lied 
LB. 2, 239 fg.), eigentlich wohl in Aller Munde sein^). Meister 
Hans der Henker: Waldis Esop 4, 43. Mercks Matths S. 127. 
Hans, Häuschen, Junkm^ Haus, Graufians, Grünha^is nach der 
Namengebung der Hexen der Teufel: J. Grimms Mythol. S. 
101610). 

Geivaltiger Hans: „Sie aber schlugen die Augen undersich 
für schäm, dass auss so gewaltigen Hansen und Weltzwingern 
so grausame Höllenbrände geworden" Sittewald 1, 409. „Die 
grossen Hamen optimates, primates, proceres" Aventinus bei 
Schmeller 2, 215; „der Adel und grossen Hansen" Luthers 
Briefe 4, 83. Manuel S. 430. Waldis Esop 1, 5. 59. 4, 24. 45. 
Abraham a S. Clara von Johannes, der Jesum in der Mutter 
Leibe begrüsst (Judas 4, 237), „0 wie viele grosse Hansen 
könnten allhier sich an diesem kleinen» Joannes spieglen, welche 
manchmal vor. dem höchsten Gut auf dem Altar kaum einen 
Fuss zucken, entgegen vor manchem aufgeputzten Götzenbild 


9) „Wer nu mit Recht Martinus heist, Derselb sich unsers Bfelchs 
befielst. Und gibt Sanct Martino zu Ehrn, Ein gut feisle Ganss zu ver- 
zehrn. Wer aber ist so Boss und Arg, Oder so Filtzig und so Karg, Dass 
er nicht gibt ein leiste Ganss, Der ist nicht werth, dasz er heisz Hansz": 
Ganskönig B 8 vw. In Zürich aber ist Hans heiszen gerade das üble 
Gegentheil: „ich will Hans heissen, wenn — " „man soll mich einen 
Dummkopf schelten, ich will nichts sein, wenn — ". 

10) „Er spricht ihr zu (ein evangelischer Geistlicher einer Besessenen) : 
aber, lieber Gott! auf seine kraftlosen Worte wollte Hans nicht hervor- 
kommen (der Teufel? Niemand?), sondern der Böse trieb nur sein Aflfen- 
spiel mit ihm." Geschieht, welche sich mit Apollonia — verloffen hat, 
durch S. Agricolam, Ingoist. 1584: Frey tag, Bilder aus d. deutschen Ver- 
gangenheit (1863) 1, 370. 


134 I^i® deutschen Appellativnamen. 

sich mehr biegen als eine Degenklinge von Passau." Zusammen- 
gesetzt Gross'Hans: „dass gemeiniglich, -was die Gross-Hansen 
in dieser Welt mit ihren Sünden und Lastern bei dem mensch- 
lichen Geschlecht verderbet, man heniach bei den Privat-Personen 
wieijer zurecht und einbringen wil" Schuppius 2, 140. Gross- 
oder Klein-Hans in der alten Kriegssprache Officier oder Ge- 
meiner: Frisch 1, 415b. Jetzt gebraucht man Grosshans nur 
von einem, der gross thut; ebenso Grosshanserei. Die hübschen 
Hanseil Curmacher von Gewerbe: Narrensch. 25, "55. Reicher 
Hans: „So weiten in zukummen Zeiten die Podagra zur Herberg 
keren Zu reichen Hansen, grossen Herren" Waldis 2, M; „die 
grosse reiche Hansen" Schuppius 1, 428^^). 

„Bart-Hans — Der Gegen-Schimpf ist Hans ohne Bart'' 
Frisch 1, 67 b. Boch-Hans Thraso: Frisch 1, 114 c. Fabul- 
Hans: Schuppius 1, 824. 839 („indem sie ihn bei dem gemeinen 
Mann und sonderlich seinen Zuhörern wollen stinkend machen 
und ein Fabul-Hansen nennen, weil er hiebevor etwann einmahl 
eine Fabul erzellet und ingeniöse appliciret hat"). 846; Fabel- 
hans: Hebels Werke (Karlsruhe 1838) 2, 72. 8, 108. „Fackel- 
Hansen, die Räthe in Narragonia sein wollen, doch nichts er- 
fahren noch gesehen als den Donat, kein Namen können als 
Numus, kein Verbum als Capio, die, wann sie in Staatssachen 
und vor der Gemeinde reden sollen, erschrecken, als ob sie un- 
versehens verzuckt worden, und sich zum Loch hienauss trähen, 
das der Maurer hat aufgelassen" Sittew. 2, 184: kaum von 
fackeln d. i. zaudern. Faselhans^ Federhans Federheld: ühlands 
Volksl. S. 474. Eidgenöss. Lieder-Chronik v. Eochholz S. 366. 
Gaukelhans Gaukler, Betrüger: Hebel 3, 4. Der Kalthans de- 
lator, quadruplator, sycophanta, Verräther: Schmeller 2, 293. 
Frisch 1, 497b; entstellt aus Kallhans? Klotzhans Grobian: 
Geilers Narrensch. BL 30 rw. Knapphans. Marterhans, Um- 
deutschung, wie es scheint, von maraudeur: Fischarts Practik 


11) [der grosze Hans: Göthe 12, 140. Heins grosz Hänslein: Garg. 
64. grosz HanSy klein Hans: Fischart Pract. Aiiij tw. grosz Hansen: 
Pauli Schimpf und Ernst 624. Rollwagenbüchl. 29, 24 Kurz. „Ein solcher 
auffgeblaszner Hansz, Wird wo! genannt ein Grobe Ganss": Gansskönig 
Hiiij VW. „Und bleibet doch ein Grober Hansz": H 6 vw. die statt- 
lichen .Hansen: Ehezuchtbüchl. L 5a. Knapphans hiess ehemals in 
Preussen der Marketender.] 


Die deutschen Appellati vnamen. 135 

B rw.; vgl. Waldis Esop 3, 89 „In Kriegs noth in der bösen 
zeit, Wenn Hans Marter und bruder Veit (Landsknecht) Mit 
grossen rotten bei im hausen, Durch alle winkel nemlich mau- 
sen." Plapperhans. Pralhans. Bebhänslin Personification des 
Weines: Gödekes Qengenbach S. 519. 681 fg. Scharrhans: 
„Ein lustig gesprech der Teuffei vnd etlicher Kriegsleute von 
der flucht des grossen Scharrhansen H. Heinrich von Braun- 
schweig" 1542. Schrammhans der bekannte Beiname des mit 
Narben bedeckten Gottfried Heinrich von Pappenheim. Schwabbd- 
hans in Norddeutschland s. v. a. Plapperhans. Der Spielhansel 
im 82sten Märchen der Br. Grimm. Waldhmisel, der in Wäl- 
dern arzneiliche Wurzeln und Kräuter sammelt und damit 
Quacksalberei treibt, sonst auch rein appellativ Waldmann ge- 
heissen: Schmeller 4, 63 fg.*^) 

Hans Gerngro^s, der durch Aufruhr gross zu werden sucht: 
Sittew. 1, 242. Hans Nimmersatt: „Euclio, d. i. Hans Nimmer 
satt, der wil haben Dienstbothen, die da haben Hirschfusse, 
Eselsohren, Hände ohne Pech und ein verschlossen Maul, sollen 
aber essen und schlucken Nichts" Schuppius 1, 405. Hans 
selten frölich ein Schleifname der Bötticher: Altd. Wald. 1, 
10413). 

Hans Äff, Hans A — ; s. Tiecks Vogelscheuche und das 
Wörterb. d. Br. Grimm 1, 565. Hans Dampf. Hans Knöchler 
der Tod: Bürger im Bellin Str. 18 (317 a). Hans Küchen- 
meister nennt bei Göthe (42, 34) Götz v. Berlichingen sein 
Söhnchen Karl. Hans Leard oben S. 119. Hans Kraft Soldat: 
Waldis 1, 55. Hans Mors der Tod: Bürger in Frau Schnips 


12) [ferner: Federhans Abr. a S. Clara 1, 170. 19, 184 fgg. (Federn 
auf der Kopfbedeckung I) stolze Federhansen Frey tag, Bilder aus d. d. 
Vergangenheit (1863) 2, 62 (von 1598). Folterhans Grimm Wörterb. 3, 
1886. Karsthans Garg. 44. Marterhdhs Garg. 434. Pract. R i rw. Roll- 
wagenbüchl. 68, 22. Pimpelhans. Polterhans. Popanz (Popans)? vergl. 
Schmeller 1, 291. Frisch 2, 66 a. Puphans. Rehenhänslein Garg. 19. 
Rebhans 157. Scharrhans Garg. 42. Schade Satiren u. Pasqu. aus der 
ßeformationszeit 1, 54. Schnarchhans Fischarts Dichtungen von Kurz 1, 
244. Schrammhans ein Geistlicher und Zauberer zu Salzburg: Hub, kom. 
Pros. 2, 68. 71. Schrammhänsle in Garg. 168 (K 8 vw.). Varghans (d. i. 
Varkhans) Zamcke Univers. 1, 124. Worsthans Schade Sat. 1, 81. 83.] 

13) [Hans Liederlich Göthe 12, 134.] 


13l6 ^0 deutschen Appellatiynamen. 

(48a). Hans Narr.- „Hans Schenk hat Gnade bei Hof": Sailer 
S. 73; Simrock S. 422. Hans Unfleiss Ucalegon: Schmeller 2, 
216. Hans Worst auf dem Titel von Luthers Schrift gegen 
H. Heinrich von Braunschweig 1541 wie Wurst-Hans bei Hans 
Sachs (Schmeller 4, 158) ein dicker Fresser ^^): wenn hie und. 
da vielleicht schon im sechzehnten, gewiss aber und mit Ge- 
wöhnlichkeit vom siebzehnten Jahrhundert an der Narr des deut- 
schen Dramas den Namen Hans Wurst gefuhrt hat, so mochte 
er ursprünglich eben als feiste Person erscheinen, der Pickel- 
hering der englischen Comödianten dagegen als eine magere: s. 
Litt. Gesch. S: 458. 466. Schuppius giebt 1, 247 fgg. Hanss 
Wurst als den Namen eines alten Dieners an. 

Hans acht sein nicht: Geilers Narrensch. Bl. 30 vw.; in 
Brants Narrensch. 85, 27 heisst der Tod so. Hans Guck in die 
Welt der Anhang zum Finkenritter; „Wend-ünmuth, oder Er- 
neuerter FünflFfacher Hanns gukk in die Welt Oder Mercks 
Matths Das ist: Fünff lustige, Zeitkürtzende, und Maulhängkoley 
vertreibende nützliche Büchlein, — Gedruckt zu Kosmopoli, da 
die gebratene Dauben einem ins Maul fliegen." Hans Lass- 
dunkel ein Liebhaber unnützer Spitzfindigkeiten: Laurembergs 
Acerra Philologica 4, 100. Schleifnamen der Böttchergesellen 
Hans Spring ins Feld, Hans Sauf aus, Hans Friss umsonst: 
Altd. Wald. 1, 104. Hans Tapp ins Mus oder bloss Hans 
Tapp oder Tapps ^^). 

Hans oben im Dorf ein Dorfmagnat: Jer. Gotthelfs Schul- 
meister 1, 35. 2, 331. Käserei in der Vehfreude S. 41. „Hans 
ohne Fleiss wird nimmer weiss" Sprichwort bei Simrock S. 116. 
Hans in allen Gassen ardelio: Frisch 1, 435b; Ucalegon: 
' Schmeller 2, 216; „Wolt ich darumb nicht Hans inn allen 
Gassen sein, weil man im Niderland die Grassmuckenkönig Jan 


14) [Hans Däumling Schmeller 1, 370. Hansel frischer Knecht 
H. Sachs 1, 265. Hans Fug Garg. 442. Hans Gans Eyering S. 289 fg. 
Hans Humm Garg. 434. Hans Muffmaffy Hans Spanier Freytag Bilder 
a. d. d. Verg. 2, 62. Hans Quast olle Kamellen 1, 30. Ha/ns Raufhold 
Göthe 41, 275 (264). Hans Unfleisz Garg. 119. Hansz Wurst Thor: 

k Hnb, kom. Pros. 2, 45. 49. Hans Worst Schade Sat. u. Pasqu. 1, 83. 85. 

' 88. 89. Hansel Schütze? Garg. 167.] 

' 15) [Hans Saufsausz Mannsname Froschmäus. Vv 2a. Hans Trapp 

I (Niederelsass) der zur Weihnachtszeit die Kinder schreckt.] 


Die dentschen Appellatiynamen. 137 

schilt?" Pischarts Gargantua M 6 rw.; vgl. oben S. 94. Hans 
von Narrenberg oben S. 127. Hmis im Schnokenloeh ein grillen- 
haft unzufriedener Mensch [Schnokenloeh: vergl. Mucken, Grillen: 
Froschmäus. Fiij 2] ; ein Seim über ihn in Simrocks Einderbuch 
S. 101. Hans ohne Sorge Ucalegon: Lauremberg a. a. 0. 2, 30; 
„Hans ohne Sorgen lebt mit der wilden Gans und lässt die 
Waldvöglein sorgen" Sprichwort bei Simrock S. 199; Göthe in 
der ersten Epistel (Werke 1832. 1, 339) und '„Hans von Seibiz 
— Hans mit einem Bein, Hans ohne Sorgen" in dem älteren 
Götz V. Berlichingen (42, 289). Schuppius. 1, 873 „Hans ohne 
Sorgen Sohn": v^ ebd. S. 113 (oben S. 131) „Schmalhansens 
Bruder" und das uns noch übliche „dem närrischen Kerl sein 
Bruder"; „ein töre ist sin genanne" v. d. Hagens Minnes. 3, 
438a, „eines hasen genöz" Arm. Heinr. 1123, Luginhansgesell 
als Eärnthner Bauemname in Aufsess und .Mones Anzeiger 
3, 84 1«). 

Sodann Grete. Hier sind bei dem Zurücktreten des weib- 
lichen Geschlechtes, das, von der allegorischen Personificierung 
abgesehen (oben S. 107), überall auch in der Sprachgestaltung 
gilt, die Belege viel weniger zahlreich. 

„Du bist ein wunderlich Gret", „Du bist mir doch das 
wüstest Gret" wird in Gotthelfs Uli dem Knecht S. 306. 309.' 
329 zu einem Mädchen gesagt, das Vreneli heisst; Gretchen in 
Her Küche ist eine noch ungeborne Tochter, Murrgret (Pischarts 
^ Gargantua M 7 vw.) ein mürrisches, Furchtgret ein furchtsames 
Mädchen oder Weib: ebenso oder bloss Gret heisst hie und da 
in der Schweiz auch eine männliche Memme (Stalder 1, 478), 
und Josua Maaler S. 192 und Murner in der Geuchmat S. 901 
haben dazu das Adjectivum grefisch, gredtsch' im Sinne von 
weibisch^''). Insbesondere aber ist Grete, Gretlein die Geliebte: 
Geuchmatt S. 961. 1049; „ein hanenfeder muss er han, ein 
hemd mit seiden naten, damit er möge wol bestan und gfallen 
seiner Greten" Uhlands Volkslieder S. 637 i»); ja im Preidank 


16) [Uana onfleisz würt nimmer tceisz: S. Franck Sprichw. 2, 68 a. 
Hans in allen gössen Agricola 257. Hans vor allen Hägen: olle Kamellen 
1, 249. Hans (Hans Arsch) von Rippach Jahns Biograph. Aufs. SIC] 

17) [Banz gredlein Fischart Pract. B ij rw. der Mann ein Gret: 
Fischart Dichtungen von Kurz 3, 80.] 

18) \dasz man lieher — mit Jungfrau Grete tanzt, als dasz man 


138 I^i® deutschen Appellativnamen. 

von Seb. Brant (Worms 1538. F y c) „Als im der todt ge- 
nommen hat Euridicen sein schöne Gredt"; und Hans und Grete 
zusammen jegliches verliebte Paar: Hans und Gretel im 32sten 
Märchen, Henslein und Gredlein bei Uhland S. 671, Hansl und 
Gretel bei Schmeller 2, 125^^); Scbuppius Spottreim auf die 
Vortragsweise mancher Prediger (1, 533) „Viel schreyen überlaut 
und rufen auf der Ganzel, Nicht anders als wann Hanss sein 
Greta führt zum Tanze." 

Und en(flich. Das gehört noch unmittelbar zu den eben und 
bisher besprochenen Verwendungen der beiden Namen, dass Fi- 
guren, die nur einen Knaben oder Jünglinge und ein Mädchen 
darstellen, ebenfalls Hans und Grete heissen^®), wie die zwei 
ausgestopften, die man in Baiem am Pfingstmontag als Liebes- 
paar umherführt und tanzen lässt oder an ein Windrad befestigt 
auf den Maibaum setzt (Schmeller 1, 320. 2, 121. 4, 158), 
oder wie es vormals, da man noch mit grösserer Umständlich- 
keit trank, Trinkgefasse gegeben, die man gleich jenen unge- 
borenen Kindern Hänschen im Keller und Gretchen in der Küche 
nannte (die Vorzeit 2, Erfurt 1818, S. 193 fg.), der Bilder 
wegen, die sie zeigten : die erstere und einschliesslich damit die 
letztere Art beschreibt der alte Joh. Leonh. Frisch in seinem 
Wörterb. 1, 4l5b folgender Maassen: „Hansel im Keller ist 
eigentlich ein Pocal, das innen eine kleine Tiefe im Fuss hat, 
worinnen ein silbern Kindlein steckt; wann man da Wein hinein-^ 
giesst, so stösst das Kindlein den kleinen Deckel über sich auf 
und begiebt sich herauf, welches ein Scherz auf schwangere 
Weiber war." Schon weiter ab von der eigentlichen Bedeutung 
liegt, in Bürgers Belliö Str. 20 (317 ab), das unzüchtig-züchtige 
Hans Quast. Aber auch auf Dinge, die nicht so mitbelebte 
Theile des Menschen noch menschlich gestaltet und scheinbar 
belebt sind, werden die zwei Menschennamen übertragen, bald 
noch mit dichterisch zarter Bildlichkeit, bald mit der Willkür 


sein Haus mit guter Wehr und Kriegsrüstung versehe: Frey tag, Bilder 
2, 63 aus Janghans y. d. Olnitz Eriegsordnnng zu Wasser und Landt, 
Köln 1598.] 

19) Garg. 163 fg. Bienk. 139a. Bäuerlein und Greta: Garg. 298. 

20) In Köln Ilenneschen dieselbe Marionette, die anderswo Cas- 
perle heisst. 


Die deatsohen AppeHativnamen. t39 

einer gröberen Laune. Die zierlich blähende Nigella damascena 
heisst landschaftlich wechselnd entweder Braut in Haaren, 
Jungfer im Grünen, auch Teufel im Busch oder, nun mit den 
Appellativnamen für Jungfer und Braut, Gretel in der Hütte, 
Gretchen im Busch, Gretel in der Hecke oder in oder unter 
oder hinter der Stauden (Schmeller 2, 125. Usteris Vicari 
Z. 393, Anm.), eine Vorrichtung zum Halten, Tragen, Ziehen 
u. dgl. Hansel, der Stiefelzieher oder Stiefelknecht z. B. Stiefel' 
hänsel, und ebenso Hansel, unter Umständen Tanzhänsel, der 
Unterrock oder ein Oberhemdchen der Weibsleute: Schmeller 2, 
215 fg. Schmid S. 261 ^i). 

Wir haben fast durchweg nur Hans und Grete und die 
weiteren Kürzungen und Verkleinerungen Henselin, Hänsel, Häus- 
chen, Hansken, Henn, Henneke, Hennekln, Gretlein, Gretel und 
Gretchen, Johannes aber und Johann und das vollere Margreta 
je nur ein- oder zweimal vernommen: überhaupt zieht die Sprache 
für diesen appellativen Gebrauch die s. g. Koseformen der Eigen- 
namen vor, nicht weil auch diese erst von jüngerem Ursprung 
wären (denn sie reichen, worüber Schmeller 2, 82 und J. Grimms 
Gramm. 2, 689 fgg. nachzusehen, theilweise bis in frühe" alt- 
hochdeutsche und altsächsische Zeit zurück), sondern weil sie 
volksmässiger, weil sie alltäglicher sind, so dass Johannes Reuch- 
lin und Albrecht von Eibe sogar in lateinischer Lustspieldich- 
tung und deren Verdeutschung Namen der Art am Platze ge- 
funden haben (Litt. Gesch. S. 316 fg.), und weil die abgeschliffene 
Form und die abgeschliffene Bedeutung aus einer und derselben 
Ursache, der Häufigkeit der Namen, herkommen und somit wie 
organisch zusammenfallen. 

Hans jedoch, um uns noch für einige Zeit mehr auf dieses 
fruchtbarste Beispiel zu beschränken, ist nicht die einzige Form, 
in die man Johannes abgeschleift hat: es ist daraus auch durch 
Zusammenziehung Jan geworden: dass der niederländische Phi- 
lologe Gruter seinen Taufnamen Jan lieber in einen heidnischen 


21) [Hans am Wege, Pflaxusenname : Pergers Pflan^ensagen S. 166. 
engl. Sweet John eine Nelkenart; franz. Jean leUanc Lerchenfalke; Mar- 
got Elster; MargueritCf Name verschiedener Blumen; vgl. Schillers Thier- 
und Kräuterbuch 1, 2Qab. Hanselin, Jacke; Schecke: Falke 1, 199. Rotb- 
welsch: Hans walt^r lauss. Hans von geller grob brod.] 


140 Die deutschen AppellatiTnamen. 

Janus als einen christlichen Johannes latinisiert hai, darf uns 
in der richtigen Herleitung nicht stören, so .wenig als in der 
Herleitung des Namens Hans die Meinung derer, die dabei an 
die Hansa denken mögen. Auch Jan aber hat sich sofort appel- 
lativ verallgemeinert. Und zwar ist diess, als eigentlicher wie 
nun als appellativer Name, ursprünglich niederdeutsch und nieder- 
ländisch: wer da im Brettspiele dumm verliert, heisst Jan 
(Frisch 1, 484 c) [franz. jan, Littre 2, 170 c], wer seine Zeit 
mit nichtsnutzigen Dingen verbringt, als ob es Wichtigkeiten 
wären, Jan Gat d. i. Johannes Podex (vgl. oben 8. 137) und 
Jan Hen d. i. Hans Henne; JaH Blif to hus und Jan kumm 
er nich sind für die Kinder Personificierungen des Zuhause- 
bleibens und Nichtmitkommens (Simrocks Einderbuch 8. 22), 
Jan un aüe Mann s. v. a. Jedermann, de körte Jan im Tun 
der Zaunkönig (Hoffmanns Horae Belg. 6, 218; vgl. die Stelle 
Fischarts oben S. 136) und Jan der herabfallende Klotz, mit 
dem man Pfähle einrammt. Aber noch ehe wir von den Hol- 
ländern gelernt den Pöbel Jan Hagel nennen, auch schon eh 
durch den Anstoss der Englisehen Oomödianten, die zuerst in 
die Niederlande, dann nach Deutschland kamen, Jann oder Jahn 
der übliche Name des Tölpels und des Schalks, des clown, in 
den Dramen Jac. Ayrers ward (Litt. Gesch. S. 466), schon vor 
Ablauf des Mittelalters zeigt sich die niederdeutsche Wortform 
bis in das obere Deutschland vorgedrungen: es sollte wohl der 
sittlich tadelnde Sinn der zuerst und zumeist damit gebildeten 
Namen durch den Sprachton des Nordens noch verschärft wer- 
den: höhnt diesen doch ebenso die Heldensage, wenn sie die 
Könige der Sachsen und der Dänen LiudegSr und Liuidegast 
nennt, nicht LiutgSr und Liutgast, Nur kommt nirgend im 
Süden Jan selbständig vor, sondern immer nur mit Voransetzung 
noch eines anderen Wortes und so, dass es darüber den Schein 
eines blossen Ableitungsmittels und noch dazu eines fremden, 
eines lateinischen annimmt, indem meistens aus jan ein vocali- 
sches ian geworden. Anlass zu dieser Auffassung und Aende- 
rung lag in einer Reihe von Namen, die wirklich schon die 
ältere Dichtung in solcher lateinischen Art gebildet hatte, Eigen- 
namen wie Äldrian^ * Asprian, NorJian und andre, die theilweise 
sogar der deutschen Heldensage gehörten (Litt. Gesch. S. 73); 
Mercian, das in der Schreibung Mertian jetzt ein Geschlechtsname 


Die deutschen Appellatiynamen. 141 

ist, kommt als Name heidnischer Könige sowohl im Orendel als 
im Dietleib und im Wolfdietrieh vor (W. Grimms Heldensage 
S. 148 fg.). Ebenso lateinisch meint Hugo von Trimberg oben 
S. 99 den allegorischen Appellativnamen KrcUzian, da er den- 
selben im Wortspiele mit Gracian erfindet. Ja auch unser 
Schlendrian (eben dasselbe, eigentlich jedoch ein langes gemäch- 
liches Prauenkleid bezeichnet Schleuder: Schmeller 3; 450) er- 
scheint da, wo er zum erstenmal auftritt, in Seb. Brants Narren- 
schiff HO, 163, noch völliger latinisiert als Schlenttrianm oder, 
wie später gedruckt worden, Schlendrianus ; ebenso Grobian als 
Grobianus bei Thomas Murner in der Schelmenzunft Cap. 22 
(„Sus saw, Grobianus haisst ain schwein. Der nichtz ksn dann 
ain Unflat sein") und in dem Gedicht^ von W. S. 1538 „Gro- 
bians Tischzucht", nicht anders natürlich in dem lateinischen 
Friedrich Dedekinds von 1549 und in den sprichwörtlichen" Wen- 
dungen der späteren Zeit, die sich zunächst auf diesen ironischen 
Lehrmeister zurüctbeziehen (z. B. Schuppius 1, 853. 855); bei 
Hans Sachs ein S, Stolprianus (vgl. Weimarisches Jahrbuch 5, 
480), bei P Abraham im Judas 1, 456 „ein melancholischer 
Muffianus^^ ^^), Indessen all das ist eben nur ein Spiel der 
Gelehrsamkeit und mit der Gelehrsamkeit, dasselbe, das auch 
im Narrenschiff 72, 7 das deutsche Wort Glimpf in einen la- 
teinisch ausgehenden Herr Glymfyus personificiert. Brant, der 
den Ausdruck Grobian zuerst gebraucht (Narrensch. 72, 1. 49) 
und zwar auch als Namen eines von ihm erfundenen Heiligen, 
eine Auffassung, worauf noch später in Scheidts Bearbeitung des 
Dedekindschen Gedichtes (1551) die Form GroUaner, gleichsam 
der Ordensname fusst"®^), Brant sagt noch nicht Grobianus und 
Murner selbst auch in dem gleichen Capitel der Schelmenzunffc 
und in der Geuchmatt bloss Grobian (dort „Beneveneritis nobis, 
herr Grobian!" hier S. 1102 „Man findt wol einen Grobian, 
Der grift ein frou so schentlich an, Als wenn die frouw ein 
büffel wer Und von dem-'wald geloufen her") und anderswo 


22) [auf 5. Nimmers Tag verschieben, vertrösten: Garg. 352. Roll- 
wagenb. 72, 24 fg. heatus Nemo: Anzeiger des German. Mus. 1866, 361 fg. 
S. Schweynhardus: Rollwagenbüchl. 176, 6.] 

23) [S, Grobianus Rollwagenb. 93, 6. 94, 16. Grobianer Eyering 
S. 28. 787.] 


142 I^io deutsehen Appellatiynamen. 

Hans Sachs selber Stolprian: „Als ich vonn Thor gestolpert 
bin, kam mir der Stolprian in Sinn" (Weim. Jahrb. a. a. 0.^*). 
Noch mehr und entscheidender: zu dem Adjectivum schatnper 
d. i. schandbar, bildet Braut 72, 55 den Appellativnamen Schamr 
peryon, mit dem mundartlichen Tausch des langen a (und ein 
solches hat Jan zum Theil für die Niederdeutschen selbst) gegen 
ein langes o, der nur bei deutschen oder doch schon länger ins 
Deutsche übergegangenen Worten möglich ist. Er meint also 
Schamperion als einen schandbaren Jahn oder Hans: er meint 
auch Grobian als einen groben Hans. Ein noch älterer Beleg, 
vielleicht überhaupt der älteste für diese ganze dritte Art der 
Appellatiynamen. Ein lateinisch -deutscher Vocabularius rerum, 
der etwa 1 340 in dem sc^sischen Kloster Heinrichau geschrieben 
worden, hat unter dem Worte Leno Folgendes (Fundgruben 1, 
387 b)': „Leno dicitur domesticus assecla, consiliator, meretricum 
inductor inhonestus, s. pulian/^ Pidian: das Wort zeigt uns 
zugleich recht deutlich, wie die ganze Bild ungs weise ihren Ur- 
sprung im Niederland genommen: auf Holländisch ist pol noch 
jetzt s. y. a. leno (Hör. Belg. 6, 217), und ein holländisches 
Drama des Mittelalters stellt in dem gleichem Sinne pol und 
Jan als zwei noch getrennte Worte neben einander, „pol her 
Jan", Jan noch mit dem Titel Herr davor (ebd. 42, 56). Die 
jetzige und sonst die neuere Sprache Deutschlands, vorwaltend 
eben die auf unhochdeutschem Boden sich bewegende des Nor- 
dens, braucht von Appellativnamen mit Jan noch etwa BuUer- 
Jan Polterer, Dtdlerjan und ToUerjan, Dummerjan oder Dumm- 
rian (toll und dumm mit erstarrter Nominativendung), Lieder- 
jan d. h. liederlicher Mensch, Morian d. fr. Mohr (Simplicissimus 
3, 758. Tiecks Deutsches Theater 1, 369 fgg.), Schmierian 
und Urian 2^), welch letzteres ganz allgemein nur einen Er oder 
den bewussten, aber nicht genannten bezeichnet, „Herr Urian" 
Herr so und so, gleichsam der Haupthans: „So haben ein theil 


24) Stolprian Grillus S. 12. 

25) [Ruffidn, riffidn: Schade Sat. 3, 247. Aderjdn Schraderjän: 
Pfeiffers Germ. 14, 218. Schrnuiziatty kleinlich und widerlich geiziger 
Mensch. In Schlesien Schundian Geizbalz. Urian: Laurembergs Sat. 4, 
98 und Anmerkung dazu S. 237. Der Teufel: Göthe 12, 207. Voss 184a. 
= AuerhahnV Paust Puppensp. S. 10. 53. 68.] 


Die deatscben AppellatiYnamen. 143 

Weiber ohne das nicht gern, wann Herr ürian lang über den 
Büchern oder andern Geschäften sitzt und kein unterschied 
zwischen Tag und Nacht zu machen weiss" Simplic. 3, 725; 
„Als ein Baum wenig Aepfel trug und der Bauer darauf stieg 
solche abzuschütteln, sagt er im Zorn „Wiltu nicht Aepfel 
tragen, so trage Schelm und Diebe", und mein Herr TJrian war 
selbst darauf" Mercks Matths S. 15; „Ich dachte alsobald an 
meinen Herrn ürian" nämlich den, von welchem ich auch vor- 
her gesprochen habe: Schuppius 2, 224; beka'nnt ist der Herr 
Urian eines Liedes von Matthias Claudius ; Bürger in der Ballade 
Der Kaubgraf (S. 24 ab) versteht unter Meister Urian den 
Teufel; als. Namen eines Knechtes, eines Knechtes und Boten 
der Gemahlinn des Pilatus, braucht Urian sogar schon ein mittel- 
rheinisches Osterspiel des vierzehnten Jahrhunderts: der Heraus- 
geber mag jedoch Becht haben, wenn er darin nur eine An- 
spielung auf UridSy eine Umgestaltung dieses hebräischen Namens 
sehen will (Monas Schauspiele des Mittelalters 1, 115). Zahl- 
reicher als diese noch allgemein appellativen Worte mit Jan 
sind diejenigen, die sich unter die Geschlechtsnamen veraogen 
haben^®): sie müssen zuerst (nur so erklärt sich die neue Ver- 
wendung) einzelnen Personen als stehende Beinamen gegeben 
worden sein. Also, wie es mit Hans die Geschlechtsnamen 
Junghans, Langhans, Langerhans , Schmalhans giebt, so nun 
auch Ändrian, Bursian, Cantlan, Dempfrian (ein ausgestorbnes 
Basler Geschlecht: Baseler Bürgerbuch von Weiss S. 81), 
Grotrian d. h. grosser Hans, Merian d. h. grösserer Hans, 
Smalian oder SchmcUian, Schrebian, Stracker jan, Vier Jahn, 
Wudrian, Wurmmi und Wurzian [Mordian J. Pauls Titan 
4, 458. 473]. 

Wir haben den appellativen Gebrauch von Hans und Grete 
bis an den Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts, den von Jan 
mit einem oder zwei vereinzelten Beispielen bis um die Mitte 
des vierzehnten zurückverfolgen können. Hieraus ergiebt sich, 
was auch durch anderweitiges Aufmerken bestätigt wird, dass 
erst mit Ablauf des Mittelalters diese Eigennamen zu solcher 
AUüblichkeit gediehen sind, wodurch unter Umständen ihr rechter 
Sinn konnte abhanden kommen. Vor Johannes und Margareta 


26) Beckers GeschlechtsDamen S. 12. 


144 I^io deutflehen Appellatiynamen. 

hat es andre Namen der Männer, andre der Weiber g^eben, 
die unter der Menge besonders beliebt und häufig waren, aber 
auf jedweder Seite mehrere andre, nicht bloss je einen so aus- 
schliesslich bevorzugten. Wir können dieselben vornehmlich aus 
alten Bechtsformularen und dem ähnlichen Aufzeichnungen 
schöpfen. Wo da für gewisse Handlungen und Verhältnisse Per- 
sonen zu unterscheiden sind, pflegt das nicht vermittelst appel- 
lativer Bestimmungen zu geschehen, die meistens weitläuftig 
und durch die ' Weitläuftigkeit undeutlich ausfallen Yrarden, 
sondern kürzer mit N und iV^ d. h. nomen und nomen, wie z. B. 
im Bichtsteig des Sächsischen Landrechtes, mit ille und ille, wie 
z. B. in den Formulis Marculfi, oder auch anschaulicher, als 
das so durch blosse Fürwörter und Buchstaben zu erreichen ist, 
mit beispielsweise gesetzten Eigennamen^'') und dann, wie sich 
. von selbst versteht, mit solchen, die unter dem Volk besonders 
geläufig, und deshalb auch besonders passlich waren als Stell- 
vertreter aller andern möglichen zu dienen. So bewegen sich 
die Langobardischen Formeln bekanntlich in den zwei Namen 
Petrus und Martinus; ein Formular aus dem zwölften Jahrhun- 
dert für das Wasserurtheil (Mones Zeitschr. für d. Geschichte 
d. Oberrheins 1, 42) redet die eine der bezüglichen Personen 
an* „Cwowrad; oder svi so du heizzest", den Gegenpart aber 
Buodolf; ebenso im vierzehnten Jahrhundert Conrad und Hetn- 
rieh (das alte Magdeb. u. Hallische Recht v. Gaupp S. 198 aus 
einer Breslauer Handschrift des Weichbildrechtes von 1306^**) 
oder der Weibername „Beilgen, of w§ si heist, den namen sal 
man nennen" und ^^Heinrich, of w§ sich der brüdegam noempt*' 
(Kölnisches Verlöbnissformular in Haupts Zeitschr. 2, 553), im 
fünfzehnten endlich Fetir und Katherin (ebd. S. 555). Wie 
damit überall recht eigentliche Gemeinnamen gesetzt seien, er- 
hellt zum üeberfluss aus dem umstände, dass sich ebenso formel- 
haft im sechzehnten Jahrhundert die nun gewohnteren Hanns 


27) röm. Caius, Caia, Seins ^ Lucius j Titius; griech. Dion, Theon: 
Plut. Quast. Rom. 30. Oaius, Gaia: Pauljs Realencyclop. 5, 783. Brisso- 
nius 336. Gaius, Seins: Salvian. de gubem. dei 7, 16. Die Eigennamen 
in Martials Epigrammen: Pauly 4, 1604. 

28) ich stin hüdt zu tage hie und beneime Heintze oder Kuntzen 
(nr. wie er heisset) in landrechte: Weist. 4, 575. 


Die deutschen Appellativnamen. 145 

m 

und Greta zusammengestellt finden (Ponnular des Aufgebotes 
und der Trauung in Luthers Traubüchlein: Ausg. d. Werke v. 
Walch 10, 854 fg.), und daraus, dass einige jener Namen auch 
ausserhalb solches rechtlichen Gebrauches, aber in demselben 
Sinne der Stellvertretung uns begegnen. Und auch hier je zwei 
miteinander. In einer Predigt Meister Eckards (Pfeiffer 1, 33) 
„Swenne daz ich iht bite, s6 bite ich niht: swenne daz ich niht 
bite, s6 bite ich rehte. Swenne ich da vereinet bin, da alliu 
dinc gegenwertig sint, diu da vergangen sint unt diu iegenöte 
sint unt diu kunftic sint, diu sint alliu gelich nähe unde geltch 
ein, diu sint alliu in gote unde sint alliu in mir. Da endarf 
man weder Kuonrät noch Heinrich gedenken. Wer iht anders 
bitet danne got alleine, daz mac man heizen ein apgot oder alse 
ein ungerehtikeit. Die in dem geiste bitent und in der wärheit, 
die bitent rehte. Swenne daz ich für ieman bite, für Heinrich 
oder für Kuonrät, s6 bite ich aller minnest. Swenne daz ich 
für ieman bite, s6 bite ich allermeist, unde swenne ich nihtes 
enger und nihtes enbite, denne s6 bite ich aller eigenlichest: 
wan in gote ist weder Heinrich noch Kuonrät Swer got bitet 
umbe iht anders danne umbe got, daz ist unreht und ist un- 
geloube und ist als ein unvoUekommenheit". Hier haben wir 
denn zum zweiten Male, wie das erste Mal in jener Schlesischen 
ßechtsaufzeichnung, bereits aus dem Beginn des vierzehnten 
Jahrhunderts unser Hinz und Kunz, nur hier noch ohne die 
entstellende Abkürzung: schon mit derselben gewährt es im Be- 
ginn des sechzehnten die Schelmenzunft Cp. 1 „Wie Hainzen 
Eis und Cuntzen Gret Den Jäcklin mit bezalet het", und gegen 
dessen Ende die Basler Verdeutschung von Geilers Predigten 
über das Narrenschiff Bl. 65 rw. „sie haben kein underscheid, 
wem sie dienen, und gilt ihn gleich, es sei gleich Heinz oder 
Cuntz^^. Kaum wird zu zweifeln sein, dass man Kunz und 
Benz^% die andre jetzt landschaftlich gangbare Namenverbin- 
dung dieser Art, auch in jener früheren Zeit schon gekannt 
habe, während Hans und Kunz am Schlüsse von Bürgers Ge- 
dicht an Göckingk und Hans oder Heiri in den sprichwörtlichen 


29) will nicht Heinz, so mus Kunz: Fischart Podagr. Trosth. 1577 
Bl. B 8 b. Heinz und Kunz: Froschmäus. Z 1 a. Es sei Heinz oder 
Benz: Fischart Pract. A iiij vw. Heinz, Kunz, Benz Geschlechtsnamen. 

Waekemagel, Schriften. UL 10 


;^46 I^ie deutschen Appellativnamen. 

Kedensarten der Schweiz „Hans oder Heiri, 's isch glich" und 
„Do isch Hans, was Heiri" (vgl. Usteris Herr Heiri Z. 171) 
des DMtgenannten Hans wegen allerdings jünger aussehen, ob- 
gleich das letztere auch allitteriert*®). In einem mit Eckard 
ungefähr gleichzeitigen Gedichte (Altd. Leseb., letzte Ausg. 
979, 5) heisst ein Bauer nach der einen Handschrift Ouonz, 
nach der anderen Benz: beide mithin auch insofern Gemein- 
namen, dass sie damals besonders bezeichnende Namen des ge- 
meinen Mannes, auch der Landleute waren. Und Heinz und 
Kunz denn auch übliche Namen dienender Personen: in einem 
Minneliede bereits des dreizehnten Jahrhunderts werden ein 
KüenzUn und ein HeinzUn um den Botendienst zur Geliebten 
angesprochen (v. d. Hagen 2, 147 b). 

Wie Hans und Grete sind nun auch all diese andern und 
älteren Gemeinnamen Schritt für Schritt in die bloss appellatiye 
Geltung, theil weise auch sie bis zu der Bezeichnung blosser 
Sachbegriffe herabgesunken, nur alle verhältnissmässig seltener, 
einige ganz selten: denn auch hier gehört solche Verwendung 
überall erst der neuern Zeit an, die neuere Zeit aber braucht 
diese Namen eben schon als wirkliche Eigennamen minder häufig. 
Wir besprechen dieselben wiederum der alphabetischen Reihe 
nach. 


30) Die allitterierende Verbindung der zwei Namen bezeichnet die 
Personen selbst als gleichgeltend und die Wahl unter beiden als gleich- 
gültig. Dasselbe Verhältniss zweier Appellativa in dem aus einer Zu- 
sammensetzung aufgelösten Sprichwort „Gries kennt den Gramen** (Sim- 
rock S. 186) imd in der Bedensart Gaul als Gurre: Sittewald 1, 43 
„Unsere Landsleute, wann sie zwei Ding einander gleich zu sein andeuten 
woUen, sprechen, es seye Gurr ass Gaul (Gurr als wie Gaul: Eines wie das 
andere: vier Hosen eines Tuchs)"; Simplic. 2, 119 ,,dass gemeiniglich Gaul 
als Gurr, Hurn und Buben eines Gelichters und keins umb ein Haar bässer 
als das ander sey" ; bei Schraeller 2, 63 „Wann Gur und Gaul zusammen- 
kumbt" und schon in Justingers Berner Chronik S. 251 „und ward die 
sach bericht, schad gegen schad und gül an gurren". [Brandenburgisch: 
das ist Mus wie Mine: Wilhelmus, Wilhelmine? Von Pontius zu Pilatus 
schicken. Schlesische Zeitung 18.65, no. 3: dabei ist es ohne Wichtigkeit 
zu wissen, ob sich der Fürst von Mettemich hierzu des Peters oder des 
Pauls bedient hat* Zschokke Schriften 26, 293: am Ende aber dreh ich 
dafür die Hand nicht um, ob Peter oder Paul zuerst an die Reihe kommt. 
— Gans, Gickgack: Simrock Sprich w. S. 138. Höniger Narrensch. 99 vwl 
Geuch, Gecken: Fischart Practic B iiij vw.] 


Die deutschen Appellati vBamen. 147 

Barbara hat zwei Koseformen , die ziemlich weit aus einander 
gehn, entwickelt. Die eine, näher bei dem Grundwort bleibende 
' ist das schweizerische Babi, appellativ ein einfaltiges Kind oder 
auch ein schon erwachsener Mensch, ob Mann, ob Weib, von 
kindischem oder weibisch zaghaftem Benehmen [Bezug auf bähe 
altes Weib? mhd. Wb. 1, 75 a. Diez, Wb. d. rom. Spr. 2, 7], 
wo es von Kindern gesagt wird, noch gern mit einem Zusätze, 
als Babi'Dunkd, Dittibabi, Dockebabi , und die Puppe der Kinder 
selbst, das Ditti, die Docke, wird Babi genannt, mit der Puppe 
spielen oder in gereifteren Jahren noch kindisch thun * baben 
(Stalder 1, 120 fg.). Die andre Form, die von Barbara eigent- 
lich nur den Anfangsconsonanten festgehalten hat, ist das schwä- 
bische Bell: mi haben sie aber, in der Verkleinerung Beylgen, 
vorher auch am Niederrhein und schon im vierzehnten Jahr- 
hundert vernommen, und finden ohne Verkleinerung Bele, Bela 
schon im dreizehnten, z. B. bei dem von Stammheim (v. d. 
Hag. Minnes. 2, 77 b. 78 b. 88b); ein dickes Weibsbild nennen 
die Schwaben dicke Bell: Schmid S. 54. 

Benz wird heut zu Tage in der Schweiz gleichbedeutend 
mit Berti d. h. als die Koseform zu Bendicht oder Benedict ge- 
braucht: dem Mittelalter, dem Benedict nicht so geläufig war, 
während doch Benzo bereits im Althochdeutschen überoft vor- 
kommt (Pörstemann 1, 213), wird es zu Bernhard gehört haben ^^); 
ebendahin auch (vgl. oben 4, 153) Perz und Bertschi (Witten- 
weilers Bing) und Betze und Pez. Ausserhalb der üblichen 
Verbindung mit Kunz, für sich allein, bezeichnet Benz dem ent- 
sprechend, dass gerne die Bauern so geheissen, einen rohen 
trotzigen Gesellen (Schmid S. 55); bei Burkard Waldis einmal 
auch „manch ungelerter Benz vom Adel" (Wörterb. d. Br. Grimm 
1, 1477). Das Zeitwort benzen aber ist s. v. a. Händel suchen: 
so in dem Wortspiel Abrahams a S. Clara „Du bist öfter zu 
Penzing als Friedberg" (oben S. 101 ^^); jetzt hat es den ab- 
geschwächten Sinn eines zudringlichen Betteins (Schmeller 1, 183). 


31) [Vielmehr zu Berhtolt: Uhland in Pfeiffers Germania 1, 333 fg. 
Die Abkürzung von Bernhard ist Benno: Mon. S. Gall. 2, 14 Bennolinus 
= 12 Bernhardulus (der natürliche Sohn Karls des Dicken).] 

32) Penzingery Hadersfelder, Greiner (Weine): Abr. a S. Clara 
19, 392. 

10* 


148 I^ie deutschen Appellativnamen. 

Aber auch Benz wie sein Genosse Kiinz und noch manch andrer 
dieser •Apßellativnamen ist zugleich einer von den vielen Namen 
des Menschen, die man auf den Teufel übertragen hat (Oberlin 
Sp. 120), und örtlich der Name einer Spukgestalt, eines Nacht- 
gespenstes in dem Carcer der hohen Schule zu Ingolstadt 
(Schmeller a. a. 0.). 

C^tharina, Die nächste Verkleinerung Ketterlin braucht 
Murner (Lutherischer Narr Z. 1524) im Sinn einer leichtfertigen 
Dirne zusammen mit Gretlin^^): jetzt bedeutet Katterl, KaUel 
u. s. 'f. den Süddeutschen eher eine Schwätzerinn und einen 
Schwätzer, Mari-Katterl ein Mädchen von Gänseart, ebenso die 
Abkürzung Treird (Schmeller J, 492), und auch Norddeutsch- 
land kennt die dumme Trine, während das 164ste Märchen von 
einer faulen dicken Trine erzählt; unpersönlich aber ist das 
laufend Katterlj die schnelle Kathrine der Durchfall („Aber was 
soll dieses gegen ihren ganzen Leib selbst zu rechnen seyn; den 
ich zwar nicht bloss sehen kan? Ist er nicht so zart, schmal 
und anmuthig, als wenn sie acht Wochen die schnelle Catharina 
gehabt hätte"? Simplic. Stuttg. 1, 227) ilnd Jungfer KaUel die 
monatliche Keinigung, diess vielleicht Anfangs nur 'ein gelehrtes 
Wortspiel mit xoc'iapfjLa (Schmeller 2, 342), jenes ein deutsches 
mit kdt d. i. Koth. 

Von Heinrich, das mit seinen mehrfachen Koseformen wohl 
das häufigste in dieser ganzen Reihe ist, könnte man auch 
wieder sagen „Hans oder Heiri, 's isch glich": denn es geht 
in der Entwickelung seines appellativen Gebrauches fast Schritt 
für Schritt neben Hans und Jan her, und wechselt sogar ge- 
legentlich mit denselben ab. Weil es gleichfalls ein Bauern- 
name, bezeichnet Heini oder Heine in der volksmässigen Dich- 
tung zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts insbesondere den 
Eidgenossen, gegenüber Bruder Veit dem Landsknecht (Uhlands 
Volksl. S. 475 fgg. Eochholz Eidgenöss. Lieder-Chronik S. 366. 
Manuel S. 405); die zwei Schweizerbauem, deren Gespräch das 
Drama Combisst eröffnet (Gödekes Gengenbach S. 294), tragen 


33) [myn liehs Kettherlin: Hartlieb de fide meretricum bei Zarncke, 
die deutschen Univ. 1, 72. Ketterle: Höniger Narrensch. 98 rw. Käther- 
leifif Wortspiel mit Katze: Froschmäus. H 8 a. — dei Äpentrine van Eva: 
Sackmann, Predigten S. 69.] 


Die deutschen Appellati vnaraen. 149 

die Namen Haine und Härisslin, der im Beginn des Weltspiegels 
von Valentin Boltz den Namen Heini Wunder fitz ^ und bekannt 
ist Jacob Kueffs EUer Heini^^), Dann heissen Diener oft auch 
Heinrich: in Albrechts von febe Verdeutschung der Menächmen 
ist aus dem Peniculus ein Heyntz geworden; in der Schelmen- 
zunft Cp. 9 „Ich haiss knecht Haintz"; so auch im Märchen 
und schon im Mittelalter: vgl. den Armen Heinrich d. Br. Grimm 
S. 213 und oben S. 146^^). Daran schliessen sich, theils noch 
auf Grund der Begriffe Bauer und Knecht, theils mit vollster 
Verallgemeinerung, grober Heinz und grober Heiny: „Merk, 
bauer! du bist ein grober Heinz" ühland S. 698. Geilers 
Narrensch. Bl. 30 a; fauler Hentz B. Waldis Esop 3, 48: von 
dem faulen Heinz erzählt aber auch ein eigenes Märchen, das 
164ste- der Br. Grimm; Tummerhentz B. Waldis 4, 8; Gigen- 
heinz, womit Murner einen Hauptnarren,, einen Doppelnarren 
bezeichnet (Luth. NaiT S. 92. 221), d. i. gickend Heinz: gicken 
s. V. a. kichern oder stottern (Schmeller 2, 25); Hainz Narr 
im Holzschnitte zu Brants Narrensch. Cp. 5; Heintz Liil: „Sunder 
thut man zu wissen Den jungfrauwen ane danck: Welche ein 
floch hette gebiessen Sieben schuch lanck. Die noch ein schappelin 
uff leit. Die sol man straffen- mit der rutten, Die Heinz Lül 
zwuschen den beyn dreit" Lied des 15. Jahrh. in Pichards 
Frankf. Archiv 3, 392: lull ist ein Narr (ühland S. 528) und 
wird ebenso von lullen, an Zunge oder Finger saugen, abgeleitet 
sein wie das gleichbedeutende Lalli von lallen^% Ferner auf 
Niederdeutsch holten Hinrik ein hölzerner, plumper Kerl, knökern 
Hinrik ein äusserst magerer, tsern Hinrik ein sehr starker und 
muthiger Mensch (der Arme Heinr. d. Br. Grimm S. 214). Wie 
aber aus den Reimen des Basler Todtentanzes Str. 30 hervor- 
geht, dass schon im vierzehnten Jahrhundert Heine der gang- 
bare Name eines Narren von Beruf gewesen, so ist denn auch 


34) Heyne von Ury Garg. 231. 

35) Heintz der grobe Knecht: Eyering S. 28. treuer Knecht Heinrich: 
V. d. Hagen, Gesammtabent. 1, 214. 3, 198. 

36) [jgroher Heintz Garg. 221. fauler Heinz Musäus 726. Hausmehr- 
lein — von albern und faulen Heintzen. Rollenhagen Froschmäus. B 1 
rw. Eyering S. 70 fgg. Mistheintz Garg. 367. Heinz Widerporst H. Sachs 
1, 176. Heinz Narr Schade Sat. 1, 84. Heinz Worsthans das. 88. vgl. 
Backer Geschlechtsnamen S. 12.] 


150 I^ie deutschen Appellativuaraen. 

Heinel oder Heim oder Hienz allein der Appellativausdruck 
für Narr und Dummkopf und das Zeitwort hienzen s. v. a. zum 
Narren haben: Schmeller 2, 220; in eben diesem Sinne redet 
Luther K. Heinrich VIII. von England kurzweg mit Heinz an 
und das Weib in Mumers Geuchmatt S. 960 ihren Narren mit 
Heyntzmann Hugk; letzteres ein bedeutungsloser, bloss reimen- 
der Zusatz. Insbesondre ist Heinel ein Mann, der seiner Frau 
alles nachsieht; Abraham a S. Clara nennt einen solchen auf 
Lateinisch Henricus: ein Fingerzeig, dass unser Wort Hanrei 
aus dem französischen Henri komme (Schmeller 2, 198 fg.). 
Harmloser, wenn Heinz und Metz ein Liebespaar sind (Uhland 
S. 640) wie Hans und Grete: aber eben wie Hans, nur noch 
häufiger als dieses, geht Heinz u. s. f. auch ins Dämonische 
über: der Teufel wird Heinze Bockerlein (Schmeller 2, 220) 
oder Grauheinrich oder bloss Heinrich oder Hinze genannt 
(J. Grimms Mythol. S. 1016), Hausgeister Heinzlin und Hinzel- 
mann (ebd. S. 471), die Alraunwurzel Heinzelmännlein: Frisch 

1, 438 b^''). Hieraus und aus dem alten Gebrauch den Figuren 
des Puppenspiels, des ludus monstrorum, allerhand Schreckgestalt 
zu geben (Mythol. S. 469. Litfe Gesch. S. 299) erklärt sich 
Heinzel als Name einer Marionette und des Spiels mit solchen 
und einer Comödie, die schlecht wie ein Puppenspiel ist^ und 
der verbale Ausdruck jemand heinzein d. h. sein Spiel mit ihm 
treiben (Schmeller 2, 220). Da aber die Begriffe Teufel und 
Tod auf das mannigfaltigste sich berühren, so mag auch Freund 
Hein als euphemistischer Name des letzteren (Mythol. S. 811) 
nur eine Abkürzung von Heinrich sein. Zuletzt wird Heinrich 
ebenfalls auf Dinge übertragen: wie Hansel ist Heinz oder 
Heinzel ein Geräth zum Halten, Tragen, Ziehen u. dgl., Stiefel- 
heinz z. B. wie Stiefelhänsel ein Stiefelknecht, Heuheim eine 
Vorrichtung zum Trocknen des Heus, und das Heu auf einer 
solchen trocknen wird heinzen genannt (Frisch 1, 438 a. Stalder 

2, 35. Schmeller 2, 220. Schmid 271), ein Ofen mit schwachem 
Zuge bei Chemikern und Apothekern fauler Heinz (Frisch 1, 


37) Heintz der Bergmann (-geist) Froschmäus. Xx 5 b. Englisch der 
Teufel Old Harry, der Hausgeist Puck Harry: Br. Grimm d. arme Hein- 
rich S. 215. dän. Gammel Erik der Teufel? Mythol. 941. 


Die deutschen Appellati vnamen. 15I 

438 a), schlechtes Nachbier in Baiern Heinzel (Schmeller 1, 
301) und in Berlin eine besondre Branntweinmischung sanfter 
Heinrich, Ausserdem noch giebt es Kräuter des Namens yider, 
stolze?', grosser,, böser, rother Heinrich (Mythol. 1163 fg., Schiller, 
zum Thier- u. Kräuterb. 2, 32); von der Herhabana Heinrici, 
in der Schweiz bloss Heinerli genannt (Stalder 2, 35), kam eine 
Salbe gegen den Aussatz (der Arme Heinrich d. Br. Grimm 
S. 214), so dass man sich hier die Sage, von dem aussätzigen 
aimen Heinrich als Anlass der Namengebung denken mag. 

Kqtirad, vollständig wie verkürzt den sprichwörtlichen Ge- 
nossen von Heinrich oder Heinz, bezeugt als vielgebrauchten 
Bauernnamen (s. oben S. 146) noch im J. 1514 der arme Kon- 
rad, die appellative Gesammtbenennung der empörten Bauern in 
Würtemberg: darum auch heisst ein Mensch ohne Bildung ein 
grober Conz (Stelle des Malagis in Gervinus Litt. Gesch. 2, 77), 
und gleichfalls auf die bäurische Plqmpheit geht eine sprich- 
wörtliche Redensart der Oberpfalz, Blind drein platzen, tappen, 
rathen u. dgl. wie Kueuz in die Nuss (Schmeller 2, 31 4 ^'*); 
den KiienzUn als Diener kennen wir bereits aus dem dreizehn- 
ten Jahrhundert (S. 146); Küonz oder Conz mit der Motzen 
als Liebespaar wie Heinz und Metz und Hans und Grete hat 
das Narrenschiff G 1 , 27 („Wann Kuoffz mit Mätzen danzen mag. 
In hungert nit ein ganzen dag**) und dn noch älteres Volks- 
lied bei Uhland S. 340. Noch mehr in das Allgemeine, in den 
blossen Begriff eines Jemand gewendet ^^) zeigt den Namen ein 
von Luther gebrauchtes Sprichwort, „Konrad ist auch böse" 
d. h. auch ein Andrer, nicht bloss ich kann darüber in Zorn 
geratheri (Frisch 1, 173 a). Auch den gehassten und gefürchteten 
Jemand, den Teufel, nannten die Hexen öfters Konrad, Kunz, 
Künzchen (Myth. S. 1016); die Luzerner nennen ihn Kueni 
(Stalder 2, 142) und im hochdeutschen Reinhard Fuchs ist Kuontn 


38) Cuntzen ferkel: Eyering S. 815 fg. Schweinkuntz Zarncke Univers, 
im Mittelalter 1, 124. Garg. K 7 rw. Sewkuntz Zarncke 1, 126. — der 
arme Kunz Musäus 710. Cuntz ohn Sorg Eyering 775 fg. 

39) [Cünz Minnes. 3, 91a. , Hagen. Schade Sat. 2, 119 fg. der reiche 
Cuntz Garg. 521. Cüntz Schlauraff Practica ß iiij vw. Kaunz, Kaunzin: 
Schmeller 2, 346. Reicher KauZy Geldkauz (kaunzen, kauzen, knausern 
Schmeller a. a. 0.): Frisch 1, 505 b. närrischer Kauz, schlimmer, selt- 
samer Kauz.] 


152 ^^iö deutschen Appellativnamen. 

der Name des Waldteufels y. des grossen Waldaflfen ( J. Qrimms 
Sendschreiben S. 53*®). So wird denn der Kunz hinderm Ofen 
der alten Taschenspieler („Woltst darumb nicht Kuntz heyssen^ 
weil man inn Sachssen den Schweinen also . ruflfet und die 
Gauckler Kuntz hinderm Ofen rufen?" Pischarts Gargantua 
M 6 rw.), wovon Taschenspielerei treiben den Kunzen jagen 
(Manuel S. 371) und ein Taschenspieler selbst Ouontzenjager 
(Pischarts Garg. 355. Practik B iij vw.), Kunzenspieler, Kuntz- 
mann hiess (Prisch 1, 558 a) [Kuntzenwerck Garg. 264], es 
wird dieser Eunz auch nur der Teufel und eben hier der Anlass 
zu suchen sein, aus welchem man sonst den sogenannten Schlaf- 
apfel, den schwammigen Auswuchs des Hundsrosenstrauches, der 
unter das Kopfkissen gelegt den Schlaf befördern soll, eine Art 
von Zaubermittel also, auch Schlaf kunz nennt (Prischa. a. 0.*^); 
im Eselkönig S. 18 wird unter der Hofdienerschaft des Löwen 
mit aufgezählt „Herr Schlaf kunz, der Tachs, ein edler Schwab, 
Kammermeister" *^). In jener Sitte aber auch den Schweinen 
Kunz zu rufen der Anlass, dass Kuonzen, Küenzen, Küenzel 
endlich noch den Pettansatz unter dem Kinn bezeichnet (Schmid 
S. 313): so in der Ordnung eines Prohnleichnamszuges von 1580 
„S. Augustinus soll ein langer zimblich faister molscheter Mann 
seyn, der gar khein part'oder nur ein wenig khneblpärtle und 
zway khlaine Zipfelin* am khin und einen zimblichen Kienzen 
und fast ein gestalt hat wie der Ainhoflfer gastgeb" (Schmeller 
2, 314). Daher ist einem den Künzel streichen^ ^)^ ihm künzeln 
oder kunzen (Renner 17177) s. v. a. um den Bart gehn, 
schmeicheln, liebkosen (Stalder 2, 144. Schmeller und Sdbmid 
a. a. 0.**), und Prisch 1, 558 a ist im Irrthum, wenn er diess 
künzeln 'aus kindsein entstellt glaubt. 


40) Küz, Kauz, Eulenart: s. Frisch a. a. 0. 

41) Uaselkauzen die von den Weiden oder Nassbänmen vor der Bliithe 
herabhängenden sog. Kätzchen: Frisch 1, ößöb. 

42) ein Schwab: Bestätigung der in Haupts Zeitsch. 6, 260 gegebenen 
Herleitung dieses Volksnamens. 

43) den Käuzen, Küzen streichen: Frisch 1, 505 b. 541 a. kaunzen, 
kauzen, sich schmiegen, sich ducken (Schmeller a. a. 0.): vom Kunz oder 
vom Käuzlein? 

44) Vgl. „Et tenuit manu dextra mentum Amasae quasi osculans 
eum" 2 Reg. 20, 9: Renner 75 b. AeSixepfj 8'ap' utc dv^epewvo? IXovcxa 


Die deutschen Appellativnamen. 153 

Meister Märten wird im Simplicissimus 3, 769 als Gemein- 
name der Metzger, von den Hexen aber ward Martin oder 
Merten gern als Name des Teufels gebraucht (Mythol. S. 1016); 
letzteres vielleicht weil man ebenso den AflFen zu rufen pflegte: 
ich erinnere an Kueni und Kuonin; aber auch Eseln und Bären 
ward damit gerufen: „weil der Gauckler seinem AflFen Meister 
Martin und die Müller ihren Eseln und die Ghurwalen den 
Bären also ruflfen" Gargantua M 7 vw. [romanisch Martin pesca- 
tore ein Seefisch, franz. martinet phheur Eisvogel: Diez Wb. 
der roman. Spr. 1, 265.] 

Peter haben wir appellativ als dummen, faulen Peter, als 
Dudelpeter, der Alles zögernd langsam macht, als Hinkepeter, 
als Sporenpeter d. i. einen querköpfigen grillenhaften Menschen, 
als Umstandspeiet*, und dazu noch die Bezeichnung eines müh- 
sam grübelnden Arbeitens, das Zeitwort petem^^); in Berlin ist 
Peter Meffert, in Basel Peter Blcer, in Baiern Peter Blocket 
irgend jemand: „„Wer"? „Peter Blsßr"" (Basl. Kinder- und 
Volksreime S. 41); „Wenn den Prediger di« Memorie verlässt, 
mag er ein Exempel zum Besten gebend, denn während man von 
Peter Plöckl erzählt, findet man den abgerissenen Faden wieder*' 
(Schmeller 1, 235): von dem unverkleinerten Peter Bloch er- 
zählt ein norddeutscher Volksreim, den Musäus für seine Ge- 
schichte vom Schatzgräber benutzt hat: „Jungfer Ilse, Niemand 
will se: Da kam der Koch Peter Bloch, Und nahm sie doch". 
Weiter ist Meister Peter ein Name des Scharfrichters^ (J. Grimms 
Kechtsalterth. S. 883), Hollepeter und Petermännchen für Paus- 
kobolde (Mythol. S. 473. 478; holle aus AoWe Schutzgeist: ebd. 
S. 245), Peterlein, Peterle und wiederum Meister Peter für den 
Teufel selbst (ebd. S. 956. 1015), und wenn es wahr ist, was 


Xtaaofx^vTQ TCpoa&tTce ACa KpovCcova avaxxa IL 1,501; 10, 454. Soph. Electra 
1208. Callimachus Hymn. in Dianam 26. „Do was der magede hant an ir 
vater kinne" Gudrun 1545. Mit der Zeit nun fasste mich, der zum Greise 
geworden, das Alter ftn das Kinn und sagte gleichsam aus Liebe zu mir 
freundlich die Worte: „was machst du, mein Sohn, noch jetzt in dem 
Hause?" Somadeva 2, 97. — Plinius hist. nat. 11, 103. Caes. Heisterb. 11 
19. Beafl. 14, 38. 

45) Lüskenpeter Spottname eines Schneiders Lauremberg Sat. 1, 159. 
Peter Ferkel Zarnckes Univ. 1, 124. Peter Maffert Lauremberg. Sat. 4, 
348 und Anmerk, S, 338 %. 


154 I^iß deutschen Appellativnamen. 

eiamal Felix Hemmerlin erzählt (Beber S. 366), dass der Rath zu 
Erfurt niemanden des Namens Feter in seine Mitte habe wählen 
lassen, so sollte damit wohl den Übeln Erinnerungen an Henker und 
Kobold und Teufel ausgewichen werden, schwerlich aber dachte 
man wohl mit Hemmerlin daran, dass Petrus von petra komme 
und deshalb alle, die Peter heissen, hartköpfig und unbeugsam 
seien. Den dummen Peter brauchen wir aber auch als Namen 
einer bestimmten Fastnachts Verkleidung, den schwarzen Päer 
als den einer Art Kartenspiels, ursprünglich einer einzelnen 
Karte, des Piquebuben, und in der Feuerwerkerei Petermämwhen 
als den eines sonst sogenannten Sprühteufels: mit noch ent- 
schiednerer Ilebertragung auf unpersönliche Begriffe heisst das 
zu Löwen gebraute Bier »wiederum Petermann, wie anderswo 
(Schmeller 1, 301) das schlechte Nachbier Peterl, und in eben 
solcher Verkleinerungsform hat sich die deutsche Sprache schon 
des Mittelalters und noch jetzt im Süden das Fremdwort petro- 
selinum die Petersilie bequem gemacht: betirlin Schmeller 1, 
301; heterli Vocab. opt. 43, 156; peterlin Müller 3, XXIX c. 
XXX a. XXXVnib; Peterli Stalder 1, 158; Peterl Schmeller 
a.a. 0. Einen Kuchen aus der ersten oder Biestmilch einer 
Kuh nennt man Kuhpriester und Kuhpeter (Schmeller 2, 274. 
Schmid S. 332), das Fensterkreuz Fensterj^äer: Drei Vorreden 
V. Skepsgardh 1, 117. Wenn man aber auch die weiblichen 
Brüste Peter vnd Pauli nennt (Schmeller 1, 301), so mag darin 
eine Beziehung auf jenes berühmte Glockenpaar zu Köln (oben 
S. 96) liegen: oder auf die zwei Apostel selbst, als die an der 
Thür des Himmels stehn^«)"? 

Endlich Rudolf, abgekürzt und verkleinert Buodi, Rüedi, 
gehört so als Appellativname in zwiefacher Beziehung den 
Schweizern an. Hier in Basel ist Hans Ruodi ein dummer 
Kerl, Ruodi allein im Luzernerbiet ein Mann, aber auch ein 
Weib, dem alle schwere und unsaubere Arbeit aufgeladen wird, 
ebendort Rüedi, Rüedibueh, Rüedimaitli zuchtlose Knaben und 
Mädchen, ein Wüstling Säurüedi: Stalder 2, 288. Zugleich 
aber ist Eüedi einer der Hohnnamen gewesen, die das feindliche 


46) [Ziegenpeter Zachers Zeitschr, 1, 310. Petermann penis Garg. 
E 1 rw, vom Papagei: Diez Wörterb. der rom. Spr. 1, 307 s. v. parrocchetto.l 


Die deutschen Appellativnamen. 155 

Ausland für die Eidgenossen insgesammt gebrauchte: es kommt 
derselbe, in Bidi verderbt und neben dem gleichangewendeten 
Heine, in einem Lied von 1515 zu Ehren Bruder Veits d. i. der 
Landsknechte vor: ühland S. 475 fgg. 

Hans und Jan und Grete, Hinz und Kunz und Benz.u. s. w., 
für alle diese appellativ gewordenen Eigennamen hat sich uns 
als der erste und hauptsächlichste und als der überall durch- 
gehende Grund und Anlass solcher Verallgemeinerung die Häu- 
figkeit erwiesen, mit der sie das Volk zuerst als die wirklichen 
Namen einzelner Personen gebraucht hat oder noch gebraucht. 
• Nächstdem mag, aber jedesfalls immer nur in zweiter, dritter 
Linie, hie und da noch sonst ein Umstand mitgewirkt haben, 
den wir, die in der Nachwelt und ausserhalb eines ganzen Volks- 
lebens stehn, nur nicht mehr überall herauserkennen, Wort- 
spiele mit Appellativen gleichen oder ähnlichen Lautes oder An- 
spielungen gleich jener, die dem Namen Leonhard den Appella- 
tiven Sinn eines trägen Tölpels gegeben (oben S. 119). Die 
Verallgemeinerung aber dehnt den Einzelnamen zuvörderst über 
ganze grosse Menschenclassen aus, wie zumal eine der vorherr- 
schenden Unarten, die Dummheit, die Faulheit, die Liederlich- 
keit sie vereinigt, und es werden, wenn Dummheit zu bezeichnen 
ist, im Voraus etwa männliche, wenn Liederlichkeit, weibliche 
Namen gebraucht. Von den Menschen geht es sodann nach der 
einen Seite zu den dämonischen Wesen: Furcht und Wollust 
sucht denselben zu schmeicheln, indem sie ihnen menschlich ver- 
traute und in der Form schon kosende Namen beilegt. Und 
menschlich und schmeichelnd gleich den Dämonen werden auch 
Krankheiten benannt^''), die ja dem Aberglauben nur Dämonen 
sind, welche den Leib oder ein Glied desselben in Besitz ge- 
nommen, die er auch als solche mit Segenssprüchen beschwört 
um sie zu vertreiben oder herauszulocken. Ebenso mag ausser 
dem Scherz und der Lüsternheit eine dämonische Auffassung in 
den Fällen walte«, wo einzelne Glieder Namen nach Menschen- 
art empfangen: ich denke dabei, auf Grund der gehaltvollen 
Erörterungen Wilh. Grimms, vorzüglich an die Fingernamen, an 


47) [Vergl. die persönlich gebildeten Krankheitsnamen Brenner^ 
Gluckser, Kreister, Laufer, Meuchler, Pfitzery Pfeifer, Verleider. — 
Beutelmann Fieber, Blattermann Kindspocken Schmeller 1, 219. 2, 580.] 


156 I^ie deutschen Appellativnamen. 

Namen wie Langmartm und Lange Mar je, Entstellungen von 
lancmar, die für den Mittelfinger gelten, Klein Jäckchen und 
Johann für den vierten, aber auch Kort Johann für den Zeige- 
finger, und Piphans und Peter Müllermann für den kleinen: 
W. Grimms Exhortatio S. 32 fg. Simrocks Kinderbuch S. 6. 
325. Nach der anderen Seite lässt sich die Namengebung bis 
zu leblosen Dingen hinab, zu Speisen, Kleidern, Geräthschaften: 
aber es geschieht um dieselben zu vermenschlichen und weil 
man sie auch schon sonst vermenschlicht: heisst doch auch der 
Stiefelzieher Stiefelknecht, eine Tabelle, die einem beim , Rechnen 
hilft, Bait' oder Beclmiknecht (oben S. 60, vgl. Frisch 1, 527b), 
und den Baiern sind Brotmannl und Bettelmann und der hlinde 
Mann Brei und Mus und Gebackenes: Schmeller 2, 584*^). 
Am weitesten endlich von dem UrbegrifF entfernen sich die Zeit- 
wörter, deren Herleitung von Eigennamen erst die appellative 
Umwandlung der letzteren vermittelt: petern zum Beispiel, un- 
mittelbar von dem wirklichen Eigennamen Peter selbst gebildet, 
wie es Ottocar einmal braucht („den man iezuo päbest siht, weiz 
got der petert niht: wan ob er petern wolde, weiz got, s6 solde 
er nu niht wesen sein-" 455 a), braucht eben auch nur er diess 
eine Mal so: bei dem jetzt üblichen Sinne des Zeitwortes aber 
(oben S. 153) de^kt schwerlich jemand mehr an den Eigen- 
namen: der appellative Umstandspeter liegt verdeckend da- 
zwischen. 

Ich habe jedoch mit diesen übersichtlichen Bemerkungen 
einigermassen vorgegriffen, insofern sie theilweise auf Beispiele 
sich beziehen, die erst noch anzufahren sind: denn es ist noch 
eine beträchtliche Anzahl appellativer Eigennamen übrig. Es 
könnte diese Zahl noch um vieles vermehrt, die Belege könnten 
überall noch mehr gehäuft werden , wenn ich auch die nordischen 
Sprachen und besonders die englische mit hereinziehen wollte, 
die wie bekanntlich an Koseformen der Eigennamen, so auch an 
bald zarter, bald launiger und derber Appellativverwendung der- 
selben überreich ist. Aber ich enthalte mich, wie schon bisher 


48) [Münzen: Dreier, Dreiling; Petermann Frisch 2, 46 a. Henkel- 
mann Weist. 3, 311. — Ackerwurz Calmus, Ackermann caridirter Calmus: 
Frisch 1, 10 b. phefferman Pfefferbrühe Suchenw. 31, 164 fg. in Basel 
GläUemd Glättmann ein Plättbrett, Päffchen, Halsbinde der Geistüchen.] 


Die deutschen AppellatiTnamen. 157 

durchweg geschehen, um mir und den Lesern Zeit und Kraft zu 
sparen, und beschränke mich fortan lediglich auf Deutschland. 
Und hier wird nach wie vor die Hauptquelle, aus der wir auch 
für diesen Theil unserer Sprach- und Culturgeschichte dankbar 
und mit Wehmuth schöpfen, das Bairische Wörterbuch von 
Schmeller sein. 

Adelheit, in Murners Luth. Narren Z. 1371. 3980. 4172 
der Name eines umherziehenden Spielweibes. [Adelheit Berthold 
114, 31. Heinz und Addheit Eyering S. 70 fg. Aleke Minnes. 
3, 91 a. kamerdlke ßeineke V. Gl. 3, 4, 12.] 

Aegiditts hat zwei Koseformen, die ^ine, näher bei dem 
Grundwort bleibend, Gidi, die andre, dem französischen Gilles 
zu vergleichen, Gilg [Gilje Ruther 3945. Gilege 2926. Jilge 
4068] oder, wie auch die Lilie Gilge und Ilge, der Gyps in der 
Schweiz auch Ips heisst^ Ilg und hieraus, indem der Schluss- 
consonant von Sant oder Sand sich vorn daran heftet, Till oder 
Dill: ebenso ist in der Schweiz der Vorname Urs zu Durs, in 
Basel die Sanct-Alban- und die Sanct-Elisabethenkirche zu einer 
Dalben und Delsbethen geworden*^), in , Baiern Sanct- Annen- 
brunn, Sanct-Annengärtlein zu Tannenbrunn und Tannengärtlein: 
Schmeller 2, 695; vollständiger noch mit doppeltem Zungenlaut 
schreiben ältere Urkunden Sanct Turban für Urban und eben 
auch Sand Dyligen d. i. Sand lligen, Sanct Aegidien tag: ebd. 
3, 274. Eine dritte Form Didel (Schm. 1, 358) kann zugleich 
Erweiterung von Dil und Verkleinerung zu Gidi, Sand-Idi sein: 
diese kommt jedoch nur in appellativem Sinne vor. So aber 
gebraucht, ist Gidi^ Strmnpf-Gidi ein unbesonnener, leicht sich 
übereilender Mensch (Schm. 2, 11)^ Didel [mein kleiner Dille: , 
. Garg. 241] und mit imperativischem Zusätze TU Tapp (Garg. 
367. H. Sachs), Dill Dapp, Dille Dapp, Dil Tapp, Didel Tapp, 
Worte wie oben S. 136 Hans Tapp, ferner Happerdidel und 
Lattidel, wer sich närrisch und übereilt oder auch mit schläfriger 
Einfalt benimmt, ein, Narr, ein Tropf: ebd. 1, 358. 365. 450. 
2, 221. 512. Schmids Schwab. Wörterb. S. 126; bei Abraham 
a S. Clara (Judas *4, 188) „ein läppisch Kind oder kindischer 
Läpp und Tidltapp^^; andre Stellen, bereits vom fünfzehnten 


49) [n aas don^ dominus: Diez Gramm. 2, 276.] 


\ 


158 ^^6 deutschen Appellativnamen. 

Jahrhundert an, im deutschen Wörterbuche d. Br. Grimm 2, 
1151. Möglich, dass auch Till als der Name des Eulenspiegels 
nebenbei auf den Narren zielt: indess konnte Till von Lübeck 
aus (oben S. 129) auch den Umwohnenden beliebt geworden 
sein; in Lübeck selbst aber war der Name wohl des heil. 
Aegidius wegen so beliebt, dem eine der Hauptkirchen geweiht 
ist^®). Eine mit dem Ablaut spielende Verdoppelung von Dill 
ist Dilli Dalli: Dilli-Dalli-Häusel bauen ein Kinderspiel („dass 
Schlimp Schlamp Schlodi sei aller Reichthum Croesi, dass Dilli- 
Dalli-Häusel bauen sei alle Pracht Pompei, dass Lirum Lamm 
sei alle Wollust Sardanapali gegen die mindiste Ergötzlichkeit 
des Himmels" Abr. a. a. 0. 1, 149; ebd. S. 478. 7, 38; Hui 
und Pfui der Welt S. 600); Dille Dalli, Dille Delle: Schmid 
S. 126. Schmeller 1, 364; dazu bei Luther auch ein Zeitwort 
tiUen teilen: Br. Grimm 2, 1150. [dallen Eyering S. 61.] 

Anna. „Warum so maulhengkolisch? hat ihm der Schauer 
in Beutel geschlagen, oder das Wäscher-Annel ein Eepuls ge- 
geben"? Schuppius 1, 873. In Ulm S, Anna ein schmerzlich 
schimpfliches Strafgerüst für Weiber, eine sogenannte Geige: 
Schmid S. 24; aus welchem Anlass? 

Appollonia. „Die Appd, unflätige Weibsperson, schwatz- 
hafte Person" Schmeller 1, 88; adjectivisch appelhaft albern: 
Schmid S. 6. [In Zürich Appel auch für Männer und als freund- 
licher Schimpf im Sinne von Narr gebraucht.] 

Barüwlomäus, Koseform Bartel, Meister Bartel der Henker: 
„Noch Barthel [wollte ich heissen] vonwegen des trockenen Bart- 
scherers Meyster Bartheis"? Gargantua M 7 vw. -^eissbartel 
ungeschickter, Schusshartel überlebhaftef Mensch (Schmeller 1, 
203. 2, 74. 3, 411), Schmvtzbartel und einfach Bartel in Steier-, 
mark ein Kobold: Mythol. S. 483. Dass aber Bartel, obgleich 
Schuppius in der bekannten Redensart „wissen, wo B. den Most 
holt" einmal die Form Barthold gebrauchen soll (Wörterb. d. 
Br. Grimm 1, 1145 mit unfindbarem Citat*), dennoch nicht 


50) [Fischart Eulenspiegel Cap. 1 : und man hesz in dem Tauff ge- 
schwind Tyl Eulenspiegel das schwn Kind, dann def^ Nam ist daselbst 
(Dorf Knettlingen in Sachsen) gemein, gleich wie bei uns der Hans mag 
sein. Murners Ulenspiegel gibt diese Erklärung nicht.] 

*) [es steht Seite 617 der Schuppiusschen Schriften, Frankfurt 1684. 
Heyne.] 


Die deutschen Appellativnamen. 159 

von Barthold, sondern von Bartholomäus komme, zeigt eben 
dieser Schuppius an einer andern Stelle, welche zugleich die 
ganze Kedensart erklären hilft. Er sagt 1, 121 „wo man Holz 
umb Weynachten, Korn umb Pfingsten und Wein umb Bar- 
tholomsei [24. August] kauft, da wird Schmalhans endlich Küchen- 
meister": wer aber nun weiss, wo Barthel dennoch Most holt, 
wo man um Bartholomäi sogar schon neuen Wein kaufen kann, 
der weiss unter allen, auch den schwierigsten Umständen sich 
zu rathen. Ein Bezug aufs Trinken liegt also in der Kedensart 
ursprunglich nicht: der weiter abgeleitete Imperativausdruck für 
Trunk, ein Trink Bartel (Br. Grimm a. a. 0.), legt ihn erst 
hinein. Im Hennebergischen endlich ist Bartel eine Mütze, eine 
Pelzhaube, schwerlich, da das Geschlecht ebenfalls männlich ist, 
„aus dem alten Baretlein zusammengezogen" (Schm. 1, 203): 
das Wort mag den Eigennamen auf das Appellativum Bart hin- 
lenken wollen, wie das wohl auch im Geissbartel der Fall ist 
und das auch Fischart dort mit seinem trockenen Bartscherer 
Meyster Barthel meint^^). 

Caspar ist ein üblicher Knechtsname (oben S. 319), Kasperle, 
Kasperl der schalkhaft dumme Knecht im Puppenspiel und da- 
von kaspern, käsperlen, kasperln zum Narren haben, necken 
(Schmeller 2, 338. Schmid S. 306); Caspar, Kasperl, Käsperle 
aber auch der Teufel (Schmeller a. a. 0., Mythol. S. 1016) und 
als Sachname ein Zehnbätzner^^). Die B^densart Casparschmalz 
anstreichen^ die jetzt s. v. a. schmeicheln ist (Schmeller a. a. 0.), 
wird ursprünglich den mehr handgreiflichen Sinn des Bestechens 
besessen haben. 

[Christian in der roth welschen Grammatik (oben S. 114) 
Jacobsbrüder.] 

Christoph oder Christoffel aus Christophorus, die Kose- 


51) [Bartelf Narr, einfältiger Mensch. Dummer Bartel, Auch Lach- 
bartel Lachnarr: Schmid, westerwäld. Idiot. S. 14. Schoszhartel j Schusz- 
bartel j Geck, Hasenfuss, Spassmacher : ebenda S. 208. Saubartel unrein- 
licher Mensch. Vgl. Pfeiffers Genn. 14, 219.] 

52) [Teufel der schwarze Kaspar: Frey tags Bilder aus der deutschen 
Vergangenheit 2, 77 aus einem Bericht über die Belagerung der Stadt 
Pilsen 1619. Caspar der Mohr unter den heiligen drei Königen, Teufel 
der hellemör.] 


160 1^16 deutschen AppellatiYiiamen. 

formen Stoffd oder Stöffd und Töffd. Auch dies^ wiederum 
Knecht3namen mit dem Nebenbegriffe der Faulheit: „wol auf, 
Gretlein und Stoffel" in dem alten Liede vom Schlaraffenland« 
(Haupts Zeitschr. 2, 566); und die Bezeichnung jedes unge- 
schickten einfaltigen Menschen: SchmeUer 3, 619; wenn Fischart 
im Gargantua M 7 vw. fragt „Noch Stoffel [wollte ich heissen], 
weil alle Seulgötzen und die Heustoffel und das Lied Stoffel, 
lieber Göffel also klingt"? so weiss ich nicht, ob die Seulgötzen 
hier im eigentlichen Sinne von Bildsäulen der Heiligen oder un- 
eigentlich und persönlich wie Götz und Oelgötz zu verstehn sei: 
in beiden Fällen aber erscheint als Anlass der appellativen Wen- 
dung des Eigennamens die Häufigkeit der Christophorusbilder: 
vgl. oben S. 119. In Niederdeutschland ist Muckstoffd ein 
mürrischer Mensch, im südlichen das Zeitwort stoffdn s. v. a. 
zum Narren haben: „Lass mich jetzt gleich mein Lied vorsingen, 
oder\ich glaub, du stoffeist mich" (Maler Müller in Bacchidon 
Uv Milon); anderswo, indem noch das Zeitw. stapfen mit ein- 
fliesst, bezeichnet stoffein ein zugleich ungeschicktes und unver- 
drossenes Vorwärtsschreiten. [In der Pfalz ehemals Stoifd 
Rundhut beschränkter Tölpel: Biehls Pfälzer S. 227.] 

[Cordula: Kordel dumme Weibsperson Schmeller 3, 329.] 
Dorothea. Die Verkleinerung Duredil, die Verkürzung Durl 
jede Weibsperson: Schmeller 1, 390. , 

Elisabeth, in den Koseformen Else und Lise. Häufiger 
Weibername: „Hainzen Eis und Cunzen Gret" Mumers Schel- 
menzunft Cp. 1; darum auch häufig als Name leichtfertiger so- 
wohl als thörichter Weiber: auf dem Titel des Buches de fide 
meretricum der Wahlspruch „Ach lieb Eis biss mir holt" 
[Zarnckes Univ. im Mittelalt. 1, 87. 91 fg.] und das 34ste 
Märchen der Brüder GHmm von der klugen, aber nur ironischer 
Weise klugen Else; im nördlichen Deutschland heisst jede dumme 
Weibsperson eine dumme Lise, in der Schweiz ein Mädchen, das 
viel und unnütz lacht, eine Kitterelsi. Aus dem Begriff der 
Geliebten, die stets zur Hand ist, leiten sich die zwei Sach- 
begriffe des Namens her: Lise bezeichnet auch einen grossen Trink- 
krug und das Strohbund, worauf sich vormals die Soldaten legen 
mussten um Stockprügel in Empfang zu nehmen: Schmeller 2, 
499. [füle las, anagallis arvensis: Schiller Thier- u. Käuterb. 
2, 30.] 


Die deutschen AppellatiTnamen. 161 

Eustachius, Stackes, Stacks, „auch als scherzhaftes Appella- 
tiv üblich": Schmeller 3, 606. 

Eva. „Meine Eva" A. i. mein Weib; „mein Adam" habe 
wenigstens ich noch nie gehört. Schwätz -Evel: die Mundarten 
Bayerns v. Schmeller S. 516. 

Franz ein weicher schwacher Mann: Stellen in Haupts 
Zeitschr. 8, 511. 

Friederick, Fritz. B. Waldis in der Erzählung eines Lalen- 
burgerstreiches (er nennt „die tollen Leut zu Dölpelbach") 
Esop 4, 90 „Weil sie da bey einander sassen, Allsam ihr eigen 
bein vergassen; Weil sie all waren wohl gekleidt, Wisten sie 
keinen unterscheidt und blieben wie die tollen Fritzen Biss an 
den abent da besitzen; Vor thorheit dorft auch niemandt fliehen 
Oder sein Bein erst an sich ziehen". [Cünz und der Fritz: 
Schade Sat. u. Pasqu. 2, 119. Fritz Hanenfeder: Hartlieb de 
fide meretr., Zarnckes Univers. 1, 82. Fritz Regenspat Garg. 
442. dieser lose Fritz Fischarts Dichtungen von Kurz 1, 208. 
norddeutsch Läusefritz Lausekerl.] 

Gabriel, Häufiger Name: Weinlied im Liederbuch der Hätz- 
lerinn S. 66 b „mit Götz und GäbUn machst du solchen plas, 
Das ainer mass Dem andern, das Die locke flocke rüeren als 
den flass". Gaberl unbesonnener, übereilt handelnder Mensch, 
gaherln übereilt handeln: Schmeller 2, 9. 

Georg. Eabener in seinem Beitrag zum deutschen Wörter- 
buche unter dem Worte Deutsch „Man nennt sie auch römisch- 
gesinnte Männer oder lateiniscke Gör gen, zur schuldigen Ver- 
geltung der deutschen Michel" (oben S. 61). Weiter ab von 
Georg liegt Jodel, Joel, ^Tol, das aber auch als Koseform zu 
Jodocus (Schmid S. 300 führt jodokenmässig im Sinne von ab- 
geschmackt, Schmeller 2, 264 jodelmässig in dem von grob und 
lärmend an) und selbst zu Jacob gebraucht wird [vergorgelen, 
verjörgelen, verjodelen Pischart Leseb. 3, 482, 41. vgl. 28.]. 
Ayrer nennt einmal, in seinem Servius Tullius, den Narren 
Jodel; wieder als Knechtsname erscheint er in Salzjodel, der 
bairischen Benennung der Pferdeknechte bei der SalzschiflFfahrt 
(Schm. 2, 263): sonst in neuerer Zeit bedeutet es, als Ernste 
und als scherzende Schelte und eben im Kückblick auf den 
streitbaren S. Georg, einen groben lärmenden händelsüchtigen 
odej überhaupt mtr einen widerwärtigen Menschen (Frisch 1, 

Wackernagel, Schriften. UI. 11 


162 ^i® deatflchen Appellativiiamen. 

489 c), wie man denn auch Baufjodel und selbst von einem 
Stiere Jodel sagt [Kropf- und Topfjodd Abr. a S. Clara 19, 
23.]. Auch das Zeitwort jodeln, jolen möchte eher auf diesen 
Appellativnamen als auf einen Naturlaut jo zu beziehen seip, 
da es nicht bloss, das Solfeggieren der Sennen, sondern auch 
Geschrei und Lärm und eine jodelmässige Auffuhrung bezeichnet. 

Gertrud. Eine dicke T^-udel: vielleicht, weil trudeln s. v. a. 
rollen ist [(dicke) Trutschel dickes Mädchen, Weib. Kommt das 
Verbum trudeln erst von Trudel?]. 

Gottfried. In der Studentensprache wird ein Hausrock der 
cdte Gottfried, von Seume in seiner Selbstbiographie 'die ßuthe 
Birkengottfriedchen genannt. Die Koseform Götze kann da, wo 
sie appellativ einen dummen Menschen meint, ebenso wohl und 
noch eher das verächtliche Verkleinerungswort zu Gott sein 
(oben S. 119): als stellvertretenden Gemeinnamen haben wir 
Götz schon vorher unter Gabriel gelesen. 

[Herman. Si, welcher Hermanf sprach der Mai; du oeder 
gauch, läss dein Geschrei! Hätzlerin S. 249 a. vgl. oben S. 87.] 

Jacob, bis auf uns einer der häufigsten Namen und des- 
halb mannigfach appellativ gebraucht. Schon Jacob selbst er- 
scheint nur als zufallig ergriffene Stellvertretung, als Name 
überhaupt in der Redensart der wahre Jacob und in dem Spiele 
„Jacob lacht"; noch häufiger so und mit weiterer Forteutwicke- 
lung des AppellativbegrifFes die Koseformen Jack, Jack, Jäkel, 
Jäkel, JäMin, die mehr dem nördlichen und mittleren Deutsch- 
land, Jocki und Jockeli, die voraus dem oberalamannischen eigen 
sind [franz. Jacques Bonhomme, JacquerieY^). Auch diese 
meinen zunächst nur irgend jemand, wenn Mumer in der Schel- 
menzunft Cap. 1 sagt „Wie Hainzen Eis und Cunzen Gret Den 


53) Thomas Platter, da er ein Holzbild des Johannes in den Ofen 
schiebt, sagt dazu „Jögli, nun bück dich! du must in den ofen" (Ausg. 
V. Fechter S. 37 . Hienach könnte Jögli auch Koseform zu Johannes 
scheinen wie im Englischen Jack und Jachy zu John. Ich habe indessen 
bereits anderswo nachgewiesen (Beiträge der histor. Gesellschaft zu Basel 
3, 375 fgg.), dass Platter nur Worte des Kalenbergers wiederholt, ge- 
sprochen, als dieser wirklich mit einem S. Jacob heizte: „Bück dich 
Jäcklin! du must in ofen". Die Sprichwörtlichkeit, welche dieselbe er- 
langt, geht aus ihrer Benutzung auch in Mumers Narrenbeschwörung 4, 
195 hervor. * • 


Die deutschen Appellati vnamen. 163 

Jäcklin mit bezalet het" oder Moscherosch im Sittewald 2, 13 
„da sehen wir allererst wo Jäckel in den Bohnen gesessen, 
wann sie nun sind aussgelochen" und S. 182 mit einem Vocal- 
spiel desselben Sinnes, wie die Mher (S. 146) besprochene 
Allitteration Hans oder Heiri, „Das heisset dann Hanss hienüber, 
Gauss herüber; JäcJcd hienauss, Jockei herein; Gans tiber Meer 
und wieder herüber", wenn femer eine ausgestopfte Menschen- 
figur, wenn auch der grosse grossköpfige Schmiedebauer und ein 
grossbauchiger Erug Jäkel genannt und Zusanimensetzungen da- 
mit gebildet werden wie Hurenjäkel, Schmier jäkel , Taubenjäkel 
d. i. ein Taubenliebhaber (Schmeller 2, 266 fg.) und in Nord- 
deutschland Schuhhjak d. i. ein armer Schuft \Graüel JäcMein 
Garg. 269]. Dann aber ist Jocki, Jockeli insbesondere ein 
Bauer, ein Burejocki, wie auch die Fastnachts Verkleidung in einen 
solchen heisst, Hansjockelisuppe eine Suppe, dergleichen sonst 
nur die armen Bauern essen, aus Hau d. i. Hans Jockei ent- 
stellt Hanokel in Schwaben ein tölpelhafter Mensch (Schmid 
S. 261) und Jockei oder Jockeli der Name des faulen Knechts 
in den Kinderliedem vom Haferschneiden und vom Bimen- 
schütteln (Simrocks Kinderbuch S. 267. 269), Jäkel der des 
missachteten und missbrauchten: ,',Er muss ein Jäkel und Asche- 
prodel sein" Matthesius bei Frisch 1, 312 b. Endlich bezeichnen 
auch diese Worte wiederum den Narren: „Das sei der wunder- 
lichste Joggi, den es auf der Erde gebe" wird von einem gesagt, 
der wirklich so heisst „und dJoggeni seien doch füra etwas 
wunderlich: es wohne dem Namen an" Gotthelfs Uli d. Knecht 
S. 147; „sie sol den man für keinen lapen, Jäckel halten oder 
tiltappen" Meistergesang von 1608, Wörterb. d. Br. Grimm 2, 
1151. [Jockei Dummkopf, Thor: Hub, kom. Pros. 2, 44. Joggel 
freundlicher Schimpf im Sinne von Narr: zu Zürich.] Und ich 
denke, unser Geck, früher auch Gäck geschrieben [jeck H. Sachs, 
Leseb. 2, 99, 3], ist eigentlich und ursprünglich nichts andres 
als eben Jäck; die Vertauschung von J und G mögen die 
Niederdeutschen verschuldet haben. Murner verbindet einmal 
die beiderlei Schreibungen: „stosst an gecken Jecklins garten" 
Luth. Narr Z. 216; die Armagnacs wurden von den Deutschen 
ihrer Zeit die Armenjacken, die Armjacken, die Armjäcken, die 
armen Jecken und auch bloss die gecken genannt: Schilters 
Königshofen S. 912 fgg. Uhlands Volksl. S. 799. Gecken als 

11* 


164 Die deutschen Appellatiynamen. 

Zeitwort bedeutet zum Narren haben (Frisch a. a. 0.), jäkeln 
mit Ausgelassenheit lärmen (Schmeller 2, 267). Nächst all 
diesem noch eine Koseform, Boppe oder Poppe nebst der Ver- 
kleinerung Boppi, Böppi. Heut zu Tage ist nur noch die 
letztere und zwar in der früher (S. 129) angegebenen Baums- 
und BegriflFsbeschränkung üblich: das Mittelalter brauchte mit 
geschichtlichem Bezug auf einen berühmten Fresser und starken 
Mann zu Basel, den Dichter Boppe (vgl. Haupts Zeitschr. 8, 
347), Poppe auch in weiteren Kreisen zur appellativen Bezeich- 
nung eines Schwelgers wie eines Grosssprechers (Neidhart v. 
Haupt S. XXni) und verpoppdn im Sinne von verschlemmen: 
„der Poppen ist s6 vil worden, daz sie der gotsheuser guot und 
er verpoppelnt (Zeitschr. a. a. 0.). Im sechzehnten Jahrhundert 
aber ist „grosse Popen sagen" mit einer Wendung in den ab- 
stracten Sachbegrifif s. v. a. Grosssprecherei: Frisch 2, 66 a. 
[verpopitzen vertrödeln, verschwenden. Frisch 2, 66 a.] 

Joachim, Jochen, der öfters so genannten Landesherren 
wegen einst ein Lieblingsname der Märker (oben S. 129), bleibt 
auch mit seiner appellativen Verwendung innerhalb des Nord- 
westens von Deutschland, als Schwahbeljochen d. i. Schwätzer 
und verkleinert als Chimke, Chimmeke, Gimken, die Benennung 
eines Hausköboldes: Mythol. S. 471 fg. Der gute Jochem d. i. 
guter Wein bei Hebel 3, 227 ist nicht der alamannischen 
Mundart entnommen, und nicht s. v. a. Joachim, sondern roth- 
wälsch. 

Joseph. Die Koseform Sepp bei den Schweizern appell^iv 
in scheltender Bede, z. B. du wüester Sepp! 

Karl. Unser Kerl,^ das schon die alte Sprache als den 
geringschätzigen Ausdruck für Mann gebraucht („keiser Tyberius 
der alte kerl" Pass. 157, 5, Kerl rusticus Teuthon., Kerleman 
Bauer, Reinke 5357) und die jetzige gelegentlich selbst auf 
Weiber anwendet um von ihnen recht mit Nachdruck zu reden, 
möchte ich, so nahe das auch und besonders deshalb noch zu 
liegen scheint, weil vorzüglich der Geliebte eines Mädchens ihr 
Kerl heisst (Schmeller 2, 330) doch nicht unmittelbar auf das 
alte Appellati vum charl oder karl d. i. vir, maritus, amator, 
vetulus (Graflfs Sprachsch. 4, 492), sondern nur auf den Eigen- 
namen zurückführen, der aus diesem Appellativ hervorgegangen 
ist [sg. K&rUs Garg. 273. 302. 449. Nachtrab 2874. plur. 


Die deutschön Appellativnamen. 165 

Kerles Garg. 33. 248. 331. 386. 392. 396.]. Karl im Sinne 
von- Mann ist offenbar den meisten Deutschen schon in früher 
Zeit ganz ungeläufig geworden: sonst hätte z. B. nicht der Ver- 
fasser der liefländischen Keimchronik Z. 4683 das schwedische 
hlotkarl t^Opfermann, Priester) in bluotekirl entstellen können; 
der Eigenname blieb ihnen stets geläufig. Aber auch dieses 
nur als ein fremdes, über den Rhein gekommenes, nur der Ge- 
schichte angehöriges Wort, weshalb auch die Mundart des obern 
Alamanniens ihn noch heute nur mit K, hier ausnahmsweise 
kein Ch spricht. Und ebenso spricht sie Kerl, nicht Cherl aus. 
Auch das Geschlecht des hier zu Kerl gebildeten Verkleine- 
rungswortes beweist, dass ihm der Eigenname zum Grunde liege : 
es heisst nicht das Kerli wie das Männli, sondern der Kerli • 
wie der Hänsli. Den Umlaut aber von Karl in Kerl mag die 
schon im Mittelalter oft genug begegnende Nebenform des ersteren, 
die Verkleinerung Karlin (\rgl. z. B. die Lesarten im Schwab. 
Landr. Cp. 31. 98. 273. Gesammtabent. 2, 78), veranlasst 
haben; noch jetzt sagt der Schweizer eher Karli als Karl und 
sagt gerade von Karl d. Grossen so: „Karlis Hof" Gotthelfs 
Uli d. Knecht S. 73 [das Bild Karls d. Gr. am Zürcher Gross- 
münster heisst Karli Keiser], Daher auch für Kerl die alte 
Form Karle: „Loss, Karle" in Geilers Narrenschiff von*Höniger 
Bl. 28 VW. Cärles bei Schupp 1, 133 u. a. steht in der Mitte 
zwischen Karle und Carolus. [Karins Weist. 4, 755. Carles 
Garg. 314. Kärlin ßoUw. 93, 17. Kerlin Grobianus öfter. 
Kerle Froschmäus. Q q 1 a.] 

Kilian: Meister Kilian, der Scharfrichter. Lauremberg 
Sat. 1, 362 und Anmerkung S. 215 fg. 

Lorenz und hiezu Letiz (Schmeller 2, 485), nicht zu Lant- 
frid, wie das Wörterbuch der Br. Grimm 1, 1477 angiebt: 
denn Lantfrid wird in Lanz, althochd. Lan:^o abgekürzt: Förste- 
^ mann 1, 831. Lenz appellativ gesetzt, giebt es einen faulen 
Lenz oder Fatdenz: ein Gedicht H. Sachsens von 1554 führt 
den Titel „Ein gesprech mit dem faulen Lentzen, welcher ein 
Hauptmann des grossen Faulen Hauffen ist"; die Basler Ver- 
deutschung von Geilers Narrenschiff hat Bl. 259 vw. die Aus- 
drücke „0 du fauler Lentz, gehe zu der Omeiss und lehre von 
ihr" und „solche faule lentzen und weinschleuch"; „Der Faulenz 
und das Lüderli sind zwei Zwillingsbrüderli" Sprichwort bei 


166 Die deutschen Appellativnamen. 

Simrock S. 106 [fatUer Lenz Wunderhorn 2, 442 fg. dm faulentz 
B. Waldis Aes. 4, 19, 111]. Davon noch unser Zeitwort 
faullenzen. Man sagt aber (so verbunden scheint mit dem Lenz 
die Faulheit) in gleicher Bedeutung auch bloss lenzen (Schmid 
S. 353); Abraham a S. Clara im Bescheid-£ssen S. 557 „dass 
der October zu Weinhaus und der August auch zu Lenzenau 
ist, zu welcher Zeit es Faullenzer genug abgibt" : der Lenzteuf d, 
den derselbe im Judas 4, 310 unter anderen Teufeln der Weiber 
aufzählt, ist also der Faulheitsteufel. Und wenn lenzen im 
sechzehnten Jahrhundert zugleich s. v. a. betrügen ist („Er wird 
mich heut also nit lenzen, Wie der Fuchs mit seinem Fuchs- 
schwenzen" B. Waldis Esop 4, 73), so mag das aus einer sitt- 
lich-sinnlichen Anschauung derselben Art erwachsen sein wie 
das Wortspiel der Thrymf kviöa Str. 10 „liggjandi lysi um 
bellir". Dann aber ist ohne den Nebenbegriflf der Faulheit Lenz 
überhaupt nur irgend einer: so in den Zusammensetzungen 
Brennsuppenlenz ein Mensch, der schlecht, aber viel isst (Schm. 
3, 277), und Hemedlenz der im blossen Hemde geht, obscön 
das männliche Gemachte: ebd. 2, 485. Auch der mittelste 
Kegel im Spiel wird Lenz oder Lenzl genannt: wiederum weil 
er gleichsam faul am häufigsten und längsten stehn bleibt? 

Ludmg: die Koseformen Lutz und, zunächst dem lat. 
Ludovicus sich anschliessend, Wickel. In Heinrichs v. Müglin 
fünftem Liede Str. 2 „des si (die Geliebte) vorkom mich hat 
und spricht „was sal der aide Lutz"? Wickel ein leichtsinniger, 
nachlässiger Mensch: Schmeller 4, 20. [Lutz aus Lucas? Lötzge, 
Hub, kom. Pros. 2, 250?] 

Mahtilt, Mehtilt, das ganze Mittelalter hindurch ein viel- 
gebrauchter Weibemame, so dass ich lieber hierauf als auf das 
weit seltnere Madalhilt (J. Grimms Gramm. 3, 692) die Kose- 
form Matze oder ebenfalls umlautend Metze beziehen mag**). 


54) [Vergl. Maria Miez Schmeller 2, 663.] Eine gar vornehme Her- 
kunft und alten Ursprung giebt den Hetzen Moscherosch in seinem Weiber- 
Lob (Sitt«w. 2, 271): ,Es ist noch mehr also gewesen, dass die Weiber 
Meister waren: die Mätzen sind noch in den Historien bekant (welche die 
Lateiner auss und nach dem Uhralten Teutschen a mätzo, eine Dirne, ein 
rechtschaffen Weib genommen und declinando in ihre Sprach gezogen und 
a mazo Amazones genant)". Eine Wurzel, als wäre sie in dem Feld 
Idistaviso, wie dessen Namen ein grosser Historiker erklärt, gewachsen. 


Die deutschen Appellativnamen. 


167 


und selbst an Margareta würde ich noch eher als an Madalhilt 
denken; WQpn hier nicht die Abkürzung in Grete (oben S. 130 fgg.) 
so häufig und geläufig wäre. In seiner appellativen Verwen- 
dung geht Metze durchweg neben Grete her. Erstlich setzt es 
die alte Dichtung und schon die yolksmä£(sige Hofdichtung des 
dreizehnten Jahrhunderts gern, wo ein Mädchen überhaupt, wo 
besonders eine Bauerndime [stiffelbraune BaurmmätzUin Fischart 
Pract. B ij rw.], wo eine Magd, wo eine Geliebte niederen 
Standes mit einem Namen zu bezeichnen ist, der stellvertretend 
für alle und vor andern gelte: Matze y. d. Hagens Minnes. 2, 
82 b. 87 a. Metze 1, 25 b. 5, 78 a. 88 b; eine Magd Matz bei 
Helbling 1, 992 fgg. Metz in den sieben weissen Meistern 81, 
17; „min maget heizet Metze" Müller Samml. 3, XXXVIÜc; 
die hüpschte m^^r Bollwageubüchl. 62, 21; Metz und Bez, Metz 
und Petz, Mäczli und Bertschi das Liebespaar in Meier Betzen 
Hochzeit (Diutiska 2, 78 u. a.), in Albrechts von Eibe Ver- 
deutschung der Philogenia TJgolini und in Wittenweilers King; 
Mäz und Contz, Matz und Kuonz Uhlands Volksl. S. 340. 
Narrensch. 61, 27; Metz und Heinz Uhl. S. 640. Dann aber 
ist Metze (denn nun waltet der Umlaut fast ausschliesslich vor) 
ganz appellativ -s. v. a. Mädchen niedem Standes, etwa schon 
mit dem Nebenbegriflfe der Leichtfertigkeit: „er lasst mit im nit 
scherzen, dieweil er ist bein metzen" Uhland S. 656. „Der 
gwan ein junge Metzen lieb" B. Waldis Esop 3, 61. „Er nam 
ein junge Metzen wider" 4, 42. „Er nam ein junge freche 
Metzen" 4, 70. „Ein junge Metz nam zu der Ehe" 4, 76. 
„Ein schöne junge Metz on liebe" 4, 93 (die Priamel, die 
Waldis hier in endloser Breite ausfährt, hat sonst „Ain junge 
maid on lieb": Kellers Alte gute Schwanke S. 17); noch jetzt 
wird den Mädchen um Straubing mit dem Namen Motzet ge- 
liebkost: Schmeller 2, 659. Weiter eine leichtfertige Geliebte 
und die Beischläferinn Eines oder Vieler, eine Hure: Lied des 
15. Jahrh. in Pichards Prankf. Archiv 3, 283 fgg.; Metzen und 
im Gegensatze dazu „erber frowen" Narrensch. Vorrede Z. 114. 
123; „Und schlagent luten vor der tür. Ob gucken well die 
mätz har für" ebd. 62, 8 (vgL Zarnckes Anm. 300); „Ein 
Pfaff, het ein gut Vicarey Und ein gar schöne Metz dabei" 
Esop 4, 39; Ambraser Liederb. S. 245; Schmeller 2, 660. 
[Hadermetz ein Mann H. Sachs 1, 175. 179. Pischarts Dich- 



168 I^e deutschen AppellatiYnamen. 

tungen v. Kurz 1, 120. KoUwagenb. 60, 24.] Zuletzt, mit 
vollster Verächtlichkeit, heisst sogar (Schmeller a. a. 0.) eine 
Hündinn so. Von dem Aufruhr der Walliser gegen den Bischof 
von Sitten im J. 1414 erzählt Tschudi 1, 675 b „die WalUser 
rüstend zu ein grossen Kolben, den namptends die Matzen, und 
welcher in der Bottierung sin wolt, der schlug ein Rossnagel in 
Kolben, und der den Kolben trug, ward der Matzenmeister ge- 
nämpt. Si wurfend ein Panner uflF, daran was ein Breckin ge- 
malet mit vil junger Hunden": bezeichnend für die sprachlich 
getheilten WalUser : Matze als Benennung des Kolbens ist ein 
romanisches Wort, ital. mazza, französisch masse: für die 
Deutschredenden aber ward in das Banner eine Matze oder 
Metze, eine Hündinn gesetzt. Der Leser wird wahrgenommen 
haben, dass übereinstimmend mit einer, im Beginn dieses Ab- 
schnittes (S. 128) gemachten Bemerkung der appellative Ge- 
brauch des Wortes nicht über das fünfzehnte Jahrhundert zurück- 
reicht: es kann demnach nur ein ausschmückender Zusatz erst 
dieser späteren Zeiten sein, wenn die Thüringischen Chroniken 
(Deutsche Sagen d. Br. Grinma 2, 334, Rothe hat davon noch 
nichts) erzählen, Ludwig der Eiserne, als er noch nicht hart 
geschmiedet war^ sei von seinen Edelleuten „Landgraf Metz" 
geheissen worden. Auch Grete ist die Benennung efnes wei- 
bischen Mannes oben S. 137. 

Marcus^ Marx in der Redensart „Merks, Marx"! Vgl. 
Matthäus. 

Maria, so häufig es auch als Name und in so mannigfache 
Koseformen es umgeändert ist, unterliegt doch nur höchst selten 
einer appellativen Anwendung: es mag sich dem eine religiöse 
Scheu entgegengestellt haben. Doch hört man etwa als scherz- 
haftes Scheltwort ,,du wüste Marief' „e damischs (verrücktes) 
Miel: die Mundarten Bayerns von Schmeller S. 516; ähnlich 
die Verbindungen Mari- Eva, Mari-Gredl, Mari-Kot; Mari 
Wasch eine Schwätzerinn: Schmeller Wörterb. 4, 189. In Tölz 
werden die Mädchen aus dem Isarwinkel Margal genannt (ebd. 
2, 608), doch wohl aus eben solch einem Anlass wie in der 
Schweiz die Basler Böppi (oben S. 129). [Am Sechseläuten in 
Zürich singende Kinder, die Mareieli, Bemer Mareieli heissen. 
Sind die drei Mareie im Kinderlied (Simrocks Kinderbuch S. 48) 
die biblischen? Aber der Artikel fehlt. — Vielleicht gehört 


Die deutschen Appellativnamen. 169 

auch Dorfmadey Froschmäus. Y 7 a hierher, vgl. Schmeller 
2, 608.] 

Maähäus, MattSs, Matz. Als Haupt- und Gemeinname in 
dem von Fischart (Gargantua Cp. 25) aufgeführten Spiele „Matz 
werfs der Hetzen zu": Matz gleichsam das Masculinum zu Metze; 
und in der Vermahnung „Mercks, Matths" (Wend-Vnmuth, oder 
Erneuerter Fünflf-facher Hanns guck in die Welt oder Merks 
Matths): echter jedoch scheint die andre, auch gewöhnlichere 
Form, „Mercks, Marx", die einen volleren Zusammenklang der 
Laute voraus hat. Eigentlich appellativ gebraucht, nimmt Matz 
wie Matthäus in dem Ausdrucke „Matthäi am letzten" einen 
Bezug auf das Adj. matt und bezeichnet einen armseligen nichts- 
nutzigen Mei\schen: „Ein Soldat ohne Gottesfurcht ist nur ein 
Maths" sagte der alte Dessauer: Vamhagens Biograph. Denk- 
male 2, 410; „Die jenige — , welche zwar Verstands gnug 
haben und doch der Weiber Herrschaft sich unterwerfen, denen 
geschieht an sich Selbsten recht, dieweil sie denselben das Salz- 
fass alleine lassen und ihnen damit die Mäuler also zanger und 
herbe machen, dass man frische Heringe darinnen einsalzen 
könte und er allzeit Mattes vor Hans heissen muss" Simplic. 3, 
768. Kürzer di^ jetzige Kedweise Matz heissen d. i. verloren 
haben, zurückstehen, nichts sein:^as Gegentheil „Hans heissen" 
oben S. 133. Sprichwörtlich (woher?) ist der rath- und hilf- 
lose Matz von Dresden: „Er gab mir so ein ungehewren stoss, 
dass ich zu boden fallen musste und da im koth gesalbet läge 
wie Matz von Drässen" Sittew, 1, 272; „Also sass ich da wie 
Matz von Dressdeh und wüste mir selbst nicht zu helfen, viel 
weniger zu rathen" Simplic. 1, 531; „biss sich die Sonn neigte 
und ich mir nicht mehr zu helfen wüste: da stunde ich mitten 
in einer Wildnus wie Matz von Dressden" ebd. 2, 772; wester- 
wäldisch heisst es, im Ausdruck noch schmachvoller, „da, stehn 
wie Matz' Fotz von Dresden": Schmidts Westerw. Idiotikon ^. 
110. Einen gleichbedeutenden schmutzigen Zusatz enth&lt Matz 
Tasche: Frisch 1, 652 c. Zusammensetzungen Hosenmatz , von 
Knaben gebraucht, welche die ersten Hosen tragen, Leiermatz 
(Des ühralten jungen Leyer-Matzs Lustiger Correspondentz- 
Geist 1668),' Lumpenmatz Lumpensammler und Scheissmatz; 
Gauchmatz (Sittew. 1, 272) und Plaudermatz mögen an Matz 
als beliebten Vogelnamen (oben 4, 154) anknüpfen. Die Berg- 


170 1^6 deutschen AppellatiTBamen. 

mannssprache überträgt Matz auf matte j2euge, untüchtig Zinn 
u. dgl., und auch ein Adj. matzig oder matzicht s. v. a. gering, 
armselig ist zu Matz gebildet worden: Frisch a. a. 0. [Pf äff 
Matz Garg. 183. Maiz Pump Lauremberg 2, 631 und An- 
merkung S. 220. Schreimätzchen,] 

Matthias, Abkürzung Hiesd: appellativ ein dummer Mensch, 
hieseln zimi Besten haben, überhieseln übervortheilen, betrügen: 
Schmeller 2, 260. 

[Melcher, YghnntenS. 173: unten im Erdgeschoss (einer kleinen 
Weinschenke bei Lyon), das etwas dunkel war, sass der Brud«r 
Melcher, d. h. ein armes Volk, das wenigstens an Sonn- und 
Festtagen wie vornehme Leute aussehen will, und sollte es auch 
statt dem Mantel die Eüchenthür, statt dem Degen die Ofen- 
gabel umhängen: Schubarts Beise durch das südl. Frankreich 
1, 47.] 

Nicolam hat zwei Koseformen, Clam und Nickel, die sich 
ganz so verhalten wie von Gatharina Trine und Eatter (oben 
S. 148), und wie Trine ist Claus ebenfalls seltner in^appella- 
tivem Gebrauch. Zu Fischarts Zeit haben die Schlesischen 
Fuhrleute, eigentlich oder appellativ, gern Claus geheissen (oben 
S. 129); jetzt nennen die Schwaben jemand, der seltsame Ein- 
fälle hat, einen Zuberclaus (Mörikes Hutzelmännlein S. 158): 
Schmid S. 551 vermuthet darin eine Entstellung von superlciug 
mit Anspielung auf Clav^ Narr. [Sewclausz Zarnckes Univ. 
1, 224. Claus Ungewandert Kirchhof Wendunm. 1, 120. vgl. 
auch Lawel oben S. 102.] Desto häufiger Nickel. Als allgemein 
vertretenden Namen neben Kunz setzt ihn Bachel in seiner 
dritten Satire: „Wie viel hat Kunz bezahlet? Wenn stelt sich 
Nikkei ein"? Daran dann schliessen sich (vgl. Stalder 2, 239. 
Schmeller 2, 677. Schmid S. 407) Zusammensetzungen wie 
Dumenickeli Däumling, Filznickel Geizhals, Giftnickel galliger 
zanksüchtiger Mensch, Gronnickel Murrkopf, Latismckel und 
Nothnickel der in Noth und Armuth steckt, Saunickel, in der 
Schweiz (Gotthelfs Uli d. Knecht S. 82) ein schmutziger geringer 
Mensch, in Baiern [auch in der Schweiz] mit eingeschränkter 
Anwendung der verlierende bei einer Art von Kartenspiel, dem 
s. g. Saunickeln, femer Schiefernickel, ein verdriesslicher Mensch 
{Schifer Splitter: Schmeller 3, 336), Schornickel oder Schare- 
nickeli dem die Haare frisch geschoren sind, Schweinnickel ein 


Die deutschen Appellatiynamen. 171 

ünfläter, Pumpernickel jemand, der klein und dick ist, Kind 
oder Erwachsener [Abraham a S. Clara 1, 171]: pumpf heisst 
unförmlich dick und breit, pumpet untersetzt, pumpen hart auf- ' 
fallen oder anschlagen, einen harten Ton von sich geben: 
Schmeller 2, 284 fg. Ein Lied der Landsknechte fieng an 
„Pumpernickel ist wieder kommen und hat die Schuh mit Bast 
gebunden" (Schuppius 1, 249), das Merkmal eines bäurisch 
rohen und bettelhaften AulBeuges: also Pumpernickel hier wohl 
s- V. a. plumper Bauer. Von daher ist der Pumpernickel noch 
jetzt in Baiem die sprichwörtliche Bezeichnung eines wildlustigen 
Liedes: Schmeller 2, 284. [„Eine für uns sinnlos und unver- 
ständlich gewordene alte Rede bezeichnet Weissenbui^ (Nord- 
gränze des Elsasses) als die Stadt, wo man den Pumpernickel 
in der Kirche singt^^i Riehl, die Pfalzer S. 253.] Nickel allein 
ohne dergleichen weiteren Zusatz ist bald der Name eines kleinen, 
aber auch eigensinnigen Menschen (Schmid S. 407), und es kann 
deshalb in einer Dichtung des 16. Jahrh. Saul zu David sagen 
„Sich, Nickel mit der Geigen, was wiltu heben an? Du bist 
ain kleines kind, er (Goliath) ist ain grosser mann": Schmeller 
3, 677; bald braucht man es, obwohl die grammatische Form 
männlich ist, von liederlichen Dirnen (Frisch 2, 17 c) und so 
gleich andern Schimpfworten gelegentlich wohl auch als Schmei- 
chelrede: Eabener in >dem Schreiben eines von Adel an einen 
Professor „Das älteste Mädchen ist zwölf Jahre. Sie soll noch 
ein bischen Oatechissen lernen, und hernach will ich dem kleinen 
Nickel einen Mann geben: der mag sehen, wie er mit ihr zu- 
rechte kömmt"; in Augsburg ist Schrandnickel (Schrand. d. i. 
Schranne Fleischbank) ein prostibulum: Schmeller 3, 516. Die 
Hexen aber gaben dem Teufel auch diesen Namen, Nickel oder 
Grossnickel: Mythol. S. 1016 (J. Pauli Schimpf u. Ernst 611). 
Hatte vielleicht deshalb jener Reiche, von welchem Felix Hem- 
merlin örzählt (Reber S. 366), einen so grossen Widerwillen 
gegen den Namen Nicolaus, dass er einen um das Almosen 
singenden Schüler wegschickte, weil er einäugig und von Bremen, 
der Stadt der Gottlosen, wäre und Nicolaus Messer' Auf Sachen 
angewendet, ist Nickel hier ein geringes, im Heft immer nickeln- 
des, nickendes, wackelndes Einlegmesser (Schmidts Westerwäld. 
Idiot. S. 123), dort ein Ejreisel (Frisch 2, 17 c. Stalder 2, 238),, 
Feuernickel ein gespitzter Stecken, der ebenfalls zum Kinderspiel 


172 I^iö deutschen Appellativnamen. 

dient (Schmeller 2, 677. Schmid S. 407), und Pumpernickel^ 
das wir bereits als die Benennung eines plunapen und verlump- 
ten Bauern haben kennen lernen, nun die des groben Bauem- 
brotes in Westfalen. Den Einfall, dass es eigentlich ein fran- 
zösischer Ausdruck sei und entstellt aus bon pour Nicole, hat 
schon die Gelehrsamkeit des siebzehnten Jahrhunderts gehabt: 
Schuppius 1, 249 schreibt deshalb Brnnpur-Nickel, und Frisch 
2, 17 c trägt denselben weitläufig also vor: „Wann einige das 
in Westphalen gewöhnliche grobe Brod Pumpernickel von den 
Worten eines Franzosen herleiten, es sey bon pour Nikel, und 
verstehen dadurch seinen Knecht der Nicolaus geheissen, so ist 
der andern Meinung wahrscheinlicher, es werde durch Nickel 
hier ein solches Pferd verstanden [nämlich ein kleines: oben 
S. 76], für dergleichen Thier sey solch Kleyen-Brod besser, als 
für einen Menschen der weisses Brod zu essen gewohnt ist." 
Inzwischen heisst auch im südlichen Deutschland eine Kalteschale 
von Bier und Brot Biernickel und einje Art Pfannkuchen, mit 
Voransetzung eines mir unverständlichen andern Wortes Pauter- 
nikel: Schm. 2, 677. 1, 301. [Ohrennickel der Ohiwunn, Ohren- 
niggeli Ohrenzwang: Stalder 2, 250.] Wenn zuletzt Nickel auch 
s. V. a. ein verdriessliches Hinderniss und von daher, ähnlich 
wie der neckende Kobold als Kobalt, Name eines Metalls ge- 
worden, wenn nickein , das Zeitwort dazu, s. v. a. ärgern und 
quälen ist (Stalder 2, 238 fg. Schmeller 2, 677), so wird diese 
Abstraction aus dem vorher erwähnten persönlichen Begriff 
eines Eigensinnigen oder mit ebensolch einer Art von Aphärese 
aus Schiefernickel entstanden sein wie Lenz aus fauler Lenz. 

Philipp. Der Lippel oder Hau Lips (vgl. oben S. 163 
Hanockel) ein ungeschickter, dummer Mensch; lippeln zum Narren 
haben: Schmeller 2, 486. Schmid S. 261. [Lippel der Hans- 
wurst im bairischen Volksschauspiele. In Uostock heisst Phi- 
lippS'Rechmmg die betrügerische Bechnung eines heimkehrenden 
Schiffscapitäns.] 

Regula: die Verkleinerung Regeli in Zürich eipe liederliche 
Dirne. Es war, weil S. Begula die alte Stadtheilige ist, wahr- 
scheinlich sonst ein häufiger und dadurch gemeiner Name; jetzt 
kommt er als altfränkisch selten mehr vor. 

Ruprecht, verkürzt und verkleinert Rüpel, Einen Knecht 
jenes Namens hat schon der Krieg von Wartburg (v. d. Hagens 


Die deutschen Appellativnamen. 173 

Minnes. 2, 4 a): „ßuoprecht min knecht muoz iuwer här gelich 
den tören schern''; wir nennen Knecht Ruprecht die vermummte 
Schreckgestalt, die den Kindern das Weihnachtsfest verkündigt: 
im Anschluss hieran war Rüpel den Hexen auch ein Teufels- 
name (Mythol. S. 1016) und bezeichnet es, wieder hierauf fol- 
gend, sowohl einen Menschen von schwarzer Hautfarbe (Schmeller 
3, 118), als einen Kater (Mythol. S. 472). Früher jedoch sind 
unt(3r dem Namen jenes Knechtes auch lächerlich dumme Streiche 
erzählt worden: „damit — es ihme nicht gehe wie Knecht Ru- 
precht: da der wollte ein Reuter werden, da hatte er keinen 
Gaul; da er einen Gaul bekam, da hatte er keinen Sattel; und 
da er einen Sattel hatte, da hatte er keine Stiefel und Sporen, 
und da er Stiefel und Sporen bekam, da hatte er keinen 
Degen etc." Schuppius 1, 92: die gleiche Geschichte, nur dass 
der Held „unser Bruder Malcher^^ oder Melcher d. i. Melchior 
oder „Jan mynen man^^ genannt wird, giebt ein weit durch das 
nördliche Deutschland und bis in die Niederlande hin verbrei- 
tetes Volkslied: Hoffmanns Schles. Volkslieder S. 302—304. 
Mones Anzeiger 7, 385. Und dieser lustige Knecht Ruprecht 
ist es denn, der wieder in Rüpel verkleinert auch der Schauspiel- 
dichtung des 16. und 17. Jahrhunderts als lustiger Knecht 
dient. Noch wird von Schmeller 3, 118 „rfer hohe RüepeV^ das 
Ende einer Holz-Rise," angeführt, wobei ich mir den üebergaug 
der Begriffe nicht recht zu erklären weiss: oder erscheint etwa 
die höchste und wildeste Aufhäufung des Holzes wie ein dämo- 
nisches Schreckbild? 

[Sebald: kalter Sobald: Wagners Reue nach der That S. 76.] 

Sebastian, die Koseform bairisch Wastel (Schmeller 4, 191), 
alamannisch Ba^chi: Tiroler. Wastel eine übliche Bezeichnung 
aller Tiroler, Schieferwastel dasselbe was oben S. 170 Schiefer- 
nickel, als scherzhaftes Schimpfwort NarrehaschL Das schwä- 
bisch-schweizerische Zeitw. basteln, bäscheln d. h. zur Kurzweil 
kleine Handarbeit treiben (Schmid S. 45. Stalder 1, 139) mag 
ebenfalls hieher gehören: es könnte aber auch von dem altdeut- 
schen und jetzt noch (Schmid S. 57) schwäbischen besten nähen, 
schnüren abgeleitet sein. 

Sixt, blinder Sixt: die Mundarten Baierns S. 516. 

Susanna, In Schwaben Susanne Preisnestel ein aufgeputztes 
Mädchen: Mörikes Hutzelmännlein S. 157. Schmid S. 521. In 


174 ^^6 deutschen Appellativnamen. 

Norddeutschland dumme Sme, ein/ mürrisches Mädchen Brumm- 
suse (Simrocks Banderbuch S. 17. 64), ein schläfriges Weibs- 
bild Schlafsuse, ein langsam und singend sprechendes Ncelsuse, 
ein schläfrig dummes einfach Sme: ich vermuthe Beziehung auf 
suse, niederländ. sus still! süssen stillen („wollt sie süsslich 
scmssen ein^^ in Schlaf bringen: Spees Trutznachtig. 1841 
S. 224) und Susaniune {Ninne ein Schmeichelwort für Kind), 
als landesüblich das Anfangswort und den Eefrain der Wiegen- 
lieder: sme, same Simrock S. 65 fg. smu Bürgers Ballade Graf 
Walter (87 a), nine same Simr. S. 17. sma ninna, sma noe 
(Hoffmanns Hör. Belg. 2, 21; darnach Smaninne, Samenin das 
ganze Wiegenlied selbst: M. Luthers geistl. Lieder von Phil. 
Wackemagel S. 64 mit der Anmerkung S. 162 ff.; von Benj. 
Schmolck (Bochim u. Elim S. 62) ein „Susaninne bei der Krippe 
Jesu." [neugriech. votwi, vavva: Pauriel 2, 428. romanisch ninno 
ninna Diez Wörterb. 1, 289 fg. Auf Corsica kommen im 
Wiegengesange die Worte ninni ninni ninni nanna vor, das 
Kind wird ninnina angeredet, das Wiegen selbst ninni nanni, 
das Wiegenlieä nanna genannt: Gregorovius 1, 198 — 200. vergl. 
vocvvoi; etc. Mythol. S. 415 fg.?] 

Ulrich. Von dem Augsburgischen Lieblingsnamen Urli 
(Ulrich der heilige Bischof der Stadt) und von einem appella- 
tiven Wortspiel mit diesem Namen ist schon früher S. 129 und 
104 die Rede gewesen: hier kommt in Betracht-, wie man in 
Zürich einen süsslich gutmüthigen Mann Hunguoli {Hung d. i. 
Honig), am Ehein und in Franken aber jemand, der Andre gern 
zum Besten hat, gleichsam das Activum des Hunguoli, mit der 
kürzeren Koseform Uz und das zum Besten haben selbst uzen 
nennt: Schmeller 1, 134. \Uz treiben, Spott und Uz treiben mit 
jemand: zu Frankfurt.] 

Ursula. In Baiem Ham-Urschel, die immer im Hause 
hockt? Mundarten Baiems S. 516; in der Schweiz Urseli, Ursi 
das sonst so genannte 'Gerstenkorn am Auge: Stalder 2, 425. 
\Ursde Dirne Höniger Narrensch. 99 vw. Garg. 114.] 

Veit. Den Eidgenossen Heini und Küedi gegenüber (oben 
S. 149 u. 155) und sonst ist Bruder Veit der Landsknecht: 
Uhlands Volksl. S. 476 fgg.; „Bruder Veyts Landsknechts im 
Lager vor Wolffenbüttel Trewliche Warnung" (Warhaftige Zei- 
tung wie der Churfürst zu Sachsen u. s. v. das Schloss Wolffen- 


Die deutschen Appellatiynameii. 175 

büttel erobert haben, 1542); „das Hans Kraft und Bruder Veit 
Dürftig und bloss im Lande leit" B. Waldis Esop 1, 55; „In 
Kriegs noth in der bösen Zeit, Wenn Hans Marter und bruder 
Veit Mit grossen rotten bei im hausen" ebd. 3, 89; ähnlich 
Kollwagenbüchlein 65, 19; vgl. die Anmerkung auf S. 206. 
Schade, Satiren 1, 77. 79. Lugenveit ein Windbeutel: Schmid 
S. 365; Katzenveit ein Waldgeist des Fichtelgebirges: Mythol. 
S. 448. 

Waltburg, Walpurgis. Die Abkürzung Walpel, Walp appel- 
lativ eine dumme Weibsperson: Schmeller 4, 71. 

Walther. .Niederdeutsch WaUerken, niederländisch Won- 
terken und unverkleinert Wouter Name von Hausgeistern: My- 
thol. S. 471 fg. 477. 

Wenzel, als nationaler Heiligen- und Königsname Haupt- 
name der Böhmen: oben S. 129. Als eine aus scharren (mit 
den Füssen nämlich) und diesem Namen gebildete Zusammen- 
setzung md.g ^ Schar wenzel oder Scherwenzel verstanden sein, die 
Benennung eines Menschen, äer aus Eigennutz gegen alle Welt 
übertrieben höflich und dienstfertig ist, eigentlich nur Umdeut- 
schung des ital.. servente: das Zeitwort scharwenzeln, scher- 
wenzeln drückt dasselbe aus. Dann ist Scherwenzel auch ein 
Kartenname: Schmeller 3, 386. 388. Ein schlechter Taback 
heisst Laitsewenzel, etwa darum, weil von seinem stinkenden 
Bauch die Blattläuse sterben. [Baurenwenzel eine Geschwulst 
des Gesichts: Zachers Zeitschr. 1, 309 fg.] 

Zum Schluss (denn endlich nun haben wir den Schluss der 
langen Aufzählung erreicht) noch eine Bemerkung, die mehrere 
der an uns vorübergegangenen Worte, vorzüglich aber und noch 
einmal das Hauptwort darunter, mit dem wir auch begonnen 
haben, den Namen Hans oder Jan betrifft. Die Sprache wendet 
diese Appellativnamen, was deren Natur auch nahe genug legt, 
gern in einem coUectiven Sinne an: der Deutsche Michel oben S. 61 
bezeichnet die Deutschen, Bruder Veit die Landsknechte insge- 
sammt, Herr Hans wie Hans Omnis nicht Einen aus der Menge, 
sondern die ganze Menge^ selbst {Herr Omnis Froschmäus. Bb 
5b. Schillers Beiträge zum mittelniederd. Glossar S.12; „„Es zöge 
einmals ein armer Mensch, der das Brod bettellte, einen Hund 


176 ^^ deutschen AppellatiTnamen. 

auf und nennet ihn Vulgus d. h. Hans Omnis oder Hans hinter 
der Mauren. Als er darumb gefraget ward, antwortete er 
„Vulgus amicitias utilitate probat d. i. Der gemeine Pöbel der 
achtet und hält Freundschaft umb Nutz und Genusses willen. 
Wann ich den Hund speise, folget er mir; wann mich aber 
hungert, begleitet mich ausser meinen Mutterflöhen Nichts"" 
Schuppius 1, 404 fg. „Ich muss gleichwol auf den Klapper- 
mark gehen und alldar vernehmen, was Herr Hans urtheile und 
für einen Aussschlag gebe" ebd. S. 979), und ebenso ist Jan 
Hagel der ganze stürmisch erregbare und erregte grosse Haufen 
[im englischen Jack die ganze Matrosenschaft eines Schiffes wie 
der einzelne Matrose]. Durch solche collective Erweiterung der 
eigentlich ganz individuellen Worte ist dann noch eine zweite, 
die nach einer anderen Richtung hin geht, vermittelt: es werden 
nunmehr mit Hans und Heinz und Kunz u. s. f. auch allego- 
rische Namen der früher, im zweiten Abschnitt besprochenen 
Art gebildet und die zitternde Furcht wird als Gidi (Schmeller 
2, 17), der Betrug als Heinz Effmichwol personificiert („Wann — 
das gelt stet uff der ban. So kümpt Heinz Effmichwol, Der 
zücht es gar bald dar von": Lied des 15. Jahrh. vom Karnöffel- 
spiel in Fichards Frankf. Archiv 3, 296), die Faulheit als fauler 
Lenz oder Faulenz oder einfach Lenz (,.So muss man dir. die 
Krankheit büssen, Auss deiner haut den faulenz treiben, mit 
ungebrennter äschen reiben" B. Waldis Esop 4, 19; „Den König 
David hat einmal der Lenz gestochen, deswegen er nach Mittag 
Langweil halber sich niedergelegt und den Polster gedruckt" 
Abr. a S. GL Judas 2, 227; „Ein treger schelm und fauler 
Henz, Der sich stets stechen lesst den glenz^^ Esop 3, 48: der 
Eigenname mit dem appellativen Lenz oder Glenz d. i. Früh- 
ling vermengt: andre Stellen im Wörterb. d. Br. Grimm 1, 1477), 
die knappe Lebweise als Schmalhans („dass Schmalhans an 
manchem Ort Küchenmeister und Cammermeister wird" Schup- 
pius 1, 5?: ebenso 8. 121. 812; „wie ihnen Gott der Herr 
Schmalhansen übern Hals schicke" ebd. S. 53; „der Feldmar- 
schalk Schmalhans werde solcher armen Tobacksäufer viel dar- 
nider machen" ebd. S. 577; „Schmalhansens Bruder" oben 
S. 319 und 323), der Spass als Ulk und Vz, die Nachlässigkeit 
und die Sorglosigkeit als Hans Unfleiss und Kunz ohne Sorgen: 


Die deutschen Appellativnamen. 177 

„Zu viel Fleiss und Sorge bricht das krystallene Glas so gut 
als Hans Unfleiss und Kunz ohne Sorgen" Sailer S. 74. Auf 
dem gleichen Weg ist endlich auch Schlendrian (Schlentrian 
wie oben S. 141 Schlmttrianus schreibt noch Schuppius 1, 214) 
ganz abstract geworden und bezeichnet nur noch ein träges 
Thun und Gehenlassen nach Herkömmlichkeit. Es verdrießt 
mich, dass gerade diess leidige Wort das letzte sein muss. 


Waekemagel, Schriften. UI. 12 


EHEA HTEPOENTA. 


Ein Beitrag zur yergleichenden Mythologie. 


(Juhelachrift zur vierten Säcularfeier der Universität Basel den 6, Sept. 
1860, im Auftrage der philosophischen Facultät Terfasst. 50 Seiten 4^.) 


Es ist herkömmlich, in der häufigen Redensart der homeri- 
schen Gedichte sTcsa TüTepoevxa eine bildliche Beziehung auf die 
Schnelligkeit des Sprechens zu finden; die Uebersetzung geflügelte 
Worte beruht nur auf dieser Auffassung und hat dieselbe weiter 
befestigen helfen. 

Ich glaube, befiedert wäre richtiger gewesen. Denn bei 
Homer ist Tcxepov eher noch die Feder, die Schwungfeder; den 
Begriff Flügel bezeichnet ihm die weitere Ableitung 7CTsp\)^. 
Ganz ebenso Terhalten sich die entsprechenden deutschen Ge- 
staltungen derselben Wurzel, althochd. fedara und fedarah^ 
jenes penna, dieses ala. Auch wenn i6q und olaxoi; das Beiwort 
TCTspoeK; empfangen*), sind damit keine Flügel, sondern ist die 
Befiederung des Pfeilschaftes gemeint. 

Gleichviel jedoch, wie man übersetzen wolle, bloss eine 
schmückende Umschreibung der Schnelligkeit ist Tcxsposic; schwer- 
lich. An den wenigsten Stellen, wo Homer den Ausdruck hat, 
handelt es sich um solche Beeilung von Anrede und Gegenrede, 
und ebenso wenig soll der aiTTspoc [jli)^0(; der Odyssee^, was 
in jenem Fall doch folgerecht wäre, ein langsam gesprochenes 
Wort sein. 


1) loa II. n, 773. XX, 68; ^ictto? V, 171. 

2) XVII, 57. XIX, 29. XXI, 386. XXH, 398. [dtTcrepoc 9aTtc Aeschyl. 
Agam. 276.] 


EIIEA nXKPOENTA. 179 

Es ist ein Andres, wenn Pindar seinen vierten Isthmischen 
Hymnus TCTspoevTa nennt ^), wenn ebenso um den dichterischen 
Schwung und Flug zu bezeichnen Gottfried im Tristan*) einem 
Epiker seiner Zeit nachrühmt, „daz er buoch unt buochstabe 
vür vederen an gebunden habe: wan, wellet ir sin nemen war, 
sm wort diu sweiment als der ar", oder wenn in demselben 
Gedichte *) von der schnellen Fertigkeit, womit der junge Tristan 
in das Spiel auf dem Schachbrett die Kunstausdrücke des Spieles 
und Anecdoten davon zu mischen weiss, gesagt wird „der höve- 
sche hovebaere lie siniu hovemaere und vremediu zabelwörtelin 
under wilen vliegen in". Hier überall liegt nur eine gelegent- 
liche, eine nur einmalige Ausschmückung durch Bildlichkeit vor, 
dort bei Homer eine immer und immer sich wiederholende, eine 
stehende Bedensart. Die stehenden Bedensarten der Epik wären 
aber doppelt müssig, wenn sie nicht über die künstlerisch niedere 
Stufe oes blossen Epitheton ornans hinausgiengen. 

Fassen wir noch einen hier nahe liegenden Punkt ins Auge. 
Vogel und Wind, beide vereinigt die gemeinsame Eigenschaft 
der Schnelligkeit, und nicht allein Hesiodus stellt sie schicklich 
so zusammen*), schon die Sprache hat von der gleichen Wurzel 
oirULi auf der einen Seite aTrjp, aura^ AEbXoc, auf der andern 
avis, (da, dsTOc. Wenn aber im Lateinischen aquilo und vul- 
tumtis sichtlich abgeleitet sind von ctquila und vultur^ soll nun 
auch damit eine blosse Vergleichung ausgesprochen sein? Festus 
betrachtet es so, was das erstere Wort angeht^), gewiss aber 
irrig. Nach einer weit verbreiteten mythischen Anschauung ^) 
ist es ein Aar, ein Adler, ein Falke, von dessen mit Macht ge- 


1) Z. 68. Möglich sogar, dass hier im Sinne des Dichters gar nicht 
der fliegende Vogel, sondern der hefiederte Pfeil liegt: Olymp. IX, 10 
(vgl. 5) nennt er seinen Gesang itTepoevTa Y^y>«^>' dtcrrov [vgl. Sophokl. 
Antig. 1070]. 

2) V. d. Hagen 4717 fgg. = Massmann 119, 39 fgg. 

3) 2286 fgg. = 59, 8 fgg. 

4) Theog. 268 a? p' av^fjicdv Ttvof^at xal o^wvofi; Si[i ^icovtat wxeCt)^ 

5) Epit. Pauli Diac. „Aqailo ventus a vehementissimo volatu ad 
instar aquilae appellatur.** 

6) J. Grimms Deutsche Mythol. S. 599 fgg. [vergl. auch x(pxoc und 
circius], 

12* 


180 EIIEA UTEPOENTA. 

schwungenen Fittichen der Wind ausströmt, der den Winden 
ruft und ihnen gebietet: Belege dafür in der altnordischen, in 
der neugriechischen, in der mittelalterlich deutschen Dichtung^). 
Ja der Wind erscheint unmittelbar selber als ein Vogel*), als 
Adler bei den Finnen^, als Sperber mit ausgebreiteten Flügeln 
in der Sinnbildnerei der Aegypter^); mit den vogelgestaltigen 
Harpyien der Griechen*) wie mit. den Schwanjungfrauen des 
Nordens, von denen nachher ausführlicher, sind ebenfalls Winde 
gemeint, und schon das Alte Testament spricht mehr als einmal 
von den Fittichen des Windes^). Also Vogel und Wind nicht 
bloss verglichen, sondern wesentlich mit einander verbunden, 
nicht bloss stylistisch zusammengestellt, sondern mythisch in 
eins geschmolzen. 

Ebensolche lebensvollere Verschmelzung, eine Verschmelzung 
der Begriffe Vogel und Wort**), liegt denn auch der Redensart 
GTcea icrepoevTa zum Orunde. So dieselbe zu verstehn, darauf 
hätten schon twei andre Wendungen gleichfalls der homerischen 
Sprache führen können, die gleichfalls das Wort als ein thierisch 
belebtes Wesen und ich meine auch als Vogel nehmen: einmal 
der öfters wiederkehrende Ausdruck luocdv ae &%o(; (^^ys^ epxoc 
6&dvTG>v, wo nichts im Wege steht bei epxo^ an ein Stellnetz 
für Vögel, eine Wand, wie unsre Jägersprache sagt, zu denken^); 
sodann der stc^ov vo|jLdc der Ilias und Hesiods ^), dem sich durch 
eigenen Zufall abermals eine Bildlichkeit in Gottfrieds Tristan^) 

1) Vafthrudnis mal Str. 37. Snorra Edda (Reykjavik 1848) S. 13; 
Fauriel, Chdnts populaires de la Grece moderne II, 236; Heinrich von 
Veldeken in v. d. Hagens Minnesingern I, 139 a. [Der Gesang der Schwäne 
rührt vom Wind her: Dietrich in Haupts Zeitschr. 11, 462.] 

*) [der gotes geist saz üf des luftes vederen: Anegenge Hahn 4, 73. 
wie minneclich dn allen haz er (Christas bei der Himmelfahrt) üf der 
feinde vederen saz: Haupts Zeitschr. 4, 533.] 

2) Schröters Finnische Eunen S. 72. 

3) Horapollo II, 15. 

4) Otfr. Müllers Archäologie d. Kunst § 401. 

5) Sam. n, 22, 11. Ps. XVUI, 11. CIV, 3. Hosea IV, 9. 

**) [Zunge ein Vogel, Mund dessen Käfig: Shakesp. Tit. Andren. 3, 1.] 

6) In diesem Sinne hat das Wort die Odyssee selbst XXU, 469. 
[oder dieselbe Bildlichkeit, wie wenn altdeutsche Dichter den Mund als 
die Thür der Zunge fassen? Walther 64, 13. Winsb. 24, 2. 5]. 

7) IL XX, 249. Hesiod. Op. 373. 

8) 4637 = 117, 39. 


EHEA nXEPOENTA. 181 

▼ergleicht: „swer nü des hasen geselle si und üf der wortheide 
höhsprunge unt witweide mit bickel werten welle stn.". 

Es ist ein ganzer weit greifender Kreis religiös bedeutsamer, 
dichterisch belebter Anschauungen, in den, so aufgefasst, die 
eizta iCTepoevxa sich einreihen, in dessen Mitte gleichsam sie 
als das kurz zusammenfassende Eernwort stehen. In diesen 
Kreis einzufuhren und wenn auch keine erschöpfende Darstellung 
alles dessen, was er in sich schliesst, doch eine üebersicht davon 
zu geben sollen die folgenden Blätter versuchen. Die Aufgabe 
schien nicht unpasslich für eine Schrift, welche die historisch- 
philologische Abtheilung der Philosophischen Facultät Basels an 
einem Tage vertreten darf, der mit der. Verkündigung alten 
Euhmes und neuer Gelübde wie ein vollbefiedertes Wort über 
uns emporschwebt. 

Das Alt^rthum, wie es überhaupt die Thierwelt mit anderen 
Augen als wir, theils vertraulicher, theils voller von religiöser 
Scheu anblickte und deshalb von Indien herab bis in den Westen 
Europas neben die Götter- und Heldensagen noch Sagen und 
Fabeln stellen konnte, die von Thieren erzählen, schenkte solch 
eine Betrachtungsweise namentlich den Vögeln. Sie erhebt schon 
über die anderen Thiere und selbst den Menschen, dass sie nicht 
mit schweren Füssen an die Erde gebunden sind, dass sie mit 
Windesschnelle überall hin zu wandern und himmelan zu den 
Sitzen der Götter sich zu schwingen vermögen. Und wie vieles, 
das sie dem natürlicheren Sinne wunderbar und bedeutsam, ja 
als ein unerreichtes Vorbild selbst der menschlichsten Tugenden 
erscheinen liess, kam durch Wahrnehmung und Aberglauben zu 
jenem grossen allgemeinen Vorzuge noch hinzu und gewährte 
den Menschen Stoff und Anlass ihre Poesie mit Leben, ihr 
eigenes Leben mit Poesie zu füllen! 

Lerche und Nachtigall und das ziehende Heer der anderen 
Singvögel [der Schwalben: Minnes. 2, 172b. Hagen, vgL Fauriel 
1, 56] meldet uns und. schmückt den Frühling. Die Minne- 
lieder des Mittelalters sind voll davon, und zierlich sagt eine 
spanische Bomanze^) von dem Monat Mai „cuando canta la ca- 
landria y responde el ruisennor". Insbesondere aber sind Schwalbe 


1) Wolf und Hofmann, PrimaTera y Flor de Romances II, 16. 


182 EHEA nXEPOENTA. 

und Kuckuck Frühlingsboten*) und damit Boten eines neuen 
Jahres: denn der natürliche Jahresanfang ist das Frühjahr, wes- 
halb wir es eben auch Frühjahr, die Franzosen pHfitemps d. h. 
primiim tempus nennen und unser Jahr Ein Wort ist mit dem 
griechischen lap, dem lateinischen ver; „geäcas geär budon^', 
die Kuckucke verkündigten das Jahr, sagt ein angelsächsisches 
Gedicht f). Den Winter aber bezeichnet die heisre hungrige 
Krähe, wie sie denn nach dem Heiligen, dessen Fest den vollen 
Beginn des Winters macht, im Mittelalter auch der S. Martins- 
Vogel hiess *). Und Krähe und Schwalbe wurden schon bei den 
Griechen als Sinnbild, dass der Winter entflohen, der Sommer 
zurückgekehrt sei, unter Gesang umhergetragen und milde Steuern 
dabei eingesammelt; die beiden Lieder, das xopciviffpia und das 
XeXL56vLa[JLa, hat uns Athenäus aufbewahrt^). Er versetzt dabei 
letzteres Fest in den Boedromion d.^h. in den Herbst, für das 
erstere giebt er gar keine Zeitbestimmung: dass aber der Umzug 
mit der Schwalbe in den Frühling müsse gefallen sein, zeigt der 
Wortlaut des alten Liedes selbst*) und das Schwalbenlied der 
jetzigen Griechen, das ausdrücklich den März nennt ^); Umzüge 
mit Krähen zur Sommerverkündigung hat noch jetzt, weit weg 
von Griechenland, das Landvolk ia Holstein und im Meklen- 
burgischen, dort am Sonntag Lätare, hier um Pfingsten*). An 
der Schwalbe hebt das Chelidonisma eigens hervor, dass sie am 
Bauche weiss, am Rücken schwarz sei: man mochte in diesem 
Gegensatze von Hell und Dunkel den von Sommer und Winter 
angedeutet finden; das Gefieder der Krähe zeigt den gleichen 


*) [Am Schlüsse von Shakespeares loves lahours lost der Frühling 
mit dem Kuckuck, der Winter mit der Eule. Bedae venerabilis Ecloga 
eonflictus veris et hiemis sive Cuculus: Wernsd. 2, 239 Tgg.] 

1) Thorpes Codex Exoniensis 146, 27 == Gudlac 716. 

2) J. Grimms Reinhart Fuchs S. CXXVI. Mythol. 1083 fg. [Krähe 
Winteryogel: Walther 91, 10.] 

3) Vlll, 59. 60; Köster de cantilenis popularibus veterum Graecorum 
pg. 74 sqq. 

4) ^m^ fiX^i xeXtÖcov 

xal xaXou? ^vtautou? u. s. f. 

5) Fauriel ü, 256 [d. 1. März: I, XXVIII]. 

6) Schützes Holst. Idioticon III, 165 fgg.; Jahrbücher des Vereins 
für Meklenh. Geschichte H, 123. 


EHEA nXEPOENTA. 183 

• 

Farbengegensatz. Von abergläubischen Meinungen und öebräu- 
chea, die sieh noch an die Schv^albe knüpfen, will ich nur zwei 
arzneiliche Vorschriften anführen, weil auch sie den Vogel deut- 
lich als NeujahrsYogel kennzeichnen, die eine aus einer Krank«* 
heits- und Heilmittellehre des vierzehnten Jahrhunderts^): „Quum 
primo hirundinem videris, hoc die ter: liogo te, hirundo, ut hoc 
anno oculi mei non lippeant nee doleant^*; die andre aus der 
Chemnitzer Eockenphilosophie *) : „Wer Frühlings die erste Schwalbe 
sieht, stehe alsbald still und grabe unter seinem linken Fuss 
mit einem Messer in die Erde, so findet er eine Kohle, die ist 
das Jahr gut für das kalte Fieber". Dem ganz ähnlich machten 
es die alten Italier bei dem ersten Eufe des Kuckucks^): „quo 
quis loco primo audiat alitem illam, si dexter pes circumscribatur 
ac vestigium id effodiatur, non gigni pulices, ubicunque spar- 
gatur". Dass ihn eben dieselben ales ternporaritis nannten*), 
wird auf die Botschaft der neuen Jahreszeit gehen» die er bringt; 
bekannt ist, wie sein Buf noch die Zahl der späteren Lebens- 
jahre weissagt: ein Aberglaube, der sich bei Deutschen und 
Franzosen bis in das dreizehnte Jahrhundert zurückverfolgen und 
iLuch bei den Slaven nachweisen lässt^); in Schweden weissagt 
er ledigen Mädchen die Zahl -der Jahre bis zur Hochzeit^). 

Tagesbote und Wecker aus dem Schlafe ist der Hahn*); 
die nahe liegende Vergleichung mit Christo, der ebenso aus der 
Finstemiss zum Licht, aus dem Tode zum Leben ruft, bat i^ 


1) Hof&nanns Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache u. Litt. 
I, 325. 

2) J. Grimms Mythol. (1835) Anhang S. LXXVI, 217; vergl. LHI. 
[Schillers Thier- und Kräuterbuch 2, 16.] 

3) Plinius Eist. natur.'XXX, 25 [vgl. Haupts Zeitsehr. 12, 400]. 

4) Plin. HN. XVTII, 66, 2. 

5). J. Grimms Mythol. S. 642 fg. Cäs. Heisterb. V, 17. Renner 11341. 
Eyering S. 467. 

6) Arndts Reise durch Schweden IV, 5. [Kuckuck Prühlingsvogel: 
Weist. 1, 524. Regen verkündigend: Hesiod. op. et d. 456 fgg. sein Ruf 
mit Fruchtbarkeit segnend: Kalewala 2, 375 fgg. Freudenruf: 4, 488 fgg. 
5, 196 fgg. 7, 321. 10, 443.] ' - 

*) [Hahnenruf die Gespenster der Nacht verscheuchend: Shakesp. 
Hamlet 1, 1; vergl. Abhandlung über Lenore oben Bd. 2^ S. 405. 412. 
416. Mit dem Krähen des Hahnes Gesang der Engel. und der Heiligen: 
Volksl. aus der Bret. 140.] 


184 EHEA riTEPOElNTA. 

aller Ausführlichkeit schon Prudentius ^). Es wird deshalb kaum 
einem Zweifel unterliegen, dass die Hahnenbilder, die man den 
ältesten Christen auf den Grabstein meisselte^) oder mit in ihre 
Gräber gab (auch bei Winterthur ist solch ein Bild wieder aus* 
gegraben worden^), dass ebenso die auf den Spitzen der Kirch- 
thürme Christum bedeuten sollen. Es , klingt wie schon ganz 
auf die letzteren bezüglich, wenn Prudentius sagt 

„Yox ista, qna strepunt aves 
Stantes sub ipso calmine 
PauUo ante quam lux emicet, 
Nostri figura est jadicis. . . . 

8ed vox ab alto calmine 
Christi docentis prsBmonet 
Adesse jaro lucem prope, 
Ne mens sopori serviat." 

Allerdings hatten zu seiner Zeit die Kirchen noch nirgend Thürme, 
und die erste Erwähnung eines Kirchthurmhahnes fällt in das 
Jahr 925 und nach St. Gallen^): aber das Wort des vielgelesenen 
Dichters durfte wohl ein Fingerzeig sein, dem noch spätere Ge- 
schlechter folgten^ Daneben blieb die Möglichkeit und die Frei« 
heit unbenommen diesen Schmuck,* nachdem er schon zur alten 
Uebung geworden war, gelegentlich auch noch anders auszu- 
deuten, z. B. auf die Wachsamkeit, die dem Christen gebühre, 
und auf das Wächter- und Heroldsamt der Priester^). Ist aber 
der Hahn eigentlich und ursprünglich ein Sinnbild Christi, so 
hat die neulich von üllmann ^) angeregte Aufgabe einer Deutung 
des Portalbildwerkes an der Altstädter Kirche zu Pforzheim 


1) Ka^Tj|xeptv«5v I. 

2) Münters Sinnbilder n. Kunstvorstellungen der alten Christen I, 55. 

3) KeUer in den Mittheilongen d. Antiquar. Gesellschaft in Zürich 
m, 130. 

4) Ekkehards lY Casus S. Galli in Pertz Monum. Germ, histor. Ü, 
105. Die Ungern, welche S. Gallen damals heimsuchten, yermengten 
galliis und Oattus und hielten den Hahn für ein Bild der Ortsgottheit. 

5) Lateinisches Gedicht in Naumanns Serapeum I, 107 — 109 u. bei 
du Meril, Poäsies populaires latines du moyen äge pg. 12 — 16; Hugo y. 
Trimberg im Benner 19707 fgg.; Augustis Denkwürdigkeiten aus der christ- 
lichen Archäologie. Xn, 36S. 

6) Im Anzeiger d. German. Museums 1860, Sp. 87 fgg. 


EITEA nXEPOENTA. 185 

keine Schwierigkeit: der Hahn, der zuerst mit einem Löwen 
kämpft, dann auf einem gefesselten Löwen steht, ist Christus 
im siegreichen Kampf mit seinem Feinde, mit dem, der umher- 
geht wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er ver- 
schlinge ^). 

Aber nicht allein den Wechsel von Finsterniss und Licht, 
von Winter und Sommer, wie er alltäglich und alljährlich wieder- 
kehrt, verkündigen uns die Vögel: auch für Attesergewöhnliches 
in den menschlichen Dingen selbst haben sie ein Vorgefühl und 
weissagen es den Menschen*). Attila, als er Aquileia^ lange 
schon vergeblich belagert hatte, erkannte an dem Fliehen der 
Störche, dass nun endlich die Stadt fallen solle ^). Dem ähnlich 
die Scheu, welche die Schwalben fem hielt von den Häusern 
Thebens ^) : „Thebarum tecta subire negantur, quoniam urbs illa 
saepius capta siV 

Dem Schwane ahnt sein eigener Tod (man sagt deswegen 
auch für ahnen schwärmt), und singend nimmt er, der gesang- 
reiche Vogel*), Abschied vom Leben ^). Auch die Dichter des 
Mittelalters sprechen oft; von diesem Schwanengesang, in Minne- 
liedern ^) wie mit geistlicher Anwendung auf den Todesruf des 
gekreuzigten Heilands"'). 

Andere Vögel verschont der Tod bis zu wunderbar hohem Alter**). 


1) Br. Petri I, 5, 8. 

*) [Heilkraft des Brachvogels, Genesung oder Tod des Kranken von 
ihm vorausgesehen und vorausgezeigt : W. Grimms VrSdanc S. LXXXVI fg. 
Haupts Zeitschr, 7, 147. Eenner 10521 fgg, vgl. Hattemer Denkm. 1, 
lOb. — Käuzchen den Tod ansagend, auch keltisch: Ein Herbst in W^ales 
von Rodenberg, S. 203.] 

2) lornandes cp. 42. Procop b. Vand. 1, 5? 

3) Plin. HN. X, 34. 

4) Aristoph. Av. 772 fgg. Aelian. de Natura anim. X, 36. XI, 1. 
In einem altnord. Liede sagt Niörd „mer thotti illr vera ülfa thytr hiä 
söugvi svana": Snorra Edda S. 16 [xuxvo? zu cano? Isid. Origg. 12, 7]. 

5) Aelian. II, 32. V, 34. Plin. HN. X, 32. Ovid Metam. XIV, 430. 

6) Meine Altfranzös. Lieder u. Leiche S. 242 fg. Heinrich von Vel- 
deken Minnas. I, 39b. Heinr. von Morungen ebd. 127b. Bartsch Albrecht 
V. Halberst. S. CXX fg. CCLIX. Shakespeare Kaufmann v. Venedig 3, 2. 

7) Konrad von Würzburg Minnes. II, 311b und in der Goldenen 
Schmiede 976. 1974. 

*♦) [Vögel werden älter als Vierfüsser und Fische; Schwed. Volks- 
sagen und Märchen S. 188 fgg.] 


186 EÜEA UTEPOENTA. 

Hesiodus, in Versen, die uns Plutarch^) und in lateinischer 
Uebersetzung Ausonius*) aufbewahrt hat, schreibt der Krabe 
neun Alter des Menschen, dem Hirsche vier Krähenalter, dem 
Raben drei Hirschesalter zu; Plinius^) nimmt an solchen Fabel- 
haftigkeiten Anstoss: das ablaufende Mittelalter jedoch hat auf 
der antiken Grundlage bald mit der, bald jener zufälligen oder 
bewussten Abänderung weiter gebaut: z. B. 

Sepffl de virgis per tres annos bene durat, > 

Et per tres annos stat fcua yita, canis, 
Per tres atque canes tua durat vita, caballe, 

Perque caballos tres vivere posset homo, 
Et per tres homines asinus bene vivere posset, 

Sic per tres asinos vita fit, auca, tibi. 
Et per tres aucas comicis vitaque durat, 

Per tres cornices vivere cervus habet*). 

Oder auf Deutsch^), mit derselben Durchführung der Dreizahl: 
„Ein zäun wert ungeferlich drey jar, drey zäun ein hundt, drey 
hundt ein pferdt, drey pferdt ein menschen, drey menschen ein 
schneganss, drey schnegenss ein hirschen." Besonders bezeich- 
nend für diese nordländischen Wandelungen des alten Spruches 
ist die graue, die wilde, die Schneegans: im Norwegischen des 
Mittelalters^) und noch jetzt auf Island wird ein alter Mann 
eine grä gas geheissen, und ebenso nannte König Magnus der 
Gute (1035 — 1047) seine Aufzeichnung des Rechtes von Dront- 
heim und nannten die Isländer seit dem siebzehnten Jahrhundert 
ihr altes Bechtsbuch von 1118^). 


1) de Defectu oraculor. q). 11; Hesiodi etc. Fragmenta ed. Marck- 
scheflfel pg. 376. 

2) Edyll, XVIU. 3) Hist. nat. VII, 49. 

4) Nach einer Strassburger Handschrift (C 173a, BL 67 a) des 14teii 
und einer Brüsseler des löten Jahrb. (Mones Anzeiger für Kunde d. teut- 
schen Vorzeit V, 842); in letzterer lautet das beschliessende Distichon 
„Et per tres aucas corvus tibi \ivere credas, Sic per tres corvos vivere 
cervus habet." 

5) Haupts Zeitschr. f. Deutsches Alterthum III, 28. Andre Passungen, 
hoch- u. niederdeutsche und englische, vom 13ten bis herab ins 17te Jahr- 
hundert, s. in J. Grimms Beinhart S. IV, im Liederbuch d. Hätzlerinn 
S. LXIXb, in Haupts Zeitschr. V, 508, in Wolfs Deutschen Märchen und 
Sagen S. 420 u. bei Gödeke zu Pamph. Gengenbach S. 562—564. Agri- 
cola 661. 

6) Saga Thidriks konungs af Bern Cp. 408. 

7) Dahlmanns Geschichte v. Dännenjark TL, 129. 181. 


EHEA nXEPOENTA. 187 

Der Adler, wenn er alt und altersschwach geworden, ver- 
jüngt sich wieder: davon weiss schon der Psalmist: „Er sättigt 
mit Gutem dein Alter, dass sich erneut gleich dem Adler deine 
Jugend"^), was Notker nach Augustinus so erklärt: „Imo ge- 
schiehet fore altt, chtt man, daz sin obere snabel den.nideren 
s6 uberwahset, daz er in üf intuon ne mag sih ze geäzzenne. 
Dara näh knitet er in an demo steine, unz er in s6 ferniuzzet, 
daz er aber ezzen mag. Unde s6 gewunnet er samo sö, föne 
•erist jungliche chrefte*). S6 geschiehet ouh demo, der an 
Christo, der petra (stein) ist, slna sunda ilet fersltzen. Wanda 
er bringet in widere ad innocentiam (ze unscadell). Föne dero 
chumet er ad resurrectionem (ze urstende). dar *wirt er gejunget. 
Dara zuo siebet disiu reda." Die Physiologen des Mittelalters 
berichten noch wunderbareres: „s6 er alt wirdit, s6 suärent ime 
die federen unt tunchelint diu ougin. So suochet er einen vil 
chockhin brunnen unte fliuget von deme brunnen fif zuo deme 
sunnen. da brennet er sine federen unt vellet nider in den 
brunnen, den er irchös. daz tuot er drlstunt. s6 wirt er, gejunget 
unte gescheute ^)." Auch Walther von der Vogel weiäe, indem 
er davon spricht, wie er „jungen" und gesunden wurde, wenn 
er in den Augensternen seiner Geliebten sich ersehen könnte*), 
mag an den Adler denken, den der Blick in die Sonne verjüngt. 
Den Römern war aquike senectits die sprichwörtliche Bezeichnung 
eines jugendlich frischen Alters^). 

Was hier die Physiologen von dem Adler erzählen, sieht 
nur wie ein Wiederschein von den Fabeln über den Phönix aus. 
Herodot^) giebt diesem bloss 500 Jahre, Hesiodus in dem vorher 
angeführten Spruche neun Eabenalter, eine gewaltig grosse, aber 


1) Ps. ein, 5. 

2) Ebenso der Physiologus in Hoffmanns Fundgraben I, 33, 27 fgg. 
n. in Earajans Sprach-Denkmalen d. zwölften Jahrh. 98, 18 fgg., der 
Renner 19450 fg. u. a. 

3) Hoffmanns Fundgr. I, 33, 14 fgg. = Karajan 98, 3 fgg. Vgl. 
den Welschen Gast 12873 fgg., die Predigt in Haupts Zeitschr. VII, 
142 fg., den Kenner 19444 fgg. u. Barths Adversaria XXXUI, 3. Minnes. 
1, 327 b. Hagen. 

4) Lachmanns Ausg. 54, 31 fgg. 

5) Terent. Heautontimor. IE, 2, 10. 

6) n, 73 mit Berufung auf die Heliopoliten, 


188 EIIEA nTEPOENTA. 

immer doch noch eine Zahl: der späteren Naturgeschichte ward 
er, wie auch Ausonius den Worten Hesiods hinzufügt, ein „re- 
parabilis ales " : wenn er 500, wenn er Tausende von Jahren alt 
geworden, stirbt er oder er verbrennt sich selbst, und aus seiner 
Leiche,, seiner Asche steigt ein neuer Phönix empor: Lactantius 
Elegie de Phoenice^) stellt die verschiedenen Sagen alle zusam- 
men^). Wir konunen später noch einmal darauf zurück. Dem 
Christenthume bot sich in diesem Wundervogel ungezwungener 
als in manch anderen Fällen ein bedeutungsvolles Sinnbild dar^), 
zuerst mit Anknüpfung an eine Stelle des Buches Hieb*) ein 
Sinnbild der Unsterblichkeit und des üeberganges aus den Müh- 
salen der Erde in ein ewiges seliges Leben ^): so behandelt den 
Phönix mit aller Fülle der angelsächsischen Poesie ein Oedicht 
der Handschrift von Exeter^); ein Sinnbild ferner des Todes und 
der Auferstehimg Jesu Christi ') ; ein Sinnbild endlich der Mensch- 
werdung, der Verjüngung gleichsam des alten Gottes im Leibe 
der Jungfrau, welche dann dem verzehrenden und neu gebären- 
den Feuer verglichen wird^). 


1) Wernsdorfs Poetae Latini minores II, 298 sqq. 

2) Die Stellen der Alten s. in Martinis Ausgabe S. 38; vgl. Isid. 
Origg. 12, 2. Bartsch Albr. v. Halberst. S. CXXIV fgg. CCLIX fg. 

3) Pipers Mythol. u. Symbolik d. christl. Kunst I, 1, 458 fgg. 
[Phönix (mit einem Stern am Haupt) im altchristlichen und schon im 
heidnischen Born Sinnbild der stets sich verjüngenden Unsterblichkeit: 
Gregorovius Gesch. d. St. Rom im MA. 1, 327.] 

4) XXIX, 18, wo freilich das Wort chul bald Phönix, bald Palme, 
bald auch Sand übersetzt wird. vgl. das ags. Gedicht Phönix 548 fgg. 
Auf Grund der Hiobstelle wird Christus ein Phönix genannt in Cynewulfs 
Crist 636 fgg. 

5) Münters Sinnbilder I, 96. 

6) Thorpes Cod. Exon. S. 197—242 (Grein, Dicht, der Angelsachsen 
1, 215 — 233). Das Naturgeschichtliche dieser angels. Dichtung aus Lac- 
tantius. 

7) Hoffmanns Fundgr. I, 36 fg. = Karajan S. 105 fg.; Frauenlobs 
Spr. 237, wo Velliea in Venica, eine geringere Verderbniss des Wortes 
Phon ix f zu bessern, ist; Grässes Beiträge zur Lit. u. Sage d. Mittelalters 
S. 74 fg. Phönix 646 fgg. (Grein 1, S. 232.) 

8) Munter S. 96; Konr. v. Würzb. in der Goldnen Schmiede 364 fgg. 
(andere Anwendung im Beginn vom Trojanerkrieg). Frauenlobs Leich I. 
12, 16 fg. [auch Sinnbild der Erneuerung des Menschen: über die mittel- 
alt. Sammlung zu Basel S. 15.] 


EIIEA ÜTEPOENTA. 189 

Gattenliebe und Treue lehrt die Taube ^), zumal die Turtel- 
taube, die, wenn sie den Gesellen verloren hat, fortan allein und 
wehklagend auf dürrem Aste sitzt und bevor sie trinkt, sich 
selber das Wasser trübt ^), Sinnbild der Verwandtentrauer über- 
haupt war die Taube in einem Gebrauche der Langobarden, den 
uns Paulus Diaconus berichtet^): „Si quis in aliquam partem 
aut in hello aut quomodocunque extinctus fuisset, consanguinei 
eins intra sepulchra sua perticam figebant, in cuius summitate 
columbam ex ligno factam ponebant, quse illuc versa esset, ubi 
illorum dilectus obisset, scilicet ut sciri posset, in quam partem 
is, qui defunctus fuerat, quiesceret." 

Es ist vorher der Störche erwähnt worden, die das bedrohte 
Aquileia räumten: lornandes ^sagt „animadvertit (Attila) Candidas 
aves i. e*. ciconias, quse in fastigio domorum nidificant, de civi- 
tate foetus suos trahere atque contra morem per rura forinsecus 
comportare" : sie retteten also, dieselben Vögel, die unser Volks- 
glaube auch den Menschen ihre Kinder bringen lässt*), nicht 


1) Plin. HN. X, 52. 

2) Altd. Wälder d. Br. Grimm 111,-37 fgg. S. Alexius Leben von 
Massmann S. 34 fg. Hoffmanns Deutsche Gesellschaftslieder S. 99 fg. 
[Shakespeares Winterm. 5, 3 gegen Ende. Wenzigs Slav. Volksl. S. 99. Jung. 
Tit. 5109. Tauber und Taube Geliebter und Geliebte: Volksl. aus der 
Bretagne S. 160 fgg. Seufzen wie die Tauben: Nahum 2, 8.] 

3) de Gestis Langobard. V, 34. 

4) Auf das Kinderbringen des Storches bezieht sich schon dessen alt- 
hochdeutscher u. altsächsischer Name udebero, odehero, odeboro, falls der 
erste Bestandtheil dieser Zusammensetzung ein mit dem lat. uterus und 
icber und dem griech. ou^ap ablautendes Substantiv im Sinne von Kind 
ist: die altnordische, altsächs. u. angelsächsische Sprache haben das de- 
fective Participium aiidin, ödan, eaden s.v. a. geboren; bero, boro käme 
von beran tragen (vgl. SchiUer, zum mecklenb. Thier- und Kräuterbuche 
1, 3). Das Wort muss aber schon frühzeitig dunkel geworden sein, da 
bereits mit dem Althochd. wechselnde Gestaltungen und Entstellungen 
ihren Anfang nehmen: es heisst da auch, in die Wurzel varan (gehen, 
wandern) hinübergezogen, otivaro, mittelhochdeutsch odefar, otfar (Speier 
v. Zeuss S. 23), mittelniederländ. odevare im jetzigen Niederl. oyevar, im 
älteren und im jetzigen Niederdeutschen edebere, zusammengezogen eber, 
und adebar: letzteres würde nach Graffs Diutiska III, 453 auch mittel- 
hochdeutsch sein, wenn hier nicht adebarn in adelarn zu bessern wäre. 
Vgl. J. Grimm Mythol. S. 638 u. über Diphthonge nach weggefallnen Con- 
sonanten S. 42. 


190 EHEA IITEPOENTA. 

sowohl sich als ihre Jungen. Von dieser elterlichen Liebe der 
Vögel, die so mit Anmuth Wolframs Vers bezeichnet*) „al des 
meigen zit si wegeten mit gesange ir kint*^ ist das ergreifendste 
Beispiel der Pelican, der mit dem eignen Blute seine Jungen 
neu belebt^): auch er im Mittelalter ein nahe gelegtes Sinnbild 
Christi^). Um der Jungen willen, die man in das verkeilte 
oder zugeklebte Nest oder in ein Glas verschlossen hat, holt der 
Specht*), der Wiedehopf^), der Auerhahn*), der Strauss') das 
Zaubermittel, ein Kraut oder ein Würmchen, vor welchem der 
Keil und der Lehm herausfahrt und das Qlas zerbricht. Die 
Störche selber gelten sonst eher als ein Vorbild der Liebe von 
Seiten des Kindes gegen die Eltern ^) : ein uraltes Gesetz, scherzt 
Aristophanes^), h -zqIq töv TcsXapyöv xupßeffiv schreibe ihnen 
diese Tugend vor. Darum gaben die Bömer dem Bilde der 
Pietas einen Storch bei*^), noch der Renner sagt^^) „da von 
st@t an der triuwen schilte ein storch gemalt durch triuwe und 
milte", und der Name Storch gehört zu einer Wurzel, die im 
Griechischen lieben und gerade das Lieben unter Eltern und 
Kindern bedeutet,, zu aTspygcv. 


1) Lachmanns Ausg. S. 7, 20, wo das fehlerhafte tceget der Hand- 
schrift nicht gut in wegent geändert ist. 

2) Munter S. 90. Ueber den Pelican vgl. auch evangel. Kalender 
1857, S. 52—54. 

3) Fundgruben I, 33 fg. = Karajan S. 99 fg.; Konrad v. Würzb. 
Minnes. II, 3t2a; der Mamer ebd. 252a; der Meissner ebd. UI, 101a; 
gold. Schmiede 470. Dante Parad. 25, 112. 

4) Plin. HN. X, 20. XXV, 5. Mones Anzeiger VIII, 614. Deutsche 
Sagen d. Br. Grimm I, 11 fg. Konr. v. Megenb. S. 380. [Zusammenhang 
zwischen der Spring^urzel des Spechtes und seinem Schätzesammeln (Non. 
pag. 152)? vgl. Isidor 12, 7. Musäus 708.] 

5) Aelian de Nat. anim. III, 26. 

6) Altd. Wälder 11, 94. 

7) Altd. Wald. II, 92. Eenner 18756 fgg. Gesta Roman, v. Grässe 
II, 227. [J. Paul, Hesperus, 5ter Schalttag: „den Zeisigen — die, wie man 
sagt, ihrem Neste und dessen Insassen durch den sogenannten Zeisigstein 
so lange Unsichtbarkeit ertheilen, bis die Plantage fiXuggQ ist." Gleicher 
Art das unsichtbare und unsichtbar machende Vogelnest (Simpl. 2, 1, 23) ?J 

8) Renner 18303 fgg. 19461 fgg.; Aelian III, 23 rühmt an den 
Störchen beides, die Kindes- und die Elternliebe. Isid. Origg. 12, 7. 

9) Av. 1353 sqq. 

10) 0. MüRers Archäol. § 406, 3. 

11) Z. 18309 fg. 


EÜEA nXEPOENTA. 191 

Aber auch die strenge Zucht und die Sorge des Vaters, 
dass sein Geschlecht nicht entarte, hat ihr Torbild in dem Beich 
der Vögel. Der Adler zwingt seine Jungen in die Sonne zu 
blicken: die es nicht vermögen, wirft er als schlechte und un- 
echte Brut hinab ^). Ein Dichter des zwölften Jahrhunderts*) 
wendet das auf Christum an, der seine Menschen in den Sonnen- 
schein des Gebots der Liebe schauen heisse; unserm Eonrad von 
Würzburg ^) ist die Jungfrau Maria der Adler*), und die Sonne, 
in deren Schein wir blicken sollen, Christus. 

Alles das (und ich hätte die Keihe solcher Beispiele aus 
der alten Naturgeschichte und Naturfabel und Natursymbolik 
noch beträchtlich verlängern können), alles das bereits Dinge, in 
denen der Mensch an den Vögeln etwas besseres als nur schlechte 
dumpfe Thierheit sah, und die er an ihnen sah, weil er ihnen 
etwas besseres beimass. Noch mehr über die Vierfüsser erhoben 
und noch näher fühlte er sich dieselben dadurch gestellt, dass 
sie im Stande sind seine Sprache zu erlernen. Plinius*) zählt 
all die Vogelarten auf, an denen schon das AJterthum diese Be- 
fähigung wahrnahm und benutzte: Anecdoten aus dem Leben 
des Augustus, die darauf sich beziehn, stellt Macrobius zusamr 
men^); das Mittelalter kannte sprechende Papageien, Baben, 
Dohlen, Staaren, Elstern®). Naiv aber ists, wie einigemal von 
Vögeln dieser Art erzählt wird, die nicht bloss gelehrt worden 


1) Aelian II, 26; Plin HN. X, 3. XXIX, 38; Wolframs Wilhelm 
189; der Schulmeister v. Esslingen Minnas. 11, 139a; der Marner ebd. 
252 a; Kenner 19442 fg. [Mart. 107, 19 fgg. Lucan. Phars. 9, 902 fgg. 
Isid. Origg. 12, 7.] 

2) Wernher vom Niederrhein S. 68 fgg. 

3) Goldene Schmiede 1052 fgg. 

*) [Schöne Frauen mit Vögeln verglichen: mit dem Falken Trist. 
11001 = 277, 3. Troj. Kr. 7538. Altd. Leseb. 1216, 19. dem Sperber: 
Trist. 10998 = 276, 40. dem Papagei 10999 = 277, 1. Troj. Kr. 20299. 
dem Schwan Yöls. Saga 36.] 

4) Eist. nat. X, 58—60. 

5) Saturnal. II, 4. 

6) Kuodlieb III, 135 fg. 174. VIII, 1 fgg. IX, 76 fgg.; Lamprechts 
Alexander 5408; Christian v. Hamle Minnes. I, 112a; Heinr. v. Morungen 
ebd. 122b. vgl. 124b. Im Eenner 3687 fgg. „der sitich kriechisch Wörter 
sprichet, diu aglaster ouch sich ofte brichet nach menschen spräche: daz 
macht der hunger": offenbar aus Persius Prolog Z. 8 fgg. Caes. HeistSrb. 
X, 56. 


192 EÜEA TITEPOEKTA. 

sind gewisse einzelne Worte sprechen, sondern die überhaupt 
sprechen gelernt haben, die reden können, wie der Papagei oder 
die Elster in einer Geschichte der 1001 Nacht und der sieben 
weisen Meister ^) und der Babe eines Märchens der Slovenen ^), 

Oder ist die Naivität hier nur scheinbar? sind diese Erzäh- 
lungen eigentlich und ursprünglich so gemeint, dass dem Vogel 
in der That die Sprache der Menschen als oine höhere Wunder- 
gabe verliehen worden? Von dem redenden Raben König Oswalds 
heisst es^) „der himelische trehttn tet da sin genäde schtn und 
gap dem raben in der selben stunde, daz er alle spräche wol 
reden künde", die goldgeflügelte Gans*), durch welche Dama- 
janti zuerst von der Schönheit Nals vernimmt^), ist von den 
Göttern gesendet, ' und es ist eine Stimme göttlicher Warnung, 
was in einer altdeutschen Ballade die Taube des einsamen Wal- 
des zu der schönen Entführten spricht^). Erst auf dergleichen 
Anlässe hin ist es in der alten Dichtung, zumal der Liebes- 
dichtung, ein oft wiederkehrender Zug geworden, dass Vögel 
ohne Weiteres, redebegabt wie der Mensch, dem Menschen Eath 
ertheilen oder sonstwie zu ihm sprechen ®), dass sie ausplaudern, 
was er thut '), oder es auch getreu verschweigen % dass sie um 
Botendienst von. ihm begrüsst werden ^) und Botschaft bringen^®). 

1) 1001 Nacht 14; Romans des sept sages 3088 fgg. Altd. Gedichte 
V. Keller S. 84 fgg. Diocietianus Leben von Hans v. Bühel 2454 fgg.: 
vgl. KeUer vor den Sept sages S. CXXXIV fgg. u. Abr. a S. Clara 19, 241 fg. 

2) J. Grimms Mythol. S. 637. 

3) Z. 389 fgg. der Ausgabe Ettmüllers. 

*) [Gänse auch in der slavischen Liebesdichtung: Wenzigs Slav. 
Volkslieder S. 6. 66; Schwäne und Gänse, d. i. Jungfrauen und Frauen, 
ebenda S. 197.] 

4) Indische Sagen v. Holtzmann III, 4. vgl. S. VIII fg. 

5) Alte hoch- u. niederd. Volkslieder v. Uhland I, 142. Wunderh. 
4, 102. TheilnahmsvoU sprechender und verstandener Staar: Wunderh. 2, 
281—283. 

6) Uhland in Pfeiffers Germania III, 129 fgg. Volkslieder d. Serben 
V. Talvj I, 6. [Rathende Vögel: Norweg. Volksmährchen von Asbjömsen 
und Moe, deutsch von Bresemann, 1, 103 fgg.] 

7) Niederländisches Volkslied in den Altd. Wäldern II, 46. 

8) Walther 39, 19. 40, 18; vgl. Konrads Engelhard 3165. 

9) Hoffmanns Horae Belgic» II, 106. 109. 

10) Talvj I, 53. [Falke mit einem Briefe: Talvj 2, 43. Bote u. Brief 
als Falke und Schwalbe: Talvj 1, 249. Taube als Liebesbote: Wunderh, 
2, 57. Nachtigall desgl.: 202 fg. Liebesbrief als Vogel: 4, 120. 121.] 


EHEA nXEPOEINTA. 193 

Besonders erscheint hier die tonreiche Nachtigall, die Sängerinn 
der Liebe, aber neben ihr auch Lerche und Drossel ^), statt ihrer 
auch die AmseP) und im serbischen Lied^) der Falke. Ausser- 
halb der Liebesdichtung wifd allgemeiner gesprochen: in Ecken 
Ausfahrt^) sagt Dieterich bloss „hie hoert uns anders niemant 
den got und die waltvogellein", ein altgriechisches Lied, wie es 
scheint, begann OuSei^ oföev xbv "^TjcjaDpov tov ipibv tuatjv et' 
xi^ oL^' opvi«:^), und auch in den Liedern der Neugriechen, die 
gern mit Reden eines oder dreier Vögel den Eingang machen, 
sind es eben nur xo^Xocxia, die reden ^); uns bezeichnet der 
Ausdruck „Das hat mir ein Vögelein gesungen" eine Kunde, 
die man Anderen unerwartet empfangen haf). 

Ueberhaupt sind die Vögel theilnahmsvoll für alles, was 
den Menschen da untea geschieht und was sie thun: „die wilden 
vögele betrüebet unser klage" sagt einmal Walther von der 
Vogelweide ^). Darum auch, wenn ein gi;"össerer Frevel begangen 
wird als jener, den Walthers getreue Nachtigall verschweigt^), 
dann schweigen die Vögel, die allein ausser Gott ihn wissen, 
nicht: denn die ganze Natur muss der erzürnten Gottheit dienen, 
dass die Eache den sicheren Verbrecher doch noch treffe, und 
sogar nur thörichte Handlungen des Menschen und seine unbe- 
dachten Worte werden von dem, was leblos ihn umgiebt, belauscht 
und verrathen. Dem griechischen Alterthum ist es noch der 
alles sehende, alles auch hörende Sonnengott^®), der eine ünthat 
an den Tag bringt ^ ^) : Schwur ujid Gelübde , werden deshalb mit 
seinem Namen bekräftigte^); uns das Gestirn der Sonne, im 
Sprichwort wie in jener auch von Chamisso gedichteten Erzäh- 


1) Wolf und Hof mann, Primavera II, 17. . 

2) Gräters Bragur 11, 222. 

3) Talvj I, 53. 

4) Caspar v. d. Roen Str. 96. 

5) Aristoph. Av. 601. 

6) Fanriel I, 4. 70. 126. 194. 284. 288. 300. II, 4. 324. 344. 408. 

7) J. Grimms Mythol. S. 1082; vgl. Altd. Leseb. 974, 32. Voss 55b. 

8) 124, 30. 

* 9) 39, 19. 40, 18. 

10) n. m, 277. Od. XI, 109; vgl. Plin. HN. H, 4. Kalewala 15, 
185 fgg. 

11) Od. VIU, 270. 302. 

12) II. in, 277. XIX, 259. Eechtsalt. 895. 

Wachernagel, Schriften. HI. '13 


194 EIIEA riTEPOENTA. 

lung^). Neben der Sonne wird dort inoi griechischen Schwur 
auch die Erde genannt: ebendiese verrätb durch plauderndes 
Schilfrohr das Geheimniss von der Missgestalt des Königs Midas, 
das ihr von dem unbezwingbaren Sprechbedürfniss des Scherers 
anvertraut worden*). Daran schliesst sich die lebensvollere 
Fassung, die das Mittelalter unserem Sprichwort „Wände haben 
Ohren'' giebt: „Walt hat Ören, velt hat gesiht"») oder „Veit 
hat ougen, walt hat dren''^), lateinisch ^,Gampus habet lumen 
et habet nemus auris acumen"*); näher der jetzt üblichen Form 
sagt aber schon Helbling^) „da von rät ich, sd ie naBher z&n, 
daz man da ie stiller rün'' und warnt man in Baiern mit dem 
Sprichwort „Es sind Schindeln auf dem Dache" ''). Wenn sodann 
deutsche Märchen erzählen, wie ein Knöchlein eines unschuldig 
ermordeten, das ein Hirtenknabe sich zur Flöte schnitzt, alsobald 
beginnt von der Mordthat zu singen*), und Märchen anderer 
Völker Aehnliches ^), so bildet das endlich den Uebergang zu 


1) Kinder- u. Hausmärchen d. Brüder Grimm 115; vgl. Götzingers 
Deutsche Dichter I, 340 fg. Das andre hieher treffende Sprichwort hat 
bereits die Oestreich. Chronik Ottocars S. 663 a: „nu wirt niht so klein 
gespunnen, ez enkom doch an die sunnen"; und alterthumlicher durch die 
epische Form Bonerius XLIX, 55: „nie wart so klein gespunnen, ez ksßm 
etswenn ze sunnen''. 

2) Ovid Metam. XI, 182 sqq. Pers. Sat. I, 119 sqq. [In einem 
Volksmärchen der Serben (39, S. 237) ist an Midas Stelle Kaiser Trajan 
getreten; aus der von dem Scherer für sein Wort gegrabenen und wieder 
zugeworfenen Grube wächst ein Holunderstrauch, und die daraus geschnit- ! 
tenen Flöten blasen nun: „Der -Kaiser Trajan hat Ziegenohren."] j 

3) Reinmar v. Zweter Minnes. II, 202b; „Dan auch die Weld jhr | 
Ohren band Vnd das veld sein gesiebt verstand Wie dan die alten haben ' 
gsagt" Holtzwarts Emblem. XVIII. 

4) Eeinm. Minnes. II, 210 b. 

5) Fiedler zu Chaucers Canterbury-Erzählungen I, 223. Chaucer, der 
den Spruch englisch hat, ist mir auf Englisch nicht zur Hand. 

6) IV, 599 fg. in Haupts Zeitschr. IV, 112, wo jedoch die Fehler der 
Handschrift, nehn statt nceher und stille statt stiller^ ohne Besserung ge- 
blieben sind. 

7) SchmeUers Bayerisches Wörterb. III, 371. 

8) Br. Grimm 28. Haupts Zeitschr. 3, 36. vgl. Wenzigs slav. Volksl. 
S. 110 fgg. 

9) Br. Grimm III, 55 fg.; vgl. J. Grimms Mythol. S. 860. Litt. 
Volksl. V. Nesselmann S. 321. 


EIIEA HTEPOENTA. 195 

« 

solchen Sprüchen und Sagen des Alterthumes, wo die beredten 
Bewohner der Luft ein böses Geheimniss ausbringen, einen Mord 
verkündigen, den Mörder sich selbst verrathen lassen. Salomo 
lehrt „Fluch dem Könige nicht in deinem Herzen, und fluche 
^ dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer: denn die Vögel des 
Himmels fahren die Stimme, und die Fittig haben, sagens nach"*). 
Der Päonier . Bessus hatte seinen Vater gemordet, und lange 
wusste er die Schuld zu verbergen, bis er einst in .einem gast- 
freundlichen Hause ein Nest voll Schwalben mit dem Speere 
herabstach und auf das Erstaunen der Andern erwiderte „Zeugen 
sie denn nicht schon längst verläumderisch gegen mich und 
klagen mich an, ich hätte möinen Vater gemordet?" Das kam 
vor den König, und alsbald traf Bessus die verdiente Strafe*). 
Soll ich der durch Schillers Gedicht nun allbekannten Sage 
vom Morde des Ibycus^) noch eigens erwähnen? Beinahe wörtlich 
mit ihr überein stimmt die Legende vom heil. Meinrad, dem 
ersten Gründer des Klosters Einsiedeln, wie z. B. Martin Crusius 
in seiner Schwäbischen Chronik*) sie erzählt, nur dass es hier 
Raben sind, die der Heilige als Zeugen und Kläger anruft, und 
die nachher in Zürich einer der Mörder mit einem lachenden 
Sieh da! begrüsst: „En Meinradi, exclamat ridens, corvi!" Un- 
abhängiger von dem griechischen Vorbild erscheinen die deutschen 
Gedichte von dem Juden und dem Schenken^), von dem Juden 
und dem Truchsessen % in deren ersterem Rebhühner, im zweiten 
Kranmietsvögel die Zeugen des Ermordeten sind; bei Bonerius'^) 
und in einer Prosaerzählung des fünfzehnten Jahrhunderts^) ruft 
höhnisch der Schenke selbst die Rebhühner zu Zeugen; in 


1) Pred. 10, 20. Darnach Sebastian Brant im Narrenschiff XIX, 
71 fgg. „Wer herren übel redet üt. Das blibt verschwygen nit lang zit, 
Ob es joch ver geschaeh von im: Die vogel tragen uss din stym." 

2) Plutarch de sera numinis vindicta cp. 8. 

3) Die älteste griechische Nachricht bei Antipater aus Sidon, Epigr. 
78: Anthol. Gr. VII, 745; spätere bei Plutarch de Garrulitate cp. 14 u. a. 

4) Annales Suevici II, 2, 11. [Die Raben des heil. Meinrad von 
Osenbriiggen, Schaffhausen 1861.] 

5) Lassbergs Liedersaal II, 601 fg. 

6) Burkard Waldis Esop IV, 20. 

7) Edelstein LXI. 

8) Haupts u. Hoffmanns Altd. Blätter I, 118. 

.13* 


196 EIIEA nXEPOENTA. 

BoneriuB lateinischer Quelle^) thun es beide, der Jude wie der 
Schenke. 

Aber kehren wir zurück zu den sprechenden Vögeln. Eines 
der vorher angeführten neugriechischen Lieder 2) hat die von all 
den übrigen abgehende Eigenheit, dass es die Menschensprache, 
die der Vogel redet, der sonstigen Sprache der Vögel ent- * 
gegensetzt: 

Ab £XaXouc7£ aav uouXl, aav oXa ra icouXaxta, 
TVIov £XaXoua£ x' SXeyev, aviJpwictva fjLiXouas. 

Eine Vogelsprache also: und allerdings nimmt die alterthümliche 
Anschauung auch da, wo weder eine göttliche Fügung noch 
Unterricht der Menschen einen Vogel sprechen gelehrt hat, schon 
das natürliche Singen oder Zwitschern oder Krächzen desselben 
dennoch für eine Sprache; die Vögel sprechen so gut als die 
Menschen, wie die Menschen so gut als die Vögel singen: es 
ist somit gleichsam nur ein Namentausch, wenn Theocrit^) die 
Dichter scherzweis Vögel der Musen und Gottfried von Strass- 
burg*) die Minnesinger Nachtigallen nennt. In dieser ihrer 
Sprache unterreden sich die Vögel mit einander, unterreden sich 
da auch über menschliche Dinge, wie in einem serbischen Liede^) 
Schwalbe und Kuckuck, im Beowulf^) Eabe und Adler auf der 
Wahlstatt, in einem Märchen ') die Krähen am Galgen : versteht 
sie der Mensch nicht, so liegt die Schuld an diesem, so ist er 
der Ungelehrte und die Sprache der Vögel für ihn, was Latein 
für den Laien und eine Barbarensprache für den Griechen ist**): 
das Mittelalter hat wirklich den Ausdruck Latein der VögeP), 


1) dem Anonymus Neveleti LIX. 

2) das Bruchstück bei Fauriel I, 70 [ebenso Fauriel 2, 376]. 

3) IdyU. VII, 47. 

4) Tristan 4749 fgg. = 120, 31 fgg. 

5) Talvj I, 63. 

6) Z. 6041 fgg. 

7) Br. Grimm 107. Sag. 1, 202. 

8) „quorum verba non discerni a nobis nihil mirum fit, cum barba- 
rorum etiam multorum sermonem minime discernamus neque tam loqui 
quam indistincte vociferari putemus" Marsilius Ficinus aus Porphyr, de 
Abstinentia animalium III. 

9) Provenzalisch : s. Fierabras v. Bekker S. 177a; französisch: Altd. 
Blätter I, 1; italiänisch: „E cantin ne gli augelli Ciascuno in suo latino 
Da sera e da matino Sur li verdi arbusceUi" Canzone Dantes, Vita nuova 11; 


EHEA UTEPOENTA. 197 

und Aristophanes nennt die Vögel ßapßapoi*) wie umgekehrt 
die Sprache eines Barbaren Schwalbengezwitscher*). Mensch- 
licher Witz überträgt wohl einen einzelnen und den jedesmal 
bezeichnenden Vogelruf in ein ungefähr gleichlautendes Wort 
der Menschensprache, meist zum Scherz, zuweilen auch mit 
ernster Bedeutsamkeit^): Beispiele der Buf der Schwalbe*) „du 
diep, du diep"! und das sinnvolle Schwalbenlied^) 

„Wenn ich wegzieh, wenn ich wegzieh, sind Kisten und Kasten voll; 
Wenn ich wiederkomm, wenn ich wiederkomm, ist Alles verzehret", 

dem wir auch eines der schönsten Lieder Kückerts verdanken; 
die altfranzösischen Nachtigallenschläge^) „fier, fier! occi, occi''! 
das lateinische „cras cras" desKaben'): „ih spreche iemer same 
der rabe Cras cras, daz quit Morgen morgen s6 wil ih besorgen, 
daz ih gote miner sundin wandel getü''. Aber auch so ist es 
nur ein Spiel, nicht das rechte, nicht' das eigentliche Verständ- 
niss: dafür muss das Menschenohr erst eigens geöffnet werden. 
Es geschieht das bald durch unmittelbare göttliche Gnaden- 
schenkung, bald durch Zaubermittel*). 

Salomo, den Gott der höchsten Weisheit gewürdigt, ist da- 
mit auch „vogelsprachekund"; den halben Baum seines Hof- 
lagers, 50 Quadratmeilen, nehmen Thiere und Vögel ein: unter 
diesen wird ihm der Wiedehopf besonders vertraut und trägt 
ihm Botschaft zu der Königinn von Saba^). Tiresias, der Athenen 


mittelhochd. Gottfrieds Tristan 17365 = 436, 7; mittelniederl. Elegast 
770. 781. 

1) Av. 199. 

2) ehd. 1681. 

3) vgl. das Geistliche Vogelgesang ,in Grieshabers Vaterländischem 
S. 335 fgg. [Wachtelschlag: Schillers Thier- und Kräuterhuch 2, 11. 
Schwalhengezwitscher ebenda 16.] 

4) der Meissner Minnes. III, 109 b. 

5) Altd. Wälder II, 88. 

6) Uhland in Pfeiffers Gerpania III, 136. 146. 

7) Litanei 488. Narrenschiff 31 und Zarnckes Anmerkung dazu. 
[Hippocras Name des Raben: Froschmäus. 1, 2, 8 (k üjb).] 

*) [von einer Zauberin erlernt: Kreuzwald u. Löwe esthn. Märchen 
S. 7. Verständnis der Thiersprache von dem Schlangenkönige durch 
wechselseitiges dreimaliges Speien in den Mund mitgetheilt: Volksmährch. 
d. Serben 3, S. 19.] 

8) 1001 Nacht, N. 868 fgg. 


» 


t98 EHEA IlTEPOENTA. 

nackt geschaut, wird zur Strafe dafür blind: doch zu milder 
Entschädigung reinigt die Göttinn ihm die Ohren, so dass er 
alle Stimme der Vögel versteht^); Callimachus schwächt die 
Sage dahin ab, dass Tiresias nur kundig der Yogelzeichen wird ^. 
Der junge Graf aus der Schweiz, der da weiss, was die Hunde 
bellen, die Vögel sprechen und die Frösche quaken, hat (so 
stellt das Märchen^) es dar) diese drei Sprachen nach einander 
bei drei Meistern erlernt: wie er jedoch durch solche Weisheit 
bis auf den päbstlichen Stuhl gelangt, erscheint dieselbe auch . 
hier als eine höhere Begabung. Melampus aber versteht die 
Vogelsprache, weil ihm züngelnde Schlangen die Ohren gereinigt 
haben ^): mit gleicher Wirksamkeit kommt dieses zauberische 
Thier wiederholendlich noch sonst vor. In deutschen Sagen und 
Märchen verleiht eine weisse Schlange dem, der von ihr ge- 
gessen, die Wundergabe*); die Einwohner der indischen Stadt 
Paraca oder Pacura oder Palura verzehren um sie zu erlangen 
Herz oder Leber eines Drachen*); Sigurd erhält sie, da ihm nur 
etwas von dem Herzblut des getödteten Drachen die Zunge netzt: 
alsobald versteht er das Gespräch, das über ihm in den Zweigen 
sieben Adlerweibchen führen, und lässt sich das Warnung und 
Rath sein^); auch Guörun soll von Fafnis Herzen gegessen und 
seitdem die Sprache der Vögel verstanden haben®). Das grie- 


1) Apollodor. Biblioth. III, 6, 7. 

2) Lavacr. Palladis 123 sq. * 

3) Br. Grimm 33. 

4) ApoUod. I, 9, 11. 

5) Deutsche Sagen d. Br. Grimm I, 201 fgg. Märchen 17. 

6) Philostratus in der Vita ApoUon. Tyan. III, 9. 

7) Fafnis mal 32 fgg. Volsünga Saga Cp. 28. Märchenhafte jüngere 
Umgestaltungen der Sage fassen nur die mit der Tödtung des Drachen 
verbundene Erwerbung seines Schatzes auf und setzen an die Stelle des 
Drachen selbst einen Vogel, dessen Herz und Leber dem Essenden einen 
stets nachströmenden Eeichthum verleiht: Br. Grimm 60. 122. Man kann 
damit noch den Goldvogel des 57sten, di^ goldene Gans des 64sten Mär- 
chens vergleichen und die Gans, die goldene Eier legt, bei Avianus 
XXXUI = Bonerius LXXXVHI. 

8) Güdrunar kvida I Eingang. Nach der Völsünga Saga Cp. 35 
ward Gudrun durch den von ihr verzehrten Antheil grimmiger und weiser: 
mit gleicher Allgemeinheit bezeichnet das mittelhochd. Gedicht von Gudrun 
Z. 403 fg. (vgl. 421) die Wirkung, die das getrunkene Blut des Lind- 
wurmes auf den jungen Hagene übt. 


EDEA nXEPOENTA. 199 

chische Alterthum machte diesen Schlangenzauber noch zau- 
berischer: Democrit gab an, wie die Schlange erst aus dem Blut 
gewisser Vögel müsste erzeugt werden*). Anderswo noch andre 
Vermittelungen:- in einem alten niederländischen Gedichte^) ist 
es ein Kraut, das man nur in den Mund zu thun braucht, im 
Volksglauben der Bretagne^) das goldene Kraut, aour göoten: 
wer zufällig darauf tritt, verfällt alsobald in Schlaf und em- 
pfangt darin die Gabe. Zuweilen auch erzählt die Sage von so 
begabten Menschen, erzählt aber nicht, wie dieselben dazu ge- 
langt seien : so die altnordische Helga kviöa Hiörvarös sonar 
von Atli, dem Sohne Graf lömunds; die Ynglinga Saga*) von 
dem schwedischen Könige Dag: dieser hat einen Sperling, der 
ihm Nachrichten aus aller Welt zuträgt; Procop*) von Herme- 
gisklos, einem Könige der Varner, der sich den Tag seines^ 
Todes vorhersagen hört. Kon, der junge Edle im Bfgs mal, 
hat neben dieser Sprachkenntniss auch sonst viel wunderbare 
Kunst und Weisheit inne®), und er ist Enkel eines Gottes, 
jenes Heimdall, der bei Tag und bei Nacht hundert Meilen weit 
sieht und das Gras wachsen hört und die Wolle auf den Schafen'). 
Ebenso schliesst es sich der mannigfachen Geheunkunde, die 
ApoUonius von Tyana besass, wie ganz natürlich an, dass er 
auch die Sprache der Vögel soll verstanden haben®). 

All diese auszeichnenden Eigenschaften, die der Mensch an 
dem Geschlechte der Vögel theils in Wirklichkeit wahrnahm, 
theils in Glauben und Aberglauben ihm nur beilegte, schlössen 
dasselbe allerdings von der Verwebung in die Thiersage aus: 
erst deren allmäUche und jüngere Ueberfüllung hat auch Vögel 


1) Plin. H. N. X, 70; vgl. Gell. Noct. Att. X, 12. 

2) Elegast 763. [Trank aus neunerlei Kräutern: £sthn. Märch. 
S. 243.] 

3) Barzas- Breis par Villeniarque I, 62 = Volksl. aus d. Bretagne 
S. 228. 

4) Cap. 21. 

5) de Bello Gotth. IV, 20. 

6) Str. 40 fgg. 

7) Snorra Edda S. 16. 

8) Marsilius Ficinus aus Porphyrius de Abstinentia III: „cum audiret 
hirundinem aliis nuntiare asinum prope urbem onustum tritico OQcidiss« 
triticumque humi diffusum«. 


200 EHEA IlTEPOENTA. 

hineingebracht, immer jedoch nur mit' Nebenrollen und in sehr 
passiver Stellung. Ursprünglich sind ihr wie die Hau^thiere, 
die ihr dienstbares Verhältniss und ihre gar zu nahe Vertrau- 
lichkeit mit dem Menschen solcher dichterischen Erhebung un- 
fähig machte, so auch die Vögel fremd gewesen, diese, weil sie 
dafür zu viel ünpahbares und Haltlose's hatten, weil sie dafür 
auch zu heilig schienen. Aber gleich den Namen des Bären 
und des V^olfes gehn auch die des Adlers und des liaben, streit- 
und beutesüchtiger Vögel, die zusammt dem Wolfe mit den 
Kriegsheeren der Menschen ziehn^), auf Menschen über: Bei- 
spiele aus dem Althochdeutschen Aro, Heriarn, Amhild, Hrahan, 
Slgihram, liabanger, und zusammengesetzt mit Wolf Arntdf, 
Wolf am, Rapanolfy Wolf hrahan^); aus dem Griechischen kenne 
ich als Personennamen wohl K6pa§ und Auxoc und Zusammen- 
setzungen mit letzterem wie TtjJioXuxoc und Auxo|jLi58Tr]<;, olzzoc, 
aber und Zusammensetzungen mit xopa? nicht ['Astioc, ^Aertov; 
Ara(S: Pind. Isthm. 5, 61 fg. ApoUod. 3, J2, 7; lat. Aquila, 
Corvinus, Lupus]. Noch «inen höheren Rang wies den Vögeln 
der Mythus zu: sie zumal und vor allen Vierfüssern sind Lieb- 
linge und die vertrauten Diener und Boten der Götter*). 

Zeus dem Götterkönige zu Füssen, ja ihm im Schoss, auf 
der Hand, auf dem Haupte*) sitzt der König der Vögel ^), der 
Adler ^), der, als die Götter unter sich die Vögel theilten, ihm 
zugefallen^), der ihm von allen Vögeln der liebste'), der sein 


1) Andreas u. Elene v. J. Grimm S. XXV fgg. Mittelhochdeutsche 
Gedichte gesellen dem Wolf und dem Raben statt des Adlers den Geier 
Bei: Stellen ebd. S. XXVII fg.; vgl. JRenner 19466 Swä gröze herren (1. 
groziu her) varnt über lant, den volgent die gire nach sä zehant, w?in si 
sich äzes da versehent". [Kabe und Wolf: Gudr. 3644 fg. Willeh. 462, 23.] 

2) Altd. Namenbuch v. Förstemann I, 114 fgg. 705 fgg. 

*) [Weihe der heilige Vogel? ahd. wtho wio wtyo wiwo: Graffs 
Sprachsch. 1, 643. griech. Upa? Falke. Roman, eine Art Fallce sagroj 
sacre: Diez, Wörterb. 1, 363.] 

3) Aristoph. Av. 515. 

4) Pindar. Olymp. XUI, 21. Pyth. I, 7. Isthm. V, 50; Aesch. 
Agam. Il5; Aelian. de Nat. anim. IX, 2; Plin. HN. X, 95; TeXetdratov 
TiexcTjvtov IL Vjn, 247. XXIV, 315. [Auch den Indern ist der Adler König 
der Vögel: Somadeva 2, 99 fgg.] 

5) 0. Müllers Archäol. § 350. 

6) Eratosth. Catasterism. cp. 30. 

7) n. xxrv, 310. 


EllEA HTEPOENTA. 201 

Bote*) und sein Waffenträger ist^); eben ein solcher schmückt 
den Herrscherstab des Gottes^) und nach seinem Vorbild auch 
das Zepter der GtJtter auf Erden, der irdischen Könige, derer 
im Alterthum*) wie noch im Mittelalter^), schmückt den Giebel 
von Tempeln, der darum selbst asxoc oder a^T(0|xa heisst®), und 
später von Kirchen (wie weit in das Land hinaus blickt der 
Giebeladler von S. Miniato bei Florenz!') und wieder auch von 
königlichen Palästen: so Karls des Grossen zu Achen und der 
Frau SsBlde^); den Adler dort, der ursprünglich gegen Westen, 
nach Frankreich geschaut, kehrten die Franzosen bei einem Ein- 
fall im Jahr 978 südostwärts, gegen Deutschland^). Der Götter- 
königinn aber ist der Pfau geheiligt*^), Athenen die Eule**), 
Aphroditen die Taube**), dem italischen Mars der Specht**), des- 
halb auch picm Martius genannt**): ein Specht trug den aus- 
gesetzten Zwillingssöhnen des Gottes Speise zu*^). Apollo hat 
der Vögel mehrere, zunächst den gesangreichen Schwan*^), dann 
noch den Falken**^) und den Eaben: letzterer kommt als sein 
Diener und Bote z. B. in der Sage von Coronis, der Mutter 


1) II. XXIV, 310. 

2) Plin. HN. II, 56. X, 4. 

3) Pindar. Pytli. I, 5. 0. Müller § 350, 6. 

4) Aristoph. Av. 510. 

5) z. B. Kaiser Heinrichs II: s. das Bamberger Handschriftbild in 
Försters Denkmalen Deutscher Bankunst, Bildnerei u. Malerei B: 11. 

6) Pind. Olymp. XIII, 21 mit Böckhs Anm.; Aristoph. Av. 1109 fg. 

7) Die Glockenthürrae am Tempel des heil. Grales tragen auf ihren 
Rubinknöpfen Kreuze von Krystall und auf diesen goldene Adler: Titurel 
Str. 407. 

8) Heinrichs v. d. Türlin Krone 15734. 

9) Richeri Historiar. HI, 71; vgl. Dietmar v. Merseburg HI, 6. 

10) 0. MüUers Archäol. § 853, 2. 

11) 0. Müller § 871, 9. Aristophanes Av. 516. 

12) 0. Müller § 374, 3. 
/ 13) Strabo V, 4, 2. 

14) Plin. HN. X, 20. Serv. zu Virg. Aen. VII, 190; „Martia avis« 
Ovid. Fast. III, 37. 

15) Ovid. Fast. IH, 54. 

16) Aristoph. Av. 772. 870; Aelian. de Nat. anim. II, 32. XIV, 13j 
bei den Hyperboreern: ebd. XI, 1. Callimach. in Del. 249 fgg. 

17) Aristoph. Av. 516.. > 


\ 


202 EDEA nTEPOE]NTA. 

Aesculaps^), und in jenem artigen Märdien vor, das den Durst 
des Vogels und die Nichtstillung seines Durstes gerade zur 
heissesten Sommerszeit erklären soll^); Aristeas wollte dem 
Gotte, da derselbe zu den Metapontinem kam, als Babe gefolgt 
sein*). Und so eng erschienen die Vögel ihren Göttern zu- 
gehörig, dass man nach Sitte^ der Urzeit, wenn zu schwören war, 
nicht bei einem Gotte selber schwor, sondern bei dessen Vogel*). 

Dem germanischen Mythus sind diese geflügelten Diener 
einzelner bestimmter Gottheiten nicht so geläufig: ich kenne nur 
ein Beispiel, die Baben Hugin und Munin {htig ist Gedanke, 
mun Gemüth), die Oöin sich auf die Schultern setzend ihm täg- 
lich von allem, was sie auf Erden gehört und gesehen, Nach- 
richt bringen^); die Menschen heissen ihn auch deshalb Baben- 
gott, hrafnagub^). Wie aber dem Mars der Italier neben dem 
Specht auch der Wolf dient'), so dem nordischen Gotte neben 
dem Babenpaar noch ein Paar von Wölfen^): wir haben schon 
vorher Baben und Wolf zusammengestellt, ja zusammengesetzt 
kennen lernen. 

Auch die Perser gaben nur einem Vogel solch näheren Be- 
zug auf die Gottheit, dem Wendehals, der lynx. Zu Babylon, 
berichtet Philostrat ^), in dem richterlichen Gemache des Königs 
Mengen von der Decke herab vier goldene lynxbilder, die den- 
selben an Adrastea erinnerten und vor Hoflfahrt warnten; die 
Magier nannten diese Vögel ^eöv 7X«cj<ya<;. Nicht unwahrschein- 
lich, dass , hier der Ursprung jener arabischen Erzählung von den 
, Vögeln liegt, die über dem Throne Salomos mit ausgebreiteten 
Flügeln um ihn zu beschatten schwebten^); das Abendland er- 


1) Schol. zu Apollon. Bhod. Argonaut. I, 1049. Ovid. Metamorph, 
n, 534 sqq. Hesiod. bei dem Schol. zu Find. Pyth. 3, 48. 

2) Aelian. I, 47. Ovid. Fast. II, 247 sqq. Eratosth. Catast. 41. 

3) Herod. IV, 15. [Raben des Elias: 1 Kön. 17.] 

4) Aristoph. Av. 520. 

5) J. Grimms Mythol. S. 134. [Des Teufels zwei Raben: Göthe (Faust) 
12, 127. 41, 279.] 

6) Snorra Edda S. 24. 

7) Ovid. Fast. III, 38 sqq. Liy. I, 4. Dionys. Halle. I, 79; „Martins 
lupus" Liv. X, 27; „Martialis lupus" Horat. Odd. I, 17, 9. 

8) Vita Apollonii I, 25. 

9) 1001 Nacht N. 868 fg. 


EllEA nXEPOENTA. 203 

zählte eben dergleichen von dem Hofe Karls des Grossen*), an 
dem die Herrlichkeit Salomos neu ward*). 

In mehrfacher Weise nun spricht die Gottheit durch diese 
ihre Zungen zu den Menschen, braucht sie ihre Vertrauten, die 
Vögel, die auf und ab zwischen Himmel und Erde fliegen, als 
Boten um hier eineft höheren Willen kund zu thun, um in der 
Himmlischen Namen bald zu rathen, bald zu warnen, bald ein 
unabänderlich zukunftiges Geschick voraus zu zeigen. 

Einzelnen Wandrern wie wandernden ganzen Völkern oder 
Heeren wird von dem Gott ein Vogel gesendet, der ihnen den 
Weg und das Ziel weist. Apollos Habe fährte Battus und die 
Theräer, da sie nach Libyen kamen*), die Picentiner der Specht, 
die Hirpiner der Wolf (der irpm, wie die Samniten sagten*) 
des Mars*); ich habe schon anderswo*) die Vermuthung aus- 
gesprochen, dass sich aus dem Namen der Opiker, denen ein 
Stier vorangieng, als die ursprüngliche Bedeutung von ops der 
Begriff Rind und somit Verwandtschaft dieses lateinischen Wortes 
und des deutschen Ochs ergebe. In Stammsagen der Nieder- 
lande kommen auf die Art. Schwäne vor''); französische Kreuz- 
fahrer im Jahre 1096, um selbst die Leitung ihres Zugs in 
höhere Hand zu legen, stellten an dessen Spitze eine Gans und 
eine Ziege*). Etwas andres, obgleich Jacob Grimm es ebenfalls 
hieherzieht ^), war die Sitte der nordischen Islandfahrer Raben 
als Wegweiser von dem Schiflf aus fliegen zu lassen: denn der 
landsuchende Rabe vertrat ihnen nur den mangelnden Compass^®): 
ein Zweck, um dessentwillen auch die Schiffer von Taprobane 


1) „si sähen, daz die adelaren ouch dar zu gewenit wären, daz si 
scate baren *" Euolandes liet 21, 22. 

2) Ebd. 22, 6. 

8) Callimach. Hymn. in Apoll. 66. 

4) Festus, Epit. Pauli Diaconi. 

5) Niebuhrs Rom. Geschichte I, 103. Paul. Diacou. 2, 19. vgl. 6, 55. 
[Sperber ist Wegweiser Mercurs bei der Entführung der lo, Jupiter selbst: 
Suidas V. 'lo).] 

6) Haupts Zeitschr. IT, 559. IX, 549 (= kl. Schriften 1, 56 Anm. 1). 

7) Deutsche Sagen d. Br. Grimm II, 280 fg. Niederländ. Sagen v. 
VTolf S. 34. 

8) Wilkens Gesch. d. Kreuzzüge I, 96. 

9) Mythol. S. 1093. 

10) Leo in Eaumers Histor. Taschenbuch 1835 S. 888 fgg. 


204 EllKA ilTEPOENTA. 

Vögel mit sich fährten^) und auch Noah den Haben und die 
Tauben fliegen liess*). Wohl aber schliessen sich hier noch die 
sagenhaften Erzählungen an, wie ein Babe, ein Adler, ein Birk- 
huhn die Stätte für einen beabsichtigten Kirchen- oder Burgbau 
zeigt: Babenkirchen in Angeln, Henneberg in Pranken sollen 
davon ihre Namen haben*). Auch das singönde ^Vöglein, das in 
Holstein einen Bauern zu einem Schatz hinführte^), derJSabicht 
Sigurds, der diesem auf einen Thurm entflog und so den Nach- 
steigenden mit Brynhild zusammenbrachte^), der Wendehals, 
den die Griechen zu zauberischer Anziehung und Herbeiziehuhg 
des Geliebten brauchten^), die Schwalbe, die aus Irland nach 
Cornwallis eins von den blonden Haaren der schönen Isot trug 
und so die Liebe des Königs auf das unbekannte Weib hin- 
lenkte (ein Zug, den Gottfried von Strassburg'') mehr verstän- 
dig als dichterisch verwirft): auch diese alle wurden damit Weg- 
weiserinnen. Ein Üeberrest aber des alten Glaubens an solche 
Berathung durch Vögel ist der neuere Gebrauch des Pederauf- 
blasens: zum Thore hinausgekommen, bläst der Wanderer drei 
Federn in die Höhe, und die geradaus fliegt, deren Richtung 
verfolgt er®), oder es sind ihrer drei, die wandern, und jeder 
von ihnen geht seiner Feder nach*): Abkürzung der einstigen 
Pulle des Vorgangs in eine blosse pars pro toto. 

Indess werden von der Gottheit doch nicht bloss Vögel als 
Wegweiser gesendet: wie wir zum Theil bereits gesehen haben, 
brauchen^ sie zu solcher Dienstleistung ebenso oft, ja vielleicht 


1) Plin. HN. VI, 24. 

2) Mose I, 8, 7—12. Cädm. Genes. 1443 fg^. [Daher auch die 
ßaben, die um den Kiffhäuser fliegen: Grimm iSagen 1, 30 (erst wenn die 
Raben verschwinden, Rückkehr in das Leben, wie dort Anlandung).] 

3) Sagen, Märchen u. Lieder d. Herzogthümer Schleswig, Holstein 
u. Lauenburg v. Müllenhoff S. 113. J. Grimms Mythol. S. 1094. 

4) Müllenhoff S. 344. 

5) Völsünga Saga Cp. 32. 

6) Pindar. Pyth. IV, 214 fgg.; Theocrit. Idyll. II; Tzetzes zu Lycophr. 
Cassandra 310. Den Italiern war der lynx-Zauber fremd: sonst würde 
Virgil die Erwähnung desselben mit aus jener Idylle Theocrits in seine 
achte Ecloge herübergenommen haben. 

7) Tristan 8605 fgg. = 217, 17 fgg. 

8) Altd. Wälder I, 91. 

9) Märchen 63; vgl. m, 118. 


EDEA nXEPOENTA. ^ 205 

noch 'öfter andere Thiere, und besonders häufig kommt das Bind 
so vor, ich denke, weil diess der Erde geheiligte, die Erde be- 
zeichnende Thier vor allen andern da am Platze ist, wo es sich 
darum handelt, wandernden und suchenden Menschen ii^endwo 
auf dem festen Grund der Erde ihr Ziel zu zeigen: ich erinnere 
beispielsweise an die schon genannten Opiker, an Cadmus, wie 
er nach Theben kommt*), an die Fahrt der germanischen Nerthus^), 
an die Philister; die dem Volk Israel wiederum die Bundeslade 
schicken^). Anders verhält es sich da, wo den Menschen durch 
ein Vorzeichen Zukünftiges vorausgesagt und ihnen Kunde soll 
gegeben werden, welcher Ausgang eines von ihnen beabsichtigten, 
von ihnen schon begonnenen Unternehmens in dem Kathschluss 
der Götter liege, wo ihnen das Zeichen rathen und anbefehlen 
oder aber sie warnen und ihnen verbieten soll etwas zu thun, 
anders also bei den Augurien und Auspicien. 

Die abergläubische Beachtung und Befragung solcher gebt 
durch alle Zeitalter und sagenhaft auf göttliche und bis in ur- 
weltliche Anfänge zurück : nach griechischer Erzählung haben 
die Menschen von Prometheus'^), nach etruskischer von Tages, 
dem ausgeackerten Enkel Jupiters^), diese und sonst alle Kunst 
der Weissagung empfangen; und geht über den ganzen Erdkreis 
hin: wir finden sie bei den Ureinwohnern Amerikas^) wie bei 
den Israeliten und diesen schon durch das levitische Gesetz 
untersagt'), im Alterthum Europas bei den Griechen, mehr noch 
bei den Völkern des germanischen Stammes®), zumeist aber bei 
den Etruskern und deren Erben und Stellvertretern in all der- 
gleichen Dingen, den Römern. Schliessen wir uns diesen auch 
in der Namengebung an. 


1) Päusan. IX, 12, 1. 19, 4; ApoUodor. III, 4, 1. 

2) „prosequitur" sagt Tac. Germ. cp. 40 von deren Priester, vgl. 
comitantur cap. 10. 

3) Sam. I, 6. 

4) AeschyL Proni. 484 fgg. 

5) Cic. de Divinat. II, 23. Ovid. Metamorph. XV, 553 sqq. Isidor. 
Origg. Vin, 9. Festus u. a. 

6) J. G. Müllers Geschichte d. Amerikan. Urreligionen S^ 278. 

'7) Mose III, 19, 26. [Auch durch die Kirche verurtheilt. Rüge 
Salvians de gu^ernatione dei 6, 2.] 

8) „Auspicia sortesque ut qui maxime obseivant" Tac. Germ. 10. 
Ad. Brem. 2, 38. 


206 ' EHEA nXEPOENTA. 

Die ursprünglich einzige Benennung scheint augurium ge- 
wesen zu sein: deshalb war diess noch später der mehr um- 
fassende, die Anspielen mit in sich schliessende Ausdruck^); 
ampicium kam nur hinzu um den Begriff des etymologisch ver- 
dunkelten älteren Wortes mit neuer Verständlichkeit zu bezeich- 
nen: man war sich des Zusammenhanges nicht mehr bewusst, 
den ^ur mit gustare und dem griechischen Yeuetv, yeuareov 
hat^). Im gewöhnlichen Sprachgebrauche verschwimmen auch 
die beiden Namen ziemlich unterschiedlos: bei strengerer Unter- 
scheidung jedoch, wie freilich der Wortlaut selbst sie nicht be- 
gründet, ist augurium ein gesuchtes, abgewartetes, von der Gott- 
heit erflehtes Zeichen, auspicium dagegen ein solches, auf das 
der Mensch ohne Suchen und Verlangen, ja wider sein Erwarten 
stösst*). Auspicien werden zumal dann beachtet, wenn sie beim 
Aufbruch zu einem bestimmten Geschäfte oder auf dem Weg 
entgegentreten^): an Zeichen dieser Art hat besonders das 
deutsche Mittelalter einen reichen und mannigfaltigen Glauben 
entwickelt: schon Hnikar d. h. OÖin in dem zweiten der alt- 
nordischen SigurÖslieder macht dem Helden deren eine ganze 
Beihe namhaft; das Mittelhochdeutsche zeigt uns dafür auch 
einen eigenen Ausdruck, aneganc^): die Griechen sagten oupt- 
ßoXov und (jufjLßoXoc^). Augurien nun geschehen eigentlich bloss 
durch Vögel; die Vierfüsser sind davon ausgeschlossen und 
namentlich, ebenwie von der Thiersage, die vierfüssigen Thiere 


1) „auspicium — quod ipsum tarnen species augurii est" Serr. zu 
Virg. Aen. I, 398; vgl. Anm. 3. 

2) Auf Deutsch dieselbe Wurzel in den Zeitwörtern kiesen und hosten, 
und kiesen ist in der älteren Sprache sowohl sehen als schmecken, ah- 
stracter prüfen, wählen, wahrnehmen. Servius zu Virg. Aen. V, 523, der 
Festus des Paulus Diac. u. Isidor. Origg. VIII, 9, ja noch Härtung in der 
Religion der Römer I, 99 erklären augur und augurium für zusammen- 
gesetzt mit gerere. Die offenbar nur abgeschliffene Form auger, die 
Priscian I, 6, 36 anführt, kann nicht zur Unterstützung dienen, vgl. Sueton. 
Aug. 7. Ovid. Fast. 1, 611 fg. 

3) Serv. zu Virg. Aen. I, 398. Zu VI, 190 nennt er beides wieder 
nur auguria: „Auguria aut oblativa sunt, quae non poscuntur, aut im- 
petrativa, quae optata veniunfc". 

4) „Auspicia sunt, quae iter facientes observant" Isidgr. Origg. VIII, 9. 

5) J. Grimms Mythol. S. 1072 fg. 
6)-^vo5(ou? oujJißdXoui; Aesch. Prometh. 487. 


EHEA nXEPOENTA. 207 

des Hauses: die germanische Beobachtung der weissen Pferde 
widerspricht dem nicht: diese waren „nuUo mortali opere con- 
tacti"^). Bei den Auspicien aber, die als ungesuchte Zeichen 
in das weitere Gebiet der omina hinüberfliessen^), kommen zu 
den Vögeln mit nicht geringerer Vorbedeutsamkeit auch andre 
Thiere, wie besonders der Wolf ^) und der Hase*), unwillkürliche 
Handlungen der Menschen, wie Niesen^) und Straucheln^), und 
gewisse Menschen selbst*^): „auspicia omnium rerum sunt"^). 
Allen jedoch voran durch ältres und allgemeineres Ansehn stehen 
auch hier die Vögel, und es wird deshalb auspicium, es wird 
ebenso augurium, obschon beide mit avis zusammengesetzt sind, 
es wird das einfache avis selbst auch da gebraucht, wo nicht 
einmal ein Vogel mitwirkt; bei augmtus und dem französischen 
bonheur, malheur, d. h. bonum augurium, mcdum augurium^), 
ist der eigentliche Begriff gar in die Ferne zurückgetreten. Nicht 
anders im Griechischen: weil unter den Vorzeichen der Vogel 
herrscht, beherrscht hier auch sein Name Alles und überall gilt 
oiovoc oder opvic: 

?pvtv TS vofjLt^eTe uotvä' odairep irepl fiavTsta? 5iaxp(vet* 
9T5fjLT) 8' ufifv opvtg' IgtL, TurapjJiov t' opvt^a xaXstxe, 
SufißoXov opvtv, 9(i)VT)v opvtv, J^epotTCOvr' opvtv, ovov opvtv***). 

Aber nicht alle Vögel sind fähig und würdig eine göttliche 
Vorhersagung auszurichten, nicht die zahmen im Hause, die 
gleich den Vierfüssern desselben nicht Unabhängigkeit genug von 
der Einwirkung des Menschen, zu wenige Verbindung mehr mit 


1) Tac. Genn. 10. 

2) Servius zu Virg. Aen. IV, 340. 

3) Plin. HN. VIII, 34. Hör. Odd. III, 27, 3. Sigurdar kvida II, 22. 
Mythol. S. 1075. 1079 fg. 

4) Mythol. S. 1079 fgg. 

5) Geschichte der Formel: Gott helf dir! beym Niesen, Lindau 1787; 
Mythol. S. 1070 fg. Plin. hist. nat. 2, 5. Niesen einer Katze ein böses 
Vorzeichen: Helbling I, 1393; vgl. Berthold S. 303. 

6) Cic. Divin. II, 40. Valer. Max. I, 4, 2; Plin. hist. nat. 2, 5; 
Sigurdar kvida II, 24; vgl. Volkslieder d. Serben v. Talvj I, 240. 

7) Mythol. S. 1074 fgg. 

8) Serv. zu Virg. Aen. in, 20. 

9) Altfranzös. Lieder u. Leiche S. 130. [verschieden davon mala hora 
Greg. Tur. 6, 45^ über augustus vergl. J. Grimm kl. Schriften 1, 303.] 

10) Aristoph. Av. 716 sqq. 


208 ETIFA riTEPOE^TA. 

den üeberirdischen haben : bloss bei den Römern kommen zeichen- 
gebende Hühner vor, und das Zeichen ist ihr Pressen^). Indess 
auch diese wieder bilden kaum eine Ausnahme: denn sie wurden 
eigens und bloss für den heiligen Zweck gehalten, waren kein 
Hausgeflügel. Die Hähne aber von Lebadia, deren Krähen ein- 
mal den Böotiern prophetisch gewesen^), stehen damit ganz ver- 
einzelt. Sonst haben immer nur die wilden Vögel eine Vor- 
bedeutung. Denn mochte man das Zeichen als einen Verrath, 
den der Vogel an der Gottheit übe^), mochte man es, was jedes- 
falls das echtere und ursprüngliche ist, als eine Botschaft be- 
trachten, mit der ein Gott*) und vor allen der höchste der 
Götter*) den Vogel beauftrage, als eine aus göttlichen Gnaden 
kommende Lenkung des Vogelflugs und Bufes^): für das eine 
wie für das andre voll geeignet konnten nur „die Pittige des 
Himmels*' scheinen, die in Freiheit hinauf an den Sitz der Götter 
schweben und je näher demselben, desto gewissere Kunde von 
da herniederbringen''); nur solch ein Vogel, eher ein solcher als 
das fressende Huhn, durfte für eine „intemuntia", einen „interpres 
et satelles Jovis**)" gelten. So war es denn auch in ullem 
Uebrigen bei den Eömern selbst, so bei den Griechen, und 
ebenso war und ist es noch bei den Germanischen Völkern. 

Aber auch nicht sämmtliche Vögel des Himmels ^ringen 
Zeichen: 

^pvtäe^ 5£ re TtoXXol tjtt' auyag 'HeXioto * 

auf bestimmte einzelne unter ihnen wird vorzugsweise gewartet 
und geachtet und ihnen die grössere Bedeutsamkeit beigemessen ^°). 


1) Cic. Div. I, 15. 35. II, 34 sq. Plin. HN. X, 24 u. a. [Der Hahn: 
Griiöin Sagen 1, 202 fg. Pfeiffers Germ. 4, 17.] 

2) Cic. Div. I, 34. II, 26. Plin. a. a. 0. 

3) Ovid. Fast. I, 445 sq. 

4) „eam alitem ea regione cseli et eins dei nuntiam venisse" Liv. I, 
34; Athene II. X, 274; Apollo Odyss. XV, 526. 

5) D. Vni, 247 fgg. XXIV, 310 fgg. Od. ü, 147 fgg. 

6) Xenoph. Memorab. I, 1, 3. Amm. Marcell. XXI, 1; dagegen 
Seneca Quaestion. natur. 11, 32. 

7) Ovid. Fast. I, 447 sq. 

8) Cic. Div. II, 34. 35. 

9) Odyss. II, 182. 
10) Seneca a. a. 0. 


EÜEA nXEPOENTA. 209 

Wie natürlich, sind das solche, die entweder in besonderem Be- 
zug zu irgend einer Gottheit stehen, wie der Adler zu Zeus, 
der Specht zu Mars, der Rabe zu OÖin und Apollo, oder sonst 
in irgendwelcher Art der Auszeichnung und Heiligung geniessen, 
wie die Krähe und der Kuckuck; bei einigen kann erst daraus, 
dass sie Zeichenvögel sind, ein Schluss auf noch sonstiges höheres 
Ansehn gezogen werden. Schon dieser Zusammenhang der 
Augurien und Anspielen mit dem anderweitigen Glauben macht 
es erklärlich, wie im Verlauf der Jahre die Zahl der beachteten 
Vogelarten sich ändern kann (bei den Etruskern war sie grösser 
als bei den Bömem und bei den älteren Bömern grösser als in 
der spätem Zeit^) und wie das eine Volk deren nur wenige, das 
andre desto mehr^) und selbst verwandte Völker keineswegs 
immer die gleichen beachten. Den Griechen obenan steht der 
Adler*), und gemein mit diesen haben ihn die Römer und Ger- 
manen*); Römern und Germanen gemein sind der Specht^), der 
Rabe^), die Krähe'); den Römern besonders eigen scheint der 
Geier®), den Germanen die Elster^) und der Kuckuck. Die 
Letten aber haben sich fast den kleinsten unter allen Vögeln, 


1) PHn. HN. X, 8. 17. 

2) „Externa enim auguria, — videamus. Omnibus fere avibus utuntur, 
nos admodum paucis" Cic. Div. II, 36. 

3) II. VIII, 247 fgg. Xn, 201. XXIV, 315 fgg. Od. II, 148 fgg. 
Aescb. Pers. 205. [Adler Zeus selbst ein Zeichen gebend: Eratostb. Ca- 
tasterism. 30.] 

4) Virg. Aen. I, 394. Liv. I, 34. Cic. Div. I, 47 (vgl. 15 u. II, 8). 
Valer. Max. I, 4, 6. Sueton. Octav. 94. 96. 97. Seneca a. a. 0.; Procop. 
de Bello Vandal. I, 4. J. Grimms Mytbolog. S. 1083. 1086. [Adler bei 
Konradins Hinrichtung: Joh. Vitod. 11. Raumer Gesch. d. Hohenstauf. 
4, 619.] 

5) „principales Latio sunt in auguriis" Plin. X, 20; Mythol. S. 1084. 

6) Val. Max. I, 4, 2 u. 4. Hör. Odd. III, 27, 11. Plin. HN. X, 15. 
Seneca a. a. 0.; Saga Olafs Tryggvasonar Cp. 28. MythoL S. 1074. Diez 
Leben und Werke der Troubadours S. 23. [Rabe Weissage vogel : Wenzig 
slav. Volksl. S. 214 fg.] 

7) Plaut. Asin. II, 1, 12. Cic. Divin. I, 7. 39. Hör. Odd. III, 27, 
16. Plin. X, 14; Mythol. S. 1073 fgg. 1083 fg. Diez a. a. 0. 

8) Liv. I, 7. Plut. Romul. 9. Dionys. HaUcarn. I, 86. IV, 63. 
Sueton. Octav. 95. 

9) Arndtig Reise durch Schweden I, 49. Mythol. S. 1085. Andre 
Belege weiterhin. 

Wackernagel, SchrifteiL III. 14 


2r0 EriEA nXEPOENTA. 

die Meise ansersehn, einen Vogel, der einst auch den Deutschen 
Yorzugsweis heilig gewesen: das alte Becht setzt auf ihren Fang 
in Bannforsten eine auffallend hohe, ja zuweilen die höchste 
Busse ^). Und wie die Alten zuletzt jegliches Vorzeichen au- 
spicium und {^vic nennen, so die Letten, denen die Meise sihle 
heisst, alles und jedes Wahrsagen sihlekt, alle Wahrsager und 
Zeichendeuter sihlneeki und sihlehmP). 

Zweierlei Dinge nun werden an den Vögeln des Himmels 
als Yorbedeutsam in Acht genommen, die Stimme und der Flug, 
„voces Yolatusque*)", jedoch nur an wenigen sowohl das eine als 
das andre: solche sind den Bömern der picus Martins, der feronius, 
die parra^), den germanischen Völkern der Kabe*), die Krähe ^) 
und, wie wir sehen werden, auch der Kuckuck; gewöhnlich gilt 
nur das eine der beiden: die meisten Vögel sind, wie die Römer 
es benannten, nur oscines oder nur alites, geben nur mit ihrer 
Stimme^) oder nur mit ihrem Flug ein Zeichen: als oscines aYes 
werden Yon Festus aufgezählt „corvus, comix, noctua", als alites 
„buteo, sanqualis, aquila, immissulus, Yulturius*^ 

Das Zeichen aber, das sie mit Flug und Stimme geben, ist 
entweder ein gutes oder ein böses, Yerkündet Glück oder Unglück, 
ermuntert und befiehlt oder warnt und Yerbietet. Und zwar 
sind einige stets nur Glücks-, einige stets nur Unglücks vögel; 
schon Prometheus lehrte seine MenBchen zwischen den einen und 
den andern unterscheiden^). Ein Unterschied, der zunächst 
wohl auf die wahrgenommene Eigenart der Vögel sich begründet, 
Yielleicht aber auch auf die Art des Gottes, dem man sie be- 
sonders zugehörig glaubte. Den Letten ist ihre Meise *^), den 


1) „Wer ein sterzmeise fahet, der ist nmb leib und guet und in 
unsers herren ungnad" J. Grimms Weisthümer II, 153; vgl. Mjthol. 
S. 647. [Y^eist. 1, 535. 4, 588. 744. Rechtsalt. 587 fg.] 

2) Stenders Lett. Grammat. S. 269. 

3) Tac. Germ. 10. 

4) Festus V. Oscines ayes. 

5) Vgl. die oben S. 209, Anm. 6 und 7 angeführten SteUen. 

6) ;,ir vogel in vil wol sanc" LieÜänd. Reimchronik 7240; im Alt- 
hochd. wird augupium mit fogalrarta ausgedrückt (Graffs Sprachschatz 
U, 535 fg.): razda aber ist goth. die üebersetzung von XaXuz. 

7) Aesch. Prom. 489 fg. 

8) Stender a. a. 0. S. 270. 


EIIEA nXEPOENTA. 211 

Deutschen der Mäusefalke ^) und der Schwang ein gutes, die 
NacMeule aber Deutschen und Eömern und Letten ein böses 
Vorzeichen*). Und der Kuckuck. Der Kuckuck als Frühlings- 
bote, sein Ruf als die Botschaft des Frühlings ist den Deutschen 
hoch wülkommen : stber das hindert nicht neben dem gleich- 
zeitigen Gesänge der Nachtigall den Kuckucksruf doch übel- 
lautend und thöricht anmasslich zu finden*); man weiss auch, 
wie er seine Eier in fremde Nester legt, man betrachtet ihn 
ausserdem als gierig und geizig*), und wie um all dessen willen 
sein altdeutscher Name gouch ganz gewöhnlich s. v. a. Thor 
bedeutet®), und wie Ehebrecher^), Bastarde®) und sogar die, an 
denen die Ehe gebrochen wird, die Hahnreie*), gleichfalls Gäuche 
heissen, wie im Fluchen Kuckuck selbst ein ausweichendes Wort 
für Teufel ist*®), so gilt sein Herzufliegen**) und unter üm- 


1) Mythol. S. 1075. 1083. 

2) Deutsche Sagen d. Br. Grimm II, 287 fg. Mythol. 1074. [in der 
Bretagne Elster, Eahe nnd Tauhe: Volksl. S. 253. Taube: Fundgruh. 2, 
169. 171.] 

3) Mythol. S. 1075. 1088; Virg. Aen. IV, 462. Ovid. Metam. V, 
550. VI, 432..Plin. HN. X, 16; Stender a. a. 0. [Der Uhu des Herodes 
Agrippa: Josephus Antiq. Jud.] 

4) Walther v. Metz in v. d. Hagens Minnesingern I, 310 b. Eonrads 
von Würzburg Gold. Schmiede 131 fgg. Die deutschen Gesellschaftslieder 
von Hoffmann S. 266 fg. Kollenhagens Proschmeuseler I, 1, 10. Vgl. 
Uhlands Volkslieder S. 45. 

5) Vrldankes Bescheidenheit v. Wilh. Grimm S. LXXXVII fg. Schon 
Plinius HN. X, 11 „avidus ex natura". [Kuckuck auf dem Zepter Heras 
(Paus. 2, 17, 4), aber xoxxu| wie cuculus ein Schimpfwort.] 

6) Ein Priamel des 15ten Jahrh. (Hoffmanns Verzeichniss d. altd. 
Handschriften zu Wien S. 160) „Äff, esel und gauch — Ich wan, das kein 
tor sei, Er hab die namen alle drei", [gouch, äffe, esel: Ges. Abent. 2, 
451. Brants Narrensch. von Zarncke S. XLVD. vergl. das Bild zu Cap. 13. 
esel — gouch: Freid. 140, 9. Boner 99, 71.] 

7) J. Grimm vor Merkels Lex Saüca S. XXXV. 

8) Nib. 810, 1. Haupts Zeitschr. VII, 379. Altd. Wälder I, 46. 

9) Gesichte Philanders v. Sittewald (Strassb. 1650) I, 24. 448. II, 
335. Simplicissimus I, 5, 11. Trutz Simplex Cp. 14. Schluss von Shake- 
speare» Loves Idbours lost. In altfranzösischer Umformung cous, mittel- 
hochdeutsch cüs geschrieben: vgl. J. Grimms Sendschreiben über Beinhart 
Fuchs S. 54. [Cocu u. s. w. Hahnrei : Diez Wörterb. d. rom. Spr. 1, 147.] 

10) Mythol. S. 646. 949. Schon bei Helbling 11, 484 und IV, 800 
huhuk im fluchenden Ausruf. 

11) Paul. Diac. de Gestis Langobard. VT, 55. 

14* 


212 EÜEA nXEPOENTA. 

ständen auch sein Buf^) als ein böses Vorzeichen. Nur den 
Schweden ist letzterer, wenn er von gewisser Seite hei ertönt 
(wir kommen später darauf zurück), eine Glücksverheissung*). 

Gewöhnlich indess verkündigen die Vögel an und für sich 
selbst und lediglich durch ihren Flug oder Ruf weder bloss 
Glück der eine noch der andre bloss Unglück, sondern ein und 
derselbe Vogel kann bald Glücks-, bald Unglücksbote sein: der 
ales je nach der grössern oder geringeren Anzahl, in der er ge- 
flogen kommt, wie in der römischen Sage die zwölf Geier, mit 
denen es ßomulus über die sechse des Bruders gewinnt'), oder 
nach der sinnbildlichen Bedeutsamkeit der Handlung, in der er 
sich plötzlich den Augen der Menschen zeigt, wie dort in der 
Ilias*) der mit der Schlange kämpfende und sie besiegende Adler; 
der oscen je nach dem Klang seiner Stimme, ob der Babe z. B. 
hell und laut^) oder wie ein Gewürgter, schreit®); namentlich 
aber, je nachdem ales und oscen zur rechten oder zur linken 
Seite fliegt und ruft. 

Es sieht das wie eine ganz willkürliche, nach Zufall und 
Laune so bestimmende Satzung aus, um so mehr als von der 
gleichen Seite dem einen Volke die guten, dem andern die 
bösen Vorzeichen kommen. Wirklich äussert auch Cicero^) in 
seiner bloss verständigen Betrachtungsweise solch ein ürtheil. 
Jedoch nur für die Auspicien etwa, für den Aneganc kann man 
in der Entgegensetzung von Links und Eechts eine Art von 
Willkür finden, für die-Augurien nicht. Denn hier ist diese 
Unterscheidung immer zugleich eine Unterscheidung gewisser 


1) „hiure müezens beide esel und den gouch gehoeren, S si enbizzen 
sin" Walth. 73, 31, wo Lachmann das sinnlose „der gouch" zweier Hand- 
schriften nicht hätte festhalten sollen. In Schweden glaubt man, wer 
Kuckuck oder Krähe oder Specht nüchtern höre, werde dadurch bethört: 
Arndts Reise IV, 7. 

2) Christian Gryphius hat eine „Lob-Schrifft des Guckgucks" ver- 
fasst: Poet. Wälder I (1707), 767 fgg. 

3) Liv. I, 7. Plut. Rom. 9. Dionys. Halic. I, 86 fg; 

4) XII, 200 fgg.; nachgeahmt von Cicero in seinem Marius: s. de 
Divin. I, 47. [Ilias 8, 248 fg. Odyss. 2, 148 fgg. Aesch. Pers. 205 fgg. 
Dionys. Halic. 4, 63. Sueton. Octav. 94. 95.] 

5) Saga Olafs Tryggvasonar Cp. 28. 

6) Plin. HN. X, 15. 

7) de Divinat. 11, 36 sqq. 


EHEA nTEPOENTA. »213 

festbestimmter Himmelsgegenden und damit in einer Wirklich- 
keit des Glaubens und der Eeligionsgebräuche begründet. Bei 
den Auspicien freilich mangelt solch ein Bezug, und es ist da 
gleichgültig, nach welcher Seite des Himmels die rechte oder 
die linke Seite des Menschen liege. Daraus folgt aber nur, dass 
der ganze Unterschied erst von den Augurien auf die Auspicien 
übertragen und dass jene Art der Vogelschau die ältere echtere 
und ursprünglich ebenso die einzige gewesen sei, wie auch ihr 
Name der ältere und ursprünglich alleinige ist. 

Das Bechts und Links der Augurien ist wesentlich eins mit 
den beiden Gegensätzen des Sonnenlaufes Osten und Westen; 
religiöser Anschauung nach stehn aber die Vorbedeutungen über- 
haupt und namentlich die zeichenbringenden TMere in mehr- 
fachem Zusammenhang mit der Alles sehenden, Alles wissenden 
Sonne. 

Träume, die man des Morgens oder gegen Morgen hat, 
sind vor allen wahrsagend^): ich denke, nicht aus dem Grunde, 
den Porphyrie angiebt^), „quia tunc jam mens et cibo et potu 
purior est", sondern deshalb, weil da schon die Sonne herauf- 
leuchtet und etwas ihres Lichts auch in den Träumenden er- 
giesst. Ebenso hat der Archipoeta ein Gesicht, das ihn bis in 
den Himmel verzückt, zu Ende der Nacht: „ortus erat lucifer, 
Stella matutina^)". Die Perser opferten der Sonne, der sie 
dienten, Pferde*), und öfters wird bei ihnen heiliger weisser 
Rosse, von Curtius eines grossen Sonnenrosses gedacht^); v^ohl 
von ihnen aus war auch zu den Juden ^) dieser Sonnendienst mit 
Boss und Wagen gelangt: Darius aber ward König der Perser, 
indem sein Pferd zuerst bei Sonnenaufgang wieherte und damit 


1) Plato Crit. 2. Moschus Idyll. II Anf.; Hor. Satir. I, 10, 33. 
Ovid. Herold. XIX, 195 sq.; Ecbasis 227. Eracl. 3723. „Somnia, qu8B 
nobis in mane accidunt, magis videntur significare quam ea, quae aut in 
principio aut in medio noctis accidunt" Theopbilus in Breviario divers, 
artium: Lumen Animaß I, 72. 

2) zu Hor. Sat. I, 10, 33. 

3) Gedichte d. Mittelalters auf K. Friedrich I v. J. Grimm S. 58. 

4) Xenoph. Cyrop. 8. Justin. I, 10. 

5) Herod. I,_189. VH, 55; Gurt. IH, 3. 

6) Kön. n, 23, 11. 


V 


214 EIIEA nXEPOENTA. 

das entscheidende Zeichen gab^). So werden denn auch die 
heiligen weissen Rosse vor dem heiligen Wagen, aus deren 
Wiehern und Knirschen die Germanen Weissagungen schöpften^, 
Bosse der Sonne gewesen sein. Besonders nah jedoch ist der 
Bezug der Vögel auf die Sonne. Bei Homer heisst es ""Opvi^ec 
— TcoXXol W auyoc 'HeXtoio <foixöai^): es ist, als sollte damit 
die wahrsagende Kraft der Vögel aus dem Sonnenlichte hergeleitet 
werden; nach Ennius^) kamen die zwölf Geier, denen Bomulus 
das Königthum verdankte, zugleich mit dem Aufgang der Sonne; 
beide, die Sonne und die Vögel, offenbaren Terborgene ITnthat, 
und wenn Wolfram^) von dem Tage sagt „Stne kläwen durh 
die wölken sint geslagen" und ebenso Ulrich von Thürheim*) 
„daz diu wölken wären grä und der tac stne clä hete geslagen 
durch die naht'S ^o ist der Tag, ist die Sonne selbst als ein 
sich durchreissender Vogel aufgefasst. Von dem Adler, .wie er 
im Licht und Feuer der Sonne sich verjüngt und den Adel 
seiner Brut durch den Blick in die Sonne prüft, haben wir 
schon oben gelesen*). Auch der Phönix war der Sonne heilig "Oi 
und wenn sein Vater gestorben, trug er dessen Leiche®) oder 
das Nest^) nach Heliopolis in Aegypten und bestattete sie dort 
im Sonnentempel, oder aber der Vater starb erst hier bei Sonnen- 
aufgang und die Priester bestatteten ihn^^). Ursprünglich jedoch 
ist kein wirklicher Vogel damit gemeint gewesen, der Phönix 
sollte nur ein chronologisches Sinnbild, wahrscheinlich der Hunds- 
stemperiode von 1461 Jahren sein^^): also auch hier wie dort 


1) Herod. III, 84—86. Justin. I, 10. 

2) Tac. Germ. 10. 

3) Odyss. II, 181. 

4) bei Cic. de Divin. I, 48. 

5) Lieder, Lachm. 4, 8 fg. 

6) J. Grimms Eechtsalterthümer S. 36. 

*) [Mane aatem facto ad orientaletn portam ponnnt aquüam (Sachsen, 
Heerzeichen): Widuk. 1, 12.] 

7) PHn. HN. X, 2. Tac. Ann. VI, 28. vgl. Isid. 12, 7. [Phönix und 
Sonne: Cod. Exon. S. 204 fg. 212.] 

8) Herod. II, 73. 

9) Plin. n. Tac. a. a. 0. 

10) HorapoUo H, 57. 

11) Idelers Handbuch d. Chronologie I, 183—186. Vgl. Plin. a. a. 0. 
und Solinus cp. 36. 


* EIIEA HTEPOENTA. 215 

bei den altdeutschen Dichtern der Vogel eine Verbildlichung der 
Sonne selbst; Horapollo^) bezeichnet den Phönix lediglich als 
eine solche. 

Auf dem Grunde nun dieses Zusanunentreffens beruht der 
Gebrauch, dass, wer die Augur ien beobachtet, dabei auf die 
Himmelsgegenden d. h. auf den Gang und Stand der Sonne 
Rücksicht nimmt. So die Schweden: Bufen des Kuckucks von 
Norden her bedeutet für das beginnende Jahr Trauer, von Osten 
und Westen Glück, von Süden Fruchtbarkeit: 

Ostergök är tröstegök, 
Westergök är bästa gök, 
Norrgök är sorggök, 
Sörgök är smörgök*). 

Wätrend hier Jedoch allen vier Seiten ihre Bedeutung und die 
schlimme Bedeutung dem Norden gegeben wird, kommen sonst 
als gut oder böse nur Osten und Westen in Betracht*), und die 
zwei andern Himmelsgegenden bestimmen bloss die Richtung, 
nach welcher hin der Schauende sich wendet. 

Die Griechen kehrten bei der Vogelschau das Antlitz nach 
Norden, der Seite des Himmels, die allen Völkern des grossen 
Indogermanischen Stammes besonders heilig war: dort lag für ' 
sie der Berg, der ihnen als Wohnsitz der Götter und Mittel- 
punkt der Welt erschien^), den Indern der Meru*), den* Persern 
der Albordsch d. i. der Caucasus, eben dieser den Babyloniem*), 
den Griechen der thessalische Olymp: hieraus erklärt sich, wes- 
halb avd) zugleich s. v. a. nordwärts bedeutet. Auch die Italier 
dachten sich, wennschon eines Berges dabei nicht erwähnt wird, 
die Götter im Norden wohnend^). Vorzüglich aber und in der 


1) I, 34. 35. 

2) Ostgauch ist Trostgauch, VTestgauch ist bester Gauch, Nordgauch 
ist Sorgengauch, Südgauch ist Buttergauch: Arndts Beise IV, 6. 

*) [Osten und Westen gut und böse: Karajans Ged. d. 12. Jahrh. 
S. 28 fg.] 

3) Gesenius Jesaia in, 316 — 326: Von d. Götterberge im Norden, 
nach d. Mythen d. asiatischen Völker. 

4) Bohlen, ^as alte Indien 11, 210; Georgii, Alte Geographie I, 
326 fg. 

5) Jes. XIV, 13; vgl. Hesek. I, 4. XXVIII, 14. 

6) Varro bei Festus v. Sinistrae aves; Servius zu Virg. Aen. II, 693. 
Vgl. 0. Müllers Etrusker II, 126 fg. 


216 EIIEA nXEPOENTA. 

mannigfachsten Weise belegt finden wir diese Heiligung des 
Nordens bei den germanischen Völkern. Nordwärts schauten 
die Heiden, wie die Christen ostwärts, beim Gebet ^), nordwärts 
beim Gesang eines Zauberliedes ^, nordwärts bei Eid und Opfer ^), 
und wie jede Hinrichtung eigentlich nur als Sühnopfer gemeint 
war, so bestinmien auch die Kechtsbücher der alten Friesen als 
Galgen einen nordwärts stehenden Baum^) und bei den Scan- 
dinaviem hatte der angeklagte Verbrecher seinen Platz vor Ge- 
richt auf der Nordseite ^). Dort wohnten eben auch ihnen ihre 
Götter: neben Island und Grönland ward von noch einer hoch 
im Norden gelegenen Insel des Namens Hälagland d. i. heiliges 
Land erzählt^), das Nordlicht oder auch der lange nachtlose Tag 
jener Weltgegend war den Germanen eine Göttererscheinung voll 
Glanzes und Klanges '), und die Lex Baiwarioruni^) schreibt den 
Axtwurf, der die Grenzen eines Gehöftes bezeichnen soU, aus- 
drücklich nur für den Osten und Westen und Süden vor: nord- 
wärts wäre er gleichsam ein Wurf nach der Gottheit gewesen. 
Dahin also-, betend und der Gnade des Gottes wartend, hielten 
die Griechen bei der Vogelschau das Antlitz gewendet: so war 
Osten, der Aufgang der Sonne, ihnen zur rechten, der Westea, 
wo dag Licht uns verlässt, zur linken Seite*), und je nachdem 
die Vögßl ihren Plug von dort oder von hier aus nahmen, 

dx' iizX b&iC tüXJt upö« 'Hö T 'HAtdv re, 

dr iiz aptatepa ToCye ttotI ^d90v iQepdevTa'), 


1) J. Grimms Mythol. S. 30. [dagegen: Gott im Osten Cädmons 
Genes. 555. Gott im Südosten sitzend: ebenda 667. Christus am jüngsten 
Tage wie die Sonne von Südosten, von Osten: Cynewulf 901. 907. — 
Beim Gebet Verneigung nach allen vier Seiten: Dietrich russ. Volksm. 
S. 20. 23. 42. 149. 164.] 

2) Vegtams kvida Str. 9. 

3) J. Grimms Eechtsalterth. S. 808. 

4) Bichthofens Fries. Kechtsquellen S. 955 b. 

5) Rechtsalterthümer a. a. 0. [Norden die Teufelsseite: Bouterweck 
Cädraoh 1, 291.] 

6) Adam v. Bremen IV, 37. 

7) Tac. Germ. 45. 

8) XI, 6, 2. 

*) [axatd? links und westlich. Hades ^SoTzzpoq ^ed«: Soph. Oed. 
Tyr. 178.] 

9) II. Xn, 239 fg. 


EHEA ÜTEPOENTA. 217 

nach dem unterschied sich die Bedeutung: die rechten Zeichen 
waren gute, im Augurium und dann auch im Auspicium*), die 
linken, rechtshin gehenden böse^). In Folge hievon sind Se^ioc 
und eucSvufJLOC und api^Tepoc überhaupt s. v. a. Glück oder Un- 
glück Terheissend^), die letzteren Ausdrücke beide euphemistisch: 
denn apLaT6p6<; kann doch nur eine neue Steigerung von SptaTOC 
sein. Auch exspa als Benennung der linken Hand ist vielleicht 
ein Euphemismus, einer von der Art, wo nur dem eigentlichen 
Namen ausgewichen wird, oder es soll einfach die rechte als die 
erste, die vorzüglichere bezeichnen. Denn in den mannigfach- 
sten Verhältnissen des thätigen Lebens selbst und des Alltags- 
lebens hat nun die rechte Hand, die rechte Seite*) den Vorzug 
vor der linken: Passows Wörterbuch unter ht^i6<; giebt davon 
genügende Beispiele. 

Denselben Unterschied zwischen Bechts und Links als die 
Griechen und aus demselben Grund und Anlass*) machen die 
Gennanen und die halbgermanischen Völker des Mittelalters und 
der neueren Zeit, den Unterschied zwischen rechten und linken 
Vogelzeichen ^) und den des Bechten und des Linken überhaupt 


1) II. X, 275. XXIV, 312. 320; Od. XV, 160. 164. 525. 

2) II. XII, 201; Od. n, 154. XX, 242. 

3) z. B. Aeschyl. Prometh. 489 fg. 

*) [rechtshin gewendet beten: Theogn. 922. nicht gegen die Sonne 
hin pissen: Hesiod. op. et d. 672.] 

4) In eigenthümlicher Weise zeigt den Bezug noch der Auspicien anf 
den Sonnenlauf ein von J. Grimm (Mythol. 1835, Anhang S. LXXIII, 158) 
angeführter Aberglaube: „Schreit eine Elster Vormittags auf dem Kranken- 
hause sitzend und man sieht sie von vomen, so ist die Bedeutung gut; 
schreit sie Nachmittags und man sieht sie von hinten, schlimm". Also 
Auf- und Niedergang der Sonne, und nimmt man die heiden auch hier 
als rechts und links gelegen, so erscheint die entgegenschauende Elster 
wie vom Norden her, von den Göttern ausgesendet. 

5) J. Grimms Mythol. S. 1083 u. Gesch. d. Deutschen Sprache U» 
985. Im alten Epos vom Cid Z. 11 fg. „A la exida de Vivar ovieron la 
comeia diestra, E entrando a Burgos ovieron la siniestra'^. Eine hier ein- 
schlagende Erzählung, die 32ste der Cento novelle antiche, erlaube man 
mir in vollständiger üebersetzung mitzutheilen. „Herr Imberal von Balzo, 
ein gewaltiger CasteUan in der Provence, hatte nach spanischer Weise 
immer gross Acht auf die Vogelzeichen , wie es denn auch ein spanischer 
Philosoph Namens Pythagoras gewesen ist, der ein Buch über Astronomie 
schrieb, worin nach den zwölf himhilischen Zeichen viele Vorbedeutungen 


218 ETIEA HTEPOENTA. 

als des Guten und des Bdsen, des Bessern und des Geringeren^): 
in letzterm Bezug ward die eigne alte Ueberlieferung noch ver- 
stärkt durch, die übereinstimmende Gewährschaft der heiligen 
Schrift, die den gleichen Gegensatz kennt ^. Und wie die grie- 
chische giebt nun auch die deutsche Sprache der Linken gern 
eine euphemistische Benennung: das althochd. winistar, mittel- 
hochd. winster, das auch sonst der vorwiegende Ausdruck der 
älteren Mundarten ist, kann doch nur, wieder als eine gehäufte 
Steigerungsform, zu der Wurzel von wini, das den Geliebten, 
den Freund bezeichnet, gehören, derselben Wurzel, die im lat. 
venia, in veneror, vielleicht auch in Venus und dem bloss ein- 
mal gesteigerten vemistm vorliegt. Der eigentlich altdeutsche 
Name der Bechten ist Ein Wort mit dem griechischen Se^töc, 
dem lat. dexter: im Gothischen taihsvo, im Althochd. zesatoa, 
im Mlttelhochd. zeswe, von teiha zeige an, griech. Se{xvu|xi, lat. 


der Thiere standen, wenn die Vögel sich beissen, wenn man auf dem Weg 
eine Wiesel triflEt, wenn das Feuer knistert, und von den Hähern und von 
den Elstern und von den Krähen, und so von vielen Thieren viele Vor- 
bedeutungen nach dem Wechsel des Mondes. Herr Imberal also ritt eines 
Tages mit seinem Gefolge aus und gab immer auf jene Vögel Acht, weil 
er fürchtete auf ein Vorzeichen zu stossen. Da fand er ein Weib auf der 
Strasse und fragte sie und sprach „Sage mir, Frau, hast du diesen Morgen 
jenerlei Vögel getroffen oder gesehen wie Raben oder Krähen oder Elstern" ? 
Das Weib antwortete „Herr, ich habe eine "Krähe auf einem Weidenstumpf 
sitzen sehen". „Nun sage mir, Frau, nach welcher Seite hielt sie den 
Schwanz gewendet"? Das Weib antwortete „Herr, sie hielt ihn gegen 
den Steiss gewendet". Da fürchtete Herr Imberal das Vorzeichen und 
sprach zu seinem Gefolge „Behüte Gott! nach diesem Vorzeichen darf ich 
weder heut noch morgen reiten". Nachmals ward diese Geschichte in der 
Provence viel erzählt wegen der ganz neuen Antwort, die das Weib ge- 
geben hatte ohne sich dabei etwas zu denken". 

1) Beispiele aus dem deutschen Mittelalter Notker zu Ps. CXXXVI, 
5 „ dexter a daz ist setema vita, also ouh sinistra ist praesens vita"; Hart- 
manns Erec 7905 (wo anstatt „zuo der vinstern want" zu lesen ist „zuo 
der winstem hant"); Walther 83, 32 u. 123, 22 (wo wiederum „vinstern" 
in „winstern" zu bessern); Heinrichs Krone 19110; Reinbots Georg 2769 
(„vinster" 1. „winstem"); Renner 8194 und 12431 fgg. [daz winster (Eb. 
vihster) viur Singenb. 217, 14. daz ist iegelichemo daz zesewä, daz er 
gechiuaet unde irwelet: Notker Ps. 108, 6. Den Kindern die rechte Hand 
das schöne Händlein genannt. — tvirsa hand? Heiland 54, 3. 75, 9. 
romanische Benennungen der linken Hand Diez Wörterb. 2, 317.] 

2) Mose 1, 48, 13 fgg. Pred. Sal. X, 2. Matth. XXV, 33 fgg. Jon. 4, 11? 


EIIEA IITEPOENTA. 219 

dico; erst seit dem Jahre 1200 etwa kommt allmälich auch 
rekt oder gereht auf: es ward also die Bezeichnung des sittlich 
guten auf die Hand übertragen, der zur Seite das gute Vor- 
zeichen steht. Die Ausdrücke hezzer hant und vordere hant^) 
mögen im gleichen Sinne auf den Vorrang der Bechten vor der 
Linken zielen. Alles das übereinstimmend mit dem Brauch der 
Griechen : darin jedoch weicht unser Alterthum von dem grie- 
chischen ab, dass, wenn der Vogel vorüberfliegt, nicht die Seite, 
von der er kommt, sondern diejenige entscheidend ist, nach 
welcher hin er den Weg nimmt ^). Auffallend, da es eigentlich 
in geradem Widerspruch zu der ganzen gläubigen und auch zu 
jener abergläubischen Beachtung des Sonnenlaufes steht, die 
z. B. den ausfahrenden Shetländischen Schiffer stets sein Boot 
von Osten nach Westen und nur, wenn er Unglück stiften will, 
in entgegengesetzter Richtung wenden lässt^). 

So Griechen und Deutsche und schon zur Bomerzeit noch 
andre Barbaren*). Die Römer selbst dagegen kehrten bei der 
Vogelschau das Angesicht gen Süden ^), den Rücken nordwärts: 
dort war ihnen die antica, hier die postica% ganz wie die Bai- 
rische, hie und da auch die Schweizer Mundart hinter und hinten 
von der nördlichen, vorn von der Südseite braucht'). Diese 
Stellung nahmen aber die Römer nicht sowohl deshalb ein, weil 
der Süden die sonnige warme Seite der Welt, als wiederum weil 


1) Geschichte d. Deutschen Spr. 11, 987. Reinke de Yos GL 1, 12, 16 
(zu Z. 939). to der lochteren hant 948. 

2) Vgl. die Stellen in der Mythol. S. 1074. lOSS und der Gesch. d. 
Deutschen Spr. II, 984 fg. 

3) Arndts Nehenstunden S. 389—391. 455—457. 

4) „Graiis et barharis dextra meliora" Cic. de Divin. II, 39. Welche 
Barbaren Cicero zunächst im Sinne habe, ergiebt sich aus der wiederhol- 
ten Bezugnahme seiner Schrift auf den König Deiotarus und aus der 
namentlichen Anführung I, 15: „Cilicibus, Pamphyliis, Pisidis, Iiyciis". 

5) Liv. I„ 18.' Plut. Numa 7; Cic. Div. I, 17. 
. 6) Varro de Ling. Lat. VII, 7. 

7) Schmelleisß Bayerisches Wörterb. I, 218 fg. 704; Stalders Landes- 
sprachen d. Schweiz S. 234. [hinten im Norden Göthe Eleg. 1, 7.] Aber 
den gleichen Baiern ist der vordere Wind der Ost, der hintere der West- 
wind (Schmeller I, 219. IV, 109); ebenso in der Odyssee XIII, 241 ixeTOicta^e 
Ttorl £o9ov : in andrer Form wieder die natürliche Bevorzugung des Sonnen- 
aufgangs. 


220 EIBEA ITTEPOENTA. 

der Norden der Sitz der Götter ist: sie wollten die Dinge gleich- 
sam auch von dem Standpunkte der Gdtter aus betrachten und 
die Sichtung und Ordnung der Zeichen, welche sie von denselben 
erflehten, nicht menschlich yerkehrenl Und nun, wie Yarro 
sagt^), „A deorum sede cum in meridiem spectes, ad sinistram 
sunt partes mundi exorientes, ad dexteram occidentes^': daher, 
wie er fortfährt, „factum arbitror, ut sinistra meliora auspida 
quam dextera esse existimentur^*: den Bömem yerhiessen die 
linken Vorzeichen Glück ^, die rechten also Unglück: die linken, 
d. h. wie dort im Mittelalter nicht solche, die von der Linken, 
von Osten aus, sondern die hin nach Osten, nach der Linken 
sich bewegten, „obitu a solis nitidos ad ortus')^^ Unzweifelhaft 
jedoch hat bei den Bömem ausser der südlichen Richtung des 
Schauenden ebenfalls die nördliche gegolten, die den Untergang 
der Sonne und damit die bdsen Zeichen links, die guten rechts- 
hin brachte^): der Unterschied beider mag ein nationaler, jene 
Sichtung die von den Etruskern angenommene, diese die ursprüng- 
lich pelasgische gewesen sein. Derselbe Festus, nach welchem*) 
das linke ein „Isetum et prosperum auspicium^S ^S^ uqs^) 
„Dextra auspicia prospera" : bei einigen Vögeln wenigstens ward 
es immer so gehalten^), wie namentlich dem Sahen und der 
parra^). Auch haben bei weiter ausgedehnter Anwendung fei^t??^ 


1) bei Festus V. SinistraB aves; derselbe de Ling. Lat. VII, 7 „sinistra 
ab Oriente, dextra ab occasu". Plin. HN. II, 55 „Iseva parte mundi 
ort US est". 

2) Festus V. Sinistrum; Servius zu Virg. Aen. 11, 693. „Lseva avis" 
Ennius bei Cic. de Div. I, 48; „sinistra comix" Virg. Eclog. IX, 15. [quae 
sinistra sunt, bona auspicia existimantur: Varro L. L. 7, 97. Seaevam 
Yolgus quidem et in bona et in mala re vocat, cum aiunt bonam et malam 
sesBvam. At scriptores in mala ponere consueverunt, ut apud Groecos in- 
venitur positum: Festus.] 

3) Cic. Div. I, 47; Flut. Numa 7. 

4) Serv. äu Virg. Aen. II, 54. 693. IX, 631. 

5) Epit. PauH Diac. 

6) „aliis a lseva, aliis a dextra datum est avibus, ut ratum auspi- 
cium facere possint" Cic. Div. II, 38. 

7) „comicem a lasva, corvum a dextra" Cic. Div. I, 7. 39; »picus et 
cornix ab IsBva, corvos, parra ab dextera consuadent" Plaut. Asin. 11, 1, 
12. Dass mit der rechten hier ursprünglich auch die Ostseite gemeint ge- 
wesen, zeigt Horat. Odd. lU, 27, 12 „Oscinem corvum prece snscitabo 
solis ab ortu". 


EHEA ÜTEPOENTA. 221 

und sinister^) nicht bloss den Sinn vo.n gut und günstig^), 
sondern ebenso wohl, ja noch viel gewöhnlicher den gerade ent- 
gegengesetzten^), denselben Sinn des Ungünstigen und Bösen, 
den euphemistisch wie Ixepa auch das Wort alter bezeichnet*); 
dexter aber wird immer nur in gutem Sinne gebraucht, und die 
rechte Hand ist den Bömern nicht weniger als den Griechen 
und den Deutschen eine Bürginn der Treue. 

Augurien und Anspielen sind jedoch nicht der einzige Weg, 
auf welchem der Wille der Gottheit; ihr Befehl oder ihre 
Warnung, den Menschen durch Vögel kundgethan wird. Dort 
in Aeschylus Tragödie, wo der gefesselte Prometheus all das 
Gute, das er seine Menschen gelehrt, und darunter auch die 
mannigfaltigen Arten der Weissagekunst aufzählt, nennt er als 
erste derselben und noch vor der Deutung der Vogelzeichen die^ 
Traumdeutung^). Und in der That gehören beide auch insofern 
allemächst zusammen, als in den Träumen, die gleich den 
meisten der Vorzeichen von dcon höchsten der Gatter selbst, von 
Zeus gesendet werden ^), es ebenwie bei den Vorzeichen vor allen 
andern Erscheinungen Vögel sind, die der Gottheit als Boten 
ihrer Vorherverkündigung dienen. Zuvorderst kommt auch hier 
der Adler vor, er allßin'') oder in bedeutsamer Verbindung mit 


1) Sinister eine gehäuft steigernde, in der Schlusssylbe comparati- 
vische Bildung wie dexter, wie deStrepo^ und apiarepoc und althochd. 
winistar; vgl, neben dem hochd. recht das mittelniederl. rechter: J. Grimms 
Gesch. d. Deutschen Spr. II, 988. Das von Festus v. SinistrsB aves ange- 
führte sintHimus hat etwas Ungrammatisches: der Ausgang dieser Form 
ist superlativisch, und doch handelt es sich hier überall nur um die Ver- 
gleichung zweier, [comitia siniatima: Varro L. L. 7, 97.] 

2) Virg. Georg. IV, 7; Cic. Div. II, 39. 

3) Es bedarf noch der Untersuchung, inwiefern etwa bei dieser Wan- 
delung der Begriffe der Einfluss des griech. Sprachgebrauches mitgewirkt 
habe. Oifenbar folgt letzterm z B. Horaz, wenn er Odd. HI, 27, 15 sagt 
„Teque nee Isevus vetet ire picus nee vaga cornix": denn nach römischer 
Anschauung ist der* Specht zur Linken ein rathendes, nicht ein abrathen- 
des Auspicium: s. S. 220, 7. 

4) Festus, epit. Pauli Diac. 

5) Z. 485 fg. 

6) II. I, 63. II, 6. 

7) Atla mal 19. Leg. aur. 239. [im ags. Adler: Andreas 865. Rabe: 
Lamb. Ann. 1074.] 


222 EITEA nXEPOENTA. 

anderen Vögeln, mit Gänsen*) oder mit Falken*); nächst dem 
Adler der ihm verwandte Falke oder Sperber oder Habicht'); 
einmal ein Habicht, der ein Paar von Tauben aus einander 
jagt*), und auch anderswo, aber in friedlicherer Weise, Tauben^). 
Eöniginn Ute träumt überhaupt* nur ^), „wie allez daz gefügele 
in disme lande wsere töt^^ 

In solcher Art, mit all solchem Wirken, Wirken bis in das 
Dämmerlicht des Traumes hinein, sind die Vögel die vertrauten 


1) Odyss. XIX, 536 fgg. 

2) Nib. 13; Wolfs und Hofoianns Primavera y Flor de Bpmances 11, 
315. Der Falke ist neben dem Adler der geringere, der ihm unterliegende 
Vogel: Dietrichs Kämpfe Str. 559. Krieg v. Wartb. Minnes. U, 5 b. 
Konrad v. Würzb. ebd. S. 334 fg. Neidhart S. XXVI („joch ist iuwer 
trüt under valken niht ein ar" : vgl. £v Sipvtjtv aUro? Pind. Pyth. V, 105. 
„dt bist ir aller are** Genesis, Fundgr. II, 77, 29). Darum auch ist das 
von Atossa (Aesch. Pers. 205 fgg.) gesehene Vorzeichen, ein Adler, den ein 
Falke zerrauft, so erschreckend. Wenn gleichwohl dort in den Nibelungen 
und in der altspanischen Bomanze der von Adlern erwürgte Falke gerade 
die höchsten aller Helden bedeutet, Siegfried und Roland, so sind das 
eben Traumgesichte von Jungfrauen und die Helden deren Geliebte; Jung- 
frauen aber pflegten sich zur Lust gezähmte Falken oder Sperber zu halten 
(v. d. Hagens Gesammtabenteuer II , 26), und solch ein „spilvogel^ als 
Sinnbild des GeUebten kommt auch sonst in de^ Dichtung öfters vor: 
Kürenberg Minnes. I^ 97 b. D. v. Aist ebenda 99 a. Heinr. v. MügHn 
Lied VI. Hätzlerinn S. 47 b. Auch in dem Traume Gudruns Völs. Saga 
Cp. 33 erscheint Sigurd als Falke: nur fehlen hier die ermordenden Adler; 
die goldfarbigen Federn desselben erinnern an Kürenbergs „dd — ich im 
sin gevidere mit golde wol bewant* und die Worte des Falken in der 
Fabel Altd. Wald. HI, 236 „unt wasre von golde mir min gevidere durch- 
slagen" : ebenso der Babe K. Oswalds Z. 437 „ heiz mir beslahen daz ge- 
videre ' min — allez mit guotem rotem golt " (vgl. Haupts Zeitschr. H, 
95). In dem Volksliede bei Uhland S. 52 geschieht das Gleiche einer 
Nachtigall, in einem Meistergesänge, der weiter unten mitzutheilen ist, 
zahllosen Vögeln überhaupt: denn auch der beidemal hier gebrauchte 
Ausdruck beschneiden ist s. v. a. mit Geschmeide beschlagen, entstellt aus 
beschmeiden, [Falke über andere Vögel: Liudpr. Hist. Ott. 17. Gr. Rud. 
S. 46. Dietr. Russ. Volksm. S. 220. 224. 243. Talvj 1, 201 (215). Aesch. 
Prom. 857. Suppl. 224.] 

3) Güdrunar kvida H, 40. Völsünga Saga Cp. 33. Morolt 2879. 
Ruother 3847. Guiraut v. Bomeil bei Raynouard, Troubad. IH, 310. 
Bekkers Fierabr. S. XXXI b. 

4) Konrads Flore 1089 fgg. 

5) Gregor. Turon. IH, 15. 

6) Nib. 1449, 4. 


EnEA IITEPOENTA. 223 

Mitwisser der Götter, und ihre schnelle plötzliche Gegenwärtig- 
keit in deren Dienst und mit deren Botschaft vertritt und ver- 
anschaulicht dem Menschen die noch voUkommnere Allgegenwart 
und Allwissenheit der Götter selbst. Dieser enge Zusammen- 
hang der beiden hat es der dichtenden und noch mehr der bil- 
denden Eunst des Alterthums nahe gelegt, die besonderen Merk- 
male eines Gottes auch auf den ihm dienenden Yogel, namentlich 
aber das bezeichnende Eigenthum der Vögel, den Flügelschmuck, 
auf die Götter zu übertragen. Ein Beispiel des Erstem (man 
mag damit den altmexicanischen Gebrauch vergleichen, wonach 
der Priester die Kleidung und selbst den Namen seiner Gottheit 
trug ^) ist die Eule mit dem Helm und dem Schild, ja mit dem 
Kopfe der Minerva ^), ein Beispiel des Letztem vielleicht Hermes 
mit seinen Flügelschuhen; vielleicht: wir werden diesen Gegen- 
stand gleich nachher noch anders zu fassen suchen. Sonst pflegt 
die antike Kunst bloss unteren Gottheiten Flügel zu geben, 
solchen, die gleich den Vögeln nur Diener und Boten der höheren 
und eigentlich herrschenden sind, wie der Nike und mit ihr 
auch der Athene Nike') und vielen anderen jener Wesen, die 
wir gewohnt sind in den Namen der Genien zusammenzufassen. 
An die geflügelten Genien des griechisch-römischen Alterthumes 
schliessen sich im Mittelalter die geflügelten Personificierungen 
abstracter Begriffe, wie des Rechtes *), der Ehe*), der Untreue*), 
zumal aber, aller Kunst und aller Welt geläufig, die geflügelten 
Engel ^), an diese wiederum der Teufel mit Flügeln''). Ausser- 


1) Geschichte der Amerikanischen Urreligionen v. J. G. Müller 
S. 616. 649. 

2) 0. Müllers Handbuch d. Archäologie § 371, 9. 

3) 0. Müller § 334, 2, 370, 7. [Geflügelte und fliegende Gottheiten: 
Aristoph. Av. 572 fgg. Sirenen: Paulys Real-Encycl. 6, 1215. 0. Müller 
§ 393, 4. Piper 1, 1, 378 fg. Eros (Ht^ü)?): J. Grimm, kl. Schrift. 
2, 317.] 

4) Haupts Zeitschr. f. Deutsches Alterthum VTI, 144. 

5) Renner 4493 fgg. 

6) Mein Programm über die goldene Altartafel von Basel 8. 14 fg. 
(= oben Bd. 1, S. 393 fg.). Die fliegenden Engel auf der Grablegung 
von Tilmann Riemenschneider zu Maidbrunn 1525 sind auch über den 
ganzen Leib befiedert. 

7) Beispiel eine Miniatur des lOten Jahrhund, bei Didron, Histoire 
de Dieu pg. 163. helle dedfol . . on lyft läcende: Elene 900. 


224 EDEA nXEPOBNTA. 

dem mag noch an ein geschmackloseres Gegenstück jener Eule 
mit dem Minervenkopfe, das hier öfters vorkommt, erinnert wer- 
den, die Hinüberziehung der vier Evangelisten in die Gestalt 
ihrer Zeichen und Begleiter, so dass z. B. Johannes mit dem 
Kopf eines Adlers erscheint^). Aus Aegypten braucht das nicht 
gekommen zu sein: wie ganz gewöhnlich auch solche Mischung 
von Menschen- und Tlüergestalt in der Kunst der Aegypter ist 
(Phtha z. B. trägt auf menschlichem Leibe den Kopf eines 
Sperbers, Thoth einen Ibiskopf ^, es ist eben nur an beiden 
Orten aus dem gleichen Anlass die gleiche Wirkung hervor- 
gegangen. 

Aber das Alterthum verleiht seinen Gittern nicht allein den 
Schmuck der Flügel und das nur als Sinnbild und in Bild- 
werken: genug Sagen lassen auch Götter und halbgöttliche 
Wesen vorübergehend die vollkommene Vogelgestalt annehmen, 
ein griechischer Mythus z. B. den Zeus, da er um Heren warb^), 
ein polnischer den Zywie, „supremum hunc mundi moderatorem", 
damit er den Lenz verkünde *), die eines Kuckucks ; ebenso ver- 
wandelt sich Zeus um den schönen Ganymed zu entführen in 
einen Adler ^) (nach andrer Erzählung*) war es sein Diener der 
Adler, den er dazu aussandte), Here und Athene vor Troja sich 
in Tauben''), Athene 4n eine Schwalbe®), Leucothea in ein 
Wasserhuhn^), und Hypnos sitzt als Nachthabicht auf einer 
Tanne des Ida^^). Der Vogel, der im Eingange der Helga 


1) Münters Sinnbilder I, 45; Denkmäler der Malerei von Seronx 
d' Aginconrt, Ausg. v. Quast, Taf. XLVH, 2 u. CXXXUI, 3 u. a. 

2) Gemälde y. Aegypten nach ChampoUion-Figeac S. 422 fg. 

3) Pausan. 11, 17, 4. 

4) J. Grimms Mythol. S. 643. 

5) Oyid. Metamorph. X, 157 sqq. 

6) Apollod. Biblioth. III, 12, 2. Eratosth. Catasterism. 30. 

7) IL V, 778. 

8) Odyss. XXII, 239. 

9) Od. V, 337. 

10) IL XIV, 290. [Zeus als Schwan bei Leda; als Sperber, vgL oben 
S. 203 Anmerkg. 5; als Kuckuck bei Hera: Paus, 2, 17, 4. Charos 
Schwalbe: Fauriel 2, 112. In der Bretagne sind jedem Haus zwei Baben 
als Genien der zwei Familienhäupter eigen, deren Tod verkündigend, mit 
dem Begräbniss davonfliegend: Souvestre, les demiers Bretons 1, 181. Elf 
in einen Habicht verwandelt: Schwed. Märchen S. 135. Biese in einen 


EIJEA nTEPOENTA. 225 

kviöa Hiörvarös sonar dem jungen Atli guten ßath zusingt, ist 
auch ein Gott, nur in Vogelgestalt: denn er verlangt für seinen 
ßath Tempel und Opfer; und öfters kommen in Erzählungen 
des deutschen Mittelalters Vögel vor, die eigentlich Engel, Engel 
als Boten Gottes sind^). In den englischen Gestis Romanorum 
singt einmal ^) ein Unheil verkündender Dämon lieblich als Vogel, 
und wenn in Baiern die Nachteule auch Wichtlein oder Holz-, 
weiblein oder Nachtweiblein heisst ^), so ist damit gleichfalls eine 
Verwandlung dieser dämonischen Wesen in den Vogel aus- 
gedrückt. 

* 

Gemäss dem schon anderswo*) von mir besprochenen Zu- 
sammenhange, der in Mythus und Sprache zwischen den Be- 
griffen Leib und Kleid besteht, wird der Uebergang in die 
Vogelgestalt gern auf naiv anschauliche Weise als Anlegen eines 
Pederkleides, gleichsam als TJmkleidung in den Vogel dargestellt. 
Oefters so in den Sagen des Nordens. Oöin, nachdem er den 
Meth der Dichtkunst getrunken, fährt in ein Adlerkleid (arnar 
kam) und fliegt davon und ebenso ihm nach der Biese Suttung^). 
Prigg^) und Preyja'') haben Palkenkleider (vals harn): Loki 
borgt ihnen dieselben wiederholendlich ab; das einemal verfolgt 
ihn Thiassi der Riese in seinem arnar ham^). Die Tochter 
aber des Riesen Hrimni, die als Oöins Botinn dem Könige Reri 
einen Apfel bringen soll, schwingt um zu fliegen ein Krähenkleid 
(kräku kam) an sich^). Und so mögen die Plügelschuhe, die 


Adler: ebenda S. 138. — Teufel als Vogel: Ev. Marci 4, 4. 15. Lucä 
8, 5. 12.] 

1) -Gudrun 4666 fgg.; Lohengrin Str. 67 ; Leben der beil. Elisabeth 
in Graffs Diutiska I, 468; Legende v. Bruder Felix in den Altd. Wäldern 
II, 72—74, in Job. Pauli Schimpf u. Ernst Cp. 488, Prankf. 1538, u. a. 

2) Gesta Rom. \. Grässe II, 239. 

8) Schmeller IV, 18; vgl. J. Grimms Mythol. S. 1088. [wüdez wip 
lania, wildiu wip ülulae Graffs Sprachsch. 1, 804.] 

4) Haupts Zeitscbr. VI, 298 fg. 

5) Snorra Edda S. 49. 

6) Snorra Edda S. 60. 63. 

7) Thryms kvida Str. 3 fgg. Snorra Edda S. 46. 

8) Snorra Edda S. 46; vgl. oben S. 222, Anm. 2 über Adler u. Falken. 

9) Völsünga Saga Cp. 4. [Heliand 171,23 von einem Engel: quam— 
faran an fetherhamon, wie 50, 11 (und Cod. Exon. pag. 217 (Phönix 280) 
von den Vögeln farad an f^darhamun, Cädmons Genesis 670: geseö ic 

Wackemagel, Schrfften. III. 15 


226 EDEA nXEPOENTA. 

in den homeiischen Gedichten Hermes, wenn es der Eile bedarf ^), 
und die ebenso Athene erst eigens anzieht^, es mögen auch die 
Flügelschuhe des Perseus*) ursprünglich die volle Verwandlung 
in den Yoge\ bedeutet haben: die Bücksicht jedoch auf die Dar- 
stellbarkeit im Bildwerk, die unbewusst schon der frühesten 
Dichtung der Griechen innewohnt, liess das untergeordnete Ge- 
wandstück, die Andeutung des Ganzen bloss durch einen Theil 
vorziehen, und zuletzt unterscheidet der nicht mehr am Boden 
haftende, sondern frei in die Luft gehobene Fuss den Vogel 
ebenso wohl und vielleicht noch mehr von dem Menschen, als 
ihn die Flügel statt der Arme unterscheiden. In der That wird 
Hermes, schon um vieles vogelhafter, auch abgebildet mit grossen 
Schulterflügeln*), und selbst von dem Gotte des Nordens, den 
wir vorher im Falkenkleid haben fliegen sehen, heisst es ein 
andermaP) „Loki .hatte Schuhe, womit er auf Luft und Wasser 
lief", grade wie bei Homer von den Flügelschuhen Athenes und 
des Hermes: xd (jllv 9epov T^piev £9 uYptjv rfi' iic aiceipova 

Besonders häufig aber (denn es galt wiedßr die zwei zu- 
sammenhangenden Begriflfe Wind uAd Vogel) haben Scandinavier 
und Deutsche den Wind- und Wetterjungfrauen*), den Valkyrjen 
und ebenso den halbgöttlichen Bewohnerinnen des Wassers, die 
mit denselben in nächster verschmelzender Berührung stehn, 
solch eine Vertauschung der menschlichen Gestalt gegen die 
eines Vogels und zwar hier des Schwanes zugeschrieben, der 
von Natur beiden Elementen, der Luft und dem Wasser, an- 
gehört. Am Ufer eines Sees treffen Völund und seine Brüder 


him hiß englas ymbe hveorfan mid federhaman. vom Teufel: mid feder- 
homan fleögan: ebenda 417.] 

1) n. XXIV, 340 fgg. Od. V, 44 fgg. [Zauberschuhe zum Fliegen: 
Somadeva t, 19 fg. petasus alatum ealciamentutn: S. Galler Marc. Capeila 
S. 12 Graff. flugescuh: S. 28. caduceus flugegerta. S. 12. 28. vgl. scrit- 
scuoh Graifs Sprachschatz 6, 419.] 

2) Od. I, 96 fgg. 

3) Hesiod. Scut. Herc. 220. Apollod. II; 4, 2. 

4) 0. Müller § 379, 3. 

5) Snorra Edda S. 71. 

6) vgl. die Walkyrien von Frauer S. 16 fgg. und Haupts Zeitschr. 
yi, 291. 


EllEA IITEPOENTA. 227 

4 

drei Valkyrjen und bei ihnen liegend ihre Schwanenkleider 
(älptar hamir): indem sie letztere, so muss man die unvoll- 
ständige Darstellung ergänzen, an sich nehmen, zwingen sie die 
Jungfrauen, ihnen als Weiber zu folgen*). Eine viel jüngere 
deutsche Umgestaltung der Sage, die in depi Gedichte Friedrich 
von Schwaben vor uns liegt ^), macht Wieland zu dem bloss 
angenommenen Namen dieses Helden, und die drei Jungfrauen 
kommen als Tauben zu einer Quelle geflogen. Im Nibelungen- 
lied^) die weisen Weiber, die Hagene in einem Brunnen nahe 
der Donau badend überrascht, und die ihm Bede stehn müssen^ 
da er ihnen ihr „wunderlich gewant*' genommen, werden aus- 
drücklich 7nerwtp, in der entsprechenden Stelle der nordischen 
Dietrichssage*) siokonor genannt; auch in Weibergestalt schweben 
sie doch „sam die vögele vor im üf der fluot". ^ünd noch heut 
erzählt ein Eichsfeldisches Märchen^), wie eine verzauberte Jung- 
frau in den Bann eines Jünglings kommt, der unwissend, wäh- 
rend sie in einem See badete, ihr das Hemde fortgetragen. Der 
Schwanengestalt geschieht so wenig hier als dort im Nibelungen- 
liede noch Erwähnung, auch nicht in dem Pabliau Guerins von 
einem Ritter, dem die drei badenden Feen die Rückgabe des 
Gewandes mit Reichthum und Gunst bei den Menschen und 
schmutzigen Wundergaben lohnen^). In ähnlicher Weise lücken- 
haft, so jedoch, dass sie einander ergänzen, sind in den alt- 
deutschen Gedichten über Wolfdietrich die parallel laufenden 
Sagen von der rauhen Else, die aus dem Bad im Jungbrunnen 
als die schönste über alle Lande hervorgeht („da hete si die 
ruhen hüt in dem brunnen gelän")» ^^d von der Königinn deS; 
Meeres und der Meerwunder, die zuerst in einer Schuppenhaut 
und haaricht und vermoost und schleimbedeckt erscheint, dann 
aber die Schuppen auszieht und nieder aufs Gras wirft: „si 
lühte fiz allen wtben als diu sunne liht, aller meide schöne was 


1) Eingang der Völundar kvida. [Drei Jungfrauen in Taubenhemden, 
abgelegt entwendet: Schwed. Märch. S. 176 fgg.] ^ 

2) W. Grimms Deutsche Heldensage S. 401 fg. f 

3) Str. 1473 fgg. 

4) Saga Thidriks konungs af Bern Cp. 364. 

5) Br. Grimm 193. 

6) Fabliaux et Contes par Barbazan et Meon III, 412 fgg. 

15* 


228 EilEA IITBPOENTA. 

gSn ir gar enwiht^'^). Endlich noch, ohne dass auf Meer oder 
Brunnen hingedeutet würde, Sagen des Nordens von Valkyrjen 
im Schwanenkleid oder in Gestalt von Schwänen^. 

Auch in einer Geschichte der 1001 Nacht ^) kommen zehn 
Jungfrauen von übermenschlicher Art zu einem Seer geflogen, 
legen ihre Federkleider ab und baden, und eine von ihnen, die 
schönste und vornehmste, muss Weib des Mannes werden, der 
ihr Eleid entwendet hat; nach einiger Zeit aber bringt sie das- 
selbe wieder an sich und entflieht zusammt den Eindem, die sie 
geboren*). Die ganze Erzählung trägt jedoch so viel Merkmale 
des nordischen Ursprungs, dass sie durchaus nicht beweist, auch 
in Arabien seien dergleichen Sagen zu Hause gewesen: sie ver- 
mehrt nur von Arabien her die Zahl der scandinavisch-deutschen 
Belege. 

Oft in den Märchen wird Menschen die Vogelgestalt an- 
gezaubert, aber so, dass der Zauber lösbar ist: in solcher Art 
wird Jorinde zur Nachtigall^), der schon in einen Löwen ver- 
zauberte Eönigssohn zu einer Taube ^), wird eine Eönigstochter 
und werden sieben Brüder durch unbedachte Verwünschung der 
Eltern zu Raben''), wird eine von der Seite ihres Gemahls ver- 
drängte Eönigiun zur Ente^). Aeltre edlere Erzählung mag 
hier anstatt der Ente den Schwan gehabt haben: wenn in dem 
einen dieser Märchen die Ente allnächtlich herzuschwimmt und 
wieder in Gestalt der Eöniginn ihr Eindchen säugt und besorgt. 


1) V. d. Hagens Heldenbuch I, 208 u. 136. Haupts Ztschr. 4, 440. 

2) J. Grimms Mythol. S. 398 fg. 

3) der Geschichte Hassans aus Bassora und der- Inseln Wak-Wak, 
N. 389—480. 

4) Ygl. im Eingange der Völundar kvida .^Thau bioggtt siau veter: 
thä flugu thser at vitja ylga ok kvämu eigi aptr." [ähnliche serbische a. 
irische Sagen: Volksmärch. der Serben 4. Hubers Skizzen aus Ireland 
S. 277 fgg. — Menschenkleider des Werwolfs: Mythol. S. 1050.] 

5) Br. Grimm 69. 

6) Ebd. 88. vgl. Apul. Mctam. 5, 23 fg. Statt Taube Rabe': 
Märch. 3, 153. 

7) Ebd. 93 u. 25. 

8) Ebd. 13 u. 125. Schwed. Märch. S. 146 fgg. 169 fgg. [zwölf 
Prinzen zu Enten; Entenflügel des einen: Norweg. Volksmärch. 2, 20. fgg. 
27. Zauberhemd die Gestalt einer Gans gebend und wieder nehmend: 
Schwed. Märch. S. 146 fgg. 169 fgg.] 


EHEA riTEPOENTA. 229 

SO ist das ganz wie in der Geschichte Melusinens, die auch, 
nachdem sie schon den Gemahl hat verlassen müssen, jedes 
Nachtö zu ihren Kindern zurückkehrt^): Melusina aber gehört 
mit in den Bereich der Schwanenjungfrauen. Und wirklich 
kommt auch anderswo die Verzauberung in Schwäne vor, wieder 
in einem Märchen der Deutschen^), in der niederläfidischen Sage 
vom Schwanenritter^) und in einer damit meist zusammen- 
fallenden deutschen Prosaerzählung des fünfzehnten Jahrhunderts*). 
In dem Märchen wird es sechs Brüdern durch üeberwerfung von 
Zauberhemden angethan; Hemden von Sternblumen geben ihnen 
die Menschengestalt zui-ück: aber da an dem einen noch der 
linke Ermel fehlt, bleibt dem, der es anzieht, Zeit Lebens statt 
des linken Armes ein Schwanenflügel:, es vergleicht sich damit 
von selbst die griechische Erzählung von Pelops Elfenbein- 
schulter^). In der Sage vom Schwanenritter sind es silberne 
Halsketten, durch deren Wegnahme die sieben Kinder König 
Oriants zu Schwänen, durch deren Rückerstattung sie wieder 
Menschen werden; die altdeutsche Prosaerzählung, worin die 
Mutter ein „wünschelwyb" ist^), das ein Edelmann badend an- 
getroffen und durch Wegnahme einer goldnen Kette in seine 
Gewalt gebracht, hat bei den Kindern goldene Halsringe. Und 
Ringe, wie sie überhaupt mehr der allgemeinen Art der Sage 
entsprechen, müssen auch in solchen Schwanensagen das übliche 
Mittel für den Wechsel der Gestalt gewesen sein''): nur so 


1) Simrocks Deutsche Volksbücher VI, 80. 

2) Br. Grimm 49. 

3) Deutsche Sagen d. Br. Grimm H, 291 fgg. 

4) Haupts u. Hoftmanns AM. Blätter I, 128 fgg. 

5) Schol. zu Find. Olymp. I, 26. Servius zu Virg. Georg. III, 7 
„humeroque Pelops insignis eburno" u. a. Aehnliches weiter unten, [vgl. 
Thietmar 6, 49. Stiel-, ungarische Sagen und Märchen S. 107.] 

6) Zu vergleichen öskmey Wunschmädchen, im Altnordischen ein 
andrer Name der Valkyrjen, worüber Frauer a. a. 0. S. 1. [Die Kette in 
dem schwed. Märchen von Swanhwita S. 171 — 173.] 

7) Treffend vermuthet W. Grimm (Deutsche Heldensage S. 888), dass 
in der Völsunga Saga Cp. 12 die Goldringe Signmnds und Sinfiötlis Bezug 
auf deren Verwandlungen in die Wolfsgestalt haben. Auch der King am 
Schluss des Märchens (25) von den sieben Eaben kann ursprünglich kein 
blosser Erkennungsring gewesen sein : denn sowie er zum Vorschein kommt, 
werden die Eaben entzaubert; und ebenso, denke ich, steht der Ring, der 


230 EIJEA liTEPOENTA. 

erklärt sich die Verbindung von Schwan und Ringr die uns in 
Genealogie und Heraldik mehrfach entgegentritt: die Herren zu 
Flesse haben ursprünglich die Schwanringe geheissen, einer der- 
selben hatte den Beinamen Schwanenflügel, und in ihrem Wappen 
führten sie Schwanenflügel und £ing^); der Helmschmuck aber 
der Grafen von Bapperswil waren zwei Schwäne mit Ringen in 
den Schnäbeln"). 

Selbst und freiwillig in Yogelgestalt können sich Menschen 
wiederum nur durch Zauber, den sie brauchen, wandeln: es 
müssen das Zaubrer und Zauberinnen sein, Menschen, die in 
unheimlicher Weise übermenschlich wirken. So in einer alt- 
nordischen Sage der larl Fränniar, der sich in einen Adlersleib 
gekleidet hatte („hafdi hamazk t amar Itki'*) um Wache zu 
halten, den aber, da er eingeschlafen war, Atli zu Tode schöss'); 
im Gedichf von Wolfdieterich die Heidenjungfrau, die dem 


samint dem darauf gelegten Fluche von Andvari an Fafni, vf)n Fafni an 
Sigurd kommt, in Zusammenhang damit, dass Andvari die Gestalt eines 
Fisches, Fafni die eines Drachen (Sigurdar kvida 11 u. Fafnis mal), Sigurd 
die Eonig Gunnars annehmen kann (Sigurdar kv. I, 37 fgg. Yöls. Saga 
Cp. 36). [Bing der in einen Werwolf verwandelt: Mythol. 1049. 1050. 
In einem höhm. Märchen wird ein Zauherer, da ihm der letzte der drei 
eisernen Reife um seinen Leih zerspringt, ein Kahe: Wenzigs westslaw. 
Märchenschatz S. 139.] Solch ein Dahingehen der eignen Gestalt ist, 
anders aufgefasst, ein Unsichtharwerden: im Nibelungenliede hilft anch 
Siegfried seinem Freunde nur, indem er sich unsichtbar macht; als Mittel 
dazu dient hier aber nicht sein Ring, sondern seine tarnkappe (Str. 410 fgg. 
602 fgg.), die tarnhüt (Str. 337). Und diese bedeutet doch eigentlich 
nichts anders als die an- und abgestreifte Gestalt des Freundes: so hangen 
in der Völs. Saga Cp. 12, sobald die Werwölfe wieder Menschen sind, 
ihre Wolfsbälge über ihnen, und im 1448ten Märchen kann ^ der Eönigs- 
sohn, der ein £sel ist, über Nacht die Eselshaut von sich thun und sein 
Schwäher sie verbrennen (vgl. III, 228). [Igelhaut verbrannt: Märchen 
108. Schl^nge'nhemde verbrannt: Volksm. d. Serben 9 u. 10. desgl. Wolfs- 
haut: Esthn. Märch. 208 fg. 363.] Die Thidriks Saga Cp. 229 lässt 
Gunnar und Sigurd nur die Kleider wechseln: ein Rationalismus wie jener 
Herodots, wenn bei ihm (I, 9 fg.) Gyges nicht unsichtbar vermittelst 
seines Zauberringes (Plato de Republ. ü, 3. Cic. Offic. III, 10), sondern 
hinter die Thüre versteckt die nackte Eöniginn belauscht. 

1) Deutsche Sagen II, 316. 

2) V. d. Hagens Minnesinger IV, 92. Titelbild zu Graf Wemher 
V. Homberg (von Georg v. Wyss), Zürich 1860. 

3) Helga kvida Hiörvards sonar Str, 5—6. 


EÜEA RTEPOENTA. 231 

Helden vom Pferde weg sich als Elster auf die Zinne des 
Schlosses schwingt^): die schwedischen Hexen fliegen in der 
Walpurgisnacht als Elstern nach Bl&kuUe*); in dem Märchen 
von Jorinde und JoringeP) eine Hexe, die sich in einen Uhu 
verwandelt, und ebensolche schon bei Ovid*), bei Lucian*) und 
Appuleius*): strix oder striga, der lateinische Name dieses 
Nachtvogels, ist zugleich s. v. a. Hexe''). 

Wohl hievon zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, wo 
sich kunstreiche Menschen durch G-eschick und Arbeit ihrer 
Hände Flügel schaffen, bei den Griechen Dädalus®), im Norden 
Völund*): aber ganz wie dort, wo die Götter und Göttinnen 
sich in Vögel verwandeln, ist auch in letzterer Sage von einem 
Federkleid (fiaörham) die Rede, gleich dem abgestreiften Balg 
eiues Greifen oder Geiers oder Straussen. 

Die bisher besprochnen Uebertragungen der Vogelgestalt 
auf übermenschliche, heilige, göttliche Wesen haben etwas im 
Sinne aller Menschen liegendes und kehren deshalb in allem 
Heidenthum und Aberglauben wieder: die Kunst des Mittelalters, 
die bildende und mit ihr die dichtende, fügt' denselben auf 
biblischen Anlass noch einige neue, ihr besonders eigene hinzu. 
Bei der Taufe Christi hat sich der heilige Geist als Taube 
sehen lassen^®): die Kunst nun versinnlicht die aus einer Pro- 
phetenstelle ^^) entnommenen sieben Gaben des heiligen Geistes^*) 
als ebenso viele Tauben^*), und die dichterische Naturbetrach- 


1) V. d. Hagens Heldenbuch I, 244. 

2) Arndts Reise III, 49. 

3) Br. Grimm 69. [Zarin Helene Schwan: Dietr. rnss. Volksm. S. 38.] 

4) Amor. I, 8, 12 sqq. 

5) Asin. cp. 12. 

6) Metamorph. lU, pg. 138 Elmenh. 

7) Festus V. Strigas: „qnod maleficis mulieribns nomen inditnm est, 
quas volaticas etiam yocant." 

8) Ovid. Ars am. II, 31 sqq. u. a. 

9) Völundar kvida 27 fgg. Thidriks Saga Cp. 77. 

10) Matth. m, 16. Luc. III, 22. Joh. I, 82. 

11) Jes. XI, 2 fg. 

12) vgl. Deutsche Gedichte des XI u. XII Jahrb. v. Diemer S. 70, 
22 fgg. u. S. 335—337, den Kanzler in v. d. Hagens Minnes. II, 389 a, 
ühlands Volksl. S. 874 und die Erklärer von Dantes Purgat. XXIX, 50. 

13) Fenstergemälde zu S. Kunibert in Köln; Miniaturen des 18 u. H 
Jabrh. bei Didron, Histoire de Dieu pg. 123. 488. 


232 EUEA UTEPüENTA. 

tung findet schon an dem Vogel selbst eine Siebenzahl aus- 
zeichnender Eigenschaften*). Von verschiednen Heiligen, unter 
andern schon inj, achten Jahrhundert von dem heil. Gregorins, 
erzählt die Legende, wie sich der Geist als Taube ihnen auf 
Haupt oder Schulter gesetzt imd Worte der Weisheit zugeflüstert 
habe*): die Taube auf der Schulter ist nun auch in der bild- 
lichen Darstellung die stetige Heigabe und das Merkmal jenes 
heiligen Pabstes*). Und die Legende hat noch weiter gewirkt: 
die Märchendichtung*) weiss von einem Grafen, den die Car- 
dinäle zum Pabst erwählen, weil ihm beim Eintritt in die Kirche 
zwei Tauben auf die Schultern fliegen, und dem diese Alles in 
die Ohren sagen, als er Messe lesen muss ohne doch ein Wort 
davon zu verstehn;* die altsächsische Evangelienharmonie des 
neunten Jahrhunderts*) aber lässt die Taube auch Christo auf 
der Achsel sitzen. Darin liegt nicht sowohl eine Abweichung 
von den Worten der Evangelien als eine vielleicht sogar zulässige 
Erklärung derselben: an die Haben auf den Achseln OÖins®) hat 
der Dichter schwerlich gedacht, es müsste denn auch z. H. 
Gregorius von Nyssa, der von einer Taube auf der rechten 
Achsel Hasilius des Grossen erzählt^), daran haben denken und 
davon wissen können. 

In der Geschichte der Sündflut*) sind Taube und Rabe 


1) Haupts Zeitschr. I, 155. Renner 19589. Cäs. Heisterb. 8, 36. 
Spec. eccl. S. 41. 

2) Münters Sinnbilder I, 107. J. Grimms Mythol. S. 135. vgL 
Harff S. 105. [Greg. Tur. 10, 29. Taube auf der Schulter des heil. Patricius : 
Hubers Skizzen aus Ireland S. 309. In dem zu Lyon 1508 gedruckten 
Buche: divi Thome Aquinatis . . scriptum primum luculentissimum ist 
auf dem Titelhoiz^chnitt S. Thomas Aq. mit Buch und Abendmahlskelch 
dargestellt, auf der linken Schulter ihm ins Ohr sprechend eine Taube: 
Unterschrift bene scripsisti. Thotna. vgl. Fischarts Dichtungen von Kurz, 
1, 135. Bienenkorb 59 a: sonderlich den h. Doctor Thomam von Aquin, 
dem allzeit ein Taub ins Ohr will fliegen, und ist ir das loch zu eng, — 
.Taube („indicium prcusentice spiritus sancti^*) die Sacramente vom Altar 
nehmend und wiederbringend: Cäs. Heisterb. 2, 5.] 

3) Munter S. 106 fg. Christi. Kunstsymbolik (v. Helmsdörfer) S. 182. 

4) Br. Grimm 33. 

5) Heiland v. Schmeller 30, 1. 

6) Oben S. 202; vgl. Mythol. S. 135. •' 

7) Munter I, 107. vgl. Harff S. 105. 

8) Mose 1, 8, 7—12. 


EIIEA UTEPOENTA. 233 

einandar entgegengesetzt wie Gut und Böse : entgegengesetzt der 
Taube des heiligen Geistes, erscheint *nun auch in der älteren 
christlichen Kunst der böse Geist, der Teufel, als ein ßabe^) 
und sitzt so den heidnischen Dichtern des Altei-thums^) oder 
Zaubrem^) auf der Schulter und raunt ihnen in das Ohr. Ueber- 
haupt denkt sich das Mittelalter den Teufel gern in dieser Ge- 
stalt und benennt ihn so*); in der Kaiser chronik*) heisst es „die 
tiufele körnen dar mit einir michiln scar in swarzer vögele 
bilide", und in Reinbots heiligem Georg^) ist von dem schwarzen 
. Gefieder des Teufels die Bede. Vielleicht aber soll er damit in 
früher besprochener Weise nur als schwarzgeflügelt bezeichnet 
werden: gevidere hat auch diesen Sinn. 

Der heilige Geist den Christen eine Taube, der böse ein 
Rabe: auf dem gleichen Weg liegt die allgemeiner verbreitete 
Anschauung, nach welcher auch das Geistige im Menschen, das 
Stück von Göttlichkeit, das er in sich trägt, und diese oder 
jene hinaus und hinauf sich erschwingende Regung seines Dä- 
moniums als ein Vogel gefasst wird. Dem altnordischen Häva 
mal ist die Trunkenheit ein Vogel (der Dichter nennt den übel 


1) Munter, I, 98. [volget dem swarzen raben nihtf den man in bcesen 
siten siht: dd man ich iuch alle hi. ir stilt daz grüene ölzwt mit der 
turteltüben tiemen: Strickers Karl 1657 fgg. Abr. a S. Clara 19, 108. 
Br. Berthold 362. Höllischer Rabe: Puppenspiel von Faust S. 29 fg. 
Himmelstaube und Höllenhuhn: Meinert 1, 14 (vgl. oben Bd. 2, S. 405). 
Raben und Taube: Cäs. Heisterb. 11, 16. corvi ac cornices: 11, 41. 
corvi 55. Teufel als Rabe: Lamb. Ann. 1074. als kohlschwarzer Vogel: 
Alsatia 1860 S. 253. „merula*^ Vita S. Bened.: Gregor M. cap. 2; Leg. 
aur. 49, 2. Die Besessenheit eines Weibes in Ingolstadt fängt damit an, 
dass ihr zwei Vögel wie Schwalben (guter und böser Engel?) um den Kopf 
fliegen, xmd endigt damit, dass ihr ein schwarzer Vogel in Gestalt einer 
Amsel (der Teufel) aus dem Munde entweicht: Ingolstä'dter Bericht von 
1584 bei Freytag, Bilder aus d. d. Vergangenheit (1863) 1, 364. 374. — 
Bruno de Bello Sax. 86 von Heinrich IV: pelliciam non corvinam cogitavit 
induere, ut ostensione pietatis et justitiae deciperet quos crudelitate violenta 
superare non posset,] 

2) Engelhardts Herrad v. Landsperg Taf. VIII. 

3) Didron, Histoire de Dien pg. 477. 

4) Mythol. S. 949. 

5) Massmanns Ausg. Z. 4314. 

6) Z. 8394. 


234 EITEA nTEPOENTA. 

angesehenen ' Beiher ^) , der über dem Gelage rauschend schwebt 
und die Besinnung raubt und Vergessenheit bringt, späteren 
deutschen Dichtern ein im Kopfe selbst lärmender oder singen- 
der Vogel*): am Ende kommt auch unser Ausdruck Rausch 
nur von jenem Bauschen seines Gefieders her. Anderswo ist die 
Freude ein Vogel, der fröhlich in seinem Nest dem Herzen mit 
den Flügeln schlägt*), oder der Vogel entfliegt, die Freude 
schwindet*). Das griechische tuyS scheint zuweilen den Sinn 
von sTci^upifa anzunehmen^); Gottfried sagt von dem Streben 
und Sehilen des Gemüthes®) „hie wahsent uns die vederen van, 
von den der muot in vlücke wirt" und Steinmar^) „daz ir tu- 
gentlicher lip hoehet mihen senden muot, als ein edelen valken 
wilde stn gevider in lüften tuet.** Besonders aber wird von der 
ganzen Seele so gesprochen. 

Du arme seel, duck dich! du muest schwimmen" oder „Duck 
dich, mein Seel! es kommt ein Platzregen" ist eine Bedensart, 
die seit alten Zeiten einen festen Trunk zu begleiten pflegt®): 
schon bei Helbling^) heisst es „vrou sßle, stt ir dinne? — ich 
rät iu, so ich beste kan (wand ich bin iuwer sippe): tretet üf 
ein rippe, weit ihr niht ertrinken." Dass hier die Seele als 
Vogel gedacht sei, scheint aus einem Ausdrucke Steinmars ^^) zu 


1) Str. 12. Der Reiher ein unsauberer Vogel: s. Kellers Erzählungen 
aus altd. Handschriften S. 564 u. 673, 22. SchmeUer III, 524. Logaus 
Sinngedichte I, 8, 53. 

2) ein Wiedehopf: Renner 9474. SchmeUer IV, 201; NachtigaUen, 
Eulen, Kuckucke, Finken: Renner 9874-; vgl. Altd. Lesebuch 738, 8 fgg. 
Tauben: Fischart, Leseb. 2. 135, 30. Simplic. Keller 2, 1098, 33. 

3) Burkard v. Hohenfels in v. d. Hagens Minnes. I, 208 a. 

4) Konrads y. Wurzb. Engelhard 1 800. Hartmanns Armer Heinrich 
149 nach der Heidelbei'ger und der Koloczaer Handschrift, [od fliuget 
minne ungerne üf hant durh die wilde? ich kan minn wol locken: Wolfr. 
Tit. 64. hyge — gielled dnfloga: Grein Bibl. d. ags. Poesie 1, 243, 62. 
Pfeiffer Myst. 1, 299, 39 fg. fecit et huntano corde volare deum (amorem): 
Prop. 3, 12, 6. 15.] 

5) Schol. zu Pind. Nem. IV,%35 l'uyYt eXxojxat iQxop. 

6) Tristan 16964 = 426, 6. 

7) Minnes. II, 154 b. 

8) SchmeUer I, 357. III, 226. „duck dich Säl, es kommt eyn Platz- 
regen: der wird dir das HöUisch Feur wol legen**: Garg. J 6 rw. 

9) I, 350 fgg. 

10) Minnes. II, 154 b. 


EDEA nXEPOENTA. 235 

erhellen: „min sele iif eime rippe stät, w&fen! diu von dem wtne 
dräf gehüppet hat" Ernster, edler, bedeutsamer ist es, wenn 
Predigten des Mittelalters die Idebe Gottes und des Nächsten in 
allegorischer Weise die zwei Flügel der Seele nennen^); wenn das 
Räthselgespräch zwischen König Tirol von Schotten und seinem 
Sohn Friedebrand*) die Christenheit einem Walde aus grünen 
und dürren Bäumen vergleicht, auf deren Aesten Vögel sitzen, 
die einen fröhlich singend, die andern in Trauer, und es selbst 
diese Vögel auf die Seelen der Christen ausdeutet; wenn ein 
chaldäisches Orakel^) auf den geistigen Theil, den der Mensch 
vom Vater her d. h. vom höchsten Gott empfange, wiederum • 
den Namen der lynx überträgt, jenes Vereis, der mit Liebe 
Wesen zu Wesen zieht; wenn endlich eine angelsächsische Dich- 
tung von den Seelen der Gerechten, die nach dem Tod in. den 
Himmel entschweben, als lauter Phönixen spricht*). Namentlich 
wird eben die Seele, die von dem sterbenden' Leibe scheidet, gern 
als ein Vogel, der davon fliegt, dargestellt^), und zwar, wo die 
Art des Vogels näher bestinmat wird, die Seele, die von dem 
heiligen Geist erfüllt, die ohne Falsch ^)j ohne Galle'') gewesen 
und gereinigt dahingeschieden ist, die heilige gerechte gerecht* 
fertigte Seele als weisse Taube *) ; ob die verdanmate, dem Teufel 


1) Haupts Zeitschrift VII, 144. 

2) Minnes. I, 5. 

3) gegen Ende der unter Zoroasters Namen gehenden Orakelsprüche. 
[Seelen geflügelt, die Flügel verlierend, neue bekommend : Plato Phädr. 55 
(246 c) fgg. Gestorbene wie Vögel zum Hades entfliegend : Soph. Oed. 
Tyr. 176.] 

4) Cod. Exon. S, 237 fg. Vgl. oben S. 188. 

5) Servatua Lupus in der Vita S. Wigberti cp. 11. Deutsche Mär- 
chen u. Sagen v. Wolf S. 174. [Apotheose der römischen Kaiser; symbo- 
Uscher Leichenbrand: aeroc a^terai auv t& Tcup\ aveXeuarojjkevo^ ti^ tov 
cd^igoiy 0? 9£petv aTco yr^q ^ oupavov tt)v tou ßaaiX^co^ ^vx^jv TCiareueTat 
\iTzo *P(op.a{ci)v: Herodian. 4, 2.] 

6) Matth. X, 16. 

7) Schon TertuUianus de Baptismo cp. 8 „quod etiam corporaliter 
ipso feile careat columba". Mittelalterliche Stellen von der Gallenlosig- 
keit der Taube in W. Grimms Freidank S. LXXXVI. 

8) Von der heil. Eulalia Prudent. Tuepl aTe9av(i>v III, 161 sqq. n. das 
Gedicht in den Allroman. Sprachdenkmalen von Diez S. 21, Z. 25. Vgl. 
J. Grimms Mythol. S. 788. Die das Ereuz umgebenden oder auf dem 


236 EITEA m'EPOENTA. 

verfallene gleich diesem als ein Ba'be? Belege dafür sind mir 
nicht bekannt. Ein christliches Gedicht des alten Nordens^) 
lässt da, wo es die Hölle schildert, die Seelen noch in dieser als 
Vögel umherfliegen, als verbrannte Vögel, versengt nämlich an 
den Flammen des ewigen Peuers: eine weitre Bezeichnung der 
Vögel gewährt es nicht, und auch wenn Seelen aus dem Jen- 
seits wieder auf Erden erscheinen, thun sie das wohl in Vogel- 
gestalt: so nach Holsteinischer Sage^) zwei Hexen, deren eine 
mit Verzweifelung an Gottes Gnade, die andre mit aufrichtiger 
Reue gestorben: diese zeigt sich nachher einmal als weisse Taube, 
jene dagegen als Krähe wieder: mit der Krähe mag doch eigent- 
lich ein Rabe gemeint sein. 

Hier überall verlässt die Seele als Vogel den sterbenden 
Leib um fortan nicht mehr auf Erden, um nur jenseits vielleicht 
noch ferner in Vogelgestalt zu weilen, vielleicht nur gelegentlich 
80 von da zurück zu kehren. Darin beruht der Unterschied von 
den zahlreichen, sonst allerdings sich hier anschliessenden Fällen, 
wo ein Gestorbener mit Leib und Seele zusammen zum Vogel 
wird und so auf der alten Erde fortlebt, wo sogar über einen 
Lebenden ihm zur Strafe solch eine Verwandlung verhängt und 


Kreuze sitzenden zwölf Tauben altchristlicher Bilder (Münters Sinnbilder 
I, 107 fg.) meinen auch die Apostel nur, insofern dieselben bereits zur 
Seligkeit eingegangen sind. [S. Polycarpus: Kirchenlei. 8, 574; auch St. 
Blasius nach der Rheinauischen Legende, vgl. Cäs. Heisterb. 6, 35. 11, 
23. 12, 46.] 

1) das Solar Uod Str. 53. [vgl. Dante Inf. 5, 40 fgg-. Purg. 2, 124 fgg. 
Parad. 18, 73 fgg.] 

2) bei Müllenhoff S. 211. 227. [Scipio Cicala 4, 38; Wenn du ein 
Wunder sehn willst, — so brauchst du nur an einem Sonnabend an den 
Avemersee zu gehn. — So wie die Sonne niedersteigt, heben sich abscheu- 
liche Vögel mit Menschengesichtern aus dem Sumpf empor und schwirren 
wie Fledermäuse herum. Das dauert so fort bis zum Morgen des zweiten 
Tages, und die Luft ist manchmal ganz durch die entsetzlichen Thiere 
verdunkelt. (S. 39) Bricht nun der Morgen des zweiten Tages an , ' so 
kommt ein ungeheurer Vogel geflogen, man weiss nicht woher. Er hat 
die Gestalt und das Geschrei eines Raben und verfolgt die andern Vögel 
so lange, bis sie sich alle wieder in den stinkenden Sumpf zurückgestürzt 
haben. Am nächsten Sonnabend kommen sie dann wieder zum Vorschein, 
und so geht es das ganze Jahr fort. Kluge Leute halten sie für arme 
Seelen atis dem Fegteuer, denen zum Ruhm der Auferstehung des Heilan- 
des diese Unterbrechung ihrer Leiden gegönnt sei.] 


ElIEA IlTEPOENTA. 237 

damit vielleicht ein ganzes neues, vorher nicht dagewesenes 
Vogelgeschlecht erschaffen wird. Von Erzählungen dieser Art 
ist das Alterthum und ist das Mittelalter und noch die neuere 
Zeit und ist die Sagendichtung aller Völker voll. Zwar der 
Schwan, in welchen Orpheus, die Nachtigall, in welche Thamyris 
übergegangen^), gehören nicht hieher: denn dieser Uebergang ist 
auf dem Wege der Seelen Wanderung, tausend Jahr nach dem 
Tode beider und in Folge ihrer eigenen Wahl geschehen; wohl 
aber die Weissagung Homzens, dass er dereinst als Schwan 
empor und dahinschweben werde ^), und mehr noch als dieses 
Dichterwort die Sagen^ von Picus, dem König Augoniens, den 
Circe im Zorn verschmähter Liebe zum Spechte macht ^); von 
Coronis, die Pallas durch Umgestaltung in die Krähe vor den 
Nachstellungen Poseidons rettet*); von lynx, einer Tochter der 
PeithOy die,' weil sie Zeus durch Liebeszauber zu ihrer Gebie- 
terinn lo oder auch zu sich selber hingezogen, von Hera in den 
Zauber vogel, der nun lynx heisät, verwandelt wird^); -von den 
neun Töchtern des Pieros von Emathia, deren übermüthiges 
Wagniss eines Wettgesanges die Musen mit der Verwandlung in 
Vögel strafen, die xoXujißac (Taucher), die wy^ (Wendehals), 
die xsyxptc, die xtöcja (Häher), die y^kti^ii;, die axaXav*jL(; 
(Distelfink), die v^aaa (Ente), die tzi%6 (Baumhacker) und die 
SpaxovTic^); von Aedon, die statt des beneideten Erstgeborenen 
der Niobiden irrthümlich den eigenen Sohn Itylus ermordet omd 
immer seitdem als Nachtigall dessen Tod beklagt ''); dieser ähn- 
lich und auf Anlass einiger zusammenklingenden Namen auch 
damit sich vermischend'') die Sage von Philomele, Procne, 


1) Plato d« Republ. X, 16. 

2) Odd. II, 20. 

3) Virg. Aen. VII, 189 sqq. Ovid. Metamorph. XIV, 820 sqq. 

4) Ovid. Metam. II, 569 sqq.: wahrscheinlich eine nicht ganz echte 
üeberlieferung, da sonst die Götter zur Strafe, nicht sjur Rettung so 
verwandeln. 

5) Schol. zu Find. Nem. IV, 35 u. zu Theoer. IdyU. II, 17; Tzetzes 
zu Lycophr. Cassandra 310; Nicephorus Gregoras zu Synesius de.Insomniis 
pg. 360. Vgl ohen S. 204, Anm. 6. 

6) Antonini Liberalis Transformatt. cp. 9. 

7) Odyss. XIX, 518 fgg. Pherecydis Fragm. ed. Sturz pg. 137 sq. 

8) Antoninus a. a. 0. Cp. 11. 


238 ETIEA. nXEPOENTA. 

Tereus, Itys ^) : Procne und Philomele, die Töchter Pandions von 
Athen, schlachten zur Bache dafür, dass der Gemahl der ersteren, 
der Thracierkönig Tereus, Philomelen geschändet, seinen und 
Procnes eigenen Sohn Itys und bereiten ihn zu einer Speise für 
den Vater selbst: da werden alle vier zu Vögeln, Philomele zur 
Nachtigall, Procne zur Schwalbe, Tereus zum Wiedehopf^, Itys 
zum Fasan ^): eine Geschichte, die des heimathlichen Bezuges 
wegen von den Tragikern Athens wiederholendlich ist bearbeitet 
worden^) und auch aus den Vögeln des Aristophanes, in denen 
ja der Wiedehopf eine Hauptrolle spielt, beständig wiederklingt. 
Nicht mipder zahlreich sind die neueren Beispiele, und 
wiederum kommen hier der Specht oder Baumhacker und die 
Nachtigall vor: in jenen hat nach norwegischer Erzählung der 
Heiland ein Weib Namens Gertrud, die gegen ihn und seinen 
Apostel Petrus unmilde gewesen, verwünscht, und die Norweger 
nennen deshalb diese Vogelai't noch Gertmdsvogel^); als Nach- 
tigall liess sich eii^e verdammte Seele zur Zeit der Kirchenver- 
sammlung in einem Wald bei Basel hören, und sie sollte da 
wohnen bis zum jüngsten Gericht®). Die Möwe: bei Schleswig 
auf einer Insel der Schlei nisten unablässig zahllose Möwen, ob- 
wohl ihnen alljährlich die dritte Brut genommen wird : es ist die 
Nachkommenschaft der Leute König Abels von Dännemark, die 
demselben seinen Bruder Erich ermorden halfen: zuerst diese 
sind an den Ort ihrer Schandthat als Möwen festgebannt worden'). 


1) Siehe Voss zu Virgils Belogen VI, 78; Welcker, die Aeschylische 
Trilogle Prometheus S. 502 fgg. und die Griech. Tragödien mit Rücksicht 
auf d. epischen Cyclus S. 374 fgg. 

2) Abweichend Hygin. Fab. 45 „ Tereum autem accipitrem factum 
dicunt". 

3) Servius Erzählung zu Virgil. Eclog. VI, 78 hat einen Schluss, der 
an die übliche Auslegung der iTzta. ^repoevTa erinnert: „Quidam tarnen 
eos navibus effugisse periculum et ob celeritatem fugae aves appellatos 
volunt". 

4) Sophocles Pandionis hat Welcker a. ai 0. mit Gelehrsamkeit und 
Dichtersinn wieder aufzubauen versucht; den Tereus des Philocles ver- 
spottet Aristpph. Av. 281 fgg. 

5) J. Grimms Mythol. S. 639. Norweg. Volksmärch. 1, 8 fg. 

6) Wolfs Deutsche Märchen u. Sagen S. 176. 

7) MüUenhoff a. a. 0. S. 137. [Die- Eule war eines Bäckers Tochter: 
Shakesp. Hamlet 4, 5. Rohrdommel und Wiedehopf: Märch. 173. Kibitz: 
Stalder I, 448.] 


EllEA ITl-EPOENTA. 239 

# 

Ferner der Kuckuck: den Deutschen ist er ursprünglich ein 
Bäcker- oder Müllerknecht gewesen, der die Leute betrog ^), den 
Serben eine Jungfrau, über die ihr langes Klagen um den Tod 
des Bruders zuletzt diese Verwandlung gebracht hat: aber die 
Klage hörte damit nicht auf: denn die Serben und sonst die 
Slaven verstehen den Ruf des Kuckucks als einen Klageruf^). 
In Polen giebt es ein Geschlecht, aus dem jedes Glied nach 
seinem Tode ein Adler, ein andres, dessen neugeborene Töchter, 
wenn sie als Jungfrauen sterben, zu Tauben, wenn aber verhei- 
rathet, zu Eulen werden*). 

Wohl aber das schönste, durch Fülle und Bedeutsanoikeit 
und den Reiz der Darstellung anziehendste Beispiel, das an- 
ziehendste nicht bloss unter denen der neueren Zeit, ist das 
Märchen vom Wacholderbaum, das in ganz Deutschland ver- 
breitet und ebenso in Schottland und im südlichen Frankreich 
bekannt ist*); es wird ihm zur Empfehlung dienen, dass es sich 
auch in Göthes Dichtergemüthe mannigfach bewegt hat. Der 
Inhalt ist nach der niederdeutschen Form seiner Ueberlieferung 
in trockener Kürze folgender. 

Eine Frau steht Winters unter dem Wacholderbaum im 
Hofe und schält sich einen Apfel; indem sie dabei sich in den 
Pinger schneidet, tropft das Blut in den Schnee, und seufzend 
•spricht die Kinderlose „Hätte ich doch ein Kind so roth wie 
Blut und so weiss wie Schnee!" Gott erfüllt ihre Bitte: es wird 
ihr ein so schönes Kind, ein Sohn; aber sie stirbt an der Geburt, 
und der Mann begräbt, sie unter dem Wacholderbaum. Nicht 
lange, so hat der Knabe eine Stiefmutter und bald auch eine 
Schwester. Einst lockt die neue Mutter» ihn vor die Aepfßltruhe 
und heisst ihn sich einen Apfel herausnehmen: da schlägt sie 


1) Mythol. S. 641. Abargl. 197. 

2) Volkslieder d. Serben v. Talvj I, 274 fg. 65. 148. 164. 2, 64. 
Litt. Volksl. V. Nesselmann S. 305. Wenzigs Slav. Volksl. 189. vgl. J. 
Grimms Mythol. S. 646 fg. 1088 und, wenn man sich noch darauf be- 
rufen darf, die Eoniginhofer Handschrift v. Hanka u. Swoboda S. 174. 
[ Aach den Angelsachsen ist Kuckacksruf klagend : Grein ^ 1 , 243, 53. 
247i 22.] 

3) Mythol. S. 789. 

4) Br. Grimm 47; vgl. III, 77 fgg. 


240 EUEA IITEPOEIS'I'A. 

den schweren Deckel zu, dass es ihm den Kopf abschneidet^). 
Um die That zn verheimlichen, bereitet sie aus dem Kind eine 


1) Eben dergleichen scheint in der Völundar kvida Str. 22 gemeint, 
wo der Schmied die Sohne des Königs in seine offne Geschmeidetrnhe 
blicken lässt und anmittelbar darauf gesagt wird „ sneid af böfud- hüna 
theirra." Eine Legende vom heil. Franciscus, die Abraham a S. Clara er- 
zählt (Abrahamisches Bescheid-Essen S. 513 fg.), verbindet nicht die 
Tödtung eines lebenden, sondern die Wiederbelebung eines getödteten 
Kindes mit Aepfeln in einer Truhe: „Ein Vornehmer von Adel ladete 
Franciscum zu der Tafel: Franciscus sagts ihm zu, doch vorhero woll er 
predigen. Der Edelmann erfreute sich dessen sehr, schafft der Köchin, 
sie solle nach Möglichkeit die Kuchl versehen; der Herr samt der Frau 
gehen in die Kirche zur Predigt. Die Köchin dachte »Die ganze Welt 
lauft gleichsam zu des Franciscus Predigt: ich mag auch nicht allein 
zu Haus bleiben", setzt einen grossen Kessel Wasser über das Feuer, und 
lauft das Mensch auch in die Kirche, lässt das Knäbl zu Haus. Wie sie 
wieder nach Haus kommt, sucht sie das Kind und iindts nicht, geht 
unterdessen in die Kuchl und, o des grossen Unglücks! findet das Kind in 
dem siedheissen Kessel, und indem sie es wollte herausziehen, war es ganz 
versotten, kein Glied war an dem andern. Das Mensch voller Schrecken 
nimmt das Kind in das Fürtuch, trägt und legt es in eine Truhe hinein, 
•klagts dem Vater und der Mutter. Was da für Schmerzen und Leid sich 
in beider Herzen ereignet haben, lasse ich ein mütterliches Herz er- 
achten: nichts desto weniger, wie JFranciscus kommt, setzen sie sich zu 
der Tafel ganz traurig. Unter währendem Essen begehrt Franciscus von 
dem Edelmann einige Aepfel: der entschuldiget sich, dass er dermalen' 
keine hätte, aber alsobald wollte er um solche schicken. „Nein, ich will 
nicht* sagt Franciscus; „dort in der Truhe" und zeigt darauf, wo die ge- 
sottenen Glieder des Kindes lagen, „dort werdet ihr Aepfel finden." Der 
Edelmann voller Glauben geht hin, macht die Truhe auf und siebet, o 
wunderthätige Macht Francisci! das kleine und versottene Kind liegt 
frisch und gesund in der Truhe, lacht den Vater an und hält zwei rothe 
Aepfel in den Händen." Eine nicht bedeutungslose Abweichung: auch der 
Apfel im Beginn unsers Märchens und der des nachher anzuführenden 
Märchens der Walachen ist Sinnbild der Befruchtung und Belebung; in 
der Völsünga Saga Cp. 4 schickt Odin einem kinderlosen Königspaare 
einen befruchtenden Apfel zu, und die Götter seihst werden durch den 
Genuss der Aepfel, welche Idunn besitzt, immer aufs neue verjüngt und 
so fort bis zur Götterdämmerung: Snorra Edda S. 17. [Bei der Neugeburt 
des Phönix zuerst ein Apfel in der Asche des verbrannten: Cod. Exon. 
S. 213 (nicht aus Lactantius). Schwängernde Zauberäpfel: Sehwed. Märch. 
S. 79. Verjüngende Aepfel: ebenda S. 192. 199. 201 fgg. Aepfel in den 
Händen Begrabener: Talvj 1, 68. als Liebeszauber: Lucian. Tox. 13. 
Hoffmann Monatschrift von u. für Schlesien 2, 754. als Geschenk an die 
Geliebte: Höh. Lied 2, 5. Talvj 1, 10. 2, 90 fg. 96. Skimisfor 19 fg. 


EITEA IITEPOENTA. 241 

Speise und setzt dieselbe ihrem MaiAe vor, und er isst mit Be- 
gier, aber doch unter beständigem wehmuthsvoUem Fragen nach 
dem Sohne ^). Marleenken aber, die Schwester^), die in tiefer 
Betrübniss weiss, was mit dem Kind geschehen, sammelt all die 
Knöchlein, die der Vater unter den Tisch geworfen, windet sie 
in ihr schönstes seidenes Tuch und legt sie darin unter den 
Wacholderbaum. Da geht durch den Baum ein Nebel und ein 
Feuer, imd aus dem Feuer fliegt ein schöner herrlich singender 
Vogel auf; das Tuch aber mit den Knöchlein ist verschwunden. 
Der Vogel fliegt spfort auf das Haus eines Goldschmiedes und 
singt ^) 

„Mein Mutter, der mich schlacbt, 
Mein Vater, der mich aas; 
Mein Schwester der Marlenichen 
Sucht aUe meine Benichen, 
Bindt sie in ein seiden Tuch, 
Legts unter den Machandelbaum. 
Ei Witt, kiwitt! 
.Wat vör'n schoen Vagel bün ik!" 


angebissen als Liebeszeichen: Talvj 2, 41. Zwischen Unterelbe und Unter- 
weser wird nach der kirchlichen Trauung eines Brautpaares von einem 
der älteren Hochzeitgäste ein rother Apfel auf den Altar gelegt und von 
den nachwandelnden Uebrigen eine Silbermünze hineingedrückt, als „Opfer" 
für den Geistlichen: Ziehen, norddeutsches Leben 2, 298.] 

1) Göthes Iphigenie 

„Und da Thyest an seinem Fleische sich 

Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift, 

Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme 

Der Knaben an des Saales Thüre schon 

Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend 

Ihm Haupt und Füsse der Erschlagnen hin.** 

2) Marleenken niederdeutsch aus Maria Magdalena. 

3) Gretchen in Göthes Faust 

„Meine Mutter, die Hur, die mich umgebracht hat! 

Mein Vater, der Schelm, der mich gessen hat! 

Mein Schwesterlein klein 

Hub auf die Bein 

An einem kühlen Ort: 

Da ward ich ein schönes Waldvögelein : 

Fliege fort, fliege fort!" 
Das Lied des Märchens zwingt sich unschön und sprachwidrig in eine Art 
von Hochdeutsch hinüber. 

Wackernagel, Schriften. III. 16 


242 EllEA nXEPOENTA. 

Und wie er hier zum Lohne für den Gesang eine goldene Kette 
erhält, so ersingt er sich noch bei einem Schuster ein Paar 
rother Schuhe und bei einer Mühle einen Müblstein. Mit all 
dem kehi-t er auf das Dach des Vaterhauses zurück und singt 
auch da sein Lied. Nach längerem Zaudern, da die im Hause 
theils Angst, theils neu erwachte Wehmuth zurückhält, tritt der 
Vater vor die Thüre und schaut nach dem Vogel hinauf: der 
lässt ihm die goldene Kette um den Hals fallen. Als der Vater 
zurückgekommen, geht Marleenken : sie erhält die rothen Schuhe. 
Endlich nach den beiden auch die Mutter, und auf sie wirft 
der Vogel den Mühlstein, dass sie zerschlagen daliegt. Und als 
Vater und Schwester wieder hinaustreten, da geht abermals in 
dem Baume Dampf und Feuer auf, und da es verweht ist, steht 
vor ihnen neu belebt der Knabe. 

Die Umgestaltung des geschlachteten und gekochten Kindes 
in einen Vogel hat auch die vorher angeführte griechische Sage 
von Procne und Itys, das Sammeln und Wiederbeleben der 
Knöchlein die von Tantalus und Pelops*), die Legende vom er- 
trunkenen Bjnd in Wilhelm Meisters Lehrjahren *), das Märchen 
vom Fitchersvogel ^) und ein nordischer Mythus vom Gotte Thor, 
wo es aber dessen geschlachtete und verspeiste Böcke sind, die 
wieder Leben empfangen*). Unser Märchen verbindet stufenweis 
beides: das Gebein wird zuerst in einen Vogel, der Vogel zurück 
in das Kind verwandelt. Wirksame Kraft aber bei dieser zwei- 
maligen Wiedergeburt (Wiedergeburt auch insofern, als sie gleich- 
sam aus dem Grabe der Mutter heraus geschieht) üben der 
Wacholderbaum und das Feuer. Der mythische Bezug der Bäume 
auf die Menschenschöpfung ist uralt und weitverbreitet^); in 
einem Walachischen Märchen ^) wachsen an der Stelle des Hofes, 


1) oben S. 229, Anm. 5. Kalewala. 15, 273 fgg. 

2) VIII, 9. Die nach und nach zusammengelesenen Knochen werden 
hier ebenfalls in ein Tuch gehüllt; nur ein Fingerknöchelchen hat sich 
nicht wiedergefunden und fehlt nun auch dem wiederbelebten Kinde. 

3) Br. Grimm 46. 

4) Snorra Edda S. 28. Einen Schenkelknochen hatte ein mitspeisen- 
der Bauernsohn des Markes wegen mit dem Messer zerhauen : davon hinkte 
nun dei' eine Bock. 

5) Vgl. meine Abhandlung über die Anthropogonie der Germanen in 
Haupts Zeitschr. VI, 15 fgg., und oben Bd. 2, S. 361, Anmerkung 190. 

6) Walachische Märchen v. Schott S. 121 fgg. 


EIJEA IlTEPOENTA. 243 

WO eine eifersüchtige Magd die ermordeten Zwillinge ihrer 
Herrinn vergraben hat, zwei Apfelbäume, und auch nachdem 
diese umgehauen, auch nachdem die aus ihnen gezimmerten Bett- 
stellen verbrannt sind, gehn doch aus einem ihrer goldenen 
Aepfel durch mehrfache Wandelung zuletzt die Kinder neu be- 
lebt hervor. Insbesondre aber bezeichnen den Wacholder schon 
die verschiedenen Namen, die er trägt, als einen mythisch be- 
deutsamen Baum des Lebens und der Verjüngung: angelsäch- 
sisch cvicbeäm und mittelhochd. queckolter^ beide gehörend zu 
queck d. h. lebendig, Wacholder, entstellt Wachandel und 
Machandel, das zu wachf lateinisch juniperus, das zu juvenis, 
junior* jung und pario gehört^). Das Feuer sodann. Möglich, 
dass jenem, in dessen Seele zuerst das Märchen entstand, nur 
der feurige Busch Moses *) vorgeschwebt: aber auch vielfach 
sonst und allgemein wird das gottentstammte Lebenselement im 
Leibe des Menschen als ein Feuer aufgefasst ^). Oder soll man 
mit Jac. Grimm*) in dem Baum und dem Feuer lediglich eine 
nffirchenhafte Umgestaltung des germanischen Leichenbrands er- 
kennen, weil berichtet oder vielmehr nur behauptet wird, der 
alte Norden habe sich zum Verbrennen der Leichen des Wach- 
olders bedient? Allerdings fliegt auch die Seele der heiligen 
Eulalia aus dem Brande des Scheiterhaufens als Taube empor ^) : 


1) Das — ter in queckolter uud wecheUter, wie der Wacholder ge- 
wöhnlich im Altdeutschen heisst, ist auf bekannte Weise aus dem goth. 
triu d. h. Baum entstanden. Ein Adj. queckol, althochd. etwa quechal, 
ergiebt si<^ aus dem Sübst. quichilunga oder qwiculunga, womit im Alt- 
hochd. die lat. Worte f Omentum und fomes übersetzt werden (GrafFs 
Sprachschatz IV, 636). Dem quechal ist dann wechal nachgebildet [wechal 
vgl. vigil]; Nachbildung von noch einem dritten Stamme, dem Zeitw. 
recken f zeigt reckal in der schwäbischen und alemannischen Benennung 
Reckolder, altdeutsch rekalter, rekolter (Schmellers Bair. Wörterb. III, 42). 
[über den Wacholder vgl. auch Schillers Thier- und Kräuterbuch 1, 19.] 

2) Mose II, 3, 2. 

3) Mein Aufsatz über das Lebenslicht in Haupts Zeitschr. VI, 280 fgg. 
[„Du must diesen einzigen Sohn tödten und all sein Fleisch im Feuer 
opfern: wenn Deine Gemahlinnen den Duft dieses Opfers riechen, werden 
sie alle Söhne erlangen" (und so geschieht es): Ind. Märchen Somadeva 
1, 138.] 

4) Ueber das Verbrennen der Leichen S. 54. 

5) Die Stellen oben S. 235, Anm. 8. [Die in einen Frosch verzauberte 

16* 


244 EHBA IITEPOENTA. 

ich furchte aber, dem Märchen würde mit solcher Auslegung 
ein schöner Theil seines tieferen Gehalts entzogen. 

Der Vogel, in den das ermordete Kind zunächst übergeht, 
ist aber nicht allein die ümkleidung von dessen Seele: er ist 
zugleich durch das Lied, das er von Haus zu Hause trägt, in 
noch vollerer Weise als dort die Kraniche des Ibycus der an- 
klagende und rächende Yerkündiger des Mordes und gleichsam 
die Verkörperung der Klage und der Bache. So fliegt auch in 
einem westfälischen Märchen^) jedesmal, wo die neidischen 
Schwestern einer Königinn ein neugeborenes Kind derselben ins 
Wasser werfen, ein singender Vogel in die Höhe, und zuletzt 
singt wiederum ein Vogel, und wieder wohl der gleiche, dem 
Könige von der Unthat der Schwestern; die Seelen der drei 
Kinder, die ohnediess nicht ertrinken, sondern gerettet werden, 
sind mit dem einen Vogel natürlich nicht gemeint. 

Halten wir inne und blicken rückwärts. So viel Beispiele 
von mythischer und sagenhafter Verwendung der Vögel wir 
haben kennen lernen, fast ebenso vielmal hätten wir auch den 
Namen befiederte Worte brauchen dürfen: die Vögel, die Mit- 
wisser und Boten so der Menschen wie der Götter sind, die dem 
wachen wie dem träumenden Auge Vorzeichen geben, die Wan- 
drern den Weg und die Kuhestätte weisen, die eine Unthat be- 
zeugen, die einer Unthat anklagen, die selber erst zu beständig 
warnender Strafe solch eine Gestalt empfangen haben, sie alle 
sind nur Worte in Vogelgestalt, befiederte Worte. Mitten aus 
dieser zusammengeschlossenen Reihe der mannigfaltigsten An- 
schauungen ist denn auch als ihr einheitlicher Inbegriflf, als der 
kürzeste Ausdruck für die mythische Wechselbeziehung der Be- 
griffe Wort und Vogel jenes homerische sTcsa TcxsposvTa er- 
wachsen : es sind die Worte, die, sobald sie aus der Seele hervor 
auf die Zunge treten und der Wand der Zähne entfliehn, zu 
Vögeln werden, zu Vögeln wie jene, die Götter und Menschen 
als Boten senden, zu Vögeln, die nun davon geflogen sind, die 


Königstochter wird im Feuer des Scheiterhaufens zurück verwandelt: 
Schwed. Märchen S. 316.] 

1) „De drei Vügelkens" Br. Grimm 96. 


EIIEA IITEPOENTA. 245 

man nicht zurückrufen, nicht wieder einhängen kann, die viel- 
leicht fliegen, wohin sie nicht sollten, und wohin sie sollten, 
dahin nicht gelangen: „Wie ein Vogel dahin fähret und eine 
Schwalbe fleuget, also ein unverdienter Fluch trifft nicht" ^). 
An Schnelligkeit wird dabei weiter nicht gedacht, so wenig als 
Sophoclerf an deren Gegentheil denkt, wenn er von dem Hemmen 
der Fittiche scharftönender Klagen spricht^). "A7CTepo<; aber ist 
ein fx\)^o(;, den der Angeredete nicht unbeachtet an sich vorbei- 
rauschen und zu den übrigen Worten auf die grosse Weide 
fliegen lässt, den er vielmehr fest hält, dass er bei ihm bleibt 
und nistet. 

Das Wort ist befiedert: so auch wird Fama, die personi- 
ficierte Kede der Menschen, nicht bloss gleich andern Personen 
solcher Art mit einem Flügelpaare, sie wird von Virgil^), so 
scheint es wenigstens, als ganz bedeckt mit Federn, im fiaMiam, 
wie ein Nordländer gesagt hätte, dargestellt; so viel sie aber 
Federn hat, so viel auch Augen und Ohren und Zungen. Eine 
Darstellung so ganz im Sinn auch der unclassischen Kunst, dass 
Hans Sachs für zwei seiner Gedichte, Fama und Nachred, sie 
mit Begier ergriflfen und durch beigefügte Holzschnittbilder noch 
sinnlicher hat veranschaulichen lassen*): Fama ist da ein ganz 
befiedertes, die Nachred ein nur geflügeltes Weib. Und Abra- 
ham a S. Clara giebt dem Geschrei, dem verlästernden Gerüchte, 
sechs Flügel^). Ovid in seiner Schilderung der Fama und ihres 
luftigen Schlosses®) gewährt von der Art nichts: aber Konrad 
von Würzburg, in einer auf Ovid beruhenden Stelle seines Buchs 
von Troja') zieht sogleich die Befiederung und die Vogelgestalt 


1) Sprichw. Salom. XXVI, 2. [Littauisches Sprichwort: „Das Wort 
fliegt als Sperling aus und kehrt als Ochse zurück" Schleicher S. 186. 
quod semel emissum volat irrevocahile verbum: Hör. Epist. 1, 18, 71.] 

2) Electra 234. dtTCTepo? 9aTt;: Aesch. Agam. 271. 

3) Aen. IV, 173 sqq. [Fama volat: Aen. 3, 121. Fama volans: ebd. 
11, 139. Ad. V. Brem. 2, 58. volitans pennata — nuncia Fama: Aen. 9, 
473. vgl. Argus und OflFenb. Job. 4, 6. 8.] 

• 4) Hans Sachs im Gewände seiner Zeit (v. Becker) Taf. XVII u. 
XVIII. Fama: fl. Sachs von Hopf 1, 116—119. 

5) Judas d. Erzschelm I, 155. 

6) Metamorph. XII, 39 sqq. 

7) Z. 24662 fgg. Albrecht von Halberstadt nicht: Bartsch XXVIH. 


246 EIIEA nTEPOENTA. 

mit herein. Hier überall, das ist der Sache oder doch den Um- 
ständen gemäss, unter denen hier Fama und der „Liumet^^ auf- 
treten, kommt denn auch die Schnelligkeit in Betracht, und die 
Federn und die Flügel zielen wesentlich mit auf diese. 

Die Auslegung, die der Redensart eicsa TCTspcSevra über die 
bloss stylistische Bedeutung hinaus eine mythologische zu geben 
sucht, wird noch besonders bestätigt durch die zahlreichen Fälle, 
in denen das deutsche Mittelalter ebenso von fliegenden Worten, 
noch häufiger aber, auf Grund einer Anschauung gleich jener 
römischen der Fama, von einem Fliegen des Mseres, von dem 
Msere als einem Vogel spricht, und zwar mit solch einem Wechsel 
der mannigfaltigsten Wendungen, bei aller Kürze des Ausdruckes 
mit so lebendiger Sinnlichkeit und beinah durchgehends so ganz 
ohne Bezug auf die vogelähnliche Schnelle, mit Bezug nur auf 
die weite Verbreitung des Wortes und des Maeres, dass hier der 
mythische Anstoss vollends unzweifelhaft, die bloss stylistische 
Auffassung aber gar unmöglich wird. Es sind der Stellen so 
überaus viele ^), dass ich mich gern auf eine Auswahl beschränke, 
welche theils durch Zufall, theils mit Absicht ist getroffen wor- 
den. Der älteste Beleg gehört bereits dem neunten Jahrhundert 
an; die Beihe der übrigen nimmt ihren Anfang da, wo überhaupt 
erst unsere Litteratur voller zu strömen anfängt, im zwölften 
Jahrhundert. 

„Man sol gedenken an ein wort, daz was wilent vliicke: 
durch liep so sol man leit bewarn" (ein Sprichwort) Frauenlobs 
Spruch 58, Z. 11. „In dem lande vlotic zehant niht wan daz 
eine Jdagewort^^^) Qottfneds v. Strassburg Tristan v. d. Hag. 
5486 = Massm. 139, 8. 

„Von vlochworden^^ von Flugworten, von Hörensagen, in 
einer west&Uschen Urkunde des 15. Jahrb.: Haltaus Glossarium 
Sp. 466. 

„Ut — fama^ malum, quo non velocius uUum^), de mi- 
nima meisa super aquüarum magnitudinem excresceret, ut ne- 


[Springen und Laufen des mmres: Mythol. S. 850 fg. „ein gengez nuere: 
Iwein 3374.] 

1) Eine Anzahl derselben schon in J. Grijnms Mythol. S. 850 fg. 

2) Vgl. die uT^\>Y°t? ^^utovwv yo<«>v bei ßoph. Electra 234.' 

3) aus Virg. Aen. IV, 174. ' 


EÜEA nTEPOENTA. 247 

quaquam jam celäri potuisset" Monachi Sangallensis Gesta Ka- 
roli 1, 25. [Meise und Adler auch Leseb. 1, 979, 15. Geier 
und Meise Hätzlerin 202b. Adler, Tauben, Meisen: Schleicher 
S. 202. Kaum einer meisen vedern schwcer: Hätzl. S. LXXV. 
— Das Gerücht war auf Adlersfittichen vor ihm hergeflogen: 
Musäus S. 644.] 

„Daz mcere d6 vedere gewan von der fronen wol getan; 
witen fuor ez ze gazzen*' Wemhers Maria in HofFmanns Fund- 
gruben II, 187, 32. 

„Vil schiere üouc daz mcere, daz da bi waere ein richez 
hüs, da gienge michil rouch üz" Kaiserchronik 957. „Daz maere 
schiere vlouc ubir al heidensc volc'* ebd. 8415. „Daz maere 
flouch d6 witen, daz der herre chomeo solte" Wemh. Maria 
159, 12. „DO daz maere chom geflogen, daz Herödes was be- 
trogen von den kunigen drien, vor leide began er schrien" ebd. 
207, 40. „Harde snel unde halt flouc ze R6me dat mere, wi 
deme dinge were" Pilatus 399. „D6 flouc daz mere über mere 
harte witen in die laut" Herborts Liet von Troye 13704. 
;,D6 flugen disiu maere von lande ze laut" Nibelungen 1362, 2. 
„D6 flugen disiu maere von schare baz ze schare" ebd. 1530, 1. 
[„ob diz maere iht verre flüge?" Wolfr. Willeh. 170, 20. „Sus 
flugen disiu masre von lande ze lande" j. Tit. -2720.] „Schier 
vlouc ein maere', erschollen von einem garzune, daz ein turnei 
vor^) Jaschüne über dri tage solde stn" Heinrichs von dem 
Turlin Cr6ne 3208. „Diu maere vlugen dräte von kneht ze 
ritter über al" ebd. 10357 ^). „Schiere vlugen diu maere, wie" 
u. s. w. ebd. 10898. „Dur siner (des Liumetes, der Fama) 
wende vensterlin vil manic maere fliuget" Konrads v. Würzburg 
Trojan. Krieg 24707. „Wä der arzt da were, von dem s6 wtte 
mSre vlugen in dem lande" Passional 86, 9 Hahn. „Diu leidigiu 
maer flugen in dem hüs umb" Ottocars Oesterreichische Chronik 
41b. „Ze hove kom daz maer geflogen, daz" u. s. w. ebd. 
121 b. In Vridankes Bescheidenheit 136, 3 das Sprichwort „S6 
daz maere ie verrer vliuget, s6 man ie mer gelinget"; weiter 
ausgeführt im Benner Hugos von Trimberg 4471 „S6 fremdiu 
maere ie verrer fliegent, s6 die liute ie m§r geliegent: wan daz 


1) Die Handschriften haben von. 

2) vgl. „Ditz vlouc vom ritter zuo dem kneht" ebd. 2826. 


248 EUfiA UTEPOENTA. 

ein mensche nie gesach, nnd daz vil Ithte ouch nie geschach, 
daz vidert ez und machetz niuwe" [fideren Stalders Idiotikon 1, 
368. B. Waldis Esop 3, 88, 56. Grimm, Wörterb. 3, 1627] 
und 18208 „Manc maero machet oft herzen swaere, daz doch s5 
gar niht freisüch wsere, der ez ze ören bringen wolte mit der 
wärheit, als er solte, der ez^) mit siebten werten widerte und 
ez mit lügen etswä niht viderte: wan s6 diu maere» ie verrer 
fliegent, so die liute ie mer geliegent. Ein bcese maere wirt gar 
schier flücke: e dann man^) hin und her gezücke daz guot, so 
wirt ez vedem bar, s6 *) daz stn nieman wirt gewar.*' Dazu ein 
lateinischer Spruch des 13. Jahrhunderts in Mones Anzeiger für 
Kunde der teutschen Vorzeit VII, 506: „Fama boni lente volat 
invidia prohibente; fama plena malis volat pernicibus alis"*). 

„Owi laidiu nüfnäre, di uu fligent in die laut" Ruolandes 
liet 258, 33. „Dit hadden si sd langhe ghedaen ende der 
minnen sd langhe gheploghen, dattie niemäre was ghevloghen 
ende ment seide openbäre" Diderics van Assenede Floris 358. 

Fltigkmere s. v. a. Gerücht in einer Sächsischen Staats- 
schrift des 15 Jahrb.: Haltaus Glossarium Sp. 466. Auch in 
Schmellers Bayerischem Wörterbuch II, 606 wird daz flugmcßr 
angeführt, [flügrede Agricola no. 183.] 

Für maere das gleichbedeutende Wort schal. „Diser jaem- 
ricltcher schal kom geflogen in die stat" Ottocars Oestr. Chronik 
71b 5). 

Gegenstände des Maeres als Subjecte des Fliegens. „Ihr 
cehte ftoK^ in die kmt" Kaiserchronik 6479. „DO breitte sich 
des kunigis whtesal, sie vlouc ubir al" ebd. 6405. „Ja vlöc des 
bäbeses ban allenthalben in die kristenheit" ebd. 16868. „D6 
was von R6me ein starc gebot üz gegangen und geflogen" Kon- 
rads V. Würzburg Silvester 857. „luwer lop ist flücke üf erden 
also sere, daz man siht iuwer h-e alumbe und umbe sweimenf^ 
dessen Engelhard 694. „Des vlouc sin lop über velt" Erzählung 


1) Die Bamberger Ausgabe hat ez hintei: Worten. 

2) Bamb. Ausg. man ez. 

3) Bamb. Ausg. so gar, 

4) „pernicibus alis" aus Virg. Aen. IV, 180. 

5) Verschieden davon im Rolandsliede 215, 7 „der scal flouc in die 
lant": denn hier ist der Schall eines Homes gemeint. 


EIIEA nXEPOENTA. 249 

Volrats in Haupts Zeitschrift VI, 497. „Doch s6 vl6g sin lü- 
munt unde sin prts obir alle furstin in dütschin landin" Leben 
des heil. Ludwig von Friedrich Ködiz 15, 15. „Sin name an 
eren wite vlouc" Passional 157, 20 Köpke. „Sin name fleug 
üz verre" Leben der heil. Elisabeth in GrafiFs Diutiska I, 3.46. 
„Spot — sUchet umbe und umbe entwer von dem ze dem alsam 
ein swal^^ Winsbecke 27, 6. „Alsus vlouc Morgänes tot mit 
maneger hande klage nöt, als obe er vlücke waere; er seite 
leidiu msere üf die bürge und in daz laut" Gottfrieds Tristan 
5481 = 139, 3. [flück berühmt: H. Sachs 2, 270.] „Der 
tot des herzogen über al daz^) laut kam geflogen" Ottocar 
590 a. [„Mein Schali floh überweit" P. Fleming in seinem 
letzten Sonett.] 

Als letzter Beleg mögen noch einige Strophen aus einem 
Meistergesänge dienen, der von Martin Schleich „wol in dess 
Speten Thon" gedichtet und im Jahr 1605 hier zu Basel ist 
gedruckt worden^): ein Beleg nicht ohne Werth, weil er uns 
das Fliegen des Maeres auf allersinnlichste und eigentlichste Art 
bewerkstelligt zeigt. Es muss dieses an den Namen des Alber- 
tus Magnus geknüpfte Abenteuer auch in England bekannt ge- 
wesen sein : Shakespeare in seinem Hamlet spielt einmal sichtlich 
darauf an'). Bereits neun Jünglinge, so erzählt das Lied, hat 
eine verbuhlte Königinn missbraucht und dann sie tödten lassen ; 
das zehnte Opfer soll Albertus sein: aber er entgeht ihr. 

„Er blickt sie an und thet mit werten sprechen, fraw kö- 
nigin nun jungling will ich thun rechen, also lass ich meiji red 
gehn euch bleiben, behüt euch Gott ich fahr dahin, in einen 
waldt staht mir mein sinn, darinn ich euwer vogler bin, als viel 
ich fach die will ich euch zuschicken*). 

Der Student schwang sich bald hindan, ihm sahen nach 


1) Bei Pez zwischen al und daz noch in. 

2) OflFener Bogen von Joh. Schröter unter dem Titel „Die Falsche 
Königin. Wie sie neun schöner Jüngling mit jhrer falschen Bulschafft, 
vmb jhr Leben gebracht hat, etc." Ambr. Liederb. S. 322 fgg. Wunderh, 
2, 245 fgg. 

3) III, 4 „unpeg the basket on the house's top, let the birds fly." 
[vgl.: Buridan und die Königin von Frankreich, in Haupts Zeitschr, 2, 
362 fgg. Murners Geuchmatt: Scheibles Kloster 8, 1065 fg.] 

4) Lies zuscheiben. 


250 EDEA nXEPOENTA. 

vil weib und mann, er satzt sich inn des waldes plan, darinn 
fieng er viel vögel merckend eben. 

Er satzt sich in dess waldes band, viel vögel flogen ihm zu 
band, sie bleiben all ohn netz und bandt, als viel er fieng die 
liess er all bey leben. 

Mit ihn schwang er sich hoch in die lüfften, mit seiner 
kunst thet er gross wunder stiflFten , aufif einem thurn hoch liess 
«r sich nieder, mit ihm die vögel manigfalt, die er da hat ge- 
fangen in dem waldt, sie bleiben all inn seinem gewalt, er band 
sie da und beschnit in ir gefieder. 

JOer Student was von herzen fro, ieglichem vogel schreib 
er da, ein briefflein klein das sagt also, item die koenigin ist 
ein mörderinne. 

Die Vögel blieben unzertrant, ieglichem in sein schnabel 
bant, ein brieflniin klein gar unverwandt, er schufF sie hin wol 
von des thumes zinne. 

Wol für die königin theten sie sich neigen, auflF die vögel 
ward man mit fingern zeigen, man hub ir etwan mengen auflf 
bey der erde , man lass die zetel all zu band , aufF gieng ein 
offendliche schand, keiner djrffts thun zum ersten bekandt, man 
wolts nicht lassen kommen für die werde. 

]Man scheuchet hin die vogelschar, dess nam der student 
eben war, erst liess er andere fliegen dar, der königin gut gar 
eben für die äugen. 

Da was einer in Sonderheit, balieret für die andere gemeyt, 
die königin het ab im ein frewd, sie greiff nach im er thet sich 
zu ihr nahen*). 

Er flog ihr auff die hend mit klugem lis.te, den zedel feit 
er zwischen ihre brüste, sie greiff nach ihm der vogel was ge- 
schwinde, er flog gar schnelligklichen hin, zu seim meister stund 
ihm sein sinn, dann sie zerriss mit irem kinn, den zedel gut 
als wir nuhn klerlich finden." 

Und hiemit endlich wollen wir der langen Abhandlung ein 
Ende machen, jedoch nur indem wir den ganzen Chor der Vögel 
noch vernehmen, den Chor der Vögel des Aristophanes, wie auch 
dieser sich zum Schluss bereitet. Lassen wir aber, damit sein 


1) Lies taugen. 


EHEA nXEPOENTA. 251 

Wort boni ominis sei, die Art des Mannes, den der hochzeitliche 
Jubelgesang begrüsst, ganz ausser Acht und halten uns als 
Grammatiker bloss an den gastlich-coUegialischen Wortlaut seines 
Namens Pisthetairos. Wohlan denn! 

McYttXat, [xeyotXat xaT^^ouat Tu^at 

xol vufX9t$tot9i $^x^(7^' c5$aLi; 
auTÖv xa\ TT)v BaaCXeiav. 


N 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 


(Zuerst als Programm zu der Ffomotionsfeier des Pädagogiums in 
Basel 1861, 53 Seiten in 4°. in zweiter verbesserter Ausgabe 1863, 62 Seiten 

in 4V 


' Die Germanischen Völker sind in Zeit und Kaum Nach- 
folger der Kömer, Nachbarn der Komanen. Ihre Neigung aber 
sich allem Fremden zu erschliessen und noch mehr die Art, in 
welcher sie all das Fremde sich aneignen, hat sie aus Nach- 
folgern zu Erben werden lassen und sie, die vordem in den 
äussersten Umkreisen gestände^, hoch auf den Mittelpunkt der 
neueren Geschichte hingestellt: noch immer ist Deutschland das 
schlagende Herz Europas, das von überall her Leben empfangt 
und überall hin Leben spendet, wo nicht in anderen Dingen, 
doch in Dingen des Geistes. 

Die Einflüsse, die von Kom, dann von der Komanischen 
Welt aus. den Germanen berührten, find die er nicht zurück- 
weisen konnte ohne zugleich jegliche Bildung stumpf zurückzu- 
weisen (denn auf ihrer Strömung kam ihm der christliche Glaube, 
kamen Wissenschaft und Kunst und Kitterthum und sonst noch 
wie viele und reiche Veredlung und Ausschmückung des Lebens), 
sie hätten doch nicht so befruchtend und erhebend zu wirken 
vermocht, wenn nicht bis tief in das Mittelalter herab der 
Deutsche Geist es verstanden hätte das von aussen ihm gebotene 
alsobald selbständig fortzubilden, zu entwickeln, zu vollenden, 
das Undeutsche allmälich in ein Deutsches umzugestalten. Bei- 
spiele giebt, um nur in naheliegende Gebiete den Blick zu 
werfen, die •Geschichte unserer alten Baukunst in den Fort- 
schritten von den Basiliken Koms bis zum Dom von Köln, die 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 253 

# 

der Verskunst in dem Gange des Strophenbaues von der einfach 
kirchlichen Form, die Otfried nachahmt, bis zu den Ueber- 
künstelungen der Meistersänger, und in der Umdeutschung antiker 
Maasse durch Sylbenzählung und Beim, die noch dem sechzehn* 
ten Jahrhundert natürlich schien; eines der augenfälligsten, frei- 
lich uns jetzt störend, ist die Naivität, womit Malerei und 
Poesie sich über alles geschichtliche Gostüm hinwegsetzten, 
Alexander und Cäsar und Jesum Christum ganz den Helden 
und Königen der eigenen Zeit und ihrer Bomane gleich und die 
Göttinn der Liebe zu einer Frau Minne machten. 

Seitdem sich aber diesem unablässigen Fortleben und Fort- 
wachsen die Renaissance mit plötzlicher Hemmung in den Weg 
gestellt, von dieser in Wissenschaft und Kunst und allem Leben 
entscheidenden Wendung an die ganze nachmittelalterliche Zeit 
hindurch verhält sich der deutsche Geist nicht mehr so schöpfe- 
risch gegen das Vorzeitliche und Fremde: an die Stelle selbst- 
thätiger Aneignung ist die Nachahmung getreten, die sich des 
Selbst und seiner Thätigkeit möglichst entäussert, die mit ge- 
wissenhafter Objectivität in fremde Form, fremde Anschauung, 
ja, sogar hier auf die Fortentwiokelung verzichtend, zurück in 
die eigene Vorzeit wie in ein Fremdes sich versetzt. Die Kunst, 
die dichtende wie die bildende, ist gelehrt geworden: die Ge- 
lehrsamkeit aber in ihrer Entfremdung von der Kirche steht 
ausserhalb des Volkes und wirkt auf dessen organische Lebens- 
entwickelung öfter störend und verfälschend als fördernd ein. 

Dieser Gang und Stand der Dinge tritt uns namentlich 
auch da und besonders klar entgegen, wo die Geschichte unserer 
Sprache, dieser Hauptausschnitt unsrer Volksgeschichte, die Be- 
ziehungen zwischen Deutschland und Ausland, zwischen Gegen- 
wart und Vorzeit darzustellen hat. 

Indem ich somit von dem sprachlichen Verhalten gegen- 
über der Fremde handeln will, denke ich nicht sowohl an das, 
was die Stylistik Barbarismus neni\t, nicht an jene ganz mecha- 
nisch äusserliche Sprachenmischung, die zum Schaden der Lati- 
nität unsre ältesten Bechtsaufzeichnungen durch den Gebrauch 
deutscher Wörter mitten im Latein verschuldet haben, dann 
noch anhaltender und mannigfacher zum Schaden der Deutsch- 
heit die Gelehrsamkeit des zehnten, des elften, des sechzehnten, 
des siebzehnten Jahrhunderts durch lateinische, die höfische 


254 I^io Umdeatschung fremder Wörter. 

Schönthuerei des dreizehnten und des siebzehnten durch welsche 
Wörter in sonst doch deutscher Rede. Denn alles das sammt 
der halb bewussten, halb unbewussten Ironisierung, welche die 
Lieder aus abwechselnd lateinischen und deutschen Versen und 
die s. g. macaronischen Gedichte dagegen wandten, alles das 
war eben nur Sache des Stiles, nicht der Sprache selbst. Zwar 
kann sogar innerhalb dieses üngeschmackes das Verfahren des 
Mittelalters als ein noch gesunderes deutscheres und das der 
späteren Zeit als ein pedantisch gänzlich undeutsches unter- 
schieden werden, wenn z. B. um das Jahr 1000 Sanctgallische 
Schriftsteller die lateinischen Worte, die sie einmischen, in dem 
Geschlecht der entsprechenden deutschen verstehn und dem- 
gemäss construieren, dagegen Schriftsteller des sechzehnten und 
siebzehnten Jahrhunderts um der lateinischen Worte willen auch 
die damit verbundenen deutschen sich lateinisch denken, wenn 
also jene dero numero und demo plebe sagen, weil zcda weiblich, 
Hut männlich ist, diese dagegen ohne Christo, bei Cannas, weil 
ohne auf Lateinisch sine^ bei apud heisst. Aber den Kern des 
Sprachlebens und damit das Leben des Volkes berühren solche 
Aussendinge nicht: sie hängen sich an, sie fallen ab mit den 
wechselnden Zuständen der Litteratur und der Gesellschaft. Was 
ihn berührt, ist die wirkliche und eigentliche Aufnahme fremder 
Wörter in den Kreis der deutschen, die Verpflanzung solcher in 
deutschen Boden, die Einverleibung in den deutschen Sprach- 
organismus. Allerdings jedoch stehn, wie wir gleich gewahren 
werden, jene Barbarismen der Litteratur und diese Aneignungen 
der Sprache jedesmal in einem sehr natürlichen Zusammen- 
hange. 

Die Wanderung durch Pinnisches Gebiet, dann die Nieder- 
lassung mitteninne zwischen Gelten und Slaven hat schon in den 
frühesten und theilweis noch in späteren Zeiten die Sprachen 
dieser Völker auf die der Germanen einwirken lassen, doch 
überall nur mit Abgabe weniger einzelner Wörter wie die der 
finnischen kuUa Gold und nüekka Schwert, die nun auf Gothisch 
gulth und nUki lauten % der slavischen knut Knute und smokva 


1) Ueber noch andre vgl. J. Grimm in Höfers Zeitschrift für d. 
Wissenschaft d. Sprache I, 19 fgg. und den Ulfilas von Gabelentz u. Lobe 
II, 2, 4. [Deutsches aus dem Lappischen: Dietrich in Haupts Zeitschr. 
Bd. 7, 177 fgg.] 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 255 

Feige, auf Gothisch hnutho und smakka^)^ der litthauischen 
pats Herr und stiklas, slavisch stMo Glas, auf Gothisch fath 
und stiU Becher^), des celtischen ambadus Diener und brace 
Malzgetreide, auf Gothisch midbaht, auf Althochdeutsch ampaht 
und priuwan brauen. Denn es waren das zum Theil nicht ein- 
mal Culturvölker , und jedesfalls kam diejenige Cultur, der das 
Gemüth der Germanen sich ahnungsvoll entgegensehnte, von 
ihrer keinem. Ich meine die Bildung durch das Christenthum, 
dem man das eine Verdienst doch lassen wird, dass es unsre 
Väter mit dem Lateinischen und Griechischen näher » vertraut 
und mit einem besseren Anbau des Bodens und mancherlei 
Gewerben bekannt gemacht hat. 

Der ruhig dauernde Bezug, in welchen der neue Glaube 
die germanischen Völker zu den Völkern des Südens und Westens 
brachte, öffnete sofort auch ihre Sprache einer breiten, tiefen, 
nachhaltigen, bis auf den heutigen Tag noch andauernden Ein- 
wirkung der Sprachen jener, der lateinischen, die zumal noch 
in den Büchern und den Schulen lebte, der romanischen, die für 
das Leben ausserhalb an den Platz der lateinischen ruckte, der 
griechischen, soweit deren Einwirkung durch das Latein ver- 
mittelt war(l: denn unmittelbar ist das alte Griechisch kaum an 
irgend ein nachrömisches Volk Europas gelangt, kaum selbst an 
die Gothen trotz ihrer Bibelübersetzung aus griechischen Texten, 
und unsre Philologen thun ein Unrecht, wenn sie 55. B. in der 
Aussprache und Schreibung griechischer Namen bemüht sind 
die alten Spuren jenes geschichtlichen Ganges auszuwischen. 

Ein breiter, tiefer, nachhaltiger Einfluss: denn im Geleit 
und in weiterer Nachfolge der Bekehrung, im Verlaufe des 
Mittelalters und noch der späteren Zeit trat eine je und je noch 
wachsende Fülle neuer fremder BegriflFe und damit auch neuer 
fremder Worte in den Bereich des deutschen Lebens ein, Worte 
der Kirche, der Kunst, der Wissenschaft, des Bodenbaues, des 


1) Vgl. J. Grimm in der Vorrede zu Wuks Stephanowitsch Serbischer 
Grammatik S. 11; Schaffariks Slaw. Alterthümer I, 429; ülfilas U, 1, IX. 
Später im Mittelalter, als deutsche Anpflanzungen neu gegen Osten drangen, 
ward auch die Sprache diesem und jenem slavischen Wort aufs neue ge- 
öffnet, und man vertauschte z. ß. dort zuerst das deutsche marke gegen 
grenize, auf Polnisch granica. 

2) [vgl. jedoch über stikl Dietrich in Pfeiffers Germania 11, 208.] 


256 I>ie ümdeutflchung fremder Wörter. 

Gewerbes, des Handels, des Kriegswesens; und "^ar auch ein 
Begriff nicht völlig neu, so empfieng und lernte man doch jetzt 
die Sache in einer vordem nicht so gekannten YoUkommenheit 
und durfte deshalb wohl neben das gothische Uki, althochdeutsch 
lächi und allgemach an dessen Stelle das griechisch- lateinische 
arziU d. h. archiater stellen, neben goth. preitan althochd. rtzan 
nun scribere scripan, neben trota nun auch calcatorium calcatürd 
Kelter und pressa und torcular torktd. Oder war auch der Be- 
griff ein altgewohnter, so schmeichelte sich doch das Wort durch 
seine Noiheit, durch den ungewohnten Klang und Wohlklang 
ein, und namentlich gerieth in das Deutsche derer, denen der 
häufige Gebrauch einer fremden Sprache Beruf oder Liebhaberei 
war, von da her manch ein unnützes Fremdwort und gerieth 
durch ihr Beispiel auch noch weiter. Und all diese Einführungen 
hielten Schritt mit dem vorher schon bezeichneten Stufengang 
des s. g. Barbarismus: denn im früheren Mittelalter war es die 
Kirche und ihre lateinische Bildung, im späteren das franzosisch 
gestaltete ßitterwesen, in der neueren Zeit Pedanterei und Hof- 
dienst neben einander, was mit Lateinischem, mit Französischem, 
mit Lateinischem und I^anzösischem unser Deutsch zugleich 
verderben und bereichern sollte. 

Und dabei ist es nicht so gar selten geschehen, dass man 
zumal dem Französischen Wörter entnahm, die früher in diese 
Sprache aus dem Deutschen selbst gekommen waren, dass man 
unbewusst eigenes Gut von Fremden wiederborgte. Beispiele 
der Art französ. und neuhochd. Balcon vom althochd. balcho 
Balken; mittelhochd. baniere banner, franz. bannige von band 
(den Langobarden s. v. a. Fahne); Bresche, fr. breche, altd. 
brechä; mhd. briu Weib, fr. bru, ahd. brüt; bosch busch, ital. 
bosco, ahd. büwisc Bauholz, Holz, von büwan (J. Grimm über 
Diphthonge S. 12); Furrier, fr. fourrier von feurre, ahd. fuotar 
Futter; hantieren, fr. hanter, altnord. heimta heimfordern, heim- 
bringen (Diez Wörterb. H, 328); Hellebarde, mhd. haUenbarte, 
fr. hallebarde, mhd. helmbarte Helme zerhauendes Beil; Lotio 
und Loterie, goth. hlaut, ahd. hloz und hluz Loos; Marschall, 
fr. marichal, ahd. marahscalch Pferdeknecht; Bang, ahd. hring 
Kreis; mhd. scheneschlant und mit Bezug auf schalten seneschcUt, 
fr. senichal, ahd. siniscalch Altknecht; Schmälte, fr. smalte, ital. 
smalto, ahd. smelzan; Spion, ital. spione, fr. espion, ahd. spehön 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 257 

spähen; Suppe, fr. soupe, altn. sup Brühe, von süpa saufen; 
mhd. tanzy it. danza, fr. danse, ahd. dansdn ziehen; mhd. 
tartsche, fr. targe, ahd. zargä Band; ahd. tascä Tasche, fr. 
tdsqus fache f ahd. zascdn an sich nehmen; mhd. walap, fr. u. 
nhd. Galop, ahd. gählouf Schnelllauf? 

Auf ganz eigenthümliche Art aber hat das dreizehnte und 
hat wieder das sechzehnte Jahrhundert die Bereicherung durch 
fremdes Gut getrieben, indem jenes zu der Uebertragung fran- 
zösischer, diess zu der üebertragung lateinischer Bildungs weisen 
auf deutsche Worte den ersten Ton anschlug. Töne die beide 
heut noch fortklingen, jenes mit Ausdrücken wie jegerie und 
wandelieren, dieses z. B. mit den lateinischen Endungen deut- 
scher Namen, so dass noch wir jetzt Frohen und BeuchUn und 
lutherisch sprechen, weil man vormals Frohenius und Retichlinus 
und Lutherus gesprochen hat. Ich weiss nicht, ob dergleichen 
Mischung deutschen Beginns und fremden Schlusses stets mit 
Bewusstsein und Absicht ist geübt worden: dafür sind die Fälle 
beinah zu zahlreich und hat die ganze Unart sich auch zu weit 
und zu mannigfaltig gerade in der niederen Bede ausgebreitet; 
wenn jener Prediger von einem treuen Bekenner des Christenthi 
-sprach, so war wenigstens er sich keines Unterschiedes mehr 
zwischen Deutschem und Lateinischem bewusst. 

Auf dem deutschen Standpunkt der Betrachtung, auf Seiten 
des Volkes hat ein Bewusstsein, das in diesen Dingen unter- 
schieden hätte, jedesfalls Jahrhunderte lang gemangelt. Vom 
Gothischen an das Mittelalter hindurch und noch jetzt in der 
halbmittelalterlichen Sprache des gemeinen Mannes gilt gegen- 
über den fremden Worten jenes Verhalten, das ich mir erlaube 
Umdeutschung zu nennen: das heisst, es werden die fremden 
Worte in Vocalen und Consonanten eben den Gesetzen fort- 
schreitender Entwickelung unterworfen, die für deutsche bestehn; 
sie werden betont wie deutsche, werden mit deutscher Flexion,* 
deutscher Ableitung bekleidet, werden durch Zusammensetzung 
mit deutschen Synonymen verständlicher gemacht, werden end- 
lich durch bald leisere, bald stärkere Aenderung ihrer Gestalt 
in den Anklang an wirklich deutsche Wurzeln und in deutsche 
Begriffsanschaulichkeit hereingezogen: zum Theil das die gleichen 
Wege, welche die Sprache einschlägt um auch ältere " deutsche 
Worte, deren Sinn unkenntlich geworden ist, wieder aufzu- 

Wackernagel, Schriften. IIL 17 


258 I^d Ümdeutschnng fremder Wörter. 

frischen. Wie da z. B. Luthers Sindflut ganz treffend sich in 
Sündflut^) umgeformt und Mal sich neu yerdeutlicht hat durch 
die Zusammensetzung Malzeichen, so yerdeutlicht sich im Munde 
der Thüringer das französische lavoir durch die Zusammensetzung 
Waschlavdr und das griechisch-lateinisdie margarita formt sich 
althochdeutsch in marikreoz, angelsächsisch in meregreot d. i. 
Meerkies um. 

Derartige Erneuerung alter und Aneignung fremder Worte, 
beides ist auch anderen Sprachen wohl bekannt: z. B. jene, 
wenn auf Lateinisch die Schläfe tempora heisst, während das 
Wort ursprünglich eine Zusammensetzung aus einem Adjectivum 
wie tenuis und einem Subst. wie griech. xapeia muss gewesen 
sein (vgl. den althochdeutschen Namen duniwangi)^ und wenn 
im Altfranzösischen und Spanischen aus Itisciniola 'roisignor und 
ruisennor hervorgeht; diese, wenn die italiänischen Umbildungen 
inchiostro und schiavino dem griechischen SyxauaTov einen Be- 
zug auf chiostro Kloster, dem deutsch-lateinischen scabinus auf 
schiavo Slaye, Sclave geben; wenn das Lateinische gleichartig 
mit den Worten pidura und sculptura auch ein architectura 
von apxtT^xTov bildet, aus 6pe£x.aXxoc aurichalcum und im 
Mittelalter aus pascha pascua macht; wenn ebenso der Grieche 
das hebräische Jencschaiajim als 'lepoaoXuiia, das Sanhedrin 
als ouveSpiov und Scipio als 2xir)7ü(G)v sich zurechtlegt 

Aber der neueren Zeit und trotz so classischen Beispielen 
gerade den Gelehrten derselben ist solch ein fortarbeitender 
Lebenstrieb der Sprache nur ein Aergerniss: unser Schriftdeutsch, 
wo es selber frisch aus der Fremde entlehnt, ändert an dem 
Entlehnten bei Leibe nichts, und der Umdeutschungen, die von 
Alters her auf uns gekommen sind, sucht es wo möglich wieder 
los zu werden, sucht wo möglich im Laut, im Ton, zum mindesten 
doch in der Schreibung die fremde Urform wieder herzustellen. 
Wie es indess jenen Pedanten geht, die mit halbangeflogener 
Eenntniss des Altdeutschen unser Neudeutsch meistern, die uns 
wieder eine Sindflut aufdrängen wollen und dabei übersehn, dass 
auch dieses noch nicht die echte rechte Form ist, sonäem Sinfiut 
{sin s. y. a. überall oder inuner), nicht anders den gelehrten 
Gegnern der Umdeutschung : es ist meistens doch nur Stück- 


1) Sogar in Sündflusz; vergl. den Titel oben S. 57, Anmerkung 131. 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 259 

werk, was sie uns liefern und geliefert haben. Allerdings stehen 
Dom und Orieche und Märtyrer und Papst in Laut oder Buch- 
staben wieder näher bei domm und Grcecus und (xapTup und 
papa oder 7caica(;, als die älteren Formen Thum und Kriech 
und Marter er und die andre Schreibung Pahst denselben stehen: 
aber inuner noch ist Dom ein Masculinum und hat Crrieche ein 
unlateinisches iech, hat Papst einen ungriechischen Ausgang und 
Märtyrer ausserdem noch einen Umlaut, der ungriechisch ist. 
Es dünkt dem Pedanten ein Grosses, wenn er ausfindig macht, 
man dürfe nicht Araber betonen, weil es ja auf Lateinisch 
'Arabs 'Arabis heisse: von Hunderten ganz gleichartiger' Fälle 
und neben all den andern, welche diesem zunächst liegen, . sticht 
er sich den einen allein heraus und betont 'Araber imd betont 
dennoch arabisch und nennt sich selbst auch nicht Philologe. 

Es soll mich freuen, wenn der bisher vorgetragenen oder 
besserer Gründe wegen die ümdbütschung fbemdeb Wöeteb 
auch Anderen als ein Gegenstand erscheint, der sowohl für die 
Geschichte der Sprache selbst als durch seinen parallelen Bezug 
auf die Culturgeschichte von Bedeutung sei. Die nachfolgenden 
Blätter werden eine Erörterung desselben versuchen, oder viel- 
mehr nur den Entwurf einer Erörterung: denn die Fülle des 
Stoffes nöthigt mich die Schranken enger, als ich eigentlich 
sollte, zu ziehen und die Belege allein aus dem gothischen und 
unsrem hochdeutschen Gebiete zu entnehmen, nöthigt mich auch 
zu einer oft mehr als lexicographischen Kürze und Dürre der 
Darstellung. Der Polemik aber, die wiederholendlich in aller 
Weitläuftigkeit Anlass fände, würde ich auch unter anderen 
Umständen mich enthalten. 


L Die Consonanten- 

Als unsere Sprache von der Stufe des Germanisch-Gothischen, 
einem Standpunkt, auf welchem die sächsischen und die scan- 
dinavischen Sprachen sich heute noch befinden, zuerst in das 
Hochdeutsch übergieng, wurden die stummen Consonanten dem 
Gesetze nach in der Art umgeändert, dass für die Tennis eines 
Organs dessen Aspirata, für die Aspirata die Media, für die 
Media die Tennis eintrat: das goth. sUpan lautete nun sldfan, 

17* 


260 I^e ÜmdeatschnDg fremder Wörter. 

timan zeman, kuni chunni, af aha, thaumus dorn, ahana agana, 
U6ma pluomo, dail teü, litigan liukan. So im Allgemeinen: die 
Abweichungen davon, die es in Einzelheiten giebt, werden zum 
grösseren Theile gleich auf den nächsten Blättern beröhrt 
werden. 

Diese durchgreifende Wendung hat sich im Verlauf des 
siebenten Jahrhunderts entwickelt. Gregor von Tours (f 594) 
schreibt noch Hist. Franc. IX, 36 und X, 16 Stratdburgum 
Straieburgum mit t, mit b, mit g, eben wie die Provinzen Ver- 
zeichnisse bei Bouquet 11, 2 u. 9 Strateburgo^ die Wessobrunner 
Olossen des achten zeigen bereits Strazpuruc, also z und p und 
c: mitten inne im siebenten bei dem Geographen von Bavenna 
231, 7 u. 232, 2 hat Stratisburgo noch die vorhochdeutschen 
Laute, und das z in Brezecha Breisach und Bazda 231, 9. 10 
ist noch das säuselnd weiche der Gothen, die Yermittelung 
zwischen s und r; aber schon auch aspiriert derselbe 232, 5 
Tdberna in Ziaberna, 232, 11 Turicum in Ziurichi, 231, 6 
Porta in Porza^). 

Es besitzt aber unsere Sprache durch Urverwandtschaft 
zahlreiche Worte gemein mit der griechischen und lateinischen, 
und diese machen den Parallelismus der Lautverschiebung voll, 
indem sie derselben noch eine Stufe mehr hinzufügen. Der 
pelasgischen Tennis solcher steht im Gothischen u. s. f. die 
Aspirata, im Althochdeutschen mithin die Media gegenüber, der 
Media die Tenuis und die Aspirata, der Aspirata die Media und 
die Tenuis: z. B. tacere, goth. thahan, althochd. dctgen; tribus, 
g. thaurp, ahd. darf; Teyoc^, tego, altnord. thak, ahd. d(ich; dens 
dentis, oSouc 686vto(;, g. tunthus, ahd. zand; Tpe'xsiTv c^ps^o, 
trahere, g. dragan, ahd. trakan; betere, ßaxov, angelsächs. pab, 


1) Die Schreibungen Ziaberna und Ziurichi weisen darauf hin, dass 
auch im Anlaut der Uebergang des T in Z von der Beimischung des 
Vocales sei begleitet gewesen, der inlautend im lat. lectio, im deutschen 
satjan sazjan setzen y skapjan scafjan schepfen^ vakjan wachjan tüecken 
die schärfende und yerhärtende Wirkung übte : das griechische Z geht an- 
lautend wie inlautend aus 5t hervor: ^a.- aus 5ta-, Treloc aus ii^Sio?, in 
der späteren Latinität zahulus aus SiaßoXoCy zeta aus dCaiTa. Und so ist 
wohl auch das althochd. zatarra meretrix aus theatrica, zu dessen Glos- 
sierung es einmal dient, entstanden. 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 261 

ahd. phad; <ff\y6(;y fagtis, g. bdka, ahd. puocha; 9pocTop, frater, ' 
g. brdthar, ahd, pruodar; Jmdtts, g. gaitei, ahd. heiz. 

So bei Worten, die der deutschen Sprache ans dem gleichen 
Urquell mit .den beiden pelasgischen zugeflossen sind: nicht so 
bei denen, die sie erst später aus letzteren entlehnt hat. Hier 
hält das Gothische, hält das alte Hochdeutsch grundsätzlich wie 
das neuere den fremden Laut, der ihm vorliegt, fest, und die 
Tennis z. B. geht nicht in die Aspirata noch die Media über, 
sie bleibt. Abgewichen davon wird nur, wo die Sprache zur 
Abweichung nöthigt. Das Gothische besass wohl auch ein ^, 
aber kein 9, kein x ^ es vertauschte gleich der niederen und der 
alten Latinität jenes gegen f, diess gegen k oder ein&ch h: 
praufetus, drakma, op^x.*") aurahjo. Es besass kein z mit dem 
harten Laute wie ts: wo in lateinischen Worten c und t diesen 
Zischlaut hatten (und sie hatten unter denselben üm^nden wie 
später ihn schon damals), da ward er entweder in ts aufgelöst, 
cautio in kavtsjd, oder noch lieber folgte man bloss dem Buch- 
staben und sprach und schrieb wie die Griechen auch vor e und 
i ein k, auch vor j ein t: also (icetum akeit, uncia unkja, lectio 
laiMjo. Unnöthig, da g dem Gothischen nicht fehlte, scheint 
die Aenderung von rpatxoc; Grcecus in Krik, von (jLapyapCriQC 
in markreitus: hier mag sich g nur auf Anlass des folgenden c 
und t verhärtet haben : der Gothe liebte und übte die Assimilation 
in mannigfachster Art: machte er doch selbst aus dXaßaarpoc 
alabalstraun, aus ^Apxa^sp^T]^ Artarksairkstis, Sonst dagegen 
bleiben die griechisch-lateinischen Consonanten, bleiben p und f 
und b, t und th und d, und c und g unangetastet, und es heisst 
wie pondus, fascia, cubitus, (jocßßaxov, ^ujJLfäjJLa, StaßoXoc, carcer, 
ayyeXoi; so nun auch im Gothischen pund, faskja, kuhittts, 
sabbattis, thymiama^ diabulus, karkara, dggilvs. 

Gleiches Verfahren im Hochdeutschen, wo zuerst diess ein 
fremdes Wort in sich aufnahm: also gradus wiederum grdd, 
capitale capital, und da nun auch das Deutsche den J2^-Laut 
hatte, lectio leczä, ceUa zella, merx mef'cis nierz. Nur ward im 
Althochdeutschen ca u. dgl. noch lieber gegen cha, das Gegen- 
bild auch des gothischen ka, vertauscht: k stand im Hoch- 
deutschen selbst nicht fest genug: es wechselte, wie es auf ein 
gothisches g gefolgt war, auch jetzt noch gern mit diesem Con- 
sonanten ab, kankan z. B. mit gangan: also capeUa chappeUa, 


262 I^i^ UmdeutBchung fremder Wörter. 

crux crtuns chrüzL Z aber war die Aspiration von t, ein 
eigenes th daneben kannte die dentsche Zunge nicht mehr, im 
Griechisch-Lateinischen selber fasste man jetzt th als ein blosses 
t auf, für strutio d: L strtUhio schrieb man sogac strucio: auf 
Deutsch also wiederum strüz. 

Waren jedoch die fremden Worte schon in der vorhoch- 
deutsdien Zeit, schon auf der Stufe des Gothischen in die 
Sprache herübergenommen, dann wurden sie auch im Hoch- 
deutschen ganz so behandelt, als ob sie überliefert deutsche 
wären, und unterlagen derselben Lautverschiebung: weil bereits 
der Gothe aus icaxa^ sein papa, aus vidtui viduvd gemacht, 
machte man nun wieder hieraus phaffo und wituwä, wie aus 
den schon ursprünglich deutschen Maupan und dauktar hUmfan 
und tohtar. Hiemit denn endlich war die volle Aneignung und 
Umdeutschung des Fremden eingetreten, und verschont davon 
blieben höchstens die Personennamen, deren Urform in bestän- 
diger Gegenwart vor Augen lag. 

Es möge nunmehr ein Yerzeichniss von Beispielen für diess 
zwiefache Verhalten zusammengestellt werden, mit der Bevor- 
zugung der althochdeutschen Worte und Formen vor den mittel- 
und neuhochdeutschen, die sich gebührt. Ich beginne bei den 
Lippenlauten und hier wie überall mit denjenigen Fällen, wo 
das griechische oder lateinische Wort bereits im Gothischen vor- 
kommt und deshalb, wenn es in das Hochdeutsch übertritt, seine 
Gestalt verändert. 

Lippenlaute. 

Griechisch lateinisch gothisch P wird auf Hochdeutsch im 
Anlaut ph d. h. pf, ebenso hinter Consonanten, hinter Yocalen 
dagegen in der Eegel einfach f: derselbe Wechsel des verdickten 
und des reineren Lautes, dem wir wiederum bei z und bei ch 
begegnen werden. Kapilldn von capillare s. v. a. xefpeiv hat 
nur das Gothische; auch hochdeutsch geworden sind zunächst 
7ca7ca<; papa phaffo, pondtts pund phunt, caupo kaupon choufan 
und a^vaui sinap senaf. Nur im Hochdeutschen nachweisbar, 
aber, wie die Form uns zeigt, schon früher entlehnt (ich über- 
gehe all die vielen Beispiele, die weiterhin noch sonst ihre An- 
führung fordern) pactum phaht Gesetz nebst dem bloss mittel- 
und neuhochd. Zeitwort pfehten p fechten visieren» paius phcd 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 263 

persicum phersich, pipare mittellat. pipa phifä, pipita aui^ 
pituüa (Diez Wörterb. I, 323) phiphiz^ pilum phtl, TuejiTCrir) 
mhd. phinztac Donnerstag, pistor phister, planta pManzä, porr 
ticus phorzich, postis phost, propago phrofa Pfropfreis, capsa 
chafsa, camptis champh, cuppa choph Becher, cuprum chuphar; 
in apium epphi ist das regelmässige f nur durch das i so ver- 
härtet. Bekanntlich aber giebt und gab es Mundarten, die pf 
überall in f zu vereinfachen lieben, und so erscheinen denn die 
meisten dieser Worte auch in solcher Umgestaltung und pressa 
fressa Druck, mittellat. punga fung Beutel allein so: gothisch 
hiess es pugg. Wenn aber aus piscina der Ortsname Fisehine, 
aus pisccUio fischenze wird, so ist damit das fremde Wort piacis 
geradezu in das nahliegende deutsche übertragen. Wieder andere 
Mundarten halten überall und so auch hier das gothische p fest 
ohne bis zum ph fortzuschreiten: Otfried sagt z. B. porzih wie 
pcui; neben cuppa chuppha Mütze tritt chuppa, neben pluma 
pflümfedera auch plumatium plümaz Federkissen auf, nehm 
porrum phorro auch porro, neben plc^a pläga erst im Mittel- 
hochd. und seltener pfldge; phaht ist im Neuhochdeutschen 
gegen Pacht, phiphiz gegen Pips aufgegeben. Zu unterscheiden 
von solchen mundartlich begründeten oder durch mundartliches • 
Beispiel veranlassten Nebenformen sind nun diejenigen Fälle, in 
denen sich niemals ph, stets nur p zeigt: das sind dann Worte, 
deren Entlehnung nicht über die hochdeutsche Stufe zurückgeht, 
wie pes pedis peda, wie prdsä, capital, chappella, oder die, wenn 
auch schon früher entlehnt, doch wieder in Vergessenheit ge- 
rathen waren, wie purpura goth. paurpura siii. purpurä, scorpio 
goth. skaurpjo ahd. scorpjo scorpo, Tzgocfr^vti^ g. praufittts und 
erst im Mittelhochdeutschen wieder (vorher hatte man tvizago 
gesagt) prophete. Hauptmerkmal dessen, dass solche Worte jetzt 
erst aufgenommen worden, ist das in ihnen wie in rein deutschen 
ganz gewöhnliche Schwanken des Anlautes zwischen p und b, 
zwischen dem streng althochdeutschen Consonanten und dem, 
der im Gothischen ihm vorangegangen war und wieder auch .im 
Mittelhochdeutschen folgen sollte. Also poptdus pappula und 
bapilla Stockrose, paradisus paradts und mhd. auch baradis^ 
pix pech und bech, pirula roman. perla (Diez Wörterb. I, .313) 
peralä und beralä, pinus mhd. pineboum und bineboum, pirum 
pirä und birä, pollis mhd. polle und ahd. bolla, portm port 


264 I^ie Umdeutschung fremder Wörter. 

mhd. porte und borte, pumex pumiz und mhd. Umz. Und end- 
lich. Mehrere Wörter mit p sind schon auf der gothischen 
Stufe in unsere Sprache eingetreten und haben dann auf der 
hochdeutschen statt des p ein ph oder f erhalten und sind noch 
einnaal eingetreten auf der hochdeutschen und haben da den 
Consonanten etwa nur gegen b vertauscht: 7:apotx£a parochia 
pharra und jparr^cÄöpr^ Pfarrangehöriger; TcsxaXov petcUum fedd- 
gold und pedcdä bedeld; pinna zitarphin ziterfin und zidarpin 
Plectrum; pcena pina bina mit dem Zeitworte phtndn unä pindn 
binön; patrinus, mhd. pfetter und bäte pate; (phressa) fressa und 
das Zeitw. pressdn bresson; puteus phuzzi fuzze und puzza 
buzza; TcXaxui; TcXarela platea, franz. plat, goth. platja oder 
plati Strasse, ahd. ftaz und mhd. plat blat flach, flazzi geebneter 
Boden und plattä blattä Platte; capa gaphä caffd und chappa; 
capo cappho und chappo. Die Möglichkeit solch einer zwei- 
maligen Einfuhrung und des Nebeneinanderbestehens zwiefacher 
Formen wird bestätigt, wenn wir zu ilazzi noch unser Platz 
kommen sehen, vom franz. place d. h. wiederum platea, oder 
zum ahd. phalanza falanza palinza von palatium das mhd. 
palas von palais. Dass aber pepo (phebeno) Pfeben bloss das 
erste p verschiebt, wird Sache des Wohllautes sein wie in 
phepis, einer Nebenform zu phiphiz; ausserdem auch hier die 
Festhaltung beider p in pepano bebeno. 

Griechisch lateinisch gothisch F: faskja, praufStus. Statt 
der Media b, die im Althochdeutschen hierauf folgen sollte, 
zeigt dasselbe in eignen und ebenso in fremden Worten als In- 
laut meist nur ein erweichtes f, ein v, als An- und Auslaut 
dagegen unverändert P): fäska oder fdski, falco falcho, fceni- 
culum f&nachal, filiolus fillol, ccerefolium chervola, graphio 
krdvjo Graf, Stephantis mhd. Steven, Verleitet aber durch jene 
mundartliche Vereinfachung des ph in f, springt zuweilen von 
dieser Seite her f in ph hinüber: ad Fines giebt den Ortsnamen 


1) Notker und seine Schule brauchen v neben f auch im Beginn der 
Worte, aber nicht wie die mittölhochdeutschen Schreiber nur als andre 
Bezeichnung des F-Lautes: f und v sind ihnen ebenso verschieden wie 
ph und seine Schwächung f, wie p und b, t und d, k und g: der härtere 
Laut steht hinter Interpunctionen und vollen Consonanten, der weichere 
hinter Vocalen und Liquiden. 


Die Ümdeutschung fremder Wörter. 265 

Pftn; es heisst auch phenichal, cophinus chovina chofina und 
chophenna, mhd. auch phüöl^) und pft pfiu pfuch pfech neben 
ß flu franz. fi lat. phy phui gr. 9SI), ^phtn neben fin fr. ^w 
(lat. finis, finitus), phasant neben vakant fasän Jat. phasianus, 
phlüm neben ^ilm^ lat. flumen. Ebenso kommt unser Fom, lat. 
Favonitcs, althochdeutsch als Phdnno vor, und opharön von 
offerre ist gebräuchlicher als offardn. 

Griechisch lateinisch gothisch JS; cumbere kumhjan, (mbitus 
kubitus, aaßavov saban. Wenn aber aus ßafr»] der Gothe nicht 
baita, sondern paida macht und sofort der Hochdeutsche pheit 
d. i. Bock oder Hemd, so haben hier beide Consonanten die 
Accentuierung ausgetauscht: mit derselben Umstellung ist im 
Mittelhochd. biever aus fieber lat. febris, im Neuhochd. tosen 
aus ddszen (mhd. diezm d6z\ im Griech. TceSa aus [xera ge- 
worden und ähnlich phedemo aus phebeno, bidemen aus bibenen, 
KoLgxt\hm aus Carthago. Im strengeren Althochdeutschen rückt 
an die Stelle jenes b ein p: doch gilt auch hier daneben und 
gilt im Mittelhochdeutschen allein der weichere Urlaut, neben 
sapon saban, neben alpäri alhdri wie ital. albaro; ebenso chorb 
lat. corbisy churbiz ciicurbita, buliz Pilz bolettis. Das b vor t 
im ahd. .st^i^^7 lat. suhtd d. i. st^i tcdo (nach Papias s. v. a. 
ma l?ars |?gc?is) mag doch als p gesprochen worden sein: die 
Ableitung sufteläre^) lat. subtalaris zeigt dessen regelrechte Ver- 
schiebung in f. 

« 

Znngenlante. 

Griechisch lateinisch T bleibt im Gothischen, verwandelt 
sich aber, wenn die Worte von der gothischen Stufe weiter 
rücken^ althochdeutsch in z; Anfangs der Sylben und nach Con- 
sonanten wird diess wie noch im Neuhochdeutschen, nach Vocalen 
dagegen wie sz ausgesprochen, das wir denn auch schreiben. 
Bloss dem Gothischen eigen ist hvhitus; auch ins Hochdeutsche 
gekonmien sind catintts oder catillus katil chezzü, acetum akeit 


1) Und schon im Althochdeutschen muss aus filius und filia phillo 
und philld geworden sein, da nur durch solche Vermittlung das altsäch- 
sische pillo und pilld (filiaster, üliastra) sich erklärt. 

2) Das ünwort fustilare in Graffs Sprachschatz III, 727 isiauftilare 
zu bessern. 


266 IMe ümdentschang fremder Wörter. 

ezzich, umgestellt aus echiz^), müitare g. müUdn und mües 
miUtis ahd. müiz, aaßßaTov sahbatus sambaz in aambaztac^; 
dazu strata (näml. iXä) Strätaburg, ahd. sträza Sträzpuruc, 
Nur mit hochdeutschem z yorliegend noch andre dergleichen 
Namen: Tarodunum Zartuna, Ttdbiacum Ztdpicha, Turicutn 
Zürich oder wie der Oeographus Bavennas schreibt Ziurichi, 
und ' Metce Metis Mettis Meza. Femer 'catus chazzä, bdUeus 
palz, stuUüs stelz, tributum tribüz: das erste t wird hier nicht 
verschoben, da zr unaussprechbar wäre: auch die gothischen 
tratmn trauen, triggv treu, trimpan trampen, trudan tret^ 
ändern im hochdeutschen ihren Anlaut nicht. Jängeren Alters 
in unsrer Sprache, da sie kein z, auch wo es mögUch wäre, 
zeigen, sind tunica tunicha und tunichdn tünchen, turris turri 
turra tum, lectoriufn lectdr, mantellufn mantal, ckrotta Art 
Harfe rottä. Zweimal entlehnt, da sie sowohl mit z als mit t 
vorkommen, tahtda zapal und tavalä nebst tabdlä, tabema 
Ziahema Zaberna als Ortsname und tavemä, talea zelga zeUa 
und zunächst auf franz. taiüe beruhend das landschaftlieh neu- 
hochdeutsche Teile Abgabe, tegula ziegcU und tegel Tiegel, cutis 
cotta (Diez Wörterb. I, 144) ahd. chozzä cuzin und mhd. kuäe, 
mutare müzdn und muta g. mdta ahd. müta Mauth, und speUa 
und spdza. Aus porta schon bei dem Geogr. Bavennas der 
Ortsname Porza, mit p, nicht ph, wie auch später das Appella- 
tivum mundartlich zwischen phorze und porze wechselt; daneben 
gänzlich unverschoben porta borta und beide Behandlungsweisen 
mischend der gewöhnliche Ausdruck phorta. Kurt aber ist nur 
mitteldeutsche Nebenform von churz, lat. curtu8% 


1) Doch könnte in ezzich das z auch aus dem c, das ich aber ebenso 
aus U (acetum acitum) entstanden sein, wie aus tapetutn tepU und tepich 
geworden ist. Das altsächs. ecid, angelsächs. eced muss auf acidum be- 
ruhen. 

2) Einschaltung der Lippenliquida vor eine Lippenmuta wie in trabea 
tretnbil und wie noch öfter der Liquida der Zunge vor deren Mutas: 
charadrius ital. calandra mhd. galander, chamcedrys germandrie gcf 
mandri, r edder e rendre ahd. rentön; andere Beispiele, auch von nz für 
z, werden später in Cap. VI gegeben werden. 

3) Die ältesten Denkmäler gewähren übrigens scurz und scurt mit 
ebensolchem Vorschlag eines s wie in ^nerula mittellat. mifrlus ahd. smirl, 
in porticus sportich und öfters auch in urverwandten W^örtem. [skurz 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 267 

Griechisch gothisches TU sollte im Hochdeutschen zu d 
werden: doch liegen uns ausser ihymiama keine gemeinsamen 
Worte vor, und diess eine, frisch entlehnt und Pflanzenname 
geworden, lautet ahd.- timiäm. Denn das Hochdeutsche nimmt 
solche th als t, thr actus panther ciihara als tracisk pantd zitarä; 
ja diese Auffassung muss schon früher begonnen haben: sonst 
hätte nicht aus ^peßtv^o^ arawiz, aus mentha mmzä, aus thyrsus 
auch zers werden können. Ebenso scheint chrezzo, unverschoben 
chratto, nicht von crates, sondern von calathus zu kommen: 
darauf führen die alten Glossare, die es mit letzterem zusammen- 
stellen. Thesaurus altsächs. tresur tresu ahd. treso triso ent- 
geht dem z durch diese Versetzung seines r^). 

Griechisch lateinisch gothisch D, hochdeutsch t: 8taßoXo<; 
diabidus tiuval, vidua viduvo mtuwd, pondu^ pund phunt 
Hiezu noch die hochdeutschen Umbildungen lateinisch -celtischer 
Ortnamen auf dunum d. i. Burg und Berg, wie Tarodunum 
Zartuna, Lugdunum Liutana, Verdunum Wirtina; ferner del- 
phinus roman. dalfin mhd. talfin, dama ahd. tämo, didare 
tihton, discus tisc, domus tuom, draco trachoj durare mhd. türm, 
Carduus charto, candela chmtila, modius mutti, radix rätich, 
Bhodanus Botest, sedile satul. Mit beibehaltenem d und sonach 
jünger damnare firdamndn, gradus gräd, kalendce kalend, mo- 
dulus modul, pardus pardo, pes pedis peda. Zweimalige Ent- 
lehnung: decima decimare techamön und dezemo dezemdn, hd- 
xt\jXo(; dactylus mhd. tattel und nhd. Dachtel Ohrfeige; ebenso 
werden sich decanus techän techant und dechän dechent ver- 
halten. Der Padus heisst ahd. Pf dt, ich weiss nicht wie im 
Genitiv u. s. f.: das Mittelhd. bildet denselben Pfades, wohl 
auf Anlass von pfat pfades. 


scheint die eigentlich deutsche Form: scurz zu curtus wie sk'iran zu 
xeCpeiv, scara zu xaipd?.] 

1) In croeodilus mhd. kohodrille kokatrille kocheldrüle ist das r 
nach hinten versetzt; der vollständigeren Form tresur vergleicht sich ahd. 
chlonachla aus chonachla lat. colucula. 


268 IHe ümdeatschung fremder Wörter. 

Kehllaute. 

Griechisch lateinisch jE'.und C Wie schon bemerkt und 
erklärt worden, giebt das Gothische überall, auch wo auf das c 
ein J-Laut folgt, diesen Consonanten mit k wieder, also nicht 
bloss katil, kaupdn, kavtsjd, kubitus, arka^ laiktjd, sakkus, Ghrce- 
cus Krek, sondern auch acetum akeit, lucema lukarn, urceus 
aurki, fascia faskja, mittellat. calcia Strumpf kalkjo Hure? 
uncia unkja, vicis vikd, wie xataap oder ccesar kaisar. Im 
Hochdeutschen sodann tritt erstlich an die Stelle des c vor a 
u. s. f. und vor Consonanten ein ch; das Mittel- und Neuhoch- 
deutsche pflegt, wie mundartlich auch schon früher geschehen, 
im Anlaut und nach »Consonanten dafür bloss k zu setzen. So 
heisst es nun chezzil, choufdn, archa, sach, Chriach, wechä; 
lekzä kommt nie mit ch geschrieben vor. Von gleicher Art 
caLx chalch, carnarium charndre, concha ital. cocca ahd. chocho 
Art SchiflF, fornax furnache, grammatica gramatich (die Schwa- 
ben sprechen noch so), lait^us leich, manica menichä, psittacus 
psitich, securti8 sichur, soccus soch; vor 8 und vor t wird diess 
ch in h vereinfacht: buxtis buhs, pyxis puhsa, extd ihsil, fructus 
fruht, dictare tihtdn, tractare trdhtön. Folgt dagegen dem lat. 
c ein i oder e, so bleibt der Kehllaut, bleibt das ch nur dann 
in Geltung, wenn die Worte schon auf jener früheren Stufe 
deutsch geworden sind, wo das Deutsche selber noch kein z be- 
sass, springt aber auf die Zunge über und wird ein z, wenn sie 
erst auf der hochdeutschen sind entlehnt worden. Also wie im 
Gothischen carcer charchäri, fäski oder fdska und vielleicht 
noch echiz ezzich; ebenso mit ch cercUum oder cerata charz und 
cherzd, ccerefoUum chervola, xypiaxov chtrichd, cerasum chirsa, 
cista chista, Cancer chanchar, bacca bacinm^) pechtn Becken, 
hyacinthus mittellat. jacintus jachant^ lynx linch. Aber die 
überwiegende MehrzaU solcher Worte ist von jüngerer Einfüh- 
rung und zeigt deshalb ein z: cedrus zMarpoum, centaurea zen- 
ter, centenariiM zentandri, cymbalum zimbala, quinque cinque 


1) Diez Wörterb. I, 42. Die Schreibung bacchinus iMchinus (Gregor 
von Tours u. a. bei du Gange) soll wahrscheinlich das Wort mit Bacchus 
in Verbindung bringen. 


Die Umdeutschnng fremder Wörter. 


269 


zinco, censtis zins, incensorium zinseri, cyparisms ziperboum 
neben cupresstis cuprespoum, ccejndla zipolla, cithara zitarä, 
cancelli chanzella, merx merds inerz, maceUarias metzder, mix 
nucis nuz ^\ peUiceum pelliz, pumex pumicis pumiz, Saracenus 
Sarz und Serzo (altnordisch hiess es Serk) und neben jenen 
goth. aurki und kcdkjö nun urceolus urzedl und ccUceus kolze. 
Dazu kommen noch diejenigen, die eigentlich ausgehn auf ti und 
thi und Uy in denen aber diese Lautverbindungen auch wie ci 
ausgesprochen wurden: Constantia Chostanza, pisccUio fischenze, 
focus focacia fochanza Art Gebäck, lectio lekzd, martius marceo, 
palatium phcdanza, prophetia profezie, potio puzzä, pvteus phuzzi 
und ptizza, Rctetia Riez, strtdhio strüz, tertius terze Falkenart, 
Borbetomagiis Wormatia Wannaza. Wenn endlich mehrere 
^Worte mit beiderlei Lauten des c abwechseln, so werden damit 
fich hier verschiedene Zeitstufen der Aneignung kenntlich ge- 
icht: cheisar wie goth. kaisar ist das ältere, Burcisara mhd. 
^ziser d. h. Porta Ccesaris, Name eines Pyrenäenpasses, erst 
jüngere Wort; so ferner cellarium chelläri und ceUa zella^% 
Ortsname Winkda und mit Auffrischung des Sinnes (vini 
\) Winzella, Winkdried und Winzdried; circulus chirch in 
[Bedensart umpi in chirch, entstellt umpichirc umbikirg, wo- 
ircumquaque übersetzt wird, und zirc Ereis, umbizirg, zirke, 
l, circare zirkdn (im 15. Jahrh. einmal kirkel Mones Quellen 
I Forschungen 1, 118); cicer oder cicera chichurä mhd. kicher 
:isa (zisarä?) mhd. ziser; crucea ahd. chrucha und crux 
chrüzi^); dedmare techamdn und dezemön; decima de- 
(Sprachschatz 5, 237) und techeme (Maurers Dorfverf. 1, 
vergl. 269 fg.). Das Mittelhochdeutsche sagt luzeme (goth. 
\n war vergessen) und nennt die Insel Cypern Kipper und 
: jenes ist Ku7üpo<;, diess das lat. Cyprus, 


1) [nux: nuz wol nicht daher: ags. hnut, altnord. hnyt; auch ahd. 
mWh hnuz: griech. y^^it^ta.] 

2) FuricheUi und tcitchelle, Uebersetzungen von vesttbulum und por- 
, scheinen unter Einwirkung des irischen kill (Zelle und Kirche) ge- 

et: statt des ersteren findet sich auch vurichüli, 

3) Der fremde Name des Kreuzes ist später an die Deutschen ge- 
en als das Christenthum : die Gothen sagten dafür galga, und noch 

Althochdeutschen und Altsächsischen sind gälgo und ruodd d. i. Gal- 
en, boum und treo d. i. Baum nicht minder geläufig als chrüzi. 


270 IK« ümdeutschang fremder Wörter. 

Das griechische CH musste der Gothe in k abstumpfen: 
z. B. Kristus ^), Akaja, drakma, paska; oder vereinfachen zu h 
wie in öpox*«] aurahjö. Im Hochdeutschen folgte ordnungs- 
gemäss wieder ein ch, also Christ, und während aus man^ichus 
der Gothe etwa munakus gemacht hätte wie der Angelsachse 
munec, sagte man ahd. munich; so auch x^(^^^ chamus chämo, 
aurichalcum drchalch und nur mundartlich Kri^, kämo, drcak. 
Das Mittelhochdeutsche, das nicht mehr chranch, sondern kranc 
aussprach, kehrte in eben diesen und anderen Worten zu der 
gothischen Tenuis zurück: keruMn, kdr, patriarke. 

Griechisch lateinisch gothisch G in st/nagdgS, £776X0^ aggi- 
lus, punga pttgg, sigiUum sigljö und in Eigennamen wie Gabriel; 
die Abweichungen Krik und markreittis sind schon früher er- 
wähnt. Jenem KrS^ entspricht im Hochdeutschen Chriach; im 
Uebrigen gilt k oder wieder g: angil, fung, sigilld, castiga/re 
casttkdn, mittellat. galida Geföss keUita und geUida, gemma 
kimma, graphio krävjo, gurgtdio gurgtda, bidga ptdga, sagulum 
segcUj strigilis drikil, tegula ziegal und tegel. Der diphthongie- 
rende TJebergang von sagma in soum ist wie der aus goth. bagm 
in hochd. poum; dem ähnlich tauschen attgusto Augustmonat und 
Augustburg Augusburk in den mittelhochd. Formen ouwest und 
Ouwesburc das g in w um; vergl. auch zu Vogt die Nebenform 
Faut, Faud (bei Schmeller 1, öll). 

Halbconsonanten. 

Die Halbconsonanten berührt keine Lautverschiebung: vicis 
vinum lauten auch im Goth. vikd vein, im Ahd. wecM win, 
vannus vdum viUa pavo pervinca pulvinar vivariurn auch ahd. 
wanna wil wila phäwo peremnka phuluwi wiwdri; wiara Gold- 
schmuck könnte aus viria umgestellt sein. Nur 8 giebt zu 
einigen Bemerkungen Anlass. Satanas geht im Althochdeut- 
schen auch auf z und, mitteldeutsch weiter geführt, selbst auf 
t aus4 mit derselben schon so frühzeitigen Vermischung von s 


1) Unzweifelhaft so, nicht Christus: das griechische X, das aller- 
dings die Handschriften diesem- Namen geben, gehört nur zu der über- 
lieferten Abkürzung, in welcher derselbe zugleich stets erscheint: XS d. i. 
KristuSf XAUS Kristaus u. s. f. 


Die Ümdeutachnng fremder Wörter. 271' 

und sz scheint hochd. faz aus lat. vcis entstanden^) und haben 
die Niederdeutschen aus der Münzbenennung grossus gros ihr 
grdt, aus franz. escosse Scosse von exeutiare (Diez Wörterb. II, 
256) das nun auch hochdeutsche Schote {scMte schon mhd.: 
Greorg 4594), die Niederländer aus der glossa oder gldse des 
Sachsenspiegels einen cloit oder chet gemacht. In umgekehrter 
Richtung tritt öfters s ein, wo z stehn sollte: dnnamomum sin- 
namin, peniciUus penail, cicera zisarä, herbitum herbi^, nuyrtor 
rium morsäri, pipita phiphiz und pfipfis. 


n. Die Vocale. 

Die Vocale sind von Natur flüssiger und flüchtiger als die 
Consonanten: deshalb auch unterliegt bei ihnen, wo die Worte 
nicht selbst aus einheimischer Wurzel gewachsen sind, weder 
Bestand noch Aenderung so durchgreifenden Gesetzen, als bei 
den Consonanten das der Fall ist. Vorzüglich gilt das von den 
im Accente zurückgesetzten Schlusssylben: wir werden späterhin 
sehen, durch welchen bunten Wechsel der Farben das Deutsche 
da die überlieferten Formen spielen lässt. Um vieles fester 
stehn die betonten Vocale, und auch für sie darf man als Grund- 
satz unserer Sprache doch bezeichnen, dass sie nur da und nur 
so verändre, wo und wie das eigene Wesen dazu nöthigt. 

Hauptbeispiel hievon ist die Behandlung der kurzen E und 
0. Beide Laute sind dem Gothischen selbst noch unbekannt: 
seine eigenen e und o sind sämmtlich gedehnt. Wo ihm nun 
e und vorliegen, da treten, sobald die Sylbe tonlos ist, die 
zunächst stehenden kurzen i und u ^) oder für i auch j an deren 
Stelle: ?. B. &'^y&ko^ aggüus, TüXama platäa platja; bei Be- 
tonung des Vocales wird nur Ein Wort so verwandelt, das schon 
ganz der Sprache eigen geworden, nämlich pondus pund. Sonst 


1) Innerhalb des Deutschen selbst ist dieses Wort ohne Wurzel, wie 
es auch dem Gothischen noch gänzlich ahgeht. Die Casseler Glossen ge- 
währen mit u> die wieder verschwundene ümdeutschung in tvahs. 

2) Im goth. Alphabete nimmt auch u den Platz von griech. o ein. 


272 I^iö ümdeutsehuiig fremder Wörter. 

aber, wo e und o betont sind oder wo auch unbetont, doch durch 
die mindre Geläufigkeit des Wortes in einem gehaltneren Vor- 
trag ihres Lautes sicher gestellt, sucht und findet sich das Go- 
thische einen anderen Ausweg. Bekanntlich ist ihm Gesetz, dass 
die betonten i und u, wenn ein h oder r darauf folgt, durch 
den in diesen Halbconsonanten enthaltenen Yocal diphthongiert, 
also in ai und au verwandelt werden, während unbetonte wie in 
uh (que) und nih (neque) bestehen bleiben: demgemäss nun 
auch urceus aurki, purpura paurpura. Nun konnte dem Gothen 
nicht entgehn, dass diese Diphthongen in mehr als einem Wort 
den griechisch-lateinischen e und 6 entsprachen: bairan ^speiv 
ferre, taihun 8^xa decem, saihs e$ sex, kaum cornu u. s. w.; 
noch konnte ihm unbekannt sein, dass ebensolche ^ und o auch 
in Mundarten anderer Deutschen vorkamen, aber da so wenig 
als in hiycoL und decem gebunden an ein nachfolgendes h oder r, 
ja dass auch vor anderen. Consonanten ein und dasselbe Wort 
da bald ein ö aufwies, bald ebenfalls den Diphthongen ai: nicht 
allein gewährt Dio Cassius X^poucncoi, Ptolemäus aber Xaipoucjt- 
xo£, bei Strabo VII, 1, 4 wird sogar für Ssy^anrjc auch Sat- 
y£<5vr\^, für SeyfiJLTjpoij auch 2aiY((jnfjpo<j, von den Byzantinern 
theils rfTueSec, theils TlizoLihBQ oder Triizaihe^ geschrieben. Und 
das Gothische selbst schon sagte jains jener, nicht jins, sagte 
vaila, nicht vila. Durch diesen mehrfachen Fingerzeig geleitet, 
dehnte es denn seine ai und au, gleichviel welcher Consonant 
auch folgte, auf alle betonten oder schwebenden d und ö fremder 
Wörter aus, der hebräischen, die in der griechischen Bibel, und 
der griechischen und lateinischen, die auch sonst vorkamen: also 
Boavspysi; Bauanairgais , 'lepocyoXufJLa lairusaulyma, iTzi<TiiOT:o<; 
aipiskaupus^ exxXTjata aikJdesjd, aipeaK; hairaisis, \ty&m laigaiaii, 
speculaior spaikulatur, Pontitcs Pauntius, Zuweilen, wo ein 
Wort über die Schrift hinaus noch weiter ins Leben eintrat, 
schwankte sofort die Sprache zwischen dem fremdartigen und 
dem heimathlichen Laute, zwischen dem au und jenem in pund 
gebrauchten u: es heisst aipistauU und aipistule, apaxistaubis 
und apaustidus, diahaulus und diahtdus, diakaunus und kürzer 
diakun. 

In diesen Diphthongen, die also aus i und u hervorgegangen 
sind (es heisst auch SLyffjiTfjpoc und TriTzihe^) und denen in an- 
drer imd späterer Sprache kurz e und o gegenüberstehen (ahd. 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 273 

zehan, hörn, jener, wela)^ muss gleichwohl das a sehr. stark her- 
vor und stärker als der zweite Vocal getönt haben. Nur so er- 
klärt sich, dass manche Worte, die ülphüas mit air geschrieben 
hätte, sogar mit blossem ar vorkommen; vor Ulphilas schon 
und nach ihm: 'Epxuvto^; 8p\)(j.o<^ und 'ApxiJvia 3p7j (goth. /5»iV- 
gurd Berg, ahd. Fergmma Virgunna als Gebirgsnamen), von 
irmin Volk Ermin und Arminia, von erpf braun Arpiis^ von 
svert Schwert Siiardones, Basternce und Bmtamoe, sper lat. 
sparum, Outpouvot und Varlni Ouotpvoi, und aus dem Griechi«- 
sehen und Lateinischen entlehnt speßiv'^oc ahd. arauAz araweiz 
Erbse, cerata cherzä und charz, mercatus merchdt und marchM, 
herbitum heirbes d. i. harbis; ja ulphilas selber hat lukam von 
lucema. Mittelhochdeutsche Beispiele pardrts franz. perdrix und 
serpant sarpant fr. serpent. 

Dem Hochdeutschen sind im Gebrauch hier des I und U, 
dort des E und keine Schranken wie dem Gothischen gesetzt: 
maassgebender als das in h und r eipgeschlossene a sind für 
seine Vocalisierung die i und a und u, die in den Schlusssylben 
der Worte offen vorliegen: goth. vcUrpa vairpis vaurpum vaur^ 
pjßu heissen ihm wirfu wirfis tourfumes ivurfi wegen des i und 
u, niman ganuman aber neman kanoman wegen des a d^r 
Endung. In purpurä und urceolus urzeöl darf es demnach das 
lateinische u festhalten; anderswo vertauscht es, auch wo das 
Gothische nicht ändert noch ändern kann, u gegen o, t gegen e 
oder fuhrt umgekehrt e und o auf i und u zurück. / gegen e: 
chrisma chrisamo und chresamo, missa und messa, mittelM. 
bicarium (Diez Wörterb. I, 65) peohari, piper pfeffar, Signum 
segan, simila simild simtdd und semalä, choLm goth. sinap ahd« 
seimf, spi/mda spinulä und spenuld spenald, Indico, mhd. endit 
JE gegen i: Cmifhcefitia Chobilinza, gemina kimtna, lens lins, 
mentha minzd und die im Anschlüsse hieran gebildeten atror 
mentwm atranUnzd atarminzd und pigmenhim piminzd, gewöhn- 
licher pimenta; ferner auripigfnentum drgimint (besser drpimifd, 
franz. orpiinent, nhd. Opperment), mittellat. pergammtum ahd* 
perimend mhd. permenf und permint, zedoarium zitawar, ital. 
zendado ahd. zenddta mhd. zinddt, gleichbedeutend ital. zendale 
mhd. zenddl und zinddl, censm zins, incensorium zinseri, peni- 
cillus ahd. pensil, mhd. pensei pinsel, secuta ahd. sichila. U 
gegen o: recuperare choparon, cuppa choph Becher, cuprum ahd. 

Wackemagel, Scliriften. IIL 18 




274 ' I^e Umdentschnng fremder Wdrter. 

chuphar mhd. auch kopfer, puleium puleiä und poleid, catapuUa 
und ptds pultis pölz, ital. segnuzzo singoz kleine Glocke, stultus 
stolz. gegen u: copulare chupden, filiolu8 de fonie fufU- 
diviUolf fomax furnache, diaconus j(ichono und jacuno wie goth. 
diakun, niittellat. combrua (Diez Wörterb. I, 134. 11, 252) 
kumber, monachus munich, monasterium monastri und munistri, 
moneta muniza, moditis mtäti, nonna nunnd, boletus puliz, pon- 
dtis phunt wie goth. pund, potio (der Yocal gekürzt durch die 
Verhärtung des Gonsonauten) puzzd, Septimtis mons Seftimont 
und Sefteinunt Septimer ^), Londinium Lunduna (Thietm. 7, 28) 
und Lundona (Ad. Brem. 2, 61)^ contrefait kunterfeit, spongia 
spunga, tromba (Diez I, 426) trutnpä, tomus turnen. Bei letz- 
teren Vertauschungen wie bei jenen des e gegen i hat die Neigung 
des Deutschen vor doppeltem oder consonantisch verbundenem n 
sein i und u nicht umzulauten (rinmin karunnan, pintan kor 
puntan) und zugleich, wie denn mehrere dieser Worte erst durch 
romanische Vennittelung ins Deutsche gelangt sind, dieselbe 
Neigung der Romanen für das vollere u (Diez Gramm. I, 152. 
413 fg.) miteingewirkt. Auf beiderlei Anlässe macht auch das 
Mittelhochdeutsche aus dem französischen blond, rondj comte, 
föntaine, montagne u. dgl. sein blunt, runt, cutU, funtäne^ 
mufUdne. 

Griechisch lateinisch il, langes e, ändert ^ich der Kegel 
nach nicht: goth. lisus, praufUus u. s. f. Das niedre Latein 
setzte aber diesen Laut auch an die Stelle der Diphthongen ae 
und oe (Schneiders Gramim. I, 62 fgg. 78 fg.): für ae und ai 
nun ebenso das Gothische in Grcecus Krik und SXaiov aUv, 
Im Hochdeutschen sodann folgt auf ein früheres i ursprünglich 
deutscher Wörter ein & (goth. leki, IStan ahd. lächi, läzan), auf 
das S und ae der fremden wiederum e und mehrmals auch ia, 
ein Diphthong, der sonst dem langen S der sächsischen Sprachen 
gegenübersteht (ahd. miata, altsächs. und altfries. m^da, angel- 
sächs. mH): Grund zu der Annahme, dass hier das fremde Wort 
zunächst durch sächsischen Mund gegangen sei. Also Grcecus 


1) In der Form Setmunt (Settimunt) ist das p auf romanische Weise 
dem i angeglichen wie in dictatnnum dittamme, electuariutn ital. latto- 
varo mhd. laetwarje ttlid lattewar je latwarje, lactuca lattucha, dactytus 
tattel das c. 


Die Umdeatschung fremder Wörter. 275 

Chria^h^ xX^amip ^^^' kristier, mmm goth. mSs ahd. meas 
mias, p^sale ^) ahd. phSsal und phiesal, beta pieza, preshyter mit 
Syncopierung und Umdeutung auf prce und stare roman. prestre 
ahd. prSstar und priestar, remiis mhd. rieme, rete riet, Rceti 
ahd. Bizi und Riezä; Ccesar hiess cheisar wie goth. kaisar, gr. 
xalaap, auf Altsächsisch ih^^r und auch kiesiir. Noch öfter je- 
.doch, auch diess wieder dem Deutschen mit dem Romanischen 
gemein (Diez Gramm. I, 139), schlägt lat. e, das echte wie das 
aus ae oder oe verflachte, in einfach langes I um. Die gothische 
Sprache, in der aber ei den Sinn von t besitzt, liebt und übt 
diesen Wechsel schon in zahlreichen eigenen Worten, z. B. leiki, 
leitan: dann wendet sie ihn "auch auf griechisch-lateinische an 
wie 'A'i^vaL Äthenis Atheineis, acetum akeit; im Altnordischen 
ist aus Grcems Grik geworden. Hochdeutsche Beispiele (es 
kehren hier einige sonst auch diphthongierte wieder) anethum 
antz, beta btzcrüt, Porta Ccesaris Burcisara, clericus chltrich, 
creta cridä, arena erina, avena evitia, fceniculum fenachal fina- 
chal, feria fira, pergamenum pergamtn, pesaie piUtsal, pcena pina, 
Bhentis Rin^), sceta stda, expensa spensa spesa spisa, tapetum 
teptt, delere diUn ttlon, thesaurus fr.. trSsor mhd. trtsor, velum 
Velare wtl wilon, ccepuUa zipolla; auch für camelus mhd. kemel 
verlangt dieser Umlaut eine althochdeutsche Form mit i. Das 
mittelhochd. prtsant aus fmnz.- prisent scheint nur den Anklang 
an prts. (franz. prixj lat. pr^tium) zu suchen. Im Altsächsischen 
übersetzt prisma, im Althochd. prasma und phrasamo das lat. 
usura: rühren beide Worte aus einem zu prcestare gebildeten 
prcestamen her, so sind die Vocale wiederum lang und es wird 


1) Anzunehmen- als Grundlage für phesal phiesal pMsal, die mittel- 
lat. pisalis piselis pisele piselum und das altfranz. poisle po§le; mit 
Tilgung* des n und Zurückziehung des Accentes (vgl. Cap. III u. V) ent- 
standen aus penaale von pensum: eigentlich Arbeitsraum der Weiber und 
deshalb ein heizbarer Baum. 

2) Falls dieser Name celtisch-lateinisch, nicht germanisch ist. Viel- 
leicht ali^er empfehlen die Schreibungen Hrin und Hrenus (Förstemann 
II, 1182) mehr die letztere Auffassung: dann stünden die beiden Formen 
lediglich in einem Ablautverhältniss (vgl. Alvoc Aenua und In ''fivoc) und 
beide giengen auf die Grenzlage (ahd. hrtnan berühren) oder noch lieber 
die Eeinheit des Gewässers : vocabulo et viribus absolvitur integris Ammian 
YX, 4 von dem Ausfluss des Eheines aus dem Bodensce. 

18* 


276 1^0 Umdentsohong fremder Wörter. 

hier einmal auch ein undentsches S in ä verwandelt [vergl. ahd. 
pfrtsetncere Wucherer], 

OriechiBch lateinisch langes I ist zwar dem Alt- und Mittel- 
hochdeutschen gerecht: der Gothe, dessen t nur kurz ist, xnuss 
dafür wiederum ei gebrauchen: Unum hochd. lin goth. lein, 
vinum win vein, |i.apY(xp(ry)^ markreittis, wie hochd. stoin pizan 
goth. »vein beitan. 

Die gleiche Diphthongierung wieder im Neuhochdeutschen 

und ihr entsprechend die von U in au: mille milia mila Meile, 
paradisus paradts altnhd. Paradeis ^ pri^na mhd. prtme bair. 
preim, luna lüne Laune, mulus mül Maul, murus müra Mauer, 
wie ahd. üa fül nhd. Eile faul, lieber die Endung te nhd. ei 
wird füglicher späterhin gesprochen; zwei andere, U und ür, 
sind zwar ebenfalls zugleich lang und betont: ital. bandito Ver- 
bannter Bandit, Jesuit, Clausür, Creatür; aber ein richtiges Ge- 
fühl, nicht wie in Paradies die Pedanterei, vermeidet doch hier 
den noch volleren Laut; nur das Hochdeutsch mancher Provin- 
rialen lässt etwa ein Natauer hören. Kauderwälsch haben wir 
diphthongiert, dessen Grundworte Curia Chüra Chur und Churo- 
waldhon Churwalchen nicht*). 

Griechisch Y wird Im Gothischen und weiter im Mittel- 
alter genug geschrieben: sein eigentlicher Laut jedoch, der bis 
zum 13. Jahrh. dem Hochdeutschen selbst noch fremd war, ist 
vielleicht nur selten behauptet worden. Auf u beruht der Diph- 
thong in S\)poc Säur, während in afxupva smym, arupf^ spy- 
reida trotz dem r das y ungeändert bleibt; mittellateinisch und 
hochdeutsch das gleiche u in crypta crupta chruft, cydonium 
chutina^ pyxis buxis puhsa, thyrsus turso und wegen des r ge- 
brochen torso. Die vorherrschende Auffassung aber und die auf 
langes y einzig angewendete nimmt y als i: xuptaxov chtrichd, 
gryps gryphis grif grifo, KuT^po^ Cyprus Kipper Ziper, papyrtis 
papir (nhd. wie im Französ. Papier, im Provinzialenhodideutsch 

1) Kauäer Terhält sich za K4r nnd Kaur wie schon in alt- und 
mittelhochdeutschen Mundarten heigel zu heilf vügir und Huwer zu piur, 
8&ur und viher zu ser und fiire: der vocalische Laut, den die Liquida 
in sich schliesst, kommt nach dem Diphthongen oder langen Vocal zu 
^8eU)8tändiger Geltung, und zwischen beide wird um den Hiatus zu besei* 
tigen ein leichterer Mitlaut eingeschaltet: . ein d wie in Kauäer auch in 
Süris und Süders, muor und muoder, mir und mSder, 


Die ümdeutschnng fremder Wörter. ^77 

jedoch Papeier), oryza ris Reis, syUaba stUabä, ^t^(a(i.a goth. 
thymiama ahd. timiäm, tympatmm timpana, cyparissus ziper- 
bäum, mit Brechung des i ia e gynaeceum genez, synodus sendd, 
thyrms zers. Bekannt ist, wie oftmals die mittelalterliche 
Schreibweise auch umgekehrt y für i gebraucht: nur möglich, 
weil bloss die Schreibung eine vei'schiedene war, die Aussprache 
gleich. Indeas darf nicht übersehen werden, dass mitunter an 
die Stelle von cy ein qui tritt, wodurch y in die beiden Be*- 
standtheile seines echten Mischlantes aufgelöst erscheint: S. Cy- 
riacus wird auch Qmriacus (Ad. Brem. 2, 11) genannt, xoXo- 
xvv^{(j und hyoscyamus ändern sich in coloquintida und ju^ 
quiamm, cydonium auch in quiten Quitte. Quirin'us und Kürin 
verhalten sich umgekehrt. 

Griechisch lateinisch AU und EU werden im Gothischen, 
das wenigstens den ersteren Diphthongen schon selbst besitet^ 
doch überall zu av und ev: das einzige ganz durchgehende und 
unzweifelhafte Merkmal itacistischer Aussprache. Es geschieht 
das nicht bloss, wenn noch ein Vocal darauf folgt wie in euay- 
yiXiov aivagyMjd: das hätte sein Gleiches z. B. in taujan thun 
imperf. tavida und ausserhalb des Gothischen im lat. evangdium, 
sein Aehnliches in Worten wie vidua viduvo, leo ahd. Iswo, An- 
drecLs nhd, JDrewes, deren u> erst zur Aufhebung des Hiatus 
eingeschaltet ist; es geschieht ebenso wohl vor Consonanten: 
nauXoc Pavltis, cautio kavtsjö, euXc^ta aivlaugia. Das Hoch- 
deutsche schliesst sich dem in kirchlich altüberlieferten Worten 
an: ewangeljo, Pawel; eulogia wird wie mittellat. in ohlagia 
oUegium u. dgl. so althochd. in ohlegi, obelagi, altsächs. in oßige 
entstellt und umgedeutet. Nachgothisch , begründet zugleich in 
der Eigenart des Hochdeutschen, in der verwandten Neigung des 
Lateinischen selbst und in dem hieraus entsprungenen Gesetz 
der romanischen Sprachen (Schneider I, 158 fgg. Diez Gramm. 
I, 168 fg.), ist der üebergang lateinischer au in 6: clausa clau- 
strum Udse cMöster, cauUs ujid colis chol, causa camari chdsa 
chosdn, laurus lorpoum (adj. laurtn), Lauriacus Löracha Lorch, 
Maurus Mör^ aurichalcmn orchalch, auripiginentum drpimint 
Gerade auch vor r hat das Hochdeutsche den Diphthongen au, 
der damit unverträglich wäre, überall in 6 zusammengezogen: 
goth. auso ahd. ord, hausjan horjan, raus rdr. 


278 I^« ümdeutschüiig fremder Wörter. 

Vielleicht aber das Erheblichste, das innerhalb des Yocal- 
gebietes die altdeutsche Sprache zur ümdeutschung der fremden 
Worte gethan hat, ist die Anwendung des Umlautes auf die- 
selben. Das neuere Deutsch, wo es der Fremdheit sich bewusst 
ist, enthält sich grundsätzlich und der Regel nach jeder solchen 
Aenderung: das ältere macht darin keinerlei Unterschied; das 
Gothische assimiliert zwar auch, dem Umlaut ähnlich, die frem- 
den i und u an ein nachfolgendes r: aber diese Angleichung ist 
von vom herein auf wenige Worte beschränkt, und es scheint, 
die Gothen hätten dieselben sonst gar nicht aussprechen können, 
während der Umlaut des Alt- und Mittelhochdeutschen nicht 
solche Natumothwendigkeit besitzt und gleichwohl hier in frem- 
den Worten so gut als in deutschen jeder betonte Yocal, jedes 
a oder o oder u, dem in der Schlusssylbe ein i nachfolgt, dem 
i-Laut angeglichen wird. Beispiele mit a carminare ahd. gav'- 
minon germindn, martius marzeo merzo, parcus pharrich pher- 
rieh Pferch, christianus chrtstäni mhd. kristcene; mit o oleum 
ahd. oU mhd. öl, Cölonia Cholonna Kölne, claustrum kldster 
klcesterlin; mit u culciünum fr. coussin (Diez Wörterb. I, 135) 
chussin küssin küssen nhd. Kissen, numachm munich münch, 
tunica tunicha tünche, crux chrüzi kriuze. Manche Worte sind 
in der umlautlosen Form gar nicht mehr nachzuweisen: arena 
erina, avena evtna, acetum goth. akeit hd. ezzich, calix ehelich, 
caminata cheminätä, castanea chestinna, catena chetina, catint$s 
chezztn, manica menicha, panicum phenich, sabina sevina, tapetum 
tepU, tcdea zdga; bei aridem kommt ausser dem Umlaut wieder 
auch die alterthümliche und gleichsam rohere Diphthongiemng 
vor, die nicht wie jener bloss die Qualität, sondem zugleich die 
Quantität des Vocals berührt: ayycXoc -goth. aggiltis hd. angü 
engü eingü, asinas g. asilus hd. esil eisü, castigare hd. chesttga 
cheistiga, cavea hd. chevid cheiviä, herbitum hd. herbis heirbes, 
catiUtis g. katil hd. chezzü cheizzil, TzkaxtloL plaiea. g. platja hd. 
flazzi flezzi fleizi, paUiolum hd. phdldl feiUdl S.eidenzeug. 


Die Umdentschung fremder Wörter. 279 


in. Eomanische Lautgebung. 

Aber nicht immer zeigen die lateinischen nnd griechisch- 
lateinischen Worte diejenige Form im Deutschen, die wir bisher 
als die jedesmal gesetzliche haben kennen lernen: es stellt sich 
uns noch bald diese, bald jene Abweichung bald in den Conso- 
nanten, bald in den Vocalen dar, ein h zum Beispiel, wo ein ph, 
ein üy wo ein 6 zu erwarten wäre. Nur selten jedoch liegt in 
solchen Fällen die Schuld an den Deutschen selbst: sie liegt 
meist nur an denen, durch welche das Fremde ihnen übermittelt 
ward. Das Latein, das die ersten Glaubensboten und noch man- 
ches Geschlecht hindurch die Priester und Mönche zu sprechen 
pflegten, es war nicht das classisch^ des Alterthums: es war, 
wie zumal der Süden und Westen sie gesendet, jenes verworren 
zertrümmerte, aus dem sich durch eines der grössten Wunder 
der Geschichte die romanischen Sprachen herausgebildet haben, 
oder es war so versetzt mit Worten und Wortformen des sich 
entwickelnden oder auch des schon entwickelten Romanischen, 
dass man noch heut von mancher Rechtsurkunde und mehr als 
einem Vocabular, die sie aufgezeichnet, kaum sicher zu sagen 
wüsste, ob es Denkmäler nur noch des verdorbenen Lateins oder 
schon des Romanischen seien, ob in ihnen ein romanisch auf- 
gefasstes Lateinisch oder ein lateinisch aufgefasstes Romanisch 
vorliege. Und in solcher halben oder vollen Romanisierung trat 
denn ein grosser Theil des lateinischen Wörter Schatzes an unser 
Althochdeutsch heran und beschränkte die Wirksamkeit des Ge- 
setzes ^ das nur für die echten rechten Formen galt; ja bereits 
die vorhochdeutsche, bereits die gothische Sprache ward von den 
Anfängen und Grundlegungen des Romanischen berührt. Zwar 
dass ülphilas die Accusative von Aotc cJTuupfj; Tp(oa<j zu Nomi- 
nativen macht, Lauidja spyreida Trauada, gemahnt ebenso wohl 
an die neugriechische Art: an romanische aber sein sigljö aus 
sigillum und dergleichen noch mehr, die Kürzung von Ävgustus 
in Agustm (provenz. agost), das 6 für ü in mota, das ü für o 
in Rüma, die Ausstossung des h in mensa mSs, die Umbildung 
von elephantus in ulhandus (altfranz. olifant\ von xoXa9£?siv in 
kaupatjan (rom. colpo colp coup aus colaphm). Mit der Ritter- 
dichtung sodann, seit dem zwölften Jahrhundert, floss ein Ro- 


280 I^« Ümdcutschnng fremder Wörter. 

manisch, das sich gar nicht mehr für Latein ausgab, voll strö- 
mend in die Sprache Deutschlands ein. 

Schon bisher ist wiederholendlich die Umbildung einzelner 
Worte auf romanischen Vorgang zurückgeführt und ist bei meh- 
reren allgemeiner durchgreifenden Aenderungen, die dem Deut- 
schen selbst schon eigen sind, doch auf das unterstützend gleiche 
Verfahren* der romanischen Sprachen hingewiesen worden: der 
vorliegende Abschnitt .soll von den zahlreichen Fällen, wo jener 
Vorgang nicht bloss für Einzelheiten maassgebend gewesen und 
die Einwirkung mehr als bloss ein Miteinwirken ist, die haupt- 
sächlichsten hervorzuheben suchen. 

Consonanten. 

Lippenlaute. Griechisch lateinisch P wird von den roma- 
nischen Sprachen gern in h erweicht (Diez Gramm. I, 256 fg.): 
dem folgend im Alt- und Mittelhochdeutschen z. B. aprilis 
abrille abereUe, punctus bunt, pupus buobe, Lupodunum Lobo- 
düna; papa päbe9 und bäbes, prcepositm propositus probast und 
brobest schwanken wohl im Anlaut nach althochdeutscher Weise 
zwischen Media und Tenuis, im Inlaut nicht. Besondre Aus- 
zeichnung verdienen solche Worte, die zugleich einen anderen 
regelrecht verschobnen Consonanten zeigen und damit kund thun, 
dass sie schon auf die vorhochdeutsche Stufe mit diesem roma- 
nischen 6, nicht aber mit dem rein lateinischen p gelangt seien: 
sonst wäre ja auch diess in ph verschoben worden: impelUtare 
prov. empeltar (vgl. Diez Wörterb. II, 274) belzonpdzdn pfropfen, 
episcopus biscof piscof piscoph, pds pidtis und catapuUa bdz 
polz, pix bech pech, porttdaca burzala purzeUa, tympanum zim- 
bala, duplus mhd. topel Würfelspiel: vgl. franz. doublet Wurf 
mit gleichen Augen. Sodann F verliert im Romanischen öfters 
die Aspiration und wird ein p oder b (Diez Gramm. I, 264): 
ebenso jene gothischen kaupatjan und ulbandus^ Confluentia ahd. 
Chobilinza^)^ e|Ji9UT0v mlat. impotm ahd. impitön, verkürzt und 
verschoben imphon impfen, Joseph Joseb Jdsep, tofus ahd. tüf- 
stein und tubstein tüpstein. Inlautendes B aber und zuweilen 


1) Beim Geogtaphus Ravennas 234, 8 Combulantta: Hinüberziehung 
des Namens in den Sinn einer coamhulantia. [Cophelenci Thietm. 7, 19.] 


Die ümdetitschung fremder Wörter. 281 

auch p (dessen Milderung in b vermittelt den Uebergang) wird 
t>; Diez I, 259 fg. 256 fg. Indess vielleicht nur spsßtv^oc aratdz, 
papilio Zelt fr. pavillon mhd. pauwelüne, zusammengezogen /)ow- 
Wne poulün, und tabul&rius it. t<wolaro mhd. Tautvder, zusam- 
mengezogen (wie tabula prov. tanla fr. töle ^) Tauler, zeigen den 
W-Laut, den wir im Deutschen nun erwarten: überall sonst 
wird auch hier ein. v geschrieben und damit ein Laut bezeichnet, 
der zwar weicher als /", aber doch auch härter als w ist, so viel 
härter, dass er wohl gegen f, niemals aber gegen w vertauscht 
wird: fabula mhd. fcAde und favele, lupinum lurinä; oblata oblätd 
und ovläte, popuius mhd. povel bovd, proba prüeven, sabina 
ahd. sevina, tabula tavalä, taberna tavernd, mit Verschiebung des 
Anlautes diabolus tiuval tiufal und üblicher als jenes pauwelüne 
mhd. paveMne pavüjün. Das gleiche deutsche d und f nun auch 
öfters da, wo das V des Grundwortes schon ein alt und echt 
lateinisches ist: cavea chevid Käfig, avena evina, evangelium ivan- 
güjo neben ewangäjo, breve prief gen. prieves, eestitxde ahd. 
stiful mhd. stivai; aus eulogia konnte auf diesem Weg ahdr 
oblegi, altsächs. oflige werden, und nur das romanische falavisca, 
Ableitung und Umstellung von faviUa, erhält im deutschen fala- 
wiska ein w, wahrscheinlich weil man dabei an das deutsche Adj. 
falawSr falb dachte. Wie nun? ist dem v erst in unsrer Sprache 
dieser härtere Laut zugewachsen? Ich glaube nicht: es scheint 
vielmehr, dass auch hierin das Bomanische dem Deutschen vor- 
angegangen. Schon ersteres läs9t sogar anlautendes v in ein ent- 
schieden hartes f übergehen (Diez Gramm. I, 267): daher nun 
auch hochdeutsch versus fers, vittda viola (Diez Wörterbuch I, 
441) fidula figele und selbst phigek Fiedel, ventaille mhd. fin- 
teile fantaile, viola fiel Veilchen, vicedominus fiztuom, vitta fizza, 
advocatus vocatus fogät und selbst phogät, vasculum flasca (Diez I, 
179) flascä und aus dem einfachen vas unser faz. Des harten 
Lautes wegen, den man somit gewohnt war gerade im Beginn 
der Worte auf das lateinische v zu übertragen, hat dieser Buch- 
stabe später die übliche Bezeichnung für anlautende deutsche f 
werden können, und selbst für das Lateinische nennen noch wir 


1) Auf ebensolcher Züsammeu Ziehung von btbere htber (ital. hevere 
bere, prov. beure) beruht unser Bier, ahd. peor bior, angels. beor, altnord, 
bior. [pMebotomum ahd. fliodema mhd. fliemej 


282 Di« Umdentsehnng fremder Wörter. 

ihn faUy nicht wem. Der romanische Tausch von v gegen b 
(Diez Gramm. I, 266 fg.) althochdeutsch in VerwM Bema, la- 
vare labdn lapdn. 

Zungenlaute. Griechisch lateinisch T. Auch diese Tenuis 
liebt im Bomanischen, jedoch nie als Anlaut, die Milderung zur 
Media (Diez Gramm. I, 211 fg.): Beispiele der Art im Deut- 
schen creta cridä, pfUebotomum ftiodema, lactuca ladduchay rata 
rad (das eigentlich deutsche Wort dafür is scipä Scheibe), rotu- 
lu8 rodel, sceta stda, ctsphalttis spaldur, vocatus vagdd, sUtda 
aidlin Seidek Daneben ein p in ph oder f verschoben und 
gleichwohl nicht das t in z, letzteres also schon auf der yor- 
hochdeutschen Stufe zu d geworden: petaLum pedalä beddä und 
fedelgoldy petraria phedirdri fedaräri und mit derselben Ver- 
härtung des romanischen wie sonst des lateinischen d phetardri 
Steinwurfzeug, patrinus mhd. p fetter. Auch Venetia Venedßm 
Venidje muss sein d bereits in jener früheren Zeit angenommen 
haben, wo das Deutsche den zischenden Laut des ti noch mit 
keinem zi wiedergeben konnte. Wie aber kommt tonus mhd. ddn 
zu der Erweichung auch des Anlautes? Spürte man die alte 
Verwandtschaft des fremden Wortes (xefvetv t6vo(;) mit dem 
deutschen denen danen spannen? Eine weitre romanische Eigen- 
heit ist die Tilgung des D vor unbetontem i oder was dem 
gleichsteht e, und damit verbunden der üebergang von i in j: 
diumum mittellat. jornus prov. jorn, deorsum ipittellat. josum 
prov. jo8^ di(zconu8 jaguno jacuno jachono, Mediolanum mhd. 
Meielän Meilän, mediolus ital. miolo mhd. mtol nhd. mundartlich 
Meiel; auch Joder, die landschaftliche Kürzung von Theodarus, 
gehört hieher. Eine' andre Umgestaltung des di ist zumal dem 
Italiänischen geläufig (Diez Gramm. I, 217 fg.), die Zusanunen- 
ziehung und Schärfung in z, z. B. wiederum radius razzo und 
viridia verza: hieraus ahd. mrz% unser jetziges Wirsch oder 
Wirsing; eben diess Wort war gemeint, wenn bereits das elfte 
Jahrh. den Namen Wirzihurg, dessen Ursprung freilich anderswo 
zu suchen ist, in HerUpolis übertrug. 

•Kehllaute. Griechisch lateinisch C: im Romanischen statt 
dessen abermals die beliebte Media (Diez Gramm. I, 227 fg.). 


1) Im Sprachschatz fehlt dieses Wort: aber eine Glosse der Diu- 
tiska n, 233 b übersetzt damit das lat. brasicia d. i. hrtmca. 


Die Umdeutschling fremder Wörter. 283 

Genug der Art nun auch im Deutschen und wieder auch neben 
Verschiebung andrer Consonanten, wodurch die Einführung des g 
noch in das Vorbochdeutsche zurückgewiesen wird: prwdicare 
hredigtn mit dem Subst. brediga prediga, crocus chraogo, cucuUus 
ctigidä^ decanus ahd. degdn tegdn, ecce eccum roman. ecco ahd. 
eggo, ficus ftgä, advocatus fogät, pers. käfur neugr. xa^o\)pa 
mhd. gaff er Kampfer, capa ahd. gaphd, carminare gannindn, 
carnaritim mhd. gerner Beinhaus, cilidum (noch ehe man züizium 
aussprach syncopiert in clicium) ahd. gliza, calceus mhd. golze, 
mlat. caucidus Zauberbecher ahd. gouccU Zauber*), crypta grüß 
(noch empfohlen durch den Bezug auf grahan\ compositum mhd. 
gumpost, contrefaü gunterfeit, custos ahd. gustdr, hyadnthus 
jagant, diaconus jaguno, laicus leigo, TCevriQxoanq goth. painte- 
ktistS mhd. pfingeste, apotheca ahd. potegä potagä, sacrarium 
sagaräri, sacrista sigiristo, speculum spiegal, quinque cinque 
zingo, Aquileia Aglei: aus den theilweis daneben geltenden deut- 
scheren Formen wie techän chruft jachant jachono leich potachä 
hätten diese Erweichungen niemals hervorgelin können. Und so 
stammt auch unser mundartliches Gatze, Getzi SchOp%efäss zu- 
nächst von einem romanischen gazza, diess aber von dem alt- 
hochd. chezzi ab (Diez Wörterb. I, 121), chezzi Wieder vom lat. 
eatinum: das Wort ist zwischen der Fremde und Deutschland 
wiederholendlich hin und her gegangen. Das aspirierte CH so- 
dann vor einem /-Laut schärft sich romanisch in c, chdidonia 
in ital. ceMdonia, hrachium in braccio, archiepiscoptis in arcives- 
covo (Diez Gramm. I, 238) : auch im Deutschen ward aus Cheru- 
bim zeruiim, aus chelidonia scdliumrz, aus ital. bracciata brac- 
datello brezitä prezitdla Prezel, aus Aristolochia Osterluzei und, 
während der Gothe arkaggüus gesagt, aus archiepiscopus erzi- 
biscof, aus archiater arzät Das Französische aber setzt auch 
cha in einen Zischlaut um (charta charte) und verwandelt, indem es 
die Neigung schon der Römer zu ungehöriger Aspiration der Kehle 


1) Die persönliche Ableitung gouctddri gougüldri catuicdäri darf 
nicht verlocken Ursprung aus dem lat. jocularis jocularius joculator (prov. 
joglar, ital. giullaro, altfr. jogleor) anzunehmen: eine Grundlage für das 
einfache Sachwort 'gowidl bietet sich hier nicht, und der j^-Laut im Be- 
ginn der altnprd. Form hukl und der mittelniederl. cökelen und cökelere 
bleibt mit lat. rom. j unvereinbar. 


284 Die ÜmdeatBchttng fremder Wörter. 

(Schneider I, 183. 205 fgg.) fest hält, sogar ca in dieses ge- 
zischte cha, z. B. Caritas charitas chariti (Diez I, 229 fgg-)- Ini 
Deutschen wiederum hier z: charta chartarium mhd. €arte zerte 
zarter zerter, charitas ahd. zart Liebe: eine deutsche Wurzel 
fehlt diesem Worte, es kommt allein im Hochdeutschen vor, die 
far die Syncope beforderliche Kürzung Caritas hat Otfried V, 
12, 82. Für z wird mhd. auch ts geschrieben: xapa mittellat. 
und roman. cara franz. chiere chhre (Diez Wörterb. I, 1 12) mhd. 
tsieren d. i. faire bonne ch^re; z aber wie ts und im älteren 
Französischen ch selbst, im Mittelhochdeutschen auch seh, alles 
das erscheint nur wie ein schüchterner und ungenügender Ver- 
such in der Darstellung des eigentlichen Lautes, wenn man da- 
neben die im Mittelhochdeutschen gewohntere Schreibung hält, 
die mit tsch: castellanm franz. chastdain mhd. schahtdän tschah- 
tdän, capa fr. chapd chapeau mhd. schapd tschapel, charus fr. 
eher mhd. scher und tschier, cahallus fr. cheval chevalier mhd. 
zevalier schevalier tschevaUer^), Endlich auch für G stellt sich 
romanisch gern ein härterer oder milderer Zischlaut ein, der 
Begel nach nur wenn ein n oder r vorhergeht (Diez Gramm. I, 
249 fg.): unter eben dieser Bedingung wird spongia im Alt- 
sächsischen spunsia, punga im Althochd. phoso Beutel % asparch 
gm fr. ctsperge nhd. mundartlich Sparse, ohne dieselbe caliga 
ahd. kalizjd chelissä cheUsd; [vgl. mamducare afr. inangier mhd. 
mensier Würzb. Kochb. 24; ital. corteggio, Diez Gr. 2, 372, 
corteggiano, cortisan, auch franz. courtisan; altfr. harge Diez 
Wb. 1, 52, barze HarflF S. 60. 203; Frangia f ränge Franse 
Franze; altfr. rotuenge ridewanz; auch fr. logetnent losament]. 
Durchweg aber gleicht sich g in der späteren Latinität und tm 
Bomanischen einem i oder e, das ihm nachfolgt, an und geht 
in j über und verfliesst, wo es zwischen einem Vocal und einem 
i mitteninne steht, in dieses letztere (Diez Gramm. I, 248 fg.): 
ebenso sprach man sonst und spricht man in der Schweiz noch 


1) Vgl. fr. targCf mhd. tarze tarsche tartache; Joye, mhd. sioie schoie 
Uchoie; Juxta, afr. joate, mhd. joste tjoste. 

2) Punga wohl Ton pungere, in die man hineinstöpst : pungere selbst 
wird auch mit phosdn ühersetzt. Die näher hei inmga Weihenden Formen 
pugg und fung sind schon oben angeführt worden; wegen der Aub- 
stossung des n ygl. Diez Gramm. I, 204. 


Die XJinä&mtsohang fremder Wörter. 285 

immer Gmf^ lat. Oeneva, wie Jenf, und aus gympeeum ist mbd. 
genez und jenez, aus GeorgiuB Jörge Jürge niederländ. Joris 
geworden, aus magister mit diphthongischer Zusammenziehung 
meistar, aus eulogia oUagia (oben S. 277) (Md obdei, aus (^Ik" 
gium mhd. kolei, aus horologium örlei. Ja selbst im Beginn 
der Worte verschwindet vor i und e der npn halb vocalisierte 
Kehllaut gänzlich: Aegidius, franz. CHUes, mhd. 6^7$^^ Oilje Jilje, 
nhd. 6ra'^ und Ilg; Ulium, ital. ^t^fto^ mhd. gilge, nhd. mund- 
artlich iZ^«; gemma, mhd. gimme und imme; gypsum, nhd. (ryj?« 
und mundartlich ips/ gentiana, Enzian. 

Halbconsonanten. 

Die Neigung der Liquiden unter einander zu wechseln (Diez 
Gramm. I, 189 fg. 199. 202 fg. 207 fg.) ist aus den romani- 
schen Sprachen und mit Worten derselben auch in die deutsche 
eingedrungen: m vertauscht gegen n in mespüum ital. nespola 
ahd. mespilä und nespelä; l gegen n in colus mlat. cöluciüa 
eonucula ital. ^onocchia ahd. chamtchla chunchla, gegen r in 
calathus chratto chrezzo, xXi)GT>]p mhd. krisUer, malum grcmor 
tum margrant mar gram; am häufigsten aber umgekehrt r gegen 
l: xupLaxov ahd. chirichä und chtlichd, coriandrum chullatUar, 
charadritis it. calandra mhd. galander Haubenlerche, mortarium 
nhd. mundartlich Malter Mörtel, marus ahd. mürpaum mürperi 
und mülpoum mülbere, prunm phrümhoum und phlümboum, 
peregrinus it. pellegrifw ahd. piUkrim (zugleich m aus^ n) und 

Die Verwandlung des L vor Consonanten in ein u und so- 
mit die des vorhergehenden Yocals in einen Diphthongen^ die im 
Romanischen theilweis Begel ist (Diez Gramm. I, 139 fg.), kann 
aus deutschen Denkmälern noch frühzeitiger belegt werden als 
aus den romanischen selbst: schon der Gothe hat aus dem grie>^ 
chischen xoXa9tSsiv kaupatjan, schon der salische Frank-e aus 
Cfdter das sexcaudrus seiner Lex gemacht. Ausstossung des l 
(Gramm. I, 193) im ahd. ckusstn, fr. coussinj^ it. cuscino, lat. 
culcitinum (Diez Wörterb. I, 135). 

Tilgung des N vor S hat in ursprünglich unbetonten An- 
£a,ngssylben das Deutsche schon aus sich selbst geübt: goth. 
Kustanteinus, ahd. Costantinuses puruc Konstantinopel, Constantia 


286 1^6 Umdeatachnng fremder Wörter. 

Chostanza^ comiare altfr. couster mhd. kosten; in der betonten 
Wurzel ist sie den Sprachen der Sachsen und der Scandinavier 
ganz geläufig und regelrecht (gotb. ahd. am Oott, altsäcbs. alt- 
nord. &8y angelsächs. d8\ aber der gothischen und der hoch- 
deutschen nicht: hier schieben sogar einzelne Mundarten eher 
noch ein n ein: Unse meinster udgl. Daher, wenn im Gothischen 
aus mmsa mes, hieraus im Althochdeutschen meas oder mias 
geworden, so wird diess wiederum von romanischem Einflüsse, 
wird daher rühren, dass jene Tilgung des 71 auch zu den alt- 
vererbten Eigenheiten der lateinischen Volkssprache gehört ^), wie 
gerad auch mesa romanisch ist. Das Gleiche gilt für insula ahd. 
isila, mansionarius ahd. mesinari mhd. mensner und mesencere 
mgsner (nhd. Messner. mit falschem Bezug auf Messe)^ lyensale 
phisal phiesal phisal, expensa spensa spisa. 

Woher aber rührt der Wechsel von St und Ht, den uns das 
Alt- und Mittelhochdeutsche zuweilen in romanischen Worten 
zeigt? Sextartus sestar ahd. sehtäri, mhd. forest und fdreht, 
testiere mhd. tehtier, chastelain mhd. tschahtelän. Im Bomanischen 
selbst ist dergleichen nirgend mehr nachzuweisen: aber es schiene 
mit solch einer Vertauschung der Uebergang des altfr. forest in 
neufr. forH am besten vermittelt. 

Vocale, 

Das lange lateinischer Wörter sinkt im Bomanischen 
(Diez Granun. I, 148. 413 fg. 429) und darnach im Deutschen 
ebenso zu dem tieferen Laute des ü, nhd. aü, hinab wie kurzes 
zu kurzem u. Bereits der Gothe sagte für Roma Eüma; der 
gleiche Laut ini Altsächsischen und einzelnen Mundarten des 
Althochdeutschen: man mochte dabei an das Adj. rüm geräumig 
denken. Andere Beispiele Vesontio Besannen Bisenzun und 
ebenso baron barün, prison prisün, trongon trunzün; ferner coZ- 
eatorium ccdcatürä ccdctüre mhd. kalter Kelter^), coopertorium 


1) Sehneider I, 458 fgg. Diez Gramm. I, 206 fg. Eine deutsch 
glossierte Virgilhandschrift des 10/11 Jahrh. in München hat zu dem 
Verse Georg. I, 390 Hcec nocturna quidem carpentes pensa puellcB die 
Bemerkung vülgo peisa (Graffs Sprachsch. 111, 352): gleichfalls deutsch 
oder romanisch? 

2) Syncopierung und Tilgung des ca wie in culcUra ital. cultra mhd. 
kalter kalter des ei. 


Die Umdeatschung fremder Wörter. 287 

chupartüri chtdierfäri^), lectorium lectüri, sacratorium sigitüri, 
morus morperi und mürperi mülperi Maulbeere, hora mhd. dr 
und üre nhd. Uhr und gelegentlich auch Äuer, duo duos altfr. 
duos ahd. düs Daus, claustrum ahd. chlöstar altsächs. clüstar 
ahd. chlüstarrä Klausnerin^), tofus ahd. tüf stein nhd. mundartl. 

Tauchstein. Umgekehrt wird aber auch U zu d, hochd. uo, 
jedoch nicht unmittelbar, sondern nur indem zuerst das ü sich 
verkürzt, dann sich das kurze w in o verwandelt (Diez Gramm. I, 
153. Wörterb. I, 139. 328): cupa cuppa copa ahd. chicofä, 
ptipa altfr. poupe prov. popa nhd. PupjM, aber pupus mhd. buobe; 
auf gleichem Wege ist ixouaeiov in das mhd. muosen mit Mosaik 
zieren und wohl auch muta ahd. müta Mauth in das goth. mota 
übergegangen. 

Das mit dem Umlaut' gesprochene französische ü erscheint 
in der mittelhochdeutschen Schreibung diphthongisch als iu: ad- 
Ventura aventure dventiure, crSature creatiure^), hd. brüt franz. 
bru mhd. briu; das Neuhochdeutsche, dem iu zu eu wird, hat 
noch Abenteuer und ebenso aus exdusa escluse ecluse Schleuse. 
Wenn auch jenes iu wahrscheinlich selbst nur wie ein langes ü 
gelautet hat, so kann man das doch mit aventure und dventiure 
nicht beweisen: denn, ein Beispiel nothgedrungener Abweichung 
der deutschen Aussprache von der romanischen, der romanische 
Diphthong lE^ in welchem von je her der zweite Vocal mit 
gutem Fug (denn er ist der einfache Qrundlaut dieser diphthon- 
gischen Zersetzung) stärker hervorgetönt hat, wird von den 
Deutschen ganz wie ein deutsches ie d. h. mit stärkerem An- 
schlag des ersten Vocales aufgefasst: Sena ital. Siena mhd. Siene 
auf diene, ferus franz. und mhd. fier auf tier, . banniere baniere 
auf schiere reimend. Und wie noch wir jetzt Panier aussprechen*), 
so beruht überhaupt in all den vielen Substantiven und Verben, 
die so endigen, unser le auf einem romanischen iL 

1) Neutralen Geschlechtes, weshalb das mhd. fem. covertiure nicht 
sowohl hieraus hervorgegangen als dem franz. couverture frisch nach- 
gebildet ist. 

2) Denn so wird Graffs clouzara (Sprachschatz IV, 566) zu bessern 
und der schon früh entstellte Ortsname Clustirrun (Fdrstemann II. 374) 
zu erklären sein. 

3) Daneben auch lateinischer criatüre: ebenso natura mhd. natüre 
und natiure u. s. f. 

4) In der Schweiz auch Triest, einsylbig, nicht zweisilbig TrUst. 


288 1^« Umdeiitschiuig fremder Wörter. 


IV. Yerlängerang betonter, Kärznng nnbetoniter 

Vocale. 

Bei den mannigfachen Aenderungen, denen im Bomanischen 
die betonten Vocale der lateinischen Sprache unterliegen, wird 
immer noch auf deren ursprüngliche Quantitätsuuterschiede die 
bestimmteste Bücksicht genommen und eine andre Umgestaltung 
auf die kurzen, eine andre auf die langen angewendet: vgl. meine 
Altfranz. Lieder und Leiche S. 139 fgg. In diesem Stück nun 
weichen die Deutschen vollständig von den Bomanen ab: unter 
ihnen hat von frühester Zeit an, hat sichtlich schon in der 
Gothenzeit der Grundsatz gegolten alle betonten Vocale grie- 
chischer und lateinischer Wörter, wenn der Consonant dahinter 
einfach ist, für lang zu achten und die eigentlich kurzen dann 
zu dehnen: auffallend genug, da das Deutsche selbst bis zu 
Ende des Mittelalters reichlich ebenso viel, wo nicht mehr be- 
tonte Kürzen besessen hat als Längen und erst das Neuhoch- 
deutsche dem Accent die gleiche Wirkung auf die Quantität 
einräumt. Aber schon der Gothe dehnt nur in Folge des Tones, 
der dann meist ein lateinischer, wohl auch schlecht lateinischer • 
und nicht der griechische ist, auch auf Gothisch euaYys/aov in 
aivaggeli, senex in seneig^), EuoSta in Aiödia, 'EpjJioYevijc in 
Airmögaineis , 'AvTLO/^eia AntiocJäa in Antiökja, MaxsSovia in 
Makidonja, 'Ov7iaL9opo^ in Auneiseifaiirus (denn ei hat für ihn 
Sinn und Werth eines langen i), qtoj^L^ aicupßa in spyreida, 
Titus in Teitus und, falls der Gothe wirklich die Palme für 
einen Pechbaum' gehalten, })ix picis in pelk: peikdbagm bei 
Ulphilas die Uebersetzung des griech. 9o(vl$. Im Hochdeutschen 
noch mehr und eine noch grössere Mannigfaltigkeit solcher An- 
eignungen mit Quantitätenwechsel. Verlängerung eines betonten 
ä in gradus grdd^ caseus chäst, graphio krävjo Graf, papa 
päbes (phaffo behauptet die Kürze), Padiis Pfät, und selbst vor 
einer Position iu fasda fäska fäski; in lagena lägela Lägel ist 
die Betonung der ersten Sylbe nicht ursprünglich. Eines e: 


1) Timoth. I, 5, 1 fg.: dagegen Luc. I, 18, bei der deutschen Wurzel 
verbleibend und nicht auf dae Lateinische hin gewendet, sineig. 


Die Umdeutschtmg fremder Wörter. 289 

wiederum ewangiljo und metrum mitar; in weiterer Folge 
Diphthongierung oder Uebergang in I; f^is (kurzer Vocal wie 
in «pißea^ai und ahd. pipen zittern) fiebar, Petrus goth. Paitrus 
ahd. PStar und Pietar, breve prief, speculum spiegal, cedrus 
zHarpoum und ziderboum, tegula ziagal: daneben aber auch 
mit Kürze tegel. Eines ^ und y (die Verlängerung ergiebt dann 
im Neuhochdeutschen den Diphthongen d): mala ftol, rubiola 
rebtgel, sätda sidlin, lyra lirä und all die vielen späteren Worte 
auf te, die den romanischen auf ia, ie (Diez Gramm. 11, 280) 
und durch deren Vermittelung Jen griechischen auf La folgen, 
wie ästronomte compante kurtoisie^ dem Ursprünge nach zu 
unterscheiden von denen, deren i schon im Lateinischen lang 
und im Griechischen ein st ist, wie vsxpofxavTeCa nigromanzie, 
Tzgo(ft\i:&ioL profezie. Wir kommen im nächsten Abschnitte noch 
einmal auf diese reiche Wortart zurück (reich besonders dadurch, 
dass die fremde und fremd betonte Endung auch an deutsche 
Stämme gehängt wird) und erwähnen hier bloss noch, dass wo 
beides, Stamm und Endung, fremd ist, die neuhochdeutsche 
Sprache das ie bald unverändert lässt, bald diphthongiert: z. B. 
Chemie Monarchie hifanterie, Clerisei (ital. chiericia) Polizei 
Spezerei, Copie^ Melancholie Poesie^) und alterthümlicher (aber 
die Pedanterei, die nicht gar «u deutsch und selbst lieber eine 
Pedanterie sein wollte, hat das abgeschafft) Copei Melancholei 
Poesei; und dass auffallender Weise auch schon das Alt- und 
Mittelhochdeutsche mehrmals den Uebergang in den Diphthongen 
zeigt: monachia municheie, Papia Pavia Paveia, probsteie, salvia 
salbeiä, advocatia vogteie; wäre abbateia das einzige Wort der 
Art, so könnte man die Erklärung etwa in aßßaTsia suchen. 
Ferner die Verlängerung betonter ö: chorus chdr, tonus don, 
ConstanfinopoUs PhilippopoUs Ktmstenöpel Vtnepdpel, probare 
proben, rosa rdsa, thronus trön; mit romanischem Uebergange 
des 6 in ü, nhd. aü, avarüzä und Aberratifs^ ümdeut^chungen 
von abrotanum. In ostrea nhd. 'Auster (ahd. die Zusammen- 
setzung aosforscala) tritt ungeachtet der Consonantenhäufung 


1) Gr. lat. \o£if)at; poesis, aber mittellat. ital. poesia, fr. po^8ie, wie 
gr. lat. atpeai?, mlat. hceresia, it. eresia, fr. hMsie, mhd. eresie, und 
schon im Griechischen die Doppelfonnen dTz6Tz\f\^i^ und diioTcXiQ^ta, aiio- 
axaatc und dnoaxaaCa, ^tcCXtq^ic und ^uiXirj^ta. 

Waekernag«!, Schriften. 111. _ 19 


290 I^i« Umdeutschung fremder Wörter. 

sogar der Diphthong ein, der die Grundlage des althochd. 6 
bildet; anderswo ist das betonte ö gegen uo vertauscht, d. h. 
man hat es schon auf der vorhochdeutschen Stufe in d gedehnt, 
da hochd. uo und vorhochd. 6 einander überall entsprechen: 
eleemosyna alamuosan, proba mhd. mit Umlaut brüeven, crocus 
chruogo, von 'coquere roman. coco ahd. chuocho, schola^ scuolüy 
domm ttiom, vicedominus fiztuom nebst den schon oben S. 287 
erörterten Beispielen huobe chuofä mota. Endlich ist betontes fi 
verlängert in crux crucis chrüzi, mhd. umgelautet kriuze, nhd. 
diphthongisch Krmz. 

Solchen Dehnungen der Eüi-ze, die bloss der Ton veranlasst, 
steht in nothwendiger Ausgleichung das Andre zur Seite, dass 
unbetonte Längen verkürzt werden. Wenn Ulphilas Klaimaintus 
und aurali und Trauada sagt, so ist schon ihm die Lautdehnung, 
der unbetonten Anfangssylbeh von Clemens Cleineivtis, von oralis 
Schweisstuch, von Tpwac; acc. TpoaSa verloren gegangen. Ebenso 
im Althochdeutscheu j^oleiä aus lat. puleium; in bredigon Jtufeo 
sorodön sichur solari treso hat überall zwar die erste Sylbe den 
Accent, aber ihr Vocal ist kurz: der eigentlich lateinische Accent 
auf der zweiten oder dritten und damit verbunden die Kürzung 
der gedehnten ersten ist vorangegangen: prcedicäre Judäeus 
scrutdri secürus solar tum fhesätirus; in secretdrium sigitäri hat 
die, Kürzung sogar zwei Vocale getroflFen. Aehnlich die Laut- 
Schwächung in sacrista slgiristo; Schwächung und Kürzung in 
sacratörimn sigitüri. 


V. Verrückung des Accentes. 

Wie wir eben vorher gesehn, haben bereits die öothen, dem 
wohlbegründeten üebergewicht der lateinischen Sprache über die 
griechische nachgebend, selbst griechische Worte auf lateinische 
Art accentuie/t; den schon angeführten Beispielen ist hier noch 
sxxXrjCjfa aikklesjo beizufügen, dessen lateinisch unbetontes / 
ebenso zu j verstummt wie dort in Makidönja und Antiokja, 
und Andrias, eine Nebenform von Andraias 'Av5pea^, deren i 
in früher (S. 271) besprochener Weise ein unbetontes kurzes e 
darstellt. 


Die UmdeutscKung fremder Wörter. 291 

Dieser Gebrauch griechische Worte im Deutschen wie im 
Lateinischen selbst lateinisch zu betonen hat sich das weitere 
Mittelalter hindurch und bis auf uns erhalten und nöthigt sogar 
die, die z. B. Aischylos sprechen, doch zu dem Accente Aischißos^ 
nicht AicJx.uXo^; er ordnet sich als einschränkende Bestimmung 
dem allgenaeineren Grundsatz unter, dass fremden Worten ihr 
fremder Ton bewahrt und jedesmal diejenige ihrer Sylben accen- 
tuiert wird, die auch in der Ursprache den Accent getragen. 
Demgemäss sind (wir sehen ab von gänzlich unveränderten, in 
keiner Beziehung umgedeutschten Eigennamen wie Hirndes 
'Ibycus Sdtanas), es sind auf der drittletzten betont z. B. wieder 
Macedöfuen und Evangilium Evangilien, Statue, Individuum 
Individu^en: dort aber das stumme i nähert sich immer noch 
sehr dem j, hier das u dem w: mittelhochdeutsch konnte sich 
lllium lilje, Hispdnia Spanje sogar vergröbern in lllge Spange. 
Auf der vorletzten betont theatrum Thedtet*, Char&cter Characthe, 
'Autor Autoren; mit Verringerung der ursprünglichen Sylbenzahl 
apöstolus Apostel, NedpoUs Neapel. Auf der letzten, weil eben- 
falls eine flectierende, vielleicht auch noch eine Ableitungssylbe 
dahinter abgeworfen, Idol, Diadim, Lucidn, Natur mhd. natüre, 
glorios, Mandat, Organist aus Organiste, activ, Frophz, Suhsiänz 
mhd; suhsi&rizp. 

Diess die Begeh aber noch häufiger beinah, als man ihr 
jfolgt, wird von ihr abgewichen und nach zwei gerade entgegen- 
gesetzten Richtungen hin. . Nach der einen im Neuhochdeutschen, 
doch so, dass die Anfänge dazu bereits dem Mittelalter, die 
Anlässe wiederum dem Romanischen zugehören. 

Das Uebergewicht, das zu wiederholten Malen die franzö- 
sische Bildung in Deutschland hatte, gab sich vornehmlich auch 
darin kund, dass sogar die Antike an diejenigen, die nicht 
eigentlich gelehrt waren, nur in französischer Einkleidung ge- 
langte: auf dem Sprachgebiet entsprang daraus die Gewohnheit 
griechische und griechisch -lateinische Worte lieber in der fran- 
zösischen Form^ vielleicht auch nur mit französischer Umge- 
staltung ihrer Schlusssylbe, in beiden Fällen aber mit dem 
französischen Accent zu gebrauchen. Der Art schon im Mittel- 
alter und seit demselben die zahlreichen Substantiva auf ie, 
jetzt ie oder ei, denen antike Worte mit doch unbetontem \a 

19* 


292 I^ie ümdcutflchting fremder Wörter; 

zum Grunde liegen*), und die noch zahlreicheren Zeitwörter, in 
denen an lateinische Stämme ein kr (vgl. Cap. VIII) gehängt 
ist, z. B. riyere regieren. Und eben der Art solche Substantiva 
und Adjectiva wie Sermon, Nation, racant, Dochit, Rutnür, 
Facnltdet*), die nicht vom lateinischen sh'mo u. s. w., sondern 
vom französischen serm6n d. i. sernuinem, vom italiänischen 
rnmöre d. i. rumorem kommen. 

Die Geläufigkeit mehrerer der eben angeführten französisch- 
lateinischen Wortausgänge hat schon frühzeitig dazu verleitet, 
sie auch auf deutsche Stämme zu übertragen (vgl. J. Grimm 
kl. Schriften 1, 327 ff. über das Pedantische in der deutschen 
Sprache, namentlich S. 337. 354 fgg. 364. 372), und in der 
Sprache des Volkes dauert diese Verleitung jetzt noch: der ganz 
undeutsche Accent am Schlüsse statt am Anfang stört darin 
nicht. Schon das dreizehnte Jahrhundert zeigt uns Bildungen 
wie zauberte und damit gleichbedeutend galsterte lächmie; 
jüngeren Ursprunges sind narry füU^ry hüel>ery u. s. f.: inder- 
gleichen Worten führt das Neuhochdeutsche ausnahmslos sein 
diphthongisches ei durch: also auch niederländ. maatschappye 
nhd. Mascopei, Mit ier sodann manches auch schon ältere, wie 
briiyelierefi huoheliereti halbieren hofieren prangnieren tumme- 
Heren wenkelieren, in der Canzleisprache inhaftieren läuterieren 
schadlosieren urbaritfieren verlustieren. Mit ion Lanier atimi. 
Mit ant Schnurrant. Mit f<pt Alberta^t ,Bestimmtitcpt Kühlitai 
SchmiliUet. Und auch mit al und ist und ur, deren Betonung 
unmittelbar aus dem Lateinischen herrührt, solche Mischworte: 
Glasur, Blumist Hornist Zinkenist, austroegal Lappalien Pau- 
schale Plaudralien SchmieraJien, Diese Umwälschungen des 


1) Oben S. 289. Anch aus dem neutralen Spyta wird im Franzö- 
sischen weibl. oryies: daher die süddeutsche Betonung Orgien y z. B. in 
Schillers Aen. IV, 56. 

2) Um uns dem Lateinischen wieder mehr zu nähern schreiben wir 
jetzt in dergleichen Worten tcct und mühen uns wohl auch ein ce zu 
sprechen: die mittelalterliche Schreibung schliesst sich unbefangener dem 
Laut und dem französischen Ursprung an: facnUPt^ tnajestet oder auch 
diphthongisch moralUeit: vgl. pasiata (ital. pastadella; fr. päte männl.) 
mhd. bast^fe pastede und so auch nhd. Pastete. Alterthümlicher roma- 
nisch ist Otfrieds Tcarität; das mhd. potestät hält das a des ital. podesttl 
podeatade fest. 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 293 

Deutschen waren als Kehrseite der Umdeutschnngen, von denen 
wir handeln, der Erwähnung wertti. Wenden wir uns noch ein- 
mal zu denjenigen Worten, die nicht bloss in der Endung, die 
gänzlich fremden Ursprunges sind. 

Bei denen auf ik schwankt die neuere Accentuierung zwischen 
dieser Sylbe und der, die vorangeht, d. h. sie betont bald auf 
französische, bald auf lateinische Art: Katholik Fabrik RepMlk, 
Chronik Metrik Mtjstik, Mathematiker Musiker Politiker, Maihe^ 
matik und Mudk und Politik bald so, bald so: die Sprache des 
Mittelalters setzte diess i dem stummen i des Deutschen gleich 
und betonte kröfUke, mxmke. Sonst aber, wenn das lateinische 
Wort den Ton auf der drittletzten Sylbe und in der vorletzten 
einen voilereu, nicht so leicht verklingenden Laut hat, betonen 
wir im Deutschen eben diese vorletzte oder für uns nun letzte 
und thun das zugleich nach dem Vorgänge der französischen 
und auf Antrieb der eigenen Sprache, die schon längst verlernt 
hat kurzen und unbetonten Schlusssylben einen volleren Laut zu 
geben, die schon seit mehr als einem halben Jahrtausend an 
dieser Stelle der Worte bloss stumme e .oder i kennt. Also 
z. B. Araber Epoche jEneide Areopdg reciprök Thermopylen 
Maxime Organ Pericöpe Apocryphe Satire Ekstase Despot concdv; 
selbst altgermanische Namen, die jedoch auf uns bloss durch 
lateinische Vermittelung gelangt sind, müssen sich dieser neu- 
deutschen neufranzösischejti Betonung unterwerfen: Gepide Her- 
mundüre Teutöne Vanddle; ja auch zahlreiche Worte mit e in 
der vorletzten entziehen sich ihr nicht, weil dieser Vocal sonst 
verstim^men oder gar, wie schon bei castanea' Kastanie, linea 
Linie geschehn, in ein J-artiges i ausarten würde: Idee Katheder 
Anatliem homogen ConifSre Aphcerise. Und so würden 'Autor 
und Autoren, Chardcter und Charadire, für deren Accent- 
wechsel vorher der entsprechende lateinische Wechsel von äuctor 
auctores, chardcter charactSres als Grund ist angedeutet worden, 
es würden in gleicher Art S6cp*ates und socrdti$ch,/Aether und 
ätherisch, Apostel und apostolisch, HSrcules und hercülisch auch 
ohne das lat. Socrates socrdticus, dether mthereus u. s. f. den 
Accent hier auf diese, dort auf jene Sylbe rücken: denn mit 
der Flexion, mit der Ableitung ist diejenige ümdeutschung ein- 
getreten, der ein söcratisch und hercülisch widerstünde, und wir 


294 ^iö Umdeutschung fremder Wörter. 

betonen ja eben deshalb auch Qmfreti HJietdren trotz dem la- 
teinischen üaeaares rhifm^es. 

So viel von der einen, der französisch - neuhochdeut8chen 
Abweichung, die zugleich der lateinischen und der eigentlich 
deutschen Art entgegen den Ton auf den Ausgang der Worte 
wirft. Wir gehn zu der anderen über, durch welche dem 
Deutschen wenigstens sein Kecht geschieht. Diese gehört wesent- 
lich der althochdeutschen Zeit an; auf den späteren Sprach- 
stufen begegnet und durchkreuzt sie sich mit der französischen 
Betonungsweise. 

Wie das Gothische die griechisch -lateinischen Laute mög- 
lichst festhält, das Althochdeutsche aber einen grossen Schritt 
von da aus weiter geht und eigentlich erst deren ümdeutschung 
beginnt, so ist das Gothische auch in den Accenten der Worte 
noch gern lateinisch, das Althochdeutsche wagt den deutschen 
Accent. Allerdings bei Ausdrücken, die gleichsam geheiligt 
sind, wie ewangeljo, wie episttda, ist der lateinische Accent ihm 
mitgeheiligt: sonst dagegen strebt es mit seiner Betonung auch 
über die drittletzte noch zurück nach vorne hin und giebt den 
höchsten Ton der ersten Sylbe, die im Deutschen der Regel 
nach einen solchen trägt; ja Otfried (Hartm. 149) mag selbst 
die lateinische Ablativform kdritate so betonen. Hier nun ist 
Einwirkung des Eomanischen nicht gedenkbar: dieses kennt wohl 
gleichfalls solche Verrückungen des Accentes in ficdtum prov. 
flgado, fcenkulum mittellat. finuglus portug. füncko, pensah 
pesale, secdle ital. sigale, trifolium franz. trifte (vgl. Diez 
Wörterb. I, 175. 375. 422 und oben S. 275), aber eben nur in 
so wenigen vereinzelten Fällen: man möchte eher den umge- 
kehrten Einfluss glauben. Und auch das Gothische hat ^chon 
Einzelnes der Art, Einzelnes, nur wie zur Vorbereitung: cathim 
oder catülus kdtil und siglllum slgljo. Desto zahlreichere Be- 
lege im Althochdeutschen und auf dessen Grund noch in der 
späteren Sprache und bis auf die unsre; all diese Blätter sind 
voll davon, so dass es üeberfluss wäre hier noch eigens der- 
gleichen anzufahren. Ich bemerke nur noch, dass im Mittel- 
hochdeutschen selbst die frisch eingeführten romanischen Worte 
gern so betont werden: z. B. bannüre hänier Banner, altfranz. 
panchtre ital. pmtcUra (pancla Bauch von pantex) bdnzier Panzer, 
potio poisön pöisün, chapel chapeaji schdpeL Namentlich sind 


Die ümdeutschnng fremder Wörter. 295 

hiebei die auf die oder At, roman. ata und mit ihnen die auf 
isse oder esse zu erwähnen, die jetzt massenweis und zwar die 
auf äte besonders im mittleren, die auf esse im niederen Deutsch- 
land aufkommen, die letzteren so gänzlich tonlos auf der Ab- 
leitung, dass dieselbe sogar syncopiert wird, wenn die vorher- 
gehende Sylbe ein tief betontes er enthält: maiorissa meierse, 
monetaria mumerse, telonaria tolnerse. In beiderlei Bildungen 
mochte man aber dem deutschen Accente deshalb schon den 
Vorzug geben, weil häufig auch hier das Stammwort selbst ein 
deutsches ist: reindte Reinigung, villdte von iHllen Geisselung, 
beckerse Bäckerinn neben marteräte Marter, predigMe Predigt, 
ebbedisse abhaiissa. Zudem ist At auch als wirklicli deutsche 
Schlusssylbe, als Nebenform von dt gebräuchlich: kleinste kleinot 
und kleinät. 

Aber nicht bloss Appellativa, auch Eigennamen, persönliche 
wie geographische, wurden so behandelt: schon im Gothischen 
hatte es Marja geheissen, ebenso neben Maria im Althoch- 
deutscjien, mittelhochd. Marje und mit dem Umlaut Merje 
Merge: Mergenbiirc Marienburg, Mergentheim Marienheim? Jetzt 
ausserdem noch Antichristus ' Antlchristo , Basilea BdsaJa, Con- 
fluSntia Chöhilinza, Colonia Chölonne Chölina, Constäntla Chö- 
stanza Chöstinza, 'Elias, Judäeus Jüdeo, Matfhdetis Mdtheus, 
Martinus Mirtin, Moguntlaciim Mogüntia Mdg'mza, Paradfstis 
Pdradis Pärdis, Phllippus, Tarvis'mm mhd. Tdrvts Th-vts 
Treviso, Troidmis Tröidn, Tuscana Tüscdne, Valentinus Vdltin, 
Tabirna ahd. Zdberfia Zabern, Tulblacum Zülpicha^); selbst 
französisch endende wie Franzois und Grezois betont die Kitter- 
dichtung auf der ersten Sylbe. 

'Das Neuhochdeutsche behauptet bei Appellativen diese um- 
deutschende Betonung nur dann, wenn sich dieselben bereits 
vom Alt- oder Mittelhochdeutschen her und in solcher Um- 
bildung vererbt haben, dass der fremde Ursprung verwischt ist: 
wo aber letzterer noch erkennbar vor Augen tritt, wird lieber 


1) [vgl. Heiland 37, 18—38, 5. Bethania 121, 10. 'Aegypteo 21, 14. 
^breoliudi 3, 20. Zdcharias 3, 2. 'Octavianas 16, 21. * Elias 28, 1. Pilatus 
156,16. Magdalena 174,4. Otfrid II, 14, 59 betont Hierosdlimu, lll, 4, 2, 
Hierosdlimono: aber Heliand 2, 17 HiirMsalem (gesprochen Jerusalem) 
und ebenso mhd.: zu Walth. 80, 26.] 


296 I>io Umdeuttfchang fremder Wdrter. 

zu dem ursprünglichen Accent zurückgekehrt: wir sprechen nicht 
mehr fündameiU, und wenn auch Käppd und Kdstd Kassel als 
Ortsnamen, doch sonst Capelle und Castill; und gar bei Worten, 
die erst das Neuhochdeutsche selbst aufgenommen, sind Be- 
tonungen wie Cmnpass 'Ocean Pavian (fr. babouin) eine Selten- 
heit. Nicht so unter den persönlichen Eigennamen, besonders 
wie der Yolksmund dieselben kürzt: hier haben auch wir noch 
'Alban, 'Andris^), 'Änton^), 'Appel d. h. 'Apollonia, BSndix 
Bendicht d. h. Binedidns, Christiem Christen, Christoph d. h. 
Christophorus , Beerte d. h. Börothea, J^lsbeth und Mse d. h. 
Misabeth, Fabian, Florian, Franz und Franzi d. h. Frdnciscus 
Fräncisca, KdUer und Kätti und Käethe d. h. Cdtharina, Lorenz, 
Margret, Martin und Merten, Mätthes und Matz d. h. Mätthceus, 
Moritz, Niclas und Nickel, Philipp, Siise und Susi d. h. Süsanna, 
Thiodor und Joder (s. oben S. 282), Thiophil, 'Urban, Valentin 
und Villen, auf süddeutschen Schulen auch Homer, Höraz, 
Virgil; geographische ausser den schon oben angeführten noch 
z. B. Bellinzöna Bellenz, Clavenna Chiavenna Riefen. Der 
Zwiespalt aber zwischen Altem und Neuem, zwisdien Ein- 
heimischem und Fremdem, in den unser Deutsch besonders hier 
gerathen oder gebracht ist, zeigt sich am auffäl%sten darin, 
dass nicht wenige Worte jetzt beiderlei Betonung empfangen: 
so Altan, Altar, Antichrist, Continent^ Februar, Fl&renz, Januar 
(aber Jinner), Johann, Kamerad, Orient, Pällast oder Palast; 
Biamdnt und Bimant, beides Entstellungen von adamas ada- 
mantis, sind auch in der Lautgebung, 'Augnst und Atigüst im 
Sinne verschieden: das althochd. augiisto trug als Monatsname 
den Accent ebenfalls auf der Anfangssylbe, so dass spater ougeste 
und ouste daraus hervorgehen konnte. Barbar wurde noch vor 
hundert Jahren Barbar betont, indem man die Schlusssylbe einem 


1) Also 'Andreas, "wie zwar eigentlich richtig, Biber schon seit langem 
unüblich ist. Im 9. Jh. accentuieren neben einander Otfried Andreas, die 
altsächsische Evangelienharmonie gleich der angelsächsischen Legende 
dieses Apostels deutscher und lateinischer 'Andreas. Das goth. 'Andrias 
oben S. 290. 

2) VV^enn Schiller in einer Xenie den Accent auf die letzte legt (kein 
Antön, kein Orest, keine Andromacha mehr), so ist damit die frische Ab- 
kürzung aus Antonius bezeichnet. 


Die Umdetitschung fremder Wörter. 297 

sbimmen er gleich setzte und demgemäss Barbarn declinierte, 
wie schwäbische Dichter furchtbarn; von derselben Art ist unser 
Decemvirn maYnmrn Camiiln, 


VI. Die aiibetouteB Sylben. 

Die Sprache hatte sich so gewöhnt den Hochton der Worte 
noch über die lateinische Abgränzung hinaus auf den Anfang 
zu werfen, dass in den seltneren Fällen, wo das aus irgend 
welchem Anlasse nicht geschehen war, der nun tonlose Anfang 
wie mit Missachtung behandelt und durch eilendes Drüberhin- 
gehn in seiner Körperlichkeit geschmälert, des einen oder anderen 
Lautes beraubt, ja gänzlich abgeworfen wurde. Das Schwächste 
der Art haben wir schon aus dem Gothischen kennen lernen, die 
Kürzung gedehnter Vocale und das Verschwinden eines n vor 
st (oben S. 285 und 290); dem schliessen siph Liquidenwechsel 
an wie armarlum barbieren mundartlich Ahnaring halbieren. Schon 
stärker sind die Vocalsyncopierungen in [j.apYapLnr]<;, in cilicitim, 
Corona, Verhia, beryllm, canönicus, Jerönimus d. i. Hierony- 
mus^), auf denen goth. markreittis, ahd. (/Uza, mhd. kröne und 
Vrene, nhd. Brille, Kntinich und Grolmm beruhen. Am häu- 
figsten ist das Stärkste, die vollständige Aphärese der ersten, 
ja zweier Anfangssylben. Ein Theil der Worte, die als Beispiel 
hiefür zu nennen sind, ist sicherlich schon im Komanischen und 
im Latein der Romanen so gekürzt und gleich so nach Deutsch- 
land gebracht worden, wie apotheca ital. boMga ahd. potacha, 
amygdala mandola mandalä, Apulia Puglia mhd. Fülle, electua- 
rium laUovaro lattewarje, s^afxixoc mlat. examitus altfr. mhd. 
sdrnU, excoda ital. scoUa mhd. schotte Molke, experidere spendere 
ahd. spentdn, expensa spesa spisa, thyrsus span. destrozar ital. 
strmizare strunzön: man braucht jedoch nicht überall, wo beide 
Sprachen in der Aphärese zusammentreffen, romanische Mitthei- 
lung anzunehmen, da Neigung dazu dem Deutschen selbst schon 


1) Wie hyacittthus mittellat. jac intus, hytdintis jalinua, hyoact/amus 
jusquiamus; vgl. Hilarius mhd. Gleris. 


298 Die ümdeutschnng fremder Wörter. 

I 

innewohnte. Das belegt in besonders schlagender Weise die 
altsächsische Evangelienharmonie, die je nachdem auf einen Vocal 
o^Jer auf r, auf f zu allltterieren ist, bald HSrodes d. i. ^roites 
betont (auch im althochd. Ammonius IX, 3 wird Wroffes ge- 
schrieben), bald Ilerödes d. i. mit Aphärese sogar dieses bibli- 
schen Namens Rödes, bald (nfern Hölle, bald wieder mit 
Aphärese fern^); nicht minder schlagend dergleichen Worte wie 
ahd. pelzon pfropfen, mhd. rAvU arabisches Streitross und mm- 
belieren zusammennehmen (mit Bezug auf samden auch in 
samelieren umgeändert): das Provenzalische und Altfranzösische, 
woher sie doch stammen, sägen selber empeltar, arabit und 
assembler, das Mittelhochdeutsche aber kennt auch neben AnWi 
Arabien ein gekürztes liäbi, und im Niederländischen steht poten 
pflanzen neben dem ahd. mit empeUar und pelzon gleichbedeuten- 
den imjntm von impotus 6fJL9UT0v. Weitere Beispiele apostolus 
ahd. postulf Arras nhd. Eass Rasch, asphaltus ahd. spaldvr, 
aspara(ßis nhd. Sparge Spargel, wstivale ahd. stiful mhd. dival 
(Anklang an ahd. arstiftden mhd. understivelen stützen und 
understibel Stütze), episcopus ahd. bkcof, epistola mhd« pislel, 
ertica ahd. rApa, exclusa afr. escliise nhd. Schleuse, /lippodromus 
mhd. poderäm, Hiapanus ahd. Span, historia storja, oryza mhd. 
ris, hospitale spUdl Spittel; mehr als bloss ein Vocal getilgt in 
Cucurbita ahd. churpiz, ampidla nhd. mundartl. Pidle, emplastruHi 
ahd. phloütar, incensorium zinser i^ indianisch nhd. Janisch wel- 
scher Hahn, quatemher mhd. temper; zwei ganze Sylben in caia- 
pidta polz, intercilium cilre, paternoster nhd. mundartlich Nüster. 
Für das Neuhochdeutsche haben diese weitgreifenden Aphäresen 
ihren Uauptplatz in den niederen und alltäglichen Umbildungen 
der Taufnamen, eben der undeutschen Taufnamen: die deutschen» 
deren Anfang gleich eine betonte Begriffssylbe ist, werden nur 
hinten abgekürzt; von den fremden erscheint mancher mit der 
einen und der anderen Tilgung, da man ihn auch mit dem Hoch- 
ton auf beibehaltener erster Sylbe spricht: Adolf us Dolfs Dölfi, 
Annette Nette, Apollinaris Boüeronis, Apoüonia Plaen, ApoUonius 
Plönniyes, Auguste Guste, AEgidius Gidi oder Gilg (vgl. oben 
S. 285), Helena Lene^ Elisabeth Lisebeth Lise Lisette Seite Betty 


1) [Cynevulfs JuUana 21 ceastre Commedia, d. i. i^T/comedia; 294 
Äyge JoÄannes. Älfr. Metra XXVI, 8 Retie (Boeth. 4, 3 Neritii).] 


Die Umdeutschung fremder Wörter. 299 

Erasmus Rasmus ^ tkistachius Stackes Stacks, Hippolytus Bolte 
Polte j Jacob Ko'hi, Jokannes > Hannes Hans, Johanna Hanne, 
Josepk Sepp^ Agnes' Nese, Ambrosnis Brost, Andreas Drewes 
Dresi Dresike, Antonius Tmnjes Dönniges Toni Tonet, Cardlus 
Rote, Ckecilia Zilg^), Louise Wise, Nicolaus Claus, Pkilippus 
Lips Lippely Sebastian Bastian Wastd Baschl, Sophie Fike, 
Xaver Fehr Fekreli, Brigitta Gitta, Ckristithe Stine, Christopkorus 
Stoffel Toffel, Charlotte Lotte, Pancratius Kraz, Margareta 
Grete, Catharina Trine Rifia, BonifaHus Fazi, Dionysius Nis, 
Ferdinand Nante, Friderike Rike, Henriette Jette, Pkilippine 
Pine, Salojnea Meli, Wilkelmine Mine und Hieronymus Mus 
Müssi MusseL Auch die Beispiele, wo ein vor den Namen ge- 
setztes und damit verwachsenes Sa^it oder Sand d. i. Sagtet bis 
auf das beschliessende t oder d getilgt wird, sind hier anzu- 
führen: so haben wir in Basel eine Dalben- und Delsbethen- 
d. i. Sanct-Alban- und Sanct- Elisabethenkirche, und ebenso ist 
aus Sanct-Urs Durs, aus Sanct-IIg (iEgidius) Dilg Dill Till 
Thiele^ in Baiern aus Sanct-Annenbrunn Tantienbrunn geworden. 
Damit vergleicht sich das spanische Diego aus Sant-Iago und 
weiter in den romanischen Sprachen Narnaldo, Nugo, Nalazais 
aus Don Arnaldo, Don Ugo, Donna Alazais, im neueren Grie- 
chischen aber die Ortsnamen, die mit einem aus d^ verkürzten 
2 beginnen vae Samsun d. i. st(j 'A[i.t<y6v, Schio Stanchio st^ X{ov, 
de Tav Xlo"), Stamhul sie xav lüoXtv; eiii altdeutsches Städte- 
verzeichniss hat Spergimunt d. i. £\c lIspyafJLov, Stammerre d^ 
rav Mti^pav, Ismir^ Smyrna. Pippo und Poppo, die alten Kose- 
formen zu Pkilipp und Jacob, halten nur die Schlusslaute der 
zweiten Sylbe fest um den Vocal mit einer Verdoppelung des 
Consonanten zu umschliessen^). 

In solchem Maasse werden von der betonten Sylbe undeut- 
scher Wörter die vorangehenden unbetonten hinabgedrückt. Nicht 
geringere Wirkung übt sie auf die ihr nachfolgenden aus: auch 
hier veranlasst sie Kürzungen aller Art, durch Syncope und 
durch Apocope, ebenfalls oft von überraschendster Ausdehnung. 
Und wir übergehen noch, indem nun wieder Beispiele anzuführen 


1) Das mäiinl. Cwcilius lautet schon im Deutsch des 13. Jahrh. Ziljes 

2) [vgl. Emil, Emilie Mimmi. Elisabeth Caroline Lili. Luim j Julie 
Lulii. Beckers Geschlechtsn. S. 16.] 


300 Die Umdeutschung fremder Wörter. 

sind, die neuhochdeutschen Formen, in denen durch Verschwinden 
der stunuuen e die Kürzung mitunter das möglich äusserste er* 
reicht; auch jene innerlich zusammengezognen, hinten abge- 
brochenen Eigennamen brauchen nicht wiederholt zu werden. 

Syncope und gelegentlich damit verbunden Umstellung und 
Angleichung der Laute, welche nun zusammentreffen: aridolochia 
aristolöcia ahd. Astriza, calcatormm caleatürä cdldüre mhd. 
kalter, catlllum ahd. chdlä, colüctUa conüctda chönacla und 
chunchla Kunkel, chrys6Uthus mhd. krisolite. und kriadlt, gffnm" 
ceiim gijmecium ahd. gSnuz mhd. genez gern, malum gratiätum 
mhd. (inMgranät) märgrant, ital. marindro märniBre, maitUina 
ahd. mäUina mhd. ^nettepi, tnanastirium ahd. mönastri mnnistri 
mhJ. münster, patina ahd. phannä, prcebSnda roman. provenda 
ahd. jjhnwrUa, pidpitum nhd. Pult, phlebotomum ahd. flwcTetna 
mhd. flieine (vgl. bior hier S. 281), refectörium mhd. rerindre 
reventer rifti^e rempter, syUaba ahd. silkAä mhd. sülabe sübe^ 
solidus soUddta mhd. soll söldät Löhnung, Trajedum mhd. Ma- 
strikt Uztriht Uztreht, trajedörium trähter trlhtwre. Die An- 
fangslänge von ccerefölium zeigt sich im ahd. cMrvola verkürzt, 
auf Anlass der ursprünglichen Betonung (s. oben S. 290) und 
zugleich der Position, welche die Folge der Syncopierung ist: 
ebenso in den mittel- und neuhochdeutschen Formen fenchd und 
kirche die Länge von fcenictdum fenachal und xuptaxov chirichä: 
denn letzteres hat ein langes /; Notker bezeichnet es aus- 
drücklich ^). 

Apocope: creäe mihi credemich, circultis chirch und zirc 
zirke (oben S. 269), Samuel Sam Sämmi % lychnus lieh in churz- 
lieh (wenn ich eareMih Sprachsch. IV, 490 richtig bessere), Sor 
raeenus Sarz, vicedöminus flztuom, petrosdinum pSdarsilli pe- 
darsüj pater? patrintis mhd. pfetter bäte, tdöneum zol, torcuiar 
torcula toreul, Barbara Barbe Babi, archidter ahd. ärzäl^), Mo- 


1) So geht auch die Länge von delere ahd. H/on, von Uli um, Hi- 
spania u. dgl. Worten durch die Position tilgen Ulje Spanje verloren. 

2) S, Nicolaus als festlicher Kinderschreck wird in Zürich Sämmi 
Claus genannt. ' 

3) Vollständiger im Mittelniederd. und Niederländischen ersdter und 
ersetre. Die Sachwörter arzentuom und arzenie und das Zeitwort arzenön 
setzen noch ein zweites Personwort arzen voraus, das jedoch, da i und n 
nicht wechseln, keine Entstellung von arzät sein kann, sondern, wie ich 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 301 

gunttacum Mogüntia Mdginza, 2^^^^^^^^ hurzala, icapotxfa pa- 
rochia pharra, lampas lampadis mhd. lampe, propägo alid. 
phrofa Propfreis, syringium sirno, parälysis Parle, cyparfssus 
ziperhoum, tapitum teppi, charitas zart, pulvinar phulwi, dis- 
cipidus disco^)^ micanique in der Pfalz Micknick und auch nur 
Mick. In Baiern ist einmal Jemand den heiligen drei Königen 
zu Ehren Cqbame genannt worden (Schmellers Wörterb. II, 690): 
allerdings eine starke Abkürzung: sonst pflegt man Caspar Bal- 
thasar Melchior nur in (hspcr oder Chäpper, Balzer oder Bahi, 
Melcher oder Meck zu ändern; und doch keine stärkere als die 
von Max aus Maximilianus. 

Aber auch die Laute, die hinter dem Hochton noch be- 
stehen bleiben, Consonanten wie Vocale, gerathen durch die 
Zurücksetzung, die sie gleichwohl trifft, in Schwanken und 
Schwächung. Consonantänderungen, die unmittelbar mit der 
Syncope verbunden sind, haben wir so eben erst kennen lernen; 
ausserdem kommt, viel häufiger hier als in betonten Sylben, 
Umtausch der Liquiden vor und wieder namentlich der Ueber- 
gang in / (vgl. oben S. 285. 297): n in l asimis goth. asilm ahd. 
esil, catmus oder auch catlllus goth. katil ahd. chezz-il, coquhia 
ahd. chüchina und chuchil, ciiminum chumin iini chumil, lagena 
lägela, myrtinus (JLupTiviri mirtilpoum, Organum Organa und o/- 
gdd, turbo turbönis tnrbal; r in l carcer goth. karakar ahd. 
charchäri mhd. karkoere kerker und karkel, corpus corporis mhd. 
korper und körpel, marmor ahd. marmul, martyr martarön und 
maftoldn, mortdrimn mhd. morter und nhd. Mörtel, ahd. nwr- 
säri und inörsdii, murmurare murmurön und murmuldn, panther 
mhd. pantel, petrdria ahd. pMtaräri mhd. pfedeler, prior prtol, 


schon zum Vocabularius optimus S. 8 bemerkt habe, auf dem appellativ 
gewordenen Eigennamen Archigenes (Juvenal VI, 235. XIIT, 97. XIV, 252) 
beruhen wird. In einem Wörterbuche des 13. Jhrh. heisst es (Strassh. 
Handschrift B 114 Bl. 70 b) Archigenes principalis medicus qiii optime 
seit ntodum in genest i. nature. [vgl. wie Lycisca Virg. Ecl. 3, 18. Ovid 
Metam. 3, 220 im Mittelalter appellativ geworden: du Gange und Grafifs 
Sprachsch. V, 600. — Oder arzentuom wie Mchentuoniy arzenön arzente 
wie lächenön lachenie?] 

1) Eine dem ähnliche und dem französ. evesque eveque entsprechende 
Kürzung von episcopus biscof liegt nur in der Zusammensetzung hiscetuom 
bisctuom nhd. Bisihum vor. 


302 i^ie Umdeutßchung fremder Wörter. 

Christophorua nhd. Stoffel Toffel, ifwens6rium ahd. znineri und 
zinsilo; l inn capitdle cdpitan, tründare trebefi6n; l ia r canalis 
ahd. chäncdi mhd. kenel und ketwr, pdlliolum ahd. phiUöl mhd. 
pfellel und pf eller, verteufeln alamann. vertwfern; m in w balsa- 
mum ahd. halsamo goth. hcdmn, thymidma ahd. ttmiäm nhd. 
Thymian, cherubim zerubhi, cimiamchnum sinnamin (oben 
S. 271); w in m peregrinus pilicrin und püicrim; n ia r co- 
phinus ahd. chovina nhd. Kofeii und Koher: custos cudödis ahd. 
(^/tö^clr vertauscht gegen r die Zungen- und Zahn-Media. Die 
Liquida 9^ aber zeigt auch in diesen unbetonten Sylben ihre 
Neigung (vgl. oben S. 266 u. 286) sich ohne weiteren Anlass, 
als den die Gemeinsamkeit des sprechenden Organes giebt, vor 
einen Zungenlaut einzuschieben: dormitörium mhd. darmimlre 
dörmenter, lavdtor ahd. lävmUäri Walker, desconfittire deconfiture 
mhd. schumpfentiure, secretdrium ahd. sigimlri; besonders vor 
z: aristolöchia dstriza dstrenza, focdcia föchanza, pcddtium phd- 
lanza, piscdtio ftschetize: vgl. Bilitio Bellitiona (Geogr. Rav. 
251, 15) ital. BelUnzona. Möglich, dass ebenso unser Ortsname 
Müttenze Mtdtmz aus Mutdtio entstanden ist; nur muss dann 
die Schreibung Miäenza, in welcher die älteste Belegstelle den- 
selben giebt (Wiponis Vita Chuonradi Imp. Cp. 21), mit leichter 
Besserung in MtUenza geändert werden. 

Jetzt noch die Vocale der Schlusssylben. Das Gothische 
bleibt in diesem wie allen Stücken getreuer bei der Urform: 
aurcdi balsan kaisar sinap ulhandtis, asilus katil müUofi, paur- 
pirra viduvo, sie halten sämmtlich die eigentlichen Xaute fest; 
karkara, aggilus, platja, spaikulatur, aipiskaupus, aipistatde oder 
aipistula, apatistaulus oder apaastulus, diabaulus oder diabulus^ 
diakaunus oder diakun sind nothgedrungene Abweichungen: 
Abweichung mit Freiheit zeigen uns nur opu/,*»] aurahjö und 
xoXa9(?;stv katipatjan. Viel ungebundener schaltet das Hoch- 
deutsche. Selbst jene bereits im Gothischen angenommenen 
Formen behaupten sich hier nicht alle: viel häufiger als cheisar 
heisst es im Althochdeutschen keisur oder keisor, während wieder 
in tiufal fast einzig a gilt. Damit sind die zwei Hauptbemer- 
kungen über diesen Gegenstand schon angedeutet. ' Einmal: wie 
das Althochdeutsche, dem Gothischen folgend, in den Bildungs- 
sylben eigener Worte mit Vorliebe den Vocal a verwendet, so 
überwiegt dieser auch am Schluss der fremden. Er wird, wo 


Die Umdeutschung fremder Wörter. . 303 

schon das Lateinische ihn hat, am ehesten belassen und zugleich 
am ehesten für andre Vocale eingetauscht: z. B. jussSUum jüssal 
Fleischbrühe, decimare techatnon, prcepösitus propositus pröbast, 
spectdum spiegal, eleemösyna dlamtwsan; imd wird, wo Muta 
und Liquida verbunden sind, trennend und vermittelnd dazwischen 
gesetzt: templum tempal, chrisma ehresamo, Signum segna, co- 
riändrum chüllantar, cuprum chuphar, febris fUbar, fenhtra 
fenstar, nietrum niUar, emplastriim phlastar, sacrdrium sdgar&n, 
cedrus zedarpoum. Nächst a am geläufigsten ist i, ursprüng- 
liches sowohl als nun erst eingetretenes: castdnea chistina, fla- 
gellum fligil, cydönium chutina, scuttda scuzzilä. Sodann: ety- 
mologisch haltlos wie dergleichen Worte im Deutschen sind, 
bleiben sie oft nicht einmal bei demselben Vocale, sondern wech- 
seln mit mehreren, ja beinah allen spielend ab: Basilia heisst 
Bdsila Bdsala und« Bdstda, fcemctdum phenichat f^nachal und 
fenuhal, lahülum Idpel Idbal Idbol und Idpid, piper pheffar fefor 
und pheffur, simila simild simtdä simalä semalä, faeula fachala 
fäcchela fachila fachola faeula. Mit dem Ausgange des Alt- 
hochdeutschen und gar im Mittel- und Neuhochdeutschen ver- 
schwindet freilich diese ganze bunte Mannigfaltigkeit der Schluss- 
vocale, und die a, die i, die o, die u verflachen sich gleichmässig 
in einen und denselben stummen Laut, der mit e oder auch mit 
/ bezeichnet wird, und Syncopierung tilgt oft auch diesen noch. 
Dem Althochdeutschen selbst war das im Accent zurückgesetzte 
e noch so wenig gerecht gewesen, dass nur in seltenen Fällen, 
wo dieser Vocal ihm überliefert war, er sich behaupten konnte, 
wie in cancüli chdnzella, cappäla chdppdlä, castMlum chdstd. 


VIT. Geschlecht der Substaiitiva. 

In Betreff des Geschlechtes der aus dem Griechischen, dem 
Lateinischen, dem Romanischen herübergenommenen Substantiva 
kann man freilich als Regel aufstellen, dass es im Deutschen 
damit so gehalten werde, wie die Ursprache jedesmal verlangt, 
und sicherlich herrscht auch dieser Grundsatz wenigstens im 


304 * l^ic Ümdeatschann^ fremder Wörter. 

Neuhochdeutschen, das seine Entlehnungen mit grösserem Be- 
wusstsein vollzieht: im Ganzen aber treten hier wie bei dem 
lateinischen Accente dem, was die Regel seheint, so viele und 
mannigfache Ausnahmen entgegen, dass zuletzt wieder nur eine 
theoretische Behauptung, eine Voraussetzung, ein Wunsch übrig 
bleibt. Nicht einmal das Neuhochdeutsche selbst nimmt es mit 
dem Oeschlechte der Fremdwörter so genau, wie es sollte und 
wollte, geschweige denn das ältere Hochdeutsch und das 60- 
thische. 

Nachweisbarer Anlässe das Geschlecht zu ändern s^ebt es 
mehr als einen: derjenige, der schon am frühesten gewirkt hat 
und stets noch wirkt, ist einfach der Missverstand, die unrichtige 
Auffassung und Behandlung der fremden Wortform. Porficus 
dmargo^oi; ÄTO(i.o<: StaXexToc StajJieTpo^ Sf^'ioYYo^ icapaypa^oc 
sind sämmtlich auf Griechisch und Lateinisch Feminina: aber 
irre gefuhrt durch die Form, machen wir und sogar die streng- 
sten Gelehrten Masculina daraus, Mancher auch aus periodus 
und synodus; männliches Geschlecht haben ebenso die alten 
Umdeutschungen von porticus phorzich, von synodus sendd, haben 
domm ahd. tuom Dom, vap5o^ goth. nardus, aber weibliches 
ahd. narda. Agiotage apanage bagage bändige courage em- 
ballage Equipage ermitage Üage mariage minage passage person- 
7iage, ebenso beau inonds, caprice, carrosse, domaine, stnalte, 
basfion sind sämmtlich im Französischen, Levante im Italiäni- 
sehen Masculina: aber uns verleitet das Schluss-e und das -ion 
sie weiblich zu gebrauchen, und nur in Grenzländem, wo das 
Französische selbst lebendig näher steht, hört man wohl auch 
das J^tage u. dgl. Vorzeihen wir deshalb dem ältesten Deut- 
schen, wenn es griechische und lateinische Feminina auf a als 
Masculina nahm, weil ihm selbst zahlreiche Masculina auf diesen 
Vocal ausgiengen: drachma goth. drahna, epistola aipisttda (ge- 
wöhnlich aber nach iizicrdkri weibl. aipistaide), suxapiöTta air- 
laristia, fascia faskja, uncia unkja; mit hochdeutscher Ver- 
tauschung des früheren a gegen cholera cholaro, concha ital. 
cocca ahd. chocho, coUa chozzo, palma mhd. balme Palmzweig, 
mittellat. pasta Huhn ahd. pasto und punga phoso (oben S. 284). 
So ist auch aus dem Neutrum chrisma ahd. männlich chresamo 
geworden. 


Die Umdeutschnng ^fremder Wörter. 305 

Ein Doppelbeispiel, das sich hier anschliesst, emngelinm 
goth. weibl. awaggeljo, ahd. männl. ewangeljd, führt uns auf 
einen zweiten Anlass des Geschlechterwechsels. Die Latinität 
der späteren Zeit und des Volkes, nach ihrem Vorgang in noch 
grösserer Ausdehnung die romanischen Sprachen «lieben es, die 
neutrale Mehrzahl auf a in eine weibliche Einzahl, Neutra also 
in Feminina umzusetzen (vgl. Diez Gramm. 11, 21. fg.); es triift 
das theils Benennungen solcher Gegenstände, von denen man 
besonders oft im Plural spricht, theils verfolgt man nur die 
Analogie noch weiter. Diess lateinisch-romanische a wird nun 
im Deutschen zwiefach aufgefasst und wiedergegeben, entweder 
wie bei jenen echten Femininis männlich: also evmigelium evan- 
gelia ahd. ewangeljOj vielleicht auch pigynentum Mmento, cantirMm 
cantico, lilium liljo; oder aber gleichfalls weiblich, und das 
herrscht vor: also goth. aivaggdjd, im Hochdeutschen pimenfa, 
liljä, ferner atramentum atraminzd, biblium mittellat. biblia mhd. 
biblie, butyrum ahd. butra, calcatorium ahd. ccdccUurd, catiUum 
cheMäj xupiaxov chirichä, crystallum christdUa, iizti^ihio^i nhd. 
Episode, vasctdum flasca ahd. flascä, phlebotamum fliodema, fo- 
Uum ital. foglia Folie, gestum gesta mhd. geste Erzählung, gt/- 
ncpceum ahd. gettfiz genz, cüicium ahd. gliza, idyllium nhd. 
Idylle, caputium Kapuze, chronieon, cronica mhd. kronihe, 
eleduarium lattewarje, mandatum mhd. mandäte (ahd. niwiddf 
ein Neutrum), mittellat. moUratinm nhd. Matratze (mhd. matraz 
männl. und neutral), metallum ahd. mediüa Scherf , milk milia 
miäa, Organum organä, pakUium phalanza, petdum pedalä, 
pactum phaht, post iUa Pastille, principium nhd. Principie, Prin- 
cipi (Schmellers Bair. Wörterb, I, 344), sigiüum ahd. sigillä, 
stibium stibd, talentum talenta, tympanum timpana, tropoeum 
nhd. Trophcee, vocabulum Vocabel, xenium Xenie; Kraut- und 
Fruchtäamen ccerefoUum ahd. chervola, cerasum chirsa, cydonium 
chutina, lupinum luvinä, mespilum mespilä, petroselinum mhd. 
petersilje, persicum nhd. Pfirsiche, prunum ahd. phrümä, inrum 
pirä, puleium poleiä, sisyynhrium sisi^nbra; Worte wie Prcemitim 
Prcemien Prcemie, Studium Studien Studie, Subsidium Sub- 
sidien Subsidie und ihnen ähnlichr Hymnus Hymnen Hymne, 
Mythus Mythen Mythe, Nerv Nerven Nerve haben innerhalb des 
Neuhochdeutschen selbst don Entwickelungsgang diosiM* Feminina 
wiederholt. 

Waeketttagel, Schriften. III. 20 


306 IHc ümdentschSüg fremder Wörter. 

Bei einigen gothischen Worten lässt sich aber der Form- 
und Geschlechtswechsel nur erklären, sobald man sie, in dersel- 
ben Art wie J^ihm mit nominativischer Anwendung des Accusativs 
Seiddna, Tpwac Trauada, Aotc Lauidja genannt wird und wie 
das Masc. spi^eida von dem Accusativ des Fem. aiuuptc cicogCba 
kommt, auf romanische Ausgänge in o für ujt oder um, also 
beidemal gleichfalls auf Accusative zurückfuhrt: [iia'io^ fnisdo^)^ 
pmlmus psalmo konnten weiblich werden, hyssapus hyssopo weib- 
lich bleiben und sigiUum sigillo neutral, da das Gothische selbst 
schon Substantiva des einen wie des andern Geschlechtes auf 6 
besass: also mizdo psalmd (mit der starken Nebenform psalma) 
hyssopo sigljo; eben daher skaurpjö weiblich, während srorpio 
männlich ist. So mögen auch jene ahd. Masculina Umento can- 
tico liljo und ebenso mag hdsamo (goth. haisam ist neutral wie 
ßaX(7ap.ov) noch eher auf romanischen Singularen in o als auf 
lateinischen Pluralen in a beruhn: das gleichförmige turso torso, 
lat. thyrsiis, hat nach Laut und Begriff unverkennbar romanischen 
Ursprung. 

Die Einwirkung des niedern Lateins und des Romanischen 
ist noch in anderer Art wahrzunehmen. Schon die classische 
Latinität schwankt bei einzelnen, die verdorbene bei vielen und 
allgemach fast allen männlichen und neutralen Worten, nament- 
lich der zweiten Declination, hin und her zwischen dem einen 
und dem andern Geschlechte; das Romanische hat sich aus dieser 
Ungewissheit herausgezogen, indem es überall nur noch das 
männliche gelten lässt. Folge davon für das Deutsche ist, dass 
auf allen Stufen «desselben, auf den früheren durch lateinische 
und altrömanische, auf den späteren durch französische Misslei- 
tung, neutrales Geschlecht gegen männliches, zuweilen auch um- 
gekehrt vertauscht wird. Neutra werden Masculina: a^cetum goth. 
akeit ahd. ezzich, sabhatum goth. sahhatm (mit romanischer En- 
dung die indeclinable Nebenform 8ahbatd\ afvam goth. mnap 
ahd. senaf; 'ApxtTCsXayo^: fr. Archipele nhd. Archipel, breve briaf, 
cuminum chumin, creditum nhd. Credit, elementum mhd. dement. 


1) Falls hier Entlehnung anzunehmen ist, nicht Urverwandtschaft: 
die Verschiebung von iJ in df spricht eher gegen jene und für diese. Inr 
dess auch die spätem Wandelungen des Wortes (ahd. miata, altsächs. 
meodo meda) weichen aus dem, was sonst die Begel ist. 


Die Umdentschung fremder Wörter. 307 

fmnieulum ahd. fSnachal^ panicum fmich, flagellum ftegil, gypsum 
nhd. Gyps (wie yu\J;oc), jubilmn Jubel, ccprefoUum Kerbel, com- 
positum mhd. kumpost, labellum ahd. lapel, linum ahd. Un (goth. 
lein neutral), loliwm ahd. lolli? nhd. Lolch, manteUum ahd. man- 
tcd, momentum nhd. Moment (auch Neutrum), mustvm ahd. wo8^, 
pactum nhd. Po^rf, palatium mhd. |>a/öw (auch neutr.) nhd. 
Pallast, pdliceum ahd. pelliz, piper pheffar, pcdUolum phellol, 
pilum phil, persicum phirsich, pretium fr. jprea; mhd. pri$, punc- 
tum punte, sabanum ahd. saban (goth. neutr.), sedile satul, sca- 
meUum scamal, scandalum nhd. Scandal, scrinium ahd. naufcr. 
scrini mhd. neutr. masc. schrtn, sagtdum ahd. ««ya?; Signum ahd. 
86^aw, syringium ahd. sirwo, spectactdum nhd. Spectakel, specu- 
lum ahd. spiegai, hospitale mhd. spitdl, templum ahd. neutr. 
tempai mhd. neutr. masc. tempel, ^6pfi.6}i.eTpov nhd. Thennomefer 
udgl., vinum ahd. w'ln (goth. mn neutr.), sceptrum mhd. zepter, 
cymbcAum ahd. mhd. zimbal zimbd, teloneum zol (ahd. u. mhd. 
auch neutr.), mittellat. zucharum nhd. (mhd. neutr.) Zucker. 
Masculina werden Neutra: or«/is goth. awraZt ahd. ora/^ t?«r5w,<? 
ahd. /fers (auch männlich), cauculus goucal, modulus modul, 
paradisus paradis, thesaurus treso (auch männl.), im Neuhoch- 
deutschen hie und da chorus Chor, femer Coelibat, Consulat, Prin- 
cipat, ProUtariat u. dgl., mundartlich auch Ornat, ferner Laby- 
rinth und vom lat. genius fr. ginie. Auch den Geschlechts- 
wechsel von Mode und Muschel ahd. musculä, von S^afee^^ von 
JScÄo und Orchester, von Ä^/s mhd. Hs und Gider Continent 
Piaster Purpur verdanken wir nur den Franzosen: lat. modus 
und mwicidus sind männlich, der substantivisclf gebrauchte Im- 
perativus salve neutral^), echo orchestra oryza sicera continens 
und span. piastra weiblich; pur per hat schon im Mittelhoch- 
deutsehen zwischen dem weiblichen Geschlecht von purpura und 
dem männlichen von pourpre angefangen zu schwanken, aber 
noch im siebzehnten Jahrhundert kolnmt das weibliche vor. 


1) Wie Pacem (mhd. pcezej und Paternoster und Requiem und Te- 
deum u. dgl., wo man sie zu Substantiven macht. Das mhd. Masculinum 
r^uianz ist durch ein altfr. reqniens veranlasst; wenn petiemaster als 
Name des Gebets im Mittelhochdeutschen und Nüster als Name des Ro- 
senkranzes in neuhochdeutscher Mundart männlich sind wie credo mhd. 
crSde als Name des Glaubensbekenntnisses, so wirkt dabei in gleich oben 
zu besprechender Weise das männliche Geschlecht von gelouhe. 

20* . 


308 I>i« ümdeatuchnng fremder Wörter. 

Neben diesen Anlässen von rein änsserlicher und nicht ge- 
rade schmeichelhafter Art haben jedoch in nicht seltenen Fällen 
auch innere Gründe dazu bestimmt, Fremdwörtern, die man sich 
angeeignet, ein anderes Geschlecht zu geben. Wie jene alten 
Sanctgaller (oben S. 254) lateinische Worte nach Maassgabe der 
gleichbedeutenden alamannischen construierten, ebenso und mit 
noch besserem Fug überträgt die Sprache auf deren Umdeut- 
schungen das Geschlecht der einheimischen Synonymen oder ge- 
läufiger Worte der gleichen Art oder der Gattungsworte und 
macht z. B. domus ahd. tuom Dom, moneki ahd. muniz (neben 
muniza), lora goth. jotaf zwei Feminina und ein Neutrum zu 
Masculinis, weil ahd. so! Haus, weil phantinc und skiUinc u. dgL, 
weil stah und ?t/7 Buchstabe Masculina sind. Aus gleicher Be- 
gründung erhalten männliches Geschlecht die Feminin^ JEtna 
Ida Ofisa (Berg), ital. altana Altan (Söller: landschaftlich AUaitie 
weibj.)? oatrum ahd. carruh nhd. mundartlich Karch (ttatgan), 
cathedra Catfieder (Stuhl, Sessel), cuppa ahd. ehopfi (stouf), 
Climax (Satz), coiisonans Consonant und vocalis Vocal (Buch- 
stabe),' deeima ahd. dezemo (teil), cavea Kcßfig (Kerker; ahd. 
chemä mhd. kevje weibl.), linecla ahd, linndl (riz), mamla Makel 
(Fleck), fr. marche Marsch (Weg)^. merx ahd. nterz (schaz)^ 
pimia zitarphin (»tap), pompe Pomp (Pracht männl.), paudre 
Puder (Staub), im älteren Neuhochd. reverentia Reverenz (Bück- 
ling) und sentefdia Sentenz (Spruch), mhd. auch öfters rosa rdse 
(bltuytne), ruina Ruin (Sturz), salamandra mhd. Salamander 
(umrm) neben weibl. salamandra, sagma ahd. stu)m (hhst), Styx 
(Fluss), danse mhd. t^xnz (lekh, reie), turris alt- und mittelhd. 
turn (sal), cedrus mhd. zSder (bäum), tsffula ahd. ziagal (^Mn), 
und eben dasselbe die Neutra corpus mhd. korpel nhd^ Körper 
und Cadaver (Leib, Leichnam), Marmor (Sfaein), tr^mtum Tribut 
(Zins, Zoll); weibliches die Masculina span. dgarro fr. dgarre 
Cigarre (Pfeife), murus ahd. müra (want), numerus Nunnmer 
(Zahl), pes ahd. peda (wie spanna, elina)^ portus mhd. parte (habe), 
papHio fr. pamllon mhd. potdüne (hütte; meist männl. j^at?! /t^n^^ 
Rhodanus Rhone und Tiberis Tiber (wie Donau Elbe Odet* 
Weser), racmnus fr. raimh Rosine (Beere), Tour (Beihe, B^se); 
neutrales die Masculina popidus »afr. poblus mhd. bovel (volr; 
auch männl. wie nhd. Pa>bel), camelus Camel und Chamceleon 
und crocodilns Crocodil (Thier; mhd. Jcemel gamäleön kokodrille 


Die ümdentschung fremder Wörter. 309 

männl.), crticifixiis Crtmfix (Bild; mhd. männl. crücifixe), libellns 
LdbeU (Buch), modius ahd. mutti (mez), pulvis mhd. pnlver 
(f^tfqype; auch männl.) und die Feminina Giiragra und Podagra 
(Uebel, Weh; früher weiblich), cmx ahd. ckräzi (triu), Entrie 
(Geld), fascia ahd. fäsM (lädten; auch weibl. fäska), fefiestra 
fenstar (goth. au(/admir6 ahd. o%igatorä), grammntica ahd. grama- 
tich (puoch)y hwerna goth. lukarn (linhath), monstrum ital. 
mostra mittel- und nhd. mtister (bilds), jnx ahd. pech (flied, 
harz), fr. rapiere Rapier (Schwert), Rhinoceros (Nashorn), 
Rwtia mhd. Riez (göu), apnJpva goth. smym (gras), turris ahd. 
tnrri (Ms), ital. VaUdlina Vcdfelin Veltlin (Thal), tabula zapal 
(pret), im Neuhochdeutschen mit sämmtlichen Namen von Land 
und Ort auch solche wie E^iropa und Troja, während das Mit- 
telalter alle dergleichen Worte weiblich nahm und sogar die wil- 
dün Snewesherg, die niuwen Hdhe7ifels sagte, nämlich bürg; uns 
aber ist auch Temjje ein singularisches Neutrum. Das Mittel- 
hochdeutsche pflegt part und parte weiblich zu gebrauchen, wie 
lat. pars fr. part Feminina sind: im Neuhochdeutschen wechseln 
nach dem Vorbilde von TJieil männliches und neutrales Ge- 
schlecht. . 

Sodann: eine Anzahl Neutra auf arium und are, aufermm 
und orium, auch ein. Feminin um auf aria vertauschen im Alt- 
hochdeutschen all diese Endungen gleichmässig gegen ari und 
treten damit in eine personificierende Auffassung und in männ- 
liches Geschlecht hinüber: altare altäri und altari mhd. altcere 
und alter, carnarium charndri, ceUarium cheUäri, caktidarium 
mhd. kalendener, dormitorium dormindre, lectorium lectäri, mo7*- 
tarium morsdri Mörser und fnorter Mörtel, bioarium pechäri, 
pebraria phetaräri, psalterium saltdri, refectorium revindre, sa- 
erarium sagaräri, secretariunt sigitdri, Solarium solari, spica- 
rium sptchdri, trajectorium mhd. trähter trihtcere, vivarimn wiwdri, 
chartarium zarter, inoensorium zinseri. 

Allerdings bleiben nach all dem noch genug Beispiele des 
Geschlechterwechsels übrig, für die von den bisher aufgestellten 
Erklärungen keine gilt, die man einstweilen als blosse Launen 
unsrer Sprache und als Zufälligkeiten wird betrachten müssen. 
Ich will auch deren eine Auswahl anführen. Masculina werden 
zu Femininis: oqucedtAdus ital. aquidoUo mhd. männl. agiote 
nhd. mundartlich weibl. Agte, epsßtv^o^ arawiz, cancelli chan" 


310 Die UmdeuUchang fremder Wörter. 

zdla, cophinus chovina, cticuUws cucald, fructwt fruht, hyaeintkus 
Hfjcicintlie, carcer goth. karkara, putetis ahd. ptizza und phuzzi 
(daneben männl. jmzzi), nrnsculus Muskel, narcissu» Narcisse. 
Feminina männlich: Valeriana Baldrian, ctdairffUa churpiz, gen- 
tlana Enzian, viola fiol, pluma 'Flaum (mbd. pflüme weibL), 
Ya9oupa mbd. gaffer Kampher, lactuca ahd. hdducha u. laddtich, 
waiorana Majoran, poe^m mbd. pin neben weibl. pine, franz. 
2)lace Platz, caiapuUa ahd. polz, punga goth. piigg ahd. ftMig, 
radix rvttkh, strigäis strigil, charüas zart, schedtda Zettel^ mhd. 
zedde weiblich. Feminina neutral: eleonosyna ahd. alamtiusana 
und gewöhnlich alqmuamn, fr. banniere mhd. b^niere nhd. Ban- 
ner und Panier, altfr. panchire mhd. bafizier (nhd. Panzer männl.), 
fr. avefUure mittelniederd. eventür nhd. Ebenteuer Abenteuer (inhd. 
ävefUiure weibL), tnema goth. mes ahd. mtas^ rc^to ahd. rad. 


Vin. Umdeutschung durch Flexion und Ableitung. 

Beclination. 

Das Gothische, wie es überall möglichst nahe bei dem bleibt, 
was ihm auf Griechisch und Lateinisch vorliegt, hält für die 
Flexion der Substantiva deren fremde Nominativform in der 
Einzahl fest, sobald es selbst auch solche Nominative besitzt, 
und erat in den Gasibus obliquis lässt es die deutsche Biegung 
eintreten, die jener Nominativus fordert. Am häufigsten ist die 
Endung us, entsprechend der gleichlautenden lateinischen und der 
griechischen oc: aggiltts njjaustaultis asilus assarjus diabaulus 
kuhitus sakkus idbandus^) nebst Volks- und Personennamen wie 
lüdaius Usus Kristus Paitrus; und so beliebt, dass auch die 


1) Gewiss durch romanische Vermittelung (oben S. 279) von elephan- 
tus kommend, aber gleich dem angelsächsischen olfend mhd. olhent und 
dem hochd. fem. olpentä olbente s. v. a. Kamel; der Elephant heisst 
angels. ylpend (angels. y = goth. u) und elpend, hochd. elafant elfant 
elfent und mit umdeutschendem Bezug auf helfan helfant. 


Die XJmdeutschung fremder Worter. 311 

Endung ri<; gegen diese vertauscht wird: fxapiyap^nrjc markreitus, 
7tpo9'»]r)f|C praufetus, 'Apra^sp^irjc Ärtarksairksus ; ja Clemens 
gegen Khimainttts. Sodann a, griechisch y\: arka, mtda mdta, 
ßainrj paida, TcXaTsta platea platja, lairtisaulyma Kreta Rüma 
Mar ja *)/ Uebertritt in die schwache Declination und somit 6 statt 
a (vgl. oben S. 306 die Doppelform psalma imd psalmö): aikUSsjo, 
opux*»] aurahjo, CTslgoL stairo, vidua viduvö. Bereits im Latei- 
nischen o: cautio kavtsjd, lectio laiktjd. Lateinisch e, gothisch i: 
oraie (für oralis) aurali. Nominative auf as hat das Gothische 
aber nicht: da wird entweder mit Abwerf ung des s ein geläufiger 
Ausgang gothischer Masculina hergestellt: papa, Satana (zu ver- 
gleichen, wie die Hinzufügung eines s das lateinisch plüralische 
i jener Volksnamen auf us in ein gothisch pluralisches eis ver- 
wandelt: Judcei lüdaieis); oder es bleibt zwar im Nominativ 
das fremde as, aber die casus obliqui werden doch wie von 
Worten auf a gebildet: Lukas Lükins u. s. w. Endlich wie 
dort das s, ebenso könnte in al4v (d. h. aleu) aus sXatov nur 
der ungothische Schlussconsonant des Nominativs beseitigt, der 
Vocal aber geblieben sein. 

Diese Begründung der gothischen Flexion fremder Wörter 
auf die griechische und lateinische (eine Eegel, der sich auch 
jene Substantiva unterordnen, welche so roh ihr Geschlecht ver- 
tauschen) gilt allerdings nicht ausnahmslos: zuweilen wird auch, 
und wie es scheint gerade bei solchen Ausdrücken, die noch all- 
täglicher im Mund des Volkes lebten, die ganze fremde Endung, 
Consonant und Vocal, bereits im Nominativus abgestossen, und 
ohne US oder um lautet nun ambactm andhaht, urceus aiirki, 
pondu^ pund, evangdium aivaggeli, balsamum balsan, catinum 
katil, linum lein, aaßavov saban, vinum min. 

Im Hochdeutschen nun ist letzteres die Regel: es heisst da 
nicht bloss wiederum amimht chezzil SivangSli u. s. w., sondern 
auch angil posttd tiufal Krist und PStar, oral und olei und aus 
oleum oliy ebenso census zins, labellum lapel, milium milli, 


1) Doch werden persönliche Namen wie Mar ja nach männlicher Art 
decliniert: eine Mischung, die sich erst wieder das Neuhochdeutsche zu 
Schulden kommen lässt, die aber für das Gothische selbst den oben S. 304 
besprochenen Geschlechtswechsel der auf a ausgehenden Appellati va noch 
begreiflicher macht. 


312 1^»« rmdeutschunp fremder Wörter. ^ 

cdseus cJiäsi, breve, priaf; nicht der Nominativ, sondern der 
Stamm, wie ilin vielleicht erst die Casus obliqui zeigen, wird 
berübergenommen: rudus ruda'is nidor, abbas ahbcUi« al)bat, miles 
militis miliZf pix picis pech, tnerx mercis merz. Und dabei ist 
wiederum Einwirkung des Romanischen anzunehmen, nicht erst 
für die spätere Zeit in Entlehnungen wie facultas facuUatem 
fac^dtet (oben S. 292); schon so alte wie chrüzi und furnacbe 
weisen mit den festgehaltenen Schlussvocalen deutlich auf roma- 
nische Formen, auf cruce aus crticem, fornace aus fomacem hin. 
Nun also Anschluss an den Accusativus : eine Eigenheit, die uns 
sonst noch mannigfach entgegentritt: unser Galgant ist aus 
galydfi, (jalegän, diess aus galangän, diess endlich aus galangam 
von galmiga entstanden, ebenso hidien Fet^siet^ aus Indiän d. i. 
Indium, Fersiän d. i. Persiam: vgl. oben S. 302. 

Das Hochdeutsche verfahrt aber so, weil es keine Nomina- 
tive auf 8 mehr kennt: es muss selber in starker Decliuation 
den Accusativus für den Nominativ gebrauchen. Darum also im 
Alt- und Mittelhochdeutschen z. B. Christ für Christus, Andre 
nicht so geläufige Namen behalten zwar das tis, jedoch im Sinn 
einer Ableitungssylbe , und der Genitivus von Jesus Matheus 
Philippus wird ahd, JSsuses MathStises Philippuses gebildet. 
Dem entsprechend bei denen auf as: aus dem goth. papa vfiri 
phaffo, aber nicht ebenso aus Satana Satano: man decUniert 
Satanas Satanases, .^Uas Miases; in gleicher Art Johanties Jo- 
hanmses. Im Mittelhochdeutschen werden diese allerdings bar- 
barischen Formen wenig mehr gebraucht: dem Achilles Achäle- 
ses z. B. wird AchiUe nach französischem Muster, gen. Achillen 
vorgezogen, aus Philippus ist Philippes geworden, aber mit dem 
Dativ Philippe; das Neuhochdeutsche schwankt zwischen Ab- 
werfung und Beibehaltung der Schlusssylbe und im letzteren 
Fall zwischen Flexionslosigkeit und lateinischer Flexion. Son^ 
jedoch ist solche Erstarrung fremder Declinationsausgänge auch 
der neueren Sprache keineswegs ungeläufig: es ist nichts anderes, 
wenn wir von Studium den Genitiv SttuUums bilden und von 
Cherubim und Seraphim eine neue Mehrzahl Cherubinen Sera- 
jMnen^). Auch das alte päbes gen. päbeses gehört hieher: von 


1) [sg. Moalemim, pl. Moslemimen; Mosleminenhand Plateu 1, 138.] 


Die Ümdeatschnng fremder Wörter. 313 

dem grieehisohen xaxa^:, worans ächon die Gotlien papa gemacht, 
kann dieses abendländische Wort nicht kommen: es ist das la- 
leinische papa mit dem altromanischen g des Nominativs, das 
sich ja auch an vocalisch aifölautende Masculina wie bapHsta 
baptistes hängt (vgl. Diez Gramm. II, 38. iL 46): dem Deutschen 
aber ward das es zur Ableitungssylbe, und nach Analogie von 
probest fügte es schon im zwölften Jahrhundert noch ein t hinzu. 
Dem allem ähnlich, insofern man den Artikel auch zu den 
Flexionsmitteln rechnen darf, sind Ausdrücke wie Alchemie AI- 
cohol Alhambra Alcoran Algebra Almanach Eldorado Laplata 
Vhomhre, wo der fremde Artikel und das fremde Substantivum 
so zu einem Worte verwachsen, dass noch ein deutsches der die 
das muss davor gesetzt werden ; so kann man auch von Elsässern 
's Latceteli hören d. i. la Ute. 

Zwei Endungen jedoch finden auch im Hochdeutschen keinen 
Anstand, weiblich a und männlich o. Beispiele des ersteren 
archa und mtjtta wie im Gothischen, femer feria fira, porta 
phorta, poma pina, schola sciiola, spongia spunga, strata sträza, 
Galilia'Büma u. s. f.; schwach decliniwend (und diese lieber* 
tragung ist häufiger als die in starke Form), also mit ä, goth. a, 
toUuwä, antiphdnä, caminata chetninätd, chrustä, manica menichä^ 
prosäy tinctd, £lvä, Mar ja. Auch goth. laiktjö, dessen 6 schon 
lateinisch ist, lautet im Althochd. lekzd, potio puzzä; mit dem 
stummen e des Mittel- und Neuhochdeutschen lekzje letze, actio 
Actie, coUatio colläzje, disputdzje, piscatio fischenze, passje, po^rze, 
processje, punctio Punze; mit Apocopierung des e Absoluz 
(Froschmäuseier Yy la) Process Proporz Purgaz Reformaz. 
Männlich o, dergleichen sich unter den Umdeutschungen des 
Gothischen noch nicht vorfindet: capo chappo, caupo clwufo, 
graphio krävjo, falco falcho, leo Uwo, ordo, pavo phäwo, scorpio 
scorpo, draeo tracho. Worte wie diese, deren Stamm im Latei« 
nischen mit ableitendem on oder in gebildet ist, mussten zu der 
Uebertragung in die schwache Declination des Deutschen schon 
durch das Gefühl empfohlen werden, dass letztere ihren Ursprung 
aus eben solchen Ableitungen genommen hatte. So konnte auch 
diaconus zu jacho (neben jachono), cgdonhim mhd. zu küte Quitte 
(ahd. chtdina) und es konnten auch Bildungen mit an, en, in 
und blossem n zu deutschen schwachen Masculinis und Femininis 
•werden: abrotanum ihA. avarüzä, christ^iamis dhi, ckristäni mhd. 


314 l^ic Umdentechong fremder Wörter. 

kristen and kriste, mus mantanus ahd. märefnuntQ, aabanum mban 
und aabOf armenius karfno Hermelin, eatena ahd. cheüna mhd. ketene 
und keti Kette, pollm mhd. /»{^^ prcBstamen ahd. phräsamo alt- 
sächs. prismä, sagena ahd. segina mhd. segene sege, Sararenw^ 
ahd. iSer^ro^ stren mhd. «Iref^ ital. bottino ahd. putina putin mhd. 
iei^ fruto^ cyetamihus mhd. eiehlamme, coquina ahd. chuchma 
mhd. kücheti kdche, ndai erusina ahd. chursina mhd. kürsen 
kürsBy matuiina ahd. maUina mhd. metten tnette, dietamnm 
mhd. dittammey taberna mhd.- taferne tafer täfer (Weist. 4, 
313 fg. Schmeller 1, 430); im ahd. pepano bxls pqM> verdoppelt 
sich das ableitende n; mhd. orc/^^ das anffälliger Weise die 
Liquida schon im Nominativus zeigt, wird zunächst aus dem 
altfranz. ordene ordre und nicht unmittelbar von ardo kommen. 


Conjugation. 

Beispiele, wo an Zeitwörtern fremden Ursprunges die fremde 
Flexion gänzlich getilgt und eine davon ganz unabhängige deutsche 
an die Stelle geräckt ist, finden sich nur in geringer Anzahl: 
zwei starke, ahd. scrtbere scrtpan und mhd. pipare pftfen; fünf 
oder sechs schwache, goth. cumbere kumbjan, ahd. coquere cho- 
chon, offerre opharon nebst seinem Subst. ophar, reddere roman. 
rendere renton, expendere spendete spenton (Subst. spenta) und, 
falls, nicht das deutsche Adj. wts der Stamm ist, visere unson. 
An den ersteren darf die starke, an den letztgenannten fünf alt- 
hochdeutschen die Flexion mit 6 auffallen. Denn die starke 
gebührt eigentlich mir deutschen Wurzelwörtem: dass man sie 
gleichwohl diesen zwei fremden gab, mochte durch die Analogie 
der begrififsverwandten deutschen Ausdrücke rlzan und gtgen 
veranlasst werden. So conjugiert auch im Mittelniederländisehen 
prinden aus fr. prendre stark wie mnden, im neueren Neuhoch- 
deutschen preisen von Preis fr. prix wie preisen d. i. schnüren 
und ebenso mundartlich speisen, kaufen wie laufen, ferhten d. i. 
jßfechten (oben S. 262) wie fechten kämpfen. In chochon aber 
u. s. f. wäre dieselbe unscheinbare Vocalisierung, die das goth. 
kumbjan erhalten hat, vielleicht eher am. Platz gewesen: das 6 
entfernt sich merklich weiter von den bezeichnenden Lautaus- 
gängen der dritten lateinischen Cionjugation. Schicklicher (denn 


Die Umdeutschong fremder Wörter. 315 

auch in altgemeinsatneti , nicht erst entlehnten Worten wie ca- 
Ictre ahd. haldn, rlamare altsäehs. ahd. hiamdn, pkcari goth. 
abd. fuskön steht d^m lat. a ein deutsches 6 gegenüber), schick- 
licher und in weit überwiegender Anzahl werden Zeitwörter der 
ersten mit 6 wiedergegeben: im Gothischen capiUare kapüldn^), 
mäitare miliidn, im Altfaochd^ z. B. castigare diasidhon (Subst. 
chestiga), recuperare irchoparön, causari chosSn, damnare (Ham" 
non, fasciare fäscdn, firmare firtnön, carminare garmindn, lavare 
lab&n (Subst. laba), inagistrare ^neistaroHy murmurare murmurdn, 
mutare tnüzdn, ordinäre ordindn (Subst. ordena), provenz. em- 
peliar pelzdn, platitare phlanzon, prcedicare predig on (Subst. 
prediga), pressare pressdn (Subst. pressa), aaUare salzön, serur 
tari scrodön und scrutdn, signare segandn, decimar^ techamon 
dezemon, temperare temparon, didare tiktdn (dihta)y titulare ti- 
tiüdn, tractare trahtdn (Subst. trahta), tribulare trdwndn, tuni- 
care tuniehon, vannare' wanndn, velare wüdn, vindemiare winde-' 
fndn, circare zircon. Auch ddere pflegt ein 6 anzunehmen, 
dildn tUdn: der älteste Beleg indesB für die Aneignung dieses 
Wortes, Isid. 61, 5, gewährt mit beibehaltenem e ardiUit (aus- 
getilgt); in miscere miskjan tritt für das e ein i oder j ein. 
Zuweilen sind die Verba erst innerhalb des Deutschen selbst 
von fremden Grundworten gebildet, mit 6 fundmnentum ahd. 
fundamentdn, mitteUat. impotm aus griech. eii^urov Impfreis 
impUdn und impMn, martyr martaron (Subst. martara), pcena 
pina ptnon; mit * evayyALOv goth. aivaggSIJan, exid ahd. ihsil 
(ihsili Verbannung) firihsiljan, spuma virspumet^ despumare, 
torntis turnen; mit 6 und i Archigenes arzefion und erzinin 
(oben S. 300 fg.), caupo goth. kaupon ahd. choufm und chouf" 


i) Doch wird mit kapÜUn das griech. %dpv,^ übersetzt, also ein 
BegrifFsverhältniss bezeichnet, für das unsre Sprache sonst Zeitwörter mit 
ableitendem / bildet: mhd. hast Band besten aufbinden, ahd. talamasca 
Larve mhd. tolmetschen (entlarven) dolmetschen, ahd. fei fillen schinden, 
nhd. Floh flwhen, mhd. galle gellen die Galle ausnehmen, nhd. Hant^ 
häuten, mhd. hoübet houbeten enthaupten, nhd. Kopf köpfen, Mist misten, 
mhd. pfant pf enden, ahd. scala skelen schselen, nhd. Schaum schäumen, 
Schnauze schnauzen; mundartlich hat auch Schuppe schuppen den Um- 
laut. Unser haaren ist intransitiv, die Haare verlieren; das mhd. Tran- 
sitiv behären hat nur durch die Vorsylbe den 8inn der Beseitigung : ebenso 
im Ahd. arhoubitön und forhoubitön. 


316 IH« Umdentschnn^ fremder Wörter. 

Jan, fharitas zartdn and zerten. Das mittlere und selbst das 
neue Hochdeutsch hat die Zahl dieser einfachen Verbalbildungen 
noch des weiteren vermehrt; das stumme e, in welches die alten 
<) und i nun zusammenfliessen, wärde bei althochdeoiscber Laut- 
gebung meist wieder ein 6 sein: altfr. ameir bitter mhd. atneiren, 
atnour amüreff, roman. banicare ,banekeH, benedicere benedim, 
decUnen, nhd. doctem, düren, ejrperimenten^ nhd. fabeln, mittel- 
lat. fotestare fdresten, nhd. formen, foudre nhd. mundartlich 
fntem üuchen, prov. urtar fr, heurter mhd. hurten, cacare nhd., 
comtare altfr. couster mhd. hosten (auch kostdn; Subst. kost^), 
copulnre kupelen, maledi<*ere rertnalediepi, ineien, (Jiouaeioeiv mtiosen, 
mittellat. pattsare nhd, pausen, pulsare mhd. pfulsen (Subst. 
pulse) nhd. pulsen, pisser nhd., mhd. proben, prophetia mhd. 
jfrofezie> nhd. prophezeiefi, prov, dansar mhd. tanzen, tasfar 
tasten, venia venjen, vastare tmsten, nhd. orgeln, rotulus mhd. 
rodel nhd. rodeln und angeglichen rollen, rumoren, spectakein, 
drctdare mhd. zirkeln; ein «'; mhd. kristenen, kristieren, fr. 7>ri> 
j)ris prtsen, proba prUeven, expedire ital. spedire nhd. mund- 
artl. spetten, spensa spSsa spise (oben S. 275. 297) spisen, fr. 
cÄer^ tsckieren) faiüe vwlen. 

Noch viel- häufiger jedoch werden vom Mittelhochdeutschen 
an die fremdefa Zeitwörter in einer Weise umgestaltet, die jener 
althochdeutschen Behandlung der Namen auf us u. s. w. zur 
Seite steht: wie dort aus dem lateinischen ns eine Ableitungs- 
sylbe erwächst und demgemäss von PhiUppus der Genitiv Phi- 
Uppuses lautet, so hier aus der französischen Infinitivendung. 
Und zwar ist es die Form ier, eine durch die vorhergehende 
Consonanz bewirkte Angleichung von er, die man aufgreift, sofort 
aber auch auf Verba überträgt, die im Französischen lediglich 
auf er, vielleicht sogar auf ir ausgehen, oder in deren ier das t 
dem Stamme, nicht der Endung zugehört^). Anfangs, in der 
Sprache der Kitter, beschränkte sich diese Ableitungs- und 
Flexionsart ihrem französischen Anlasse gemäss auf französische 


1) [Verba auf ieren: J. Grimm kl. Schriften 1, 343 fg. 354 fgg. 
Gleich mit den Anfängen der Turnier- und Uofsprache (von Yeldeken anl 
erscheinend und sofort stets wachsend (S. 368). dren: parlaren Frosciun. 
A vb. V Tb. Hoffmann Spenden 1, 46. J. Grimm kl. Schriften 1, 343. 
373. eiren: das. 343. eren: 364. 359. vgl. esee roman. eseere»] 


Die ümdeiitschuiig fremder Wörter. 3 j ^ 

Worte: fieher fichisr fischieren, laisser Imsfder leisiermiy parier 
parrierm^ chanter schantkren^ faillir faüieren; veh tournoyer 
mit Zusammenziehung tumieren. Wie man alsbald auch an 
deutsche Stämane damit gieng (teilierm gehört zugleich zu taill^ 
taillier und zu teilen), haben wir bereits S. 292 gesehn; nament- 
lich aber ist seit dem Ausgange des Mittelalters diess französi- 
sche ier der übliche Weg um lateinische Zeitwörter deutsch zu 
machen, z» B. fixieren laxieren fallieren, die mit jenen fischie- 
reu leisieren fßilieren etymologisch eins sind, studieren, dass je- 
doch nicht von studere kommt, sondern wie das fr. Sttulier von 
dem mittellateinischen studiari, u. s. w. Mehrere Worte er- 
scheinen in beiderlei Formen, jener altem kürzeren, die einen 
deutschen Bildungsvocal, und dieser jüngeren, die weitläuftiger 
eine ganze fremde Sylbe als Ableitungsmittel braucht; es kann 
sich damit noch eine Aenderung im Begriife selbst verbinden: 
also neben zirkeln u. s. f. nhd. circulieren, copuUeren, decim le- 
ren, dedmieren, dietief^en, doctorieren, exilieren, experimentieren, 
fabulieren, formieren, fundamentieren, meyieren, mhd. mtiosieren, 
nhd, ordinieren, mhd. organieren, nhd. pausieren, prmdieieren, 
pressieren, probieren, pulsieren] rentieren, roulieren, mmorieren, 
signieren, spedieren, spendieren, temperieren^ titulieren, traetieren, 
tribuUeren. Die jüngere Form deutscht weniger uro: sie tritt 
näher zu der fremden Urgestalt znrück und vergönnt dem Wort 
keine deutsche Betonung. 


Ableitung. 

Ablautende Wortbildung aus fremde Wurzeln ist wie na- 
türlich ebenso selten als deren Conjugation mit Ablaut: Beispiele 
scheinen cista ahd. chista chasto, bracca brnocha, palus mhd. 
pfuol, rapa ahd. rabä und ruobä, Danubiiis TtHmouwa und 
Tuonaha, nhd. flimmen und flammen. Desto häufiger die Ab- 
leitung. Diese aber geschieht gleich der umdeutschenden Flexion 
in zwiefacher Weise. 

Nach der einen wird das Ableitungsmittel gleich hinter den 
fremden Stamm, vielleicht auch an die Stelle einer fremden 
Endung gesetzt, und deren Laute veranlassen die Wahl gerade 
dieser deutschen. Gothische Beispiele vidua viduvö Wittwe vi- 


318 Die Umdeatachnn^ fremder Wörter. 

(iuvairna Waise, Roma Rainanus Rüma Rümdnug^), hal\La^ 
dahnonari Besessener. Hochdeutsche mit ari: carcer ahd. char- 
cMri, cauculator Zauberer (jougulärt, catus mhd. kaf^e, lavatar 
ahd. lavantäri Walker, inango mangAri, martyr martlräri, sex- 
tnrlus aehtäri, specuhitor »pekuläri, it. dronzare strunzere, sutor 
üätäri, intercilium zilre, vidua mhd. witeu^e wUe^caere und all 
die früher (S. 309) erwähnten, die ein neutrales arium u. s. f. 
in männlich äri umsetzen; das Volk zieht eben Meher Worte 
wie doctor und pofessor, wenn es Docter und Professer aus- 
spricht. KerkenSre, eine mitteldeutsche Nebenform von karkf^re 
kerkere, ebenso mhd. kalendener aus calendarium, soldener von 
soU und schon im Althd. chastinäre ehldsinäri sind Worten wie 
halieruere ital. palUmiere, valkencpre fr. fauc&nnier, mulinäri 
mlat. molinarius, 'portenc^e ital. portinaro, zentanäri lat. cen^ 
tenarim, zollanäri teUmariua unrichtig nachgebildet: denn hier 
gehört das en zum Stamm, dort nicht. In valkeneere aber hat 
die neuere, in soldencere schon die mittelhochdeutsche Zeit die 
Endung wiederum entdeutscht und sagt dem Französischen näher 
Falkenier und soldenier (afr. soldier); das Gleiche bei eleemo- 
synarius mhd. almuosencere fr. aumönier nhd. Almosenier, ra- 
merarius ahd. chaniaräri fr. chambrier nhd. Käm'iHerer und 
auch umlautend Kämmerier. Ferner mit ich, ig, isk, lieh: ca- 
fumicus ahd. canunich und canonlich, clericus chlirich, gram- 
matica gramatlch, rusticus rustieh rüstig, antiquus aniich antisk 
antfisk, dramaticus nhd. dramatisch^ Hebrwus ahd. hebreisr, 
lycceus ahd. }ycmc, martius mhd. merze tnerzisch. Mit ine 
und linc: armarium mhd. ahnar nhd. Almaring, amarellus 
ahd. amero und amerinc nhd. Ammerling (mit ableitendem 
z ahd. amirzo, mhdu emritz), perca fr. perche ahd. bersieh nhd. 


1) Dasselbe ön, das in lauhmöni Blitz und sipöni Schüler zur Ab- 
leitung dient? [vgl. über die Ableitung 6ni J. Grimm in Haupts Ztschr. 
6, 544.] Aber lauhmöni scheint nur eine Nebenform von laukmuni und 
sipöni ein slavisches Wort (J. Grimms Gramm. II, 18(^. Somit mochte 
es gerathener sein, Eümönus nur als eine Umbildung des lat. Romanus 
zu betrachten, die gleichmässig in beiden Yocalen heruntergesunken ist. 
[über sipöni vgl. K. Hofmann in Pfeiffers Germania 8, 8 fg.] 

2) Ebenso pacifischf scienti fisch, speci fisch, obgleich in pacificus, 
scientifique, sp4cifique das ic nicht ableitend ist. 


Die ütndeiitschung fremder Wörter. 319 

Berschling, hyzantius mhd. htsant und Usantinc (Mänzname wie 
cheisuring pfennlne schilline Silberling), boletus ahd. puUz nhd. 
Biilsüing, agaricus Egerling Angerling, piscina als Ortsname 
mhd. Fischine nhd. Fischingen, halec ahd. härinc, cucumer nhd. 
Kümmerling, rheda mhd. rSding, salmo nhd. Sälmling Saibling, 
trabs mittellat. trabeum ahd. tremil nhd. Tremeling, viridia ahd. 
trjr^r (oben S. 282) Wirsing Wirsehling, viduus Wittling. 
Mit mn; Charis Charitinn, fata altfr. /W« mhd. auch feine, 
lupa ahd. 2««pln meretrix, Phcebus 17. Jahrh. Phoebussin, Venus 
15. Jahrh. F(^M5Ätw, t^te^ua 16. Jahrh. Wittmn. Mit o//*; epis- 
copus mhd. auch biseholf, guttarimn nhd, mundartlich Guitere 
mhd. gttUerolf, cingulum mhd. 2;}>i^^ und zingölf zwingolf Zwinger. 
. Mit o2^: cuniculus mhd. künolt. Mit d^^: ahd. supardst als 
Superlativ zu lat. superus. Mit rfcA; balteus palderich, patri- 
nus mhd. pfetterich, prov. Äöto putirich Schlauch. Mit wn<?: 
tr ädere ahd. trddunc Uebersetzung, amylum nhd. Afnelung, Mit 
fm^ mit tnc und Zmc und t^nc, mit oZ/* und o2^ und aich, all 
diese Bildungen haben männliches Geschlecht und nehmen auch 
Sachbegriffe in persönlicher Auffassung; die mit olfdt rieh wie 
jenes Adjectiv canonlich sind allerdings, wenn man es genauer 
bezeichnen will, zusammengesetsit: doch ist dieser vollere Werth 
der Schlusssylben längst schon abgeschliffen. Und so mag auch 
Anwurschaft s. v. a. Liebschaft und mögen BMch - chrisf/InJieH 
und kristentuom und kristenlich und Yolksnamen wie ahd. Ro- 
märi, mhd. Rdmcere, nhd. Rehmer hier aufgeführt werden: ur- 
sprünglich hat es Rdmwdri d. i. Romwehrer, Komkrieger ge- 
heissen, angelsächs. Romvare, altnord. Rümveri. 

Die zweite Art der Ableitung vergleicht sich jener deut- 
schen Flexion hinter beibehaltenem us und ier: vor dem isch 
und er bleiben al und an und ens u. s. f. bestehen, und der 
gleiche Begriff wird zweimal, zuerst in fremden, dann in deut- 
schen Lauten bezeichnet Diess der Ursprung unsrer alisch in 
grammaticaliseh idealisch moralisch und der aner iner enser 
und anisch inisch ensisch u. s. f., die gleich anderen undeut- 
schen Ausgängen gelegentlich auch hinter deutsche Worte treten: 
Gothaner Hannoveraner AnhaUiner Badenser Hallenser Jenenser; 
in Ralicener und italicmisch haben wir das a, das früher auch 
hier gebraucht ward, umgelautet: ebenso in Sacristcmer. Die 
althochdeutsche Sprache hat von der Art bereits troianus 


320 1^0 UmdentAchun^ fremder Wörter. 

troiänisc, mpphirinns saffifinisc, indickis indigisc, cB^yptius 
egypziscy die mittolhochdeutsche neben franzais aus fran^is d. i. 
franciensis auch schon franzoisisch und Tranzoinwre, Marka- 
tenier Marketender ist mit ebensolcher Häufung, zi^leich mit 
nmdeutschendem Bezug auf Markt vom ital. mercatanie merca- 
danfe abgeleitet: Häufungen von ier nnd er oder (pre sind die 
theilweis nicht mehr üblichen Barbierer Cassierer Cavalierer 
Juwelierer Offiderer Spezierer Tapezierer, mhd* fabeiiercere; 
auch aetronomierre floiiierre krigierre partierre pateliere sind 
aus astronomierere u. s. f. zusammengezogen. Prinzessinn hat 
gleichen Sinn mit Prinzess, mhd. ept ischin nhd. Aebttasinn Ca- 
nonissinn Diaconissinn Priorimnn den gleichen, den schon die 
einfacheren Bildungen abbatissa mhd. eppetisse und Priorinn 
ausdrücken; dieselbe Verdoppelung hinter einem nicht fremden 
Stamme in dem mittel- oder niederdeutschen tümerschin Gauk- 
lerinn. Veilchen und Veigelein kommt von viola, das mhd. 
sinegozzel von singoz, das nhd. Scharmützel Tom ital. scara- 
muccio, lAsettchen und TritietÜi von Lisette und TVineäe, 
Worten die alle selbst schon verkleinernde Endungen an sich 
tragen. 


IX. ümdentschnng durch Znmmmejimbmng. 

Bekanntlich ist es den altechten Bemem eigen, der Dent- 
lidikeit für Andre und für sich selbst und ihrem doppelten 
Sprachgewissen dadurch Genüge zu thun, dass sie dieselbe Sache 
zweimal hinter einander, erst französisch^ dann deutseh, ja unter 
Umständen dreimal sagen, französisch, bernerisch und hochdeutsch: 
„Ecoutez! Loset! Hören Sie !'^ Aus eben diesem dem Barbaris- 
mus natürlldien Bedürfmss hat sich die Bede unserer Väter im 
dreizehnten und im siebzehnten Jahrhundert mit s<dchen halb- 
französischen oder halblateinischen Wortpaaren angefallt wie 
pfU und strdle, trüt und amts, gesrhaft und criaiiure, Anti- 
quitet und Alterthum, consolierefi tind troest^n, Farn und Jjeumund, 


Die ümdeutscknng fremder Wörter. 321 

In8tru7nentum und Werkzeug, Moment und Augenblick, Numerus 
und Zahl, Fostur und Stellung, Uhr und Stunde, Lob und 
Preis, Stuhl und Thron; genug dergleichen überall noch im 
Munde des gemeinen Mannes. Das fremde Wort, dessen Ver- 
deutlichung es gilt, nimmt dabei der Regel nach den gebühren- 
den ersten Platz ein. Es. ist ein Andres, wenn man heiliger 
Sand Florian sagt, wenn die ehemalige Peterskirche in Begens- 
bnrg wih Sant PUer hiess, wenn man Jemanden anredet mein 
Herr Monteur oder mein Söhn Filius: hier muss wohl das 
deutsche, da es ein Adjectiv und ein Titel ist, vorausgehn. 

Viel zahlreicber noch als solche Zusammenstellungen und 
überall in der altem und zumal in der Sprache des Volkes noch 
heut beliebt sind die Zusammensetzungen, die das fremde und 
das deutsche oder wohl auch ein mehr und ein weniger fremdes 
Wort, erklärtes also und erklärendes in einen Körper sich ver- 
einigen lassen, meist auch wieder mit Nachfolge des erklärenden. 
Und zwar deckt dieses bald den ganzen Begriff des erklärten, 
bald und gewöhnlicher nur einen Theil desselben, oder es reicht, 
indem es, die Gattung zu der Art benennt, darüber hinaus: die 
Zusammensetzung ist bald eine Tautologie, bald und meist ein 
Pleonasmus. 

Zuerst Beispiele, wo das fremde Wort voransteht. AmareUe: 
Amelbeere, BibUa: Bibelbuch, Breve ahd. brief Buch: briefpuech. 
Campus ahd. champh Zweikampf, wie Kampf: champhwic, Chor 
peau'has'hut Gometstern, CryptaBhA, chruft gruft (S. 276. 283): 
nhd. Gruftkirche, Dama ahd. tämo ddmo: nhd. Dammhirsch, 
Domkirche, Eau -de- Cologne - Wasser, Gynceceum ahd. genez 
Arbeitsraum für Weiber, tunc (unterirdischer) Arbeitsraum der 
Art: geneztunc. Camarium mhd. gemer Beinhaus: gemerhüs, 
Grenzmark (S. 255). Grenzscheide, Höstia: Hostgott, Hydra: 
mhd. tderslange, Istria: mhd. Isterriche, Caulis mhd. kdl: 
kdlkrüt. Cordonrismen. Cerasum Kriese: Kriesbeere» Cuirassier- 
reifer, Copa mhd. kuofe, kar Gefäss ^ Ä^wo/^iar. Coche Kutsche: 
Kutschwagen, Libum: Lebkuchen, Leblaib, Lebzelten, Militär- 
Soldat Mulus Maul: Maulesel, Matdpferd, MauUhier. Misellus 
ahd. misal aussätzig; miselsiech, misalsuht, Monasterium: Mün- 
sterkirche, Paradisus: Paradiesgarten, Pestis: Pestseuche. Pensale 
mhd. pfiesel heizbarer Arbeitsraum, gadem Qemsieh: pfieselgadem, 
Pistor Pfister: Pfisterbeck, Pluma: ahd. phlümfedera, Flaumfeder, . 

Waekemagel, Schriften. III. 21 


322 Die Umdeatschnng fremder Wörter. 

Plaisirverffnügen. Planetstem, Poebdvolk. Puls ahd. jxdz, muos 
Speise: polzmuos. Psalmus, ahd. scof Dichtung: psalmscof und 
salmaang Psalm. PurlatUer. QuitUedig. Rosa ahd. rdsebluamo. 
Bota ahd. rad, scipd Bad: radscipä. SaUo-^artcde-Sprung, Sctgma 
Saum Pferdelast: Satmlast, Salix ahd. salaha: Salweide. Synodus 
mhd. sent geistliches Gericht: SendgerichL ShawUuch, Tempd" 
haus. Thunnus: Thunfisch. Thgrsusstab. Tirebauchonzieher. Turtur: 
ahd. turtuUüpä. Uter üder: üderbalg. Tabula mhd. zabd: zabdbret. 
Cymhalum Zimmd: Zimmelscheüe. Besonders häufig kommen 
als ausdeutender Bestandtheil vor die allgemeineren Worte Baum: 
tsculus escheUxmm, larix lerchbaum, pinus pinbaum, sabma sevi- 
bäum, cedrus zSderboum u. s. f.; Burg: Äugusta OugusÜmrg, 
Guntia Günzburg, Borna angelsftchs. Bdmaburh; Mann: Alarme 
Lärm, 16. Jahrh. Lerman (personificierend wie Sackmann Plün- 
derung), amhactus ahd. ampahttnan (syncop. amman) und am- 
pahtscalch, patrinus mhd. pfetterman, viduus Wittmann nebst 
vidua Wittfrau Wittweib und Wittleute, Koseformen fremder 
Personennamen (es tritt jedoch ebenso hinter deutsche) wie 
Christianus Christmann, Hieronymus Grolmann, Johannes Hanse- 
mann und Hannemann, Petrus Petermann, Erasmus Rassmann 
Assmann und Musmann, Simon Simmann, Aegidius Thide 
(S. 299) ThteUmann, Thofnas Thommann; Stein: marmar mhd. 
marmelstein, onyx Onychstein, pumex Bimsstein, tofus ahd. tüf- 
stein; Thier: elephantus mhd. helfent hdfentier mnd. dpender^), 
camdus kemeUier, panthera pantertier, tigris tigertier. 

Voranstellung des deutschen Wortes. Blumenflor. Eis- 
gletscher. Federpennal. Feuersflammen» Frauetiharem. Frühfndte. 
HalsgoUer. Hellklar. Mhd. missefcelen. Mitcamerad, Mitcollege, 
Mitcompagnon, Mitconsorte, Mitconvidor. Regenparapluie, Segen- 
parasol, Sonnenparasol, Sonnenparapluie. Mhd. rosmiU, rospfert. 
Salzsaline. Scrinium Schrein, Sarg: ahd. sarchscrinL Schiffs- 
flotte. Sutor: mhd. schu^ochsMer schuohsfcere schuoste^. Boman. 
bota u. s. f. Stiefel : dhi. scuopoza als Landmaass. Schutzpatron. 
Ahd. sahs angelsächs. seax Messer: ags. seaxcuüer, Lex Salica 
sexcaudrus. Siegestrophcee. Französ. hatte: ahd. slegibatta. Ueber- 


1) Vgl. S. 310. In der Thidriks-Saga Cp. 180. 118. 433 die fort- 
schreitenden EntsteUangen alpandyr alpanndir alpandü. 


Die üiudeiitschang fremder Wörter. 323 

rest WoBchlavdr oben S. 268. Wüsteneremit. ZweidappeÜ, drei- 
doppelt und so weiter s. y. a. zwiefach, dreifach. Yoranstellung 
deutscher Vorsylben: Gespons wie OenicM, verarretieren wie ver^ 
haften; ebenso ahd. firdamndn, nhd. verdefendieren, mhd. ver- 
maledien, nhd. verschamerieren von fr. charmrrer und eharmer 
Scharmieren: vgl. furtuomen vertheidigen verduochen verhrcenwn 
verlieben. 


X. ümdeutschung durch Veränderung der Worte 

selbst. 

Endlich ist noch von der Unzahl derjenigen Fälle zu 
sprechen, wo ein fremdes Wort nicht durch die äussere Zuthat 
von Flexion oder Ableitung oder Zusammensetzung den deutschen 
an die Seite gestellt und dem Verständnisse näher gebracht 
wird, sondern ein unmittelbarer Angriff seiner eigenen Laute, 
eine oft kaum merkliche, oft wieder sehr kühne Aenderung der- 
selben ihm den Anklang an deutsclie Wurzeln und den Anschein 
heimathlichen Ursprungs und Begriffsausdruckes giebt. Damit 
sind nicht die bewussten Wortspiele gemeint, me die ältere 

'Komik und noch jetzt der Witz des Volkes sie erfindet, die 
scherzhaften Verdrehungen von Alchymisterei in Ällkähmisterei, 
Beeret in Drecket, Lombardei in Lumpertei, melancholisch m 
maulhenkolisch , Arragonia in Narragonia, Podagra in Pfoten- 
gram, Simon in Siemann u. dgl.; auch nicht die willkürlichen 
Umdeutungen jener Gelehrsamkeit von vormals und von heute, 
wonach Abenteuer (oben S. 287. 310) aus Abendtheuer, hantieren 
(S. 256) aus handthieren oder handieren entstanden und so auch 
zu schreiben und zu sprechen sei. Die Aenderungen, um die es 
hier sich handelt, gehn absichtslos vor sich; entsprungen aus 
Nichtverstehen und Miss verstehen, nicht anders als ein grosser 
TheU der früher besprochenen Geschlechterwechsel, ziehen sie 
naiv das Fremde, wie wenn es nie ein Fremdes gewesen wäre, 
in die Sprache und ebenso in deren Wachsthum mit herein, wie 

* dort auf dem Wege der Lautverschiebung das Fremde mit dem 
Deutschen fortwächst. Und nicht nur die Sprache wird so mit 
neuen Worten, es wird durch solche Missdeutung der Kreis der 

21* 


324 ^ie Uiudeatschung fremder Worter. 

Vorstellungen selbst mit neuen Wesen bereichert: es ist be- 
kannt, wie den Bauern in dem grossen Aufruhr des sechzehnten 
Jahrhunderts aus dem Sonntage Jvdica eine Heilige dieses 
Namens., wie den Italiänem aus dem Festnamen Epipkania eine 
kinderschreckende Fee Befana geworden ist (beffar^ heisst ver- 
spotten): das Volk in den Niederlanden, nach einem Zengniss 
des zwölften Jahrhunderts (Reinardus I, 1131 fgg.)« madite sich 
aus den hervortönendsten Worten der Liturgie, aus Excelsis und 
Osanna und ÄUduia, neue Heilige, und diese S. Osanna durfte 
um so annehmlicher erscheinen, da man das Wort schon längst, 
schon im achten Jahrb. als Weihernafaen bauchte (Jl'orstemaim 
I, 112), als deutschen Namen, abgeleitet von os d. h. ans Gott. 
Es ist aber nicht gerade das Laienvolk allein, dessen Missver- 
stande wir diese Letzte und grösste Glasse der ümdeutschungen 
verdanken: jetzt allerdings mag dergleichen nur noch den Un- 
gelehrten glücken, und die Sprachgelehrsamkeit reicht jetzt, weit 
Mnafo: im Mittelaltei* that unbefangen auch die Geistlidikeit das 
Ihrige; ja beinahe die meisten und fast all die ältesten Worte 
der Alb sind aus geistlichem Mund hervorgegangien: denn es 
sind Worte des Lebens in Eirdie und Kloster and Kloster- 
garten. 

Es wird die Beihe der Beispiele übersichtlicher machen, 
wenn, ich AppeUativa und Eigennamen v(m einander trenne« 


Appellatlva. 

ABC, 17 Jahrh, Abersei, X4^Jlh0b0rzUe, Jßrotanum, siyi. 
anar^zA, nhd« Aberraute, mhd. ebereize* Adjoint, der Sadschuh. 
JEstivale, ahd. stiful mhd. sH^qI: oben S. 298. Agarims, Anger- . 
Img, Agrimonia, 23QJbd^ agramüni, odermeiyt. Ambatoius ahd. 
ampaht Diei^r, gotii. andbaht: and an, zu, gegien^ bäht bedeu-* 
tungslos. AnacJwreUtp ahd. einohorcmir alleingekoren^ri altsächs. 
enkoroy angels. nitu^. Antichristus^ mhd» EndekrisL Apotheker, 
Abdecker. ^ k^i^ c^ms^ mittellat. abmla, ahd. apsit, dbslda und 
absttdy Abseite. Archiepieoiopfus, noiki. erzebischof, jsmtteld. 13 Jahrh. 
der erdische bisehof, AraUbalista altfif. ai4fale9te, mhd. armbrest ' 
armbrust u. s. f. Aristocraib^^ Stockroth, Aristolochiaj Osterluzei, 
mhd. Qst^gloye igloye Schwertlilie), Eigenname Oesterlei. Armth 


Die ÜMideütschung frfemder Wörter, 32ö 

racia^ ahd. merir^ich? Arrha, Haar* Assembler, samdieren: 
oben S. 298. 

ItaL Bado la mano, Baselimann Paselmann Schmeicbelei 
und Schmeichler. Bagage, Package* Bastard, mhd. basthart 
Beccabunga, Bachbimge. Bibliothek, Bibelaptheke. Bleu mote- 
rant, blümerant Bracciatdlo ahd. preziteÜa Prezel, 16 Jahrh. 
Brettstelle. 

Cmpulla ahd. zipolla mhd. ztvolle, in den Begriff der Zwei» 
zahl gezogen ahd. zwibolla zmibolla, mhd. zwivolle, nhd. Zwiebel 
Zwiefel: vgl. mhd. bolle Knospe. Capreolus Weinranke, ahd. 
kraphilin, sonst Häkchen. Carassius Karausche, Garmslein. 
CarbunculurS, mhd. karfunkel: funkeln. Cataplasma, Kartenplass. 
Catharm, mhd. ketzer, auf kotze deutend. Ghar ä banc, Scheer^ 
bank. Chere: faire bonne chere, 16. 17 Jahrh. gut Geschirr 
machen. Chirurgie, Gregoritis. Chrisma: Krisengeld, Kristen- 
geld Pathengeschenk. Cichorium, Zuckerei. Cingülum mhd. 
zingel zingolf, zwingolf: S. 319. Ginnabaris, mhd. zinober: vgl. 
unten Sinopis sinnoger. Gisterna, Sigsterne: ahd. sigan sinken, 
strömen, tropfen, nhd. versiegen. Gitamus, ahd. zUeldsa: vgl. 
griech. etpijiJLepov. KoXa9t?stv, goth. iatipo^'an (oben S. 279.285): 
kaupön Handel treiben. Oomes stahuli altfr. connestdble, ahd. 
cumistadul chumistuodalo (stadal Stand, Scheune; stuodal Stütze), 
mhd. kunstabel i^onstofeler u. dgl., nhd. Kunststcebler. Gordouan, 
mhd. küderwän: küder Werg. Gornus, ahd. churnipoum chuir- 
nilpoum; coma, quimperi quirnalperi: quirn churni chumila 
Mühle. Grocodilus, mhd. kocheldrille S. 267*. Grypta, gruft 
S. 276. 283. Gucumago, Kugelmagen. Ouniculus, mhd. künigel; 
nhd. Zusammensetzungen Künighase und Hasenkünlein. Gunnus, 
mhd. kümie und kunt als Feminina. Gureuma, Gurkelmei. 

Dague, Degen, männlich und ausgesprochen wie degefi 
Krieger. Desconfire desconftture, mhd. entschumpfieren nhd. 
schumpfieren schimpfieren, schumpfentiure schimpf enteur. Diffi- 
cultät, Fickeltät: mundartlich fickeln reiben. Diptychon, mittellat. 
auf dictare bezogen dictica, mhd. diclU&veL Districtreiier, Strick- 
reiter. Dormitorium, mhd. dormital: vgl. Unten Refectorium. 
Dragomanno (ital. vom arab. targomän) mittellat. drogamundus 
Dolmetsch, mhd. tragemunt trougemunt. Apoixwv, mhd. dromunt 
tragemunt 

Echapper, entschappen. Egal, einjal. Eleemosyna mittellat. 


326 IHe ümdeatichiing fremder Wörter. 

dimomna, ahd. alainuosan^ mhd. armuosen: al, arm und muos 
Speise. Elepkantus, ahd. hdfant S. 310. Escadre span. esquadra, 
Geschwader; eacadron esquadron, Schwadron. Escluse 6cluse 
Schleuse, Schliesse. Estalage, Stellage. Estendard, mhd. stanihart. 
Etdogia, ahd. obelagi u. s. f. S. 277. 

Faeitergium facitergtdum, ahd. fezetraga fazitragala. Fc^num 
grcBcum, Feine Grete und ^««n« Margrete und Sehern Margret, 
Falavisea ahd. falawiska S. 281. jFbuiour^, Pfahlbürger. 
Flumen, mhd. floum: ahd. altn. /Zaum ags. /Zedm Flacht, Lau^ 
von fliohan. Fourrage fourragieren, Ftidrasche fttUraschieren: 
vgl. S. 256. Frontispice, Frontenspitze. Fundamentutn ahd. 
fündament, mhd. fundamunt pfundemünte, fulletnunt vtUmunt, 
pfulmunt, vollemunt volmunt. Furibundas, ahd. furifunt. 

Garderobe, Kleiderobe: robe als Aufbewahrungsort ver- 
standen, wie man dor in Louis d^or als Goldmünze versteht 
und so damit Friedrichsdor bildet. Gigant, mhd. trigra/ö^). 
Gouvernante, Jumpfemante: Jumpfer Jungfer. Gracius mittel- 
niederd. grosse, ahd. chresso, nhd. Kressling: vgl. chresso crasse 
Kresse. Graphic ahd. krävjo Graf, bezogen auf rÄ»o Sparren 
und rSfa Bäuber ahd. garävo angelsächs. gerSfa. Graphium, 
ahd. grifil. Ital; Grida, 16 Jahrh. Kreide Feldgeschrei, Signal: 
KreidenschusSy Kreuzschuss. Gutta fr. goutfe Scblagfluss, nhd. 
mundartl. Gut, zusammengesetzt Gutschlag. 

Hasard, mhd. haseJiart Würfelspiel. Henri, Hanrei. Hu- 
merale, mhd. umbeler. Hyaeinthus .als Blumenname, Zinke. 

Interpres, ahd. antfrist Introducere, nhd. eintroducieren, 
Involucrum, ahd. wulluch wollouch. Jour: etre du .;o«/r, die 
Schur haben. 

Altfr. Zai, mhd. leich. Lampetra lampreta, ahd. lamphrida 
lantfrida, mhd. lamprecht. Lapathum, ahd. pletacha. Lemnui, 
mundartl. Lehema d. L Lehenmann. Leopardus, mhd. liebart. 
Leun altfr. Lyon: pauvre de Leun, mhd. pöverlewe. Lieutenant, 


1) So nämlich in einer PredigtsteUe , die Pez in seinem Wörterbuch 
zu Ottocar unter dem Worte weigant anführt : An dem anegenge was niht 
in dirre werlt wan ein zunge; dö was diu erde herhaft j unde tcuohsen 
michel Hute und6 lange unde hiezen w^gande, unde wuohsen unde tcurden 
(ÜB höhe als die houme: vgl. Baruch IIl, 16 Ihi fuerunt gigantes nominati 
Uli, qui ab initio fuerunt, statura magna, scientes beUum, An und für 
sich hat wtgant, d. i. Krieger, Held, mit gigas nichts zu thun. 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 327 

Leutnant LeutnamL Idgusticum libtisticum luhisticum levisticum, 
ahd. Itibestecco Ivbisüchel luhistechal nhd. Liebstöckel. Lustrare, 
ahd. hlüstafjan (sonst s. v. a. lauschen), lüstrichdn. LuÜi, Laute, 

Maiorana, mittellat. Umbildung von amaracus, mhd. mei- 
gramme, nhd. Maigram und Moseran. Maire, Meier: beides von 
maior. Manctpium, ahd, mit Umdeutschung des ersten und 
missverständlicher üebersetzung des zweiten Theiles manahoupit. 
Mansionarius , Messner S. 286. MapYapfnric margarita goth. 
markreitus, ahd. marikreoz mhd. mergrieze d. i. Meerkies. Mentha, 
ahd. minzä und munzd nhd. Münze: ebenso atermunzä aus 
aterminzä lat. atramentum, Mercadante, Marketender S. 320. 
Mergus, ahd. merrich: vgl. S. 319. Mespris mepris, mhd. 
missepris. Misellus ahd. mesai aussätzig: mhd. misUch, maseh 
sukt, müselsuhtf bezogen auf mischein misldn mischen, masel Blut- 
geschwulst, bemüselen beflecken. Misericors Dolch, mhd. misenkar 
misikar miskar: kar Gefäss. Mortier Bombenmörser, Mertier d. i. 
Meerthier. Mmtarde, Mostert d. i. Mosthart und Mostrich: vgl. 
oben S. 319. Muta, ^i\i. m^ta: motan können, mö(;aw begegnen; ^^^"^ 
vgl. jedoch S. 287. Mus montanus, ahd. müremufito mur- '^-^ 
menti, mhd. murmendin murmeltier mummeltier, noch jetzt*,' 
mundartlich Mürmentel MürmetK. Myrtus, mhd. merdom: ' "" 
vom Meere, von Süden her gekommen. 

Narcissus, nhd. mundartl. Marzisli. Noctumics, ahd. nah- 
tum; nuohtum nuohtamtn nüchtern: u^htä Morgen, uohtemtn 
nüchtern. 

Oblongus, nhd. ablang. Onocrotalus mittellat. cretobolus, 
ahd. horatupil horotumil horotumbel horotüchil: horo Sumpf; 
nhd. Rohrdommel Bohrtrommel. Oryza, ahd. arwtza arwtz: 
sonst aus ipsßi.v'ä'cx; *). 

Panther, mhd. pantier. Paraveredtcs mittellat. parafredus, 
ahd. pafißfrid farefrtt^), mhd. pferfrtt pferft pferit pfert. Par- 
tisane, Parteisen. Pastinaca, Pastnagel. Paternoster (NuMer 




1) [ostrea austora: so umgedeutscht als man dst- noch mit au 
sprach ; später ward das au nicht auch hier in 6 geändert, wohl um austara 
und östara (pascha) aus einander zu halten.] 

2) Das i in parafrid mochten als ei (S. 275) schon die Gothen haben : 
die Posteinrichtungen der Kaiser bestanden noch unter Theodorich d. Gr, 
fort: Cassiod. Var. 1, 29. 5, 5. 


328 I^ ünidentschnng fremder W&rter. 

S. 298), Bdnuster Pater Beter. Böhm. Pecet nhd. Petschet 
Petschatt, Petschuft. Pedissequus, ahd. peinseico peinseggo; 
pedissequa, beinseggä: sekko Gunst. Petitecoste, ahd. fitnfchusti. 
Perspectiv, Sperrfectiv. Pervinca, ahd. perewinka mhd. bere- 
winke. Petraria ahd. phetaräri phederäri voki. pfetercere pfede- 
rcere, fedaräri vedrer. Petroselinum, ahd. pMarsilli federscelli, 
mhd. auch piterlln. Phasianus, mhd. fashan, ahd. fasihuon 
phusehuan, Physims, Fisigucker, Piece, mundartl. Büessli 
kleines Geldstück. Pietist, Betist. Piscatio, mhd. fischenze 
(S. 263) und mschenutz. Planchette, Blankseheit. Particas ahd. 
phorzich phorzeich, mhd. auch für zog und wie noch mundart- 
lich Vorzeichen. Prado^ Prater Brater. Predig mundartlich 
s. V. a. Predigt wie ahd. i^rediga, verhochdeutscht Beredung. 
Prisent, mhd. prisant oben S. 275. Prima Preim (oben S. 276): 
das Breinglöcklein in Wien als Erinnerung an ein pestartiges 
Umgehn der ' Bräune verstanden. Primissarius, Frühmesser. 
Psittacus ahd. psitich sitach sitich, mhd. auch sickiist. Pulcinello, 
Britseheneüer. Pulpitum, mhd. pulbret. Pulsader 16 Jahrh. 
Bulzader: bulzen fahren wie ein Bolz. Pyrethrum, ahd. perhtram 
nhd. Bertram. 

Quaquila quacara u. dgl. im Mittellatein, ahd. quahtila 
und wahtala. Quasimodo, 17 Jahrh. Kose^Mose. Quelque chose, 
Geckschosefi Keckschoserei. 

Becuperare, ahd. irkoboron. Refectorium, mhd. revental: 
vgl. oben Dormitorium und S. 301 u. 309. Renoyer renier, 
mhd. vernoigiereii. RÜicule, Ritterkiel. Rondel, RundtheiL 
Bubiola, mhd. rebigel. 

Scaber, ahd. scaberi. Scamlula, ahd. skintalä Schindel. 
Scarlatum mhd. scharlät, scharlachen scJiarlach. Schamützel 
Stamützel aus ital. scamuzzo, ScJiarmiitzel aus scaramticcia 
und scafnuzzo. Ital. Scatola, Schachtel, mundartlich Stattet 
SpaUel. Schächzabel, mhd. schdchzagel schdfzagel schäfzaigel; 
ebenso zabeln, zagein: zagel Schwanz. Schedula mhd. zedele 
zedel, nhd. Zettel: zetten streuen. Scripturale Federmesser, Schrif- 
teral; scriptura, mhd. schriftiure. Secretarinm sacratorimn, ahd. 
sigitäri sigitüri, mhd. sigeltor. SSnechal, mhd. sineschalt: oben 
S. 256. Sengle sangle, mhd. senket Servant ital. servente, Scfier- 
Wenzel Scharwenzel. Sinopis, ahd. sinnoger: oger Ocker. Soldener 
von solidus solt, ahd. scoldiner: scolan sollen, Spatiari, ahd. 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 329 

sparzibeindn niederländ. spertelbeeiien: mundartl. spirzen sperzen 
spreizjBn. Stilbon, ahd. stelbdn, mhd. stalbomn. Stipula, ahd. 
dupfild: Stupfen stechend stossen. Stola: Stolbruder, mhd. stuolr 
bruoder Kirchendiener. Strepere, ähd. drepalin stripelen. Stropha 
List, ahd. sttrüpitha. Stupere, ahd. stobaron. Synodus ahd. 
senod^ mhd. sent und sant: senden. 

Tabard, mhd. taphart. Taillier tailler, teilieren S. 317. 
Tambour, Tambausr, Tiretaine, Dirdendei, Theriacum, mhd. 
driakeh Tofus ahd. tüf stein y nhd. Tauchstein und Duftstein. 
Trianguius, Dreiangel und Dreianker. Tronche mhd. trunze 
und drmnze: drumefi zerbrechen. Tubrucus tubracus, ahd. 
diohpruoch (Schenkelhose) und diechbräto: oder stammt das la- 
teinische, zuerst von Isidor XIX, 22 verzeichnete Wort aus dem 
Deutschen!' Turbo Kreisel, ahd. topho toph (tolf oben S. 285): 
topho auch s. v. a. Tupf. 

Valeriana, ahd» boldridn. Valise, Felleis Felleisen. Vas, 
ahd. wahs S. 271. Virgatum gehn Ruthen suchon gehn, ein 
Schülerfest, auch Kindervirgatum und Vergattung. Vitula ahd. 
fidula (oben S. 281) nhd. Fiedel, mundartlich Fichel und fickeln 
fiedeln, eigentlich reiben. 

Ypsilon, Ixeland. Zedoarium, ahd. zitawar, mhd. zitwar 
zittewar und zitvare. Ital. Zibibbo, mundartl. Zwibibe: vgl. 
oben ccepulla Zwiebel. Zingiberi prov. gingebre, ahd. gingibero, 
mhd. gingebere ingeber ingewer. 

Mehrere Worte werden zugleich durch eine Aenderung, die 
sie deutschem Laut und Sinne nähert, »und durch Zusammen- 
setzung umgedeutscht: acorus Ackerwurz, asarum Haselwurz, 
ascahnium aselou^h, coliandrum cholgras, coloquintkida cölgerste, 
fumus terrae Finsternkraui, herodius hirfogel, leoperina leber- 
stein, chelidonia scelliwurz, scopulus scopstein, senecio senumrz. 

Mitunter auch ändert sich zwar der Sinn, aber kein Laut 
des fremden Wortes, weil es schon so eine .deutsche Wurzel 
und deutschen Begriff zu enthalten scheint: irritieren heisst dem 
Volk ohne weiteres irre machen, Poltron ein Polterer, TrcAafU 
(Häscher, vom span. trdbar fesseln) ein Traber, Läufer, tribu- 
Heften treiben, vexieren mit Fachsen zum Narren haben, postu* 
Heren gleich dem gewohnteren Fremdwort postieren s. v. a. in 
Geschäften laufen, wie päwelün paulün d. i. pavillon im Nieder- 
deutschen s. V. a. päwe pauwe Pfau. Also ganz in der Art 


330 Die ünideatflchoiig fremder Wörter. 

jener Wortspiele mit fremden Ausdrücken, die deren Aensseres 
nicht berohren, wenn z. B. ein Fall ein Falliment genannt wird, 
der mahnende Gläubiger ein Maniehjeer, ein mürrischer Mensch 
Mufti, die Füsse in Norddeutschland Potentaten (Paten Pfoten) 
und ein böses Weib Sadrach d. i. Satan und Drache. Der- 
gleichen ist wie ein vorbereitender Uebergang vom Fremden zu 
der Umdeutschung. 

Eigennamen. 

In der Umdeutschung derjenigen fremden Eigennamen, die 
der Bibel und der Kirche angehören, giengen das Gothische und 
noch das Alt- und Mittelhochdeutsche nicht über das Nothwen- 
dige und das Nächste hinaus; Petrus z. B. erhielt in der hoch- 
deutschen Form Paar wohl auf Anlass des Accentes eine andre 
Quantität und um der Flexion willen einen anderen Schluss: 
aber die Aspirierung Phitar, die Diphthongierung Pietar, beides 
kommt nur als vereinzelte Ausnahme vor, und wenn auch die 
Keronischen Glossen einmal aus Aegyptus tlkißt machen, so 
werden doch sonst die echten Consonanten dieses Wortes überall 
behauptet^). 

P£BsoNEi7NAMEN anderen Ursprungs waren nicht so sicher 
gestellt: das Riesenkind Rainouard ward von der mittelhoch- 
deutschen Dichtung Rennewart, Attilas Bruder Bleda in der 
Heldensage Bloedel oder Bloßdelin genannt; Etzel jedoch, wie 
Ättila selbst in der Sage heisst, dient hier nicht als Beispiel: 
ein 80 entschieden gottiisch gebildetes Wort wie Attila, ein 
Kosewort, s. v. a. Väterchen, konnte und musste sich auf dem 
gesetzmässigen Wege der Lautverschiebung ahd. in Ezilo, mhd. 
in Etzel umgestalten: die Umdeutschung, welche bei diesem 
Namen stattgefunden, ist bereits auf der Stufe des Gothischen 
geschehn. Unterschiedlos aber alle Personennamen, auch biblisch 
und kirchlich überlieferte umzudeutschen wagt erst die Alltags- 
sprache der neuhochdeutschen Zeit, und es steht das in Ver- 
bindung mit jenen häufigen und grossen Kürzungen derselben 
durch Aphärese und Syncope und Apocope und mit ihrer theils 
auf Wortspiele, theils sonst begründeten appellativen Anwendung, 


1) [vgl. Brittenheim und Brezzetiheim Förstemann 2, 295; Wessobr. 
Gl. Scozzen HoUe Demant. 247.] 


Die ümdentschimg fremder Wörter. 331 

die ich anderwärts (in Pfeiffers Germania V, 290 fgg. = oben 
S. 97 f|^.) erörtert habe. Es wird also mit unabweisbarem Anklang 
an deutsche Worte aus Balthasar Baldhauser oder Waldhauser 
oder bloss Häuser , aus Bartholomceus Bartel, aus Colomannus 
Kelbel, aus Dominicus Tummemix und Kussel, aus Emanuel 
Mannt, aus Helena Lene, aus Magdalena Maid, aus Medardus 
Mcederli (die Witterung des Medardusjkages ist weissagend für 
die Heuemdte), aus Silvester Vestel, aus Veronica Vrone, aus 
Wilhelmine Minnel u. dgl. Wie gern das Volk in den un- 
deutschen Namen einen deutschen Sinn sucht, zeigt recht als 
Beispiel der Gebrauch unsrer Landleute eine Tochter, bei deren 
Geburt die Mutter sehr hat leiden müssen, Lydia zu nennen. 

GEOGhBAPHiscHE Namen, die ausserhalb des biblischen Be- 
reiches liegen, haben sich ebenfalls schon seit früher Zeit den 
mannigfachsten ümdeutschungen unterwerfen müssen, Aenderungen, 
die in solchem Sinne bald nur den Ausgang, bald das ganze 
Wort ergreifen; wie die eigentlich fremden werden auch Namen 
des sächsischen und scandinavischen Nordens auf Hochdeutsch 
so behandelt. Auch von dieser geographisclien ümdeutschnng 
noch Beispiele: und dann schliessen wir endlich. 

Älcmona^ ahd. AUmuna, mhd. Altmule, nhd. AltmühL Alta 
Ripa, Haute-Rive bei Freiburg, Altenrtf. Anjou, mhd. Anschouwe. 
Antwerpen, Antorf. Armagnacs, die Armjacken, Armjäcken, 
Armen Jacken, Armen Jecken, die Gecken. Batavium, ahd. 
Bazouwa Pazouwa Passau. 'Beile-Fontaine, Belfenthal. Brahman, 
Mehrzahl Brachmänner. Byzantium, mhd. Wizsant, Angelsächs. 
Cantvardburh (Burg der Vertheidiger von Kent) Canterbury: 
ebenso an den angelsächsischen Dativ Cantvarahyrig sich an- 
schliessend ahd. Kantilbirja^ mhd. Kantelberc Kandelherc: chan- 
dala kentila ist candela; Abraham a S. Clara braucht Kandel- 
berg als Wortspiel mit Kandel d. i. Kännel Kanne. Cauccmis, 
mhd. Kaukasas, Gougelsahs, Kockensaz, Gloggensaehsen, Celius 
mens. Kellmünz: und Kaimünz mhd. Chalemunza aus Calmis 
mons? Oumberland^ mhd. Kukumerlant. Danubim, ahd. Tuo- 
nouwa und Ttwnaha. Eboracum, angelsächs. Eoforvic (Eber- 
stadt) ahd. Ebirwich, engl, zusammengezogen York. Faucesß 
mhd. ze Füezen, Füssen. Finis terrce Vorgebirge in Galicien, 
mhd. Finster sterre, Finster stem: vgl. tunkel sterne Abend- 
stem. Garda, mhd. Garte; Gardasee ahd. Kartsi. Graisivaudan, 


332 IHe Umdeatschiiog fremder Wdrt«r. 

mhd. Graswaldäne, GraswaÜ. Grandtal, Granfelden. Hainati, 
ahd. Haginao, Heiuegauwe, nhd. Hennegau. Hospital, Hospenr 
thal. Languedoc: Langendogger. Lüwa, mhd. Littouite. Lttg^ 
dunum Lyon, ahd. Liutona Liutana. Mantova Mantua, mhd. 
Maniouwe. Mardbut Morabite, mhd. Merbot. Mediolanum, mhd. 
Meielän Meildn Meüant: Meilen, ein Dorf am Z&rcher See, im 
10 Jahrh. Meiolano Meginlano Meilana, wird demnach auf Latein 
ebenfalk Mediolanum geheissen haben. Megtre^ mhd. Meisters. 
Mens Bligardis, Mons Bdigardis Montb^liard, mhd. Munbiligart 
Miinpelgart Mümpelgarten. Moslem, Muselmann. Nantes, mhd. 
Nantheiz. Altnord. Noreg d. i. Nordhveg Nord weg, mhd. Nor- 
weg Norwege Norwegen Nortwegen, mit Bezug auf w&c Wasser 
Norwcege, mit Bezug auf weide Norweide. Nowgorod, mhd. 
Ndgarten Nägart Norgart. Otranto, mhd. Otrant. Osmane^ 
OUomcmne. Padava Padua, mhd. Padouu}e Badouwe. liep^apLoc, 
6i(j UepyafjLOv, mhd. Spergimunt (S. 299). Petrosa Perosa Pe- 
rouse, mhd. Pfetterhüsen Pfetterhausen. Philipi)opel, mhd. Vine- 
popel Wtnapöpel: »Kipper und Vinepdpel hänt guoter trinken 
gewalt« Wolfr. Wilhelm 448, 8; der gleiche Oonsonantenwechsel 
in Philadelphia mhd. Phinodelfe. Piscina, mhd. Fisckine^ nhd. 
Fischingefi: vgl. S. 263. Polowc Plächenbe wohner, slavischer 
Name der Kumanen, mittellat. Flavus, ahd. Falo mhd. Valwe. 
Pons Ragintrudis Porrentruy, mhd. Punreindrüt Purrendrüt 
Burnendrüt Brunnentrüt Brunndrüt. Ravetina, ahd. Babana 
Rapana, mhd. Raiefie. Rivoglio, mhd. Ret fei ReinvaL Roma, 
goth. ahd. Rüma: s. S. 286; eine Sandale ahd. rdmscuoh, rüm- 
scfioh, rümiskir scuoh d. i. römischer Schuh und riumiskir 
scuoh d. i. Riemenschuh: riunw Riem. Russe Russland, mund- 
artl. Rtiess Ruessland: Ruess Russ, Rahm. Schlesien, mundartl. 
Schlesingent Sur Tyrus mhd. Süris, Süders (oben S. 276) 
Sunders: sunder süder südlich. Mittellat. und romanisch Tekis- 
venna Theisvenna Thesvenna Thasvenna Thasfenne Tasvanne 
Tavannes, Dachsfelden. OscxaaXpvfxif], mhd. Salnicke Salnecke 
Salnegge. Treviri, Triere und mhd. auch Triel: triel Lippe, 
Maul. Turonis Tours, ahd. Tumis Tums Tum. Unger, 
Hunger: »a fame, quam patiebantur, Hungri vocati suntc Epist. 
Remigii in Martdnes Collect. I, 234. Venuske mons, roman. 
Vestmonza, Finstermünz. Verdunum, ahd. Wirtina. Verona, 
ahd, Berna: heran bem Bär; vgl. oben S. 282 und Haupts Zeit- 


Die ümdeutschung fremder Wörter. 333 

Schrift 6, 157. Vertima fr. Vermes und Vertmont, mhd. Vert- 
munt, nhd. Pferdmund. Vitudurum, ahd. Winturdüra, Win- 
tardüra, mhd. Wintertüre: wintur d. i. goth. veinatriu Wein- 
stock: vgl. den ahd. Ortsnamen Winitre Wintere Königswinter, 
winterlinc witUarhaUä wintarperi wintertrola, alles üebersetzungen 
des lat. lahrmca, und winterhutz Vogelscheuche in den Reben; 
die Ableitung wtnzuril tüinzurnil wlnzure wtnzurn, nhd. Wein- 
zierel und Winzer, und die Ortsnamen Wlnzirin und Wtnzurn 
(d. h. bei den Beben oder bei den Rebleuten), jetzt Winzer, 
zeigen den regelrechten Uebeirgang des t x^ ^i in lEnrEimg des 
t vor der mehrfachen Consonanz (vgl. oben S. 300) findet sich 
auch in dem mundartlichen Wingert d. h. Weingarten und dem 
Ortsnamen Winkela Winkel oben S. 269. Vogesus, nüttellat. 
Vosegus Vosagus Wamgus, ahd. Was<igo, mhd. mit Bezug auf 
Walther von Aquitanien Waske und Wasken walt: ahd. Wasco 
Baske. 

Die althochdeutsche Zeit ist aber nicht selten von solcher 
ümdeutschung bis zur eigenüidi^ Veirdeutachung fremder Lands- 
und Städtenamen fortgeschritten, und Babylonia, die civit(is con- 
fimonis (Mose I, 11, 9), heisst ihr Scantpurch, (hnstantinopolis 
Costanttnuses puruc, DecapoUs Zehen bürgt, HeliopoUs Sunni- 
pm'c und Sunnün pureh, Neapolis Niuwenburk, Pentapolis Finf 
purigt 


Sprache und Sprachdenkmäler 

der Bur^nnden. 


(Aus Carl Bindings burgundiseh'romanUehem Königreich, Leipzig 1868, 

Th. 1, S. 329—404,J 


L Die Sprache: 

Die Eigenart der Burgundischen Sprache wird nur dann mit 
Zuverlässigkeit zu ermitteln sein, wenn die Betrachtung der über- 
lieferteo Worte bei dem Punkt inne hält, wo das altburgundische 
Reich seine Selbständigkeit verlor und sich den Königen der 
Franken unterwerfen musste, wenn man also auf diejenigen Be- 
lege sich beschränkt, die uns bis dahin theils von den Geschichts- 
schreibern des Alterthums und des Mittelalters, theils und haupt- 
sächlich in dem Bechtsbuche der Burgunden selbst so wie in 
Urkunden, in Grabschriften und Inschriften auf Schmuckgegen- 
ständen, auf zweien der letztern (s. unten II, 1 u. 2) sogar in 
den Bunen des Volks geboten werden. Diesseit des Jahrs 534 
beginnt für alles Deutsch auf Burgundischem Gebiet der Zweifel, 
ob es auch Burgundisch, ob es nicht ebenso wohl Fränkisch, 
vielleicht auch Gothisch seir denn ein Theil des Landes blieb 
für einstweilen in Ostgothischer Gewalt. Ja es haben sprach- 
liche Einwirkungen von diesen zwei Seiten, namentlich von der 
gothischen her, schon früher stattgefunden: unter den Grafen, 
die das Vorwort der Gundobada unterzeichnen, ist mehr als einer, 
dessen Name entschieden unburgundisch, entschieden gotMsch 
klingt, der mithin gleich so viel andern, die jenes Zeitalter hier 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgonden. 335 

oder dort auf Komischem Boden zu Glück und Ehren brachte, 
von Herkunft ein Gothe muss gewesen sein; ausserdem liegen 
nicht wenige Worte der Burgunden nur in der Gestalt vor uns, 
wie der Fränkische Mund, wie Gregor und Fredegar u. a. sie 
aufgefasst. 

Und noch etwas kommt hinzu, das die Genauigkeit in der 
üeberlieferung der meisten Sprachbelege verkürzt, das sicher die 
Sprache selbst sogar in ihrer Echtheit und Eigenheit gestört hat, 
der Einfluss des Lateins der ünterthanen und der damit ver* 
bundne Gebrauch der lateinischen Schrift. Nicht bloss dass letz- 
trer in zahlreichen Fällen das Zeichen mangelte um den barba* 
rischen Laut vollkommen zu treffen ; nicht bloss auch dass unter 
den ersten Schreibern und den weiteren Abschreibern des Ge- 
setzes vielleicht kein einziger war, der selber Burgundisch ver- 
stand und sprach, dass sie alle, was von Namen und sonstigen 
Worten der Barbaren darin vorkam, der eine mehr, der andre 
wenigör, der öfter, jener seltener entstellten: nicht bloss dieses, 
offenbar haben die Burgunden selbst, seitdem sie unter Bömem 
Sassen, sofort begonnen die eigene Sprache mit Geringschätzung 
zu behandeln und deren Beinheit und Richtigkeit vernachlässigt. 
Nur deshalb konnte sich dieselbe so bald in das Bomanische 
verlieren, nur deshalb Gunthioc (s. unten II, 1) sich in Eunen 
und doch auf Lateinisch Gunthioas nennen, und wieder nur des- 
halb ihr Becht sich zu Fachausdrücken verstehn, die aus Latein 
und Deutsch zugleich gebildet waren, wie trigildus und novi- 
gildtcs, dreifacher, neunfacher Ersatz. .Oder soll man hier vor- 
ziehn anzunehmen, das tri und novi gehöre bloss der schrift- 
lichen Niedersetzung an, der Verfasser habe von den deutschen 
Worten eben nur so viel in Latein gebracht, als er leicht ver- 
mochte, vor Gericht aber habe der Burgunde selber doch thri- 
gild und neungild gesprochen? Auch in der Lex Alam. VII, l 
kommt diess halblateinische novigildus vor und ebenda und in 
den Bechtsbüchern der Langobarden octogildus, in der Lex 
Baiwar. aber mit Ausnahme der Endung ganz auf Deutsch 
niungeldus I, 3. II, 12 und driniungddus ES, 2. Von der 
gleichen Art mit trigildus und novigildus scheinen Äridius, der 
Name von König Gundobadas weisem Rathe, und der Grafen- 
name Silvanm: beide mögen erst aus dem Burgundischen und, 
wie wir beide zugleich an Franken, Silvanus auch an einenji 


336 Sprache und Spraehdenkmäler der Burgunden. 

Gothen finden (Silmnus ein Bischof der Gothen und iy. ror^Jrfa? 
bei Epiplianius adv. Haereses LXX, 15, ein Franke bei Amm. 
Marcell. XV, 5; Franken des Namens Aridim Areditis wieder- 
holendlich bei Gregor von Tours und in einer Urkunde von 573 
bei Pardessus, Diplomata Nr. 180), auch aus diesen Sprachen 
in so lateinischen Klang hinübergezogen und es mag die eigent- 
liche Form des erstren Haritheu, die des letzteren Sühawän ge- 
wesen sein: Haritheu eine Zusammensetzung von hari Heer und 
ihiu Öiener, Silbawän von silb selbst und tvän Hoffnung, ganz 
wie im achten und neunten Jahrhundert wirklich Herideo vor- 
kommt und SelbffSr Selphar Seibrät, Hildoän Leododn Theododn. 
Noch Andres, das sich auf demselben Wege erklärt, wird uns 
später entgegentreten. Freilich nennt uns die Schenkungs- 
urkunde von S. Maurice (Pardessus Nr. 103 u. 104), ein Acten- 
stuck das, je gewisser es untergeschoben ist, wohl um so eher 
nur altüberlieferte und beglaubigte Namen braucht, auch einen 
Benedictus comes, einen Bonifaeim comes, und diesen ist nicht 
mit solcher Yermuthung und Bückübersetzung beizukommen; 
dann im J. 534 belegt die Domna Remila voccbbulo Eugenia 
eines Vienner Stifkungsbriefes auch für Burgund die Sitte deut- 
scher und lateinischer Doppelnamtgkeit. Es mochten sich aber 
die Burgunden dem Latein und der Latinisierung um so leichter 
dahingehen, als sie schon längst, schon zu Yalentinians I. Zeit 
gelernt hatten sich für Verwandte der Römer anzusehen (Amm. 
Marc. XXVin, 5), auch sie also, den Franken ähnlich, die er- 
erbten Sagen von der Auswanderung aus einer entlegneren Hei- 
math in solche Gestaltung wendeten. 

Dass übrigens die natürliche Gegenwirkung nicht ausge- 
blieben, dass aus der Sprache der Eroberer und Beherrscher auch 
diess und jenes in die der Unterthanen gelangt ist, belegt uns 
zum Üebeiläuss das Burgundische ßechtsbuöh ebenfalls an mehr 
als einer Stelle. Zwar nicht mit dem Worte amhaxia (Bribaseia 
ambassia Tit. 104, das man hier wie im Latein der Lex Salica 
Tit. 1 Unrecht thäte aus dem gothischen andbahti, althochd. 
ampahti herzuleiten: Diez belehrt uns (Wörterb. d. Born. Spra- 
chen I, 19), weshalb dasselbe schon in früherer Zeit und un- 
mittelbar aus dem lateinischen nmbactns müsse entstanden sein. 
Aber zu vegius veius, das von tvig oder weg herkommt, ist mit 
vollerer Endung die Nebenform vigator veiatör (Tit. 95) sovrie 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 337 

ein Sachwort vlgatura vegatura veicUura gebildet (XVI, 3), die 
Umgestaltungen viator, viatura machen das noch lateinischer, 
und wenn noch jetzt in Burgund wie bei den Picarden ein öe- 
mach unter der Erde, wo des Abends Weiber und Kinder sich 
beim Rocken versammeln, icraigne heisst, mittelalterlich escregne 
escriegne escrienne (Diez 11, 282), so geht das in beiden Pro- 
vinzen auf ein altdeutsches Wort, ein Synonym des sonst hiefur 
üblicheren tung (Haupts Zeitschr. VII, 128 ff.) zurück, das die 
Lex Burg. XXIX, 3 in der Form screunia, die Lex Sal. XIII, 2. 
XXVII, 18. 19. nov. 38. die Lex Pris. Addit. 1, 3. die Lex 
Sax. 33 und Karls d. Gr. Capitulare de Villis 49 in der Form 
screuna oder sereona gewähren. Jac. Grimm hat zwar wieder- 
holendlich, zuletzt vor Merkels Lex Salica S. IX u. LXXV, die 
Ansicht geäussert, es sei diess sereona aus dem lateinischen seri- 
nium entlehn dagegen ist jedoch ausser der beträchtlichen Ab- 
weichung der Begriffe einzuwenden, dass weder langes noch kurzes 
/ lateinischer Worte sich jemal^ in ein deutsches EO verwan- 
delt, dass vielmehr scrinium schon im frühesten Hochdeutsch 
nur wiederum scrtni lautet und ebenso, durch den Vocal von 
ecraigne unterschieden, im Französischen escrin Scrin, Wie aber 
nun das Wort aus dem Deutschen selbst erklären? Ich denke 
auf dieselbe Art auf die uns Jac. Grimm z. B. die Namen 
Giüki und lomandes deutet (über Diphthonge nach weggefallenen 
Consonanten S. 50. über lornandes und die Geten S. 4), auf 
die auch altnord. Hon ^) oder lioni Friedensvermittler und Mann, 
fries. Uana Eheweib (vgl. J. Grimms Gramm. I. 1840 S. 418) 
und die oberdeutschen und fränkischen Namen Leon Leona Leo- 
nardus Leonastes zu deuten sind: wie hinter diesen Gifuki und 
Ibumanths liegt *) und liofan und liavana oder auf Burgundisch 
levbana (vgl. Ansleubana)^ einfachste Ableitungen von leub liyf 
liaf lieb, so hinter screunia screuna sereona das angelsächsische 
scräf die Grube und das mittelhochd. schrove Kluft: seretmia 


. 1) [In lion u. s. w. ist zwar ein Lippenconsonant ausgefaUen, aber 
der Diphthong nicht erst die Folge davon. lAühona Forsten). 1, 850; die 
Mannsnamen Liuhinc Leubinus Liupuni ebd. und so wohl auch Liubene 
Hattemer 1, 409 a. aus Liubwini: Haupt 14, 81 fgg. Leubvini,] 

2) [Thrianti aus Thribanti: J. Grimm, Gesch. d. d. Spr. 2, 593. 
Treveri ahd. Trieri.] 

Waekemagel, Sobriften. III. 22 


338 Sprache und Sprachdeninnaler der Burgunden. 

(und vorher hat man acHunia gesprochen) ist zusammengezogen 
ans scrifunia. Auf keinen Fall eine Entstellung von scrinium: 
nur umgekehrt haben einige Schreiber der Lex Burg, das un- 
verstandene Fremdwort diesem lateinischen angeähnlicht und 
scrinia scrinea excrinea daraus gemacht. 

Die Verderbniss, worin unter diesen Umständen die Mehr- 
zahl der Burgundischen Sprachüberreste schriftlich aufgezeichnet 
ist, verbunden mit der verhältnissmässig geringen Zahl, welche 
dieselben überhaupt ausmachen (ich werde sie in dem zweiten 
Theile meiner Arbeit ohne sonderlichen Baumaufwand alle zu- 
sammenstellen können), diess beides mag die grammatische und 
etymologische Betrachtung allerdings erschweren: aber die Er- 
schwerung steigert den Beiz, und wenn man nur die gehörige 
Vorsicht und genauere Unterscheidung braucht und namentlich 
der Pariser Handschrift L des Bechtsbuches das Gewicht bei- 
misst, das zumal für diese Einzelheiten der Textherstellung ihr 
gebührt (ihr mehr als irgend einer der andern, die Bluhme durch 
die früheren Buchstaben des Alphabets bevorzugt), so wird es 
nicht an einer ganzen Beihe von Ergebnissen fehlen, die sicher 
genug und für die Geschichte unserer Sprache von Bedeu- 
tung sind. 

Zu allervorderst erweist sich auf solchem Wege, dass die 
Behauptung Jac. Grimms (Gesch. d. Deutschen Spr. II, 708), 
die Burgundische Sprache habe nähere Verwandtschaft zur gothi- 
sohen als zur althochdeutschen, unrichtig ist. Geben vrir in 
dieser Beziehung nicht zu viel auf die Stammvereinigung, in 
welche Plinius Hist. Nat. IV, 28 die Burgundionen mit den 
Guttonen bringt: wie voll von Verkehrtheiten ist dieses ganze 
Verzeichniss der Stämme und der Völker! Und noch weniger ist, 
wenn man die bunten Wechsel in unsrer ältesten Geschichte er- 
wägt, darauf zu geben, dass die Burgunden gelegentlich auch 
(nicht fortdauernd, wie Grimm es ausdrückt) sich mit den Gothen 
in Verbindung zeigen: es kommt ja ebenso wohj die Feindschaft 
beider vor, conflidantium procella regnorum (Sidon. Apoll. Ep. 
VII, 10. vgl. III, 4. IX, 3). 

Zwar in Betreff der Consonanten steht das Burgundische 
wesentlich auf einer und derselben Stufe mit dem Gothischen. 
Das veranschaulicht am besten gleich der Name des Volkes, der 
überall noch mit den drei Mediis BOD aufgefasst erscheint 


Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 339 

und noch nirgend mit den härteren Lauten des Althochdeutsehen, 
der überall noch Burg^undiones heisat, nirgend aber Purcuntiones 
oder Ptirucuntiones; auch das Z der Nebenform Burgunziones, 
die sich in Texten des Jord^nis findet, BoupYo\)v?;{ovsc oder 
BoupYouS^ovsc bei Socrates u. a., beruht ebenso auf einem D 
wie in Scandia und Scanzia: noch deutlicher diess, wenn auch 
Burgundzones geschrieben wird wie Scandza. Also bürg, goth. 
baurg, zusammengesetzt, obschon nicht auf so fabelhaften Anlass 
noch in so später Zeit wie Orosius VII, 32 und nach ihm Isi- 
dorus Origg. IX, 2, 99. 4, 28 angiebt, zusammengesetzt oder 
abgeleitet mit undia, einem Wort oder Bildungsmittel von aller- 
dings noch unklarem Sinne, da es ^onst nur wenig auftritt^): 
so in dem nah anklingenden Volksnamen OupouyouvSfovsc oder 
OupouYoiJvSoL, nach Zeuss (die Deutschen S. 695) einer andern 
und späteren Benennung der Oupyot oder OöpwYoi, gothisch in 
nShvundja Nächster und dem Femin. hulundi Höhle, ohne / oder 
J in dem Adverbium snimnufidd eilig, althochd. in dem Neutrum 
ärunti Auftrag, dem Masc. hliumunt Gerücht, dem Fem. jugunt, 
dem Adv. nähmt neulich u. a. Und doch wird, wenn man 
sicher gehn will, über diese Deutung (es hat dieselbe zuerst Jac. 
Grimm aufgestellt, Gramm. 11, 343) nicht hinweg zu kommen 
sein, trotz aller Verlockung irgendwie auch in dem Namen des 
Volks jenes gunthja oder gunth Schlacht, Krieg wieder zu er- 
kennen, womit fort und fort so viele seiner Könige benannt sind, 
Gundiocus, Gundobada, Gundaharius, Gundomares: ein Zu- 
sammenklang der um so bedeutsamer ist, da die Allitteration, 
welche sonst schon die Namen dieses Geschlechts verbindet 
(Gesch. d. Deutschen Litt. S. 29 u. 202), durch ihn noch ver- 
stärkt und befestigt wird. Auch Gundomares: denn der Accu- 
sativus hievon, nicht aber Godomarem ist im Bechtsbuche Tit. 3, 
wo Gundobada seine regiae memoriae atictores nennt, die bessere 
Lesart; Fredegarius oder Abschreiber des Fredegarius folgen 
dieser Annomination, indem sie umgekehrt Godegiselus gegen 
Gunthegisehis vertauschen (Epit. 17. 28). Dann wäre der erste 


1) [Zu vergleichen wären die mhd. Partie, präs. B,xdunde (J. Grimmö 
Gramm. 1 *, 367. 1007) und weiterhin die pelasgischen auf undus und 
wv ovTos, wenn nur jene Bildungsweise auch sonst und früher und nicht 
eben erst auf mhd. erschiene.] 

22* 


340 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 

Bestandtheil von BurguncUo das Wort hur, das auf AltnordL'^ch 
s. y. a. Sohn, auf Althochd., wo der Begel nach die Brechung 
bor gilt, s. V. a. Höhe und in Zusammensetzungen (biirolang 
boralang) eine Steigerung bedeutet, das auch ein alter Volks- 
name ist, und jeder dieser Begriffe, auch der erste (man vgl. 
Namen wie Bammldis Chindaspinthus TheganJiarius), wäre sonst 
wohl passlich; nur fehlte dann, was nicht wohl fehlen darf, der 
Bindevocal zwischen beiden Theilen: es Messe nicht, wie es dann 
doch heissen sollte, Burogundio. Das Angelsächsische, das mit 
Schwächung des zweiten Vocales Burgendas, und das Hoch- 
deutsch des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, das ebenso 
auch Burginden Burgenden Bürgende'^) sagte (Schlettstädter 
Glossen XL, 17; Mb. B 497, 8. 526, 4. 683, 3), verstand 
den Namen somit nur als Ableitung. 

Und ebenwie in diesem und anderen Beispielen mit den drei 
Mediis, verhält es sich mit den übrigen Consonanten: gemein- 
same oder sonst entsprechende Worte zeigen den gleichen Mit- 
laut auf Gothisch und auf Burgundisch. Das aber nur, weil 
imd insofern die Gothische Sprache noch die Yertreterinn der 
allgemein altgermanischen Art und weil und insofern auch die 
Burgundische das noch ist und sie noch nichts erlitten hat von 
der Lautverschiebung, die erst ein Jahrhundert und darüber nach 
Aufsetzung des Rechts einen grossen Theil des germanischen 
Sprachenstammes ergreifen sollte. Eine vorzugsweis nahe Be- 
ziehung des Burgundischen zum Gothischen drückt sich also in 
den Uebereinstimmungen beider keinesweges aus: bestand doch 
vielmehr in Dingen der Sprache ein so geringer Zusammenbang 
der zwei Völker, dass, nachdem Ulphilas seinen Gothen schon 
längst ein vollkommneres und vielgebrauchtes Alphabet gegeben, 
die Burgunden sich noch immer des vaterländisch echteren 
Futhark bedienten: mit welchen Eigenthümlichkeiten, erörtert 
und erschöpft Dietrich in Haupts Zeitschr. XHI, 119 — 122. 

Bei Anerkennung eben nur dieses Verhältnisses zwischen 
Burgundischem und Gothischem tritt unter anderm auch ein 
auffälliges Zusammentreffen beider, das sich in einem vereinzelten, 


1) [Burguntdre, Burgunthdre, Burgundäre Gratis Sprachsch. 3, 334 
(seit um 1100) mhd. Burguncla^re, Burgunder, Burgencere Nib. 426, 2 B.] 


Sprache und Sprachdenkniäler der Biirgaiiden. 3-4 1 

aber um so mehr anziehenden Falle findet, in die rechte Be* 
leuchtung. Ich meine den gothischen Namen Optarith oder 
Optarit, wie die Urkunde von Bavenna (in Massmanns Goth. 
Urkunden von Neapel u. Arezzo), "OTzxoLfi^ wie Procopius B. 
Gotth. I, 11 ihn schreibt, und dem gegenüber den burgundi* 
schen Obtulfas^). Der eine weicht wie der andre von einem 
Gesetze ab, das sonst bereits im Gothischen waltet und von da 
an je mehr und mehr für alles Deutsche sich festgestellt hat, 
dem Gesetze nämlich dass einem ableitenden oder unmittelbar 
flectierenden T kein B oder P, kein G oder K, sondern statt 
deren nur die Aspirata der bezüglichen Organe, nur ein F oder 
H vorangehn dürfe. Indessen mit Unverbrüchlichkeit und so 
beinah ausnahmlos wie nachher im Althochdeutschen u. s. w. 
waltet diess Gesetz im Gothischen noch nicht: noch heisst z. B. 
von mag die zweite Person gleichfalls magt, nicht mäht, von 
sdk und graip wiederum sdkt und graipt, und zu fragiban wird 
das Substantivum sowohl fragiU als fragift gebildet (Luc. I, 
27 u. n, 5). Dergleichen dann auch, nur immer seltener, im 
weitern Verlauf unserer Sprachgeschichte, z. B. gipt hnpt skapt 
heipt auf, Altnordisch, in dem einen der Merseburger Zauber- 
lieder hapt und heptm, bei den Franken die Eigennamen Apta- 
charim (Greg, Tur. Hist. Franc. X, 3) und Apthadus, dann 
Actohildis Äctuin und andre der Art und das dructis der Lex 
Sal. nov. 41 mit Namen dazu wie Droctoveus, bei den Angel- 
sachsen in der Genealogie der Könige von Eent (Jac. Grinuus 
Deutsche Mythol. 1835, Anhang S. EI fg.) Oda Victa Vecta, 
bei den Langobarden (Paulus Diac. V, 23. 24) Weäari. Hier 
überall zeigt sich vielmehr ein ganz anderes und sicherlich mehr 
organisches Gesetz in Geltung, und zwar dasselbe das in den 
beiden pelasgischen Sprachen gilt: es wird gefordert, dass vor 
die Tennis wieder eine Tennis zu stehen komme, ein P oder K, 
Und diess, wie es hier in einzelne Anwendungen sich verliert, 
erscheint in der vorgothischen, der noch voller reiner ursprüng- 
licher germanischen Zeit, wirklich auch als das alleinig allge- 
meine: da begegnen wir auf den verschiedensten Punkten des 


1) [vgl. Eptadius Binding S. 188; Aptadius Förstemann 1, 4: aber 
auch Ehtard und Ebtolf 369. Vereinen sich mit Obtulfus u. s. f. in der 
W^urzel ib ab üb J. Grimm, Gramm. 2, 50.] 


342 Sprache und Spraehdenkmäler der Burgunden. 

Sprachgebietes Volks- und Lands- und Personennamen wie Crupto- 
rix, Adatna (Haupts Zeitschr.IX, 565 fg. =obenl,72), Äctumerus, 
Burcturi oder mit Umstellung nach friesischer Art Bruderi (Zeuss, 
die Deutschen S. 92. 351), Tenderi, VidovaUi, solchen Formen 
und keinen andern, und wenn Cäsar in Tenderi ein CH schreibt, 
so schreibt er auch dahinter ein TH, und nur er giebt das Wort 
so wieder. Ganz hieran nun schUesst sich das goth. opt in 
OptarUh, mit P, aber abgeleitet von einem Stamme mit B, von 
t4b, der eigentlichen Form für uf (denn in der Inclination heisst 
es tibuh): der Begriff kann ein ähnlicher wie der von ufjö Ueber- 
fluss, aber auch, da uf zugleich ab und auf bedeutet, der des 
Niederwerfens gewesen sein. Eben daher kommen (J. Grimm in 
Haupts Zeitschr. HI, 147 ff.), schon nach jüngerer Art aspiriert, 
aufto vielleicht und ufta oft und in derselben Bavennatischen 
Urkunde die andre Benennung Optariths Uftahari; üfitahari ist 
nur öin Schreibfehler: althochd. lautet es Oftheri wie Optariäi 
Ofterid. Andrerseits haben die Burgunden, wie aus ihrem Obtul- 
fus sich ergiebt, die Media ebenfalls nicht aspiriert, aber auch 
nicht zur Tenuis verhärtet : ich denke , weil sie der Abkunft des 
Wortes von tib sieb noch bewusster waren, gerade wie* die Fran- 
ken, wenn sie statt Apthadm auch Ahthadm schrieben, der Her- 
kunft dieses apt von ab. Das sieht nun allerdings sehr ähnlich 
jenem goth. fragibt und mögt. Da jedoch obt zugleich von dem, 
was hier zu allervorderst übereinstimmen sollte, wenn das Bur- 
gundische wirklich so sehr die Art des Gothischen theilte, da es 
von beiden, dem opt wie dem uft der Gothen, entschiedenst ab- 
weicht, so bleibt als Gewissheit nur die eine Thatsache und 
Hauptsache stehn, dass die Burgunden, zum mindesten in die- 
sem Worte, der Media vor T noch nicht die.Aspiratipn gegeben 
haben, und das hatten sie nicht allein mit den Gothen, sondern 
mit genug andern in späterer und schon in früherer Zeit gemein. 
Neben all dem Zusammenklang aber der beiden Sprachen 
im Grossen und Ganzen \irie in Einzelheiten machen auch (wir 
haben so eben ein Beispiel davon kennen gelernt) mehrfache, 
mannigfache und nicht unbeträchtliche Unterschiede sich bemerk- 
bar, Unterschiede die man nicht überall auf die Bechnung un- 
kundiger Schreiber setzen oder in dem ähnlicher Art erledigen, 
die man meistens nur so erklären kann, dass wirklich der Bur- 
gundischen Sprache von vorn herein ein andrer Character eigen 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 343 

gewesen als der Gothischen, und dann dass gegen die Zeit bin, 
wo das Reich zu Grunde gieng, auch sie in Verwirrung und in- 
nere Ungieichmässigkeit gerathen sei: ein solcher Zustand muss 
ja, länger oder kurzer, über jede Sprache kommen, wenn eine so 
durchgreifende Umgestaltung, wie im Deutschen die Lautver- 
schiebung des siebenten Jahrhunderts war, sich vorbereitet. 

Zweierlei jedoch oder dreierlei, worin man derartige Ab- 
weichungen theils gefunden hat, theils vermeinen könnte zu fin- 
den, muss ich gleich zum Voraus beseitigen. Einmal das Wort 
hendinos, nach der Angabe Ammians XXVIII, 5 der Burgun- 
dische Königstitel; Jac. Grimm (Rechtsalterth. S; 229. Gesch. 
d. D. Sprache II, 706) stellt denselben dem gothischen Undins 
gleich, der Uebersetzung von Tq^sfi-ov: „H mag hier für CH = 
goth. K vernommen worden sein, ein Vorläufer der ahd. Ver- 
schiebung, wie auch ein Alamannenkönig Hortarim für Chortarius 
steht, von chortar grex, ^s. coriier.^ Gegen den Begriff, den 
letzterer Name hiemit erhielte, will ich nichts einwenden, indem 
ich mich des Homerischen 7coi[jlv)v XacJv und daran erinnere, wie 
auch in der altsächsischen Evangelienharmonie werodes hirdi, 
landes hirdi/ burgd hirdi und ebensolche Ausdrücke bei den 
Angelsachsen s. v. a. König oder Fürst bedeuten. Indessen chor- 
tar heisst eigentlich quartar und hiess zu jener Zeit gewiss 
auch noch mit weicherem Consonanten quardar, und der HoHarittSy 
den wiederum nur Ammianus nennt (XXIX, 4), hat schwerlich 
so, sondern eher etwa Hrdiharius Hrdihakarius d. i. Buhmkrie- 
ger geheissen. Ueberhaupt aber sind Vertauschungen des K 
gegen H im Deutschen unnachweisbar, und ebenso unnachweisbar 
im Burgundischen die vom K gegen CH. Daher, wenn trotz 
dem Bedenken, das auch der üebergang von / in JE vor der 
Consonantenverbindung ND erregen muss, kindins und hendinos, 
oder dann noch besser hendinus oder hendines, ein und dasselbe 
Wort sein sollen, ist H allerdings wieder in CH abzuändern, 
aber in jenes CH, das die späteren Lateiner und nach lateini- 
schen Vorlagen auch die Griechen häufig so wie jetzt die Ita- 
liäner brauchen, um da einen Ä^-Laut zu bezeichnen, wo das 
blosse C wie Z oder sonstwie zischend lauten würde: chmdines wie 
Ckindm und Chindasvinthus , wie Bichila und Richimeres u. dgl.; 
wird diess CH dann auch vor andere Vocale als nur vor I und 
E gesetzt und damit der im Lateinischen minder gewohnte Buch- 


\ 


344 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrguuden. 

stab ZU einem Gepräge der Barbarei gemacht, das die Schreibmig 
den germanischen Namen überhaupt aufdrückt, so ist der erste 
und eigentliche Aniass hiezu doch immer in Worten jener Art 
zu suchen. Wie aber, wenn der Fehler bei Marcellin vielmehr 
in dem ersten Yocal seines hendinas läge? Die germanischen 
Völker haben ihre Könige nicht immer mit einem Wort gerade 
dieses Sinnes, sondern, da eine Hauptpflicht der Könige und aller 
Fürsten das Kichteramt war (hie etenim et rex iUis et pontifex 
ob mam perüiäm habebatvr et in summa justitia poptdos judi- 
cabat Jord. 11), die einen wie die andern gern auch nur mit 
Bücksicht hierauf benannt. Belege für Quaden und Gothen bei 
Amm. Marceil. XVII, 12 regalis Vitrodoms, ViduarU fUitis 
regiSf et Affilimundus subregtdus aliiqus optimales et judices 
variis populis praesidentes; XXVD, 6 Athanaricum ea tempestate 
jtidiceinpotetUis8immn;XKXl, 3 AthatuiricusTh€rvingorumji44hx: 
nach Themistius Zeugnisse zog Athanaricus selbst es vor Siebter 
zu heissen, nicht König; ihn oder seinen Vater Bhothesteus meint 
auch Auxentius, wo er von dem irrdigioso et sacrilego judice 
Gothorum spricht (Waitz über d. Leben d. Ulfila S. 15. 38), 
und noch in dem deutschen Ammonius des neunten Jahrh. VIII, 
3 werden die Worte des Evangelisten ex te enim exiet dtix, qui 
regat poptdum meum Israel, übersetzt wanta fon ihir quimit 
iuomOy (her rihtii min folc Israel, also dux wiedei^geben mit 
einem Ausdruck der sonst und eigentlich den jtideoo'h&ieidmei 
(ebd. XXVII, 2. LXII, 4. CV, 1, CXXn, 1): dass auch rihtäri 
bald die Verdeutschung von rex und regulus, bald die von judex 
ist (GraflFs Althochd. Sprachsehatz U, 422 fg.), gehört weniger 
hieher, da dieses Wort sein Ursprung zu dem einen und dem 
andern Begriffe gleich berechtigt. Haben nun die Burgunden ihr 
Königthum einst ebenso wie die Gothen aufgefasst? Es erscheint 
in dieser Beziehung kaum bedeutungslos, dass diejenigen, welche 
die gerichtlichen Urtheile vollstreckten und die Bussen eintrieben, 
noch gegen Ende des Beichs in dem engsten persönlichen Ver- 
hältniss zu dem Könige standen , dass sie dessen leibeigene 
Knechte waren: Gundobada nennt sie deshalb in seinem Bechts- 
buche XLIX, 4 u. LXXVI, 1. 3 pvsros nostros, mitisccdcos 
nostros: altsächs. wUi, althochd. wiisi Strafe und sealc Leib- 
eigener. Bekanntlich aber ist für Bichter ein altverbreiteter 
deutscher Ausdruck hunno (wohl der früheste schriftliche Beleg 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 345 

in der altsächs. Evangelienharmonie S. 63, 22), und das muss, 
da ihm in gleicher Bedeutung cenienarius und cmturio zur Seite 
stehen, es muss auch nach dem, was die Germania des Tacitus 
12 über die Zahl der Beisitzer des Bichters meldet, Von hund 
d. h. hundert abgeleitet und ebenso aus einem distributiv gebil- 
deten hundino verschleift sein wie das chunna Hundert der Lex 
Sal. S. 95 aus chundina. Diess Wort denn, hundino^ wäre an 
die Stelle des Ammianischen hendinos zu setzen und hundina 
damals der Titel eines Königs der Burgunden gewesen. Ammia- 
nus sagt selbst zwar auf lateinisch rexj aber noch Olympiodorus 
(Corp. Scr. Hist. Byz. ed. Bonn.. I, 454) mag dem ruvTLapio<; 
keinen höheren Namen als den eines 9uXapxo(; gönnen. 

Sodann die Verhärtung des H in CH^ die schon in älterer 
Germanenzeit für die Bevölkerung des mittleren Deutschlands 
bezeichnend und nachher eine unterscheidende Eigenheit zumal 
der Franken gewesen; römische und nachrömische Schreibung 
macht daraus gelegentlich ein blosses C. Dergleichen nnn auch 
in einer nicht geringen Beispielzahl bei den Burgunden, stets 
aber so, dass es dennoch unburgundisch ist. Diese Mundart 
selbst gleich der der Gothen und denen der übrige Germanen 
kannte allein das reinere H: Beweis dafür so authentische Be* 
lege wie Img auf dem Bracteaten von Broholm, wie im Rechts- 
buche Gislakarius und Gundaharnis nebst Walc^arius Wena» 
haHm Hildegemm Hildeulfm; es ist lediglich fränkische 
Auffassung und Entstellung, oder es sind Namen von Personen 
fränkischer oder mitteldeutscher Herkunft, wo anstatt des H sich 
ein CH oder gar nur ein C vorfindet, theils fränkisch theils 
mitteldeutsch, wenn Hilpericus und Gtmdäharius auch Chilperi" 
cm und Gundacharius oder Gundicarius heissen, Gundobadas 
Nichte Hrothehild nun als Gemahlinn des Prankenköniges Chro- 
dechüdis, ein Bischof von Lyon Charteniiis, eine ebendort begrabene 
Königinn Caretene und der erste der Grafen, welche die Gundo- 
bada unterzeichnen, Äbcarius oder Äbacaris: daneben die bur- 
gundischere Lesart abhaaris d. i. abaharis wie umgekehrt neben 
walaharii wenaharii die fränkischeü uaUicarü uenicarii uuana- 
charü. Nur auch darum, weil die Burgunden ihr H noch leich- 
ter hauchten, konnte es gelegentlich, da wo es inlautend zwischen. 
Vocalen steht, sich ganz verlieren. Wir lesen neben einander 
Andaharivs Gislaharim Gundaharim und Andearim Andarius 


346 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bargnnden. 

Gislaarim Gislarim Gundarius [Eptcidiiis, vgl. Apthad Pörste- 
mann 1, 4]; ebenso ist Criscladtia, wof&r auch Giseladus und 
mit weiter gehenden Entstellungen Sigladm Oisgaldus Gj/gtaldm 
sich geschrieben findet, sicherlich nur aus Gisdahadvs zusam- 
mengezogen: giscl eine später zu erörternde Ableitung von gis 
Speer, haihu Kriegsglück; Gisclahadtts und Griscladus wie an- 
derswo Theodahadus und Theodadus, bei Procopius B. Gotth. I, 
3 fgg. Oeu&ocTOi;: die Franken hätten mit festerem Laute wie 
Widrachadus (Urkunde von 658 bei Pardessus Nr. 332) so auch 
Gisclachathm gesprochen. Wenn es aber in der Urkunde von 
S. Maurice auch Agano anstatt Hagano^ auf Grabsteinen Art- 
gunde Arimundm llddo Orovdda heisst anstatt Harigunde 
Harimundua Hilddo Horovelda, und Harüheu (s. oben S. 335 fg.) 
in Aridius latinisiert wird, so konnte solch eine Tilgung auch 
der Anfangsaspirata schwerlich aus der Sprache der Burgunden 
selber kommen, sondern nur aus der der Bomanen und aus ihrer 
Feder, von ihrem Meissel. 

Die Mundart der Franken verwendet jedoch ihr rauhes CH 
nicht bloss anstatt des H^ sondern auch, obschon nur seltener 
und nicht so durchgehends, anstatt der Media G: der Cliochilai- 
cm Gregors von Tours (Hist. Franc. III, 3) zeigt beiderlei CH 
neben einander: auf Altnordisch hiess derselbe Konig Hugleik, 
auf Angelsächsisch Hyg&lac: MüUenhofif in Haupts Zeitschr. VI, 
437. Und es mag dieser Tausch auch andern noch älteren Völ- 
kern eigen gewesen sein: der Name der Chauci dürfte sich am 
besten erklären, wenn man chauc gleichstellt mit gauc Gauch, 
jener geläufigen Schelte des Alterthums ^) : ich habe von solchen 
Spottnamen der Völker anderswo ausführlicher gehandelt (Haupts 
Zeitschr. VI, 254 fgg.); den Ghauken ward der ihrige darum 
gegeben, weil man ihre stolze Friedfertigkeit (Tac. Germ. 35) für 
Unmännlichkeit und Thorheit schätzte. Ein derartiges CH nun 
bietet vielleicht auch Chrona, nach Gregor von Tours (Hist. 
Franc. II, 28) der Name von Chrothechilds älterer Schwester: 
er könnte s. v. a. Grona, die Grüne, die Wachsende bedeuten. 
Indess sie führte diesen Namen erst „mutata veste^S nachdem 
sie „se deo devovit" (vorher war sie Sedeleuba genannt: Predeg. 


1) [vergl. chaugiehaldo: J. Grimm vor Merkels Lex Salica S. XXXV.] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 347 

Epit. 17), und da erscheinen andre Auffassungen schicklicher, 
die wiederum das CH für H und das entweder im Sinne 
eines AU oder kurz verstehen: hrinwan^ im Aoristus hrau, 
heisst althochd. betrüben, hraun altnord. Stein- und Lavaboden, 
hrotio rono alth. ein umgefallener Baumstamm, hrynja altnord. 
stürzen. Was aber das richtigere sei, CH für G oder für H, 
in jedwedem Fall ist die Form des Namens fränkisch und die 
burgundische war Grdna oder Hrauna Hrona Hrona. 

Also diese Dinge kommen nicht in Betracht, wo anzugeben 
ist, was innerhalb des Consonantengebietes Abweichung des Bur- 
gundischen vom Germanisch -Gothischen sei. Mancherlei andres 
aber und solches, das uns die Sprache bereits in beweglicherem 
Fluss und in schwankender Unsicherheit zeigt. Ein Merkmal 
der Art haben wir so eben schon wahrgenommen, das Verschwin- 
den des H in Andaharius Andanm u. s. w.; reihen wir daran 
sofort ein paar dem ähnliche Erscheinungen. 

Wo ein / zur Ableitung dient, bleibt das entweder nach 
eigentlicher alter Eegel unberührt und ohne weitere Wirksamkeit 
bestehn: Aliberga Conia Coniaricm Ftisia Sunia Wiliemeres 
Vüiaric Vulfia; öder (und das ist dem gothischen und allem 
früheren Sprachzustande noch ebenso fremd als dem späteren 
geläufig) es verliert sich theilweis oder gänzlich in den vorauf- 
gehenden Schlussconsonanten der Wurzel, und die Folge davon 
ist, dass dieser sich verdoppelt und verhärtet: Guntello Tullii 
Villioberga VilUgisclus Wülhneres Vassio Siggo Sicco; oder 
endlich, wiederum wenn so wie zuletzt hier der Stamm in G 
ausläuft, G und / fliessen in Einen Laut zusammen, sei das 
nun ein J, der Consonant der zwischen G und I in der Mitte 
liegt, sei es ein voll vocalisches /; das nun mit dem Vocal vor- 
her zu einem Diphthongen sich verbindet: vegius vejus oder veius. 
Von eben der Art ist im Latein Cassiodors und der Lex Visigoth. 
das aus gothischem sagja entstandene sajo oder saio (Jac. Grimms 
Rechtsalterth. S. 765 fg.). Gleichwohl sieht diese Verflüchtigung 
des G mehr romanisch als deutsch aus. Saio und veitis, beides 
sind Appellativa: sie gehören zu denjenigen Worten der Barbaren, 
die, wenn man sie ins Latein versetzte, einer stärkeren Ent- 
deutschung zu unterliegen pflegten als die Eigennamen. Und mag 
auch der Uebergang von agi in ai, wie er. sich mehrfach im 
Althochd. und Altsächsischen zeigt (z. B. Agino EinOj Magino 


348 Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 

Meino, Ragino Reino\ ebenso schon der älteren fränkischen 
Sprache (J. Grimms Gesch. d..D. Spr. 1, 539) eigen gewesen, 
mögen sogar schon in urältester Zeit, schon ehe (Ji^ya; und 
tnagnus sich in mikil verschoben, die Steigerungsformen mais 
und maist aus tnagis und magist entstanden sein, überall hier 
folgt unmittelbar auf das ai ein Consonant [? Graffs Sprachschatz 
4, 761] und setzt den verfliessenden Lauten wieder eine feste 
Begrenzung: bei saio, bei veim ist das nicht der Fall, das Wort 
nimmt ein Ende ohne noch seinen Schluss zu haben. Als das 
wirklich burgundische Verfahren dürfen wir nur die Verdoppelung 
anerkennen, die bei Siggo S^toco eintritt, und wie dieser Name 
buchstäblich so im Altsächsischen und Althochdeutschen wieder- 
kehrt (Haupts Zeitschr. I, 3. Förstemanns Altd. Namenbuch I, 
1086), stehen hier auch dem veius und saio die echteren Formen 
wiggi Pferd, ämggi ätoikki ohne Weg, seggi der Eedende, der 
Mensch und wärsecco Wahrsager gegenüber. 

Anders verhält sich mit G und J die Sache da, wo ersteres 
der Anfangslaut einer Wurzel ist. Das ' Gothische unterschied, 
wie ülphilas Alphabet beweist, beide Gonsonanten aufs bestimm- 
teste, und ebenso stets die reinere Mundart der Oberdeutschen. 
Nicht aber so die des nördlichen Deutschlands, die der Sachsen, 
wenigstens wie die Evangelienharmonie sie beurkundet, der Friesen 
und der Angelsachsen: da verliert sich der Anlaut G in J, im 
Schreiben wird bald diess für jenes, bald auch jenes für dieses 
oder (so im Angelsächsischen) stets nur G gesetzt, und gleich- 
gültig bindet die Allitteration das eine mit dem andern. Diese 
Vermischung nun muss auch im Burgundischen gegolten haben : 
denn sicherlich nur, weil das G hier gleichfalls den halbvocalisch 
fliessenden Laut sich angeeignet, konnte es, wenn auch nicht 
nach nordischer Art von jedem ersten Wortanfange, doch in der 
Zusammensetzung von dem Anfange des zweiten Worts ver- 
schwinden, konnte Hildigemus zu HUdiemus, Gtmdigiscltis zu 
Gundiisclus, Gundigisdtis zu Gundiselus, Godigiselus zu Godi- 
selus werden : es ist eine der zwei letzteren Formen , die eine 
Urkunde vom J. 587 in Gaudisellm entstellt hat. Mitgewirkt 
zu der Abschleifung haben natürlich auch die zwei benachbarten 
I: eine nothwendige Bedingung jedoch war diese Nachbarschaft 
wohl nicht: auch die Fränkische Mundart lässt oft genug das 
Anfangs-6 d. h. wiederum ^T eines zweiten Bestandtheils fallen, 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 349 

• 

aber sie thut das nicht allein, wo sich dasselbe mit I oder einem 
daraus abgeschwächten E berührt, z. B. in Chrotigeldis Chro- 
diddis Chrotildis (vgl. den Leovildus d. i. Leovigildus bei Le 
Blant, Inscriptions chrötiennes de la Gaule II, 456 Nr. 611 vom 
J. 582, Leubildus Leuvüdus in Fredegars Epitome 82; auch 
Namenformen wie Erhoildis und Marcoildis dürften gegen Jac. 
Grimms Gesch. d. D. Spr. I, 544 schicklicher so mit Aphärese 
eihes G aus gild, wo nicht mit der eines W aus jenem vild zu 
erklären sein, das wir burgundisch in Orovelda haben): das 
fränkische G fällt ebenso wohl vor dem volleren ^-laut hin, 
z. B. (J. Grimm a. a. 0. S. 541) Arboastes Blandastes Leu- 
dastes. 

Mit Aphärese eines W. Alle deutschen Mundarten nämlich, 
im beschränktesten Maasse noch die gothische, im ausgedehntesten 
sodann die des scandinavischen Nordens, lassen den Halbcon- 
sonanten W, wenn ein Vocal darauf folgt, bald so, bald anders, 
sich verlieren, bald indem auch er in einen Vocal und zwar in 
den, der ihm zunächst liegt, übergeht, also in U (und dieses ü 
kann sich wieder in abschwächen), bald indem dieses U mit 
dem Laut dahinter so in ein^ verschmilzt, dass aus beiden sich 
ein Mischlaut bildet, bald endlich indem es ganz erlischt und 
nur der Laut dahinter bestehen bleibt. Das Gothische hat von 
dem allem mit Sicherheit nur die Abschleifung des Wortes vtdf 
d. i. Wolf in ulf, sobald damit ein Name endigt, z. B. Atha- 
ulf; das Gleiche von da an überall und auch im Burgundischen : 
also Gundeulftis Hildeidf us Obtulftcs Riculftts und, mit einer 
Einschaltung die durch das Wesen beider, des L imd des F, 
veranlasst 'ist, Vithtduf: daneben jedoch heisst es unverändert 
nicht allein Vulfia und Vtdfila, sondern auch Sigisvuldus und 
selbst, als andre Lesart für das letztere, Sigesvulfus, Ausserdem 
hätten, wenn auf die Griechen zu gehen wäre, die Gothen auch 
U für WI und hätten sogar im Beginn der Worte so. gesprochen : 
OuXiac OuXiaptc u. dgl.^) Bei den Golhen selbst jedoch und 
bei den Römern finden wir stets nur die Schreibung Wilia 
Vüjarith u. s. w., und so lässt auch das Burgimdische gerade 
diess Wili unberührt und sagt Viliaric Wilemeres u. s. f.: 


1) ['AjiaXaaoOv^a: vergl. Jord. 14.] 


360 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 

wohl aber verwischt es, und zwar wieder nur als zweiten Be- 
standtheil, drei oder vier andre ebenso anlautende Worte und 
thut zugleich in dieser Sichtung noch einige Schritte weiter: 
auch aus WA macht es entweder UA oder OA oder in Folge 
dieser Yocalisierung den Mischlaut 0, oder aber es tUgt den 
Halbconsonanten yollends und belässt nur das A, Beispiel für 
UA ist Nastuildus. Der vordre Theil dieser Zusammensetzung, 
den für sich allein wir in der Form Nastm schon bei Cäsar als 
den Namen eines Sueven lesen (B. Gall. I, 37), ist, und warum 
nicht? unser Wort Nase, althochd. nasa, altnord. nasu nös. Hat 
doch auch Bom seine Naso Nasica Nasidim NaMi^enm, und 
worauf zielen die deutschen Namen Baino Oniva Hanta Lancha 
Wamba und vielleicht auch Mundus, wo nicht auf irgendwelche 
Auffälligkeit schon des Kindes oder erst des Mannes an Bein, 
Knie, Hand, Hüfte und Bauch? Vgl. Dietrich iq PfeiflFers Ger- 
mania XI, 197. Ich weiss hier zu Lande jemand lebend, den 
die Leute seiner grossen Nase wegen den Nasenkönig nennen^), 
ganz ähnlich also unserm Nasualdus: denn der zweite Bestand- 
theil (in Engevald sehen wir ihn noch unverändert) kommt von 
dem Zeitworte valdan herrschen. Wenn sodann aus Nastiald 
später Nasolt geworden igt, so stehen dem zahlreich andere 
Fälle auch mit späterem olt aus wald tmld oald zur Seite, wie 
Engevald Ingold, Cariovalda Harioaldtis HarioU HeroU oder 
aber mit voller Austilgung des W Harald Herald. Während 
aber Nasualdus für das Burgundische nur noch die Yocalisierung 
des Halbconsonanten belegt (denn die Inschriften zu Genf und 
Lyon mit den Namen Aegioldus und Fredaldus sind beide nach- 
burgundisch: s. Le Blant II, 2 u. I, 88), belegt uns- ein drittes 
Wort die Verschmelzung desselben mit dem folgenden Ay die 
ein ergiebt, der Name Emiocer: hier kann der zweite Theil 
nur das Adjectivum wacar wach, munter sein, das z. B. auch 
(vgl. Dietrich a. a. 0. S. 192 fg.) in Odovacar Odovacer Odo- 
acer Otochar Otachar enthalten, das auch allein schon Eigen- 
name geworden ist: Ouaxxapoc 8 Ouapvoij xb ysvo<; Agath. I, 
21. Das reichste Beispiel aber gewährt uns ein burgundischer 


1) [„Sich Nasenkönig, wie die Nass drein steclfst": Garg. 1582 K4 
VW. (1617 S. 161); „Nasenkönig Nasart"; V 2 vw. (309a).] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 351 

König: denn von den wechselnden Formen Gundiacus Gundiocm 
Gundiiwus Gtmdkus beruhen die letzteren auf Gundivicm Gund- 
uicm, wie in der That ebenfalls geschrieben wird, Gundiocm^ 
aber und Gundiacus auf Gundivacus, ^ Yf^hreni Onovaccus bei 
gleichem Ausgange keine solche Veränderung erleidet. Es ist 
das wesentlich alle vier Mal derselbe Name: aber die Bildung 
schwankt zwischen der Aphärese und der Verschmelzung des W, 
zwischen dem präsentischen / und dem aoristischen A der 
Wurzel: das gleiche Schwanken, wie wenn eben daher (es ist 
unser wachen y das Grundwort auch zu jenem wacar und dem 
unzusammengesetzten altnord. Vah und langobardischen Wacho 
in Grimnis mal Str. 54 und bei Paul. Diac. I, 21. Ouaxir|(; 
Ouaxtc bei Proc. B. Gotth. 11, 22. 111/ 35), wenn eben daher 
die Lerche auf Althochdeutsch lerihhä und ISrohhä und lerahhä 
genannt wird, d. i. laiswihhä oder laiswahhä die Purchenwache- 
rinn, und der Wachholder sowohl wechaüer als wachalter der 
immer wachende Lebensbaum. Die Sprache der Franken hat 
diesen Namen in Gleichklang mit den Namen ihrer Könige 
Chlodovichus Chlodovechus Merovechus hinübergezogen und ihn 
in Gundevechus umgewandelt, d. h. sie hat aus dem C jenes CH 
gemacht, welches nur s. v. a. Ä bedeutet und deshalb wie H 
auch wegfallen darf (altsächs. angels. vih, altnord. aber vS Hei- 
ligthum, Gott): wirklich kommt denn auch Gundeveus vor, 
während Gundiochus Gundeuchus Gtmdichus wiederum Ver- 
schmelzungen von Gundivechus und Gundevichus sind. Wenn 
aber auf dem Bracteaten von Broholm Gunthious steht, so ist 
da bei Anfertigung des Stempels die Kune für K übersehen 
worden. Und noch eines ist auf Anlass dieses Namens zu be- 
merken. Er kommt, soviel ich weiss, nur bei den Burgunden 
und nur an diesem einen Könige vor: das berechtigt und nöthigt 
uns in Guntheu^ca oder Gunthtucha, der Gemahlinn zuerst des 
Frankenkönigs Chlodomer, dann, als derselbe gegen die Bur- 
gunden gefallen, seines Bruders Chlothachar, auch eine Bur- 
gundinn, eine nach Gunthioc benannte Nachkomminn desselben 
zu erkennen: gerade dieser ihrer Herkunft wegen, aus politischen 
Gründen, eilte Chlothachar so, dass er sie nach des Bruders Tod 
sich zum Weibe nähme. 

Endlich nach all diesen Tilgungen von Halbconsonanten der 
Kehle, des Gaumens und der Lippe könnte es scheinen, dass 


362 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrganden. 

gelegentlich noch einen vierten flüssigen Laut die Ausstossung 
treffe, auf alt- und angelsächsische, friesische und nordische 
Weise die Liquida JV vor einem S. In Ansetnundus bleibt die- 
selbe zwar, und es heisst nicht wie in jenen Sprachen Asmund 
oder Osmund; ebenso in Ansleuhana und in Föns und Sigifunsm. 
Wenn jedoch auf der Spange von Charnay Fmia steht, so kann 
das, falls dabei kein Fehler waltet, allerdings kaum anders als 
mit Dietrich (Haupts Zeitschr. XlII, 119) so erklärt werden, 
dass der Name auf Grund desselben Adjectivums funs, das in 
Föns und Sigifunsm vorliegt, gebildet, das N aber diessmal aus- 
gefallen sei, wie in dem altsächs. angels. und altnordischen füs 
das immer geschieht; funs füs hat den Sinn von feuiig, rasch, 
thätig. In Anbetracht indessen jener ans und funs mit ver- 
bliebener Liquida ist wahrscheinlicher, dass beim Einritzen der 
Runen das N nur sei vergessen worden: auf derselben Spange 
fehlt ja auch das ei'ste A von unthfanthai, und eben erst haben 
wir bemerkt, wie in einer anderen Inschrift ein K verabsäumt 
ist. Freilich, wenn es gestattet wäre, wie Dietrich femer thut, 
den ^Ulifüs:^ des Procop (B. Gotth. III, 12. IV, 33) mit hie- 
herzuziehen und in Vilifüs, Vilifuns zu deuten, so hätten auch 
schon die Gothen füs gesprochen, und das würde die Annahme 
der gleichen Sprechweise für die Burgunden unterstützen. Pro- 
copius schreibt jedoch nicht OuXl9o\)(;, sondern OtlXtcpoc: er 
meint also eher, indem er nach beständiger All; der Griechen 
das gothische VTJ mit einfachem O'Y wiedergiebt, den Namen 
Vulf, nur mit ebensolcher Erweiterung in Vulif, wie vorher die 
von Vithtdf in Vithuluf gewesen. Und nirgend sonst ist bei 
den Gothen dergleichen nachweisbar: oft genug dagegen kommt 
bei denen in Spanien gerade fons, vollständig in den Consonanten 
und nur im Vocale romanisiert, ganz wie dort bei den Bur- 
gunden, vor, z. B. eben Viüiefonsus. 

Nicht also der Ausfall des N, wohl aber war dessen Ein- 
schaltung vor einem S burgundisch. Auch Gothen und Van- 
dalen übten eine solche, wenn sie aus Gaiserictis^) Thrasaricus 
Thrasamundus Gensericus Thransaricus Thra^isamundus^ und 


1) [Gaisericus u. 8. w.: Jul. Friedländer die Münzen der Yandalen 
S. 6. 7.] 


^ 
/ 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. ^ 353 

ebenso einst die Angelsachsen, indem sie aus nasii zuvörderst 
nansu machten: denn nur so erklärt sich, dass ihnen nun die 
Nase ndsu heisst. In diesem Worte denn die gleiche Ein- 
schaltung bei den Burgunden: oder kann der Name Nansa, den 
eine Inschrift dem Namen Nastmldus beifügt, etwas anderes als 
gleichsam eine Abkürzung desselben sein? Wir haben darin 
aufs neue das schon vorher S. 350 erwähnte suevische Nasua 
vor uns (auch Töpferzeichen in Mommsens Inscr. Confoed. Helvet, 
Lat. S. 95 Nr. 352, 141 u. 142 gewähren neben einander Nasstis 
und Nansm\ nur jetzt mit Beseitigung des U oder gleich ohne 
diesen Ableitungslaut gebildet. Und noch etwas kam hinzu, das 
gerade bei Nansa zu solch einer Aenderung Anlass gab, wäh- 
rend sie doch bei Nasualdus unterblieb: die schwache Flexion 
des Wortes, die alle Casus hindurch jene Liquida in die Endung 
brachte: da floss dieselbe zugleich in die Wurzel über, und es 
fand ein^Angleichung ganz eben der Art statt, wie wenn altnord. 
Aganihyr, althochd. Agandeo sich in Angantyr Angandeo ver- 
wandelt (Einh. Ann. 811) oder Maganpert Meginhard in Man- 
ganpert Mengenhard. 

Der weitest greifende Unterschied jedoch des Burgundischen 
von dem Gothischen und dem alt und allgemein Germanischen 
beruht in der Art, wie das erstere mit dem TH verfahrt. Es 
war diese Aspiration allerdings auch den Burgunden eigen: das 
wird uns von dem Futhark der Spange von Chamay und von 
den Runeninschriften derselben und des Goldbracteaten mit ihrem 
unthfanthai und Otmthious und Vithuluf bezeugt; sodann von 
zwei anderen Inschriften die, obwohl sonst in lateinischen Buch- 
staben aufgesetzt, doch in den Namen Athica und BaUho die 
Rune für TH gebrauchen (in der ersten derselben, zu Revel- 
Tourdan und vom J. 563, giebt freilich der Abdruck Le Blants 
U, 150 Nr. 460 A Adica, die Abbildung aber auf PI. 61 Nr. 
368 zeigt deutlich die eher in ein P verzogene Rune); femer 
von dem Rechksbuche mit Angantheus Athala Balthamodus Vthila, 
von dem einen Texte der Urkunde von S. Maurice mit Theude- 
modus, mit dem Tlievdelinda einer Urkuude noch des Jahrs 587 
und endlich dem Guntheuca oder Guntkiucha und dem Gunthe- 
giselus Gregors von Tours und Fredegars in der Epitome. Wie 
aber für BaÜhamodtts auch Baltamodus und Baldamodm, für 
Theudemodus in dem anderen Texte Teudemondns geschrieben 

Wackemagel, Sohriften. III. 23 


354 Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 

wird, so wiederholen sich diese Yertauschungen und namentlich 
die gegen D auf das häufigste, und letztere stellt sich als die 
eigentliche Regel dar. Soll man darin ein blosses Ungeschick 
der lateinischen Schriftgebung erkennen? Ich glaube kaum: in 
den Namen der Gothen ward gleichzeitig ein lateinisches TH 
durchaus nicht gespart, sonst ater und Mher trat vielmehr das 
härtere T an dessen Stelle wie C an die Stelle des CH, und es 
hiess z. B. Teutoni Gotones Cattimerus Frifigemtis. Sichtiger 
daher wird die Annahme sein, es habe auf diesem Punkte schon 
im Burgundischen selbst, aber nicht hier allein noch hier zuerst 
(denn zu • eben der Zeit geschah das auch im Fränkischen), die 
Lautverschiebung, die später durch alles Oberdeutsch hin TH in 
D umsetzen sollte, sicli vorbereitet und einen Anfang gemacht. 
Beispiele solcher vorausgeeilten D sind Aridius, auf Althochd. 
Herideo: goth. thiu Diener; BaUlaridm Baldaredus Fredeholdus: 
goth. baUh, ahd. pcUd kühn; Fredeboldus Fridigemu8 Fridi- 
giacltis Fredemiitulus: altsächa. fr Uhu, ahd. fridu Friede, Schutz; 
Oundobadm Gundefuldtis G^ndiiscltis Oundaharius Gundomares 
Gundemundus Gundiocus Gundeulfus Arigunde: angelsächs. 
altnord. güi^, ahd. gundja (im Hildebrandsliede güdea) Schlacht, 
Krieg; Giscladus d. i. Gisclahadm (oben S. 346): altnord. J33ö 
der Gott des Kriegsglückes, angels. heabu-, ahd. Hadumär u. dgL; 
Nandoredns Euriandtis: goth. nanthjan sich erkühnen, nand ahd. 
Kühnheit; Segismddus: goth. vulthm Herrlichkeit. Mit T da- 
gegen Chrotechildis und Gotia Goticus Suavegotta: altn. hrdb 
Buhm, ahd. Hrddhildls; Gvth, ahd. Gtui Gothe (Jac. Grimnis 
Gesch. d. D. Spr. I, 439 fg.). Chrotechildis wird freilich nur 
von Gregor von Tours und demselben Fredegar so überliefert, 
der auch Chrotadharim schreibt (Chron. 70 fg., Gregorlus aber 
Mirac. S. Martini I, 7 Chrodechildis) , Suavegotta erst von Flo- 
doardus, und letzterer Name zeigt sich auch sonst entstellt: denn 
das V ist hier wie in der Lesart morginegyva L. Burg. XIH, 2, 
wie auch in den Suavi des Jordanis, der Suavia Gassiodors und 
schon den Suevi Jul. Gäsars Bomanisierung eines deutschen £. 
Parallel solcher Verwandlung des TH in D geht die des ur- 
sprünglichen I> in T: hiefür aber giebt es mit Sicherheit nur 
ein einziges und noch seitab stehendes Beispiel, Crundebatus als 
Lesart neben Gundebadus in der Ueberschrift des Gesetzes: 
badu Niedermetzelung, Schlacht, worüber nachher ausführlicher. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 356 

Zweifel, wie man es zurecht und auszulegen habe, erregt 
wittimon u. s. f., im Gesetz die Benennung des Eaufgeldes einer 
Frau. Hier kann man das T (die besseren Texte verdoppeln es 
beinah überall, und dennoch wird das hier ebenso wenig bedeuten 
als in wiUiscalcus, dessen I ja lang ist), man kann es dreifach 
auffassen. Entweder es ist, da auch das Friesische witma oder 
wetma, das Angelsächsische veotuma sagt, der ursprungliche und 
unverändert echte Laut, dasjenige T aus welchem auf Hoch- 
deutsch Z jffiri; nur erscheint dann jede Deutung des Worts 
unmöglich: es würde mit goth. veitan, ahd. ivizan sehen, be- 
achten, strafen zu verbinden sein: aber wie das? Jedoch wir 
finden im Angelsächsischen öfter ein T, wo eigentlich ein Z> oder 
2) stehen sollte, z. B. boü neben altsächs. bodl, botm neben althd. 
podam [goth. hifUhan fangen, ags. hunta Jäger], und so könnte 
auch das T in veotuma- und wittimon eigentlich ein goth. D 
oder aber ein 2'H, d. h. ein althd. T oder D bedeuten. Für 
TH als den rechten Laut spräche der Umstand, dass im Alt- 
hochd. das Wort ein D aufweist: da ist mdumo toidimo tmdemo 
die üebersetzung von dos, widemen von dotare, toidemSa von lex 
Poppaea; die Wendung des Begriffes, die somit eingetreten ist, 
zeigt sich noch enger gefasst in dem neuhochd. WiUhum, dem 
sein Villkürlich geänderter Laut nur noch Bezug auf die Wittwe 
giebt. Aber auch wenn wir widumo zu Grunde legen, stocken 
Etymologie und Erklärung: wir haben weder eine Wurzel with, 
ahd. wid, welche hieher passte, noch befriedigt die Behauptung 
J. Grimms, widvm (denn diese Form setzt er an, Gramm. H, 
241) sei aus wihadum zusammengezogen und diess von toihan 
abgeleitet: i4nhan ist so viel als machen und als vernichten, 
facere und conficere. So bleibt nur als drittes und letztes die 
Annahme übrig, das T in wittimon u. s. w. sei aus D verhärtet 
wie dort in Gundebatus, wie auch in dem Eidhat der siebenten 
von den siebzehn Küren der Altfriesen *), und ursprünglich 6abe 
der Burgunde widima oder sonstwie mit dem weicheren Zungen- 
laut gesprochen. Die Wurzel ist dann freilich nicht, wie Richt- 
hofen will (Fries. Eechtsquellen S. 1146), das altfries. weddja 
d. h. geloben und die wörtliche Bedeutung nicht Gelöbniss: denn, 


1) [ygl. altsächs. mid (für mith) und mUf hold (für halth) und haltt 
and' und an^-J 

23* 


356 Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 

weddja ist nur Umlaut eineS früheren vadjdn, hieraus aber 
konnte weder witma, wie es im Friesischen selbst zuvörderst 
heisst, noch mdima noch veotiima hervorgehn. Sondern wir 
müssen unmittelbar auf das eigentliche Wurzel wort zurück, von 
dem auch goth. vadi Pfand und vadjön weddja kommen, auf 
das goth. vidan, ahd. wefan binden, verbinden, zusanmien Jochen: 
indem das Geld für die Frau davon benannt wird, hören wir 
aus der Schilderung, die Tadtus von dem Germanischen Eh- 
abschlusse giebt (Germ. 18), zwei Schlagworte hwvorklingen, 
die wie alles Einzelne in derselben richtig sind, maxtmum vin- 
culum und junctl botes. Zwar sollte . es nun auch im Althoch- 
deutschen und hier init noch besserem Fug als schon im Bur- 
gundischen witufno oder mtinio heissen, nicht aber widumo 
widimo^): theils jedoch mochte in einem Ausdruck, dessen An- 
wendung eine so eng beschränkte und gerade auf das Becht 
beschränkte war, der altüberlieferte Laut wohl haften bleiben, 
theils mochte das Subst. wid, ein Seil zum Binden aus ge- 
drehten Reisern, mit einwirken, das seinem Begriffe nach ver- 
wandt erschien, obschon es aus einer ganz anderen Wurzel 
stammt, nämlich aus einer und derselben mit ahd. widä und 
hioL Weide, mit lat. vitis und vitta. Sollen einmal, wie doch 
wohl nöthig ist, witthnon veotmna witma und widmno vereinigt 
werden, irgendwie und irgendwo muss man alsdann eine Unregel- 
mässigkeit gelten lassen. 

Ein ferneres Wort, das mit in die Geschichte des TH und 
zugleich, was seinen Begriff angeht, dicht neben wittimon gehört. 
Im Gothischen ist mathl, sonst dagegen mahal mit H ein Ort 
für öffentliche Versammlung und Besprechung und die Ver- 
sammlung und Besprechung selbst und auch so viel als Verlöb- 
niss, Vermählung und als Rede überhaupt: bloss das Angel- 
sächsische hat neben mael d. i mähel auch noch mäiel bewahrt, 
im Althochdeutschen giebt es mit madal wenigstens noch Eigen- 
namen wie Mmlalfrid und Madalulf, und eben darauf (vgl. ahd. 
stadal und glstallo, wadaldn und wallon) beruht das malltis des 
fränkischen Rechtes. Das Burgundische nun sagte erstlich gleich- 
feUs mahal; nur sind in dem einzigen Belege, worin sich uns 


1) [vgl- goth. akaidan, alts. akethan, ahd. skeidan.] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 357 

diese Form des Worts noch zeigt, der Zusammensetzung mala- 
hareda (einfach so vereinigt und bessert sich in der L. Burg. 
LXXXVI, 1 die Verderbniss und der Wechsel der Lesarten), 
es sind da die beiden Consonanten umgestellt. Der gleiche Vor- 
gang trifft aber oft so leichte fliessende Laute: ich erinnere an 
althochd. ahir und altsächs. aroh (Rieger im Alt* u. Angels. 
Leseb. S. 226); ahd. eliraj neuhochd. Eller Else xxnd erila, Erle; 
zuinele und zuilene Williram XXXI, 28. gezuinile \mi gezwilini 
Graffs Ahd. Sprachsch. V, 729; Athalariciis und Alderih Not- 
kers Boeth. S. 2 Graff; altsächs. bodl, angelsächs. boü und bold, 
fries. bold blöd; althd. nädala und nälda; notstadele und not- 
gestalde Athis v. Wilh. Grimm S. 72; turestodelus dorestötdus 
und turestölda duristualda duristuUdon Traditiones Wizenbur- 
genses v. Zeüss; mundoaldus (mimtcMe) und mittelhd. munt- 
adele Altd. Leseb. 190, 9; ahd. Faganulf und Fanagulf ¥6TsiQ- 
manns Namenb. I, 397; nabagir und mhd. nageber; doch näher 
vergleicht sich der ahd. Frauenname Ahalagdis für Älahagdis 
d. i. Alahaidis Förstern, a. a. 0. I, 38 [altfries. wiliga aus tm^ 
gila: vgl. J. Grimm Mythol. S. 985], vielleicht auch schon aus 
früher Germanenzeit das oMis (germanisch ehls?) des Plinius 
Hist. Nat. VIII, 15, falls darunter, wie die Worte Cäsars B. 
Gall. VI, 27 annehmen lassen, das sonst immer alx oder alces 
(germ. dhs?) genannte Thier, der Elch, zu verstehen ist; am 
nächsten aber die Glosse mahela mantica Ahd. Sprachsch. II, 
650 für maieha, malaha, während gahamalos i, e. confabülatos 
in dem Wörterbuch der Langobardischen Bechtssprache (Haupts 
Zeitschr. I, 554) nur ein Fehler des undeutschen Schreibers sein 
wird: gemeint ist gamahalos (Ed« Both. 367). Eine dem ähn- 
liche Umstellung in dem Burgundischen Namen Angatheus. Die 
eigentliche Form lautet Aginathem, syncopiert Agnatheus, mit 
Auswerfung des Bindevocals im achten Jahrh. Aganteus Agen- 
tetis: aber das N tritt vor das G zurück wie anderswo in Agan- 
fredus Agnifredus und Angofridus, Agantrvdis und Angedrudis, 
Baginharius und Rangharim , Bagnericm und Sangaricus, wie 
auch in dem andelago Genit. andelaginis und andelang oder 
andelangus der alten Bechtssymbolik (Jac. Grimms Bechts- 
alterth. S. 196 fgg. 558), das, wie ich vermuthe (nur ist hier 
nicht der Ort für die weitere Ausführung), der Schnürriemen 
der Beschuhung war. 


358 Sprache and Sprachdenkmaler der Bargunden. 

Die Franken also haben das THL von mathl in LL an- 
geglichen, aber nicht erst als sie ihr Becht in Lateinisch brach- 
ten: schon Ammianus Marcellinus nennt wiederholendlich einen 
Franken Mallohaudes; und auch nicht die Franken allein: um 
ein gut Stück früher heisst auch ein Feldherr der Marser (Tac. 
Ann. n, 25) Mallovendus, und der alte Name von Detmold ist 
Theottnalll Und diese zweite Behandlung des Wortes mag, 
wie es ja auch im Althochdeutschen und Angelsächsischen zwie- 
fach behandelt wird, gelegentlich ebenso im Burgundischen ge- 
golten haben. 

Und endlich noch ein Punkt aus der Pathologie des bur- 
gundischen TH bleibt zu berühren, und wiedör müssen wir dabei 
von der fränkischen Mundart, zugleich aber von der streng ober- 
deutschen der Langobarden ausgehn. Eine bezeichnende Eigen- 
heit dieser beiden, vorzüglich jedoch, wie es scheint, der ersteren, 
ist das üeberspringen der Aspiration von Zunge und Kehle auf 
die Lippe, die Neigung TH und CH oder H in F umzusetzen: 
ich habe davon anderswo (Haupts Zeitschr. II, 555 fgg.) aus- 
führlicher gehandelt. Ein besonders hervortretendes Beispiel 
der Art ist der Ursprung des mittellat. feudum feodum feofum 
feus d. i. Dienstgut, servitium, aus thhäh, das im Gothischen, 
wie es zu der Wurzel von thim Diener gehört, den Begriff von 
dienlich, nützlich, gut und Gut besitzt. Bei einem dieser Worte 
nun, bei thius, begegnen wir, einmal wenigstens, dem F für 
TH auch im Burgundischen. Zwar sagt dieses sonst Ägatheus 
Angatheus Aridius: wenn aber in der Vita Apollinaris episcopi 
(bei den Bollandisten unter dem 5. Oct. III oder in Martenes 
Ampi. coUectio vet. Script. VI) Cap. 6 „unus ex pueris nomine 
AUfiu^^ vorkommt, so dürfte man auch das kaum anders als 
mit jenem Aspiratentausch erklären. Und der Name fällt noch 
recht in die classische Zeit der Sprache: Apollinaris, Bischof 
von Valence, älterer Bruder des Bischofs von Vienne Avitus, 
lebte um das J. 500, und die Biographie rührt noch von einem 
vertrauten Landes- und Zeitgenossen her. AU kann hier wie in 
Aliher ga entweder das goth. alis alius sein, dann aber wohl mit 
derjenigen Wendung des Begriffes (vgl. lat. alter uwA attercari, 
franz. altSrer), die dem goth. cUjan Eifer zum Grunde liegt, 
oder auch abgeschwächt ans ala all: Alatheus wird als gothi- 
scher Name, Aletheus aus dem Frankenreich überliefert. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 359 

Die bisherigen Erörterungen des Bargundischen Gonsonan- 
tismus werden zur Genüge erwiesen haben, in wie beschränktem 
Maasse man befugt, ja wie unbefugt man eigentlich ist eine be- 
sonders nahe Verwandtschaft dieser Sprache mit der Gothischen 
anzunehmen: nicht besser jedoch berechtigt erscheint mir die 
entgegengesetzte Behauptung (Dietrich in Haupts Zeitschr. XIII, 
122) „Das Burguttdische ist ein mit dem Alamannischen mehr 
als dem Gothischen verwandter Sprachzweig." Wenn als das- 
jenige Merkmal des Alamannischen, das am frühesten mit Ent- 
schiedenheit hervortritt, die Verwandlung des anlautenden K in 
CHmuss betrachtet werden (Chnodomarius Amm. Marc. XVI, 12. 
Chonod(yinarim Aurel. Vict. Epit. 42: goth. hn6d, ahd. chnöt 
chondt chnuat Geschlecht, Art), so weiss ja das Burgundische 
davon nichts: es sagt noch kiano Conia Coniarims Caniffisclus; 
und ebenso wenig ist die mildere Aspirierung im In- und Aus- 
laut, die auf Althochdeutsch mit HH und mit blossem H be- 
zeichnet wird, schon für das Burgundische angedeutet, wenn es 
Rico Biculfus Audericus Hilpericus Sigisricus Viliaric und 
wiederum Coniaricus, wenn es Onovaccus Mucuruna und toittiS' 
calcus, Oebeca und Athica (Inschrift von 563 bei Le Blant II, 
150 Nr. 466 A) und wiederum Canigisclus Fridigisdus sagt: 
Rihlindis und Undiho auf einem fioliquienkästchen in S. Mau- 
rice (Le Blant II, 580 Nr. 684) gehören wohl altburgundischem 
Gebiete, aber erst der- nachburgundischen Zeit an. Es war SO7 
nach unempfohlen die mangelhafte Bracteateninschrift Gunthious 
für eine das H übergehende Latinisierung von Ounthioh und 
nun den Namen mit Hilfe von joh jugum zu erklären, „so dass 
das Ganze etwa den Eampfverknüpfer bedeutete^': Haupts Zeit- 
schr. Xlli, 50. Den Burgunden hat es noch wie den Gothen 
juk oder vielleicht schon jok, sicherlich nicht schon joh gelautet, 
und jedesfalls, wenn überhaupt diese Wurzel hier in Betracht 
kam, lag es näher dabei an überwinden und fechten, die B^riffe 
des Zeitwortes ßukan, zu denken. Ich habe oben S. 351 fg. 
eine andre Etymologie und Auslegung versucht. 

Welche Stellung in der Geschichte und der Geographie der 
Deutschen Sprache das Burgundische einnimmt, darüber werden 
uns Fingerzeige von noch grösserer Deutlichkeit, von positiverer 
Art, wenn wir jetzt auch noch das Vocalgebiet und das der 
Wortbildung ins Auge fassen. Hier vollends ergiebt sich, dass 


360 Spraohe und Sprachdenkmäler der Borgnnden. 

es eine schwebende Mitte hält zwischen den mundartlichen Gegen- 
sätzen, die bereits in der Gernianenzeit vorhanden waren und 
dann durch die Völkerwanderung zu immer schärferer Ausprägung > 
gebracht wurden, dass es bald hier dem Marcomannischen und 
Alamannischen, bald wieder dort dem Chattischen, Cheruskischen, 
Fränkischen und durch die Yermittelung dieser selbst dem Säch- 
sischen näher steht, dass seine Art eine Mischung aus ober- und 
mittel-, ja niederdeutschen Eigenthümlichkeiten und zugleich der 
überleitende Fortgang vom Früheren zum Späteren, von der ger- 
manischen Sprechweise zu der mittelalterlichen ist. Die um das 
Jahr 520 im Fränkischen Beiche verfasste Völkertafel (MüUen- 
hoff in Mommsens Verzeichniss der Böm. Provinzen S. 532 fgg.) 
trifft es somit nicht übel, indem sie Burgunden, Thüringer, 
Langobarden und Baiern unter Einen Ahnherrn bringt, und trifft 
besser zu als dort bei Flinius (oben S. 338) der Stamm der 
Vindili mit seinen Unterabtheilungen Burgundiones, Varini, Carini, 
Guttones. 

Entschieden oberdeutsche Art hat das A^ das lange A in 
fara, in Gundomarus Gundomares Videmarus Vindemarus, in 
dem Leudomarus einer Inschrift zu Aoste von 547 (Le Blant 
n, 39 Nr. 394), in Silvanus, falls dieser Name nicht durchaus 
lateinisch ist (oben S. 335 fg.), und in SuavegoUa, einem Beleg 
allerdings aus sehr viel späterer Quelle: nach chattischer und 
fränkischer und gothischer Mundart gölte und gilt" da überall 
ein jÖ. Besondre Besprechung verlangt zunächst fara, das nur 
einmal, L. Burg. CVII, 11, und da nur durch eine Aenderung 
des neuesten Herausgebers, die vielleicht mehr glänzend als 
noth wendig und richtig ist, so als Einzelwort vorkommt (die 
Handschriften haben infra, Bluhme in fara); ausserdem ge- 
währen es die Zusammensetzungen faramanmis Tit. LIV, 2. 3 
und später (s. die Anmerkung Bluhmes) burgundofaro, welch 
letztere in wechselnden und theilweise verderbten Formen sowohl 
appellativ als Eigenname ist. Auf Gothisch lautet diess Wort 
fSra und bedeutet erstlich Theil, Leibestheil, Glied (Ulph. Eph. 
IV, 16), dann Seite'und Gegend (Matth. XXV, 41. Marc. Vm, 
10); hieran schliesst sich mit Leichtigkeit der abstractere Sinn 
der Sichtung und des Strebens, den allein das althochdeutsche 
fära hat: nur einzelne Mundarten halten da noch den der Seite 
und zugleich, dem sonstigen Sprachgange entgegen, das J$ des 


Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 361 

Gothischen fest oder machen daraus ein EA oder lA, sagen auch 
noch ßra oder feara fiara. Im Langobardischen aber (hier gilt 
der regelrechte ^-laut) geht aus dem Begriffe Theil ^) der poli- 
tische Begriff Geschlecht hervor (Paul. Diac. II, 9. Ed. Roth. 177. 
Haupts Zeitschr. 1, 5ö2); dass auch die Sulioten die einund- 
dreissig Geschlechter, in welche sie zerfielen, 9apac nannten, 
kann, wie schon Niebuhr bemerkt hat (Böm. Gesch. I, 34ö), nur 
ein Zufall sein. Das Burgundische endlich ist bei jenem ersten 
Begriffe stehn geblieben, und fara ist ihm s. y. a. Theilung und 
faramannm (in einigen Handschriften auch hier noch ein E an- 
statt des A) und burgundofaro der Burgunde, insofern er von 
dem Besitze seines hospes des Bomanen seinen gesetzlichen Theil 
genommen hat, der consors eines posaessor .geworden ist. Die 
Art, wie man sonst wohl den faramannus versteht, ist aus enger 
Vergleichung bloss des langobardischen Wortes und aus unrich- 
tiger Auffassung auch noch dieses einen hervorgegangen. Dem 
--märus oder -mAres sodann (althochd. märt) stehn freilich in der 
Unterzeichnung der Vorrede des Gesetzes drei -m^res gegenüber, 
Widemeres Wilemeres Windemerea, und noch ein Wülinieres in 
einer Inschrift: dass aber der echt burgundische Laut das A ge- 
wesen, wird durch die Königsnamen mit besserer Sicherheit ver- 
bürgt als durch die übrigen: für diese ist gothischer Ursprung 
denkbar und ist um so eher ein solcher anzunehmen, als unter 
den Grafen sogar noch ein Wadamires und einmal auch die 
Lesart wilUmiris auftritt, mit jenem mir d. i. eigentlich Friede, 
das sich die Gothen erst von den Slaven her angeeignet haben 
um es so an die Stelle ihres mer d. i. berühmt zu setzen. 

In anderem Sinne, nämlich dem gothischen Diphthongen AI 
entsprechend^ kommt langes ^ auch in der Mundart der Burgun- 
den vor, so jedoch dass es nicht wie in der sächsischen den äl- 
teren Diphthongen überall verdrängt hat, sondern neben ihm 
dieser gleichfalls noch besteht, ein Yerhältniss mithin der Art wie 
bei den Franken und gar den Oberdeutschen. AI als Flexions- 
endung hat die Spangeninschrift in dem Wort unthfarUhai^ 
braucht also dasselbe in einem Falle^ wo das Oberdeutsche ledig- 


1) [vgl. teil in den verschiedenen Bedentangen die es auf Ahd. be- 
sitzt, nnd sipiteü Verwandtschaft.] 


362 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgonden. 

lieh sein langes Ü anwendet; in einer Wurzelsylbe der Weiber- 
name Äisaherga, womit sich im Gothischen entweder ais d. i. 
Erz öder das abgeleitete Zeitwort aistan achten vergleicht: mit 
£ dagegen lesen wir malahareda, Ghartenivs und Caretene, also 
gerade solche Worte die auch im Oberdeutschen noch ein unverän- 
dertes ^/aufweisen. Das erregt den Zweifel, ob hier nicht das E 
bloss durch die lateinische Auffassung und Schreibung verschul- 
det sei. Zwar weicht diese dem AI der Qermanen keinesweges 
so gänzlich aus , noch weniger, wie natürlich ist, die griechische: 
Radagaisti8j Oaisericus u. dgl. findet sich oft genug; oder sie 
braucht als Ersatz ihr AE, und so ist gais als gaesum schon 
früh in die Sprache der Römer aufgenommen worden. Wenn 
aber z. B. Cassiodorus Var. Epist. V, 43 u. 44 Gesalecus schreibt, 
so ist das eine wie das andre E nur eine romanische Yerflachung: 
er hörte die Gothen noch alltäglich Gatsalaik aussprechen; erst 
dann und erst da, wo gais öder jenes ais und aisa ihr S gegen 
R vertauschten, gieng in Wechselwirkung damit für die Deut- 
schen selbst auch das J/in j^, gieng aisa ais in Sra er und gai^ 
in g&r über, und Procopius hat ganz richtig 'PaSfyTfjp: denn so 
ist de Bello Gotth. IV, 20 PaSfyepj ^<^^ meine nicht, zu ändern, 
aber zu verstehen. Nach all dem bleibt es fraglich, ob reda 
und ten den wirklich burgundischen Laut oder nur den aus- 
drücken, welchen der Romane diesen Worten gab. Malahareda 
nun: den ersten Bestandtheil dieser Zusammensetzung haben wir 
uns schon vorher auf S. '357 gedeutet; der zweite würde, wenn 
sein Yocal es zuliesse, aus dem sächsischen rdde gerade (Jac. 
Gtimms Rechtsalterth. S. 567) zu erklären sein: so aber kann 
nur auf das altnord. möa Zurichtung, Zubehör und das alt- 
hochd. reita, fränk. raida in Worten wie antreita prantreita 
fahsreUa scafreita hariraida und wie jetzt noch Hofraite 
(Schmellers Bair. Wörterb. III, 155) verwiesen werden: malaha- 
rMa also Vermählungszurüstung, Ausstattung. Ob wir den Plu- 
ralis rhedo, womit die Lex Angl. et Worin, ü, 4 omamenta 
muliebria übersetzt, zu räde oder auch zu reita ziehen sollen, 
können wir bei unserer Unkenntniss über die Mundart der Völ- 
kerschaft, für welche diess Rechtsbuch aufgezeichnet ist, nicht 
entscheiden. T^ aber in Charte'nitis und Caretene ist das 
gothische tain, auf Hochd. zein, Reis, Stab, Pfeilschaft und Pfeil: 
Förstemanns Namenb. I, 1357 u. 1367 führt die männlichen 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. ' 363 

Namen Zeino und Wolfzein auf, und wahrscheinlich ist auch der 
weibliche Zaigina Sp. 1365 nur aus Zaina erweitert, mit eben- 
solcher Trennung des Diphthongen oder langen . Vocales von der 
Liquida wie in praun und pratien, heil und heigel, hanttnäl und 
hantmahal u. dgl. (Haupts Zeitschr. IX, 371. ümdeutschung 
S. 20 fg. = oben S. 276). ChaHenius erinnert an das altnord. 
Appellativum Aerör Heerpfeil (Keclitsalterth. S. 162); Caretene und 
was es sonst noch von Weibemamen mit tena giebt (auf frän- 
kischem Gebiet, in dem Testament des heil. Bemigius von 533 bei 
Pardessus Nr. 118, AuUatena MeUatena Meratena Naviatena), 
steht den zahlreicheren gleich, die SLufrüna endigen, am nächsten 
AuUatena dem altnord. Aulrün Ölrün (Völundar kviÖa Eingang 
u. Str. 4. 15; als Appellativ in Sigrdrifu mal Str. 7). Es waren 
nach Tacitus Berichte (Germ. 10) „surculi", also tainds, in die 
man zum Behuf des Looses die Bunen schnitt; von einem ge- 
richtlichen Loose mit bezeichneten „talis de virga praecisis, quos 
tenos vocant", handelt die Lex Fris. XIV, 1; ein Lied der Edda 
(die Hymis kviÖa Str. 1) lässt die Äsen selber um Zukunftiges 
zu erforschen teina werfen; auf Angelsächsisch aber ist tän zu- 
weilen nur noch Loos überhaupt, ganz wie bei Otfried zeinen 
zeinön aus den ursprünglich engeren Begriffen des Bedeutens 
und Ausdeutens („surculos — interpretatur" Tac.) in den all- 
gemeineren bloss des Deutens, des Zeigens übergeht. Beiderlei 
Namen, jene mit rüna und nun diese seltneren, beinahe wie es 
scheint ausschliesslich fränkischen mit t&na, zielen auf den Vor- 
besitz der Schreib- und Lesekunst und der Gabe der Weissagung 
und des Zaubers, den das germanische Weib von je und überall 
inne hatte. 

Also im Burgundischen entweder stets noch AI oder theil- 
weise schon an dessen Statt ein blosses Ä Das letztere Ver- 
halten mag deshalb wahrscheinlicher dünken, weil ein zweiter 
Diphthong, dessen Geschichte der des AI parallel läuft, gleich- 
falls in so schwankender Art behandelt wird: das ursprüngliche 
A U, - das die Gothen noch überall unverrückt bewahren, zieht 
sich den Burgunden theils ebenso in ein langes zusammen, 
theils verharrt es bei seinem Doppellaute, beides wiederum wie 
im Fränkischen und im Oberdeutschen, nur dass hier das 0, im 
Burgundischen offenbar noch das AIJ vorherrscht: es heisst 
Audemundm Audericus Audolena, Aunemundus Aunegilde, ein- 


364 Sprache and Sprachdenkmaler der Bnrgunden. 

mal und bloss einmal aber, wennschon die Wurzel schwerlich 
eine andre als die der zwei letzteren Worte ist, Onovacctis; 
Ostrogotho, die .von den Ostgothen her gekommene E5niginn, 
wird schon von Jordanis so benannt, nicht Äustrogotho, und das 
in demselben Capitel (58) in welchem er doch Atidefiedd schreibt: 
Ostrogotho, wie ihm auch der Manns- und Yolksname Ostrogotha 
lautet. 

Neben diesem erst aus AU hervorgegangenen besteht 
noch ein zweites, das ursprünglich ist und von jeher so gelautet, 
auf der Stufe des Althochdeutschen aber sich in OA TIA ÜO 
diphthongiert hat: diess in den Namen BaUhamodus Fremodm 
Theudetnodtis und Chrotechüdis , ahd. Bcddmtwt und Hruodhüf. 
Ob das in Chrona von ebensolcher Art oder aus AU verein- 
facht oder kurz und aus kurzem U gebrochen sei, die Antwort 
auf diese Frage hängt zum Theil davon ab, wie man den 
fränkischen Consonanten im Beginne des Worts versteht: s. 
oben S. 346. 

Zwei urdeutsche Diphthonge, deren Bestand und Gestalt 
das Oothische doch unzweifelhaft macht, sind von den Hörnern 
und auf Grund der römischen Vermittelung auch von den Grie- 
chen stets nur mit Entstellung wiedergegeben worden: ohne 
Ulphilas wüssten wir so gut als nichts von dem EI noch von 
dem lU der Gothen und Germanen, sondern statt des ersteren 
bloss von einem I, statt des letzteren bloss von EU oder UO: 
denn hiemit behilft sich die lateinische und die griechische Auf- 
fassung, während innerhalb des Deutschen selbst / und EO erst 
nach der Bomerzeit, auf der althochdeutschen und den ihr gleich- 
liegenden übrigen Stufen zum Vorschein kommen und nur EU 
den Franken wohl schon vorher geläufig war. Unter solchen 
Umständen mag ungewiss scheinen, ob die Burgunden in Gisla- 
badm Gislaharius Bico Bictdfus Audericus Coniaricus Hilpericus 
Viliaric witiscalcus wirklich das einfache I, das die Schrift be- 
zeichnet, oder auch noch den Diphthongen EI gesprochen haben: 
wenn aber Eunandua Eunemundus Leubaredus Leuvera Manne- 
leubus Sedeleuba Ansleubana leudus screunia Agatheus Atigatheus 
Theudelinda Theudemodus Teudemandm, auf einem Grabsteine 
von 547 zu Aoste (Le Blant II, 39 Nr. 394) Leudomams ge- 
schrieben wird, so darf man das zuversichtlicher für den Laut, 
den das Burgundische selbst allmählich angenommen, halten, da 


Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgunden. 365 

eben diese auch der fränkische Laut, und noch mehr da solch 
ein Uebergang von TU in EU nur die richtige Folge des Herab- 
sinkens von I in E ist, das wir nachher als eine bezeichnende 
Eigenheit des Burgundischen werden kennen lernen. EO, die 
andre, dem Latein vielleicht noch beliebtere Art dem germani- 
schen lU auszuweichen, wird nur durch die Nebenlesart leodis 
in einer Stelle des Rechtsbuches und die Form des Namens 
Teodeinodos auf einer Inschrifttafel zu S. Jean-de-Bournay (Le 
Blant n, 145 Nr. 461) bezeugt, deren Alter jedoch unbekannt, 
von der es mithin auch zweifelhaft ist, ob sie wirklich burgun- 
diach sei. Dennoch, wenn es gleichwohl Aridius heisst (anderswo 
Aridms), so ist das weder ein Pesthalten noch eine Wiederher- 
stellung des eigentlichen alten Lautes, sondern hauptsächlich in 
diesem lU und in ihm noch mehr als in der Beseitigung der 
Aspiration beruht die Latinisierung, die hier einen hurgundischen 
Namen getroflfen hat: s. oben S. 336 u. 346. Wir haben S. 367 
noch einmal von lU oder EU zu sprechen. 

Unsrer jetzigen Betrachtung liegt noch eine Reihe von Ab- 
änderungen der Vocale vor, welche theils unmittelbar in den 
Bereich der Angleichung, theils doch in deren weiteren Umkreis 
fallen, Aenderungen die zwar den Gothen fast sämmtlich fremd, 
aber fast sämmtlich schon in der vorgothischen Zeit nachweis- 
bar und zugleich Hauptbelege dafür sind, dass die Burgundische 
Mundart ziemlich weitab von der- GotMschen, aber darum keines- 
wegs der Alamannischen an der Seite stehe. 

Zuerst die diphthongierende Angleichung eines A der Wurzel 
an ein U der Schlusssylbe. Das Wort hadu, das, gemäss seiner 
Zusammengehörigkeit mit hidjan sich niederwerfen, bitten, und 
mit hadi Lager, Bett, eigentlich das Niederstrecken des Feindes, 
dann Kampf überhaupt bedeutet (in selbständiger appellativer 
Anwendung kennen es bloss die Sprachen des Nordens, die übri- 
gen nur noch in Eigennamen), badu erfährt als Wirkung des U, 
womit es gebildet ist, eine zwiefache Aenderung seines Wurzel- 
vocals; ich habe davon bereits früher, in meinem Aufsatz über 
die Germanischen Personennamen (Schweizerisches Museum f. 
histor. Wissenschaften I. 1837. S. 106 fg.) gehandelt. Einmal 
auf Altnordisch den Umlaut in Ö, also Jöö; bei Teutonen und 
Marcomannen in blosses 0, als Tevtobodus (und so verschwindet 
fast überall das U der Ableitung in das der lateinischen Flexion) 


366 Sprache imd Sprachdenkmäler der ßurgandeii. 

und Marobodum, während der Marabadm Cassiodors (Yar. Epist. 
IV, 12) und weiterhin Deoipato neben Theoibodo noch das ur- 
sprüngliche A aufweisen: nicht anders stehen im Althochd. und 
Altsächsischen neben einander Pato und Bodo% die einfachsten 
Namenbildungen dieses Stanmies, sowie die Zusammensetzungen 
BadegisütAS und Bodeginlus, Willibadu^ und WiUibodo, Regln- 
pato und Beginpoto, Heripato und Herbodus Cundpato Gtind- 
hadingi imd Kundpoto Gtmdbodingi u. s. f. Dann aber, wie in 
altnordischer Mundart das U auch diphthongierend wirkt, so 
dass böb auch baub, Böbvild auch Baui^vild heisst, mit dersel- 
ben volleren Lautgebung noch anderswo Baudo Baudegisilm 
Hariobaudes Maraba/iidus (Oassiod. V. E. UI, 34) Merobaud^ 
Mirabaudus (ebd. IV, 46) Theodobaudes u. dgL Diese Diphthon- 
gierung nun, welche die angeführten Beispiele auf der fränki- 
schen wie auf der alamannischen Seite zeigen, zeigt gleicher- 
massen inmitten beider das Burgundische: auch da kommt ausser 
Gislabadus und Gundobadt^ noch Baudomallus und auch Grun- 
dobaudus vor, und es muss diese Form noch viel mehr, als 
schriftlich belegt ist, in Gebrauch gewesen sein, da nur sie die 
romanische Missdeutung und Entstellung Oundobaldus Gundibal- 
dtis (dieselbe die in einigen Texten Gregors von Tours Ifist. Franc, 
n, 9 den Frankennamen Genobatides oder Genobaldus trifft) ver- 
mitteln konnte. 

Marius in seiner Chronik hat noch eine andre Verderbniss, 
statt Gundobaudtcs eine Erweiterung davon, Gundobagaudtis^ 
Soll aber. Sinn und Feder des Bischofs wirklich so auf die Ba- 
gauden abgeirrt sein? Ihm zu Ehren schlage ich vor Gundo- 
bagudtis zu ändern: damit gewinnt die Form ihre mühelose Er- 
klärung und die Lautlehre der Burgunden eine anziehende Vor- 
kommenheit mehr. Es geschieht nämlich öfters, dass ein deutscher 
Diphthong sich wieder in seine beiden Vocale spaltet und ein 
eingeschobenes H oder G, bei den Franken auch GH, dieselben 
trennt. So wird nastait in nastdhit gedehnt (Lex Alam. 56. 
Haupts Zeitschr. IV, 472), stdc in stehic (Altd. Leseb. 26, 4. 6), 
bei den Langobarden Äistulf in Ahisttdf (Paul. Diac. IV, 26 u. s. f.), 


1) [goth, Badvila (vgl. unten am Schlüsse dieser Abhandlung), frän- 
kisch Badilo Bodilo, ahd. Petüo Potilo.] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 367 

laip marpais saddais sonorpair in lahip u. s. w. (J. Grimms 
Gesch. d. D. Spr. II, 692), harlraida in ariragida (L. Eipuar. 
64), vuir in vu^ir (Muspilli Z. 63 Schmeller), altsächs. tuUhdn 
in tv^ithdn (Biegers Leseb. S. 335), niun in nigun^ althd. sitm 
sftso mittellat. seusius seusm seuses seucea (vgl. süsan „Stridore*^) 
in sigusius L. Sal. VI, 1. segucius L. Burg. 97, ahd. zitdinia 
ziolinta in zigelinta (Jac. Grimms Mythol. S. 1144 fg.), fränk. 
Bwain in swachin, mit Syncope des zweiten Vocales -haidis haim 
chaim stain in hagdis hagm chagm stagn (J. Grimm vor Merkels 
L. Sal. S. XVII. Förstemanns Namenb. I, 581. 591); so lassen 
auch goth. bauan und bagtn sich vereinigen und ebenso nun 
Gundobatidits und Grundobagudus , während Gundobagaudus ein- 
fach nicht zu verstehn und lediglich sinnlos wäre. 

Eine zweite Angleichung des Burgundischen findet nicht so 
ihre Parallelen schon in uralter und ältester Zeit, sondern erst 
auf einer späteren Entwickelungsstufe und klingt zumal an das 
bewegte Lautspiel der altsächsischen Mundart der Evangelien* 
harmonie und der mittelrheinischen Otfrieds an. Es ist diess 
der Umlaut von lU in lA, der in dem kiand der Spange von 
Charnay vorliegt, einem adjectivischen Adverbium dessen Stamm 
nach der Auseinandersetzung Dietrichs (Haupts Zeitschr. XIII, 
117) kium oder noch besser kiun geheissen und, wie das Wort 
zunächst mit chien ahd. Fackel und kann altnord. Geschwür zu* 
sammenhängt, die Bedeutung yon brennend und scharf und dann 
auch von kühn muss besessen haben: als Wurzel denke ich mir 
das althochd. Zeitwort chiuwan „mandere, comedere, comminuere", 
als Grundbegriff also das Verzehren; das Feuer aber wird ge- 
frässig, unersättlich, beissend genannt (jgrddag altsächs. Evan- 
gelienh. 65, 11. 104, 11. 130, 23. 133, 11. unfuodi 78, 23. 
bitar 78, 22). Zugleich ist Hanö ein Beweis mehr, dass die 
Burgunden, wenn auch im weitern Verlaufe der Zeit, doch nicht 
ursprünglich und inooner EU statt lü, z. B. kevn statt kiun 
gesprochen haben: keund hätte sich eher in keano angeglichen. 
So beruht auch das vorher angeführte sigusim der Lex Salica 
auf einer Form dieses Wortes, die noch das ältere lU und nicht 
schon das später den Franken gewohnte EU besass. 

In einem dritten Falle ist es kein selbständig offener Vocal, 
der den Laut der Wurzel an sich zieht oder diphthongierend in 
denselben hinüberspringt: die Angleichung geht vielmehr von 


368 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 

einem solchen aus, den ein Gonsonant mit in sich enthält, von 
dem V das nach mannigfach üblicher Sprechweise in der Liquida 
L liegt: hie von berührt, trübt sich ein vorangehendes ^ in 0^ 
den Mittel- und Mischlaut zwischen Ä und U. Wohl das ver- 
breitetste Beispiel ist, dass sich b(dd, aber nur wo es den zweiten 
Bestandtheil eines Namens hergiebt und damit sein eigentlicher 
Begiiff. etwas abgestumpft wird^), in bold verwandelt. Belege 
dafür aller Orten und Enden und einer auch vom Burgundischen 
Gebiet: zwar die Entstellung Gundobaldm ist nicht auch so 
noch verändert worden, aber die Schenkungsurkunde von S. Mau- 
rice hat einen Fredeboldtis eomes. 

Endlich die Schwächung oder, wie auch gesagt wird, 
Brechung der betonten kurzen / und U in E und 0. Zu aller- 
erst, da dieselbe aufkam, kann sie ebenfalls nur das Ergebniss 
einer Augleichung gewesen sein, ein Umlaut, herbeigeführt durch 
ein offenes oder in ^-oder R enthaltenes A: das wird aus dem 
Gothischen ersichtlich, wo die Diphthongierungen AI und AU, 
die den spätem und sonstigen E und entsprechen, beinahe 
ausnahmslos auf die Berührung mit einem nachfolgenden H oder 
S beschränkt sind ; das geht auch daraus hervor, wie noch weiter- 
hin die E und selber zumeist bedingt erscheinen durch ein 
A oder einen dem ähnlichen Laut des Schlusses oder ein H oder 
B. Aber schon in frühester Zeit, die wir sprachlich kennen, 
haben beiderlei Aenderungen, die Diphthongierung wie die 
Schwächung, über die gesetzliche Grenze hinausgegriffen: schon 
um Jahrhunderte vor ülphilas finden wir bei den Germanen 
des mittleren Deutschlands nicht allein Xaipou(7ixo{ und Xe- 
pou<jxoi, sondern auch (und hier wirkt keine jener Ursachen mit) 
2aiy£iJLTf]po^ und Seyiixvjpoc, 2atY6anr|^ und SeyscytTic. Und 
dieser mitteldeutschen, entschieden ebenso ungothischen als un- 
alamannischen Art schliessen sich die Burgunden an. Diph- 
thongiert haben sie wohl nicht, nicht also bairg und gcUrn und 
maurgin ausgesprochen: wenn Seddeuba, ein ebenso wie Sede- 
gundis (Fredeg. Epit. 82) und wie althochd. Situmt und Sitipoto 
mit sidu Sitte gebildeter Name, in anderer Schreibung Saede- 


1) [mittelniederdeutsch holt auch als selbständiges Wort: Schillers 
Beiträge zu einem mnd. Glossar S. 3 a; mittelniederländisch boiit] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 369 

leuba heisst und ein Priester, der späterhin bei einer von Sede- 
leuba gestifteten Genfer Kirche begraben worden, Äegioldus (Le 
Blant II, 2 Nr. 371), doch wohl aus derselben dunkelen Wurzel 
mit Igo Igila Igtdf, so soll das AE schwerlich ein burgundisches 
AI darstellen, sondern bezeichnet nur, wie das überhäufig im 
spätem Latein und im früheren Deutsch geschieht, den halb 
^-artigen Laut, den die genauere Aussprache von je her diesem 
E gegeben: das A, die eigentliche Ursache der Schwächung, 
wirft sich auch hier in die Wurzel, ohne jedoch dieselbe zu 
diphthongieren und mit der Qualität zugleich deren Quantität 
zu ändern. TJeberall sonst kommt in der Schrift nur das ein- 
fache E und gleichfalls nur das einfache vor, beides eben 
auch unter solchen Umständen wo den Gothen und den Ala- 
mannen nur das reinere vollere / oder U gestattet war, und 
beides ohne folgerechte Durchführung: mit dem E wechselt noch 
das /; mit dem das ü ab, oft sogar in einem und demselben 
Worte und noch viel weniger nach irgend welcher Begel als 
schon bei den» Franken : recht ein Merkmal wie die ganze Sprache 
selbst in einer Schwächung und Brechung des Ueber- und Unter- 
gangs begriffen-* war. Ein I haben iddan Ingildtis Aunegilde 
novigildus trigildus Usgildm Vistrigilde Giscladits Conigisclus 
Fridigisclus Gundiisclus Villigisclus Hilpericus Theudelinda 
Süvanus (S. 336) sinisttis Videmarus Windernarus Vithuhif 
wittiman; ein U Uno tmthfanthai Uthila Gundefuldus ScudUio 
TulUi Segisvuldus Vulfia Vulfila Oundeulfus Obtulfns Riculfus 
Vithuluf. Ein E Engevald Eptadius Aisaberga Alibergu Aren- 
berga ViUioberga Felocalus Fremodus Gemola Fridigernm Hilde- 
gernus Atidolena Sedeleuba Teto Orovelda Leuvera; ob aber auch 
hendinos oder chendines (oben S. 343 fgg.)? die Verbindung ND 
widersteht sonst eher einer solchen Brechutig; ein Obtulfus 
Oronelda morginegyba , vielleicht auch (S. 346) Chrona, Da- 
gegen schwanken zwischen / und E (E ist jedoch der Kegel 
nach das handschriftlich mehr empfohlene) Imiman Imelistanm 
Ymnemodus Hymnemondus und Ememundus Emiocer, Fridi-^ 
gemus Fridigisclus und Fredegiscltts Fredeboldus Fredemundus, 
morginegyba und morgangeba, Gibica und Gebica Gebeca, Hilde- 
gernus Hüdeulfus Chrodechildis und Hddigernus, Baldaridus 
und Baldaredus Leubar edus Nandoredtis, Siggo Sigifunstis 
Sigismundtis Sigisricus Sigismddus und SegismundMS Segimundus 

Wctekernagtl, Schriften. III. 24 


370 Sprache und Sprachdenkmäler der Borgunden. 

Segericus SegisvuUlus, vigius und regitis vejus, Wilenieres Vi- 
Uaric Viüighclm Villioberga und Welietneres, Vinakarius und 
Wmaharim; zwischen U und Oy letzteres aber ist wiederum 
häufiger, Vffo und Offo, Uagthlus und Osgüdm, Cunigiscliis und 
Conia Coniaricus Conigischis, Gydabadus Gudomarus Gudemundus 
und Godomares Godegisdus, Gutia und Gotia Ostrogotho Suave- 
gotta, Sunia und Smia, Einzelne Handschriften des Rechts und 
sonstige Aufzeichnungen gewähren auch Borgundio für Bvr- 
gundio (L. Burg. Vorrede 2. 4. 10. 12. Capit. 24. Tit. XCVI. 
CVn, 11. CVIII), Fom für Funs, Gemola für Gemula, Gonde- 
hadus Gondegkdus Gondariiis Gondomares Gondiochm Gonde- 
ulfus neben Gundobcuitis Gundiisdm Gundahariiis Grundomares 
Gnndemimdus Gtmdioctis Gtituieulfus Gundeftddtis G^ntello 
Arigufule, Fredetnondus Ifymnemondm Teudemandtis neben 
Fredemundus und. den anderen Namen von gleichem Ausgang: 
darin jedoch darf bloss romanische Auffassung gefunden werden: 
gerade diese Worte haben auch im Provenzalischen und Ita- 
liänischen ein 0. Wie grosse Neigung aber dfe «Mundart der 
Burgunden überhaupt zu solcher Lautschwächung trug, geht aus 
der Häufigkeit hervor, womit sie den Bindevocal zusammen- 
gesetzter Worte, das A, das /; das U, womit sie auch das / 
oder A in Ableitungssylben und das A am Schluss weiblicher 
Substantiva, all diese volleren Vocale in ein und dasselbe farb- 
lose F versinken Hess. Von den Zusammensetzungen und den 
Ableitungen wird sogleich zu handeln sein; Weibemamen, die 
so endigen, sind Aunegüde Vistrigilde Arigunde Susane und 
Caretem, und doch hätte lateinischen Versen, wie solche den 
letzteren Namen bieten, Carüena besser angestanden: aber die 
Burgunden sprachen eben nicht mehr so. 

Nach dieser Mosaik von Lautlehre nimmt uns jetzt noch 
die Wortlehre in Anspruch, sie nur für kürzere Zeit. 

Als Bindevocal zusammengesetzter Nomina kommt erstlich 
das hiefür altgültige A vor: AgathetdS Angatheus BaUkamodvs 
Bcddaridns Coniaricus faramannus Gislabadtis Gislaharius Go- 
damares Gundaharitis Gundamares Letibaredus mcUahareda 
Wadamires Walaharim Viliaric; ferner, in Folge wieder einer 
Angleichung an den Laut der vorausgeht, ein U: Gvdubadus 
Gundvbada Miu^iruna; oder auch 0: das aber scheint hier wie 
übemll sonst in älterer Zeit nur eine Fortwirkung der Art, in 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 371 

welcher Griechen und Bömer mit germanischen Compositis zu 
verfahren pflegten: Audolena Gudomarus Godomares Gnndobadm 
Gundomares Nandoredus Onovaccus Villioberga. Wenn jedoch 
das erste Wort schon für sich mit einem Vocale, mit / oder U, 
gebildet ist, so wird der Bindevocal entbehrlich, und es heisst 
Felocaltis d. i. Felucalus und neben Coniaricus Vüiaric kürzer 
Conigisclus ViUigisclus; ebenso Gundibadics Gundiisclus Gun- 
diocv^ Gunditdfus Ariditts Arigunde Arimundus Heldigernus 
Willimeres mUiscalcus, vielleicht auch Aliberga und Alifius: nur 
Wenaharim zu tcini weicht aus der Kegel, da es eigentlich ent- 
weder Weniaharim oder Weniharius lauten sollte, und insofern 
ist die sonst entstellte Lesart ueniacariae richtiger. Noch öfter 
indessen wird das A, das 1, es wird auch ein U, das eigentlich 
am Platz wäre, in jenes eben besprochene E hinunteigesetzt: 
abermals diess eine üebereinstimmung des Burgundischen mit 
dem Fränkischen. Also mit £^ für ^ Amemundus Atidemundtis 
Audericus Aunegilde Aunemündus Chrodechildis Ememundus 
Engevcdd God^^giselus Godemartts Hilpericus Hymnemondtcs Ym- 
nemodus Manndeübus nwrginegyha Suavegotta Theudelinda 
Theudemodus Teudemondus Weliemeres Windemeres; für / Are^ 
dius Caretene Wilenm^es; für A oder ^, je nachdem gunth oder 
gunthiß (oben S. 339. 354), hild oder hildia ist verwendet 
worden, Gundebadus Gundefuldus Gondegiselus Gundemundus 
Gundeuchus G^ndeulfus, Hildegemus Hildeülfus; für U Frede-' 
boldus Fredemundus Fridegiscltis Sedeleuba Segericus Widemeres. 
Lr gleicher Bedeutung mit diesen stummen E zeigt sich hie und 
da bereits ein / gebraucht: Audimundus Aunigilde Aunlmundus 
Bqldimodm Emiocer Godigiselus Imirnan Windimeres Vistrigilde, 
vielleicht auch Aliberga und Alifius; bei Fridigemus Fridigisdus 
Sigifunms Sigimundus Sigiricus liegt darin abermals eine An- 
gleichung: denn der eigentliche Vocal wäre hier ein U. Zu- 
weilen sogar verstummt der Bindelaut in der That und gänzlich, 
und die Worte treten ohne jede Vermittelung an einander, nicht 
allein wo das vordere zweisylbig ist wie in Arenberga morgangiba 
Segismundus Segisvtddus Sigisrictis, oder einsylbig, aber ganz 
vocalisch oder wieder auch auf S ausgeht wie in Eunandus und 
AnsUvhana, das unmittelbar neben Ansemundus so geschrieben 
wird, oder das zweite seinen Anlaut W gegen U oder ver- 
tauscht oder darein verschleift hat wie in Nasucddtis Radoara 

24* 


372 Sprache und Sprachdenkmaler der Bnrganden. 

Obtulfus Siculfus, sondern auch Cftartenius hat kein A, kein I: 
vielleicht dass diese Syncope den bischöflichen Namen in Bezug 
auf das lateinische charta bringen sollte; und ebenso wenig 
Leuvera und Silvanus: aber hier &llt der Mangel in eins zu- 
sammen mit der Angleichung und Verschmelzung, die den 
Wur^lauslaut des ersten Bestandtheils, ein B (S. 336), ge- 
tilgt hat^). 

In ähnlicher Weise werfen zwei Worte, wenn eine Zusam- 
mensetzung mit ihnen schliesst, das Bildungs-/; mit welchem sie 
für sich allein erscheinen , ab. Von den Alamannen ist EuAfo- 
marivs Chrodamarim überliefert, wie das Adjectiv althd. mdri 
lautet: bei den Burgunden sehen wir, ohne dass die Latinisierung 
ein / aufwiese {Gundomarium in der Lex Tit. 3 ist Fehler der 
Handschrift K für Gundaharium)^ Gudemarus Gundomares Vide- 
marm Vindemams, also schon ganz wie das Althochdeutsche die 
Namen dieser Art und auch wie das Gtothische (vgl. S. 361) sie 
behandelt und wie schon früher ein Marcomannenkönig Marco- 
marus genannt wird : aber den öothen hiess ebenso das Adjec- 
tivum einfach mir. . Sodann hari, das ursprünglich ein Mascu- 
linum, demgemäss auch nur s. v« a. Krieger gewesen (althochd. 
Glossen in Graffs Sprachschatz IV, 983) und erst von da aus 
in den Gollectivbegriff Heer ist erweitert worden; als zweiter 
Theil eines männlichen Eigennamens hat es natürlich noch den 
älteren persönlich vereinzelnden Sinn. Mit ihm die Namen 
Andearim Gidaharitis Gundaharius Walaharius Wenaharius 
und Abcares oder Abcaris, Walahares oder Walaharis und An- 
daharus, welch letztere aus den Genitive Abcaris Walaharis 
Andahari sich ergeben: dort beruht die Latinisierung auf einer 
burgundischen Form, die noch ebenso voll auf / ausgeht, wie 
in der gothischen und meist auch in den oberdeutschen Mund- 
arten das geschieht; hier, bei Andaharus wenigstens, liegt die 
Abkürzung har, die sonst mitteldeutsch und fränkisch, aber auch 
langobardisch ist (Rothar in der Prosa und den Versen des Pro- 
logus in Edictum>Botharis), zum Grunde. Möglich dass zu der 
Zeitf da das Burgundische Gesetz geschrieben ward, hari und 


1) [vgl. Segefdes nnten S. 376 Anmerkg. 1 ; SigipedeR d. i. Sigigtpedes 
Zeuss S. 436. Sigambri d. i. Sigigambri J. GWmm Gesch. d. D. Spr. 1, 525.] 


Sprache und Sprachdenkinäler der Bnrgniiden. 373 

har^ beides neben einander galt; noch wahrscheinlicher jedoch 
dass man in Wirklichkeit überall nur die verkürzte Form ge- 
brauchte und die vollere bloss etwa da wieder aufnahm, wo es 
galt einen Namen lateinisch umzusetzen: da empfahl sich Kanus 
durch ältere Herkunft und Gewohnheit besser. 

Zusammensetzungen mit Partikeln finden sich unter den 
Sprachbelegen, die uns zu Gebote stehn, nicht in so spärlicher 
Anzahl vor, als man erwarten sollte: denn diese Belege sind ja 
meistens Namen, und Namen hat unsre Sprache stets nur seltener 
so gebildet. Zuerst auf der Spange von Chamay das Adjec- 
tivum unthfanth, dessen unth von Dietrich dem goth. untha, 
angels. üb ist gleichgestellt und im Sinne der Trennung oder 
dem einer Hervorhebung ist gedeutet worden (Haupts Zeitschr. 
Xin, 114 fg.); der zweite Bestandtheil aber muss, eben wie fäthi 
fibe, das im Alt- und Angelsächsischen das Gehen zu Fuss, 
und wie fendeo feba, das im Althochd. und Angels. den Fuss- 
gänger und den Fusskrieger bezeichnet, herkommen von finthan 
alts. fuhan erfahren, finden, eigentlich gehen: unthfanth also 
ein ausgezogener oder ein ausgezeichneter Pusskrieger. Ganz 
unzweifelhaft freilich dünkt mich, was die erste Sylbe angeht, 
diese Erklärung nicht, nur etwas mühsam. Denken wir an 
Worte wie auf Angelsächsisch ybläd Wellenfahrt, yblida Wellen- 
fahrer^ Schiff, und gar auf Althochd. iindgengio untkenkeo „nau- 
fragus", tmtscachondi „fluctivagus", so dürfte es natürlicher 
scheinen das burgundische nnthfanfh in gleichem Sinne mit 
letzteren Ausdrücken, mithin auch als Zusammensetzung mit 
einem Substantivum , mit unthja Welle, aufzufassen: dass schon 
ihm wie jenen iindgengio u. s. w. der Bindevocal abgeht, wird 
nach den Beispielen desselben Mangels, die wir so eben aus dem 
Burgundischen sonst vernommen, kein Einwand sein. Grössere 
Sicherheit haben fünf andre Partikelcompositionen, fünf Eigen- 
namen, Abcares, Andaharus, Ingildus, Usgüdns und Vithuluf, 
Abcares oder Abacares: ab dem goth. af, aha dem ahd. apa 
näher liegend; eine Bildung wie goth. afhaim von daheim ab- 
wesend, wie im Griechischen die Namen ' kizoh-rw^ioQ und ' KT:6\f\i,i^, 
wie im Deutschen selbst der weibliche Aphilt Abachüda, und als 
die rühmeöde Bezeichnung eines solchen zu verstehen, der von 
dem Heere getrennt für sich allen ficht, zu vergleichen also dem 
ahd. Namen Einheri und den einherjar des nordischen Mythus 


374 Sprache und Sprachdeukiiiäler der Barganden. 

und von wesentlich anderer Art als ^onst die Namen die auf 
liari endigen: denn hier ist das Wort in seinem coUectiven Sinn 
genommen. Anda ist im Oothischen, vib im Angelsächsischen, 
Altsächs. und Nordischen s. v. a. gegen, wider: Andaharus mit- 
hin ein Gegenkrieger, VUhuluf altnord. Vibolf (s. oben S. 349. 
352) ein Qegenwolf: man kann damit Andiigis und Andulf, 
WidgSr und Widarolt, Geginheri und Kaganhart zusammen- 
stellen, und wie viele Namen mit avxf, darunter z. B. *Avt{aoxo? 
und 'AvT^pLaxoc, hat die griechische Sprache! Es war .eine 
Uebereilung Vithtduf aus mdu Holz, Wald, ein Wort mit TH 
aus einem unaspirierten zu erklären (Haupts Zeitschr. XHT, 50). 
Weiter mit tisgildan übersetzt Ulphilas Luc. XIV, 14 das grie- 
chische avTaTCo5i86vat: Usgildvs bedeutet demnach Vergelter; 
synonym damit ist der althochd. Name WidargeÜ. Ingüdm 
endlich (es haben den Namen auch die Gothen, die Alt- und 
Angelsachsen, die Franken u. a.) wird uns durch kein Zeitwort 
dazu verdeutlicht, so wenig als das fränkische Ingundis oder 
das althd. Infrld: wie aber in auf Angelsächsich zugleich ein 
Substantiv im Sinne von Haus geworden, so enthält schon die 
Partikel einen Bezug auf Haus und Heimath: neben dem angel- 
sächs. Inn, dem althochd. Inno haben wir auch Haimo, neben 
Infrid auch Ilaimf rid, und so mag, da gidd und gieldan im 
Angelsächs. und Althochdeutschen auch s. v. a. Opfer und opfern 
ist, der Name Ligild, als man ihn zuerst gebrauchte, auf die 
priesterlichen Verrichtungen gedeutet haben, die im Heidenthum 
(vgl. Tac. Germ. 10) auch der Hausvater übte. 

Von Ableitungsmitteln treten uns mehrere bemerkenswerth 
entgegen. Einmal / in Conia und diu übrigen schon S. 347 fg. 
besprochenen Beispielen : ich sage I, nicht J: das Gothische frei- 
lich und das Althochdeutsche, in einzelnen Mundarten wenig- 
stens, würde hier überall das letztere brauchen: dass aber den 
Burgunden ein rein vocalisches / gegolten, zeigt die Spange von 
Chamay, auf der nicht Fusja, sondern Fusia geschrieben steht. 
Ferner IS als Ausgang von sigis oder segis in den Namen 
Sigisricus Segismundus Segisvuldus; die Form Sigisricus hat 
Avitus: wenn derselbe Königssohn anderswo Sigiricus oder Se- 
gericus heisst, König Segismundus auch Sigimundus (Greg. Tur. 
sagt de Glor. Mart. 75 Sigismundu^ , Hist. Franc. 111, 5 u. a. 
Sigimundus, ebenso Fredeg. Epit. 34. 35) und ein Haupt der 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 375 

Häretiker im Bisthum Auxerre Sigifunsm, so wird damit die 
einfachere Bildung des Wortes, deren das Fränkische wie das 
Alamannische sich bediente, eingetauscht; sigis hatten die Bur- 
gunden gemein mit den Gothen, den Scandinaviern (sigtir) und 
den Angelsachsen (sigor). Endlich noch eine Pünfzahl von Wort- 
ausgängen, die wo sie an Appellativa treten verkleinernden, wo 
an Eigennamen eher bloss den liebkosenden Sinn besitzen: / in 
Tullii; IC in GiUca Gebica Gebeca (äieselbe Schwächung des 
Vocals auch der Ableitungssylbe wie in Athela Athüci, Arenberga, 
Emiocer, Guntello, Ildelo, Sigesvulftis , Wcdesta Walescus, mtte" 
mon mUinum\ und neben GiUca mag noch aus dem J. 563 
Athica gestellt werden (Inschrift bei Le Blant II, 150 Nr. 466 A); 
IL in den Männemamen Fagüa Fastüa Ildelo Uthila Vtdfila 
und dem weiblichen Remila; viertens CL, die Verbindung der 
letzteren beider, die wir uns (vgl. das althochd. Sunichilo) aus 
IKIL syncopiert zu denken haben, in Gisrladus d. i. Gisclahadus 
(oben S. 346), in Conigisclus Fridigisdus Gundiisclus und Villi-' 
gisclus. Diess giscl konamt sonst noch oft, als erster wie als 
zweiter Bestandtheil, in Eigennamen vor, gothischen, vandalischen, 
varinischen, fränkischen, bei den Völkern aber voti oberdeutscher 
Mundart nirgend. Die Schreiber entstellen es gelegentlich in 
gisdj und sie und bereits die Schriftsteller selbst halten gisalj 
gisil und gisd nicht überall recht aus einander: wir müssen und 
können (s. Schweiz. Museum I, 102 fgg.) das besser thun. Von 
ein^r Wurzel gis, deren allgemeineren Sinn^) am bestimmtesten 
das mit dem Laute des Aorists gebildete gais oder gSr (oben 
S. 362) ausprägen mag, das die Benennung eines Speeres, lat. 
gaesum, persönlich aber aufgefasst (und so verwenden es als 
zweiten Bestandtheil zahlreiche Männernamen) s. v. a. vir fortis, 
lat. gaems ist (Servius zu Virg. Aen. VIII, 662), von eben 
dieser Wurzel kommt niit präsentisch langem / und ableitendem 
AL das Personwort gisal Geisel, eigentlich ein Kriegsgefangne'i^, 
noch eigentlicher (vgl. das griechische aixfJiaXwTOi;) ein mit dem 
Speer gefangener: burgundisch haben wir diess in Gislahadtis 


1) [J. Grimm Gramm. 2, 46 ferire; Ettmüller Lex. Anglosax. S. 433 
agi, vehementer fern. Lat. gerere? Ortsnamen Angilgise, Humilgise, 
Wider gisa; das mittlere jetzt Himmelgeist, also I. Mit kurzem i der 
Flussname Visurgis d. i. Wisuraha*] 


376 SpracHe und Sprachdenkmäler der Bargnnden. 

und Gidaharius. Mit dem kurzen / des Perfectums gis^): die 
Eigennamen, in welchen allein es noch gebraucht erscheint, be- 
weisen die Kürze: nur derentw^en konnte z. B. Vitigis auf 
Lateinisch und Griechisch so wie tigris decliniert werden; und 
sie thun für gis eben die Bedeutungen dar, welche gais besitzt, 
ebenfalls die Bedeutungen Speer und Held: nur deshalb war es 
möglich den grossen Vandalenkönig bald Gaimricusy bald Gize- 
richuB zu benennen. Hiezu nun ist gisil das einfache, gisikil 
gisd das gehäufte Yerkleinerungs- oder Kosewort: besonders an- 
schaulich, wenn sich bei demselben Namen beiderlei Ausgänge 
oder gar alle drei zugleich darbieten, Aragis und Aragisclus, 
Ermengis und Het^megisclas, Vitigis und Vitigisclus, Mttotgis 
Modigisilus und Modigisdus, Thiotgis Theudegisilus und TJieii- 
degisclus; auch dem Bertegiseliis einer Grabinschrift des J. 600 
zu Guilleraud (Le Blant II, 774 Nr. 474) steht anderswo Be- 
rehtgis, unserm Godegiselus noch roStyfoxXo^, unserm Fridigis- 
clus noch Fridugis und Fredegisilm zur Seite. 

Ein fünftes derartiges Bildungsmittel. Nicht selten zeigt 
sich in Quellen des Althochdeutschen der Gonsonant der Ab- 
leitung IL yerdoppelt (Jac, Qrinuns Gramm. II, 317): nur zu 
erklären, wenn dem zunächst eine mit / noch erweiterte Form 
vorangegangen, wenn z. B. ausser und vor sidila auch sidilja 
gesprochen worden (und das Grund w(Hii ist ja der lat. Plural 
sedilia): erst hieraus denn sidilla und mit verstunmiendem Laute 
sidella: vgl. oben S. 347. Den gleichen Ursprung nur kann ,das 
LL des burgundischen Namens Guntelh und so auch der alt- 
hochdeutschen Basilla Hezüla Listlllo genommen, er muss zuvor 
ebensolch ein LI besessen haben wie Scudilio, wie bei den 
Franken Scvpilio, wie bei den Alamannen Odilia. Es ist ein 
Weibername und sein Declinationsvocal der unverändert burgun- 
dische: diess verwehrt uns an eine Deminutivform nach roma- 
ilischer Art zu denken: auch das Burgundische vertauscht ja 
wurzelhaftes wie ableitendes / gern gegen E. Vielmehr liegt 
uns hier ein altes und meines Wissens das älteste Beispiel einer 


1) [Mit ableitendem T Bicgist neben RtcgiSy Thiotkist neben 
Theotgia: Förstemann 1, 1045. 1175; ebenso SegesUs aus Segigestes? 
ygl. Leuvera oben S. 372. Däss es für Sigigast stehe (J. Grimms Gesch. 
d. D. Spr. 1, 526) ist nicht wohl denkbar.] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 377 

echt deutschen Wortart vor, jener Koseformen, die von einem 
zusanunengesetzten Namen nur den ersten Bestandtheil , auch 
diesen mßist noch in irgendwelcher Kürzung, festhalten und 
dann auf Sächsisch ein Ty auf Hochdeutsch ein Z^ zuweilen auch, 
damit die Deminution noch kosender werde, noch als zweiten 
Schluss ein IL, ja als dritten noch ein / dahinte];setzen, z. B. 
Sigibert Süto Sizo (Gramm. III, 692), ÄmalUndis Amäa (Tra- 
dit. Wizenburg. S. 225), HiÜipurch Hizila, Warinhari Werinzo 
,Wazo Wezilo Wazilu Eben3o denn Gtintelh d. i. Guntilio. 
Unmittelbar von gunth oder gunthja kommt das nicht, da es 
ein T, kein TH oder D aufweist: es röhrt aber her von einem 
Namen, der damit begann, wie, im Burgundischen selbst belegt, 
Gkmth'ßiica oder anderswo Gundiberga oder GundehiUhs oder 
Gundellndis u. s. w. Dieselbe Vieldeutigkeit bei den ent- 
sprechenden Koseworten des Althochdeutschen, bei Gunzo Gunza 
Gunzila Gunzili. 

Schliesslich der Einblick in die Flexion der Burgundischen 
Mundart könnte dadurch ganz verbaut erscheinen, dass uns fast 
lediglich Substantiva, fast lediglich Eigennamen und diese fast 
immer in ii^end welcher Latinisierung des Ausgangs überliefert 
seien. Indess die genauere Betracditung wird auch aus solchen 
Umgestaltungen heraus noch Einiges zu ermitteln vermögen, und 
ausser all den lateinisch gefassten Einzelworten haben wir ja 
auch mehrere, die unverändert burgundisch geblieben, ja in den 
Buneninschriften noch zwei ganze ganz burgundische Sätze, die, 
so überaus kurz sie sind, uns doch manches lehren und mehr 
noch errathen lassen. 

Die Latinisierung beachtet hier so, wie sie dessen auch sonst 
gewohnt ist, den Unterschied zwischen starker und schwacher 
Substantivflexion und kennzeichnet denselben durch die Endungen, 
die sie den deutschen, den burgundischen Worten theils belässt, 
theils giebt. Die starken Masculina, und der Regel nach nur sie, 
erhalten im Nominativ die Endung m; die seltnere es, theilweise 
vielleicht auch is, hat ihren Beleg in dem WilUmeres einer In- 
schrift sowie den Genitiven Abcaris Widemeris Wiletneris Wilieme- 
vis Wadamiris und den Accusativen Godomarem Gundomarem des 
Gesetzes: bei Namen, wie diese in ihrer Mehrheit sind, eigent- 
lich gothischen auf mSr oder mir (vgl. oben S. 361), war solch 
eine Umbildung alt und allgemein gebräuchlich: es ward damit 


37 R Sprache und Sprachdenkmäler der Bargnnden. 

das S des gothisch-^germanischen Nominativs am wenigsten ver- 
ändert. Das Burgundische jedoch hatte diese Nominativflexion, 
zum mindesten gegen das Ende hin, bereits verloren: auf dem 
Bracteaten steht schon ein unflectiertes Vithuluf, in anderen In- 
schriften Engevald Itniman Viliaric. Im Gk)thischen selber bietet 
ungefähr zu gleicher Zeit, um die Mitte des sechsten Jahrhun- 
derts, die Urkunde von Ravenna schon Ußahari und Viljarüh 
(die von Arezzo noch Gtidilaibs); ja schon fräher haben da Ge- 
fässinschriften die Nominative Arvik und selsath (Dietrich in 
Pfeiffers Germania XI, 203) und bat bei den Vandalen die 
eines Gewichtes, das in den Trämmern Gharthagos wieder auf- 
gefunden worden, Raginari (Papencordts Gesch. d. Vand. Herr- 
schaft in Africa S. 440 ^). 

Die schwachen Masculina bildeten auch im Burgundischen 
den Nominativ mit A, und das ward entweder ebenso ins Latein, 
dem ja ein männliches Wort mit A nicht widerstand, hinüber- 
genommen: Athala Athica (Inschrift von 563 bei Le Blant U, 
150 Nr. 466 A) Conia Fagila Fastila Ftma Gebeca Nansa 
Sara Sunia Uthila Vvlfia Vulfila, so dass sie gleich mit den 
Femininis lauteten ; oder aber es ward aus dem männlichen Vocal 
ein 0, eine Aenderung, die im Lateinischen überall und von je 
her geläufig und dadurch doppelt empfohlen war, dass sie keinen 
Zweifel in Betreff des Geschlechtes offen liess und die lateinische 
Flexion durchgängiger übereinstimmend mit der deutschen selber 
machte: von der Art Baliho Bddo Hanno Offo Rapso Rico 
Scudilio Siffgo Teto Vassio und als der älteste und der Grund- 
beleg der Name des ganzen Volks Burgundiones. Die Pranken 
scheinen, gleich den Sachsen und den Oberdeutschen, diess 
für A schon in der eigenen Sprache gebraucht zu haben. 

Bekanntlich aber ist, was unsre Grammatik schwache De- 
clination nennt, eigentlich auch starke, nur dass, eben wie bei 
den lateinischen Substantiven auf 0, der Stamm noch mit AN 
oder ON gebildet und diese Endung mit denen der Flexion eng 
in eins gezogen, der Nominativus aber noch mehr verkürzt ist. 
Der stark flectierende althochd. Einzelname Theodan und der 


1) [vgl. auch Haupts Zeitschr. 14, 79 fgg. Friedländers Müszen der 
Vandalen S. 13. — Ist dem entsprechend auch das S des Pluralis abge- 
worfen? 8. unten s. v. leudus am Ende.] 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 379 

latinisierte Volksname Teutonus Plur. Teutoni ist noch dasselbe 
Wort mit dem gothischen Appellativtim thivdans König: der 
andere Name Theodo, die andre Latihisierung Teuto Teutones, 
beide nunmehr schwache Formen sind nur Syncope und Apocope 
jener volleren starken. Dieser Ursprung der schwachen Declina- 
tion und eine Art von Bewusstsein dieses Ursprunges wirkt nun 
das erste Halbjahrtaüsend des Mittelalters hindurch in auffallen- 
der Weise da noch fort, wo deutsche Namen, schwache Mascu- 
lina sowohl als Feminina, lateinisch zu declinieren sind: die casus 
obliqui werden da nicht selten wieder durch Verbindung eines 
ableitenden AN (andre Vocalisierung ist minder gebräuchlich) 
mit den Endungen der ersten, der zweiten, der dritten Declina- 
tion hergestellt, und es heisst z. B. von Theoda der Genitivus 
Theodanae (Cod. Lauresham. dipl. Nr. 356), von Manna Man- 
nani und Mannanis, der Ablat. Mannane (Urkunde von Bavenna 
575 bei Marini, Papiri diplomatici Nr. 76), von Offa der Dat. 
Offano, der Vocat. Offane (Brief Karls d. Gr. vom J. 774), von 
Traguila Traquilla Tranquilla Traimlla d. i. Traggvila (bei 
Boeth. Consol. Philos. I Pr. 4 TriguiUa d. i. Triggvila) der 
Accus. Tragnilanem u. s. w., der Ablat. Tranquülane' (Greg, 
Tur. Hist. Pr. III, 31. Fredeg. Epit. 44): die Beispiele gehören 
den Gothen , den Franken und dem mittleren Deutschland an. 
Und auch das Burgundische liefert deren. Eine Inschrift hat 
den weiblichen Genitivus Gemoiane, und im Rechtsbuch giebt 
eine Reihe von Handschriften als Genitive der Grafennamen 
Offo und Siggo nicht Offonis Siggonis, sondern Offini und Si- 
goni Siccmiiy diese natürlich mit kurzem 0, mit verstummendem 
Ij eben wie das A dort in Gemoiane, in Mannani und Offano 
nur ein kurzes kann gewesen sein. Und so ist auch als Nomi- 
nativ zu Uftani nicht allein Unanus, wie es den altsächsischen 
Namen Unan giebt, sondern ebenso wohl und vielleicht noch 
besser Uno, die anderweit häufiger belegte Form, anzunehmen. 
Wie sehr man gerade auf romanischem Boden solcher Behand- 
lung der deutschen schwachen Substantiva gewohnt war, zeigt 
uns besonders augenscheinlich die Umgestaltung, die das lat. 
scriba dort erfahren hat: man nahm das A für die deutsche 
Endung und sagte nun entweder mit frischer Latinisierung scHho 
scribonis oder, indem man jene Auflösung in Ableitungs- und 


380 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bnrganden. 

Flexionssjlbe auch hier anwandte, scribanus, ital. scrivnno, franz. 
Serivain. 

Wir knüpfen noch einmal an Burgundiones an. Ammianus 
und Andere schreiben in kürzerer Form Burgundü Burgundi 
BoupYoSvftoi; im Nibelnngenlied werden Nominativ nnd Genitiv 
der Mehrzahl auch Bürgende Bürgende gebildet (2118, 4; 
497, 8. 2166, 4. 2179, 4), und schon im Althochdeutschen 
ist Burgund sowohl als Burgundio ein Personenname: damit 
wird, in geradem Gegensatz zu dem eben besprochenen Ver- 
fahren, das unterscheidende Merkmal der schwachen Biegungs- 
weise misskannt und ausgewischt. Und das geschieht noch 
mehrfach. Wiederum bei Ammian, wenn er als die Benennung 
des obersten Priesters sinistus angiebt (XXVIII, 6): die Bur- 
gunden sagten jedesfalls sinista, so gut sie als die Oothen denen 
Ulphilas das griechische Tcpe^ßuTepoc damit verdeutschte; sinistu 
eigentlich der Aelteste, ein als Substantivum gebrauchter Super- 
lativ, dessen Positivus sini, abgesehen von Namen wie Sini 
selbst, wie Sinedrudis Senicmchtts (Amm. Marc. XV, 5) Ermen- 
sina, appellativ nur noch in der Znsammensetzung siniscalais 
sinescalcus senisralcus (Lex Alam. LXXIX, 3. Karls d. Gr. 
Gapitttlare de Villis 16. 47 u. a.), wörtlich Altknecht, dem sim- 
scalco und sinSchal der Italiäner und Franzosen, nachweisbar ist: 
das Gothisdie ersetzte denselben durch die .weitere Ableitung 
sineig, die ebenso dem lateinischen senex entspricht wie sini si- 
nista dem lat. Genitivus senis und Comparativus senior. Noch 
unmittelbarer wird die schwache Flexion der Superlative auch 
für das Burgundische bestätigt durch einen Namen der Grafen- 
unterschrifteU; dessen Genitiv in L und E, hier der besten und 
der näcittitbesten Handschrift, nicht wie Bluhme unrichtig an- 
giebt (ich habe beide selbst mit Genauigkeit eingesehen) uualesce 
sondern vuakste, dessen Nominativus also WaUsta lautet; eine 
dritte gewährt tmalesti, die übrigen utudesse mialesci uucUisci, 
zum Theil also nadi der Declination in US, zum Theil auch 
mit einer Consonantverwechselung die bekanntlich häufig ist, die 
jedoch nicht überall von einem Versehen nur der Schreiber, die 
zuweilen, und wahrscheinlich gerade auch in diesem Falle, aus 
einer Verderbniss der Sprache selbst herrührt. Dieses fVcdesta 
d. i. WaUsta (vgl. oben S, 375) gehört entweder als Super- 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 3g 1 

lativ ^) zu dem Adjectivum val, dessen substantivisch gebrauchte 
schwache Formen Vali und vcda altnordisch die Namen eines 
Gottes und einer Seherinn sind : den Begriff desselben lassen das 
altsächs. welo Beichthum, die Interjectionen wila toaia wola und 
andre Bildungen von eben diesem Stamm errathen. Oder, Yalls 
man annehmen darf, die den Bomanen beliebte Yerrückung des 
R in L (Diez Gramm. I, 207 fg. 289 fg.) habe gelegentlich 
das Deutsch der Burgunden mit ergriffen, es ist in Valeäa der 
alte Name der Varistae zum Einzelnamen geworden, der Name 
eines Volks das ja mit auf dem Boden Burgundiens sass und 
nun Waresti, wie schon vorher die Varistae auch Varisti, oder 
mit jener Vertauschung des ST gegen SC Wareset Warasci 
hiess und der Gau, den es bewohnte, Warascus (Zeuss, die 
Deutschen S. 584 fg.) : auch dann ist die Endung superlativisch, 
Walesta Varista der Superlativ zu var goth. achtsam (Müllen- 
hoff in Haupts Zeitschr. IX, 132). Daneben finden wir bei den 
Burgunden selbst und freilich ebenso bei all den Uebrigen die 
lateinischen Formen — gisdus und — gisclus, während auf 
Deutsch diese Bildungen doch sicherlich schwach giengen, nicht 
anders als die auf ICÄ und auf ILA (S. 375) und das schon 
dort verglichene althochd. Suniehilo: noch aber beweist die Ge- 
nitivform Coniyiscle, die sich einmal als Lesart findet, den richtig 
schwachen Nominativus Conigiscla. Ferner die Schreibungen 
Gislabadus Gundobadus Gundobaudus, denen anderswo ''AaßaSoi; 
Fridvhadus 'IX5{ßa&o( Cannabaudes u. dgL zur Seite und voran- 
gehn: schon aus dem späteren pato oder poto (S. 366) darf man 
aber mit Gewissheit schliessen, dass es genauer Gislabado Gun- 
dabado heissen würde und auf Bui^^disch Gundabada, voll- 
ständiger Gundabadua geheissen habe (das U aber fiel aus wie 
in Nasua und Nansa, sarv und Sara), und wirklieh auch geht 
wieder aus dem Genitivus Gundübade, der in der Ueberschrifb 
des Gesetzes Lesart ist, Gundabada als der eigentlich rechte 
Nominativ hervor. 

Ein Substantivum, dessen Etymologie und Deutung schon 
durch die Verrückung des Schlusslautes seiner Wurzel uns sehr 
ist erschwert worden (S. 355 fg.), weicht nicht minder in Betreff 


1) [vgl. den comparatiyisch gebildeten gothiseben Namen Vitiza, 
Snperlatiynamen: s. Förstemann 1, 1119.J 


382 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 

der Beugung aus aller Regel heraus. Der Nominativns toitthna 
würde nach gothischer Declinationsart den Accusativus unttiman, 
ivittimo würde nach althochdeutscher wiUhnun oder wittimon 
verlangen: letzteres beides kommt auch vor, wittimun jedoch 
nur so, dass daraus (und gerade die besseren Handschriften 
bieten das überall) ein lateinischer klingendes unttimum geworden 
ist, und beides nicht als eigentlicher Accusativ, sondern im Sinn 
eines Ablativus hinter de (L. Burg. LXVI, 1. 2. LXXXVI, 2. 
CI), ja selbst in nominativischem Sinne (LXIX). Solche Er- 
starrung und Verderbniss wird nur begreiflich, sobald man den 
Anlass dazu bei den Romanen sucht, die sich in Satzbau und 
Flexion auf den Nominativ und den Accusativ und oft sogar auf 
den Accusativ allein beschränkten. Daher rühren ja auch in den 
verschiedenen Aufzeichnungen des Gesetzes Lesarten wie die 
üeberschrift Gundobado regis jyroloctis und die Unterschriften 
Signum tnnakario com., Signum Siluanum com., Signum gun- 
deulfu com.: der Bedeutung nach lauter Genitive, der Form 
nach Accusative, drei davon mit derselben romanischen Ab- 
werfung des Schlussconsonanten wie Tit. 97 in der Lesart ^^- 
gutio oder (um von zahllosen Beispielen nur noch eines zu geben) 
in den Schlussworten einer auf S. 388 angeführten Grabinschrift 
post consolato Inportuno. 

Die weiblichen Substantiva endigen lateinisch ein paarmal 
auf IS: so neben Aunegilde und Vistrigüde auch Aunegüdis, 
neben Aunihilde Chrodechildis ; der Regel nach jedoch auf A 
oder, indem dieser vollere Laut sich abschwächt, eben auf E 
(vgl. S. 370), z. B. Arigunde Theuddinda Orovelda, während 
sonst den Namen dieser drei Arten vielleicht noch häufiger 
gleichfalls IS gegeben wird. Die ersteren werden im Burgun- 
dischen selbst als Ausgang des Nominativs ein I, die letzteren, 
je nachdem sie stark oder schwach flectierten, bald auch schon 
ein A, bald aber wie das Gothische ein langes besessen haben. 
Unverändert diesen Schluss zeigt uns auch wirklich ein Grab- 
stein in dem vorher S. 377 erörterten Namen GunteUo: «s 
i^t, wie Jordanis 58 aus dem Gothischen heraus Thiudigf^ho 
und Ostrogotho schreibt, während ihm mit A der Mannsname 
Ostrogotha lautet (Cap. 14 fgg.) und ebenso und Vesegotha die 
beiden Namen des Volkes (Cap. 2. 5 u. s. f.). 

Aus der Declination der Adjectiva ist mit dem unthfantitai 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 383 

der Spange von Charnay der starke männliche Nominativ der 
Mehrzahl belegt. Und wie somit das Burgundische hier den- 
selben Doppellaut als die gothische Mundart, noch nicht aber 
das gedehnte E der althochdeutschen hat, so stimmt es auch in 
einem andern Falle mit der ersteren überein./ Das Gothisclio 
verwei^det gern die schwache Neutralform des Accusativus Sing, 
als Adverbium, namentlich als Modaladverbium: dieselbe Form 
in derselben Bedeutung hat das kiano eben jenes Denkmals 
(oben 'S. 367); nur ist der Stamm einsylbig khm, nicht kiiini 
anzusetzen, weil der Adverbsaccusativ sonst Munio heissen wü\\h\ 
Im Althochdeutschen und Altsächsischen lautet die entsprechende 
Casusendung J, so dass, wenn die Adverbia der Art und Weise 
jetzt noch viel häufiger als schon im Gothischen auf 0, (und 
zwar jetzt auf kurzes, während es dort lang ist) ausgehn, diess 
einen anderen Ursprung haben muss: Jac. Grimm belehrt uns, 
welchen (Gramm. III, 110 fg.). Deshalb eben stelle ich unser 
kiano wohl mit gothischen Adverbien wie thmbjo sprautd u. s. f. 
zusammen, nicht jedoch mit den altsächsischen und althochdeut- 
schen diopo diapo tiufo, ziaro chuono. Da aber die Adjectiva 
all ihre schwachen Formen aus der schwachen Substantivflexion 
entnehmen, so folgt aus kianö, dass die schwachen neutralen 
Substantiva den Accusativ und den Nominativ ebenfalls mit 
gebildet haben, und andrerseits dass die früheren Bemerkungen 
in Betreff der schwachen männlichen Substantiva nun auch für 
die entsprechende adjectivische Biegung gelten. Zugleich sind 
kiano und jenes Quntdlo ein Beleg mehr für den Grundsatz der 
deutschen Grammatik, dass die schwachen Neutra im Nominativ 
und Accusativ der Einzahl gleich wie die schwachen Feminina 
lauten. 

TJnthfanthai, kiand, beides wie im Gothischen, zwei von den 
drei Worten eines burgundischen Satzes ganz wie es der Gothe 
that flectiert: das gestattet uns anzunehmen, die burgundische 
Flexion sei mit der gothischen, die eben nur die alt und allge- 
mein germanische war, noch weiter in eins gegangen, und es 
eracheint diese Annahme um so mehr gerechtfertigt, wenn wir 
auch das dritte Wort des Salzes, ein Zeitwort, zwar nicht buch- 
stäblich in gothischlsr Art, doch derselben ähnlich gestaltet finden. 
Für den Begriff „gieng" hat das Gothische den Ausdruck iddja, 
in der dritten Person der Mehrzahl iddjedun, einen Aoristus 


384 Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 

welcher defectiv und in seinen Lauten auf die gleiche Weise 
aus idida ididMvn verstellt ist (der Stamm ist id^ griech. l^uc> 
lat. iter^ comes camitis u. s. f.), wie in den r(»nanischen Sprachen 
z. B. pridias 61ossae Cassell. G 16 aus parietes, cUiet citied 
Chanson d* Alexis 21, 6. 34, 2 aus civitas, amisties amiti/ aus 
amicitas, püies pitU aus pietas. Unter den übrigen Mundarten 
des Deutschen kehrt dieses Stück Verbum nur noch in der 
angelsächsischen wieder und lautet da eode eodon, mit Verein- 
fachung des D und im Plural mit derjenigen Verkürzung des 
Suffixes, die überall nachgothische Regel ist. Ebenso gekürzt 
nun auch auf der Spange von Ohamay iddan: aber das D ist 
hier noch doppelt und nur das / gleichfalls schon verschwunden : 
es mojchte sich auf ähnliche Art in das DD verloren haben, wie 
es in Siggo die Ursache des GO ist (oben S. 347). Eines 
zwar fällt an iddan auf, das A der Endung, wofür aller sonstige 
Sprachgebrauch ein U oder doch ein erforderte: es ist aber 
später ein bekanntes Merkmal des ver&Uenden AlthochdeutBchen, 
dass es die verschied^sten Vocale am Schluss der Worte gegen 
ein und dasselbe A vertauscht um so den Schwächungen in 
stummes E oder /, die sonst überalt da um sich greifen, gleich- 
sam ein Gegengewicht zu geben, und wohl mag diese zwiespältige 
Vorliebe bald für den entfärbten, bald für den helleren, selbst 
den unrichtigen helleren Laut ebenso schon in der verfallenden 
Sprache der Germanenzeit gewaltet haben. Auch das Bomanische 
braucht die mannigfachsten unursprünglichen A, aber es be- 
schränkt sich damit auf tonlose Anfangssylben. (Diez Gramm. I, 
161 fg.), so dass die Vei^leichung nur halb zutrifft. 

Endlich ist noch eine Gonjugationsform auf dem Bracteaten 
übrig und diese von regelmässig starker Bildung: denn nur so 
kann das Wort hag verstanden werden, „Vithmluf stach oder 
Schnittes nämlich das Brustbild und die Runen in den Fräge- 
st5ck. Das Präsens dazu muss higa lauten, und mit diesem 
higa hag gewinnen wir die Wurzel für hig heg angelsächs. Heu, 
hag hochd. Domgebüsch, hagm und behagen ge&Uen, eigentlich 
anstacheln, hagal Hagel, hagan Dorn, hagva höggva altnord. 
hauen. Es scheint unnöthig nüt Dietrich (Haupts Zeitschr. XHI, 
50) ein ablautendes Zeitwort higvan zu vermuthen, wozu hag 
der apocopierte AorisCiis wäre, und gai bedenklich dessen andere 
Annahme, hag sei nur ein Sprech- oder Schreibversehen für 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 385 

Mag, den apocopierten Aorist von hagvan. Allerdings ist auf 
den Runensteinen des Nordens das Zeitwort hagva hatigva haga, 
im Aoristus Mag hiog Mug, der ständig wiederkehrende Ausdruck 
für das Einmeissein der Schrift (Dieterichs ßunen-Sprach-Schatz 
S. 180 fg.): aber schwerlich dürfen wir zugeben, dass auch das 
Burgundische schon den grossen Schritt über die germanisch- 
gothische Art hinaus gethan und bei der Bildung der Aoriste 
Reduplication und Wurzelsylbe diphthongisch in eins gezogen 
habe: ihm lautete von hagvan diess Tempus unzweifelhaft noch 
haihagv oder hehagv. 


n. Die Sprachdenkmäler. 

1. GUNTHI0U8. UITHULUFHAG. Eingeprägte Runen- 
inschrift eines bei Broholm auf Fünen gefundenen Qoldbracteaten, 
aus dessen Abbildung in dem Atlas for Nordisk Oldkyndighed 
(Kopenhagen 1867. Nr. XI) wiederholt und besprochen von 
Dietrich in Haupts Zeitschr. für Deutsches Alterth. XIII, 
49 fgg. 

2. UNTHFANTHAl IDDAK KIANO FUSIÄ. Eunen- 
Inschrift, eingegraben in die Rückseite einer in dem Todtenfelde 
bei Charnay (Departement C6te d'Or) gefundenen Spange von 
theilweis vergoldetem Silber, aus deren Abbildung in Baudots 
Memoire sur les S^pultures des Barbares de rllpoque Märo- 
vingienne, döcouvertes en Bourgogne (Dijon u. Paris 1 860. PL XIV) 
wiederholt und besprochen von Dietrich in Haupts Zeitschr. XIII, 
105 fgg. Vgl. oben S. 352. 

3. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver- 
zinnt, gefunden im Waadtland zwischen Cossonay und Aliens; 
eine Abbildung davon durch Troyon, der diess gleich dem näch- 
sten Stücke für celtische Arbeit hält, veröiFentlicht in den Mit- 
theilungen d. Antiq. Gesellschaft in Zürich 11 (1844), 2, 28 fg. 
Taf. II, Nr. 6. Auf dem Bande, der eine Darstellung Daniels 
zwischen zwei Löwen umgiebt, ist oben in auswärts gewendeter 
und mehrfach schief gelegter Schrift eingegraben SOSVISVSOI, 

Wackernagel, Schriften. III. 25 


386 Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 

unten IMIMAN FÖNS. Die obere Zeile scheint in zweimaliger 
Umkehrung und jedesmal mit andrer Verderbniss den Namen 
lESVS zu meinen; das vorletzte N der unteren könnte auch 
fQr ein misslungenes S gelten. 

4. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver- 
silbert, gefunden bei Lavigny im Waadtland; ausser einer Ab- 
bildung in der so eben erwähnten Arbeit Troyons, Taf. 11 Nr. 1 , 
liegt mir ein Abguss in der Mittelalterlichen Sammlung zu Basel 
vor. Als Bild abermals (es muss das eine Lieblingsdarstelluug 
der Bargunden geworden sein: sie kehrt noch mehrmals auf 
solchen Schnallenblechen wieder) Daniel inmitten zweier Löwen; 
als Bandumschrift NASVALDVS NANSA f VIVAT DEO 
VTERE FELEX DANINIL. Deutlich so, nicht etwa in 
DANIHIL, ist der Name, der das Bild erklären soll, entstellt. 

5. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver- 
silbert, irgendwo im Waadtland gefunden; ein Abguss in der 
Mittelalterlichen Sammlung zu Basel. Kandverzierung von Thier- 
gestalten; das länglicht viereckichte Mittelfeld dreifach von oben 
nach unten getheilt: in dem mittleren Theil ein Gefäss mit 
Blumen; in den beiden äusseren je zwei Beihen Buchstaben: 
rechts in der oberen Zeile VVILLIME, in der unteren RES 
FCEF; links in der oberen BALTHO E, in der unteren 
MIOCEE. Es ist aber in dem Namen VVILLIMERES das 
zweite V zwischen das erste und das / wieder dazwischen ein- 
gegraben, das andere / in verkürzter Gestalt wie nachträglich 
zwischen L und M gebracht, M und E sowie R und E haben 
die Langstriche gemeinsam, S ist mit dem F verschlungen, so- 
dann E und F sind kleiner und zwischen die Rundung des C 
gesetzt; in dem Theile links sind A und L verbunden; TH ist 
mit der Bune bezeichnet, aber in solcher Umgestaltung derselben 
dass ebenso wohl ein P zu lesen wftre (vgl. oben S. 353 bei 
Athica und den Ranthoaldus d. i. Randoaldus einer altchrist- 
lichen Mainzer Grabschrift, aus dem in Steiners Cod. Inscript. 
Boman. 11, 341 Nr. 1626 wirklich ein Ranpocddus geworden ist): 
das folgende steht in deren Bundung, so wie M sein I in 
sich, das über sich hat und endlich auch C sein E in sich. 
Burgnndisch sind hier nur die drei Namen WiUdmeres BaUho 
Emiocer, FCEF dagegen Abkürzungen lateinischer Worte: 
FC bedeutet FIERI CVRAVIT, EF dann vielleicht ET 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 387 

FECIT, so dass uns mit dem Folgenden der Künstier genannt 
ist, eben wie auf dem Bracteaten Vithuluf und wohl auch auf 
der Spange von Ghamay Fusia, letzterer wenigstens als Schreiber 
der Bunen, sich namhaft macht. 

Es entgeht mir nicht, dass in Betrefif der Inschriften 3 — 6 
eher als in Betreff der vorhergehenden darf gezweifelt werden, 
ob sie noch innerhalb der Zeitgrenzen fallen, die wir unsrer Be- 
trachtung gezogen haben, ob sie nicht jünger^ vielleicht um ein 
Gutes jünger als der Untergang des Burgundischen Reiches 
seien. Für solch eine spätere Anberaumung dürfte man naanent- 
lich den Umstand geltend machen , dass diese Schmucksachen bei 
aller Eohheit der Kunst und bei aller sonstigen Uebereinstim- 
mung mit den Funden von Charnay doch schon einen gewissen 
Fortschritt über dieselben hinaus erkennen lassen, insofern hier 
der Zierrath, welcher die Flächen füllt, nicht mehr allein durch 
Lineamentverschlingungen, sondern bereits durcb mannigfache 
figürliche Darstellungen erzielt wird; in gleichem Sinne könnte 
man die durchgehende Anwendung der lateinischen Sprache und 
Schrift, die so wie bei den Angelsachsen und Scandinaviem nur, 
das nationale Zeichen für TH noch duldet, die Art von Be- 
kanntschaft mit dem Inschriftenstil der Römer und, wenn man 
den Vocal des Namens Föns erwägt (oben S. 370), die schon 
weiter gediehene Romanisierung der Sprache in Anschlag bringen. 
Indess eine chronologische Entscheidung von Sicherheit wird 
auch mit diesen und dergleichen Bedenken nicht gewonnen, und 
so gesta^tte man mir die Belege 3 — 5 einstweilen in dieselbe 
Reihe mit den beiden ersten und all den übrigen zu rücken; 
man gestatte es mir ebenso bei der und j^ner datumloöen Grab- 
inschrift. 

6. In Einer, zugleich sitten- und sprachgeschichtlichen Be- 
ziehung legen durch ein merkwürdiges Zusammentreffen die letzt- 
aufgeführten drei Stücke gleichmässig Zeugniss ab: ich meine, 
für den Gebrauch eine Person mit zweierlei Namen neben ein- 
ander zu bezeichnen, mit Imiman und Föns, mit Ncisualdus und 
Nansa, mit Baltho und Emiocer [vgl. -Uus Imelistanus unten 
unter dem letztem Worte]. Ein ferneres auch den Bur- 
gunden gehöriges Beispiel solcher Doppelnamigkeit und nicht 
bloss ein fehlerhafter Wechsel der Schreibung wird es sein, wenn 
als der Name, den Gundobadas Nichte Sedeleuba „mutata veste*^ 

25* 


388 Sprache und Sprachdenkmäler der Bargonden. 

geführt, bald Mucuruna, bald kürzer Chrofia angegeben wird 
(Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28), ein noch gewisseres die domna 
Bemila vocabulo Eugenia oben S. 336. Vocabulo d. h. mit 
ihrem andern, nicht mit dem eigentlichen Namen. Das führt 
mich auf die Herstellung noch eines Beleges, aus einer lücken- 
haften Grabschrift vom J. 610, gefunden in S. Just bei Lyon; 
die Abbildungen bei Alph. de Boissieu, Inscriptions antiques de 
Lyon (Lyon 1846-1854) S. 578 Nr. 34, und bei Edm. Le Blant, 
Inscriptions chrötiennes de la Gaule I (Paris 1866) PL 10 Nr. 3x, 
geben dieselbe folgender Maassen: HICCVIV : INHOC | CONDVN 
: : : : : MBRASEPVLCHRO \ SARAGA :::::: VSESTNOMINE- 
QVIC j VMOM : : : : : | ETAPVTO : : : : COVIXITA | VTNOMI 
:::::: VOCABOL:: | VITAEMERiTIS COMMENDARET 
QVIVIXITANNOSXLOBnT | UIINONAS DECEMBRIS | POST- 

CONSOLATOINPOR , TVNOVVCCLE. Die Lücken alle er- 
gänzen sich leicht, auch die in den Namen. Denn es müssen 
eben deren zwei vorhanden sein, ein nomen und ein vocabulum, 
und das letztere muss Bezug auf die Gastlichkeit haben, die 
eine Tugend des Burgundischen Volkes überhaupt (vgl. Lex Burg. 
Tit» 38) und insbesondre nun dieses einen Burgunden war; Le 
Blant S. 33 fgg. u. 138 führt eine Reihe von Beispielen vor, 
wo Grabinschriften auch den einen eigentlichen Namen des Verstor- 
benen wortspielsweise deuten. Also: Hie, cums in hoc conduntwi 
menibra septdchro, Sara Gastigoius est twmine, qui cum omm- 
bus et aput onmes covixit ita, ut wotwmis sui vocabotwoi vitae 
meritis commendaret, qui vixit annos XL, obiit IUI nonas de- 
cembris post consolato Inportuno vm consularis darissime. Frei- 
lich wird der Steinmetz die zwei Worte viri conmlaris mit 
schlechteren Endungen gesprochen haben, viro consulare etwa; 
den Fehler des zwiefachen V, obschon er eben nur Einen Consul 
nennt, machen auch, wie Le Blant S. 153 nachweist, andre. 
Der Name Sara, anderswo Saro und Sario und Sarus (Jord. 24), 
wird mit goth. sarv Schutzwaffe, althochd. saro WaflFenrüstung 
zu verbinden sein; Gastigodus habe ich von Ulphilas, der 
Tim. I, 3, 2 und Tit. 1, 8 9tX6$svo<; mit gastigod und 
Rom. XII, 13 <ptXo$6v(a mit gastigddei übersetzt. Vielleicht 
aber wäre (die Breite der Lücke lässt noch einen Buchstaben 
mehr zu) die Ergänzung Gastiletib^is vorzuziehen: denn diess, in 
der Form Gestiliub, war wirklich auch auf Althochdeutsch ein 


Sprache und Sprachdenkinäler der Burgunden. 389 

Name. ' Somit bei den Burgunden, wo doch die Quellen fürwahr 
nicht überreichlich fliessen, ganzer sechs solcher Fälle, und die- 
selben sind deutlich so beschaffen, dass jedesmal der eine Name, 
der im Schreiben vorangestellte, als der eigentliche und ur- 
spmngliche, der andre zweite als ein Beiname muss betrachtet 
werden, welcher der Person erst später auf den oder jenen An- 
lass hin von den TJebrigen im Volk und so auch aus der Sprache 
des Volkes geschöpft ist. Nur wie in dieser Beziehung Chrona 
und Mucuruna sich verhalten, ist freilich ungewiss ; in der Ver- 
bindung BaUho Emiocer darf eher das vordere Wort, dessen 
Sinn wohl bestimmter als der des zweiten im Bewusstsein aller 
Sprechenden lag, für das vocaindum gelten, und Remila mag 
das ihrige, das ja undeutsch ist, nur im Munde der romanisch 
redenden Einwohnerschaft Viennes geführt haben. Es sind aber, 
nächst dem Bugierkönig Feletheus qui et Fava d. i. der Kleine 
(Eugyppii Vita S. Severini Cap. 3 u. 9; qui et ,Feva Paul. Diac. 

1, 19), diese burgundischen Beispiele des Gebrauches von Namen 
und Beinamen die ältesten oder gewiss doch von den ältesten, 
die es gijebt: zu gleicher Zeit den Gothen (ein neuer Unterschied 
der beiden Völker) war, wie es scheint, die ganze Sache fremd 
[vgl. Badvila und Tötila unten am Schlüsse der Abhandlung]. 
Denn dem OuiaavSo^ ßavSaXotpioc bei Procopius B. Gotth. I, 18 
ist dieses Wort doch wohl nicht als zweiter Name, sondern als 
Titel beigefügt, derselbe Titel den Procopius B. Vandal. II, 10 
halb griechisch mit ßavSo^opoc wiedergiebt (vgl. ßotvSov ebd. II, 

2, banderarius bei du Gange und Diez Wörterb. d. Koman. Spr. 
I, 50), und wenn in der Urkunde von ßavenna vier Gothen vor- 
konunen, die anders im lateinischen Texte heissen und anders 
da, wo sie selber gothisch oder auch lateinisch unterschreiben, 
Mirica und Merila, Optant und Uftahari, Minnultis und WiU 
Umant, Danihel und Igila, so ergiebt dieser Gegensatz wieder 
nur ein Verhältniss wie dort bei Remila Eugenia: der Name 
des Textes (er klingt entweder an den der Unterschrift noch 
mehr oder weniger ähnlich an oder lautet vollkommen anders) 
ist der, mit welchem die Romanen der Stadt jene Gothen nann- 
ten; auch auf diesem Wege kann neben lornandes die Form 
Jordanis, die einzige übrigens die uns eigentlich beglaubigt ist, 
entstanäen sein ^). Desto allgemeiner in Gebrauch waren Doppel- 

1) [Oder heisst es nicht Jordanis, mit Bezug auf den heiligen 


390 Sprache und Sprachdenkmäler der Bargnnden. 

namen wie die unserer Grab- und Schmuckinschriften bei den 
andern Nachbarn der Burgunden, bei den Franken: da haben 
wir, aus den verschiedensten Gegenden des Beichs und Kreisen 
des Lebens belegt, den vielerwähnten Herzog Gunichramnus Boso 
(weshalb so zubenannt, erklärt uns in Kürze Qreg. Tur. Hist. 
Franc. IX, 10) und die Königinn Äustrechüdis cognomento Bobüa 
(ebd. lY, 25), da femer einen Chardegitnlus cognomento Gyao 
(Mirac. S. Martini III, 51), einen Gundegisilus cognomento Dodo 
(H. Fr. VIII, 22), einen Mummolus äbbas, quem Bonum cogno- 
mento vocant (V, 5), einen Vedastes cognomento Ävo (VII, 3), 
einen Wistrimundus cognomento Tattonis oder Atto (H. Fr. X, 
29. Vita S. Aridii 19: Tatto und Atto sind gleichbedeutend), 
üeberall hier auch der Beiname aus der Sprache der Franken 
selbst und so sehr in dem Munde Aller und gelegentlich so viel 
mehr als der ursprüngliche angewendet, dass letzterer daneben 
ausser Anwendung kam : Gregor von Tours sagt Hist. Franc. lY, 
42 noch vollständig Eunius cognofnento Mummolm und Ehinius 
qui et Mummolfis; bei aller ferneren Erzählung von derselben 
Person jedoch nur Mummolus; so bezeichnet auch Eugyppius 
Cap. 11 und 12 den Bugier Feletheus kürzer bloss mit dem Bei- 
namen Fava^). Weiter von da, vom siebenten, vom achten 
Jahrhundert an (ich erinnere nur noch an den Karolua Tudis 
oder Tudites oder Martulus oder MarteUus der Franken) häufen 
sich die Belege je mehr und mehr und aller Orten und bahnl 
sich der Weg, der zuletzt in die erblich festen Geschlechtsnamen 
ausmunden sollte, immer breiter: denn es treten nun auch die 
Angelsachsen und die Scandinavier mit Beispielen ein: in Ein- 
hards Annalen 811 der Däne Osfred cognofnento Turdimido d. L 
Dreckmaul. Im achten und neunten Jahrhundert vernehmen wir 
denn auch zuerst deutsche Ausdrücke für den Begriff von cog- 
nomentum, althochd. btnamo oder, noch häufiger, miUinamo, das 
unserem Uebemamen sich vergleicht, angelsächs. freonama d. h. 


Flnssnamen , sondern lordanis d. i. Eberdäne (vgl. unten s. v. SoaTe- 
gotta) ? ] 

1) [vgl. Müllenhoff über den Namen Wuotan Haupts Zeitschr. 12, 
402 fg. Namen von Völkern ursprünglich nur deren Uebemamen? Haupt 6, 
256 fgg.] 

r 


Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 391 

> ein Name den es &ei steht zu gebrauchen, in Alfreds üebersetzung 
der Kirchengeschichte Bedas II, 5 u. lY, 2; nomen im Gegen- 
satze dazu geben die Sanctgaller um das J. 1000 mit alenamo 
d. i. Hauptname: Marc. Capella S. 1 Graff. 

7. Einzelne Worte, theils Appellativa, theils und vorzüglich 
Eigennamen, uns überliefert entweder in der Lex Burgundionum 
oder in Quellen geschichtlicher Art;' auch die aus den Belegen 
1 — 6 bringe ich hier noch einmal unter. Ich ordne dieselben 
alphabetisch und bezeichne die Namen von Personen des könig- 
lichen Hauses mit K, die von Weibern mit W, die der Grafen, 
welche das Vorwort des Gesetzes unterschreiben, mit G; letztere 
halte ich für zweckmässiger in der urkundlichen Genitivform 
aufzuführen. Und zwar wird deren Zahl weit über zwelupd- 
dreissig (s. Binding S. 107) hinausgehn, da es geboten scheint 
solchen Abweichungen der Handschriften, die keine blosse Ver- 
derbniss des eigentlichen Namens sind, sondern ihn gegen einen 
andern auch wirklich üblichen vertauschen, gleichfalls einen Platz 
zu gönnen. 

Abcaris mit den Lesarten abacaris abhaaris abgaris G: s. 
oben S. 345. 372. Bei der letzt angegebenen Lesart spielt 
entweder der angelsächsische Namenausgang gär, der dem gQi- 
manisch-gothischen gais^ hochdeutschen gh- (S. 362) entspricht, 
herein ; oder die Schreiber denken an den König Abgarus der 
Christusbildlegende. 

Agano Name eines Grafen in der Schenkungsurkunde von 
S. Maurice, angeblich aus dem j. 523, bei Pardessus Nr. 103^ 
104. Für Hagano von hagan Dorn: oben S. 345. 346. Vielleicht 
auch dass keine Tilgung einer Anfangsaspirata, sondern nur die- 
selbe Yocalangleichung aus Agino (goth. ngjan schrecken) statt- 
gefunden wie in Agina und Agana, den zwei Formen des Wei- * 
bernamens. 

Agathei (so auch und nicht anigathei in der^Handschrift L) 
angathei G. Die gemeinsame Grundlage beider Formen des 
ersten Bestandtheiles goth. agan sich fürchten und agjan 
schrecken: vgl. S. 357; thetcs wie dim in Aridius und viel- 
leicht auch fiu8 in Alifius das goth. thitcs Diener: vgl. S. 354. 
368. 

Aisaberga W. Grabschrift von 491 zu Vöseronce im De- 
partement de risere; Le Blant H, 25 Nr. 388 giebt Aisberga, 


392 Sprache uud Sprachdenkmäler der Burguuden. 

die Abbildung aber auf PL 45 Nr. 269 zeigt zwischen S und B 
eine Beschädigungslücke, die mit A oder einem anderen Binde- 
Yocal zu füllen ist. Ais oder aisa ist das althochd. gr Erz (vgl. 
die mit tsan und gold beginnenden Namen) oder ira Ehre, im 
Burgundischen beides noch mit denselben ältesten Lauten die 
auch im Qothischen gegolten haben: vgl. S. 361; berga gehört, 
ob in activem, ob in r^exiv-passivem Sinn? zu dem Zeitwort 
bergan: es kehrt bei den Burgunden in AUberga Arenberga Vü- 
lioberga und sonst noch oft in weiblichen Namen wieder. 

AUberga W. Grabschrift zu Aoste vom J. 523 bei Le 
Blant II, 29 Nr. 390. Ali vgl. S. 358; berga s. Aisaberga. 

Alifius: Vita Apollinaris episcopi Cap. 6. Vgl. oben 
S.,358. 

Andahari andearii andari G: oben S. 372. 373. 

Ansemundus Aviti Epist. 49. 71. 72; Aussteller einer 
Vienner Stiftungsurkunde von 543 bei Pardessus Nr. 140, an- 
derswo (s. dessen Anmerkung) als Herzog bezeichnet. Wie Ans- 
levhana (so hiess die Gemahlinn Ansemunds von Vienne) ein Name 
der schon in vorchristlicher Zeit muss aufgekommen sein, da am 
(Jord. 13), altnord. äs ein heidnisches Wort für Gott ist; mundf 
althochd. mten^^ bedeutet Hand, Schutz, Beschützer: ebenso in 
Arimundvs Avdemufidus Aunemundus EmemundiM Eunemundus 
Fredemundtis Gundemundus Segismundus, romanisiert (S. 370) in 
Hymnemondus Teudemondus. 

Ansleubana W. Urkunde bei Pardessus Nr. 140: s. 
Ansemundus u. S. 371 [goth. Ansileubus Haupts Zeitschr. 1, 
387]. Wegen leubana vgl. oben S/ 337 und unten Sedeleuba, 

Arenberga W. Grabschrift zu Briord vom J. 501 bei Le 
Blant II, 6 Nr. 374: aran am ahd. Adler; berga s. Aisaberga. 

Aridius Aredius CoUatio episcopomm coram rege Gunde- 
bado; Greg. Tur. Hist. Franc. II, 32. Fredeg. Epit. 18 fgg. 
Vgl. oben S. 336. 346 und vorher Agathei. In dem fränkischen 
Testamentum Erminetrudis (sieb. Jahrhdt.,, Pardessus Nr. 452) 
der Weibemame Aridia. 

Arigunde („qui vixit anno: :VIII") W. Grabschrift wahr- 
scheinlich von 538 zu Ai'andon: Le Blant II, 22 Nr. 384. Art 
wie in Aridius und Arimundus für Äan Heer: vgl. S. 346; das 
zweite Wort, einer der häufigsten Ausgänge altdeutscher Weiber- 


Sprache und Sprachdeokmäler der Burganden. 393 

namen, gunth oder gunthja Schlacht, Krieg: S. 371. Ueber die 
Endung in E S. 370. 

Arimundus in einer Grabschrift zu S. Maurice-de-Bömens 
vom J. 486: Le Blant n, 4 Nr. 373. Ari s. Ärigunde; mtmdus 
s. Ansemundus. 

Athala, ein Mannsname der sich aus cul tcdem, cUhdam, 
athilam, atillam (Handsehr. K, von Bluhme übersehen), ad illutn, 
in der Lex Burg. LI, 1 Lesarten neben Uthiktm, ergiebt: von 
athal Geschlecht, Adel. 

Audemundi audimundi, abweichende Lesart neben eme^ 
mundi G. Atid (auch in Atidericiis Avdolena) goth. und altnord., 
od altsächs., 6t althochd. Gut, Habe: vgl. Aunegilde; mund s. 
Amemundus. 

Auderici G. Atid s. Atidemundi; rictis wie in Rico Ri- 
ctdfus Coniarictts Hilpericus Sigisricus und Vüiaric das goth. 
rdk Adj. mächtig, Subst. Machthaber. 

Audolena W. in einer Grabschrift ungewissen Alters zu 
Albigny bei Lyon sowie auf eben solch einem Stein zu Vienne: 
Boissieu S. &99 Nr. 67 und Le Blant II, 582 Nr. 686. Aud 
wie in den so eben aufgeführten Namen; lena erklärt sich aus 
dem altnord. lin, althochd. len weich, sanft: althochd. der 
Mannsname Lino, auf Grabsteinen zu Amiens (Le Blant I, 428 
Nr. 326) Leudelinus und ValdoUna. Vgl. unten Thevdelinda 
und Seddeuba. \Mummolin und Mummolmm Pörstemann 1, 937.] 

Aunegilde aunigilde aunegildis W. Lex Burg. LH, 2 — 4. 
Ann ebenfalls in Aunemundm, mit^O (vgl. S. 363 fg.) in Onov^ccus, 
ein Wort von dunklem Begriffe, da es auch sonst nur als Eigen- 
name (althochd. Ono, angels. Eana) und im Beginne von Eigen- 
namen, z. B. dem angelsächsischen eines Königes Eanmund, 
nachzuweisen ist: s. Jac. Grimm in Haupts Zeitschr. III, 144 fg.; 
nur so viel scheint sicher, dass es ablautend zusammengehört 
mit luno (Haupts Zeitschr. I, 393), lonakr, Eunius oder Eonim 
(Greg. Tur. Hist. Franc. IV, 42. V, 27 fgg.), Eunemundus und 
Uno, Unigildis, ünemundus. Vielleicht aber kommt uns Licht 
von einem andern naha stehenden her, nämlich von atid (s. Au- 
demundi), das sich ebenso in eine Ablautreihe iud aud ud ein- 
fugt: wir haben davon mit dem präsentischen Laute Eudo und 
Eudosesj mit dem perfectischen Udo u. s. w. Aunemundi steht 
als Lesart zusammen mit audemundi, und dieser Parallele von 


394 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 

m4d und nun schliesst sich noch ein ganzes Gefolge weiterer an, 
Audo und Ono, Äudila und Onilo^ Autgildis und unser Atme- 
güde, Authari und Onheri, AtUhüdis und Onhildis, unser Aude- 
ricus und Onericus, Aodtdfus und Aonidfus u. s. f. Hieraus 
denn dürfte sich auch für aun der Begriff von Habe und Gut 
und für beide Stämme, für den mit D und den mit iV' ge- 
bildeten, eine und dieselbe entfernter liegende Wurzel ergeben: 
sie bietet sich uns burgundisch in Eunandus und noch ander- 
weit in nicht wenigen Namen mit io oder eo oder eu, bei welch 
letzteren freilich Förstemann (Namenb. I, 392), ich weiss nicht 
ob richtig, an das althochd. ewa denkt, ausserhalb des Deutschen 
und dem Deutschen zunächst in Ü^ (vgl. Eunandtis) und dem 
lat. juvo. Und eben daher ma^ mit TH noch ein dritter Stamm 
(s. Uthila) entsprungen sein, während im goth. itis gut (Compar. 
itmza besser) und dem lat. jus ein vierter mit S vorliegt. Gilds 
sodann, der zweite Theil von Aunegilde, kommt wie in Vistri- 
gilde und gleich dem männlichen güd in Ingüdm und Usgüdus 
von gildan vergelten, opfern [vgl. novigädus, trigüdtis]. 

Aunemundus in einer Grabschrift von 485 zu Grösy-sur- 
Aii: Le Blant H, 27 Nr. 388 A. Ausserdem aunemundi au- 
nimundi G. zweimal, und noch als abweichende Lesart neben 
ememundi G: vgl. Aunegilde und Ansemundus. 

Aunihilde W. in der Lei Burg. LH, 2 — 4 Lesart für 
aunegilde: vgl. das bei dessen Erklärung angefahrte Onhildis 
Onhilt, und Chrodechildis Hüdegernus Hüdeulfus Ilddo: hild 
althd. hiltja Kampf. 

Baldaridus, Baldaredus in Grabschriften zu Briord 
aus den Jahren 488 und 487: Le Blant U, 8 Nr. 374 A u. S. 
16 Nr. 379. Balda d. i. bdltha s. die zwei folgenden Namen; 
rid (über die Brechung in red, die auch Leubar edus und Nofir 
doredus zeigen, vgl. oben S. 368 fg.) habe ich schon im Schweiz. 
Museum I, 101 fg. erörtert: es kommt von der Wurzel rdtm, 
derselben von der auch reda in malahareda, und ist s. v. a. 
Beiter oder als bereit; die andern Mhesten Belege dieses Aus- 
ganges sind vorzüglich den Gothen und Yandalen eigen; bei 
Polybius I, 77, 4 ein „Gallier" AuTapfr»)^. Procop verschleift 
zwar die deutsche Normativform riths, gefager fär sein Grie- 
chisch, in blosses pic, nimmt aber im Genitiv und Dativ das 
wurzelhafte D wieder auf; wenn also Victor Tunnunensis pg. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. ' 395 

331 Guntharith schreibt, dann Proc. de B. Vand. II, 26 Tov- 
^apti;; wenn die gothische Urkunde von Bavenna Viljarith und 
Optant, dann Procopius OuX£apt<; u. "Otzxol^k;: flectiert heisst es 
auch ihm rov^oiptSi u. dgl. Oder sind, da er den Accusativus 
wieder Tov^apiv u. s. w. bildet, die Worte auf pic nur eben 
wie jene auf ytc (oben S. 376) behandelt, ohne dass er dabei 
an das D der Gothen und Yandalen denkt? Jedes&lls hätte 
J.' Grimm diese Namen nicht (Hauj^ts Zeitschr. III, 147 fgg.) 
mit denen auf hari vermengen sollen. 

Balthamodus baldamodtts baÜamodtis baldimodtis Lei 
Burg. LH, 2 — 4. Vgl. BaUho und wegen des Wechsels von 
TH, D und T oben S. 353. Mdd Muth, goth. Zorn: auch in 
Fremodus Thetulemodtis Ymnemodus. 

Bali ho in der fünften Schmuckinschrift. Goth. balth, althd. 
pald kühn: vgl. Jord. 29 „Balthorum (od. Baitharum) ex genere . 
— qui dudum ob audaciam virtutis baUh (od. bcdtha) i. e. audax 
nomen inter suos acceperat (1. acceperant)". Vgl. oben S. 364. 

Burgundio Burgunzio Borgundio Burgundius Burgundits: 
S. 338 fg. und 380. Als persönlichen Eigennamen finde ich 
Burgundio zuerst bei Greg. Tur. Hist. Franc. VI, 15, dann in 
einer Grabinschrift zu Lusinay aus dem Jahre 628 auf 629: 
Le Blant H, 42 Nr. 397 A. 

Caretene W. K: in lateinischen Distichen abgefasste Grab- 
schrift, vormals zu S. Michael in Lyon, der im J. 506 gestorbe- 
nen Königinn gesetzt: Boissieu S. 572. Binding S. 117 fgg. 
Schon im J. 506, somit zu früh als dass man aus dem Worte 
tena, womit sonst allerdings nur fränkische Namen zu endigen 
scheinen (oben S. 362 fg.), auf fränkische Herkunft der sehr 
christlichen Königinn schUessen dürfte: aber sie wird aus einem 
den Franken verwandten mitteldeutschen Volke gewesen sein. 
Solche Herkunft mag auch das C d. h. CH für H erklären 
(S. 345), wofern man es nicht auf die Bechnung allein des 
Dichters setzen wiU, als welchen Le Blant S. 70 fg. mit gutem 
Anschein Venantius Portunatus vermuthet. Wegen des Aus- 
ganges in E vgl. oben S. 370. 

Chartenius: „Bediens ab urbe Lugdunensi S. Chartenius 
episcopus" Avitus Epist. 38. Schwerlich, da es also Name eines 
katholischen Bischofs ist, ein eigentlich burgundischer Name: 
S. 346. 362 fg.; vgL überdiess S. 372. 


396 ' Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 

Chilpericus s. Hilpericus. 

Chrodechildis Chrotechädis ChrotchUdis W. K. Beide 
CH sind fränkisch für burgundisches H, und D wie. T steht 
für TH (S. 345. 364): hrob altn. Bnhm, hild s. Aunihüde. 
Die Nebenform Chrotigehlis oder mit Ausfall dieses weichen 
Lautes ChrodieUis und Chratildis Crotildis (S. 349) vergleicht 
sich der umgekehrten Yertausohung von Äunegüde gegen Auni- 
hüde; die Aenderung Chlothildis aber will auch in den Namen 
der Eöniginn jenes chloth bringen, das in denen der Könige der 
Franken von Geschlecht zu Geschlecht sich wiederholt: man hat 
dasselbe mit Schmeller (Bair. Wörterb. ü, 442) adjectivisch 
und im Sinne des griechischen xXut6<; zu deuten. 

Chrona W. K: die ältere der durch Gundobadus ver- 
stossenen Töchter seines Bruders Chilpericus „mutata veste Chrona 
vocabatur" Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28; ebenso die Vita S. 
Chlothildis. Vgl. oben S. 346. Die Lesart Corona ist Lati- 
nisierung: S. 335 fg. 

Conie comae Come gonie gome G; Coniarici comarici 
comericii G; Conigiscli conegiscU coniglscle cunigiscli conigiseli 
G: cuni coni goth. kuni Geschlecht, Adel; ricus s. Auderici, 
giscli giscle giseli s. oben S. 376 u. 381. 

Ememundi G: so jedoch oder vielmehr mit einem Striche 
zu wenig emenundi bloss die Handschrift L, die übrigen attde- 
mundi audimtindi oder amiemundi aunimundi. Derselbe Name, 
nur in der vorderen Hälfte schärfer vocalisiert und zugleich, wie 
es scheint, in ein Wort der Kirche umgeschrieben (vgLS. 371), 
in der hinteren aber romanisch entstellt (s. Ansemundtis), ist 
der Abt Hymnemondus des ersten Textes der Urkunde von S. 
Maurice, bei Pardessus Nr. 103: der zweite, Nr. 104, giebt 
Ymnemodus. Und eben jene vordere Hälfte haben auch Ime- 
listanm auf einer Grabschrift zu Lyon (s. unten), Imiman in 
der dritten und 

Emiocer in der fünften der Schmuckinschriften. Nach Otto 
Abels treffender Vermuthung ^die deutschen Personen -Namen 
S. 50) ist sowohl das einfache Imino Emino Itnmo EmmU Imo 
als das Imna-, Imi-, Erna-, Emi- u. s. f. zahlreicher Zusammen- 
Setzungen überall nur eine Verkürzung von irman irmin, einem 
Worte von dem gewiss ist, dass es niemals der Name eines 
Gottes, und wahrscheinlich dass es ein Ausdruck füi* den Appel- 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 397 

lativbegrifif Volk gewesen: s. Schweizerisches Museum für histor. 
Wissensch. I, 116 fg. Wegen ocer vgl. oben S. 350. 

Engebvald: so ohne die lateinische wie ohne die echt alt- 
deutsche Nominativendung in einer undatierten Grabschrift zu 
Merlas bei Le Blant II, 148 Nr. 465. Enge die gebrochene 
Nebenform von ItigOy das sowohl selbständig ein Eigenname ist 
(es hiess bereits so der Stammvater der Ingävonen) als der erste 
Bestandtheil zahlreicher zusammengesetzten; Ursprung und Be- 
griif sind freilich noch unaufgehellt: vielleicht, da mit ing auch 
die Patronymica endigen, hat die Wurzel den Sinn des Erzeu- 
gens, des Hervorbringens gehabt (vgl. angar ahd. arvum) und 
Ingo stellt denselben activ, — ing passivisch dar. Das B ist 
ein Versehen des romanischen Steinmetzen, V dessen Besserung: 
also vald, zu valdan walten, herrschen. Auf Angelsächsisch 
und Althochd. lautet der Name Ingvald Incvald oder althd. ver- 
schliffen Ingdd. Vgl. oben S. 350 u. 378. 

[Eptadius: Binding S. 188. Vgl. oben^S. 341. 346.] 

Eunandus in einer Grabschrift ohne Jahresangabe zu 
Briord. Le Blant II, 21 Nr. 283. Eu s. Aunegilde; nand (vgl. 
Nandoredus) althochd. Kühnheit, goth. nanthjan sich erkühnen: 
also ein Name ganz übereinstimmend mit dem griech. EuToXfitoc, 
wie denn fast sämmtlichen, die mit io eo eu beginnen, gleich- 
bedeutend solche mit 6U zur Seite stehn, z. B. loman Eoman 
Euav8po(S Euijvop, loUda Ev^endus EusX^ov EuTCopoc, Eolhit 
E38t][JLO(S, F/umunt Eöxstp Euxe^poC, Eured EußouXoc, Euricus 
Etiapxoc, Eowig EuTroXsfxo^. 

Eunemundi G: Lesart neben aunemundi. Vgl. Aunegilde 
und Änsemundus. 

Fagila („Fagile patri cum conjuge*'): Lyoner in latei- 
nischen Distichen abgefasste Grabschrift des fünften oder sechsten 
Jahrhunderts, die in einer Handschrift des neunten zu Valen- 
ciennes sich erhalten hat: Le Blant U, 551 Nr. 665. Zu goth. 
fagindn sich freuen und fagr gut, althd. fctgar schön: anderswo 
der weibliche Name Fagala und Zusammensetzungen wie Fagcdint 
Faginolf u. s. w. Es könne aber in der Handschrift statt fagile 
auch sagile gelesen werden: dem nun giebt auf Anrathen Jac. 
Grimms der Bitter de Bossi (Bolletino archeologico Napolitano 
VI, 11) den Vorzug. Andre und sichere Beispiele von Namen 
des Stammes sagen sind mir unbekannt; das Mittelhochdeutsche 


\ - 


398 Sprache und Spraehdeukniäler der Borgnndeii. 

hat einmal (Winsbecke 23, 9 g) ein Appellativurn segekere im 
Sinne von Schwätzer oder üebelredner. 

fara Lei Burg. CVII, 11? faramannus ebd. LIV, 2. 3: 
s. oben S. 360 fg. 

Fastile 6: Fastila DeminutiTbildung (S. 375) zu altsäehs. 
fast, goth. fastei fest. 

Felocalus in einer Orabschrift vom Jahre 518 zu ^uUy 
bei Lyon: Boissieu S. 580 Nr. 37. Der Name kann, wie ebenda 
z. B.W S. 550 Nr. 9 eine Leucadia (f 431), S. 567 Nr. 27 
eine Thaiasia (f 501) und S. 597 Nr. 61 ein Addfius genannt 
wird oder bei Le Blant II, 16 Nr. 379 Geroniius, S. 30 Nr. 391 
Singenia, S. 218 Nr. 492 Pantayatus, S. 233 Nr. 497 Suso- 
mina d. i. ScjSoijl^vt], S. 551 Nr. 664 Euehirim vorkommt, es 
kann dieser Name lediglich aus 9i\6xol\o(; entstellt, er kann 
jedoch auch burgundisch sein und enthält alsdann in fdo das 
goth. und althochd. filu viel, sehr, in calus aber dasselbe Wort, 
womit der Ampsivariername Boiocalus (Tac. Ann. XIII, 55 fg.) 
endigt. Diess cal wird zu kala altnord. Meren, starren, der 
Wurzel von kalt und kühl gehören: es ist mehr als eine bild- 
liche Wendung denkbar, die den Begriff für einen Eigennamen 
passlich macht. 

Föns in der dritten Schmuckinschrift: s. oben S. 352. 386. 

Fredeboldus Name eines Grafen in der Schenkungsurkunde 
von S. Maurice: vgl. S. 354 u. 368. 

Fredemundi G: vgl. S. 354 und Ansemmdiis, Auch die 
Namen, welche die zwei Texte der »Urkunde von S. Maurice, bei 
Fardessus Nr. 103 und 104, einem und demselben Grafen geben, 
der erste Fremodus, der zweite Fredebundus, berichtigen 
sich wechselseitig in Fredemondtis Fredemundus: man vergleiche, 
wie auch in Isidors Chronik der Yandalen einzelne Handschriften 
Guntamundtis in Guntahundus entstellen. Stünde das eine oder 
das andere allein, so würde bei Fredebundus die Zusanounen- 
stellung mit Areobindus Wolfbinth Sigebant, bei Fremodus die 
Erklärung aus fri frei, edel und m6d (s. BaUhamodus) nicht 
irre gehn. Da das / jenes Adjectivums eigentlich kurz ist (goth. 

• 

freis, aber frija, und angelsächs. /reo), so durfte daraus nach 
S. 369 so gut bei den Burgunden ein kurzes E werden als bei 
den Langobarden, wenn diese eine freie Jung&au (Lex liutpr. 


Sprache and Sprachdenkmäler der Bnr^nden. 399 

93. 120. Haupts Zeitschr. 1, 554) und die edle Gemahlinn des 
Götterkönigs (Paul. Diac. I, 8) frea nannten und einen Frei- 
gelassenen fidfreals (aus fulfrehals: vgl. goth. freihals, Mes. 
frihals, angels. freoh Freiheit, althd. frihals, altnord. fricHs frei), 
was zwar die Bechtshandschriften durdiweg, zumeist in ftdfrealj 
entstellen. 

Fridigernus (die beiden ersten Buchstaben sind weg- 
gebrochen, und anstatt des G hat der Stein oder haben die Ab- 
drücke ein C): Vienner Grabinschrift wahrscheinlich von 483 bei 
Le Blant 11, 121 Nr. 448: gern begehrend wie in Hüdegernus. 

Fridigisclus fridegisclus fredegisclus fredigischis frede- 
giselus* fredeglisdus fredegliscus Lei Burg. LH, 2 — 4: s. oben 
S. 354 u. 375 fg. 

Fusia in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 347 u. 
352. 

Gaudisellus s. Godegisdus, 

GebecaK: gebeccam gebegam gebicam gibicam Lex Burg. 
Tit. 3; angelsächs. Gifica YtMb Z. 19, altnord. Giüki, mit- 
telhd. Gibeche. Kosewort (vgl. S. 375) zu der Wurzel gebeii, 
goth. giban: der Name zielt, wie das noch deutlicher die alt- 
und angelsächsischen Königsappellativa bäggebo beaggifa d. i. 
Bingspender, goldgifa Goldspender und mäbumgifa Eleinod- 
spender thun, auf die fürstliche Tugend der Freigebigkeit^); 
Gebo Geba Gibilin, das auch ein Kosewort ist, Gebamundus 
Gebericus u. a. nehmen die gleiche . Richtung, während sich 
Gebatvin eher auf die Seite der von den milden Fürsten em- 
pfangenden stellt: zwar ist im Angelsächsischen auch goldmne 
Goldfreund ein Wort für König, im Mittelhochd. aber bezeichnet 
es den Dienstmann und ebenso das altsächs. bägwini. 

Gastigodus? Gastileubus? Lyoner Grabschrift vom Jahre 
510: s. oben S. 388 [unten Seddevbd\. 

Gemola W: auf einem zu Yienne ausgegrabenen Schmuck- 
stucke von Gold der Genitivus (vgl. S. 379) Gemolane. Frän- 
kisch und althochd. finden sich auch Gimo, Gimbert u. Gembert, 
Crimmond und Gemmund u. ^1.: unerklärbar, falls man darin 


1) [Geben ist das natürliche Merkmal des Reichthums, Beichthum 
das der Herrenmacht. Vulfila übersetzt tcXoiIto? mit gabeij uXouaio? mit 
gaheiga,^ 


400 Sprache and Sprachdenkmäler der Burgnnden. 

nicht den prSfieutischen Laut zu gaman Freude erkennen mag. 
In der Ableitungssylbe aber kann der eigentlich burgnndische 
Yocal nur U gewesen und nur dessen Romanisierung s^in: 
S. 370. 

Giscladus K: S. 346. 354. 

Gislabadtis K: S. 366. 375. 

Gislaharius K: Giaiaiiarium gidaarium gidarium gis- 
daharium gisdarium Lex Burg. Tit. 3. Vgl. S. 372 u. 376. 

Godegiselus Godigiselm K. Greg. Tur. Hist. Franc. II, 
28 %g. in ProL: Fredeg. Epit. 17. 22; Marius Godegeselus; 
bei Fredegar auch die Lesart Gunthegiseltis wie in der Vita Si- 
gismundi Gandegisdm und in einer Urkunde von 587 (Pardessns 
Nr. 196) die Verderbniss Gaudisellus; anderswo Godegisdus 
Godigisdiis, God gud Grott wie in Godomarus Gudo^narus Go- 
dmnufidus Grudemundus Gndubadus; Gonde — die ümkehrung 
der unter* Gundomares angeführten Fehler; giseltis gisdtis isellus 
s. oben S. 348 fg. u. 376. 

Godemundi godimundi G: s. Gnndoniares. 

Gondarius Gondebadus Gondegiselus Gondeulfus 
Gondomares s. Gundaharitts Gundubada Godegiselus Crun- 
deidfi Gundomares» 

Gotia gtäia Lex Burg. CVII, 3; goticus ebd. 6: s. oben 
S. 354. 370. 

Gudomarus E. Grabinschrift von 527 aus dem Kloster 
S. Offange bei l^vian: Le Blant II, 578 Nr. 683; Godomarus 
Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28. III Prol. u. 6. 11; Godemarus 
Fredeg. Epit. 17. Godemares ebd. 34; bei Marius Godomarus 
und Godemaru^s. Gud god s. Godegisdus; mdri mär berühmt 
S. 372. Die Vita Sigismundi schreibt Gundemarus, wie um- 
gekehrt (s. unten) Gtmdmnares gegen Godomares u. s. f. ver- 
tauscht wird. 

Gudemundi G. Gudubadus K. vgl. Gundomares. 

Gundaharius K: gundaharium gundacharium gundocha- 
rium gundecarium gundaarium gundarium gondurium Lex 
Burg. Tit. 3; bei Prosper Aquit. zum Jahre 435 und denen, 
die weiter ans ihm geschöpft, Gmidicarius, wie ebendort Chunni 
statt Hunni; Olympiodorus S. 454 TuvTiaptoc Vgl. S. 345 fg. 
370. 372. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 401 

Gundefuldi gundefulfi Guldefulsi (so die Hand- 
schrift K) gundeulfi gundiulfi G. Wegen Gunde--^ s. oben 
S. 371. Was den so wechselnd gegebenen zweiten Bestandtfaeil 
^angeht, so wird das fuldi der besten Handschrift, falls es nicht 
dennoch ein Schreibfehler ist, mit dem fuld oder fold der von 
Pörstemann I, 447 verzeichneten Namen Ftddoin Foldger Fol- 
det Folderich Foldtdf zusammen zu stellen, jedoch nicht aus 
dem angelsächs. fultum Hilfe zu erklären sein (denn fuUum ist 
ebenso aus ftd-döm entstanden wie mstum aus väsddm d. i. 
veaxddm), sondern aus folda folde fold altsächs. angels. altnord. 
Erde, Land : es wäre das eine Namenbildung, die treffende Seiten- 
stücke in den auf Gau und den noch zahlreicheren auf Land 
ausgehenden, darunter z. B. auch Gundoland, besässe; in Nor- 
wegen eine eigens so benannte Landschaft Foldy eingetheilt in 
Vestrfold und Amtrfold (die Deutschen v. Zeuss S. 517. 519), 
in Deutschland der Personenname Westarfoldan, dem sich jedoch 
nur Ostßrlant gegenüberstellt. Denkbar ist aber auch, dass F 
in roher Art des Sprechens ein V vertrete, fuldus mithin s. v. a. 
vtddits vtdihus (vgl Segisvuldi) sei. Denn diese Verderbniss hat 
nicht allein lateinische Worte (s. Umdeutschung S. 24 fg. = 
oben S. 281)^ sie:, hat ebenso wohl deutsche betroffen, und wir 
finden bei d^ Franken neben ewa auch efa, neben Marcoveifa 
Sunnoveifa auch Baudofäfa Vinofeifa: Jac. örimm vor Merkels 
Lex Sal. S. LVH fg. Gesch. d. D. Spr. I, 540. In feifa ist 
diese Verhärtung zugleich eine Assimilation: nicht anders wird 
die Lesart Gundefulfi (nur ein Schreibfehler dafür ist Guidefidsi) 
auf Gundevulfi, der volleren Form für Gundeulfi (S. 349), be- 
ruhen. Gundeulfus und im zweiten Texte romanisiert Gondetd' 
fus (S. 370) h^t auch die Schenkungsurkunde von S. Maurice, 
Pardessus Nr. 103. 104. 

Gundemundi ö: s. oben S. 371, Gundomares und Änse- 
mundus. 

Gundiisclus („qui vixit in secolo annns LXVHII") in 
einer Grabschrift von 547 zu Eevel-Tourdan ; Le Blant II, 151 
Nr. 461. Für Gundigisclus: s. S, 348. 364 u. 375. 

Gundiocus Gunthious Gundiacus Gundimcus Gunduicus 
Gundimus Gundicm Gundefvechus Gund^umm Gundiochus Gun^ 
dichus Gimdeveus K: vgl. Binding S. 38 u. oben S* 351. 353. 359, 

Gundomares K: gundomarem gundamarem gondomanem 

Wackemagel, Schriften. III, 26 


402 Sprache und Sprachdenkmftler der Bargunden. 

gandemarefn: ,B0 in der Lex Burg. Tii 3 die Hälfte der Hand- 
schriften und die besseren: vgl. oben S. 339, die übrigen mit 
Verlust des N und so mit Yertauschung des ffund gegen god 
(s. oben Godegisdus), mit Verwechselung also dieses und eines 
andern königlichen Namens (s. Gudo^nams), godainarem godo- 
marem godomarum. In gleicher Weise schreibt Paul. Diac. 
Hist. misc. XVI Gvdubadus für Gundubadus, uui gundem^mdi 
6. hat neben sich gudemundi godemundi godhnundi, während 
Godegiselus und Gudamarm (s. oben) von der umgekehrten Ver- 
tauschung betroffen werden. Die altnordische Sagendichtung 
verderbt Gundomdr in Ghdharm GuMarm Gubzorm; die deutsche 
bringt, indem sie gleichwohl die genealogische Allitteration be- 
wahrt, dafCur Girndt in die Namenreihe; die ThiÖriks-Saga, aus- 
gleichend und vermittelnd, nennt neben einander beide: Gap. 170 
Hinn dzti konangs sun heitir Gunnarvy en annarr GtUhormr, 
thridi Gemoz, fiorbi Gider, üebrigens hat in Tit. 3 der Lei 
die Handschrift E noch einmal gundoniarimn, fehlerhaft statt 
gundaharium. 

Gundubada Gundobadus GhinddHuius Gundibadus Gondu- 
badm Gonddmdm GtmddxxtiJts Gundobandus Gundobctgaudus 
Gundobaldua Gundibdldus E. der Urheber des nach ihm auch 
Gundobada betitelten Bechtebuchs der Burgunden: Bluhme 
S. 497. Binding S. 70. 157; Gundobadus Gundd)adus hiess 
auch der Sohn, den der Frankenkönig Guntchranmus von seinem 
Ecbsweib Veneranda hatte: Greg. Tur. Hist. Franc. IV, 25. 
Fredeg. Epit. 56; ausserdem Gundobaudus ein Sohn Eönig Se- 
gismunds. Vgl. S. 354. 366. 370. 882. Die Ableitung Gtint- 
badingi Gundbodingi ist 9. a. „Oundebadal ege viventes^^ (Bhilime 
S. 503), mit ähnlicher Wendung des eigentlich patronymischen 
Sinnes wie bei Karolingi und Lotharingi: Frand, tii wir nü 
heizin Charlingd Notk. Boetii. S. 2 Graff; einzelne Quellen 
(Bluhme S. 504 fgg.) sagen kürzer Gunddmdi oder Gunde- 
baldi, wie Widuk. II, 2 u. a. Lotharii. 

Gnutella W. („Riculfus et jugalis sua Guntello**) in einer 
Grabschrift ohne Jahresangabe zu Briord: Le Blant II, 18 
Nr. 380. Eosende Eürzung und Verkleinerung eines wie Otm- 
theuca mit guHth d. i. Schlacht zusammengesetzten Franen- 
namens: vgl. oben S. 376 fg. Das* burgundische Nominativ- 
endung: S. 382. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 403 

Gunthegiselus E. s. oben Oodegiselus, 

Guntheuca Greg. Tur. Hist. Franc. HI, 6. Gunthiucha 
Predeg. Epit. 37. W. K: oben S. 351 u. 354. 

Gunthious E. in der ersten Schmuckinschrift: s. oben 
Gmidiocm. 

Gutta s. Gotia, 

hag in der fersten Schmuckinschrift: s. oben S. 385. 

hendinos: „Apud hos generali nomine rex appellatur hen- 
dinos" Amm. Marc. XXVÜI, 5. Ob dafür chmdines, ob hun- 
dino zu lesen? oben S. 343 fgg. 369. 

Hildegerni hüdierni hügerni heldegerni heldigerni Gr: 
hÜd s. Aunihilde; gern s. Fridigernus; hildiemi oben S. 348. 

Hildeulf i heldeulfi hildtdfi G: hild s. Aunihilde, ulf 
S. 349. 

Hilpericus Chilpericus K: Binding S. 38; in der Vita 
Sigismundi § 3 entstellt Chilpertm. Althocbd. hilfa^ altsächs. 
helpa Hilfe (über das CH in Chilpericus oben S. 345); ricus 
s. Auderid. 

Hymnemondus s. Ememundi und Ansemundus. 

iddan in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 383 fg. 

Ildelo in einer aus Briord stammenden Grabinschrift vom 
Jahre 487: Le Blant II pl. 43 Nr. 253; der Abdruck S. 16 
Nr. 379 giebt Idelo. Mit Tilgung eines anlautenden H (oben 
S. 346) Deminutivableitung von hild: s. Amdhilde. 

Imelistanus: nächstliegende Besserung von Imdistanm, 
wie Boissieu S. 562 Nr. 21 auf einer beschädigten Lyoner Grab- 
schrift des Jahres 466 liest; davor-noch lim, wahrscheinlich der 
Ausgang eines sonst weggebrochenen ersten Namens: vgl. oben 
S. 387 fgg. Ime s.^ Ememundi; listanus wie der spätere männ- 
liche Eigenname Listin von list goth. althochd. Weisheit, Kunst, 
List [listanus Listin: vgl. ahd. pilistinon Grafifs Sprachsch. 2, 
285. Imelistanus: vgl. einlisteo filuUsteo das. 284. tüsentlistcher 
Br. Berthold 408, 26.] 

Imiman s. Ememundi u. S. 378. 

Ingildus („qui vixit annis IUI et mensibus octo^O ^^ ^^^^^ 
Grabscbrift des Jahres 537 zu Aoste: Le Blant II, 38 Nr. 393. 
Vgl. Aunegilde und oben S. 374. 

kiano in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 367 

XL 383. 

26* 


404 Sprache und Sprachdenkmfiler der Bnr^nden. 

LeubaredvH heisst ein Archidiaconus des Bischöfe Apolli- 
naris von Valence in dessen Vita Cap. 10: leub gotb. Hub lieb 
s. Seilehuba; red ms s. Baldaridus. 

leudus leiidis leodis leudes, in der Lex Burg. CT, 2 die 
Benennung eines freien Burgunden von geringerem Stande als 
dem eines optimas oder mediocris, also /gleichbedeutend mit 
minor persona II, 2 und inferior XXVI, 3. I/iud ist Volk und, 
gewöhnlich dann pluralisch gebraucht, einer aus der Menge, der 
Pluralis mithin die Menge selbst: die inferiores machten eben 
auch die grosse Masse des Volkes aus. Die Lesarten leudis 
leodis leudes könnten dadurch besser empfohlen scheinen, dass 
so mit Flexionsendungen der dritten Declination das Wort auch 
in den Oeschichtsbüchern der Franken vorkommt, bald indem 
nur die Dienstmannen des Königs, bald auch indem sämmtliche 
freie Volksgenossen damit gemeint sind (Waitz Deutsche Ver- 
fassungsgeschichte II, 222 fgg.), in Rechtsschriften aber wie der 
Lex Sal., der Lex Fris., der Lex Angl. et Werin., in Capitularen 
und sonst, um mit einer frischen Kürzung des Begriffes und des 
Ausdruckes die Busse tat einen getödteten Mann, das Wergeid, 
zu bezeichnen. Indess auch leudus leudutn nach der zweiten 
findet sich, namentlich im letztren^ Sinne (J. Grimms Bechts- 
alterth. S. 662 und du Cange), aber auch im ersteren („Et 
dixerunt sapientes Burgundionum „Vivat rex, qui tales habet 
leodos !^^ wie nämlich Chlodovech: Gesta reg. Franc. 13), und 
ebenso wird fQr das Recht der Burgunden das leudus der besten 
Handschrift gelten dürfen, um so mehr als diese Latinisienmg 
durch die deutsche Flexion selbst noch näher gelegt war: leud 
hatte in der Mehrzahl, gewiss auch hier schon ohne S (vgl. 
oben S. 378), leudei oder leudi: auf gleiche Art nun lat. leu- 
dus leudi. 

Leu Vera W. in einer aus Briord stammenden Grabschrift 
von 487 bei Le Blant II, 16 Nr. 379 kanii nur aus Leuberera 
(Leubovera bei Greg. Tur. Hist. Fr. IX, 39 fgg.) verschmolzen 
sein: oben S. 372. Leub s. Sedeleuba; vera hier wie in an- 
deren Namen das Femininum zu wer ahd., vair goth. Mann. 

Mßganus auf einer undatierten Grabschrift zu Vienne: Le 
Blant n, 89 Nr. 419 A. Als AppellatiTum bedeutet magan im 
Althochd. und sonst s. v. a. Macht, Kraft. 

malahareda Lex Burg. LXXXVI, 1: vgl. S. 357 u. 362, 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 405 

Manneleubus in einer Grabschrift zu Briord von 487: 
Le Blant II, 16 Nr. 379; in dem Pariser Testamentum Ermine- 
trudis des siebenten Jahrhunderts (Pardessus Nr. 472) Mani' 
leubtis. Das Althochd. hat manäliuh als Adjectivum (belegbar 
die Ableitung manaliupi, „humane^^ d. i. hnmanitas) wie auch 
als Namen. Vgl. Sedeleuba, 

Hanno in einer Grabschrift zu Briord von 501 : Le Blant 
II, 6 Nr. 374. Vgl. Manna oben S. 379. 

morginegyha morgynegyva morgangiha morgangeba Lex. 
Burg. XLII, 2 Morgengabe; inorgin stimmt in dem Vocal der 
zweiten Sylbe zu der gothischen Form des Wortes (maurgin), 
inorgan ist die althochdeutsche. Vgl. S. 354 u. 371. 

Muciiruna W. K. nach mehreren Texten Gregors von 
Tours Hist. Franc. II, 28 der Name den Hilpericus ältere Tochter 
Sedeleuba „mutata veste'^ führte; die anderen haben Chrona. 
Für mucu (das zweite U steht durch Angleichung für A: S. 370) 
ergiebt sich aus dem goth. mukamodei Sanftmuth, dem althochd. 
mühho Heimchen, mühhan auf nächtlichen Raub ausgehn u. s. w. 
der Begrifif des Stillen und Verborgenen; von den häufigen 
Weibemamen mit rüna oben S. 363. 

Nandoredus: so am schicklichsten wird das bruchstück- 
hafte und sonst verderbte ANDOERDVS einer Vienner Grab- 
schrift von 494 bei Le Blant II, 139 Nr. 458 EE zu ergänzen 
und zu bessern sein. Le Blant vermuthet RaMoerdtiSy also 
rand Schild, für sich allein nicht übel: aber oerdus? Könnte 
diess ebenso für verdus stehn wie z. B. Landoardus für Land- 
vardus (vgl. S. 350), so begegnet doch tverd d. i. werth sonst 
nirgend als zweiter Theil von Eigennamen. Nandored dagegen 
ist ein Name: das Bavennatische Testamentum Mannanis vom 
Jahre 575 (Marini, Papiri diplomatici Nr. 75) hat ihn in der 
Form Nanderit, mit derselben Vertauschung des TH (der im 
Auslaut eintretenden Aspiration des D) gegen T wie in den la- 
teinisch geschriebenen Guderit Optarit Wiljarit der gothischen 
Urkunde zu Neapel neben dem gothisch geschriebenen Vüjarith, 
Vgl. mithin Eunafidus und Baldaridtis, 

Nansa und Nasualdus auf der vierten Schmuckinschrift: 
vgl. oben S. 350. 353 und Engebvald. 

' novigildus Lex Burg. IX. XIX, 11. XXXVIII, 8. XLV. 
LXXVI, 2 neunfacher Ersatz wie trigildus LXni, 1 dreifacher. 


406 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgmiden. 

Der Nominativns kommt nirgend vor, er ist aber nadi Anleit 
der gleichartigen Ausdrücke anderer Bechtsbücher (oben S. 336) 
und solcher wie duos geldos und navem gddos in Karls d. Gr. 
drittem Capitulare von 813 § 23 und 25, wie auch tceregüdus 
und tvidrigildus mftnnlich anzusetzen: das deutsche Wort gild 
kelt Vergeltung, Ersatz, Bezahlung (vgl. S. 374) hat ebenso wohl 
männliches als neutrales Geschlecht. 

Obtulfus in einer Grabschrift zu Valence von 494: Le 
Blant n, 176 Nr. 474 B. Vgl. oben S. 341 u. 349. 

Offonis Effonis uffunis, offini G. Uffo Offo in ähn- 
lichem Sinne zu uf auf gebildet wie goth. ufjd üeberfluss; in 
der Form Offas, mit griechischer Umbildung des schwachen No- 
minativus, kommt der Name schon auf einer der Siebenbürgischen 
Wachstafeln vom Jahre 167 vor (Massmanns Libellus aurarius 
S. '87 fg. 124), dann Offa als Name mehrerer Könige der 
Angelsachsen. Ueber den Genitivus Offini vgl. oben S. 379; 
zu Uffunis kann ein Nominativ Uffuni gemeint sein, wie sich 
ein solcher althochdeutsch in der Form Offuni findet. 

Onovaccus in einer Grabscbrift von 527 aus dem Kloster 
S. Offange bei ^vian: Abbildung derselben und ungenaue Lesung 
(Lonovaccm) durch de Gingins im Anzeiger für Schweiz. Gesch. 
und Alterthumskunde 1866 Nr. 4, genauere (Onovaccus) von 
K. L. Both ebd. 1866 Nr. 1. Le Blant II, 578 Nr. 683 ver- 
muthet, als ob hier irgend Baum zu Vermuthungen wäre, Ebro- 
vaccus. On s. Äunegilde; vaams oben S. 361. 

Orovelda in einer Grabschrift zu Briord von 487: Le 
Blant II, 16 Nr. 379. Es ist ein Name einer nach dem Tod 
des Herrn freigelassenen Sclavinn, und wie man leibeigenen 
Leuten gern auch Namen gab, die auf ihre schmutzige Miss- 
gestalt hindeuteten (Bigs mal Str. 12. 13), wie z. B. in solchem 
Sinne die Traditiones Corbeienses 229 eine JHoroholla d. i. 
Dreckfass zeigen, ebenso wird hier, mit romanischer Abwerfung 
des H (S. 346), das Wort horo zu erkennen sein. Der zweite 
Theil ist entweder, auch unaspiriert, hild wie in Aunihilde, ge- 
' brechen wie in Heldegemus Heldeulfm, die Zusammensetzung 
also abzutheilen Oroty-elda (möglich, da der volle Stamm von 
horo auf ein W ausgeht: gen. horawes, adj. horawin), oder 
aber, und besser, da solch ein Hinüberführen des W in die Zu- 
sammensetzung sonst nirgend nachweisbar ist, das gebrochene 


Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 407 

Adjectivum oder Subst. vild altuord. wohlgefällig, Wohlgefsdlen: 
also Oro-velda wie altn. Böbvild und fränkisch Hadowildis 
Waldavildia. Vgl. oben S. 349. 

Ostrogotho Ostrogotha W. K. Tochter Theodorichs d. Gr., 
Gemahlinn König Sigismnnds. Sie hat diesen Namen, der eben 
nur s. y. a. Ostgothinn besagt, doch nicht etwa erst von den 
Burgunden, sondern, wie aus Jörd. 58 hervorgeht, bereits daheim 
erhalten; vgl. weiter unten Suavegotta sowie die andere Namens- 
angabe Theodegotha. lieber Jordanis Schreibung Ostrogotho oben 
S. 364 u. 382. " 

Baspso d. i. Bapso in einer Lyoner Grabschrift unge- 
wissen Alters bei Boissieu S. 597 Nr. 58. Bapso verhält 
sich zu dem althochd. refsen, Aor. rafsta, mit Worten strafen, 
tadeln, wie capsa zu chafsa und angels. väps zu toafsa Wespe. 
Neben chafsa kommt sogar noch im Althochd. selbst ein un- 
aspiriertes caps^ neben lefs Lippe leps vor, und so ist auch neben 
rafsunga die Schreibung rapmnga kein blosser Schreibfehler: 
noch im Mittelhochdeutschen ist auch rep^^ nachweisbar [Baspe 
Baumers Hohenst. 4, 213. der Basper Massmann Eaiserchr. 3, 
1159. respm Altd. Pred. 7, 68]. 

Bemila W. „donma Bemila vocabulo Eugenia^' vgl. S. 336 
u. 388), Tochter von Ansemundus und Ansleubana: Vienner 
Urkunde von 543 bei Pardessus Nr.. 140. Verkleinerungsform 
(S. 375) zu rim: s. WcUarimi. 

Bico Bfirger von „Cabilo" (Chalons sur Saone): Aviti Ep. 
76. Zu goth. reik: s. Auderici. 

Biculfus in einer undatierten Grabschrift zu Briord: Le 
Blant II, 15 Nr. 380. Vgl. Auderiei und oben S. 349. 

Sara in einer Lyoner Grabschrift von 510: s. oben S. 388 
und unten s. v. Vassio. 

screunia: screunias eopcreunias screnias scrinia scrinea 
excrinea Lex Burg. XXIX, 3: vgl. oben S. 337 fg. Die mit 
ex anfangenden Schreibungen wollen der Bomanisierung, welche 
dem anlautenden 8C ein E vorschlägt (Diez Gramm, der Rom. 
Sprachen I, 224 fg.), ein besser lateinisches Aüssehn geben. 

Scudilio in einer Grabschrift von 487 zu Briord: Le 
Blant II PI. 43 Nr. 259; der Abdruck aber S. 16 Nr. 379 
macht aus dem D, so deutlich es ist, ein P: wahrscheinlich dass 
der Scupilio spatarius, der das fränkische Testamentum Ermine- 


408 Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. ^ 

• 

trudis bei Pardessus Nr. 4b2 mit unterschreibt^ dazu verlockte. 
Mit D hat den Namen auch Anun. Marcell. XIY, 10, nur ohne 
/ und als den eines Alamannen: „Scudüaneni scutariorum recto- 
rem^'. J. Grrimm, Qesch. d. D. Spr. I, 222, um das deutsche 
Wort Schild mit öxutoc actdtmi seutulum etymologisch zu ver- 
einigen (das goth. skildus sei umgestellt aus skidüus), fasst 
dieses alamannische Scudüo als Uebersetzung von scutarius auf. 
Ich wage nidit so viel und denke bei Scudüo Scudüio lieber 
nur an das althochd. scutjan schütteln, erschüttern, „vibrare^^: 
in gleicher Bildungsart und Bedeutung scheint Wanüo Wenüo 
auf hwenjan schwingen zu beruhen. Auch soutisdn erschrecken 
dürfte in Betracht gezogen werden: Scudih und scutisdn ver- 
hielten sich ebenso wie Agilo Kgilo und egisdn, Herüo und he- 
risdn, Bichilo und richisdn, das deminutive und das intensive 
Wort. Die Lesung Scupilio würde freilich auch zu deuten sein, 
entweder wie unser Schöpflin aus schöpf, goth. und althochd. 
skuft (dann wieder ein Name wie Nasua und die andern auf 
S. 350 angeführten) , oder aus dem ahd. scuphm schwingen, 
schleudern stossen. 

Sedeleuba Saedeleuba W. K. nach Fredeg. Bpit. 17. 18 
der frühere Name der späterhin Chrona oder Mucuruna genann- 
ten Tochter von Gundobadas Bruder Hilpericus ; auch in Fredeg. 
Chron. 22 Seddeuba regina. Üeber sede saede s. oben S. 368 fg.; 
leuba das goth. Hub lieb (vgl. Leubaredus Leu^era), aber nicht, 
wie es in dem weiter abgeleiteten Ansleubana wohl gemeint ist, 
passivisch zu verstehen^ sondern aotiv, im Sinne von liebend, 
eben wie auch in unserem Manneleubm GastUeubus, in Fridi- 
liuba Gundüetiba u. a. Die Vita Sigismundi § 3 schreibt je- 
doch Sedeolenica, und das hat zwar den Vorzug einer aus- 
drücklicheren Compositionsbezeichnung, hat den Bindevocal 
(oben S. 371 fg.), und das E vor demselben geht auf jenes / 
zurück, das Worte wie sidu auch in einem Theil ihrer Flexion 
aufweisen: lenica indessen dürfte gleich so viel andrem in dieser 
Legende nur entstellt sein, aus leuba entstellt schon durch den 
Verfasser selbst oder dessen Schreiber. Sonst könnte man es 
auch als eine mit IC gebildete Koseform (S. 375) zu dem lena 
von Audolena ziehn. 

Segismundus Sigismundus Segimundm Sigimundus 


Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 409 

K: segismundi hat m der üeberschrift des Gesetzes die Hand- 
schrift L. Vgl. oben S. 369. 374 und Ansetnundm. 

Segisuuldi Sigisuuldi, in zwei Handschriften Siges- 
uulfi G: sigi&segk s. oben S. 374; vtddns S. 354; vtdfusS. 349. 

segucius eine AH Jagdhund: segucium segtäium segutio 
Lex Borg. Tit. 97. Vgl. oben S. 367 fg. 382. 

Siggonis sicgoms sigoni sicconi G; Sicco auch auf einer 
altchristlichen Grabsehrift aus Worms in Steiners Cod. Inscript. 
Koman. I, 288 Nr. 607. Von sign Sieg: vgl. S. 347. 374 f^. 
u. 379. 

Sigifunsus: „Quidam barbarus, haereticorum comitivam 
exercens, nomine Sigifunsus" Vita Eptadii, Holland. Aug. IV. 
pg. 780. Vgl. S. 352 u. 375. 

Sigisricus Segisricus Sigiricus Sigericus Segerictt^ K: 
vgl. oben S. 374 und Auderid. 

Siluani G: latinisiertes Burgundisch? oben S. 336. 372. 

sinistus: „sacerdos apud Burgundios omnium maximus 
vocatur sinistus" Amm. Marc. XXVI II, 5. Vgl. oben S. 380. 

Suavegotta W. K. Tochter König Segismunds, Gemahlinn 
des Frankenkönigs Theudericus I: späte und (S. 354) entstellte 
üeberlieferung Plodoards, Hist. Rem. II, 1. Unsere Vorfahren 
liebten es den Kindern Namen zu schöpfen, die zugleich Namen 
von Völkern oder von solchen abgeleitet oder zusammengesetzt 
mit solchen waren: Grund und Anlass dazu sind für uns jetzt 
meistens nicht erkennbar, und schwerlich haben auch überall 
die gleichen gewaltet. Als Beispiele aus Bairischen Urkunden 
fuhrt Schmeller in seinem Wörterbuch U, 481 Alaman Durinc 
Francho Freaso Hesso Huno Lancpart Peiri Pwrgtind (vgl. 
oben Bnrgundio) und Sahso an : dazu kommen noch anderswoher 
Angilo Anzo (Volk der Antes), Baio (Volk der Boii), Britta^ 
Cimberitis, Dano, Gautus unA'Gauto, Gotha, Haruth, JtUo, 
SemnOf Suab und Suabo, Walah und Wahho, Wandil und 
Wandilo, Vangio, Warin, Winid und Winido u. a., aus unseren 
Quellen vielleicht Wcdesta (oben S. 381); Zusammensetzungen 
Burgundofaro oben S. 360 [lordanis? vgl. oben S. 389], 
Gauthstradia Aebiissinn eines Klosters zu Besan9on 624 (Par- 
dessus Nr. 235; stredan ist angels. fallen und fallen machen), 
Thiudigotho und Ostrogotho die beiden Töchter Theodorichs des 
Grossen, des Ostgothenkönigs, und diese oder jene die Gemahlinn 


4t Sforiiohe und Sprachdenkmäler der Bnrgfinden. 

König Segismunds, Windemeres in der Orafenunterschrift der 
Lex Burg., Vindemarus in der Urkunde von 8. Haurice; ferner 
Enziman, Boiorix, Britobaudes, Danahüdis, Wamaeharius, mit 
einem Stadtnamen Ronmaldm oder Rumoaldm u. s. w. [Hunml, 
Viniiharius, Vandakmus Jord* 14]. Znweilen sind es zwei 
Yölkernamen, die sich zum Namen einer Person yerbinden: so 
Engilffoz, Walahun, Wandcdgaud; man könnte vermuthen, um 
auszudrficken, das Kind stamme vaterseits aus dem einen, mutter- 
seits aus dem anderen Volke (J. Orinmi, Gesch. d. D. Spr. 2, 
734. 776), dasselbe was der Sinn der mit haJb gebildeten 
Namen Hälfdcmr, Hälhduring und HaUnvakA scheint^). Dem 
widerspricht indess, obschon das Wort eben hieher zu ziehen ist, 
unser Suavegotta, wo zwar die Mutter eine Gothinn war, der 
Vater aber doch kein Sueve. Wir erhalten mit dieser Art von 
Namengebung nur ein Bäthsel mehr zu den vielen unserer alten 
Sprach- und Sittengeschichte, die noch der Lösung warten^). 

Suniae soniae G: goth. stmi wahr, aunja JVahrheit. Der 
heil. Hieronymus schreibt seinen 106ten Brief zwei gothischen 
Geistlichen Sunniae et Fretdae d. i. Frithüae; bloss mit Ver- 
doppellung der Liquida Johannes Biclariensis (Chron. ad. a. VI 
Mauritii) der westgothisehe Mannsname Sunna, bei Gregor von 
Tours (Hist. Franc. II, 9) der fränkische Sunno. 

Susane W. in einer Grabsohrift von 508 bei Boissieu 
S. 578 Nr. 33. Der Ausgang in E (vgL oben S. 370) giebt 
dem Wort ein entschieden burgundisches Gepräge, so dass, wenn 
eigentlich auch der biblische Name Susanna gemeint war, der- 
selbe doch auf süsan ahd. „stridere^^ ist bezogen worden. An- 
derswo der Mannsname Smo. 

Teto in einer jahrzahllosen Grabsehrift zu Vaison: Le Blant 
U, 233 Nr. 498. Tato Tatto oder mit anderer Vocalisierung 
Teto Tetto eigentlich das Kinderwort für Vater, in welchem, da 
es einen immer gleichen Naturlaut wiedergiebt, die deutsche 
Sprache ohne Verschiebung mit den pelasgischen zusammenstimmt 
(ToiTa TSTTa tata), dann aber auch in beiden Formen häufiger 


1) [vgl. hcUpswuol Nib. 878. Herr HaWLöWy der Leopart: Esel- 
könig S. 18.] 

2) [Ist zu lesen Suanegoita? Suanila und Suanihüda (Jord. 24 n. a.) 
sind gothisohe Namen und daraas macht Saxo Gramm. 8, 8. 157 Swavilda] 


Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 411 

E^ehname, z. B. Toto eines Langobardenkdnigs, des Besiegers 
der Heruler, und Tatto oben S. 390, als Eigenname (man ge-* 
dachte dabei jenes Kinderworts nicht mehr) auf Althochdeutsch 
mit Verschiebung des T in Z auch Zazo Zezo, 

Theodegotha W. K. Während J(»rdanis Cap. 58 die zwei 
Töchter Theodorichs Thiudigiofho als die Oemahlinn Alarichs, 
Ostroffotho als die Qemahlinn Sigismunds bezeichnet, nennt der 
Anonymus Yalesianus dieselben Arevgani (was aber soll das 
heissenP) und Theodegotha, und die letztere wird dem Burgun* 
den, die erstere dem Westgothen zum Weib gegeben; ich ent^ 
scheide nicht, ob er oder Jordanis die gemeinsame Quelle besser 
benützt habe. Theodegotha oder gothischer und theilweis auch 
burgnndischer Thiudigotho (oben S. 382) trifft in seinem vor- 
deren Bestandtheil mit Theuddinda, im zweiten mit Ostrogotho 
überein. 

Theudelinda W. K. In einer Urkunde von 578 bei Par- 
dessus Nr. 196 „ad monasterio, quod est dedicatione sancti Petri 
scitam (lies ßctttim d. i. situm) in Lugduni civitate inter Boda* 
num et Ararim, substructum a rege Gaudisello et a regina 
Theudelinda, sua sponsa piissima^^ Theude wie in Theudetnondus 
Theodegotha das goth. thiuda Volk; das zweite Wort nach ge- 
wöhnlicher Ansicht entweder lint althochd. Schlange, Drache oder 
Untä Schild. Häufig aber wird anderswo Theuddindis u. dgl., 
auf einem zu Ebersheim zu Mainz gefundenen altchristlichen 
.Grabstein Lindis geschrieben (Lindis ßia Vdandu et Thude- 
lindi Steiners Cod. Inscript. Boman. I, 271 Nr. 575), und die- 
ses I am Schlüsse, wenn es nicht bedeutungslos sein soll, weist 
damuf hin, dass unsem Alten hier noch ein drittes Wort und 
wahrscheinlich nur diess im Sinne gelegen habe, das ahd. lindi 
weich, sanft, ein Adjectivum also das gleichen Begriffes ist mit 
lin und len (s. oben Ätidolena) und zu demselben siqh so ver- 
hält wie im Lateinischen lentus zu lenis. Wirklich heisst es 
ausser Theudelinda auch Teudolina und ausser Audolma Leude- 
linus ValdoUna auch Audolendis (Grabschrifk zu Mainz bei Steiner 
I, 184 Nr. 390) Letidelindis Valdelindis. Wie aber jenes lindi 
noch die einsylbige Nebenform Und besass, so mögen wieder 
hierauf und nicht auf lint Schlange noch auf Untä Schild die 
Namen beruhn, die auf Deutsch mit Und oder lint, dXii Latei- 
nisch mit Unda endigen wie eben unser Theudelinda. 


412 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Burgnnden. 

Theudemodus in der ersten, Theudemondus in der 
zweiten Aufzeichnung der Schenkungsurkunde von S. Maurice 
(Pardessus Nr. 103. 104) Name eines und desselben Grafen; 
Teodemodos< oben S. 365. Thiuda s. Theudelinda; modus s. 
BaUlmmodus ; mandus d. i. mundus s. Anse^nundus. 

trigildus s. novigädus. 

Tullii Major domus, erwähnt von Avitus Epist. 35. Es 
giebt zahlreiche auf I ausgehende Männernamen (Förstemann I, 
765 fgg.), in denen dieser Yocal unzweifelhaft dieselbe Deminu* 
tivbedeutung hat wie am Schlüsse von Appellativen und auf 
Altdeutsch wie mundartlich noch jetzt: darunter auch, unbe- 
stimmt aus welchem Jahrhundert, ZoUu Hiefnr ist Tvüii die 
burgundische Form; sie enthält zwei /: das erste dient noch zu 
anderweitiger Ableitung (vgl. S. 347), zur Ableitung von jenem 
Grundwort iul, auf dem auch der Volksname Ttdingi, der alt- 
hochd. Mannsname Zulliug sammt dem Ortsnamen ZuUinga, 
ferner goth. Tuluni (so ist bei Gassiod. Var. Epist. YIII, 9. 10 
Tulum, und wie man sonst noch lese, zu verbessern) und alt- 
hochd. Zullini beruhn. Zol ist im Mittelhochdeutschen und noch 
in Mundarten des Oberlands ein länglicht rundlichtes Stuck, be* 
sonders Holzstück, bald ein Klotz, bald ein Knebel, und Klotz 
und Knebel sind uns auch persönliche •Eigennamen. 

Uffunis G. s. oben Offonis. 

UmbdemaruB s. unten Windemeris. 

Unani unnani G; der Nominativ Unanus oder noch eher. 
Uno: s. oben S. 379 und ausserdem Aunegilde. 

unthfanthai in der zweiten Schmuckinschrift: vgl. oben 
S. 361 fg. 373. 382 fg. 

Usgildi osgildi, mit unnfitzer, den romanischen Schreibern 
gleichgültiger Aspiration hmgild hoageldi G: vgl. oben S. 374 
und Aunegilde. 

Uthila: Uthilam^ ut illam Lex Burg. LI,'l. Neben der 
Wurzel iud aud ud (s. oben zu Aunegilde) muss noch eine be* 
standen haben, die bei gleicher Vocalisierung (ob auch mit dem- 
selben oder verwandtem BegriflFe?) auf TH ausgieng: von dieser 
die Namen Euihio, luthungi, Eodunc, Euiharicus u. a. und 
ebenso unser Uthila, Die Lesarten ad talem u. s. f. haben uns 
den Namen Athala ergeben. 


Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 413 

Wadamiris G. Wada [vgl. als för sich bestehender 
NamQ Vadüy ftltnord. Vadi, ahd. Wato; vgl. lat. Gradivus] zu 
angelsächs. vadan, altnörd. vata, althochd. watan schreiten, an- 
greifen; mir das goth. mSr berühmt in slavischer Umformung 
(oben S. 361): umgeändert das letztere zeigen die Lesarten 
nuadahameris und uuidemeris uuidimeris, mit deren ersterer 
uttalahameris gemeint sem mag (vgl. zu Suavsgotta), während 
die letztere den in der Reihe der Unterschriften vorangegangenen 
Namen wiederholt; gleichfalls nur ein Versehen der Art ist die 
Lesart uucdahariL Derselbe Name mit Wadamires würde Am- 
mians alamannischer Vadomarius (XVI, 12 u. s. w.) sein, wenn 
nicht die Mehrzahl anderer Zeugnisse, Aurel. Vict. Epit. 42, 
^osimus III, 4 u. s. f. die Form Badomarius vorziehn Hessen, 
eine Umkehrung von Maroboduus oben S. 366. 

Walaharii VuaUaherii (Handschr. K) G; eben jenes und 
uuddaharis auch als Lesart für miadamiris und uualarimu Wal 
Walstatt: vgl. WcUarimi; hart Kri^er S. 372. Die Lesai*t 
vMicarii fasst die fränkische Verhärtung Wcdachari (in dem 
Pariser Testamentum Erminetrudis bei Pardessus Nr. 4ö2) la- 
teinisch auf: S. 345. 

Walarimi uucderimi G: wal wie in WalahariuSr rim 
(ein weibliches Deminutiv dazu ist Remila) auch in fränkischen, 
altsächsischen und althochdeutschen Namen wie Dagrim Nai\drim 
u. s. w«: wohl die kürzere Grundform des goth. rimis Buhe. 

Waleste uualesti uaalesse uualesci uuedisci G: s. oben 
S. 380 fg. 

Wallimeris, Lesart für MuoZanw.G- Gemeint wird uuala^ 
meris sein: M^flrf s. Wataharii; mSr berühmt: S. 361, 372. 

Vassio in einer Lyoner G^bsohrift von 473 bei Boissieu 
S. 563 Nr. 23; auf fränkischem Gebiet in dem Testamentum 
Erminetrudis bei Pardessus Nr. 462. Kann -so wie vassus Knecht, 
Diener (L. Sal. XXXV, 6. L. Alam. LXXIX, 3 u. a.) zu vidan 
wetan binden oder wie Wasa Wasand Wamger Was^hUt zu 
der althochd. Wurzel wasan „pollere" (waso Easen), aber auch 
zum goth. v€isj€m kleiden gezogen werden: ich erinnere ausser 
dem oben S. 388 besprochenen Sara an goth. hama Kleid, 
Rüstung und an Eigennamen wie Hämo Hamadeo u. a. [Sarus, 
Sarvus und Hamathim: J. Grimm Haupts Ztschr. 3, 155.] Im 


414 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgonden. 

ersteren Falle ist die Verdoppelung SS s. v. a. DTH, in den 
letztern rührt sie von dem ableitenden i-lant her: vgl. S. 348. 

veius oder veßis s. oben S. 337. 347. 

Wenaharit Ausnaharn uinahario G: wini althochd. alt- 
sächs. Freund, hart oben S. 372. üeber die Lesarten ueniacariae 
und uenicarü S. 345 u. 371; uuanaharii und das ebenfalls 
fränkisch rauhere uuanacharn ist mit t/^dn Erwartung^ Hoffnung 
gebildet. 

Widemeris Q; dasselbe und uuidimeris als Lesart für 
Wadamiris; f^idemarus im zweiten Texte der Schenkungs- 
urkunde von S. Maurice: altnord. vib, althochd. untu Holz, Wald 
und goth. mifj althochd. märi berühmt: vgl. S. 361 u. 372. 
An wid wU weit zu denken, wie Hartmann von Aue Minnes. 
I, 329 a wUe moere sagt und es wirklich auch ein althochd. 
witmäri als üebersetzung von insignis giebt (Ammon. GXGIX, 2), 
verbietet die voller, als hiemit vereinbar wäre, vocalisierte Form 
Widiomarus, die anderweit vorkommt. 

Viliarie in einer undatierten Qrabinschrift zu S. Laurent- 
de-MÜre: Le Blaut II, 28 Nr. 386. Goth. mlja Wille; ric vgl. 
Auderici. üeber den Mangel einer Nominativendung s. oben 
S. 378. 

Villigis^lus in einer undatierten, aber den Buchstaben 
nach dem sechsten Jahrhundert angehörigen Grabschrift zu Anse: 
Le Blant II, 546 Nr. 661 A. Villi goth. vilja Wille mit Ver- 
doppelüng des L: vgl. S. 347; gisdus oben S. 376. 

Willimeres in der fünften Schmuckinschrift: ein den Bur- 
gunden ?ielbeliebter Name : viermal, mit mannigfach wechselnder 
Form, unter den Grafen die das Bechtsbuch unterschreiben: 
uueliemeris Atieliemeris uuiliemeris wiiUmeris wiUimiris; 
viletneris Viliemeris; auilemeris d. i. uuilemeris uillimeris 
als Lesart für vualaharii; cmdiemeris d. 1. uueliemeris als 
Lesart für uualarimi (Bluhme 30 WaUimeris; was hier noch 
aus L und E angegeben wird, uuilemeris und aueliemeris, steht 
in keiner von beiden Handschriften). Goth. pilja Wille, zum 
Theil mit Brechung des I oder Verdoppelung des L: vgl. oben 
S. 347 u. 369; mir berühmt und mir S. 361. 

Villioberga W. Grabschrift von 601 zu Briord: Le Blant 
n, 20 Nr. 381 u. PI. 44 Nr. 262. ViUio vgl. Villigisclus; 
berga vgl. Aisaberga, 


Sprache nnd SpracbdenkinSIer der Bnrgunden. 415 

Windemeris uuindimeris G, Lesart zu Widemeris, wie 
im ersten Texte der Urkunde von S* Maurice ein Umhäe^nams 
d. i. TJindemarua oder Umndemarus dem Videmarm der zweiten 
gegenübersteht (Pardessus Nr* 103 u. 104). Syncopiert aus 
WinidemereB und Zusammensetzung mit dem Volksnamen Winid 
Wende: vgl. Suavegotta. > 

Vistrigilde W. Grabschrift zu Anse von 485: Le Blant 
U, 547 Nr. 662. Als vorderer Theil die Bezeichnung einer 
Himmelsgegend wie in dem alamannischen Vestralpus Ammians 
XVI, 12. XVin, 2 und dem fränkischen Wistrimundus oben 
S. 390, und wie es auch (diess und die oben bei Sumegotta 
besprochene Verwendung der Völkernamen stehen auf einer Linie) 
mit den drei übrigen Worten persönliche Eigennamen giebt: 
vgl. WestarfoUan und Üsterlant oben S. 401, Austrsgildie S. 390, 
Ostrogoiho S. 407; der Nordoalam in der nachburgundischen 
Inschrift eines BeliquienbehftlteiB zu S. Maurice (Le Blant II, 
660 Nr. 684) wird in Nordoaldus zu bessern sein. Gilde wie 
in Aunegilde. 

Vithuluf in der ersten Schmuokinschrift: S. 349. 352. 
374. 378. 

wittimon uuitteman uittemon uuitimon uuitemon uitamon 
uuiUimum uUtemum usttimum Lex Burg. LXVI, 1. 2. LXIX 
(wo nur die Handschrift L in der Bubrik den Schreibfehler 
Huuittemum hat, E dagegen wie sonst auch UuiUimum). 
LXXXVI, 2. CI: s. oben S. 355 fg. u. 382. 

wittiscalcus: tvittiscalcis uitiscalcis utiscalcis uuidiscalcis, 
wittiscaleos witiscalcos uitiscaleos Lex Burg. LXXVI, 1. 3: 
s. oben S. 344. 355. 

Vulfie Vidfiae oder Vulfile uuifite d. i. uulfile G: 
zweierlei Ableitungen (S. 347 u. 375) von vtdf Wolf, wie noch 
späterhin Vulfio und Vulfilo, 

Ymnemodus s. Ememundi und BaÜhamodus. 


Zusatz. 

Auf S. 389 fg. ist ein Beispiel von Doppelnamigkeit bei 
den Gothen, das gerade auch Marius an die Hand giebt, über- 
sehen worden. Der vorletzte König der Ostgothen hiess eigent- 
lich Badvila: so steht auf seinen Münzen, einem authentischen 


416 Sprache und Sprachdenkinftler der Bargunden. 

Zaugniss (Friedländers Münzen d. Ostgothen S. 46 fgg. und 
Taf. n, desselben Münzen der Yandalen S. 45. 67), so auch 
in Marius Chronik unter den Jahren 647, 553 u. 568. Aber 
er führte den Beinamen Totila: „Baduillam, qui et Totiia dice- 
batur*^ Hist. misc. 16 (Muratoris Ber. Ital. Script I, 107 b) und 
daraus Eckehard von Urach (Chron. univ. bei Pertz, Monum. 
YIU, 1 30). Im weiteren Fortgang der Erzählung jedoch brauchen 
die Historia und Eckehard nur noch den Beinamen, und Procop, 
Agathias, Idadus u. a. sagen von vorn herein bloss TuriXac 
T^TCXXa^ Totila. Man sieht, der Beiname hatte auch hier den 
eigentlichen Namen so gut als verdrängt imd galt nun selber 
für den eigentlichen: daher bei Sigebert von Gembloux (Pertz 
YIU, 316) die Umkehrung des Verhältnisses beider: „Totila, 
qui et Baduilla^^ Badvila ist Ableitung von hadu oben S. 365, 
Tdtila von Toto S. 410, letztre zugleich, ebenwie althd. Zuozo, 
mit dem Ablaut gebildet. Die Bedeutungen, welche hieraus 
folgen, würden uns, soweit wir das Leben dieses Helden kennen, 
passlicher scheinen, wenn die Angabe Sigeberts richtig und viel- 
mehr Badvila die erst später erw<H:bne Benennung wäre. 


Von der deutschen Pedanterei. 


(Eine Schulrede, awx Geizers Protestant. Monatshlätt^rn Uly 1S54, 

S. 295—309). 


Indem ich mich anschicke, unser heutiges Schulfest mit 
einigen Worten einzuleiten, muss ich von der Theilnahme, welche 
Sie Vorträgen der Art zu schenken gewohnt sind, mir heut zwie- 
fache Nachsicht erbitten. Denn abweichend von dem meist be- 
obachteten Gebrauch, gedenke ich diessmal nicht, Ihnen ein 
Probestück und Zeugniss vorzuführen, wie die Lehrerschaft über- 
haupt und wie in seinem ♦)esonderen Fach das gerade sprechende 
Glied derselben das Gebiet des Wissens durch neue Forschungen 
zu erweitern, mit neuen Ergebnissen zu bereichern suche: im 
Hinblick auf diejenigen,, denen die Feierlichkeit eigentlich gilt, 
auf den Theil unserer Jugend, der eine gelehrtere, voraus von 
Sprach- und Geschichtsstudien getragene Bildung sich erwerben 
will, hat es mir angemessner geschienen, einen Gegenstand mehr 
von pädagogischer Art und zwar der Warnung wegen ein Uebel 
zu besprechen, das mit solcher Gelehrsamkeit, wie sie erstreben, 
sich gern verbindet. Kaum aber wird von demselben zu reden 
sein, ohne dass Mancher finden dürfte, es sei damit eine offene 
Beichte im Namen Vieler, die jetzt auf anderen Bänken als der 
Schulbank sitzen, abgelegt, und fragen dürfte, wer denn mich 
berufen habe, auch für Andere al? für mich allein zu beichten. 
Ich werde reden von der Pedanterei; mehr jedoch als etwa nur 
die Hauptlinien der Betrachtung, als nur die Grundzüge und den 
Umriss zu geben, kann ich bei solch einem leider allzu reichen 
Stoffe mich nicht anheischig machen. 

Wackernagel, Schriften. III. 27 


418 Die deutsche Pedanterei. 

Wer ist ein Pedant? was ist Pedanterei? 

Gehen wir, um diese Frage zu beantworten, von Beispielen 
aus, von einzelnen Fällen, in denen wir mehr oder weniger 
übereinstimmend alle finden werden, dass jene Benennung am 

Platze seL 

Wenn Jemand statt lateinisch latinisch braucht, weil es ja 
latimis heisse, aber doch weder romisch noch gräkisch, sondern 
wie die Andern römisch und griechisch; wenn er nicht von 
Janitscharen redet, sondern besser türkisch von Jenitscheri, und 
zwar Niuyork und Mechico oder gar unrichtig Meßco spricht 
und doch Neuholland und doch weder Geneve noch Geneva, 
Naj)oli noch Lisboa noch Kjöbenhavn; wenn er, falls du den 
Münster und das Chor gesagt hast, mit aufdringlicher Zurecht- 
weisung in seiner Antwort den Chor und das Münster sagt, als 
wäre um des Lateinischen willen das nur gültig, und doch nicht 
der Mauer und der Kanzel, die Kreuz und die Dom, das Tem^ 
pel und das Altar, obwohl die Grundsprache auch alles diess 
und wie viel der Art sonst noch fordern würde; wenn er, damit 
ja im Sprechen kein geschriebner Buchstab verloren gehe, Zu- 
sammensetzungen wie Schifffahrt, Rückkehr, Ohrring, Fisch- 
schwänz, selhstständig mit mühsamer Ausdrücklichkeit wieder in 
ihre Bestandtheile trennt: Schiff-fahrt, Ohr-ring, selhst-ständig ; 
wenn er auch im lebendig vorwärts strebenden Gespräche siclf 
stets mit Sorgfalt der strengsten Correctheit des Ausdruckes be- 
fleisst und der Anacoluthie, der constructio ad sensum auch da, 
wo sie die Deutlichkeit befördern würden, mit furchtsamer Be- 
rechnung aus dem Wege geht; wenn er schreibend und sprechend 
seine eigenen Gedanken gern noch mit den Gedanken Anderer 
umkränzt, mit Anspielungen, mit Anführungen, am liebsten, weil 
es so am gebildetsten und am gelehrtesten klingt, in fremden 
Sprachen: solch einen Menschen werden wir alle wohl einen Pe- 
danten oder werden wenigstens diese eine seiner Aeussenmgeo, 
diess eine Benehmen und Verfahren eine Pedanterei benennen. 

Der Pedant also schulmeistert, auch wenn vor ihm kein 
Schüler und er selbst durchaus kein Meister ist; er gefällt sich 
in der Consequenz: aber es ist die eigensinnig geradlinige jener 
Kattenart des Nordens, die, blind gegen das Links und Bechts 
und alles Andre, nur vorwärts auf Einen Punkt zu wandert; er 
will und giebt eine todte Eintönigkeit anstatt mannigfaltigen 


Die deutsche Pedanterei. 419 

Lebens, Kleinigkeiten anstatt des Grossen, Einzelnes anstatt des 
Ganzen; für ihn ißt nur die Bewegung durch Regeln, nur die Theorie, 
nur die Form da, nicht aber die Freiheit, die Praxis, der Geist, und 
inmitten derer, die grösser denken, freier handeln, steht er wie 
der Kleinstädter in der Besidenz oder ein Krämer unter Kauf- 
leuten. Der Pedant, wenn seiner Pedan1;erei nicht andere Eigen- 
schaften gesellt sind, die mit noch stärkerer Unwiderstehlichkeit 
wiederum das Herz gewinnen müssen, ist ein höchst unliebens- 
würdiger Mensch, abstossend und nicht in der Gesellschaft, ja 
selbst in der viel verzeihenden Freundschaft kaum zu brauchen: 
denn er wird Schritt für Schritt dadurch, dass er alles anders 
und besser weiss, verletzen; er wird überall, und den Gelehrten 
selbst nicht am wenigsten, beschwerlich fallen durch sein Prunken 
mit verzettelter Gelehrsamkeit; er wird zuerst lächerlich, bald 
aber langweilig sein durch den Ernst, womit er Lappalien er- 
örtert, und durch seine Vorliebe und sein Geschick, gerade über 
die geringfügigsten Dinge am ausführlichsten, in den gewähltesten 
Worten, in umständlichem Periodenbau zu sprechen. 

Der Pedant: ich hätte stets auch hinzufügen können: die 
Pedantin. Denn allerdings, wie kein Alter' und kein Stand, so 
ist auch kein Geschlecht von dieser Unart frei. Ein Kind z. 6., 
das mit altkluger Zweifelsucht die Erzählung eines Märchens 
zurückweist, eine Ersdeherin, die grundsätzlich dem Kinde kein 
Märchen erzählt, weil sie in der Engheit ihres Sinnes keinen 
Unterschied zwischen Dichtung und Lüge kennt, sie beide sind 
hierin und schwerlich dann bloss hierin pedantisch. Nur ist bei 
Weibern und bei Kindern die Pedanterei seltener, darum aber 
auch auffälliger, und weil man von der Kindeseinfalt am wenig- 
sten solche Befangenheit, von der weiblichen Natur, die sonst 
auf dem ganzen Qemüthe ruht, nicht diese Halbheiten des Ver- 
standes erwartet, bei ihnen doppelt unangenehm berührend. 

Allgemein beti-achtet, ist die Pedanterei das leidige Vorrecht 
derer, deren Sache mehr als des Weibes und des Kindes die 
Verstandesthätigkeit und somit auch jene beschränkte Ausübung 
derselben ist, ein Vorrecht des männlichen Geschlechtes, des 
Jünglings, des gereiften Mannes. Und hier, je nach Amt und 
Beruf in welcher Mannigfaltigkeit der Kundgebungen kommt sie 
hier zu Tage! Unter den Künstlern, wenn z. B. ein Componist, 
statt ein Gedicht seinem ganzen Charakter nach aufzufassen und 

27* 


420 ^ I^ie deutsche Pedanterei. 

diesen in dem ganzen Charakter seiner Musik zoräckzuspiegelu, 
sich an die einzelnen Worte hängt und Wort für Wort eine neue 
Empfindung zu malen sucht: Lieder durch/ucomponiren und nicht 
auf Eine Melodie zu setzen, dieser Lieblingsgebraueh unserer 
Zeit hat seinen ersten Ursprung kaum anderswo als in pedan- 
tischem Unvermögen; im Wehrstande sodann, wenn dessen Leiter 
ihre Aufgabe und ihre Lust nur in den Aeusserlichkeiten der 
Kleidung und der Haltung, in der Ausklugelung nutzloser Kleinlich- 
keiten und Peinlichkeiten des Exercitiums finden, als Kamaschen- 
dienst also; ferner beim Staatsmanne, der über die Formen und 
seine doctrinären Sätze und im Angesichte der höchsten inne- 
ren Berechtigung nicht über die äusseren Bedenklichkeiten hin- 
weg kann, vor jeder grossen Massregel erschrickt und der bibli- 
schen Warnung zum Trotz lieber stets nur ausbessert, als ein 
neues Ganzes macht. 

Zumeist aber und mit dem meisten B.echt auch wird jener 
Name auf die vom Gelehrtenstande angewendet. Für sie als die 
beste Probe auf ihren Gehalt an Pedanterei kann ihre Stellung 
gegenüber einem neuen bedeutenden Systeme dienen, sei es das 
einer einzelnen Wissenschaft, wie etwa der Granunatik, oder der 
Wissenschaft aller Wissenschaften, der Philosophie. Die Wenig- 
sten (wir sehen von Solchen ab, die aus Stumpfheit oder Eigen- 
dünkel sich um alles Neue, oder was von anderen kommt, über- 
haupt nicht kümmern), vielleicht die Wenigsten werden die Probe 
mit Ehren bestehen, werden der neuen Lehre frei und mit der Be- 
rechtigung des eigenen vollen Denkens entweder beifallen oder ihr 
entgegentreten: die Mehrzahl der Widersprechenden widerspricht 
nur, weil ihr jeder Versuch, eine Wissenschaft als Ganzes zusam- 
menzufassen und aufzubauen, von Natur zuwider ist; die Mehrzahl 
der Anhänger hängt nur an, weil sie der blosse Formalismus 
des Systemes, lediglich die Maschinerie gefangen nimmt. Pedan- 
terei hier, Pedanterei dort; Pedanterei bei den meisten Jüngern 
Hegels und Beckers, Pedanterei bei deren meisten Gegnern. 

Unter den Gelehrten wiederum sind es besonders wir Schul- 
männer, denen jenes Gebrechen zur Last fallt, denen, wo wir 
nicht ganz und gar Pedanten sind, doch zum mindesten die oder 
jene einzelne Pedaiiterei wie ein neckender Stachel im Fleische 
sitzt. Auch hat das Wort pedante im Italiänischen, woher es 
stammt, ursprünglich ohne Weiteres einen Schullehrer bezeichnet. 


Die deutsche Pedanterei. 421 

Wir sind zu entschuldigen: wer Tag für Tag von Amts wegen 
schulmeistert, schulmeistert nur zu leicht auch da, wo es nicht 
seines Amtes, und schulmeistert bald auch an der Jugend mehr 
und anders, als recht ist; wer durch sein Amt, wie uns nur zu 
oft geschieht, an weiteren Fortschritten gehindert wird, und so 
wenig er weiss, immer doch noch mehr weiss als die Schüler, 
der wird dieses Wenige, diese Einzelheiten bald überschätzen 
lernen: es sind ihm theure Beste eines Schiffbruchs, und er 
klammert sich daran mit verzweiflungsvoller Liebe. 

Nicht alle Gelehrten aber, nicht alle Lehrer sind der Gefahr 
der Pedanterei gleichmässig ausgesetzt. Die in geringerm Grade, 
die auf eine höhere Stufe der Kenntnisse und des Wirkens ge- 
stellt sind: sie fahrt ihre Gelehrsamkeit, wenn auch nicht zur 
Wissenschaft (ich nehme das Wort in seinem vollen Sinne), doch 
zu einer achtungsvollen Ahnung derselben,. die dem Missbrauch 
steuert. Viel mehr dagegen die Halbgelehrten, die Halbwisser, 
die einseitig nur ein einziges, vielleicht gar schmales Fach, oder 
die von vielen, von allen Fächern nur den Anfang und hie und 
da noch sonst ein Bruchstück inne haben, die Vielwisser, die 
AUeswisser. Diese, wenn sie in ihrem Amte nicht nachlässig sind, 
werden dann fast ausnahmslos Pedanten und die nächsten und 
die täglichen Opfer ihrer Pedanterei werden ihre Zöglinge sein; 
diese werden, in und ausser der Schule, in Lehre und liCben und 
im Bücherschreiben, bald, wo es das Ganze gilt, als träge Diener 
der Gewohnheit an dem Ueberlieferten kleben, bald wieder mit 
müssiger Neuerungssucht jedem Einfalle nachgehn, durch den. sie 
ein Einzelnes besser zu machen hoffen. 

Wie aber der Mensch, erklärlich genug, in nichts so mangel- 
hafte Einsicht hat, als was von höheren Dingen ihn zunächst berührt 
und umgiebt (kennt er doch sich selber stets am allerwenigsten), 
und dennoch, verkehrt genug, gerade hier die meiste Einsicht schon 
von Haus aus und die vollste Berechtigung des Dareinredens zu 
besitzen wähnt (wie viele Professoren ausserhalb der Zunft hat des- 
halb die Politik, und die Theologie nicht minder): so regt sich die 
Pedanterei der Pedanten am liebsten und häufigsten und es schlägt 
auch in Solchen, die sonst von diesem Uebel frei sind, eine pedan- 
tische Ader gerne da, wo es die Muttersprache gilt. Diess ist die 
grosse AUmend, worauf sich die Gelehrten nnd die Ungelehrten 
aller Fächer weiden und Blümchen in den Kranz ihrer Verdienste 


422 Die deutsche Pedanterei. 

pflücken : wer sonst vielleicht nichts ohne die genaueste Forschung 
finden will, hier soll es ihm ungesucht in die Hände wachsen; 
wer soRst vor dem, was in Natur und Geschichte gegeben ist, 
eine fast abergläubische Achtung hegt, hier meint er einmal 
selbst machen zu können; wer sonst auch gar nichts weiss, hier 
weiss er Alles und Jedes. Hier denn tritt uns die Pedanterei 
so vollständig wie nirgend mehr mit all ihren Merkmalen, in der 
ganzen bunten Mannigfaltigkeit ihrer Arten und Spielarten und 
Unarten entgegen. 

Scheinbar noch die bescheidensten hier, weil sie auf den 
untersten Stufen bleiben, sind die, deren ganze Sprachgelehrsam- 
keit in Schreibung und Bechtschreibung aufgeht: aber gerade sie 
werden uns mit jedem neuen Worte von Neuem unbequem, und 
ohne Noth versetzen sie Schüler und Laien in Gewissensunruhe. 
Denn sie machen eine Gewissensfrage daraus, ob die lateinische 
oder die sogen, deutsche Schrift zu gebrauchen, ob nach den 
Kegeln, die sie erfanden haben, nicht Teil mit blossem T, Gltd 
mit blossem i und Gewiszen mit sz zu schreiben sei; sie erörtern 
mit Tiefsinn, wann malen und wohl ein h und wann sie keines 
haben; sie wissen sich viel damit, dass sie in Filosof hinten und 
vorn «in f und kein ph und in Akzent ein kz und kein doppel- 
tes c setzen: die Worte seien damit deutscher geworden; gerade, 
als wenn wir die Zeichen f und k und z nicht auch aus dem 
Lateinischen hätten. 

Andre, muthiger und höher hinauf, greifen mit ihren Fun- 
den und Satzungen an die Laute selbst und deren Aussprache, 
an die Bildung der Worte, an die Satzbildung, und quälen z. B., 
weil sie nicht wissen, dass im deutschen th das h immer nur 
die Länge des benachbarten Yocals bezeichnet, die armen Kinder, 
es gleichwohl eigens hören zu lassen, also T-hai, Wut-h: eine 
doppelte Qual und Beängstigung, weil gerade hier die Pedanterei 
in sich selber uneins ist und vielleicht in Schulbüchern der glei- 
chen Kinder T(tt und WtU auch ohne das h gedruckt stehn. 
Oder sie ändern Worte, die ihrem kurzsichtigen Blick undeutlich 
sind, frischweg um: gehorsam^ das von gehören kommt, in ge- 
horchsam^ kostspielig, das s. v. a. Kosten verschwendend ist, in 
ein sehr sinnloses kostbillig. Sie haben zufällig, in einem älteren 
Buche leschen mit e gelesen: gleich bringen sie das in ihr Deutsch 
und an die Schüler; ergötzen aber und schöpfen und Hotte und 


Die deutsche Pedanterei. 423 




wölf tind wie viele Worte sonst noch ein früheres e gegen ö 
vertansoht haben, die alle gehen sie nichts an. Mit Beharrlich- 
keit verlangen sie als Lehrer der Mathematik, dass der Drittheü 
gesagt werde, wie der Theil, nicht das Drittheil: armer Luther, 
bei dem Maria dennoch das gute Theil erwählt hat; als Lehrer 
der Geographie Erdtheü, ja nicht Welttheil, ich weiss nicht, ob 
auch Erdmeer und Erdgeschichte; als Lehrer der Geschichte 
aber 'Araber, nicht Araber. So sticht der Pedant immer nur je 
eines heraus; eben derselbe sollte nun auch (aber er thut es 
nicht) von Perioden und Epochen und Katastrophen sprechen, 
Troglodyten und Ichthyophagen und Nomaden, von Teutonen und 
Hermunduren und GSpiden und Vdndalen, von der Besiegung 
der Barbaren an den Thermopylen, von den Philosophen des 
Alterthums und den Philologen der neuern Zeit: denn überall 
hier gölte dasselbe Eecht, als bei jenen einzigen 'Arabern. Wir 
betonen eben dergleichen Worte nicht griechisch noch lateinisch, 
sondern französisch, damit nicht, der Eigenheit unserer Sprache 
zuwider, so volllautende Schlusssylben tonlos seien. 

Es möchte noch hingehen, falls nur Grillen der Art be- 
schränkt blieben auf die Person derer, die sie zuerst gehegt, und 
auf ihre Schule oder Schulklasse : schon die nächste Beförderung 
oder nach der Schule das Leben würde dem Knaben, dem Jüng- 
linge das lächerliche Zwangskleid wieder abstreifen. Aber laien- 
haft, wie solche Einfalle sind, berücken sie durch Wahlverwandt- 
schaft auch die übrigen Laien, die Ijaien entweder bloss im 
Sprachstudium oder in den Studien überhaupt, und setzen sich 
auch in deren Kopf so fest, dass ein Gelehrter, wenn ihm viel 
daran liegt, was von seinem Wissen die Ungelehrten halten, zu- 
letzt mit den Wölfen heulen und auch 'Araber betonen muss. 
Dm nun noch durchgreifender so auf die Laien einzuwirken, 
braucht die Herrschsucht der Pedanterei, nicht unklug, aber dop- 
pelt widerwärtig, Zeitungen, die überall hin zu Tausenden ver- 
breitet, Bücher, die von Haus zu Haus und von Geschlecht auf 
Geschlecht in aller Welt Händen sind. Wäre Jean Paul noch 
so der allgemeine Liebling wie vordem, die Grille, welcher er in der 
Gesammtausgabe seiner Werke, 60 Bände hindurch, nachgegangen 
ist, die Weglassung des Bindelautes s in Zusammensetzungen, 
so dass er sich selbst auch Iiegationrath nannte, diese misslau^ 
tige Grille würde zahlreicher, als nun geschehen, Nachfolger ge- 


[. 


424 Die deutsche Pedanterei. 

fluiden haben: den Grillen der Allgemeinen Zeitung fehlt es an 
Nachfolge nicht, ihrem unpasslichen unbäszlich, ihrem St. GaUener 
statt St Galler, ihrem Thüringensrh, ihrem Zürichersch, ihrem 
Sindflid, Allerdings hat noch Luther Sindfluth gesagt, und das 
Wort hat ursprünglich mit Sünde nichts, zu thun, sondern ist 
der Ausdruck für jegliche Ueberschwenmiung: aber einem Triebe 
folgend, der vielfach ia ihr thätig ist, hat sich die neuere Sprache 
das unverständlich gewordene alte Wort frisch umgedeutet und 
gewiss nicht unangemessen umgebildet. Wer dennoch auf Sind- 
flut zurück will, der sage nur auch z. B. wieder Beispell statt 
Beispiel und eräugnen statt ereignen, Gefägel statt Geflü-gel, Freit- 
hof statt Friedhof. 

Ist nun aber die gelehrte Pedanterei in allen Fächern der 
Gelehrsamkeit zu Hause? Mengt sie mit ihren Halbheiten, ihren 
Willkürlichkeiten, ihrer Langenweile sich gleichmässig in alle 
Wissenschaften? 

Ich glaube, nein. Die mit den Wissenschafton, welche man 
exacte nennt, sich beschäftigen, der Mathematiker, der Natur- 
forscher, man wird sie, so lange sie innerhalb dieser ihrer Fächer 
bleiben, vielleicht trocken, vielleicht unwissenschaftlich, als Lehrer 
vielleicht tyrannisch finden: aber Pedanten wird man sie da 
schwerlich heissen. Sondern das Keich der Pedanterei erstreckt 
sich, wie schon aus all den Beispielen, welche bisher gegeben 
worden, erhellt, lediglich über jene Gebiete des Wissens, wo es 
sich um Kräfte und Wirkungen , die nicht so dem Maass und der 
Wage und der Berechnung unterliegen, wo es um die niemals 
voll zu ergründenden Offenbarungen des göttlichen Geistes in 
dem Denken und dem Thun der Menschen, wo es sich um Dinge 
handelt, die stets noch in der Entwickelung, im Wachsthum und 
Fortschritt begriffen sind: es erstreckt sich über das Gebiet der 
Geschichte und namentlich das der Sprachwissenschaft. Denn 
hier ist, um das Einzelne zu verstehen, nothw endiger als sonst 
auch ein Verständniss des Ganzen erforderlich: wie schwer aber 
ist letzteres zu gewinnen, wie gross daher und zugleich wie 
schädlich die Verlockung, bloss an Einzelheiten sich zu heften! 
Weil die Sprache ein Bewegtes ist, so meint der erste der beste, 
welcher spricht, auch als bewusste Kraft dabei mitzuwirken, hier 
hemmen, dort vorwärts treiben zu können: ihm entgeht, dass 
jene Bewegung nur ein grosser, noch unabgeschlossener Natur- 


Die deutsche Pedanterei. 425 

process ist, dem er und jeder Einzelne ohne bewusstes Dazuthun 
mitfolgt. Ueber wie viele oder wie wenige Stufen hin eine 
Sprache, wie mannigfach oder wie ärmlich eine Litteratur sich 
entwickelt hat, sie hat eben immer sich, sie selbst hat sich ent- 
wickelt; sie ist geworden und wird, Niemand hat sie gemacht, 
noch macht sie Jemand. Der Gelehi+e kann auch hier nur for- 
schen, nicht schafiFen: die wahre Wissenschaft ist auch hier nur 
eine exacte, die beobachtet und die Gesetze sucht. Aber der 
Pedant wUl von sich aus Regeln geben. 

Wenn so die Pedanterei , sich vornehmlich in , der gelehrten 
Betrachtung und Behandlung der Sprache zeigt, so ist damit die 
Frage, seit wann es Pedanten gebe, eigentlich schon beant- 
wortet. 

Dem Alterthume, so lange es noch in der vollen frischen 
Blüte stand, und in gleicher Weise dem Mittelalter, war als ein 
allgemeiner herrschendes Uebel die Pedanterei noch fremd. Erst 
da es an beiden Orten zur Neige gieng,' da die eigene Sprache 
ein Gegenstand der Grammatik, die e^ene Kunst der sprach» 
liehen Darstellung ein Gegenstand der Ehetorik, und Grammatik 
und Rhetorik ein Gegenstand des Unterrichtes wurden, da erst 
gab es auch in Griechenland und Rom Pedanten, Pedanten der 
Accentlehre^ Pedanten der Orthographie, da ward der Edda des 
Nordens die Skalda mit ihren Regeln und Musterbeispielen des 
Dichtens nachgeschickt, da machten die deutschen Meistersänger 
ihre Gedichte nach den Verboten und Strafansätzen der Tabu- 
latur. 

In vollstem Strome aber und so, dass es lang und breit 
noch bis auf uns fortflutet, ist die Pedanterei erst an der Grenz- 
seheide des Mittelalters und der neueren Zeit hervorgebrochen, 
damals, als plötzlich die ganze fremde Welt des classischen 
Alterthums an die späten Nachkommen herantrat, als die neue 
Wissenschaft der Philologie erstand und sie die erste und die 
Grundlage aller andern Wissenschaften ward, als sich auf ihr 
die Schule, die Litteratur, alles Leben der Gebildeten neu err 
baute. Erst mit dem Humanismus ist als ein trüber Schatten, 
den er warf, die rechte nachhaltige Pedanterei in die Welt ge- 
kommen, und hat alsogleich auch sie die Schule, die Litteratur, 
das Leben der Gebildeten überschattet. 

Aber wie, soll das unterschiedlos von all den Völkern 


426 . We deutsche Pedanterei. 

gesagt sein, in deren Boden der Humanismus seine frühesten 
Wurzeln geschlagen hat? Auch von denen, aus deren Mitte 
Manutius und Sigonius und die Scaliger, Muretus und Casaubo- 
nus und die Stephanus hervorgegangen? Auch von den Italiä- 
nern^ unter denen gerade nun ein Maler wie Baphael, ein Dichter 
wie Ariost, Geschichtschreiber wie Macchiavelli und Guicciardini 
sich erheben sollten? Auch von den Franzosen, durch welche 
die antike Baukunst nun zu einer glänzenden Wiedergeburt ge- 
dieh? Nein, von ihnen nicht so: ihnen, die mit dem Alterthume 
noch mannigfach und eng zusammenhingen durch Verwandtschaft 
des Blutes^ durch Gemeinsamkeit des Bodens, durch eine nie 
ganz unterbrochene üeberlieferung in Sprache und Litteratur und 
Kunst, ibnen war dessen volle Erneuerung nichts so Fremdes 
und Ueberwältigendes: damit ist ihnen auch nicht mit dem 
Humanismus zugleich als ein Uebel, das sie alle beschlich und 
wie noth wendig mit dazu gehörte, die Pedanterei gekommen, 
nicht mit der Sonne zugleich der verfinsternde Trabant. Zwar 
ist da? Wort pedante selbst zuerst von den Italiänem gebraucht 
worden, aber, was bezeichnend genug ist, eben nur als Name 
eines Schullehrers, nicht eines Pedanten. So hat denn auch bei 
ihnen und den Franzosen niemals die eigene Sprache so als 
Gegenstand einer unausgesetzten pedantischen Misshandlung die- 
nen müssen, wie bei uns Deutschen. 

Nicht Italien, nicht Frankreich^ es ist Deutschland, in wel- 
chem damals das b5se Unkraut so geil aufgeschossen ist^ um 
endlos fortzuwuchern. In seinen Anföngen noch, wo Namen wie 
Rudolf Agricola und Erasmus ihn vertraten, war auch hier der 
Humanismus voller Grösse und Freiheit; alsbald aber sank er 
hinab in Beengung und alle Kleinlichkeiten, und wie sodann für 
manches Menschenalter die Pedanterei eine liebevoll bewahrte 
Mitgift des gesammten deutschen Geisteslebens und eine bestän- 
dige Verderbniss desselben gewesen sei, das lehrt den Geschichts- 
forscher jeder Blick, den er auf die Litteratur und die Kunst, 
auf Schule und Kirche und Staat wirft. 

Der Zank um die Abweichungen des evangelischen Bekennt- 
nisses, der von vorne herein die Kirchenbesserung lähmte, die 
Weitläuftigkeiten von Speier und Wetzlar und von Regensburg, 
an denen Recht und Reich in Langerweile dahinstarben, sie waren 
doch nur das Werk jener Pedanterei, welche die Form und die 


Die dentsche Pedanterei. 427 

Formel für das Wesen und die Grillen des Einzelnen je für die 
Hauptsache hält, derselben Pedanterei, die auch während des 
sechzehnten Jahrhunderts schon in das Studium der Classiker 
jene Kritik des subjectiven Dafürhaltens und die Gewohnheit ge- 
bracht hat, auch den grössten Autor nur als einen Anlass zum 
Notenmachen zu behandeln. Und wie hat von eben diesem 
Jahrhundert an die deutsche Litteratur selbst unter der Ueberlast 
geseufzt, die mit solchen Eitelkeiten und Nichtigkeiten auch auf 
sie gelegt war! Hat doch ein Dichtergeschlecht nach dem an- 
dern gar nie mehr ehrlich und gerade heraus von Liebe und 
Wein und Krieg, sondern, damit das Stückchen Gelehrsamkeit 
auch- hier nicht fehle, nur noch von Cypria und Lyaeus und 
Bellona u. s. w. singen dürfen, und nicht genug, dass. allgemach 
die ganze Geschichtschreibung zu Grunde ging, weil um das 
Gerügt von Namen und Zahlen, das eine pedantisch -kleinliche 
Pragmatik aufgezimmert hatte, die pedantische Gelehrtthuerei 
immer noch ein zweites Gerüst aus bequem zusammengelesenen 
Beweisstellen glaubte aufzimmern zu müssen: nicht genug an 
dieser Unart, selbst wo man seine eigenen Gedanken vortrug, 
erschien es als Pflicht und Schmuck, dass jedem derselben durch 
ein Citat erst die rechte Bekräftigung gegeben würde. Belachen 
wir das nicht, als wäre es eine abgethane Lächerlichkeit: auch 
Manchem wohl unter uns sind zahlreich angeführte Belegstellen 
das hauptsächlichste Mittel, wodurch er den wissenschaftlichen 
Werth einer eignen Arbeit zu sichern wähnt, und das Haupt- 
merkmal, nach welchem er bei einer fremden Arbeit den wissen-^ 
schaftlichen Werth ermisst; der Graf von Platen hat sogar eins 
seiner Dramen, die Liga von Cambray, mit geschichtsgelehrten 
Anmerkungen begleitet, ungewiss, ob bei der Aufführung diesel- 
ben vielleicht von einem Chore zu singen seien. Nun gar die 
V deutsche Sprache! Kein Volk auf Erden hat schon so viel und 
so durch einander an der seinigen gepfuscht als wir, von dem 
halblateinischen Deutsch der Schulen und der Canzleien bereits 
des sechzehnten Jahrhunderts an, durch den nicht minder sinn- 
und geschmacklosen Purismus des siebzehnten und wieder des 
achtzehnten und wieder des neunzehnten und durch allerlei 
immer neue Kunststücke der Orthographie hindurch bis auf uns, 
wo, um die Buntheit zu vx)llenden und doch wieder nur ein 
Halbes zu thun, griechische Namen und Worte nicht mehr mit 


428 l^i« (ieutache Pedanterei. 

lateinischen, sondern mit griechischen Lauten, aber doch mit la- 
teinischen Accenten aufgefasst werden, Aischyloa und Feisdndros 
und Chaironeia^ wo zwar von Obrigkeits wegen festgesetzt ist, 
wie Bayei-n und Württemberg zu schreib9n seien, nämlich Bayern 
mit ay und Württemberg sehr schön mit einem doppelten f, 
wo aber in Betreff des Hauptnamens selbst, des Wortes deutsch^ 
noch dieser und jener seine wichtig abweichende Meinung hat 
und lieber tetäsch sagt. Schauen wir bis in das erste Jahrhun- 
dert unserer neueren Zeit zurück und von da hinab bis^ in das 
letzte Jahrzehend, hier lebhafter, dort schwächer, niemals aber 
gänzlich ruhend, nichts als Kämpfe der Pedanterei gegen Ver- 
nunft und Verstand und Kämpfe der Pedanterei gegen die Pe- 
danterei. Pedanterei, wenn unsere Hölderlin und Köpflin und 
Hausschein und Kürsner und Herbster sich Samlmrellus und 
Capito und OecolampadiiLS und Pellicamis und Oporintis nann- 
ten, nicht minder jedoch, wenn um ein Jahrhundert später Philipp 
von Zesen Mars und Venm und Pallas und Diana in Heldreich 
und Lustinm und Kluginne und Jagtinne u. s. f. verdeutschte; 
Pedanterei, wenn Jemand, der sonst vielleicht kein VTort Englisch 
noch Spanisch recht auszusprechen vermag, sich gleichwohl mit 
Niiiyork und Mechico brüstet, nicht minder jedoch, wenn die 
Allgemeine Zeitung Nancy gegen Nanzig und Leo, als ob er 
noch im Mittelalter lebte, Mantua und Pavia g^en Mantau 
und Pavei^ Verona gegen Dietrichsbern und Lyon gegen Wälsch- 
Leiden vertauscht; Pedanterei die unter allen Völkeni allein uns 
Deutsche mit den grossen Anfangsbuchstaben der Substantiva be- 
helligt und die in dem wittenberger Bibeldrucke von 1545 gar 
noch den Unterschied zwischen deutschen und lateinischen An- 
fangsbuchstaben getroffen hat, dass mit jenen ein guter, mit 
diesen ein böser Sinn bezeichnet, Gnade z. B. mit grossem 
deutschem (?, Zorn mit grossem lateinischem Z gedruckt ward; 
nicht minder jedoch Pedanterei, wenn jetzt, wo der orthographische 
oder gar nur kalligraphische Gebrauch einmal seine 300 Jahre 
besteht, er wiederum mit viel Aufhebens soll abgeschafft werden; 
Pedanterei, wenn bis vor wenigen Jahrzehenden die Herausgeber 
kirchlicher Gesangbücher jeden nur einigermassen alterthümlichen 
Ausdruck meinten modernisiren zu müssen, nicht minder jedoch, 
wenn nun Andere aus den Gesangbüchern Antiquitätensamm- 
lungen machen möchten; Pedanterei genug in den Schulen vor 


Die deutsche Pedanterei. 429 

^, Basedow^ nicht minder jedoch, mir anders, nur kindischer ange- 
than bei Basedow selbst und noch bei manchem, pädagogischen 
Steckenpferdritter späterer und noch unserer Tage. 

So die Deutschen; und falls in solchen Dingen noch ein 
anderes Volk ihnen gleichkommen oder gar sie noch übertreffen 
mag, dann nur ein Volk ihrer Nachbarschaft und nächsten Ver- 
wandtschaft, die Holländer, Allerdings hat auch hier (und wer 
wüsste davon nicht?) die Pedanterei alle Verhältnisse des Lebens 
und alle Lebensthätigkeit tief durchdrungen. Nirgend hit je in 
so reicher Blüte als bei den Holländern die philologische Noten- 
gelehrsamkeit gestanden; aus holländischem Böden ist die pein- 
liche Kunst der Genremalerei (jenen Gherard Dow konnte die 
Vollendung eines Besenstieles drei Tage lang beschäftigen), aus 
ihm die pedantische Verklärung des Genrebildes, das Stillleben, 
erwachsen, das mit täuschender Treue der Nachahmung Haus- 
geräth und Küchengeschirr vor Augen stellt; in Holland auch 
ist die grosse Angelegenheit der Orthographie wiederhol endlich 
theils durch Erlasse der Regierung, theils durch Gelehrtencon- 
gresse geregelt worden. 

Wie aber kommt es, dass die Pedanterei mit ihrem Halb- 
wissen und Wissensdünkel, mit ihrer an masslichen Aufdringlich- 
keit, mit ihren Einfällen, die oft nur wie schlechte Spässe aus- 
sehen, mit all diesen Widerwärtigkeiten oder Lächerlichkeiten 
ihre Heimath gerade unter den Holländern, den Deutschen hat, 
denselben Deutschen, die man gewohnt ist um ihres Ernstes, 
ihrer Gründlichkeit, ihrer Gewissenhaftigkeit willen zu rühmen 
und manchem andern Volke deshalb vorzuziehen? Wohl, eben 
diese Tugenden sind es, aus denen durch Misswachs solch eine 
Untugend, wenn man das starke Wort gebrauchen darf, hervor- 
geht und hervorgegangen ist, aus denen durch eine schiefe, halbe, 
krankhafte Anwendung auf Dinge des geistigen Lebens die Pe- 
danterei geworden ist und wird. Sie haben aber so misswachsen, 
und es hat das ungesunde Wachsthum für so lange hinaus sich 
fest verhärten können, weil zu der Zeit, da Deutschland das 
Erbe der Wissenschaft und Kunst des Alterthums antrat, die 
Zustände des Staats und der Gesellschaft eine freiere, grössere, 
höhere Verwerthung unmöglich machten, weil es mehr als da- 
mals irgend ein anderes Land, weil es seit dem vierzehnten Jahr- 
hundert schon politisch und sittlich und litterarisch so tief 


430 1^0 deutsche Pedanterei. 

gesunken und in sich selbst zerbröckelt war, dass es in das ,. 
sechzehnte und in manches dem noch folgende Menschenalter 
nicht mehr Kraft genug mitbrachte, um ein Qanzes zu erfassen 
und an dem Qrossen wieder gross zu werden, sondern nur noch 
die Befähigimg, das Grosse kleinlich zu behandeln, und eine 
Geistesarmuth, die bloss von den Aeusserlichkeiten der Form noch 
berührt ward. Bentley, wäre er ein Deutscher oder ein Nieder- 
länder gewesen, kaum ist zu zweifeln, dass seine Gelehrsamkeit 
und sein Scharfsinn auf den tiefer liegenden Stufen wären stehen 
geblieben, auf denen damit sein Gegner Peter Burmann weilte: 
die freiere Luft, das grössere Leben Englands hat ihm selbst 
auch die Grösse und Freiheit des Genius verliehen. 

Dieser verwandtschaftliche Zusammenhang zwischen den 
Tugenden der Gewissenhaftigkeit und des strengen ' Ernstes und 
den Yerirrungen der Pedanterei giebt oft genug zu Missbrauch 
und Missdeutung Anlass. Wie Mancher lehnt unter dem Vor- 
wand, nur Pedantereien abzulehnen, bei einer theoretischen Wis- 
senschaft die Begründung durch Geschichte von sich ab, die der 
Gewissenhaftigkeit Bedürfniss wäre, und baut, unpedantisch aller- 
dings, ob aber auch mit wohlthuendem Gefühl einer ganz erfüll- 
ten Pflicht? seine Sätze schimmernd in die Luft hinaus! Wie 
Mancher auch, dessen Geist für den Geist verschlossen ist, und 
der nur Auge für die Dinge, nur Sinn für das Handgreifliche 
hat und Nutzen nur von dem unmittelbar Nützlichen erwartet, 
dem es deshalb unbegreiflich bleibt, wozu die Geschichte des 
Alterthums und des Mittelalters treiben, da Griechenland und 
Rom und die Heerstrassen der Kreuzfahrer ja ausserhalb unseres 
Gewerbs- und Handelsverkehrs liegen, wozu eine Sprache auf ihre 
Gesetze hin erforschen, da mit Geläufigkeit sie zu sprechen die 
Hauptsache sei, wie Mancher, der in solcher Art selbst geistig 
beschränkt ist, nennt es darum frischweg eine Pedanterei, wenn 
dennoch jene Geschichts- und Sprachforschung Männern ein mit 
Ernst, Jünglingen ein mit Eifer verfolgter Gegenstand ihrer 
Studien ist! Noch ärger aber ist der Missbrauch, wenn man den 
Scheltnamen der Pedanterei gradaus auf das sittliche Verhalten 
selbst überträgt und, um die eigene oder fremde Sittenlosigkeit 
zu rechtfertigen, von einer pedantischen Moral spricht. Es wäre 
kein gutes Wort, wenn ein Beamter die Verletzungen seiner 
Amtspflicht durch Unordnung oder gar durch Untreue, wenn ein 


Die deutsche Pedanterei. 431 

Arzt seine mit dem Leben der Kranken spielenden Versäumnisse 
damit beschönigen wollte, dass er eben kein Pedant sei, und so 
ist es auch kein gutes Wort gewesen, als die Beschwerde eines 
Deputirten, wie häufig auf den französischen Eisenbahnen Un- 
glücksfälle vorkämen und wie selten doch auf den deutschen, von 
dem Minister Guizot damit abgefertigt ward, die Franzosen seien 
eben nicht solche Pedanten wie die Deutschen. Es ist das 
freilich wahr, und insbesondere pflegen auch ihre Sprach- und 
Geschichtsgelehrten und Lehrer keine Pedanten zu sein, aber 
wie oft nur deshalb, weil ihnen zugleich der gute sittliche 
Grund der Pedanterei, der Ernst, die Gründlichkeit, die Gewissen- 
haftigkeit, abgeht! 

Und nun ein Wort zu euch, meine jungen Freunde! Habt 
nicht auch ihr schon einen Lehrer, der es genau mit euch und 
genau mit der Sache nahm, einen Pedanten geheissenP Habt 
ihr nicht auch schon das cursorische Lesen zwar noch erträg- 
lich, das statarische aber pedantisch gefunden? und eine Pedan- 
terei, wenn ihr angehalten wurdet, von den Spracheig«nheiten 
eines Schriftstellers euch ein Bild zusammenzutragen und in 
Aufsätzen hübsch Acht zu haben auf Logik und Grammatik? 
Und vielleicht habt auch ihr nur deshalb so geurtheilt, weil 
ihr merket oder meint, dass all diese Einzelheiten selbst und 
unmittelbar späterhin nicht mehr in eben solchen Betracht 
kommen. Das heisst, ihr seid der Ansicht, weil im Ernst des 
Kampfes nicht so genau auf Zollsbreite geschwenkt und von 
Allen gleichmässig Tempo für Tempo das Gewehr kann geladen 
werden, so sei das Exercieren den ßecruten unnütz und ledig- 
lich eine Pedanterei. Allerdings, was ihr jetzo lernt, ihr lernt 
es alles für eine spätere Freiheit: aber eben deswegen dürft 
ihr nicht mit dem beginnen, was ihr jetzt schon Freiheit nennen 
würdet. Auch das Volk Gottes ist durch das Gesetz für die 
Freiheit erzogen worden. 

Also sehet euch vor, dass ihr nicht den unnachgiebig 
pflichtgetreuen Ernst, womit euch ein Lehrer in der Ausübung 
seines Berufs entg^entritt, und nicht die Gewissenhaftigkeit 
und Genauigkeit in Allem, die er hinwiederum von euch ver- 
langt, vorurtheilsvoU und um eurer Bequemlichkeit willen nur 
als Pedanterei verurtheileti Sehet aber, wenn euch euer Streben 
ein ernstes ist, wenn ihr euch des Fleisses imd des Gewinnes 


432 I^ie deutsche Pedanterei. 

von eurem Fleisse freut, sehet euch selbst auch vor, dass ihr 
nicht zu Pedanten werdet. Eii\ pedantisches Kind mag man 
noch mit Lächeln betrachten: ein pedantischer Jungling aber 
ist nur widerwärtig: er setzt schon Frucht an, da er noch blühen 
sollte, und die Frucht ist verschrumpft und verkrüppelt schon 
vor der Zeit ihrer Beife. 

Erwerbet euch also mit all der sittlichen Freudigkeit, 
deren die Jugend so beneidenswerth noch föhig ist, erwerbet 
und sichert euch den Besitz jener Tugenden, der Zierde eures 
deutschen Geblütes: zugleich aber, damit sie nicht auch euch 
auswachseu in Pedanterei, haltet von eurem Geistesleben 
fern die Engbrüstigkeit und die Kurzsichtigkeit; übt an den 
Alten, die mit glänzenden Mustern täglich vor euch stehn, 
euren Blick für das Hohe und Grosse, euren Athem für das 
weit und frei Bewegte; ergänzt, was euch die Schule nicht 
bieten kann, noch durch eigenen Fleiss und bereichert euer 
Wissen und eure Empfilnglichkeit nach immer neuen Seiten hin! 
Tretet an jegliche Wissenschaft ohne Eigendünkel, tretet an sie 
nur mit der Begier des Forschens heran und stets mit Ehr- 
furcht, wie vor ein Wunder, das nicht auszuforschen ist: dann 
wird die Treue auch im Kleinen, die Gründlichkeit in jedem 
Einzelnen euch der Weg zu dem Ganzen, dann wird auch die 
unvollständige Kenntniss keine Halbwisserei und die Vielseitig- 
keit des Wissens keine Vielwisserei sein. Seid Jünglinge jetzt 
und suchet euch die Jugendlichkeit, das kindliche Gemüth mit 
der Kraft des Mannes, auch hinüber in das spätere Alter noch 
zu retten: dann seid ihr jetzt in den Jahren der Blüte bewahrt 
vor der pedantischen «Altklugheit und einst in reiferen auch vor 
den Kindereien der Pedanten. 

Und wahrlich, euch davor zu hüten ist euch leichter ge- 
macht als Tausenden eurer Altersgenossen, die unter anderen, 
engeren Staatsformen erwachsen^ deren eigene freiere Ent- 
wickelung vielleicht schon durch die Pedantereien eines überall 
hin verzweigten Schreiberregimentes beeinträchtigt ist, ist euch 
jetzt leichter, als es uns Aelteren gewesen, wie es uns schon 
leichter gewesen ist als unseren Vätern. Denn bereits ein 
Jahrhundert entlang von Geschlecht zu Geschlecht hat unsere 
Lebensluft immer mehr jenen bösen Dunst ausgesondert. Wie 
gereinigter ist die Alterthumswissenschaft seit Friedr. Aug. Wolf 


Die deutsche Pedanterei. 433 

und wiederum durch Jac. Grimm, die Geschichtschreibung seit 
Joh. V. Müller und nun bei Kanke, die deutsche Litteratur über- 
haupt seit Lessing und Herder und Goethe und Schiller! Darum, 
wenn gleichwohl noch in der Dämmerung des halben Wissens 
hie und da ein Irrlicht kleiner Pedantereien selbstgefällig tanzt, 
so soll euch diese Neckerei nur vor den Gefahren eines verdor- 
benen Bodens warnen, aber irre leiten darf sie euch füglich 
nicht mehr. 


Wacleernagel, Schriften. IIl. 28 


Anhang. 

Lebensskizze, Gharacteristik nnd Schriftenyerzeichniss 

W. Wackemagels. 


(Aus Höpfner und Zockers Zeitschrift für, deutsche Philologie, Bd. 2, 

S, 330—342. Mit einigen Nachträgen,) ' 


Kabl Heinbich Wilhelm Wjlckkrsaqvl wurde geboren zu Berlin den 
23. April 1806; sein Vater, zu Ende des vorigen Jahrhunderts aus Thüringen 
nach Berlin gezogen , war Bnchdrucker in der Ungerschen Druckerei. Die 
Aeltem starben früh und hintediessen den Kindern keine Glücksgüter, so 
dass die Jugendzeit zumal dieses jüngsten Sohnes eine harte war. Es fehlte 
ihm zwar nicht die aufopfernde Liebe zweier altern Schwestern und des 
Gatten der einen, auch Nachhülfe durch seinen altern Bruder Philipp und 
dessen Gattin, dann nahmen auch femer stehende Gönner sich der ver- 
waisten Jünglinge thatig an: dennoch hat er seine Jugendzeit unter Ent- 
behrungen hingebracht, wie sie auch unter den mittellosen selten sich 
finden mögen. Der begabte Jüngling zeigte ein zwiefaches hervorragendes 
Talent, für Zeichenkunst und Sprachenkunde; er versuchte eine Zeit lang 
beides zu vereinigen, aber der treue Rath eines vorzüglichen Künstlers — 
Schadows, wenn wir nicht irren — wies ihn an, sich nur einem ungetheilt 
hinzugeben, und die Sprachforschung trug über die Kunst den Sieg davon, 
so wenig ihn der Sinn für diese und ihre tiefeingehende Kenntniss durch 
sein ganzes Leben verlassen haben. 

Dem Studium der Sprache, und zwar dem seit kurzem erst aufgeblüh- 
ten der deutschen 'Sprache, gab sich nun Wackemagel mit einem eisernen 
Fleisse hin , der ihn schon in der Jugend das doppelte Ziel einer umfassen- 
den Kenntniss des ganzen Sprachgebietes nach Zeit und Baum, und einer 
eindringenden Vertrautheit mit den einzelnen Erscheinungen und ihren 
Gründen erstreben, ja in derselben Jugend schon in einem seltenen Grade 
erreichen liess. Die Studienjahre verbrachte er anf dem Gymnasium des 
grauen Klosters, dann, von 1824 bis 1827, an der Universität zu Berlin, 
iiiein hauptsächlichster Lehrer war Lachmann, dem er so bald ebenbürtig 
an die Seite trat, dem er mit treuer Liebe anhieng, und dessen Grösse er. 


•inhang. 435 

bei mehrfachem Widerspruch gegen einzelnes, stets laat anerkannte, zumal 
als nach dessen Tode sich Stimmen nngescheat erhoben, die sich gegen 
den gefürchteten Lebenden nicht hervorgewagt hatten. 

Von 1828 bis 1833 lebte Wackemagel, Anfangs in Breslau, dann 
wieder in Berlin, als privatisierender Gelehrter, seine Sprachstudien in immer 
grossartigerer Weise erweiternd und vertiefend. Schon die ersten Ver- 
öffentlichungen des Jahres 1827, die Spiritalia theotisca und das Wesso- 
brunner Gebet, erregten die Aufmerksamkeit der Sachkundigen in unge- 
wohntem Grade, und stellten ihn unter die Autoritäten seines Faches, auch 
die Geschichte des Deutschen Hexameters und Pentameters vom Jahre 1831 
mit ihrer reichen und säubern Ausführung zeigte, wie sein Wissen, so seine 
Kunst der Darstellung in hellem Lichte. Gleichwohl eröffaete sich ihm keine 
Lehrthätigkeit, bis im Jahre 1833 Basel, das schon mehreren Grössen des 
Auslandes — wir erinnern nur an De Wette — eine Stätte geboten, und 
wo Freunde aus den Universitätsjahren ihn kannten und liebten, ihn an 
seine Hochschule berief. Freudig trat er in den neuen Wirkungskreis, der 
zwar keineswegs ein glänzender noch müheloser war. Die Mitglieder der 
philosophischen Facultät waren zugleich Lehrer an dem Pädagogium (Gym- 
nasium) von Basel, und so hatte Wackernagel neben seinen germanistischen 
und ästhetischen Vorlesungen auch den deutschen Unterricht in drei Schul- 
klassen zd ertheilen. Aber hier trat nun seine Liebe zur Jugend und seine 
Begabung für Unterricht und Bildung derselben in der ansprechendsten 
und wirksamsten Weise hervor. Ernst in seinen Forderungen an die Schüler 
wie an sich selbst, streng gegen Unfleiss oder Ueberhebung oder gar Un- 
sitte, war er von seinen Schülern zugleich geliebt und im guten Sinne ge- 
fürchtet; die Schwachem aber Pflichttreuen leitete er freundlich, den Be- 
gabten und Strebsamen war er ein liebevoller und begeisternder Führer. 
Es war ihm nicht zu gering noch zu lästig, wöchentlich die Stilübungen der 
Schüler genau zu prüfen und zu bessern; wo er Lust und Geschick zu eigner 
Production fand, da trat er ermunternd, belehrend, begeisternd hinzu. So 
hat sich eine kleine Dichterschule um ihn gebildet, und aus den Schülern 
ist ein reicher Kreis dankbarer und liebender Freunde um ihn empor- 
gewachBen. Seine lebensvollen, von Begeisterung getragenen akademischen 
Vorträge aber, die gleich' Anfangs auch von altern CoUegen besucht wurden, 
gaben dem gründlichen Studium reichen und gewählten Stoff, und zugleich 
einer allgemeinen Bildung edle und wirksame Nahrung. Aus seiner akade- 
mischen Stellung giengem dann vom Antritt seines Lehramtes bis in seine 
letzten Jahre eine Reihe von Programmen hervor, die in immer reicherer 
Gestaltung für Litteratur, Geschichte, Alterthümer und namentlich immer 
mehr für Sprachforschung in Verbindung mit Culturgeschichte, Fundgruben 
des Wissens eröffneten und eine unerschöpfte Fülle anziehender und be- 
lehrender Anschauungen darboten. 

Es lag in diesen Einzelarbeiten, für die er so zu sagen aus allen Kel- 
chen der Natur und des Geistes den Stoff zu gewinnen wusste, ein besonderer 
^eiz für ihn, der es oft die Freunde, bei allem belehrenden Genüsse, be- 
dauern li^ss, dass er nicht zu grösseren Werken gelangte, die ihm vor- 
schwebten und die er wie kaum ein anderer auszuführen geeignet gewesen 

28* 


436 Anhang. 

wäre. Doch hat er ein Hauptwerk geachaiien, sein Deutsches Lesehuch, 
dessen Altern Theil wie die Dichtung des spätem, er auch mehrfach üher- 
arheitete. Die Vorzüge dieses Werkes bedürfen für keinen, der es auch 
nur flüchtig kennt, einer Entwicklung: ebenbürtig tritt ihm die Geschichte 
der Deutschen Litteratur zur Seite, die aber leider durch ungünstige Um- 
stände niemals zur ToUen Oeffentlichkeit gelangt und nicht Tollendet her- 
ausgekommen ist (doch ist Hoffnung, dass diese Vollendung aus dem Nach- 
lasse hergestellt werde). Wir glauben mcht zu irren, wenn wir auf Grund 
dieser Werke und aus vielfacher mündlicher Besprechung behaupten, dass 
kaum ein anderer das Gebiet unserer Litteratur in solcher gründlicher und 
eindringender Weise von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart beherrscht, 
verstanden und geschätzt habe. Nicht minder zeugen dafür die kleinem . 
biographischen Darstellungen aus seiner Feder: auch durch kritische Aus- 
gaben — Schwabenspiegel, Walther von der Vogelweide, Hartmann v(m 
Aue — hat er bedeutendes auf diesem Gebiete geleistet, und wieder in 
anderer Richtung durch die „Alt französischen Lieder und Ldohe." Kaum 
minder verdanken ihm die Germanischen Alterthümer, die er in grossem 
Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften darstellte. Auch die Bedits- 
und Kunstgeschichte, so wie die Aesthetik sind nicht ohne Bereicherung in 
seinen Arbeiten geblieben. Die Masse endlich seiner kleinem Beiträge in 
Haupts Zeitschrift und anderswo umschlingt wie ein reiches Rankenwerk 
diese tiefen und emsten Leistungen. — Diesen Leistungen entsprach denn 
auch der wachsende Ruf und die wohl ungetheilte Anerkennung des Mannes. 
Auch die äusseren Ehren fehlten nicht: wir erinnern nur an seine Wahl 
in die von Ednig Max von Baiem gestiftete historische Commission, and 
wie er nach dem Tode von Jacob Grimm mit schmerzlicher Freude den 
Preussischen Verdienstorden empfieng, den dieser getragen. 

Aber im Gelehrten war bei Wackernagel der Mensch langst nicht auf- 
gegangen. Nicht nur galt all sein Studium nicht todtbem Wissen, sondem 
der Kräftigung des geistigen und sittlichen Lebens: sondem in alle Lebens- 
gebiete trat er mit der vollen Kraft seines starken und reichen Gemütbes 
ein. Vor allem war es das Deutsche Vaterland, dem seines Herzens tiefstes 
Leben angehörte, dessen Stärke und Einigkeit das Ziel seiner Wünsche 
war, wo er sie gefährdet und unterdrückt sah sein bitterstes Leid, wo er 
sie siegreich sah und hoffte seine reichste Freude. Seinen hdohsten Wunsch, 
die Einigung des gesammten Deutschlands in eine Weltmacht, hat er nicht 
erlebt; aber die Hoffimng auf dieses Ziel, die er nach noch so schmerz- 
lichen Erfahrangen immer neu sich erbaute, hat ihn bis zum Tode nicht 
verlassen. 

Und wiederum erfasste er seine neue Heimath mit aller Kraft und Hin- 
gebung des treusten Bürgers. Nicht nur für Wissenschaft und Kunst, beide 
in Basel von jeher wohl gepflegt, wirkte er unermüdlich, im Smat der 
Universität, in den verschiedenen Schul-Aufsichtsbehörden , als thätiger 
Theilnehmer an der „Historischen Gesellschaft," als hervorragendes Mitglied 
des Vorstandes der Kunstsammlung, und ganz besonders durch ABiegung,^ 
Eröflhung, Anordnung, Erläutemng der „mittelalterlichen Sammlung," die 
g^nz eigentlich sein Liebling und das Kind seiner Sorgen und Frenden war. 


Anhang. 437 

Nicht minder lehte er mit ganzer Seele als Bürger des im Umfange — 
seit der Theilung von 1833 — katim über die Stadt Basel hinaus reichen- 
den, geistig aber in der Eidgenossenschaft bedeutenden Freistaates, der ihn 
in seine Mitte aufgenommen hatte. So yor Anfang seines AufenthalteB in 
Basel, sodann noch in erhöhtem Masse, als ihm 1837 das Ehrenbürger- 
recht geschenkt worden war. Zuerst mehr nur ia gemeinnützigen Be- 
strebungen, der Förderung von Jugendbildung, geistiger und körperlicher, 
y<^n Handwerksschukn , Lesesälen und ähnlichen Leistungen bethätigt, be- 
wegte sich diese Bürgertreue immer mehr auch im politischen Leben, bis 
er im Jahre 1856 auch in die gesetzgebende Behörde (den grossen Bath) 
seines Kantons eintrat. Aber auch die Kämpfe eines treuen Bürgers sind 
von ihm nicht ungekämpft geblieben. Zugleich mit dem Sinne für ge- 
schichtliches Recht wie mit dem Streben nach Freiheit erfüllt, trat er öfter 
nach rechts oder links dem Zuge des Tages in den Weg: wie er die Um- 
gestaltung der Schweiz im Jahre 1847 mit Befriedigung begrüsst hatte 
und dem neuen Bunde aufrichtig zugethan war, so galt ihm geistlose Gleich- 
macherei und ordnungslose Massenherrschaft für verderblich. Auch das 
lange Zeit fast ausschliesslich conservative Basel musste die Zeitelemente 
an sich heran und in sich hereinkommen sehen. Wackernagels echter 
Liberalismus erschien den Vordringenden nicht ausreichend, und schliesslich 
gelang es seinen Gegnern, bei der periodischen Erneuerung der Behörde 
seine NichtWiederwahl zu erwirken. Der Schmerz, mit dem diese Erfahrung 
ihn erfüllte, zeigte aufs lebendigste, wie sein Basel ihm am Herzen lag 
und wie für dessen Bestes zu wirken seines Herzens Wimsch und Streben 
war. Aber nach der ersten Entmuthigung gab er die Liebe und die Sorge 
für dieses Basel keineswegs auf, wirkte vielmehr in allen Kreisen, die ihm 
offen standen, unermüdet fort und hatte denn auch im Jahre 1868 die 
Freude, wieder in dieselbe oberste Behörde des Kantons einzutreten, in der 
er zwar, von Krankheit hingehalten, nicht oft mehr persönlich wirken 
konnte, deren Verhandlungen er aber bis zum Tage des Todes mit leben- 
diger und eifriger Theilnahme verfolgte. 

Auch das kirchliche Leben Basels ward durch Wackemagel gefördert. 
Frei, wie es ein Mann von seiner umfassenden Gelehrsamkeit nicht anders 
sein konnte, von aller exegetischen und dogmatischen Befangenheit, und 
dem engen und kleinlichen auf dem religiösen Gebiete abgeneigt, hatte 
er nicht minder das Bedürfniss nicht nur einer gläubigen Weltanschauung 
gegenüber einem todten philosophischen Schematismus oder gar einer mate- 
riellen Leugnung göttlicher Dinge, sondern auch einer regen Theilnahme 
am Leben der Kirche. Wie er selbst nicht nur ein regelmässiger Besucher 
der geistreichen Predigten mehrerer seiner Freunde, sondern auch ein 
freudiger Theilnehmer des Gottesdienstes der Gemeinde war, so unterstützte 
er mit Vorliebe kirchliche Bestrebungen; namentlich verdankt es das im 
Jahre 1854 herausgegebene neue Baslerische Gesangbuch hauptsächlich der 
fortgehenden und eindringenden Mitwirkung dieses litterarisch und ästhe- 
tisch so durchgebildeten Mannes, dass es zu dem Besten gerechnet werden 
muss, was die auf diesem Felde so reiche Thätigkeit der Neuzeit hervor-* 
gebracht hat. 


438 Anhang. 

Ganz besonders endlich machte sich Wackernagel nm Basel verdient, 
indem er die an ihn ergangenen ehrenvollen Rufe der grössten Dentschen 
Universitäten, München, Berlin und Wien ablehnte, um dem stillen Wir- 
kungskreise in seiner zweiten Heimath treu zu bleiben. Man konnte auch 
das im Interesse der Wissenschaft bedauern, aber man musste diese An- 
hänglichkeit hoch achl.Uj und auch Basel durfte sich sagen, dass ein 
gleich heimathliches und befiriedigendes Leben ihm doch keine Besidenzstadt 
zu bieten vermocht hätte, wie er es hier bei aller Bescheidenheit seiner 
äussern Stellung genoss. 

So war Wackernagel in den weitesten Kreisen seiner Heimath geachtet 
und beliebt, voraus aber war er der belebende und hochgehaltene Mittel- 
punkt eines reichen Freundeskreises, von altern Männern bis zu einem viel 
jugendlicheren Geschlechte. Nicht dass er nur Freunde gehabt hätte: seiner 
hohen Sinnesart war alles Unedle, waren unredliche Wege oder unberechtigte 
Ansprüche zuwider, und in seiner energischen Weise — ohne die er nie 
solche Thatkraft entwickelt hätte — konnte er dem, was ihm so erschien, 
schroff, vielleicht hart entgegentreten, und damit schwache oder empfind- 
liche Naturen verletzen. Aber mit Willen hat er sicher Niemandem Un- 
recht gethan, und wo es ohne seinen Willen geschehen, da war er in dem- 
selben hohen Sinne bereit zur offenen Zurücknahme und zur Versöhnung, ja 
wir wissen dass er nach solcher ernst gestrebt, auch wo er sich keines Un- 
rechts bewusst war. Und so waren es eben mit wenigen Ausnahmen die 
Mitstrebenden und für des Lebens höhere Güter Begeisterten in der Nähe 
und Feme, die sich der herzlichen Verbindung mit ihm freuten und rühm- 
ten. Wem aber das Glück zu Theil wurde, der nähern und nächsten 
Freundschaft dieses Mannes zu geniessen, dem war ein Reichthum von 
Liebe und Treue erschlossen, wie er nur je eines Lebens helle Tage ver- 
schönen und erheben, die Trüben erquicken und trösten konnte. Denn mit 
diesem mit den höchsten Zielen beschäftigten Geiste vereinigte sich ein 
Herz, das jeder zartesten Empfindung offen stand, und ein Sinn für das 
Gemütliche und Innige, dem das Geringste nicht zu gering war und das 
Kleinste nicht unbeachtet vorübergieng; ein Bedürfniss der Liebe, das die 
Hingebung und Anhänglichkeit auch des weit unter ihm Stehenden als ein 
werthvolles Gut in dankbar lebendigster Erwiderung entgegennahm. 

Am reichsten bewährten sich diese Eigenschaften des Herzens, wie es 
nicht anders sein konnte, im Kreise seiner Familie. Wackemagel verehe- 
lichte sich im Jahre 1837 mit Louise Bluntschli von Zürich, der Schwester 
J. 0. Bluntschlis, mit dem er wie mit den Basler Freunden auf der Uni- 
versität zu Berlin in nahe Gemeinschaft getreten war. Begabt mit hoher 
Anmuth, zarter Innigkeit und zugleich starker Seele, schuf diese Gattin das 
Glück des bis dahin in seiner Einsamkeit oft düstem Mannes, trug mit 
ihm die nicht seltenen Entbehrungen seiner damals noch sehr beschränk- 
ten Lebensstellung, und erfüllte, auch von den ihrem Manne befreundeten 
Familien in ihrem hohen Werth erkannt, das stille Haus mit dem edelsten 
innerlichen Lebensgenüsse. Sie hatte ihm vier Söhne und eine Tochter ge- 
boren — von denen die Tochter im zwölften Jahre, der jüngste Sohn in 
früher Jugend wieder gestorben — als im Herbst 1848 ein rascher Tod den 


Anhang. 439 

erst heranwachsenden Kindern und dem zärtlichen Gatten sie entrigs. Sein 
Schmerz war nach der Gewalt seiner Empfindungen masslos, sein Geistes- 
leben wie gebrochen, auch seine leibliche Gesundheit tief bedroht. Da 
sorgten die Freunde, dass eine Erholung fern von der Stätte seines Leides 
ihn wieder herstellen möchte; er trat im Frühjahr 1849 eine grössere Beise 
nach Südfrankreich, Spanien und Italien an, von der er dann, vielfach in 
seinem Wissen bereichert und körperlich und geistig gestärkt, im Herbst 
des Jahres zurückkehrte. Und derselbe Winter brachte ihm auch noch die 
volle Heilung seines Gemüthes, da eine edle Freundin der verstorbenen Gat- 
tin, Maria Sarasin von Basel, ihm die Hand bot, um des Vereinsamten 
neue Lebensgefährtin und die Mutter seiner verwaisten Kinder zu werden. 
Es wäre der noch Lebenden gegenüber unzart, die Eigenschaften des 
Geistes und Herzens zu schildern, durch welche diese zweite Gattin das neue 
Lebensglück ihres Mannes erbaute: jedoch die Hingabe ihres Herzens kv^ 
das ganze Wesen und alles Thun des geliebten Gatten, die Mutterliebe 
und Muttertreue für seine Kinder , das volle Mittragen mehrfachen Leides, 
das Tod, Krankheiten und schwere Erfahrungen über das Haus brachten, 
die unermüdete Pflege und Sorge für den je mehr und mehr von Krank- 
heit heimgesuchten Mann — das darf, wie es dieses Lebensglück immer 
tiefer befestigte, wohl auch heute schon genannt werden. Solche Liebe und 
Treue wurde aber auch reichlich belohnt durch die Zärtlichkeit des Gatten, 
der nicht nur sein ganzes Herz mit allen Freuden und Sorgen mit der 
Gattin theilte, sondern auch bis an sein Ende ihr Leben mit aller Anmuth 
zarter Aufmerksamkeit und dem Eeichthnm innigster Liebe umgab. Auch 
dieser zweiten Ehe entsprossten eine Tochter und drei Söhne, und es war 
ein herzerfreuender Anblick, diese Schar vom grössten zum kleinsten — 
nur der älteste Sohn weilte fem von der Heimath — um den zärtlichen, 
für das Gedeihen und die Erfreuung eines jeden bewegten Vaters versam- 
melt zu sehen. Zugleich hatte diese Ehe Wackernageln auch in eine 
durch Geistes- und Gemüthsreichthum ausgezeichnete Familie geführt, deren 
Glieder ihm theilweise schon früher nahe standen, und deren heller Mit- 
telpunkt er auch bald wurde, die Schwester und die Brüder seiner Gattin 
mit ihren Familien jedes in seiner Weise erfreuend und in seinen Bestre- 
bungen unterstützend , und der Schwiegermutter, einer Frau von seltener 
Frische und Fülle des Verstandes und Herzens, ein aufs innigste liebender 
und geliebter Sohn. Wer ihn namentlich auf dem stillen Landsitze dieser 
Mutter in den grünen Wiesen- und Waldhöhen des Witwald, wo sie jedes 
Jahr eine der Familien ihrer Kinder um sich sammelte, gesehen, Bäume 
pflanzend, Wege bauend, Lauben rüstend, in Ernst und Scherz das Haus 
belebend, dem musste das Bild eines beglückten und beglückenden Men- 
. sehen unvergesslich bleiben. 

Noch eines darf eine Schilderung Wackemagels nicht übergehen, seine 
dichterische Thätigkeit. Seinem tiefen Gemüthe war diese Gabe der Dich- 
tung, die den Fluss der Erscheinungen und Empfindungen in lebendigen 
Gestalten festhält, in reichem Masse verliehen. Schon 1828 gab er ein 
Büchlein „Gedichte eines fahrenden Schülers" heraus, in welchem, neben 
kunstreichen und ergreifenden Nachbildungen altdeutscher Stoffe und Formen 


440 Anhang. 

und jugendlichem Scherz um die Tageslitteratur, sich schon die Klänge der 
zartesten, meist dunkel gefärbten, Seelenstimmnngen erheben. In diesem 
Sinne gab er sich immer reicher und tiefer in einer Reihe lyrischer Ge- 
dichte knnd, die zumeist in den mit Hagenbach und Fröhlich yon ihm 
herausgegebenen „Alpenrosen" der dreissiger Jahre und mehrem „Weih- 
nachtsgaben" erschienen: die schönsten und bedeutendsten, vermehrt durch 
den „Liebesfrühling" des zum Lebensglück Erwachten, sammelte er in den 
„Neuen Gedichten" von 1842, denen 1843 die „Zeitgedichte" (mit Bei- 
trägen von B. Reber) folgten, diese besonders für sein deutsches Herz ein 
machtvolles Zeugniss. 1845 folgte noch das „Weinbüchlein ,^ ein Kranz 
heller, munterer Lieder alter und neuer Zeit. Dann gab er keine Gedichte 
mehr heraus , aber der Quell der Dichtung sprudelte in ihm fort und fort 
bis ans Ende, wo irgend eine Erregung des Herzens ihn weckte. Kein 
öffentliches Fest, keine Feier im Kreise der Seinen ist wohl vorüber gegangen, 
der er nicht einen längern oder kürzern Gruss seiner Dichtung geschenkt 
hätte. Solche Gelegenheitsdichtung kann zweifelhaften Werthes erscheinen, 
er selbst hat wohl scherzend seines „Stadtpfeiferamtes ** gedacht, aber wir 
fürchten keine Widerlegung, wenn wir sagen: es ist von allen diesen Ge- 
dichten keines ohne den Geist und das Leben der Poesie, und es ist in allen 
keine Zeile die prosaisch zu nennen wäre. Die Art und Weise von Wacker- 
nagels Dichtung stand der von Rückert am nächsten, in der vorherrschenden 
Lyrik, in der ungehemmten, durch Reichthum der Sprachkunde und Dichter- 
kenntniss getragenen Beherrschung der Rede, nicht in der gesuchten und 
fremdartigen Künstlichkeit mancher Rückertischen Gedichte, aber in der 
Erschlossenheit des Geistes für alle Poesie der Welt, in ihrer klaren und 
reinen Wiedergabe, und in dem tiefgeistigen Hintergrunde, welche die ein- 
fachsten und besten Gaben aus dem unerschöpften Füllhorn jenes Dichter- 
fürsten wecken und zieren. Die Dichtematur spiegelte sich auch in den pro- 
saischen Werken Wackemagels, in seinem blühenden Stil, in den wirk- 
samen Wiederholungen, Ellipsen, Inversionen (technisch zu reden) seiner 
Sätze, die zuweilen an das Künstliche streifen, aber nie unerfreulich werden, 
und in der Fülle der Anschauungen und deren empfindungsreicher Dar- 
stellung, wie sie z. B. seine Vorträge über Pompeji und Sevilla, die Früchte 
seiner Reise, den erfreuten Hörern und Lesern boten. 

Wilhelm Wackernagel war eine hohe Gestalt, ein Bild eines blonden 
Deutschen wie in den alten Heldenzeiten. Seinem starken Geist entsprach 
sein kraftvoller, durch die Entbehrungen der Jugend noch gestählter Leib. 
Aber die Ueberlast der Arbeit und die Gewalt seiner gemüthlichen Bewegungen, 
bei einer dauernden Ueberreizung der Nerven, die ihm namentlich oft allen 
Schlaf raubte, untergruben die Kraft dieses Leibes. So suchten ihn seit 
den fünfziger Jahren mehrfache Krankheiten heim, Hautleiden, rheumatische 
Uebel, Magenschwäche. Am wirksamsten war ein Winteraufenhalt in Nizza, 
der ihn aus einer tödtlichen Schwäche wieder zu neuer Lebensfülle zurück- 
rief. Aber neue Geschäftslast nahm auch die Kräfte wieder neu und schwerer 
in Anspruch, er niusste viel des Arztes gebrauchen, Badecuren, in Baden im 
Aargau, durchmachen, vielfach sich dein Kranksein anbequemen. Der 
Sommeraufenthalt in den grünen Thälern und Höhen von Baselland erquickte 


Anhang. 441 

ihn stets, aher nur vorübergehend; er inusste seine Lehrstunden am Päda- 
gogium aufgeben und sich auf die Universität beschränken. Am schwersten 
fasste ihn eine böse Krankheit im Winter 1867 auf 68, tief herabgebracht 
suchte er wieder an Badens heissen Quellen Genesung. Aber so gross war 
die Kraft und Elasticität dieses vom Geiste getragenen Körpers, dass er 
immer wieder aus dem Siechthum erstand, ja dass er mitten in der Krank- 
heit zu arbeiten begehrte und vermochte. So schrieb er im letzten Früh- 
jahr in der Krankenstube sein letztes Buch „Johann Fischart von Strass- 
burg und Basels Antheil an ihm," ein Buch so voll des reichsten und 
lebendigsten Studiums , so voll freudiger Schaifenslust, wie nur je ein Ge- 
sunder sie zu haben und zu leisten sich wünschen möchte. Er schien auch 
glücklich hergestellt, genoss des Sommers auf dem Lande, nahm an der 
Sitzung der historischen Commission im Herbste theil, und kam froh und 
frisch angeregt von der Münchner Keise zurück. Auch die Lehrerthätigkeit 
übernahm er mit neukräftiger Lust. „Ich gedenke, schrieb er noch am 
26. October, diesen Winter etwas frisch aufzunehmen, das ich seit Jahren 
und Jahrzehenden habe liegen lassen, nämlich (neben dem germanistischen) 
wiederum ein litterarisches Kränzchen, in welchem Neueres und auch Frem- 
des gelesen und besprochen und von den jungen Leuten auch eigenes Dichten 
versucht wird. Es ist jetzt gerade ein Flug von solchen vorhanden, die 
ebenso gut zu solchen Zusammenkünften passen wie einst die ** und ** 
und ** und wie die übrigen hiessen. Mich freut meine Freude darauf, 
weil sie mir beweist, dass ich noch einige Jugend in mir trage.** 

So hoifte, wer ihn liebte, mehr als je auf die abermalige Erhebung 
aus den Anfechtungen, die, weil sie immer wieder gekommen, fast den 
Wunsch zur sichern Erwartung werden Hess. Da kam im November ein 
neues ünwolsein, nicht heftig, doch bedeutend genug, um ihm das Bittere 
aufzulegen, dass er dem Sterbebette und dem Leichenbegleite der theuren, 
unerwartet erkrankten Schwiegermutter ferne bleiben musste. Auch jetzt 
schien er zu genesen und dachte eben Bette und Haus zu verlassen, als 
die böse vorjährige Krankheit ihn am 11. December neu und schwerer als 
zuvor angriiF, und, von aller Sorge der Aerzte und Pflege der Seinen unauf- 
gehalten, in harten Leiden ihn dem Tode entgegenführte, bis er zuletzt 
doch noch sanft, am Morgen des 21. unter den Thränen und Gebeten der 
Seinigen entschlummerte. Die Leiche war wunderbar schön, jede Spur des 
Kampfes vor dem Ausdruck der Verklärung entwichen. Seine Freunde, 
Pfarrer Stockmeyer und Professor Hagenbach, hielten, jener die Leichen- 
predigt in der Elisabethkirche, dieser die Rede am Grabe. Des Nachts be- 
wegte sich ein Trauerfackelzug der Studierenden nochmals zum Grabe; 
einer aus ihnen, dessen dichterische Leistungen der liebende Lehrer gefördert 
hatte, gab dem Dank der Jugend Worte, und ein jüngerer College und Ver- 
wandter des Dahingeschiedenen antwortete mit dem Gelübde, dem Vorbild 
seiner Treue zu folgen. Dann gieng die Kunde hinaus in die Lande, und 
es werden wenige Stätten geistigen Lebens sein in deutschen Landen, wo 
sie nicht Verehrung und Liebe, Klage und Dank hervorgerufen hätte. 

Wackernagel schrieb einst unter sein Bild ein Gedicht, und der Redner 
an seinem Grabe hat es aufgenommen: 


442 Anhang. 

^Eiu Tropfe fällt: es klingt das Meer imr leise; 
Die Steile wird umringt von Kreis* an Kreise. 

Und weiter, immer mehr. Nun ruht es wieder. 
Wo kam der Tropfe her? Wo fiel er nieder? 

Es war ein Lehen nur und nur ein Sterhen, 
Und kam, auch eine Spur sich zu erwerben." 
Ja wohl, eine reiche, gesegnete, unvergängliche Spur! 
Zürich. S. VOEGELIN. 


Chrouologisches Verzeichniss der Schriften 

W. Wackemagels. 

1827. 1. Kiurenbergii et Alrammi Gerstensis carmina. Berol. 8 s. 

2. Zwölf mhd. lyr. Gedichte. Berol. 14 s. 

3. Spiritalia theotisca. Sermonum sex ecciesiast. et orationis do- 
luin. rhythmis ezpositae firagmenta. Vratisl. 22 s. 

4. Das wessobrunner Gebet und die wessobr. Glossen. Berlin. 95 s. 

5. Nur in so fern, als er dem Humor der Zwecklosen gewidmet 
ist, nicht zweckloser Abdruck zweyer Küchenrecepte des XIY. 
Jahrhunderts aus der Würzburger Pergamenthandschrift Fol. 162, 
A. b. Ein guot lecker Köstelin. So mache zvom iüngesten ein 
klein, lecker Köstelin u. s. w. Berlin. Neujahr 1827. 1 Bl. 4*. Nur 
auf einer Seite bedruckt. 

6. Zwey Bruchstücke eines unbekannten mittelhochdeutschen Ge- 
dichtes. Herrn H. Hoffmann von Fallersleben. Erstes Blatt. 
A. a. Bi eime stein geuelle. den risen slafende vant. u. s. w. 
4 bll. 4°. Auf der letzten Seite unter 7 Textzeilen ein Kupfer- 
stich, zwei mit einander kämpfende Hirsche, deren einer durch 
einen jungen Mann mit dem Schwerte getödtet wird. Darunter 
die Unterschrift: Hie tötet waltram zwen hirze. 1827. 

1828. 7. Ahtzehen wahtel in den sac! Friedrichsstadt. Jan. 1828. (ed. 

princ. aus der Wiener Hs. CXIX). 8 S. 

8. Anmerkungen zum Wahtelmsere; in Denkmäler deutscher 
Sprache und Lit. von H. F. Massraann 1. München 1828. 
(S. 105—112). 

9. Lieder eines fahrenden Schülers. Berlin. 125 S. 

1829. 10. Aufsätze in Hoffmanns Monatsschr. von und für Schlesien. 

Breslau. (Zur schles. Kirchengesch. — Zeichenunterr. in Schles. 
— , Ueber Gotfr. v. Strassburg. — Zwei mittellat. Fabeln von 
Fuchs Reineke. — Zur Kunstgesch. von Breslau. — Gegen 
Kannegiessers Uebers. einer Stelle in Dantes göttl. Comöd. — 
Uebers. dreier Ged. d. CatalL — Aug. Hagens Nürnberg. No- 
vellen). 
11. Theaterrecensionen und kleinere Gedichte; in d. Bresl. Zeitung, 
Febr. 1829 bis April 1830. 


Anhang. 443 

12. Gedichte, in: Zweckloses Leben und Treiben, hsg. v. d. zweck- 
losen Gesellscb. in Breslau. 2 Jahrg. 

13. Gedichte, in: Weinbüchlein zum Besten der wasserbeschädigten 
Schlesier, hrsg. v. d. zweckl. Gesellsch. 

1830. 14. Haecce ad vetustissimnm abbatis comardoram ebroicensium et 

rotomagensium comn Friderico Lewald bonisque quae domnm 
et vitam eins ornant muHeribus cecinit Gnilelmus Wackemagel 
cognominatns Arrodian de Cologne cum licentia chymioa Nea- 
poli snb scnto mariae anreae inter picta et sculpta tjpis qnam 
nitidis snmptibus quam lüinimis YIU. Cal. Jan. 1830. Kl. 8^ 
Ohne Pagin. Enthält 13 deutsche Gedichte^ wovon 4 im Wein- 
b^chlein wieder gedruckt. 

15. Gedichte, in: Poesien der dichtenden Mitglieder des Bresl. 
Künstlervereins (Geisheim, Grtinig, Hoffmann v. Fallersleben, 
K. Schall, W. Wackemagel, K. Witte). 

16. Ueber Conjugation und Wortbildung durch Ablaut im Deutschen, 
Griech. ,und Lat.; in Seebodes Archiv f. Phil. u. Paed. 1, 
17—50. 

17. Die mhd. negat. Partikel ne, — Glossar für das XII — XIV. Jh., 
von Hoffmann u. W.; in Hoffmanns Fundgruben f. Gesch. deut- 
scher Sprache u. Lit. 1, 269—306. 347—400. 

1831. 18. Gedichte, in: Berliner Musenalmanach. 

19. Geschichte des deutschen Heiameters und Pentameters A>is auf 
Klopstock. Berl. 68 S. 

20. Üeber Conjugation u. Wortbildung durch Ablaut im Deutschen, 
Griech. u. Latein, in: 1. Supplementband zu Seebodes u. Jahns 
N. Jahrb. f. Philologie u. Paedag. (Lpzg. 1831. 8^) S. 17—50. 

1832. 21. Gedichte, in: Deutscher Musenalmanach. Lpz. 1832. 33. 34. 35. 37. 

22. Gedichte, in: Schweizerische Alpenrosen. Aarau 1832. 33. 

23. Anzeige v. Simrock, der arme Heinrich, ein erzählendes Ge- 
dicht des Hartmann v. Aue, metrisch übersetzt. Nebst der Sage 
von Amicus u. Amelius u. verwandten Gedichten des Ueber- 
setzers. 1830. 8^ in: Allgem. Litteraturzeitung vom J. 1832 
(Halle) Bd. I. Jan.— April. No. 74 u. 75. S. 588—600. 

1833. 24. Die Verdienste der Schweizer um die deutsche Litt. Akadem. 

Antrittsrede, 17. Mai. Basel. 41 S. ^ 

25. Gedichte Walthers v. d. Vogelweide, übers, v. Simrock und 
erl. V. Simrock u. W. l;-2. Berlin. 

1834. 26. Gedichte, in: Weihnachtsgabe zum Besten der Wasserbeschädig- 

ten in der Schweiz. Basel. 

1835. 27. Zur Erklärung u. Beurtheilung v. Bürgers Lenore. Progr. d. 

Paedag. 20 S. 4^*. Wiederholt, mit Nachträgen von W. u. Hoff- 
mann, in Haupt u. Hoffmann, Altdeutsche Blätter. Leipz. 1836. 
1, 174—204. 
28. Deutsches Lesebuch. I. Altdeutsches Lesebuch. Basel. 872 Sp. 

1836. 29.* Deutsches Leseb. IL Poesie seit 1500. Basel. 1614 Sp. 

30. Aufsätze in Haupt u. Hoffmann, Altdeutsche Blätter I. (Bruchst. 


444 Anhang. 

eines unbek. Ged. ans <1. Dietrichssage. — Geistl. Lehrged. ans 
d. XII. Jh. -— Glossen aus dem XII. Jh.) 
31. Die altdeutschen Hss. d. Basler Universitätshibl. Progr. Ba^^eU 
64 S. 4. Nachtrag in Altdeutsche Bl. 2, 124. 

1837. 32. Schweiserisches Museum für hist. Wissenschaften, hsg. v. Ger- 

lach, Hottinger u. W. Frauenfeld. 

a) Die germanischen Personennamen. 1, 96-r-119. 

b) Die epische Poesie. 1, 341—372; 2, 76—102. 243—274. 

1838. 33. Gedichte, in: Schweizerische Alpenrosen, hsg. von Fröhlich, 

Hagenhach u. W. Aarau 1837. 38. 39. 

34. Herr Nithart, in: Minnepinger v. F. H. v. d. Hagen. 4; 436—442. 

35. lieber die dramatische Poesie. Progr. Basel. 51 S. 4. 

1839. 36. Vorbeticht zu: Beiträge zur vaterl. Gesch. hsg. v. d. hist. Ge- 

sellsch. zu Basel. Bd. I. S. 5—16. 
37. Gedichte, in: Weihnachtsgabe zum Besten der Wasserbeschädig- 
tem in der Schweiz, hsg. v. Fröhlich, Hagenbach u. W. Basel. 

1840. 38. Beiträge zu Haupt n. Hoffmann, Altd. Bl. U. 

(Lyr. Gedd. des 12. — 14. Jh. — Sprüche u. Sprichwörter, deutsch 

u. lat.) . 
3n. Das Landrecht des Schwabenspiegels. Zürich. 342 S. 
40. Vorrede zu: Beitr. z. Basler Bnchdruckergesch. v. Stockmeyer 

u. Reber. Basel, 
il. Gedichte, in: Gedichte zur Feier des Johannistages 1840. Basel. 

42. Festreden bei d. 4. Saecularfeier d. Erfindung d. Buchdrucker- 
kunst in Basel, 24. Juni 1840. Nebst einer Besehreibung des 
Festes. Basel. 4. 

43. Gedichte, in: Weihnachtsgabe f. Brandbeschädigte im Kanton 
Zürich, hsg. y. Schuster u. S. Yögelin. Zürich. 

1841. 44. Deutsches Lesebuch. III, 1. Prosa von 1500—1740. Basel. 

1076 Sp. 
45. H. Fr. DroUinger. Akad. Festrede. Basel. 

1842. 46. Die Gottesfreunde in Basel, in: Beitr. z. vaterl. Gesch. Basel. 

2, lll-*163. 

47. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. deutsch. Alterth. II. 

(Der Salden tor. — In den Wald wünschen. — Zwölf Schwerter 
und neun Herzen. — Theilen, theilen und wählen, theilen und 
kiesen. — Verlöbniss und Trauung. — F, H, Th. — Drei Lügen- 
märchen.) 

48. Neuere Gedichte aus den J. 1832—41. Zürich. 368 S. 

49. Gedichte, in: Weihnachtsgabe für Hamburg, hsg. v. Fröhlich, 
Hagenbach u. W. BaseL 

1843. 50. Zeitgedichte, mit Beiträgen von Balth. Reber. Basel. 192 S. 
51. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. III. 

(Sechzig Räthsel u. Fragen. — Sagen u. Märchen aus d. Aar- 
gau. — Die Vogelhochzeit. — Niederl. Lied von d. Brennen- 
berger. — Altdeutscher Cento. — Segensformeln. —' Biblische 
Glossen zu Engelberg u. Rheinau. — Proverbia Salomonis.) 


Anhang. 445 

52. Deutsches Lesehnch HI, 2. — Prosa v. 1740— 1B42. Basel. 
1526 Sp. 

53. Das Siechenhaas zn S. Jacoh. 21 Neujahrshl. f. Basels Jngend. 
^ Basel. 25 S. 4. 

1844. 54. Bedaction nnd Vorrede von: Die Schlacht hei S. Jakob in den 

Berichten d. Zeitgenossen. Säcalarschrift d. hist. Gesellsch. zu 
Basel. Basel. 4. 

55. Das vierte Säcularfest d. Schlacht bei S. Jakob an der Birs. 
• Im Auftr. d. Comites beschr. v. W. Basel. 78 S. 4. 

56. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. IV. 

(Die s. gallische Bhetorlk. — Geographie d. Mittelalters. — 
Die 12 Meister zu Paris. — Beschreibung d. Gestalt Christi. — 
Bruder Berthold u. Albertus Magnus. — Eirchl. u. unkirchl. 
Segnungen. — Zu Hartmann v. Aue.) 

57. Gedichte, in: Elsässische Neujahrsblätter hsg. v. Stoeber u. Otte. 
Basel. 1344. 45. 46. 

1845. 58. WeinbücUein. Leipz. 112 S. 

59; Walther von Klingen. Progr. Basel. 31 S. 4. 

60. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. V. 

(Altdeutsches Kochbuch. — Provenzalische Diätetik. — Gedichte 
des Archipoeta Waltherus. — Die Schlettstädter Glossen. — 
Deutsch-lat. Hexameter. — Volkslied d. 15. Jh.) 

1846. 61. Familienrecht und Familienleben der Germanen, in: Schreibers 

Taschenb. für Gesch. u. Alterth. in Süddeutschl. Freiburg. 
5, 259—316. 

62. Altfranzösische Lieder n. Leiche. Basel. 258 S. 

63. Ueber das Schachzabelbach Konrads von Ammenhausen; in:: 
Kurz u. Weissenbach, Beitr. z. Gesch. u. Litt., vorzüglich aus d. 
Archiven u. Bihl. d. Kantons Aargau. 1. Aarau. S. 28-— 77. 
158—222. S14— 373. 

64. Aufsätze in den Beiträgen d. hist. Ges. zu Basel IIL 
(Bischof Udalnch v. Basel. — Schrntan v. Winkelried. — Das 
Bosenbad u. d, Rosengarten von S. Jacob. — Bück dich, Jäck- 
linl du mnst in Ofen.) 

1847. 65. Deutsches Lesebuch. N. A. I. Poesie u. Prosa bis z. 15. Jh. 

mit einem Wörterbuche. loSs u. 632 Sp. 11. Poesie seit 1500. 
1786 Sp. 

66. Vocabularius optimns. Zur Begrüssung d. Philologen u. s. w. 
Basel. 58 S. 4. 

67. Mitherausgabe der Fest- u. Abendmahlslieder für Basels evaug. 
Gemeinden. Basel. 

68. Die altdeutschen Dichter des Elsasses: Otfried von Weissenburg. 
Heinrich der Gleissner, in: Elsassische Neujahrsblätter 1847, 
210—237. 1848, 190—216. 

i84S. 69. Altdeutsche Predigten und Gebete ausHss. Mit Abhandlungen. 
Ein Beitrag zur Kirchen- und Litteraturgesch. Deutschlands. 
Basel. (Nur theilweise gedruckt und noch nicht ausgegeben.) 


446 Anhang. 

70. Bei träge zu. Haupts Ztschr. f. d. A. VI. 

(Die Anthropogonie der GermaDen. ^ Das Glücksrad und die 
Kugel des Glücks. — Hellegräve. — - Der Welt Lohn. — Die 
deutsche Heldensage im Lande der Zähringer und in Basel. — 
Niederland. Beimsprüche. — Schretel und Wasserbär. — Das 
Todtenreich in Britannien. — Die Spottnamen der Völker. — 
Mete, Bier, wIn, l!t, lütertrank. — Das Lebenslicht. — Der 
Wolf in der Schule. — Erde der Leib Christi. — Gold im Munde. 
— Windsbraut u. Windgelie. — Ein Weib und drei Liebhaber. — 
Vor Liebe fressen. — Hans, Kleid, Leib. — Ital. Liebeszauber 
und Krankheitssegen. — Born u. der Pfenning. — Liber sen- 
tentiolarum.) 

71. Geschichte der deutschen Litteratur. Basel. Heft 1. 1848, 
2. 1850, 3. 1855. 496 S. bis zum Beginne des 17. Jahrh. 
reichend. 

1849. 72. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. VIL 

(Tung. — Wergeid Christi u. Psalmenzaubcr. ~ Predigten.) 
73. Pompeji. Oeffentl. Vortrag. Basel. 57 s. — Zweite, durch- 
gesehene Ausgabe. 1870. 

1850. 74. Meinauer Naturlehre. Bibl. d. lit. Ver. in Stuttg. No. 22. 

Stuttg. 19 S. 

75. Mitherausgabe des evangel. Gesangb. für Basel. Probedruck. 

76. Umrisse der Basreliefs am Museum zu Basel ausgeführt durch 
J. J. Oechslin, Bildhauer iu Schaffhausen, auf Stein gezeichnet 
von J. Neithardt. Mit erläuterndem Texte von Prof. W. Wacker- 
nagel. SchafiFhausen 4^. (1850) 6 Seiten Text. 

1851. 77. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. VUE. 

(Der starke Boppe. — Vier Sprüche von Hans Folz.) 

1852. 78. Das Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel in deutscher 

Aufzeichnung des 13. Jahrh. Progr. Basel. 43 s. 4. 

1853. 79. lieber neuere Bearbeitungen der deutschen Litteratnrgeschichte; 

in Geizers protest. Monatsblätt. Gotha. 2, 55 — 63. 

80. Gewerbe, Handel und Schiffahrt der Germanen. Oeffentl. Vor- 
trag. Erweitert abgedr. in Haupts Ztschr. 9, 530 — 578. 

81. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. IX. 

(Der Todtentanz. — Kochbuch v. Maister Hannsen, des von 
Würtenberg Koch.) 

82. Vorrede zu: Buch der Sinnsprüche u. s. w. von W. Kl Leipzig. 

1854. 83. Mitherausgabe von: Die Universität von Basel, was ihr gebricht 

und was sie sein soll. Polit. Tagesschrift. Basel. 

84. Sevilla. Oeffentl. Vorträge. Basel. 149 S. ■— Nene unveränd. 
Ausg. 1870. 

85. Von der deutschen Pedanterei. Schulrede. In Geizers prot. 
Monatsbl. 3, 295—309. 

86. Mitherausgabe des Evangel. Gesangb. f. Baselstadt u. Basel- 
land. Basel. 


Anhang. 447 

1855. 87. Der arme Heinrich Herrn Hartmanns von Aue u. zwei jüngere 

Prosalegenden verwandten Inhalts. Basel. 101 S. 

88. Die deutsche Glasmalerei. Ge»chichtl. Entwurf mit Belegen. 
Lpzg. 180 S. 

89. Leasings Nathan der Weise. Bectoratirede. In Geizers prot. 
Monatsbl. 6, 232—256. 

90. Vorwort zu Emil Wellers Liedern des dreissigjähr. Krieges. 
Basel. 

1856. 91.- Das Erdbeben von 1856 in den Nachrichten der Zeit und der 

Folgezeit bis auf Christ. Wurstisen, — Der Todtentanz (Erwei- 
terung d. Abh. V. J. 1853); in: Basel im 14. Jahrh. Gesehichtl. 
Darstellungen zur 5. Säcularfeier des Erdbebens am S. Lucas- 
tage 1356, herausg. von d. bist. Gesellseh. zu Basel. S. 213 
bis 250. 877—425. 

1857. 92. Die goldene Altartafel von Basel. Abbildung, Erklärung u. 

Zeitbestimmung. Progr. Basel. 34 S. 4. (Auch in den Mit- 
theilungen d. Basler antiq. Ges.) 
93. Ueber die mittelalterliche Sammlung zu Basel nebst einigen 
Schriftstücken aus derselben. Progr. Basel. 17 S. 4. 

1858. 94. Vorrede zu: Geistl. Lieder eines Elsäss. Zimmermannes, herausg. 

V. Pfarrer E. Staehelin. Basel. 

95. Konrad v. Würzburg aus Würzburg oder aus Basel? in Pfeiifers 
Germania. Wien. 3, 257—266. 

96. Bitter- und Dichterleben Basels im Mittelalter. 36. Neujahrs- 
blatt für Basels Jugend. Basel. 32 S. 4. 

97. Lieder für die Knaben in den Sonntagssälen zu Basel, herausg. 
u. mit Beiträgen von W. Basel. — N. verm. Aufl. 1868. 

98. Otto von Passau, in Herzogs Bealencycl. f. prot. Theol. u. Kirche. 
Erlangen. 9, 741—743. 

1859. 99. Katalog der mittelalterl. Sammlung zu BaseL 1859. 1862. 1866. 

100. Altdeutsches Lesebuch (des deutschen Leseb. Th. I). N. A. 
Basel. 1348 sp. 

101. Die deutschen Appellativnamen. In Pfeiffers Germania 4, 
129—160; 5, 290—356. 

1860. "102. "Eitea itrepoevTa. Ein Beitrag zur vergleich. Mythologie. Jubel- 

schrift zur 4. Säcularfeier d. Univ. Basel 6. Sept. 1860. Basel. 
50 S. 4. 
103. Gedichte auf das Universitätsjubiläum, mitgeth. in d. Beschrei- 
bung der 4. Jubelfeier d. Stiftung d. Univ. Basel am 5. — 7. 
Sept. 1860, von J. W. Hess. Basel. 

1861. 104. Wörterbuch zum altdeutschen Lesebuch, oder Altdeutsches Hand- 

wörterbuch. Neue sehr verm. Ausg. Basel. 402 S. 
105. Die Umdeutschung fremder Wörter. Progr. Basel. 53 S. 4. — 
Zweite verb. Aufl. Basel 1863. 62 S. 4. 

1862. 106. Die Lebensalter. Ein Beitrag z. vergleich. Sitten- und Rechts- 

geschichte. Basel. 74 S. 


448 Anhalt^. 

107. Walther von der Vogelweide nebst Ülricli von Singenberg und 
Lentold von Seven. Hag. von Max Rieger n. W. W. Giessen. 
XLVm 290 S. 

108. Nachtrag z. Geschichte des grossen Erdbebens v. 1356 im Basler 
Taschenbuch f. 1862. S. 235—247. 

1863. 109. Gedächtnissrede auf Ludw. ühland, vorgetragen bei der Uhlands- 

feier zu Basel, 13. Jan. 1863. In Geizers protest. Monatsbl. 
1863. 20 S. 

1864. 110. Xunstschätze der mitteialterl. Sammlung zu Basel, herausg. von 

W. W. u. Jac. Hoeflinger. Photogr. 3 Lieferungen. 

1865. 111. Leben und Wirken Walthers v. d. Yogelweide. In Herzogs Real- 

encycL f. prot. Theol. u. Kirche; Suppl. Band. 16 S. — Sebastian 
Brant. Ebendas. 19, 259—262. 
112. Das Hündchen von Bretzwil u. von Bretten. Ein Versuch in 
der Mythenforschung. — Im Neuen schweizerischen Museum. 
Basel 5, 339—850. 

1866. 113. Sechs Bruchstücke einer Nibelungenhaudachrift aus d. mittei- 

alterl. Sammlung zu Basel herausg. Progr. Basel. 48 S. 4. 

114. Vorwort zu: ßud. Hotz, Lesebuch für Elementar- u. Volks- 
schulen. Basel. 

115. Basel und die eidgenössische Universität. In den Beilagen d. 
Augsb. allg. Zeitung. 1866. 

1867. 116. Voces variae finimantium. Progr. Basel. 54 S. 4. 

1868. 117. Beiträge zur Zeitschr. f. deutsche Philologie v. Höpfner u. Zacher. 

Halle. (Zur Alexandersage I. Zum Jul. Valerius. — Die alt- 
sächs. Bibeldichtung und das Wessobrunner Gebet.) 
118. Sprache u. Sprachdenkmale der Burgunden, in: Binding, Gesch. 
des burgundisch-romanischen Königreichs. Leipzig. S. 329—404. 

1869. 119. Voces variae animantium. Ein Beitrag zur Naturkunde u. zur 

Geschichte der Sprache. Zweite verm, u. verb. Aufl. Basel. 
179 S. 

1870. 120. Job. Fischart von Strassburg u. Basels Antheil an ihm. Basel. 

214 S. 

1871. 121. Gothische und altsächsische Lesestücke nebst Wörterbuch. Basel. 

192 Sp. • 

1872. 122. Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. Aca- 

demische Festrede gehalten am 8. Nov. 1866 . bei der Jahres- 
feier der Universität Basel. Basel. 58 S. 8^. 

123. Kleinere Schriften. Bd. L Abhandlungen zur deutschen Alter- 
thumskunde und Kunstgeschichte. Leipzig. 434 S. 8°. (von 
M. Heyne hrsg.) 

124. Gedichte. Basel 1873. 391 S. (von S. Vögelin besorgt). Auswahl. 

125. Geschichte der deutschen Litteratur bis zum 80jährigen Kriege. 
(Titelausgabe v. E. Martin, mit Inhaltsverz. u. Register). Basel. 
540 S. gr. 8°. 

1873. 126. Deutsches Lesebuch. Th. I. Altdeutsches Lesebuch. 5. Aufl. 

Bas, 1528 Sp. (von M. Rieger besorgt). 


Anhang. 449 

127. Poetik, Khetorik u. Stilistik. Academ. Vorlesungen, Herausg. 
von L. Sieber. Halle. 452 S. Gr. 8«. 

128. Kleinere Schriften. Bd. II. Abhandlungen zur deutschen Litte- 
raturgeschichte. (Herausg. von M. Heyne.) Leipzig. 504 S. 8°. 

1874. 129. Kleinere Schrifte'n. Bd. HI. 

1875. 130. Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften. Mit" 

Abhandlungen. Ein Beitrag zur Kirchen- und Litteraturgesch. 
Deutschlands. Herausgegeben von W, W. und fortgesetzt von 
Max Rieger u. Karl Weinhold. Basel. (Unter der Presse.) 


Verzeichniss der Vorlesungen W. Wackemagels*). 

1. 1833. Deutsche Grammatik (6). — 2* 1833. Deutsche Metrik (7). 
— 3. 1833. Vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen (2). — 
4. 1833. Tacitus Germania (6). — 5« 1834. Deutsche Syntax und Stilistik 
(2). — 6. 1834. Gedichte Walthers von der Vogelweide (13). — 7. 1884. 
Erklärung des altdeutschen Lesebuchs (13). — 8« 1835. Vergleichende 
Grammatik des Deutschen, Griechischen und Lateinischen (13). — 9. 1835. 
Handschriftenkunde (1). — 10. 1836. Poetik und Rhetorik (1). — 11. 1837. 
Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur (7). — 12« 1837. Poetik, 
Rhetorik und Stilistik (13). — 13. 1838. Nibelungenlied nach Lachmanns 
Ausgabe (8). — 14. 1838. Germanische Alterthümer (12). — 15.1839. Ein- 
hardi vita caroli Magni (1). — 16. 1841. Uebungen im Stil und im freien 
Vortrage (6). — 17. 1845. Erklärung und Beurtheilung ausgewählter Dra- 
men (1). — 18. 1847. Geschichte des deutschen Predigtwesens im Mittel- 
alter (2). — 19. 1848. Geschichte des deutschen Dramas mit Lesung und 
Erklärung ausgewählter Beispiele (10). — 20. 1851. Geschichte der deut- 
schen Litteratur seit der Reformation (9). — 21. 1854. Geschichte der 
deutschen Litteratur bis zum Schlüsse des Mittelalters (1). — 22. 1855. 
Erklärung des Armen Heinrich von Hartmann von Aue (7). — 23. 1856. 
Stilistik (3). — 24. 1856. Geschichte der deutschen Verskunst mit Er- 
klärung ausgewählter Stücke (1). — 25. 1857. Poetik (2). — 26. 1857. 
Germanistisches Kränzchen (22). — 27. 1864. Erklärung des alt- und 
angelsächsischen Lesebuches von Rieger (2). — 28. 1867. Reinke de Vos 
nach Lübbens Ausgabe (1). 

Basel. J. G. WACKERNAGEL. 

L. SIEBER. 

♦) Die voran geschickten Jahrzahlen geben an, in welchem Jahre die 
betreffende Vorlesung zuerst, die dahinter eingeklammerten Ziffern, wie 
oft sie gehalten worden ist. 


INHALT. 


Seite 

1. üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache ... 1 

2. Die deutschen Appellativnamen '. 59 

3. EnEA nTEPOENTA 178 

4. Die Umdeutschung fremder Wörter 252 

5. Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden 334 

6. üeber die Pedanterei 417 

Anhang : 

Lebensskizze und Schriftenverzeichnis Wackernagels ..... 434 


Leipzig. Druck von Orimme k Trömel. 


75760569