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KLEINERE SCHRIFTEN
VON
WILHELM WACKERNAGEL.
DRITTER BAND.
ABHANDLUNGEN ZUR SPRACHKÜNDE.
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIRZEL.
1874.
Oswald Weisre!
KLEINERE SCHRIFTEN
VON
WILHELM WACKERNAGEL.
DRITTER BAND.
ABHANDLUNGEN ZUR SPBACHKÜNDE.
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIEZEL.
1874.
ABHANDLUNGEN
ZUB
SPRACHKUNDE
VON
WILHELM WACKERNAGEL,
MIT EINEM ANHANGE:
BIOGRAPHIE
UND SCHRIFTENVERZEICHNIS DES VERFASSERS,
LEIPZIG
VERLAG VON S. HIßZEL.
1874.
2 4 0CTW75
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• * \y
Vorwort.
Mit dem vorliegenden dritten Bande schliesst die Amwahl
am W. WacJcemagels Meinen Schriften, wie sie nach dein Vor-
hericht zum ersten Bande in Aussicht genommen war. Der
erste der Aufsätze, über den Ursprung und die Entwickelimf
der Sprache, ist bereits 1872 als Einzeldruck erschienen, jedoch
ohne die Anmerkungen, die, wie den Text selbst, Herr Biblio-
thekar Dr. Sieber aus der Originalhandschrift für den Druck
gerichtet hat. Diese letztere wies auf fernere sechs Beilagen
hin, welche einzelnes der Arbeit noch schärfer fassen und be-
gründen sollten; doch sind diese Beilagen im Nachlasse nicht
gefunden worden. Zu den übrigen Abhandlungen sind die zahl-
reichen Nachträge in den Handexemplaren des Verfassers ziem-
lich vollständig hinzugefügt, nur bei no. 4, der Umdeutschung
fremder Wörter, konnte nichts als eine' Auswahl gegeben werden,
da die handschriftlichen Bemerkungen oft nur Stichwörter für
eine künftig zu unternehmende Neubearbeitung schienen. — Die
Handexemplare %ind Manuscripte des Verfassers werden der
hiesigen Universitätsbibliothek übergeben werden.
Die Lebensskizze und da» .Schriftenverzeichnis Wacker-
nagels, aus- Zacher s Zeitschrift wieder abgedruckt, lelzteres um
einige Nummern durch Herrn Dr. Sieber vermehrt, dürften als
Anhang dieses Bandes nicht unwillkommen sein.
Basel den 27. November 1874.
Marit» Heyne.
ABHANDLUNGEN
ZUB
SPRACHKUNDE.
Ueber den Ursprung und die Entwickelung
der Sprache.
Äcademische Festrede j gehalten am 8. November 1866, bei der
Jahresfeier der Universität Basel.
Bei der Jahresfeier der Universität und der academischen
Zunft hat man es, wie Gelehrte der verschiedensten Fächer und
zahlreiche Gebildete sich dazu vereinigen, schon seit langem für
angemessen erachtet, dass der bestellte Festredner einen Gegen-
stand behandle, an welchem, näher oder entfernter, das Zusammen-
gehn und der innere Zusammenhang aller Wissenschaften sich
erweise, welcher eine allgemeinere Bedeutung und damit Belang
und Anziehungskraft auch für solch« habe, die auf Fachgelehr-
samkeit keinen Anspruch machen. Ich hoffe dieser wohlbe-
gründeten Uebung gleichfalls zu genügen, ja schmeichle mir,
bei dem Reiz den die Culturgeschichte und den die etymologische
Seite der Sprachforschung auch für den Nichtsprachforscher be-
sitzt, einer verbreiteten Neig*ung entgegenzukommen, indem ich
heut, wo die Rectoratsrede mir obliegt, es versuchen will der
geehrten Versammlung einige Betrachtungen und Nachweise
vorzutragen über den Ursprung und die Entwickelung der
Sprache, über das Aufkommen und den Verfall derselben und
die Mittel, die sie jeweilen braucht sich wieder daraus empor-
zurafiFen. Es sind das Erörterungen, die allerdings auf einen
langen Weg, einen Weg durch Jahrtausende, die auf ein weites,
hochgelegenes, vielfach schon betretenes Gebiet öder, wenn Sie
wollen, in ein Weltmeer fuhren. Wenn gleichwohl auch ich in
solche Endlosigkeit mich hinauswage und noch Sie um Ihre
Begleitung dabei bitte, so kann es nicht meine Absicht sein die
Wctckemagel, Schriften. HL 1
i Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
Fahrt nach allen Seiten hin zu lenken und überall in Beschau-
ung zu verweilen: dazu würde weder die Zeit, die uns, noch die
Kraft, die mir vergönnt ist, reichen: schlagen wir nur die haupt-
sächlichsten Wege ein, und streben. wir namentlich Standpunkte
zu gewinnen, die bisher noch nicht sind eingenommen worden,
und Gegenden ins Auge zu fassen, die noch unbeachtet ge-
blieben sind.
„Im Fleiss kann dich die Biene meistern,
In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein,
Dein Wissen theilest du mit vorgezognen Geistern:
Die Kunst, o Mensch, hast du allein.*'
Dies Wort unsers grossen Dichters passt aber ebenso wohl
auf die Sprache: denn auch sie ist ein Eigenthum und ein
Eecht, das der Mensch vor den Thieren und, wenn ich so sagen
darf, vor Gott seihst voraus hat. Zwar in den Dichtungen der
Heiden werden uns deren Götter, es wird oft genug in der
heiligen Schrift auch der eine Jehovah nach Menschenart sprechend
vorgeführt: wer aber möchte darin etwas andres erkennen als
einen Zug mehr jener naiven Vermenschlichung, die sich den
Unsichtbaren nur in einem Leibe, wie wir ihn tragen, und mit
leiblichen Thätigkeiten, wie wir sie üben, vorzustellen weiss?
Für die reinere Anschauung Gottes liegt darin eine Ungebühr,
und der Empfindung davon haben selbst die Heiden insofern
nachgegeben, dass sie den Göttern doch eine von der mensch-
lichen verschiedene Sprache beimessen: wiederholendlich merken
die griechische und die nordische Dichtung an, so heisse eine
Person oder Sache bei den Menschen und so bei den Göttern^),
und noch im Mittelalter lehrte man dem ähnlich, der Mess-
gesang vereinige in sich vier Sprachen, Lateinisch, Griechisch,
Hebräisch und die der Engel, diese mit dem Worte Hallelujah^).
Freilich auch hiebei bleibt noch immer die Annahme, dass die
Engel, die Götter gleichfalls mit irdischen Stimm Werkzeugen
belastet seien.
Aber auch den Thieren sind solche, ihnen sind wie dem Men-
schen tönende Organe in Kehle und Mund gelegt. Zwar nicht
1) J. Grimms Deutsche Mythol. S. 307—310.
2) Bihtebuoch von Oberlin S. 77 {g.
Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 3
allen : ihrer aach genug sind stnmm, die Fische, die Würmer, die
Insecten, diejenigen also, die mit ihrem Sein und Thun an ein
Element oder an nur einen Ort und gleichförmig an nur eine
Beschäftigung gebunden sind. Wohl aber sind die mit Stimme
begabt, deren Bewegung freier die Käunüichkeit wechselt, deren
Thätigkeit sich mannigfacher gestaltet, die YierfQsser und die
Vögel, und eine je höhere Stufe solcher Entwickelnng das Thier
einnimmt, desto ausdrucksvoller pflegen die Töne, die es von
sich giebt, zu sein, desto mehr haben sie gleich der Sprache
des Menschen den Zweck der gegenseitigen Mittheilung, desto
entechiedener wirkt auf sie derselbe Nachahmungstrieb, der
unter den Menschen die Sprache von dem einen auf den andern
bringt'). Und so erzählt denn auch die Sage der Vorzeit und
erzählt der Aberglaube noch jetzt von Thieren, die wirklich
sprechen, bei Homer zum Beispiel und in Dichtungen der deutsc&en
wie der slavischen Völker von sprechenden Eossen^), auf deut-
schem wie auf romanischem und celtischem Boden von den Ge-
sprächen, welche die Thiere des Stalls in der Christnacht führen^),
überall aber (denn in der That sind unter sämmtlichen Thieren
die Vögel die beredtesten) von einer Vogelsprache ^). Üiese
letztere, man fasste sie nicht etwa so wie heut, wenn man die
einzelnen Arten des Finkenrufs'') und die Stimmen anderer
Vögel in ähnlich klingende deutsche Worte®) oder doch in arti-
3) Von Vögeln, welche die Stimmen andrer Thiere und die des
Menschen, den Ton musikalischer Instrumente u. s. f, nachahmen, handeln
Plinius Hist. nat. X, 57 — 59 und Aelianus de nat. anlm. VI, 19. Der
amerikanische Spottvogel singt seihst wie eine Nachtigall, ahmt aher auch
die Stimmen aller andern Vögel und sonstigen Thiere nach.
4) II. XIX, 404 fgg.; Märchen d. Br. Grimm 89; Lieder d. Serhen,
Talvj 1, 15. II. 81. Dietrichs Kuss. Volksmärchen S. 18. 43. 48; Schleichers
litauische Märchen S. 37. Vgl. die sprechende Eselinn Bileams Mos. IV,
22, 28 fgg.
5) Aug. Stöher in d. Alsatia 1851 S. 169 fg.; Weinholds Weihnachts-
spiele S. 27.
6) "Eicea TcrepocvTa S. 16 fgg.
7) Ernst Wagners Reisen aus der Fremde in die Heimath I (1808)
S. 50; Bechsteins Forst- und Jagdwissenschaft X, 1, 629.
8) Hauptbeispiel das 171ste Märchen ^der Grimmischen Sammlung;
andre in Simrocks Kinderbuch S. 167 fgg.
1*
4 Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
culierte Laute ^) bringt, auch nicht so wie dort das Sprechen der
Bosse oder der' Rinder^ die einfach in der jedesmal üblichen
Landessprache reden: sondern man schrieb den Vögeln ihre ganz
eigene Sprache zu, die sie nur könnten, nur sie verstünden^ die
unter den Menschen nur dem verständlich sei, welchem Zauber-
kunst oder göttliche Gnade das Ohr dafür geöffnet. Solche An-
nahme von Sprachbefähigung und Sprachbesitz auch auf Seiten
der Thiere liegt jener Annahme einer Göttersprache parallel
gegenüber, wie der Göttersage die Thiersage gegenüberliegt: das
Eine wie das Andre ein Wiederschein, den die Poesie von der
Menschenwelt aus hier nach oben, dort nach unten hin fallen
lässt^®). Und sie geht in diesem Drange das Untermenschliche
auch so zu erheben, zu beseelen, zu vermenschlichen noch um
einen guten Schritt' weiter: in der Fabel sprechen auch Bäume
mit einander ^^), und nicht bloss zum Scherz, ebenso wohl in
ganz ernsthafter Weise wird auch das Geläut der Glocken ^^) und
das Klappern der Mühlräder ^^) auf Worte der Menschensprache
ausgedeutet.
Treten wir nun aber nach allem diesem, was nur geschicht-
liche Nachweisung über die Sache ist, nunmehr an die Sache
selbst heran.
Die Töne, die wir von den Thieren vernehmen, sind stets
nur der Ausdruck einer mehr oder minder grob sinnlichen Em-
pfindung und meist wohl ein ganz unwillkürlicher Ausdruck:
vor Fressgier heult der Wolf, in Liebe flötet und schmettert die
Nachtigall. Und obschon mehr als ein Thier körperlich wohl
darauf eingerichtet wäre den ausgestossenen Lauten eine Articulation
zu geben, keines von ihnen thut das, keines also spricht in
9) Unter den älteren Beispielen das umfangreichste Oswald v.
Wolkenstein XLI, 11 fgg.
10) Vgl. meine Abhandlung über die epische Poesie im Schweizerischen
Museum für histor. Wissenschaften I (1837), 356 fg.
11) So schon in der ältesten, die wir haben, Bichter IX, 8 fgg.
12) Pfeiffers Germania IV,^ 159.
-13) Altd. Wälder d. Br. Grimm 1, 107 fg. J. Grimm in Haupts Zeitschr.
IV, 511 fg.; vgl. den Eingang des 171sten Märchens. Dsls Accipe, ctocipe,
accipe — Reddey redde, redde — Fuge, fuge, fuge der Gesta Eoman. 20
ist ursprünglich gewiss Mühlradsprache: vgl. die Erzählung derselben
Geschichte in den Deutschen Sagen der Br. Grimm 480.
üeber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 5
Worten: was sie zu sagen haben, dafür passt und genügt auch
der unarticulierte Laut^ Wenn gleichwohl einzelne Vogelarten
durch angebomen Trieb und durch Gewöhnung dazu kommen
die Bede der Menschen stückweis nachzuahmen, so ist das eben
kein Sprechen dieser Vögel selbst, nur gleichsam eine ferne
Vorahnung davon, die uns, wie so vieles im Leben der Thiere,
an das tiefsinnige Bibelwort von dem Sehnen und Seufzen der
Creatur**) gemahnt und dieses Wort mit erläutert. Der Mensch
dagegen giebt mit den Lauten seiner Stimmorgane freilich wohl
auch die blosse Empfindung kund, die auf seiner thierischen
Seite ihn berührt, und giebt sie kund mit Lauten gleich jenen
der Thiere, bald unwillkürlich, wie das neugebome Kind mit
Geschrei und Wimmern ^^), bald wiUkürlich und bewusst, wie
wenn er lacht; die meisten Interjectionen, die man im engern
Sinn Empfindungswörter nennt, sind bloss Naturlaute von solcher
Art. Aber der Mensch hat auch VemuDft, und auch diese
äussert er in Lauten und giebt vermittelst derselben seinen
Begriffen und Gedanken von den Diagen um ihn, von ihren
Thätigkeiten , ihren Eigenschaften, ihren gegenseitigen Verhält-
nissen Ausdruck : nothwendiger Weise und dem gemäss, um was
es sich handelt, verfliessen hier die Laute nicht wie dort ins
Unbestimmte, sondern grenzen sich ab in fester Gestaltung, sie
gliedern, sie articulieren sich^^), sie vereinigen sich in Worten:
hier und so denn wird eigentlich erst gesprochen, hier erst
haben wir Sprache. Schön und bedeutsam ergänzen sich der
alte deutsche und ein griechischer Name des Menschen: Mann
der ihn als den Denkenden, (x^poi]> der ihn als den bezeichnet,
welcher seine Laute gliedert").
„Die Sprache, Mensch, hast du allein." Unter allem, worin
der Vorrang und das Vorrecht des Menschen vor dem Thiere
\14) Köm. VIII, 19 fgg.
15) Daranf zielen niuklahs und nyklakinn, wie das Gothische und
das Altnordische ein neugeborenes Kind und das Kind überhaupt benennen.
16) Eigenthümlich fasst Aldhelm de re grammatica ac metrica (Mai
Classic, auctor. Y, 569) den Ausdruck vox articulata auf: ^artieulaia
hominum tantummodo est dicta, ^quod articulo scrihenti conprehendi
potest
17) Den gleichen Namen führt eine Spechtart, einer der Vogel, die
dem Menschen nachsprechen lernen.
6 Ueber den Ursprung und die Elitwickelung der Sprache.
beruht, ist sie das zuvorderst und am - unmittelbarsten Wahrzu-
nehmende, und er bedarf ihrer auch in höherem Grade als das
Thier: denn ihn erfüllt ein noch stärkerer Trieb zur Geselligkeit,
und weil er geselliger und weil er mit Geiste begabt ist, waltet
auch in ihm ein stärkeres Bedürfnis« nach Mittheilung, nach
geistigem Geben und Empfangen. Diesem Zwecke aber dient
kein Mittel besser als der hörbare Laut, ein Mittel das unter
allen Umständen Anwendbarkeit besitzt, in jeder Richtung wirkt,
am weitesten reicht, am mannigfaltigsten kann ausgebildet
werden. Nur geistige Trägheit, wie die mancher Bewohner des
heisseren Südens ^^), zieht der Lautsprache die armselige Ge-
berdensprache vor, oder man bedient sich einer solchen (und so
geschah und geschieht es namentlich in den Klöstern^®) um
auch da zu sprechen, wo ein hörbares Sprechen verboten ist,
oder um so zu sprechen, dass niemand, der nicht im Geheimniss
der festgesetzten Zeichen ist, es verstehen könne, oder endlich
es ist der Blödsinnige, der Taubstumme, den sein leiblich-
geistiger Mangel von der Wohlthat einer Sprache in Lauten
ausschliesst. Wie aber der Mensch auch sprechen möge, sei es
nur mit Hilfe der Hand, sei es voller, fliessender, allgemeiner
verständlich vermittelst des Mundes^ sei es mit Hand und Mund,
indem das gesprochene Wort noch von einer Geberde begleitet
und bekräftigt wird^^), immer hat er dabei den Zweck geselliger
Mittheilung an einen Andern, und es bleibt dieser Zweck, auch
wo er ein Selbstgespräch führt ^^): da ist er sich selbst zugleich
der Andre und redet sein eignes Ich als ein Du oder alterthüm-
licher redet seine Seele, sein Herz als ein von ihm Verschiedenes
an 2^). Mithin ganz ebenso in der Sprache wie in der Kunst:
18) Altes und Neues der Art stellt Jovio zusammen, Mimica degli
antichi investigata nel gestire Napoletano, Neapel 1832.
19) Ich verweise der Kürze wegen nur auf Du Gange unter Signum 9.
20) Ore et manu, mit handen und mit munden, mit worten und mit
handen: J.Grimms Rechtsalterthümer S. 139; digito et lingua: DuCange
nnter d. W.
21) Ein Selbstgespräch in Geberden schildert Plautus, Mil. glor. II,
2, 27 fgg.
22) Z.B. Psalm CIII, 1. CIV, 1. CXLVI, 1: Lohe den Herrn, meine
Seele! Er. Luc. XII, 19: und will sagen zu meiner Seele ,,Liehe Seele,
du hast einen grossen Yorrath auf viel Jahre: habe nun Buhe, iss, trink
Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 7
auch bei deren Darstellungen ist es stets auf Mittheilung ab-
gesehen, und wäre ein Maler wunderlich genug seine Gemälde
niemand sonst als nur sich zu zeigen, so träte er doch nur
inmier aufs neue mit seiner Einbildungskraft und seiner Em-
pfindung an die Stelle Anderer und würde er jedesmal nur sich
selbst als einen Anderen setzen.
So hoch aber den Menschen seine Vernunft über die Thier-
welt erhebt, wir wissen dennoch, wie er hilfloser beinah als jedes
Thier sein Leben beginnt, und wie wenig er auch fernerhin ver-
mag unmittelbar durch die Kraft und die Geschicklichkeit der
eigenen Glieder sich das Leben zu fristen und es gar zu ver-
schönen: ohne die Liebe der Mutter, das Eind yerschmachtete;
ohne den überlegenen Geist, ohne die WafTen und Geräthe^
welche dieser erfindet, die schwache Hand allein würde dem
Menschen weder Nahrung noch Kleidung noch Wohnung schaffen.
Der Art verhält es sich auch mit seinem Sprechen: was er mit
auf die Welt bringt, sind nur jene unarticulierten Laute, welche
Mensch und Thier mit einander theilen, zuerst nur ein wimmern-
der Schrei des Frostes und des Hungers; und wohl bringt er
auch die Sprachorgane mit, aber nicht die Sprache: Monden
lang, Jahre lang bleibt er ein vt]tcioc, ein infans, ein Nicht-
sprechender, und nur allgemach, erst durch die Nachahmung
Anderer lernt er auch jene Glieder zu dem gebrauchen, wozu
sie geschafTen und gestaltet sind, lernt er mit ihnen sprechen.
Und er empfängt dieses Hauptstück seines geistigen Lebens zu-
nächst und zumeist durch dasselbe Wesen, aus dessen Schoss
und von dessen nährender Brust auch das Leben seines Leibes
zunächst herrührt: darum sagen wir zwar Vaterland, aber
Muttersprache, sinniger als die Römer sermo patrim. Das
Thier bedarf eines solchen Unterrichts nicht: man nehme einen
Vogel noch im Elaum seiner ersten Tage aus dem Nest, er
wird späterhin, ohne dass er Vater und Mutter jemals singen
gehört, dennoch singen wie sie. Die Sprache des Menschen aber
geht nur auf dem Wege einer beständig sich wiederholenden
und habe guthenMuth!'^ So auch P.Gerhardt: ,, Nicht so traurig, nicht so
sehr, meine Seele, sei betrübt/' B. Schmolck: „Sede, sei zufrieden!*' u.a.
Odyss. XX, 18: T^rXaSt öitj, xpaStT]* xal xuvTEpov dcXXo uot' tAr\<z.
8 Ueber den Ursprung und die Ent Wickelung der Sprache.
Vermittelung durch Hören und durch Nachahmen des Gehörten
weiter fort auf Kind und Kindeskind; der Taubgeborene wird
auch stumm, und wären Bomulus und Bemus bei der Wölfinn,
welche sie gesäugt, geblieben, es ist kein Zweifel, sie hätten
dann auch nie lateinisch sprechen, sondern nur mit den Wölfen
heulen gelernt.
In solcher Art denn stehen die Stimmorgane des Menschen
im Dienste seines Geistes, und von der Stunde an, wo das Kind
noch unbeholfen die ersten Worte stammelt, wächst die Sprach-
fertigkeit mit dem Geiste und wächst in unausbleiblicher Eück-
wirkung der Geist mit der Sprachfertigkeit: es ist wie bei der
Kunst und deren Werkzeugen und Mitteln, die auch fort und
fort sich gegenseitig yervollkomnmen. Denken und Sprechen
werden hiemit zu einem und demselben, und während und weil
das Sprechen ein Denken ist, das sich äusserlich hörbar macht,
ist das Denken nur noch ein inneres Sprechen; lebhafteren
Menschennaturen (wir alle kennen dergleichen) begegnet es des-
halb, dass sie nur zu denken vermeinen, wider Wissen und
Wollen aber auch laut genug aussprechen, was sie denken, und
im Drama wird einer Person, die in der Wirklichkeit eher ge-
schwiegen hätte, die ganze Reihenfolge ihrer stillen Gedanken
als Monolog in den Mund gelegt. Diese engste Zusammen-
gehörigkeit, diese Einheit des Denkens und des Sprechens hat
mehr als ein Volk von je her wohl erkannt und ausgedrückt:
^Xdyo^ bezeichnet den Griechen erstlich Rede, dann Vernunft;
umgekehrt besass unser Kode zuerst den letzteren Begriff^*),
und redlich war auf Altdeutsch s. v. a. vernünftig; taub hat
früher auch stumpfsinnig, vTQTctoc auch schwach von Verstand,
dumm im Gothischen s. v. a. stumm bedeutet, und in der
23) Und zwar im Gothischen, wo es, dem lat. ratio noch ganz ähn-
lich, raihjö lautet, mit Beschränkung auf nur eine Veraunftthätigkeit,
die aber zu den wichtigsten und nothwendiger Weise zu den ältesten ge-
hört, auf die des Zählens und des Bechnens : rathjö bedeutet Zahl , Bechnung,
Eechenschaft; so ist auch gerade, althochd. her ad, nur ein Bechnungs-
ausdruck: dagegen althochd. radja, redja, reda befasst in sich den all-
gemeinen Sinn von Vernunft und Verstand, den besonderen von Bechen-
schaft und schon auch den, welchen jetzt das Wort allein besitzt. Der-
selbe Fortschritt der Begriffe bei zala und zeUan: numerus oder ratio und
oratio, numerare und dicere und narrare.
IJeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 9
That, wie gebunden ist der Geist des Tauben und Stummen,
eh seiner Noth die Liebe zu Hilfe kommt und ihn wenigstens
-gleichsam sprechen lehrt ! Den Schatten der Homeriscben Unter-
welt mangelt nicht allein darum die Sprache ^^), weil sie eben
nur Schatten, nur ein traumbildartiger ITeberrest sind (denn
Fleisch und Bein hat der Leichenbrand verzehrt), sondern weil
auch die Kraft des Denkens und das Bewusstsein ihnen mangelt ^^).
Aus dieser Wechselbeziehung der Menschensprache zu dem
Geiste des Menschen wie aus der Erhaltung und Fortpflanzung
derselben durch immer sich erneuendes Lernen geht noch ein
weiterer, der letzte und nicht unerheblichste Unterschied zwischen
ihr und der Sprache der Thiere hervor.
Allerdings sind beide von gleichem Alter, und schon die
ersten Menschen haben ebenso gut gesprochen als in ihrer Art
die ersten Yierfiisser und Vögel. Annehmen, dass eine ganze
längere Beihe von Geschlechtem dahingegangen sei, bevor aus
ihrer Eehle das geflügelte Wort emporstieg, heisst für wahr an-
nehmen, was der griechische Mythus von dem Scheinleben der
Menschen des Prometheus dichtet'^), heisst annehmen, dass sie
noch unvernünftig gleich den Thieren oder doch blöden Geistes
gleich den Taubstummen, dass sie ungesellig und ungesellt,
dass sie unbedürftig einer Darstellung des Angeschauten und
einer Mittheilung desselben, mit einem Wort, dass sie noch
keine Menschen gew^en seien, heisst annehmen^ dass sie den
kunstvollen Bau ihrer Stimmwerkzeuge zwecklos und unbenutzt
gelassen, als hätten sie wohl auch Hände und Füsse gehabt,
aber noch nicht gelernt sie zum Greifen und zum Gehn und
Stehen brauchen, Lungen gehabt, aber noch nicht verstanden
damit' zu athmen. Was anstatt dessen das einzig Bichtige ist,
deijtet uns schon die Mosaische Erzählung von der Welt- und
Menschenschöpfung an^^): „Als Gott der Herr gemacht hatte von
der Erde allerlei Thiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter
dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, dass er sähe,
wie er sie nennete: denn wie der Mensch allerlei lebendige
24) n. xxm, 101. Od. xxiv, 5.
25) IL XI, 392. XXI, 466. XXII, 389. XXIH, 104; Od. X, 494 fg.
XI, 15a. 476.
26) Aeschylus Prom. 444 fgg. 27) Mose I, 2, 19 fg.
lÖ Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
Thiere nennen würde, so sollten sie heissen; und der Mensch
gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und
Thiere auf dem Felde seinen Namen/' Diesem Winke der
ältesten und ehrwürdigsten Geschichtsurkunde gegenüber muss
uns die Frage nach dem Ursprung der Sprache, so viele und
darunter je die gelehrtesten und weisesten sie auch schon be-
schäftigt hat, beinahe müssig erscheinen (Goethe nennt sie so'^),
jedesfalls aber die Antworten, die man darauf zu geben pflegt,
bald verkehrt, bald zum mindesten unbefriedigend. Schon die
ersten Menschen müssen sprechen gekonnt, müssen gesprochen
haben. Nicht zwar, dass ihnen die Sprache zugleich mit den
Sprachwerkzeugen fertig anerschaffen war: warum dann nicht
ebenso ihren Nachkommen P Gott ist seinen Menschen allezeit
gleich gütig gewesen: aber jeder dieser unzählbaren Späteren
hat immer aufs neue, langsam, mühsam und jedesmal so, wie
es gerade von der Mutter her ihm in das Ohr erklang, die
Sprache lernen müssen. Auch nicht, dass sie unseren Ureltem
durch eine göttliche Offenbarung mitgetheilt worden, oder, was
wesentlich dieselbe Meinung ist, nur in unverhüllter gröberer
EigentUchkeit ausgedrückt, dass zuerst Gott ihnen vorgesprochen:
in solchem Sinne ist Gott nicht das Wort; selber das Heiden*
thum hat etwa die Buchstabenschrift^^), nie jedoch die mensch-
liche Sprache als Werk und Geschenk einer Gottheit angesehen;
wir aber wissen nur von einem Feste der Pfingsten mit wunder-
barer Sprachbegabung. Sondern die Sprache ist dutch den
Menschen und ist bereits durch die ersten Menschen geschaffen
worden; auf ihre eigene Schöpfung durch Gott ist alsobald, da
die Hand, welche sie gebildet, gleichsam noch frisch auf ihnen
ruhte und an Leib und Geist sie. leitete, ist alsobald die
Schöpfung der Sprache durch sie erfolgt; wie schon der erste
Baum dieser Welt seine Samenkörner um sich streute, so auch
hat schon die erste Mens(;henmutter den Samen der Bede in den
Geist des ersten Geborenen geworfen, und das erste Eind schon
hat dem Buf seiner Mutter geantwortet, wie das erste Lamm
der seinigen.
28) Aus meinem Leben: Werke XXV (1829), 802.
29) J. Grimms Mythol. S. 136. 310.
Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 1 1
So im Anfange dieser unsrer Welt. Yod da an aber und
seit der Gemeinsamkeit der ersten Schöpfung, was nun die Fort-
entwickelung betrifft, haben sich beide, die Sprache der Menschen
und die der Thiere, in durchaus verschiedener Art verhalten.
Die Empfindungen, von denen die dunkle Seele des Thieres
bewegt^ die Triebe, von denen es bei all seinem Thun und
Lassen geleitet wird, bleiben unwandelbar durch alle Jahrtausende
hin dieselben und ebenso unwandelbar die Laute, in denen es
seine Empfindung äussert: gleich wie die Biene von heut die
Winkel ihrer Zelle noch genau so misst, wie die erste, die auf
Honig ausflog, bellt auch der Hund von heute noch ebenso wie
jener, von dem ein alter Bathselscherz sagt, dass ihn die ganze
Welt habe hören können*®). Wesentliche Einwände hiegegen
sind es nicht, wenn das feiner aufmerkende Ohr und der Nach-
ahmungstrieb einzelner Thierarten vorübergehend eine Art von
Bewegung in diesen vieltaiisendjährigen Stillstand bringt, wenn
Hunde, mit denen man sich häufiger, auch sprechend, abgiebt,
ein mannigfaltiger beredtes Bellen entwickeln oder die Finken
eines Waldes von Zeit zu Zeit die Melodien wechseln, weil einer
aus der Genossenschaft irgendwo sonst etwas neues gelernt hat.
Diese Thatsachen werden nicht zu bestreiten sein: aber auch die
steht fest, dass mit aller Beredtsamkeit einzelner Individuen das
Hundegeschlecht insgesammt noch um nichts weiter in seiner
Sprache gelangt ist, und dass die Finken nach jeder neuen
Mode des Schiagens doch alsobald wieder in ihre altgewohnte
Nationalart fallen.
Ganz anders der Mensch und seine Sprache. Diejenigen
Laute, deren Anlass er mit den Thieren theilt, solche mit denen
auch er nur eine augenblickliche Empfindung des Leibes und
der Seele kundgiebt^ diese freilich ändern sich ebeofalls mit
keiner Zeit: das zu jüngst geborene Kind sehreit, wie bereits
Abel geschrieen, und wie jetzt wir, hatte man schon vor zwei
Jahrtausenden in Bom die Ausrufungen ah und ahah und o,
hui und phy, hei und hem, eia und ohe, hahahe und vae. Die
eigentliche, Menschensprache jedoch, in der sich Begriffe hörbar
verkörpern und die durch Lehren und Lernen sich fortverpflanzt,
30) Freidank 10940 fg. derTannhauserin v.d.Hagens Minnesingern II, 97 b.
12 Ueber den Ursprung und die £ntwickeliuig der Sprache.
die somit von Geist auf Geist gleichsam immer aufs neue ge-
schaffen wird, sie schreitet f(»rt, wie von Geschlecht zu Geschlecht
der Geist fortschreitet; sie bewegt, sie entwickelt sich, wie der
Geist des Einzelnen, des Volkes, der Menschheit in unablässiger
Bewegung sich entwickelt; sie hat ihre Wandelungen gleich und
mit dem Menschen, sie hat eine Geschichte wie die Völker. Und
diese Verschiedenheiten liegen nicht bloss in chronologischer
Folge hinter einander da, sondern zugleich als ein Gegenstand
synchronistisch -ethnographischer Betrachtung neben einander:
jegliches Volk hat seine besondere Sprache, und die besondere
Sprache ist das Hauptmerkmal der Nationalität'^): unser Alt-
deutsch kann deshalb spräche und zunge, das Mittellatein sammt
dem Romanischen ebenso Unfftui geradezu auch im Sinne von
Volk gebrauchen'*).
Sehen wir uns jedoch vor, eh wir diese Mannigfaltigkeit
der Sprachen für eine uranfangliche halten'') um aus ihr einen
Beweis zu entnehmen für die Abstammung der Menschheit von
mehr als einem Eltempaare. Die Forschung erlauscht inmier
mehr Zusammenklang zwischen den einzelnen Sprachen und
Sprach&milien, z. B. eben jetzt zwischen der indogermanischen
und der semitischen'^), und nachdem das Mittelalter wahrschein-
lich aus Anlass einer Evangelien stelle '^) noch siebzig oder
zweiundsiebenzig verschiedene Sprachen angenonmaen '*), führt
31) An spräche, an mäze und an gewande Ist underscheiden lant
von lande; Der wertde dinc stH überal An spräche, an mäze, an teäge,
an zal Renner Z. 22212 fgg.; darnach der Spruch in Eschenburgs Denk-
mälern S. 423.
32) Spräche Helbling XV, Jßl. Zunge Hartmann v. Aue in d. Minne-
sanges Frühling 218, 18. Walther v. d. Vw. 10, 3. 41, 18? 67, 17?
Meissner Minnes. III, 102 b. Gute Frau Z. 1281; von lande ze lande, von
Zungen ze zungen Augsb. Stadtrecht S. 57. — Lingua, langue u. s. w.
8. Du Gange unter jenem Worte.
33) Wie Aelian, indem er die verschiedenen Sprachen der Menschen
den Stimmen der verschiedenen Thierarten gleich steUt: Hist. animal. V, 51.
34) Bud. y. Raumer in seinen gesammelten sprachwissenschaftL
Schriften (1863) S. 460 fgg.: Die Urverwandtschaft der semitischen und
indoeuropäischen Sprachen.
35) Luc. X, 1.
36) Seit der Babylonischen Trennung siebzig Sprachen: z. B. Anno
Z. 161; zweiundsiebenzig: z. B. Wolframs Wilh. 171, 22. v.d.Hagens Minne-
Ueber den Ursprung und die £ntwickelnng der Sprache. 13
nunmehr sie die bunt wechselnde Menge mit solcher Gewissheit
auf immer weniger und immer einheitlichere Gruppen zurück,
dass im entlegensten Hintergrunde wohl eine einzige Ursprache
denkbar wird, denkbarer als noch vor kurzem erscheinen durfte.
War doch bei dem Beichthum an gleichbedeutenden Worten, der
aller älteren Sprachgestaltung eigen ist'^), Zeug genug da um
von noch so viel Kindern, die aus dem Elterlichen Hause schieden,
jedem seine Aussteuer zu fernerer eigner Haushaltung, sein
Pfund zum Wuchern mitzugeben. Somit wird einsti/lreüen auch
für diesen Funkt die Mosaische Darstellung^^) das Sichtige
treffen, welche die Theilung der Sprache erst geraume Zeit nach
deren Schöpfung geschehen lässt und sie unmittelbar in Ver-
bindung bringt mit der ersten Theilung der Menschheit in ver-
schiedene Völker. Volk und Volk, das aber ist im Sinne des
Alterthums ebenso viel als Feind und Feind: die gesellige Natur
des Menschen hatte die Sprache zuerst mit ins Leben gerufen,
feindselige üngeselligkeit zersplitterte sie. Selbst den, der über
all der Spaltung als die unwandelbare und untheUbare höchste
Einheit steht, und dessen sich die Völker von Anfang an als
ihres Schöpfers und des Lenkers ihrer Geschicke sämmtlich be*
wusst sind, nennt doch beinah ein jedes anders, und sogax solche,
deren Sprachen im Uebrigen enger verwandt geblieben, weichen
doch in der Namengebung für ihn auf das mannigfachste ab.
Zwar die Gelten sagen duw, die Römer deus, die Litthauer
diewas, wie es im Sanskrit dSvcis heisst, von einer Wurzel div
s. V. a. glänzen, die Griechen aber (ihr Ausdruck klingt jenen
ähnlich und ist doch davon verschieden) ^eoc d. 1. der Schaffende,
Binger I, 6 b; gleichbedeutend damit 72 Lande oder Königreiche : Leseb. I,
965, 10 u. B. w. S. Oswald Z. 198 u. s. w. Orendel 116 n. s. w. So
auch 72 Namen Gottes d. h. je einer aus jeder Sprache: Uhlands Volks-
lieder S. 816. 821. Das Gedicht von K. Rother Z. 2556 u. s. w. lässt
noch aus der Wüste Babylonia 72 Könige kommen. Ein bedeutsam er-
fundenes Gegenstück zu diesen 72 Terschiedenen Sprachen ist die bekannte
Sage von den 72 oder genauer (vgl. Luc. X, 1) zweimal 86 Hebräern, die
von einander getrennt und dennoch alle übereinstimmend das Alte Testa-
ment ins Griechische bringen.
37) Belege aus dem deutschen Gebiet die skaldischen Synonymenver-
zeichnisse in der Edda Snorra, Reylgavik 1848 S. 96 fgg. 222 fgg.
38) Mos. I, 11, 1—9.
t4 Ueber den Ursprang und 'die Eutwickelnng der Sprache.
der Waltende, von ri'^svat'^), die Slaven hog d. i. der Verehrte,
endlich wir vom Germanenstamme Gott, und wie schdn haben
damit bereits unsre heidnischen Väter das Wort des Herrn ge-
troffen „Niemand ist gut denn der einige Gott*^):" denn Oott
kann nur s. v. a. gid bedeuten*^).
Wir kommen zurück auf die geschichtliche Entwickelung
der Sprache. Diese in ihren Fortschritten nimmt einen Gang,
der ebenso auf- und abgestuft ist wie die leiblich-geistige Ent-
wickelung Mes Menschen: überall, mögen wir nun auf einzelne
Völker, mögen wir auf ganze Völkerfamilien, mögen wir auch
auf die gesammte Menschheit blicken, überall in der Sprache
dasselbe allmähliche Zurückweichen der leiblichen, sinnlichen,
bloss materiellen und dasselbe stets breitere Vordringen der
geistigen Eraft, das wir nach der Jugend am Mannes- und
Greisenalter gewahren; wie hier so dort ein Umschlag aus der
zuerst gleichmässigen Wechselwirkung beider in ein Wirken fast
nur von der einen, der geistigen Seite her. So liegt der Weg
namentlich in dem grossen Gebiet der Indogermanischen Sprachen-
familie vor uns, derjenigen die den längsten Verlauf mannig-
fachster Beurkundung vor den andern voraus hat, deren weit-
geschlagener Kreis gerade auch jene drei Völker in sich schliesst,
die in der Beherrschung der Welt und der Weltgeschichte
einander gefolgt sind, die Griechen, die Römer und zuletzt und
zumal den Germanischen Stamm mit seinen schon anderthalb
Jahrtausenden voll mundartlicher Entwickelung und voll von
Litteratur all dieser Mundarten.
Freilich bis in die Jugend und gar bis in die Kindeszeit,
bis dahin zurück, wo die Schöpfung der Sprache noch in dem
ersten vollsten Triebe stand und der unterste Grund zu ihr ge-
legt ward, reicht weder bei uns noch irgendwo sonst innerhalb
des ganzen Stammverbandes die litterarische Beglaubigung. Und
39) 0{>T» Zeu« äett) Odyss. VIII, 465. XV, 180 wie auf deutsch
Das walte Oottl Tt^^vat mit unserem thun von einer Wurzel.
40) Matth. XIX, 17. Marc. X, 18. Luc. XVIII, 19. Vgl. Du bist
genant der guote got Haupts Zeitschr. IV, 539: thes lihbiendies göden
godes H^liand 155, 7, got der guote M&rtm, Gregorius 748. 757. Nib.
1043, 3 u. a.
41) J. Grimms Deutsche Mythologie S. 12. 176.
Ueber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache. 15
dennoch besitzen wir die Möglichkeit uns auch von jenen Ur-
zuständen und ürvorgängen eine Vorstellung zu bilden, die fnr
alles Hauptsächliche mit Gewissheit zutrifft. Es giebt nämlich
(und wir treten hiemit auf andren, dem Indogermanischen fremden
Boden), es giebt Sprachen, die ganz oder beinahe ganz ohne
weitre Entwicklung gleich im Anfange stehn geblieben sind, die
bereits Jahrtausende zählen, aber heut noch eine Gestaltung
zeigen, wie sie nur zu der frühen, ja zu der frühesten Jugend
passt, noch gleichsam den ürboden ohne Flötz und ohne Auf-
schwemmung. Einmal die sogenannten isolierenden Sprachen
(auch der Name analytisch wäre passlich)^ die ohne irgendwelche
Aenderung durch Flexion u. dgl. vorzunehmen und damit die
Wechselbezüge der Begriffe erkennbar zu machen lediglich
Wurzel auf Wurzel und alle nur von einer Sylbe folgen lassen:
Hauptbeispiel der Art das Chinesische und zugleich ein Haupt-
beleg, wie wunderlich bei diesem Volke die ünbeweglichkeit mit
dem Fortschritt sich verbindet. Sodann die Sprachen, welche
man agglutinierende, anfügende nennt. Auch hier noch erfahren
die Wurzeln selbst keinerlei Wandelung: schon aber wird ein
Versuch zur Synthesis gemacht: denn ein Theil der Worte,
Pronomina und Partikeln, treten in eine untergeordnete Stellung
zurück um sich, voran oder hintennach gesetzt, an die begriffs-
volleren, die Verba oder Nomina, anzulehnen. Von dieser Art
z. B. die Sprachen der Tataren; mit ihnen ist, während jenes
isolierende Sprechen noch durchaus kindlich erscheint, darüber
der Sprachgeist schon hinaus gelangt, innerhalb der Jugendzeit
aber steht er auch so noch. Nicht anders nun dürfen wir uns
den Beginn auch derjenigen Sprachen denken, die den Gang der
Entwickelung weiter fort und bis zu Ende geführt haben, für
die jedoch bloss die späteren Fortschritte litterarisch- belegt und
urkundlich nachweisbar sind, den Beginn all der hauptsächlichen
Sprachen der Welt und so auch unsrer indogermanischen. Noch
wie diese in ausgereifter Gestaltung vor uns stehen, zeigen sie
uns so vieles, was die deutlichste Nachwirkung ebensolch einer
Jugend ist, dass wir schon daraus allein und auch ohne die
willkonmiene Ergänzung^ welche die isolierenden und die an-
fügenden Sprachen bieten, auf Anfänge der Art zurückschliessen
könnten, zurückschliessen müssten. Wohl ist Pallas Athene gleich
in der ganzen Vollendung ihrer strengen Schönheit und mit all
16 Ueber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache.
ihren Waffen angeihan aus dem Haupte des Zeus hervor-
gesprungen: welche Vorstellung auch wäre eine kindliche Pallas!
Aber die Sprache des Menschen, deren Geburtsstätte nur das
menschliche Haupt ist, hat auch ihr Leben nur wie ein andres
Menschenkind begonnen, mit den Mängeln der ünbeholfenheit,
mit den Beizen der Nai?etät.
Suchen wir uns jetzt von diesem Jugendalter der Sprache,
das neben und vor der Kindheit zugleich die Schöpfung, die
erste Entstehung derselben in sich schliesst, mit wenigen
schnellen Zügen und solchen, die nur geringeren Baum in An-
spruch nehmen, ein Bild zu entwerfen.
Wie im Kinde und noch im Jüngling der leibliche und der
geistige Theil das rechte Ebenmass des Zusammenwirkens noch
nicht gefunden haben, das Leibliche noch vorwaltet, der Geist
noch unter dessen Einflüsse steht und nur allmählich sich dem
entzieht und flücke wird, ganz so in der Sprache, die erst be-
ginnt: auch hier ist Körperlichkeit, ist Sinnlichkeit, ist eine.
Phantasie, die Alles in sinnlichster körperlichster Weise an-
schaut, das herrschende Merkmal. Der Nachahmungstrieb, der
mit in der geselligen Natur des Menschen wurzelt und der nach
Aristoteles treffender Bemerkung**) den ersten Anstoss zu der
Kunstthätigkeit desselben gegeben hat, kaum doch führt er
schon jetzt zur Kunst, zu bildender Kunst: um so ungetheilter
kann er und kann die Phantasie sich auf die Schöpfung und
Gestaltung der Sprache richten, der Sprache, die neben der
Kunst das andre und so schon das älter geübte Vorrecht des
Menschen ist. Und es fehlen zu solchem Wirken nicht die
Mittel: noch sind die Laute alle so rein und bestimmt^ dass die
nachahmende Einbildungskraft sie wohl gebrauchen mag um
allem und jedem, was den Menschen umgiebt, einen Namen zu
finden, der es malerisch darstelle. Wenn es Wange, wanken,
wälzen, weben, wehen, Welle, winden, Woge heisst und dem
gegenüber Stah, Stamm, starr, stechen, stehen, steigen. Stein,
Stock, Stumpf, wenn also w das Bunde, das ««reiche, das Be-
M^egte, st das Aufrechte, das Harte, das unbewegt Buhende aus-
drückt, wie eben deshalb «^ schon allein der uralte Befehl des
42) Poet. IV, 1.
Üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache» 17
Stillschweigens ist*®), wer empfände in solchen Fällen nicht
heute noch die treflfende Passlichkeit der Lautgebung? Derselbe
Trieb mithin, der die bereits gegebene Sprache fortverpflanzt, der
Nachahmungstrieb giebt sie auch zu allererst und pflanzt sie.
Für das Bewusstsein aber der Sprechenden selbst besteht zwischen
der sprachlichen Nachahmung und deren Gegenständen kein
wesentlicher Unterschied; die Sache wird von dem Worte dafür,
das Ding von seinem Namen so vollständig gedeckt, dass beide
in einen und denselben Begriff zusammenfliessen: gerad diese
Ausdrücke Ding und Sache und das verschollene rahha haben
noch im Mittelalter die eine wie die andere Bedeutung**), des
fiures name ist ebenso viel als das einfache fiur^% und das
lateinische res die Sache kommt von der griechischen Wurzel
peo ich sage. So ist auch jener Zeit noch alle Uneigentlichkeit
und blosse Bildlichkeit der Bede fremd: wenn das altdeutsche
Hut d. h. Volk von liudan, dem gothischen Worte für das
Wachsthum der Pflanzen, stammt und auf Althochdeutsch und
Gothisch ferah Leib, firahu Mensch, firahi Volk, fairhvus Welt
bedeutet, dies alles aber in seiner Wurzel eins ist mit fereha
Eiche, dem lateinischen qtierciis^^), so hat das ursprünglich die
Menschen mit den Bäumen nicht bloss seitab und vergleichungs-
weise zusammenstellen, sondern auf Grund bekannter Mythen
sie als solche bezeichnen sollen, die wirklich und in der That
einst Bäume gewesen, aus Bäumen geschaffen, in Baumesgestalt
gewachsen seien, wie das griechische Xa6<; sie der Sage von
Deukalion wegen Steine nennt*'). Und noch weniger als mit
43) Von den romanischen Sprachen mit Ungeschick zu einem ganzen,
ja zweisylbigen und selbst der Morierung fähigen Wort erweitert; franz.
chut, Span, chito, ital. zitto und weiblich zitta.
44) Die beiden ersten insofern sie auch die Besprechung einer Rechts-
sache bezeichnen; das gpthische Zeitwort sakan, althochd. aahhan ist ntir
s. y. a. litigare. Vgl. althochd. chdsa (aus lat. causa) Kechtshandel und
Gespräch, chösön sprechen.
45) Haupts Zcitschr. VI, 299.
46) Fereha: s. Graffs Althochd. Sprachschatz III, 385. QuercuSf wie
querquetum zeigt, s. v. a. querquus. Auch PercunaSf der litthauische
Name des Donnergottes, gehört hieher: man kennt den überall geltenden
Bezug der Eiche zu dieser Gottheit.
47) Haupts Zeitschr. VI, 15 fgg. Das althochd. und altsächsische
liutstam (Volk) enthält jene mythische Bezeichnung sogar doppelt; wir in
unserem Volksatamm spüren davon nichts mehr.
Waekemag0l, Schriften. IIL 2
\% Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Spraehe.
abgeblasster Bildlichkeit wird Jetzt schon irgend ein Gegenstand
mit Abstraction ergriffen : denn noch hält der reflectierende Ver-
stand sich zurück, und es ist die schaffende, wiederschaffende
Phantasie, die eben Allem voransteht. Die Phantasie ist aber
wesentlich ein inneres Sehen: darum geht die Sprache, indem
sie jetzt den Grundstock ihres gesammten Schatzes an Worten
herausstellt, an Worten d. h. an Begriffen die ihre Gestalt zwar
für den edlen Sinn des Gehöres empfangen haben, sie geht doch,
was deren Gehalt betrifft, überall zimächst auf die Wahrnehmungen
des noch edleren Sinnes, des Gesichtes, und erst von da aus,
übertragungs weise auch auf die der andern: auch das Gehörte,
das Gefühlte u. s. w. fasst sie auf als ein Gesehenes: ich er-
innere Beispiels halb an (fdoQ und (fd^ai, an Itix und loqui, für
das Deutsche an hell und grell und dunkel, die sämmtlich zu-
erst von dem Licht und der Farbe gelten, an unser taeich, das
von weichen, an süss, das von säzen kommt und eigentlich s.v.a.
ruhig ^^), an riechen, das eigentlich rauchen bedeutet: wiederum
hier in der vordersten Linie lauter Sichtbarkeiten. Selten und
nur in bescheidenstem Mass und fast unmerklich knüpft die
Schöpfung der Worte an gegebene Laute an, wie wenn es Mund,
Zahn, Zunge, Gaumen, Kehle heisst, diese Glieder und Leibes-
theile also gleidii im Beginn mit Gonsonanten bezeichnet werden,
die von ihnen ausgehn. Wirklich als Abweichung aber und als
Ausnahme sind solche Fälle zu betrachten, wo der Mensch auch
Laute, die aus der unvernünftigen und unbelebten Welt her an
sein Ohr gelangen, wo er Naturlaute unmittelbar und lediglich
nachahmt, wo er. z. B. von dem Frosche sagt, dass er quake,
von der Katze dass sie maue, von dem Huhne dass es gackre
und gluckze^^); dergleichen onomatopoetische Worte sondern sich
meist auch dadurch von allen übrigen ab, dass sie eben wie jene
Ausdrücke bloss der Empfindung, die der Mensch mit dem
48) In der gothischen Form sutiy die sich noch unmittelbar an sitan
anschliesst , während das althochd. suozi denselben» Fortschritt der Yo-
calisiernug zeigt wie das griech. rfi^^ und das lat. södes (ein Ausdruck
der unserm veralteten lieher vor Imperativen zu vergleichen ist) und sitddus,
sudvis zu E^cOy avISavco, aedeo. Noch weiter geht althochd. aiuza, sioza,
siaza, angelsächs. seote stabulum, präedium: J.Xxrimm in Haupts Zeitschr.
II, 5 fg. Graffs Sprachfleh. VI, 307 fg.
49) Siehe Beilage I.
üeber den Ursprung und die £niwickelung der Sprache. 19
Thiere gemein hat, unfruchtbar für die fernere Sprachentwickelung
bleiben: es sind das keine Wurzeln, aus denen noch etwas
wächst. Das Sehen wird also auf das Gebiet der anderen Sinne/
noch um einen Schritt weiter wird es auf die ganz unsinnlichen
Begriffe der Zeit übertragen: alle Zeitanschauungen sind zuerst
Anschauungen des Baums und der Bewegung in demselben:
gleich die Namen der drei Abstufimgen Vergangenheit, Gegen-
wart^^) und Zukunft haben eigentlich keinen andern Sinn als
diesen räumlichen: wir freilich denken daran nicht mehr. Ich
habe gesagt „d^^ Bewegung im Baume ^^: nämlich auch das ge-
hört zu den Hauptmerkmalen der ersten Sprachschdpfung,/ dass
sie voraus die Bewegung, die bewegte Thätigkeit ins Auge fasst.
Die Worte hiefür, die Zeitwörter, machen deshalb in ihr den
Anfang, und dann erst kommen, auf sie begründet, die übrigen
Wortarten: ein Yerhältniss, das bereits die Grammatik des
dassischen Alterthums wohl verstanden hat und treffend aus-
drückt, indem sie diesen Bedetheil §%\kOL oder verbum, ihn also
vorzugsweise das Wort nennt; die chinesischen Grammatiker
sagen, auch nicht uneben, „lebendiges Wort". Und diese Ur-
wörter bezeichnet ganz besonders eine Eigenheit: während näm«
lieh in Urnen der Wurzelvocal noch keinerlei Aenderung erleidet,
pflegt eben derselbe späterhin, wo die Gonjugation auch andere
Laute neben ihm entwickelt, dem Tempus praeteritum zuzufallen,
und es weisen z. B. nur die Imperfecta rann und trieb noch die
ursprüngliche Wurzelform von rinnen und treiben auf: schliessen
wir hieraus zurück, so sind die Zeitwörter (wir können diesen
Schluss mit genügender Sicherheit thun) im Anfenge stets nur
erzählend gewesen. Wirklich auch tritt Bewegung und Thätig-
keit am unmittelbarsten da vor Augen, wo man erzählt, wo man
von Ereignissen redet, die eines nach dem andern vergangen
sind, und dass Erzählung den nächst natürlichen Inhalt alles
50) Denn die althochd. Adjectiva gaganwarti und antwert, antwart,
antwurtif goth. andvairth, wovon die Substantira gaganwerti, gaganwurH,
oHtumr^i, andvairthi, beruhen in ihrem zweiten Theile, dem auch sonst
gebrauchten Adj. wert oder vairth, unserem wärts, auf dem Zeitwort
werden {werdan, vairthan), das ursprünglich denselben Raum- und Be-
wegnngsbegriff der Bichtun^ gehabt wie im Lateinischen vertere. Eben-
solche Bildungen im Gothischen und Althochd. für die Bezeichnung des
Zukünftigen: anavairth, anawert, anawart.
2*
20 lieber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache.
Sprechens macht, darauf deuten schon Worte wie im Griechischen
?7co<;, piO^oc, Xoyoc, im Mittelalter rede und jetzt noch Sage hin,
die sämmtlich auch den Sinn der Erzählung in sich aufgenommen
haben *^). Gegenüber den Verben, den lebendigen Worten,
werden die Substantiva ?on der chinesischen Grammatik todte
Wörter genannt, ebenso passlich, nur in anderer Art, als wenn
unsre Puristen „Hauptwort*^ sagen: mag sich immerhin an
solchen Begriffen das Leben nicht in der gleichen Bewegtheit
zeigen, es wohnt auch ^n ihnen, oder wenn sie an sich auch
wirklich leblos sind, die schöpferische Phantasie belebt sie
dennoch: denn dass sie in der Sprache auch todten Dingen ein
Geschlecht giebt und sie bald männlich, bald weiblich benennt,
geschieht ja nur, indem sie dieselben sich als Thiere vorstellt
oder noch lieber als Personen*^). Endlich, was uns jetzt für
die Verbindung der Worte zu Sätzen unentbehrlich dünkt,
irgendwelche Flexion der Verba und der Nomina, sei sie auch
noch so dürftig, ist in dieser Anfangszeit noch nicht vorhanden:
Person, Numerus, Tempus, Modus, Casus, für alles das treten
Pronomina und Partikeln ein und stellen sich, wie das vorher
schon ist angegeben worden, entweder als Worte gleicher Geltung
mit in die Beihe der übrigen Wurzeln oder ordnen sich unter
und heften sich seitwärts enger an dieselben an, oder aber es
braucht die Sprache noch naivere Mittel und bezeichnet z. B.
die Vollendung einer Thätigkeit, die Vielzahl einer Substanz und
sonstwie jegliche Steigerung eines Begriffes durch Wiederholung
des Ausdrucks, durch Gemination. Bei solch einer Satzbildung
musste sich, namentlich auf der untersten noch Alles gleich
isolierenden Stufe ein Sprechen von ganz ähnlicher Art ergeben,
wie einst die Dichtkunst ihre Verse bilden durfte, in lauter
Hebungen ohne Senkung dazwischen: freilich ein noch höchst
unvollkommener Rhythmus, und dennoch wird, frisch und hell
und voll wie die Laute eben erst dem Brunnen der Schöpfung
entquollen waren, das Sprechen jetzt viel eher noch ein Singen
gewesen sein, zwischen Singen und Sprechen kaum schon ein
Unterschied bestanden haben (eine Bückahnung davon noch in
51) Sage: Geschichte d. Deutschen Litteratnr 8.39; rede: ebd. S. 145;
zeUan sagen und erzählen: oben Anm. 23.
52) Pfeiflfers Germania IV, 129 fg.
üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 21
der Folgezeit, wenn sie singen und sagen gern in gleicher Be-
deutung mit einander und eines für das andere braucht^') und
ebenso wenig schon ein Unterschied zwischen Poesie und sonstiger
Darstellungsweise: wie Leben und iSinnlichkeit und anschaulichste
Nachahmung jedes Wort erfüllte, war die ganze Sprache Dicht-
kunst.
AllmäUch jedoch reift sie aus solcher Jugendlichkeit in das
Mannesalter hinüber: das sinnliche und das geistige Element
finden ihr Gleichgemcht, das sich aber je mehr und mehr in
ein Uebergewicht des letzteren neigt; neben die Phantasie und
vor dieselbe tritt die zartere Empfindung und tritt der Verstand,
und dem sinnlich angeschauten gesellt sich um es gemach zu-
rückzudrängen das seelisch empfundene, dem Goncreten das
Abstracto bei. Diess nun ist die Stufe, die einerseits von den
Indogermanischen Sprachen mit ihren einsylbigen, andrerseits
von den Semitischen mit Wurzeln eingenommen wird, die wenn
auch nicht zu wirklicher Zweisylbigkeit, doch jedesfaUs in anderer
Art der Gestaltung als die indogermanischen erwachsen sind.
Nicht so, dass diese oder jene sämmtlich denselben Platz be-
haupteten: sondern wie das Hebräische von seinen jüngeren
Schwestern sich dadurch unterscheidet, dass es noch zu einem
guten Theil in den Eigenheiten der früheren bloss agglutinieren-
den Zeit befangen ist, so hat auch der indogermanische Stanun
seine mannigfach weitere Gliederung und Abstufung, und dem
strengen Ebenmass, der Einfachheit und auch schon der Ver-
armung gegenüber, die z. B. das Gothische zeigt, steht am
äussersten Ende dieser Reihe das Sanskrit da, das auch den
geringsten Eeim nicht unentwickelt gelassen, das in üppigster
Fülle, schwelgerisch, verschwenderisch Laub und Blüte und
Frucht getrieben und gezeitigt hat. Indess, wie grosse Ver-
schiedenheiten sich auch sonst erweisen, all diese Sprachen sind
im Gegensatze zu jenen isolierenden und bloss anfügenden nun
flectierende, sind nicht mehr analytisch, sondern sie, und zwar
die indogermanischen auf das vollkommenste, synthetisch, und
sie sind das geworden durch Weiterbildung jener früheren Zu-
stände : die Pronomüla oder Partikeln, welche dort noch in voller
58) Geschichte d. Deutschen Litteratur S. 19. 62 fg. 147.
#
22 lieber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
Selbständigkeit dem Verbum und dem Nomen Hilfe leisteten
oder sich nur, noch immer ablösbar, an deren Wurzelform
hängten, sind hier an dieselbe fest heran, ja in sie hinein ge-
wachsen, und es drückt nun eine oft ganz unscheinbare Endung
oder ein blosser Wandel des Wurzelvocales kürzer und durch
die grössere Kürze nur noch bestimmter all die Verhältnisse der
Thätigkeiten und der Eigenschaften und der Substanzen aus,
die bisher bloss mit der schwerfälligsten Wörterhäufung auszu-
drücken waren: ein einziger Laut genügt um das Medium und
Passiv vom Activum, den Conjunctiv vom Indicativus, den Dual
vom Pluralis, den Locativ und den Instrumentalis von den
übrigen Fällen der Declination zu unterscheiden. Und diese
Verschmelzung der früher gesonderten Redetheil^ diese mass-
volle Verkürzung alles dessen, was nur Mittel, nicht Inhalt und
Gegenstand des Sprechens ist, greift überall hindurch: Worte,
die früher bloss neben einander gestanden, werden nun gelegent-
lich in eines zusammengesetzt, und aus der Gemination, der
vollständigen Wiederholung desselben Ausdruckes, wird nun die
unvollständige, nur noch halbe, die unsre Grammatiker, nicht
eben genau, Beduplication benennen. Gleichwohl verschwinden
jene untergeordneten Wörter keinesweges: so mannigfach aus-
gebildet die Flexion auch ist, sie reicht für das Bedürfiiiss doch
nicht hin, und es entwickelt sich noch neben ihr eine immer
grössere, immer feiner unterschiedene Fülle selbständiger Par-
tikeln und Pronomina und welcherlei Worte sonst an gleicher
Art nur zur Beihilfe dienen. Alles das, damit die Sprache be-
fähigt sei jeden Gedanken mit Deutlichkeit, jede Empfindung
mit weicher Schmiegsamkeit vorzutragen; alles das, weil solche
Deutlichkeit und Geschmeidigkeit nun ihr Character geworden ist.
Schon aber beginnt, und von Jahrhundert zu Jahrhundert
nimmt sie zu, eine Gleichgültigkeit der Sprechenden gegen den
eigentlichen Sinn und Gehalt der Wursreln wie dör Bildungs-
mittel, das Bewusstsein, was diese Laute, diese Worte eigentlich
bedeuten, erlischt, und in demselben Maasse, als der Ausdruck
der ganzen Gedanken klarer wird, trübt sich die Durchsichtig-
keit des Ausdruckes der einzelnen Begriffenes werden zum Bei-
spiel zahlreiche Zusammensetzungen durch schwächende Auf-
fassung ihres zweiten Theiles zu dem, was in der Grammatik
nun Ableitung heisst, und in den Ableitungen von steigerndem.
üeber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache. 23
und verkleinerndem Sinne häufen sich die bezeichnenden Laute
schrittweis einer auf den andern, damit dieser Sinn, nachdem er
sich immer wieder verwischt hat, immer wieder erkennbar werde :
so ist unser Bächelchen dreifach verkleinert^*), das lateinische
postremus vier- oder gar fünffach gesteigerte^). Denn derselbe Geist,
dem früher inmitten all der sinnlich belebten Anschaulichkeiten
so heimisch wohl gewesen, ist jetzt darüber hinaus und empor
gewachsen zu stets höherer Erkenntniss, höheren Bedürfnissen;
es giebt nun Poesie und Prosa, wie sich gleichmässig der Ge«
sang mit Entschiedenheit vom Sprechen trennt: aber sogar für
die Poesie taugt die Sinnlichkeit des Ausdruckes nur noch als
Gleichniss und als uneigentliche Bede, nur noch in solcher
matteren Abspiegelung: sie selbst, iju^er ganzen wahren Fülle
nach, muss aus der Sprache in die bildende Kunst sich hinüber«
flüchten, die jetzt ersteht um mit anderen Mitteln zu leisten,
wozu die Sprache nicht mehr befähigt ist.
Und noch Anderes übt auf die neue Bichtung einen be-
stimmenden und verstärkenden Einfluss aus. Auf dieser zweiten
Stufe der Sprache wird zugleich die Schrift für. sie erfunden.
Die Schrift, die Buchstabenschrift;: wie unempfindlich wird doch
der Mensch gegenüber dem Grossen, dessen er gewohnt ist ! Den
Telegraphen, der im Nu den weitesten Baum überspringt und
die sprachliche Mittheilung auf das geringste Zeitmass verkürzt,
staunen wir deshalb noch täglich an: über die Schrift verwundert
sich der Mensch schon längst nicht mehr, und doch, wie sie die
Mittheilung auf eine Unendlichkeit der Zeiten ausdehnt und mit
den Jahrtausenden sie fort und fort durch den Baum und in
immer entlegenere Fernen trägt, mangelt wahrlich auch dieser
so viel älteren Erfindung die wundervollste Grossartigkeit nicht,
und sie zuerst ja hat, was hier von Allem das Wesentlichste
und auch für den Telegraphen stets noch die Hauptsache ist,
den Laut, den das Ohr vernimmt , in ein Bild für das Auge, in
ein Zeichen imagewandelt. Nachdem aber diess geschehen war
und sich der Sprache zur Seite die Schrift gestellt, da erst be^
54) Mit el althochd. il, mit ch ahd. ihh, mit en ahd. in.
55) Mit s, mit t, mit r, wiederum mit s (demi nur der Ausfall eines
solchen dürfte das lange e erklärlich machen) und mit m: Grundwort
ist pone.
24 üeber den Ursprung und die Kntwiekelun^ der Sprache.
gaun denn auch die eigentliche Litteratur, und es traten damit
an die Sprache neue Forderungen heran und mann^altige tief
greifende Einwirkung: eine Thatsache, die weder des Beweises
noch der weiteren Ausführung benöthigt ist. Zwar dürfte viel-
leicht jemand vermeinen, durch die Fassung in Schrift werde
die Sprache sofort auf den Fleck festgebannt, auf welchem sie
gerade stehe, und allem Fortgange sei damit Einhalt gethan:
die Erfahrung jedoch widerspricht dem aufs bestimmteste: sie
lehrt ims, dass Sprachen vielmehr dann erstarren, wenn sie nie
bis zu einer wirklich litterarischen Ausbildung gediehen oder
derselben nach früherem Besitze wieder verlustig gegangen sind:
Beleg die pelasgischen Nebenmundarten des Feloponneses und
Italiens, die litthauische Sprache, die friesische des Mittelalters
und die Isländische von heut, denen allen nur aus dieser Ur-
sache die gleiche AlterthümUchkeit unverrückt die längsten Zdten
hindurch eigen geblieben. Nein, dem ähnlich wie Thiere und
Pflanzen durch die Cultur veredelt werden, ebenso die Sprache,
solange sie nämlich noch auf dieser zweiten Stufe sich behauptet,
durch litterarische üebung: das Bingen mit dem Stoff und der
Form, das nun ihr auferlegt ist, kräftigt sie, schmeidigt sie,
beschleunigt ihre Entwickelung, letzteres allerdings zugleich mit
dem Erfolge, dass sie um so schneller bei der Neigung anlangt,
die hinab ans Ende führt.
Neben der Schrift und der Litteratur konount hier aber noch
ein Zweites in Betracht, ein Ferment, das im Inneren der
Sprache selbst arbeitet und von da aus deren Leben sowohl
steigert als zersetzt. Mit dem Uebergange von der Agglutination
zur Flexion sind die Worte in Bewegung, die Laute in Fluss
gerathen: was früherhin für alle Fälle gleichmässig rein und be-
stimmt und fest, aber deshalb auch in Starrheit da gestanden,
das ändert sich nun bald so, bald so, und es hebt eine Beihe
von Wandelungen theils der Yocale, theils der Consonanten an,
bei denen der Geist der Sprechenden in keiner Art mehr mit-
wirkt, die aber von so gesetzmässiger und so durchaus von
objectiv naturgeschichtlicher Beschaffenheit sind, dass Sprach-
forscher, die auf sie ihr vorzügliches oder gar das einzige Augen-
merk richten, um ihretwillen die Sprachen überhaupt als orga-
nische Naturkörper und die ganze Erforschung derselben nur als
ein Stück Naturforschung ansehn. Den Grundzug all dieser
Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 25
Aenderungen bildet das Streben der Sprache ihre einzelnen Laute
in Uebereinstimmung und Gleichgewicht zu bringen und sie
darin zu erhalten, die Angleichung und die Ausgleichung der-
selben; der Sinn der Worte bleibt hiebei unbeachtet und unbe-
rührt, es gilt lediglich den Lauten an und für sich selbst, wie
je das bezügliche Sprachwerkzeug sie hervorbringt. Dahin ge-
hören vor allem aus die zahlreichen und mannigfachen Fälle,
wo die Wurzel den Yoeal der Schlusssylbe auch in sich herüber
nimmt und in Folge davon diphthongiert oder gebrochen oder
umgelautet oder abgelautet wird, und wie die Grammatik sonst
es nenne; es gehört dahin auch jene Lautverschiebung, die
zwischen einigen Sprachen und Mundarten des indogermanischen
Stammes, nach neuesten Ermittelungen^^) sogar zwischen dem
Indogermanischen überhaupt und dem Semitischen waltet: denn
wenn es z. B. im Lateinischen und Griechischen dens, dentis^
65ou(;, oSovToc, im Gothischen tunthtis, im Althochdeutschen zand
heisst oder ^'T(o<;y fagus auf Gothisch böka^ auf Althochdeutsch
puohha, so ist das ebenfalls eine Ausgleichung, nur im grössten
Massstabe, über die ganzen Sprachen hin: weil sich die Media,
gleichviel auf welchen Anlass, zur Tenuis verhärtet, so steigert
die Tenuis sich ihres Theils zur Aspirata, und folgerecht sinkt
die Aspirata wieder in die Weichheit der Media herab.
Diese und die übrigen Aenderungen nun, einem so festen
Gesetze auch jede Erscheinung der Art folgt, sie beh^rschen
doch keineswegs das ganze Gebiet, einer Sprache oder gar einen
ganzen Sprachstamm mit überall gleichmässiger und nie unter-
brochener Geltung, wie ja z. B. die Lautverschiebung voll und
streng durchaus nicht alle Glieder der indogermanischen Familie
trifft: sondern während dieselben . hier immer weiter schreiten,
wird dort damit alsobald innegehalten, oder es treten hier nur
diese, dort nur jene Yerwandelungen ein, und so geschieht es., dass
eine Sprache, die ursprünglich eine einzige und in sich einige
gewesen ist, sich in Mundarten und, wenn die Mundarten je
mehr und mehr aus einander gehn, sidi in neue verschiedene
Sprachen theilt^ Von besonders masssgabender Bedeutung sind
hiebei die politischen Verhältnisse, die innerhalb dess Volkes be-
56) Eud. V. Kaumer (Anm. 34) S. 504 fgg.
26 üeber den Ursprung and die Entwickelang der Sprache.
stehn, und yielleicht in noch höherem Grad die Yersohieden-
heiten der Lebensweise: wo letztere alterthümlich einfacher ist,
wird auch die Sprache in der grösseren Einfachheit un4 Alter-
thämlichkeit veiiiarren, und so im Gegentheil. Land und Luft
aber wirken, wenn überhaupt, doch gewiss nicht so unmittelbar
bestimmend auf den Character einer Sprache ein, als man das
gewohnt ist anzunehmen: die Mundart des Friesen auf seiner
flachen Nordseekuste ist reichlieh ebenso rauh als die bairische
und die alamannische der Hochgebirge und die Sprache der
Schweden und die der Bussen im kältesten Norden kaum weniger
weich und melodisch als die italiänische.
Lenken wir jedoch von dieser Betrachtung, die zwar mit
auf dem Gebiete, das wir durchwandern, aber etwas seitab ge-
legen, wieder auf den geraden Hauptweg ein. Die berührten
Lautänderungen mögen der Sprache immer mehr Zusammen-
klang in sich verleihen und, wo demselben Störung droht, ihn
wiederherstellen; sie mögen die Consonanten und zumal die
Vocale, deren ursprünglich nur einige sehr wenige gewesen, zu
immer grösserer Zahl und Mannigfaltigkeit entwickeln, dass die
Sprache von ihnen wie ein Begenbogen im buntesten Farben-
wechsel stralt^^); sie mögen auch der Flexion, des Zeitwortes
nailientlich, einen noch reicheren Wechsel verachiedener, ver-
schiedenartiger Formen zuführen: dennoch ist eben diess der
Weg, auf welchem die Sprache zuletzt und rasch in das Gegen-
theil von alle dem hinabsinkt. Denn der Fluss der Laute,
nachdem dieselben eil^nal so beweglich geworden, steht nicht
wieder still, und es treten alsbald auch unorganische Laut-
wechsel ein, wie in den beiden pelasgischen Sprachen die häu-
figen Vertauschungen von p und f und k und überall die von
s gegen r, oder es föUt von der Wurzel ein wesentliches Stück
dahin, wie im Deutschen wenn da schon frühzeitig das h vor
Liquiden und vor w verschwindet, oder Vocale, falls sie auch
bestehen bleiben, erleiden doch solche Verwischungen ihrer Laut-
fülle und der ursprünglichen Quantitätsunterschiede, dass zuletzt
alle Farbe abgeschossen ist und Wort für Wort eintönig das-
selbe Blassgrau überzieht. Da fehlt es denn nicht, es treffen
57) Beispiele das Sanskrit, die Jonische Mnndart und die mittel-
rheinische Otfrieds,
üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 27
Begriffe, die vonnals im Ausdruck wie dem Inhalte nach sehr
bestimmt yan einander verschieden waren, häufig nun in den
gleichen Ausdruck zusammen, wie wenn laden bereits im Mittel-
hochdeutschen sowohl den Sinn Ton onerare als den von invitare
, hat, auf Alüiochdeutscli aber im ersteren Falle noch mit hl be-
ginnt; da muss sich auch Vieles, ja das Meiste von dem ver-
lieren, was an den Lauten der Sprachwurzeln das eigentlich
characteristische, das malerisch darstellende ist, und namentlich
hat die Lautverschiebung, der unser Deutsch gleich in seinen
ersten Anfängen unterliegt, auch gleich im Anfenge mit Ver-
derbnissen der Art eingegriffen. Der allgemeinen Regel nach
werden allerdings Worte, die einen Naturlaut nachahmen, ebenso
wenig von ihr betroffen als jene Empfindungswörter, die selbst
nur Naturlaute sind: der Deutsche lacht, wie schon die Grriechen
und Bömer es gethan, nAihaha, und da der Frosch uns nicht
anders schreit ^Is bereits ihnen, so hat nicht allein der Grieche
sein xoa^ und der Bömer sein quaxare oder coaxare, sondern
wir auch sagen qtmken, Indess die Lautverschiebung lässt so-
gar dergleichen Ausdrücke nicht unangetastet. Ein Beispiel.
Die griechischen Wörter xpa^siv, xpogetv, xpauyiq, x5pa^ und
xopovTfj, die lateinischen crocire, crocitare, corvus, cornix und
mit erweichtem Anlaute gracvlus, gracillare, gradtare zeigen
alle die Verbindung von k oder g mit r, gut onomatopoetisch,
wie man ja auch gewohnt ist den Schrei des Raben und der
Krähe als ein hra aufzufassen^^); nicht anders die deutschen
Namen dieser Vögel, mundartlich Krapp der Elabe, althochdeutsch
chräa die Krähe, im Altnordischen hräkr Rabe und weiblich
hräka Krähe, femer das Zeitwort chräan unser krähen, krachen,
althochdeutsch chradam Lärm, chreho und chron beides s. v. a.
garrulus, krizen unser kreischen, althochdeutsch chrockezan und
neuhochdeutsch krächzen: wenn aber daneben einige andre Aus-
drücke desselben Sinnes und derselben Wurzel von der Ver-
schiebung der Laute mitgeführt werden, wenn das Krähen des
Hahnes auf Gothisch hrukjan, der Rabe auf Althochdeutsch
58) Die Ausdeutung des Eabengeschreis auf das lat. cras hat schon
im zwölften Jahrhundert das Gedicht von der Litanei Z. 488, später
Berthold (die Taube rufe hodUj der Babe eras) 423, 8 fgg. u. a. Der
Froschmeuseler I, 2, 8 giebt dem Raben den Namen Hippocras,
28 Ueber den Ursprung nnd die Entwickelang der Sprache.
hraban lüid der Häher hruoch heisst, so ist mit diesem h die
Lautmalerei bereits sehr geschwächt, und gar ein Hauptstück
davon wird gänzlich ausgetilgt, wenn das spätere Deutsch auch
noch das h beseitigt, also Babe, Rappe sagt und mundartlicher
Weise Ruech und rucken im Sinne von girren. Ich kann mich
nicht enthalten dem noch ein zweites Beispiel anzufügen, welches
zugleich einen Weg der Wortschöpfung kennen lehrt, den die
Sprache sonst nie mehr Gelegenheit gehabt hat zu betreten. Die
ersten bestimmteren Laute, die das Sand hervorbringt, die
ersten, weil sie ihm am leichtesten fallen, sind die Lippenlaute
m und p, und es bedient sich deren sofort (ich weiss aber nicht,
ob aus sich selbst oder auch das durch Lehre) um das ihm zu-
nächst angelegene zu bezeichnen, trinken und essen, Mutterbrust
und Mutter und Vater; derselbe Sinn verbleibt dann dem m
und p noch über die Einderzeit und die Einderwelt hinaus. Mit
m also memm, wie unsre Einder zu trinken fordern, die Mutter-
brust auf Lateinisch mamma und mamiUa, die Mutter auf
Griechisch und Lateinisch mamma^^) oder umgestellt amma^^)
und ebenso auf Althochdeutsch, in der gereifteren Sprache aber
abgeleitet (xiqnfip, maiier, Mtdter^^), Mit p theils auch Be-
nennungen des Trinkens wie papilla, irfvd) u^icoxa, potus, po^
ctdum, puteus^^, theils aber des Essens: pappa^ wenn die rö-
mischen Einder das verlangten, potöco, pcibulum, panis, TzoLz£o\LOii;
und des Vaters: iroc, Tcaiuxac oder umgestellt oItztzol in der
Eindersprache Griechenlands und Boms und wieder mit eineni
ableitenden Zusätze xanfp und pater: der Eürze wegen lasse
ich auch hier unangeführt, was von demselben Wurzellaut her
59) Ist Memme, wie wir in weiblicher Form einen weibischen Mann
nennen, eigentlich auch s. v. a. Mutter? Der alteren Sprache war das
Wort noch fremd.
60) Angeführt und in seiner Weise erklärt von Isidor Origg. XII, 7,
42: Haec avis (strix) vulgo dicitur amma ah amando parvidos, unde et
lac praebere fertur nascentibus. Wahrscheinlich ist amita ein Deminutiv
hiezu.
61) Das althochd. muomä (Mutterschwester) ist eine kindliche Ver-
schmelzung von muoter und mamma oder besser nur eine Ablautbildung
zu dem letzteren: vgl. die nächstfolgenden Anmerkungen.
62) Mit Erweichung in die Media ist bu der lateinische Einderruf
nach Trinken, bua das Substantiv dazu, bä>ere das Zeitwort der Er-
wachsneren.
Ueber den Ürsprtmg imd die Entwickelang der Spraehe. . 29
die übrigen indogermanischen und mit ihnen die semitischen
Sprachen bieten. Diess characteristische p nun halten für die
Vorstellungen Essen und Vater allerdings auch unsre Kinder
fest: sie können nicht wohl anders; und ihnen zu lieb wird ein
Brei auch noch von uns älter gewordenen Pappe genannt*^):
höher hinauf jedoch hat auch dieser gleich anderen Lauten sich
der Verschiebung fägen d. h. sich aspirieren müssen, und es
heisst nun Vater und Fidter und dem griechischen SjcTca ent^
sprechend der Grossvater auf Altnordisch afi: Umformungen, die
nichts mehr haben von jener ersten Stimme der Natur. So viel
über das m und das p der Kinder. Wenn aber das Sprachver*
mögen noch etwas weiter gewadisen und von der Lippe zurück
auch auf Zahn und Zunge gewandert ist, dann werden die
Mutterbrust und die Amme und die Grossmutter auf Griechisch
TtT^t) und vrfi'ti, der Vater auf Griechisch und Lateinisch tata
und atta genannt und ziemlich ebenso die Mutterbrust althoch-
deutsch tuUd, Pathe und Pathinn, d. i. Vater und Mutter im
geistlichen Sinne, toto und totä, der leibliche Vater gothisch
atta^^) und jetzt noch in Mundarten AMo und verkleinert Aetti
oder Taä und TäUe. Aber wiederum hier die störende Laut-
verschiebung: neben Atta und Tato, die unser Alterthum auch
als Eigennamen braucht, kommt in solcher Anwendung zugleich
Azzo und Zazo vor*^), auf das gothische AtHla^^) folgt im
es) Die althochd. Mannsnamen Appo, Abbo, Papo, Babo, und ab-
lautend I^^opo, Buoho werden zuerst auch nur Schmeichelworte für den
Appellativbegriff Vater gewesen sein; es widerspricht dem nicht, dass
dann auch weibliche Namen, Äppa, Ahba, Bdbd, Paopd, Buohd, davon
sind abgeleitet worden.
64) Ablaut dazu die althochd. Kamen Uoto und Uotä, kaum aber
(gegen J. Grimm in Haupts Zeitschr. I, 21) das altnord. 64ha Urgross-
mutter: diess dh oder, wie Grimm es ändert, d ist weder mit dem
pelasgischen noch mit dem gothischen tt zu vereinigen.
65) Und ebenso stehn Tuto und Zuzo, Tutilo und Zozzolo neben
einander; da sich auch Zuozo findet, wird es um so mehr erlaubt sein
mit J. Grimm (Gesch. d. Deutschen Spr. I, 272) das goth. T6tila eben-
falls hieher zu ziehen : die andre Erklärung, die Grimm in Haupts Zeitschr.
VI, 540 giebt, empfiehlt sich weniger.
66) Als gothischer Name und Schmeichelname derselben Art zu ver-
stehn wie das so eben angeführte Tötila , wie Badvila (so. hiess Totila
eigentlich), Blivila, MSrila, Mundila, Sunila, SvintMla, Vulfila u a.:
vgl. Gesch. d. Deutschen Litt. S. 16.
30 . üeber den Ursprung und die Entwlckelnng der Sprache.
Althochdeutschen Azzilo, für tuUä hat sich Zitze eingedrängt,
und sstäzdn ist s. y. a. saugen.
Es sind jedoch nicht allein die characteristischen Wurzel-
laute, die so Yor der neuen Sprachbewegung zu Grunde gehn:
auch die Flexion wird von ihr auf das empfindlichste geschädigt,
sogar sie, um derentwillen allein der sprechende Geist auf den
jetzigen Standpunkt sich begeben hat Denn in Folge der er-
wähnten Lautschwächungen und sonstigen Verderbnisse ver-
wischen und vermischen sich je mehr und mehr die unterschiede
der flectierten Formen, und die Sprache muss schrittweis eine
derselben nach der andern wiederum fallen lassen: so hat schon
das Gothische keinen Locativus mehr, schon das Althochdeutsche
keinen vom Accusativ verschiedenen Nominativ und Vocativ und
kein Medium oder Passivum und das Mittelhochdeutsche nur
noch verwehte Spuren des Dualis und des Instrumentalis.
unter solchen Einbussen gleitet die Sprachje allgemach und
unmerklidb (wer vermochte die Grenzlinie mit Bestimmtheit an-
zugeben?) auf ihre dritte und letzte Stufe, in das Greisenalter
hinab, wo alles Sinnliche, alles Körperliche welkt, aber auch,
wenn man will, hinauf in das Greisenalter mit seinen gehäuften
Weisheitsschätzen, in die Zeit, wo der Geistesfanke vor dem
letzten Erlöschen noch einmal am hellsten flammt und fast nur
noch dieses geistige Element zu gewahren ist. Durch alle
sprachliche Darstellung hin weht nun ein kühler scharfer Zug
der Abstraction; was im Beginn die unmittelbarste sinnliche
Anschauung, dann wenigstens ein Bild gewesen, jetzt ist das
meist nur noch ein Rahmen, in den je nach Umständen sehr
wechselnde Begriffe zu fugen sind: die Philosophie versteht das
wohl auszunützen. Aber die Worte eignen sich auch zu solcher
Behandlung; fast alle sind sie bis auf das Aeusserste entstellt
und befinden sich, wie diese ihre Laute den eigentlichen Gehalt
nicht mehr erkennen lassen, auf dem geraden Wege blosse
V Chiffern zu werden. Darum ist auch für das Gefühl der
Sprechenden kein rechter Unterschied mehr vorhanden z frischen
einheimischen und fremden Worten: die einen sind ja um nichts
verstandener und liegen dem etymologischen Bewusstsein um
nichts mehr näher als die andern ; während die einheimischen
in Menge, ja familien weis aussterben , überhäuft sich die Sprache,
auch massen- und familienweis mit solchen, die sie rings aus
üeber den Ursprimg tmd' die Entwickelung der Sprache. 31
aller Welt zusammenborgt, und wie oft doch sind diese Fremd-
wörter vollkommen entbehrlich, wie oft auch voll von barbarischen
Verstössen gegen die Sprachen selbst, denen man sie entnommen
vermeint: man erlaube mir hiebei besonders an den Wörter-
schätz der Naturforschung und der Mathematik zu denken; ja
wie oft sind es nicht einmal rechte Fremdworte, sondern gut
und alt einheimische, und es hat ihnen das Ausland nur ein
neues Kleid gegeben ^^): aber diess ausländische Kleid machte
sie unkenntlich oder empfahl sie besser. Wenn z. B. wir von
Banditen und Spionen, von Fresco und ihnaü und Qravierung
sprechen, so kUngt das wohl wie Italiänisch und Französisch,
der Kern und Grund davon ist aber deutsch, unsre Worte bannen
und spähen, frisch und sehmdzen und graben,
Diess alles bringt die letzte Sprachstufe in den entschieden-
sten Gregensatz zu der ersten und zu deren Kraft aus eigener
Fülle zu schöpfen und zu der Sinnlichkeit jeder ihrer Schöpfungen.
Am auffallendsten das in einer Beziehung, wo auf den ersten
bloss flüchtigen Blick hin beide vielmehr überein zu stimmen
scheinen. Dort, im Anfange, war noch keinerlei Flexion vor-
handen: man brachte noch, was späterhin durch diese bezeichnet
wird, in selbständig aufgestellte Worte. Hier, am Ende, giebt
es nur noch höchst dürftige Flexion und theilweis wiederum gar
keine mehr, und wiederum treten im Sinne derselben und an
deren Statt eigene Zu- und Vorsatz worte ein, Hilüsverben um
die Tempora, Präpositionen oder, wie im Schwedischen, im Dä-
nischen, im Bumänischen, der hinten angehängte Artikel um die
Fälle der Declination zu umschreiben, und wie viel andres von
der gleichen Art! Aber (und darin liegt der Unterschied) alles
das ist hier nur Ersatz für erlittene Verluste, frische Analyse
einer bereits vorangegangenen Synthesis, alles das eben nur
Umschreibung, und den Worten und Wörtchen, die man dazu
braucht, wohnt kein eigener Bedeutungswerth mehr inne: auf
sie passt der Name, den die chinesische Grammatik, für ihre
Sprache noch ungehörig, 4^n Pronominibus und Partikeln giebt:
sie sind „leere Wörter". Während die älteste Zeit in der ein-
facheren Art des Alt^humes mit jedem Worte gleichsam Gold
67J Die ümdeutschung fremder Wörter S. 6.
32 lieber den Unprang und die £nt Wickelung der Sprache.
um (^old darwog, ist, was die neueste zahlt, stark untermisclit
mit Scheidemünze oder gar mit blossen Bechenpfennigen. Und
je massenhafter solch kleines Geld mit unterläuft, je mehr es
an volleren und dadurch bestimmenden Formen der Worte selbst
gebricht, desto unfreier muss auch der Bau der Sätze werden
und desto beengender die Segeln, nach welchen die einzelnen
Glieder derselben theils zu verbinden, theils zu trennen sind:
man halte nur um dafür einen Beleg zu haben irgend einen
griechischen oder lateinischen Satz geg^n dessen französische
oder auch die deutsche üebertragung. Und doch, so herab-
gesunken nach dem allem die letzte Sprachgestaltung erscheinen
muss, insofern man auf ihren leiblichen Theil und die sinnliche
Seite der Formgebung achtet, so ist wahrlich damit nicht aus-
geschlossen, im Qegentheil, es ist nun eine Nothwendigkeit, dass
sich in ihr der grösste ßeichthum geistiger Art auspräge, und
während sie es allerdings ermöglicht mit dem breitesten Strome
von Worten zuletzt nichts zu sagen, bietet sie ebenso wohl die
Mittel dar auch das tiefst und feinst gedachte noch in Klarheit
und Schärfe mitzutheilen und jedem Streiflicht, jedem leisesten
Schatten der Empfindung einen Ausdruck zu geben, der zum
Nachempfinden sowohl nöthigt als befähigt. Nur eben auf eines
muss auch hiebei stets verzichtet werden: was an der Sprache
tönende Form ist, wird nie mehr so wie vordem characteristisch
mit dem Inhalte zusammenklingen: dafür ist dieselbe jetzt zu
einfarbig und entfärbt, noch entfärbter als schon auf der Senkung
der vorigen Stufe, dafür ist sie den Sprechenden meist zu gleich-
gültig geworden. Namentlich in Folge dessen nimmt nun auch
die Musik eine von der bisherigen weit abweichende Stellung zu
der Sprache der Dichtung ein. Im Anfange waren Sprechen
und Singen wesentlich eins, in der mittleren Zeit Poesie und
Gesang zum mindesten noch eng verbunden : jetzt in der dritten
wird .gesanglos gedichtet, und während Mherhin die Instrumen-
talmusik sich dem Gesänge unterzuordnen pflegte (ein altdeut-
scher Dichter nennt Getön ohne Worte einen todten Lärm**),
steht sie nun lieber für sich allein da, auf ihren eigenen stolzen
Füssen, und trägt uns „Lieder ohne Worte" vor. Das heisst:
68) Der Meissner, Minnesinger III, 96 b.
Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 33
der Tonsinn, der einmal im Mensehen lebt, der aber jetzt über
die Sprache des Menschen nicht mehr waltet und dem die
Sprache nicht mehr taugt, er sucht seine Befriedigung ausser-
halb derselben, ganz wie auf der vorigen Stufe, als sich zuerst
in der Sprache die Körperlichkeit der Anschauungen schwächte,
dem Triebe dazu Ersatz und Genüge in der bildenden Kunst
ward. TJebrigens habe ich hier zumal Deutschland, und was
dazu gehört, im Auge; es wird kaum ein Zufall sein, dass
Italien , dessen Sprache selbst noch so voll von Wohllaut ist,
imnier noch mehr die Yocalmusik als die instrumentale pflegt.
Die durchgehende Vergeistigung der Sprache, die ich ver-
sucht habe darzulegen , würde die sichere Vorbotinn ihres baldigen
Absterbens sein, wenn nicht ein Umstand sie aufrecht erhielte,
wenn nicht eine Art von Erstarrung, in welche sie gerade jetzt
verfällt, sie bewahrte vor der Auflösung und Verwesung. Auf
der vorigen Stufe hatte sie sich zu einer Sprache der Litteratur
erhoben: auf dieser letzten entsteht, bei den Völkern der neueren
Welt noch unterstützt durch die Erfindung der Buchdrucker-
kunst, die Schriftsprache, und wohl geschieht das in Weiter-
wirkung jenes früheren Vorgangs: doch aber tritt ein Unter-
schied dazwischen, ebenso gross und weit, als es ein Andres ist,
ob die Bichtigkeit des Sprechens und Schreibens einzig in der
lebendigen Uebung oder zuvörderst auf der Theorie beruht, ob
die Sprache den in ihr selber liegenden Gesetzen folgt oder
Eegeln, die von aussen her ihr auferlegt werden. Letzteres aber
widerfahrt der Sprache nun: sie steht jetzt unter der Schulzucht
der G-ranomatiker. Und wie schon diese den todten Buchstaben
gern über Alles setzen ®®) und ihr Wissen und Wirken gelegentlich
69) In Deutschland und bei uns in der Schweiz den zufälligen deut-
schen Buchstaben über den wirklichen deutschen Laut, wenn sie in den
Schulen von klein auf es erzwingen, dass z. B. erträglich und wählen,
Hände und mächtig auch mit ä^ ja nicht mit e gesprochen werden. Und
selbst den Buchstaben und Buchstabenlaut der fremden und todten Sprachen
über den der lebenden eignen: Beispiel das griechische ph, das schon seit
langem in dem ganz ungriechischen Worte Epheu, Ep-heu zu hören ist
(Mancher schreibt deshalb sogar ein /"), und die y und v nach griechischer
und lateinischer Weise, die man neuerdings in so deutsche Namen bringe
wie Sybel und Vilmar, Die aber machen es eigentlich am schlimmsten,
die jetzt uns im Neuhochdeutschen mit einer alt- und mittelhochdeutschen
Waekernagel, Schriften. III. 3
34 üeber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache.
ganz aufgeht in rechtschreiberische Absonderlichkeit und Quälerei,
so ist auch anderweitig die Schrift für die Schriftsprache nicht
umsonst das zuerst genannte. Wir haben vorher das Denken
als ein inneres Sprechen bezeichnet; bloss die Schriftsprache und
deren Zeitalter ins Auge gefasst, würden wir vielleicht noch
besser sagen, das Sprechen und schon vor dem Sprechen das
Denken sei ein inneres Schreiben. Die ganze Sprache ist nun
wie gesättigt mit Tinte und mit der Schwärae des Bücher- und
des Zeitungsdruckes; kaum hat das Kind zu sprechen, kaum zu
denken angefangen, so lernt es auch schon lesen und schreiben,
und welche Einbusse dadurch, der Lähmung des Gedächtnisses
gar nicht zu erwähnen, die 3abe der freier fliessenden Bede
leidet, das erfahren die Meisten von uns zu ihrem Verdrusse
täglich an sich selber. Und auch wer, was das Seltnere ist,
sich diese Gabe unverkümmert bewahrt oder sie trotzdem sich
erworben hat, auch ein solcher spricht doch oft nur wie ge-
druckt oder wie für den Druck und baut, wenn er als Redner
vor uns tritt, Perioden, welche die rechte üebersichtlichkeit und
Verständlichkeit erst dann erlangen würden, wenn sie uns Schwarz
auf Weiss vor Augen lägen, oder erinnert (das Beispiel ist un-
scheinbar, doch bezeichnend) seine Zuhörer gelegentlich an etwas,
das er schon „oben" gesagt habe. Das also ist hier der grosse
Gegensatz zwischen der früheren und dieser spätem Stufe: als
die Sprache zuerst Litteratursprache ward, lüfteten sich ihr erst
recht die Schwingen zu weiterem schnellem Flug auf dem Wege
der Entwickelung: nun sie Schriftsprache ist, sind ihr die Flügel
beschnitten, und sie ist von den Buchstaben und von den Segeln
der Grammatiker,^ die sie rings umgeben, wie von Zauber-
characteren und Zauberformeln festgebannt. Aber eben dadurch
auch festgestellt und auf lange hinaus verwahrt gegen ferneres
und gegen das allerletzte Sinken.
Während jedoch so die Sprache selbst ihr Leben behauptet,
wirkt sie um sich her ertodtend: Mundarten, welche einst auf
Unterscheidung von ss und sz behelligen: hier ist der Buchstabe gar ein
todter und die Unterscheidung lediglich eine des Schreibens, in keiner Art
mehr des Sprechens: denn der Laut seihst des altdeutschen z oder sz ist
schon seit einem halben Jahrtausend und darüber erstorben und für uns
nnwiederßndbar.
üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 35
gleicher Linie neben der gestanden, die nur ein Zufall zur
Schriftsprache gemacht hat, Mundarten, welche vielleicht noch
besser berechtigt gewesen wären eine so erhöhte Stellung ein-
zunehmen, jetzt liegen sie tief unter den Füssen jener .und ver-
armen und werden unbeholfen in ihrem Mangel an litteratur,
arten in Bohheit aus, weil die gebildete Welt sie zurückstösst,
und verstummen und sterben eine nach der andern. Auch die
Bergmannssprache, die Jägersprache, die Gaunersprache haben
dem gegenüber, was in der Litteratur und 4er Gesellschaft gilt
und verstanden wird, etwas Mundartmässiges : sie aber trifft
kein solches Schicksal: denn es ist keine Besonderheit der Laute
noch der Bildungs- noch Biegungs weise, worin hier die Ab-
weichung beruht, es ist nur ein Vorrath mannigfach eigenthüm-
licher Worte, und deren Bestand wird sowohl durch die Dinge
selbst gesichert, für welche sie der Ausdruck sind, als durch
das Standesgefühl derer, die so sprechen.
Den Uebergang nun in dieses Greiöenalter mit seiner Dürf-
tigkeit und Erstarrung in leiblichen, seinem Keichthum und seiner
Beweglichkeit in geistigen Dingen kann, wie im Leben des ein-
zelnen Menschen, so in dem der Sprache eine schwere Krank-
heit, vielleicht auch nach der Krankheit ein nochmaliges Auf-
leuchten der Lebenskraft bezeichnen, das beinah jugendlich er-
scheint, aber doch nur so, wie oft Spätjahrstage uns frühlingshaft
gemuthen. Ich denke dabei an die grausenhafte Zertrümmerung
des Lateins, welche die des römischen Beiches selbst begleitete,
und wie sodann aus diesem Schutt und Moder die Sprachen der
romanischen Völker sich aufgebaut haben, wiederum in solcher
Gesetzlichkeit, dass die Sprat^hgeschichte schwerlich ein zweites
gleich wunderbares Ereigniss kennt; ich denke dabei an die
Englische Sprache, diess Kind einer gehäuften Bastardzeugung,
das Ergebniss wiederholter Völker- und Sprachenmischung durch
Blut und Eisen, aber auch sie bewundernswerth , als ein schla-
gendes Beispiel, wie der Menschengeist es vermag sogar mit
den unvollkommensten Mitteln und mit einem äusserst geringen
Aufwände von Mitteln doch zu äusserst grossen Erfolgen zu ge-
langen: denn wie diese Sprache von halben und zerdrückten
Lauten überflutet ist, die jeder Darstellung durch den Buch-
staben spotten (nach alter Unterscheidung aber wird daran der
articulierte Laut erkannt, dass er geschrieben, und daran der
8*
36 Üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
unarticulierte, dass er nicht kann geschrieben werden'*^), wie sie
zugleich in Betreff der Flexion eine Verarmung zeigt, die nicht
mehr weit abliegt von der gänzlichen Flexionslosigkeit jener
ersten, der chinesischen Stufe, da möchte fürwahr kaum eine
andre leiblich zurückgekommener ßein als sie: wer aber dürfte
das auch von dem Geiste sagen, der in dieser unschönen Hülle
wohnt?
Und unser Deutsch? Zwar ist es mit diesem noch nicht
ebenso weit gediehen: wohl aber (und ich habe ja mehr als
einen der bisher beigebrachten Gharacterzüge gerade aus ihm
entnehmen können), wohl steht unser Deutsch bereits auf dem
Abschuss des Weges; es ist auch nach den fünfzehn Jahr-
hunderten seiner Litteraturgeschichte und den wer weiss wie
vielen, die ohne Litteratur noch jenseits liegen, wahrlich jetzt
alt genug für das Greisenalter, und nicht erst in der neueren
und neusten Zeit ist diese Senkung von ihm betreten worden,
sondern wir können vereinzelte Anfänge des Endes und Vorbe-
reitungen darauf schon im Mittelalter gewahren. Lassen Sie
mich hier und von hier an nur noch für einen Punkt, der aber
ein Hauptpunkt ist, Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen:
ich meine das Entschwinden des Bewusstseins von dem eigent-
lichen Sinn und der früheren sinnlichen Eigentlichkeit der Worte.
Wir geben dieselben aus, wir nehmen sie ein, gleichgültig, ohne
Gehalt und Prägung zu beachten: wollten wir das aber auch,
so ist doch die Prägung meist verschliffen und damit zugleich
das alte Metall selbst unscheinbar geworden und entwerthet, an
Gewicht verringert. Manch altes Wort zwar hat sich nicht
weiter verändert, als der allgemeine und gesetzmässige Gang
der Lautent Wickelung es mit sich brachte, und doch verstehn
wir es nicht, weil es innerhalb der jetzigen Sprache keine Ver-
wandten mehr hat, die uns etwa zum Verständi^iiss hülfen, weil
es ein verwaister Schoss aus weit entlegener, tief verschütteter
Wurzel ist: so wird es denn unverstanden gebraucht, gelegent-
lich auch missverstanden und missbraucht. Andre aber, und
70) Omnia vox aut est articulata aut confusa. Ärticulata est ho"
minum, confusa animalium.- Ärticulata est guae scribi potest, confusa
quae scribi non potest: Isid. Origg. I, 14; ebenso Aldhelm: vgl. oben
Anmerk. 16. x
Ueber den Ursprang und die Entwickelnng der Sprache. 37
solcher möchte die grössere Zahl sein, haben sich mehr und
nicht auf die Art umgestaltet, wie eigentlich recht und nöthig
war: sie sind verderbt und entstellt, weil man sie schon längst
nicht mehr versteht, und man versteht sie nicht mehr, weil sie
schon längst so entstellt sind. Wie gesagt, diese Verdunkelung
der Worte hat nicht erst im neueren, sondern theilweis schon
im älteren Deutschen angehoben'*), schon auf der zweiten Stufe
des Sprachganges, wie auf entsprechender Stelle genug der Art
auch im Griechischen und Lateinischen vorkommt. Wir wissen
ja, auf welche Irrwege die römischen Sprachforscher und nicht
bloss Männer wie Nonius und Fulgentius, sondern bereits der
alte Varro zu gerathen pflegen, auf welche auch Plato, wenn
sie über den Ursprung und den ursprünglichen Sinn eines grie-
chischen oder lateinischen Wortes Auskunft suchen; nicht
schlümner noch besser sind bei den Deutschen des Mittelalters
die Etymologien des Deutschen, und sie beherrscht namentlich
die verkehrte Neigung wo möglich nur Entlehnungen und Ent-
stellungen aus den classischen Sprachen zu erblicken. Ent-
schuldigen wir die Einen wie die Andern: beiden mangelte noch,
was die einzige Schule einer gesunden Etymologie ist, Sprach-
geschichte und Sprachvergleichung, und das Mittelalter, Isidor
71) Einige Beispiele. Fiant mochte man im Althochd. noch verstehn,
da das Zeitwort ßin (hassen) noch vorhanden war, friunt schon nicht
mehr, da man das goth. frijdn (lieben) bereits eingebüsst hatte. Ebenso
war die Angleichung von weralt in worolt nur darum möglich und ginöz
konnte nur darum in dem allgemeinen Sinne von socius gebraucht werden
und gisello auch in der Zusammensetzung herigisello, weil man sich des
Ursprunges und des eigentlichen Sinns dieser Worte schon im achten Jahr-
hundert u. s. f. nicht mehr bewusst war: weralt aber heisst s. v. a.
Menschenalter und ginöz ist genauer nur ein Mitgeniessender, gisello ein
Mitwohnender, von sal Haus. Aus dem Mittelhochd. will ich hier nur
noch anführen, wie da auch gesinde, eigentlich die Reisebegleitung {sind
Weg) doch mit heim und in, Immgesinde und ingesinde, zusammengesetzt,
wie beizen j erheizen d. h. das Pferd weiden lassen ganz im Sinne von ab-
steigen gefasst und construiert und z. B. auch nider beizen, nider er-
heizen gesagt wird, wie sich der alte Genit. plur. frönt d. i. der Herren
in ein Adjectiv frön d. i. heilig umwandelt, wie man hiezu, indem man
es mit frö vermischt, ein Zeitwort frcenen d. i. erfreuen bildet und fruot
(weise, verständig) sich in die Bedeutung von früeje, von frö und frech
miiss hinüber spielen lassen: Walther v. Klingen S. 12 (oben Bd. 2 S. 341).
38 üeber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache.
an der Spitze, folgte lediglich nach, wie die Bömer ihm voran-
gegangen. Indess so überall undurchsichtig ist den Deutschen
ihr Deutsch doch erst später geworden, und wenn es unter den
Karolingern, ja den Hohenstaufen meist noch möglich gewesen
wäre ein Wort aus der Sprache der Zeit selber zu erklären,
heut zu Tage ist es in zahllosen Fällen nicht mehr so: wir
müssen zu dem Ende um Jahrhunderte, oft um ein Jahrtausend
und weiter rückwärts.
Mitunter freilich möchte es scheinen, das Nichtkenneii und
Nichtbeachten der Etymologie sei eben kein Schade für uns, und
in der That für Manchen wäre es vielleicht sogar ein Aerger-
niss, wenn unser Bewusstsein uns noch stets daran erinnerte,
dass die Ostern, das höchste Fest der christlichen Kirche, ihren
Namen haben von Östarä, einer Frühlingsgöttinn unsrer heid-
nischen Vorfahren ^^), und ebenso der Freitag von Fria, der
alten Götterköniginn. Dafür aber ist es, was nun den Karfreitag
angeht, ganz nützlich zu wissen, es komme diess kar von einem
altdeutschen Zeitwort karen d. i. wehklagei^ her und habe mit
dem griechischen idgiQ nichts zu thun: ergiebt sich doch daraus
die höchst wichtige Lehre, dass man eben Karfreitag schreiben
müsse, nicht Charfreitag mit eh. Wenn ich dem noch einige
andre Beispiele von demselben geistlich-sittlichen Gebiete hinzu-
fügen darf, was denken wir uns bei den Worten Elend und
Wonne, bei Glauben, Liebe, Treue? Elend, vormals elilenti,
bedeutete da das andre Land, die Fremde: es ist schön und für
das Vaterlandsgefühl unseres Volkes bezeichnend, wie daraus die
jetzige Bedeutung hat folgen können''^); Wonne besitzt, in der
gothischen Grundgestalt mnja und der althochdeutschen winne,
später auch noch in der ßechtsformel wunne und weide den
72) J. Grimms Mythol. S. 266 fgg. Die Pluralform des Wortes,
welche von je her die gebrauchtere ist um das Kirchenfest zu bezeichnen,
hat aber schwerlich, wie Grimm angiebt, ihren Grund in der Zweizahl der
Festtage, sondern geht auf die jährliche Wiederkehr. Mit derselben
iterativen Bedeutung heisst es Pfingsten und Weihnachten , mittelhochd.
auch ze sunewenden, auf griechisch [liaai vJxTe?, avaxoXaC, ÖuajxaC.
73) Nu riazen elilentS in fremidemo lante — joh thidten hiar nu nöti
bitter 6 ziti — Wolaga, elilenti/ haHo histu herti — Mit aräbeitin werbent,
thi^ heiminges tharb^nt u. s. f. Otfried I, 18, 16 — 27; das bitter Elend
bauen in der Fremde wohnen: Zinckgref, Leseb. 11^ 307, :3.
üeber den ürsprang and die Entwickelimg der Sprache. 39
Sinn von Weide oder Wiese, und der Wonnemonat der Mai, ^
althochdeutsch winnemändt, ist eigentlich nur der, in welchem
das Wiesenland bestellt wird: der neuere Begriff des Wortes
beruht auf derselben Anschauung wie unser Augenweide. So
sind auch Glaube und Liebe und Treue echteste Ausdrücke des
Lebens in der Freiheit und der Fülle der Natur: denn die
beiden ersteren (Glaube ist syncopiert aus Gdmibe) und mit
ihnen Lob und geloben und erlauben kommen ebenso aus einem
und demselben Stamm mit dem Worte Lauh^ wie in den pelas-
gischen Sprachen 9{Xo(; und 9uXa^ sich vereinigen mit fuXXov
und folium'^^): der sinnliche Gnmdbegriff ist der des bedecken-
den und erfreuenden üebergrünens , des Grünseins, wie ja wir
noch bildlicher Weise von der Gunst und Freundlichkeit sagen;
die Treue aber, die gleich einem Baume auf fester Wurzel steht
und nach Darstellungen der alten Kunst, deren auch unsre
Mittelalterliche Sammlung einige besitzt ^^), als Blüte "von dem
Baum der Liebe gepflückt oder in denselben geimpft wird, hat
ihren Namen von dem Zeitwort triuwan^ welches das kräftige
Wachsthum der Pflanzen, und von triu, das einen Baum be-
zeichnet'^).
Diese letzten Andeutungen sind mir ein Fingerzeig noch
zu einigen Beispielen ganz gegenseitiger Art überzugehn, zu
Worten der Naturgeschichte wie Eidechse, Heuschrecke, Elster,
Lerche. Eidechse bezieht sich zugleich auf die ünheimlichkeit
74) Und zwar halte ich die deutschen und die verglichenen pelas-
gischen Worte auch für eins in der Wurzel, nur dass die Consonanten
ihre Stellung wechseln und sie bloss in libere lubere sich ebenso folgen
wie im Deutschen. Solcher ümkehrungen giebt es noch genug, z. B.
alnu8j ahd. elira (d. h. elisa wie germanisch Aliso, nhd. Else) und erila;
ßofäo?, ßaW? und goth. diup; ahd. huhilf mhd. hühel und hühel (W.
Müllers Wörterhuch setzt unrichtig hüebel an); aicag, goth. fahan und lat.
caperCf izixzvt, \&t.pectere, goih.fah8 und \aX.capUlu8; specere, ahd. speha
und ox^TcreaSat; ferah u. s. w. (s. ohenS. 17) und hrefj lat. corpus; u9av,
ahd. wepatif wabo und lat. favus; febris, ahd. fiebar, mhd. fieber und
biever; favilla und ital. f€Uavesca, ahd. falawisca; j^eucvuvai, dtcere, goth.
teihap und haitan; TiT^x(d und rCxTCd; axaXov{> und axaXa^; acetumy goth.
akeit und ahd. ezzich; 'scintilla, altfr. escintele und stenceUj itincelle;
haedus, goth. gaits, ahd. keiz und zigä. Vgl. unten Anm. 82.
75) Die Holzschnitzerei XIV, 92 und der Teppich XV, 212.
76) Vgl. J. Grimm in Pfeiffers Germania XI, 244.
40 Ueber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache.
dieses Beptils und auf die characteristische Beweglichkeit seines
Schwanzes : denn egidehsa (so lautet das Wort ursprünglich) be-
deutet danz übereinstimmend mit dem griechischen xpoxoSeiXo^,
bekanntlich dem Wort auch für die kleineren Eidechsarten Eu-
ropas, s. y. a. Schreckschwanz oder schrecklich wedelnd; es
war, da eben Ei-dechse, nicht Eid-echse abzutheileij ist, gerade
nicht der glücklichste Einfall dem Griphosaurus der Urwelt auf
Deutsch die Benennung Bäthsdechse zu geben. Heuschrecke, so
fürchterlich auch dieses klingt, bezeichnet das Insect doch nur
als einen Springer im Grase (denn schricken ist auf Altdeutsch
springen) ^^) und hat somit keinen anderen Sinn als all die
übrigen landschaftlich beschränkten oder veralteten Namen des-
selben Thieres'®). Elster, zusammengezogen aus ägalsträ (unser
Äegerste hält sich dem noch merklich näher), ist die übel
singende, bösen Zauber singende, von galan singen, demselben
Wort, das auch der NachtigaW^^) ihren Namen gegeben, oder un-
mittelbarer von galstar Gesang, Zaubergesang, Zauber, nodt Hin-
deutung also auf das Vorzeichen, das der Aberglaube in dem
Geschrei und schon der blossen Erscheinung dieses Vogels er-
77) Unser Schreck nnd erschrecken eigentlich s. v. a. auf- nnd zu-
^rückspringfen.
78) Althochd. u. s. f. hewiskrekeo nnd houscrichel; mdtoscrech;
mittelhd. mdtschrecke (mdt Hen, Wiese); mhd. haherschrecke ; in der
Schweiz Heugumper d. h. Heuspringer, anderswo Grashupfer (Frischs
Wörter-Buch I, 367 c) und Heupferd; mit Bezug auf das langbeinige
Schreiten ahd. howistapho, hewistaffol, mhd. höustaffel und (die Ent-
stellung beginnt auch hier) höustüffel, schweizerisch Heustöffel, Heuströffel
und Heustraffel: Stalders Idiot. 11, 41. Nur auf das Springen ohne vom
Gras zu sprechen geht das goth. thramstei: J. Grimms Gesch. d. Deut-
schen Sprache I, 337.
79) Althochd. nahtagalä, nahtigalä. Itie Formen nahtegelä (Haupts
Zeitschr. lU, 315 a. 474 b) und nahtegulä (Haupts und Hofimanns Altd.
Blätter II, 215) zeigen jedoch, dass hinter dem Zeitworte galan ^ Imperf.
guol (biguol Altd. Leseb. 19) noch ein andres älteres mit dem Ablaute
tau liegt. Unser Nachtigall hat ebenso wunderlich das ♦ des althochd.
nahtigala wiederhergestellt (mittelhochd. heisst es nahtegaJ) wie Br^uti'
gam das von hrütigomo Brautmann, mhd. briutegom u. dgl. Aehnlichen
Sinnes mit dem deutschen scheint der lat. Name luscinia zu sein, faUs
nämlich lus mit luscus und luridus zu verbinden ist: also Sängerinn im
Zwielicht, Dämmeruugssängerinn.
üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 41
kenat®®); die mundartlichen Synonyma Hätz oder Atzd, Aetzd,
Hätzel gehen auf ägazä, die alte Abkürzung von ägalsträ
zurück®^). Endlich Lerche, althochdeutsch lerohhä und Urahhä:
noch früher muss das leisioahhä gelautet haben: der Sinn ist
Furchenwacherinn^^): kaum graut der Morgen, und schon aus
dem Acker steigen die Lerchen auf. LeiswcAhä, Urohhä, damit
ist ein Wort ausgesprochen, das uns alle, die wir uns hier ver-
sammelt sehn, berührt, und das zugleich ein Beispiel von mehr
denn tausendjähriger Verdunkelung ist, das Wort Lehre und
was sonst dazu gehört. Leisa, leise ist so viel als Spur und
80) "ETCea icTepoevra S. 25.
81) Althochdi. ägalstrdf dgalastrd, dgelestrd, dgeleistrd, dgdstrd Altd.
Blätter II, 213. Haupts Zeitschr. III, 476 a. dgiUtrd Altd. Bl. 11, 214.
dglastrdf dglesterd Haupts Zeitschr. HI, 377 b. dgistrd Altd. Bl. 11, 212.
Mittelhochd. dgcUster, dgelster, dgelaster, dgarltister, dgelester, dgeleister,
dglaster Kenner 8688. dglester, dglister Carmina Burana S. 175. aegelster,
aegester, dgrest, dlistery alster Helbling VIII, 386. elster. Neuhochdeutsch
in den Mundarten der Schweiz aegriste Nie. Manuel S. 395. Agerist,
Ägerste, Aegerste, Agertsche, Agretsche, Es nimmt also das Wort in
seinen Umbildungen fast ganz denselben Gang wie ganeistra Funke. Die
Länge des Anlautes wird durch die jetzige Aussprache von Ageraie, Aegerste
u. 8. f., durch Verse wie Parzival 1, 6 u. a. und dadurch verbürgt, dass
age nirgend in ei zusammengezogen ist: sonst müsste man das Wort mit
dem goth. aglaitei Ünkeuschheit und dem ahd. agaleizi Schnelligkeit zu
verbinden suchen, und ageleistrd wäre dann keine Entstellung. Die Kose-
form dgazd dient mit Anderem der Art zur Ergänzung von J. Grimms
Grammatik III, 694; die Weiterbildungen atzel (Leseb. II, 163, 16. Sitte-
wald 1665. II, 217) und etzelin zeigen sich schon im späteren Mittelhoch-
deutschen, Hetze Eselkönig 218 fgg. in einem Volkslied bei ühland S. 39.
82) Haupts Zeitschr. V, 14. Leisa Furche wie lat. lira: Frisch I,
354 b. In l^ochd Haupts Zeitschr. III , 374 a sind w und a zu o ver-
schmolzen; die Tilgung des ersteren in ISrahhd ist wie in den Eigen-
namen Gund-aco, Everacus, Ehuracary G\indacharj Otachar (die J. Grimm
in Haupts Zeitschr. HI, 351 mit Gundhari und Othari vermengt) und
dem Adj. evachar neben Evenvach Cäsar Heisterbac. Dialog. XII, 23 und
Odtvcicear: vgl. was in der fünften Beilage zu den Volksnamen auf wari
und in der sechsten zu den persönlichen auf walt bemerkt ist. Althoch-
deutsch also heisst die Lerche lerohhd, Urahhdy l^ehhd, Urihha und mit
einer Sjncope, die wohl bereits damals das e verkürzt hat, lerchd; mittelhd.
leriche, lerike, Ureke, lerche, lerke; mit Umstellung des r und des alten
i€ (vgl. oben Anm. 74) und weiteren dadurch veranlassten Missbildungen
und Erneuerungen angelsächs. Idverce, niederd. Uwerke, mhd. ISwerch und
lovinke, neuhochd. im 88sten Märchen d. Br. Grimm Lötveneckerchen.
42 lieber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache.
als Furche: laisjan, womit ülfila das griechische SiSaoxetv über-
setzt, heisst also eigentlich auf die Spur bringen: das Althoch-
deutsche, indem es daraus ISran und substantivisch lera macht,
während es doch in leisa Spur die ursprünglichen Laute bei-
behält, verkennt und verwischt bereits jene sinnliche Grundlage
des Begriffes.
In welchem Mass aber die Entstellung gleich einem ver-
zehrenden Bost sich an die Worte legt, das zeigen am auf- und
augenfälligsten die zahlreichen Zusammensetzungen, deren zweiter
Bestandtheil, weil seine Betonung von je her nur eine schwächere
gewesen, zu gänzlicher Tonlosigkeit, fast auch zur Lautlosigkeit
des Vocals und mit beiden zu dem Anschein einer bloss ab-
leitenden Endsylbe heruntergesunken, ja vielleicht so eingeschwun-
den ist, dass von ihm, der Benennung des eigentlichen Haupt-
und Grundbegriffes, nur noch ein einziger Consonant als letzte
verstohlene Spur zurückbleibt. Nehmen wir als Beispiele (eigent-
lich ist schon Lerche ein solches gewesen) die Worte Adler,
albern oder wie noch Lessing gesagt hat alber, bieder, Eimer,
Messer, Wimper, Zuber. Das klingt zwar jetzt alles in die
Bildungs weise von nieder, von TadUr, Beimer, Feldmesser n.s.t.
hinein : blicken wir jedoch in der Sprachgeschichte rückwärts, so
ist Adler aus adelar^^), aiber aus alawäri entstanden, und diess
bedeutet ganz wahrhaft: erst die herzlose Verständigkeit der
Nachgeborenen hat auch hier das Einfältige, das Schlecht und
Bechte zum Gespött gemacht; ferner bieder aus bidarbi brauch-
bar®*); Eimer und Zuber aus einbar und zwibar, Gefass das
mit einer und das mit zwei Handhaben getragen wird®^);
Wimper aus tointbräwa, der Braue die das Auge gegen den
Wind schützt®^); eni^ch Messer, nämlich als Neutrum, hat eine
Geschichte, die etwas länger und umständlicher ist: die älteste
83) umgekehrt scheint man sparwdri Sperber, das von spare Sper-
ling abgeleitet ist, gelegentlich auch als eine Zusammensetzung wie
addar gefasst zu haben: Hoffin. Sumerlaten 47, 80 sparwar.
84) Der Schlusslaut der Wurzel ward bereits im Mittelhochd. so wenig
mehr vernommen, dass man hiderbe auf widere reimen und schon damals
die Zusammensetzung bidermann bilden konnte.
85) Dieselbe Zahlbedeutung in der ersten Sylbe von sittda und amphora,
86) Ebenso das von Schmeller I, 11 angeführte Äeber aus oucbrA,
ougbrAwa»
üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 43
V
Form war mezzisahs, gebildet aus dem gothischen Zeitwort
matjan essea und dem Substantiyum sahs^ das schon selbst
s. y. a. Messer war: hieraus denn ist (man kann es Schritt för
-Schritt verfolgen) zunächst mezzirahs und mezzareks, dann
mezziras und mezzires, sodann mezzers und, mit letzter Ent-
stellung, mezzer geworden ^^). Ursprünglich also in dieser Beihe
von Worten welch eine Mannigfaltigkeit der Laute und Be*
griffe! Jetzt treffen sie alle in einen und denselben lautlosen,
tonlosen, nichts besagenden Schluss zusanunen. Vorzüglich aber
gewähren die Eigennamen, die von Personen wie die geogra-
phischen, Beleg über Beleg für den Sprachvoi^ang, den wir
jetzt behandeln: beiderlei Worte werden so viel mehr als andre
gebraucht, dass sie auch stärkeif und früher und häufiger sich
abzunutzen pflegen. Zum Beispiel Walter und Römer und der
Flussname Eider, die jetzt alle drei wieder in er auslaufen , ur-
sprünglich haben sie, sehr ungleich unter einander, WaUhari
Gewaltheer, Bomwari Vertheidiger Boms und Agadorä, Egidord
Thor des Meeres**) gelautet. Ja es kommt hier vor, dass in-
folge derartiger Schwächung der zweite Bestandtheil ganz be-
seitigt wird: so hiess es Anfangs Wisuraha^^) oder zusammen-
gezogen und ang^Uchen, aber noch als Benennung desselben
87) Schöne Nachweisung SchmcUers, Bair. Wörterb. 11, 632. HI, 193.
Ist auf ähnliche Weise Sarraa, der Yolksmässig scherzende Ausdruck für
Degen oder Säbel aus althochd. scarasahs, scarsahs, aarsahs hervor-
gegangen?
88) Noch bezeichnender auf Altnordisch mit genitivischer Form, also
persönlichem Sinne des ersten Bestandtheiles Oegis-dyr Thür des Meeres-
und Schreckensgottes: vgl. J. Grimms Mythol. S. 219. Die Dänen als
deren Hauptgottheiten Jupiter und Neptunns genannt werden (Ermoldus
Nigellus HI, 5 fgg. lY, 451 fgg.) mochten die Mündung dieses ihres
Grenzflusses dem letzteren geheiligt haben. Den angelsächsischen Namen
Fifeldor deutet Kieger in Pfeiffers Germania III, 173 fg. Thor des Todten-
reiches.
89) Die Bömer haben eine andre Zusammensetzung, Visurgis mit
kurzem t, gehört; dasselbe gis in zahlreichen Eigennamen wie Ädalgis,
Ädalgisa u. dgl. und den Ortsnamen Ängelgisej Humilgise und Widergisay
in letzteren, wenigstens in Humilgise, jetzt Himmelgeist, mit gedehntem
Yocal.^ Zu Grunde liegt eine Wurzel geisa gais gisum, deren Bedeutung
J. Grimm Gramm. H, 46 mit ferire, EttmüUer Lexic. Anglosax. S. 433
passlicher mit agi, vehementer ferri ausdrückt.
44 Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache.
Flusses Wirraha, dann Wimrä und Wirrä, endlich jetzt, in-
dena man die beiden Formen geographisch unterscheidet, Weser
und Werra: von dem alten aha Wasser ist an der ersteren
nichts mehr übrig.
Es geht jedoch nicht überall und allein in dieser Weise zu.
Der Greis findet Mittel um noch auf einige Jahre hinaus sich
frisch zu verjüngen: so auch und auch nicht erfolglos regt in
der absterbenden Sprache sich der Trieb von neuem eine grössere
Fülle sinnlicher Anschaulichkeit herzustellen. Ich sage das zu-
nächst von dem letzten Zeitalter unseres Deutschen: es ist das
aber auch ein Hauptmerkmal der sogenannten silbernen Latinität,
und das Streben des jetzigen Englischen wieder sächsischer zu
werden hat im Wesentlichen denselben Anlass. Zu diesem
Zwecke schlägt die Sprache unter anderm und vorzüglich den
Weg ein, dass sie mit den gegebenen alten Worten ein neues
etymologisches Bewusstsein zu verbinden sucht. Ein neues, das
heisst ein andres als das eigentlich richtige: es wird nicht etwa
die ursprüngliche Form wieder ins Leben gerufen: die ist ein-
mal dahin, ist verschollen und vergessen; sondern nach Laune
und Zufall und aufs Gerathewohl tritt diese oder jene Umge-
staltung ein, die das verdunkelte Wort in neue Färbung und
Beleuchtung rückt, ihm andere Laute und damit wieder einen
Sinn giebt, einen Sinn der zur Sache passt, vielleicht auch einen
ganz schiefen, vielleicht einen der baarer Unsinn ist: aber man
denkt sich doch nun wieder etwas bei dem Worte, es klingt
zum wenigsten so, als solle und könne man sich etwas dabei
denken. In solchem Verfahren zeigt sich besonders deutlich,
wie nun die Sprache sogar zu ihren eignen und den heimathlich
ererbten Schätzen steht: denn eben dasselbe hat sie von je ge-
than um sich entlehntes fremdes Gut, um sich Fremdwörter an-
zueignen, indem da z. B. Antichristus , treffend genug, auf
Deutsch in Endekrist umgebildet ward, cavezzone in Kappzaum,
Serpentin in Scharpfentiner^^), tartoufle in Kartoffel, Ertoffel,
Erdapfel^^): ich habe diese „Umdeutschungen" bei einer früheren
90) Frisch II, 163 b.
91) Diez WÖrterb. d. Boman. Sprachen I, 431. Erdapfel für Kar-
toffel vergleicht sich dem andern provinziellen Wort' G rundbirne ; im Sinne
von Melone war es schon ein althochdeutscher Ausdruck.
Ueber den Ursprung' und die Entwickelung der Sprache. 45
Gelegenheit ausführlich behandelt*^. Und wohl darf beiderlei
Worten gegenüber das Gleiche gelten : beide sind unverständlich,
beide unverstanden: deshalb wird dort der fremden, hier der
abgeschliffenen heimischen Münze ein frisches Gepräge aufge«
drückt und so dieselbe neu in Umlauf gesetzt. Dergleichen
Wiederbelebung erstorbener Worte hat allerdings schon die
mittlere und schon früher die althochdeutsche Zeit geübt, wie
auch die romanischen, wie auch schon die beiden pelasgischen
Sprachen davon wissen*^): in rechter Fülle jedoch und als voll-
endete Eigenheit stellt sie sich zuerst im Neuhochdeutschen dar.
Ich bin meinen Zuhörern auch hievon Beispiele schuldig; bei
der Unmenge, die vorliegt, muss ich es wieder mehr dem Zu-
fall überlassen, ob die wenigen, die ich herausgreife, gerade
auch die passlichsten sind.
Zuweilen bleibt das alte Wort selber noch unangetastet,
und es tritt nur um dessen Sinn auszudeuten und dadurch neu
zu beleben ein anderes hinzu, welches ganz oder theilweise den
gleichen Begriff enthält, aber der jüngere, jünger übliche Aus-
druck dafür ist; es tritt hinzu ^ vor oder hinter das veraltete,
indem es sich entweder vermittelst eines und demselben bei-
ordnet oder, enger verknüpft, eine Zusammensetzung mit ibm
bildet. Wie also ntdi und nichtig, Lob und Preis, wie Pöbd"
volk und bei den Schwaben Lichtkarz zur Umdeutschung des
Fremden, der Worte mdl und Preis, Pöbel und Kerze dienen,
ebensolche Verbindungen und Bildungen werden nun auch zur
Erneuerung des Alten getroffen. Beiordnungen mit und z. B.
Fug und Recht, Leib und Leben, Schiff und Gesehirr^% wo
das Alte voransteht, Schatz und H(yrt^% Nutz und Geniess,
Schutz und Schirm, wo es den zweiten Platz einnimmt. Zu-
sammensetzungen, die mit dem Jüngeren beginnen, Flossfeder,
Fusspfad, Tischgenosse: schon Feder allein war früherhin^ im
92) Die Umdeutschung fremder Wörter, Basel 1861. 1862.
93) Umdeutschung S. 7.
94) Schiff s. Y. a. Gefäss: alt- und mittelhochd. scef vas, sciphl
phiala, schifelin cymbium; letzteres noch jetzt mundartlich so gebraucht.
95) Nicl. Manuel v. Grüneisen S. 394.
46 üeber den Ursprang nnd die Entwickelimg äer Sprache.
Altsächsischen wenigstens, s. v. a. Flosse*^), Pfad ein Fussw^,
Genosse ein Mitessender. Oder das besser verstandene jüngere
Wort steht hintennach, und wir sagen Lindwurm^'^), Sprich'
wort^^), toMfremd, während ursprünglich schon der ein&che erste
Theil genügt hat auszudrücken, was gemeint ist.
In den weitaus meisten Fällen jedoch findet kein solcher
Zusatz eines zweiten neueien Wortes statt, sondern das alte
Wort selbst und allein wird umgestaltet, wird in veränderte
Laute und so in den Anschein wiederum eines Begriffs hinüber-
gezogen: hiemit denn geschieht die Erneuerung ganz und voll
und in der eigentlichsten Weise.
Als ein Hauptkennzeichen der sinkenden Sprache haben wir
vorher deren Neigung kennen gelernt Zusammensetzungen so zu
verderben, dass sie wie Ableitungen aussehn: dem stellt sich
hier das gerade umgekehrte gegenüber: es werden Ableitungen,
iüdem man der Schlusssylbe eine grössere Fülle des Lautes und
des Sinnes belässt und giebt, in Zusammensetzungen verwandelt:
ein Widerspiel, das, wie einmal jetzt die Entwickelung der
Sprache vor sich geht, durchaus nur folgerecht erscheinen darf.
Zum Beispiel Einöde und weissagen hat erst eine jüngere Zeit
so doppelhaltig belebt: im Althochdeutschen waren eindti und
foizagon lediglich noch Ableitungen von ein und von wizago
d. i. Prophet, letzteres wieder eine Ableitung von tvizan schauen:
die Aenderung'in idssago, die Umdeutung also auf die Begriffe
weise und sagen, ftngt übrigens schon im zwölften Jahrhundert
an. Ebenso kommt trübselig von Trübsal und dergleichen mehr:
manche Bevölkerung, auch die hiesige, spricht das aber mit ä,
trübsälig aus, als ob trübe und sdig zusanmiengesetzt wären.
Gewöhnlich jedoch sind es nicht so wie in diesen Worten
96) Visc fldt aftar themo watare: verbruaten sind vetherün: Riegers
Alt- und angelsächs. Lesebuch S. 48.
97) Lintwurm bereits im Althochdeutschen, neben dem einfachen lint;
im Mittelhochdeutschen auch linttrache: aber das letztere scheint dabei
an linde gedacht zu haben : es ist eine Linde, unter welcher Siegfried den
linttrachen, den lintwurm tödtet: Nib. Str. 101. 845. Hörnen Siegfr.
Str. 7 fg.
98) Das einfache sprich oder spriche d. i. Wort in der Windberger
Psalmenübersetzung zu Ps. CXUI, 20: von zuein sprichen. Seit wann
besteht die ganz ungrammatische Schreibung SprUchwort?
üeber den Ursprung and die Entwickelnng der Sprache. 47
die beschliessenden Nebenlaute, sondern die Yoeale und die
Consonanten der Wurzel selbst, welche die umdeutende Neu-
gestaltung trifft. Ich nehme die ersten Beispiele gern abermals
von Basler und sonst von Schweizer Boden. Bethätigm wird
hier oft so gebraucht, dass es den Sinn von zureden, beschwich-
tigen haben soll: dafür ist jedoch die eigentliche Form he-
tädigen, noch eigentlicher beteidingen, und das kommt ebenso
wie verteidigen, verteidingen von tagedinc teidinc täding Ver-
handlung vor Gericht und überhaupt s. y. a. Bede. Eine Ab-
gabe von Lebensmitteln, die zum Verkauf eingeführt werden,
nannte man hier wie sonst anfänglich ungelt, mit demselben un
zur Bezeichnung des Lästigen wie z. B. in Unkosten^ ^): daraus
ist zunächst Urngeld und aus Umgeld, indem man das Wort
auf die Abgabe von Gretränken eingeschränkt, wieder Ohmgeld
geworden^®®). Fronfasten, der Name derjenigen Hauptfasttage
der alten Kirche, die sich auf die Quatember, die quatuor tern^
pora, vertheileu : er bedeutet dasselbe, was der anderswo übliche
Ausdruck Weihfasten, nändich heilige Fasten: Anschauung und
Sprache des Volkes stellt aber eine Art von mythischer Persön-
lichkeit, die Frau Faste, daraus her^^^), ganz ähnlich, wie aus
dem berhten d. i. dem leuchtenden tage, der früheren deutschen
Benennung des Festes Epiphanias ^^^), schon im Mittelalter seit
1300 eine nachträgliche Spukgöttinn, die Frau Berchte, er-
wachsen ist^^^), der zu Ehren unsre Freunde in Zürich heut
. noch gleich nach Jahresanfang „bechtelen^®^)." Ferner, wir
haben ein Zunfthaus zu Spinnwettern: nach dem Wortlaut wären
das Spinngewebemacher: die früheren Benennungen aber, die der
99) Im Benner die weitläufige Behandlung des „lasterbleches'^ un
länft Z. 9188 in den Gegensatz von gelt und ungelt aus.
100) Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel S. 31.
101) Hebels Werke 1838. I, 180. 11, 272. Stalders Idiot. I, 394.
102) Haltaüs Jahrzeitbüch S. 75. J. Grimms M^^thol. S. 259.
103) Andere Vorgänge dieser Art s. Umdeutschung S. 55. J. Grimm
zieht es freilich vor die ,,Perahta^' aus germanischer Urzeit, noch aus dem
wirklichen Heidenthum herzuleiten.
104) So mit ausgestossenem r sagt schon 1435 Eonrad von Dankrats-
heim (Strobel, Beiträge z. deutschen Literatur S. 123) die mute hehte und
im Zeitwort hehteny S. Brant Narrensch. LXVI, 102 hackten: er meint, es
komme das von Bacchus.
48 Ueber den Uraprung und die Entwickelang der Sprache.
verdiente Topograph des alten Basel nachweist ^'^^), sind Spiip-
werters, Sptwerters^ Spichwerters hüs, und dieses letztere, Spich-
werter^ ist unter König Albrecht I. der Name eines Mannes
aus Seckingen gewesen*®*): hier müssen wir freilich mit Er-
klären innehalten, und es bleibt zu vermuthen, dass Spichwerter
selbst schon irgendwie entstellt sei. Verlassen wir aber jetzt
die Stadt und wenden uns auswärts. Vordem, da wir noch zu
Fusse nach Aarau giengen, nahmen wir den Weg gern über die
Schaf matt: das klingt nun ganz idyllisch: im Mittelalter jedoch
hiess dieser Bergübergang die Schachmat d. i. die Raubmatte *®^.
Dann Wiesendangen bei Winterthur, Wiesensteig bei Ulm und
gar WieserUhau bei Forchheim, lachen uns diese Dorfnamen
nicht wie eine wonnige Frühlingslandschaft an? Es war anders,
da man noch Wisuntwanga, Wisontessteiga , WisenUmwa sagte,
Feld und Steig und Au des Wisentochsen: hier also ist wirklich
ein Thier und ein wilderes als dort der Namengeber. Beispiele
aus Speier und Frankfurt: eine Brücke in jener Stadt, die man
später Diebsbrücke genannt, hiess ursprünglich diäbrucge Volks-
brücke, eine Brücke für Alle*"®), und umgekehrt das jetzige
Gallenthor in Frankfurt das Galgenthor^^^). Endlich noch ent-
fernter gen Norden Holstein und die Holsteiner, Laute die uns
an einen hohlen Fels zu denken nöthigen: indess der heimische
Name des Volkes dort und darnach des Landes ist Holsten, diess
aber zusammengezogen aus HoUseten Holzsassen d. i. Wald-
sassen**®), ebenwie das Niederdeutsche auch insete Insasse,
lantsäe Landsasse, drochtsäe drossete Truchsesse so zusammen-
zieht, dass daraus inste, lanste, droste wird.
105) Fechter: Basel im Tierz. Jahrhundert S. 52.
106) Das Hahsburg-Oesterreichische Urbarbach, hsggb. v. Pfeiffer,
S. 339, 31. 340, 24.
107) Urkunde von 1363 in Herrgotts Geneal. diplom. Habsb. II, 2,
708. Aus schdch als Namen des Spieles ist ebenfalls schäf geworden:
8chäfzagel d. i. Schafschwanz für achächzabel d. i. Schachbrett.
108) Die freie Reichsstadt Speier y. Zeuss S. 19. Den Uebergang
bildet die Angleichung diepprucke,
109) Battonus Ortl. Beschreibung d. Stadt Frankfurt a. M., hsggb.
V. Euler, S. 117 fgg.
110) Holcetae dicti a Büvis quas ineolunt oder accolunt: Annalisten-
stellen die Förstemann anführt, Altd. Namenbuch II, 797.
Ueber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache. 49
In Fällen, wie die bisherigen, und am ärgsten wohl in dem
letztangeführten, geht die Yerderbniss der Laute Hand in Hand
mit einer Verderbniss und Verkehrung des Sinnes: in anderen
dagegen ist einzuräumen, dass mit der neuen Lautgebung ein
passlichster Sian neu hergestellt und in der That ein Gewinst
für die Sprache ist erreicht worden. Auch daron Beispiele.
Man hat in früherer Zeit allgemein, wie das noch jetzt in
Mundarten des Südens geschieht, Fasnacht oder vollständiger
Fasenacht gesprochen, von einem Stanoünwort faaen d. i. spielen,
scherzen*^*), und hat die Vorhöfe der Kirchen, da solche auch
als Freistätten dienten*^*), frithof geheissen, von frUen schonen:
beides ist frisch in unser Verständmss herßingerückt, seitdem
wir mit Bezug auf die Fasten, die der Fasnacht folgen, Fast"
nacht sagen ^^*), und einen Kirchhof, den Buheplatz der Tbdten,
111) Faaen in der angegebenen Bedeutung ist allerdings unnacbweis-
bar (das althochd. fctsön dient zur üebersetzung von vestigare, quaerere),
aber faseln hat sie, und schon die Wurzel fisa fas fisum scheint sie be-
seäsen zu haben: wenigstens geht aus dieser (s. J. Grimms Gramm. II, 52)
noch eine Anzahl anderer Worte von eben dem weiteren Sinne herror,
den auch faseln und Uich und spielen selbst aus jenem Grundbegriff ent-
wickeln. Spü Geschlechtstheil: Docens Miscellaneen II, 169; overspil
Ehebruch: Schmeller III, 562; spilen Beischlaf üben: Hoffmanns Fund-
gruben II, 37, 24. 43, 37. Wemher v. Niederrhein 69, 2. ühlands Volks-
lieder S. 220. 773. Leich auf Neuhochdeutsch, in der Schreibung Laich,
der Same der Fische und der Frösche. Vasel als Masculinum Zucht-
stier, als Neutrum Viehjunges; faseln Junge bekommen; vaselrint, phasel-
rint Zuchtstier: J. Grimms Weisthümer I, 96. 674; Faselsau, Fasel-
sehwein Zuchtsau; endlich vaselvihe der Gesammtausdruck für Zuchtthiere
männlichen Geschlechts: Weisth. I, 426. II, 17. 156. 263. — Eine andre
und doch nicht weit abgehende Erklärung des Wortes Fasnacht giebt
Moscherosch in der Vorrede zum zweiten Theil der Gesichte Philanders
von SittewaM S. 3: „Solche Orgja Bacchi, solche Zusammenkunfften vnd
Waldfahrten worden den Satyren zu gehorsammen Ehren gehalten; auff
welchen sie auch an Eeyen die voruembste waren, das beste thaten, sich
mit den Hey den toll vnd voll soffen, im Waldt vnd dem Gebürg mit vnden
mit oben lagen tag vnd nacht in grossem Geschrey vnd Fatzerey zu-
brachten, Schwarmfest vnd Fassnacht hielten. Einander durch zogen;
dahero die Fafsnacht als Fassnacht oder Fat zn acht ihren Ursprung vnd
Namen bekommen."
112) J. Grimms Beehtsalterthümer S. 886 fgg.
113) Es geschah das in zerstreuten Fällen schon gegen Ende des
vierzehnten Jahrhunderts.
WaektmagBl, Schriften. UL 4
50 üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
nicht Freithof nennen, wie das alte Wort doch eigentlich jetzt
lauten sollte, sondern Friedhof. Bei Nagelbohr haben wir den
Nagel im Sinne, der in die vorgebohrte Oeflfnung soll geschlagen
werden, und Handwerk ist (es kann nicht fehlen) die Arbeit
der Hände: inzwischen lehrt die Geschichte der Sprache, dass
Nagelbohr zunächst aus nagebor, diess aus nageber, diess wieder
durch Umstellung aus nabeg$r entstanden ist^^*): nabeger aber
(wir haben das Wort noch in dem Geschlechtsnamen Näbiger)
bezeichnet ein Eisen, welches sich dreht wie eine Nabe; und
dieselbe lehrt, dass unser Handwerk umgebildet ist aus antwerc,
welches zuerst die Benennung einer Gerätschaft zum Entwürken,
einer Angriffs- und, Zerstörungsmaschine, wie man sie bei Be-
lagerungen brauchte, dann einer Maschine überhaupt, dann jedes
Werkzeuges, dann auch der Berufsarbeit damit gewesen^ ^^).
Und nun die letzten Belege: ich wende mich mit denselben
wiederum gern zu den verehrten Amtsgenossen von der natur-
wissenschaftlichen Seite meiner Facultät; es mag da treffende
Erneuerung mit unzutreffender wechseln. Wir sagen Maid-
wurf^^^): er wirft aber das Erdreich mit den Schaufeln seiner
Vorderfüsse auf; er hat auch nichts von einem jungen Hunde
oder gar einem Affen, noch wirthschaftet er in Mauern, und
doch nennen ihn jetzt die Franken Mauraff und nannte man
114) Althochd. nahagiry nabuger, nahig^r; mittelhoehd. nabeger ,
nehegSr, wie noch jetzt in Baiern Näbiger und Näbinger, und nagdfer,
negeberf nagewer, nagwer Hoifm. Sumerlaten 32, 49. wie jetzt in der
Schweiz nägwer, aber auch schon tiägbor, negbor Vocabularius optimus
XII, lOj in Baiern die Zusammenziehungen Neiber, Nepper,
115) Die Umbildung hantwerc kommt hie und da schon im Mittel-
hochdeutschen vor, aber nicht bloss um den jetzigen Sinn des Wortes aus-
zudrücken, sondern als Bezeichnung einer Belagerungsmaschine: man wollte
sich einmal der Partikel, die unverständlich geworden war, entschlagen.
Das althochd. hantwerch hat weder die eine noch die andre Bedeutung:
Notker übersetzt damit opera manuum und facta manuum, und ebenso
braucht das Wort noch Konrad v. Würzburg nach v. d. Hagens richtiger
Besserung (der Schreiber hat sogar hier das ihm gewohntere antwere ge-
setzt) Minnesinger II, 312 a: wercman höchf du weidest dich län verseren
d\n hantwerc: das Werk deiner Hände, den von dir geschaffenen Menschen.
116) Wie sich schon im fünfzehnten Jahrhundert maulworif findet
(Schmeller III, 566)*, im vierzehnten und sechzehnten mülwerf Jung.
Titurel Str. 2761. Maulwerf B. Waldis Aesop III, 79.
Ueber d^n Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 51
iha mittelhochdeutsch gelegentlich mülweip^'^), weif aber ist da
zunächst das Junge eines Hundes: anders und passlicher, uns
zwar unverständlich, sind die zwei altern Namen gebildet,
mtätmirf d. h. der den Grund aufwirft ^^**) und müwerf der
das in Heimlichkeit thut^^^): jenes abenteuerliche Mauraflf ist
aus der volleren Form m«ttt?ßra/* hervorgegangen ^^^). Wachholder:
teine Zusanmiensetzung mit Holdei^ Holunder, wenn auch wir,
zugleich mit einer Betonung die auf jeden Fall verkehrt ist, so
aussprechen und meist auch schreiben, ebenso wenig als Zapf-
holdem, der Name eines Bauernhofes in Baselland, aus Zapfen
und Holder zusammengesetzt ist: sondern tv^chaUer, wie es
früher- geheissen,' hat als ersten Theil ein Adjectivum wechal
d. h. wach, lebendig, als zweiten aber das entstellte Substan-
tivum triu Baum ^2^): der Wachholder, der juniperus, erscheint
117) Minnesinger II, 385 b; mülwelpfe Berthold I, 563, 30.
118) KÜhochA., mulUcurf, moUwerf, mittelhd. moltworf: goth. tnulda,
ahd. moUa Staub, Erde.
119) Ahd. müwerf y müwerft^ müwerf Oy müworfo Haupts Zeitschr. III,
380 b. niuurf d. i. müwurf, rahd. mütcerfe Renner 4855. Mu bezeichnet
den ßömern, {jlO den kriechen, uns mit reduplicativer Zuthat mumm einen
verstohlenen, kaum hörbaren Laut. Daran schliessen sieh, gleichfalls noch
als Lautbenennungen, (xusiv, (xu^eiv, mutirey mussare, mussitare, mummeln,
muckzefiy althochd. muceazan und die Substantiva Mucks y [luia, musca,
ahd. muccä; sodann (es wird hier im Gegensatz zu dem oben auf S. 18
bemerkten von dem Sinn des Gehöres aus und auf den des Gesichtes über-
gegangen) als Ausdrücke für ein verstohlenes unsichtbares Sein und Thun
wiederum fiuetv, mucken, ahd. mühhan auf nächtlichen Raub ausgehn, wo-
von weiter unser meucheln, substantivisch jxui;, lat. und deutsch müs,
mühho Heimchen und mit mü beginnend unser müwerf.
120) Vgl. Adalberaht Äddlherht Adalbert und Adalbraht Älbrecht,
&g<Ü8trä dgala&trä dgelestrd und dglastrd dglesterd oben Anm. 81.
121) Der Wacbholder hat ausser anderen Namen die drei gleich-
gebildeten und gleichbedeutenden wechalter (wecholter, wecheltery wechUtery
weckolter Strassb. Handschr. D 3 = Grieshabers Predigten I, 164,
wekilter Schlettstädter Glossen XXXVIII, 1?. wachüter; mit Erweichung
des t nach der Liquida wecheldery wechihier Altd. Blätter II, 212. wecholdevy
toechuldery wachalder Hoffm. Sumerlaten 54, 28. 46. 57, 37; durch Um-
stellung des r verderbt werchel Altd. Bl. II, 213; neuhochd. auch weck-
holder und entstellt Weghafterer Schmeller IV, 46. niederd. macholler,
Wachandel und Machandel Märchen d. Br. Grimm 47), queckolter und
reckalter (recolter, rechelter Haupts Zeitschr. III, 473 b. recholdirjy keiner
derselben vor dem zwölften Jahrhundert nachweisbar. Wechal y das sich
4*
52 Ueber den Ursprung und die Entwickelnng der Sprache.
ja immer lebend und immer jung^'*), und so, als einen Baum
der Verjüngung und des Lebens, braucht ihn auch unsere
Mythendichtung ^'^). ZappuMem aber enthält den auf gleiche
Art gebildeten Baumnamen apfoüer^^^) und davor noch ein zu,
bedeutet also „bei den Apfelbäumen^': meine Zuhörer erinnern
sich nun von selbst der Dörfer AffoUem im Zürichbiet, früher
Affaltrahe d. i. Apfelbaumbach, und Affdtrangm im Thurgau,
auch in ^Weehdeich findet (vgl. lat. viffil tmd ahd. trachal), ist Ton der
Wurzel des Adjectivoms wachf queckol wie ahd. qüiculunga von quec
lebendig» reckal ebenso von recken abgeleitet: ygl. ^'Eicea irrep; S. 45.
Dass sodann ter hier wie in andern gleichausgehenden Baumnamen auf
triUf dem griech. Äpu;, beruhe (J. Grimms Gramm. 11, 832. 530. Schmel-
1er I, 45), ist unzweifelhaft: in wechelt (Predigten v. Grieshaber I, 164)
und dem schwäbischen Wechetdure {Wechelduren-, Wacheldurenbeere
Schwab. Wörterb. v. Schmid S. 520) scheint jener Grund noch mit
grösster peutlichkeit hervor und ebenso darin, dass die Blaubeurer
Predigthandschrift Bl. 48 a wekaltir als Neutrum braucht, wie goth.
iriu^ angelsächs. treovy altsächs. treOf altnord. tri neutral sind. Sonst
werden dergleichen Worte vom Althochdeutschen an entweder MascuHna
und endigen dann auf tar, mhd. ter: Beispiel dieses Geschlechts taeekoUer
an dem angeführten Ort; oder da allgemeiner Kegel nach die Namen der
Bäume weiblich sind, sie werden Feminina und endigen althochdeutsch
auf trd, ierd, mittelhochd. auf tere, meist jedoch wiederum auf ter:
Beispiele davon queckolter Leseb. I, 965, 18. fraw weeholter Spiegel 177,
34. unter eine Wachholdern noch bei Luther Eon. I, 19, 4 fg.; die
jetzige Sprache, verleitet durch das Aussehen der £udung macht sie ins-
gesammt zu Masculinis. Schon im Altdeutschen aber gewinnen, da triu
so entstellt ist, auch diese Zusammensetzungen den Auschein blosser Ab-
leitungen, und ihr Sinn verdunkelt -sich so, dass sie nicht bloss aufs neue
mit houm componiert werden können, wie recheUerhoumf wechcdterpoum,
werchelbaum, und bei Williram affalterboutn, sondern auch weeholter
die Bedeutung von Wachholderbeere annimmt: Haupts Zeitschr. III, 30.
Nur die jetzige Yerrückung des Accentes war der älteren Zeit noch fremd :
das beweisen die häufigen Formen mit Schwächung des zweiten, gerade des
jetzt allein betonten Vocales, wechelter, wechüter u. s. w.
122) Der angelsächsische Name cvieheAm drückt das noch kürzer und
deutlicher aus.
123) *'ETCca TCTtpoevTa S. 44 fg.
124) Althochd. apholträ, affoltrd, affultrd, affaltrd, affaldrd, affeUrd
Altd. Blätter II, 211. affUtrd, affoUerd, ajfalterd, affolderd; mhd. aphoUere,
apfoHer, apf alter, affdltere, afftdter, äff elter Hoffin. Sumerlaten 45, 63.
affeldre.
lieber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. 53
früher AffuUarwangen Apfelbaumfeld. Mehlthau: allerdings
keine üble Bezeichnung des weissen staubigen Aussehens, das
die erkrankte Pflanze von den microscopischen Filzen erhält;
auch der mittelhochdeutsche Name milcJUou war nicht unpassend:
ursprünglich jedoch hat man müitou, miltou gesagt, und das
kommt entweder, wie noch in neuerer Zeit die mundartliche
Form Milhthau begegnet, von miliwa, müwe Milbe, man sah
also die Pilze für ein Ungeziefer an; oder aber, indem man
Mehlthau und Honigthau beide zuerst mit demselben Wort be-
nannte, von dem gothischen milith Honig. Höhenratwh oder
Hehrrauch oder Heerratich oder Herdrauch, auf welche Form
bat die Naturwissenschaft sich jetzt vereinigt? Alle zusanunen
sind nur Eatstellungen und zwar eines und desselben süddeut-
schen Ausdruckes, nämlich Heirauch, woneben auch Heiruck,
Heidampf und Heinebel gilt: hei die brennende Sommerhitze.
Wetterleuchten: diess wieder eine ganz gute Auffrischung: das
alte Substantivum Wetterleich mit seinem Zeitworte wetterleichen
oder wetterleichnen lebt zwar noch in der bairischen und der
schwäbisch-alamannischen Mundart und daneben dort mit gleicher
Bedeutung Himmelleich und himmelleichen, kaum jedoch dass
man das eine und das andre noch versteht: leichy im Altdeut-
schen s. V. a. Spiel und Tanz, geht auf das zuckende Spiel der
entfernten Blitze ^*^). Und endlich nun, nachdem sie nicht ohne
Ungeduld solch eine Flut von Beispielen haben über sich er-
gehen lassen, möge das letzte in der langen Keihe diess Wort
selber sein:^ denn auch diess ist nur eine Erneuerung und Um-
deutung. Die ursprüngliche Form lautet btspel und so heisst
'eine Erzählung, bei der noch etwas gemeint ist, durch die noch
auf etwas anderes hingewiesen wird» eine Fabel, eine Gleichniss-'
rede: hieraus der neuere Sinn eines zur Vergleichung gezogenen
Ereignisses oder Dinges oder Wortes, und dieser so ausgedruckt,
dass nmn den naheliegenden Begriff der Anspielung bereijEitonen
lässt.
Ich habe mich bei diesen letzteren Dingen vielleicht nach
Ihrem Urtheil unverbältnissmässig lange, aber doch nicht ab-
sichtslos so lange verweilt Mir scheinen nämlich Beispiele wie
125) Den Donner nennt der Sancfcgallische Mareianus Capeila 6. 93
einen clafteich»
54 üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache.
die vorgeführten der Erneuerung des Alten besonders geeignet
um Ihre Aufmerksamkeit schliesslich auf noch einen Punkt, der
für unsre heutige Betrachtung von Belang ist, hinzulenken und
noch einen Grundzug anschaulich zu machen, der von je durch
die gesammte Sprachentwickelung und schon bei der Sprach-
schöpfung gewaltet hat.
Wenn die Sprache dßs Menschen in Allem und Jedem eine
unabänderlich strenge Richtigkeit befolgte und nie seitab aus
der geraden Linie der Regel wiche, so wäre das allerdings ein
Merkmal für uns, entweder sie sei lediglich ein Naturereigniss,
oder aber, da so ohne weiteres diess nicht anzunehmen noch
zuzugeben ist, es wirke bei ihr unausgesetzt üeberlegung und
Absicht, und Wort für Wort suche und wisse der Verstand sich
Rechenschaft zu leisten über jedes einzelne Was und Wie; dann
würde auch in den Zeiten, wo es bereits G-rammatiker giebt, die
Sprache nicht allein von denselben gemeistert, sie würde recht
eigentlich deren Werk und Verdienst sein. Dem allem ist aber
nicht so: welche nachdenkliche Erwägung wäre das, die dazu
führen könnte, aus dem berhten tage heraus eine Frau Berchte
zu ersinnen oder muUwurf und müwerf in Maulwurf und
Mauraff umzuwandeln? Vielmehr liegt gerade in diesen Er-
neuerungen veralteter deutscher und ebenso in den Umdeutschungen
fremder Wörter ein Wink, der auf eine ganz andre Kraft hin-
weist, welche noch hier thätig sei, auf einen ganz anderen Weg,
den der menschliche Geist einschlage, indem er die Sprache
fortgestaltet, und. schon indem er sie zuerst erschafft. Er geht
dabei mit Genialität, mit Naivität, so wenig mit Refleidon,
sondern auch dabei so durchaus instinctiv zu Werke, wie er'
instinctiv und ohne jedesmal frisch zu reflectieren die Lungen
athmen lässt und die Glieder sich bewegen: so instinctiv, dass
man sagen möchte, nicht der Mensch sei es, der diess und das
an der Sprache und mit der Sprache thue, es sei die Sprache
selbst; so naiv, so naturwüchsig, dass wieder von diesem Stand-
punkt aus diejenigen nicht so ganz Unrecht haben, denen die
Sprache überhaupt nur als ein Gegenständ naturgeschichtlicher
Betrachtung gilt; so genial, dass damit ein um so entschiede-
neres Urtheil geföllt ist über all jene Halbgelehrsamkeit und
Altklugheit, welche meint, es stehe nur bei ihr die Sprache
durch Vorwärts- oder Rückwärtsschieben oder sonstige Erfin-
Ueber den Ursprung und die Entwickelang der Sprache. 55
düngen ihrer Willkür zu verbessern, es sei, da die Sprache eine
Schöpf ang des menschlichen Geistes ist, die Befugniss jedes
Ersten Besten nun auch seines Theils ein Stuck Sprache zu
machen. Schon das ausgehende griechisch-römische Aiterthum
hatte seine Pedanten dieser Art, und auch die römischen Tochter-»
Völker sind nicht arm daran: aber reich daran ist leider zumal
unser deutsches Volk, die Deutschen inner- wie ausserhalb der
ehemaligen Bundesgrenzeu, und sind es gewesen, noch ehe diese
Grenzen gezogen waren, schon im achtzehnten, schon im sieb-
zehnten, schon im sechzehnten Jahrhundert. Und nicht genug
an dem einen Felde, auf dem die Pedanterei am liebsten ihre
Thaten thut und sich Lorbeem erwirbt, nicht genug an der
Orthographie, wie dass man mit Gewalt uns gelehrt hat, sdig
verlange ein doppeltes e, da es von Seele, und echt ein ä, da
es von achten konune, während doch echt aus ehaft d. h. ge-
setzlich zusammengezogen ist^^^), selig aber, althochdeutsch säUg,
mit Seele; althochdeutsch sela, sSiUa, gothisch saivala, nichts zu
thun hat, wie übrigens noch jetzt die genauere Aussprache des
Wortes zeigt, sondern al^eleitet ist von einem Adjectivum säl,
auf Gothisch sil, s. v. a. gut: nicht genug au solchem, nodi
öfter und noch unbescheidener geht dieses Meistern, das doch
nur ein Pfuschen ist, über das Kleid der Schrift hinweg und
noch gewaltthätiger an Fleisch und Bein der Sprache selbst.
Da heisst man uns Augenbraunen sprechen, nicht Augenbrauen,
mögen dieselben auch glänzend schwarz oder schneeweiss vom
Alter sein^*^), und gehör chaam und hostbälig^ nicht gehorsam
und kostspielig, lieber ein sinnloses als ein halb unverständliches
oder nur von dem Lehrer nicht verstandenes Wort: denn ge^
hören, wozu gehorsam gebildet ist, hat eigentlich auch den Sinn
von gehorchen, kostspielig aber vertritt ein älteres kostspildig,
126) Und zwar so, dass im Mittelalter ehaft und echt, z. B. ehaft dinc
nnd echt ding, ihaft ndi nnd echt not, einander noch als Hochdeutsch und
Sächsisch gegenüberstehn.
127) Man könnte, falls man davon nur wüsste, als Beweis anführen,
dass wirklich die Angelsachsen und Nordmannen brün für Augenbraue
gesagt haben (für die Wimper breäv und brd)^ mit einer Vocalisierung
also die sich näher als da» A in brduda Braue dem griechischen dqppu^ an-
schliesst: welch ein Beweis wäre das aber in Bezug auf unser Hochdeutsch?
Biess hat einmal Ton je her brätcOf ougbrdwa, wititbrAt^a u. s. f. gesagt.
56 üeber den ürsprniig und die Entwickelnng der Sprache.
und spildig ist, wer viel verthut^^*). Zum Glück indessen
halten all solche Funde nur selten Stand: das sind nicht ge-
wordene, das sind gemachte IJmdeutungen ; nicht frei gewachsen,
nicht aus der Sprache selbst, sei es auch noch so verkehrt, her-
vorgetrieben , gleichen sie Beisem, die ein spielendes Kind in
den Boden steckt, damit sie schon in der nächsten Stunde welk
und morgen verdorrt seien. Ebenso unnaturwüchsig aber und
noch ungenialer ist es, wenn wieder Andere nicht mit vermein-
ter Ausdeutui^ veralteter und verdunkelter Wortformen uns
behelligen, sondern dem gerade entgegengesetzt mit deren Wieder-
herstellung, so viel sie davon durch Zufall haben kennen lernen,
mit der Wiederherstellung des Alten, wo doch die Sprache schon
längst ein Neues dafür aus sich erzeugt hat, wenn man zum
Beispiel für Sündflut wiederum nach Luthers Bibel Sindflut ein-
führen will. Sündflut aber ist geradezu ein Hauptbeispiel ge-
• lungenster Sprachemeuerung. Sindflut, was in aller Welt be-
sagt das noch für unser Verständniss? Die Vorzeit konnte
eigentlich jede üeberschwemmung so benennen ^^^; was aber
jenen Verbesserem unsrer Sprache noch entgeht, in der ur-
sprünglichen Echtheit des Ausdruckes hat es nicht einmal sint"
fluot geheissen, sondem sinfluot, mit demselben verstärkenden
sin, das wir noch in Sinngrün, dem deutschen Namen der Per-
vinca oder Semperviva, brauchen. Sündflut dagegen, welche
einfach treffende Umgestaltung! Ein Wort das seine Anwendung
ganz bestimmt nur in diesem einen geschichtlichen Bezüge
findet^'*®) und so die Bedeutung gleichsam eines Eigennamens
hat, das inhaltsvoll zugleich das Ereigniss und dessen Ursache
angiebt, ein recht eigentlich pragmatisches Wort, wie Sindflut
das fürwahr nicht ist. Und die neuere Form ist keineswegs so
neu, als man wähnt und thut: zwar Luthers Bibel hat sie erst
128) Solcher Beispiele noch mehr, wie etwa Geradewohl fär Gerathe-
wohl, Hüfthorn für Hifthorn (richtiger Hie f hörn: Frisch I, 452 b), das
Maul offen viel haben für Matdaffen feil hieben (ygl. Haupts Zeitschr. VI,
257 )i Seheidel für Seheitel, weihsagen für weissagen, sind höchstens der
Anführung unter dem Texte werth.
129) Auch mit sinwdgi wird catadysmus wiedergegeben.
130) Denn auch Psalm XXIX, 10 wird Luther nach alter Auslegung
eine Noachische Flut verstanden haben.
Ueber den Ursprung und die Entwickeluog der Sprache. 57
•
)n dem Frankfurter Drucke von 1589: aber früher, als jene
überhaupt in die Welt getreten, sagt z. B. schon Nielas Manuel
auch sündtfluss^^^).
Geehrte Versammlung, wir nennen es in politischen Dingen
einen Frevel gegen das höhere Becht der Geschichte, eine Auf-
lehnung gegen die Gedanken Gottes, die nach unserm armen
Yerständniss sich in ihr bewegen, wenn eine Partei mit rück-
sichtsloser Ueberstürzung vorwärts oder mit Widerstreben aufs
neue zurück will; wir nennen es einen Frevel gegen die Heilig-
keit der Wissenschaft, wenn ein Diener derselben geschichtliche
Thatsachen oder Wahrnehmungen aus dem Reiche der Natur
muthwillig verfälscht: warum denn soll die Sprache in Becht-
losigkeit dastehn? Auch sie ist geschichtlich geworden, ge-
schichtlich gegeben, und zugleich schliesst auch sie eine Summe
von Erscheinungen in sich, die wesentlich in den Bereich der
Naturwissenschaft gehören und deshalb nur durch eben jenes
exacte Forschen zu erkennen sind, das man den Studien der
Mathematik und der Natur als unterscheidendes Merkmal vor-
zubehalten pflegt. Dass aber eine solche Betrachtungs - und
Betriebsweise in der That schon längst gewonnen, solch ein
Standpunkt je mehr und mehr unter uns befestigt ist, dass so-
mit die Kundigen auch gelernt haben die Grammatik über die
Willkür der Grammatiker und die Sprache selbst über das be-
wusste und beflissene Dazuthun der Sprechenden erheben, muss
als eine der grössten Errungenschaften unseres Jahrhunderts
bezeichnet werden: denn erst auf diesem Wege sind wir und
sind wir zuerst zu einer Wissenschaft der Sprache gelangt, welche
des hohen Namens werth ist, zu einer Sprachwissenschaft, wie
sich ihrer kein früheres Zeitalter rühmen durfte. Dem Manne,
der vor allen Anderen den Grund dazu gelegt und selbst auch
das Gebäude hoch und fest emporgeführt, der durch Zergliede-
181) Grüneisen S. 391: „Sändtfluss, Wölcher vber die Menschen gangen
ist, z& der Zeit N.oe, von wägen jres Sündtlichen läbens, auss dem sibenden
Capittel Genesis. Im Thon, Frölich so wiU ich singen, mit Inst, &c. [von
Gwer Ritter] Getruckt zu Basel bey Samuel Apiario". In der Magdeburger
Ausgabe des Froschmeuselers von 1600 ist II, 3, 4 und III, 3, 1 Sintfluth
4ind Sindfluth gedruckt, daneben aber an der ersteren Stelle auch Sunt"
fluth.
58
üeber den Ursprung nnd die Entwickelnng der Sprache.
rung der Sprachen des indogermanischen Stammes G^heimnis^
über Geheimniss des Sprachenwachsthums aufgedeckt und durch
weitausgreifende Vergleichung den Blick über ein Netz lebendiger
Wasser eröffnet hat, die alle aus einem und demselben Urquell
strömen, FBAN'Z BOPP, sind am sechzehnten Mai dieses Jahres,
als dem fünfzigsten G^dächtnisstag seines ersten und sofort
bahnbrechenden Werkes, die Danksagungen und Wünsche Eu-
ropas und nicht Europas allein dargebracht worden: gern nehme
ich des späteren Heutigen Festanlasses wahr und benütze, so
dass noch dem letzten Wort eine höhere Weihe zu Theil wird,
diesen Festvortrag um dem grossen Manne nun auch in Ihrem
und, bescheiden wie es mir geziemt, in meinem Namen den
Zoll dankbarer Ehrerbietung auszusprechen.
Die deutschen Appellativnamen.
(Aus Pfeiffers Germnfna, Bd. 4, S, 129—159. 5, 290—356),
Ursprünglich giebt es zwischen Appellativen und Eigen-
namen keinen Unterschied. Die Sprache hat sich um letztere
zu bilden nirgend besondre eng und bloss persönliche Begriffe
vorbehalten: sie verwendet dazu stets Worte von appellativer,
ja meistens von ganz unpersönlicher Bedeutung und verleiht
denselben nun erst die persönliche. Z. B. in den althochd.
Männernamen Warmimt und Albrät, angelsächs. ÄlfrM, den
Weibemamen Sigilind und Orhnhüt hat der zweite und für den
Begriff des Ganzen hauptsächliche Bestandtheil der Zusammen-
setzung hier einen concreten, dort sogar einen abstracten, kein-
mal aber einen auch nur allgemein persönlichen Sinn: munt ist
8. V. a. Hand, r&t, ags. red unser Eath, sinnlicher Hilfe, Und
ein Drache, hiltja der Kampf; nicht viel anders der erste Theil,
der ohnediess, auch wenn er überall persönlich wäre, doch über
das Ganze nicht entscheiden würde: aberwarl ist Vertheidigung,
Schutz, sfgrw oder sigi Sieg, grtma ein Helm, und nur (üb oder
älf ist ein persönliches, aber ein appellatives, ein Gattungswort,
unser Elfe: also Warmunt Wehrhand, Alfred Elfenhilfe, Sigilind
Siegdrache, GrimhiU Helmkampf ;^ erst nachdem diese Worte
einzelnen Personen als Eigennamen beigelegt sind, erscheint
Alfred als ein Mann, den die Elfen unterstützen, und Grtmhilt
als eine Kämpferinn im Helme.
Umgekehrt, von der anderen Seite her, verfliessen wiederum
auch die sachlichsten Appellativa insofern mit den Namen der
Personen, als wenigstens diejenigeu Benennungen lebloser Dinge,
welche Masculina oder Feminina sind, auf den Grund einer per-
60 ^^ deutschen AppellatiTnamen.
s5nlichen Auffassung derselben fussen: denn nur für diese hat es
einen Sinn die Geschlechter zu unterscheiden; einer persönlichen,
nicht überhaupt einer bloss animalisch belebenden: Thiere pflegt
auch das Deutsche mit Epicoenis zu benennen. Wenn Tvir, um
nur einen Beleg und ganz aus der Alltagssprache unserer Zeit
zu bringen, Geräthe mit den Worten Fächer, Reiber, Heber
u. dgl. belegen, Worten, die ganz so gebildet sind wie die per-
sönlichen Schacher, Schreiber, Reber d. h. Bebmann, so geschieht
das nur, weil wir, bewusst oder unbewusst, uns eben auch den
Fächer u. s. f. in persönlicher Weise tbätig, als einen Arbeiter
und Diener denken: Zusammensetzungen mit Knecht, wie Brat-
knecht, Raitknecht, Schüsselknecht (Schmeller 2, 370) stellen das
noch viel augenfälliger heraus^).
Indessen, sobald einmal eine Sprache gelernt hat die all-
gemeinen und unpersönlichen Appellativa zugleich als persönliche
Einzelnamen abzugrenzen, alsobald befestigen sich auch mannig-
fache Unterschiede zwJBchen den beiden ursprünglich nicht ge-
trennten Wortarten, und Appellativa und Nomina propria nehmen
in der Grammatik gesonderte Stellen ein, syntactisch wie der
Bildung und der Biegung nach: imperativische Zusammen-
setzungen wie Thudichum, Bleibimhaus , Hebdenstreit, Hctssen-
pflüg sind im Deutschen zuerst nur so als Beinamen einzelner
Personen gebraucht, die Eigennamen sind hier von je her anders
als die übrigen Substantiva decUniert worden, und ebenso alt
ist die Begel, dass man ihnen im Satzbau keinen Artikel gebe.
Nichts desto weniger geht, auch nachdem schon die Eigen-
namen etwas besonderes geworden sind, hin und her zwischen
ihnen und den Appellativen eine beständige Berührung und
1) Vergl. ferner Riecher d. i. Nase, Klopfer; nihd. bücUere, hildencere
Vorbild, Muster. Dinge mit THemamen: Hundy Schubkarren in Berg-
werken. Kleidungsstücke und Geräthe nach Personen benannt: Fiffchen,
AtlaSf Begine, Pompadour, Rogudaure, Fontange (Falke 2, 245), Spencer
(das. S. 310), Talma, Machintosh; Silhouette, Manaarde, Montgolfihre,
Guillotine, Kuchenreuter, — Unter Jude versteht man auch einen Stoppel-
bart. — goth. mavi Mädchen, mhd. mouwe Ermel; vergl, J. Grimm, Diph-
thonge S. 6 (kleine Schriften 3, 109 f.) — Samiklaus, verderbt aus sant
Nikolaus, ein Geschenk das Eltern ihren Kindern durch eise vermummt«
Person, so genannt, machen: Stalder 2, 299.
Die deutschen AppellatiTnamen. 61
Umtauschung fort, auf Grund jener ihrer ursprünglichen Zu-
sammengehörigkeit.
Einmal, es werden einzelne Dinge so lebhaft und leibhaft
personificiert , dass man ihnen Namen wie sonst nur Menschen
beilegt, Personennamen, die frisch und eigens fär sie gebildet
oder auch (diess jedoch erst später und dann zum Schaden der
rechten Personificierung) von den Menschen her auf sie über-
tragen werden. So, wenn nach der nordischen Thidhriks Saga
(Cp. 19 u. 20) der Held Heimi ein Schwert Namens Blödhgäng
d. i. Blutgang, der im Blute wandelnde, wenn in mehr als
einer Stadt ein hoher Wartthurm den Namen Luginsland führt ^)':
Wortbildungen gleich den menschlichen Namen und Beinamen
Hruodgang, Irreganc, Springinsfeld; oder wenn (Mumers König
aus Engelland, Scheible S. 979) ein Strassburger Geschütz das
Ketterlin von Einsen hiess.
Sodann, Eigennamen, welche schon vorhanden imd üblich
und durch besonders häufige üeblichkeit schon halb appellativ
geworden sind, treten ganz in die letztere Auffassung hinüber
und werden zu appellatiyen Qattungsworten , für Menschen und
auch für Dinge. Michel ist nicht bloss einer, der wirklich
Michael heisst, sondern ' nun auch jeder gut oder dumm ein-
fältige, mit Trägheit oder Eigensinn irgend worauf versessene,
geistig oder leiblich unbeholfene Mensch. Den sprichwörtlichen
Deutschen Michd^) haben schon Philander von Sittewald (Strassb.
1666. 1, 35. 123) und der Simplicissimus (Stuttg. 1854. 2,
1047 fgg.), der Erziehungsroman Spitzbart (Leipz. 1779. S. 105)
dem gegenüber einen Lateinischen Michd^ den Vetter Michel
auch ein Lied Göthes, die gemeine Sprache hie und da einen
Dreckmichel ^ einen Säumtchel, in Niederdeutschland einen
Schnobbemichd d. h. Schnaufmiehel, Schlafmichel, in der Schweiz
auch als Bezeichnung eines dicken Kindes einfach Michel ^ und
der Uhrautomat auf dem Perlachthurme zu Augsburg ' wird der
Thurn-Michele, eine Art bairischen Backwerkes Küchel- Michel
d. h. Küchen-Michel genannt (Schmeller 2, 564)*).
2) zu Basel. Vergl. ferner Stalder 2, 183. Schmeller 2, 457.
3) der teutsche Michel: Hub, kom. Pros. 2, 47. Anzeiger des german.
Mus.' 1865, 102 fgg. 1866, 94 fg. 1869, 164 fgg. fürs Michele halten zum
Besten haben: Schmid schwäb. Wörterb. 306.
4) Klotzmichel: Schmeller 2, 366. Leuszmichel: Zamcke Universitäten
g2 ^i^ deutschen Appellativnamen.
Jenes erstere Verfahren, wo man den Dingen Eigennamen
gleich den menschlichen giebt, ist das ältere und ist auch wesent-
lich alterthümücher: es steht noch näher bei der AJles personi-
ficierenden Art der frühesten Sprachschöpfung; es ist dichterischer,
wie alle Dichtung des Mittelalters ein Zug nach Personification
beherrscht und da nicht bloss die auch uüs geläufige Ver-
weiblichung abstracter Begriffe, z. B. im Welschen Gast 10081
der Ausdruck ^^zom ist niftel der trunkenheit" und ebenso im
Narrenschiff Cp. 53 nyd als weibliches Wort behandelt vor-
konmit, sondern wie auch, und das noch viel öfter, ims jedoch
befremdlieh, vor concrete und abstracto Dingworte die Titel Herr
und Frau gesetzt werden (J. Grinuns Gramm. 3, 346. 356 fg.
Mythol. 845 fgg.): Frau Ehre, Frau Minne ^ Frau Saide, Frau
Welt, in Liedern des Volkes Frau Nachtigall, beim Kegelspiele
Frau Xiigel, beim Trinken Herr Kopf d. i. Becher (Fichards
Frankf. Arch. 3, 259), in einem Minneliede Herr Anger, anderswo
Herr Hahn (v. d. Hagens* Minnesinger 2, 195 b), Herr Hirsch,
Herr Falke (ebd. 388 b), in einem Spruche Walthers v. d.
Vogelweide Herr Stock, nämlich Almosenstock ^); es hat endlich
etwas Episches, Heroisches, Mythologisches: in der Edda trägt
jedes Thier, jedes auch leblose Ding, das in den Mythus gehört,
seinen Eigennamen (man lese z. B. das Grimnis mal), und die
Thiersage nennt den Wolf, den Fuchs, den Bären nicht so
appellätiv Wolf und Fuchs und Bär, sie nennt dieselben, wie
auch Menschen heissen konnten, tsengrtn, Beinhart, Brün. Da-
gegen die Ausdehnung allüblicher Eigennamen auf ganze Gattungen
von Menschen und Dingen, des Michel z. B. auf ^lle Deutschen .
und alle Schläfer und sogar eine Art von Backwerk, wie diese
erst durch eine allmäliche Abnutzung, durch ein Abblassen und
Verschwimmen der persönlich festgestalteten Begriffe möglich
geworden, ist sie auch das viel jüngere, ist nachmittelalterlich,
im Mittelalter 1 , 124. Felztnickel der die Kinder zur Weihnachtszeit er-
schreckt. In Darmstadt Kirschenmichel ein Kirschpudding, franz. miquelets,
Fussvolk in den Pyrenäen, Schnaphahnen, miguelot, Betteljung, der unter
dem Schein der Wallfahrt auf St. Michel üher Meer fähret, dass er da-
selbst bettele, item ein Kopfhänger, ein Heuchler: Frisch Dict. des passägers
(1730) 1, 1107.
5) frö Böne: Walther 17, 25.
Die deutschen AppellatiTnamen. 63
•
ist modera, ist überall -auch nur Sache des Spottes und des
Scherzes, während z. B. selbst jener personificierte Herr Stock
in eitlem so ernst und streng gehaltenen Gedichte steht, dass
der alte Gleim seine Uebersetzung desselben mit getrostem Miss-
verstand überschreiben konnte „An Herrn Stock, päbstUchen
Legaten in Deutschland".
Es stehen jedoch diese beiden Verfahrungsarten nicht mit
so gänzlich schroffer Trennung neben und nach einander .da: es
giebt noch eine dritte, die in Beschaffenheit und zeitUeher Ord-
nung den Uebergang von der einen zu der andern bildet. In
diese gehören diejenigen Fälle, wo persönliche Namen, gleichviel
ob sie sonst auch üblich oder nur den üblichen nachgebildet
seien, mit Bewusstsein ihres eigentlichen Sinnes auf Menschen
oder auf sachliche, zumal aber auf abstracte Begriffe angewendet
werden um dieselben Wortspiels- und anspielungsweise characte-
ristisch zu bezeichnen. Den Gedanken z. B., dass, wer mit
Geräusch auftrete und reich sei und geben könne, mehr An-
sehens geniesse als der Edle, oder abstr acter, dass Pralerei,
ßeichthum und Freigebigkeit den Vorrang vor dem Adel haben,
drückt nun Hugo von Trimberg im Renner 1600 fg. so aus:
„Klinchart, Bichart und Gebehart sint werder vil denn Adel^
harif^. Namenbildungen solcher Art sind eine unterscheidende
Eigenheit der lehrhaften und satirischen Poesie und Prosa in
den letzten Jahrhunderten des Mittelalters^); die neuere Zeit
braucht deren nur noch seltener, wie etwa, wenn der Wind und
ein Räuschlein scherzweise Blasias oder Blasi genannt werden
(Abrahams a S. Cl. Judas, Passauer Ausg. 4, 101; Schmeller
1, 238; Schmid Schwab. Wb. S. 72). An die ältere Personi-
ficierung der Dinge rühren dieselben dadurch, dass eben auch
hier und mit Sach- und Sprachbewusstsein eine Personificierung
Statt zu finden pflegt: aber es ist meist ein abstracter Begrifff
der davon getroffen wird , und das Wortspiel und die Anspielung
öffnen den W^ in die appellative Allgemeinheit. Jeder Neidische
heisst ein Neidhart, und nach Miminc, ursprünglich nur dem
Schwerte Wittigs, hat zuletzt jedes Schwert, das man rühmen
oder von dem inan auch nur sprechen wollte, so geheissen.
6) Vergl. Pfeiffers Gennania 14, 220.
64 ^^^ deutschen Appellativnamen.
Sollen diese drei in Ursprung und Sinn so verschiedenen
Arten uneigentlich gebrauchter Eigennamen dennoch unter eine
und dieselbe Bezeichnung zusammengefasst werden, so dürfte
man vielleicht am schicklichsten Appellativname sagen: ein
Ausdruck, der zugleich auf die Venrendung der Nomina propria
für Appellativbegriffe und auf deren Verflachung in Appellativ-
worte ^enge. Oder wäre gerade diese schillernde Mehrdeutig-
keit gegen den Ausdruck einzuwenden?
Indem ich endlich jetzt zu einer näheren Erörterung der
deutschen Appellativnamen und somit dahin gelange, das bisher
nur eingeleitete und umrissene auch im Einzelnen auszufahren,
glaube ich es gleich im Beginn als eine mir bewusste und nicht
ohne Widerstreben geflissentliche Absicht und Rücksicht aus-
sprechen zu sollen, dass ich, so lockend und oft auch vortheil-
haft sich die vergleichende Hereinziehung ausserdeutscher Bei-
spiele anbieten mag, mich dennoch alles dessen enthalten werde,
was über den Bereich deutscher Sprache und Sitte hinausgeht:
ohne solch eine Beschränkung möchte es schwierig sein, die so
schon übergrosse Masse des Stoffes zu bewältigen und den Leser
durch eine noch länger sich dahin erstreckende Gleichartigkeit
nicht noch mehr zu ermüden; mit solcher Beschränkung scheint
immerhin der Bahmen aufgestellt, in welchen nun Jeder nach
Belieben bald diese, bald jene Parallele von aussen her nach-
tragen mag. Das Deutsche aber, das jedesfalls die grösste
Menge und Mannigfaltigkeit hieher bezüglicher Beispiele ge-
währt, ist dadurch am geeignetsten auch für die Betrachtung des
Gegenstandes überhaupt die Grundlage herzugeben.
L
Wir besprechen zunächst die erste, älteste, alterthümlichste
Classe der Appellativnameu, diejenigen Fälle, wp Gegenstände
nicht menschlicher Art dennoch mit Namen nach Art der
menschlichen belegt und diese doch nicht damit zu bloss appel-
lativen Worten herabgesetzt werden. Es handelt sich hier um
die Eigennamen für Waffen und Hausthiere und dergleichen
andere Dinge, die dem Besitzer vertraulich nah gleich einem
Familiengliede stehn, denen etwa eine dämonische Beseelung
und somit in der That eine Persönlichkeit, eine göttliche sogar,
inne zu wohnen scheint, die vielleicht auch wie Schwert und
Die deutschen AppellatiTnamen. 65
Helm und Panzer ein so seltener und kostbarer Besitz sind,
dass sie nicht mehr in den gewohnten Bereich der appellativen
Gattungsbegriflfe fallen: denn unter den Waffen zeigen sich nur
Schwert, Panzer und Helm mit Eigennamen, Speer und Schild
dagegen nicht ^). Das sind Anlässe und setzt Zustände voraus,
die ganz in solcher Gestaltung und Wirksamkeit nur die früheste,
die germanische Zeit gekannt hat, nur die Zeit noch, aus welcher
Tacitus von den Tencterern berichtet „hi lusus infantium; haec
juvenum aemulatio ; perseverant senes. inter familiam et penates
et jura successionum equi traduntur: excipit filius, non ut cetera
maximus natu, sed prout ferox hello et melior" (Germ. 32) und
von den Germanen überhaupt, dass wohl jeder Krieger mit
Speer und Schild bewaffnet sei, mit Schwert, Panzer und Helm
jedoch nur wenige (Cp. 6), und Ammianus Marcellinus von den
Quaden „eductis mucronibus, quos pro numinibus oolunt, jura^-
vere se permansuros in fide" (17, 12; vgl. J. Grimms Mythol.
S. 185®). In solcher und nur in solch einer Zeit lag eö denn
auch mit vollster Natürlichkeit, ich möchte sagen mit Noth*
wendigkeit nahe, dem ßosse, dem Schwert, dem Helm, dem
Panzer seinen Eigennamen zu geben und einen Namen, der
etwas bedeutete. Wie aber der Schwur auf das Schwert noch
in den spätem christlichen Jahrhunderten fortgedauert hat (J.
Grimms Rechtsalterth. S. 166. 896), und wie von den Personen-
namen, die aus den Benennungen von Waffen und von wilden
Thieren schon der kri^s- und jagdfreudige Sinn des Germanen
gebildet, mancher sogar noch heut besteht, so hat auch die Sitte
Bosse und Waffen eigens und bedeutsam zu benennen sich noch
weit in das Mittelalter hinab vererbt, wo doch schon jeder edle
Krieger seinen Helm und sein Schwert führte und jeder Bitter
sein Boss; ja die wirklich belegenden Zeugnisse gehören, was
7) Vereinzeltes Gegenbeispiel Skrepping^ in einem dänischen Helden-
liede (Grimm S. 19) der Name Yon Wittigs Schild: W. Grimm, deutsche
Heldensage S. 30S.
8) Ein Zengniss, das noch schwerer woge, moss gleichwohl bei Seite
bleiben, weil es nicht den Sachverhalt selber, sondern nur eine Taciteische
Auslegung gewährt, die Stelle der Germania Cp. 18 „ — boves et frenatum
equum et scutum cum framea gladioque. in haec munera uxor accipitur,
atque invicem ipsa armorum aliquid viro affert. hoc maximum yinculum,
haec arcana sacra,^hos conjugales deos arbi tränt ur".
Waekernagel, Schriften. III. ^ 5
()6 Die deutseben Appellativnamen.
die Abfassung in Wort und Schrift angeht, sämmtlich erst dem
Verlaufe des Mittelalters. Dabei ist jedoch nicht zu übersehen,
die meisten darunter und die eigentlich charactervoUen sind
Zeugnisse aus jener Heldensage, deren Ursprung über das Mittel-
alter zurückreicht, nicht aus dem Leben des Mittelalters selbst
und der erst in ihm entsprungenen Dichtung. Zwar in dem
ßolandsliede des Pfaffen Konrad (117, 13 fgg.) trägt Venerant,
der Helm des Helden, als Inschrift einige Worte , die er selbst
persönlich genug in erster Person spricht: „Elliu werltwäfen, di
müzen mich maget läzen; mit du mich gewinnen, du fürest
scaderi hinnen" (bei der Helminschrift im Orendel 1243 ge-
schieht nur der Buchstaben, nicht der Worte Erwähnung); in
demselben Gedichte 169, 20 fgg. 237, 3 fgg. und in der Klage
847 fgg. weiden Schwerter Menschen gleich angeredet'), im
Wigalois 168, 9 fgg. angeredet und geküsst, wiederum im
EolandsUede 272, 16. 278, 8 (vgl. S. 343) gilt der Name des
Schwertes Preciosa wie etwa sonst ein Heiligenname auch als
Feldgeschrei, und wenn noch ein Sprichwort des 13. Jhd. auf
eine Weise, die hier mit einschlägt, den getreuen Freund und
das erprobte Schwert verbindet ^^): „gewissen vriunt, versuochtiu
swert sol man ze nceten sehen" (Walther 31, 2; vgl. Freidank
95, 18 u. V. d. Hagens Minnes. 3, 14 a), so mögen auch die
bis in eben diess Jahrhundert beliebten Schwertinschriften ^ ^)
gelegentlich mehr als bloss den Namen des Gebers oder Eigen-
thümers (auf einem Basrelief im Kreuzgange des Zürcher Gross-
münsters ein Schwert mit der Inschrift Gvido) und auch Worte
von andrem Inhalt als jene auf dem Schwert Herrn Konrads
von Winterstetten (Haupts Zeitschr. 1, 194), sie mögen ebenso
wohl persönliche Rede gegeben haben, wie dort die Inschrift des
Helmes Venerant; die Runen auf dem Schwertgriff im Beowulf
9) Tizona und Jimena zusammengestellt: Cid 68.
10) getriuwe friunde, versuochtiu swert sint in noeten goldes wert:
Benner 17184. alter freund, altes weins, und alter Schwerter sol man sich
trösten: S.Frank, Sprichw. 1, 81b. vergl. Albr. d. Eolbe 24c. d. Singen-
berg 210, 17 fgg. Eyering S. 85 fg.
11) Schwert des 18. Jahrhunderts mit der Inschrift ßenedictus deus
meus: Hefher Trachten des M. A. 1, 88. Inschrift eines Schwertes in der
Yisio Karoli: Graffs Sprachschatz 3, 855.
Die deutschen Appellatiynamen. 67
3381 fgg. enthielten zugleich mythische Erzählung und den
Nam«n dessen, für den die Waffe zuerst war gefertigt worden.
Wie tief aber doch auf diesem Gebiete die eigene frische Namen-
schöpfung des Mittelalters sich allmäUch abgeschwächt, das
zeigen, die überhaupt jetzt waltende Armuth an neuen Beispielen
ungerechnet, am besten die Namen, welche man im 14. und 15.
Jhd. dem Bosse des Meers, dem Schiff, beilegen mochte, so ganz
unheldenhafte wie z. B. Kuh und Garn. Auch eine frühere
Zeit, wie sie Menschen nach den edleren Thieren benannte, hatte
ebenso Thiernamen auf Boss und Schiff übertragen: aber es war
doch etwas anderes, wenn das Pferd Walthers von Aquitanien
(Waltharins 327) und ebenso Hildebrands Lowe hiess (Dietrichs
Drachenkämpfe Str. 108. 185), Dieterichs und Wolfdietrichs
Falke (W. Grimms Heldens. S. 195. 208. 243; 236) und das
Schiff Olaf Tryggvasojis Schlange oder Drache, altnordisch Qrm
(dessen Saga Cp. 211). Die neueste Zeit nun gar i^egt auf
die Thiere des Hauses Personennamen von solcher üeblichkeit
anzuwenden und wechselt dabei so wenig mit verschiedenen ab,
dass hier die Nomina propria sich fast gänzlich in den appella-
tiven Sinn verlieren: wenn Hof für Hof alle Stuten Ldse und
Haus für- Haus alle Canarienvögel Männi d. i. Emanuel heissen,
so ist zuletzt zwischen lise und Stute, zwischen Männi und
Canarienvögel kaum noch ein Unterschied.
Genauer aufgezählt, sind die Gegenstände, für die sich
Appellativnamen dieser ersten Art in Gebrauch zeigen, ScTiwerter,
Helme, Panzer, Hörner, Binge, Bosse, Hunde, andre gezähmte
und an das Haus gewöhnte Thiere, Schiffe, Geschütze, Thürme
und Glocken.
A. Schwerter persönlich und in männlicher Weise per-
sönlich aufzufassen war durch das männliche Geschlecht der
ältesten Appellativausdrücke, der gothischen Worte hairus und
mekeiSy nahe gelegt; ja im Grunde beruhte schon eben diess
Geschlecht auf soloh einer Auf&ssung. Den • Glauben dämo-
nischer Beseelung versinnlicht die in den Sagen des* Nordens
Öfter wiederkehrende Angabe, dass in Griff und Spitze ausge-
zeichneter Schwerter Wurm und Natter wohnen (Mythol. S. 652)
dem sich anschliessend, erzählt die christliche Dichtung von
darein gelegten kostbaren Beliquien (BolandsL 239, 3 fgg.). Die
yielen und mannigfachen Benennungen, die für das Schwert die
68 Die dentsclien Appellatiynamen.
altnordische Dichtersprache besitzt^*), . Appellati va vermischt
mit Eigennamen, verzeichnet ein Gedicht der jüngeren Edda
(Reykjavik 1848, S. 114 — 115), und theilweise erörtert dieselben
Jac. Grimms Grammatik (3, 440 — 442); der gemeindeutschen
Heldensage, mit Einschluss auch der engeren Sage von den
Hegelingen, gehören folgende Namen zu.
Adelring, in den dänischen Liedern das Schwert. Siegfrieds: W.
Grimms Heldens. S. 307. Nach Snorra Edda S. 115 a war
schon das einfache hringr ein Wort für Schwert; vgl. weiter-
hin Nagelrinc,
Balmunc^ in der deutschen Dichtung Siegfrieds Schwert; jüngere
Entstellungen des Namens s. in W. Grimms Bosengarten S.
V. Ich habe bereits anderswo (oben Bd. 1, S. 47, Anm. 6)
' Herleitung von balma Felswand, Pelshöhle vermuthet.
BiUerfSr, in Hornchilde und Bimenild (Heldens. S. 278) ein von
Wieland . geschmiedetes Schwert und das Gegenstück zu
Miming, sonst nirgend erwähnt; fer s. v. a. engl, fair, angels.
fäger schön.
Bldögäng, das Schwert Heimis, s. oben S. 61.
Brinnig, nach Alphart Str. 350 Schwert Hildebrands. Aus
Brinninc entstellt? Benennungen des Schwertes, die demselben
einen bildlichen Bezug auf das Feuer geben, s. in J. Grimms
' Gr. 3, 441.
Däinsleif, in der eddischen Erzählung der Hegelingensage (Snorra
Edda' S. M) das Schwert Högnis. Der Name erinnert an das
hochd. tdtleibe, das Heergewäte, dessen symbolisches Haupt-
stück das Schwert des Verstorbenen ist: Eeohtsalterth. S. 569.
Haupts Zeitschr. 2, 543.
Eckesahs, auch bloss Sahs und daz alte Sahs genannt (Heldens.
S. 58), zuletzt im Besitze Dietrichs von Bern.
Freise, nach Siegenot und Dietrichs Drachenkämpfen (Heldens.
S. 267. 274) das Schwert Hüdebrands,
Gleste, Schwert* Eckehards von Breisach, nur in Alpharts Tod
Str. 380.
Gram, der altnordische Name von Siegfrieds Schwerte: so in den
Prosazusätzen zu den Sigurdsliedem und in der Yölsunga
Saga; auch von dem Verfasser der Thiöriks Saga gebraucht,
Cp. 167. 190. 219. 222.
12) [Tyrfing: Hervarar Saga Cap. 2.]
Die deutschen AppellatiYiiainen. 69
Hombil oder HornhU, Schwert Biterolfs 12261, d. i. ein Schwert
oder Beil, das die Hornschuppen des Panzers zerhaut.
Hrdtti, von Sigurd in dem Schatze Fafnis gefunden und mit
daraus entfuhrt: scheint so als Eigenname nur in dem pro-
saischen Schlusszusatze zu Fafnis mal, sonst ein Appellatiyum.
Lagulf d. h. Stechwolf, wiederum ein Schwert des alten Hilde-
brand: Thiöriks Saga tp. 389.
Miminc, in der Thiöriks Saga Mimüng, im dänischen Helden-
liede (Heldens. S. 308) Mimring, auf deutsch auch in Meinung,
Menung und sonst entstellt und zugleich mit Balmung ver-
wechselt (Heldens. S. 245. 320. Eoseng. S. V), das Schwert
Wittigs.
NagdrinCy Schwert Heimes: ein aus Nägeln zusammengeschmiede-
tes? vgl. oben Adelring. BeowuKs Schwert heisst Z. 5354
patronymisch gebildet Nägling^^).
Rose, das Schwert Ortnits, dann seines Erben Wolfdieterich,
durch Namenverwechselung auch auf Dietrich von Bern über-
tragen: Heldens. S. 227. 234. 250.
Schrit, ein zweites Schwert Biterolfs 123: das schlangenartig
gleitende (Schmeller 3, 519) oder dem lat. Gradivus zu ver-
gleichen.
Waske oder Wasche d, h. Baske, im Biterolf 12285 Schwert
Walthers von Spanien, im Nibelungenliede 1988, 4 Irings.
Endlich
Welsunc, zuerst wiederum Biterolfs, dann seines Sohnes Dietleib
Schwert: Heldens. S. 16. 148. 280. Ein Wort mit dem
Manns- und Geschlechtsnamen althochd. Welisunc, altnord.
Völsüng, angels. VcUsing, über welchen J. Grimm in Haupts
Zeitschr. 1, 3 zu vergleichen.
Nicht ohne Beflissenheit werden im Biterolf 12291 fgg.
sieben dieser Schwerter, Hombil, Welsunc, das alte Sahs, Miminc,
Nagelrinc, Balmunc und Waske, dicht nach einander aufgeführt:
13) [Hrödgärs Schwert Hrunting: Beov. 3317. vergl. den ahd. Namen
Hruftzolf: Pörstemann 1, 748. — ein suert, "daz hiez mal (:stäl): Roth.
4153. — Schwert einem Waldmanne Mimring von Hother abgenommen:
Saxo Gramm. S. 40. — Nagelring: Nagel Verzierung? vergl. nägledbord
EttmüUer S. 233. näglede heägas Grein 1, 247, 34. Zarncke mhd. Wörterb.
2, 1, 297. 298. — niederd. Osterspiel bei Mone 2, 39: ein ßitter ,min
swert dat het klinghe*.] y^fTj
^FO#
70 ^0 deutschen Appcllativnamen.
die zumeist aber darunter gefeierten sind Eckesabs, Miminc und
Nagelrinc, die so auch Heinrich v. Veldeke in seiner Aeneide
160, 22 fgg. zusammenstellt: „dar zu sander ime ein swert,
daz scharpher unde herter was dan der t&re Eckesas noch der
märe Mimink noch der gute Nagelrink^S Jedes derselben hat
von dem Schmied an, der es fertigt, und dann, wie es von
einem Helden an den andern kommt, seine ganze Geschichte
(vgl. W. Grinuns Heldens. S. 56 — 59), die ausgeführteste
Eckesachs, den zuletzt f)ieterich von Bern besitzt, einst aber im
heidnischen Mythus ein Gott mag besessen haben. Da nämlich
neben Eckesahs auch die Form Uokesahs oder Üekesahs erscheint
(vckesachs als Variante zu Aen. 160, 22), so kann hier ecke
nicht wohl wie sonst die Schärfe des Schwertes, sondern wird
in verhärteter Form das althochd. egi Schrecken sein, Eckesahs
also gleich jenem Freise, den Hildebrand führt, ein Schreckens-
schwert bedeuten ^^). Ganz so hat, mit einem Laute, welcher
der Form Üekesahs an die Seite tritt, der alte Norden in Sage
und Sprichwort einen Helm des Schreckens, (Bgishitüm: Oegi aber
oder, wie es auf althochd. heissen würde, TJogi, Uoki ist ein
Meergott (J. Grimms Mythol. S. 216 fg.). Nach dem Dresdener
Texte des Liedes von Ecken Ausfahrt Str. 85 haben den Ecke-
sachs drei Zwerge geschmiedet: „das machten di*aw gezwerge^^;
hier nun ist zwar die ältere Lassbergische Lesart „Das smittont
vil getwerge" (Str. 79) grammatisch richtiger: wirklich aber
kommen anderswo, sagenhaft verbunden und mit Angabe der
Namen, drei Schmiede berühmter Schwerter vor: im Biterolf
126 fgg. sind es Mime, Hertnch und Wielant, in dem franzö-
sischen Prosaromane von Fierabras (das ältre Gedicht hat nichts
dem entsprechendes) die Brüder Ainsiax, Magnificans und Galand
(Heldens. S. 43), d. h. wiederum Wielant, während Ainsiax zu-
gleich Missverstand und Entstellung von Eckesahs sein mag.
14) Nur wie ein Spass kUngt, so ernstlich sie auch gemeint sein wird,
die Namenserklärung in der Thidriks Saga Cp. 98: That sverd hcitir
Eckisax, thvi heitir that sva, at eckt sax ne sverd var iamgott borit
or eldi''. Empfohlener schiene die Herleitung Ton dem Namen Eckes, des
letzten Besitzers vor Dieterich, wenn dem nicht schon manch andrer Be-
sitzer vorangegangen und wenn die alsdann gebührende Form Ecken sahs
öfter und besser als durch ein einziges spätes Beispiel (Ecken Ausfahrt,
V. d. Hag. Str. 205) belegt wäre.
Die deutschen Appellativnamen. 71
Dort im Biterolf scfamieden Mime und Hertrich zusammen zwölf
Schwerter, und von diesen zwölfen scheint die Sage auch sonst
erzählt zu. haben (W. Grimms Roseng. S. V fg.); ein dreizehn-
tes, Miminc, schmiedet nicht, wie man erwarten sollte, gleich-
falls Mime, sondern Wielant, der Vater Witeges, für diesen
seinen Sohn: ebenso ist in der ThiÖriks Saga Cp. 67 Mimung
ein Werk Velents. Im Fierabras aber fertigen Galand und seine
Brüder je drei Schwerter und lauter solche, die in der Karls-
sage der Franzosen namhaft sind: die namhaftesten hievon fügt
auch Veldekes Aeneide sogleich jenen drei deutschen bei, „noch
Haltecleir noch Durendart", das erstere Oliviers, das letztere
Rolands Schwert ^5).
Von Durendatt oder Dumdart handelt ausführlicher unsers
Pfaffen Konrad Gedicht S. 117 fg. und 237—239, womit in
W. Grinmis Anmerkungen S. 338 fg. die anderweitigen Nach-
richten über die Geschichte dieses Schwertes zu vergleichen; den
Haltecleir nennt Konrad 190, 13 u. a. Älteclere als schwaches
«
Masculinum. Die ausserdem noch bei ihm auftretenden Schwert-
namen sind Älmice 232, 7, die Waffe Erzbischof Turpins,
ClarMtne 169, 15 u. 21, des Herzogs Engelirs, Joidse 291, 14,
Kaiser Karls selbst (und des Markgrafen Wilhelm: Schoyüse
Wilh. 37, 10 u. s. f.), Mugelar oder Midagir 58, 1 (vgl. S. 320),
Herzog Geneluns, und endlich Preädsa 272, 7, des Heiden-
königes Paligan. Mugelar (ich weiss nicht, ob eine französische
Entstellung des althochd. mttchildri sicarius; vgl. müchilswert
sica) hat zuerst dem Herzog Naimes von Baiern gehört (58, 14)
und ist das Werk eines bairischen Schmiedes, Madelger zu
Regensburg (58, 17): in Verbindung mit dem, wie Konrad noch
sonst die scharfen Schwerter der Baiem rühmt (238, 4. 266, 13),
auch diess ein mittelalterlicher Nachklang des altgepriesenen
Noricm ensis: vgl. Haupts Zeitschr. 9, 563 fg. (oben Bd. 1, S. 60).
B. Namen der Helme sind uns viel weniger zahlreich als
der Schwerter überliefert, und es ist das schwerlich ein Mangel
bloss der Ueberlieferung. Mochte auch der in mannigfacher
Thiergestalt gebildete Helmschmuck, der uns für die Cimbrischen
Reiter (Plut. Mar. 25), für die Galater Diodors (5, 30), für die
15) Französische Schwertnamen: Tobler, Epos d. Fr. 200 fgg. Cids
Tizona: yergl. tizon titio.
72 Die deatBchen Appellatiynamen.
Angelsachsen (J. örimms Andr. u. Elene S. XXVni u. Mythol.
S. 195) bezeugt ist, dieser Schutzwaffe ein lebensvolleres An-
sehen geben, sie war doch eben stets nur eine Schutzwaffe und
als solche selbstiin dem heldenhaftesten Kampfe stets nur leidend
betheiligt, nicht wie das Schwert mithandelnd und gleichsam
ein Geföhrte des Kämpfers. Zudem ist die Sitte des Helm-
schmuckes, in Deutschland wenigstens, gleich mit dem Beginn
des Mittelalters wieder abgängig geworden und erst, da das
Bitterthum sich ausgebildet hatte, von neuem entstanden; Wilh.
örimm (Haupts Zeitschr. 2, 251) meint sogar, erst im drei-
zehnten Jahrhundert, und allerdings zeigen z. B. weder die alten
Bilder zum Rolandsliede noch die der Herrad einen Schmuck
des Helmes: indess kommt ein solcher, mit einer phantastischen
Uebertreibung , die dem Werth des Zeugnisses keinen Abbruch
thut, bereits im Orendel vor, Z. 1245 fgg.
Oegishialm, dessen schon vorher S. 70 Erwähnung ge-
schehen^®), ist weder in Sinn noch in Bildung ein Eigenname:
wohl aber sind das zwei andre altnordische Worte, Hildisvin
und Hildigölt (Snorra Edda S. 82), beide für uns noch in so
fem von besonderer Bedeutung, als sie nun auch für den scan-
dinavischen Norden das sonst nur bei den Angelsachsen nach-
weisbare Eberbild des Helmes darthun: denn göU heisst Eber.
Gleichfalls mit hiUja Kampf, altnord. hild zusanmiengesetzt und
die Umkehrung des Weiberaamens GrimhiU ist Hütegrim oder
Hildegrin, der Name von Dietrichs Helme (Heldens. S. J69);
die Thiöriks Saga Cp. 17 will denselben nach Grim und Hild,
einem Riesen und dessen Weibe, denen Dietrich diess kostbarste
Kleinod abgenommen, benannt wissen: natürlicher aber ist eben
an das appellative hild und an grima Maske oder Helm zu
denken ^^). Bei Wittig zwei Helmnamen, mittelhochdeutsch
Limine (Biterolf 161, im Alphart Str. 449 entstellt Lone\ im
dänischen Liede Blank: Heldens. S. 3Q8. Der erstere mag
wieder in alterthümUchem Bezüge auf den Eberschmuck stehn,
da limmen (s. Müllers mittelhochd. Wörterb.) besonders von
dem Knirschen des Ebers gebraucht wird. Aus der Karlssage
16) [egiagrtmolt dcetnon : Graflfs Sprachschatz 1 , 1 04. vergl. Mythol. S.2 1 8.]
17) Der erste Begriff wird der einer Maske sein, wegen des Zeitworts
grinen, greinen lachend oder knurrend oder weinend den Mund verziehen.
Die deutschen Appellati vnainen. 73
den Venerant Rolands haben wir schon oben S. 66 kennen
lernen.
C, Panzer haben noch seltner als die Helme Namen ge-
führt; der örund ist derselbe wie bei diesen. Die Lieder (Lassb.
Str. 77 fgg., V. d. Hag. Str. 85 fgg.) sprechen z. B. ausführ-
lich genug wie von Eckes Schwerte, so auch von dessen Helm
und Brünne: aber nur dem Schwert wird dabei eine Name ge-
geben. Ich kenne nur einen altnordischen Fanzemamen, Finns-
Idf, aus Snorra Edda S. 82.
' D. Ein Hörn mit eigenem Namen ist Rolands Olivant oder
Olifantj beim Pf. Konrad 214, 27, beim Stricker 8126, u. a.
(Tobler, a. a. 0. S. 203). Ursprünglich (der Lautwechsel ist
derselbe wie im goth. ulbandus, althochd. olpentd, mittelhochd.
olbente Kamel) bezeichnet das altfranzösische olifant den Ele-
fanten, dann den Elefantenzahn und das Elfenbein : s. W. Grrimms
Anm. S. 338. Den gleichen Fortschritt der Begriffe zeigt uns
später in der Schweiz der Stür von Uri, ein zum Blasen her-
gerichtetes Auerochsenhorn. Die zwei Homer, mit denen von
einem inneren Thorthurme der Stadt Breslau Peuerlärm ge-
blasen wird, heissen Kuh und Kalb,
E. Benamte Ringe sind Oöins Draupni (Mythol. S. 528.
1227) und Aöils von üppsal Sviag^-ts (Snorra Edda S. 82).
Ändvara naut dagegen, der Pluchring unserer Heldensage (W.
Grimm S. 385 fg.), ist so wenig ein Eigenname als Brisinga
mm, das Halsband Freyjas (Mythol. S. 283), das im Beowulf
2403 als Brosinga mene und als Schatz und Beute irdischer
Helden wiederkehrt.
F. Der Rosse^®) erstes ist Sleipni, Oöins Ross (Mythol.
S. 140): „3eztr ioa Sleipnir*' Grimnis mal Str. 44. Dem ir-
18) [Bosse Hectors: IL 8, 185. Achills: II. 16, 149 fg. 19, 400. redend
ebenda 404 fgg. weinend 17, 426 fgg. vgl. Isidor. Orig. 12, 1; Adrasts
Arion, weissagend (vocalis) Prop. 2, 34, 37; Marcos Scharatz weinend Talvj
1, 240; sprechende Bosse in Dietr. russ. Volksm. S. 18. 43. 48. Talvj 1,
15. 2, 81. vergl. Bileams Eselin 4. Mos. 22, 28 fgg. In Grimms Märch.
no. 126 ist das sprechende Boss ein verwünschter Prinz, »eine Gottheit lebt
in einem edeln Bosse': Somadeva 2, 9. vgl. Alexanders Bukephalos, Cids
Babie9a, Pontifer Kaiser Octavians, Don Quixotes Bocinante (Diez Wb.
1, 359); Bosse werden menschlich persönlich bezeichnet: Benner. Läufer
(Micha 1, 13). Araber u. s. w. kastelän. spanjöl.]
74 1^1® deutschen AppellatiTnamen.
dischen Herren folgt gleich anderen Dienern das Bobs auch in
das Jenseits mit: es wird mit ihm verbrannt (Tac. Qerm. 27,
Snorra Edda S. 38), mit ihm geopfert (Dietm. y. Merseb. 1,9.
Ausg. V. Wagner S. 13, Adam v. Bremen 4, 27); und so für
eins gilt es mit seinem Beiter, dass sogar in Bezug auf Odin
und dessen achtfüssigen Sleipni ein altnordisches Bäthsel fragen
kann (Hervarar Saga S. 175 Suhm) „Wer sind die zwei zu
Dinge fahrenden? Sie haben zusammen drei Augen, zehn Füsse
und einen Schweif." Noch weiter greifende Vermenschlichung
lässt Bosse und selbst noch den Schädel eines getödteten mit
dem Herren sprechen (Märchen d. Br. Grinmi Nr. 89 und 126),
die Annahme dämonischer Beseelung sie Weissagungen ertheilen
(Tac. Qerm. 10; de auguriis vel avium vel equorum: Indiculus
paganiarum 13).
Sleipni wird zum angelsächs. sUpan, hochd. slifen gleiten
gehören, ein andrer altnordischer Name, Slüngni, E. AÖils von
Uppsal Boss (Snorra Edda S. 83), zu diunga schwingen ; Hrafn,
das Boss E. Alis von Norwegen (ebd. S. 82), bedeutet Babe.
Die Heldensage nennt folgende.
Bdche, das Boss Dietrichs: W. Grimms Heldens. S. 127. Ap-
pellativ ist hdche, ahd. pelichä, pelaha das schwarze Wasser-
huhn mit einem weissen Hautfleck über dem Schnabel; dieses
Merkmales wegen wird es auch Blässhuhn oder Blässlein ge-
nannt und ebenso ein Pferd mit derselben Zeichnung der
Stirne Blass oder Blässei (Schmeller 1, 238).
Benig, Mönch Ilsans Boss: Boseng. v. d. Hag. 451; ich denke,
von bane, banen, ahd. pandn.
Blanke, wiederum Ilsans oder Dietrichs: Heldens. S. 209.
Falke: s. oben S. 67.
Grani, Siegfrieds, altnordisch: SigurÖar qviöa 1, Str. 5. 13;
Prosaeingang der zweiten und Prosaschluss des Fafnis mal;
ThiÖriks Saga Cp. 167 u. s. f. Der Norden scheint selbst
den Namen auf grä grau und gräna grau werden bezogen
zu haben, da anstatt Grani in SigurÖar qviÖa 3, 10 grä ior
graues Boss gesagt wird. [s. v. a. bärtig. — grama: H. Sachs
2, 201. graman Grauschimmel? Hub 2, 49.]
[Kerne: Fragm. XXXVHI c]
Lewe, Leo: s. oben S. 67.
Die deutschen AppellatiTnamen. 75
„KüedegSrs ros Poimutü^^: Klage 1426; in der Form Bohemund
ein bekannter Mannsname.
Rispa, Heimis: Thidriks Saga Cp. 19. Nordisch ist rispa,
hochd. respen raffen, rupfen.
JSftöcA«, Eckehards: Biterolf 10227; verkleinert £o«rA2lii: Alphart
445. Vgl. rosch, althochd. rosk rasch, munter.
Schemine, Schemminc, nord. Sketnning, in den dänischen Liedern
Skimming, Wittigs Boss: Heldens. S. 195 fg. 308; nach
Thiöriks Saga Cp. 91. 190 der Bruder Falkos, Granis und
Bispas, nach Boseng. y. d. Hag. 442 auch Benigs. Von scheine
Schimmer und s. v. a. unser neuhochd. Schimmd?
Sviptdh^ Svegjot, SporvUni, Mdni, Mylni Bosse der Granmars-
Söhne: Helga qyiöa Hundings bana 1, 46. 50. Svipa heisst
schwingen, sveigja biegen, Sparvüni ist der Spurwissende,
Mdni wie Mylni der Stiebende, Stäubende.
Aus der Earlssage und sonst französischen Ursprunges sind
[Tobler a. a. 0. 204 fg.]:
Bayart, das Boss der vier Heimonskinder.
BonthaH, des Grafen Budolf 25, 3. 22. 24. 26. Von bondir
dröhnen, schmettern (Diez Wb. 2, 231)? [hondir springen].
Brahdne, Terramers: Wilh. 21, 17 u. s. f.
Entercadovy Kaiser Karls: Bolandslied 265, 11; vgl. S. 342.
[Faris, Gr. Budolfe 8. 25.]
Gratamunt, Valdepruns: Bolandsl. 187, 11; vgl. S. 332.
Oringidjete, von Muntsalväsche gekommen (Farziv. 340, 1), zu-
erst von Läheltn erbeutet (261, 28. 340, 2), dann seines
Bruders Orilus (540, 30), zuletzt Gawans (339. 27. 541, 1).
Gumrjorz, des Königs Clamid§: Farziv. 210, 7. 211, 14.
Ingliart, Gawans, dann Parzivals: Farziv. 389, 26. 398, 14.
Lignmaredi, des Foydwiz: Wilh. 420, 23. 27.
Marschibeiz, Talimons: Wilh. 56, 26. 57, 5.
Puzät, Puzzät, Wilhelms: Wilh. 37, 11. 56, 11 u. s. f.
VcUentich Stricker 4067 u. s. f., Velentich Ff. Konr. 118, 19
u. s. f., das Boss Bolands.
VoMin, Arofels, nach dessen Tode Wilhelms: Wilh. 81, 1. 82,
4 u. s. f. Vermischungen und Verwechselungen von Valentich
und Volatin weist W. Grimm Märch. 3, 158 nach, indem er
als weitre Aenderung auch Fdlada, den Namen des wunder-
baren Fferdes im 89sten Märchen, mit herbeizieht.
76 1^16 deutschen Appellatimamen.
ünsre Zeit schreibt in den Ställen der Vornehmen übei* den
einzelnen Pferden auch allerhand vornehme Namen an, franzö-
sische, wie vielleicht schon die Bitterzeit den Bittergedichten
nachgemacht, englische, morgenländische: der gemeine Mann
bleibt bei heimathlich gemeineren , nur eben auch zu allgemeinen :
Tausende von Gäulen heissen da des weissen Stirnfieckens wegen
Bloss oder Blässd (S. 74) oder, indem man ihnen beson-
ders häufige und dadurch halb entwerthete Menschennamen
giebt, Hans und Hansel und Hainzel und Hienz, wenn sie
männlichen (Schmeller 2, 215. 220), Lise und Lisd, wenn sie
weiblichen Geschlechtes (ebd. 499), Hankelein, wenn sie noch
jung (ebd. 214), und Nickel, wenn sie von kleiner Art sind
(Frisch 2, 17 c. Schm. 2, 677; Bräunl ebenda 1, 259).
G. Fast mehr noch als das Pferd hat von je her der Hund
einer Eigenbenamung werth und bedürftig erscheinen müssen:
denn er tritt dem Menschen in noch viel stärkerem Maasse und
viel mannigfacher gemüthlich nahe. Die liebreiche Schmeichelei,
deren er fähig ist, die Künste, zu denen er in seiner Gelehrig-
keit kann abgerichtet werden, erschienen gelegentlich so wunder-
bar, dass man jene von dem Innewohnen der Seele eines früheren
Menschen, diese von dämonischer Eingebung herleiten wollte,
und weil er die Sprache des Menschen versteht, liess man ihn
epischer Weise wohl auch selber sprechen. In einer Erzählung
Bruder Johannes Paulis (Schimpf u. Ernst Ixviij, Prankf. 1538:
Leseb. 3, 1, 77) „Also hett auch einer ein hund, der künde
sich wol lieben, das mann sprach nach ettlicher irrung, er wer
ein mensch gewesen in der alten ehe.^'; so ferner im Buodlieb,
wo ein Hund^^) es herausbringt, wer seinem Herrn die Sporen
weggenommen, und der Entwender nun sagt „Hsbc a sella de-
nodavi modo vestra: Tunc ibi nemo fuit viventum nemoque vidit,
Neve canis sciret, a dsemone ni didicisset^^ (13, 63), und in
einer späteren deutschen Dichtung dieses Gespräch zwischen
einem Mann und seinem Hunde Willebrecht (Liedersaal 1, 297):
„Er sprach „Lieber hunt min. Weitest mir gevolgic sin, Daz
würde dir her nach guot. Und tastest mir nach mtnem muot.'*
„Herre, daz tuen ich gerne; Und solt ich [varn] g§n Salerne,
19) Schwed. Märchen S. 238 fgg. die drei wunderbar kräftigen, auch
sprachbegabten Hunde Hall, Slit und Ly. — xuve? l^vSoSot: PoU. onomost.
5, 42—98 (Bekker).
Die deutschen Appellati vnameii. 77
Dar zuo wolt ich sin bereit." Er sprach „Du bist mtn hunt
gemeit. Du solt lernen eine kunst, Zelten wol mit vernunst."
„Daz sol sin, lieber herre min." Indess auch ohne solche
Abenteuerlichkeiten schon die Wirklichkeit des alltäglichen
Lebens empfahl dieses Thier ganz besonders zur namengebenden
Yermenschlichung. Es galt ja von allen, was das eben ange*
führte Gedicht von dem Hunde Willebrecht sagt: „Der tet als
ein getriuwer knecht, Der stnem herren ist getriu"; es galt von
den tapferen und klugen Jagdhunden, die deshalb auch einst
dem gestorbenen Herrn zusammt dem menschlichen Knechte auf
den Scheiterhaufen und den geopferten in die Opferung und das
Jenseits folgten (Edda d. Br. Grimm 1, 272 fg.; Dietmar v.
Merseburg S. 13, Adam v. Bremen 4, 27), wie von den kleinen
zierlichen, die eine Kurzweil der Frauen waren '^) und ihnen
noch auf dem Grabstein pflegten unter den Fuss gelegt zu
werden, und von den Hunden, welche die Heerde, wie von denen,
die das Haus behüteten. Getreue Diener dieser letzteren Art
hatten selbst die wandernden Gimbern mit sich geführt, zum
Schutz ihrer Wagenhöuser (Canes defendere Oimbris caesis domus
eorum plaustris impositas: Flin. H. N. 8, 61); das Mittelalter
gab ihnen schon eine Appellativbenennung ganz persönlichen
Sinnes: es nannte solch einen Hund hovaivart d. i. Hofhüter,
wie es einen Thürhüter turiwart nannte^ und hovewart selbst
war auch s. v. a. miles (Graflfe Sprachsch. 1, 956), bezeichnete
den kriegerischen Diener eines Fürstenhofes, wie jetzt in Baiem
Husswackerl sowohl ein Hund als ein Mensch ist, der von Allem
Laut giebt*^). Und während es nicht an Erzählungen fehlt, die
veranschaulichen sollen, wie der Hund ein getreuerer Freund sei
als selbst das Weib (Märchen 3, 171. Aufeess Anz. 2, 239),
20) „Wie ist gestalt ir hündeltn, Daz bi ir loufet wnnneclich?'' Hätzi.
223 a. „Cleine hündlin, salterbuoch Si m den schdzen valten" (schnell
aufspringende Pranen) Dietr. Drachenk. Str. 230. Bilder in der Pariser
Handschrift der Lyriker: v. d. Hagens Minnes. 4, 111. 123. 142. 251. 625
u. a. [Hund Geschenk an die Geliebte: Shakespeare two gentlemen of
Verona 4, 4.]
21) Schmeller 4, ^0. Huss hat hier nicht den Sinn des Hetzens
(ebd. 253. Abr. a SCI. Judas 5, 341), sondern den des Heransrufens: vgl.
in der Vita Hludowici Cp. 64 (Pertz Monnm. 2, 648) „indignando qno-
dammodo bis dixit htitz, hutz, quod signilicat foras."
78 Die deatschen Appellatiynameii.
ist auch nach der rauhen Auffassung des alten Bechtes nicht
das Weib, sondern es ist der Hund und mit ihm etwa Hahn
und Eatze das Merkmal menschlicher Wohnung und Haus-
haltung ''); da war zu acht Menschen der Hund der neunte
(Bechtsalterth. S. 588), und wer in gegebenen Fällen keinen
menschlichen Zeugen hatte, brachte dafür seinen Hund mit vor
Gericht: so giebt Joh. v. Müller (Schweizergesch. 1816. 4, 26)
folgende Bechtsübung des alten Sissgaus [vgl. Weist. 4, 470]:
„Wer bei einem ganz ohne Hausgesinde lebenden Mann nach
der Nachtglocke mörderlich einfiel, dessen Frevel, wenn er um-
gebracht wurde, bewies der Angegriffene so, dass er drei Halme
von seinem Strohdach, seinen Hund an einem Seil (hatte er
keinen Hund, entweder die Eatze, welche bei dem Heerd ge-
sessen, oder den Hahn, welcher bei den Hühnern wachte) vor
den Richter nahm und schwur.^^ Noch heute gilt ein Schiffs-
wrack, auf dem nur ein lebender Hund noch sich befindet, nicht
für gänzlich verlassen und herrenlos.
unter solchen Umständen haben die mannigfachen. Namen,
die auch der Hund empfieng, ursprünglich mehr als bloss den
Sinn eines Bufes gehabt. Die Beispiele aber, die noch aus
früheren Zeiten (wir wollen hier bis in das siebzehnte Jahrhundert
rechnen) übrig sind, vertheilen sich sehr üngleichmässig. Namen
von andern als Jagdhunden haben die alten Quellen nur selten
Gelegenheit anzubringen: doch ist Oarm, von dem Grtmnis mal
Str. 44 sagt, dass er der erste der Hunde sei, der Hofwart der
Hölle (Völu spä Str. 41. 49). Ein besonders häufiger Haus-
22) Kechtsalterth. S. 588. vgl. 697. 698. Hund und Hahn : J. Grimms
Weisthümer 2, 508; Uhlands Yolksl. S. 524. Hund und Katze: Weistb.
2, 384. 3, 34. Hund, Hahn und Eatze: ebd. 2, 308; schon Reinmar v.
Zweter (y. d. Hagens Minnes. 2, 207 a) „der hunt, diu katze und ouch der
han heizent hüageneie. [mit eim sim knecht und stnem hunde . . . and
sfner katz und mit sinem geseUen: Weisth. 4, 322. Esel mit Hund, Hahn
und Katze: Märch. 27. Froschmäus. 3, 1, 8. Hund, Hahn und Katze Be-
wohner eines einsamen Jagdschlosses: Wuk Stephanowitsch Karadschitsch
Yolksm. d. Serben S. 201. 204. Hund und Hahn über das Geschick ihres
Herrn sich unterhaltend: ebenda S. 22. Sprache des Hundes und Hahnes
verstanden: Elegast 766 fgg. Königstochter mit einer Dienerin, mit Hund
und Hahn in einer Erdhöhle: Schwed. Märchen S. 320. — Katzen. Hund:
Mythol. Abergl. 155. 499. Katze und Hahn: Weisth. 4, 312. Hahn:
Weisth. 3, 308.]
Die deutsclieii Appellatiynainen. 79
hundname scheint Wacker d. i. wachsam gewesen zu sein'^,
zugleich einer der ältesten und schon germanischen Manns-
namen: bereits bei Agathias kommt ein Yarine Vakkaros vor
(Förstemanns Altd. Namenb. Sp. 1224). In einem satirischen
Thierroman von 1625, dem Eselkönig, heisst der Hund „Herr
Wacker, ein Engelländer 'S und bekleidet am Hofe des Löwen
das Wachtmeisteramt. Wenn aber die jetzige Sprache und
schon hundert Jahre vor dem Eselkönige Hans Sachs den glei-
chen Namen lediglich im Sinne von Hund überhaupt verwenden
(„So will ich mein grossen Wacker mitnehmen", „Wo ist mein
Wäckerlein? ^'^ Schmeller 4, 19), so beweist diese appellative
Schwächung die Häufigkeit des Gebrauches. Für Hirtonhunde
haben wir in der Olaf Tryggvasons Saga Cp. 35 den nordischen
Namen Vigi, der sich dem althochd. Mannsnameu Wigo, appel-
lativ s. V. a^ Kämpfer (mdartvigo rebellis: Sprachsch. 1, 707)
vergleicht, im sechzehnten Jahrhundert bei Burkard Waldis Strom
(Esop 3, 5. 4, 94), Oreiff^^) und Trostrein (4, 94): letzteres
wird den Beschützer der Schafe auf den grasigen Abhängen be-
zeichnen sollen, Strom aber wie der überall durch Deutschland
beliebte Name Wasser [Wassermann], der niederdeutsche Bin
(Reineke 1770), der bairische Donau (Schmeller 2, 253), der
basellandschaftliche Birs in einem Aberglauben begründet sein:
der Name Wasser, hat mir einmal ein märkischer Bauer erklärt,
schütze den Hund gegen die Erdmännchen, Element gleichsam
gegen Element. KoUel (Schm. 2, 290) meint wohl nur einen
schwarzen Hund: in der Schweiz werden besonders Pferde von
solcher Farbe Koli oder KcUi genannt. Ein Frauenhündchen ^^),
dergleichen die Frauen als Liebespfand auch an Männer schenk-
ten, ein flämisches, welches Low heisst, also wohl einen so-
genannten Löwenhund, hat Joh. Pauli in der schon oben S. 76
angezogenen Erzählung eines auch sonst vorkommenden Schwankes,
ein andres mit dem l^d^xn&fi Angst eine Geschichte des Augs-
burger Bäthselbuches aus dem Beginn des 16. Jahrb., BL c üij
23) Ags. Eddvacer: Höpfners a. Zachers Zeitschr. 1, 217. Wickerlin
Weckerlin: Garg. 310 b (307 b.) — da Ht min hunt, der heizet Grin:
Fragm. XXXVnic.
24) GreyfF, Halt: Froschmäns. E. Sa.
25) Ein Frauenhund heisst Swänke: Lauremberg Satir. 1, 82.
80 1^0 deatscljen AppellatiTnamen.
rw.: „Es schanckt ain klosterfraw ainem edelman ain hondt. als
aber der edelman eylent ynd haimlich von dannen muosst vnd
des hunds namen zuo fragen vergessen het. schickt er sein
knecht wider hinder sich in das kloster den namen zuo erlernen,
do er dann der frawen drey bey ainander fand, sprechen [1. sprach
er]. Ich frag euch all drey. ich waiss nit welch es sey. die
mir mag sagen, wie hayst das. sy weyss wol was. die zwo ver-
wunderten sich der frömden red. des gleichen stellt sich auch
die rechtschuldig, vnd sprach, ich will den gauch schon ab-
fertigen, ein thoret red darff kainer weysen antwurt. vnd sagt
dem gedachten knecht. dir ist als mir. also heyst das. du weisst
wol wa^. das sag dem. du weisst wol wem. Nun ist die frag.
Wie der hundt gehayssen hab. Antwurt. Angst, dann es was in
bayden der guotten frawen vnd dem guoten gesellen angst".
Es sind zumeist Namen von Jagdhunden, die uns über-
liefert werden: von diesen, den Geföhrten einer friedlichen Kriegs-
lust, deren schon das früheste Mittelalter eine grosse Mannig-
faltigkeit sorgsam gehegter Arten zeigt (Lex Alam. 82, Baiwar.
19 und darnach später das Schwab. Landr. 278), kann eben
auch die erzählende Dichtung eher sprechen, und die Sage der
Vorzeit hat eben so berühmte Hunde als Rosse und Schwerter 2^).
Hauptzeugniss ein Abschnitt der Thiöriks Saga, wo die wild
abenteuerlichen Jagdzüge des Grafen Iren von Brandenbürg er-
zählt werden: sechzig Hunde führt er mit sich; die Namen der
besten sind Stapp, Stuft, Lusca, Busca^ Paron, Bonikt, Bracka
und Porsa (Cp. 257. 263). Und die Namen werden, wie schon
Uhland in der Germania 1, 9 bemerkt hat, in der Art aufge-
zählt, dass Stapp und Stutt, Paron und Bonikt, Bracka und
Porsa je paarweise zusammenstehn: diese aber allitterieren, wäh-
rend Lusca und Busca reimen: das weist auf ältre dichterische
Abfassung hin: wirklich heisst es auch mitten inne Cp. 258:
„Es wird erzählt in den Sagen, dass nie bessere Jagdhunde
könnten gefunden werden, als er hatte; zwölf waren die aller-
besten darunter, und die sind alle in deutschen Liedern genannt."
26) [Xenoph. Cyneget. 7, 5. Ovid. Metam. 8, 206 sqq. Hyginus 181.
— Namen der Hunde Giovan Maria Viscontis (f 1412): Corio, Storia di
Milano Bl. 301 fgg. — Karl der Gr. schenkt Hunde an den König der
Perser: Mon. S. Gall. 2, 9.]
Die deutschen Appellativnamen. 81
Der üebergang aus dem Deutschen ins Nordische hat Gestalt
und Sinn eines Theils dieser Namen unkenntlich gemacht: Stapp
und Stutt würden jetzt auf Hochdeutsch Stapf und Stutz d. i.
Schritt und Trotz lauten; Bracka ist unser Bracke Spürhund,
eigentlich also kein diesem Thier allein geschöpfter Name; Paron
mag aus althochd. Baro Mann entstellt sein, Porsa zu birsm
birschen gehören {kamerbirse^'^ und kamerbeJle sind gleichbe-
deutend spöttische Benennungen einer Kammerfrau: v. d. Hag.
Gesammtabent. t, 2t9. 223), Lusca den heimlich schleichenden
(althd. luscMn, losken delitescere), Rmca den raschen, munteren
meinen, und wenn ebenso in der Sage das Pferd Eckehards
Rusche oder Roschltn heisst, wenn der Hund Bonikt^^) an
Benig y das Pferd Ilsans (ebend.), anklingt und auch uns Kolli
für beiderlei Thiere gilt (S. 79), so wollen wir dem zur Er-
klärung uns der Worte des Plinius erinnern (H. N. 8, 61)
„fidelissimum ante omnia homini canis atque equus." Noch
mehr entstellt sind die Namen eines zweiten daran ebenso reichen
Hauptbeleges, einer Erzählung der Gesta Romanorum (Cp. 142),
wo zu den „quatuor generibus canum'*, mit denen dort ein
Wilddieb auszieht, die Namen Richer, Emideym^ Havegiff^^),
Bandyn^ Orismel, Egofyn, Beamis et Revelin angegeben werden:
bei mehreren aber schimmert der deutsche Grund noch sichtlich
durch: Orismel mag der im Staube kriechende sein. Sodann die
Geschichte des Ritters Heinrich von Neuenach (Liedersaal 2,
411 fgg.)» dessen Hund Harm stets Wildbret auf die Tafel des
sonst nicht reichen Herren schaift und aus einem Kampf mit
den Hunden des neidischen Kaisers, zuletzt mit zwölfen auf ein-
mal, doch als Sieger hervorgeht. Man braucht bei Harm nicht
an den vorher angeführten Angst zu denken: Äarw ist auch die
altdeutsche Benennung des Hermelins, und gerade mit dioßem
werden Hunde auch sonst der Farbe halb verglichen (Germ. 1,
10). Ferner, der Pfalzgraf von Tübingen in jener schwäbischen
Weidmannssage, die Uhland aus der Chronik der Herren von
Zimmern bekannt gemacht hat (Germ. 1, 2 fgg.)i nimmt als
27) hamerhirs Hennann von Sachsenheim Spiegel 153, 11.
28) [Ahd. punU diadenta, pontt tiara: Graff Sprachsch. 3, 341.]
29) So ist Hanegiff unzweifelhaft zu bessern, da die Moralisatio den
Namen mit accipite et donate auslegt,
Wfickernagel, Schriften. III. 6
82 Die deutschen AppellatiYnamen.
Jäger ein Erdmännlein an, „das fuert zwai jaghündlin mit sich
an ainer kuppel; das mendlin nampt sich maister Epp, der-
gleichen die hündlin das ain Will, das ander PTaß." Will und
Wall, die ebenso der Ablaut -verbindet, wie dort die Hundepaare
des Grafen Iron die Allitteration und der Reim, kommen jeder
auch als Mannsname vor^^), althochd. TFi'Zto und Wallo (Förste-
maun Sp. 1302. 1230): für Jagdhunde Hess sich dabei an den
volleren BegriiF des appellativen willo, Impetus, und an wall(hi
ambulare denken (Genn. 1, 10); ein mit wille zusammengesetz-
tes Willehr eht haben wir schon oben S. 76 gehabt: auoh das
ist als Mannsname häufig (Förstern. 1305). Endlich^^), ein
passlichster Name für einen Spürhund oder, wie man auch
sagte, smchhunt (Iwein 3894), der Name Suoche: dieser in
einem Liede Suchensinns, eines fahrenden Meistersingers gegen
1400: „Suche ist geheissen myn hunt, der lange hat gesuchet"
Fichards Frankf. Arch. 3, 245.
Ich habe eben gesagt Endlich: aber der Leser muss die
Jagdlust unserer Alten doch noch länger büssen. Suchensiuns
Hund Suche ist nur bildlich gemeint, wie überhaupt das Mittel-
alter es liebte, von dem edlen Weidwerk allerhand Bildlichkeiten
der Anschauung und des Ausdrucks herzunehmen (vgl. die
Minnelieder Burkards v. Hohenfels bei v. d. Hagen 1, 202 fgg.)i
ja wie ganze grosse Gedichte lediglich auf diese Bildlichkeit
gegründet wurden: Hauptbeispiel Hadamars von Laber Jagd der
Minne; dort in den Gestis Romanorum der Jäger bedeutet auch
nur den Teufel, der auf den Menschen seine Hunde, d. h. die
Versuchungen dieser Welt loslässt: die Moralisatio legt Richer
und Emuleym auf divitias et voluptates, Beamis auf die luxuria
u. s. w. aus. Da fehlt es denn auch nicht an Beispielen, dass
Hunden als Namen entweder Worte ganz abstracten Sinnes ge-
geben werden oder zwar, übliche Handenamen, aber solche, deren
Laut und concreter Begriff zugleich in einen abstracten hinüber-
spielt *^). So fahrt Hadamar aus mit den Hunden Herze,
30) Gab es auch ein Appellativ walle Waller? Froschmäus. Viij a.
Wallen weisz,
31) [Name der Jagdhunde in Shakespeares Taming of the shrew, in-
duction: Merriwaw, Clowder, Silver, Beltnan, Echo.]
32) [Ein hündlin zöch frau Schand, das ist geheissen Triegolf: Herrn.
v.Sachsenh. Spiegel S. 148,30.— ilfeW, TrostySuch: Wien.Sitzung8ber.54,323.]
Die dentschen Appellatiynamen. g3
Gdücke, Triuwe, Stcete, Lust, Liebe, Leide, Genäde, Fröude,
Wille, Wunm, Harre (Str. 9 — 18) u. s. f.; wesentlich eben die-
selben, nur dass die Zahl kleiner ist, in zwei andern, kürzeren
Allegorien (Liedersaal 2, 293 fgg. und Spiegel S. 126) und
wieder in beiden auch der Hund Wille. Den einträglichsten
Beleg aber gewährt ein Gedicht Siegfried Helblings, sein viertes,
Z. 410 — 460: denn eigentlich hier erst erscheinen nicht so bloss
Abstracta, sondern beiderlei Namen durch einander, als da sind
NU, Valsch, Haz, Fuhs, Wolf, Fürst, Wenk, Werre, Triuwe,
Schilt, Milt, £lr, Erge, Grife, Rasp, Gite, Wünsch, Merk,
Striun, Wän, Wank, Fruot, Frank, Sturm, Drenk, L(mf,
Schenk: Raspe, das wir auch als persönlichen Beinamen kennen,
gehört zu raspen raffen, und striunan heisst im Althochd. Ge-
winn machen, das jetzige streunen auf kleine Vortheile ausgehn
(Schm. 3, 686). Zu all diesen dichterischen Zeugnissen kommt
zuletzt noch eines aus der bildenden Kunst, ein Gemälde der
grossherzoglichen Sammlung zu Weimar, das nach einer alt-
beliebten Symbolik den Sohn Gottes als das Einhorn darstellt,
welches sich in den Schoss. einer Jungfrau flüchtet und so, wäh-
rend kein Jäger es erjagen kann, von dieser gefangen wird: der
verkündende Engel ist hier der Jäger, und indem er ins Hörn
stösst, ertönt daraus die Begrüssung „Ave, gracia plena: do-
minus tecum^^; an der Hand aber führt er zusammengekoppelt
die vier Hunde Justicia, Misericordia, Fax und Veritas: sie
tragen selbst diese Namen auf Spruchzetteln im Mund. Ab-
bildungen in Vulpius Curiositäten 6, 133 und in Pipers Evangel.
Jahrbuch 1859, S. 38.'
Wir haben vorher aus den Gestis ßomanorum den Hunds-
namen Beamis vernommen: dieser kann uns geschichtlich weiter
fahren. Der französische Einfluss, von dem seit dem zwölften
Jahrhundert das ganze höhere und nicht bloss das höhere Leben
Deutschlands gesättigt ward, machte sich je mehr und 'mehr
auch auf dem Gebiete geltend^ das jetzt uns vor Augen liegt.
Gottfrieds Tristan Sp. 7 1 fg. zeigt uns die Jägerei in Form und
Wort schon durchaus französisch aufgefasst: damit kamen denn
auch französische Namen für die Hunde auf. Zwar in eben
diesem^Tristan'*) das zauberhaft schöne Hündchen Petitcriü d. h.
33) Tristans Br&cke Hiud an 418, 15. 25. 433, 17. — l^awio Garg. 313.
6*
84 Die*deutschen Appellativnamen.
Klein wachsen , das eine Fee dem Herzoge Gilan geschenkt hat
und das Tristan demselben abgewinnt um es wieder seiner Isolt
zu schenken (Sp. 397 fgg»), ist aus der französischen Urschrift
herübergekommen: dagegen für Gar^levtaz, „daz kiut Huete der
verte" (Garde- voyage), den Bracken in Wolframs TiturelStr. 143,
nöthigt uns nichts das Gleiche anzunehmen, und noch weniger
für jenen Beamis der Gesta ßomanorum: beamis d. i. schoener
vriunt, so redete man sonst in feinerer Sprache den Freund und
den Geliebten an (Heinr. Tristan 1850. Wolfr. TituVel 59, 1),
im alten Weidmannsdeutsch aber ebenso den Hund Lieber Gesell,
lieber Gesellmann ^*), traut guter Gesellmann (Had. v. Laber
Str. 21; Altd. Wald. 3, 130). Es mag ein Spott auf das
moderne Weidmannswelsch sein, wenn das „hundeken Wackerlos'''
im Beineke Fuchs Z. 71 trotz seinem gutdeutschen Namen
Französisch spricht^^). Recht in Aufnahme jedoch kam auch
dieses erst mit dem Zeitalter Ludwigs XIV: das wird am besten
aus den Hundeverzeichnissen des Sächsischen und des Dessauischen
Hofes ersichtlich, welche Döbel in seiner Jäger-Practica mit-
theilt: hier verschwinden fast die seltenen deutschen unter den
Hunderten von französischen, zum Theil auch italienischen Namen.
Die neueste, unsere Zeit fährt darin kaum geändert fort, nur
dass jetzt die Jäger mit ihren Hunden allenfalls auch noch
Englisch sprechen: ein Fcdke (auch so haben wir schon Bosse
nenrren hören), ein Waldmann, ein Feldmann klingt ihnen alt-
fränkisch und nicht herrenhaft genug ^^). Nicht besser ausser-
halb der Jägerei, obschon, wenn nun auch der Bauer gern seinem
Hofhund Bello ruft, er das deutsche bellen und nichts Italienisches
im Sinne hat^^), Merkenswerth ist die eigenthümliche Volks-
ironie den doch so lieben Hund nach verhassten Menschen zu
benennen, z. B. Türk oder Sultan, [Cartouche] oder wie zumal
in der Pfalz Melac^^): es soll damit nicht der Hund als ein
34) Geselman: Schade Sat. 1, 148 fgg. Erneuert Seelmann! Waidm.
Spr. S. 42.
35) [Wacherlosz ganz appeUativ Froachmäus. Dva. (Cij b.). Kein
Wacherlosz und Vernim ebenda Bbb 5 b.]
36) Dachshunde heissen Bergmannj weibl. Berginne.
37) Vgl. Bellart, den Namen des Haushundes Froschmäus. 1, 2, 5. 6. 25.
38) Lackel Name für Metzgerhunde, vielleicht aus Meldckel: Schna.
2, 431.
Die deutachen Appellativnamen. 85
französischer Mordbrenner, sondern der französische Mordbrenner
als ein Hund bezeichnet werden. Vor etwa dreissig Jahren gab
Jemand in Berlin seinem Hunde den Namen Krelinger; als ihn
der Mensch, der Crelinger hiess, deshalb vor Grericht zog, wandte
er ein, dass sein Hund sich Krelinger schreibe**). Gewöhnlich
jedoch sind auch hier die Namen, gleichviel ob einheimisch oder
fremd, ob liebkosend oder in solcher Art beschimpfend, durch
die beständig wiederkehrende Benutzung so abgenutzt, dass der
einzelne Hund wenig Eigenes mehr daran hat. Ringgi z. B. in
der Schweiz ist nur noch ziemlich ebenso viel als Haushund
überhaupt („hie und da bellte ein Ringgi sie an": Gotthelfs Uli
d. Knecht S. 336); man nennt jeden Hund, der sein Kalb oder
seinen Mann zu fassen vermag, einen Packan; Wacker und
Wäckerlein sind in gleichem Bezug schon früher (S. 79) her-
vorgehoben worden.
H. Unter den übrigen Hausthieren und denen , die sich der
Mensch immer von neuem zähmt, ist das Rind ihm das ver-
trauteste nächst Hund und Pferd und auch diess zugleich in
religiöser Weise und um einer höheren seelischen Begabung
willen angesehn*®). Wie der Wagen der Nerthus von Kühen
gezogen wird, wohin diese wollen, und der Priester nur mitgeht
(Tac. Germ. 40), erseheinen Rinder auch in Sage und Legende
vielfach so, dass es ihnen überlassen ist den Weg einzuschlagen
und das rechte Ziel zu finden: vgl. z." B. Deutsche Sagen der
Br. Grimm 1, 449.454.258. Niederländ. Sagen v. Wolf S. 423.
Darum denn auch hier bereits von früheren Zeiten an die Be-
zeichnung und Auszeichnung durch mannigfaltige Eigennamen.
Ein Beispiel des dreizehnten Jahrhunderts die vier Ochsen t^wer,
Räme, Erge und Simne im Meier Helmbrecht 809 fgg.: Räme
kann, je nachdem man es auf räm oder auf rämen bezieht, die
Russfarbe oder die Stössigkeit meinen, besser das erstere, da in
der Schweiz noch jetzt ein Rind mit schwarzen Flecken Räm
oder Rämi heisst (Stalder 2, 256), Üwer dagegen nur die Aehn-
lichkeit mit dem ür^^), aber nicht wohl einen gezähmten Auer-
39) Wiedu Htindename: Grobianus Buch 2, Cap. 2. Garg. M 6 ä.
40) Eherner Stier der Cimbem: Plutarch Mar. 23. Kuh mit Opfern
verehrt; Olaf Tryggvasons Saga Cap. 71.
41) [üeber Ouwer, wie für Üwer zu lesen, vgl. Meier Helmbrecht von
Keinz S. 76.]
gg Die deutschen Appellati vnamen.
ochsen selbst: „adsuescere ad homines et mansuefieri ne parvuli
quidem excepti possunt" (Cäsar B. Gr. 6, 28). Von Menschen
her übertragen sind Barthd und Heinz, jenes für Kühe, dieses
für Zugochsen und beide im sechzehnten Jahrhundert üblich
(Pischarts Gargantua 1582, M 7 rw. Frisch 1, 438 b). Nach
neuerem Brauche jedoch pflegen die Namen der Ochsen auf den
öeburtsmonat zu gehn, z. B. Horni, Merz, Laubi d. i. April,
Lusti d. i. Mai (Hebels Werke 1838. 2, 278 fg.), die der Kühe
ebenso auf den Wochentag der Geburt, z. B. Pfinztag die am
Donnerstag geboren ist, oder auf die Farbe und sonstige Merk-
male im Aeussern wie jenes Rämi, wie Möhrli, Röthl, Stemd,
Krumphörnl, Grossbuch: man sehe die Verzeichnisse bei Wyss,
Eeise ins Bemer Oberland S. 563, und bei Schmeller 2, 274
und die Schweizer Kühreihen in des ersteren Sammlung S. 19
fgg. und 38 fgg.**); Bloss und Blässei (Sprichwort: „Man sagt
selten zur Kuh *du Blässle', ausser sie hat ein Stemle": Sailers
Weish. auf d. Gasse S. 130*^) ist uns auch schon unter den
Pferdenamen begegnet (oben S. 74. 76); Kuo Brüni hat bereits
das alte Lied von dem Streite zu Sempach (AM. Leseb. 930,
38. 932, 4). Uebrigens wiederholt sich hier die bei Pferd und
Hund gemachte Bemerkung: so zahlreich auch die Namen, die
in den Viehzucht treibenden Ländern gäng und gäbe sind, es
wird nicht für jedes Rind ein neuer ihm nur eigener geschöpft,
sondern gewisse kehren immer wieder und verlieren sich damit
halb in das Gebiet der Appellativa. Das gilt in noch viel
höherem Grade für die andern hier noch in Betracht kommenden
Thiere, zumal uns für diese fast allein aus neuerer und neuester
Zeit Eigenbenennungen bekannt sind und beinah lauter solche,
die eigentlich Menschen gehören.
Für die Ziege**) gewährt ein schweizerischer Geissreihen
von Kuhn (Wyss Kühreihen S. 48 fg.) die Namen Hüdel,
Strudel, Schabe, Länder, Speiche; in Spees Trutznachtigall
(Cösfeld 1841, S. 272) ist Hitzlein, ich weiss nicht ob Ver-
42) Die Kühe auf dem Witwald hiessen 1862 Blümli Gemsi Leu Schild
Schnepf Spiri Stolzi Tübi. kü Blüemle: Sempacher Lied bei Uhland Volksl.
S. 408. Agricola Sprichw. 388. Frisch. 1, 113 a.
43) Kein i^^äszUn nennt man bald ain ku, sie hob ain flecken dan
dar zu: Fischarts Dichtungen v. Kurz 3, 228.
44) Weigand im oherhess. Int. BI. 1846 no. 61.
Die deutschen Appellativnamen. 37
kleinenmg von Heinz, der Name einer jungen Ziege. Der Bock
heisst Uermann^^) (J. Grimms Gesch. d. deutschen Sprache 1,
35), Herman stoss nicht und Moses (Gargantua M 6 rw.);
Bartholt wie Bartman bei Burkard Waldis (Esop 3, 27) mag
nur ein gelegentliches Wortspiel des Dichters sein.
Dem Esel wird Martin gerufen (Gargantua M 7 vw.); er
wird aber auch in einer Fabel von Burkard Waldis (Esop 4, 1)
„Herr Heyntz'''' angeredet, eben wie das edlere Pferd Hainzel
und Himz: oben S. 76*^).
Das Schwein heisst gleichfalls Heyntztin und ausserdem
Kuntz: Gargantua M 6 rw.
Und wiederum auch die männliche Katze niederdeutsch im
Eeineke und sonst noch Hinze, hochdeutsch im Proschmeuseler
und noch jetzo (Schmeller 2, 220) Heinz^'^). Daneben Mumer:
schon vor 350 Jahren Thomas Murner ist im Eingange des
Karsthans und sonst damit verspottet worden; im Eselkönig S. 18
„Herr Murner, die Katz, ein Spanier, Hoffcaplan".
Der gezähmte Affe wird von dem Gaukler, der ihn zur
Schau stellt, Meister Märtin^^) genannt (Gargantua M 7 vw.):
Anlass dazu wohl die gleiche Benennung in der älteren, schon
der französischen Thierepik (J. Grimms Reinhart Fuchs CXXV fgg.)-
Der Bär, der im Mittelalter viel häufiger als jetzt gezähmt
und zur Kurzweil gehalten ward (Haupts Zeitschr. 6, 185 fg.),
hiess nach der Angabe Fischarts bei den Churwalen d. i. den
Bündnern ebenfalls Martin (Grargantua M 7 vw.); üblicher ist
die Benennung Meister Petz, die kürzeste Koseform zu Bernhard :
ein bekanntes Gedicht des vierzehnten Jahrhunderts (Diutiska 2,
45) Hermen Reinke Vos 1771 (Methe de zege unde Hermen de hok).
Germanus f Hermanus Abr. a. S. Clara 1, 143. BelUn Herman Froschmäus.
Oij b, vgl. Bb 7 a. verbessertes ernstliches Mandat Hermanni Sartorii, des
uralten löbl. Schneiderei Ordens erwehlten General. Diebingen (52 Seiten 4.).
46) Herri der Esel: Fischart Garg. M 6 rw. Dichtungen 3, 34 Kurz,
wie Waldis und nach ihm Eyering S. 325. Vergl. ital. arr\ antreibender
Zuruf an Esel und Pferd.
47) Heinz Froschmäuseier Bbb 8 b. Der Katemame auf den heiligen
Heinrich übertragen : ebenda Rij a. Kater Heinz in einer Ingolstadter
Schrift von 1584: Frejrtags Bilder aus d. deutschen Vergangenheit (1863)
1, 370. — Katze heisst ztse: Fragm. XXXVIII c. — Der Kater auch Peter >
48) [Der Hase im niederd. Märten. '\
88 I^i© deutschen Appellativnamen.
78 u. a.) hat einen Bauern des Namens meier Bez oder Pez^%
Diess Wort mit Bätz, einem landschaftlichen Ausdrucke für
Schaf, in Verbindung zu bringen, weil der Bär „wegen seiner
rauchen Haar einem Schaf gleich sieht" (Frisch 1, 74 c), ist
ebenso irrig als die landläufige Herleitung des Wortes Batzen
von PetZy weil zuerst die Bemer Batzen geprägt und dieselben
mit ihrem Wappenthier dem Bären bezeichnet hätten. Die Be-
nennung Batzen ist älter und viel allgemeiner; sie soll diese
Münze im Gegensatz zu den Bracteaten als Dickmünze bezeich-
nen (vgl. Baiz, Batzen bei Frisch 1, 74 b und Schmeller 1,
228), ganz wie Groschen, das vom mittellateinischen grossus
kommt. Auch nennen die Berner selbst ihren Bären gar nicht
Bätz oder Petz, sondern Midz, wahrscheinlich, da mutzen s. v. a.
stutzen ist (Stalder 2, 227), wegen der auffallenden Schwanz-
losigkeit des Thieres; ein brunmiiger Mensch heisst davon auch
in der übrigen Schweiz ein Surrimidz^^).
Unter den gezähmten Vögeln steht dem Pferd und dem
Hund zunächst an der Seite der zur Jagd abgerichtete Falke,
der Habicht, der Sperber. Er gehört mit dem Boss zusammen
wie die Hand mit dem Fuss, die rechte Hand, die den Jagd-
vogel trägt, mit dem linken Fusse, der in den Stegreif tritt:
darum auch werden in peinlicher Strafe die rechte Hand und
der linke Fuss zusammen abgehauen (Bechtsalterth. S. 705 fg.;
vgl. Gesch. d. Deutschen Spr. 1, 44 fg.). Mit dem Hund ver-
bunden zeigt ihn eine Sage in ängstlich treuer Wache bei dem
schlafenden Kind seines Herren (Diocletianus von Hans v. Bühel
S. 30); mit eben demselben begleitet er den gestorbenen Herrn
auf den Scheiterhaufen (Edda d. Br. Grimm 1, 272 fg.) und
mit Hund und Boss^^) in die Opferung: Dietmar v. Merseburg
S. 13 „Est unus in his partibus locus, caput istius regni, Le-
derun nomine, in pago, qui Selon dicitur, ubi post VIHI annos
mense Januario post hoc tempus, quo nos theophaniam domini
49) oder Betz, Verkleinerung von Bär? wie Götze, Spatz, ahd. agazä,
chazzä? vergl. Grimm Gramm. 3, 694. — Mica aurea und Innocentia die
zwei Bärinnen des Kaiser Yalentinian I: Amm. Marc. 29, 3.
50) Herr Mötzlin: Justinger 191. sonst mutz ein 'Gaul: Hub, kom.
Pros. 2, 53. mutz Katze: Schmeller 2, 664; vergl. Leseb. 1^ 653, 2fgg.
[Ein Elefant Namens Abulabaz: Einhardi Ann. 802.]
51) Boss, Hund, Habicht: Sid. ApoU. Ep. 3, 3. 4, 9. Carm.7, 192 sqi^.
Die deutschen Appellativnanien. 89
celebramus, omnes convenerunt et ibi diis suismet LXXXX et
Villi homines et totidem equoa cum canibus et gallis pro ac-
cipitribus oblatis (falls keine Habichte oder nicht genug vor-
handen sind) immolant, pro certo, ut praedixi, putantes hos
eisdem apud inferos servituros et commissa crimina apud eosdem
placaturos/^ Um so mehr darf es uns befremden, zugleich aber
nur als ein Zufall erscheinen, dass neben so viel Ross- und
Hundenamen kein einziger eines Falken überliefert ist, nur aus-
genommen den des mythischen ersten, des Götterfalken Hdbroc
d. i. Hochhose, inGrimnis mal Str. 44.
Den Staar im Käfig und im Zinamer pflegt man Matz d. i«
Matthäus und, da der Name denn auch auf andre Vögel der
Art übergeht, zu genauerer Bezeichnung Staarmaiz zu nennen.
Der Staar von Segringen in einer bekannten Erzählung Hebels
(Werke 3, 133) hiess Hansel.
Oanarienvögel redet man in der Schweiz lieber mit
Männi d. h. Emanuel an [sonst Mätzchen]^ Papageien überall
mit Jacoh^^),
Endlich beim Storch noch einmal der Name Heini: der
Kinderreim, der anderswo „Storch, Storch Steiner*' oder „Storch,
Storch Steine" beginnt (Simrocks Deutsches Kinderbuch S. 146
fgO» beginnt hier in Basel „Storke, Storkeheini^^y.
L Zur Eigenbenamung der Schiffe haben mehrfache An-
lässe zusammengewirkt. Gestalt und Bewegung mahnen zugleich
an den schwimmenden Vogel und an das rennende Pferd: auch
wir sprechen von Schiffsschnäbeln, und von dem Glückhaften
Schiff der Zürcher sagt Fischart Z. 221 fgg. „Da gieng es da-
her in der wog, Als ob es in dem wasser flog; Die rüder giengen
auf und ab Schnell, das es ein ansehen gab. Als ob ein frembdt
ungwont gefügel Da auf dem wasser rhürt die fligel"; als das
Koss des Meeres (seltner sind andre dem ähnliche Vergleichungen:
Snorra Edda S. 118) bezeichnen es mannigfaltige Wendungen
52) Im nordöstl. Deutschland Jacob der aUgemeine Name der Dohlen.
Papagei, rom. Peter: Diez etymol.. Wörterb. der rom. Spr. 1, 307 (s. v.
parrocchetto).
53) [Heimi Name eines Drachen, auf Studas, der ihn getödtet, über-
gehend: Saga Thidriks Cap. 18 ]
90 I^ie deutschen Appellativnamen.
der altnordischen und angelsächsischen Dichtersprache*^^), (J.
Grimm zu Andr. u. Elene S. XXXIV fg. und Mythol. S. 839;
Haupts Zeitschr. 9, 576 = oben Bd. 1, S. 83), und noch
Friedrich von Spee nennt es ein holzen Boss (Trutznachtigall
S. 96) und nimmt es als Boss und als Beiter und als Vogel
zugleich, wenn er in einer Schilderung des Meeres die Verse
wagt (ebd. S. 149) „Ei da nun, ihr unzählbar Schiff, Wasser-
wald bescheren! Euch eben recht ich jetzt betriff, Bäum zu
Land geboren! Ach zäumet auf den vollen Trab, Legt hin die
flache Sporen! Die flachsen Feder spannet ab: Die Zeit bleibt
unverloren". Schon allein auf Grund einer so all- und alt-
gewohnten Vergleichung hätten diejenigen, die ihre Bosse nach
Menschenart benannten, dasselbe nun auch mit ihren Schiffen
thun können: aber es kam um darin zu bestärken noch Andres
hinzu. Schnitzarbeit, die das Vordertheil zierte (es gedenken
solcher bereits Geschichte und Becht und Dichtung des alten
Nordens), liess das Ganze, wenn es Andren entgegen oder zu
Lande fuhr, als einen Drachen, weshalb auch dreht der alt-
nordische Name einer eigenen Schiffart ist, oder sonst in un-
geheuerlicher Menschen- oder Thiergestalt erscheinen, so dass,
wie ein Verbot sich ausdrückt, die Landgeister sich entsetzten
(Altnord. Leben v. Weinhold S. 130. 136). Es kam also mit
dem Bildwerk wie ein dämonisches Leben in das Hola, und
wirklich schrieb man auch sonst den Schiffen ein solches zu^*).
Die Friöthiofs Saga Cp. 6 lässt ihren Helden sein Schiff Miöi^^)
54) Vgl. hrimhengest Andr. 513. smhengest 488. fearodhengest Elene
226. vcpghengest Gudl. 1303. El. 236. ecemearh Cod. Exon. 361. Andr.
267. Elene 228. 245. ydmear Cod. Exon. 363. lagumearg Gudl. 1306.
Schiff reitet: Cädm. Genesis 1392.
55) Vgl. noch unsere Benennungen Dreimaster ß Schnellsegler, Kreuzer,
Dampfer»
56) d. h. Sturmfahrer. Weil das Wort auch appellativ, als Benen-
nung, wie es scheint, einer besonderen Art von Schiffen gebraucht wird,
hält Weinhold S. 137 den appellativen Sinn für den ursprünglichen und
den engeren eines Eigennamens für abgeleitet. Es dürfte jedoch der Weise
des alten Nordens gemässer sein, die appellative Verallgemeinerung für
das Jüngere zu halten. Noch weniger richtig scheint der ebendort auf-
gf stellte etymologische Zusammenhang mit Läditif der Benennung der
grössten Schiffe des Bodensees (Schmeller 2, 434) : denn diese kommt doch
wohl einfach von lade d. h. Bohle. [Ledischiffe auch auf dem Zürcher
See: Ledi Ladung.]
Die deutschen Appellativnamen. 91
ermuthigend ansingen, und diese Zurufe, heisst es, wirkten so
auf das Schiff, als wenn es die menschliche Sprache verstanden
hätte*'); später kommt es auch in altenglischer Dichtung vor,
dass ein Königssohn Abschiedsworte an sein Schiff richtet und
ihm Gruss und Botschaft in das Heimathland aufträgt (Hom-
childe in Ritsons Ancient romances 3, 97). Rechnen wir diess
alles zusammen, so hat der immer noch bestehende Gebrauch
der Schiffbenamung, dem die neuere Zeit durch eine Art von
Taufe einen frischen Halt zu geben sucht, einen für das Alter- *
thum ganz naturgemässeu Ursprung genommen. Die frühesten
Belege werden uns vom Norden her, schon in den Göttersagen
desselben, dann in der Geschichte seiner Helden und Könige
überliefert (J. Grimms Gramm. 3, 434. Weinhold S. 131 fg.):
Baldurs Schiff z. B. hiess mit Bezug auf den Ringschmuck seines
Stevens Hringhorni, ein Schiff König Sverris Öskmey d. i.
Wunschjungfrau, Valkyrje, eines des heil. Olaf Vimnd, ein
andres, dessen Steven in Gestalt eines Königshauptes ausge-
schnitzt war, Karlhöfdi Mannshaupt**). Jünger sind die Belege,
die auf Deutschland fallen, jünger wie hier die Seeschifflfahrt
selbst und meist auch weniger alterthümlich. Pilgertu und
Vridelant d. h. Beschütze-das-Land, die Namen zweier „her-
schiffe" des Deutschen Ordens in Preussen (Pfeiffers Jeroschin
S. 271), gehn noch im höheren Styl: aber tief fällt es ab, in
den ironischen Ton, welchen freilich die spätere Zeit überall
liebte, wenn das Schiff, dem die Hamburger im Jahre 1402
ihren Sieg über den Seeräuber das Störtebeker verdankten, die
bunte kd hiess (Zeitschr. f. Hamb. Geschichte 2, 289) und auf
den grossen Landseen der Schweiz im J. 1314 die Luzerner
eine Gans, die Urner einen Fuchs (J. v. Müller 2, 131), im
Zürichkrieg die Zürcher eine Gans und eine Ente, ihre Gegner
die Schwyzer nicht bloss einen Bären, sondern auch eine Schnecke
hatten (J. v. Müller 5, 92. 114. 115): die Zusanoimengehörig-
keit mit den übrigen Namen verbietet es hier das Wort Schnecke
so zu verstehn, wie es sonst allerdings gebraucht wird, als die
57) Argo sprechend: Paulis Realencyclop. 1, 724.
58) SkSdbladnir Sn. Edda S. 27. Hringhorni S. 37. Naglfar S. 41.
Vergl. Cädmons Genesis 1418. 1433. Heliand 35, 17.
92 IWe deutschen Appellativnamen.
appellative Benennung einer ganzen besonderen Art von See-
schiffen.
K. Geschütze und andre dem ähnliche Geräthschaften*^),
wie schon das frühere Mittelalter sie bei. Belagerung und Ver-
theidigung fester Oil^e brauchte, hatte diess gern, und es folgte
darin dem Vorgänge des griechisch-römischen Alterthumes, nach
Thieren benannt^®), jedoch in durchaus appellativer Weise, so
dass die einzelnen Thiernamen je eine ganze Art jener Geräthe
bezeichneten^^): dergleichen sind katze, krebz, tärant und igel;
besonders berühmt wurden ihrer Zeit die Katze und der
Krebs (cattus et Cancer), mit denen Albrecht I die Mauern
Bingens brach; der Meister, der sie gefertigt hatte, hiess Böter-
melin (Ottocar Cp. 716; Ann. Colmar. z. J. 1301; Narratio de
reb. gest. Archiepisc. Mogunt. in Böhmers Fontes 2, 572). l^an
fuhr in derselben Richtung fort, als an die Stelle der alten
Wurf- und Stossmaschinen die Feuergeschütze rückten: aber die
Freude an der Neuerung vertauschte nun jene Appellativa gegen
wirkliche Eigennamen, schuf Einzelnamen für jedes einzelne Ge-
schütz und entwickelte die so erwachsende Menge dadurch auch
zu gross ter Mannigfaltigkeit, dass sie die Namen nicht mehr
bloss aus der Thierwelt, sondern auch aus der menschlichen
und von noch anderen Gebieten des Lebens holte. Thiernamen
sind z.B. (ich gebe nur Beispiele des 15. und 16. Jahrhunderts
und entnehme dieselben zumeist aus Schmellers Bair. Wörterb.
1, 147 und der Geschichte der Zürcherischen Artillerie v.
Nüscheler, Zürich 1850, S. 15 fgg.) Äff, Brach, Falk, Fdlkonet,
Fledermaits, Fuchs, Harnuss, Hurlebus oder Hurlebaus d. h.
Brummkatze (vgl. Kurz zu Murners Lutherischem Narren S. 226),
Lewe (Uhlands Volksl. S. 494), Luchs, NacJdigal (ühland
S. 472), Püfel d. h. Büffel, Purleham oder Purlapam s. v. a.
Hurlebus (ühland S. 460. Kurz a. a. 0.; burren brummen:
Schmeller 1, 193), Schlange, Schrötel d. h. Schröter, Hirsch-
käfer, und Wolf; drei davon, Falkonet, Hurlebaus und Schlange,
59) Kriegswagen: Grimm. Gramm. 3, 455. Du Gange v. Carrocinm.
Fahnen: Auriflamma: Du Gange. Old Jack die englische Flagge.
60) Griech. xptd^, ffvaypo?, axopitfo?; lat. aries, aseUus, testudo.
61) Hör. Belg. 5, 120 fg. Dn Gange s. y. Gata, Gatus, Scropha.
triboc, driboc: s. Diez Wörterb. d. rom. Spr. 1, 92 und Du Gange, •
Die dentschen Appellativnamen. 93
namentlich diess letztere (Uhland S. 472. Schmeller 1, 147 und
3, 451), hat die häufige Anwendung schon frühzeitig in appella-
tive Allgemeinheit abgeschwächt**). Persönlichen Sinnes oder
Personification junkfraw Falkenet (Uhland S. 472), Dronietterin,
Manrhrecherin, Singerin (uhland S. 472), Nar, Raraff, diese
beiden zu Strassburg und letzterer mit Bezug auf das Wahr-
zeichen der Stadt, ein lächerliches Bauembild an der Münster-
orgel, benannt (Kurz a. a. 0. S. 242; vgl. Brants Narrenschiff
V. Zarncke S. 434), gleichfalls dort das schon oben S. 61 er-
wähnte Ketterlin von Einsen d. h. Ensisheim, ferner Metz,
niederdeutsch Mette und Metteke, das Kosewort zu Mechtild,
worüber ausführlicher im dritten Abschnitte zu handeln ist,
auch diess aus dem ursprünglichen Sinn einer Eigenbenamung
alsbald ein Appellativ geworden (Frisch 1, 662 b; Uhland S. 47 2;
Schmeller 1, 147 u. 3, 663), ebenso endlich das Imperativisch
gebildete Weckauf (Uhland S. 460. Schmeller 4, 20). Aber
auch die Monatnamen zeigen sich als Namen von Geschützen
angewandt (Nüscheler S. 15 fg. 19), und man dürfte das der
gleichen Art die Zugochsen zu benennen (oben S. 86) zur Seite
stellen, wenn nicht die Meinung doch wohl eine so zu sagen
gelehrtere wäre: in derselben Eichtung, nur noch etwas unleben-
diger, kommen hier auch die Namen der Planeten und der
Zeichen des' Thierkreises, ja einer nach dem andern die Buch-
staben des Alphabetes vor (Nüscheler a. a. 0.); bekannt ist,
wie Moritz von Oranien, als er im J. 1591 die Stadt Nim wegen
aus solch einem ABC beschoss, von den Belagerten voreilig als
ABC-Schütze verspottet ward. Unsere Zeit numeriert nur noch
die Geschütze ; wo aber wiederum sie eine neue Freude empfindet,
62) üeber Geschütznamen vergl. Frisch 1, 166 a. Max Müller Wissensch.
der Sprache 2, 218. Wunderhorn 2, 349 fg. 353. Bei Nüscheler S. 60 im
Jahre 1630 Adler, Falke, Geier, Habicht, Sperber, Eule. Lerche vl. Falhe:
Leseb. 2, 518, 15. Nachtigall: Pfeiffers Germ. 3, 138 fg. Schmeller 2,
672. Greif: Bädekers Paris S. 258. hürlebausz: Dioclet. 2482. das
Hurlebausisch Geschütz: Garg. Y 1 rw., Ee a rw. Vor Frankfurt a. M.
1552 Rehhock, Kauz, Landsknecht, Hahn, Stephan, Schlange, Singerin:
Wunderhorn 2 (1846) 349 fg.; Hahn, Rehhock, Kauz, Landsknecht, Bär,
bös Eis, Baur: ebenda 353. — romanisch esmeril, falconete, moschetto,
sagro, terzeruolo: vergl. Diez, Wörterb. 1, 170. 281. 363. 414.
94 ^^^ deutschen Appellatiynamen.
an den Locomotiven der Eisenbahnen, liebt und übt auch sie die
Eigenbenamung.
L. Gleich den Geschützen haben dann auch die TJiürme,
die als Warten gegen drohende und belagernde Feinde und selbst
als Stätten zu deren Beschiessung über den Kranz der Mauern
sich erheben, öfters ihre Eigennamen empfangen. Ein häufig
wiederkehrender ist schon oben angeführt worden, der Impera-
tivische Luginsland (S. 61); ebenso gebildet ist Schutt dm
heim, den ein Volkslied des fünfzehnten Jahrhunderts (ühland
S. 303) zu Neuburg an der Donau nennt. Einem hohen Kirch-
thurm, den man überall in der Stadt wiedersieht, giebt man im
Scherz wohl den Namen Hans in allen Gassen: so vormals in
Berlin dem Thurm der Marienkirche. Und wie Thürme zugleich
als Gefängniss dienen, z. B. jenejr Schutt den heim zu Neuburg,
so kommt auch bei Gefangnissen die Eigenbenamung vor. Eine,
die sodann auch appellative Anwendung gefunden, die Kuh,
lernen wir durch Schmeller (2, 279 fg.) kennen: doch hat seine
Yermuthung, dass ursprünglich nicht das Gefängniss selbst,
sondern ein Stock oder Foltergeräth darin so geheissen habe,
viel Wahrscheinlichkeit: gerade für dergleichen Dinge liebt der
grausame Scherz der Vorzeit die friedfertigsten und sogar hei-
tersten Namen: ich erinnere an Worte wie Harfe, Geige, Fiedel
(Basel im 14. Jhd. S. 383 = oben Bd. 1 S. 311).
M. Endlich hoch oben in den Kirchthürmen die weitrufen-
den Herolde des Gottesdienstes, die Glocken. Der Gebrauch
diese, bevor sie ihr Amt antreten, förmlich auf einen Eigen-
namen zu taufen, wird kaum viel jünger als der Gebrauch
solcher Glocken gelbst sein: wenn sich letzterer nur bis in die
zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts zurückverfolgen lässt
(Ottes Glockenkunde S. 3), so war schon zwei Jahrhunderte
nachher die Einsegnung mit Wasser und Salz und Oel, die das
Ritual der Kirche hier allein vorschrieb, in den Sinn einer
Taufe, d. h. auch einer Namengebung ausgeartet, und Karl
der Grosse musste in dem Capitulare von 789, 18 (Pertz
Monum. 3, 69) das Verbot ergehen lassen „Ut clocas non bap-
tizent.^^ Das Capitulare fährt sogldch fort „nee cartas per
perticas appendant propter grandinem", man solle auch keine
Zettel mit Segenssprüchen gegen ' den Hagel an Stangen be-
festigen. Diess deutet darauf hin, was vorzüglich mit der Taufe
Die deutschen AppellativnameB. 96
der ölocken bezweckt worden: es sind von je her zuvörderst
Heilige gewesen, auf deren Namen man die Glocken tauft, und
dieser Name, dieser Heilige selbst soll nun gegen das Hagel-
wetter schützen. Karls Verordnung ist erfolglos geblieben: bis
auf den heutigen Tag braucht der Aberglaube die Glocken zum
Wetterläuten und die auf dem Aberglauben beruhende Sitte
tauft und benennt sie; mit dem ältesten nachweisbaren Beispiel
einer eigenbenamten Glocke steht sogar ein Pabst selber in Ver-
bindung, Johannes XUI, der im J. 968 einer Glocke des Laterans
zugleich nach sich und nach dem "Heiligen der Kirche den
Namen Johannes gab (Otte S, 12). Und wie uns dieser Beleg
nach Italien und dem Mittelpunkte der abendländischen Christen-
heit führt, so gilt der Gebrauch der Glockennamen für alle
Völker und Zungen derselben, nicht bloss und auch nicht vor-
zugsweise für die Deutschen; Sagen, wie sie hie und da auf
deutschem Boden vorkommen, dass Glocken, die nicht getauft
und benannt, also noch unheilig und gleichsam wesenlos sind,
darum ein Spiel und ein Raub des Teufels werden (z. B. Wolfs
Deutsche Sagen S. 446 und dessen Niederländ. Sagen S. 300.
560 fgg.), dergleichen Sagen konamen gewiss auch ausserhalb
Deutschlands vor und überall Inschriften, welche die Glocke
selbst in erster Person reden lassen, und auch andere Völker,
nicht bloss wir, kennen die scherzhafte ümdeutung des Glocken-
geläutes in Worte der menschlichen, der Landessprache, wie zum
Beispiel, als sich vor einem Jahrzehend die Naturforscher in
Wien versammelten, das Geläute der Kirchenglocken von ausser-
halb der Stadt an bis in deren Mitte folgender Maassen aus-
gelegt ward: „Sie kommen, sie kommen; Sie sind schon da, sie
sind schon da; Was wollen sie machen? was woUen sie machen?
Fressen und saufen, fressen und saufen; Wer wirds zahlen?
wer wirds zahlen? Bürger und Bauern, Bürger und Bauern",
und der richtige Berliner sogar von der Getrauten^irche, von
dem Dom u. s. f. herab die Namen seiner Lieblingsbranntweine
hört: Kümmel- Anis, Wachholder, Pomeranzen*^). Kürzer ein
63) Zu Stein a. Eh. zwei Eathhausglocken; die kleinere ySind d Lum"
pen all da?*, die grössere fii n dm (bei einem)*. Das Zürcher Ilochzeita-
geläute: erste Glocke fach min Gott, ach min Gott/* zweite Chrüz und
Noth, Chrüz und Nothf^ Zusammenläaten ,und das mi Lebe lang, und
y
98 ^^ deutschen AppellatiYnamen.
solche Worte zu setzen, die selbst im Ausdruck unpei'sönlich
und abstract verblieben.
Der Tannhäuser: Bodmer 2, 67 b, v. d. Hagen 2, 94 a.
Ich denke, erbüwe ich mir ein hüs nach tumber linte rate,
die mir des helfen wellent nü, die sint also genennet:
Unrdt und her Schaffe niht die koment mir vil dräte
und einer, heizet Selten rieh, der mich vil wol erkennet;
Her Zadel und her Zwivel^) sint min staetez ingesinde;
her Schade und ouch her Umbereit^) ich dicke bt mir vinde.
und Wirt mtn hüs alsd yolbraht von dirre massente,
sd wizzent, daz mir von dem bü her in den buosen snle.
Süsskind von Trimberg: Bodmer 2, 178 b fg., v. d. Hagen
2, 259 b.
Wd heb üf und Niht envint
tuot mir vil dicke leide;
her Bigenöt von Darbidn
der ist mir vil gevaere.
Des weinent dicke miniu kint;
boes ist ir snabelweide:
er hat si selten sat getan,
wan ofte froeiden laere').
In mtnem hüs her Dünnehähe
mir schaffet*) ungeraete;
er ist zer weit ein müelich knabe. A
ir muten, helfent mir des boesewihtes abe!
er swechet mich an spise und ouch an wsete.
Hugos von Trimberg Eenner, Bamberger Ausg. S. 57 b. |
Gltikeit hat alters eine
mit aller nlf ssetat gemeine: '
bösheit ist ir kamererinne,
karkeit ist ir kelnerinne,
untriuwe ist ir rätgebinne,
unkust ist ir härflehterinne;
liegen, triegen mac wol sin
ir schenkinne unde ir truhsszln;
unwirde ist ir splserin,
ameichen ir ennelprlserln;
1) Bodmer und v. d. Hagen statt her beidemal der,
2) Von beiden in Unbereit geändert.
3) Bodmer bis auf die frmdenbere, v. d. Hagen biz uf die vröuden-
beere. Der Fehler wird durch einen norddeutschen Schreiber verschuldet
sein, für den, wenn er nur die einzelnen Worte nahm, wan ofde gleichen
Sinn hatte mit biz üf die,
4) Beide schaffet mir.
Die deutschen AppellatiTnamen. 99
Spar heHbUnc der pforten pfligt,
Pfürpfel acte daz göurich wigt;
ir marschalc ist her Zitterort,
ir putigler her Bitter wort;
Ungunst schribt ir rechnnng an;
her Nidunc ist ir cappellän.
Ebenda S. 107 b, 108 a.
Eeinez lehen, adel, Ininst
beltbent an des päbstes gnnst,
ezn kom dan mit an die vart
Richart, Klinchart und Gebehart^),
swer die bringt, der wirt gewert,
swes er in dem hove gert:
alle Sache sint entwiht,
haben si der fürsprechen niht.
wan Ahlceser und Nemehart,
Nimmer vol und Nagehart %
Schinden gast und Lügenhart
und sin bruoder Trügenhart,
Smeichart, Swerolt, GUhsenhart,
108b Slinthart, Kratzhart% Judenbart,
Leeren biutel und Füllen sac
pflegent des hoves naht und tac.
her Kratzhan und her Kratzidn
behaltent des niht umb ein blat,
daz wllent meister Graciän
üf gotes genäde geschriben hat.
ein decretäl und ein decr^t
sint in des päbstes hove bekant
„swer zuo pair rltet oder g§t^),
der füll mit silber mir die haut
und mit golde: s6 wirt er
sän zehant von mir gewert
durch die heiligen marterer*),
swes sin herz von mir begert".
wan Sant AUAnes heilictuom
und Sant Ruftnes sint sd wert,
daz si noch hänt den obersten ruom^^)
vor allem heilictuom als vert.
swem si mit vollen gnaden bl
wonent, der ist ein sselic man:
er sl eigen oder frl*^),
sd betet man doch daz heiltuom^^) an.
5) In der Bamb. Ausg. gebhart.
6) naghart. 7) kratzbart,
8) 9) 10) 11) Dieser und der vorhergehende Vers umgestellt.
12) heüigtvm.
7*
100 I^io deutschen Appellati vnamen.
Noch stehen im Benner auf 8. 10 b die Verse:
Swenn si'(die Kinder) die kintheit übentrebent
und nimmer in vorhten lebent,
sän kumt her Virwitz gerant
und loest den meiden tf diu baut;
. die knehte loest her Selphart.
Eben dieser Selphart, die Personificierung des Eigenwillens und
der Selbstsucht, die Zusammenfassung aller Selbstsüchtigen und
Eigenwilligen, macht den Mittelpunkt einer dem Kenner etwa
gleichzeitigen Prosaschrift religiös-satirischen Inhaltes aus (Altd.
Leseb. Sp. 687 = 901 = 811), der Schilderung eines Klosters,
das auf die Regula Selphardi gestiftet ist und dessen Abt
Bdswiht heisst, der Prior An tugent, der Küster ClafSre von der
werüe, der Cantor Kiverere, andere Brüder Hh'stuol, Zornlin,
Ergdtn, Werre oder Werräj Irre sich selben oder Triuc sich
selben^ GeUchesSre, Hinderspräche, Itel spät, Clüterere oder
Riserer, ScKimphelin, Unmicozze, ZUverlies, Itel Sre und Clafun-
nüzze. Darf ich solchen zusammenhangenden Belegstellen der
frühesten Zeit endlich noch eine viel spätere beifügen, so mag
dieselbe vom Schluss des siebzehnten Jahrhunderts, aus dem
Judas Abrahams a S. Clara entnommen werden: „Wie diese
(die fünf thörichten) Jungfrauen haben geheissen, schreibet der
hl. Evangelist Matthäus nit, ausser dass er von ihnen den üblen
Nachklang setzet ,dormitaverunt omnes et dormierunt', sie seind
schläferige Menscher gewest. Ich mein, die erste^hat geheissen
Schlaf ofta, die andere Schlenziana, die dritte Faulberga, die
vierte Thuenixa, die fünfte Ranzinbeta. Gewiss ist es, dass sie
faule schläferige Menscher gewest" (Passauer Ausg. 2, 259).
Diese Appellativnamen (man dürfte sie , freilich wiederum
nicht ganz zutreffend und genügend, unter die Benennung der
allegorischen zusammenfassen) verhalten sich aber, wie schon
aus dem bisher angeführten sich ergiebt, in Ursprung und Bil-
dung nicht alle auf die gleiche Art:, theils stellen sie wirkliche
Eigennamen, also Taufnamen, theils nur Beinamen vor, und die
einen wie die andern sind abermals bald so, bald so beschaffen.
Wir werden am füglichsten vier Gruppen unterscheiden.
A. Eigennamen, die sonst auch üblich sind, werden nun
wortspielsweise angewendet.
Die deutachen Appellativnamen. 101
Beispiele.
Adelger y einer von den sechs klagenden Rittern am Grabe Ulrichs
von Pfannberg bei Suchenwirth 11, 105 fgg., wie
Adelhart, oben S. 63 Personification des Adels und Zusammen-
fassung der Adlichen.
Adelhsit nennt sich die hl. Jungfrau in Frauenlobs erstem Leich
12, 37.
Adeltrüt eine von den fünf Jungfrauen der Frau firenkranz:
lieders. 1, 381.
Adelunc kommt meines Wissens weder alt- noch mittelhoch-
deutsch als Appellativum (diess lautet ediling, edüinc), wohl
aber als Eigenname vor: damit ein Wortspiel in der Nach-
rede zum zweiten Theil des Passionais Z. 145 „da ISrt sin
Adelunges site sich in niht vil bekumbern mite*'.
Alman. Der Glaube d. h. die Treue ist „Ein seltzam kraut:
in Almans garten Darf maus zu wachsen nicht erwarten":
Waldis Esop 1, 94. Sprichwörter: „Allmanns Freund Jeder-
manns Geck", „Was Allmann sagt, ist gern wahr", „All-
manns Rath ist gute Theilung" Simrock S. 8. [Froschmäus.
F f 4 a. b.]
Billunc Neider, Neid: Renner 161b, 166 a. In der ersteren
Stelle wird Billunc unter „dös nides spiezsltfaere" gerechnet:
der Dichter bezieht, wie es scheint, den alten in Geschichte
und Sage bedeutenden Namen (vgl. Mythol. S. 347) auf das
Zeitwort Uller^ d. i. mit einem spitzen Eisen hauen. [Der
Sachsenherzog Bernhard Billung, wie Adam von Bremen 2,
46 ihn characterisiert?]
Bitterolf schilt im hl, Georg 4144 die Kaiserinn ihren Gemahl,
den Wütherich.
Blasi, Wind, Rausch: s. oben S. 63.
[Coloman: sant Kolbman H. Sachs 2, 246.]
Engelmär: „mtn Engelmär" sagt von Gott die heil. Jungfrau
in Frauenlobs Leich 1, 12,' 38.
[Ernst: meister Emest Minnes. 2, 205 b. 221 b.]
Fridrich. Wenn der Krieg eine schlechte Wendung nimmt,
„Denn hangen solch gsellen den schwänz Und rufen Fride-
richen an": Waldis 1, 55. „Du aber zählest lieber zwei als
eines, bist öfter zu Penzing als Friedberg, hast mehr Krug
102 ^i^ deutschen Appellativnamen.
als Kandel, bist öfter ein Hadrian (Haderer, Zänker) als ein
Friederich": Abr. Judas 5, 250. [Friedrich Proschmäus. T vb.]
Vromuot froher Sinn: Neidh. 32, 1. 85, 14.
Gebehart im Benner oben S. 63 und S. 99. [Simon (vergl.
4152) und Gevert: Reinke 6771.]
Gotliep die Liebe zu Gott: unter den sechs Sittem bei Suchen-
wirth 11, 102 fgg.
Heimer an d. i. Heimeram für Emmeram: „der Haimerl ein
heimtückischer und dabei dummer Mensch" Schmeller 2, 195.
Kilian (mtKil, Schreibkiel bezogen), Federheld: Schuppii Schrif-
ten 2, 54 „demselben und andern octavo Julii natis mehr,
welche dem hochlöblichen Frauenvplk ihren Vorzug und ge-
bührende Gewalt gern abschneiden wollten".
[Lawel (Nicolaus? bezogen auf lau, lauein: Schmeller 2, 406)
dummer Mensch: Hub, kom. Pros. 2, 44. 45.]
Lene, Abkürzung von Helene, im Wortspiel mit lehnen ein faules
Weibsbild. (Wolt ich nicht heissen) „Jungfrau Län, von wegen
einer faulen Länen?^*^ Fischarts Gargantua M. 7 vw. [H 4
VW. Pract. Cüij vw.]
Lutz, Lndzl d. h. Lucia, Weibsperson, die gerne trinkt, Bierlutz,
Branntweinlutzl: lutzein (niederd. lutschen) schlürfen, saufen:
Schmeller 2, 532.
[Mangold: S. Mangold (Mangel) Pischart Pract. A 2 b.
Nicolaus: seine Fenster waren . . dem Sant Nitglasz gewidmet:
Simpl. 1, 1, 1 S. 11 Kurz; während mancher sauern Stunde
hatten wir für den S. Niclaus (für nichts) gearbeitet: Hart-
manns Eiltabendgeschichten 1, 154.]
Nidinc, Nidunc Neider, Neid. Her Ären-nidinc bei Boppe, v.
d. Hag. Minnes. 2, 384 a; -Nidunc bei Eeinmar v. Zweter
ebd. 214 a, und im Kenner oben S. 99 u. Sp, 161b.
Ntthart Neider, Neid: Kenner 161 b; Narreuschiff Op. 53,
üeberschr. u. 77, 59; Her Nythardes spei speien: Keineke
• 4394; Neidharts Spil treiben, sich Neidharts Ding gebrauchen:
Schmeller 2, 681. „Wie denn der Neid an Fürstenhöfen
gross ist und der Neidhart fast regieret": ebd. aus Aventinus.
„Gott schafft, dass Neidhart und untrew Sein eigen Meister
erst gerhew" Waldis Esop. 1, 35. In der Heidelberger Hand-
schrift 643 '(Wilken S. 505) „Georg Maiss von Laugingen
Abhandlung wider den Neidhart (Hass und Zwietracht) —
Die deutschen AppellatiTnamen. 103
1688". „Durch solchen Traum wollte Gott schon von fern
andeuten, wie dass der gerechte Joseph zu hohen Würden soll
gelangen, seine Brüder aber der Lakaien Stell verrichten,
denen der Schneidermeister Neydhart die Livree verfertigt**
.Abr. Judas 1, 21; der neue Herausgeber fügt dem die Er-
klärung bei „Wahrscheinlich ein damals in Wien berühmter
Schneider'*. [Nachbar Neidhart: Musäus 734.] An solcher
Häufigkeit der uneigentlichen Verwendung mag der Ruf des
ebenso benannten Dichters um so eher Antheil haben, als
dieser vielleicht selbst schon mit seinem Namen so gespielt
und ihn auf den Neid ausgedeutet hatte (47, 16. vgl. v. d.
Hag. Minnes. 3, 264 a): auffallend aber bleibt es, wie daneben
nicht bloss im elften Jahrhundert Nithard mit „odiosus vel
valde malignus** (Pez Thesaur. anecd. 3, 2, 609), sondern so-
gar noch im fünfzehnten mit „odium durum** (Felix Hemmer-
lin V. Eeber S. 365) übersetzt, auch da noch auf den Hass,
nicht auf den Neid bezogen wird.
Jiich<irt im Benner oben S. 63 und 99.
Simon ein Mann, der weibisch und dessen Sie der Mann ist:
Schmeller 3, 182; „Ducke dich, Simon, duck dich! Duck dich,
lass fürüber gan! Die fraw wil iren willen han*' Uhlands
Volksl. S. 758. Deutscher gemacht 8i7nan, Sieman: Waldis
Esop. 4, 70; „Siman, weil — man Gaucheyerbrütlern also
ruffet** Fischarts Gargantua M. 7 vw.; Sitte walds Gesichte
(Strassb. 1650) 1, 366. In Oesterreich sollen die Simannl
von Krems sprichwörtlich sein. Dem Simon steht als Name
der Herrscherinn Erweib zur Seite: Schmeller a. a. 0.; doch
' wird diese selbst auch Siman genannt: so in einem noch
weiter ausgesponnenen Wortspiel Abrahams a S. Clara Judas
4, 306. Als Bezeichnung der Weiberherrschaft Doctor Sieman:
Waldis, 4, 81. [Simon Siman: Weitenfelders Lobspr. der
Weiber von Haydinger S, 4. 7 — 9. 13—15. Schmeller Mund-
arten Bayerns S. 521 fg. Eyering S. 70. Hub 2, 334. Fraw
Simon: Gödekes Gengenbach 583. vgl. Schubart, Ad., Haus-
tmffd d. i. der Meister Sieman, wie die bösen Weiber ire
fromme Männer, und wie die bösei^ leichtfertigen buben ire
fromme Weiber plagen, ein zu Frankfurt 1565 in 8®. er-
schienenes Keimwerk. Nimmt ein armer ein Reiches Weib,
104 ^^ deutschen Appellativnamen.
SO hat er kein Weib, sonder ein Herrin und Sieman, deren
er fär ein Knecht dient: Elezbell 6a.]
Ulrich. Dem Uolerich rüefen (Uhland S. 577), den heiligen
Ulriöh oder Uele anrufen (Schmeller 1, 46) heisst sich vom
vielen Trinken übergeben: der trunken Üelin (Gengenbach .v.
Gödeke S. 520. 682) bezeichnet diese ekelhafte Gestalt der
Völlerei collectiv und abstract. Ein Wortspiel, indem es ein
Spiel mit nachahmenden Lauten ist. [In der Schweiz dem
Ueli winken; dem Utzen rufen Garg. Gap. 8 (Trunkenen-
Litanei). Daselbst der Utz ein Trunkener: herausz mit dem
Butzen, halt den Kopf dem Utzen. üeli (von Stouflfen)
Narrensch. 4 Holzschnitt, Anmerk. S. 307. Weinül? Weinuel?
J. Pauli Schimpf u. Ernst 21. 271. vgl. Weigand im Oberhess.
Intelligenzbl. 1845 no. 83. Laurembergs Sat. 3, 331. Anmerk.
S. 230.]
Valtl aus Valentin ist den Baiem appellativ ein Einfaltspinsel:
Schmeller 1, 628. Dagegen auf fallen wird der Name aus-
gedeutet, wenn das fallende Weh S. Valtins Krankheit, S,
Veltins Siechtag, VeUens Tanz oder bloss Vaitin, VaUen
heisst: Frisch 2, 396 b; „Yalentinus comitiali morbo labo-
rantes sanat, quapropter nos epilepsiam Yalentini morbum
vocamus** Haupts Zeitschr. 1, 144; „Valten, Vaitin kompt
von fallen und ist das fallend übel — darzu Sanct Vaitin
(ist anders irgent ein heilig im Himel, der also heisst) Apo-
tekerknecht ist" Agricola Sprichw. 500. vgl. 475. [Sant
Vaitin, Veiten Hub kom. Pros. 2, 78. 116.] Häufig wie
Anderes der Art in Verwünschung und Fluch und Schwur:
„das deich sant Veltins arbeit besteh !^^ Manuel S. 432; „dal&s
dich Sant Veltes Krisem anstoss" Sittew. 1, 265; „dass dich
Sanct Veiten ankomme oder sehende!" Agric. a. a. 0.; „hat
mich S. Veiten mit euch Welt-Narren beschissen?" udgl.
. Sittew. 1, 216. 271. 2, 35; „hat dis dann S.Veiten gesagt?"
Simplic. 1, 487; „zuckte darauf meinen Prügel und jagte sie
damit für alle Sanct Veiten hinweg" ebd. 2, 779; „beim
Veiten!" A. GrypWus P. Squenz S. 6; „ei zum S. Veiten!"
Weise im Tobias ; na^t Voranstellung des in solchen . Aus-
drücken üblichen, hier zwar wie öfters eigentlich bedeutungs-
losen potz, d. i. Gottes, „botz Veiten — s. v. a. die schwere
Noth!" Frisch a. a. 0., „o potz tausend feiten!" P. Squenz
Die deatschen AppellatiTnamen. 105
S. 13, „das dich potz Yaltin schendt!" Jac. Ayrer bei Krm
zu Marners luth. Narren 8. 216 u. dgl. Unrichtig also hält
J. Grimm Myth. S. 956 in diesem Fluche Veiten für einen
Namen des Teufels mit Anspielung auf välant.
[Viüielmm Strohsack: Pischart Garg. 258,]
In Hadrian, in Simon, in Valtl u. s. f. wird ein fremder
Name deutsch verkehrt: anderswo bleibt die Gelehrsamkeit inner-
halb ihrer Sprache, oder zieht gar einen deutschen in dieselbe
herüber. „Was geht das Graf Ego an?" Hoflfmanns Spenden
1, 150 (vgl. Lieders. 3, 563); „Ein guter Servativs macht einen
guten Bonifacium^'^ ebd. S. 56. [waz gät ez gräv Egen an?
lieders. 3, 563. vgl. Eyering 776. Garg. 273. Graf Efeo bawet
wol und hat schone Pferd: S. Franck Sprichw. 2, 42 rw. Gispel
gedankenloser Mensch, Schmeller 2, 77, flatterhafter Mensch,
Stalder 1, 449, erscheint als Gispus Abr. a S. Clara 1, 147.
Zu Olims Zeit Bürger 24 b.] Die Uebertragung der Heiligen-
namen AUnnus und Bufinus auf die edlen Metalle und den
Beichthum daran oben S. 99 ist an den deutschen Dichter von
altem Lateinern gekommen: s. Carmina Burana S. 15 a und
Albert von Beham S. 72; an jenem Orte S. 238 b auch „vinum
et Albinum et Rufinum.^^
. JS. Es werden Namen nach Art der Taufnamen neu und
eigens gebildet.
Schon den Sanctgallern um das Jahr 1000 lag es in Sinn
und Ohr, wie häufig und durch die Häufigkeit fast bedeutungs-
los in der Ableitungssylbe und dem zweiten Bestandtheil die auf
ing und ung und olf ausgehenden Namen seien: sie übersetzten
Achates mit Steinung (Ps. 18, 11), Penates, Favores, Opertcmei,
Cunctalis mit Hüsinga, Liuniendinga, Tougeninga, Samahafting,
ohne doch ein patronymisches Verhältnlss, Noctumus und Consus
mit Nahtolf und Wiüolf (Marcianus Capeila S. 40 fgg.) ohne
dabei noch den Begriff eines Wolfes meinen zu können; und so
wird auch, wenn Notker Ps. 48, 12 den reichen Mann des evan-
gelischen Gleichnisses Rtchölf nennt, diess olf weiter keine Be-
deutung als die ganz allgemeine einer namenbildenden Sylbe
haben. Auf gleiche Art nun verfuhr die mittelhochdeutsche
Zeit und gab den neu geschaffnen appellativeu Eigennamen, da-
mit sie auch recht wie Eigennamen klängen, in der Mehrzahl
106 ^6 deutschen Appellatiyiui.inen.
der Fälle die Schlusssylben, die zu blossen Schlnsssylben herab-
gesunkenen Schlussworte ine, holt, hart, hiU, olf und oU,
Her OUdinc Scheltname von unklarer Bedeutung in v. d. Hag.
Minnes. 2, 384 a. Siurinc, von sür, unter dem Gesinde des
Neides aufgezählt im Eenner 161 b. Her Slihtinc, Schelt-
name jemandes, der sich als ßichter und Schlichter aufdrängt:
Altd. Wald. 3, 208. [her Berting Leseb. 1 S 1215, 9. her
Weichelinc Minnes. 3, 90 a.]
Her Trunkenbolt v. d. H. MS. 2, 197 b. Wankdholt unbestän-
diger, unzuverlässiger Mensch: Georg 3038. 5748. Witzbold
der sich der weiseste dünkt: „Es gibt keine andere Waare,
wenn Witzbold seine auslegt" Hoffmanns Spenden 1, 68. [her
Wankdbolt Helbling 7, 135 fgg. her WerreboU ßitterspiegel
1027. alle Witzboldi: Garg. S 7 vw. (290).]
Ahselhart der von sparsamem Leben mager ist: Helbling 1,
1082*^). .^Faulert bohrt nicht gerne dicke Bretter"; „Paniert
muss zerrissen gehn": Sprichwörter bei Simrock S. 105.
Glihsenhart, Klinchart, Kratzhart, Lügenhart, Nagehart,
Nemehart, Selphart, Slinthart oben S. 63 und 99. Slunt^
hertlin ein Kind, dem die Worte im Halse stecken bleiben:
Eenner 169 b. Slurchart, v. d. H. MS. 2, 213 b, zu schlurken
d. h. mit träge geschleiften Füssen gehn: Stalder 2, 324.
333; Schmids Schwab. Wörterb. S. 468. SmeichaH, Trügen-
hart oben S. 99. Wankelhart s. v. a. vorher Wankelbolt:
„der leu nu zeinem fuhse wart; Wendelmuot und Wankelhart
der gräf mit fltz ze hüse bat; unmäz da vor der milte trat;
diu gaeh wart wlns und willen sat" Ulrich v. d. Thürlein
Wilhelm, Heidelb. Handschr. 395, §. 20. [Faulhart Eyering
803. Bockhard Abr. a S. Clara 11, 79.]
Spothüt: „0 weit, dein name heisst Spothilt" Priamel in Eschfen-
burgs Denkmälern S. 405. TugenthiU eine von den Jung-
frauen der Frau Drenkranz: Lieders. 1, 381. [Spothüd,
12. Jahrb., Haupts Zeitschr. 12, 410*]
13) Als Zuname (nicht Eigenname) in Passauer Urkunden von 1288
nnd 1308: Haupts Zeitschr. 4, 578. Das Adjectivurn thunegischerj das
bei Helbling vorangeht, ist in tuonegischer oder, falls man mit der Aen-
derung noch weiter greifen muss, in iuonegeuscher zu bessern: Tuonahgowe,
Tuonagowe u. s. f. althochd. Donaugau: Förstemann 2, 410.
Die deutschen AppellatiTnamen. 107
Giemolf Scheltname bei Franenlob, Spruch 166, 1: wohl mit
goume zu giwm das Maul aufsperren. Zwei Namen der Art
in dem Sprichworte ^^Wänolf Triegolfs bruoder ist" Boner 80,
23; Wdndf Btriegolfs bruoder ist" Narrensch. 67, 64: d.h.
wer bloss meint ohne zu denken, betrügt sich leichtlich selbst.
[,ünd als ich nun schlieff , da dunkt mich wie mir jemand rieff.
Und als ich acht hett auff die Stimm, sprach sie, hör Warkolf,
mich vernim. Schaw ich bin die Praw Phantasey* u. s. w.
Ganskönig D 1 vw. Schenteln und Schandolf Berthold S. 115,
6 fg. ein schandolf 115, 24. als Teufels- und Spielmanns-
name 156, 1.]
DieboU v. d. Hag. MS. 2, 214a: Wortspielswendung eines sonst
wirklichen Eigennamens, der jedoch, aus JDietboU, DietbaU
entstanden, keinen Bezug auf diep hat. Ebensoich ein Spiel
wäre, falls das unverständliche Manolt am gleichen Orte so
zu lesen ist, Meindt: der auf althochd. Maginwald beruhende
Name hier auf mein d. i. Falschheit, Missethat, Schädigung
umgedeutet. Ebenda RouboÜ und oben S. 99 SweroU. [Sant
Frumhold Eyering S. 436. B. Waldis Esop 4, 3, 55.]
Nächst all diesen kommen, jedoch um vieles seltner, auch
Nachbildungen andrer üblicher Namenarten vor, zwei drei männ-
liche, wie Erwart und Mildemär bei Suchenwirth 11, 103 fgg.
und Sparmund oder lateinisch gemacht Sparmundus: „Bed ist
nit gut zu allen zeiten: Darumb so lern Sparmunde miachen"
Mumers Schelmenzunffc Cp. 48; „Wir werden müssen Spar-
mundus halten und Hunger leiden" Schmeller 3, 573. Spar-
mund ist wie das oben S. 5^ besprochene Warmund, nur dass
mund hier eben Mund (althochd. mund, altnord. munn und müb,
angelsächs. mM\ nicht Hand und Schutz (althochd. munt,
altnord. u. angels. mund) sein soll. Sonst lauter weibliche:
denn die Personificierung hat eine Vorliebe for diess Geschlecht:
oben S. 62. [her Aentric: Haupts Zeitschr. 1, 233. 235.
249. 261.]
An die wirklichen Namen mit berga und bürg (Förstemann
1, 262 fg. u. 293 fg.) schliessen sich Faulberga oben S. 100 und
Mäzeburc, eine Jungfrau der Frau Urenkranz, Lieders. 1, 381.
Au die mit gund (Förstem. Sp. 555 fg.) Schamigunt,
gleichfalls im Lieders. 1, 381.
An die mit liuba (Förstem. Sp. 848) ebend. ZuhÜiebe.
108 I>ie deutschen Appellativnamen. '
Wanddfmu>t und Wendelmtiot sind in dieser Form selbst schon
alte Eigennamen (Förstern. Sp. 1226): die Allegorie deutet
aber den ersten Bestandtheil, der ursprünglich den Namen der
Yandalen enthalten mag, auf das appellative wandet und auf
wenden um, und Wandelmuot und Wendelmuot bezeichnen
nun den unbeständigen oder sonstwie tadelhafben Sinn, sind
weiblich dasselbe, was männlich Wankelbolt und Wankelhart.
Mit letzterem haben wir auch Wendelmuot schon zusammen-
gestellt gesehen; ausserdem findet sich vrou Wendelmuot
noch an einer andern Stelle von Thürleins Wilhelm (Casparson
S. 128 a), bei Konrad von Würzburg (v. d. Hag. MS. 1,
313 a) und noch im sechzehnten Jahrhundert (Schmeller 4,
106), frd Wandelmuot im Liedersaal 2, 157 und 3, 88. [min
vrou heyt wendelmoet^ Haupts Ztschr. 1, 243.]
Endlich mit lateinischem Ausgang F. Abrahams ScUenziana
oben S. 100: schlenzen ist was sonst schlendern.
C. Die Personification einer Handlungsweise, die Zusammen-
fassung der so oder so handelnden Personen wird durch einen
Beinamen bezeichnet, dessen erstes Wort ein Imperativ und
dessen Sinn ein ironischer, durch Ironie scherzender oder spotten-
der ist: denn zum Schein wird gerade das, was man tadeln will,
befohlen. Wortbildungen der Art kommen vor dem dreizehnten
Jahrhundert noch so gut als gar nicht vor: lechespiz, im zwölf-
ten (Diutiska 3, 156) die Uebersetzung von liia, steht ganz
vereinzelt (später in Wittenweilers Ring Z. 24 ein Bauer Rüfli
Lekdenspiss) und wenescaft, wovon im Sanctgallischen Marcianus
Cai>lella S. 84 das Zeitw. wenescaftdn, steht insofern abweichend
da, als damit kein Tadel gemeint und der Begriff durchaus un-
ironisch der eines Speerschwingers ist: hwenjan im Althochd.
schwingen. Das dreizehnte Jahrhundert aber und ihm folgend
die weitere Zeit hat diese ironischen Imperative zuvörderst nur
in persönlichen Beinamen verwendet, und als Namen solcher
* Personen, denen gegenüber Scherz und Spott und Tadel und
Verurtheilung, Geringschätzung oder Hass am Platze war^*):
U) [Schindengast, vgl. Pfeiffers Germania 8, 26. SptspUa Reinardus
3, 749. Leckespiz Berthold 479, 14, vgl. Garg. Ff 7 vw. vgl. Shakespeare,
hengeisen Weisth. 4, 185. 190. hengtsel 207. 208. — sie ist mein täglicher
Hehenstreit: H. Sachs 1, 84.]
Die deutschen AppeUatiynameii. 109
Bauern z. B. hdssen Fäcfuemtier, Greif in peutl, Prichenfrid,
Baumentegl, Schew den galgen, Schreckhenvd d. h. den Fohlen,
Trinchsaus, Trüebenpach (Aufsess und Mones Anzeiger 3, 84),
Käuber wie im Meier Helmbrecht 1186 fgg. Miischenkelch,
Bütelschrin, SUckenmder, Slintezgeu, Schildknecbte wie in den
, Osterspielen Hitzenplitz, Schl(zchinhaufen, Schiirenprand, Wagen-
drüssel, Wagsring (Germania 3, 273 und Drama d. Mittelalters
in Tirol v. Pichler S. 45 fgg. 144 fgg.)? fahrende Sänger und
Sprecher Lobdenfrumefi, Rümezlant, Singüf, Sorgnit, Suochensin,
Suochenwirt (Litt. Gesch. S. 118). Herbort im Trojanerkriege
2274 bildet dem das gelegentliche Schimpfwort zetebrief nach;
andre dergleichen Namen hat die Neidhartisch volksmässige
Lyrik und besonders zahlreich die Konük der Fastnachtsspiele
für ihre Bauern und Schelme nach- und hinzuerfunden: so noch
bei Niclaus Manuel (Grüneisen S. 346 fgg.). Sebctstian Schind
den puren, Elsli Trib zuo, Jacob Gryfs an, Policarpus Schab
gnaw, NicMi Zett mist, Lupoid Schuck nit und in einem pro-
saischen Gespräch desselben (ebd. S. 426) die Helfershelfer des
Pabstes Hans Strich den bart, Kunz Sihe sur, Claus Fluoch
übel, Uoli Boch den tisch. Ebensolche sind denn auch, gleich
jenen, die wie eigentliche, wie Taufnamen aussehen sollten, oft
genug und gleichfalls von der Mitte des dreizehnten Jahrhun-
derts an für den allegorischen Gebrauch, der uns hier beschäf-
tigt, erfunden worden. Belege.
[Des Achts nit Bruder: Fischart Dichtungen 2, 83, 3124 Kurz.
Achtseinnicht Froschmäus. Y y 7 a.]
Her Brich den eit: Konrad v. Ammenhausen im Schachzabel-
buch, Kurz u. Weissenbachs Beiträge 1, 52.
Dunkel guot v. d. H. MS. 2, 384 a: d. i. Dunkeguot, mit dem-
selben unorganischen / wie Dunkelboden (Schmoll. 1, 377),
Fasielabend, Findelkind, Heidelbeere, KMbdtac, Schickelmann,
Scheidelsäme, Werkeltag.
y^EiU sehr brach den Hals": Sprichwort bei Simrock S. 89.
[S. Frank 2, 69 b.]
„Seine Hände heissen Greif zu^^: ebd. S. 185.
Irre sich selben und Claf unnüzze oben S. 100.
Leeren biutel und Füllen sac oben S. 99.
Pfürpfd sac objn S. 99: der die Tasche voll pfropft.
Banzinbeta: oben S. 100, die sich im Bette ranzt d. h. mit
110 Die deutschen Appellatiynamen.
Faulheit streckt. „Der über disch allein sich kennt Und dar
uff legt arbeit und flyss, Das er allein esß alle spyss Und er
allein mög füllen sich Und andern nit göndt auch des glich,
Die selben heiss ich Rum den hag, Lcerss kärly, Schmirwanst,
Füll den mag''*' Brants Narrensch. 170a, 69 fg.: kärly Ver-
kleinerungswort zu kar Gefäss.
Schaffe nifU oben S. 98. Schinden gast S. 99. ScMafofta
S. 100. Spar helblinc S. 99. Swende lär Verschwender, Ver-
schwendung: V. d. H. MS. 3, 167 b.
Thv^nixa oben S. 100. „2Vaw wol reitts Pferd weg'*: Sprich-
wort noch bei Schmeller 1, 466; bei Schuppius 1, 358 ^^Trau
zu viel reit das Pferd weg*', im Simplicissimus (Stuttg. 1854)
2, 689 „der Trau woKl reitet oft Pferd hinweg"; im Narren-
schifif 69, 24 abstract infinitivisch „Wol truwen rytt vil pferd
hin wägk". [Trauwol ridts pferd hin: S. Franck Sprichw.
1, 101 VW., Trauwol rit das pferd hin weg: ebenda 2, 16 vw.
(erzählend). Trauwol, reitet das Pferd weg: Agric. 16 vw.
vgl. Der Traw nicht viel: Froschmäus. Küij a.] Anders ge-
wendet und trüwen nicht im Sinne von trauen, sondern in
dem von erwarten verstanden, „Getrüt sin niht reit den hengst
hin" Helbl. 15, 512: das Subject ich ist ausgelassen wie in
dem Spruche Freidanks 116, 1 „Waenich unde trüwes niht
diu habent mit den tören pfliht": hier zeigt wiederum das
neutrale diu die unpersönlich abstracto Auffassung.
TriiLc sich selben oben S. 100: auch diess mit dem auffalligen
Object wie vorher Irre sich selben: der Verfasser begann wohl
Imperativisch, dachte aber sogleich weiter an eine dritte Person,
die sich selbst betrügt, sich selber irre führt.
„Viel borgen hat eine Stiefmutter, heisst Verkauf dein Gut;
die gebiert eine Tochter, heisst Giebs toohlfeil; dieselbige
Tochter hat einen Bruder, der heisst Zum Thor hinaus ^^:
Märchen d. Br. Grimm 3, 225.
Wä heb üf und Niht envint ob.en S. 98; wä d. h. sich wä, hier!
Noch einige andre Beispiele werden uns in der dritten Ab-
theilung auf Anlass der Appellativnamen Hans und Heinz ent-
gegentreten.
D. Endlich viertens werden allegorische Namen noch in all
der Mannigfaltigkeit anderer Bildungs weisen ermüden, die auch
wirklichen Beinamen zusteht.
Die deutschen Appellatiynaineii. 111
a. Adjectivisch. Are v. d. Hagens Minnesinger 2, 214 a.
Manhaft Suchenwirt 11, 107 fgg. Nimmer vol oben S. 99.
Schanden decke Uöz v. d. Hag. Mannes. 2, 384 b. Seltm rieh
oben S. 98. Sdten satt Narrenschiff 72, 34. Umbereit oben
S. 98. Sprichwörtliche Bedensart ^^Ungeschickt lässt grüssen^^
Ungetcis v. d. H. MS. 2, 214a. ^^Vil karc unde Same karc
Selten teilen drt marc: Yil karc woldez bezzer hän, Same karc
woldes niht län. Der strtt ist ungescheiden ünder den kargen
beiden^^ Freidank 132, 26 u. 158, 14: d. h. sehr geizig und
ebenso geizig: es ist, wie wenn wir sagten „Geizhals und (nach
Schweizerart) Geizkragen". Vriddds MS. 2, 214 a. Wuest
genuog Narrensch. 72, 34. [UebelheriUen will stets vornen dran
sein: Hoffmann Spenden 1, 41. Untrew sein eigen Herren
schlecht: Froschmäus. V 6 a.] Vielleicht auch, falls das Wort
ursprünglich ein Adjectivum ist (es gehört zu nipfen, naffezen,
althd. hnaffezen, angelsächs. hnappjan dormitare), S, Neff, der
ersonnene Schutzheilige der Schläfrigkeit und Verzagtheit:
Schmeller 2, 683; wir werden später dem ähnlich einen S.
Grobian^ S. Stolprian kennen lernen.
i. Substantivisch. ÄUöser Abschneider oben S. 98. Bdstviht,
ErgelAn, Gelichsire S. 100. Mit lateinischer Endung Glimpfius
Narrensch. 72, 7. Hirstuol, Hinderspräche, Kiverere, Clüterire
(Beschmutzer) oben S. 100. Kratzhan S. 99. Liegdt, Pärät
MS. 2, 213 b. [her Pdver Pärät: Krone 8798. Meister Baraet
von Lozane: Haupts Zeitschr. 1, 235.] Biserer, Schimpf din
oben S. 100. Schade S. 98. ^ßchickelmann wohnt am^Wege"
oder „an der Strasse" Frisch 1. 177 a. [Agricol. Sprichw. 670.]
Simrock S. 423. Fraw SeUenfrid Mumers Schelmenzunfk Cp.
19. Stich MS. 2, 213 b. Snüdel, Sürtel eM. Z8i 2Lb (Schnudd
Setz, serten stuprare). Triegät, Trumphatdr 213b. ^^Übdleb
kauft dem Wohlleb sein Haus ab" Sprichwort bei Simrock S.
502; Wohlleb auch wirklich ein Geschlechtsname. Unmtwzze
oben S. 100. Unrat S. 98. Valscher MS. 2, 213 b. [Meister
Vaere und Meister WiderstrUe jung. Tit. 2900 ff.] Virwüz
oben S. 100; Fürwitz Uhlands Volkslieder S. 636. Werre oder
Werrd (Imperativisch?) oben S. 100. Zadd> S. 98. Zitterort
S. 99. ZUverlies, Zornltn S. 100. Zwtvd S. 98. Mit ad-
jectivischer Bekleidung Dünne habe oben S. 98; Gdreuwer rät
Suchenw. 11, 103 fgg.; ßel ^e, Itel spot S. 100. Mit gpni-
112 Die dentschfin AppellatiTiiameiL
tivischer Fiau ilren kränz Lieders. 1, 381; Niemans vriunt
MS. 2, 384 a. Mit präpositioneil vermittelter Clafire von der
werüe oben S. 100. Substantivurn mit vorangesetzter Präposi-
tion, einem adjectivischen Beinamen gleich^ An tugmt oben
S. 100.
€, Adverbial. Bi gendt oben S. 98: das heisst wohl nah
bedrängend und beengend, während Otfrieds Mgondto (b, 19,
12 fgg.) ein bescheiden gemässigtes ganz und gar zu sein scheint.
Gar aus Saufaus: Phil. Wackemagels Kirchenlied S. 693 ff.;
womit zu vergleichen Haut ab, Halb am und Ganz aus, die
Namen der drei vorgeblichen Eatzenkinder im zweiten Märch.
d. Br. Grimm. Hie und dort Georg 5748. Süfer ins dorf
Narrensch. 72, 21. Zum Thor hinaus oben unter (7. Vil an-
ders Lieders. 1, 389 fgg.: die Satire mag einen Menschen des
Tirolischen Orts- und Geschlechtsnamens Vilanders im Sinne
haben.
d. Ganze, wennschon elliptische Sätze: „Der Arm heisst
dass QoU erharwf' Sprichwort bei Sailer S. 69; Simrock S. 23.
JA herre MS. 2, 214a; vergl. zur Erklärung Freidank 50, 2
und Berthold S. 421, der sogar ein Zeitwort jäherren braucht.
Wiederum noch andere mit Hans und Kunz gebildete im
dritten Abschnitt.
So weit die allegorischen Personennamen. Sie sind aber, da
ihnen die individuelle Abgrenzug gebricht, nur in so schwacher
und halber Weise Eigennamen, dass sie oft genug auch zu
blossen Appellativen für persönliche, ja für Sachbegriffe sich
haben verflachen können. Neidhart z. B. ist keine Personifica-
tion mehr, sondern nur noch ein Appellativ gleich andern*),
wenn Luther im Jesus Sirach 25, 19 übersetzt „Es ist kein
Lauern über des Neidharts Lauern^^ (griech. (jiiaotJVTov) ; ebenso
in Burkard Waldis Esop 1, 6 u. 4, 77 und in dem Beijnspruche
(Hoffmanns Spenden 1, 5) „Sorg das Herz, Mott das Kleid, Den
Neidhart frisst sein eigen Neid^'; nicht anders wird schon bei
der Fabel in den Altd. Wäldern 2, 96 die lateinische üeber-
Schrift „de nithardo^^ gemeint sein. Und jener Heiligenname,
*) [NUhart, plur. Liliencron Volksl. 1, 176 a. Der nythari der ist
noch nit dot: Braut Narrensch. Cap. 58 Ueberscfar.]
Die deutschen AppellatiYnainen. 113
den wir vorher in Bezug auf das Erbrechen gesehen haben
(S. 104), bezeichnet den Ostschweizem in der Zusammensetzung
Mtwstwli das Brustläppchen, das den kleinen Kindern vorge-
bunden wird um die wieder ausgebrochene Nahrung aufzufangen.
Vornehmlich eben mit hart, dann auch mit bold giebt es eine
ganze Beihe von Appellativen, die ursprünglich Eigennamen,
wirkliche oder allegorische, gewesen oder doch in der Art und
nach dem Vorgänge solcher gebildet sind.
Churzibolt, der zweite Name, den Graf Konrad oder Kuno, ein
getreuer Held K. Heinrichs I, der Kleinheit seines Leibes
wegen empfangen hatte (Eckehard IV. v. St. Gallen in Pertz
Monum. 2, 104), erscheint in den nächsten Jahrhunderten als
Benennung eines Kleidungsstückes (cyclas), eines Rockes doch
wohl von sonst nicht gewohnter Kürze: Stellen in GraflFs
Sprachsch. 3, 113 und in W. Müllers Mittelhd. Wörterb.
1, 221, denen noch Diut. 1, 359 beizufügen. Die üeber-
tragung begreift sich aus der Berühmtheit im Munde des
Volkes, deren der Held genoss: er war im J. 948 gestorben
(der Fortsetzer Reginos bei Pertz 1, 620), und noch um
hundert Jahre später konnte Eckehard berichten „Multa sunt,
quae de illo concinnantur et canuntur". [Curtzipoltz, Haupts
Zeitschr. 3, 188.]
HetzeboU, Häzbolt, so heisst ein Thüringischer Lyriker in der
Ueberschrift, die seinen Liedern gegeben wird, und in einem
dieser Lieder selbst (v. d. Hagens Minnes. 2, 22): eigentlich
wohl nur ein Beiname, der ihn ebenso als einen eifrigen Jäger
bezeichnen sollte, wie das Bild der Pariser Handschr. (ebd.
4, 317) ihn als solchen darstellt. Bei Jeroschin aber kommt
hetzeboU appellativ s. v. a. Jäger vor: Pfeiffer S. 69.
Raufbold, Trunkenbold, Tückebold, Witzbold: den zweiten und
den letzten haben wir vorher (S. 106) allegorisch gebraucht
gesehen; wir jetzt brauchen alle vier appellativ, und trunken-
bdt findet sich bereits im vierzehnten Jahrhundert so: Altt.
Schausp. V. Mone S. 119. [Tnmkenbolt Kolmarer Handschr.
CXCVI, 1. trunkenbolz B. Waldis Esop 3, 99b. 4, 69, 42.
98, 98. Schmeller 1, 173. trunken bdze Minnes. 2, 387a.
ein trunkner bosz Waldis Esop 3, 87, 12.] Witzbold scheint
die frühere Zeit auf altkluge Kinder beschränkt zu haben: in
Seb. Francks Sprichwörtern 1, 106 b „Das sehen wir auch an
Wachernagel, Schriften. IIL 8
114 ^ie deutschen AppellativnaTnen.
Witzbolden und früezeitigen kinden, das sie ir früe angeflogiie
Witz selten wohl anlegen, sonder wann ir weisshevt an solt
gehn, so ist sie schon verflogen** u. 2, 14a „Wir nassen die
Witzbold, so zu früezeitig in der witz ansetzen. Die Kinder
sterben gmeynlich oder verwuodlen wie ein hopf, das sie selten
zeitig werden, sonder irer weissheyt zuo früe niderkommen,
das in wie ein missburt abgeht, und die selten wohl anlegen:
dann sie haben zuo früe angesetzt und den herbst oder eriidt
nit erlangt."
„Der Dinghart, Dinghärtel, ungefälliger Mensch (der gerne dingt,
streitet, zankt?)" Schmeller 2, 241.
Freihart Landstreicher u. dgl.: s. Haltaus Sp. 507 u. Haupts
Zeitschrift 8, 510; im Ambraser Liederb. S. 171 ein Meister-
gesang „Von einem Preyhart und Kunz Zwergen."
„Der Nothart y Mensch, von bittrer Noth gedrückt" Schmeller
2, 241. Als althochd. Eigenname bei Förstemann Sp. 963.
Trottart d. h. Trotthart ^ der Name eines im J. 1480 aufge-
kommenen Tanzes: StoUes Thüring. Chronik S. 189; im
Narrenschiflf 85, 94 bereits entstellt Trotter, Zarnckes An-
merkung zu letzterer Stelle fuhrt die Herleitung von drotten
treten aus.
Wakhart (zu wagen, sich bewegen, sich wiegen) im Eckenliede
Lassb. Str. 166 ein Zopfband, im Servatius 594, wo walchart
verschrieben ist, das Band, das zu beiden Seiten von der Bi-
schofsmütze herabhängt ^*).
Häufiger jedoch als im Hochdeutschen treten uns diese
Appellativbildungen mit hart im Niederländischen und theils
durch nachbarliche Einwirkung der Niederlande, theils durch
anderweitigen und noch älteren deutschen Einfluss sogar in den
romanischen Sprachen, der französischen, der italiänischen u. s. f.
entgegen; der den Romanen nothwendige, den Niederländern
auch in wirklichen Eigennamen geläufige Uebergang in ärd, ard,
ardo, wodurch hart den Anschein einer blossen Ableitungssylbe
14) [Eothwälsch Breithart toeitin. Boszhart fleisch, Funchart feuer.
Floszhart wasser, Fluckart hün oder vogel. Glathart disch. Ganhart
teuffei, Grunhart feldt, luffart der da rot ist oder Freyheit, Rauschart
strosack. Bippart sechel. SpracJcart saltz, Stupart mel. Voppart narr
(coppen liegen): die Rotwelsch Grammatic o. 0. u. J. 4^ Biochart blin-
der. Burckhart S, Antonius-Bettler: ebenda.]
Die deutschen Appellativnamen. 115
gewinnt (vgl. oben S. 106 Faidert), diese Abschwächung der
Eorm^^) hat auch die appellative Abschwächung des Begriffs er-
leichtert. Also niederländisch galghaeH Galgenvogel, dronkärd
Trunkenbold, grtzdrd Graubart, französisch criard Schreier,
grognard Murrkopf, vieillard Greis, italiänisch heffardo Spott-
vogel, leccardo Lecker, testardo Starrkopf, und andre, die man
in J. Grimms deutscher Grammatik 2, 340 und in Diezens ro-
manischer 2, 359 fg. verzeichnet findet. Mehrere sind erst aus
dieser Fremde ins Hochdeutsche gekonmaen und gehen hier nun
wieder auf hart aus, sind wohl auch sonst noch auf Deutsch
zurechtgelegt. Aus dem französisch-niederl. begaerd ist im Mit-
telhd. begehart, beghart, bekart, aus lollaerd zunächst lolhart,
dann auch nolhart geworden ^^), aus bastard, neufranzösisch bä-
iardy d. h. Sattelsohn, basthart; aus estendard, Tieufr. etendard
(xon extendere entfalten), stanthart; [aus bombarde grosse Pfeife
bumhart Frisch 1, 119 a.;] aus tabard (von tapes?) daphart oder
daphart, der Name eines Mantels von dickem grobem Zeuge;
aus hasard, einem für die romanischen Sprachen noch dunklen
Worte (s. Diez Wörterb. S. 33), ha^ehart oder hashart Würfel-
spiel (s. J. Grimm in Haupts Zeitschr. 1, 576; Gute Frau 1094),
das eben wie das französische Urwort selber (Mysteres par Ju-
binal 2, 388 fgg.) und wie das mittellat. decitts der Würfel
(Carmina Burana S. 233. 248 fg.) auch personificiert vorkommt
(ebd. S, 252b) und auch in dem Sinne von Unfall, Unglück
15) [vergl. auch deutsch Lienertj Lehnert; und wie aus Seifrid Sei-
fert Seifart wird. Franz. aus Caspar Gaspard; der Eigenname lienard
wird appellativ renardy weiblich renarde, — , Mummart momordit me:
Cäs. Heisterb. 7, 45.]
16) Belege für lolhart und nolhart in Gödekes Gengenbach S. 605 fg.
Während der Ursprung des Namens der Beginen und Begarden noch un-
ausgemacht und nur so viel sicher ist, dass er nicht yon dem engl, beg
betteln und heggar Bettler kommt [von hegue stammelnd?], sondern eher
diess von ihm (Wörterb. d. Br. Grimm 1, 1295), und so viel wahrschein-
lich, dass, wie oben geschehen, das e von Mgehart lang anzusetzen sei,
wegen der Umformung hiegger Gleissner (Bonerius 43), bieggerie Gleiss-
nerei (Mart. 52, 52), empfiehlt für lollaerd, mittellat. lullardus der gleich-
bedeutende Ausdruck lollebroeder die Herleitung von lullen, niederländ.
8. V. a. schmatzend saugen, mucken, betrügen. Eben hienach ist bei Kö-
nigshofen S. 200 („alle beginen und zullebrüeder oder begeharde") lulU"
brüeder zu bessern [zulbruder Alsatia 1860 S. 223],
8*
116 I^ie deutechen Appellati vnamen.
(hdsart im Französischen der verlierende Wurf: J. Grimm, a. a. 0.
S. 577) personificiert wird: „daz dich Hasehart verzer!" ist eiue
Verwünschung (v. d. Hagens Gesammtabent. 3, 78); die Be-
ziehung auf hase, die in der deutschen Umformung liegt, ver-
anschaulicht eine Stelle des Kenners (S. 133a) „des erbarme
got, Daz der tiufel s6 getane not Mit sinem goukel machet!
Ich weiz wol, daz er lachet, Swenn er (der Würfelspieler) üz
würfeln drin wil jagen Ein hasen, der bi siben tagen Mit drin
guoten winden Küm einen möhte vinden. Des kostet mangen
der selbe hase, Daz vater, muoter und sin base Für in rinder
unde swtn Gerne 'gseben, möht ez gesin. Swer disem hasen
jaget nach, Dem ist gen himelrich nicht gäch'' u. s. w.
Nächst diesen mit boU und hart die andern ihnen gleich-
artigen Beispiele stehen nicht so gruppenhaft da: ich weiss deren
nur einige vereinzelte anzuführen.
Bozolt eigentlich wohl die Benennung eines Tanzes G»des träten
sie den b."), bei dem etwa in besonderer Weise mit den
Füssen gestossen und aufgeschlagen ward, aber in zweideu-
tigem Scherze gebraucht: v. d. Hag. Gesammtabent. 1, 436.
[Kothwälsch BüboU Freiheit. S. Frumholt bei B. Waldis, s.
oben S. 107.]
Dieterich, nebst seiner Abkürzung Diez schon im fünfzehnten
Jahrhundert (Fastnachtsspiele von Keller 3, 1289) s. v.. a.
Nachschlüssel, scheint mir lediglich ein euphemistisches Wort-
spiel gleichsam mit Dieberich zu sein. Den Stellen im Wörter-
buche der Br. Grimm 2, 1145 mögen hier- noch zwei aus
Abraham a S. Clara beigefügt werden: „Das Almosen ist ein
Schlüssel in Himmel: der Geizige hält nicht viel auf diesen
Schlüssel: ihm ist ein Dietrich lieber, den alle Dieb brauchen;
denn das Fest S. Donati in seinem Calender nicht anzutreffen
ist'' Judas 7, 213; „Ich weiss, dass der armen Leut Vergelts
Gott ein rechter Dietrichschlüssel in Himmel ist" ebd. 27.
[Rothwälsch Bschiderich amptman. Glesterich glasz. Herterich
messer, tegenn. Senfftrich bett. Wendrich kesz.]
Wüetelgöz, einigemal in Uetelgdz entstellt, zeigen spätere Lieder
in Neidharts Art wiederholendlich als bäurischen Eigennamen:
V. d. Hag. Minnes. 3, 202a. 213a. 220b fg. 241a. 278b fg.
280 b: aber eben ein solches verwendet ihn auch appellativ,
zur Bezeichnimg, wie es scheint, eines Menschen von un-
Die deutschen Appellativnamen. 117
widerstehlicher Leidenschaftlichkeit: 208b; ähnlich das Passio-
nal, wenn ihm (Hahn 64, 41) Barrabas „ein wütegdz un-
reiner" heisst*). Damit wird der Name in seinem vordem
Theil auf umot bezogen [wuotan tyrannus, Graflfs Sprachsch.
1, 767]; goz aber, auch dieses sonst ein Eigenname, hat die-
selbe Abschwächung in den Begriff eines Menschen ohne Sinn
und Vorstand erlitten, wie an einer Stelle von Betzen und
r
Hetzen Hochzeit (Diut. 2, 89): „dö wart der arme göz ge-
worfen in den mülbach": mit dem Vodelgeat oder Vedelgeat
der angelsächsischen Stammsage (J. Grimm in Haupts Zeitschr.
1, 577) besteht nur in den Buchstaben noch ein Zusammen-
hang.
Die gleiche Appellativbedeutung hat Wüetertch: schon in hoch-
deutschen Glossen des zwölften Jahrhunderts imcotefich tyran-
nus (Diut. 3, 146); in niederdeutschen wüdrich truculentus,
'atrox, funestus (Nyerups Symbolse Sp. 323); in Wernhers
Maria (Pundgr. 2, 209, 1) die wuotriche des Herodes; beson-
ders oft aber (der Druck giebt wüetreich) braucht Ottocar das
Wort [Wüttrich Proschm. Tvb]. Die Form ist wiederum
die eines Eigennamens^'').
Kaum minder zahlreich als die Fälle, in denen Taufnamen
so gänzlich appellativ gewendet oder* Appellativa wie Taufnamen
gebildet sind, dürften diejenigen sein, wo Imperativische Bil-
dungen, ursprünglich eine Lieblingsform der Beinamen, derselben *
Wendung unterliegen. Bei Betzen Hochzeit ein Bauer Streuz-
guot (Diut. 2, 82): in Fischarts Gargantua SfraiesgütUn die
appellative Bezeichnung eines Verschwenders (ßecension der
deutschen Gramm. S. 49); Springinsfeld den Hexen ein Name
des Teufels (J. Grimms Mythol. S. 1016), den Böttichern ein
Schleifname dessen, der Geselle wird (Altd. Wald. 1, 10 t), und
im zweiten Theile des Simplicissimus der Nam§ des Helden:
uns jetzt ein volles Appellativum ; Saufaus, auch dieses ein
*) So auch bei Jeroschin S. 284. Pfeiffer.
17) [Wiserich Tanzname? Wolfr. Willeh. 383, 20. Vergl. Förstemann
1, 1330. — Kothwälsche Namen auf llng: Derling würffei. Drittling
schüch. Dierling aug, Floszling fisch. Feling kremerey. Grifling finger.
Leuszling ohr. Rihling würffel. Reiling saw. Eauling gantz iung kindL
Bümpfling senff. Schreiling kindt. Spelting heller. Spitzling hdbern,
Streifling hossen, Zwirling aug. Zwengering wammes.] ^ KjmjJi
118 . Die deutschen Appellativnamen.
Schleifname (Altd. Wald. 1, 104): jetzt s. v. a. Säufer über-
haupt; Gar am, wenn schon kein eigentlicher Imperativ, doch
immerhin ein Zuruf, zuerst der allegorische Name eines Säufera
(oben S. 112): jetzt, mit Beibehaltung des persönlich-männliclien
Geschlechtes, s. v. a. Ende [Schmeller 2, 60]. Ebenso alltäg-
liche Ausdrücke z. B. Störenfried, Taugenichts, Thunichtgut,
Waghals; andre, seltnere, in J. Grimms Grammatik 2, 961 fg.,
in Meusebachs Becension derselben S. 40 fgg. und in Mass-
manns Nachträgen, Aufsess und Mones Anzeiger 3, 85 fgg.
Jetzt kommen denn auch solche hinzu, die nicht um zu spotten
und zu tadeln nur ironisch befehlen, sondern gerades Weges
und positiv ausdrücken, was geschehen soll und was geschieht:
so die Blumennamen Vergiss nit mein, Hab mich lieh, Schah ab
(ühländs Volkslieder S. 108 flf. u. a.), letztere dem Liebhaber
ein Zeichen, dass er abgewiesen sei, dass er abschaben solle
(üsteris Vicari Z. 393); so femer Benennungen von Tänzön,
wie Hüpfauf, Kehraus und schon in einem nach-neidhartischen
Liede (v. d. Hag. Minnes. 3, ^64 a) swingenvnoz; wie Hupfauf
und Kehraus, weil dabei an Tanz gedacht wird, männlichen
Geschlechtes sind, soll vielleicht das ebenfalls männliche Reiss-
aus in bitterem Scherz auch gleichsam einen Tanz bedeuten.
[Bappuse? Jer. 15, 13. 1?, 3. Hesek. 23, 46.]
In den bisher besprochenen Fällen des allegorischen und
weiteren appellativen Gebrauchs der Eigennamen und der ihnen
nachgebildeten Ausdrücke findet überall ein Wortspiel statt:
mit Festhaltung der gegebenen Laute und im Bewusstsein des
Sinnes, der in ihnen liegt oder doch kann in sie gelegt werden,
wird Neidhard auf alle Neider und auf den Neid selbst^ Simon
auf jeden Mann, der zum Weibe geworden, Streusgut auf jeden
Verschwender und Kurzebold sogar auf einen Kock, der wie der
zuerst so benannte Held nur kurz ist, übertragen und ausge-
dehnt. Ein andres Verfahren, obschon äusserlich verschieden,
liegt doch seinem Wesen nach ganz in derselben Kichtung: die
Anspielung, die bloss den Begriff, nicht den Wortlaut auffasst
und in solcher Art einem Eigennamen appellative Anwendung,
und Verallgemeinerung giebt. Es kann nicht die Aufgabe dieser
Arbeit sein, eine Zusammenstellung alles dessen zu versuchen,
was im Fache der Anspielung die Gelehrsamkeit und die Pe-
danterie der Deutschen seit Jahrhunderten gethan, so wenig als
Die deutschen Appellativnamen. 119
bisher an die Wiederaufführung all der Wortspiele mit Eigen-
namen hat gedacht werden dürfen, die etwa P. Abraham und
Fischart machen: ich beschränke mich besser auf einige wenige
Proben aus der lebensvolleren Sprache des Volkes und des
Alterthums.
Im südlichen Deutschland ist die Häufigkeit, mit der vor-
mals Standbilder des heil. Leonhard gefertigt wurden, Anlass
gewesen, jedes Standbild überhaupt, das nur einen Mann vor-
stellt, Lienel zu nennen (Schmeller 2, 473), ähnlich wie der
Neptun mit dem Dreizack, der auf einem Brunnen zu Breslau
steht, der Gtibeljörge genannt wird, weil er das Volk an die
vertrauteren und länger vertrauten Bilder des heil. Georg mit
dem Speer erinnert. Zuweilen hat aber auch ein migefüger
Klotz den heil. Leonhard bedeuten müssen ; einen solchen trugen
dann die Wallfahrter von Dorf zu Dorf, um ihn gelegentlich
wohl auch in den Bach zu werfen: mit Anspielung hierauf heisst
Jemand und Jeder, der unbehilflich und trag und einföltig ist,
in Baiern ein Liend oder Bachlienel (Schmeller 1, 143. 2,
473 fg.), in Schwaben Hans Leard, und durch Trägheit und
Dummheit etwas verlieren oder verabsäumen heisst es verkam-
leartlen (Mörikes Hutzelmännlein S. 166. Schmids Schwab.
Wörterb. S. 261). Ganz so wird in Nürnberg der steinen Steffan
(Schmeller 3, 618) und ist vielleicht, wie wir späterhin sehen
werden, einst der Name Stoffel d. h. Christophorus gebraucht
worden. Auch die Ausdrücke Götze (ühland Volksl. S. 754 fg.)
und Odgötze vergleichen den schwerfalligen und dummen Men-
schen mit einem todten Heiligenbilde und den Bildsäulen des
Oelberges an katholischen Kirchen (vgl. J. Grimms Mythol.
S. 13 fg.): dem Lienel und Hans Leard und steinen Steflfan
giebt aber die eigenbenamte Anspielung mehr Gestalt und
Farbe ^ »).
18) [Hans von Jena Gesicht mit aufgesperrtem Mattl au der Uhr des
Rathhauses daselbst und s. v. a. ein Neugieriger, ein Maulaflfe: Luthers
Predigt über Ev. Matth. 22, l — 44. ein recht alber Götz: Froschmäus.
J 8b. Götz = Klotz: Hub, kom. Pros. 2, 44. Nach Agric. Sprichw.
88 VW. Ölgötze ein mit Oelfarbe gemalter Bildstock, schweizer, ffüler
Baudi (Baudouin, Baldewin, Esel).* vergl. franz. marionette und marotte
für maHotte, Diez. Wörterb. d. rom. Spr. 2, 371, ital. manigoldo Henker
ebenda 2, 45. — Hi^pocras oben Band 1 S. 102. Mithridat: Krumm-
12Q Die deatachen Appellati vnamen.
Euffd oder Euglin ist in dem alten Siegfriedsliede der
Name eines Zwergenkönigs: jetzo wird hier zu Lande ein kleiner
Mensch Zwerg Euggel genannt.
Wir haben oben Miminc als den Namen von Wittigs
Schwerte, Hiltegrtrn als den von Dietrichs Helm kennen gelernt:
der sprüchwörtliche Kuhm und die natürlicher Weise oft vor-
kommende Anspielung hat den einen wie den andern auch appel-
lativ und zu Benennungen ausgezeichneter Schwerter und Helme
überhaupt werden lassen. In dem Gedichte von Etzels Hof-
haltung Str. 168 trägt jeder der beiden Kämpfer, nicht bloss
Dietrich, sondern auch der Wunderer, einen hildegrein: „Sie
slugen auf ' einander, Das wilde fäur erschein. Die zwen fürsten
salbander. Aus ihren hildegrein.** Noch mehr. Die Ursache,
dass Dietrichs Helm Hildegrim in dunkelster Nacht so hell
leuchtet, ist ein KarfuiAel, der denselben ziert (Ecken Ausfahrt,
V. d. Hag. Str. 201): in dem älteren . Gedichte von Dietrichs
und seiner Gesellen Kämpfen Str. 36 wird eben ein solches
Helmjuwel, das ein Sarazene führt, nun auch ein hiltegrin ge-
heissen. Miminc sodann, wenn in einem niederdeutschen Oster-
spiele ein Bitter sagt „Mtn swert h§t Mummink Und löset
platen, panzer und rink** (Mones Schausp. d. Mittelalt. 2, 38),
ist hier noch als Eigenname entlehnt: es ist aber appellativ ver-
standen, wenn in einem Liede Neidharts, das die Kleidung und
Büstung eines Bauern beschreibt (Haupt 91, 36. 92, 7: „er
treit einen msßcheninc, der sntdet als ein schsßre" — „sin swert
daz ist gelüppet**) die Hagensche Handschrift nicht mcecheninc
und swert f sondern beidemal meminck, meningk liest: letzteres
eine Entstellung des Wortes, dergleichen auch sonst vorkommt:
vergl. Menung in W. Grimms Boseng. S. 2 und Meynung in
dessen Heldensage S. 320.
Wir sind noch nicht fertig. Bisher hat uns der uneigent-
lich^ Gebrauch beschäftigt, den Wortspiel und Anspielung von
persönlichen Eigennamen machen: aber auch geographische wer-
den in die Allegorie gezogen: es werden auch Lands- und Volks-
und Ortsnamen, die wirklich bestehen, wortspielsweise umgedeutet
und zu Appellativen erweitert^*), es werden andre den wirklich
hölzöl und MHhridat muszte sich der Hund "bequemen ^ wider Willen,
einzunehmen: Geliert 1, 37.]
19) [A2t«XoC, KtX<07i(8ai: Aristoph. Eq.79. Piacenza: ErasmiAdag.565 b.]
Die deutschen Appellativnamen. 121
bestehenden characteristisch nacherfunden. Diese geographische
AUegorik ist mit jener der Personennamen wie aus dem gleichen
Boden ^ so auch zu der gleichen Zeit erwachsen: auch von ihr
ist die lehrhafte Dichtung des dreizehnten und der folgenden
Jahrhunderte voll, und die Spruch Weisheit und der spottende
Scherz des Volkes liebt auch sie noch heute; nicht selten auch
zeigt die eine mit der andern sich unmittelbar verbunden. Ich
will der vereinzelnden Aufzählung wieder einige Stellen voran-
schicken, welche die Beispiele in grösserem Zusammenhange
häufen.
Hugo von Trimberg im Renner S. 244b ^®).
BoBsia wort und bcesiu werc
^ habent die von Lasterherc.
süeziu wort und süeziu werc ' •
habent die von Sceldenherc.
guotiu wort und übeliu werc
habent die von Trügenherc,
Ein Nachahmer Neidharts in v. d. Hageus Minnesingern
3, 200b.
Pdter wolt von Lenken nü die bluomen hän,
dar vil törper kam, die ich wol nennen kan.
daz sint die von Jochhusen (1. Gouchhüsen) unde die von Tumhenrein;
seht, da sint ouch bl in die von Narrental;
von Affenherc die tanzten schöne über al:
die wolten ouch die bluomen gerne mit in vüeren hein.
Allegorisches Gedicht von Frau Ehrenkranz: Lassbergs
Liedersaal 1, 385.
Sagt mir, wä sol ich finden iu?
„In minem hüs Beltbentriu, /
da findest du mich, lieber zwerc,
oder da ze Harrenherc
in dem laut ze Hoffenheü**
Konrads von Ammenhausen Schachzabelbuch: Aufsess und
Mones Anzeiger 3, 21 fg.; Kurz und Weissenbachs Beiträge zur
Geschichte und Litteratur 1, 51 fg. ^^)
20) [Hadamar von Laber: Schalkeswalt 428. 443. Rumelslibe 434.
Affental 444. Tantenherc 457. 458. 459.]
21) [W^iener Sitzungsberichte 54, 322 fgg. vergl. ferner Gedicht deß
Teichners in Zarnckes Narrenschiif S. LXI fg. Paulus Olearius de fide
concubinarum : Zarnckes Universitäten im Mittelalter 1, 94. 96. Abraham
a S. Clara ,auf auf, ihr Christen*, Anfang. ,Jeckel von Viltzhofen, do
aller Huotter \'atter begraben ligt': Hub, kom. Prosa 2, 78.]
122 Die dcutschcD AppoUativnanicn.
In Swäben von MUrdelinr/en,
der gesiebte wahset sere.
ich wil ir nennen inere,
die oueh in Swäben beginneut komen,
als ich diu msere hßn vernonicn:
von Trügenegge, von Valschenberc,
von Spottenouwe; si sint niht getwerc
ir künste, si sint groze risen.
von Verrdtenburc hoerent wol zuo disen;
von Lügenitz der ist ein michel diet.
her Brich den eit sich nie geschiet
von dien, die ich vor hän genant.
Endlich Abraham a S. Clara in Judas dem Erzschelm 1, 142.
„Was der verlorne Sohn für ein Landsmann gewest, ist eigent-
lich nit bekannt: ich glaube aber, ein Irrländer. Wie er ge-
lieissen hat, ist nit bewusst: ich glaube aber, Malefacius. Von
was für einem Ort er sich geschrieben hab, allweil er ein Edel-
mann, hat man noch nit erfahren: ich glaub aber wohl, von
Mcedelsberg und Frauhofen. Was er im Wappen geführt, hat
es niemand beschrieben: ich glaube aber wohl, einen Saumagen
in grünem Feld." Und im Bescheid-Essen S. 556 von den
zwölf Monaten als Söhnen des Jahrs: „Der erste wohnt zu
Kaltenherg; der andere Sohn befindet sich zu Lappenhausen;
der dritte haltet sich auf in der heiligen Stadt; der vierte Sohn
ist nirgends recht beständig, bald da, bald dort; der fünfte Sohn
lässt sich finden zu Bhimenthal; der sechste ist zu Lenzenau;
der siebente wohnt zu Hevdorf; der achte Sohn ist anzutreffen
zu Birnberg; der neunte Sohn lässt sich sehen zu Lerchenfeld;
der zehnte schreibt sich von Weinhaus; der eilfte ist wohnhaft
zu Heiligberg; den zwölften findet einer zu Wintering/^
A. Zuerst die anderen Einzelfälle, wo das allegorisierende
Wortspiel einen schon vorhandenen Namen ungeändert benützt.
Bethlehem: altübliche Ausdeutung auf den Bettd. „Die Un-
mässigkeit und üeberfluss des Weines wie auch der Speisen
sind Gott missfällig, und diese hindern und mindern die
Wirthschaft dergestalten, dass aus dem Wort Gula durch den
Buchstabenwechsel ein Gaul wird, auf dem man spornstreichs
nach Bethlehem und Leiden reisen thut": Abr. a S. Clara
Judas 6, 148. Seb. Brant im Narrenschiff 63, 17, einer Stelle,
wo doch ganz eigentlich Bethlehem gemeint ist, sagt Bettle-
heyn, im Keime auf beyn.
Die deutschen Appellati vuainen. . 1 23
Bettingen, Dorf bei Basel. Auf Bettingen gehn, nach B. wollen:
Wortspiel mit Bett.
Engelland, als Land der Engel verstanden. „An der creatüre
ram Würk ich unde tuen bekant, Wie schoen ez si in Engel-
lantf^ Tochter Sion 18. Oefters auch in der Martina (218, 60.
286, 6. 289, 97) und bei Abraham a S. Clara: Judas 7, 210;
Hui u. Pfui S. 6; Gehab dich wohl S. 383 „Jetzt geht mein
Leben allgemach auf das La ri fa aus, d. i. Lass mich fahren
auf Engelland zu, will dannenhero meine Seel versorgen":
zugleich Beziehung auf den Refrain eines alten Trinkliedes
(Uhlands Volksl. S. 589). Wie bereits der heil. Gregorius
mit Angli und migeU ein Wortspiel gemacht, ist bekannt aus
Bedas Kirchengeschichte 2, 1.
Gibefiach, Dorf bei Basel. Man sagt von einem, der ungern
giebt^ er sei nicht von Gibenach.
Giebichensteln. „Wer geht nach Giebichenstein (zu viel ver-
schenkt), kommt selten wieder heim" Simrock S. 143.
Kandelberc ist im Mittelhochdeutschen (z. B. v. d. Hagens Ge-
sammtabent. 3, 586. Kenner 810. Cantelberg Strobels Bei-
träge S. 123) und von da ab in noch späterer Zeit (z. B.
Abraham a S. Clara Judas 6, 105) der umdeutende Name
von Canterburg, angelsächs. Cantvaraburh; das althochd. Kan-
tilbirja (Trierer Glossen 10, 11) vermittelt den üebergang.
Bei P. Abraham zu einem oft wiederholten Wortspiel mit
Kandel d. i. Kanne benutzt: „eine Bürgerinn zu Kandelberg"
Jud. 2, 20; ebd. 3, 88. 5, 114; „Kandelberger, welche nach
viel Rundtrinken, Grundtrinken, Pfundtrinken und Schlund-
trinken in das obere Zimmer also eindämpfen, dass ihnen der
Verstand auf Stelzen geliet und den Bachzuber für einen
Pudelhund ansehen'' Reim dich S. 297 u. a.
Nassauer d. i. Regenwetter.
Oberlant und Niderlant Himmel und Hölle; ebenso Oberlender
und Niderlender: Predigt Br. Bertholds S. 315 fgg. Oder
Himmel und Erde: Wolkenstein 106, 1. Bloss Oberlaut:
Muscatblut 13, 1; Gott „der smit von Oberlande" Frauen-
lobs Leich 1, 11, 1.
Riuwentah Ein Wortspiel hiemit hatte schon Neidhart von
Reuenthal selbst gemacht: „Swie Riuwental mm eigen si, ich
bin doch disen sumer ulier minor sorgen fri'^ (Haupt 5, 32):
124 I^ie deutschen Appellativnaiiieii.
alle<?orisch uneigentlich wird der Name, wie der jüngere Ti-
turel Str. 3773 fg. Freudental und Riuwental einander gegen-
über und Hadlaub 7, 2 es mit Siuftenhein und Soryenrcin
zusammenstellt. Vgl. v. d. Hagens Minnes. 4, 437.
Schalksberg. In den Schalksberg hauen d. h. ein Schalk sein:
s. J. Grimms Mythol. S. 645.
Schieissheim. Auf Schieissheim gehn d. h. zerreissen: Schmeller
3, 458.
Speier. Nach Speier appellieren d. h. sich erbrechen. Abr. Ju-
das 1, 76 „allerlei stinkendes Aas und ünsauberkeit, dass es
einem den Magen auf Speier einladet". 6, 454 „Aus uns hat
ebenfalls das Maul gestaubt, dass es hätte mögen die Stadt-
mauern zu Speier einwerfen". Gehab dich wohl S. 267 „die
sich dergestalten anfressen, bis sie endlich gar nach Speier
reisen"; ähnlich S. 374; S. 395 „Nach Weinhaus reisen geht
noch hin: aber nach Speier, das ist zu grob".
Spiegelherc. „Speculieren ist ein (1. min, der Speculatio) werc:
da von heiz ich von Spiegelberc" Tochter Sion 32 ^^).
22) [vgl. zu diesem Verzeichniss die reichen Nachträge Germania 7,
235—237. 9, 208 fg. 449 fgg. 14, 220. Alsatia 1854 187 fg. und fol-
gende andere. Puer natus in Bettelszheym: Zamckes ünivers. 1, 136.
Brandenberg: Garg. 181. Danzig (auf tanzen bezogen): Abr. a S. Clara
1, 270. Darmstadtf Eszlingen: Garg. 143. 320. Füzhofen: Hub. kom.
Pros. 2, 78. Flandern: Schmeller 1, 588. In Breslau: er ist nicht von
Gebersdorf; vergl. Geverow Germania 14, 219. In Basel: de isch vo
Habse (Habsheim, Dorf im Elsass), nit vo Gibenach. Hadersdorf: Abr.
a S. Clara 1, 243. Hiezing: 9, 13. Kachelberg: Fischart Practic A iij
rw. Leonhard Kandelberger: Abr. a S. Clara 19, 207. Frau von Laufen-
burg, der Durchfall. Leipzig: Abr. a S. Clara 1, 270. Meister Barant
von Lozane (mfr. losenge): Haupts Zeitschr. 1, 235. Ofen: Fischart
Pract. Aiij rw. Biiij vw. Offenburg: Hönigers Narrensch. 142 fgg. Böb-
lingen: Rollwagenbüchlein 35, 9 Kurz. In Schande hat alle Ehre und
Redlichkeit ein Ende: sächsisches Sprichwort, Wortspiel mit dem an der
böhmischen Grenze liegenden Dorf? Schandau. Schwenkfelder Säufer
(Gläserschwenker)? Landstreicher? Hebel 3, 10. Sorge und Kummernigk,
Dörfer unweit Breslau; schlesischer Volksreim: Obernigk
liegt zwischen Sorge und Kummernigk.
Wer sich dorten will ernähren,
Der muss suchen Pilz' und Beeren;
Kann er aber die nicht finden,
Muss er lernen Besen binden.
Holtei, Vierzig Jahre 2 (1862), 18.
Die deutschen Appellativnamen. 125
B. Erfundene Namen. Manche davon zeigen einen bewuss-
ten Anklang an wirklich vorhandene, wie schon vorher z. B.
Ammenhausens Mürdelingen an Nördlingen und Nürtingen; andre
mögen nur in der Meinung dessen, der sie gebraucht, 'erfunden,
ihm unbekannt aber sonst auch wirkliche Namen sein. Affen-
thal und Gauchsberg z. B. sind in der That Ortsnamen, jenes
ein breisgauischer, diess ein pfälzischer: ist aber die beliebte
Allegorisierung beider davon ausgegangen? ist man solch eines
Ausganges sich bewusst geblieben? Schwerlich: sie würde alsdann
auch auf die Nachbarschaft der sonst bedeutungslosen Orte be-
schränkt geblieben sein, eben wie jene Scherze mit Bettingen
und Gibenach auf Basel und Umgegend, und -wie den Bündne-
rischen Orts- und Adelsnamen Lügenitz wohl der Schwabe zu
Stein am Rhein auf die Lügner zieht (oben S. 122), andre aber
und entfernter wohnende nicht. Kaum ein Name wäre für den
allgemeinsten Gebrauch der Art so geeignet gewesen, als der
des Bairischen Schlosses Trausnicht, jetzo Trausnitz (Schmeller
1, 466): aber nur dem gefangenen K. Friedrich von Oesterreich
wird ein ihn ausdeutendes und anwendendes Wortspiel in den
Mund gelegt: „Du heist wol recht Trauschnitz: ich habe sein
ie nicht getrauet, das ich solt dermassen also daher gefangen
gefürt werden" (Aventinus 1566, Bl. 487 rw.): für weitere
Kreise hat trüwes niht sonstwie sprichwörtlich, Getrüt sin niht
durch Personification allegorisch werden müssen : s. oben S. 110.
Affenberc oben S. 121. „S6 volg ich den von Affenberc: Der
wort sint wise, tump ir werc" Miscell. 2, 187; vgl. unten^
Gouchesberc. Affenberck auch im Narrenschiflf 48, 70. 95, 1.
Affental. „Swer lebt an ere in frier wal, der — hüset in dem
Aflfental" Winsbecke 45; die Lesart „in der äffen tal" hat
ihre Parallele in v. d. Hagens Minnes. 3, 213b „si sint üz
der äffen tal", und wenn das von Bauern, die mit Hoffart an
einen Beigen gehen, gesagt wird, so heisst es wieder im Renner
S. 187a „Mit boeser höfart manger leie hebt sich der Affen-
taler reie". In Waldis Esop 4, 75 zeigt der König der Affen
einem Menschen, „Wie er regiert im Affenthal*^
Belibentriu oben S. 121: ein pluralischer Imperativ.
Spiegelherc: Br. Berthold 336, 26. 379, 38. Straszhurg: Eyering 648.
791. Waggenthaler? Stalder 2, 428.]
126 I>ie deutschen Appellativnamen.
Darbiän: Her Bigenöt von Darbiän oben S. 98: als Landsname
der Art wie Indiän^ Libidn gemeint.
DarhstäU. „Es gehen viel Strassen nach Darbstätt und Mangel-
bürg'' Sailer S. 73; Simrock S. 68.
Dölpelbach. „Die tollen Leut zu Dölpelbaeh'' Waldis 4, 90:
Name wie Laienburg und auch eine Geschichte der Art.
Dotenheim. „So fert der siech goen Dottenhaym" Narrensch.
55, 6.
Eselberc, Elblin von Eselberk angenommener Name eines Dich-
ters: s. die Ausgabe Kellers, Tüb. 1856, S. 10 fgg. Es heisst
bei ihm zweimal (1, 546 fg. 2, 547 fg.) „Unweise wort und
tumbe werk Treib ich Elblin von Eselberk", womit oben Affen-
berc, nachher Gouchesberc und S. 121 die Stelle des Kenners
zu vergleichen, so wie
Eselsheim: „An här, an gwant, an gebaer Islicher gerne wser
von Eselsheim üz der stat'' Helbling 2, 1471.
Fretidental oben S. 124.
Gebhausen. „Der Herr von Gebhausen ist todt" Sailer S. 104.
Gebingen, „Er ist nicht von G^bingen, sondern von Nehmhigen''
Simrock S. 142.
Gouchesberc, „Wisiu wort und tumbiu werc Diu habent die von
Gouchesberc" Preidank 82, 9 (S. 356) u. Boner 65, 52.
Gouchhüsen oben S. 121.
Harrenberc und Hoffenheil oben S. 121: harren und hoffen plu-
ralische Imperative. •
Hungertal: „Er nimt sin fuoter und sin huon Und ritet heim
gen Hungertal, Da guots und eren diu pfruond ist smal Und
unrätes ein voUez hüs. In dem ofte manec müs Getanzet und
gereiet hat, S6 si anders wä was worden sat" Renner 25 b. .
Laienburg: Geschichten der Laien zu Laienburg (der sonst so
genannten Schildbürger) in dem 1597 und mehrmals vorgeb-
lich auch zu Laienburg gedruckten Laienbuch; davon sprich-
wörtlich ein Lalenburger Streich. Lali ein Laffe, Maulaffe:
Schmeller 2, 463.
Lasterberc oben S. 121.
Lügenlingen. „Miner vrouwen hovesite Vert von Lügenlingen:
da ist ein schuole, hoere ich sagen, Voller trügenheit" v. d.
Hag. MS. 3, 252 a.
Narragonia, Narragonien in Braute Narrenschiff und seit dem-
Die deutschen Appellativnamen. 127
selben der Name des Narrenlandes: Wortspiel mit Arragonia,
wie 108, 8 Narragün mit Arragtln, der deutschen Form des
Namens.
Narrenher g. „Der heisst wohl Herr von Narrenberg, Dann er
all narren übertriflFt" Narrensch. 28, 86.
Narrental oben S. 121.^
Nütigen, wo nüt d. h. nichts ist. „Dem sehe man es an, dass
er nicht zNütigen daheim sei" Jer. Gotthelfs Uli der Knecht
S. 247.
Papelfels. „Lass stehen dein Fluchen; sag nicht von Papel-
felä neue Mähr; hau nicht über dich: so fallen dir die Späne
nicht in die Augen" Ackermann v. Bcsheim Cp. 6: päppeln
schwatzen.
So'ldetiberc oben S. 121.
Siuftenecke: „mtnes guotes wart ir da daz beste teil: da liez
ich der vrouwen Siuftenecke" Neidhart 47, 39. Bezug auf
sein wortspielsweise verstandenes Riuwental: s. oben S. 123.
Siuftenhein und Sorgenrein, „S6 gist in (der Frau und den
Kindern) dan Eiuwental und Siuftenhein und Sorg^nrein, als
der niht anders hat" Hadlaub 7, 2.
Spottetiouwe oben S. 122.
Trüebenhüsen. „Ich hän verkunnen tröstes mich, gedinges bin
ich worden am; swer iener müge, der trceste sich: ich
muoz ze Trüebenhüsen varn" der von Gliers, v. d. H. MS.
1, 105a.
Trügenherc, Trüge^iegge oben S. 121. 122.
Tttgentherc. „Die werdent äne meil Und kument ze stajtem
heil Uf die burc ze Tugentberc: Da sint erkant des wisen
werc": aus einer Heidelb. Handschrift bei W. Grimm über
Freidank S. 67.
Tumhenrein oben "S. 121.
Valschenberc, Verrätenburc oben S. 122.
Witzenhürger , Titel des zweiten Theils des Grillenvertreibers
(d. i. der Schildbürger) 1605. Schuppius 1, 142 bei Erzählung
einer, ich weiss nicht ob aus diesem Buch entlehnten Ge-
schichte (er führt sie ein mit dem Wort „Man sagt") braucht
die Form Witzeburger, Witzebürger ^^).
23) [Ferner: Beiteinweil: Garg. 437. ßyheneck? Fischarts Dichtungen
von Kurz 2, 116. Dflrstherg: Fischart Pract. Cj rw. DurstVmgen:
128 I^ie deutschen AppellatiTnamen.
«
III.
Die dritte Art der Appellativnamen, diejenigen, die auch
aus persönlichen nominibus propriis, aber ohne Wortspiel und
ohne allegorische Verflüchtigung, vielmehr stäts mit vollster Be-
hauptung eines sinnlichen Begriffes appellativ geworden sind,
diese ganze lange buntgemischte Beihe ist zwar, von einigen
wenigen, zum Theil noch zweifelhaften Ausnahmen abgesehen,
dem Mittelalter selbst bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinein
noch fremd gewesen: sie hat jedoch ihren hauptsächlichen Anlass
in Umständen, die theilweise schon das frühere Mittelalter ge-
kannt hat und hat kennen müssen, so dass sich hier alte und
neue Zeit wenigstens durch Ursache und Wirkung mit einander
verknüpft zeigen. Suchen wir uns diesen Hauptanlass in dem
abgestuften Fortschritt seiner Entwicklung und alsobald auch
in einigen Hauptbeispielen zu vergegenwärtigen.
In gewissen Familien, Ständen, Berufsarten, Ort- und Land-
schaften sind je für das eine und das andre Geschlecht auch
gewisse Namen besonders häufig, zuweilen sogar die ausschliess-
lich angewendeten^). So, wenn die von Laber in Baiern gern
und gewöhnlich, die Erstgeborenen wahrscheinlich immer Hade-
mär Wessen (Hadamars von Laber Jagd, hsg. v. Schmeller,
S. IX), die von Steinach in der Rheinpfalz meistens BlikPr
(v. d. Hagens Minnesinger 4, 254 fgg.)i die von Rinach im
Aargau Hesso (ebd. S. 147 fg.), die Manessen in Zürich Rü-
diger ^ die Grafen von Leiningen Emicho, die von ZoUem Fried-
rich, die von Henneberg Poppe, die von Neuenburg Rudolf, die
Garg. 181. Freudenthal: Günthers Gedichte S. 103. In der Grillenaw
zum Tölpelszhagen: Kirchhof Wendunm. 1, 160. Lappenhausen: Witten-
weiler King 2, 2 u. s. f., vergl. Pfeiflfers Germ. 1, 134. Lappenheuser:
Froschmäus. K 7b. Ff Sa. Merkingen: er ist nicht von Merkingen (mag
nicht merken, nicht verstehen, was man meint): in Basel. Narrenheim:
Wittenweiler Bing 47 d, 9. Nirgendsheim: Andreas Gryphius Horribilicri-
brifax S. 18. Ödelingen: Kolmarer Handschr. CXXXIV, 14. 22. Toren-
hofen: Wittenweiler Ring 47 d, 14. Tugendthoffen, Lugenstall, Goldburg:
Fischart Pract. Bij rw. Vrudenbach und Trurendal: Haupts Zeitschr. 1,
234. Von Wartenweiler gebürtig (saumselig, sich verspätend) sein: B.
Auerbach, neues Leben 1, 203. Wenscenhorch: ^Haupts Zeitschr. 1, 258.]
1) [Sint Mcpcenates, non deerunt, Flacce, Marones: Martial. Epigr.
8, 55. Wo wohnen denn die Teile, wo die Winkelriede: Jlückcrt.J
Die deutschen Appellativnamen. 129
Schauenburger in Holstein Adolf y die Herzoge von Zähringen
Berthold und die Grafen und Fürsten Beuss nun seit Jahrhun-
derten schon insgesammt Heinrich, Ebenso haben von jenem
Balduin dem Eisernen an, der im J. 864 Graf von Flandern
ward, alle Erstgeborenen des Hauses*) bis zu dem söhnelosen
Kaiser von Konstantinopel den Namen ßaWwm geführt, so.dass,
wenn gerade die altflandrischen Dichter der Thiersage für den
Esel den gleichen Namen schöpften, darin eine »Absicht muss
gelegen haben, Hohn und Hass etwa gekränkter Geistlichkeit.
Namen sodann, welche Örtlich und landschaftlich vor anderen
gang und gäbe waren und damit gleich die Heinaath ihres Trä-
gerä verriethen, lernen wir für das sechzehnte Jahrhundert aus
Fischarts Gargantua kennen: „Schöne Namen reitzen auch zu
schönen thaten: darumb muss es Gargantubisch auff den glück-
fall ausserlesen sein, nicht dass alle Schlesier Furmansdatis,
Lübecker Till, Nörnberger Sehald ^), Augspurger Urli, die Weber
Galle, die Kuh Bartel, die Holländer Florentz^ Schotten Andres,
Spanier Ferrnant, Portugaler Jacob, Engellender Bichart und
Edward, Böhmen Wenzel, Polen Stenzel,rTJvLgeTn Stephan, Pom-
mern Ott, Preussen Albrecht, Lotringer Clauäy, Plemming Bai-
duin, Francken Kilian, Westfalen Gisbart, Märker Jochen etc.*)
heissen. Sonder eim iden ein sondern heim aufgesetzt: so kent
man die Mummer unter einander" (1582. M. 7 rw.). Bei der
Mehrzahl dieser Namen liegt es auf der Hand, weshalb sie ge-
rade in den angegebenen Grenzen so gebräuchlich gewesen: es
sind die Namen der Stadt- und Landesheiligen oder, wie z. B.
eben der flämische Balduin, ein altverehrter Name der regieren-
den Herrn. Wir Aelteren hier zu Lande hätten dem Verzeich-
niss für unsere Zeit noch hinzufügen können „Zürcher Johann
Caspar [Heinrich], und Basler Johann JacobJ^ Der Basler
Boppi oder Böppi (Boppi die Verkleinerung zu Boppe und diess
2) Wenn Lambert v. Hersfeld sagt (Ann. ed. Hess 1843, ,pg. 85),
je der liebste dem Vater habe den Namen Balduin und das Nachfolgerecht
erhalten, so ist das erstere kaum denkbar und beides nicht nachzuweisen.
3) [seibeln nürnbergisch sprechen {Seibel S. Sebald): Schmeller
8, 185.]
4) [Hans -Jochen -Winkel Theil der Altmark Brandenburg (zwischen
Salzwedel und Disdorf), so genannt, weil dort jener Name vorherrscht.]
Wackemagel, Schriften. III. 9
130 ^ic deatschen Appellativnamen.
die Koseform zu Jacob ^) ist in der übrigen Schweiz sprichwört-
lich, und Böppi bedeutet da in ganz appellativer Art schlecht-
weg einen Basler. Ferner haben schon seit längerer Zeit durch
ganz Deutschland hin die Bauern eine Vorliebe für die zwei
Namen Hans und Grete d. i. Johannes und Margareta, beides
hochangesehene Heiligennamen, Johannes, weil sogar zwei der
grössten Heiligen so heissen, Margareta, deren Legende auch
von der deutschen Dichtung des Mittelalters auffallend oft er-
zählt wird (Litt. Gesch. 8. 163. Diemers Beiträge 1, 122.
Germ. 4, 440), vielleicht deshalb, weil sie für eine Haupthelfe-
rinn in Kindesnöthen gilt (v. d. Hagens Grundriss 8. 279.
Haupts Zeitschr. 1, 144. 187 fg.). Eine Wirkung dieser Vor-
liebe ist, dass auch die Lieder und Märchen und Sprichworter
des Volkes, wo bestimmte Namen benöthigt sind, am liebsten
die zwei gebrauchen: Beispiele bei ühland S. 670, bei den Br.
Grimm Nr. 16, 34, 84, 106, 108, 136—166, bei Simrock
S. 199 „„Das hätten wir gehabt ^^ sagte Hans, als er seinen
Vater begrub;"" eine ganze Beihe solcher dem Hans in den Mund
gelegten Sprichwörter bei E. Höfer, wie das Volk spricht. 3. Aufl.
S. 31. 32; und weiter, dass Hans nun überhaupt s. v. a. Bauern-
bursche oder Bauer, Grete s. v. a. Bauerndii-ne oder Bäuerinn
besagt: Andr. Gryphius im Öorribilicribrifax S. 5 „dass eine
Bauer-Greta viel besser sich auf dem Strosack befinde, als des
gelehrtesten Mannes Frau auf Schwanenfedern." Zumal aus dem
Landvolk geht die grosse Zahl der Dienenden hervor, und mit
um deswillen mag es die Knaben gern Johannes, gleichsam nach
dem Schutzheiligen taufen: denn auf Johannis Baptistse fällt von
Alters her der grosse Gesindewechsel (Konrad v. Dankratsheim
S. 114 fg.): Hans und Grete ^) sind nun auch die üblichsten
Namen von Knecht und Magd: norddeutsche Lieder haben einen
Henneke kriecht oder Hansken (ühland S. 447. 450. 955), ein
Volksmärchen den getreuen Johannes als Diener eines Königs,
ein andres eine kluge Gretel als Köchinn (Br. Grimm 6. 77);
5) Wie im Eiiglischeii Bob und Bohhy zu Robert, italiänisch Pepe
zu Giuseppe ^ italiänisch und deutsch Pippo (Basel im 14. Jahrh. S. 119)
zu Filipjjo, Philipp, Förstemann im Altd. Namenbuch 1, 271 fg. ver-
mengt die Namen Popo und Puopo.
6) [Jena" (dänisch), und Margrit Laurembergs Satir. 2, 144. 236.]
Die deatschen Appellativnamen. ]31
Schuppius in der Predigt „Gedenk daran, Hamburg" (1659,
Schriftea 1, 202) „„Ich weiss wol, wie ihr oft kommt zu den
Knechten und Mägden und sagt „0 du ehrlicher Hans, du liebe
Margaretha, du must Tag und Nacht genugsam arbeiten, und
dein Herr ist ein rechter Nabal, ein rechter Hund, ein rechter
Pharao"*', und derselbe in seinem Eegentenspiegel, wo er das
verschiedene Verhalten der Wirthe gegen ihre Gäste schildert
(1, 113), „„Geld dutzt den Wirth. Es sagte mir einmal ein
Gastgeber in einer vornehmen grossen Stadt, er ^ehe nicht gerne,
wenn ein fremder Mann zu ihm komme und viel Complimente
gebrauche, den Hut immer in der Hand behalte und sage
„Guten Abend, Herr Wirth! Kann ich wol über Nacht Herberge
bei dem Herrn haben? Ich will gerne vorlieb nehmen.'' Wann
er solche Complimente von einem frembden Gast höre, so denke
er alsbald, dass sein Beutel die Schwindsucht habe, und dass
er vielleicht Schmalhausens Bruder sei. Wann aber einer komme,
poche und schnarche und sage „Wirth, hast du etwas guts zu
fressen? Wo ist dein Hausknecht? da, lass ihn das Pferd in
den Stall führen", alsdann thue sich sein Herz auf, und denke,
„der bringt Geld". Alsdann ruf er allen seinen Leuten zu und
schreie „Hans! Caspar! Margreta! Volk! wo seid ihr? Da, Jung,
nimm -ihr Gnaden Felleiss und trage es auf die Kammer. Ge-
liebt E. Gnaden in die Stube zu spazieren?"" Einen Schritt
weiter bezeichnet der Eigenname den Knechtsbegi'iflf schon als
Appellativum: „mein Johann" ist im nördlichen Deutschland
„mein Bedienter." Bauernbursche und Knechte gelten aber auqh
als faul und liederlich und zumal als dumm, Dirnen und Mägde
als dumm und faul und zumal als liederlich: auch dafür werden
Hans und Grete nun die persönlichen Appellativausdrücke, und
es erzählen nicht bloss, noch mit wirklichen Eigennamen, Kinder-
lieder und Märchen von dem Hansel, der närrisch, und der
Gretel, die nit gscheidt ist (Simrocks Kinderbuch S. 91, 251 fgg.)»
von dem gescheidten Hans und dem klugen Hans und vom Hans
im Glücke, die aber alle dumm sind (Br. Grimm Nr. 32, 83,
162), und das Gretlein wird, wo in dem alten Liede vom Schla-
raffenland gesagt ist „liederlichs Gsind, faul Megd und Knecht
sein in das Land gar eben recht", namentlich aufgerufen (Haupts
Zeitschr. 2, 566): es heisst nun auch, allgemein appellativ ver-
standen, „Hans hinüber, Gans herüber" (Sittewald 2, 179), was
9*
132 ^^^ deutschen Appellatiynameii.
der Hamburger Job. Doman geschickt in ein Wortspiel mit
dem Namen der Hanse verflicht (Leseb. 2, 239 fg.); „zum
Hämclien haben^^ bedeutet zum Narren haben (Bagatellen v.
Anton Wall 2, 88), hänseln und hansen verspotten, namentlich
jemanden mit allerlei Fopperei und Qual in eine Genossenschaft
aufnehmen: die Herleitung von Hanse, goth. und althochd. hansa
dürfte zu edel für den Begriff des Wortes sein; schon im vier-
zehnten Jahrhundert ist HenneMn (Mones Altt. Schausp. S. 127),
im fünfzehnten und sechzehnten Henselin s. v. a. Ix)tterbube
(Brants Narrenschiff 27, 32. Geilers Narrensch. v. Nicol. Hö-
niger, Basel 1574, Bl. 90 vw. Karsthans in Murners Lutheri-
schem Narren, Ausg. V. Kurz S. 190, 17) nnd , Schönhenselin,
wie Murner voü einem seiner Gegner genannt wird (Luth. Narr
S. Vni), davon nur eine bittere Versüssung. Gretlin aber braucht
z. B. ebed dieser Mumer (Luth. Narr 1524. 4121) lediglich
im Sinne eines leichtfertigen Weibsbildes. Noch weiter. Die
Zahl der Bauern, der Dienstboten, der Dummen, der Lieder-
lichen und zugleich die Zahl derer, die jene Namen wirklich
führen, ist überall so gross, dass zuletzt niemand mehr auch
vor dem appellativen Hans oder Grete sicher ist, Hans nur noch
irgend einen Er'), Grete irgend eine Sie bezeichnet und nur
etwa ein unbestimmter Schimmer von Spott und Tadel noch da-
neben hinstreift: wo wirklich und ausdrücklich ein solcher ge-
meint ist, liegt er viel mehr in einem zweiten gleich dem Ge-
schlechtsnamen noch hinzugefügten oder durch Zusammensetzung
oder sonstwie noch davor gestellten Worte. Belege, zuerst
für Hans,
Schuppius, indem er nur beispielsweise einen männlichen
Namen braucht, setzt Hans und Hänslein: „Von einem kleinen
Kind sagt man nicht „das ist der grosse Hans", sondern „Das
ist das^kleine Hänslein, mein Söhnlein, mein Herzchen*; (1, 792);
ebenso Mumer in der Geuchmatt (Scheibles Kloster 8, 970)
„Wie trüw sy" nämlich die Weiber „sindt, frag Henssly drumb"
d. h. den ersten den besten, welchen Mann du wiUst. Hans-
chen im Keller^) ein noch uugeborner Sohn (Frisch 1, 415b);
Münchhausen, als einige Gäste des älterlichen Hauses auf ihn,
7) Göth^41. 143.
8) Laurembergs Sat. 2, 764 fg.
Die deutschen Appellativnamen. 133
der sich noch in diesem Zustande befand, die Gesundheit
„Häuschen im Keller" ausgebracht, antwortete laut „Bedanke
mich". Sprichwörter „Häuschen, lern nicht zu viel: du must
sonst zu viel thun"; „Was Häuschen nicht lernt, lernt Harn
nimmermehr"; „Wer weiss, wo Hans ist, wenns Gras wächst":
Simrock S. 199. Spruch, der in einem alten Liede (Uhland
S. 758) und hie und da auch als Inschrift vorkommt ,, Ducke
dich, 'Hensd, duck dich! Duck dich, lass fürüber gan! Das
Wetter wil sein willen hau": vgl. oben S. 103. Hans heissen
Andren seiner Art voranstehen (Schmeller 2, 216. Domans Lied
LB. 2, 239 fg.), eigentlich wohl in Aller Munde sein^). Meister
Hans der Henker: Waldis Esop 4, 43. Mercks Matths S. 127.
Hans, Häuschen, Junkm^ Haus, Graufians, Grünha^is nach der
Namengebung der Hexen der Teufel: J. Grimms Mythol. S.
101610).
Geivaltiger Hans: „Sie aber schlugen die Augen undersich
für schäm, dass auss so gewaltigen Hansen und Weltzwingern
so grausame Höllenbrände geworden" Sittewald 1, 409. „Die
grossen Hamen optimates, primates, proceres" Aventinus bei
Schmeller 2, 215; „der Adel und grossen Hansen" Luthers
Briefe 4, 83. Manuel S. 430. Waldis Esop 1, 5. 59. 4, 24. 45.
Abraham a S. Clara von Johannes, der Jesum in der Mutter
Leibe begrüsst (Judas 4, 237), „0 wie viele grosse Hansen
könnten allhier sich an diesem kleinen» Joannes spieglen, welche
manchmal vor. dem höchsten Gut auf dem Altar kaum einen
Fuss zucken, entgegen vor manchem aufgeputzten Götzenbild
9) „Wer nu mit Recht Martinus heist, Derselb sich unsers Bfelchs
befielst. Und gibt Sanct Martino zu Ehrn, Ein gut feisle Ganss zu ver-
zehrn. Wer aber ist so Boss und Arg, Oder so Filtzig und so Karg, Dass
er nicht gibt ein leiste Ganss, Der ist nicht werth, dasz er heisz Hansz":
Ganskönig B 8 vw. In Zürich aber ist Hans heiszen gerade das üble
Gegentheil: „ich will Hans heissen, wenn — " „man soll mich einen
Dummkopf schelten, ich will nichts sein, wenn — ".
10) „Er spricht ihr zu (ein evangelischer Geistlicher einer Besessenen) :
aber, lieber Gott! auf seine kraftlosen Worte wollte Hans nicht hervor-
kommen (der Teufel? Niemand?), sondern der Böse trieb nur sein Aflfen-
spiel mit ihm." Geschieht, welche sich mit Apollonia — verloffen hat,
durch S. Agricolam, Ingoist. 1584: Frey tag, Bilder aus d. deutschen Ver-
gangenheit (1863) 1, 370.
134 I^i® deutschen Appellativnamen.
sich mehr biegen als eine Degenklinge von Passau." Zusammen-
gesetzt Gross'Hans: „dass gemeiniglich, -was die Gross-Hansen
in dieser Welt mit ihren Sünden und Lastern bei dem mensch-
lichen Geschlecht verderbet, man heniach bei den Privat-Personen
wieijer zurecht und einbringen wil" Schuppius 2, 140. Gross-
oder Klein-Hans in der alten Kriegssprache Officier oder Ge-
meiner: Frisch 1, 415b. Jetzt gebraucht man Grosshans nur
von einem, der gross thut; ebenso Grosshanserei. Die hübschen
Hanseil Curmacher von Gewerbe: Narrensch. 25, "55. Reicher
Hans: „So weiten in zukummen Zeiten die Podagra zur Herberg
keren Zu reichen Hansen, grossen Herren" Waldis 2, M; „die
grosse reiche Hansen" Schuppius 1, 428^^).
„Bart-Hans — Der Gegen-Schimpf ist Hans ohne Bart''
Frisch 1, 67 b. Boch-Hans Thraso: Frisch 1, 114 c. Fabul-
Hans: Schuppius 1, 824. 839 („indem sie ihn bei dem gemeinen
Mann und sonderlich seinen Zuhörern wollen stinkend machen
und ein Fabul-Hansen nennen, weil er hiebevor etwann einmahl
eine Fabul erzellet und ingeniöse appliciret hat"). 846; Fabel-
hans: Hebels Werke (Karlsruhe 1838) 2, 72. 8, 108. „Fackel-
Hansen, die Räthe in Narragonia sein wollen, doch nichts er-
fahren noch gesehen als den Donat, kein Namen können als
Numus, kein Verbum als Capio, die, wann sie in Staatssachen
und vor der Gemeinde reden sollen, erschrecken, als ob sie un-
versehens verzuckt worden, und sich zum Loch hienauss trähen,
das der Maurer hat aufgelassen" Sittew. 2, 184: kaum von
fackeln d. i. zaudern. Faselhans^ Federhans Federheld: ühlands
Volksl. S. 474. Eidgenöss. Lieder-Chronik v. Eochholz S. 366.
Gaukelhans Gaukler, Betrüger: Hebel 3, 4. Der Kalthans de-
lator, quadruplator, sycophanta, Verräther: Schmeller 2, 293.
Frisch 1, 497b; entstellt aus Kallhans? Klotzhans Grobian:
Geilers Narrensch. BL 30 rw. Knapphans. Marterhans, Um-
deutschung, wie es scheint, von maraudeur: Fischarts Practik
11) [der grosze Hans: Göthe 12, 140. Heins grosz Hänslein: Garg.
64. grosz HanSy klein Hans: Fischart Pract. Aiiij tw. grosz Hansen:
Pauli Schimpf und Ernst 624. Rollwagenbüchl. 29, 24 Kurz. „Ein solcher
auffgeblaszner Hansz, Wird wo! genannt ein Grobe Ganss": Gansskönig
Hiiij VW. „Und bleibet doch ein Grober Hansz": H 6 vw. die statt-
lichen .Hansen: Ehezuchtbüchl. L 5a. Knapphans hiess ehemals in
Preussen der Marketender.]
Die deutschen Appellati vnamen. 135
B rw.; vgl. Waldis Esop 3, 89 „In Kriegs noth in der bösen
zeit, Wenn Hans Marter und bruder Veit (Landsknecht) Mit
grossen rotten bei im hausen, Durch alle winkel nemlich mau-
sen." Plapperhans. Pralhans. Bebhänslin Personification des
Weines: Gödekes Qengenbach S. 519. 681 fg. Scharrhans:
„Ein lustig gesprech der Teuffei vnd etlicher Kriegsleute von
der flucht des grossen Scharrhansen H. Heinrich von Braun-
schweig" 1542. Schrammhans der bekannte Beiname des mit
Narben bedeckten Gottfried Heinrich von Pappenheim. Schwabbd-
hans in Norddeutschland s. v. a. Plapperhans. Der Spielhansel
im 82sten Märchen der Br. Grimm. Waldhmisel, der in Wäl-
dern arzneiliche Wurzeln und Kräuter sammelt und damit
Quacksalberei treibt, sonst auch rein appellativ Waldmann ge-
heissen: Schmeller 4, 63 fg.*^)
Hans Gerngro^s, der durch Aufruhr gross zu werden sucht:
Sittew. 1, 242. Hans Nimmersatt: „Euclio, d. i. Hans Nimmer
satt, der wil haben Dienstbothen, die da haben Hirschfusse,
Eselsohren, Hände ohne Pech und ein verschlossen Maul, sollen
aber essen und schlucken Nichts" Schuppius 1, 405. Hans
selten frölich ein Schleifname der Bötticher: Altd. Wald. 1,
10413).
Hans Äff, Hans A — ; s. Tiecks Vogelscheuche und das
Wörterb. d. Br. Grimm 1, 565. Hans Dampf. Hans Knöchler
der Tod: Bürger im Bellin Str. 18 (317 a). Hans Küchen-
meister nennt bei Göthe (42, 34) Götz v. Berlichingen sein
Söhnchen Karl. Hans Leard oben S. 119. Hans Kraft Soldat:
Waldis 1, 55. Hans Mors der Tod: Bürger in Frau Schnips
12) [ferner: Federhans Abr. a S. Clara 1, 170. 19, 184 fgg. (Federn
auf der Kopfbedeckung I) stolze Federhansen Frey tag, Bilder aus d. d.
Vergangenheit (1863) 2, 62 (von 1598). Folterhans Grimm Wörterb. 3,
1886. Karsthans Garg. 44. Marterhdhs Garg. 434. Pract. R i rw. Roll-
wagenbüchl. 68, 22. Pimpelhans. Polterhans. Popanz (Popans)? vergl.
Schmeller 1, 291. Frisch 2, 66 a. Puphans. Rehenhänslein Garg. 19.
Rebhans 157. Scharrhans Garg. 42. Schade Satiren u. Pasqu. aus der
ßeformationszeit 1, 54. Schnarchhans Fischarts Dichtungen von Kurz 1,
244. Schrammhans ein Geistlicher und Zauberer zu Salzburg: Hub, kom.
Pros. 2, 68. 71. Schrammhänsle in Garg. 168 (K 8 vw.). Varghans (d. i.
Varkhans) Zamcke Univers. 1, 124. Worsthans Schade Sat. 1, 81. 83.]
13) [Hans Liederlich Göthe 12, 134.]
13l6 ^0 deutschen Appellatiynamen.
(48a). Hans Narr.- „Hans Schenk hat Gnade bei Hof": Sailer
S. 73; Simrock S. 422. Hans Unfleiss Ucalegon: Schmeller 2,
216. Hans Worst auf dem Titel von Luthers Schrift gegen
H. Heinrich von Braunschweig 1541 wie Wurst-Hans bei Hans
Sachs (Schmeller 4, 158) ein dicker Fresser ^^): wenn hie und.
da vielleicht schon im sechzehnten, gewiss aber und mit Ge-
wöhnlichkeit vom siebzehnten Jahrhundert an der Narr des deut-
schen Dramas den Namen Hans Wurst gefuhrt hat, so mochte
er ursprünglich eben als feiste Person erscheinen, der Pickel-
hering der englischen Comödianten dagegen als eine magere: s.
Litt. Gesch. S: 458. 466. Schuppius giebt 1, 247 fgg. Hanss
Wurst als den Namen eines alten Dieners an.
Hans acht sein nicht: Geilers Narrensch. Bl. 30 vw.; in
Brants Narrensch. 85, 27 heisst der Tod so. Hans Guck in die
Welt der Anhang zum Finkenritter; „Wend-ünmuth, oder Er-
neuerter FünflFfacher Hanns gukk in die Welt Oder Mercks
Matths Das ist: Fünff lustige, Zeitkürtzende, und Maulhängkoley
vertreibende nützliche Büchlein, — Gedruckt zu Kosmopoli, da
die gebratene Dauben einem ins Maul fliegen." Hans Lass-
dunkel ein Liebhaber unnützer Spitzfindigkeiten: Laurembergs
Acerra Philologica 4, 100. Schleifnamen der Böttchergesellen
Hans Spring ins Feld, Hans Sauf aus, Hans Friss umsonst:
Altd. Wald. 1, 104. Hans Tapp ins Mus oder bloss Hans
Tapp oder Tapps ^^).
Hans oben im Dorf ein Dorfmagnat: Jer. Gotthelfs Schul-
meister 1, 35. 2, 331. Käserei in der Vehfreude S. 41. „Hans
ohne Fleiss wird nimmer weiss" Sprichwort bei Simrock S. 116.
Hans in allen Gassen ardelio: Frisch 1, 435b; Ucalegon:
' Schmeller 2, 216; „Wolt ich darumb nicht Hans inn allen
Gassen sein, weil man im Niderland die Grassmuckenkönig Jan
14) [Hans Däumling Schmeller 1, 370. Hansel frischer Knecht
H. Sachs 1, 265. Hans Fug Garg. 442. Hans Gans Eyering S. 289 fg.
Hans Humm Garg. 434. Hans Muffmaffy Hans Spanier Freytag Bilder
a. d. d. Verg. 2, 62. Hans Quast olle Kamellen 1, 30. Ha/ns Raufhold
Göthe 41, 275 (264). Hans Unfleisz Garg. 119. Hansz Wurst Thor:
k Hnb, kom. Pros. 2, 45. 49. Hans Worst Schade Sat. u. Pasqu. 1, 83. 85.
' 88. 89. Hansel Schütze? Garg. 167.]
' 15) [Hans Saufsausz Mannsname Froschmäus. Vv 2a. Hans Trapp
I (Niederelsass) der zur Weihnachtszeit die Kinder schreckt.]
Die dentschen Appellatiynamen. 137
schilt?" Pischarts Gargantua M 6 rw.; vgl. oben S. 94. Hans
von Narrenberg oben S. 127. Hmis im Schnokenloeh ein grillen-
haft unzufriedener Mensch [Schnokenloeh: vergl. Mucken, Grillen:
Froschmäus. Fiij 2] ; ein Seim über ihn in Simrocks Einderbuch
S. 101. Hans ohne Sorge Ucalegon: Lauremberg a. a. 0. 2, 30;
„Hans ohne Sorgen lebt mit der wilden Gans und lässt die
Waldvöglein sorgen" Sprichwort bei Simrock S. 199; Göthe in
der ersten Epistel (Werke 1832. 1, 339) und '„Hans von Seibiz
— Hans mit einem Bein, Hans ohne Sorgen" in dem älteren
Götz V. Berlichingen (42, 289). Schuppius. 1, 873 „Hans ohne
Sorgen Sohn": v^ ebd. S. 113 (oben S. 131) „Schmalhansens
Bruder" und das uns noch übliche „dem närrischen Kerl sein
Bruder"; „ein töre ist sin genanne" v. d. Hagens Minnes. 3,
438a, „eines hasen genöz" Arm. Heinr. 1123, Luginhansgesell
als Eärnthner Bauemname in Aufsess und .Mones Anzeiger
3, 84 1«).
Sodann Grete. Hier sind bei dem Zurücktreten des weib-
lichen Geschlechtes, das, von der allegorischen Personificierung
abgesehen (oben S. 107), überall auch in der Sprachgestaltung
gilt, die Belege viel weniger zahlreich.
„Du bist ein wunderlich Gret", „Du bist mir doch das
wüstest Gret" wird in Gotthelfs Uli dem Knecht S. 306. 309.'
329 zu einem Mädchen gesagt, das Vreneli heisst; Gretchen in
Her Küche ist eine noch ungeborne Tochter, Murrgret (Pischarts
^ Gargantua M 7 vw.) ein mürrisches, Furchtgret ein furchtsames
Mädchen oder Weib: ebenso oder bloss Gret heisst hie und da
in der Schweiz auch eine männliche Memme (Stalder 1, 478),
und Josua Maaler S. 192 und Murner in der Geuchmat S. 901
haben dazu das Adjectivum grefisch, gredtsch' im Sinne von
weibisch^''). Insbesondere aber ist Grete, Gretlein die Geliebte:
Geuchmatt S. 961. 1049; „ein hanenfeder muss er han, ein
hemd mit seiden naten, damit er möge wol bestan und gfallen
seiner Greten" Uhlands Volkslieder S. 637 i»); ja im Preidank
16) [Uana onfleisz würt nimmer tceisz: S. Franck Sprichw. 2, 68 a.
Hans in allen gössen Agricola 257. Hans vor allen Hägen: olle Kamellen
1, 249. Hans (Hans Arsch) von Rippach Jahns Biograph. Aufs. SIC]
17) [Banz gredlein Fischart Pract. B ij rw. der Mann ein Gret:
Fischart Dichtungen von Kurz 3, 80.]
18) \dasz man lieher — mit Jungfrau Grete tanzt, als dasz man
138 I^i® deutschen Appellativnamen.
von Seb. Brant (Worms 1538. F y c) „Als im der todt ge-
nommen hat Euridicen sein schöne Gredt"; und Hans und Grete
zusammen jegliches verliebte Paar: Hans und Gretel im 32sten
Märchen, Henslein und Gredlein bei Uhland S. 671, Hansl und
Gretel bei Schmeller 2, 125^^); Scbuppius Spottreim auf die
Vortragsweise mancher Prediger (1, 533) „Viel schreyen überlaut
und rufen auf der Ganzel, Nicht anders als wann Hanss sein
Greta führt zum Tanze."
Und en(flich. Das gehört noch unmittelbar zu den eben und
bisher besprochenen Verwendungen der beiden Namen, dass Fi-
guren, die nur einen Knaben oder Jünglinge und ein Mädchen
darstellen, ebenfalls Hans und Grete heissen^®), wie die zwei
ausgestopften, die man in Baiem am Pfingstmontag als Liebes-
paar umherführt und tanzen lässt oder an ein Windrad befestigt
auf den Maibaum setzt (Schmeller 1, 320. 2, 121. 4, 158),
oder wie es vormals, da man noch mit grösserer Umständlich-
keit trank, Trinkgefasse gegeben, die man gleich jenen unge-
borenen Kindern Hänschen im Keller und Gretchen in der Küche
nannte (die Vorzeit 2, Erfurt 1818, S. 193 fg.), der Bilder
wegen, die sie zeigten : die erstere und einschliesslich damit die
letztere Art beschreibt der alte Joh. Leonh. Frisch in seinem
Wörterb. 1, 4l5b folgender Maassen: „Hansel im Keller ist
eigentlich ein Pocal, das innen eine kleine Tiefe im Fuss hat,
worinnen ein silbern Kindlein steckt; wann man da Wein hinein-^
giesst, so stösst das Kindlein den kleinen Deckel über sich auf
und begiebt sich herauf, welches ein Scherz auf schwangere
Weiber war." Schon weiter ab von der eigentlichen Bedeutung
liegt, in Bürgers Belliö Str. 20 (317 ab), das unzüchtig-züchtige
Hans Quast. Aber auch auf Dinge, die nicht so mitbelebte
Theile des Menschen noch menschlich gestaltet und scheinbar
belebt sind, werden die zwei Menschennamen übertragen, bald
noch mit dichterisch zarter Bildlichkeit, bald mit der Willkür
sein Haus mit guter Wehr und Kriegsrüstung versehe: Frey tag, Bilder
2, 63 aus Janghans y. d. Olnitz Eriegsordnnng zu Wasser und Landt,
Köln 1598.]
19) Garg. 163 fg. Bienk. 139a. Bäuerlein und Greta: Garg. 298.
20) In Köln Ilenneschen dieselbe Marionette, die anderswo Cas-
perle heisst.
Die deatsohen AppeHativnamen. t39
einer gröberen Laune. Die zierlich blähende Nigella damascena
heisst landschaftlich wechselnd entweder Braut in Haaren,
Jungfer im Grünen, auch Teufel im Busch oder, nun mit den
Appellativnamen für Jungfer und Braut, Gretel in der Hütte,
Gretchen im Busch, Gretel in der Hecke oder in oder unter
oder hinter der Stauden (Schmeller 2, 125. Usteris Vicari
Z. 393, Anm.), eine Vorrichtung zum Halten, Tragen, Ziehen
u. dgl. Hansel, der Stiefelzieher oder Stiefelknecht z. B. Stiefel'
hänsel, und ebenso Hansel, unter Umständen Tanzhänsel, der
Unterrock oder ein Oberhemdchen der Weibsleute: Schmeller 2,
215 fg. Schmid S. 261 ^i).
Wir haben fast durchweg nur Hans und Grete und die
weiteren Kürzungen und Verkleinerungen Henselin, Hänsel, Häus-
chen, Hansken, Henn, Henneke, Hennekln, Gretlein, Gretel und
Gretchen, Johannes aber und Johann und das vollere Margreta
je nur ein- oder zweimal vernommen: überhaupt zieht die Sprache
für diesen appellativen Gebrauch die s. g. Koseformen der Eigen-
namen vor, nicht weil auch diese erst von jüngerem Ursprung
wären (denn sie reichen, worüber Schmeller 2, 82 und J. Grimms
Gramm. 2, 689 fgg. nachzusehen, theilweise bis in frühe" alt-
hochdeutsche und altsächsische Zeit zurück), sondern weil sie
volksmässiger, weil sie alltäglicher sind, so dass Johannes Reuch-
lin und Albrecht von Eibe sogar in lateinischer Lustspieldich-
tung und deren Verdeutschung Namen der Art am Platze ge-
funden haben (Litt. Gesch. S. 316 fg.), und weil die abgeschliffene
Form und die abgeschliffene Bedeutung aus einer und derselben
Ursache, der Häufigkeit der Namen, herkommen und somit wie
organisch zusammenfallen.
Hans jedoch, um uns noch für einige Zeit mehr auf dieses
fruchtbarste Beispiel zu beschränken, ist nicht die einzige Form,
in die man Johannes abgeschleift hat: es ist daraus auch durch
Zusammenziehung Jan geworden: dass der niederländische Phi-
lologe Gruter seinen Taufnamen Jan lieber in einen heidnischen
21) [Hans am Wege, Pflaxusenname : Pergers Pflan^ensagen S. 166.
engl. Sweet John eine Nelkenart; franz. Jean leUanc Lerchenfalke; Mar-
got Elster; MargueritCf Name verschiedener Blumen; vgl. Schillers Thier-
und Kräuterbuch 1, 2Qab. Hanselin, Jacke; Schecke: Falke 1, 199. Rotb-
welsch: Hans walt^r lauss. Hans von geller grob brod.]
140 Die deutschen AppellatiTnamen.
Janus als einen christlichen Johannes latinisiert hai, darf uns
in der richtigen Herleitung nicht stören, so .wenig als in der
Herleitung des Namens Hans die Meinung derer, die dabei an
die Hansa denken mögen. Auch Jan aber hat sich sofort appel-
lativ verallgemeinert. Und zwar ist diess, als eigentlicher wie
nun als appellativer Name, ursprünglich niederdeutsch und nieder-
ländisch: wer da im Brettspiele dumm verliert, heisst Jan
(Frisch 1, 484 c) [franz. jan, Littre 2, 170 c], wer seine Zeit
mit nichtsnutzigen Dingen verbringt, als ob es Wichtigkeiten
wären, Jan Gat d. i. Johannes Podex (vgl. oben 8. 137) und
Jan Hen d. i. Hans Henne; JaH Blif to hus und Jan kumm
er nich sind für die Kinder Personificierungen des Zuhause-
bleibens und Nichtmitkommens (Simrocks Einderbuch 8. 22),
Jan un aüe Mann s. v. a. Jedermann, de körte Jan im Tun
der Zaunkönig (Hoffmanns Horae Belg. 6, 218; vgl. die Stelle
Fischarts oben S. 136) und Jan der herabfallende Klotz, mit
dem man Pfähle einrammt. Aber noch ehe wir von den Hol-
ländern gelernt den Pöbel Jan Hagel nennen, auch schon eh
durch den Anstoss der Englisehen Oomödianten, die zuerst in
die Niederlande, dann nach Deutschland kamen, Jann oder Jahn
der übliche Name des Tölpels und des Schalks, des clown, in
den Dramen Jac. Ayrers ward (Litt. Gesch. S. 466), schon vor
Ablauf des Mittelalters zeigt sich die niederdeutsche Wortform
bis in das obere Deutschland vorgedrungen: es sollte wohl der
sittlich tadelnde Sinn der zuerst und zumeist damit gebildeten
Namen durch den Sprachton des Nordens noch verschärft wer-
den: höhnt diesen doch ebenso die Heldensage, wenn sie die
Könige der Sachsen und der Dänen LiudegSr und Liuidegast
nennt, nicht LiutgSr und Liutgast, Nur kommt nirgend im
Süden Jan selbständig vor, sondern immer nur mit Voransetzung
noch eines anderen Wortes und so, dass es darüber den Schein
eines blossen Ableitungsmittels und noch dazu eines fremden,
eines lateinischen annimmt, indem meistens aus jan ein vocali-
sches ian geworden. Anlass zu dieser Auffassung und Aende-
rung lag in einer Reihe von Namen, die wirklich schon die
ältere Dichtung in solcher lateinischen Art gebildet hatte, Eigen-
namen wie Äldrian^ * Asprian, NorJian und andre, die theilweise
sogar der deutschen Heldensage gehörten (Litt. Gesch. S. 73);
Mercian, das in der Schreibung Mertian jetzt ein Geschlechtsname
Die deutschen Appellatiynamen. 141
ist, kommt als Name heidnischer Könige sowohl im Orendel als
im Dietleib und im Wolfdietrieh vor (W. Grimms Heldensage
S. 148 fg.). Ebenso lateinisch meint Hugo von Trimberg oben
S. 99 den allegorischen Appellativnamen KrcUzian, da er den-
selben im Wortspiele mit Gracian erfindet. Ja auch unser
Schlendrian (eben dasselbe, eigentlich jedoch ein langes gemäch-
liches Prauenkleid bezeichnet Schleuder: Schmeller 3; 450) er-
scheint da, wo er zum erstenmal auftritt, in Seb. Brants Narren-
schiff HO, 163, noch völliger latinisiert als Schlenttrianm oder,
wie später gedruckt worden, Schlendrianus ; ebenso Grobian als
Grobianus bei Thomas Murner in der Schelmenzunft Cap. 22
(„Sus saw, Grobianus haisst ain schwein. Der nichtz ksn dann
ain Unflat sein") und in dem Gedicht^ von W. S. 1538 „Gro-
bians Tischzucht", nicht anders natürlich in dem lateinischen
Friedrich Dedekinds von 1549 und in den sprichwörtlichen" Wen-
dungen der späteren Zeit, die sich zunächst auf diesen ironischen
Lehrmeister zurüctbeziehen (z. B. Schuppius 1, 853. 855); bei
Hans Sachs ein S, Stolprianus (vgl. Weimarisches Jahrbuch 5,
480), bei P Abraham im Judas 1, 456 „ein melancholischer
Muffianus^^ ^^), Indessen all das ist eben nur ein Spiel der
Gelehrsamkeit und mit der Gelehrsamkeit, dasselbe, das auch
im Narrenschiff 72, 7 das deutsche Wort Glimpf in einen la-
teinisch ausgehenden Herr Glymfyus personificiert. Brant, der
den Ausdruck Grobian zuerst gebraucht (Narrensch. 72, 1. 49)
und zwar auch als Namen eines von ihm erfundenen Heiligen,
eine Auffassung, worauf noch später in Scheidts Bearbeitung des
Dedekindschen Gedichtes (1551) die Form GroUaner, gleichsam
der Ordensname fusst"®^), Brant sagt noch nicht Grobianus und
Murner selbst auch in dem gleichen Capitel der Schelmenzunffc
und in der Geuchmatt bloss Grobian (dort „Beneveneritis nobis,
herr Grobian!" hier S. 1102 „Man findt wol einen Grobian,
Der grift ein frou so schentlich an, Als wenn die frouw ein
büffel wer Und von dem-'wald geloufen her") und anderswo
22) [auf 5. Nimmers Tag verschieben, vertrösten: Garg. 352. Roll-
wagenb. 72, 24 fg. heatus Nemo: Anzeiger des German. Mus. 1866, 361 fg.
S. Schweynhardus: Rollwagenbüchl. 176, 6.]
23) [S, Grobianus Rollwagenb. 93, 6. 94, 16. Grobianer Eyering
S. 28. 787.]
142 I^io deutsehen Appellatiynamen.
Hans Sachs selber Stolprian: „Als ich vonn Thor gestolpert
bin, kam mir der Stolprian in Sinn" (Weim. Jahrb. a. a. 0.^*).
Noch mehr und entscheidender: zu dem Adjectivum schatnper
d. i. schandbar, bildet Braut 72, 55 den Appellativnamen Schamr
peryon, mit dem mundartlichen Tausch des langen a (und ein
solches hat Jan zum Theil für die Niederdeutschen selbst) gegen
ein langes o, der nur bei deutschen oder doch schon länger ins
Deutsche übergegangenen Worten möglich ist. Er meint also
Schamperion als einen schandbaren Jahn oder Hans: er meint
auch Grobian als einen groben Hans. Ein noch älterer Beleg,
vielleicht überhaupt der älteste für diese ganze dritte Art der
Appellatiynamen. Ein lateinisch -deutscher Vocabularius rerum,
der etwa 1 340 in dem sc^sischen Kloster Heinrichau geschrieben
worden, hat unter dem Worte Leno Folgendes (Fundgruben 1,
387 b)': „Leno dicitur domesticus assecla, consiliator, meretricum
inductor inhonestus, s. pulian/^ Pidian: das Wort zeigt uns
zugleich recht deutlich, wie die ganze Bild ungs weise ihren Ur-
sprung im Niederland genommen: auf Holländisch ist pol noch
jetzt s. y. a. leno (Hör. Belg. 6, 217), und ein holländisches
Drama des Mittelalters stellt in dem gleichem Sinne pol und
Jan als zwei noch getrennte Worte neben einander, „pol her
Jan", Jan noch mit dem Titel Herr davor (ebd. 42, 56). Die
jetzige und sonst die neuere Sprache Deutschlands, vorwaltend
eben die auf unhochdeutschem Boden sich bewegende des Nor-
dens, braucht von Appellativnamen mit Jan noch etwa BuUer-
Jan Polterer, Dtdlerjan und ToUerjan, Dummerjan oder Dumm-
rian (toll und dumm mit erstarrter Nominativendung), Lieder-
jan d. h. liederlicher Mensch, Morian d. fr. Mohr (Simplicissimus
3, 758. Tiecks Deutsches Theater 1, 369 fgg.), Schmierian
und Urian 2^), welch letzteres ganz allgemein nur einen Er oder
den bewussten, aber nicht genannten bezeichnet, „Herr Urian"
Herr so und so, gleichsam der Haupthans: „So haben ein theil
24) Stolprian Grillus S. 12.
25) [Ruffidn, riffidn: Schade Sat. 3, 247. Aderjdn Schraderjän:
Pfeiffers Germ. 14, 218. Schrnuiziatty kleinlich und widerlich geiziger
Mensch. In Schlesien Schundian Geizbalz. Urian: Laurembergs Sat. 4,
98 und Anmerkung dazu S. 237. Der Teufel: Göthe 12, 207. Voss 184a.
= AuerhahnV Paust Puppensp. S. 10. 53. 68.]
Die deatscben AppellatiYnamen. 143
Weiber ohne das nicht gern, wann Herr ürian lang über den
Büchern oder andern Geschäften sitzt und kein unterschied
zwischen Tag und Nacht zu machen weiss" Simplic. 3, 725;
„Als ein Baum wenig Aepfel trug und der Bauer darauf stieg
solche abzuschütteln, sagt er im Zorn „Wiltu nicht Aepfel
tragen, so trage Schelm und Diebe", und mein Herr TJrian war
selbst darauf" Mercks Matths S. 15; „Ich dachte alsobald an
meinen Herrn ürian" nämlich den, von welchem ich auch vor-
her gesprochen habe: Schuppius 2, 224; beka'nnt ist der Herr
Urian eines Liedes von Matthias Claudius ; Bürger in der Ballade
Der Kaubgraf (S. 24 ab) versteht unter Meister Urian den
Teufel; als. Namen eines Knechtes, eines Knechtes und Boten
der Gemahlinn des Pilatus, braucht Urian sogar schon ein mittel-
rheinisches Osterspiel des vierzehnten Jahrhunderts: der Heraus-
geber mag jedoch Becht haben, wenn er darin nur eine An-
spielung auf UridSy eine Umgestaltung dieses hebräischen Namens
sehen will (Monas Schauspiele des Mittelalters 1, 115). Zahl-
reicher als diese noch allgemein appellativen Worte mit Jan
sind diejenigen, die sich unter die Geschlechtsnamen veraogen
haben^®): sie müssen zuerst (nur so erklärt sich die neue Ver-
wendung) einzelnen Personen als stehende Beinamen gegeben
worden sein. Also, wie es mit Hans die Geschlechtsnamen
Junghans, Langhans, Langerhans , Schmalhans giebt, so nun
auch Ändrian, Bursian, Cantlan, Dempfrian (ein ausgestorbnes
Basler Geschlecht: Baseler Bürgerbuch von Weiss S. 81),
Grotrian d. h. grosser Hans, Merian d. h. grösserer Hans,
Smalian oder SchmcUian, Schrebian, Stracker jan, Vier Jahn,
Wudrian, Wurmmi und Wurzian [Mordian J. Pauls Titan
4, 458. 473].
Wir haben den appellativen Gebrauch von Hans und Grete
bis an den Ausgang des fünfzehnten Jahrhunderts, den von Jan
mit einem oder zwei vereinzelten Beispielen bis um die Mitte
des vierzehnten zurückverfolgen können. Hieraus ergiebt sich,
was auch durch anderweitiges Aufmerken bestätigt wird, dass
erst mit Ablauf des Mittelalters diese Eigennamen zu solcher
AUüblichkeit gediehen sind, wodurch unter Umständen ihr rechter
Sinn konnte abhanden kommen. Vor Johannes und Margareta
26) Beckers GeschlechtsDamen S. 12.
144 I^io deutflehen Appellatiynamen.
hat es andre Namen der Männer, andre der Weiber g^eben,
die unter der Menge besonders beliebt und häufig waren, aber
auf jedweder Seite mehrere andre, nicht bloss je einen so aus-
schliesslich bevorzugten. Wir können dieselben vornehmlich aus
alten Bechtsformularen und dem ähnlichen Aufzeichnungen
schöpfen. Wo da für gewisse Handlungen und Verhältnisse Per-
sonen zu unterscheiden sind, pflegt das nicht vermittelst appel-
lativer Bestimmungen zu geschehen, die meistens weitläuftig
und durch die ' Weitläuftigkeit undeutlich ausfallen Yrarden,
sondern kürzer mit N und iV^ d. h. nomen und nomen, wie z. B.
im Bichtsteig des Sächsischen Landrechtes, mit ille und ille, wie
z. B. in den Formulis Marculfi, oder auch anschaulicher, als
das so durch blosse Fürwörter und Buchstaben zu erreichen ist,
mit beispielsweise gesetzten Eigennamen^'') und dann, wie sich
. von selbst versteht, mit solchen, die unter dem Volk besonders
geläufig, und deshalb auch besonders passlich waren als Stell-
vertreter aller andern möglichen zu dienen. So bewegen sich
die Langobardischen Formeln bekanntlich in den zwei Namen
Petrus und Martinus; ein Formular aus dem zwölften Jahrhun-
dert für das Wasserurtheil (Mones Zeitschr. für d. Geschichte
d. Oberrheins 1, 42) redet die eine der bezüglichen Personen
an* „Cwowrad; oder svi so du heizzest", den Gegenpart aber
Buodolf; ebenso im vierzehnten Jahrhundert Conrad und Hetn-
rieh (das alte Magdeb. u. Hallische Recht v. Gaupp S. 198 aus
einer Breslauer Handschrift des Weichbildrechtes von 1306^**)
oder der Weibername „Beilgen, of w§ si heist, den namen sal
man nennen" und ^^Heinrich, of w§ sich der brüdegam noempt*'
(Kölnisches Verlöbnissformular in Haupts Zeitschr. 2, 553), im
fünfzehnten endlich Fetir und Katherin (ebd. S. 555). Wie
damit überall recht eigentliche Gemeinnamen gesetzt seien, er-
hellt zum üeberfluss aus dem umstände, dass sich ebenso formel-
haft im sechzehnten Jahrhundert die nun gewohnteren Hanns
27) röm. Caius, Caia, Seins ^ Lucius j Titius; griech. Dion, Theon:
Plut. Quast. Rom. 30. Oaius, Gaia: Pauljs Realencyclop. 5, 783. Brisso-
nius 336. Gaius, Seins: Salvian. de gubem. dei 7, 16. Die Eigennamen
in Martials Epigrammen: Pauly 4, 1604.
28) ich stin hüdt zu tage hie und beneime Heintze oder Kuntzen
(nr. wie er heisset) in landrechte: Weist. 4, 575.
Die deutschen Appellativnamen. 145
m
und Greta zusammengestellt finden (Ponnular des Aufgebotes
und der Trauung in Luthers Traubüchlein: Ausg. d. Werke v.
Walch 10, 854 fg.), und daraus, dass einige jener Namen auch
ausserhalb solches rechtlichen Gebrauches, aber in demselben
Sinne der Stellvertretung uns begegnen. Und auch hier je zwei
miteinander. In einer Predigt Meister Eckards (Pfeiffer 1, 33)
„Swenne daz ich iht bite, s6 bite ich niht: swenne daz ich niht
bite, s6 bite ich rehte. Swenne ich da vereinet bin, da alliu
dinc gegenwertig sint, diu da vergangen sint unt diu iegenöte
sint unt diu kunftic sint, diu sint alliu gelich nähe unde geltch
ein, diu sint alliu in gote unde sint alliu in mir. Da endarf
man weder Kuonrät noch Heinrich gedenken. Wer iht anders
bitet danne got alleine, daz mac man heizen ein apgot oder alse
ein ungerehtikeit. Die in dem geiste bitent und in der wärheit,
die bitent rehte. Swenne daz ich für ieman bite, für Heinrich
oder für Kuonrät, s6 bite ich aller minnest. Swenne daz ich
für ieman bite, s6 bite ich allermeist, unde swenne ich nihtes
enger und nihtes enbite, denne s6 bite ich aller eigenlichest:
wan in gote ist weder Heinrich noch Kuonrät Swer got bitet
umbe iht anders danne umbe got, daz ist unreht und ist un-
geloube und ist als ein unvoUekommenheit". Hier haben wir
denn zum zweiten Male, wie das erste Mal in jener Schlesischen
ßechtsaufzeichnung, bereits aus dem Beginn des vierzehnten
Jahrhunderts unser Hinz und Kunz, nur hier noch ohne die
entstellende Abkürzung: schon mit derselben gewährt es im Be-
ginn des sechzehnten die Schelmenzunft Cp. 1 „Wie Hainzen
Eis und Cuntzen Gret Den Jäcklin mit bezalet het", und gegen
dessen Ende die Basler Verdeutschung von Geilers Predigten
über das Narrenschiff Bl. 65 rw. „sie haben kein underscheid,
wem sie dienen, und gilt ihn gleich, es sei gleich Heinz oder
Cuntz^^. Kaum wird zu zweifeln sein, dass man Kunz und
Benz^% die andre jetzt landschaftlich gangbare Namenverbin-
dung dieser Art, auch in jener früheren Zeit schon gekannt
habe, während Hans und Kunz am Schlüsse von Bürgers Ge-
dicht an Göckingk und Hans oder Heiri in den sprichwörtlichen
29) will nicht Heinz, so mus Kunz: Fischart Podagr. Trosth. 1577
Bl. B 8 b. Heinz und Kunz: Froschmäus. Z 1 a. Es sei Heinz oder
Benz: Fischart Pract. A iiij vw. Heinz, Kunz, Benz Geschlechtsnamen.
Waekemagel, Schriften. UL 10
;^46 I^ie deutschen Appellativnamen.
Kedensarten der Schweiz „Hans oder Heiri, 's isch glich" und
„Do isch Hans, was Heiri" (vgl. Usteris Herr Heiri Z. 171)
des DMtgenannten Hans wegen allerdings jünger aussehen, ob-
gleich das letztere auch allitteriert*®). In einem mit Eckard
ungefähr gleichzeitigen Gedichte (Altd. Leseb., letzte Ausg.
979, 5) heisst ein Bauer nach der einen Handschrift Ouonz,
nach der anderen Benz: beide mithin auch insofern Gemein-
namen, dass sie damals besonders bezeichnende Namen des ge-
meinen Mannes, auch der Landleute waren. Und Heinz und
Kunz denn auch übliche Namen dienender Personen: in einem
Minneliede bereits des dreizehnten Jahrhunderts werden ein
KüenzUn und ein HeinzUn um den Botendienst zur Geliebten
angesprochen (v. d. Hagen 2, 147 b).
Wie Hans und Grete sind nun auch all diese andern und
älteren Gemeinnamen Schritt für Schritt in die bloss appellatiye
Geltung, theil weise auch sie bis zu der Bezeichnung blosser
Sachbegriffe herabgesunken, nur alle verhältnissmässig seltener,
einige ganz selten: denn auch hier gehört solche Verwendung
überall erst der neuern Zeit an, die neuere Zeit aber braucht
diese Namen eben schon als wirkliche Eigennamen minder häufig.
Wir besprechen dieselben wiederum der alphabetischen Reihe
nach.
30) Die allitterierende Verbindung der zwei Namen bezeichnet die
Personen selbst als gleichgeltend und die Wahl unter beiden als gleich-
gültig. Dasselbe Verhältniss zweier Appellativa in dem aus einer Zu-
sammensetzung aufgelösten Sprichwort „Gries kennt den Gramen** (Sim-
rock S. 186) imd in der Bedensart Gaul als Gurre: Sittewald 1, 43
„Unsere Landsleute, wann sie zwei Ding einander gleich zu sein andeuten
woUen, sprechen, es seye Gurr ass Gaul (Gurr als wie Gaul: Eines wie das
andere: vier Hosen eines Tuchs)"; Simplic. 2, 119 ,,dass gemeiniglich Gaul
als Gurr, Hurn und Buben eines Gelichters und keins umb ein Haar bässer
als das ander sey" ; bei Schraeller 2, 63 „Wann Gur und Gaul zusammen-
kumbt" und schon in Justingers Berner Chronik S. 251 „und ward die
sach bericht, schad gegen schad und gül an gurren". [Brandenburgisch:
das ist Mus wie Mine: Wilhelmus, Wilhelmine? Von Pontius zu Pilatus
schicken. Schlesische Zeitung 18.65, no. 3: dabei ist es ohne Wichtigkeit
zu wissen, ob sich der Fürst von Mettemich hierzu des Peters oder des
Pauls bedient hat* Zschokke Schriften 26, 293: am Ende aber dreh ich
dafür die Hand nicht um, ob Peter oder Paul zuerst an die Reihe kommt.
— Gans, Gickgack: Simrock Sprich w. S. 138. Höniger Narrensch. 99 vwl
Geuch, Gecken: Fischart Practic B iiij vw.]
Die deutschen Appellati vBamen. 147
Barbara hat zwei Koseformen , die ziemlich weit aus einander
gehn, entwickelt. Die eine, näher bei dem Grundwort bleibende
' ist das schweizerische Babi, appellativ ein einfaltiges Kind oder
auch ein schon erwachsener Mensch, ob Mann, ob Weib, von
kindischem oder weibisch zaghaftem Benehmen [Bezug auf bähe
altes Weib? mhd. Wb. 1, 75 a. Diez, Wb. d. rom. Spr. 2, 7],
wo es von Kindern gesagt wird, noch gern mit einem Zusätze,
als Babi'Dunkd, Dittibabi, Dockebabi , und die Puppe der Kinder
selbst, das Ditti, die Docke, wird Babi genannt, mit der Puppe
spielen oder in gereifteren Jahren noch kindisch thun * baben
(Stalder 1, 120 fg.). Die andre Form, die von Barbara eigent-
lich nur den Anfangsconsonanten festgehalten hat, ist das schwä-
bische Bell: mi haben sie aber, in der Verkleinerung Beylgen,
vorher auch am Niederrhein und schon im vierzehnten Jahr-
hundert vernommen, und finden ohne Verkleinerung Bele, Bela
schon im dreizehnten, z. B. bei dem von Stammheim (v. d.
Hag. Minnes. 2, 77 b. 78 b. 88b); ein dickes Weibsbild nennen
die Schwaben dicke Bell: Schmid S. 54.
Benz wird heut zu Tage in der Schweiz gleichbedeutend
mit Berti d. h. als die Koseform zu Bendicht oder Benedict ge-
braucht: dem Mittelalter, dem Benedict nicht so geläufig war,
während doch Benzo bereits im Althochdeutschen überoft vor-
kommt (Pörstemann 1, 213), wird es zu Bernhard gehört haben ^^);
ebendahin auch (vgl. oben 4, 153) Perz und Bertschi (Witten-
weilers Bing) und Betze und Pez. Ausserhalb der üblichen
Verbindung mit Kunz, für sich allein, bezeichnet Benz dem ent-
sprechend, dass gerne die Bauern so geheissen, einen rohen
trotzigen Gesellen (Schmid S. 55); bei Burkard Waldis einmal
auch „manch ungelerter Benz vom Adel" (Wörterb. d. Br. Grimm
1, 1477). Das Zeitwort benzen aber ist s. v. a. Händel suchen:
so in dem Wortspiel Abrahams a S. Clara „Du bist öfter zu
Penzing als Friedberg" (oben S. 101 ^^); jetzt hat es den ab-
geschwächten Sinn eines zudringlichen Betteins (Schmeller 1, 183).
31) [Vielmehr zu Berhtolt: Uhland in Pfeiffers Germania 1, 333 fg.
Die Abkürzung von Bernhard ist Benno: Mon. S. Gall. 2, 14 Bennolinus
= 12 Bernhardulus (der natürliche Sohn Karls des Dicken).]
32) Penzingery Hadersfelder, Greiner (Weine): Abr. a S. Clara
19, 392.
10*
148 I^ie deutschen Appellativnamen.
Aber auch Benz wie sein Genosse Kiinz und noch manch andrer
dieser •Apßellativnamen ist zugleich einer von den vielen Namen
des Menschen, die man auf den Teufel übertragen hat (Oberlin
Sp. 120), und örtlich der Name einer Spukgestalt, eines Nacht-
gespenstes in dem Carcer der hohen Schule zu Ingolstadt
(Schmeller a. a. 0.).
C^tharina, Die nächste Verkleinerung Ketterlin braucht
Murner (Lutherischer Narr Z. 1524) im Sinn einer leichtfertigen
Dirne zusammen mit Gretlin^^): jetzt bedeutet Katterl, KaUel
u. s. 'f. den Süddeutschen eher eine Schwätzerinn und einen
Schwätzer, Mari-Katterl ein Mädchen von Gänseart, ebenso die
Abkürzung Treird (Schmeller J, 492), und auch Norddeutsch-
land kennt die dumme Trine, während das 164ste Märchen von
einer faulen dicken Trine erzählt; unpersönlich aber ist das
laufend Katterlj die schnelle Kathrine der Durchfall („Aber was
soll dieses gegen ihren ganzen Leib selbst zu rechnen seyn; den
ich zwar nicht bloss sehen kan? Ist er nicht so zart, schmal
und anmuthig, als wenn sie acht Wochen die schnelle Catharina
gehabt hätte"? Simplic. Stuttg. 1, 227) ilnd Jungfer KaUel die
monatliche Keinigung, diess vielleicht Anfangs nur 'ein gelehrtes
Wortspiel mit xoc'iapfjLa (Schmeller 2, 342), jenes ein deutsches
mit kdt d. i. Koth.
Von Heinrich, das mit seinen mehrfachen Koseformen wohl
das häufigste in dieser ganzen Reihe ist, könnte man auch
wieder sagen „Hans oder Heiri, 's isch glich": denn es geht
in der Entwickelung seines appellativen Gebrauches fast Schritt
für Schritt neben Hans und Jan her, und wechselt sogar ge-
legentlich mit denselben ab. Weil es gleichfalls ein Bauern-
name, bezeichnet Heini oder Heine in der volksmässigen Dich-
tung zu Anfange des sechzehnten Jahrhunderts insbesondere den
Eidgenossen, gegenüber Bruder Veit dem Landsknecht (Uhlands
Volksl. S. 475 fgg. Eochholz Eidgenöss. Lieder-Chronik S. 366.
Manuel S. 405); die zwei Schweizerbauem, deren Gespräch das
Drama Combisst eröffnet (Gödekes Gengenbach S. 294), tragen
33) [myn liehs Kettherlin: Hartlieb de fide meretricum bei Zarncke,
die deutschen Univ. 1, 72. Ketterle: Höniger Narrensch. 98 rw. Käther-
leifif Wortspiel mit Katze: Froschmäus. H 8 a. — dei Äpentrine van Eva:
Sackmann, Predigten S. 69.]
Die deutschen Appellati vnaraen. 149
die Namen Haine und Härisslin, der im Beginn des Weltspiegels
von Valentin Boltz den Namen Heini Wunder fitz ^ und bekannt
ist Jacob Kueffs EUer Heini^^), Dann heissen Diener oft auch
Heinrich: in Albrechts von febe Verdeutschung der Menächmen
ist aus dem Peniculus ein Heyntz geworden; in der Schelmen-
zunft Cp. 9 „Ich haiss knecht Haintz"; so auch im Märchen
und schon im Mittelalter: vgl. den Armen Heinrich d. Br. Grimm
S. 213 und oben S. 146^^). Daran schliessen sich, theils noch
auf Grund der Begriffe Bauer und Knecht, theils mit vollster
Verallgemeinerung, grober Heinz und grober Heiny: „Merk,
bauer! du bist ein grober Heinz" ühland S. 698. Geilers
Narrensch. Bl. 30 a; fauler Hentz B. Waldis Esop 3, 48: von
dem faulen Heinz erzählt aber auch ein eigenes Märchen, das
164ste- der Br. Grimm; Tummerhentz B. Waldis 4, 8; Gigen-
heinz, womit Murner einen Hauptnarren,, einen Doppelnarren
bezeichnet (Luth. NaiT S. 92. 221), d. i. gickend Heinz: gicken
s. V. a. kichern oder stottern (Schmeller 2, 25); Hainz Narr
im Holzschnitte zu Brants Narrensch. Cp. 5; Heintz Liil: „Sunder
thut man zu wissen Den jungfrauwen ane danck: Welche ein
floch hette gebiessen Sieben schuch lanck. Die noch ein schappelin
uff leit. Die sol man straffen- mit der rutten, Die Heinz Lül
zwuschen den beyn dreit" Lied des 15. Jahrh. in Pichards
Frankf. Archiv 3, 392: lull ist ein Narr (ühland S. 528) und
wird ebenso von lullen, an Zunge oder Finger saugen, abgeleitet
sein wie das gleichbedeutende Lalli von lallen^% Ferner auf
Niederdeutsch holten Hinrik ein hölzerner, plumper Kerl, knökern
Hinrik ein äusserst magerer, tsern Hinrik ein sehr starker und
muthiger Mensch (der Arme Heinr. d. Br. Grimm S. 214). Wie
aber aus den Reimen des Basler Todtentanzes Str. 30 hervor-
geht, dass schon im vierzehnten Jahrhundert Heine der gang-
bare Name eines Narren von Beruf gewesen, so ist denn auch
34) Heyne von Ury Garg. 231.
35) Heintz der grobe Knecht: Eyering S. 28. treuer Knecht Heinrich:
V. d. Hagen, Gesammtabent. 1, 214. 3, 198.
36) [jgroher Heintz Garg. 221. fauler Heinz Musäus 726. Hausmehr-
lein — von albern und faulen Heintzen. Rollenhagen Froschmäus. B 1
rw. Eyering S. 70 fgg. Mistheintz Garg. 367. Heinz Widerporst H. Sachs
1, 176. Heinz Narr Schade Sat. 1, 84. Heinz Worsthans das. 88. vgl.
Backer Geschlechtsnamen S. 12.]
150 I^ie deutschen Appellativuaraen.
Heinel oder Heim oder Hienz allein der Appellativausdruck
für Narr und Dummkopf und das Zeitwort hienzen s. v. a. zum
Narren haben: Schmeller 2, 220; in eben diesem Sinne redet
Luther K. Heinrich VIII. von England kurzweg mit Heinz an
und das Weib in Mumers Geuchmatt S. 960 ihren Narren mit
Heyntzmann Hugk; letzteres ein bedeutungsloser, bloss reimen-
der Zusatz. Insbesondre ist Heinel ein Mann, der seiner Frau
alles nachsieht; Abraham a S. Clara nennt einen solchen auf
Lateinisch Henricus: ein Fingerzeig, dass unser Wort Hanrei
aus dem französischen Henri komme (Schmeller 2, 198 fg.).
Harmloser, wenn Heinz und Metz ein Liebespaar sind (Uhland
S. 640) wie Hans und Grete: aber eben wie Hans, nur noch
häufiger als dieses, geht Heinz u. s. f. auch ins Dämonische
über: der Teufel wird Heinze Bockerlein (Schmeller 2, 220)
oder Grauheinrich oder bloss Heinrich oder Hinze genannt
(J. Grimms Mythol. S. 1016), Hausgeister Heinzlin und Hinzel-
mann (ebd. S. 471), die Alraunwurzel Heinzelmännlein: Frisch
1, 438 b^''). Hieraus und aus dem alten Gebrauch den Figuren
des Puppenspiels, des ludus monstrorum, allerhand Schreckgestalt
zu geben (Mythol. S. 469. Litfe Gesch. S. 299) erklärt sich
Heinzel als Name einer Marionette und des Spiels mit solchen
und einer Comödie, die schlecht wie ein Puppenspiel ist^ und
der verbale Ausdruck jemand heinzein d. h. sein Spiel mit ihm
treiben (Schmeller 2, 220). Da aber die Begriffe Teufel und
Tod auf das mannigfaltigste sich berühren, so mag auch Freund
Hein als euphemistischer Name des letzteren (Mythol. S. 811)
nur eine Abkürzung von Heinrich sein. Zuletzt wird Heinrich
ebenfalls auf Dinge übertragen: wie Hansel ist Heinz oder
Heinzel ein Geräth zum Halten, Tragen, Ziehen u. dgl., Stiefel-
heinz z. B. wie Stiefelhänsel ein Stiefelknecht, Heuheim eine
Vorrichtung zum Trocknen des Heus, und das Heu auf einer
solchen trocknen wird heinzen genannt (Frisch 1, 438 a. Stalder
2, 35. Schmeller 2, 220. Schmid 271), ein Ofen mit schwachem
Zuge bei Chemikern und Apothekern fauler Heinz (Frisch 1,
37) Heintz der Bergmann (-geist) Froschmäus. Xx 5 b. Englisch der
Teufel Old Harry, der Hausgeist Puck Harry: Br. Grimm d. arme Hein-
rich S. 215. dän. Gammel Erik der Teufel? Mythol. 941.
Die deutschen Appellati vnamen. 15I
438 a), schlechtes Nachbier in Baiern Heinzel (Schmeller 1,
301) und in Berlin eine besondre Branntweinmischung sanfter
Heinrich, Ausserdem noch giebt es Kräuter des Namens yider,
stolze?', grosser,, böser, rother Heinrich (Mythol. 1163 fg., Schiller,
zum Thier- u. Kräuterb. 2, 32); von der Herhabana Heinrici,
in der Schweiz bloss Heinerli genannt (Stalder 2, 35), kam eine
Salbe gegen den Aussatz (der Arme Heinrich d. Br. Grimm
S. 214), so dass man sich hier die Sage, von dem aussätzigen
aimen Heinrich als Anlass der Namengebung denken mag.
Kqtirad, vollständig wie verkürzt den sprichwörtlichen Ge-
nossen von Heinrich oder Heinz, bezeugt als vielgebrauchten
Bauernnamen (s. oben S. 146) noch im J. 1514 der arme Kon-
rad, die appellative Gesammtbenennung der empörten Bauern in
Würtemberg: darum auch heisst ein Mensch ohne Bildung ein
grober Conz (Stelle des Malagis in Gervinus Litt. Gesch. 2, 77),
und gleichfalls auf die bäurische Plqmpheit geht eine sprich-
wörtliche Redensart der Oberpfalz, Blind drein platzen, tappen,
rathen u. dgl. wie Kueuz in die Nuss (Schmeller 2, 31 4 ^'*);
den KiienzUn als Diener kennen wir bereits aus dem dreizehn-
ten Jahrhundert (S. 146); Küonz oder Conz mit der Motzen
als Liebespaar wie Heinz und Metz und Hans und Grete hat
das Narrenschiff G 1 , 27 („Wann Kuoffz mit Mätzen danzen mag.
In hungert nit ein ganzen dag**) und dn noch älteres Volks-
lied bei Uhland S. 340. Noch mehr in das Allgemeine, in den
blossen Begriff eines Jemand gewendet ^^) zeigt den Namen ein
von Luther gebrauchtes Sprichwort, „Konrad ist auch böse"
d. h. auch ein Andrer, nicht bloss ich kann darüber in Zorn
geratheri (Frisch 1, 173 a). Auch den gehassten und gefürchteten
Jemand, den Teufel, nannten die Hexen öfters Konrad, Kunz,
Künzchen (Myth. S. 1016); die Luzerner nennen ihn Kueni
(Stalder 2, 142) und im hochdeutschen Reinhard Fuchs ist Kuontn
38) Cuntzen ferkel: Eyering S. 815 fg. Schweinkuntz Zarncke Univers,
im Mittelalter 1, 124. Garg. K 7 rw. Sewkuntz Zarncke 1, 126. — der
arme Kunz Musäus 710. Cuntz ohn Sorg Eyering 775 fg.
39) [Cünz Minnes. 3, 91a. , Hagen. Schade Sat. 2, 119 fg. der reiche
Cuntz Garg. 521. Cüntz Schlauraff Practica ß iiij vw. Kaunz, Kaunzin:
Schmeller 2, 346. Reicher KauZy Geldkauz (kaunzen, kauzen, knausern
Schmeller a. a. 0.): Frisch 1, 505 b. närrischer Kauz, schlimmer, selt-
samer Kauz.]
152 ^^iö deutschen Appellativnamen.
der Name des Waldteufels y. des grossen Waldaflfen ( J. Qrimms
Sendschreiben S. 53*®). So wird denn der Kunz hinderm Ofen
der alten Taschenspieler („Woltst darumb nicht Kuntz heyssen^
weil man inn Sachssen den Schweinen also . ruflfet und die
Gauckler Kuntz hinderm Ofen rufen?" Pischarts Gargantua
M 6 rw.), wovon Taschenspielerei treiben den Kunzen jagen
(Manuel S. 371) und ein Taschenspieler selbst Ouontzenjager
(Pischarts Garg. 355. Practik B iij vw.), Kunzenspieler, Kuntz-
mann hiess (Prisch 1, 558 a) [Kuntzenwerck Garg. 264], es
wird dieser Eunz auch nur der Teufel und eben hier der Anlass
zu suchen sein, aus welchem man sonst den sogenannten Schlaf-
apfel, den schwammigen Auswuchs des Hundsrosenstrauches, der
unter das Kopfkissen gelegt den Schlaf befördern soll, eine Art
von Zaubermittel also, auch Schlaf kunz nennt (Prischa. a. 0.*^);
im Eselkönig S. 18 wird unter der Hofdienerschaft des Löwen
mit aufgezählt „Herr Schlaf kunz, der Tachs, ein edler Schwab,
Kammermeister" *^). In jener Sitte aber auch den Schweinen
Kunz zu rufen der Anlass, dass Kuonzen, Küenzen, Küenzel
endlich noch den Pettansatz unter dem Kinn bezeichnet (Schmid
S. 313): so in der Ordnung eines Prohnleichnamszuges von 1580
„S. Augustinus soll ein langer zimblich faister molscheter Mann
seyn, der gar khein part'oder nur ein wenig khneblpärtle und
zway khlaine Zipfelin* am khin und einen zimblichen Kienzen
und fast ein gestalt hat wie der Ainhoflfer gastgeb" (Schmeller
2, 314). Daher ist einem den Künzel streichen^ ^)^ ihm künzeln
oder kunzen (Renner 17177) s. v. a. um den Bart gehn,
schmeicheln, liebkosen (Stalder 2, 144. Schmeller und Sdbmid
a. a. 0.**), und Prisch 1, 558 a ist im Irrthum, wenn er diess
künzeln 'aus kindsein entstellt glaubt.
40) Küz, Kauz, Eulenart: s. Frisch a. a. 0.
41) Uaselkauzen die von den Weiden oder Nassbänmen vor der Bliithe
herabhängenden sog. Kätzchen: Frisch 1, ößöb.
42) ein Schwab: Bestätigung der in Haupts Zeitsch. 6, 260 gegebenen
Herleitung dieses Volksnamens.
43) den Käuzen, Küzen streichen: Frisch 1, 505 b. 541 a. kaunzen,
kauzen, sich schmiegen, sich ducken (Schmeller a. a. 0.): vom Kunz oder
vom Käuzlein?
44) Vgl. „Et tenuit manu dextra mentum Amasae quasi osculans
eum" 2 Reg. 20, 9: Renner 75 b. AeSixepfj 8'ap' utc dv^epewvo? IXovcxa
Die deutschen Appellativnamen. 153
Meister Märten wird im Simplicissimus 3, 769 als Gemein-
name der Metzger, von den Hexen aber ward Martin oder
Merten gern als Name des Teufels gebraucht (Mythol. S. 1016);
letzteres vielleicht weil man ebenso den AflFen zu rufen pflegte:
ich erinnere an Kueni und Kuonin; aber auch Eseln und Bären
ward damit gerufen: „weil der Gauckler seinem AflFen Meister
Martin und die Müller ihren Eseln und die Ghurwalen den
Bären also ruflfen" Gargantua M 7 vw. [romanisch Martin pesca-
tore ein Seefisch, franz. martinet phheur Eisvogel: Diez Wb.
der roman. Spr. 1, 265.]
Peter haben wir appellativ als dummen, faulen Peter, als
Dudelpeter, der Alles zögernd langsam macht, als Hinkepeter,
als Sporenpeter d. i. einen querköpfigen grillenhaften Menschen,
als Umstandspeiet*, und dazu noch die Bezeichnung eines müh-
sam grübelnden Arbeitens, das Zeitwort petem^^); in Berlin ist
Peter Meffert, in Basel Peter Blcer, in Baiern Peter Blocket
irgend jemand: „„Wer"? „Peter Blsßr"" (Basl. Kinder- und
Volksreime S. 41); „Wenn den Prediger di« Memorie verlässt,
mag er ein Exempel zum Besten gebend, denn während man von
Peter Plöckl erzählt, findet man den abgerissenen Faden wieder*'
(Schmeller 1, 235): von dem unverkleinerten Peter Bloch er-
zählt ein norddeutscher Volksreim, den Musäus für seine Ge-
schichte vom Schatzgräber benutzt hat: „Jungfer Ilse, Niemand
will se: Da kam der Koch Peter Bloch, Und nahm sie doch".
Weiter ist Meister Peter ein Name des Scharfrichters^ (J. Grimms
Kechtsalterth. S. 883), Hollepeter und Petermännchen für Paus-
kobolde (Mythol. S. 473. 478; holle aus AoWe Schutzgeist: ebd.
S. 245), Peterlein, Peterle und wiederum Meister Peter für den
Teufel selbst (ebd. S. 956. 1015), und wenn es wahr ist, was
Xtaaofx^vTQ TCpoa&tTce ACa KpovCcova avaxxa IL 1,501; 10, 454. Soph. Electra
1208. Callimachus Hymn. in Dianam 26. „Do was der magede hant an ir
vater kinne" Gudrun 1545. Mit der Zeit nun fasste mich, der zum Greise
geworden, das Alter ftn das Kinn und sagte gleichsam aus Liebe zu mir
freundlich die Worte: „was machst du, mein Sohn, noch jetzt in dem
Hause?" Somadeva 2, 97. — Plinius hist. nat. 11, 103. Caes. Heisterb. 11
19. Beafl. 14, 38.
45) Lüskenpeter Spottname eines Schneiders Lauremberg Sat. 1, 159.
Peter Ferkel Zarnckes Univ. 1, 124. Peter Maffert Lauremberg. Sat. 4,
348 und Anmerk, S, 338 %.
154 I^iß deutschen Appellativnamen.
eiamal Felix Hemmerlin erzählt (Beber S. 366), dass der Rath zu
Erfurt niemanden des Namens Feter in seine Mitte habe wählen
lassen, so sollte damit wohl den Übeln Erinnerungen an Henker und
Kobold und Teufel ausgewichen werden, schwerlich aber dachte
man wohl mit Hemmerlin daran, dass Petrus von petra komme
und deshalb alle, die Peter heissen, hartköpfig und unbeugsam
seien. Den dummen Peter brauchen wir aber auch als Namen
einer bestimmten Fastnachts Verkleidung, den schwarzen Päer
als den einer Art Kartenspiels, ursprünglich einer einzelnen
Karte, des Piquebuben, und in der Feuerwerkerei Petermämwhen
als den eines sonst sogenannten Sprühteufels: mit noch ent-
schiednerer Ilebertragung auf unpersönliche Begriffe heisst das
zu Löwen gebraute Bier »wiederum Petermann, wie anderswo
(Schmeller 1, 301) das schlechte Nachbier Peterl, und in eben
solcher Verkleinerungsform hat sich die deutsche Sprache schon
des Mittelalters und noch jetzt im Süden das Fremdwort petro-
selinum die Petersilie bequem gemacht: betirlin Schmeller 1,
301; heterli Vocab. opt. 43, 156; peterlin Müller 3, XXIX c.
XXX a. XXXVnib; Peterli Stalder 1, 158; Peterl Schmeller
a.a. 0. Einen Kuchen aus der ersten oder Biestmilch einer
Kuh nennt man Kuhpriester und Kuhpeter (Schmeller 2, 274.
Schmid S. 332), das Fensterkreuz Fensterj^äer: Drei Vorreden
V. Skepsgardh 1, 117. Wenn man aber auch die weiblichen
Brüste Peter vnd Pauli nennt (Schmeller 1, 301), so mag darin
eine Beziehung auf jenes berühmte Glockenpaar zu Köln (oben
S. 96) liegen: oder auf die zwei Apostel selbst, als die an der
Thür des Himmels stehn^«)"?
Endlich Rudolf, abgekürzt und verkleinert Buodi, Rüedi,
gehört so als Appellativname in zwiefacher Beziehung den
Schweizern an. Hier in Basel ist Hans Ruodi ein dummer
Kerl, Ruodi allein im Luzernerbiet ein Mann, aber auch ein
Weib, dem alle schwere und unsaubere Arbeit aufgeladen wird,
ebendort Rüedi, Rüedibueh, Rüedimaitli zuchtlose Knaben und
Mädchen, ein Wüstling Säurüedi: Stalder 2, 288. Zugleich
aber ist Eüedi einer der Hohnnamen gewesen, die das feindliche
46) [Ziegenpeter Zachers Zeitschr, 1, 310. Petermann penis Garg.
E 1 rw, vom Papagei: Diez Wörterb. der rom. Spr. 1, 307 s. v. parrocchetto.l
Die deutschen Appellativnamen. 155
Ausland für die Eidgenossen insgesammt gebrauchte: es kommt
derselbe, in Bidi verderbt und neben dem gleichangewendeten
Heine, in einem Lied von 1515 zu Ehren Bruder Veits d. i. der
Landsknechte vor: ühland S. 475 fgg.
Hans und Jan und Grete, Hinz und Kunz und Benz.u. s. w.,
für alle diese appellativ gewordenen Eigennamen hat sich uns
als der erste und hauptsächlichste und als der überall durch-
gehende Grund und Anlass solcher Verallgemeinerung die Häu-
figkeit erwiesen, mit der sie das Volk zuerst als die wirklichen
Namen einzelner Personen gebraucht hat oder noch gebraucht.
• Nächstdem mag, aber jedesfalls immer nur in zweiter, dritter
Linie, hie und da noch sonst ein Umstand mitgewirkt haben,
den wir, die in der Nachwelt und ausserhalb eines ganzen Volks-
lebens stehn, nur nicht mehr überall herauserkennen, Wort-
spiele mit Appellativen gleichen oder ähnlichen Lautes oder An-
spielungen gleich jener, die dem Namen Leonhard den Appella-
tiven Sinn eines trägen Tölpels gegeben (oben S. 119). Die
Verallgemeinerung aber dehnt den Einzelnamen zuvörderst über
ganze grosse Menschenclassen aus, wie zumal eine der vorherr-
schenden Unarten, die Dummheit, die Faulheit, die Liederlich-
keit sie vereinigt, und es werden, wenn Dummheit zu bezeichnen
ist, im Voraus etwa männliche, wenn Liederlichkeit, weibliche
Namen gebraucht. Von den Menschen geht es sodann nach der
einen Seite zu den dämonischen Wesen: Furcht und Wollust
sucht denselben zu schmeicheln, indem sie ihnen menschlich ver-
traute und in der Form schon kosende Namen beilegt. Und
menschlich und schmeichelnd gleich den Dämonen werden auch
Krankheiten benannt^''), die ja dem Aberglauben nur Dämonen
sind, welche den Leib oder ein Glied desselben in Besitz ge-
nommen, die er auch als solche mit Segenssprüchen beschwört
um sie zu vertreiben oder herauszulocken. Ebenso mag ausser
dem Scherz und der Lüsternheit eine dämonische Auffassung in
den Fällen walte«, wo einzelne Glieder Namen nach Menschen-
art empfangen: ich denke dabei, auf Grund der gehaltvollen
Erörterungen Wilh. Grimms, vorzüglich an die Fingernamen, an
47) [Vergl. die persönlich gebildeten Krankheitsnamen Brenner^
Gluckser, Kreister, Laufer, Meuchler, Pfitzery Pfeifer, Verleider. —
Beutelmann Fieber, Blattermann Kindspocken Schmeller 1, 219. 2, 580.]
156 I^ie deutschen Appellativnamen.
Namen wie Langmartm und Lange Mar je, Entstellungen von
lancmar, die für den Mittelfinger gelten, Klein Jäckchen und
Johann für den vierten, aber auch Kort Johann für den Zeige-
finger, und Piphans und Peter Müllermann für den kleinen:
W. Grimms Exhortatio S. 32 fg. Simrocks Kinderbuch S. 6.
325. Nach der anderen Seite lässt sich die Namengebung bis
zu leblosen Dingen hinab, zu Speisen, Kleidern, Geräthschaften:
aber es geschieht um dieselben zu vermenschlichen und weil
man sie auch schon sonst vermenschlicht: heisst doch auch der
Stiefelzieher Stiefelknecht, eine Tabelle, die einem beim , Rechnen
hilft, Bait' oder Beclmiknecht (oben S. 60, vgl. Frisch 1, 527b),
und den Baiern sind Brotmannl und Bettelmann und der hlinde
Mann Brei und Mus und Gebackenes: Schmeller 2, 584*^).
Am weitesten endlich von dem UrbegrifF entfernen sich die Zeit-
wörter, deren Herleitung von Eigennamen erst die appellative
Umwandlung der letzteren vermittelt: petern zum Beispiel, un-
mittelbar von dem wirklichen Eigennamen Peter selbst gebildet,
wie es Ottocar einmal braucht („den man iezuo päbest siht, weiz
got der petert niht: wan ob er petern wolde, weiz got, s6 solde
er nu niht wesen sein-" 455 a), braucht eben auch nur er diess
eine Mal so: bei dem jetzt üblichen Sinne des Zeitwortes aber
(oben S. 153) de^kt schwerlich jemand mehr an den Eigen-
namen: der appellative Umstandspeter liegt verdeckend da-
zwischen.
Ich habe jedoch mit diesen übersichtlichen Bemerkungen
einigermassen vorgegriffen, insofern sie theilweise auf Beispiele
sich beziehen, die erst noch anzufahren sind: denn es ist noch
eine beträchtliche Anzahl appellativer Eigennamen übrig. Es
könnte diese Zahl noch um vieles vermehrt, die Belege könnten
überall noch mehr gehäuft werden , wenn ich auch die nordischen
Sprachen und besonders die englische mit hereinziehen wollte,
die wie bekanntlich an Koseformen der Eigennamen, so auch an
bald zarter, bald launiger und derber Appellativverwendung der-
selben überreich ist. Aber ich enthalte mich, wie schon bisher
48) [Münzen: Dreier, Dreiling; Petermann Frisch 2, 46 a. Henkel-
mann Weist. 3, 311. — Ackerwurz Calmus, Ackermann caridirter Calmus:
Frisch 1, 10 b. phefferman Pfefferbrühe Suchenw. 31, 164 fg. in Basel
GläUemd Glättmann ein Plättbrett, Päffchen, Halsbinde der Geistüchen.]
Die deutschen AppellatiTnamen. 157
durchweg geschehen, um mir und den Lesern Zeit und Kraft zu
sparen, und beschränke mich fortan lediglich auf Deutschland.
Und hier wird nach wie vor die Hauptquelle, aus der wir auch
für diesen Theil unserer Sprach- und Culturgeschichte dankbar
und mit Wehmuth schöpfen, das Bairische Wörterbuch von
Schmeller sein.
Adelheit, in Murners Luth. Narren Z. 1371. 3980. 4172
der Name eines umherziehenden Spielweibes. [Adelheit Berthold
114, 31. Heinz und Addheit Eyering S. 70 fg. Aleke Minnes.
3, 91 a. kamerdlke ßeineke V. Gl. 3, 4, 12.]
Aegiditts hat zwei Koseformen, die ^ine, näher bei dem
Grundwort bleibend, Gidi, die andre, dem französischen Gilles
zu vergleichen, Gilg [Gilje Ruther 3945. Gilege 2926. Jilge
4068] oder, wie auch die Lilie Gilge und Ilge, der Gyps in der
Schweiz auch Ips heisst^ Ilg und hieraus, indem der Schluss-
consonant von Sant oder Sand sich vorn daran heftet, Till oder
Dill: ebenso ist in der Schweiz der Vorname Urs zu Durs, in
Basel die Sanct-Alban- und die Sanct-Elisabethenkirche zu einer
Dalben und Delsbethen geworden*^), in , Baiern Sanct- Annen-
brunn, Sanct-Annengärtlein zu Tannenbrunn und Tannengärtlein:
Schmeller 2, 695; vollständiger noch mit doppeltem Zungenlaut
schreiben ältere Urkunden Sanct Turban für Urban und eben
auch Sand Dyligen d. i. Sand lligen, Sanct Aegidien tag: ebd.
3, 274. Eine dritte Form Didel (Schm. 1, 358) kann zugleich
Erweiterung von Dil und Verkleinerung zu Gidi, Sand-Idi sein:
diese kommt jedoch nur in appellativem Sinne vor. So aber
gebraucht, ist Gidi^ Strmnpf-Gidi ein unbesonnener, leicht sich
übereilender Mensch (Schm. 2, 11)^ Didel [mein kleiner Dille: ,
. Garg. 241] und mit imperativischem Zusätze TU Tapp (Garg.
367. H. Sachs), Dill Dapp, Dille Dapp, Dil Tapp, Didel Tapp,
Worte wie oben S. 136 Hans Tapp, ferner Happerdidel und
Lattidel, wer sich närrisch und übereilt oder auch mit schläfriger
Einfalt benimmt, ein, Narr, ein Tropf: ebd. 1, 358. 365. 450.
2, 221. 512. Schmids Schwab. Wörterb. S. 126; bei Abraham
a S. Clara (Judas *4, 188) „ein läppisch Kind oder kindischer
Läpp und Tidltapp^^; andre Stellen, bereits vom fünfzehnten
49) [n aas don^ dominus: Diez Gramm. 2, 276.]
\
158 ^^6 deutschen Appellativnamen.
Jahrhundert an, im deutschen Wörterbuche d. Br. Grimm 2,
1151. Möglich, dass auch Till als der Name des Eulenspiegels
nebenbei auf den Narren zielt: indess konnte Till von Lübeck
aus (oben S. 129) auch den Umwohnenden beliebt geworden
sein; in Lübeck selbst aber war der Name wohl des heil.
Aegidius wegen so beliebt, dem eine der Hauptkirchen geweiht
ist^®). Eine mit dem Ablaut spielende Verdoppelung von Dill
ist Dilli Dalli: Dilli-Dalli-Häusel bauen ein Kinderspiel („dass
Schlimp Schlamp Schlodi sei aller Reichthum Croesi, dass Dilli-
Dalli-Häusel bauen sei alle Pracht Pompei, dass Lirum Lamm
sei alle Wollust Sardanapali gegen die mindiste Ergötzlichkeit
des Himmels" Abr. a. a. 0. 1, 149; ebd. S. 478. 7, 38; Hui
und Pfui der Welt S. 600); Dille Dalli, Dille Delle: Schmid
S. 126. Schmeller 1, 364; dazu bei Luther auch ein Zeitwort
tiUen teilen: Br. Grimm 2, 1150. [dallen Eyering S. 61.]
Anna. „Warum so maulhengkolisch? hat ihm der Schauer
in Beutel geschlagen, oder das Wäscher-Annel ein Eepuls ge-
geben"? Schuppius 1, 873. In Ulm S, Anna ein schmerzlich
schimpfliches Strafgerüst für Weiber, eine sogenannte Geige:
Schmid S. 24; aus welchem Anlass?
Appollonia. „Die Appd, unflätige Weibsperson, schwatz-
hafte Person" Schmeller 1, 88; adjectivisch appelhaft albern:
Schmid S. 6. [In Zürich Appel auch für Männer und als freund-
licher Schimpf im Sinne von Narr gebraucht.]
Barüwlomäus, Koseform Bartel, Meister Bartel der Henker:
„Noch Barthel [wollte ich heissen] vonwegen des trockenen Bart-
scherers Meyster Bartheis"? Gargantua M 7 vw. -^eissbartel
ungeschickter, Schusshartel überlebhaftef Mensch (Schmeller 1,
203. 2, 74. 3, 411), Schmvtzbartel und einfach Bartel in Steier-,
mark ein Kobold: Mythol. S. 483. Dass aber Bartel, obgleich
Schuppius in der bekannten Redensart „wissen, wo B. den Most
holt" einmal die Form Barthold gebrauchen soll (Wörterb. d.
Br. Grimm 1, 1145 mit unfindbarem Citat*), dennoch nicht
50) [Fischart Eulenspiegel Cap. 1 : und man hesz in dem Tauff ge-
schwind Tyl Eulenspiegel das schwn Kind, dann def^ Nam ist daselbst
(Dorf Knettlingen in Sachsen) gemein, gleich wie bei uns der Hans mag
sein. Murners Ulenspiegel gibt diese Erklärung nicht.]
*) [es steht Seite 617 der Schuppiusschen Schriften, Frankfurt 1684.
Heyne.]
Die deutschen Appellativnamen. 159
von Barthold, sondern von Bartholomäus komme, zeigt eben
dieser Schuppius an einer andern Stelle, welche zugleich die
ganze Kedensart erklären hilft. Er sagt 1, 121 „wo man Holz
umb Weynachten, Korn umb Pfingsten und Wein umb Bar-
tholomsei [24. August] kauft, da wird Schmalhans endlich Küchen-
meister": wer aber nun weiss, wo Barthel dennoch Most holt,
wo man um Bartholomäi sogar schon neuen Wein kaufen kann,
der weiss unter allen, auch den schwierigsten Umständen sich
zu rathen. Ein Bezug aufs Trinken liegt also in der Kedensart
ursprunglich nicht: der weiter abgeleitete Imperativausdruck für
Trunk, ein Trink Bartel (Br. Grimm a. a. 0.), legt ihn erst
hinein. Im Hennebergischen endlich ist Bartel eine Mütze, eine
Pelzhaube, schwerlich, da das Geschlecht ebenfalls männlich ist,
„aus dem alten Baretlein zusammengezogen" (Schm. 1, 203):
das Wort mag den Eigennamen auf das Appellativum Bart hin-
lenken wollen, wie das wohl auch im Geissbartel der Fall ist
und das auch Fischart dort mit seinem trockenen Bartscherer
Meyster Barthel meint^^).
Caspar ist ein üblicher Knechtsname (oben S. 319), Kasperle,
Kasperl der schalkhaft dumme Knecht im Puppenspiel und da-
von kaspern, käsperlen, kasperln zum Narren haben, necken
(Schmeller 2, 338. Schmid S. 306); Caspar, Kasperl, Käsperle
aber auch der Teufel (Schmeller a. a. 0., Mythol. S. 1016) und
als Sachname ein Zehnbätzner^^). Die B^densart Casparschmalz
anstreichen^ die jetzt s. v. a. schmeicheln ist (Schmeller a. a. 0.),
wird ursprünglich den mehr handgreiflichen Sinn des Bestechens
besessen haben.
[Christian in der roth welschen Grammatik (oben S. 114)
Jacobsbrüder.]
Christoph oder Christoffel aus Christophorus, die Kose-
51) [Bartelf Narr, einfältiger Mensch. Dummer Bartel, Auch Lach-
bartel Lachnarr: Schmid, westerwäld. Idiot. S. 14. Schoszhartel j Schusz-
bartel j Geck, Hasenfuss, Spassmacher : ebenda S. 208. Saubartel unrein-
licher Mensch. Vgl. Pfeiffers Genn. 14, 219.]
52) [Teufel der schwarze Kaspar: Frey tags Bilder aus der deutschen
Vergangenheit 2, 77 aus einem Bericht über die Belagerung der Stadt
Pilsen 1619. Caspar der Mohr unter den heiligen drei Königen, Teufel
der hellemör.]
160 1^16 deutschen AppellatiYiiamen.
formen Stoffd oder Stöffd und Töffd. Auch dies^ wiederum
Knecht3namen mit dem Nebenbegriffe der Faulheit: „wol auf,
Gretlein und Stoffel" in dem alten Liede vom Schlaraffenland«
(Haupts Zeitschr. 2, 566); und die Bezeichnung jedes unge-
schickten einfaltigen Menschen: SchmeUer 3, 619; wenn Fischart
im Gargantua M 7 vw. fragt „Noch Stoffel [wollte ich heissen],
weil alle Seulgötzen und die Heustoffel und das Lied Stoffel,
lieber Göffel also klingt"? so weiss ich nicht, ob die Seulgötzen
hier im eigentlichen Sinne von Bildsäulen der Heiligen oder un-
eigentlich und persönlich wie Götz und Oelgötz zu verstehn sei:
in beiden Fällen aber erscheint als Anlass der appellativen Wen-
dung des Eigennamens die Häufigkeit der Christophorusbilder:
vgl. oben S. 119. In Niederdeutschland ist Muckstoffd ein
mürrischer Mensch, im südlichen das Zeitwort stoffdn s. v. a.
zum Narren haben: „Lass mich jetzt gleich mein Lied vorsingen,
oder\ich glaub, du stoffeist mich" (Maler Müller in Bacchidon
Uv Milon); anderswo, indem noch das Zeitw. stapfen mit ein-
fliesst, bezeichnet stoffein ein zugleich ungeschicktes und unver-
drossenes Vorwärtsschreiten. [In der Pfalz ehemals Stoifd
Rundhut beschränkter Tölpel: Biehls Pfälzer S. 227.]
[Cordula: Kordel dumme Weibsperson Schmeller 3, 329.]
Dorothea. Die Verkleinerung Duredil, die Verkürzung Durl
jede Weibsperson: Schmeller 1, 390. ,
Elisabeth, in den Koseformen Else und Lise. Häufiger
Weibername: „Hainzen Eis und Cunzen Gret" Mumers Schel-
menzunft Cp. 1; darum auch häufig als Name leichtfertiger so-
wohl als thörichter Weiber: auf dem Titel des Buches de fide
meretricum der Wahlspruch „Ach lieb Eis biss mir holt"
[Zarnckes Univ. im Mittelalt. 1, 87. 91 fg.] und das 34ste
Märchen der Brüder GHmm von der klugen, aber nur ironischer
Weise klugen Else; im nördlichen Deutschland heisst jede dumme
Weibsperson eine dumme Lise, in der Schweiz ein Mädchen, das
viel und unnütz lacht, eine Kitterelsi. Aus dem Begriff der
Geliebten, die stets zur Hand ist, leiten sich die zwei Sach-
begriffe des Namens her: Lise bezeichnet auch einen grossen Trink-
krug und das Strohbund, worauf sich vormals die Soldaten legen
mussten um Stockprügel in Empfang zu nehmen: Schmeller 2,
499. [füle las, anagallis arvensis: Schiller Thier- u. Käuterb.
2, 30.]
Die deutschen AppellatiTnamen. 161
Eustachius, Stackes, Stacks, „auch als scherzhaftes Appella-
tiv üblich": Schmeller 3, 606.
Eva. „Meine Eva" A. i. mein Weib; „mein Adam" habe
wenigstens ich noch nie gehört. Schwätz -Evel: die Mundarten
Bayerns v. Schmeller S. 516.
Franz ein weicher schwacher Mann: Stellen in Haupts
Zeitschr. 8, 511.
Friederick, Fritz. B. Waldis in der Erzählung eines Lalen-
burgerstreiches (er nennt „die tollen Leut zu Dölpelbach")
Esop 4, 90 „Weil sie da bey einander sassen, Allsam ihr eigen
bein vergassen; Weil sie all waren wohl gekleidt, Wisten sie
keinen unterscheidt und blieben wie die tollen Fritzen Biss an
den abent da besitzen; Vor thorheit dorft auch niemandt fliehen
Oder sein Bein erst an sich ziehen". [Cünz und der Fritz:
Schade Sat. u. Pasqu. 2, 119. Fritz Hanenfeder: Hartlieb de
fide meretr., Zarnckes Univers. 1, 82. Fritz Regenspat Garg.
442. dieser lose Fritz Fischarts Dichtungen von Kurz 1, 208.
norddeutsch Läusefritz Lausekerl.]
Gabriel, Häufiger Name: Weinlied im Liederbuch der Hätz-
lerinn S. 66 b „mit Götz und GäbUn machst du solchen plas,
Das ainer mass Dem andern, das Die locke flocke rüeren als
den flass". Gaberl unbesonnener, übereilt handelnder Mensch,
gaherln übereilt handeln: Schmeller 2, 9.
Georg. Eabener in seinem Beitrag zum deutschen Wörter-
buche unter dem Worte Deutsch „Man nennt sie auch römisch-
gesinnte Männer oder lateiniscke Gör gen, zur schuldigen Ver-
geltung der deutschen Michel" (oben S. 61). Weiter ab von
Georg liegt Jodel, Joel, ^Tol, das aber auch als Koseform zu
Jodocus (Schmid S. 300 führt jodokenmässig im Sinne von ab-
geschmackt, Schmeller 2, 264 jodelmässig in dem von grob und
lärmend an) und selbst zu Jacob gebraucht wird [vergorgelen,
verjörgelen, verjodelen Pischart Leseb. 3, 482, 41. vgl. 28.].
Ayrer nennt einmal, in seinem Servius Tullius, den Narren
Jodel; wieder als Knechtsname erscheint er in Salzjodel, der
bairischen Benennung der Pferdeknechte bei der SalzschiflFfahrt
(Schm. 2, 263): sonst in neuerer Zeit bedeutet es, als Ernste
und als scherzende Schelte und eben im Kückblick auf den
streitbaren S. Georg, einen groben lärmenden händelsüchtigen
odej überhaupt mtr einen widerwärtigen Menschen (Frisch 1,
Wackernagel, Schriften. UI. 11
162 ^i® deatflchen Appellativiiamen.
489 c), wie man denn auch Baufjodel und selbst von einem
Stiere Jodel sagt [Kropf- und Topfjodd Abr. a S. Clara 19,
23.]. Auch das Zeitwort jodeln, jolen möchte eher auf diesen
Appellativnamen als auf einen Naturlaut jo zu beziehen seip,
da es nicht bloss, das Solfeggieren der Sennen, sondern auch
Geschrei und Lärm und eine jodelmässige Auffuhrung bezeichnet.
Gertrud. Eine dicke T^-udel: vielleicht, weil trudeln s. v. a.
rollen ist [(dicke) Trutschel dickes Mädchen, Weib. Kommt das
Verbum trudeln erst von Trudel?].
Gottfried. In der Studentensprache wird ein Hausrock der
cdte Gottfried, von Seume in seiner Selbstbiographie 'die ßuthe
Birkengottfriedchen genannt. Die Koseform Götze kann da, wo
sie appellativ einen dummen Menschen meint, ebenso wohl und
noch eher das verächtliche Verkleinerungswort zu Gott sein
(oben S. 119): als stellvertretenden Gemeinnamen haben wir
Götz schon vorher unter Gabriel gelesen.
[Herman. Si, welcher Hermanf sprach der Mai; du oeder
gauch, läss dein Geschrei! Hätzlerin S. 249 a. vgl. oben S. 87.]
Jacob, bis auf uns einer der häufigsten Namen und des-
halb mannigfach appellativ gebraucht. Schon Jacob selbst er-
scheint nur als zufallig ergriffene Stellvertretung, als Name
überhaupt in der Redensart der wahre Jacob und in dem Spiele
„Jacob lacht"; noch häufiger so und mit weiterer Forteutwicke-
lung des AppellativbegrifFes die Koseformen Jack, Jack, Jäkel,
Jäkel, JäMin, die mehr dem nördlichen und mittleren Deutsch-
land, Jocki und Jockeli, die voraus dem oberalamannischen eigen
sind [franz. Jacques Bonhomme, JacquerieY^). Auch diese
meinen zunächst nur irgend jemand, wenn Mumer in der Schel-
menzunft Cap. 1 sagt „Wie Hainzen Eis und Cunzen Gret Den
53) Thomas Platter, da er ein Holzbild des Johannes in den Ofen
schiebt, sagt dazu „Jögli, nun bück dich! du must in den ofen" (Ausg.
V. Fechter S. 37 . Hienach könnte Jögli auch Koseform zu Johannes
scheinen wie im Englischen Jack und Jachy zu John. Ich habe indessen
bereits anderswo nachgewiesen (Beiträge der histor. Gesellschaft zu Basel
3, 375 fgg.), dass Platter nur Worte des Kalenbergers wiederholt, ge-
sprochen, als dieser wirklich mit einem S. Jacob heizte: „Bück dich
Jäcklin! du must in ofen". Die Sprichwörtlichkeit, welche dieselbe er-
langt, geht aus ihrer Benutzung auch in Mumers Narrenbeschwörung 4,
195 hervor. * •
Die deutschen Appellati vnamen. 163
Jäcklin mit bezalet het" oder Moscherosch im Sittewald 2, 13
„da sehen wir allererst wo Jäckel in den Bohnen gesessen,
wann sie nun sind aussgelochen" und S. 182 mit einem Vocal-
spiel desselben Sinnes, wie die Mher (S. 146) besprochene
Allitteration Hans oder Heiri, „Das heisset dann Hanss hienüber,
Gauss herüber; JäcJcd hienauss, Jockei herein; Gans tiber Meer
und wieder herüber", wenn femer eine ausgestopfte Menschen-
figur, wenn auch der grosse grossköpfige Schmiedebauer und ein
grossbauchiger Erug Jäkel genannt und Zusanimensetzungen da-
mit gebildet werden wie Hurenjäkel, Schmier jäkel , Taubenjäkel
d. i. ein Taubenliebhaber (Schmeller 2, 266 fg.) und in Nord-
deutschland Schuhhjak d. i. ein armer Schuft \Graüel JäcMein
Garg. 269]. Dann aber ist Jocki, Jockeli insbesondere ein
Bauer, ein Burejocki, wie auch die Fastnachts Verkleidung in einen
solchen heisst, Hansjockelisuppe eine Suppe, dergleichen sonst
nur die armen Bauern essen, aus Hau d. i. Hans Jockei ent-
stellt Hanokel in Schwaben ein tölpelhafter Mensch (Schmid
S. 261) und Jockei oder Jockeli der Name des faulen Knechts
in den Kinderliedem vom Haferschneiden und vom Bimen-
schütteln (Simrocks Kinderbuch S. 267. 269), Jäkel der des
missachteten und missbrauchten: ,',Er muss ein Jäkel und Asche-
prodel sein" Matthesius bei Frisch 1, 312 b. Endlich bezeichnen
auch diese Worte wiederum den Narren: „Das sei der wunder-
lichste Joggi, den es auf der Erde gebe" wird von einem gesagt,
der wirklich so heisst „und dJoggeni seien doch füra etwas
wunderlich: es wohne dem Namen an" Gotthelfs Uli d. Knecht
S. 147; „sie sol den man für keinen lapen, Jäckel halten oder
tiltappen" Meistergesang von 1608, Wörterb. d. Br. Grimm 2,
1151. [Jockei Dummkopf, Thor: Hub, kom. Pros. 2, 44. Joggel
freundlicher Schimpf im Sinne von Narr: zu Zürich.] Und ich
denke, unser Geck, früher auch Gäck geschrieben [jeck H. Sachs,
Leseb. 2, 99, 3], ist eigentlich und ursprünglich nichts andres
als eben Jäck; die Vertauschung von J und G mögen die
Niederdeutschen verschuldet haben. Murner verbindet einmal
die beiderlei Schreibungen: „stosst an gecken Jecklins garten"
Luth. Narr Z. 216; die Armagnacs wurden von den Deutschen
ihrer Zeit die Armenjacken, die Armjacken, die Armjäcken, die
armen Jecken und auch bloss die gecken genannt: Schilters
Königshofen S. 912 fgg. Uhlands Volksl. S. 799. Gecken als
11*
164 Die deutschen Appellatiynamen.
Zeitwort bedeutet zum Narren haben (Frisch a. a. 0.), jäkeln
mit Ausgelassenheit lärmen (Schmeller 2, 267). Nächst all
diesem noch eine Koseform, Boppe oder Poppe nebst der Ver-
kleinerung Boppi, Böppi. Heut zu Tage ist nur noch die
letztere und zwar in der früher (S. 129) angegebenen Baums-
und BegriflFsbeschränkung üblich: das Mittelalter brauchte mit
geschichtlichem Bezug auf einen berühmten Fresser und starken
Mann zu Basel, den Dichter Boppe (vgl. Haupts Zeitschr. 8,
347), Poppe auch in weiteren Kreisen zur appellativen Bezeich-
nung eines Schwelgers wie eines Grosssprechers (Neidhart v.
Haupt S. XXni) und verpoppdn im Sinne von verschlemmen:
„der Poppen ist s6 vil worden, daz sie der gotsheuser guot und
er verpoppelnt (Zeitschr. a. a. 0.). Im sechzehnten Jahrhundert
aber ist „grosse Popen sagen" mit einer Wendung in den ab-
stracten Sachbegrifif s. v. a. Grosssprecherei: Frisch 2, 66 a.
[verpopitzen vertrödeln, verschwenden. Frisch 2, 66 a.]
Joachim, Jochen, der öfters so genannten Landesherren
wegen einst ein Lieblingsname der Märker (oben S. 129), bleibt
auch mit seiner appellativen Verwendung innerhalb des Nord-
westens von Deutschland, als Schwahbeljochen d. i. Schwätzer
und verkleinert als Chimke, Chimmeke, Gimken, die Benennung
eines Hausköboldes: Mythol. S. 471 fg. Der gute Jochem d. i.
guter Wein bei Hebel 3, 227 ist nicht der alamannischen
Mundart entnommen, und nicht s. v. a. Joachim, sondern roth-
wälsch.
Joseph. Die Koseform Sepp bei den Schweizern appell^iv
in scheltender Bede, z. B. du wüester Sepp!
Karl. Unser Kerl,^ das schon die alte Sprache als den
geringschätzigen Ausdruck für Mann gebraucht („keiser Tyberius
der alte kerl" Pass. 157, 5, Kerl rusticus Teuthon., Kerleman
Bauer, Reinke 5357) und die jetzige gelegentlich selbst auf
Weiber anwendet um von ihnen recht mit Nachdruck zu reden,
möchte ich, so nahe das auch und besonders deshalb noch zu
liegen scheint, weil vorzüglich der Geliebte eines Mädchens ihr
Kerl heisst (Schmeller 2, 330) doch nicht unmittelbar auf das
alte Appellati vum charl oder karl d. i. vir, maritus, amator,
vetulus (Graflfs Sprachsch. 4, 492), sondern nur auf den Eigen-
namen zurückführen, der aus diesem Appellativ hervorgegangen
ist [sg. K&rUs Garg. 273. 302. 449. Nachtrab 2874. plur.
Die deutschön Appellativnamen. 165
Kerles Garg. 33. 248. 331. 386. 392. 396.]. Karl im Sinne
von- Mann ist offenbar den meisten Deutschen schon in früher
Zeit ganz ungeläufig geworden: sonst hätte z. B. nicht der Ver-
fasser der liefländischen Keimchronik Z. 4683 das schwedische
hlotkarl t^Opfermann, Priester) in bluotekirl entstellen können;
der Eigenname blieb ihnen stets geläufig. Aber auch dieses
nur als ein fremdes, über den Rhein gekommenes, nur der Ge-
schichte angehöriges Wort, weshalb auch die Mundart des obern
Alamanniens ihn noch heute nur mit K, hier ausnahmsweise
kein Ch spricht. Und ebenso spricht sie Kerl, nicht Cherl aus.
Auch das Geschlecht des hier zu Kerl gebildeten Verkleine-
rungswortes beweist, dass ihm der Eigenname zum Grunde liege :
es heisst nicht das Kerli wie das Männli, sondern der Kerli •
wie der Hänsli. Den Umlaut aber von Karl in Kerl mag die
schon im Mittelalter oft genug begegnende Nebenform des ersteren,
die Verkleinerung Karlin (\rgl. z. B. die Lesarten im Schwab.
Landr. Cp. 31. 98. 273. Gesammtabent. 2, 78), veranlasst
haben; noch jetzt sagt der Schweizer eher Karli als Karl und
sagt gerade von Karl d. Grossen so: „Karlis Hof" Gotthelfs
Uli d. Knecht S. 73 [das Bild Karls d. Gr. am Zürcher Gross-
münster heisst Karli Keiser], Daher auch für Kerl die alte
Form Karle: „Loss, Karle" in Geilers Narrenschiff von*Höniger
Bl. 28 VW. Cärles bei Schupp 1, 133 u. a. steht in der Mitte
zwischen Karle und Carolus. [Karins Weist. 4, 755. Carles
Garg. 314. Kärlin ßoUw. 93, 17. Kerlin Grobianus öfter.
Kerle Froschmäus. Q q 1 a.]
Kilian: Meister Kilian, der Scharfrichter. Lauremberg
Sat. 1, 362 und Anmerkung S. 215 fg.
Lorenz und hiezu Letiz (Schmeller 2, 485), nicht zu Lant-
frid, wie das Wörterbuch der Br. Grimm 1, 1477 angiebt:
denn Lantfrid wird in Lanz, althochd. Lan:^o abgekürzt: Förste-
^ mann 1, 831. Lenz appellativ gesetzt, giebt es einen faulen
Lenz oder Fatdenz: ein Gedicht H. Sachsens von 1554 führt
den Titel „Ein gesprech mit dem faulen Lentzen, welcher ein
Hauptmann des grossen Faulen Hauffen ist"; die Basler Ver-
deutschung von Geilers Narrenschiff hat Bl. 259 vw. die Aus-
drücke „0 du fauler Lentz, gehe zu der Omeiss und lehre von
ihr" und „solche faule lentzen und weinschleuch"; „Der Faulenz
und das Lüderli sind zwei Zwillingsbrüderli" Sprichwort bei
166 Die deutschen Appellativnamen.
Simrock S. 106 [fatUer Lenz Wunderhorn 2, 442 fg. dm faulentz
B. Waldis Aes. 4, 19, 111]. Davon noch unser Zeitwort
faullenzen. Man sagt aber (so verbunden scheint mit dem Lenz
die Faulheit) in gleicher Bedeutung auch bloss lenzen (Schmid
S. 353); Abraham a S. Clara im Bescheid-£ssen S. 557 „dass
der October zu Weinhaus und der August auch zu Lenzenau
ist, zu welcher Zeit es Faullenzer genug abgibt" : der Lenzteuf d,
den derselbe im Judas 4, 310 unter anderen Teufeln der Weiber
aufzählt, ist also der Faulheitsteufel. Und wenn lenzen im
sechzehnten Jahrhundert zugleich s. v. a. betrügen ist („Er wird
mich heut also nit lenzen, Wie der Fuchs mit seinem Fuchs-
schwenzen" B. Waldis Esop 4, 73), so mag das aus einer sitt-
lich-sinnlichen Anschauung derselben Art erwachsen sein wie
das Wortspiel der Thrymf kviöa Str. 10 „liggjandi lysi um
bellir". Dann aber ist ohne den Nebenbegriflf der Faulheit Lenz
überhaupt nur irgend einer: so in den Zusammensetzungen
Brennsuppenlenz ein Mensch, der schlecht, aber viel isst (Schm.
3, 277), und Hemedlenz der im blossen Hemde geht, obscön
das männliche Gemachte: ebd. 2, 485. Auch der mittelste
Kegel im Spiel wird Lenz oder Lenzl genannt: wiederum weil
er gleichsam faul am häufigsten und längsten stehn bleibt?
Ludmg: die Koseformen Lutz und, zunächst dem lat.
Ludovicus sich anschliessend, Wickel. In Heinrichs v. Müglin
fünftem Liede Str. 2 „des si (die Geliebte) vorkom mich hat
und spricht „was sal der aide Lutz"? Wickel ein leichtsinniger,
nachlässiger Mensch: Schmeller 4, 20. [Lutz aus Lucas? Lötzge,
Hub, kom. Pros. 2, 250?]
Mahtilt, Mehtilt, das ganze Mittelalter hindurch ein viel-
gebrauchter Weibemame, so dass ich lieber hierauf als auf das
weit seltnere Madalhilt (J. Grimms Gramm. 3, 692) die Kose-
form Matze oder ebenfalls umlautend Metze beziehen mag**).
54) [Vergl. Maria Miez Schmeller 2, 663.] Eine gar vornehme Her-
kunft und alten Ursprung giebt den Hetzen Moscherosch in seinem Weiber-
Lob (Sitt«w. 2, 271): ,Es ist noch mehr also gewesen, dass die Weiber
Meister waren: die Mätzen sind noch in den Historien bekant (welche die
Lateiner auss und nach dem Uhralten Teutschen a mätzo, eine Dirne, ein
rechtschaffen Weib genommen und declinando in ihre Sprach gezogen und
a mazo Amazones genant)". Eine Wurzel, als wäre sie in dem Feld
Idistaviso, wie dessen Namen ein grosser Historiker erklärt, gewachsen.
Die deutschen Appellativnamen.
167
und selbst an Margareta würde ich noch eher als an Madalhilt
denken; WQpn hier nicht die Abkürzung in Grete (oben S. 130 fgg.)
so häufig und geläufig wäre. In seiner appellativen Verwen-
dung geht Metze durchweg neben Grete her. Erstlich setzt es
die alte Dichtung und schon die yolksmä£(sige Hofdichtung des
dreizehnten Jahrhunderts gern, wo ein Mädchen überhaupt, wo
besonders eine Bauerndime [stiffelbraune BaurmmätzUin Fischart
Pract. B ij rw.], wo eine Magd, wo eine Geliebte niederen
Standes mit einem Namen zu bezeichnen ist, der stellvertretend
für alle und vor andern gelte: Matze y. d. Hagens Minnes. 2,
82 b. 87 a. Metze 1, 25 b. 5, 78 a. 88 b; eine Magd Matz bei
Helbling 1, 992 fgg. Metz in den sieben weissen Meistern 81,
17; „min maget heizet Metze" Müller Samml. 3, XXXVIÜc;
die hüpschte m^^r Bollwageubüchl. 62, 21; Metz und Bez, Metz
und Petz, Mäczli und Bertschi das Liebespaar in Meier Betzen
Hochzeit (Diutiska 2, 78 u. a.), in Albrechts von Eibe Ver-
deutschung der Philogenia TJgolini und in Wittenweilers King;
Mäz und Contz, Matz und Kuonz Uhlands Volksl. S. 340.
Narrensch. 61, 27; Metz und Heinz Uhl. S. 640. Dann aber
ist Metze (denn nun waltet der Umlaut fast ausschliesslich vor)
ganz appellativ -s. v. a. Mädchen niedem Standes, etwa schon
mit dem Nebenbegriflfe der Leichtfertigkeit: „er lasst mit im nit
scherzen, dieweil er ist bein metzen" Uhland S. 656. „Der
gwan ein junge Metzen lieb" B. Waldis Esop 3, 61. „Er nam
ein junge Metzen wider" 4, 42. „Er nam ein junge freche
Metzen" 4, 70. „Ein junge Metz nam zu der Ehe" 4, 76.
„Ein schöne junge Metz on liebe" 4, 93 (die Priamel, die
Waldis hier in endloser Breite ausfährt, hat sonst „Ain junge
maid on lieb": Kellers Alte gute Schwanke S. 17); noch jetzt
wird den Mädchen um Straubing mit dem Namen Motzet ge-
liebkost: Schmeller 2, 659. Weiter eine leichtfertige Geliebte
und die Beischläferinn Eines oder Vieler, eine Hure: Lied des
15. Jahrh. in Pichards Prankf. Archiv 3, 283 fgg.; Metzen und
im Gegensatze dazu „erber frowen" Narrensch. Vorrede Z. 114.
123; „Und schlagent luten vor der tür. Ob gucken well die
mätz har für" ebd. 62, 8 (vgL Zarnckes Anm. 300); „Ein
Pfaff, het ein gut Vicarey Und ein gar schöne Metz dabei"
Esop 4, 39; Ambraser Liederb. S. 245; Schmeller 2, 660.
[Hadermetz ein Mann H. Sachs 1, 175. 179. Pischarts Dich-
168 I^e deutschen AppellatiYnamen.
tungen v. Kurz 1, 120. KoUwagenb. 60, 24.] Zuletzt, mit
vollster Verächtlichkeit, heisst sogar (Schmeller a. a. 0.) eine
Hündinn so. Von dem Aufruhr der Walliser gegen den Bischof
von Sitten im J. 1414 erzählt Tschudi 1, 675 b „die WalUser
rüstend zu ein grossen Kolben, den namptends die Matzen, und
welcher in der Bottierung sin wolt, der schlug ein Rossnagel in
Kolben, und der den Kolben trug, ward der Matzenmeister ge-
nämpt. Si wurfend ein Panner uflF, daran was ein Breckin ge-
malet mit vil junger Hunden": bezeichnend für die sprachlich
getheilten WalUser : Matze als Benennung des Kolbens ist ein
romanisches Wort, ital. mazza, französisch masse: für die
Deutschredenden aber ward in das Banner eine Matze oder
Metze, eine Hündinn gesetzt. Der Leser wird wahrgenommen
haben, dass übereinstimmend mit einer, im Beginn dieses Ab-
schnittes (S. 128) gemachten Bemerkung der appellative Ge-
brauch des Wortes nicht über das fünfzehnte Jahrhundert zurück-
reicht: es kann demnach nur ein ausschmückender Zusatz erst
dieser späteren Zeiten sein, wenn die Thüringischen Chroniken
(Deutsche Sagen d. Br. Grinma 2, 334, Rothe hat davon noch
nichts) erzählen, Ludwig der Eiserne, als er noch nicht hart
geschmiedet war^ sei von seinen Edelleuten „Landgraf Metz"
geheissen worden. Auch Grete ist die Benennung efnes wei-
bischen Mannes oben S. 137.
Marcus^ Marx in der Redensart „Merks, Marx"! Vgl.
Matthäus.
Maria, so häufig es auch als Name und in so mannigfache
Koseformen es umgeändert ist, unterliegt doch nur höchst selten
einer appellativen Anwendung: es mag sich dem eine religiöse
Scheu entgegengestellt haben. Doch hört man etwa als scherz-
haftes Scheltwort ,,du wüste Marief' „e damischs (verrücktes)
Miel: die Mundarten Bayerns von Schmeller S. 516; ähnlich
die Verbindungen Mari- Eva, Mari-Gredl, Mari-Kot; Mari
Wasch eine Schwätzerinn: Schmeller Wörterb. 4, 189. In Tölz
werden die Mädchen aus dem Isarwinkel Margal genannt (ebd.
2, 608), doch wohl aus eben solch einem Anlass wie in der
Schweiz die Basler Böppi (oben S. 129). [Am Sechseläuten in
Zürich singende Kinder, die Mareieli, Bemer Mareieli heissen.
Sind die drei Mareie im Kinderlied (Simrocks Kinderbuch S. 48)
die biblischen? Aber der Artikel fehlt. — Vielleicht gehört
Die deutschen Appellativnamen. 169
auch Dorfmadey Froschmäus. Y 7 a hierher, vgl. Schmeller
2, 608.]
Maähäus, MattSs, Matz. Als Haupt- und Gemeinname in
dem von Fischart (Gargantua Cp. 25) aufgeführten Spiele „Matz
werfs der Hetzen zu": Matz gleichsam das Masculinum zu Metze;
und in der Vermahnung „Mercks, Matths" (Wend-Vnmuth, oder
Erneuerter Fünflf-facher Hanns guck in die Welt oder Merks
Matths): echter jedoch scheint die andre, auch gewöhnlichere
Form, „Mercks, Marx", die einen volleren Zusammenklang der
Laute voraus hat. Eigentlich appellativ gebraucht, nimmt Matz
wie Matthäus in dem Ausdrucke „Matthäi am letzten" einen
Bezug auf das Adj. matt und bezeichnet einen armseligen nichts-
nutzigen Mei\schen: „Ein Soldat ohne Gottesfurcht ist nur ein
Maths" sagte der alte Dessauer: Vamhagens Biograph. Denk-
male 2, 410; „Die jenige — , welche zwar Verstands gnug
haben und doch der Weiber Herrschaft sich unterwerfen, denen
geschieht an sich Selbsten recht, dieweil sie denselben das Salz-
fass alleine lassen und ihnen damit die Mäuler also zanger und
herbe machen, dass man frische Heringe darinnen einsalzen
könte und er allzeit Mattes vor Hans heissen muss" Simplic. 3,
768. Kürzer di^ jetzige Kedweise Matz heissen d. i. verloren
haben, zurückstehen, nichts sein:^as Gegentheil „Hans heissen"
oben S. 133. Sprichwörtlich (woher?) ist der rath- und hilf-
lose Matz von Dresden: „Er gab mir so ein ungehewren stoss,
dass ich zu boden fallen musste und da im koth gesalbet läge
wie Matz von Drässen" Sittew, 1, 272; „Also sass ich da wie
Matz von Dressdeh und wüste mir selbst nicht zu helfen, viel
weniger zu rathen" Simplic. 1, 531; „biss sich die Sonn neigte
und ich mir nicht mehr zu helfen wüste: da stunde ich mitten
in einer Wildnus wie Matz von Dressden" ebd. 2, 772; wester-
wäldisch heisst es, im Ausdruck noch schmachvoller, „da, stehn
wie Matz' Fotz von Dresden": Schmidts Westerw. Idiotikon ^.
110. Einen gleichbedeutenden schmutzigen Zusatz enth< Matz
Tasche: Frisch 1, 652 c. Zusammensetzungen Hosenmatz , von
Knaben gebraucht, welche die ersten Hosen tragen, Leiermatz
(Des ühralten jungen Leyer-Matzs Lustiger Correspondentz-
Geist 1668),' Lumpenmatz Lumpensammler und Scheissmatz;
Gauchmatz (Sittew. 1, 272) und Plaudermatz mögen an Matz
als beliebten Vogelnamen (oben 4, 154) anknüpfen. Die Berg-
170 1^6 deutschen AppellatiTBamen.
mannssprache überträgt Matz auf matte j2euge, untüchtig Zinn
u. dgl., und auch ein Adj. matzig oder matzicht s. v. a. gering,
armselig ist zu Matz gebildet worden: Frisch a. a. 0. [Pf äff
Matz Garg. 183. Maiz Pump Lauremberg 2, 631 und An-
merkung S. 220. Schreimätzchen,]
Matthias, Abkürzung Hiesd: appellativ ein dummer Mensch,
hieseln zimi Besten haben, überhieseln übervortheilen, betrügen:
Schmeller 2, 260.
[Melcher, YghnntenS. 173: unten im Erdgeschoss (einer kleinen
Weinschenke bei Lyon), das etwas dunkel war, sass der Brud«r
Melcher, d. h. ein armes Volk, das wenigstens an Sonn- und
Festtagen wie vornehme Leute aussehen will, und sollte es auch
statt dem Mantel die Eüchenthür, statt dem Degen die Ofen-
gabel umhängen: Schubarts Beise durch das südl. Frankreich
1, 47.]
Nicolam hat zwei Koseformen, Clam und Nickel, die sich
ganz so verhalten wie von Gatharina Trine und Eatter (oben
S. 148), und wie Trine ist Claus ebenfalls seltner in^appella-
tivem Gebrauch. Zu Fischarts Zeit haben die Schlesischen
Fuhrleute, eigentlich oder appellativ, gern Claus geheissen (oben
S. 129); jetzt nennen die Schwaben jemand, der seltsame Ein-
fälle hat, einen Zuberclaus (Mörikes Hutzelmännlein S. 158):
Schmid S. 551 vermuthet darin eine Entstellung von superlciug
mit Anspielung auf Clav^ Narr. [Sewclausz Zarnckes Univ.
1, 224. Claus Ungewandert Kirchhof Wendunm. 1, 120. vgl.
auch Lawel oben S. 102.] Desto häufiger Nickel. Als allgemein
vertretenden Namen neben Kunz setzt ihn Bachel in seiner
dritten Satire: „Wie viel hat Kunz bezahlet? Wenn stelt sich
Nikkei ein"? Daran dann schliessen sich (vgl. Stalder 2, 239.
Schmeller 2, 677. Schmid S. 407) Zusammensetzungen wie
Dumenickeli Däumling, Filznickel Geizhals, Giftnickel galliger
zanksüchtiger Mensch, Gronnickel Murrkopf, Latismckel und
Nothnickel der in Noth und Armuth steckt, Saunickel, in der
Schweiz (Gotthelfs Uli d. Knecht S. 82) ein schmutziger geringer
Mensch, in Baiern [auch in der Schweiz] mit eingeschränkter
Anwendung der verlierende bei einer Art von Kartenspiel, dem
s. g. Saunickeln, femer Schiefernickel, ein verdriesslicher Mensch
{Schifer Splitter: Schmeller 3, 336), Schornickel oder Schare-
nickeli dem die Haare frisch geschoren sind, Schweinnickel ein
Die deutschen Appellatiynamen. 171
ünfläter, Pumpernickel jemand, der klein und dick ist, Kind
oder Erwachsener [Abraham a S. Clara 1, 171]: pumpf heisst
unförmlich dick und breit, pumpet untersetzt, pumpen hart auf- '
fallen oder anschlagen, einen harten Ton von sich geben:
Schmeller 2, 284 fg. Ein Lied der Landsknechte fieng an
„Pumpernickel ist wieder kommen und hat die Schuh mit Bast
gebunden" (Schuppius 1, 249), das Merkmal eines bäurisch
rohen und bettelhaften AulBeuges: also Pumpernickel hier wohl
s- V. a. plumper Bauer. Von daher ist der Pumpernickel noch
jetzt in Baiem die sprichwörtliche Bezeichnung eines wildlustigen
Liedes: Schmeller 2, 284. [„Eine für uns sinnlos und unver-
ständlich gewordene alte Rede bezeichnet Weissenbui^ (Nord-
gränze des Elsasses) als die Stadt, wo man den Pumpernickel
in der Kirche singt^^i Riehl, die Pfalzer S. 253.] Nickel allein
ohne dergleichen weiteren Zusatz ist bald der Name eines kleinen,
aber auch eigensinnigen Menschen (Schmid S. 407), und es kann
deshalb in einer Dichtung des 16. Jahrh. Saul zu David sagen
„Sich, Nickel mit der Geigen, was wiltu heben an? Du bist
ain kleines kind, er (Goliath) ist ain grosser mann": Schmeller
3, 677; bald braucht man es, obwohl die grammatische Form
männlich ist, von liederlichen Dirnen (Frisch 2, 17 c) und so
gleich andern Schimpfworten gelegentlich wohl auch als Schmei-
chelrede: Eabener in >dem Schreiben eines von Adel an einen
Professor „Das älteste Mädchen ist zwölf Jahre. Sie soll noch
ein bischen Oatechissen lernen, und hernach will ich dem kleinen
Nickel einen Mann geben: der mag sehen, wie er mit ihr zu-
rechte kömmt"; in Augsburg ist Schrandnickel (Schrand. d. i.
Schranne Fleischbank) ein prostibulum: Schmeller 3, 516. Die
Hexen aber gaben dem Teufel auch diesen Namen, Nickel oder
Grossnickel: Mythol. S. 1016 (J. Pauli Schimpf u. Ernst 611).
Hatte vielleicht deshalb jener Reiche, von welchem Felix Hem-
merlin örzählt (Reber S. 366), einen so grossen Widerwillen
gegen den Namen Nicolaus, dass er einen um das Almosen
singenden Schüler wegschickte, weil er einäugig und von Bremen,
der Stadt der Gottlosen, wäre und Nicolaus Messer' Auf Sachen
angewendet, ist Nickel hier ein geringes, im Heft immer nickeln-
des, nickendes, wackelndes Einlegmesser (Schmidts Westerwäld.
Idiot. S. 123), dort ein Ejreisel (Frisch 2, 17 c. Stalder 2, 238),,
Feuernickel ein gespitzter Stecken, der ebenfalls zum Kinderspiel
172 I^iö deutschen Appellativnamen.
dient (Schmeller 2, 677. Schmid S. 407), und Pumpernickel^
das wir bereits als die Benennung eines plunapen und verlump-
ten Bauern haben kennen lernen, nun die des groben Bauem-
brotes in Westfalen. Den Einfall, dass es eigentlich ein fran-
zösischer Ausdruck sei und entstellt aus bon pour Nicole, hat
schon die Gelehrsamkeit des siebzehnten Jahrhunderts gehabt:
Schuppius 1, 249 schreibt deshalb Brnnpur-Nickel, und Frisch
2, 17 c trägt denselben weitläufig also vor: „Wann einige das
in Westphalen gewöhnliche grobe Brod Pumpernickel von den
Worten eines Franzosen herleiten, es sey bon pour Nikel, und
verstehen dadurch seinen Knecht der Nicolaus geheissen, so ist
der andern Meinung wahrscheinlicher, es werde durch Nickel
hier ein solches Pferd verstanden [nämlich ein kleines: oben
S. 76], für dergleichen Thier sey solch Kleyen-Brod besser, als
für einen Menschen der weisses Brod zu essen gewohnt ist."
Inzwischen heisst auch im südlichen Deutschland eine Kalteschale
von Bier und Brot Biernickel und einje Art Pfannkuchen, mit
Voransetzung eines mir unverständlichen andern Wortes Pauter-
nikel: Schm. 2, 677. 1, 301. [Ohrennickel der Ohiwunn, Ohren-
niggeli Ohrenzwang: Stalder 2, 250.] Wenn zuletzt Nickel auch
s. V. a. ein verdriessliches Hinderniss und von daher, ähnlich
wie der neckende Kobold als Kobalt, Name eines Metalls ge-
worden, wenn nickein , das Zeitwort dazu, s. v. a. ärgern und
quälen ist (Stalder 2, 238 fg. Schmeller 2, 677), so wird diese
Abstraction aus dem vorher erwähnten persönlichen Begriff
eines Eigensinnigen oder mit ebensolch einer Art von Aphärese
aus Schiefernickel entstanden sein wie Lenz aus fauler Lenz.
Philipp. Der Lippel oder Hau Lips (vgl. oben S. 163
Hanockel) ein ungeschickter, dummer Mensch; lippeln zum Narren
haben: Schmeller 2, 486. Schmid S. 261. [Lippel der Hans-
wurst im bairischen Volksschauspiele. In Uostock heisst Phi-
lippS'Rechmmg die betrügerische Bechnung eines heimkehrenden
Schiffscapitäns.]
Regula: die Verkleinerung Regeli in Zürich eipe liederliche
Dirne. Es war, weil S. Begula die alte Stadtheilige ist, wahr-
scheinlich sonst ein häufiger und dadurch gemeiner Name; jetzt
kommt er als altfränkisch selten mehr vor.
Ruprecht, verkürzt und verkleinert Rüpel, Einen Knecht
jenes Namens hat schon der Krieg von Wartburg (v. d. Hagens
Die deutschen Appellativnamen. 173
Minnes. 2, 4 a): „ßuoprecht min knecht muoz iuwer här gelich
den tören schern''; wir nennen Knecht Ruprecht die vermummte
Schreckgestalt, die den Kindern das Weihnachtsfest verkündigt:
im Anschluss hieran war Rüpel den Hexen auch ein Teufels-
name (Mythol. S. 1016) und bezeichnet es, wieder hierauf fol-
gend, sowohl einen Menschen von schwarzer Hautfarbe (Schmeller
3, 118), als einen Kater (Mythol. S. 472). Früher jedoch sind
unt(3r dem Namen jenes Knechtes auch lächerlich dumme Streiche
erzählt worden: „damit — es ihme nicht gehe wie Knecht Ru-
precht: da der wollte ein Reuter werden, da hatte er keinen
Gaul; da er einen Gaul bekam, da hatte er keinen Sattel; und
da er einen Sattel hatte, da hatte er keine Stiefel und Sporen,
und da er Stiefel und Sporen bekam, da hatte er keinen
Degen etc." Schuppius 1, 92: die gleiche Geschichte, nur dass
der Held „unser Bruder Malcher^^ oder Melcher d. i. Melchior
oder „Jan mynen man^^ genannt wird, giebt ein weit durch das
nördliche Deutschland und bis in die Niederlande hin verbrei-
tetes Volkslied: Hoffmanns Schles. Volkslieder S. 302—304.
Mones Anzeiger 7, 385. Und dieser lustige Knecht Ruprecht
ist es denn, der wieder in Rüpel verkleinert auch der Schauspiel-
dichtung des 16. und 17. Jahrhunderts als lustiger Knecht
dient. Noch wird von Schmeller 3, 118 „rfer hohe RüepeV^ das
Ende einer Holz-Rise," angeführt, wobei ich mir den üebergaug
der Begriffe nicht recht zu erklären weiss: oder erscheint etwa
die höchste und wildeste Aufhäufung des Holzes wie ein dämo-
nisches Schreckbild?
[Sebald: kalter Sobald: Wagners Reue nach der That S. 76.]
Sebastian, die Koseform bairisch Wastel (Schmeller 4, 191),
alamannisch Ba^chi: Tiroler. Wastel eine übliche Bezeichnung
aller Tiroler, Schieferwastel dasselbe was oben S. 170 Schiefer-
nickel, als scherzhaftes Schimpfwort NarrehaschL Das schwä-
bisch-schweizerische Zeitw. basteln, bäscheln d. h. zur Kurzweil
kleine Handarbeit treiben (Schmid S. 45. Stalder 1, 139) mag
ebenfalls hieher gehören: es könnte aber auch von dem altdeut-
schen und jetzt noch (Schmid S. 57) schwäbischen besten nähen,
schnüren abgeleitet sein.
Sixt, blinder Sixt: die Mundarten Baierns S. 516.
Susanna, In Schwaben Susanne Preisnestel ein aufgeputztes
Mädchen: Mörikes Hutzelmännlein S. 157. Schmid S. 521. In
174 ^^6 deutschen Appellativnamen.
Norddeutschland dumme Sme, ein/ mürrisches Mädchen Brumm-
suse (Simrocks Banderbuch S. 17. 64), ein schläfriges Weibs-
bild Schlafsuse, ein langsam und singend sprechendes Ncelsuse,
ein schläfrig dummes einfach Sme: ich vermuthe Beziehung auf
suse, niederländ. sus still! süssen stillen („wollt sie süsslich
scmssen ein^^ in Schlaf bringen: Spees Trutznachtig. 1841
S. 224) und Susaniune {Ninne ein Schmeichelwort für Kind),
als landesüblich das Anfangswort und den Eefrain der Wiegen-
lieder: sme, same Simrock S. 65 fg. smu Bürgers Ballade Graf
Walter (87 a), nine same Simr. S. 17. sma ninna, sma noe
(Hoffmanns Hör. Belg. 2, 21; darnach Smaninne, Samenin das
ganze Wiegenlied selbst: M. Luthers geistl. Lieder von Phil.
Wackemagel S. 64 mit der Anmerkung S. 162 ff.; von Benj.
Schmolck (Bochim u. Elim S. 62) ein „Susaninne bei der Krippe
Jesu." [neugriech. votwi, vavva: Pauriel 2, 428. romanisch ninno
ninna Diez Wörterb. 1, 289 fg. Auf Corsica kommen im
Wiegengesange die Worte ninni ninni ninni nanna vor, das
Kind wird ninnina angeredet, das Wiegen selbst ninni nanni,
das Wiegenlieä nanna genannt: Gregorovius 1, 198 — 200. vergl.
vocvvoi; etc. Mythol. S. 415 fg.?]
Ulrich. Von dem Augsburgischen Lieblingsnamen Urli
(Ulrich der heilige Bischof der Stadt) und von einem appella-
tiven Wortspiel mit diesem Namen ist schon früher S. 129 und
104 die Rede gewesen: hier kommt in Betracht-, wie man in
Zürich einen süsslich gutmüthigen Mann Hunguoli {Hung d. i.
Honig), am Ehein und in Franken aber jemand, der Andre gern
zum Besten hat, gleichsam das Activum des Hunguoli, mit der
kürzeren Koseform Uz und das zum Besten haben selbst uzen
nennt: Schmeller 1, 134. \Uz treiben, Spott und Uz treiben mit
jemand: zu Frankfurt.]
Ursula. In Baiem Ham-Urschel, die immer im Hause
hockt? Mundarten Baiems S. 516; in der Schweiz Urseli, Ursi
das sonst so genannte 'Gerstenkorn am Auge: Stalder 2, 425.
\Ursde Dirne Höniger Narrensch. 99 vw. Garg. 114.]
Veit. Den Eidgenossen Heini und Küedi gegenüber (oben
S. 149 u. 155) und sonst ist Bruder Veit der Landsknecht:
Uhlands Volksl. S. 476 fgg.; „Bruder Veyts Landsknechts im
Lager vor Wolffenbüttel Trewliche Warnung" (Warhaftige Zei-
tung wie der Churfürst zu Sachsen u. s. v. das Schloss Wolffen-
Die deutschen Appellatiynameii. 175
büttel erobert haben, 1542); „das Hans Kraft und Bruder Veit
Dürftig und bloss im Lande leit" B. Waldis Esop 1, 55; „In
Kriegs noth in der bösen Zeit, Wenn Hans Marter und bruder
Veit Mit grossen rotten bei im hausen" ebd. 3, 89; ähnlich
Kollwagenbüchlein 65, 19; vgl. die Anmerkung auf S. 206.
Schade, Satiren 1, 77. 79. Lugenveit ein Windbeutel: Schmid
S. 365; Katzenveit ein Waldgeist des Fichtelgebirges: Mythol.
S. 448.
Waltburg, Walpurgis. Die Abkürzung Walpel, Walp appel-
lativ eine dumme Weibsperson: Schmeller 4, 71.
Walther. .Niederdeutsch WaUerken, niederländisch Won-
terken und unverkleinert Wouter Name von Hausgeistern: My-
thol. S. 471 fg. 477.
Wenzel, als nationaler Heiligen- und Königsname Haupt-
name der Böhmen: oben S. 129. Als eine aus scharren (mit
den Füssen nämlich) und diesem Namen gebildete Zusammen-
setzung md.g ^ Schar wenzel oder Scherwenzel verstanden sein, die
Benennung eines Menschen, äer aus Eigennutz gegen alle Welt
übertrieben höflich und dienstfertig ist, eigentlich nur Umdeut-
schung des ital.. servente: das Zeitwort scharwenzeln, scher-
wenzeln drückt dasselbe aus. Dann ist Scherwenzel auch ein
Kartenname: Schmeller 3, 386. 388. Ein schlechter Taback
heisst Laitsewenzel, etwa darum, weil von seinem stinkenden
Bauch die Blattläuse sterben. [Baurenwenzel eine Geschwulst
des Gesichts: Zachers Zeitschr. 1, 309 fg.]
Zum Schluss (denn endlich nun haben wir den Schluss der
langen Aufzählung erreicht) noch eine Bemerkung, die mehrere
der an uns vorübergegangenen Worte, vorzüglich aber und noch
einmal das Hauptwort darunter, mit dem wir auch begonnen
haben, den Namen Hans oder Jan betrifft. Die Sprache wendet
diese Appellativnamen, was deren Natur auch nahe genug legt,
gern in einem coUectiven Sinne an: der Deutsche Michel oben S. 61
bezeichnet die Deutschen, Bruder Veit die Landsknechte insge-
sammt, Herr Hans wie Hans Omnis nicht Einen aus der Menge,
sondern die ganze Menge^ selbst {Herr Omnis Froschmäus. Bb
5b. Schillers Beiträge zum mittelniederd. Glossar S.12; „„Es zöge
einmals ein armer Mensch, der das Brod bettellte, einen Hund
176 ^^ deutschen AppellatiTnamen.
auf und nennet ihn Vulgus d. h. Hans Omnis oder Hans hinter
der Mauren. Als er darumb gefraget ward, antwortete er
„Vulgus amicitias utilitate probat d. i. Der gemeine Pöbel der
achtet und hält Freundschaft umb Nutz und Genusses willen.
Wann ich den Hund speise, folget er mir; wann mich aber
hungert, begleitet mich ausser meinen Mutterflöhen Nichts""
Schuppius 1, 404 fg. „Ich muss gleichwol auf den Klapper-
mark gehen und alldar vernehmen, was Herr Hans urtheile und
für einen Aussschlag gebe" ebd. S. 979), und ebenso ist Jan
Hagel der ganze stürmisch erregbare und erregte grosse Haufen
[im englischen Jack die ganze Matrosenschaft eines Schiffes wie
der einzelne Matrose]. Durch solche collective Erweiterung der
eigentlich ganz individuellen Worte ist dann noch eine zweite,
die nach einer anderen Richtung hin geht, vermittelt: es werden
nunmehr mit Hans und Heinz und Kunz u. s. f. auch allego-
rische Namen der früher, im zweiten Abschnitt besprochenen
Art gebildet und die zitternde Furcht wird als Gidi (Schmeller
2, 17), der Betrug als Heinz Effmichwol personificiert („Wann —
das gelt stet uff der ban. So kümpt Heinz Effmichwol, Der
zücht es gar bald dar von": Lied des 15. Jahrh. vom Karnöffel-
spiel in Fichards Frankf. Archiv 3, 296), die Faulheit als fauler
Lenz oder Faulenz oder einfach Lenz (,.So muss man dir. die
Krankheit büssen, Auss deiner haut den faulenz treiben, mit
ungebrennter äschen reiben" B. Waldis Esop 4, 19; „Den König
David hat einmal der Lenz gestochen, deswegen er nach Mittag
Langweil halber sich niedergelegt und den Polster gedruckt"
Abr. a S. GL Judas 2, 227; „Ein treger schelm und fauler
Henz, Der sich stets stechen lesst den glenz^^ Esop 3, 48: der
Eigenname mit dem appellativen Lenz oder Glenz d. i. Früh-
ling vermengt: andre Stellen im Wörterb. d. Br. Grimm 1, 1477),
die knappe Lebweise als Schmalhans („dass Schmalhans an
manchem Ort Küchenmeister und Cammermeister wird" Schup-
pius 1, 5?: ebenso 8. 121. 812; „wie ihnen Gott der Herr
Schmalhansen übern Hals schicke" ebd. S. 53; „der Feldmar-
schalk Schmalhans werde solcher armen Tobacksäufer viel dar-
nider machen" ebd. S. 577; „Schmalhansens Bruder" oben
S. 319 und 323), der Spass als Ulk und Vz, die Nachlässigkeit
und die Sorglosigkeit als Hans Unfleiss und Kunz ohne Sorgen:
Die deutschen Appellativnamen. 177
„Zu viel Fleiss und Sorge bricht das krystallene Glas so gut
als Hans Unfleiss und Kunz ohne Sorgen" Sailer S. 74. Auf
dem gleichen Weg ist endlich auch Schlendrian (Schlentrian
wie oben S. 141 Schlmttrianus schreibt noch Schuppius 1, 214)
ganz abstract geworden und bezeichnet nur noch ein träges
Thun und Gehenlassen nach Herkömmlichkeit. Es verdrießt
mich, dass gerade diess leidige Wort das letzte sein muss.
Waekemagel, Schriften. UI. 12
EHEA HTEPOENTA.
Ein Beitrag zur yergleichenden Mythologie.
(Juhelachrift zur vierten Säcularfeier der Universität Basel den 6, Sept.
1860, im Auftrage der philosophischen Facultät Terfasst. 50 Seiten 4^.)
Es ist herkömmlich, in der häufigen Redensart der homeri-
schen Gedichte sTcsa TüTepoevxa eine bildliche Beziehung auf die
Schnelligkeit des Sprechens zu finden; die Uebersetzung geflügelte
Worte beruht nur auf dieser Auffassung und hat dieselbe weiter
befestigen helfen.
Ich glaube, befiedert wäre richtiger gewesen. Denn bei
Homer ist Tcxepov eher noch die Feder, die Schwungfeder; den
Begriff Flügel bezeichnet ihm die weitere Ableitung 7CTsp\)^.
Ganz ebenso Terhalten sich die entsprechenden deutschen Ge-
staltungen derselben Wurzel, althochd. fedara und fedarah^
jenes penna, dieses ala. Auch wenn i6q und olaxoi; das Beiwort
TCTspoeK; empfangen*), sind damit keine Flügel, sondern ist die
Befiederung des Pfeilschaftes gemeint.
Gleichviel jedoch, wie man übersetzen wolle, bloss eine
schmückende Umschreibung der Schnelligkeit ist Tcxsposic; schwer-
lich. An den wenigsten Stellen, wo Homer den Ausdruck hat,
handelt es sich um solche Beeilung von Anrede und Gegenrede,
und ebenso wenig soll der aiTTspoc [jli)^0(; der Odyssee^, was
in jenem Fall doch folgerecht wäre, ein langsam gesprochenes
Wort sein.
1) loa II. n, 773. XX, 68; ^ictto? V, 171.
2) XVII, 57. XIX, 29. XXI, 386. XXH, 398. [dtTcrepoc 9aTtc Aeschyl.
Agam. 276.]
EIIEA nXKPOENTA. 179
Es ist ein Andres, wenn Pindar seinen vierten Isthmischen
Hymnus TCTspoevTa nennt ^), wenn ebenso um den dichterischen
Schwung und Flug zu bezeichnen Gottfried im Tristan*) einem
Epiker seiner Zeit nachrühmt, „daz er buoch unt buochstabe
vür vederen an gebunden habe: wan, wellet ir sin nemen war,
sm wort diu sweiment als der ar", oder wenn in demselben
Gedichte *) von der schnellen Fertigkeit, womit der junge Tristan
in das Spiel auf dem Schachbrett die Kunstausdrücke des Spieles
und Anecdoten davon zu mischen weiss, gesagt wird „der höve-
sche hovebaere lie siniu hovemaere und vremediu zabelwörtelin
under wilen vliegen in". Hier überall liegt nur eine gelegent-
liche, eine nur einmalige Ausschmückung durch Bildlichkeit vor,
dort bei Homer eine immer und immer sich wiederholende, eine
stehende Bedensart. Die stehenden Bedensarten der Epik wären
aber doppelt müssig, wenn sie nicht über die künstlerisch niedere
Stufe oes blossen Epitheton ornans hinausgiengen.
Fassen wir noch einen hier nahe liegenden Punkt ins Auge.
Vogel und Wind, beide vereinigt die gemeinsame Eigenschaft
der Schnelligkeit, und nicht allein Hesiodus stellt sie schicklich
so zusammen*), schon die Sprache hat von der gleichen Wurzel
oirULi auf der einen Seite aTrjp, aura^ AEbXoc, auf der andern
avis, (da, dsTOc. Wenn aber im Lateinischen aquilo und vul-
tumtis sichtlich abgeleitet sind von ctquila und vultur^ soll nun
auch damit eine blosse Vergleichung ausgesprochen sein? Festus
betrachtet es so, was das erstere Wort angeht^), gewiss aber
irrig. Nach einer weit verbreiteten mythischen Anschauung ^)
ist es ein Aar, ein Adler, ein Falke, von dessen mit Macht ge-
1) Z. 68. Möglich sogar, dass hier im Sinne des Dichters gar nicht
der fliegende Vogel, sondern der hefiederte Pfeil liegt: Olymp. IX, 10
(vgl. 5) nennt er seinen Gesang itTepoevTa Y^y>«^>' dtcrrov [vgl. Sophokl.
Antig. 1070].
2) V. d. Hagen 4717 fgg. = Massmann 119, 39 fgg.
3) 2286 fgg. = 59, 8 fgg.
4) Theog. 268 a? p' av^fjicdv Ttvof^at xal o^wvofi; Si[i ^icovtat wxeCt)^
5) Epit. Pauli Diac. „Aqailo ventus a vehementissimo volatu ad
instar aquilae appellatur.**
6) J. Grimms Deutsche Mythol. S. 599 fgg. [vergl. auch x(pxoc und
circius],
12*
180 EIIEA UTEPOENTA.
schwungenen Fittichen der Wind ausströmt, der den Winden
ruft und ihnen gebietet: Belege dafür in der altnordischen, in
der neugriechischen, in der mittelalterlich deutschen Dichtung^).
Ja der Wind erscheint unmittelbar selber als ein Vogel*), als
Adler bei den Finnen^, als Sperber mit ausgebreiteten Flügeln
in der Sinnbildnerei der Aegypter^); mit den vogelgestaltigen
Harpyien der Griechen*) wie mit. den Schwanjungfrauen des
Nordens, von denen nachher ausführlicher, sind ebenfalls Winde
gemeint, und schon das Alte Testament spricht mehr als einmal
von den Fittichen des Windes^). Also Vogel und Wind nicht
bloss verglichen, sondern wesentlich mit einander verbunden,
nicht bloss stylistisch zusammengestellt, sondern mythisch in
eins geschmolzen.
Ebensolche lebensvollere Verschmelzung, eine Verschmelzung
der Begriffe Vogel und Wort**), liegt denn auch der Redensart
GTcea icrepoevTa zum Orunde. So dieselbe zu verstehn, darauf
hätten schon twei andre Wendungen gleichfalls der homerischen
Sprache führen können, die gleichfalls das Wort als ein thierisch
belebtes Wesen und ich meine auch als Vogel nehmen: einmal
der öfters wiederkehrende Ausdruck luocdv ae &%o(; (^^ys^ epxoc
6&dvTG>v, wo nichts im Wege steht bei epxo^ an ein Stellnetz
für Vögel, eine Wand, wie unsre Jägersprache sagt, zu denken^);
sodann der stc^ov vo|jLdc der Ilias und Hesiods ^), dem sich durch
eigenen Zufall abermals eine Bildlichkeit in Gottfrieds Tristan^)
1) Vafthrudnis mal Str. 37. Snorra Edda (Reykjavik 1848) S. 13;
Fauriel, Chdnts populaires de la Grece moderne II, 236; Heinrich von
Veldeken in v. d. Hagens Minnesingern I, 139 a. [Der Gesang der Schwäne
rührt vom Wind her: Dietrich in Haupts Zeitschr. 11, 462.]
*) [der gotes geist saz üf des luftes vederen: Anegenge Hahn 4, 73.
wie minneclich dn allen haz er (Christas bei der Himmelfahrt) üf der
feinde vederen saz: Haupts Zeitschr. 4, 533.]
2) Schröters Finnische Eunen S. 72.
3) Horapollo II, 15.
4) Otfr. Müllers Archäologie d. Kunst § 401.
5) Sam. n, 22, 11. Ps. XVUI, 11. CIV, 3. Hosea IV, 9.
**) [Zunge ein Vogel, Mund dessen Käfig: Shakesp. Tit. Andren. 3, 1.]
6) In diesem Sinne hat das Wort die Odyssee selbst XXU, 469.
[oder dieselbe Bildlichkeit, wie wenn altdeutsche Dichter den Mund als
die Thür der Zunge fassen? Walther 64, 13. Winsb. 24, 2. 5].
7) IL XX, 249. Hesiod. Op. 373.
8) 4637 = 117, 39.
EHEA nXEPOENTA. 181
▼ergleicht: „swer nü des hasen geselle si und üf der wortheide
höhsprunge unt witweide mit bickel werten welle stn.".
Es ist ein ganzer weit greifender Kreis religiös bedeutsamer,
dichterisch belebter Anschauungen, in den, so aufgefasst, die
eizta iCTepoevxa sich einreihen, in dessen Mitte gleichsam sie
als das kurz zusammenfassende Eernwort stehen. In diesen
Kreis einzufuhren und wenn auch keine erschöpfende Darstellung
alles dessen, was er in sich schliesst, doch eine üebersicht davon
zu geben sollen die folgenden Blätter versuchen. Die Aufgabe
schien nicht unpasslich für eine Schrift, welche die historisch-
philologische Abtheilung der Philosophischen Facultät Basels an
einem Tage vertreten darf, der mit der. Verkündigung alten
Euhmes und neuer Gelübde wie ein vollbefiedertes Wort über
uns emporschwebt.
Das Alt^rthum, wie es überhaupt die Thierwelt mit anderen
Augen als wir, theils vertraulicher, theils voller von religiöser
Scheu anblickte und deshalb von Indien herab bis in den Westen
Europas neben die Götter- und Heldensagen noch Sagen und
Fabeln stellen konnte, die von Thieren erzählen, schenkte solch
eine Betrachtungsweise namentlich den Vögeln. Sie erhebt schon
über die anderen Thiere und selbst den Menschen, dass sie nicht
mit schweren Füssen an die Erde gebunden sind, dass sie mit
Windesschnelle überall hin zu wandern und himmelan zu den
Sitzen der Götter sich zu schwingen vermögen. Und wie vieles,
das sie dem natürlicheren Sinne wunderbar und bedeutsam, ja
als ein unerreichtes Vorbild selbst der menschlichsten Tugenden
erscheinen liess, kam durch Wahrnehmung und Aberglauben zu
jenem grossen allgemeinen Vorzuge noch hinzu und gewährte
den Menschen Stoff und Anlass ihre Poesie mit Leben, ihr
eigenes Leben mit Poesie zu füllen!
Lerche und Nachtigall und das ziehende Heer der anderen
Singvögel [der Schwalben: Minnes. 2, 172b. Hagen, vgL Fauriel
1, 56] meldet uns und. schmückt den Frühling. Die Minne-
lieder des Mittelalters sind voll davon, und zierlich sagt eine
spanische Bomanze^) von dem Monat Mai „cuando canta la ca-
landria y responde el ruisennor". Insbesondere aber sind Schwalbe
1) Wolf und Hofmann, PrimaTera y Flor de Romances II, 16.
182 EHEA nXEPOENTA.
und Kuckuck Frühlingsboten*) und damit Boten eines neuen
Jahres: denn der natürliche Jahresanfang ist das Frühjahr, wes-
halb wir es eben auch Frühjahr, die Franzosen pHfitemps d. h.
primiim tempus nennen und unser Jahr Ein Wort ist mit dem
griechischen lap, dem lateinischen ver; „geäcas geär budon^',
die Kuckucke verkündigten das Jahr, sagt ein angelsächsisches
Gedicht f). Den Winter aber bezeichnet die heisre hungrige
Krähe, wie sie denn nach dem Heiligen, dessen Fest den vollen
Beginn des Winters macht, im Mittelalter auch der S. Martins-
Vogel hiess *). Und Krähe und Schwalbe wurden schon bei den
Griechen als Sinnbild, dass der Winter entflohen, der Sommer
zurückgekehrt sei, unter Gesang umhergetragen und milde Steuern
dabei eingesammelt; die beiden Lieder, das xopciviffpia und das
XeXL56vLa[JLa, hat uns Athenäus aufbewahrt^). Er versetzt dabei
letzteres Fest in den Boedromion d.^h. in den Herbst, für das
erstere giebt er gar keine Zeitbestimmung: dass aber der Umzug
mit der Schwalbe in den Frühling müsse gefallen sein, zeigt der
Wortlaut des alten Liedes selbst*) und das Schwalbenlied der
jetzigen Griechen, das ausdrücklich den März nennt ^); Umzüge
mit Krähen zur Sommerverkündigung hat noch jetzt, weit weg
von Griechenland, das Landvolk ia Holstein und im Meklen-
burgischen, dort am Sonntag Lätare, hier um Pfingsten*). An
der Schwalbe hebt das Chelidonisma eigens hervor, dass sie am
Bauche weiss, am Rücken schwarz sei: man mochte in diesem
Gegensatze von Hell und Dunkel den von Sommer und Winter
angedeutet finden; das Gefieder der Krähe zeigt den gleichen
*) [Am Schlüsse von Shakespeares loves lahours lost der Frühling
mit dem Kuckuck, der Winter mit der Eule. Bedae venerabilis Ecloga
eonflictus veris et hiemis sive Cuculus: Wernsd. 2, 239 Tgg.]
1) Thorpes Codex Exoniensis 146, 27 == Gudlac 716.
2) J. Grimms Reinhart Fuchs S. CXXVI. Mythol. 1083 fg. [Krähe
Winteryogel: Walther 91, 10.]
3) Vlll, 59. 60; Köster de cantilenis popularibus veterum Graecorum
pg. 74 sqq.
4) ^m^ fiX^i xeXtÖcov
xal xaXou? ^vtautou? u. s. f.
5) Fauriel ü, 256 [d. 1. März: I, XXVIII].
6) Schützes Holst. Idioticon III, 165 fgg.; Jahrbücher des Vereins
für Meklenh. Geschichte H, 123.
EHEA nXEPOENTA. 183
•
Farbengegensatz. Von abergläubischen Meinungen und öebräu-
chea, die sieh noch an die Schv^albe knüpfen, will ich nur zwei
arzneiliche Vorschriften anführen, weil auch sie den Vogel deut-
lich als NeujahrsYogel kennzeichnen, die eine aus einer Krank«*
heits- und Heilmittellehre des vierzehnten Jahrhunderts^): „Quum
primo hirundinem videris, hoc die ter: liogo te, hirundo, ut hoc
anno oculi mei non lippeant nee doleant^*; die andre aus der
Chemnitzer Eockenphilosophie *) : „Wer Frühlings die erste Schwalbe
sieht, stehe alsbald still und grabe unter seinem linken Fuss
mit einem Messer in die Erde, so findet er eine Kohle, die ist
das Jahr gut für das kalte Fieber". Dem ganz ähnlich machten
es die alten Italier bei dem ersten Eufe des Kuckucks^): „quo
quis loco primo audiat alitem illam, si dexter pes circumscribatur
ac vestigium id effodiatur, non gigni pulices, ubicunque spar-
gatur". Dass ihn eben dieselben ales ternporaritis nannten*),
wird auf die Botschaft der neuen Jahreszeit gehen» die er bringt;
bekannt ist, wie sein Buf noch die Zahl der späteren Lebens-
jahre weissagt: ein Aberglaube, der sich bei Deutschen und
Franzosen bis in das dreizehnte Jahrhundert zurückverfolgen und
iLuch bei den Slaven nachweisen lässt^); in Schweden weissagt
er ledigen Mädchen die Zahl -der Jahre bis zur Hochzeit^).
Tagesbote und Wecker aus dem Schlafe ist der Hahn*);
die nahe liegende Vergleichung mit Christo, der ebenso aus der
Finstemiss zum Licht, aus dem Tode zum Leben ruft, bat i^
1) Hof&nanns Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache u. Litt.
I, 325.
2) J. Grimms Mythol. (1835) Anhang S. LXXVI, 217; vergl. LHI.
[Schillers Thier- und Kräuterbuch 2, 16.]
3) Plinius Eist. natur.'XXX, 25 [vgl. Haupts Zeitsehr. 12, 400].
4) Plin. HN. XVTII, 66, 2.
5). J. Grimms Mythol. S. 642 fg. Cäs. Heisterb. V, 17. Renner 11341.
Eyering S. 467.
6) Arndts Reise durch Schweden IV, 5. [Kuckuck Prühlingsvogel:
Weist. 1, 524. Regen verkündigend: Hesiod. op. et d. 456 fgg. sein Ruf
mit Fruchtbarkeit segnend: Kalewala 2, 375 fgg. Freudenruf: 4, 488 fgg.
5, 196 fgg. 7, 321. 10, 443.] ' -
*) [Hahnenruf die Gespenster der Nacht verscheuchend: Shakesp.
Hamlet 1, 1; vergl. Abhandlung über Lenore oben Bd. 2^ S. 405. 412.
416. Mit dem Krähen des Hahnes Gesang der Engel. und der Heiligen:
Volksl. aus der Bret. 140.]
184 EHEA riTEPOElNTA.
aller Ausführlichkeit schon Prudentius ^). Es wird deshalb kaum
einem Zweifel unterliegen, dass die Hahnenbilder, die man den
ältesten Christen auf den Grabstein meisselte^) oder mit in ihre
Gräber gab (auch bei Winterthur ist solch ein Bild wieder aus*
gegraben worden^), dass ebenso die auf den Spitzen der Kirch-
thürme Christum bedeuten sollen. Es , klingt wie schon ganz
auf die letzteren bezüglich, wenn Prudentius sagt
„Yox ista, qna strepunt aves
Stantes sub ipso calmine
PauUo ante quam lux emicet,
Nostri figura est jadicis. . . .
8ed vox ab alto calmine
Christi docentis prsBmonet
Adesse jaro lucem prope,
Ne mens sopori serviat."
Allerdings hatten zu seiner Zeit die Kirchen noch nirgend Thürme,
und die erste Erwähnung eines Kirchthurmhahnes fällt in das
Jahr 925 und nach St. Gallen^): aber das Wort des vielgelesenen
Dichters durfte wohl ein Fingerzeig sein, dem noch spätere Ge-
schlechter folgten^ Daneben blieb die Möglichkeit und die Frei«
heit unbenommen diesen Schmuck,* nachdem er schon zur alten
Uebung geworden war, gelegentlich auch noch anders auszu-
deuten, z. B. auf die Wachsamkeit, die dem Christen gebühre,
und auf das Wächter- und Heroldsamt der Priester^). Ist aber
der Hahn eigentlich und ursprünglich ein Sinnbild Christi, so
hat die neulich von üllmann ^) angeregte Aufgabe einer Deutung
des Portalbildwerkes an der Altstädter Kirche zu Pforzheim
1) Ka^Tj|xeptv«5v I.
2) Münters Sinnbilder n. Kunstvorstellungen der alten Christen I, 55.
3) KeUer in den Mittheilongen d. Antiquar. Gesellschaft in Zürich
m, 130.
4) Ekkehards lY Casus S. Galli in Pertz Monum. Germ, histor. Ü,
105. Die Ungern, welche S. Gallen damals heimsuchten, yermengten
galliis und Oattus und hielten den Hahn für ein Bild der Ortsgottheit.
5) Lateinisches Gedicht in Naumanns Serapeum I, 107 — 109 u. bei
du Meril, Poäsies populaires latines du moyen äge pg. 12 — 16; Hugo y.
Trimberg im Benner 19707 fgg.; Augustis Denkwürdigkeiten aus der christ-
lichen Archäologie. Xn, 36S.
6) Im Anzeiger d. German. Museums 1860, Sp. 87 fgg.
EITEA nXEPOENTA. 185
keine Schwierigkeit: der Hahn, der zuerst mit einem Löwen
kämpft, dann auf einem gefesselten Löwen steht, ist Christus
im siegreichen Kampf mit seinem Feinde, mit dem, der umher-
geht wie ein brüllender Löwe und suchet, welchen er ver-
schlinge ^).
Aber nicht allein den Wechsel von Finsterniss und Licht,
von Winter und Sommer, wie er alltäglich und alljährlich wieder-
kehrt, verkündigen uns die Vögel: auch für Attesergewöhnliches
in den menschlichen Dingen selbst haben sie ein Vorgefühl und
weissagen es den Menschen*). Attila, als er Aquileia^ lange
schon vergeblich belagert hatte, erkannte an dem Fliehen der
Störche, dass nun endlich die Stadt fallen solle ^). Dem ähnlich
die Scheu, welche die Schwalben fem hielt von den Häusern
Thebens ^) : „Thebarum tecta subire negantur, quoniam urbs illa
saepius capta siV
Dem Schwane ahnt sein eigener Tod (man sagt deswegen
auch für ahnen schwärmt), und singend nimmt er, der gesang-
reiche Vogel*), Abschied vom Leben ^). Auch die Dichter des
Mittelalters sprechen oft; von diesem Schwanengesang, in Minne-
liedern ^) wie mit geistlicher Anwendung auf den Todesruf des
gekreuzigten Heilands"').
Andere Vögel verschont der Tod bis zu wunderbar hohem Alter**).
1) Br. Petri I, 5, 8.
*) [Heilkraft des Brachvogels, Genesung oder Tod des Kranken von
ihm vorausgesehen und vorausgezeigt : W. Grimms VrSdanc S. LXXXVI fg.
Haupts Zeitschr, 7, 147. Eenner 10521 fgg, vgl. Hattemer Denkm. 1,
lOb. — Käuzchen den Tod ansagend, auch keltisch: Ein Herbst in W^ales
von Rodenberg, S. 203.]
2) lornandes cp. 42. Procop b. Vand. 1, 5?
3) Plin. HN. X, 34.
4) Aristoph. Av. 772 fgg. Aelian. de Natura anim. X, 36. XI, 1.
In einem altnord. Liede sagt Niörd „mer thotti illr vera ülfa thytr hiä
söugvi svana": Snorra Edda S. 16 [xuxvo? zu cano? Isid. Origg. 12, 7].
5) Aelian. II, 32. V, 34. Plin. HN. X, 32. Ovid Metam. XIV, 430.
6) Meine Altfranzös. Lieder u. Leiche S. 242 fg. Heinrich von Vel-
deken Minnas. I, 39b. Heinr. von Morungen ebd. 127b. Bartsch Albrecht
V. Halberst. S. CXX fg. CCLIX. Shakespeare Kaufmann v. Venedig 3, 2.
7) Konrad von Würzburg Minnes. II, 311b und in der Goldenen
Schmiede 976. 1974.
*♦) [Vögel werden älter als Vierfüsser und Fische; Schwed. Volks-
sagen und Märchen S. 188 fgg.]
186 EÜEA UTEPOENTA.
Hesiodus, in Versen, die uns Plutarch^) und in lateinischer
Uebersetzung Ausonius*) aufbewahrt hat, schreibt der Krabe
neun Alter des Menschen, dem Hirsche vier Krähenalter, dem
Raben drei Hirschesalter zu; Plinius^) nimmt an solchen Fabel-
haftigkeiten Anstoss: das ablaufende Mittelalter jedoch hat auf
der antiken Grundlage bald mit der, bald jener zufälligen oder
bewussten Abänderung weiter gebaut: z. B.
Sepffl de virgis per tres annos bene durat, >
Et per tres annos stat fcua yita, canis,
Per tres atque canes tua durat vita, caballe,
Perque caballos tres vivere posset homo,
Et per tres homines asinus bene vivere posset,
Sic per tres asinos vita fit, auca, tibi.
Et per tres aucas comicis vitaque durat,
Per tres cornices vivere cervus habet*).
Oder auf Deutsch^), mit derselben Durchführung der Dreizahl:
„Ein zäun wert ungeferlich drey jar, drey zäun ein hundt, drey
hundt ein pferdt, drey pferdt ein menschen, drey menschen ein
schneganss, drey schnegenss ein hirschen." Besonders bezeich-
nend für diese nordländischen Wandelungen des alten Spruches
ist die graue, die wilde, die Schneegans: im Norwegischen des
Mittelalters^) und noch jetzt auf Island wird ein alter Mann
eine grä gas geheissen, und ebenso nannte König Magnus der
Gute (1035 — 1047) seine Aufzeichnung des Rechtes von Dront-
heim und nannten die Isländer seit dem siebzehnten Jahrhundert
ihr altes Bechtsbuch von 1118^).
1) de Defectu oraculor. q). 11; Hesiodi etc. Fragmenta ed. Marck-
scheflfel pg. 376.
2) Edyll, XVIU. 3) Hist. nat. VII, 49.
4) Nach einer Strassburger Handschrift (C 173a, BL 67 a) des 14teii
und einer Brüsseler des löten Jahrb. (Mones Anzeiger für Kunde d. teut-
schen Vorzeit V, 842); in letzterer lautet das beschliessende Distichon
„Et per tres aucas corvus tibi \ivere credas, Sic per tres corvos vivere
cervus habet."
5) Haupts Zeitschr. f. Deutsches Alterthum III, 28. Andre Passungen,
hoch- u. niederdeutsche und englische, vom 13ten bis herab ins 17te Jahr-
hundert, s. in J. Grimms Beinhart S. IV, im Liederbuch d. Hätzlerinn
S. LXIXb, in Haupts Zeitschr. V, 508, in Wolfs Deutschen Märchen und
Sagen S. 420 u. bei Gödeke zu Pamph. Gengenbach S. 562—564. Agri-
cola 661.
6) Saga Thidriks konungs af Bern Cp. 408.
7) Dahlmanns Geschichte v. Dännenjark TL, 129. 181.
EHEA nXEPOENTA. 187
Der Adler, wenn er alt und altersschwach geworden, ver-
jüngt sich wieder: davon weiss schon der Psalmist: „Er sättigt
mit Gutem dein Alter, dass sich erneut gleich dem Adler deine
Jugend"^), was Notker nach Augustinus so erklärt: „Imo ge-
schiehet fore altt, chtt man, daz sin obere snabel den.nideren
s6 uberwahset, daz er in üf intuon ne mag sih ze geäzzenne.
Dara näh knitet er in an demo steine, unz er in s6 ferniuzzet,
daz er aber ezzen mag. Unde s6 gewunnet er samo sö, föne
•erist jungliche chrefte*). S6 geschiehet ouh demo, der an
Christo, der petra (stein) ist, slna sunda ilet fersltzen. Wanda
er bringet in widere ad innocentiam (ze unscadell). Föne dero
chumet er ad resurrectionem (ze urstende). dar *wirt er gejunget.
Dara zuo siebet disiu reda." Die Physiologen des Mittelalters
berichten noch wunderbareres: „s6 er alt wirdit, s6 suärent ime
die federen unt tunchelint diu ougin. So suochet er einen vil
chockhin brunnen unte fliuget von deme brunnen fif zuo deme
sunnen. da brennet er sine federen unt vellet nider in den
brunnen, den er irchös. daz tuot er drlstunt. s6 wirt er, gejunget
unte gescheute ^)." Auch Walther von der Vogel weiäe, indem
er davon spricht, wie er „jungen" und gesunden wurde, wenn
er in den Augensternen seiner Geliebten sich ersehen könnte*),
mag an den Adler denken, den der Blick in die Sonne verjüngt.
Den Römern war aquike senectits die sprichwörtliche Bezeichnung
eines jugendlich frischen Alters^).
Was hier die Physiologen von dem Adler erzählen, sieht
nur wie ein Wiederschein von den Fabeln über den Phönix aus.
Herodot^) giebt diesem bloss 500 Jahre, Hesiodus in dem vorher
angeführten Spruche neun Eabenalter, eine gewaltig grosse, aber
1) Ps. ein, 5.
2) Ebenso der Physiologus in Hoffmanns Fundgraben I, 33, 27 fgg.
n. in Earajans Sprach-Denkmalen d. zwölften Jahrh. 98, 18 fgg., der
Renner 19450 fg. u. a.
3) Hoffmanns Fundgr. I, 33, 14 fgg. = Karajan 98, 3 fgg. Vgl.
den Welschen Gast 12873 fgg., die Predigt in Haupts Zeitschr. VII,
142 fg., den Kenner 19444 fgg. u. Barths Adversaria XXXUI, 3. Minnes.
1, 327 b. Hagen.
4) Lachmanns Ausg. 54, 31 fgg.
5) Terent. Heautontimor. IE, 2, 10.
6) n, 73 mit Berufung auf die Heliopoliten,
188 EIIEA nTEPOENTA.
immer doch noch eine Zahl: der späteren Naturgeschichte ward
er, wie auch Ausonius den Worten Hesiods hinzufügt, ein „re-
parabilis ales " : wenn er 500, wenn er Tausende von Jahren alt
geworden, stirbt er oder er verbrennt sich selbst, und aus seiner
Leiche,, seiner Asche steigt ein neuer Phönix empor: Lactantius
Elegie de Phoenice^) stellt die verschiedenen Sagen alle zusam-
men^). Wir konunen später noch einmal darauf zurück. Dem
Christenthume bot sich in diesem Wundervogel ungezwungener
als in manch anderen Fällen ein bedeutungsvolles Sinnbild dar^),
zuerst mit Anknüpfung an eine Stelle des Buches Hieb*) ein
Sinnbild der Unsterblichkeit und des üeberganges aus den Müh-
salen der Erde in ein ewiges seliges Leben ^): so behandelt den
Phönix mit aller Fülle der angelsächsischen Poesie ein Oedicht
der Handschrift von Exeter^); ein Sinnbild ferner des Todes und
der Auferstehimg Jesu Christi ') ; ein Sinnbild endlich der Mensch-
werdung, der Verjüngung gleichsam des alten Gottes im Leibe
der Jungfrau, welche dann dem verzehrenden und neu gebären-
den Feuer verglichen wird^).
1) Wernsdorfs Poetae Latini minores II, 298 sqq.
2) Die Stellen der Alten s. in Martinis Ausgabe S. 38; vgl. Isid.
Origg. 12, 2. Bartsch Albr. v. Halberst. S. CXXIV fgg. CCLIX fg.
3) Pipers Mythol. u. Symbolik d. christl. Kunst I, 1, 458 fgg.
[Phönix (mit einem Stern am Haupt) im altchristlichen und schon im
heidnischen Born Sinnbild der stets sich verjüngenden Unsterblichkeit:
Gregorovius Gesch. d. St. Rom im MA. 1, 327.]
4) XXIX, 18, wo freilich das Wort chul bald Phönix, bald Palme,
bald auch Sand übersetzt wird. vgl. das ags. Gedicht Phönix 548 fgg.
Auf Grund der Hiobstelle wird Christus ein Phönix genannt in Cynewulfs
Crist 636 fgg.
5) Münters Sinnbilder I, 96.
6) Thorpes Cod. Exon. S. 197—242 (Grein, Dicht, der Angelsachsen
1, 215 — 233). Das Naturgeschichtliche dieser angels. Dichtung aus Lac-
tantius.
7) Hoffmanns Fundgr. I, 36 fg. = Karajan S. 105 fg.; Frauenlobs
Spr. 237, wo Velliea in Venica, eine geringere Verderbniss des Wortes
Phon ix f zu bessern, ist; Grässes Beiträge zur Lit. u. Sage d. Mittelalters
S. 74 fg. Phönix 646 fgg. (Grein 1, S. 232.)
8) Munter S. 96; Konr. v. Würzb. in der Goldnen Schmiede 364 fgg.
(andere Anwendung im Beginn vom Trojanerkrieg). Frauenlobs Leich I.
12, 16 fg. [auch Sinnbild der Erneuerung des Menschen: über die mittel-
alt. Sammlung zu Basel S. 15.]
EIIEA ÜTEPOENTA. 189
Gattenliebe und Treue lehrt die Taube ^), zumal die Turtel-
taube, die, wenn sie den Gesellen verloren hat, fortan allein und
wehklagend auf dürrem Aste sitzt und bevor sie trinkt, sich
selber das Wasser trübt ^), Sinnbild der Verwandtentrauer über-
haupt war die Taube in einem Gebrauche der Langobarden, den
uns Paulus Diaconus berichtet^): „Si quis in aliquam partem
aut in hello aut quomodocunque extinctus fuisset, consanguinei
eins intra sepulchra sua perticam figebant, in cuius summitate
columbam ex ligno factam ponebant, quse illuc versa esset, ubi
illorum dilectus obisset, scilicet ut sciri posset, in quam partem
is, qui defunctus fuerat, quiesceret."
Es ist vorher der Störche erwähnt worden, die das bedrohte
Aquileia räumten: lornandes ^sagt „animadvertit (Attila) Candidas
aves i. e*. ciconias, quse in fastigio domorum nidificant, de civi-
tate foetus suos trahere atque contra morem per rura forinsecus
comportare" : sie retteten also, dieselben Vögel, die unser Volks-
glaube auch den Menschen ihre Kinder bringen lässt*), nicht
1) Plin. HN. X, 52.
2) Altd. Wälder d. Br. Grimm 111,-37 fgg. S. Alexius Leben von
Massmann S. 34 fg. Hoffmanns Deutsche Gesellschaftslieder S. 99 fg.
[Shakespeares Winterm. 5, 3 gegen Ende. Wenzigs Slav. Volksl. S. 99. Jung.
Tit. 5109. Tauber und Taube Geliebter und Geliebte: Volksl. aus der
Bretagne S. 160 fgg. Seufzen wie die Tauben: Nahum 2, 8.]
3) de Gestis Langobard. V, 34.
4) Auf das Kinderbringen des Storches bezieht sich schon dessen alt-
hochdeutscher u. altsächsischer Name udebero, odehero, odeboro, falls der
erste Bestandtheil dieser Zusammensetzung ein mit dem lat. uterus und
icber und dem griech. ou^ap ablautendes Substantiv im Sinne von Kind
ist: die altnordische, altsächs. u. angelsächsische Sprache haben das de-
fective Participium aiidin, ödan, eaden s.v. a. geboren; bero, boro käme
von beran tragen (vgl. SchiUer, zum mecklenb. Thier- und Kräuterbuche
1, 3). Das Wort muss aber schon frühzeitig dunkel geworden sein, da
bereits mit dem Althochd. wechselnde Gestaltungen und Entstellungen
ihren Anfang nehmen: es heisst da auch, in die Wurzel varan (gehen,
wandern) hinübergezogen, otivaro, mittelhochdeutsch odefar, otfar (Speier
v. Zeuss S. 23), mittelniederländ. odevare im jetzigen Niederl. oyevar, im
älteren und im jetzigen Niederdeutschen edebere, zusammengezogen eber,
und adebar: letzteres würde nach Graffs Diutiska III, 453 auch mittel-
hochdeutsch sein, wenn hier nicht adebarn in adelarn zu bessern wäre.
Vgl. J. Grimm Mythol. S. 638 u. über Diphthonge nach weggefallnen Con-
sonanten S. 42.
190 EHEA IITEPOENTA.
sowohl sich als ihre Jungen. Von dieser elterlichen Liebe der
Vögel, die so mit Anmuth Wolframs Vers bezeichnet*) „al des
meigen zit si wegeten mit gesange ir kint*^ ist das ergreifendste
Beispiel der Pelican, der mit dem eignen Blute seine Jungen
neu belebt^): auch er im Mittelalter ein nahe gelegtes Sinnbild
Christi^). Um der Jungen willen, die man in das verkeilte
oder zugeklebte Nest oder in ein Glas verschlossen hat, holt der
Specht*), der Wiedehopf^), der Auerhahn*), der Strauss') das
Zaubermittel, ein Kraut oder ein Würmchen, vor welchem der
Keil und der Lehm herausfahrt und das Qlas zerbricht. Die
Störche selber gelten sonst eher als ein Vorbild der Liebe von
Seiten des Kindes gegen die Eltern ^) : ein uraltes Gesetz, scherzt
Aristophanes^), h -zqIq töv TcsXapyöv xupßeffiv schreibe ihnen
diese Tugend vor. Darum gaben die Bömer dem Bilde der
Pietas einen Storch bei*^), noch der Renner sagt^^) „da von
st@t an der triuwen schilte ein storch gemalt durch triuwe und
milte", und der Name Storch gehört zu einer Wurzel, die im
Griechischen lieben und gerade das Lieben unter Eltern und
Kindern bedeutet,, zu aTspygcv.
1) Lachmanns Ausg. S. 7, 20, wo das fehlerhafte tceget der Hand-
schrift nicht gut in wegent geändert ist.
2) Munter S. 90. Ueber den Pelican vgl. auch evangel. Kalender
1857, S. 52—54.
3) Fundgruben I, 33 fg. = Karajan S. 99 fg.; Konrad v. Würzb.
Minnes. II, 3t2a; der Mamer ebd. 252a; der Meissner ebd. UI, 101a;
gold. Schmiede 470. Dante Parad. 25, 112.
4) Plin. HN. X, 20. XXV, 5. Mones Anzeiger VIII, 614. Deutsche
Sagen d. Br. Grimm I, 11 fg. Konr. v. Megenb. S. 380. [Zusammenhang
zwischen der Spring^urzel des Spechtes und seinem Schätzesammeln (Non.
pag. 152)? vgl. Isidor 12, 7. Musäus 708.]
5) Aelian de Nat. anim. III, 26.
6) Altd. Wälder 11, 94.
7) Altd. Wald. II, 92. Eenner 18756 fgg. Gesta Roman, v. Grässe
II, 227. [J. Paul, Hesperus, 5ter Schalttag: „den Zeisigen — die, wie man
sagt, ihrem Neste und dessen Insassen durch den sogenannten Zeisigstein
so lange Unsichtbarkeit ertheilen, bis die Plantage fiXuggQ ist." Gleicher
Art das unsichtbare und unsichtbar machende Vogelnest (Simpl. 2, 1, 23) ?J
8) Renner 18303 fgg. 19461 fgg.; Aelian III, 23 rühmt an den
Störchen beides, die Kindes- und die Elternliebe. Isid. Origg. 12, 7.
9) Av. 1353 sqq.
10) 0. MüRers Archäol. § 406, 3.
11) Z. 18309 fg.
EÜEA nXEPOENTA. 191
Aber auch die strenge Zucht und die Sorge des Vaters,
dass sein Geschlecht nicht entarte, hat ihr Torbild in dem Beich
der Vögel. Der Adler zwingt seine Jungen in die Sonne zu
blicken: die es nicht vermögen, wirft er als schlechte und un-
echte Brut hinab ^). Ein Dichter des zwölften Jahrhunderts*)
wendet das auf Christum an, der seine Menschen in den Sonnen-
schein des Gebots der Liebe schauen heisse; unserm Eonrad von
Würzburg ^) ist die Jungfrau Maria der Adler*), und die Sonne,
in deren Schein wir blicken sollen, Christus.
Alles das (und ich hätte die Keihe solcher Beispiele aus
der alten Naturgeschichte und Naturfabel und Natursymbolik
noch beträchtlich verlängern können), alles das bereits Dinge, in
denen der Mensch an den Vögeln etwas besseres als nur schlechte
dumpfe Thierheit sah, und die er an ihnen sah, weil er ihnen
etwas besseres beimass. Noch mehr über die Vierfüsser erhoben
und noch näher fühlte er sich dieselben dadurch gestellt, dass
sie im Stande sind seine Sprache zu erlernen. Plinius*) zählt
all die Vogelarten auf, an denen schon das AJterthum diese Be-
fähigung wahrnahm und benutzte: Anecdoten aus dem Leben
des Augustus, die darauf sich beziehn, stellt Macrobius zusamr
men^); das Mittelalter kannte sprechende Papageien, Baben,
Dohlen, Staaren, Elstern®). Naiv aber ists, wie einigemal von
Vögeln dieser Art erzählt wird, die nicht bloss gelehrt worden
1) Aelian II, 26; Plin HN. X, 3. XXIX, 38; Wolframs Wilhelm
189; der Schulmeister v. Esslingen Minnas. 11, 139a; der Marner ebd.
252 a; Kenner 19442 fg. [Mart. 107, 19 fgg. Lucan. Phars. 9, 902 fgg.
Isid. Origg. 12, 7.]
2) Wernher vom Niederrhein S. 68 fgg.
3) Goldene Schmiede 1052 fgg.
*) [Schöne Frauen mit Vögeln verglichen: mit dem Falken Trist.
11001 = 277, 3. Troj. Kr. 7538. Altd. Leseb. 1216, 19. dem Sperber:
Trist. 10998 = 276, 40. dem Papagei 10999 = 277, 1. Troj. Kr. 20299.
dem Schwan Yöls. Saga 36.]
4) Eist. nat. X, 58—60.
5) Saturnal. II, 4.
6) Kuodlieb III, 135 fg. 174. VIII, 1 fgg. IX, 76 fgg.; Lamprechts
Alexander 5408; Christian v. Hamle Minnes. I, 112a; Heinr. v. Morungen
ebd. 122b. vgl. 124b. Im Eenner 3687 fgg. „der sitich kriechisch Wörter
sprichet, diu aglaster ouch sich ofte brichet nach menschen spräche: daz
macht der hunger": offenbar aus Persius Prolog Z. 8 fgg. Caes. HeistSrb.
X, 56.
192 EÜEA TITEPOEKTA.
sind gewisse einzelne Worte sprechen, sondern die überhaupt
sprechen gelernt haben, die reden können, wie der Papagei oder
die Elster in einer Geschichte der 1001 Nacht und der sieben
weisen Meister ^) und der Babe eines Märchens der Slovenen ^),
Oder ist die Naivität hier nur scheinbar? sind diese Erzäh-
lungen eigentlich und ursprünglich so gemeint, dass dem Vogel
in der That die Sprache der Menschen als oine höhere Wunder-
gabe verliehen worden? Von dem redenden Raben König Oswalds
heisst es^) „der himelische trehttn tet da sin genäde schtn und
gap dem raben in der selben stunde, daz er alle spräche wol
reden künde", die goldgeflügelte Gans*), durch welche Dama-
janti zuerst von der Schönheit Nals vernimmt^), ist von den
Göttern gesendet, ' und es ist eine Stimme göttlicher Warnung,
was in einer altdeutschen Ballade die Taube des einsamen Wal-
des zu der schönen Entführten spricht^). Erst auf dergleichen
Anlässe hin ist es in der alten Dichtung, zumal der Liebes-
dichtung, ein oft wiederkehrender Zug geworden, dass Vögel
ohne Weiteres, redebegabt wie der Mensch, dem Menschen Eath
ertheilen oder sonstwie zu ihm sprechen ®), dass sie ausplaudern,
was er thut '), oder es auch getreu verschweigen % dass sie um
Botendienst von. ihm begrüsst werden ^) und Botschaft bringen^®).
1) 1001 Nacht 14; Romans des sept sages 3088 fgg. Altd. Gedichte
V. Keller S. 84 fgg. Diocietianus Leben von Hans v. Bühel 2454 fgg.:
vgl. KeUer vor den Sept sages S. CXXXIV fgg. u. Abr. a S. Clara 19, 241 fg.
2) J. Grimms Mythol. S. 637.
3) Z. 389 fgg. der Ausgabe Ettmüllers.
*) [Gänse auch in der slavischen Liebesdichtung: Wenzigs Slav.
Volkslieder S. 6. 66; Schwäne und Gänse, d. i. Jungfrauen und Frauen,
ebenda S. 197.]
4) Indische Sagen v. Holtzmann III, 4. vgl. S. VIII fg.
5) Alte hoch- u. niederd. Volkslieder v. Uhland I, 142. Wunderh.
4, 102. TheilnahmsvoU sprechender und verstandener Staar: Wunderh. 2,
281—283.
6) Uhland in Pfeiffers Germania III, 129 fgg. Volkslieder d. Serben
V. Talvj I, 6. [Rathende Vögel: Norweg. Volksmährchen von Asbjömsen
und Moe, deutsch von Bresemann, 1, 103 fgg.]
7) Niederländisches Volkslied in den Altd. Wäldern II, 46.
8) Walther 39, 19. 40, 18; vgl. Konrads Engelhard 3165.
9) Hoffmanns Horae Belgic» II, 106. 109.
10) Talvj I, 53. [Falke mit einem Briefe: Talvj 2, 43. Bote u. Brief
als Falke und Schwalbe: Talvj 1, 249. Taube als Liebesbote: Wunderh,
2, 57. Nachtigall desgl.: 202 fg. Liebesbrief als Vogel: 4, 120. 121.]
EHEA nXEPOEINTA. 193
Besonders erscheint hier die tonreiche Nachtigall, die Sängerinn
der Liebe, aber neben ihr auch Lerche und Drossel ^), statt ihrer
auch die AmseP) und im serbischen Lied^) der Falke. Ausser-
halb der Liebesdichtung wifd allgemeiner gesprochen: in Ecken
Ausfahrt^) sagt Dieterich bloss „hie hoert uns anders niemant
den got und die waltvogellein", ein altgriechisches Lied, wie es
scheint, begann OuSei^ oföev xbv "^TjcjaDpov tov ipibv tuatjv et'
xi^ oL^' opvi«:^), und auch in den Liedern der Neugriechen, die
gern mit Reden eines oder dreier Vögel den Eingang machen,
sind es eben nur xo^Xocxia, die reden ^); uns bezeichnet der
Ausdruck „Das hat mir ein Vögelein gesungen" eine Kunde,
die man Anderen unerwartet empfangen haf).
Ueberhaupt sind die Vögel theilnahmsvoll für alles, was
den Menschen da untea geschieht und was sie thun: „die wilden
vögele betrüebet unser klage" sagt einmal Walther von der
Vogelweide ^). Darum auch, wenn ein gi;"össerer Frevel begangen
wird als jener, den Walthers getreue Nachtigall verschweigt^),
dann schweigen die Vögel, die allein ausser Gott ihn wissen,
nicht: denn die ganze Natur muss der erzürnten Gottheit dienen,
dass die Eache den sicheren Verbrecher doch noch treffe, und
sogar nur thörichte Handlungen des Menschen und seine unbe-
dachten Worte werden von dem, was leblos ihn umgiebt, belauscht
und verrathen. Dem griechischen Alterthum ist es noch der
alles sehende, alles auch hörende Sonnengott^®), der eine ünthat
an den Tag bringt ^ ^) : Schwur ujid Gelübde , werden deshalb mit
seinem Namen bekräftigte^); uns das Gestirn der Sonne, im
Sprichwort wie in jener auch von Chamisso gedichteten Erzäh-
1) Wolf und Hof mann, Primavera II, 17. .
2) Gräters Bragur 11, 222.
3) Talvj I, 53.
4) Caspar v. d. Roen Str. 96.
5) Aristoph. Av. 601.
6) Fanriel I, 4. 70. 126. 194. 284. 288. 300. II, 4. 324. 344. 408.
7) J. Grimms Mythol. S. 1082; vgl. Altd. Leseb. 974, 32. Voss 55b.
8) 124, 30.
* 9) 39, 19. 40, 18.
10) n. m, 277. Od. XI, 109; vgl. Plin. HN. H, 4. Kalewala 15,
185 fgg.
11) Od. VIU, 270. 302.
12) II. in, 277. XIX, 259. Eechtsalt. 895.
Wachernagel, Schriften. HI. '13
194 EIIEA riTEPOENTA.
lung^). Neben der Sonne wird dort inoi griechischen Schwur
auch die Erde genannt: ebendiese verrätb durch plauderndes
Schilfrohr das Geheimniss von der Missgestalt des Königs Midas,
das ihr von dem unbezwingbaren Sprechbedürfniss des Scherers
anvertraut worden*). Daran schliesst sich die lebensvollere
Fassung, die das Mittelalter unserem Sprichwort „Wände haben
Ohren'' giebt: „Walt hat Ören, velt hat gesiht"») oder „Veit
hat ougen, walt hat dren''^), lateinisch ^,Gampus habet lumen
et habet nemus auris acumen"*); näher der jetzt üblichen Form
sagt aber schon Helbling^) „da von rät ich, sd ie naBher z&n,
daz man da ie stiller rün'' und warnt man in Baiern mit dem
Sprichwort „Es sind Schindeln auf dem Dache" ''). Wenn sodann
deutsche Märchen erzählen, wie ein Knöchlein eines unschuldig
ermordeten, das ein Hirtenknabe sich zur Flöte schnitzt, alsobald
beginnt von der Mordthat zu singen*), und Märchen anderer
Völker Aehnliches ^), so bildet das endlich den Uebergang zu
1) Kinder- u. Hausmärchen d. Brüder Grimm 115; vgl. Götzingers
Deutsche Dichter I, 340 fg. Das andre hieher treffende Sprichwort hat
bereits die Oestreich. Chronik Ottocars S. 663 a: „nu wirt niht so klein
gespunnen, ez enkom doch an die sunnen"; und alterthumlicher durch die
epische Form Bonerius XLIX, 55: „nie wart so klein gespunnen, ez ksßm
etswenn ze sunnen''.
2) Ovid Metam. XI, 182 sqq. Pers. Sat. I, 119 sqq. [In einem
Volksmärchen der Serben (39, S. 237) ist an Midas Stelle Kaiser Trajan
getreten; aus der von dem Scherer für sein Wort gegrabenen und wieder
zugeworfenen Grube wächst ein Holunderstrauch, und die daraus geschnit- !
tenen Flöten blasen nun: „Der -Kaiser Trajan hat Ziegenohren."] j
3) Reinmar v. Zweter Minnes. II, 202b; „Dan auch die Weld jhr |
Ohren band Vnd das veld sein gesiebt verstand Wie dan die alten haben '
gsagt" Holtzwarts Emblem. XVIII.
4) Eeinm. Minnes. II, 210 b.
5) Fiedler zu Chaucers Canterbury-Erzählungen I, 223. Chaucer, der
den Spruch englisch hat, ist mir auf Englisch nicht zur Hand.
6) IV, 599 fg. in Haupts Zeitschr. IV, 112, wo jedoch die Fehler der
Handschrift, nehn statt nceher und stille statt stiller^ ohne Besserung ge-
blieben sind.
7) SchmeUers Bayerisches Wörterb. III, 371.
8) Br. Grimm 28. Haupts Zeitschr. 3, 36. vgl. Wenzigs slav. Volksl.
S. 110 fgg.
9) Br. Grimm III, 55 fg.; vgl. J. Grimms Mythol. S. 860. Litt.
Volksl. V. Nesselmann S. 321.
EIIEA HTEPOENTA. 195
«
solchen Sprüchen und Sagen des Alterthumes, wo die beredten
Bewohner der Luft ein böses Geheimniss ausbringen, einen Mord
verkündigen, den Mörder sich selbst verrathen lassen. Salomo
lehrt „Fluch dem Könige nicht in deinem Herzen, und fluche
^ dem Reichen nicht in deiner Schlafkammer: denn die Vögel des
Himmels fahren die Stimme, und die Fittig haben, sagens nach"*).
Der Päonier . Bessus hatte seinen Vater gemordet, und lange
wusste er die Schuld zu verbergen, bis er einst in .einem gast-
freundlichen Hause ein Nest voll Schwalben mit dem Speere
herabstach und auf das Erstaunen der Andern erwiderte „Zeugen
sie denn nicht schon längst verläumderisch gegen mich und
klagen mich an, ich hätte möinen Vater gemordet?" Das kam
vor den König, und alsbald traf Bessus die verdiente Strafe*).
Soll ich der durch Schillers Gedicht nun allbekannten Sage
vom Morde des Ibycus^) noch eigens erwähnen? Beinahe wörtlich
mit ihr überein stimmt die Legende vom heil. Meinrad, dem
ersten Gründer des Klosters Einsiedeln, wie z. B. Martin Crusius
in seiner Schwäbischen Chronik*) sie erzählt, nur dass es hier
Raben sind, die der Heilige als Zeugen und Kläger anruft, und
die nachher in Zürich einer der Mörder mit einem lachenden
Sieh da! begrüsst: „En Meinradi, exclamat ridens, corvi!" Un-
abhängiger von dem griechischen Vorbild erscheinen die deutschen
Gedichte von dem Juden und dem Schenken^), von dem Juden
und dem Truchsessen % in deren ersterem Rebhühner, im zweiten
Kranmietsvögel die Zeugen des Ermordeten sind; bei Bonerius'^)
und in einer Prosaerzählung des fünfzehnten Jahrhunderts^) ruft
höhnisch der Schenke selbst die Rebhühner zu Zeugen; in
1) Pred. 10, 20. Darnach Sebastian Brant im Narrenschiff XIX,
71 fgg. „Wer herren übel redet üt. Das blibt verschwygen nit lang zit,
Ob es joch ver geschaeh von im: Die vogel tragen uss din stym."
2) Plutarch de sera numinis vindicta cp. 8.
3) Die älteste griechische Nachricht bei Antipater aus Sidon, Epigr.
78: Anthol. Gr. VII, 745; spätere bei Plutarch de Garrulitate cp. 14 u. a.
4) Annales Suevici II, 2, 11. [Die Raben des heil. Meinrad von
Osenbriiggen, Schaffhausen 1861.]
5) Lassbergs Liedersaal II, 601 fg.
6) Burkard Waldis Esop IV, 20.
7) Edelstein LXI.
8) Haupts u. Hoffmanns Altd. Blätter I, 118.
.13*
196 EIIEA nXEPOENTA.
BoneriuB lateinischer Quelle^) thun es beide, der Jude wie der
Schenke.
Aber kehren wir zurück zu den sprechenden Vögeln. Eines
der vorher angeführten neugriechischen Lieder 2) hat die von all
den übrigen abgehende Eigenheit, dass es die Menschensprache,
die der Vogel redet, der sonstigen Sprache der Vögel ent- *
gegensetzt:
Ab £XaXouc7£ aav uouXl, aav oXa ra icouXaxta,
TVIov £XaXoua£ x' SXeyev, aviJpwictva fjLiXouas.
Eine Vogelsprache also: und allerdings nimmt die alterthümliche
Anschauung auch da, wo weder eine göttliche Fügung noch
Unterricht der Menschen einen Vogel sprechen gelehrt hat, schon
das natürliche Singen oder Zwitschern oder Krächzen desselben
dennoch für eine Sprache; die Vögel sprechen so gut als die
Menschen, wie die Menschen so gut als die Vögel singen: es
ist somit gleichsam nur ein Namentausch, wenn Theocrit^) die
Dichter scherzweis Vögel der Musen und Gottfried von Strass-
burg*) die Minnesinger Nachtigallen nennt. In dieser ihrer
Sprache unterreden sich die Vögel mit einander, unterreden sich
da auch über menschliche Dinge, wie in einem serbischen Liede^)
Schwalbe und Kuckuck, im Beowulf^) Eabe und Adler auf der
Wahlstatt, in einem Märchen ') die Krähen am Galgen : versteht
sie der Mensch nicht, so liegt die Schuld an diesem, so ist er
der Ungelehrte und die Sprache der Vögel für ihn, was Latein
für den Laien und eine Barbarensprache für den Griechen ist**):
das Mittelalter hat wirklich den Ausdruck Latein der VögeP),
1) dem Anonymus Neveleti LIX.
2) das Bruchstück bei Fauriel I, 70 [ebenso Fauriel 2, 376].
3) IdyU. VII, 47.
4) Tristan 4749 fgg. = 120, 31 fgg.
5) Talvj I, 63.
6) Z. 6041 fgg.
7) Br. Grimm 107. Sag. 1, 202.
8) „quorum verba non discerni a nobis nihil mirum fit, cum barba-
rorum etiam multorum sermonem minime discernamus neque tam loqui
quam indistincte vociferari putemus" Marsilius Ficinus aus Porphyr, de
Abstinentia animalium III.
9) Provenzalisch : s. Fierabras v. Bekker S. 177a; französisch: Altd.
Blätter I, 1; italiänisch: „E cantin ne gli augelli Ciascuno in suo latino
Da sera e da matino Sur li verdi arbusceUi" Canzone Dantes, Vita nuova 11;
EHEA UTEPOENTA. 197
und Aristophanes nennt die Vögel ßapßapoi*) wie umgekehrt
die Sprache eines Barbaren Schwalbengezwitscher*). Mensch-
licher Witz überträgt wohl einen einzelnen und den jedesmal
bezeichnenden Vogelruf in ein ungefähr gleichlautendes Wort
der Menschensprache, meist zum Scherz, zuweilen auch mit
ernster Bedeutsamkeit^): Beispiele der Buf der Schwalbe*) „du
diep, du diep"! und das sinnvolle Schwalbenlied^)
„Wenn ich wegzieh, wenn ich wegzieh, sind Kisten und Kasten voll;
Wenn ich wiederkomm, wenn ich wiederkomm, ist Alles verzehret",
dem wir auch eines der schönsten Lieder Kückerts verdanken;
die altfranzösischen Nachtigallenschläge^) „fier, fier! occi, occi''!
das lateinische „cras cras" desKaben'): „ih spreche iemer same
der rabe Cras cras, daz quit Morgen morgen s6 wil ih besorgen,
daz ih gote miner sundin wandel getü''. Aber auch so ist es
nur ein Spiel, nicht das rechte, nicht' das eigentliche Verständ-
niss: dafür muss das Menschenohr erst eigens geöffnet werden.
Es geschieht das bald durch unmittelbare göttliche Gnaden-
schenkung, bald durch Zaubermittel*).
Salomo, den Gott der höchsten Weisheit gewürdigt, ist da-
mit auch „vogelsprachekund"; den halben Baum seines Hof-
lagers, 50 Quadratmeilen, nehmen Thiere und Vögel ein: unter
diesen wird ihm der Wiedehopf besonders vertraut und trägt
ihm Botschaft zu der Königinn von Saba^). Tiresias, der Athenen
mittelhochd. Gottfrieds Tristan 17365 = 436, 7; mittelniederl. Elegast
770. 781.
1) Av. 199.
2) ehd. 1681.
3) vgl. das Geistliche Vogelgesang ,in Grieshabers Vaterländischem
S. 335 fgg. [Wachtelschlag: Schillers Thier- und Kräuterhuch 2, 11.
Schwalhengezwitscher ebenda 16.]
4) der Meissner Minnes. III, 109 b.
5) Altd. Wälder II, 88.
6) Uhland in Pfeiffers Gerpania III, 136. 146.
7) Litanei 488. Narrenschiff 31 und Zarnckes Anmerkung dazu.
[Hippocras Name des Raben: Froschmäus. 1, 2, 8 (k üjb).]
*) [von einer Zauberin erlernt: Kreuzwald u. Löwe esthn. Märchen
S. 7. Verständnis der Thiersprache von dem Schlangenkönige durch
wechselseitiges dreimaliges Speien in den Mund mitgetheilt: Volksmährch.
d. Serben 3, S. 19.]
8) 1001 Nacht, N. 868 fgg.
»
t98 EHEA IlTEPOENTA.
nackt geschaut, wird zur Strafe dafür blind: doch zu milder
Entschädigung reinigt die Göttinn ihm die Ohren, so dass er
alle Stimme der Vögel versteht^); Callimachus schwächt die
Sage dahin ab, dass Tiresias nur kundig der Yogelzeichen wird ^.
Der junge Graf aus der Schweiz, der da weiss, was die Hunde
bellen, die Vögel sprechen und die Frösche quaken, hat (so
stellt das Märchen^) es dar) diese drei Sprachen nach einander
bei drei Meistern erlernt: wie er jedoch durch solche Weisheit
bis auf den päbstlichen Stuhl gelangt, erscheint dieselbe auch .
hier als eine höhere Begabung. Melampus aber versteht die
Vogelsprache, weil ihm züngelnde Schlangen die Ohren gereinigt
haben ^): mit gleicher Wirksamkeit kommt dieses zauberische
Thier wiederholendlich noch sonst vor. In deutschen Sagen und
Märchen verleiht eine weisse Schlange dem, der von ihr ge-
gessen, die Wundergabe*); die Einwohner der indischen Stadt
Paraca oder Pacura oder Palura verzehren um sie zu erlangen
Herz oder Leber eines Drachen*); Sigurd erhält sie, da ihm nur
etwas von dem Herzblut des getödteten Drachen die Zunge netzt:
alsobald versteht er das Gespräch, das über ihm in den Zweigen
sieben Adlerweibchen führen, und lässt sich das Warnung und
Rath sein^); auch Guörun soll von Fafnis Herzen gegessen und
seitdem die Sprache der Vögel verstanden haben®). Das grie-
1) Apollodor. Biblioth. III, 6, 7.
2) Lavacr. Palladis 123 sq. *
3) Br. Grimm 33.
4) ApoUod. I, 9, 11.
5) Deutsche Sagen d. Br. Grimm I, 201 fgg. Märchen 17.
6) Philostratus in der Vita ApoUon. Tyan. III, 9.
7) Fafnis mal 32 fgg. Volsünga Saga Cp. 28. Märchenhafte jüngere
Umgestaltungen der Sage fassen nur die mit der Tödtung des Drachen
verbundene Erwerbung seines Schatzes auf und setzen an die Stelle des
Drachen selbst einen Vogel, dessen Herz und Leber dem Essenden einen
stets nachströmenden Eeichthum verleiht: Br. Grimm 60. 122. Man kann
damit noch den Goldvogel des 57sten, di^ goldene Gans des 64sten Mär-
chens vergleichen und die Gans, die goldene Eier legt, bei Avianus
XXXUI = Bonerius LXXXVHI.
8) Güdrunar kvida I Eingang. Nach der Völsünga Saga Cp. 35
ward Gudrun durch den von ihr verzehrten Antheil grimmiger und weiser:
mit gleicher Allgemeinheit bezeichnet das mittelhochd. Gedicht von Gudrun
Z. 403 fg. (vgl. 421) die Wirkung, die das getrunkene Blut des Lind-
wurmes auf den jungen Hagene übt.
EDEA nXEPOENTA. 199
chische Alterthum machte diesen Schlangenzauber noch zau-
berischer: Democrit gab an, wie die Schlange erst aus dem Blut
gewisser Vögel müsste erzeugt werden*). Anderswo noch andre
Vermittelungen:- in einem alten niederländischen Gedichte^) ist
es ein Kraut, das man nur in den Mund zu thun braucht, im
Volksglauben der Bretagne^) das goldene Kraut, aour göoten:
wer zufällig darauf tritt, verfällt alsobald in Schlaf und em-
pfangt darin die Gabe. Zuweilen auch erzählt die Sage von so
begabten Menschen, erzählt aber nicht, wie dieselben dazu ge-
langt seien : so die altnordische Helga kviöa Hiörvarös sonar
von Atli, dem Sohne Graf lömunds; die Ynglinga Saga*) von
dem schwedischen Könige Dag: dieser hat einen Sperling, der
ihm Nachrichten aus aller Welt zuträgt; Procop*) von Herme-
gisklos, einem Könige der Varner, der sich den Tag seines^
Todes vorhersagen hört. Kon, der junge Edle im Bfgs mal,
hat neben dieser Sprachkenntniss auch sonst viel wunderbare
Kunst und Weisheit inne®), und er ist Enkel eines Gottes,
jenes Heimdall, der bei Tag und bei Nacht hundert Meilen weit
sieht und das Gras wachsen hört und die Wolle auf den Schafen').
Ebenso schliesst es sich der mannigfachen Geheunkunde, die
ApoUonius von Tyana besass, wie ganz natürlich an, dass er
auch die Sprache der Vögel soll verstanden haben®).
All diese auszeichnenden Eigenschaften, die der Mensch an
dem Geschlechte der Vögel theils in Wirklichkeit wahrnahm,
theils in Glauben und Aberglauben ihm nur beilegte, schlössen
dasselbe allerdings von der Verwebung in die Thiersage aus:
erst deren allmäUche und jüngere Ueberfüllung hat auch Vögel
1) Plin. H. N. X, 70; vgl. Gell. Noct. Att. X, 12.
2) Elegast 763. [Trank aus neunerlei Kräutern: £sthn. Märch.
S. 243.]
3) Barzas- Breis par Villeniarque I, 62 = Volksl. aus d. Bretagne
S. 228.
4) Cap. 21.
5) de Bello Gotth. IV, 20.
6) Str. 40 fgg.
7) Snorra Edda S. 16.
8) Marsilius Ficinus aus Porphyrius de Abstinentia III: „cum audiret
hirundinem aliis nuntiare asinum prope urbem onustum tritico OQcidiss«
triticumque humi diffusum«.
200 EHEA IlTEPOENTA.
hineingebracht, immer jedoch nur mit' Nebenrollen und in sehr
passiver Stellung. Ursprünglich sind ihr wie die Hau^thiere,
die ihr dienstbares Verhältniss und ihre gar zu nahe Vertrau-
lichkeit mit dem Menschen solcher dichterischen Erhebung un-
fähig machte, so auch die Vögel fremd gewesen, diese, weil sie
dafür zu viel ünpahbares und Haltlose's hatten, weil sie dafür
auch zu heilig schienen. Aber gleich den Namen des Bären
und des V^olfes gehn auch die des Adlers und des liaben, streit-
und beutesüchtiger Vögel, die zusammt dem Wolfe mit den
Kriegsheeren der Menschen ziehn^), auf Menschen über: Bei-
spiele aus dem Althochdeutschen Aro, Heriarn, Amhild, Hrahan,
Slgihram, liabanger, und zusammengesetzt mit Wolf Arntdf,
Wolf am, Rapanolfy Wolf hrahan^); aus dem Griechischen kenne
ich als Personennamen wohl K6pa§ und Auxoc und Zusammen-
setzungen mit letzterem wie TtjJioXuxoc und Auxo|jLi58Tr]<;, olzzoc,
aber und Zusammensetzungen mit xopa? nicht ['Astioc, ^Aertov;
Ara(S: Pind. Isthm. 5, 61 fg. ApoUod. 3, J2, 7; lat. Aquila,
Corvinus, Lupus]. Noch «inen höheren Rang wies den Vögeln
der Mythus zu: sie zumal und vor allen Vierfüssern sind Lieb-
linge und die vertrauten Diener und Boten der Götter*).
Zeus dem Götterkönige zu Füssen, ja ihm im Schoss, auf
der Hand, auf dem Haupte*) sitzt der König der Vögel ^), der
Adler ^), der, als die Götter unter sich die Vögel theilten, ihm
zugefallen^), der ihm von allen Vögeln der liebste'), der sein
1) Andreas u. Elene v. J. Grimm S. XXV fgg. Mittelhochdeutsche
Gedichte gesellen dem Wolf und dem Raben statt des Adlers den Geier
Bei: Stellen ebd. S. XXVII fg.; vgl. JRenner 19466 Swä gröze herren (1.
groziu her) varnt über lant, den volgent die gire nach sä zehant, w?in si
sich äzes da versehent". [Kabe und Wolf: Gudr. 3644 fg. Willeh. 462, 23.]
2) Altd. Namenbuch v. Förstemann I, 114 fgg. 705 fgg.
*) [Weihe der heilige Vogel? ahd. wtho wio wtyo wiwo: Graffs
Sprachsch. 1, 643. griech. Upa? Falke. Roman, eine Art Fallce sagroj
sacre: Diez, Wörterb. 1, 363.]
3) Aristoph. Av. 515.
4) Pindar. Olymp. XUI, 21. Pyth. I, 7. Isthm. V, 50; Aesch.
Agam. Il5; Aelian. de Nat. anim. IX, 2; Plin. HN. X, 95; TeXetdratov
TiexcTjvtov IL Vjn, 247. XXIV, 315. [Auch den Indern ist der Adler König
der Vögel: Somadeva 2, 99 fgg.]
5) 0. Müllers Archäol. § 350.
6) Eratosth. Catasterism. cp. 30.
7) n. xxrv, 310.
EllEA HTEPOENTA. 201
Bote*) und sein Waffenträger ist^); eben ein solcher schmückt
den Herrscherstab des Gottes^) und nach seinem Vorbild auch
das Zepter der GtJtter auf Erden, der irdischen Könige, derer
im Alterthum*) wie noch im Mittelalter^), schmückt den Giebel
von Tempeln, der darum selbst asxoc oder a^T(0|xa heisst®), und
später von Kirchen (wie weit in das Land hinaus blickt der
Giebeladler von S. Miniato bei Florenz!') und wieder auch von
königlichen Palästen: so Karls des Grossen zu Achen und der
Frau SsBlde^); den Adler dort, der ursprünglich gegen Westen,
nach Frankreich geschaut, kehrten die Franzosen bei einem Ein-
fall im Jahr 978 südostwärts, gegen Deutschland^). Der Götter-
königinn aber ist der Pfau geheiligt*^), Athenen die Eule**),
Aphroditen die Taube**), dem italischen Mars der Specht**), des-
halb auch picm Martius genannt**): ein Specht trug den aus-
gesetzten Zwillingssöhnen des Gottes Speise zu*^). Apollo hat
der Vögel mehrere, zunächst den gesangreichen Schwan*^), dann
noch den Falken**^) und den Eaben: letzterer kommt als sein
Diener und Bote z. B. in der Sage von Coronis, der Mutter
1) II. XXIV, 310.
2) Plin. HN. II, 56. X, 4.
3) Pindar. Pytli. I, 5. 0. Müller § 350, 6.
4) Aristoph. Av. 510.
5) z. B. Kaiser Heinrichs II: s. das Bamberger Handschriftbild in
Försters Denkmalen Deutscher Bankunst, Bildnerei u. Malerei B: 11.
6) Pind. Olymp. XIII, 21 mit Böckhs Anm.; Aristoph. Av. 1109 fg.
7) Die Glockenthürrae am Tempel des heil. Grales tragen auf ihren
Rubinknöpfen Kreuze von Krystall und auf diesen goldene Adler: Titurel
Str. 407.
8) Heinrichs v. d. Türlin Krone 15734.
9) Richeri Historiar. HI, 71; vgl. Dietmar v. Merseburg HI, 6.
10) 0. MüUers Archäol. § 853, 2.
11) 0. Müller § 871, 9. Aristophanes Av. 516.
12) 0. Müller § 374, 3.
/ 13) Strabo V, 4, 2.
14) Plin. HN. X, 20. Serv. zu Virg. Aen. VII, 190; „Martia avis«
Ovid. Fast. III, 37.
15) Ovid. Fast. IH, 54.
16) Aristoph. Av. 772. 870; Aelian. de Nat. anim. II, 32. XIV, 13j
bei den Hyperboreern: ebd. XI, 1. Callimach. in Del. 249 fgg.
17) Aristoph. Av. 516.. >
\
202 EDEA nTEPOE]NTA.
Aesculaps^), und in jenem artigen Märdien vor, das den Durst
des Vogels und die Nichtstillung seines Durstes gerade zur
heissesten Sommerszeit erklären soll^); Aristeas wollte dem
Gotte, da derselbe zu den Metapontinem kam, als Babe gefolgt
sein*). Und so eng erschienen die Vögel ihren Göttern zu-
gehörig, dass man nach Sitte^ der Urzeit, wenn zu schwören war,
nicht bei einem Gotte selber schwor, sondern bei dessen Vogel*).
Dem germanischen Mythus sind diese geflügelten Diener
einzelner bestimmter Gottheiten nicht so geläufig: ich kenne nur
ein Beispiel, die Baben Hugin und Munin {htig ist Gedanke,
mun Gemüth), die Oöin sich auf die Schultern setzend ihm täg-
lich von allem, was sie auf Erden gehört und gesehen, Nach-
richt bringen^); die Menschen heissen ihn auch deshalb Baben-
gott, hrafnagub^). Wie aber dem Mars der Italier neben dem
Specht auch der Wolf dient'), so dem nordischen Gotte neben
dem Babenpaar noch ein Paar von Wölfen^): wir haben schon
vorher Baben und Wolf zusammengestellt, ja zusammengesetzt
kennen lernen.
Auch die Perser gaben nur einem Vogel solch näheren Be-
zug auf die Gottheit, dem Wendehals, der lynx. Zu Babylon,
berichtet Philostrat ^), in dem richterlichen Gemache des Königs
Mengen von der Decke herab vier goldene lynxbilder, die den-
selben an Adrastea erinnerten und vor Hoflfahrt warnten; die
Magier nannten diese Vögel ^eöv 7X«cj<ya<;. Nicht unwahrschein-
lich, dass , hier der Ursprung jener arabischen Erzählung von den
, Vögeln liegt, die über dem Throne Salomos mit ausgebreiteten
Flügeln um ihn zu beschatten schwebten^); das Abendland er-
1) Schol. zu Apollon. Bhod. Argonaut. I, 1049. Ovid. Metamorph,
n, 534 sqq. Hesiod. bei dem Schol. zu Find. Pyth. 3, 48.
2) Aelian. I, 47. Ovid. Fast. II, 247 sqq. Eratosth. Catast. 41.
3) Herod. IV, 15. [Raben des Elias: 1 Kön. 17.]
4) Aristoph. Av. 520.
5) J. Grimms Mythol. S. 134. [Des Teufels zwei Raben: Göthe (Faust)
12, 127. 41, 279.]
6) Snorra Edda S. 24.
7) Ovid. Fast. III, 38 sqq. Liy. I, 4. Dionys. Halle. I, 79; „Martins
lupus" Liv. X, 27; „Martialis lupus" Horat. Odd. I, 17, 9.
8) Vita Apollonii I, 25.
9) 1001 Nacht N. 868 fg.
EllEA nXEPOENTA. 203
zählte eben dergleichen von dem Hofe Karls des Grossen*), an
dem die Herrlichkeit Salomos neu ward*).
In mehrfacher Weise nun spricht die Gottheit durch diese
ihre Zungen zu den Menschen, braucht sie ihre Vertrauten, die
Vögel, die auf und ab zwischen Himmel und Erde fliegen, als
Boten um hier eineft höheren Willen kund zu thun, um in der
Himmlischen Namen bald zu rathen, bald zu warnen, bald ein
unabänderlich zukunftiges Geschick voraus zu zeigen.
Einzelnen Wandrern wie wandernden ganzen Völkern oder
Heeren wird von dem Gott ein Vogel gesendet, der ihnen den
Weg und das Ziel weist. Apollos Habe fährte Battus und die
Theräer, da sie nach Libyen kamen*), die Picentiner der Specht,
die Hirpiner der Wolf (der irpm, wie die Samniten sagten*)
des Mars*); ich habe schon anderswo*) die Vermuthung aus-
gesprochen, dass sich aus dem Namen der Opiker, denen ein
Stier vorangieng, als die ursprüngliche Bedeutung von ops der
Begriff Rind und somit Verwandtschaft dieses lateinischen Wortes
und des deutschen Ochs ergebe. In Stammsagen der Nieder-
lande kommen auf die Art. Schwäne vor''); französische Kreuz-
fahrer im Jahre 1096, um selbst die Leitung ihres Zugs in
höhere Hand zu legen, stellten an dessen Spitze eine Gans und
eine Ziege*). Etwas andres, obgleich Jacob Grimm es ebenfalls
hieherzieht ^), war die Sitte der nordischen Islandfahrer Raben
als Wegweiser von dem Schiflf aus fliegen zu lassen: denn der
landsuchende Rabe vertrat ihnen nur den mangelnden Compass^®):
ein Zweck, um dessentwillen auch die Schiffer von Taprobane
1) „si sähen, daz die adelaren ouch dar zu gewenit wären, daz si
scate baren *" Euolandes liet 21, 22.
2) Ebd. 22, 6.
8) Callimach. Hymn. in Apoll. 66.
4) Festus, Epit. Pauli Diaconi.
5) Niebuhrs Rom. Geschichte I, 103. Paul. Diacou. 2, 19. vgl. 6, 55.
[Sperber ist Wegweiser Mercurs bei der Entführung der lo, Jupiter selbst:
Suidas V. 'lo).]
6) Haupts Zeitschr. IT, 559. IX, 549 (= kl. Schriften 1, 56 Anm. 1).
7) Deutsche Sagen d. Br. Grimm II, 280 fg. Niederländ. Sagen v.
VTolf S. 34.
8) Wilkens Gesch. d. Kreuzzüge I, 96.
9) Mythol. S. 1093.
10) Leo in Eaumers Histor. Taschenbuch 1835 S. 888 fgg.
204 EllKA ilTEPOENTA.
Vögel mit sich fährten^) und auch Noah den Haben und die
Tauben fliegen liess*). Wohl aber schliessen sich hier noch die
sagenhaften Erzählungen an, wie ein Babe, ein Adler, ein Birk-
huhn die Stätte für einen beabsichtigten Kirchen- oder Burgbau
zeigt: Babenkirchen in Angeln, Henneberg in Pranken sollen
davon ihre Namen haben*). Auch das singönde ^Vöglein, das in
Holstein einen Bauern zu einem Schatz hinführte^), derJSabicht
Sigurds, der diesem auf einen Thurm entflog und so den Nach-
steigenden mit Brynhild zusammenbrachte^), der Wendehals,
den die Griechen zu zauberischer Anziehung und Herbeiziehuhg
des Geliebten brauchten^), die Schwalbe, die aus Irland nach
Cornwallis eins von den blonden Haaren der schönen Isot trug
und so die Liebe des Königs auf das unbekannte Weib hin-
lenkte (ein Zug, den Gottfried von Strassburg'') mehr verstän-
dig als dichterisch verwirft): auch diese alle wurden damit Weg-
weiserinnen. Ein Üeberrest aber des alten Glaubens an solche
Berathung durch Vögel ist der neuere Gebrauch des Pederauf-
blasens: zum Thore hinausgekommen, bläst der Wanderer drei
Federn in die Höhe, und die geradaus fliegt, deren Richtung
verfolgt er®), oder es sind ihrer drei, die wandern, und jeder
von ihnen geht seiner Feder nach*): Abkürzung der einstigen
Pulle des Vorgangs in eine blosse pars pro toto.
Indess werden von der Gottheit doch nicht bloss Vögel als
Wegweiser gesendet: wie wir zum Theil bereits gesehen haben,
brauchen^ sie zu solcher Dienstleistung ebenso oft, ja vielleicht
1) Plin. HN. VI, 24.
2) Mose I, 8, 7—12. Cädm. Genes. 1443 fg^. [Daher auch die
ßaben, die um den Kiffhäuser fliegen: Grimm iSagen 1, 30 (erst wenn die
Raben verschwinden, Rückkehr in das Leben, wie dort Anlandung).]
3) Sagen, Märchen u. Lieder d. Herzogthümer Schleswig, Holstein
u. Lauenburg v. Müllenhoff S. 113. J. Grimms Mythol. S. 1094.
4) Müllenhoff S. 344.
5) Völsünga Saga Cp. 32.
6) Pindar. Pyth. IV, 214 fgg.; Theocrit. Idyll. II; Tzetzes zu Lycophr.
Cassandra 310. Den Italiern war der lynx-Zauber fremd: sonst würde
Virgil die Erwähnung desselben mit aus jener Idylle Theocrits in seine
achte Ecloge herübergenommen haben.
7) Tristan 8605 fgg. = 217, 17 fgg.
8) Altd. Wälder I, 91.
9) Märchen 63; vgl. m, 118.
EDEA nXEPOENTA. ^ 205
noch 'öfter andere Thiere, und besonders häufig kommt das Bind
so vor, ich denke, weil diess der Erde geheiligte, die Erde be-
zeichnende Thier vor allen andern da am Platze ist, wo es sich
darum handelt, wandernden und suchenden Menschen ii^endwo
auf dem festen Grund der Erde ihr Ziel zu zeigen: ich erinnere
beispielsweise an die schon genannten Opiker, an Cadmus, wie
er nach Theben kommt*), an die Fahrt der germanischen Nerthus^),
an die Philister; die dem Volk Israel wiederum die Bundeslade
schicken^). Anders verhält es sich da, wo den Menschen durch
ein Vorzeichen Zukünftiges vorausgesagt und ihnen Kunde soll
gegeben werden, welcher Ausgang eines von ihnen beabsichtigten,
von ihnen schon begonnenen Unternehmens in dem Kathschluss
der Götter liege, wo ihnen das Zeichen rathen und anbefehlen
oder aber sie warnen und ihnen verbieten soll etwas zu thun,
anders also bei den Augurien und Auspicien.
Die abergläubische Beachtung und Befragung solcher gebt
durch alle Zeitalter und sagenhaft auf göttliche und bis in ur-
weltliche Anfänge zurück : nach griechischer Erzählung haben
die Menschen von Prometheus'^), nach etruskischer von Tages,
dem ausgeackerten Enkel Jupiters^), diese und sonst alle Kunst
der Weissagung empfangen; und geht über den ganzen Erdkreis
hin: wir finden sie bei den Ureinwohnern Amerikas^) wie bei
den Israeliten und diesen schon durch das levitische Gesetz
untersagt'), im Alterthum Europas bei den Griechen, mehr noch
bei den Völkern des germanischen Stammes®), zumeist aber bei
den Etruskern und deren Erben und Stellvertretern in all der-
gleichen Dingen, den Römern. Schliessen wir uns diesen auch
in der Namengebung an.
1) Päusan. IX, 12, 1. 19, 4; ApoUodor. III, 4, 1.
2) „prosequitur" sagt Tac. Germ. cp. 40 von deren Priester, vgl.
comitantur cap. 10.
3) Sam. I, 6.
4) AeschyL Proni. 484 fgg.
5) Cic. de Divinat. II, 23. Ovid. Metamorph. XV, 553 sqq. Isidor.
Origg. Vin, 9. Festus u. a.
6) J. G. Müllers Geschichte d. Amerikan. Urreligionen S^ 278.
'7) Mose III, 19, 26. [Auch durch die Kirche verurtheilt. Rüge
Salvians de gu^ernatione dei 6, 2.]
8) „Auspicia sortesque ut qui maxime obseivant" Tac. Germ. 10.
Ad. Brem. 2, 38.
206 ' EHEA nXEPOENTA.
Die ursprünglich einzige Benennung scheint augurium ge-
wesen zu sein: deshalb war diess noch später der mehr um-
fassende, die Anspielen mit in sich schliessende Ausdruck^);
ampicium kam nur hinzu um den Begriff des etymologisch ver-
dunkelten älteren Wortes mit neuer Verständlichkeit zu bezeich-
nen: man war sich des Zusammenhanges nicht mehr bewusst,
den ^ur mit gustare und dem griechischen Yeuetv, yeuareov
hat^). Im gewöhnlichen Sprachgebrauche verschwimmen auch
die beiden Namen ziemlich unterschiedlos: bei strengerer Unter-
scheidung jedoch, wie freilich der Wortlaut selbst sie nicht be-
gründet, ist augurium ein gesuchtes, abgewartetes, von der Gott-
heit erflehtes Zeichen, auspicium dagegen ein solches, auf das
der Mensch ohne Suchen und Verlangen, ja wider sein Erwarten
stösst*). Auspicien werden zumal dann beachtet, wenn sie beim
Aufbruch zu einem bestimmten Geschäfte oder auf dem Weg
entgegentreten^): an Zeichen dieser Art hat besonders das
deutsche Mittelalter einen reichen und mannigfaltigen Glauben
entwickelt: schon Hnikar d. h. OÖin in dem zweiten der alt-
nordischen SigurÖslieder macht dem Helden deren eine ganze
Beihe namhaft; das Mittelhochdeutsche zeigt uns dafür auch
einen eigenen Ausdruck, aneganc^): die Griechen sagten oupt-
ßoXov und (jufjLßoXoc^). Augurien nun geschehen eigentlich bloss
durch Vögel; die Vierfüsser sind davon ausgeschlossen und
namentlich, ebenwie von der Thiersage, die vierfüssigen Thiere
1) „auspicium — quod ipsum tarnen species augurii est" Serr. zu
Virg. Aen. I, 398; vgl. Anm. 3.
2) Auf Deutsch dieselbe Wurzel in den Zeitwörtern kiesen und hosten,
und kiesen ist in der älteren Sprache sowohl sehen als schmecken, ah-
stracter prüfen, wählen, wahrnehmen. Servius zu Virg. Aen. V, 523, der
Festus des Paulus Diac. u. Isidor. Origg. VIII, 9, ja noch Härtung in der
Religion der Römer I, 99 erklären augur und augurium für zusammen-
gesetzt mit gerere. Die offenbar nur abgeschliffene Form auger, die
Priscian I, 6, 36 anführt, kann nicht zur Unterstützung dienen, vgl. Sueton.
Aug. 7. Ovid. Fast. 1, 611 fg.
3) Serv. zu Virg. Aen. I, 398. Zu VI, 190 nennt er beides wieder
nur auguria: „Auguria aut oblativa sunt, quae non poscuntur, aut im-
petrativa, quae optata veniunfc".
4) „Auspicia sunt, quae iter facientes observant" Isidgr. Origg. VIII, 9.
5) J. Grimms Mythol. S. 1072 fg.
6)-^vo5(ou? oujJißdXoui; Aesch. Prometh. 487.
EHEA nXEPOENTA. 207
des Hauses: die germanische Beobachtung der weissen Pferde
widerspricht dem nicht: diese waren „nuUo mortali opere con-
tacti"^). Bei den Auspicien aber, die als ungesuchte Zeichen
in das weitere Gebiet der omina hinüberfliessen^), kommen zu
den Vögeln mit nicht geringerer Vorbedeutsamkeit auch andre
Thiere, wie besonders der Wolf ^) und der Hase*), unwillkürliche
Handlungen der Menschen, wie Niesen^) und Straucheln^), und
gewisse Menschen selbst*^): „auspicia omnium rerum sunt"^).
Allen jedoch voran durch ältres und allgemeineres Ansehn stehen
auch hier die Vögel, und es wird deshalb auspicium, es wird
ebenso augurium, obschon beide mit avis zusammengesetzt sind,
es wird das einfache avis selbst auch da gebraucht, wo nicht
einmal ein Vogel mitwirkt; bei augmtus und dem französischen
bonheur, malheur, d. h. bonum augurium, mcdum augurium^),
ist der eigentliche Begriff gar in die Ferne zurückgetreten. Nicht
anders im Griechischen: weil unter den Vorzeichen der Vogel
herrscht, beherrscht hier auch sein Name Alles und überall gilt
oiovoc oder opvic:
?pvtv TS vofjLt^eTe uotvä' odairep irepl fiavTsta? 5iaxp(vet*
9T5fjLT) 8' ufifv opvtg' IgtL, TurapjJiov t' opvt^a xaXstxe,
SufißoXov opvtv, 9(i)VT)v opvtv, J^epotTCOvr' opvtv, ovov opvtv***).
Aber nicht alle Vögel sind fähig und würdig eine göttliche
Vorhersagung auszurichten, nicht die zahmen im Hause, die
gleich den Vierfüssern desselben nicht Unabhängigkeit genug von
der Einwirkung des Menschen, zu wenige Verbindung mehr mit
1) Tac. Genn. 10.
2) Servius zu Virg. Aen. IV, 340.
3) Plin. HN. VIII, 34. Hör. Odd. III, 27, 3. Sigurdar kvida II, 22.
Mythol. S. 1075. 1079 fg.
4) Mythol. S. 1079 fgg.
5) Geschichte der Formel: Gott helf dir! beym Niesen, Lindau 1787;
Mythol. S. 1070 fg. Plin. hist. nat. 2, 5. Niesen einer Katze ein böses
Vorzeichen: Helbling I, 1393; vgl. Berthold S. 303.
6) Cic. Divin. II, 40. Valer. Max. I, 4, 2; Plin. hist. nat. 2, 5;
Sigurdar kvida II, 24; vgl. Volkslieder d. Serben v. Talvj I, 240.
7) Mythol. S. 1074 fgg.
8) Serv. zu Virg. Aen. in, 20.
9) Altfranzös. Lieder u. Leiche S. 130. [verschieden davon mala hora
Greg. Tur. 6, 45^ über augustus vergl. J. Grimm kl. Schriften 1, 303.]
10) Aristoph. Av. 716 sqq.
208 ETIFA riTEPOE^TA.
den üeberirdischen haben : bloss bei den Römern kommen zeichen-
gebende Hühner vor, und das Zeichen ist ihr Pressen^). Indess
auch diese wieder bilden kaum eine Ausnahme: denn sie wurden
eigens und bloss für den heiligen Zweck gehalten, waren kein
Hausgeflügel. Die Hähne aber von Lebadia, deren Krähen ein-
mal den Böotiern prophetisch gewesen^), stehen damit ganz ver-
einzelt. Sonst haben immer nur die wilden Vögel eine Vor-
bedeutung. Denn mochte man das Zeichen als einen Verrath,
den der Vogel an der Gottheit übe^), mochte man es, was jedes-
falls das echtere und ursprüngliche ist, als eine Botschaft be-
trachten, mit der ein Gott*) und vor allen der höchste der
Götter*) den Vogel beauftrage, als eine aus göttlichen Gnaden
kommende Lenkung des Vogelflugs und Bufes^): für das eine
wie für das andre voll geeignet konnten nur „die Pittige des
Himmels*' scheinen, die in Freiheit hinauf an den Sitz der Götter
schweben und je näher demselben, desto gewissere Kunde von
da herniederbringen''); nur solch ein Vogel, eher ein solcher als
das fressende Huhn, durfte für eine „intemuntia", einen „interpres
et satelles Jovis**)" gelten. So war es denn auch in ullem
Uebrigen bei den Eömern selbst, so bei den Griechen, und
ebenso war und ist es noch bei den Germanischen Völkern.
Aber auch nicht sämmtliche Vögel des Himmels ^ringen
Zeichen:
^pvtäe^ 5£ re TtoXXol tjtt' auyag 'HeXioto *
auf bestimmte einzelne unter ihnen wird vorzugsweise gewartet
und geachtet und ihnen die grössere Bedeutsamkeit beigemessen ^°).
1) Cic. Div. I, 15. 35. II, 34 sq. Plin. HN. X, 24 u. a. [Der Hahn:
Griiöin Sagen 1, 202 fg. Pfeiffers Germ. 4, 17.]
2) Cic. Div. I, 34. II, 26. Plin. a. a. 0.
3) Ovid. Fast. I, 445 sq.
4) „eam alitem ea regione cseli et eins dei nuntiam venisse" Liv. I,
34; Athene II. X, 274; Apollo Odyss. XV, 526.
5) D. Vni, 247 fgg. XXIV, 310 fgg. Od. ü, 147 fgg.
6) Xenoph. Memorab. I, 1, 3. Amm. Marcell. XXI, 1; dagegen
Seneca Quaestion. natur. 11, 32.
7) Ovid. Fast. I, 447 sq.
8) Cic. Div. II, 34. 35.
9) Odyss. II, 182.
10) Seneca a. a. 0.
EÜEA nXEPOENTA. 209
Wie natürlich, sind das solche, die entweder in besonderem Be-
zug zu irgend einer Gottheit stehen, wie der Adler zu Zeus,
der Specht zu Mars, der Rabe zu OÖin und Apollo, oder sonst
in irgendwelcher Art der Auszeichnung und Heiligung geniessen,
wie die Krähe und der Kuckuck; bei einigen kann erst daraus,
dass sie Zeichenvögel sind, ein Schluss auf noch sonstiges höheres
Ansehn gezogen werden. Schon dieser Zusammenhang der
Augurien und Anspielen mit dem anderweitigen Glauben macht
es erklärlich, wie im Verlauf der Jahre die Zahl der beachteten
Vogelarten sich ändern kann (bei den Etruskern war sie grösser
als bei den Bömem und bei den älteren Bömern grösser als in
der spätem Zeit^) und wie das eine Volk deren nur wenige, das
andre desto mehr^) und selbst verwandte Völker keineswegs
immer die gleichen beachten. Den Griechen obenan steht der
Adler*), und gemein mit diesen haben ihn die Römer und Ger-
manen*); Römern und Germanen gemein sind der Specht^), der
Rabe^), die Krähe'); den Römern besonders eigen scheint der
Geier®), den Germanen die Elster^) und der Kuckuck. Die
Letten aber haben sich fast den kleinsten unter allen Vögeln,
1) PHn. HN. X, 8. 17.
2) „Externa enim auguria, — videamus. Omnibus fere avibus utuntur,
nos admodum paucis" Cic. Div. II, 36.
3) II. VIII, 247 fgg. Xn, 201. XXIV, 315 fgg. Od. II, 148 fgg.
Aescb. Pers. 205. [Adler Zeus selbst ein Zeichen gebend: Eratostb. Ca-
tasterism. 30.]
4) Virg. Aen. I, 394. Liv. I, 34. Cic. Div. I, 47 (vgl. 15 u. II, 8).
Valer. Max. I, 4, 6. Sueton. Octav. 94. 96. 97. Seneca a. a. 0.; Procop.
de Bello Vandal. I, 4. J. Grimms Mytbolog. S. 1083. 1086. [Adler bei
Konradins Hinrichtung: Joh. Vitod. 11. Raumer Gesch. d. Hohenstauf.
4, 619.]
5) „principales Latio sunt in auguriis" Plin. X, 20; Mythol. S. 1084.
6) Val. Max. I, 4, 2 u. 4. Hör. Odd. III, 27, 11. Plin. HN. X, 15.
Seneca a. a. 0.; Saga Olafs Tryggvasonar Cp. 28. MythoL S. 1074. Diez
Leben und Werke der Troubadours S. 23. [Rabe Weissage vogel : Wenzig
slav. Volksl. S. 214 fg.]
7) Plaut. Asin. II, 1, 12. Cic. Divin. I, 7. 39. Hör. Odd. III, 27,
16. Plin. X, 14; Mythol. S. 1073 fgg. 1083 fg. Diez a. a. 0.
8) Liv. I, 7. Plut. Romul. 9. Dionys. HaUcarn. I, 86. IV, 63.
Sueton. Octav. 95.
9) Arndtig Reise durch Schweden I, 49. Mythol. S. 1085. Andre
Belege weiterhin.
Wackernagel, SchrifteiL III. 14
2r0 EriEA nXEPOENTA.
die Meise ansersehn, einen Vogel, der einst auch den Deutschen
Yorzugsweis heilig gewesen: das alte Becht setzt auf ihren Fang
in Bannforsten eine auffallend hohe, ja zuweilen die höchste
Busse ^). Und wie die Alten zuletzt jegliches Vorzeichen au-
spicium und {^vic nennen, so die Letten, denen die Meise sihle
heisst, alles und jedes Wahrsagen sihlekt, alle Wahrsager und
Zeichendeuter sihlneeki und sihlehmP).
Zweierlei Dinge nun werden an den Vögeln des Himmels
als Yorbedeutsam in Acht genommen, die Stimme und der Flug,
„voces Yolatusque*)", jedoch nur an wenigen sowohl das eine als
das andre: solche sind den Bömern der picus Martins, der feronius,
die parra^), den germanischen Völkern der Kabe*), die Krähe ^)
und, wie wir sehen werden, auch der Kuckuck; gewöhnlich gilt
nur das eine der beiden: die meisten Vögel sind, wie die Römer
es benannten, nur oscines oder nur alites, geben nur mit ihrer
Stimme^) oder nur mit ihrem Flug ein Zeichen: als oscines aYes
werden Yon Festus aufgezählt „corvus, comix, noctua", als alites
„buteo, sanqualis, aquila, immissulus, Yulturius*^
Das Zeichen aber, das sie mit Flug und Stimme geben, ist
entweder ein gutes oder ein böses, Yerkündet Glück oder Unglück,
ermuntert und befiehlt oder warnt und Yerbietet. Und zwar
sind einige stets nur Glücks-, einige stets nur Unglücks vögel;
schon Prometheus lehrte seine MenBchen zwischen den einen und
den andern unterscheiden^). Ein Unterschied, der zunächst
wohl auf die wahrgenommene Eigenart der Vögel sich begründet,
Yielleicht aber auch auf die Art des Gottes, dem man sie be-
sonders zugehörig glaubte. Den Letten ist ihre Meise *^), den
1) „Wer ein sterzmeise fahet, der ist nmb leib und guet und in
unsers herren ungnad" J. Grimms Weisthümer II, 153; vgl. Mjthol.
S. 647. [Y^eist. 1, 535. 4, 588. 744. Rechtsalt. 587 fg.]
2) Stenders Lett. Grammat. S. 269.
3) Tac. Germ. 10.
4) Festus V. Oscines ayes.
5) Vgl. die oben S. 209, Anm. 6 und 7 angeführten SteUen.
6) ;,ir vogel in vil wol sanc" LieÜänd. Reimchronik 7240; im Alt-
hochd. wird augupium mit fogalrarta ausgedrückt (Graffs Sprachschatz
U, 535 fg.): razda aber ist goth. die üebersetzung von XaXuz.
7) Aesch. Prom. 489 fg.
8) Stender a. a. 0. S. 270.
EIIEA nXEPOENTA. 211
Deutschen der Mäusefalke ^) und der Schwang ein gutes, die
NacMeule aber Deutschen und Eömern und Letten ein böses
Vorzeichen*). Und der Kuckuck. Der Kuckuck als Frühlings-
bote, sein Ruf als die Botschaft des Frühlings ist den Deutschen
hoch wülkommen : stber das hindert nicht neben dem gleich-
zeitigen Gesänge der Nachtigall den Kuckucksruf doch übel-
lautend und thöricht anmasslich zu finden*); man weiss auch,
wie er seine Eier in fremde Nester legt, man betrachtet ihn
ausserdem als gierig und geizig*), und wie um all dessen willen
sein altdeutscher Name gouch ganz gewöhnlich s. v. a. Thor
bedeutet®), und wie Ehebrecher^), Bastarde®) und sogar die, an
denen die Ehe gebrochen wird, die Hahnreie*), gleichfalls Gäuche
heissen, wie im Fluchen Kuckuck selbst ein ausweichendes Wort
für Teufel ist*®), so gilt sein Herzufliegen**) und unter üm-
1) Mythol. S. 1075. 1083.
2) Deutsche Sagen d. Br. Grimm II, 287 fg. Mythol. 1074. [in der
Bretagne Elster, Eahe nnd Tauhe: Volksl. S. 253. Taube: Fundgruh. 2,
169. 171.]
3) Mythol. S. 1075. 1088; Virg. Aen. IV, 462. Ovid. Metam. V,
550. VI, 432..Plin. HN. X, 16; Stender a. a. 0. [Der Uhu des Herodes
Agrippa: Josephus Antiq. Jud.]
4) Walther v. Metz in v. d. Hagens Minnesingern I, 310 b. Eonrads
von Würzburg Gold. Schmiede 131 fgg. Die deutschen Gesellschaftslieder
von Hoffmann S. 266 fg. Kollenhagens Proschmeuseler I, 1, 10. Vgl.
Uhlands Volkslieder S. 45.
5) Vrldankes Bescheidenheit v. Wilh. Grimm S. LXXXVII fg. Schon
Plinius HN. X, 11 „avidus ex natura". [Kuckuck auf dem Zepter Heras
(Paus. 2, 17, 4), aber xoxxu| wie cuculus ein Schimpfwort.]
6) Ein Priamel des 15ten Jahrh. (Hoffmanns Verzeichniss d. altd.
Handschriften zu Wien S. 160) „Äff, esel und gauch — Ich wan, das kein
tor sei, Er hab die namen alle drei", [gouch, äffe, esel: Ges. Abent. 2,
451. Brants Narrensch. von Zarncke S. XLVD. vergl. das Bild zu Cap. 13.
esel — gouch: Freid. 140, 9. Boner 99, 71.]
7) J. Grimm vor Merkels Lex Saüca S. XXXV.
8) Nib. 810, 1. Haupts Zeitschr. VII, 379. Altd. Wälder I, 46.
9) Gesichte Philanders v. Sittewald (Strassb. 1650) I, 24. 448. II,
335. Simplicissimus I, 5, 11. Trutz Simplex Cp. 14. Schluss von Shake-
speare» Loves Idbours lost. In altfranzösischer Umformung cous, mittel-
hochdeutsch cüs geschrieben: vgl. J. Grimms Sendschreiben über Beinhart
Fuchs S. 54. [Cocu u. s. w. Hahnrei : Diez Wörterb. d. rom. Spr. 1, 147.]
10) Mythol. S. 646. 949. Schon bei Helbling 11, 484 und IV, 800
huhuk im fluchenden Ausruf.
11) Paul. Diac. de Gestis Langobard. VT, 55.
14*
212 EÜEA nXEPOENTA.
ständen auch sein Buf^) als ein böses Vorzeichen. Nur den
Schweden ist letzterer, wenn er von gewisser Seite hei ertönt
(wir kommen später darauf zurück), eine Glücksverheissung*).
Gewöhnlich indess verkündigen die Vögel an und für sich
selbst und lediglich durch ihren Flug oder Ruf weder bloss
Glück der eine noch der andre bloss Unglück, sondern ein und
derselbe Vogel kann bald Glücks-, bald Unglücksbote sein: der
ales je nach der grössern oder geringeren Anzahl, in der er ge-
flogen kommt, wie in der römischen Sage die zwölf Geier, mit
denen es ßomulus über die sechse des Bruders gewinnt'), oder
nach der sinnbildlichen Bedeutsamkeit der Handlung, in der er
sich plötzlich den Augen der Menschen zeigt, wie dort in der
Ilias*) der mit der Schlange kämpfende und sie besiegende Adler;
der oscen je nach dem Klang seiner Stimme, ob der Babe z. B.
hell und laut^) oder wie ein Gewürgter, schreit®); namentlich
aber, je nachdem ales und oscen zur rechten oder zur linken
Seite fliegt und ruft.
Es sieht das wie eine ganz willkürliche, nach Zufall und
Laune so bestimmende Satzung aus, um so mehr als von der
gleichen Seite dem einen Volke die guten, dem andern die
bösen Vorzeichen kommen. Wirklich äussert auch Cicero^) in
seiner bloss verständigen Betrachtungsweise solch ein ürtheil.
Jedoch nur für die Auspicien etwa, für den Aneganc kann man
in der Entgegensetzung von Links und Eechts eine Art von
Willkür finden, für die-Augurien nicht. Denn hier ist diese
Unterscheidung immer zugleich eine Unterscheidung gewisser
1) „hiure müezens beide esel und den gouch gehoeren, S si enbizzen
sin" Walth. 73, 31, wo Lachmann das sinnlose „der gouch" zweier Hand-
schriften nicht hätte festhalten sollen. In Schweden glaubt man, wer
Kuckuck oder Krähe oder Specht nüchtern höre, werde dadurch bethört:
Arndts Reise IV, 7.
2) Christian Gryphius hat eine „Lob-Schrifft des Guckgucks" ver-
fasst: Poet. Wälder I (1707), 767 fgg.
3) Liv. I, 7. Plut. Rom. 9. Dionys. Halic. I, 86 fg;
4) XII, 200 fgg.; nachgeahmt von Cicero in seinem Marius: s. de
Divin. I, 47. [Ilias 8, 248 fg. Odyss. 2, 148 fgg. Aesch. Pers. 205 fgg.
Dionys. Halic. 4, 63. Sueton. Octav. 94. 95.]
5) Saga Olafs Tryggvasonar Cp. 28.
6) Plin. HN. X, 15.
7) de Divinat. 11, 36 sqq.
EHEA nTEPOENTA. »213
festbestimmter Himmelsgegenden und damit in einer Wirklich-
keit des Glaubens und der Eeligionsgebräuche begründet. Bei
den Auspicien freilich mangelt solch ein Bezug, und es ist da
gleichgültig, nach welcher Seite des Himmels die rechte oder
die linke Seite des Menschen liege. Daraus folgt aber nur, dass
der ganze Unterschied erst von den Augurien auf die Auspicien
übertragen und dass jene Art der Vogelschau die ältere echtere
und ursprünglich ebenso die einzige gewesen sei, wie auch ihr
Name der ältere und ursprünglich alleinige ist.
Das Bechts und Links der Augurien ist wesentlich eins mit
den beiden Gegensätzen des Sonnenlaufes Osten und Westen;
religiöser Anschauung nach stehn aber die Vorbedeutungen über-
haupt und namentlich die zeichenbringenden TMere in mehr-
fachem Zusammenhang mit der Alles sehenden, Alles wissenden
Sonne.
Träume, die man des Morgens oder gegen Morgen hat,
sind vor allen wahrsagend^): ich denke, nicht aus dem Grunde,
den Porphyrie angiebt^), „quia tunc jam mens et cibo et potu
purior est", sondern deshalb, weil da schon die Sonne herauf-
leuchtet und etwas ihres Lichts auch in den Träumenden er-
giesst. Ebenso hat der Archipoeta ein Gesicht, das ihn bis in
den Himmel verzückt, zu Ende der Nacht: „ortus erat lucifer,
Stella matutina^)". Die Perser opferten der Sonne, der sie
dienten, Pferde*), und öfters wird bei ihnen heiliger weisser
Rosse, von Curtius eines grossen Sonnenrosses gedacht^); v^ohl
von ihnen aus war auch zu den Juden ^) dieser Sonnendienst mit
Boss und Wagen gelangt: Darius aber ward König der Perser,
indem sein Pferd zuerst bei Sonnenaufgang wieherte und damit
1) Plato Crit. 2. Moschus Idyll. II Anf.; Hor. Satir. I, 10, 33.
Ovid. Herold. XIX, 195 sq.; Ecbasis 227. Eracl. 3723. „Somnia, qu8B
nobis in mane accidunt, magis videntur significare quam ea, quae aut in
principio aut in medio noctis accidunt" Theopbilus in Breviario divers,
artium: Lumen Animaß I, 72.
2) zu Hor. Sat. I, 10, 33.
3) Gedichte d. Mittelalters auf K. Friedrich I v. J. Grimm S. 58.
4) Xenoph. Cyrop. 8. Justin. I, 10.
5) Herod. I,_189. VH, 55; Gurt. IH, 3.
6) Kön. n, 23, 11.
V
214 EIIEA nXEPOENTA.
das entscheidende Zeichen gab^). So werden denn auch die
heiligen weissen Rosse vor dem heiligen Wagen, aus deren
Wiehern und Knirschen die Germanen Weissagungen schöpften^,
Bosse der Sonne gewesen sein. Besonders nah jedoch ist der
Bezug der Vögel auf die Sonne. Bei Homer heisst es ""Opvi^ec
— TcoXXol W auyoc 'HeXtoio <foixöai^): es ist, als sollte damit
die wahrsagende Kraft der Vögel aus dem Sonnenlichte hergeleitet
werden; nach Ennius^) kamen die zwölf Geier, denen Bomulus
das Königthum verdankte, zugleich mit dem Aufgang der Sonne;
beide, die Sonne und die Vögel, offenbaren Terborgene ITnthat,
und wenn Wolfram^) von dem Tage sagt „Stne kläwen durh
die wölken sint geslagen" und ebenso Ulrich von Thürheim*)
„daz diu wölken wären grä und der tac stne clä hete geslagen
durch die naht'S ^o ist der Tag, ist die Sonne selbst als ein
sich durchreissender Vogel aufgefasst. Von dem Adler, .wie er
im Licht und Feuer der Sonne sich verjüngt und den Adel
seiner Brut durch den Blick in die Sonne prüft, haben wir
schon oben gelesen*). Auch der Phönix war der Sonne heilig "Oi
und wenn sein Vater gestorben, trug er dessen Leiche®) oder
das Nest^) nach Heliopolis in Aegypten und bestattete sie dort
im Sonnentempel, oder aber der Vater starb erst hier bei Sonnen-
aufgang und die Priester bestatteten ihn^^). Ursprünglich jedoch
ist kein wirklicher Vogel damit gemeint gewesen, der Phönix
sollte nur ein chronologisches Sinnbild, wahrscheinlich der Hunds-
stemperiode von 1461 Jahren sein^^): also auch hier wie dort
1) Herod. III, 84—86. Justin. I, 10.
2) Tac. Germ. 10.
3) Odyss. II, 181.
4) bei Cic. de Divin. I, 48.
5) Lieder, Lachm. 4, 8 fg.
6) J. Grimms Eechtsalterthümer S. 36.
*) [Mane aatem facto ad orientaletn portam ponnnt aquüam (Sachsen,
Heerzeichen): Widuk. 1, 12.]
7) PHn. HN. X, 2. Tac. Ann. VI, 28. vgl. Isid. 12, 7. [Phönix und
Sonne: Cod. Exon. S. 204 fg. 212.]
8) Herod. II, 73.
9) Plin. n. Tac. a. a. 0.
10) HorapoUo H, 57.
11) Idelers Handbuch d. Chronologie I, 183—186. Vgl. Plin. a. a. 0.
und Solinus cp. 36.
* EIIEA HTEPOENTA. 215
bei den altdeutschen Dichtern der Vogel eine Verbildlichung der
Sonne selbst; Horapollo^) bezeichnet den Phönix lediglich als
eine solche.
Auf dem Grunde nun dieses Zusanunentreffens beruht der
Gebrauch, dass, wer die Augur ien beobachtet, dabei auf die
Himmelsgegenden d. h. auf den Gang und Stand der Sonne
Rücksicht nimmt. So die Schweden: Bufen des Kuckucks von
Norden her bedeutet für das beginnende Jahr Trauer, von Osten
und Westen Glück, von Süden Fruchtbarkeit:
Ostergök är tröstegök,
Westergök är bästa gök,
Norrgök är sorggök,
Sörgök är smörgök*).
Wätrend hier Jedoch allen vier Seiten ihre Bedeutung und die
schlimme Bedeutung dem Norden gegeben wird, kommen sonst
als gut oder böse nur Osten und Westen in Betracht*), und die
zwei andern Himmelsgegenden bestimmen bloss die Richtung,
nach welcher hin der Schauende sich wendet.
Die Griechen kehrten bei der Vogelschau das Antlitz nach
Norden, der Seite des Himmels, die allen Völkern des grossen
Indogermanischen Stammes besonders heilig war: dort lag für '
sie der Berg, der ihnen als Wohnsitz der Götter und Mittel-
punkt der Welt erschien^), den Indern der Meru*), den* Persern
der Albordsch d. i. der Caucasus, eben dieser den Babyloniem*),
den Griechen der thessalische Olymp: hieraus erklärt sich, wes-
halb avd) zugleich s. v. a. nordwärts bedeutet. Auch die Italier
dachten sich, wennschon eines Berges dabei nicht erwähnt wird,
die Götter im Norden wohnend^). Vorzüglich aber und in der
1) I, 34. 35.
2) Ostgauch ist Trostgauch, VTestgauch ist bester Gauch, Nordgauch
ist Sorgengauch, Südgauch ist Buttergauch: Arndts Beise IV, 6.
*) [Osten und Westen gut und böse: Karajans Ged. d. 12. Jahrh.
S. 28 fg.]
3) Gesenius Jesaia in, 316 — 326: Von d. Götterberge im Norden,
nach d. Mythen d. asiatischen Völker.
4) Bohlen, ^as alte Indien 11, 210; Georgii, Alte Geographie I,
326 fg.
5) Jes. XIV, 13; vgl. Hesek. I, 4. XXVIII, 14.
6) Varro bei Festus v. Sinistrae aves; Servius zu Virg. Aen. II, 693.
Vgl. 0. Müllers Etrusker II, 126 fg.
216 EIIEA nXEPOENTA.
mannigfachsten Weise belegt finden wir diese Heiligung des
Nordens bei den germanischen Völkern. Nordwärts schauten
die Heiden, wie die Christen ostwärts, beim Gebet ^), nordwärts
beim Gesang eines Zauberliedes ^, nordwärts bei Eid und Opfer ^),
und wie jede Hinrichtung eigentlich nur als Sühnopfer gemeint
war, so bestinmien auch die Kechtsbücher der alten Friesen als
Galgen einen nordwärts stehenden Baum^) und bei den Scan-
dinaviem hatte der angeklagte Verbrecher seinen Platz vor Ge-
richt auf der Nordseite ^). Dort wohnten eben auch ihnen ihre
Götter: neben Island und Grönland ward von noch einer hoch
im Norden gelegenen Insel des Namens Hälagland d. i. heiliges
Land erzählt^), das Nordlicht oder auch der lange nachtlose Tag
jener Weltgegend war den Germanen eine Göttererscheinung voll
Glanzes und Klanges '), und die Lex Baiwarioruni^) schreibt den
Axtwurf, der die Grenzen eines Gehöftes bezeichnen soU, aus-
drücklich nur für den Osten und Westen und Süden vor: nord-
wärts wäre er gleichsam ein Wurf nach der Gottheit gewesen.
Dahin also-, betend und der Gnade des Gottes wartend, hielten
die Griechen bei der Vogelschau das Antlitz gewendet: so war
Osten, der Aufgang der Sonne, ihnen zur rechten, der Westea,
wo dag Licht uns verlässt, zur linken Seite*), und je nachdem
die Vögßl ihren Plug von dort oder von hier aus nahmen,
dx' iizX b&iC tüXJt upö« 'Hö T 'HAtdv re,
dr iiz aptatepa ToCye ttotI ^d90v iQepdevTa'),
1) J. Grimms Mythol. S. 30. [dagegen: Gott im Osten Cädmons
Genes. 555. Gott im Südosten sitzend: ebenda 667. Christus am jüngsten
Tage wie die Sonne von Südosten, von Osten: Cynewulf 901. 907. —
Beim Gebet Verneigung nach allen vier Seiten: Dietrich russ. Volksm.
S. 20. 23. 42. 149. 164.]
2) Vegtams kvida Str. 9.
3) J. Grimms Eechtsalterth. S. 808.
4) Bichthofens Fries. Kechtsquellen S. 955 b.
5) Rechtsalterthümer a. a. 0. [Norden die Teufelsseite: Bouterweck
Cädraoh 1, 291.]
6) Adam v. Bremen IV, 37.
7) Tac. Germ. 45.
8) XI, 6, 2.
*) [axatd? links und westlich. Hades ^SoTzzpoq ^ed«: Soph. Oed.
Tyr. 178.]
9) II. Xn, 239 fg.
EHEA ÜTEPOENTA. 217
nach dem unterschied sich die Bedeutung: die rechten Zeichen
waren gute, im Augurium und dann auch im Auspicium*), die
linken, rechtshin gehenden böse^). In Folge hievon sind Se^ioc
und eucSvufJLOC und api^Tepoc überhaupt s. v. a. Glück oder Un-
glück Terheissend^), die letzteren Ausdrücke beide euphemistisch:
denn apLaT6p6<; kann doch nur eine neue Steigerung von SptaTOC
sein. Auch exspa als Benennung der linken Hand ist vielleicht
ein Euphemismus, einer von der Art, wo nur dem eigentlichen
Namen ausgewichen wird, oder es soll einfach die rechte als die
erste, die vorzüglichere bezeichnen. Denn in den mannigfach-
sten Verhältnissen des thätigen Lebens selbst und des Alltags-
lebens hat nun die rechte Hand, die rechte Seite*) den Vorzug
vor der linken: Passows Wörterbuch unter ht^i6<; giebt davon
genügende Beispiele.
Denselben Unterschied zwischen Bechts und Links als die
Griechen und aus demselben Grund und Anlass*) machen die
Gennanen und die halbgermanischen Völker des Mittelalters und
der neueren Zeit, den Unterschied zwischen rechten und linken
Vogelzeichen ^) und den des Bechten und des Linken überhaupt
1) II. X, 275. XXIV, 312. 320; Od. XV, 160. 164. 525.
2) II. XII, 201; Od. n, 154. XX, 242.
3) z. B. Aeschyl. Prometh. 489 fg.
*) [rechtshin gewendet beten: Theogn. 922. nicht gegen die Sonne
hin pissen: Hesiod. op. et d. 672.]
4) In eigenthümlicher Weise zeigt den Bezug noch der Auspicien anf
den Sonnenlauf ein von J. Grimm (Mythol. 1835, Anhang S. LXXIII, 158)
angeführter Aberglaube: „Schreit eine Elster Vormittags auf dem Kranken-
hause sitzend und man sieht sie von vomen, so ist die Bedeutung gut;
schreit sie Nachmittags und man sieht sie von hinten, schlimm". Also
Auf- und Niedergang der Sonne, und nimmt man die heiden auch hier
als rechts und links gelegen, so erscheint die entgegenschauende Elster
wie vom Norden her, von den Göttern ausgesendet.
5) J. Grimms Mythol. S. 1083 u. Gesch. d. Deutschen Sprache U»
985. Im alten Epos vom Cid Z. 11 fg. „A la exida de Vivar ovieron la
comeia diestra, E entrando a Burgos ovieron la siniestra'^. Eine hier ein-
schlagende Erzählung, die 32ste der Cento novelle antiche, erlaube man
mir in vollständiger üebersetzung mitzutheilen. „Herr Imberal von Balzo,
ein gewaltiger CasteUan in der Provence, hatte nach spanischer Weise
immer gross Acht auf die Vogelzeichen , wie es denn auch ein spanischer
Philosoph Namens Pythagoras gewesen ist, der ein Buch über Astronomie
schrieb, worin nach den zwölf himhilischen Zeichen viele Vorbedeutungen
218 ETIEA HTEPOENTA.
als des Guten und des Bdsen, des Bessern und des Geringeren^):
in letzterm Bezug ward die eigne alte Ueberlieferung noch ver-
stärkt durch, die übereinstimmende Gewährschaft der heiligen
Schrift, die den gleichen Gegensatz kennt ^. Und wie die grie-
chische giebt nun auch die deutsche Sprache der Linken gern
eine euphemistische Benennung: das althochd. winistar, mittel-
hochd. winster, das auch sonst der vorwiegende Ausdruck der
älteren Mundarten ist, kann doch nur, wieder als eine gehäufte
Steigerungsform, zu der Wurzel von wini, das den Geliebten,
den Freund bezeichnet, gehören, derselben Wurzel, die im lat.
venia, in veneror, vielleicht auch in Venus und dem bloss ein-
mal gesteigerten vemistm vorliegt. Der eigentlich altdeutsche
Name der Bechten ist Ein Wort mit dem griechischen Se^töc,
dem lat. dexter: im Gothischen taihsvo, im Althochd. zesatoa,
im Mlttelhochd. zeswe, von teiha zeige an, griech. Se{xvu|xi, lat.
der Thiere standen, wenn die Vögel sich beissen, wenn man auf dem Weg
eine Wiesel triflEt, wenn das Feuer knistert, und von den Hähern und von
den Elstern und von den Krähen, und so von vielen Thieren viele Vor-
bedeutungen nach dem Wechsel des Mondes. Herr Imberal also ritt eines
Tages mit seinem Gefolge aus und gab immer auf jene Vögel Acht, weil
er fürchtete auf ein Vorzeichen zu stossen. Da fand er ein Weib auf der
Strasse und fragte sie und sprach „Sage mir, Frau, hast du diesen Morgen
jenerlei Vögel getroffen oder gesehen wie Raben oder Krähen oder Elstern" ?
Das Weib antwortete „Herr, ich habe eine "Krähe auf einem Weidenstumpf
sitzen sehen". „Nun sage mir, Frau, nach welcher Seite hielt sie den
Schwanz gewendet"? Das Weib antwortete „Herr, sie hielt ihn gegen
den Steiss gewendet". Da fürchtete Herr Imberal das Vorzeichen und
sprach zu seinem Gefolge „Behüte Gott! nach diesem Vorzeichen darf ich
weder heut noch morgen reiten". Nachmals ward diese Geschichte in der
Provence viel erzählt wegen der ganz neuen Antwort, die das Weib ge-
geben hatte ohne sich dabei etwas zu denken".
1) Beispiele aus dem deutschen Mittelalter Notker zu Ps. CXXXVI,
5 „ dexter a daz ist setema vita, also ouh sinistra ist praesens vita"; Hart-
manns Erec 7905 (wo anstatt „zuo der vinstern want" zu lesen ist „zuo
der winstem hant"); Walther 83, 32 u. 123, 22 (wo wiederum „vinstern"
in „winstern" zu bessern); Heinrichs Krone 19110; Reinbots Georg 2769
(„vinster" 1. „winstem"); Renner 8194 und 12431 fgg. [daz winster (Eb.
vihster) viur Singenb. 217, 14. daz ist iegelichemo daz zesewä, daz er
gechiuaet unde irwelet: Notker Ps. 108, 6. Den Kindern die rechte Hand
das schöne Händlein genannt. — tvirsa hand? Heiland 54, 3. 75, 9.
romanische Benennungen der linken Hand Diez Wörterb. 2, 317.]
2) Mose 1, 48, 13 fgg. Pred. Sal. X, 2. Matth. XXV, 33 fgg. Jon. 4, 11?
EIIEA IITEPOENTA. 219
dico; erst seit dem Jahre 1200 etwa kommt allmälich auch
rekt oder gereht auf: es ward also die Bezeichnung des sittlich
guten auf die Hand übertragen, der zur Seite das gute Vor-
zeichen steht. Die Ausdrücke hezzer hant und vordere hant^)
mögen im gleichen Sinne auf den Vorrang der Bechten vor der
Linken zielen. Alles das übereinstimmend mit dem Brauch der
Griechen : darin jedoch weicht unser Alterthum von dem grie-
chischen ab, dass, wenn der Vogel vorüberfliegt, nicht die Seite,
von der er kommt, sondern diejenige entscheidend ist, nach
welcher hin er den Weg nimmt ^). Auffallend, da es eigentlich
in geradem Widerspruch zu der ganzen gläubigen und auch zu
jener abergläubischen Beachtung des Sonnenlaufes steht, die
z. B. den ausfahrenden Shetländischen Schiffer stets sein Boot
von Osten nach Westen und nur, wenn er Unglück stiften will,
in entgegengesetzter Richtung wenden lässt^).
So Griechen und Deutsche und schon zur Bomerzeit noch
andre Barbaren*). Die Römer selbst dagegen kehrten bei der
Vogelschau das Angesicht gen Süden ^), den Rücken nordwärts:
dort war ihnen die antica, hier die postica% ganz wie die Bai-
rische, hie und da auch die Schweizer Mundart hinter und hinten
von der nördlichen, vorn von der Südseite braucht'). Diese
Stellung nahmen aber die Römer nicht sowohl deshalb ein, weil
der Süden die sonnige warme Seite der Welt, als wiederum weil
1) Geschichte d. Deutschen Spr. 11, 987. Reinke de Yos GL 1, 12, 16
(zu Z. 939). to der lochteren hant 948.
2) Vgl. die Stellen in der Mythol. S. 1074. lOSS und der Gesch. d.
Deutschen Spr. II, 984 fg.
3) Arndts Nehenstunden S. 389—391. 455—457.
4) „Graiis et barharis dextra meliora" Cic. de Divin. II, 39. Welche
Barbaren Cicero zunächst im Sinne habe, ergiebt sich aus der wiederhol-
ten Bezugnahme seiner Schrift auf den König Deiotarus und aus der
namentlichen Anführung I, 15: „Cilicibus, Pamphyliis, Pisidis, Iiyciis".
5) Liv. I„ 18.' Plut. Numa 7; Cic. Div. I, 17.
. 6) Varro de Ling. Lat. VII, 7.
7) Schmelleisß Bayerisches Wörterb. I, 218 fg. 704; Stalders Landes-
sprachen d. Schweiz S. 234. [hinten im Norden Göthe Eleg. 1, 7.] Aber
den gleichen Baiern ist der vordere Wind der Ost, der hintere der West-
wind (Schmeller I, 219. IV, 109); ebenso in der Odyssee XIII, 241 ixeTOicta^e
Ttorl £o9ov : in andrer Form wieder die natürliche Bevorzugung des Sonnen-
aufgangs.
220 EIBEA ITTEPOENTA.
der Norden der Sitz der Götter ist: sie wollten die Dinge gleich-
sam auch von dem Standpunkte der Gdtter aus betrachten und
die Sichtung und Ordnung der Zeichen, welche sie von denselben
erflehten, nicht menschlich yerkehrenl Und nun, wie Yarro
sagt^), „A deorum sede cum in meridiem spectes, ad sinistram
sunt partes mundi exorientes, ad dexteram occidentes^': daher,
wie er fortfährt, „factum arbitror, ut sinistra meliora auspida
quam dextera esse existimentur^*: den Bömem yerhiessen die
linken Vorzeichen Glück ^, die rechten also Unglück: die linken,
d. h. wie dort im Mittelalter nicht solche, die von der Linken,
von Osten aus, sondern die hin nach Osten, nach der Linken
sich bewegten, „obitu a solis nitidos ad ortus')^^ Unzweifelhaft
jedoch hat bei den Bömem ausser der südlichen Richtung des
Schauenden ebenfalls die nördliche gegolten, die den Untergang
der Sonne und damit die bdsen Zeichen links, die guten rechts-
hin brachte^): der Unterschied beider mag ein nationaler, jene
Sichtung die von den Etruskern angenommene, diese die ursprüng-
lich pelasgische gewesen sein. Derselbe Festus, nach welchem*)
das linke ein „Isetum et prosperum auspicium^S ^S^ uqs^)
„Dextra auspicia prospera" : bei einigen Vögeln wenigstens ward
es immer so gehalten^), wie namentlich dem Sahen und der
parra^). Auch haben bei weiter ausgedehnter Anwendung fei^t??^
1) bei Festus V. SinistraB aves; derselbe de Ling. Lat. VII, 7 „sinistra
ab Oriente, dextra ab occasu". Plin. HN. II, 55 „Iseva parte mundi
ort US est".
2) Festus V. Sinistrum; Servius zu Virg. Aen. 11, 693. „Lseva avis"
Ennius bei Cic. de Div. I, 48; „sinistra comix" Virg. Eclog. IX, 15. [quae
sinistra sunt, bona auspicia existimantur: Varro L. L. 7, 97. Seaevam
Yolgus quidem et in bona et in mala re vocat, cum aiunt bonam et malam
sesBvam. At scriptores in mala ponere consueverunt, ut apud Groecos in-
venitur positum: Festus.]
3) Cic. Div. I, 47; Flut. Numa 7.
4) Serv. äu Virg. Aen. II, 54. 693. IX, 631.
5) Epit. PauH Diac.
6) „aliis a lseva, aliis a dextra datum est avibus, ut ratum auspi-
cium facere possint" Cic. Div. II, 38.
7) „comicem a lasva, corvum a dextra" Cic. Div. I, 7. 39; »picus et
cornix ab IsBva, corvos, parra ab dextera consuadent" Plaut. Asin. 11, 1,
12. Dass mit der rechten hier ursprünglich auch die Ostseite gemeint ge-
wesen, zeigt Horat. Odd. lU, 27, 12 „Oscinem corvum prece snscitabo
solis ab ortu".
EHEA ÜTEPOENTA. 221
und sinister^) nicht bloss den Sinn vo.n gut und günstig^),
sondern ebenso wohl, ja noch viel gewöhnlicher den gerade ent-
gegengesetzten^), denselben Sinn des Ungünstigen und Bösen,
den euphemistisch wie Ixepa auch das Wort alter bezeichnet*);
dexter aber wird immer nur in gutem Sinne gebraucht, und die
rechte Hand ist den Bömern nicht weniger als den Griechen
und den Deutschen eine Bürginn der Treue.
Augurien und Anspielen sind jedoch nicht der einzige Weg,
auf welchem der Wille der Gottheit; ihr Befehl oder ihre
Warnung, den Menschen durch Vögel kundgethan wird. Dort
in Aeschylus Tragödie, wo der gefesselte Prometheus all das
Gute, das er seine Menschen gelehrt, und darunter auch die
mannigfaltigen Arten der Weissagekunst aufzählt, nennt er als
erste derselben und noch vor der Deutung der Vogelzeichen die^
Traumdeutung^). Und in der That gehören beide auch insofern
allemächst zusammen, als in den Träumen, die gleich den
meisten der Vorzeichen von dcon höchsten der Gatter selbst, von
Zeus gesendet werden ^), es ebenwie bei den Vorzeichen vor allen
andern Erscheinungen Vögel sind, die der Gottheit als Boten
ihrer Vorherverkündigung dienen. Zuvorderst kommt auch hier
der Adler vor, er allßin'') oder in bedeutsamer Verbindung mit
1) Sinister eine gehäuft steigernde, in der Schlusssylbe comparati-
vische Bildung wie dexter, wie deStrepo^ und apiarepoc und althochd.
winistar; vgl, neben dem hochd. recht das mittelniederl. rechter: J. Grimms
Gesch. d. Deutschen Spr. II, 988. Das von Festus v. SinistrsB aves ange-
führte sintHimus hat etwas Ungrammatisches: der Ausgang dieser Form
ist superlativisch, und doch handelt es sich hier überall nur um die Ver-
gleichung zweier, [comitia siniatima: Varro L. L. 7, 97.]
2) Virg. Georg. IV, 7; Cic. Div. II, 39.
3) Es bedarf noch der Untersuchung, inwiefern etwa bei dieser Wan-
delung der Begriffe der Einfluss des griech. Sprachgebrauches mitgewirkt
habe. Oifenbar folgt letzterm z B. Horaz, wenn er Odd. HI, 27, 15 sagt
„Teque nee Isevus vetet ire picus nee vaga cornix": denn nach römischer
Anschauung ist der* Specht zur Linken ein rathendes, nicht ein abrathen-
des Auspicium: s. S. 220, 7.
4) Festus, epit. Pauli Diac.
5) Z. 485 fg.
6) II. I, 63. II, 6.
7) Atla mal 19. Leg. aur. 239. [im ags. Adler: Andreas 865. Rabe:
Lamb. Ann. 1074.]
222 EITEA nXEPOENTA.
anderen Vögeln, mit Gänsen*) oder mit Falken*); nächst dem
Adler der ihm verwandte Falke oder Sperber oder Habicht');
einmal ein Habicht, der ein Paar von Tauben aus einander
jagt*), und auch anderswo, aber in friedlicherer Weise, Tauben^).
Eöniginn Ute träumt überhaupt* nur ^), „wie allez daz gefügele
in disme lande wsere töt^^
In solcher Art, mit all solchem Wirken, Wirken bis in das
Dämmerlicht des Traumes hinein, sind die Vögel die vertrauten
1) Odyss. XIX, 536 fgg.
2) Nib. 13; Wolfs und Hofoianns Primavera y Flor de Bpmances 11,
315. Der Falke ist neben dem Adler der geringere, der ihm unterliegende
Vogel: Dietrichs Kämpfe Str. 559. Krieg v. Wartb. Minnes. U, 5 b.
Konrad v. Würzb. ebd. S. 334 fg. Neidhart S. XXVI („joch ist iuwer
trüt under valken niht ein ar" : vgl. £v Sipvtjtv aUro? Pind. Pyth. V, 105.
„dt bist ir aller are** Genesis, Fundgr. II, 77, 29). Darum auch ist das
von Atossa (Aesch. Pers. 205 fgg.) gesehene Vorzeichen, ein Adler, den ein
Falke zerrauft, so erschreckend. Wenn gleichwohl dort in den Nibelungen
und in der altspanischen Bomanze der von Adlern erwürgte Falke gerade
die höchsten aller Helden bedeutet, Siegfried und Roland, so sind das
eben Traumgesichte von Jungfrauen und die Helden deren Geliebte; Jung-
frauen aber pflegten sich zur Lust gezähmte Falken oder Sperber zu halten
(v. d. Hagens Gesammtabenteuer II , 26), und solch ein „spilvogel^ als
Sinnbild des GeUebten kommt auch sonst in de^ Dichtung öfters vor:
Kürenberg Minnes. I^ 97 b. D. v. Aist ebenda 99 a. Heinr. v. MügHn
Lied VI. Hätzlerinn S. 47 b. Auch in dem Traume Gudruns Völs. Saga
Cp. 33 erscheint Sigurd als Falke: nur fehlen hier die ermordenden Adler;
die goldfarbigen Federn desselben erinnern an Kürenbergs „dd — ich im
sin gevidere mit golde wol bewant* und die Worte des Falken in der
Fabel Altd. Wald. HI, 236 „unt wasre von golde mir min gevidere durch-
slagen" : ebenso der Babe K. Oswalds Z. 437 „ heiz mir beslahen daz ge-
videre ' min — allez mit guotem rotem golt " (vgl. Haupts Zeitschr. H,
95). In dem Volksliede bei Uhland S. 52 geschieht das Gleiche einer
Nachtigall, in einem Meistergesänge, der weiter unten mitzutheilen ist,
zahllosen Vögeln überhaupt: denn auch der beidemal hier gebrauchte
Ausdruck beschneiden ist s. v. a. mit Geschmeide beschlagen, entstellt aus
beschmeiden, [Falke über andere Vögel: Liudpr. Hist. Ott. 17. Gr. Rud.
S. 46. Dietr. Russ. Volksm. S. 220. 224. 243. Talvj 1, 201 (215). Aesch.
Prom. 857. Suppl. 224.]
3) Güdrunar kvida H, 40. Völsünga Saga Cp. 33. Morolt 2879.
Ruother 3847. Guiraut v. Bomeil bei Raynouard, Troubad. IH, 310.
Bekkers Fierabr. S. XXXI b.
4) Konrads Flore 1089 fgg.
5) Gregor. Turon. IH, 15.
6) Nib. 1449, 4.
EnEA IITEPOENTA. 223
Mitwisser der Götter, und ihre schnelle plötzliche Gegenwärtig-
keit in deren Dienst und mit deren Botschaft vertritt und ver-
anschaulicht dem Menschen die noch voUkommnere Allgegenwart
und Allwissenheit der Götter selbst. Dieser enge Zusammen-
hang der beiden hat es der dichtenden und noch mehr der bil-
denden Eunst des Alterthums nahe gelegt, die besonderen Merk-
male eines Gottes auch auf den ihm dienenden Yogel, namentlich
aber das bezeichnende Eigenthum der Vögel, den Flügelschmuck,
auf die Götter zu übertragen. Ein Beispiel des Erstem (man
mag damit den altmexicanischen Gebrauch vergleichen, wonach
der Priester die Kleidung und selbst den Namen seiner Gottheit
trug ^) ist die Eule mit dem Helm und dem Schild, ja mit dem
Kopfe der Minerva ^), ein Beispiel des Letztem vielleicht Hermes
mit seinen Flügelschuhen; vielleicht: wir werden diesen Gegen-
stand gleich nachher noch anders zu fassen suchen. Sonst pflegt
die antike Kunst bloss unteren Gottheiten Flügel zu geben,
solchen, die gleich den Vögeln nur Diener und Boten der höheren
und eigentlich herrschenden sind, wie der Nike und mit ihr
auch der Athene Nike') und vielen anderen jener Wesen, die
wir gewohnt sind in den Namen der Genien zusammenzufassen.
An die geflügelten Genien des griechisch-römischen Alterthumes
schliessen sich im Mittelalter die geflügelten Personificierungen
abstracter Begriffe, wie des Rechtes *), der Ehe*), der Untreue*),
zumal aber, aller Kunst und aller Welt geläufig, die geflügelten
Engel ^), an diese wiederum der Teufel mit Flügeln''). Ausser-
1) Geschichte der Amerikanischen Urreligionen v. J. G. Müller
S. 616. 649.
2) 0. Müllers Handbuch d. Archäologie § 371, 9.
3) 0. Müller § 334, 2, 370, 7. [Geflügelte und fliegende Gottheiten:
Aristoph. Av. 572 fgg. Sirenen: Paulys Real-Encycl. 6, 1215. 0. Müller
§ 393, 4. Piper 1, 1, 378 fg. Eros (Ht^ü)?): J. Grimm, kl. Schrift.
2, 317.]
4) Haupts Zeitschr. f. Deutsches Alterthum VTI, 144.
5) Renner 4493 fgg.
6) Mein Programm über die goldene Altartafel von Basel 8. 14 fg.
(= oben Bd. 1, S. 393 fg.). Die fliegenden Engel auf der Grablegung
von Tilmann Riemenschneider zu Maidbrunn 1525 sind auch über den
ganzen Leib befiedert.
7) Beispiel eine Miniatur des lOten Jahrhund, bei Didron, Histoire
de Dieu pg. 163. helle dedfol . . on lyft läcende: Elene 900.
224 EDEA nXEPOBNTA.
dem mag noch an ein geschmackloseres Gegenstück jener Eule
mit dem Minervenkopfe, das hier öfters vorkommt, erinnert wer-
den, die Hinüberziehung der vier Evangelisten in die Gestalt
ihrer Zeichen und Begleiter, so dass z. B. Johannes mit dem
Kopf eines Adlers erscheint^). Aus Aegypten braucht das nicht
gekommen zu sein: wie ganz gewöhnlich auch solche Mischung
von Menschen- und Tlüergestalt in der Kunst der Aegypter ist
(Phtha z. B. trägt auf menschlichem Leibe den Kopf eines
Sperbers, Thoth einen Ibiskopf ^, es ist eben nur an beiden
Orten aus dem gleichen Anlass die gleiche Wirkung hervor-
gegangen.
Aber das Alterthum verleiht seinen Gittern nicht allein den
Schmuck der Flügel und das nur als Sinnbild und in Bild-
werken: genug Sagen lassen auch Götter und halbgöttliche
Wesen vorübergehend die vollkommene Vogelgestalt annehmen,
ein griechischer Mythus z. B. den Zeus, da er um Heren warb^),
ein polnischer den Zywie, „supremum hunc mundi moderatorem",
damit er den Lenz verkünde *), die eines Kuckucks ; ebenso ver-
wandelt sich Zeus um den schönen Ganymed zu entführen in
einen Adler ^) (nach andrer Erzählung*) war es sein Diener der
Adler, den er dazu aussandte), Here und Athene vor Troja sich
in Tauben''), Athene 4n eine Schwalbe®), Leucothea in ein
Wasserhuhn^), und Hypnos sitzt als Nachthabicht auf einer
Tanne des Ida^^). Der Vogel, der im Eingange der Helga
1) Münters Sinnbilder I, 45; Denkmäler der Malerei von Seronx
d' Aginconrt, Ausg. v. Quast, Taf. XLVH, 2 u. CXXXUI, 3 u. a.
2) Gemälde y. Aegypten nach ChampoUion-Figeac S. 422 fg.
3) Pausan. 11, 17, 4.
4) J. Grimms Mythol. S. 643.
5) Oyid. Metamorph. X, 157 sqq.
6) Apollod. Biblioth. III, 12, 2. Eratosth. Catasterism. 30.
7) IL V, 778.
8) Odyss. XXII, 239.
9) Od. V, 337.
10) IL XIV, 290. [Zeus als Schwan bei Leda; als Sperber, vgL oben
S. 203 Anmerkg. 5; als Kuckuck bei Hera: Paus, 2, 17, 4. Charos
Schwalbe: Fauriel 2, 112. In der Bretagne sind jedem Haus zwei Baben
als Genien der zwei Familienhäupter eigen, deren Tod verkündigend, mit
dem Begräbniss davonfliegend: Souvestre, les demiers Bretons 1, 181. Elf
in einen Habicht verwandelt: Schwed. Märchen S. 135. Biese in einen
EIJEA nTEPOENTA. 225
kviöa Hiörvarös sonar dem jungen Atli guten ßath zusingt, ist
auch ein Gott, nur in Vogelgestalt: denn er verlangt für seinen
ßath Tempel und Opfer; und öfters kommen in Erzählungen
des deutschen Mittelalters Vögel vor, die eigentlich Engel, Engel
als Boten Gottes sind^). In den englischen Gestis Romanorum
singt einmal ^) ein Unheil verkündender Dämon lieblich als Vogel,
und wenn in Baiern die Nachteule auch Wichtlein oder Holz-,
weiblein oder Nachtweiblein heisst ^), so ist damit gleichfalls eine
Verwandlung dieser dämonischen Wesen in den Vogel aus-
gedrückt.
*
Gemäss dem schon anderswo*) von mir besprochenen Zu-
sammenhange, der in Mythus und Sprache zwischen den Be-
griffen Leib und Kleid besteht, wird der Uebergang in die
Vogelgestalt gern auf naiv anschauliche Weise als Anlegen eines
Pederkleides, gleichsam als TJmkleidung in den Vogel dargestellt.
Oefters so in den Sagen des Nordens. Oöin, nachdem er den
Meth der Dichtkunst getrunken, fährt in ein Adlerkleid (arnar
kam) und fliegt davon und ebenso ihm nach der Biese Suttung^).
Prigg^) und Preyja'') haben Palkenkleider (vals harn): Loki
borgt ihnen dieselben wiederholendlich ab; das einemal verfolgt
ihn Thiassi der Riese in seinem arnar ham^). Die Tochter
aber des Riesen Hrimni, die als Oöins Botinn dem Könige Reri
einen Apfel bringen soll, schwingt um zu fliegen ein Krähenkleid
(kräku kam) an sich^). Und so mögen die Plügelschuhe, die
Adler: ebenda S. 138. — Teufel als Vogel: Ev. Marci 4, 4. 15. Lucä
8, 5. 12.]
1) -Gudrun 4666 fgg.; Lohengrin Str. 67 ; Leben der beil. Elisabeth
in Graffs Diutiska I, 468; Legende v. Bruder Felix in den Altd. Wäldern
II, 72—74, in Job. Pauli Schimpf u. Ernst Cp. 488, Prankf. 1538, u. a.
2) Gesta Rom. \. Grässe II, 239.
8) Schmeller IV, 18; vgl. J. Grimms Mythol. S. 1088. [wüdez wip
lania, wildiu wip ülulae Graffs Sprachsch. 1, 804.]
4) Haupts Zeitscbr. VI, 298 fg.
5) Snorra Edda S. 49.
6) Snorra Edda S. 60. 63.
7) Thryms kvida Str. 3 fgg. Snorra Edda S. 46.
8) Snorra Edda S. 46; vgl. oben S. 222, Anm. 2 über Adler u. Falken.
9) Völsünga Saga Cp. 4. [Heliand 171,23 von einem Engel: quam—
faran an fetherhamon, wie 50, 11 (und Cod. Exon. pag. 217 (Phönix 280)
von den Vögeln farad an f^darhamun, Cädmons Genesis 670: geseö ic
Wackemagel, Schrfften. III. 15
226 EDEA nXEPOENTA.
in den homeiischen Gedichten Hermes, wenn es der Eile bedarf ^),
und die ebenso Athene erst eigens anzieht^, es mögen auch die
Flügelschuhe des Perseus*) ursprünglich die volle Verwandlung
in den Yoge\ bedeutet haben: die Bücksicht jedoch auf die Dar-
stellbarkeit im Bildwerk, die unbewusst schon der frühesten
Dichtung der Griechen innewohnt, liess das untergeordnete Ge-
wandstück, die Andeutung des Ganzen bloss durch einen Theil
vorziehen, und zuletzt unterscheidet der nicht mehr am Boden
haftende, sondern frei in die Luft gehobene Fuss den Vogel
ebenso wohl und vielleicht noch mehr von dem Menschen, als
ihn die Flügel statt der Arme unterscheiden. In der That wird
Hermes, schon um vieles vogelhafter, auch abgebildet mit grossen
Schulterflügeln*), und selbst von dem Gotte des Nordens, den
wir vorher im Falkenkleid haben fliegen sehen, heisst es ein
andermaP) „Loki .hatte Schuhe, womit er auf Luft und Wasser
lief", grade wie bei Homer von den Flügelschuhen Athenes und
des Hermes: xd (jllv 9epov T^piev £9 uYptjv rfi' iic aiceipova
Besonders häufig aber (denn es galt wiedßr die zwei zu-
sammenhangenden Begriflfe Wind uAd Vogel) haben Scandinavier
und Deutsche den Wind- und Wetterjungfrauen*), den Valkyrjen
und ebenso den halbgöttlichen Bewohnerinnen des Wassers, die
mit denselben in nächster verschmelzender Berührung stehn,
solch eine Vertauschung der menschlichen Gestalt gegen die
eines Vogels und zwar hier des Schwanes zugeschrieben, der
von Natur beiden Elementen, der Luft und dem Wasser, an-
gehört. Am Ufer eines Sees treffen Völund und seine Brüder
him hiß englas ymbe hveorfan mid federhaman. vom Teufel: mid feder-
homan fleögan: ebenda 417.]
1) n. XXIV, 340 fgg. Od. V, 44 fgg. [Zauberschuhe zum Fliegen:
Somadeva t, 19 fg. petasus alatum ealciamentutn: S. Galler Marc. Capeila
S. 12 Graff. flugescuh: S. 28. caduceus flugegerta. S. 12. 28. vgl. scrit-
scuoh Graifs Sprachschatz 6, 419.]
2) Od. I, 96 fgg.
3) Hesiod. Scut. Herc. 220. Apollod. II; 4, 2.
4) 0. Müller § 379, 3.
5) Snorra Edda S. 71.
6) vgl. die Walkyrien von Frauer S. 16 fgg. und Haupts Zeitschr.
yi, 291.
EllEA IITEPOENTA. 227
4
drei Valkyrjen und bei ihnen liegend ihre Schwanenkleider
(älptar hamir): indem sie letztere, so muss man die unvoll-
ständige Darstellung ergänzen, an sich nehmen, zwingen sie die
Jungfrauen, ihnen als Weiber zu folgen*). Eine viel jüngere
deutsche Umgestaltung der Sage, die in depi Gedichte Friedrich
von Schwaben vor uns liegt ^), macht Wieland zu dem bloss
angenommenen Namen dieses Helden, und die drei Jungfrauen
kommen als Tauben zu einer Quelle geflogen. Im Nibelungen-
lied^) die weisen Weiber, die Hagene in einem Brunnen nahe
der Donau badend überrascht, und die ihm Bede stehn müssen^
da er ihnen ihr „wunderlich gewant*' genommen, werden aus-
drücklich 7nerwtp, in der entsprechenden Stelle der nordischen
Dietrichssage*) siokonor genannt; auch in Weibergestalt schweben
sie doch „sam die vögele vor im üf der fluot". ^ünd noch heut
erzählt ein Eichsfeldisches Märchen^), wie eine verzauberte Jung-
frau in den Bann eines Jünglings kommt, der unwissend, wäh-
rend sie in einem See badete, ihr das Hemde fortgetragen. Der
Schwanengestalt geschieht so wenig hier als dort im Nibelungen-
liede noch Erwähnung, auch nicht in dem Pabliau Guerins von
einem Ritter, dem die drei badenden Feen die Rückgabe des
Gewandes mit Reichthum und Gunst bei den Menschen und
schmutzigen Wundergaben lohnen^). In ähnlicher Weise lücken-
haft, so jedoch, dass sie einander ergänzen, sind in den alt-
deutschen Gedichten über Wolfdietrich die parallel laufenden
Sagen von der rauhen Else, die aus dem Bad im Jungbrunnen
als die schönste über alle Lande hervorgeht („da hete si die
ruhen hüt in dem brunnen gelän")» ^^d von der Königinn deS;
Meeres und der Meerwunder, die zuerst in einer Schuppenhaut
und haaricht und vermoost und schleimbedeckt erscheint, dann
aber die Schuppen auszieht und nieder aufs Gras wirft: „si
lühte fiz allen wtben als diu sunne liht, aller meide schöne was
1) Eingang der Völundar kvida. [Drei Jungfrauen in Taubenhemden,
abgelegt entwendet: Schwed. Märch. S. 176 fgg.] ^
2) W. Grimms Deutsche Heldensage S. 401 fg. f
3) Str. 1473 fgg.
4) Saga Thidriks konungs af Bern Cp. 364.
5) Br. Grimm 193.
6) Fabliaux et Contes par Barbazan et Meon III, 412 fgg.
15*
228 EilEA IITBPOENTA.
gSn ir gar enwiht^'^). Endlich noch, ohne dass auf Meer oder
Brunnen hingedeutet würde, Sagen des Nordens von Valkyrjen
im Schwanenkleid oder in Gestalt von Schwänen^.
Auch in einer Geschichte der 1001 Nacht ^) kommen zehn
Jungfrauen von übermenschlicher Art zu einem Seer geflogen,
legen ihre Federkleider ab und baden, und eine von ihnen, die
schönste und vornehmste, muss Weib des Mannes werden, der
ihr Eleid entwendet hat; nach einiger Zeit aber bringt sie das-
selbe wieder an sich und entflieht zusammt den Eindem, die sie
geboren*). Die ganze Erzählung trägt jedoch so viel Merkmale
des nordischen Ursprungs, dass sie durchaus nicht beweist, auch
in Arabien seien dergleichen Sagen zu Hause gewesen: sie ver-
mehrt nur von Arabien her die Zahl der scandinavisch-deutschen
Belege.
Oft in den Märchen wird Menschen die Vogelgestalt an-
gezaubert, aber so, dass der Zauber lösbar ist: in solcher Art
wird Jorinde zur Nachtigall^), der schon in einen Löwen ver-
zauberte Eönigssohn zu einer Taube ^), wird eine Eönigstochter
und werden sieben Brüder durch unbedachte Verwünschung der
Eltern zu Raben''), wird eine von der Seite ihres Gemahls ver-
drängte Eönigiun zur Ente^). Aeltre edlere Erzählung mag
hier anstatt der Ente den Schwan gehabt haben: wenn in dem
einen dieser Märchen die Ente allnächtlich herzuschwimmt und
wieder in Gestalt der Eöniginn ihr Eindchen säugt und besorgt.
1) V. d. Hagens Heldenbuch I, 208 u. 136. Haupts Ztschr. 4, 440.
2) J. Grimms Mythol. S. 398 fg.
3) der Geschichte Hassans aus Bassora und der- Inseln Wak-Wak,
N. 389—480.
4) Ygl. im Eingange der Völundar kvida .^Thau bioggtt siau veter:
thä flugu thser at vitja ylga ok kvämu eigi aptr." [ähnliche serbische a.
irische Sagen: Volksmärch. der Serben 4. Hubers Skizzen aus Ireland
S. 277 fgg. — Menschenkleider des Werwolfs: Mythol. S. 1050.]
5) Br. Grimm 69.
6) Ebd. 88. vgl. Apul. Mctam. 5, 23 fg. Statt Taube Rabe':
Märch. 3, 153.
7) Ebd. 93 u. 25.
8) Ebd. 13 u. 125. Schwed. Märch. S. 146 fgg. 169 fgg. [zwölf
Prinzen zu Enten; Entenflügel des einen: Norweg. Volksmärch. 2, 20. fgg.
27. Zauberhemd die Gestalt einer Gans gebend und wieder nehmend:
Schwed. Märch. S. 146 fgg. 169 fgg.]
EHEA riTEPOENTA. 229
SO ist das ganz wie in der Geschichte Melusinens, die auch,
nachdem sie schon den Gemahl hat verlassen müssen, jedes
Nachtö zu ihren Kindern zurückkehrt^): Melusina aber gehört
mit in den Bereich der Schwanenjungfrauen. Und wirklich
kommt auch anderswo die Verzauberung in Schwäne vor, wieder
in einem Märchen der Deutschen^), in der niederläfidischen Sage
vom Schwanenritter^) und in einer damit meist zusammen-
fallenden deutschen Prosaerzählung des fünfzehnten Jahrhunderts*).
In dem Märchen wird es sechs Brüdern durch üeberwerfung von
Zauberhemden angethan; Hemden von Sternblumen geben ihnen
die Menschengestalt zui-ück: aber da an dem einen noch der
linke Ermel fehlt, bleibt dem, der es anzieht, Zeit Lebens statt
des linken Armes ein Schwanenflügel:, es vergleicht sich damit
von selbst die griechische Erzählung von Pelops Elfenbein-
schulter^). In der Sage vom Schwanenritter sind es silberne
Halsketten, durch deren Wegnahme die sieben Kinder König
Oriants zu Schwänen, durch deren Rückerstattung sie wieder
Menschen werden; die altdeutsche Prosaerzählung, worin die
Mutter ein „wünschelwyb" ist^), das ein Edelmann badend an-
getroffen und durch Wegnahme einer goldnen Kette in seine
Gewalt gebracht, hat bei den Kindern goldene Halsringe. Und
Ringe, wie sie überhaupt mehr der allgemeinen Art der Sage
entsprechen, müssen auch in solchen Schwanensagen das übliche
Mittel für den Wechsel der Gestalt gewesen sein''): nur so
1) Simrocks Deutsche Volksbücher VI, 80.
2) Br. Grimm 49.
3) Deutsche Sagen d. Br. Grimm H, 291 fgg.
4) Haupts u. Hoftmanns AM. Blätter I, 128 fgg.
5) Schol. zu Find. Olymp. I, 26. Servius zu Virg. Georg. III, 7
„humeroque Pelops insignis eburno" u. a. Aehnliches weiter unten, [vgl.
Thietmar 6, 49. Stiel-, ungarische Sagen und Märchen S. 107.]
6) Zu vergleichen öskmey Wunschmädchen, im Altnordischen ein
andrer Name der Valkyrjen, worüber Frauer a. a. 0. S. 1. [Die Kette in
dem schwed. Märchen von Swanhwita S. 171 — 173.]
7) Treffend vermuthet W. Grimm (Deutsche Heldensage S. 888), dass
in der Völsunga Saga Cp. 12 die Goldringe Signmnds und Sinfiötlis Bezug
auf deren Verwandlungen in die Wolfsgestalt haben. Auch der King am
Schluss des Märchens (25) von den sieben Eaben kann ursprünglich kein
blosser Erkennungsring gewesen sein : denn sowie er zum Vorschein kommt,
werden die Eaben entzaubert; und ebenso, denke ich, steht der Ring, der
230 EIJEA liTEPOENTA.
erklärt sich die Verbindung von Schwan und Ringr die uns in
Genealogie und Heraldik mehrfach entgegentritt: die Herren zu
Flesse haben ursprünglich die Schwanringe geheissen, einer der-
selben hatte den Beinamen Schwanenflügel, und in ihrem Wappen
führten sie Schwanenflügel und £ing^); der Helmschmuck aber
der Grafen von Bapperswil waren zwei Schwäne mit Ringen in
den Schnäbeln").
Selbst und freiwillig in Yogelgestalt können sich Menschen
wiederum nur durch Zauber, den sie brauchen, wandeln: es
müssen das Zaubrer und Zauberinnen sein, Menschen, die in
unheimlicher Weise übermenschlich wirken. So in einer alt-
nordischen Sage der larl Fränniar, der sich in einen Adlersleib
gekleidet hatte („hafdi hamazk t amar Itki'*) um Wache zu
halten, den aber, da er eingeschlafen war, Atli zu Tode schöss');
im Gedichf von Wolfdieterich die Heidenjungfrau, die dem
samint dem darauf gelegten Fluche von Andvari an Fafni, vf)n Fafni an
Sigurd kommt, in Zusammenhang damit, dass Andvari die Gestalt eines
Fisches, Fafni die eines Drachen (Sigurdar kvida 11 u. Fafnis mal), Sigurd
die Eonig Gunnars annehmen kann (Sigurdar kv. I, 37 fgg. Yöls. Saga
Cp. 36). [Bing der in einen Werwolf verwandelt: Mythol. 1049. 1050.
In einem höhm. Märchen wird ein Zauherer, da ihm der letzte der drei
eisernen Reife um seinen Leih zerspringt, ein Kahe: Wenzigs westslaw.
Märchenschatz S. 139.] Solch ein Dahingehen der eignen Gestalt ist,
anders aufgefasst, ein Unsichtharwerden: im Nibelungenliede hilft anch
Siegfried seinem Freunde nur, indem er sich unsichtbar macht; als Mittel
dazu dient hier aber nicht sein Ring, sondern seine tarnkappe (Str. 410 fgg.
602 fgg.), die tarnhüt (Str. 337). Und diese bedeutet doch eigentlich
nichts anders als die an- und abgestreifte Gestalt des Freundes: so hangen
in der Völs. Saga Cp. 12, sobald die Werwölfe wieder Menschen sind,
ihre Wolfsbälge über ihnen, und im 1448ten Märchen kann ^ der Eönigs-
sohn, der ein £sel ist, über Nacht die Eselshaut von sich thun und sein
Schwäher sie verbrennen (vgl. III, 228). [Igelhaut verbrannt: Märchen
108. Schl^nge'nhemde verbrannt: Volksm. d. Serben 9 u. 10. desgl. Wolfs-
haut: Esthn. Märch. 208 fg. 363.] Die Thidriks Saga Cp. 229 lässt
Gunnar und Sigurd nur die Kleider wechseln: ein Rationalismus wie jener
Herodots, wenn bei ihm (I, 9 fg.) Gyges nicht unsichtbar vermittelst
seines Zauberringes (Plato de Republ. ü, 3. Cic. Offic. III, 10), sondern
hinter die Thüre versteckt die nackte Eöniginn belauscht.
1) Deutsche Sagen II, 316.
2) V. d. Hagens Minnesinger IV, 92. Titelbild zu Graf Wemher
V. Homberg (von Georg v. Wyss), Zürich 1860.
3) Helga kvida Hiörvards sonar Str, 5—6.
EÜEA RTEPOENTA. 231
Helden vom Pferde weg sich als Elster auf die Zinne des
Schlosses schwingt^): die schwedischen Hexen fliegen in der
Walpurgisnacht als Elstern nach Bl&kuUe*); in dem Märchen
von Jorinde und JoringeP) eine Hexe, die sich in einen Uhu
verwandelt, und ebensolche schon bei Ovid*), bei Lucian*) und
Appuleius*): strix oder striga, der lateinische Name dieses
Nachtvogels, ist zugleich s. v. a. Hexe'').
Wohl hievon zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, wo
sich kunstreiche Menschen durch G-eschick und Arbeit ihrer
Hände Flügel schaffen, bei den Griechen Dädalus®), im Norden
Völund*): aber ganz wie dort, wo die Götter und Göttinnen
sich in Vögel verwandeln, ist auch in letzterer Sage von einem
Federkleid (fiaörham) die Rede, gleich dem abgestreiften Balg
eiues Greifen oder Geiers oder Straussen.
Die bisher besprochnen Uebertragungen der Vogelgestalt
auf übermenschliche, heilige, göttliche Wesen haben etwas im
Sinne aller Menschen liegendes und kehren deshalb in allem
Heidenthum und Aberglauben wieder: die Kunst des Mittelalters,
die bildende und mit ihr die dichtende, fügt' denselben auf
biblischen Anlass noch einige neue, ihr besonders eigene hinzu.
Bei der Taufe Christi hat sich der heilige Geist als Taube
sehen lassen^®): die Kunst nun versinnlicht die aus einer Pro-
phetenstelle ^^) entnommenen sieben Gaben des heiligen Geistes^*)
als ebenso viele Tauben^*), und die dichterische Naturbetrach-
1) V. d. Hagens Heldenbuch I, 244.
2) Arndts Reise III, 49.
3) Br. Grimm 69. [Zarin Helene Schwan: Dietr. rnss. Volksm. S. 38.]
4) Amor. I, 8, 12 sqq.
5) Asin. cp. 12.
6) Metamorph. lU, pg. 138 Elmenh.
7) Festus V. Strigas: „qnod maleficis mulieribns nomen inditnm est,
quas volaticas etiam yocant."
8) Ovid. Ars am. II, 31 sqq. u. a.
9) Völundar kvida 27 fgg. Thidriks Saga Cp. 77.
10) Matth. m, 16. Luc. III, 22. Joh. I, 82.
11) Jes. XI, 2 fg.
12) vgl. Deutsche Gedichte des XI u. XII Jahrb. v. Diemer S. 70,
22 fgg. u. S. 335—337, den Kanzler in v. d. Hagens Minnes. II, 389 a,
ühlands Volksl. S. 874 und die Erklärer von Dantes Purgat. XXIX, 50.
13) Fenstergemälde zu S. Kunibert in Köln; Miniaturen des 18 u. H
Jabrh. bei Didron, Histoire de Dieu pg. 123. 488.
232 EUEA UTEPüENTA.
tung findet schon an dem Vogel selbst eine Siebenzahl aus-
zeichnender Eigenschaften*). Von verschiednen Heiligen, unter
andern schon inj, achten Jahrhundert von dem heil. Gregorins,
erzählt die Legende, wie sich der Geist als Taube ihnen auf
Haupt oder Schulter gesetzt imd Worte der Weisheit zugeflüstert
habe*): die Taube auf der Schulter ist nun auch in der bild-
lichen Darstellung die stetige Heigabe und das Merkmal jenes
heiligen Pabstes*). Und die Legende hat noch weiter gewirkt:
die Märchendichtung*) weiss von einem Grafen, den die Car-
dinäle zum Pabst erwählen, weil ihm beim Eintritt in die Kirche
zwei Tauben auf die Schultern fliegen, und dem diese Alles in
die Ohren sagen, als er Messe lesen muss ohne doch ein Wort
davon zu verstehn;* die altsächsische Evangelienharmonie des
neunten Jahrhunderts*) aber lässt die Taube auch Christo auf
der Achsel sitzen. Darin liegt nicht sowohl eine Abweichung
von den Worten der Evangelien als eine vielleicht sogar zulässige
Erklärung derselben: an die Haben auf den Achseln OÖins®) hat
der Dichter schwerlich gedacht, es müsste denn auch z. H.
Gregorius von Nyssa, der von einer Taube auf der rechten
Achsel Hasilius des Grossen erzählt^), daran haben denken und
davon wissen können.
In der Geschichte der Sündflut*) sind Taube und Rabe
1) Haupts Zeitschr. I, 155. Renner 19589. Cäs. Heisterb. 8, 36.
Spec. eccl. S. 41.
2) Münters Sinnbilder I, 107. J. Grimms Mythol. S. 135. vgL
Harff S. 105. [Greg. Tur. 10, 29. Taube auf der Schulter des heil. Patricius :
Hubers Skizzen aus Ireland S. 309. In dem zu Lyon 1508 gedruckten
Buche: divi Thome Aquinatis . . scriptum primum luculentissimum ist
auf dem Titelhoiz^chnitt S. Thomas Aq. mit Buch und Abendmahlskelch
dargestellt, auf der linken Schulter ihm ins Ohr sprechend eine Taube:
Unterschrift bene scripsisti. Thotna. vgl. Fischarts Dichtungen von Kurz,
1, 135. Bienenkorb 59 a: sonderlich den h. Doctor Thomam von Aquin,
dem allzeit ein Taub ins Ohr will fliegen, und ist ir das loch zu eng, —
.Taube („indicium prcusentice spiritus sancti^*) die Sacramente vom Altar
nehmend und wiederbringend: Cäs. Heisterb. 2, 5.]
3) Munter S. 106 fg. Christi. Kunstsymbolik (v. Helmsdörfer) S. 182.
4) Br. Grimm 33.
5) Heiland v. Schmeller 30, 1.
6) Oben S. 202; vgl. Mythol. S. 135. •'
7) Munter I, 107. vgl. Harff S. 105.
8) Mose 1, 8, 7—12.
EIIEA UTEPOENTA. 233
einandar entgegengesetzt wie Gut und Böse : entgegengesetzt der
Taube des heiligen Geistes, erscheint *nun auch in der älteren
christlichen Kunst der böse Geist, der Teufel, als ein ßabe^)
und sitzt so den heidnischen Dichtern des Altei-thums^) oder
Zaubrem^) auf der Schulter und raunt ihnen in das Ohr. Ueber-
haupt denkt sich das Mittelalter den Teufel gern in dieser Ge-
stalt und benennt ihn so*); in der Kaiser chronik*) heisst es „die
tiufele körnen dar mit einir michiln scar in swarzer vögele
bilide", und in Reinbots heiligem Georg^) ist von dem schwarzen
. Gefieder des Teufels die Bede. Vielleicht aber soll er damit in
früher besprochener Weise nur als schwarzgeflügelt bezeichnet
werden: gevidere hat auch diesen Sinn.
Der heilige Geist den Christen eine Taube, der böse ein
Rabe: auf dem gleichen Weg liegt die allgemeiner verbreitete
Anschauung, nach welcher auch das Geistige im Menschen, das
Stück von Göttlichkeit, das er in sich trägt, und diese oder
jene hinaus und hinauf sich erschwingende Regung seines Dä-
moniums als ein Vogel gefasst wird. Dem altnordischen Häva
mal ist die Trunkenheit ein Vogel (der Dichter nennt den übel
1) Munter, I, 98. [volget dem swarzen raben nihtf den man in bcesen
siten siht: dd man ich iuch alle hi. ir stilt daz grüene ölzwt mit der
turteltüben tiemen: Strickers Karl 1657 fgg. Abr. a S. Clara 19, 108.
Br. Berthold 362. Höllischer Rabe: Puppenspiel von Faust S. 29 fg.
Himmelstaube und Höllenhuhn: Meinert 1, 14 (vgl. oben Bd. 2, S. 405).
Raben und Taube: Cäs. Heisterb. 11, 16. corvi ac cornices: 11, 41.
corvi 55. Teufel als Rabe: Lamb. Ann. 1074. als kohlschwarzer Vogel:
Alsatia 1860 S. 253. „merula*^ Vita S. Bened.: Gregor M. cap. 2; Leg.
aur. 49, 2. Die Besessenheit eines Weibes in Ingolstadt fängt damit an,
dass ihr zwei Vögel wie Schwalben (guter und böser Engel?) um den Kopf
fliegen, xmd endigt damit, dass ihr ein schwarzer Vogel in Gestalt einer
Amsel (der Teufel) aus dem Munde entweicht: Ingolstä'dter Bericht von
1584 bei Freytag, Bilder aus d. d. Vergangenheit (1863) 1, 364. 374. —
Bruno de Bello Sax. 86 von Heinrich IV: pelliciam non corvinam cogitavit
induere, ut ostensione pietatis et justitiae deciperet quos crudelitate violenta
superare non posset,]
2) Engelhardts Herrad v. Landsperg Taf. VIII.
3) Didron, Histoire de Dien pg. 477.
4) Mythol. S. 949.
5) Massmanns Ausg. Z. 4314.
6) Z. 8394.
234 EITEA nTEPOENTA.
angesehenen ' Beiher ^) , der über dem Gelage rauschend schwebt
und die Besinnung raubt und Vergessenheit bringt, späteren
deutschen Dichtern ein im Kopfe selbst lärmender oder singen-
der Vogel*): am Ende kommt auch unser Ausdruck Rausch
nur von jenem Bauschen seines Gefieders her. Anderswo ist die
Freude ein Vogel, der fröhlich in seinem Nest dem Herzen mit
den Flügeln schlägt*), oder der Vogel entfliegt, die Freude
schwindet*). Das griechische tuyS scheint zuweilen den Sinn
von sTci^upifa anzunehmen^); Gottfried sagt von dem Streben
und Sehilen des Gemüthes®) „hie wahsent uns die vederen van,
von den der muot in vlücke wirt" und Steinmar^) „daz ir tu-
gentlicher lip hoehet mihen senden muot, als ein edelen valken
wilde stn gevider in lüften tuet.** Besonders aber wird von der
ganzen Seele so gesprochen.
Du arme seel, duck dich! du muest schwimmen" oder „Duck
dich, mein Seel! es kommt ein Platzregen" ist eine Bedensart,
die seit alten Zeiten einen festen Trunk zu begleiten pflegt®):
schon bei Helbling^) heisst es „vrou sßle, stt ir dinne? — ich
rät iu, so ich beste kan (wand ich bin iuwer sippe): tretet üf
ein rippe, weit ihr niht ertrinken." Dass hier die Seele als
Vogel gedacht sei, scheint aus einem Ausdrucke Steinmars ^^) zu
1) Str. 12. Der Reiher ein unsauberer Vogel: s. Kellers Erzählungen
aus altd. Handschriften S. 564 u. 673, 22. SchmeUer III, 524. Logaus
Sinngedichte I, 8, 53.
2) ein Wiedehopf: Renner 9474. SchmeUer IV, 201; NachtigaUen,
Eulen, Kuckucke, Finken: Renner 9874-; vgl. Altd. Lesebuch 738, 8 fgg.
Tauben: Fischart, Leseb. 2. 135, 30. Simplic. Keller 2, 1098, 33.
3) Burkard v. Hohenfels in v. d. Hagens Minnes. I, 208 a.
4) Konrads y. Wurzb. Engelhard 1 800. Hartmanns Armer Heinrich
149 nach der Heidelbei'ger und der Koloczaer Handschrift, [od fliuget
minne ungerne üf hant durh die wilde? ich kan minn wol locken: Wolfr.
Tit. 64. hyge — gielled dnfloga: Grein Bibl. d. ags. Poesie 1, 243, 62.
Pfeiffer Myst. 1, 299, 39 fg. fecit et huntano corde volare deum (amorem):
Prop. 3, 12, 6. 15.]
5) Schol. zu Pind. Nem. IV,%35 l'uyYt eXxojxat iQxop.
6) Tristan 16964 = 426, 6.
7) Minnes. II, 154 b.
8) SchmeUer I, 357. III, 226. „duck dich Säl, es kommt eyn Platz-
regen: der wird dir das HöUisch Feur wol legen**: Garg. J 6 rw.
9) I, 350 fgg.
10) Minnes. II, 154 b.
EDEA nXEPOENTA. 235
erhellen: „min sele iif eime rippe stät, w&fen! diu von dem wtne
dräf gehüppet hat" Ernster, edler, bedeutsamer ist es, wenn
Predigten des Mittelalters die Idebe Gottes und des Nächsten in
allegorischer Weise die zwei Flügel der Seele nennen^); wenn das
Räthselgespräch zwischen König Tirol von Schotten und seinem
Sohn Friedebrand*) die Christenheit einem Walde aus grünen
und dürren Bäumen vergleicht, auf deren Aesten Vögel sitzen,
die einen fröhlich singend, die andern in Trauer, und es selbst
diese Vögel auf die Seelen der Christen ausdeutet; wenn ein
chaldäisches Orakel^) auf den geistigen Theil, den der Mensch
vom Vater her d. h. vom höchsten Gott empfange, wiederum •
den Namen der lynx überträgt, jenes Vereis, der mit Liebe
Wesen zu Wesen zieht; wenn endlich eine angelsächsische Dich-
tung von den Seelen der Gerechten, die nach dem Tod in. den
Himmel entschweben, als lauter Phönixen spricht*). Namentlich
wird eben die Seele, die von dem sterbenden' Leibe scheidet, gern
als ein Vogel, der davon fliegt, dargestellt^), und zwar, wo die
Art des Vogels näher bestinmat wird, die Seele, die von dem
heiligen Geist erfüllt, die ohne Falsch ^)j ohne Galle'') gewesen
und gereinigt dahingeschieden ist, die heilige gerechte gerecht*
fertigte Seele als weisse Taube *) ; ob die verdanmate, dem Teufel
1) Haupts Zeitschrift VII, 144.
2) Minnes. I, 5.
3) gegen Ende der unter Zoroasters Namen gehenden Orakelsprüche.
[Seelen geflügelt, die Flügel verlierend, neue bekommend : Plato Phädr. 55
(246 c) fgg. Gestorbene wie Vögel zum Hades entfliegend : Soph. Oed.
Tyr. 176.]
4) Cod. Exon. S, 237 fg. Vgl. oben S. 188.
5) Servatua Lupus in der Vita S. Wigberti cp. 11. Deutsche Mär-
chen u. Sagen v. Wolf S. 174. [Apotheose der römischen Kaiser; symbo-
Uscher Leichenbrand: aeroc a^terai auv t& Tcup\ aveXeuarojjkevo^ ti^ tov
cd^igoiy 0? 9£petv aTco yr^q ^ oupavov tt)v tou ßaaiX^co^ ^vx^jv TCiareueTat
\iTzo *P(op.a{ci)v: Herodian. 4, 2.]
6) Matth. X, 16.
7) Schon TertuUianus de Baptismo cp. 8 „quod etiam corporaliter
ipso feile careat columba". Mittelalterliche Stellen von der Gallenlosig-
keit der Taube in W. Grimms Freidank S. LXXXVI.
8) Von der heil. Eulalia Prudent. Tuepl aTe9av(i>v III, 161 sqq. n. das
Gedicht in den Allroman. Sprachdenkmalen von Diez S. 21, Z. 25. Vgl.
J. Grimms Mythol. S. 788. Die das Ereuz umgebenden oder auf dem
236 EITEA m'EPOENTA.
verfallene gleich diesem als ein Ba'be? Belege dafür sind mir
nicht bekannt. Ein christliches Gedicht des alten Nordens^)
lässt da, wo es die Hölle schildert, die Seelen noch in dieser als
Vögel umherfliegen, als verbrannte Vögel, versengt nämlich an
den Flammen des ewigen Peuers: eine weitre Bezeichnung der
Vögel gewährt es nicht, und auch wenn Seelen aus dem Jen-
seits wieder auf Erden erscheinen, thun sie das wohl in Vogel-
gestalt: so nach Holsteinischer Sage^) zwei Hexen, deren eine
mit Verzweifelung an Gottes Gnade, die andre mit aufrichtiger
Reue gestorben: diese zeigt sich nachher einmal als weisse Taube,
jene dagegen als Krähe wieder: mit der Krähe mag doch eigent-
lich ein Rabe gemeint sein.
Hier überall verlässt die Seele als Vogel den sterbenden
Leib um fortan nicht mehr auf Erden, um nur jenseits vielleicht
noch ferner in Vogelgestalt zu weilen, vielleicht nur gelegentlich
80 von da zurück zu kehren. Darin beruht der Unterschied von
den zahlreichen, sonst allerdings sich hier anschliessenden Fällen,
wo ein Gestorbener mit Leib und Seele zusammen zum Vogel
wird und so auf der alten Erde fortlebt, wo sogar über einen
Lebenden ihm zur Strafe solch eine Verwandlung verhängt und
Kreuze sitzenden zwölf Tauben altchristlicher Bilder (Münters Sinnbilder
I, 107 fg.) meinen auch die Apostel nur, insofern dieselben bereits zur
Seligkeit eingegangen sind. [S. Polycarpus: Kirchenlei. 8, 574; auch St.
Blasius nach der Rheinauischen Legende, vgl. Cäs. Heisterb. 6, 35. 11,
23. 12, 46.]
1) das Solar Uod Str. 53. [vgl. Dante Inf. 5, 40 fgg-. Purg. 2, 124 fgg.
Parad. 18, 73 fgg.]
2) bei Müllenhoff S. 211. 227. [Scipio Cicala 4, 38; Wenn du ein
Wunder sehn willst, — so brauchst du nur an einem Sonnabend an den
Avemersee zu gehn. — So wie die Sonne niedersteigt, heben sich abscheu-
liche Vögel mit Menschengesichtern aus dem Sumpf empor und schwirren
wie Fledermäuse herum. Das dauert so fort bis zum Morgen des zweiten
Tages, und die Luft ist manchmal ganz durch die entsetzlichen Thiere
verdunkelt. (S. 39) Bricht nun der Morgen des zweiten Tages an , ' so
kommt ein ungeheurer Vogel geflogen, man weiss nicht woher. Er hat
die Gestalt und das Geschrei eines Raben und verfolgt die andern Vögel
so lange, bis sie sich alle wieder in den stinkenden Sumpf zurückgestürzt
haben. Am nächsten Sonnabend kommen sie dann wieder zum Vorschein,
und so geht es das ganze Jahr fort. Kluge Leute halten sie für arme
Seelen atis dem Fegteuer, denen zum Ruhm der Auferstehung des Heilan-
des diese Unterbrechung ihrer Leiden gegönnt sei.]
ElIEA IlTEPOENTA. 237
damit vielleicht ein ganzes neues, vorher nicht dagewesenes
Vogelgeschlecht erschaffen wird. Von Erzählungen dieser Art
ist das Alterthum und ist das Mittelalter und noch die neuere
Zeit und ist die Sagendichtung aller Völker voll. Zwar der
Schwan, in welchen Orpheus, die Nachtigall, in welche Thamyris
übergegangen^), gehören nicht hieher: denn dieser Uebergang ist
auf dem Wege der Seelen Wanderung, tausend Jahr nach dem
Tode beider und in Folge ihrer eigenen Wahl geschehen; wohl
aber die Weissagung Homzens, dass er dereinst als Schwan
empor und dahinschweben werde ^), und mehr noch als dieses
Dichterwort die Sagen^ von Picus, dem König Augoniens, den
Circe im Zorn verschmähter Liebe zum Spechte macht ^); von
Coronis, die Pallas durch Umgestaltung in die Krähe vor den
Nachstellungen Poseidons rettet*); von lynx, einer Tochter der
PeithOy die,' weil sie Zeus durch Liebeszauber zu ihrer Gebie-
terinn lo oder auch zu sich selber hingezogen, von Hera in den
Zauber vogel, der nun lynx heisät, verwandelt wird^); -von den
neun Töchtern des Pieros von Emathia, deren übermüthiges
Wagniss eines Wettgesanges die Musen mit der Verwandlung in
Vögel strafen, die xoXujißac (Taucher), die wy^ (Wendehals),
die xsyxptc, die xtöcja (Häher), die y^kti^ii;, die axaXav*jL(;
(Distelfink), die v^aaa (Ente), die tzi%6 (Baumhacker) und die
SpaxovTic^); von Aedon, die statt des beneideten Erstgeborenen
der Niobiden irrthümlich den eigenen Sohn Itylus ermordet omd
immer seitdem als Nachtigall dessen Tod beklagt ''); dieser ähn-
lich und auf Anlass einiger zusammenklingenden Namen auch
damit sich vermischend'') die Sage von Philomele, Procne,
1) Plato d« Republ. X, 16.
2) Odd. II, 20.
3) Virg. Aen. VII, 189 sqq. Ovid. Metamorph. XIV, 820 sqq.
4) Ovid. Metam. II, 569 sqq.: wahrscheinlich eine nicht ganz echte
üeberlieferung, da sonst die Götter zur Strafe, nicht sjur Rettung so
verwandeln.
5) Schol. zu Find. Nem. IV, 35 u. zu Theoer. IdyU. II, 17; Tzetzes
zu Lycophr. Cassandra 310; Nicephorus Gregoras zu Synesius de.Insomniis
pg. 360. Vgl ohen S. 204, Anm. 6.
6) Antonini Liberalis Transformatt. cp. 9.
7) Odyss. XIX, 518 fgg. Pherecydis Fragm. ed. Sturz pg. 137 sq.
8) Antoninus a. a. 0. Cp. 11.
238 ETIEA. nXEPOENTA.
Tereus, Itys ^) : Procne und Philomele, die Töchter Pandions von
Athen, schlachten zur Bache dafür, dass der Gemahl der ersteren,
der Thracierkönig Tereus, Philomelen geschändet, seinen und
Procnes eigenen Sohn Itys und bereiten ihn zu einer Speise für
den Vater selbst: da werden alle vier zu Vögeln, Philomele zur
Nachtigall, Procne zur Schwalbe, Tereus zum Wiedehopf^, Itys
zum Fasan ^): eine Geschichte, die des heimathlichen Bezuges
wegen von den Tragikern Athens wiederholendlich ist bearbeitet
worden^) und auch aus den Vögeln des Aristophanes, in denen
ja der Wiedehopf eine Hauptrolle spielt, beständig wiederklingt.
Nicht mipder zahlreich sind die neueren Beispiele, und
wiederum kommen hier der Specht oder Baumhacker und die
Nachtigall vor: in jenen hat nach norwegischer Erzählung der
Heiland ein Weib Namens Gertrud, die gegen ihn und seinen
Apostel Petrus unmilde gewesen, verwünscht, und die Norweger
nennen deshalb diese Vogelai't noch Gertmdsvogel^); als Nach-
tigall liess sich eii^e verdammte Seele zur Zeit der Kirchenver-
sammlung in einem Wald bei Basel hören, und sie sollte da
wohnen bis zum jüngsten Gericht®). Die Möwe: bei Schleswig
auf einer Insel der Schlei nisten unablässig zahllose Möwen, ob-
wohl ihnen alljährlich die dritte Brut genommen wird : es ist die
Nachkommenschaft der Leute König Abels von Dännemark, die
demselben seinen Bruder Erich ermorden halfen: zuerst diese
sind an den Ort ihrer Schandthat als Möwen festgebannt worden').
1) Siehe Voss zu Virgils Belogen VI, 78; Welcker, die Aeschylische
Trilogle Prometheus S. 502 fgg. und die Griech. Tragödien mit Rücksicht
auf d. epischen Cyclus S. 374 fgg.
2) Abweichend Hygin. Fab. 45 „ Tereum autem accipitrem factum
dicunt".
3) Servius Erzählung zu Virgil. Eclog. VI, 78 hat einen Schluss, der
an die übliche Auslegung der iTzta. ^repoevTa erinnert: „Quidam tarnen
eos navibus effugisse periculum et ob celeritatem fugae aves appellatos
volunt".
4) Sophocles Pandionis hat Welcker a. ai 0. mit Gelehrsamkeit und
Dichtersinn wieder aufzubauen versucht; den Tereus des Philocles ver-
spottet Aristpph. Av. 281 fgg.
5) J. Grimms Mythol. S. 639. Norweg. Volksmärch. 1, 8 fg.
6) Wolfs Deutsche Märchen u. Sagen S. 176.
7) MüUenhoff a. a. 0. S. 137. [Die- Eule war eines Bäckers Tochter:
Shakesp. Hamlet 4, 5. Rohrdommel und Wiedehopf: Märch. 173. Kibitz:
Stalder I, 448.]
EllEA ITl-EPOENTA. 239
#
Ferner der Kuckuck: den Deutschen ist er ursprünglich ein
Bäcker- oder Müllerknecht gewesen, der die Leute betrog ^), den
Serben eine Jungfrau, über die ihr langes Klagen um den Tod
des Bruders zuletzt diese Verwandlung gebracht hat: aber die
Klage hörte damit nicht auf: denn die Serben und sonst die
Slaven verstehen den Ruf des Kuckucks als einen Klageruf^).
In Polen giebt es ein Geschlecht, aus dem jedes Glied nach
seinem Tode ein Adler, ein andres, dessen neugeborene Töchter,
wenn sie als Jungfrauen sterben, zu Tauben, wenn aber verhei-
rathet, zu Eulen werden*).
Wohl aber das schönste, durch Fülle und Bedeutsanoikeit
und den Reiz der Darstellung anziehendste Beispiel, das an-
ziehendste nicht bloss unter denen der neueren Zeit, ist das
Märchen vom Wacholderbaum, das in ganz Deutschland ver-
breitet und ebenso in Schottland und im südlichen Frankreich
bekannt ist*); es wird ihm zur Empfehlung dienen, dass es sich
auch in Göthes Dichtergemüthe mannigfach bewegt hat. Der
Inhalt ist nach der niederdeutschen Form seiner Ueberlieferung
in trockener Kürze folgender.
Eine Frau steht Winters unter dem Wacholderbaum im
Hofe und schält sich einen Apfel; indem sie dabei sich in den
Pinger schneidet, tropft das Blut in den Schnee, und seufzend
•spricht die Kinderlose „Hätte ich doch ein Kind so roth wie
Blut und so weiss wie Schnee!" Gott erfüllt ihre Bitte: es wird
ihr ein so schönes Kind, ein Sohn; aber sie stirbt an der Geburt,
und der Mann begräbt, sie unter dem Wacholderbaum. Nicht
lange, so hat der Knabe eine Stiefmutter und bald auch eine
Schwester. Einst lockt die neue Mutter» ihn vor die Aepfßltruhe
und heisst ihn sich einen Apfel herausnehmen: da schlägt sie
1) Mythol. S. 641. Abargl. 197.
2) Volkslieder d. Serben v. Talvj I, 274 fg. 65. 148. 164. 2, 64.
Litt. Volksl. V. Nesselmann S. 305. Wenzigs Slav. Volksl. 189. vgl. J.
Grimms Mythol. S. 646 fg. 1088 und, wenn man sich noch darauf be-
rufen darf, die Eoniginhofer Handschrift v. Hanka u. Swoboda S. 174.
[ Aach den Angelsachsen ist Kuckacksruf klagend : Grein ^ 1 , 243, 53.
247i 22.]
3) Mythol. S. 789.
4) Br. Grimm 47; vgl. III, 77 fgg.
240 EUEA IITEPOEIS'I'A.
den schweren Deckel zu, dass es ihm den Kopf abschneidet^).
Um die That zn verheimlichen, bereitet sie aus dem Kind eine
1) Eben dergleichen scheint in der Völundar kvida Str. 22 gemeint,
wo der Schmied die Sohne des Königs in seine offne Geschmeidetrnhe
blicken lässt und anmittelbar darauf gesagt wird „ sneid af böfud- hüna
theirra." Eine Legende vom heil. Franciscus, die Abraham a S. Clara er-
zählt (Abrahamisches Bescheid-Essen S. 513 fg.), verbindet nicht die
Tödtung eines lebenden, sondern die Wiederbelebung eines getödteten
Kindes mit Aepfeln in einer Truhe: „Ein Vornehmer von Adel ladete
Franciscum zu der Tafel: Franciscus sagts ihm zu, doch vorhero woll er
predigen. Der Edelmann erfreute sich dessen sehr, schafft der Köchin,
sie solle nach Möglichkeit die Kuchl versehen; der Herr samt der Frau
gehen in die Kirche zur Predigt. Die Köchin dachte »Die ganze Welt
lauft gleichsam zu des Franciscus Predigt: ich mag auch nicht allein
zu Haus bleiben", setzt einen grossen Kessel Wasser über das Feuer, und
lauft das Mensch auch in die Kirche, lässt das Knäbl zu Haus. Wie sie
wieder nach Haus kommt, sucht sie das Kind und iindts nicht, geht
unterdessen in die Kuchl und, o des grossen Unglücks! findet das Kind in
dem siedheissen Kessel, und indem sie es wollte herausziehen, war es ganz
versotten, kein Glied war an dem andern. Das Mensch voller Schrecken
nimmt das Kind in das Fürtuch, trägt und legt es in eine Truhe hinein,
•klagts dem Vater und der Mutter. Was da für Schmerzen und Leid sich
in beider Herzen ereignet haben, lasse ich ein mütterliches Herz er-
achten: nichts desto weniger, wie JFranciscus kommt, setzen sie sich zu
der Tafel ganz traurig. Unter währendem Essen begehrt Franciscus von
dem Edelmann einige Aepfel: der entschuldiget sich, dass er dermalen'
keine hätte, aber alsobald wollte er um solche schicken. „Nein, ich will
nicht* sagt Franciscus; „dort in der Truhe" und zeigt darauf, wo die ge-
sottenen Glieder des Kindes lagen, „dort werdet ihr Aepfel finden." Der
Edelmann voller Glauben geht hin, macht die Truhe auf und siebet, o
wunderthätige Macht Francisci! das kleine und versottene Kind liegt
frisch und gesund in der Truhe, lacht den Vater an und hält zwei rothe
Aepfel in den Händen." Eine nicht bedeutungslose Abweichung: auch der
Apfel im Beginn unsers Märchens und der des nachher anzuführenden
Märchens der Walachen ist Sinnbild der Befruchtung und Belebung; in
der Völsünga Saga Cp. 4 schickt Odin einem kinderlosen Königspaare
einen befruchtenden Apfel zu, und die Götter seihst werden durch den
Genuss der Aepfel, welche Idunn besitzt, immer aufs neue verjüngt und
so fort bis zur Götterdämmerung: Snorra Edda S. 17. [Bei der Neugeburt
des Phönix zuerst ein Apfel in der Asche des verbrannten: Cod. Exon.
S. 213 (nicht aus Lactantius). Schwängernde Zauberäpfel: Sehwed. Märch.
S. 79. Verjüngende Aepfel: ebenda S. 192. 199. 201 fgg. Aepfel in den
Händen Begrabener: Talvj 1, 68. als Liebeszauber: Lucian. Tox. 13.
Hoffmann Monatschrift von u. für Schlesien 2, 754. als Geschenk an die
Geliebte: Höh. Lied 2, 5. Talvj 1, 10. 2, 90 fg. 96. Skimisfor 19 fg.
EITEA IITEPOENTA. 241
Speise und setzt dieselbe ihrem MaiAe vor, und er isst mit Be-
gier, aber doch unter beständigem wehmuthsvoUem Fragen nach
dem Sohne ^). Marleenken aber, die Schwester^), die in tiefer
Betrübniss weiss, was mit dem Kind geschehen, sammelt all die
Knöchlein, die der Vater unter den Tisch geworfen, windet sie
in ihr schönstes seidenes Tuch und legt sie darin unter den
Wacholderbaum. Da geht durch den Baum ein Nebel und ein
Feuer, imd aus dem Feuer fliegt ein schöner herrlich singender
Vogel auf; das Tuch aber mit den Knöchlein ist verschwunden.
Der Vogel fliegt spfort auf das Haus eines Goldschmiedes und
singt ^)
„Mein Mutter, der mich schlacbt,
Mein Vater, der mich aas;
Mein Schwester der Marlenichen
Sucht aUe meine Benichen,
Bindt sie in ein seiden Tuch,
Legts unter den Machandelbaum.
Ei Witt, kiwitt!
.Wat vör'n schoen Vagel bün ik!"
angebissen als Liebeszeichen: Talvj 2, 41. Zwischen Unterelbe und Unter-
weser wird nach der kirchlichen Trauung eines Brautpaares von einem
der älteren Hochzeitgäste ein rother Apfel auf den Altar gelegt und von
den nachwandelnden Uebrigen eine Silbermünze hineingedrückt, als „Opfer"
für den Geistlichen: Ziehen, norddeutsches Leben 2, 298.]
1) Göthes Iphigenie
„Und da Thyest an seinem Fleische sich
Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,
Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme
Der Knaben an des Saales Thüre schon
Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend
Ihm Haupt und Füsse der Erschlagnen hin.**
2) Marleenken niederdeutsch aus Maria Magdalena.
3) Gretchen in Göthes Faust
„Meine Mutter, die Hur, die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm, der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kühlen Ort:
Da ward ich ein schönes Waldvögelein :
Fliege fort, fliege fort!"
Das Lied des Märchens zwingt sich unschön und sprachwidrig in eine Art
von Hochdeutsch hinüber.
Wackernagel, Schriften. III. 16
242 EllEA nXEPOENTA.
Und wie er hier zum Lohne für den Gesang eine goldene Kette
erhält, so ersingt er sich noch bei einem Schuster ein Paar
rother Schuhe und bei einer Mühle einen Müblstein. Mit all
dem kehi-t er auf das Dach des Vaterhauses zurück und singt
auch da sein Lied. Nach längerem Zaudern, da die im Hause
theils Angst, theils neu erwachte Wehmuth zurückhält, tritt der
Vater vor die Thüre und schaut nach dem Vogel hinauf: der
lässt ihm die goldene Kette um den Hals fallen. Als der Vater
zurückgekommen, geht Marleenken : sie erhält die rothen Schuhe.
Endlich nach den beiden auch die Mutter, und auf sie wirft
der Vogel den Mühlstein, dass sie zerschlagen daliegt. Und als
Vater und Schwester wieder hinaustreten, da geht abermals in
dem Baume Dampf und Feuer auf, und da es verweht ist, steht
vor ihnen neu belebt der Knabe.
Die Umgestaltung des geschlachteten und gekochten Kindes
in einen Vogel hat auch die vorher angeführte griechische Sage
von Procne und Itys, das Sammeln und Wiederbeleben der
Knöchlein die von Tantalus und Pelops*), die Legende vom er-
trunkenen Bjnd in Wilhelm Meisters Lehrjahren *), das Märchen
vom Fitchersvogel ^) und ein nordischer Mythus vom Gotte Thor,
wo es aber dessen geschlachtete und verspeiste Böcke sind, die
wieder Leben empfangen*). Unser Märchen verbindet stufenweis
beides: das Gebein wird zuerst in einen Vogel, der Vogel zurück
in das Kind verwandelt. Wirksame Kraft aber bei dieser zwei-
maligen Wiedergeburt (Wiedergeburt auch insofern, als sie gleich-
sam aus dem Grabe der Mutter heraus geschieht) üben der
Wacholderbaum und das Feuer. Der mythische Bezug der Bäume
auf die Menschenschöpfung ist uralt und weitverbreitet^); in
einem Walachischen Märchen ^) wachsen an der Stelle des Hofes,
1) oben S. 229, Anm. 5. Kalewala. 15, 273 fgg.
2) VIII, 9. Die nach und nach zusammengelesenen Knochen werden
hier ebenfalls in ein Tuch gehüllt; nur ein Fingerknöchelchen hat sich
nicht wiedergefunden und fehlt nun auch dem wiederbelebten Kinde.
3) Br. Grimm 46.
4) Snorra Edda S. 28. Einen Schenkelknochen hatte ein mitspeisen-
der Bauernsohn des Markes wegen mit dem Messer zerhauen : davon hinkte
nun dei' eine Bock.
5) Vgl. meine Abhandlung über die Anthropogonie der Germanen in
Haupts Zeitschr. VI, 15 fgg., und oben Bd. 2, S. 361, Anmerkung 190.
6) Walachische Märchen v. Schott S. 121 fgg.
EIJEA IlTEPOENTA. 243
WO eine eifersüchtige Magd die ermordeten Zwillinge ihrer
Herrinn vergraben hat, zwei Apfelbäume, und auch nachdem
diese umgehauen, auch nachdem die aus ihnen gezimmerten Bett-
stellen verbrannt sind, gehn doch aus einem ihrer goldenen
Aepfel durch mehrfache Wandelung zuletzt die Kinder neu be-
lebt hervor. Insbesondre aber bezeichnen den Wacholder schon
die verschiedenen Namen, die er trägt, als einen mythisch be-
deutsamen Baum des Lebens und der Verjüngung: angelsäch-
sisch cvicbeäm und mittelhochd. queckolter^ beide gehörend zu
queck d. h. lebendig, Wacholder, entstellt Wachandel und
Machandel, das zu wachf lateinisch juniperus, das zu juvenis,
junior* jung und pario gehört^). Das Feuer sodann. Möglich,
dass jenem, in dessen Seele zuerst das Märchen entstand, nur
der feurige Busch Moses *) vorgeschwebt: aber auch vielfach
sonst und allgemein wird das gottentstammte Lebenselement im
Leibe des Menschen als ein Feuer aufgefasst ^). Oder soll man
mit Jac. Grimm*) in dem Baum und dem Feuer lediglich eine
nffirchenhafte Umgestaltung des germanischen Leichenbrands er-
kennen, weil berichtet oder vielmehr nur behauptet wird, der
alte Norden habe sich zum Verbrennen der Leichen des Wach-
olders bedient? Allerdings fliegt auch die Seele der heiligen
Eulalia aus dem Brande des Scheiterhaufens als Taube empor ^) :
1) Das — ter in queckolter uud wecheUter, wie der Wacholder ge-
wöhnlich im Altdeutschen heisst, ist auf bekannte Weise aus dem goth.
triu d. h. Baum entstanden. Ein Adj. queckol, althochd. etwa quechal,
ergiebt si<^ aus dem Sübst. quichilunga oder qwiculunga, womit im Alt-
hochd. die lat. Worte f Omentum und fomes übersetzt werden (GrafFs
Sprachschatz IV, 636). Dem quechal ist dann wechal nachgebildet [wechal
vgl. vigil]; Nachbildung von noch einem dritten Stamme, dem Zeitw.
recken f zeigt reckal in der schwäbischen und alemannischen Benennung
Reckolder, altdeutsch rekalter, rekolter (Schmellers Bair. Wörterb. III, 42).
[über den Wacholder vgl. auch Schillers Thier- und Kräuterbuch 1, 19.]
2) Mose II, 3, 2.
3) Mein Aufsatz über das Lebenslicht in Haupts Zeitschr. VI, 280 fgg.
[„Du must diesen einzigen Sohn tödten und all sein Fleisch im Feuer
opfern: wenn Deine Gemahlinnen den Duft dieses Opfers riechen, werden
sie alle Söhne erlangen" (und so geschieht es): Ind. Märchen Somadeva
1, 138.]
4) Ueber das Verbrennen der Leichen S. 54.
5) Die Stellen oben S. 235, Anm. 8. [Die in einen Frosch verzauberte
16*
244 EHBA IITEPOENTA.
ich furchte aber, dem Märchen würde mit solcher Auslegung
ein schöner Theil seines tieferen Gehalts entzogen.
Der Vogel, in den das ermordete Kind zunächst übergeht,
ist aber nicht allein die ümkleidung von dessen Seele: er ist
zugleich durch das Lied, das er von Haus zu Hause trägt, in
noch vollerer Weise als dort die Kraniche des Ibycus der an-
klagende und rächende Yerkündiger des Mordes und gleichsam
die Verkörperung der Klage und der Bache. So fliegt auch in
einem westfälischen Märchen^) jedesmal, wo die neidischen
Schwestern einer Königinn ein neugeborenes Kind derselben ins
Wasser werfen, ein singender Vogel in die Höhe, und zuletzt
singt wiederum ein Vogel, und wieder wohl der gleiche, dem
Könige von der Unthat der Schwestern; die Seelen der drei
Kinder, die ohnediess nicht ertrinken, sondern gerettet werden,
sind mit dem einen Vogel natürlich nicht gemeint.
Halten wir inne und blicken rückwärts. So viel Beispiele
von mythischer und sagenhafter Verwendung der Vögel wir
haben kennen lernen, fast ebenso vielmal hätten wir auch den
Namen befiederte Worte brauchen dürfen: die Vögel, die Mit-
wisser und Boten so der Menschen wie der Götter sind, die dem
wachen wie dem träumenden Auge Vorzeichen geben, die Wan-
drern den Weg und die Kuhestätte weisen, die eine Unthat be-
zeugen, die einer Unthat anklagen, die selber erst zu beständig
warnender Strafe solch eine Gestalt empfangen haben, sie alle
sind nur Worte in Vogelgestalt, befiederte Worte. Mitten aus
dieser zusammengeschlossenen Reihe der mannigfaltigsten An-
schauungen ist denn auch als ihr einheitlicher Inbegriflf, als der
kürzeste Ausdruck für die mythische Wechselbeziehung der Be-
griffe Wort und Vogel jenes homerische sTcsa TcxsposvTa er-
wachsen : es sind die Worte, die, sobald sie aus der Seele hervor
auf die Zunge treten und der Wand der Zähne entfliehn, zu
Vögeln werden, zu Vögeln wie jene, die Götter und Menschen
als Boten senden, zu Vögeln, die nun davon geflogen sind, die
Königstochter wird im Feuer des Scheiterhaufens zurück verwandelt:
Schwed. Märchen S. 316.]
1) „De drei Vügelkens" Br. Grimm 96.
EIIEA IITEPOENTA. 245
man nicht zurückrufen, nicht wieder einhängen kann, die viel-
leicht fliegen, wohin sie nicht sollten, und wohin sie sollten,
dahin nicht gelangen: „Wie ein Vogel dahin fähret und eine
Schwalbe fleuget, also ein unverdienter Fluch trifft nicht" ^).
An Schnelligkeit wird dabei weiter nicht gedacht, so wenig als
Sophoclerf an deren Gegentheil denkt, wenn er von dem Hemmen
der Fittiche scharftönender Klagen spricht^). "A7CTepo<; aber ist
ein fx\)^o(;, den der Angeredete nicht unbeachtet an sich vorbei-
rauschen und zu den übrigen Worten auf die grosse Weide
fliegen lässt, den er vielmehr fest hält, dass er bei ihm bleibt
und nistet.
Das Wort ist befiedert: so auch wird Fama, die personi-
ficierte Kede der Menschen, nicht bloss gleich andern Personen
solcher Art mit einem Flügelpaare, sie wird von Virgil^), so
scheint es wenigstens, als ganz bedeckt mit Federn, im fiaMiam,
wie ein Nordländer gesagt hätte, dargestellt; so viel sie aber
Federn hat, so viel auch Augen und Ohren und Zungen. Eine
Darstellung so ganz im Sinn auch der unclassischen Kunst, dass
Hans Sachs für zwei seiner Gedichte, Fama und Nachred, sie
mit Begier ergriflfen und durch beigefügte Holzschnittbilder noch
sinnlicher hat veranschaulichen lassen*): Fama ist da ein ganz
befiedertes, die Nachred ein nur geflügeltes Weib. Und Abra-
ham a S. Clara giebt dem Geschrei, dem verlästernden Gerüchte,
sechs Flügel^). Ovid in seiner Schilderung der Fama und ihres
luftigen Schlosses®) gewährt von der Art nichts: aber Konrad
von Würzburg, in einer auf Ovid beruhenden Stelle seines Buchs
von Troja') zieht sogleich die Befiederung und die Vogelgestalt
1) Sprichw. Salom. XXVI, 2. [Littauisches Sprichwort: „Das Wort
fliegt als Sperling aus und kehrt als Ochse zurück" Schleicher S. 186.
quod semel emissum volat irrevocahile verbum: Hör. Epist. 1, 18, 71.]
2) Electra 234. dtTCTepo? 9aTt;: Aesch. Agam. 271.
3) Aen. IV, 173 sqq. [Fama volat: Aen. 3, 121. Fama volans: ebd.
11, 139. Ad. V. Brem. 2, 58. volitans pennata — nuncia Fama: Aen. 9,
473. vgl. Argus und OflFenb. Job. 4, 6. 8.]
• 4) Hans Sachs im Gewände seiner Zeit (v. Becker) Taf. XVII u.
XVIII. Fama: fl. Sachs von Hopf 1, 116—119.
5) Judas d. Erzschelm I, 155.
6) Metamorph. XII, 39 sqq.
7) Z. 24662 fgg. Albrecht von Halberstadt nicht: Bartsch XXVIH.
246 EIIEA nTEPOENTA.
mit herein. Hier überall, das ist der Sache oder doch den Um-
ständen gemäss, unter denen hier Fama und der „Liumet^^ auf-
treten, kommt denn auch die Schnelligkeit in Betracht, und die
Federn und die Flügel zielen wesentlich mit auf diese.
Die Auslegung, die der Redensart eicsa TCTspcSevra über die
bloss stylistische Bedeutung hinaus eine mythologische zu geben
sucht, wird noch besonders bestätigt durch die zahlreichen Fälle,
in denen das deutsche Mittelalter ebenso von fliegenden Worten,
noch häufiger aber, auf Grund einer Anschauung gleich jener
römischen der Fama, von einem Fliegen des Mseres, von dem
Msere als einem Vogel spricht, und zwar mit solch einem Wechsel
der mannigfaltigsten Wendungen, bei aller Kürze des Ausdruckes
mit so lebendiger Sinnlichkeit und beinah durchgehends so ganz
ohne Bezug auf die vogelähnliche Schnelle, mit Bezug nur auf
die weite Verbreitung des Wortes und des Maeres, dass hier der
mythische Anstoss vollends unzweifelhaft, die bloss stylistische
Auffassung aber gar unmöglich wird. Es sind der Stellen so
überaus viele ^), dass ich mich gern auf eine Auswahl beschränke,
welche theils durch Zufall, theils mit Absicht ist getroffen wor-
den. Der älteste Beleg gehört bereits dem neunten Jahrhundert
an; die Beihe der übrigen nimmt ihren Anfang da, wo überhaupt
erst unsere Litteratur voller zu strömen anfängt, im zwölften
Jahrhundert.
„Man sol gedenken an ein wort, daz was wilent vliicke:
durch liep so sol man leit bewarn" (ein Sprichwort) Frauenlobs
Spruch 58, Z. 11. „In dem lande vlotic zehant niht wan daz
eine Jdagewort^^^) Qottfneds v. Strassburg Tristan v. d. Hag.
5486 = Massm. 139, 8.
„Von vlochworden^^ von Flugworten, von Hörensagen, in
einer west&Uschen Urkunde des 15. Jahrb.: Haltaus Glossarium
Sp. 466.
„Ut — fama^ malum, quo non velocius uUum^), de mi-
nima meisa super aquüarum magnitudinem excresceret, ut ne-
[Springen und Laufen des mmres: Mythol. S. 850 fg. „ein gengez nuere:
Iwein 3374.]
1) Eine Anzahl derselben schon in J. Grijnms Mythol. S. 850 fg.
2) Vgl. die uT^\>Y°t? ^^utovwv yo<«>v bei ßoph. Electra 234.'
3) aus Virg. Aen. IV, 174. '
EÜEA nTEPOENTA. 247
quaquam jam celäri potuisset" Monachi Sangallensis Gesta Ka-
roli 1, 25. [Meise und Adler auch Leseb. 1, 979, 15. Geier
und Meise Hätzlerin 202b. Adler, Tauben, Meisen: Schleicher
S. 202. Kaum einer meisen vedern schwcer: Hätzl. S. LXXV.
— Das Gerücht war auf Adlersfittichen vor ihm hergeflogen:
Musäus S. 644.]
„Daz mcere d6 vedere gewan von der fronen wol getan;
witen fuor ez ze gazzen*' Wemhers Maria in HofFmanns Fund-
gruben II, 187, 32.
„Vil schiere üouc daz mcere, daz da bi waere ein richez
hüs, da gienge michil rouch üz" Kaiserchronik 957. „Daz maere
schiere vlouc ubir al heidensc volc'* ebd. 8415. „Daz maere
flouch d6 witen, daz der herre chomeo solte" Wemh. Maria
159, 12. „DO daz maere chom geflogen, daz Herödes was be-
trogen von den kunigen drien, vor leide began er schrien" ebd.
207, 40. „Harde snel unde halt flouc ze R6me dat mere, wi
deme dinge were" Pilatus 399. „D6 flouc daz mere über mere
harte witen in die laut" Herborts Liet von Troye 13704.
;,D6 flugen disiu maere von lande ze laut" Nibelungen 1362, 2.
„D6 flugen disiu maere von schare baz ze schare" ebd. 1530, 1.
[„ob diz maere iht verre flüge?" Wolfr. Willeh. 170, 20. „Sus
flugen disiu masre von lande ze lande" j. Tit. -2720.] „Schier
vlouc ein maere', erschollen von einem garzune, daz ein turnei
vor^) Jaschüne über dri tage solde stn" Heinrichs von dem
Turlin Cr6ne 3208. „Diu maere vlugen dräte von kneht ze
ritter über al" ebd. 10357 ^). „Schiere vlugen diu maere, wie"
u. s. w. ebd. 10898. „Dur siner (des Liumetes, der Fama)
wende vensterlin vil manic maere fliuget" Konrads v. Würzburg
Trojan. Krieg 24707. „Wä der arzt da were, von dem s6 wtte
mSre vlugen in dem lande" Passional 86, 9 Hahn. „Diu leidigiu
maer flugen in dem hüs umb" Ottocars Oesterreichische Chronik
41b. „Ze hove kom daz maer geflogen, daz" u. s. w. ebd.
121 b. In Vridankes Bescheidenheit 136, 3 das Sprichwort „S6
daz maere ie verrer vliuget, s6 man ie mer gelinget"; weiter
ausgeführt im Benner Hugos von Trimberg 4471 „S6 fremdiu
maere ie verrer fliegent, s6 die liute ie m§r geliegent: wan daz
1) Die Handschriften haben von.
2) vgl. „Ditz vlouc vom ritter zuo dem kneht" ebd. 2826.
248 EUfiA UTEPOENTA.
ein mensche nie gesach, nnd daz vil Ithte ouch nie geschach,
daz vidert ez und machetz niuwe" [fideren Stalders Idiotikon 1,
368. B. Waldis Esop 3, 88, 56. Grimm, Wörterb. 3, 1627]
und 18208 „Manc maero machet oft herzen swaere, daz doch s5
gar niht freisüch wsere, der ez ze ören bringen wolte mit der
wärheit, als er solte, der ez^) mit siebten werten widerte und
ez mit lügen etswä niht viderte: wan s6 diu maere» ie verrer
fliegent, so die liute ie mer geliegent. Ein bcese maere wirt gar
schier flücke: e dann man^) hin und her gezücke daz guot, so
wirt ez vedem bar, s6 *) daz stn nieman wirt gewar.*' Dazu ein
lateinischer Spruch des 13. Jahrhunderts in Mones Anzeiger für
Kunde der teutschen Vorzeit VII, 506: „Fama boni lente volat
invidia prohibente; fama plena malis volat pernicibus alis"*).
„Owi laidiu nüfnäre, di uu fligent in die laut" Ruolandes
liet 258, 33. „Dit hadden si sd langhe ghedaen ende der
minnen sd langhe gheploghen, dattie niemäre was ghevloghen
ende ment seide openbäre" Diderics van Assenede Floris 358.
Fltigkmere s. v. a. Gerücht in einer Sächsischen Staats-
schrift des 15 Jahrb.: Haltaus Glossarium Sp. 466. Auch in
Schmellers Bayerischem Wörterbuch II, 606 wird daz flugmcßr
angeführt, [flügrede Agricola no. 183.]
Für maere das gleichbedeutende Wort schal. „Diser jaem-
ricltcher schal kom geflogen in die stat" Ottocars Oestr. Chronik
71b 5).
Gegenstände des Maeres als Subjecte des Fliegens. „Ihr
cehte ftoK^ in die kmt" Kaiserchronik 6479. „DO breitte sich
des kunigis whtesal, sie vlouc ubir al" ebd. 6405. „Ja vlöc des
bäbeses ban allenthalben in die kristenheit" ebd. 16868. „D6
was von R6me ein starc gebot üz gegangen und geflogen" Kon-
rads V. Würzburg Silvester 857. „luwer lop ist flücke üf erden
also sere, daz man siht iuwer h-e alumbe und umbe sweimenf^
dessen Engelhard 694. „Des vlouc sin lop über velt" Erzählung
1) Die Bamberger Ausgabe hat ez hintei: Worten.
2) Bamb. Ausg. man ez.
3) Bamb. Ausg. so gar,
4) „pernicibus alis" aus Virg. Aen. IV, 180.
5) Verschieden davon im Rolandsliede 215, 7 „der scal flouc in die
lant": denn hier ist der Schall eines Homes gemeint.
EIIEA nXEPOENTA. 249
Volrats in Haupts Zeitschrift VI, 497. „Doch s6 vl6g sin lü-
munt unde sin prts obir alle furstin in dütschin landin" Leben
des heil. Ludwig von Friedrich Ködiz 15, 15. „Sin name an
eren wite vlouc" Passional 157, 20 Köpke. „Sin name fleug
üz verre" Leben der heil. Elisabeth in GrafiFs Diutiska I, 3.46.
„Spot — sUchet umbe und umbe entwer von dem ze dem alsam
ein swal^^ Winsbecke 27, 6. „Alsus vlouc Morgänes tot mit
maneger hande klage nöt, als obe er vlücke waere; er seite
leidiu msere üf die bürge und in daz laut" Gottfrieds Tristan
5481 = 139, 3. [flück berühmt: H. Sachs 2, 270.] „Der
tot des herzogen über al daz^) laut kam geflogen" Ottocar
590 a. [„Mein Schali floh überweit" P. Fleming in seinem
letzten Sonett.]
Als letzter Beleg mögen noch einige Strophen aus einem
Meistergesänge dienen, der von Martin Schleich „wol in dess
Speten Thon" gedichtet und im Jahr 1605 hier zu Basel ist
gedruckt worden^): ein Beleg nicht ohne Werth, weil er uns
das Fliegen des Maeres auf allersinnlichste und eigentlichste Art
bewerkstelligt zeigt. Es muss dieses an den Namen des Alber-
tus Magnus geknüpfte Abenteuer auch in England bekannt ge-
wesen sein : Shakespeare in seinem Hamlet spielt einmal sichtlich
darauf an'). Bereits neun Jünglinge, so erzählt das Lied, hat
eine verbuhlte Königinn missbraucht und dann sie tödten lassen ;
das zehnte Opfer soll Albertus sein: aber er entgeht ihr.
„Er blickt sie an und thet mit werten sprechen, fraw kö-
nigin nun jungling will ich thun rechen, also lass ich meiji red
gehn euch bleiben, behüt euch Gott ich fahr dahin, in einen
waldt staht mir mein sinn, darinn ich euwer vogler bin, als viel
ich fach die will ich euch zuschicken*).
Der Student schwang sich bald hindan, ihm sahen nach
1) Bei Pez zwischen al und daz noch in.
2) OflFener Bogen von Joh. Schröter unter dem Titel „Die Falsche
Königin. Wie sie neun schöner Jüngling mit jhrer falschen Bulschafft,
vmb jhr Leben gebracht hat, etc." Ambr. Liederb. S. 322 fgg. Wunderh,
2, 245 fgg.
3) III, 4 „unpeg the basket on the house's top, let the birds fly."
[vgl.: Buridan und die Königin von Frankreich, in Haupts Zeitschr, 2,
362 fgg. Murners Geuchmatt: Scheibles Kloster 8, 1065 fg.]
4) Lies zuscheiben.
250 EDEA nXEPOENTA.
vil weib und mann, er satzt sich inn des waldes plan, darinn
fieng er viel vögel merckend eben.
Er satzt sich in dess waldes band, viel vögel flogen ihm zu
band, sie bleiben all ohn netz und bandt, als viel er fieng die
liess er all bey leben.
Mit ihn schwang er sich hoch in die lüfften, mit seiner
kunst thet er gross wunder stiflFten , aufif einem thurn hoch liess
«r sich nieder, mit ihm die vögel manigfalt, die er da hat ge-
fangen in dem waldt, sie bleiben all inn seinem gewalt, er band
sie da und beschnit in ir gefieder.
JOer Student was von herzen fro, ieglichem vogel schreib
er da, ein briefflein klein das sagt also, item die koenigin ist
ein mörderinne.
Die Vögel blieben unzertrant, ieglichem in sein schnabel
bant, ein brieflniin klein gar unverwandt, er schufF sie hin wol
von des thumes zinne.
Wol für die königin theten sie sich neigen, auflF die vögel
ward man mit fingern zeigen, man hub ir etwan mengen auflf
bey der erde , man lass die zetel all zu band , aufF gieng ein
offendliche schand, keiner djrffts thun zum ersten bekandt, man
wolts nicht lassen kommen für die werde.
]Man scheuchet hin die vogelschar, dess nam der student
eben war, erst liess er andere fliegen dar, der königin gut gar
eben für die äugen.
Da was einer in Sonderheit, balieret für die andere gemeyt,
die königin het ab im ein frewd, sie greiff nach im er thet sich
zu ihr nahen*).
Er flog ihr auff die hend mit klugem lis.te, den zedel feit
er zwischen ihre brüste, sie greiff nach ihm der vogel was ge-
schwinde, er flog gar schnelligklichen hin, zu seim meister stund
ihm sein sinn, dann sie zerriss mit irem kinn, den zedel gut
als wir nuhn klerlich finden."
Und hiemit endlich wollen wir der langen Abhandlung ein
Ende machen, jedoch nur indem wir den ganzen Chor der Vögel
noch vernehmen, den Chor der Vögel des Aristophanes, wie auch
dieser sich zum Schluss bereitet. Lassen wir aber, damit sein
1) Lies taugen.
EHEA nXEPOENTA. 251
Wort boni ominis sei, die Art des Mannes, den der hochzeitliche
Jubelgesang begrüsst, ganz ausser Acht und halten uns als
Grammatiker bloss an den gastlich-coUegialischen Wortlaut seines
Namens Pisthetairos. Wohlan denn!
McYttXat, [xeyotXat xaT^^ouat Tu^at
xol vufX9t$tot9i $^x^(7^' c5$aLi;
auTÖv xa\ TT)v BaaCXeiav.
N
Die Umdeutschung fremder Wörter.
(Zuerst als Programm zu der Ffomotionsfeier des Pädagogiums in
Basel 1861, 53 Seiten in 4°. in zweiter verbesserter Ausgabe 1863, 62 Seiten
in 4V
' Die Germanischen Völker sind in Zeit und Kaum Nach-
folger der Kömer, Nachbarn der Komanen. Ihre Neigung aber
sich allem Fremden zu erschliessen und noch mehr die Art, in
welcher sie all das Fremde sich aneignen, hat sie aus Nach-
folgern zu Erben werden lassen und sie, die vordem in den
äussersten Umkreisen gestände^, hoch auf den Mittelpunkt der
neueren Geschichte hingestellt: noch immer ist Deutschland das
schlagende Herz Europas, das von überall her Leben empfangt
und überall hin Leben spendet, wo nicht in anderen Dingen,
doch in Dingen des Geistes.
Die Einflüsse, die von Kom, dann von der Komanischen
Welt aus. den Germanen berührten, find die er nicht zurück-
weisen konnte ohne zugleich jegliche Bildung stumpf zurückzu-
weisen (denn auf ihrer Strömung kam ihm der christliche Glaube,
kamen Wissenschaft und Kunst und Kitterthum und sonst noch
wie viele und reiche Veredlung und Ausschmückung des Lebens),
sie hätten doch nicht so befruchtend und erhebend zu wirken
vermocht, wenn nicht bis tief in das Mittelalter herab der
Deutsche Geist es verstanden hätte das von aussen ihm gebotene
alsobald selbständig fortzubilden, zu entwickeln, zu vollenden,
das Undeutsche allmälich in ein Deutsches umzugestalten. Bei-
spiele giebt, um nur in naheliegende Gebiete den Blick zu
werfen, die •Geschichte unserer alten Baukunst in den Fort-
schritten von den Basiliken Koms bis zum Dom von Köln, die
Die Umdeutschung fremder Wörter. 253
#
der Verskunst in dem Gange des Strophenbaues von der einfach
kirchlichen Form, die Otfried nachahmt, bis zu den Ueber-
künstelungen der Meistersänger, und in der Umdeutschung antiker
Maasse durch Sylbenzählung und Beim, die noch dem sechzehn*
ten Jahrhundert natürlich schien; eines der augenfälligsten, frei-
lich uns jetzt störend, ist die Naivität, womit Malerei und
Poesie sich über alles geschichtliche Gostüm hinwegsetzten,
Alexander und Cäsar und Jesum Christum ganz den Helden
und Königen der eigenen Zeit und ihrer Bomane gleich und die
Göttinn der Liebe zu einer Frau Minne machten.
Seitdem sich aber diesem unablässigen Fortleben und Fort-
wachsen die Renaissance mit plötzlicher Hemmung in den Weg
gestellt, von dieser in Wissenschaft und Kunst und allem Leben
entscheidenden Wendung an die ganze nachmittelalterliche Zeit
hindurch verhält sich der deutsche Geist nicht mehr so schöpfe-
risch gegen das Vorzeitliche und Fremde: an die Stelle selbst-
thätiger Aneignung ist die Nachahmung getreten, die sich des
Selbst und seiner Thätigkeit möglichst entäussert, die mit ge-
wissenhafter Objectivität in fremde Form, fremde Anschauung,
ja, sogar hier auf die Fortentwiokelung verzichtend, zurück in
die eigene Vorzeit wie in ein Fremdes sich versetzt. Die Kunst,
die dichtende wie die bildende, ist gelehrt geworden: die Ge-
lehrsamkeit aber in ihrer Entfremdung von der Kirche steht
ausserhalb des Volkes und wirkt auf dessen organische Lebens-
entwickelung öfter störend und verfälschend als fördernd ein.
Dieser Gang und Stand der Dinge tritt uns namentlich
auch da und besonders klar entgegen, wo die Geschichte unserer
Sprache, dieser Hauptausschnitt unsrer Volksgeschichte, die Be-
ziehungen zwischen Deutschland und Ausland, zwischen Gegen-
wart und Vorzeit darzustellen hat.
Indem ich somit von dem sprachlichen Verhalten gegen-
über der Fremde handeln will, denke ich nicht sowohl an das,
was die Stylistik Barbarismus neni\t, nicht an jene ganz mecha-
nisch äusserliche Sprachenmischung, die zum Schaden der Lati-
nität unsre ältesten Bechtsaufzeichnungen durch den Gebrauch
deutscher Wörter mitten im Latein verschuldet haben, dann
noch anhaltender und mannigfacher zum Schaden der Deutsch-
heit die Gelehrsamkeit des zehnten, des elften, des sechzehnten,
des siebzehnten Jahrhunderts durch lateinische, die höfische
254 I^io Umdeatschung fremder Wörter.
Schönthuerei des dreizehnten und des siebzehnten durch welsche
Wörter in sonst doch deutscher Rede. Denn alles das sammt
der halb bewussten, halb unbewussten Ironisierung, welche die
Lieder aus abwechselnd lateinischen und deutschen Versen und
die s. g. macaronischen Gedichte dagegen wandten, alles das
war eben nur Sache des Stiles, nicht der Sprache selbst. Zwar
kann sogar innerhalb dieses üngeschmackes das Verfahren des
Mittelalters als ein noch gesunderes deutscheres und das der
späteren Zeit als ein pedantisch gänzlich undeutsches unter-
schieden werden, wenn z. B. um das Jahr 1000 Sanctgallische
Schriftsteller die lateinischen Worte, die sie einmischen, in dem
Geschlecht der entsprechenden deutschen verstehn und dem-
gemäss construieren, dagegen Schriftsteller des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts um der lateinischen Worte willen auch
die damit verbundenen deutschen sich lateinisch denken, wenn
also jene dero numero und demo plebe sagen, weil zcda weiblich,
Hut männlich ist, diese dagegen ohne Christo, bei Cannas, weil
ohne auf Lateinisch sine^ bei apud heisst. Aber den Kern des
Sprachlebens und damit das Leben des Volkes berühren solche
Aussendinge nicht: sie hängen sich an, sie fallen ab mit den
wechselnden Zuständen der Litteratur und der Gesellschaft. Was
ihn berührt, ist die wirkliche und eigentliche Aufnahme fremder
Wörter in den Kreis der deutschen, die Verpflanzung solcher in
deutschen Boden, die Einverleibung in den deutschen Sprach-
organismus. Allerdings jedoch stehn, wie wir gleich gewahren
werden, jene Barbarismen der Litteratur und diese Aneignungen
der Sprache jedesmal in einem sehr natürlichen Zusammen-
hange.
Die Wanderung durch Pinnisches Gebiet, dann die Nieder-
lassung mitteninne zwischen Gelten und Slaven hat schon in den
frühesten und theilweis noch in späteren Zeiten die Sprachen
dieser Völker auf die der Germanen einwirken lassen, doch
überall nur mit Abgabe weniger einzelner Wörter wie die der
finnischen kuUa Gold und nüekka Schwert, die nun auf Gothisch
gulth und nUki lauten % der slavischen knut Knute und smokva
1) Ueber noch andre vgl. J. Grimm in Höfers Zeitschrift für d.
Wissenschaft d. Sprache I, 19 fgg. und den Ulfilas von Gabelentz u. Lobe
II, 2, 4. [Deutsches aus dem Lappischen: Dietrich in Haupts Zeitschr.
Bd. 7, 177 fgg.]
Die ümdeutschung fremder Wörter. 255
Feige, auf Gothisch hnutho und smakka^)^ der litthauischen
pats Herr und stiklas, slavisch stMo Glas, auf Gothisch fath
und stiU Becher^), des celtischen ambadus Diener und brace
Malzgetreide, auf Gothisch midbaht, auf Althochdeutsch ampaht
und priuwan brauen. Denn es waren das zum Theil nicht ein-
mal Culturvölker , und jedesfalls kam diejenige Cultur, der das
Gemüth der Germanen sich ahnungsvoll entgegensehnte, von
ihrer keinem. Ich meine die Bildung durch das Christenthum,
dem man das eine Verdienst doch lassen wird, dass es unsre
Väter mit dem Lateinischen und Griechischen näher » vertraut
und mit einem besseren Anbau des Bodens und mancherlei
Gewerben bekannt gemacht hat.
Der ruhig dauernde Bezug, in welchen der neue Glaube
die germanischen Völker zu den Völkern des Südens und Westens
brachte, öffnete sofort auch ihre Sprache einer breiten, tiefen,
nachhaltigen, bis auf den heutigen Tag noch andauernden Ein-
wirkung der Sprachen jener, der lateinischen, die zumal noch
in den Büchern und den Schulen lebte, der romanischen, die für
das Leben ausserhalb an den Platz der lateinischen ruckte, der
griechischen, soweit deren Einwirkung durch das Latein ver-
mittelt war(l: denn unmittelbar ist das alte Griechisch kaum an
irgend ein nachrömisches Volk Europas gelangt, kaum selbst an
die Gothen trotz ihrer Bibelübersetzung aus griechischen Texten,
und unsre Philologen thun ein Unrecht, wenn sie 55. B. in der
Aussprache und Schreibung griechischer Namen bemüht sind
die alten Spuren jenes geschichtlichen Ganges auszuwischen.
Ein breiter, tiefer, nachhaltiger Einfluss: denn im Geleit
und in weiterer Nachfolge der Bekehrung, im Verlaufe des
Mittelalters und noch der späteren Zeit trat eine je und je noch
wachsende Fülle neuer fremder BegriflFe und damit auch neuer
fremder Worte in den Bereich des deutschen Lebens ein, Worte
der Kirche, der Kunst, der Wissenschaft, des Bodenbaues, des
1) Vgl. J. Grimm in der Vorrede zu Wuks Stephanowitsch Serbischer
Grammatik S. 11; Schaffariks Slaw. Alterthümer I, 429; ülfilas U, 1, IX.
Später im Mittelalter, als deutsche Anpflanzungen neu gegen Osten drangen,
ward auch die Sprache diesem und jenem slavischen Wort aufs neue ge-
öffnet, und man vertauschte z. ß. dort zuerst das deutsche marke gegen
grenize, auf Polnisch granica.
2) [vgl. jedoch über stikl Dietrich in Pfeiffers Germania 11, 208.]
256 I>ie ümdeutflchung fremder Wörter.
Gewerbes, des Handels, des Kriegswesens; und "^ar auch ein
Begriff nicht völlig neu, so empfieng und lernte man doch jetzt
die Sache in einer vordem nicht so gekannten YoUkommenheit
und durfte deshalb wohl neben das gothische Uki, althochdeutsch
lächi und allgemach an dessen Stelle das griechisch- lateinische
arziU d. h. archiater stellen, neben goth. preitan althochd. rtzan
nun scribere scripan, neben trota nun auch calcatorium calcatürd
Kelter und pressa und torcular torktd. Oder war auch der Be-
griff ein altgewohnter, so schmeichelte sich doch das Wort durch
seine Noiheit, durch den ungewohnten Klang und Wohlklang
ein, und namentlich gerieth in das Deutsche derer, denen der
häufige Gebrauch einer fremden Sprache Beruf oder Liebhaberei
war, von da her manch ein unnützes Fremdwort und gerieth
durch ihr Beispiel auch noch weiter. Und all diese Einführungen
hielten Schritt mit dem vorher schon bezeichneten Stufengang
des s. g. Barbarismus: denn im früheren Mittelalter war es die
Kirche und ihre lateinische Bildung, im späteren das franzosisch
gestaltete ßitterwesen, in der neueren Zeit Pedanterei und Hof-
dienst neben einander, was mit Lateinischem, mit Französischem,
mit Lateinischem und I^anzösischem unser Deutsch zugleich
verderben und bereichern sollte.
Und dabei ist es nicht so gar selten geschehen, dass man
zumal dem Französischen Wörter entnahm, die früher in diese
Sprache aus dem Deutschen selbst gekommen waren, dass man
unbewusst eigenes Gut von Fremden wiederborgte. Beispiele
der Art französ. und neuhochd. Balcon vom althochd. balcho
Balken; mittelhochd. baniere banner, franz. bannige von band
(den Langobarden s. v. a. Fahne); Bresche, fr. breche, altd.
brechä; mhd. briu Weib, fr. bru, ahd. brüt; bosch busch, ital.
bosco, ahd. büwisc Bauholz, Holz, von büwan (J. Grimm über
Diphthonge S. 12); Furrier, fr. fourrier von feurre, ahd. fuotar
Futter; hantieren, fr. hanter, altnord. heimta heimfordern, heim-
bringen (Diez Wörterb. H, 328); Hellebarde, mhd. haUenbarte,
fr. hallebarde, mhd. helmbarte Helme zerhauendes Beil; Lotio
und Loterie, goth. hlaut, ahd. hloz und hluz Loos; Marschall,
fr. marichal, ahd. marahscalch Pferdeknecht; Bang, ahd. hring
Kreis; mhd. scheneschlant und mit Bezug auf schalten seneschcUt,
fr. senichal, ahd. siniscalch Altknecht; Schmälte, fr. smalte, ital.
smalto, ahd. smelzan; Spion, ital. spione, fr. espion, ahd. spehön
Die Umdeutschung fremder Wörter. 257
spähen; Suppe, fr. soupe, altn. sup Brühe, von süpa saufen;
mhd. tanzy it. danza, fr. danse, ahd. dansdn ziehen; mhd.
tartsche, fr. targe, ahd. zargä Band; ahd. tascä Tasche, fr.
tdsqus fache f ahd. zascdn an sich nehmen; mhd. walap, fr. u.
nhd. Galop, ahd. gählouf Schnelllauf?
Auf ganz eigenthümliche Art aber hat das dreizehnte und
hat wieder das sechzehnte Jahrhundert die Bereicherung durch
fremdes Gut getrieben, indem jenes zu der Uebertragung fran-
zösischer, diess zu der üebertragung lateinischer Bildungs weisen
auf deutsche Worte den ersten Ton anschlug. Töne die beide
heut noch fortklingen, jenes mit Ausdrücken wie jegerie und
wandelieren, dieses z. B. mit den lateinischen Endungen deut-
scher Namen, so dass noch wir jetzt Frohen und BeuchUn und
lutherisch sprechen, weil man vormals Frohenius und Retichlinus
und Lutherus gesprochen hat. Ich weiss nicht, ob dergleichen
Mischung deutschen Beginns und fremden Schlusses stets mit
Bewusstsein und Absicht ist geübt worden: dafür sind die Fälle
beinah zu zahlreich und hat die ganze Unart sich auch zu weit
und zu mannigfaltig gerade in der niederen Bede ausgebreitet;
wenn jener Prediger von einem treuen Bekenner des Christenthi
-sprach, so war wenigstens er sich keines Unterschiedes mehr
zwischen Deutschem und Lateinischem bewusst.
Auf dem deutschen Standpunkt der Betrachtung, auf Seiten
des Volkes hat ein Bewusstsein, das in diesen Dingen unter-
schieden hätte, jedesfalls Jahrhunderte lang gemangelt. Vom
Gothischen an das Mittelalter hindurch und noch jetzt in der
halbmittelalterlichen Sprache des gemeinen Mannes gilt gegen-
über den fremden Worten jenes Verhalten, das ich mir erlaube
Umdeutschung zu nennen: das heisst, es werden die fremden
Worte in Vocalen und Consonanten eben den Gesetzen fort-
schreitender Entwickelung unterworfen, die für deutsche bestehn;
sie werden betont wie deutsche, werden mit deutscher Flexion,*
deutscher Ableitung bekleidet, werden durch Zusammensetzung
mit deutschen Synonymen verständlicher gemacht, werden end-
lich durch bald leisere, bald stärkere Aenderung ihrer Gestalt
in den Anklang an wirklich deutsche Wurzeln und in deutsche
Begriffsanschaulichkeit hereingezogen: zum Theil das die gleichen
Wege, welche die Sprache einschlägt um auch ältere " deutsche
Worte, deren Sinn unkenntlich geworden ist, wieder aufzu-
Wackernagel, Schriften. IIL 17
258 I^d Ümdeutschnng fremder Wörter.
frischen. Wie da z. B. Luthers Sindflut ganz treffend sich in
Sündflut^) umgeformt und Mal sich neu yerdeutlicht hat durch
die Zusammensetzung Malzeichen, so yerdeutlicht sich im Munde
der Thüringer das französische lavoir durch die Zusammensetzung
Waschlavdr und das griechisch-lateinisdie margarita formt sich
althochdeutsch in marikreoz, angelsächsisch in meregreot d. i.
Meerkies um.
Derartige Erneuerung alter und Aneignung fremder Worte,
beides ist auch anderen Sprachen wohl bekannt: z. B. jene,
wenn auf Lateinisch die Schläfe tempora heisst, während das
Wort ursprünglich eine Zusammensetzung aus einem Adjectivum
wie tenuis und einem Subst. wie griech. xapeia muss gewesen
sein (vgl. den althochdeutschen Namen duniwangi)^ und wenn
im Altfranzösischen und Spanischen aus Itisciniola 'roisignor und
ruisennor hervorgeht; diese, wenn die italiänischen Umbildungen
inchiostro und schiavino dem griechischen SyxauaTov einen Be-
zug auf chiostro Kloster, dem deutsch-lateinischen scabinus auf
schiavo Slaye, Sclave geben; wenn das Lateinische gleichartig
mit den Worten pidura und sculptura auch ein architectura
von apxtT^xTov bildet, aus 6pe£x.aXxoc aurichalcum und im
Mittelalter aus pascha pascua macht; wenn ebenso der Grieche
das hebräische Jencschaiajim als 'lepoaoXuiia, das Sanhedrin
als ouveSpiov und Scipio als 2xir)7ü(G)v sich zurechtlegt
Aber der neueren Zeit und trotz so classischen Beispielen
gerade den Gelehrten derselben ist solch ein fortarbeitender
Lebenstrieb der Sprache nur ein Aergerniss: unser Schriftdeutsch,
wo es selber frisch aus der Fremde entlehnt, ändert an dem
Entlehnten bei Leibe nichts, und der Umdeutschungen, die von
Alters her auf uns gekommen sind, sucht es wo möglich wieder
los zu werden, sucht wo möglich im Laut, im Ton, zum mindesten
doch in der Schreibung die fremde Urform wieder herzustellen.
Wie es indess jenen Pedanten geht, die mit halbangeflogener
Eenntniss des Altdeutschen unser Neudeutsch meistern, die uns
wieder eine Sindflut aufdrängen wollen und dabei übersehn, dass
auch dieses noch nicht die echte rechte Form ist, sonäem Sinfiut
{sin s. y. a. überall oder inuner), nicht anders den gelehrten
Gegnern der Umdeutschung : es ist meistens doch nur Stück-
1) Sogar in Sündflusz; vergl. den Titel oben S. 57, Anmerkung 131.
Die ümdeutschung fremder Wörter. 259
werk, was sie uns liefern und geliefert haben. Allerdings stehen
Dom und Orieche und Märtyrer und Papst in Laut oder Buch-
staben wieder näher bei domm und Grcecus und (xapTup und
papa oder 7caica(;, als die älteren Formen Thum und Kriech
und Marter er und die andre Schreibung Pahst denselben stehen:
aber inuner noch ist Dom ein Masculinum und hat Crrieche ein
unlateinisches iech, hat Papst einen ungriechischen Ausgang und
Märtyrer ausserdem noch einen Umlaut, der ungriechisch ist.
Es dünkt dem Pedanten ein Grosses, wenn er ausfindig macht,
man dürfe nicht Araber betonen, weil es ja auf Lateinisch
'Arabs 'Arabis heisse: von Hunderten ganz gleichartiger' Fälle
und neben all den andern, welche diesem zunächst liegen, . sticht
er sich den einen allein heraus und betont 'Araber imd betont
dennoch arabisch und nennt sich selbst auch nicht Philologe.
Es soll mich freuen, wenn der bisher vorgetragenen oder
besserer Gründe wegen die ümdbütschung fbemdeb Wöeteb
auch Anderen als ein Gegenstand erscheint, der sowohl für die
Geschichte der Sprache selbst als durch seinen parallelen Bezug
auf die Culturgeschichte von Bedeutung sei. Die nachfolgenden
Blätter werden eine Erörterung desselben versuchen, oder viel-
mehr nur den Entwurf einer Erörterung: denn die Fülle des
Stoffes nöthigt mich die Schranken enger, als ich eigentlich
sollte, zu ziehen und die Belege allein aus dem gothischen und
unsrem hochdeutschen Gebiete zu entnehmen, nöthigt mich auch
zu einer oft mehr als lexicographischen Kürze und Dürre der
Darstellung. Der Polemik aber, die wiederholendlich in aller
Weitläuftigkeit Anlass fände, würde ich auch unter anderen
Umständen mich enthalten.
L Die Consonanten-
Als unsere Sprache von der Stufe des Germanisch-Gothischen,
einem Standpunkt, auf welchem die sächsischen und die scan-
dinavischen Sprachen sich heute noch befinden, zuerst in das
Hochdeutsch übergieng, wurden die stummen Consonanten dem
Gesetze nach in der Art umgeändert, dass für die Tennis eines
Organs dessen Aspirata, für die Aspirata die Media, für die
Media die Tennis eintrat: das goth. sUpan lautete nun sldfan,
17*
260 I^e ÜmdeatschnDg fremder Wörter.
timan zeman, kuni chunni, af aha, thaumus dorn, ahana agana,
U6ma pluomo, dail teü, litigan liukan. So im Allgemeinen: die
Abweichungen davon, die es in Einzelheiten giebt, werden zum
grösseren Theile gleich auf den nächsten Blättern beröhrt
werden.
Diese durchgreifende Wendung hat sich im Verlauf des
siebenten Jahrhunderts entwickelt. Gregor von Tours (f 594)
schreibt noch Hist. Franc. IX, 36 und X, 16 Stratdburgum
Straieburgum mit t, mit b, mit g, eben wie die Provinzen Ver-
zeichnisse bei Bouquet 11, 2 u. 9 Strateburgo^ die Wessobrunner
Olossen des achten zeigen bereits Strazpuruc, also z und p und
c: mitten inne im siebenten bei dem Geographen von Bavenna
231, 7 u. 232, 2 hat Stratisburgo noch die vorhochdeutschen
Laute, und das z in Brezecha Breisach und Bazda 231, 9. 10
ist noch das säuselnd weiche der Gothen, die Yermittelung
zwischen s und r; aber schon auch aspiriert derselbe 232, 5
Tdberna in Ziaberna, 232, 11 Turicum in Ziurichi, 231, 6
Porta in Porza^).
Es besitzt aber unsere Sprache durch Urverwandtschaft
zahlreiche Worte gemein mit der griechischen und lateinischen,
und diese machen den Parallelismus der Lautverschiebung voll,
indem sie derselben noch eine Stufe mehr hinzufügen. Der
pelasgischen Tennis solcher steht im Gothischen u. s. f. die
Aspirata, im Althochdeutschen mithin die Media gegenüber, der
Media die Tenuis und die Aspirata, der Aspirata die Media und
die Tenuis: z. B. tacere, goth. thahan, althochd. dctgen; tribus,
g. thaurp, ahd. darf; Teyoc^, tego, altnord. thak, ahd. d(ich; dens
dentis, oSouc 686vto(;, g. tunthus, ahd. zand; Tpe'xsiTv c^ps^o,
trahere, g. dragan, ahd. trakan; betere, ßaxov, angelsächs. pab,
1) Die Schreibungen Ziaberna und Ziurichi weisen darauf hin, dass
auch im Anlaut der Uebergang des T in Z von der Beimischung des
Vocales sei begleitet gewesen, der inlautend im lat. lectio, im deutschen
satjan sazjan setzen y skapjan scafjan schepfen^ vakjan wachjan tüecken
die schärfende und yerhärtende Wirkung übte : das griechische Z geht an-
lautend wie inlautend aus 5t hervor: ^a.- aus 5ta-, Treloc aus ii^Sio?, in
der späteren Latinität zahulus aus SiaßoXoCy zeta aus dCaiTa. Und so ist
wohl auch das althochd. zatarra meretrix aus theatrica, zu dessen Glos-
sierung es einmal dient, entstanden.
Die ümdeutschung fremder Wörter. 261
ahd. phad; <ff\y6(;y fagtis, g. bdka, ahd. puocha; 9pocTop, frater, '
g. brdthar, ahd, pruodar; Jmdtts, g. gaitei, ahd. heiz.
So bei Worten, die der deutschen Sprache ans dem gleichen
Urquell mit .den beiden pelasgischen zugeflossen sind: nicht so
bei denen, die sie erst später aus letzteren entlehnt hat. Hier
hält das Gothische, hält das alte Hochdeutsch grundsätzlich wie
das neuere den fremden Laut, der ihm vorliegt, fest, und die
Tennis z. B. geht nicht in die Aspirata noch die Media über,
sie bleibt. Abgewichen davon wird nur, wo die Sprache zur
Abweichung nöthigt. Das Gothische besass wohl auch ein ^,
aber kein 9, kein x ^ es vertauschte gleich der niederen und der
alten Latinität jenes gegen f, diess gegen k oder ein&ch h:
praufetus, drakma, op^x.*") aurahjo. Es besass kein z mit dem
harten Laute wie ts: wo in lateinischen Worten c und t diesen
Zischlaut hatten (und sie hatten unter denselben üm^nden wie
später ihn schon damals), da ward er entweder in ts aufgelöst,
cautio in kavtsjd, oder noch lieber folgte man bloss dem Buch-
staben und sprach und schrieb wie die Griechen auch vor e und
i ein k, auch vor j ein t: also (icetum akeit, uncia unkja, lectio
laiMjo. Unnöthig, da g dem Gothischen nicht fehlte, scheint
die Aenderung von rpatxoc; Grcecus in Krik, von (jLapyapCriQC
in markreitus: hier mag sich g nur auf Anlass des folgenden c
und t verhärtet haben : der Gothe liebte und übte die Assimilation
in mannigfachster Art: machte er doch selbst aus dXaßaarpoc
alabalstraun, aus ^Apxa^sp^T]^ Artarksairkstis, Sonst dagegen
bleiben die griechisch-lateinischen Consonanten, bleiben p und f
und b, t und th und d, und c und g unangetastet, und es heisst
wie pondus, fascia, cubitus, (jocßßaxov, ^ujJLfäjJLa, StaßoXoc, carcer,
ayyeXoi; so nun auch im Gothischen pund, faskja, kuhittts,
sabbattis, thymiama^ diabulus, karkara, dggilvs.
Gleiches Verfahren im Hochdeutschen, wo zuerst diess ein
fremdes Wort in sich aufnahm: also gradus wiederum grdd,
capitale capital, und da nun auch das Deutsche den J2^-Laut
hatte, lectio leczä, ceUa zella, merx mef'cis nierz. Nur ward im
Althochdeutschen ca u. dgl. noch lieber gegen cha, das Gegen-
bild auch des gothischen ka, vertauscht: k stand im Hoch-
deutschen selbst nicht fest genug: es wechselte, wie es auf ein
gothisches g gefolgt war, auch jetzt noch gern mit diesem Con-
sonanten ab, kankan z. B. mit gangan: also capeUa chappeUa,
262 I^i^ UmdeutBchung fremder Wörter.
crux crtuns chrüzL Z aber war die Aspiration von t, ein
eigenes th daneben kannte die dentsche Zunge nicht mehr, im
Griechisch-Lateinischen selber fasste man jetzt th als ein blosses
t auf, für strutio d: L strtUhio schrieb man sogac strucio: auf
Deutsch also wiederum strüz.
Waren jedoch die fremden Worte schon in der vorhoch-
deutsdien Zeit, schon auf der Stufe des Gothischen in die
Sprache herübergenommen, dann wurden sie auch im Hoch-
deutschen ganz so behandelt, als ob sie überliefert deutsche
wären, und unterlagen derselben Lautverschiebung: weil bereits
der Gothe aus icaxa^ sein papa, aus vidtui viduvd gemacht,
machte man nun wieder hieraus phaffo und wituwä, wie aus
den schon ursprünglich deutschen Maupan und dauktar hUmfan
und tohtar. Hiemit denn endlich war die volle Aneignung und
Umdeutschung des Fremden eingetreten, und verschont davon
blieben höchstens die Personennamen, deren Urform in bestän-
diger Gegenwart vor Augen lag.
Es möge nunmehr ein Yerzeichniss von Beispielen für diess
zwiefache Verhalten zusammengestellt werden, mit der Bevor-
zugung der althochdeutschen Worte und Formen vor den mittel-
und neuhochdeutschen, die sich gebührt. Ich beginne bei den
Lippenlauten und hier wie überall mit denjenigen Fällen, wo
das griechische oder lateinische Wort bereits im Gothischen vor-
kommt und deshalb, wenn es in das Hochdeutsch übertritt, seine
Gestalt verändert.
Lippenlaute.
Griechisch lateinisch gothisch P wird auf Hochdeutsch im
Anlaut ph d. h. pf, ebenso hinter Consonanten, hinter Yocalen
dagegen in der Eegel einfach f: derselbe Wechsel des verdickten
und des reineren Lautes, dem wir wiederum bei z und bei ch
begegnen werden. Kapilldn von capillare s. v. a. xefpeiv hat
nur das Gothische; auch hochdeutsch geworden sind zunächst
7ca7ca<; papa phaffo, pondtts pund phunt, caupo kaupon choufan
und a^vaui sinap senaf. Nur im Hochdeutschen nachweisbar,
aber, wie die Form uns zeigt, schon früher entlehnt (ich über-
gehe all die vielen Beispiele, die weiterhin noch sonst ihre An-
führung fordern) pactum phaht Gesetz nebst dem bloss mittel-
und neuhochd. Zeitwort pfehten p fechten visieren» paius phcd
Die Umdeutschung fremder Wörter. 263
persicum phersich, pipare mittellat. pipa phifä, pipita aui^
pituüa (Diez Wörterb. I, 323) phiphiz^ pilum phtl, TuejiTCrir)
mhd. phinztac Donnerstag, pistor phister, planta pManzä, porr
ticus phorzich, postis phost, propago phrofa Pfropfreis, capsa
chafsa, camptis champh, cuppa choph Becher, cuprum chuphar;
in apium epphi ist das regelmässige f nur durch das i so ver-
härtet. Bekanntlich aber giebt und gab es Mundarten, die pf
überall in f zu vereinfachen lieben, und so erscheinen denn die
meisten dieser Worte auch in solcher Umgestaltung und pressa
fressa Druck, mittellat. punga fung Beutel allein so: gothisch
hiess es pugg. Wenn aber aus piscina der Ortsname Fisehine,
aus pisccUio fischenze wird, so ist damit das fremde Wort piacis
geradezu in das nahliegende deutsche übertragen. Wieder andere
Mundarten halten überall und so auch hier das gothische p fest
ohne bis zum ph fortzuschreiten: Otfried sagt z. B. porzih wie
pcui; neben cuppa chuppha Mütze tritt chuppa, neben pluma
pflümfedera auch plumatium plümaz Federkissen auf, nehm
porrum phorro auch porro, neben plc^a pläga erst im Mittel-
hochd. und seltener pfldge; phaht ist im Neuhochdeutschen
gegen Pacht, phiphiz gegen Pips aufgegeben. Zu unterscheiden
von solchen mundartlich begründeten oder durch mundartliches •
Beispiel veranlassten Nebenformen sind nun diejenigen Fälle, in
denen sich niemals ph, stets nur p zeigt: das sind dann Worte,
deren Entlehnung nicht über die hochdeutsche Stufe zurückgeht,
wie pes pedis peda, wie prdsä, capital, chappella, oder die, wenn
auch schon früher entlehnt, doch wieder in Vergessenheit ge-
rathen waren, wie purpura goth. paurpura siii. purpurä, scorpio
goth. skaurpjo ahd. scorpjo scorpo, Tzgocfr^vti^ g. praufittts und
erst im Mittelhochdeutschen wieder (vorher hatte man tvizago
gesagt) prophete. Hauptmerkmal dessen, dass solche Worte jetzt
erst aufgenommen worden, ist das in ihnen wie in rein deutschen
ganz gewöhnliche Schwanken des Anlautes zwischen p und b,
zwischen dem streng althochdeutschen Consonanten und dem,
der im Gothischen ihm vorangegangen war und wieder auch .im
Mittelhochdeutschen folgen sollte. Also poptdus pappula und
bapilla Stockrose, paradisus paradts und mhd. auch baradis^
pix pech und bech, pirula roman. perla (Diez Wörterb. I, .313)
peralä und beralä, pinus mhd. pineboum und bineboum, pirum
pirä und birä, pollis mhd. polle und ahd. bolla, portm port
264 I^ie Umdeutschung fremder Wörter.
mhd. porte und borte, pumex pumiz und mhd. Umz. Und end-
lich. Mehrere Wörter mit p sind schon auf der gothischen
Stufe in unsere Sprache eingetreten und haben dann auf der
hochdeutschen statt des p ein ph oder f erhalten und sind noch
einnaal eingetreten auf der hochdeutschen und haben da den
Consonanten etwa nur gegen b vertauscht: 7:apotx£a parochia
pharra und jparr^cÄöpr^ Pfarrangehöriger; TcsxaXov petcUum fedd-
gold und pedcdä bedeld; pinna zitarphin ziterfin und zidarpin
Plectrum; pcena pina bina mit dem Zeitworte phtndn unä pindn
binön; patrinus, mhd. pfetter und bäte pate; (phressa) fressa und
das Zeitw. pressdn bresson; puteus phuzzi fuzze und puzza
buzza; TcXaxui; TcXarela platea, franz. plat, goth. platja oder
plati Strasse, ahd. ftaz und mhd. plat blat flach, flazzi geebneter
Boden und plattä blattä Platte; capa gaphä caffd und chappa;
capo cappho und chappo. Die Möglichkeit solch einer zwei-
maligen Einfuhrung und des Nebeneinanderbestehens zwiefacher
Formen wird bestätigt, wenn wir zu ilazzi noch unser Platz
kommen sehen, vom franz. place d. h. wiederum platea, oder
zum ahd. phalanza falanza palinza von palatium das mhd.
palas von palais. Dass aber pepo (phebeno) Pfeben bloss das
erste p verschiebt, wird Sache des Wohllautes sein wie in
phepis, einer Nebenform zu phiphiz; ausserdem auch hier die
Festhaltung beider p in pepano bebeno.
Griechisch lateinisch gothisch F: faskja, praufStus. Statt
der Media b, die im Althochdeutschen hierauf folgen sollte,
zeigt dasselbe in eignen und ebenso in fremden Worten als In-
laut meist nur ein erweichtes f, ein v, als An- und Auslaut
dagegen unverändert P): fäska oder fdski, falco falcho, fceni-
culum f&nachal, filiolus fillol, ccerefolium chervola, graphio
krdvjo Graf, Stephantis mhd. Steven, Verleitet aber durch jene
mundartliche Vereinfachung des ph in f, springt zuweilen von
dieser Seite her f in ph hinüber: ad Fines giebt den Ortsnamen
1) Notker und seine Schule brauchen v neben f auch im Beginn der
Worte, aber nicht wie die mittölhochdeutschen Schreiber nur als andre
Bezeichnung des F-Lautes: f und v sind ihnen ebenso verschieden wie
ph und seine Schwächung f, wie p und b, t und d, k und g: der härtere
Laut steht hinter Interpunctionen und vollen Consonanten, der weichere
hinter Vocalen und Liquiden.
Die Ümdeutschung fremder Wörter. 265
Pftn; es heisst auch phenichal, cophinus chovina chofina und
chophenna, mhd. auch phüöl^) und pft pfiu pfuch pfech neben
ß flu franz. fi lat. phy phui gr. 9SI), ^phtn neben fin fr. ^w
(lat. finis, finitus), phasant neben vakant fasän Jat. phasianus,
phlüm neben ^ilm^ lat. flumen. Ebenso kommt unser Fom, lat.
Favonitcs, althochdeutsch als Phdnno vor, und opharön von
offerre ist gebräuchlicher als offardn.
Griechisch lateinisch gothisch JS; cumbere kumhjan, (mbitus
kubitus, aaßavov saban. Wenn aber aus ßafr»] der Gothe nicht
baita, sondern paida macht und sofort der Hochdeutsche pheit
d. i. Bock oder Hemd, so haben hier beide Consonanten die
Accentuierung ausgetauscht: mit derselben Umstellung ist im
Mittelhochd. biever aus fieber lat. febris, im Neuhochd. tosen
aus ddszen (mhd. diezm d6z\ im Griech. TceSa aus [xera ge-
worden und ähnlich phedemo aus phebeno, bidemen aus bibenen,
KoLgxt\hm aus Carthago. Im strengeren Althochdeutschen rückt
an die Stelle jenes b ein p: doch gilt auch hier daneben und
gilt im Mittelhochdeutschen allein der weichere Urlaut, neben
sapon saban, neben alpäri alhdri wie ital. albaro; ebenso chorb
lat. corbisy churbiz ciicurbita, buliz Pilz bolettis. Das b vor t
im ahd. .st^i^^7 lat. suhtd d. i. st^i tcdo (nach Papias s. v. a.
ma l?ars |?gc?is) mag doch als p gesprochen worden sein: die
Ableitung sufteläre^) lat. subtalaris zeigt dessen regelrechte Ver-
schiebung in f.
«
Znngenlante.
Griechisch lateinisch T bleibt im Gothischen, verwandelt
sich aber, wenn die Worte von der gothischen Stufe weiter
rücken^ althochdeutsch in z; Anfangs der Sylben und nach Con-
sonanten wird diess wie noch im Neuhochdeutschen, nach Vocalen
dagegen wie sz ausgesprochen, das wir denn auch schreiben.
Bloss dem Gothischen eigen ist hvhitus; auch ins Hochdeutsche
gekonmien sind catintts oder catillus katil chezzü, acetum akeit
1) Und schon im Althochdeutschen muss aus filius und filia phillo
und philld geworden sein, da nur durch solche Vermittlung das altsäch-
sische pillo und pilld (filiaster, üliastra) sich erklärt.
2) Das ünwort fustilare in Graffs Sprachschatz III, 727 isiauftilare
zu bessern.
266 IMe ümdentschang fremder Wörter.
ezzich, umgestellt aus echiz^), müitare g. müUdn und mües
miUtis ahd. müiz, aaßßaTov sahbatus sambaz in aambaztac^;
dazu strata (näml. iXä) Strätaburg, ahd. sträza Sträzpuruc,
Nur mit hochdeutschem z yorliegend noch andre dergleichen
Namen: Tarodunum Zartuna, Ttdbiacum Ztdpicha, Turicutn
Zürich oder wie der Oeographus Bavennas schreibt Ziurichi,
und ' Metce Metis Mettis Meza. Femer 'catus chazzä, bdUeus
palz, stuUüs stelz, tributum tribüz: das erste t wird hier nicht
verschoben, da zr unaussprechbar wäre: auch die gothischen
tratmn trauen, triggv treu, trimpan trampen, trudan tret^
ändern im hochdeutschen ihren Anlaut nicht. Jängeren Alters
in unsrer Sprache, da sie kein z, auch wo es mögUch wäre,
zeigen, sind tunica tunicha und tunichdn tünchen, turris turri
turra tum, lectoriufn lectdr, mantellufn mantal, ckrotta Art
Harfe rottä. Zweimal entlehnt, da sie sowohl mit z als mit t
vorkommen, tahtda zapal und tavalä nebst tabdlä, tabema
Ziahema Zaberna als Ortsname und tavemä, talea zelga zeUa
und zunächst auf franz. taiüe beruhend das landschaftlieh neu-
hochdeutsche Teile Abgabe, tegula ziegcU und tegel Tiegel, cutis
cotta (Diez Wörterb. I, 144) ahd. chozzä cuzin und mhd. kuäe,
mutare müzdn und muta g. mdta ahd. müta Mauth, und speUa
und spdza. Aus porta schon bei dem Geogr. Bavennas der
Ortsname Porza, mit p, nicht ph, wie auch später das Appella-
tivum mundartlich zwischen phorze und porze wechselt; daneben
gänzlich unverschoben porta borta und beide Behandlungsweisen
mischend der gewöhnliche Ausdruck phorta. Kurt aber ist nur
mitteldeutsche Nebenform von churz, lat. curtu8%
1) Doch könnte in ezzich das z auch aus dem c, das ich aber ebenso
aus U (acetum acitum) entstanden sein, wie aus tapetutn tepU und tepich
geworden ist. Das altsächs. ecid, angelsächs. eced muss auf acidum be-
ruhen.
2) Einschaltung der Lippenliquida vor eine Lippenmuta wie in trabea
tretnbil und wie noch öfter der Liquida der Zunge vor deren Mutas:
charadrius ital. calandra mhd. galander, chamcedrys germandrie gcf
mandri, r edder e rendre ahd. rentön; andere Beispiele, auch von nz für
z, werden später in Cap. VI gegeben werden.
3) Die ältesten Denkmäler gewähren übrigens scurz und scurt mit
ebensolchem Vorschlag eines s wie in ^nerula mittellat. mifrlus ahd. smirl,
in porticus sportich und öfters auch in urverwandten W^örtem. [skurz
Die Umdeutschung fremder Wörter. 267
Griechisch gothisches TU sollte im Hochdeutschen zu d
werden: doch liegen uns ausser ihymiama keine gemeinsamen
Worte vor, und diess eine, frisch entlehnt und Pflanzenname
geworden, lautet ahd.- timiäm. Denn das Hochdeutsche nimmt
solche th als t, thr actus panther ciihara als tracisk pantd zitarä;
ja diese Auffassung muss schon früher begonnen haben: sonst
hätte nicht aus ^peßtv^o^ arawiz, aus mentha mmzä, aus thyrsus
auch zers werden können. Ebenso scheint chrezzo, unverschoben
chratto, nicht von crates, sondern von calathus zu kommen:
darauf führen die alten Glossare, die es mit letzterem zusammen-
stellen. Thesaurus altsächs. tresur tresu ahd. treso triso ent-
geht dem z durch diese Versetzung seines r^).
Griechisch lateinisch gothisch D, hochdeutsch t: 8taßoXo<;
diabidus tiuval, vidua viduvo mtuwd, pondu^ pund phunt
Hiezu noch die hochdeutschen Umbildungen lateinisch -celtischer
Ortnamen auf dunum d. i. Burg und Berg, wie Tarodunum
Zartuna, Lugdunum Liutana, Verdunum Wirtina; ferner del-
phinus roman. dalfin mhd. talfin, dama ahd. tämo, didare
tihton, discus tisc, domus tuom, draco trachoj durare mhd. türm,
Carduus charto, candela chmtila, modius mutti, radix rätich,
Bhodanus Botest, sedile satul. Mit beibehaltenem d und sonach
jünger damnare firdamndn, gradus gräd, kalendce kalend, mo-
dulus modul, pardus pardo, pes pedis peda. Zweimalige Ent-
lehnung: decima decimare techamön und dezemo dezemdn, hd-
xt\jXo(; dactylus mhd. tattel und nhd. Dachtel Ohrfeige; ebenso
werden sich decanus techän techant und dechän dechent ver-
halten. Der Padus heisst ahd. Pf dt, ich weiss nicht wie im
Genitiv u. s. f.: das Mittelhd. bildet denselben Pfades, wohl
auf Anlass von pfat pfades.
scheint die eigentlich deutsche Form: scurz zu curtus wie sk'iran zu
xeCpeiv, scara zu xaipd?.]
1) In croeodilus mhd. kohodrille kokatrille kocheldrüle ist das r
nach hinten versetzt; der vollständigeren Form tresur vergleicht sich ahd.
chlonachla aus chonachla lat. colucula.
268 IHe ümdeatschung fremder Wörter.
Kehllaute.
Griechisch lateinisch jE'.und C Wie schon bemerkt und
erklärt worden, giebt das Gothische überall, auch wo auf das c
ein J-Laut folgt, diesen Consonanten mit k wieder, also nicht
bloss katil, kaupdn, kavtsjd, kubitus, arka^ laiktjd, sakkus, Ghrce-
cus Krek, sondern auch acetum akeit, lucema lukarn, urceus
aurki, fascia faskja, mittellat. calcia Strumpf kalkjo Hure?
uncia unkja, vicis vikd, wie xataap oder ccesar kaisar. Im
Hochdeutschen sodann tritt erstlich an die Stelle des c vor a
u. s. f. und vor Consonanten ein ch; das Mittel- und Neuhoch-
deutsche pflegt, wie mundartlich auch schon früher geschehen,
im Anlaut und nach »Consonanten dafür bloss k zu setzen. So
heisst es nun chezzil, choufdn, archa, sach, Chriach, wechä;
lekzä kommt nie mit ch geschrieben vor. Von gleicher Art
caLx chalch, carnarium charndre, concha ital. cocca ahd. chocho
Art SchiflF, fornax furnache, grammatica gramatich (die Schwa-
ben sprechen noch so), lait^us leich, manica menichä, psittacus
psitich, securti8 sichur, soccus soch; vor 8 und vor t wird diess
ch in h vereinfacht: buxtis buhs, pyxis puhsa, extd ihsil, fructus
fruht, dictare tihtdn, tractare trdhtön. Folgt dagegen dem lat.
c ein i oder e, so bleibt der Kehllaut, bleibt das ch nur dann
in Geltung, wenn die Worte schon auf jener früheren Stufe
deutsch geworden sind, wo das Deutsche selber noch kein z be-
sass, springt aber auf die Zunge über und wird ein z, wenn sie
erst auf der hochdeutschen sind entlehnt worden. Also wie im
Gothischen carcer charchäri, fäski oder fdska und vielleicht
noch echiz ezzich; ebenso mit ch cercUum oder cerata charz und
cherzd, ccerefoUum chervola, xypiaxov chtrichd, cerasum chirsa,
cista chista, Cancer chanchar, bacca bacinm^) pechtn Becken,
hyacinthus mittellat. jacintus jachant^ lynx linch. Aber die
überwiegende MehrzaU solcher Worte ist von jüngerer Einfüh-
rung und zeigt deshalb ein z: cedrus zMarpoum, centaurea zen-
ter, centenariiM zentandri, cymbalum zimbala, quinque cinque
1) Diez Wörterb. I, 42. Die Schreibung bacchinus iMchinus (Gregor
von Tours u. a. bei du Gange) soll wahrscheinlich das Wort mit Bacchus
in Verbindung bringen.
Die Umdeutschnng fremder Wörter.
269
zinco, censtis zins, incensorium zinseri, cyparisms ziperboum
neben cupresstis cuprespoum, ccejndla zipolla, cithara zitarä,
cancelli chanzella, merx merds inerz, maceUarias metzder, mix
nucis nuz ^\ peUiceum pelliz, pumex pumicis pumiz, Saracenus
Sarz und Serzo (altnordisch hiess es Serk) und neben jenen
goth. aurki und kcdkjö nun urceolus urzedl und ccUceus kolze.
Dazu kommen noch diejenigen, die eigentlich ausgehn auf ti und
thi und Uy in denen aber diese Lautverbindungen auch wie ci
ausgesprochen wurden: Constantia Chostanza, pisccUio fischenze,
focus focacia fochanza Art Gebäck, lectio lekzd, martius marceo,
palatium phcdanza, prophetia profezie, potio puzzä, pvteus phuzzi
und ptizza, Rctetia Riez, strtdhio strüz, tertius terze Falkenart,
Borbetomagiis Wormatia Wannaza. Wenn endlich mehrere
^Worte mit beiderlei Lauten des c abwechseln, so werden damit
fich hier verschiedene Zeitstufen der Aneignung kenntlich ge-
icht: cheisar wie goth. kaisar ist das ältere, Burcisara mhd.
^ziser d. h. Porta Ccesaris, Name eines Pyrenäenpasses, erst
jüngere Wort; so ferner cellarium chelläri und ceUa zella^%
Ortsname Winkda und mit Auffrischung des Sinnes (vini
\) Winzella, Winkdried und Winzdried; circulus chirch in
[Bedensart umpi in chirch, entstellt umpichirc umbikirg, wo-
ircumquaque übersetzt wird, und zirc Ereis, umbizirg, zirke,
l, circare zirkdn (im 15. Jahrh. einmal kirkel Mones Quellen
I Forschungen 1, 118); cicer oder cicera chichurä mhd. kicher
:isa (zisarä?) mhd. ziser; crucea ahd. chrucha und crux
chrüzi^); dedmare techamdn und dezemön; decima de-
(Sprachschatz 5, 237) und techeme (Maurers Dorfverf. 1,
vergl. 269 fg.). Das Mittelhochdeutsche sagt luzeme (goth.
\n war vergessen) und nennt die Insel Cypern Kipper und
: jenes ist Ku7üpo<;, diess das lat. Cyprus,
1) [nux: nuz wol nicht daher: ags. hnut, altnord. hnyt; auch ahd.
mWh hnuz: griech. y^^it^ta.]
2) FuricheUi und tcitchelle, Uebersetzungen von vesttbulum und por-
, scheinen unter Einwirkung des irischen kill (Zelle und Kirche) ge-
et: statt des ersteren findet sich auch vurichüli,
3) Der fremde Name des Kreuzes ist später an die Deutschen ge-
en als das Christenthum : die Gothen sagten dafür galga, und noch
Althochdeutschen und Altsächsischen sind gälgo und ruodd d. i. Gal-
en, boum und treo d. i. Baum nicht minder geläufig als chrüzi.
270 IK« ümdeutschang fremder Wörter.
Das griechische CH musste der Gothe in k abstumpfen:
z. B. Kristus ^), Akaja, drakma, paska; oder vereinfachen zu h
wie in öpox*«] aurahjö. Im Hochdeutschen folgte ordnungs-
gemäss wieder ein ch, also Christ, und während aus man^ichus
der Gothe etwa munakus gemacht hätte wie der Angelsachse
munec, sagte man ahd. munich; so auch x^(^^^ chamus chämo,
aurichalcum drchalch und nur mundartlich Kri^, kämo, drcak.
Das Mittelhochdeutsche, das nicht mehr chranch, sondern kranc
aussprach, kehrte in eben diesen und anderen Worten zu der
gothischen Tenuis zurück: keruMn, kdr, patriarke.
Griechisch lateinisch gothisch G in st/nagdgS, £776X0^ aggi-
lus, punga pttgg, sigiUum sigljö und in Eigennamen wie Gabriel;
die Abweichungen Krik und markreittis sind schon früher er-
wähnt. Jenem KrS^ entspricht im Hochdeutschen Chriach; im
Uebrigen gilt k oder wieder g: angil, fung, sigilld, castiga/re
casttkdn, mittellat. galida Geföss keUita und geUida, gemma
kimma, graphio krävjo, gurgtdio gurgtda, bidga ptdga, sagulum
segcUj strigilis drikil, tegula ziegal und tegel. Der diphthongie-
rende TJebergang von sagma in soum ist wie der aus goth. bagm
in hochd. poum; dem ähnlich tauschen attgusto Augustmonat und
Augustburg Augusburk in den mittelhochd. Formen ouwest und
Ouwesburc das g in w um; vergl. auch zu Vogt die Nebenform
Faut, Faud (bei Schmeller 1, öll).
Halbconsonanten.
Die Halbconsonanten berührt keine Lautverschiebung: vicis
vinum lauten auch im Goth. vikd vein, im Ahd. wecM win,
vannus vdum viUa pavo pervinca pulvinar vivariurn auch ahd.
wanna wil wila phäwo peremnka phuluwi wiwdri; wiara Gold-
schmuck könnte aus viria umgestellt sein. Nur 8 giebt zu
einigen Bemerkungen Anlass. Satanas geht im Althochdeut-
schen auch auf z und, mitteldeutsch weiter geführt, selbst auf
t aus4 mit derselben schon so frühzeitigen Vermischung von s
1) Unzweifelhaft so, nicht Christus: das griechische X, das aller-
dings die Handschriften diesem- Namen geben, gehört nur zu der über-
lieferten Abkürzung, in welcher derselbe zugleich stets erscheint: XS d. i.
KristuSf XAUS Kristaus u. s. f.
Die Ümdeutachnng fremder Wörter. 271'
und sz scheint hochd. faz aus lat. vcis entstanden^) und haben
die Niederdeutschen aus der Münzbenennung grossus gros ihr
grdt, aus franz. escosse Scosse von exeutiare (Diez Wörterb. II,
256) das nun auch hochdeutsche Schote {scMte schon mhd.:
Greorg 4594), die Niederländer aus der glossa oder gldse des
Sachsenspiegels einen cloit oder chet gemacht. In umgekehrter
Richtung tritt öfters s ein, wo z stehn sollte: dnnamomum sin-
namin, peniciUus penail, cicera zisarä, herbitum herbi^, nuyrtor
rium morsäri, pipita phiphiz und pfipfis.
n. Die Vocale.
Die Vocale sind von Natur flüssiger und flüchtiger als die
Consonanten: deshalb auch unterliegt bei ihnen, wo die Worte
nicht selbst aus einheimischer Wurzel gewachsen sind, weder
Bestand noch Aenderung so durchgreifenden Gesetzen, als bei
den Consonanten das der Fall ist. Vorzüglich gilt das von den
im Accente zurückgesetzten Schlusssylben: wir werden späterhin
sehen, durch welchen bunten Wechsel der Farben das Deutsche
da die überlieferten Formen spielen lässt. Um vieles fester
stehn die betonten Vocale, und auch für sie darf man als Grund-
satz unserer Sprache doch bezeichnen, dass sie nur da und nur
so verändre, wo und wie das eigene Wesen dazu nöthigt.
Hauptbeispiel hievon ist die Behandlung der kurzen E und
0. Beide Laute sind dem Gothischen selbst noch unbekannt:
seine eigenen e und o sind sämmtlich gedehnt. Wo ihm nun
e und vorliegen, da treten, sobald die Sylbe tonlos ist, die
zunächst stehenden kurzen i und u ^) oder für i auch j an deren
Stelle: ?. B. &'^y&ko^ aggüus, TüXama platäa platja; bei Be-
tonung des Vocales wird nur Ein Wort so verwandelt, das schon
ganz der Sprache eigen geworden, nämlich pondus pund. Sonst
1) Innerhalb des Deutschen selbst ist dieses Wort ohne Wurzel, wie
es auch dem Gothischen noch gänzlich ahgeht. Die Casseler Glossen ge-
währen mit u> die wieder verschwundene ümdeutschung in tvahs.
2) Im goth. Alphabete nimmt auch u den Platz von griech. o ein.
272 I^iö ümdeutsehuiig fremder Wörter.
aber, wo e und o betont sind oder wo auch unbetont, doch durch
die mindre Geläufigkeit des Wortes in einem gehaltneren Vor-
trag ihres Lautes sicher gestellt, sucht und findet sich das Go-
thische einen anderen Ausweg. Bekanntlich ist ihm Gesetz, dass
die betonten i und u, wenn ein h oder r darauf folgt, durch
den in diesen Halbconsonanten enthaltenen Yocal diphthongiert,
also in ai und au verwandelt werden, während unbetonte wie in
uh (que) und nih (neque) bestehen bleiben: demgemäss nun
auch urceus aurki, purpura paurpura. Nun konnte dem Gothen
nicht entgehn, dass diese Diphthongen in mehr als einem Wort
den griechisch-lateinischen e und 6 entsprachen: bairan ^speiv
ferre, taihun 8^xa decem, saihs e$ sex, kaum cornu u. s. w.;
noch konnte ihm unbekannt sein, dass ebensolche ^ und o auch
in Mundarten anderer Deutschen vorkamen, aber da so wenig
als in hiycoL und decem gebunden an ein nachfolgendes h oder r,
ja dass auch vor anderen. Consonanten ein und dasselbe Wort
da bald ein ö aufwies, bald ebenfalls den Diphthongen ai: nicht
allein gewährt Dio Cassius X^poucncoi, Ptolemäus aber Xaipoucjt-
xo£, bei Strabo VII, 1, 4 wird sogar für Ssy^anrjc auch Sat-
y£<5vr\^, für SeyfiJLTjpoij auch 2aiY((jnfjpo<j, von den Byzantinern
theils rfTueSec, theils TlizoLihBQ oder Triizaihe^ geschrieben. Und
das Gothische selbst schon sagte jains jener, nicht jins, sagte
vaila, nicht vila. Durch diesen mehrfachen Fingerzeig geleitet,
dehnte es denn seine ai und au, gleichviel welcher Consonant
auch folgte, auf alle betonten oder schwebenden d und ö fremder
Wörter aus, der hebräischen, die in der griechischen Bibel, und
der griechischen und lateinischen, die auch sonst vorkamen: also
Boavspysi; Bauanairgais , 'lepocyoXufJLa lairusaulyma, iTzi<TiiOT:o<;
aipiskaupus^ exxXTjata aikJdesjd, aipeaK; hairaisis, \ty&m laigaiaii,
speculaior spaikulatur, Pontitcs Pauntius, Zuweilen, wo ein
Wort über die Schrift hinaus noch weiter ins Leben eintrat,
schwankte sofort die Sprache zwischen dem fremdartigen und
dem heimathlichen Laute, zwischen dem au und jenem in pund
gebrauchten u: es heisst aipistauU und aipistule, apaxistaubis
und apaustidus, diahaulus und diahtdus, diakaunus und kürzer
diakun.
In diesen Diphthongen, die also aus i und u hervorgegangen
sind (es heisst auch SLyffjiTfjpoc und TriTzihe^) und denen in an-
drer imd späterer Sprache kurz e und o gegenüberstehen (ahd.
Die Umdeutschung fremder Wörter. 273
zehan, hörn, jener, wela)^ muss gleichwohl das a sehr. stark her-
vor und stärker als der zweite Vocal getönt haben. Nur so er-
klärt sich, dass manche Worte, die ülphüas mit air geschrieben
hätte, sogar mit blossem ar vorkommen; vor Ulphilas schon
und nach ihm: 'Epxuvto^; 8p\)(j.o<^ und 'ApxiJvia 3p7j (goth. /5»iV-
gurd Berg, ahd. Fergmma Virgunna als Gebirgsnamen), von
irmin Volk Ermin und Arminia, von erpf braun Arpiis^ von
svert Schwert Siiardones, Basternce und Bmtamoe, sper lat.
sparum, Outpouvot und Varlni Ouotpvoi, und aus dem Griechi«-
sehen und Lateinischen entlehnt speßiv'^oc ahd. arauAz araweiz
Erbse, cerata cherzä und charz, mercatus merchdt und marchM,
herbitum heirbes d. i. harbis; ja ulphilas selber hat lukam von
lucema. Mittelhochdeutsche Beispiele pardrts franz. perdrix und
serpant sarpant fr. serpent.
Dem Hochdeutschen sind im Gebrauch hier des I und U,
dort des E und keine Schranken wie dem Gothischen gesetzt:
maassgebender als das in h und r eipgeschlossene a sind für
seine Vocalisierung die i und a und u, die in den Schlusssylben
der Worte offen vorliegen: goth. vcUrpa vairpis vaurpum vaur^
pjßu heissen ihm wirfu wirfis tourfumes ivurfi wegen des i und
u, niman ganuman aber neman kanoman wegen des a d^r
Endung. In purpurä und urceolus urzeöl darf es demnach das
lateinische u festhalten; anderswo vertauscht es, auch wo das
Gothische nicht ändert noch ändern kann, u gegen o, t gegen e
oder fuhrt umgekehrt e und o auf i und u zurück. / gegen e:
chrisma chrisamo und chresamo, missa und messa, mittelM.
bicarium (Diez Wörterb. I, 65) peohari, piper pfeffar, Signum
segan, simila simild simtdd und semalä, choLm goth. sinap ahd«
seimf, spi/mda spinulä und spenuld spenald, Indico, mhd. endit
JE gegen i: Cmifhcefitia Chobilinza, gemina kimtna, lens lins,
mentha minzd und die im Anschlüsse hieran gebildeten atror
mentwm atranUnzd atarminzd und pigmenhim piminzd, gewöhn-
licher pimenta; ferner auripigfnentum drgimint (besser drpimifd,
franz. orpiinent, nhd. Opperment), mittellat. pergammtum ahd*
perimend mhd. permenf und permint, zedoarium zitawar, ital.
zendado ahd. zenddta mhd. zinddt, gleichbedeutend ital. zendale
mhd. zenddl und zinddl, censm zins, incensorium zinseri, peni-
cillus ahd. pensil, mhd. pensei pinsel, secuta ahd. sichila. U
gegen o: recuperare choparon, cuppa choph Becher, cuprum ahd.
Wackemagel, Scliriften. IIL 18
274 ' I^e Umdentschnng fremder Wdrter.
chuphar mhd. auch kopfer, puleium puleiä und poleid, catapuUa
und ptds pultis pölz, ital. segnuzzo singoz kleine Glocke, stultus
stolz. gegen u: copulare chupden, filiolu8 de fonie fufU-
diviUolf fomax furnache, diaconus j(ichono und jacuno wie goth.
diakun, niittellat. combrua (Diez Wörterb. I, 134. 11, 252)
kumber, monachus munich, monasterium monastri und munistri,
moneta muniza, moditis mtäti, nonna nunnd, boletus puliz, pon-
dtis phunt wie goth. pund, potio (der Yocal gekürzt durch die
Verhärtung des Gonsonauten) puzzd, Septimtis mons Seftimont
und Sefteinunt Septimer ^), Londinium Lunduna (Thietm. 7, 28)
und Lundona (Ad. Brem. 2, 61)^ contrefait kunterfeit, spongia
spunga, tromba (Diez I, 426) trutnpä, tomus turnen. Bei letz-
teren Vertauschungen wie bei jenen des e gegen i hat die Neigung
des Deutschen vor doppeltem oder consonantisch verbundenem n
sein i und u nicht umzulauten (rinmin karunnan, pintan kor
puntan) und zugleich, wie denn mehrere dieser Worte erst durch
romanische Vennittelung ins Deutsche gelangt sind, dieselbe
Neigung der Romanen für das vollere u (Diez Gramm. I, 152.
413 fg.) miteingewirkt. Auf beiderlei Anlässe macht auch das
Mittelhochdeutsche aus dem französischen blond, rondj comte,
föntaine, montagne u. dgl. sein blunt, runt, cutU, funtäne^
mufUdne.
Griechisch lateinisch il, langes e, ändert ^ich der Kegel
nach nicht: goth. lisus, praufUus u. s. f. Das niedre Latein
setzte aber diesen Laut auch an die Stelle der Diphthongen ae
und oe (Schneiders Gramim. I, 62 fgg. 78 fg.): für ae und ai
nun ebenso das Gothische in Grcecus Krik und SXaiov aUv,
Im Hochdeutschen sodann folgt auf ein früheres i ursprünglich
deutscher Wörter ein & (goth. leki, IStan ahd. lächi, läzan), auf
das S und ae der fremden wiederum e und mehrmals auch ia,
ein Diphthong, der sonst dem langen S der sächsischen Sprachen
gegenübersteht (ahd. miata, altsächs. und altfries. m^da, angel-
sächs. mH): Grund zu der Annahme, dass hier das fremde Wort
zunächst durch sächsischen Mund gegangen sei. Also Grcecus
1) In der Form Setmunt (Settimunt) ist das p auf romanische Weise
dem i angeglichen wie in dictatnnum dittamme, electuariutn ital. latto-
varo mhd. laetwarje ttlid lattewar je latwarje, lactuca lattucha, dactytus
tattel das c.
Die Umdeatschung fremder Wörter. 275
Chria^h^ xX^amip ^^^' kristier, mmm goth. mSs ahd. meas
mias, p^sale ^) ahd. phSsal und phiesal, beta pieza, preshyter mit
Syncopierung und Umdeutung auf prce und stare roman. prestre
ahd. prSstar und priestar, remiis mhd. rieme, rete riet, Rceti
ahd. Bizi und Riezä; Ccesar hiess cheisar wie goth. kaisar, gr.
xalaap, auf Altsächsisch ih^^r und auch kiesiir. Noch öfter je-
.doch, auch diess wieder dem Deutschen mit dem Romanischen
gemein (Diez Gramm. I, 139), schlägt lat. e, das echte wie das
aus ae oder oe verflachte, in einfach langes I um. Die gothische
Sprache, in der aber ei den Sinn von t besitzt, liebt und übt
diesen Wechsel schon in zahlreichen eigenen Worten, z. B. leiki,
leitan: dann wendet sie ihn "auch auf griechisch-lateinische an
wie 'A'i^vaL Äthenis Atheineis, acetum akeit; im Altnordischen
ist aus Grcems Grik geworden. Hochdeutsche Beispiele (es
kehren hier einige sonst auch diphthongierte wieder) anethum
antz, beta btzcrüt, Porta Ccesaris Burcisara, clericus chltrich,
creta cridä, arena erina, avena evitia, fceniculum fenachal fina-
chal, feria fira, pergamenum pergamtn, pesaie piUtsal, pcena pina,
Bhentis Rin^), sceta stda, expensa spensa spesa spisa, tapetum
teptt, delere diUn ttlon, thesaurus fr.. trSsor mhd. trtsor, velum
Velare wtl wilon, ccepuUa zipolla; auch für camelus mhd. kemel
verlangt dieser Umlaut eine althochdeutsche Form mit i. Das
mittelhochd. prtsant aus fmnz.- prisent scheint nur den Anklang
an prts. (franz. prixj lat. pr^tium) zu suchen. Im Altsächsischen
übersetzt prisma, im Althochd. prasma und phrasamo das lat.
usura: rühren beide Worte aus einem zu prcestare gebildeten
prcestamen her, so sind die Vocale wiederum lang und es wird
1) Anzunehmen- als Grundlage für phesal phiesal pMsal, die mittel-
lat. pisalis piselis pisele piselum und das altfranz. poisle po§le; mit
Tilgung* des n und Zurückziehung des Accentes (vgl. Cap. III u. V) ent-
standen aus penaale von pensum: eigentlich Arbeitsraum der Weiber und
deshalb ein heizbarer Baum.
2) Falls dieser Name celtisch-lateinisch, nicht germanisch ist. Viel-
leicht ali^er empfehlen die Schreibungen Hrin und Hrenus (Förstemann
II, 1182) mehr die letztere Auffassung: dann stünden die beiden Formen
lediglich in einem Ablautverhältniss (vgl. Alvoc Aenua und In ''fivoc) und
beide giengen auf die Grenzlage (ahd. hrtnan berühren) oder noch lieber
die Eeinheit des Gewässers : vocabulo et viribus absolvitur integris Ammian
YX, 4 von dem Ausfluss des Eheines aus dem Bodensce.
18*
276 1^0 Umdentsohong fremder Wörter.
hier einmal auch ein undentsches S in ä verwandelt [vergl. ahd.
pfrtsetncere Wucherer],
OriechiBch lateinisch langes I ist zwar dem Alt- und Mittel-
hochdeutschen gerecht: der Gothe, dessen t nur kurz ist, xnuss
dafür wiederum ei gebrauchen: Unum hochd. lin goth. lein,
vinum win vein, |i.apY(xp(ry)^ markreittis, wie hochd. stoin pizan
goth. »vein beitan.
Die gleiche Diphthongierung wieder im Neuhochdeutschen
und ihr entsprechend die von U in au: mille milia mila Meile,
paradisus paradts altnhd. Paradeis ^ pri^na mhd. prtme bair.
preim, luna lüne Laune, mulus mül Maul, murus müra Mauer,
wie ahd. üa fül nhd. Eile faul, lieber die Endung te nhd. ei
wird füglicher späterhin gesprochen; zwei andere, U und ür,
sind zwar ebenfalls zugleich lang und betont: ital. bandito Ver-
bannter Bandit, Jesuit, Clausür, Creatür; aber ein richtiges Ge-
fühl, nicht wie in Paradies die Pedanterei, vermeidet doch hier
den noch volleren Laut; nur das Hochdeutsch mancher Provin-
rialen lässt etwa ein Natauer hören. Kauderwälsch haben wir
diphthongiert, dessen Grundworte Curia Chüra Chur und Churo-
waldhon Churwalchen nicht*).
Griechisch Y wird Im Gothischen und weiter im Mittel-
alter genug geschrieben: sein eigentlicher Laut jedoch, der bis
zum 13. Jahrh. dem Hochdeutschen selbst noch fremd war, ist
vielleicht nur selten behauptet worden. Auf u beruht der Diph-
thong in S\)poc Säur, während in afxupva smym, arupf^ spy-
reida trotz dem r das y ungeändert bleibt; mittellateinisch und
hochdeutsch das gleiche u in crypta crupta chruft, cydonium
chutina^ pyxis buxis puhsa, thyrsus turso und wegen des r ge-
brochen torso. Die vorherrschende Auffassung aber und die auf
langes y einzig angewendete nimmt y als i: xuptaxov chtrichd,
gryps gryphis grif grifo, KuT^po^ Cyprus Kipper Ziper, papyrtis
papir (nhd. wie im Französ. Papier, im Provinzialenhodideutsch
1) Kauäer Terhält sich za K4r nnd Kaur wie schon in alt- und
mittelhochdeutschen Mundarten heigel zu heilf vügir und Huwer zu piur,
8&ur und viher zu ser und fiire: der vocalische Laut, den die Liquida
in sich schliesst, kommt nach dem Diphthongen oder langen Vocal zu
^8eU)8tändiger Geltung, und zwischen beide wird um den Hiatus zu besei*
tigen ein leichterer Mitlaut eingeschaltet: . ein d wie in Kauäer auch in
Süris und Süders, muor und muoder, mir und mSder,
Die ümdeutschnng fremder Wörter. ^77
jedoch Papeier), oryza ris Reis, syUaba stUabä, ^t^(a(i.a goth.
thymiama ahd. timiäm, tympatmm timpana, cyparissus ziper-
bäum, mit Brechung des i ia e gynaeceum genez, synodus sendd,
thyrms zers. Bekannt ist, wie oftmals die mittelalterliche
Schreibweise auch umgekehrt y für i gebraucht: nur möglich,
weil bloss die Schreibung eine vei'schiedene war, die Aussprache
gleich. Indeas darf nicht übersehen werden, dass mitunter an
die Stelle von cy ein qui tritt, wodurch y in die beiden Be*-
standtheile seines echten Mischlantes aufgelöst erscheint: S. Cy-
riacus wird auch Qmriacus (Ad. Brem. 2, 11) genannt, xoXo-
xvv^{(j und hyoscyamus ändern sich in coloquintida und ju^
quiamm, cydonium auch in quiten Quitte. Quirin'us und Kürin
verhalten sich umgekehrt.
Griechisch lateinisch AU und EU werden im Gothischen,
das wenigstens den ersteren Diphthongen schon selbst besitet^
doch überall zu av und ev: das einzige ganz durchgehende und
unzweifelhafte Merkmal itacistischer Aussprache. Es geschieht
das nicht bloss, wenn noch ein Vocal darauf folgt wie in euay-
yiXiov aivagyMjd: das hätte sein Gleiches z. B. in taujan thun
imperf. tavida und ausserhalb des Gothischen im lat. evangdium,
sein Aehnliches in Worten wie vidua viduvo, leo ahd. Iswo, An-
drecLs nhd, JDrewes, deren u> erst zur Aufhebung des Hiatus
eingeschaltet ist; es geschieht ebenso wohl vor Consonanten:
nauXoc Pavltis, cautio kavtsjö, euXc^ta aivlaugia. Das Hoch-
deutsche schliesst sich dem in kirchlich altüberlieferten Worten
an: ewangeljo, Pawel; eulogia wird wie mittellat. in ohlagia
oUegium u. dgl. so althochd. in ohlegi, obelagi, altsächs. in oßige
entstellt und umgedeutet. Nachgothisch , begründet zugleich in
der Eigenart des Hochdeutschen, in der verwandten Neigung des
Lateinischen selbst und in dem hieraus entsprungenen Gesetz
der romanischen Sprachen (Schneider I, 158 fgg. Diez Gramm.
I, 168 fg.), ist der üebergang lateinischer au in 6: clausa clau-
strum Udse cMöster, cauUs ujid colis chol, causa camari chdsa
chosdn, laurus lorpoum (adj. laurtn), Lauriacus Löracha Lorch,
Maurus Mör^ aurichalcmn orchalch, auripiginentum drpimint
Gerade auch vor r hat das Hochdeutsche den Diphthongen au,
der damit unverträglich wäre, überall in 6 zusammengezogen:
goth. auso ahd. ord, hausjan horjan, raus rdr.
278 I^« ümdeutschüiig fremder Wörter.
Vielleicht aber das Erheblichste, das innerhalb des Yocal-
gebietes die altdeutsche Sprache zur ümdeutschung der fremden
Worte gethan hat, ist die Anwendung des Umlautes auf die-
selben. Das neuere Deutsch, wo es der Fremdheit sich bewusst
ist, enthält sich grundsätzlich und der Regel nach jeder solchen
Aenderung: das ältere macht darin keinerlei Unterschied; das
Gothische assimiliert zwar auch, dem Umlaut ähnlich, die frem-
den i und u an ein nachfolgendes r: aber diese Angleichung ist
von vom herein auf wenige Worte beschränkt, und es scheint,
die Gothen hätten dieselben sonst gar nicht aussprechen können,
während der Umlaut des Alt- und Mittelhochdeutschen nicht
solche Natumothwendigkeit besitzt und gleichwohl hier in frem-
den Worten so gut als in deutschen jeder betonte Yocal, jedes
a oder o oder u, dem in der Schlusssylbe ein i nachfolgt, dem
i-Laut angeglichen wird. Beispiele mit a carminare ahd. gav'-
minon germindn, martius marzeo merzo, parcus pharrich pher-
rieh Pferch, christianus chrtstäni mhd. kristcene; mit o oleum
ahd. oU mhd. öl, Cölonia Cholonna Kölne, claustrum kldster
klcesterlin; mit u culciünum fr. coussin (Diez Wörterb. I, 135)
chussin küssin küssen nhd. Kissen, numachm munich münch,
tunica tunicha tünche, crux chrüzi kriuze. Manche Worte sind
in der umlautlosen Form gar nicht mehr nachzuweisen: arena
erina, avena evtna, acetum goth. akeit hd. ezzich, calix ehelich,
caminata cheminätä, castanea chestinna, catena chetina, catint$s
chezztn, manica menicha, panicum phenich, sabina sevina, tapetum
tepU, tcdea zdga; bei aridem kommt ausser dem Umlaut wieder
auch die alterthümliche und gleichsam rohere Diphthongiemng
vor, die nicht wie jener bloss die Qualität, sondem zugleich die
Quantität des Vocals berührt: ayycXoc -goth. aggiltis hd. angü
engü eingü, asinas g. asilus hd. esil eisü, castigare hd. chesttga
cheistiga, cavea hd. chevid cheiviä, herbitum hd. herbis heirbes,
catiUtis g. katil hd. chezzü cheizzil, TzkaxtloL plaiea. g. platja hd.
flazzi flezzi fleizi, paUiolum hd. phdldl feiUdl S.eidenzeug.
Die Umdentschung fremder Wörter. 279
in. Eomanische Lautgebung.
Aber nicht immer zeigen die lateinischen nnd griechisch-
lateinischen Worte diejenige Form im Deutschen, die wir bisher
als die jedesmal gesetzliche haben kennen lernen: es stellt sich
uns noch bald diese, bald jene Abweichung bald in den Conso-
nanten, bald in den Vocalen dar, ein h zum Beispiel, wo ein ph,
ein üy wo ein 6 zu erwarten wäre. Nur selten jedoch liegt in
solchen Fällen die Schuld an den Deutschen selbst: sie liegt
meist nur an denen, durch welche das Fremde ihnen übermittelt
ward. Das Latein, das die ersten Glaubensboten und noch man-
ches Geschlecht hindurch die Priester und Mönche zu sprechen
pflegten, es war nicht das classisch^ des Alterthums: es war,
wie zumal der Süden und Westen sie gesendet, jenes verworren
zertrümmerte, aus dem sich durch eines der grössten Wunder
der Geschichte die romanischen Sprachen herausgebildet haben,
oder es war so versetzt mit Worten und Wortformen des sich
entwickelnden oder auch des schon entwickelten Romanischen,
dass man noch heut von mancher Rechtsurkunde und mehr als
einem Vocabular, die sie aufgezeichnet, kaum sicher zu sagen
wüsste, ob es Denkmäler nur noch des verdorbenen Lateins oder
schon des Romanischen seien, ob in ihnen ein romanisch auf-
gefasstes Lateinisch oder ein lateinisch aufgefasstes Romanisch
vorliege. Und in solcher halben oder vollen Romanisierung trat
denn ein grosser Theil des lateinischen Wörter Schatzes an unser
Althochdeutsch heran und beschränkte die Wirksamkeit des Ge-
setzes ^ das nur für die echten rechten Formen galt; ja bereits
die vorhochdeutsche, bereits die gothische Sprache ward von den
Anfängen und Grundlegungen des Romanischen berührt. Zwar
dass ülphilas die Accusative von Aotc cJTuupfj; Tp(oa<j zu Nomi-
nativen macht, Lauidja spyreida Trauada, gemahnt ebenso wohl
an die neugriechische Art: an romanische aber sein sigljö aus
sigillum und dergleichen noch mehr, die Kürzung von Ävgustus
in Agustm (provenz. agost), das 6 für ü in mota, das ü für o
in Rüma, die Ausstossung des h in mensa mSs, die Umbildung
von elephantus in ulhandus (altfranz. olifant\ von xoXa9£?siv in
kaupatjan (rom. colpo colp coup aus colaphm). Mit der Ritter-
dichtung sodann, seit dem zwölften Jahrhundert, floss ein Ro-
280 I^« Ümdcutschnng fremder Wörter.
manisch, das sich gar nicht mehr für Latein ausgab, voll strö-
mend in die Sprache Deutschlands ein.
Schon bisher ist wiederholendlich die Umbildung einzelner
Worte auf romanischen Vorgang zurückgeführt und ist bei meh-
reren allgemeiner durchgreifenden Aenderungen, die dem Deut-
schen selbst schon eigen sind, doch auf das unterstützend gleiche
Verfahren* der romanischen Sprachen hingewiesen worden: der
vorliegende Abschnitt .soll von den zahlreichen Fällen, wo jener
Vorgang nicht bloss für Einzelheiten maassgebend gewesen und
die Einwirkung mehr als bloss ein Miteinwirken ist, die haupt-
sächlichsten hervorzuheben suchen.
Consonanten.
Lippenlaute. Griechisch lateinisch P wird von den roma-
nischen Sprachen gern in h erweicht (Diez Gramm. I, 256 fg.):
dem folgend im Alt- und Mittelhochdeutschen z. B. aprilis
abrille abereUe, punctus bunt, pupus buobe, Lupodunum Lobo-
düna; papa päbe9 und bäbes, prcepositm propositus probast und
brobest schwanken wohl im Anlaut nach althochdeutscher Weise
zwischen Media und Tenuis, im Inlaut nicht. Besondre Aus-
zeichnung verdienen solche Worte, die zugleich einen anderen
regelrecht verschobnen Consonanten zeigen und damit kund thun,
dass sie schon auf die vorhochdeutsche Stufe mit diesem roma-
nischen 6, nicht aber mit dem rein lateinischen p gelangt seien:
sonst wäre ja auch diess in ph verschoben worden: impelUtare
prov. empeltar (vgl. Diez Wörterb. II, 274) belzonpdzdn pfropfen,
episcopus biscof piscof piscoph, pds pidtis und catapuUa bdz
polz, pix bech pech, porttdaca burzala purzeUa, tympanum zim-
bala, duplus mhd. topel Würfelspiel: vgl. franz. doublet Wurf
mit gleichen Augen. Sodann F verliert im Romanischen öfters
die Aspiration und wird ein p oder b (Diez Gramm. I, 264):
ebenso jene gothischen kaupatjan und ulbandus^ Confluentia ahd.
Chobilinza^)^ e|Ji9UT0v mlat. impotm ahd. impitön, verkürzt und
verschoben imphon impfen, Joseph Joseb Jdsep, tofus ahd. tüf-
stein und tubstein tüpstein. Inlautendes B aber und zuweilen
1) Beim Geogtaphus Ravennas 234, 8 Combulantta: Hinüberziehung
des Namens in den Sinn einer coamhulantia. [Cophelenci Thietm. 7, 19.]
Die ümdetitschung fremder Wörter. 281
auch p (dessen Milderung in b vermittelt den Uebergang) wird
t>; Diez I, 259 fg. 256 fg. Indess vielleicht nur spsßtv^oc aratdz,
papilio Zelt fr. pavillon mhd. pauwelüne, zusammengezogen /)ow-
Wne poulün, und tabul&rius it. t<wolaro mhd. Tautvder, zusam-
mengezogen (wie tabula prov. tanla fr. töle ^) Tauler, zeigen den
W-Laut, den wir im Deutschen nun erwarten: überall sonst
wird auch hier ein. v geschrieben und damit ein Laut bezeichnet,
der zwar weicher als /", aber doch auch härter als w ist, so viel
härter, dass er wohl gegen f, niemals aber gegen w vertauscht
wird: fabula mhd. fcAde und favele, lupinum lurinä; oblata oblätd
und ovläte, popuius mhd. povel bovd, proba prüeven, sabina
ahd. sevina, tabula tavalä, taberna tavernd, mit Verschiebung des
Anlautes diabolus tiuval tiufal und üblicher als jenes pauwelüne
mhd. paveMne pavüjün. Das gleiche deutsche d und f nun auch
öfters da, wo das V des Grundwortes schon ein alt und echt
lateinisches ist: cavea chevid Käfig, avena evina, evangelium ivan-
güjo neben ewangäjo, breve prief gen. prieves, eestitxde ahd.
stiful mhd. stivai; aus eulogia konnte auf diesem Weg ahdr
oblegi, altsächs. oflige werden, und nur das romanische falavisca,
Ableitung und Umstellung von faviUa, erhält im deutschen fala-
wiska ein w, wahrscheinlich weil man dabei an das deutsche Adj.
falawSr falb dachte. Wie nun? ist dem v erst in unsrer Sprache
dieser härtere Laut zugewachsen? Ich glaube nicht: es scheint
vielmehr, dass auch hierin das Bomanische dem Deutschen vor-
angegangen. Schon ersteres läs9t sogar anlautendes v in ein ent-
schieden hartes f übergehen (Diez Gramm. I, 267): daher nun
auch hochdeutsch versus fers, vittda viola (Diez Wörterbuch I,
441) fidula figele und selbst phigek Fiedel, ventaille mhd. fin-
teile fantaile, viola fiel Veilchen, vicedominus fiztuom, vitta fizza,
advocatus vocatus fogät und selbst phogät, vasculum flasca (Diez I,
179) flascä und aus dem einfachen vas unser faz. Des harten
Lautes wegen, den man somit gewohnt war gerade im Beginn
der Worte auf das lateinische v zu übertragen, hat dieser Buch-
stabe später die übliche Bezeichnung für anlautende deutsche f
werden können, und selbst für das Lateinische nennen noch wir
1) Auf ebensolcher Züsammeu Ziehung von btbere htber (ital. hevere
bere, prov. beure) beruht unser Bier, ahd. peor bior, angels. beor, altnord,
bior. [pMebotomum ahd. fliodema mhd. fliemej
282 Di« Umdentsehnng fremder Wörter.
ihn faUy nicht wem. Der romanische Tausch von v gegen b
(Diez Gramm. I, 266 fg.) althochdeutsch in VerwM Bema, la-
vare labdn lapdn.
Zungenlaute. Griechisch lateinisch T. Auch diese Tenuis
liebt im Bomanischen, jedoch nie als Anlaut, die Milderung zur
Media (Diez Gramm. I, 211 fg.): Beispiele der Art im Deut-
schen creta cridä, pfUebotomum ftiodema, lactuca ladduchay rata
rad (das eigentlich deutsche Wort dafür is scipä Scheibe), rotu-
lu8 rodel, sceta stda, ctsphalttis spaldur, vocatus vagdd, sUtda
aidlin Seidek Daneben ein p in ph oder f verschoben und
gleichwohl nicht das t in z, letzteres also schon auf der yor-
hochdeutschen Stufe zu d geworden: petaLum pedalä beddä und
fedelgoldy petraria phedirdri fedaräri und mit derselben Ver-
härtung des romanischen wie sonst des lateinischen d phetardri
Steinwurfzeug, patrinus mhd. p fetter. Auch Venetia Venedßm
Venidje muss sein d bereits in jener früheren Zeit angenommen
haben, wo das Deutsche den zischenden Laut des ti noch mit
keinem zi wiedergeben konnte. Wie aber kommt tonus mhd. ddn
zu der Erweichung auch des Anlautes? Spürte man die alte
Verwandtschaft des fremden Wortes (xefvetv t6vo(;) mit dem
deutschen denen danen spannen? Eine weitre romanische Eigen-
heit ist die Tilgung des D vor unbetontem i oder was dem
gleichsteht e, und damit verbunden der üebergang von i in j:
diumum mittellat. jornus prov. jorn, deorsum ipittellat. josum
prov. jo8^ di(zconu8 jaguno jacuno jachono, Mediolanum mhd.
Meielän Meilän, mediolus ital. miolo mhd. mtol nhd. mundartlich
Meiel; auch Joder, die landschaftliche Kürzung von Theodarus,
gehört hieher. Eine' andre Umgestaltung des di ist zumal dem
Italiänischen geläufig (Diez Gramm. I, 217 fg.), die Zusanunen-
ziehung und Schärfung in z, z. B. wiederum radius razzo und
viridia verza: hieraus ahd. mrz% unser jetziges Wirsch oder
Wirsing; eben diess Wort war gemeint, wenn bereits das elfte
Jahrh. den Namen Wirzihurg, dessen Ursprung freilich anderswo
zu suchen ist, in HerUpolis übertrug.
•Kehllaute. Griechisch lateinisch C: im Romanischen statt
dessen abermals die beliebte Media (Diez Gramm. I, 227 fg.).
1) Im Sprachschatz fehlt dieses Wort: aber eine Glosse der Diu-
tiska n, 233 b übersetzt damit das lat. brasicia d. i. hrtmca.
Die Umdeutschling fremder Wörter. 283
Genug der Art nun auch im Deutschen und wieder auch neben
Verschiebung andrer Consonanten, wodurch die Einführung des g
noch in das Vorbochdeutsche zurückgewiesen wird: prwdicare
hredigtn mit dem Subst. brediga prediga, crocus chraogo, cucuUus
ctigidä^ decanus ahd. degdn tegdn, ecce eccum roman. ecco ahd.
eggo, ficus ftgä, advocatus fogät, pers. käfur neugr. xa^o\)pa
mhd. gaff er Kampfer, capa ahd. gaphd, carminare gannindn,
carnaritim mhd. gerner Beinhaus, cilidum (noch ehe man züizium
aussprach syncopiert in clicium) ahd. gliza, calceus mhd. golze,
mlat. caucidus Zauberbecher ahd. gouccU Zauber*), crypta grüß
(noch empfohlen durch den Bezug auf grahan\ compositum mhd.
gumpost, contrefaü gunterfeit, custos ahd. gustdr, hyadnthus
jagant, diaconus jaguno, laicus leigo, TCevriQxoanq goth. painte-
ktistS mhd. pfingeste, apotheca ahd. potegä potagä, sacrarium
sagaräri, sacrista sigiristo, speculum spiegal, quinque cinque
zingo, Aquileia Aglei: aus den theilweis daneben geltenden deut-
scheren Formen wie techän chruft jachant jachono leich potachä
hätten diese Erweichungen niemals hervorgelin können. Und so
stammt auch unser mundartliches Gatze, Getzi SchOp%efäss zu-
nächst von einem romanischen gazza, diess aber von dem alt-
hochd. chezzi ab (Diez Wörterb. I, 121), chezzi Wieder vom lat.
eatinum: das Wort ist zwischen der Fremde und Deutschland
wiederholendlich hin und her gegangen. Das aspirierte CH so-
dann vor einem /-Laut schärft sich romanisch in c, chdidonia
in ital. ceMdonia, hrachium in braccio, archiepiscoptis in arcives-
covo (Diez Gramm. I, 238) : auch im Deutschen ward aus Cheru-
bim zeruiim, aus chelidonia scdliumrz, aus ital. bracciata brac-
datello brezitä prezitdla Prezel, aus Aristolochia Osterluzei und,
während der Gothe arkaggüus gesagt, aus archiepiscopus erzi-
biscof, aus archiater arzät Das Französische aber setzt auch
cha in einen Zischlaut um (charta charte) und verwandelt, indem es
die Neigung schon der Römer zu ungehöriger Aspiration der Kehle
1) Die persönliche Ableitung gouctddri gougüldri catuicdäri darf
nicht verlocken Ursprung aus dem lat. jocularis jocularius joculator (prov.
joglar, ital. giullaro, altfr. jogleor) anzunehmen: eine Grundlage für das
einfache Sachwort 'gowidl bietet sich hier nicht, und der j^-Laut im Be-
ginn der altnprd. Form hukl und der mittelniederl. cökelen und cökelere
bleibt mit lat. rom. j unvereinbar.
284 Die ÜmdeatBchttng fremder Wörter.
(Schneider I, 183. 205 fgg.) fest hält, sogar ca in dieses ge-
zischte cha, z. B. Caritas charitas chariti (Diez I, 229 fgg-)- Ini
Deutschen wiederum hier z: charta chartarium mhd. €arte zerte
zarter zerter, charitas ahd. zart Liebe: eine deutsche Wurzel
fehlt diesem Worte, es kommt allein im Hochdeutschen vor, die
far die Syncope beforderliche Kürzung Caritas hat Otfried V,
12, 82. Für z wird mhd. auch ts geschrieben: xapa mittellat.
und roman. cara franz. chiere chhre (Diez Wörterb. I, 1 12) mhd.
tsieren d. i. faire bonne ch^re; z aber wie ts und im älteren
Französischen ch selbst, im Mittelhochdeutschen auch seh, alles
das erscheint nur wie ein schüchterner und ungenügender Ver-
such in der Darstellung des eigentlichen Lautes, wenn man da-
neben die im Mittelhochdeutschen gewohntere Schreibung hält,
die mit tsch: castellanm franz. chastdain mhd. schahtdän tschah-
tdän, capa fr. chapd chapeau mhd. schapd tschapel, charus fr.
eher mhd. scher und tschier, cahallus fr. cheval chevalier mhd.
zevalier schevalier tschevaUer^), Endlich auch für G stellt sich
romanisch gern ein härterer oder milderer Zischlaut ein, der
Begel nach nur wenn ein n oder r vorhergeht (Diez Gramm. I,
249 fg.): unter eben dieser Bedingung wird spongia im Alt-
sächsischen spunsia, punga im Althochd. phoso Beutel % asparch
gm fr. ctsperge nhd. mundartlich Sparse, ohne dieselbe caliga
ahd. kalizjd chelissä cheUsd; [vgl. mamducare afr. inangier mhd.
mensier Würzb. Kochb. 24; ital. corteggio, Diez Gr. 2, 372,
corteggiano, cortisan, auch franz. courtisan; altfr. harge Diez
Wb. 1, 52, barze HarflF S. 60. 203; Frangia f ränge Franse
Franze; altfr. rotuenge ridewanz; auch fr. logetnent losament].
Durchweg aber gleicht sich g in der späteren Latinität und tm
Bomanischen einem i oder e, das ihm nachfolgt, an und geht
in j über und verfliesst, wo es zwischen einem Vocal und einem
i mitteninne steht, in dieses letztere (Diez Gramm. I, 248 fg.):
ebenso sprach man sonst und spricht man in der Schweiz noch
1) Vgl. fr. targCf mhd. tarze tarsche tartache; Joye, mhd. sioie schoie
Uchoie; Juxta, afr. joate, mhd. joste tjoste.
2) Punga wohl Ton pungere, in die man hineinstöpst : pungere selbst
wird auch mit phosdn ühersetzt. Die näher hei inmga Weihenden Formen
pugg und fung sind schon oben angeführt worden; wegen der Aub-
stossung des n ygl. Diez Gramm. I, 204.
Die XJinä&mtsohang fremder Wörter. 285
immer Gmf^ lat. Oeneva, wie Jenf, und aus gympeeum ist mbd.
genez und jenez, aus GeorgiuB Jörge Jürge niederländ. Joris
geworden, aus magister mit diphthongischer Zusammenziehung
meistar, aus eulogia oUagia (oben S. 277) (Md obdei, aus (^Ik"
gium mhd. kolei, aus horologium örlei. Ja selbst im Beginn
der Worte verschwindet vor i und e der npn halb vocalisierte
Kehllaut gänzlich: Aegidius, franz. CHUes, mhd. 6^7$^^ Oilje Jilje,
nhd. 6ra'^ und Ilg; Ulium, ital. ^t^fto^ mhd. gilge, nhd. mund-
artlich iZ^«; gemma, mhd. gimme und imme; gypsum, nhd. (ryj?«
und mundartlich ips/ gentiana, Enzian.
Halbconsonanten.
Die Neigung der Liquiden unter einander zu wechseln (Diez
Gramm. I, 189 fg. 199. 202 fg. 207 fg.) ist aus den romani-
schen Sprachen und mit Worten derselben auch in die deutsche
eingedrungen: m vertauscht gegen n in mespüum ital. nespola
ahd. mespilä und nespelä; l gegen n in colus mlat. cöluciüa
eonucula ital. ^onocchia ahd. chamtchla chunchla, gegen r in
calathus chratto chrezzo, xXi)GT>]p mhd. krisUer, malum grcmor
tum margrant mar gram; am häufigsten aber umgekehrt r gegen
l: xupLaxov ahd. chirichä und chtlichd, coriandrum chullatUar,
charadritis it. calandra mhd. galander Haubenlerche, mortarium
nhd. mundartlich Malter Mörtel, marus ahd. mürpaum mürperi
und mülpoum mülbere, prunm phrümhoum und phlümboum,
peregrinus it. pellegrifw ahd. piUkrim (zugleich m aus^ n) und
Die Verwandlung des L vor Consonanten in ein u und so-
mit die des vorhergehenden Yocals in einen Diphthongen^ die im
Romanischen theilweis Begel ist (Diez Gramm. I, 139 fg.), kann
aus deutschen Denkmälern noch frühzeitiger belegt werden als
aus den romanischen selbst: schon der Gothe hat aus dem grie>^
chischen xoXa9tSsiv kaupatjan, schon der salische Frank-e aus
Cfdter das sexcaudrus seiner Lex gemacht. Ausstossung des l
(Gramm. I, 193) im ahd. ckusstn, fr. coussinj^ it. cuscino, lat.
culcitinum (Diez Wörterb. I, 135).
Tilgung des N vor S hat in ursprünglich unbetonten An-
£a,ngssylben das Deutsche schon aus sich selbst geübt: goth.
Kustanteinus, ahd. Costantinuses puruc Konstantinopel, Constantia
286 1^6 Umdeatachnng fremder Wörter.
Chostanza^ comiare altfr. couster mhd. kosten; in der betonten
Wurzel ist sie den Sprachen der Sachsen und der Scandinavier
ganz geläufig und regelrecht (gotb. ahd. am Oott, altsäcbs. alt-
nord. &8y angelsächs. d8\ aber der gothischen und der hoch-
deutschen nicht: hier schieben sogar einzelne Mundarten eher
noch ein n ein: Unse meinster udgl. Daher, wenn im Gothischen
aus mmsa mes, hieraus im Althochdeutschen meas oder mias
geworden, so wird diess wiederum von romanischem Einflüsse,
wird daher rühren, dass jene Tilgung des 71 auch zu den alt-
vererbten Eigenheiten der lateinischen Volkssprache gehört ^), wie
gerad auch mesa romanisch ist. Das Gleiche gilt für insula ahd.
isila, mansionarius ahd. mesinari mhd. mensner und mesencere
mgsner (nhd. Messner. mit falschem Bezug auf Messe)^ lyensale
phisal phiesal phisal, expensa spensa spisa.
Woher aber rührt der Wechsel von St und Ht, den uns das
Alt- und Mittelhochdeutsche zuweilen in romanischen Worten
zeigt? Sextartus sestar ahd. sehtäri, mhd. forest und fdreht,
testiere mhd. tehtier, chastelain mhd. tschahtelän. Im Bomanischen
selbst ist dergleichen nirgend mehr nachzuweisen: aber es schiene
mit solch einer Vertauschung der Uebergang des altfr. forest in
neufr. forH am besten vermittelt.
Vocale,
Das lange lateinischer Wörter sinkt im Bomanischen
(Diez Granun. I, 148. 413 fg. 429) und darnach im Deutschen
ebenso zu dem tieferen Laute des ü, nhd. aü, hinab wie kurzes
zu kurzem u. Bereits der Gothe sagte für Roma Eüma; der
gleiche Laut ini Altsächsischen und einzelnen Mundarten des
Althochdeutschen: man mochte dabei an das Adj. rüm geräumig
denken. Andere Beispiele Vesontio Besannen Bisenzun und
ebenso baron barün, prison prisün, trongon trunzün; ferner coZ-
eatorium ccdcatürä ccdctüre mhd. kalter Kelter^), coopertorium
1) Sehneider I, 458 fgg. Diez Gramm. I, 206 fg. Eine deutsch
glossierte Virgilhandschrift des 10/11 Jahrh. in München hat zu dem
Verse Georg. I, 390 Hcec nocturna quidem carpentes pensa puellcB die
Bemerkung vülgo peisa (Graffs Sprachsch. 111, 352): gleichfalls deutsch
oder romanisch?
2) Syncopierung und Tilgung des ca wie in culcUra ital. cultra mhd.
kalter kalter des ei.
Die Umdeatschung fremder Wörter. 287
chupartüri chtdierfäri^), lectorium lectüri, sacratorium sigitüri,
morus morperi und mürperi mülperi Maulbeere, hora mhd. dr
und üre nhd. Uhr und gelegentlich auch Äuer, duo duos altfr.
duos ahd. düs Daus, claustrum ahd. chlöstar altsächs. clüstar
ahd. chlüstarrä Klausnerin^), tofus ahd. tüf stein nhd. mundartl.
Tauchstein. Umgekehrt wird aber auch U zu d, hochd. uo,
jedoch nicht unmittelbar, sondern nur indem zuerst das ü sich
verkürzt, dann sich das kurze w in o verwandelt (Diez Gramm. I,
153. Wörterb. I, 139. 328): cupa cuppa copa ahd. chicofä,
ptipa altfr. poupe prov. popa nhd. PupjM, aber pupus mhd. buobe;
auf gleichem Wege ist ixouaeiov in das mhd. muosen mit Mosaik
zieren und wohl auch muta ahd. müta Mauth in das goth. mota
übergegangen.
Das mit dem Umlaut' gesprochene französische ü erscheint
in der mittelhochdeutschen Schreibung diphthongisch als iu: ad-
Ventura aventure dventiure, crSature creatiure^), hd. brüt franz.
bru mhd. briu; das Neuhochdeutsche, dem iu zu eu wird, hat
noch Abenteuer und ebenso aus exdusa escluse ecluse Schleuse.
Wenn auch jenes iu wahrscheinlich selbst nur wie ein langes ü
gelautet hat, so kann man das doch mit aventure und dventiure
nicht beweisen: denn, ein Beispiel nothgedrungener Abweichung
der deutschen Aussprache von der romanischen, der romanische
Diphthong lE^ in welchem von je her der zweite Vocal mit
gutem Fug (denn er ist der einfache Qrundlaut dieser diphthon-
gischen Zersetzung) stärker hervorgetönt hat, wird von den
Deutschen ganz wie ein deutsches ie d. h. mit stärkerem An-
schlag des ersten Vocales aufgefasst: Sena ital. Siena mhd. Siene
auf diene, ferus franz. und mhd. fier auf tier, . banniere baniere
auf schiere reimend. Und wie noch wir jetzt Panier aussprechen*),
so beruht überhaupt in all den vielen Substantiven und Verben,
die so endigen, unser le auf einem romanischen iL
1) Neutralen Geschlechtes, weshalb das mhd. fem. covertiure nicht
sowohl hieraus hervorgegangen als dem franz. couverture frisch nach-
gebildet ist.
2) Denn so wird Graffs clouzara (Sprachschatz IV, 566) zu bessern
und der schon früh entstellte Ortsname Clustirrun (Fdrstemann II. 374)
zu erklären sein.
3) Daneben auch lateinischer criatüre: ebenso natura mhd. natüre
und natiure u. s. f.
4) In der Schweiz auch Triest, einsylbig, nicht zweisilbig TrUst.
288 1^« Umdeiitschiuig fremder Wörter.
IV. Yerlängerang betonter, Kärznng nnbetoniter
Vocale.
Bei den mannigfachen Aenderungen, denen im Bomanischen
die betonten Vocale der lateinischen Sprache unterliegen, wird
immer noch auf deren ursprüngliche Quantitätsuuterschiede die
bestimmteste Bücksicht genommen und eine andre Umgestaltung
auf die kurzen, eine andre auf die langen angewendet: vgl. meine
Altfranz. Lieder und Leiche S. 139 fgg. In diesem Stück nun
weichen die Deutschen vollständig von den Bomanen ab: unter
ihnen hat von frühester Zeit an, hat sichtlich schon in der
Gothenzeit der Grundsatz gegolten alle betonten Vocale grie-
chischer und lateinischer Wörter, wenn der Consonant dahinter
einfach ist, für lang zu achten und die eigentlich kurzen dann
zu dehnen: auffallend genug, da das Deutsche selbst bis zu
Ende des Mittelalters reichlich ebenso viel, wo nicht mehr be-
tonte Kürzen besessen hat als Längen und erst das Neuhoch-
deutsche dem Accent die gleiche Wirkung auf die Quantität
einräumt. Aber schon der Gothe dehnt nur in Folge des Tones,
der dann meist ein lateinischer, wohl auch schlecht lateinischer •
und nicht der griechische ist, auch auf Gothisch euaYys/aov in
aivaggeli, senex in seneig^), EuoSta in Aiödia, 'EpjJioYevijc in
Airmögaineis , 'AvTLO/^eia AntiocJäa in Antiökja, MaxsSovia in
Makidonja, 'Ov7iaL9opo^ in Auneiseifaiirus (denn ei hat für ihn
Sinn und Werth eines langen i), qtoj^L^ aicupßa in spyreida,
Titus in Teitus und, falls der Gothe wirklich die Palme für
einen Pechbaum' gehalten, })ix picis in pelk: peikdbagm bei
Ulphilas die Uebersetzung des griech. 9o(vl$. Im Hochdeutschen
noch mehr und eine noch grössere Mannigfaltigkeit solcher An-
eignungen mit Quantitätenwechsel. Verlängerung eines betonten
ä in gradus grdd^ caseus chäst, graphio krävjo Graf, papa
päbes (phaffo behauptet die Kürze), Padiis Pfät, und selbst vor
einer Position iu fasda fäska fäski; in lagena lägela Lägel ist
die Betonung der ersten Sylbe nicht ursprünglich. Eines e:
1) Timoth. I, 5, 1 fg.: dagegen Luc. I, 18, bei der deutschen Wurzel
verbleibend und nicht auf dae Lateinische hin gewendet, sineig.
Die Umdeutschtmg fremder Wörter. 289
wiederum ewangiljo und metrum mitar; in weiterer Folge
Diphthongierung oder Uebergang in I; f^is (kurzer Vocal wie
in «pißea^ai und ahd. pipen zittern) fiebar, Petrus goth. Paitrus
ahd. PStar und Pietar, breve prief, speculum spiegal, cedrus
zHarpoum und ziderboum, tegula ziagal: daneben aber auch
mit Kürze tegel. Eines ^ und y (die Verlängerung ergiebt dann
im Neuhochdeutschen den Diphthongen d): mala ftol, rubiola
rebtgel, sätda sidlin, lyra lirä und all die vielen späteren Worte
auf te, die den romanischen auf ia, ie (Diez Gramm. 11, 280)
und durch deren Vermittelung Jen griechischen auf La folgen,
wie ästronomte compante kurtoisie^ dem Ursprünge nach zu
unterscheiden von denen, deren i schon im Lateinischen lang
und im Griechischen ein st ist, wie vsxpofxavTeCa nigromanzie,
Tzgo(ft\i:&ioL profezie. Wir kommen im nächsten Abschnitte noch
einmal auf diese reiche Wortart zurück (reich besonders dadurch,
dass die fremde und fremd betonte Endung auch an deutsche
Stämme gehängt wird) und erwähnen hier bloss noch, dass wo
beides, Stamm und Endung, fremd ist, die neuhochdeutsche
Sprache das ie bald unverändert lässt, bald diphthongiert: z. B.
Chemie Monarchie hifanterie, Clerisei (ital. chiericia) Polizei
Spezerei, Copie^ Melancholie Poesie^) und alterthümlicher (aber
die Pedanterei, die nicht gar «u deutsch und selbst lieber eine
Pedanterie sein wollte, hat das abgeschafft) Copei Melancholei
Poesei; und dass auffallender Weise auch schon das Alt- und
Mittelhochdeutsche mehrmals den Uebergang in den Diphthongen
zeigt: monachia municheie, Papia Pavia Paveia, probsteie, salvia
salbeiä, advocatia vogteie; wäre abbateia das einzige Wort der
Art, so könnte man die Erklärung etwa in aßßaTsia suchen.
Ferner die Verlängerung betonter ö: chorus chdr, tonus don,
ConstanfinopoUs PhilippopoUs Ktmstenöpel Vtnepdpel, probare
proben, rosa rdsa, thronus trön; mit romanischem Uebergange
des 6 in ü, nhd. aü, avarüzä und Aberratifs^ ümdeut^chungen
von abrotanum. In ostrea nhd. 'Auster (ahd. die Zusammen-
setzung aosforscala) tritt ungeachtet der Consonantenhäufung
1) Gr. lat. \o£if)at; poesis, aber mittellat. ital. poesia, fr. po^8ie, wie
gr. lat. atpeai?, mlat. hceresia, it. eresia, fr. hMsie, mhd. eresie, und
schon im Griechischen die Doppelfonnen dTz6Tz\f\^i^ und diioTcXiQ^ta, aiio-
axaatc und dnoaxaaCa, ^tcCXtq^ic und ^uiXirj^ta.
Waekernag«!, Schriften. 111. _ 19
290 I^i« Umdeutschung fremder Wörter.
sogar der Diphthong ein, der die Grundlage des althochd. 6
bildet; anderswo ist das betonte ö gegen uo vertauscht, d. h.
man hat es schon auf der vorhochdeutschen Stufe in d gedehnt,
da hochd. uo und vorhochd. 6 einander überall entsprechen:
eleemosyna alamuosan, proba mhd. mit Umlaut brüeven, crocus
chruogo, von 'coquere roman. coco ahd. chuocho, schola^ scuolüy
domm ttiom, vicedominus fiztuom nebst den schon oben S. 287
erörterten Beispielen huobe chuofä mota. Endlich ist betontes fi
verlängert in crux crucis chrüzi, mhd. umgelautet kriuze, nhd.
diphthongisch Krmz.
Solchen Dehnungen der Eüi-ze, die bloss der Ton veranlasst,
steht in nothwendiger Ausgleichung das Andre zur Seite, dass
unbetonte Längen verkürzt werden. Wenn Ulphilas Klaimaintus
und aurali und Trauada sagt, so ist schon ihm die Lautdehnung,
der unbetonten Anfangssylbeh von Clemens Cleineivtis, von oralis
Schweisstuch, von Tpwac; acc. TpoaSa verloren gegangen. Ebenso
im Althochdeutscheu j^oleiä aus lat. puleium; in bredigon Jtufeo
sorodön sichur solari treso hat überall zwar die erste Sylbe den
Accent, aber ihr Vocal ist kurz: der eigentlich lateinische Accent
auf der zweiten oder dritten und damit verbunden die Kürzung
der gedehnten ersten ist vorangegangen: prcedicäre Judäeus
scrutdri secürus solar tum fhesätirus; in secretdrium sigitäri hat
die, Kürzung sogar zwei Vocale getroflFen. Aehnlich die Laut-
Schwächung in sacrista slgiristo; Schwächung und Kürzung in
sacratörimn sigitüri.
V. Verrückung des Accentes.
Wie wir eben vorher gesehn, haben bereits die öothen, dem
wohlbegründeten üebergewicht der lateinischen Sprache über die
griechische nachgebend, selbst griechische Worte auf lateinische
Art accentuie/t; den schon angeführten Beispielen ist hier noch
sxxXrjCjfa aikklesjo beizufügen, dessen lateinisch unbetontes /
ebenso zu j verstummt wie dort in Makidönja und Antiokja,
und Andrias, eine Nebenform von Andraias 'Av5pea^, deren i
in früher (S. 271) besprochener Weise ein unbetontes kurzes e
darstellt.
Die UmdeutscKung fremder Wörter. 291
Dieser Gebrauch griechische Worte im Deutschen wie im
Lateinischen selbst lateinisch zu betonen hat sich das weitere
Mittelalter hindurch und bis auf uns erhalten und nöthigt sogar
die, die z. B. Aischylos sprechen, doch zu dem Accente Aischißos^
nicht AicJx.uXo^; er ordnet sich als einschränkende Bestimmung
dem allgenaeineren Grundsatz unter, dass fremden Worten ihr
fremder Ton bewahrt und jedesmal diejenige ihrer Sylben accen-
tuiert wird, die auch in der Ursprache den Accent getragen.
Demgemäss sind (wir sehen ab von gänzlich unveränderten, in
keiner Beziehung umgedeutschten Eigennamen wie Hirndes
'Ibycus Sdtanas), es sind auf der drittletzten betont z. B. wieder
Macedöfuen und Evangilium Evangilien, Statue, Individuum
Individu^en: dort aber das stumme i nähert sich immer noch
sehr dem j, hier das u dem w: mittelhochdeutsch konnte sich
lllium lilje, Hispdnia Spanje sogar vergröbern in lllge Spange.
Auf der vorletzten betont theatrum Thedtet*, Char&cter Characthe,
'Autor Autoren; mit Verringerung der ursprünglichen Sylbenzahl
apöstolus Apostel, NedpoUs Neapel. Auf der letzten, weil eben-
falls eine flectierende, vielleicht auch noch eine Ableitungssylbe
dahinter abgeworfen, Idol, Diadim, Lucidn, Natur mhd. natüre,
glorios, Mandat, Organist aus Organiste, activ, Frophz, Suhsiänz
mhd; suhsi&rizp.
Diess die Begeh aber noch häufiger beinah, als man ihr
jfolgt, wird von ihr abgewichen und nach zwei gerade entgegen-
gesetzten Richtungen hin. . Nach der einen im Neuhochdeutschen,
doch so, dass die Anfänge dazu bereits dem Mittelalter, die
Anlässe wiederum dem Romanischen zugehören.
Das Uebergewicht, das zu wiederholten Malen die franzö-
sische Bildung in Deutschland hatte, gab sich vornehmlich auch
darin kund, dass sogar die Antike an diejenigen, die nicht
eigentlich gelehrt waren, nur in französischer Einkleidung ge-
langte: auf dem Sprachgebiet entsprang daraus die Gewohnheit
griechische und griechisch -lateinische Worte lieber in der fran-
zösischen Form^ vielleicht auch nur mit französischer Umge-
staltung ihrer Schlusssylbe, in beiden Fällen aber mit dem
französischen Accent zu gebrauchen. Der Art schon im Mittel-
alter und seit demselben die zahlreichen Substantiva auf ie,
jetzt ie oder ei, denen antike Worte mit doch unbetontem \a
19*
292 I^ie ümdcutflchting fremder Wörter;
zum Grunde liegen*), und die noch zahlreicheren Zeitwörter, in
denen an lateinische Stämme ein kr (vgl. Cap. VIII) gehängt
ist, z. B. riyere regieren. Und eben der Art solche Substantiva
und Adjectiva wie Sermon, Nation, racant, Dochit, Rutnür,
Facnltdet*), die nicht vom lateinischen sh'mo u. s. w., sondern
vom französischen serm6n d. i. sernuinem, vom italiänischen
rnmöre d. i. rumorem kommen.
Die Geläufigkeit mehrerer der eben angeführten französisch-
lateinischen Wortausgänge hat schon frühzeitig dazu verleitet,
sie auch auf deutsche Stämme zu übertragen (vgl. J. Grimm
kl. Schriften 1, 327 ff. über das Pedantische in der deutschen
Sprache, namentlich S. 337. 354 fgg. 364. 372), und in der
Sprache des Volkes dauert diese Verleitung jetzt noch: der ganz
undeutsche Accent am Schlüsse statt am Anfang stört darin
nicht. Schon das dreizehnte Jahrhundert zeigt uns Bildungen
wie zauberte und damit gleichbedeutend galsterte lächmie;
jüngeren Ursprunges sind narry füU^ry hüel>ery u. s. f.: inder-
gleichen Worten führt das Neuhochdeutsche ausnahmslos sein
diphthongisches ei durch: also auch niederländ. maatschappye
nhd. Mascopei, Mit ier sodann manches auch schon ältere, wie
briiyelierefi huoheliereti halbieren hofieren prangnieren tumme-
Heren wenkelieren, in der Canzleisprache inhaftieren läuterieren
schadlosieren urbaritfieren verlustieren. Mit ion Lanier atimi.
Mit ant Schnurrant. Mit f<pt Alberta^t ,Bestimmtitcpt Kühlitai
SchmiliUet. Und auch mit al und ist und ur, deren Betonung
unmittelbar aus dem Lateinischen herrührt, solche Mischworte:
Glasur, Blumist Hornist Zinkenist, austroegal Lappalien Pau-
schale Plaudralien SchmieraJien, Diese Umwälschungen des
1) Oben S. 289. Anch aus dem neutralen Spyta wird im Franzö-
sischen weibl. oryies: daher die süddeutsche Betonung Orgien y z. B. in
Schillers Aen. IV, 56.
2) Um uns dem Lateinischen wieder mehr zu nähern schreiben wir
jetzt in dergleichen Worten tcct und mühen uns wohl auch ein ce zu
sprechen: die mittelalterliche Schreibung schliesst sich unbefangener dem
Laut und dem französischen Ursprung an: facnUPt^ tnajestet oder auch
diphthongisch moralUeit: vgl. pasiata (ital. pastadella; fr. päte männl.)
mhd. bast^fe pastede und so auch nhd. Pastete. Alterthümlicher roma-
nisch ist Otfrieds Tcarität; das mhd. potestät hält das a des ital. podesttl
podeatade fest.
Die ümdeutschung fremder Wörter. 293
Deutschen waren als Kehrseite der Umdeutschnngen, von denen
wir handeln, der Erwähnung wertti. Wenden wir uns noch ein-
mal zu denjenigen Worten, die nicht bloss in der Endung, die
gänzlich fremden Ursprunges sind.
Bei denen auf ik schwankt die neuere Accentuierung zwischen
dieser Sylbe und der, die vorangeht, d. h. sie betont bald auf
französische, bald auf lateinische Art: Katholik Fabrik RepMlk,
Chronik Metrik Mtjstik, Mathematiker Musiker Politiker, Maihe^
matik und Mudk und Politik bald so, bald so: die Sprache des
Mittelalters setzte diess i dem stummen i des Deutschen gleich
und betonte kröfUke, mxmke. Sonst aber, wenn das lateinische
Wort den Ton auf der drittletzten Sylbe und in der vorletzten
einen voilereu, nicht so leicht verklingenden Laut hat, betonen
wir im Deutschen eben diese vorletzte oder für uns nun letzte
und thun das zugleich nach dem Vorgänge der französischen
und auf Antrieb der eigenen Sprache, die schon längst verlernt
hat kurzen und unbetonten Schlusssylben einen volleren Laut zu
geben, die schon seit mehr als einem halben Jahrtausend an
dieser Stelle der Worte bloss stumme e .oder i kennt. Also
z. B. Araber Epoche jEneide Areopdg reciprök Thermopylen
Maxime Organ Pericöpe Apocryphe Satire Ekstase Despot concdv;
selbst altgermanische Namen, die jedoch auf uns bloss durch
lateinische Vermittelung gelangt sind, müssen sich dieser neu-
deutschen neufranzösischejti Betonung unterwerfen: Gepide Her-
mundüre Teutöne Vanddle; ja auch zahlreiche Worte mit e in
der vorletzten entziehen sich ihr nicht, weil dieser Vocal sonst
verstim^men oder gar, wie schon bei castanea' Kastanie, linea
Linie geschehn, in ein J-artiges i ausarten würde: Idee Katheder
Anatliem homogen ConifSre Aphcerise. Und so würden 'Autor
und Autoren, Chardcter und Charadire, für deren Accent-
wechsel vorher der entsprechende lateinische Wechsel von äuctor
auctores, chardcter charactSres als Grund ist angedeutet worden,
es würden in gleicher Art S6cp*ates und socrdti$ch,/Aether und
ätherisch, Apostel und apostolisch, HSrcules und hercülisch auch
ohne das lat. Socrates socrdticus, dether mthereus u. s. f. den
Accent hier auf diese, dort auf jene Sylbe rücken: denn mit
der Flexion, mit der Ableitung ist diejenige ümdeutschung ein-
getreten, der ein söcratisch und hercülisch widerstünde, und wir
294 ^iö Umdeutschung fremder Wörter.
betonen ja eben deshalb auch Qmfreti HJietdren trotz dem la-
teinischen üaeaares rhifm^es.
So viel von der einen, der französisch - neuhochdeut8chen
Abweichung, die zugleich der lateinischen und der eigentlich
deutschen Art entgegen den Ton auf den Ausgang der Worte
wirft. Wir gehn zu der anderen über, durch welche dem
Deutschen wenigstens sein Kecht geschieht. Diese gehört wesent-
lich der althochdeutschen Zeit an; auf den späteren Sprach-
stufen begegnet und durchkreuzt sie sich mit der französischen
Betonungsweise.
Wie das Gothische die griechisch -lateinischen Laute mög-
lichst festhält, das Althochdeutsche aber einen grossen Schritt
von da aus weiter geht und eigentlich erst deren ümdeutschung
beginnt, so ist das Gothische auch in den Accenten der Worte
noch gern lateinisch, das Althochdeutsche wagt den deutschen
Accent. Allerdings bei Ausdrücken, die gleichsam geheiligt
sind, wie ewangeljo, wie episttda, ist der lateinische Accent ihm
mitgeheiligt: sonst dagegen strebt es mit seiner Betonung auch
über die drittletzte noch zurück nach vorne hin und giebt den
höchsten Ton der ersten Sylbe, die im Deutschen der Regel
nach einen solchen trägt; ja Otfried (Hartm. 149) mag selbst
die lateinische Ablativform kdritate so betonen. Hier nun ist
Einwirkung des Eomanischen nicht gedenkbar: dieses kennt wohl
gleichfalls solche Verrückungen des Accentes in ficdtum prov.
flgado, fcenkulum mittellat. finuglus portug. füncko, pensah
pesale, secdle ital. sigale, trifolium franz. trifte (vgl. Diez
Wörterb. I, 175. 375. 422 und oben S. 275), aber eben nur in
so wenigen vereinzelten Fällen: man möchte eher den umge-
kehrten Einfluss glauben. Und auch das Gothische hat ^chon
Einzelnes der Art, Einzelnes, nur wie zur Vorbereitung: cathim
oder catülus kdtil und siglllum slgljo. Desto zahlreichere Be-
lege im Althochdeutschen und auf dessen Grund noch in der
späteren Sprache und bis auf die unsre; all diese Blätter sind
voll davon, so dass es üeberfluss wäre hier noch eigens der-
gleichen anzufahren. Ich bemerke nur noch, dass im Mittel-
hochdeutschen selbst die frisch eingeführten romanischen Worte
gern so betont werden: z. B. bannüre hänier Banner, altfranz.
panchtre ital. pmtcUra (pancla Bauch von pantex) bdnzier Panzer,
potio poisön pöisün, chapel chapeaji schdpeL Namentlich sind
Die ümdeutschnng fremder Wörter. 295
hiebei die auf die oder At, roman. ata und mit ihnen die auf
isse oder esse zu erwähnen, die jetzt massenweis und zwar die
auf äte besonders im mittleren, die auf esse im niederen Deutsch-
land aufkommen, die letzteren so gänzlich tonlos auf der Ab-
leitung, dass dieselbe sogar syncopiert wird, wenn die vorher-
gehende Sylbe ein tief betontes er enthält: maiorissa meierse,
monetaria mumerse, telonaria tolnerse. In beiderlei Bildungen
mochte man aber dem deutschen Accente deshalb schon den
Vorzug geben, weil häufig auch hier das Stammwort selbst ein
deutsches ist: reindte Reinigung, villdte von iHllen Geisselung,
beckerse Bäckerinn neben marteräte Marter, predigMe Predigt,
ebbedisse abhaiissa. Zudem ist At auch als wirklicli deutsche
Schlusssylbe, als Nebenform von dt gebräuchlich: kleinste kleinot
und kleinät.
Aber nicht bloss Appellativa, auch Eigennamen, persönliche
wie geographische, wurden so behandelt: schon im Gothischen
hatte es Marja geheissen, ebenso neben Maria im Althoch-
deutscjien, mittelhochd. Marje und mit dem Umlaut Merje
Merge: Mergenbiirc Marienburg, Mergentheim Marienheim? Jetzt
ausserdem noch Antichristus ' Antlchristo , Basilea BdsaJa, Con-
fluSntia Chöhilinza, Colonia Chölonne Chölina, Constäntla Chö-
stanza Chöstinza, 'Elias, Judäeus Jüdeo, Matfhdetis Mdtheus,
Martinus Mirtin, Moguntlaciim Mogüntia Mdg'mza, Paradfstis
Pdradis Pärdis, Phllippus, Tarvis'mm mhd. Tdrvts Th-vts
Treviso, Troidmis Tröidn, Tuscana Tüscdne, Valentinus Vdltin,
Tabirna ahd. Zdberfia Zabern, Tulblacum Zülpicha^); selbst
französisch endende wie Franzois und Grezois betont die Kitter-
dichtung auf der ersten Sylbe.
'Das Neuhochdeutsche behauptet bei Appellativen diese um-
deutschende Betonung nur dann, wenn sich dieselben bereits
vom Alt- oder Mittelhochdeutschen her und in solcher Um-
bildung vererbt haben, dass der fremde Ursprung verwischt ist:
wo aber letzterer noch erkennbar vor Augen tritt, wird lieber
1) [vgl. Heiland 37, 18—38, 5. Bethania 121, 10. 'Aegypteo 21, 14.
^breoliudi 3, 20. Zdcharias 3, 2. 'Octavianas 16, 21. * Elias 28, 1. Pilatus
156,16. Magdalena 174,4. Otfrid II, 14, 59 betont Hierosdlimu, lll, 4, 2,
Hierosdlimono: aber Heliand 2, 17 HiirMsalem (gesprochen Jerusalem)
und ebenso mhd.: zu Walth. 80, 26.]
296 I>io Umdeuttfchang fremder Wdrter.
zu dem ursprünglichen Accent zurückgekehrt: wir sprechen nicht
mehr fündameiU, und wenn auch Käppd und Kdstd Kassel als
Ortsnamen, doch sonst Capelle und Castill; und gar bei Worten,
die erst das Neuhochdeutsche selbst aufgenommen, sind Be-
tonungen wie Cmnpass 'Ocean Pavian (fr. babouin) eine Selten-
heit. Nicht so unter den persönlichen Eigennamen, besonders
wie der Yolksmund dieselben kürzt: hier haben auch wir noch
'Alban, 'Andris^), 'Änton^), 'Appel d. h. 'Apollonia, BSndix
Bendicht d. h. Binedidns, Christiem Christen, Christoph d. h.
Christophorus , Beerte d. h. Börothea, J^lsbeth und Mse d. h.
Misabeth, Fabian, Florian, Franz und Franzi d. h. Frdnciscus
Fräncisca, KdUer und Kätti und Käethe d. h. Cdtharina, Lorenz,
Margret, Martin und Merten, Mätthes und Matz d. h. Mätthceus,
Moritz, Niclas und Nickel, Philipp, Siise und Susi d. h. Süsanna,
Thiodor und Joder (s. oben S. 282), Thiophil, 'Urban, Valentin
und Villen, auf süddeutschen Schulen auch Homer, Höraz,
Virgil; geographische ausser den schon oben angeführten noch
z. B. Bellinzöna Bellenz, Clavenna Chiavenna Riefen. Der
Zwiespalt aber zwischen Altem und Neuem, zwisdien Ein-
heimischem und Fremdem, in den unser Deutsch besonders hier
gerathen oder gebracht ist, zeigt sich am auffäl%sten darin,
dass nicht wenige Worte jetzt beiderlei Betonung empfangen:
so Altan, Altar, Antichrist, Continent^ Februar, Fl&renz, Januar
(aber Jinner), Johann, Kamerad, Orient, Pällast oder Palast;
Biamdnt und Bimant, beides Entstellungen von adamas ada-
mantis, sind auch in der Lautgebung, 'Augnst und Atigüst im
Sinne verschieden: das althochd. augiisto trug als Monatsname
den Accent ebenfalls auf der Anfangssylbe, so dass spater ougeste
und ouste daraus hervorgehen konnte. Barbar wurde noch vor
hundert Jahren Barbar betont, indem man die Schlusssylbe einem
1) Also 'Andreas, "wie zwar eigentlich richtig, Biber schon seit langem
unüblich ist. Im 9. Jh. accentuieren neben einander Otfried Andreas, die
altsächsische Evangelienharmonie gleich der angelsächsischen Legende
dieses Apostels deutscher und lateinischer 'Andreas. Das goth. 'Andrias
oben S. 290.
2) VV^enn Schiller in einer Xenie den Accent auf die letzte legt (kein
Antön, kein Orest, keine Andromacha mehr), so ist damit die frische Ab-
kürzung aus Antonius bezeichnet.
Die Umdetitschung fremder Wörter. 297
sbimmen er gleich setzte und demgemäss Barbarn declinierte,
wie schwäbische Dichter furchtbarn; von derselben Art ist unser
Decemvirn maYnmrn Camiiln,
VI. Die aiibetouteB Sylben.
Die Sprache hatte sich so gewöhnt den Hochton der Worte
noch über die lateinische Abgränzung hinaus auf den Anfang
zu werfen, dass in den seltneren Fällen, wo das aus irgend
welchem Anlasse nicht geschehen war, der nun tonlose Anfang
wie mit Missachtung behandelt und durch eilendes Drüberhin-
gehn in seiner Körperlichkeit geschmälert, des einen oder anderen
Lautes beraubt, ja gänzlich abgeworfen wurde. Das Schwächste
der Art haben wir schon aus dem Gothischen kennen lernen, die
Kürzung gedehnter Vocale und das Verschwinden eines n vor
st (oben S. 285 und 290); dem schliessen siph Liquidenwechsel
an wie armarlum barbieren mundartlich Ahnaring halbieren. Schon
stärker sind die Vocalsyncopierungen in [j.apYapLnr]<;, in cilicitim,
Corona, Verhia, beryllm, canönicus, Jerönimus d. i. Hierony-
mus^), auf denen goth. markreittis, ahd. (/Uza, mhd. kröne und
Vrene, nhd. Brille, Kntinich und Grolmm beruhen. Am häu-
figsten ist das Stärkste, die vollständige Aphärese der ersten,
ja zweier Anfangssylben. Ein Theil der Worte, die als Beispiel
hiefür zu nennen sind, ist sicherlich schon im Komanischen und
im Latein der Romanen so gekürzt und gleich so nach Deutsch-
land gebracht worden, wie apotheca ital. boMga ahd. potacha,
amygdala mandola mandalä, Apulia Puglia mhd. Fülle, electua-
rium laUovaro lattewarje, s^afxixoc mlat. examitus altfr. mhd.
sdrnU, excoda ital. scoUa mhd. schotte Molke, experidere spendere
ahd. spentdn, expensa spesa spisa, thyrsus span. destrozar ital.
strmizare strunzön: man braucht jedoch nicht überall, wo beide
Sprachen in der Aphärese zusammentreffen, romanische Mitthei-
lung anzunehmen, da Neigung dazu dem Deutschen selbst schon
1) Wie hyacittthus mittellat. jac intus, hytdintis jalinua, hyoact/amus
jusquiamus; vgl. Hilarius mhd. Gleris.
298 Die ümdeutschnng fremder Wörter.
I
innewohnte. Das belegt in besonders schlagender Weise die
altsächsische Evangelienharmonie, die je nachdem auf einen Vocal
o^Jer auf r, auf f zu allltterieren ist, bald HSrodes d. i. ^roites
betont (auch im althochd. Ammonius IX, 3 wird Wroffes ge-
schrieben), bald Ilerödes d. i. mit Aphärese sogar dieses bibli-
schen Namens Rödes, bald (nfern Hölle, bald wieder mit
Aphärese fern^); nicht minder schlagend dergleichen Worte wie
ahd. pelzon pfropfen, mhd. rAvU arabisches Streitross und mm-
belieren zusammennehmen (mit Bezug auf samden auch in
samelieren umgeändert): das Provenzalische und Altfranzösische,
woher sie doch stammen, sägen selber empeltar, arabit und
assembler, das Mittelhochdeutsche aber kennt auch neben AnWi
Arabien ein gekürztes liäbi, und im Niederländischen steht poten
pflanzen neben dem ahd. mit empeUar und pelzon gleichbedeuten-
den imjntm von impotus 6fJL9UT0v. Weitere Beispiele apostolus
ahd. postulf Arras nhd. Eass Rasch, asphaltus ahd. spaldvr,
aspara(ßis nhd. Sparge Spargel, wstivale ahd. stiful mhd. dival
(Anklang an ahd. arstiftden mhd. understivelen stützen und
understibel Stütze), episcopus ahd. bkcof, epistola mhd« pislel,
ertica ahd. rApa, exclusa afr. escliise nhd. Schleuse, /lippodromus
mhd. poderäm, Hiapanus ahd. Span, historia storja, oryza mhd.
ris, hospitale spUdl Spittel; mehr als bloss ein Vocal getilgt in
Cucurbita ahd. churpiz, ampidla nhd. mundartl. Pidle, emplastruHi
ahd. phloütar, incensorium zinser i^ indianisch nhd. Janisch wel-
scher Hahn, quatemher mhd. temper; zwei ganze Sylben in caia-
pidta polz, intercilium cilre, paternoster nhd. mundartlich Nüster.
Für das Neuhochdeutsche haben diese weitgreifenden Aphäresen
ihren Uauptplatz in den niederen und alltäglichen Umbildungen
der Taufnamen, eben der undeutschen Taufnamen: die deutschen»
deren Anfang gleich eine betonte Begriffssylbe ist, werden nur
hinten abgekürzt; von den fremden erscheint mancher mit der
einen und der anderen Tilgung, da man ihn auch mit dem Hoch-
ton auf beibehaltener erster Sylbe spricht: Adolf us Dolfs Dölfi,
Annette Nette, Apollinaris Boüeronis, Apoüonia Plaen, ApoUonius
Plönniyes, Auguste Guste, AEgidius Gidi oder Gilg (vgl. oben
S. 285), Helena Lene^ Elisabeth Lisebeth Lise Lisette Seite Betty
1) [Cynevulfs JuUana 21 ceastre Commedia, d. i. i^T/comedia; 294
Äyge JoÄannes. Älfr. Metra XXVI, 8 Retie (Boeth. 4, 3 Neritii).]
Die Umdeutschung fremder Wörter. 299
Erasmus Rasmus ^ tkistachius Stackes Stacks, Hippolytus Bolte
Polte j Jacob Ko'hi, Jokannes > Hannes Hans, Johanna Hanne,
Josepk Sepp^ Agnes' Nese, Ambrosnis Brost, Andreas Drewes
Dresi Dresike, Antonius Tmnjes Dönniges Toni Tonet, Cardlus
Rote, Ckecilia Zilg^), Louise Wise, Nicolaus Claus, Pkilippus
Lips Lippely Sebastian Bastian Wastd Baschl, Sophie Fike,
Xaver Fehr Fekreli, Brigitta Gitta, Ckristithe Stine, Christopkorus
Stoffel Toffel, Charlotte Lotte, Pancratius Kraz, Margareta
Grete, Catharina Trine Rifia, BonifaHus Fazi, Dionysius Nis,
Ferdinand Nante, Friderike Rike, Henriette Jette, Pkilippine
Pine, Salojnea Meli, Wilkelmine Mine und Hieronymus Mus
Müssi MusseL Auch die Beispiele, wo ein vor den Namen ge-
setztes und damit verwachsenes Sa^it oder Sand d. i. Sagtet bis
auf das beschliessende t oder d getilgt wird, sind hier anzu-
führen: so haben wir in Basel eine Dalben- und Delsbethen-
d. i. Sanct-Alban- und Sanct- Elisabethenkirche, und ebenso ist
aus Sanct-Urs Durs, aus Sanct-IIg (iEgidius) Dilg Dill Till
Thiele^ in Baiern aus Sanct-Annenbrunn Tantienbrunn geworden.
Damit vergleicht sich das spanische Diego aus Sant-Iago und
weiter in den romanischen Sprachen Narnaldo, Nugo, Nalazais
aus Don Arnaldo, Don Ugo, Donna Alazais, im neueren Grie-
chischen aber die Ortsnamen, die mit einem aus d^ verkürzten
2 beginnen vae Samsun d. i. st(j 'A[i.t<y6v, Schio Stanchio st^ X{ov,
de Tav Xlo"), Stamhul sie xav lüoXtv; eiii altdeutsches Städte-
verzeichniss hat Spergimunt d. i. £\c lIspyafJLov, Stammerre d^
rav Mti^pav, Ismir^ Smyrna. Pippo und Poppo, die alten Kose-
formen zu Pkilipp und Jacob, halten nur die Schlusslaute der
zweiten Sylbe fest um den Vocal mit einer Verdoppelung des
Consonanten zu umschliessen^).
In solchem Maasse werden von der betonten Sylbe undeut-
scher Wörter die vorangehenden unbetonten hinabgedrückt. Nicht
geringere Wirkung übt sie auf die ihr nachfolgenden aus: auch
hier veranlasst sie Kürzungen aller Art, durch Syncope und
durch Apocope, ebenfalls oft von überraschendster Ausdehnung.
Und wir übergehen noch, indem nun wieder Beispiele anzuführen
1) Das mäiinl. Cwcilius lautet schon im Deutsch des 13. Jahrh. Ziljes
2) [vgl. Emil, Emilie Mimmi. Elisabeth Caroline Lili. Luim j Julie
Lulii. Beckers Geschlechtsn. S. 16.]
300 Die Umdeutschung fremder Wörter.
sind, die neuhochdeutschen Formen, in denen durch Verschwinden
der stunuuen e die Kürzung mitunter das möglich äusserste er*
reicht; auch jene innerlich zusammengezognen, hinten abge-
brochenen Eigennamen brauchen nicht wiederholt zu werden.
Syncope und gelegentlich damit verbunden Umstellung und
Angleichung der Laute, welche nun zusammentreffen: aridolochia
aristolöcia ahd. Astriza, calcatormm caleatürä cdldüre mhd.
kalter, catlllum ahd. chdlä, colüctUa conüctda chönacla und
chunchla Kunkel, chrys6Uthus mhd. krisolite. und kriadlt, gffnm"
ceiim gijmecium ahd. gSnuz mhd. genez gern, malum gratiätum
mhd. (inMgranät) märgrant, ital. marindro märniBre, maitUina
ahd. mäUina mhd. ^nettepi, tnanastirium ahd. mönastri mnnistri
mhJ. münster, patina ahd. phannä, prcebSnda roman. provenda
ahd. jjhnwrUa, pidpitum nhd. Pult, phlebotomum ahd. flwcTetna
mhd. flieine (vgl. bior hier S. 281), refectörium mhd. rerindre
reventer rifti^e rempter, syUaba ahd. silkAä mhd. sülabe sübe^
solidus soUddta mhd. soll söldät Löhnung, Trajedum mhd. Ma-
strikt Uztriht Uztreht, trajedörium trähter trlhtwre. Die An-
fangslänge von ccerefölium zeigt sich im ahd. cMrvola verkürzt,
auf Anlass der ursprünglichen Betonung (s. oben S. 290) und
zugleich der Position, welche die Folge der Syncopierung ist:
ebenso in den mittel- und neuhochdeutschen Formen fenchd und
kirche die Länge von fcenictdum fenachal und xuptaxov chirichä:
denn letzteres hat ein langes /; Notker bezeichnet es aus-
drücklich ^).
Apocope: creäe mihi credemich, circultis chirch und zirc
zirke (oben S. 269), Samuel Sam Sämmi % lychnus lieh in churz-
lieh (wenn ich eareMih Sprachsch. IV, 490 richtig bessere), Sor
raeenus Sarz, vicedöminus flztuom, petrosdinum pSdarsilli pe-
darsüj pater? patrintis mhd. pfetter bäte, tdöneum zol, torcuiar
torcula toreul, Barbara Barbe Babi, archidter ahd. ärzäl^), Mo-
1) So geht auch die Länge von delere ahd. H/on, von Uli um, Hi-
spania u. dgl. Worten durch die Position tilgen Ulje Spanje verloren.
2) S, Nicolaus als festlicher Kinderschreck wird in Zürich Sämmi
Claus genannt. '
3) Vollständiger im Mittelniederd. und Niederländischen ersdter und
ersetre. Die Sachwörter arzentuom und arzenie und das Zeitwort arzenön
setzen noch ein zweites Personwort arzen voraus, das jedoch, da i und n
nicht wechseln, keine Entstellung von arzät sein kann, sondern, wie ich
Die ümdeutschung fremder Wörter. 301
gunttacum Mogüntia Mdginza, 2^^^^^^^^ hurzala, icapotxfa pa-
rochia pharra, lampas lampadis mhd. lampe, propägo alid.
phrofa Propfreis, syringium sirno, parälysis Parle, cyparfssus
ziperhoum, tapitum teppi, charitas zart, pulvinar phulwi, dis-
cipidus disco^)^ micanique in der Pfalz Micknick und auch nur
Mick. In Baiern ist einmal Jemand den heiligen drei Königen
zu Ehren Cqbame genannt worden (Schmellers Wörterb. II, 690):
allerdings eine starke Abkürzung: sonst pflegt man Caspar Bal-
thasar Melchior nur in (hspcr oder Chäpper, Balzer oder Bahi,
Melcher oder Meck zu ändern; und doch keine stärkere als die
von Max aus Maximilianus.
Aber auch die Laute, die hinter dem Hochton noch be-
stehen bleiben, Consonanten wie Vocale, gerathen durch die
Zurücksetzung, die sie gleichwohl trifft, in Schwanken und
Schwächung. Consonantänderungen, die unmittelbar mit der
Syncope verbunden sind, haben wir so eben erst kennen lernen;
ausserdem kommt, viel häufiger hier als in betonten Sylben,
Umtausch der Liquiden vor und wieder namentlich der Ueber-
gang in / (vgl. oben S. 285. 297): n in l asimis goth. asilm ahd.
esil, catmus oder auch catlllus goth. katil ahd. chezz-il, coquhia
ahd. chüchina und chuchil, ciiminum chumin iini chumil, lagena
lägela, myrtinus (JLupTiviri mirtilpoum, Organum Organa und o/-
gdd, turbo turbönis tnrbal; r in l carcer goth. karakar ahd.
charchäri mhd. karkoere kerker und karkel, corpus corporis mhd.
korper und körpel, marmor ahd. marmul, martyr martarön und
maftoldn, mortdrimn mhd. morter und nhd. Mörtel, ahd. nwr-
säri und inörsdii, murmurare murmurön und murmuldn, panther
mhd. pantel, petrdria ahd. pMtaräri mhd. pfedeler, prior prtol,
schon zum Vocabularius optimus S. 8 bemerkt habe, auf dem appellativ
gewordenen Eigennamen Archigenes (Juvenal VI, 235. XIIT, 97. XIV, 252)
beruhen wird. In einem Wörterbuche des 13. Jhrh. heisst es (Strassh.
Handschrift B 114 Bl. 70 b) Archigenes principalis medicus qiii optime
seit ntodum in genest i. nature. [vgl. wie Lycisca Virg. Ecl. 3, 18. Ovid
Metam. 3, 220 im Mittelalter appellativ geworden: du Gange und Grafifs
Sprachsch. V, 600. — Oder arzentuom wie Mchentuoniy arzenön arzente
wie lächenön lachenie?]
1) Eine dem ähnliche und dem französ. evesque eveque entsprechende
Kürzung von episcopus biscof liegt nur in der Zusammensetzung hiscetuom
bisctuom nhd. Bisihum vor.
302 i^ie Umdeutßchung fremder Wörter.
Christophorua nhd. Stoffel Toffel, ifwens6rium ahd. znineri und
zinsilo; l inn capitdle cdpitan, tründare trebefi6n; l ia r canalis
ahd. chäncdi mhd. kenel und ketwr, pdlliolum ahd. phiUöl mhd.
pfellel und pf eller, verteufeln alamann. vertwfern; m in w balsa-
mum ahd. halsamo goth. hcdmn, thymidma ahd. ttmiäm nhd.
Thymian, cherubim zerubhi, cimiamchnum sinnamin (oben
S. 271); w in m peregrinus pilicrin und püicrim; n ia r co-
phinus ahd. chovina nhd. Kofeii und Koher: custos cudödis ahd.
(^/tö^clr vertauscht gegen r die Zungen- und Zahn-Media. Die
Liquida 9^ aber zeigt auch in diesen unbetonten Sylben ihre
Neigung (vgl. oben S. 266 u. 286) sich ohne weiteren Anlass,
als den die Gemeinsamkeit des sprechenden Organes giebt, vor
einen Zungenlaut einzuschieben: dormitörium mhd. darmimlre
dörmenter, lavdtor ahd. lävmUäri Walker, desconfittire deconfiture
mhd. schumpfentiure, secretdrium ahd. sigimlri; besonders vor
z: aristolöchia dstriza dstrenza, focdcia föchanza, pcddtium phd-
lanza, piscdtio ftschetize: vgl. Bilitio Bellitiona (Geogr. Rav.
251, 15) ital. BelUnzona. Möglich, dass ebenso unser Ortsname
Müttenze Mtdtmz aus Mutdtio entstanden ist; nur muss dann
die Schreibung Miäenza, in welcher die älteste Belegstelle den-
selben giebt (Wiponis Vita Chuonradi Imp. Cp. 21), mit leichter
Besserung in MtUenza geändert werden.
Jetzt noch die Vocale der Schlusssylben. Das Gothische
bleibt in diesem wie allen Stücken getreuer bei der Urform:
aurcdi balsan kaisar sinap ulhandtis, asilus katil müUofi, paur-
pirra viduvo, sie halten sämmtlich die eigentlichen Xaute fest;
karkara, aggilus, platja, spaikulatur, aipiskaupus, aipistatde oder
aipistula, apatistaulus oder apaastulus, diabaulus oder diabulus^
diakaunus oder diakun sind nothgedrungene Abweichungen:
Abweichung mit Freiheit zeigen uns nur opu/,*»] aurahjö und
xoXa9(?;stv katipatjan. Viel ungebundener schaltet das Hoch-
deutsche. Selbst jene bereits im Gothischen angenommenen
Formen behaupten sich hier nicht alle: viel häufiger als cheisar
heisst es im Althochdeutschen keisur oder keisor, während wieder
in tiufal fast einzig a gilt. Damit sind die zwei Hauptbemer-
kungen über diesen Gegenstand schon angedeutet. ' Einmal: wie
das Althochdeutsche, dem Gothischen folgend, in den Bildungs-
sylben eigener Worte mit Vorliebe den Vocal a verwendet, so
überwiegt dieser auch am Schluss der fremden. Er wird, wo
Die Umdeutschung fremder Wörter. . 303
schon das Lateinische ihn hat, am ehesten belassen und zugleich
am ehesten für andre Vocale eingetauscht: z. B. jussSUum jüssal
Fleischbrühe, decimare techatnon, prcepösitus propositus pröbast,
spectdum spiegal, eleemösyna dlamtwsan; imd wird, wo Muta
und Liquida verbunden sind, trennend und vermittelnd dazwischen
gesetzt: templum tempal, chrisma ehresamo, Signum segna, co-
riändrum chüllantar, cuprum chuphar, febris fUbar, fenhtra
fenstar, nietrum niUar, emplastriim phlastar, sacrdrium sdgar&n,
cedrus zedarpoum. Nächst a am geläufigsten ist i, ursprüng-
liches sowohl als nun erst eingetretenes: castdnea chistina, fla-
gellum fligil, cydönium chutina, scuttda scuzzilä. Sodann: ety-
mologisch haltlos wie dergleichen Worte im Deutschen sind,
bleiben sie oft nicht einmal bei demselben Vocale, sondern wech-
seln mit mehreren, ja beinah allen spielend ab: Basilia heisst
Bdsila Bdsala und« Bdstda, fcemctdum phenichat f^nachal und
fenuhal, lahülum Idpel Idbal Idbol und Idpid, piper pheffar fefor
und pheffur, simila simild simtdä simalä semalä, faeula fachala
fäcchela fachila fachola faeula. Mit dem Ausgange des Alt-
hochdeutschen und gar im Mittel- und Neuhochdeutschen ver-
schwindet freilich diese ganze bunte Mannigfaltigkeit der Schluss-
vocale, und die a, die i, die o, die u verflachen sich gleichmässig
in einen und denselben stummen Laut, der mit e oder auch mit
/ bezeichnet wird, und Syncopierung tilgt oft auch diesen noch.
Dem Althochdeutschen selbst war das im Accent zurückgesetzte
e noch so wenig gerecht gewesen, dass nur in seltenen Fällen,
wo dieser Vocal ihm überliefert war, er sich behaupten konnte,
wie in cancüli chdnzella, cappäla chdppdlä, castMlum chdstd.
VIT. Geschlecht der Substaiitiva.
In Betreff des Geschlechtes der aus dem Griechischen, dem
Lateinischen, dem Romanischen herübergenommenen Substantiva
kann man freilich als Regel aufstellen, dass es im Deutschen
damit so gehalten werde, wie die Ursprache jedesmal verlangt,
und sicherlich herrscht auch dieser Grundsatz wenigstens im
304 * l^ic Ümdeatschann^ fremder Wörter.
Neuhochdeutschen, das seine Entlehnungen mit grösserem Be-
wusstsein vollzieht: im Ganzen aber treten hier wie bei dem
lateinischen Accente dem, was die Regel seheint, so viele und
mannigfache Ausnahmen entgegen, dass zuletzt wieder nur eine
theoretische Behauptung, eine Voraussetzung, ein Wunsch übrig
bleibt. Nicht einmal das Neuhochdeutsche selbst nimmt es mit
dem Oeschlechte der Fremdwörter so genau, wie es sollte und
wollte, geschweige denn das ältere Hochdeutsch und das 60-
thische.
Nachweisbarer Anlässe das Geschlecht zu ändern s^ebt es
mehr als einen: derjenige, der schon am frühesten gewirkt hat
und stets noch wirkt, ist einfach der Missverstand, die unrichtige
Auffassung und Behandlung der fremden Wortform. Porficus
dmargo^oi; ÄTO(i.o<: StaXexToc StajJieTpo^ Sf^'ioYYo^ icapaypa^oc
sind sämmtlich auf Griechisch und Lateinisch Feminina: aber
irre gefuhrt durch die Form, machen wir und sogar die streng-
sten Gelehrten Masculina daraus, Mancher auch aus periodus
und synodus; männliches Geschlecht haben ebenso die alten
Umdeutschungen von porticus phorzich, von synodus sendd, haben
domm ahd. tuom Dom, vap5o^ goth. nardus, aber weibliches
ahd. narda. Agiotage apanage bagage bändige courage em-
ballage Equipage ermitage Üage mariage minage passage person-
7iage, ebenso beau inonds, caprice, carrosse, domaine, stnalte,
basfion sind sämmtlich im Französischen, Levante im Italiäni-
sehen Masculina: aber uns verleitet das Schluss-e und das -ion
sie weiblich zu gebrauchen, und nur in Grenzländem, wo das
Französische selbst lebendig näher steht, hört man wohl auch
das J^tage u. dgl. Vorzeihen wir deshalb dem ältesten Deut-
schen, wenn es griechische und lateinische Feminina auf a als
Masculina nahm, weil ihm selbst zahlreiche Masculina auf diesen
Vocal ausgiengen: drachma goth. drahna, epistola aipisttda (ge-
wöhnlich aber nach iizicrdkri weibl. aipistaide), suxapiöTta air-
laristia, fascia faskja, uncia unkja; mit hochdeutscher Ver-
tauschung des früheren a gegen cholera cholaro, concha ital.
cocca ahd. chocho, coUa chozzo, palma mhd. balme Palmzweig,
mittellat. pasta Huhn ahd. pasto und punga phoso (oben S. 284).
So ist auch aus dem Neutrum chrisma ahd. männlich chresamo
geworden.
Die Umdeutschnng ^fremder Wörter. 305
Ein Doppelbeispiel, das sich hier anschliesst, emngelinm
goth. weibl. awaggeljo, ahd. männl. ewangeljd, führt uns auf
einen zweiten Anlass des Geschlechterwechsels. Die Latinität
der späteren Zeit und des Volkes, nach ihrem Vorgang in noch
grösserer Ausdehnung die romanischen Sprachen «lieben es, die
neutrale Mehrzahl auf a in eine weibliche Einzahl, Neutra also
in Feminina umzusetzen (vgl. Diez Gramm. 11, 21. fg.); es triift
das theils Benennungen solcher Gegenstände, von denen man
besonders oft im Plural spricht, theils verfolgt man nur die
Analogie noch weiter. Diess lateinisch-romanische a wird nun
im Deutschen zwiefach aufgefasst und wiedergegeben, entweder
wie bei jenen echten Femininis männlich: also evmigelium evan-
gelia ahd. ewangeljOj vielleicht auch pigynentum Mmento, cantirMm
cantico, lilium liljo; oder aber gleichfalls weiblich, und das
herrscht vor: also goth. aivaggdjd, im Hochdeutschen pimenfa,
liljä, ferner atramentum atraminzd, biblium mittellat. biblia mhd.
biblie, butyrum ahd. butra, calcatorium ahd. ccdccUurd, catiUum
cheMäj xupiaxov chirichä, crystallum christdUa, iizti^ihio^i nhd.
Episode, vasctdum flasca ahd. flascä, phlebotamum fliodema, fo-
Uum ital. foglia Folie, gestum gesta mhd. geste Erzählung, gt/-
ncpceum ahd. gettfiz genz, cüicium ahd. gliza, idyllium nhd.
Idylle, caputium Kapuze, chronieon, cronica mhd. kronihe,
eleduarium lattewarje, mandatum mhd. mandäte (ahd. niwiddf
ein Neutrum), mittellat. moUratinm nhd. Matratze (mhd. matraz
männl. und neutral), metallum ahd. mediüa Scherf , milk milia
miäa, Organum organä, pakUium phalanza, petdum pedalä,
pactum phaht, post iUa Pastille, principium nhd. Principie, Prin-
cipi (Schmellers Bair. Wörterb, I, 344), sigiüum ahd. sigillä,
stibium stibd, talentum talenta, tympanum timpana, tropoeum
nhd. Trophcee, vocabulum Vocabel, xenium Xenie; Kraut- und
Fruchtäamen ccerefoUum ahd. chervola, cerasum chirsa, cydonium
chutina, lupinum luvinä, mespilum mespilä, petroselinum mhd.
petersilje, persicum nhd. Pfirsiche, prunum ahd. phrümä, inrum
pirä, puleium poleiä, sisyynhrium sisi^nbra; Worte wie Prcemitim
Prcemien Prcemie, Studium Studien Studie, Subsidium Sub-
sidien Subsidie und ihnen ähnlichr Hymnus Hymnen Hymne,
Mythus Mythen Mythe, Nerv Nerven Nerve haben innerhalb des
Neuhochdeutschen selbst don Entwickelungsgang diosiM* Feminina
wiederholt.
Waeketttagel, Schriften. III. 20
306 IHc ümdentschSüg fremder Wörter.
Bei einigen gothischen Worten lässt sich aber der Form-
und Geschlechtswechsel nur erklären, sobald man sie, in dersel-
ben Art wie J^ihm mit nominativischer Anwendung des Accusativs
Seiddna, Tpwac Trauada, Aotc Lauidja genannt wird und wie
das Masc. spi^eida von dem Accusativ des Fem. aiuuptc cicogCba
kommt, auf romanische Ausgänge in o für ujt oder um, also
beidemal gleichfalls auf Accusative zurückfuhrt: [iia'io^ fnisdo^)^
pmlmus psalmo konnten weiblich werden, hyssapus hyssopo weib-
lich bleiben und sigiUum sigillo neutral, da das Gothische selbst
schon Substantiva des einen wie des andern Geschlechtes auf 6
besass: also mizdo psalmd (mit der starken Nebenform psalma)
hyssopo sigljo; eben daher skaurpjö weiblich, während srorpio
männlich ist. So mögen auch jene ahd. Masculina Umento can-
tico liljo und ebenso mag hdsamo (goth. haisam ist neutral wie
ßaX(7ap.ov) noch eher auf romanischen Singularen in o als auf
lateinischen Pluralen in a beruhn: das gleichförmige turso torso,
lat. thyrsiis, hat nach Laut und Begriff unverkennbar romanischen
Ursprung.
Die Einwirkung des niedern Lateins und des Romanischen
ist noch in anderer Art wahrzunehmen. Schon die classische
Latinität schwankt bei einzelnen, die verdorbene bei vielen und
allgemach fast allen männlichen und neutralen Worten, nament-
lich der zweiten Declination, hin und her zwischen dem einen
und dem andern Geschlechte; das Romanische hat sich aus dieser
Ungewissheit herausgezogen, indem es überall nur noch das
männliche gelten lässt. Folge davon für das Deutsche ist, dass
auf allen Stufen «desselben, auf den früheren durch lateinische
und altrömanische, auf den späteren durch französische Misslei-
tung, neutrales Geschlecht gegen männliches, zuweilen auch um-
gekehrt vertauscht wird. Neutra werden Masculina: a^cetum goth.
akeit ahd. ezzich, sabhatum goth. sahhatm (mit romanischer En-
dung die indeclinable Nebenform 8ahbatd\ afvam goth. mnap
ahd. senaf; 'ApxtTCsXayo^: fr. Archipele nhd. Archipel, breve briaf,
cuminum chumin, creditum nhd. Credit, elementum mhd. dement.
1) Falls hier Entlehnung anzunehmen ist, nicht Urverwandtschaft:
die Verschiebung von iJ in df spricht eher gegen jene und für diese. Inr
dess auch die spätem Wandelungen des Wortes (ahd. miata, altsächs.
meodo meda) weichen aus dem, was sonst die Begel ist.
Die Umdentschung fremder Wörter. 307
fmnieulum ahd. fSnachal^ panicum fmich, flagellum ftegil, gypsum
nhd. Gyps (wie yu\J;oc), jubilmn Jubel, ccprefoUum Kerbel, com-
positum mhd. kumpost, labellum ahd. lapel, linum ahd. Un (goth.
lein neutral), loliwm ahd. lolli? nhd. Lolch, manteUum ahd. man-
tcd, momentum nhd. Moment (auch Neutrum), mustvm ahd. wo8^,
pactum nhd. Po^rf, palatium mhd. |>a/öw (auch neutr.) nhd.
Pallast, pdliceum ahd. pelliz, piper pheffar, pcdUolum phellol,
pilum phil, persicum phirsich, pretium fr. jprea; mhd. pri$, punc-
tum punte, sabanum ahd. saban (goth. neutr.), sedile satul, sca-
meUum scamal, scandalum nhd. Scandal, scrinium ahd. naufcr.
scrini mhd. neutr. masc. schrtn, sagtdum ahd. ««ya?; Signum ahd.
86^aw, syringium ahd. sirwo, spectactdum nhd. Spectakel, specu-
lum ahd. spiegai, hospitale mhd. spitdl, templum ahd. neutr.
tempai mhd. neutr. masc. tempel, ^6pfi.6}i.eTpov nhd. Thennomefer
udgl., vinum ahd. w'ln (goth. mn neutr.), sceptrum mhd. zepter,
cymbcAum ahd. mhd. zimbal zimbd, teloneum zol (ahd. u. mhd.
auch neutr.), mittellat. zucharum nhd. (mhd. neutr.) Zucker.
Masculina werden Neutra: or«/is goth. awraZt ahd. ora/^ t?«r5w,<?
ahd. /fers (auch männlich), cauculus goucal, modulus modul,
paradisus paradis, thesaurus treso (auch männl.), im Neuhoch-
deutschen hie und da chorus Chor, femer Coelibat, Consulat, Prin-
cipat, ProUtariat u. dgl., mundartlich auch Ornat, ferner Laby-
rinth und vom lat. genius fr. ginie. Auch den Geschlechts-
wechsel von Mode und Muschel ahd. musculä, von S^afee^^ von
JScÄo und Orchester, von Ä^/s mhd. Hs und Gider Continent
Piaster Purpur verdanken wir nur den Franzosen: lat. modus
und mwicidus sind männlich, der substantivisclf gebrauchte Im-
perativus salve neutral^), echo orchestra oryza sicera continens
und span. piastra weiblich; pur per hat schon im Mittelhoch-
deutsehen zwischen dem weiblichen Geschlecht von purpura und
dem männlichen von pourpre angefangen zu schwanken, aber
noch im siebzehnten Jahrhundert kolnmt das weibliche vor.
1) Wie Pacem (mhd. pcezej und Paternoster und Requiem und Te-
deum u. dgl., wo man sie zu Substantiven macht. Das mhd. Masculinum
r^uianz ist durch ein altfr. reqniens veranlasst; wenn petiemaster als
Name des Gebets im Mittelhochdeutschen und Nüster als Name des Ro-
senkranzes in neuhochdeutscher Mundart männlich sind wie credo mhd.
crSde als Name des Glaubensbekenntnisses, so wirkt dabei in gleich oben
zu besprechender Weise das männliche Geschlecht von gelouhe.
20* .
308 I>i« ümdeatuchnng fremder Wörter.
Neben diesen Anlässen von rein änsserlicher und nicht ge-
rade schmeichelhafter Art haben jedoch in nicht seltenen Fällen
auch innere Gründe dazu bestimmt, Fremdwörtern, die man sich
angeeignet, ein anderes Geschlecht zu geben. Wie jene alten
Sanctgaller (oben S. 254) lateinische Worte nach Maassgabe der
gleichbedeutenden alamannischen construierten, ebenso und mit
noch besserem Fug überträgt die Sprache auf deren Umdeut-
schungen das Geschlecht der einheimischen Synonymen oder ge-
läufiger Worte der gleichen Art oder der Gattungsworte und
macht z. B. domus ahd. tuom Dom, moneki ahd. muniz (neben
muniza), lora goth. jotaf zwei Feminina und ein Neutrum zu
Masculinis, weil ahd. so! Haus, weil phantinc und skiUinc u. dgL,
weil stah und ?t/7 Buchstabe Masculina sind. Aus gleicher Be-
gründung erhalten männliches Geschlecht die Feminin^ JEtna
Ida Ofisa (Berg), ital. altana Altan (Söller: landschaftlich AUaitie
weibj.)? oatrum ahd. carruh nhd. mundartlich Karch (ttatgan),
cathedra Catfieder (Stuhl, Sessel), cuppa ahd. ehopfi (stouf),
Climax (Satz), coiisonans Consonant und vocalis Vocal (Buch-
stabe),' deeima ahd. dezemo (teil), cavea Kcßfig (Kerker; ahd.
chemä mhd. kevje weibl.), linecla ahd, linndl (riz), mamla Makel
(Fleck), fr. marche Marsch (Weg)^. merx ahd. nterz (schaz)^
pimia zitarphin (»tap), pompe Pomp (Pracht männl.), paudre
Puder (Staub), im älteren Neuhochd. reverentia Reverenz (Bück-
ling) und sentefdia Sentenz (Spruch), mhd. auch öfters rosa rdse
(bltuytne), ruina Ruin (Sturz), salamandra mhd. Salamander
(umrm) neben weibl. salamandra, sagma ahd. stu)m (hhst), Styx
(Fluss), danse mhd. t^xnz (lekh, reie), turris alt- und mittelhd.
turn (sal), cedrus mhd. zSder (bäum), tsffula ahd. ziagal (^Mn),
und eben dasselbe die Neutra corpus mhd. korpel nhd^ Körper
und Cadaver (Leib, Leichnam), Marmor (Sfaein), tr^mtum Tribut
(Zins, Zoll); weibliches die Masculina span. dgarro fr. dgarre
Cigarre (Pfeife), murus ahd. müra (want), numerus Nunnmer
(Zahl), pes ahd. peda (wie spanna, elina)^ portus mhd. parte (habe),
papHio fr. pamllon mhd. potdüne (hütte; meist männl. j^at?! /t^n^^
Rhodanus Rhone und Tiberis Tiber (wie Donau Elbe Odet*
Weser), racmnus fr. raimh Rosine (Beere), Tour (Beihe, B^se);
neutrales die Masculina popidus »afr. poblus mhd. bovel (volr;
auch männl. wie nhd. Pa>bel), camelus Camel und Chamceleon
und crocodilns Crocodil (Thier; mhd. Jcemel gamäleön kokodrille
Die ümdentschung fremder Wörter. 309
männl.), crticifixiis Crtmfix (Bild; mhd. männl. crücifixe), libellns
LdbeU (Buch), modius ahd. mutti (mez), pulvis mhd. pnlver
(f^tfqype; auch männl.) und die Feminina Giiragra und Podagra
(Uebel, Weh; früher weiblich), cmx ahd. ckräzi (triu), Entrie
(Geld), fascia ahd. fäsM (lädten; auch weibl. fäska), fefiestra
fenstar (goth. au(/admir6 ahd. o%igatorä), grammntica ahd. grama-
tich (puoch)y hwerna goth. lukarn (linhath), monstrum ital.
mostra mittel- und nhd. mtister (bilds), jnx ahd. pech (flied,
harz), fr. rapiere Rapier (Schwert), Rhinoceros (Nashorn),
Rwtia mhd. Riez (göu), apnJpva goth. smym (gras), turris ahd.
tnrri (Ms), ital. VaUdlina Vcdfelin Veltlin (Thal), tabula zapal
(pret), im Neuhochdeutschen mit sämmtlichen Namen von Land
und Ort auch solche wie E^iropa und Troja, während das Mit-
telalter alle dergleichen Worte weiblich nahm und sogar die wil-
dün Snewesherg, die niuwen Hdhe7ifels sagte, nämlich bürg; uns
aber ist auch Temjje ein singularisches Neutrum. Das Mittel-
hochdeutsche pflegt part und parte weiblich zu gebrauchen, wie
lat. pars fr. part Feminina sind: im Neuhochdeutschen wechseln
nach dem Vorbilde von TJieil männliches und neutrales Ge-
schlecht. .
Sodann: eine Anzahl Neutra auf arium und are, aufermm
und orium, auch ein. Feminin um auf aria vertauschen im Alt-
hochdeutschen all diese Endungen gleichmässig gegen ari und
treten damit in eine personificierende Auffassung und in männ-
liches Geschlecht hinüber: altare altäri und altari mhd. altcere
und alter, carnarium charndri, ceUarium cheUäri, caktidarium
mhd. kalendener, dormitorium dormindre, lectorium lectäri, mo7*-
tarium morsdri Mörser und fnorter Mörtel, bioarium pechäri,
pebraria phetaräri, psalterium saltdri, refectorium revindre, sa-
erarium sagaräri, secretariunt sigitdri, Solarium solari, spica-
rium sptchdri, trajectorium mhd. trähter trihtcere, vivarimn wiwdri,
chartarium zarter, inoensorium zinseri.
Allerdings bleiben nach all dem noch genug Beispiele des
Geschlechterwechsels übrig, für die von den bisher aufgestellten
Erklärungen keine gilt, die man einstweilen als blosse Launen
unsrer Sprache und als Zufälligkeiten wird betrachten müssen.
Ich will auch deren eine Auswahl anführen. Masculina werden
zu Femininis: oqucedtAdus ital. aquidoUo mhd. männl. agiote
nhd. mundartlich weibl. Agte, epsßtv^o^ arawiz, cancelli chan"
310 Die UmdeuUchang fremder Wörter.
zdla, cophinus chovina, cticuUws cucald, fructwt fruht, hyaeintkus
Hfjcicintlie, carcer goth. karkara, putetis ahd. ptizza und phuzzi
(daneben männl. jmzzi), nrnsculus Muskel, narcissu» Narcisse.
Feminina männlich: Valeriana Baldrian, ctdairffUa churpiz, gen-
tlana Enzian, viola fiol, pluma 'Flaum (mbd. pflüme weibL),
Ya9oupa mbd. gaffer Kampher, lactuca ahd. hdducha u. laddtich,
waiorana Majoran, poe^m mbd. pin neben weibl. pine, franz.
2)lace Platz, caiapuUa ahd. polz, punga goth. piigg ahd. ftMig,
radix rvttkh, strigäis strigil, charüas zart, schedtda Zettel^ mhd.
zedde weiblich. Feminina neutral: eleonosyna ahd. alamtiusana
und gewöhnlich alqmuamn, fr. banniere mhd. b^niere nhd. Ban-
ner und Panier, altfr. panchire mhd. bafizier (nhd. Panzer männl.),
fr. avefUure mittelniederd. eventür nhd. Ebenteuer Abenteuer (inhd.
ävefUiure weibL), tnema goth. mes ahd. mtas^ rc^to ahd. rad.
Vin. Umdeutschung durch Flexion und Ableitung.
Beclination.
Das Gothische, wie es überall möglichst nahe bei dem bleibt,
was ihm auf Griechisch und Lateinisch vorliegt, hält für die
Flexion der Substantiva deren fremde Nominativform in der
Einzahl fest, sobald es selbst auch solche Nominative besitzt,
und erat in den Gasibus obliquis lässt es die deutsche Biegung
eintreten, die jener Nominativus fordert. Am häufigsten ist die
Endung us, entsprechend der gleichlautenden lateinischen und der
griechischen oc: aggiltts njjaustaultis asilus assarjus diabaulus
kuhitus sakkus idbandus^) nebst Volks- und Personennamen wie
lüdaius Usus Kristus Paitrus; und so beliebt, dass auch die
1) Gewiss durch romanische Vermittelung (oben S. 279) von elephan-
tus kommend, aber gleich dem angelsächsischen olfend mhd. olhent und
dem hochd. fem. olpentä olbente s. v. a. Kamel; der Elephant heisst
angels. ylpend (angels. y = goth. u) und elpend, hochd. elafant elfant
elfent und mit umdeutschendem Bezug auf helfan helfant.
Die XJmdeutschung fremder Worter. 311
Endung ri<; gegen diese vertauscht wird: fxapiyap^nrjc markreitus,
7tpo9'»]r)f|C praufetus, 'Apra^sp^irjc Ärtarksairksus ; ja Clemens
gegen Khimainttts. Sodann a, griechisch y\: arka, mtda mdta,
ßainrj paida, TcXaTsta platea platja, lairtisaulyma Kreta Rüma
Mar ja *)/ Uebertritt in die schwache Declination und somit 6 statt
a (vgl. oben S. 306 die Doppelform psalma imd psalmö): aikUSsjo,
opux*»] aurahjo, CTslgoL stairo, vidua viduvö. Bereits im Latei-
nischen o: cautio kavtsjd, lectio laiktjd. Lateinisch e, gothisch i:
oraie (für oralis) aurali. Nominative auf as hat das Gothische
aber nicht: da wird entweder mit Abwerf ung des s ein geläufiger
Ausgang gothischer Masculina hergestellt: papa, Satana (zu ver-
gleichen, wie die Hinzufügung eines s das lateinisch plüralische
i jener Volksnamen auf us in ein gothisch pluralisches eis ver-
wandelt: Judcei lüdaieis); oder es bleibt zwar im Nominativ
das fremde as, aber die casus obliqui werden doch wie von
Worten auf a gebildet: Lukas Lükins u. s. w. Endlich wie
dort das s, ebenso könnte in al4v (d. h. aleu) aus sXatov nur
der ungothische Schlussconsonant des Nominativs beseitigt, der
Vocal aber geblieben sein.
Diese Begründung der gothischen Flexion fremder Wörter
auf die griechische und lateinische (eine Eegel, der sich auch
jene Substantiva unterordnen, welche so roh ihr Geschlecht ver-
tauschen) gilt allerdings nicht ausnahmslos: zuweilen wird auch,
und wie es scheint gerade bei solchen Ausdrücken, die noch all-
täglicher im Mund des Volkes lebten, die ganze fremde Endung,
Consonant und Vocal, bereits im Nominativus abgestossen, und
ohne US oder um lautet nun ambactm andhaht, urceus aiirki,
pondu^ pund, evangdium aivaggeli, balsamum balsan, catinum
katil, linum lein, aaßavov saban, vinum min.
Im Hochdeutschen nun ist letzteres die Regel: es heisst da
nicht bloss wiederum amimht chezzil SivangSli u. s. w., sondern
auch angil posttd tiufal Krist und PStar, oral und olei und aus
oleum oliy ebenso census zins, labellum lapel, milium milli,
1) Doch werden persönliche Namen wie Mar ja nach männlicher Art
decliniert: eine Mischung, die sich erst wieder das Neuhochdeutsche zu
Schulden kommen lässt, die aber für das Gothische selbst den oben S. 304
besprochenen Geschlechtswechsel der auf a ausgehenden Appellati va noch
begreiflicher macht.
312 1^»« rmdeutschunp fremder Wörter. ^
cdseus cJiäsi, breve, priaf; nicht der Nominativ, sondern der
Stamm, wie ilin vielleicht erst die Casus obliqui zeigen, wird
berübergenommen: rudus ruda'is nidor, abbas ahbcUi« al)bat, miles
militis miliZf pix picis pech, tnerx mercis merz. Und dabei ist
wiederum Einwirkung des Romanischen anzunehmen, nicht erst
für die spätere Zeit in Entlehnungen wie facultas facuUatem
fac^dtet (oben S. 292); schon so alte wie chrüzi und furnacbe
weisen mit den festgehaltenen Schlussvocalen deutlich auf roma-
nische Formen, auf cruce aus crticem, fornace aus fomacem hin.
Nun also Anschluss an den Accusativus : eine Eigenheit, die uns
sonst noch mannigfach entgegentritt: unser Galgant ist aus
galydfi, (jalegän, diess aus galangän, diess endlich aus galangam
von galmiga entstanden, ebenso hidien Fet^siet^ aus Indiän d. i.
Indium, Fersiän d. i. Persiam: vgl. oben S. 302.
Das Hochdeutsche verfahrt aber so, weil es keine Nomina-
tive auf 8 mehr kennt: es muss selber in starker Decliuation
den Accusativus für den Nominativ gebrauchen. Darum also im
Alt- und Mittelhochdeutschen z. B. Christ für Christus, Andre
nicht so geläufige Namen behalten zwar das tis, jedoch im Sinn
einer Ableitungssylbe , und der Genitivus von Jesus Matheus
Philippus wird ahd, JSsuses MathStises Philippuses gebildet.
Dem entsprechend bei denen auf as: aus dem goth. papa vfiri
phaffo, aber nicht ebenso aus Satana Satano: man decUniert
Satanas Satanases, .^Uas Miases; in gleicher Art Johanties Jo-
hanmses. Im Mittelhochdeutschen werden diese allerdings bar-
barischen Formen wenig mehr gebraucht: dem Achilles Achäle-
ses z. B. wird AchiUe nach französischem Muster, gen. Achillen
vorgezogen, aus Philippus ist Philippes geworden, aber mit dem
Dativ Philippe; das Neuhochdeutsche schwankt zwischen Ab-
werfung und Beibehaltung der Schlusssylbe und im letzteren
Fall zwischen Flexionslosigkeit und lateinischer Flexion. Son^
jedoch ist solche Erstarrung fremder Declinationsausgänge auch
der neueren Sprache keineswegs ungeläufig: es ist nichts anderes,
wenn wir von Studium den Genitiv SttuUums bilden und von
Cherubim und Seraphim eine neue Mehrzahl Cherubinen Sera-
jMnen^). Auch das alte päbes gen. päbeses gehört hieher: von
1) [sg. Moalemim, pl. Moslemimen; Mosleminenhand Plateu 1, 138.]
Die Ümdeatschnng fremder Wörter. 313
dem grieehisohen xaxa^:, worans ächon die Gotlien papa gemacht,
kann dieses abendländische Wort nicht kommen: es ist das la-
leinische papa mit dem altromanischen g des Nominativs, das
sich ja auch an vocalisch aifölautende Masculina wie bapHsta
baptistes hängt (vgl. Diez Gramm. II, 38. iL 46): dem Deutschen
aber ward das es zur Ableitungssylbe, und nach Analogie von
probest fügte es schon im zwölften Jahrhundert noch ein t hinzu.
Dem allem ähnlich, insofern man den Artikel auch zu den
Flexionsmitteln rechnen darf, sind Ausdrücke wie Alchemie AI-
cohol Alhambra Alcoran Algebra Almanach Eldorado Laplata
Vhomhre, wo der fremde Artikel und das fremde Substantivum
so zu einem Worte verwachsen, dass noch ein deutsches der die
das muss davor gesetzt werden ; so kann man auch von Elsässern
's Latceteli hören d. i. la Ute.
Zwei Endungen jedoch finden auch im Hochdeutschen keinen
Anstand, weiblich a und männlich o. Beispiele des ersteren
archa und mtjtta wie im Gothischen, femer feria fira, porta
phorta, poma pina, schola sciiola, spongia spunga, strata sträza,
Galilia'Büma u. s. f.; schwach decliniwend (und diese lieber*
tragung ist häufiger als die in starke Form), also mit ä, goth. a,
toUuwä, antiphdnä, caminata chetninätd, chrustä, manica menichä^
prosäy tinctd, £lvä, Mar ja. Auch goth. laiktjö, dessen 6 schon
lateinisch ist, lautet im Althochd. lekzd, potio puzzä; mit dem
stummen e des Mittel- und Neuhochdeutschen lekzje letze, actio
Actie, coUatio colläzje, disputdzje, piscatio fischenze, passje, po^rze,
processje, punctio Punze; mit Apocopierung des e Absoluz
(Froschmäuseier Yy la) Process Proporz Purgaz Reformaz.
Männlich o, dergleichen sich unter den Umdeutschungen des
Gothischen noch nicht vorfindet: capo chappo, caupo clwufo,
graphio krävjo, falco falcho, leo Uwo, ordo, pavo phäwo, scorpio
scorpo, draeo tracho. Worte wie diese, deren Stamm im Latei«
nischen mit ableitendem on oder in gebildet ist, mussten zu der
Uebertragung in die schwache Declination des Deutschen schon
durch das Gefühl empfohlen werden, dass letztere ihren Ursprung
aus eben solchen Ableitungen genommen hatte. So konnte auch
diaconus zu jacho (neben jachono), cgdonhim mhd. zu küte Quitte
(ahd. chtdina) und es konnten auch Bildungen mit an, en, in
und blossem n zu deutschen schwachen Masculinis und Femininis
•werden: abrotanum ihA. avarüzä, christ^iamis dhi, ckristäni mhd.
314 l^ic Umdentechong fremder Wörter.
kristen and kriste, mus mantanus ahd. märefnuntQ, aabanum mban
und aabOf armenius karfno Hermelin, eatena ahd. cheüna mhd. ketene
und keti Kette, pollm mhd. /»{^^ prcBstamen ahd. phräsamo alt-
sächs. prismä, sagena ahd. segina mhd. segene sege, Sararenw^
ahd. iSer^ro^ stren mhd. «Iref^ ital. bottino ahd. putina putin mhd.
iei^ fruto^ cyetamihus mhd. eiehlamme, coquina ahd. chuchma
mhd. kücheti kdche, ndai erusina ahd. chursina mhd. kürsen
kürsBy matuiina ahd. maUina mhd. metten tnette, dietamnm
mhd. dittammey taberna mhd.- taferne tafer täfer (Weist. 4,
313 fg. Schmeller 1, 430); im ahd. pepano bxls pqM> verdoppelt
sich das ableitende n; mhd. orc/^^ das anffälliger Weise die
Liquida schon im Nominativus zeigt, wird zunächst aus dem
altfranz. ordene ordre und nicht unmittelbar von ardo kommen.
Conjugation.
Beispiele, wo an Zeitwörtern fremden Ursprunges die fremde
Flexion gänzlich getilgt und eine davon ganz unabhängige deutsche
an die Stelle geräckt ist, finden sich nur in geringer Anzahl:
zwei starke, ahd. scrtbere scrtpan und mhd. pipare pftfen; fünf
oder sechs schwache, goth. cumbere kumbjan, ahd. coquere cho-
chon, offerre opharon nebst seinem Subst. ophar, reddere roman.
rendere renton, expendere spendete spenton (Subst. spenta) und,
falls, nicht das deutsche Adj. wts der Stamm ist, visere unson.
An den ersteren darf die starke, an den letztgenannten fünf alt-
hochdeutschen die Flexion mit 6 auffallen. Denn die starke
gebührt eigentlich mir deutschen Wurzelwörtem: dass man sie
gleichwohl diesen zwei fremden gab, mochte durch die Analogie
der begrififsverwandten deutschen Ausdrücke rlzan und gtgen
veranlasst werden. So conjugiert auch im Mittelniederländisehen
prinden aus fr. prendre stark wie mnden, im neueren Neuhoch-
deutschen preisen von Preis fr. prix wie preisen d. i. schnüren
und ebenso mundartlich speisen, kaufen wie laufen, ferhten d. i.
jßfechten (oben S. 262) wie fechten kämpfen. In chochon aber
u. s. f. wäre dieselbe unscheinbare Vocalisierung, die das goth.
kumbjan erhalten hat, vielleicht eher am. Platz gewesen: das 6
entfernt sich merklich weiter von den bezeichnenden Lautaus-
gängen der dritten lateinischen Cionjugation. Schicklicher (denn
Die Umdeutschong fremder Wörter. 315
auch in altgemeinsatneti , nicht erst entlehnten Worten wie ca-
Ictre ahd. haldn, rlamare altsäehs. ahd. hiamdn, pkcari goth.
abd. fuskön steht d^m lat. a ein deutsches 6 gegenüber), schick-
licher und in weit überwiegender Anzahl werden Zeitwörter der
ersten mit 6 wiedergegeben: im Gothischen capiUare kapüldn^),
mäitare miliidn, im Altfaochd^ z. B. castigare diasidhon (Subst.
chestiga), recuperare irchoparön, causari chosSn, damnare (Ham"
non, fasciare fäscdn, firmare firtnön, carminare garmindn, lavare
lab&n (Subst. laba), inagistrare ^neistaroHy murmurare murmurdn,
mutare tnüzdn, ordinäre ordindn (Subst. ordena), provenz. em-
peliar pelzdn, platitare phlanzon, prcedicare predig on (Subst.
prediga), pressare pressdn (Subst. pressa), aaUare salzön, serur
tari scrodön und scrutdn, signare segandn, decimar^ techamon
dezemon, temperare temparon, didare tiktdn (dihta)y titulare ti-
tiüdn, tractare trahtdn (Subst. trahta), tribulare trdwndn, tuni-
care tuniehon, vannare' wanndn, velare wüdn, vindemiare winde-'
fndn, circare zircon. Auch ddere pflegt ein 6 anzunehmen,
dildn tUdn: der älteste Beleg indesB für die Aneignung dieses
Wortes, Isid. 61, 5, gewährt mit beibehaltenem e ardiUit (aus-
getilgt); in miscere miskjan tritt für das e ein i oder j ein.
Zuweilen sind die Verba erst innerhalb des Deutschen selbst
von fremden Grundworten gebildet, mit 6 fundmnentum ahd.
fundamentdn, mitteUat. impotm aus griech. eii^urov Impfreis
impUdn und impMn, martyr martaron (Subst. martara), pcena
pina ptnon; mit * evayyALOv goth. aivaggSIJan, exid ahd. ihsil
(ihsili Verbannung) firihsiljan, spuma virspumet^ despumare,
torntis turnen; mit 6 und i Archigenes arzefion und erzinin
(oben S. 300 fg.), caupo goth. kaupon ahd. choufm und chouf"
i) Doch wird mit kapÜUn das griech. %dpv,^ übersetzt, also ein
BegrifFsverhältniss bezeichnet, für das unsre Sprache sonst Zeitwörter mit
ableitendem / bildet: mhd. hast Band besten aufbinden, ahd. talamasca
Larve mhd. tolmetschen (entlarven) dolmetschen, ahd. fei fillen schinden,
nhd. Floh flwhen, mhd. galle gellen die Galle ausnehmen, nhd. Hant^
häuten, mhd. hoübet houbeten enthaupten, nhd. Kopf köpfen, Mist misten,
mhd. pfant pf enden, ahd. scala skelen schselen, nhd. Schaum schäumen,
Schnauze schnauzen; mundartlich hat auch Schuppe schuppen den Um-
laut. Unser haaren ist intransitiv, die Haare verlieren; das mhd. Tran-
sitiv behären hat nur durch die Vorsylbe den 8inn der Beseitigung : ebenso
im Ahd. arhoubitön und forhoubitön.
316 IH« Umdentschnn^ fremder Wörter.
Jan, fharitas zartdn and zerten. Das mittlere und selbst das
neue Hochdeutsch hat die Zahl dieser einfachen Verbalbildungen
noch des weiteren vermehrt; das stumme e, in welches die alten
<) und i nun zusammenfliessen, wärde bei althochdeoiscber Laut-
gebung meist wieder ein 6 sein: altfr. ameir bitter mhd. atneiren,
atnour amüreff, roman. banicare ,banekeH, benedicere benedim,
decUnen, nhd. doctem, düren, ejrperimenten^ nhd. fabeln, mittel-
lat. fotestare fdresten, nhd. formen, foudre nhd. mundartlich
fntem üuchen, prov. urtar fr, heurter mhd. hurten, cacare nhd.,
comtare altfr. couster mhd. hosten (auch kostdn; Subst. kost^),
copulnre kupelen, maledi<*ere rertnalediepi, ineien, (Jiouaeioeiv mtiosen,
mittellat. pattsare nhd, pausen, pulsare mhd. pfulsen (Subst.
pulse) nhd. pulsen, pisser nhd., mhd. proben, prophetia mhd.
jfrofezie> nhd. prophezeiefi, prov, dansar mhd. tanzen, tasfar
tasten, venia venjen, vastare tmsten, nhd. orgeln, rotulus mhd.
rodel nhd. rodeln und angeglichen rollen, rumoren, spectakein,
drctdare mhd. zirkeln; ein «'; mhd. kristenen, kristieren, fr. 7>ri>
j)ris prtsen, proba prUeven, expedire ital. spedire nhd. mund-
artl. spetten, spensa spSsa spise (oben S. 275. 297) spisen, fr.
cÄer^ tsckieren) faiüe vwlen.
Noch viel- häufiger jedoch werden vom Mittelhochdeutschen
an die fremdefa Zeitwörter in einer Weise umgestaltet, die jener
althochdeutschen Behandlung der Namen auf us u. s. w. zur
Seite steht: wie dort aus dem lateinischen ns eine Ableitungs-
sylbe erwächst und demgemäss von PhiUppus der Genitiv Phi-
Uppuses lautet, so hier aus der französischen Infinitivendung.
Und zwar ist es die Form ier, eine durch die vorhergehende
Consonanz bewirkte Angleichung von er, die man aufgreift, sofort
aber auch auf Verba überträgt, die im Französischen lediglich
auf er, vielleicht sogar auf ir ausgehen, oder in deren ier das t
dem Stamme, nicht der Endung zugehört^). Anfangs, in der
Sprache der Kitter, beschränkte sich diese Ableitungs- und
Flexionsart ihrem französischen Anlasse gemäss auf französische
1) [Verba auf ieren: J. Grimm kl. Schriften 1, 343 fg. 354 fgg.
Gleich mit den Anfängen der Turnier- und Uofsprache (von Yeldeken anl
erscheinend und sofort stets wachsend (S. 368). dren: parlaren Frosciun.
A vb. V Tb. Hoffmann Spenden 1, 46. J. Grimm kl. Schriften 1, 343.
373. eiren: das. 343. eren: 364. 359. vgl. esee roman. eseere»]
Die ümdeiitschuiig fremder Wörter. 3 j ^
Worte: fieher fichisr fischieren, laisser Imsfder leisiermiy parier
parrierm^ chanter schantkren^ faillir faüieren; veh tournoyer
mit Zusammenziehung tumieren. Wie man alsbald auch an
deutsche Stämane damit gieng (teilierm gehört zugleich zu taill^
taillier und zu teilen), haben wir bereits S. 292 gesehn; nament-
lich aber ist seit dem Ausgange des Mittelalters diess französi-
sche ier der übliche Weg um lateinische Zeitwörter deutsch zu
machen, z» B. fixieren laxieren fallieren, die mit jenen fischie-
reu leisieren fßilieren etymologisch eins sind, studieren, dass je-
doch nicht von studere kommt, sondern wie das fr. Sttulier von
dem mittellateinischen studiari, u. s. w. Mehrere Worte er-
scheinen in beiderlei Formen, jener altem kürzeren, die einen
deutschen Bildungsvocal, und dieser jüngeren, die weitläuftiger
eine ganze fremde Sylbe als Ableitungsmittel braucht; es kann
sich damit noch eine Aenderung im Begriife selbst verbinden:
also neben zirkeln u. s. f. nhd. circulieren, copuUeren, decim le-
ren, dedmieren, dietief^en, doctorieren, exilieren, experimentieren,
fabulieren, formieren, fundamentieren, meyieren, mhd. mtiosieren,
nhd, ordinieren, mhd. organieren, nhd. pausieren, prmdieieren,
pressieren, probieren, pulsieren] rentieren, roulieren, mmorieren,
signieren, spedieren, spendieren, temperieren^ titulieren, traetieren,
tribuUeren. Die jüngere Form deutscht weniger uro: sie tritt
näher zu der fremden Urgestalt znrück und vergönnt dem Wort
keine deutsche Betonung.
Ableitung.
Ablautende Wortbildung aus fremde Wurzeln ist wie na-
türlich ebenso selten als deren Conjugation mit Ablaut: Beispiele
scheinen cista ahd. chista chasto, bracca brnocha, palus mhd.
pfuol, rapa ahd. rabä und ruobä, Danubiiis TtHmouwa und
Tuonaha, nhd. flimmen und flammen. Desto häufiger die Ab-
leitung. Diese aber geschieht gleich der umdeutschenden Flexion
in zwiefacher Weise.
Nach der einen wird das Ableitungsmittel gleich hinter den
fremden Stamm, vielleicht auch an die Stelle einer fremden
Endung gesetzt, und deren Laute veranlassen die Wahl gerade
dieser deutschen. Gothische Beispiele vidua viduvö Wittwe vi-
318 Die Umdeatachnn^ fremder Wörter.
(iuvairna Waise, Roma Rainanus Rüma Rümdnug^), hal\La^
dahnonari Besessener. Hochdeutsche mit ari: carcer ahd. char-
cMri, cauculator Zauberer (jougulärt, catus mhd. kaf^e, lavatar
ahd. lavantäri Walker, inango mangAri, martyr martlräri, sex-
tnrlus aehtäri, specuhitor »pekuläri, it. dronzare strunzere, sutor
üätäri, intercilium zilre, vidua mhd. witeu^e wUe^caere und all
die früher (S. 309) erwähnten, die ein neutrales arium u. s. f.
in männlich äri umsetzen; das Volk zieht eben Meher Worte
wie doctor und pofessor, wenn es Docter und Professer aus-
spricht. KerkenSre, eine mitteldeutsche Nebenform von karkf^re
kerkere, ebenso mhd. kalendener aus calendarium, soldener von
soU und schon im Althd. chastinäre ehldsinäri sind Worten wie
halieruere ital. palUmiere, valkencpre fr. fauc&nnier, mulinäri
mlat. molinarius, 'portenc^e ital. portinaro, zentanäri lat. cen^
tenarim, zollanäri teUmariua unrichtig nachgebildet: denn hier
gehört das en zum Stamm, dort nicht. In valkeneere aber hat
die neuere, in soldencere schon die mittelhochdeutsche Zeit die
Endung wiederum entdeutscht und sagt dem Französischen näher
Falkenier und soldenier (afr. soldier); das Gleiche bei eleemo-
synarius mhd. almuosencere fr. aumönier nhd. Almosenier, ra-
merarius ahd. chaniaräri fr. chambrier nhd. Käm'iHerer und
auch umlautend Kämmerier. Ferner mit ich, ig, isk, lieh: ca-
fumicus ahd. canunich und canonlich, clericus chlirich, gram-
matica gramatlch, rusticus rustieh rüstig, antiquus aniich antisk
antfisk, dramaticus nhd. dramatisch^ Hebrwus ahd. hebreisr,
lycceus ahd. }ycmc, martius mhd. merze tnerzisch. Mit ine
und linc: armarium mhd. ahnar nhd. Almaring, amarellus
ahd. amero und amerinc nhd. Ammerling (mit ableitendem
z ahd. amirzo, mhdu emritz), perca fr. perche ahd. bersieh nhd.
1) Dasselbe ön, das in lauhmöni Blitz und sipöni Schüler zur Ab-
leitung dient? [vgl. über die Ableitung 6ni J. Grimm in Haupts Ztschr.
6, 544.] Aber lauhmöni scheint nur eine Nebenform von laukmuni und
sipöni ein slavisches Wort (J. Grimms Gramm. II, 18(^. Somit mochte
es gerathener sein, Eümönus nur als eine Umbildung des lat. Romanus
zu betrachten, die gleichmässig in beiden Yocalen heruntergesunken ist.
[über sipöni vgl. K. Hofmann in Pfeiffers Germania 8, 8 fg.]
2) Ebenso pacifischf scienti fisch, speci fisch, obgleich in pacificus,
scientifique, sp4cifique das ic nicht ableitend ist.
Die ütndeiitschung fremder Wörter. 319
Berschling, hyzantius mhd. htsant und Usantinc (Mänzname wie
cheisuring pfennlne schilline Silberling), boletus ahd. puUz nhd.
Biilsüing, agaricus Egerling Angerling, piscina als Ortsname
mhd. Fischine nhd. Fischingen, halec ahd. härinc, cucumer nhd.
Kümmerling, rheda mhd. rSding, salmo nhd. Sälmling Saibling,
trabs mittellat. trabeum ahd. tremil nhd. Tremeling, viridia ahd.
trjr^r (oben S. 282) Wirsing Wirsehling, viduus Wittling.
Mit mn; Charis Charitinn, fata altfr. /W« mhd. auch feine,
lupa ahd. 2««pln meretrix, Phcebus 17. Jahrh. Phoebussin, Venus
15. Jahrh. F(^M5Ätw, t^te^ua 16. Jahrh. Wittmn. Mit o//*; epis-
copus mhd. auch biseholf, guttarimn nhd, mundartlich Guitere
mhd. gttUerolf, cingulum mhd. 2;}>i^^ und zingölf zwingolf Zwinger.
. Mit o2^: cuniculus mhd. künolt. Mit d^^: ahd. supardst als
Superlativ zu lat. superus. Mit rfcA; balteus palderich, patri-
nus mhd. pfetterich, prov. Äöto putirich Schlauch. Mit wn<?:
tr ädere ahd. trddunc Uebersetzung, amylum nhd. Afnelung, Mit
fm^ mit tnc und Zmc und t^nc, mit oZ/* und o2^ und aich, all
diese Bildungen haben männliches Geschlecht und nehmen auch
Sachbegriffe in persönlicher Auffassung; die mit olfdt rieh wie
jenes Adjectiv canonlich sind allerdings, wenn man es genauer
bezeichnen will, zusammengesetsit: doch ist dieser vollere Werth
der Schlusssylben längst schon abgeschliffen. Und so mag auch
Anwurschaft s. v. a. Liebschaft und mögen BMch - chrisf/InJieH
und kristentuom und kristenlich und Yolksnamen wie ahd. Ro-
märi, mhd. Rdmcere, nhd. Rehmer hier aufgeführt werden: ur-
sprünglich hat es Rdmwdri d. i. Romwehrer, Komkrieger ge-
heissen, angelsächs. Romvare, altnord. Rümveri.
Die zweite Art der Ableitung vergleicht sich jener deut-
schen Flexion hinter beibehaltenem us und ier: vor dem isch
und er bleiben al und an und ens u. s. f. bestehen, und der
gleiche Begriff wird zweimal, zuerst in fremden, dann in deut-
schen Lauten bezeichnet Diess der Ursprung unsrer alisch in
grammaticaliseh idealisch moralisch und der aner iner enser
und anisch inisch ensisch u. s. f., die gleich anderen undeut-
schen Ausgängen gelegentlich auch hinter deutsche Worte treten:
Gothaner Hannoveraner AnhaUiner Badenser Hallenser Jenenser;
in Ralicener und italicmisch haben wir das a, das früher auch
hier gebraucht ward, umgelautet: ebenso in Sacristcmer. Die
althochdeutsche Sprache hat von der Art bereits troianus
320 1^0 UmdentAchun^ fremder Wörter.
troiänisc, mpphirinns saffifinisc, indickis indigisc, cB^yptius
egypziscy die mittolhochdeutsche neben franzais aus fran^is d. i.
franciensis auch schon franzoisisch und Tranzoinwre, Marka-
tenier Marketender ist mit ebensolcher Häufung, zi^leich mit
nmdeutschendem Bezug auf Markt vom ital. mercatanie merca-
danfe abgeleitet: Häufungen von ier nnd er oder (pre sind die
theilweis nicht mehr üblichen Barbierer Cassierer Cavalierer
Juwelierer Offiderer Spezierer Tapezierer, mhd* fabeiiercere;
auch aetronomierre floiiierre krigierre partierre pateliere sind
aus astronomierere u. s. f. zusammengezogen. Prinzessinn hat
gleichen Sinn mit Prinzess, mhd. ept ischin nhd. Aebttasinn Ca-
nonissinn Diaconissinn Priorimnn den gleichen, den schon die
einfacheren Bildungen abbatissa mhd. eppetisse und Priorinn
ausdrücken; dieselbe Verdoppelung hinter einem nicht fremden
Stamme in dem mittel- oder niederdeutschen tümerschin Gauk-
lerinn. Veilchen und Veigelein kommt von viola, das mhd.
sinegozzel von singoz, das nhd. Scharmützel Tom ital. scara-
muccio, lAsettchen und TritietÜi von Lisette und TVineäe,
Worten die alle selbst schon verkleinernde Endungen an sich
tragen.
IX. ümdentschnng durch Znmmmejimbmng.
Bekanntlich ist es den altechten Bemem eigen, der Dent-
lidikeit für Andre und für sich selbst und ihrem doppelten
Sprachgewissen dadurch Genüge zu thun, dass sie dieselbe Sache
zweimal hinter einander, erst französisch^ dann deutseh, ja unter
Umständen dreimal sagen, französisch, bernerisch und hochdeutsch:
„Ecoutez! Loset! Hören Sie !'^ Aus eben diesem dem Barbaris-
mus natürlldien Bedürfmss hat sich die Bede unserer Väter im
dreizehnten und im siebzehnten Jahrhundert mit s<dchen halb-
französischen oder halblateinischen Wortpaaren angefallt wie
pfU und strdle, trüt und amts, gesrhaft und criaiiure, Anti-
quitet und Alterthum, consolierefi tind troest^n, Farn und Jjeumund,
Die ümdeutscknng fremder Wörter. 321
In8tru7nentum und Werkzeug, Moment und Augenblick, Numerus
und Zahl, Fostur und Stellung, Uhr und Stunde, Lob und
Preis, Stuhl und Thron; genug dergleichen überall noch im
Munde des gemeinen Mannes. Das fremde Wort, dessen Ver-
deutlichung es gilt, nimmt dabei der Regel nach den gebühren-
den ersten Platz ein. Es. ist ein Andres, wenn man heiliger
Sand Florian sagt, wenn die ehemalige Peterskirche in Begens-
bnrg wih Sant PUer hiess, wenn man Jemanden anredet mein
Herr Monteur oder mein Söhn Filius: hier muss wohl das
deutsche, da es ein Adjectiv und ein Titel ist, vorausgehn.
Viel zahlreicber noch als solche Zusammenstellungen und
überall in der altem und zumal in der Sprache des Volkes noch
heut beliebt sind die Zusammensetzungen, die das fremde und
das deutsche oder wohl auch ein mehr und ein weniger fremdes
Wort, erklärtes also und erklärendes in einen Körper sich ver-
einigen lassen, meist auch wieder mit Nachfolge des erklärenden.
Und zwar deckt dieses bald den ganzen Begriff des erklärten,
bald und gewöhnlicher nur einen Theil desselben, oder es reicht,
indem es, die Gattung zu der Art benennt, darüber hinaus: die
Zusammensetzung ist bald eine Tautologie, bald und meist ein
Pleonasmus.
Zuerst Beispiele, wo das fremde Wort voransteht. AmareUe:
Amelbeere, BibUa: Bibelbuch, Breve ahd. brief Buch: briefpuech.
Campus ahd. champh Zweikampf, wie Kampf: champhwic, Chor
peau'has'hut Gometstern, CryptaBhA, chruft gruft (S. 276. 283):
nhd. Gruftkirche, Dama ahd. tämo ddmo: nhd. Dammhirsch,
Domkirche, Eau -de- Cologne - Wasser, Gynceceum ahd. genez
Arbeitsraum für Weiber, tunc (unterirdischer) Arbeitsraum der
Art: geneztunc. Camarium mhd. gemer Beinhaus: gemerhüs,
Grenzmark (S. 255). Grenzscheide, Höstia: Hostgott, Hydra:
mhd. tderslange, Istria: mhd. Isterriche, Caulis mhd. kdl:
kdlkrüt. Cordonrismen. Cerasum Kriese: Kriesbeere» Cuirassier-
reifer, Copa mhd. kuofe, kar Gefäss ^ Ä^wo/^iar. Coche Kutsche:
Kutschwagen, Libum: Lebkuchen, Leblaib, Lebzelten, Militär-
Soldat Mulus Maul: Maulesel, Matdpferd, MauUhier. Misellus
ahd. misal aussätzig; miselsiech, misalsuht, Monasterium: Mün-
sterkirche, Paradisus: Paradiesgarten, Pestis: Pestseuche. Pensale
mhd. pfiesel heizbarer Arbeitsraum, gadem Qemsieh: pfieselgadem,
Pistor Pfister: Pfisterbeck, Pluma: ahd. phlümfedera, Flaumfeder, .
Waekemagel, Schriften. III. 21
322 Die Umdeatschnng fremder Wörter.
Plaisirverffnügen. Planetstem, Poebdvolk. Puls ahd. jxdz, muos
Speise: polzmuos. Psalmus, ahd. scof Dichtung: psalmscof und
salmaang Psalm. PurlatUer. QuitUedig. Rosa ahd. rdsebluamo.
Bota ahd. rad, scipd Bad: radscipä. SaUo-^artcde-Sprung, Sctgma
Saum Pferdelast: Satmlast, Salix ahd. salaha: Salweide. Synodus
mhd. sent geistliches Gericht: SendgerichL ShawUuch, Tempd"
haus. Thunnus: Thunfisch. Thgrsusstab. Tirebauchonzieher. Turtur:
ahd. turtuUüpä. Uter üder: üderbalg. Tabula mhd. zabd: zabdbret.
Cymhalum Zimmd: Zimmelscheüe. Besonders häufig kommen
als ausdeutender Bestandtheil vor die allgemeineren Worte Baum:
tsculus escheUxmm, larix lerchbaum, pinus pinbaum, sabma sevi-
bäum, cedrus zSderboum u. s. f.; Burg: Äugusta OugusÜmrg,
Guntia Günzburg, Borna angelsftchs. Bdmaburh; Mann: Alarme
Lärm, 16. Jahrh. Lerman (personificierend wie Sackmann Plün-
derung), amhactus ahd. ampahttnan (syncop. amman) und am-
pahtscalch, patrinus mhd. pfetterman, viduus Wittmann nebst
vidua Wittfrau Wittweib und Wittleute, Koseformen fremder
Personennamen (es tritt jedoch ebenso hinter deutsche) wie
Christianus Christmann, Hieronymus Grolmann, Johannes Hanse-
mann und Hannemann, Petrus Petermann, Erasmus Rassmann
Assmann und Musmann, Simon Simmann, Aegidius Thide
(S. 299) ThteUmann, Thofnas Thommann; Stein: marmar mhd.
marmelstein, onyx Onychstein, pumex Bimsstein, tofus ahd. tüf-
stein; Thier: elephantus mhd. helfent hdfentier mnd. dpender^),
camdus kemeUier, panthera pantertier, tigris tigertier.
Voranstellung des deutschen Wortes. Blumenflor. Eis-
gletscher. Federpennal. Feuersflammen» Frauetiharem. Frühfndte.
HalsgoUer. Hellklar. Mhd. missefcelen. Mitcamerad, Mitcollege,
Mitcompagnon, Mitconsorte, Mitconvidor. Regenparapluie, Segen-
parasol, Sonnenparasol, Sonnenparapluie. Mhd. rosmiU, rospfert.
Salzsaline. Scrinium Schrein, Sarg: ahd. sarchscrinL Schiffs-
flotte. Sutor: mhd. schu^ochsMer schuohsfcere schuoste^. Boman.
bota u. s. f. Stiefel : dhi. scuopoza als Landmaass. Schutzpatron.
Ahd. sahs angelsächs. seax Messer: ags. seaxcuüer, Lex Salica
sexcaudrus. Siegestrophcee. Französ. hatte: ahd. slegibatta. Ueber-
1) Vgl. S. 310. In der Thidriks-Saga Cp. 180. 118. 433 die fort-
schreitenden EntsteUangen alpandyr alpanndir alpandü.
Die üiudeiitschang fremder Wörter. 323
rest WoBchlavdr oben S. 268. Wüsteneremit. ZweidappeÜ, drei-
doppelt und so weiter s. y. a. zwiefach, dreifach. Yoranstellung
deutscher Vorsylben: Gespons wie OenicM, verarretieren wie ver^
haften; ebenso ahd. firdamndn, nhd. verdefendieren, mhd. ver-
maledien, nhd. verschamerieren von fr. charmrrer und eharmer
Scharmieren: vgl. furtuomen vertheidigen verduochen verhrcenwn
verlieben.
X. ümdeutschung durch Veränderung der Worte
selbst.
Endlich ist noch von der Unzahl derjenigen Fälle zu
sprechen, wo ein fremdes Wort nicht durch die äussere Zuthat
von Flexion oder Ableitung oder Zusammensetzung den deutschen
an die Seite gestellt und dem Verständnisse näher gebracht
wird, sondern ein unmittelbarer Angriff seiner eigenen Laute,
eine oft kaum merkliche, oft wieder sehr kühne Aenderung der-
selben ihm den Anklang an deutsclie Wurzeln und den Anschein
heimathlichen Ursprungs und Begriffsausdruckes giebt. Damit
sind nicht die bewussten Wortspiele gemeint, me die ältere
'Komik und noch jetzt der Witz des Volkes sie erfindet, die
scherzhaften Verdrehungen von Alchymisterei in Ällkähmisterei,
Beeret in Drecket, Lombardei in Lumpertei, melancholisch m
maulhenkolisch , Arragonia in Narragonia, Podagra in Pfoten-
gram, Simon in Siemann u. dgl.; auch nicht die willkürlichen
Umdeutungen jener Gelehrsamkeit von vormals und von heute,
wonach Abenteuer (oben S. 287. 310) aus Abendtheuer, hantieren
(S. 256) aus handthieren oder handieren entstanden und so auch
zu schreiben und zu sprechen sei. Die Aenderungen, um die es
hier sich handelt, gehn absichtslos vor sich; entsprungen aus
Nichtverstehen und Miss verstehen, nicht anders als ein grosser
TheU der früher besprochenen Geschlechterwechsel, ziehen sie
naiv das Fremde, wie wenn es nie ein Fremdes gewesen wäre,
in die Sprache und ebenso in deren Wachsthum mit herein, wie
* dort auf dem Wege der Lautverschiebung das Fremde mit dem
Deutschen fortwächst. Und nicht nur die Sprache wird so mit
neuen Worten, es wird durch solche Missdeutung der Kreis der
21*
324 ^ie Uiudeatschung fremder Worter.
Vorstellungen selbst mit neuen Wesen bereichert: es ist be-
kannt, wie den Bauern in dem grossen Aufruhr des sechzehnten
Jahrhunderts aus dem Sonntage Jvdica eine Heilige dieses
Namens., wie den Italiänem aus dem Festnamen Epipkania eine
kinderschreckende Fee Befana geworden ist (beffar^ heisst ver-
spotten): das Volk in den Niederlanden, nach einem Zengniss
des zwölften Jahrhunderts (Reinardus I, 1131 fgg.)« madite sich
aus den hervortönendsten Worten der Liturgie, aus Excelsis und
Osanna und ÄUduia, neue Heilige, und diese S. Osanna durfte
um so annehmlicher erscheinen, da man das Wort schon längst,
schon im achten Jahrb. als Weihernafaen bauchte (Jl'orstemaim
I, 112), als deutschen Namen, abgeleitet von os d. h. ans Gott.
Es ist aber nicht gerade das Laienvolk allein, dessen Missver-
stande wir diese Letzte und grösste Glasse der ümdeutschungen
verdanken: jetzt allerdings mag dergleichen nur noch den Un-
gelehrten glücken, und die Sprachgelehrsamkeit reicht jetzt, weit
Mnafo: im Mittelaltei* that unbefangen auch die Geistlidikeit das
Ihrige; ja beinahe die meisten und fast all die ältesten Worte
der Alb sind aus geistlichem Mund hervorgegangien: denn es
sind Worte des Lebens in Eirdie und Kloster and Kloster-
garten.
Es wird die Beihe der Beispiele übersichtlicher machen,
wenn, ich AppeUativa und Eigennamen v(m einander trenne«
Appellatlva.
ABC, 17 Jahrh, Abersei, X4^Jlh0b0rzUe, Jßrotanum, siyi.
anar^zA, nhd« Aberraute, mhd. ebereize* Adjoint, der Sadschuh.
JEstivale, ahd. stiful mhd. sH^qI: oben S. 298. Agarims, Anger- .
Img, Agrimonia, 23QJbd^ agramüni, odermeiyt. Ambatoius ahd.
ampaht Diei^r, gotii. andbaht: and an, zu, gegien^ bäht bedeu-*
tungslos. AnacJwreUtp ahd. einohorcmir alleingekoren^ri altsächs.
enkoroy angels. nitu^. Antichristus^ mhd» EndekrisL Apotheker,
Abdecker. ^ k^i^ c^ms^ mittellat. abmla, ahd. apsit, dbslda und
absttdy Abseite. Archiepieoiopfus, noiki. erzebischof, jsmtteld. 13 Jahrh.
der erdische bisehof, AraUbalista altfif. ai4fale9te, mhd. armbrest '
armbrust u. s. f. Aristocraib^^ Stockroth, Aristolochiaj Osterluzei,
mhd. Qst^gloye igloye Schwertlilie), Eigenname Oesterlei. Armth
Die ÜMideütschung frfemder Wörter, 32ö
racia^ ahd. merir^ich? Arrha, Haar* Assembler, samdieren:
oben S. 298.
ItaL Bado la mano, Baselimann Paselmann Schmeicbelei
und Schmeichler. Bagage, Package* Bastard, mhd. basthart
Beccabunga, Bachbimge. Bibliothek, Bibelaptheke. Bleu mote-
rant, blümerant Bracciatdlo ahd. preziteÜa Prezel, 16 Jahrh.
Brettstelle.
Cmpulla ahd. zipolla mhd. ztvolle, in den Begriff der Zwei»
zahl gezogen ahd. zwibolla zmibolla, mhd. zwivolle, nhd. Zwiebel
Zwiefel: vgl. mhd. bolle Knospe. Capreolus Weinranke, ahd.
kraphilin, sonst Häkchen. Carassius Karausche, Garmslein.
CarbunculurS, mhd. karfunkel: funkeln. Cataplasma, Kartenplass.
Catharm, mhd. ketzer, auf kotze deutend. Ghar ä banc, Scheer^
bank. Chere: faire bonne chere, 16. 17 Jahrh. gut Geschirr
machen. Chirurgie, Gregoritis. Chrisma: Krisengeld, Kristen-
geld Pathengeschenk. Cichorium, Zuckerei. Cingülum mhd.
zingel zingolf, zwingolf: S. 319. Ginnabaris, mhd. zinober: vgl.
unten Sinopis sinnoger. Gisterna, Sigsterne: ahd. sigan sinken,
strömen, tropfen, nhd. versiegen. Gitamus, ahd. zUeldsa: vgl.
griech. etpijiJLepov. KoXa9t?stv, goth. iatipo^'an (oben S. 279.285):
kaupön Handel treiben. Oomes stahuli altfr. connestdble, ahd.
cumistadul chumistuodalo (stadal Stand, Scheune; stuodal Stütze),
mhd. kunstabel i^onstofeler u. dgl., nhd. Kunststcebler. Gordouan,
mhd. küderwän: küder Werg. Gornus, ahd. churnipoum chuir-
nilpoum; coma, quimperi quirnalperi: quirn churni chumila
Mühle. Grocodilus, mhd. kocheldrille S. 267*. Grypta, gruft
S. 276. 283. Gucumago, Kugelmagen. Ouniculus, mhd. künigel;
nhd. Zusammensetzungen Künighase und Hasenkünlein. Gunnus,
mhd. kümie und kunt als Feminina. Gureuma, Gurkelmei.
Dague, Degen, männlich und ausgesprochen wie degefi
Krieger. Desconfire desconftture, mhd. entschumpfieren nhd.
schumpfieren schimpfieren, schumpfentiure schimpf enteur. Diffi-
cultät, Fickeltät: mundartlich fickeln reiben. Diptychon, mittellat.
auf dictare bezogen dictica, mhd. diclU&veL Districtreiier, Strick-
reiter. Dormitorium, mhd. dormital: vgl. Unten Refectorium.
Dragomanno (ital. vom arab. targomän) mittellat. drogamundus
Dolmetsch, mhd. tragemunt trougemunt. Apoixwv, mhd. dromunt
tragemunt
Echapper, entschappen. Egal, einjal. Eleemosyna mittellat.
326 IHe ümdeatichiing fremder Wörter.
dimomna, ahd. alainuosan^ mhd. armuosen: al, arm und muos
Speise. Elepkantus, ahd. hdfant S. 310. Escadre span. esquadra,
Geschwader; eacadron esquadron, Schwadron. Escluse 6cluse
Schleuse, Schliesse. Estalage, Stellage. Estendard, mhd. stanihart.
Etdogia, ahd. obelagi u. s. f. S. 277.
Faeitergium facitergtdum, ahd. fezetraga fazitragala. Fc^num
grcBcum, Feine Grete und ^««n« Margrete und Sehern Margret,
Falavisea ahd. falawiska S. 281. jFbuiour^, Pfahlbürger.
Flumen, mhd. floum: ahd. altn. /Zaum ags. /Zedm Flacht, Lau^
von fliohan. Fourrage fourragieren, Ftidrasche fttUraschieren:
vgl. S. 256. Frontispice, Frontenspitze. Fundamentutn ahd.
fündament, mhd. fundamunt pfundemünte, fulletnunt vtUmunt,
pfulmunt, vollemunt volmunt. Furibundas, ahd. furifunt.
Garderobe, Kleiderobe: robe als Aufbewahrungsort ver-
standen, wie man dor in Louis d^or als Goldmünze versteht
und so damit Friedrichsdor bildet. Gigant, mhd. trigra/ö^).
Gouvernante, Jumpfemante: Jumpfer Jungfer. Gracius mittel-
niederd. grosse, ahd. chresso, nhd. Kressling: vgl. chresso crasse
Kresse. Graphic ahd. krävjo Graf, bezogen auf rÄ»o Sparren
und rSfa Bäuber ahd. garävo angelsächs. gerSfa. Graphium,
ahd. grifil. Ital; Grida, 16 Jahrh. Kreide Feldgeschrei, Signal:
KreidenschusSy Kreuzschuss. Gutta fr. goutfe Scblagfluss, nhd.
mundartl. Gut, zusammengesetzt Gutschlag.
Hasard, mhd. haseJiart Würfelspiel. Henri, Hanrei. Hu-
merale, mhd. umbeler. Hyaeinthus .als Blumenname, Zinke.
Interpres, ahd. antfrist Introducere, nhd. eintroducieren,
Involucrum, ahd. wulluch wollouch. Jour: etre du .;o«/r, die
Schur haben.
Altfr. Zai, mhd. leich. Lampetra lampreta, ahd. lamphrida
lantfrida, mhd. lamprecht. Lapathum, ahd. pletacha. Lemnui,
mundartl. Lehema d. L Lehenmann. Leopardus, mhd. liebart.
Leun altfr. Lyon: pauvre de Leun, mhd. pöverlewe. Lieutenant,
1) So nämlich in einer PredigtsteUe , die Pez in seinem Wörterbuch
zu Ottocar unter dem Worte weigant anführt : An dem anegenge was niht
in dirre werlt wan ein zunge; dö was diu erde herhaft j unde tcuohsen
michel Hute und6 lange unde hiezen w^gande, unde wuohsen unde tcurden
(ÜB höhe als die houme: vgl. Baruch IIl, 16 Ihi fuerunt gigantes nominati
Uli, qui ab initio fuerunt, statura magna, scientes beUum, An und für
sich hat wtgant, d. i. Krieger, Held, mit gigas nichts zu thun.
Die ümdeutschung fremder Wörter. 327
Leutnant LeutnamL Idgusticum libtisticum luhisticum levisticum,
ahd. Itibestecco Ivbisüchel luhistechal nhd. Liebstöckel. Lustrare,
ahd. hlüstafjan (sonst s. v. a. lauschen), lüstrichdn. LuÜi, Laute,
Maiorana, mittellat. Umbildung von amaracus, mhd. mei-
gramme, nhd. Maigram und Moseran. Maire, Meier: beides von
maior. Manctpium, ahd, mit Umdeutschung des ersten und
missverständlicher üebersetzung des zweiten Theiles manahoupit.
Mansionarius , Messner S. 286. MapYapfnric margarita goth.
markreitus, ahd. marikreoz mhd. mergrieze d. i. Meerkies. Mentha,
ahd. minzä und munzd nhd. Münze: ebenso atermunzä aus
aterminzä lat. atramentum, Mercadante, Marketender S. 320.
Mergus, ahd. merrich: vgl. S. 319. Mespris mepris, mhd.
missepris. Misellus ahd. mesai aussätzig: mhd. misUch, maseh
sukt, müselsuhtf bezogen auf mischein misldn mischen, masel Blut-
geschwulst, bemüselen beflecken. Misericors Dolch, mhd. misenkar
misikar miskar: kar Gefäss. Mortier Bombenmörser, Mertier d. i.
Meerthier. Mmtarde, Mostert d. i. Mosthart und Mostrich: vgl.
oben S. 319. Muta, ^i\i. m^ta: motan können, mö(;aw begegnen; ^^^"^
vgl. jedoch S. 287. Mus montanus, ahd. müremufito mur- '^-^
menti, mhd. murmendin murmeltier mummeltier, noch jetzt*,'
mundartlich Mürmentel MürmetK. Myrtus, mhd. merdom: ' ""
vom Meere, von Süden her gekommen.
Narcissus, nhd. mundartl. Marzisli. Noctumics, ahd. nah-
tum; nuohtum nuohtamtn nüchtern: u^htä Morgen, uohtemtn
nüchtern.
Oblongus, nhd. ablang. Onocrotalus mittellat. cretobolus,
ahd. horatupil horotumil horotumbel horotüchil: horo Sumpf;
nhd. Rohrdommel Bohrtrommel. Oryza, ahd. arwtza arwtz:
sonst aus ipsßi.v'ä'cx; *).
Panther, mhd. pantier. Paraveredtcs mittellat. parafredus,
ahd. pafißfrid farefrtt^), mhd. pferfrtt pferft pferit pfert. Par-
tisane, Parteisen. Pastinaca, Pastnagel. Paternoster (NuMer
1) [ostrea austora: so umgedeutscht als man dst- noch mit au
sprach ; später ward das au nicht auch hier in 6 geändert, wohl um austara
und östara (pascha) aus einander zu halten.]
2) Das i in parafrid mochten als ei (S. 275) schon die Gothen haben :
die Posteinrichtungen der Kaiser bestanden noch unter Theodorich d. Gr,
fort: Cassiod. Var. 1, 29. 5, 5.
328 I^ ünidentschnng fremder W&rter.
S. 298), Bdnuster Pater Beter. Böhm. Pecet nhd. Petschet
Petschatt, Petschuft. Pedissequus, ahd. peinseico peinseggo;
pedissequa, beinseggä: sekko Gunst. Petitecoste, ahd. fitnfchusti.
Perspectiv, Sperrfectiv. Pervinca, ahd. perewinka mhd. bere-
winke. Petraria ahd. phetaräri phederäri voki. pfetercere pfede-
rcere, fedaräri vedrer. Petroselinum, ahd. pMarsilli federscelli,
mhd. auch piterlln. Phasianus, mhd. fashan, ahd. fasihuon
phusehuan, Physims, Fisigucker, Piece, mundartl. Büessli
kleines Geldstück. Pietist, Betist. Piscatio, mhd. fischenze
(S. 263) und mschenutz. Planchette, Blankseheit. Particas ahd.
phorzich phorzeich, mhd. auch für zog und wie noch mundart-
lich Vorzeichen. Prado^ Prater Brater. Predig mundartlich
s. V. a. Predigt wie ahd. i^rediga, verhochdeutscht Beredung.
Prisent, mhd. prisant oben S. 275. Prima Preim (oben S. 276):
das Breinglöcklein in Wien als Erinnerung an ein pestartiges
Umgehn der ' Bräune verstanden. Primissarius, Frühmesser.
Psittacus ahd. psitich sitach sitich, mhd. auch sickiist. Pulcinello,
Britseheneüer. Pulpitum, mhd. pulbret. Pulsader 16 Jahrh.
Bulzader: bulzen fahren wie ein Bolz. Pyrethrum, ahd. perhtram
nhd. Bertram.
Quaquila quacara u. dgl. im Mittellatein, ahd. quahtila
und wahtala. Quasimodo, 17 Jahrh. Kose^Mose. Quelque chose,
Geckschosefi Keckschoserei.
Becuperare, ahd. irkoboron. Refectorium, mhd. revental:
vgl. oben Dormitorium und S. 301 u. 309. Renoyer renier,
mhd. vernoigiereii. RÜicule, Ritterkiel. Rondel, RundtheiL
Bubiola, mhd. rebigel.
Scaber, ahd. scaberi. Scamlula, ahd. skintalä Schindel.
Scarlatum mhd. scharlät, scharlachen scJiarlach. Schamützel
Stamützel aus ital. scamuzzo, ScJiarmiitzel aus scaramticcia
und scafnuzzo. Ital. Scatola, Schachtel, mundartlich Stattet
SpaUel. Schächzabel, mhd. schdchzagel schdfzagel schäfzaigel;
ebenso zabeln, zagein: zagel Schwanz. Schedula mhd. zedele
zedel, nhd. Zettel: zetten streuen. Scripturale Federmesser, Schrif-
teral; scriptura, mhd. schriftiure. Secretarinm sacratorimn, ahd.
sigitäri sigitüri, mhd. sigeltor. SSnechal, mhd. sineschalt: oben
S. 256. Sengle sangle, mhd. senket Servant ital. servente, Scfier-
Wenzel Scharwenzel. Sinopis, ahd. sinnoger: oger Ocker. Soldener
von solidus solt, ahd. scoldiner: scolan sollen, Spatiari, ahd.
Die ümdeutschung fremder Wörter. 329
sparzibeindn niederländ. spertelbeeiien: mundartl. spirzen sperzen
spreizjBn. Stilbon, ahd. stelbdn, mhd. stalbomn. Stipula, ahd.
dupfild: Stupfen stechend stossen. Stola: Stolbruder, mhd. stuolr
bruoder Kirchendiener. Strepere, ähd. drepalin stripelen. Stropha
List, ahd. sttrüpitha. Stupere, ahd. stobaron. Synodus ahd.
senod^ mhd. sent und sant: senden.
Tabard, mhd. taphart. Taillier tailler, teilieren S. 317.
Tambour, Tambausr, Tiretaine, Dirdendei, Theriacum, mhd.
driakeh Tofus ahd. tüf stein y nhd. Tauchstein und Duftstein.
Trianguius, Dreiangel und Dreianker. Tronche mhd. trunze
und drmnze: drumefi zerbrechen. Tubrucus tubracus, ahd.
diohpruoch (Schenkelhose) und diechbräto: oder stammt das la-
teinische, zuerst von Isidor XIX, 22 verzeichnete Wort aus dem
Deutschen!' Turbo Kreisel, ahd. topho toph (tolf oben S. 285):
topho auch s. v. a. Tupf.
Valeriana, ahd» boldridn. Valise, Felleis Felleisen. Vas,
ahd. wahs S. 271. Virgatum gehn Ruthen suchon gehn, ein
Schülerfest, auch Kindervirgatum und Vergattung. Vitula ahd.
fidula (oben S. 281) nhd. Fiedel, mundartlich Fichel und fickeln
fiedeln, eigentlich reiben.
Ypsilon, Ixeland. Zedoarium, ahd. zitawar, mhd. zitwar
zittewar und zitvare. Ital. Zibibbo, mundartl. Zwibibe: vgl.
oben ccepulla Zwiebel. Zingiberi prov. gingebre, ahd. gingibero,
mhd. gingebere ingeber ingewer.
Mehrere Worte werden zugleich durch eine Aenderung, die
sie deutschem Laut und Sinne nähert, »und durch Zusammen-
setzung umgedeutscht: acorus Ackerwurz, asarum Haselwurz,
ascahnium aselou^h, coliandrum cholgras, coloquintkida cölgerste,
fumus terrae Finsternkraui, herodius hirfogel, leoperina leber-
stein, chelidonia scelliwurz, scopulus scopstein, senecio senumrz.
Mitunter auch ändert sich zwar der Sinn, aber kein Laut
des fremden Wortes, weil es schon so eine .deutsche Wurzel
und deutschen Begriff zu enthalten scheint: irritieren heisst dem
Volk ohne weiteres irre machen, Poltron ein Polterer, TrcAafU
(Häscher, vom span. trdbar fesseln) ein Traber, Läufer, tribu-
Heften treiben, vexieren mit Fachsen zum Narren haben, postu*
Heren gleich dem gewohnteren Fremdwort postieren s. v. a. in
Geschäften laufen, wie päwelün paulün d. i. pavillon im Nieder-
deutschen s. V. a. päwe pauwe Pfau. Also ganz in der Art
330 Die ünideatflchoiig fremder Wörter.
jener Wortspiele mit fremden Ausdrücken, die deren Aensseres
nicht berohren, wenn z. B. ein Fall ein Falliment genannt wird,
der mahnende Gläubiger ein Maniehjeer, ein mürrischer Mensch
Mufti, die Füsse in Norddeutschland Potentaten (Paten Pfoten)
und ein böses Weib Sadrach d. i. Satan und Drache. Der-
gleichen ist wie ein vorbereitender Uebergang vom Fremden zu
der Umdeutschung.
Eigennamen.
In der Umdeutschung derjenigen fremden Eigennamen, die
der Bibel und der Kirche angehören, giengen das Gothische und
noch das Alt- und Mittelhochdeutsche nicht über das Nothwen-
dige und das Nächste hinaus; Petrus z. B. erhielt in der hoch-
deutschen Form Paar wohl auf Anlass des Accentes eine andre
Quantität und um der Flexion willen einen anderen Schluss:
aber die Aspirierung Phitar, die Diphthongierung Pietar, beides
kommt nur als vereinzelte Ausnahme vor, und wenn auch die
Keronischen Glossen einmal aus Aegyptus tlkißt machen, so
werden doch sonst die echten Consonanten dieses Wortes überall
behauptet^).
P£BsoNEi7NAMEN anderen Ursprungs waren nicht so sicher
gestellt: das Riesenkind Rainouard ward von der mittelhoch-
deutschen Dichtung Rennewart, Attilas Bruder Bleda in der
Heldensage Bloedel oder Bloßdelin genannt; Etzel jedoch, wie
Ättila selbst in der Sage heisst, dient hier nicht als Beispiel:
ein 80 entschieden gottiisch gebildetes Wort wie Attila, ein
Kosewort, s. v. a. Väterchen, konnte und musste sich auf dem
gesetzmässigen Wege der Lautverschiebung ahd. in Ezilo, mhd.
in Etzel umgestalten: die Umdeutschung, welche bei diesem
Namen stattgefunden, ist bereits auf der Stufe des Gothischen
geschehn. Unterschiedlos aber alle Personennamen, auch biblisch
und kirchlich überlieferte umzudeutschen wagt erst die Alltags-
sprache der neuhochdeutschen Zeit, und es steht das in Ver-
bindung mit jenen häufigen und grossen Kürzungen derselben
durch Aphärese und Syncope und Apocope und mit ihrer theils
auf Wortspiele, theils sonst begründeten appellativen Anwendung,
1) [vgl. Brittenheim und Brezzetiheim Förstemann 2, 295; Wessobr.
Gl. Scozzen HoUe Demant. 247.]
Die ümdentschimg fremder Wörter. 331
die ich anderwärts (in Pfeiffers Germania V, 290 fgg. = oben
S. 97 f|^.) erörtert habe. Es wird also mit unabweisbarem Anklang
an deutsche Worte aus Balthasar Baldhauser oder Waldhauser
oder bloss Häuser , aus Bartholomceus Bartel, aus Colomannus
Kelbel, aus Dominicus Tummemix und Kussel, aus Emanuel
Mannt, aus Helena Lene, aus Magdalena Maid, aus Medardus
Mcederli (die Witterung des Medardusjkages ist weissagend für
die Heuemdte), aus Silvester Vestel, aus Veronica Vrone, aus
Wilhelmine Minnel u. dgl. Wie gern das Volk in den un-
deutschen Namen einen deutschen Sinn sucht, zeigt recht als
Beispiel der Gebrauch unsrer Landleute eine Tochter, bei deren
Geburt die Mutter sehr hat leiden müssen, Lydia zu nennen.
GEOGhBAPHiscHE Namen, die ausserhalb des biblischen Be-
reiches liegen, haben sich ebenfalls schon seit früher Zeit den
mannigfachsten ümdeutschungen unterwerfen müssen, Aenderungen,
die in solchem Sinne bald nur den Ausgang, bald das ganze
Wort ergreifen; wie die eigentlich fremden werden auch Namen
des sächsischen und scandinavischen Nordens auf Hochdeutsch
so behandelt. Auch von dieser geographisclien ümdeutschnng
noch Beispiele: und dann schliessen wir endlich.
Älcmona^ ahd. AUmuna, mhd. Altmule, nhd. AltmühL Alta
Ripa, Haute-Rive bei Freiburg, Altenrtf. Anjou, mhd. Anschouwe.
Antwerpen, Antorf. Armagnacs, die Armjacken, Armjäcken,
Armen Jacken, Armen Jecken, die Gecken. Batavium, ahd.
Bazouwa Pazouwa Passau. 'Beile-Fontaine, Belfenthal. Brahman,
Mehrzahl Brachmänner. Byzantium, mhd. Wizsant, Angelsächs.
Cantvardburh (Burg der Vertheidiger von Kent) Canterbury:
ebenso an den angelsächsischen Dativ Cantvarahyrig sich an-
schliessend ahd. Kantilbirja^ mhd. Kantelberc Kandelherc: chan-
dala kentila ist candela; Abraham a S. Clara braucht Kandel-
berg als Wortspiel mit Kandel d. i. Kännel Kanne. Cauccmis,
mhd. Kaukasas, Gougelsahs, Kockensaz, Gloggensaehsen, Celius
mens. Kellmünz: und Kaimünz mhd. Chalemunza aus Calmis
mons? Oumberland^ mhd. Kukumerlant. Danubim, ahd. Tuo-
nouwa und Ttwnaha. Eboracum, angelsächs. Eoforvic (Eber-
stadt) ahd. Ebirwich, engl, zusammengezogen York. Faucesß
mhd. ze Füezen, Füssen. Finis terrce Vorgebirge in Galicien,
mhd. Finster sterre, Finster stem: vgl. tunkel sterne Abend-
stem. Garda, mhd. Garte; Gardasee ahd. Kartsi. Graisivaudan,
332 IHe Umdeatschiiog fremder Wdrt«r.
mhd. Graswaldäne, GraswaÜ. Grandtal, Granfelden. Hainati,
ahd. Haginao, Heiuegauwe, nhd. Hennegau. Hospital, Hospenr
thal. Languedoc: Langendogger. Lüwa, mhd. Littouite. Lttg^
dunum Lyon, ahd. Liutona Liutana. Mantova Mantua, mhd.
Maniouwe. Mardbut Morabite, mhd. Merbot. Mediolanum, mhd.
Meielän Meildn Meüant: Meilen, ein Dorf am Z&rcher See, im
10 Jahrh. Meiolano Meginlano Meilana, wird demnach auf Latein
ebenfalk Mediolanum geheissen haben. Megtre^ mhd. Meisters.
Mens Bligardis, Mons Bdigardis Montb^liard, mhd. Munbiligart
Miinpelgart Mümpelgarten. Moslem, Muselmann. Nantes, mhd.
Nantheiz. Altnord. Noreg d. i. Nordhveg Nord weg, mhd. Nor-
weg Norwege Norwegen Nortwegen, mit Bezug auf w&c Wasser
Norwcege, mit Bezug auf weide Norweide. Nowgorod, mhd.
Ndgarten Nägart Norgart. Otranto, mhd. Otrant. Osmane^
OUomcmne. Padava Padua, mhd. Padouu}e Badouwe. liep^apLoc,
6i(j UepyafjLOv, mhd. Spergimunt (S. 299). Petrosa Perosa Pe-
rouse, mhd. Pfetterhüsen Pfetterhausen. Philipi)opel, mhd. Vine-
popel Wtnapöpel: »Kipper und Vinepdpel hänt guoter trinken
gewalt« Wolfr. Wilhelm 448, 8; der gleiche Oonsonantenwechsel
in Philadelphia mhd. Phinodelfe. Piscina, mhd. Fisckine^ nhd.
Fischingefi: vgl. S. 263. Polowc Plächenbe wohner, slavischer
Name der Kumanen, mittellat. Flavus, ahd. Falo mhd. Valwe.
Pons Ragintrudis Porrentruy, mhd. Punreindrüt Purrendrüt
Burnendrüt Brunnentrüt Brunndrüt. Ravetina, ahd. Babana
Rapana, mhd. Raiefie. Rivoglio, mhd. Ret fei ReinvaL Roma,
goth. ahd. Rüma: s. S. 286; eine Sandale ahd. rdmscuoh, rüm-
scfioh, rümiskir scuoh d. i. römischer Schuh und riumiskir
scuoh d. i. Riemenschuh: riunw Riem. Russe Russland, mund-
artl. Rtiess Ruessland: Ruess Russ, Rahm. Schlesien, mundartl.
Schlesingent Sur Tyrus mhd. Süris, Süders (oben S. 276)
Sunders: sunder süder südlich. Mittellat. und romanisch Tekis-
venna Theisvenna Thesvenna Thasvenna Thasfenne Tasvanne
Tavannes, Dachsfelden. OscxaaXpvfxif], mhd. Salnicke Salnecke
Salnegge. Treviri, Triere und mhd. auch Triel: triel Lippe,
Maul. Turonis Tours, ahd. Tumis Tums Tum. Unger,
Hunger: »a fame, quam patiebantur, Hungri vocati suntc Epist.
Remigii in Martdnes Collect. I, 234. Venuske mons, roman.
Vestmonza, Finstermünz. Verdunum, ahd. Wirtina. Verona,
ahd, Berna: heran bem Bär; vgl. oben S. 282 und Haupts Zeit-
Die ümdeutschung fremder Wörter. 333
Schrift 6, 157. Vertima fr. Vermes und Vertmont, mhd. Vert-
munt, nhd. Pferdmund. Vitudurum, ahd. Winturdüra, Win-
tardüra, mhd. Wintertüre: wintur d. i. goth. veinatriu Wein-
stock: vgl. den ahd. Ortsnamen Winitre Wintere Königswinter,
winterlinc witUarhaUä wintarperi wintertrola, alles üebersetzungen
des lat. lahrmca, und winterhutz Vogelscheuche in den Reben;
die Ableitung wtnzuril tüinzurnil wlnzure wtnzurn, nhd. Wein-
zierel und Winzer, und die Ortsnamen Wlnzirin und Wtnzurn
(d. h. bei den Beben oder bei den Rebleuten), jetzt Winzer,
zeigen den regelrechten Uebeirgang des t x^ ^i in lEnrEimg des
t vor der mehrfachen Consonanz (vgl. oben S. 300) findet sich
auch in dem mundartlichen Wingert d. h. Weingarten und dem
Ortsnamen Winkela Winkel oben S. 269. Vogesus, nüttellat.
Vosegus Vosagus Wamgus, ahd. Was<igo, mhd. mit Bezug auf
Walther von Aquitanien Waske und Wasken walt: ahd. Wasco
Baske.
Die althochdeutsche Zeit ist aber nicht selten von solcher
ümdeutschung bis zur eigenüidi^ Veirdeutachung fremder Lands-
und Städtenamen fortgeschritten, und Babylonia, die civit(is con-
fimonis (Mose I, 11, 9), heisst ihr Scantpurch, (hnstantinopolis
Costanttnuses puruc, DecapoUs Zehen bürgt, HeliopoUs Sunni-
pm'c und Sunnün pureh, Neapolis Niuwenburk, Pentapolis Finf
purigt
Sprache und Sprachdenkmäler
der Bur^nnden.
(Aus Carl Bindings burgundiseh'romanUehem Königreich, Leipzig 1868,
Th. 1, S. 329—404,J
L Die Sprache:
Die Eigenart der Burgundischen Sprache wird nur dann mit
Zuverlässigkeit zu ermitteln sein, wenn die Betrachtung der über-
lieferteo Worte bei dem Punkt inne hält, wo das altburgundische
Reich seine Selbständigkeit verlor und sich den Königen der
Franken unterwerfen musste, wenn man also auf diejenigen Be-
lege sich beschränkt, die uns bis dahin theils von den Geschichts-
schreibern des Alterthums und des Mittelalters, theils und haupt-
sächlich in dem Bechtsbuche der Burgunden selbst so wie in
Urkunden, in Grabschriften und Inschriften auf Schmuckgegen-
ständen, auf zweien der letztern (s. unten II, 1 u. 2) sogar in
den Bunen des Volks geboten werden. Diesseit des Jahrs 534
beginnt für alles Deutsch auf Burgundischem Gebiet der Zweifel,
ob es auch Burgundisch, ob es nicht ebenso wohl Fränkisch,
vielleicht auch Gothisch seir denn ein Theil des Landes blieb
für einstweilen in Ostgothischer Gewalt. Ja es haben sprach-
liche Einwirkungen von diesen zwei Seiten, namentlich von der
gothischen her, schon früher stattgefunden: unter den Grafen,
die das Vorwort der Gundobada unterzeichnen, ist mehr als einer,
dessen Name entschieden unburgundisch, entschieden gotMsch
klingt, der mithin gleich so viel andern, die jenes Zeitalter hier
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgonden. 335
oder dort auf Komischem Boden zu Glück und Ehren brachte,
von Herkunft ein Gothe muss gewesen sein; ausserdem liegen
nicht wenige Worte der Burgunden nur in der Gestalt vor uns,
wie der Fränkische Mund, wie Gregor und Fredegar u. a. sie
aufgefasst.
Und noch etwas kommt hinzu, das die Genauigkeit in der
üeberlieferung der meisten Sprachbelege verkürzt, das sicher die
Sprache selbst sogar in ihrer Echtheit und Eigenheit gestört hat,
der Einfluss des Lateins der ünterthanen und der damit ver*
bundne Gebrauch der lateinischen Schrift. Nicht bloss dass letz-
trer in zahlreichen Fällen das Zeichen mangelte um den barba*
rischen Laut vollkommen zu treffen ; nicht bloss auch dass unter
den ersten Schreibern und den weiteren Abschreibern des Ge-
setzes vielleicht kein einziger war, der selber Burgundisch ver-
stand und sprach, dass sie alle, was von Namen und sonstigen
Worten der Barbaren darin vorkam, der eine mehr, der andre
wenigör, der öfter, jener seltener entstellten: nicht bloss dieses,
offenbar haben die Burgunden selbst, seitdem sie unter Bömem
Sassen, sofort begonnen die eigene Sprache mit Geringschätzung
zu behandeln und deren Beinheit und Richtigkeit vernachlässigt.
Nur deshalb konnte sich dieselbe so bald in das Bomanische
verlieren, nur deshalb Gunthioc (s. unten II, 1) sich in Eunen
und doch auf Lateinisch Gunthioas nennen, und wieder nur des-
halb ihr Becht sich zu Fachausdrücken verstehn, die aus Latein
und Deutsch zugleich gebildet waren, wie trigildus und novi-
gildtcs, dreifacher, neunfacher Ersatz. .Oder soll man hier vor-
ziehn anzunehmen, das tri und novi gehöre bloss der schrift-
lichen Niedersetzung an, der Verfasser habe von den deutschen
Worten eben nur so viel in Latein gebracht, als er leicht ver-
mochte, vor Gericht aber habe der Burgunde selber doch thri-
gild und neungild gesprochen? Auch in der Lex Alam. VII, l
kommt diess halblateinische novigildus vor und ebenda und in
den Bechtsbüchern der Langobarden octogildus, in der Lex
Baiwar. aber mit Ausnahme der Endung ganz auf Deutsch
niungeldus I, 3. II, 12 und driniungddus ES, 2. Von der
gleichen Art mit trigildus und novigildus scheinen Äridius, der
Name von König Gundobadas weisem Rathe, und der Grafen-
name Silvanm: beide mögen erst aus dem Burgundischen und,
wie wir beide zugleich an Franken, Silvanus auch an einenji
336 Sprache und Spraehdenkmäler der Burgunden.
Gothen finden (Silmnus ein Bischof der Gothen und iy. ror^Jrfa?
bei Epiplianius adv. Haereses LXX, 15, ein Franke bei Amm.
Marcell. XV, 5; Franken des Namens Aridim Areditis wieder-
holendlich bei Gregor von Tours und in einer Urkunde von 573
bei Pardessus, Diplomata Nr. 180), auch aus diesen Sprachen
in so lateinischen Klang hinübergezogen und es mag die eigent-
liche Form des erstren Haritheu, die des letzteren Sühawän ge-
wesen sein: Haritheu eine Zusammensetzung von hari Heer und
ihiu Öiener, Silbawän von silb selbst und tvän Hoffnung, ganz
wie im achten und neunten Jahrhundert wirklich Herideo vor-
kommt und SelbffSr Selphar Seibrät, Hildoän Leododn Theododn.
Noch Andres, das sich auf demselben Wege erklärt, wird uns
später entgegentreten. Freilich nennt uns die Schenkungs-
urkunde von S. Maurice (Pardessus Nr. 103 u. 104), ein Acten-
stuck das, je gewisser es untergeschoben ist, wohl um so eher
nur altüberlieferte und beglaubigte Namen braucht, auch einen
Benedictus comes, einen Bonifaeim comes, und diesen ist nicht
mit solcher Yermuthung und Bückübersetzung beizukommen;
dann im J. 534 belegt die Domna Remila voccbbulo Eugenia
eines Vienner Stifkungsbriefes auch für Burgund die Sitte deut-
scher und lateinischer Doppelnamtgkeit. Es mochten sich aber
die Burgunden dem Latein und der Latinisierung um so leichter
dahingehen, als sie schon längst, schon zu Yalentinians I. Zeit
gelernt hatten sich für Verwandte der Römer anzusehen (Amm.
Marc. XXVin, 5), auch sie also, den Franken ähnlich, die er-
erbten Sagen von der Auswanderung aus einer entlegneren Hei-
math in solche Gestaltung wendeten.
Dass übrigens die natürliche Gegenwirkung nicht ausge-
blieben, dass aus der Sprache der Eroberer und Beherrscher auch
diess und jenes in die der Unterthanen gelangt ist, belegt uns
zum Üebeiläuss das Burgundische ßechtsbuöh ebenfalls an mehr
als einer Stelle. Zwar nicht mit dem Worte amhaxia (Bribaseia
ambassia Tit. 104, das man hier wie im Latein der Lex Salica
Tit. 1 Unrecht thäte aus dem gothischen andbahti, althochd.
ampahti herzuleiten: Diez belehrt uns (Wörterb. d. Born. Spra-
chen I, 19), weshalb dasselbe schon in früherer Zeit und un-
mittelbar aus dem lateinischen nmbactns müsse entstanden sein.
Aber zu vegius veius, das von tvig oder weg herkommt, ist mit
vollerer Endung die Nebenform vigator veiatör (Tit. 95) sovrie
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 337
ein Sachwort vlgatura vegatura veicUura gebildet (XVI, 3), die
Umgestaltungen viator, viatura machen das noch lateinischer,
und wenn noch jetzt in Burgund wie bei den Picarden ein öe-
mach unter der Erde, wo des Abends Weiber und Kinder sich
beim Rocken versammeln, icraigne heisst, mittelalterlich escregne
escriegne escrienne (Diez 11, 282), so geht das in beiden Pro-
vinzen auf ein altdeutsches Wort, ein Synonym des sonst hiefur
üblicheren tung (Haupts Zeitschr. VII, 128 ff.) zurück, das die
Lex Burg. XXIX, 3 in der Form screunia, die Lex Sal. XIII, 2.
XXVII, 18. 19. nov. 38. die Lex Pris. Addit. 1, 3. die Lex
Sax. 33 und Karls d. Gr. Capitulare de Villis 49 in der Form
screuna oder sereona gewähren. Jac. Grimm hat zwar wieder-
holendlich, zuletzt vor Merkels Lex Salica S. IX u. LXXV, die
Ansicht geäussert, es sei diess sereona aus dem lateinischen seri-
nium entlehn dagegen ist jedoch ausser der beträchtlichen Ab-
weichung der Begriffe einzuwenden, dass weder langes noch kurzes
/ lateinischer Worte sich jemal^ in ein deutsches EO verwan-
delt, dass vielmehr scrinium schon im frühesten Hochdeutsch
nur wiederum scrtni lautet und ebenso, durch den Vocal von
ecraigne unterschieden, im Französischen escrin Scrin, Wie aber
nun das Wort aus dem Deutschen selbst erklären? Ich denke
auf dieselbe Art auf die uns Jac. Grimm z. B. die Namen
Giüki und lomandes deutet (über Diphthonge nach weggefallenen
Consonanten S. 50. über lornandes und die Geten S. 4), auf
die auch altnord. Hon ^) oder lioni Friedensvermittler und Mann,
fries. Uana Eheweib (vgl. J. Grimms Gramm. I. 1840 S. 418)
und die oberdeutschen und fränkischen Namen Leon Leona Leo-
nardus Leonastes zu deuten sind: wie hinter diesen Gifuki und
Ibumanths liegt *) und liofan und liavana oder auf Burgundisch
levbana (vgl. Ansleubana)^ einfachste Ableitungen von leub liyf
liaf lieb, so hinter screunia screuna sereona das angelsächsische
scräf die Grube und das mittelhochd. schrove Kluft: seretmia
. 1) [In lion u. s. w. ist zwar ein Lippenconsonant ausgefaUen, aber
der Diphthong nicht erst die Folge davon. lAühona Forsten). 1, 850; die
Mannsnamen Liuhinc Leubinus Liupuni ebd. und so wohl auch Liubene
Hattemer 1, 409 a. aus Liubwini: Haupt 14, 81 fgg. Leubvini,]
2) [Thrianti aus Thribanti: J. Grimm, Gesch. d. d. Spr. 2, 593.
Treveri ahd. Trieri.]
Waekemagel, Sobriften. III. 22
338 Sprache und Sprachdeninnaler der Burgunden.
(und vorher hat man acHunia gesprochen) ist zusammengezogen
ans scrifunia. Auf keinen Fall eine Entstellung von scrinium:
nur umgekehrt haben einige Schreiber der Lex Burg, das un-
verstandene Fremdwort diesem lateinischen angeähnlicht und
scrinia scrinea excrinea daraus gemacht.
Die Verderbniss, worin unter diesen Umständen die Mehr-
zahl der Burgundischen Sprachüberreste schriftlich aufgezeichnet
ist, verbunden mit der verhältnissmässig geringen Zahl, welche
dieselben überhaupt ausmachen (ich werde sie in dem zweiten
Theile meiner Arbeit ohne sonderlichen Baumaufwand alle zu-
sammenstellen können), diess beides mag die grammatische und
etymologische Betrachtung allerdings erschweren: aber die Er-
schwerung steigert den Beiz, und wenn man nur die gehörige
Vorsicht und genauere Unterscheidung braucht und namentlich
der Pariser Handschrift L des Bechtsbuches das Gewicht bei-
misst, das zumal für diese Einzelheiten der Textherstellung ihr
gebührt (ihr mehr als irgend einer der andern, die Bluhme durch
die früheren Buchstaben des Alphabets bevorzugt), so wird es
nicht an einer ganzen Beihe von Ergebnissen fehlen, die sicher
genug und für die Geschichte unserer Sprache von Bedeu-
tung sind.
Zu allervorderst erweist sich auf solchem Wege, dass die
Behauptung Jac. Grimms (Gesch. d. Deutschen Spr. II, 708),
die Burgundische Sprache habe nähere Verwandtschaft zur gothi-
sohen als zur althochdeutschen, unrichtig ist. Geben vrir in
dieser Beziehung nicht zu viel auf die Stammvereinigung, in
welche Plinius Hist. Nat. IV, 28 die Burgundionen mit den
Guttonen bringt: wie voll von Verkehrtheiten ist dieses ganze
Verzeichniss der Stämme und der Völker! Und noch weniger ist,
wenn man die bunten Wechsel in unsrer ältesten Geschichte er-
wägt, darauf zu geben, dass die Burgunden gelegentlich auch
(nicht fortdauernd, wie Grimm es ausdrückt) sich mit den Gothen
in Verbindung zeigen: es kommt ja ebenso wohj die Feindschaft
beider vor, conflidantium procella regnorum (Sidon. Apoll. Ep.
VII, 10. vgl. III, 4. IX, 3).
Zwar in Betreff der Consonanten steht das Burgundische
wesentlich auf einer und derselben Stufe mit dem Gothischen.
Das veranschaulicht am besten gleich der Name des Volkes, der
überall noch mit den drei Mediis BOD aufgefasst erscheint
Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 339
und noch nirgend mit den härteren Lauten des Althochdeutsehen,
der überall noch Burg^undiones heisat, nirgend aber Purcuntiones
oder Ptirucuntiones; auch das Z der Nebenform Burgunziones,
die sich in Texten des Jord^nis findet, BoupYo\)v?;{ovsc oder
BoupYouS^ovsc bei Socrates u. a., beruht ebenso auf einem D
wie in Scandia und Scanzia: noch deutlicher diess, wenn auch
Burgundzones geschrieben wird wie Scandza. Also bürg, goth.
baurg, zusammengesetzt, obschon nicht auf so fabelhaften Anlass
noch in so später Zeit wie Orosius VII, 32 und nach ihm Isi-
dorus Origg. IX, 2, 99. 4, 28 angiebt, zusammengesetzt oder
abgeleitet mit undia, einem Wort oder Bildungsmittel von aller-
dings noch unklarem Sinne, da es ^onst nur wenig auftritt^):
so in dem nah anklingenden Volksnamen OupouyouvSfovsc oder
OupouYoiJvSoL, nach Zeuss (die Deutschen S. 695) einer andern
und späteren Benennung der Oupyot oder OöpwYoi, gothisch in
nShvundja Nächster und dem Femin. hulundi Höhle, ohne / oder
J in dem Adverbium snimnufidd eilig, althochd. in dem Neutrum
ärunti Auftrag, dem Masc. hliumunt Gerücht, dem Fem. jugunt,
dem Adv. nähmt neulich u. a. Und doch wird, wenn man
sicher gehn will, über diese Deutung (es hat dieselbe zuerst Jac.
Grimm aufgestellt, Gramm. 11, 343) nicht hinweg zu kommen
sein, trotz aller Verlockung irgendwie auch in dem Namen des
Volks jenes gunthja oder gunth Schlacht, Krieg wieder zu er-
kennen, womit fort und fort so viele seiner Könige benannt sind,
Gundiocus, Gundobada, Gundaharius, Gundomares: ein Zu-
sammenklang der um so bedeutsamer ist, da die Allitteration,
welche sonst schon die Namen dieses Geschlechts verbindet
(Gesch. d. Deutschen Litt. S. 29 u. 202), durch ihn noch ver-
stärkt und befestigt wird. Auch Gundomares: denn der Accu-
sativus hievon, nicht aber Godomarem ist im Bechtsbuche Tit. 3,
wo Gundobada seine regiae memoriae atictores nennt, die bessere
Lesart; Fredegarius oder Abschreiber des Fredegarius folgen
dieser Annomination, indem sie umgekehrt Godegiselus gegen
Gunthegisehis vertauschen (Epit. 17. 28). Dann wäre der erste
1) [Zu vergleichen wären die mhd. Partie, präs. B,xdunde (J. Grimmö
Gramm. 1 *, 367. 1007) und weiterhin die pelasgischen auf undus und
wv ovTos, wenn nur jene Bildungsweise auch sonst und früher und nicht
eben erst auf mhd. erschiene.]
22*
340 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden.
Bestandtheil von BurguncUo das Wort hur, das auf AltnordL'^ch
s. y. a. Sohn, auf Althochd., wo der Begel nach die Brechung
bor gilt, s. V. a. Höhe und in Zusammensetzungen (biirolang
boralang) eine Steigerung bedeutet, das auch ein alter Volks-
name ist, und jeder dieser Begriffe, auch der erste (man vgl.
Namen wie Bammldis Chindaspinthus TheganJiarius), wäre sonst
wohl passlich; nur fehlte dann, was nicht wohl fehlen darf, der
Bindevocal zwischen beiden Theilen: es Messe nicht, wie es dann
doch heissen sollte, Burogundio. Das Angelsächsische, das mit
Schwächung des zweiten Vocales Burgendas, und das Hoch-
deutsch des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, das ebenso
auch Burginden Burgenden Bürgende'^) sagte (Schlettstädter
Glossen XL, 17; Mb. B 497, 8. 526, 4. 683, 3), verstand
den Namen somit nur als Ableitung.
Und ebenwie in diesem und anderen Beispielen mit den drei
Mediis, verhält es sich mit den übrigen Consonanten: gemein-
same oder sonst entsprechende Worte zeigen den gleichen Mit-
laut auf Gothisch und auf Burgundisch. Das aber nur, weil
imd insofern die Gothische Sprache noch die Yertreterinn der
allgemein altgermanischen Art und weil und insofern auch die
Burgundische das noch ist und sie noch nichts erlitten hat von
der Lautverschiebung, die erst ein Jahrhundert und darüber nach
Aufsetzung des Rechts einen grossen Theil des germanischen
Sprachenstammes ergreifen sollte. Eine vorzugsweis nahe Be-
ziehung des Burgundischen zum Gothischen drückt sich also in
den Uebereinstimmungen beider keinesweges aus: bestand doch
vielmehr in Dingen der Sprache ein so geringer Zusammenbang
der zwei Völker, dass, nachdem Ulphilas seinen Gothen schon
längst ein vollkommneres und vielgebrauchtes Alphabet gegeben,
die Burgunden sich noch immer des vaterländisch echteren
Futhark bedienten: mit welchen Eigenthümlichkeiten, erörtert
und erschöpft Dietrich in Haupts Zeitschr. XHI, 119 — 122.
Bei Anerkennung eben nur dieses Verhältnisses zwischen
Burgundischem und Gothischem tritt unter anderm auch ein
auffälliges Zusammentreffen beider, das sich in einem vereinzelten,
1) [Burguntdre, Burgunthdre, Burgundäre Gratis Sprachsch. 3, 334
(seit um 1100) mhd. Burguncla^re, Burgunder, Burgencere Nib. 426, 2 B.]
Sprache und Sprachdenkniäler der Biirgaiiden. 3-4 1
aber um so mehr anziehenden Falle findet, in die rechte Be*
leuchtung. Ich meine den gothischen Namen Optarith oder
Optarit, wie die Urkunde von Bavenna (in Massmanns Goth.
Urkunden von Neapel u. Arezzo), "OTzxoLfi^ wie Procopius B.
Gotth. I, 11 ihn schreibt, und dem gegenüber den burgundi*
schen Obtulfas^). Der eine weicht wie der andre von einem
Gesetze ab, das sonst bereits im Gothischen waltet und von da
an je mehr und mehr für alles Deutsche sich festgestellt hat,
dem Gesetze nämlich dass einem ableitenden oder unmittelbar
flectierenden T kein B oder P, kein G oder K, sondern statt
deren nur die Aspirata der bezüglichen Organe, nur ein F oder
H vorangehn dürfe. Indessen mit Unverbrüchlichkeit und so
beinah ausnahmlos wie nachher im Althochdeutschen u. s. w.
waltet diess Gesetz im Gothischen noch nicht: noch heisst z. B.
von mag die zweite Person gleichfalls magt, nicht mäht, von
sdk und graip wiederum sdkt und graipt, und zu fragiban wird
das Substantivum sowohl fragiU als fragift gebildet (Luc. I,
27 u. n, 5). Dergleichen dann auch, nur immer seltener, im
weitern Verlauf unserer Sprachgeschichte, z. B. gipt hnpt skapt
heipt auf, Altnordisch, in dem einen der Merseburger Zauber-
lieder hapt und heptm, bei den Franken die Eigennamen Apta-
charim (Greg, Tur. Hist. Franc. X, 3) und Apthadus, dann
Actohildis Äctuin und andre der Art und das dructis der Lex
Sal. nov. 41 mit Namen dazu wie Droctoveus, bei den Angel-
sachsen in der Genealogie der Könige von Eent (Jac. Grinuus
Deutsche Mythol. 1835, Anhang S. EI fg.) Oda Victa Vecta,
bei den Langobarden (Paulus Diac. V, 23. 24) Weäari. Hier
überall zeigt sich vielmehr ein ganz anderes und sicherlich mehr
organisches Gesetz in Geltung, und zwar dasselbe das in den
beiden pelasgischen Sprachen gilt: es wird gefordert, dass vor
die Tennis wieder eine Tennis zu stehen komme, ein P oder K,
Und diess, wie es hier in einzelne Anwendungen sich verliert,
erscheint in der vorgothischen, der noch voller reiner ursprüng-
licher germanischen Zeit, wirklich auch als das alleinig allge-
meine: da begegnen wir auf den verschiedensten Punkten des
1) [vgl. Eptadius Binding S. 188; Aptadius Förstemann 1, 4: aber
auch Ehtard und Ebtolf 369. Vereinen sich mit Obtulfus u. s. f. in der
W^urzel ib ab üb J. Grimm, Gramm. 2, 50.]
342 Sprache und Spraehdenkmäler der Burgunden.
Sprachgebietes Volks- und Lands- und Personennamen wie Crupto-
rix, Adatna (Haupts Zeitschr.IX, 565 fg. =obenl,72), Äctumerus,
Burcturi oder mit Umstellung nach friesischer Art Bruderi (Zeuss,
die Deutschen S. 92. 351), Tenderi, VidovaUi, solchen Formen
und keinen andern, und wenn Cäsar in Tenderi ein CH schreibt,
so schreibt er auch dahinter ein TH, und nur er giebt das Wort
so wieder. Ganz hieran nun schUesst sich das goth. opt in
OptarUh, mit P, aber abgeleitet von einem Stamme mit B, von
t4b, der eigentlichen Form für uf (denn in der Inclination heisst
es tibuh): der Begriff kann ein ähnlicher wie der von ufjö Ueber-
fluss, aber auch, da uf zugleich ab und auf bedeutet, der des
Niederwerfens gewesen sein. Eben daher kommen (J. Grimm in
Haupts Zeitschr. HI, 147 ff.), schon nach jüngerer Art aspiriert,
aufto vielleicht und ufta oft und in derselben Bavennatischen
Urkunde die andre Benennung Optariths Uftahari; üfitahari ist
nur öin Schreibfehler: althochd. lautet es Oftheri wie Optariäi
Ofterid. Andrerseits haben die Burgunden, wie aus ihrem Obtul-
fus sich ergiebt, die Media ebenfalls nicht aspiriert, aber auch
nicht zur Tenuis verhärtet : ich denke , weil sie der Abkunft des
Wortes von tib sieb noch bewusster waren, gerade wie* die Fran-
ken, wenn sie statt Apthadm auch Ahthadm schrieben, der Her-
kunft dieses apt von ab. Das sieht nun allerdings sehr ähnlich
jenem goth. fragibt und mögt. Da jedoch obt zugleich von dem,
was hier zu allervorderst übereinstimmen sollte, wenn das Bur-
gundische wirklich so sehr die Art des Gothischen theilte, da es
von beiden, dem opt wie dem uft der Gothen, entschiedenst ab-
weicht, so bleibt als Gewissheit nur die eine Thatsache und
Hauptsache stehn, dass die Burgunden, zum mindesten in die-
sem Worte, der Media vor T noch nicht die.Aspiratipn gegeben
haben, und das hatten sie nicht allein mit den Gothen, sondern
mit genug andern in späterer und schon in früherer Zeit gemein.
Neben all dem Zusammenklang aber der beiden Sprachen
im Grossen und Ganzen \irie in Einzelheiten machen auch (wir
haben so eben ein Beispiel davon kennen gelernt) mehrfache,
mannigfache und nicht unbeträchtliche Unterschiede sich bemerk-
bar, Unterschiede die man nicht überall auf die Bechnung un-
kundiger Schreiber setzen oder in dem ähnlicher Art erledigen,
die man meistens nur so erklären kann, dass wirklich der Bur-
gundischen Sprache von vorn herein ein andrer Character eigen
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 343
gewesen als der Gothischen, und dann dass gegen die Zeit bin,
wo das Reich zu Grunde gieng, auch sie in Verwirrung und in-
nere Ungieichmässigkeit gerathen sei: ein solcher Zustand muss
ja, länger oder kurzer, über jede Sprache kommen, wenn eine so
durchgreifende Umgestaltung, wie im Deutschen die Lautver-
schiebung des siebenten Jahrhunderts war, sich vorbereitet.
Zweierlei jedoch oder dreierlei, worin man derartige Ab-
weichungen theils gefunden hat, theils vermeinen könnte zu fin-
den, muss ich gleich zum Voraus beseitigen. Einmal das Wort
hendinos, nach der Angabe Ammians XXVIII, 5 der Burgun-
dische Königstitel; Jac. Grimm (Rechtsalterth. S; 229. Gesch.
d. D. Sprache II, 706) stellt denselben dem gothischen Undins
gleich, der Uebersetzung von Tq^sfi-ov: „H mag hier für CH =
goth. K vernommen worden sein, ein Vorläufer der ahd. Ver-
schiebung, wie auch ein Alamannenkönig Hortarim für Chortarius
steht, von chortar grex, ^s. coriier.^ Gegen den Begriff, den
letzterer Name hiemit erhielte, will ich nichts einwenden, indem
ich mich des Homerischen 7coi[jlv)v XacJv und daran erinnere, wie
auch in der altsächsischen Evangelienharmonie werodes hirdi,
landes hirdi/ burgd hirdi und ebensolche Ausdrücke bei den
Angelsachsen s. v. a. König oder Fürst bedeuten. Indessen chor-
tar heisst eigentlich quartar und hiess zu jener Zeit gewiss
auch noch mit weicherem Consonanten quardar, und der HoHarittSy
den wiederum nur Ammianus nennt (XXIX, 4), hat schwerlich
so, sondern eher etwa Hrdiharius Hrdihakarius d. i. Buhmkrie-
ger geheissen. Ueberhaupt aber sind Vertauschungen des K
gegen H im Deutschen unnachweisbar, und ebenso unnachweisbar
im Burgundischen die vom K gegen CH. Daher, wenn trotz
dem Bedenken, das auch der üebergang von / in JE vor der
Consonantenverbindung ND erregen muss, kindins und hendinos,
oder dann noch besser hendinus oder hendines, ein und dasselbe
Wort sein sollen, ist H allerdings wieder in CH abzuändern,
aber in jenes CH, das die späteren Lateiner und nach lateini-
schen Vorlagen auch die Griechen häufig so wie jetzt die Ita-
liäner brauchen, um da einen Ä^-Laut zu bezeichnen, wo das
blosse C wie Z oder sonstwie zischend lauten würde: chmdines wie
Ckindm und Chindasvinthus , wie Bichila und Richimeres u. dgl.;
wird diess CH dann auch vor andere Vocale als nur vor I und
E gesetzt und damit der im Lateinischen minder gewohnte Buch-
\
344 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrguuden.
stab ZU einem Gepräge der Barbarei gemacht, das die Schreibmig
den germanischen Namen überhaupt aufdrückt, so ist der erste
und eigentliche Aniass hiezu doch immer in Worten jener Art
zu suchen. Wie aber, wenn der Fehler bei Marcellin vielmehr
in dem ersten Yocal seines hendinas läge? Die germanischen
Völker haben ihre Könige nicht immer mit einem Wort gerade
dieses Sinnes, sondern, da eine Hauptpflicht der Könige und aller
Fürsten das Kichteramt war (hie etenim et rex iUis et pontifex
ob mam perüiäm habebatvr et in summa justitia poptdos judi-
cabat Jord. 11), die einen wie die andern gern auch nur mit
Bücksicht hierauf benannt. Belege für Quaden und Gothen bei
Amm. Marceil. XVII, 12 regalis Vitrodoms, ViduarU fUitis
regiSf et Affilimundus subregtdus aliiqus optimales et judices
variis populis praesidentes; XXVD, 6 Athanaricum ea tempestate
jtidiceinpotetUis8immn;XKXl, 3 AthatuiricusTh€rvingorumji44hx:
nach Themistius Zeugnisse zog Athanaricus selbst es vor Siebter
zu heissen, nicht König; ihn oder seinen Vater Bhothesteus meint
auch Auxentius, wo er von dem irrdigioso et sacrilego judice
Gothorum spricht (Waitz über d. Leben d. Ulfila S. 15. 38),
und noch in dem deutschen Ammonius des neunten Jahrh. VIII,
3 werden die Worte des Evangelisten ex te enim exiet dtix, qui
regat poptdum meum Israel, übersetzt wanta fon ihir quimit
iuomOy (her rihtii min folc Israel, also dux wiedei^geben mit
einem Ausdruck der sonst und eigentlich den jtideoo'h&ieidmei
(ebd. XXVII, 2. LXII, 4. CV, 1, CXXn, 1): dass auch rihtäri
bald die Verdeutschung von rex und regulus, bald die von judex
ist (GraflFs Althochd. Sprachsehatz U, 422 fg.), gehört weniger
hieher, da dieses Wort sein Ursprung zu dem einen und dem
andern Begriffe gleich berechtigt. Haben nun die Burgunden ihr
Königthum einst ebenso wie die Gothen aufgefasst? Es erscheint
in dieser Beziehung kaum bedeutungslos, dass diejenigen, welche
die gerichtlichen Urtheile vollstreckten und die Bussen eintrieben,
noch gegen Ende des Beichs in dem engsten persönlichen Ver-
hältniss zu dem Könige standen , dass sie dessen leibeigene
Knechte waren: Gundobada nennt sie deshalb in seinem Bechts-
buche XLIX, 4 u. LXXVI, 1. 3 pvsros nostros, mitisccdcos
nostros: altsächs. wUi, althochd. wiisi Strafe und sealc Leib-
eigener. Bekanntlich aber ist für Bichter ein altverbreiteter
deutscher Ausdruck hunno (wohl der früheste schriftliche Beleg
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 345
in der altsächs. Evangelienharmonie S. 63, 22), und das muss,
da ihm in gleicher Bedeutung cenienarius und cmturio zur Seite
stehen, es muss auch nach dem, was die Germania des Tacitus
12 über die Zahl der Beisitzer des Bichters meldet, Von hund
d. h. hundert abgeleitet und ebenso aus einem distributiv gebil-
deten hundino verschleift sein wie das chunna Hundert der Lex
Sal. S. 95 aus chundina. Diess Wort denn, hundino^ wäre an
die Stelle des Ammianischen hendinos zu setzen und hundina
damals der Titel eines Königs der Burgunden gewesen. Ammia-
nus sagt selbst zwar auf lateinisch rexj aber noch Olympiodorus
(Corp. Scr. Hist. Byz. ed. Bonn.. I, 454) mag dem ruvTLapio<;
keinen höheren Namen als den eines 9uXapxo(; gönnen.
Sodann die Verhärtung des H in CH^ die schon in älterer
Germanenzeit für die Bevölkerung des mittleren Deutschlands
bezeichnend und nachher eine unterscheidende Eigenheit zumal
der Franken gewesen; römische und nachrömische Schreibung
macht daraus gelegentlich ein blosses C. Dergleichen nnn auch
in einer nicht geringen Beispielzahl bei den Burgunden, stets
aber so, dass es dennoch unburgundisch ist. Diese Mundart
selbst gleich der der Gothen und denen der übrige Germanen
kannte allein das reinere H: Beweis dafür so authentische Be*
lege wie Img auf dem Bracteaten von Broholm, wie im Rechts-
buche Gislakarius und Gundaharnis nebst Walc^arius Wena»
haHm Hildegemm Hildeulfm; es ist lediglich fränkische
Auffassung und Entstellung, oder es sind Namen von Personen
fränkischer oder mitteldeutscher Herkunft, wo anstatt des H sich
ein CH oder gar nur ein C vorfindet, theils fränkisch theils
mitteldeutsch, wenn Hilpericus und Gtmdäharius auch Chilperi"
cm und Gundacharius oder Gundicarius heissen, Gundobadas
Nichte Hrothehild nun als Gemahlinn des Prankenköniges Chro-
dechüdis, ein Bischof von Lyon Charteniiis, eine ebendort begrabene
Königinn Caretene und der erste der Grafen, welche die Gundo-
bada unterzeichnen, Äbcarius oder Äbacaris: daneben die bur-
gundischere Lesart abhaaris d. i. abaharis wie umgekehrt neben
walaharii wenaharii die fränkischeü uaUicarü uenicarii uuana-
charü. Nur auch darum, weil die Burgunden ihr H noch leich-
ter hauchten, konnte es gelegentlich, da wo es inlautend zwischen.
Vocalen steht, sich ganz verlieren. Wir lesen neben einander
Andaharivs Gislaharim Gundaharim und Andearim Andarius
346 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bargnnden.
Gislaarim Gislarim Gundarius [Eptcidiiis, vgl. Apthad Pörste-
mann 1, 4]; ebenso ist Criscladtia, wof&r auch Giseladus und
mit weiter gehenden Entstellungen Sigladm Oisgaldus Gj/gtaldm
sich geschrieben findet, sicherlich nur aus Gisdahadvs zusam-
mengezogen: giscl eine später zu erörternde Ableitung von gis
Speer, haihu Kriegsglück; Gisclahadtts und Griscladus wie an-
derswo Theodahadus und Theodadus, bei Procopius B. Gotth. I,
3 fgg. Oeu&ocTOi;: die Franken hätten mit festerem Laute wie
Widrachadus (Urkunde von 658 bei Pardessus Nr. 332) so auch
Gisclachathm gesprochen. Wenn es aber in der Urkunde von
S. Maurice auch Agano anstatt Hagano^ auf Grabsteinen Art-
gunde Arimundm llddo Orovdda heisst anstatt Harigunde
Harimundua Hilddo Horovelda, und Harüheu (s. oben S. 335 fg.)
in Aridius latinisiert wird, so konnte solch eine Tilgung auch
der Anfangsaspirata schwerlich aus der Sprache der Burgunden
selber kommen, sondern nur aus der der Bomanen und aus ihrer
Feder, von ihrem Meissel.
Die Mundart der Franken verwendet jedoch ihr rauhes CH
nicht bloss anstatt des H^ sondern auch, obschon nur seltener
und nicht so durchgehends, anstatt der Media G: der Cliochilai-
cm Gregors von Tours (Hist. Franc. III, 3) zeigt beiderlei CH
neben einander: auf Altnordisch hiess derselbe Konig Hugleik,
auf Angelsächsisch Hyg&lac: MüUenhofif in Haupts Zeitschr. VI,
437. Und es mag dieser Tausch auch andern noch älteren Völ-
kern eigen gewesen sein: der Name der Chauci dürfte sich am
besten erklären, wenn man chauc gleichstellt mit gauc Gauch,
jener geläufigen Schelte des Alterthums ^) : ich habe von solchen
Spottnamen der Völker anderswo ausführlicher gehandelt (Haupts
Zeitschr. VI, 254 fgg.); den Ghauken ward der ihrige darum
gegeben, weil man ihre stolze Friedfertigkeit (Tac. Germ. 35) für
Unmännlichkeit und Thorheit schätzte. Ein derartiges CH nun
bietet vielleicht auch Chrona, nach Gregor von Tours (Hist.
Franc. II, 28) der Name von Chrothechilds älterer Schwester:
er könnte s. v. a. Grona, die Grüne, die Wachsende bedeuten.
Indess sie führte diesen Namen erst „mutata veste^S nachdem
sie „se deo devovit" (vorher war sie Sedeleuba genannt: Predeg.
1) [vergl. chaugiehaldo: J. Grimm vor Merkels Lex Salica S. XXXV.]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 347
Epit. 17), und da erscheinen andre Auffassungen schicklicher,
die wiederum das CH für H und das entweder im Sinne
eines AU oder kurz verstehen: hrinwan^ im Aoristus hrau,
heisst althochd. betrüben, hraun altnord. Stein- und Lavaboden,
hrotio rono alth. ein umgefallener Baumstamm, hrynja altnord.
stürzen. Was aber das richtigere sei, CH für G oder für H,
in jedwedem Fall ist die Form des Namens fränkisch und die
burgundische war Grdna oder Hrauna Hrona Hrona.
Also diese Dinge kommen nicht in Betracht, wo anzugeben
ist, was innerhalb des Consonantengebietes Abweichung des Bur-
gundischen vom Germanisch -Gothischen sei. Mancherlei andres
aber und solches, das uns die Sprache bereits in beweglicherem
Fluss und in schwankender Unsicherheit zeigt. Ein Merkmal
der Art haben wir so eben schon wahrgenommen, das Verschwin-
den des H in Andaharius Andanm u. s. w.; reihen wir daran
sofort ein paar dem ähnliche Erscheinungen.
Wo ein / zur Ableitung dient, bleibt das entweder nach
eigentlicher alter Eegel unberührt und ohne weitere Wirksamkeit
bestehn: Aliberga Conia Coniaricm Ftisia Sunia Wiliemeres
Vüiaric Vulfia; öder (und das ist dem gothischen und allem
früheren Sprachzustande noch ebenso fremd als dem späteren
geläufig) es verliert sich theilweis oder gänzlich in den vorauf-
gehenden Schlussconsonanten der Wurzel, und die Folge davon
ist, dass dieser sich verdoppelt und verhärtet: Guntello Tullii
Villioberga VilUgisclus Wülhneres Vassio Siggo Sicco; oder
endlich, wiederum wenn so wie zuletzt hier der Stamm in G
ausläuft, G und / fliessen in Einen Laut zusammen, sei das
nun ein J, der Consonant der zwischen G und I in der Mitte
liegt, sei es ein voll vocalisches /; das nun mit dem Vocal vor-
her zu einem Diphthongen sich verbindet: vegius vejus oder veius.
Von eben der Art ist im Latein Cassiodors und der Lex Visigoth.
das aus gothischem sagja entstandene sajo oder saio (Jac. Grimms
Rechtsalterth. S. 765 fg.). Gleichwohl sieht diese Verflüchtigung
des G mehr romanisch als deutsch aus. Saio und veitis, beides
sind Appellativa: sie gehören zu denjenigen Worten der Barbaren,
die, wenn man sie ins Latein versetzte, einer stärkeren Ent-
deutschung zu unterliegen pflegten als die Eigennamen. Und mag
auch der Uebergang von agi in ai, wie er. sich mehrfach im
Althochd. und Altsächsischen zeigt (z. B. Agino EinOj Magino
348 Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden.
Meino, Ragino Reino\ ebenso schon der älteren fränkischen
Sprache (J. Grimms Gesch. d..D. Spr. 1, 539) eigen gewesen,
mögen sogar schon in urältester Zeit, schon ehe (Ji^ya; und
tnagnus sich in mikil verschoben, die Steigerungsformen mais
und maist aus tnagis und magist entstanden sein, überall hier
folgt unmittelbar auf das ai ein Consonant [? Graffs Sprachschatz
4, 761] und setzt den verfliessenden Lauten wieder eine feste
Begrenzung: bei saio, bei veim ist das nicht der Fall, das Wort
nimmt ein Ende ohne noch seinen Schluss zu haben. Als das
wirklich burgundische Verfahren dürfen wir nur die Verdoppelung
anerkennen, die bei Siggo S^toco eintritt, und wie dieser Name
buchstäblich so im Altsächsischen und Althochdeutschen wieder-
kehrt (Haupts Zeitschr. I, 3. Förstemanns Altd. Namenbuch I,
1086), stehen hier auch dem veius und saio die echteren Formen
wiggi Pferd, ämggi ätoikki ohne Weg, seggi der Eedende, der
Mensch und wärsecco Wahrsager gegenüber.
Anders verhält sich mit G und J die Sache da, wo ersteres
der Anfangslaut einer Wurzel ist. Das ' Gothische unterschied,
wie ülphilas Alphabet beweist, beide Gonsonanten aufs bestimm-
teste, und ebenso stets die reinere Mundart der Oberdeutschen.
Nicht aber so die des nördlichen Deutschlands, die der Sachsen,
wenigstens wie die Evangelienharmonie sie beurkundet, der Friesen
und der Angelsachsen: da verliert sich der Anlaut G in J, im
Schreiben wird bald diess für jenes, bald auch jenes für dieses
oder (so im Angelsächsischen) stets nur G gesetzt, und gleich-
gültig bindet die Allitteration das eine mit dem andern. Diese
Vermischung nun muss auch im Burgundischen gegolten haben :
denn sicherlich nur, weil das G hier gleichfalls den halbvocalisch
fliessenden Laut sich angeeignet, konnte es, wenn auch nicht
nach nordischer Art von jedem ersten Wortanfange, doch in der
Zusammensetzung von dem Anfange des zweiten Worts ver-
schwinden, konnte Hildigemus zu HUdiemus, Gtmdigiscltis zu
Gundiisclus, Gundigisdtis zu Gundiselus, Godigiselus zu Godi-
selus werden : es ist eine der zwei letzteren Formen , die eine
Urkunde vom J. 587 in Gaudisellm entstellt hat. Mitgewirkt
zu der Abschleifung haben natürlich auch die zwei benachbarten
I: eine nothwendige Bedingung jedoch war diese Nachbarschaft
wohl nicht: auch die Fränkische Mundart lässt oft genug das
Anfangs-6 d. h. wiederum ^T eines zweiten Bestandtheils fallen,
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 349
•
aber sie thut das nicht allein, wo sich dasselbe mit I oder einem
daraus abgeschwächten E berührt, z. B. in Chrotigeldis Chro-
diddis Chrotildis (vgl. den Leovildus d. i. Leovigildus bei Le
Blant, Inscriptions chrötiennes de la Gaule II, 456 Nr. 611 vom
J. 582, Leubildus Leuvüdus in Fredegars Epitome 82; auch
Namenformen wie Erhoildis und Marcoildis dürften gegen Jac.
Grimms Gesch. d. D. Spr. I, 544 schicklicher so mit Aphärese
eihes G aus gild, wo nicht mit der eines W aus jenem vild zu
erklären sein, das wir burgundisch in Orovelda haben): das
fränkische G fällt ebenso wohl vor dem volleren ^-laut hin,
z. B. (J. Grimm a. a. 0. S. 541) Arboastes Blandastes Leu-
dastes.
Mit Aphärese eines W. Alle deutschen Mundarten nämlich,
im beschränktesten Maasse noch die gothische, im ausgedehntesten
sodann die des scandinavischen Nordens, lassen den Halbcon-
sonanten W, wenn ein Vocal darauf folgt, bald so, bald anders,
sich verlieren, bald indem auch er in einen Vocal und zwar in
den, der ihm zunächst liegt, übergeht, also in U (und dieses ü
kann sich wieder in abschwächen), bald indem dieses U mit
dem Laut dahinter so in ein^ verschmilzt, dass aus beiden sich
ein Mischlaut bildet, bald endlich indem es ganz erlischt und
nur der Laut dahinter bestehen bleibt. Das Gothische hat von
dem allem mit Sicherheit nur die Abschleifung des Wortes vtdf
d. i. Wolf in ulf, sobald damit ein Name endigt, z. B. Atha-
ulf; das Gleiche von da an überall und auch im Burgundischen :
also Gundeulftis Hildeidf us Obtulftcs Riculftts und, mit einer
Einschaltung die durch das Wesen beider, des L imd des F,
veranlasst 'ist, Vithtduf: daneben jedoch heisst es unverändert
nicht allein Vulfia und Vtdfila, sondern auch Sigisvuldus und
selbst, als andre Lesart für das letztere, Sigesvulfus, Ausserdem
hätten, wenn auf die Griechen zu gehen wäre, die Gothen auch
U für WI und hätten sogar im Beginn der Worte so. gesprochen :
OuXiac OuXiaptc u. dgl.^) Bei den Golhen selbst jedoch und
bei den Römern finden wir stets nur die Schreibung Wilia
Vüjarith u. s. w., und so lässt auch das Burgimdische gerade
diess Wili unberührt und sagt Viliaric Wilemeres u. s. f.:
1) ['AjiaXaaoOv^a: vergl. Jord. 14.]
360 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden.
wohl aber verwischt es, und zwar wieder nur als zweiten Be-
standtheil, drei oder vier andre ebenso anlautende Worte und
thut zugleich in dieser Sichtung noch einige Schritte weiter:
auch aus WA macht es entweder UA oder OA oder in Folge
dieser Yocalisierung den Mischlaut 0, oder aber es tUgt den
Halbconsonanten yollends und belässt nur das A, Beispiel für
UA ist Nastuildus. Der vordre Theil dieser Zusammensetzung,
den für sich allein wir in der Form Nastm schon bei Cäsar als
den Namen eines Sueven lesen (B. Gall. I, 37), ist, und warum
nicht? unser Wort Nase, althochd. nasa, altnord. nasu nös. Hat
doch auch Bom seine Naso Nasica Nasidim NaMi^enm, und
worauf zielen die deutschen Namen Baino Oniva Hanta Lancha
Wamba und vielleicht auch Mundus, wo nicht auf irgendwelche
Auffälligkeit schon des Kindes oder erst des Mannes an Bein,
Knie, Hand, Hüfte und Bauch? Vgl. Dietrich iq PfeiflFers Ger-
mania XI, 197. Ich weiss hier zu Lande jemand lebend, den
die Leute seiner grossen Nase wegen den Nasenkönig nennen^),
ganz ähnlich also unserm Nasualdus: denn der zweite Bestand-
theil (in Engevald sehen wir ihn noch unverändert) kommt von
dem Zeitworte valdan herrschen. Wenn sodann aus Nastiald
später Nasolt geworden igt, so stehen dem zahlreich andere
Fälle auch mit späterem olt aus wald tmld oald zur Seite, wie
Engevald Ingold, Cariovalda Harioaldtis HarioU HeroU oder
aber mit voller Austilgung des W Harald Herald. Während
aber Nasualdus für das Burgundische nur noch die Yocalisierung
des Halbconsonanten belegt (denn die Inschriften zu Genf und
Lyon mit den Namen Aegioldus und Fredaldus sind beide nach-
burgundisch: s. Le Blant II, 2 u. I, 88), belegt uns- ein drittes
Wort die Verschmelzung desselben mit dem folgenden Ay die
ein ergiebt, der Name Emiocer: hier kann der zweite Theil
nur das Adjectivum wacar wach, munter sein, das z. B. auch
(vgl. Dietrich a. a. 0. S. 192 fg.) in Odovacar Odovacer Odo-
acer Otochar Otachar enthalten, das auch allein schon Eigen-
name geworden ist: Ouaxxapoc 8 Ouapvoij xb ysvo<; Agath. I,
21. Das reichste Beispiel aber gewährt uns ein burgundischer
1) [„Sich Nasenkönig, wie die Nass drein steclfst": Garg. 1582 K4
VW. (1617 S. 161); „Nasenkönig Nasart"; V 2 vw. (309a).]
Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 351
König: denn von den wechselnden Formen Gundiacus Gundiocm
Gundiiwus Gtmdkus beruhen die letzteren auf Gundivicm Gund-
uicm, wie in der That ebenfalls geschrieben wird, Gundiocm^
aber und Gundiacus auf Gundivacus, ^ Yf^hreni Onovaccus bei
gleichem Ausgange keine solche Veränderung erleidet. Es ist
das wesentlich alle vier Mal derselbe Name: aber die Bildung
schwankt zwischen der Aphärese und der Verschmelzung des W,
zwischen dem präsentischen / und dem aoristischen A der
Wurzel: das gleiche Schwanken, wie wenn eben daher (es ist
unser wachen y das Grundwort auch zu jenem wacar und dem
unzusammengesetzten altnord. Vah und langobardischen Wacho
in Grimnis mal Str. 54 und bei Paul. Diac. I, 21. Ouaxir|(;
Ouaxtc bei Proc. B. Gotth. 11, 22. 111/ 35), wenn eben daher
die Lerche auf Althochdeutsch lerihhä und ISrohhä und lerahhä
genannt wird, d. i. laiswihhä oder laiswahhä die Purchenwache-
rinn, und der Wachholder sowohl wechaüer als wachalter der
immer wachende Lebensbaum. Die Sprache der Franken hat
diesen Namen in Gleichklang mit den Namen ihrer Könige
Chlodovichus Chlodovechus Merovechus hinübergezogen und ihn
in Gundevechus umgewandelt, d. h. sie hat aus dem C jenes CH
gemacht, welches nur s. v. a. Ä bedeutet und deshalb wie H
auch wegfallen darf (altsächs. angels. vih, altnord. aber vS Hei-
ligthum, Gott): wirklich kommt denn auch Gundeveus vor,
während Gundiochus Gundeuchus Gtmdichus wiederum Ver-
schmelzungen von Gundivechus und Gundevichus sind. Wenn
aber auf dem Bracteaten von Broholm Gunthious steht, so ist
da bei Anfertigung des Stempels die Kune für K übersehen
worden. Und noch eines ist auf Anlass dieses Namens zu be-
merken. Er kommt, soviel ich weiss, nur bei den Burgunden
und nur an diesem einen Könige vor: das berechtigt und nöthigt
uns in Guntheu^ca oder Gunthtucha, der Gemahlinn zuerst des
Frankenkönigs Chlodomer, dann, als derselbe gegen die Bur-
gunden gefallen, seines Bruders Chlothachar, auch eine Bur-
gundinn, eine nach Gunthioc benannte Nachkomminn desselben
zu erkennen: gerade dieser ihrer Herkunft wegen, aus politischen
Gründen, eilte Chlothachar so, dass er sie nach des Bruders Tod
sich zum Weibe nähme.
Endlich nach all diesen Tilgungen von Halbconsonanten der
Kehle, des Gaumens und der Lippe könnte es scheinen, dass
362 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrganden.
gelegentlich noch einen vierten flüssigen Laut die Ausstossung
treffe, auf alt- und angelsächsische, friesische und nordische
Weise die Liquida JV vor einem S. In Ansetnundus bleibt die-
selbe zwar, und es heisst nicht wie in jenen Sprachen Asmund
oder Osmund; ebenso in Ansleuhana und in Föns und Sigifunsm.
Wenn jedoch auf der Spange von Charnay Fmia steht, so kann
das, falls dabei kein Fehler waltet, allerdings kaum anders als
mit Dietrich (Haupts Zeitschr. XlII, 119) so erklärt werden,
dass der Name auf Grund desselben Adjectivums funs, das in
Föns und Sigifunsm vorliegt, gebildet, das N aber diessmal aus-
gefallen sei, wie in dem altsächs. angels. und altnordischen füs
das immer geschieht; funs füs hat den Sinn von feuiig, rasch,
thätig. In Anbetracht indessen jener ans und funs mit ver-
bliebener Liquida ist wahrscheinlicher, dass beim Einritzen der
Runen das N nur sei vergessen worden: auf derselben Spange
fehlt ja auch das ei'ste A von unthfanthai, und eben erst haben
wir bemerkt, wie in einer anderen Inschrift ein K verabsäumt
ist. Freilich, wenn es gestattet wäre, wie Dietrich femer thut,
den ^Ulifüs:^ des Procop (B. Gotth. III, 12. IV, 33) mit hie-
herzuziehen und in Vilifüs, Vilifuns zu deuten, so hätten auch
schon die Gothen füs gesprochen, und das würde die Annahme
der gleichen Sprechweise für die Burgunden unterstützen. Pro-
copius schreibt jedoch nicht OuXl9o\)(;, sondern OtlXtcpoc: er
meint also eher, indem er nach beständiger All; der Griechen
das gothische VTJ mit einfachem O'Y wiedergiebt, den Namen
Vulf, nur mit ebensolcher Erweiterung in Vulif, wie vorher die
von Vithtdf in Vithuluf gewesen. Und nirgend sonst ist bei
den Gothen dergleichen nachweisbar: oft genug dagegen kommt
bei denen in Spanien gerade fons, vollständig in den Consonanten
und nur im Vocale romanisiert, ganz wie dort bei den Bur-
gunden, vor, z. B. eben Viüiefonsus.
Nicht also der Ausfall des N, wohl aber war dessen Ein-
schaltung vor einem S burgundisch. Auch Gothen und Van-
dalen übten eine solche, wenn sie aus Gaiserictis^) Thrasaricus
Thrasamundus Gensericus Thransaricus Thra^isamundus^ und
1) [Gaisericus u. 8. w.: Jul. Friedländer die Münzen der Yandalen
S. 6. 7.]
^
/
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. ^ 353
ebenso einst die Angelsachsen, indem sie aus nasii zuvörderst
nansu machten: denn nur so erklärt sich, dass ihnen nun die
Nase ndsu heisst. In diesem Worte denn die gleiche Ein-
schaltung bei den Burgunden: oder kann der Name Nansa, den
eine Inschrift dem Namen Nastmldus beifügt, etwas anderes als
gleichsam eine Abkürzung desselben sein? Wir haben darin
aufs neue das schon vorher S. 350 erwähnte suevische Nasua
vor uns (auch Töpferzeichen in Mommsens Inscr. Confoed. Helvet,
Lat. S. 95 Nr. 352, 141 u. 142 gewähren neben einander Nasstis
und Nansm\ nur jetzt mit Beseitigung des U oder gleich ohne
diesen Ableitungslaut gebildet. Und noch etwas kam hinzu, das
gerade bei Nansa zu solch einer Aenderung Anlass gab, wäh-
rend sie doch bei Nasualdus unterblieb: die schwache Flexion
des Wortes, die alle Casus hindurch jene Liquida in die Endung
brachte: da floss dieselbe zugleich in die Wurzel über, und es
fand ein^Angleichung ganz eben der Art statt, wie wenn altnord.
Aganihyr, althochd. Agandeo sich in Angantyr Angandeo ver-
wandelt (Einh. Ann. 811) oder Maganpert Meginhard in Man-
ganpert Mengenhard.
Der weitest greifende Unterschied jedoch des Burgundischen
von dem Gothischen und dem alt und allgemein Germanischen
beruht in der Art, wie das erstere mit dem TH verfahrt. Es
war diese Aspiration allerdings auch den Burgunden eigen: das
wird uns von dem Futhark der Spange von Chamay und von
den Runeninschriften derselben und des Goldbracteaten mit ihrem
unthfanthai und Otmthious und Vithuluf bezeugt; sodann von
zwei anderen Inschriften die, obwohl sonst in lateinischen Buch-
staben aufgesetzt, doch in den Namen Athica und BaUho die
Rune für TH gebrauchen (in der ersten derselben, zu Revel-
Tourdan und vom J. 563, giebt freilich der Abdruck Le Blants
U, 150 Nr. 460 A Adica, die Abbildung aber auf PI. 61 Nr.
368 zeigt deutlich die eher in ein P verzogene Rune); femer
von dem Rechksbuche mit Angantheus Athala Balthamodus Vthila,
von dem einen Texte der Urkunde von S. Maurice mit Theude-
modus, mit dem Tlievdelinda einer Urkuude noch des Jahrs 587
und endlich dem Guntheuca oder Guntkiucha und dem Gunthe-
giselus Gregors von Tours und Fredegars in der Epitome. Wie
aber für BaÜhamodtts auch Baltamodus und Baldamodm, für
Theudemodus in dem anderen Texte Teudemondns geschrieben
Wackemagel, Sohriften. III. 23
354 Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden.
wird, so wiederholen sich diese Yertauschungen und namentlich
die gegen D auf das häufigste, und letztere stellt sich als die
eigentliche Regel dar. Soll man darin ein blosses Ungeschick
der lateinischen Schriftgebung erkennen? Ich glaube kaum: in
den Namen der Gothen ward gleichzeitig ein lateinisches TH
durchaus nicht gespart, sonst ater und Mher trat vielmehr das
härtere T an dessen Stelle wie C an die Stelle des CH, und es
hiess z. B. Teutoni Gotones Cattimerus Frifigemtis. Sichtiger
daher wird die Annahme sein, es habe auf diesem Punkte schon
im Burgundischen selbst, aber nicht hier allein noch hier zuerst
(denn zu • eben der Zeit geschah das auch im Fränkischen), die
Lautverschiebung, die später durch alles Oberdeutsch hin TH in
D umsetzen sollte, sicli vorbereitet und einen Anfang gemacht.
Beispiele solcher vorausgeeilten D sind Aridius, auf Althochd.
Herideo: goth. thiu Diener; BaUlaridm Baldaredus Fredeholdus:
goth. baUh, ahd. pcUd kühn; Fredeboldus Fridigemu8 Fridi-
giacltis Fredemiitulus: altsächa. fr Uhu, ahd. fridu Friede, Schutz;
Oundobadm Gundefuldtis G^ndiiscltis Oundaharius Gundomares
Gundemundus Gundiocus Gundeulfus Arigunde: angelsächs.
altnord. güi^, ahd. gundja (im Hildebrandsliede güdea) Schlacht,
Krieg; Giscladus d. i. Gisclahadm (oben S. 346): altnord. J33ö
der Gott des Kriegsglückes, angels. heabu-, ahd. Hadumär u. dgL;
Nandoredns Euriandtis: goth. nanthjan sich erkühnen, nand ahd.
Kühnheit; Segismddus: goth. vulthm Herrlichkeit. Mit T da-
gegen Chrotechildis und Gotia Goticus Suavegotta: altn. hrdb
Buhm, ahd. Hrddhildls; Gvth, ahd. Gtui Gothe (Jac. Grimnis
Gesch. d. D. Spr. I, 439 fg.). Chrotechildis wird freilich nur
von Gregor von Tours und demselben Fredegar so überliefert,
der auch Chrotadharim schreibt (Chron. 70 fg., Gregorlus aber
Mirac. S. Martini I, 7 Chrodechildis) , Suavegotta erst von Flo-
doardus, und letzterer Name zeigt sich auch sonst entstellt: denn
das V ist hier wie in der Lesart morginegyva L. Burg. XIH, 2,
wie auch in den Suavi des Jordanis, der Suavia Gassiodors und
schon den Suevi Jul. Gäsars Bomanisierung eines deutschen £.
Parallel solcher Verwandlung des TH in D geht die des ur-
sprünglichen I> in T: hiefür aber giebt es mit Sicherheit nur
ein einziges und noch seitab stehendes Beispiel, Crundebatus als
Lesart neben Gundebadus in der Ueberschrift des Gesetzes:
badu Niedermetzelung, Schlacht, worüber nachher ausführlicher.
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 356
Zweifel, wie man es zurecht und auszulegen habe, erregt
wittimon u. s. f., im Gesetz die Benennung des Eaufgeldes einer
Frau. Hier kann man das T (die besseren Texte verdoppeln es
beinah überall, und dennoch wird das hier ebenso wenig bedeuten
als in wiUiscalcus, dessen I ja lang ist), man kann es dreifach
auffassen. Entweder es ist, da auch das Friesische witma oder
wetma, das Angelsächsische veotuma sagt, der ursprungliche und
unverändert echte Laut, dasjenige T aus welchem auf Hoch-
deutsch Z jffiri; nur erscheint dann jede Deutung des Worts
unmöglich: es würde mit goth. veitan, ahd. ivizan sehen, be-
achten, strafen zu verbinden sein: aber wie das? Jedoch wir
finden im Angelsächsischen öfter ein T, wo eigentlich ein Z> oder
2) stehen sollte, z. B. boü neben altsächs. bodl, botm neben althd.
podam [goth. hifUhan fangen, ags. hunta Jäger], und so könnte
auch das T in veotuma- und wittimon eigentlich ein goth. D
oder aber ein 2'H, d. h. ein althd. T oder D bedeuten. Für
TH als den rechten Laut spräche der Umstand, dass im Alt-
hochd. das Wort ein D aufweist: da ist mdumo toidimo tmdemo
die üebersetzung von dos, widemen von dotare, toidemSa von lex
Poppaea; die Wendung des Begriffes, die somit eingetreten ist,
zeigt sich noch enger gefasst in dem neuhochd. WiUhum, dem
sein Villkürlich geänderter Laut nur noch Bezug auf die Wittwe
giebt. Aber auch wenn wir widumo zu Grunde legen, stocken
Etymologie und Erklärung: wir haben weder eine Wurzel with,
ahd. wid, welche hieher passte, noch befriedigt die Behauptung
J. Grimms, widvm (denn diese Form setzt er an, Gramm. H,
241) sei aus wihadum zusammengezogen und diess von toihan
abgeleitet: i4nhan ist so viel als machen und als vernichten,
facere und conficere. So bleibt nur als drittes und letztes die
Annahme übrig, das T in wittimon u. s. w. sei aus D verhärtet
wie dort in Gundebatus, wie auch in dem Eidhat der siebenten
von den siebzehn Küren der Altfriesen *), und ursprünglich 6abe
der Burgunde widima oder sonstwie mit dem weicheren Zungen-
laut gesprochen. Die Wurzel ist dann freilich nicht, wie Richt-
hofen will (Fries. Eechtsquellen S. 1146), das altfries. weddja
d. h. geloben und die wörtliche Bedeutung nicht Gelöbniss: denn,
1) [ygl. altsächs. mid (für mith) und mUf hold (für halth) und haltt
and' und an^-J
23*
356 Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden.
weddja ist nur Umlaut eineS früheren vadjdn, hieraus aber
konnte weder witma, wie es im Friesischen selbst zuvörderst
heisst, noch mdima noch veotiima hervorgehn. Sondern wir
müssen unmittelbar auf das eigentliche Wurzel wort zurück, von
dem auch goth. vadi Pfand und vadjön weddja kommen, auf
das goth. vidan, ahd. wefan binden, verbinden, zusanmien Jochen:
indem das Geld für die Frau davon benannt wird, hören wir
aus der Schilderung, die Tadtus von dem Germanischen Eh-
abschlusse giebt (Germ. 18), zwei Schlagworte hwvorklingen,
die wie alles Einzelne in derselben richtig sind, maxtmum vin-
culum und junctl botes. Zwar sollte . es nun auch im Althoch-
deutschen und hier init noch besserem Fug als schon im Bur-
gundischen witufno oder mtinio heissen, nicht aber widumo
widimo^): theils jedoch mochte in einem Ausdruck, dessen An-
wendung eine so eng beschränkte und gerade auf das Becht
beschränkte war, der altüberlieferte Laut wohl haften bleiben,
theils mochte das Subst. wid, ein Seil zum Binden aus ge-
drehten Reisern, mit einwirken, das seinem Begriffe nach ver-
wandt erschien, obschon es aus einer ganz anderen Wurzel
stammt, nämlich aus einer und derselben mit ahd. widä und
hioL Weide, mit lat. vitis und vitta. Sollen einmal, wie doch
wohl nöthig ist, witthnon veotmna witma und widmno vereinigt
werden, irgendwie und irgendwo muss man alsdann eine Unregel-
mässigkeit gelten lassen.
Ein ferneres Wort, das mit in die Geschichte des TH und
zugleich, was seinen Begriff angeht, dicht neben wittimon gehört.
Im Gothischen ist mathl, sonst dagegen mahal mit H ein Ort
für öffentliche Versammlung und Besprechung und die Ver-
sammlung und Besprechung selbst und auch so viel als Verlöb-
niss, Vermählung und als Rede überhaupt: bloss das Angel-
sächsische hat neben mael d. i mähel auch noch mäiel bewahrt,
im Althochdeutschen giebt es mit madal wenigstens noch Eigen-
namen wie Mmlalfrid und Madalulf, und eben darauf (vgl. ahd.
stadal und glstallo, wadaldn und wallon) beruht das malltis des
fränkischen Rechtes. Das Burgundische nun sagte erstlich gleich-
feUs mahal; nur sind in dem einzigen Belege, worin sich uns
1) [vgl- goth. akaidan, alts. akethan, ahd. skeidan.]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 357
diese Form des Worts noch zeigt, der Zusammensetzung mala-
hareda (einfach so vereinigt und bessert sich in der L. Burg.
LXXXVI, 1 die Verderbniss und der Wechsel der Lesarten),
es sind da die beiden Consonanten umgestellt. Der gleiche Vor-
gang trifft aber oft so leichte fliessende Laute: ich erinnere an
althochd. ahir und altsächs. aroh (Rieger im Alt* u. Angels.
Leseb. S. 226); ahd. eliraj neuhochd. Eller Else xxnd erila, Erle;
zuinele und zuilene Williram XXXI, 28. gezuinile \mi gezwilini
Graffs Ahd. Sprachsch. V, 729; Athalariciis und Alderih Not-
kers Boeth. S. 2 Graff; altsächs. bodl, angelsächs. boü und bold,
fries. bold blöd; althd. nädala und nälda; notstadele und not-
gestalde Athis v. Wilh. Grimm S. 72; turestodelus dorestötdus
und turestölda duristualda duristuUdon Traditiones Wizenbur-
genses v. Zeüss; mundoaldus (mimtcMe) und mittelhd. munt-
adele Altd. Leseb. 190, 9; ahd. Faganulf und Fanagulf ¥6TsiQ-
manns Namenb. I, 397; nabagir und mhd. nageber; doch näher
vergleicht sich der ahd. Frauenname Ahalagdis für Älahagdis
d. i. Alahaidis Förstern, a. a. 0. I, 38 [altfries. wiliga aus tm^
gila: vgl. J. Grimm Mythol. S. 985], vielleicht auch schon aus
früher Germanenzeit das oMis (germanisch ehls?) des Plinius
Hist. Nat. VIII, 15, falls darunter, wie die Worte Cäsars B.
Gall. VI, 27 annehmen lassen, das sonst immer alx oder alces
(germ. dhs?) genannte Thier, der Elch, zu verstehen ist; am
nächsten aber die Glosse mahela mantica Ahd. Sprachsch. II,
650 für maieha, malaha, während gahamalos i, e. confabülatos
in dem Wörterbuch der Langobardischen Bechtssprache (Haupts
Zeitschr. I, 554) nur ein Fehler des undeutschen Schreibers sein
wird: gemeint ist gamahalos (Ed« Both. 367). Eine dem ähn-
liche Umstellung in dem Burgundischen Namen Angatheus. Die
eigentliche Form lautet Aginathem, syncopiert Agnatheus, mit
Auswerfung des Bindevocals im achten Jahrh. Aganteus Agen-
tetis: aber das N tritt vor das G zurück wie anderswo in Agan-
fredus Agnifredus und Angofridus, Agantrvdis und Angedrudis,
Baginharius und Rangharim , Bagnericm und Sangaricus, wie
auch in dem andelago Genit. andelaginis und andelang oder
andelangus der alten Bechtssymbolik (Jac. Grimms Bechts-
alterth. S. 196 fgg. 558), das, wie ich vermuthe (nur ist hier
nicht der Ort für die weitere Ausführung), der Schnürriemen
der Beschuhung war.
358 Sprache and Sprachdenkmaler der Bargunden.
Die Franken also haben das THL von mathl in LL an-
geglichen, aber nicht erst als sie ihr Becht in Lateinisch brach-
ten: schon Ammianus Marcellinus nennt wiederholendlich einen
Franken Mallohaudes; und auch nicht die Franken allein: um
ein gut Stück früher heisst auch ein Feldherr der Marser (Tac.
Ann. n, 25) Mallovendus, und der alte Name von Detmold ist
Theottnalll Und diese zweite Behandlung des Wortes mag,
wie es ja auch im Althochdeutschen und Angelsächsischen zwie-
fach behandelt wird, gelegentlich ebenso im Burgundischen ge-
golten haben.
Und endlich noch ein Punkt aus der Pathologie des bur-
gundischen TH bleibt zu berühren, und wiedör müssen wir dabei
von der fränkischen Mundart, zugleich aber von der streng ober-
deutschen der Langobarden ausgehn. Eine bezeichnende Eigen-
heit dieser beiden, vorzüglich jedoch, wie es scheint, der ersteren,
ist das üeberspringen der Aspiration von Zunge und Kehle auf
die Lippe, die Neigung TH und CH oder H in F umzusetzen:
ich habe davon anderswo (Haupts Zeitschr. II, 555 fgg.) aus-
führlicher gehandelt. Ein besonders hervortretendes Beispiel
der Art ist der Ursprung des mittellat. feudum feodum feofum
feus d. i. Dienstgut, servitium, aus thhäh, das im Gothischen,
wie es zu der Wurzel von thim Diener gehört, den Begriff von
dienlich, nützlich, gut und Gut besitzt. Bei einem dieser Worte
nun, bei thius, begegnen wir, einmal wenigstens, dem F für
TH auch im Burgundischen. Zwar sagt dieses sonst Ägatheus
Angatheus Aridius: wenn aber in der Vita Apollinaris episcopi
(bei den Bollandisten unter dem 5. Oct. III oder in Martenes
Ampi. coUectio vet. Script. VI) Cap. 6 „unus ex pueris nomine
AUfiu^^ vorkommt, so dürfte man auch das kaum anders als
mit jenem Aspiratentausch erklären. Und der Name fällt noch
recht in die classische Zeit der Sprache: Apollinaris, Bischof
von Valence, älterer Bruder des Bischofs von Vienne Avitus,
lebte um das J. 500, und die Biographie rührt noch von einem
vertrauten Landes- und Zeitgenossen her. AU kann hier wie in
Aliher ga entweder das goth. alis alius sein, dann aber wohl mit
derjenigen Wendung des Begriffes (vgl. lat. alter uwA attercari,
franz. altSrer), die dem goth. cUjan Eifer zum Grunde liegt,
oder auch abgeschwächt ans ala all: Alatheus wird als gothi-
scher Name, Aletheus aus dem Frankenreich überliefert.
Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 359
Die bisherigen Erörterungen des Bargundischen Gonsonan-
tismus werden zur Genüge erwiesen haben, in wie beschränktem
Maasse man befugt, ja wie unbefugt man eigentlich ist eine be-
sonders nahe Verwandtschaft dieser Sprache mit der Gothischen
anzunehmen: nicht besser jedoch berechtigt erscheint mir die
entgegengesetzte Behauptung (Dietrich in Haupts Zeitschr. XIII,
122) „Das Burguttdische ist ein mit dem Alamannischen mehr
als dem Gothischen verwandter Sprachzweig." Wenn als das-
jenige Merkmal des Alamannischen, das am frühesten mit Ent-
schiedenheit hervortritt, die Verwandlung des anlautenden K in
CHmuss betrachtet werden (Chnodomarius Amm. Marc. XVI, 12.
Chonod(yinarim Aurel. Vict. Epit. 42: goth. hn6d, ahd. chnöt
chondt chnuat Geschlecht, Art), so weiss ja das Burgundische
davon nichts: es sagt noch kiano Conia Coniarims Caniffisclus;
und ebenso wenig ist die mildere Aspirierung im In- und Aus-
laut, die auf Althochdeutsch mit HH und mit blossem H be-
zeichnet wird, schon für das Burgundische angedeutet, wenn es
Rico Biculfus Audericus Hilpericus Sigisricus Viliaric und
wiederum Coniaricus, wenn es Onovaccus Mucuruna und toittiS'
calcus, Oebeca und Athica (Inschrift von 563 bei Le Blant II,
150 Nr. 466 A) und wiederum Canigisclus Fridigisdus sagt:
Rihlindis und Undiho auf einem fioliquienkästchen in S. Mau-
rice (Le Blant II, 580 Nr. 684) gehören wohl altburgundischem
Gebiete, aber erst der- nachburgundischen Zeit an. Es war SO7
nach unempfohlen die mangelhafte Bracteateninschrift Gunthious
für eine das H übergehende Latinisierung von Ounthioh und
nun den Namen mit Hilfe von joh jugum zu erklären, „so dass
das Ganze etwa den Eampfverknüpfer bedeutete^': Haupts Zeit-
schr. Xlli, 50. Den Burgunden hat es noch wie den Gothen
juk oder vielleicht schon jok, sicherlich nicht schon joh gelautet,
und jedesfalls, wenn überhaupt diese Wurzel hier in Betracht
kam, lag es näher dabei an überwinden und fechten, die B^riffe
des Zeitwortes ßukan, zu denken. Ich habe oben S. 351 fg.
eine andre Etymologie und Auslegung versucht.
Welche Stellung in der Geschichte und der Geographie der
Deutschen Sprache das Burgundische einnimmt, darüber werden
uns Fingerzeige von noch grösserer Deutlichkeit, von positiverer
Art, wenn wir jetzt auch noch das Vocalgebiet und das der
Wortbildung ins Auge fassen. Hier vollends ergiebt sich, dass
360 Spraohe und Sprachdenkmäler der Borgnnden.
es eine schwebende Mitte hält zwischen den mundartlichen Gegen-
sätzen, die bereits in der Gernianenzeit vorhanden waren und
dann durch die Völkerwanderung zu immer schärferer Ausprägung >
gebracht wurden, dass es bald hier dem Marcomannischen und
Alamannischen, bald wieder dort dem Chattischen, Cheruskischen,
Fränkischen und durch die Yermittelung dieser selbst dem Säch-
sischen näher steht, dass seine Art eine Mischung aus ober- und
mittel-, ja niederdeutschen Eigenthümlichkeiten und zugleich der
überleitende Fortgang vom Früheren zum Späteren, von der ger-
manischen Sprechweise zu der mittelalterlichen ist. Die um das
Jahr 520 im Fränkischen Beiche verfasste Völkertafel (MüUen-
hoff in Mommsens Verzeichniss der Böm. Provinzen S. 532 fgg.)
trifft es somit nicht übel, indem sie Burgunden, Thüringer,
Langobarden und Baiern unter Einen Ahnherrn bringt, und trifft
besser zu als dort bei Flinius (oben S. 338) der Stamm der
Vindili mit seinen Unterabtheilungen Burgundiones, Varini, Carini,
Guttones.
Entschieden oberdeutsche Art hat das A^ das lange A in
fara, in Gundomarus Gundomares Videmarus Vindemarus, in
dem Leudomarus einer Inschrift zu Aoste von 547 (Le Blant
n, 39 Nr. 394), in Silvanus, falls dieser Name nicht durchaus
lateinisch ist (oben S. 335 fg.), und in SuavegoUa, einem Beleg
allerdings aus sehr viel späterer Quelle: nach chattischer und
fränkischer und gothischer Mundart gölte und gilt" da überall
ein jÖ. Besondre Besprechung verlangt zunächst fara, das nur
einmal, L. Burg. CVII, 11, und da nur durch eine Aenderung
des neuesten Herausgebers, die vielleicht mehr glänzend als
noth wendig und richtig ist, so als Einzelwort vorkommt (die
Handschriften haben infra, Bluhme in fara); ausserdem ge-
währen es die Zusammensetzungen faramanmis Tit. LIV, 2. 3
und später (s. die Anmerkung Bluhmes) burgundofaro, welch
letztere in wechselnden und theilweise verderbten Formen sowohl
appellativ als Eigenname ist. Auf Gothisch lautet diess Wort
fSra und bedeutet erstlich Theil, Leibestheil, Glied (Ulph. Eph.
IV, 16), dann Seite'und Gegend (Matth. XXV, 41. Marc. Vm,
10); hieran schliesst sich mit Leichtigkeit der abstractere Sinn
der Sichtung und des Strebens, den allein das althochdeutsche
fära hat: nur einzelne Mundarten halten da noch den der Seite
und zugleich, dem sonstigen Sprachgange entgegen, das J$ des
Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. 361
Gothischen fest oder machen daraus ein EA oder lA, sagen auch
noch ßra oder feara fiara. Im Langobardischen aber (hier gilt
der regelrechte ^-laut) geht aus dem Begriffe Theil ^) der poli-
tische Begriff Geschlecht hervor (Paul. Diac. II, 9. Ed. Roth. 177.
Haupts Zeitschr. 1, 5ö2); dass auch die Sulioten die einund-
dreissig Geschlechter, in welche sie zerfielen, 9apac nannten,
kann, wie schon Niebuhr bemerkt hat (Böm. Gesch. I, 34ö), nur
ein Zufall sein. Das Burgundische endlich ist bei jenem ersten
Begriffe stehn geblieben, und fara ist ihm s. y. a. Theilung und
faramannm (in einigen Handschriften auch hier noch ein E an-
statt des A) und burgundofaro der Burgunde, insofern er von
dem Besitze seines hospes des Bomanen seinen gesetzlichen Theil
genommen hat, der consors eines posaessor .geworden ist. Die
Art, wie man sonst wohl den faramannus versteht, ist aus enger
Vergleichung bloss des langobardischen Wortes und aus unrich-
tiger Auffassung auch noch dieses einen hervorgegangen. Dem
--märus oder -mAres sodann (althochd. märt) stehn freilich in der
Unterzeichnung der Vorrede des Gesetzes drei -m^res gegenüber,
Widemeres Wilemeres Windemerea, und noch ein Wülinieres in
einer Inschrift: dass aber der echt burgundische Laut das A ge-
wesen, wird durch die Königsnamen mit besserer Sicherheit ver-
bürgt als durch die übrigen: für diese ist gothischer Ursprung
denkbar und ist um so eher ein solcher anzunehmen, als unter
den Grafen sogar noch ein Wadamires und einmal auch die
Lesart wilUmiris auftritt, mit jenem mir d. i. eigentlich Friede,
das sich die Gothen erst von den Slaven her angeeignet haben
um es so an die Stelle ihres mer d. i. berühmt zu setzen.
In anderem Sinne, nämlich dem gothischen Diphthongen AI
entsprechend^ kommt langes ^ auch in der Mundart der Burgun-
den vor, so jedoch dass es nicht wie in der sächsischen den äl-
teren Diphthongen überall verdrängt hat, sondern neben ihm
dieser gleichfalls noch besteht, ein Yerhältniss mithin der Art wie
bei den Franken und gar den Oberdeutschen. AI als Flexions-
endung hat die Spangeninschrift in dem Wort unthfarUhai^
braucht also dasselbe in einem Falle^ wo das Oberdeutsche ledig-
1) [vgl. teil in den verschiedenen Bedentangen die es auf Ahd. be-
sitzt, nnd sipiteü Verwandtschaft.]
362 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgonden.
lieh sein langes Ü anwendet; in einer Wurzelsylbe der Weiber-
name Äisaherga, womit sich im Gothischen entweder ais d. i.
Erz öder das abgeleitete Zeitwort aistan achten vergleicht: mit
£ dagegen lesen wir malahareda, Ghartenivs und Caretene, also
gerade solche Worte die auch im Oberdeutschen noch ein unverän-
dertes ^/aufweisen. Das erregt den Zweifel, ob hier nicht das E
bloss durch die lateinische Auffassung und Schreibung verschul-
det sei. Zwar weicht diese dem AI der Qermanen keinesweges
so gänzlich aus , noch weniger, wie natürlich ist, die griechische:
Radagaisti8j Oaisericus u. dgl. findet sich oft genug; oder sie
braucht als Ersatz ihr AE, und so ist gais als gaesum schon
früh in die Sprache der Römer aufgenommen worden. Wenn
aber z. B. Cassiodorus Var. Epist. V, 43 u. 44 Gesalecus schreibt,
so ist das eine wie das andre E nur eine romanische Yerflachung:
er hörte die Gothen noch alltäglich Gatsalaik aussprechen; erst
dann und erst da, wo gais öder jenes ais und aisa ihr S gegen
R vertauschten, gieng in Wechselwirkung damit für die Deut-
schen selbst auch das J/in j^, gieng aisa ais in Sra er und gai^
in g&r über, und Procopius hat ganz richtig 'PaSfyTfjp: denn so
ist de Bello Gotth. IV, 20 PaSfyepj ^<^^ meine nicht, zu ändern,
aber zu verstehen. Nach all dem bleibt es fraglich, ob reda
und ten den wirklich burgundischen Laut oder nur den aus-
drücken, welchen der Romane diesen Worten gab. Malahareda
nun: den ersten Bestandtheil dieser Zusammensetzung haben wir
uns schon vorher auf S. '357 gedeutet; der zweite würde, wenn
sein Yocal es zuliesse, aus dem sächsischen rdde gerade (Jac.
Gtimms Rechtsalterth. S. 567) zu erklären sein: so aber kann
nur auf das altnord. möa Zurichtung, Zubehör und das alt-
hochd. reita, fränk. raida in Worten wie antreita prantreita
fahsreUa scafreita hariraida und wie jetzt noch Hofraite
(Schmellers Bair. Wörterb. III, 155) verwiesen werden: malaha-
rMa also Vermählungszurüstung, Ausstattung. Ob wir den Plu-
ralis rhedo, womit die Lex Angl. et Worin, ü, 4 omamenta
muliebria übersetzt, zu räde oder auch zu reita ziehen sollen,
können wir bei unserer Unkenntniss über die Mundart der Völ-
kerschaft, für welche diess Rechtsbuch aufgezeichnet ist, nicht
entscheiden. T^ aber in Charte'nitis und Caretene ist das
gothische tain, auf Hochd. zein, Reis, Stab, Pfeilschaft und Pfeil:
Förstemanns Namenb. I, 1357 u. 1367 führt die männlichen
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. ' 363
Namen Zeino und Wolfzein auf, und wahrscheinlich ist auch der
weibliche Zaigina Sp. 1365 nur aus Zaina erweitert, mit eben-
solcher Trennung des Diphthongen oder langen . Vocales von der
Liquida wie in praun und pratien, heil und heigel, hanttnäl und
hantmahal u. dgl. (Haupts Zeitschr. IX, 371. ümdeutschung
S. 20 fg. = oben S. 276). ChaHenius erinnert an das altnord.
Appellativum Aerör Heerpfeil (Keclitsalterth. S. 162); Caretene und
was es sonst noch von Weibemamen mit tena giebt (auf frän-
kischem Gebiet, in dem Testament des heil. Bemigius von 533 bei
Pardessus Nr. 118, AuUatena MeUatena Meratena Naviatena),
steht den zahlreicheren gleich, die SLufrüna endigen, am nächsten
AuUatena dem altnord. Aulrün Ölrün (Völundar kviÖa Eingang
u. Str. 4. 15; als Appellativ in Sigrdrifu mal Str. 7). Es waren
nach Tacitus Berichte (Germ. 10) „surculi", also tainds, in die
man zum Behuf des Looses die Bunen schnitt; von einem ge-
richtlichen Loose mit bezeichneten „talis de virga praecisis, quos
tenos vocant", handelt die Lex Fris. XIV, 1; ein Lied der Edda
(die Hymis kviÖa Str. 1) lässt die Äsen selber um Zukunftiges
zu erforschen teina werfen; auf Angelsächsisch aber ist tän zu-
weilen nur noch Loos überhaupt, ganz wie bei Otfried zeinen
zeinön aus den ursprünglich engeren Begriffen des Bedeutens
und Ausdeutens („surculos — interpretatur" Tac.) in den all-
gemeineren bloss des Deutens, des Zeigens übergeht. Beiderlei
Namen, jene mit rüna und nun diese seltneren, beinahe wie es
scheint ausschliesslich fränkischen mit t&na, zielen auf den Vor-
besitz der Schreib- und Lesekunst und der Gabe der Weissagung
und des Zaubers, den das germanische Weib von je und überall
inne hatte.
Also im Burgundischen entweder stets noch AI oder theil-
weise schon an dessen Statt ein blosses Ä Das letztere Ver-
halten mag deshalb wahrscheinlicher dünken, weil ein zweiter
Diphthong, dessen Geschichte der des AI parallel läuft, gleich-
falls in so schwankender Art behandelt wird: das ursprüngliche
A U, - das die Gothen noch überall unverrückt bewahren, zieht
sich den Burgunden theils ebenso in ein langes zusammen,
theils verharrt es bei seinem Doppellaute, beides wiederum wie
im Fränkischen und im Oberdeutschen, nur dass hier das 0, im
Burgundischen offenbar noch das AIJ vorherrscht: es heisst
Audemundm Audericus Audolena, Aunemundus Aunegilde, ein-
364 Sprache and Sprachdenkmaler der Bnrgunden.
mal und bloss einmal aber, wennschon die Wurzel schwerlich
eine andre als die der zwei letzteren Worte ist, Onovacctis;
Ostrogotho, die .von den Ostgothen her gekommene E5niginn,
wird schon von Jordanis so benannt, nicht Äustrogotho, und das
in demselben Capitel (58) in welchem er doch Atidefiedd schreibt:
Ostrogotho, wie ihm auch der Manns- und Yolksname Ostrogotha
lautet.
Neben diesem erst aus AU hervorgegangenen besteht
noch ein zweites, das ursprünglich ist und von jeher so gelautet,
auf der Stufe des Althochdeutschen aber sich in OA TIA ÜO
diphthongiert hat: diess in den Namen BaUhamodus Fremodm
Theudetnodtis und Chrotechüdis , ahd. Bcddmtwt und Hruodhüf.
Ob das in Chrona von ebensolcher Art oder aus AU verein-
facht oder kurz und aus kurzem U gebrochen sei, die Antwort
auf diese Frage hängt zum Theil davon ab, wie man den
fränkischen Consonanten im Beginne des Worts versteht: s.
oben S. 346.
Zwei urdeutsche Diphthonge, deren Bestand und Gestalt
das Oothische doch unzweifelhaft macht, sind von den Hörnern
und auf Grund der römischen Vermittelung auch von den Grie-
chen stets nur mit Entstellung wiedergegeben worden: ohne
Ulphilas wüssten wir so gut als nichts von dem EI noch von
dem lU der Gothen und Germanen, sondern statt des ersteren
bloss von einem I, statt des letzteren bloss von EU oder UO:
denn hiemit behilft sich die lateinische und die griechische Auf-
fassung, während innerhalb des Deutschen selbst / und EO erst
nach der Bomerzeit, auf der althochdeutschen und den ihr gleich-
liegenden übrigen Stufen zum Vorschein kommen und nur EU
den Franken wohl schon vorher geläufig war. Unter solchen
Umständen mag ungewiss scheinen, ob die Burgunden in Gisla-
badm Gislaharius Bico Bictdfus Audericus Coniaricus Hilpericus
Viliaric witiscalcus wirklich das einfache I, das die Schrift be-
zeichnet, oder auch noch den Diphthongen EI gesprochen haben:
wenn aber Eunandua Eunemundus Leubaredus Leuvera Manne-
leubus Sedeleuba Ansleubana leudus screunia Agatheus Atigatheus
Theudelinda Theudemodus Teudemandm, auf einem Grabsteine
von 547 zu Aoste (Le Blant II, 39 Nr. 394) Leudomams ge-
schrieben wird, so darf man das zuversichtlicher für den Laut,
den das Burgundische selbst allmählich angenommen, halten, da
Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgunden. 365
eben diese auch der fränkische Laut, und noch mehr da solch
ein Uebergang von TU in EU nur die richtige Folge des Herab-
sinkens von I in E ist, das wir nachher als eine bezeichnende
Eigenheit des Burgundischen werden kennen lernen. EO, die
andre, dem Latein vielleicht noch beliebtere Art dem germani-
schen lU auszuweichen, wird nur durch die Nebenlesart leodis
in einer Stelle des Rechtsbuches und die Form des Namens
Teodeinodos auf einer Inschrifttafel zu S. Jean-de-Bournay (Le
Blant n, 145 Nr. 461) bezeugt, deren Alter jedoch unbekannt,
von der es mithin auch zweifelhaft ist, ob sie wirklich burgun-
diach sei. Dennoch, wenn es gleichwohl Aridius heisst (anderswo
Aridms), so ist das weder ein Pesthalten noch eine Wiederher-
stellung des eigentlichen alten Lautes, sondern hauptsächlich in
diesem lU und in ihm noch mehr als in der Beseitigung der
Aspiration beruht die Latinisierung, die hier einen hurgundischen
Namen getroflfen hat: s. oben S. 336 u. 346. Wir haben S. 367
noch einmal von lU oder EU zu sprechen.
Unsrer jetzigen Betrachtung liegt noch eine Reihe von Ab-
änderungen der Vocale vor, welche theils unmittelbar in den
Bereich der Angleichung, theils doch in deren weiteren Umkreis
fallen, Aenderungen die zwar den Gothen fast sämmtlich fremd,
aber fast sämmtlich schon in der vorgothischen Zeit nachweis-
bar und zugleich Hauptbelege dafür sind, dass die Burgundische
Mundart ziemlich weitab von der- GotMschen, aber darum keines-
wegs der Alamannischen an der Seite stehe.
Zuerst die diphthongierende Angleichung eines A der Wurzel
an ein U der Schlusssylbe. Das Wort hadu, das, gemäss seiner
Zusammengehörigkeit mit hidjan sich niederwerfen, bitten, und
mit hadi Lager, Bett, eigentlich das Niederstrecken des Feindes,
dann Kampf überhaupt bedeutet (in selbständiger appellativer
Anwendung kennen es bloss die Sprachen des Nordens, die übri-
gen nur noch in Eigennamen), badu erfährt als Wirkung des U,
womit es gebildet ist, eine zwiefache Aenderung seines Wurzel-
vocals; ich habe davon bereits früher, in meinem Aufsatz über
die Germanischen Personennamen (Schweizerisches Museum f.
histor. Wissenschaften I. 1837. S. 106 fg.) gehandelt. Einmal
auf Altnordisch den Umlaut in Ö, also Jöö; bei Teutonen und
Marcomannen in blosses 0, als Tevtobodus (und so verschwindet
fast überall das U der Ableitung in das der lateinischen Flexion)
366 Sprache imd Sprachdenkmäler der ßurgandeii.
und Marobodum, während der Marabadm Cassiodors (Yar. Epist.
IV, 12) und weiterhin Deoipato neben Theoibodo noch das ur-
sprüngliche A aufweisen: nicht anders stehen im Althochd. und
Altsächsischen neben einander Pato und Bodo% die einfachsten
Namenbildungen dieses Stanmies, sowie die Zusammensetzungen
BadegisütAS und Bodeginlus, Willibadu^ und WiUibodo, Regln-
pato und Beginpoto, Heripato und Herbodus Cundpato Gtind-
hadingi imd Kundpoto Gtmdbodingi u. s. f. Dann aber, wie in
altnordischer Mundart das U auch diphthongierend wirkt, so
dass böb auch baub, Böbvild auch Baui^vild heisst, mit dersel-
ben volleren Lautgebung noch anderswo Baudo Baudegisilm
Hariobaudes Maraba/iidus (Oassiod. V. E. UI, 34) Merobaud^
Mirabaudus (ebd. IV, 46) Theodobaudes u. dgL Diese Diphthon-
gierung nun, welche die angeführten Beispiele auf der fränki-
schen wie auf der alamannischen Seite zeigen, zeigt gleicher-
massen inmitten beider das Burgundische: auch da kommt ausser
Gislabadus und Gundobadt^ noch Baudomallus und auch Grun-
dobaudus vor, und es muss diese Form noch viel mehr, als
schriftlich belegt ist, in Gebrauch gewesen sein, da nur sie die
romanische Missdeutung und Entstellung Oundobaldus Gundibal-
dtis (dieselbe die in einigen Texten Gregors von Tours Ifist. Franc,
n, 9 den Frankennamen Genobatides oder Genobaldus trifft) ver-
mitteln konnte.
Marius in seiner Chronik hat noch eine andre Verderbniss,
statt Gundobaudtcs eine Erweiterung davon, Gundobagaudtis^
Soll aber. Sinn und Feder des Bischofs wirklich so auf die Ba-
gauden abgeirrt sein? Ihm zu Ehren schlage ich vor Gundo-
bagudtis zu ändern: damit gewinnt die Form ihre mühelose Er-
klärung und die Lautlehre der Burgunden eine anziehende Vor-
kommenheit mehr. Es geschieht nämlich öfters, dass ein deutscher
Diphthong sich wieder in seine beiden Vocale spaltet und ein
eingeschobenes H oder G, bei den Franken auch GH, dieselben
trennt. So wird nastait in nastdhit gedehnt (Lex Alam. 56.
Haupts Zeitschr. IV, 472), stdc in stehic (Altd. Leseb. 26, 4. 6),
bei den Langobarden Äistulf in Ahisttdf (Paul. Diac. IV, 26 u. s. f.),
1) [goth, Badvila (vgl. unten am Schlüsse dieser Abhandlung), frän-
kisch Badilo Bodilo, ahd. Petüo Potilo.]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 367
laip marpais saddais sonorpair in lahip u. s. w. (J. Grimms
Gesch. d. D. Spr. II, 692), harlraida in ariragida (L. Eipuar.
64), vuir in vu^ir (Muspilli Z. 63 Schmeller), altsächs. tuUhdn
in tv^ithdn (Biegers Leseb. S. 335), niun in nigun^ althd. sitm
sftso mittellat. seusius seusm seuses seucea (vgl. süsan „Stridore*^)
in sigusius L. Sal. VI, 1. segucius L. Burg. 97, ahd. zitdinia
ziolinta in zigelinta (Jac. Grimms Mythol. S. 1144 fg.), fränk.
Bwain in swachin, mit Syncope des zweiten Vocales -haidis haim
chaim stain in hagdis hagm chagm stagn (J. Grimm vor Merkels
L. Sal. S. XVII. Förstemanns Namenb. I, 581. 591); so lassen
auch goth. bauan und bagtn sich vereinigen und ebenso nun
Gundobatidits und Grundobagudus , während Gundobagaudus ein-
fach nicht zu verstehn und lediglich sinnlos wäre.
Eine zweite Angleichung des Burgundischen findet nicht so
ihre Parallelen schon in uralter und ältester Zeit, sondern erst
auf einer späteren Entwickelungsstufe und klingt zumal an das
bewegte Lautspiel der altsächsischen Mundart der Evangelien*
harmonie und der mittelrheinischen Otfrieds an. Es ist diess
der Umlaut von lU in lA, der in dem kiand der Spange von
Charnay vorliegt, einem adjectivischen Adverbium dessen Stamm
nach der Auseinandersetzung Dietrichs (Haupts Zeitschr. XIII,
117) kium oder noch besser kiun geheissen und, wie das Wort
zunächst mit chien ahd. Fackel und kann altnord. Geschwür zu*
sammenhängt, die Bedeutung yon brennend und scharf und dann
auch von kühn muss besessen haben: als Wurzel denke ich mir
das althochd. Zeitwort chiuwan „mandere, comedere, comminuere",
als Grundbegriff also das Verzehren; das Feuer aber wird ge-
frässig, unersättlich, beissend genannt (jgrddag altsächs. Evan-
gelienh. 65, 11. 104, 11. 130, 23. 133, 11. unfuodi 78, 23.
bitar 78, 22). Zugleich ist Hanö ein Beweis mehr, dass die
Burgunden, wenn auch im weitern Verlaufe der Zeit, doch nicht
ursprünglich und inooner EU statt lü, z. B. kevn statt kiun
gesprochen haben: keund hätte sich eher in keano angeglichen.
So beruht auch das vorher angeführte sigusim der Lex Salica
auf einer Form dieses Wortes, die noch das ältere lU und nicht
schon das später den Franken gewohnte EU besass.
In einem dritten Falle ist es kein selbständig offener Vocal,
der den Laut der Wurzel an sich zieht oder diphthongierend in
denselben hinüberspringt: die Angleichung geht vielmehr von
368 Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden.
einem solchen aus, den ein Gonsonant mit in sich enthält, von
dem V das nach mannigfach üblicher Sprechweise in der Liquida
L liegt: hie von berührt, trübt sich ein vorangehendes ^ in 0^
den Mittel- und Mischlaut zwischen Ä und U. Wohl das ver-
breitetste Beispiel ist, dass sich b(dd, aber nur wo es den zweiten
Bestandtheil eines Namens hergiebt und damit sein eigentlicher
Begiiff. etwas abgestumpft wird^), in bold verwandelt. Belege
dafür aller Orten und Enden und einer auch vom Burgundischen
Gebiet: zwar die Entstellung Gundobaldm ist nicht auch so
noch verändert worden, aber die Schenkungsurkunde von S. Mau-
rice hat einen Fredeboldtis eomes.
Endlich die Schwächung oder, wie auch gesagt wird,
Brechung der betonten kurzen / und U in E und 0. Zu aller-
erst, da dieselbe aufkam, kann sie ebenfalls nur das Ergebniss
einer Augleichung gewesen sein, ein Umlaut, herbeigeführt durch
ein offenes oder in ^-oder R enthaltenes A: das wird aus dem
Gothischen ersichtlich, wo die Diphthongierungen AI und AU,
die den spätem und sonstigen E und entsprechen, beinahe
ausnahmslos auf die Berührung mit einem nachfolgenden H oder
S beschränkt sind ; das geht auch daraus hervor, wie noch weiter-
hin die E und selber zumeist bedingt erscheinen durch ein
A oder einen dem ähnlichen Laut des Schlusses oder ein H oder
B. Aber schon in frühester Zeit, die wir sprachlich kennen,
haben beiderlei Aenderungen, die Diphthongierung wie die
Schwächung, über die gesetzliche Grenze hinausgegriffen: schon
um Jahrhunderte vor ülphilas finden wir bei den Germanen
des mittleren Deutschlands nicht allein Xaipou(7ixo{ und Xe-
pou<jxoi, sondern auch (und hier wirkt keine jener Ursachen mit)
2aiy£iJLTf]po^ und Seyiixvjpoc, 2atY6anr|^ und SeyscytTic. Und
dieser mitteldeutschen, entschieden ebenso ungothischen als un-
alamannischen Art schliessen sich die Burgunden an. Diph-
thongiert haben sie wohl nicht, nicht also bairg und gcUrn und
maurgin ausgesprochen: wenn Seddeuba, ein ebenso wie Sede-
gundis (Fredeg. Epit. 82) und wie althochd. Situmt und Sitipoto
mit sidu Sitte gebildeter Name, in anderer Schreibung Saede-
1) [mittelniederdeutsch holt auch als selbständiges Wort: Schillers
Beiträge zu einem mnd. Glossar S. 3 a; mittelniederländisch boiit]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 369
leuba heisst und ein Priester, der späterhin bei einer von Sede-
leuba gestifteten Genfer Kirche begraben worden, Äegioldus (Le
Blant II, 2 Nr. 371), doch wohl aus derselben dunkelen Wurzel
mit Igo Igila Igtdf, so soll das AE schwerlich ein burgundisches
AI darstellen, sondern bezeichnet nur, wie das überhäufig im
spätem Latein und im früheren Deutsch geschieht, den halb
^-artigen Laut, den die genauere Aussprache von je her diesem
E gegeben: das A, die eigentliche Ursache der Schwächung,
wirft sich auch hier in die Wurzel, ohne jedoch dieselbe zu
diphthongieren und mit der Qualität zugleich deren Quantität
zu ändern. TJeberall sonst kommt in der Schrift nur das ein-
fache E und gleichfalls nur das einfache vor, beides eben
auch unter solchen Umständen wo den Gothen und den Ala-
mannen nur das reinere vollere / oder U gestattet war, und
beides ohne folgerechte Durchführung: mit dem E wechselt noch
das /; mit dem das ü ab, oft sogar in einem und demselben
Worte und noch viel weniger nach irgend welcher Begel als
schon bei den» Franken : recht ein Merkmal wie die ganze Sprache
selbst in einer Schwächung und Brechung des Ueber- und Unter-
gangs begriffen-* war. Ein I haben iddan Ingildtis Aunegilde
novigildus trigildus Usgildm Vistrigilde Giscladits Conigisclus
Fridigisclus Gundiisclus Villigisclus Hilpericus Theudelinda
Süvanus (S. 336) sinisttis Videmarus Windernarus Vithuhif
wittiman; ein U Uno tmthfanthai Uthila Gundefuldus ScudUio
TulUi Segisvuldus Vulfia Vulfila Oundeulfus Obtulfns Riculfus
Vithuluf. Ein E Engevald Eptadius Aisaberga Alibergu Aren-
berga ViUioberga Felocalus Fremodus Gemola Fridigernm Hilde-
gernus Atidolena Sedeleuba Teto Orovelda Leuvera; ob aber auch
hendinos oder chendines (oben S. 343 fgg.)? die Verbindung ND
widersteht sonst eher einer solchen Brechutig; ein Obtulfus
Oronelda morginegyba , vielleicht auch (S. 346) Chrona, Da-
gegen schwanken zwischen / und E (E ist jedoch der Kegel
nach das handschriftlich mehr empfohlene) Imiman Imelistanm
Ymnemodus Hymnemondus und Ememundus Emiocer, Fridi-^
gemus Fridigisclus und Fredegiscltts Fredeboldus Fredemundus,
morginegyba und morgangeba, Gibica und Gebica Gebeca, Hilde-
gernus Hüdeulfus Chrodechildis und Hddigernus, Baldaridus
und Baldaredus Leubar edus Nandoredtis, Siggo Sigifunstis
Sigismundtis Sigisricus Sigismddus und SegismundMS Segimundus
Wctekernagtl, Schriften. III. 24
370 Sprache und Sprachdenkmäler der Borgunden.
Segericus SegisvuUlus, vigius und regitis vejus, Wilenieres Vi-
Uaric Viüighclm Villioberga und Welietneres, Vinakarius und
Wmaharim; zwischen U und Oy letzteres aber ist wiederum
häufiger, Vffo und Offo, Uagthlus und Osgüdm, Cunigiscliis und
Conia Coniaricus Conigischis, Gydabadus Gudomarus Gudemundus
und Godomares Godegisdus, Gutia und Gotia Ostrogotho Suave-
gotta, Sunia und Smia, Einzelne Handschriften des Rechts und
sonstige Aufzeichnungen gewähren auch Borgundio für Bvr-
gundio (L. Burg. Vorrede 2. 4. 10. 12. Capit. 24. Tit. XCVI.
CVn, 11. CVIII), Fom für Funs, Gemola für Gemula, Gonde-
hadus Gondegkdus Gondariiis Gondomares Gondiochm Gonde-
ulfus neben Gundobcuitis Gundiisdm Gundahariiis Grundomares
Gnndemimdus Gtmdioctis Gtituieulfus Gundeftddtis G^ntello
Arigufule, Fredetnondus Ifymnemondm Teudemandtis neben
Fredemundus und. den anderen Namen von gleichem Ausgang:
darin jedoch darf bloss romanische Auffassung gefunden werden:
gerade diese Worte haben auch im Provenzalischen und Ita-
liänischen ein 0. Wie grosse Neigung aber dfe «Mundart der
Burgunden überhaupt zu solcher Lautschwächung trug, geht aus
der Häufigkeit hervor, womit sie den Bindevocal zusammen-
gesetzter Worte, das A, das /; das U, womit sie auch das /
oder A in Ableitungssylben und das A am Schluss weiblicher
Substantiva, all diese volleren Vocale in ein und dasselbe farb-
lose F versinken Hess. Von den Zusammensetzungen und den
Ableitungen wird sogleich zu handeln sein; Weibemamen, die
so endigen, sind Aunegüde Vistrigilde Arigunde Susane und
Caretem, und doch hätte lateinischen Versen, wie solche den
letzteren Namen bieten, Carüena besser angestanden: aber die
Burgunden sprachen eben nicht mehr so.
Nach dieser Mosaik von Lautlehre nimmt uns jetzt noch
die Wortlehre in Anspruch, sie nur für kürzere Zeit.
Als Bindevocal zusammengesetzter Nomina kommt erstlich
das hiefür altgültige A vor: AgathetdS Angatheus BaUkamodvs
Bcddaridns Coniaricus faramannus Gislabadtis Gislaharius Go-
damares Gundaharitis Gundamares Letibaredus mcUahareda
Wadamires Walaharim Viliaric; ferner, in Folge wieder einer
Angleichung an den Laut der vorausgeht, ein U: Gvdubadus
Gundvbada Miu^iruna; oder auch 0: das aber scheint hier wie
übemll sonst in älterer Zeit nur eine Fortwirkung der Art, in
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 371
welcher Griechen und Bömer mit germanischen Compositis zu
verfahren pflegten: Audolena Gudomarus Godomares Gnndobadm
Gundomares Nandoredus Onovaccus Villioberga. Wenn jedoch
das erste Wort schon für sich mit einem Vocale, mit / oder U,
gebildet ist, so wird der Bindevocal entbehrlich, und es heisst
Felocaltis d. i. Felucalus und neben Coniaricus Vüiaric kürzer
Conigisclus ViUigisclus; ebenso Gundibadics Gundiisclus Gun-
diocv^ Gunditdfus Ariditts Arigunde Arimundus Heldigernus
Willimeres mUiscalcus, vielleicht auch Aliberga und Alifius: nur
Wenaharim zu tcini weicht aus der Kegel, da es eigentlich ent-
weder Weniaharim oder Weniharius lauten sollte, und insofern
ist die sonst entstellte Lesart ueniacariae richtiger. Noch öfter
indessen wird das A, das 1, es wird auch ein U, das eigentlich
am Platz wäre, in jenes eben besprochene E hinunteigesetzt:
abermals diess eine üebereinstimmung des Burgundischen mit
dem Fränkischen. Also mit £^ für ^ Amemundus Atidemundtis
Audericus Aunegilde Aunemündus Chrodechildis Ememundus
Engevcdd God^^giselus Godemartts Hilpericus Hymnemondtcs Ym-
nemodus Manndeübus nwrginegyha Suavegotta Theudelinda
Theudemodus Teudemondus Weliemeres Windemeres; für / Are^
dius Caretene Wilenm^es; für A oder ^, je nachdem gunth oder
gunthiß (oben S. 339. 354), hild oder hildia ist verwendet
worden, Gundebadus Gundefuldus Gondegiselus Gundemundus
Gundeuchus G^ndeulfus, Hildegemus Hildeülfus; für U Frede-'
boldus Fredemundus Fridegiscltis Sedeleuba Segericus Widemeres.
Lr gleicher Bedeutung mit diesen stummen E zeigt sich hie und
da bereits ein / gebraucht: Audimundus Aunigilde Aunlmundus
Bqldimodm Emiocer Godigiselus Imirnan Windimeres Vistrigilde,
vielleicht auch Aliberga und Alifius; bei Fridigemus Fridigisdus
Sigifunms Sigimundus Sigiricus liegt darin abermals eine An-
gleichung: denn der eigentliche Vocal wäre hier ein U. Zu-
weilen sogar verstummt der Bindelaut in der That und gänzlich,
und die Worte treten ohne jede Vermittelung an einander, nicht
allein wo das vordere zweisylbig ist wie in Arenberga morgangiba
Segismundus Segisvtddus Sigisrictis, oder einsylbig, aber ganz
vocalisch oder wieder auch auf S ausgeht wie in Eunandus und
AnsUvhana, das unmittelbar neben Ansemundus so geschrieben
wird, oder das zweite seinen Anlaut W gegen U oder ver-
tauscht oder darein verschleift hat wie in Nasucddtis Radoara
24*
372 Sprache und Sprachdenkmaler der Bnrganden.
Obtulfus Siculfus, sondern auch Cftartenius hat kein A, kein I:
vielleicht dass diese Syncope den bischöflichen Namen in Bezug
auf das lateinische charta bringen sollte; und ebenso wenig
Leuvera und Silvanus: aber hier &llt der Mangel in eins zu-
sammen mit der Angleichung und Verschmelzung, die den
Wur^lauslaut des ersten Bestandtheils, ein B (S. 336), ge-
tilgt hat^).
In ähnlicher Weise werfen zwei Worte, wenn eine Zusam-
mensetzung mit ihnen schliesst, das Bildungs-/; mit welchem sie
für sich allein erscheinen , ab. Von den Alamannen ist EuAfo-
marivs Chrodamarim überliefert, wie das Adjectiv althd. mdri
lautet: bei den Burgunden sehen wir, ohne dass die Latinisierung
ein / aufwiese {Gundomarium in der Lex Tit. 3 ist Fehler der
Handschrift K für Gundaharium)^ Gudemarus Gundomares Vide-
marm Vindemams, also schon ganz wie das Althochdeutsche die
Namen dieser Art und auch wie das Gtothische (vgl. S. 361) sie
behandelt und wie schon früher ein Marcomannenkönig Marco-
marus genannt wird : aber den öothen hiess ebenso das Adjec-
tivum einfach mir. . Sodann hari, das ursprünglich ein Mascu-
linum, demgemäss auch nur s. v« a. Krieger gewesen (althochd.
Glossen in Graffs Sprachschatz IV, 983) und erst von da aus
in den Gollectivbegriff Heer ist erweitert worden; als zweiter
Theil eines männlichen Eigennamens hat es natürlich noch den
älteren persönlich vereinzelnden Sinn. Mit ihm die Namen
Andearim Gidaharitis Gundaharius Walaharius Wenaharius
und Abcares oder Abcaris, Walahares oder Walaharis und An-
daharus, welch letztere aus den Genitive Abcaris Walaharis
Andahari sich ergeben: dort beruht die Latinisierung auf einer
burgundischen Form, die noch ebenso voll auf / ausgeht, wie
in der gothischen und meist auch in den oberdeutschen Mund-
arten das geschieht; hier, bei Andaharus wenigstens, liegt die
Abkürzung har, die sonst mitteldeutsch und fränkisch, aber auch
langobardisch ist (Rothar in der Prosa und den Versen des Pro-
logus in Edictum>Botharis), zum Grunde. Möglich dass zu der
Zeitf da das Burgundische Gesetz geschrieben ward, hari und
1) [vgl. Segefdes nnten S. 376 Anmerkg. 1 ; SigipedeR d. i. Sigigtpedes
Zeuss S. 436. Sigambri d. i. Sigigambri J. GWmm Gesch. d. D. Spr. 1, 525.]
Sprache und Sprachdenkinäler der Bnrgniiden. 373
har^ beides neben einander galt; noch wahrscheinlicher jedoch
dass man in Wirklichkeit überall nur die verkürzte Form ge-
brauchte und die vollere bloss etwa da wieder aufnahm, wo es
galt einen Namen lateinisch umzusetzen: da empfahl sich Kanus
durch ältere Herkunft und Gewohnheit besser.
Zusammensetzungen mit Partikeln finden sich unter den
Sprachbelegen, die uns zu Gebote stehn, nicht in so spärlicher
Anzahl vor, als man erwarten sollte: denn diese Belege sind ja
meistens Namen, und Namen hat unsre Sprache stets nur seltener
so gebildet. Zuerst auf der Spange von Chamay das Adjec-
tivum unthfanth, dessen unth von Dietrich dem goth. untha,
angels. üb ist gleichgestellt und im Sinne der Trennung oder
dem einer Hervorhebung ist gedeutet worden (Haupts Zeitschr.
Xin, 114 fg.); der zweite Bestandtheil aber muss, eben wie fäthi
fibe, das im Alt- und Angelsächsischen das Gehen zu Fuss,
und wie fendeo feba, das im Althochd. und Angels. den Fuss-
gänger und den Fusskrieger bezeichnet, herkommen von finthan
alts. fuhan erfahren, finden, eigentlich gehen: unthfanth also
ein ausgezogener oder ein ausgezeichneter Pusskrieger. Ganz
unzweifelhaft freilich dünkt mich, was die erste Sylbe angeht,
diese Erklärung nicht, nur etwas mühsam. Denken wir an
Worte wie auf Angelsächsisch ybläd Wellenfahrt, yblida Wellen-
fahrer^ Schiff, und gar auf Althochd. iindgengio untkenkeo „nau-
fragus", tmtscachondi „fluctivagus", so dürfte es natürlicher
scheinen das burgundische nnthfanfh in gleichem Sinne mit
letzteren Ausdrücken, mithin auch als Zusammensetzung mit
einem Substantivum , mit unthja Welle, aufzufassen: dass schon
ihm wie jenen iindgengio u. s. w. der Bindevocal abgeht, wird
nach den Beispielen desselben Mangels, die wir so eben aus dem
Burgundischen sonst vernommen, kein Einwand sein. Grössere
Sicherheit haben fünf andre Partikelcompositionen, fünf Eigen-
namen, Abcares, Andaharus, Ingildus, Usgüdns und Vithuluf,
Abcares oder Abacares: ab dem goth. af, aha dem ahd. apa
näher liegend; eine Bildung wie goth. afhaim von daheim ab-
wesend, wie im Griechischen die Namen ' kizoh-rw^ioQ und ' KT:6\f\i,i^,
wie im Deutschen selbst der weibliche Aphilt Abachüda, und als
die rühmeöde Bezeichnung eines solchen zu verstehen, der von
dem Heere getrennt für sich allen ficht, zu vergleichen also dem
ahd. Namen Einheri und den einherjar des nordischen Mythus
374 Sprache und Sprachdeukiiiäler der Barganden.
und von wesentlich anderer Art als ^onst die Namen die auf
liari endigen: denn hier ist das Wort in seinem coUectiven Sinn
genommen. Anda ist im Oothischen, vib im Angelsächsischen,
Altsächs. und Nordischen s. v. a. gegen, wider: Andaharus mit-
hin ein Gegenkrieger, VUhuluf altnord. Vibolf (s. oben S. 349.
352) ein Qegenwolf: man kann damit Andiigis und Andulf,
WidgSr und Widarolt, Geginheri und Kaganhart zusammen-
stellen, und wie viele Namen mit avxf, darunter z. B. *Avt{aoxo?
und 'AvT^pLaxoc, hat die griechische Sprache! Es war .eine
Uebereilung Vithtduf aus mdu Holz, Wald, ein Wort mit TH
aus einem unaspirierten zu erklären (Haupts Zeitschr. XHT, 50).
Weiter mit tisgildan übersetzt Ulphilas Luc. XIV, 14 das grie-
chische avTaTCo5i86vat: Usgildvs bedeutet demnach Vergelter;
synonym damit ist der althochd. Name WidargeÜ. Ingüdm
endlich (es haben den Namen auch die Gothen, die Alt- und
Angelsachsen, die Franken u. a.) wird uns durch kein Zeitwort
dazu verdeutlicht, so wenig als das fränkische Ingundis oder
das althd. Infrld: wie aber in auf Angelsächsich zugleich ein
Substantiv im Sinne von Haus geworden, so enthält schon die
Partikel einen Bezug auf Haus und Heimath: neben dem angel-
sächs. Inn, dem althochd. Inno haben wir auch Haimo, neben
Infrid auch Ilaimf rid, und so mag, da gidd und gieldan im
Angelsächs. und Althochdeutschen auch s. v. a. Opfer und opfern
ist, der Name Ligild, als man ihn zuerst gebrauchte, auf die
priesterlichen Verrichtungen gedeutet haben, die im Heidenthum
(vgl. Tac. Germ. 10) auch der Hausvater übte.
Von Ableitungsmitteln treten uns mehrere bemerkenswerth
entgegen. Einmal / in Conia und diu übrigen schon S. 347 fg.
besprochenen Beispielen : ich sage I, nicht J: das Gothische frei-
lich und das Althochdeutsche, in einzelnen Mundarten wenig-
stens, würde hier überall das letztere brauchen: dass aber den
Burgunden ein rein vocalisches / gegolten, zeigt die Spange von
Chamay, auf der nicht Fusja, sondern Fusia geschrieben steht.
Ferner IS als Ausgang von sigis oder segis in den Namen
Sigisricus Segismundus Segisvuldus; die Form Sigisricus hat
Avitus: wenn derselbe Königssohn anderswo Sigiricus oder Se-
gericus heisst, König Segismundus auch Sigimundus (Greg. Tur.
sagt de Glor. Mart. 75 Sigismundu^ , Hist. Franc. 111, 5 u. a.
Sigimundus, ebenso Fredeg. Epit. 34. 35) und ein Haupt der
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 375
Häretiker im Bisthum Auxerre Sigifunsm, so wird damit die
einfachere Bildung des Wortes, deren das Fränkische wie das
Alamannische sich bediente, eingetauscht; sigis hatten die Bur-
gunden gemein mit den Gothen, den Scandinaviern (sigtir) und
den Angelsachsen (sigor). Endlich noch eine Pünfzahl von Wort-
ausgängen, die wo sie an Appellativa treten verkleinernden, wo
an Eigennamen eher bloss den liebkosenden Sinn besitzen: / in
Tullii; IC in GiUca Gebica Gebeca (äieselbe Schwächung des
Vocals auch der Ableitungssylbe wie in Athela Athüci, Arenberga,
Emiocer, Guntello, Ildelo, Sigesvulftis , Wcdesta Walescus, mtte"
mon mUinum\ und neben GiUca mag noch aus dem J. 563
Athica gestellt werden (Inschrift bei Le Blant II, 150 Nr. 466 A);
IL in den Männemamen Fagüa Fastüa Ildelo Uthila Vtdfila
und dem weiblichen Remila; viertens CL, die Verbindung der
letzteren beider, die wir uns (vgl. das althochd. Sunichilo) aus
IKIL syncopiert zu denken haben, in Gisrladus d. i. Gisclahadus
(oben S. 346), in Conigisclus Fridigisdus Gundiisclus und Villi-'
gisclus. Diess giscl konamt sonst noch oft, als erster wie als
zweiter Bestandtheil, in Eigennamen vor, gothischen, vandalischen,
varinischen, fränkischen, bei den Völkern aber voti oberdeutscher
Mundart nirgend. Die Schreiber entstellen es gelegentlich in
gisdj und sie und bereits die Schriftsteller selbst halten gisalj
gisil und gisd nicht überall recht aus einander: wir müssen und
können (s. Schweiz. Museum I, 102 fgg.) das besser thun. Von
ein^r Wurzel gis, deren allgemeineren Sinn^) am bestimmtesten
das mit dem Laute des Aorists gebildete gais oder gSr (oben
S. 362) ausprägen mag, das die Benennung eines Speeres, lat.
gaesum, persönlich aber aufgefasst (und so verwenden es als
zweiten Bestandtheil zahlreiche Männernamen) s. v. a. vir fortis,
lat. gaems ist (Servius zu Virg. Aen. VIII, 662), von eben
dieser Wurzel kommt niit präsentisch langem / und ableitendem
AL das Personwort gisal Geisel, eigentlich ein Kriegsgefangne'i^,
noch eigentlicher (vgl. das griechische aixfJiaXwTOi;) ein mit dem
Speer gefangener: burgundisch haben wir diess in Gislahadtis
1) [J. Grimm Gramm. 2, 46 ferire; Ettmüller Lex. Anglosax. S. 433
agi, vehementer fern. Lat. gerere? Ortsnamen Angilgise, Humilgise,
Wider gisa; das mittlere jetzt Himmelgeist, also I. Mit kurzem i der
Flussname Visurgis d. i. Wisuraha*]
376 SpracHe und Sprachdenkmäler der Bargnnden.
und Gidaharius. Mit dem kurzen / des Perfectums gis^): die
Eigennamen, in welchen allein es noch gebraucht erscheint, be-
weisen die Kürze: nur derentw^en konnte z. B. Vitigis auf
Lateinisch und Griechisch so wie tigris decliniert werden; und
sie thun für gis eben die Bedeutungen dar, welche gais besitzt,
ebenfalls die Bedeutungen Speer und Held: nur deshalb war es
möglich den grossen Vandalenkönig bald Gaimricusy bald Gize-
richuB zu benennen. Hiezu nun ist gisil das einfache, gisikil
gisd das gehäufte Yerkleinerungs- oder Kosewort: besonders an-
schaulich, wenn sich bei demselben Namen beiderlei Ausgänge
oder gar alle drei zugleich darbieten, Aragis und Aragisclus,
Ermengis und Het^megisclas, Vitigis und Vitigisclus, Mttotgis
Modigisilus und Modigisdus, Thiotgis Theudegisilus und TJieii-
degisclus; auch dem Bertegiseliis einer Grabinschrift des J. 600
zu Guilleraud (Le Blant II, 774 Nr. 474) steht anderswo Be-
rehtgis, unserm Godegiselus noch roStyfoxXo^, unserm Fridigis-
clus noch Fridugis und Fredegisilm zur Seite.
Ein fünftes derartiges Bildungsmittel. Nicht selten zeigt
sich in Quellen des Althochdeutschen der Gonsonant der Ab-
leitung IL yerdoppelt (Jac, Qrinuns Gramm. II, 317): nur zu
erklären, wenn dem zunächst eine mit / noch erweiterte Form
vorangegangen, wenn z. B. ausser und vor sidila auch sidilja
gesprochen worden (und das Grund w(Hii ist ja der lat. Plural
sedilia): erst hieraus denn sidilla und mit verstunmiendem Laute
sidella: vgl. oben S. 347. Den gleichen Ursprung nur kann ,das
LL des burgundischen Namens Guntelh und so auch der alt-
hochdeutschen Basilla Hezüla Listlllo genommen, er muss zuvor
ebensolch ein LI besessen haben wie Scudilio, wie bei den
Franken Scvpilio, wie bei den Alamannen Odilia. Es ist ein
Weibername und sein Declinationsvocal der unverändert burgun-
dische: diess verwehrt uns an eine Deminutivform nach roma-
ilischer Art zu denken: auch das Burgundische vertauscht ja
wurzelhaftes wie ableitendes / gern gegen E. Vielmehr liegt
uns hier ein altes und meines Wissens das älteste Beispiel einer
1) [Mit ableitendem T Bicgist neben RtcgiSy Thiotkist neben
Theotgia: Förstemann 1, 1045. 1175; ebenso SegesUs aus Segigestes?
ygl. Leuvera oben S. 372. Däss es für Sigigast stehe (J. Grimms Gesch.
d. D. Spr. 1, 526) ist nicht wohl denkbar.]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 377
echt deutschen Wortart vor, jener Koseformen, die von einem
zusanunengesetzten Namen nur den ersten Bestandtheil , auch
diesen mßist noch in irgendwelcher Kürzung, festhalten und
dann auf Sächsisch ein Ty auf Hochdeutsch ein Z^ zuweilen auch,
damit die Deminution noch kosender werde, noch als zweiten
Schluss ein IL, ja als dritten noch ein / dahinte];setzen, z. B.
Sigibert Süto Sizo (Gramm. III, 692), ÄmalUndis Amäa (Tra-
dit. Wizenburg. S. 225), HiÜipurch Hizila, Warinhari Werinzo
,Wazo Wezilo Wazilu Eben3o denn Gtintelh d. i. Guntilio.
Unmittelbar von gunth oder gunthja kommt das nicht, da es
ein T, kein TH oder D aufweist: es röhrt aber her von einem
Namen, der damit begann, wie, im Burgundischen selbst belegt,
Gkmth'ßiica oder anderswo Gundiberga oder GundehiUhs oder
Gundellndis u. s. w. Dieselbe Vieldeutigkeit bei den ent-
sprechenden Koseworten des Althochdeutschen, bei Gunzo Gunza
Gunzila Gunzili.
Schliesslich der Einblick in die Flexion der Burgundischen
Mundart könnte dadurch ganz verbaut erscheinen, dass uns fast
lediglich Substantiva, fast lediglich Eigennamen und diese fast
immer in ii^end welcher Latinisierung des Ausgangs überliefert
seien. Indess die genauere Betracditung wird auch aus solchen
Umgestaltungen heraus noch Einiges zu ermitteln vermögen, und
ausser all den lateinisch gefassten Einzelworten haben wir ja
auch mehrere, die unverändert burgundisch geblieben, ja in den
Buneninschriften noch zwei ganze ganz burgundische Sätze, die,
so überaus kurz sie sind, uns doch manches lehren und mehr
noch errathen lassen.
Die Latinisierung beachtet hier so, wie sie dessen auch sonst
gewohnt ist, den Unterschied zwischen starker und schwacher
Substantivflexion und kennzeichnet denselben durch die Endungen,
die sie den deutschen, den burgundischen Worten theils belässt,
theils giebt. Die starken Masculina, und der Regel nach nur sie,
erhalten im Nominativ die Endung m; die seltnere es, theilweise
vielleicht auch is, hat ihren Beleg in dem WilUmeres einer In-
schrift sowie den Genitiven Abcaris Widemeris Wiletneris Wilieme-
vis Wadamiris und den Accusativen Godomarem Gundomarem des
Gesetzes: bei Namen, wie diese in ihrer Mehrheit sind, eigent-
lich gothischen auf mSr oder mir (vgl. oben S. 361), war solch
eine Umbildung alt und allgemein gebräuchlich: es ward damit
37 R Sprache und Sprachdenkmäler der Bargnnden.
das S des gothisch-^germanischen Nominativs am wenigsten ver-
ändert. Das Burgundische jedoch hatte diese Nominativflexion,
zum mindesten gegen das Ende hin, bereits verloren: auf dem
Bracteaten steht schon ein unflectiertes Vithuluf, in anderen In-
schriften Engevald Itniman Viliaric. Im Gk)thischen selber bietet
ungefähr zu gleicher Zeit, um die Mitte des sechsten Jahrhun-
derts, die Urkunde von Ravenna schon Ußahari und Viljarüh
(die von Arezzo noch Gtidilaibs); ja schon fräher haben da Ge-
fässinschriften die Nominative Arvik und selsath (Dietrich in
Pfeiffers Germania XI, 203) und bat bei den Vandalen die
eines Gewichtes, das in den Trämmern Gharthagos wieder auf-
gefunden worden, Raginari (Papencordts Gesch. d. Vand. Herr-
schaft in Africa S. 440 ^).
Die schwachen Masculina bildeten auch im Burgundischen
den Nominativ mit A, und das ward entweder ebenso ins Latein,
dem ja ein männliches Wort mit A nicht widerstand, hinüber-
genommen: Athala Athica (Inschrift von 563 bei Le Blant U,
150 Nr. 466 A) Conia Fagila Fastila Ftma Gebeca Nansa
Sara Sunia Uthila Vvlfia Vulfila, so dass sie gleich mit den
Femininis lauteten ; oder aber es ward aus dem männlichen Vocal
ein 0, eine Aenderung, die im Lateinischen überall und von je
her geläufig und dadurch doppelt empfohlen war, dass sie keinen
Zweifel in Betreff des Geschlechtes offen liess und die lateinische
Flexion durchgängiger übereinstimmend mit der deutschen selber
machte: von der Art Baliho Bddo Hanno Offo Rapso Rico
Scudilio Siffgo Teto Vassio und als der älteste und der Grund-
beleg der Name des ganzen Volks Burgundiones. Die Pranken
scheinen, gleich den Sachsen und den Oberdeutschen, diess
für A schon in der eigenen Sprache gebraucht zu haben.
Bekanntlich aber ist, was unsre Grammatik schwache De-
clination nennt, eigentlich auch starke, nur dass, eben wie bei
den lateinischen Substantiven auf 0, der Stamm noch mit AN
oder ON gebildet und diese Endung mit denen der Flexion eng
in eins gezogen, der Nominativus aber noch mehr verkürzt ist.
Der stark flectierende althochd. Einzelname Theodan und der
1) [vgl. auch Haupts Zeitschr. 14, 79 fgg. Friedländers Müszen der
Vandalen S. 13. — Ist dem entsprechend auch das S des Pluralis abge-
worfen? 8. unten s. v. leudus am Ende.]
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 379
latinisierte Volksname Teutonus Plur. Teutoni ist noch dasselbe
Wort mit dem gothischen Appellativtim thivdans König: der
andere Name Theodo, die andre Latihisierung Teuto Teutones,
beide nunmehr schwache Formen sind nur Syncope und Apocope
jener volleren starken. Dieser Ursprung der schwachen Declina-
tion und eine Art von Bewusstsein dieses Ursprunges wirkt nun
das erste Halbjahrtaüsend des Mittelalters hindurch in auffallen-
der Weise da noch fort, wo deutsche Namen, schwache Mascu-
lina sowohl als Feminina, lateinisch zu declinieren sind: die casus
obliqui werden da nicht selten wieder durch Verbindung eines
ableitenden AN (andre Vocalisierung ist minder gebräuchlich)
mit den Endungen der ersten, der zweiten, der dritten Declina-
tion hergestellt, und es heisst z. B. von Theoda der Genitivus
Theodanae (Cod. Lauresham. dipl. Nr. 356), von Manna Man-
nani und Mannanis, der Ablat. Mannane (Urkunde von Bavenna
575 bei Marini, Papiri diplomatici Nr. 76), von Offa der Dat.
Offano, der Vocat. Offane (Brief Karls d. Gr. vom J. 774), von
Traguila Traquilla Tranquilla Traimlla d. i. Traggvila (bei
Boeth. Consol. Philos. I Pr. 4 TriguiUa d. i. Triggvila) der
Accus. Tragnilanem u. s. w., der Ablat. Tranquülane' (Greg,
Tur. Hist. Pr. III, 31. Fredeg. Epit. 44): die Beispiele gehören
den Gothen , den Franken und dem mittleren Deutschland an.
Und auch das Burgundische liefert deren. Eine Inschrift hat
den weiblichen Genitivus Gemoiane, und im Rechtsbuch giebt
eine Reihe von Handschriften als Genitive der Grafennamen
Offo und Siggo nicht Offonis Siggonis, sondern Offini und Si-
goni Siccmiiy diese natürlich mit kurzem 0, mit verstummendem
Ij eben wie das A dort in Gemoiane, in Mannani und Offano
nur ein kurzes kann gewesen sein. Und so ist auch als Nomi-
nativ zu Uftani nicht allein Unanus, wie es den altsächsischen
Namen Unan giebt, sondern ebenso wohl und vielleicht noch
besser Uno, die anderweit häufiger belegte Form, anzunehmen.
Wie sehr man gerade auf romanischem Boden solcher Behand-
lung der deutschen schwachen Substantiva gewohnt war, zeigt
uns besonders augenscheinlich die Umgestaltung, die das lat.
scriba dort erfahren hat: man nahm das A für die deutsche
Endung und sagte nun entweder mit frischer Latinisierung scHho
scribonis oder, indem man jene Auflösung in Ableitungs- und
380 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bnrganden.
Flexionssjlbe auch hier anwandte, scribanus, ital. scrivnno, franz.
Serivain.
Wir knüpfen noch einmal an Burgundiones an. Ammianus
und Andere schreiben in kürzerer Form Burgundü Burgundi
BoupYoSvftoi; im Nibelnngenlied werden Nominativ nnd Genitiv
der Mehrzahl auch Bürgende Bürgende gebildet (2118, 4;
497, 8. 2166, 4. 2179, 4), und schon im Althochdeutschen
ist Burgund sowohl als Burgundio ein Personenname: damit
wird, in geradem Gegensatz zu dem eben besprochenen Ver-
fahren, das unterscheidende Merkmal der schwachen Biegungs-
weise misskannt und ausgewischt. Und das geschieht noch
mehrfach. Wiederum bei Ammian, wenn er als die Benennung
des obersten Priesters sinistus angiebt (XXVIII, 6): die Bur-
gunden sagten jedesfalls sinista, so gut sie als die Oothen denen
Ulphilas das griechische Tcpe^ßuTepoc damit verdeutschte; sinistu
eigentlich der Aelteste, ein als Substantivum gebrauchter Super-
lativ, dessen Positivus sini, abgesehen von Namen wie Sini
selbst, wie Sinedrudis Senicmchtts (Amm. Marc. XV, 5) Ermen-
sina, appellativ nur noch in der Znsammensetzung siniscalais
sinescalcus senisralcus (Lex Alam. LXXIX, 3. Karls d. Gr.
Gapitttlare de Villis 16. 47 u. a.), wörtlich Altknecht, dem sim-
scalco und sinSchal der Italiäner und Franzosen, nachweisbar ist:
das Gothisdie ersetzte denselben durch die .weitere Ableitung
sineig, die ebenso dem lateinischen senex entspricht wie sini si-
nista dem lat. Genitivus senis und Comparativus senior. Noch
unmittelbarer wird die schwache Flexion der Superlative auch
für das Burgundische bestätigt durch einen Namen der Grafen-
unterschrifteU; dessen Genitiv in L und E, hier der besten und
der näcittitbesten Handschrift, nicht wie Bluhme unrichtig an-
giebt (ich habe beide selbst mit Genauigkeit eingesehen) uualesce
sondern vuakste, dessen Nominativus also WaUsta lautet; eine
dritte gewährt tmalesti, die übrigen utudesse mialesci uucUisci,
zum Theil also nadi der Declination in US, zum Theil auch
mit einer Consonantverwechselung die bekanntlich häufig ist, die
jedoch nicht überall von einem Versehen nur der Schreiber, die
zuweilen, und wahrscheinlich gerade auch in diesem Falle, aus
einer Verderbniss der Sprache selbst herrührt. Dieses fVcdesta
d. i. WaUsta (vgl. oben S, 375) gehört entweder als Super-
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 3g 1
lativ ^) zu dem Adjectivum val, dessen substantivisch gebrauchte
schwache Formen Vali und vcda altnordisch die Namen eines
Gottes und einer Seherinn sind : den Begriff desselben lassen das
altsächs. welo Beichthum, die Interjectionen wila toaia wola und
andre Bildungen von eben diesem Stamm errathen. Oder, Yalls
man annehmen darf, die den Bomanen beliebte Yerrückung des
R in L (Diez Gramm. I, 207 fg. 289 fg.) habe gelegentlich
das Deutsch der Burgunden mit ergriffen, es ist in Valeäa der
alte Name der Varistae zum Einzelnamen geworden, der Name
eines Volks das ja mit auf dem Boden Burgundiens sass und
nun Waresti, wie schon vorher die Varistae auch Varisti, oder
mit jener Vertauschung des ST gegen SC Wareset Warasci
hiess und der Gau, den es bewohnte, Warascus (Zeuss, die
Deutschen S. 584 fg.) : auch dann ist die Endung superlativisch,
Walesta Varista der Superlativ zu var goth. achtsam (Müllen-
hoff in Haupts Zeitschr. IX, 132). Daneben finden wir bei den
Burgunden selbst und freilich ebenso bei all den Uebrigen die
lateinischen Formen — gisdus und — gisclus, während auf
Deutsch diese Bildungen doch sicherlich schwach giengen, nicht
anders als die auf ICÄ und auf ILA (S. 375) und das schon
dort verglichene althochd. Suniehilo: noch aber beweist die Ge-
nitivform Coniyiscle, die sich einmal als Lesart findet, den richtig
schwachen Nominativus Conigiscla. Ferner die Schreibungen
Gislabadus Gundobadus Gundobaudus, denen anderswo ''AaßaSoi;
Fridvhadus 'IX5{ßa&o( Cannabaudes u. dgL zur Seite und voran-
gehn: schon aus dem späteren pato oder poto (S. 366) darf man
aber mit Gewissheit schliessen, dass es genauer Gislabado Gun-
dabado heissen würde und auf Bui^^disch Gundabada, voll-
ständiger Gundabadua geheissen habe (das U aber fiel aus wie
in Nasua und Nansa, sarv und Sara), und wirklieh auch geht
wieder aus dem Genitivus Gundübade, der in der Ueberschrifb
des Gesetzes Lesart ist, Gundabada als der eigentlich rechte
Nominativ hervor.
Ein Substantivum, dessen Etymologie und Deutung schon
durch die Verrückung des Schlusslautes seiner Wurzel uns sehr
ist erschwert worden (S. 355 fg.), weicht nicht minder in Betreff
1) [vgl. den comparatiyisch gebildeten gothiseben Namen Vitiza,
Snperlatiynamen: s. Förstemann 1, 1119.J
382 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgnnden.
der Beugung aus aller Regel heraus. Der Nominativns toitthna
würde nach gothischer Declinationsart den Accusativus unttiman,
ivittimo würde nach althochdeutscher wiUhnun oder wittimon
verlangen: letzteres beides kommt auch vor, wittimun jedoch
nur so, dass daraus (und gerade die besseren Handschriften
bieten das überall) ein lateinischer klingendes unttimum geworden
ist, und beides nicht als eigentlicher Accusativ, sondern im Sinn
eines Ablativus hinter de (L. Burg. LXVI, 1. 2. LXXXVI, 2.
CI), ja selbst in nominativischem Sinne (LXIX). Solche Er-
starrung und Verderbniss wird nur begreiflich, sobald man den
Anlass dazu bei den Romanen sucht, die sich in Satzbau und
Flexion auf den Nominativ und den Accusativ und oft sogar auf
den Accusativ allein beschränkten. Daher rühren ja auch in den
verschiedenen Aufzeichnungen des Gesetzes Lesarten wie die
üeberschrift Gundobado regis jyroloctis und die Unterschriften
Signum tnnakario com., Signum Siluanum com., Signum gun-
deulfu com.: der Bedeutung nach lauter Genitive, der Form
nach Accusative, drei davon mit derselben romanischen Ab-
werfung des Schlussconsonanten wie Tit. 97 in der Lesart ^^-
gutio oder (um von zahllosen Beispielen nur noch eines zu geben)
in den Schlussworten einer auf S. 388 angeführten Grabinschrift
post consolato Inportuno.
Die weiblichen Substantiva endigen lateinisch ein paarmal
auf IS: so neben Aunegilde und Vistrigüde auch Aunegüdis,
neben Aunihilde Chrodechildis ; der Regel nach jedoch auf A
oder, indem dieser vollere Laut sich abschwächt, eben auf E
(vgl. S. 370), z. B. Arigunde Theuddinda Orovelda, während
sonst den Namen dieser drei Arten vielleicht noch häufiger
gleichfalls IS gegeben wird. Die ersteren werden im Burgun-
dischen selbst als Ausgang des Nominativs ein I, die letzteren,
je nachdem sie stark oder schwach flectierten, bald auch schon
ein A, bald aber wie das Gothische ein langes besessen haben.
Unverändert diesen Schluss zeigt uns auch wirklich ein Grab-
stein in dem vorher S. 377 erörterten Namen GunteUo: «s
i^t, wie Jordanis 58 aus dem Gothischen heraus Thiudigf^ho
und Ostrogotho schreibt, während ihm mit A der Mannsname
Ostrogotha lautet (Cap. 14 fgg.) und ebenso und Vesegotha die
beiden Namen des Volkes (Cap. 2. 5 u. s. f.).
Aus der Declination der Adjectiva ist mit dem unthfantitai
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 383
der Spange von Charnay der starke männliche Nominativ der
Mehrzahl belegt. Und wie somit das Burgundische hier den-
selben Doppellaut als die gothische Mundart, noch nicht aber
das gedehnte E der althochdeutschen hat, so stimmt es auch in
einem andern Falle mit der ersteren überein./ Das Gothisclio
verwei^det gern die schwache Neutralform des Accusativus Sing,
als Adverbium, namentlich als Modaladverbium: dieselbe Form
in derselben Bedeutung hat das kiano eben jenes Denkmals
(oben 'S. 367); nur ist der Stamm einsylbig khm, nicht kiiini
anzusetzen, weil der Adverbsaccusativ sonst Munio heissen wü\\h\
Im Althochdeutschen und Altsächsischen lautet die entsprechende
Casusendung J, so dass, wenn die Adverbia der Art und Weise
jetzt noch viel häufiger als schon im Gothischen auf 0, (und
zwar jetzt auf kurzes, während es dort lang ist) ausgehn, diess
einen anderen Ursprung haben muss: Jac. Grimm belehrt uns,
welchen (Gramm. III, 110 fg.). Deshalb eben stelle ich unser
kiano wohl mit gothischen Adverbien wie thmbjo sprautd u. s. f.
zusammen, nicht jedoch mit den altsächsischen und althochdeut-
schen diopo diapo tiufo, ziaro chuono. Da aber die Adjectiva
all ihre schwachen Formen aus der schwachen Substantivflexion
entnehmen, so folgt aus kianö, dass die schwachen neutralen
Substantiva den Accusativ und den Nominativ ebenfalls mit
gebildet haben, und andrerseits dass die früheren Bemerkungen
in Betreff der schwachen männlichen Substantiva nun auch für
die entsprechende adjectivische Biegung gelten. Zugleich sind
kiano und jenes Quntdlo ein Beleg mehr für den Grundsatz der
deutschen Grammatik, dass die schwachen Neutra im Nominativ
und Accusativ der Einzahl gleich wie die schwachen Feminina
lauten.
TJnthfanthai, kiand, beides wie im Gothischen, zwei von den
drei Worten eines burgundischen Satzes ganz wie es der Gothe
that flectiert: das gestattet uns anzunehmen, die burgundische
Flexion sei mit der gothischen, die eben nur die alt und allge-
mein germanische war, noch weiter in eins gegangen, und es
eracheint diese Annahme um so mehr gerechtfertigt, wenn wir
auch das dritte Wort des Salzes, ein Zeitwort, zwar nicht buch-
stäblich in gothischlsr Art, doch derselben ähnlich gestaltet finden.
Für den Begriff „gieng" hat das Gothische den Ausdruck iddja,
in der dritten Person der Mehrzahl iddjedun, einen Aoristus
384 Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden.
welcher defectiv und in seinen Lauten auf die gleiche Weise
aus idida ididMvn verstellt ist (der Stamm ist id^ griech. l^uc>
lat. iter^ comes camitis u. s. f.), wie in den r(»nanischen Sprachen
z. B. pridias 61ossae Cassell. G 16 aus parietes, cUiet citied
Chanson d* Alexis 21, 6. 34, 2 aus civitas, amisties amiti/ aus
amicitas, püies pitU aus pietas. Unter den übrigen Mundarten
des Deutschen kehrt dieses Stück Verbum nur noch in der
angelsächsischen wieder und lautet da eode eodon, mit Verein-
fachung des D und im Plural mit derjenigen Verkürzung des
Suffixes, die überall nachgothische Regel ist. Ebenso gekürzt
nun auch auf der Spange von Ohamay iddan: aber das D ist
hier noch doppelt und nur das / gleichfalls schon verschwunden :
es mojchte sich auf ähnliche Art in das DD verloren haben, wie
es in Siggo die Ursache des GO ist (oben S. 347). Eines
zwar fällt an iddan auf, das A der Endung, wofür aller sonstige
Sprachgebrauch ein U oder doch ein erforderte: es ist aber
später ein bekanntes Merkmal des ver&Uenden AlthochdeutBchen,
dass es die verschied^sten Vocale am Schluss der Worte gegen
ein und dasselbe A vertauscht um so den Schwächungen in
stummes E oder /, die sonst überalt da um sich greifen, gleich-
sam ein Gegengewicht zu geben, und wohl mag diese zwiespältige
Vorliebe bald für den entfärbten, bald für den helleren, selbst
den unrichtigen helleren Laut ebenso schon in der verfallenden
Sprache der Germanenzeit gewaltet haben. Auch das Bomanische
braucht die mannigfachsten unursprünglichen A, aber es be-
schränkt sich damit auf tonlose Anfangssylben. (Diez Gramm. I,
161 fg.), so dass die Vei^leichung nur halb zutrifft.
Endlich ist noch eine Gonjugationsform auf dem Bracteaten
übrig und diese von regelmässig starker Bildung: denn nur so
kann das Wort hag verstanden werden, „Vithmluf stach oder
Schnittes nämlich das Brustbild und die Runen in den Fräge-
st5ck. Das Präsens dazu muss higa lauten, und mit diesem
higa hag gewinnen wir die Wurzel für hig heg angelsächs. Heu,
hag hochd. Domgebüsch, hagm und behagen ge&Uen, eigentlich
anstacheln, hagal Hagel, hagan Dorn, hagva höggva altnord.
hauen. Es scheint unnöthig nüt Dietrich (Haupts Zeitschr. XHI,
50) ein ablautendes Zeitwort higvan zu vermuthen, wozu hag
der apocopierte AorisCiis wäre, und gai bedenklich dessen andere
Annahme, hag sei nur ein Sprech- oder Schreibversehen für
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 385
Mag, den apocopierten Aorist von hagvan. Allerdings ist auf
den Runensteinen des Nordens das Zeitwort hagva hatigva haga,
im Aoristus Mag hiog Mug, der ständig wiederkehrende Ausdruck
für das Einmeissein der Schrift (Dieterichs ßunen-Sprach-Schatz
S. 180 fg.): aber schwerlich dürfen wir zugeben, dass auch das
Burgundische schon den grossen Schritt über die germanisch-
gothische Art hinaus gethan und bei der Bildung der Aoriste
Reduplication und Wurzelsylbe diphthongisch in eins gezogen
habe: ihm lautete von hagvan diess Tempus unzweifelhaft noch
haihagv oder hehagv.
n. Die Sprachdenkmäler.
1. GUNTHI0U8. UITHULUFHAG. Eingeprägte Runen-
inschrift eines bei Broholm auf Fünen gefundenen Qoldbracteaten,
aus dessen Abbildung in dem Atlas for Nordisk Oldkyndighed
(Kopenhagen 1867. Nr. XI) wiederholt und besprochen von
Dietrich in Haupts Zeitschr. für Deutsches Alterth. XIII,
49 fgg.
2. UNTHFANTHAl IDDAK KIANO FUSIÄ. Eunen-
Inschrift, eingegraben in die Rückseite einer in dem Todtenfelde
bei Charnay (Departement C6te d'Or) gefundenen Spange von
theilweis vergoldetem Silber, aus deren Abbildung in Baudots
Memoire sur les S^pultures des Barbares de rllpoque Märo-
vingienne, döcouvertes en Bourgogne (Dijon u. Paris 1 860. PL XIV)
wiederholt und besprochen von Dietrich in Haupts Zeitschr. XIII,
105 fgg. Vgl. oben S. 352.
3. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver-
zinnt, gefunden im Waadtland zwischen Cossonay und Aliens;
eine Abbildung davon durch Troyon, der diess gleich dem näch-
sten Stücke für celtische Arbeit hält, veröiFentlicht in den Mit-
theilungen d. Antiq. Gesellschaft in Zürich 11 (1844), 2, 28 fg.
Taf. II, Nr. 6. Auf dem Bande, der eine Darstellung Daniels
zwischen zwei Löwen umgiebt, ist oben in auswärts gewendeter
und mehrfach schief gelegter Schrift eingegraben SOSVISVSOI,
Wackernagel, Schriften. III. 25
386 Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden.
unten IMIMAN FÖNS. Die obere Zeile scheint in zweimaliger
Umkehrung und jedesmal mit andrer Verderbniss den Namen
lESVS zu meinen; das vorletzte N der unteren könnte auch
fQr ein misslungenes S gelten.
4. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver-
silbert, gefunden bei Lavigny im Waadtland; ausser einer Ab-
bildung in der so eben erwähnten Arbeit Troyons, Taf. 11 Nr. 1 ,
liegt mir ein Abguss in der Mittelalterlichen Sammlung zu Basel
vor. Als Bild abermals (es muss das eine Lieblingsdarstelluug
der Bargunden geworden sein: sie kehrt noch mehrmals auf
solchen Schnallenblechen wieder) Daniel inmitten zweier Löwen;
als Bandumschrift NASVALDVS NANSA f VIVAT DEO
VTERE FELEX DANINIL. Deutlich so, nicht etwa in
DANIHIL, ist der Name, der das Bild erklären soll, entstellt.
5. Aufsatzblech einer Gürtelschnalle, von Kupfer und ver-
silbert, irgendwo im Waadtland gefunden; ein Abguss in der
Mittelalterlichen Sammlung zu Basel. Kandverzierung von Thier-
gestalten; das länglicht viereckichte Mittelfeld dreifach von oben
nach unten getheilt: in dem mittleren Theil ein Gefäss mit
Blumen; in den beiden äusseren je zwei Beihen Buchstaben:
rechts in der oberen Zeile VVILLIME, in der unteren RES
FCEF; links in der oberen BALTHO E, in der unteren
MIOCEE. Es ist aber in dem Namen VVILLIMERES das
zweite V zwischen das erste und das / wieder dazwischen ein-
gegraben, das andere / in verkürzter Gestalt wie nachträglich
zwischen L und M gebracht, M und E sowie R und E haben
die Langstriche gemeinsam, S ist mit dem F verschlungen, so-
dann E und F sind kleiner und zwischen die Rundung des C
gesetzt; in dem Theile links sind A und L verbunden; TH ist
mit der Bune bezeichnet, aber in solcher Umgestaltung derselben
dass ebenso wohl ein P zu lesen wftre (vgl. oben S. 353 bei
Athica und den Ranthoaldus d. i. Randoaldus einer altchrist-
lichen Mainzer Grabschrift, aus dem in Steiners Cod. Inscript.
Boman. 11, 341 Nr. 1626 wirklich ein Ranpocddus geworden ist):
das folgende steht in deren Bundung, so wie M sein I in
sich, das über sich hat und endlich auch C sein E in sich.
Burgnndisch sind hier nur die drei Namen WiUdmeres BaUho
Emiocer, FCEF dagegen Abkürzungen lateinischer Worte:
FC bedeutet FIERI CVRAVIT, EF dann vielleicht ET
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 387
FECIT, so dass uns mit dem Folgenden der Künstier genannt
ist, eben wie auf dem Bracteaten Vithuluf und wohl auch auf
der Spange von Ghamay Fusia, letzterer wenigstens als Schreiber
der Bunen, sich namhaft macht.
Es entgeht mir nicht, dass in Betrefif der Inschriften 3 — 6
eher als in Betreff der vorhergehenden darf gezweifelt werden,
ob sie noch innerhalb der Zeitgrenzen fallen, die wir unsrer Be-
trachtung gezogen haben, ob sie nicht jünger^ vielleicht um ein
Gutes jünger als der Untergang des Burgundischen Reiches
seien. Für solch eine spätere Anberaumung dürfte man naanent-
lich den Umstand geltend machen , dass diese Schmucksachen bei
aller Eohheit der Kunst und bei aller sonstigen Uebereinstim-
mung mit den Funden von Charnay doch schon einen gewissen
Fortschritt über dieselben hinaus erkennen lassen, insofern hier
der Zierrath, welcher die Flächen füllt, nicht mehr allein durch
Lineamentverschlingungen, sondern bereits durcb mannigfache
figürliche Darstellungen erzielt wird; in gleichem Sinne könnte
man die durchgehende Anwendung der lateinischen Sprache und
Schrift, die so wie bei den Angelsachsen und Scandinaviem nur,
das nationale Zeichen für TH noch duldet, die Art von Be-
kanntschaft mit dem Inschriftenstil der Römer und, wenn man
den Vocal des Namens Föns erwägt (oben S. 370), die schon
weiter gediehene Romanisierung der Sprache in Anschlag bringen.
Indess eine chronologische Entscheidung von Sicherheit wird
auch mit diesen und dergleichen Bedenken nicht gewonnen, und
so gesta^tte man mir die Belege 3 — 5 einstweilen in dieselbe
Reihe mit den beiden ersten und all den übrigen zu rücken;
man gestatte es mir ebenso bei der und j^ner datumloöen Grab-
inschrift.
6. In Einer, zugleich sitten- und sprachgeschichtlichen Be-
ziehung legen durch ein merkwürdiges Zusammentreffen die letzt-
aufgeführten drei Stücke gleichmässig Zeugniss ab: ich meine,
für den Gebrauch eine Person mit zweierlei Namen neben ein-
ander zu bezeichnen, mit Imiman und Föns, mit Ncisualdus und
Nansa, mit Baltho und Emiocer [vgl. -Uus Imelistanus unten
unter dem letztem Worte]. Ein ferneres auch den Bur-
gunden gehöriges Beispiel solcher Doppelnamigkeit und nicht
bloss ein fehlerhafter Wechsel der Schreibung wird es sein, wenn
als der Name, den Gundobadas Nichte Sedeleuba „mutata veste*^
25*
388 Sprache und Sprachdenkmäler der Bargonden.
geführt, bald Mucuruna, bald kürzer Chrofia angegeben wird
(Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28), ein noch gewisseres die domna
Bemila vocabulo Eugenia oben S. 336. Vocabulo d. h. mit
ihrem andern, nicht mit dem eigentlichen Namen. Das führt
mich auf die Herstellung noch eines Beleges, aus einer lücken-
haften Grabschrift vom J. 610, gefunden in S. Just bei Lyon;
die Abbildungen bei Alph. de Boissieu, Inscriptions antiques de
Lyon (Lyon 1846-1854) S. 578 Nr. 34, und bei Edm. Le Blant,
Inscriptions chrötiennes de la Gaule I (Paris 1866) PL 10 Nr. 3x,
geben dieselbe folgender Maassen: HICCVIV : INHOC | CONDVN
: : : : : MBRASEPVLCHRO \ SARAGA :::::: VSESTNOMINE-
QVIC j VMOM : : : : : | ETAPVTO : : : : COVIXITA | VTNOMI
:::::: VOCABOL:: | VITAEMERiTIS COMMENDARET
QVIVIXITANNOSXLOBnT | UIINONAS DECEMBRIS | POST-
CONSOLATOINPOR , TVNOVVCCLE. Die Lücken alle er-
gänzen sich leicht, auch die in den Namen. Denn es müssen
eben deren zwei vorhanden sein, ein nomen und ein vocabulum,
und das letztere muss Bezug auf die Gastlichkeit haben, die
eine Tugend des Burgundischen Volkes überhaupt (vgl. Lex Burg.
Tit» 38) und insbesondre nun dieses einen Burgunden war; Le
Blant S. 33 fgg. u. 138 führt eine Reihe von Beispielen vor,
wo Grabinschriften auch den einen eigentlichen Namen des Verstor-
benen wortspielsweise deuten. Also: Hie, cums in hoc conduntwi
menibra septdchro, Sara Gastigoius est twmine, qui cum omm-
bus et aput onmes covixit ita, ut wotwmis sui vocabotwoi vitae
meritis commendaret, qui vixit annos XL, obiit IUI nonas de-
cembris post consolato Inportuno vm consularis darissime. Frei-
lich wird der Steinmetz die zwei Worte viri conmlaris mit
schlechteren Endungen gesprochen haben, viro consulare etwa;
den Fehler des zwiefachen V, obschon er eben nur Einen Consul
nennt, machen auch, wie Le Blant S. 153 nachweist, andre.
Der Name Sara, anderswo Saro und Sario und Sarus (Jord. 24),
wird mit goth. sarv Schutzwaffe, althochd. saro WaflFenrüstung
zu verbinden sein; Gastigodus habe ich von Ulphilas, der
Tim. I, 3, 2 und Tit. 1, 8 9tX6$svo<; mit gastigod und
Rom. XII, 13 <ptXo$6v(a mit gastigddei übersetzt. Vielleicht
aber wäre (die Breite der Lücke lässt noch einen Buchstaben
mehr zu) die Ergänzung Gastiletib^is vorzuziehen: denn diess, in
der Form Gestiliub, war wirklich auch auf Althochdeutsch ein
Sprache und Sprachdenkinäler der Burgunden. 389
Name. ' Somit bei den Burgunden, wo doch die Quellen fürwahr
nicht überreichlich fliessen, ganzer sechs solcher Fälle, und die-
selben sind deutlich so beschaffen, dass jedesmal der eine Name,
der im Schreiben vorangestellte, als der eigentliche und ur-
spmngliche, der andre zweite als ein Beiname muss betrachtet
werden, welcher der Person erst später auf den oder jenen An-
lass hin von den TJebrigen im Volk und so auch aus der Sprache
des Volkes geschöpft ist. Nur wie in dieser Beziehung Chrona
und Mucuruna sich verhalten, ist freilich ungewiss ; in der Ver-
bindung BaUho Emiocer darf eher das vordere Wort, dessen
Sinn wohl bestimmter als der des zweiten im Bewusstsein aller
Sprechenden lag, für das vocaindum gelten, und Remila mag
das ihrige, das ja undeutsch ist, nur im Munde der romanisch
redenden Einwohnerschaft Viennes geführt haben. Es sind aber,
nächst dem Bugierkönig Feletheus qui et Fava d. i. der Kleine
(Eugyppii Vita S. Severini Cap. 3 u. 9; qui et ,Feva Paul. Diac.
1, 19), diese burgundischen Beispiele des Gebrauches von Namen
und Beinamen die ältesten oder gewiss doch von den ältesten,
die es gijebt: zu gleicher Zeit den Gothen (ein neuer Unterschied
der beiden Völker) war, wie es scheint, die ganze Sache fremd
[vgl. Badvila und Tötila unten am Schlüsse der Abhandlung].
Denn dem OuiaavSo^ ßavSaXotpioc bei Procopius B. Gotth. I, 18
ist dieses Wort doch wohl nicht als zweiter Name, sondern als
Titel beigefügt, derselbe Titel den Procopius B. Vandal. II, 10
halb griechisch mit ßavSo^opoc wiedergiebt (vgl. ßotvSov ebd. II,
2, banderarius bei du Gange und Diez Wörterb. d. Koman. Spr.
I, 50), und wenn in der Urkunde von ßavenna vier Gothen vor-
konunen, die anders im lateinischen Texte heissen und anders
da, wo sie selber gothisch oder auch lateinisch unterschreiben,
Mirica und Merila, Optant und Uftahari, Minnultis und WiU
Umant, Danihel und Igila, so ergiebt dieser Gegensatz wieder
nur ein Verhältniss wie dort bei Remila Eugenia: der Name
des Textes (er klingt entweder an den der Unterschrift noch
mehr oder weniger ähnlich an oder lautet vollkommen anders)
ist der, mit welchem die Romanen der Stadt jene Gothen nann-
ten; auch auf diesem Wege kann neben lornandes die Form
Jordanis, die einzige übrigens die uns eigentlich beglaubigt ist,
entstanäen sein ^). Desto allgemeiner in Gebrauch waren Doppel-
1) [Oder heisst es nicht Jordanis, mit Bezug auf den heiligen
390 Sprache und Sprachdenkmäler der Bargnnden.
namen wie die unserer Grab- und Schmuckinschriften bei den
andern Nachbarn der Burgunden, bei den Franken: da haben
wir, aus den verschiedensten Gegenden des Beichs und Kreisen
des Lebens belegt, den vielerwähnten Herzog Gunichramnus Boso
(weshalb so zubenannt, erklärt uns in Kürze Qreg. Tur. Hist.
Franc. IX, 10) und die Königinn Äustrechüdis cognomento Bobüa
(ebd. lY, 25), da femer einen Chardegitnlus cognomento Gyao
(Mirac. S. Martini III, 51), einen Gundegisilus cognomento Dodo
(H. Fr. VIII, 22), einen Mummolus äbbas, quem Bonum cogno-
mento vocant (V, 5), einen Vedastes cognomento Ävo (VII, 3),
einen Wistrimundus cognomento Tattonis oder Atto (H. Fr. X,
29. Vita S. Aridii 19: Tatto und Atto sind gleichbedeutend),
üeberall hier auch der Beiname aus der Sprache der Franken
selbst und so sehr in dem Munde Aller und gelegentlich so viel
mehr als der ursprüngliche angewendet, dass letzterer daneben
ausser Anwendung kam : Gregor von Tours sagt Hist. Franc. lY,
42 noch vollständig Eunius cognofnento Mummolm und Ehinius
qui et Mummolfis; bei aller ferneren Erzählung von derselben
Person jedoch nur Mummolus; so bezeichnet auch Eugyppius
Cap. 11 und 12 den Bugier Feletheus kürzer bloss mit dem Bei-
namen Fava^). Weiter von da, vom siebenten, vom achten
Jahrhundert an (ich erinnere nur noch an den Karolua Tudis
oder Tudites oder Martulus oder MarteUus der Franken) häufen
sich die Belege je mehr und mehr und aller Orten und bahnl
sich der Weg, der zuletzt in die erblich festen Geschlechtsnamen
ausmunden sollte, immer breiter: denn es treten nun auch die
Angelsachsen und die Scandinavier mit Beispielen ein: in Ein-
hards Annalen 811 der Däne Osfred cognofnento Turdimido d. L
Dreckmaul. Im achten und neunten Jahrhundert vernehmen wir
denn auch zuerst deutsche Ausdrücke für den Begriff von cog-
nomentum, althochd. btnamo oder, noch häufiger, miUinamo, das
unserem Uebemamen sich vergleicht, angelsächs. freonama d. h.
Flnssnamen , sondern lordanis d. i. Eberdäne (vgl. unten s. v. SoaTe-
gotta) ? ]
1) [vgl. Müllenhoff über den Namen Wuotan Haupts Zeitschr. 12,
402 fg. Namen von Völkern ursprünglich nur deren Uebemamen? Haupt 6,
256 fgg.]
r
Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 391
> ein Name den es &ei steht zu gebrauchen, in Alfreds üebersetzung
der Kirchengeschichte Bedas II, 5 u. lY, 2; nomen im Gegen-
satze dazu geben die Sanctgaller um das J. 1000 mit alenamo
d. i. Hauptname: Marc. Capella S. 1 Graff.
7. Einzelne Worte, theils Appellativa, theils und vorzüglich
Eigennamen, uns überliefert entweder in der Lex Burgundionum
oder in Quellen geschichtlicher Art;' auch die aus den Belegen
1 — 6 bringe ich hier noch einmal unter. Ich ordne dieselben
alphabetisch und bezeichne die Namen von Personen des könig-
lichen Hauses mit K, die von Weibern mit W, die der Grafen,
welche das Vorwort des Gesetzes unterschreiben, mit G; letztere
halte ich für zweckmässiger in der urkundlichen Genitivform
aufzuführen. Und zwar wird deren Zahl weit über zwelupd-
dreissig (s. Binding S. 107) hinausgehn, da es geboten scheint
solchen Abweichungen der Handschriften, die keine blosse Ver-
derbniss des eigentlichen Namens sind, sondern ihn gegen einen
andern auch wirklich üblichen vertauschen, gleichfalls einen Platz
zu gönnen.
Abcaris mit den Lesarten abacaris abhaaris abgaris G: s.
oben S. 345. 372. Bei der letzt angegebenen Lesart spielt
entweder der angelsächsische Namenausgang gär, der dem gQi-
manisch-gothischen gais^ hochdeutschen gh- (S. 362) entspricht,
herein ; oder die Schreiber denken an den König Abgarus der
Christusbildlegende.
Agano Name eines Grafen in der Schenkungsurkunde von
S. Maurice, angeblich aus dem j. 523, bei Pardessus Nr. 103^
104. Für Hagano von hagan Dorn: oben S. 345. 346. Vielleicht
auch dass keine Tilgung einer Anfangsaspirata, sondern nur die-
selbe Yocalangleichung aus Agino (goth. ngjan schrecken) statt-
gefunden wie in Agina und Agana, den zwei Formen des Wei- *
bernamens.
Agathei (so auch und nicht anigathei in der^Handschrift L)
angathei G. Die gemeinsame Grundlage beider Formen des
ersten Bestandtheiles goth. agan sich fürchten und agjan
schrecken: vgl. S. 357; thetcs wie dim in Aridius und viel-
leicht auch fiu8 in Alifius das goth. thitcs Diener: vgl. S. 354.
368.
Aisaberga W. Grabschrift von 491 zu Vöseronce im De-
partement de risere; Le Blant H, 25 Nr. 388 giebt Aisberga,
392 Sprache uud Sprachdenkmäler der Burguuden.
die Abbildung aber auf PL 45 Nr. 269 zeigt zwischen S und B
eine Beschädigungslücke, die mit A oder einem anderen Binde-
Yocal zu füllen ist. Ais oder aisa ist das althochd. gr Erz (vgl.
die mit tsan und gold beginnenden Namen) oder ira Ehre, im
Burgundischen beides noch mit denselben ältesten Lauten die
auch im Qothischen gegolten haben: vgl. S. 361; berga gehört,
ob in activem, ob in r^exiv-passivem Sinn? zu dem Zeitwort
bergan: es kehrt bei den Burgunden in AUberga Arenberga Vü-
lioberga und sonst noch oft in weiblichen Namen wieder.
AUberga W. Grabschrift zu Aoste vom J. 523 bei Le
Blant II, 29 Nr. 390. Ali vgl. S. 358; berga s. Aisaberga.
Alifius: Vita Apollinaris episcopi Cap. 6. Vgl. oben
S.,358.
Andahari andearii andari G: oben S. 372. 373.
Ansemundus Aviti Epist. 49. 71. 72; Aussteller einer
Vienner Stiftungsurkunde von 543 bei Pardessus Nr. 140, an-
derswo (s. dessen Anmerkung) als Herzog bezeichnet. Wie Ans-
levhana (so hiess die Gemahlinn Ansemunds von Vienne) ein Name
der schon in vorchristlicher Zeit muss aufgekommen sein, da am
(Jord. 13), altnord. äs ein heidnisches Wort für Gott ist; mundf
althochd. mten^^ bedeutet Hand, Schutz, Beschützer: ebenso in
Arimundvs Avdemufidus Aunemundus EmemundiM Eunemundus
Fredemundtis Gundemundus Segismundus, romanisiert (S. 370) in
Hymnemondus Teudemondus.
Ansleubana W. Urkunde bei Pardessus Nr. 140: s.
Ansemundus u. S. 371 [goth. Ansileubus Haupts Zeitschr. 1,
387]. Wegen leubana vgl. oben S/ 337 und unten Sedeleuba,
Arenberga W. Grabschrift zu Briord vom J. 501 bei Le
Blant II, 6 Nr. 374: aran am ahd. Adler; berga s. Aisaberga.
Aridius Aredius CoUatio episcopomm coram rege Gunde-
bado; Greg. Tur. Hist. Franc. II, 32. Fredeg. Epit. 18 fgg.
Vgl. oben S. 336. 346 und vorher Agathei. In dem fränkischen
Testamentum Erminetrudis (sieb. Jahrhdt.,, Pardessus Nr. 452)
der Weibemame Aridia.
Arigunde („qui vixit anno: :VIII") W. Grabschrift wahr-
scheinlich von 538 zu Ai'andon: Le Blant II, 22 Nr. 384. Art
wie in Aridius und Arimundus für Äan Heer: vgl. S. 346; das
zweite Wort, einer der häufigsten Ausgänge altdeutscher Weiber-
Sprache und Sprachdeokmäler der Burganden. 393
namen, gunth oder gunthja Schlacht, Krieg: S. 371. Ueber die
Endung in E S. 370.
Arimundus in einer Grabschrift zu S. Maurice-de-Bömens
vom J. 486: Le Blant n, 4 Nr. 373. Ari s. Ärigunde; mtmdus
s. Ansemundus.
Athala, ein Mannsname der sich aus cul tcdem, cUhdam,
athilam, atillam (Handsehr. K, von Bluhme übersehen), ad illutn,
in der Lex Burg. LI, 1 Lesarten neben Uthiktm, ergiebt: von
athal Geschlecht, Adel.
Audemundi audimundi, abweichende Lesart neben eme^
mundi G. Atid (auch in Atidericiis Avdolena) goth. und altnord.,
od altsächs., 6t althochd. Gut, Habe: vgl. Aunegilde; mund s.
Amemundus.
Auderici G. Atid s. Atidemundi; rictis wie in Rico Ri-
ctdfus Coniarictts Hilpericus Sigisricus und Vüiaric das goth.
rdk Adj. mächtig, Subst. Machthaber.
Audolena W. in einer Grabschrift ungewissen Alters zu
Albigny bei Lyon sowie auf eben solch einem Stein zu Vienne:
Boissieu S. &99 Nr. 67 und Le Blant II, 582 Nr. 686. Aud
wie in den so eben aufgeführten Namen; lena erklärt sich aus
dem altnord. lin, althochd. len weich, sanft: althochd. der
Mannsname Lino, auf Grabsteinen zu Amiens (Le Blant I, 428
Nr. 326) Leudelinus und ValdoUna. Vgl. unten Thevdelinda
und Seddeuba. \Mummolin und Mummolmm Pörstemann 1, 937.]
Aunegilde aunigilde aunegildis W. Lex Burg. LH, 2 — 4.
Ann ebenfalls in Aunemundm, mit^O (vgl. S. 363 fg.) in Onov^ccus,
ein Wort von dunklem Begriffe, da es auch sonst nur als Eigen-
name (althochd. Ono, angels. Eana) und im Beginne von Eigen-
namen, z. B. dem angelsächsischen eines Königes Eanmund,
nachzuweisen ist: s. Jac. Grimm in Haupts Zeitschr. III, 144 fg.;
nur so viel scheint sicher, dass es ablautend zusammengehört
mit luno (Haupts Zeitschr. I, 393), lonakr, Eunius oder Eonim
(Greg. Tur. Hist. Franc. IV, 42. V, 27 fgg.), Eunemundus und
Uno, Unigildis, ünemundus. Vielleicht aber kommt uns Licht
von einem andern naha stehenden her, nämlich von atid (s. Au-
demundi), das sich ebenso in eine Ablautreihe iud aud ud ein-
fugt: wir haben davon mit dem präsentischen Laute Eudo und
Eudosesj mit dem perfectischen Udo u. s. w. Aunemundi steht
als Lesart zusammen mit audemundi, und dieser Parallele von
394 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Bnrgnnden.
m4d und nun schliesst sich noch ein ganzes Gefolge weiterer an,
Audo und Ono, Äudila und Onilo^ Autgildis und unser Atme-
güde, Authari und Onheri, AtUhüdis und Onhildis, unser Aude-
ricus und Onericus, Aodtdfus und Aonidfus u. s. f. Hieraus
denn dürfte sich auch für aun der Begriff von Habe und Gut
und für beide Stämme, für den mit D und den mit iV' ge-
bildeten, eine und dieselbe entfernter liegende Wurzel ergeben:
sie bietet sich uns burgundisch in Eunandus und noch ander-
weit in nicht wenigen Namen mit io oder eo oder eu, bei welch
letzteren freilich Förstemann (Namenb. I, 392), ich weiss nicht
ob richtig, an das althochd. ewa denkt, ausserhalb des Deutschen
und dem Deutschen zunächst in Ü^ (vgl. Eunandtis) und dem
lat. juvo. Und eben daher ma^ mit TH noch ein dritter Stamm
(s. Uthila) entsprungen sein, während im goth. itis gut (Compar.
itmza besser) und dem lat. jus ein vierter mit S vorliegt. Gilds
sodann, der zweite Theil von Aunegilde, kommt wie in Vistri-
gilde und gleich dem männlichen güd in Ingüdm und Usgüdus
von gildan vergelten, opfern [vgl. novigädus, trigüdtis].
Aunemundus in einer Grabschrift von 485 zu Grösy-sur-
Aii: Le Blant H, 27 Nr. 388 A. Ausserdem aunemundi au-
nimundi G. zweimal, und noch als abweichende Lesart neben
ememundi G: vgl. Aunegilde und Ansemundus.
Aunihilde W. in der Lei Burg. LH, 2 — 4 Lesart für
aunegilde: vgl. das bei dessen Erklärung angefahrte Onhildis
Onhilt, und Chrodechildis Hüdegernus Hüdeulfus Ilddo: hild
althd. hiltja Kampf.
Baldaridus, Baldaredus in Grabschriften zu Briord
aus den Jahren 488 und 487: Le Blant U, 8 Nr. 374 A u. S.
16 Nr. 379. Balda d. i. bdltha s. die zwei folgenden Namen;
rid (über die Brechung in red, die auch Leubar edus und Nofir
doredus zeigen, vgl. oben S. 368 fg.) habe ich schon im Schweiz.
Museum I, 101 fg. erörtert: es kommt von der Wurzel rdtm,
derselben von der auch reda in malahareda, und ist s. v. a.
Beiter oder als bereit; die andern Mhesten Belege dieses Aus-
ganges sind vorzüglich den Gothen und Yandalen eigen; bei
Polybius I, 77, 4 ein „Gallier" AuTapfr»)^. Procop verschleift
zwar die deutsche Normativform riths, gefager fär sein Grie-
chisch, in blosses pic, nimmt aber im Genitiv und Dativ das
wurzelhafte D wieder auf; wenn also Victor Tunnunensis pg.
Sprache und Sprachdenkmäler der Bnrgnnden. ' 395
331 Guntharith schreibt, dann Proc. de B. Vand. II, 26 Tov-
^apti;; wenn die gothische Urkunde von Bavenna Viljarith und
Optant, dann Procopius OuX£apt<; u. "Otzxol^k;: flectiert heisst es
auch ihm rov^oiptSi u. dgl. Oder sind, da er den Accusativus
wieder Tov^apiv u. s. w. bildet, die Worte auf pic nur eben
wie jene auf ytc (oben S. 376) behandelt, ohne dass er dabei
an das D der Gothen und Yandalen denkt? Jedes&lls hätte
J.' Grimm diese Namen nicht (Hauj^ts Zeitschr. III, 147 fgg.)
mit denen auf hari vermengen sollen.
Balthamodus baldamodtts baÜamodtis baldimodtis Lei
Burg. LH, 2 — 4. Vgl. BaUho und wegen des Wechsels von
TH, D und T oben S. 353. Mdd Muth, goth. Zorn: auch in
Fremodus Thetulemodtis Ymnemodus.
Bali ho in der fünften Schmuckinschrift. Goth. balth, althd.
pald kühn: vgl. Jord. 29 „Balthorum (od. Baitharum) ex genere .
— qui dudum ob audaciam virtutis baUh (od. bcdtha) i. e. audax
nomen inter suos acceperat (1. acceperant)". Vgl. oben S. 364.
Burgundio Burgunzio Borgundio Burgundius Burgundits:
S. 338 fg. und 380. Als persönlichen Eigennamen finde ich
Burgundio zuerst bei Greg. Tur. Hist. Franc. VI, 15, dann in
einer Grabinschrift zu Lusinay aus dem Jahre 628 auf 629:
Le Blant H, 42 Nr. 397 A.
Caretene W. K: in lateinischen Distichen abgefasste Grab-
schrift, vormals zu S. Michael in Lyon, der im J. 506 gestorbe-
nen Königinn gesetzt: Boissieu S. 572. Binding S. 117 fgg.
Schon im J. 506, somit zu früh als dass man aus dem Worte
tena, womit sonst allerdings nur fränkische Namen zu endigen
scheinen (oben S. 362 fg.), auf fränkische Herkunft der sehr
christlichen Königinn schUessen dürfte: aber sie wird aus einem
den Franken verwandten mitteldeutschen Volke gewesen sein.
Solche Herkunft mag auch das C d. h. CH für H erklären
(S. 345), wofern man es nicht auf die Bechnung allein des
Dichters setzen wiU, als welchen Le Blant S. 70 fg. mit gutem
Anschein Venantius Portunatus vermuthet. Wegen des Aus-
ganges in E vgl. oben S. 370.
Chartenius: „Bediens ab urbe Lugdunensi S. Chartenius
episcopus" Avitus Epist. 38. Schwerlich, da es also Name eines
katholischen Bischofs ist, ein eigentlich burgundischer Name:
S. 346. 362 fg.; vgL überdiess S. 372.
396 ' Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden.
Chilpericus s. Hilpericus.
Chrodechildis Chrotechädis ChrotchUdis W. K. Beide
CH sind fränkisch für burgundisches H, und D wie. T steht
für TH (S. 345. 364): hrob altn. Bnhm, hild s. Aunihüde.
Die Nebenform Chrotigehlis oder mit Ausfall dieses weichen
Lautes ChrodieUis und Chratildis Crotildis (S. 349) vergleicht
sich der umgekehrten Yertausohung von Äunegüde gegen Auni-
hüde; die Aenderung Chlothildis aber will auch in den Namen
der Eöniginn jenes chloth bringen, das in denen der Könige der
Franken von Geschlecht zu Geschlecht sich wiederholt: man hat
dasselbe mit Schmeller (Bair. Wörterb. ü, 442) adjectivisch
und im Sinne des griechischen xXut6<; zu deuten.
Chrona W. K: die ältere der durch Gundobadus ver-
stossenen Töchter seines Bruders Chilpericus „mutata veste Chrona
vocabatur" Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28; ebenso die Vita S.
Chlothildis. Vgl. oben S. 346. Die Lesart Corona ist Lati-
nisierung: S. 335 fg.
Conie comae Come gonie gome G; Coniarici comarici
comericii G; Conigiscli conegiscU coniglscle cunigiscli conigiseli
G: cuni coni goth. kuni Geschlecht, Adel; ricus s. Auderici,
giscli giscle giseli s. oben S. 376 u. 381.
Ememundi G: so jedoch oder vielmehr mit einem Striche
zu wenig emenundi bloss die Handschrift L, die übrigen attde-
mundi audimtindi oder amiemundi aunimundi. Derselbe Name,
nur in der vorderen Hälfte schärfer vocalisiert und zugleich, wie
es scheint, in ein Wort der Kirche umgeschrieben (vgLS. 371),
in der hinteren aber romanisch entstellt (s. Ansemundtis), ist
der Abt Hymnemondus des ersten Textes der Urkunde von S.
Maurice, bei Pardessus Nr. 103: der zweite, Nr. 104, giebt
Ymnemodus. Und eben jene vordere Hälfte haben auch Ime-
listanm auf einer Grabschrift zu Lyon (s. unten), Imiman in
der dritten und
Emiocer in der fünften der Schmuckinschriften. Nach Otto
Abels treffender Vermuthung ^die deutschen Personen -Namen
S. 50) ist sowohl das einfache Imino Emino Itnmo EmmU Imo
als das Imna-, Imi-, Erna-, Emi- u. s. f. zahlreicher Zusammen-
Setzungen überall nur eine Verkürzung von irman irmin, einem
Worte von dem gewiss ist, dass es niemals der Name eines
Gottes, und wahrscheinlich dass es ein Ausdruck füi* den Appel-
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 397
lativbegrifif Volk gewesen: s. Schweizerisches Museum für histor.
Wissensch. I, 116 fg. Wegen ocer vgl. oben S. 350.
Engebvald: so ohne die lateinische wie ohne die echt alt-
deutsche Nominativendung in einer undatierten Grabschrift zu
Merlas bei Le Blant II, 148 Nr. 465. Enge die gebrochene
Nebenform von ItigOy das sowohl selbständig ein Eigenname ist
(es hiess bereits so der Stammvater der Ingävonen) als der erste
Bestandtheil zahlreicher zusammengesetzten; Ursprung und Be-
griif sind freilich noch unaufgehellt: vielleicht, da mit ing auch
die Patronymica endigen, hat die Wurzel den Sinn des Erzeu-
gens, des Hervorbringens gehabt (vgl. angar ahd. arvum) und
Ingo stellt denselben activ, — ing passivisch dar. Das B ist
ein Versehen des romanischen Steinmetzen, V dessen Besserung:
also vald, zu valdan walten, herrschen. Auf Angelsächsisch
und Althochd. lautet der Name Ingvald Incvald oder althd. ver-
schliffen Ingdd. Vgl. oben S. 350 u. 378.
[Eptadius: Binding S. 188. Vgl. oben^S. 341. 346.]
Eunandus in einer Grabschrift ohne Jahresangabe zu
Briord. Le Blant II, 21 Nr. 283. Eu s. Aunegilde; nand (vgl.
Nandoredus) althochd. Kühnheit, goth. nanthjan sich erkühnen:
also ein Name ganz übereinstimmend mit dem griech. EuToXfitoc,
wie denn fast sämmtlichen, die mit io eo eu beginnen, gleich-
bedeutend solche mit 6U zur Seite stehn, z. B. loman Eoman
Euav8po(S Euijvop, loUda Ev^endus EusX^ov EuTCopoc, Eolhit
E38t][JLO(S, F/umunt Eöxstp Euxe^poC, Eured EußouXoc, Euricus
Etiapxoc, Eowig EuTroXsfxo^.
Eunemundi G: Lesart neben aunemundi. Vgl. Aunegilde
und Änsemundus.
Fagila („Fagile patri cum conjuge*'): Lyoner in latei-
nischen Distichen abgefasste Grabschrift des fünften oder sechsten
Jahrhunderts, die in einer Handschrift des neunten zu Valen-
ciennes sich erhalten hat: Le Blant U, 551 Nr. 665. Zu goth.
fagindn sich freuen und fagr gut, althd. fctgar schön: anderswo
der weibliche Name Fagala und Zusammensetzungen wie Fagcdint
Faginolf u. s. w. Es könne aber in der Handschrift statt fagile
auch sagile gelesen werden: dem nun giebt auf Anrathen Jac.
Grimms der Bitter de Bossi (Bolletino archeologico Napolitano
VI, 11) den Vorzug. Andre und sichere Beispiele von Namen
des Stammes sagen sind mir unbekannt; das Mittelhochdeutsche
\ -
398 Sprache und Spraehdeukniäler der Borgnndeii.
hat einmal (Winsbecke 23, 9 g) ein Appellativurn segekere im
Sinne von Schwätzer oder üebelredner.
fara Lei Burg. CVII, 11? faramannus ebd. LIV, 2. 3:
s. oben S. 360 fg.
Fastile 6: Fastila DeminutiTbildung (S. 375) zu altsäehs.
fast, goth. fastei fest.
Felocalus in einer Orabschrift vom Jahre 518 zu ^uUy
bei Lyon: Boissieu S. 580 Nr. 37. Der Name kann, wie ebenda
z. B.W S. 550 Nr. 9 eine Leucadia (f 431), S. 567 Nr. 27
eine Thaiasia (f 501) und S. 597 Nr. 61 ein Addfius genannt
wird oder bei Le Blant II, 16 Nr. 379 Geroniius, S. 30 Nr. 391
Singenia, S. 218 Nr. 492 Pantayatus, S. 233 Nr. 497 Suso-
mina d. i. ScjSoijl^vt], S. 551 Nr. 664 Euehirim vorkommt, es
kann dieser Name lediglich aus 9i\6xol\o(; entstellt, er kann
jedoch auch burgundisch sein und enthält alsdann in fdo das
goth. und althochd. filu viel, sehr, in calus aber dasselbe Wort,
womit der Ampsivariername Boiocalus (Tac. Ann. XIII, 55 fg.)
endigt. Diess cal wird zu kala altnord. Meren, starren, der
Wurzel von kalt und kühl gehören: es ist mehr als eine bild-
liche Wendung denkbar, die den Begriff für einen Eigennamen
passlich macht.
Föns in der dritten Schmuckinschrift: s. oben S. 352. 386.
Fredeboldus Name eines Grafen in der Schenkungsurkunde
von S. Maurice: vgl. S. 354 u. 368.
Fredemundi G: vgl. S. 354 und Ansemmdiis, Auch die
Namen, welche die zwei Texte der »Urkunde von S. Maurice, bei
Fardessus Nr. 103 und 104, einem und demselben Grafen geben,
der erste Fremodus, der zweite Fredebundus, berichtigen
sich wechselseitig in Fredemondtis Fredemundus: man vergleiche,
wie auch in Isidors Chronik der Yandalen einzelne Handschriften
Guntamundtis in Guntahundus entstellen. Stünde das eine oder
das andere allein, so würde bei Fredebundus die Zusanounen-
stellung mit Areobindus Wolfbinth Sigebant, bei Fremodus die
Erklärung aus fri frei, edel und m6d (s. BaUhamodus) nicht
irre gehn. Da das / jenes Adjectivums eigentlich kurz ist (goth.
•
freis, aber frija, und angelsächs. /reo), so durfte daraus nach
S. 369 so gut bei den Burgunden ein kurzes E werden als bei
den Langobarden, wenn diese eine freie Jung&au (Lex liutpr.
Sprache and Sprachdenkmäler der Bnr^nden. 399
93. 120. Haupts Zeitschr. 1, 554) und die edle Gemahlinn des
Götterkönigs (Paul. Diac. I, 8) frea nannten und einen Frei-
gelassenen fidfreals (aus fulfrehals: vgl. goth. freihals, Mes.
frihals, angels. freoh Freiheit, althd. frihals, altnord. fricHs frei),
was zwar die Bechtshandschriften durdiweg, zumeist in ftdfrealj
entstellen.
Fridigernus (die beiden ersten Buchstaben sind weg-
gebrochen, und anstatt des G hat der Stein oder haben die Ab-
drücke ein C): Vienner Grabinschrift wahrscheinlich von 483 bei
Le Blant 11, 121 Nr. 448: gern begehrend wie in Hüdegernus.
Fridigisclus fridegisclus fredegisclus fredigischis frede-
giselus* fredeglisdus fredegliscus Lei Burg. LH, 2 — 4: s. oben
S. 354 u. 375 fg.
Fusia in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 347 u.
352.
Gaudisellus s. Godegisdus,
GebecaK: gebeccam gebegam gebicam gibicam Lex Burg.
Tit. 3; angelsächs. Gifica YtMb Z. 19, altnord. Giüki, mit-
telhd. Gibeche. Kosewort (vgl. S. 375) zu der Wurzel gebeii,
goth. giban: der Name zielt, wie das noch deutlicher die alt-
und angelsächsischen Königsappellativa bäggebo beaggifa d. i.
Bingspender, goldgifa Goldspender und mäbumgifa Eleinod-
spender thun, auf die fürstliche Tugend der Freigebigkeit^);
Gebo Geba Gibilin, das auch ein Kosewort ist, Gebamundus
Gebericus u. a. nehmen die gleiche . Richtung, während sich
Gebatvin eher auf die Seite der von den milden Fürsten em-
pfangenden stellt: zwar ist im Angelsächsischen auch goldmne
Goldfreund ein Wort für König, im Mittelhochd. aber bezeichnet
es den Dienstmann und ebenso das altsächs. bägwini.
Gastigodus? Gastileubus? Lyoner Grabschrift vom Jahre
510: s. oben S. 388 [unten Seddevbd\.
Gemola W: auf einem zu Yienne ausgegrabenen Schmuck-
stucke von Gold der Genitivus (vgl. S. 379) Gemolane. Frän-
kisch und althochd. finden sich auch Gimo, Gimbert u. Gembert,
Crimmond und Gemmund u. ^1.: unerklärbar, falls man darin
1) [Geben ist das natürliche Merkmal des Reichthums, Beichthum
das der Herrenmacht. Vulfila übersetzt tcXoiIto? mit gabeij uXouaio? mit
gaheiga,^
400 Sprache and Sprachdenkmäler der Burgnnden.
nicht den prSfieutischen Laut zu gaman Freude erkennen mag.
In der Ableitungssylbe aber kann der eigentlich burgnndische
Yocal nur U gewesen und nur dessen Romanisierung s^in:
S. 370.
Giscladus K: S. 346. 354.
Gislabadtis K: S. 366. 375.
Gislaharius K: Giaiaiiarium gidaarium gidarium gis-
daharium gisdarium Lex Burg. Tit. 3. Vgl. S. 372 u. 376.
Godegiselus Godigiselm K. Greg. Tur. Hist. Franc. II,
28 %g. in ProL: Fredeg. Epit. 17. 22; Marius Godegeselus;
bei Fredegar auch die Lesart Gunthegiseltis wie in der Vita Si-
gismundi Gandegisdm und in einer Urkunde von 587 (Pardessns
Nr. 196) die Verderbniss Gaudisellus; anderswo Godegisdus
Godigisdiis, God gud Grott wie in Godomarus Gudo^narus Go-
dmnufidus Grudemundus Gndubadus; Gonde — die ümkehrung
der unter* Gundomares angeführten Fehler; giseltis gisdtis isellus
s. oben S. 348 fg. u. 376.
Godemundi godimundi G: s. Gnndoniares.
Gondarius Gondebadus Gondegiselus Gondeulfus
Gondomares s. Gundaharitts Gundubada Godegiselus Crun-
deidfi Gundomares»
Gotia gtäia Lex Burg. CVII, 3; goticus ebd. 6: s. oben
S. 354. 370.
Gudomarus E. Grabinschrift von 527 aus dem Kloster
S. Offange bei l^vian: Le Blant II, 578 Nr. 683; Godomarus
Greg. Tur. Hist. Franc. II, 28. III Prol. u. 6. 11; Godemarus
Fredeg. Epit. 17. Godemares ebd. 34; bei Marius Godomarus
und Godemaru^s. Gud god s. Godegisdus; mdri mär berühmt
S. 372. Die Vita Sigismundi schreibt Gundemarus, wie um-
gekehrt (s. unten) Gtmdmnares gegen Godomares u. s. f. ver-
tauscht wird.
Gudemundi G. Gudubadus K. vgl. Gundomares.
Gundaharius K: gundaharium gundacharium gundocha-
rium gundecarium gundaarium gundarium gondurium Lex
Burg. Tit. 3; bei Prosper Aquit. zum Jahre 435 und denen,
die weiter ans ihm geschöpft, Gmidicarius, wie ebendort Chunni
statt Hunni; Olympiodorus S. 454 TuvTiaptoc Vgl. S. 345 fg.
370. 372.
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgnnden. 401
Gundefuldi gundefulfi Guldefulsi (so die Hand-
schrift K) gundeulfi gundiulfi G. Wegen Gunde--^ s. oben
S. 371. Was den so wechselnd gegebenen zweiten Bestandtfaeil
^angeht, so wird das fuldi der besten Handschrift, falls es nicht
dennoch ein Schreibfehler ist, mit dem fuld oder fold der von
Pörstemann I, 447 verzeichneten Namen Ftddoin Foldger Fol-
det Folderich Foldtdf zusammen zu stellen, jedoch nicht aus
dem angelsächs. fultum Hilfe zu erklären sein (denn fuUum ist
ebenso aus ftd-döm entstanden wie mstum aus väsddm d. i.
veaxddm), sondern aus folda folde fold altsächs. angels. altnord.
Erde, Land : es wäre das eine Namenbildung, die treffende Seiten-
stücke in den auf Gau und den noch zahlreicheren auf Land
ausgehenden, darunter z. B. auch Gundoland, besässe; in Nor-
wegen eine eigens so benannte Landschaft Foldy eingetheilt in
Vestrfold und Amtrfold (die Deutschen v. Zeuss S. 517. 519),
in Deutschland der Personenname Westarfoldan, dem sich jedoch
nur Ostßrlant gegenüberstellt. Denkbar ist aber auch, dass F
in roher Art des Sprechens ein V vertrete, fuldus mithin s. v. a.
vtddits vtdihus (vgl Segisvuldi) sei. Denn diese Verderbniss hat
nicht allein lateinische Worte (s. Umdeutschung S. 24 fg. =
oben S. 281)^ sie:, hat ebenso wohl deutsche betroffen, und wir
finden bei d^ Franken neben ewa auch efa, neben Marcoveifa
Sunnoveifa auch Baudofäfa Vinofeifa: Jac. örimm vor Merkels
Lex Sal. S. LVH fg. Gesch. d. D. Spr. I, 540. In feifa ist
diese Verhärtung zugleich eine Assimilation: nicht anders wird
die Lesart Gundefulfi (nur ein Schreibfehler dafür ist Guidefidsi)
auf Gundevulfi, der volleren Form für Gundeulfi (S. 349), be-
ruhen. Gundeulfus und im zweiten Texte romanisiert Gondetd'
fus (S. 370) h^t auch die Schenkungsurkunde von S. Maurice,
Pardessus Nr. 103. 104.
Gundemundi ö: s. oben S. 371, Gundomares und Änse-
mundus.
Gundiisclus („qui vixit in secolo annns LXVHII") in
einer Grabschrift von 547 zu Eevel-Tourdan ; Le Blant II, 151
Nr. 461. Für Gundigisclus: s. S, 348. 364 u. 375.
Gundiocus Gunthious Gundiacus Gundimcus Gunduicus
Gundimus Gundicm Gundefvechus Gund^umm Gundiochus Gun^
dichus Gimdeveus K: vgl. Binding S. 38 u. oben S* 351. 353. 359,
Gundomares K: gundomarem gundamarem gondomanem
Wackemagel, Schriften. III, 26
402 Sprache und Sprachdenkmftler der Bargunden.
gandemarefn: ,B0 in der Lex Burg. Tii 3 die Hälfte der Hand-
schriften und die besseren: vgl. oben S. 339, die übrigen mit
Verlust des N und so mit Yertauschung des ffund gegen god
(s. oben Godegisdus), mit Verwechselung also dieses und eines
andern königlichen Namens (s. Gudo^nams), godainarem godo-
marem godomarum. In gleicher Weise schreibt Paul. Diac.
Hist. misc. XVI Gvdubadus für Gundubadus, uui gundem^mdi
6. hat neben sich gudemundi godemundi godhnundi, während
Godegiselus und Gudamarm (s. oben) von der umgekehrten Ver-
tauschung betroffen werden. Die altnordische Sagendichtung
verderbt Gundomdr in Ghdharm GuMarm Gubzorm; die deutsche
bringt, indem sie gleichwohl die genealogische Allitteration be-
wahrt, dafCur Girndt in die Namenreihe; die ThiÖriks-Saga, aus-
gleichend und vermittelnd, nennt neben einander beide: Gap. 170
Hinn dzti konangs sun heitir Gunnarvy en annarr GtUhormr,
thridi Gemoz, fiorbi Gider, üebrigens hat in Tit. 3 der Lei
die Handschrift E noch einmal gundoniarimn, fehlerhaft statt
gundaharium.
Gundubada Gundobadus GhinddHuius Gundibadus Gondu-
badm Gonddmdm GtmddxxtiJts Gundobandus Gundobctgaudus
Gundobaldua Gundibdldus E. der Urheber des nach ihm auch
Gundobada betitelten Bechtebuchs der Burgunden: Bluhme
S. 497. Binding S. 70. 157; Gundobadus Gundd)adus hiess
auch der Sohn, den der Frankenkönig Guntchranmus von seinem
Ecbsweib Veneranda hatte: Greg. Tur. Hist. Franc. IV, 25.
Fredeg. Epit. 56; ausserdem Gundobaudus ein Sohn Eönig Se-
gismunds. Vgl. S. 354. 366. 370. 882. Die Ableitung Gtint-
badingi Gundbodingi ist 9. a. „Oundebadal ege viventes^^ (Bhilime
S. 503), mit ähnlicher Wendung des eigentlich patronymischen
Sinnes wie bei Karolingi und Lotharingi: Frand, tii wir nü
heizin Charlingd Notk. Boetii. S. 2 Graff; einzelne Quellen
(Bluhme S. 504 fgg.) sagen kürzer Gunddmdi oder Gunde-
baldi, wie Widuk. II, 2 u. a. Lotharii.
Gnutella W. („Riculfus et jugalis sua Guntello**) in einer
Grabschrift ohne Jahresangabe zu Briord: Le Blant II, 18
Nr. 380. Eosende Eürzung und Verkleinerung eines wie Otm-
theuca mit guHth d. i. Schlacht zusammengesetzten Franen-
namens: vgl. oben S. 376 fg. Das* burgundische Nominativ-
endung: S. 382.
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 403
Gunthegiselus E. s. oben Oodegiselus,
Guntheuca Greg. Tur. Hist. Franc. HI, 6. Gunthiucha
Predeg. Epit. 37. W. K: oben S. 351 u. 354.
Gunthious E. in der ersten Schmuckinschrift: s. oben
Gmidiocm.
Gutta s. Gotia,
hag in der fersten Schmuckinschrift: s. oben S. 385.
hendinos: „Apud hos generali nomine rex appellatur hen-
dinos" Amm. Marc. XXVÜI, 5. Ob dafür chmdines, ob hun-
dino zu lesen? oben S. 343 fgg. 369.
Hildegerni hüdierni hügerni heldegerni heldigerni Gr:
hÜd s. Aunihilde; gern s. Fridigernus; hildiemi oben S. 348.
Hildeulf i heldeulfi hildtdfi G: hild s. Aunihilde, ulf
S. 349.
Hilpericus Chilpericus K: Binding S. 38; in der Vita
Sigismundi § 3 entstellt Chilpertm. Althocbd. hilfa^ altsächs.
helpa Hilfe (über das CH in Chilpericus oben S. 345); ricus
s. Auderid.
Hymnemondus s. Ememundi und Ansemundus.
iddan in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 383 fg.
Ildelo in einer aus Briord stammenden Grabinschrift vom
Jahre 487: Le Blant II pl. 43 Nr. 253; der Abdruck S. 16
Nr. 379 giebt Idelo. Mit Tilgung eines anlautenden H (oben
S. 346) Deminutivableitung von hild: s. Amdhilde.
Imelistanus: nächstliegende Besserung von Imdistanm,
wie Boissieu S. 562 Nr. 21 auf einer beschädigten Lyoner Grab-
schrift des Jahres 466 liest; davor-noch lim, wahrscheinlich der
Ausgang eines sonst weggebrochenen ersten Namens: vgl. oben
S. 387 fgg. Ime s.^ Ememundi; listanus wie der spätere männ-
liche Eigenname Listin von list goth. althochd. Weisheit, Kunst,
List [listanus Listin: vgl. ahd. pilistinon Grafifs Sprachsch. 2,
285. Imelistanus: vgl. einlisteo filuUsteo das. 284. tüsentlistcher
Br. Berthold 408, 26.]
Imiman s. Ememundi u. S. 378.
Ingildus („qui vixit annis IUI et mensibus octo^O ^^ ^^^^^
Grabscbrift des Jahres 537 zu Aoste: Le Blant II, 38 Nr. 393.
Vgl. Aunegilde und oben S. 374.
kiano in der zweiten Schmuckinschrift: s. oben S. 367
XL 383.
26*
404 Sprache und Sprachdenkmfiler der Bnr^nden.
LeubaredvH heisst ein Archidiaconus des Bischöfe Apolli-
naris von Valence in dessen Vita Cap. 10: leub gotb. Hub lieb
s. Seilehuba; red ms s. Baldaridus.
leudus leiidis leodis leudes, in der Lex Burg. CT, 2 die
Benennung eines freien Burgunden von geringerem Stande als
dem eines optimas oder mediocris, also /gleichbedeutend mit
minor persona II, 2 und inferior XXVI, 3. I/iud ist Volk und,
gewöhnlich dann pluralisch gebraucht, einer aus der Menge, der
Pluralis mithin die Menge selbst: die inferiores machten eben
auch die grosse Masse des Volkes aus. Die Lesarten leudis
leodis leudes könnten dadurch besser empfohlen scheinen, dass
so mit Flexionsendungen der dritten Declination das Wort auch
in den Oeschichtsbüchern der Franken vorkommt, bald indem
nur die Dienstmannen des Königs, bald auch indem sämmtliche
freie Volksgenossen damit gemeint sind (Waitz Deutsche Ver-
fassungsgeschichte II, 222 fgg.), in Rechtsschriften aber wie der
Lex Sal., der Lex Fris., der Lex Angl. et Werin., in Capitularen
und sonst, um mit einer frischen Kürzung des Begriffes und des
Ausdruckes die Busse tat einen getödteten Mann, das Wergeid,
zu bezeichnen. Indess auch leudus leudutn nach der zweiten
findet sich, namentlich im letztren^ Sinne (J. Grimms Bechts-
alterth. S. 662 und du Cange), aber auch im ersteren („Et
dixerunt sapientes Burgundionum „Vivat rex, qui tales habet
leodos !^^ wie nämlich Chlodovech: Gesta reg. Franc. 13), und
ebenso wird fQr das Recht der Burgunden das leudus der besten
Handschrift gelten dürfen, um so mehr als diese Latinisienmg
durch die deutsche Flexion selbst noch näher gelegt war: leud
hatte in der Mehrzahl, gewiss auch hier schon ohne S (vgl.
oben S. 378), leudei oder leudi: auf gleiche Art nun lat. leu-
dus leudi.
Leu Vera W. in einer aus Briord stammenden Grabschrift
von 487 bei Le Blant II, 16 Nr. 379 kanii nur aus Leuberera
(Leubovera bei Greg. Tur. Hist. Fr. IX, 39 fgg.) verschmolzen
sein: oben S. 372. Leub s. Sedeleuba; vera hier wie in an-
deren Namen das Femininum zu wer ahd., vair goth. Mann.
Mßganus auf einer undatierten Grabschrift zu Vienne: Le
Blant n, 89 Nr. 419 A. Als AppellatiTum bedeutet magan im
Althochd. und sonst s. v. a. Macht, Kraft.
malahareda Lex Burg. LXXXVI, 1: vgl. S. 357 u. 362,
Sprache und Sprachdenkmäler der Burganden. 405
Manneleubus in einer Grabschrift zu Briord von 487:
Le Blant II, 16 Nr. 379; in dem Pariser Testamentum Ermine-
trudis des siebenten Jahrhunderts (Pardessus Nr. 472) Mani'
leubtis. Das Althochd. hat manäliuh als Adjectivum (belegbar
die Ableitung manaliupi, „humane^^ d. i. hnmanitas) wie auch
als Namen. Vgl. Sedeleuba,
Hanno in einer Grabschrift zu Briord von 501 : Le Blant
II, 6 Nr. 374. Vgl. Manna oben S. 379.
morginegyha morgynegyva morgangiha morgangeba Lex.
Burg. XLII, 2 Morgengabe; inorgin stimmt in dem Vocal der
zweiten Sylbe zu der gothischen Form des Wortes (maurgin),
inorgan ist die althochdeutsche. Vgl. S. 354 u. 371.
Muciiruna W. K. nach mehreren Texten Gregors von
Tours Hist. Franc. II, 28 der Name den Hilpericus ältere Tochter
Sedeleuba „mutata veste'^ führte; die anderen haben Chrona.
Für mucu (das zweite U steht durch Angleichung für A: S. 370)
ergiebt sich aus dem goth. mukamodei Sanftmuth, dem althochd.
mühho Heimchen, mühhan auf nächtlichen Raub ausgehn u. s. w.
der Begrifif des Stillen und Verborgenen; von den häufigen
Weibemamen mit rüna oben S. 363.
Nandoredus: so am schicklichsten wird das bruchstück-
hafte und sonst verderbte ANDOERDVS einer Vienner Grab-
schrift von 494 bei Le Blant II, 139 Nr. 458 EE zu ergänzen
und zu bessern sein. Le Blant vermuthet RaMoerdtiSy also
rand Schild, für sich allein nicht übel: aber oerdus? Könnte
diess ebenso für verdus stehn wie z. B. Landoardus für Land-
vardus (vgl. S. 350), so begegnet doch tverd d. i. werth sonst
nirgend als zweiter Theil von Eigennamen. Nandored dagegen
ist ein Name: das Bavennatische Testamentum Mannanis vom
Jahre 575 (Marini, Papiri diplomatici Nr. 75) hat ihn in der
Form Nanderit, mit derselben Vertauschung des TH (der im
Auslaut eintretenden Aspiration des D) gegen T wie in den la-
teinisch geschriebenen Guderit Optarit Wiljarit der gothischen
Urkunde zu Neapel neben dem gothisch geschriebenen Vüjarith,
Vgl. mithin Eunafidus und Baldaridtis,
Nansa und Nasualdus auf der vierten Schmuckinschrift:
vgl. oben S. 350. 353 und Engebvald.
' novigildus Lex Burg. IX. XIX, 11. XXXVIII, 8. XLV.
LXXVI, 2 neunfacher Ersatz wie trigildus LXni, 1 dreifacher.
406 Sprache and Sprachdenkmäler der Bnrgmiden.
Der Nominativns kommt nirgend vor, er ist aber nadi Anleit
der gleichartigen Ausdrücke anderer Bechtsbücher (oben S. 336)
und solcher wie duos geldos und navem gddos in Karls d. Gr.
drittem Capitulare von 813 § 23 und 25, wie auch tceregüdus
und tvidrigildus mftnnlich anzusetzen: das deutsche Wort gild
kelt Vergeltung, Ersatz, Bezahlung (vgl. S. 374) hat ebenso wohl
männliches als neutrales Geschlecht.
Obtulfus in einer Grabschrift zu Valence von 494: Le
Blant n, 176 Nr. 474 B. Vgl. oben S. 341 u. 349.
Offonis Effonis uffunis, offini G. Uffo Offo in ähn-
lichem Sinne zu uf auf gebildet wie goth. ufjd üeberfluss; in
der Form Offas, mit griechischer Umbildung des schwachen No-
minativus, kommt der Name schon auf einer der Siebenbürgischen
Wachstafeln vom Jahre 167 vor (Massmanns Libellus aurarius
S. '87 fg. 124), dann Offa als Name mehrerer Könige der
Angelsachsen. Ueber den Genitivus Offini vgl. oben S. 379;
zu Uffunis kann ein Nominativ Uffuni gemeint sein, wie sich
ein solcher althochdeutsch in der Form Offuni findet.
Onovaccus in einer Grabscbrift von 527 aus dem Kloster
S. Offange bei ^vian: Abbildung derselben und ungenaue Lesung
(Lonovaccm) durch de Gingins im Anzeiger für Schweiz. Gesch.
und Alterthumskunde 1866 Nr. 4, genauere (Onovaccus) von
K. L. Both ebd. 1866 Nr. 1. Le Blant II, 578 Nr. 683 ver-
muthet, als ob hier irgend Baum zu Vermuthungen wäre, Ebro-
vaccus. On s. Äunegilde; vaams oben S. 361.
Orovelda in einer Grabschrift zu Briord von 487: Le
Blant II, 16 Nr. 379. Es ist ein Name einer nach dem Tod
des Herrn freigelassenen Sclavinn, und wie man leibeigenen
Leuten gern auch Namen gab, die auf ihre schmutzige Miss-
gestalt hindeuteten (Bigs mal Str. 12. 13), wie z. B. in solchem
Sinne die Traditiones Corbeienses 229 eine JHoroholla d. i.
Dreckfass zeigen, ebenso wird hier, mit romanischer Abwerfung
des H (S. 346), das Wort horo zu erkennen sein. Der zweite
Theil ist entweder, auch unaspiriert, hild wie in Aunihilde, ge-
' brechen wie in Heldegemus Heldeulfm, die Zusammensetzung
also abzutheilen Oroty-elda (möglich, da der volle Stamm von
horo auf ein W ausgeht: gen. horawes, adj. horawin), oder
aber, und besser, da solch ein Hinüberführen des W in die Zu-
sammensetzung sonst nirgend nachweisbar ist, das gebrochene
Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. 407
Adjectivum oder Subst. vild altuord. wohlgefällig, Wohlgefsdlen:
also Oro-velda wie altn. Böbvild und fränkisch Hadowildis
Waldavildia. Vgl. oben S. 349.
Ostrogotho Ostrogotha W. K. Tochter Theodorichs d. Gr.,
Gemahlinn König Sigismnnds. Sie hat diesen Namen, der eben
nur s. y. a. Ostgothinn besagt, doch nicht etwa erst von den
Burgunden, sondern, wie aus Jörd. 58 hervorgeht, bereits daheim
erhalten; vgl. weiter unten Suavegotta sowie die andere Namens-
angabe Theodegotha. lieber Jordanis Schreibung Ostrogotho oben
S. 364 u. 382. "
Baspso d. i. Bapso in einer Lyoner Grabschrift unge-
wissen Alters bei Boissieu S. 597 Nr. 58. Bapso verhält
sich zu dem althochd. refsen, Aor. rafsta, mit Worten strafen,
tadeln, wie capsa zu chafsa und angels. väps zu toafsa Wespe.
Neben chafsa kommt sogar noch im Althochd. selbst ein un-
aspiriertes caps^ neben lefs Lippe leps vor, und so ist auch neben
rafsunga die Schreibung rapmnga kein blosser Schreibfehler:
noch im Mittelhochdeutschen ist auch rep^^ nachweisbar [Baspe
Baumers Hohenst. 4, 213. der Basper Massmann Eaiserchr. 3,
1159. respm Altd. Pred. 7, 68].
Bemila W. „donma Bemila vocabulo Eugenia^' vgl. S. 336
u. 388), Tochter von Ansemundus und Ansleubana: Vienner
Urkunde von 543 bei Pardessus Nr.. 140. Verkleinerungsform
(S. 375) zu rim: s. WcUarimi.
Bico Bfirger von „Cabilo" (Chalons sur Saone): Aviti Ep.
76. Zu goth. reik: s. Auderici.
Biculfus in einer undatierten Grabschrift zu Briord: Le
Blant II, 15 Nr. 380. Vgl. Auderiei und oben S. 349.
Sara in einer Lyoner Grabschrift von 510: s. oben S. 388
und unten s. v. Vassio.
screunia: screunias eopcreunias screnias scrinia scrinea
excrinea Lex Burg. XXIX, 3: vgl. oben S. 337 fg. Die mit
ex anfangenden Schreibungen wollen der Bomanisierung, welche
dem anlautenden 8C ein E vorschlägt (Diez Gramm, der Rom.
Sprachen I, 224 fg.), ein besser lateinisches Aüssehn geben.
Scudilio in einer Grabschrift von 487 zu Briord: Le
Blant II PI. 43 Nr. 259; der Abdruck aber S. 16 Nr. 379
macht aus dem D, so deutlich es ist, ein P: wahrscheinlich dass
der Scupilio spatarius, der das fränkische Testamentum Ermine-
408 Sprache und Sprachdenkmäler der Barganden. ^
•
trudis bei Pardessus Nr. 4b2 mit unterschreibt^ dazu verlockte.
Mit D hat den Namen auch Anun. Marcell. XIY, 10, nur ohne
/ und als den eines Alamannen: „Scudüaneni scutariorum recto-
rem^'. J. Grrimm, Qesch. d. D. Spr. I, 222, um das deutsche
Wort Schild mit öxutoc actdtmi seutulum etymologisch zu ver-
einigen (das goth. skildus sei umgestellt aus skidüus), fasst
dieses alamannische Scudüo als Uebersetzung von scutarius auf.
Ich wage nidit so viel und denke bei Scudüo Scudüio lieber
nur an das althochd. scutjan schütteln, erschüttern, „vibrare^^:
in gleicher Bildungsart und Bedeutung scheint Wanüo Wenüo
auf hwenjan schwingen zu beruhen. Auch soutisdn erschrecken
dürfte in Betracht gezogen werden: Scudih und scutisdn ver-
hielten sich ebenso wie Agilo Kgilo und egisdn, Herüo und he-
risdn, Bichilo und richisdn, das deminutive und das intensive
Wort. Die Lesung Scupilio würde freilich auch zu deuten sein,
entweder wie unser Schöpflin aus schöpf, goth. und althochd.
skuft (dann wieder ein Name wie Nasua und die andern auf
S. 350 angeführten) , oder aus dem ahd. scuphm schwingen,
schleudern stossen.
Sedeleuba Saedeleuba W. K. nach Fredeg. Bpit. 17. 18
der frühere Name der späterhin Chrona oder Mucuruna genann-
ten Tochter von Gundobadas Bruder Hilpericus ; auch in Fredeg.
Chron. 22 Seddeuba regina. Üeber sede saede s. oben S. 368 fg.;
leuba das goth. Hub lieb (vgl. Leubaredus Leu^era), aber nicht,
wie es in dem weiter abgeleiteten Ansleubana wohl gemeint ist,
passivisch zu verstehen^ sondern aotiv, im Sinne von liebend,
eben wie auch in unserem Manneleubm GastUeubus, in Fridi-
liuba Gundüetiba u. a. Die Vita Sigismundi § 3 schreibt je-
doch Sedeolenica, und das hat zwar den Vorzug einer aus-
drücklicheren Compositionsbezeichnung, hat den Bindevocal
(oben S. 371 fg.), und das E vor demselben geht auf jenes /
zurück, das Worte wie sidu auch in einem Theil ihrer Flexion
aufweisen: lenica indessen dürfte gleich so viel andrem in dieser
Legende nur entstellt sein, aus leuba entstellt schon durch den
Verfasser selbst oder dessen Schreiber. Sonst könnte man es
auch als eine mit IC gebildete Koseform (S. 375) zu dem lena
von Audolena ziehn.
Segismundus Sigismundus Segimundm Sigimundus
Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 409
K: segismundi hat m der üeberschrift des Gesetzes die Hand-
schrift L. Vgl. oben S. 369. 374 und Ansetnundm.
Segisuuldi Sigisuuldi, in zwei Handschriften Siges-
uulfi G: sigi&segk s. oben S. 374; vtddns S. 354; vtdfusS. 349.
segucius eine AH Jagdhund: segucium segtäium segutio
Lex Borg. Tit. 97. Vgl. oben S. 367 fg. 382.
Siggonis sicgoms sigoni sicconi G; Sicco auch auf einer
altchristlichen Grabsehrift aus Worms in Steiners Cod. Inscript.
Koman. I, 288 Nr. 607. Von sign Sieg: vgl. S. 347. 374 f^.
u. 379.
Sigifunsus: „Quidam barbarus, haereticorum comitivam
exercens, nomine Sigifunsus" Vita Eptadii, Holland. Aug. IV.
pg. 780. Vgl. S. 352 u. 375.
Sigisricus Segisricus Sigiricus Sigericus Segerictt^ K:
vgl. oben S. 374 und Auderid.
Siluani G: latinisiertes Burgundisch? oben S. 336. 372.
sinistus: „sacerdos apud Burgundios omnium maximus
vocatur sinistus" Amm. Marc. XXVI II, 5. Vgl. oben S. 380.
Suavegotta W. K. Tochter König Segismunds, Gemahlinn
des Frankenkönigs Theudericus I: späte und (S. 354) entstellte
üeberlieferung Plodoards, Hist. Rem. II, 1. Unsere Vorfahren
liebten es den Kindern Namen zu schöpfen, die zugleich Namen
von Völkern oder von solchen abgeleitet oder zusammengesetzt
mit solchen waren: Grund und Anlass dazu sind für uns jetzt
meistens nicht erkennbar, und schwerlich haben auch überall
die gleichen gewaltet. Als Beispiele aus Bairischen Urkunden
fuhrt Schmeller in seinem Wörterbuch U, 481 Alaman Durinc
Francho Freaso Hesso Huno Lancpart Peiri Pwrgtind (vgl.
oben Bnrgundio) und Sahso an : dazu kommen noch anderswoher
Angilo Anzo (Volk der Antes), Baio (Volk der Boii), Britta^
Cimberitis, Dano, Gautus unA'Gauto, Gotha, Haruth, JtUo,
SemnOf Suab und Suabo, Walah und Wahho, Wandil und
Wandilo, Vangio, Warin, Winid und Winido u. a., aus unseren
Quellen vielleicht Wcdesta (oben S. 381); Zusammensetzungen
Burgundofaro oben S. 360 [lordanis? vgl. oben S. 389],
Gauthstradia Aebiissinn eines Klosters zu Besan9on 624 (Par-
dessus Nr. 235; stredan ist angels. fallen und fallen machen),
Thiudigotho und Ostrogotho die beiden Töchter Theodorichs des
Grossen, des Ostgothenkönigs, und diese oder jene die Gemahlinn
4t Sforiiohe und Sprachdenkmäler der Bnrgfinden.
König Segismunds, Windemeres in der Orafenunterschrift der
Lex Burg., Vindemarus in der Urkunde von 8. Haurice; ferner
Enziman, Boiorix, Britobaudes, Danahüdis, Wamaeharius, mit
einem Stadtnamen Ronmaldm oder Rumoaldm u. s. w. [Hunml,
Viniiharius, Vandakmus Jord* 14]. Znweilen sind es zwei
Yölkernamen, die sich zum Namen einer Person yerbinden: so
Engilffoz, Walahun, Wandcdgaud; man könnte vermuthen, um
auszudrficken, das Kind stamme vaterseits aus dem einen, mutter-
seits aus dem anderen Volke (J. Orinmi, Gesch. d. D. Spr. 2,
734. 776), dasselbe was der Sinn der mit haJb gebildeten
Namen Hälfdcmr, Hälhduring und HaUnvakA scheint^). Dem
widerspricht indess, obschon das Wort eben hieher zu ziehen ist,
unser Suavegotta, wo zwar die Mutter eine Gothinn war, der
Vater aber doch kein Sueve. Wir erhalten mit dieser Art von
Namengebung nur ein Bäthsel mehr zu den vielen unserer alten
Sprach- und Sittengeschichte, die noch der Lösung warten^).
Suniae soniae G: goth. stmi wahr, aunja JVahrheit. Der
heil. Hieronymus schreibt seinen 106ten Brief zwei gothischen
Geistlichen Sunniae et Fretdae d. i. Frithüae; bloss mit Ver-
doppellung der Liquida Johannes Biclariensis (Chron. ad. a. VI
Mauritii) der westgothisehe Mannsname Sunna, bei Gregor von
Tours (Hist. Franc. II, 9) der fränkische Sunno.
Susane W. in einer Grabsohrift von 508 bei Boissieu
S. 578 Nr. 33. Der Ausgang in E (vgL oben S. 370) giebt
dem Wort ein entschieden burgundisches Gepräge, so dass, wenn
eigentlich auch der biblische Name Susanna gemeint war, der-
selbe doch auf süsan ahd. „stridere^^ ist bezogen worden. An-
derswo der Mannsname Smo.
Teto in einer jahrzahllosen Grabsehrift zu Vaison: Le Blant
U, 233 Nr. 498. Tato Tatto oder mit anderer Vocalisierung
Teto Tetto eigentlich das Kinderwort für Vater, in welchem, da
es einen immer gleichen Naturlaut wiedergiebt, die deutsche
Sprache ohne Verschiebung mit den pelasgischen zusammenstimmt
(ToiTa TSTTa tata), dann aber auch in beiden Formen häufiger
1) [vgl. hcUpswuol Nib. 878. Herr HaWLöWy der Leopart: Esel-
könig S. 18.]
2) [Ist zu lesen Suanegoita? Suanila und Suanihüda (Jord. 24 n. a.)
sind gothisohe Namen und daraas macht Saxo Gramm. 8, 8. 157 Swavilda]
Sprache and Sprachdenkmäler der Barganden. 411
E^ehname, z. B. Toto eines Langobardenkdnigs, des Besiegers
der Heruler, und Tatto oben S. 390, als Eigenname (man ge-*
dachte dabei jenes Kinderworts nicht mehr) auf Althochdeutsch
mit Verschiebung des T in Z auch Zazo Zezo,
Theodegotha W. K. Während J(»rdanis Cap. 58 die zwei
Töchter Theodorichs Thiudigiofho als die Oemahlinn Alarichs,
Ostroffotho als die Qemahlinn Sigismunds bezeichnet, nennt der
Anonymus Yalesianus dieselben Arevgani (was aber soll das
heissenP) und Theodegotha, und die letztere wird dem Burgun*
den, die erstere dem Westgothen zum Weib gegeben; ich ent^
scheide nicht, ob er oder Jordanis die gemeinsame Quelle besser
benützt habe. Theodegotha oder gothischer und theilweis auch
burgnndischer Thiudigotho (oben S. 382) trifft in seinem vor-
deren Bestandtheil mit Theuddinda, im zweiten mit Ostrogotho
überein.
Theudelinda W. K. In einer Urkunde von 578 bei Par-
dessus Nr. 196 „ad monasterio, quod est dedicatione sancti Petri
scitam (lies ßctttim d. i. situm) in Lugduni civitate inter Boda*
num et Ararim, substructum a rege Gaudisello et a regina
Theudelinda, sua sponsa piissima^^ Theude wie in Theudetnondus
Theodegotha das goth. thiuda Volk; das zweite Wort nach ge-
wöhnlicher Ansicht entweder lint althochd. Schlange, Drache oder
Untä Schild. Häufig aber wird anderswo Theuddindis u. dgl.,
auf einem zu Ebersheim zu Mainz gefundenen altchristlichen
.Grabstein Lindis geschrieben (Lindis ßia Vdandu et Thude-
lindi Steiners Cod. Inscript. Boman. I, 271 Nr. 575), und die-
ses I am Schlüsse, wenn es nicht bedeutungslos sein soll, weist
damuf hin, dass unsem Alten hier noch ein drittes Wort und
wahrscheinlich nur diess im Sinne gelegen habe, das ahd. lindi
weich, sanft, ein Adjectivum also das gleichen Begriffes ist mit
lin und len (s. oben Ätidolena) und zu demselben siqh so ver-
hält wie im Lateinischen lentus zu lenis. Wirklich heisst es
ausser Theudelinda auch Teudolina und ausser Audolma Leude-
linus ValdoUna auch Audolendis (Grabschrifk zu Mainz bei Steiner
I, 184 Nr. 390) Letidelindis Valdelindis. Wie aber jenes lindi
noch die einsylbige Nebenform Und besass, so mögen wieder
hierauf und nicht auf lint Schlange noch auf Untä Schild die
Namen beruhn, die auf Deutsch mit Und oder lint, dXii Latei-
nisch mit Unda endigen wie eben unser Theudelinda.
412 Sprache nnd Sprachdenkmäler der Burgnnden.
Theudemodus in der ersten, Theudemondus in der
zweiten Aufzeichnung der Schenkungsurkunde von S. Maurice
(Pardessus Nr. 103. 104) Name eines und desselben Grafen;
Teodemodos< oben S. 365. Thiuda s. Theudelinda; modus s.
BaUlmmodus ; mandus d. i. mundus s. Anse^nundus.
trigildus s. novigädus.
Tullii Major domus, erwähnt von Avitus Epist. 35. Es
giebt zahlreiche auf I ausgehende Männernamen (Förstemann I,
765 fgg.), in denen dieser Yocal unzweifelhaft dieselbe Deminu*
tivbedeutung hat wie am Schlüsse von Appellativen und auf
Altdeutsch wie mundartlich noch jetzt: darunter auch, unbe-
stimmt aus welchem Jahrhundert, ZoUu Hiefnr ist Tvüii die
burgundische Form; sie enthält zwei /: das erste dient noch zu
anderweitiger Ableitung (vgl. S. 347), zur Ableitung von jenem
Grundwort iul, auf dem auch der Volksname Ttdingi, der alt-
hochd. Mannsname Zulliug sammt dem Ortsnamen ZuUinga,
ferner goth. Tuluni (so ist bei Gassiod. Var. Epist. YIII, 9. 10
Tulum, und wie man sonst noch lese, zu verbessern) und alt-
hochd. Zullini beruhn. Zol ist im Mittelhochdeutschen und noch
in Mundarten des Oberlands ein länglicht rundlichtes Stuck, be*
sonders Holzstück, bald ein Klotz, bald ein Knebel, und Klotz
und Knebel sind uns auch persönliche •Eigennamen.
Uffunis G. s. oben Offonis.
UmbdemaruB s. unten Windemeris.
Unani unnani G; der Nominativ Unanus oder noch eher.
Uno: s. oben S. 379 und ausserdem Aunegilde.
unthfanthai in der zweiten Schmuckinschrift: vgl. oben
S. 361 fg. 373. 382 fg.
Usgildi osgildi, mit unnfitzer, den romanischen Schreibern
gleichgültiger Aspiration hmgild hoageldi G: vgl. oben S. 374
und Aunegilde.
Uthila: Uthilam^ ut illam Lex Burg. LI,'l. Neben der
Wurzel iud aud ud (s. oben zu Aunegilde) muss noch eine be*
standen haben, die bei gleicher Vocalisierung (ob auch mit dem-
selben oder verwandtem BegriflFe?) auf TH ausgieng: von dieser
die Namen Euihio, luthungi, Eodunc, Euiharicus u. a. und
ebenso unser Uthila, Die Lesarten ad talem u. s. f. haben uns
den Namen Athala ergeben.
Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden. 413
Wadamiris G. Wada [vgl. als för sich bestehender
NamQ Vadüy ftltnord. Vadi, ahd. Wato; vgl. lat. Gradivus] zu
angelsächs. vadan, altnörd. vata, althochd. watan schreiten, an-
greifen; mir das goth. mSr berühmt in slavischer Umformung
(oben S. 361): umgeändert das letztere zeigen die Lesarten
nuadahameris und uuidemeris uuidimeris, mit deren ersterer
uttalahameris gemeint sem mag (vgl. zu Suavsgotta), während
die letztere den in der Reihe der Unterschriften vorangegangenen
Namen wiederholt; gleichfalls nur ein Versehen der Art ist die
Lesart uucdahariL Derselbe Name mit Wadamires würde Am-
mians alamannischer Vadomarius (XVI, 12 u. s. w.) sein, wenn
nicht die Mehrzahl anderer Zeugnisse, Aurel. Vict. Epit. 42,
^osimus III, 4 u. s. f. die Form Badomarius vorziehn Hessen,
eine Umkehrung von Maroboduus oben S. 366.
Walaharii VuaUaherii (Handschr. K) G; eben jenes und
uuddaharis auch als Lesart für miadamiris und uualarimu Wal
Walstatt: vgl. WcUarimi; hart Kri^er S. 372. Die Lesai*t
vMicarii fasst die fränkische Verhärtung Wcdachari (in dem
Pariser Testamentum Erminetrudis bei Pardessus Nr. 4ö2) la-
teinisch auf: S. 345.
Walarimi uucderimi G: wal wie in WalahariuSr rim
(ein weibliches Deminutiv dazu ist Remila) auch in fränkischen,
altsächsischen und althochdeutschen Namen wie Dagrim Nai\drim
u. s. w«: wohl die kürzere Grundform des goth. rimis Buhe.
Waleste uualesti uaalesse uualesci uuedisci G: s. oben
S. 380 fg.
Wallimeris, Lesart für MuoZanw.G- Gemeint wird uuala^
meris sein: M^flrf s. Wataharii; mSr berühmt: S. 361, 372.
Vassio in einer Lyoner G^bsohrift von 473 bei Boissieu
S. 563 Nr. 23; auf fränkischem Gebiet in dem Testamentum
Erminetrudis bei Pardessus Nr. 462. Kann -so wie vassus Knecht,
Diener (L. Sal. XXXV, 6. L. Alam. LXXIX, 3 u. a.) zu vidan
wetan binden oder wie Wasa Wasand Wamger Was^hUt zu
der althochd. Wurzel wasan „pollere" (waso Easen), aber auch
zum goth. v€isj€m kleiden gezogen werden: ich erinnere ausser
dem oben S. 388 besprochenen Sara an goth. hama Kleid,
Rüstung und an Eigennamen wie Hämo Hamadeo u. a. [Sarus,
Sarvus und Hamathim: J. Grimm Haupts Ztschr. 3, 155.] Im
414 Sprache und Sprachdenkmäler der Burgonden.
ersteren Falle ist die Verdoppelung SS s. v. a. DTH, in den
letztern rührt sie von dem ableitenden i-lant her: vgl. S. 348.
veius oder veßis s. oben S. 337. 347.
Wenaharit Ausnaharn uinahario G: wini althochd. alt-
sächs. Freund, hart oben S. 372. üeber die Lesarten ueniacariae
und uenicarü S. 345 u. 371; uuanaharii und das ebenfalls
fränkisch rauhere uuanacharn ist mit t/^dn Erwartung^ Hoffnung
gebildet.
Widemeris Q; dasselbe und uuidimeris als Lesart für
Wadamiris; f^idemarus im zweiten Texte der Schenkungs-
urkunde von S. Maurice: altnord. vib, althochd. untu Holz, Wald
und goth. mifj althochd. märi berühmt: vgl. S. 361 u. 372.
An wid wU weit zu denken, wie Hartmann von Aue Minnes.
I, 329 a wUe moere sagt und es wirklich auch ein althochd.
witmäri als üebersetzung von insignis giebt (Ammon. GXGIX, 2),
verbietet die voller, als hiemit vereinbar wäre, vocalisierte Form
Widiomarus, die anderweit vorkommt.
Viliarie in einer undatierten Qrabinschrift zu S. Laurent-
de-MÜre: Le Blaut II, 28 Nr. 386. Goth. mlja Wille; ric vgl.
Auderici. üeber den Mangel einer Nominativendung s. oben
S. 378.
Villigis^lus in einer undatierten, aber den Buchstaben
nach dem sechsten Jahrhundert angehörigen Grabschrift zu Anse:
Le Blant II, 546 Nr. 661 A. Villi goth. vilja Wille mit Ver-
doppelüng des L: vgl. S. 347; gisdus oben S. 376.
Willimeres in der fünften Schmuckinschrift: ein den Bur-
gunden ?ielbeliebter Name : viermal, mit mannigfach wechselnder
Form, unter den Grafen die das Bechtsbuch unterschreiben:
uueliemeris Atieliemeris uuiliemeris wiiUmeris wiUimiris;
viletneris Viliemeris; auilemeris d. i. uuilemeris uillimeris
als Lesart für vualaharii; cmdiemeris d. 1. uueliemeris als
Lesart für uualarimi (Bluhme 30 WaUimeris; was hier noch
aus L und E angegeben wird, uuilemeris und aueliemeris, steht
in keiner von beiden Handschriften). Goth. pilja Wille, zum
Theil mit Brechung des I oder Verdoppelung des L: vgl. oben
S. 347 u. 369; mir berühmt und mir S. 361.
Villioberga W. Grabschrift von 601 zu Briord: Le Blant
n, 20 Nr. 381 u. PI. 44 Nr. 262. ViUio vgl. Villigisclus;
berga vgl. Aisaberga,
Sprache nnd SpracbdenkinSIer der Bnrgunden. 415
Windemeris uuindimeris G, Lesart zu Widemeris, wie
im ersten Texte der Urkunde von S* Maurice ein Umhäe^nams
d. i. TJindemarua oder Umndemarus dem Videmarm der zweiten
gegenübersteht (Pardessus Nr* 103 u. 104). Syncopiert aus
WinidemereB und Zusammensetzung mit dem Volksnamen Winid
Wende: vgl. Suavegotta. >
Vistrigilde W. Grabschrift zu Anse von 485: Le Blant
U, 547 Nr. 662. Als vorderer Theil die Bezeichnung einer
Himmelsgegend wie in dem alamannischen Vestralpus Ammians
XVI, 12. XVin, 2 und dem fränkischen Wistrimundus oben
S. 390, und wie es auch (diess und die oben bei Sumegotta
besprochene Verwendung der Völkernamen stehen auf einer Linie)
mit den drei übrigen Worten persönliche Eigennamen giebt:
vgl. WestarfoUan und Üsterlant oben S. 401, Austrsgildie S. 390,
Ostrogoiho S. 407; der Nordoalam in der nachburgundischen
Inschrift eines BeliquienbehftlteiB zu S. Maurice (Le Blant II,
660 Nr. 684) wird in Nordoaldus zu bessern sein. Gilde wie
in Aunegilde.
Vithuluf in der ersten Schmuokinschrift: S. 349. 352.
374. 378.
wittimon uuitteman uittemon uuitimon uuitemon uitamon
uuiUimum uUtemum usttimum Lex Burg. LXVI, 1. 2. LXIX
(wo nur die Handschrift L in der Bubrik den Schreibfehler
Huuittemum hat, E dagegen wie sonst auch UuiUimum).
LXXXVI, 2. CI: s. oben S. 355 fg. u. 382.
wittiscalcus: tvittiscalcis uitiscalcis utiscalcis uuidiscalcis,
wittiscaleos witiscalcos uitiscaleos Lex Burg. LXXVI, 1. 3:
s. oben S. 344. 355.
Vulfie Vidfiae oder Vulfile uuifite d. i. uulfile G:
zweierlei Ableitungen (S. 347 u. 375) von vtdf Wolf, wie noch
späterhin Vulfio und Vulfilo,
Ymnemodus s. Ememundi und BaÜhamodus.
Zusatz.
Auf S. 389 fg. ist ein Beispiel von Doppelnamigkeit bei
den Gothen, das gerade auch Marius an die Hand giebt, über-
sehen worden. Der vorletzte König der Ostgothen hiess eigent-
lich Badvila: so steht auf seinen Münzen, einem authentischen
416 Sprache und Sprachdenkinftler der Bargunden.
Zaugniss (Friedländers Münzen d. Ostgothen S. 46 fgg. und
Taf. n, desselben Münzen der Yandalen S. 45. 67), so auch
in Marius Chronik unter den Jahren 647, 553 u. 568. Aber
er führte den Beinamen Totila: „Baduillam, qui et Totiia dice-
batur*^ Hist. misc. 16 (Muratoris Ber. Ital. Script I, 107 b) und
daraus Eckehard von Urach (Chron. univ. bei Pertz, Monum.
YIU, 1 30). Im weiteren Fortgang der Erzählung jedoch brauchen
die Historia und Eckehard nur noch den Beinamen, und Procop,
Agathias, Idadus u. a. sagen von vorn herein bloss TuriXac
T^TCXXa^ Totila. Man sieht, der Beiname hatte auch hier den
eigentlichen Namen so gut als verdrängt imd galt nun selber
für den eigentlichen: daher bei Sigebert von Gembloux (Pertz
YIU, 316) die Umkehrung des Verhältnisses beider: „Totila,
qui et Baduilla^^ Badvila ist Ableitung von hadu oben S. 365,
Tdtila von Toto S. 410, letztre zugleich, ebenwie althd. Zuozo,
mit dem Ablaut gebildet. Die Bedeutungen, welche hieraus
folgen, würden uns, soweit wir das Leben dieses Helden kennen,
passlicher scheinen, wenn die Angabe Sigeberts richtig und viel-
mehr Badvila die erst später erw<H:bne Benennung wäre.
Von der deutschen Pedanterei.
(Eine Schulrede, awx Geizers Protestant. Monatshlätt^rn Uly 1S54,
S. 295—309).
Indem ich mich anschicke, unser heutiges Schulfest mit
einigen Worten einzuleiten, muss ich von der Theilnahme, welche
Sie Vorträgen der Art zu schenken gewohnt sind, mir heut zwie-
fache Nachsicht erbitten. Denn abweichend von dem meist be-
obachteten Gebrauch, gedenke ich diessmal nicht, Ihnen ein
Probestück und Zeugniss vorzuführen, wie die Lehrerschaft über-
haupt und wie in seinem ♦)esonderen Fach das gerade sprechende
Glied derselben das Gebiet des Wissens durch neue Forschungen
zu erweitern, mit neuen Ergebnissen zu bereichern suche: im
Hinblick auf diejenigen,, denen die Feierlichkeit eigentlich gilt,
auf den Theil unserer Jugend, der eine gelehrtere, voraus von
Sprach- und Geschichtsstudien getragene Bildung sich erwerben
will, hat es mir angemessner geschienen, einen Gegenstand mehr
von pädagogischer Art und zwar der Warnung wegen ein Uebel
zu besprechen, das mit solcher Gelehrsamkeit, wie sie erstreben,
sich gern verbindet. Kaum aber wird von demselben zu reden
sein, ohne dass Mancher finden dürfte, es sei damit eine offene
Beichte im Namen Vieler, die jetzt auf anderen Bänken als der
Schulbank sitzen, abgelegt, und fragen dürfte, wer denn mich
berufen habe, auch für Andere al? für mich allein zu beichten.
Ich werde reden von der Pedanterei; mehr jedoch als etwa nur
die Hauptlinien der Betrachtung, als nur die Grundzüge und den
Umriss zu geben, kann ich bei solch einem leider allzu reichen
Stoffe mich nicht anheischig machen.
Wackernagel, Schriften. III. 27
418 Die deutsche Pedanterei.
Wer ist ein Pedant? was ist Pedanterei?
Gehen wir, um diese Frage zu beantworten, von Beispielen
aus, von einzelnen Fällen, in denen wir mehr oder weniger
übereinstimmend alle finden werden, dass jene Benennung am
Platze seL
Wenn Jemand statt lateinisch latinisch braucht, weil es ja
latimis heisse, aber doch weder romisch noch gräkisch, sondern
wie die Andern römisch und griechisch; wenn er nicht von
Janitscharen redet, sondern besser türkisch von Jenitscheri, und
zwar Niuyork und Mechico oder gar unrichtig Meßco spricht
und doch Neuholland und doch weder Geneve noch Geneva,
Naj)oli noch Lisboa noch Kjöbenhavn; wenn er, falls du den
Münster und das Chor gesagt hast, mit aufdringlicher Zurecht-
weisung in seiner Antwort den Chor und das Münster sagt, als
wäre um des Lateinischen willen das nur gültig, und doch nicht
der Mauer und der Kanzel, die Kreuz und die Dom, das Tem^
pel und das Altar, obwohl die Grundsprache auch alles diess
und wie viel der Art sonst noch fordern würde; wenn er, damit
ja im Sprechen kein geschriebner Buchstab verloren gehe, Zu-
sammensetzungen wie Schifffahrt, Rückkehr, Ohrring, Fisch-
schwänz, selhstständig mit mühsamer Ausdrücklichkeit wieder in
ihre Bestandtheile trennt: Schiff-fahrt, Ohr-ring, selhst-ständig ;
wenn er auch im lebendig vorwärts strebenden Gespräche siclf
stets mit Sorgfalt der strengsten Correctheit des Ausdruckes be-
fleisst und der Anacoluthie, der constructio ad sensum auch da,
wo sie die Deutlichkeit befördern würden, mit furchtsamer Be-
rechnung aus dem Wege geht; wenn er schreibend und sprechend
seine eigenen Gedanken gern noch mit den Gedanken Anderer
umkränzt, mit Anspielungen, mit Anführungen, am liebsten, weil
es so am gebildetsten und am gelehrtesten klingt, in fremden
Sprachen: solch einen Menschen werden wir alle wohl einen Pe-
danten oder werden wenigstens diese eine seiner Aeussenmgeo,
diess eine Benehmen und Verfahren eine Pedanterei benennen.
Der Pedant also schulmeistert, auch wenn vor ihm kein
Schüler und er selbst durchaus kein Meister ist; er gefällt sich
in der Consequenz: aber es ist die eigensinnig geradlinige jener
Kattenart des Nordens, die, blind gegen das Links und Bechts
und alles Andre, nur vorwärts auf Einen Punkt zu wandert; er
will und giebt eine todte Eintönigkeit anstatt mannigfaltigen
Die deutsche Pedanterei. 419
Lebens, Kleinigkeiten anstatt des Grossen, Einzelnes anstatt des
Ganzen; für ihn ißt nur die Bewegung durch Regeln, nur die Theorie,
nur die Form da, nicht aber die Freiheit, die Praxis, der Geist, und
inmitten derer, die grösser denken, freier handeln, steht er wie
der Kleinstädter in der Besidenz oder ein Krämer unter Kauf-
leuten. Der Pedant, wenn seiner Pedan1;erei nicht andere Eigen-
schaften gesellt sind, die mit noch stärkerer Unwiderstehlichkeit
wiederum das Herz gewinnen müssen, ist ein höchst unliebens-
würdiger Mensch, abstossend und nicht in der Gesellschaft, ja
selbst in der viel verzeihenden Freundschaft kaum zu brauchen:
denn er wird Schritt für Schritt dadurch, dass er alles anders
und besser weiss, verletzen; er wird überall, und den Gelehrten
selbst nicht am wenigsten, beschwerlich fallen durch sein Prunken
mit verzettelter Gelehrsamkeit; er wird zuerst lächerlich, bald
aber langweilig sein durch den Ernst, womit er Lappalien er-
örtert, und durch seine Vorliebe und sein Geschick, gerade über
die geringfügigsten Dinge am ausführlichsten, in den gewähltesten
Worten, in umständlichem Periodenbau zu sprechen.
Der Pedant: ich hätte stets auch hinzufügen können: die
Pedantin. Denn allerdings, wie kein Alter' und kein Stand, so
ist auch kein Geschlecht von dieser Unart frei. Ein Kind z. 6.,
das mit altkluger Zweifelsucht die Erzählung eines Märchens
zurückweist, eine Ersdeherin, die grundsätzlich dem Kinde kein
Märchen erzählt, weil sie in der Engheit ihres Sinnes keinen
Unterschied zwischen Dichtung und Lüge kennt, sie beide sind
hierin und schwerlich dann bloss hierin pedantisch. Nur ist bei
Weibern und bei Kindern die Pedanterei seltener, darum aber
auch auffälliger, und weil man von der Kindeseinfalt am wenig-
sten solche Befangenheit, von der weiblichen Natur, die sonst
auf dem ganzen Qemüthe ruht, nicht diese Halbheiten des Ver-
standes erwartet, bei ihnen doppelt unangenehm berührend.
Allgemein beti-achtet, ist die Pedanterei das leidige Vorrecht
derer, deren Sache mehr als des Weibes und des Kindes die
Verstandesthätigkeit und somit auch jene beschränkte Ausübung
derselben ist, ein Vorrecht des männlichen Geschlechtes, des
Jünglings, des gereiften Mannes. Und hier, je nach Amt und
Beruf in welcher Mannigfaltigkeit der Kundgebungen kommt sie
hier zu Tage! Unter den Künstlern, wenn z. B. ein Componist,
statt ein Gedicht seinem ganzen Charakter nach aufzufassen und
27*
420 ^ I^ie deutsche Pedanterei.
diesen in dem ganzen Charakter seiner Musik zoräckzuspiegelu,
sich an die einzelnen Worte hängt und Wort für Wort eine neue
Empfindung zu malen sucht: Lieder durch/ucomponiren und nicht
auf Eine Melodie zu setzen, dieser Lieblingsgebraueh unserer
Zeit hat seinen ersten Ursprung kaum anderswo als in pedan-
tischem Unvermögen; im Wehrstande sodann, wenn dessen Leiter
ihre Aufgabe und ihre Lust nur in den Aeusserlichkeiten der
Kleidung und der Haltung, in der Ausklugelung nutzloser Kleinlich-
keiten und Peinlichkeiten des Exercitiums finden, als Kamaschen-
dienst also; ferner beim Staatsmanne, der über die Formen und
seine doctrinären Sätze und im Angesichte der höchsten inne-
ren Berechtigung nicht über die äusseren Bedenklichkeiten hin-
weg kann, vor jeder grossen Massregel erschrickt und der bibli-
schen Warnung zum Trotz lieber stets nur ausbessert, als ein
neues Ganzes macht.
Zumeist aber und mit dem meisten B.echt auch wird jener
Name auf die vom Gelehrtenstande angewendet. Für sie als die
beste Probe auf ihren Gehalt an Pedanterei kann ihre Stellung
gegenüber einem neuen bedeutenden Systeme dienen, sei es das
einer einzelnen Wissenschaft, wie etwa der Granunatik, oder der
Wissenschaft aller Wissenschaften, der Philosophie. Die Wenig-
sten (wir sehen von Solchen ab, die aus Stumpfheit oder Eigen-
dünkel sich um alles Neue, oder was von anderen kommt, über-
haupt nicht kümmern), vielleicht die Wenigsten werden die Probe
mit Ehren bestehen, werden der neuen Lehre frei und mit der Be-
rechtigung des eigenen vollen Denkens entweder beifallen oder ihr
entgegentreten: die Mehrzahl der Widersprechenden widerspricht
nur, weil ihr jeder Versuch, eine Wissenschaft als Ganzes zusam-
menzufassen und aufzubauen, von Natur zuwider ist; die Mehrzahl
der Anhänger hängt nur an, weil sie der blosse Formalismus
des Systemes, lediglich die Maschinerie gefangen nimmt. Pedan-
terei hier, Pedanterei dort; Pedanterei bei den meisten Jüngern
Hegels und Beckers, Pedanterei bei deren meisten Gegnern.
Unter den Gelehrten wiederum sind es besonders wir Schul-
männer, denen jenes Gebrechen zur Last fallt, denen, wo wir
nicht ganz und gar Pedanten sind, doch zum mindesten die oder
jene einzelne Pedaiiterei wie ein neckender Stachel im Fleische
sitzt. Auch hat das Wort pedante im Italiänischen, woher es
stammt, ursprünglich ohne Weiteres einen Schullehrer bezeichnet.
Die deutsche Pedanterei. 421
Wir sind zu entschuldigen: wer Tag für Tag von Amts wegen
schulmeistert, schulmeistert nur zu leicht auch da, wo es nicht
seines Amtes, und schulmeistert bald auch an der Jugend mehr
und anders, als recht ist; wer durch sein Amt, wie uns nur zu
oft geschieht, an weiteren Fortschritten gehindert wird, und so
wenig er weiss, immer doch noch mehr weiss als die Schüler,
der wird dieses Wenige, diese Einzelheiten bald überschätzen
lernen: es sind ihm theure Beste eines Schiffbruchs, und er
klammert sich daran mit verzweiflungsvoller Liebe.
Nicht alle Gelehrten aber, nicht alle Lehrer sind der Gefahr
der Pedanterei gleichmässig ausgesetzt. Die in geringerm Grade,
die auf eine höhere Stufe der Kenntnisse und des Wirkens ge-
stellt sind: sie fahrt ihre Gelehrsamkeit, wenn auch nicht zur
Wissenschaft (ich nehme das Wort in seinem vollen Sinne), doch
zu einer achtungsvollen Ahnung derselben,. die dem Missbrauch
steuert. Viel mehr dagegen die Halbgelehrten, die Halbwisser,
die einseitig nur ein einziges, vielleicht gar schmales Fach, oder
die von vielen, von allen Fächern nur den Anfang und hie und
da noch sonst ein Bruchstück inne haben, die Vielwisser, die
AUeswisser. Diese, wenn sie in ihrem Amte nicht nachlässig sind,
werden dann fast ausnahmslos Pedanten und die nächsten und
die täglichen Opfer ihrer Pedanterei werden ihre Zöglinge sein;
diese werden, in und ausser der Schule, in Lehre und liCben und
im Bücherschreiben, bald, wo es das Ganze gilt, als träge Diener
der Gewohnheit an dem Ueberlieferten kleben, bald wieder mit
müssiger Neuerungssucht jedem Einfalle nachgehn, durch den. sie
ein Einzelnes besser zu machen hoffen.
Wie aber der Mensch, erklärlich genug, in nichts so mangel-
hafte Einsicht hat, als was von höheren Dingen ihn zunächst berührt
und umgiebt (kennt er doch sich selber stets am allerwenigsten),
und dennoch, verkehrt genug, gerade hier die meiste Einsicht schon
von Haus aus und die vollste Berechtigung des Dareinredens zu
besitzen wähnt (wie viele Professoren ausserhalb der Zunft hat des-
halb die Politik, und die Theologie nicht minder): so regt sich die
Pedanterei der Pedanten am liebsten und häufigsten und es schlägt
auch in Solchen, die sonst von diesem Uebel frei sind, eine pedan-
tische Ader gerne da, wo es die Muttersprache gilt. Diess ist die
grosse AUmend, worauf sich die Gelehrten nnd die Ungelehrten
aller Fächer weiden und Blümchen in den Kranz ihrer Verdienste
422 Die deutsche Pedanterei.
pflücken : wer sonst vielleicht nichts ohne die genaueste Forschung
finden will, hier soll es ihm ungesucht in die Hände wachsen;
wer soRst vor dem, was in Natur und Geschichte gegeben ist,
eine fast abergläubische Achtung hegt, hier meint er einmal
selbst machen zu können; wer sonst auch gar nichts weiss, hier
weiss er Alles und Jedes. Hier denn tritt uns die Pedanterei
so vollständig wie nirgend mehr mit all ihren Merkmalen, in der
ganzen bunten Mannigfaltigkeit ihrer Arten und Spielarten und
Unarten entgegen.
Scheinbar noch die bescheidensten hier, weil sie auf den
untersten Stufen bleiben, sind die, deren ganze Sprachgelehrsam-
keit in Schreibung und Bechtschreibung aufgeht: aber gerade sie
werden uns mit jedem neuen Worte von Neuem unbequem, und
ohne Noth versetzen sie Schüler und Laien in Gewissensunruhe.
Denn sie machen eine Gewissensfrage daraus, ob die lateinische
oder die sogen, deutsche Schrift zu gebrauchen, ob nach den
Kegeln, die sie erfanden haben, nicht Teil mit blossem T, Gltd
mit blossem i und Gewiszen mit sz zu schreiben sei; sie erörtern
mit Tiefsinn, wann malen und wohl ein h und wann sie keines
haben; sie wissen sich viel damit, dass sie in Filosof hinten und
vorn «in f und kein ph und in Akzent ein kz und kein doppel-
tes c setzen: die Worte seien damit deutscher geworden; gerade,
als wenn wir die Zeichen f und k und z nicht auch aus dem
Lateinischen hätten.
Andre, muthiger und höher hinauf, greifen mit ihren Fun-
den und Satzungen an die Laute selbst und deren Aussprache,
an die Bildung der Worte, an die Satzbildung, und quälen z. B.,
weil sie nicht wissen, dass im deutschen th das h immer nur
die Länge des benachbarten Yocals bezeichnet, die armen Kinder,
es gleichwohl eigens hören zu lassen, also T-hai, Wut-h: eine
doppelte Qual und Beängstigung, weil gerade hier die Pedanterei
in sich selber uneins ist und vielleicht in Schulbüchern der glei-
chen Kinder T(tt und WtU auch ohne das h gedruckt stehn.
Oder sie ändern Worte, die ihrem kurzsichtigen Blick undeutlich
sind, frischweg um: gehorsam^ das von gehören kommt, in ge-
horchsam^ kostspielig, das s. v. a. Kosten verschwendend ist, in
ein sehr sinnloses kostbillig. Sie haben zufällig, in einem älteren
Buche leschen mit e gelesen: gleich bringen sie das in ihr Deutsch
und an die Schüler; ergötzen aber und schöpfen und Hotte und
Die deutsche Pedanterei. 423
wölf tind wie viele Worte sonst noch ein früheres e gegen ö
vertansoht haben, die alle gehen sie nichts an. Mit Beharrlich-
keit verlangen sie als Lehrer der Mathematik, dass der Drittheü
gesagt werde, wie der Theil, nicht das Drittheil: armer Luther,
bei dem Maria dennoch das gute Theil erwählt hat; als Lehrer
der Geographie Erdtheü, ja nicht Welttheil, ich weiss nicht, ob
auch Erdmeer und Erdgeschichte; als Lehrer der Geschichte
aber 'Araber, nicht Araber. So sticht der Pedant immer nur je
eines heraus; eben derselbe sollte nun auch (aber er thut es
nicht) von Perioden und Epochen und Katastrophen sprechen,
Troglodyten und Ichthyophagen und Nomaden, von Teutonen und
Hermunduren und GSpiden und Vdndalen, von der Besiegung
der Barbaren an den Thermopylen, von den Philosophen des
Alterthums und den Philologen der neuern Zeit: denn überall
hier gölte dasselbe Eecht, als bei jenen einzigen 'Arabern. Wir
betonen eben dergleichen Worte nicht griechisch noch lateinisch,
sondern französisch, damit nicht, der Eigenheit unserer Sprache
zuwider, so volllautende Schlusssylben tonlos seien.
Es möchte noch hingehen, falls nur Grillen der Art be-
schränkt blieben auf die Person derer, die sie zuerst gehegt, und
auf ihre Schule oder Schulklasse : schon die nächste Beförderung
oder nach der Schule das Leben würde dem Knaben, dem Jüng-
linge das lächerliche Zwangskleid wieder abstreifen. Aber laien-
haft, wie solche Einfalle sind, berücken sie durch Wahlverwandt-
schaft auch die übrigen Laien, die Ijaien entweder bloss im
Sprachstudium oder in den Studien überhaupt, und setzen sich
auch in deren Kopf so fest, dass ein Gelehrter, wenn ihm viel
daran liegt, was von seinem Wissen die Ungelehrten halten, zu-
letzt mit den Wölfen heulen und auch 'Araber betonen muss.
Dm nun noch durchgreifender so auf die Laien einzuwirken,
braucht die Herrschsucht der Pedanterei, nicht unklug, aber dop-
pelt widerwärtig, Zeitungen, die überall hin zu Tausenden ver-
breitet, Bücher, die von Haus zu Haus und von Geschlecht auf
Geschlecht in aller Welt Händen sind. Wäre Jean Paul noch
so der allgemeine Liebling wie vordem, die Grille, welcher er in der
Gesammtausgabe seiner Werke, 60 Bände hindurch, nachgegangen
ist, die Weglassung des Bindelautes s in Zusammensetzungen,
so dass er sich selbst auch Iiegationrath nannte, diese misslau^
tige Grille würde zahlreicher, als nun geschehen, Nachfolger ge-
[.
424 Die deutsche Pedanterei.
fluiden haben: den Grillen der Allgemeinen Zeitung fehlt es an
Nachfolge nicht, ihrem unpasslichen unbäszlich, ihrem St. GaUener
statt St Galler, ihrem Thüringensrh, ihrem Zürichersch, ihrem
Sindflid, Allerdings hat noch Luther Sindfluth gesagt, und das
Wort hat ursprünglich mit Sünde nichts, zu thun, sondern ist
der Ausdruck für jegliche Ueberschwenmiung: aber einem Triebe
folgend, der vielfach ia ihr thätig ist, hat sich die neuere Sprache
das unverständlich gewordene alte Wort frisch umgedeutet und
gewiss nicht unangemessen umgebildet. Wer dennoch auf Sind-
flut zurück will, der sage nur auch z. B. wieder Beispell statt
Beispiel und eräugnen statt ereignen, Gefägel statt Geflü-gel, Freit-
hof statt Friedhof.
Ist nun aber die gelehrte Pedanterei in allen Fächern der
Gelehrsamkeit zu Hause? Mengt sie mit ihren Halbheiten, ihren
Willkürlichkeiten, ihrer Langenweile sich gleichmässig in alle
Wissenschaften?
Ich glaube, nein. Die mit den Wissenschafton, welche man
exacte nennt, sich beschäftigen, der Mathematiker, der Natur-
forscher, man wird sie, so lange sie innerhalb dieser ihrer Fächer
bleiben, vielleicht trocken, vielleicht unwissenschaftlich, als Lehrer
vielleicht tyrannisch finden: aber Pedanten wird man sie da
schwerlich heissen. Sondern das Keich der Pedanterei erstreckt
sich, wie schon aus all den Beispielen, welche bisher gegeben
worden, erhellt, lediglich über jene Gebiete des Wissens, wo es
sich um Kräfte und Wirkungen , die nicht so dem Maass und der
Wage und der Berechnung unterliegen, wo es um die niemals
voll zu ergründenden Offenbarungen des göttlichen Geistes in
dem Denken und dem Thun der Menschen, wo es sich um Dinge
handelt, die stets noch in der Entwickelung, im Wachsthum und
Fortschritt begriffen sind: es erstreckt sich über das Gebiet der
Geschichte und namentlich das der Sprachwissenschaft. Denn
hier ist, um das Einzelne zu verstehen, nothw endiger als sonst
auch ein Verständniss des Ganzen erforderlich: wie schwer aber
ist letzteres zu gewinnen, wie gross daher und zugleich wie
schädlich die Verlockung, bloss an Einzelheiten sich zu heften!
Weil die Sprache ein Bewegtes ist, so meint der erste der beste,
welcher spricht, auch als bewusste Kraft dabei mitzuwirken, hier
hemmen, dort vorwärts treiben zu können: ihm entgeht, dass
jene Bewegung nur ein grosser, noch unabgeschlossener Natur-
Die deutsche Pedanterei. 425
process ist, dem er und jeder Einzelne ohne bewusstes Dazuthun
mitfolgt. Ueber wie viele oder wie wenige Stufen hin eine
Sprache, wie mannigfach oder wie ärmlich eine Litteratur sich
entwickelt hat, sie hat eben immer sich, sie selbst hat sich ent-
wickelt; sie ist geworden und wird, Niemand hat sie gemacht,
noch macht sie Jemand. Der Gelehi+e kann auch hier nur for-
schen, nicht schafiFen: die wahre Wissenschaft ist auch hier nur
eine exacte, die beobachtet und die Gesetze sucht. Aber der
Pedant wUl von sich aus Regeln geben.
Wenn so die Pedanterei , sich vornehmlich in , der gelehrten
Betrachtung und Behandlung der Sprache zeigt, so ist damit die
Frage, seit wann es Pedanten gebe, eigentlich schon beant-
wortet.
Dem Alterthume, so lange es noch in der vollen frischen
Blüte stand, und in gleicher Weise dem Mittelalter, war als ein
allgemeiner herrschendes Uebel die Pedanterei noch fremd. Erst
da es an beiden Orten zur Neige gieng,' da die eigene Sprache
ein Gegenstand der Grammatik, die e^ene Kunst der sprach»
liehen Darstellung ein Gegenstand der Ehetorik, und Grammatik
und Rhetorik ein Gegenstand des Unterrichtes wurden, da erst
gab es auch in Griechenland und Rom Pedanten, Pedanten der
Accentlehre^ Pedanten der Orthographie, da ward der Edda des
Nordens die Skalda mit ihren Regeln und Musterbeispielen des
Dichtens nachgeschickt, da machten die deutschen Meistersänger
ihre Gedichte nach den Verboten und Strafansätzen der Tabu-
latur.
In vollstem Strome aber und so, dass es lang und breit
noch bis auf uns fortflutet, ist die Pedanterei erst an der Grenz-
seheide des Mittelalters und der neueren Zeit hervorgebrochen,
damals, als plötzlich die ganze fremde Welt des classischen
Alterthums an die späten Nachkommen herantrat, als die neue
Wissenschaft der Philologie erstand und sie die erste und die
Grundlage aller andern Wissenschaften ward, als sich auf ihr
die Schule, die Litteratur, alles Leben der Gebildeten neu err
baute. Erst mit dem Humanismus ist als ein trüber Schatten,
den er warf, die rechte nachhaltige Pedanterei in die Welt ge-
kommen, und hat alsogleich auch sie die Schule, die Litteratur,
das Leben der Gebildeten überschattet.
Aber wie, soll das unterschiedlos von all den Völkern
426 . We deutsche Pedanterei.
gesagt sein, in deren Boden der Humanismus seine frühesten
Wurzeln geschlagen hat? Auch von denen, aus deren Mitte
Manutius und Sigonius und die Scaliger, Muretus und Casaubo-
nus und die Stephanus hervorgegangen? Auch von den Italiä-
nern^ unter denen gerade nun ein Maler wie Baphael, ein Dichter
wie Ariost, Geschichtschreiber wie Macchiavelli und Guicciardini
sich erheben sollten? Auch von den Franzosen, durch welche
die antike Baukunst nun zu einer glänzenden Wiedergeburt ge-
dieh? Nein, von ihnen nicht so: ihnen, die mit dem Alterthume
noch mannigfach und eng zusammenhingen durch Verwandtschaft
des Blutes^ durch Gemeinsamkeit des Bodens, durch eine nie
ganz unterbrochene üeberlieferung in Sprache und Litteratur und
Kunst, ibnen war dessen volle Erneuerung nichts so Fremdes
und Ueberwältigendes: damit ist ihnen auch nicht mit dem
Humanismus zugleich als ein Uebel, das sie alle beschlich und
wie noth wendig mit dazu gehörte, die Pedanterei gekommen,
nicht mit der Sonne zugleich der verfinsternde Trabant. Zwar
ist da? Wort pedante selbst zuerst von den Italiänem gebraucht
worden, aber, was bezeichnend genug ist, eben nur als Name
eines Schullehrers, nicht eines Pedanten. So hat denn auch bei
ihnen und den Franzosen niemals die eigene Sprache so als
Gegenstand einer unausgesetzten pedantischen Misshandlung die-
nen müssen, wie bei uns Deutschen.
Nicht Italien, nicht Frankreich^ es ist Deutschland, in wel-
chem damals das b5se Unkraut so geil aufgeschossen ist^ um
endlos fortzuwuchern. In seinen Anföngen noch, wo Namen wie
Rudolf Agricola und Erasmus ihn vertraten, war auch hier der
Humanismus voller Grösse und Freiheit; alsbald aber sank er
hinab in Beengung und alle Kleinlichkeiten, und wie sodann für
manches Menschenalter die Pedanterei eine liebevoll bewahrte
Mitgift des gesammten deutschen Geisteslebens und eine bestän-
dige Verderbniss desselben gewesen sei, das lehrt den Geschichts-
forscher jeder Blick, den er auf die Litteratur und die Kunst,
auf Schule und Kirche und Staat wirft.
Der Zank um die Abweichungen des evangelischen Bekennt-
nisses, der von vorne herein die Kirchenbesserung lähmte, die
Weitläuftigkeiten von Speier und Wetzlar und von Regensburg,
an denen Recht und Reich in Langerweile dahinstarben, sie waren
doch nur das Werk jener Pedanterei, welche die Form und die
Die dentsche Pedanterei. 427
Formel für das Wesen und die Grillen des Einzelnen je für die
Hauptsache hält, derselben Pedanterei, die auch während des
sechzehnten Jahrhunderts schon in das Studium der Classiker
jene Kritik des subjectiven Dafürhaltens und die Gewohnheit ge-
bracht hat, auch den grössten Autor nur als einen Anlass zum
Notenmachen zu behandeln. Und wie hat von eben diesem
Jahrhundert an die deutsche Litteratur selbst unter der Ueberlast
geseufzt, die mit solchen Eitelkeiten und Nichtigkeiten auch auf
sie gelegt war! Hat doch ein Dichtergeschlecht nach dem an-
dern gar nie mehr ehrlich und gerade heraus von Liebe und
Wein und Krieg, sondern, damit das Stückchen Gelehrsamkeit
auch- hier nicht fehle, nur noch von Cypria und Lyaeus und
Bellona u. s. w. singen dürfen, und nicht genug, dass. allgemach
die ganze Geschichtschreibung zu Grunde ging, weil um das
Gerügt von Namen und Zahlen, das eine pedantisch -kleinliche
Pragmatik aufgezimmert hatte, die pedantische Gelehrtthuerei
immer noch ein zweites Gerüst aus bequem zusammengelesenen
Beweisstellen glaubte aufzimmern zu müssen: nicht genug an
dieser Unart, selbst wo man seine eigenen Gedanken vortrug,
erschien es als Pflicht und Schmuck, dass jedem derselben durch
ein Citat erst die rechte Bekräftigung gegeben würde. Belachen
wir das nicht, als wäre es eine abgethane Lächerlichkeit: auch
Manchem wohl unter uns sind zahlreich angeführte Belegstellen
das hauptsächlichste Mittel, wodurch er den wissenschaftlichen
Werth einer eignen Arbeit zu sichern wähnt, und das Haupt-
merkmal, nach welchem er bei einer fremden Arbeit den wissen-^
schaftlichen Werth ermisst; der Graf von Platen hat sogar eins
seiner Dramen, die Liga von Cambray, mit geschichtsgelehrten
Anmerkungen begleitet, ungewiss, ob bei der Aufführung diesel-
ben vielleicht von einem Chore zu singen seien. Nun gar die
V deutsche Sprache! Kein Volk auf Erden hat schon so viel und
so durch einander an der seinigen gepfuscht als wir, von dem
halblateinischen Deutsch der Schulen und der Canzleien bereits
des sechzehnten Jahrhunderts an, durch den nicht minder sinn-
und geschmacklosen Purismus des siebzehnten und wieder des
achtzehnten und wieder des neunzehnten und durch allerlei
immer neue Kunststücke der Orthographie hindurch bis auf uns,
wo, um die Buntheit zu vx)llenden und doch wieder nur ein
Halbes zu thun, griechische Namen und Worte nicht mehr mit
428 l^i« (ieutache Pedanterei.
lateinischen, sondern mit griechischen Lauten, aber doch mit la-
teinischen Accenten aufgefasst werden, Aischyloa und Feisdndros
und Chaironeia^ wo zwar von Obrigkeits wegen festgesetzt ist,
wie Bayei-n und Württemberg zu schreib9n seien, nämlich Bayern
mit ay und Württemberg sehr schön mit einem doppelten f,
wo aber in Betreff des Hauptnamens selbst, des Wortes deutsch^
noch dieser und jener seine wichtig abweichende Meinung hat
und lieber tetäsch sagt. Schauen wir bis in das erste Jahrhun-
dert unserer neueren Zeit zurück und von da hinab bis^ in das
letzte Jahrzehend, hier lebhafter, dort schwächer, niemals aber
gänzlich ruhend, nichts als Kämpfe der Pedanterei gegen Ver-
nunft und Verstand und Kämpfe der Pedanterei gegen die Pe-
danterei. Pedanterei, wenn unsere Hölderlin und Köpflin und
Hausschein und Kürsner und Herbster sich Samlmrellus und
Capito und OecolampadiiLS und Pellicamis und Oporintis nann-
ten, nicht minder jedoch, wenn um ein Jahrhundert später Philipp
von Zesen Mars und Venm und Pallas und Diana in Heldreich
und Lustinm und Kluginne und Jagtinne u. s. f. verdeutschte;
Pedanterei, wenn Jemand, der sonst vielleicht kein VTort Englisch
noch Spanisch recht auszusprechen vermag, sich gleichwohl mit
Niiiyork und Mechico brüstet, nicht minder jedoch, wenn die
Allgemeine Zeitung Nancy gegen Nanzig und Leo, als ob er
noch im Mittelalter lebte, Mantua und Pavia g^en Mantau
und Pavei^ Verona gegen Dietrichsbern und Lyon gegen Wälsch-
Leiden vertauscht; Pedanterei die unter allen Völkeni allein uns
Deutsche mit den grossen Anfangsbuchstaben der Substantiva be-
helligt und die in dem wittenberger Bibeldrucke von 1545 gar
noch den Unterschied zwischen deutschen und lateinischen An-
fangsbuchstaben getroffen hat, dass mit jenen ein guter, mit
diesen ein böser Sinn bezeichnet, Gnade z. B. mit grossem
deutschem (?, Zorn mit grossem lateinischem Z gedruckt ward;
nicht minder jedoch Pedanterei, wenn jetzt, wo der orthographische
oder gar nur kalligraphische Gebrauch einmal seine 300 Jahre
besteht, er wiederum mit viel Aufhebens soll abgeschafft werden;
Pedanterei, wenn bis vor wenigen Jahrzehenden die Herausgeber
kirchlicher Gesangbücher jeden nur einigermassen alterthümlichen
Ausdruck meinten modernisiren zu müssen, nicht minder jedoch,
wenn nun Andere aus den Gesangbüchern Antiquitätensamm-
lungen machen möchten; Pedanterei genug in den Schulen vor
Die deutsche Pedanterei. 429
^, Basedow^ nicht minder jedoch, mir anders, nur kindischer ange-
than bei Basedow selbst und noch bei manchem, pädagogischen
Steckenpferdritter späterer und noch unserer Tage.
So die Deutschen; und falls in solchen Dingen noch ein
anderes Volk ihnen gleichkommen oder gar sie noch übertreffen
mag, dann nur ein Volk ihrer Nachbarschaft und nächsten Ver-
wandtschaft, die Holländer, Allerdings hat auch hier (und wer
wüsste davon nicht?) die Pedanterei alle Verhältnisse des Lebens
und alle Lebensthätigkeit tief durchdrungen. Nirgend hit je in
so reicher Blüte als bei den Holländern die philologische Noten-
gelehrsamkeit gestanden; aus holländischem Böden ist die pein-
liche Kunst der Genremalerei (jenen Gherard Dow konnte die
Vollendung eines Besenstieles drei Tage lang beschäftigen), aus
ihm die pedantische Verklärung des Genrebildes, das Stillleben,
erwachsen, das mit täuschender Treue der Nachahmung Haus-
geräth und Küchengeschirr vor Augen stellt; in Holland auch
ist die grosse Angelegenheit der Orthographie wiederhol endlich
theils durch Erlasse der Regierung, theils durch Gelehrtencon-
gresse geregelt worden.
Wie aber kommt es, dass die Pedanterei mit ihrem Halb-
wissen und Wissensdünkel, mit ihrer an masslichen Aufdringlich-
keit, mit ihren Einfällen, die oft nur wie schlechte Spässe aus-
sehen, mit all diesen Widerwärtigkeiten oder Lächerlichkeiten
ihre Heimath gerade unter den Holländern, den Deutschen hat,
denselben Deutschen, die man gewohnt ist um ihres Ernstes,
ihrer Gründlichkeit, ihrer Gewissenhaftigkeit willen zu rühmen
und manchem andern Volke deshalb vorzuziehen? Wohl, eben
diese Tugenden sind es, aus denen durch Misswachs solch eine
Untugend, wenn man das starke Wort gebrauchen darf, hervor-
geht und hervorgegangen ist, aus denen durch eine schiefe, halbe,
krankhafte Anwendung auf Dinge des geistigen Lebens die Pe-
danterei geworden ist und wird. Sie haben aber so misswachsen,
und es hat das ungesunde Wachsthum für so lange hinaus sich
fest verhärten können, weil zu der Zeit, da Deutschland das
Erbe der Wissenschaft und Kunst des Alterthums antrat, die
Zustände des Staats und der Gesellschaft eine freiere, grössere,
höhere Verwerthung unmöglich machten, weil es mehr als da-
mals irgend ein anderes Land, weil es seit dem vierzehnten Jahr-
hundert schon politisch und sittlich und litterarisch so tief
430 1^0 deutsche Pedanterei.
gesunken und in sich selbst zerbröckelt war, dass es in das ,.
sechzehnte und in manches dem noch folgende Menschenalter
nicht mehr Kraft genug mitbrachte, um ein Qanzes zu erfassen
und an dem Qrossen wieder gross zu werden, sondern nur noch
die Befähigimg, das Grosse kleinlich zu behandeln, und eine
Geistesarmuth, die bloss von den Aeusserlichkeiten der Form noch
berührt ward. Bentley, wäre er ein Deutscher oder ein Nieder-
länder gewesen, kaum ist zu zweifeln, dass seine Gelehrsamkeit
und sein Scharfsinn auf den tiefer liegenden Stufen wären stehen
geblieben, auf denen damit sein Gegner Peter Burmann weilte:
die freiere Luft, das grössere Leben Englands hat ihm selbst
auch die Grösse und Freiheit des Genius verliehen.
Dieser verwandtschaftliche Zusammenhang zwischen den
Tugenden der Gewissenhaftigkeit und des strengen ' Ernstes und
den Yerirrungen der Pedanterei giebt oft genug zu Missbrauch
und Missdeutung Anlass. Wie Mancher lehnt unter dem Vor-
wand, nur Pedantereien abzulehnen, bei einer theoretischen Wis-
senschaft die Begründung durch Geschichte von sich ab, die der
Gewissenhaftigkeit Bedürfniss wäre, und baut, unpedantisch aller-
dings, ob aber auch mit wohlthuendem Gefühl einer ganz erfüll-
ten Pflicht? seine Sätze schimmernd in die Luft hinaus! Wie
Mancher auch, dessen Geist für den Geist verschlossen ist, und
der nur Auge für die Dinge, nur Sinn für das Handgreifliche
hat und Nutzen nur von dem unmittelbar Nützlichen erwartet,
dem es deshalb unbegreiflich bleibt, wozu die Geschichte des
Alterthums und des Mittelalters treiben, da Griechenland und
Rom und die Heerstrassen der Kreuzfahrer ja ausserhalb unseres
Gewerbs- und Handelsverkehrs liegen, wozu eine Sprache auf ihre
Gesetze hin erforschen, da mit Geläufigkeit sie zu sprechen die
Hauptsache sei, wie Mancher, der in solcher Art selbst geistig
beschränkt ist, nennt es darum frischweg eine Pedanterei, wenn
dennoch jene Geschichts- und Sprachforschung Männern ein mit
Ernst, Jünglingen ein mit Eifer verfolgter Gegenstand ihrer
Studien ist! Noch ärger aber ist der Missbrauch, wenn man den
Scheltnamen der Pedanterei gradaus auf das sittliche Verhalten
selbst überträgt und, um die eigene oder fremde Sittenlosigkeit
zu rechtfertigen, von einer pedantischen Moral spricht. Es wäre
kein gutes Wort, wenn ein Beamter die Verletzungen seiner
Amtspflicht durch Unordnung oder gar durch Untreue, wenn ein
Die deutsche Pedanterei. 431
Arzt seine mit dem Leben der Kranken spielenden Versäumnisse
damit beschönigen wollte, dass er eben kein Pedant sei, und so
ist es auch kein gutes Wort gewesen, als die Beschwerde eines
Deputirten, wie häufig auf den französischen Eisenbahnen Un-
glücksfälle vorkämen und wie selten doch auf den deutschen, von
dem Minister Guizot damit abgefertigt ward, die Franzosen seien
eben nicht solche Pedanten wie die Deutschen. Es ist das
freilich wahr, und insbesondere pflegen auch ihre Sprach- und
Geschichtsgelehrten und Lehrer keine Pedanten zu sein, aber
wie oft nur deshalb, weil ihnen zugleich der gute sittliche
Grund der Pedanterei, der Ernst, die Gründlichkeit, die Gewissen-
haftigkeit, abgeht!
Und nun ein Wort zu euch, meine jungen Freunde! Habt
nicht auch ihr schon einen Lehrer, der es genau mit euch und
genau mit der Sache nahm, einen Pedanten geheissenP Habt
ihr nicht auch schon das cursorische Lesen zwar noch erträg-
lich, das statarische aber pedantisch gefunden? und eine Pedan-
terei, wenn ihr angehalten wurdet, von den Spracheig«nheiten
eines Schriftstellers euch ein Bild zusammenzutragen und in
Aufsätzen hübsch Acht zu haben auf Logik und Grammatik?
Und vielleicht habt auch ihr nur deshalb so geurtheilt, weil
ihr merket oder meint, dass all diese Einzelheiten selbst und
unmittelbar späterhin nicht mehr in eben solchen Betracht
kommen. Das heisst, ihr seid der Ansicht, weil im Ernst des
Kampfes nicht so genau auf Zollsbreite geschwenkt und von
Allen gleichmässig Tempo für Tempo das Gewehr kann geladen
werden, so sei das Exercieren den ßecruten unnütz und ledig-
lich eine Pedanterei. Allerdings, was ihr jetzo lernt, ihr lernt
es alles für eine spätere Freiheit: aber eben deswegen dürft
ihr nicht mit dem beginnen, was ihr jetzt schon Freiheit nennen
würdet. Auch das Volk Gottes ist durch das Gesetz für die
Freiheit erzogen worden.
Also sehet euch vor, dass ihr nicht den unnachgiebig
pflichtgetreuen Ernst, womit euch ein Lehrer in der Ausübung
seines Berufs entg^entritt, und nicht die Gewissenhaftigkeit
und Genauigkeit in Allem, die er hinwiederum von euch ver-
langt, vorurtheilsvoU und um eurer Bequemlichkeit willen nur
als Pedanterei verurtheileti Sehet aber, wenn euch euer Streben
ein ernstes ist, wenn ihr euch des Fleisses imd des Gewinnes
432 I^ie deutsche Pedanterei.
von eurem Fleisse freut, sehet euch selbst auch vor, dass ihr
nicht zu Pedanten werdet. Eii\ pedantisches Kind mag man
noch mit Lächeln betrachten: ein pedantischer Jungling aber
ist nur widerwärtig: er setzt schon Frucht an, da er noch blühen
sollte, und die Frucht ist verschrumpft und verkrüppelt schon
vor der Zeit ihrer Beife.
Erwerbet euch also mit all der sittlichen Freudigkeit,
deren die Jugend so beneidenswerth noch föhig ist, erwerbet
und sichert euch den Besitz jener Tugenden, der Zierde eures
deutschen Geblütes: zugleich aber, damit sie nicht auch euch
auswachseu in Pedanterei, haltet von eurem Geistesleben
fern die Engbrüstigkeit und die Kurzsichtigkeit; übt an den
Alten, die mit glänzenden Mustern täglich vor euch stehn,
euren Blick für das Hohe und Grosse, euren Athem für das
weit und frei Bewegte; ergänzt, was euch die Schule nicht
bieten kann, noch durch eigenen Fleiss und bereichert euer
Wissen und eure Empfilnglichkeit nach immer neuen Seiten hin!
Tretet an jegliche Wissenschaft ohne Eigendünkel, tretet an sie
nur mit der Begier des Forschens heran und stets mit Ehr-
furcht, wie vor ein Wunder, das nicht auszuforschen ist: dann
wird die Treue auch im Kleinen, die Gründlichkeit in jedem
Einzelnen euch der Weg zu dem Ganzen, dann wird auch die
unvollständige Kenntniss keine Halbwisserei und die Vielseitig-
keit des Wissens keine Vielwisserei sein. Seid Jünglinge jetzt
und suchet euch die Jugendlichkeit, das kindliche Gemüth mit
der Kraft des Mannes, auch hinüber in das spätere Alter noch
zu retten: dann seid ihr jetzt in den Jahren der Blüte bewahrt
vor der pedantischen «Altklugheit und einst in reiferen auch vor
den Kindereien der Pedanten.
Und wahrlich, euch davor zu hüten ist euch leichter ge-
macht als Tausenden eurer Altersgenossen, die unter anderen,
engeren Staatsformen erwachsen^ deren eigene freiere Ent-
wickelung vielleicht schon durch die Pedantereien eines überall
hin verzweigten Schreiberregimentes beeinträchtigt ist, ist euch
jetzt leichter, als es uns Aelteren gewesen, wie es uns schon
leichter gewesen ist als unseren Vätern. Denn bereits ein
Jahrhundert entlang von Geschlecht zu Geschlecht hat unsere
Lebensluft immer mehr jenen bösen Dunst ausgesondert. Wie
gereinigter ist die Alterthumswissenschaft seit Friedr. Aug. Wolf
Die deutsche Pedanterei. 433
und wiederum durch Jac. Grimm, die Geschichtschreibung seit
Joh. V. Müller und nun bei Kanke, die deutsche Litteratur über-
haupt seit Lessing und Herder und Goethe und Schiller! Darum,
wenn gleichwohl noch in der Dämmerung des halben Wissens
hie und da ein Irrlicht kleiner Pedantereien selbstgefällig tanzt,
so soll euch diese Neckerei nur vor den Gefahren eines verdor-
benen Bodens warnen, aber irre leiten darf sie euch füglich
nicht mehr.
Wacleernagel, Schriften. IIl. 28
Anhang.
Lebensskizze, Gharacteristik nnd Schriftenyerzeichniss
W. Wackemagels.
(Aus Höpfner und Zockers Zeitschrift für, deutsche Philologie, Bd. 2,
S, 330—342. Mit einigen Nachträgen,) '
Kabl Heinbich Wilhelm Wjlckkrsaqvl wurde geboren zu Berlin den
23. April 1806; sein Vater, zu Ende des vorigen Jahrhunderts aus Thüringen
nach Berlin gezogen , war Bnchdrucker in der Ungerschen Druckerei. Die
Aeltem starben früh und hintediessen den Kindern keine Glücksgüter, so
dass die Jugendzeit zumal dieses jüngsten Sohnes eine harte war. Es fehlte
ihm zwar nicht die aufopfernde Liebe zweier altern Schwestern und des
Gatten der einen, auch Nachhülfe durch seinen altern Bruder Philipp und
dessen Gattin, dann nahmen auch femer stehende Gönner sich der ver-
waisten Jünglinge thatig an: dennoch hat er seine Jugendzeit unter Ent-
behrungen hingebracht, wie sie auch unter den mittellosen selten sich
finden mögen. Der begabte Jüngling zeigte ein zwiefaches hervorragendes
Talent, für Zeichenkunst und Sprachenkunde; er versuchte eine Zeit lang
beides zu vereinigen, aber der treue Rath eines vorzüglichen Künstlers —
Schadows, wenn wir nicht irren — wies ihn an, sich nur einem ungetheilt
hinzugeben, und die Sprachforschung trug über die Kunst den Sieg davon,
so wenig ihn der Sinn für diese und ihre tiefeingehende Kenntniss durch
sein ganzes Leben verlassen haben.
Dem Studium der Sprache, und zwar dem seit kurzem erst aufgeblüh-
ten der deutschen 'Sprache, gab sich nun Wackemagel mit einem eisernen
Fleisse hin , der ihn schon in der Jugend das doppelte Ziel einer umfassen-
den Kenntniss des ganzen Sprachgebietes nach Zeit und Baum, und einer
eindringenden Vertrautheit mit den einzelnen Erscheinungen und ihren
Gründen erstreben, ja in derselben Jugend schon in einem seltenen Grade
erreichen liess. Die Studienjahre verbrachte er anf dem Gymnasium des
grauen Klosters, dann, von 1824 bis 1827, an der Universität zu Berlin,
iiiein hauptsächlichster Lehrer war Lachmann, dem er so bald ebenbürtig
an die Seite trat, dem er mit treuer Liebe anhieng, und dessen Grösse er.
•inhang. 435
bei mehrfachem Widerspruch gegen einzelnes, stets laat anerkannte, zumal
als nach dessen Tode sich Stimmen nngescheat erhoben, die sich gegen
den gefürchteten Lebenden nicht hervorgewagt hatten.
Von 1828 bis 1833 lebte Wackemagel, Anfangs in Breslau, dann
wieder in Berlin, als privatisierender Gelehrter, seine Sprachstudien in immer
grossartigerer Weise erweiternd und vertiefend. Schon die ersten Ver-
öffentlichungen des Jahres 1827, die Spiritalia theotisca und das Wesso-
brunner Gebet, erregten die Aufmerksamkeit der Sachkundigen in unge-
wohntem Grade, und stellten ihn unter die Autoritäten seines Faches, auch
die Geschichte des Deutschen Hexameters und Pentameters vom Jahre 1831
mit ihrer reichen und säubern Ausführung zeigte, wie sein Wissen, so seine
Kunst der Darstellung in hellem Lichte. Gleichwohl eröffaete sich ihm keine
Lehrthätigkeit, bis im Jahre 1833 Basel, das schon mehreren Grössen des
Auslandes — wir erinnern nur an De Wette — eine Stätte geboten, und
wo Freunde aus den Universitätsjahren ihn kannten und liebten, ihn an
seine Hochschule berief. Freudig trat er in den neuen Wirkungskreis, der
zwar keineswegs ein glänzender noch müheloser war. Die Mitglieder der
philosophischen Facultät waren zugleich Lehrer an dem Pädagogium (Gym-
nasium) von Basel, und so hatte Wackernagel neben seinen germanistischen
und ästhetischen Vorlesungen auch den deutschen Unterricht in drei Schul-
klassen zd ertheilen. Aber hier trat nun seine Liebe zur Jugend und seine
Begabung für Unterricht und Bildung derselben in der ansprechendsten
und wirksamsten Weise hervor. Ernst in seinen Forderungen an die Schüler
wie an sich selbst, streng gegen Unfleiss oder Ueberhebung oder gar Un-
sitte, war er von seinen Schülern zugleich geliebt und im guten Sinne ge-
fürchtet; die Schwachem aber Pflichttreuen leitete er freundlich, den Be-
gabten und Strebsamen war er ein liebevoller und begeisternder Führer.
Es war ihm nicht zu gering noch zu lästig, wöchentlich die Stilübungen der
Schüler genau zu prüfen und zu bessern; wo er Lust und Geschick zu eigner
Production fand, da trat er ermunternd, belehrend, begeisternd hinzu. So
hat sich eine kleine Dichterschule um ihn gebildet, und aus den Schülern
ist ein reicher Kreis dankbarer und liebender Freunde um ihn empor-
gewachBen. Seine lebensvollen, von Begeisterung getragenen akademischen
Vorträge aber, die gleich' Anfangs auch von altern CoUegen besucht wurden,
gaben dem gründlichen Studium reichen und gewählten Stoff, und zugleich
einer allgemeinen Bildung edle und wirksame Nahrung. Aus seiner akade-
mischen Stellung giengem dann vom Antritt seines Lehramtes bis in seine
letzten Jahre eine Reihe von Programmen hervor, die in immer reicherer
Gestaltung für Litteratur, Geschichte, Alterthümer und namentlich immer
mehr für Sprachforschung in Verbindung mit Culturgeschichte, Fundgruben
des Wissens eröffneten und eine unerschöpfte Fülle anziehender und be-
lehrender Anschauungen darboten.
Es lag in diesen Einzelarbeiten, für die er so zu sagen aus allen Kel-
chen der Natur und des Geistes den Stoff zu gewinnen wusste, ein besonderer
^eiz für ihn, der es oft die Freunde, bei allem belehrenden Genüsse, be-
dauern li^ss, dass er nicht zu grösseren Werken gelangte, die ihm vor-
schwebten und die er wie kaum ein anderer auszuführen geeignet gewesen
28*
436 Anhang.
wäre. Doch hat er ein Hauptwerk geachaiien, sein Deutsches Lesehuch,
dessen Altern Theil wie die Dichtung des spätem, er auch mehrfach üher-
arheitete. Die Vorzüge dieses Werkes bedürfen für keinen, der es auch
nur flüchtig kennt, einer Entwicklung: ebenbürtig tritt ihm die Geschichte
der Deutschen Litteratur zur Seite, die aber leider durch ungünstige Um-
stände niemals zur ToUen Oeffentlichkeit gelangt und nicht Tollendet her-
ausgekommen ist (doch ist Hoffnung, dass diese Vollendung aus dem Nach-
lasse hergestellt werde). Wir glauben mcht zu irren, wenn wir auf Grund
dieser Werke und aus vielfacher mündlicher Besprechung behaupten, dass
kaum ein anderer das Gebiet unserer Litteratur in solcher gründlicher und
eindringender Weise von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart beherrscht,
verstanden und geschätzt habe. Nicht minder zeugen dafür die kleinem .
biographischen Darstellungen aus seiner Feder: auch durch kritische Aus-
gaben — Schwabenspiegel, Walther von der Vogelweide, Hartmann v(m
Aue — hat er bedeutendes auf diesem Gebiete geleistet, und wieder in
anderer Richtung durch die „Alt französischen Lieder und Ldohe." Kaum
minder verdanken ihm die Germanischen Alterthümer, die er in grossem
Abhandlungen in verschiedenen Zeitschriften darstellte. Auch die Bedits-
und Kunstgeschichte, so wie die Aesthetik sind nicht ohne Bereicherung in
seinen Arbeiten geblieben. Die Masse endlich seiner kleinem Beiträge in
Haupts Zeitschrift und anderswo umschlingt wie ein reiches Rankenwerk
diese tiefen und emsten Leistungen. — Diesen Leistungen entsprach denn
auch der wachsende Ruf und die wohl ungetheilte Anerkennung des Mannes.
Auch die äusseren Ehren fehlten nicht: wir erinnern nur an seine Wahl
in die von Ednig Max von Baiem gestiftete historische Commission, and
wie er nach dem Tode von Jacob Grimm mit schmerzlicher Freude den
Preussischen Verdienstorden empfieng, den dieser getragen.
Aber im Gelehrten war bei Wackernagel der Mensch langst nicht auf-
gegangen. Nicht nur galt all sein Studium nicht todtbem Wissen, sondem
der Kräftigung des geistigen und sittlichen Lebens: sondem in alle Lebens-
gebiete trat er mit der vollen Kraft seines starken und reichen Gemütbes
ein. Vor allem war es das Deutsche Vaterland, dem seines Herzens tiefstes
Leben angehörte, dessen Stärke und Einigkeit das Ziel seiner Wünsche
war, wo er sie gefährdet und unterdrückt sah sein bitterstes Leid, wo er
sie siegreich sah und hoffte seine reichste Freude. Seinen hdohsten Wunsch,
die Einigung des gesammten Deutschlands in eine Weltmacht, hat er nicht
erlebt; aber die Hoffimng auf dieses Ziel, die er nach noch so schmerz-
lichen Erfahrangen immer neu sich erbaute, hat ihn bis zum Tode nicht
verlassen.
Und wiederum erfasste er seine neue Heimath mit aller Kraft und Hin-
gebung des treusten Bürgers. Nicht nur für Wissenschaft und Kunst, beide
in Basel von jeher wohl gepflegt, wirkte er unermüdlich, im Smat der
Universität, in den verschiedenen Schul-Aufsichtsbehörden , als thätiger
Theilnehmer an der „Historischen Gesellschaft," als hervorragendes Mitglied
des Vorstandes der Kunstsammlung, und ganz besonders durch ABiegung,^
Eröflhung, Anordnung, Erläutemng der „mittelalterlichen Sammlung," die
g^nz eigentlich sein Liebling und das Kind seiner Sorgen und Frenden war.
Anhang. 437
Nicht minder lehte er mit ganzer Seele als Bürger des im Umfange —
seit der Theilung von 1833 — katim über die Stadt Basel hinaus reichen-
den, geistig aber in der Eidgenossenschaft bedeutenden Freistaates, der ihn
in seine Mitte aufgenommen hatte. So yor Anfang seines AufenthalteB in
Basel, sodann noch in erhöhtem Masse, als ihm 1837 das Ehrenbürger-
recht geschenkt worden war. Zuerst mehr nur ia gemeinnützigen Be-
strebungen, der Förderung von Jugendbildung, geistiger und körperlicher,
y<^n Handwerksschukn , Lesesälen und ähnlichen Leistungen bethätigt, be-
wegte sich diese Bürgertreue immer mehr auch im politischen Leben, bis
er im Jahre 1856 auch in die gesetzgebende Behörde (den grossen Bath)
seines Kantons eintrat. Aber auch die Kämpfe eines treuen Bürgers sind
von ihm nicht ungekämpft geblieben. Zugleich mit dem Sinne für ge-
schichtliches Recht wie mit dem Streben nach Freiheit erfüllt, trat er öfter
nach rechts oder links dem Zuge des Tages in den Weg: wie er die Um-
gestaltung der Schweiz im Jahre 1847 mit Befriedigung begrüsst hatte
und dem neuen Bunde aufrichtig zugethan war, so galt ihm geistlose Gleich-
macherei und ordnungslose Massenherrschaft für verderblich. Auch das
lange Zeit fast ausschliesslich conservative Basel musste die Zeitelemente
an sich heran und in sich hereinkommen sehen. Wackernagels echter
Liberalismus erschien den Vordringenden nicht ausreichend, und schliesslich
gelang es seinen Gegnern, bei der periodischen Erneuerung der Behörde
seine NichtWiederwahl zu erwirken. Der Schmerz, mit dem diese Erfahrung
ihn erfüllte, zeigte aufs lebendigste, wie sein Basel ihm am Herzen lag
und wie für dessen Bestes zu wirken seines Herzens Wimsch und Streben
war. Aber nach der ersten Entmuthigung gab er die Liebe und die Sorge
für dieses Basel keineswegs auf, wirkte vielmehr in allen Kreisen, die ihm
offen standen, unermüdet fort und hatte denn auch im Jahre 1868 die
Freude, wieder in dieselbe oberste Behörde des Kantons einzutreten, in der
er zwar, von Krankheit hingehalten, nicht oft mehr persönlich wirken
konnte, deren Verhandlungen er aber bis zum Tage des Todes mit leben-
diger und eifriger Theilnahme verfolgte.
Auch das kirchliche Leben Basels ward durch Wackemagel gefördert.
Frei, wie es ein Mann von seiner umfassenden Gelehrsamkeit nicht anders
sein konnte, von aller exegetischen und dogmatischen Befangenheit, und
dem engen und kleinlichen auf dem religiösen Gebiete abgeneigt, hatte
er nicht minder das Bedürfniss nicht nur einer gläubigen Weltanschauung
gegenüber einem todten philosophischen Schematismus oder gar einer mate-
riellen Leugnung göttlicher Dinge, sondern auch einer regen Theilnahme
am Leben der Kirche. Wie er selbst nicht nur ein regelmässiger Besucher
der geistreichen Predigten mehrerer seiner Freunde, sondern auch ein
freudiger Theilnehmer des Gottesdienstes der Gemeinde war, so unterstützte
er mit Vorliebe kirchliche Bestrebungen; namentlich verdankt es das im
Jahre 1854 herausgegebene neue Baslerische Gesangbuch hauptsächlich der
fortgehenden und eindringenden Mitwirkung dieses litterarisch und ästhe-
tisch so durchgebildeten Mannes, dass es zu dem Besten gerechnet werden
muss, was die auf diesem Felde so reiche Thätigkeit der Neuzeit hervor-*
gebracht hat.
438 Anhang.
Ganz besonders endlich machte sich Wackernagel nm Basel verdient,
indem er die an ihn ergangenen ehrenvollen Rufe der grössten Dentschen
Universitäten, München, Berlin und Wien ablehnte, um dem stillen Wir-
kungskreise in seiner zweiten Heimath treu zu bleiben. Man konnte auch
das im Interesse der Wissenschaft bedauern, aber man musste diese An-
hänglichkeit hoch achl.Uj und auch Basel durfte sich sagen, dass ein
gleich heimathliches und befiriedigendes Leben ihm doch keine Besidenzstadt
zu bieten vermocht hätte, wie er es hier bei aller Bescheidenheit seiner
äussern Stellung genoss.
So war Wackernagel in den weitesten Kreisen seiner Heimath geachtet
und beliebt, voraus aber war er der belebende und hochgehaltene Mittel-
punkt eines reichen Freundeskreises, von altern Männern bis zu einem viel
jugendlicheren Geschlechte. Nicht dass er nur Freunde gehabt hätte: seiner
hohen Sinnesart war alles Unedle, waren unredliche Wege oder unberechtigte
Ansprüche zuwider, und in seiner energischen Weise — ohne die er nie
solche Thatkraft entwickelt hätte — konnte er dem, was ihm so erschien,
schroff, vielleicht hart entgegentreten, und damit schwache oder empfind-
liche Naturen verletzen. Aber mit Willen hat er sicher Niemandem Un-
recht gethan, und wo es ohne seinen Willen geschehen, da war er in dem-
selben hohen Sinne bereit zur offenen Zurücknahme und zur Versöhnung, ja
wir wissen dass er nach solcher ernst gestrebt, auch wo er sich keines Un-
rechts bewusst war. Und so waren es eben mit wenigen Ausnahmen die
Mitstrebenden und für des Lebens höhere Güter Begeisterten in der Nähe
und Feme, die sich der herzlichen Verbindung mit ihm freuten und rühm-
ten. Wem aber das Glück zu Theil wurde, der nähern und nächsten
Freundschaft dieses Mannes zu geniessen, dem war ein Reichthum von
Liebe und Treue erschlossen, wie er nur je eines Lebens helle Tage ver-
schönen und erheben, die Trüben erquicken und trösten konnte. Denn mit
diesem mit den höchsten Zielen beschäftigten Geiste vereinigte sich ein
Herz, das jeder zartesten Empfindung offen stand, und ein Sinn für das
Gemütliche und Innige, dem das Geringste nicht zu gering war und das
Kleinste nicht unbeachtet vorübergieng; ein Bedürfniss der Liebe, das die
Hingebung und Anhänglichkeit auch des weit unter ihm Stehenden als ein
werthvolles Gut in dankbar lebendigster Erwiderung entgegennahm.
Am reichsten bewährten sich diese Eigenschaften des Herzens, wie es
nicht anders sein konnte, im Kreise seiner Familie. Wackemagel verehe-
lichte sich im Jahre 1837 mit Louise Bluntschli von Zürich, der Schwester
J. 0. Bluntschlis, mit dem er wie mit den Basler Freunden auf der Uni-
versität zu Berlin in nahe Gemeinschaft getreten war. Begabt mit hoher
Anmuth, zarter Innigkeit und zugleich starker Seele, schuf diese Gattin das
Glück des bis dahin in seiner Einsamkeit oft düstem Mannes, trug mit
ihm die nicht seltenen Entbehrungen seiner damals noch sehr beschränk-
ten Lebensstellung, und erfüllte, auch von den ihrem Manne befreundeten
Familien in ihrem hohen Werth erkannt, das stille Haus mit dem edelsten
innerlichen Lebensgenüsse. Sie hatte ihm vier Söhne und eine Tochter ge-
boren — von denen die Tochter im zwölften Jahre, der jüngste Sohn in
früher Jugend wieder gestorben — als im Herbst 1848 ein rascher Tod den
Anhang. 439
erst heranwachsenden Kindern und dem zärtlichen Gatten sie entrigs. Sein
Schmerz war nach der Gewalt seiner Empfindungen masslos, sein Geistes-
leben wie gebrochen, auch seine leibliche Gesundheit tief bedroht. Da
sorgten die Freunde, dass eine Erholung fern von der Stätte seines Leides
ihn wieder herstellen möchte; er trat im Frühjahr 1849 eine grössere Beise
nach Südfrankreich, Spanien und Italien an, von der er dann, vielfach in
seinem Wissen bereichert und körperlich und geistig gestärkt, im Herbst
des Jahres zurückkehrte. Und derselbe Winter brachte ihm auch noch die
volle Heilung seines Gemüthes, da eine edle Freundin der verstorbenen Gat-
tin, Maria Sarasin von Basel, ihm die Hand bot, um des Vereinsamten
neue Lebensgefährtin und die Mutter seiner verwaisten Kinder zu werden.
Es wäre der noch Lebenden gegenüber unzart, die Eigenschaften des
Geistes und Herzens zu schildern, durch welche diese zweite Gattin das neue
Lebensglück ihres Mannes erbaute: jedoch die Hingabe ihres Herzens kv^
das ganze Wesen und alles Thun des geliebten Gatten, die Mutterliebe
und Muttertreue für seine Kinder , das volle Mittragen mehrfachen Leides,
das Tod, Krankheiten und schwere Erfahrungen über das Haus brachten,
die unermüdete Pflege und Sorge für den je mehr und mehr von Krank-
heit heimgesuchten Mann — das darf, wie es dieses Lebensglück immer
tiefer befestigte, wohl auch heute schon genannt werden. Solche Liebe und
Treue wurde aber auch reichlich belohnt durch die Zärtlichkeit des Gatten,
der nicht nur sein ganzes Herz mit allen Freuden und Sorgen mit der
Gattin theilte, sondern auch bis an sein Ende ihr Leben mit aller Anmuth
zarter Aufmerksamkeit und dem Eeichthnm innigster Liebe umgab. Auch
dieser zweiten Ehe entsprossten eine Tochter und drei Söhne, und es war
ein herzerfreuender Anblick, diese Schar vom grössten zum kleinsten —
nur der älteste Sohn weilte fem von der Heimath — um den zärtlichen,
für das Gedeihen und die Erfreuung eines jeden bewegten Vaters versam-
melt zu sehen. Zugleich hatte diese Ehe Wackernageln auch in eine
durch Geistes- und Gemüthsreichthum ausgezeichnete Familie geführt, deren
Glieder ihm theilweise schon früher nahe standen, und deren heller Mit-
telpunkt er auch bald wurde, die Schwester und die Brüder seiner Gattin
mit ihren Familien jedes in seiner Weise erfreuend und in seinen Bestre-
bungen unterstützend , und der Schwiegermutter, einer Frau von seltener
Frische und Fülle des Verstandes und Herzens, ein aufs innigste liebender
und geliebter Sohn. Wer ihn namentlich auf dem stillen Landsitze dieser
Mutter in den grünen Wiesen- und Waldhöhen des Witwald, wo sie jedes
Jahr eine der Familien ihrer Kinder um sich sammelte, gesehen, Bäume
pflanzend, Wege bauend, Lauben rüstend, in Ernst und Scherz das Haus
belebend, dem musste das Bild eines beglückten und beglückenden Men-
. sehen unvergesslich bleiben.
Noch eines darf eine Schilderung Wackemagels nicht übergehen, seine
dichterische Thätigkeit. Seinem tiefen Gemüthe war diese Gabe der Dich-
tung, die den Fluss der Erscheinungen und Empfindungen in lebendigen
Gestalten festhält, in reichem Masse verliehen. Schon 1828 gab er ein
Büchlein „Gedichte eines fahrenden Schülers" heraus, in welchem, neben
kunstreichen und ergreifenden Nachbildungen altdeutscher Stoffe und Formen
440 Anhang.
und jugendlichem Scherz um die Tageslitteratur, sich schon die Klänge der
zartesten, meist dunkel gefärbten, Seelenstimmnngen erheben. In diesem
Sinne gab er sich immer reicher und tiefer in einer Reihe lyrischer Ge-
dichte knnd, die zumeist in den mit Hagenbach und Fröhlich yon ihm
herausgegebenen „Alpenrosen" der dreissiger Jahre und mehrem „Weih-
nachtsgaben" erschienen: die schönsten und bedeutendsten, vermehrt durch
den „Liebesfrühling" des zum Lebensglück Erwachten, sammelte er in den
„Neuen Gedichten" von 1842, denen 1843 die „Zeitgedichte" (mit Bei-
trägen von B. Reber) folgten, diese besonders für sein deutsches Herz ein
machtvolles Zeugniss. 1845 folgte noch das „Weinbüchlein ,^ ein Kranz
heller, munterer Lieder alter und neuer Zeit. Dann gab er keine Gedichte
mehr heraus , aber der Quell der Dichtung sprudelte in ihm fort und fort
bis ans Ende, wo irgend eine Erregung des Herzens ihn weckte. Kein
öffentliches Fest, keine Feier im Kreise der Seinen ist wohl vorüber gegangen,
der er nicht einen längern oder kürzern Gruss seiner Dichtung geschenkt
hätte. Solche Gelegenheitsdichtung kann zweifelhaften Werthes erscheinen,
er selbst hat wohl scherzend seines „Stadtpfeiferamtes ** gedacht, aber wir
fürchten keine Widerlegung, wenn wir sagen: es ist von allen diesen Ge-
dichten keines ohne den Geist und das Leben der Poesie, und es ist in allen
keine Zeile die prosaisch zu nennen wäre. Die Art und Weise von Wacker-
nagels Dichtung stand der von Rückert am nächsten, in der vorherrschenden
Lyrik, in der ungehemmten, durch Reichthum der Sprachkunde und Dichter-
kenntniss getragenen Beherrschung der Rede, nicht in der gesuchten und
fremdartigen Künstlichkeit mancher Rückertischen Gedichte, aber in der
Erschlossenheit des Geistes für alle Poesie der Welt, in ihrer klaren und
reinen Wiedergabe, und in dem tiefgeistigen Hintergrunde, welche die ein-
fachsten und besten Gaben aus dem unerschöpften Füllhorn jenes Dichter-
fürsten wecken und zieren. Die Dichtematur spiegelte sich auch in den pro-
saischen Werken Wackemagels, in seinem blühenden Stil, in den wirk-
samen Wiederholungen, Ellipsen, Inversionen (technisch zu reden) seiner
Sätze, die zuweilen an das Künstliche streifen, aber nie unerfreulich werden,
und in der Fülle der Anschauungen und deren empfindungsreicher Dar-
stellung, wie sie z. B. seine Vorträge über Pompeji und Sevilla, die Früchte
seiner Reise, den erfreuten Hörern und Lesern boten.
Wilhelm Wackernagel war eine hohe Gestalt, ein Bild eines blonden
Deutschen wie in den alten Heldenzeiten. Seinem starken Geist entsprach
sein kraftvoller, durch die Entbehrungen der Jugend noch gestählter Leib.
Aber die Ueberlast der Arbeit und die Gewalt seiner gemüthlichen Bewegungen,
bei einer dauernden Ueberreizung der Nerven, die ihm namentlich oft allen
Schlaf raubte, untergruben die Kraft dieses Leibes. So suchten ihn seit
den fünfziger Jahren mehrfache Krankheiten heim, Hautleiden, rheumatische
Uebel, Magenschwäche. Am wirksamsten war ein Winteraufenhalt in Nizza,
der ihn aus einer tödtlichen Schwäche wieder zu neuer Lebensfülle zurück-
rief. Aber neue Geschäftslast nahm auch die Kräfte wieder neu und schwerer
in Anspruch, er niusste viel des Arztes gebrauchen, Badecuren, in Baden im
Aargau, durchmachen, vielfach sich dein Kranksein anbequemen. Der
Sommeraufenthalt in den grünen Thälern und Höhen von Baselland erquickte
Anhang. 441
ihn stets, aher nur vorübergehend; er inusste seine Lehrstunden am Päda-
gogium aufgeben und sich auf die Universität beschränken. Am schwersten
fasste ihn eine böse Krankheit im Winter 1867 auf 68, tief herabgebracht
suchte er wieder an Badens heissen Quellen Genesung. Aber so gross war
die Kraft und Elasticität dieses vom Geiste getragenen Körpers, dass er
immer wieder aus dem Siechthum erstand, ja dass er mitten in der Krank-
heit zu arbeiten begehrte und vermochte. So schrieb er im letzten Früh-
jahr in der Krankenstube sein letztes Buch „Johann Fischart von Strass-
burg und Basels Antheil an ihm," ein Buch so voll des reichsten und
lebendigsten Studiums , so voll freudiger Schaifenslust, wie nur je ein Ge-
sunder sie zu haben und zu leisten sich wünschen möchte. Er schien auch
glücklich hergestellt, genoss des Sommers auf dem Lande, nahm an der
Sitzung der historischen Commission im Herbste theil, und kam froh und
frisch angeregt von der Münchner Keise zurück. Auch die Lehrerthätigkeit
übernahm er mit neukräftiger Lust. „Ich gedenke, schrieb er noch am
26. October, diesen Winter etwas frisch aufzunehmen, das ich seit Jahren
und Jahrzehenden habe liegen lassen, nämlich (neben dem germanistischen)
wiederum ein litterarisches Kränzchen, in welchem Neueres und auch Frem-
des gelesen und besprochen und von den jungen Leuten auch eigenes Dichten
versucht wird. Es ist jetzt gerade ein Flug von solchen vorhanden, die
ebenso gut zu solchen Zusammenkünften passen wie einst die ** und **
und ** und wie die übrigen hiessen. Mich freut meine Freude darauf,
weil sie mir beweist, dass ich noch einige Jugend in mir trage.**
So hoifte, wer ihn liebte, mehr als je auf die abermalige Erhebung
aus den Anfechtungen, die, weil sie immer wieder gekommen, fast den
Wunsch zur sichern Erwartung werden Hess. Da kam im November ein
neues ünwolsein, nicht heftig, doch bedeutend genug, um ihm das Bittere
aufzulegen, dass er dem Sterbebette und dem Leichenbegleite der theuren,
unerwartet erkrankten Schwiegermutter ferne bleiben musste. Auch jetzt
schien er zu genesen und dachte eben Bette und Haus zu verlassen, als
die böse vorjährige Krankheit ihn am 11. December neu und schwerer als
zuvor angriiF, und, von aller Sorge der Aerzte und Pflege der Seinen unauf-
gehalten, in harten Leiden ihn dem Tode entgegenführte, bis er zuletzt
doch noch sanft, am Morgen des 21. unter den Thränen und Gebeten der
Seinigen entschlummerte. Die Leiche war wunderbar schön, jede Spur des
Kampfes vor dem Ausdruck der Verklärung entwichen. Seine Freunde,
Pfarrer Stockmeyer und Professor Hagenbach, hielten, jener die Leichen-
predigt in der Elisabethkirche, dieser die Rede am Grabe. Des Nachts be-
wegte sich ein Trauerfackelzug der Studierenden nochmals zum Grabe;
einer aus ihnen, dessen dichterische Leistungen der liebende Lehrer gefördert
hatte, gab dem Dank der Jugend Worte, und ein jüngerer College und Ver-
wandter des Dahingeschiedenen antwortete mit dem Gelübde, dem Vorbild
seiner Treue zu folgen. Dann gieng die Kunde hinaus in die Lande, und
es werden wenige Stätten geistigen Lebens sein in deutschen Landen, wo
sie nicht Verehrung und Liebe, Klage und Dank hervorgerufen hätte.
Wackernagel schrieb einst unter sein Bild ein Gedicht, und der Redner
an seinem Grabe hat es aufgenommen:
442 Anhang.
^Eiu Tropfe fällt: es klingt das Meer imr leise;
Die Steile wird umringt von Kreis* an Kreise.
Und weiter, immer mehr. Nun ruht es wieder.
Wo kam der Tropfe her? Wo fiel er nieder?
Es war ein Lehen nur und nur ein Sterhen,
Und kam, auch eine Spur sich zu erwerben."
Ja wohl, eine reiche, gesegnete, unvergängliche Spur!
Zürich. S. VOEGELIN.
Chrouologisches Verzeichniss der Schriften
W. Wackemagels.
1827. 1. Kiurenbergii et Alrammi Gerstensis carmina. Berol. 8 s.
2. Zwölf mhd. lyr. Gedichte. Berol. 14 s.
3. Spiritalia theotisca. Sermonum sex ecciesiast. et orationis do-
luin. rhythmis ezpositae firagmenta. Vratisl. 22 s.
4. Das wessobrunner Gebet und die wessobr. Glossen. Berlin. 95 s.
5. Nur in so fern, als er dem Humor der Zwecklosen gewidmet
ist, nicht zweckloser Abdruck zweyer Küchenrecepte des XIY.
Jahrhunderts aus der Würzburger Pergamenthandschrift Fol. 162,
A. b. Ein guot lecker Köstelin. So mache zvom iüngesten ein
klein, lecker Köstelin u. s. w. Berlin. Neujahr 1827. 1 Bl. 4*. Nur
auf einer Seite bedruckt.
6. Zwey Bruchstücke eines unbekannten mittelhochdeutschen Ge-
dichtes. Herrn H. Hoffmann von Fallersleben. Erstes Blatt.
A. a. Bi eime stein geuelle. den risen slafende vant. u. s. w.
4 bll. 4°. Auf der letzten Seite unter 7 Textzeilen ein Kupfer-
stich, zwei mit einander kämpfende Hirsche, deren einer durch
einen jungen Mann mit dem Schwerte getödtet wird. Darunter
die Unterschrift: Hie tötet waltram zwen hirze. 1827.
1828. 7. Ahtzehen wahtel in den sac! Friedrichsstadt. Jan. 1828. (ed.
princ. aus der Wiener Hs. CXIX). 8 S.
8. Anmerkungen zum Wahtelmsere; in Denkmäler deutscher
Sprache und Lit. von H. F. Massraann 1. München 1828.
(S. 105—112).
9. Lieder eines fahrenden Schülers. Berlin. 125 S.
1829. 10. Aufsätze in Hoffmanns Monatsschr. von und für Schlesien.
Breslau. (Zur schles. Kirchengesch. — Zeichenunterr. in Schles.
— , Ueber Gotfr. v. Strassburg. — Zwei mittellat. Fabeln von
Fuchs Reineke. — Zur Kunstgesch. von Breslau. — Gegen
Kannegiessers Uebers. einer Stelle in Dantes göttl. Comöd. —
Uebers. dreier Ged. d. CatalL — Aug. Hagens Nürnberg. No-
vellen).
11. Theaterrecensionen und kleinere Gedichte; in d. Bresl. Zeitung,
Febr. 1829 bis April 1830.
Anhang. 443
12. Gedichte, in: Zweckloses Leben und Treiben, hsg. v. d. zweck-
losen Gesellscb. in Breslau. 2 Jahrg.
13. Gedichte, in: Weinbüchlein zum Besten der wasserbeschädigten
Schlesier, hrsg. v. d. zweckl. Gesellsch.
1830. 14. Haecce ad vetustissimnm abbatis comardoram ebroicensium et
rotomagensium comn Friderico Lewald bonisque quae domnm
et vitam eins ornant muHeribus cecinit Gnilelmus Wackemagel
cognominatns Arrodian de Cologne cum licentia chymioa Nea-
poli snb scnto mariae anreae inter picta et sculpta tjpis qnam
nitidis snmptibus quam lüinimis YIU. Cal. Jan. 1830. Kl. 8^
Ohne Pagin. Enthält 13 deutsche Gedichte^ wovon 4 im Wein-
b^chlein wieder gedruckt.
15. Gedichte, in: Poesien der dichtenden Mitglieder des Bresl.
Künstlervereins (Geisheim, Grtinig, Hoffmann v. Fallersleben,
K. Schall, W. Wackemagel, K. Witte).
16. Ueber Conjugation und Wortbildung durch Ablaut im Deutschen,
Griech. ,und Lat.; in Seebodes Archiv f. Phil. u. Paed. 1,
17—50.
17. Die mhd. negat. Partikel ne, — Glossar für das XII — XIV. Jh.,
von Hoffmann u. W.; in Hoffmanns Fundgruben f. Gesch. deut-
scher Sprache u. Lit. 1, 269—306. 347—400.
1831. 18. Gedichte, in: Berliner Musenalmanach.
19. Geschichte des deutschen Heiameters und Pentameters A>is auf
Klopstock. Berl. 68 S.
20. Üeber Conjugation u. Wortbildung durch Ablaut im Deutschen,
Griech. u. Latein, in: 1. Supplementband zu Seebodes u. Jahns
N. Jahrb. f. Philologie u. Paedag. (Lpzg. 1831. 8^) S. 17—50.
1832. 21. Gedichte, in: Deutscher Musenalmanach. Lpz. 1832. 33. 34. 35. 37.
22. Gedichte, in: Schweizerische Alpenrosen. Aarau 1832. 33.
23. Anzeige v. Simrock, der arme Heinrich, ein erzählendes Ge-
dicht des Hartmann v. Aue, metrisch übersetzt. Nebst der Sage
von Amicus u. Amelius u. verwandten Gedichten des Ueber-
setzers. 1830. 8^ in: Allgem. Litteraturzeitung vom J. 1832
(Halle) Bd. I. Jan.— April. No. 74 u. 75. S. 588—600.
1833. 24. Die Verdienste der Schweizer um die deutsche Litt. Akadem.
Antrittsrede, 17. Mai. Basel. 41 S. ^
25. Gedichte Walthers v. d. Vogelweide, übers, v. Simrock und
erl. V. Simrock u. W. l;-2. Berlin.
1834. 26. Gedichte, in: Weihnachtsgabe zum Besten der Wasserbeschädig-
ten in der Schweiz. Basel.
1835. 27. Zur Erklärung u. Beurtheilung v. Bürgers Lenore. Progr. d.
Paedag. 20 S. 4^*. Wiederholt, mit Nachträgen von W. u. Hoff-
mann, in Haupt u. Hoffmann, Altdeutsche Blätter. Leipz. 1836.
1, 174—204.
28. Deutsches Lesebuch. I. Altdeutsches Lesebuch. Basel. 872 Sp.
1836. 29.* Deutsches Leseb. IL Poesie seit 1500. Basel. 1614 Sp.
30. Aufsätze in Haupt u. Hoffmann, Altdeutsche Blätter I. (Bruchst.
444 Anhang.
eines unbek. Ged. ans <1. Dietrichssage. — Geistl. Lehrged. ans
d. XII. Jh. -— Glossen aus dem XII. Jh.)
31. Die altdeutschen Hss. d. Basler Universitätshibl. Progr. Ba^^eU
64 S. 4. Nachtrag in Altdeutsche Bl. 2, 124.
1837. 32. Schweiserisches Museum für hist. Wissenschaften, hsg. v. Ger-
lach, Hottinger u. W. Frauenfeld.
a) Die germanischen Personennamen. 1, 96-r-119.
b) Die epische Poesie. 1, 341—372; 2, 76—102. 243—274.
1838. 33. Gedichte, in: Schweizerische Alpenrosen, hsg. von Fröhlich,
Hagenhach u. W. Aarau 1837. 38. 39.
34. Herr Nithart, in: Minnepinger v. F. H. v. d. Hagen. 4; 436—442.
35. lieber die dramatische Poesie. Progr. Basel. 51 S. 4.
1839. 36. Vorbeticht zu: Beiträge zur vaterl. Gesch. hsg. v. d. hist. Ge-
sellsch. zu Basel. Bd. I. S. 5—16.
37. Gedichte, in: Weihnachtsgabe zum Besten der Wasserbeschädig-
tem in der Schweiz, hsg. v. Fröhlich, Hagenbach u. W. Basel.
1840. 38. Beiträge zu Haupt n. Hoffmann, Altd. Bl. U.
(Lyr. Gedd. des 12. — 14. Jh. — Sprüche u. Sprichwörter, deutsch
u. lat.) .
3n. Das Landrecht des Schwabenspiegels. Zürich. 342 S.
40. Vorrede zu: Beitr. z. Basler Bnchdruckergesch. v. Stockmeyer
u. Reber. Basel,
il. Gedichte, in: Gedichte zur Feier des Johannistages 1840. Basel.
42. Festreden bei d. 4. Saecularfeier d. Erfindung d. Buchdrucker-
kunst in Basel, 24. Juni 1840. Nebst einer Besehreibung des
Festes. Basel. 4.
43. Gedichte, in: Weihnachtsgabe f. Brandbeschädigte im Kanton
Zürich, hsg. y. Schuster u. S. Yögelin. Zürich.
1841. 44. Deutsches Lesebuch. III, 1. Prosa von 1500—1740. Basel.
1076 Sp.
45. H. Fr. DroUinger. Akad. Festrede. Basel.
1842. 46. Die Gottesfreunde in Basel, in: Beitr. z. vaterl. Gesch. Basel.
2, lll-*163.
47. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. deutsch. Alterth. II.
(Der Salden tor. — In den Wald wünschen. — Zwölf Schwerter
und neun Herzen. — Theilen, theilen und wählen, theilen und
kiesen. — Verlöbniss und Trauung. — F, H, Th. — Drei Lügen-
märchen.)
48. Neuere Gedichte aus den J. 1832—41. Zürich. 368 S.
49. Gedichte, in: Weihnachtsgabe für Hamburg, hsg. v. Fröhlich,
Hagenbach u. W. BaseL
1843. 50. Zeitgedichte, mit Beiträgen von Balth. Reber. Basel. 192 S.
51. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. III.
(Sechzig Räthsel u. Fragen. — Sagen u. Märchen aus d. Aar-
gau. — Die Vogelhochzeit. — Niederl. Lied von d. Brennen-
berger. — Altdeutscher Cento. — Segensformeln. —' Biblische
Glossen zu Engelberg u. Rheinau. — Proverbia Salomonis.)
Anhang. 445
52. Deutsches Lesehnch HI, 2. — Prosa v. 1740— 1B42. Basel.
1526 Sp.
53. Das Siechenhaas zn S. Jacoh. 21 Neujahrshl. f. Basels Jngend.
^ Basel. 25 S. 4.
1844. 54. Bedaction nnd Vorrede von: Die Schlacht hei S. Jakob in den
Berichten d. Zeitgenossen. Säcalarschrift d. hist. Gesellsch. zu
Basel. Basel. 4.
55. Das vierte Säcularfest d. Schlacht bei S. Jakob an der Birs.
• Im Auftr. d. Comites beschr. v. W. Basel. 78 S. 4.
56. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. IV.
(Die s. gallische Bhetorlk. — Geographie d. Mittelalters. —
Die 12 Meister zu Paris. — Beschreibung d. Gestalt Christi. —
Bruder Berthold u. Albertus Magnus. — Eirchl. u. unkirchl.
Segnungen. — Zu Hartmann v. Aue.)
57. Gedichte, in: Elsässische Neujahrsblätter hsg. v. Stoeber u. Otte.
Basel. 1344. 45. 46.
1845. 58. WeinbücUein. Leipz. 112 S.
59; Walther von Klingen. Progr. Basel. 31 S. 4.
60. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. V.
(Altdeutsches Kochbuch. — Provenzalische Diätetik. — Gedichte
des Archipoeta Waltherus. — Die Schlettstädter Glossen. —
Deutsch-lat. Hexameter. — Volkslied d. 15. Jh.)
1846. 61. Familienrecht und Familienleben der Germanen, in: Schreibers
Taschenb. für Gesch. u. Alterth. in Süddeutschl. Freiburg.
5, 259—316.
62. Altfranzösische Lieder n. Leiche. Basel. 258 S.
63. Ueber das Schachzabelbach Konrads von Ammenhausen; in::
Kurz u. Weissenbach, Beitr. z. Gesch. u. Litt., vorzüglich aus d.
Archiven u. Bihl. d. Kantons Aargau. 1. Aarau. S. 28-— 77.
158—222. S14— 373.
64. Aufsätze in den Beiträgen d. hist. Ges. zu Basel IIL
(Bischof Udalnch v. Basel. — Schrntan v. Winkelried. — Das
Bosenbad u. d, Rosengarten von S. Jacob. — Bück dich, Jäck-
linl du mnst in Ofen.)
1847. 65. Deutsches Lesebuch. N. A. I. Poesie u. Prosa bis z. 15. Jh.
mit einem Wörterbuche. loSs u. 632 Sp. 11. Poesie seit 1500.
1786 Sp.
66. Vocabularius optimns. Zur Begrüssung d. Philologen u. s. w.
Basel. 58 S. 4.
67. Mitherausgabe der Fest- u. Abendmahlslieder für Basels evaug.
Gemeinden. Basel.
68. Die altdeutschen Dichter des Elsasses: Otfried von Weissenburg.
Heinrich der Gleissner, in: Elsassische Neujahrsblätter 1847,
210—237. 1848, 190—216.
i84S. 69. Altdeutsche Predigten und Gebete ausHss. Mit Abhandlungen.
Ein Beitrag zur Kirchen- und Litteraturgesch. Deutschlands.
Basel. (Nur theilweise gedruckt und noch nicht ausgegeben.)
446 Anhang.
70. Bei träge zu. Haupts Ztschr. f. d. A. VI.
(Die Anthropogonie der GermaDen. ^ Das Glücksrad und die
Kugel des Glücks. — Hellegräve. — - Der Welt Lohn. — Die
deutsche Heldensage im Lande der Zähringer und in Basel. —
Niederland. Beimsprüche. — Schretel und Wasserbär. — Das
Todtenreich in Britannien. — Die Spottnamen der Völker. —
Mete, Bier, wIn, l!t, lütertrank. — Das Lebenslicht. — Der
Wolf in der Schule. — Erde der Leib Christi. — Gold im Munde.
— Windsbraut u. Windgelie. — Ein Weib und drei Liebhaber. —
Vor Liebe fressen. — Hans, Kleid, Leib. — Ital. Liebeszauber
und Krankheitssegen. — Born u. der Pfenning. — Liber sen-
tentiolarum.)
71. Geschichte der deutschen Litteratur. Basel. Heft 1. 1848,
2. 1850, 3. 1855. 496 S. bis zum Beginne des 17. Jahrh.
reichend.
1849. 72. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. VIL
(Tung. — Wergeid Christi u. Psalmenzaubcr. ~ Predigten.)
73. Pompeji. Oeffentl. Vortrag. Basel. 57 s. — Zweite, durch-
gesehene Ausgabe. 1870.
1850. 74. Meinauer Naturlehre. Bibl. d. lit. Ver. in Stuttg. No. 22.
Stuttg. 19 S.
75. Mitherausgabe des evangel. Gesangb. für Basel. Probedruck.
76. Umrisse der Basreliefs am Museum zu Basel ausgeführt durch
J. J. Oechslin, Bildhauer iu Schaffhausen, auf Stein gezeichnet
von J. Neithardt. Mit erläuterndem Texte von Prof. W. Wacker-
nagel. SchafiFhausen 4^. (1850) 6 Seiten Text.
1851. 77. Beiträge zu Haupts Zeitschr. f. d. A. VUE.
(Der starke Boppe. — Vier Sprüche von Hans Folz.)
1852. 78. Das Bischofs- und Dienstmannenrecht von Basel in deutscher
Aufzeichnung des 13. Jahrh. Progr. Basel. 43 s. 4.
1853. 79. lieber neuere Bearbeitungen der deutschen Litteratnrgeschichte;
in Geizers protest. Monatsblätt. Gotha. 2, 55 — 63.
80. Gewerbe, Handel und Schiffahrt der Germanen. Oeffentl. Vor-
trag. Erweitert abgedr. in Haupts Ztschr. 9, 530 — 578.
81. Beiträge zu Haupts Ztschr. f. d. A. IX.
(Der Todtentanz. — Kochbuch v. Maister Hannsen, des von
Würtenberg Koch.)
82. Vorrede zu: Buch der Sinnsprüche u. s. w. von W. Kl Leipzig.
1854. 83. Mitherausgabe von: Die Universität von Basel, was ihr gebricht
und was sie sein soll. Polit. Tagesschrift. Basel.
84. Sevilla. Oeffentl. Vorträge. Basel. 149 S. ■— Nene unveränd.
Ausg. 1870.
85. Von der deutschen Pedanterei. Schulrede. In Geizers prot.
Monatsbl. 3, 295—309.
86. Mitherausgabe des Evangel. Gesangb. f. Baselstadt u. Basel-
land. Basel.
Anhang. 447
1855. 87. Der arme Heinrich Herrn Hartmanns von Aue u. zwei jüngere
Prosalegenden verwandten Inhalts. Basel. 101 S.
88. Die deutsche Glasmalerei. Ge»chichtl. Entwurf mit Belegen.
Lpzg. 180 S.
89. Leasings Nathan der Weise. Bectoratirede. In Geizers prot.
Monatsbl. 6, 232—256.
90. Vorwort zu Emil Wellers Liedern des dreissigjähr. Krieges.
Basel.
1856. 91.- Das Erdbeben von 1856 in den Nachrichten der Zeit und der
Folgezeit bis auf Christ. Wurstisen, — Der Todtentanz (Erwei-
terung d. Abh. V. J. 1853); in: Basel im 14. Jahrh. Gesehichtl.
Darstellungen zur 5. Säcularfeier des Erdbebens am S. Lucas-
tage 1356, herausg. von d. bist. Gesellseh. zu Basel. S. 213
bis 250. 877—425.
1857. 92. Die goldene Altartafel von Basel. Abbildung, Erklärung u.
Zeitbestimmung. Progr. Basel. 34 S. 4. (Auch in den Mit-
theilungen d. Basler antiq. Ges.)
93. Ueber die mittelalterliche Sammlung zu Basel nebst einigen
Schriftstücken aus derselben. Progr. Basel. 17 S. 4.
1858. 94. Vorrede zu: Geistl. Lieder eines Elsäss. Zimmermannes, herausg.
V. Pfarrer E. Staehelin. Basel.
95. Konrad v. Würzburg aus Würzburg oder aus Basel? in Pfeiifers
Germania. Wien. 3, 257—266.
96. Bitter- und Dichterleben Basels im Mittelalter. 36. Neujahrs-
blatt für Basels Jugend. Basel. 32 S. 4.
97. Lieder für die Knaben in den Sonntagssälen zu Basel, herausg.
u. mit Beiträgen von W. Basel. — N. verm. Aufl. 1868.
98. Otto von Passau, in Herzogs Bealencycl. f. prot. Theol. u. Kirche.
Erlangen. 9, 741—743.
1859. 99. Katalog der mittelalterl. Sammlung zu BaseL 1859. 1862. 1866.
100. Altdeutsches Lesebuch (des deutschen Leseb. Th. I). N. A.
Basel. 1348 sp.
101. Die deutschen Appellativnamen. In Pfeiffers Germania 4,
129—160; 5, 290—356.
1860. "102. "Eitea itrepoevTa. Ein Beitrag zur vergleich. Mythologie. Jubel-
schrift zur 4. Säcularfeier d. Univ. Basel 6. Sept. 1860. Basel.
50 S. 4.
103. Gedichte auf das Universitätsjubiläum, mitgeth. in d. Beschrei-
bung der 4. Jubelfeier d. Stiftung d. Univ. Basel am 5. — 7.
Sept. 1860, von J. W. Hess. Basel.
1861. 104. Wörterbuch zum altdeutschen Lesebuch, oder Altdeutsches Hand-
wörterbuch. Neue sehr verm. Ausg. Basel. 402 S.
105. Die Umdeutschung fremder Wörter. Progr. Basel. 53 S. 4. —
Zweite verb. Aufl. Basel 1863. 62 S. 4.
1862. 106. Die Lebensalter. Ein Beitrag z. vergleich. Sitten- und Rechts-
geschichte. Basel. 74 S.
448 Anhalt^.
107. Walther von der Vogelweide nebst Ülricli von Singenberg und
Lentold von Seven. Hag. von Max Rieger n. W. W. Giessen.
XLVm 290 S.
108. Nachtrag z. Geschichte des grossen Erdbebens v. 1356 im Basler
Taschenbuch f. 1862. S. 235—247.
1863. 109. Gedächtnissrede auf Ludw. ühland, vorgetragen bei der Uhlands-
feier zu Basel, 13. Jan. 1863. In Geizers protest. Monatsbl.
1863. 20 S.
1864. 110. Xunstschätze der mitteialterl. Sammlung zu Basel, herausg. von
W. W. u. Jac. Hoeflinger. Photogr. 3 Lieferungen.
1865. 111. Leben und Wirken Walthers v. d. Yogelweide. In Herzogs Real-
encycL f. prot. Theol. u. Kirche; Suppl. Band. 16 S. — Sebastian
Brant. Ebendas. 19, 259—262.
112. Das Hündchen von Bretzwil u. von Bretten. Ein Versuch in
der Mythenforschung. — Im Neuen schweizerischen Museum.
Basel 5, 339—850.
1866. 113. Sechs Bruchstücke einer Nibelungenhaudachrift aus d. mittei-
alterl. Sammlung zu Basel herausg. Progr. Basel. 48 S. 4.
114. Vorwort zu: ßud. Hotz, Lesebuch für Elementar- u. Volks-
schulen. Basel.
115. Basel und die eidgenössische Universität. In den Beilagen d.
Augsb. allg. Zeitung. 1866.
1867. 116. Voces variae finimantium. Progr. Basel. 54 S. 4.
1868. 117. Beiträge zur Zeitschr. f. deutsche Philologie v. Höpfner u. Zacher.
Halle. (Zur Alexandersage I. Zum Jul. Valerius. — Die alt-
sächs. Bibeldichtung und das Wessobrunner Gebet.)
118. Sprache u. Sprachdenkmale der Burgunden, in: Binding, Gesch.
des burgundisch-romanischen Königreichs. Leipzig. S. 329—404.
1869. 119. Voces variae animantium. Ein Beitrag zur Naturkunde u. zur
Geschichte der Sprache. Zweite verm, u. verb. Aufl. Basel.
179 S.
1870. 120. Job. Fischart von Strassburg u. Basels Antheil an ihm. Basel.
214 S.
1871. 121. Gothische und altsächsische Lesestücke nebst Wörterbuch. Basel.
192 Sp. •
1872. 122. Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache. Aca-
demische Festrede gehalten am 8. Nov. 1866 . bei der Jahres-
feier der Universität Basel. Basel. 58 S. 8^.
123. Kleinere Schriften. Bd. L Abhandlungen zur deutschen Alter-
thumskunde und Kunstgeschichte. Leipzig. 434 S. 8°. (von
M. Heyne hrsg.)
124. Gedichte. Basel 1873. 391 S. (von S. Vögelin besorgt). Auswahl.
125. Geschichte der deutschen Litteratur bis zum 80jährigen Kriege.
(Titelausgabe v. E. Martin, mit Inhaltsverz. u. Register). Basel.
540 S. gr. 8°.
1873. 126. Deutsches Lesebuch. Th. I. Altdeutsches Lesebuch. 5. Aufl.
Bas, 1528 Sp. (von M. Rieger besorgt).
Anhang. 449
127. Poetik, Khetorik u. Stilistik. Academ. Vorlesungen, Herausg.
von L. Sieber. Halle. 452 S. Gr. 8«.
128. Kleinere Schriften. Bd. II. Abhandlungen zur deutschen Litte-
raturgeschichte. (Herausg. von M. Heyne.) Leipzig. 504 S. 8°.
1874. 129. Kleinere Schrifte'n. Bd. HI.
1875. 130. Altdeutsche Predigten und Gebete aus Handschriften. Mit"
Abhandlungen. Ein Beitrag zur Kirchen- und Litteraturgesch.
Deutschlands. Herausgegeben von W, W. und fortgesetzt von
Max Rieger u. Karl Weinhold. Basel. (Unter der Presse.)
Verzeichniss der Vorlesungen W. Wackemagels*).
1. 1833. Deutsche Grammatik (6). — 2* 1833. Deutsche Metrik (7).
— 3. 1833. Vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen (2). —
4. 1833. Tacitus Germania (6). — 5« 1834. Deutsche Syntax und Stilistik
(2). — 6. 1834. Gedichte Walthers von der Vogelweide (13). — 7. 1884.
Erklärung des altdeutschen Lesebuchs (13). — 8« 1835. Vergleichende
Grammatik des Deutschen, Griechischen und Lateinischen (13). — 9. 1835.
Handschriftenkunde (1). — 10. 1836. Poetik und Rhetorik (1). — 11. 1837.
Geschichte der deutschen Sprache und Litteratur (7). — 12« 1837. Poetik,
Rhetorik und Stilistik (13). — 13. 1838. Nibelungenlied nach Lachmanns
Ausgabe (8). — 14. 1838. Germanische Alterthümer (12). — 15.1839. Ein-
hardi vita caroli Magni (1). — 16. 1841. Uebungen im Stil und im freien
Vortrage (6). — 17. 1845. Erklärung und Beurtheilung ausgewählter Dra-
men (1). — 18. 1847. Geschichte des deutschen Predigtwesens im Mittel-
alter (2). — 19. 1848. Geschichte des deutschen Dramas mit Lesung und
Erklärung ausgewählter Beispiele (10). — 20. 1851. Geschichte der deut-
schen Litteratur seit der Reformation (9). — 21. 1854. Geschichte der
deutschen Litteratur bis zum Schlüsse des Mittelalters (1). — 22. 1855.
Erklärung des Armen Heinrich von Hartmann von Aue (7). — 23. 1856.
Stilistik (3). — 24. 1856. Geschichte der deutschen Verskunst mit Er-
klärung ausgewählter Stücke (1). — 25. 1857. Poetik (2). — 26. 1857.
Germanistisches Kränzchen (22). — 27. 1864. Erklärung des alt- und
angelsächsischen Lesebuches von Rieger (2). — 28. 1867. Reinke de Vos
nach Lübbens Ausgabe (1).
Basel. J. G. WACKERNAGEL.
L. SIEBER.
♦) Die voran geschickten Jahrzahlen geben an, in welchem Jahre die
betreffende Vorlesung zuerst, die dahinter eingeklammerten Ziffern, wie
oft sie gehalten worden ist.
INHALT.
Seite
1. üeber den Ursprung und die Entwickelung der Sprache ... 1
2. Die deutschen Appellativnamen '. 59
3. EnEA nTEPOENTA 178
4. Die Umdeutschung fremder Wörter 252
5. Sprache und Sprachdenkmäler der Burgunden 334
6. üeber die Pedanterei 417
Anhang :
Lebensskizze und Schriftenverzeichnis Wackernagels ..... 434
Leipzig. Druck von Orimme k Trömel.
75760569