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Full text of "Kompendium der theoretischen Physik"

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KOMPENDIUM 


DER 


THEORETISCHEIt  PHYSIK. 

um 

VoH 

De.  WOLDEMAB  tOIGT, 

O.  Ö.  PROFESSOR  DER  PHYSIK  AN  DER  UNIVERSITÄT  GÖTTINQEN. 


IN  ZWEI  BÄNDEN. 


EBSTEB  BAND. 

MECHANIK  STARRER  UND  NICHTSTARRER  KÖRPER. 

WÄRMELEHRE. 


LEIPZIG, 

VERLAG   VON   VEIT  &  COMP. 

1895. 


Druck  Ton  Mettgor  &  Wittig  in  Leipzig. 


I 


Vorwort. 


1 
<» 


Je  weiter  die  theoretische  Physik  sich  entwickelt,   und  je  ge< 
waltiger   die  Werke   anschwellen ,  welche   einzelne   Teile    derselben 
i  erschöpfend  zu  behandeln  bestrebt  sind,   um  so  gebieterischer  stellt 

sich  das  Bedürfnis  nach  einer  kurzen  zusammenfassenden  Darstellung 
der  gewonnenen  Besultate  heraus,  welche  dem  Lernenden  nach  Bewäl- 
tigung einiger  Spezialgebiete  einen  Überblick  über  die  gesamte  Dis- 
ziplin zu  erwerben  gestattet  Eine  solche  Darstellung,  die,  wenn  sie 
die  Kürze  nicht  auf  Kosten  der  Strenge  und  Vollständigkeit  erzielt, 
auch  dem  reifen  Forscher  willkommen  sein  dürfte,  fehlte  bisher 
in  der  deutschen  Litteratur;  das  vorliegende  Werk  sucht  diese  Lücke, 
-  die  ich  in  meiner  Lehrthätigkeit  häufig  empfunden  habe,  auszu- 
^  fallen. 

^'>  Was  dem  Lernenden  die  Gewinnung  eines  umfassenden  Stand- 

^  punktes  auf  Grund  der  vorliegenden  Handbücher  erschwert,  sind  nach 

meiner  Ansicht  nur  zum  geringeren  Teile  die  Schwierigkeiten  der  all- 
gemeinen  Theorieen,  zum  größeren  die  umständlichen  mathematischen 
Entwickelungen,  welche  zur  Durchführung  spezieller  Probleme  nötig 
sind  und  häufig  die  allgemeinen  physikalischen  Überlegungen  auf  lange 
\  Zeit  fremdartig  unterbrechen,  ohne  immer  zu  Eesultaten  von  wirk- 

lich physikalischem  Interesse  zu  führen. 
^  Da  nun   das  Verständnis   der   Grundlehren,  der  theoretischen 

^  Physik  bis  zu  einem  gewissen  Grade  von  der  Fähigkeit,   spezielle 

Probleme  analytisch  zu  bewältigen,  unabhängig  ist,  so  habe  ich  ge- 
^  meint,   die  zur  Ermöglichung  eines  Überblicks  erforderliche  Kürze 

der  Darstellung  in  erster  Linie  dadurch  erzielen  zu  müssen,  daß 
ich  auf  alle  Anwendungen  der  Theorie  von  speziellem  und  beson- 
ders von. spezifisch  mathematischem  Charakter  verzichtete.    Die 

(c\0  0\ 


I 
0> 


H 


IV  Vorwort. 

Möglichkeit  ihrer  Lösung  und  der  Weg  zu  ihrer  Durchführung  ist 
zwar  häufig  angedeutet;  ausfiihrliche  Behandlung  hahen  aber  nur 
Probleme  von  allgemeiner  physikalischer  Bedeutung  gefunden. 

Bezüglich  der  hierbei  inne  zu  haltenden  Grenze  war  ein  Schein 
von  Willkür  mitunter  nicht  ganz  zu  vermeiden. 

Daß  spezielle  Probleme,  welche  selbst  wieder  zu  einer  aus- 
gedehnten Theorie  Veranlassung  geben  und  daneben  höchste  prak- 
tische Bedeutung  besitzen,  wie  die  Falle  der  Platten  und  der  Stabe 
in  der  Elasticitätslehre,  behandelt  sind,  wird  allerdings  nicht  be- 
anstandet werden.  Dagegen  wird^man  vielleicht  die  Entwickelung  der- 
jenigen allgemeinen  Integrationsmethoden,  welche  Analoga  zu  den 
GEEEN'schen  Funktionen  yerwenden,  als  dem  oben  gegebenen  Pro- 
gramme entgegen  ansehen,  während  ich  sie  um  der  Aufklärung  willen, 
die  sie  über  den  Anteil  der  einzelnen  Volumen-  imd  Oberflächen- 
elemente an  dem  Zustandekommen  einer  Erscheinung  liefern,  für 
physikalisch  interessant  halte.  Ebenso  könnte  man  etwa  die  in  der 
Hydrodynamik  und  Optik,  der  ElaÄticitäts-  und  Elektricitätslehre 
besprochenen  Eeflexionserecheinungen  beim  Vorhandensein  ebener 
Grenzflächen  als  aus  dem  Bahmen  des  Buches  fallend  betrachten, 
während  ich  sie  zur  Verdeutlichung  der  Vorgänge,  welche  in  den 
allgemeineren  Fällen  an  jedem  Oberflächenelement  stattfinden,  auf- 
genommen habe.  Und  so  darf  ich  auch  versichern,  daß  in  anderen 
vielleicht  strittigen  Fällen  Air  die  Entscheidung  jederzeit  älinliche 
allgemeine  Erwägimgen  maßgebend  gewesen  sind. 

Der  Verzicht  auf  die  Behandlung  spezieller  FäUe  hat  manche 
Vorteile  zur  Folge  gehabt  Nicht  nur  rücken  zusammengehörige 
theoretische  Entwickelungen  dichter  zusammen,  treten  die  allgemeinen 
Gesetze  und  die  Beziehungen  verschiedener  Gebiete  zu  einander 
schärfer  hervor,  es  wird  auch  eine  sonst  vielfach  merkliche  Ungleich- 
förmigkeit  beseitigt,  welche  daraus  fließt,  daß  Gebiete,  die  sich  ana- 
lytisch einfach  darstellen,  unabhängig  von  dem  wirklichen  physika- 
lischen Interesse  durch  die  Breite  der  Behandlung  und  die  Zahl  der 
durchgefahrfcen  Einzelprobteme  ein  Übergewicht  über  diejenigen  er- 
halten, welche  der  Analysis  größere  Schwierigkeiten  bieten.  Diese 
Vorteile  dürften  in  dem  vorliegenden  ersten  Bande  besonders  in 
dem  dritten,  die  Wärmelehre  umfassenden  Teile  hervortreten,  der 
unter  Einwirkung  des  gesteckten  Zieles  umfassender  Darstellung 
eine  gegenüber  der  sonst  gegebenen  sehr  abweichende  Gestalt  er- 
halten hat.  Beispielsweise  stellt  sich  in  demselben  die  meist  als 
selbständiges  Kapitel  breit  behandelte  Wärmeleitung  als  ein  spezieller 
Fall  der  allgemeinen,  nicht  umkehrbaren  Zustandsänderungen  dar, 


Vorwort.  V 

und  die  thermisch-chemischen  Umsetzungen  schließen  sich  den  ther- 
misch-mechamschen  eng  an. 

Auch  die  Mechanik  hat  unter  dem  Einflüsse  der  allgemeinen 
Tendenz  des  Buches  eine  absonderliche  Grestalt  gewonnen.  Jene 
spezieU^i  Gebiete,  welche  wegen  der  Einfachheit  der  physikalischen 
Grundlagen  bereits  fast  zu  einer  Domäne  der  Mathematik  geworden 
sind,  insbesondere  die  Mechanik  starrer  Körper  und  idealer  Flüssig- 
keiten, sind  ftberaus  kurz  behandelt;  dagegen  nehmen  einen  be- 
träditüchen  Eaum  die  mechanischen  Theorieen  anderer  Ge- 
biete der  Physik  ein,  die  ich  in  diesen  Teil,  gewissermaßen  als 
spezielle  Probleme  der  allgemeinen'^  Mechanik,  aufgenommen  habe, 
um  in  jenen  Gebieten  die  Grundgesetze  später  frei  von  speziellen 
Vorstellungen  allein  aus  den  Resultaten  der  Beobachtung  entwickeln 
zu  können.  Beanspruchen  auch  manche  dieser  Theorieen,  wie  z.  B. 
die  hydrodynamischen  der  Wärme-  und  Elektricitätsbewegung,  nichts 
anderes  zu  sein,  als  mechanische  Analogieen  zu  den  behandelten 
Vorgangen,  so  sind  sie  doch  zur  Veranschaulichung  derselben  so  nütz- 
lich, daß  sie  nicht  fehlen  durften. 

Die  Theorieen  exakter  Beobachtungsmethoden  sind  nach  der 
Gesamtdisposition,  als  zu  speziell,  im  allgemeinen  bei  Seite  gelassen; 
indessen  ist  doch  häufig  Gelegenheit  genommen,  auf  Beobachtungs- 
meihoden  und  ihre  Resultate,  soweit  sie  prinzipielle  Bedeutung 
besitzen,  hinzuweisen. 

In  der  Einleitung  habe  ich  die  Frage  der  physikalischen  Ein- 
heiten und  Dimensionen  etwas  ausführlicher  behandelt,  als  gewöhn- 
Uch  geschieht,  weil  ich  gefunden  habe,  daß  die  allgemeinen  Grund- 
lagen für  das  numerische  Rechnen  in  der  Physik  keineswegs  überall 
so  klar  erfaßt  werden,  als  wünschenswert  ist. 

Obgleich  das  Hauptziel  meiner  Arbeit  nur  die  zusammenfassende 
Darstellung  bereits  bekannter  Resultate  war,  so  hat  doch  die  eigen- 
artige Gestaltung  des  Buches  nicht  selten  die  Einfügung  eigner 
neuer  Untersuchungen  nötig  gemacht,^  bestimmt,  bald  spezielle  Re- 
sultate zu  verallgemeinem,  bald  nähere  Verbindungen  zwischen  Ver- 
schiedenartigem herzustellen.  Der  Kundige  wird  diese  Stücke  leicht 
erkennen.  — 

Während  des  Druckes  dieses  Bandes  sind  die  ,,Elemente  der  theore- 
tischen Physik",  von  Herrn  C.  Christiansen  (Leipzig  1894)  erschienen, 
die  in  mancher  Hinsicht  dasselbe  erstreben,  wie  das  vorliegende  Buch. 
Indessen  erreicht  der  Verfasser  das  Ziel  einer  kurzen  Übersicht  fast 
auf  dem  entgegengesetzten  Wege,  wie  ich,  nämlich  wesentlich  durch 
Beschränkung  der  Anzahl  der  behandelten  Gebiete,  während  er  eine 


VI  Voriport 

große  Menge  spezieller  Probleme  durchfuhrt  Charakteristisch  ist^ 
daß  bei  ihm  die  Eigenschaften  der  Erystalle  nur  in  der  Optik  erwähnt 
werden,  während  sie  in  meiner  Darstellung,  ihrer  großen  prinzipiellen 
Bedeutung  entsprechend,  in  allen  Gebieten  ausfiihrlichst  behandelt 
sind,  so  daß  die  isotropen  Körper  oft  nur  die  Stellung  spezieller  Fälle 
einnehmen. 

Was  die  äußere  Form  des  Buches  anlangt,  so  bin  ich  Herrn 
Dr.  PooKELS  für  vielfältige  Hilfe  bei  der  Schlußredaktion,  sowie  flir 
die  Aufstellung  der  Litteratumachweise  zu  großem  Danke  verpflichtet. 
Letztere,  die  an  das  Ende  der  einzelnen  Teile  gestellt  sind,  sollen 
Aufschluß  darüber  geben,  wo  sich  neue  Begriffe  und  allgemeine  Sätze 
zum  ersten  Male  finden;  sie  beziehen  sich  aber  nur  in  seltenen  Fällen 
auf  die  Form  der  Entwickelung,  die  ftir  die  speziellen  Zwecke  des 
Buches  oft  stark  verändert  und  nach  Möglichkeit  vereinfacht  ist.  Von 
Handbüchern  ist  nur  eine  Auswahl  der  neueren  angeführt 

Korrekturen  haben  die  Herren  Prof.  Riecke,  Dr.  Pockels  und 
Dr.  Brodmann  gelesen,  und  ich  darf  hoffen,  daß  bei  so  vielfacher 
Prüfung  der  Satz  von  wesentlichen  Fehlem  frei  sein  wird. 

Zu  besonderem  Dank  bin  ich  dem  Herrn  Verleger  dafür  ver- 
pflichtet, daß  er  nicht  die  neue  Satzweise  für  die  Formeln  gewählt 
hat,  welche  auch  den  kompliziertesten  Ausdruck  in  eine  Zeile  zu 
zwätigen  sucht.  Selbst  wenn  durch  jene  der  Preis  eines  Buches  um 
eine  Kleinigkeit  herabgedrückt  wird,  halte  ich  diese  Neuerung  für 
sehr  wenig  glücklich;  wo  man  sonst  den  Aufbau  einer  Gleichung 
mit  einem  Blick  übersah,  muß  man  jetzt  zuvor  ein  System  von 
Klammem  entwirren,  was  einen  unnötigen  Aufwand  an  Zeit  und 
Aufmerksamkeit  erfordert  Ich  glaube,  es  ist  nützlich,  diese  Ansicht 
einmal  nachdrücklich  auszusprechen. 

Göttingen,  im  September  1894. 

W.  Tolgt. 


Inhalt. 

Seite 
Einleitang*. 

Physikalische  Gr^setze  und  Konstanten,  Einheiten  und  Dimensionen.    .    .        1 

Erster  Teil.    Meehanik  starrer  KSrper. 

I.  Kapitel.    Bewegung  eines  materiellen  Punktes. 

§    1.   Geschwindigkeit  und  Beschleunigung 9 

§   2.  Kxsft  und  Masse U 

i$    3.  Die  Bewegungsgleichungen 19 

§    4.  Lebendige  Kraft,  Arbeit,  Potential,  Energie 21 

§    5.   Beispiele  konservativer  Und  nichtkonservativer  Kräfte 28 

II.  Kapitel.  Bewegung  eines  Systemes  von  materiellen  Punkten. 

§    6.   Die  Schwerpunkts-  imd  Flächensätze;  die  Gleichungen  der  lebendigen 

Kraft  imd  der  Energie 86 

§    7.   Wechselwirkungen,  die  nur  Funktionen  der  Entfernung  sind.    Die 

Gesetze  von  Newton  und  Coulomb 43 

§    8.   Konservative  Wechselwirkungen  allgemeiner  Art  Das  W.  W£B£K*scke 

Grundgesetz 48 

§    9.   Der  Satz  vom  Virial;  kinetische  Theorie  der  Gase  und  Lösungen  .      53 

§  10.  Weitere  Ausbildung  der  kinetischen  Theorie ;  die  mittlere  Weglänge 
der  Moleküle.  Innere  Reibung,  adiabatische  Erwärmung,  Effusion, 
Diffusion 62 

g  11.  Weitere  Ausbildung  der  kinetischen  Theorie;  das  Gesetz  der  Ver- 
teilung der  Geschwindigkeiten 75 

§  12.  Die  Gleichungen  von  Hamilton  und  Lagranoe.    Cyklische  Systeme      78 

UI.  Kapitel.    Bewegung  starrer  Körper, 

§  13.  Starre  Körper;    unendlich   kleine   Verrfickungen,   lebendige  Kraft, 

Trägheitsmoment,  Arbeit  äußerer  Kräfte 93 

§  14.  Bewegungsgleichungen  und  Gleichgewichtsbedingungen 102 

§  15.  Konservative  Wechselwirktmgen  zwischen  starren  Körpern.    .    .     .  113 

§  16.  Molekulare  Theorie  der  Elastioität 119 

§  17.  Die   Einflihriing  der  Symmetrieelemente  in   physikalische   Gesetze, 

welche  sich  auf  Krystalle  beziehen 128 

§  18.  Cyklische   Systeme,   welche   starre   Körper   enthalten,     Maxwell^s 

Theorie  der  Elektrodynamik 145 


vm  Inhalt. 

TV,  Kapitel.    Die  PotentialfunktioneiL 

Seite 

§  19.  Die  NEWTOK'sche  Potentialfunktion  von  stetigen  Massenverteilungen    155 
$$  20.  Die  NEWTON'sche  Potentialfunktion  von  neutralen  Polsystemen.  Mole- 
kulare Theorie   der  diälektrischen  [und    magnetischen  Influenz, 

der  Pjro-  und  Pi3zoelektricität 162 

§  21.  Die  NEWTON'sche  Potentialfdnktion  von  Doppelflftchen    ...    .     .     .     172 

§  22.  Der  GiiEEN'sche  Satz  und  die  GasEK'schen  Funktionen 179 

§  23.  Die  Zerlegung  von  Vektorkomponenten  in  potentielle  und  rotato- 
rische   Glieder;   ihre   Anwendung  auf  die   Momente   neutraler 

Körper 188 

§  24.  Die  NEWT0N*8che  Potentialfunktion  mit  zwei  Unabhängigen    .     .     .     195 
§  25.  Weitere  aus  der  NEwroN'schen  abgeleitete  Potentialfunktionen    .    .    201 

Litteratur  zum  I.  Teil 208 

Zweiter  TelL    Meeliaiiik'iiiiAtstarrer  ESrper* 

I.  KapiteL    Die  Grundgleichungen  für  das  Gleichgewicht 
und  die  Bewegung  nichtstarrer  Körper. 

§    1.  Unendlich  kleine  stetige  Verrückungen  in  einem  nichtstarren  Körper  211 

§    2.  Die  inneren  Krfifte  eines  nichtstarren  Körpers 219 

§    3.  Die  HAMiLTOM^sche   Gleichung  für   nichtstarre^ Körper.    Einfuhrung 

eines  rotierenden  Koordinatensjstemes 227 

II.  Kapitel.    Hydrostatik. 

§    4.  Die  allgemeinen  Gleichgewichtsbedingungen;  der  Druck  im  Innern 

einer  ruhenden  Flüssigkeit 233 

§    5.  Zurückführung   der  Grenzdrucke   auf  Oberflächenspannungen;   der 

erste  Hauptsatz  der  Kapillaritätstheorie 239 

§  6.  Über  die  Gestalt  einer  unter  gegebenen  Ejräften  im  Gleichgewicht 
befindlichen  Flüssigkeit.  Der  zweite  Hauptsatz  der  Kapillari- 
tätstheorie   244 

§    7.  Besultierende  Komponenten  und  Momente  de  hydrostatischen  Druckes 

gegen  starre  Körper.    Kapillare  Ejräfte 253 

§    8.  Das  Gleichgewicht  der  Elektricität  in  einem  Leitersystem  ....    260 

III.  KapiteL    Dynamik  idealer  Flüssigkeiten. 

§    9.   Die  £uLER*schen  Gleichungen 264 

§10.  Potentialbewegungen^  begrenzt "^durch  feste  und  bewegte  Wände.    .    272 
§  11.   Allgemeinste  Flüssigkeitsbewegungen  ohne  freie  Grenzen    ....    282 
§  12.   Grundgleichungen  für  die  Bewegung  imponderabler  Fluida  innerhalb 
ponderabler  Körper.    Strömung  von  Wärme  oder  ';Elektricität  in 

einem  Leitersystem  und  verwandte  Erscheinungen 289 

§  13.  Die  Bewegung  imponderabler  Fluida  innerhalb  ponderabler  Körper; 

allgemeine  Sätze  über  den  stationären  Zustand 299 

§  14.  Die  Bewegung  imponderabler  Fluida  innerhalb  ponderabler  Körper; 

allgemeine^Sätze  über  den  veränderlichen  Zustand.    Diffiision  .    308 
§  15.  Bewegungen  tropfbarer  Flüssigkeiten  mit  freier  Oberfläche.  Wellen- 
bewegungen     818 

§  16.  Andere  Formen  der  hydrodynamischen  Grundgleichungen  ....     827 


MmlL  rr 

IV.  Kapitel.    Elasticität  und  Akustik. 

iselte 

17.  Das  Gresetz  der  elaatiflchen  Krflfte 830 

16.  Eindeutigkeit  des  elastischen  Problems       i840 

§  19.  Elastiscbe  Flüssigkeiten.    Ebene  und  Ku^wellen  im  unendlichen 

Baume.  Refleadon  und  Brechung  an  einer  ebenen  Grenze  .  .  845 
§  20.  Elasüsche  Flüssigkeiten   mit  beliebiger  Begrenzung  bei  beliebiger  - 

Erregung.    Besonanzerscheinungen 866 

§  21.  Isotrope  elastiscbe  Körper.    Gleichgewicht  und  Bewegpii^  in  einem 

unendlichen  Medium 879 

§  92,  Gleichgewicht  isotroper  Medien   bei  beliebiger  BegreMrang.     Der 

BBrn'selie  Satz 391 

§  23.  Eia  durch  Einwirkungen  auf  seine  Grundfillchen  gleielifönnig  ge- 
spannter Cylinder  ans  beliebiger  homogener  Sabstanz  ....  406 
§  24.  Gleichgewicht  «nd  Beweg^nng  eines  unendlich  dünnen  Scsbet.    Der 

KiBOHHOFF^dbe  6atz 412 

§S5.  Unendlich  kleine  Verrückungen  ursprünglich  gerader  Stftbe;  Saiten  418 
§  26.  Gleichgewicht  einer  gleichförmig  gespannten  Platte  ans  beliebiger  • 

homogener  Substanz 436 

§  27.  Gleichgewicht  und  Bewegung  einer   miendlich  dünnen  elastischen 

Platte 440 

§86.  Unendlich    kleine    Verrückungen    ursprünglich    ebener    elastischer 

Platten;  Membranen 442 

y.  Kapitel.    Innere  Reibung  und  elastische  Nachwirkung. 

§  29.   Die   Druckkomponenten   der   inneren  Reibung   und  der  elastischen 

Nachwirkung * 456 

§  80.   Die  hydrodynamischen  Gleichungen  bei  Berücksichtigung  der  inneren 

Reibung - 462 

§  81.  Die  elastischen  Gleichungen  bei  Berücksichtigung  der  inneren  Reibung  467 
§  82.   Ebene  Wellen  in  einem  unendlichen  elastischen  und  absorbierenden 

Medium 471 

§  33.  Beziehungen  zur  Theorie  des  Lichtes 478 

§  34.  Medien  ohne  innere  Kräfte;  mechanische  Analogie  zu  den  Glei- 
chungen des  elektromagnetischen  Feldes 486 

Litteratur  zum  II.  Teil 492 

Dritter  Teil.    Wirmelehre. 

I.  Kapitel.    Thermisch-mechanische  Umsetzungen. 

§    1.   Grunddefinitionen.     Die    erste    Hauptgleichung    der    mechanischen 

W&rmetheorie 495 

§  2.  Allgemeine  Bestimmung  des  zu  vorgeschriebenen  Zustandsänderungen 
erforderlichen  Aufwandes  von  Arbeit  und  Wärme.  Die  zweite 
Hauptgleichung  der  mechanischen  Wärmetheorie 500 

§    3.  Spezifische  und  Reaktionswärmen 509 

§    4.  Mechanische    Wärmetheorie    für    ideale .  Gase.      Bestimmung    der 

CABKOT'schen  Funktion .     513 

§    5.  Allgemeines  über  Energie  und  Entropie 517 


X  Inhalt 

•                     .  Seit 

§    6.   Mechanische  Wftrmetheorie  für  elastische  Körper 523 

8    7.  Thermische  Dilatation.    Adiabatische  Deformation.    . hS2. 

§    8.  Nicht  umkehrbare  Vorgänge  ohne  Wärmebewegung ^40 

§    9.  Nicht  umkehrbare  Vorgänge,  4ie  mit  Wärmebewegung  verbunden 

sind.    Theorie  der  Wärmeleitung     ...........  547 

§  10.  Die  allgemeinen  Bedingungen  des  thermisch>mechanischen  G-leich- 

gewichtes ^^^ 

n.  Kapitel.    Thermisch-chemische  Umsetzungen. 

§  11.  Grundyorstellungen  und  Definitionen .    ......  566 

§12.  .Allgemeine  Sät^e  über  das  thermisch-chemische  Gleichgewicht    .     .     569 
§  13.  -Eine  Komponente  in  h  Phasen.    Gleichgewicht  zwischen  yersc^ie- 

.     .  denen  Aggregatzuständen  desselben  Körpers 576 

§  14.  Eine  Komponente  in  k  Phasen.    Eigenschaften  eines  Gemisches  von 
zwei  coezistierenden  Phasen.    Einfluß  der  Oberflächenspannung 

in  der  Grenzfläche 587 

§  15.  (n  +  1)  Komponenten   in   einer  Phase.    Dissociation   der  Gase  und 

Lösungen 593 

§  16.  Zwei  Phasen  mit  mehreren  Komponenten,  deren  eine  beiden  Phasen  . 
gemeinsam  ist.    Siede-   und  GeMerpunkte  von  Lösungen;  der 
Osmotische  Dinick 60^ 


•         • 


Litterattir  ium  m.  Teil.    ...*... 609 


EBSTLEITUNG. 


Physikalische  Gesetze  nnd  Konstanten,  Einheiten 

nnd  Dimensionen. 


Bei  der  Erschließung  neuer  Gebiete  der  Physik  sind  zwei 
Stufen  der  Entwickelung  jederzeit  zu  unterscheiden.  Auf  der  ersten, 
der  Vorstufe,  handelt  es  sich  um  die  Erforschung  der  Qualität 
der  beobachteten  Erscheinungen,  um  ihre  Unterscheidung  von  ver- 
wandten oder  fremden,  um  die  Feststellung  der  Umstände,  unter 
denen  sie  eintreten  oder  nicht  eintreten,  sich  wandeln  oder  un- 
geändert  bleiben.  Auf  der  zweiten,  der  Hauptstufe,  mit  deren 
Erreichung  das  Gebiet  erst  als  der  exakten  Wissenschaft  gewonnen 
zu  betrachten  ist,  gilt  es  die  Quantität  der  Veränderungen  fest- 
zustellen, deren  Summe  die  beobachtete  Erscheinung  ausmacht,  und 
zahlenmäßige  fielationen  zwischen  ihrer  Größe  und  derjenigen  der 
die  Erscheinung  bedingenden  Umstände  zu  gewinnen.  Die  ge- 
fundenen Beziehungen  werden  mit  oder  ohne  Mitwirkung  theore- 
tischer Betrachtungen  in  mathematische  Formeln  gefaßt  und  ge- 
stalten sich  dadurch  zu  physikalischen  Gesetzen. 

Je  nach  den  Gebieten,  denen  die  behandelten  Erscheinungen 
angehören,  haben  diese  Gesetze  wesentlich  verschiedene  Formen. 
In  einigen  Gebieten  ist  es  möglich  gewesen,  geschlossene  Aus- 
drücke zu  finden,  welche  innerhalb  des  ganzen,  der  Beobachtung 
zugänglichen  Größenbereichs  der  Variabein  die  Beobachtungen  an- 
scheinend vollkommen  darstellen;  von  solcher  Art  sind  u.  a.  das 
NBWTON'sche  Gesetz  der  Gravitation,  das  FuESNBL'sche  Gesetz  der 
Doppelbrechung,  das  NEUMAim'sche  Gesetz  für  die  Wechselwirkung 
zweier  Stromkreise.  In  anderen  Gebieten  muß  man  sich  mit  dem 
Ansatz  unendlicher  Reihen  begnügen  und  die  Beobachtung  ent- 
scheiden lassen,  eine  wie  große  Zahl  von  Gliedern  zur  befriedigenden 

Voigt,  Theoretische  Physik.  1 


EifUeüung. 


Wiedergabe  der  Thatsachen  nötig  ist;  dies  geschieht  u.  a.  bei  der 
Darstellung  der  Erscheinungen  der  Elasticität,  der  Farbenzerstreuung, 
der  thermischen  Dilatation.  In  einzelnen  Fällen  gewinnt  man  aller- 
dings eine  für  die  Praxis  genügende  Genauigkeit  schon  bei  Be- 
schränkung aut  die  ersten  Beihenglieder,  indesen  darf  dies  nicht 
darüber  täuschen,  daß  das  betreffende  physikalische  Gesetz  allgemein 
zu  erkennen  und  in  einen  geschlossenen  Ausdruck  zu  fassen  bisher 
noch  nicht  gelungen  ist. 

Die  Parameter  der  mathematisch  formulierten  physikalischen 
Gesetze  sind  die  physikalischen  Konstanten. 

Von  ihnen  sind  zwei  Arten  zu  unterscheiden:  universelle, 
die  mit  gleichem  Zahlwert  in  Geltung  bleiben,  wenn  das  betreffende 
Naturgesetz  auf  verschiedene  ihm  unterworfene  Körper  angewandt 
wird,  und  die  daher  ein  für  allemal  angebbar  sind  —  und  indivi- 
duelle, welche  von  der  Art  dieser  Körper  abhängen  und  demnach 
für  eine  jede  Substanz  einzeln  bestimmt  werden  müssen.  Die  Be- 
schleunigung durch  die  Schwere  an  irgend  einer  Stelle  der  Erd- 
oberfläche ist  in  diesem  Sinne  eine  uni.verselle  Konstante,  der 
elastische  Dehnungswiderstand  eines  Stabes,  eine  der  Substanz  des- 
selben individuelle;  die  Oberflächenspannung  in  der  Grenze  zweier 
Flüssigkeiten  ist  dieser  bestimmten  Kombination  eigen- 
tümlich. 

Mit  der  mathematischen  Formulierung  des  physikalischen  Ge- 
setzes und  der  zahlenmäßigen  Bestimmung  seiner  Konstanten  ist 
die  Erforschung  eines  Erscheinungsgebietes  zu  einem  gewissen  Ab- 
schluß gelangt,  die  Herrschaft  über  dasselbe  gewonnen.  — 

Die  erste  Vorbedingung  für  die  Erreichung  dieses  Zieles  ist 
die  Entdeckung  einer  Methode  zum  zahlenmäßigen  Ausdrücken  oder 
Messen  der  betreffenden  physikalischen  Erscheinungen. 

Unter  der  Messung  einer  Größe  F  versteht  man  ihre  Ver- 
gleichung  mit  einer  als  Einheit  gewählten  Normalgröße  ®  derselben 
Art;  ihr  Verhältnis  zu  dieser,  nämlich 


® 


heißt  ihr  Zahlwert  oder  ihre  Zahlgröße;  die  physikalischen 
Gesetze  sind  daher  Gleichungen  zwischen  den  Zahlwerten  ver- 
schiedener physikalischer  Größen. 

Die  vorstehende  Definition  führt  sogleich  zu  dem  Satz: 

Der  Zahlwert  einer  Größe   ist   der   gewählten  Einheit 
indirekt  proportional. 


Physikalische  Ossetxe  und  Konstanten,  8 


Normalgrößen  oder  Etalons,  welche  geeignet  sein  sollen,  als 
Einheiten  für  die  bezügliche  Orößenart  zu  dienen,  müssen  sich  ent- 
weder unyeränderlich  aufbewahren  oder  aber  jederzeit  in  derselben 
Größe  wieder  herstellen  oder  auf  dieselbe  Größe  zuifückführen 
lassen;  sie  müssen  außerdem  eine  genaue  Beobachtung  und  dadurch 
eine  scharfe  Vergleichüng  mit  den  auszumessenden  gleichartigen 
Größen  gestatten. 

Etalons  dieser  Art  bietet  uns  in  einigen  Gebieten  die  Natur 
Selbst  in  wünschenswertester  Brauchbarkeit,  in  anderen  müssen  sie 
künstlich  hergestellt  werden;  ersteres  findet  statt  bei  der  Zeit- 
messung, für  welche  durch  die  gleichförmige  Rotation  der  Erde  ein 
immer  gleichmäßig  abgegrenzter  Normalzeitraum  (der  Sterntag, 
oder,  weniger  einfach  definiert,  der  mittlere  Sonnentag)  geliefert 
wird;  letzteres  bei  der  Längenmessung,  wo  ein  im  wesentlichen 
willkürlich  gewählter  Stab  von  möglichst  sicherer  Begrenzung  und 
Ton  bekanntem  Verhalten  äußeren  Einflüssen  gegenüber  die  Ein- 
heit, das  Meter,  darstellt 

Für  alle  Arten  physikalischer  Größen  kann  man  die  Einheiten 
willkürlich  festsetzen,  solange  man  sie  ohne  Beziehung  aufeinander 
betrachtet;  eine  zwischen  mehreren  von  ihnen  stattfindende  mathe- 
matische Beziehung  läßt  entweder  für  eine  der  darin  auftretenden 
Größen  eine  Verfügung  geeigneter  erscheinen,  als  alle  anderen,  oder 
bestimmt  sogar  in  speziellen  Fällen  ihre  Einheit  Yollständig  durch 
die  der  übrigen. 

Diese  Verhältnisse  werden  an  einem  höchst  einfachen  Beispiel 
aus  der  Geometrie  noch  klarer  werden. 

Von  der  Fläche  8  eines  Rechteckes  läßt  sich  leicht  beweisen, 

daß   sie   dem  Produkt  der  Seiten  x  und  y  proportional  ist,   d.  h., 

daß   zwischen    den   betreffenden  Zahlgrößen   eine  Formel   von  der 

Gestalt  besteht 

S  =  f.x.y^ 

in  der  f  eine  allen  Rechtecken  gemeinsame  Konstante  ist;  ähnliche 
Formeln,  aber  mit  verschiedenen  Konstanten,  gelten  für  Flächen 
von  anderer  Begrenzung. 

Die  Größe  von  f  hängt  dabei  von  den  für  Längen  und  Flächen 
gewählten  Maßeinheiten  ab,  die  zunächst  ganz  willkürlich  fest- 
gesetzt werden  können.  Sind  dieselben  z.  B.  so  bestimmt,  daß  ein 
Quadrat  von  der  Seitenlänge  a  gleich  der  Flächeneinheit  gesetzt 
ist,  so  gilt  außer  der  obigen  Formel  noch 

l=/'.a^ 

wodurch  f  gegeben  ist. 

1* 


MrUeituhg. 


Die  erstere  Formel  würde  sich  nun  aber  am  einfachsten  ge- 
stalten —  und  diese  Bücksicht  ist  bei  der  Ausgestaltung  auch  sehr 
vieler  physikalischer  Gesetze  maßgebend  —  wenn  der  Faktor  f  gleich 
Eins  wäre;  nach  der  zweiten  Formel  ist  dies  erreicht,  wenn  speziell 
die  Fläche  eines  Quadrates,  dessen  Seite  der  Längeneinheit  gleich 
ist,  zur  Flächeneinheit  gewählt  wird.     Dann  gilt 

d.  h.  das  Produkt  der  ZahlgröBen  der  Seiten  giebt  unmittelbar  die 
Zahlgröße  der  Rechtecksfläche. 

Genau  ebenso  erhält  man  durch  geeignete  Wahl  der  Volumen- 
einheit den  Inhalt  F  eines  rechtwinkligen  Prismas  von  den  Seiten 
Xy  y,  z  gegeben  durch  die  Formel 

JT^  x.y.z. 

Diese  Beispiele  erläutern,  wie  eine  Beziehung  zwischen  ver- 
schiedenartigen Größen,  welche  keinerlei  willkürliche  Eonstanten 
mehr  enthält,  die  Einheit  einer  dieser  Größen  durch  diejenigen 
der  anderen  bestimmt;  die  so  gewonnenen  Einheiten  nennt  man 
abgeleitete  oder  zusammengesetzte,  die  sie  bestimmenden,  will- 
kürlich gewählten,  aber  fundamentale  oder  Grund-Einheiten. 

Den  Zusammenhang  zwischen  den  fundamentalen  und  den  aus 
ihnen  abgeleiteten  Einheiten  kann  man  anschaulich  auf  folgende  Weise 
durch  eine  Art  von  Erweiterung  des  gewöhnlichen  Multiplikationsver- 
fahrens hervortreten  lassen.  In  den  obigen  Formeln  für  S  und  F  sind 
alle  auftretenden  Größen  zunächst  reine  Zahlen,  nämlich  die  Zahlwei*te 
der  Längen  x,  y,  z  der  Fläche  5,  des  Volumens  7;  ar,  y,  z  er- 
scheinen als  unabhängige,  8  und  V  als  abhängige  Variable.  Man  fügt 
nun  auf  beiden  Seiten  die  Einheiten  der  unabhängigen,  hier  also 
Meter,  so  oft  hinzu,  bis  rechts  alle  Zahl  werte  in  die  bezüglichen 
physikalischen  Größen  verwandelt  sind;  die  Formeln  nehmen  hier- 
durch die  Gestalt  an: 

/S  (Meter)»  =  x  (Meter)  .y  (Meter), 

r  (Meter) '  =  ar  (Meter) .  y  (Meter) .  z  (Meter). 

Die  jetzt  links  neben  8  und  V  auftretenden  Faktoren  geben  die 
Einheiten  (Quadratmeter,  Kubikmeter)  an,  in  welchen  sich  die  Ab- 
hängigen S  und  y  gemäß  den  bestehenden  Eelationen  ausdrücken, 
oder  setzen  die  Benennungen  fest,  welche  8  und  F  beizulegen 
sind,  wenn  man  den  Unabhängigen  die  gewählten  Benennungen  er- 
teilt. Das  eben  skizzierte  Verfahren  erfährt  in  allen  Gebieten  der 
Physik  die  größte  Anwendung  und  Verallgemeinerung. 


Einheiten* 


Ist  z.  B.,  was  sehr  häufig  yorkommt^  eine  physikalische 
Größe  oder  Funktion  F  einem  Produkt  von  Potenzen  verschiedener 
Variabein  x,  y,  z, . . .  proportional,  also 

F  ^  f,3i^  .y^  .sfi ,  ,  .  .y  I) 

wobei  f  die  Proportionalitätskonstante  bezeichnet,  und  werden  die 
Einheiten  von  ar,  y,  z,  .  .  .  (welche  fundamentale  oder  auch  ab- 
geleitete, teilweise  einander  gleich  oder  sämtiich  verschieden  sein 
können)  mit  ;,  ^,  j  . . .  bezeichnet,  so  geht  man  aus  von  dem  wie 
oben  gebildeten  Ausdruck 

Für  seine  Verwertung  sind  die  zwei  Fälle  zu  unterscheiden, 
daß  die  Einheit  g  von  F  bereits  festgesetzt  oder  aber  noch  un- 
bestimmt ist. 

Ist  erstens  die  Einheit  von  F  noch  verfügbar,  so  kann  man 
zur  Vereinfachung  der  Formel  dem  Faktor  /"einen  bequemen,  univer- 
sellen Zahlenwert  beilegen.  Die  Formel  II  ergiebt  dann  für  die 
Einheit  von  F  zunächst  den  Wert 

s^^'-""^»'---.  m) 

Nun  mögen  die  Einheiten  ;,  Q,  ),...,  soweit  sie  zusammen- 
gesetzte sind,  mit  Produkten  von  Potenzen  der  Fundamentaleinheiten 
a,  5,  c,  ...  proportional  sein  und  diese  Werte  in  den  Ausdruck 
von  g  eingesetzt  werden;  die  dadurch  gewonnene  Formel 

g="°-^y---,  IV) 

stellt  die  Einheit  oder  die  Benennung  von  F,  in  welcher  der  Faktor  f 
im  allgemeinen  von  f  verschieden  ist,  in  ihrer  Zusammensetzung 
aus  den  Fundamentaleinheiten  a,  6,  c, .  . .  dar. 

Die  abgeleiteten  Einheiten  werden  meist  nicht,  wie  oben 
,,Quadratmeter'^,  „Kubikmeter^^,  vollständig  ausgesprochen,  sondern 
mit  einem  abgekürzten  Namen  belegt 

Was  den  Zahlwert  F  anbetrifiPt,  so  ergiebt  für  ihn  der  auf 
8.  2  angeführte  Satz,  daß  derselbe  bei  Veränderung  der  Funda- 
mentaleinheiten  dem  Aggregat  a"* .  f^ .  C  .  . .  indirekt,  bei  Änderung 
der  Konstanten  f  dieser  direkt  proportional  bleibt  Besonders 
häufig  und  wichtig  ist  der  schon  in  den  obigen  geometi'ischen  Bei- 
spielen vorliegende  Fall,  daß  f  gleich  Eins  ist 

Ist  zweitens  über  die  Einheit  g  für  F  bereits  verfügt,  ent- 


6  EifUeitung. 


weder,  weil  von  der  Natur  ein  Normalwert  von  F  bequem  dar- 
geboten wird,  oder  aber  weil  F  noch  durch  eine  andere  Beziehung 
mit  Fundamentalgrößen  in  Verbindung  steht,  dann  wird  durch  die 
Gleichung  II  die  Konstante/*  bestimmt.  Schreibt  man  diese  Gleichung 
nämlich  in  die  Form 

8r  \  (F.%) 


^  f[7:^r7)  - 


80  erscheint  der  Faktor  von  /  als  die  Einheit  dieser  Größe;  ihr 
Zahlwert  bestimmt  sich  durch  ein  einziges  System  zusammen- 
gehöriger Werte  von  F,  x,  y,  r, . .  . 

Wir  schließen  aus  dieser  Betrachtung  den  allgemeinen  Satz: 

Die  Konstanten  physikalischer  Gesetze  sind  keines- 
wegs stets  reine  und  ohne  weiteres  ein  für  allemal  angeb- 
bare Zahlen,  sondern  im  allgemeinen  von  den  gewählten 
Fundamentaleinheiten  abhängig.  — 

Wir  haben  uns  bisher  nur  mit  solchen  Funktionen  F  beschäftigt, 
welche  die  Gestalt  von  Produkten  aus  Potenzen  der  Variabein,  näm- 
lich der  Zahlwerte  verschiedener  physikalischer  Größen,  besitzen. 
Die  hier  erhaltenen  Resultate  gelten  aber  fast  ohne  Modification 
ganz  allgemein.  Dies  rührt  daher,  daß  die  allgemeinste  Form 
einer  physikalischen  Größe  durch  ein  Aggregat  aus  Gliedern  von 
der  oben  betrachteten  Form  und  von  gleicher  Benennung  ge- 
geben ist. 

Die  Wahrheit  dieser  Bemerkung  erhellt,  wenn  man  eine  be- 
liebige Beziehung  zwischen  der  Abhängigen  F  und  den  Unab- 
'  hängigen  o:,  y,  z,  . .  .  dem  S.  4  erörterten  Verfahren  unterwirft. 

Die  Benennung  tritt  hierbei  nur  in  der  Form  eines  gemein- 
samen Faktors  aller  Glieder  auf  und  kann  sich  demgemäß  den 
Argumenten  irgend  welcher  Funktionen  nur  insoweit  verbinden,  als 
dieselben  in  letzteren  als  Faktoren  auftreten. 

Enthalten  diese  Argumente  also  die  Zahlwerte  physikalischer 
Größen  in  anderer  Weise,  so  kann  man  ihnen  ihre  Benennung  nur 
dadurch  erteilen,  daß  man  dieselbe  nach  dem  oben  angegebenen 
Verfahren  gleichzeitig  in  Nenner  und  Zähler  zufügt  und  dadurch 
auch  die  in  den  Argumenten  vorkommenden  Parameter  zu  be- 
nannten Größen  macht. 

Aus  der  Beziehung 

F  =  fxy^  <?«  »"*  cos  [by  +  c) 
folgt,  wenn  man,  wie  früher,  durch  den  entsprechenden  deutschen 


Dimensionen. 


Buchstaben   die   Einheit  oder   Benennung   einer  jeden  Größe   be- 
zeichnet und  unter  f  eine  reine  Zahl  versteht,  d,  h.f=l  setzt: 

{Fl  5»)  =  f{x  j)  (y  5)8  tf(«  S-)  (»  «)-•  cos  [(Ä  r  ^)  (y  9)  +  ^] » 
also 


Ähnlich  folgt  aus 


8  =  5^,     a  =  5+8,      b  =  rS      c  =  l. 


rt., 


wenn  Sf  gegeben  ist: 

und  daraus  die  Benennung  von  /^  und  ^ ,  nämlich 

Mit  dem  Begriff  der  Einheit  oder  der  Benennung  steht  im 
nächsten  Zusammenhange  der  etwas  allgemeinere  der  Dimension. 

Es  sei  wieder^  was  wir  jetzt  als  den  allgemeinsten  Fall  er- 
kannt haben,  die  Benennung  g  einer  Funktion  F  bei  Einführung 
der  Fundamentalgrößen  a,  b,  c  . . .  gegeben  durch 

Vertauscht  man  hier  rechts  die  Einheiten  o,  b,  c  . . .  der  Fundamental- 
größen mit  Symbolen  ^,  -B,  C .,  welche  nur  ihre  Gattung  charakteri- 
sieren, aber  über  die  zu  ihrer  Messung  benutzten  Einheiten  nichts 
aussagen,  und  beseitigt  den  Zahlenfaktor  f,  so  heißt  das  Kesultat 

Ä<'.Bß.Cr  .  .  . 

die  Dimension  \F]  der  Funktion  F\  die  Formel 

[F]  =  Ä^BßCr ...  VI) 

nennt  man  die  Dimensionalgleichung  von  F  und  spricht  ihren  In- 
halt dahin  aus,  daß  F  in  Bezug  auf  die  Fundamentalgrößen 
Ay  By  Cy . , .  resp.  o,  /?,  y, . . .  -ter  Dimension  ist 

Die  Dimension  [F]  giebt  hiemach  nichts  weiter  an,  als  das 
Schema,  nach  welchem  die  Größe  F  aus  den  Fundamentalgrößen 
aufgebaut  ist,  und  erscheint  als  einfache  Erweiterung  des  gleich- 
namigen Begriffes  in  der  Geometrie;  denn  wenn  man  als  Symbol 
einer  Länge  den  Buchstaben  L  anwendet,  ergiebt  die  Anwendung 
des  oben  erläuterten  Verfahrens  auf  den  Wert  einer  Fläche  S  oder 
eines  Volumens  V 


8  Einleihmg. 


was  S  als  Gebilde  zweier,  V  als  solches  dreier  Längsdimensionen 
erscheinen  läßt.  — 

Während  man  bei  der  speziellen  numerischen  Anwendung 
physikalischer  Gesetze  stets  nach  den  Einheiten  oder  Benennungen 
der  in  ihnen  auftretenden  Größen  zu  fragen  hat,  bietet  bei  der 
allgemeinen  theoretischen  Entwickelung  die  Beachtung  ihrer 
Dimensionen  besondere  Vorteile.  Sie  gestattet  insbesondere  die 
schnelle  Beurteilung,  ob  verschiedene  Größen  gleichartig  sind,  und 
wenn  sie  sich  unterscheiden,  wodurch;  beides  läßt  sich  häufig  aus 
den  durch  die  Entwickelung  unmittelbar  gefundenen  Formeln  nicht 
sogleich  erkennen.  Daneben  erlaubt  aber  die  Kenntnis  der  Di- 
mension auch  jederzeit  leicht,  die  Einheit  oder  Benennung  der 
untersuchten  Größe  zu  bestimmen,  wenn  numerische  Rechnungen 
dieselbe  erfordern.  Man  hat  hierzu  nach  den  Gleichungen  IV 
und  VI  in  dem  Ausdruck  für  die  Dimension  \_F]  nur  die  Symbole 
für  die  verschiedenen  Größenarten  mit  deren  Einheiten  zu  ver- 
tauschen und  das  Resultat  durch  den  Faktor  f  zu  dividieren,  welcher 
sich  nach  dem  oben  Gesagten  aus  der  Gleichung  für  F  und  den- 
jenigen für  die  in  ihr  vorkommenden  zusammengesetzten  Argumente 
bestimmt. 

Hiernach  erscheint  es  gerechtfertigt,  wenn  wir  im  Folgenden 
für  jede  uns  entgegentretende  physikalische  Funktion  die  Dimensional- 
gleichung  aufstellen. 


L  Teil. 
Mechanik  starrer  Körper. 

L  Kapitel. 

Die  Bewegung  eines  materiellen  Punktes. 

§  1.     Gesohwindigkeit  und  Besohleunignng. 

Die  Aufgabe  der  Mechanik  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  ist 
die  Ableitung  der  Gesetze  für  die  Bewegungen  der  Körper.  Die 
Bewegung,  d.  h.  die  Ortsveränderung,  welche  ein  Körper  erleidet, 
ist  bestimmt,  wenn  zu  jeder  Zeit  der  Ort  eines  jeden  beliebig  an 
oder  in  ihm  markierten  Punktes  bekannt  ist.  Da  aber  von  der- 
gleichen Punkten  an  jedem  Körper  unendlich  viele  verschiedene 
gewählt  werden  können,  deren  Bewegungen  im  allgemeinen  von- 
einander unabhängig  sind,  so  würde  zur  Bildung  des  allgemeinsten 
Bewegungsgesetzes  eines  beliebigen  Körpers  die  Aufstellung  einer 
unendlichen  Anzahl  von  Beziehungen  nötig  sein.  Indessen  be- 
trachtet man  in  der  Mechanik  nur  solche  Bewegungen,  bei  denen 
die  einzelnen  Teile  der  Körper  durch  gewisse  Bedingungen  in 
ihrer  Bewegungsfreiheit  beschränkt  sind;  von  diesen  Bedingungen 
kommen  insbesondere  zwei  Arten  in  Betracht,  nach  deren  Eigen- 
schaften man  die  Körper  in  starre  und  in  nichtstarre  sondert. 

Aber  auch  in  einer  solchen  Beschränkung  ist  das  Problem  zu 
kompliziert,  um  direkt  in  Angriff  genommen  werden  zu  können;  wir 
gewinnen  einen  Weg  zu  seiner  Lösung,  indem  wir  zunächst  einen 
einfachen  speziellen  Fall  erledigen,  der  so  gewählt  ist,  daB  sich  die 
allgemeineren  auf  ihn  zurückführen  lassen. 

Dies  ist  der  Fall,  in  welchem  der  bewegte  Körper  als  ein  ma- 
terieller Punkt  betrachtet  werden  kann,  d.  h.  in  welchem  seine 
Bewegung  nach  derjenigen  eines  einzigen  geeignet  in  ihm  mar- 
kierten Punktes  beurteilt,  also  von  der  Größe,  Gestalt,  Zusammen- 


10  /.  Teil,     Mechanik  starrer  Körper.    I.  Kap. 


Setzung  des  Körpers,  sowie  auch  von  seiner  Orientierung  gegen  irgend 
welche  feste  oder  bewegliche  Richtungen  durchaus  abgesehen  wer- 
den darf. 

Die  umstände,  unter  welchen  dies  zulässig  ist,  von  vom  herein 
scharf  zu  bezeichnen,  ist  nicht  möglich;  es  bedarf  hierzu  vielmehr 
der  Resultate,  die  erst  im  Laufe  der  Entwickelung  der  Theorie  ge- 
wonnen werden.  In  den  meisten  Fällen,  aber  nicht  immer,  genügt 
das  eine,  daß  die  Dimensionen  des  betrachteten  Körpers  gegen  bei 
seiner  Bewegung  sonst  in  Betracht  kommende  Längen,  etwa  die  in 
endlicher  Zeit  zurückgelegten  Wege  oder  die  Entfernungen  von 
anderen  bewegten  Körpern,  unendlich  klein  sind.  Wir  werden  später 
auf  diese  Frage  zurückkommen. 

Ist  der  Ort  des  betrachteten  materiellen  Punktes  durch  seine 
Koordinaten  x,  y,  z  in  Bezug  auf  ein  absolut  festes  Koordinaten- 
system gegeben,  so  wird  seine  Bewegung  durch  deren  Abhängigkeit 
von  der  Zeit  bestimmt,  d.  h.  durch  drei  Beziehungen  von  der  Form: 

Diese  Gleichungen  geben  durch  Elimination  der  Zeit  zwei  von 
t  freie  Formeln 

2)  ^/>(^,y,^)  =  0,       ^S[x,y,z)  =  Q, 

die  Gleichungen  der  Bahn,  d.  h.  der  Kurve,  auf  welcher  der  Punkt 
während  seiner  Bewegung  fortwährend  bleibt,  dazu  noch  eine  dritte 
t  enthaltende 

2')  X[x,  y,  z,  0  =  0, 

welche  für  jede  Zeit  den  Ort  in  der  Bahn  bestimmt  und  passend 
in  die  Form 

T)  s  =  F{t) 

gebracht  werden  kann,  in  welcher  s  den  längs  der  Bahnkurve  ge- 
messenen Abstand  dieses  Ortes  von  einem  beliebig  auf  derselben 
festgelegten  Anfangspunkt  bezeichnet. 

Die  Gleichungen  (1)  und  (2,  2')  resp.  (2,  2")  sind  äquivalent, 
aber  erstere  bestimmen  die  Bewegung  des  Punktes  in  symmetrischer, 
letztere  in  unsymmetrischer  Weise. 

Unsymmetrisch  wird  auch  die  Bewegung  eines  Punktes  be- 
stimmt durch  das  Gesetz,  nach  welchem  sich  der  Radiusvektor  von 
dem  Koordinatenanfangspimkt  aus  nach  Größe  und  Richtung  ändert, 
d.  h.  durch  die  Angabe  der  Beziehung 

3)  r=yü(0 


§  1.     Ein  materieüer  Punkt  11 


I 


3") 


und  zweier  von  den  drei 

cos  (r,  x)^  A{t)j     cos  (r,  y)  =  B{t),     cos  (r,  z)  =  C(f),  3') 

welche  wegen 

nicht  voneinander  unabhängig  sind.     Wegen 

r*  Ä  ar*  +  y*  +  z\ 
cos  (r,  ar) :  cos  (r,  y) :  cos  {r,  z)  ^  x:y:z 

kann  man  Größe  und  Richtung  des  Vektors  r  symmetrisch  durch 
die  Koordinaten  ausdrücken,  welche  wir  auch  seine  Komponenten 
nennen  können,  weil  er  sich  aus  ihnen  nach  der  Methode  des 
Parallelepipeds  zusammensetzen  ls£t. 

Diese  einfachen  Bemerkungen  haben  eine  gewisse  Wichtigkeit 
wegen  der  Anwendungen,  welche  von  ihnen  gemacht  werden. 

Jede  physikalische  Funktion,  welche  zu  ihrer  vollständigen  Be- 
stimmung eine  Zahl  und  eine  Richtung  erfordert,  bezeichnet  man 
nämlich  im  weiteren  Sinne  gleichfalls  als  Vektor,  denkt  sie  durch 
eine  auf  der  sie  charakterisierenden  Richtung  aufgetragene  Strecke 
von  einer  ihrer  Größe  proportionalen  Ijänge  repräsentiert  und  be- 
stimmt sie  symmetrisch  durch  ihre  Komponenten  oder  Pro- 
jektionen, die  mit  der  Größe  und  Richtung  des  Vektors  in  derselben 
Beziehung  stehen,  wie  nach  (3")  x,  y,  z  zur  Größe  und  Richtung  von  r. 

Während  die  Komponenten  bald  positiv,  bald  negativ  sein 
können,  betrachtet  man  den  Wert  des  Vektors  selbst,  den  man 
auch  als  die  nach  der  Methode  des  Parallelepipeds  aus  den  Kom- 
ponenten erhaltenen  Resultante  bezeichnet,  als  stets  positiv;  aus- 
genommen ist  nur  der  Fall,  daß  der  Vektor  zufallig  in  eine  Rich- 
timg fällt,  an  welcher  man  aus  irgend  einem  Grunde  schon  eine 
positive  und  eine  negative  Seite  unterschieden  hat,  —  hier  kann  man 
ihm  dann  nach  Belieben  auch  das  Vorzeichen  der  Richtung  geben, 
in  welche  er  fallt 

Den  Vektoren  oder  Vektorgrößen  stehen  einerseits  die  durch 
eine  bloße  Zahl  bestimmten  Größen,  die  Skalaren,  andererseits 
die  komplizierteren  Funktionen,  welche  noch  mehr  Bestimmungsstücke, 
als  die  Vektoren,  verlangen,  gegenüber. 

Zur  numerischen  Anwendung  der  Formeln  (1)  und  der  mit  ihnen 
äquivalenten  ist  die  Festsetzung  der  Einheiten  für  Längen  und 
Zeiten  nötig.  In  der  theoretischen  Physik  wird  als  Längeneinheit 
das  Centimeter,  als  Zeiteinheit  die  Sekunde,  d.  i.  der  86400.  Teil 
des  mittleren  Sonnentages,   gewählt;   in   den   verwandten   Gebieten 


12  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    I,  Kap. 


der  Technik  und  der  Astronomie  werden  nach  Bequemlichkeit  andere 
Verfügungen  getroffen.  — 

Aus  den  Gleichungen  (1)  leiten  wir  durch  Diflferentiation  ab 

.^  dx  ,  dy  .  dx         , 

worin  u,  v,  ir  neue  Bezeichnungen  sind. 

«,  V,  w  betrachten  wir  als  Komponenten  eines  Vektors  F,  den 
wir  die  Geschwindigkeit  des  Punktes  nennen. 

Für  denselben  gilt,  da  nach  (2") 

dx^  +  dy^  +  dz^  =^  ds^^     dx:dy\dz^  cos  (*,  x) :  cos  (*.y) :  cos  («,  z) 
ist 


4') 


r=y«»  +  ««  +  tr«  =  ^, 


.  COs{?^a:):cos(?^y):COS(r,z)  =  u:v:w  =  cos(«,ar) :  cos(Ä,y) :  cos(Ä,r). 

Die  Geschwindigkeit  V  ist  also  gleich  dem  Verhältnis  des  m  dt 
zurückgelegten  Weges  ds  zm  der  dazu  aufgewandten  Zeit  und  fallt 
mit  ihrer  Eichtung  jederzeit  in  die  Tangente  der  Bahn.  Man  kann 
sie  nach  dem  Obigen  sowohl  als  absolute  Größe  betrachten,  als  mit 
einem  Vorzeichen  versehen;  u,  »,  w  erscheinen  nach  ihrer  Defini- 
tion (4)  als  die  Geschwindigkeiten  der  Projektionspunkte  des  be- 
wegten Massenpunktes  auf  die  Koordinatenaxen. 
Wir  erhalten  aus  (4)  weiter 

und  fassen  «',  v\  uf  als  Komponenten  eines  neuen  Vektors  B  auf, 
den  wir  die  Beschleunigung  des  bewegten  Punktes  nennen.  Es 
gilt  dann  wiederum: 

g.  j  B^  =  yir'M^'t/2~+^, 

\  cos  [Bj  x) :  cos  (-B,  y) :  cos  (-B,  z)  =  m'  :  t?' :  w. 

Da  tt,  r,  w  nicht  mit  u\  v\  w  proportional  sind,  so  fällt  die  Rich- 
tung der  Beschleunigung  B  im  allgemeinen  nicht  in  die  Richtung 
der  Geschwindigkeit  V^  sondern  ist  gegen  die  Tangente  an  der 
Bahn  geneigt 

Die  während  dt  eintretenden  Zuwachse  dx^  dy,  dz  der  Koordi- 
naten kann  man  in  Summen  von  Teilzuwachsen  2dx^y  ^^Vk^ 
2dz^  zerlegen,  und  gleiches  gilt  demnach  auch  von  den  Pro- 
jektionen oder  Komponenten  der  Geschwindigkeit  w,  »,  lo.  Setzt 
man  nun  korrespondierende  u^^  Vj,,  w^  ebenso  zu  einer  Resultierenden 
Fj^  zusammen,   wie  oben  m,  v,  w  zu  F^   so  erkennt  man,    daß   das 


§  1,     Oesehuftndigkeit  und  Beschleunigung.  18 


System  der  V^  dann  in  Bezug  auf  die  Bewegung  des  Punktes  mit 
dem  einen  V  äquivalent  ist,  wenn  gilt: 

Diese  Formeln  enthalten  den  Satz  vom  Parallelogramm  oder  Parallel- 
epiped  der  Geschwindigkeiten. 

Genau   dieselbe  Operation   läBt   sich  mit   den  Zuwachsen    der 
Geschwindigkeitskomponenten  oder  den  Beschleunigungskomponenten 

du        ,       dv        ,       dw         , 

-  =  „,   _  =  «,   _  =  «, 

vornehmen,  und  man  gelangt  dadurch  zu  dem  analogen  Satz  für  die 
Beschleunigungen.  Ein  System  von  Beschleunigungen  B^  ist  mit 
einer  einzigen  B  dann  äquivalent,  wenn 

«'  =  2uic,    V  =  2vj^,    w  =  ^w]^,  6') 

Da  nach  (4)  und  (4') 

TP-dx  j^dy  j'dx 

a«  '  da  ^  ds 

ist,  so  kann  man  auch  schreiben 

,       dV  dx  ,    Ty^d^x 
dt  ds  ds*^ 


dt  ds  ^       ds*' 
,       dV  d%    ,    T^cPx 


^) 


dt  ds    '         ds^' 

letzteres  Formelsystem  läßt  die  Beschleunigung  B  als  aus  zwei 
Teilen  zusammengesetzt  erscheinen,  einem  ersten  parallel  ds  oder 
F  gelegenen  von  der  Größe 

^"'^  dt  "  d^' 

einem  zweiten  normal  zur  Bahn  in  der  Oskulationsebene  oder  in 
dem  Krümmungsradius  q  der  Bahnkurve  nach  deren  konkaver  Seite 
hin  gelegenen  von  der  Größe 

Wegen 

wird  die  gesamte  Beschleunigung  B  gegeben  durch 

5«  =  ^,» +  A»  =(!?)•+ ^.  7") 


14  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper.    L  Kap. 


Geschwindigkeit  und  Beschleunigung  sind  die  ersten  zusammen- 
gesetzten oder  abgeleiteten  Größen,  denen  wir  in  der  Mechanik 
begegnen.  Die  sie  definierenden  Formeln  haben  die  einfachste  Form  I 
ohne  Parameter;  sie  bestimmen  also,  nachdem  die  Einheiten  für 
Länge  und  Zeit  festgesetzt  sind,  die  Einheiten  von  Geschwindigkeit 
und  Beschleimigung  vollständig.  Die  Dimensionalgleichungen  für 
beide  sind,  falls  die  Dimensionen  von  Längen  und  Zeiten  durch  die 
Buchstaben  l  und  t  bezeichnet  werden, 

8)  [D^^^S    [£]  =  lt-^. 

§  2.    Kraft  und  Masse. 

Die    Beschleunigung    eines    Massenpunktes    verschwindet    nur, 

wenn  gleichzeitig 

w'=0,    v'=0,     tt?'=0 

ist;  ein  Punkt,  dessen  Koordinaten  diese  Bedingungen  erfüllen,  be- 
wegt sich  mit  konstanter  Geschwindigkeit  in  gerader  Linie.  Von 
einem  solchen  nehmen  wir  nach  dem  Vorgang  von  Galilei  i)  an, 
daß  er  sich  selbst  überlassen  ist,  d.  h.  keinen  Einwirkungen  unter- 
liegt; die  Existenz  einer  Beschleunigung  führen  wir  auf  die  Wir- 
kung einer  Kraft  zurück,  deren  Größe  und  Richtung  wir  nach  der 
Größe  und  Richtung  der  vorhandenen  Beschleunigung  beurteilen. 
Und  zwar  setzen  wir  nach  Newton^)  die  Kraft  K  der  bewirkten 
Beschleunigung  parallel  und  bei  demselben  Massenpunkt  ihrer  Größe 
proportional,  was  sich  ausdrückt  durch  die  Formeln 

9)  K=^BC,    K\\B, 

in  denen  C  eine  dem  betrachteten  Massenpunkt  individuelle  Konstante 
bezeichnet.  Projiziert  man  K  als  Vektor,  wie  -ß,  auf  die  Koordinaten- 
axen  und  bezeichnet  die  Projektionen  oder  Komponenten  mit  X,  Z,  Z, 
so  kann  man  die  gemachte  Annahme  symmetrisch  ausdrücken  durch 

10)  X  =  Cu\     Y  =  Cv',    Z  =  Cw. 

Zerlegt  man  jede  dieser  Gleichungen  in  n  Theile  von  der  Form 

Xfe  =  Ci/i,     Jjk  =  Cvjcj     Zk  =  Cw]c, 

so  stellt  jedes  derartige  Tripel  die  Werte  der  Beschleunigungs- 
komponenten «i,  ri,  w'jc  bei  Einwirkung  der  Teilkomponenten  X^j 
JT^,  Zj.  dar,  die  ebenso  zu  Einzelkräften  Kj^  zusammengesetzt  werden 
können,  wie  X,  Y  Z  zu  K.  Die  gleichzeitig  mrkenden  K^  sind 
hiemach  mit  dem  einzigen  K  äquivalent,  wenn 

11)  x=-5^x„    r=j?j;,   z^:sz^. 


§  2,    Kraft  und  Masse.  15 


Diese  Formeln  enthalten  den  Satz  des  Parallelogramms  oder  Pa- 
rallelepipeds  der  Kräfte^. 

Bezüglich  der  in  (9)  und  (10)  enthaltenen  Konstante  C  erkennt 
man,  daß  sie  für  verschiedene  materielle  Punkte  derselben  Substanz 
mit  der  Quantität  M  der  in  ihnen  enthaltenen  Materie,  die  durch 
den  erfüllten  Baum  gemessen  wird,  proportional  sein  muB.  Denn 
ein  Punkt  von  doppelter  Masse  z.  B.  läßt  sich  als  aus  zwei  ein- 
fachen Punkten  zusammengesetzt  betrachten  und  muß  daher  zwei 
gleiche  Einwirkungen,  welche  nach  (11)  äquivalent  sind  mit  einer 
von  doppelter  Größe,  zu  seiner  Bewegung  erfordern,  als  der  ein- 
fache Punkt 

Hierdurch  gewinnen  wir  den  Ansatz 

K=^BMf,     K\\B\  12) 

'  derselbe  giebt  uns  das  erste  Beispiel  einer  Beziehung  von  der 
Form  (I),  die  einen  Parameter  enthält,  und  zwar  ist  das  Beispiel 
von  ganz  besonders  großer  Bedeutung  und  sehr  geeignet,  die  Rolle, 
welche  diese  Parameter  in  der  Physik  spielen,  ins  rechte  Licht 
treten  zu  lassen. 

Der  Factor  f  erscheint  zunächst  als  eine  der  Substanz  des 
materiellen  Punktes  individuelle  Konstante;  denn  unsere  Über- 
legung hat  sich  nur  mit  der  Vergleichung  von  Punkten  gleicher 
Substanz  beschäftigt 

Wir  dürfen  ihn  aber  dann  als  eine  universelle  Konstante  be- 
trachten, wenn  wir  über  die  Bedingung,  unter  welcher  ;swei  Massen  von 
verschiedener  Substanz  als  gleich  gelten  sollen,  geeignet  verfügen. 
Damit  nämlich  /  für  alle  Substanzen  den  gleichen  Wert  habe,  müssen, 
was  ohne  Kollision  mit  früheren  Verfügungen  möglich  ist,  solche 
Massen  einander  gleich  gesetzt  werden,  an  welchen  dieselbe  Kraft  die 
gleiche  Beschleunigung  hervorbringt  In  der  That  ergiebt  sich  aus 
den  auf  zwei  verschiedene  Substanzen  angewandten  Gleichungen 

K=BMf    und    K^BMf 

durch  Elimination  von  f  die  Beziehung 

welche  das  Gesagte  beweist 

Diese  letzte  Gleichung  giebt  zugleich  ein  Mittel  an,  verschiedene 
Massen  ihrer  Größe  nach  miteinander  zu  vergleichen  und  daher 
auch,    falls  man  die  eine  zur  Masseneinheit  wählt,   sie  zu  messen. 


16  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper.    L  Kap. 

Denn  man  braucht  sie  nur  durch  dieselbe  Kraft;  zu  beschleunigen, 
so  wird  dann 

sein  müssen. 

Nun  eine  erste  —  freilich  noch  nicht  flir  die  praktische  An- 
wendung geeignete  —  Methode  der  Messung  von  Massen  gefunden 
ist,  tritt  auch  das  Bedürfnis  nach  einer  Masseneinheit  auf. 

Als  solche  gilt  in  der  Physik  die  Masse  eines  Eubikcentimeters 
Wasser  im  Zustand  der  größten  Dichte  bei  4^  C.  unter  dem  Druck 
von  einer  Atmosphäre,  das  Gramm,  —  in  der  Technik  die  Masse 
eines  Kubikdecimeters  Wasser,  das  Kilogramm,  —  in  der  Astro- 
nomie die  Masse  der  Erde. 

Wir  werden  sehen,  dass  mit  der  Verfügung  über  die  Längen-, 
Zeit-  und  Masseneinheit  ein  System  von  Grundeinheiten  gebildet 
ist,  durch  das  sich  alle  physikalischen  Größen  messen  lassen,  wenn 
es  auch  zum  Zwecke  kürzeren  Ausdruckes  häufig  vorteilhafter  ist, 
den  zusammengesetzten  Größen  eigene  Einheiten  zu  erteilen.  Zahl- 
werte,  die  unter  Zugrundelegung  jener  drei  Fundamentaleinheiten 
ausgedrückt  sind,  bezeichnet  man  als  in  absolutem  Maße  ge- 
geben, und  unterscheidet  die  verschiedenen  benutzten  Systeme  durch 
Symbole,  welche  angeben,  welche  Einheiten  für  Länge,  Masse  und 
Zeit  gewählt  sind.  So  wird  das  gebräuchliche  absolute  Maßsystem 
der  theoretischen  Physik  durch  (cm,  gr,  sec),  das  der  Technik  durch 
(m,  kg,  sec)  bezeichnet.  — 

Nunmehr  ist  in  der  Formel 

rechts  Dimension  und  Einheit  der  beiden  variabeln  Faktoren  voll- 
ständig bestimmt;  das  weitere  Fortschreiten  gestaltet  sich  ver- 
schieden, je  nachdem  man  die  Einheit  und  Dimension  der  Größe 
links,  der  Kraft  nämlich,  unabhängig  von  dieser  Gleichung  durch 
anderweite  Überlegungen  festsetzen  will  oder  nicht.  Nach  beiden 
Richtungen  hin  wird  der  vorstehende  Ansatz  benutzt 

In  der  theoretischen  Physik  ist  man,  wie  schon  in  der  Einleitung 
gesagt  ist,  bestrebt,  im  Interesse  der  Einfachheit  aus  den  Be- 
ziehungen von  vorstehender  Form  die  Parameter,  soweit  nur  immer 
möglich,  fortzuschaflfen.  Dies  geschieht,  indem  man  die  noch  ver- 
fügbaren Dimensionen  und  Einheiten  so  bestimmt,  daß  der  Para- 
meter gleich  einer  reinen  Zahl  und  zwar  am  besten  gleich  der  Ein- 
heit wird. 

Verfährt  man  hier  demgemäß,  so  erhält  man 


§  2.    Kraft  und  Masse.  17 


K^MB,  12') 

und  dadurch  zugleich  die  Dimensionalgleichung  einer  Kraft  in  der 
Form 

[Z]  =  m/^^  12') 

worin  m  die  Dimension  einer  Masse  bezeichnet  Femer  erkennt 
man,  daß  durch  die  getroffene  Verfügung  diejenige  Kraft  gleich 
Eins  gesetzt  wird,  die  der  Masse  Eins  die  Beschleunigung  Eins 
erteilt 

Die  so  definierte  Krafteinheit,  die  konsequent  aus  der  Definition 
der  Kraft  entwickelt  ist,  heißt  die  Dyne;  sie  ist  die  in  der  wissen- 
schaftlichen Physik  fast  allein  gebräuchliche,  ob  sie  gleich  nicht 
sehr  anschaulich  und  leicht  herstellbar  ist 

In  der  Technik  und  den  Gebieten  der  Physik,  die  mit  ihr  in 
besonders  naher  Verbindung  stehen,  der  mechanischen  Wärmetheorie 
und  der  Elektrodynamik,  wird  häufig  eine  andere,  sehr  anschau- 
liche und  bequeme  Krafteinheit  angewandt,  deren  Einführung  ein 
Beispiel  für  die  zweite  mögliche  Art  der  Verwendung  des  obigen 
Ansatzes  giebt 

Die  einzige  Kraft,  welche  uns  in  immer  gleicher  Weise  und 
mit  zeitlich  unveränderlicher  Stärke  zur  Verfügung  steht,  ist  die 
Schwerkraft  Vielfältige  Beobachtungen,  deren  genaueste  von 
Bessel*)  geliefert  sind,  haben  festgestellt,  daß  ihre  Wirkung  auf 
einen  materiellen  Punkt  mit  dessen  Masse,  wie  sie  oben  definiert 
worden,  proportional  ist  Diese  Wirkung  nennt  man  sein  Ge- 
wicht G,  Die  Beschleunigung,  w^elche  die  Schwerkraft  einem  ma- 
teriellen Punkte  erteilt,  und  welche  nach  dem  eben  Gesagten  und 
nach  der  Beziehung 

^=^Mf 

von  seiner  Masse  unabhängig  ist,  wird  gebräuchlicher  Weise  durch 
den  Buchstaben  g  bezeichnet;  das  Gewicht  des  Massenpunktes  ist 
dann  allgemein  durch  die  Formel 

G=^fMg  13) 

oder  in  dem  speziellen  Falle,  daß  /*=  1  gesetzt  ist,  durch 

G=^Mg  13') 

gegeben. 

Danach  der  Beobachtung^  auf  der  Erdoberfläche  nicht  sehr  erheb- 
lich variiert,  so  ist  auch  das  Gewicht  eines  bestimmten  Massenpunktes 
auf  derselben  angenähert  konstant;  wo  es  sich  um  eine  schärfere 
Definition  handelt,  benutzt  man  diejenige  Kraft,  welche  der  Massen- 

ToioT,  Theoretische  Physik.  2 


18  /.  Teil.    Meckamk  starrer  Körper,    L  Kap. 


punkt  unter  der  geographischen  Breite  von  45  <*  und  in  der  Höhe 
der  Meeresoberfläche  durch  die  Schwere  erfahrt,  also 

13")  G  =  fMff 


46  ' 


als  sein  Gewicht  im  engeren  Sinne  des  Wortes;  eine  eindeutige 
Festsetzung  ist  allerdings  auch  hierdurch  nicht  geliefert 

Das  so  definierte  Gewicht  der  Masseneinheit,  in  der  Regel  des 
Kilogrammes,  führt  jene  zweite  Verfügung  über  die  Konstante  f  als 
die  Einheit  der  Kraft  ein.    Aus  der  Formel 

K^BMf 
wii'd  dann,  indem  Jr=l,  M=l,  B  =  g^^  gesetzt  wird, 

und  es  ergiebt  sich  hierdurch  als  zulässig,  die  Konstante  f  nach 
Größe  und  Dimension  zu  bestimmen  durch  die  Formel 

Die  allgemeine  Beziehung  nimmt  hierdurch  die  Gestalt  an 

14)  jr=  ^ 

und  sie  läßt  erkennen,  daß  bei  dieser  Verfügung  über  f  die  Kraft 
K  ihrer  Dimension  nach  eine  Masse  ist,  wie  auch  ihre  Einheit  nur 
Ton  derjenigen  abhängt,  in  welcher  die  Masse  gerechnet  wird.  Die 
Konstante    f   aber    wird    eine    reciproke    Beschleunigung,     d.    h. 

Für  den  Übergang  von  wissenschaftlichen  zu  technischen  Kraft- 
einheiten kann  die  Regel  von  Nutzen  sein,  welche  die  obige  Formel 
an  die  Hand  giebt:  Vorausgesetzt,  daß  die  Masseneinheit  ungeändert 
bleibt,  erhält  man  aus  der  Größe  K^  einer  Kraft  in  wissenschaftlichen 
Einheiten  ihren  Zahlwert  K^  in  technischen,  indem  man  erstere 
durch  981  dividiert  Wird  gleichzeitig,  wie  häufig  geschieht,  die 
wissenschaftliche  Masseneinheit  g  mit  kg  vertauscht,  so  wird 

14')  Z,  =         "^ 


9.81.10* 


In  der  That  ist  die  technische  Krafteinheit,  das  Gewicht  von  1  kg 
in  physikalischen  Einheiten  gleich  9-81.10*. 

Auf  die  astronomische  Masseneinheit   werden  wir   später   ein- 
gehen. 


§  3.    Beicegungsgkichtmgen  für  einen  Massenpunkt,  19 

§  3.     Sie  Beweg^gflgleichungen. 

Stellen  wir  uns  weiterhin  zunächst  nur  auf  den  Boden  der 
Physik,  so  werden  wir  die  Gleichungen 

K^BM,    K\\B 

oder  die  mit  ihnen  äquivalenten^) 

als  das  Resultat  der  bisherigen  und  die  Grundlage  flir  die  weiteren 
Entwickelungen,  welche  sich  speziell  auf  die  Bestimmung  der  Be- 
wegung eines  Massenpunktes  bei  gegebenen  Kräften  beziehen  werden, 
zu  betrachten  haben.  Aus  ihnen  folgen  unter  Berücksichtigung  der 
Beziehungen  (7)  leicht  die  folgenden  drei  Sätze  %  welche  in  nächstem 
Zusammenhang  mit  der  in  Formel  (7")  geleisteten  Zerlegung  der 
Beschleunigung  B  stehen. 

Die  Komponente  der  wirkenden  Kraft  nach  der  Richtung  der 
Tangente  an  die  Bahn  ist  gleich  dem  Produkt  aus  der  Masse  in 
die  Tangentialkomponente  der  Beschleunigung  oder  der  Bahn- 
beschleunigung: 

P=Jlf^.  15') 

Die  Komponente  der  Kraft  nach  der  Richtung  der  Haupt- 
nonnale ist  gleich  dem  Produkt  aus  der  Masse  in  das  Quadrat  der 
Geschwindigkeit  dividiert  durch  den  Krümmungsradius  der  Bahn: 

Die  Komponente  der  Kraft  nach  der  Richtung  der  Binormale 
verschwindet: 

Njj  =  0.  15'") 

Das  Aggregat  MV^Iq  führt  auch  den  Namen ^  der  „Centri- 
fugalkraft'^  und  wird  anschaulich  als  ein  Maß  des  Bestrebens 
des  Massenpunktes  gedeutet,  den  Krümmungsmittelpunkt  zu  fliehen; 
die  Komponente  Nj  kompensiert  gerade  diese  Wirkung.  — 

Ist  der  Massenpunkt  an  eine  feste,  aber  beliebig  bewegte  Ober- 
fläche gebunden,  deren  Gleichung 

(p[x,y,z,t)^0  16') 

sein  mag,  so  sondern  sich  aus  den  Komponenten  X,  Z,  Z  die 
Reaktionskräfte  der  Oberfläche  aus,  die  zwar,  wenn  die  OberflSi,che 
keine  tangentiale  Wirkung  übt,  ihrer  Richtung  nach  bekannt  sind, 
deren  Größe  iV"  aber  von  der  Inanspruchnahme  durch  die  äußeren 


20  L  Teü,    Mechanik  starrer  Körper,      L  Kap, 

Kräfte  X,  T,  Z  abhängt  und  daher  im  allgemeinen  unbekannt  ist 
Die  obigen  Gleichungen  werden  hiemach 

M  j^  =  X  +  iVcos  (n,  x)y 


16) 


JI/^=r+J\rco8(n,y), 
M^^Z+Ntos[n,z). 


dt* 

Ganz  ebenso  gilt,  wenn  der  Massenpunkt  auf  einer  durch  die 
beiden  Gleichungen 

17')  qpj  {x,  y,  z,  t)  =  0,     y,  {x,  y,  2:,  /)  =  ü 

gegebenen  Kurve  zu  bleiben  gezwungen  ist,  das  System 


17) 


-Jf  ^-Tj-  =  X+  JVjCOs(»j,  or)  +  -A^jjC08(nj,  x), 
.V^  =  r+  J\';  cos(ni,  y)  +  iV,  cos(n,,  y), 
M  -r^  ==  Z  +  N^cos{n^,  z)  +  N^  cos  (n^,  z) , 


dt* 

worin  JV^  und  iV^  die  Komponenten  der  von  der  Kurve  ausgeübten 
gesamten  Reaktion  N  nach  den  Normalen  n^  und  n^  auf  den 
beiden  Oberflächen  qp^  ==  0  und  cp^  =  0  bezeichnen.  Der  ver- 
größerten Zahl  der  Unbekannten  entspricht  die  vergrößerte  Zahl 
der  Bedingungen.®) 

Die  Systeme  (15),  resp.  (16)  und  (17)  bestimmen  bei  allein  von 
t,  Xj  y,  Zj  Uy  V,  w  abhängenden  Kräften  die  Bewegung  eines  Massen- 
punktes vollständig,  wenn  noch  sein  Anfangszustand  gegeben  ist, 
d.  h.  seine  Koordinaten  und  seine  Geschwindigkeitskomponenten  für 
irgend  einen  Zeitpunkt  vorgeschrieben  sind,  oder  andere  hiermit 
äquivalente  Nebenbedingungen  vorliegen. 

Gleichgewicht  findet  statt,  wenn  bei  verschwindender  Ge- 
schwindigkeit auch  die  Beschleunigung  verschwindet,  also  die  Kom- 
ponentensummen nach  den  Koordinatenaxen  und  damit  nach  allen 
Richtungen  gleich  Null  sind. 

Die  drei  Bedingungen 

18)  X=-5'X,  =  0,    r=^7,  =  o,    z^2:z^  =  o 

enthalten  nach  dem  Gesagten  bei  einem  frei  beweglichen  Massen- 
punkt, welches  auch  im  allgemeinen  die  Abhängigkeit  der  Kräfte 
sei 9  nur  dessen  Koordinaten  und  bestimmen  demgemäß  für  diese 
ein  oder  mehrere  Systeme  von  Werten,  welche  den  Gleichgewichts- 
lagen des  Punktes  entsprechen. 


§  4.    Lebendige  Kraft,  Arbeit.  21 

Ist  der  Massenpunkt  an  eine  feste,  ruhende  Oberfläche  gebunden, 
80  enthalten  sie,  wie  in  den  Systemen  (16)  und  (17)  hervortritt, 
außerdem  noch  deren  unbekannte  Eeaktionskraft  N\  man  kann  die- 
selbe eliminieren,  indem  man  die  Formeln  (18)  mit  den  Faktoren 
C08(«j,  x\  cos(*j,y),  C08(*j,  z)  und  cos (5,,  x),  cos(*j,y),  cos(*2>  ^)  zu- 
sammenfaßt, in  denen  «^  und  s^  die  Richtungen  zweier  verschiedener 
in  der  Oberfläche  gelegener  Linienelemente  bezeichnen.  Die  beiden 
Bedingungen 

Xcos(«i,  x)  +  rcos(*i,  y)  +  ^cos(*2,  z)  =  0,  | 

Xcos  («2,  x)  +  Tcos  (*2,  y)  +  ^^cos  («g,  z)  =  0  J 

bestimmen  mit  tp  (:r,  y,  z)  =  0  zusammen  die  Koordinaten  der  Gleich- 
gewichtslagen. 

Gleiches  gilt  für  einen  an  eine  ruhende,  feste  Kurve  gebun- 
denen Punkt  in  Bezug  auf  die  drei  Gleichungen 

Xcos  [8j  x)  +  Tcos  (*,  y)  +  ^cos  (*,  z)  =  0,         \ 
9i  i^y  Vj  ^)  =  0,      9?2  {xj  y,  z)  =  0.  J 


§  4.    Lebendige  Kraft,  Arbeit,  Potential,  Energie. 

Aus  den  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (15)  erhält  man 
durch  Zusammenfassung  mit  den  Faktoren  dx^udty  di/  =  vdt, 
dz  =  todt  die  Formel 

^Md{F^  =  Xdx  +  Tdy  +  Zdz\  19) 

darin  heißt  der  Ausdruck 

\MV^=^^  19') 

die  lebendige  Kraft ^  des  Massenpunktes, 

Xdx  +  Ydy  +  Zdz^d'Jl  19") 

die  Arbeit^*^  der  wirkenden  Kräfte  bei  der  Verschiebung  ds.  Die 
Arbeit  stellt  sich  im  allgemeinen  nicht  in  der  Form  eines  voll- 
ständigen Differentiales  nach  der  Zeit  dar,  und  die  dafür  eingeführte 
kurze  Bezeichnung  d^ui  soll  demgemäß  nur  einen  unendlich  kleinen 
mit  dt  proportionalen  Betrag  bedeuten;  in  ähnlichem  Sinne  wollen 
wir  weiterhin  das  Symbol  öT  immer  verwenden. 
Die  Gleichung  (19)  oder  die  kürzere  Form 

dW^d!A  20) 

heißt  die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft  für  den  betrachteten 


22  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    L  Kap, 


Massenpunkt     Sie   liefert   durch   Integration   zwischen   zwei   Zeit- 
punkten (1)  und  (2) 

12) 

20')  %^W,^f^u4=^^,„ 

(1) 
worin  ui^^  im  allgemeinen  nur  dann  bestimmbar  ist,  wenn  inner- 
halb   des  Integrationsbereiches    die   Bewegung,    d.  h.   x,  y,  z   als 
Funktionen  von  t  bestimmt  sind. 

Die  Arbeit  ist  im  allgemeinen  Ton  den  Komponentensummen 
aller  wirkenden  Kräfte  zu  bilden.  Man  kann  sie  in  Teile  zer- 
legen, die  den  einzelnen  wirkenden  Kräften  entsprechen,  und  im 
Anschluß  an  (11)  schreiben 

21)  (TJl  =  JS'rf^^, 

wo 

21')  d'Jj^  =  Xj^dx  +  Y^dy  +  Z^dz 

sich  auch  auf  die  Form  bringen  läßt 

21")  dAy^  =  K^  cos  {K^,  s)  ds. 

Ist  die  Bewegung  an  eine  ruhende  Kurve  oder  Oberfläche  gebunden, 
so  verschwinden  nach  den  aus  (16')  und  (17')  durch  vollständige 
Difl'erentiation  nach  der  Zeit  folgenden  Formeln  die  von  den  Eeaktions- 
kräften  herrührenden  Anteile,  und  die  Gleichung  der  lebendigen 
Kraft  enthält  nur  die  Arbeiten  der  direkt  gegebenen  äußeren 
Kräfte. 

In  dem  Falle,  daß  die  Arbeit  dA^  einer  Kraft  K^  sich  in  der 
Form  eines  vollständigen  DiflFerentiales  nach  der  Zeit  darstellt,  sagt 
man,  daß  JTfc  ein  PotentiaP^)  </>fc  besitzt,  das  man  durch  die 
Gleichung 

22)  d!A^  =  -  ^  ^fc 

bis  auf  eine  additive  Konstante  definiert  Gilt  dies  von  allen  wir- 
kenden Kräften  und  bezeichnet  0  =t=  -2*  0^  ihr  Gesamtpotential,  so 
nimmt  die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft  die  Gestalt  an 

22')  dE^d{W+  0)  =  O 

oder  integriert 

22")  E=W+  0  =  Const, 

in  welcher  die  neu  eingeführte  und  wie  0  nur  bis  auf  eine  addi- 
tive Konstante  definierte  Funktion  £*  die  Energie  des  Massen- 
punktes unter  dem  Einfluß  aller  wirkenden  Kräfte^^  heißt 
0  und  W  erscheinen  als  Teile  von  E,   die  während  der  Bewegung 


§  4.    PotenHalf  Energie.  23 


jeder  nur  auf  Kosten  des  anderen  wachsen  und  abnehmen,  und  werden 
auch  als  potentielle  und  kinetische  Energie  bezeichnet 

Lebendige  Kraft,  Arbeit,  Potential  und  Energie  haben  dieselbe 
Dimension,  es  gilt  nämlich 

[«P]  =  [^  =  [0]  =  [^  =  m  P  /-2.  22"') 

Ihre   wissenschaftliche   Einheit,    nämlich    das   Produkt    der   Kraft- 
einheit in  die  Längeneinheit,  führt  den  Namen  Erg. 

Um  Energien  oder  Arbeiten  von  physikalischen  Einheiten 
(g,  cm,  sec)  in  technische  (kg,  m,  sec)  überzuführen,  hat  man  nach 
der  Gleichung 


£r^ 


V 


9.81.10' 

zu  verfahren;  in  der  That  ist  die  technische  Arbeitseinheit,  das 
Kilogrammeter,  oder  die  Arbeit,  welche  erforderlich  ist,  um 
den  Angriffspunkt  der  Krafteinheit  (des  kg)  um  1  m  zu  heben, 
gleich  ^.10^ 

Der  Wirksamkeit  einer  Kraftmaschine  wird  nach  der  Arbeit  be- 
urteilt, welche  sie  in  der  Zeiteinheit  liefert,  d.  h.  nach  der  Funktion 

r=^,  23) 

welche  wir  kurz  ihren  Effekt  nennen  wollen;  für  F  gilt  die  Di- 
mensionalgleichung 

[I-^^mPir^.  23') 

In  dem  wichtigen  Falle,  daß  die  Arbeit  gegen  eine  konstante  der 
Bewegung  entgegengesetzte  Widerstandskraft  W  geleistet  wird,  welche 
die  Geschwindigkeit  V  konstant  erhält,  hat  die  hervorgebrachte 
Leistung  den  Wert 

r^JFF.  23") 

Bei  physikalischen  Messungen  drückt  man  derartige  Leistungen 
in  Erg  per  Sekunde  aus,  wie  überhaupt  durch  die  Präposition 
„per**  eine  Größe  auf  eine  bestimmte  Zeit  oder  Länge  bezogen 
wird.  In  der  Technik,  wo  es  sich  häufig  um  sehr  bedeutende  Lei- 
stungen handelt,  hat  man  als  Einheit  für  dieselben  die  sog.  Pf  er  de - 
kraft,  nämlich  75  kg.m  per  sec.  eingeführt  Sie  ist  gleich 
9. 81. 75. 10^  Erg  per  Sekunde. 

Die  Elektrotechnik  hat  aus  Gründen,  die  später  klarer  hervor- 
treten werden,  für  Arbeit  und  Leistung  Einheiten  eingeführt,  die 
aus  den  wissenschaftlichen  abgeleitet  sind.  Eine  Arbeit  von  10^  Erg 
nennt  sie  1  Joule,  eine  Leistung  von  10^  Erg  per  Sekunde  1  Watt  — 


24 


7.  Tnl.    Mechanik  starrer  Körper.    1.  Kap. 


Die  Bedingungen  für  die  Existenz  eines  Potentiales  sind  in 
dem  allgemeinsten  Falle,  daß  die  Kraflkomponenten  von  der  Zeit, 
den  Koordinaten  und  ihren  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  ab- 
hängen, ziemlich  kompliziert  Man  erhält  sie^'),  indem  man  die 
allgemeinste  Variation  einer  Funktion  (p  von  ^  ar,  y,  z,  ar',  y',  /  . . ., 
worin  die  oberen  Jndices  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  be- 
zeichnen, bildet  und  auf  eine  Form  zu  bringen  sucht,  welche  der 
das  Potential  definierenden  Gleichung 

24)  Xdx  +  Ydy  +  Zdz  =  -  cf  0 

entspricht. 

Es  ist  zunächst 


240 


Berücksichtigt  man,  daß  nach  der  Definition 
ist,  so  kann  man  leicht  bilden 


d  (f 

d  X 

d_ 

d 

d 
dx 


Sx 


dx^^' 


hieraus  folgt  durch  Einsetzen  in  (24') 


24") 


8x 


dq>      d  d  (p      cP   dtp       dP    ^V    i 
dx''dilx''^di^'dö^'''d?ds^^''' 


+ 


Sy\...\+Sz\...\ 


\ 


4-  Sx"(  -*  -   '^  --^4-         ]  + 


+ 


§  4,    PotenÜalf  Energie, 


25 


Sind  nun  die  Variationen  Sxy  Sy,  Sz  ,  . .  die  während  der 
Zeit  ^^  im  Laufe  der  Bewegung  wirklich  eintretenden  Verände- 
rungen, so  ist 

Sx  ^==x'dty     Sy  ^=ydt^     8z  =^z'dtj 
Sx'  =  x''dt,     Sy  =  y'dt^     S  z  =  z'dt, 


und  auch  S(p  —  fp.dt\  dann  hat  die  rechte  Seite  der  letzten 
Formel  aber  immer  die  Form  eines  vollständigen  Differentiales  nach  der 
Zeit,  wenn  rp  die  Zeit  nicht  explicit  enthält,  d.h.  d(pldt=^Q  ist 
Deutet  man  also  links  die  negativ  genommenen  Faktoren  von 
Sxj  8yj  8  z  als  die  Ausdrücke  für  die  Kraftkomponenten  X,  J,  Z^ 
so  läßt  sich  dann  die  rechte  Seite  als  das  negative  Differential  eines 
allgemeinen  Potentiales  0  betrachten.    Es  entspricht  sich  also 


J=  - 


7=  - 


Z=  - 


d  <p 
dy 

d  <p 
d% 


,    d  d  g> 


cP     dq> 


dt  dx'       dt*  dx 


// 


+  4. 


dg>        d^    dq> 


dtdy'       df^  dy" 


^±dg> 


25) 


dtdx'       dt*  dx'' 


d  <p 


dx"   '  dt*  dx 


nt 


q:...j+y'(., .)+/(.. .y 


—  X 


d  g>        d     dq>    .         \ 

T^^Ttdx'"^  '")  ""••• 

^fft(  d  q>        d     djp^.        \ 


25') 


und  jederzeit,  wenn  die  Kraftkomponenten  sich  in  der  voratehenden 

Form  (25)  darstellen,  ergiebt  der  letzte  Ausdruck  (25')  das  wirksame 

Potential 

Der  wichtigste  Fall  ist  der,  daß  die  Komponenten  nur  von  den 

Koordinaten  allein  abhängen;  dann  muß  gleiches  von  tp  gelten  und 

es  wird 

0  =  <jp. 

Hier  läßt  sich  also  einfach  schreiben 

0  0        ,^  dO 


X=  - 


7  = 


Z^  - 


dO 

d% 


26) 


dx'      ^  ~        dy' 
und  auch  eine  von  0  selbst  unabhängige  Bedingung  für  die  Existenz 
eines  solchen  speziellen  Potentiales  bilden,  nämlich 

ör_^       ö^^öX       dX  ^dY 
dlö'~^y^      dx  ~' dx  '      dy        dx 


26') 


26  /.  Teü,     Mechanik  starrer  Körper.    L  Kap. 

Die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft  (22")  gewinnt  in  diesem 
Falle  eine  einfache  und  anschauliche  Bedeutung. 

Wenn  0  nur  die  Koordinaten  enthält,  so  giebt  jede  Gleichung 
0  =  Const  eine  Oberfläche,  und  man  kann  mit  dergleichen  Poten- 
tialflächen den  ganzen  Baum  erfüllen.  Die  Gleichung  der  leben- 
digen Kraft  sagt  in  diesem  Falle  aus,  daß,  wo  immer  der  Massen- 
punkt dieselbe  Potentialfiäche  erreicht,  er  dies  stets  mit  der  gleichen 
Geschwindigkeit  thut;  insbesondere  besitzt  er,  wenn  er  einen  und 
denselben  Punkt  mehrfach  passiert,  daselbst  immer  dieselbe  Ge- 
schwindigkeit. 

Wegen  dieser  Eigenschaft  der  Bewegung  nennt  man  Kräfte, 
welche  ein  nur  von  den  Koordinaten  abhängiges  Potential  besitzen, 
konservativ  und  dehnt  diese  Bezeichnung  auch  auf  den  Fall 
irgend  welcher  Potentiale  aus. 

Es  möge  bemerkt  werden,  daß  die  vorstehenden  Entwickelungen 
den  allgemeinen  Fall  nicht  umfassen,  unter  "welchem  die  Arbeit  (TA 
verschwindet,  also  auf  ein  konstantes  Potential  führt.  Dieser  tritt 
jederzeit  ein,  wenn  die  Kraftkomponenten  die  Form  haben 

X=  Cv   -Btü, 

26")  r=^M?-(7M, 

worin  A,  By  C  beliebige  Funktionen  der  Zeit,  der  Koordinaten  und 
ihrer  Differentialquotienten  sein  können.  Betrachtet  man  A,  B,  C 
als  die  Komponenten  eines  Vektors  JD,  wie  u,  v,  w  die  Komponenten 
der  Geschwindigkeit  Tsind,  so  steht  die  resultierende  Kraft  K  nor- 
mal auf  der  Ebene  durch  JD  und  F  und  hat  die  Größe 

26'")  K=D  Fsin {D,  F) .  — 

Faßt  man  die  Gleichungen  (15)  mit  den  Faktoren  Sx,  Sy,  8  z 
zusammen,  welche  beliebige  Variationen  der  Koordinaten  x,  y,  z  be- 
zeichnen soUen,  so  erhält  man^^) 

worin  S'A  die  Arbeit  bezeichnet,  welche  die  Kräfte  bei  der  durch 
8x^  Sy,  Sz  bestimmten  willkürlichen  Verschiebung  Ss  leisten.  Die- 
selbe Formel  gilt  auch  für  bedingte  Bewegungen,  und  zwar  enthält 
in  diesem  Falle  S'A  allein  die  äußeren,  nicht  die  ßeaktionskräfte, 
wenn  nur  die  Jar,  5y,  Sz  und  damit  die  Richtung  und  Größe  der 
resultierenden  Verrückung  8s  den  Bedingungen  genügen,  die  man 
aus  (17')  resp.  (18')  durch  Variation  bei  unveränderter  Zeit  erhält. 


§  4.     Oleickung  der  virtuelien  Verrückungen.  27 


Derartige  Yerriickungen  nennt  man  virtuelle,  und  demgemäß 
auch  die  Formel  (27)  die  Gleichung  der  virtuellen  Ver- 
rückungen. 

In  diesem  Sinne  verstanden,  gestattet  die  Formel  (27)  die  Bück- 
gewinnung  der  allgemeinen"  Gleichungen  für  freie  und  bedingte  Be- 
wegung. 

Nach  der  Methode  von  Laghange^*)  wird  nämlich  die  Bedingung 

dadurch  berücksichtigt,  daß  man  die  Formel 

ox  oy     ^       ox 

mit  einem  imbekannten  Faktor  X  multipliziert  der  Gleichung  (27) 
zufügt  und  danach  alle  Variationen  Sx^  Öy,  5  z  als  willkürlich  be- 
trachtet    Man  gelangt  so  zu  dem  System 


ar  ox  ' 


27') 


das  nur  der  Form  nach  von  (17)  verschieden  ist. 

Die  Bedingung   des  Gleichgewichts   verwandelt   sich   aus   dem 
gleichen  Grund  in^®) 

S'A  =  XSx  +  YSy  +  ZSz  =  0;  28) 

sie  sagt  aus,  daß  für  einen  Massenpunkt  Gleichgewicht  stattfindet, 
wenn  bei  jeder  virtuellen  Verschiebung  die  an  ihm  geleistete  Arbeit 
verschwindet 

Hat   die   wirkende   Kraft   ein   Potential    </>,    welches    nur   die 
Koordinaten  enthält,  so  ist  die  Bedingung  (28)  identisch  mit 

5f/>  =  0;  28') 

in  der  Gleichgewichtslage  hat  im  allgemeinen  0  einen  größten  oder 
kleinsten  Wert. 

Wenn  die  Bedingung  (28)  nicht  erfüllt  ist,   so  tritt  Bewegung 
ein.     Gemäß  der  Formel  (19)  gilt  dann  für  den  ersten  Zeitmoment 

d  (m^)  =  du4, 

WO  der  Ausdruck  links,  da  die  Bewegung  von  der  Geschwindigkeit 


28  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    L  Kap, 

Fss  0  an  beginnt,  jedenfalls  positiv  ist.    Es  folgt  hieraus,  daß  für 
die  aus  der  Euhe  beginnende  Bewegung  eines  Massenpunktes  stets 

28")  £f  ^  >  0 

ist,  was,  im  Falle,  daß  ein  Potential  vorhanden  ist,  auf 

28'")  rf  *  <  0 

führt. 

EUeraus  folgt  weiter,  daß,  wenn  in  der  Gleichgewichtslage  </> 
ein  Maximum  ist,  eine  unendlich  kleine  Ablenkung  aus  dieser 
Position  eine  Bewegung  veranlaßt^  welche  den  Massenpunkt  noch 
weiter  von  der  Gleichgewichtslage  entfernt;  wenn  ein  Minimum, 
dann  eine  solche,  die  ihn  nach  der  Gleichgewichtslage  zurückfuhrt. 
Im  ersteren  Falle  heißt  das  Gleichgewicht  labil,  im  zweiten  stabil, 
auf  der  Grenze  zwischen  beiden  indifferent 

§  5.     Beispiele  konservativer  und  nicht  konservativer  Kräfte. 

Die  in  den  vorigen  Abschnitten  entwickelten  allgemeinen  Grund- 
sätze sollen  nunmehr  auf  die  wichtigsten  Kräfte,  für  deren  Ein- 
wirkung die  Körper  unter  der  auf  Seite  10  gegebenen  Bedingung 
als  Massenpunkte  angesehen  werden  können,  angewandt  werden. 

Euer  kommt  in  erster  Linie  die  Schwerkraft  in  Betracht. 
Dieselbe  kann  an  der  Erdoberfläche  innerhalb  erheblicher  Bereiche 
als  von  konstanter  Größe  und  Kichtung  angesehen  werden;  ihre 
Größe  ist  nach  Formel  (13')  gleich  M^j  ihre  Richtung  steht  normal 
zur  Erdoberfläche.  Legen  wir  also  die  ^-Axe  des  Koordinaten- 
systems vertikal  nach  unten,  so  nehmen  die  Gleichungen  (15)  für 
die  freie  Bewegung  die  Gestalt  an 

2»)  3?'-».      S'-O.      ^-^' 

woraus  allgemein  die  Gesetze  des  Wurfes  und,  falls  der  Massen- 
punkt seine  Bewegung  ohne  Anfangsgeschwindigkeit  beginnt,  die 
Gesetze  des  freien  Falles  ^^  folgen. 

Die  Schwerkraft  erfüllt  die  Bedingungen  (26')  identisch,  sie 
ist  also  eine  konservative  Kraft.  Ihr  Potential  hat  den  Wert  —  Mff  z, 
und  die  Gleichung  (22")  der  lebendigen  Kraft  lautet  für  sie,  wenn 
die  Bewegung   frei   oder   an   eine   ruhende  Kurve   oder  Oberfläche 

gebunden  ist 

J^-'2ffz  =  Const] 

die  Konstante  bestimmt  sich  zu  Null,  wenn  man  die  XJ-Ebene  in 


§  5.    Schwerkraft.  29 


diejenige  Höhe  legt,   in  welcher  V  verschwinden  würde,   wenn  die 
Bedingungen  ihre  Erreichung  gestatteten. 
Aus 

r^  =  2gz  29') 

folgt  dann 

-^^±dt,  29'0 

eine  Gleichung,  welche  sich  direkt  integrieren  läßt,  wenn  der  Punkt 
an  eine  feste  Kurve  gebunden,  also  ds  durch  dz  und  z  ausdriickbar 
ist  In  diesem  Falle  liefert  die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft 
allein  die  yollkommene  Lösung  des  Bewegungsproblems.  Das 
Vorzeichen  in  der  letzten  Gleichung  bestimmt  sich,  wenn  die  Be- 
wegungsrichtung für  einen  Wert  von  z  vorgeschrieben  ist,  und 
kehrt  sich  im  Laufe  der  Bewegung  um,  sowie  die  Höhe  z  =  0  er- 
reicht wird. 

Befindet  sich  der  Massenpunkt  auf  einem  Zweig  der  festen 
Bahn,  welcher  an  zwei  Stellen  die  Höhe  ;?  =  0  erreicht  und  da- 
zwischen durchweg  tiefer  liegt,  so  führt  er  eine  Oscillationsbewegung 
zwischen  jenen  beiden  Stellen  aus,  deren  Periode  gleich  dem  Inte- 
grale des  Ausdrucks  in  Formel  (29")  ist,  genommen  von  einem  Um- 
kehrpunkt bis  zu  diesem  zurück. 

Ist  die  feste  Kurve  eine  in  einer  vertikalen  Ebene  liegende 
Ki'eislinie,  so  erhält  mau  diejenige  Bewegung,  die  man  als  ebene 
Pendelbewegung  bezeichnet,  und  die  man  einem  schweren  Punkte 
auch  dadurch  erteilen  kann,  daß  man  ihn  mit  einem  Faden  von 
verschwindend  kleiner  Masse  an  einem  Stützpunkte  aufhängt  und 
mit  einer  Anfangsgeschwindigkeit  versieht,  die  ihn  durch  seine 
Gleichgewichtslage  hindurchführt. 

Kann  man  das  Quadrat  der  Schwingungsweite  neben  dem- 
jenigen des  Kreisradius  R  vernachlässigen,  so  liefert  obige  Formel 
für  die  Periode  T  der  Oscillation  den  Wert^®) 

29'") 

Die  Beobachtung  der  Oscillationsdauer  giebt  ein  Mittel  zur 
Bestimmung  der  Konstanten  g  der  Schwere,  deren  Kenntnis  von 
großer  Wichtigkeit  ist,  da  zahlreiche  Messungen  von  Kräften  auf 
ihrer  Vergleichung  mit  dem  Gewicht  eines  Körpers  von  gegebener 
Masse  beruhen  und  die  Bestimmung  des  letzteren  in  absolutem  Maße 
diejenige  von  g  voraussetzt.  Indessen  kann  man  in  Praxi  die  Ver- 
hältnisse nicht  so  einrichten,   daß  man  den  oscillierenden  Körper 


30  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    L  Kap. 

mit  einiger  Schärfe  als  materiellen  Punkt  betrachten  kann,  und  die 
strenge  Theorie  der  Beobachtungsmethode  erfordert  demgemäß  noch 
andere,  als  die  bisher  gewonnenen  Hülfsmittel.  — 

Nächst  der  Schwere  erregen  wegen  ihrer  zahlreichen  Anwen- 
dungen die  Centralkräfte^®)  besonderes  Interesse.  Man  versteht 
unter  diesem  Namen  Kräfte,  welche  nach  einem  ruhenden  oder 
in  gegebener  Weise  bewegten  Punkte,  dem  Kraftcentrum,  hin 
gerichtet  sind  und  ausschließlich  von  der  Entfernung  r  des  be- 
wegten Massenpunktes  von  jenem  Centrum  abhängen. 

Der  einfachste  Fall  ist  hier  der,  daß  das  Attraktionscentrum 
ruht,  und  wir  wollen  uns  auf  ihn  allein  beschränken. 

Die  Bewegung  muß  nach  Symmetrie  in  der  Ebene  bleiben, 
welche  durch  die  anfänglichen  Lagen  des  Eadiusvektors  r^  und  der 
Geschwindigkeit  F^  bestimmt  wird.  Wir  wählen  sie  zur  XZ-Ebene 
und  legen  das  Kraftcentrum  in  den  Koordinatenanfang.  Die  Be- 
wegungsgleichungen lauten  dann 

30)  Ki--^V^     ^r^=-A'f, 

WO  positive  Werte  K  einer  nach  dem  Centrum  hin,  negative  einer 
von  dem  Centrum  hinweg  gerichteten  Kraft  entsprechen;  im  ersten 
Falle  nennen  wir  die  Wirkung  anziehend,  im  letzteren  ab- 
stoßend. 

Kräfte  der  vorausgesetzten  Art  befriedigen  die  Gleichungen  (26'), 
sind  also  konservativ;  ihr  Potential  lautet  bei  Verfügung  über  die 
willkürliche  Konstante 

300  ib^fKdr. 

Die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft  (22")  giebt  bei  Einftlhrung  von 
Polarkoordinaten  r  und  tp 

30")  M^^^^+^^c„ 

worin  c^  eine  Konstante  bezeichnet,  dg)  I  dt  =  tp  heißt  die  Winkel- 
geschwindigkeit des  Massenpunktes;  ihre  Dimension  ist,  da  Winkel- 
größen reine  Zahlen  sind, 

30'")  iff'l  =  r-i. 

Gleichung  (30")  liefert  ein  erstes  Integral  der  Bewegungs- 
gleichungen (30);  ein  zweites  erhält  man,  wenn  man  sie  mit  den 
Faktoren  —  y  und  x  zusammenfaßt  in  der  Form 


§  5.     Centralkräfte  mit  ruhendem  Centrum.  31 


dy         dx       ck  ni\ 

wo  unter  c^  wieder  eine  Eonstante  verstanden  ist 
Hierfür  kann  man  auch  schreiben 

S  =  <'.'  31') 

falls  man  mit  cCx  di^  unendlich  kleine  Fläche  bezeichnet,  welche 
der  Radiusvektor  während  dt  bestreicht;  (fx  I ^^  "=  /  heißt  die 
Flächengeschwindigkeit  des  Massenpunktes  und  hat  die  Dimension 

M  =  P^^  31") 

Sie  ist  nach  der  letzten  Formel  bei  Centralbewegungen  der  be- 
trachteten Art  konstant.  Bei  Einführung  von  Polarkoordinaten  er- 
hält man  aus  (3r) 

2    dt  "''a-  ^1   ) 

Aus  (30")  und  (31'")  läßt  sich  nach  Belieben  dt  oder  dq)  elimi- 
nieren; im  ersteren  Falle  erhält  man 


oder  auch 


r« 


(1  +  (^))  +  ^  =  <'^  32) 


^0=T=^''9'  32' 


V    2M 


V 


und  hieraus  durch  Integration  die  Gleichung  der  Bahn ;  im  letzteren 

=^-==  =  ±^c^dt 

Ci  -  0  _    1  oJ  ) 

und  hieraus  durch  Integration  die  Bestimmung  des  Ortes  des 
Massenpuuktes  in  der  Bahn  als  Funktion  der  Zeit 

Die  letztere  Formel  versagt,  wenn  der  Massenpunkt  unter  der 
Wirkung  der  Centralkraft  einen  Kreis  um  das  Kraftcentrum  als 
Mittelpunkt  beschreibt,  —  ein  Fall,  der  bei  jedem  Kraftgesetz 
durch  geeignete  Wahl  des  Anfangszustandes  erzielt  werden  kann. 
Hier  gelangt  man  in  einfachster  Weise  zu  dem  Gesetz,  welches  <p 
mit  t  verbindet,  wenn  man  in  (31"')  r  konstant  =  R  nimmt 

Für  die  ümlaufszeit  T  ergiebt  sich  ein  interessanter  Satz,  wenn 
man  den  Gedanken  ausdrückt,  daß  bei  kreisförmiger  Bahn  jederzeit 
die  Centrifugalkraft  die  Centralkraft  kompensieren  muß.  Dies  giebt 
nach  (15") 


32  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper,    I.  Kap. 


K^MR 


m- 


woraus  sich  für  die  Umlaufsdauer  wegen  dfpjdt=2nlT  ergiebt 

oder,  wenn  die  Centralkraft  mit  der  Masse  M  proportional,  also 
K  =  MK^  ist 

Bei  der  Wirkung  von  Centralkräften,  die  von  einem  ruhenden 
Centrum  ausgehen,  ist  durch  die  Formeln  (82')  und  (82'^  die  Lö- 
sung des  Bewegungsproblemes  allgemein  auf  Quadraturen  zurück- 
geführt. 

Ist  die  Bahn  und  das  Kraftcentrum  gegeben,  so  gestattet  die 
Gleichung  (82)  die  Bestimmung  des  wirksamen  Potentiales  bis 
auf  eine  multiplikative  Konstante  Cg,  ohne  daß  das  Bewegungsgesetz 
bekannt  zu  sein  braucht;  c^  bestimmt  sich  dabei,  wenn  die  Ge- 
schwindigkeit des  Massenpunktes  an  irgend  einer  Stelle  seiner  Bahn 
gegeben  ist,  nach  Formel  (81'"). 

Einen  merkwürdigen  Wert  für  die  bei  der  Centralbewegung 
wirkende  Kraft  erhält  man  in  folgender  Weise. 

Bezeichnet  man  das  Lot  von  dem  Kraftcentrum  auf  die  Rich- 
tung des  Bahnelementes  ds  mit  n,  so  ist 

33)  /  =  |n|i  =  inr=o,, 

woraus  beiläufig  ?^  indirekt  proportional  mit  n  folgt.  Führt  man  den 
Winkel  r  zwischen  der  Richtung  von  ds  und  der  Sichtung  der 
X-Axe  ein,  von  der  aus  tp  gezählt  werden  mag,  so  ergiebt  sich 

88')  Cj=  ^rrsin(T-y) 

und  daher 

QQffy.  2  Cj  cos  T  __     2  c,  sin  T 

ÖO    j  M  =  -, — z r  ,  V  — 


r  sin  (t  —  9) '  r  sin  (t  —  9)  * 

Hieraus   folgt   durch   Differentiation   nach   der  Zeit   unter  Berück- 
sichtigung der  Beziehung  ctg(T  —  (p)  =^  drjrdtp 

Q,A\     du  _^  (Px 2Cj  cos  <p      dx      dv  __  cPy 2  c,  sinqp      dt 

^     57  ""  57»  ""  ""  r sin« (t  -  (p)  dt'   dt  ~~  dt^  ^  '"  r sin« (r -  <p)  'dt ' 

und  wegen  r  cos  qp  =  x,  r  sin  qp  =  y  nach  (80) 

Q4'\  r  —        2cg  Af        dl  __       MV       rfjr    _  2c,r3f  rfr 

'  ""  r sin* (t  —  q))  d t  ~'  sin (t  --  (p)  d t    ~"       n*       dt  ' 


§  o,     Widerstandskräfte,  Gleitende  Reibung,  33 

worin  (t  —  (f)  der  Winkel  zwischen  •  der  Bichtung  von  r  und  der 
Yon  ds  ist,  und  dx  j  dt  die  Geschwindigkeit  bezeichnet,  mit  welcher 
die  Bewegungsrichtung  sich  dreht.  — 

Von  nicht  konservativen  Kräften  haben  besonders  diejenigen 
eine  praktische  Bedeutung,  deren  Richtung  stets  in  die  Bewegungs- 
richtung des  Massenpunktes  fällt  und  deren  Größe  allein  von  seiner 
Geschwindigkeit  abhängt.    Dann  ist 

X=i:,^,     Y^K^tl     Z=.K,'^,  35) 

WO  JTj  eine  Funktion  der  Geschwindigkeit  F  allein  und  positiv  oder 
negativ  ist,  jenachdem  die  Kraft  antreibend  oder  hemmend  wirkt. 
Die  Arbeit  nimmt  die  Form 

d!A=-K^ds^K^Vdt  35') 

an  und  ist  ersichtlich  im  allgemeinen  kein  vollständiges  Differential 
nach  der  Zeit 

Hemmende  Kräfte  dieser  Art  erleidet  ein  Massenpunkt,  der 
sich  in  einer  Flüssigkeit  bewegt*^  Ihr  genaues  Gesetz  ist  unbekannt; 
bei  kleiner  Geschwindigkeit  erhält  man  eine  angenäherte  Dar- 
stellung der  Wirklichkeit,  wenn  man  K^  mit  V  proportional, 
etwa  =  —  Ä  r  setzt     Hier  wird  dann  aus  (35) 

X=-ÄM,     Y=-kv,     Z=-kw'  36) 

k  heißt  die  Konstante  des  Flüssigkeitswiderstandes  und  hat  die 
Dimensionalgleichung 

[Ä]  =  m^-i.  360 

Ihre  Größe  bestimmt  man  am  bequemsten  durch  die  BeobacTitung 
der  abnehmenden  Schwingungsamplitude  eines  Pendels,  welches  in 
der  betreffenden  Flüssigkeit  schwingt. 

Eine  antreibende  Kraft  dieser  Art  von  nahe  konstanter  Größe 
K^  erfährt  eine  steigende  Eakete;  unter  Berücksichtigung  des  Luft- 
widerstandes wirkt  auf  sie  tangential  K=Kq  —  K^{F),  demnach 
eine  Kraft,  die  mit  wachsender  Geschwindigkeit  ihr  Vorzeichen  um- 
kehrt und  aus  einer  antreibenden  zu  einer  hemmenden  wird.  — 

Einen  wesentlich  anderen  Charakter,  als  die  vorstehend  be- 
sprochenen, allein  von  der  Geschwindigkeit  abhängigen  Widerstands- 
kräfte, besitzt  die  gleitende  Reibung*^)  eines  Massenpunktes  an 
einer  festen  Oberfläche  oder  Kurve. 

Zwar  ist  auch  ihre  Richtung  derjenigen  der  Bewegung  ent- 
gegengesetzt, aber  ihre  Größe  hängt  von  dem  Reaktionsdruck  ab, 
welchen  die  feste  Oberfläche  oder  Kurve  auf  den  Massenpunkt  aus- 

VoioT,  Theoretische  Physik.  *•'  3 


34  /.  Teil.     Mechanik  starrer  Körper.     L  Kap. 

übt,  und  damit  in  einer  meist  komplizierten  Weise  sowohl  von  dem 
Bewegungszustand,  als  von  den  wirkenden  äußeren  Kräften. 

Die  Beobachtung  gestattet  ftlr  die  Größe  der  Reibungskraft, 
welche  ein  bewegter  Massenpunkt  erfährt,  den  Ansatz 

37)  K=]Srn 

zu  machen,  wo  n  eine  der  Kombination  der  Substanzen  des  Massen- 
punktes und  der  Oberfläche  oder  Kurre  individuelle  Konstante,  der 
sogenannte  Reibungskoeffizient,  und  N  der  absolute  Wert  der 
normalen  Reaktion  der  Bahn  ist     Für  n  gilt  ersichtlich 

37')  [n]  =  1. 

Auch  ein  ruhender  Massenpunkt  kann  auf  einer  festen  Ober- 
fläche oder  Kurve  eine  Reibungskraft  erfahren.  Um  für  deren  Ge- 
setze  eine  Übereinstimmung  mit  den  allgemeinen  Gleichgewichts- 
bedingungen und  einen  stetigen  Anschluß  an  die  Werte,  die  bei 
der  Bewegung  eintreten,  zu  erhalten,  muß  man  sich  vorteilen,  daß 
ihre  Richtung  jederzeit  derjenigen  der  Tangentialkomponente  P  der 
äußeren  Kräfte  nach  der  Oberfläche  oder  Kurve  entgegengesetzt 
und  ihre  Größe  derjenigen  von  P  gleich  ist,  so  lange  P^Nn  bleibt; 
für  P  >  Nn  tritt  ja  Bewegung  ein.  Es  wird  demnach  die  gleitende 
Reibung  im  Zustand  der  Ruhe  kleiner,  als  in  dem  der  Bewegung 
sein,  also,  wie  man  sagt,  nur  unvollständig  in  Anspruch  ge- 
nommen werden,  so  daß  man  setzen  kann 

38)  K^^Nnß, 

worin  ß  einen  echten  Bruch  bedeutet. 

Hieraus  folgt,  daß  die  allgemeinen  Gleichgewichtsbedingungen 
für  einen  Massenpunkt  auf  reibender  Oberfläche  oder  Kurve  nicht 
eine  einzelne  Gleichgewichtslage,  sondern  ein  endliches  Bereich  be- 
stimmen, innerhalb  dessen  er  an  jeder  Stelle  ruhen  kann,  und 
dessen  Begrenzung  durch  den  extremen  Wert  /9  =  1  gegeben  ist; 
ß  =  0  bestimmt  den  speziellen  Punkt,  wo  die  Inanspruchnahme  der 
Reibung  verschwindet,  und  wo  demgemäß  der  Punkt  ohne  gleitende 
Reibung  im  Gleichgewicht  sein  würde. 

Wirkt  von  äußeren  Kräften  nur  die  Schwere,  so  erkennt  man 
leicht,  daß  das  Gleichgewichtsbereich  des  Massenpunktes  auf  einer 
reibenden  Oberfläche  begrenzt  ist  durch  eine  Kurve,  längs  deren 
die  Tangentialebene  den  Winkel  v  mit  der  horizontalen  einschließt, 
der  bestimmt  ist  durch 

38')  tgi/  =  w; 


§  5.     Gleitende  Reihung,  35 


Analoges  gilt  von  dem  Gleichgewichtsbereich  auf  einer  festen  rei- 
benden Kurve.  Der  durch  die  Gleichung  (38')  definierte  Winkel  v 
heißt  der  Eeibungswinkel  der  Substanz  des  Massenpunktes  gegen 
die  Substanz  der  festen  Bahn. 

Befindet  sich  der  Massenpunkt  M  auf  einer  reibenden  horizon- 
talen Ebene,  und  wirkt  außer  der  Schwere  noch  eine  horizontale 
Kraft  K^,  so  ist  Gleichgewicht  vorhanden,  so  lange 

K^<Mgn  39) 

ist^  und   die  Bewegung  beginnt,  sowie 

K^  =  Mffn.  39') 

Hierauf  beruht  die  gebräuchlichste  Methode  zur  experimentellen 
Bestimoiung  von  n. 

B^i  allen  Bewegungen  unter  der  Wirkung  gleitender  Reibung 
ist  wesentlich,  daß  der  Massenpunkt  am  Rotieren  gehindert  ist,  weil 
nur  beL  Erfüllung  dieser  Voraussetzung,  also  bei  reinem  Gleiten,  die 
obigen  Resultate  anwendbar  sind,  überhaupt  der  Körper  als  Massen- 
pnnkt  zu  betrachten  ist 


8' 


IL  Kapitel. 

Bewegung  eines  Systemes  von  materiellen  Punkten. 

§  6.     Schwerpunktg-  und  Flachensätze;  Gleichung  der  Energie. 

Unter  einem  Punktsystem  wollen  wir  eine  Anzahl,  sagen  wir 
Yon  n  Massenpunkten  von  den  Massen  tw^  (ä  =  1,  2  . . .  n)  verstehen, 
die  ihre  Bewegung  derartig  gegenseitig  beeinflussen,  daß  bei  gleich- 
zeitigem Vorhandensein  aller  jeder  einzelne  sich  anders  bewegt,  als 
wenn  er  bei  sonst  ungeänderten  Umständen  allein  vorhanden  wäre. 

Nach  der  Grunddefinition  von  Kraft  müssen  also  durch  das 
Vorhandensein  der  übrigen  Massenpunkte  Kräfte  auftreten,  die  mit 
den  sonstigen  Bedingungen  des  Problemes  nicht  gegeben  sind.  Wir 
drücken  dies  dadurch  aus,  daß  wir  in  den  für  jeden  einzelnen 
Punkt  THj^  aufgestellten  Bewegungsgleichungen  (15)  aus  den  Kraft- 
komponenten Anteile  aussondern,  welche  die  Beträge  darstellen,  die 
infolge  der  Anwesenheit  der  übrigen  Punkte  wirksam  werden;  diese 
Anteile  mögen,  soweit  sie  von  dem  Massenpunkt  rrij^  herrühren,  mit 
^hkj  ^hkj  ^hk  bezeichnet  werden.  IBezeichnen  wir  den  übrig  blei- 
benden Rest,  d.  h.  die  Komponenten,  welche  w^  nach  Beseitigung 
aller  anderen  Massenpunkte  m^^  erfährt,  und  die  sowohl  von  festen 
Kraftcentren,  wie  von  der  Reaktion  fester  Oberflächen  oder  Kurven 
herrühren  können,  mit  J?^,  T^,  Zj^,  so  nehmen  die  Bewegungs- 
gleichungen folgende  Gestalt  an 


40) 


= 

X* 

+ 

*(A) 

Xhkf 

m^ 

= 

Yk 

+ 

Yhki 

m^ 

dt^ 

- 

Zh 

+ 

*(A) 

Zhkt 

worin  der  Index  k{k)  bedeuten  soll,  daß  die  Summen  über  alle 
Werte  von  k  mit  Ausnahme  von  h  auszudehnen  sind.  Für 
A  =  1,  2, . .  .  n  genommen,  bilden  sie  die  Grundlage  für  die  Theorie 


§  5.     Wechselmrkungen  xwisehen  Massenpunkten.  37 

der  Bewegungen  von  Punktsystemen,  deren  Untersuchung  um  so 
wichtiger  ist,  als  sie  nicht  nur  die  Grundlage  für  die  gesamte 
Astronomie,  sondern  auch  für  die  Theorie  derjenigen  Massensysteme 
bilden,  welche  den  Raum  anscheinend  kontinuierlich  erfüllen. 

Um  aus  ihnen  Folgerungen  zu  ziehen,  müssen  wir  den  Kräften 
^hki  Yhki  Zhicj  welche  man  auch  kurz,  im  Gregensatz  zu  den  äußeren 
Kräften  X^,  T^,  Z^,  die  inneren  Kräfte  des  Punktsystemes 
nennt,  spezielle  Eigenschaften  beilegen,  die  zum  Teil  durch  die 
vorausgeschickten  Definitionen  an  die  Hand  gegeben,  zum  Teil  will- 
kürlich gewählt  sind. 

Wir  wollen  zunächst  annehmen,  daß  die  Komponenten  mit  den 
Indices   hk   und   kh   allein   von  dem   Zustande   der   Massenpunkte 


m 


h 


und  THjc  und  zwar  speziell  nur  von  ihrem  relativen  Ver- 
halten abhängen;  wir  werden  sie  in  diesem  Fall  als  von  den 
Wechselwirkungen  jener  beiden  Punkte  herrührend  bezeichnen 
können.  Dann  dürfen  wir  folgern,  daß  die  resultierenden  Kräfte 
A'fcfc  und  Kjch  in  der  Richtung  der  Verbindungslinie  r^t  zwischen 
nif^  und  wijfc  liegen  müssen  und  nur  von  deren  Größe  und  etwa 
ihren  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  abhängen  können.  Denn 
nach  der  Definition,  die  wir  von  materiellen  Punkten  auf  Seite  9 
gegeben  haben,  ist  an  jedem  einzelnen  keine  Richtung  vor  der 
anderen  ausgezeichnet;  die  einzige  ausgezeichnete  Richtung  an  dem 
Punktpaare  w,^  und  w^  ist  also  die  ihrer  Verbindungslinie,  und 
aus  dem  gleichen  Grunde  ist  ihr  relatives  Verhalten  nur  durch  die 
Größe  des  Abstandes  rnje  und  seiner  Änderung  mit  der  Zeit  gegeben. 

Weiter  wollen  wir  annehmen,  daß  die  Kräfte  JT^^  und  Kj^^  von 
gleicher  Größe  und  entgegengesetzter  Richtung  sind.  Man  kann 
diese  Annahme  ersetzen  durch  die  Hypothese,  daß  die  Wechsel- 
wirkung zwischen  den  Punkten  m^  und  mjc  auf  den  E^räften  beruht, 
welche  die  Teile  eines  und  desselben  auf  beiden  Massenpunkten 
befindlichen  Agens  aufeinander  ausüben.  Denn  daß  die  zwischen 
gleichen  Mengen  dieses  Agens  wirkenden  Kräfte  einander  ent- 
gegengesetzt sind,  folgt  aus  der  Symmetrie,  und  die  Wechselwirkung 
zwischen  zwei  verschiedenen  Quantitäten  läßt  sich  in  eine  Summe 
von  Wechselwirkungen  zwischen  gleichen  zerlegen. 

Die  als  Resultat  dieser  Erörterung  erhaltenen  Eigenschaften 
der  inneren  Kräfte  lassen  sich  folgendermaßen  analytisch  formulieren: 

Xj,^  +  XuH^O,     YHu  +  run^O,     Zj,u  +  ZuH^O,  40') 

Jftk :  r^fc :  ^Äk  =  XftÄ :  Ykh : ^fcÄ  ==  (^ä  -  x^ : (y*  —  y*) : (^a  —  ^*);     40") 

Xhk=^  Xkh  =  F{rkTci  f'hkj  ^Äfc?  •  •  •)?  40'") 


88 


/.  T&iL    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


wobei  durch  obere  Indices  die  Differentialquotienten  nach  der  Zeit 
bezeichnet  sind. 

Wir  können  nunmehr  das  System  (40)  auch  schreiben: 


41) 


hk 


fc(A) 


hk 


W»A 


J-^    rr       2ffc         Vk 
Ä  —  -^  A/ifc — , 


k(h) 


mu 


'hk 


~dW  =  '^'^  ""  -5'^Äfc— - — 


positive  iTj^fc  entsprechen  hierin  anziehenden,  negative  abstoßenden 
Wechselwirkungen. 

Die  gewonnene  Form  giebt  die  Möglichkeit,  einige  von  den 
inneren  Kräften  des  Systems  ganz  freie  Beziehungen^*)  zu 
gewinnen. 

Summiert  man  die  einzelnen  Gleichungen  (41)  über  alle  Massen 
m^  und  definiert  die  Koordinaten  |,  i/,  f  des  Schwerpunktes  oder 
Massenmittelpunktes  des  Systemes  durch  die  Gleichungen 

wobei,  wie  weiterhin,  immer  die  Summen  ohne  Index  über  alle 
Werte  1,  2  .  .  .  n  der  Summationsvariabeln  zu  erstrecken  sind,  so 
erhält  man 


43) 


dt' 


^^h^^^y 


Der  Schwerpunkt  des  Systemes  bewegt  sich  also  wie  ein  Massen- 
punkt, in  welchem  alle  Massen  des  Systems  vereinigt  sind  und  alle 
äußeren  Kräfte  angreifen.  Sind  speziell  die  äußeren  Kräfte  gleich 
Null,  so  findet  die  Bewegung  in  gerader  Linie  und  mit  gleich- 
förmiger Geschwindigkeit  statt. 

Faßt  man  die  Gleichungen  (41)  mit  den  Faktoren  0,  —  r^,  y^^; 
h)  0>  -^  ^h'f  "I/h^  ^Ä>  ö  zusammen,  summiert  die  erhaltenen  Re- 
sultate und  definiert  die  Flächengeschwindigkeiten  cpk,  i/^a,  xk 
des  Massenpunktes  m^  in  Bezug  auf  die  Koordinatenebenen  YZ,  ZX, 
XY  durch  die  Formeln 


§  6,     Schtoerptmkts-  tmd  FULchensätxe. 


39 


1     /  ^*Ä 


*  dt 
d». 


l  (     dxj^  dxA 

v'   -  1  f       ^^'^  ^"^A 


44) 


und   die  Drehungsmomente   i^,  il/^,  iV^   der   auf  7«^  wirkenden 
äußeren  Kräfte  um  die  Koordinatenaxen  durch  die  Formeln 


so  erhält  man 


^n-^^H^H-^H^H,    ^-^hYh-vA     44') 


2^'m 


2:5^^ 


2^771 


'^  dt 


=  -s^A, 


=  -2*3^^, 


2N,. 


45) 


Bezeichnet  man  kurz  ^Sm^^h,  ^mj^iphj  ^m^Xh  als  die  Flächen- 
momente des  Systems  um  die  Koordinatenaxen  X,  F,  Z,  so  giebt 
das  erhaltene  Formelsystem  ihre  Geschwindigkeiten  gleich  den  be- 
züglichen halben  Summen  der  äußeren  Drehungsmomente. 

Da  sich  sowohl  die  Flächen-,  als  die  Drehungsmomente  bei 
der  Koordinatentransformation  wie  die  Komponenten  einer  Vektor- 
größe verhalten,  so  kann  man  sie  zu  je  einer  Resultierenden  zu- 
sammensetzen, deren  Größen  und  Richtungen  sich  nach  den  all- 
gemeinen für  Vektoren  gültigen  Formeln  (3")  bestimmen.  Diese  Re- 
sultierenden stellen  die  größten  Werte  dar,  welche  bei  der  gegebenen 
Bewegung  das  Flächenmoment  und  bei  den  gegebenen  Kräften  das 
Drehungsmoment  um  irgend  eine  Axe  annehmen;  die  Richtung  der 
bezüglichen  Axe  ist  dabei  die  der  Resultierenden  selbst 

Fehlen  äußere  Ej-äfte,  so  sind  die  Flächenmomente  JSmufp'h^ 
-S'iWfci^i,  JSmj^x'h  lim  die  Koordinatenaxen  konstant,  und  Gleiches 
gilt  von  Richtung  und  Größe  des  resultierenden  Momentes*^ 

Faßt  man  die  Gleichungen  (41)  mit  den  Faktoren  dx^^  dy^  dzj^ 
zusammen  und  summiert  über  alle  Massenpunkte,  so  erhält  man 
wegen 

rhkdrHj,  =  {xh  —  ^k)[dxh  —  dx^  +  (y^  —  2/k){dyh  —  dy^) 

+  {Zh  —  Zk){dzn  —  dzi,) 
das  Resultat 


40  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    U,  Kap, 


46)  i2;mndFn^  =  ^{Xndxj,  +  Yndy,  +  Zndz^)  -  JS' K^j^dm^,, 

worin  die  Summe  -2"  über  alle  Kombinationen  der  Massenpunkte 
zu  je  zwei  zu  erstrecken  ist. 
Hierin  ist 

46')  \:sm,F,'  =  :sw,=  w 

die  Summe  der  lebendigen  Kräfte  der  einzelnen  Massenpunkte  oder 
kurz  die  lebendige  Kraft  des  Systemes, 

46")  ^(X,  dx,  +  r,  dy,  +  Z,dz^==  2d!A,  =  dA 

die  Summe  der  von  den  äußeren  Kräften  während  dt  dm  dem 
System  geleisteten  Arbeiten  oder  kurz  die  äußere  Arbeit, 

46'")  -  2' Kn^dm^  =  2' d'A, ,  =  d'Ai 

die  Arbeit  der  Wechselwirkungen  oder  kurz  die  innere  Arbeit, 
sodaß  man  für  (46)  auch  schreiben  kann 

47)  dW=d!A  +  d:Ai, 

Besitzt  die  Arbeit  einer  Wechselwirkung  cP-^ä^  die  Gestalt 
eines  vollständigen  DifFerentiales  nach  der  Zeit,  so  nennt  man  die 
Funktion  0/ik,  welche  durch  die  Gleichung 

47')  d:Anic^  -dibj,^ 

bis  auf  eine  additive  Konstante  definiert  ist,  das  Potential  der 
Wechselwirkung  JT^k,  und 

47")  <i>  =  ^'<D^fc 

das  innere  Potential,  oder  das  Potential  des  Systemes  auf 
sich  selbst. 

In  diesem  Falle  kann  man  für  (47)  auch  schreiben 

48)  dE^d{^+  (l>)=.d'A, 

wo  E  die  Energie  des  Systemes  heißt,  und  y['und  tf>,  wie  früher, 
als  Teile  von  E  die  kinetische  und  die  potentielle  Energie 
genannt  werden. 

Die  Gleichung  (48)  sagt  aus,  daß  es  unter  den  gemachten  Vor- 
aussetzungen fiir  jedes  Punktsystem  eine  ausschließlich  von  seiner 
Konfiguration  und  seinem  Bewegungszustand  abhängige  Funktion  E 
giebt,  welche  in  jedem  Zeitelement  um  den  Betrag  der  äußeren 
Arbeit  Wächst;  verschwindet  die  letztere,  so  ist  die  Energie  kon- 
stant, und  die  Bewegung  besteht  in  einer  wechselseitigen  Umsetzung 
zwischen  ihren  beiden  Anteilen  0  und  W, 

Die  gesamte  Energie  E  ist  durch  Gleichung  (48),   ebenso  wie 


§  6,     Oleiekung  der  E^iergie.  41 

0,  nur  bis  auf  eine  additive  Konstante  bestimmt,  über  die  man 
verfügen  kann,  indem  man  die  Energie  des  Systems  in  einem  be- 
liebigen Normalzustand  beliebig,  etwa  gleich  Null,  festsetzt.  Inte- 
griert man  die  Gleichung  von  dem  Normalzustand  (0)  aus  bis  zu 
dem  betrachteten  (1),  so  ergiebt  sich  daher 

(1) 
E  =  CdA ,  48') 

(0) 

d.  h.,  die  Energie  ist  gleich  der  Arbeit,  die  erforderlich  ist,  um 
den  Zustand  des  Systemes  aus  dem  normalen  in  den  gegenwärtigen 
überzuführen,  —  oder,  was  hiermit  identisch  ist,  gleich  der  Arbeit, 
welche  bei  der  Überführung  aus  dem  gegenwärtigen  in  den  Normal- 
zustand aus  dem  System  gewonnen  werden  kann.  — 

Die  allgemeine  Bedingung  dafür,  daß  eine  Wechselwirkung  ein 
Potential  besitzt,  d.  h.,  unter  Weglassung  der  Indices  geschrieben 

ist,  erhält  man  leicht  auf  dem  S.  24  eingeschlagenen  Wege.**)  Da  K 
nur  eine  Funktion  von  r  und  seinen  Diflferentialquotienten  nach  der 
Zeit  sein  darf,  so  geben  die  Formeln  (25)  und  (25')  ohne  weiteres 

^  ■"  öT  "  d>  ör'  ^  di^  dr"  ±  •  •  •  '  ^^^ 

^    [dr"        dtdr"'  ^  '")  (         ^^) 

n,  ( d<p  d_    dg>     ^  \ 

Der  wichtigste  Fall  ist  wiederum  der,  daß  (p  und  demgemäß 
K  und  4>  nur  von  r  allein  abhängt;  hier  gilt  einfach 

0)  =  ^  und  ^=  Jy,  49") 

es  hat  somit  jede  nur  von  der  Entfernung  abhängige  Wechsel- 
wirkung ein  Potential. 

Die  lebendige  Kraft  V  eines  Punktsystems,  und  analog  sein 
inneres  Potential  0,  gestattet  eine  eigentümliche  Zerlegung*^,  die 
eine  entsprechende  der  Energie  E  zur  Folge  hat  und  für  gewisse 
Anwendungen  wichtig  ist. 

Sei  das  Massensystem  in  mehrere  Gruppen  geteilt,  und  seien 
diese  Gruppen  durch  die  oberen  Indices  n  unterschieden,  während 
die  unteren  sich  auf  die  Punkte  derselben  Gruppe  beziehen. 


50) 


42  L  Teil    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap. 

Die  lebendige  Kraft  der  Teile  einer  dieser  Gruppen 

transformieren  wir  durch  Einführung  der  absoluten  Geschwindigkeits- 
componenten  a»  /?'»,  y"  des  Schwerpunktes  der  Gruppe  und  der  re- 
lativen Ufc,  t>l,  xol  der  Teilchen  ml  gegen  jenen.     Setzt  man  dann 

(a»)2  +  iß-)'  +  ir?  =  (n', 

80  bezeichnet  -P*  die  resultierende  Schwerpunktsgeschwindigkeit  der 
Gruppe,  SSJ  die  relative  Gesamtgeschwindigkeit  von  m%  und  man 
erhält  nach  leichter  Eechnung,  da 

oder  kurz 

50')  ^«  =  ¥^  +  ^r 

d.  L,  die  lebendige  Kraft  der  Gruppe  ist  zerlegt  in  die  lebendige 
Kraft  der  Schwerpunktsbewegung  und  die  lebendige  Kraft  der  Be- 
wegung relativ  zum  Schwerpunkt  Genau  so  läßt  sich  die  lebendige 
Kraft  aller  Gruppen,  d.  h.  des  ganzen  Systems,  schreiben 

50")  ^=^a+2Pi. 

Das  Gesamtpotential  0  ist  nach  (47")  gleich  -2"  tf>^j^;  faßt  man 
unter  0^  alle  Wechselwirkungen  zusammen,  die  zwischen  Massen  ver- 
schiedener Gruppen  stattfinden,  unter  0^  die  zwischen  Massen  der- 
selben Gruppe,  so  kann  man  auch  zerlegen 

50'")  0/=  0„+  0.. 

Hieraus  folgt  schließlich  die  Zerlegung  der  Energie 

E ^  Ea  +  Ei, 

Wir  fügen  hieiran  eine  allgemeine  Bemerkung. 
Die  Gleichung  der  Energie 

ist  im  vorstehenden  bewiesen  allein  für  ein  System  von  Massen- 
punkten mit  Wechselwirkungen  spezieller  Art;  sie  wird  neuerdings 
aber  hypothetisch  auf  Massensysteme  ganz  beliebiger  Art  ausge- 
dehnt.*®) Maßgebend  ist  dabei  die  Anschauung,  daß  die  Energie 
der  sichtbaren  Bewegung,  auf  welche  unsere  Formel  zunächst  be- 
zogen ist,  nur  einen  Teil  der  Gesämtenergie  eines  Körpers  darstellt, 
daß  andere  in    anderen  Formen   existieren,   einer   z.  B.  durch   die 


§  7,     Wechselwirkungen,  die  nur  van  der  Entfernung  abhängig  sifid,         43 


direkt  nicht  wahrnehmbaren  Bewegungen  seiner  kleinsten  Teilchen 
gegeben  ist,  und  daß  bei  ihrer  Berücksichtigung  sich  alle  in  der  Natur 
Torkommenden  Kräfte  als  konservativ  erweisen. 

Daß  in  der  That  eine  solche  Vorstellung  das  Gültigkeitsbereich 
der  Energiegleichung  vergrößert  und  scheinbare  Widersprüche  zum 
Verschwinden  zu  bringen  vermag,  zeigt  die  vorstehende  Zerlegung. 
Denn  wenn  man  die  mit  dem  Index  (z)  versehenen  Anteile  an  leben- 
diger Xraft  und  Potential  auf  unsichtbare  Bewegungen  bezieht,  so 
erhält  man  bei  alleiniger  Einführung  der  auf  die  sichtbaren  bezüg- 
lichen Anteile  (a)  einen  Widerspruch  mit  der  Energiegleichung,  den 
die  vervollständigte  Betrachtungsweise  hebt  Umgekehrt  giebt  in 
diesem  Fall  die  Formel 

(TA  -  d{il>a  +  ^a)  =  d{(I>i  +  Wi)  =  dE, 

den  Wert  der  Energie wandelung  an,  der  durch  unsichtbare  Vor- 
gänge zu  erklären  ist,  und  damit  zugleich  ein  Mittel,  um  seine 
Größe,  die  wegen  der  nicht  direkten  Wahrnehmbarkeit  der  die 
innere  Energie  enthaltenden  Vorgänge  einer  Berechnung  aus  dem 
Bewegungszustande  unzugänglich  ist,  quantitativ  zu  bestimmen,  wenn 
man  nur  zuvor  äußere  Merkmale  festgestellt  hat,  welche  einen  be- 
stimmten inneren  Zustand  eindeutig  charakterisieren. 

Für  derartige  Anwendungen  der  Energiegleichung  werden  die 
späteren  Teile  mannigfaltige  Beispiele  liefern. 


§  7.     Wechselwirkimgen,  die  nur  Funktionen  der  Entfernung  sind. 

Die  Gesetze  von  Ne^wtoii  und  CouIjOmb. 

Die  Bewegung  eines  Punktsystemes  zu  bestimmen  ist  auch  in 
dem  relativ  einfachen  Falle,  daß  äußere  Kräfte  nicht  wirken,  also 
die  Gleichungen  (48)  und  (45)  sechs  erste  Integrale  liefern,  und 
daß  die  inneren  Kräfte  nur  Funktionen  der  Entfernungen  sind,  eine 
die  Kräfte  der  Analysis  im  allgemeinen  übersteigende  Aufgabe. 

Um  so  bemerkenswerter  ist  ein  spezielles  Gesetz  der  inneren 
Kräfte,  welches  die  Reduktion  des  gestellten  Problemes  auf  das  ein- 
fache und  auf  Seite  31  bereits  gelöste  der  Bewegung  eines  Massen- 
punktes unter  der  Wirkung  eines  festen  Attraktionscentrums  ge- 
stattet Es  ist  das  der  Fall,  wo  die  inneren  Kräfte  den  Produkten 
der  wechselwirkenden  Massen  in  ihre  Entfernung  proportional  sind. 
Dabei  dürfen  auch  äußere  Kräfte  wirken,  die  konstant  und  den 
Massen  proportional  sind. 

Hier  nehmen  die  Gleichungen  (41)  die  Form  an 


44 


1.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


51) 


dt* 
dt* 
dt* 


k(h) 

C  —  f  2:  mj,{Zh  —  2k); 

leih) 


dabei  sind  A,  J5,  C  und  f  die,  übrigens  willkürlichen,  Konstanten 
der  äußeren  und  inneren  Kräfte. 

Dieses  System  ist  nun  aber  unter  Bücksicht  auf  (42)  identisch  mit 


51') 


d^Xi 


dt* 


:=C-^f{z^-^:Smj,, 


oder,  da  nach  (43) 

51") 

ist,  auch  mit 


d*S       j      d*fj       j.      d*i      ^ 


dt* 


d 


dt* 


f  d*(Xf^  -  f) 


51'") 


dt* 


f{xj,  -  I)  2mu  ,  — ;jr72 =  -  fil/h  -  v)^rnjcj 


dt* 


dt* 


=    —fi^h-  S)-2'Wfc. 


Die  relative  Bewegung  jedes  Massenpunktes  tw^  um  den  Schwer- 
punkt, dessen  Bewegung  durch  (51")  gegeben  ist,  vollzieht  sich  also 
ebenso,  als  wenn  letzterer  ein  festes  Kraftcentrum  wäre,  welches  die 
Summe  aller  Massen  enthielte  und  nach  demselben  Gesetze  wirkte, 
wie  die  einzelnen  Massenpunkte. 

Eine  ähnliche  ZurückfÜhrung  und  darauf  gegründete  Lösung 
des  Bewegungsproblemes  ist  bei  inneren  Kräften,  welche  beliebige 
Funktionen  der  Entfernungen  sind,  nur  möglich,  wenn  die  Anzahl 
der  bewegten  Punkte  gleich  zwei  ist 

Hier  folgt  nämlich  aus  den  Gleichungen  (42),  falls  die  beiden 
Punkte  durch  die  Indices  (1)  und  (2)  charakterisiert  werden, 


52) 


{ 


(mj  +  mj)  {x^  -  I)  =  Wj  (ar^  -  x^),  {m^  +  m^)[x^  -  |)  =  »»i  (^2  -  ^1) 


§  7.     Netptofis  Öesetx,  der  allgemeinen  Öravitation. 


45 


woraus  die  Werte  der  Entfernungen  r^  und  r^  der  beiden  Massen 
von  dem  Schwerpunkte  sich  bestimmen  zu 

{m^  +  wig)  r^  =  m^  r^g  ,     {m^  +  m^)  r^  =  »i^  r^^  .  52') 

Setzt  man  noch  K^^  =  m^m^R,  wo  R  eine  Funktion  von  r^^ 
allein  ist,  so  kann  man  die  Bewegungsgleichungen  (41)  schreiben 

dt'  -^-'^2^     ^^^     . 


dt^ 


^  Ä  —  m^R 


X^  —  Xi 


IS 


52") 


oder  wie  oben 


—  WgÄj 


^i-^ 


dt^ 


—  m^Äj 


«j  -  I 


52'") 


worin  R^  und  i?2  bezeichnen,  daß  in  der  Funktion  Rir^^^)  ^^  ''la 
resp.  der  erste  oder  zweite  der  Ausdrücke  aus  Gleichung  (52')  ein- 
gesetzt ist. 

Die  relative  Bewegung  jedes  der  beiden  Massenpunkte  um  den 
Schwerpunkt  ist  also  dieselbe,  als  wäre  dieser  ein  ruhendes  Kraft- 
centrum, dessen  Wirkung  dem  aus  K^^  durch  die  ausgeführte  Sub- 
stitution erhaltenen  und  nur  von  der  bezüglichen  Entfernung  r^ 
resp.  r^  abhängigen  Gesetz  folgt  — 

Von  allen  Wechselwirkungen  der  in  diesem  Abschnitt  be- 
trachteten Art  beansprucht  das  weitaus  größte  Interesse  die  An- 
ziehung, welche  nach  Newton's  Hypothese  ^^  zwei  Massen  unter  den 
Umständen,  wo  man  sie  als  materielle  Punkte  betrachten  kann,  auf- 
einander ausüben,  die  sogenannte  allgemeine  Gravitation.  Für 
sie  ist 


Khh  = 


r     •      ' 


53) 


woraus  folgt 


^1>KI.=    - 


kmj^m^ 


hk 


53') 


k  bezeichnet  eine  universelle  Konstante,  deren  Dimension  —  immer 


46  /.  TfeiL    Mechanik  starrer  Korper,    IL  Kap, 


unter  Zugrundelegung  der  Seite   17  getroflfenen  Verfügungen  über 
Kraft  und  Masse  —  gegeben  ist  durch 
53")  [Ä]  =  wi-i/3^2. 

ihr  numerischer  Wert  ist  durch  die  Beobachtung  zu  bestimmen. 

Die  vorstehende  Form  des  Elementargesetzes  hat  —  wie  spä- 
ter zu  erweisen  sein  wird  —  zur  Folge,  daß  für  die  Anziehung, 
welche  von  kugelförmigen  Massen  mit  in  koncentrischen  Schichten 
homogener  Verteilung  auf  äußere  Punkte  ausgeübt  wird,  die  Gesamt- 
masse im  Mittelpunkt  vereinigt  gedacht  werden  kann.  Da  diese 
Voraussetzung  bei  den  Weltkörpem  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
nahezu  erfüllt  ist,  so  sind  dieselben  für  die  Berechnung  ihrer  fort- 
schreitenden Bewegungen  äußerst  nahe  als  materielle  Punkte  zu 
betrachten,  und  da  die  übrigen  Voraussetzungen,  auf  welchen  die 
Grleichungen  (43),  (45)  und  (48)  beruhen,  gleichfalls  bei  dem  Gresetz 
der  allgemeinen  Gravitation  zutreffen,  so  sind  deren  Resultate  so- 
gleich auf  die  kosmischen  Bewegungen  anwendbar. 

In  dem  Falle,  daß  das  Massensystem  sich  auf  nur  zwei  Punkte 
von  sehr  verschiedener  Masse  reduziert,  wie  bei  der  Betrachtung 
der  Sonne  und  eines  Planeten,  oder  eines  Planeten  und  eines  Satel- 
liten, kann  der  Massenmittelpunkt  als  mit  dem  Punkt  von  größerer 
Masse  nahe  zusammenfallend  betrachtet  werden;  der  Punkt  von 
kleinerer  Masse  bewegt  sich  relativ  zu  dem  ersteren  in  einem  Kegel- 
schnitt, dessen  einen  Brennpunkt  jener  einnimmt  Bei  dieser  Bewegung 
ist  nach  (31')  die  Flächengeschwindigkeit  konstant,  d.  h.  die  Radien- 
vektoren bestreichen  in  gleichen  Zeiten  gleiche  Flächen.  Laufen 
um  denselben  Punkt  von  sehr  großer  Masse  mehrere  von  sehr 
kleiner,  deren  Wechselwirkungen  vernachlässigt  werden  können,  in 
elliptischen  Bahnen,  so  verhalten  sich  die  Quadrate  der  ümlaufs- 
zeiten  wie  die  Kuben  der  großen  Axen  der  Bahnellipsen ;  —  ein  Satz, 
der  in  nahem  Zusammenhang  steht  mit  dem  aus  Gleichung  (32'") 
geschlossenen. 

Dies  sind  die  von  Kepler^®)  gegebenen  Gesetze  der  Planeten- 
bewegung. — 

Die  Konstante  k  des  NEWTON'schen  Gesetzes  läßt  sich  infolge 
des  oben  citierten  Satzes  über  die  Attraktion  von  Kugeln  leicht 
durch  die  Beschleunigung  g  der  Schwere  an  der  Erdoberfläche  aus- 
drücken. Bezeichnet  man  nämlich  die  Masse  der  Erde  durch  M^ 
ihren  Radius  durch  jß,  so  folgt  aus  (53)  für  die  Beschleunigung 
eines  Massenpunktes  an  der  Erdoberfläche 

53'")  i,  =  *ß?,     alsoÄ  =  :^^. 


§  7,    Newtons  Gesetx  der  allgemeinen  Oravitation.  47 

Der  numerische  Wert  von  k  ist  im  (cm,  g,  8ec)-Sy8tem,  da 
M^  6-03. 10«^  R  =  6-37.108,  ff  =  981  ist 

Ä  =  6-63.10--8.   - 

Da  die  Gravitation  eine  allgemeine  Eigenschaft  der  Materie 
ist,  80  kann  man  sie  zur  Definition  einer  von  der  bisher  benutzten 
abweichenden  Masseneinheit*®)  verwenden.  Geht  man  auf  den  ersten 
Ansatz  (12)  zurück,  durch  welchen  der  BegriflF  der  Kraft  eingeftLhrt 
ist,  nämlich  die  Beziehung 

und  wendet  ihn  auf  einen  Massenpunkt  m  an,  der  sich  unter  der 
Wirkung  der  Gravitation  eines  im  Eoordinatenanfang  festgehaltenen 
Massenpunktes  M  nach  diesem  hin  bewegt,  so  giebt  obige  Formel 


hieraus  folgt 


kfnid       g*     T) 


M^i-'Br''. 


k 

Macht  man  hierin  /*  =  A,  was  zulässig  ist,  da  weder  über  die  Kraft-, 
noch  die  Masseneinheit  bereits  verfügt  ist,  so  folgt 

M^Bt\ 

d.  h.,  es  ist  diejenige  Masse  als  Masseneinheit  definiert,  welche  in 
der  Entfernung  Eins  die  Beschleunigung  Eins  bewirkt.  Die  Masse 
hört  damit  auf,  eine  Fundamentalgröße  zu  sein,  sie  wird  zu  einer 
abgeleiteten;  demgemäß  ist  ihre  Dimension  jetzt  auch 

Da  durch  die  Verfügung  /*=  A  nur  über  die  Masseneinheit  ver- 
fügt ist,  so  behalten  wir  immer  noch  Freiheit,  die  Krafteinheit 
beliebig  zu  bestimmen,  und  sowohl  das  NEWTON'sche  Gesetz,  als  der 
obige  Ansatz  flir  K  legen  es  nahe,  f  ^k^\  zu  machen.  Dann  ist 
K  =  mB  und  also  die  neue  Krafteinheit  durch  die  neue  Massen- 
einheit ebenso  definiert,  wie  in  unserem  früheren  System  durch  das 
Gramm.  Die  Dimension  von  K  ist  natürlich  ganz  verändert;  es 
gilt  jetzt 

[ü:]  =  ^^-4. 

Die  Masse  der  Erde  bestimmt  sich  in  diesem  Maßsystem 
laut  (53'")  gemäß 

ist  also  gleich  dem  Produkt  aus  der  Beschleunigung  der  Schwere 
an  der  Erdoberfläche  in  das  Quadrat  ihres  Kadius.  — 


48  /.  Teil,     Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


Das  NEWTON'sche  Gesetz  (53)  hat  nicht  nur  in  der  Mechanik 
Bedeutung,  sondern  es  stellt  nach  den  Untersuchungen  von  Cou- 
lomb ^^  auch  die  Elementarwirkung  der  statischen  Elektricität  und 
des  Magnetismus  dar;  mit  dem  Unterschied  freilich,  daß  hierbei  die 
Faktoren  m^  und  m^  nicht  die  ponderabeln  Massen  der  aufeinander 
wirkenden  und  als  Massenpunkte  betrachteten  Körper  bezeichnen, 
sondern  von  ihrem  magnetischen  oder  elektrischen  Zustand  abhän- 
gige Funktionen,  wie  man  kurz  sagt,  die  Größen  ihrer  elektrischen 
oder  magnetischen  Ladungen.  Von  diesen  Ladungen  giebt  es  laut 
der  Beobachtung  zwei  Modifikationen,  so  nämlich,  daß  gleichartig 
geladene  Körper  einander  abstoßen,  ungleichartig  geladene  einander 
anziehen. 

Man  drückt  diese  Eigenschaften  in  der  Formulierung  des  Kraft- 
gesetzes aus,  indem  man  den  Ladungen  Vorzeichen  beilegt  und 
sie  demgemäß  auch  positiv  oder  negativ  nennt,  für  die  Kraft  JT^j^ 
und  ihr  Potential  0]^^  aber  den  Ansatz  macht 

54)  ÄÄk  =  -  —-^ ,     0Äfc  =  +  -;: — , 

^hk  ^hk 

worin  Ch  und  ejc  die  Größen  der  Ladungen  bezeichnen,  *'  aber  eine 
positive  Konstante,  über  die  man  so  lange  willkürlich  verfügen  kann, 
als  über  die  Einheit  der  Größen  e  nichts  bestimmt  ist,  und  durch 
deren  Bestimmung  man  umgekehrt  über  die  Einheit  der  Ladung 
verfügt 

Über  die  Anwendung  dieses  Gesetzes  wird  im  IV.  Teil  ausführ- 
lich gehandelt  werden. 


§  8.    Konservative  Wechselwirkungen  allgemeiner  Art; 
das  W.  Weber'sche  Grundgesetz. 

Die  allgemeine  Form,  in  welcher  konservative  Wechselwirkungen 
und  ihre  Potentiale  sich  darstellen,  ist  in  den  Gleichungen  (49)  und 
(49')  gegeben.  Falls  die  Funktion  (p  nur  r  und  dr  j dt^r  enthält, 
nehmen  dieselben  die  spezielle  Gestalt  an 

welche  zeigt,  daß  die  nächste  Verallgemeinerung,  welche  über  eine 
Funktion  von  r  allein  hinausgeht,  für  die  wirkende  Kraft  eine  Ab- 
hängigkeit sowohl  von  r,  als  von  r"  liefert;  ausgenommen  ist  nur 
der  Fall  linearer  Abhängigkeit  von  r',  welcher  Kraft  und  Potential 


§  8.    W,  Weber's  Orundgeseix.  49 


von  r  unabhängig  werden  läßt^  also  faktisch  eine  Erweiterung  nicht 
bezeichnet 

Für  nur  zwei  Massenpunkte  und  die  Einwirkung  äußerer  mit 
den  bezüglichen  Massen  proportionaler,  im  übrigen  aber  konstanter 
Kräfte  läßt  sich  auch  hier  das  Bewegungsproblem  auf  das  der  Ein- 
wirkung eines  festen  Kraftcentrums  auf  einen  Massenpunkt  und  auf 
Quadraturen  zurückführen.  Denn  wegen  der  Beziehungen  (52)  und 
(52')  erhält  man  auch  hier  die  Gleichungen  (52"'),  nur  daß  Ä^  und 
-ffg  jetzt  außer  den  respektiven  Entfernungen  r^  und  r^  der  Massen- 
punkte vom  Schwerpunkt  auch  deren  erste  und  zweite  Differential- 
quotienten nach  der  Zeit  enthalten. 

Betrachtet  man  nur  den  einen  Punkt  m^  und  legt  die  XJ'- Ebene 
der  Ebene  der  relativen  Bewegung  um  den  Schwerpunkt  parallel, 
so  erhält  man  die  beiden  Integrale  durch  die  Gleichung  der  leben- 
digen Kraft  und  den  Flächensatz  in  der  Form 

155^2 +  g^_g^     SR,  =  r  55') 

geliefert,  worin  SS,  die  relative  Linear-,  9?,  die  relative  Flächen- 
geschwindigkeit und  gl  das  relative  Potential  für  die  Masse  Eins, 
wie  es  die  Substitution  (52')  liefert,  bezeichnet,  S  und  E'  aber  die 
Integrationskonstanten  sind.  Drückt  man  die  relative  Bewegung 
durch  die  Polarkoordinaten  r,  und  gp,  aus,  so  kann  man  aus  den 
beiden  Gleichungen  (55')  rfqpj  eliminiren  und  erhält  dadurch,  dag,  nur 
r^  und  ri  enthält,  eine  Gleichung  zwischen  diesen  beiden  Größen 
und  damit  zwischen  r,  und  ^;  drückt  man  endlich  dt  in  91^^  durch 
r,  und  dr^  aus,  so  erhält  man  eine  Gleichung  zwischen  r,,  dr^  und 
d(f^,  die  Differentialgleichung  der  Bahn.  — 

Unter  den  Wechselwirkungen  der  behandelten  Art  erregt  be- 
sonderes Interesse  diejenige,  welche  dem  Ausdruck 


T=j(i+::)  56) 


entspricht,  in  dem  a  und  c  Konstanten  bezeichnen. 
Aus  ihm  folgt 


r 


J(i-^'  +  =-^^),  *-+?(.-?);       56^ 


der  Wert  von  K  läßt  hervortreten,  daß  c  diejenige  relative  Ge- 
schwindigkeit ist,  welche  zwei  ohne  relative  Beschleunigung  bewegte 
Massenpunkte  besitzen  müssen,  um  nach  dem  obigen  Gesetz  keine 
Wirkung  aufeinander  zu  üben. 

Voigt,  Theoretische  Physik.  4 


50  /.  Teü.    Mechanik  starrer  Körper.    II.  Kap. 


Setzt  man  in  (56') 


CL  ^~  Ä    ^1  Cq  • 


80  erhält  man  die  Erweiterung,  welche  W.  Weber'^)  dem  Coulomb'- 
schen  Gresetz  gegeben  hat,  um  die  Erscheinungen  der  Elektrostatik, 
Elektrodynamik  und  Induktion  durch  eine  einzige  Formel  zu  um- 
fassen; dieselbe  lautet 


56 


T     i__'A^(,_5  +  ?^'),    *_+?ti(,_^). 


Für  ihre  Anwendung  hat  man  sich  die  Vorstellung  zu  bilden, 
daß  ein  elektrischer  Strom  in  einem  linearen  Leiter  a  dadurch  zu- 
stande kommt,  daß  in  demselben  gleichzeitig  gleiche  Mengen  posi- 
tiver und  negativer  Elektricität  mit  gleichen  Geschwindigkeiten  nach 
entgegengesetzten  Richtungen  strömen.  Befinden  sich  auf  der  Längen- 
einheit des  Leiters  die  positive  und  die  negative  Elektricitätsmenge  6, 
und  besitzen  sie  die  Geschwindigkeiten  ±  U,  so  nennt  man  2eU=  J 
die  elektrische  Stromstärke  in  dem  speziellen  Maße,  in  dem  e  ge- 
messen ist  Wir  legen  der  Stromstärke  die  Richtung  bei,  in  welcher 
sich  die  positive  Elektricität  bewegt. 

Ein  solcher  äußerlich  ruhender  Strom  von  konstanter  Stärke 
übt  auf  ruhende  elektrische  Teilchen  keine  Einwirkung,  weil  für 
die  in  ihm  strömende  positive  und  negative  Elektricität  (r  )*  und  r" 
die  gleichen  sind;  dagegen  zeigt  er  spezifische  Wirkungen  auf  andere 
ruhende  Stromläufe  und,  äußerlich  bewegt  oder  in  seiner  Strom- 
stärke verändert,  auch  auf  statische  Elektricität 

Um  diese  Kräfte  abzuleiten,  dient  die  Hypothese,  daß  die 
Summe  der  Wirkungen,  welche  die  positive  und  die  negative  Elektri- 
cität in  einem  Teil  des  Leiters  erfährt,  die  Kraft  ergiebt,  welche 
auf  die  ponderable  Materie  dieses  Teiles  ausgeübt  wird;  daß  da- 
gegen die  Differenz  der  nach  der  Richtung  des  Leiters  genommenen 
Komponenten  dieser  Wirkungen  die  sogenannte  elektromotorische 
Kraft  darstellt,  welche  sich  in  einer  Beschleunigung  der  Elektricitäts- 
bewegung  und  damit  einer  Veränderung  der  Stromstärke  äußert. 

Denke  man  sich  nun  die  Elemente  ds^^  und  ds^  zweier  linearer 
Leiter  «^  und  s^,  die  selbst  mit  den  beliebigen  Geschwindigkeiten 
Fj  und  V^  in  den  beliebigen  Richtungen  /^  und  l^  bewegt  werden, 
und  innerhalb  deren  die  elektrischen  Teilchen  ±  «^  und  ±  e,  mit 
den  veränderlichen  Geschwindigkeiten  ±  U^  und  ±  U^  fließen,  dann 
ist  allgemein 


§  8.    W.  Weber' 8  Chnmdgesetx,.  51 


r"-  — -— 1/24-  ^'^«»  I  ^'''  r»  I  ^'^r« 

I      O        ^**'        .  I      O        ^*''  TT      I      ft        Ö**"  TT 


57') 


dsi    dt     '    dst   dt    '    dli    dt     '   dl^    dt  ' 

hierin  ist  für  ein  Teilchen  ±  «/»  resp.  «^=±1^,  duj^/  dt  =  ±dUj^ldt 
zu  setzen. 

Bezeichnet  man  die  Elementarwirkung,  welche  ein  Teilchen 
±e^  von  einem  anderen  ±e^  ertährt,  durch  K±t^^±^  und  die 
Summe  über  alle  Teilchen  in  ds^  resp.  ds^  durch  JS*^  resp.  JS'^^  dann 
wird  nach  der  oben  gegebenen  Definition  die  ponderomotorische  Wir- 
kung Fi2  von  ds^  auf  ds^  in  der  Eichtung  der  Verbindungslinie  r 
liegen  und  gegeben  sein  durch 

die  elektromotorische  JE{2  hingegen  in  ds^  fallen  und  lauten 

^l2  = -s\-5',{jr+ .., + ..+ir+ ...  _  ^- JT. ... + ^- jr_ ...  _  jco8(r,  «i)  58') 

Diese  Ausdrücke  berechnen  sich  sehr  leicht  unter  Kücksicht 
auf  (57)  und  (57^  und  ergeben,  wenn  man  noch  die  Stromstärken 
/j  und  /j  einführt  und  cos  (iE,  *j)  =  —  ö  r  /  ö  s^  setzt ,  die  beiden 
Grundformeln 

jp  ik'J^J^ds^ds^l       d^r  .drdr\  -q. 

^12  = r^         yjj^,  "^dJ,  dij  '  ^^^ 

j^  Sk'e^ds^  fJ^f       d*r  .dr    dr\dr         1   dJ^  dr   d r\     -^,. 

^^-+  ~'e^~\r*yd^;dl  ''^d7^'dj)di,'^2^'dtd7,d7j'^^^ 

wo  die  Differentialquotienten  von  r  nach  t  sich  allein  auf  die  Wirkung 
der  Translation  von  ds^  und  ds^  beziehen. 

Diese  Gleichungen  geben  die  Elementargesetze  der  Elektro- 
dynamik und  Induktion  linearer  Leiter,  das  erstere  mit  dem  von 
Amp£re'^  herrührenden  identisch,  das  letztere  mit  dem  von  F.  Neu- 
MA2«3^*^  angegebenen  wesentlich  gleichwertig. 

Das  W.  WEBER'sche  Potential  0i2  der  Wechselwirkung  zwischen 
den  elektrischen  Teilchen  der  Elemente  ds^  und  ds^  erhält  man  aus 
der  zweiten  Formel  (56")  unter  Rücksicht  auf  (57)  folgendermaßen 

fpi    _  _   2k'JiJtd8id8^  dr^dr  .  g^. 

^^  rc^  ds^  dSi '  ' 

gehören  rf*j  und  ds^  zwei  geschlossenen  linearen  Stromläufen  s^  und 
«3  mit  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  konstanten  Stärken  J^  und  J^  an, 
80  folgt  hieraus  das  Gesamtpotential  (P^j  ihrer  Wechselwirkung 


52  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap. 

60')  0,,  =  -  ^^  ff^^^^  1^  1^ , 

woraus  durch  teilweise  Integration  nach  s^  oder  s^  resultiert 

Nun  ist  aber  leicht  ersichtlicher  Weise  d^r^lds^d8^=  —2008(8^,8^),  also 

worin  U^^  ^^^^  ^^^®  Bezeichnung  ist 

0J3  ist  das  Entgegengesetzte  von  dem  durch  F.  Neümann^*) 
angegebenen  elektrodynamischen  Potential  zwischen  s^  und  s^ ,  dessen 
Variation  die  Arbeit  aller  Wechselwirkungen  i^2  angiebt;  /7i2  ist  also 
dieses  Potential  selbst  für  die  Stromstärken  /^  =  /^  =  1.  Es  kann 
dazu  dienen,  um  die  aus  dem  Ausdruck  (59')  flir  £[2  durch  Summation 
über  *j  und  s^  folgende  elektromotorische  Gesamtkraft  -£12,  die  in  s^ 
durch  die  Bewegung  von  s^  und  s^,  wie  durch  die  Änderung  von  J^ 
induziert  wird,  in  einlacher  Weise  auszudrücken. 

Berücksichtigt  man  nämlich,  daß  identisch 

r  dt         1     ö*r  1  dr  dr 

Ö5g      ~"  r  ds^dt       r^ds^dt 

ist,  SO  erhält  man  durch  geeignete  teilweise  Integration  des  ersten 
Güedes  der  Formel  (59')  nach  s^  leicht 

ßi\  IT    _-.       ^Kh  rCrf    r7     \^l      ^^^         i^^\^       1  dJ^  dr  dr 
^A;^12-  c«  JJ     ^^    ^^\r'Vds,ds^      ^ds.dsjdt      2r  dt  ds.di,    ' 

Vergleicht  man  hierin  das  erste  Glied  mit  Formel  (59)  und  benutzt, 
daß  P12  dr  die  Arbeit  der  Wechselwirkung  P[2  ist,  und  vergleicht 
man  das  zweite  Glied  mit  der  Formel  (60'),  so  erhält  man 

61')  E,,  =  2.,  (/,  ^  +  77,.  "^  =  2e,  '-^  • 

Die  Ableitung  dieser  wichtigen,  ebenfalls  von  F.  Necmann*^) 
herrührenden  und  vielfach  geprüften  Formel  setzt  aber  voraus,  daß 
dr/dt  längs  s^  sich  stetig  ändert,  also  der  induzierende  Stromlauf 
keine  sogenannten  Gleitstellen  enthält  Doch  läßt  sie  sich  durch 
eine  spezielle  Untersuchung  der  in  diesen  stattfindenden  Vorgänge  auch 
allgemein  beweisen. 

Das  W.  WEBEEsche  Grundgesetz  führt  also,  auf  lineare  Strom- 
läufe angewandt,  zu  Resultaten,  welche  mit  der  Beobachtung  im  Einklang 
sind.  Bei  der  Übertragung  auf  räumliche  Strömungen  bieten  sich  in- 
dessen Schwierigkeiten,  die  bisher  noch  nicht  befriedigend  gehoben  sind. 


<^  9.     Oleiekung  des  ViriaU.  53 


62) 


( 


§  9.     Der  Satz  vom  Yirial;  kinetisohe  Theorie  der  Gase  und 

Lösungen. 

Multipliziert  man  die  Gleichungen  (40)  resp.  mit  x^^,  y,^,  Zj^  und 
addiert  sie,  so  kann  man  das  Resultat  schreiben'®) 

k 

wobei 

den  Abstand  des  Massenpunktes  m^  vom  Eoordinatenanfangspunkt 
bezeichnet.  Die  Funktion  auf  der  rechten  Seite  dieser  Gleichung 
heißt  das  Virial  der  auf  7w^  wirkenden  Kräfte. 

Ist  nur  ein  Massenpunkt  Torhanden  und  dieser  in  oscillato- 
rischer  Bewegung,  so  daß  über  eine  angemessene  Zeit  genommen 
der  Mittelwert  von  <P[r^jdfi  verschwindet,  so  wird 

m  -^')^  =  -  i  {Xx  +  Yy  +  Zz)^ ,  620 

WO  der  Index  fi  anzeigt,  daß  von  den  Klammerausdrücken  der 
mittlere  Wert  genommen  werden  soll. 

Sind  hingegen  sehr  viele  Massenpunkte  vorhanden  und  in 
solcher  Bewegung,  daß  in  der  aus  (62)  durch  Summation  über  alle 
Massenpunkte  erhaltenen  Formel  der  Ausdruck  2mj^r^^  sich  mit 
der  Zeit  entweder  gar  nicht  oder  nur  gleichförmig  ändert,  so  er- 
hält man  nach  leichter  Umformung  der  letzten  Summe: 

\2mj,  n^  =  -  i^(X,x,  +  Ynyu  +  Z^zh) 

worin  2P  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie  auf  Seite  40. 

In  beiden  Fällen  ist  also  die  mittlere  lebendige  Kraft 
gleich  dem  mittleren  Virial. 

Die  letzte  Formel  läßt  sich  bei  Einführung  der  ganzen  leben- 
digen Kraft  Wy  der  resultierenden  Kräfte  JT^  resp.  Jf)»fc  und  der 
relativen  Entfernung  r^^  zwischen  mj^  und  ?nfc  schreiben 

V=  -:^^'ir,rÄC0s(Ä^„r,)  +  i-5"Ji:,fcrfc,.  63') 

jffcfc  ist,  wie  früher,  positiv  im  Falle  der  Anziehung,  negativ  im 
Falle  der  Abstoßung  gerechnet.  Für  ein  System,  welches  nur 
äußeren  oder  nur  inneren  Kräften  ausgesetzt  ist,  reduziert  sich 
die  rechte  Seite  auf  das  erste  resp.  zweite  Glied. 


63) 


54  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


Man  benutzt  diese  Formel,  um  sich  von  dem  Verhalten  der 
Gase  Rechenschaft  zu  geben,  welche,  obwohl  ihre  kleinsten  Teile 
in  anderen  Aggregatzuständen  gegenseitige  Anziehungen  zeigen,  eine 
Expansiykraft  besitzen,  die  auf  gegenseitige  Abstoßung  zu  deuten 
scheint. 

Dazu  stellt  man  sich  nach  dem  Vorgang  von  D.  BERNOuiiiJ^^ 
vor,  daß  die  Atome,  welche  gemäß  den  Sätzen  der  Chemie  sich  im 
allgemeinen  in  dem  Verbände  von  Molekülen  oder  Molekülgruppen 
befinden,  eine  Bewegung  besitzen,  deren  Geschwindigkeit  mit  ge- 
steigerter Temperatur  wächst,  und  daß  bei  dieser  Bewegung  ein  oft- 
maliges Zusammenstoßen  und  Zurückprallen  der  Moleküle  statt- 
findet, welches  mit  steigender  Temperatur  ihren  Zusammenhang  immer 
mehr  lockert.  Im  festen  Zustande  sollen  diB  Moleküle  wesentlich 
um  unveränderliche  Euhelagen  oscillieren,  im  flüssigen  durch  den 
ganzen  erfüllten  Saum  fortschreiten,  dabei  aber  dauernd  gegen- 
seitigen Attraktionen  ausgesetzt  sein,  während  im  gasförmigen  der 
Abstand  der  Teilchen  so  groß  gedacht  wird,  daß  dieselben  nur  selten 
merklich  aufeinander  einwirken,  im  allgemeinen  vielmehr  mit  kon- 
stanter Geschwindigkeit  geradlinig  fortschreiten.  Als  ein  ideales 
bezeichnet  man  ein  Gas  dann,  wenn  seine  Verdünnung  so  groß  ist, 
daß  von  allen  Wechselwirkungen  zwischen  seinen  Molekülen  ab- 
gesehen werden  kann. 

Ein  homogener  fester,  flüssiger  oder  gasförmiger  Körper,  der 
sich  in  äußerer  Kühe  oder  in  einer  hinreichend  langsamen  äußeren 
Bewegung  befindet,  erfüllt  demnach  die  Bedingungen,  unter  welchen 
die  Formel  (63)  anwendbar  ist 

Betrachten  wir  ein  von  festen  Wänden  umgebenes  Gasquantum, 
dessen  Moleküle  als  starre  Punkte  angesehen  werden  können,  also 
je  nur  aus  einem  Atome  bestehen,  in  dem  oben  definierten  idealen 
Zustande,  und  sehen  wir  von  der  Wirkung  der  Schwere  ab,  so  ist 
die  einzige  Wirkung,  welche  dasselbe  erfährt,  die  Reaktion  der 
festen  Wand  gegen  die  anprallenden  Moleküle,  die,  weil  sie  auf 
molekularen  Kräften  beruht,  notwendig  normal  zu  der  festen  Wand 
gerichtet  ist  Dieselbe  erstreckt  sich,  was  später  näher  begründet 
werden  wird,  im  Mittel  gleichmäßig  über  die  ganze  Fläche  der 
Wand  und  kann  demgemäß  für  jedes  Flächenelement  do  mit  dessen 
Größe  proportional,  nämlich  =^pdo,  gesetzt  werden,  p  heißt  dann 
der  Druck,  unter  welchem  das  Gas  steht,  oder  welchen  dasselbe 
gegen  die  Wand  ausübt;  seine  Dimension  ist 

63")  |>]  =  m/-i^-2. 


§  9.    Kinetische  Theorie  des  Qctsdmckes,  55 

Wir  erhalten  demgemäß 

-  i  -S' JT,  r,  cos  (Ä,,  r J  =  +  \Jdo  r  cos  {n,  t\  64) 

wo  n  die  Eichtung  der  äußeren  Normale  auf  do  bezeichnet.  Das 
Integral  bestimmt  aber  das  dreifache  des  von  dem  Gase  erfüllten  Vo- 
lumens Vy  und  die  Formel  (63')  ergiebt  sonach,  wenn  die  Wechsel- 
wirkungen zwischen  den  einzelnen  Teilchen  zu  vernachlässigen  sind: 

V=|;?i;.  64') 

Dieses  Eesultat  läßt  sich  auf  den  Fall  übertragen,  daß  zwar 
noch  von  den  Wechselwirkungen  zwischen  verschiedenen  Molekülen 
abgesehen  wird,  jedes  Molekül  jit  aber  mehrere  Atome  m^  enthält, 
welche  Kräfte  aufeinander  ausüben. 

Ein  solches  Molekür  bewegt  sich  nach  den  gemachten  Grund- 
annahmen und  nach  den  Formeln  (43)  mit  Ausnahme  der  sehr 
kurzen  Zeiträume,  wo  es  sich  in  der  Wirkungssphäre  der  Wand 
befindet,  so,  daß  sein  Schwerpunkt  mit  konstanter  Geschwindigkeit 
in  gerader  Linie  fortschreitet. 

Beziehen  wir  also  das  Molekül  auf  ein  in  seinem  Schwerpunkt 
festes,  parallel  mit  sich  fortschreitendes  Koordinatensystem,  so 
ändern  sich  die  Bewegungsgleichungen  dadurch  nicht  und  geben 
deshalb  auch  die  Grundgleichung  (62)  in  ungeänderter  Form  wieder; 
nur  tritt  an  Stelle  der  gesamten  lebendigen  Kraft  W  der  Atome 
jetzt  die  ihrer  Bewegung  relativ  zum  Schwerpunkt  des  Moleküls  f^,-. 
Da  nun  bei  der  großen  Anzahl  von  Molekülen,  innerhalb  deren  die 
Atome  sich  voraussichtlich  periodisch  bewegen,  alle  überhaupt  mög- 
lichen Bewegungszustände  stets  gleichzeitig  und  gleichmäßig  verteilt 
Vorhandensein  werden,  so  wird  auch  für  diese  relative  Bewegung  die 
über  alle  Atome  und  Moleküle  erstreckte  Summe  JSm^r^j  in  der  r^ 
jederzeit  die  Entfernung  von  dem  zugehörigen  Molekülschwerpunkt 
bezeichnet,  sich  mit  der  Zeit  nicht  ändern,  also  aus  der  Gleichung 
für  die  relative  lebendige  Ejraft  ebenso  herausfallen,  wie  oben  aus 
der  für  die  absolute  aufgestellten. 

Diese  Überlegung  führt  zu  dem  Resultat,  daß  jedenfalls  für  die 
Perioden,  innerhalb  deren  die  Moleküle  keine  äußeren  Kräfte  er- 
fahren, die  Beziehung 

V,^\2'[Kj,^n^\  65) 

gültig  ist,  unter  ^<  die  innere  oder  relative  lebendige  Kraft  aller 
Moleküle,  und  entsprechend,  unter  den  K^  k  die  zwischen  den  Atomen 
desselben  Moleküles  stattfindenden  Wechselwirkungen  verstanden. 


56  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper»    IL  Kap. 


Zweifelhaft  bleibt  sonach,  da  wir  Zusammenstöße  der  Moleküle 
miteinander  noch  ausschließen,  nur  die  Anwendung  dieser  Formel  auf 
die  Zeiten,  wo  sich  die  Moleküle  der  Wirkung  der  Wand  ausgesetzt 
finden.  Indessen  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  durch  letztere  die 
innere  lebendige  Kraft  beeinflußt  wird;  denn  die  Anzahl  der  Stöße 
gegen  die  Wände  hängt  bei  sonst  ungeänderten  Umständen  wesent- 
lich von  der  absoluten  Größe  des  gaserfüllten  Gefäßes  ab,  und  es 
sprechen  keine  Anzeichen  dafür,  daß  diese  auf  die  innere  lebendige 
Kraft  der  Moleküle  influiert.  Wir  werden  daher  die  Formel  (65) 
als  unter  den  gemachten  Annahmen  allgemein  gültig  betrachten. 

Setzt  man  nun  in  die  Gleichung  (63')  die  in  (50")  gegebene 
Beziehung  W  =  Wa+  Wt  ein  und  berücksichtigt,  daß  in  dem  vor- 
ausgesetzten Falle  das  erste  Glied  rechts  mit  ^pv,  das  zweite  mit 
^^^KhicThkji  und  nach  (65)  mit  W.  identisch  ist,  so  erhält  man 

65-)  ^a  =  ipv, 

d.  h.  die  Formel  (64')  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  daß  an  Stelle 
der  gesamten  lebendigen  Kraft  der  Molekularbewegung  die,  bei  ein- 
atomigen Molekülen'damit  identische  der  Schwerpunktsbewegung  steht. 
Bei  ungeänderter  lebendiger  Kraft  ^a,  —  d.  h.  nach  dem 
Vorausgeschickten,  bei  ungeänderter  Temperatur  —  ist  sonach  fiir 
das  gegebene  Gasquantum  das  Produkt  aus  Druck  und  Volumen 
konstant,  in  Übereinstimmung  mit  dem  bekannten  Gesetz  von  Botle 
und  Mabiotte^®).  Bei  wechselndem  Wärmezustand  eines  idealen 
Gases  dient  aber,  wie  in  dem,  die  Wärmeerscheinungen  behandelnden 
Teil  auseinandergesetzt  werden  wird,  der  einem  jeden  Zustand  ent- 
sprechende Wert  des  Produktes  vp  zur  Definition  der  sogenannten 
absoluten  Temperatur  T,  indem  man  nach  Gay  Lussac^^  setzt 

66)  pv=-MBT, 

und  unter  M  die  Masse  des  Gases  und  unter  JB  eine  seiner  Qualität 
individuelle  Konstante  versteht.  Daraus  folgt,  daß  nach  der  kine- 
tischen Vorstellung  die  lebendige  Kraft  der  Molekularbewegung 
innerhalb  der  Masseneinheit  ein  Maß  der  absoluten  Temperatur  ist; 
denn  es  gilt  in  der  That 

66')  ^  =  |5T. 

Die  erhaltene  Grundformel  (65')  wollen  wir  nach  zwei  Richtungen 
hin  umformen.  Erstens  wollen  wir  die  lebendige  Kraft  ^o  durch  den 
arithmetischen  Mittelwert  der  Quadrate  aller  Schwerpunktsgeschwin- 
digkeiten ausdrücken,  der  nach  dem  Seite  52  Bemerkten  mit  {y\ 
zu  bezeichnen  ist;  es  ist  dann 


§  9.     Okiehung  von  van  der  WacUs.  57 


«P.  =  i^(n^  67) 

und  die  Grieichung  (65')  wird  dadurch  zu 

\M{J%  =  pv.  67') 

Zweitens  wollen  wir  das  Verhältnis  der  Masse  M  des  Gases  zu  dem 
von  ihm  anscheinend  gleichförmig  erflillten  Volumen  v 

|=C  68) 

setzen  und  als  die  Dichte  des  Gases  bezeichnen;  es  gilt  dann  für  o 

[(>]  =  m  M,  68') 

und  die  Gleichung  (67')  nimmt  die  Gestalt  an 

Sie  gestattet  yiV% ,  —  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  arith- 
metischen Mittel  aller  Geschwindigkeiten  F^ ,  —  für  wirkliche  Gase, 
die  dem  Gesetz  (66)  sehr  nahe  folgen,  zu  bestimmen  und  dadurch 
eine  Vorstellung  über  die  Schnelligkeit  ihrer  Molekularbewegung 
zu  gewinnen.  Für  Luft  erhält  man  bei  einer  Temperatur  von  0^  C. 
ca.  480  m,  für  Wasserstoff  ca.  1840  m.  — 

Bildet  man  unter  Berücksichtigung  der  Eesultate  der  Chemie 
bezüglich  der  Molekulargewichte,  genauer  der  Molekularmassen,  ju^, 
die  mittlere  lebendige  Kraft  eines  Moleküles  für  verschiedene 
Gase  bei  gleicher  Temperatur,  so  findet  man  sie  merklich  gleich; 
es  ist  also 

fiKinX  =^fJik{n%  für  n  =  7V  70) 

Das  gleiche  Resultat  läßt  sich  theoretisch  dadurch  gewinnen,  daß 
man  ein  Gemisch  der  beiden  Gase  als  im  Temperaturgleichge- 
wicht befindlich  betrachtet  und  die  Bedingung  dafür  aufsucht,  daß 
die  Wechselwirkungen  zwischen  den  beiderseitigen  Molekülen  den 
mittleren  Zustand  einer  jeden  Molekülgattung  nicht  ändern*^). 
Ferner  ergiebt  die  Formel  (69) 

Qh (?/.%  =  o. (/i'\   für  pH^^pu,  70') 

und  durch  die  Verbindung  beider  Resultate  folgt 

-?*  =  A   für  p,^p,   und    n=r,;  71) 

die  Dichten  sind  also  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur 
den  Molekularmassen  proportional  (Gesetz  von  Gay  Lüssac  *^). 

Nun  ist  aber  g/fi  =:  cc  die  Anzahl  der  Moleküle  in  der  Vo- 
lumeneinheit,   daher    läßt   sich   die   letzte  Formel   auch  schreiben 


58  /.  Tßil.    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 

71')  cck  =  ofk   für    Th  =  Tu   und  p^  =  pu 

und  dahin  formulieren,  daß  gleiche  Volumina  verschiedener  Gase 
bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur  die  gleiche  Anzahl 
von  Molekülen  enthalten  (Gesetz  von  Avogadro*^).  — 

Befinden  sich  in  demselben  Eaum  gleichzeitig  mehrere  Gase  und 
genügen  sie  der  Grundannahme,  daß  von  den  Kräften  zwischen  ihren 
Molekülen  abgesehen  werden  kann,  so  giebt  Formel  (65')  unmittelbar 

72)  ■  :S{Wa\  =  ipv, 

wo  {Va)k  sich  auf  die  Teile  einer  Gasart  k  bezieht.  Wäre  diese 
Gasart  in  dem  Volumen  v  für  sich  allein  vorhanden,  so  würde  sie 
unter  einem  Drucke  pj.  stehen,  gegeben  durch 

72')  ('^-)*  =  |p.«; 

hieraus  folgt,  daß  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  mehrerer  Gasarten 
in  demselben  Räume,  so  lange  die  gemachte  Voraussetzung  erfüllt  ist, 

72')  P  =  ^P„ 

d.  h.  der  aktuelle  Druck  p  gleich  der  Summe  der  Partialdrucke  p^^ 
ist,  welchen  jedes  Gas  für  sich  bei  gleicher  Temperatur  in  dem  glei- 
chen Volumen  ausüben  würde  (Gesetz  von  Dalton**).  — 

Bedenklicher  als  die  Berechnung  des  Einflusses,  welchen  die 
inneren  Bewegungen  und  Kräfte  des  einzelnen  Moleküles  in  der 
Virialgleichung  (63)  ausüben,  ist  die  Beurteilung  der  Wirkung  von 
Kräften  zwischen  den  Atomen  verschiedener  Moleküle,  die  um  so 
bedeutender  werden  muß,  je  dichter  das  Gas  ist  Hier  ist  man  nur 
auf  ungefähre  Schätzungen  angewiesen. 

Lägen  die  sämtlichen  Moleküle  in  gleichförmiger  Verteilung 
durch  das  Volumen  v  fest  und  in  so  dichter  Lagerung,  daß  die 
Sphäre  merklicher  Wirkung  eines  jeden  von  ihnen  eine  sehr  große 
Anzahl  der  anderen  umschlösse,  so  würde  die  Wirkung  ihrer  At- 
traktion auf  innere  Punkte  sich  zerstören,  dagegen  auf  die  Ober- 
flächenelemente do  eine  normale  Resultierende  p'do  geben,  die  sich 
zu  dem  Druck  pdo  der  Wände  addieren  müßte.  Da  diese  Resul- 
tierende unter  den  gemachten  Voraussetzungen  an  jeder  Stelle  der 
Oberfläche  von  einer  Anzahl  Teilchen  herrühren  würde,  die  der  Dichte 
Q  des  Gases  direkt,  oder  dem  Volumen,  welches  die  ganze  Masse 
erfüllt,  indirekt  proportional  wäre  und  auch  auf  eine  analoge  Anzahl 
wirkte,  so  wird  es  wahrscheinlich,  daß  in  diesem  Falle  p'  mit  v^  in- 
direkt proportional  etwa  gleich  a/v^  ist. 

Wären  die  Moleküle  in  Bewegung,  und  übten  sie  aufeinander  nur 
Kräfte  aus,  welche  sich  in  der  Undurchdringlichkeit  des  einen  für 


§  9,     Oeseix  des  osmotischen  Druckes.  59 


2 


die  Teile  des  anderen  äußern,  so  würde  vermutlich  deren  Wirkung 
nur  die  sein,  daß  das  Gesamtvolumen  v  in  der  obigen  Formel  (65') 
durch  den  flir  die  Bewegung  wirklich  freien  Anteil  desselben  [v  —  b) 
ersetzt  werden  muß,  wo  b  sich  nicht  streng  bestimmen  läßt 

Durch  derartige  wenig  befriedigende  Überlegungen  gelangt  man 
dazu,  die  Formel  (65')  für  allgemeinere  Fälle  zu  erweitem  zu 

1'a=[p  +  $){v-b),  73) 

worin  W„  wie  oben,  die  lebendige  Blraft  der  Schwerpunktsbewegung 
der  Moleküle  bezeichnet,  die  nach  Abzug  der  lebendigen  Kraft  der 
Atome  um  die  Molekülschwerpunkte  allein  übrig  bleibt.  Indem  man 
auch  hierin  die  linke  Seite  als  ein  Maß  der  absoluten  Temperatur 
betrachtet,   gelangt  man  zu  der  Gleichung  von  van  der  Waals**) 

MB  T=[p  +  5)  iy-b),  ISO 

welche  sich  dem  Verhalten  der  Gase  bis  unter  den  Kondensations- 
punkt hinab  in  höchst  merkwürdiger  Weise  anschließt,  wenn  man 
a  und  b  als  Konstanten  betrachtet.  Über  die  Natur  aller  dieser 
Konstanten  wird  in  einem  späteren  Teil  zu  sprechen  sein.  — 

Ebensowenig  theoretisch  streng  zu  begründen  und  ebenso 
überraschend  in  der  Übereinstimmung  mit  der  Erfahrung  sind  die 
Anwendungen  der  kinetischen  Vorstellungen  zur  Erklärung  der 
Eigenschaften  von  Lösungen,  insbesondere  stark  verdünnten.  Nach 
dem  Vorgang  von  yak  't  Hoff*^)  denkt  man  sich  gewöhnlich  die 
Moleküle  der  gelösten  Substanz  innerhalb  des  Lösungsmittels  in 
derselben  Weise  in  fortschreitender  Bewegung  begriffen,  wie  die 
Teile  eines  Gases  innerhalb  eines  sonst  leeren  Gefäßes;  die  Stelle 
der  Reaktion  der  festen  Wände  vertritt  dabei  die  Attraktion  der 
Teile  des  Lösungsmittels,  welche  auf  innere  Punkte  nach  Symmetrie 
unwirksam  ist,  auf  Stellen  nahe  der  Oberfläche  aber  eine  senkrecht 
zu  dieser  stehende  Eesultierende  ergiebt,  welche  die  Moleküle  hin- 
dert, die  Flüssigkeit  zu  verlassen. 

Die  Fundamentalerscheinung,  welche  diese  Vorstellung  nahe 
legt,  ist  die  sogenannte  Osmose,  die  sich  folgendermaßen  auf- 
fassen läßt 

Es  sei  ein  vertikaler  Cylinder  in  seinem  unteren  Teil  mit  dem 
reinen  Lösungsmittel,  in  seinem  oberen  mit  der  Lösung  gefüllt  und 
die  Grenze  durch  eine  sogenannte  halbdurchlässige  Wand,  d.  h. 
durch  eine  poröse  Platte  gebildet,  welche  zwar  dem  Lösungsmittel, 
nicht  aber  der  gelösten  Substanz  den  Durchgang  gestattet.    So  wenig 


60  /.  Teil,     Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap, 

die  Wirkungsweise  einer  solchen  Platte  mechanisch  klargestellt  ist, 
so  kann  man  doch  annehmen ,  daß  sie  die  aufprallenden  Moleküle 
der  gelösten  Substanz  zurückwirft,  während  sie  denen  des  Lösungs- 
mittels den  Durchgang  durch  die  Poren  gestattet. 

Während  nun  in  einem  für  sich  allein  vorhandenen  Quantum 
der  Lösung  die  Stöße  der  Moleküle  der  gelösten  Substanz  gegen 
diejenigen  des  Lösungsmittels  nach  allen  Seiten  hin  gleichmäßig 
wirken,  giebt  die  poröse  Wand,  welche  gewisse  Stöße  auffängt,  der 
Wirkung  der  entgegengesetzt  gerichteten  ein  Übergewicht  über  die 
anderen.  Wäre  Wand  und  Lösung  beweglich,  so  würden  dieselben 
sonach  in  entgegengesetzter  Richtung  beschleunigt  werden,  während 
ihr  gemeinsamer  Schwerpunkt  in  Ruhe  bliebe.  Ist  dagegen,  wie 
bei  der  Anordnung  des  Versuches  in  Wirklichkeit,  die  poröse 
Wand  im  Cylinder  fest,  dieser  beiderseitig  offen,  und  wirkt  auf 
die  Oberflächen  der  Flüssigkeit  der  Druck  der  Atmosphäre,  so  folgt 
die  Lösung  dem  erhaltenen  Antriebe  und  bewegt  sich  von  der  po- 
rösen Wand  hinweg,  während  reines  Lösungsmittel  durch  dieselbe 
nachdringt  und  sich  mit  der  Lösung  mischt.  Diese  Bewegung  dauert, 
wenn  keine  anderen  Kräfte  wirken,  so  lange  an,  bis  die  ganze  Flüs- 
sigkeit sich  auf  der  oberen  Seite  befindet;  sie  kann  aber  durch  eine 
Kraft  oder  einen  Druck,  welcher  die  Lösung  nach  der  porösen  Wand 
hindrückt,  aufgehoben  werden.  Der  Überdruck,  welcher,  wenn  die 
Schwere  nicht  w^irkt,  hierzu  auf  die  freie  Oberfläche  der  Lösung 
ausgeübt  werden  muß,  ist  gleich  dem  Druck,  welchen  die  poröse 
Wand  durch  die  Molekularstöße  der  gelösten  Substanz  erfährt,  und 
heißt  der  osmotische  Druck  der  Lösung. 

In  der  Praxis  tritt  an  Stelle  eines  solchen  äußeren  Druckes 
zumeist  die  Wirkung  des  Gewichtes  der  über  der  porösen  Wand 
stehenden  Lösung,  abzüglich  der  Gegenwirkung  des  auf  der  anderen 
Seite  drückenden  reinen  Lösungsmittels. 

Es  mag  bemerkt  werden,  daß  es  feste  Wände,  welche  die  vor- 
ausgesetzte Eigenschaft  der  Halbdurchlässigkeit  in  voller  Strenge 
besitzen,  nicht  giebt,  die  vorstehende  Schilderung  der  Wirklichkeit 
also  nicht  ganz  entspricht,  daß  vielmehr  stets  eine  kleine  Menge  der  ge- 
lösten Substanz  durch  die  poröse  Platte  dringt.  Am  vollständigsten  kann 
man  die  gemachten  Voraussetzungen  durch  Schichten  gewisser  Flüssig- 
keiten erfüllen,*^)  welche  man  zwischen  die  Lösung  und  das  reine 
Lösungsmittel  einschaltet,  und  welche  ihrerseits  zwar  das  Lösungs- 
mittel, aber  fast  nicht  die  gelöste  Substanz  auflösen.  Indessen  ge- 
statten dieselben  nicht  die  Messung  des  osmotischen  Druckes  in  der 
oben  beschriebenen  Weise,  da  sie  keine  Festigkeit  besitzen;    über- 


§  9.     Oesetx  des  osmotischen  Druckes.  61 


haupt  wird  dieser  Druck  in  der  Regel  nicht  direkt  beobachtet,  sondern 
aus  gewissen,  später  zu  betrachtenden  Eigenschaften  verdünnter  Lö- 
sungen berechnet.  — 

Wenn  die  oben  auseinandergesetzte  Anschauung  über  das 
Wesen  der  Osmose  richtig  ist,  so  müssen  die  früher  für  die  Gase 
gemachten  Ansätze  sich  auch  hier  als  gültig  erweisen.  Es  ist  nun  sehr 
merkwürdig  und  nahezu  unverständlich,  daß  die  Beobachtungen  über 
den  osmotischen  Druck  mit  der  einfachsten  Formel  (65')  resp.  (66) 

in  welcher  jetzt  Wa  nur  die  lebendige  Kraft  der  Moleküle  der  ge- 
lösten Substanz  und  p  den  osmotischen  Druck  bezeichnet,  in 
naher  Übereinstimmung  sind,  obgleich  dieselbe  unter  Vernachlässigung 
aller  Wechselwirkungen  erhalten  ist,  und  obgleich  der  Raum  von  den 
Teilchen  des  Lösungsmittels  anscheinend  viel  dichter  erfüllt  wird, 
als  bei  einem  der  Kondensation  nahen  Gase  von  dessen  Molekülen. 
Der  Sinn  dieser  Thatsache  läßt  sich  dahin  aussprechen,  daß  der 
osmotische  Druck  in  einer  Lösung  derselbe  ist,  welchen  das  gleiche 
Quantum  gelöster  Substanz,  bei  derselben  Temperatur  innerhalb  des- 
selben Raumes  vergast,  auf  dessen  Wände  ausüben  würde. 

Da  die  Formel  (65')  hier  gilt,  so  kann  man  aus  ihr  genau  wie 
S.  57  auch  die  Folgerung 

in,  =  '-f 

ziehen,  wo  p  die  Dichte  der  gelösten  Substanz  innerhalb  der  Lösung 
und  p  den  osmotischen  Druck  bezeichnet,  und  mit  ihrer  Hilfe  aus 
Q  und  p  das  mittlere  Quadrat  der  Molekulargeschwindigkeit  berech- 
nen.    Dasselbe  vermag  man  auch  durch  die  Formel  (70) 

zu  leisten,  wenn  man  nur  das  Molekulargewicht  fiu  der  gelösten  Sub- 
stanz kennt,  indem  man  für  ju^  das  Molekulargewicht  irgend  eines 
Gases  und  für  {Fj^\  den  ihm  entsprechenden  Wert  setzt.  Wählt 
man  für  die  Substanz  h  etwa  WasserstojBf  und  bezieht  die  Atom- 
gewichte auf  Wasserstoff  als  Einheit,  so  erhält  man,  da  Wasserstoff 
zwei  Atome  im  Molekül  enthält,  jtt^  =  2 ,  und 

(^a=;,7  (18,4.10*)*. 

Die  Anwendung  dieser  Resultate  wird  durch  den  Umstand  be- 
einträchtigt, daß  die  meisten  löslichen  Substanzen  ihre  molekulare 
Konstitution  von  einem  Lösungsmittel  zum  anderen  ändern,  bald 
mehrfache,  bald  Teilmoleküle  bilden,  zuweilen  auch  in  ihre  Atome 


62  L  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap. 


zerfallen.  Auf  diese  Vorgänge ,  die  man  aus  dem  yerschiedenen 
physikalischen  und  chemischen  Verhalten  derselben  Substanz  in  yer- 
schiedenen Lösungsmitteln  erschließt,  ist  an  dieser  Stelle  einzugehen 
nicht  der  Ort. 


§  10.     Weitere   Ausbildung   der   kinetischen  Theorie;    die   mittlere 
Weglänge  der  Moleküle.     Innere  Eeibung,  adiabatisohe  Erwärmung, 

Effoflion,  Siffiision. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  zu  einer  genaueren  Verfolgung  der 
Wirkungen,  welche  die  Kräfte  zwischen  den  einzelnen  ]|J[olekülen  eines 
Gases  ausüben,  als  sie  oben  zum  Zwecke  der  Ableitung  der  van 
DE»  WAALs'schen  Gleichung  erforderlich  war. 

Das  charakteristische  dieser  Wirkung  ist  die  Ablenkung  der 
Moleküle  von  ihren  ursprünglichen  in  anders  gerichtete  geradlinige 
Bahnen;  der  im  Mittel  zwischen  zwei  solchen  Ablenkungen,  die  man 
kurz  Stöße  nennt,  liegende  geradlinige  Weg,  die  freie  mittlere 
Weglänge,  sowie  die  mit  ihm  im  Zusammenhange  stehende  Anzahl 
der  Zusammenstöße,  die  ein  Molekül  in  der  Zeiteinheit  erleidet, 
liefern  eine  deutlichere  Veranschaulichung  der  wirklich  stattfinden- 
den Bewegung,  als  es  die  früheren  Resultate  zu  geben  vermochten. 
Mit  der  Bestimmung  dieser  Größen  wollen  wir  uns  im  Anschluß 
an  die  Untersuchungen  von  Claüsius*^)  zunächst  beschäftigen  und 
dabei  die  Geschwindigkeit  aller  Moleküle  innerhalb  des  Gases  der 
Einfachheit  halber  als  gleich  annehmen. 

Denken  wir  uns  ein  ruhendes  Molekül  und  ein  gegen  dasselbe 
anfliegendes,  so  wird  sich  um  den  Schwerpunkt  des  ersteren  eine 
Kugel  von  der  Eigenschaft  konstruieren  lassen,  daß,  wenn  die  noch 
geradlinige  Bahn  des  Schwerpunktes  des  zweiten  Moleküles  dieselbe 
schneidet,  die  Ablenkung  desselben  aus  seiner  ursprünglichen  Rich- 
tung infolge  der  Wechselwirkung  eine  merkliche  Größe  hat  Der 
Radius  R  dieser  Kugel  ist  nicht  gleich  dem  Radius  der  Wirkungs- 
sphäre, von  der  ja  oben  angenommen  war,  daß  sie  eine  große  An- 
zahl von  Molekülen  umschlösse,  und  mag  daher  den  neuen  Namen 
des  Stoßradius,  die  Kugel  den  der  Stoßkugel  empfangen.  Ihre 
Beträge  werden  wahrscheinlich  von  der  Geschwindigkeit  des  stoßenden 
Moleküles,  also  von  der  Temperatur  des  Gases  abhängen. 

Sei  nun  ein  System  gleichförmig  verteilter  und  festgehaltener 
Moleküle  gegeben;  v  von  ihnen  mögen  in  der  Volumeneinheit 
enthalten  sein,  vds  also  in  einer  Schicht  von  der  Fläche  Eins  und 
der  Dicke  ds. 


§  10.    Mutiere  Weglänge  der  Moleküle.  63 

Bewegen  sich  innerhalb  dieses  Systemes  n  Moleküle  in  paral- 
leler Sichtung  mit  gleicher  Geschwindigkeit  F,  so  ist  der  Bruch- 
teil dn/n  der  während  dt  abgelenkten  bestimmt  durch  das  Verhält- 
nis der  in  einer  ebenen  Schicht  von  der  Dicke  des  durchmessenen 
Weges  d$  =  Fdt  durch  Stoßkugeln  bedeckten,  also  undurchlässigen 
Fläche  zu  der  gesamten;  d.  h.,  es  gilt 

^  —  ^nR^vVdt.  74) 

Wegen  der  unendlichen  Kleinheit  von  ds  sind  dabei  die  undurch- 
lässigen Stellen  als  yon  Stoßkugeln  nur  einfach  bedeckt  zu  be- 
trachten. 

Hat  das  bisher  ruhend  angenommene  gestoßene  System  eine 
gemeinsame  Bewegung,  deren  Geschwindigkeit  V^  den  Winkel  (p  mit 
derjenigen  der  Bewegung  jener  n  stoßenden  Moleküle  einschließt, 
so  gilt  dieselbe  Formel  bei  Vertauschung  der  absoluten  Geschwin- 
digkeit F  mit  der  relativen  ß,  die  bestimmt  ist  durch 

ß2=  ^2  +  ri»-2rri  cosy.  740 

In  dem  oben  bezeichneten  allgemeineren  Fall,  daß  sich  alle 
Moleküle  in  beliebigen  Richtungen,  aber  mit  konstanten  Geschwin- 
digkeiten durcheinander  bewegen,  erhält  man  Aufschluß  über  die 
stattfindenden  Ablenkimgen,  wenn  man  eine  gegen  die  Gesamtzahl 
der  überhaupt  vorhandenen  Moleküle  kleine  Anzahl  n  —  die  immer- 
hin absolut  noch  sehr  groß  ist  —  von  irgend  einem  Zeitpunkte  an 
als  stoßend  betrachtet.  Der  stattfindende  Vorgang  läßt  sich  dann 
auf  den  einfacheren  reduzieren,  daß  alle  n  stoßenden  Moleküle  mit 
der  Geschwindigkeit  F  parallel  fortschreiten  und  von  den  gestoßenen, 
mit  den  Geschwindigkeiten  F^  =  F  behafteten,  der  Bruchteil 

2nmiq>dq> 
nn 

Bewegungsrichtungen  besitzt,  welche  mit  derjenigen  der  ersteren 
Winkel  zwischen  y  und  cp  +  dq>  einschließen.     Dann  wird 

dn 


^  =  nR^vFdt  jsin  9)  sin  ^  9)  rf  qp 


0 
oder  ausgerechnet 

^^J^^^^R2^rdt,  75) 

n  8  ' 

Hieraus  folgt  durch  Integration 

n^n^e^  ,  75^ 


64  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,     IL  Kap. 

worin  n^  die  Anzahl  der  zur  Zeit  ^  =  0  in  irgend  einer  Bewegung 
begriffenen  Moleküle,  n  die  Anzahl  der  von  ihnen  zur  Zeit  t  noch 
nicht  von  ihrem  Wege  abgelenkten  bezeichnet. 

Wir  haben  bei  der  Ableitung  dieser  Fundamentalformel  die 
Geschwindigkeiten  aller  Moleküle  des  Gases  als  gleich  angenommen. 
Da  die  Gleichung  (75),  so  lange  man  R  als  von  V  unabhängig 
betrachtet,  V  linear  enthält,  so  ist  zu  vermuten,  daß  bei  Ausdehnung 
der  Betrachtung  auf  verschiedene  Geschwindigkeiten,  die,  wie 
später  zu  zeigen,  prinzipielle  Schwierigkeiten  bietet,  an  Stelle  von 
V  angenähert  das  arithmetische  Mittel  ^  aller  vorhandenen  Ge- 
schwindigkeiten gesetzt  werden  kann,  —  welches,  wie  schon  bemerkt, 
keineswegs  mit  dem  früher  eingeführten  y(^'%  identisch  ist. 

Die  erhaltenen  Resultate  liefern  sogleich  noch  weitere  Folge- 
rungen. 

Da  —  dn I dt  die  Anzahl  der  innerhalb  der  Zeiteinheit  von  n 
bewegten  Molekülen  abgelenkten  ausmacht,  so  giebt  —  dnj ndi 
auch  die  Anzahl  a  der  auf  ein  Molekül  in  der  Zeiteinheit  kommen- 
den Stöße,  VI  a  die  mittlere  freie  Weglänge  L  zwischen  zwei  Stößen 
an.     So  gelangt  man  von  (75)  ausgehend  zu 

'  ndt  3  '  a        4n  B^v 


Schreibt  man  die  letztere  Formel 


76') 


V 


R        \nR^vv^ 


SO  spricht  sie  den  Satz  aus,  daß  die  mittlere  Weglänge  L  sich  zu 
dem  Stoßradius  R  verhält,  wie  das  Gesamtvolumen  des  Gases  v  zu 
dem  von  den  Stoßkugeln  eingenommenen  Raum. 

Da  R  jedenfalls  eine   außerordentlich  kleine  Größe  ist,  so  er- 
giebt  sich  stets,  wenn 

infolge  großen  Wertes  v  einen  neben  1  merklichen  Wert  hat,  auch  für  L 
ein  sehr  kleiner  Wert,  und  man  hat  Ursache,  anzunehmen,  daß  in  allen 
den  Verhältnissen,  welche  bei  den  Arbeiten  mit  Gasen  in  der  Praxis 
vorliegen,  selbst  bei  sehr  kleinen  Verdünnungen,  die  bekannten  Gase 
diese  Eigenschaft  besitzen.  Man  wird  sich  daher  vorstellen  müssen, 
daß  die  Bewegung  der  Gasmoleküle,  obwohl  in  der  größten  Zeit 
geradlinig  verlaufend,  sich  doch  nicht  über  irgend  merkliche  Räume 
erstreckt,  sondern  in  Zickzackbahnen  innerhalb  mikroskopischer  Be- 


§  10,    Kinetische  Theorie  der  inneren  Reibung,  65 


reiche  stattfindet  In  der  That  zeigt  Formel  (75'),  die  sich  mit 
Hilfe  von  (76)  und  der  Beziehung  Ft=:s  auch  schreiben  läßt 

daß  schon  den  zehnfachen  Betrag  der  mittleren  Weglänge  nur  eine 
ganz  verschwindende  Zahl  von  Molekülen  unabgelenkt  zurücklegt 
Dies  hat  dann  die  wichtige  Folge,  daß  die  Gestalt  des  Gefäßes, 
welches  das  Gas  enthält,  auf  die  Molekularbewegung  nur  in  sehr 
geringem  Maße  einwirken  kann;  von  dieser  Thatsache  ist  oben  be- 
reits Anwendung  gemacht,  als  der  Druck  des  Gases  gegen  die  Wände 
als  längs  derselben  konstant  eingeführt  wurde,  und  wird  auch  weiter 
noch  Anwendung  zu  machen  sein. 

Die  vorstehenden  Eesultate  kommen  zur  Anwendung  bei  Ab- 
leitung der  Grundgleichung  für  die  innere  Reibung  eines  Gases  aus 
der  kinetischen  Vorstellung*®),  d.  h.  der  wechselseitigen  Beschleuni- 
gung und  Verzögerung,  welche  zwischen  den  Teilen  eines  Gases 
stattfindet,  das  sich  mit  einer  von  Ort  zu  Ort  wechselnden  Geschwin- 
digkeit bewegt,  eine  Untersuchung,  die  deshalb  von  grosser  Bedeutung 
ist,  weil  sie  die  Mittel  zur  numerischen  Bestimmung  der  oben  ein- 
geführten Größen  cc  und  L  durch  die  Beobachtung  liefert 

Für  ihre  Entwickelung  hat  man  sich  vorzustellen,  daß  ein  jedes 
Volumenelement  des  Gases  eine  scheinbare  Gesamtbewegung  mit  den 
Geschwindigkeitskomponenten  w,  v,  w  besitzt,  und  daß  zugleich  seine 
Moleküle  mit  der  relativen  Geschwindigkeit  V  gegen  das  Volumen- 
element, die  nur  von  der  Temperatur  abhängt,  nach  allen  Seiten 
hinfahren.  Bringt  man  den  Schwerpunkt  des  Volumenelementes 
durch  Zufügung  der  Geschwindigkeitskomponenten  —  « ,  —  t?,  —  «? 
an  jedes  Molekül  zur  Buhe,  so  darf  man  annehmen,  daß  die  Be- 
wegung nach  allen  Bichtungen  in  gleicher  Weise  stattfindet 

Wir  betrachten  den  einfachsten  Fall,  daß  die  Geschwindigkeiten 
der  Volumenelemente  des  Gases  überall  parallel  gerichtet  und  in 
parallelen  Ebenen  konstant  sind;  die  Z-Axe  sei  die  Richtung  dieser 
Geschwindigkeiten  w,  nach  der  ^-Axe  finde  allein  ihre  Veränderung 
statt  Eine  Schicht  von  einer  gegen  die  mittlere  Weglänge  großen 
Dicke  dz  erleidet  dann  von  den  Nachbarschichten  eine  Beschleu- 
nigung dujdtj  die  dadurch  bewirkt  ist,  daß  nach  beiden  Seiten  hin 
Moleküle  ausfahren  und  dafür  von  beiden  Seiten  her  Moleküle  mit 
anderen  mittleren  Geschwindigkeitskomponenten  U  nach  der  X-Axe 
eintreten.  Da  die  Dicke  der  Schicht  groß  gegen  L  sein  soll,  so 
durchdringen  sie  von  den  eintretenden  Teilchen,  ohne  abgelenkt  zu 
werden,  nur  unmerklich  wenige;  die  übrigen  erleiden  im  Innern  eine 

VoiöT,  Theorotitfche  Pliynik.  5 


66  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap. 


Ablenkung,  beginnen  somit  ihre  neue  Bewegung  als  der  Schicht 
momentan  angehörige  Teile. 

Für  die  Flächeneinheit  der  Schicht  gilt  demgemäß  die  Formel 

hierin  bezeichnen  die  Indices  e  und  a,  daß  die  bezüglichen  Summen 
über  die  ein-  resp.  austretenden  Moleküle  fi  zu  nehmen  sind,  die  In- 
dices -j-  und  — ,  daß  sie  sich  auf  die  positive  oder  negative  Be- 
grenzung der  Schicht  beziehen. 

Beachtet  man,  daß  ^^iiiU)^  und -5'a(^&')-  einerseits,  ^^ijil^^ 
und  -5*0  (jwt/)^  andererseits  nur  dadurch  voneinander  verschieden  sind, 
daß  sie  für  zwei  verschiedene,  um  dz  voneinander  entfernte  Flächen- 
stücke gelten,  so  kann  man  statt  (77)  auch  schreiben 

wo  nun  beide  Summen  sich  auf  die  positive  Grenzfläche  der  Schicht 
beziehen.  Wir  brauchen  somit  allein  den  durch  diese  Fläche  statt- 
findenden Austausch  von  Molekülen  in  Rechnung  zu  ziehen. 

Bezeichnen  wir  mit  n'  die  Anzahl  der  Teilchen,  die,  von  einem 
Raum  Clement  dk  auf  der  positiven  Seite  der  Grenzfläche  ausgehend, 
die  Flächeneinheit  der  Grenze  erreichen,  so  läßt  sich  schreiben 

78)  :S,fiU=fiCn'Udk, 

(+) 
worin  das  Raumintegral  über  den  ganzen  positiven  Halbraum  er- 
streckt werden  kann,  obgleich  nach  dem  Obigen  nur  Teilchen  aus 
äußerst  kleiner  Entfernung  die  Schicht  erreichen.     Analog  ist 

78')  :SafiU=fiCn'Udk, 

(-) 
das  Integral  in  demselben  Sinne  über   den   negativen  Halbraum 
ausgedehnt. 

Kombiniert  man  miteinander  stets  je  zwei  in  Bezug  auf  die 
Grenze  sich  spiegelbildlich  entsprechende  Volumenelemente  und  be- 
zeichnet ihre  normalen  Abstände  von  dieser  mit  ±  c,  so  wird  hiemach 

78")  XfiU^2afiU^(xJn'{U^c-  U.c)dk, 

denn  die  Anzahl  n  kann  für  die  beiden  korrespondierenden  Elemente  dk 
wegen  der  konstanten  Dichte  und  der  gegenüber  dem  Gesamtwert 
nur   unbedeutend   variierenden   Molekulargeschwindigkeit   als   gleich 


§  10.    Ktnetisehe  Theorie  der  inneren  Reibung.  67 


betrachtet  werden.  Da  faktisch  nur  sehr  kleine  Werte  c  in  Be- 
tracht kommen,  so  läßt  sich  (78")  auch  schreiben 

2,iiU  ^  2apiU=2  lif^^^n'  cdh  ,     '  78'") 

worin  das  Integral  über  den  positiven  Halbraum  auszudehnen  ist 
und  dUjdz  den  Wert  dieses  Ausdruckes  in  der  Grenzfläche  selbst 
bezeichnet 

Es  erübrigt  noch  die  Bestimmung  yon  n'  und  von  U,  die  mit 
Strenge  nicht  ausgeführt  zu  werden  braucht,  weil  die  ganze  Ent- 
wickelung  auf  der  Wirklichkeit  nicht  genau  entsprechenden  Voraus- 
setzungen beruht 

Um  n'  zu  berechnen,  wollen  wir  dem  ganzen  System  die  Ge- 
schwindigkeit —  u  erteilt  denken,  wodurch  die  Grenzfläche  selbst 
zur  Buhe  gebracht  wird,  die  benachbarten  Raumelemente  dk  aber 
von  ihren  Geschwindigkeiten  nur  unendlich  kleine  Beträge  übrig 
behalten.  In  diesem  Zustande  kann  man  die  Bewegung  in  jedem 
Volumenelement  als  nach  allen  Sichtungen  in  nahe  gleicher  Weise 
stattfindend  betrachten. 

In  einem  Baumelement  dk  befinden  sich  nach  der  früheren 
Bezeichnung  fortwährend  vdk,  aber  infolge  ihrer  Bewegung  in  ver- 
schiedenen Zeitmomenten  im  allgemeinen  verschiedene  Moleküle. 
Da  ein  jedes  von  ihnen  in  der  Zeiteinheit  a  Stöße  erfährt,  so  be- 
ginnen in  der  gleichen  Zeit  avdk  Moleküle  nach  einer  Ablenkung 
innerhalb  des  Volumenelementes  ihre  Bewegung.  Von  ihnen  besitzt 
der  Bruchteil  dcjl^n  eine  Bewegungsrichtung,  die  innerhalb  eines 
EHementarkegels  von  der  üfPnung  dca  liegt,  und  von  diesen  erreicht 
wiederum  nur  der  Bruchteil 

r 

unabgelenkt  die  Entfernung  r,  in  welcher  der  von  dk  ausgehende 
Elementarkegel  die  Grenzfläche  der  Schicht  treff'en  möge. 

Bezeichnet  man  den  Winkel,  den  die  nach  dk  hin  positiv  ge- 
rechnete Richtung  von  r  mit  derjenigen  der  Z-Axe  einschließt,  durch 
y,  so  ist  die  öröße  do  des  Flächenelementes,  welches  der  Ele- 
mentarkegel aus  der  Begrenzung  der  Schicht  ausschneidet,  gegeben 

durch 

cos  (pdomar^dd}  ; 

die  Anzahl  der  während  der  Zeiteinheit  von  dk  nach  der  Flächen- 
einheit der  Grenze  kommenden  Moleküle  wird  demgemäß 


68  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Korper,    IL  Kap, 


79)  „'dA  =  ?L!L^»Jir^, 

worin  n'  die  frühere  Bedeutung  hat 

Die  gesamte  Geschwindigkeit  U  der  Moleküle  parallel  der  X-Axe 
rührt  zum  Teil  von  der  Schwerpunktsgeschwindigkeit  u  der  Vo- 
lumenelemente dk  her,  aus  denen  sie  kommen,  zum  Teil  von  der 
relativen  Geschwindigkeit  V  der  Moleküle  gegen  dk,  welche  viel 
größer  als  u  und  dabei  für  alle  Elemente  konstant  ist  Den  letz- 
teren Anteil  darf  man  als  bei  der  Integration  in  (78'")  aus  dUjdz 
herausfallend  betrachten  und  demgemäß  dUjdz  mit  du/ dz  ver- 
tauschen, wo  sich  dujdz  auf  die  Grenzfläche  selbst  bezieht,  also 
bei  der  Integration  über  den  Halbraum  konstant  ist 

Hiemach  wird,  da  noch  c  =  r  cos  qp  ist, 


80) 


n 


du 


SSefiU—^af^U^ -^-^'  ~  Ccos^tp  ^m  (pdtpCd'ilJ  Cre     ^dr, 


0 


1  78  d«< 


und  durch  Einsetzen  dieses  Wertes  in  (77') 

80)  Pä7  =  *^^^^V*«- 

Der  Faktor 

81)  fj=::^avfiZ^ 

heißt  der  Koeffizient  der  inneren  Reibung  des  Gases  und  ist 
der  numerischen  Bestimmung  durch  die  Beobachtung  zugänglich. 

Vertauscht  man  in  dem  obigen  Ausdruck  nach  (76)  aL  mit  F 
und  setzt  füi-  vfi,  d.  h.  für  die  Summe  aller  Massen  in  der  Volu- 
meneinheit, die  Dichte  q,  so  erhält  man  auch 

81')  i7  =  i(>rZ. 

Benutzt  man  für  /'  den  nach  (69)  berechneten  Wert  von  '^{F\, 
was  zulässig  ist,  wenn  man  nur  ungefähre  Resultate  haben  wiU,  so 
gestattet  die  empirische  Bestimmung  von  iy  und  q,  auch  Z  und  a=  Fj  L 
zu  berechnen.  Die  so  gefundenen  Zahlen  für  Z  liegen  für  die  schwer 
kondensierbaren  Gase  bei  0^  C.  Temperatur  und  1  Atm.  Druck  in 
der  Nähe  von  10~*cm,  die  für  a  in  der  Nähe  von  10*  bei  Zugrunde- 
legung der  Sekunde  als  Zeiteinheit 

Hieraus  folgt,  daß  die  Gasmoleküle  bei  den  vorausgesetzten 
Verhältnissen  frei  nur  fast  unmerkliche  Wege  zurücklegen,  wodurch 


§  10,    AdiabaMsehe  Erwämumg  eines  Gases,  69 


nachträglich  nun  auch  die  Entwickelungen,  welche  zu  der  Schluß- 
formel (80')  führten,  gerechtfertigt  sind. 

Auf  die  Folgerungen  aus  jener  Gleichung,  wie  auch  auf  das 
Verhalten  eines  bewegten  Gases  an  festen  Wänden,  d.  h.  auf  die 
sogenannte  äußere  Gasreibung*®),  wollen  wir  nicht  eingehen;  un- 
abhängig von  der  kinetischen  Vorstellung  werden  diese  Punkte  im 
folgenden  Teile  behandelt  werden.  — 

Eine  weitere  Anwendung  von  den  im  Eingang  dieses  Ab- 
schnittes erhaltenen  allgemeinen  Resultaten  wollen  wir  auf  die 
Erklärung  der  sogenannten  adiab a tischen  Temperaturänderung ^^ 
eines  Gases  durch  bloße  Volumenänderung  ohne  thermische  Ein- 
wirkung machen. 

Wir  denken  uns  ein  Element  do  der  das  Gas  umschließenden 
Gefäßwand  in  normaler  Richtung  mit  der  gegen  die  Geschwindig- 
keit der  Gasmoleküle  sehr  kleinen  Geschwindigkeit  tt'  nach  innen 
verschoben  und  betrachten  die  Einwirkung  dieser  Bewegung  auf  ein 
gegen  do  prallendes  Gasmolekül;  da  die  Dauer  der  Einwirkung,  die 
vrir  kurz  als  Stoß  bezeichnen,  äußerst  kurz  ist,  so  können  wir  u' 
während  derselben  als  konstant  betrachten. 

Für  ein  Atom  tw^  des  betrachteten  Moleküles  gilt,  falls  wir 
die  X-Koordinatenaxe  vorübergehend  mit  der  Normalen  auf  do  zu- 
sammenfallen lassen,  nach  (40)  das  System  von  Bewegungsgleichungen 

'«*'^?  =  ^»  +  ^^**'   %^^  =  -^^"'  "»»tI^  =  -^^»*5     (82) 

<*^  kih)  ®^  k(h)  "^  fc(A) 

X^,  die  Wirkung  der  Wand,  ist  eine  Funktion  von  (j:^  —  x)  allein, 
falls  mit  X  die  Koordinate  von  do  bezeichnet  wird.  Faßt  man 
diese  drei  Gleichungen  mit  den  Faktoren 

{Uf^--u')dt=^d{Xf^'^x),    Vf^dtz^dt/j^,    tc^dt^dz^ 

zusammen  und  integriert  von  dem  Zeitpunkt  t^  des  Eintritts  in  die 
Wirkungssphäre  bis  zu  dem  ^  des  Austritts  aus  derselben,  so  er- 
hält man  wegen 

das  Resultat 


i  ^,  [{r^,'  -  {KV  -  2k'  ((«Ol  -  («Oo)] 


»1 
kih)J 


kih) 


82') 


70  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap, 


Summiert  man  diese  Formel  über  alle  Atome  m^  eines  Moleküles  fi 
und  bedenkt,  daß 


h  k{h) 

82")  :S2;  f{X,,  dx,  +  r,,  dy^  +  Z^^  dz,)  =  A, 

h  k{h)J 

die  Arbeit   der  inneren  Kräfte   des  Moleküles  während   des  Stoßes 

ist,  so  erhält  man 

83)  e^^e^^fiu'iU^^  ü^). 

Hierin  bezeichnet  e  die  gesamte  Energie  des  Moleküles,  U  seine 
Schwerpunktsgeschwindigkeit  normal  zu  do;  da,  u'  sehr  klein  gegen 
U  ist,  kann  man  dabei  den  durch  «'  bewirkten  Unterschied  zwischen 
—  t^  und  Z7j  vernachlässigen  und  setzen 

83')  <?i -<?o  =  2|ti«' ?7, 

worin  den  Normalgeschwindigkeiten  u'  und  U  des  Flächenelementes 
und  der  Moleküle  gleiche  oder  entgegengesetzte  Vorzeichen  beizulegen 
sind,  je  nachdem  sie  vor  dem  Stoß  entgegengesetzte  oder  gleiche 
Richtung  hatten. 

Nun  stoßen  nach  (79)  gegen  do  während  der  Zeit  dt 

öo  )  ndkdodt  = 7 — 5 e     l 

von  dem  Yolumenelement  dk  ausgehende  Moleküle;  sie  besitzen  die 
N  ormalgesch  windigkeit 

83'")  U=^Fcos(pj 

und  ein  jedes  erfährt  bei  dem  Stoß  die  durch  (83')  gegebene  Energie- 
änderung.  Demgemäß  erleidet  die  Energie  E  des  ganzen  Gases  durch 

»• 

die  Verschiebung  von  do  während  cf^  die  Änderung 


n 


00 


84)        }      dE= — ayfiu ^jcos^ysinyrfy  ldi/;le"^rfr, 

I  0  00 

=  \  FL avfiu^dtdo, 

oder  wegen  F=  La 

84')  dE^^  IF^vfjiu'dtdo. 

Nun  ist  aber  u^dt  die  normale  Verschiebung  des  Elementes  do, 
also  u'dtdo  die  durch  sie  bewirkte  Verkleinerung  des  Volumens  v 
des  Grases;  summiert  man  also  die  letzte  Gleichung  über  alle  Ober- 


§  10,    Adiabatisehe  Erwärmung  eines  Oases,  71 


äächenelemente,  so  erhält  man  als  gesamte  Energieänderung  infolge 
der  Yolumenänderung  dv  den  Wert 

dE=  -^F^vfidv.  84") 

Da  nun  noch 

die  lebendige  Kraft  der  Schwerpunktsbewegung  der  Moleküle  des 
gesamten  Gases  darstellt,  so  ist  die  vorstehende  Formel  identisch  mit 

d£  ^  dv  Q-v 

a 

Die  betrachtete  Energieänderung  bezieht  sich  zunächst  nur  auf  die 
der  Oberfläche  unmittelbar  benachbarten  Teile;  bei  hinreichend  lang- 
samer Verschiebung  der  Oberflächenelemente  wird  sich  aber  der 
Zustand  im  ganzen  Innern  ausgleichen,  ohne  daß  dabei  eine 
Energieänderung  eintreten  könnte,  und  da  nach  Gleichung  (66') 

lWa  =  MBT  85') 

ist,  unter  M  die  Gesamtmasse  des  Gases  verstanden,  und  da  sich  Wa 
mit  E  ändern  muß,  so  wird  als  Folge  der  Kompression  eine  Ände- 
rung der  Temperatur  des  Gases  eintreten. 

Um  dieselbe  zu  bestimmen,  ist  die  Kenntnis  des  Zusammen- 
hanges zwischen  E  und  4^«,  der  gesamten  und  der  äußeren 
kinetischen  Energie  der  Molekularbewegung,  erforderlich. 

Dieser  ist  ohne  weiteres  gegeben,  wenn  die  Molejcüle  ein- 
atomig sind,  denn  dann  ist  die  innere  Energie  der. Moleküle  ver- 
schwindend, also  E=^  Wa',  hier  folgt  aus  (85) 

/*a  =  ^-f/v,  86) 

worin  /  den  natürlichen  Logarithmus  bezeichnet,  oder  wegen  (85') 

IT==IC  -^llv,  86') 

und 

Tv^  =  C,  86") 

worin  C  und  C  Konstanten  bezeichnen. 

Im  Falle  mehratomiger  Moleküle  ist  eine  allgemeine  Beziehung 
zwischen  E  und  Wa  auf  rein  mechanischem  Wege  ohne  spezielle  An- 
nahmen nicht  zu  gewinnen ;  mit  Hilfe  von  thermischen  Betrachtungen 
kann  man  aber,  wie  im  dritten  Teile  gezeigt  werden  wird,  finden 

^^^MBäT^     ä^.  87) 

X    —    1  ^    X  —  1  ' 

WO  X  eine  dem  Gas  individuelle  Konstante  bezeichnet. 


72  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


Hiemach  wird  allgemein 


870  1J.  =  ^^=-(._1)^,. 

a 

und  daraus  durch  Integration 

87")  Tr— 1  =  C\ 

Berücksichtigt  man,  daß  gleichzeitig  gilt 

pv  =  MBT, 
so  folgt  aus  (87")  auch 
87"')  pv-==  C\ 

* 

als  die  Beziehung  zwischen  Druck  und  Volumen,  welche  bei  rein 
mechanischer  Einwirkung  auf  das  Gas  stattfindet. 

Für  den  Wert  von  h  giebt  bei  Berücksichtigung  des  Umstandes, 
daß  ^a  als  ein  Teil  von  E  notwendig  kleiner  als  E  sein  muß,  die 
vorstehende  Betrachtung  die  Ungleichung 

7c-\^\,  d.  h.  7C^\\ 

der  größte  Wert  ^/g  findet  bei  einatomigen  Gasen  statt  — 

Außer  den  vorstehend  erörterten  Problemen  kann  man  ins- 
besondere den  Vorgang  der  Wärmeleitung  ^^)  innerhalb  eines  Gases 
auf  Grund  der  oben  benutzten  Anschauungen  behandeln;  die  Aus- 
gleichung der  Temperatur  zwischen  verschieden  warmen  Teilen  eines 
Gases  stellt  sich  dann  dar  als  durch  den  Transport  lebendiger 
Kraft  ^^a  von  den  wärmeren  nach  den  kälteren  Stellen  bewirkt.  In- 
dessen ist  die  theoretische  Verfolgung  dieses  Gedankens  dadurch 
erschwert,  daß  mit  den  Temperaturänderungen  notwendig  Druck- 
änderungen verbunden  sind,  die  eine  Bewegung  der  Volumenelemente 
neben  derjenigen  der  einzelnen  Moleküle  bewirken,  und  bietet  über- 
dies das  prinzipielle  Bedenken,  daß  sie  von  der  Strahlung  der  Wärme 
von  Molekül  zu  Molekül  abstraliiert,  die  möglicherweise  auf  den  gan- 
zen Vorgang  sehr  wesentlicli  einwirkt.  Darum  soll  von  derselben 
abgesehen  werden.  — 

Der  Vorgang  der  Effusion  eines  Gases  aus  einem  Reservoir 
durch  eine  sehr  kleine  Öffnung  in  einer  unendlich  dünnen  Wand^*) 
läßt  sich,  wenn  man  annimmt,  daß  der  Zustand  in  unmittelbarer 
Nähe  der  Öffnung  sich  trotz  der  dauernden  Ausströmung  immer 
merklich  dem  im  Innern  des  Reservoirs  vorhandenen  gleich  erhält, 
leicht  mit  Hilfe  der  Gleichung  (79)  erledigen,  denn  die  Masse  W 
des  in  der  Zeiteinheit   austretenden  Gases   ist   gleich   der   auf  ein 


§  10.    Diffusion  in  verdünnten  Lösungen,  73 


Oberflächenelement  von  der  Größe  der  Öffnung  q  in  derselben  Zeit 
aufEällenden,  also  gegeben  durch 

3f'="^Ji/5?7.'"^rfÄ,  88) 

die  Integration  über  den  Halbraum  erstreckt  Dies  giebt  aus- 
gerechnet, da  v  jti  =  (>  die  Dichte  des  Oases  ist, 

M"  =^\aviiqL=  \qQF,  88') 

worin,  wie  oben  gesagt,  F  bei  nicht  gleichen  Geschwindigkeiten  der 
Moleküle  angenähert  mit  ^  vertauscht  werden  kann. 

Die  Formel  wird  bezüglich  der  Proportionalität  mit  q,  p,  Fj 
nicht  aber  bezüglich  des  absoluten  Wertes  von  JIT  durch  die  Beob- 
achtung bestätigt,  was  nach  dem  Vorausgesclückten  begreitlich  ist 

Sie  läßt  sich  auf  die  gegenseitige  EfFusion  zweier  Reservoire,  in 
denen  verschiedene  Drucke,  aber  gleiche  Temperaturen  herrschen, 
erweitem  und  giebt  dann  die  von  (1)  nach  (2)  übergehende  Menge 

M{2=^Ml^m  =  \q  F{(f,  -(>,).-  88") 

Schwierigkeiten  bietet  dagegen  die  Behandlung  der  Diffusion 
innerhalb  eines  Gasgemisches  von  überall  gleichem  Druck,  aber 
wechselndem  Mischungsverhältnis^^),  weil  hier  Zusammenstöße  außer 
zwischen  Molekülen  gleicher  Art  auch  zwischen  solchen  verschiedener 
Art,  und  zwar  alle  in  von  Ort  zu  Ort  wechselnder  Häufigkeit,  statt- 
finden. 

Von  dieser  Komplikation  ist  in  bemerkenswerter  Weise  frei  das 
Problem  der  Diffusion  innerhalb  einer  ungleichmäßig  konzentrierten, 
übrigens  aber  verdünnten  Lösung");  denn  hier  überwiegen  die 
Zusammenstoße  zwischen  den  Molekülen  der  gelösten  Substanz  und 
denjenigen  des  Lösungsmittels  so  über  diejenigen  zwischen  den 
ersteren  Molekülen  allein,  daß  die  letzteren  außer  Betracht  bleiben 
können. 

Eine  andere  Vereinfachung  wird  dadurch  bewirkt,  daß,  wenn 
auch  möglicherweise  infolge  des  wechselnden  osmotischen  Druckes 
die  Dichte  der  Flüssigkeit  an  den  Stellen  verschiedener  Konzen- 
tration etwas  verschieden  ist,  dieser  Unterschied  wegen  der  äußerst 
geringen  Kompressibilität  der  Flüssigkeiten  außer  Betracht  bleiben 
und  demgemäß  die  Stoßzahl  a  als  konstant  betrachtet  werden  kann. 

Die  Formeln  (75)  und  (76)  lassen  sich  ohne  weiteres  auf  unseren 
Fall  übertragen;  nur  ist  natürlich  jetzt  unter  B  der  Stoßradius  für 
das  Zusammentreifen  eines  Moleküles  der  gelösten  Substanz  mit 
einem  des  Lösungsmittels  zu  verstehen. 


74  /.  Teil,     Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap, 


Ist  die  Konzentration,  also  die  Anzahl  p  der  Moleküle  fjL  der  ge- 
lösten Substanz  in  der  Volumeneinheit,  und  damit  die  Dichte  q  =  vfi 
derselben  eine  Funktion  allein  der  einen  Koordinate  z,  so  ist  die 
Differenz  AT  der  in  positiver  und  negativer  Bichtung  während  der 
Zeiteinheit  durch  die  Flächeneinheit  normal  zur  Z-Axe  gehenden 
Quantitäten  der  gelösten  Substanz,  d.  h.  die  Stärke  des  Diffu- 
sionsstromes, nach  (79)  gegeben  durch 

worin  p««  und  q+c  die  Dichten  in  zwei  sich  spiegelbildlich  ent- 
sprechenden Volumenelementen  in  den  normalen  Abständen  ±  c 
von  der  betrachteten  Fläche  bezeichnen. 

Aus  demselben  Grunde,  der  für  die  Umformung  (78")  maß- 
gebend war,  können  wir  hierin 

89')  (._.-(>+.=  -2c|?=-2rco89)^J 

setzen  und  erhalten  bei  Benutzung  dieses  Wertes  aus  (89) 

89")  M'  =  -laL^l^  =  -iriJ/. 

Die  zeitliche  Änderung  der  Dichte  q  infolge  der  Diffusion  ist  dann, 
wie  leicht  erkennbar,  gegeben  durch 

Der  Faktor  8  =  \VL  von  d^ q/öz^  heißt  der  Diffusionskoeffizient 
der  gelösten  Substanz  in  dem  bestimmten  Lösungsmittel  und  ist  der 
Beobachtung  zugänglich;  aus  bekanntem  S  und  aus,  wie  Seite  61  ge- 
zeigt, berechnetem  F  bestimmt  sich  sonach  L  und  cc.  Die  erhaltenen 
Werte  sind  begreiflicherweise  für  L  viel  kleiner,  ftir  a  größer,  als 
die  oben  für  Gase  angegebenen. 

In  dieser  Entwickelung  ist  von  Kräften,  welche  auf  die  Mole- 
küle der  gelösten  Substanz  wirken,  abgesehen;  sie  gilt  daher  nur, 
falls  die  Moleküle  sich  in  der  Lösung  nicht  elektrolytisch  dissoziieren ; 
denn  im  anderen  Falle  bewirken  die  elektrischen  Ladungen,  mit 
denen  nach  den  Vorstellungen  der  Elektrochemie  die  Teile  der 
Moleküle,  die  Ionen,  behaftet  sind,  fem  wirkende  Kräfte,  welche  auf 
die  Diffusion  einwirken.  Doch  läßt  sich  auch  dies  kompliziertere  Pro- 
blem, welches  in  engem  Zusammenhang  mit  der  Elektrolyse  in  Folge 
eines  durch  die  Lösung  gehenden  Stromes  steht,  im  Anschluß  an 
die  kinetische  Vorstellung  lösen.**)  Dabei  sind  selbstverständlich 
die  Bewegungen  jedes  Ions  für  sich  zu  betrachten. 


§  11.    MaxweWs  Oesetx  der  Oesehtffindigkeiten,  75 


§  11.    Weitere  AuBbUdnng  der  kinetischen  Theorie;  das  Gesetz  der 

Yerteilnng  der  Geschwindigkeiten. 

Die  Moleküle  eines  Gases  können  nicht  dauernd  sämtlich  gleiche 
Geschwindigkeiten  besitzen,  denn  wenn  man  ihnen  dergleichen  fiir 
einen  Augenblick  erteilen  könnte,  so  würde  dieser  Zustand  im  näch- 
sten Augenblick  durch  die  Wechselwirkungen  der  Moleküle  unter- 
einander zerstört  werden.  Unter  allen  Verteilungen,  welche,  im 
Laufe  der  Zeit  wechselnd,  sich  einstellen,  ist  nun  eine  wahrschein- 
licher als  alle  übrigen,  und  sie  wird  demgemäß  das  durchschnittlich 
stattfindende  Gesetz  darstellen.**) 

Sei  ein  Gasvolumen  gegeben,  welches  die  Schwerpunktsgeschwin- 
digkeit h  mit  den  Komponenten  a,  b,  c  parallel  den  Koordinaten- 
axen  besitzt,  so  läßt  sich  dasselbe  durch  Erteilung  der  entgegen- 
gesetzten Geschwindigkeit  zu  äußerlicher  Ruhe  bringen.  In  diesem 
Zustand  hat  ein  Molekül,  welches  zuvor  die  absoluten  Geschwindig- 
keitskomponenten tt,  V,  w  besaß,  die  modifizierten 

it  =  «  —  a,     )o  =  V —  b,     lo  =  t£j  — c. 

Von  den  resultierenden  relativen  Geschwindigkeiten 

ist  nach  der  auf  S.  67   ausgesprochenen  Annahme  jeder  bestimmte 
Wert  in  allen  Richtungen  gleich  oft  vorhanden. 

Der  Bruchteil  aller  Moleküle,  welcher  bei  beliebiger  Geschwin- 
digkeit parallel  ¥  und  Z  eine  Geschwindigkeit  parallel  der  X-Axe 
zwischen  u  und  n  +  du.  hat,  muß,  falls  f{\[)  eine  noch  unbekannte 
Funktion  von  u  bezeichnet,  gegeben  sein  durch 

f{n)d\i, 

der  Bruchteil  mit  entsprechenden  Geschwindigkeiten  parallel  ¥  oder 

Z  durch 

f{t))dt),    f{\D)dro. 

Daraus  folgt,  daß  der  Bruchteil,  welcher  gleichzeitig  Geschwin- 
digkeiten 

parallel  X  zwischen  u  und  u  +  rfu 

„        ¥        „         \>     „     t)  +  dt> 
„        Z        „         \x>     „    \o  +  dto 

besitzt,  gegeben  sein  muß  durch 

^  =:f{n)f{\>)f{im)d\idt)d\\). 

Ist  92  die  Anzahl  aller  in  dem  gegebenen  Volumen  vorhandenen 


76  /.  Teü,    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap, 


Moleküle  und  denkt  man  sich  ihre  Geschwindigkeiten  S  durch  Strecken 
repräsentiert^  die  von  einem  Eoordinatenanfang  aus  konstruiert  wer- 
den, so  daß  ihre  Projektionen  gleich  u,  u,  \o  sind,  so  giebt 

90)  n  =  5R  »  =  SR/"(u)/*(d)/'OD)  rfu  rfö  rf  w 

die  Anzahl  solcher  Strecken,  welche  in  dem  Volumenelement 
d\\d)Qdxo  an  der  Stelle  u,  b,  m  endigen. 

Zerlegt  man  andererseits  den  Raum  um  den  Eoordinatenanfang 
in  Kugelschalen  von  der  Dicke  rf  S,  so  ist  die  Anzahl  der  Strecken, 
welche  innerhalb  einer  solchen  Schale  endigen,  gleich  5Ri^(S3)rf8S, 
worin  P{^)  ebenfalls  eine  noch  unbekannte  Funktion  von  S  be- 
zeichnet. Da  nun  alle  Richtungen  gleichwertig  sind,  so  endigt  in- 
nerhalb eines  Volumenelementes  cfOrfS  jener  Schicht  eine  Anzahl 
u',  gegeben  durch 

90')  u'  =  ^  ^^^^^^-  =  SR  i^;  (S)  rfD  rfSB , 

worin  F^  eine  Abkürzung  ist. 

Ist  das  Volumenelement  d€Xd^  an  der  Stelle  ii,  \),.\o  gelegen, 
und  ist  seine  Größe  gleich  dndt>d\ry,  so  muß  auch  u  =  ii'  sein; 
dies  ergiebt  aber 

90")  /(u) A^) A^»)  =  ^1  (55)  =  J^'i  (l/u^  +  b»  +  m») . 

Diese  Formel  spricht  eine  Eigenschaft  der  Funktion  f  aus,  welche 
ihre  Form  vollständig  bestimmt;  ihr  genügt  allein  der  Ansatz 

91)  A»)  =  o«-^'»', 

in  dem  a  und  b  Konstauten  sind.  Das  negative  Zeichen  im  Ex- 
ponenten erscheint  notwendig,  da  f  nicht  mit  unendlichem  u  selbst 
unendlich  werden  kann. 

Nach  der  Definition  von  f{M)d\i  als  Bruchteil  aUer  Teilchen  muß 

91')  rf{n)dn  =  1 

_  CO 

sein;  dies  ergiebt  )/^9r(a/b)=  1,  also 

91")         /•(u)  =  A, -*•«•,   /•(t,)  =  A «-*.«.,   /(m)  =  A«-b.»'. 

yn  yn  yn 

Hieraus  folgt  sofort 

91'")  ^'(JB)  =  -^«-6-8-, 

und  da  F{^)  =  4  «  83«  /;  (83)  ist, 

92)  i^{«)  =  ^' *-«-*'«•. 

y  71 


§  12,    MaoßweWs  Oeseix  der  Geschwindigkeiten.  77 


Dies  ist  das  MAXWELL'sche  Gesetz  für  die  Verteilung  der  re- 
lativen Geschwindigkeiten  SS  gegen  den  Schwerpunkt  des  bewegten 
GasTolumens;  i^(95)rfSS  giebt  den  Bruchteil  aller  Moleküle  an,  welche 
in  beliebiger  Richtung  eine  Geschwindigkeit  zwischen  S3  und  SS  +  ^$ 
besitzen. 

F{^)  hat  ein  Maximum  fiir  83  =  1/0;  1/6  =  ®  ist  also  der 
wahrscheinlichste  Wert  von  SS,  d.  h.  der,  in  dessen  Nähe  auf 
gleiches  J9S  mehr  Moleküle  kommen,  als  irgendwo  anders. 

Beschränkt  man  sich  weiterhin  auf  ein  ruhendes  Gas,  so  erhält 
man,  da  nur  die  absoluten  Geschwindigkeiten  an  Stelle  der  relativen 
treten, 

F{T)=^  -^^  e-  <yi  ^)\  92') 

Die  mittlere  Geschwindigkeit  /^  ist  gegeben  durch 

F^=:  CFF{F)dF,  92") 

0 

der  mittlere  Wert  aller  Geschwindigkeitsquadrate  durch 

OD 

{F\=^  CF^F{F)dF.  92'") 

0 

Die  Berechnung  dieser  Integrale  ergiebt 

r^  =  -Lr,  (F»)^  =  |r«,  93) 

y  n 
daher 

r^/l/(n;  =  1^  =  0,9213.  93') 

Das  Verhältnis  dieser  beiden  verschieden  definierten  Mittelwerte  ist 
also  für  alle  Gase  von  gleicher  Größe. 

Da  nach  Formel  (69)  der  Wert  von  {F\  =  Sp  j  q  für  die  ein- 
zelnen Gase  aus  der  Beobachtung  bestimmbar  ist,  so  ist  für  sie  auch 


^.  =  ]/f,  93") 

ZU  berechnen.  — 

Die  Aufklärung,  welche  das  MAxwELL'sche  Gesetz  über  den 
mittleren  Bewegungszustand  in  einem  Gase  liefert,  und  der  Nach- 
weis, daß  zwischen  den  mittleren  Werten  aller  Potenzen  der  Ge- 
schwindigkeit F  für  alle  Gase  konstante  Zahlenverhältnisse  bestehen, 
sind  die  eigentiich  wichtigen  Resultate  der  obigen  Entwickelung. 
Eine  praktische  Anwendung  zur  Berichtigung  der  oben  unter  Vor- 
aussetzung  gleicher  Geschwindigkeiten   entwickelten  Theorien   der 


78  /.   Tßü.     Mechanik  starrer  Korper.    IL  Kap. 


inneren  Eeibung,  der  Diffusion  und  ähnlicher  gestattet  das  Gesetz, 
wenigstens  ohne  gleichzeitige  Einführung  spezieller  Hypothesen  über 
den  Bau  und  die  Wechselwirkung  der  Moleküle,  nicht;  denn  so  lange 
man  den  Zusammenhang  nicht  kennt,  in  welchem  der  Stoßradius  R 
mit  der  relativen  Geschwindigkeit  steht,  und  demgemäß  variierende 
Geschwindigkeit  und  konstanten  Stoßradius  nebeneinander  benutzt, 
ist  der  Gewinn  an  Strenge  illusorisch. 

Doch  kann  man  in  den  Fällen,  wo  es  wahrscheinlich  ist,  daß 
die  Berücksichtigung  der  verschiedenen  Werte  der  Geschwindigkeit 
auf  den  Mittelwert  /^  führen  würde,  den  aus  (93")  folgenden  Aus- 
druck für  diese  Größe  setzen. 

So  würde  die  Formel  (88')  für  die  Effusion  eines  Gases  in  den 
leeren  Raum  unter  seiner  Anwendung  die  Gestalt 


94)  ^'  =  ?V^ 


annehmen,   die  für  die  gegenseitige  Effusion  zwischen   zwei  Beser- 
voiren  (88")  analog 

94')  ^i,'  =  ,;^(V?iCi-}^3~P,)- 

Sind  die  Temperaturen  beiderseitig  die  gleichen,  so  ist 

also 

94")         ^12'  =  ?  yfl^^i  -  P2)  =  Yf^(Pi  -  P2)  • 

Die  hieraus  folgenden  Resultate  für  das  Verhältnis  der  Ausfluß- 
mengen verschiedener  Gase  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Tem- 
peratur sind  von  der  Beobachtung  befriedigend  bestätigt 


§  12.    Die  Gleichungen  von  Hamilton  und  Lagbanos.    Cyklische 

Systeme. 

Bezeichnet  man  mit  Sx^^,  St/j^,  Szj^  willkürliche  Variationen  der 
Koordinaten  z^,  y,^,  z^  des  Massenpunktes  wi^,  faßt  nach  Multiplika- 
tion mit  ihnen  die  Gleichungen  (40)  additiv  zusammen  und  summiert 
das  Resultat  über  alle  Massenpunkte  des  Punktsystemes,  so  erhält  man 


§  12,     Oleiekung  der  virtueÜen  Verrüchmgen,  79 


^h 


In  den  Ausdrücken  für  die  Kraftkomponenten  sind  hier  im  all- 
gemeinen auch  die  Reaktionskomponenten  enthalten,  welche  durch 
etwa  die  Bewegung  beschränkende  Nebenbedingungen  geliefert  wer- 
den. Feste  Kurven  oder  Oberflächen,  an  die  ein  einzelner  Punkt 
gebunden  ist,  werden  ihre  Reaktionen  in  der  Form  äußerer,  feste 
Verbindungen  zwischen  mehreren  Massenpunkten  in  der  Form  innerer 
Kräfte  auftreten  lassen. 

Falls  die  Variationen  5a:^,  Sy^^,  8z^  die  Eigenschaft  haben,  mit 
den  Bedingungen  vereinbare  Verrückungen  aller  Massenpunkte  zu 
ergeben,  wollen  wir  sie  wie  S.  27  virtuell  nennen;  an  Bewegungen 
dieser  Art  können  die  Reaktionskräfte,  welche  nur  den  Bedingungen 
widersprechende  Bewegungen  verhindern,  keine  Arbeit  leisten,  bei 
der  Beschränkung  auf  virtuelle  Verrückungen  enthält  demnach  die 
Formel  (95)  keinerlei  Reaktionen,  sondern  nur  die  direkt  gegebenen 
äußeren  und  inneren  Kräfte  und  läßt  sich  unter  Benutzung  früherer 
Bezeichnungen  kürzer  schreiben,  wie  folgt '^^i 

M^'»+rf?^y*+  rf?N-^^<-^^  =  0-  95') 

Diese  allgemeine  Gleichung  der  virtuellen  Verrückun- 
gen hat  den  ganzen  Inhalt  der  Bewegungsgleichungen  (40)  in  sich 
aufgenommen,  so  daß  jene  in  allgemeinster  Fassung  aus  ihr  zurück- 
gewonnen werden  können. 

Ist  nämlich  die  Bewegung  irgend  welchen  Nebenbedingungen 
von  der  Form  qp|  =  0  unterworfen,  worin  die  g).  die  Koordinaten  be- 
Hebiger  Punkte  des  Systems  und  außerdem  die  Zeit  enthalten  kön- 
nen, so  hat  man  diese  Bedingungen  nur  bei  konstanter  Zeit  zu  variieren 
und  mit  willkürlichen  Faktoren  X^  multipliziert  zu  (95')  hinzuzu- 
fügen*®); dann  kann  man  sämtliche  3xf^,  Sy^,  Sz^  als  willkürlich 
betrachten  und  demgemäß  die  erhaltene  Gleichung  in  3n  zerfallen, 
welche  mit  den  Nebenbedingungen  zusammen  die  Bestimmung  der 
sämtlichen  Koordinaten  und  der  Faktoren  X^  gestatten. 

Nach  dem  auf  S.  41  Entwickelten  besitzen  die  Wechselwirkungen 
ein  Potential  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  wenn 

S^A.  =  -ä(I)  95") 

ist,  wo  0  eine  Funktion  von  den  Koordinaten  aller  Massenpunkte, 
aber  nicht  von  deren  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  ist. 

Verschvrinden  bei  verschwindenden  Geschwindigkeiten  auch  die 
Beschleunigungen,  d.  h.,  ist  das  Punktsystem  im  Gleichgewicht,  so 
muß  gelten 

S'J.  +  S'A^^O,  96) 


80  /.  Teü,    Mechanik  starrer  Körper,    IL  Kap, 


oder  wenn  ein  Potential  existiert, 

96')  50-d'^  =  O. 

Ist  diese  Bedingung  nicht  erfüllt,  so  tritt  aus  der  Ruhe  eine  Be- 
wegung ein,  für  die  nach  Gleichung  (47),  falls  die  Bedingungen  die 
Zeit  nicht  enthalten, 

97)  d'A.  +  d:A>0, 

oder  bei  Existenz  eines  Potentiales 

97')  di^-d'A<0 

ist 

In  dem  speziellen  Falle,  daß  äußere  Kräfte  fehlen  und  die  in- 
neren ein  Potential  im  engeren  Sinne  des  Wortes  haben,  wird  die 
Gleichgewichtsbedingung  (96')  zu 

98)  J*  =  0, 

diejenige  für  den  Beginn  der  Bewegung  aus  dem  Zustand  der 
Ruhe  (97')  zu 

98')  d(l}<Q. 

Hieraus  folgt,  daß  der  Gleichgewichtszustand  dadurch  charakteri- 
siert ist,  daß  für  ihn  tf>  ein  Maximum  oder  ein  Minimum  annimmt, 
und  zwar  zeigt  (98'),  daß  stabiles  Gleichgewicht  einem  kleinsten, 
labiles  einem  größten  Wert  von  ^  entspricht  — 

Die  Gleichung  (95)  läßt  sich  auf  die  Form  bringen 

wo  ^=  \JSm^Vj^  wie  früher  die  lebendige  Kraft  des  Punktsystemes 
bezeichnet;  hieraus  folgt  durch  Multiplikation  mit  dt  und  Integra- 
tion zwischen  zwei  Grenzen  t^  und  f^,  an  welchen  sämtliche  Varia- 
tionen Sxf^^  dtfj^j  Szj^  verschwinden^^, 

99')  j{SW+S^A,  +  ^^  =  0, 

oder,  falls  ein  Potential  existiert, 

99")  f{S{V-  (U)  +  yA)dt^O. 

Diese  Gleichung  heißt  das  HAMiLTON'sche  Prinzip  und  ist  von  be- 
sonderer Wichtigkeit  für  die  Einführung  neuer  Variabein  in  die 
Bewegungsgleichungen. 

Sind  dieselben  mit  Pi,  P2  *-•  Pn  bezeichnet  und  dabei  so  gewählt, 


§  12,     Oleichung  von  Hamilton  find  Lagrange,  81 


daß  sie  die  der  Bewegung  gestellten  Nebenbedingungen  identisch 
beiriedigen,  so  wird 

*^/^  =  f ö>7*^*'  *y/^  =  fö|^/^^'  ^^.  =  fäS^/^i.   100) 

also  die  Arbeit 

i^A  =  2{X^ Sx^  +  Y, Sy^  +  Z,Sz>i^  2P, dp, ,         100') 
falls 

(d  X  dv  d  X  \ 

X,jf^+Y,^^+Z,-,^]^P^  100") 

gesetzt  wird. 

Analog  wie  (100),  aber  nur  unter  der  Voraussetzung,  daß  die 
Nebenbedingungen  und  daher  die  Beziehungen,  welche  die  p,  durch 
die  x^  y^  ar^  definieren,  die  Zeit  nicht  enthalten,  gilt 

worin  kurz 

t: = ?*  101') 

gesetzt  ist.  Hieraus  folgt,  daß  unter  der  gemachten  beschränkenden 
Annahme  die  lebendige  Kraft  W  eine  homogene  BNinktion  zweiten 
Grades  der  q,  ist,  deren  Koeffizienten  von  den  p.  abhängen,  während 
das  Potential  0  nur  die  p.  enthält. 

Wegen  der  genannten  Eigenschaft  der  lebendigen  Kraft  wird  in 
diesem  Falle  die  Energie  E  gegeben  sein  durch 

£=«/+0=^|^y^-.^,  101") 

wo  Aj  die  sogenannte  LAGKANGE'sche  Funktion,   definiert  ist  durch 

y^-a>  =  ^.  102) 

Weiter  erhält  man 

SA==S{1f-iP)  =  2:  (1^^  Sp,  +  ||  Sq;j ,  102-) 

und  die  Gleichung  (99")  nimmt  die  Form  an 


dt^O.  102") 


Da  aber  nach  der  Definition  (lOl') 

ddp 

isty  so  kann  man  in  dieser  Gleichung  die  in  die  Sq.  multiplizierten 
Glieder   durch  Teile   integrieren,    wobei   die   abgesonderten   Tenne 

Voigt,  Theoretische  Fhjaik.  6 


82  /.  Teil.     Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap, 


an  den  Grenzen  verschwinden,  weil  daselbst  die  Sxj^,  Si/j^,  Sz^  und 
nach  (100)  auch  die  8p^  gleich  Null  sind.     Man  erhält  sonach 


u 


woraus,  da  alle  Sp^  voneinandjer  unabhängig  sind,  folgt 

oder  indem  man  das  Moment  der  Koordinate  p^ 

einführt,  auch 

dQ.      dA, 

103')  -TT"  ^  =  ^r 

*  dt         dp.  * 

Dies  sind  die  von  Lagkange  gegebenen  Bewegungsgleichungen  ^% 
Die  p^  resp.  </.  heißen  die  verallgemeinerten  Koordinaten  resp.  Ge- 
schwindigkeiten, die  P.  die  verallgemeinerten  äußeren  Kräfte; 
letztere  sind  wesentlich  durch  die  Gleichung  (100")  definiert  und 
haben,  wenn  die  p.  gewöhnliche  Koordinaten  sind,  die  Bedeutung 
der  gewöhnlichen  Komponenten,  wenn  die  p^  Drehungswinkel  sind, 
die  Bedeutung  von  Drehungsmomenten,  was  sich  leicht  nach- 
weisen läßt 

Hängen  die  inneren  Kräfte  des  Punktsystemes  von  den  relativen 
Geschwindigkeiten  ab,  so  bleiben  die  Formeln  (103)  anwendbar,  wenn 
man  nur  nach  (55)  A  =  W  —  (p  setzt 

Werden  die  vorstehenden  Formeln  auf  ein  starres  System  an- 
gewandt, so  ist  in  ihnen  0  als  konstant  zu  beti*achten,  und  die 
HAMiLTüN'sche  Gleichung  wird  zu 

«1 
103")  J{8W+S'J)dt=0, 

<b 
die  LAGRANGE*sche  zu 

Die  vorstehenden  Formeln  gestatten  eine  Umformung®^),  die 
sich  bei  manchen  Anwendungen  nützlich  erweist 

Wir  wollen  annehmen,  unter  den  Koordinaten  p.  wäre  eine 
Kategorie,  die  wir  mit  r^  —  die  ihnen  entsprechenden  Kräfte  mit 
Ej^ — bezeichnen  wollen,  für  welche  wir  an  Stelle  der  Geschwindigkeiten 


§  12,     Gleichungen  von  Lagrange.  83 


die  Momente 


dr. 

K    

dt 

h 

dA 

'% 

^\~ 

als  Unabhäugige  einzufuhren  geeignet  finden;  dann  können  wir 
mittels  der  der  letzten  Formel  analogen  die  Sj^  durch  die  Ä^.  und 
alle  r^,  p.  und  q.  ausdrücken  und  das  Resultat  in  A  einsetzen. 

Bezeichnen  wir  die  so  erhaltene  Form  von  A  durch  {A),  so  ist 
ersichtlich,  da  p.  explicite  und  implicite  in  Sj,  vorkommt, 

^Pi     ^Pi    7 ^%^Pi    ^Pi    7  ^^Pi' 

analog  auch 

'^A^  =  1^  +  ^sp,  ^M=^-^  +  ^sp,  ^/f-  =  ^s '3. 105') 

Versteht  man  nim  die  durch  &  bezeichnete  Differentiation  so, 
daß  dabei  /?.,  y^  t^^  und  S^  als  Unabhängige  behandelt  werden,  und 
setzt  kurz 

,        A^2lS^s^=^Ä,  105") 


so  erhält  man 


dA_^A!_     dji  ^  *  4'     dÄ  _»A'      __      _^A' 
dp.  '^  ^p.'    dq.~  ifq^  '    ö  r.  "  ^  r.  '         '"»  ""  ^  5. 


106) 


Daraus  folgt  auch,  daß  für  die  Kräfte  P.  die  Gleichung  (103) 
sich  schreiben  läßt 

woraus  man  auch  auf  dem  umgekehrten  Wege,  wie  der  ist,  welcher 
zu  (103)  geführt  hat,  schließen  kann 

fdt{SrsA'  +  :2;p.Sp;}  =  o,  loe") 

wo  die  Variation  «J^s  die  /?  und  q  allein  betrifft 

Für  die  Kräfte  R  lassen  sich  die  ursprünglichen  Formeln 

d  (dA\       dA^ 
dt[dsj        dr^-^^ 

nicht  ebenso  umgestalten;  doch  hat  dies  keinen  praktischen  Nach- 
teil, da  es  sich  bei  Kräften  dieser  Art  immer  nur  um  die  Kenntnis 
der  geleisteten  Arbeit  handelt,  die  sich,  wie  später  an  einem  wich- 
tigen Beispiel  gezeigt  werden  soll,  auf  anderem  Wege  durch  ^ 
ausdrücken  läßt.  — 

6* 


84  L  Teil,    Mechcmik  starrer  Körper.    11,  Kap. 


Wenn  die  lebendige  Kraft  W  die  spezielle  Eigenschaft  hat, 
Glieder,  welche  mit  Produkten  der  Geschwindigkeiten  q^  und  s^ 
proportional  sind,  nicht  zu  enthalten,  kann  man  aus  den  vorstehenden 
Formeln  eine  sehr  merkwürdige  allgemeine  Folgerung®*)  ziehen. 

Aus 

107)  ^=  ^,+  *,-  0, 

worin  Wq  und  W,  die  nur  die  q^  und  nur  die  «^  enthaltenden  Teile 
von  V  bezeichnen,  erhält  man  sogleich,  da  ^,  homogen  vom  zweiten 
Grade  in  den  Sj^  ist, 

107)  ^'  =*;,-*;-  * 

und  unter  Rücksicht  auf  (106') 

V,  ordnet  sich  hier  also  dem  inneren  Potential  (P  zu,  und  zwar  nicht 
nur  formell,  sondern  auch  wesenthch,  da  es  ebenso  wie  jenes  zwar 
die  Koordinaten  /?j,  aber  nicht  die  Geschwindigkeiten  q^  enthält 

Bei  Bestimmung  der  Kräfte  P^  erscheint  sonach  ^,  als  ein 
von  den  Geschwindigkeiten  s^  abhängiger  Teil  eines  Ge- 
samtpotentiales  (0)  =  y^",  +  0,  und  umgekehrt  kann  man  dabei 
stets  das  Potential  durch  einen  Teil  der  gesamten  lebendigen  Kraft 
ersetzen,  der  von  den  Geschwindigkeiten  q^  unabhängig  ist. 

Dies  Resultat  erinnert  an  die  Tendenz  der  kinetischen  Gas- 
theorie, den  Druck,  welchen  das  Gas  auf  die  Gefaßwandung  ausübt, 
durch  eine  Bewegung  zu  erklären.  Wir  wollen  den  Zusammenhang 
mit  jenen  Betrachtungen  noch  etwas  weiter  verfolgen. 

Hier  bestimmen  die  Koordinaten  p^  den  äußeren,  r^^  den  inneren 
Zustand  des  Gases;  bei  äußerer  Ruhe  ist  Wq  =  0. 

Die  lebendige  Kraft  W,  ist  äquivalent  mit  einem  Anteil  0,  des 
Potentiales  der  Masse  auf  sich  selbst.  Wegen  des  verschwindenden 
Wq  ist  bei  einer  Volumenänderung  die  Arbeit  der  äußeren  Kräfte  das 
Entgegengesetzte  von  derjenigen  der  inneren,  also 

108)  (TA  =  d{(I>)  =  d{W,  +  0). 

Wird  jedes  Oberflächenelement  do  um  dn  nach  innen  ver- 
schoben, so  leistet  die  äußere  Kraft,  welche  den  inneren  Druck  p 
kompensieren  muß,  die  ATheii  pdndo=  —pdv]  hieraus  folgt 

108')  rf^=  -pdv  =  d{^f,+  0). 

Kombiniert  man  hiermit  die  aus  dem  Viiialsatz  abgeleitete 
Formel  (65') 


§  12.     Cykltsehe  Systeme.  85 


SO  erhält  man 


_jl.  =  l<!^,  .„s'i 


eine  Gleichung,  welche  mit  (85)  wesentlich  identisch  ist  und  die 
Bedingung  adiabatischer  Volumenänderung  enthält;  dies  ist  auch  he- 
greiflich, da  wir  nur  Kräfte  der  Art  P.  ins  Spiel  gebracht,  also  auf 
den  inneren  Zustand  des  Gases  direkt  nicht  eingewirkt  haben.  — 

Durch  die  Einfuhrung  gewisser  spezieller  Eigenschaften  der 
Variabein  p.  kann  man  aus  den  LAGEANGE'schen  Gleichungen  (103) 
einige  allgemeine  Sätze  ableiten,  die  in  inniger  Beziehung  zu  wich- 
tigen Fundamentalsätzen  aus  dem  Gebiet  der  Wärme-  und  Elek- 
tricitätslehre  stehen.®^) 

Wir  betrachten  ein  Punktsystem,  dessen  allgemeine  Koordi- 
naten p^  in  zwei  Klassen  von  verschiedener  Natur  zerfallen. 

Die  Koordinaten  pa  der  ersteren  Klasse,  die  wir  aus  später 
zu  erörternden  Gründen  die  Positionskoordinaten  des  Systems 
nennen  wollen,  sollen  die  Eigenschaft  haben,  nur  sehr  langsam  mit 
der  Zeit  zu  variieren,  so  daß  man  ihre  Geschwindigkeiten  qa  als  un- 
endlich klein  erster  Ordnung  betrachten  kann. 

Die  Koordinaten  der  zweiten  Klasse  p^  sollen  dagegen  schnell 
mit  der  Zeit  variieren,  also  große  Geschwindigkeiten  y^  ergeben, 
aber  die  Funktion  A  =  W  —  <!>  soU  nicht  merklich  von  den  p^  ab- 
hängen. Koordinaten  dieser  Art  haben  u.  a.  die  Punkte  einer  in 
stationärer  cyklischer  Bewegung  befindlichen  Flüssigkeit;  man  nennt 
daher  allgemein  nach  dem  Vorgang  von  v.  Helmholtz  die  pt  cy- 
klische  Koordinaten  und  ein  Massensystem,  dessen  Bewegung  durch 
dergleichen  gegeben  ist,  ein  Cykel. 

Über  die  Beschleunigungen  wollen  wir  annehmen,  daß 

dqj,f  dt  =  yi 
als  unendlich  klein  erster, 

dqaldt=^  q'a 

als  unendlich  klein  zweiter  Ordnung  angesehen  werden  könne. 

Enthalten  die  Nebenbedingungen  der  Bewegungen  die  Zeit  nicht, 
so  ist  die  lebendige  Kraft  von  der  Form 

W=:^\[22Qaa'qaqaf  +  -S" -5*  Qj  j/ y^  Jy  +  ^  JS*  Q^  6  9^«  ?&)? 
a     a*  6     y  ah 

WO  die  Q  nur  die  Positionskoordinaten  pa  enthalten,  wie  dies  auch 
von  dem  Potential  0  gilt,  und  y«'  resp.  q^,*  Geschwindigkeiten  von 
der  Gattung  der  q^  resp.  q^  bezeichnen. 


"86  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IL  Kap. 


Es  folgt 

B  ^      d  Ä        ^^  ,     ^^ 

^%  ^%  b'  a 

also 

Hierin  sind  jedenfalls  die  Summen,  welche  die  Faktoren  y«  oder 
9a 9a'  enthalten,  zweiter  Ordnung;  es  bleiben  also  die  Glieder  erster 
Ordnung 


[ö7r]  =  ^9b'Qbb'+:Sqb'^-Q-~qa' 

V'%1  b'  b'  a     ^Pa 


d_/dA 
dt 


Diese  stehen  in  der  Gleichung  (103),  falls  man  sie  auf  die 
Ejräfte  erster  Art  P«  anwendet,  neben  endlichen  Gliedern  von  der 
Form 

^Qbb' 
-jp-9bqb', 

sind  hier  also  zu  vernachlässigen,  so  daß  dort  resultiert 

109)  ^-=-11' 

dagegen,  wenn  man  sie  auf  die  Kräfte  zweiter  Art  P^  anwendet,  neben 
streng  verschwindenden  Gliedern  dA/dpi,  so  daß  sie  hier  zu  be- 
rücksichtigen sind  und  liefern 

Die  Pi  sind  unendlich  klein  erster  Ordnung;  man  kann  sie  end- 
lich werden  lassen,  wenn  man  die  dq^jät^gl  endlich,  dafür  aber 
die  Qab  unendlich  klein  annimmt,  also  in  W  nur  Glieder  von  der 
Form 

Qa  a'  qa  qa'       Uud        Qf,  y  qb  ?6' 

vorkommen  läßt. 

Die  erhaltenen  Resultate  ergeben  als  zulässig,  daß  man  unter 
den  gemachten  Voraussetzungen  auch  für  die  Differentiationen  der 
lebendigen  Kraft  den  Wert 


§  12.    Oyklische  Systeme.  87 


W=^i2:^Q,yqt,qy  109") 

benutzt;   demgemäß  kaim  man  auch  den  Aiisdruck  für  die  Energie 
schreiben: 

Aus  (109)  folgt,  daß  die  Kräfte  erster  Art  einem  eigentümlichen 
Eeciprocitätstheorem®*)  unterliegen. 

Ändert  man  eine  Koordinate  der  Gattung  /?«?  ^^  Dut  paf  be- 
zeichnet werden  möge,  so  entspricht  dem  eine  Änderung  von  P«, 
gegeben  durch 

ebenso  erhält  man  für  die  Änderung  von  P«'  durch  Variation  von  p^ 

dPoT  d*A 

'^Pa    "■  ^Pa'^Pa' 

hieraus  folgt 


a  ^  *  a' 


^Paf  ^Pa 

Diese  Formel,  welche  bei  der  vorausgesetzten  Eigenschaft  der 
Koordinaten  erster  Art  immer  gilt,  ist  ftir  beliebige  p^  nur  dann 
erfüllt,  wenn  der  Bewegungszustand  ein  derartiger  ist,  daß 


i.,m.o 


(öj 


ist;  diesen  Zustand  können  wir  als  einen  stationären  bezeichnen.  — 
Für  die  Arbeiten  der  Kräfte  P^  und  P^^  während  dt  erhält  man 
nach  (109)  und  (109') 


^  Pa 


110') 


die  Arbeit  der  Kräfte  erster  Art  wird  also  in  gewöhnlicher  Weise 
den  zeitlichen  Änderungen  der  Koordinaten  proportional,  diejenige 
der  Kräfte  zweiter  Art  aber  der  Änderung  der  Momente.  Für 
letztere  wird  hierdurch  nahe  gelegt,  wie  das  auf  S.  83  vorausgesetzt 
ist,  in  der  LAGRANGESchen  Funktion  A  die  Momente  als  unabhängige 
Variable  einzuführen.  Wir  können  also  die  Koordinaten  pj^  nun- 
mehr, wenn  wir  wollen,  mit  den  früheren  r^^  identifizieren  und  er- 
halten bei  Benutzung  der  Bezeichnung  q^^^  sj,,  Q^  =  /S^, 

(f  ^a  =  Padpa,        d'A^  =  S^dS^,  1 10") 


88  I'  Teil    Meehanik  starrer  Korper.    IL  Kap. 

wobei  sich  —  P^  =  öAjdpa  und  «»  aus  der  modifizierten  Lageange- 
sehen  Funktion  A  nach  (106)  so  bestimmt: 

Die  Gesamtarbeit  der  Kräfte  Ä*  resp.  P^  wird  hierdurch  zu 
110'")  -S-ef  ^,  =  - -^l^rfÄfc, 

und  ist  damit  durch  A  so  ausgedrückt  wie  auf  S.  83  angekündigt  — 
Betrachten   wir  nun   genauer   den   einfachsten  Fall,   daß  von 
den  Variabein   der  zweiten  Art  nur  eine  vorhanden ,   das  Massen- 
system, wie  man  sagt,  ein  Monocykel®^)  ist,  dann  wird 

daher  die  Änderung  von  E  mit  der  Zeit 

111-)  äE^,.ä[^y:E^^äp^-2^^ä,.. 

Läßt  man  gemäß  den  obigen  Annahmen,  da  dqa  =  qadt  ist,  hier 
noch  das  letzte  Glied  als  unmerklich  klein  fort  und  setzt  f&r  die 
übrigen  ihre  Werte  nach  (HO')  ein,  so  gelangt  man  zu 

111")  dE=-^Aj,  +  2:aAa, 

oder  anders  geschrieben 

iin  rff-  SdAa  =  ?^rf(|^)  =  qidq,. 

Die  gesamte  Energieänderung,  vermindert  um  die  zur  Vergrößerung 
der  Positionskoordinaten  pa  nötige  äußere  Arbeit,  ist  also  gleich  der 
zur  Vermehrung  der  Geschwindigkeit  qi  erforderlichen  Arbeit 

Diese  Arbeit  hat  die  Eigenschaft,  durch  Division  mit  q^  oder 
mit  qi,  mal  einer  Funktion  von  Qi  ein  vollständiges  Differential  zu 
liefern.    Unter  diesen  integrierenden  Nennern  ist  besonders 

ausgezeichnet,  weil  er  bei  verschwindender  Kleinheit  der  qa  nach 
(111)  die  Bedeutung  der  lebendigen  Kraft  W  hat    Es  ist  dann  also 

112)  -^  = ^ ?  =  d{iql). 


g  12.    Monoctjkei.  89 


In  der  mechanischen  Wärmetheorie,  welche  die  Wärme« 
erscheinungen  als  auf  den  Bewegungen  der  kleinsten  Teilchen  der 
Körper  beruhend  ansieht,  und  speziell  in  der  oben  besprochenen 
kinetischen  Gastheorie  betrachtet  man  die  Koordinaten  der  Orte 
dieser  Teilchen  während  ihrer  Oscillationen  als  Variable  der  Gattung 
Pi,,  die  Koordinaten,  welche  den  Ort  und  das  physikalische  Ver- 
halten, z.  B.  Größe  und  Gestalt  des  ganzen  Körpers  bestimmen, 
als  Variable  der  Gattung  pa.  Die  Geschwindigkeiten  g^  sind  sehr 
groß  und  in  einem  homogenen  gleich  temperierten  Körper  im  Mittel 
überall  gleich;  die  Geschwindigkeiten  qa  sind  gegen  sie  verschwin- 
dend, in  vielen  FäUen  sogar  streng  gleich  Null;  gleiches  gilt  von 
allen  Beschleunigungen.  Die  lebendige  Kraft  rührt  dann  also  aus- 
schließlich von  der  inneren  Bewegung  her  und  hat  demgemäß  den 
oben  benutzten  Wert 

man  betrachtet  denselben,  wie  f&r  Gase  oben  entwickelt  ist  und  wie 
auf  andere  Körper  hypothetisch  übertragen  wird,  als  der  sogenannten 
absoluten  Temperatur  T  des  Körpers  proportional,  etwa  gleich  äT. 

Femer  hat  man  die  Vorstellung,  daß  man  zwar  Arbeiten  der 
Gattung  (P^a  auf  mechanischem  Wege  leisten,  nämlich  den  Körper 
im  Ganzen  bewegen  oder  deformieren  kann,  aber  nicht  Arbeiten 
der  Art  (P^hj  welche  Einwirkungen  auf  die  einzelnen  Moleküle  er- 
fordern würden,  daß  man  letztere  aber  durch  Zufuhr  von  Wärme 
bewirken  kann;  demgemäß  stellt  in  (112)  2d^Aa  die  gesamte 
mechanisch,  iA},  die  kalorisch  geleistete  Arbeit  dar,  und  man 
erhält  somit: 


j — ^-^kd[iq;).  112-) 

Der  Zusammenhang  dieser  Formel  mit  der  sogenannten  zweiten 
Hauptgleichung  der  mechanischen  Wärmetheorie  wird  später  hervor- 
treten. — 

Wir  können  die  vorstehenden  Betrachtungen  etwas  erweitem, 
indem  wir  einen  Körper  betrachten,  dessen  Positionskoordinaten  pa 
endliche  Geschwindigkeiten  qa  besitzen,  dessen  lebendige  Kraft 
aber  Glieder,  die  mit  Produkten  der  y.  und  qj,  proportional  sind, 
nicht  enthält^*)  Die  pj,  sollen  weder  in  der  lebendigen  Kraft  V, 
noch  im  Potential  0  vorkommen,  dagegen  soU,  was  auf  S.  84  er- 
läutert ist,  (P  von  qj,  abhängen. 


90  I'  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    II.  Kap. 


Dann  können  wir  setzen 

113)  W^   ^a+^6, 

und  nach  dem  oben  Gesagten  Wj,  als  mit  der  absoluten  Temperatur  T 
proportional  betrachten,  nämlich  schreiben 

113')  Wj,^T%\ 

aus  dem  gleichen  Grunde  dürfen  wir  auch  0  statt  von  q^  von  T 
abhängig  ansehen.  Aus  (103)  erhalten  wir  dann  wegen  A  =  W  -^  <l> 
als  Wert  für  eine  der  Kräfte  erster  Art 

•  "^       dt\  dq^  I  dp^  op^ 

differentiert  man  dies  wegen  T,  während  /?«  ^^d  qa  konstant  bleiben, 
so  erhält  man 

Nun  werde  dem  Körper  Arbeit  zugeführt,  sowohl  durch  Ver- 
mittelung  der  Kräfte  P«»  ^ö  Pb]  wir  können  dann  nach  Obigem  2dAa 
als  auf  mechanischem,  d^A},  als  auf  kalorischem  Wege  geleistet 
betrachten.     Wegen  E  ^  W  +  (l>  erhält  man  aus  (111") 

114)  :ScPAa  +  d^A^  =  d{Wa  +  ^h)  +  dH^. 

Es  ist  aber  einerseits 

andererseits  wegen 
auch 

und  hieraus  folgt  durch  Subtraktion 

Setzt  man  dies  in  (114)  ein  und  bedenkt,  daß  allgemein  cPAa  =  Pa^Pa 
ist,  so  erhält  man 


a 


Ä(a-^i^^--.<'^.+^''.+ll^'-. 


§  12,    Monoeykel.  91 


oder  unter  Benutzung  von  (113") 

rf'^6  ^:S^dp,  +  dW,  +  II  rfT.  114") 

Ist  (P  speziell  von  T  unabhängig,  und  wird  die  Veränderung  so 
geleitet,  daß  die  lebendige  Kraft  Wt  konstant  ist,  so  giebt  dies  unter 
Rücksicht  auf  die  zweite  Formel  (113'") 

a 

Wird  nur  die  eine  Koordinate  pa  verändert,  so  reduziert  sich  diese 
Gleichung  auf 

d'A,^^T^j^,dp,.  114"') 

* 

Auch  diese  Formel  steht  mit  gewissen  Eesultaten  der  mecha- 
nischen Wärmetheorie  in  innerer  Beziehung.  — 

Neueste  Anwendungen  der  LAGBANOE'schen  Formeln  haben  er- 
geben, daß  sie  unter  Umständen  zu  brauchbaren  Resultaten  führen, 
wenn  das  System,  auf  welches  sie  angewandt  werden,  gar  nicht  einen 
Komplex  von  ponderabeln  Massen,  oder  wenigstens  nicht  von  solchen 
allein,  darstellt  und  die  Größen  /?.  nur  irgend  welche  Variabein 
sind,  die  seine  augenblickliche  Konfiguration  bestimmen.  Dann  sind 
naturgemäß  auch  die  P^  keine  Kraftkomponenten  im  mechanischen 
Sinne  mehr;  immer  aber  muß  das  Produkt  p^P^  die  Dimension  einer 
mechanischen  Arbeit  haben,  und  dadurch  bestimmt  sich,  wenn  über 
die  p^  verfügt  ist,  die  Natur  der  P., 

Derartige  Betrachtungen  liefern  für  die  untersuchten  Erschei- 
nungen Theorien,  die  von  den  sonst  entwickelten  einigermaßen  ab- 
weichenden Charakter  besitzen  und  die  bezeichnend  Beschrei- 
bungen durch  mechanische  Analogie  genannt  werden.  Sie 
haben  eine  besonders  große  Bedeutung  in  der  Elektricitätslehre  er- 
halten, wo  wir  näher  auf  sie  eingehen  werden.  Indessen  kann  schon 
hier  ihr  Verhältnis  zu  der  älteren  Art  der  Anwendung  mechanischer 
Grundsätze  auf  Vorgänge,  welche  nicht  mechanische  im  engeren 
Sinne  sind,  geschildert  werden.  Das  ältere  Verfahren  legte  eine  mehr 
oder  weniger  vollständige  Vorstellung  von  dem  Mechanismus  jener 
Vorgänge  zum  Grunde,  betrachtete  beispielsweise  die  Elektricität  als 
eine  Substanz,  die  sich  in  den  Leitern  durch  äußere  Einwirkungen 
gegen  beträchtliche  Widerstände  bewegt  und  auf  andere  Elektrici- 
täten  femwirkende  Kräfte  ausübt.  Die  Metliode  der  mechanischen 
Analogien    enthält   sich   derartig    detailierter   Voraussetzungen    und 


92  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    IIL  Kap, 


schreibt  den  elektrischen  Körpern  nur  gewisse  aUgemeine,  an  me- 
chanischen Systemen  erkannte  Eigenschaften  zu,  ohne  die  Frage  zu 
erörtern,  wie  jene  Eigenschaften  in  dem  nicht  rein  mechanischen 
System  möglich  sind. 

Liefert  das  ältere  Verfahren  eine  größere  Anschaulichkeit,  so 
ist  ihm  das  neuere  durch  die  größere  Strenge,  welche  in  der  Be- 
schränkung auf  das  kleinste  Maß  der  zu  einem  bestimmten  Zwecke 
nötigen  Annahmen  liegt,  und  durch  die  Vielseitigkeit  der  gewonnenen 
Resultate  jedenfalls  überlegen.*^  — 


m.  Kapitel. 

Bewegung  starrer  Körper. 

§  13.     Starre  Körper;  unendlich  kleine  Terrnokongen;   lebendige 
Kraft;  Trägheitsmoment;  Arbeit  äuBerer  Kräfte. 

Ein  System  von  Massenpunkten  wird  als  ein  Körper  bezeichnet, 
wenn  seine  Masse  den  Eaum  anscheinend  stetig  erfüllt;  es  heißt  starr, 
wenn  seine  Bewegung  durch  Bedingungen  derart  beschränkt  ist,  daß 
keiner  seiner  Punkte  seine  relative  Lage  gegen  die  übrigen  yerändem 
kann. 

Die  erste  Eigenschaft  wird  analytisch  dadurch  ausgedrückt,  daß 
wir  den  vom  Körper  eingenommenen  Raum  in  Volumenelemente 
dk  zerlegen  und  ein  jedes  als  mit  einer  Masse  6^771  erfüllt  betrach- 
ten; meist  kann  dann  jedes  Volumenelement  direkt  als  Massenpunkt 
behandelt  werden. 

Besitzt  das  Verhältnis 

Tk-O  116) 

an  irgend  einer  Stelle  des  Körpers  einen  von  der  Gestalt  und  Größe 
von  dk  unabhängigen  Grenzwert,  so  nennen  wir  in  sinngemäßer 
Erweiterung  der  Definition  (68)  q  die  Dichte  der  Massenverteilung 
an  der  betrachteten  Stelle,  wobei  wie  in  (68')  gilt 

[p]«m/-3.  llö') 

Ist  ^  innerhalb  des  Körpers  konstant,  so  nennen  wir  ihn  homogen, 
im  anderen  Falle  inhomogen.  Man  kann  den  Fall,  daß  q  inner- 
halb des  Körpers  längs  einzelner  Flächenstücke  unstetig  wird,  ftir 
die  Betrachtung  dadurch  ausschließen,  daß  man  jene  Flächen  als  Teile 
der  Oberfläche  des  Körpers  ansieht;  weil  ferner  in  der  Wirklichkeit 
sich  in  einem  unendlich  kleinen  Räume  stets  nur  unendlich  wenig 
Masse  befindet,  so  kann  man  q  in  der  Physik  als  innerhalb  der 
Körper  endlich  und  stetig  betrachten. 

Da  das  Gewicht  des  Massenelementes  dm^  nämlich  dGy  gleich 
gdm  ist,  so  nennt  man 

dk         dk        '  ' 


94  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,     III.  Kap, 


das  spezifische  Gewicht  des  Körpers  an  der  betrachteten  Stelle; 
wegen  der  Veränderliclikeit  von  ff  an  der  Erdoberfläche  ist  y  nicht 
streng  der  Substanz  individuell  und  kommt  daher  überhaupt  weniger 
zur  Verwendung  als  p.     Seine  Dimension  ist  gegeben  durch 

[y]  =  m/-2^-2.—  115'") 

Die  zweite  Eigenschaft  drückt  man  analytisch  aus,  indem  man 
festsetzt,  daß  die  Koordinaten  a,  b,  c  aller  Massenelemente  dm  gcg;on 
ein  mit  dreien  von  ihnen,  welche  nicht  in  einer  Geraden  liegen,  fest 
verbundenes  Koordinatensystem  J,  J5,  C  sich  mit  der  Zeit  nicht  ändern. 

Behalten  wir  für  ihre  Koordinaten  gegen  ein  absolut  festes 
System  X,  Y,  Z  die  Bezeichnung  x,  y,  z  bei,  so  können  wir  den  Zu- 
sammenhang der  beiden  Koordinatensysteme  durch  das  Schema  aus- 
drücken: 

a      b      c 


116)  •'■      ^ 


«1       «2       «3 


/*!     1^2     ßa 

-  -h  \ri    Vi   73 

worin  f,  l;,  5  die  Koordinaten  des  Anfangspunktes  des  Systemcs 
A,  B,  Cy  und  a,j,  ßj^,  y^^  gewisse  Richtungscosinus  sind,  j,  ^,  g  und  drei 
voneinander  unal)hängige  Winkel  bestimmen  vollständig  die  Lage 
des  Systems  A^  B,  C  und  daher  auch  diejenige  des  starren  Körpers 
gegen  das  absolut  feste  System  A^,  Y,  Z, 

Für  beliebige  unendlich  kleineVerrückungen  Sx^  äy,  Sz  gilt  hiemach 

dx  =  Si  +  aöa^  +  bSa^  +  c  S  a^ , 

116')  ^  Sij=^St)  +  adß,  +bSß^  +cSß^, 

I  dz  ^  Si  +  aÖy^  +b8y^  +  cSy^, 

wobei  wegen  der  Orthogonalitätsbedingungen  nur  drei  der  neun  Va- 
riationen Sa^^y  Sßj^,  dy^  voneinander  unabhängig  sind. 
Führt  man  die  Abkürzungen  ein 

116")  J    y^Sa^  +  yja^  +  y^Sa^  =  -  {a^Sy^  +  a^Sy^  +  «3^/3)  =  ^m  , 
l   a^Sß,  +  a,dß,  +  a,Sß,  =  -{ßja,+ ß,Sa^^ ß,Sa,)  =  ^11 , 

wobei  d'I,  ^m,  S*  n  nicht  Variationen  von  Funktionen  I,  m,  11,  son- 
dern allein  unendlich  kleine  Größen  bezeichnen,  so  wird 

/  Sa^=y^S*m-' ß^S'n,  Sß^  =  u^S'n  —  y^S'{,  Sy^=ß^S*l  —  a^3'm, 

116'")      Sa^  =  y,d^m-ß,d\  äß.^a.S'u^y.S'l,  Sy,=ß,yi-a^3'm, 

\  3^3='r3^ta-ß^S'n,  J/?3  =«3^11-^3^1,  Sy^=ß^y{-a^S'mj 


§  13.     Unendlich  kleine  Verriiekungen.  95 


und  das  System  (116')  reduziert  sich  unter  Berücksichtigung  von 
(116")  auf«^ 

*x  =  d^y  +  (z  -  ä)  (T m  -  (y  -  ^)  J'n,  | 

Diese  Formeln  zeigen  bei  genauer  Analyse,  daß  die  allgemeinste 
unendlich  kleine  Verrückung  eines  starren  Körpers  gegeben  ist  durch  die 
Superposition  dreier  Verschiebungen  parallel  den  Koordinatenaxen 
^j,  S\),  5i,  welche  äquivalent  sind  mit  einer  einzigen  Verschiebung 

^  \ = Y{W+  "w"-rw 

in  einer  Kichtung  S,  bestimmt  durch 

cos  (gar)  :  cos  {^y)  :  cos  {^z)  =  S^  :  S\)  :  d^, 

und  mit  drei  Drehungen  von  der  Größe  S'i,  ^m,  ^n  um  zu  den  Axen 
X,  F,  Z  parallele  Axen  durch  den  Punkt  y,  9,  j,  welche  äquivalent 
sind  mit  einer  einzigen  Drehung  von  der  Größe 

um  eine  Axe  b  durch  denselben  Punkt  J,  tj,  5,  deren  Kichtung  ge- 
geben ist  durch 

cos  (b,  ar)  :  COS  (b,y)  :  COS  (b,  z)  =  S'l  :  S'm  :  S'n . 

Nimmt  man  hinzu,  daß  nach  geometiischer  Anschauung  par- 
allele Verschiebungen,  wie  auch  Drehungen  um  dieselbe  Axe  sich 
zu  Resultierenden  zusammensetzen,  deren  Größe  je  gleich  der  Summe 
der  Komponenten  ist,  so  ergiebt  sich  aus  Vorstehendem,  daß  für  die 
Zusammensetzung  von  beliebigen  Verschiebungen  und  von  Drehungen 
um  beliebige  durch  einen  Punkt  gehende  Axen  bei  entsprechender 
Kleinheit  ganz  allgemein  die  Methode  des  Parallelepipeds  gilt,  falls  man 
die  Drehungen  durch  Vektoren  repräsentiert,  welche  auf  der  Drehungs- 
axe  nach  der  Seite  hin  aufgetragen  werden,  von  der  aus  betrachtet 
sich  die  Drehung  als  im  positiven  Sinne  stattfindend  darstellt 

Hieraus  folgt  für  den  Zusammenhang  zwischen  den  um  die 
Axen  Aj  JB,  C  stattfindenden  Drehungen  S'\>,  S*  q,  S'x  und  den  um 
Parallele  zu  den  Axen  X,  T,  Z  durch  den  Anfang  von  Aj  B,  C  wir- 
kenden 5*1,  S'm,  S*n  das  (116)  entsprechende  Schema 

I  3'\>     3'q     S'x 

^^         «1       «2        «8  117) 

ßi      ßi      ß% 


Yi      n      Yz 


96 


/.  TeiL    Meehamk  starrer  Körper.    III,  Kap, 


Zwischen  den  Drehimgskomponenten  (J*  p,  d'q,  «J*!  und  den  Bich- 
tungscosinus  a^,  ß^,  y^  finden  dabei  die  Beziehungen  statt: 

i    ^p  =  u^Sa^  +  ß^Sß^  +  y^Sy^  = -{cc^Sa^+ß^Sß^  +  y^Sy^), 

117')  I    ^(\  =  a^Sa^  +  ß^8ß^+y,Sy^^^{a^8a^+ß^Sß,+y^8y^), 

femer 

¥i=Ä^t-/93^q,  8ß,^ß,S'\>-'ß,S'x,  5/93=/9,/q-/9,yp, 

Die  Formehl  (116"")  lassen  sich  auf  eine  neue  wichtige  Form 
bringen,  indem  man  die  Verschiebungskomponenten  S'xqj  S^y^,  8*  z^ 
einführt,  welche  der  ursprünglich  im  Eoordinatenanfang  ar  =  y  =  z  =  0 
stehende  Punkt  erfährt;  man  erhält  so 

#  8x  =  S'xq  +  z  8*m  ^  y8>n  j 

118)  8y^8'yQ  +  xSn  -zS'l  , 

8z  ^  S'Zq  +  y8*l  —  X S^m  \ 

die  zu  der  Verschiebung  hinzukommende  Drehung  erscheint  hier  um 
die  Axen  X,  Z,  Z  selbst  ausgeführt,  und  es  ist  daher 

gesetzt  Für  parallele  Axen  j&nden  sich  sonach  die  Drehungen  als  gleich. 
Ein  diesem  System  entsprechendes  kann  man  für  die  beweg- 
lichen Axen  A,  jB,  C  aufstellen.  Bezeichnet  man  nämlich  mit  5*«, 
(S*  &,  S*  c  die  nach  den  Axen  Ä,  B^  C  genommenen  Komponenten  der 
Verschiebung  eines  beliebigen  Punktes  mit  ^Ta,  ^5,  ^c,  diejenigen 
des  Punktes  0  =  0,  &  =  0,  c  =  0,  so  erhält  man  aus  (118)  leicht 

/  ^a  =  ^a  +  c5'q-*J'r, 

118')     .  ^*  =  d'6  +  a^r-cJ'p, 

«Tc  =  5'c  +  *  J'p  -  a  J'q .  — 

Giebt  man  den  willkürlichen  Verrückungen  die  speziellen  Werte, 
welche  sie  bei  der  Bewegung  während  des  Zeitelementes  dt  annehmen, 
so  erhält  man,  indem  man  durch  die  oberen  Indices  Geschwindig- 
keiten bezeichnet, 


119) 


8x  =  X  8tj 
8i=^l'8t, 
8'\  =V8t, 
3'p  =  p'5^ 


8y  =^y'8t, 
8\i  =t(8t, 
S'n\=  vx'  8t^ 
^q  =q'^^. 


8  z  =  z'  8tj 
8i  ^h'St, 

^'r  =  r  St  u.s.f. 


§  13,    Lebendige  Kraft. 


97 


119') 


119") 


Hierin  haben  zwar  x, .  . ,  ^'^ .  . .  zugleich  die  Bedeutung  von 
Differentialquotienten  der  Abhängigen  x,,.,  ;,  .  .  nach  der  Zeit, 
nicht  aber  gilt  analoges  von  T,  m',  n',  p',  q',  r'. 

Durch  die  vorstehende  Substitution  nimmt  beispielsweise  das 
System  (116"")  die  Form  an 

^'  =  J'  +  (^-ä)m'-(y-l|)n'» 
y'  =  ^'+(:r-j)n'-(^-i)r, 

/  =  ä'  +  (y-tj)r  -(;r--y)m'; 

ebenso  wird  aus  (118') 

a  =  a'  +  cq'—  Ar  , 

*'  =  5'  +  ar'-cp', 

c  =  c'  +  Ä  p'  —  a  q' , 

wo  nun  a,  b\  c  resp.  a',  V,  c'  die  Geschwindigkeitskomponenten  nach 
der  augenblicklichen  Richtung  der  Axen  Ay  B,  C  bezeichnen,  aber 
nicht  die  Differentialquotienten  von  a,  b,  c  resp.  a,  b,  c  nach  der 
Zeit,  die  ja  nach  S.  94  verschwinden. 

Diese  Formeln  kommen  bei  der  Bestimmung  der  lebendigen 
Kraft  W  eines  starren  Körpers,  deren  Definition  nach  (46')  lautet: 

2W=fdm{x^  +  y'*+z^,  120) 

zur  Anwendung.  Der  Wert,  der  sich  unmittelbar  durch  Einsetzen 
der  Ausdrücke  (119')  ergiebt,  schreibt  sich  einfacher,  wenn  man 
folgende  Bezeichnungen  einführt: 

fdm=^m,     f{x-^i)dm=^^'mj    f(y-^t))dm=fj'm, 

f{z--i)dm  =  ^m, 

-  /(y  -  9)  (^  -  b)dm  =  =' ,    -  f{z  -  J)  (:r  -  ^)dm  =  H' , 
f[Lv-^?  +  \^-i)'^dm  =  E,   f[{z--if  +  (x^mdm^H, 

Hierin  bezeichnen  |'  =  |  —  y,  ^/  =  ^  —  9>  S*  =  ?  —  ä  ^i^  Schwer- 
punktskoordinaten des  Körpers  in  Bezug  auf  ein  Axensystem  X,  %  3> 
welches  parallel  zu  X,  ¥,  Z  durch  die  Stelle  y,  t),  j  gelegt  ist,  und  es 
heißen  E,  H,  Z  die  Trägheitsmomente,  =.\  H\  Z'  die  Devia- 
tionsmomente des  Körpers  um  dieselben  Axen,  —  Definitionen,  die 
man  sinngemäß  auf  beliebige  Axen  überträgt®^ 

Bei  Benutzung  dieser  Abkürzungen  schreibt  sich 
2«f'=m(j'2  +  t|'2  +  j'2) 

+  2m[i  (m' r  -  u  v')  +  t)' (n  |'  -  l' ^)  +  j' (f  rj'  -  m' r)]  \   120") 
+  PE  -I-  m'«H  +  n*Z  +  2m'n'='+  2n'rH'+  2rni'Z\ 

Voigt,  TheoretiBche  Physik.  7 


120') 


98  /.  Teä.    Mechanik  starrer  Körper.    111.  Kap. 


120"') 


Nach  der  Definition  (120')  lauten  die  Trägheits-  und  Deviations- 
momente um  die  Axen  X,  Y,  Z  selbst 

(Ho  =Ai/'  +  z^dm,  Ho  =f{z^  +  x^dm,  Z^  ^ f{x^  +  y^dm , 
< 
Ho' =  -fyzdm,       Hq' =  -fzxdm,     Zq'  ^—fxydm. 

Das  Trägheitsmoment  M  um  eine  beliebige  durch  den  Anfangs- 
punkt des  Systemes  X,  D,  3  gehende  Axe,  deren  Richtung  durch 
die  Cosinus  «o»  ßo^  To  bestimmt  ist,  aber  wird,  falls  e  den  Abstand 
des  Massenelementes  dm  von  der  Axe  bezeichnet,  nach  der  allge- 
meinen Definition  (120') 
120"")  M=^fe^dm 

oder  nach  Einsetzen  des  leicht  zu  erhaltenden  Wertes  von  e 
121)  M  =  =  «0»  +  Hß,'+Zr,'+  2='Äy„  +  2HVo«o  +  ^Z'aJ,. 
Also  ist  das  Trägheitsmoment  um  jede  Axe  durch  den  Anfangspunkt 
des  Systems  X,  S,  3  durch  die  Trägheits-  und  Deviationsmomente  um 
die  Axen  X,  %  3  bestimmt,  und  zwar  wird  X  =  l/j/M^  durch  den 
Radiusvektor  parallel  der  Drehungsaxe  in  einem  gewissen  EUipsoid, 
dem  Trägheitsellipsoid,  um  den  Koordinatenanfang  als  Centrum  re- 
präsentiert/^ Das  Trägheitsmoment  M  nimmt  seine  größten  und  klein- 
sten Werte  an,  wenn  die  Drehungsaxe  in  eine  der  Hauptaxen  des 
Ellipsoides  fallt  Wählen  wir  diese  Hauptträgheitsaxen  zu  Koordi- 
natenaxen  A^  B,  C,  so  werden  die  hierauf  bezogenen  Deviationsmomente 

121')    A'=-/a*c?m  =  0,   B'=-/*crfm  =  0,    r'= -/carfwi  =  0, 

die   entsprechenden  Trägheitsmomente  A,  B,  f  werden   die  Haupt- 
trägheitsmomente,  und  die  Gleichung  (121)  nimmt  die  Form  an 

121")  M  =  Aao'  +  B/3o*+r?'o'' 

Die  Trägheits-  und  Deviationsmomente  E,  H,  Z,  Z',  H',  2'  um 
die  Axen  X,  %  3  drücken  sich  nach  ihren  Definitionen  und  bei 
Benutzung  des  Schemas  (116),  in  welchem  nur,  da  die  Anfangspunkte 
der  Systeme  A,  B,  C,  und  X,  %  3  zusammenfallen,  jetzt  j  =  ^  =  5  =  0 
zu  setzen  ist,  durch  die  Hauptträgheitsmomente  A,  B,  f  folgender- 
maßen aus: 

(£=^Aa,^  +  Ba^^  +  ra,\  £' =  Ai9,/i  +  B/S^r,  +  T/?,/,, 

121"')     H=kß,'  +  Bß,'  +  rß,\   H'  =  Ay,a, +  Br,«,  +  r7',a3, 

l  Z  =  Ay,2  +  By,2  +  pyj«,  Z'  =  Aa,ß,  +  Ba^ß^  +  Va^ß^. 

Das  erste  Tripel  dieses  Systemes  ergiebt 

121"")  Z  +  H  +  Z  =  A  +  B-f-r. 

Vergleicht  man  das  Trägheitsmoment  M  um  eine  beliebige  Axe 
(z.  B.  um  eine  durch  den  willkürlichen  Koordinatenanfangspunkt)  mit 


§  13.     TrägheitS'  und  Deviatumsmomenie.  99 


demjenigen  M,  um  eine  zu  ihr  parallele  durch  den  Schwerpunkt  des 
Körpers,  so  giebt  die  einfache  Rechnung  den  Zusammenhang^^) 

M  =  M, +  mi3P,  122) 

worin  d  die  senkrechte  Entfernung  der  beiden  Axen  bezeichnet. 

Aus  Vorstehendem  folgt,  daß  die  Tr&gheits-  und  Deviations- 
momente eines  Körpers  um  beliebig  gerichtete  und  durch  einen  be- 
liebigen Punkt  gehende  Axen  bestimmt  sind  durch  sechs  Größen, 
nämlich  die  Trägheits-  und  Deviationsmomente  um  drei  zu  einander 
normale  Axen  durch  den  Schwerpunkt  des  Körpers,  oder,  anders 
ausgedrückt,  durch  die  Hauptträgheitsmomente  für  den  Schwerpunkt 
und  die  drei  Winkelgrößen,  welche  die  Lage  der  Hauptträgheitsaxen 
bestimmen. 

In  manchen  Fällen  ist  es  bequem,  ein  Trägheitsmoment  durch 
denjenigen  Abstand  Xa  von  der  bezüglichen  Axe  a  auszudrücken,  in 
welchem  die  ganze  Masse  m  des  Körpers  vereinigt  werden  müßte, 
um  das  gleiche  Trägheitsmoment  Ma  zu  geben,  d.  h. 

M«=m;f«2  122') 

zu  setzen;  x«  heißt  dann  der  Trägheitsradius  des  Körpers  in 
Bezug  auf  die  Axe  a» 

Schließlich  bemerken  wir  noch,  daß  fiir  Trägheitsmomente  M 
und  Deviationsmomente  A  die  Dimensionalgleichung  lautet 

[M]  =  [A]  =  mP._  122") 

Unter  Berücksichtigung  dieser  Sätze  läßt  sich  nun  der  Aus- 
druck (120')  für  die  lebendige  Kraft  eines  starren  Körpers  noch  ver- 
einfachen. 

Ist  der  Körper  frei  beweglich,  so  kann  man  ohne  Beschränkung 
den  Koordinatenanfang  des  Axensystems  Ay  B,  C  in  den  Schwerpunkt 
legen,  also 

J  =  I,  ^  =  ^,  i  =  ?  daher  |'  =  17'  =  ^  =  0 
und  zugleich  der  Übereinstimmung  halber 

r  =  k\  m'  =  fi\  n'  =  V 

setzen.  Führt  man  noch  die  resultierende  Verschiebungsgeschwindig- 
keit ft>',  die  resultierende  Rotationsgeschwindigkeit  t  durch  die 
Gleichungen 

I'  +  ^'2  4.  ^2  ^  ^'2  ^       l'i  ^  ^'2  ^  y'2  ^  ^'2  123) 

ein,  und  bezeichnet  das  Trägheitsmoment  um  die  momentane  Kota- 
tionsaxe  mit  M,  so  gUt  nach  (121): 

7* 


100  /.  Teil.    Mechanik  starrer  K&rper,    IIL  Kap. 


123')  EA'»  +  Hfi'^  +  Zv'^  +  2  =>'i/'  +  2  \KvX  +  22' i>'  =  Mr'*, 
123")  2y>'=m6>'2  +  MT'« 

Ist  der  Körper  um  einen  festgehaltenen  Punkt  drehbar,  so  legt 
man  in  diesen  die  Anfangspunkte  der  beiden  Systeme  Z,  T,  Z  und 
Ä^  B,  Cj  setzt  also  y = ^ = j  =  0  und  daher  5'  =  5'  =  j'  =  0,  und  erhält  jetzt : 

123"0  2'f^=MT^  — 

Statt  Yon  der  Formel  (120)  für  die  lebendige  Kraft  kann  man 
von  der  äquivalenten  ausgehen 

124)  2  W  =  fdm{a'^  +  *'»  +  c'% 

worin  a',  ä',  c'  die  Geschwindigkeitskomponenten  nach  den  Sichtungen 
der  Axen  -4,  -B,  C  bezeichnen.  Unter  Benutzung  der  Formeln  (119") 
erhält  man  dann,  falls  man  die  Koordinaten  des  Schwerpunktes  in 
Bezug  auf  das  System  A,  B,  C  mit  a,  /9,  y,  die  Trägheits-  und  Devia- 
tionsmomente wie  früher  mit  A,  B,  f,  A',  B',  f  bezeichnet 

124')    j         +  2m[a'(q>  -  r'/S)  +  5'(r'a  -  p»  +  c'(p'/9  -  q'a)] 
I         +P'*A  +  q'2B  +  r'*r  +  2q'r'A'+2r'p'B'  +  2p'q'r. 

Dieser  Ausdruck  hat  gegenüber  (120")  den  Vorteil,  daß  Schwerpunkts- 
koordinaten, Trägheits-  und  Deviationsmomente  sich  während  der 
Bewegung  nicht  mit  der  Zeit  ändern;  dafür  sind  allerdings  Linear- 
und  Winkelgeschwindigkeiten  auf  mit  der  Zeit  wechsehide  Richtungen 
bezogen.  — 

Eine  analoge  Umformung,  wie  mit  der  lebendigen  Kraft  W^  kann 
man  auch  mit  der  virtuellen  Arbeit  S^A  äußerer  Elräfte  an  einem 
starren  Körper  vornehmen,  die  nach  (46")  definiert  ist  durch 

125)  ^A  =  2[XJx^  +  Y^Sy^  +  Z^Sz^; 

wirken  die  Kräfte  nicht  in  endlicher  Stärke  auf  einzehie  Punkte, 
sondern  in  unendlich  geringer  auf  jedes  Volumenelement  dk,  sind  sie, 
wie  wir  sagen,  körperliche  Kräfte,  so  kann  man  hierfür  schreiben 

125')  d^A==fdk{?liSx  +  ^Sy  +  SSz), 

wo  nunmehr  de,  ^,  3  auf  die  Volumeneinheit  bezogen  sind.     Es 

gilt  dann   für  sie,   wie   für  ihre  Resultierende  fi    die  Dimensional- 

gleichung 

125")  [S]  =  m/-2^-2. 

Die  Anwendung  der  Formeln  (118)  fiihrt  unter  Rücksicht  auf 
die  Definitionen  (44')  sogleich  auf  die  Beziehung 


§  13,    Arbeit  an  einem  starren  Körper, 


101 


S^A  =^X,ö^x,  +  Y.S^y,  +  Z^Sz^  +  L,Sl -V  MJm  +  N^Sn,     126) 

wo  2^,  1^,  ^Q  die  Summen  aller  Komponenten  nach  den  festen  Axen 
X,  J",  Z  und  i^,  J^,  iVJj  die  Summen  aller  Drehungsmomente  um 
dieselben  bezeichnen.     Ebenso  folgt  durch  Benutzung  von  (116"") 

S  A=^  X8i  +  Y8\i  +  ZSi  +  ZS'i  +  MS'm  +  NS'n,     126') 

worin  Komponenten  und  Momente  sich  auf  die  zu  den  X,  Y,  Z  parallelen 
Axen  3£,  D,  8  durch  den  Punkt  ar  =  5,  y  =  \),  ^  =  i  beziehen. 
Dabei  ist  übrigens,  wie  leicht  zu  erkennen, 

Z^Z,^tfZ+iY,    M^M,-^iX+iZ,    N^N,-^iY+\iX, 

Endlich  gelangt  man,  wenn  man  in  (125)  das  Koordinatensystem  Ä^  B,  C 
einftlhrt,  mit  Hilfe  von  (118')  auch  zu  dem  Werte 

S'A=:^AS'a  +  BS'b  +  CS'c  +  PS'\>+QS'q  +  BS'x,     126") 

worin  A,  By  C  die  Komponenten,  P,  Q,  R  die  Momente  in  Bezug  auf 
jenes  Axensystem  bezeichnen. 

Da  die  beiden  Koordinatensysteme  X,  ?),  3  ^nd  A,  Bj  C  einen 
gemeinsamen  Anfangspunkt  haben,  gilt,  wie  leicht  erkennbar,  für  die 
Beziehungen  zwischen  den  auf  beide  bezogenen  Größen  das  Schema: 


A 

B 

c 

P 

Q 

R 

X 

«1 

«2 

«3 

L 

«1 

«8 

«s 

Y 

Ä 

Ä 

ß. 

M 

ßx 

Ä 

ß. 

Z 

n 

n 

n 

N 

rx 

72 

Vi 

126"') 


Haben  die  auf  alle  Punkte  des  starren  Körpers  wirkenden  Kräfte 
ein  nur  von  den  Koordinaten  abhängiges  Potential  §,  so  daß  die  auf 
die  Volumeneinheit  bezogenen  Kräfte  X,  %  3  gegeben  sind  durch 


1 


dx 


?)=- 


3=- 


dx 


127) 


so  nimmt  auch  die  negative  virtuelle  Arbeit  die  Form  einer  Varia- 
tion an  von  der  Funktion 


0  =  /5rfÄ, 


127') 


welche  das  Gesamtpotential  der  auf  den  Körper  ausgeübten  Wirkung 
ist.  Da  aber  eine  Veränderung  der  Lage  des  starren  Körpers  nur 
durch  Parallelverschiebung  und  Drehung  zu  erzielen  ist,  so  ist  bei 
Beziehung  auf  das  System  X,  Y,  Z 


102  /.  Teü.    Meehanik  starrer  Körpar.    III.  Kap. 


127") 


Vergleicht  man  diese  Formel  mit  der  oben  für  d'A  erhaltenen  (126), 
so  ergiebt  sich,  daß  für  einen  Körper,  der  körperlichen  Kräften  unter- 
liegt, welche  ein  Potential  haben,  die  Gesamtkomponenten  und  Mo- 
mente, welche  er  erfährt,  gegeben  sind  durch 

Gleicherweise  erhält  man  bei  Beziehung  auf  das  System  X»  %  3 
durch  Vergleichung  mit  (126') 


128') 


Y  ^^        V-  ^^        7-         ^^ 

r  ^^         TU  ^^        \r  ^^ 


a I '  am'  du' 

oder  bei  Anwendung  des  Systemes  A,  B,  C  nach  (126")  auch 


128') 


,  8  0      j.  6  0     .,  6  0 

^  "  "  "öT  '    ^  "  "■  T^  '    ^^  -  "■  ö  r  ' 


§  14.    Bewegungsgleichungen  und  Gleichgewiohtsbedingnngen. 

Da  die  Lage  eines  starren  Körpers  nach  dem  im  Eingang  des 
vorigen  Paragraphen  Gesagten  durch  sechs  Unabhängige  gegeben  ist, 
so  genügen  auch  sechs  Gleichungen  zur  Bestimmung  seiner  Bewegung, 
wenn  dieselben  keine  weiteren  Unbekannten  enthalten.  Die  sechs 
Formeln  (43)  und  (45),  welche  die  Schwerpunkts-  und  Flächensätze 
für  ein  Punktsystem  aussprechen  und  daher  auch  ftlr  einen  starren 
Körper  gelten,  besitzen  diese  Eigenschaft,  falls  die  inneren  Kräfte 
des  Systemes,  über  alle  Maßen  summiert,  verschwindende  Komponenten- 
summen und  Drehungsmomente  ergeben.  Wir  dürfen  nach  den  auf 
S.  37  angestellten  Betrachtungen  annehmen,  daß  dies  in  Wirklich- 
keit stets  stattfindet;  denn  entweder  kann  man  die  Volumenelemente 
selbst  als  Massenpunkte  ansehen  und  daher  ihren  Wechselwirkungen 
die  Eigenschaften  beilegen,  welche  die  Vorbedingungen  för  ihr  Ver- 
schwinden aus  jenen  Gleichungen  bilden,  oder  man  kann  sie  wenig- 
stens als  Punktsysteme  betrachten,  deren  einzelne  Punkte  dann 
Wechselwirkungen  von  jenem  Charakter  liefern. 


§  14,    Bewegy/ng  eines  starren  Körpers,  103 


Indessen  kann  man  sich  auch  ohne  derartige  Überlegungen  die 
Notwendigkeit  der  Gültigkeit  jener  Gleichungen  klar  machen.  Ent- 
hielten sie  nämlich,  auf  einen  starren  Körper  angewandt,  die  Kompo- 
mentensummen  und  Momente  der  inneren  Kräfte,  so  müßte  der  Körper, 
wenn  er  weder  Anfangsgeschwindigkeiten,  noch  äußeren  Kräften  aus- 
gesetzt ist,  von  selbst  eine  Bewegung  beginnen.  Dies  würde  aber, 
wie  sich  unten  noch  weiter  ausgeführt  findet,  mit  der  Gleichung  der 
Energie  in  Widerspruch  treten ;  denn  in  einem  starren  Körper  ist 
die  nur  von  den  relativen  Verhältnissen  des  Systemes  abhängende 
innere  Kräftefunktion  konstant,  es  kann  sich  bei  einem  solchen  also 
die  lebendige  Kraft  nur  infolge  äußerer  Arbeit  vermehren. 

Die  Formeln  (43)  und  (45)  Uefem  hiemach  unmittelbar  die 
Bewegungsgleichungen  für  einen  starren  Körper.  Führt  man  in  ihnen 
die  Beziehungen  (119')  ein,  so  nehmen  sie  die  Gestalt  an: 


m 


d_ 
ii 

d 


'"ä7(y'  +  (^-*)'"'-(^-^)«')  =  ^o, 


i7(9'  +  (|-j)n'-(?-ä)I')  =  ^o. 


d 
m 


129) 


"^d 


129') 


+  57^^o  +  nt'Zo'+n'Ho']  =  i;o. 

^  [er  ?-  i'l)  -  m'dj  +  17  9  +  f  J)  +  9(|I'  +  i?ni'  +  ^0] 

+  ^[m'Ho  +  n'=;  +  fZo']  =  -«fo» 

'«Ä  [(^'^  -  ^''^)  -  "'(^^  +  ^9  +  ^h)  +  i(|l'+  ^;m'  +  f  uO] 

In  diesen  Gleichungen  sind  alle,  die  Bewegungen  etwa  be- 
schränkenden Bedingungen,  wie  das  Festhalten  eines  einzelnen  Punktes 
oder  einer  Drehungsaxe,  durch  eingeführte  Reaktionskräfte  berück- 
sichtigt zu  denken. 

Diese  zunächst  sich  bietende  Gestalt  der  Bewegungsgleichungen 
hat  noch  den  Ubelstand,  daß  L^j  M^,  Nq,  E^,  H,,,  Zq,  Eq\  Hq,  Zq'  sich  auf 
die  absolut  festen  Axen  beziehen,  dagegen  T,  m',  n'  auf  zu  ihnen  pa- 
rallele durch  den  Punkt  jr  =  y,  y  =  ^,  ^  =  J.  Man  kann  aber  leicht 
die  nötige  Umgestaltung  erhalten,  wenn  man  benutzt,  daß  nach  den 
oben  gegebenen  Definitionen 


104 


/.  Teil.    Meehanik  starrer  Kärper.    III.  Kap. 


129") 


t    ^o  —  ^>   ^0  —  ^>  ^0  —  ^> 

Zo^L  +  t)Z-ir,... 

=0  =  H  +  »I (9»  +  j*  +  2(H'  +  jO),  . . . 

ist,  wobei  wie  oben  |  —  X  =  |' ,  •  • .  gesetzt  ist. 

Zieht  man  noch  den  Wert  (120")  der  lebendigen  Kraft  heran, 
der  in  denselben  Größen  ausgedrückt  ist,  so  erhält  man 


130) 


Ä  (4?)  +  "»  [''  ^''  9'  +  ^  i')  -  I'  ("•'  ^'  +  "'  *')]  =  ^ ' 
Ä  (If)  +  *"  ["'(^'^  +  '''^')  -  ^(''3?'  +  "«'9')]  =  ^. 


Diese  Formeln  vereinfachen  sich  noch  weiter,  wenn  man,  was 
stets  zulässig,  aber  nicht  immer  vorteilhaft  ist,  fiir  den  Anfangspunkt 
des  Koordinatensystemes  Ä,  B,  C  den  Schwerpunkt  des  Körpers 
wählt,  also  J  =  |,  9  =  17,  i  =  S  und  daher '  |'  =  iy'  =  i;*  =  0  setzt, 
wobei  man  dann  wie  Seite  99,  auch  T,  m,  n'  mit  A',  fjL,  v  ver- 
tauschen kann.     Hierdurch  erhält  man  dann 


130") 


dt 


{bW\  y  d      ldW\  y  d      (d^\  „ 


d 
d 


wobei  fiir  ^  der  Ausdruck  (123")  zu  setzen  ist;  die  linken  Seiten 
der  drei  ersten  Gleichungen  werden  dahei  mit  m  cP ^ j di^j  mcPtjjdf^y 
md^^jdfi  identisch. 

Diese  Gleichungen  liefern  direkt  sechs  erste  Integrale  des  Be- 
wegungsproblemes,  wenn  die  X,  . .  .  iV  konstant  oder  nur  von  der 
Zeit  abhängig  sind.  Sie  sind  u.  a.  brauchbar  für  die  Behandlung  der  Be- 
wegung eines  freien  Körpers  und  ergeben  hier  das  Resultat,  daß  die- 
jenigen Parameter  eines  Körpers,  welche  allein  in  die  Bewegungs- 
gleichungen eingehen,  seine  Masse  m  und  die  drei  Hauptträgheits- 
momente um  den  Schwerpunkt  A,  B,  V  sind;  denn  die  E,  H,  Z,  E',  H',  Z' 
lassen  sich,  wie  oben  gezeigt,  durch  jene  ausdrücken.  Verschiedene 
Körper,  welchen  gleiche  Werte  m  und  A,  B,  V  entsprechen,  welche  in 
gleichen  Anfangslagen  gleiche  Anfangsgeschwindigkeiten  besitzen  und 


§  14,    Bewegung  eines  starren  Körpers,  105 


gleichen  äußeren  Gesamt -Komponenten  X,  Y^  Z  und  -Drehungs- 
momenten L^  M,  N  unterliegen,  bewegen  sich  identisch.  Hierbei  sind 
als  gleiche  Lagen  und  gleiche  Bewegungen  diejenigen  bezeichnet,  bei 
welchen  das  Koordinatensystem  Äy  By  C  sich  gleichmäßig  verhält  — 
Da  zwei  auf  denselben  starren  Körper  ausgeübte  Kraftsysteme 
in  Bezug  auf  jede  Art  von  Bewegung  äquivalent  sind,  wenn  sie  gleiche 
Eomponentensummen  X,  T,  Z  und  gleiche  Gesamtmomente  L,  J/,  N 
liefern,  so  ist  auch  ein  beliebiges  Kraftsystem  K^  mit  einer  einzigen 
Kraft  K*  mit  den  Komponenten  X',  T^  Z\  die  in  einem  Punkt  x\  y\  z' 
angreift,  dann  gleichwertig,  wenn 

r  =  X,    r  =  r,   ^  =  ^,  131) 

y'Z'-^z'T^L,   z'T^x'Z'^M,  xT-^T^JV     131') 

ist  Hieraus  folgt,  daß  das  gegebene  Kraftsystem  durch  eine  Kraft 
nur  dann  ersetzbar  ist,  wenn  die  Bedingung 

LX+MT+NZ=^Q  131") 

erfüllt  ist;  findet  dies  statt,  so  bestimmt  (131)  Größe  und  Sichtung 
von  X'  vollständig. 

Der  Angriffspunkt  x%  y\  z'  wird  dagegen  durch  (131')  nicht  voll- 
ständig gegeben,  sondern  nur  eine  Gerade,  welche  X'  enthalten 
muß;  denn  es  gelten  die  Formeln 

x'Z+y'M+  z'N^O,  131'") 

x'{rN^  ZM)  +  y'i.ZL  -  XN)  +  z\XM  -  TL)  =  i«  +  JK»  +  N^. 

Dies  Resultat  sagt  aus,  daß  jede  auf  einen  Punkt  wirkende  Kraft 
innerhalb  des  starren  Körpers  beliebig  in  ihrer  Richtung  verschoben 
werden  kann,  ohne  ihre  Wirkung  zu  ändern. 

Die  Bedingung  (131")  ist  stets  erfüllt,  wenn  die  wirkenden 
Kräfte  X^  sämtlich  parallel  sind;  in  diesem  Fall  ist  dann  auch  X' 
den  X^  parallel. 

Sind  die  Kräfte  X^  überdies  den  Massen  proportional,  die  auf 
die  Masseneinheit  bezogenen  Komponenten  also  konstant,  wie  dies  bei 
der  Schwerkraft  stattfindet,  so  geht  die  Richtung  der  Resultierenden  X' 
bei  jeder  Lage  des  Körpers  durch  seinen  Schwerpunkt 

Denn  nehmen  wir  z.  B.  die  Z-Axe  den  X^  parallel,  so  ist 

x=r=o,  z=:sK„ 

also  wird  aus  (131'") 

a:'i?-y'|  =  0,  x'l  +  y' »/  =  !*  +  »/*, 
woraus  folgt  x'  =  |,  y'  =  ij. 


106 


/.  Teil.     Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap. 


Diese  Eigenschaft  ist  der  Grund,  aus  welchem  der  Massenmittel- 
punkt auch  Schwerpunkt  genannt  wird.  — 

Die  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (130)  und  (130')  lassen 
sich  leicht  auf  das  Koordinatensystem  A,  JB,  C  transformieren,  wenn 
man  nur  bedenkt,  daß  sich  die  j',  t)\  j'  in  die  a',  5',  c',  und  die  T,  m',  n' 
in  die  p',  q',  r   ebenso  wie  Kraftkomponenten  transformieren. 

Dabei  ist  es  vorteilhaft  zhx  benutzen,  daß  sich  die  Ausdrücke 
(l'j  +  V't)'  +  C'hl  und  (r j'  +  m'9'  +  u'ä'),  direkt  in  {aa  +  ßV  +  yO 
und  (p'a'+  (\V  +  r'c')  überführen  lassen. 

Bedenkt  man  noch,  daß  nach  dem  Wert  (124')  von  W 


a (p'a'  +  q'b'  +  r'c')  -  p'  («a'  +  ß\S  +  yc')l 


ist,  und  daß  noch  zwei  ähnliche  Formeln  gelten,  so  gelangt  man 
bei  Berücksichtigung  der  Definitionen  von  p',  q',  r'  leicht  zu  folgendem 
System  ^•^): 


132) 


d  {bW\    .     ,b'^        ,bW       j 


dt 

A. 
dt 


bt' 


bb' 


(b^\,.b^         .bW       j. 


ba' 


bt' 


132'j 


d     (bW\      ,         rb^  rb^      ,         eb^ 


bt'        ^  öq'  "^  ^    de'  bb'  "      ' 


^-dt[-b7)  +  ^^-^-''^ 


bx 
,bW 


ba' 
,b^ 


bc 
,b^ 


bq' 


öp  ob  ba  ' 


Diese  Gleichungen  stellen  die  Schwerpunkts-  imd  Flächensätze 
in  Bezug  auf  das  bewegliche  Koordinatensystem  A,  B,  C  dar.  Man 
kann  sie  direkt  aus  der  HAMiLTON'schen  Gleichung  ableiten,  die, 
weil  für  einen  starren  Körper  das  innere  Potential  konstant  ist,  nach 
(103")  die  Form 


132") 


besitzt;  man  hat  hierzu  für  S^A  den  durch  die  Variationen  ^'a,  ^'b,  J'c, 
^'p,  d'^q,  S^  gegebenen  Wert  (126")  zu  benutzen  und  nach  (124') 


§  14,    Rotation  um  einen  festen  Punkt  107 


ZU  setzen,  worin  nun  die  Variationen  Ja', ...  Sx'  durch  J'a, . . .  J'r  und 
ihre  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  auszudrücken  sind.  Es  ist 
dabei  keineswegs  So!  =  dSajdt  u.  s.  f.,  weil  die  Richtungen,  auf  welche 
sich  diese  Größen  beziehen,  mit  der  Zeit  wechseln;  der  Zusammen- 
hang ist  vielmehr  nur  zu  gewinnen,  indem  man  a', . . .  r'  durch  auf 
das  feste  System  bezügliche  Größen  ausdrückt,  diese  Werte  variiert 
und  in  die  Resultate  dann  Ja, . . .  Sx  einführt  — 

Von  den  vorstehenden  allgemeinen  Gleichungen  machen  wir 
nun  Anwendungen  auf  speziellere  Fälle.  Ist  der  starre  Körper  um 
einen  festen  Punkt  drehbar,  so  legt  man  in  diesen  passend  den 
Anfangspunkt  sowohl  des  festen  Systemes  Xj  ¥j  Z,  als  des  beweglichen 
S,  %  S  resp.  A,  By  C,  setzt  also  in  (130)  und  (130'),  —  was  y^  betrifft, 
selbstverständlich  erst  nach  ausgeführter  Differentiation  — ,  j'  =  5' = j'  =  0. 
Wird  von  einer  Reibung  an  der  Befestigungsstelle  abgesehen,  so 
bewirkt  die  Befestigung  nur  Reaktionskomponenten  und  keine  Mo- 
mente; von  den  Gleichungen 

Ä(4f)-^.  i^m-''  Mw)-''  '=»' 
i(^)=^.  im-"'  im-)-''-  "'1 

sind  aJso  die  letzten  drei  von  Reaktionen  frei  und  als  die  eigent- 
lichen Bewegungsgleichungen  zu  bezeichnen.  In  ihnen  kann  man 
für  V^  nach  (120")  spezieller  setzen 

2  W=^£V^  +  Hm'»+  Zn'»  +  2  E'tn'n'  +  2 H'n'I'  +  2Z'I'm'.    133") 

Die  Gleichungen  (133')  sind  mit  dem  System  (130'")  formal 
identisch;  die  Rotation  eines  frei  beweglichen  Körpers  um  seinen 
Schwerpunkt  findet  also  ebenso  statt,  als  wenn  der  Körper  in  dem- 
selben unterstützt  und  den  gleichen  Kräften  und  Anfangsgeschwindig- 
keiten ausgesetzt  wäre.^*) 

Die  Formeln  (1 32'),  nehmen  in  unserem  Falle  wegen  0'=  b'=  c'=  0 
die  Gestalt  an 


d 


dt 
dt 


133") 


worin  für  W  die  aus  (124')  folgende  spezielle  Form 

2«^:=Ap'2  +  Bq'2  +  rr'2+2A'q'r'-h2B'r'p'+2rp'q'    133 
gesetzt  werden  kann. 


ffff\ 


108  7.  TeiL     Meehanik  starrer  Körper.    III.  Kap, 


Legt  man  die  Axen  Ä,  B,  C  in  die  Hauptträgheitsaxen  durch 
den  festen  Punkt,  so  sind  die  Deviationsmomente  A'=B'=r'  =  0 
und  das  vorstehende  System  reduziert  sich  auf^*) 


134) 


B^'  +  (A-.r)rV  =  e, 
r^  +  (B-A)pY  =  Ä. 


dt 

Von  besonderem  Interesse  ist  der,  allerdings  nur  unter  der  Vor- 
aussetzung, daß  zwei  von  den  A,  B,  V  einander  gleich  sind,  durch- 
fuhrbare Fall,  daß  als  einzige  äußere  Kraft  die  Schwere  wirkt ^*) 
Dann  ist,  falls  man  die  ^-Axe  vertikal  nach  unten  legt,  das  Ge- 
wicht des  Körpers  mit  G  bezeichnet  und  wieder  unter  a,  ß,  y  die 
Koordinaten  des  Schwerpunktes  in  Bezug  auf  das  System  Ä^  B,  C 
der  Hauptträgheitsaxen  versteht, 

134')    P^G  ißrs  -  rr^)    Q==G  {yy,  -  ay,),  R^G  {ay,  -  ßy,). 

Liegt  spezieller  der  Schwerpunkt  auf  der  C-Koordinatenaxe  im  Ab- 
stand s  vom  Drehpunkt,  so  ist  a  =  ^  =  0,  y  =  s,  also 

134")  P=^-^Gsy^,    Q^Gsy^,   Ä  =  0. 

Die  allgemeine  HAMiLTONsche  Gleichung  (132")  nimmt  hier  die 
Gestalt  an 

134"')  f{SW+GsSy,)  =  0, 

worin  für  W  der  Wert  (133"")  zu  setzen  ist.  — 

Ist  der  Körper  um  eine  feste  Axe  drehbar,  so  wählen  wir 
diese  zur  Z-  und  C-Axe  und  haben  demgemäß  in  den  Gleichungen 
(130)  und  (130')  sowohl  y',  t)\  j'  als  m'  und  V  gleich  Null  zu  setzen; 
hieraus  folgt,  daß  man  in  dem  ersten  Tripel  von  dem  Wert  (120") 
für  2W  nur  das  Glied  2n'(|'5'-  t/j'),  in  dem  letzten  nur 

Zn'»+2tn'n'E'+2fn'H' 

zu  berücksichtigen  braucht 
Man  erhält  demgemäß 

135)        l 

Hierin  enthalten  X,  Y,  Z,  L,  M  Eeaktionen,   welche  die  feste  Axe 


|--^r^  =  ^.   +'»^^  =  ^'  0  =  ^, 


§  14,    Rotation  um  eine  feste  Axe.  109 


aof  den  Körper  ausübt,  N  dagegen,  wenn  von  Axenreibung  ab- 
gesehen wird,  nicht;  für  die  Bewegung  ist  somit  nur  die  letzte 
Gleichung  maßgebend,  welche,  da  das  Trägheitsmoment  um  die 
Z-Axe  bei  der  Botation  um  diese  nicht  variiert,  durch  Einführung  des 
Yon  einer  beliebigen  Anfangslage  aus  gerechneten  Drehungswinkels  / 
die  Form  gewinnt 

2  j;^  =  N.  ISSO 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  der  Fall,  daß  das  Drehungs- 
moment N  dem  Drehungswinkel  x  proportional  ist,  wo  dann  die 
letzte  Formel  auf  die  Gestalt 

2  ^ii  =  -  ^X  135") 

gebracht  werden  kann.  Ist  D  positiv,  so  tritt  eine  Oscillation 
mit  der  Periode 


r=2;.|/| 


135'") 


ein,  deren  Beobachtung  bei  bekanntem  D  zur  experimentellen  Be- 
stimmung von  Z,  bei  bekanntem  Z  zur  Bestimmung  von  D  dienen 
kann. 

Bei  negativem i>  tritt  eine  Rotation  mit  immer  beschleunigter, 
bei  verschwindendem  eine  solche  mit  konstanter  Geschwindigkeit  ein. 

Liegt  die  Drehungsaxe  horizontal,  und  ist  N  das  von  der  Schwere 
auf  den  starren  Körper  ausgeübte  Moment,  also  gleich  —  Gs  sm  Xy 
worin  G  und  s  die  frühere  Bedeutung  haben  und  /  den  Winkel 
zwischen  s  und  dem  nach  unten  gerichteten  Lot  bezeichnet,  so  hefert 
die  Formel  (ISö')  die  Theorie  des  zusammengesetzten  Pendels,  dessen 
Schwingungsdauer  sich  äußerst  scharf  bestimmen  und  zur  Berechnung 
der  Schwerekonstanten  ff  benutzen  läßt^^  — 

Die  ersten  fünf  Gleichungen  (135)  geben  interessante  Aufschlüsse 
auch  über  die  Bewegung  freier,  sowie  nur  in  einem  Punkte  unter- 
stützter Körper,  wenn  man  berücksichtigt,  daß  in  den  Fällen,  wo 
die  Reaktionen  verschwinden,  der  Körper  die  vorgeschriebene  Be- 
wegung auch  ohne  die  betreffende  Unterstützung  ausführt. 

Ist  die  C-Axe  eine  Hauptträgheitsaxe  des  Körpers,  so  ist  wegen 
^3  =  1  und  y^  =  y,  =  ^3  =  /Jg  =  0  nach  (121'")  E*  und  H'  gleich 
Null,  also  nach  der  vierten  und  fünften  Gleichung  (135)  auch  L  und 
M,  Wirken  keine  äußeren  Kräfte,  so  sind  Z  und  M  mit  den  Ee- 
aktionsmomenten  der  Befestigung  identisch,  diese  verschwinden  daher 
unter   der   gemachten  Annahme   gleichfalls.     Es   genügt  in   diesem 


110  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    III,  Kap. 


Falle  also,  den  Körper  in  dem  beliebigen ,  zum  Eoordinatenanfang 
gewählten  Punkte  der  C-Axe  zu  unterstützen,  um  die  Rotation  um 
dieselbe  mit  konstanter  Geschwindigkeit  dauernd  zu  erhalten.  Wegen 
dieser  Eigenschaft  heißen  die  Hauptträgheitsaxen  durch  einen  be- 
liebigen Punkt  des  starren  Körpers  die  ihm  entsprechenden  perma- 
nenten Drehungsaxen. 

Geht  die  C-Axe  überdies  durch  den  Schwerpunkt  des  Körpers, 
so  ist  I  und  rj  dauernd  Null  und  gleiches  gilt  nach  den  beiden  ersten 
Gleichungen  (135)  von  X  und  Y,  also,  wenn  äußere  Kräfte  nicht 
wirken,  auch  von  allen  Reaktionskomponenten.  Hier  ist  also  gar  keine 
Unterstützung  nötig,  um  die  Rotation  um  die  (7-Axe  gleichförmig  zu 
erhalten.  Die  Hauptträgheitsaxen  durch  den  Schwerpunkt  heißen 
deshalb  die  natürlichen  Drehungsaxen  eines  freien  starren 
Körpers.  — 

Wir  woUen  schließlich  aus  den  allgemeinen  Formeln  (130),  in 
denen,  wie  oben  gesagt,  alle,  die  Bewegungsfreiheit  einschränkenden 
Umstände  durch  Reaktionskräfte  ausgedrückt  zu  denken  sind,  die 
Bedingung  dafür  ableiten,  daß  ein  starrer  Körper  als  ein  materieller 
Punkt  zu  betrachten  ist,  oder  anders  ausgedrückt,  dafür,  daß  seine 
Schwerpunktsbewegung  von  seiner  Gestalt,  Massenverteilung  und 
Orientierung  unabhängig  ist  Die  Gleichungen  (130)  beantworten  die 
Frage  dahin,  daß  hierzu  die  Komponentensummen  X,  Y,  Zy  welche 
sowohl  über  die  direkt  gegebenen  als  über  die  Reaktionskräfte  zu 
erstrecken  sind,  ausschließlich  von  dem  Verhalten  des  Schwer- 
punktes des  Körpers  abhängig  sein  müssen. 

Die  ersteren  Kräfte  liefern  im  allgemeinen  dann  von  anderen 
Umständen  abhängige  Gesamtkomponenten,  wenn  sie  nach  Größe 
und  Richtung  Funktionen  des  Ortes  und  der  Geschwindigkeit  ihres 
Angriffspunktes  sind.  Stetige  Veränderlichkeit  vorausgesetzt,  läßt  sich 
hier  aber  immer  durch  Verkleinerung  der  Dimensionen  des  Körpers  ein 
Zustand  erreichen,  wo  diese  Abhängigkeit  innerhalb  einer  festgesetzten 
Grenze  bleibt,  d.  h.  analytisch  ausgedrückt,  wo  bei  Entwickelung 
der  Koraponenteusummen  nach  den  Koordinaten  relativ  zum  Schwer- 
punkt des  Körpers  die  folgenden  Glieder  neben  dem  ersten,  innerhalb 
des  Körpers  konstanten  vernachlässigt  werden  können.  Es  werden 
dann  die  Komponentensummen  nur  Funktionen  von  dem  Verhalten 
des  Schwerpunktes,  und  damit  wird  der  Körper  zum  materiellen  Punkt. 

Ein  Beispiel  für  das  entgegengesetzte  Verhalten  liefern  solche 
Reaktionskräfte,  deren  Komponenten  sich  nicht  mit  alleiniger  Hilfe 
der  Bedingungsgleichung,  auf  Grund  welcher  sie  eingeführt  sind, 
bestimmen  lassen,   sondern  auch   in  den  Flächensätzen   (ISO')  auf- 


§  14,     Oleichgewichtsbedingungen.  111 


treten,  also  von  der  Rotation  des  Körpers  abhängen.  Dies  findet 
z.  B.  bei  dem  Rollen  eines  Körpers  auf  einer  mit  gleitender  Rei- 
bung behafteten  Unterlage  statt.  Hier  wird  also  auch  bei  Dimensionen, 
die  gegen  alle  sonst  in  Betracht  kommenden  unendlich  klein  sind, 
der  Körper  niemals  als  ein  materieller  Punkt  zu  betrachten  sein.  — 
Setzt  man  in  dem  System  der  Bewegungsgleichungen  (1 30)  und 
(130')  die  sämtlichen  Geschwindigkeiten  gleich  Null,  so  werden  die 
Unken  Seiten  aller  Gleichungen  homogen  linear  in  den  sechs  Be- 
schleunigungen d^' Idt,  d\)' /dt,  dil Idt,  dV f dtj  dm' fdt,  dv! jdt. 
Hieraus  folgt,  daß  diese  Beschleunigungen  gleichzeitig  nur  dann  ver- 
schwinden können,  wenn  die  auf  den  rechten  Seiten  jener  Gleichungen 
stehenden  Komponenten-  und  Momentensummen  verschwinden.  Da 
nun  die  Komponenten-  und  Momentensummen  in  Bezug  auf  beliebige 
rechtwinkelige  Axen  nach  dem  oben  entwickelten  homogene  lineare 
Funktionen  von  den  dort  auftretenden  sind,  so  ergiebt  sich  als  not- 
wendige imd  hinreichende  Bedingung  des  Gleichgewichtes,  daß  in 
Bezug  auf  ein  beliebiges  Axensystem^^ 

Z=  r=^=i;  =  JIf=iV^=0  136) 

sein  muß.  Dabei  sind,  wie  oben,  Bedingungen,  welche  die  Beweglich- 
keit des  Körpers  vermindern,  durch  geeignete  Reaktionskräfte  aus- 
gedrückt zu  denken.  Die  Formeln  (136)  bilden  die  Grundlage  der 
gesamten  Statik  starrer  Körper*. 

Wir  knüpfen  hieran  eine  Bemerkung  über  die  inneren  Kräfte 
eines  starren  Körpers. 

Wären  die  Momenten-  und  Komponentensummen  der  inneren 
Kräfte  nicht  gleich  Null,  so  würden  im  Zustand  der  Ruhe  und  bei 
verschwindenden  äußeren  Kräften  die  Beschleunigungen  rfj'/d^, 
d)^' /dt,  di' Idt,  dV /dt,  dm' /dt,  du' j dt  nicht  gleich  Null  sein, 
es  würde  also  auch  nach  (120")  die  lebendige  Kraft  zunehmen.  Hierin 
würde,  wie  schon  auf  S.  103  hervorgehoben  ist,  ein  Widerspruch  mit 
der  Energiegleichung  liegen.  — 

Nach  den  Entwickelungen  auf  S.  79  und  80  kann  man  die 
sämtlichen  Bedingungen  des  Gleichgewichtes  durch  die  einzige  Formel 

^^  =  0  137) 

umfassen,  wo  SA  die  Arbeit  der  äußeren, Kräfte  bei  einer  virtuellen 
Verrückung  bezeichnet  Führt  man  die  Bedingungen,  denen  die  Be- 
weglichkeit des  starren  Körpers  unterliegt,  nach  der  Methode  von 
Laobanoe  ein,  so  kann  man  jedes  System  von  Verschiebungen  Jj, 
S\^j  8^  und  von  Drehungen  9\,  d'nt,  S'w  als  virtuell  betrachten  und 
gelangt  hierdurch  zu  Bedingungen,  welche  mit  (136)  äquivalent  sind. 


112  /.  Teü,    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap, 


Haben   die    äußeren   Kräfte    ein  Potential    0,    so   ergiebt  die 
Formel  (137) 
137')  (J0  =  O, 

und  da,  wenn  kein  Gleichgewicht  vorhanden  ist,  beim  Beginn  der 
Bewegung  aus  der  Ruhe  nach  (98') 

137")  rf0<O 

ist,  so  ist  nach  den  Betrachtungen  auf  S.  28  die  Bedingung  (137) 
äquivalent  damit,  daß  im  Fall  stabilen  Gleichgewichtes  0  ein  Mini- 
mum, in  demjenigen  labilen  Gleichgewichtes  0  ein  Maximum  ist  — 

Die  Beobachtung  der  Gleichgewichtslage  eines  um  eine  feste 
Axe,  sagen  wir  die  C-  resp.  Z-Axe,  drehbaren  Körpers  wird  in  der 
Praxis  bei  der  sogenannten  Drehwage  zur  Messung  von  Drehungs- 
momenten benutzt 

Sei  N{x)  ein  in  seiner  Abhängigkeit  vom  Drehungswinkel  ;^  be- 
kanntes Moment,  so  nimmt  der  Körper  bei  dessen  alleiniger  Ein- 
wirkung eine  Ruhelage  ein,  gegeben  durch 

Wird  jetzt  außer  JV  noch  ein  zweites  Moment  N^  ausgeübt,  und  ruht 
der  Körper  nun  in  einer  durch  Xi  gegebenen  Lage,  so  muß 

sein,  und  diese  Beziehung  drückt  iV'  durch  bekannte  Größen  aus. 

Das  bekannte  Drehimgsmoment  N  wird  in  der  Praxis  entweder 
durch  Aufhängung  des  Körpers  an  einem  Draht  oder  an  zwei  sehr 
dünnen  nahezu  widerstandslosen  Fäden  hervorgebracht 

Rührt  das  zu  messende  Moment  JV'  von  einer  einzigen  Kraft 
K^  her,  deren  Angriffspunkt  im  Abstand  A  von  der  Drehungsaxe 
liegt,  und  steht  Ä'  normal  zur  Axe  und  zu  A,  so  ist  iV^'  =  A  K\  wo 
A  der  Hebelarm  der  Kraft  heißt.  In  diesem  Falle  liefert  die  Be- 
stimmung von  N^  zugleich  die  von  K\ 

Bei  der  gewöhnlichen  Wage  geschieht  die  Messung  von  Kräften 
dadurch,  daß  man  neben  einem  unbekannten  Moment  N{x)  zwei  zu 
vergleichende  N^  und  JVg  anbringt;  diese  sind  entgegengesetzt  gleich, 
wenn  die  Ruhelage  des  starren  Körpers  dieselbe  ist,  wie  bei  alleiniger 
Einwirkung  von  N{x)'  Die  Momente  ä\  und  A^  werden  durch  die 
Gewichte  G^  und  G^  von  Massen  m^  und  m^  geliefert,  die  an  glei- 
chen Hebelarmen  angreifen;  Gleichheit  von  N^  und  N^  bedingt  also 

die  von  G\  und  G^,  oder  wegen  ff,,  =^  ^hff  ^^^^  ^^®  ^^^  ^\  ^^^  ^2' 
Hierauf  beruht  die  Bestimmung  von  Massen  mittels  der  Wage. 


§  15,     Wechselwirkungen  xwischen  starren  Körpern,  118 


§  15.    Konservative  Wechselwirkungen  zwischen  starren 

Körpern. 

Nach  der  Definition  (126')  ist  die  virtuelle  Arbeit  der  Wechsel- 
wirkung zweier  Körper  iw^  und  mj^ 

worin  die  Xj^j^ . . . ,  Xjch  ...  die  Komponenten,  die  X^^k  •  •  •  9  J^th  •  •  • 
die  Momente  der  Wechselwirkungen,  J|fe . . . ,  ^^^ . . ,  die  Verschiebungen 
der  Schwerpunkte  parallel  den  festen  Axen  X,  Y,  Z,  und  ä'Xj^..,, 
S'Xjc,,.  die  Drehungen  um  Parallele  zu  diesen  Axen  durch  die  be- 
züglichen Schwerpunkte  bezeichnen. 

Wir  wollen  untersuchen,  welche  Bedingungen  die  Kräfte  und 
Momente  erfüllen  müssen,  damit  ^'-^^  =  —  S(I>kkj  d.  h.  die  voll- 
standige  Variation  einer  nur  von  der  relativen  Lage  abhängigen 
Funktion  0^^^  =  0^^  ist  ^^ 

Das  Problem  hat  eine  ganz  spezielle  physikalische  Bedeutung, 
weil  die  Wechselwirkungen  zwischen  den  Molekülen  fester  Körper 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  zu  der  allgemeineren  Art  gehören,  auf 
die  uns  die  Betrachtimg  der  starren  Körper  geführt  hat,  so  daß  näm- 
lich das  eine  Molekül  auf  das  andere  nicht  nur  Komponenten,  son- 
dern auch  Drehungsmomente  ausübt  Daß  dabei  trotz  aller  Ver- 
änderungen, welche  durch  die  relative  Bewegung  der  Atome  eines 
Moleküls  bewirkt  werden,  gewisse  Richtungen  dauernd  ausgezeichnete 
bleiben,  zeigt  das  Verhalten  der  Krystalle. 

Die  relative  Lage  der  beiden  Körper  m^  und  tw^  ist  durch  sechs 
Variable  vollständig  bestimmt,  z.  B.  durch  den  Abstand  J?;^»  ihrer 
Schwerpunkte  und  die  fünf  Winkel,  welche  die  Orientierung  zweier 
in  den  Körpern  festen  Axensysteme  Aj^,  B^y  C^  und  A^  By,  C»  gegeur 
einander  und  gegen  die  Sichtung  von  E  festlegen.  Es  handelt  sich 
darum,  ^-^^^  auf  eine  solche  Form  zu  bringen,  daß  darin,  statt  der  in 
(138)  enthaltenen  zwölf,  nur  sechs  voneinander  unabhängige  Varia- 
tionen auftreten.  Dazu  benutzen  wir,  daß  SA^it  bei  Variationen, 
welöhe  die  relative  Lage  der  beiden  Körper  nij^  und  mi^  nicht  ändern, 
verschwinden  muß,  und  demgemäß  <^^  sich  dabei  nicht  ändern  darf. 

Eine  gemeinsame  Verschiebung  J  er  von  wi;^  und  wi*  ist  durch    - 

Voigt,  Tbeoretiache  Physik.  8 


114  J.  TnL    Mechamk  starrer  Körper,    IIL  Kap. 

gegeben;  soll  für  beliebige  Eichtung  und  Größe  von  Sa  stets  S*^kk  =  0 

sein,  so  muß  gelten 

138')  Xfck  +  Xjth  =  Yhk  +  ^hh  =  ^hh+^kh  =  0 . 

Eine  gemeinsame  Drehung  Sr  um  eine  beliebige  Axe  durch 
den  willkürlichen  Anfangspunkt  des  Systemes  X,  ¥j  Z  ist  ebenso  ge- 
geben durch 

sik^ CkS'fi  —  VkS'^,   3vk==ikS'v - ^s'x,    ä^^fjj.yx- iiS^fij 

Sollen  diese  Werte  ebenfalls  S^n^  zu  Null  machen,  so  muß 
gelten: 

I^k  +  -^kh  +  ZkJtflhic  —  ^hk^hk  —  0, 
^hk  +  ^kh  +  ^hkikk— ^hkVhk  =  0, 

worin  die  relativen  Koordinaten 

|a  —  1*  =  ^hk7      Vh  —  ^fc  =  Vhkj      Sa  "■  öfc  =  S*t 

gesetzt  sind. 

Aus  den  Formeln  (138")  folgt  unter  anderem,  daß,  wenn  die 
Resultante  der  Wechselwirkung  zwischen  m^  und  mjc  mit  der  Ver- 
bindungslinie Eh]c  ihrer  Schwerpunkte  parallel  ist,  die  Drehungsmomente, 
welche  mJ^  und  niu  um  parallele  Axen  erfahren,  entgegengesetzt  gleich 
sind,  und  dasselbe  gilt  umgekehrt 

Sind  speziell  die  Körper  wi^  und  wi^  identisch  und  symmetrisch 
gegen  eine  Ebene  gelegen,  so  muß  nach  Symmetrie  das  Moment  um 
die  Normale  zu  dieser  Ebene  verschwinden,  dagegen  das  Moment  um 
jede  Axe,  die  jener  Ebene  parallel  ist,  für  »1^  und  wijk  gleich  groß 
und  entgegengesetzt  gerichtet  sein;  hieraus  folgt  nach  (138"),  daß 
die  Resultante  der  Wechselwirkung  der  Verbindungslinie  der  beiden 
Schwerpunkte  parallel  sein  muß. 

Sind  dagegen  die  Körper  identisch  imd  mit  allen  entsprechenden 
Axen  einander  parallel,  so  müssen  nach  Symmetrie  die  Momente  um 
parallele  Axen  für  m^  imd  m^  gleiche  Größe  und  gleiches  Vor- 
zeichen besitzen. 

Die  Benutzung  von  (138")  ergiebt 

S'^.u  =  Jifc  {Sink  +  \Vkk[yvH  +  S'vk)  -  \Skk{^tJik  +  S'pL^)) 

+  rkk  iSfi,^  +  iCkki^n  +  n,)  -  ii,k  (^n  +  ^'n)) 

138"-)  ]  +Z„,{S^j,  +  \tnk  {^fik  +  S^lik)  -\nkk  {^n  +  d'X,)) 

+  \{Lnj,-LkKWh-S^h)  +  \[Mnk---Mj,n)[S^lin^Sr(ik) 

+  \[NHk'-NkH){Sfißn-9vu). 


§  15,     Wechselwirkungen  xwischen  starren  Körpern*  115 

Diese  Formel  läßt  b^Ahk  in  der  That  nur  von  sechs  Aggregaten 
der  zwölf  Variationen  abhängig  erscheinen,  die  man  durch  Yer- 
gleichung  mit  den  Formeln  [W^'")  geometrisch  deuten  kann. 

Existiert  ein  Potential  0^^  der  Wechselwirkung  zwischen  m^  und 
mit,  so  kann  man  nach  (188'")  wegen  S*A},it »  —  <¥  <^^  die  Kompo- 
nenten und  Momente  auf  folgende  Weise  bestimmen. 

Man  unterwirft  beide  Körper  beliebigen  Verschiebungen  und 
Drehungen,  die  nur  der  Bedingung  genügen,  daß 

nn  +  ^A*  =  9^1^  +  ^iii»  =  ^n  +  ^n  =  0 
ist;  dann  bestehen  die  Beziehungen 


r         r  ^^ftfc        M        M  ^^^t 


ö-. 


138"") 


Aus  diesen  Werten  folgen  mit  Hilfe  von  (138')  und  (138")  alle  ge- 
suchten Größen;  es  folgen  aus  ihnen  auch  durch  Elimination  von 
4^1;  die  Bedingungen,  denen  die  Komponenten  und  Momente  zu  ge- 
nügen haben,  damit  ein  Potential  der  Wechselwirkung  existiert  — 

Eine  durch  Symmetrie  ausgezeichnete  Darstellung  flir  die  Arbeit 
der  Wechselwirkung  zwischen  zwei  Körpern  erhält  man  durch  die 
Überlegung,  daß,  wenn  man  durch  den  Anfangspunkt  des  absolut 
festen  Koordinatensystemes  zwei  Axensysteme  Ä^y  J3^,  (^  resp.  ^t, 
-Bij  0\t  legt,  welche  bei  allen  Bewegungen  der  Körper  m^  und  m^ 
je  den  drei  in  diesen  festgelegten  Axensystemen  A^y  -B^j  Cn  resp. 
^ky  ^ki  Qc9  z.  B.  den  Hauptträgheitsaxen  durch  die  bezüglichen 
Schwerpunkte,  parallel  bleiben,  dann  die  relative  Lage  der  beiden 
Schwerpunkte  durch  die  zwei  Systeme  relativer  Koordinaten  Ä^jk?  hk,  Chk 
und  ajtn,  bkkj  <?kA9  ^on  denen  das  erste  sich  auf  die  Axen  A'^,  j5^,  C|^, 
das  letzte  auf  die  Axen  A^,  Bit,  C^  bezieht,  voUständig  bestimmt  ist 

Es  muß  demgemäß  möglich  sein,  d^Aj^j^  auf  die  Form  zu  bringen 

y-^hk  =  ^hkSaf^ic  + BUSbhk+ OlkSckk       \ 
+  ^kh^^kh  +  BihSbjtj^  +  Cij^Sc^j^j      J 

wo  die  S  die  durch  Verschiebung  und  Drehung  bewirkten  Änderungen 
der  relativen  Koordinaten  und  die  Af^j^, ...  zu  bestimmende  Funk- 
tionen sind. 

Um  letztere  zu  finden,  geht  man  am  besten  von  der  gesuchten 

8* 


116  /.  Tetl.    Mechanik  starrer  Körper.    III,  Kap, 


Form  (139)  aus  und  bringt  sie  durch  Eoordinatentransformation  auf 
die. primäre  Gestalt  (138). 

Bezeichnet  man  die  Änderung  von  a;^jt, . . .  durch  bloße  Ver- 
schiebung mit  ^flÄfc,  und  die  Drehungswinkel  des  Körpers  m^  um  die 
Axen  Aj^,  B^,  Cj^  mit  S'p^,  S*qj^y  S^Vj^j  so  wird 

Sbhu  =  S'bkk  +  Ckk  yph  —  CLhkS'rf,, 

und  ganz  analoge  Formeln  folgen  für  ^aj^A»  •  •  •  durch  Vertauschung 
von  h  mit  k  und  umgekehrt 

^flAfc,  (J'Äfck,  ^Cfck  sind  dabei  ersichtlich  die  Komponenten  der- 
selben relativen  Verschiebung  von  m^  gegen  m^  nach  den  Axen  A^j 
-Bfc,  Cfc,  deren  Komponenten  nach  X,  J",  Z  mit  #1^*,  ^i^Ak»  S^^  be- 
zeichnet sind.  Faßt  man  also  Alj^  ^hki  ^Ik  ^  Komponenten  eines 
Vektors  JT^  nach  ^4^,  J9i,  Ci  auf  und  bezeichnet  dessen  Komponenten 
nach  X,  Z,  Z  mit  Z,^  Y^  Zj^y  so  ist  ersichtlich 

139")    AUä^anu  +  £Ui'bHk+ClkS'c,u  =  XnS^nk+yKSfjf,j,  +  Z^dC,k. 

Femer  stehen  die  Komponenten  S'p^,  S'gj^,  J^r^  der  Drehung 
des  Körpers  m^  um  die  Axen  A^^,  B^,  C^  in  analoger  Beziehung  zu 
den  Drehungen  d^A^,  J*^^,  9v^  um  Parallele  zu  X,  F,  Z,  und  dem- 
gemäß erhält  man  leicht 

I(*AkCAfc  —   ChJcBhk)  S^Ph  +   (^Afc^Afc  —   «AkCXk)  ^Vä 
+  («Ak^;:k-*Ak^^k)5'r, 
H'lkkZn  -&klA)^AA+  (?AkX,  -l^k^A)  S^fiK  +  {ikk  Tn  -  r/AkX^)3'n. 

Dabei  besteht  ebenso,  wie  zwischen  den  resp.  Verschiebungs-  und 
Drehungskomponenten,  auch  zwischen  den  Komponenten  A^^j  Bi^^j 
Chk  und  Xhj  Yh,  Zh  ein  System  linearer  Gleichungen  mit  den  Kon- 
stanten 


139"") 


Ak 

A» 

Chk 

\ 

< 

< 

«,* 

Y, 

ßr" 

A* 

A* 

Zu 

n* 

y,* 

n" 

worin  die  c^,  /9*,  y'*   die  Eichtungscosinus   des  Systems  A^,  B^y  C^ 
gegen  das  System  X,  Y,  Z  bezeichnen. 

Stellt  man  die  entsprechenden  Formeln  nun  auch  f&r  die  Glieder 
mit  den  Indices  kh  auf,  so  erhält  man  schließlich,  da  |;^j^  =  |^  —  |^, 

IkA  =  Ik  ■"  Ia>  •••  ^^* 


§  15.     Wechselwirkungen  ^(Wtsehen  starren  Körpern,  117 


y^KM  ^{^H -^ic) Sin  +  {n  -  Yu) Sf!n+{Zn--Zj,)  S^ 
+(X,-X,)*|,+  (7,  -  rn)Sfi,  +  {Zj,  -  Zn)SZ^ 

HnfcnZ^-^hYu)SfhHU^i^-hnZj)S^l^i^+{iuKYu-ri^^ 
Die  Vergleichung  mit  (138)  ergiebt 


140) 


1400 


dies  Wertsystem  erfüllt  die  Bedingungen  (138')  und  (138")  identisch, 
rechtfertigt  somit  auch  indirekt  den  gemachten  Ansatz  (139). 

Die  vorstehenden  Formeln  gestatten,  wenn  S  A^^y^  in  der  voraus- 
gesetzten Gestalt  erhalten  ist  —  etwa  durch  ein  Potential  0^^,  welches 
in  den  a^^  h^^  c^^^  und  a^^  h^^  c^^  ausgedrückt  ist  —  aus  den^j^^,  . . . 
und  urffc*, ...  die  Komponenten  und  Momente  der  Wechselwirkungen 
zu  berechnen  und  ebenso  das  umgekehrte  Problem,  wenngleich  minder 
einfach,  zu  behandeln.  In  dem  Falle,  daß  die  Körper  identisch  und 
parallel  gelegen  sind,  also  Ln%  =  A&,  M^y,  =  AT^ä,  JVJ^i  =  N^^  ist, 
wird  Xä  =  —  Xfc,  Tä  =  —  Ji,  ^^  =  ^  Z^  und  Al^  ...  wie  Aln^ .  . . 
nehmen  direkt  die  Bedeutung  der  Hälfte  der  Komponenten  An^^ . . . 
resp.  -^tAj  •  •  •  d^r  ausgeübten  Kräfte  nach  den  Axen  A^^  B^j  C{,  an, 
die  ja  nun  mit  Ai^  JS^',  Oi,  parallel  sind. 

Die  vorstehenden  Formeln  führen  dann  auf 


SA  =  AnicSünu  +  BhkSbuu  +  CnicSc^k 
und 

''**^""^^'  ^''^^^k;.'  ^''^'^t^ 


140") 


Ein  sehr  allgemeiner  und  wichtiger  Fall  der  Wechselwirkung 
zwischen  zwei  Körpern  m^  und  m^  ist  der,  daß  die  einzelnen  Raum- 
elemente beider  als  materielle  Punkte  betrachtet  werden  können,  also 
körperliche  Elräfte  aufeinander  ausüben,  die  den  wirkenden  Massen 
proportional  und  im  übrigen  nur  Funktionen  der  wechselseitigen 
Entfernung  sind,  demgemäß  nach  S.  41  jedenfalls  ein  Elementar- 
potential von  der  Form  F{r^^dm^dm^  besitzen.  Hier  nimmt  dann 
das  Potential  der  gesamten  Wechselwirkung  die  Form 

^12=  ff  d^i^^2^ir,^)  141) 

an. 

Auch  die  Teile  eines  und  desselben  Körpers  üben  aufeinander 
Wirkungen,  welche  ein  Gesamtpotential  liefern;  schreibt  man  dasselbe 
aber  als  ein  Doppelintegral  in  der  Form  (141),  so  ist  der  Faktor  y, 


118  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap, 


beizufügen,  weil  bei  dieser  Darstellung  jede  Kombination  von  zwei 
Massenelementen  zweimal  berücksichtigt  ist  Bezeichnen  daher  dm 
und  drrC  Elemente  desselben  Körpers,  so  erhält  man  für  sein 
Potential  auf  sich  selbst 

141')  ([>'  =  \ffdmdm'F{r). 

0  resp.  0'  lassen  sich  nur  in  wenigen  Fällen  in  geschlossener 
Form  berechnen,  doch  bieten  mitunter  auch  Reihenentwicke- 
lungen anschauliche  Resultate.  So  z.  B.  in  dem  wichtigen  Falle, 
daß  die  Gestalten  beider  Körper  beliebig,  aber  ihre  Dimensionen 
sehr  klein  gegen  ihre  Entfernung  sind,  so  daß  man  F{rj^^)  nach  Po- 
tenzen der  Koordinaten  (jTj  —  |j),  (y^  —  tj^),  (Zj  —  fj)  resp.  (t,  —  |,), 
(y»  "^  ^s)>  (^2  ^  ^)  ^®^  Massenelemente  dm^  resp.  dm^  relativ  zu  den 
beiden  Schwerpunkten  entwickeln  kann. 

Wir  wollen  zunächst  nur  wegen  ar,,  y,,  z^  entwickeln,  also  die 
Wechselwirkung  zwischen  einem  Element  dm^^  und  dem  Körper  m^ 
berechnen.  Versteht  man  unter  e  die  Entfernung  des  Schwerpunktes 
l2>  ^2'  ^2  ^^^  rfmj,  so  erhält  man  bei  Beschränkung  auf  die  Glieder 
zweiter  Ordnung  und  bei  Rücksicht  auf  die  Definitionen  (120') 

(I>'=^dfn,fdm^F{r,,), 

=  dm,  [m,F{e)  +  \{H,  +  Z,  -  H,)^^^'^  +..  +  .. 

dies  läßt  sich,  wenn  M,   das  Trägheitsmoment  des  Körpers  m,  um 
die  Richtung  von  e  bezeichnet,  nach  (121)  auch  schreiben 


141') 


<P  =  dm,  [m,F{e)  +  i(E,  +  H,  +  Z,)^ 

-iM.ra=!-i^')]. 


Beschränkt  man  sich  auf  dieselbe  Annäherung  in  Bezug  auf 
den  Körper  m, ,  so  betriflFt  die  Entwickelung  in  Bezug  auf  ar^ ,  y^ ,  z^ 
in  (141')  nur  das  erste  Glied,  und  man  erhält  ohne  Rechnung,  wenn 
man  gleichzeitig  durch  (121"")  die  Hauptträgheitsmomente  einfahrt, 


141") 


0  =  mj  wi,  F{E) 

+  i^^h(^  +  Bt  +  r,)  +  ^(A,  +  B,  +  r,)] 

,  (d^F{E)        1  dF(E)\f      ^     .         ^  . 


§  16,    Molekulare  Theorie  der  Elastieität.  119 


Hierin  bezeichnet  E  die  Entfernung  der  Schwerpunkte  und  M^ 
resp.  M,  das  Trägheitsmoment  von  m^  resp.  m^  um  die  Richtung  von  K 

Die  ersten  beiden  Glieder  dieser  Formel  sind  Funktionen  von 
B  allein,  das  letzte  enthält  auBerdem  noch  seine  Richtungscosinus 
gegen  die  absolut  festen  Axen.  Indessen  ist  die  letztere  Abhängig- 
keit natürlich  nur  scheinbar  yorhanden. 

Drückt  man  nämlich  M/k  durch  die  Hauptträgheitsmomente  Aa, 
B/k,  fh  und  die  Richtungscosinus  a^,  ßhj  Yn  ^on  E  gegen  die  Haupt- 
trägheitsaxen  von  m^  aus,  setzt  also 

so  erkennt  man,  daß  alles  auf  das  absolut  feste  Koordinatensystem 
bezügliche  hinwegfaüt  Dabei  hat  Ea^j  ^ßiy  ^Yi  resp.  die  Bedeu- 
tung von  «12,  Äi2,  Cj,  und  Eo^,  Eß^y  Ey^  die  von  a^y  \^j  c,j  in 
den  obigen  Formeln  (139)  bis  (140"),  und  es  ist  zugleich 

^  =  «!,'  +  *.  ,*  +  ''i,*  =  «31*  +  *m'  +  c^j«; 
0i2  also  in  der  Seite  115  u.  f.  vorausgesetzten  Gestalt  erhalten. 

Man  kann  demgemäß  nun  auch  die  Gleichungen  (139'"')  und 
(HO')  zur  Berechnung  der  Komponenten  und  Momente  der  Wechsel- 
wirkung anwenden.  Die  Resultate  sind  sehr  kompliziert;  dagegen 
läßt  sich  aus  den  Formeln  (137')  und  (137")  ohne  alle  Rechnung  ein 
einfacher  Satz  über  die  Gleichgewichtslage  eines  jeden  der  beiden 
Körper  ableiten,  wenn  man  dieselben  je  im  Schwei^unkt  unterstützt, 
aber  übrigens  frei  bewegUch  denkt 

Ein  jeder  der  beiden  Körper  ist  nämlich  dann  im  stabilen  resp. 
labilen  Gleichgewicht,  wenn  er  mit  der  Hauptträgheitsaxe  größten 
resp.  kleinsten  Momentes  in  der  Richtung  der  Verbindungslinie  E 
der  beiden  Schwerpunkte  liegt,  und  zwar  entsprechen  sich  die  beiden 
Angaben  direkt,  wenn  der  Faktor  von  (w^Mj  +  mjMi)  positiv, 
indirekt,  wenn  er  negativ  ist 

In  dem  Falle,  daß  die  wechselwirkende  Kraft  die  Gravitation 
ist,  hat  F{E)  den  Wert  —fjEy  der  bezügliche  Faktor  wird  daher 
'-\fjE^j  und  demgemäß  giebt  hier  die  Axe  kleinsten  Trägheits- 
momentes stabiles  Gleichgewicht 

§  16.    Molekniare  Theorie  der  Elastieität. 

Mit  den  Entwickelungen  des  vorigen  Abschnittes  steht  eine 
Theorie  im  nächsten  Zusammenhang,  deren  Ziel  ist^  die  in  elastischen 
deformierten  Körpern  herrschenden  Druckkräfte  aus  Wechsel- 
wirkungen zwischen  ihren  Molekülen  zu  erklären.  ^^) 


120  /.  TetL     Mechanik  starrer  Körper,    III.  Kap. 


Dieselbe  geht  von  der  Vorstellimg  aus,  daß  ein  elastischer  Ery- 
stall,  der  den  allgemeinsten  Fall  eines  homogenen  elastischen  Körpers 
repräsentiert,  im  natürlichen  oder  undeformierten  Zustand,  d.  h^ 
wenn  er  weder  körperliche,  noch  Oberflächendruckkräfte  erfährt 
und  überall  dieselbe  Temperatur  besitzt,  gebildet  ist  durch  eine  sehr 
große  Zahl  gleicher,  regelmäßig  yerteilter  und  mit  ihren  korrespon- 
dierenden Axen  parallel  gelegener  Elementarteile,  die  man  fiir  die 
Zwecke  dieser  Entwickelung  als  starre  Körperchen  denken  kann, 
und  die  sich  unter  ihrer  Wechselwirkung  im  Gleichgewicht  befinden. 
Ob  diese  Elementarteile  direkt  Moleküle  der  Substanz  oder  Gebilde 
höherer  Ordnung  sind,  ist  ohne  Belang. 

Im  deformierten  Zustand  ist  jedes  von  ihnen  yerschoben  und 
gedreht,  und  wir  nehmen  an,  daß  diese  Änderungen  unendlich  klein 
und  stetige  Funktionen  der  Koordinaten  sind. 

Wir  konstruieren  nun  an  der  Stelle  x,  y,  z  ein  Flächenelement 
und  über  demselben  einen  normalen  Cylinder  vom  Querschnitt  q; 
die  Richtung  der  Cylinderaxe  bezeichnen  wir  durch  n  und  rechnen 
sie  nach  Innen  positiv,  die  Komponenten  aller  Wirkungen,  welche 
die  Teilchen  jenseits  des  Flächenelementes  auf  die  Teilchen  inner- 
halb des  Cylinders  ausüben,  bezogen  auf  die  Einheit  des  Quer- 
schnittes, nennen  wir  die  Komponenten  des  molekularen 
Druckes  gegen  das  an  der  Stelle  x,  y,  z  gelegene  und  durch  die 
Normale  n  definierte  Flächenelement  ®^ 

Wir  können  sonach  in  leicht  verständlicher  Bezeichnung  schreiben 

142)  j;  =  i-^^j*«,    j„  =  -i^^i;..,   ^,  =  1^^^,,, 

9     i     a  9     i     a  ^     i     a 

worin  mit  i  die  Teilchen  innerhalb  des  Cylinders,  mit  a  die  Teilchen 
jenseits  des  Flächenelementes  bezeichnet  werden.  Da  die  Wirkungen 
molekulare  sind,  so  erstrecken  sie  sich  in  merklicher  Stärke  nur  auf 
unmerkliche  Entfernung;  innerhalb  der  Sphäre  ihrer  Wirkung  soll 
aber  trotzdem  eine  sehr  große  Anzahl  von  Teilchen  liegen.  Ihre 
Koordinaten  mögen,  da  die  Teilchen  unendlich  klein  sind,  und  eine 
Unterscheidung  verschiedener  Punkte,  z.  B.  des  Schwerpunktes,  in 
ihnen  demgemäß  keinen  Sinn  hat,  wie  bei  einzelnen  Massenpunkten 
durch  x^  y^  z^  und  jr«,  y«,  Za  bezeichnet  und  ihre  relativen  Koordinaten 

^i  —  ^o  =  Xiay      Vi—ya^  Via^       ^i  —  Za  =^  Zia 

gesetzt  werden. 

Die  in  (142)  auftretenden,  eigentlich  sechsfachen  Summen,  die  f6r 
uns  zunächst  nur  den  Sinn  von  ßechnungsgrößen  haben  und  erst  später 
physikalische  Bedeutung  gewinnen  werden,  lassen  sich  auf  dreifache 


§  16,    Molekulare  Theorie  der  Elastieität  121 


reduzieren.  Bezeichnet  v  die  Anzahl  der  Elementarteilchen  inner- 
halb der  Yolumeneinheit,  so  kommt  in  jedem  der  Ausdrücke  (142) 
eine  Kombination  m«  77ia  in  bestimmter  relativer  Lage  so  oft  vor,  als 
in  dem  Abschnitt  des  Cylinders  vom  Querschnitt  q  und  einer  Höhe 
gleich  der  parallel  n  gemessenen  relativen  Koordinate  n'  von  m,-  gegen 
nia  Teilchen  liegen,  also  vqn^  mal.    Demgemäß  können  wir  schreiben 

X^^^v^n'T,    Y^^v2'iiT,    Z^^v^'n'Z',  142^ 

wo  nun  die  Summation  2^  über  alle  möglichen  Kombinationen  von 
Teilchen  m^  und  ma  auszudehnen  ist,  doch  so,  daß  jede  einer  be- 
stimmten relativen  Lage  entsprechende  Kombination  nur  einmal  zu 
nehmen  ist  Dies  kommt  darauf  hinaus,  daß  ein  in  der  Grenzfläche 
gelegenes  Teilchen  mi  mit  allen  auf  der  negativen  Seite  von  q  ge- 
legenen rria  kombiniert  werden  soll. 

Die  Summen  (142')  lassen  sich  noch  umgestalten.  Da  jedes 
Elementarteilchen  in  gleicher  Weise  von  den  anderen  innerhalb  der 
Wirkungssphäre  liegenden  umgeben  sein  soll,  so  muß  auch  jeder 
Kombination  mit  den  relativen  Koordinaten  x\  y\  z'  und  n'  sich  eine 
entsprechende  mit  den  Koordinaten  —x\  —y',  —  z'  und  —  n'  zuordnen, 
welche  nach  der  Gleichheit  von  Wirkung  und  Gegenwirkung  ent- 
gegengesetzt gleiche  Komponenten  —X\  —Y\  ^Z^  liefern  muß. 

Daher  kann  man  auch  setzen 

und  die  Summen  über  alle  auf  ein  an  der  Stelle  x,  y,  z  liegendes 
Teüchen  ausgeübten  Molekularwirkungen  erstrecken. 

Die  Größe  dieser  Druckkomponenten  hängt  außer  von  der  Lage 
des  Punktes  x,  y,  z  und  der  Richtung  der  Normalen  n  von  der  An- 
ordnung der  Elementarteilchen  des  Krystalles  ab,  die  bei  jeder  De- 
formation im  allgemeinen  verschieden  sein  wird.  Im  natürlichen 
Zustand  setzen  wir  diese  Summen  für  jede  Stelle  und  jede  Normalen- 
richtung gleich  Null,  eine  Annahme,  die  im  Eingang  des  nächsten 
Teiles  ausführlicher  begründet  werden  wird. 

Wählt  man  für  die  Richtung  n  successive  die  Richtung  der 
+X-,  +Y'j  -h^Axe,  so  erhält  man  neun  spezielle  Druckkomponenten 

^Xi     ^«>    ^«J    ^y^     YyJ    ^y>    -^.>     ^,>    ^«J 

dabei  ist  zum  Beispiel 

worin   x\  y\  £   die   relativen   Koordinaten   des   einen   angezogenen 


122  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap. 


gegen  alle  die  anziehenden  Teilchen  und  X\  Y\  Z^  den  die  letzteren 
entsprechenden  Komponenten  bezeichnen. 

Aus  den  gegebenen  Definitionen  folgen  sogleich  die  Formeln 

X^  =  X^  cos  (n,  x)  +  Xy  cos  (7i,y)  +  X,  cos  (w,  z), 

143')  .  r^  =  r„co8(n,x)  +  ryCOs(n,y)  +  i;co8(«,z), 

.^«  =  ^„<^s(»i,ar)  +  ^j^C08(«,y)  +  ^,co8(n,z), 

und  aus  ihnen   als   spezieller  Fall  für  zwei  entgegengesetzte  Bich- 
tungen  Ton  n 

143")  ^  =5  —  X»„,    1^  =  —  JT-^,   ^„  s=s  —  ^_„. 

Für  die  weitere  Entwickelung  denken  wir  den  Körper  im  defor- 
mierten Zustande  befindlich  und  mit  u,  v,  w  die  Verschiebungen,  mit 
ly  m,  n  die  Drehungen  seiner  Teilchen  bezeichnet^  beide  auf  das  System 
Xj  Y,  Z  bezogen.  Die  «,  v,  tr,  welche,  so  lange  der  Zusammenhang  des 
Körpers  nicht  gestört  ist,  notwendig  stetige  Funktionen  der  Koordi- 
naten sein  müssen,  entwickeln  wir  innerhalb  des  Bereiches  der  Mole« 
kularwirkung  nach  Potenzen  der  relativen  Koordinaten  und  erhalten, 
indem  wir,  wie  oben  kurz 

Xi  —Xa  —  x\  yi-^y^  ^  y\  z^^  z^^  z\ 
auch 

144)  Mi  --  Ua  ==:  u\   t?|  —  »a  =  v\    tOi  ---  Wa  ^  to' 

setzen,  als  erste  Annäherung 

,/       V  ^**  J-  •/  ^**  _L  ^'  ^** 

1440  I  «  ^^d^  +  yäiT  +  '^äü:' 

ox       ^   oy  d% 

Auch  /,  m,  n  betrachten  wir  als  stetige  Funktionen  der  Koordinaten 
und  dürfen  uns  hier,  wie  die  Folge  zeigt,  mit  dem  niedrigsten 
Grad  der  Annäherung  begnügen  xmd  /,  m,  n  innerhalb  des  Bereiches 
der  Wirkungssphäre  konstant  setzen. 

Demgemäß  legen  wir  durch  den  Anfangspunkt  des  absolut  festen 
Systemes  X,  JT,  Z  ein  zweites  Koordinatensystem  Ä^  5,  (7,  welches  im 
ursprünglichen  Zustand  mit  X,  Y^  Z  zusammenfällt,  aber  bei  der  De- 
formation sich  mit  den  Elementarteilchen  dreht 

Die  auf  dies  System  bezogenen  Koordinaten  von  m,-  und  m^  seien 
cLij  biy  Ci  und  fla,  Äfl,  c«;  wir  setzen  wie  oben 

144")  H^-^  aa==  Oiaj      *<  —  *a  =  *<a>      <^«  -^  <?«  =  Cj«, 


§  16.    Malekuiare  Theorie  der  Eaastieität  128 


und  in  dem  spezidilen  Falle,  dafi  nur  ein  angezogenes  Teilchen  mi 
mit  allen  m«  kombiniert  wird, 

CLia  =  a',      bia  =  b\      Cia  =  c\  144'") 

IEa  ist  dann  das  Potential  ^>  der  Wechselwirkung  nach  dem  Inhalt 
des  vorigen  Abschnittes  nur  eine  Funktion  von  a\  b\  c\  und  es  gilt 
fbr  die  parallel  Äj  B,  C  genommenen  Komponenten 

^•--1?.  ■»•=-!?. '^--I?.       •«) 

und  weiter  einerseits 

a'  =  ar'  +  y*n  —  s^m^     ar'  »  a'  —  Vn  +  c'wi,    \ 

c'  =  z'  +  x'm  —  y'ly      z'  =^c'  --  <£m  +  ä7,     j 

andererseits  ein  gleiches  System  Formeln  fllr  die  Komponenten  A\  B\ 
C  und  X\  r,  Z\ 

Diese  Werte  mögen  sich  auf  den  deformierten  Zustand  be- 
ziehen^  f&r  den  natürlichen  mögen  dieselben  Buchstaben  mit  dem 
Index  0  versehen  werden;  es  ist  dann  zugleich 

«i  =  x\  Vq  =  y\  cj>  s=  /  und  /^  =  m^  «  w^  =  0. 

Bezeichnen  wir  die  Komponenten  der  Verschiebungen  na^^h  dem 
System  Äy  By  C  mit  fy  g^  A,  die  relativen  Verschiebungen  mit  /!«,  gi^y  Ka 
oder  in  dem  oben  erörterten  speziellen  Falle  mit  f\  g\  h\  so  wird 

außerdem,  da  0,  und  somit  Ä\  By  CP  nur  von  a\  b\  c'  abhängen, 


1460 


zugleich  ist  unter  Vernachlässigung  der  Glieder  zweiter  Ordnung 

y  :=ü'  +4/  ~«o»,    [  146") 

A'  =  tr'  +  fltowi  —  *o^,    J 

oder  unter  Bücksicht  auf  (144^) 

^-4(U-«)  +  %U  +  c|,(|j  +  /),      I         146'") 


ÖX 


124  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap, 

Setzt  man  die  Werte  (146'")  in  (146)  und  das  Resultat  in  das 
zweite  System  (145')  ein,  so  erhält  man: 


147) 


Femer  giebt  die  Kombination  der  unter  Benutzung  von  (146'")  be- 
rechneten Ausdrücke  (146')  flir  J!,  ff  C"  mit  dem  auf  die  Eraft- 
komponenten  bezogenen  zweiten  System  von  (145')  die  definitiven 
Werte  von  Z',  F,  ZT. 

Endlich  findet  man  durch  eine  einfache  geometrische  Betrach- 
tung die  Beziehung  zwischen  der  Anzahl  v^  der  Teilchen  in  der 
Volumeneinheit  vor  der  Deformation  und  der  v  nach  derselben: 

Damit  sind  alle  zur  Berechnung  der  Druckkomponenten  X^,  ...,  ^, 
nach  (143)  nötigen  Größen  erhalten. 

Bei  der  Bildung  dieser  Werte  hat  man  zu  berücksichtigen, 
daß  l^nij  n  und  die  Differentialquotienten  von  Uj  Vj  w  innerhalb  des 
Summationsbereiches  konstant,  überdies  unendlich  klein  erster  Ord- 
nung angenommen  sind.  Man  gelangt  dann  auf  zwei  Gattungen 
von  Summen. 

Die  erste  Gattung  hat  die  Form 


2   O^O^O?         2 


^  b  '^o  ^0  ?      "a"  b  ^*o  >  ^'  ^*  ^*  > 


die  Summen  in  dem  Sinne  genommen,  wie  in  (142')  festgestellt  ist; 
sie  stellen,  da  der  Index  ^  auf  den  ursprünglichen  Zustand  hinweist, 
und  da  in  diesem  die  Axen  ^,  J?,  C  mit  den  Axen  J,  Z,  Z  zusammen- 
fallen, die  Werte  der  Molekularkomponenten  X^, . . .  Z^  im  natür- 
lichen Zustand  dar  und  sind  demgemäß  gleich  Null.  Durch  diese 
Überlegung  reduziert  sich  die  Anzahl  der  Glieder  in  den  allgemeinen 
Werten  X  , ...,  ^,  erheblich. 

X'  'S 

Die  zweite  Gattung  von  Summen  hat  die  Form 

2  ö  öa'o    0  '     2  ö  ö6i  ^0^0 >  ^-  8- 1-, 
welche  sich  nach  Einfuhrung  des  Potentials  auch  schreiben  läßt: 

_^QÖ^q^»2       __?^LQ_?!_^q_J'c'       USf 

2   O  da»^t  ^0  J  2   O  öai  ÖÄi     0  0 '  ^-  ^'  ^• 

Diese  Summen  sind  von  der  hervorgebrachten  Deformation  ganz 


§  16.    Molekulare  Theorie  der  Elasticität 


125 


unabhängig  und  bestimmen  sich  allein  durch  das  Gesetz  der  Wechsel- 
wirkung und  die  Anordnung  der  Elementarteilchen  der  Substanz: 
sie  sind  also  dem  Medium  individuelle  Konstante.  Wir  bezeichnen 
sie  mit  CÜ,  wobei  die  unteren  Indices  auf  den  Nenner  des  Differen- 
tialquotienten, die  oberen  auf  seine  Faktoren  hinweisen;  z.  B. 
ist  hiemach 


6*0 


—   ^81    — 


^81 


1470 


Die   neun   Komponenten  X^  ...  Z^  stellen    sich    als  homogene 
lineare  Funktionen  der  neun  Argumente 


du 
dx  ' 


du 


+  n, 


du 

dx. 


—  m, 


dv 
dx 


—  w, 


dv       dv 


dy  '  d% 


+  1, 


dv) 
dx 


+  wi, 


dw 
dy 


-i, 


dw 
1^ 


dar,  die  sich  aus  den  Verschiebungen  u,  v,  w  und  den  Drehungen 
^  m,  n  an  der  betrachteten  Stelle  ableiten. 

Das  System  von  Faktoren  dieser  Funktionen  stellt  sich  in  der 
obigen  Bezeichnung  folgendermaßen  dar. 


du(du  ,     \(du         \\(dv         \dv(dv    ,    j\\[dw  ^      \(dy>       ,\ 


dw 
di: 


~K 

cv 

\     c\\ 

c\\ 

<^\\ 

^12 

o\\ 

o\\ 

G\\ 

C\\ 

-^ 

c\, 

\     c\\ 

G\\ 

c\\ 

/T2  2 

c\\ 

C\\ 

C\\ 

c\\ 

-^, 

o\\ 

1    c\\ 

C\\ 

o\\ 

^12 

^12 

c\\ 

o\\ 

0\\ 

-Y, 

<^i, 

\       G\\ 

o\\ 

o\\ 

QX1 
^22 

^22 

o\\ 

^28 

c\\ 

-^, 

c\\ 

\     c\\ 

C\\ 

c\\ 

^22 

^28 
^22 

c\\ 

/T22 

^28 

c\\ 

-Y, 

c\\ 

1       nt% 

1     ^i\ 

c\\ 

c\\ 

^22 

A>88 

^22 

G\\ 

^78 

o\\ 

-K 

c\\ 

9\\  . 

c\\ 

/Tri  2 

^82 

^82 

^ii 

^88 

o\\ 

-^. 

c\\ 

'       G\\ 

c\\ 

c\\ 

/nr2  2 
^82 

/>28 
^82 

c\\ 

^22 
^^88 

o\\ 

-2, 

o\\ 

\     o\\ 

c\\ 

c\\ 

/^8  2 
^82 

'^82 

c\\ 

/T82 
^88 

c\\ 

148) 


Zu  diesem  Schema  ist  zu  bemerken,  daß  es  sich  nur  auf  die 
Abhängigkeit  der  X^...Z^  von  den  du/dx  ...  dw/dz  imd  nicht 
auch  auf  die  umgekehrte  bezieht 

Da  nach  (147')  das  System  der  C^n  zu  der  Diagonalen  des 
vorstehenden  Schemas  symmetrisch  angeordnet  ist,  so  giebt  es  eine 
homogene  Funktion  I"  zweiten  Qrades  der  oben  stehenden  neun 
Argumente,  welche  die  Eigenschaft  hat,  daß 


126  /.  Teil    Meehamk  starrer  Körper.    IIL  Kap. 

Y  dF'  Y  BF'  Y  ^^' 


Durch  ganz  analoge  Ausdrücke,  wie  sie  in  (142")  ftlr  die  Kom- 
ponenten der  Molekulardrucke  aufgestellt  sind,  kann  man  nun  auch 
molekulare  Momente  Z^,  M^j  iV^  definieren;  nach  den  Formehi 
(138")  sind  aber,  wenn  die  Entfernungen,  in  welche  die  Elementar- 
teilchen überhaupt  wirken,  nur  unmerklich  klein  sind,  die  Momente 
um  eine  Ordnung  höher  unendlich  klein,  als  die  Komponenten,  und 
ihr  Einfluß  im  allgemeinen  —  die  nicht  wahrscheinlichen  Fälle  aus- 
geschlossen, wo  in  den  Summen  die  Komponenten  sich  gegenseitig 
zum  größten  Teil  zerstören  —  neben  dem  jener  zu  vernachlässigen. 

Sind  diese  Momente  unendlich  klein  und  wirken  äußere  Kräfte 
nicht  drehend  auf  die  Elementarteile  ein,  was  der  gewöhnliche  Fall 
ist,  dann  besteht,  wie  später  aus  allgemeinen  mechanischen  Sätzen 
abgeleitet  werden  wird,  zwischen  sechs  der  neun  Druckkomponenten 
ganz  allgemein  das  Formelsystem 

148')  Y^^z.   z^^x.   x„=r. 

Dieses  System  kann  dazu  dienen,  die  Drehungskomponenten 
/,  m,  n  der  Elementarteilchen,  als  direkt  nicht  wahrnehmbare  Größen, 
aus  den  Resultaten,  welche  das  Schema  (148)  enthält,  zu  eliminieren, 
und  X^, . . .  Xy  —  andererseits  aber  auch  die  Molekulardrehungen 
/,  TW,  »  selbst  —  nur  durch  die  äußerlich  am  deformierten  Körper 
wahrnehmbaren  Verrückungen  u,  r,  w  auszudrücken. 

Diese  Elimination  ist  zwar  umständlich,  aber  ohne  alle  prin- 
zipielle Schwierigkeit,  und  liefert  folgende  wichtige  Resultate. 

Die  sechs  unabhängigen  Druckkomponenten  X^  Y  ^  Z ,  Y .  Z  ,  X 
werden  homogene  lineare  Funktionen  nur  allein  der  sechs  Argumente 

r*-"^«'   ä^-y»'  a*-^" 

dx'^dy'^y^'      Wi'^dl^^^^    di'^'di^^v' 
welche   die   Deformationsgrößen   an   der  Stelle    ar,  y,  z   heißen, 
und  sie  genügen  den  Formeln 

148'")  ^A'.^^.^y      ^  =  ^ 

'  dx..        dx^^      dx.        dx  ^ 


welche  die  Bedingungen  dafür  sind,  daß  sich  die  X^, . . .  X  als  par- 
tielle DiiTerentialquotienten  einer  Funktion  F  von  diesen  sechs  Ar- 
gumenten ausdrücken  lassen,  gemäß  den  Beziehungen 

148'")  ^.=  -||, ^,=  -||- 


§  16.    Molekulare  Theorie  der  EiasHeäät 


127 


Bezeichnen  wir  die  21  Eonstanten  dieser  homogenen  Funktion  zwei- 
ten Grades  mit  e^jt »  Cf^Ky  so  gilt  folgendes  System  von  Faktoren  fttr 
die  Abhängigkeit  der  X,, . . .  X^  Ton  den  ar  . . . .  :r  ,  aber  nicht  um- 
gekehrt. 


*. 

y» 

*. 

y. 

', 

'y 

-^. 

«^u 

«1. 

«'ij 

«14 

«If 

«16 

-^. 

«M 

''m 

S» 

«84 

«86 

«86 

-^. 

«^»X 

«"ss 

«^8» 

«84 

«8« 

«86 

-^. 

C« 

c« 

C« 

«44 

«46 

«46 

-z> 

«81 

«.» 

<^63 

««4 

«66 

«66 

-^. 

«^61 

«"as 

«68 

«84 

«66 

«66 

149) 


Die  Drehungskomponenten  ly  m^  n  werden  lineare  Funktionen 
von  allen  neun  partiellen  Differentialquotienten  der  «,  Vy  w,  oder 
anders    ausgedrückt,    sie    enthalten    außer    den    sechs   Argumenten 


x' 


.  .  X    auch  noch  die  Kombinationen 


welche,  wie  leicht  direkt  nachzuweisen  ist  und  später  noch  besonders 
gezeigt  werden  wird,  die  Drehungskomponenten  des  Yolumenelementes 
an  der  Stelle  or,  y,  z  im  ganzen  bezeichnen  und  von  seiner  Defor- 
mation unabhängig  sind. 

Von  den  höchst  allgemeinen,  durch  das  Schema  (148)  angedeu- 
teten Formeln  gelangt  man  zu  einem  spezielleren  System,  wenn  man 
die  beschränkende  Annahme  macht,  daß  die  Wechselwirkungen  zwi- 
schen den  Elementarteilchen  nur  Funktionen  ihrer  Entfernungen 
sind,  also  nach  allen  Seiten  hin  gleichmäßig  stattfinden.  Dann  ist, 
wie  sich  leicht  durch  Rechnung  zeigen  läßt: 


ö«  <P      a«  <P 


d*0 


V :  .  .  .   =  a'* :  a'  Ä' :  a'  c'  .  .  .  ; 


150) 


öa*«  •  da'db'  '  da' de 
in  Folge  dieser  Beziehungen  wird  in  dem  Schema  (148) 

(t\  =  C^i  =  er*"  =  . . .  150') 

d.  h^  man  darf,  ohne  den  Wert  von  C  zu  ändern,  die  Tier  Indices 
untereinander  beliebig  yertanschen. 

Diese  Eigenschaft  Ycreinfacht  das  System  (148)  außerordentlich; 
es  Tersdiwinden  aus  ihm  von  selbst  die  Drehungskomponenten  /,  m, 
n  der  Elementarteilchen,  die  hierin  derThat  auf  die  Wechselwirkungen 
keinen  Einfluß  haben  können,  und  die  neun  Differentialquotienten  der 


128  /.  TßiL    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap, 


»,  Vy  w  verbinden  sich  zu  den  sechs  Aggregaten  x^j , , ,  x  in  (148"), 
zugleich  werden  von  selbst  die  Formeln  (14&')  und  (148'")  erfüllt; 
außerdem  aber  wird  in  X^  der  Faktor  Yon  y,  gleich  demjenigen  Yon 
X  in  X,  u.  s.  f.,  was  sich  auch  so  ausdrücken  läßt,  daß  die 
zweiten  Difierentialquotienten  yon  F  nach  den  Deformationsgrößen 
stets  das  gleiche  Resultat  liefern,  wenn  die  vier  im  Nenner  auftreten- 
den Buchstaben  die  gleichen  sind,  so  daß  also  gilt 

150  )  5 5—  =  ^ 5—    U.  8.  f. 

Das  so  entstehende  System  von  Molekulardrucken  stimmt  mit 
dem  Schema  (149)  überein,  wenn  man  dort 

setzt,  hat  also  nur  15  unabhängige  Faktoren  und  gilt,  wie  gesagt, 
nur  dann,  wenn  die  Elementarwirkungen  nicht  mit  der  Sichtung 
variieren,  die  Elementarteilchen  also  den  Charakter  von  materiellen 
Punkten  haben.  ®^) 

Die  Systeme  (148)  und  (149)  stellen  die  allgemeinsten,  aus  den 
gemachten  Annahmen  ableitbaren  Resultate  dar;  sie  gelten  f&r  Kry- 
stalle  jedes  Systemes,  nehmen  aber  für  bestimmte  von  ihnen,  und 
gar  für  isotrope  Medien,  erheblich  einfachere  Formen  an.  Für  die 
Gewinnung  derselben  kommen  gewisse  allgemeine  Grundsätze  in  Be- 
tracht, deren  Darlegung  nunmehr  vorgenommen  werden  soll. 


§17.    Die  Einfahnmg  der  Symmetrieelement^  in  physikalische  Oe- 

setse,  welche  sich  auf  Krystalle  besiehen. 

Überall,  wo,  wie  in  dem  vorigen  Paragraphen,  eine  allgemeine 
Entwickelung  zu  Resultaten  geführt  hat,  die  f&r  jeden  homogenen 
Körper  in  gleicher  Weise  gültig  sind,  bietet  sich  die  Aufgabe,  die- 
selben für  die  einzelnen  ErystaUgruppen  nach  den  diese  auszeichnen- 
den Eigenschaften  zu  spezialisieren. 

Für  diese  Aufgabe  wird  stets  die  auf  die  Erfahrung  gegründete 
fundamentale  Hypothese  benutzt,  daß  die  Symmetrie  des  physika- 
lischen Verhaltens  nie  geringer  ist,  als  die  Symmetrie  der  Wachs- 
tumserscheinungen, die  sich  meist  in  derjenigen  der  Ery  stall- 
form ausdrückt,  so  daß  also  krystallographisch  gleichwertige 
Richtungen  jedenfalls  auch  physikalisch  gleichwertig  sind. 


§  17.    KrystctUographische  Sf^mmeirieelemente,  129 


Die  krystaUographischen  Symmetrieelemente  sind  Symmetrie- 
centrum,  Symmetrie-  oder  Spiegelungsebene,  Symmetrieaxe,  Spiegel- 
dreh-  oder  kurz  Spiegelaxe. 

Ein  Symmetriecentrum  ist  ein  Punkt  von  der  Eigenschaft^ 
daß  die  Vertauschung  aller  Yon  ihm  ausgehenden  Eichtungen  mit 
den  entgegengesetzten  (Inversion)  das  Erystallpolyeder  mit  sich  selbst 
zur  Deckung  bringt 

Eüne  Symmetrieebene  ist  eine  Ebene,  in  Bezug  auf  welche 
gespiegelt  das  Polyeder  mit  sich  zur  Deckung  kommt 

Eine  Symmetrieaxe  ist  eine  Axe  Yon  der  Eigenschaft,  daß 
eine  Drehung  um  dieselbe  das  Erystallpolyeder  mit  sich  zur  Deckung 
bringt  Ist  2  9r/n  der  kleinste  der  Axe  entsprechende  Drehungs- 
winkel, so  haben  alle  Drehungswinkel  2nhl  rijwo  h  =  1,  2,  ...n—  l,n 
ist,  die  gleiche  Eigenschaft,  und  die  Axe  heißt  n-zählig.  Krystallo- 
graphisch  möglich  sind  nur  die  Fälle  n  »  2,  3,  4  und  6. 

Eine  Spiegeldrehaxe  ist  eine  Axe  Ton  der  Eigenschaft,  daß 
durch  eine  Drehung  um  dieselbe  und  eine  folgende  Spiegelung  in 
Bezug  auf  eine  zu  der  Axe  normale  Ebene  das  Polyeder  mit  seiner  ersten 
Position  zur  Deckung  gelangt  Ist  n  /  n  der  kleinste  Drehungswinkel, 
welcher  dieses  leistet,  so  haben  Drehungen  um  (2A+  l)7r/2n  für 
A  =  1,  2  . . .  n  —  1  dieselbe  Eigenschaft,  und  die  Axe  heißt  n-zählig. 
Krystallographisch  möglich  sind,  was  hier  zu  beweisen  nicht  nötig 
ist,  nur  die  Fälle  n=^2  und  3. 

Zwei  Symmetrieaxen  oder  zwei  Spiegeldrehaxen  sind  gleich- 
wertig, wenn  es  gelingt,  das  Polyeder  dadurch  mit  sich  zur  Deckung 
zu  bringen,  daß  man  die  eine  dieser  Axen  in  die  Richtung  bringt, 
in  der  ursprünglich  die  andere  Axe  lag.  Symmetrieebenen  sind 
gleichwertig,  wenn  man  das  Polyeder  dadurch  mit  sich  zur  Deckung 
bringen  kann,  daß  man  es  mit  der  einen  Symmetrieebene  in  die- 
jenige  Ebene  legt,  welche  ursprünglich  die  andere  Symmetrieebene 
enthielt 

Drei  zueinander  normale  gleichwertige  Axen  heißen  cyklisch 
Ter  tauschbar,  wenn  man  das  Erystallpolyeder  dadurch  mit  sich 
zur  Deckung  bringen  kann,  daß  man  die  Sichtung  der  drei  Axen, 
die  in  gewöhnlicher  Reihenfolge  gerechnet  mit  X,  T,  Z  bezeichnet 
werden  mögen,  so  verändert,  daß  T,  Z,  X  oder  Z,  X^  T  in  die  ur- 
sprünglichen X,  r,  Z  fällt 

Die  an  einem  Erystallpolyeder  überhaupt  möglichen  Symmetrie- 
elemente sind  keineswegs  sämtlich  voneinander  unabhängig.  Schon 
in  dem  Torstehend  Angegebenen  tritt  dies  hervor;  denn  offenbar  ist 
eine  sechszählige  Symmetrieaxe  zugleich  auch  zwei-  und  dreizälilig, 

VoiuT,  Theoretische  Physik.  9 


180  L  TeiL    Meehanik  starrer  Korper.    IIL  Kap, 

eine  zwei-  oder  dreizählige  Spiegelaxe  zugleich  auch  zwei-  oder  drei- 
zählige  Symmetrieaxe.  Während  aber  diese  Eigenschaften  als  in 
der  Definition  eingeschlossen  zu  betrachten  sind,  treten  durch  gleich- 
zeitiges Vorhandensein  zweier  unabhängiger  Symmetrieelemente  mit- 
unter dritte  auf,  die  von  der  Existenz  jeder  einzelnen  von  ihnen 
unabhängig  sind. 

Die  hierauf  bezüglichen,  durc}i  einfache  geometrische  Über- 
legungen abzuleitenden  Gesetze  haben  nur  zum  Teil  physikalische 
Bedeutung.    Die  wichtigsten  sind  die  folgenden. 

Steht  eine  p-zählige  Symmetrieaxe  normal  zu  einer  n-zähligen, 
so  giebt  es  notwendig  noch  (n  —  1)  p-zählige  gleichwertige;  dieselben 
lieg^i  in  der  Ebene  normal  zu  der  p-zähligen  Axe,  und  die  Nachbar- 
axen  schließen  gleiche  Winkel  ein.  Hieraus  folgt,  daß  p  notwendig 
eine  gerade  Zahl  sein  muß,  wenn  n  >  2  ist  Ist  n  eine  gerade  Zahl, 
etwa  =  2  m,  so  sind  die  bezüglichen  Axen  paarweise  entgegengesetzt 
gerichtet;  ihre  Winkel  werden  durch  2  m  gleichfalls  unter  sich  gleich- 
wertige Symmetrieaxen  halbiert 

Mit  zwei  zu  einander  normalen  yierzähligen  Symmetrieaxen  werden 
hiemach  notwendig  noch  weitere  vier  verbunden  sein,  die  mit  jenen 
Winkel  Yon  7r/2  und  n  einschließen;  alle  sechs  aber  sind  gleichwertig. 

Mit  ihnen  treten  femer  auf  zwölf  gleichwertige  zweizählige  Axen 
Yon  paarweise  entgegengesetzter  Richtung,  welche  die  zwischen  den 
yierzähligen  Axen  liegenden  rechten  Winkel  halbieren,  sowie  acht 
gleichwertige  dreizählige  von  paarweise  entgegengesetzter  Richtung, 
welche  durch  die  Mitte  der  Oktanten  gehen,  die  durch  je  drei  vier- 
zählige  Axen  bestimmt  werden. 

Drei  Yertauschbare,  zu  einander  normale  zweizählige  Axen  sind 
notwendig  Yerbunden  mit  drei  entgegengesetzt  gerichteten,  gleich- 
wertigen, zweizähligen  Axen;  je  drei  einen  Oktanten  umgebende 
von  diesen  sechs  sind  cyklisch  vertauschbar.  Durch  die  Mitten  der 
Oktanten  gehen  acht  dreizählige  Axen,  von  denen  die  vier  um  eine 
zweizählige  Axe  liegenden  abwechselnd  gleichwertig  sind. 

Geht  durch  eine  n- zählige  Symmetrieaxe  eine  Symmetrieebene, 
so  giebt  es,  je  nachdem  n  gerade  oder  ungerade  ist,  noch  n/2  —  1 
oder  n  —  1  gleichwertige  Symmetrieebenen,  welche  ebenfalls  durch 
jene  Axe  gehen. 

Steht  eine  Symmetrieaxe  oder  eine  Spiegeldrehungsaxe  nonnal 
zu  einer  m- zähligen  Spiegeldrehungsaxe,  so  giebt  es  noch  weitere 
2771  —  1  gleichwertige  Axen,  die  auf  der  letzteren  senkrecht  stehen 
und  paarweise  entgegengesetzte  Richtung  haben;  ihre  Winkel  werden 
durch  m  gleichwertige  Symmetrieebenen  halbiert. 


§  17.    Krystaüograpkisehe  Ortippen.  131 

Zwei  zu  einander  normale  zweiz&hUge  Spiegeldrehungsazen 
ziehen  die  Existenz  von  noch  weiteren  vier  nach  sich,  die  mit  ihnen 
die  Winkel  n  und  di/2  einschließen;  alle  sechs  sind  gleichwertig  und 
einander  paarweise  entgegengesetzt  Mit  ihnen  ist  notwendig  yer- 
bunden  das  Auftreten  Ton  acht  dreizähligen  Symmetrieaxen,  welche 
durch  die  Mitten  der  durch  die  ersteren  bestimmten  Octanten  gehen, 
und  Ton  denen  die  rings  um  eine  Spiegelaxe  liegenden  abwechselnd 
paarweise  gleichwertig  sind. 

Ist  ein  Centrum  der  Symmetrie  vorhanden,  so  bedingen  eine 
Symmetrieebene  und  eine  senkrecht  zu  ihr  stehende  geradzahlige 
Symmetrieaxe  sich  gegenseitig.  — 

Wir  wollen  nunmehr  die  82  Erystallgruppen  zusammenstellen 
und  durch  je  ein  System  voneinander  unabhängiger  Symmetrie- 
elemente charakterisieren.  Dies  kann  nach  dem  soeben  Gesagten 
auf  sehr  yerschiedene  Weise  geschehen;  ftlr  die  Zwecke  der  An- 
wendung in  der  theoretischen  Physik  ist  es  am  rationellsten,  solche 
Symmetrieelemente  zu  bevorzugen,  welche  zu  einem  rechtwinkeligen 
Koordinatensystem,  das  wir  alsHauptaxensystem  mit  demErystall- 
polySder  verbinden,  in  direkter  Beziehung  stehen.  Von  diesem 
Axensystem  soll  jederzeit  die  Z-Axe  mit  der  ausgezeichneten  Sym- 
metrie-  oder  Spiegelaxe  zusammenfaUen,  wenn  die  Krystallgruppe 
eine  solche  besitzt;  von  der  X-  und  T-Axe  soll,  wenn  die  Symmetrie 
nicht  gestattet,  beide  in  Symmetrieaxen  zu  legen,  die  X-Axe  jeder- 
zeit bevorzugt  werden.  Der  Buchstabe  C  bezeichne  das  Vorhanden- 
sein eines  Symmetriecentrums,-  Sa  das  einer  Symmetrieebene  normal 
zur  Richtung  a;  J^  weise  auf  eine  m- zählige  Symmetrieaxe  in  der 

Richtung  ft,  ST  auf  eine  n-zählige  Spiegeldrehungsaxe  parallel  c  hin. 
Drei  Axen,  welche  cyklisch  vertauschbar  sind,  seien  durch  die 
Zeichen  «%«  verbunden. 

Bezüglich  der  Anordnung  und  Bezeichnung  der  Krystallgruppen 
schließe  ich  mich  an  die  Vorschläge  von  Schönelies  ^^  an. 

Die  Erystallgruppen  werden  in  sieben  Systeme  verteilt;  in 
jedem  System  kehren  mehr  oder  weniger  vollständig  dieselben  Unter- 
abteilungen wieder. 

Die  holoedrische  Gruppe  enthält  die  Gesamtheit  der  in 
dem  System  vorkommenden  Formelemente.  Die  übrigen  Gruppen 
werden  als  hemiödrische  und  als  tetartoedrische  bezeichnet, 
je  nachdem  sie  im  Maximum  die  Hälfte  oder  ein  Viertel  der  Maximal- 
zahl von  Flächen  der  holoedrischen  Gruppe  aufweisen  können.  Bei 
den  meisten  Sjystallsystemen  sind  mehrere  HemiSdrien  und  Tetar- 

9* 


132  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    III.  Kap. 

toedrien  möglich,  welche  dann  durch  besondere  Bezeichnungen  charak- 
terisiert werden  müssen. 

Im  monoklinen  und  rhombischen  System  werden  diejenigen 
Halbäächner,  welche  beide  Seiten  der  ausgezeichneten  Axe  gleich- 
wertig belassen,  kurz  als  hemi^drisch,  diejenigen,  welche  dieselben 
ungleichwertig  werden  lassen,  spezieller  als  hemimorph-hemiedrisch 
oder  kurz  als  hemimorph  bezeichnet 

Das  rhomboedrische,  das  tetragonale  oder  quadratische 
und  das  hexagonale  System  zeigen  in  ihren  Unterabteilungen  die 
größte  Analogie. 

Bleiben  aUe  Symmetrieaxen  erhalten,  aber  verschwinden  das 
Centrum  der  Symmetrie  und  die  Symmetrieebenen,  so  entstehen,  je 
nachdem  die  eine  oder  die  andere  Hälfte  der  ursprünglichen  Flächen 
beibehalten  wird,  zwei  Halbflächner,  die  sich  gegenseitig  nicht  zur 
Deckung  bringen  lassen;  man  nennt  sie  enantiomorph  und  be- 
zeichnet mit  demselben  Namen  die  Hemiedrie  der  Gruppe. 

Fallen  mit  dem  Symmetriecentrum  die  zur  ausgezeichneten 
Z'Axe  normalen  zweizähligen  Symmetrieaxen  weg,  so  werden  da- 
durch die  beiden  Seiten  der  Hauptaxe  ungleichwertig  und  die  Hemi- 
edrie nach  dem  Vorstehenden  hemimorph. 

Verschwinden  endlich  die  Nebenaxen  und  die  durch  die  Hauptaxe 
gehenden  Symmetrieebenen,  während  die  Hauptaxe  ihre  Natur  behält 
und  das  Symmetriecentrum  bestehen  bleibt,  so  sind  die  beiden  Seiten  der 
Hauptaxe  spiegelbildlich  gleich  und  die  Hemiedrie  heißt  paramorph. 

Das  tetragonale  und  das  hexagonale  System  gestatten  je 
noch  eine  vierte  Hemiedrie,  bei  der  die  Hauptaxe  ihre  Natur  ändert ; 
sie  wird  nach  dem  Charakter  der  Hauptaxe  bezeichnet 

Viertelflächner  erhält  man  einmal,  indem  man  als  einziges  Sym- 
metrieelement die  Hauptsymmetrieaxe  mit  dem  durch  die  Holoedrie 
gegebenen  Charakter  beibehält;  sie  sind  als  die  normalen  durch  kein 
Beiwort  charakterisiert. 

Im  tetragonalen  und  hexagonalen  System  ist  außerdem  noch 
eine  Tetartoedrie  mit  geändertem  Charakter  der  Hauptaxe  möglich, 
welche  durch  diesen  definiert  ist 

Im  regulären  System  sind  drei  Hemiedrien  möglich,  welche 
trotz  der  abweichenden  Symmetrieverhältnisse  des  Systemes  den 
eben  besprochenen  so  analog  sind,  daß  sie  durch  dieselben  Bei- 
worte bezeichnet  werden  können.  Die  einzige  Tetartoedrie  ist  eine 
mit  verändertem  Charakter  der  Hauptaxen. 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  wird  die  folgende  Zusammen- 
stellung verständlich  sein. 


§  17,    Kryatallographische  Gruppen,  133 


Triklines  System. 

1.  Holoödrie     C 

2.  Hemiedrie  — 

Monoklines  System. 

3.  Holoedrie  C^  «  oder  CE^ 

4.  Hemiedrie  E^ 

5.  Hemimorphie       A* 

Bhombisches  System. 

6.  Holoedrie  CA^^AJ  oder  CA^^E^ 

7.  Hemiedrie  A}  A^ 

M  X 

8.  Hemimorphie  ^»^^x 

Bhomboedrisches  System. 
9.  Holoedrie  OA^^AJ  oder  CA^E^ 

Z  X  t  X 

10.  Enantiomorphe  Hemiedrie      A^  A} 

11.  Hemimorphe  Hemiedrie         ^>< 

12.  Paramorphe  Hemiedrie       C  A^ 

13.  Tetartoedrie  A^ 

Tetragonales  System. 

14.  Holoedrie  C  A^^  A^  oder  CA^E^ 

Z  X  t  X 

15.  Enantiomorphe  Hemiedrie  ^%  ^^x 

16.  Hemimorphe  Hemiedrie  ^z^x 

17.  Paramorphe  Hemiedrie  C  A^ 

18.  Tetartoedrie  A^ 

19.  Hemiedrie  mit  Spiegeldrehungsaxe  ^^  ^x 

20.  Tetartoedrie  mit  Spiegeldrehimgsaxe  8^ 

Hexagonales  System. 

21.  Holoedrie  0  A^  A^  oder  CA^E^ 

m  X  S  X 

22.  Enantiomorphe  Hemiödrie  ^z  ^x 

23.  Hemimorphe  Hemiedrie  -^Z-®» 

24.  Paramorphe  Hemiedrie  G  A^ 

25.  Tetartoedrie  .  A^ 

26.  Hemiedrie  mit  dreizähliger  Symmetrieaxe      A^E^A^ 

27.  Tetartoedrie  mit  dreizähliger  Symmetrieaxe     A^  E^ 

Reguläres  System. 

28.  Holoedrie  OA^AJ^ 

X  ff 

29.  Enantiomorphe  Hemiedrie  ^^  "^^ 

30.  Hemimorphe  Hemiedrie  8^8^ 

31.  Paramorphe  Hemiedrie  CA^  »^  A^  »^  A^ 

32.  Tetartoedrie  A^  -*  ^  *  -  A^ . 


134  L  Tbü,    Mechanik  starret  Körper,    IIL  Kap. 

Die  Anwendung  dieser  Tabelle  zum  Zwecke  der  Spezialisierung 
allgemeiner  physikalischer  Gesetze  für  die  B^rystalle  irgend  einer  Gruppe 
geschieht  so,  daß  man  den  Erystall  nacheinander  auf  gleichwertige 
Koordinatensysteme  bezieht  und  ftir  jedes  das  allgemeine  Gesetz 
bildet  Da  für  gleichwertige  Koordinatensysteme  der  Zusammenhang 
zwischen  Abhängigen  und  Unabhängigen  sich  durch  dieselben  Glei- 
chungen mit  denselben  Konstanten  ausdrücken  muß,  so  giebt  die 
Kombination  der  verschiedenen  Formeln  eine  Reihe  von  Beziehungen 
zwischen  den  Konstanten,  welche  das  ursprüngliche  Gesetz  speziali- 
sieren, eventuell  vereinfachen.  E^  mag  dabei  daran  erinnert  werden, 
daß  die  Existenz  eines  Symmetriecentrums  die  Äquivalenz  von  Ko- 
ordinatensystemen mit  entgegengesetzten  Axenrichtungen  ausspricht^ 
die  Existenz  einer  Symmetrieebene  aber  die  Äquivalenz  von  zwei 
Systemen,  von  denen  nur  die  normal  zur  Symmetrieebene  stehende 
Koordinatenaxe  die  entgegengesetzte  Richtung  besitzt,  die  anderen 
beiden  aber  gleiche. 

Die  vorstehende  Tabelle  enthält  die  im  allgemeinsten  Falle  zur 
Geltung  kommenden  Symmetrieeigenschaften  der  32  Krystallgruppen. 
Es  giebt  aber  viele  Fälle,  wo  die  Verhältnisse  sich  vereinfachen  und 
die  Anzahl  physikalisch  verschiedener  Gruppen  sich  reduziert,  weil 
nach  dem  physikalischen  Gesetz,  um  dessen  Spezialisierung  es  sich 
handelt,  der  behandelte  Vorgang  selbst  eine  Symmetrieeigenschaft 
besitzt 

Der  häufigste  Fall  ist  der,  daß  jener  Vorgang  ein  Symmetrie- 
centrum hat  Dies  findet  zum  Beispiel  immer  dann  statt,  wenn 
die  Unabhängigen  und  die  Abhängigen  die  Komponenten  je  einer 
Vektorgröße,  z.  B.  einer  Kraft  oder  einer  Geschwindigkeit  nach  den 
Koordinatenaxen,  und  die  Beziehungen  zwischen  ihnen  homogen  linear 
sind;  denn  in  diesem  Falle  ändert  die  Vertauschung  der  Koordi- 
natenaxen mit  den  entgegengesetzten  die  Formeln  durchaus  nicht 

In  allen  diesen  Fällen  ist  also  die  Symmetrie  des  physikalischen 
Vorganges  um  das  Element  C  höher,  als  diejenige  der  Krystallform; 
es  resultiert  hier  die  folgende  Tabelle. 

Triklines  System. 
Gruppe  1  und  2  C. 

Monoklines  System. 
Gruppe  3,  4,  5  CÄ^K 

Rhombisches  System. 
Gruppe  6,  7,  8  C'^  >^A 


§  17.    Konaiantensysieme  der  Krystaüpkysik.  135 


Ehomboedrisches  System. 

Gruppe  9,  10,  11  <?^.'^.*- 

Gruppe  12,  13  CÄ^\ 

Tetragonales  System. 

Gruppe  14,  15,  16,  19  C^^/^,*- 

Gruppe  17,  18,  20  CÄ^\ 

Hexagonales  System. 

Gruppe  21,  22,  23,  26  C'J/^^». 

Gruppe  24,  25,  27  CÄ^\ 

Reguläres  System. 

Gruppe  28,  29,  30  ^^.H*- 

Gruppe  31,  32  CA^'^A^'^A^. 

Die  32  Gruppen  ordnen  sich  also  in  Bezug  auf  physikalische 
Vorgänge,  welche  ein  Centrum  der  Symmetrie  besitzen,  in  11  Klassen; 
aber  auch  von  diesen  fallen  in  speziellen  Fällen  noch  mehrere 
zusammen. 

Ein  zweiter  spezieller  Fall  ist  der,  daß  der  Vorgang  die  Un- 
gleichwertigkeit  entgegengesetzter  Richtungen  Yerlangt,  also  mit  einem 
Symmetriecentrum  unvereinbar  ist  Dies  tritt  z.B.  ein,  wenn 
ein  System  von  Vektorkomponenten  durch  homogene  Funktionen 
zweiten  Grades  von  einem  anderen  System  Vektorkomponenten  ge- 
geben ist  Denn  hier  kehrt  bei  der  Vertauschung  eines  Koordinaten- 
systems mit  den  entgegengesetzten  die  eine  Seite  dieser  Beziehungen 
ihr  Vorzeichen  um,  aber  die  andere  nicht 

Eine  solche  Eigenschaft  hat  zur  Folge,  daß  bei  allen  Krystall- 
gruppen,  welche  ein  Symmetriecenixum  b^Len,  nämüch  bei 

den  Gruppen  1,  3,  6,  9,  12,  14,  17,  21,  24,  28,  31, 
sowie  bei  isotropen  Medien  Vorgänge  der  genannten  Art  unmöglich 
sind,  also  die  Konstanten,  welche  ihre  Größe  messen,  verschwinden 
müssen.  — 

Wir  wollen  nun  einige  der  wichtigsteii  in  der  theoretischen 
Physik  vorkommenden  allgemeinen  Beziehungen  zusammenstellen 
und  flir  die  32  krystallographischen  Gruppen  spezialisieren. 

Es  empfiehlt  sich  dabei,  dieselben  auf  die  spezielle  Form  zu 
bringen,  daß  eine  physikalische  Größe  F^  welche  den  Charakter 
eines  Skalares  besitzt  und  die  demgemäß  vom  Koordinatensystem 
unabhängig  ist,  einer  Funktion  von  Vektorkomponenten  oder  ihnen 
verwandten  Argumenten  gleich  gesetzt  wird.  Eine  solche  Größe 
muß  dann,  auf  verschiedene  physikalisch  gleichwertige  Koordinaten- 


136  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap, 


Systeme  bezogen,  die  gleiche  Form  mit  gleichen  numerischen  Werten 
der  Eonstanten  erhalten. 

Mitunter  werden  die  physikalischen  Gesetze  durch  die  Theorie 
direkt  in  der  oben  erörterten  Form  geliefert;  das  im  vorigen  Ab- 
schnitt abgeleitete  elastische  Potential  bietet  hierfür  ein  Beispiel 
und  die  Funktion  F  hat  hier  unmittelbar  eine  physikalische  Be- 
deutung. Wo  man  die  gewünschte  Form  erst  künstlich  hersteUen 
muß,  fehlt  dagegen  der  Funktion  F  häufig  eine  solche.  Sie  wird 
dann  z.  B.  nur  durch  die  Werte  ihrer  Differentialquotienten  nach 
gewissen  auxiliären  Argumenten  definiert,  wie  das  unten  an  einem 
Beispiele  gezeigt  werden  soll. 

Wir  betrachten  zunächst  Funktionen  F  von  Vektorkompo- 
nenten und  bemerken  dazu  im  voraus,  daß  die  DifferentialquotienteD 
von  F  nach  diesen  Argumenten  wieder  Vektorkomponenten  sind. 

L    Es  sei   F  eine    lineare   Funktion   der  Vektorkomponenten 
X,  r,  Z,  etwa 
151)  F^a^X+a^r+a^Z, 

so  ist  mit  dieser  Form  ein  Centrum  der  Synmietrie  unvereinbar. 
Die  Differentialquotienten  werden 

1K1'\  dF[  _         dF  _         dF  _ 

101 )  dX  "  ^1'  äT  "  ^3'  dZ  ~  ^3* 

Wir  erhalten  demgemäß  die  folgende  Zusammenstellung. 

Schema  I. 

Triklines  System. 
Gruppe  1  a^  =  flj  =  flj  =  0. 

Gruppe  2  01,0^,  Og. 

Monoklines  System. 
Gruppe  3  a^  =  a,  =  Oj  =  0. 

Gruppe  4  Qj,  a^,  0 

Gruppe  5  0,  0,  a,. 

Rhombisches  System. 
Gruppe  6,  7  a^  =  a,  =  a,  =  0. 

Gruppe  8  0,  0,  Oj. 

Rhomboedrisches  System. 
Gruppe  9,  10,  12  a^z=  a^^a^zz^  ©• 

Gruppe  11,  13  0,  0,  a,. 

Tetragonales  System. 
Gruppe  14,  15,  17,  19,  20    01=03  =  03  =  0. 
Gruppe  16,  18  0,  0,  O3. 


§  17.    KonsUnüensysteme  der  KrystdUpkysik,  137 


Hexagonales  System. 
Gruppe  21,  22,  24,  26,  27    0^  =  0^  =  03  =  0. 
Gruppe  23,  25  0,  0,  a^. 

Beguläres  System  und  isotrope  Körper. 
Gruppe  28  bis  32  0^  =  03  =  03  =  0. 

n.  Es  sei  F  eine  büineare  Funktion  der  sechs  Vektorkomponen- 
ten X,  Yj  Z  und  Vy  V,  W  und  zwar  gesetzt 


F^  ?/(Oii  Jf  +  0,3  Y+  0,3^+  r{a3iX+ti33  r+  0,3^ 

+   ^(«31^+032^+033^. 


I 


152) 


Die  durch  einen  solchen  Ansatz  gegebenen  Vorgänge  besitzen 
ein  Centrum  der  Symmetrie,  es  tritt  sonach  hier  die  vereinfachte 
Einteilung  der  Gruppen  von  S.  134  in  Kraft.  Die  Differentialquo- 
tienten von  F  nach  U,  F^  W  liefern  die  Gleichungen 


M  =  ^-^  =  Oll  X  -I-  Qu  r  4-  0,3  Z, 

dF  V  V  // 

r  =  g^  =  0,1  X  +  O33  r  +  0,3  Z, 

BF  * 


1520 


worin  «,  ü,  w  Abkürzungen  sind,  welche  Vektorkomponenten  bezeich- 
nen, falls  gleiches  von  Uj  F^  W  gilt  und  F  eine  skalare  Funktion  ist 

Das  Vorstehende  zeigt,  daß,  wenn  der  Ansatz  (162')  die  direkt 
gegebene  Beziehung  zwischen  den  Vektorkomponenten  u,  v,  to  und 
X,  Y,  Z  ist,  durch  (162)  eine  Funktion  F  geliefert  wird,  an  welche 
man  bequemer,  als  an  (152'),  die  Symmetriebetrachtungen  anknüpfen 
kann. 

Das  Besultat  der  Spezialisierung  giebt  die  folgende  Tabelle. ^^ 

Schema  11. 

Triklines  System. 
Gruppe  1,  2      o^i,  0^,  a^^\  Oj^,  o,,,  O33;  031,  O33,  O33. 

Monoklines  System. 
Gruppe  3,  4,  6      Ou,  a^,  0;  a.i,  o,,,  0;  0,  0,  033. 

Rhombisches  System. 
Gruppe  6,  7,. 8       a^,  0,  0;  0,  a,,,  0;  0,  0,  033. 

EhomboSdrisches  System. 
Gruppe  9,  10,  11       Ou,  0,  0;  0,  a,i,  0;  0,  O,^,,. 
Gruppe  12,  13       On,  a^,  0;  -  o„,  Oi^,  0;  0,  0,.  Q33. 


138  L  Teil    Meekanik  starrer  Körper.    IIL  Kap. 

TetragonaJes  System. 
Gruppe  14,  16,  16,  19      0^,  0,  0;  0,  0^,  0;  0,  0,  O33. 
Gruppe  17,  18,  20      0^1,  o^,,  0;  -  Oi,,  o^,  0;  0,  0,  0,3, 

Hexagonales  System. 
Gruppe  21,  22,  23,  26       a^,  0,  0;  0,  o^,  0;  0,  0,  033. 
Gruppe  24,  26,  27       q^^,  Qj,,  0;  -  Oi,,  a^i,  0;  0,  0,  033. 

Reguläres  System  und  isotrope  Körper. 
Gruppe  28,  29,  30,  31,  32      o^,  0,  0;  0,  o^,  0;  0,  0,  n^y 

Die  Anzahl  der  verschiedenen  Klassen  reduziert  sich  hier  also 
auf  sechs.  — 

Ein  wichtiger  spezieller  FaU  ist  der,  daß  X=  [7,  7=  T,  ^=  F 
ist;  dann  treten  die  a^k  immer  nur  in  den  Kombinationen  o^k  +  ^a 
auf,  woraus  folgt,  daß  man  ihnen  ohne  Beschränkung  der  Allgemein- 
heit die  Bedingung  a^k  =  dkh  auferlegen  kann.  Dann  nimmt  das 
Schema  II  für  die  sechs  unabhängigen  Konstanten  die  folgende  ver- 
einfachte Form  an. 

Schema  11'. 

Triklines  System. 

^11  >    *^22'    ^88'    ^28»    ^81'    ^12' 

Monoklines  System. 

«UJ   Ö33,   O33;   0,   0,   Qij. 

Rhombisches  System. 

^11»  öjj,  a,,;  0,  0,  0. 

Rhomboedrisches,  tetragonales,  hexagonales  System. 

^\\y  «11»  ^88  5  0>  0>  0. 
Reguläres  System  und  isotrope  Körper. 
^11»  ^\v  h\^  0,  0,  0. 
Ein  weiterer  Spezialfall  ist  der,  daß  die  sechs  Variabein  nur  in 
den  Verbindungen  TW-^ZV,  ZU-^XW,  J  T- 7  £/^  vorkommen; 
dann  erscheint  a^^,  Q33,  033  gar  nicht,  und  die  übrigen  nur  in  den 
Gliedern  O33— Ö33,  Og^  —  0^3,  0^3  —  a,,. 
Hier  kann  man  ohne  Beschränkung 

«28  *=  -  «82  =  «1%    «81  =   -  «18  =  «2'»    «12  =   -  «21  =  «8' 

setzen  und  erhält  für  letztere  Größen  die  folgende  Zusammenstellung. 

Schema  H". 
Triklines  System.         Monoklines  System.      Rhombisches  System. 
«/,  fl2'i  «s'-  0,  0,  Q3'  a/  =  0,'  =  03'  =  0. 


§  17,    Konstantensysteme  der  KrystaÜphysik.  139 


BhomboSdrisches  System. 
Gruppe  9,  10,  11  a,'  =  a,'  «  Oj'  «  0. 

Gruppe  12,  13  0,  0,  Oj'. 

Tetragonales  System. 
Grappe  14,  15,  16,  19     o/  =  a^'  =  Og'  =  0. 
Gruppe  17,  18,  20  0,  0,  o,'. 

Hexagonales  System. 
Gruppe  21,  22,  23,  26    a^'  =  o/  =  Og'  =  0. 
Gruppe  24,  26,  27  0,  0,  a^\ 

Reguläres  System  und  isotrope  Körper, 
a/  =  a;  «  03'  =  0.  - 

In  verschiedenen  Gebieten  der  Physik  spielen  gewisse  Funktio- 
nen eine  Bolle,  welche  zwar  nicht  selbst  Vektorkomponenten  sind, 
sich  ihnen  aber  insofern  verwandt  erweisdb,  als  sie  sich  ebenso,  wie 
Potenzen  und  Produkte  von  solchen,  auf  wechselnde  Koordinaten- 
systeme transformieren.  Wir  wollen  solche  jetzt  auch  in  den  Kreis 
unserer  Betrachtungen  ziehen  und  mit 

Z,  M,  iV,  P,  e,  E 

im  folgenden  Funktionen  bezeichnen,  die  sich  orthogonal  transfor- 
mieren, wie  X»,  P,  ^,  rzy2,  Ziy2,  XZ}^;  U,  T,  W  mögen 
die  frühere  Bedeutung  behalten. 

m.  Es  sei  F  eine  bilineare  Funktion  der  neun  Argumente  Z, 
My  Nj  P,  Q,  -B,  U,  r,  W^  und  zwar  von  der  speziellen  Form 

P=  U{\^L  +  b„  Jlf  +  bi3iV  +  6,,P+  b„  q  +  \^E) 

+  7  (b,i i  -f.  b„  Jf  +  b,3 J\^+  b,^P+  b,,  q  +  \^B) 

+  W{\^L  +  \^M+  h^N+  b3,P+  b,5  q  +  \^IC). 

Die  Differentialquotienten  von  F  nach  U^  Fy  W  sind  wieder 
Vektorkomponenten,  die  nach  L^  M . » .  B  haben  denselben  Charakter 
wie  die  letzteren  Größen.    Es  gilt 

|f=b,,i/+b,,r+b3,r  153") 


153) 


Diese  Annahme  giebt  ein  zweites  Beispiel  ftir  den  oben  schon  er- 
wähnten Fall,  daß  das  physikalische  Gesetz  mit  der  Existenz  eines 
Symmetriecentrums  am  Krystall  unvereinbar  ist. 


140 


L  Teil    Mechanik  starrer  Körper,    UL  Kap, 


Die  Anwendung  des  S,  134  entwickelten  Verfahrens  führt  hier 
auf  die  folgenden  Systeme  von  Konstanten.®*) 

Schema  III. 
Triklines  System. 


Gruppe  1 

alle  &»fc  = 

=  0. 

Gruppe  2 

^1     ^11 

»18 
6.8 
"88 

^84       ^8 

*8« 
6,6 

Monoklines  System. 

Gruppe  3 

alle  b»k  = 

=  0. 

Gruppe  4 

^11      ^s 

0       0 

6l8 
«»88 

0 

0       0 
0       0 

^84       Ki 

6,8 

6«, 
0 

Gruppe  5 

0       0 
0       0 

^81       ^8» 

0 
0 

^88 

^24       6,5 

0       0 

0 
0 

^88 

Bhombisches  System. 

Gruppe  6 

alle  hi  = 

=  0. 

Gruppe  7 

0       0 
0       0 

0 
0 

6i4    0 

0          ^85 

0 
0 

0       0 

0 

0       0 

*8e 

Gruppe  8 

0       0 
0       0 

0 
0 

0       \s 

K   0 

0 
0 

^81       ^8 

»88 

0       0 

0 

BhomboSdrisches  Syste 

m. 

Gruppe  9 

alle  b»»  = 

=  0. 

Gruppe  10 

0        0 
0        0 

0 
0 
0 

6i4    0 

0-6i4- 
0      0 

0 

.6„y2 

0 

Gruppe  11 

0        0 

-  '>88         ^88 
^81         '»81 

0 
0 

^88 

0     K- 

6i.     0 
0       0 

0 
0 

Gruppe  12 

alle  bftfc  = 

=  0. 

■ 

Gruppe  13 

6.,      6., 

0 
0 
b.. 

6i4     \i  ■ 

^16-6,4- 

0       0 

-b„y2 

-6„y2 

0 

§  17.    Konstantensytteme  der  Krystaüphyaik. 

141 

Gruppe  14 

Tetragonales  System, 
alle  hkt  =  0. 

Gruppe  15 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

^4 

0 
0 

0 
0  . 

0 
0 
0 

Gruppe  16 

0 
0 

0 
0 

6,1 

0 
0 

*88 

0 
0 

61, 

0 
0 

0 
0 
0 

Gruppe  17 

aUe 

5»*  = 

=  0. 

• 

Gruppe  18 

0 
0 

0 
0 

081 

0 
0 

6,« 

fl5 

0 

-t>14 

0 

0 
0 
0 

Gruppe  19 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 
0 

0' 
0 

0 
0 

6,« 

Gruppe  20 

0 
0 

081 

0 
0 

0 
0 
0 

f>14 

0 

6l8 

0 

0 
0 

Gruppe  21 

Hexagonalea  System, 
alle  bkh  =  0. 

Gruppe  22 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 
0 

0 
0 

0 
0 
0 

Gruppe  23 

0 
0 

0 
0 

hl 

0 
0 

^88 

0 

6» 

0 

0 
0 

0 
0 
0 

Gruppe  24 

alle  bj»  = 

.0. 

Gruppe  25 

0 
0 

^81 

0 
0 

081 

0 
0 

^88 

6u 
0 

6i« 

-6u 
0 

0 
0 
0 

Gruppe  26 

^1 
0 

0 

-in 
0 

0 

0 
0 
0 

0 
0 
0 

0 

0   - 
0 

0 
0 

142  I.  IM.    Mechanik  starrer  Körper.    IIL  Kap. 


Gruppe  27 

- 

hl 
-bat 
0 

-b„     0        0        0-b„y2 

b„     0        0       0-b„}^ 
0        0        0        0       0 

Eegniäres  System. 

Gruppe  28,  29, 
Gruppe  30,  32 

31 

alle  bfci  =  0. 

0        0        0        bi4     0       0 
0        0        0        0        bi4     0 
0        0        0        0       0       bi4 

Isotrope  Körper. 
Alle  bfc»  =  0. 

154) 


IV.  Es  sei  neben  L,  Af,  N,  P,  Q,  B  das  System  Variabler 

A,  B,  C,  D,  E,  G 
gegeben,  das  sieb  orthogonal  transformiert,  wie 

V*,  F*,  w*,  rwß,  wu-ß,  ur\2 

und  es  sei  die  bilineare  Funktion  F  gegeben  durch 

i?=  J(c„Z  +  Ci,  Jf  +  c„iV+  C14P+  c„Q  +  Ci.i?) 
+  J(c,i  Z  +  c„ilf+  c„iV+  c,^P+  c„e  +  c„i2) 
+  C  (c„  L  +  c,3  il/  +  c„iV+  c,^ P  +  c,j  <?  +  c,e  1?) 
+  i>(c„  i  +  c«>/+  c^iV+  c^P+  c„  Q  +  c^Ä) 
+  -S(c„i  +  c„^+  c„7V^+  Cg4P  +  c„  e  +  c,,iZ) 
+  e(c„Z  +  c„^  + c„iV+ Ce,P+ c„  Q  +  c,gi?). 

Die  Differentialquotienten  von  F  nach  ^,  B,...  oder  nach 
Z,  M, . . .  haben  den  Charakter  dieser  Größen.    Es  gilt 

154')     TT  =  "^i '''  +  '"  "^  +  "^i»  ^+  fu  -P  +  «1«  <2  +  «18  -K» 

154")      ^  =  '^n^  +  ^i^  +  <:sif^+  c«  -»  +  c«  ^  +  c„  G. 

Die  durch  diesen  Ansatz  gegebenen  Vorgänge  sind  wiedemm 
centrisch  symmetrisch;  die  Spezialisierung  ist  also  unter  Benutzung 
der  Tabelle  auf  S.  134  auszuführen.  Die  Resultate  enthält  das  nach- 
stehende Schema.  **) 


§  17,    KansiantwuystBme  der  KrystaUphystk. 


143 


Schema  lY. 


Triklines  System. 


Gruppe  1  und  2 


^11 
hl 


^2      ^8 
^2 


^82 
^42 

^62 
'62 


^28 
^88 
^48 
^68 

'es 


Cl4 
^24 
^84 
C44 
C54 
^64 


^1« 
'26 
'86 
'48 
^65 


'86 


^16 
'26 

'se 

^46 
^66 


^66 


Gruppe  3  bis  5 


Monoklines  System. 


«11 

«1» 

«18 

0 

0 

«16 

fjl 

c» 

«38 

0 

0 

«86 

«81 

c» 

«88 

ü 

0 

«86 

0 

0 

0 

«44 

«4« 

0 

0 

0 

0 

C.^ 

c„ 

0 

'61 


"62 


^68 


0  0 


66 


Bhombisches  System. 


Gruppe  6  bis  8 


Gruppe  9  bis  11 


Gruppe  12,  13 


«11 

«18 

«18 

0 

0 

0 

«81 

«88 

«88 

0 

0 

0 

«81 

«88 

«88 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«68 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«66 

mbc 

»Sdriflc 

shes 

System 

■ 

«11 

«18 

«18 

«14 

0 

0 

«18 

«11 

«18 

-«14 

0 

0 

«81 

«81 

«88 

0 

0 

0 

«41- 

-«41 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

«4iy2 

0 

0 

0 

0     1 

fl4y2(«ll-«18) 

«11 

«18 

«18 

«14- 

■«2« 

0 

«18 

«11 

«18 

-«14 

«88 

0 

«81 

«81 

«S8 

0 

0 

0 

«41 

-«41 

0 

«44 

«46 

«68y2 

«58 

«68 

0 

-«45 

«44 

_      «4,^2 

0 

0 

0 

C,.V2 

c.Vs 

!(c,,— c„1 

144 


/.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    III,  Kap, 


Gruppe  14,  15,  16,  19 


Gruppe  17,  18,  20 


Gruppe  21  bis  27 


Gruppe  28  bis  32 


TetragonaJes  System. 


tu 

«12 

«18 

0 

0 

0 

«H 

«11 

«13 

0 

0 

0 

Csi 

«81 

«38 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«66 

«11 

«12 

«18 

0 

0 

«18 

«1» 

«11 

«18 

0 

0- 

«16 

«31 

«81 

«SS 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

i 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

«61- 

-«61 

0 

0 

0 

«66 

Hexagonales  Syst 

em. 

«11 

«12 

«13 

0 

0 

0 

«12 

«11 

«18 

0 

0 

0 

«81 

«81 

«33 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0  (c 

11 —«12) 

Beguläres 

1  System. 

«11 

«12 

«12 

0 

0 

0 

«12 

«11 

«12 

0 

0 

0 

«12 

«12 

«11 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«44 

Isotrope 

Körper. 

c 

«1 

«1 

0 

0 

0 

«1 

c 

«1 

0 

0 

0 

«1 

«1 

c 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«2 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

«2 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

c 

worin  c  —  Cj  =  c^  gesetzt  ist. 

Von  dem  Ansatz  (154)  sind  zwei  spezielle  Formen  von  be- 
sonderem Interesse,  die  den  Seite  138  betrachteten  von  (152)  durch- 
aus entsprechen.     Ist 


§  18.    Siromläufe  als  eykHsche  Systeme,  145 


^«Z,    jB  =  Jf,     C^N,    1)^P,    E^Qy     O^B, 

so  kommen  die  Eonstanten  tkk  und  Ckh  i^^^  ^  der  Kombination 
(Cftk  +  Cfcfc)  vor;  man  kann  also  ohne  Beschränkung  der  Allgemeinheit 
Cfck  =  Cjkfc  setzen,  woraus  für  die  wenigen  speziellen  Fälle,  wo  die  vor- 
stehenden Systeme  c^k  =  —  c^h  ergeben,  Cä*  =  CjkÄ  =  0  folgt  Der 
Vergleich  mit  dem  Schema  (149)  zeigt,  daß  das  elastische  Potential 
die  Form  (154),  die  elastischen  Drucke  die  Form  (154')  mit  der 
angegebenen  Vereinfachung  besitzen  und  demgemäß  zu  behandeln 
sind.  Man  kann  übrigens  die  Spezialisierung  statt  an  ihnen,  auch 
an  den  S,  125  definierten  Summen  6?**  ausführen:  doch  geben  hierzu 
die  obigen  Schemas  nicht  die  Mittel.®^ 

Die  zweite  spezielle  Form  des  Ansatzes  tritt  dann  ein,  wenn  F 
die  Produkte  ^ X ,  JBM,  CN,  DP,  EQ,  GR  gar  nicht,  die  übrigen 
nur  in  Differenzen  von  der  Art  AM—  BL,  Ä N -^  C L , . , .  enthält. 
Dann  treten  die  Eonstanten  nur  in  den  Kombinationen  Cä*  —  Ck^  auf, 
und  man  darf,  außer  0/^^  =  0,  auch  Cä*  =  —  c^ä  setzen.  Wo  die 
vorstehenden  Eonstantensysteme  die  Beziehung  c^k  =  Ck^  zeigen,  folgt 
hieraus  c^k  =  ^kh  ==  0. 

Bei  der  Einfachheit  der  Verhältnisse  und  dem  großen  Umfang 
von  Schema  IV  mag  die  Aufstellung  der  diesen  beiden  speziellen 
Formen  von  F  entsprechenden  Schemata  unterbleiben. 

§  18.     Cyklisohe  Systeme,  welche  starre  Körper  enthalten. 
MaxwelIi's  Theorie  der  Elektrodynamik. 

Am  Ende  des  zweiten  Eapitels  ist  der  Betrachtung  ein  Massen- 
system unterworfen  worden,  dessen  allgemeine  LAGBANGE'sche  Eoordi- 
naten  p  in  zwei  Gruppen  zerfallen:  langsam  veränderliche  oder 
Positionskoordinaten  /?«>  deren  Geschwindigkeiten  y«  als  unend- 
lich klein  erster  Ordnimg  betrachtet  wurden,  und  schnell  veränder- 
liche oder  cyklische  Eoordinaten  pi,,  die  aber  in  der  Lagrange'- 
schen  Funktion  A=W  —  0  nicht  auftreten  sollten. 

Unter  der  Annahme,  daß  beide  Arten  von  Beschleunigungen 
unendlich  klein  wären,  erhielt  man  dann  aus  den  allgemeinen  For- 
mehi  (103)  die  speziellen  (109)  und  (109')  für  die  Eräfte  P«  und  P^, 
welche  die  beiden  Arten  von  Eoordinaten  zu  vergrößern  streben: 

Finden  zwischen  den  Massen  des  Cykels  keine  Wechselwirkungen 
statt,  sind  also  etwa  auftretende  innere  Eräfte  ausschließlich  kineti- 
schen Ursprunges,  so  wird  A  mit  der  lebendigen  Eraft  W  identisch, 

Voigt,  TlieoretfBche  Physik.  10 


146  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    JJL  Kap, 


die  sich  nach  den  gemachten  Annahmen  gemäß  der  Formel  (109") 
als  eine  homogene  Funktion  zweiten  Grades  der  cyklischen  Ge- 
schwindigkeiten qb  darstellt,  deren  Koeffizienten  allein  von  den  Po- 
sitionskoordinaten pa  abhängen. 

Enthält  das  Cykel  nach  seinem  äußeren  Verhalten,  d.  h.  nach  seinen 
Positionskoordinaten  pa  beurteilt,  nur  starre  Körper,  so  kommen  für 
die  Kräfte,  die  sie  ausüben  und  erfahren,  die  in  diesem  Kapitel  ent- 
wickelten allgemeinen  Grundsätze  zur  Anwendung,  und  daher  mag 
ein  Beispiel  dieser  Art  von  hervorragendem  physikalischen  Interesse 
hier  eingefügt  werden.  — 

Die  MAXWELL'sche  Theorie  ®^  der  Elektrodynamik  beruht  darauf, 
daß  man  die  wahrnehmbaren  Vorgänge  dieser  Art  zurückführt  auf 
das  Bestehen  cyklischer  Bewegungen,  welche  das  Wesen  der  so- 
genannten galvanischen  Ströme  ausmachen  sollen.  Diese  Be- 
wegungen, über  deren  speziellere  Eigenschaften  nach  dem  S.  90  Ge- 
sagten Annahmen  nicht  gemacht  zu  werden  brauchen,  müssen  sich, 
um  die  scheinbaren  Femwirkungen  zwischen  Stromleitern  hervor- 
zubringen, nicht  nur  in  diesen  selbst  abspielen  —  wo  man  die  Ströme 
in  der  alten  Theorie  ausschließlich  verlaufend  annahm  —  sondern 
auch  in  dem  zwischen  ihnen  ausgebreiteten  nichtleitenden  Medium. 

Betrachtet  man  nur  Uneäre  geschlossene  Stromleiter,  so  ist  deren 
elektrodynamisches  Verhalten,  abgesehen  von  ihrer  geometrischen 
Konfiguration,  die  sich  in  den  Koordinaten  pa  ausdrückt,  je  nur  von 
einer  elektrischen  Variabein  abhängig,  die  man  die  Stärke  4  des  in 
einem  jeden  cirkulierenden  Stromes  nennt  und  durch  seine  Fem- 
wirkungen, z.  B.  elektromagnetischer  Art  mißt.  Man  wird  daher  flir 
jeden  linearen  Stromlauf  auch  nur  eine  cyklische  Geschwindigkeit  y^ 
als  charakteristisch  betrachten  und  kann  dieselbe  hypothetisch  direkt 
mit  der  Stromstärke  proportional  setzen.  Identifiziert  man  gar  direkt 
qi,  mit  4,  so  verfügt  man  dadurch  nur  über  die  Einheiten,  in  denen 
man  die  Kräfte  Pj,  welche  die  cyklischen  Geschwindigkeiten  qi  zu 
vergrößern  streben,  und  die  man  im  allgemeinen  Sinne  die  elektro- 
motorischen nennt,  messen  wiU. 

Ist  nur  ein  linearer  Stromlauf*  upid  außerdem  kein  elektrodyna- 
misch wirksames  System,  z.  B.  auch  kein  konstanter  Magnet  oder 
kein  Stück  weiches  Eisen  vorhanden,  so  stellt  derselbe  nach  der  Be- 
zeichnung von  S.  87  ein  Monocykel  dar;-  die  lebendige  Kraft  V 
nimmt  für  ihn  die  einfachste  Form 

155')  W=-\i^A 

an,  worin  A  nur  die  Positionskoordinaten  pa  des  Cykels  enthält. 


§  18.    Siromläufe  als  cyklisehe  Systems,  147 

Als  wirksame  äußere  Kräfte  P^  sind  hier  einerseits  die  von  der 
gahanischen  Kette  ausgeübte  autreibende,  elektromotorische 
Kraft  im  engeren  Sinne  S,  andererseits  die  verzögernde  Kraft 
—  R  des  Leitungswiderstandes  einzusetzen,  so  daß  die  zweite 
Formel  (155)  geschrieben  werden  kann 

Ihren  Inhalt  können  wir  dahin  aussprechen,  daß  die  elektromoto- 
rische Kraft  ü  zwei  Gegenkräfte  zu  überwinden  hat,  eine  von  der 
Zeit  abhängige,  die  verschwindet,  wenn  alle  Teile  des  Leiters  ihre 
relative  Lage  beibehalten  und  die  Stromstärke  i  konstant  ist,  und 
eine  zweite,  in  diesem  Fall  allein  übrige,  deren  Natur  aus  experimental 
festgestellten  Thatsachen  zu  erschließen  ist.  Hierzu  eignet  sich  das 
OHM'sche  Gesetz,  wonach  die  Stromstärke  unter  den  letztgenannten 
Umständen  der  elektromotorischen  Kraft  der  Kette  direkt  propor- 
tional ist,  während  deren  Faktor  nur  von  den  Dimensionen  und  der 
Substanz  des  Leiters  abhängt.  Es  ist  sonach  R  =s  iW  zu  setzen, 
wo  JF  den  Namen  des  Widerstandes  des  linearen  Leiters  führt;  die 
Formel  (155")  verwandelt  sich  dadurch  bei  Berücksichtigung  von 
(155')  in 

E^^  +  iW.  155'") 

dt  ' 

Bringt  man  hierin  das  erste  Glied  rechts  auf  die  linke  Seite^ 
so  stellt  sich 

^^^E'  155"") 

als  eine  zu  E  hinzukommende  elektromotorische  Kraft  dar,  welche 
von  der  zeitUchen  Änderung  der  Konfiguration  und  Intensität  des 
Stromlaufes  abhängt  und  als  induziert  bezeichnet  wird.  — 

Wir  erweitern  nun  die  Betrachtung  auf  ein  von  zwei  cyklischen 
Koordinaten  abhängiges  System,  oder  ein  Dicykel,  welches  nach 
dem  Gesagten  als  das  Bild  eines  aus  zwei  linearen  Stromläufen  s^ 
und  *2  bestehenden  Systemes  zu  betrachten  ist®®);  von  weiteren  elektro- 
dynamisch wirkenden  Systemen  sei  auch  jetzt  abgesehen.  Hier  sind 
zwei  Stromstärken  ij,  i,,  zwei  Widerstände  äTj,  ^  und  zwei  elektro- 
motorische Kräfte  E^^  E^  zu  unterscheiden,  und  W  ist  eine  quadratische 
Form  von  \  und  ij.  Bezeichnet  wieder  p  eine  der  Positionskoordi- 
naten des  Systems  und  P  die  äußere  Kraft,  welche  ihre  Vergröße- 
rung bewirkt,  so  folgt  allgemein 

10* 


148  /.  Teii,    Mechanik  starrer  Korper.    IIL  Kap. 

oder,  wenn  man  spezieller  einführt 
auch 

156')  P=  _  ^(»^«^  +  2i,«,^'  +  ^«^). 

P  reduziert  sich  auf  das  erste  oder  letzte  Glied,  wenn  man  ent- 
weder in  dem  zweiten  oder  dem  ersten  Stromlauf  die  Stromstärke 
verschwinden  läßt  Da  aher  nur  der  Strom  die  Ursache  der  statt- 
findenden Kräfte  P  ist,  so  kann  die  Position  des  stromlosen  Kreises, 
d.  h.,  können  die  Werte  seiner  Positionskoordinaten  in  diesem  Falle 
auf  P keinen  Einfluß  haben;  hieraus  folgt,  daß  A^^  nur  Koordinaten  p 
enthält,  welche  dem  ersten,  J^^^  nur  solche,  welche  dem  zweiten 
Stromlauf  entsprechen;  A^^  kann  dagegen  von  beiden  Gattungen 
abhängen. 

Hieraus  folgt  in  Übereinstimmung  mit  (155""),  daß 

^^^  ' dT    ^^^' Tt ^12'  ^"^"^ Sr"    ^"'  — Tt — ^" 

die  in  s^  und  s^  durch  Selbst-  und  Wechselinduktion  hervor- 
gerufenen elektromotorischen  Kräfte  darstellen. 

Bisher  ist  die  Betrachtung  noch  ganz  allgemein,  also  auf  beliebig 
deformierbare  Stromläufe  anwendbar. 

Wir  denken  uns  nun  aber  spezieller  beide  Stromläufe  starr, 
z.  B.  durch  aufgewickelte  Drahtspulen  gegeben;  dann  ist  die  Lage 
eines  jeden  durch  sechs  Positionskoordinaten  bestimmt,  die  aber 
jetzt  weder  in  A^^^  noch  in  A^^  auftreten  können.  Denn  nach  dem 
EInergieprinzip  kann  ein  starrer  Körper  durch  bloße  innere  Wir- 
kungen keine  Komponenten  oder  Momente  erfahren;  solche  würden 
aber  vorausgesetzt  werden,  wenn,  nachdem  t^  =  0,  resp.  i^^O  gesetzt, 
der  erste,  resp.  zweite  Stromlauf  also  faktisch  beseitigt  ist,  bei  den 
gemachten  Annahmen  ein  P  von  Null  verschieden  wäre.  Demgemäß 
ist  dA^^  jdp  =^  dA^^I  dp  ^  0  zu  setzen  und  die  Gleichung  (156')  für 
starre  Stromläufe  einfacher  zu  schreiben 


156")  P=  - 


1     1      — 

12    dp 


Diese  Formel  zeigt,  daß  die  Richtung  der  Kraft  P  sich  umkehrt, 
wenn  man  eine  der  Stromrichtungen  umkehrt,  also  eines  der  i\  mit 
—  4  vertauscht;  man  darf  dies  dahin  deuten,  daß  auch  die  Wirkung 
jedes  beliebigen  Stückes  des  geschlossenen  Stromlaufes  mit  der 
Richtung  des  in  ihm  fließenden  Stromes  sein  Zeichen  wechselt 


§  18.    Stromläufe  ah  eykUaeke  Systeme,  149 


Versteht  man  speziell  unter  1^^  t;^  f^  die  Schwerpunktskoordinaten 
der  beiden  Stromläufe,  unter  Xhj  (J''hj  ^h  ihre  Drehungswinkel  um  die 
Eoordinatenaxen,  so  ergiebt  sich  für  die  Komponenten  und  Momente 
der  äußeren  Kräfte,  welche  nötig  sind,  um  die  qa  unendlich  klein, 
d.  h.  die  Stromläufe  im  Gleichgewicht  zu  erhalten: 


A=-h^äÄ,'  ^"^-hhj^^  N,^-hhQ 


.  156'") 


V 


h 


Ihnen  entgegengesetzt  gleich  sind  daher  die  Komponenten  und 
Momente,   welche   die    beiden   Stromläufe    aufeinander    ausüben; 

—  -4j2  kann  also  als  der  Wert  des  Potentiales  11^^  ihrer  Wechsel- 
wirkung für  i^  =*  lg  =  1  aufgefaßt  werden. 

Nachdem  so  die  Bedeutung  von  Ä^^  entwickelt  ist,  gewinnt  man 
die  von  A^^  und  A^^  durch  die  Betrachtung  der  beiden  Formeln  (156). 
Sie  erscheinen  dort  nämlich  als  die  Werte,  welche  A^^  annimmt,  wenn 
der  zweite  Stromlauf  mit  dem  ersten  oder  der  erste  mit  dem  zweiten 
identisch   ist   und  mit  ihm  zur  Deckung  gebracht  wird.    —  A^^  und 

—  -ij2  sind  also  die  Potentiale  /Z^j  und  11^^  der  Stromläufe  «jund  s^ 
auf  sich  selbst.  Hieraus  folgt,  daß,  wenn  die  Abhängigkeit  des  Po- 
tentiales n^^  von  Gestalt  und  Lage  der  beiden  Stromläufe  gewonnen 
ist,  dann  die  Werte  von  77^^  und  11^^  ohne  weiteres  aus  jenem  folgen. 

Um  nun  11^^  zu  bestimmen,  betrachten  wir  die  Wechselwirkung 
zwischen  zwei  ebenen  Stromläufen,  die  vom  Strom  1  durchflössen 
werden  und  unendlich  klein  gegen  ihre  Entfernung  sind.  Diese 
Wirkung  muß  dem  Produkt  der  umlaufenen  Flächen  proportional 
sein,  denn  man  kann  jene  in  gleich  große  und  gleichwertige  Flächen- 
elemente zerlegen  und  statt  allein  die  ganze  Fläche  ein  jedes  Ele- 
ment im  gleichen  Sinne  von  dem  Strom  Eins  umlaufen  denken,  ohne 
nach  der  zu  (156")  gemachten  Bemerkung  die  Wirkung  zu  beein- 
trächtigen. Das  Potential  der  Wechselwirkung  muß  sich  also  in. 
der  Form 

schreiben  lassen,  wo  y  nur  von  der  relativen  Lage  von  df^  gegen 

rf^,   d.  h.  von  der  Entfernung  r  und   den   drei  Winkeln  zwischen 

den  Richtungen  von  r  und  den  Normalen  ti^,  n^  auf  s^^  s^  abhängt. 

Hieraus  folgt  für  das  Potential  der  Wechselwirkung   zwischen 

einem  beliebigen  endlichen  Stromlauf  *i  und  dem  unendlich  kleinen  «2 

der  Ausdruck 

n,,  =  df,fcf„,^df„  157') 


150  L  Teil    Mechanik  starrer  Körper,    IIL  Kap. 

worin  das  Integral  über  alle  Elemente  einer  durch  den  Stromlauf 
begrenzten,  aber  sonst  völlig  beliebigen  Fläche  zu  erstrecken  ist 
Da  der  Wert  des  Integrales  von  der  Gestalt  der  willkürlich  ein- 
geführten Oberfläche  unabhängig  ist,  so  darf  man  auch  statt  eines 
Flächenelementes  rf/J  von  geeigneter  dreieckiger  Form  die  drei 
Flächen  normal  zu  den  Koordinatenaxen  setzen,  welche  mit  df^  zu- 
sammen ein  Elementartetraeder  begrenzen.     Es  muß  also  auch  sein 

157")     y«>m  ="  qP«!«. cos (nj, x)  +  qpy.n, cos {n^,y)  +  y,,«. cos (14, z), 

worin  die  Funktionen  qpxin,?  ^y^ntj  ^x^n^  das  bezeichnen,  was  aus  y>nint 
wird,  wenn  man  n^  resp.  in  die  X-,  J-,  Z-Axe  legt,  und  außer  von  der 
Entfernung  r  nur  noch  von  der  Lage  von  n^  gegen  r  abhängen  können. 
Durch  Wiederholung  dieser  Operation  in  Bezug  auf  die  zweite 
stromumfiossene  Fläche  gelangt  man  dazu,  das  Potential  der  Wechsel- 
wirkung zwischen  zwei  unendlich  kleinen,  ebenen,  je  von  der  Strom- 
stärke Eins  durchlaufenen  geschlossenen  linearen  Leitern  bei  Reduktion 
auf  die  Flächeneinheiten  zu  schreiben 


157'") 


+  [9zxC0s(w2,a:)  +  »'.yC0s(w2,y)  +  (p,,cos{n^,2)]cos{n^yZ), 


worin  die  rechts  stehenden  Funktionen  (p  sämtlich  nur  noch  von  der 
Entfernung  r  abhängen  können. 

Nun  ist  aber  die  gegenseitige  Lage  der  beiden  Normalen  //^ 
und  «2  und  der  Verbindungslinie  r  vollständig  bestimmbar  durch 
die  drei  Wi^el  {ti^,  n^),  (Wj,  r)  und  (n^,  r),  wobei  r  immer  in  dem 
Sinne  von  (1)  nach  (2)  hin  gerechnet  werden  mag,  imd  es  ist 

cos(ni,  Wg)  =  cos(7ij, ar)cos(w2>^)+  co8(7ij,y)cos(w2,y)  -|-  cos(nj,  z)cos{n^,  r), 
cos  (Wj ,  r)  =  cos  (r,  x)  cos{n^,  x)  +  cos  (r,  y)  cos  (n^,  y)  +  cos  (r,  z)  cos  (n^,  z) , 
cos  (Wj ,  r)  =  cos  (r,  x)  cos  (w^,  x)  +  cos  (r,  y)  cos  (w^,  y)  +  cos  (r,  z)  cos  (w,,  z) . 

Die  Funktion  y„^„,  in  (157'")  kann  daher,  da  sie  linear  in  den 
cos{n^,x\  cos (71^, y),  cos(Wj,z)  und  den  cos(w2,x),  cos(w2,y),  cos(w2, z) 
ist,  nur  die  Form  haben 

1 58)  y  ^  ^  =  'U;  cos  (Wj,  Wg)  +  /  cos  (wj,  r)  cos  {n^,  r) , 

worin  1/;  und/  Funktionen  von  r  allein  sind;  ein  Resultat,  das  noch 
ganz  ohne  Benutzung  spezieller  empirischer  Gesetze  gefunden  ist. 

Es  scheint  aber,  daß  man  ohne  Zuhilfenahme  einer  experimen- 
tellen Thatsache  die  Funktionen  1/;  und  /   nicht   bestimmen   kann. 


§  18.    Stromläufe  als  eyklüehe  Systeme.  151 


Die  einfachste  zu  diesem  Ziele  führende  Erfahrungsthatsache  dürfte 
die  sein,  daß,  wenn  man  zwei  zunächst  in  einer  Ebene  liegende  unend- 
lich kleine  Stromläufe  «i  und  4  betrachtet  und  dann  si  um  seinen 
Mittelpunkt  so  dreht,  daß  seine  Normale  mit  der  Verbindungslinie 
r  zusammenfällt,  in  dieser  Lage  die  Komponente  seiner  Wirkung 
auf  siy  normal  zur  Ebene  genommen,  ebenso  groß  ist,  wie  zuTor  die 
in  der  Verbindungslinie  liegende  war.  Dies  kommt  darauf  hinaus, 
daß,  wenn  sl  im  Eoordinatenanfang  und  n^  in  der  Z-Axe,  82  aber 
auf  der  X-Axe  liegt,  bei  ungeändertem  r  der  Wert  von  -I^^,  wenn 
n^  parallel  Y  liegt,  ebenso  groß  ist,  wie  der  von  Y^^y  wenn  n^  paral- 
lel X  liegt  Wir  wollen  diese  Eraftkomponenten  aus  (158)  be- 
rechnen. 

Legt  man  r, ri^ ,  n^  in  die  X Z-Ebene,  setzt  L.ryX^yy  L.n^yX^u^ 
L^n^yX  ^  a^y  so  ist 

y»i»4  =  ^  cos  («1  ^a^j^x  cos  (6fi  -  y)  cos  (a,  -  y), 
also  nach  leichter  Rechnung  allgemein 

^12  =  -  %^  =•  -^^  cos  y  -  f  sin  K  +  «,  -  2y)  sin  y, 

^1»  =  -"Tif  =  -if-  «°  y  +  7  sin  («,  +  a,  -  2y)  cos  y. 

Nun   ist   in   beiden  Formeln   y «  0   zu  setzen,    in  der   ersten 
c^j  r=  c^g  as«  ^ ,  in  der  zweiten  c^j  =  0,  a^^  ^  -,  dann  resultiert 

und   dies  ergiebt  nach  dem  eben  Gesagten,   wegen   (X^i^^  (Y^i)iij 

sogleich  ' 

X^^rd^ffldr  158') 

und,  indem  man  dies  in  (158)  einsetzt, 

9«,m  =  '^f  cos  {n^y  n^  +  r  -^  cos  (n^,  r)  cos  (w,,  r) .  158") 

Berücksichtigt  man,  daß 

/  \  d^r       ^     dr     dr  ira\ 

—  cos(7i,,n,)  =  r^—  . H  ^ —  5 — ,  159) 

-cos(ni,r)  =  ^,    +cos(w„r)«^  159') 

ist,  so  findet  sich 

ÖV  /^     ,       dw\  dr    dr  d* R  1  ea"\ 


152  /.  Teil,    Meekanik  starrer  Körper.    IIL  Kap. 


wenn  ^ryj^  dRjdr  gesetzt  wird,  worin  R  eine  Funktion  von  r  allein 
bezeichnet 

Für  die  Wirkung  eines  endlichen  Stromlaufes  s^  auf  einen  un- 
endlich kleinen  4  erhält  man  hiemach  das  Potential: 

1 60)  U,  =  df,j^  df,  =  df,  ^/||  df,  . 

Dies  Integral  soll  nun  allein  von  der  Gestalt  der  EandkurTe, 
nicht  von  der  Form  der  hindurchgelegten  Hilfsfläche  abhängen.  Dies 
wollen  wir  zur  Bestimmung  von  R  benutzen,  indem  wir  durch  Be- 
trachtung eines  speziellen  Falles  einen  Wert  von  R  ableiten  und  uns 
danach  überzeugen,  daß  derselbe  ganz  allgemein  der  gestellten  For- 
derung genügt 

Unterwirft  man  der  Berechnung  einen  Ereisstrom,  auf  dessen 
Axe  df^  liegt,  und  wählt  als  Oberfläche  /J  eine  Kugelfläche  von  be- 
liebigem Badius,  so  kann  man  leicht  erhalten: 

160')  fl^rf/;  =  2^  p<'^'-'  +  '--?- t'""^"'^  ^rfr  ; 

'  J   Ol»!    '*  J  Ti*  -  V  dr        ' 

hierin  ist  e  die  Entfernung  des  Kreisstromes  s^  von  der  durch  s^ 
gelegten  Ebene,  r^  die  von  einem  Randpunkte  von  s^,  r^  die  von 
dem  Axenpunkt  der  Oberfläche.  SoU  das  Integral  von  dem  Radius 
der  Kugeloberfläche  unabhängig  sein,  so  kann  es  auch  von  r^  nicht 
abhängen,  welche  Größe  von  den  unter  dem  Integral  stehenden 
allein  mit  jenem  Radius  variiert. 

Durch  teilweise  Integration  kann  man  für  R  oder  besser  für 
{rR)r:sro  leicht  eine  Differentialgleichung  bilden;  da  dieselbe  sich 
von  erstem  Grade  und  erster  Ordnung  findet,  so  ist  eine  jede  Lösung 
mit  einer  Konstante  die  vollständige. 

Die  Formel  (160')  macht  wahrscheinlich,  daß  R  eine  rationale 
Funktion  von  r  ist;   nimmt  man  probeweise  den  einfachsten  Ansatz 

so  findet  sich  w  =  —  1 ,  also 

100")  Ä  =  Ä/r. 

In  der  That  giebt  die  Einführung  dieses  Wertes 


/ 


^^df^  =  -  2^Ä(1  -cosi9-). 


dfii 

wenn  &  den  Winkel  zwischen  r^  und  r^  bezeichnet,  also  eine  von  r^ 
und  daher  dem  Radius  der  Kugelfläche  unabhängige  Größe. 


§  18.    Stromläufe  als  eykliaehe  Systeme,  153 

Man  erkennt  nun  auch  leicht,  daß  die  Funktion  R^  kjr  diese 
Eigenschaft,  die  Verwandlung  des  Oberäächenintegrales  in  ein  Rand- 
integral  zu  gestatten,  für  jede  Gestalt  der  Oberfläche  besitzt.  Denn 
das  Integral 


i^'^/i 


bat  die  Bedeutung  der  Öfihung  des  von  df^  nach  der  Begrenzungs- 
kurve  von  f^  konstruierten  Kegels,  und  zwar  positiv  oder  negativ 
genommen,  je  nachdem  die  Normale  n  innerhalb  des  Kegels  dem 
Element  df^  abgewandt  oder  zugewandt  ist 

Hiemach  ist  der  definitive  Wert  des  Potentiales  zwischen  zwei 
endlichen  Stromläufen  mit  der  Stromstärke  Eins 

n,,^-Ä,,^kjdf,jdf,^.  161) 

Derselbe  läßt  sich  natürlich  auch  in  ein  Doppelintegral  über  beide 
Bandkurven  s^  imd  s^  verwandeln;  das  Resultat  dieser  Umformung, 
welche  im  nächsten  Kapitel  ausführlicher  besprochen  werden  wird,  ist 

^.  =  -  ^»  =  -  kjds,jd*,  ^(^ ,  161') 

falls  «j  und  s^  in  positivem  Sinne  um  n^  und  n^  gerechnet  werden. 
Dabei  bleibt  naturgemäß  eine  zum  Argument  des  Integrales  additiv 
hinzutretende  Funktion,  die  bei  Integration  über  einen  der  Kreise 
identisch  verschwindet,  willkürlich. 

Die  Konstante  k  bestimmt  sich,  wenn  die  Einheit  festgesetzt  ist, 
in  welcher  die  Stromstärken  gerechnet  werden,  und  ihre  Festsetzung 
dient  umgekehrt  dazu,  um  bestimmte  Stromeinheiten  zu  definieren. 

Setzt  man  A  =  1,  so  ist  dadurch  die  sogenannte  elektrodyna- 
mische Stromeinheit  festgestellt. 

Nach  dem  auf  S.  149  Gesagten  unterscheidet  sich  nun  iZj^  und 
/Zgj  von  i7j2  nur  dadurch,  daß  in  dem  Ausdruck  für  iZj^  *,  mit  *j, 
resp.  «j  mit  s^  zur  Deckung  gebracht  wird.    Infolgedessen  gilt 

J      J  »•  I         161") 


n..  =  -  X.  =.  -  Aj'rf.Jrf^^^^^JiiL^ 


'22  ""  -"22 


und  es  ist  nunmehr  das  Formelsystem  (156)  in  allen  seinen  Teilen 
vollkommen  bestimmt  — 

Die  vorstehenden  Resultate,  welche  mit  den  auf  Seite  52  ab- 
geleiteten sachlich  durchaus  übereinstimmen,  sind  unter  spezieller 
Voraussetzung  starrer  linearer  Stromläufe  abgeleitet  und  haben  zu- 


154  /.  Teil.    Meehamk  starrer  Körper.    IIL  Kap, 

nächst  nur  für  solche  Gültigkeit;  sie  lassen  sich  aber  auf  Grund  der 
Bemerkung  Yon  S.  149,  daß  jeder  lineare  Strom  durch  ein  System  von 
Elementarströmen  ersetzbar  ist,  welche  die  Elemente  einer  beliebigen 
durch  den  Stromlauf  begrenzten  Fläche  umlaufen,  sogleich  auf  beliebig 
deformierbare  übertragen.  Denn  nach  dieser  Auffassung  kann  man 
jede  Deformation  durch  einen  Transport  von  Elementen  dieser  Fläche 
ohne  Deformation  derselben  bewirken.  Die  Formeln  (156)  geben 
hiemach  auch  die  bei  Gestalt-  und  Größenänderungen  beider  Leiter 
vorkommenden  ponderomotorischen  und  elektromotorischen  Kräfte  an. 

Femer  kann  man  im  Anschluß  an  die  Formeln  (156)  leicht 
den  Fall  erledigen,  daß  außer  den  Stromläufen  andere  elektrodyna- 
misch wirkende  Systeme  von  unveränderlicher  Stärke  vorhanden  sind, 
d.  h.  konstante  Magnete. 

In  dem  einfachsten  Fall,  daß  außer. ihnen  nur  ein  linearer 
Strom  gegeben  ist,  nimmt  die  lebendige  Kraft  den  Wert 

162)  ^^=^\i^A  +  ^Ä  +  Ä" 

an,  worin  Ä  linear,  Ä'  quadratisch  homogen  in  den  cyklischen  Ge- 
schwindigkeiten der  unveränderlichen  Systeme  ist 

Sind  diese  Geschwindigkeiten  gleich  Null,  so  bleibt  von  V  nur 
das  erste  Glied;  in  diesem  Falle  kann  man,  ohne  die  Wirkung  zu 
ändern,  das  konstante  System  verrücken,  woraus  folgt,  daß  Ä  die 
Positionskoordinaten  /?'  desselben  nicht  enthält.  Ä  ist  also  ebenso, 
wie  in  (155"),  das  Potential  des  Stromlaufes  auf  sich  selbst 

Femer  kann  Ä'  die  Positionskoordinaten  p  des  Stromlaufes 
nicht  enthalten,  weil  sonst  auch  bei  verschwindender  Stromstärke 
eine  ponderomotorische  Kraft  auf  den  Leiter  ausgeübt  werden  würde, 
was  den  Grundannahmen  widerspricht 

Wir  erhalten  sonach  bei  Benutzung  der  Bezeichnungen  aus 
(156)  einfach 

162')  i>=_(m  +  f^),     E^^^{iÄ  +  Ä'), 

und  dies  läßt  erkennen,  daß  die  von  den  p  und  ;>'  abhängende 
Funktion  —Ä  als  das  Potential  der  Wechselwiricung  zwischen  dem 
unveränderlichen  System  und  dem  vom  Strome  Eins  durchfiossenen 
Leiter  aufgefaßt  werden  kann,  welches  in  den  Formeln  für  P  und 
E  dieselbe  Stelle  einnimmt,  wie  das  Potential  der  Wechselwirkung 
zwischen  den  beiden  Stromläufen  in  (156)  und  (156'). 

Die  Ausdehnung  der  vorstehenden  Behandlimgsweise  auf  andere 
als  lineare  Leiter  läßt  sich  gleichfalls  durchführen®^;  wir  kommen 
auf  diese  Erweiterung  der  Theorie  an  geeigneter  Stelle  zurück. 


IV.  Kapitel 

Die  Potentialfonktionen. 

§  19.     Die  HEiT^TON'sohe  Potentialfanktion  von  stetigen  Massen- 
verteilungen. 

Das  Potential  0  der  nach  dem  NEWTON'schen  Gesetz  statt- 
findenden Wechselwirkung  zwischen  zwei  Massenpunkten  m  und  m^ 
ist  nach  Formel  (53') 

^.. km  nii 

r 

WO  r  die  Entfernung  zwischen  m.  und  m^  bezeichnet,  und  Dimension 
und  Zahl  wert  der  Eonstante  k  auf  S.  47  festgestellt  ist 

Das  auf  die  Masse  Eins  des  einen,  als  angezogen  betrachteten 
Massenpunktes  m  angewandte  Potential 

<P r- 

nennt  man  die  Potentialfunktion  des  Massenpunktes  m^^^]  ihr 
hierdurch  definierter  Wert  bildet  den  Ausgangspunkt  der  folgenden 
Entwickelungen.  Da  indessen  das  NEwroN'sche  Gesetz  mit  anderer 
Bedeutung  sowohl  der  Massen  tr^,  als  der  Eonstanten  k,  in  anderen 
Gebieten  der  Physik,  als  der  Mechanik  Anwendung  findet,  so  wollen 
wir  den  dem  Sinn  nach  allgemeineren  Ausdruck 

in  welchem  f  eine  beliebige  Eonstante,  und  m^  nicht  nur  eine 
ponderable  Masse,  sondern  irgend  eine  die  Größe  der  Wirkung  des 
Punktes  charakterisierende  Quantität  bezeichnet,  weiterhin  benutzen. 
Um  zu  den  Gravitationswirkungen  zurückzukehren,  haben  wir 
dann  bloß  /"=  —  A  zu  setzen  und  m^  mit  einer  ponderabeln  Masse 
zu  identifizieren,  um  zu  elektrischen  oder  magnetischen  Wirkungen 
zu  gelangen,  ist  nach  S.  48  /*=  +  A'  zu  wählen  und  »i^  mit  einer 
elektrischen  oder  magnetischen  Quantität  zu  vertauschen. 


156  L  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    IV,  Kap, 


^Ä? 


Die  Potentialfunktion  eines  Systemes  diskreter  Massen- 
punkte m^  folgt  aus  obiger  Definition  in  der  Form 

163)  Vf^T^ 

h 

WO  Vj^  die  Entfernung  des  Einheitspoles  von  wi^  bezeichnet. 

Wir  betrachten  weiterhin  die  Koordinaten  x,^,  y^,  z^  der  wir- 
kenden Punkte  171^  als  unveränderlich  gegeben,  die  Potentialfunktion 
also  als  nur  von  den  Koordinaten  x,  y,  z  a-bhängig,  welche  den  Ort 
der  angezogenen  Masseneinheit  bestimmen.  Als  Funktion  von  x,  y,  z 
besitzt  nun  die  Potentialfunktion  eines  Punktsystemes  offenbar  fol- 
gende Eigenschaften. 

q>  ist  eindeutig  und  stetig,  d.  h.  regulär,  im  ganzen  Raum, 
giebt  in  dem  Punkt  m^  den  Grenzwert 

163')  hm{r,(p)=fm, 

und  erfüllt,  falls  alle  Massenpunkte  im  Endlichen  liegen,  im  unend- 
lichen die  Gleichungen 

163")  liin(r„9,)=/-^«,„     lim  (v|f )  =  - /"-S 

worin  Tq  die  Entfernung  vom  Koordinatenanfang  bezeichnet;  letzteres 
können  wir  kürzer  dahin  ausdrücken,  daß  die  Funktion  (p  in  m^^ 
unendlich  groß  erster,  im  Unendlichen  unendlich  klein  erster  und 
zugleich  ihre  Derivierten  unendlich  klein  zweiter  Ordnung  werden. 
Endlich  befolgt  (p  überall  die  Beziehung®^) 

Diese    Summe    der    drei    zweiten   Differentialquotienten    nach    den 
Koordinaten  werden  wir  weiterhin  kurz  durch 

A(p, 
oder,  wo  es  der  Deutlichkeit  wegen  wünschenswert  erscheint,  durch 

A,y,y     oder     A,?» 
bezeichnen;  während  das  Aggregat 

in  dem  i//  eine  Funktion  von  x  und  y  allein  bedeutet,  in 

Aajyt/;     oder     l^^ip 
abgekürzt  werden  soll.  — 


§  19,    Die  Potantialfunkttan  stetiger  MassenverteUtmgen.  157 


Sind  wirksame  Punkte  in  unendlich  großer  Zahl  längs  einer 
stetig  gekrümmten  Kurve  s^  verteilt,  die  ganz  im  Endlichen  liegen 
mag,  so  daß  auf  dem  Linienelement  ds^  die  Masse  dm^  ausgebreitet 
ist,  so  heißt  dm^j ds^^  r^,  vorausgesetzt,  daß  der  Grenzwert  von 
der  Größe  von  ds^  unabhängig  ist,  die  Dichte  der  Kurvenbelegung 
oder  die  lineare  Dichte  an  der  Stelle  arj,  y^,  Zj,  und  nimmt  die 
Potentialfunktion  (168)  die  Form  an 

in  der  wir  r^  als  eine  stetige  Funktion  von  s^  ansehen  wollen. 

Diese  Funktion  verhält  sich  in  endlicher  Entfernung  von  der 
Kurve  und  im  Unendlichen,  analog  wie  die  Potentialfunktion  (163), 
regulär,  erfüllt  auch  die  Bedingungen  (163")  und  (163"'),  wird  aber 
bei  Annäherung  an  die  Kurve  derart  unendlich,  daß  die  Formeln  gelten 

worin  n  die  senkrechte  Entfernung  von  der  Kurve  und  r  die  lineare 
Dichte  im  Fußpunkt  von  n  bezeichnet*^). 

Dies  kann  man  beweisen,  indem  man  die  belegte  Kurve  zer- 
legt in  ein  dem  genäherten  Punkte  unendlich  nahes  Sttick,  welches 
als  eine  mit  homogener  Dichte  r  belegte  Gerade  betrachtet  werden 
kann,  und  den  Rest,  der  zu  dem  ünendlichwerden  der  Potential- 
funktion nur  einen  Beitrag  von  niedrigerer  Ordnung  liefern  kann. 

Die  Potentialfunktion  y'  einer  homogenen  Geraden  von  der 
Länge  2L  und  der  linearen  Dichte  t  auf  einen  Punkt  im  normalen  Ab- 
stand n  von  ihrer  Mitte  bestimmt  sich  durch  eine  einfache  Rechnung  zu 


164"') 


daher  wird 

B(p' 2ftL 

Wird  n  unendlich  klein  gegen  X,  so  wird 

und  dasselbe  gilt  nach  dem  Obigen  für  die  Potentialfunktion  cp  einer 
beliebigen  stetig  gekrümmten  Kurve  mit  stetig  wechselnder  Dichte.  — 
Erfüllen  die  wirkenden  Massenpunkte  in  unendlich  großer  Zahl 
eine  stetig  gekrümmte  Oberflächeoj,  welche  wiederum  ganz  im  End- 
lichen liegen  mag,  und  befindet  sich  auf  dem  Flächenelement  do^ 


158  L  Teil.    Mechanik  starrer  Körper,    IIL  Kap, 

die  Masse  dm^j  bo  heißt  dm^fdo^^  a^,  vorausgesetzt,  daß  sein  Wert 
von  der  Gestalt  und  Größe  von  do^  unabhängig  ist,  die  Flächen- 
dichte der  Belegung  an  der  Stelle  x^,  y^,  Zj  von  Oj,  und  lautet 
die  Potentialfunktion  dieser  Massenverteilung 

165)  ^^ff^, 

worin  wir  or^  als  auf  o^  stetig  annehmen. 

Diese  Funktion  verhält  sich  in  endlicher,  wie  in  unendlich  großer 
Entfernung  von  der  Fläche  o^  regulär  und  erfüllt  daselbst  die  Glei- 
chungen (163")  und  (163'");  sie  ist  in  der  Oberfläche  endlich  und 
geht  stetig  durch  sie  hindurch;  aber  ihre  Ableitungen  nach  den  Nor- 
malen Wj  und  iig  auf  den  beiden  Seiten  von  o^  erfüllen  die  Gleichungen 

•"O")      (0),  -  (01 --■""••' (i+i>). 

worin  o"  die  Dichte  und  Ä'  und  Ä"  die  Hauptkrümmungsradien  der 
Oberfläche  an  der  Stelle  n  =  0  bezeichnen;  letztere  sind  positiv  ge- 
rechnet, wenn  sie  in  die  Normale  n^  fallen*').  Der  horizontale  Strich 
über  einem  Ausdruck  bedeutet  hier  und  später,  daß  sein  Wert  in 
der  Oberfläche  genommen  ist 

IJie  Endlichkeit  von  tp  in  der  Oberfläche  erkennt  man  ohne 
Kechnung,  wenn  man  Polarkoordinaten  vom  Einheitspol  aus  einführt 

Die  übrigen  Sätze  beweist  man,  indem  man  um  die  Stelle  n  =  0 
eine  unendlich  kleine  Kugel  konstruiert  und  durch  dieselbe  ein  Bereich 
ß  aus  der  Oberfläche  ausschneidet,  auf  dem  <t^  als  konstant  gleich  ir 
angesehen  werden  kann,  und  dieses  der  Betrachtung  unterwirft;  der 
Teil  von  o  außerhalb  ß  kann  keine  Unstetigkeit  verursachen,  darf  also 
außer  Betracht  bleiben.  Zerlegt  man  ß  durch  ein  System  von  durch 
die  Normale  n  gelegten  Ebenen  in  unendlich  schmale  Sektoren  und 
faßt  dieselben  paarweise  zusammen,  so  ist  ersichtlich,  daß  ein  zwischen 
denselben  Ebenen  gelegenes  Sektorenpaar  zu  den  Werten  von 

den  gleichen  Anteil  geben  muß,  wie  der  zwischen  denselben  Ebenen 
liegende  Doppelsektor  einer  mit  der  konstanten  Dichte  tr  belegten 
Eugelfläche  vom  Eadius  i2,  falls  R  den  mittleren  Krümmungsradius 
der  beiden  Kurven  darstellt,  in  welchen  die  Oberfläche  o  innerhalb  ß 
von  den  beiden  unendlich  nahen  Ebenen  geschnitten  wird. 

Nun  ist  aber,  wie  eine  einfache  Rechnung  ergiebt,  die  Potential- 
funktion qp'  einer  homogenen  Kugelfläche  vom  Radius  B,  der  Dichte  c 


§  19.    Die  PotenHalfunkHon  stetiger  Massenverteilungen.  159 


und  der  Gesamtmasse  M  für  einen  äußeren  Punkt,  falls  e  den  Ab- 
stand desselben  vom  Kugelcentrum  bezeichnet, 

fUr  einen  inneren  Punkt 

9>i  =  4  «/-Ä «r  = /-^ ;  166) 

also  wird  fiir  einen  Doppelsektor,  welcher  von  zwei,  im  Winkel  dx 
durch  die  Bichtung  von  e  gelegte  Ebenen  begrenzt  ist, 

rfy;=iZ^^,    d<p\^AfRadx. 

e 

Für  Punkte  unendlich  nahe  der  Kugelfiäche  erhält  man 


dtf)\^  AfRadx,      dtp\^  AfRadx^ 


ö  (d  (p'^  d  (d  (p'^ 


de^       ""  "^       B       '  de«       "*     ' 

wobei  das  Differentialzeichen  d  nur  zum  Unterschied  von  dem  dx 
entsprechenden  d  gesetzt  ist. 

Nun  sind  nach  dem  Vorstehenden  flir  unendlich  nahe  Punkte 
die  Unterschiede  der  Werte  von  <p  und  seiner  Differentialquotienten 
auf  beiden  Seiten  der  Oberfläche  identisch  mit  denjenigen  der 
Funktionen 

fdip'a     und    fd(p\, 

die  Integrale  über  alle  Doppelsektoren  ausgedehnt. 
Benutzt  man  bei  der  Berechnung,  daß 


fdx  =  n,.   f^^^{±  +  l.;j 


ist,  und  ftthrt  wieder  die  Normalen  n^  und  n^  auf  beiden  Seiten  der 
Oberfläche  nach  Außen  gerichtet  ein,  so  erhält  man 

Vi  ^  ^2  =  Ö  ? 


wo  -B'  und  J?"  in  dem  oben  festgesetzten  Sinne  positiv  zu  rechnen 
sind.     Dies  sind  aber  die  zu  beweisenden  Formeln.  — 

Erfüllen  endlich  die  wirksamen  Punkte  einen  ganz  im  Endlichen 


160  Z  TW/.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap, 


liegenden  Baum  k^  und  bezeichnet,  wie  früher  dm^jd^^^s  p^,  die 
stetig  gedachte  Dichte  der  räumlichen  Verteilung  an  der  Stelle  x^,^iyZ^, 
so  nimmt  die  Potentialfunktion  den  Wert 


167)  y=//- 


r 


an.  Diese  Funktion  verhält  sich  mit  ihren  ersten  Deri vierten  im 
ganzen  Räume  regulär  und  erfüllt  im  unendlichen  die  Glei- 
chungen (163"),  im  ganzen  äußeren  Raum  die  Gleichung  (163'"); 
ihre  zweiten  Differentialquotienten  springen  beim  Durchgang  durch 
die  Grenze,  falls  q  die  dort  vorhandene  Dichte,  und  n  die  in  be- 
liebigem Sinn  gerechnete  Normale  bezeichnet,  gemäß  den  Formeln 


167') 


Hiermit  steht  im  Zusammenhang,  daß  in  dem  von  Masse  er- 
füllten Raum  die  Beziehung  gilt 

167")  Jy,.=  -4;r/'p, 

wo  Q  die  Dichte  an  der  Stelle  j:,  y,  z  bezeichnet**). 

Daß  (p  im  ganzen  Innern  des  Körpers  endlich  ist,  ergiebt  sich 
wiederum  ohne  Rechnung  durch  Einführung  von  Polarkoordinaten. 

Zum  Beweise  der  übrigen  Sätze  schneiden  wir  durch  eine  un- 
endlich kleine  Eugelfläche  um  irgend  einen  Punkt  der  Oberfläche 
von  k^  ein  nahezu  halbkugeliges  Bereich  ß  von  konstanter  Dichte  q 
aus  dem  Körper  aus,  welches  den  Einheitspol  enthält,  und  schließen 
wie  oben,  daß  der  äußere  Teil  von  Aj  zu  etwaigen  Sprüngen,  die  (p 
und  seine  Derivierten  beim  Durchgang  durch  die  Grenze  erleiden, 
keinen  Anteil  geben  kann. 

ß  zerfallen  wir  durch  Meridianebenen,  durch  die  Normale  auf 
der  Oberfläche  als  Polaxe  gelegt,  in  Doppelsektoren  von  der  Winkel- 
öffnung dx,  deren  jeden  wir  als  das  Stück  eines  analogen  Doppel- 
sektors aus  einer  VoU-  oder  Hohlkugel  von  bestimmtem  Radius  an- 
sehen können.  Jeder  Doppelsektor  von  ß  giebt  also  zu  den  Unstetig- 
keiten  von  cp  den  gleichen  Anteil,  wie  ein  Doppelsektor  gleicher 
Winkelöffittung  aus  einer  gewissen  homogenen  Voll-  oder  Hohlkugel. 

Nun  kann  man  aber  leicht  berechnen,  daß  die  Potentialfunktion 
(p^  einer  Hohlkugel  von  den  Radien  B^  und  iZ,-,  der  Dichte  q  und 


19,    Die  PotentialfunkHon  stetiger  Massenverteilungen. 


161 


der  Gesamtmasse  M  auf  einen  Punkt  im  Abstand  e  yom  Centrum, 
je  nachdem  derselbe  sich  im  Außenraum,  innerhalb  der  Masse  oder 
im  Hohlraum  befindet,  gegeben  ist  durch 


Ti--s?W--»fl-/'T' 


,i_l;A(3^.._.._£^), 

Für  eine  Vollkugel  ist  i?j  =  0,  Ra^  R  zu  setzen,  woraus  folgt 


168) 


-/■^, 


^«  -  Ve 


168') 


Diese  Werte  zeigen,  daß  qp'  und  seine  erste  Derivierte  nach  der 
Nonnalen  stetig  durch  die  sämtlichen  Grenzen  gehen,  gleiches  gilt 
somit  auch  von  dem  allgemeinen  qp.  Femer  springt  der  zweite 
Dififerentialquotient  nach  der  Normalen  beim  Austritt  aus  der  Masse 
um  —iTifQ,  also  einen  von  dem  Badius  imabhängigen  Betrag; 
gleiches  gilt  sonach  auch  von  q),  so  daß  wir  zunächst  die  Resultate 
haben 


dn, 


ön. 


168") 


Hieraus  lassen  sich  aber  leicht  die  Formeln  (167')  gewinnen. 
Aus  den  drei  ersten  von  ihnen  folgt  weiter 

A  qc,-  —  A  y«  =  —  ^^fQj 
also  wegen  A  ^a  =  0 , 

A  qp,=  —^nfQ. 

Nun  zerlege  man  den  Körper  durch  eine  stetig  gekrümmte 
Fläche  in  zwei  Teile;  im  ersteren  hege  der  Punkt  x,  y,  z,  und  zwar 
unendlich  nahe  an  der  Trennungsfläche.  Ebenso  zerlege  man  y 
in  (p^  und  y^,  die  von  den  beiden  Teilen  herrühren.  Dann  ist 
nach  der  letzten  Formel 

A  ^1  =  -  4;r/'(>, 

wo  Q  die  Dichte  an  der  inneren  Stelle  ar,  y,  z  bezeichnet;  zugleich 
gilt  daselbst 

A  %  =  0, 

Voigt,  TheoretiBche  Phjeik.  1  \ 


162  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper,    IV,  Kap, 

also  folgt,  als  für  alle  inneren  Punkte  gültig, 

Im  vorstehenden  sind  überall  stetige  Dichtigkeiten  r,  or,  q  voraus- 
gesetzt, aber  es  ist  leicht  zu  erkennen,  welche  der  erhaltenen  Re- 
sultate auch  bei  unstetigen  gültig  bleiben.  Von  praktischem  Interesse 
ist  nur  der  Fall,  daß  die  räumliche  Dichte  g  längs  einer  Fläche 
unstetig  ist,  wo  wir  dann  nach  S.  93  diese  Fläche  passend  als  zu 
der  Begrenzung  des  Körpers  gehörig  betrachten.  Auch  in  ihr 
bleibt  <p  mit  seinen  ersten  Differentialquotienten  endlich  und  stetig, 
während  die  zweiten  springen,  imd  zwar  in  der  durch  die  Formeln 
(167')  gegebenen  Weise,  falls  man  in  ihnen  an  die  Stelle  von  q  die 
Differenz  der  Dichten  zu  beiden  Seiten  der  Unstetigkeitsfläche  setzt  — 

§  20.  Die  NBWTON'sche  Potentialfimktion  von  neutralen  FoLBystemen. 
Molekulare  Theorie   der  dielektrlBchen   und  magnetischen  Influens, 

der  Fyro-  und  Fiezoelektricitat. 

Bei  den  Anwendungen  der  Potentialfunktion  auf  die  Lehre  von 
der  Elektricität  und  dem  Magnetismus  wird  man,  wie  schon  auf 
S.  48  gesagt  ist,  veranlaßt^  Wechselwirkungen  in  Betracht  zu  ziehen, 
bei  denen  die  wirkenden  Massen  7nf^  bald  positiv,  bald  negativ,  also 
die  Kräfte  bald  abstoßend,  bald  anziehend  sind. 

Die  Sätze  des  vorigen  Abschnittes  sind  für  positive  und  nega- 
tive Massen  durchaus  gleichmäßig  gültig,  nur  ist  der  angezogene 
Einheitspimkt  immer  positiv  vorausgesetzt;  soll  er  negativ  sein,  so 
ist  f  mit  —  /*  zu  vertauschen. 

Zu  neuen  Verhältnissen  gelangt  man,  wenn  man  negative  und 
positive  Massen,  je  in  gleichen  Quantitäten  einander  unendlich  nahe 
angeordnet,  zu  einem  System  vereinigt,  welches  als  neutral  be- 
zeichnet werden  mag,  und  dessen  Potentialfunktion  bestimmt 

Hier  kommen  zunächst  die  Systeme  von  diskreten  Massen- 
punkten oder  Polen  in  Betracht,  die  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit 
als  Analoga  zu  den  Atomgruppen  gelten  können,  welche  die  pon- 
derabeln  Körper  bilden. 

Ist  yj  die  Potentialfunktion  irgend  eines  Massensystemes,  so  ist 

169)  »-»^ly. 

WO  /  eine  beliebige  Sichtung  und  A  eine  auf  derselben  abgegrenzte 
unendlich  kleine  Strecke  bezeichnet,  die  Potentialfunktion  eines 
gewissen  neutralen  Systemes,  das  aus  zwei  dem  obigen  kongruenten 


§  20.    Die  Poienüalfunktion  neutraler  Punktsysteme,  163 

eiDfachen  Systemen  besteht,  von  denen  das  eine/  mit  den  gleichen 
Massen  behaftete,  um  Xj2  in  der  Richtung  +/,  das  andere,  mit 
den  entgegengesetzten  Massen  behaftete,  um  Xj2  in  der  Rich- 
tung —  /  aus  der  ersten  Position  verschoben  ist;  die  Formel  gilt 
indessen  nur  solange,  als  X  unendlich  klein  ist  gegenüber  der  Ent- 
fernung des  angezogenen  Elinheitspoles  von  aUen  Punkten  des  Systemes. 
So  giebt 

^^^fmX-^  169') 

die  Potentialfunktion  eines  Punktepaares,  welches  durch  das  Mo- 
ment jKj  =  mX  und  die  Richtung  der  Axe  /,  Ton  —  m  nach  +  m 
positiv  gerechnet,  charakterisiert  ist; 

dasjenige  eines  neutralen  Doppelpaares,  dessen  Punkte  ±  wi  in 
den  Ecken  des  Parallelogrammes  mit  den  Seiten  A  und  X  parallel  / 
und  V  liegen  und  für  welches  /,  l  und  ju,  =  mXX  charakteristisch  ist. 
Durch  Wiederholung  dieser  Operation,  die  wir  kurz  Multi- 
plikation nach  bestimmten  Richtungen  nennen  woUen, gelangen 
wir  zu  immer  höheren  Potentialen**),  deren  allgemeinster  Ausdruck 
die  Funktion 

ist,  wenn  v  ==  a  +  ß  +  y  . ,  . 

a^  ß,  y  . . ,  mag  der  Grad  der  einzelnen  Multiplikation, 
V  der  Gesamtgrad  des  Potentiales  und  auch  des  zugehörigen  Punkt- 
systemes  heißen.  Ein  Potential  vom  Grad  v  entspricht  im  allge- 
meinen einem  neutralen  Punktsystem  von  iV=2»'  Polen;  indessen 
können  sich  von  diesen  in  bestimmten  Fallen  sehr  viele  zu  mehr- 
fachen Punkten  summieren  oder  wegen  ihres  entgegengesetzten 
Zeichens  in  ihrer  Wirkung  zerstören. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  absoluten  Beträge  der  parallel 
a,  3,  c  .  .  .  stattgefundenen  Verschiebungen  in  dem  Ausdruck  (169'") 
für  q)y  gar  nicht  auftreten;  daher  kann  man  über  sie  ganz  beliebig 
verf&gen.  Dies  zeigt,  daß  dieselbe  Potentialfunküon  <p  einer  unend- 
lichen Vielheit  von  Punktsystemen  entspricht  und  unter  Umständen 
ganz  andere  Symmetrieeigenschaften  besitzen  kann,  als  das  zugehörige 
Punktsystem. 

11* 


164  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    IV.  Kap. 

Die  Polsysteme,  welche  dem  Potential  (169'")  entsprechen  und 
somit  durch  successive  Multiplikation  aus  einem  Pol  abgeleitet  werden 
können,  wollen  wir  einfache  nennen;  ihnen  treten  gegenüber  die 
zusammengesetzten,  welche  durch  Ineinanderstellen  mehrerer 
einfacher  erhalten  werden.  Ihre  Potentialfunktionen  werden  durch 
Summen  von  Gliedern  der  Form  (169'")  dargestellt. 

Ein  Hauptvorzug  der  Potentialfunktionen  einfacher  neutraler 
Polsysteme  gegenüber  denjenigen  zusammengesetzter  ist,  daß  man 
ihre  Symmetrieeigenschaften  außerordentlich  bequem  beurteilen  und 
demgemäß  leicht  spezielle  Ausdrücke  bilden  kann,  welche  gewünschte 
Symmetrieelemente  besitzen.  Die  letztere  Aufgabe  bietet  sich,  wenn 
es  sich,  wie  zum  Zweck  der  Erklärung  gewisser  elektrischer  und  mag- 
netischer Erscheinungen,  darum  handelt,  Punktsysteme  aufzufinden, 
die  geeignet  scheinen  könnten,  Moleküle  von  krystallisierten  Sub- 
stanzen zu  bilden,  also  ein  Potential  auszuüben,  welches  die  Sym- 
metrie der  betreflfenden  Krystallform  hat. 

Das  Gleiche,  wie  von  der  Symmetrie  der  Potentialfunktion,  gilt 
auch  von  der  Symmetrie  der  nach  irgend  einer  Richtung  ausgeübten 
Komponenten,  sowie  von  dem  Potential  und  den  Komponenten  der 
Wechselwirkung  zwischen  zwei  derartigen  Systemen. 

Es  kommen  hierfür  folgende  äußerst  leicht  nachweisbare  Sätze 
in  Betracht®^ 

Die  Symmetrie  der  Potentialfunktion  (p^  ändert  sich  nicht, 
wenn  man  irgend  welche  von  ihren  Multiplikationsrichtungen  mit 
den  entgegengesetzten  vertauscht 

Der  Wert  der  Potentialfunktion  (py  bleibt  ungeändert,  wenn  man 
eine  Multiplikationsrichtung  von  geradem  Grade  oder  aber  zwei  von 
ungeradem  Grade   gleichzeitig  umkehrt. 

Die  Potentialfunktion  <py  besitzt  ein  Centrum  C  der  Symmetrie, 
wenn  ihr  Gesamtgrad  v  eine  gerade  Zahl  ist 

Sie  besitzt  eine  Symmetrieebene  E,  wenn  die  Multiplikations- 
richtungen (auch  ihrem  Grade  nach)  zu  dieser  Ebene  symmetrisch 
liegen  oder  mit  Hilfe  des  ersten  Satzes  so  gelegt  werden  können. 

Sie  hat  eine  w-zählige  Symmetrieaxe  A,  wenn  die  Multiplikations- 
richtungen zu  je  n  von  gleichem  Grade  auf  einem  Kreiskegel  um  -/ 
in  gleichem  Winkelabstand  angeordnet  werden  können. 

Außerdem  ist  A  spezieller  eine  zweizählige  Symmetrieaxe  auch 
dann,  wenn  die  Summe  der  Grade  aller  normal  zu  A  liegenden  Multi- 
plikationsrichtungen eine  gerade  Zahl  ist. 

Beliebige  Multiplikationen  nach  der  Sichtung  von  Ä  stören  diese 
Symmetrie  nicht,  wie  überhaupt  verschiedene  Multiplikationsgruppen, 


§  20.    Die  PotenHalfunktion  neutraler  Punktsysteme.  165 


welche  A  je  denselben  Charakter  erteilen,  sich  in  ihrer  Wirkung 
nicht  beeinträchtigen. 

Endlich  besitzt  die  Potentialfunktion  eine  m- zählige  Spiegel- 
drehungsaxe  8,  wenn  normal  zm  S  m  Multiplikationshchtungen  von 
gleichem,  aber  ungeradem  Grade  liegen,  von  denen  die  benachbarten 
den  Winkel  n/m  einschließen,  während  parallel  S  eine  Multipli- 
kation von  beliebigem  ungeraden  Grade  stattfindet. 

Multiplikationen,  welche  die  Eichtung  S  zu  einer  2  m -zähligen 
Symmetrieaxe  machen,  stören  jene  Symmetrie  nicht. 

Mit  Hilfe  dieser  Sätze  kann  man  leicht  Potentialfunktionen  tp^ 
bilden,  welche  die  Symmetrie  irgend  einer  der  32  Krystallgruppen 
besitzen,  also  auch  die  neutralen  Polgruppen  ableiten,  welche  jene 
Potentiale  ausüben;  hierbei  wird  man,  um  letztere  von  mögUchst 
übersichtlichem  Bau  und  möglichst  hoher  Symmetrie  zu  erhalten,  die 
Verschiebungen  X  für  gleichwertige  Multiplikationsrichtungen  auch 
gleich  groß  wählen.  — 

Für  das  Verständnis  der  insbesondere  von  krystaUinischen  Nicht- 
leitern gezeigten  elektrischen  Erscheinungen  kann  man  sich  einen 
Krystall  als  ein  regelmäßig  angeordnetes  System  derartiger  Polgruppen 
mit  elektrischen  Ladungen  denken,  deren  einzelne  Punkte  sich  unter 
der  Gesamtheit  der  auf  sie  ausgeübten  Kräfte  im  Gleichgewicht  be- 
finden oder  wenigstens,  was  für  viele  Wirkungen  keinen  unterschied 
macht,  um  eine  Ruhelage  osciUieren.  Die  Anordnung  der  Pole  im 
Molekül,  und  damit  die  direkt  beobachtbare  elektrische  Wirkung 
des  ganzen  Körpers  auf  äußere  Punkte,  wird  sich  ändern  können  in- 
folge der  Einwirkung  äußerer  elektrischer  Kräfte,  infolge  einer  Tem- 
peraturänderung, die  den  Bewegungszustand  beeinflußt,  und  infolge 
einer  Deformation  des  KrystaUes,  welche  die  Anordnung  und  Orien- 
tierung der  einzelnen  Moleküle  verändert 

Die  Verfolgung  dieser  Vorstellung  liefert  eine  molekulare  Theo- 
rie der  vorgenannten,  an  elektrischen  Nichtleitern  beobachtbaren 
Erscheinungen,  welche  man  resp.  dielektrische  Polarisation,  Pyro- 
und  Piezoelektricität  nennt;  der  ersteren  entspricht  bei  magnetisier- 
baren  Körpern  der  Vorgang  der  Influenzierung  durch  magnetische 
Kräfte. 

Für  diese  Theorie  ist  zu  erwägen,  daß  die  Potentialfunktionen  der 
durch  successive  Multiplikation  aus  einem  Punkt  erhaltenen  Pol- 
systeme außerordentlich  schnell  mit  der  Entfernung  abnehmen,  so 
daß  ihre  Wirkungen  bei  einigermaßen  großer  Polzahl  nahezu  als 
molekulare  im  gewöhnlichen  Sinn  des  Wortes,  nämlich  als  in  jeder 
merklichen  Entfernung  unmerklich,  betrachtet  werden  können.    Durch 


166  /.  Teil*     Meehanik  starrer  Körper.    IV,  Kap, 

die  erwähnten  Umgestaltungen  können  sie  aber  zu  Femwirkungen 
von  viel  größerer  Intensität  gebracht  werden. 

Um  dies  zu  erkennen,  wollen  wir  die  Potentialfimktion  des 
Volumenelementes  rfA^  eines  aus  Molekülen  der  betrachteten  Art  zu- 
sammengesetzten neutralen  Körpers  berechnen;  dieselbe  ist  zunächst 
gegeben  durch 


m 


h 


170)  ^'^f2-^, 


^h 


wo  wift  die  Masse  des  einzelnen  Atomes  oder  Poles  bezeichnet.  Ver- 
stehen wir  unter  ar^,  y^,  z^  einen  beliebig  innerhalb  des  Volumen- 
elementes gelegenen  Punkt,  unter  r  seine  endliche  Entfernung  von 
dem  Enheitspunkt  an  der  Stelle  x,  y,  z,  unter  ah,  bk,  c^  die  rela- 
tiven Koordinaten  von  nih  gegen  ihn,  so  kann  man  schreiben 


1700 


8^  ö-i  ö^ 


+  i  Q—i  -2"  »ift  flft*  +  .... 

Hierin  ist  ^m^  nach  der  Annahme  gleich  Null;  die  drei  Sum- 
men ^m^a^y  ^m^bk,  Sm^Ch  kann  man  bei  stetig  mit  dem  Ort 
wechselnder  Verteilung  und  bei  einer  Dichte,  die  innerhalb  dk^  eine 
sehr  große  Anzahl  von  Polen  Platz  finden  läßt,  als  mit  dk^  propor- 
tional betrachten  und  daher  setzen 

170")      -2'wia  Ca  =  cfj  rfÄj ,     Sm^ bh  =  ß^dk^,     -5*m/^  c^  =  ^j  rf A^ . 

Man  versteht   nun   allgemein   unter   den  Momenten  ^,  B,  C 
eines    neutralen   Körpers    nach   den   Koordinatenaxen   die 
Aggregate 
171)  2mt,Xh  —  Ä,     ^rriht/h  —  B,     SSmj,Zf,=^C, 

summiert  über  alle  in  dem  Körper  enthaltenen  Pole. 

Die  Ay  JS,  C  transformieren  sich  wie  Kraftkomponenten,  sind  auch, 

wie  sie,  von  der  Lage  des  Koordinatenanfangspunktes  unabhängig, 

lassen  sich  also  als  Komponenten  eines  Vektors  M  betrachten,  dessen 

Größe  durch 

171-)  JP=^Ä^  +  B^  +  C^, 

dessen  Richtung  durch 

171")  cos  {L,x)  :  cos  {L^y)  :  {L,z)  =  Ä:  B  :  C 

gegeben  ist®^ 

Der  Vektor  jlf  heißt  das  Gesamtmoment  des  neutralen  Kör- 
pers, seine  Richtung  L  dessen  Axe. 


§  20,    Die  Potentialfunktion  neutraler  Punktsysteme,  167 

Diese  Definitionen  finden  in  gleicher  Weise  bei  magnetisch,  wie 
bei  dielektrisch  erregten  Körpern  Anwendung. 

Das  Moment  D  nach  einer  beliebigen  Richtung  ist  nach  den 
allgemeinen  Eigenschi^en  der  Vektoren  durch 

J)^Mcos{D,Z)  171'") 

gegeben;  M  stellt  sich  also  als  der  absolut  größte  Wert  dar,  den  D 
für  irgend  eine  Richtung  annehmen  kann. 

Berücksichtigt  man  dies,  sowie,  daß  eine  Verlegung  des  Koordi- 
natenanfangs die  Momente  nicht  verändert,  so  erkennt  man,  daß  in 
Gleichung  (170")  a^,  /Sj,  y^  die  Momente  der  Volumeneinheit 
darstellen.  Die  Potentialfunktion  qp'  ist  bei  Beschränkung  auf  die 
niedrigsten  Glieder  eine  lineare  Funktion  von  ihnen  und  lautet  nun- 
mehr für  Punkte  in  endlicher  Entfernung  von  dk^ 


wofür  man  bei  Einfilhrung   des  Gesamtmomentes  jttj    der  Volumen- 
einheit und  der  Richtung  l^  der  Axe  auch  schreiben  kann 

if'^fti,^dh,.  172-) 

Vergleichen  wir  dies  mit  der  Formel  (169'),  so  erkennen  wir, 
daß,  wenn  die  a^,  /Sj,  y^  nicht  verschwinden,  das  Volumenelement 
rfÄj  sich  wie  ein  einfaches  Polpaar  verhält  Verschwinden  sie  aber, 
so  muß  man  die  Entwickelung  von  1  /r^  nach  Potenzen  von  «ä,  &a>  <?* 
weiter  fiihren  und  erhält  dann  die  Potentialfunktion  (p  dargestellt 
durch  ein  Aggregat  höherer  Potentiale  der  oben  besprochenen  Art 
mit  speziellen  Multiplikationsrichtungen.  — 

Haben  die  Moleküle  in  irgend  einem  Zustande  des  Körpers,  den 
wir  den  normalen  nennen  woUen,  die  Eigenschaften  jener  durch  suc- 
sessive  Multiplikation  aus  einem  Punkt  abgeleiteten  Polsysteme,  so 
ist,  was  die  unmittelbare  Anschauung  lehrt,  ihr  Moment  stets  gleich 
NuU,  sowie  ihr  Grad  höher  ist  als  zwei;  das  Gleiche  gilt,  da  die 
Momente  cfj ,  /9j ,  y^  des  Volumenelementes  in  Bezug  auf  die  Koordi- 
natenaxen  nach  ihrer  Definition  mit  den  Summen  der  bezüglichen 
Momente  aller  in  demselben  enthaltenen  Moleküle  identisch  sind, 
auch  für  jene. 

Nun  erfordert  aber  auch  die  niedrigste  Symmetrie  einen  Grad 
der  molekularen  Potentialfunktion,  der  mindestens  gleich  drei  ist, 
höhere  Symmetrie  Grade,  die  selbst  zwölf  übersteigen;  daraus  folgte 


168  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper,    IV,  Kap. 


daß,  wenn  das  Volumenelement  eines  Körpers  merkliche  femwirkende 
Kräfte  ausübt,  seine  Moleküle  sich  nicht  in  jenem  normalen  Zu- 
stande befinden  können. 

Man  kann  nun  jeden  elektrisierten  Nichtleiter  und  jeden  magnetisch 
erregten  Körper,  welcher  klein  ist  gegen  seine  Entfernung  von  dem 
angezogenen  Einheitspunkt,  als  ein  Volumenelement  betrachten,  über- 
dies kann  man  die'  Formel  (172)  sofort  auf  endliche  Körper  anwenden, 
indem  man  sie  über  deren  Volumen  integriert;  es  sind  also  Mittel 
vorhanden,  um  zu  prüfen,  ob  ein  Körper  sich  wie  ein  neutrales  Pol- 
system mit  von  Null  verschiedenen  Momenten  cc^,  ß^,  y^  verhält 

Letzteres  ist  in  der  That  der  Fall,  und  es  bietet  sich  daher 
die  Aufgabe,  das  Gesetz,  welches  die  erregten  Momente  aj,  /S^,  y^ 
mit  den  erregenden  Ursachen  verbindet,  aufzusuchen. 

Eine  strenge  Analyse  würde  von  bestimmten  Annahmen  über  die 
Konstitution  der  einzelnen  Moleküle  und  über  ihre  Anordnung  im  Körper 
ausgehen  müssen  und  dadurch  sowohl  prekär  in  den  Grundlagen,  als 
kompliziert  im  Aufbau  werden.  Aus  diesem  Grunde  ist  eine  solche 
bisher  noch  nicht'  versucht  worden;  man  hat  sich  vielmehr  mit 
einem  Ansatz  geholfen,  der  jene  Schwierigkeiten  umgeht,  und  hat 
die  Momente  cc^,  ß^,  y^  an  irgend  einer  Stelle  des  betrachteten 
Körpers  in  erster  Annäherung  linearen  Funktionen  gleich  gesetzt 
von  denjenigen  Argumenten,  welche  erfahrungsgemäß  das  Entstehen 
von  Momenten  bewirken:  bei  der  dielektrischen  oder  magnetischen 
Influenz  von  den  Komponenten  der  wirkenden  elektrischen  oder 
magnetischen  Kräfte,  bei  der  Pyroelektricität  von  der  Temperatur- 
änderung gegen  den  normalen  Zustand,  bei  der  Piezoelektricität  von 
den  Parametern,  welche  die  Deformation  des  Volumenelementes 
bestimmen. 

Die  Verfolgung  dieses  Weges  ist  indessen  von  der  molekularen 
Vorstellung  unabhängig  und  gehört  demgemäß  nicht  an  diese  Stelle.  — 

Von  der  allgemeinen  Potentialfunktion  g/'  eines  neutralen 
Volumenelementes  können  wir,  wie  schon  oben  erwähnt,  zu  der 
Potentialfunktion  eines  endlichen  neutralen  Körpers  von  analoger 
Konstitution  übergehen,  indem  wir  die  Formel  (172)  über  sein  ganzes 
Volumen  integrieren.     Der  resultierende  Ausdruck  ®®) 


173) 


^=^il"^^ 


in  welchem  cc^,  ß^,  y^  als  im  allgemeinen  stetige  Funktionen  der 
Koordinaten  anzusehen  sind,  gilt  für  endliche,  imendlich  dichte  Pol- 


§  20,    Die  PotentialfunkHon  endlicher  neutraler  Körper,  169 

Systeme,  gleichyiel,  ob  dieselben  elektrische  oder  magnetische  Ladung 
haben,  und  ist  für  die  Theorie  der  sogenannten  Dielektrika,  wie  der 
Magnete  von  fundamentaler  Bedeutung;  er  giebt,  da  er  auf 
Wechselwirkungen  beruht,  ebensowohl  das  Potential  des  Körpers 
auf  den  Pol,  als  dasjenige  des  Poles  auf  den  Körper  an. 

(p  ist  im  ganzen  äußeren  Baume  endlich  und  stetig,  erfüllt 
dort  die  Gleichung  A  y  =  0  und  wird,  wenn  das  System  ganz  im 
Endlichen  üegt,  im  Unendlichen  derart  unendlich  klein,  daB  auch 
lim  (r^  (p)  verschwindet,  also,  nach  unserem  kurzen  Ausdrucke,  unend- 
lich klein  zweiter  Ordnung.  Seine  Differentialquotienten  nach  den 
Koordinaten  x,  y,  z  des  Einheitspoles  sind  im  äußeren  Baume  iden- 
tisch mit  den  negativen,  auf  jenen  Pol  ausgeübten  Kraftkomponenten. 

Ist  der  Körper  homogen  erregt,  d.  h.,  sind  «j,  ft,  7i  in  seinem 
Innern  konstant,  so  kann  man  q)  unter  Einführung  einer  sehr  kleinen 
Größe  Aj  auf  die  Form  bringen 

das  Integral  ist  die  NEWTON'sche  Potentialfunktion  des  mit  der  Dichte 
^/Aj  erfüllten  Volumens  h^\  q>  entspricht  also  nach  (169)  dem  dar- 
aus durch  einfache  Multiplikation  nach  der  Bichtung  der  Axe  \ 
gebildeten  neutralen  System. 

Für  innere  Punkte  verliert  (p  zunächst  vollständig  seine  Be- 
deutung, denn  die  Ausgangsformel  (172")  setzt  ausdrücklich  eine 
endliche  Entfernung  r^  voraus,  da  sonst  die  Entwickelung  nicht  mit 
dem  niedrigsten  Glied  abgebrochen  werden  kann.  Es  ist  demgemäß 
über  den  Sinn,  den  (p  und  seine  Differentialquotienten  im  Innern  des 
Systemes  annehmen,  eine  besondere  Untersuchung  anzustellen  nötig; 
bei  derselben  sehen  wir  aber,  um  nicht  in  jedem  Volumenelemente 
unendlich  viele  verschiedene  Werte  von  (p  zu  erhalten,  von  der  Art, 
wie  die  Formel  (173)  abgeleitet  ist,  d.  h.  von  der  früheren  Annahme 
diskreter  Pole,  gänzlich  ab  und  halten  uns  nur  an  die  analytische 
Definition,  operieren  dadurch  gewissermaßen  mit  lauter  Mittel- 
werten. 

Daß  ip  auch  im  Innern  des  erregten  neutralen  Körpers  endlich 
ist,  erkennt  man,  wenn  man  Polarkoordinaten  vom  Einheitspol  aus 
einführt  Um  zu  untersuchen,  ob  die  unendlich  nahen  Teile  über- 
haupt einen  endlichen  Beitrag  zu  seinem  Wert  geben,  schließt  man 
den  Punkt  a:,  y,  z  passend  durch  eine  unendlich  kleine  Kugel  mit 
dem  ihm  benachbarten  Mittelpunkt  a,  i,  c  ein,  innerhalb  deren  a^,  /9j,  y^ 
als  konstant  angesehen  werden  können.     Indem  man  dann  mit  der 


170  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper,    IV.  Kap. 

Gleichung  (173')  den  Wert  (168')  der  NEwroN'schen  Potentialfunktion  (jpj 
einer  homogenen  Kugel  auf  innere  Punkte  yerbindet  und  bildet 

»'^-ö^^i  +  TrÄ  +  ^^ri, 

erhält  man  leicht  als  Potentialfunktion  der  kleinen  Kugel 
1 73")  cp  =  *ff{a,  {z-a)  +  ß,{y-b)  +  y,{z-  c)). 

Dieser  Wert  wird  mit  unendlich  kleinem  Radius  selbst  unendlich 
klein,  da  (^  — «),  (y  —  *),  (^  — c)  notwendig  kleiner,  als  dieser  sind. 

Hieraus  folgt,  daß  die  unendlich  nahen  Teile  des  Systemes 
keinen  merklichen  Anteil  zu  der  Potentialfunktion  ergeben,  der 
Punkt  also  im  Innern  eines  neutralen  Körpers  dasselbe  Potential 
erfährt,  wie  in  einem  unendüch  kleinen  Hohkaum  von  beHebiger  Ge- 
stalt In  diesem  Sinne  ist  also  der  obige  Ausdruck  für  qp,  wie  auf 
äußere,  auch  auf  innere,  und  selbstverständlich  ebenso  auch  auf 
der  Grenzfläche  beliebig  nahe  Punkte  anwendbar. 

Die  Potentialfimktion  (173)  gestattet  eine  wichtige  Umformung 
durch  teilweise  Integration,  welche  jedenfalls  zulässig  ist,  so  lange  der 
Einheitspol  außerhalb  des  Systemes  liegt  Man  erhält  nämlich,  falls 
man  unter  n^  die  innere  Normale  auf  dem  Oberflächenelement  rfo^ 
versteht  und 

—  (a^  cos  (rtj,  x)  +  /Sj  cos  {n^,y)  +  y^  cos  (n^, ;?))  =  a^ , 

setzt, 

173'")  (p=f  C^^  +  f  C-^y^J^ 

wodurch  sich  (p  als  die  Summe  eines  gewöhnlichen  NEwroN'schen 
Flächen-  imd  eines  Körperpotentiales  darstellt;  a^  ist  die  Flächen-, 
(>j  die  Raumdichte  der  äquivalenten  Verteilung. 

Bei  homogener  Erregung  verschwindet  das  Raumintegral,  und 
man  erhält  spezieller  bei  Einfährung  des  resultierenden  Momentes  /l^ 
und  der  Axe  l^  desselben 

co8(n,,/|)(/0| 


> 


V  =  fl^ij 


eine  Formel,  deren  Beziehung  zu  der  früheren  (173')  leicht  erkennbar  ist 
Ist  speziell  die  Gestalt  des  Systemes  die  eines  Fadens  von 
wechselnden,  aber  gegen  die  Länge  unendlich  kleinen  Querdimensionen, 
und  liegt  die  magnetische,  resp.  elektrische  Axe  überall  der  Faden- 
axe  parallel,  so  kann  man  die  Formel  (173)  schreiben 


§  20,    Die  Potentialfunktion  endlicher  neutraler  Körper,  171 


r  al 


anter  g  den  Querschnitt  des  Fadens  verstanden;  hieraus  folgt  auch 

worin  das  mit  '  bezeichnete  Glied  sich  auf  das  positive,  das  mit  " 
sich  auf  das  negative  Fadenende  bezieht 

Ist  fji^q^,  d.  h.  das  Moment  der  Längeneinheit,  längs  des  Fadens 
konstant,  so  ist  das  Integral  gleich  NuU,  und  die  Potentialfunktion  (p 
reduziert  sich  auf  die  Anteile  der  beiden  Endquerschnitte;  schreibt 
man  fi^q^^  =  m^,  so  wird  für  das  Solenoid,  wie  man  derartige 
Fäden  nennt, 

worin  r  die  Entfernung  des  Einheitspoles  vom  positiven,  r"  die  vom 
negativen  Pole  des  Solenoides  bezeichnet. 

Liegt  der  Einheitspol  im  Innern  des  neutralen  Körpers,  so  läßt 
sich  die  Umformung  (173'")  gleichfalls  als  zulässig  erweisen. 

Denn  schließen  wir  ein  unendlich  kleines  Bereich  um  ihn  herum 
aus,  so  wird  nach  dem  Obigen  dadurch  (p  nicht  geändert,  das  Ober- 
flächenintegral in  (173'")  ist  aber  nunmehr  auch  über  die  Grenz- 
fläche dieses  Bereiches  zu  erstrecken.  Führt  man  aber  Polarkoordi- 
naten von  dem  Einheitspol  aus  ein,  so  erkennt  man  leicht,  daß 
mit  abnehmendem  Bereich  und  demgemäß  abnehmender  Grenz- 
fläche der  darauf  bezügliche  Anteil  des  Oberflächenintegrales  ver- 
schwindet. — 

Während  hiemach  der  Übertragung  des  Wertes  (173)  und  (173'") 
der  Potentialfunktion  auf  innere  Punkte  kein  Hindernis  entgegen- 
steht, wird  diejenige  der  durch  sie  gegebenen  Ausdrücke  fl\r  die 
Kraftkomponenten  dadurch  unmöglich,  daß  in  ihnen  die  unendlich 
nahen  Elemente  einen  endlichen  Anteil  zu  dem  Werte  geben. 
Hiermit  hängt  zusammen,  daß  die  Kraft,  welche  ein  in  einem  un- 
endlich kleinen  Hohlraum  befindlicher  Punkt  erfährt,  von  der  Gestalt 
dieses  Hohlraumes  abhängt®^  Eine  einfache  Überlegung  zeigt,  daß 
durch  den  Wert 

Z=— öy/öar,    Y=  --  d(p  I  dy,   Z  =  —  dff  /  dz 

speziell  diejenige  Kraft  gegeben  ist,  welche  der  Punkt  in  einem 
röhrenförmigen  Hohlraum  erfährt,  dessen  Axe  parallel  der  elektrischen. 


172 


/.  Teil.     Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


resp.  magnetischen  Axe  l^  an  der  betreffenden  Stelle  liegt,  und  dessen 

Querdimension   unendlich   klein   gegen   seine   Länge  ist     Denn  ein 

fadenförmiges  Element,  welches  den  Hohlraum  ausfüllen  würde,  ist 

nach  (173"")  äquivalent  mit   zwei  auf  seinen  Endflächen  liegenden 

Polen,  deren  Massen  unendlich  klein  vierter  Ordnung  sind,  also  in 

Entfernungen,    die    unendlich    klein    erster    Ordnung    sind,    keine 

endliche  Wirkung  üben. 

Die   zweimalige  Anwendung    der   Überlegung,   welche    zu    der 

Formel   (172)    für    die    Potentialfunktion    eines    Volumenelementes 

führte,  liefert  als   das  Potential  der  Wechselwirkung  zwischen  zwei 

in   endlicher   Entfernung   voneinander   liegenden  Volumenelementen 

die  Formel 

.  1 


174) 


7   =f 


a 


8^ 
a.-^  +  ß. 


-     d 


1 


öa?  \    ^   ^x^ 


+  ß 


dy 


«i^  +  A 
.  1 


+  r 


a 


1  dx. 


+  ßi 


r 

r 
dy, 


+  ri 


+  ri 


+  ri 


r 

al 

r 


dkdk^, 


oder  unter  Einführung  der  Axen  /,  l^  und  der  Gesamtmomente  ju,  /Uj 
für  beide  Volumenelemente 


174') 


r 


^J^"  =  ^''^i  eJdT,  "^^  "^^ 


Durch  Integration  über  die  beiden  Volumina  k  und  A^  folgt 
hieraus  das  Potential  der  Wechselwirkung  zwischen  zwei  endlichen 
neutralen  Polsystemen.  Die  Kraftkomponenten  und  Drehungsmomente 
der  Wechselwirkung  folgen  hieraus  gemäß  den  auf  S.  102  ange- 
gebenen Regeln. 


§  21.    Die  NE^wTON'sche  Fotentialfanktion  von  Doppelflächen. 

Ein  ganz  ähnlich  weittragendes  Interesse,  wie  die  im  vorstehenden 
behandelten  neutralen  Systeme  von  diskreten  Massenpunkten,  besitzen 
die  Gebilde,  welche  man  erhält,  wenn  man  entgegengesetzt  gleiche 
Massen  auf  zwei  unendlich  nahen  parallelen  Flächen  derart  stetig 
ausgebreitet  denkt,  daß  durch  Normalen  aufeinander  zu  beziehende 
Flächenstücke  entgegengesetzt  gleiche  Massen  tragen. 

Jedes  Flächenelement  einer  solchen  Doppelfläche ^^^  kann  als 
ein  Punktpaar  der  in  (169')  vorausgesetzten  Art  behandelt  werden, 


§  21,    Die  PotenHalfunkÜon  vofi  Doppelflächen,  173 


dessen  Axe  in  die  Normale  auf  der  Fläche  fällt,  und  man  erhält  so, 
wenn  v  sein  auf  die  Flächeneinheit  bezogenes  Moment  nach  der  be- 
liebig positiv  gerechneten  Normale  bezeichnet,  für  die  Potentialfiinktion 
der  Doppelfläche  auf  Punkte  in  endlicher  Entfernung  den  Wert 


"  -  '•/'' 


^do^.  175) 


Ist  V,  auf  der  Fläche  o.  konstant,  so  läßt  sich  dies  Integral 
allgemein  bestimmen  und  giebt,  wenn  co^  die  Ofihung  des  von  dem  Ein- 
heitspol nach  der  Eandkurve  von  o^  konstruierten  Kegels  bezeichnet, 

?P=  ±fv,(o„  175') 

wo  das  positive  oder  negative  Zeichen  zu  nehmen  ist,  je  nachdem 
das  von  der  Bandkurve  begrenzte  Stück  der  Fläche  dem  Einheitspol 
die  Seite  der  positiven  oder  der  negativen  Normalen  zuwendet ^®^)  Die 
Potentialfunktion  einer  homogenen  Doppelfläche  ist  also  nicht  von 
deren  Oestalt,  sondern  allein  vom  Verlauf  der  Eandkurve  abhängig. 

Dies  Resultat  giebt  das  Mittel  an  die  Hand,  die  Definition  (1 75) 
der  Potentialfunktion  einer  Doppelfläche  mit  stetig  wechselndem  Mo- 
ment widerspruchslos  auch  auf  unendlich  nahe  Punkte  zu  über- 
tragen. Denn  begrenzt  man  ihr  dem  Punkt  imendlich  nahes  Bereich  /9, 
innerhalb  dessen  Vj  als  konstant  angesehen  werden  darf,  durch  eine 
Randkurve  (t,  so  kann  man,  indem  man  (t  festhält,  ß  jederzeit  so 
ausbauchen,  daß  die  Entfernung  aller  seiner  Teile  von  dem  be- 
trachteten Punkt  unendUch  groß  gegen  die  Dicke  der  Doppelfläche 
ist,  ohne  die  Potentialfunktion  zu  ändern.  Nur  am  Rande  der 
Doppelfläche  versagt  das  Verfahren,  dort  verliert  der  obige  Ausdruck 
(175)  also  seine  Bedeutung. 

Für  eine  geschlossene  homogene  Doppelfläche  vom  Mo- 
ment V  giebt  die  Formel  (175')  auf  innere  {i)  oder  äußere  (a)  Punkte 
angewandt 

(Pi=±^^f^^     y«  =  0,  175") 

worin  das  obere  oder  untere  Vorzeichen  gilt,  jenachdem  die  innere 
Seite  der  Doppelfläche  die  der  positiven  oder  der  negativen  Normalen  ist. 

Die  Potentialfunktion  qp  einer  Doppelfläche  mit  stetig  wechseln- 
dem Moment  ist  im  ganzen  Räume  stetig,  wird  im  Unendlichen  unend- 
Uch klein  vom  zweiten  Grade  und  springt  beim  Durchgang  durch  die 
Doppelfläche  um  4tnfvj  falls  v  das  Moment  an  der  Stelle  des  Durch- 
ganges ist,  während  ihre  Dififerentialquotienten  stetig  hindurchgehen. 

Den  Beweis  kann  man  ähnlich,  wie  denjenigen  der  entsprechenden 
Sätze  über  Flächenpotentiale,  führen. 


174  /.  Teil,     Mechanik  starrer  Körper,    IV,  Kap. 


Man  schneidet  aus  einer  der  beiden  parallelen  Flächen,  etwa 
durch  eine  Kugel  um  denjenigen  Oberflächenpunkt,  in  welchem  man 
das  Verhalten  der  Potentialfunktion  untersuchen  will,  ein  unendlich 
kleines  Bereich  ß  von  konstantem  Moment  v  aus,  errichtet  in  seinen 
Randpunkten  Normalen  und  grenzt  dadurch  auf  der  Parallelfläche 
ein  Stück  ab,  welches  gleiche  und  entgegengesetzte  Gesamtmasse  ent- 
hält, wie  ß. 

Die  Unstetigkeit  der  Potentialfunktion  der  ganzen  Fläche  und 
die  ihrer  Differentialquotienten  in  dem  betrachteten  Punkte  können 
nur  von  dieser  unendlich  kleinen  homogenen  Doppelfläche  herrühren. 
Sie  muß  also  dieselbe  sein,  wie  die  einer  beliebigen  homogenen,  ge- 
schlossenen Doppelfläche,  welche  jenes  ausgeschnittene  Bereich  ent- 
hält. Nun  zeigt  Formel  (175"),  daß  für  eine  solche  die  Potential- 
funktion auch  in  unendlicher  Nähe  endlich  ist,  beim  Durchgang  von 
der  negativen  zur  positiven  Seite  um  4nfv  springt,  ihre  Differential- 
quotienten sich  aber  stetig  anschließen;  dasselbe  gilt  sonach  auch 
für  die  gegebene  Doppelfläche  mit  stetig  wechselnder  Dichte,  falls 
man  unter  v  das  Moment  der  Flächeneinheit  an  der  untersuchten 
Stelle  versteht. 

Wir  schreiben  daher 


176) 

y+  —  qp-  =  47t  fv, 

176') 

ftM 

.+(^!)  -«,  (r.t). 

Da  die  Potentialfunktion  einer  Doppelfläche  mit  konstantem 
Moment  nach  dem  zu  der  Formel  (175')  Gesagten  von  der  Gestalt 
der  Fläche  unabhängig  und  nur  durch  den  Verlauf  der  Randkurve 
bestimmt  ist,  so  muß  sich  ihr  Wert  in  ein  Randintegral  verwandeln 
lassen,  aus  dem  jede  Beziehung  auf  die  Gestalt  der  Fläche  ver- 
schwunden ist.  Eine  additive  Funktion,  welche  bei  der  Integration 
über  die  geschlossene  Kurve  identisch  verschwindet,  bleibt  bei  dieser 
Umformung  unter  dem  Randintegral  willkürlich. 

Man  erhält  eine  solche  Umwandelung  leicht  auf  geometrischem 
Wege. 

2n  '-  [a  +  ß  +  y)  ist  die  Fläche  eines  sphärischen  Dreieckes 
auf  der  Kugel  vom  Radius  Eins  mit  den  Außenwinkeln  a,  ß^  y\  daraus 
leitet  sich  ab 

als  der  Wert  der  Fläche  eines  sphärischen  Polygons  mit  den  Außen- 
winkeln a^.  Geht  man  zu  einer  stetig  gekrümmten  Kurve  über,  be- 
zeiclinet  den  unendlich  kleinen  Winkel   zwischen    zwei   aufeinander 


§  21,    Die  PotenHcdftmktion  von  Doppelflächen.  175 


folgenden  Linienelementen  mit  (Ca  und  führt  die  Länge  des  Linien- 
elementes  rfo"j,  sowie  den  Wert  P  des  Krümmungsradius  der  Kurve  auf 
der  Kugel  durch  die  Beziehung  (ta  ^  da^jP  ein,  so  gelangt  man  zu 

«1  =  2«-/^'-,  177) 

wofUr  man  auch  schreiben  kann 

a>,  =  2  ;i  ^ J^">  y  "'\  177') 

falls  ds^  das  Element  der  Randkurve  von  öj,  r  seine  Entfernung  von 
dem  betrachteten  Punkte  und  R  den  Krümmungsradius  der  Kurve 
bezeichnet,  in  welcher  eine  in  ^f«  zu  r  normale  Ebene  durch  den 
Kegel  coj  geschnitten  wird. 

Auch  die  Komponenten  der  Wirkung,  welche  der  angezogene 
Punkt  seitens  der  Doppelfläche  erleidet,  lassen  sich  durch  Rand- 
integrale darstellen. 

Hierbei  kommt  ein  wichtiger,  von  Stokbs  gegebener  Satz  über 
die  Verwandelung  eines  gewissen  Oberflächenintegrales  in  ein  Rand- 
integral zur  Anwendung.  ^^*) 

Sei  A  eine  auf  der  Oberfläche  o  stetig  veränderliche  Funktion 
des  Ortes,  und  bezeichne  n  diejenige  Richtung  der  Normalen  auf 
der  Oberfläche  o,  welche  von  der  beliebig  positiv  gerechneten  Rand- 
kurve s  in  positivem  Sinne  umlaufen  wird,  so  ist 

^1  =/(4rC0s(n,  y)  -  -M.cos(n,  z))  do  ^JA-^ds.      178) 

Für  den  Beweis  wollen  wir  der  Bequemlichkeit  halber  an- 
nehmen, daß  auf  der  ganzen  Oberfläche  o  die  positive  Normale  einen 
spitzen  Winkel  mit  der  Y-  und  ^-Axe  einschließe.  Ist  dies  nicht 
der  Fall,  so  hat  man  o  in  Stücke  zu  teilen,  auf  denen  cos(n,  y) 
und  cos(7i,  z)  ihr  Zeichen  nicht  wechseln,  diese  gesondert  zu  be- 
handeln und  schließlich  die  für  sie  erhaltenen  Resultate  zu  addieren. 
Gleiches  gilt,  wenn  die  Oberfläche  mehr  als  eine  Randkurve  besitzt. 

Bezeichnet  man  mit  dxdz  und  dxdy  die  Projektionen  von  do 
auf  die  XZ-  und  ZT-Ebene,  so  erhält  man  zunächst 

Führt  man  nun  ein 

als  Gleichung  der  gegebenen  Oberfläche, 


176  /.  Teil,    Mechanik  starrer  Körper,    IV.  Kap. 


als  die  Gleichungen  zweier  Oberflächen,  welche  mit  der  ersteren 
zusammen  einen  Punkt  Xj  y,  z  der  Oberfläche  bestimmen,  so  kann 
man  umgekehrt  auch  schreiben 

Setzt  man  noch  fest,  daß  dcc,  dß  und  dn  drei  Linienelemente 
bestimmen,  die  zu  einander  liegen,  wie  X  zu  T  zu  Z,  so  erhält  man 

j   __   rn/dxdx       dxdx\dÄ_^(Bxdy       dxdy\dÄ'\j      -.n 

und  fügt  man  unter  dem  Integral  den  verschwindenden  Ausdruck 

j  d  X   d  X         d  X   dx\  dA 

hinzu,  so  giebt  dies 

Nimmt  man  nun  an,  die  F^  und  ^g  seien  so  gewählt,  daß  die 
Oberfläche  o  durch  ringförmige  und  durchmesserartige  Kurven  in 
Elemente  zerlegt  wird,  so  ist  in  Bezug  auf  a  von  dem  centralen 
Wert  Uq  bis  zum  Randwert  a^  zu  integrieren,  in  Bezug  auf  ß  von 
einem  beliebigen  Anfangswert  ß^  bis  zu  einem  Endwert  ß^,  w^elcher 
der  gleichen  Kurve  a  und  somit  auch  gleichen  A  und  x  entspricht. 

Man  erhält  dann  aus  (178')  durch  teilweise  Integration,  bei  der 
sich  das  Flächenintegral  forthebt. 


«1  ^  ßi 

d  X 


178")  J,=J[Alf^dß^f\A 


da 


da. 


Das  zweite  Glied  verschwindet  nach  dem  Gesagten  wegen  der  Ein- 
wertigkeit  von  A  und  dx/dcc,  das  erste  giebt  an  der  unteren  Grenze 
den  Wert  Null,  da  dort,  für  den  innersten,  unendlich  kleinen  King. 
Adxjdß  konstant  ist  Sonach  bleibt  allein  der  Wert  an  der  oberen 
Grenze,  der  sich  auf  die  Randkurve  bezieht,  und  in  dem  man 
[dxjd ß)  dß  mit  dx  oder  {dxjd8)ds  vertauschen  kann.  Dies  giebt 
aber  die  zu  beweisende  Formel  (178). 

Stellt  man  ihr  entsprechende  für  mit  A  gleichartige  Funktionen  B 
und  C  auf,  in  denen  die  Y-  und  Z-Axe  dieselbe  Rolle  spielen,  wie 
vorstehend  die  X-Axe,  und  summiert  die  bezüglichen  Integrale  Z^,  /,,  Jy 
so  erhält  man  den  allgemeinen  Ausdruck  des  STOKEs'schen  Satzes, 
nämlich  die  Gleichung 


§  21.    Die  Potenüat/unktion  von  Doppelfläehen. 


177 


+ 


as  ds  ds 


\ds.. 


178'") 


Mit  Hilfe  dieses  Satzes  wollen  wir  nun  die  Z-Komponente  der 
Wirkung  der  homogenen  Doppelfläche  auf  den  Einheitspol  berechnen. 

Man  erhält  zunächst,  weil  r  die  Koordinaten  x  und  x^  nur  in 
der  Verbindung  x  --  x^  enthält, 


a« 


=  +fi> 


^C08(ni,:r)  +  ^^^C08(ni,y) 


a» 


und  wenn  man  benutzt,  daß  A  (1  /r)  =  0  ist, 

1 


179) 


^=+/'v  iWirfe 


ö« 


C08(nj,y)-g-^C08(ni,x) 


r 

1 


do. 


+  \rx;h  ^^'  ^'^ '  "^^  ~  ö^v  cos  K ,  X)  j 

Die  Anwendung  der  Beziehung  (178'")  liefert  hieraus  sofort, 
wenn  man  die  entsprechenden  Ausdrücke  für  Y  und  Z  hinzufügt, 
das  System  von  Werten: 


1790 


hierin  bezeichnen  dx^,  dy^,  dz^  die  Projektionen  des  Linienelementes 
(f«j  auf  die  Koordinatenaxen. 

Man  kann  also  die  Wirkung  der  Doppelfläche  ersetzen  durch 
die  ihrer  Bandkurren  «^ ,  falls  man  von  den  einzehien  Linienelementen 

VoiOT,  Tbeontiaeha  Physik.  12 


178  /.  Ttä.     Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


ds^  eine  Kraft  ausgeübt  denkt,  deren  Komponenten  —  je  bis  auf 
eine  willkürliche  additive  Funktion  von  der  Form  rf|/rf«^, . .  .  — 
gegeben  sind  durch 

Y'=f^{[x-x,)dz,-[z-z,)dx,), 


179") 


f". 


z'  =-  '^  ((y  -  yi)  ''^1  -  ('  -  *i)  ^vi)  ■ 


Diese  Ausdrücke  geben  eine  Resultierende  K'  von  der  Stärke 

179'")  Jr  =  ^*sin(r,*0^*i. 

wo  r  nach  dem  Einheitspol  hin  positiv  gerechnet  ist,  deren  Richtung 
normal  steht  auf  der  Ebene  durch  r  und  ds^  und  zwar  in  dem  Sinne, 
der  einer  positiven  Drehung  um  die  positive  Richtung  ds^  entspricht^ 
falls  v^  positiv  ist,  was  man  bei  homogenen  Doppelflächen  durch 
Verfügung  über  die  positiv  genannte  Richtung  der  Normalen  n^  stets 
erreichen  kann. 

Dies  Gesetz  stimmt  mit  dem  nach  Biot  und  Savabt  ^^^  benannten 
für  die  Wirkung  eines  in  ds^  fließenden,  mit  Vj  proportionalen  gal- 
vanischen Stromes  auf  einen  nordmagnetischen  Einheitspol  durchaus 
überein;  eine  homogene  magnetische  Doppelfläche  ist  somit  bezüg- 
lich ihrer  magnetischen  Wirkung  einem  in  ihrer  Randkurve  krei- 
senden Strom  vollkommen  äquivalent  — 

Das  Potential  der  Wechselwirkung  zwischen  zwei  Doppelflächen 
o  und  Oj  mit  den  konstanten  Momenten  v  und  v^  schreibt  sich  unter 
Benutzung  der  auf  S.  173  angestellten  Überlegungen 

180)  '^-f'^JS^'x^o^JT^- 

Dieser  Ausdruck  gilt  jederzeit,  wenn  die  beiden  Doppelflächen 
entweder  direkt  keine  einander  unendlich  nahen  Flächenelemente 
besitzen  oder  doch  ohne  Veränderung  der  Randkurven  in  eine  solche 
Form  gebracht  werden  können.  Er  gilt  also  jedenfalls  nicht,  wenn 
die  beiden  Randkurven  durcheinander  geschlungen  sind. 

Die  Gleichung  (180)  läßt  sich  unter  Benutzung  des  Satzes  (178'") 
leicht  in  ein  Doppelintegral  über  die  Randkurven  s  und  s^  beider 
Doppelflächen  umformen. 

Denn  man  kann  zunächst  nach  (175)  und  (180)  schreiben 


§  22.    Der  Green' sehe  Sah,.  179 


=+/',»»jd*jrfo[jjiy   '  " 


0  =  +  vjdoi^^  cos  («,  *)  +  1^  cos  («,  y)  +  |^  cos  (»,  z)  j 

+  5?  \a^  '^^  ("'  "^^  -  öi  *'*'"  ("'  '\ 

hierauf  den  Satz  (178''')  dreimal  anwenden  und  dadurch  erhalten 
r/>=  -  fvv^  rrdxdx,  +  dydy,  +  dxdx,  ^  ^fpp^  rCcoBedsda,^   jg^.^ 

worin  €  den  Winkel  zwischen  den  Linienelementen  ds  und  ds^  be- 
zeichnet. 

Dieser  Ausdruck  stimmt  mit  dem  von  Neumann  gegebenen  und 
schon  Seite  52  und  153  benutzten  Potential  der  Wechselwirkung 
zwischen  zwei  in  s  und  s^  fließenden,  ihrer  Stärke  nach  mit  v  und  v^ 
proportionalen,  galvanischen  Strömen  überein. 

§  22.    Der  0BEEK*8che  Satz  und  die  OiiEEK*8chen  Funktionen. 

Ist  dk  das  Element  eines  beliebig  begrenzten  Raumes  A,  do  das 
Element  seiner  Begrenzungsfläche,  und  sind  ?7und  Fzwei  Punktionen 
von  X,  y,  z,  welche  die  Bedingung  erfüllen,  daß  £/,  dVjdx,  dVjdy^ 
dVjdz  innerhalb  des  betrachteten  Raumes  eindeutig  und  stetig 
sind,  so  gilt,  wie  durch  Rechnung  leicht  zu  erweisen  ist. 

Hierin  bezeichnet  n  die  Richtung  der  inneren  Normale  auf  der 
Oberfläche  von  ä.  Diese  Gleichung  führt  den  Namen  des  Green'- 
schen  Satzes.^®*) 

Ist  auch  r  und  dUjdx,  dUjdyj  dUjdz  innerhalb  k  einwertig 
und  stetig,  so  läßt  sich  die  vorstehende  Gleichung  auch  unter  Ver- 
tauschung von  U  und  V  aufstellen,  und  aus  beiden  folgt  durch 
Subtraktion 

S^UAr-rAU)dk=-j[uf^-T':^do.      181') 

12» 


180  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


Wählt  man  speziell  J/^=  V,  so  ergiebt  die  Gleichung  (181) 
181")  fvA^dk^  ^Jy^^Ldo-^feFdk, 


wonn 


(Zh  K-)*+  m'= « ' 

gesetzt  ist;  nimmt  man   U=  l,  so  folgt  aus  (181) 
181'")  fAFdk^-ff-do. 

Die  vorstehenden,  gleichfalls  von  Gbeen  gegebenen  Gleichungen 
erweisen  sich  nach  vielen  Richtungen  hin  überaus  fruchtbar. 

Zunächst  wollen  wir  sie  anwenden,  um  zu  beweisen,  daß  die 
in  den  vorigen  Paragraphen  untersuchten  Potentialfunktionen  tf' 
vollständig  charakterisiert  sind  durch  ihr  reguläres  Verhalten,  durch 
die  Erfüllung  der  Gleichung  A(p  =  0  außerhalb  der  wirksamen 
Massenverteilungen  und  durch  die  Art  ihres  Verschwindens  im 
Unendlichen;  ferner  bei  Punkt-  und  Linienpotentialen  durch 
die  Stellen  und  die  Art  des  Unendlichwerdens,  bei  Flächen-  und 
Doppelflächenpotentialen  durch  das  Verhalten  der  Funktion 
und  ihres  ersten  Differentialquotienten  nach  der  Normalen  an  den 
mit  Masse  belegten  Flächen,  bei  Raumpotentialen  durch  die 
überall  stattfindende  Stetigkeit  der  Funktion  und  ihrer  ersten 
Differentialciuotienten  und  die  Gültigkeit  der  Gleichung 

Die  Potentialfunktion  (173)  eines  endlichen  neutralen  Körpers 
ist  nach  (173'")  auf  solche  der  vorstehenden  Art  zurückführbar, 
bietet  sonach  nichts  Neues. 

Den  angekündigten  Beweis  führen  wir  in  der  Weise,  daß  wir 
annehmen,  es  seien  zwei  Funktionen  y^  und  (p^  mit  den  gleichen 
Eigenschaften,  also  auch  gleichen  Unstetigkeiten  und  gleichen  Para- 
metern m,  T,  ö",  Q,  V  möglich,  und  zeigen,  daß  ihre  Differenz 
qpj  —  qp^  =  qp'  notwendig  im  ganzen  Räume  verschwinden  muß. 

Die  Funktion  qo'  verhält  sich  nach  ihrer  Definition  mit  ihren 
ersten  Differentialquotienten  überall  regulär  und  erfüllt  die  Gleichung 
^qt)'=:0;  sie  wird  im  Unendlichen  selbst  von  mindestens  erster,  ihre 
ersten  Differentialquotienten  werden  von  mindestens  zweiter  Ordnung 
unendlich  klein.  Bildet  man  also  für  cp'  die  Gleichung  (181")  imd 
bezieht  dieselbe  auf  den  ganzen  von  einer  unendlich  fernen  Fläche 
begrenzten  Raum,  so  verschwindet  in  ihr  sowohl  das  Raumintegral 
links,  als  das  Oberflächenintegral  rechts,  und  man  erhält 


§  22,     Der  O rem' sehe  Satx,  181 


Q  =  fQ(p'dk\ 

hieraus  folgt  die  Konstanz,  und  da  qp'  im  Unendlichen  gleich  Null 
ist,  auch  das  Verschwinden  von  (p\  womit  der  angegebene  Beweis 
geliefert  ist  — 

Die  Gleichung  (181")  gestattet  auch  zu  beurteilen,  welcherlei 
Randbedingungen  neben  den  für  jede  Stelle  eines  endlichen  Rau- 
mes k  vorgeschriebenen  Werten  A  V  erforderlich  sind,  um  eine  stetige 
und  eindeutige  Funktion  V  innerhalb  k  vollständig  zu  bestimmen. 

Diese  Bedingungen  müssen  nämlich  jedenfalls  zur  Folge  haben, 
daß  für  die  Diflferenz  f\  —  T\  =  V^  von  zwei  Funktionen,  welche 
das  gleiche  A  ?^  ergeben  und  den  gleichen  Randbedingungen  genügen, 
das  Oberflächenintegral  in  (181")  entweder  verschwindet  oder  zu 
einer  Summe  von  stets  positiven  Gliedern  wird.  Ersteres  findet  statt 
für  Teile  der  Oberfläche,  wo  entweder  Toder  dVfdn  vorgeschriebene 
Werte  annimmt,  letzteres  für  Teile,  wo  das  Gleiche  für 

{F^^T^^-i^dVldn)   oder   {i\^V -  {dTjdnf^-^) 

stattfindet,  falls  I\  und  F^  längs  der  Oberfläche  beliebig  wechselnde 
Größen  bezeichnen.  Somit  wird  in  allen  Fällen,  wo  längs  der 
Oberfläche  zum  Teil  das  eine,  zum  Teil  das  andere,  zum  Teil  das 
dritte  stattfindet,  fQF^dk  =  0,  also  V^  konstant  sein  müssen,  und 
diese  Konstante  bestimmt  sich  durch  die  Oberflächenbedingungen  selbst 
in  allen  Fällen  zu  Null,  ausgenommen  den  einen,  daß  längs  der 
ganzen  Oberfläche  dVjdn  gegeben  ist.  In  diesem  Falle  ist  also  V 
nur  bis  auf  eine  additive  Konstante,  in  allen  übrigen  aber  voll- 
ständig bestimmt 

Es  ist_zu  bemerken,  daß  F,  dVjdn  und  {F^^f^-^-^-dVjdn) 
resp.  (^F^^ r^  {d  F I dnf^-^'^),  so  weit  sie  nicht  der  Forderung  der 
Stetigkeit  widersprechen,  willkürlich  vorgeschrieben  werden  können; 
nur  in  dem  obigen  speziellen  Falle,  daß  dV jdn  auf  der  ganzen 
Begrenzung  gegeben  ist,  wird  eine  Beschränkung  der  freien  Verfügung 
durch  die  Formel  (181"')  geliefert 

Es  mag  schon  hier  hervorgehoben  werden,  daß  vorgeschriebene 
OberHächenwerte  von 

i^F/f^^-^-dfldn)   oder    (F^^T- {d'FI  dnf^-^) 

hervorragendes  Interesse  nur  bieten,  wenn  A  =  ä  =  1  ist,  wo  sich  beide 
Ausdrücke  auf  {F^V ^  dVj dri)  reduzieren;  auf  diesen  Fall  wollen 
wir  uns  weiterhin  auch  beschränken.  — 

Eine  überaus  wichtige  Formel,  die  unter  anderem  auch  dazu 
benutzt  werden  kann,  um  V  aus  längs  der  ganzen  Oberfläche  von  k 


182  J.  Tsü,    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


gegebenem  T  resp.  dVjdn  oder  (F^V  —  dVjdri)    wirklich   zu  be- 
rechnen, erhält  man  aus  (IST),  indem  man 

r 

setzt,   wo  r  die  Entfernung  der  Stelle  ar,  y,  z  von   einem   beliebig 
innerhalb  k  festgelegten  Punkt  a,  b,  c  bezeichnet. 

Durch  eine  kleine  Kugelfläche  ist  dann  der  Punkt  a,  ä,  c  aus- 
zuschließen, um  einen  Raum  zu  erhalten,  innerhalb  dessen  U  die 
vorausgesetzte  Stetigkeit  besitzt     Das  Oberflächenintegral 


bI- 


^^  -T^JLUo 


dn  dn 

liefert  über  die  kleine  Kugel  ausgedehnt  im  ersten  Glied  Null,  im 
zweiten  —inVabe]  man  erhält  also  in  Bücksicht  auf  A(l/»')  =  0 

182)    r...--i/(x.|J-F.'J:)«.-^/^^., 

wo  das  Flächenintegral  nur  über  die  ursprüngliche  Begrenzung, 
und  das  Baumintegral  zwar  zunächst  über  den  Baum  k  mit  Aus- 
schluß der  kleinen  Kugel  zu  nehmen  ist,  aber  beliebig  auch  über 
diese  erstreckt  werden  kann,  da  der  ihr  entsprechende  Anteil  un- 
endlich klein  ist^®^) 

F  drückt  sich  also  im  allgemeinsten  Falle  aus  als  NBwroN'sche 
Potentialfunktion  einer  Oberflächenbelegung  von  der  Dichte 

ö-  =  —  dr/  4nfdn, 

einer  Doppelbelegung  von  dem  Momente 

v=:  +  Vj^nf 

und  einer  räumlichen  Verteilung  von  der  Dichte 

p  =  - Ar/4;r/. 

Letztere  verschwindet,  wenn  der  gegebene  Wert  von  A  F  gleich 
Null  ist 

Wird  Firn  Unendlichen  von  beliebigem,  dFjdn  von  höherem 
als  erstem  Grade  unendlich  klein,  so  kann  man  für  k  den  unend- 
lichen Baum  nehmen  und  das  über  die  unendliche  Kugelfläche  er- 
streckte Integral  vernachlässigen. 

Ist  dann  weder  F  noch  dF/dn  längs  irgend  einer  im  End- 
lichen gelegenen  Fläche  unstetig,  so  giebt  das  erste  Integral  in  (182) 
den  Wert  Null,  und  F  bestimmt  sich  als  die  Potentialfunktion  einer 
räumlichen  Massenverteilung,  denn  es  wird  unter  Benutzung  von  (167") 


§  22.    Der  Green' sehe  SaH.  183 


'-••--i/^-/-/ 


qdk 


Speziell  wird  hier  F=  0,  wenn  noch  A  '^=  0  ist 

Ist  dagegen  zwar  A  ^  tiberall  gleich  Null,  aber  F  oder  dFjdn 
längs  einer  Fläche  unstetig,  so  ist  diese  Fläche  als  Begrenzung 
des  Kaumes  anzusehen  und  unter  BUcksicht  auf  (165')  und  (170) 
zu  bilden 


'■-=+ :rrj  «-''.)  TS- "— 0  •  T^ 


do, 


wo  «j  nach  der  Seite  des  Wertes  }\  positiv  gerechnet  ist 

V  bestimmt  sich  hier  in  der  That  als  Potentialfunktion  einer 
einfachen  oder  Doppelfläche.  — 

Bei  den  vorstehenden  Betrachtungen  war  das  Verhalten  von  F 
im  unendlichen  vorgeschrieben;  es  giebt  Fälle,  wo  dasselbe  nicht 
gegeben  ist,  aber  aus  den  für  das  Endliche  geltenden  Bedingungen 
erschlossen  werden  kann.^^®) 

Sei  A^nur  im  Endlichen  von  Null  verschieden  und  —  /  A  Fdh 
über  den  ganzen  Raum  k  integriert  endlich,  und  zwar  gleich  4^^; 
sei  ferner  dFjdn  nur  an  im  Endlichen  liegenden  geschlossenen 
Oberflächen  o^  vorgeschrieben,  und  -- 2 f{ß FldrC^do^^  über  sie  alle 
summiert  endlich,  und  zwar  =  +  ^nM^^  Wir  erstrecken  Formel 
(182)  auf  den  Raum  zwischen  den  o^  und  der  unendlich  großen 
Kugelfläche  0  und  erhalten,  wenn  wir  den  Radius  der  letzteren 
mit  R  bezeichnen,  _ 

47iJ  r 

Es  gut  aber  nach  (181'") 

/H^^  =  ""/^  '"^^  "/II^^  =  +  ^  ""(^^  +  ^'^^ ' 
also  ist  das  Integral  links  endlich  und  wird  durch  R  dividiert  unendlich 
klein.     Bezeichnen  wir  noch  die  Eonstante  /  Fd 0 1 4nR^  durch  C, 
so  erhalten  virir 

r„,^.C=-±lki^-T'3do-^lAV'-^.         182') 
^"^  47iJ  \r  an  an/  47iJ  r  * 


184  /.  TeH.    Mechanik  starrer  Körper.    IV,  Kap. 


Diese  Formel  zeigt,  daß,  wenn  man  den  Punkt  o,  &,  c  ins  Un- 
endliche rückt,  F—  C  gleich  {M^  +  M^j R,  also  unendlich  klein 
wird,  wie  1/-Ä,  daher  dVjdn,  wie  1/Ä^  Schreiben  wir  daher  die 
Formel  (181")  für  F-C,  statt  für  F,  so  ergiebt  die  frühere  Schluß- 
weise,  daß  F  bis  auf  eine  additive  Eonstante  durch  die  aufgestellten 
Bedingungen  bestimmt  ist 

Erfüllt  F  die  Bedingung  A  i^=  0,  so  ist  JW^  =  0;  ist  außerdem 
noch  —JSf{dFjdn)do^  und  demgemäß  Mo  gleich  Null,  so  wird  F 
im  Unendlichen  erst  um  eine  Größe  zweiter  Ordnung  von  C  ver- 
schieden sein. 

Diese  Eesultate  bleiben  auch  dann  gültig,  wenn  von  den  Ober- 
flächen ö^  Teile  ins  Unendliche  reichen,  die  eine  z.  B.  eine  unend- 
liche Ebene  ist,  falls  nur  längs  jener  Teile  F  von  mindestens  erster, 
d  F jdn  von  zweiter  Ordnung  unendlich  klein  wird.  — 

Man  kann  die  vorstehenden  Betrachtungen  leicht  auf  den  Fall 
erweitem,  daß  die  Funktion  F  in  dem  Raum  k  mehrdeutig  ist, 
aber  ihre  Differentialquotienten  eindeutig  sind.^^^  Die  Mehrwertigkeit 
von  F  kann  nur  eintreten,  wenn  der  Eaum  k  mehrfach  zusammen- 
hängend ist. 

Man  kann  ihn  dann  einfach  zusammenhängend  machen  durch 
gewisse  Querschnitte,  die  zu  den  direkt  gegebenen  als  weitere  Be- 
grenzungsliächen  hinzutreten;  aus  der  gemachten  Voraussetzung  der 
Eindeutigkeit  der  Differentialquotienten  folgt,  daß  F  beim  Übergang 
über  jeden  Querschnitt  um  einen  konstanten  Wert  springt 

Die  Größe  dieses  Sprunges  ist  bekannt,  wenn  die  Oberflächen- 
werte  F  gegeben  sind,  die  ja  natürlich  die  Eigenschaft  der  Funktion 
F  im  Innern  von  k  bezüglich  der  Mehrwertigkeit  teilen  müssen;  sie 
ist  unbekannt,  wenn  dFjdn  gegeben  ist.  Bezeichnet  man  das  Ele- 
ment der  Hilfsquerschnitte  mit  do\  so  liefert  hier  die  Formel  (182) 


182") 


'^«*"~        47rJ    \r  dn 


die  Normale  n'  nach  der  Seite  des  Wertes  F^  positiv  gerechnet; 
sind  mehrere  Querschnitte  o^  vorhanden,  so  hat  längs  eines  jeden 
im  allgemeinen  ^i  —  ^  einen  verschiedenen  Wert  Jedes  der  Inte- 
grale über  einen  Querschnitt  o'  stellt  sich  als  die  Potentialfunktion 
einer  darauf  befindlichen  homogenen  Doppelbelegung  vom  Moment 
(/j  —  /a)/^^  dar. 


§  22,    Die  öreen^schen  Funktionen. 


185 


Bezeichnet  man  das  letzte  Integral  durch  —  W,  so  ist 

r+  r=  u 

im  ganzen  Räume  A,  auch  beim  Durchgang  durch  die  Hilfsquer- 
schnitte, eindeutig  und  stetig,  und  man  kann  statt  der  Torigen  For- 
mel auch  schreiben 


^^^  ^nJ   \r  dn  dnj  ^nJ     r 


182'") 


Versteht  man  unter  6^  eine  Funktion,  die  innerhalb  k  überall 
eindeutig  und  stetig  ist  und  speziell  der  Gleichung  a  &  =  0  genügt, 
so  folgt  für  sie  aus  (1810 

* 

Multipliziert  man  diese  Formel  mit  1 1 47t  und  addiert  sie  zu  (182), 
so  erhält  man 


ahe 


=-JI(-i)i!-^(^)l 


do 


-^'J(^n)^'^^*- 


183) 


Wir  wollen  nun  G  noch  verschiedenen  Bandbedingungen  unter- 
werfen, welche  diese  Funktion  vollständig  oder  bis  auf  eine  additive 
Eonstante  bestimmen. 

Ist  erstens  6r=  — 1/r  vorgeschrieben  (erste  GBBEN'sche 
Funktion^®®)  G^  oder  GREEN'sche  Funktion  im  engeren  Sinne),  so 
wird  aus  (183) 


ab 


-l-ß'-^^^ä.-l,f.r{a,.l)ä., 


183^) 


ist  zweitens  dGjdn  =  c^d{\jr)jdn  (zweite  Green'sche  Funk- 
tion*^*) G^y  wo  c  eine  Konstante  bezeichnet,  deren  Wert  aus  (181'") 
folgt,  wenn  man  dort  V  ^  G  setzt,  so  wird 

worin  C  eine  andere  Konstante  bedeutet;  ist  drittens 


ö((?+i)/ö«  =  ^»(G  +  l), 


186  1,  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


(dritte  GBBEN'sche  Funktion"")  Ö3),  so  wird 

183'")  r,..  =  1-J[f^  V-  %)  (^  + 1) ./.  -  i-/A  r((?3  +  i)  rf* . 

Diese  drei  Formeln  zeigen,  daß,  wenn  für  einen  Raum  k  die 
drei  GßEEN'schen  Funktionen  G^^  ffg,  G^  gefunden  sind,  die  Be- 
stimmung von  Taus  gegebenen  inneren  Werten  von  A  ^  und  gegebenen 
Bandwerten  T,  d  F/dn,  [F^  F ^  d  F/dn)  auf  Quadraturen  zurück- 
geführt ist  Bei  gegebenen  d  Vjdn  bleibt  eine  additive  Konstante 
erst  in  G^  und  sodann  in  F  nach  dem  Früheren  unbestimmt  Daß 
es  für  jeden  Baum  drei  Funktionen  von  den  Eigenschaften  von  (?,, 
^2'  ^'3  gi^^^  kann  man  dabei  am  einfachsten  aus  der  physikalischen 
Bedeutung  folgern,  welche  diese  Funktionen  besitzen  und  welche 
uns  später  beschäftigen  wird. 

Die  Ausdehnung  dieses  Verfahrens  auf  mehrwertige  Funktionen 
F  bietet  nach  dem  auf  S.  184  Gesagten  keine  Schwierigkeit  — 

Unter  allen  Funktionen  U  oder  F^  auf  welche  die  vorstehenden 
Entwickelungen  anwendbar  sind,  beanspruchen  diejenigen  das  größte 
Interesse,  für  welche  innerhalb  k  speziell  überall  gilt 

A?7=  Ar=0; 

für  sie  vereinfacht  sich  eine  Reihe  der  vorstehenden  Gleichungen  in 
bemerkenswerter,  allenthalben  leicht  ersichtlicher  Weise. 

Nur  auf  einige  spezielle  Resultate  soll  besonders  aufmerksam 
gemacht  werden. 

Zunächst  folgt  aus  (181')  und  (181'"),  wenn  ?/und  T  mit  ihren 
ersten  Ableitungen  innerhalb  k  regulär  sind. 


Sind  U  und  F  in  (181')  zwar  innerhalb  k  im  übrigen  regulär, 
werden  sie  aber  je  in  einem  Punkte  a^jh^^c^  resp.  «g,  ä^,  c^  wie 
I/tj  resp.  l/rg  unendlich,  so  giebt  die  Betrachtungsweise,  welche 
zu  der  Formel  (182)  führte, 

also  in  allen  Fällen,  wo  das  Obcrflächenintegral  verschwindet, 

184')  r,.»...  =  u^^^ 

Hieraus  folgt  der  Reciprocitätssatz  ^^^),  daß  von  zwei  Funktionen 
U  und  F  der  vorausgesetzten  Art,  welche  an  der  Oberfläche  von  k 
entweder  den  Bedingungen   U  r=F  =  Const  oder 


§  22.    Die  Green' 8chen  Funktionen.  187 


F^V^dUldn^F^r^d  F/dn  =  0 

genügen,  diejenige,  welche  in  einem  Punkt  (1)  unendlich  wird,  in 
dem  Punkte  (2)  denselben  Wert  annimmt,  wie  diejenige,  welche  im 
Punkte  (2)  unendlich  wird,  im  Punkte  (1). 

Die  Bedingungen  d  F/dn  =  d  U /dn  =  0  kann  man  den  Funk- 
tionen U  und  F,  wenn  sie  nur  in  einem  Punkte  unendlich  werden, 
nach  früher  Gesagtem  nicht  auferlegen,  wohl  aber  dann,  wenn  jede 
an  einer  Stelle  a^,  b^,  c^  resp.  a^,  b^,  c^  sich  wie  1/r,  an  einer  zweiten 
a[,  b[,  c.  resp.  a^,  Ä^,  c^  sich  wie  —  1/r'  verhält  Dann  giebt  die  obige 
Betrachtungsweise 

^,  6i  c,  —   Fa^'  i^f  c'  =    ^0,6,  c,  —   £^a,'  6,'  c,'  •  1 84") 

Diese  Resultate  gestatten  die  Anwendung  auf  die  in  (183)  ein- 
geführten GsEEN'schen  Funktionen  G^. 

Leitet  n^an  aus  G^  und  G^  zwei  neue  Funktionen  F^^  und  F^ 
durch  die  Beziehungen 

ab,  so  verhalten  diese  sich  wie  U  und  F  in  Gleichung  (184'),  sind 
also  symmetrisch  in  Bezug  auf  die  beiden  Punkte  mit  den  Ko- 
ordinaten a,  b,  c  und  x,  y,  z. 

Leitet  man  hingegen  aus  G^  eine  Funktion 

ab,  wo  r  die  Entfernung  der  Stelle  x^y^z  von  a,  b,  c,  r  die  von 
a'j  b\  c  bezeichnet,  so  hat  F^  die  Eigenschaft  von  U  und  F  in 
Gleichung  (184">  — 

Da  nach  dem  S.  186  Gesagten  sich  zeigen  läßt,  daß  für  jeden 
Baum  GEEEN'sche  Funktionen  G^  resp.  Fj^  existieren,  welche  den 
S.  185  gestellten  Bedingungen  genügen,  so  kann  man  die  Formeln  (183') 
und  (183")  zur  Ableitung  gewisser  allgemeiner  Sätze  benutzen. 

Versteht  man  nämlich  unter  r^  die  Entfernung  von  einem 
außerhalb  des  Baumes  k  gelegenen  Punkte  a^j  b^,  c^,  so  ist  inner- 
halb k  1 

Af  =  0, 

und  man  erhält  aus  (183')  resp.  (183"),  wenn  man  Fs=  Ijr^  setzt, 

^-~  185) 


4nJ    dn     Vq   ^     r^  4nJ  dn 


Hierin  kann  man  l/r^  auffassen  als  die  Potentialfunktion  einer 


188  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


in  a,  b,  c  befindlichen  Masse  Eins  auf  den  Punkt  a^,  b^,  c^,  und  die 
Formeln  zeigen  dann,  daß  diese  Potentialfunktion  stets  durch  die- 
jenige einer  einfachen  oder  doppelten  Belegung  der  Oberfläche  o  von  k 
zu  ersetzen  ist,  deren  Dichte  resp.  deren  Moment  sich  durch  /\ 
resp.  7^2  ausdrücken  läßt 

Daraus  folgt  nun  auch,  daß  die  Wirkung  einer  beliebigen, 
innerhalb  k  gelegenen  Massenverteilung  auf  Punkte  außerhalb  k 
durch  eine  einfache  oder  doppelte  Belegung  von  o  hervorgebracht 
werden  kann. 

Erstreckt  sich  k  ins  Unendliche,  und  liegt  a^,  b^,  Cq  innerhalb 
einer  k  im  Endlichen  begrenzenden  Oberfläche,  so  erfordert  die  im 
Unendlichen  liegende  Begrenzung  eine  spezielle  Betrachtung.  Wir 
werden  diesen  Gegenstand  im  vierten  Teile  auf  eine  andere  Weise 
der  Untersuchung  unterziehen.  — 

Wendet  man  die  Gleichung  (182)  auf  eine  Kugel  vom  Radius  R 
um  die  Stelle  a,  b,  c  an,  so  erhält  man  unter  Benutzung  von  (184) 

186)  ^-=lir/^rf'', 

also  den  Wert  von  F  im  Centrum  gleich  dem  arithmetischen  Mittel 
der  auf  der  Oberfläche  der  Kugel  liegenden  Werte,  gleichviel, 
welche  Größe  ihr  Kadius  R  besitzen  möge.^^*) 

Dieser  Gauss' sehe  Satz  ergiebt  unter  anderem,  daß  innerlialb 
des  Raumes  k  die  Funktion  V  weder  Maxima,  noch  Minima  an- 
nehmen kann,  sondern  mit  ihrem  Werte  immer  zwischen  dem 
kleinsten  und  größten  in  der  Grenze  liegenden  bleiben  muß.  Ist 
auf  der  ganzen  Oberfläche  F  konstant,  z.  B.  gleich  Null,  so  gilt  das 
Gleiche  auch  im  ganzen  Innern,  gleichviel  ob  der  Raum  endlich 
oder  unendlich  ist 

Femer  folgt  aus  (186),  daß  T  überall  innerhalb  k  verschwindet, 
wenn  es  innerhalb  eines  endlichen  räumlichen  Bereiches  gleich  Null 
ist.  Denn  wäre  dies  nicht  der  Fall,  so  müßte  man  eine  Kugel  kon- 
struieren können,  in  deren  Centrum  F=  0  wäre,  während  auf  der 
Oberfläche  /  zum  Teil  verschwindet,  zum  Teil  gleiches  Vorzeichen 
besitzt,  und  dies  würde  der  vorstehenden  Gleichung  widersprechen. 


§  23.   Die  Zerlegung  von  Vektorkomponenten  in  potentielle  und  rota- 
torische Glieder;  ihre  Anwendung  auf  die  Momente  neutraler  Körper. 

Von  den  im  vorigen  Abschnitt  abgeleiteten  allgemeinen  Resul- 
taten, welche  in  vielen  Gebieten  der  theoretischen  Physik  zur  Lösung 


§  23.    JZerlegtmg  von  Vektorkomponenten,  189 


187) 


spezieller  Probleme  nützliche  Hilfe  bieten,  wollen  wir  hier  nur  eine 
Anwendung  auf  die  wichtige  Aufgabe  machen,  für  einen  gegebenen 
Saum  k  beliebig  als  reguläre  Funktionen  der  Koordinaten  Xj  y,  z 
gegebene  Komponenten  X,  Y,  Z  eines  Vektors  Ä",  z.  B.  die  Kom- 
ponenten körperlicher  Kräfte,  in  einer  gewissen  Weise  in  Aggregate 
von  Differentialquotienten  zu  zerlegen. 
Wir  setzen"^ 

\  ax  dy  dx  1^ 

Y=  -  i^^-   4-  -  -  ---^ 

\  dy  dx  dx  )  ^ 

\  dx  dx  oy  1^ 

dx    "^  dy    "^'dx  ' 

und  suchen  0,  Aj  M,  N  diesen  Bedingungen  gemäß  zu  bestimmen. 
Man  erhält  zunächst 

-A^-L^-If.  -A«-|Mf,  -A/V---|{;  i 

worin   U  eine  neue  Bezeichnung  ist 

Liegt  man  der  Funktion  0  noch  eine  geeignete  OberHächen- 
bedingung  auf,  so  wird  sie  durch  die  ei-ste  der  vorstehenden  Glei- 
chungen vollständig  oder  bis  auf  eine  additive  belanglose  Konstante 
bestimmt. 

Indem  wir  die  Komponente  von  K  nach  der  inneren  Normale 

Jf  cos(n,  x)  +  7co8(w,  y)  +  ^cos(n,  z)  =  P  188) 

setzen,  wollen  wir  die  Oberflächenbedingung  fQr  </>  schreiben 


|^+P=(2,  188') 

wobei  wir  uns  die  Verfügung  über  Q  zunächst  vorbehalten. 
Ks  läßt  sich  dann  setzen 

wo   fpQ  durch  die  Gleichung 

A0o=ö  188'") 

und    die   Oberflächenbedingung  (188')   bis   auf  eine  Konstante   be* 
stimmt  ist 


190 


/.  Teil.     Mecfianik  starrer  Körper,     IV.  Kap. 


Es  sind  hierdurch  auch  die  Werte  der  Ausdrücke 


189) 


BN      BM 
By        B 

BA        BN 
Bx 

BM 

Bx 


^=._(x+4^^ 


Bx  ]' 
B0 


BN  _  (y  B0\ 

"■  "ä^  "  "  r  "^  ~bv)  ' 


d 
BA 


By 
B0 


-^--(^+4?) 


By  y   '     Bx 

bekannt. 

Differentiiert  man  diese  Formeln  nach  x,yj  z,  addiert  sie  und 

integriert  das  Resultat  über  den  Baum  A,  so  erhält  man 


189') 


S[^^''^Vo=h^o-^^ 


wodurch  eine  die  Willkürlichkeit  der  Wahl  von   Q  beschränkende 
Bedingung  gegeben  ist 

Wir  fuhren  nun  drei  neue  Funktionen  A,  JB,  F  ein,  die  wir  zu- 
nächst nur  den  Bedingungen 


189") 


\^A-[X^%^],  AB-(r+||).  A/--(.+lf), 


BA_ 
Bx 


+!'^t^=o 


unterwerfen.   Die  letztere  gestattet,  die  drei  ersten  auf  die  Formen  zu 
bringen 

B    IBJ.  __  BJB\  _  _B_  (Br_  BA\  _  _  /^      B0\ 
By\By        Bx)        Bx[Bx        Bx)"'        [     '^Bx)^ 

x[Bx        By)        Bx[By        Bx)'"        [     "^dy)' 

\Bx       Bx)        By\Bx        By)  \      '    Bx)^ 


B 

J_ 
Bx 


deren  Yergleichung  mit  (189)  ergiebt,  daß  man 

BF 


A       Bn       BB 


Bx 


Bx 
BT 


By        Bx 
jy^Bn^BA 


By' 

BA 

Bx  ' 

BB 


Bx 


By        Bx 


setzen  kann;  hierin  bezeichnet  11  eine  willkürliche  Funktion,  die 
man  aber  ohne  Beschränkung  mit  NuU  vertauschen  kann,  da  sie  bei 
Einsetzung  der  vorstehenden  Werte  von  A,  M,  N  in  (187)  herausfallt, 
also  an  einer  eigentlichen  Zerlegung  von  X,  T,  Z  keinen  Anteil  hat 


§  23.    Zerlegung  von  Vektorkomponenten,  191 


Sonach  wird 

.     dB     dr    T^     er    ba 

^=ö^        By^^'-Bx       Bx> 

By       Bx  ' 

189'") 

und  man    kann    den  Bedingungen    (189")   fQr  A,  B,  I"  genügen, 
indem  man 


setzt,  worin  die  Funktionen  A^,  B^,  /J,  den  Bedingungen 


190) 


und 


4-  AÄ  J-  lio  =  J_  HTa-  ±^)^t  _  _L  CQi  do, 
"^    By    '^    Bx         47iJ  V  Bn)ir         4nJ       r 


190') 


da; 

genügen  müssen. 

Es  ist  zu  bemerken,  daß  ^q,  Bq,  Fq  zu  A,  M,  iV  Anteile  Aq,  Mq,  N^ 
geben,  welche  nach  (189'")  die  Gleichungen 

BJS^  _  BM^  ^  BA^  _  IN^  ^  IM,  _  B_A^  ^  ^ 
By  Bx  Bx  Bx  Bx  By 

befriedigen,   also,  wie  oben  die  von  11  abhängigen,   zur  Zerlegung 
keinen  Anteil  geben,  falls  nur  Q  für  alle  Punkte  von  k  der  Bedingung 

Qido, 


/ 


=  0  190") 

genügt;  ist  diese  Gleichung  erfüllt,  so  kann  man  sie  ebenfalls  gleich 
Null  setzen. 

Die  Bedingung  (190")  ist  aber  bei  endlichem  A  mit  (189')  nur 
dann  vereinbar,  wenn  auf  der  ganzen  Oberfläche  0  =  0  ist;  verfügt 
man  demgemäß  über  Q,  so  ist  die  Zerlegung  eindeutig  bestimmt 

Ist  der  Baum  k  unendlich,  wird  er  etwa  durch  im  Endlichen 
hegende  geschlossene  Flächen  o^  und  eine  Eugelfläche  0  von  dem 
unendlich  großen  Badius  R  begrenzt,  so  ist  an  ersteren  Q  =  0  zu 
setzen,  wälirend  es  an  letzterer  willkürlich  bleibt;  denn  für  die 
unendliche  Kugel  nimmt  die  Gleichung  (190")  die  Form  an 

-i-/(2rf.  =  o 

und  ist  nach  (189')  stets  erfüllt 

Man  kann  in  diesem  Falle  also  auch  ^^  =  5^  =  JJ^  =  0  setzen, 
aber  da  die  Gleichung  (188')  als  Grenzbedingung  in  Wegfall  kommt, 
ist  die  Zerlegung  (187)  im  allgemeinen  nicht  eindeutig. 


192  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


Doch  ist  0,  und  damit  auch  A,  M,  N,  nach  S.  183  bis  auf 
eine  irrelevante  Konstante  bestimmt,  wenn  H  nur  im  Endlichen 
von  Null  verschieden  und  fHdk,  über  den  ganzen  Raum,  sowie 
JSfPj^dOf^,  über  alle  Oberflächen  o^  erstreckt,  endlich  ist.  Fehlen 
die  Oberflächen  ö^,  so  ist  speziell  0^  =  0;  ist  überall 

so  ist  0  =  0,  und  die  allgemeinste  Zerlegung  lautet: 


191") 


""  ö*        öy'        ""  dx        dx^  dy        dx 

und 

BÄ   ,   dM  .    öiV      ^ 


öa?         öy        ö» 

Gleiches    gilt    bei    endlichem  ä,    wenn   noch   an    der   Oberfläche 
P  =  0  ist  — 

Die  im  vorstehenden  bewirkte  Zerlegung  der  Vektorkomponenten 
X,  r,  Z  zerfällt  dieselben  in  zwei  Teile,  die  resp.  nur  von  0  oder 
nur  von  A^  M,  N  abhängen,  von  wesentlich  verschiedenen  Eigen- 
schaften. Letztere  ergeben  sich  am  deutlichsten,  wenn  man  Z,  Yj  Z 
als. Komponenten  einer  körperlichen  Kraft  auffaßt  und  die  Drehungs- 
momente i,  M^  N  berechnet,  welche  ein  sehr  kleines,  am  einfachsten 
kugelförmiges  Bereich  des  homogen  gedachten  Körpers,  auf  welchen 
sie  wirken,  um  Parallele  zu  den  Koordinatenaxen  durch  das  Kugel- 
centrum erleidet  Entwickelt  man  innerhalb  desselben  X,  Y,  Z  nach 
Potenzen  der  relativen  Koordinaten  x,  y,  z  gegen  den  Kugelmittel- 
punkt, so  erhält  man  nach  (lg?')  leicht 


191'") 


M^f{zX^xZ)dm  =  i^^  A  M, 
N=f{xY^yX)dm^^^^AJV. 


Es  geben  also  die  von  0  abhängigen  potentiellen  Glieder  in 
(187)  keinen  Anteil  zu  den  Drehungsmomenten  und  die  von  A,  M,  TV 
abhängigen  solche,  die  mit  AA,  AM,  A  ^  proportional  sind;  wir 
können  demgemäß  die  letzteren  Glieder  rotatorische  nennen.  Die 
Anteile  A^,  M^,  N^  liefern  keine  Beiträge  zu  i,  Mj  Nj  charakteri- 
sieren sich  also  auch  hierdurch  als  fremdartig.  — 

Der  Vollständigkeit  halber   fügen   wir  hier   noch   eine  zweite 


§  23.    Zerlegung  der  Momente  neutraler  Körper.  193 


Zerlegung  von  Vektorkomponenten  an,  obgleich  dieselbe  nicht  allein 
auf  Potentialbetrachtungen  beruht.^^*) 
Sei  entsprechend  (187) 

x=H_s^,  r=if_^/,  z^z-^,^- 

gesetzt,  aber  4>  beliebig  gelassen;  dann  kann  man  S,  H^  Z  noch 
einer  willkürlichen  Bedingung  unterwerfen.  Wählt  man  dafür  die 
Gleichung 

so  drückt  dies  aus,  daß 

Sdx  +  Hdy  +  Zdz 

einen  integrierenden  Faktor  besitzt;  nennt  man  denselben  1  /  P, 
so  kann  man  setzen 

S=-P'-f,   H=-P'J'-,    Z=-P'-f 

ÖX  ^  dy  ^  ax 

und  daher  auch 

Die  Drehungsmomente  Z,  My  iV^  bestimmen  sich  daraus  nach  (191'")  zu 


15      \dx   dy         dy    dx  )^     ] 
15      \dx    dx         dx    dx  )' 
~       15       \dy    dx         dx    dy  )^ 


1920 


es  erweisen  sich  hier  also  die  von  F  und  II  abhängenden  Glieder 
in  (192)  als  die  rotatorischen.  — 

Von  den  beiden  Zerlegungen  (187)  und  (192)  machen  wir  eine 
Anwendung  auf  die  Momente  a,  ß,  y  der  Volumeneinheit  in  der 
Potentialfunktion  (173)  oder  (173") 


el-         aJL         e' 


—  /•  r  ^i  ^^t  i  r  r  Qt  ^*i 


^/^ + ff 


eines    neutralen,   d.  h.  magnetisch   oder    dielektrisch    polarisierten 
Körpers,  worin  ist 

Voigt,  Theoretiache  Physik.  X3 


194  /.  TeiL    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


^1  =  -  i^i  ^^8  K>  ^)  +  ßi  ^^  K>  y)  +  ri  ^^s  (»j,  z)) , 

Nach  der  ersten  Zerlegungsart  (185)  können  wir  setzen  a  =  a+a\ 
/9  =  /9'+/S",  y  =  /+/'  und 


193) 


^   "    dy  dx    ^  P  d%  dx   '   ^   '^    dx  öy  ' 


dx  dy  dx 

Die  potentiellen  Glieder  a',  /9',  y  geben  ein  Gesamtmoment  von 
der  Größe  /tt'=  ög/ön',  wo  n'  die  Normale  auf  der  Fläche  %  =  Const 
bezeichnet;  seine  Axe  fällt  mit  n'  zusammen. 

Zerlegt  man  also  durch  Flächen  %  =  Const,  die  um  gleiche 
Inkremente  8^'  fortschreitenden  Konstanten  entsprechen,  den  Körper 
in  Schichten,  so  ist  /tt'd'n'  =  ^£',  daher  das  Produkt  aus  Dicke 
und  Gesamtmoment  fär  alle  Schichten  konstant  Jede  Schicht  laßt 
sich  also  als  eine  Doppelfläche  mit  konstantem  Moment  v  =  ^'^n' 
auffassen.  Eine  Polarisierung  von  dieser  Eigenschaft  nennt  man 
lamellar.     Für  sie  nimmt  die  Potentialfunktion  den  Wert  an 


,93-)  ^.=  _fJ-^f^_/-J-^ga. 

Die  rotatorischen  Glieder  a",  /9",  /'   haben  die  Eigenschaft, 
die  äquivalente  Raumdichte 


tf 


""        \dx    ^  dy    ^  dx  ) 


zu  Null  zu  machen.  Zerlegt  man  also  den  Körper  in  Fäden,  deren 
Seitenwände  ausschließlich  durch  Kurven  von  der  Gleichung 

dx  \  dy  i  dz  =  a"  :  /9"  :  ;'" 

gebildet  werden,  so  ist  für  jeden  einzelnen  der  Anteil  d<p'  der 
Potentialfunktion  gegeben  durch 

193")      d<p"  =  -  /•[(/*" cosK,  /*")^)„+  (^"cobK,  jtt")^)^ 

WO  die  beiden  Glieder  mit  a  und  b  sich  auf  die  Flächenelemento 
do^  beziehen,  die  von  dem  Faden  aus  der  Oberfläche  des  Körpers 
ausgeschnitten  werden.  Der  Faden  ist  demnach  vollkommen  durch 
die  Wirkung  seiner  Endflächen  ersetzbar,  nach  S.  171  also  ein  So- 
lenoid;  der  ganzö  Körper  läßt  sich  in  ein  System  von  Solenoiden 


§  24.    Die  logaritkmiache  Potentialfunktion.  195 


zerlegen,  und  man  nennt  daher  die  durch  a\  ß",  y"  gegebene  Er- 
regung solenoidal.  Bildet  man  die  ihr  entsprechende  Potential- 
funktion des  ganzen  Körpers,  so  erhält  man 

Gemäß  dem  Vorstehenden  kann  man  also  die  allgemeinste 
Erregung  eines  neutralen  Körpers  jederzeit  in  eine  lamellare  und 
eine  solenoidale  zerlegen.  — 

Nach  (192)  können  wir  aber  auch  schreiben 

Diese  Werte  ergeben  die  Axen  tiberall  parallel  der  Normalen 
n"  auf  den  Flächen  $ß  =  Const  und  die  Momente  jtt"  gleich  9t  ö  $  /  ö  n". 
Zerlegt  man  also,  wie  oben,  durch  Flächen  ^  =  Const,  die  um 
gleiche  Inkremente  8^"  fortschreitenden  Konstantenwerten  ent- 
sprechen, den  Körper  in  Schichten,  so  wird  fi'  Sn"  =  K  JC";  man 
kann  diese  Schichten  also  als  Doppelflächen  mit  yariablem  Moment 
auffassen.    Eine  solche  Erregung  heißt  komplex-lamellar. 

Die  allgemeinste  Polarisierung  läßt  sich  also  auch  als  die  Super- 
position  einer  einfach  und  einer  komplex  lamellaren  aufhssen.^^^ 


§  24.    Sie  HBWTON'sche  Potentialfonktion  mit  iwei  unabhängigen. 

Sind  die  Massen,  deren  Potentialfunktion  mit  9)  bezeichnet  ist, 
parallel  der  Z-Axe  mit  konstanter  Dichtigkeit  q  unendlich  aus- 
gedehnt, so  ist  (p  eine  Funktion  nur  von  x  und  y,  und  die  Unter- 
suchung seiner  Eigenschaften  kann  sich  auf  die  X  T-Ebene  beschränken. 

Um  die  Form  zu  bestimmen,  welche  tp  unter  dieser  Voraus- 
setzung annimmt,  gehen  wir  von  dem  Fall  aus,  der  alle  übrigen 
als  spezielle  abzuleiten  gestattet,  daß  die  ganze  Masse  einen  Cy linder 
von  endlichem  Querschnitt  mit  in  der  Xr-Ebene  beliebig  wechselnder, 
aber  yon  z  unabhängiger  Dichte  erfüllt  Dann  bestimmt  sich  für 
alle  Punkte  der  XY-Ehene,  deren  normale  Entfernungen  vom  Cylinder 
klein  gegen  dessen  Länge  sind,  durch  einfache  Rechnung 

y=-2/'//pi/(^)rf:r,rfy,,  194) 


worin  e  =  y{x  —  z^)^  +  (y  —  yj)*  den  Abstand  des  Flächenelementes 
dx^  dy^  von  der  betrachteten  Stelle  x,  y  bezeichnet  Eüne  bei  der  Inte- 

13» 


196  L  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


gration  auftretende  (im  allgemeinen  unendlich  große)  Eonstante  ist 
in  <p  hineingezogen. 

Ist  Q^  nur  längs  eines  unendlich  dünnen  Fadens  vom  Quer- 
schnitt q^  von  Null  verschieden,  und  setzt  man  Pj  ^i  =  »^i  j  so  wird 

bedeckt  die  wirkende  Masse  eine  Cy linderfläche  mit  der  Dichte  a^, 
und  bezeichnet  ds^  ein  Element  ihrer  Schnittkurve  mit  derX  F-Ebene, 
so  gilt 
194")  9P=-2/-/cr,/Wrf*,; 

hat  die  Cylinderfläche  eine  Doppelbelegung  von  dem  auf  die  Flächen- 
einheit reduzierten  Moment  v^  nach  der  Richtung  der  Normalen  »j, 
so  ist 

194'")  ^^^2ffv,^lds,. 

Die  Stetigkeitseigenschaften  dieser  Funktionen  folgen  unmittelbar 
aus  den  in  den  §§19  und  21  gegebenen  Sätzen  und  stimmen  mit 
denjenigen  der  gewöhnlichen  NEWTON'schen  Potentialfunktionen  voll- 
ständig überein;  nur  im  Unendlichen  macht  sich  die  fortgelassene 
unendliche  Konstante,  sowie  die  jetzt  vorausgesetzte  Erstreckung  der 
Masse  in's  Unendliche  geltend,  und  demgemäß  wird  dort  (p,  falls 
nicht  f  Qidx^dy^  verschwindet,  logarithmisch  unendlich;  zugleich 
werden  die  ersten  DiflFerentialquotienten  nach  den  Koordinaten  un- 
endlich klein  vom  ersten  Grade.  — 

Statt  den  vorstehend  angegebenen  Übergang  von  dem  Newton'- 
schen  Potential  zu  machen,  kann  man  auch  direkt  von  dem  Elementar- 
gesetz 

und  daher  dem  Potential  <i>  =  —  2fmm^  le  für  die  Wechselwirkung 
zwischen  zwei  Massenpunkten  ausgehen  und  die  Entwicklung  der 
im  Anfang  von  §  19  parallel  gestalten,  muß  dabei  aber  alle  Massen 
ausschließlich  in  der  AT- Ebene  verteilt  annehmen;  die  dieser 
Elementarwirkung  zugehörige  Potentialfunktion 

195)  y  =  -'2fm^l[e) 

führt  den  Namen  der  logarithmischen.^^®) 

Es  spielen  bei  diesen  Betrachtungen  die  Potentialfunktionen 
einer  homogenen  Kreislinie  und  einer  ebensolchen  Kreisfläche 
dieselbe  Rolle,  wie  oben  diejenigen  der  homogenen  Kugelfläche  und 
Vollkugel. 


§  24.    Die  logarithmiscke  PotenÜalfunktion.  197 


Man  erhält  durch  einfache  Rechnung  die  Potentialfunktion  (p* 
der  Kreislinie  von  dem  Eadius  R,  der  Lineardichte  a,  der  Masse  M 
auf  äußere  und  innere  Punkte,  falls  H  die  Entfernung  des  Einheits- 
poles  vom  Kreiscentrum  bezeichnet,  folgendermaßen: 

,p\=^-AnfR<rl{E)=-2fMl{E),       1 

Analog  findet  man  für  die  PotentialfTinktion  der  Kreisfläche 
von  dem  Radius  R,  der  Flächendichte  q,  der  Masse  M 

y;  =  -  2  7tfR^Ql[E)  =  -  2fMl{E),    1 

Daraus  ergeben  sich  die  folgenden  Differentialeigenschaften  der 
logarithmischen  Potentialfunktionen. 

Wie  auch  immer  die  Masse  verteilt  sei,  in  den  Bereichen,  wo 
keine  Masse  liegt,  gilt  die  Gleichung 

an  Kurven,  welche  eine  stetig  veränderliche  Lineardichte  tragen,  ist 


[dn^ji       U^Va"  R"      ' 


196') 


wo  die  Indices  (1)  und  (2)  sich  auf  die  beiden  Seiten  der  Fläche 
beziehen,  (t  die  Dichte,  R  den  Krümmungsradius  der  Kurve  an  der 
Durchgangsstelle  bezeichnet,  und  R  nach  der  Seite  der  Normalen  «j 
positiv  gerechnet  ist;  an  Doppelkurven  mit  stetig  veränderlichem 
Moment  v^  springt  die  Potentialfunktion  beim  Durchgang  von  der 
Seite  der  negativen  zu  derjenigen  der  positiven  Normale,  so  daß 

9)+  —  y.  =  Anfv  196") 

wird,  worin  v  das  Moment  der  Längeneinheit  an  der  Durchgangs- 
stelle bezeichnet,  während  die  Differentialquotienten  stetig  bleiben; 
an  der  Grenze  von  Flächenstücken  mit  stetig  veräüderlicher  Dichte  p^ 
verhält  sich  (p  mit  seinen  ersten  Differentialquotienten  stetig,  während 
die  zweiten  springen  gemäß  den  Formeln 


-äjr  -  -äl^  =  -  4  «  /•?  cos»  (n,  :r) , 

d^  q>  d^  <p  — 

-J^  -  -J^  =  -  4  ?!/•(>  C08»(n,y) , 

ä^  -  ä^  =  -  ^  ^/-p  cos(n,  y) cos (n,  x) , 


196'") 


198  /.  Teil.    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap. 


in  denen  q  die  Flächendichte  an  der  Durchgangsstelle  bezeichnet; 
hiermit  hängt  zusammen,  daß  im  Innern  derartiger  Bereiche  die 
Beziehung 

196"")  A,9>  =  4^+0=-4«/'(, 

gültig  ist 

Die  Verallgemeinerung  dieser  Sätze  auf  unstetige  Dichtigkeiten 
bietet  keine  Schwierigkeiten,  aber  auch  kein  hervorragendes  physi- 
kalisches Interesse.  — 

Ist  dg  das  Element  eines  beliebig  begrenzten  Flächenstückes  g 
der  XZ-Ebene,  ds  das  Element  seiner  Randkurve,  n  die  Richtung 
der  inneren  Normale  auf  dsy  und  bezeichnen  U  und  F  zwei  Funk- 
tionen Yon  X  und  y,  die  der  Bedingung  genügen,  daß 

^'     dx   '        dy 

auf  g  einwertig  und  stetig  sind,  so  gilt  der  (181)  analoge 
GREEN*sche  Satz 

Findet  gleiches  in  Bezug  auf  F,  dU/dx,  dUjdy  statt,  so 
gilt  die  vorstehende  Formel  auch  bei  Vertauschung  von  U  und  F^ 
und  die  Diflferenz  beider  führt  auf 

197')     /(J^A.r-  TA.JOrf?»  -/(F-fJ-F-fJ)rf.. 

Wenn  speziell  U=  T  ist,  folgt  aus  (197) 

197")        fFA,rdq  =  -  fr^ds-fe^Fdq, 

worin  kurz 

gesetzt  ist;  ist  U=  l,  so  ergiebt  sich 

197'")  •  fA,rdq=-f^ds. 

An  diese  Formeln  können  genau  dieselben  Betrachtungen  ge- 
knüpft werden,  wie  an  die  entsprechenden  (181)  bis  (181'")  für  die 
NEWTON^sche  Potentialfunktion.  Speziell  ergiebt  sich  aus  ihnen,  daß 
eine  einwertige  und  stetige  Funktion  von  x  und  y  innerhalb  g  voll- 
kommen bestimmt  ist,  wenn  an  jeder  Stelle  A2^>  ^^^  »^  der  Ober- 
fläche F  oder  {F^F—  df  /dn)  einen  gegebenen  Wert  hat   Gleiches 


§  24.     Die  logarithmische  PotenticUfunktion.  199 


gilt,  wenn  für  einen  beliebigen  Teil  der  Oberfläche  F,  für  einen  an- 
deren ö  r/ön,  für  den  Rest  {F^  V—  d  Vjdn)  vorgeschrieben  ist  Ist 
aber  überall  dF/dn  selbst  gegeben,  wobei  die  Bedingung  (197'") 
zu  berücksichtigen  ist,  so  bleibt  in  F  eine  additive  Eonstante 
willkürlich. 

Die  Ausdehnung  dieser  Betrachtungen  auf  den  Fall,  daß  das 
Bereich  q  sich  bis  ins  Unendliche  erstreckt,  bietet  keine  Schwierig- 
keiten, wenn,  über  die  im  Unendlichen  liegende  Grenzkurve  aus- 
gedehnt, das  Linienintegral  in  (197")  verschwindet;  indessen  findet 
dies  bei  der  logarithmischen  Potentialfunktion  von  im  Endlichen  lie- 
genden Massen  nur  statt,  wenn  die  Summe  derselben  gleich  Null  ist. 

Hieraus  folgt,  daß  die  auf  S.  198  angegebenen  Eigenschafken  die 
logarithmischen  Potentiale  auch  nur  in  diesem  Falle  eindeutig  be- 
bestimmen ;  in  anderen  Fällen  ist  noch  die  Angabe  des  Grenzwertes 
nötig,  dem  sich  <p  im  Unendlichen  nähert,  d.  h.,  da  derselbe  bei 
ganz  im  Endlichen  liegenden  Massen  mit  —  2fl{e^^m^  identisch 
wird,  wo  e^  die  Entfernung  vom  Eoordinatenanfang  bezeichnet,  die 
Angabe  der  Größe  von  2m^.  — 

Setzt  man  in  die  Gleichung  (197')  U  =  —  2/(tf),  wo  e  die  Ent- 
fernung des  Elementes  dq^  von  einem  Punkte  a,  b  des  Bereiches  q 
bezeichnet,  so  erhält  man  durch  eine  der  auf  S.  182  ausgeführten 
analoge  Operation 


^-  =  i/(^(«)  '-^-^'-B^'^  ^/'W  A.  Vd,        198) 

und  damit  die  Bestimmung  von  F  an  der  Stelle  a,  b  durch  eine 
(182)  genau  entsprechende  Formel,  die  auch  dieselben  Folgerungen 
gestattet,  wie  jene. 

Endlich  kann  man  auch  der  GKEEN'schen  Funktion  G  im  Baume 
eine  analoge  Funktion  ff'  in  der  Ebene  zuordnen,  welche  inner- 
halb q  eindeutig  und  stetig  ist,  die  Gleichung  A2Ö'=0  erfüllt 
und  demgemäß  liefert 


'^-»=^/(('W+ö')|J-  r^^±^ds+^m+G^)^^rdq.  198') 

Unterwirft  man  noch  C  der  Bedingung,  am  Bande  entweder 
l{e)+G^  zu  Null  oder  ö (/(<?) +  C)/ö»  zu  einer  Konstanten  oder  end- 
Hch  F^{l{e)+G')''d{l{e)+G')jdn  zu  Null  zu  machen,  so  ist,  faUs  G' 
den  Bedingungen  gemäß  bestimmt  ist,  die  Berechnung  von  F  auf 
Quadraturen  zurückgeführt. 

Auch  der  GAuss'sche  Satz  des  arithmetischen  Mittels  läßt  sich 
auf  die  logarithmischen  Potentialfunktionen  übertragen  und  als  Aus- 


200  /.  Teil.     Mechanik  starrer  Körpßr,     IV.  Kap, 


gangspunkt   für   dieselben   Schlußreihen   benutzen,   die   auf  S.  188 
daran  geknüpft  sind.  — 

Eine  Anwendung  der  erhaltenen  Resultate  machen  wir  auf  die 
Zerlegung  der  innerhalb  eines  Flächenstückes  q  der  Xi^- Ebene 
regulären  Komponenten  X  und  Y  eines  Vektors  K  in  Teile  nach 
dem  Schema 

Man  erhält  zunächst 
199')      -  A,a>  =  l^-  +  ^^L  =  Jf,    _  ^^JV  =  -^f  -  l-J , 

worin  H  eine  neue  Bezeichnung  ist     Setzt  man 

200)  X  cos  (n,  x)  +  Ycos  {n,  y)  =  P, 

so  kann  man  tf>  durch  die  erste  Gleichung  (199')  und  die  Rand- 
bedingung 

200')  «^^  +  7>  =  Q 

bis   auf  eine   belanglose  Eonstante  bestimmen;   Q  bleibt   zunächst 
verfügbar,  muß  aber  jedenfalls  der  Bedingung 

200")  /  e  rf*  =  0 

genügen. 

Es  läßt  sich  dann  setzen 

200"')  'l'=''t>,-^^fn,l{e)dq„ 

worin  0^  durch  die  Gleichung  A  tf^o  =  ^  ^^^  ^^®  Bedingung  (200^) 
bestimmt  ist. 

Führt  man  zwei  Funktionen  ^  und  B  ein,  welche  den  Be- 
dingungen 


201) 


dAdB^Q 
dx         dy  ~' 


genügen,  so  kann  man  auf  demselben  Wege,  der  zu  Formel  (189'") 
führt,  schließen,  daß 

2010  ^=1^-11 

'  oy        öx 

sein  muß. 

Für  A  und  B  erhält  man  die  Werte 


^  25.    Die  »weite  Potentialftmktion.  201 


201") 


worin  Aq  und  B^  den  Bedingungen 

AA  =  0,    Aßo  =  0.  4#  +  -öF  =  -  i/«i'W''*i       201'") 

genügen  müssen.  ^^  und  i?^  sind  ohne  Einfluß  auf  die  Zerlegung, 
können  also  gleich  Null  gesetzt  werden,  wenn  /  Q^  l[e)ds^  für  alle  Punkte 
innerhalb  q^  verschwindet;  dies  erfordert  aber  im  allgemeinen,  daß  Q 
am  ganzen  Bande  gleich  Null  ist. 

Erstreckt  sich  q  ins  Unendliche,  so  ergiebt  sich  dieselbe 
Schwierigkeit,  die  S.  191  besprochen  ist.  Die  Zerlegung  (199)  ist 
nur  dann  eindeutig,  wenn  //  im  Unendlichen  verschwindet  und  so- 
wohl flldqy  über  die  ganze  Ebene,  als  ^\fFf^dSj^,  über  etwaige  im 
Endlichen  liegende  Begrenzungen  erstreckt,  endlich  ist. 

Fehlen  jene  Begrenzungen,  so  ist  </>^  =  0;  gilt  überall 

80  ist  0  =  0,  und  die  allgemeinste  Zerlegung  lautet  hier: 

^=-4f-'  ^=  +  4f--  201"") 

Gleiches  gilt  bei  endlichem  y,  wenn  noch  am  Eande  P  ver- 
schwindet 

Die  in  (192)  gegebene  zweite  Zerlegungsart  von  Vektorkompo- 
nenten bietet  bei  Übertragung  auf  Funktionen  von  nur  zwei  Koordi- 
naten keine  speziellen  Vorteile. 

§  25.  Weitere  aus  der  HEWTON*8chen  abgeleitete  Potentialfanktionen. 

Neben  dem  NEWTON'schen  und  dem  daraus  gewissermaßen  ge- 
wonnenen logarithmischen  Potential  spielt  in  der  Physik  noch  das- 
jenige eine  besonders  hervorragende  Rolle,  dessen  Potentialfunktion 
(zweite  Potentialfunktion ^^^  nach  Mathibü)  die  Form  hat 

^  =  Z^.  202) 

x\uch  dieses  besitzt  eine  Verwandtschaft  mit  dem  NEwroN'schen 
Potential,  da,  wie  leicht  durch  Rechnung  zu  zeigen,  die  Relation 
besteht: 


202  /.  Teil.     Mechanik  starrer  Körper,    IV.  Kap. 


202')  At/;  =  ^  =  9), 

woraus  auch  folgt: 

202")  A  A  i/'  =  0. 

Dieser  Zusammenhang  gestattet,  eine  Beihe  von  Eigenschaften  der 
neuen  Potentialfunktion,  wenn  sie  von  irgend  welchen  Massen- 
yerteilungen  genommen  ist,  fast  ohne  Rechnung  abzuleiten. 

Es  genügt,  nur  die  wichtigsten  anzuführen. 

Die  Potentialfunktion 

203)  V'^^ff^irdo,, 

Ton  einer  flächenhaften  Masse  von  der  Dichte  Cj  gebildet,  ist  samt 
ihren  ersten  und  zweiten  Differentialquotienten  stetig  und  endlich;  an 
der  Fläche  gilt 

^»■)  (-M+(t^).--^'"'"" 


203'") 


203-)  (.«■|v)__(?.;aj.)_._4,^,(.^.  +  ^,), 

wo  (T  die  Dichte  an  der  betrachteten  Stelle  der  Oberfläche  und  Ä', 
Ä"  das  Paar  der  Hauptkrümmungsradien,  nach  der  Seite  von  ti^ 
positiv  gerechnet,  bezeichnet. 

Eine  homogene  Eugelfläche  vom  Radius  M^  liefert  für  innere 
resp.  äußere  Punkte 

falls  e  die  Mittelpunktsdistanz  des  Einheitspoles  bezeichnet. 

Ist 
204)  V^  =  \ffQirdk, 

die  zweite  Potentialfunktion  einer  räumlichen  Verteilung  von  der 
Dichte  pj,  so  ist  im  Endlichen  i/;  mit  seinen  drei  ersten  Differential- 
quotienten einwertig,  endlich  und  stetig  und  erfüllt  die  Gleichung 

204')  AAi//=  -^.nfQ. 

Eine  homogene  Vollkugel  vom  Radius  Ä^  giebt  für  innere  und 
äußere  Punkte 

204")  ,       ,     ^     ps/     ,   Ä,»\ 

Liegen  die  wirkenden  Massen  sämtlich  im  Endlichen,  so  werden 


§  26.    Die  xweite  PotenUalfunktion.  203 


beide  Funktionen  im  Unendlichen  selbst   unendlich   groß,   wie  die 
Entfernung  von  jenen,   während   ihre   ersten  Differentialquotienten 
nach  den  Koordinaten  endlich  bleiben. 
Die  zweite  Potentialfunktion 


v  =  i// 


*i|:/«i  205) 

einer  Doppel  fläche  von  dem  Moment  v^  der  Flächeneinheit  verhält 
sich  mit  ihren  beiden  ersten  Differentialquotienten  im  Endlichen 
überall  regulär,  dagegen  springt  AV  ^^^^  Durchgang  durch  die 
Fläche,  so  daß  gilt 

( A 1/^)+  -  ( A  V')-  =  ^'Jtfv.  —  205') 

Wie  früher  die  NEWTON'sche  Potentialfunktion  die  Mittel  bot, 
Funktionen  V  zu  konstruieren,  welche  innerhalb  eines  gegebenen 
Raumes  den  Ausdruck  A  V  einer  gegebenen  Funktion  der  Koordinaten 
gleich  machen  und  an  der  Oberfläche  entweder  selbst  oder  in  ihrem 
Differentialquotienten  nach  der  Nonnalen  oder  in  einer  linearen 
Funktion  beider  gegebene  Werte  annehmen,  so  leistet  die  zweite 
Potentialfunktion  ähnliches  bezüglich  des  Ausdruckes  AA?^. 

Um  dies  zu  zeigen,  gehen  wir  von  der  Gleichung  (181')  aus  und 
vertauschen  in  derselben  U  mit  A  ^;  sie  lautet  dann 


/(ArAr-rAAr)rfÄ  =  -/(Ar|^-r-^^^)rfo   206) 

und  ist  gültig  für  alle  V  und  A  ^,  die  sich  mit  ihren  ersten  Differen- 
tialquotienten innerhalb  k  regulär  verhalten. 

Setzt  man  speziell  V=  W^  so  erhält  man  aus  (206) 


/M'AA»^rfÄ=/(Ar^^^-/^^^)rf(^+J(Ar)>rfÄ,      206') 
setzt  man  r=  1,  so  folgt 

Ja  A  Wdk  =  ^jl^-do.  206") 

Aus  der  Gleichung  (206')  kann  man  Folgerungen  ziehen  über 
die  Oberflächenbedingungen,  welche  neben  inneAalb  k  vorgeschrie- 
benem A  A  ^  eine  mit  ihren  ersten  drei  Differentialquotienten  da- 
selbst reguläre  Funktion  eindeutig  bestimmen.  Nimmt  man  nämlich 
an,  daß  zwei  Lösungen  W^  und  fV^  mit  den  gleichen  Bedingungen 
vereinbar  wären,  so  würde,  für  die  Differenz  W^  —  W\  =  W^  gebildet, 
die  Gleichung  lauten 


0  =  /( A /r' ^^  -  r ' ^ J-) do+fiAfyydh.      (206'") 


204  /.  Teil.    Meehamk  starrer  Körper.    IV.  Kap, 


Jede»  System  von  Oberflächenbedingungen  fllr  W^  welches  dieses 
OberHächenintegral  zu  Null  oder  zu  einer  Summe  von  Quadraten 
macht,  giebt 

A  /^'  =  0; 

haben  dann  weiter  die  Oberflächenbedingungen  die  spezielle  Eigen- 
schaft, daß  für  einen  Teil  der  Oberfläche  W^  für  einen  zweiten 
ö/r/ön,  für  einen  dritten  [F^W^diridn)  vorgeschrieben,  also 
W  resp.  ö"7r  /  d  n  oder  {F^lr  -  WW'  /  d  n)  ebenda  gleich  Null  sind, 
so  ist  nach  den  Entwickelungen  auf  S.  181  JP  überall  gleich  Null,  also 
W  eindeutig  bestimmt  Ausgenommen  ist  nur  der  Fall,  daß  längs 
der  ganzen  Oberfläche  d  IV  j  d  n  vorgeschrieben  ist,  in  welchem  Falle 
eine  additive  Konstante  willkürlich  bleibt 

Zieht  man  diese  Resultate  in  Betracht,  so  giebt  die  Überlegung 
der  Bedingungen,  unter  denen  das  Oberflächenintegral  in  (206'")  ver- 
schwindet, daß  flir  jedes  Oberflächenstück  mit  vorgeschriebenem  ff^ 
vorgeschriebenes  d  ^Vjdn  oder  A^^  kombiniert  werden  kann,  mit 
vorgeschriebenem  dfi'ldn  vorgeschriebenes  ^  oder  dÄ^Vjdnj 
mit  vorgeschriebenem  F^fF^dH'ldn  vorgeschriebenes  F^ /s.  W 
—  ÖA^/ön.  Die  letztere  Bedingung  scheint  ohne  Interesse;  bei 
überall  gegebenem  d  A^Vj  dn  ist  die  Bedingung  (206")  in  Betracht 
zu  ziehen.  — 

Vertauscht  man  in  (206)  W  und  F  und  zieht  das  Resultat  von 
(206)  ab,  so  erhält  man 

/(rAAT-  FAAfrjd^ 


do. 


Diese  Formel  gilt  unter  der  Voraussetzung,  daß  sich  V  und  W 
mit  ihren  ersten  drei  Differentialquotienten  innerhalb  k  regulär  ver- 
halten. 

Setzt  man  für  F  den  Wert  r  ein,  wobei  r  die  Entfernung  von 
einer  Stelle  aj  b,  c  des  Raumes  k  bezeichnet,  so  muß  man  diese 
Stelle  durch  eine  kleine  geschlossene  Fläche  aussondern,  da  dort 
A  F  unendlich  wird.  Das  hierüber  genommene  Oberflächenintegral 
liefert  wegen  AF=  2/r  nur  in  seinem  letzten  Teile  einen  endlichen 
Wert,  und  zwar  +S7ifFabc\  das  Raumintegral  kann  auch  über 
den  ausgesonderten  Teil  erstreckt  werden,  ohne  seinen  Wert  zu 
ändern. 

Die  letzte  Gleichung  liefert  daher 


§  25,    Die  xfceits  PotentialfunkHon.  205 


»■-'.  -  -  iJir^t^-  ^»t  +  f  *a?  -  ^'^  ä 


do 


-Ä/'-^^'^^*- 


207') 


ff^abe  drückt  sich  also  als  ein  Aggregat  von  Potentialfunktionen  erster 
und  zweiter  Art  aus;  diejenigen  zweiter  Art  rühren  her  von  räum- 
lichen Verteilungen  und  einfachen  oder  doppelten  Flächenbelegungen, 
diejenigen  erster  nur  von  den  letzteren  beiden. 

Man  wird  hieraus  schließen  dürfen,  daß  das  vollständige  Inte- 
gral der  Gleichung  A  A'^  =  S(ar,y,z),  worin  g  eine  gegebene  Funk- 
tion ist,  durch  eine  Summe  von  Potentialfunktionen  erster  und 
zweiter  Art  erhalten  wird.  — 

Bezeichnet  F  eine  mit  ihren  ersten  drei  Differentialquotienten 
überall  in  k  reguläre  Funktion,  welche  ebenda  die  Gleichung 

AA-^=0 

erfüllt,  so  giebt  diese  statt  F  eingesetzt: 


208) 


87rJ\        an  on  an  an  J 

und  die  Addition  beider  Formeln  liefert: 

Die  Funktion  F  kann  man  ähnlich  wie  die  GnEEN'sche  Funk- 
tion 6  in  (183)  benutzen,  doch  hat  man  Sorge  zu  tragen,  daß  sie 
durch  die  ihr  auferlegten  Eandbedingungen  eindeutig  bestimmt  ist. 
Hat  F  z.  B.  die  Eigenschaft,  an  der  Oberfläche  den  Bedingungen 
zu  genügen, 

»  -    dF  Fr 

'    an  an 


so  wird  ^  durch  AA^j  /^  und  d^Fjdn  gegeben  sein  nach 


8nt/    \\  r]  on  on 


do 


-^-J(F+r)AAirdk; 


2080 


206 


/.  TßiL    Mechanik  starrer  Körper.    IV.  Kap, 


ist  hingegen  vorgeschrieben 


F—^-T    und     Ai^=— =, 

r 


SO  wird    W  durch  A  A  ^,  ^   und   A  ^  ausgedrückt 


208")    ' 


r. 


abe 


^         1     /    b(F+  r) 


Ar  + 


dn 


do 


-^/(^+r)AAr(/Ä, 


Durch  vorgeschriebene  d Fj dn  und  ö A  F j dn  ist  -P  nur  bis 
auf  eine  additive  Konstante  bestimmt,  und  gleiches  gilt  somit  auch 
in  Bezug  auf  W.  — 

Setzt  man  auch  bei  dieser  zweiten  Potentialfunktion,  wie  in 
§  24  bezüglich  der  ersten,  Massen  voraus,  deren  Dichte  von  z  nicht 
abhängt,  so  hat  man  das  Elementarpotential  (202),  in  welchem 
r*  =  tf*  +  z*  ist,  in  Bezug  auf  z  von  —  oo  bis  +  oo  zu  integrieren. 
Das  Resultat,  die  zweite  elementare  logarithmische  Poten- 
tialfunktion, lautet  bis  auf  eine  belanglose  unendliche  Konstante 

209)  ip=  -i/'wiic» /(««). 

Diese  Funktion  giebt  in  der  That 

209')  Ag  1/^  =  -  /'wii  / (tf »)  =  ()K> , 

also  die  erste  logarithmische  Potentialfunktion,  und  hieraus  folgt 
leicht  eine  ganze  Reihe  von  Stetigkeits-  und  Dififerentialeigenschaften 
dieser  neuen  Funktion. 

Der  GBEEN'sche  Satz  läßt  sich  genau  (207)  entsprechend  auf- 
stellen und  an  die  daraus  folgende  Formel 


210) 


f{jrA^A,r^rA2A^^)dq 


J  \     *       an  an  *      dn  an    } 

die  analoge  Schlußreihe  anknüpfen  wie  an  (207). 

Setzt  man  hierin 

F^e^l{e), 

worin  e  die  Entfernung  des  Punktes  x,  y  von  einem  willkürlich  in- 
nerhalb q  festgelegten  a,  h  bezeichnet,  so  muß  man  diesen  durch 
eine  unendlich  kleine  Kurve  ausschließen  und  erhält,  da  f&r  deren 
Verlauf  -  ö(A  r)/ön  =  4/^  ist, 


§  25.    Die  xteeite  Potentialfunktüm  in  der  Ebene.  207 


^'^  =-8^J  r^W-ä^i ^«^  -ön-  +  ^^Wä^  -  ^^-b\T' 

Wah  findet  sich  also  durch  Potentiale  erster  und  zweiter  Art  aus- 
gedrückt^ woraus  zu  folgern,  daß  das  allgemeine  Integral  der  Glei- 
chung A2A2^=  ^{^jV)  die  Form  einer  Summe  von  logarithmi- 
schen Potentialfunktionen  erster  und  zweiter  Art  besitzen  wird,  unter 
sinngemäßer  Übertragung  der  Flächenintegrale  in  Eurvenintegrale. 

Auch  die  Aufstellung  einer  Art  von  GsEEN'scher  Funktion, 
welche  dazu  dient,  um  W  aus  vorgeschriebenen  fV  und  dff^ldn, 
oder  H^  und  A  ^,  oder  ÖÄ  f^jdn  und  d  H^jdn  zu  berechnen,  ist 
ebenso  möglich,  wie  das  auf  S.  205  für  die  räumliche  Betrachtung 
erwiesen  ist  — 

Noch  mögen  zwei  andere  aus  der  NEwroN'schen  Potential- 
funktion abgeleitete  Funktionen  erwähnt  werden,  die,-  wie  jene, 
außerhalb  wirkender  Massen  die  Gleichung  Ay  =  0  erfüllen. ^^®) 

Da 

/-/((.,-z)+r)=-^/((.,-.)  +  r)  =  l 
ist,  wo  wie  früher 

ist,  so  giebt 

yi  =  /y^((^i-^)  +  0^"*i  211) 

eine  Potentialfunktion,  welche  als  die  erste  abgeleitete  bezeichnet 
werden  mag,  da 

ist     Ihre  Eigenschaften   sind   leicht  aus  denen  der  NEWTON'schen 
Potentialfunktion  zu  finden. 
Weiter  legt  die  Beziehung 

^]^^z,-z)l{[z,-z)  +  r)-r\=-^[{z,-z)l{{z,-z)  +  r)-T] 

nahe, 

<Pn  =  fj  [(^1  -  ')  i  ({'i  -z)  +  r)-r]  dm,  212) 

als   eine   zweite   abgeleitete  Poteutialfunktion    einzuführen;   für 

--0^  =  9'»'    -ö^» -dT-f-  212) 


Litteratur  zum  I.  Teil. 

Meehanik.  Rausenbergeb,  Analytische  Mechanik.  1893.  —  Buddb,  All- 
gemeine Mechanik  der  Punkte  und  starren  Systeme.  Berlin  1890.  —  Schell, 
Theorie  der  Bewegung  und  der  Kräfte.  Leipzig  1879. — Despetroüs-Darboux, 
Cours  de  mecanique.  Paris  1884.  —  Souoff,  Theoretische  Mechanik,  übers,  von 
2jIWet.  Leipzig  1878.  —  Ball,  Theoretische  Mechanik  starrer  Systeme,  herausgeg. 
von  GRAVELiirs.  Berlin  1889.  —  Poinsot,  £l6ments  de  statique.  12.  edition. 
Paris  1877.  —  Roüth,  Treatise  on  analytical  statics.  Cambridge  1891.  —  Mathieu, 
Dynamique  analytique.  3.  edit  Paris  1878.  —  Routh,  Dynamics  of  a  System 
of  rigid  bodies.  London  1891.  —  Jacobi,  Vorlesungen  über  Dynamik,  herausgeg. 
von  Clebsch.  Berlin  1884.  —  Voigt,  Elementare  Mechanik.  Leipzig  1889.  — 
Thomsok  und  Tait,  Treatise  on  natural  philosophy.  Cambridge  1883,  1886.  — 
KiBCHHOFF,  Mechanik.  Leipzig  1877.  —  Everett,  Units  and  Physical  Constants. 
London  1879.  —  Herwig,  Physikal.  Begriffe  und  absolute  Maße.   Leipzig  1880. 

Potentialtheorie«  Lejeune-Diriohlet,  Vorlesungen  über  die  im  umge- 
kehrten Verhältnis  des  Quadrates  der  Entfernung  wirkenden  EJräfte.  Herausgeg. 
von  Grube.  Leipzig  1876.  —  Riemakn,  Schwere,  Elektricitftt  und  Magnetismus. 
2.  Ausg.  von  Hattendorf.  Hannover  1880.  —  Clausiüs,  Die  Potentialfunktion 
und  das  Potential.  Leipzig  1877.  —  F.  Neumann,  Vorlesungen  über  die  Theorie 
des  Potentiales  und  der  Kugelfunktionen.  Leipzig  1887.  —  C.  Neümann,  Unter- 
suchungen über  das  NEwroN'sche  und  logarithmische  Potential.  Leipzig  1877. 
—  Betti,  Teorica  delle  forze  Newtoniane.  Pisa  1879.  Übers,  von  Franz  Meyer. 
Stuttgart  1885.  —  Harnack,  Grundlagen  der  Theorie  des  logarithmischen 
Potentiales.   Leipzig  lö87.  —  Mathieu,  Theorie  des  Potentiales.  Paris  1890. 


I.  Kapitel.  ^)  Galilei,  Discorsi  e  dimostrazioni  matematiche  intomo 
a  due  nuove  scienze  attenenti  alla  meccanica  ed  ai  movimenti  locali.  Leida 
1638.  8.  giornata.  Auch  Ostwald's  Klassiker  der  exakten  Wissenschaften, 
Nr.  24,  S.  57.  —  ')  Newton,  Philosophiae  naturalis  principia  mathematica, 
Liber  I :  Leges  motus.  Lex.  U.  —  •)  Newton,  Phil.  nat.  principia  math.  Liber  I. 
CoroUarium  I  u.  II.  —  *)  Bessel,  Versuche  über  die  Kraft,  mit  welcher  die 
Erde  Körper  von  verschiedener  Beschaffenheit  anzieht.  Abhandl.  d.  Berl.  Akad. 
1830.  —  ^)  Lagrange,  Mecanique  analytique.  Paris  1788.  II.  partie  (Dynamik), 
Sect.  III.  Art.  1.  Eüler,  Theoria  motus  corporum  solidorum.  Introductio, 
Cap.  III,  §  175.  1765.  —  ^  Euler,  Mechanica  sive  motus  scientia  analytice 
exposita.  Petersburg  1736.  Tom.  I.  Cap.  V.  Propositio  98.  —  ^)  Hutqhens, 
Horologium  oscillatorium.  Pars  V.  1678.  De  motu  et  vi  centrifiiga.  (Opuscula 
posthuma).  1703.  ^  'j  Poisson,  Trait6  de  mecanique.  1811.  Tome  I.  Nr.  249 — 50. 
S.  374.  —  •)  CoRioLis,  Trait^  de  mecanique.  Paris  1829.  Nr.  24,  S.  37.  —  ^«)  Coriolis, 
Traite  de  mecanique.  Paris  1829.  Nr.  26,  S.  38.  —  ")  Gauss,  Allgemeine  Lehr- 
sätze in  Bezug  auf  die  im  verkehrten  Verhältnisse  des  Quadrates  der  Entfernung 
wirkenden  Anziehungs-  und  Abstoßungskräfte.  Artikel  3.  Resultate  aus  den 
Beob.  des  magnet.  Vereins.  Leipzig  1840.  (Klassiker- Ausgabe  Nr.  2,  S.  6.  Gauss' 
Werke.  Bd.  V.  S.  200.)  —  "j  Th.  Young,  A  course  of  lectures  on  natural 
philosophy.  London  1807.  Vol.  I.  Lect.  8,  S.  75.  Rankine,  On  the  general  law 
of  the  transformation  of  energy.  Phil.  Magazine  (4)  V.  S.  106.  1853.  — 
**)  E.  ScHERiNo,  Hamilton- JACOBi'sche  Theorie  für  Kräfte,  deren  Maß  von  der 
Bewegung  der  Körper  abhängt  Abhandl.  d.  K.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen.  18, 
S.  32.  1873.  W.  Voigt,  Elementare  Mechanik.  S.  86.  1889.  —  **)  Laqranoe, 
M6c.  analyt.  Partie  11.  Sect  II.  Art  5.  S.  251.  —  **)  Lagrange,  Mecanique 
analytique.  Partie  1.  Sect.  IV.  —  ")  Jon.  Bernoulli,  Brief  an  Varignoh.   1717. 

—  *^  Euler,  Theoria  motus  corporum  solidorum.  Introductio,  Cap.  FV.  §  185. 
1765.  —  ")  HuTOHENs,  Horologium  oscillatorium.  1673.  S.  57,  58.  —  *•)  Newton, 
Phil,  nat  principia  math.  Liber  I.  Sect  2  (De  inventione  virium  centripetarum). 

—  *^)  Newton,  1.  c.  Liber  II.  Sect.  1 — 3.  —  •*)  Amontons,  M^moires  Acad.  des 
Sciences.    Paris  1699. 


Jjitieraiur  zum  I.  Teil.  209 


II.  Kapitel.    ")  Laorange,  M<^canique  analytique.   II.  partie,   Sect  III, 
Art.  1  u.  2.  —  •■)  d'Arct,   M^moires  de  l'Acad.  r.  des  Sciences.  1752.  S.  344 
—62;  Laplace,  Oeuvres.   T.  I.  Livre  I.  Nr.  21.  —  "*)  E.  Scherinq,  Abhandl. 
d.  K.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen.  18,  S.  32.   1873.  —  *")  F.  Nbuuakn,  Einleitung 
in  die  theoretische  Physik.  1883.  S.  201.  —  ^)  R.  Mateb,  Die  organische  Be- 
wegung   in   ihrem   Zusammenhange   mit   dem   Stoffwechsel.     Heiloronn    1845. 
Helmholtz,  Über  die  Erhaltung  der  Kraft  1847.  (Klassiker- Ausgabe  Nr.  1.)  — 
*^)  Newton,  Phil,  nat  principia  math.  Liber  III.  Theorema  VII.  —  '•)  Kepler, 
Astronom  ia  nova  1609.  Harmonices  mundi  1619.  —  '*)  Gauss,  Allgemeine  Lehr- 
sätze in  Beziehung  auf  die  im  verkehrten  Verhältnisse  des  Quadrates  der  Ent- 
fernung wirkenden  Anziehungs-  und  AbstoBungskräfte,  Art  1.  Evebett,  Physi- 
kalische Einheiten  und  Konstanten.  Kap.  VI.  §  73 — 75.  —  ^°)  Coulomb,  M^moires 
de  TAcad.  r.  des  Sciences.   Paris  1785.    S.  569—611.  (Klassiker- Ausgabe  Nr.  18. j 
—  '^)  W.  Weber,  Elektrodynamische  Maßbestimmungen,  Art.  19.   Abhandl.  der 
konigl.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.    1846.   Werke,   Bd.  3,  S.  142.  —  **)  AuptRE,  M^m. 
de  PAcad.  des  Sciences  VI.  1823.  S.  204,  232,  252.  —  •»)  F.  Neümank,  Abhandl. 
der  Berl.  Akad.    1845.  §  1.  S.  15.  (Klassiker  Nr.  10.  S.  17.)  —  »*)  F.  Neumann, 
Abhandl.   der  Bcrl.  Akad.    1845.    §  11.    S.  67.     (Klassiker  Nr.  10.  S.  10.)  — 
'^)  F.  Neümann,  Abhandl.  der  Berl.  Akad.    1848.   S.  1—5.    (Klassiker- Ausgabe 
Nr.  36.  S.  3—6.)  —  ••)  Clausius,  Pogo.  Ann.  141,  S.  125.  1870.  Jubelbd.  S.411. 
1874.  —  '^)  D.  Bernoulu,  Hydrodynamica  seu  de  viribus  et  motibus  fiuidorum 
common tarii.    1788.    Sect  X.    S.  200.  —  **)  Botle,  A  defense  of  the  doctrine 
touching  spring  and  weight  of  the  air.    London  1662.    Mariotte,  Essai  sur  la 
nature  de  l'air.    Paris  1676.  —  ■•)  Gay-Lussac,  Ann.  de  chim.  et  de  phys.  XLIII. 
8.  137.   1802.     Gilbbrt's   Ann.   12.    S.  257.     (Klassiker -Ausgabe   Nr.  44.)   — 
**)  Clausius,  Pooo.  Ann.  100,  S.  370.    1857.  —  *')  Gay-Lussac,  Mem.  de  la  soc. 
d'Arcueil.  1609.  II.  S.  207.    Gilbert's  Ann.  36,  S.  6.  1870.  —  ^')  Avooadro,  Essai 
d'une  manidre  de  d^terminer  les  masses  relatives  des  mol<^cules  ^l^mentaircs 
des  Corps  et  les  proportions  selon  lesqnelles  elles  entrent  dans  les  combinaisons. 
Joum.  de  phys.  par  Delam^therie.  LaXIII.  S.  58—76.  1811.  (Klassiker- Ausgabe 
Xr.  8.)  —  **)  Daltok,  Gilbert's  Ann.  27,  S.  388—399.  1807.    (Klassiker- Ausgabe 
Nr.  44).  —  **)  Van  der  Waals,  Kontinuität  des  gasformigen  und  flüssigen  Zu- 
standes.    London  1873.   Übers.  Leipzig  1881.  Kap.  VII.  —  *•)  Van  t'Hopf,  Lois 
de   r^quilibre   chimique  dans  Tetat  diluä  ou  dissous.    Stockholm  1886.    Zeit- 
schrift f.  physikal.  Chemie  1,  S.  481.  1887.  -~  *•)  Lhermite,  Compt.  Rend.  39, 
S.  1179.    1854.    Nernsi,   Zeitschrift   f.   physikal.    Chemie  6,   S.  37.    1890.    ~ 
*')  Clausius,  Mechanische  Wärmetheorie,  Bd.  3,  Abschnitt  11.   Pooo.  Ann.  106, 
S.  289.    1858.  —  ^')  Maxwell,  Illustrations  of  the  dynamical  theory  of  gases. 
Phil.  Mag.  (4)  XIX.  S.  31.  1860.  Scientific  papers.  I.  S.  391.  '—  ")  O.E.  Meyer, 
Kinetische  Theorie  der  Gase.  1877.  S.  146—152  u.  326.  —  ^)  W.  Voigt,  Nachr. 
d.  K.  Ges.  d.  Wiss.    Göttingen  1885.    S.  228.   —   ^^)  Maxwell,  Phil.  Mag.  (4) 
XX.  S.  31.   1860.    Scientific  papers.  I.  S.  403.  —  "j  0.  E.  Meter,  Kinetische 
Theorie  der  Gase.  S.  49—52.  1877.  —  *»)  Majcwell,  Phil.  Mag.  (4)  XX.  S.  28. 
1860.  Scientific  papers.  I.  S.  394,  400—403.  —  ^)  Riecke,  Zeitschr.  f.  physikal. 
Chemie.    0.    S.  564.    1890.    —    ")  Riecke,   Zeitschr.   f.   physikal.   Chemie.   6. 
S.  571.  1890.  —  *«)  Maxweix,  Phil.  Mag.  (4)  XIX.  S.  22.  1860.  Scientific  papers, 
I.  S.  380—381.  —  ")  Laqranoe,  M6c.  analyt.  Part.  II.  Sect.  II.  Art.  5  (S.  251). 
1788.  —  «»)  Laoranoe,  M6c.  analyt.   Part  IL  Sect.  IV.  Art  11  (S.  314—315).  — 
*•)  Hamilton,    Philosophical  Transactions.    1834.    S.  251,  807.  1835.    S.  99.  — 
*^)  Laoranoe,  M^canique  analytique.    IL  partie.    Sect.  IV.    Art.   10.    Tome  I. 
S.  318.   1811.  —  •*)  RouTH,  Stability  of  motion.    1877.   S.  61.    Dynamics  of  a 
System  of  rigid  bodies.  I.  S.  337.  1891.  —  ")  Thomson-Tait,  Natural  philosophy. 
I.  section.  S.  318,  319.  —  ^)  v.  Helmholtz,  Crelles's  Journal  87,  S.  111.  §  2. 
1884-  —  •*)  V.  Helmholtz,  Crelle's  Journal  100,  S.  137.  §  4.  1887.  —  «)  v.  Helm- 
holtz, Crelle's  Journal  97,  S.  111.  §  3.  1884.  —  ••)  J.  J.  Thomson,  Anwendungen 
der  E^namik  auf  Physik  und  Chemie.  Übers.  Leipzig  1890.  S.  14—15.  —  *^)  Boltz- 
mann,    Katalog  math.  u.  math.- phys.  Modelle  etc.    München  1892.    S.  89 — 98. 

HL  Kapitel.    •»)  Laoranoe,  M6c.  analyt  H.  part  Sect  IX.  S.  212.  — 

Voigt,  Theoretische  Physik.  14 


210  Litteratur  xum  L  Teil 


**)  Euler,  Theoria  motus  corporum  solidorum.   1765.  Cap.  Y.   Nr.  422.    S.  166. 

—  ^®)  Euler,  1.  c.  Nr.  433,  452.  8.  169,  177.  Deutsche  Ausgabe  von  Wolfkrs. 
1853.  S.  211—212.  —  ")  Euler,  1.  c.  Nr.  430  S.  168  bezw.  S.  210.  —  ")  Laqranqe, 
Mec.  analyt  U.  part  Sect.  IX.  Art  22.  —  ")  Euler,  M^moires  de  TAcad.  r. 
des  Sciences.  Berlin,  1758.  S.  15b;  Laoranoe,  1.  c.  Art  24.  —  '*)  Euler,  Mem. 
Acad.  Berlin,  1758.  S.  167,  170.  —  '*)  I^grange.  Mec.  analyt  T.  II.  S.  244.  — 
'•)  HuYGHENS,  Horologium  oscillatorium.  ParslVprop.XXV  1673.  —  '^Laqranqe, 
Mec.  analyt  T.  I.  Sect.  V.  Art  62.  —  '*)  Voigt,  Theoretische  Studien  über  die 
Elasticitätsverhältnisse  der  Krystalle.  Abhandl.  d.  Ges.  d.  Wiss.  z.  Gk>ttingen. 
34,  S.  6.  1887.  —  ")  W.  Voigt,  1.  c.  Abschnitt  1.  —  ^)  Cauchy,  Bull,  de  la 
SOG.  philomatique.  1823.  S.  10;  Poisson,  M^moires  de  TAcad.  Paris.  VIII.  8.  374. 
1829.  —  "^)  PoissoN,  1.  c.  —  Na  vier,  Resistance  des  corps  solides.  3.  Edition 
par  B.  DE  Saint-Venant.  1854.  Tome  I.  S.  556—560.  716—718.  —  »*j  Schön- 
flies. Krystallsysteme  und  Krystallstruktur.  1891.  S.  146 — 147.  —  ^)  Lieribch, 
Physikalische  Krystallographie.  1891.  S.  139—142.  —  **)  Voigt,  Allgemeine 
Theorie  der  piSzo-  und  pyroelektrischen  Erscheinungen  an  Krystallen.  S.  14 — 16. 
28—26.  Abhandl.  d.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen.  36.  1890.  —  ")  Voigt,  Über  die 
innere  Reibung  der  festen  Körper,  insbesondere  der  Krystalle.  S.  11 — 17.  Ab- 
haudl.  d.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen.  36.  1890.  —  ^)  Voigt,  Elasticitätsverhältnisse 
der  Krystalle.  I.  Nr.  4.  Abhandl.  d.  Ges.  d.  Wiss.  Göttinnen.  34.  1887.  — 
^^)  Maxwell,  A  dynamical  theory  of  the  electromagnetic  field.  1864.  Scientific 
papers.  I.  S.  526—571.  Treatise  on  Electricity  and  Magnetism.  1873.  3.  Teil. 
Cap.  VI  u.  VU.  —  **)  BoLTZKAKN,  Vorlesungen  über  Maxwell's  Theorie  der 
Elektricität  und  des  Lichtes.  I.  Teil.  1891.  4.  Vorlesung.  S.  24,  29—31.  — 
®®)  BoLTZHANN,  1.  c.  9.  Vorlesung. 

IV.  Kapitel.  •**)  Lagrange,  Nouv.  m6m.  de  TAcad.  de  Berlin.  1777. 
S.  155 — 174.  Greek,  Essay  on  the  application  of  math.  analysis  on  the  theories 
of  electricity  and  magnetism.  1828.  Art.  1.  —  ^')  Laplace,  M^m.  de  TAcad. 
Paris.  1781.  S.  249— 267.  —  ")  Christoppel,  Crelle's  Journal  64,  S.  321— 369. 
Art.  11.  1865.  Clausius,  Potentialfunktion.  §§  37— 39  u.  51.  Betti,  Potential- 
theorie. Kap.  I.  §§  5  u.  10.  —  »")  Poisson,  M6m.  de  ITnstitut  XIL  Paris  1811. 
S.  5,  30—34.  Green,  Essay. . .  Art  4.  Paci,  Giomale  di  Mat.  XV.  1877.  S.  289—298. 
Beltrami,  Annali  di  Mat  (2j  X.  S.  59.  1880.  —  •*)  Poisson,  BulL  soc.  philo- 
matique. III.  S.  388—392.  1813.  —  •*)  Maxwell,  Treatise  on  Electricity  and 
Magnetism.  I.  Teil.  Kap.  IX.  Art  129b  u.  129c.  —  »•)  Voigt,  Beiträge  zur 
molekularen  Theorie  der  Pi6zoelektricität.  Nachr.  d.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen. 
1893.  S.  659—661.  —  »'^  PoissoN,  M^moires  de  l'Acad.  Paris.  V.  1822.  S.  267— 
269.  —  •*)  PoissoN,  1.  c.  S.  294.  —  ••)  Maxwell,  Treatise  on  Electr.  and 
Mt^.  3.  Teil.  Kap.  II.  Art  398—400.  —  '*<^)  v.  Helmholtz,  Pogg.  Ann.  d.  Phys. 
u.  Chem.  89,  S.  225—230.  1853.  LipscHrrz,  Crelle's  Joum.  68,  S.  1—53.  1861. 
Einl.  u.  §  2.  C.  Neumann,  Untersuchungen  . . .  Kap.  IV.  —  *°*)  G.  Neumanm,  Unter- 
suchungen . . .  Kap.  IV.  §  2.  —  **^*)  Stokes,  Smith's  Prize  Examination.  1854.  Cam- 
bridge IJniversity  Calendar.  —  ***')  Biot  u.  Savart,  Annales  de  chim.  et  phys.  XV. 
1820.  p.  222— 223.  —  1")  Green,  Essay  .  .  .  Art  3.  —  "*)  C.  Neumann,  Unter- 
suchungen ...  S.  119— 123.  KiRCHHOPP,  Mechanik,  16.  Vorlesung.  §  4.  —  ^'^•jKirch- 
HOPP,  Alechanik.  16.  Vorlesung.  §  7.  —  "^Kirchhopp,  Mechanik.  16.  Vorlesung.  §  8. 

—  1*8)  Green,  Essay  .  .  .  Art.  5.  —  "»)  F.  Neumann,  Potential.  Kap.  11.  $$  5. 
S.  270.  DiNi,  Atti  d.  Acad.  dei  Lincei  (2)  III.  S.  129—132.  1876.  —  "«)  Pockels, 
Über  die  partielle  Differentialgleichung  £^u  -{■  k^ u  ^  0.   Leipzig  1891.    S.  255. 

—  "*)  Green,  Essay  .  . .  Art.  6.  —  *")  Gauss,  Allgemeine  Lehrsätze  etc.  Art  20. 

—  "•)  Stokes,  On  the  dynamical  theory  of  diffiraction.  Trans.  Cambridge  phiL 
Soc.  IX.  1. 1849  und  Math.-Phys.  Papers.  IL  S.  258— 259;  Clebsch,  Crelle*s  Joom. 
61,  S.  195  ff.  §  1.  1863.  —  "*)  Clebsch,  Crelle's  Joum.  66,  S.  1.  §  1.  1859.  — 
*"j  Maxwell,  Treatise  on  Electr.  and  Magn.  3.  Teil.  Kap.  III.  —  "•)  C.  Neu- 
mann, Crelle's  Joum.  59.  1861.  S.  335.  —  *")  Mathieu,  Liouville's  Joum.  XIV. 
1869.  S.  378—406.  Potentialtheorie.  Kap.  IIL  S.  70—77.  —  "«)  Boussikesq, 
Application  des  potentiels  k  l'c^tude  de  requilibre  et  du  mouvement  des  solides 
elastiques.     Paris  1885.     §  II,  S.  59—60. 


n.  Teü. 
Mechanik  nichtstarrer  Körper. 

* 

L  KapiteL 

Die  Grnndgleichungen  für  das  Gleichgewicht  und  die 

Bewegung  nichtstarrer  Körper, 

§  1.    Unendlich  kleine,  stetige  Verrüclnmgen  in  einem  nichtstarren 

Körper. 

Als  nichtstarre  Körper  bezeichnen  wir  solche,  deren  Teilchen 
gegenseitige  Verschiebungen  gestatten,  also  unabhängig  Toneinander 
veränderliche  Koordinaten  besitzen.  Bedeuten  ar,  y,  r  die  Anfangs- 
werte der  letzteren,  x  +  u,  y  +  t?,  z  +  to  ihre  zu  beliebiger  Zeit 
geltenden  Beträge,  so  sind  u,  v,  to,  die  Komponenten  der  Ge- 
samtverrückung  eines  Teilchens,  im  allgemeinsten  Falle  Funk- 
tionen der  Anfangswerte  der  Koordinaten  x,  y,  z  und  der  Zeit  t 

Erfüllt  der  betrachtete  Körper  anfänglich  einen  Eaum  k  stetig, 
so  entsprechen  auch  allen  Punkten  von  k  bewegte  Massen  und  dem- 
gemäß Yerrückungen  u,  v,  w.  Letztere  müssen  dabei  stetige 
Funktionen  der  Koordinaten  sein,  wenn  bei  der  Bewegung  weder 
mehrere  Massen  an  dieselbe  Stelle  gelangen  sollen,  was  mit  der 
Undurchdringlichkeit  der  Materie  in  Widerspruch  kommen  würde, 
noch  neue  Begrenzungsflächen  am  Körper  entstehen  oder  gar  Zer- 
faUungen  desselben  in  mehrere  Teile  eintreten  sollen,  was  die  Be- 
dingungen der  Bewegung  vollständig  verändern  würde.  Wir  schließen 
weiterhin  derartige  Singularitäten  prinzipiell  aus. 

Sind  aber  u,  v,  w  stetige  Funktionen  der  Koordinaten,  so  können 
wir  sie  in  der  Umgebung  oder,  wie  wir  sagen  wollen,  dem  Bereich  B 
einer  beliebigen  Stelle  x,  y,  z  nach  dem  TAYLOE'schen  Lehrsatz  ent- 
wickeln und  für  einen  Punkt  mit  den  Koordinaten  ar^  ==  a:  -|- 1, 
yj  =  y  +  1?,  Zj  =  z  +  f  schreiben 

14* 


212 


II.  Teil.    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    L  Kap. 


1) 


.  ydu    ,      du    .    ydu    .    S^d^u    ,    u      B^u     ,    yy  d^u 


dx 


By 


dx 


2  Bx^ 


dxdy 


,  udv    ,      dv    ,    ydv    .    f*  d*r    ,    ^      ö*»      ,    uy 


10 


dx 

di€ 


dx 


2  dx^ 


dw 


dw   ,    P  d^w 


dxdy 

d^w 


dxdx 

d*r 
dxdx 

d^w 


I  •••? 
I  •••? 


1  *  ^  dx  dy       ^ dx        2  dx^       ^  '  dxdy       ^^  dxdx  ' 

WO  nun  rechts  u,  v,  w  und  ihre  Differentialquotienten  sich  auf  die 
Stelle  I  =  i;/  «  f  s=s  0,  d.  h.  den  Punkt  x,  y,  z  beziehen. 

Wir  konstruieren  um  x,  y,  z  eine  Kugel  ä'  mit  beliebigem  Badius, 
doch  so,  daß  sie  vollsl&ndig  in  dem  betrachteten  Bereiche  liegt,  und 
bestimmen  für  sie,  indem  wir  die  Verrückungskomponenten  Mj,  r^,  tr^ 
analog  wie  Geschwindigkeitskomponenten  behandeln,  die  ihnen  ent- 
sprechenden Schwerpunktsverschiebungen  und  Flächenmomente  in 
Bezug  auf  die  Koordinatenaxen  gemäß  S.  38  und  39. 

Bezeichnet  man  die  ersteren  als  mittlere  Verschiebungskom- 
ponenten mit  «^,  t?^,  tr^,  so  geschieht  ihre  Berechnung  nach  dem 
Schema  u^^h!  =  ftt^dK  u.  s.  f.  und  ergiebt 


i 


2) 


u. 


=  M   +  Xj*  A«   +  *2*  ^  ^"   +  •••  j 


Vfj,  =v  +Xi^Av  +Xa*AAv  +..., 

w^^w  +  Xi*  A«?  + V  A  A*^  +  .... 
Hierin  ist  gesetzt 

es  ist  dann  zugleich 


2-) 


2") 


/^  ^f^  =/^  =  2A'x,*  u.  8.  f. 


Versteht  man  femer  unter  /^,  w^,  n^^  mittlere  Drehungen  um 
die  Koordinatenaxen  bei  gegebenen  Flächenmomenten,  so  ist  die 
Berechnung  der  letzteren  auszuführen  nach  dem  Schema: 

4/^Ä'xi*  =  /(^;wj  —  ^v^)dk!  u.  s.  f., 
woraus  folgt 


2"') 


/. 


m. 


1  (^^ 


Fx 

dtc^ 
dx 

du 


+ 


+ 


\  A  (1^ 


-^'  + 


A 


A 


_  dj\ 
dx) 

/du  ^  dio\ 
[di       dx) 

^dv        du\ 
^dx        dy) 


■f"  •  •  •> 

'^"  1 1  •  t 


§  1,    Homogene  Deformation,  213 


Zieht  man  von  den  in  (1)  gegebenen  Werten  der  m^,  üj,  w^  die- 
jenigen Beträge  ab,  welche  den  Verrückungen  bei  einer  gleich- 
förmigen Verschiebung  imd  Drehung  des  ganzen  Bereiches  B  um 
die  oben  bestimmten  mittleren  Werte  entsprechen,  bildet  also 

m'  =  Mj  —  M^  +  rif^t}  -m^f,    I 

t?'=  v^-  Vf,+    l^^^n^^j    I  3) 

w'  =  M?!  —  Wf,  +  wi^l  —   lf,ri,    ) 

so  kann  man  die  resultierenden  u\  v\  «?'  als  die  einer  reinen 
Deformation  des  Bereiches  entsprechenden  Verriickungskomponenten 
bezeichnen.  Zieht  man  sie  allein  in  Betracht,  wie  weiterhin  zu- 
nächst geschehen  mag,  so  bezieht  man  damit  das  betrachtete  Bereich 
des  nichtstarren  Körpers  auf  ein  gemäß  den  Werten  w^,  v^,  w^  ver- 
schobenes und  gemäß  /^,  th^,  n^  gedrehtes  Koordinatensystem. 

Es  mag  bemerkt  werden,  daß  es  nicht  angängig  ist,  statt  der  ein- 
gefährten  /^,  m^,  n^  die  —  vielleicht  näher  liegenden  —  arithmetischen 
Mittelwerte  (i,  wij^,  «J«  der  Drehungen  innerhalb  k\  definiert  durch 


^;A'=/^^'-^rf*', 


zu  benutzen,  da  dieselben  sich  nicht  wie  Vektorkomponenten  ver- 
halten. — 

Die  Ausdrücke  (3)  sind  im  allgemeinen  sehr  kompliziert;  sie 
nehmen  aber  eine  überaus  einfache  Gestalt  an,  wenn  man  das 
Bereich  B  des  Punktes  x,  ^,  z  so  klein  wählt,  daß  innerhalb  einer 
festgesetzten  Genauigkeit  die  Entwdckelung  (1)  mit  dem  linearen 
Glied  abgebrochen  werden  kann.  Dann  gilt  nämlich,  wenn  man 
wieder  die  schon  S.  126  benutzten  Abkürzungen 

du  _  dv^ dtc  ^  . 

dv  j^  dtc  __      _         dw   I   ö**  ^      _         ^**  ^  ^^  _        I 

einführt: 

«'  =  ily«  +  w,  +  iCy,,  3") 

Die  Funktionen  ar  ,  . . .  ar ,  deren  Werte  mit  der  Orientierung 
des  Koordinatensystems  variieren,  nennt  man  die  Deformations- 
größen des  betrachteten  Gebietes  oder  an  der  Stelle  ar,  y,  z;  ihre 
Dimension  ist 


214  II,  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    L  Kap. 

3'")  [xj [xj  =  l; 

sie  sind  also  reine  Zahlen. 

Wenn,  wie  in  unserem  Falle,  innerhalb  des  Bereiches  die  De- 
formationsgrößen  Konstanten  sind,  nennt  man  die  Deformation  eine 
homogene.^)  — 

Setzen  wir 

I*  +  ^*  +  ?*  =  ?*,  i  =  Qcc,  ri^Qß,  f  =  QY, 
so   bezeichnet  q    den   Eadiusvektor    von  x,  y^  z  nach   der   Stelle 
^  + 1>  y  +  ^>  ^  +  f  j  ^i^<i  ^>  ßi  7  siii^i  seine  Richtungskosinus,    u',  t?',  «?' 
können  wir  als  Komponenten  einer  relativen  Gesamtverschiebung  ^ 
auffassen  und  setzen 

worin  nun  «',  /?',  y'  die  Richtungskosinus  von  s  bezeichnen  und  g 
eine  neue  Bezeichnung  ist    Die  Formeln  (3")  geben  dann 

ö'/^  =  iyx«  +  y/  +  iy.r, 

und  zeigen,  daß  im  allgemeinen  s  nicht  mit  q  parallel  ist  Dies  wird 
jedoch  der  Fall  sein,  wenn  die  Bedingungen  erfüllt  sind: 

wobei  1  =  a^  +  /?*  +  ^'^  ist 

Diese  Gleichungen  bestimmen  sowohl  die  Richtungskosinus  der 
speziellen  Radienvektoren  (>,  denen  parallel  die  Verschiebungen  ihrer 
Punkte  stattfinden,  als  auch  den  Wert  des  ihnen  entsprechenden  o-, 
welches  hier  offenbar  die  Bedeutung  der  Verlängerung  ihrer  Längen- 
einheit, ihrer  sogenannten  linearen  Dilatation  hat 

Durch  Elimination  von  a,  /?,  y  folgt  aus  (4) 

<^'-  K+yy+  ^.)^*+  (yy^,+  ^.^x  +  ^«yj,  -  i(y/+  ^«*+  V))^ 

eine  der  Wurzeln  o-j,  o-g,  (T3  dieser,  wie  jeder  kubischen  Gleichung  ist 
stets  reell,  wir  wollen  sie  mit  (Tj,  den  ihr  entsprechenden  Vektor  mit 
Q^  bezeichnen. 

Drehen  wir  nun  das  Koordinatensystem  X,  Y,  ^  so,  daß  die 
X-Axe  mit  p^  zusammenfällt,  so  muß  in  (3")  |  =  Pi,  «?  =  ?=0  zur 
Folge  haben  «'=  pj  o-^ ,  1?'=  0,  tr'=  0,  d.  h.  es  muß  für  diese  Lage 
der  Axen  sein 

4")  ^x=^i^  yx=^x=o. 


.( 


§  1,    Homogene  Deformation.  215 


Hiernach  wird  aus  (4) 

ein  Gleichungssystem,  das  durch  die  Wurzel  o-j  und  die  ihr  ent- 
sprechenden Werte  «^  =  1,  jS^  =  y^  =  0  identisch  befriedigt  wird. 

Für  die  beiden  anderen  Wurzeln  folgt  aus  der  ersten  dieser 
Formeln,  daß  sie  entweder  gleich  a^  sein  oder  aber  Richtungen  pj 
und  (>3  normal  zu  q^^  entsprechen  müssen.  Ersteres  ist  im  allgemeinen 
mit  (4)  imvereinbar,  es  muß  also  letzteres  gelten. 

Legt  man  demgemäß  die  noch  willkürliche  Axe  ¥  in  die  Eichtung 
von  (>j,  so  folgt  in  derselben  Weise  wie  oben,  daß  dadurch 

wird,  während  pg  mit  der  Z-Axq  zusammenfällt 

Wir  erhalten  sonach  das  Resultat,  daß  im  allgemeinen  nur  die 
Punkte  dreier  zu  einander  normaler  Axen,  der  Hauptdilatations- 
axen,  die  wir  weiter  mit  Xq,  T^,  Zq  bezeichnen  wollen,  in  der 
Richtung  der  Radienvektoren  verschoben  werden,  und  daß  die  diesen 
Axen  entsprechenden  Deformationsgrößen  nach  (4")  und  (4"')  die 
Werte  haben 

^x'=^i.  yv'=^2.  ^.'-<^3.  y,'=^/  =  <=o,  5) 

worin  die  (t^  die  Hauptdilatationen  heißen.^ 
Für  diese  erhält  man  aus  (4')  die  Beziehungen 

aus  denen  zugleich  folgt,  daß  die  drei  Aggregate  rechts  die  einzigen 
aus  den  Deformationsgrößen  zu  bildenden  Invarianten  sind.  ^  — 

Die  relativen  Koordinaten  |,  17,  f  nehmen  infolge  der  Deforma- 
tion die  Werte 

an,  durch  deren  Diskussion  man  leicht  die  Bedeutung  der  allgemeinen 
Deformationsgrößen  ^3. , . . .  a:    erhält 

Bei  Einführung  der  Hauptdilatationsaxen  wird  ein&tcher 

lo  =  10(1  +  ^1).  ^0  =  ^0(1  +  ^2)»  S(;  =  So(i  +  s)-      6') 

Nach  den  Formeln  (6)  resp.  (6')  bleiben  im  Innern  des  Be- 
reiches B  bei  der  Deformation  Gerade  gerade,  Ebenen  eben,  über- 


216  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    L  Kap. 


haupt  behält  jede  Oberfläche  iliren  Grad.  Parallele  Gerade  und 
parallele  Ebenen  bleiben  parallel. 

Ein  spezielles  Interesse  bietet  die  Deformation  einer  Kugel 
innerhalb  des  gewählten  Bereiches,  weil  sie  eine  deutliche  An- 
schauung von  der  Verteilung  der  Verrückungen  um  einen  Punkt 
gewährt.  Aus  ihrer  ursprünglichen  Gleichung  |*  +  r/*  +  f ^  =  ^'  ^ird 
bei  Voraussetzung  des  Hauptaxensystemes  nach  den  Gleichungen  (6') 

also  die  Gleichung  eines  Ellipsoides,  des  sogenannten  Dilatations- 
ellipsoides,  dessen  Mittelpunkt  von  demselben  Massenteilchen  ge- 
bildet wird,  das  ursprünglich  im  Eugelcentrum  lag,  und  dessen 
Hauptaxen  in  die  Hauptdilatationsaxen  fallen  und  sich  je  durch  die 
entsprechenden  Hauptdilatationen  bestimmen. 

Verbindet  man  mit  diesem  ein  koncentrisches  und  gleichliegendes 
Hülfsellipsoid,  dessen  Gleichung  ist 

a'"\  io I       Vo        i       io        —  7?  2 

^    ^  1  +  a»    ^    1  +  a,    ^  1"+"^  -  ^1    ' 

SO  giebt  (6')  den  Satz,  daß  ein  Punkt  |,  rj,  f  der  Kugelfläche  nach 
der  Deformation  diejenige  Stelle  des  Dilatationsellipsoides  einnimmt, 
in  welcher  letzteres  geschnitten  wird  von  dem  Radiusvektor  nach 
der  Bertihrungsstelle  einer  normal  zum  Strahl  durch  |,  t;,  f  an  das 
Hülfsellipsoid  gelegten  Tangentenebene.*)  — 

Wird  der  durch  die  erste  Deformation  hervorgerufene  Zustand 
einer  neuen  Deformation  unterworfen,  welche  durch  die  Größen  x^,...  x^ 
bezeichnet  werden  mag,  so  nehmen  die  relativen  Koordinaten  die 
Werte  an 

r=  r (1  +  ^x)  +  \v'^i  +  ir ^:, «.  s.  f., 

aus  denen  hervorgeht,  daß  sich  im  allgemeinen  nacheinander  hervor- 
gebrachte Deformationen  nicht  einfach  summieren.  Dies  geschieht 
indessen,  wenn  die  Deformationen  unendlich  klein  sind.  Dann 
gilt  einfach: 

r  =  1(1  +  x,  +  ari)  +  -lrj{xy  +  xi)  +  \^{x,  +  xl),  u.  S.  w. 

Diesen  wichtigsten  Fall  wollen  wir  weiter  allein  vor- 
aussetzen. 

Dann  gewinnen  die  sechs  Deformationsgrößen  x^  ,  ,  ,  x  des 
Bereiches  B  eine  vereinfachte  und  anschauliche  Bedeutung.*) 

x^,  ^y»  ^t  sind  die  linearen  Dilatationen  parallel  den  willkür- 
lichen Koordinatenaxen  X^  Y,  Z. 


§  1.     Unendlich  kleine  Verrückungen.  217 

*»——  -  ■  -~ 

y«>  ^«»  'y  ^^^  ^®  Verkleinerungen  der  Winkel  zwischen  Richtungen, 
Welche  ursprünglich  der  Z-  und  Z-,  der  Z-  und  JC-,  der  X-  und  J-Axe 
parallel  waren. 

Femer  erhält  man  nunmehr  leicht  den  Wert  der  linearen 
Dilatation  einer  in  beliebiger  Richtung  gelegenen  Strecke;  es  wird 
nämlich,  wenn  Uj  ß,  y  ihre  Richtungscosinus  bezeichnen,  nach  den 
Fonneln  (6) 

X  =  x^€€^  +  yyß^  +  z^r^-^yjr  +  ^zr^  +  ^y^ß-  ') 

Parallel  den  drei  Hauptdilatationsaxen  wird  X  resp.  mit  <t^,  a^,  a^ 
in  (5)  identisch. 

Die  kubische  Dilatation  oder  die  Dilatation  der  Volumeneinheit  & 
aber  wird 

*  =  ^x  +  yy  +  ^s»  7') 

ist  also  identisch  mit  der  ersten  der  in  (5')  angegebenen  Invarianten. 
Für  die  Einführung  neuer  Koordinatensysteme  in  die  Ausdrücke 
der  Deformationsgrößen  ist  zu  bemerken,   daß,    wie   eine  einfache 
Rechnung  zeigt, 

^»J   Vyi    ^«>   y,>    ^x»    ^y 

sich  genau  in  derselben  Weise  transformieren,  wie  die  Produkte 

X\  P,  ^,  2YZ,  2ZX,  2XY 

Ton  Vektorkomponenten.  — 

Die  sechs  Größen  x^j , , ,  x  bestimmen  nach  dem  Vorstehenden 
Yollständig  die  Deformation  des  betrachteten  Bereiches  und  sind  für 
jede  einzelne  Stelle  voneinander  unabhängig;  dagegen  können  sie 
innerhalb  des  deformierten  Körpers  als  Funktionen  der  Koordi- 
naten nicht  durchaus  willkürlich  vorgeschrieben  werden,  vielmehr 
müssen  ihre  Differentialquotienten  gewissen  Bedingungen  genügen, 
welche  daraus  entspringen,  daß  die  sechs  Größen  x^, . . .  :r  von  nur 
drei  willkürlichen  Funktionen  u,  v,  to  der  Koordinaten  abgeleitet 
sind  ®). 

Man  erhält  diese  Gleichungen,  indem  man  die  Bedingungen 
dafür  aufstellt,  daß  von  den  folgenden  Ausdrücken: 

dx\dy)^  dy'    dy\dy)''dy        dx'    dx[dy) ''^[dx'^  dy       dx)' 
dx^dx)"  dx'    dy[dx)'^^[dx'^  dy       dx)'    'dx[dx)''dx        dx' 


218 


n.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    L  Kap. 


je  die  drei  in  einer  Linie  stehenden  die  Differentialquotienten  einer 
und  derselben  Funktion  sein  müssen.    Sie  lauten  demgemäß 


8) 


dx^  ^ 

*« 
S^«"" 

dydx' 

d^x^ 
dx^  "^ 

d 

d^x^ 
dxdx' 

d^x 
dy^  ^ 

di 

dxdy' 

2 

dydx 

+ 

d'y, 

dxdx 

+ 

dydx' 

dxdx 

+ 

dxdy 

+ 

d*x^ 
dxdy' 

dxdy 

+ 

d^x 

2 

dydx, 

+ 

ö'y. 

dxdx' 

Genügen  die  Gesamtverrückungen  u^  v,  w  der  Bedingung  der 
Stetigkeit,  so  muß  die  Begrenzungsääche  eines  nichtstarren  Körpers 
stets  von  denselben  Teilchen  gebildet  sein;  denn  um  jedes  der  Ober- 
fläche beliebig  nahe  Teilchen  als  Mittelpunkt  kann  man  eine  ganz 
im  Innern  des  Körpers  liegende  Kugel  konstruieren,  die  sich  nach 
(6")  in  ein  Ellipsoid  um  dasselbe  Teilchen  als  Centrum  deformiert 
Nur  bei  unendlich  starker  Deformation  kann  daher  der  Abstand 
des  Punktes  von  der  Grenzfläche  unendlich  klein  höherer  Ordnung 
werden. 

Man  kann  dies  Resultat  anschaulicher  dahin  aussprechen,  daß 
die  Grenzschicht  des  Körpers  sich  bei  der  Deformation  zwar 
außerordentiich  stark  vergrößern  und  dabei  verdünnen  oder  verklei- 
nem und  dabei  verdicken  kann,  aber  immer  dieselben  Teilchen 
enthält. 

Die  Gleichung  der  Grenzfläche,  welche  zu  irgend  einer  Zeit  t 
von  einem  System  Koordinaten  x,  y,  z  erfüllt  wird,  muß  hiemach, 
wenn  während  der  unendlich  kleinen  Zeit  r  die  Verrückungen  «, 
V,  w  eintreten,  zur  Zeit  t  +  r  von  den  Koordinaten  x  +  u^  y  +  ^j 
z  +  to  befidedigt  werden.    D.  h.,  es  muß  nebeneinander  bestehen 


und 
9) 


F{x,y,z,t)^0 


dF      ,   dF      ,   dF      ,   dF  ^ 

dt  ox  dy  dx 


Sind  u^  v^  w  als  Funktionen  von  :r,  y,  z  und  t  gegeben,   so   muß 
jede  Fläche  jP,  welche  geeignet  sein  soll,  den  nichtstarren  Körper 


§  L     Grenxbedingungen  für  die  Verrückungen,  219 


ZU  begrenzen,  dieser  Gleichung  genügen.  Ist  hingegen  F  als  Funk- 
tion von  Xy  y,  z  und  t  gegeben,  so  liefert  die  Gleichung  (9)  eine 
Bedingung  für  die  Geschwindigkeiten 

oder  im  speziellen  Falle  des  Gleichgewichts  für  die  Verrückungen 
M,  Vy  w  an  der  Grenzfläche^. 

Trennt  die  Fläche  zwei  Körper,  von  denen  mindestens  der  eine 
nicht  starr  ist,  so  kann  man  die  Gleichung  (9)  ftir  beide  Körper 
aufstellen  und  sodann  d Fj dt  eliminieren.  Man  erhält  dadurch  die 
Bedingung 

die  ebenso  für  w',  v\  w'  aufgestellt  werden  kann,  oder,  indem  man 
die  Bichtung  der  Normalen  auf  der  Grenze,  nach  einer  beliebigen 
Seite  positiv  gerechnet,  mit  n  bezeichnet, 

("i  —  «2) ^^ ^ ^)  +  K  "~  "2)  cös  ^y)  +  ("'i  —  ^^2)  ^^s («,  2^)  =  0 ,      9") 

was  anschaulich  die  Bedingung  dafür  ausspricht,  daß  die  Grenzfläche 
auch  bei  der  Deformation  Grenze  bleibt 

Hängen  beide  Körper  in  der  Grenze  fest  zusammen,  so  muß 
noch  spezieller  gelten 


Mj  =  ttj  ,     Vi  =  Ü2  ,     «^1  =  ti?3 .  9'") 


§  2.    Die  inneren  Kräfte  eines  niohtstarren  Körpers. 

Ein  beliebiger  Teil  eines  nichtstarren  Körpers  stellt  ein  Massen- 
system unter  der  Wirkung  innerer  und  äußerer  Kräfte  dar.  In 
betreff  der  inneren  Kräfte  können  wir  auf  dem,  S.  102  bei  der 
analogen  Frage  für  starre  Körper  eingeschlagenen  Wege  schließen, 
daß  sie  die  Eigenschaft  haben,  über  den  ganzen  betrachteten  Teil 
summiert,  verschwindende  Komponentensummen  und  Drehungs- 
momente zu  liefern. 

Auch  die  Schlußweise  auf  S.  103  ist  anwendbar,  wenn  wir  die 
Annahme  benutzen,  es  ließe  sich  jeder  Teil  eines  nichtstarren  Kör- 
pers in  einem  beliebigen  Zustand  zu  einem  starren  machen,  ohne 
seine  inneren  Kräfte  zu  verändern. 

Dies  hat  zur  Folge,  daß,  wenn  man  für  irgend  einen  Teil  eines 


220  //.  Teil,    Mechanik  niehMarrer  Körper.    L  Kap. 


nichtstarren  Körpers  nach  Maßgabe  des  S.  38  und  39  Angegebenen  die 
Schwerpunkts-  und  Flächengleichungen  bildet,  aus  denselben  die 
inneren  Kräfte  des  Teiles  vollständig  herausfallen,  so  daß  die  For- 
meln die  in  den  Systemen  (43)  und  (45)  des  vorigen  Teiles  gegebene 
Gestalt  annehmen,  in  welcher  allein  die  Komponenten-  und  Mo- 
mentensummen  der  äußeren  Kräfte  auftreten,  die  der  betrachtete 
Teil  erfährt. 

Letztere  zerfallen  in  zwei  Gruppen,  nämlich  einerseits  in  solche, 
welche,  etwa  femwirkend  nach  Art  der  Schwere,  auf  innere  Punkte 
ausgeübt  werden,  andererseits  in  solche,  welche  von  den  umlagernden 
Teilen  desselben  oder  eines  anderen  Körpers  nur  auf  die  an  der 
Grenzfläche  liegenden  Massen  wirken.  Erstere  beziehen  wir  auf  die  Vo- 
lumeneinheit  und  setzen  ihre  Komponenten  gleich  X*,  r*,  Z^;  letztere 
beziehen  wir  auf  die  Flächeneinheit  der  Begrenzung  und  be- 
zeichnen ihre  Komponenten  mit  X^,  Y^,  Z^,  wobei  der  Index  n  auf 
die  Eichtung  der  inneren  Normale  des  Oberflächenelementes  hin- 
weist, gegen  welches  sie  wirken. 

Die  durch  diese  Komponenten  bewirkten  Drehungsmomente 
drücken  wir  wie  früher  (S.  39)  aus,  lassen  aber  die  Möglichkeit  zu, 
daß  die  kleinsten  Teile  des  Körpers  auch  noch  direkt  Drehungs- 
momente erfahren  durch  Kräfte,  welche  sich  in  den  Komponenten- 
summen nicht  geltend  machen,  etwa  weil  unendlich  benachbarte 
Punkte  entgegengesetzt  gleiche  Kräfte  erfahren.  Letztere  Momente 
bezeichnen  wir,  soweit  sie  den  Charakter  von  Femwirkungen  haben, 
mit  Z\  M\  iV,  soweit  sie  von  den  direkt  anlagernden  Teilen  aus- 
geübt werden,  mit  i^,  M^,  N^  und  beziehen  wie  oben  die  ersteren 
auf  die  Volumen-,  die  letzteren  auf  die  Flächeneinheit  Diese 
Momente  haben  nach  S.  101  für  alle  parallelen  Axen  die  gleichen 
Werte. 

Der  Kürze  halber  sollen  weiterhin  die  Kräfte  und  Momente 
X\  r,  Z',  L\  JT,  N'  körperliche,  die  A;,  r„,  Z^,  L^,  M^,  3; 
innere  oder  molekulare  genannt  werden;  wirken  die  letzteren 
gegen  die  äußere  Grenzfläche  des  aus  einem  oder  mehreren  Körpern 
gebildeten  Systems,  so  mögen  sie  oberflächliche  heißen  und  mit 
Xj  Y,  Zj  Lj  M^  N  bezeichnet  werden;  wirken  sie  gegen  die  Grenze 
zwischen  zwei  durch  (A)  und  [k)  charakterisierten  Körpern,  so  mag 
für  sie  die  Bezeichnung  X^uj  ^Äfc>  Z^^^  Lhuj  ^»j  A^k  angewandt 
werden. 

Unter  Berücksichtigung  dieser  Festsetzungen  nehmen  die  Glei- 
chungen (43)  und  (45)  des  vorigen  Teiles  die  Form  an®): 


§  2.    Innere  Kräfte  niehtttarrer  Körper. 


221 


j^^dk^jZ'dk+jZ^do, 


10) 


10') 


+  j{M^  +  zX,-xZ^do, 

Die  körperlichen  Kräfte  und  Momente  sind  oben  auf  die  Vo- 
lumeneinheit bezogen,  weil  diese  Festsetzung  keinerlei  Gesetz 
ihrer  Wirkung  voraussetzt;  sind  sie  aber  speziell  den  Massen  pro- 
portional, so  ist  es  vorteilhaft,  sie  auf  die  Masseneinheit  zu  beziehen 
und  daher 

X'=pX,  r=(>7,  Z"  ^qZ,  r  =^qZ,  AT  =-gM,  i\^  =  p^    10") 

zu  setzen. 

Die  Dimensionalgleichungen  der  verschiedenen  Arten  von  Kräf- 
ten und  Momente  sind  folgende: 

[JE]  =  [7]  =  [^   =  ltr-\  [L]  =  [M]   =  [iV]  =  p^2,         iq..) 

Wendet  man  die  sechs  Gleichungen  (10)  und  (10')  auf  ein 
cylindrisches  Yolumenelement  von  gegen  die  Querdimensionen  un- 
endlich kleiner  Höhe  an,  so  verschwinden  aus  ihnen  alle  Raum- 
integrale und  auch  die  über  die  Mantelfläche  erstreckten  Flächen- 
integrale als  unendlich  klein  höherer  Ordnung,  und  das  erste  Tripel 
liefert  * 

j;  +  x.„  =  r,  +  7.«  ^Zn  +  z^n  =  0;  ii) 

die  Berücksichtigung  dieses  Resultates  läßt  im  zweiten  Tripel  auch 
noch  die  mit  JT^,  ¥^,  Z^  multiplizierten  Glieder  verschwinden  und 
ergiebt 


222 


IL  Teil,    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    I.  Kap. 


Ist  die  eine  Grundfläche  des  Cylinders  eine  Begrenzung  des  Körpers, 
in  welcher  die  Komponenten  und  Momente  direkt  gleich  X,  Z,  Z, 
resp.  L,  Mj  N  gegeben  sind,  so  nehmen  diese  Gleichungen  die 
Gestalt  an 

L^  +  I^M^  +  M^Y^  +  N^O, 


11") 


in  denen  n  als  äußere  Normale  auf  der  Grenzfläche  des  Körpers 
betrachtet  werden  kann. 

Die  Formeln  (11)  und  (ll')  können  auch  auf  den  Fall  ange- 
wandt werden,  daß  der  Cy linder  über  einem  Element  der  Grenze 
zwischen  zwei  verschiedenen  Körpern  h  und  k  konstruiert  ist;  er- 
fährt die  Grenzfläche  selbst  Kräfte  imd  Momente,  wie  dergleichen 
z.  B.  durch  eine  ihr  mitgeteilte  elektrische  Ladung  oder  durch  längs 
der  Grenze  stattfindende  Molekularkräfte  bewirkt  werden  könnten, 
so  ergeben  sie  in  sofort  verständlicher  Bezeichnung 


11'")  < 


die  Normalen  sind  nach  der  Ableitung  der  Formeln  je  die  äußeren 
auf  dem  durch  den  Index  h  resp.  h  bezeichneten  Teil  des  Körper- 
systemes. 

Wählen  wir  femer  als  das  Integrationsgebiet  ein  Tetraeder  von 
unendlich  kleinen  Kanten,  dessen  Flächen  resp.  normal  zur  X-,  T-j 
Z'Axe  und  einer  beliebigen  Richtung  n  liegen  —  letztere  positiv 
aus  dem  Tetraeder  heraus  gerechnet  — ,  so  ergiebt  sich  unt^r  Be- 
nutzung von  (11)  und  (IT) 

'  ^n  =  ^x  cos  {n,  x)  +  -Xy  cos  (n,y)  +  X,  cos  (n,  z), 

12)  '   ^n  =  ^x  Cös  (n,  x)  +  Jy  cos  (w,y)  +  7,  cos  (n,  z), 

^n  =  K  COS (w, x)  +  Z^ COS  (n,y)  -|-  Z^ cos {n, z), 

/  i;„  =  i^  COS  (n,  x)  +  Ly  cos  (n,y)  -f-  L^  cos  (n,  z), 

12')  \m^  =  M^  cos  (n,  x)  +  My  cos  {n,y)  +  M^  cos  («,  z), 

l  iV;^  =  iV^^ cos (71, x)  -h  Ny  cos (7i,y)  +  N^ cos  (n,  z). 

Endlich  erhält  man  durch  Anwendung  der  Formeln  (10)  auf 
ein  unendlich  kleines  Prisma,  dessen  Flächen  den  Koordinaten- 
ebenen parallel  sind: 


§  2,    Innere  Kräfte  nichtstarrer  Körper, 


223 


^^  =  Z'  — ^^'^ 


öX       dX 

y  a 


dt^ 


dx 


dy 


dx 


^  =  7'---=^-—»-^^ 


^  dfi 


dx 


dy 


dZ        dZ 

=  ^'  -  ^r^  -  -^  - 


dx 


ÖL 

dx 
dM 

dx 
dN 

00/ 


dL 


y 


dy 


dy 
dL^ 

~dt 


'dt' 
dZ^ 

'dt' 


13) 


+  ^«-^.» 


ÖJf„  ÖJlf 

y z 

dy 

dN 

^     y 

dy 


dx 

dN^ 
~dt 


+  ^«-^., 


+  ^."-^x- 


13') 


Für  die  Ableitung  der  letzten  drei  Formeln  sind  die  ersten  drei 
zu  benutzen  und  ist  außerdem  in  Betracht  zu  ziehen,  daß  sich 
innerhalb  des  Integrationsgebietes  die  x,  y,  z  nur  unendlich  wenig 
Ton  Konstanten  unterscheiden. 

Die  Gleichimgen  (11)  bis  (13)  haben  den  ganzen  Inhalt  der 
Formeln  (10)  in  sich  aufgenommen,  so  daß  letztere  aus  ihnen  zurück- 
gewonnen werden  können,  und  zwar  auch  für  den  allgemeinsten 
Fall  eines  Systemes  von  verschiedenen  Körpern. 

In  der  That  führt  die  erste  Gleichung  (13),  über  das  ganze 
System  integriert,  sofort  auf 

-Z J(>  ^  rf  Ä  ==  ^JZ' rfÄ  -  ^ Jdö  ( J^cos  (n,ar) + Jy  cos  (n,y^ 

wo  die  Summe  2  sich  auf  die  verschiedenen  homogenen  Teile  des 
Systemes  bezieht,  und  n  die  äußere  Normale  auf  der  Grenzfläche 
eines  homogenen  Teiles  des  Systemes  bezeichnet  Die  Oberflächen- 
integrale reduzieren  sich  nach  (12)  auf  2fdoX^  und  ergeben 
nach  (IT")  den  Wert  — -2"/X^j^rfo^j^,  soweit  sie  Grenzflächen  zwischen 
zwei  Körpern  h  und  k  des  Systemes  betreffen,  dagegen,  soweit  sie 
sich  auf  äußere  Begrenzungen  des  Systemes  beziehen,  nach  (11") 
den  Wert  — -Z/X^rfö^,  so  daß  man  schließlich  erhält 


^/*s« 


^2fx'dk  +  2JXdo, 


in  Übereinstimmung  mit  der  ersten  Gleichung  (10), 

Integriert  man  hingegen  die  erste  Formel  (13')  über  das  ganze 
körperliche  System,  so  erhält  man 

0  =  2fL'dk 

—  2fdo  (L^  cos  (71,  x)  +  Jy  cos  (n,  y)  +  L^  cos  (n,  z))  +  2f{Y^  -  Z^)  dk. 


224 


//.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    I.  Kap. 


Hiervon    behandelt    man    das   Oberflächenintegral    genau    wie   das 
Yorige,  das  letzte  Eaumintegral  hingegen  schreibe  man 


/■ 


=  1  do  {z  i;  cos  («,  z)  -  yZ^  cos  (n,y)) 
dY       dY-\ 


und  dies  giebt  leicht 


dt^ 


-^S)] 


dky 


wodurch  man  wie  früher  erhält 

2SQ[y%-'^S]dk=2J{F+yZ^-zT)dk+2Jß+JZ-lf)do. 

Dies  ist  aber  die  vierte  Gleichung  (10)  in  allgemeinster  Fassung.  — 
Die  vorstehenden  allgemeinsten  Resultate  sind  für  die  An- 
wendungen zu  vereinfachen,  da  wir  in  Wirklichkeit,  wie  es  scheint, 
keine  Mittel  haben,  durch  Oberflächenkräfte  direkt  auf  die  kleinsten 
Teilchen  der  Körper  Momente  auszuüben;  hiemach  ist 

zu  setzen.  Das  hat  dann  zur  Folge,  daß  nach  (11")  zunächst  in 
den  Oberflächen  der  Körper  die  inneren  Momente  i^,  Jf^,  jS\  sämt- 
lich verschwinden,  und  man  gelangt  zu  keinen  Widersprüchen  mit 
der  Erfahrung,  wenn  man  nun  auch  überall  und  für  beliebige  n 

L  =  .if  =  a;  =  0 

«  »  n 

nimmt  Die  körperlichen  Momente  L\  M\  N^  sind  durch  mecha- 
nische Mittel  zwar  nicht  hervorzubringen,  es  liegt  aber  jedenfalls 
die  Möglichkeit  vor,  sie  durch  elektrische  Kräfte  ?u  bewirken;  man 
würde  hiemach  also  das  System  (13)  zunächst  zu  schreiben  haben®): 


14) 


d»a;  ^  ^,  _  ^\ 


dX..       dX 


d^x 


dx 


dy 
BT. 


14') 


dY 

dx         dy 

dZ        dZ^ 
_.  ^> X y_ 

dx         dy 

0  =  i'  +  r,  -  z^. 


dx  ' 
0  7 
~dx^ 
BZ 


§  2,    Innere  Kräfte  niehtstarrer  Körper.  225 

Schließt  man  aber  solche  Mittel  aus  und  setzt  i'  =  JT  =  iV^  =  0, 
so  wird  aus  den  letzten  drei  Qleichungen  noch  einfacher 

Diese  Annahme  wird  in  der  Praxis  meistens  gemacht;  das  aus  ihr 
folgende  Resultat  (14")  ist  bereits  auf  Seite  126  benutzt  worden.  •) 
Unter   seiner  Berücksichtigung   ist   der  Spannungszustand   an 
irgend  einem  Punkte  eines  beliebigen  nicht  starren  Körpers  durch 
die  sechs  Komponenten 

^x^    ^y>    ^z^    ^zJ    ^xy     V 

die  für  eine  einzelne  Stelle  willkürlich  vorgeschrieben  werden 
können,  vollständig  bestimmt.  Als  Funktionen  der  Koordinaten 
und  der  Zeit  unterliegen  sie  aber  den  drei  Gleichungen  (14),  zu 
denen  als  Bedingungen  für  die  Grenze  zwischen  zwei  Körpern  {h) 
und  (Ä)  drei  Formeln  treten,  die  wir  in  der  allgemeinsten  Fassung, 
unter  Berücksichtigung  äußerer  auf  die  Grenzfläche  wirkender 
Drucke  mit  den  Komponenten  X^^^,  }\j.,  Zj^j^,  nach  (IT")  schreiben 

Ä)*  +  {XX  +_x,,  =  0,  (7j,  +  (7^  +  r;,  =  0,  . 

Die  Bichtungen  n^  resp.  w^  sind  dabei  die  der  äußeren  Normalen 
auf  der  Oberfläche  von  (A)  resp.  (A). 

Die  Formeln  vereinfachen  sich,  wenn  entweder  die  Drucke 
gegen  die  Grenzfläche,  oder  die  Spannungen  im  Nachbarkörper 
Null  sind  oder  vorgeschriebene  Größe  haben.  — 

Die  Druckkomponenten  -i'^. .  .  .  X  sind  vom  Koordinatensystem 
abhängig  und  ändern  ihre  Werte  bei  Einführung  anderer  Axen- 
richtungen.  Für  die  Ausführung  der  Transformation  ist  die  Be- 
merkung von  Wichtigkeit,  daß  sich  die  sechs  Druckkomponenten 
hierbei  vollständig  wie  die  sechs  Komponentenprodukte 

X2,    P,   Z^,    rZ,   ZX,   XY 

verhalten. 

Bezeichnet  man  die  Resultante  aus  X,,,  Y^y  Z^  mit  P^,  und  führt 
man  ihre  Richtungscosinus  mit  der  Bezeichnung  a\  /?',  y*  ein,  während 
man  cos  (w,  x),  cos  (n,  y),  cos  (n,  z)  in  of,  /?,  y  abkürzt,  so  wird  aus 
dem  System  (12) 

P^a^^X^a  +  X^ß  +  X^Y, 
P^ß'^Y^a+Y^li+Y^r, 

P,y=^z^a  +  z^ß  +  z^r. 

Voigt,  Theoretische  Physik.  15 


22b  //.  Teil     Mechanik  nichtstarrer  Körper,    I.  Kap. 

P^  fällt  im  allgemeineii  nicht  in  die  Richtung  von  n;  aus- 
genommen sind  die  speziellen  Werte  a,  /?,  y,  für  welche  gilt 

15)  o=7,«  +  (i;-P)/9+7.y, 

wobei  mit  P  der  spezielle  Wert  von  P^  bezeichnet  ist,  der  normal 
zu  dem  entsprechenden  Flächenelement  wirkt. 

Dieses  Formelsystem  stimmt  vollständig  mit  (4)  überein  und  ge- 
stattet die  gleichen  Folgerungen.  Insbesondere  ergiebt  dasselbe, 
daB  im  allgemeinen  nur  drei  zu  einander  normale  Richtungen,  die 
Hauptdruckaxen,  existieren,  in  denen  dieDrucke,  die  Hauptdrucke 
Pj,  Pg,  Pg,  normal  gegen  das  zugehörige  Flächenelement  wirken. 

Wählt  man  die  Hauptdruckaxen  zu  Koordinatenaxen  JP,  J^,  ^, 
so  nehmen  die  bezüglichen  Druckkomponenten  die  Werte  an  ^^ 

15')       x/=  p, ,  r/=  p, ,  zj>=  p, ,  i;«=  zj>=  x;=  o . 

Zwischen  ihnen  und  den  auf  ein  beliebiges  Axensystem  X,  Y,  Z 
bezogenen  Werten  bestehen  die  Beziehungen 

,         p,+p,+p,=x^+r^+z^, 
i5'')}p,p,+p,p,+p,p,=r^z^+z,x^+x^r^-{r^^+zj+x^'), 
\  PrP,Ps=x^ry2.+2rA^,-{xj,'+r^z,*+z,x^*);  ■ 

die  Ausdrücke  rechts  sind  die  einzigen  von  einander  unabhängigen 
aus  den  Druckkomponenten  zu  bildenden  Invarianten. 

Bei  Einfuhrung  der  Hauptdmckaxen  -P,  7*^,  Z^  nimmt  das 
System  (12)  die  Form  an 

16)     X„^=  P,cos(n,  x),  7„«=  P2C0s(n,y),  ^„o=  PjCOsC«,  z), 

woraus  durch  Elimination  der  Richtung  von  n  die  Beziehung  folgt 

/Xn2      IY''\^      (Z^\^ 

Da  X^,  Y^j  Z^  die  Komponenten  nach  den  Hauptdruckaxen  von 
der  Druckkraft  P^  sind,  welche  gegen  das  durch  die  Richtung  von  n 
charakterisierte  Flächenelement  wirkt,  so  stellen  sie  auch  die  Ko- 
ordinaten i,  f],  C  ^^8  Endpunktes  eines  mit  P^  proportionalen  Vek- 
tors vom  Koordinatenanfang  aus  dar,  und  die  Gleichung 

-■1       iih  (*)■+ i-k)'-  ■ 

zeigt,  daß  die  allen  möglichen  Richtungen  von  n  entsprechenden 
Endpunkte  ein  dreiaxiges  EUipsoid  —  das  Druckellipsoid  —  er- 


§  3.    Hamilton' 8  Öleichung  für  nichtstarre  Körper. 


227 


fallen,    dessen   Hauptaxen    nach   Bichtung    und   Größe   durch    die 
Hauptdrucke  Pj,  Pj,  Pj  bestimmt  sind. 

Kombiniert  man   mit  diesem  Ellipsoid   die   concentrische   und 
gleicbliegende  Hilfsfl&che    zweiten  Grades,  deren  Gleichung  lautet 


+ 


+ 


=  1, 


16'") 


Pi    '    n     •    P. 

80  ergiebt  das  Formelsystem  (16)  das  Eesultat,  daß,  wenn  man  an 
die  Hilfsfläche  (16'")  eine  Tangentenebene  normal  zu  n,  d.  h.  parallel 
zu  dem  Flächenelement  legt,  gegen  welches  P^  wirkt,  die  Richtung 
des  Radiusvektors  nach  der  Berührungsstelle  mit  derjenigen  von  P^ 
identisch  ist 

Dieser  Satz  gestattet,  zu  jedem  n  das  zugehörige  P^  zu  kon- 
struieren, und  umgekehrt  ^^)  — 

§  3.   Die  EAMiLTON'sohe  Olelohung  für  niohtstarre  Körper. 
Kinfinhnmg  eines  rotierenden  Koordinatensystemes. 

Die  Gleichungen  (14)  sind  bei  Annahme  der  Beziehungen  (14") 
und  (14"')  in  eine  einzige  zusammenzufassen,  welche  den  Vorteil 
des  leichten  Überganges  zu  anderen  Koordinatensystemen  bietet  ^*) 
Man  erhält  nämlich  durch  Multiplikation  mit  den  virtuellen  Ver- 
rückungen  Sxy  Sy^  Sz  und  Integration  über  das  ganze  System  in 
Berührung  stehender  Körper: 


( 


-T+       ' 


+    C 


dt* 


-r+ 


-^+ 


dx 

dx 
dx 


ex^     ex, 

"I"  "äT! f" 


+ 


+ 


dy 

d  Y 
y 

dy 
BZ. 


^) 


+ 


8x 


y 


dy 


+ 


d 
dZ. 


i)*.]_0. 


Sind  die  Variationen  Sx^  Sy,  Sz  im  Innern  des  ganzen 
Systems,  auch  beim  Durchgang  durch  die  Grenze  zweier  verschiedener 
Körper,  stetig,  so  ergiebt  diese  Formel  durch  teilweise  Integration, 
da  sich  die  auf  die  Zwischengrenzen  bezüglichen  Glieder  nach  (14'") 
zusammenfassen : 


-   X 


+  r,{ 


6  dy        d  dx 


dx 


+ 


dy 


)  H-  ^.  ( 


ddx        y  döy        „  ddx 

*  dx    '^     y   dy    "*"  *  dx 


dö  X        ddx 

-r 


)^^( 


d  öx    .    d  dy 

"T 


dx     *     dx  )    ^      y\  dy     *     dx 
--Jdo{Xdx  +  rSy  +  ZS7)  =  0. 


% 


17) 


15' 


228  //.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper,    L  Kap. 

Dieselbe  Formel  gilt  auch,  wenn  die  Variationen  in  der  Grenze 
unstetig  sind,  falls  nur  ihre  Komponente  normal  zur  Grenze  nicht 
springt  und  der  Druck  senkrecht  gegen  die  Grenzfläche  wirkt 

Vergleicht  man  diese  Formel  mit  (95')  des  ersten  Teiles  und 
berücksichtigt,  daß 

17')  rSx  +  TSy  +  Z'Sz  =  S'aa 

die  auf  die  Volumeneinheit  bezogene  virtuelle  Arbeit   der  körper- 
lichen Kräfte, 

1 7")  XSlc  +  TSy  +  ZSl=^  S'ao 

die  auf  die    Flächeneinheit  bezogene  der  Oberflächendrucke  gegen 
eine  äußere  oder  eine  Zwischengrenze  ist,  so  erkennt  man,  daß 


17'") 


dx 


+^.(^+^)+^-.(^+^)-*''" 


die  auf  die  Volumeneinheit  bezogene  Arbeit  der  inneren 
Kräfte  sein  muß;  denn  andere  als  diese  drei  Arten  von  Kräften 
treten  nach  der  Annahme  nicht  ins  Spiel. 

Die  Gleichung  (17)  läßt  sich  daher  schreiben 

woraus  bei  Einführung  der  gesamten  virtuellen  Arbeit  S*A  für 
den  Fall  des  Gleichgewichtes  spezieller  folgt 

18')  S"^  =fdk{S'aa  +  dVf)  +  fdoSrao  =  0. 

Sind  die  virtuellen  Verrückungen  die  in  der  Zeit  dt  wirklich 
eintretenden,  d.  h.,  ist 

Sx  =  -=-dt,  Sy  =  -j^dt,   Sz  =  -^dt, 
dt  ^        dt       ^  dt 

SO  giebt  die  Formel  (18) 

18")  dW=d^, 

die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft,  welche  auch  zeigt,  daß  im 
Falle,  wo  kein  Gleichgewicht  stattfindet,  das  nichtstarre  System  die 
Bewegung  aus  der  Ruhe  so  beginnt,  daß 

18'")  d'ui  >  0 

ist. 

Benutzt  man  die  Umformung  von  Seite  80  und  integriert  die 
Formel  (18)  nach  der  Zeit  ZTsdschen  zwei  Grenzen,  an  denen  die 
Variationen  Sx,  Sy,  Sz  verschwinden,  so  erhält  man 


§  3.     Hamilton' 8  Gleichung  für  niektstarre  Körper,  229 


h 

fdt{SW+S'A):=:0  19) 

und  damit  die  Gestalt,  welche  das  HAMiLTON'sche  Prinzip  flir  nicht- 
starre Körper  annimmt 

Ein  sehr  wichtiger  Fall  ist  der,  daß  die  Arbeit  der  inneren 
Kräfte  5*««  die  Gestalt  der  vollständigen  Variation  Ton  einer  Funk- 
tion besitzt,  die  nur  von  dem  augenblicklichen  Zustand  abhängt,  also 

S'ai  =  —  S(p 

ist,  wo  man  (p  die  auf  die  Volumeneinheit  bezogene  Potentialfunk- 
tion der  inneren  Ejräfte  nennen  kann;  setzt  man  dann  f  (pdk  =  4>, 
d.  h.  gleich  dem  Gesamtpotential,  und  fdkS'ua+  fdoS*ao=  SA^t 
d.  h.  gleich  der  gesamten  äußeren  Arbeit,  so  wird  die  Bedingung  des 
Gleichgewichtes  (18')  zu 

J'^a-^0  =  O,  19') 

die  Gleichung  der  lebendigen  Kraft  zu 

rf(«^+  a>)^dE^d!Aa,  19") 

wo  E  die  Energie  des  nichtstarren  Systemes  heißt.  Ebenso  ver- 
wandelt sich  die  Ungleichung  (18'")  in 

d'Aa-d0>O  19'") 

und  die  Formel  (19)  des  HAMiLTON'schen  Prinzipes  in 

Jdt{S{W^  0)  +  S'Aa)  =  0.  19"") 

Wenn  äußere  Kräfte  nicht  wirken,  wird  aus  (19')  und  (19"') 

<y0  =  O,   resp.   d(p<  0, 

was  in  der  S.  28  ausgeführten  Weise  dahin  gedeutet  werden  kann, 
daß  im  Zustande  stabilen  Gleichgewichtes  <P  ein  Minimum  wird.  — 
Eine  Anwendung  der  Formel  (19)  wollen  wir  auf  die  Trans- 
formation der  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (14)  auf  ein  um 
die  Z'Axe  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit  rotierendes  Koordinaten- 
system Sy  Hj  Z  machen  ^^. 

Wir  bezeichnen  die  Rotationsgeschwindigkeit  mit  (o  und  setzen 
demgemäß,  indem  wir  t  von  einem  beliebigen  Zeitpunkt  aus 
rechnen, 

.r  =  I  cos  ö)  ^  —  7;  sin  (ö^  ^ 

y  =  Isino)^  +  lycosw^,  z  =  f.     ) 


230  //.  Teil.     Mechanik  niohtstarrer  Kärper,    L  Kap. 


Hieraus  folgt,   wenn  man  kurz  die  Differentialquotienten  nach  der 
Zeit  durch  einen  oberen  Index  bezeichnet: 


20') 


X  =  ^  cos  CO  t  —  f/  sin  0)  t '—  ^  0}  sin  CD  t  —  fj  o)  cos  (o  t , 


y  =  I'  sin  w  ^  +  v'  cos  (üt  +  ^(o  cos  mt  —  ricosiucotj 

/  =  r. 

Die  Variation  der  lebendigen  Kraft  \fj  der  Volumeneinheit  nimmt 
demgemäß  die  Grestalt  an 

20")         d^  =  ||<y|  +  ||5,  +  ||5|'  +  ||^V  +  ||dT, 

aber  die  geleistete  Arbeit 

SA  =  /{Sa.  +  S'aa)dk  +  fSa^do 

behält  in  den  |,  17,  f  dieselbe  Form,  wie  in  den  x,  y,  z,  was  aus  ihrer 
Definition  leicht  zu  ersehen  ist. 

Setzt  man  3^^  =  f  Sxpdk,  nach  (20")  berechnet,  in  das  Hamil- 
TON'sche  Integral  ein,  integriert  die  mit  S^,  Stj',  S^  multiplizierten 
Glieder  durch  Teile  nach  der  Zeit,  indem  man  ^|,  Srjy  Sy  an  den 
Grenzen  verschwinden  läßt,  und  integriert  die  mit 

multiplizierten  Glieder  durch  Teile  nach  den  Koordinaten,  die  sich 
in  den  bezüglichen  Nennern  befinden,  so  erhält  man 


21). 


-Jdo  \^(S  +  S„)H+  (H+H„)  äV,  +  (Z+  Zjä;])  =0. 

Da  die  ^|,  Stj,  S^  willkürlich  sind,  zerfällt  die  obige  Gleichung 
in  drei  für  jeden  inneren  Punkt  und  drei  für  jeden  Oberflächen- 
punkt gültige. 

Wir  bilden  sie,  nachdem  wir  die  Werte  der  Differentialquotien- 
ten von  'ip  wie  folgt  eingesetzt  haben: 


21') 


I  Äg|)-*.(r-v»),  Äd?)-^^^^,  Ä(^?) -or. 


§  3.    Rotierendes  Axensystem,  231 


Sie  lauten  dann: 

p(r-2//cü-|fü»)  =  s'- 

d=;      ds^     ds^     X 

öl          ö//          d^   ' 

(>(V'  +  2|'a>-i7ö*)=:lf  « 

dH^       dH^       BHf, 

d$             drj             di     ' 

Q^'^r^ 

dZ^        dZ^         dZ^ 

dS             dri             ÖC    ' 

S'^S.-^H-h  Ä  =2 

r+z_  =  o. 

21") 


Bringt  man  die  in  den  beiden  ersten  Oleichungen  links  neben 
pI"  und  Qfj*'  stehenden  Glieder  auf  die  rechte  Seite,  so  kann  man 
sie  mit  S^  und  IT  vereinigen  und  als  die  scheinbaren  körper- 
üchen  Komponenten  deuten,  welche  neben  den  wirklichen  infolge 
der  Botation  des  Eoordinatensystemes  als  auf  das  Yolumenelement 
dk  ausgeübt  einzuführen  sind.. 

Die  Anteile 

sind  die  auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  Komponenten  der  Centri- 
fugalkraft,  die  Anteile 

welche  verschwinden,  wenn  der  Körper  relativ  zu  dem  System  S,  H 
ruht,  sind  die  Komponenten  einer  Kraft,  welche  parallel  der  SH- 
Ebene  senkrecht  gegen  die  Projektion  der  relativen  Bewegungs- 
richtung von  dk  auf  diese  Ebene  mit  der  Stärke  2  ^  <ü  )/ 1'*  +  rj'^ 
wirkt 

Von  den  Formeln  (21")  geht  man  leicht  zu  denen  über,  welche 
die  Bewegung  auf  ein  mit  seinem  Anfangspunkt  an  der  Erdober- 
fläche befindliches  und  mit  der  Erde  rotierendes  Koordinatensystem 
beziehen. 

Sei  JR  der  Erdradius,  und  &  die  nördliche  geographische  Breite 
des  Koordinatenanfanges  für  das  zu  S,  H,  Z  parallele  System  S^, 
jffi,  Zj,  dessen  Ebene  S^  Z^  außerdem  mit  der  Ebene  SZ  zu- 
sammenfallen möge,  dann  ist 

|  =  Äco8t9--f-|i,     «7  =  ^1,     f  =Äsint9-  +  fi. 

Führt  man  endlich  noch  ein  Axensystem  A,  B,  C  ein,  dessen  C- 
Axe  normal  zur  Erdoberfläche  und  dessen  ^-Axe  nach  Süden  ge- 
richtet ist,  so  wird 

Ij  =  a  sin  ??•  +  c  cos  &,     <7i  =  ^»     ^^  =  —  «  cos  i?-  +  c  sin  i?-, 
oder 

a  =  li  sin  i9*  —  ^^  cos  ^,     ^  ==  i?i ,     c  =  ^^  cos  &  +  Ci  siii  ^' 


232  //.  Teil,    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    L  Kap, 

Man  erhält  demgemäß  leicht,  indem  man  die  erste  und  letzte  Glei- 
chung (21")  mit  den  Faktoren  sini9",  —  C08i9-,  resp.  cos^,  sind-  zu- 
sammenfaßt und  berücksichtigt,  daß  die  rechten  Seiten  jener  Formeln 
für  alle  rechtwinkligen  Koordinatensysteme  ihre  Gestalt  beibehalten: 

Q  [a"  -  2 ^' Q> sin !?•  -  ((Ä  +  c)cos&  +  a sin &)  ö>» sin &\ 


21'") 


da  db  de 


()[*"  +  2(a'sint9-  +  c'cosi?-)«  -  Acö*] 


^ff^^^a  ^^l  Ö^c 


da  db  de 


Q  [c"  —  2  ä'q>  cos  19-  —  [{B  +  c)  cos  i9"  +  a sin  &j  w*  cos &\ 


_       dC^        da        da 


9a  Öfc  Ö  C    ' 

Diese  Gleichungen  kommen  mit  speziellen  Werten  der  auf  den 
rechten  Seiten  stehenden  Kraft-  und  Druckkomponenten  u.  a.  zur 
Anwendung  bei  der  Theorie  der  Bewegungen,  die  in  der  Atmo- 
sphäre der  Erde  (oder  eines  anderen  Weltkörpers)  unter  Mitwirkung 
der  Botation  auftreten. 

Ueber  einen  unendlich  kleinen  Körper  integriert,  wobei  die  in- 
neren Kräfte  verschwinden,  geben  sie  die  Gesetze  der  Bewegung 
eines  Massenpunktes  relativ  zur  rotierenden  Erde. 


IL  Kapitel. 

Hydrostatik. 

^meinen  Oleiehgewiehtsbedingnngeni 
Innem  einer  ruhenden 


Ein  nichtstarrer  Körper,  in  welchem  im  Zustand  der  Ruhe 
tangentiale  Drucke  niemals  auftreten,  heißt  eine  Flüssigkeit,  und 
wenn  er  diese  Eigenschaft  auch  bei  der  Bewegung  beibehält,  eine 
ideale  Flüssigkeit. 

Die  Komponenten  T^,  Z^j  X  wirken  tangential  gegen  die  Ko- 
ordinatenebenen,  sie  müssen  also  bei  allen  Flüssigkeiten  im  Zustand 
der  Ruhe  verschwinden.  Führt  man  dies  ein,  so  ergiebt  das  Sy- 
stem (12) 

^»  =  ^x  <^ös  (n,  x),     r,  =  Ty  cos  (n,y) ,     Z^^Z^  cos  (n,  z), 

und  da  die  Resultierende  P.  von  X.,  IT,  Z^  nach  der  Annahme  in 
die  Richtung  von  »  fallen  soll,  so  folgt  für  jedes  n 

den  gemeinsamen  Wert  dieser  Größen  nennen  wir  kurz  den  Druck 
an  der  Stelle  x,  y,  z  und  bezeichnen  ihn  durch  den  Buchstaben/?. 
Bei  Einfahrung  dieser  Resultate  und  unter  Voraussetzung  des 
Gleichgewichts  nehmen  die  Gleichungen  (14)  die  Form  an^*) 

r  =  |^,    r  =  J?,    ^  =  J^,  22) 

ox'  öy'  ö*'  ' 

worin  die  -T,  y,  Z^  die  Komponenten  der  körperlichen  Bj-äfte  be- 
zeichnen und  auf  die  Volumeneinheit  bezogen  sind,  während  das 
System  (14'")  liefert 

Pu-Pu+Pku-^^^  22') 

worin  p^j^  die  auf  die  Flächeneinheit  der  Grenze  zwischen  den  Flüs- 
sigkeiten (A)  und  (Ä)  wirkende,  von  ersterer  nach  letzterer  hin  po- 


234  //.  Teil.     Mecfianik  nichtstarrer  Körper.    IL  Kap, 


sitiv  gerechnete  Kraft  bezeichnet,  über  deren  Natur  auf  S.  222  ge- 
sprochen ist  Daß  sie  normal  zur  Grenze  wirken  muß,  folgt  aus 
(14'''),  wenn  man  berücksichtigt,  daß  die  tangentialen  Komponenten 
von  {Pn\  und  {Pn\  verschwinden.  Wir  wollen  /?^j^  den  in  o^^  wir- 
kenden Grenzdruck  nennen. 

Die  Gleichungen  (22)  und  (22')  bilden  die  Grundlage  für  die 
Lehre  vom  Gleichgewicht  der  Flüssigkeiten.  Sie  sprechen  bei  ge- 
gebenen -T,  Y^,  Z*  zunächst  Eigenschaften  des  Druckes  f  aus,  liefern 
aber  auch  nach  dessen  Elimination  Bedingungen,  welche  die  Kräfte 
allein  erfüllen  müssen,  wenn  anders  Gleichgewicht  unter  ihrer  Ein- 
wirkung möglich  sein  soll;  beide  Fragen  hängen  also  aufs  Engste 
zusammen. 

Durch  Elimination  von  p  erhält  man  aus  (22) 

2T\  bY^^bZ^       i^l^^       djr^dT_ 

'  dx         dy  ^      dx         dx  ^      dy         dx  ^ 

und  dies  sagt  aus,  daß  zum  Gleichgewicht  erforderlich  ist,  daß  die 
auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  körperlichen  Kräfte  ein  Potential 
haben  müssen. 

Bezeichnet  man  dasselbe  mit  0\  so  giebt  die  Integration  von  (22) 

22'")  0'+;?  =  Const, 

und  damit  die  Bestimmung  des  Druckes  an  jeder  Stelle  der  Flüssig- 
keit, für  welche  die  Funktion  0'  gilt,  wenn  er  für  eine  Stelle  vor- 
geschrieben ist 

Besteht  das  System  aus  mehreren  in  Berührung  befindlichen 
Flüssigkeiten,  und  ist  für  die  Grenzflächen,  falls  ein  solcher  statt- 
findet, der  Sprung  von  (b^  und  von  p  gegeben,  so  kann  man  die 
Formeln  (22)  auch  über  diese  Grenzen  hinweg  integrieren  und  erhält 
beispielsweise,  wenn  die  Indices  h  und  k  sich  auf  zwei  beliebig  ge- 
wählte Punkte  im  Innern  der  beiden  Flüssigkeiten  beziehen,  und 
wenn,  ebenso  wie  p^k  den  durch  (22')  definierten  Sprung  des  Druckes 
bezeichnet,  auch 

23)  a>;,  =  0i  -  «>[ 

gesetzt  wird, 

23')  {01  +  pu)  -  (0;  +  Pk)  =  0it  +  Phu^ 

Da   die  DiflPerenz   links   vom  Integrationsweg,   und   somit   von   der 
SteUe,  wo  derselbe  die  Grenzfläche  passiert,  unabhängig  sein  muß, 
so  ergiebt  sich,   daß  für  alle  Punkte  der  Grenze  ö^^  zwischen  den- 
selben zwei  Flüssigkeiten 
23")  0i,.  +  p,,  =  Cnu, 


§  4.     Qnmdgleichungen  der  Hydrostatik.  235 


d.  h.  konstant  sein  muß;  diese  Beziehung  giebt  in  dem  voraus- 
gesetzten Fall  eine  charakteristische  Eigenschaft  jener  Grenz- 
fläche an. 

Die  bisher  gemachte  Annahme,  daß  die  auf  die  Volumeneinheit 
bezogenen  Kräfte  oder  Potentiale  als  Funktionen  des  Ortes  ge- 
geben wären,  ist  in  der  Praxis  ziemlich  häutig  erfüllt  Der  wichtigste 
und  zugleich  einfachste  Fall  ist  der  der  Einwirkung  der  Schwere 
auf  eine  Flüssigkeit  von  unveränderlicher  Dichte  p,  wo  bei  senk- 
recht nach  unten  positiv  gerechneter  iT-Axe  J'=  r'  =  0,  Z"  =  gg 
ist;  hier  ist  dann 

il>'^^gQz  und    *;,  =  -  g~z{s^  -  (>,).  23'") 

Ein  anderer  tritt  bei  einer  gleichförmig  rotierenden  Flüssigkeit  ein, 
die  man  für  die  Anwendung  der  Formeln  (22)  nach  dem  S.  231  Ab- 
geleiteten in  Bezug  auf  ein  mit  ihr  rotierendes  Koordinatensystem 
als  ruhend  ansehen  kann,  wenn  man  außer  den  wirklich  ausgeübten 
Kräften  die  Centrifugalkraft  in  Rechnung  zieht  Deren  Potential  ist, 
falls  man  die  ^-Axe  zur  Rotationsaxe  wählt, 

0'=    -^^«2(^2+^2).  *  23"") 

Komplizierter  sind  die  Fälle,  wo  die  wirkenden  körperlichen 
Kräfte  und  die  Grenzdrucke  /?Ajt  von  der  Gestalt  und  der  Massen- 
verteilung der  Körper  abhängen;  sie  ergeben  sich,  wenn  zwischen 
den  Teilen  der  Flüssigkeit  von  unveränderlicher  Dichte  Fem- 
wirkungen —  z.  B.  die  allgemeine  Gravitation  —  oder  molekulare 
Wirkungen  —  z.  B.  KapiUarkräfte  —  bestehen;  sie  treten  auch 
ein,  wenn  magnetisch  oder  dielektrisch  polarisierbare  Flüssigkeiten 
in  ein  magnetisches  oder  elektrisches  Feld  gebracht  werden. 

Alle  diese  Kräfte  haben,  auf  die  Volumeneinheit  bezogen, 
Potentiale  und  genügen  daher  der  Bedingung  (22");  dies  findet  dagegen 
z.  B.  nicht  statt  bei  den  Wirkungen,  welche  eine  vom  galvanischen 
Strom  durchflossene  Flüssigkeit  von  konstanter  Dichte  im  magne- 
tischen Felde  erfährt,  und  bei  ihnen  kann  sonach  die  Flüssigkeit 
im  Gleichgewicht  nicht  verharren.  — 

In  vielen  Fällen  sind  durch  die  Stellung  des  Problemes  nicht 
die  auf  die  Volumen-,  sondern  die  auf  die  Masseneinheit  be- 
zogenen Kräfte  direkt,  z.  B.  als  Funktionen  der  Koordinaten,  ge- 
geben.    Setzen  wir  dann  wie  S.  221 

T^qX,   T^qY,  Z'=qZ, 
so  wird  aus  (22) 


236  IL  TeiL    Mechanik  nichtsiarrer  Körper,    IL  Kap. 


24)  ,X=||,,F=|J,   ,^=|J, 

während  (22')  ungeändert  bleibt. 

Bezüglich  ihrer  Dichte  q  verhalten  sich  die  tropfbaren  und 
gasförmigen  Flüssigkeiten  verschieden. 

Die  Dichte  der  ersteren  ist  nur  wenig  mit  Druck  und  Tem- 
peratur veränderlich,  die  der  letzteren  sehr  bedeutend,  und  zwar  in 
der  Weise,  daß  sie  bei  konstanter  Temperatur  mit  unendlich  ab- 
nehmendem Drucke,  bei  konstantem  Drucke  mit  unbegrenzt  wachsen- 
der Temperatur  unendlich  klein  wird. 

Die  Abhängigkeit  der  Dichte  vom  Druck  können  wir  direkt  in 
Rechnung  ziehen,  da  der  Druck  in  unseren  Gleichungen  bereits  als 
Unbekannte  auftritt,  und  wir  setzen  demgemäß 

Q  =  fiP)' 

Die  Abhängigkeit  von  der  Temperatur  kann  dagegen  nicht  in 
derselben  Weise  eingeführt  werden,  da  die  Gresetze,  nach  welchen 
die  Temperatur  während  des  thermischen  Gleichgewichts  innerhalb 
eines  Körpers  variiert,  durch  besondere  Gleichungen  gegeben  sind, 
die  erst  später  abgeleitet  werden  können.  Wir  repräsentieren  des- 
halb die  Einwirkung  der  Temperatur  dadurch,  daß  wir  q  außer 
von  p  im  allgemeinen  auch  von  den  Koordinaten  x,  y,  z  direkt  ab- 
hängig denken. 

Ein  wichtiger  Fall  ist  der  bei  tropfbaren  Flüssigkeiten  vor- 
komn^ende,  daß  die  Dichte  mit  dem  Druck  sehr  wenig,  mit  der 
Temperatur  beträchtlicher  variiert;  hier  ist  dann  q  eine  Funktion 
der  Koordinaten  allein. 

Dasselbe  tritt  ein,  wenn  verschiedene  Flüssigkeiten  in  demselben 
Eaume  vereinigt,  etwa  bei  verschiedener  Dichte  in  einem  Gefäß 
übereinander  geschichtet  sind.  Mischen  sie  sich,  so  ist  dabei  die 
Dichte  mit  dem  Ort  stetig  veränderlich,  im  anderen  Falle  —  den 
man  indessen  bequem  als  einen  Grenzfall  des  ersteren  betrachtet  — 
springt  sie  beim  Durchgang  durch  die  Trennungsfläche.  Es  möge 
übrigens  bemerkt  werden,  daß  das  Gleichgewicht  von  in  Berührung 
befindlichen  mischbaren  Flüssigkeiten  ein  unvollkommenes  ist, 
solange  noch  Konzentrationsdifferenzen  vorhanden  sind;  doch  geht 
der  Ausgleich  im  allgemeinen  so  langsam  von  statten,  daß  man 
während  desselben  angenähert  die  hydrostatischen  Gleichungen  (24) 
anwenden  kann. 

Alle  Fälle,  wo  die  Dichte  eine  Funktion  allein  der  Koordinaten 
ist,  führen  im  Grunde  auf  die  im  Eingang  gemachte  Voraussetzung, 


§  4.     Grundgleichungen  der  Hydrostatik.  237 


daß  X\  Y\  Z^  Funktionen  der  Koordinaten  sind,  zurück;  indessen 
ist  es  doch  nicht  ohne  Interesse,  sie  von  einer  anderen  Seite  zu  be- 
leuchten, welche  über  das  Verhalten  der  Dichte  p  Aufschluß  giebt  — 
Wie  allgemein  auch  immer  das  Gesetz  der  Dichtigkeit  und  der 
Kraft  gewählt  werde,  stets  folgt  aus  den  Grundgleichungen  (24) 
die  Formel 

X:y:^  =  |^:|^:|^,  24') 

ox      oy      ox  ' 

oder  der  Satz,  daß  die  Eesultierende  aller  wirksamen  Kräfte  an  der 
Stelle  x^  yj  z  normal  gegen  die  hindurchgelegte  Fläche  p  =  Const 
steht.  Hieraus  folgt,  daß,  wenn  diese  Kräfte  ein  Potential  —  oder 
genauer  gesprochen,  da  sie  sich  auf  die  Masseneinheit  beziehen, 
eine  Potentialfunktion  <J>  —  haben,  stets  die  Flächen  konstanten 
Potentiales  und  konstanten  Druckes  zusammenfallen  müssen,  oder  daß 
p  die  Koordinaten  or,  y,  z  nur  in  der  Kombination  4>  enthalten  kann. 
Die  Formeln  (24)  ergeben  dann 

d0__dp  d0_dp^  d0_dp  « ,  ,. 

■^^öar"ö^'     ^^J^^dy'     -^^-^äT»  ^'^  ) 


60 

dp 

d*  ' 

dp  . 

und  hieraus  folgt 

-  Qd(p  =  dp   oder   (>  =  -  -^  ;  24' ') 

letztere  Beziehung  zeigt,  daß,  wenn  die  wirkenden  Kräfte  ein 
Potential  haben,  die  Dichte,  wie  allgemein  ihre  Abhängigkeit  auch 
gedacht  werden  mag,  notwendig  in  Flächen  konstanten  Potentiales 
und  konstanten  Druckes  selbst  konstant  sein  muß.  Die  Grenze 
zwischen  zwei  nicht  mischbaren  Flüssigkeiten  muß  also,  vorausgesetzt, 
daß  der  Druck  stetig  durch  sie  hindurchgeht  also  p^k  verschwindet, 
in  diesem  Falle  gleichfalls  durch  eine  Potential-  und  Druckfläche 
gebildet  sein. 

Gehen  wir  nun  zu  spezielleren  Annahmen  über  das  Gesetz  für 
die  Dichte  über. 

Ist  erstens  q  nur  von  p  abhängig,  so  setzen  wir  kurz 

^  =  dn,  25) 

wo  n  eine  ebenfalls  nur  von  p  abhängende  Funktion  bezeichnet, 
und  erhalten  aus  (24) 

X=:|^,      F=^^,      Z=^,  25) 

ax  ^  oy  ox  ^  ' 

woraus  sich,  analog  wie  aus  (22),  ergiebt,  daß  unter  der  gemachten 
Voraussetzung   die   notwendige  Bedingung   des  Gleichgewichtes   ist. 


238  //.  Teü.     Meehanik  nichtstarrtr  Körper.     II.  Kap. 


daß  die  auf  die  Masseneinheit  bezogenen  Kräfte  X,  Y,  Z  eine  Potential- 
funktion 0  haben. 

Durch  Integration  erhält  man  aus  (25') 

25")  /7+0  =  Const., 

wobei  die  Integrationskonstante  bestimmt  ist,  wenn  filr  eine  Stelle 
x„,  y^,  Zq  der  Druck  gleich  p^  gegeben  ist.  Die  Auflösung  dieser 
Formel  nach  p  beantwortet  die  fVage  nach  dem  Druck  an  einer 
beliebigen  Stelle  der  Flüssigkeit,  wenn  deren  Dichte  nur  vom 
Drucke  abhängt. 

Für  den  zweiten  speziellen  Fall,  daß  die  Dichte  q  eine  stetige 
Funktion  der  Koordinaten  allein,  also  vom  Drucke  unabhängig  ist, 
folgt  aus  (24)  durch  Elimination  von  p 


dx  dy    '      dx  dx    ^      dy  dx    ^ 


26)  — ä7  '^..    f      jj^    ~    ;i.    > 


26') 


hieraus  kann  man  durch  Elimination  von  q  noch  bilden 

'(g-if)+-(ii-©+^(if-ii)-« 

und 

\dx        dy )         '  \dx        dx  j         '  \dy        dx ) 

wobei  natürlich  die  drei  Grleichungen  nicht  voneinander  unab- 
hängig sind. 

Die  erste  Formel  (26')  enthält  eine  Bedingung,  welche  die 
Kraftkomponenten  X,  F,  Z  bei  ganz  beliebiger  Abhängigkeit  der 
Dichte  von  den  Koordinaten  befriedigen  müssen,  damit  Gleichgewicht 
möglich  sei;  dieselbe  ist  z.  B.  stets  erfüllt,  wenn  die  Kräfte  ein 
Potential  haben.  Im  übrigen  kommt  dieser  Fall,  wie  gesagt,  auf 
den  im  Eingang  behandelten  zurück.  — 

Die  Gleichung  (18')  der  virtuellen  Verrückungen  für  das  Gleich- 
gewicht eines  nichtstarren  Körpers  nimmt  nach  S.  233  für  eine 
Flüssigkeit  die  spezielle  Form  an 

Ist  die  Flüssigkeit  inkompressibel,  so  verschwindet  nach  (7')  der 
Faktor  von  p  und  damit  die  Arbeit  S^cci  der  inneren  Kräfte,  so 
daß  nur 

w 

27')  fdk  9aa  +  fdo  S'a^  =  0 


§  5.     Orenxdrucke  und  Oberfläehenspannungen.  239 


übrig  bleibt  Um  aus  letzterem  Ausdruck  die  Gleichungen  (22)  und 
(22^)  abzuleiten,  hat  man  die  Bedingung  der  Inkompressibilität 

^  +  ^  +  ^  =  0  27") 

mit  einer  willkürlichen  Funktion  l  der  Koordinaten  und  dem  Ele- 
ment dk  multipliziert  und  über  das  ganze  System  integriert  zu  (27') 
zu  addieren  und  wie  gewöhnlich  zu  yerfahren ;  man  erhält  dann  die 
früheren  Gleichgewichtsbedingungen  zurück  mit  X  an  Stelle  von  p.  — 


§  5.    Zurüokfühnmg  der   Chrenzdnicke   auf  Oberfläohenspaimiuigen; 
der  erste  Hauptsatz  der  Kapillaritatstheorie. 

Wir  haben  bei  Aufstellung  der  hydrostatischen  Gleichungen 
den  Fall  zugelassen,  daß  der  Druck  p  beim  Durchgang  durch  die 
Grenze  zweier  Flüssigkeiten  oder  einer  Flüssigkeit  und  eines  festen 
Körpers  sich  sprungweise  ändert,  und  haben  gezeigt,  daß  dies  eine 
gegen  die  Grenzfläche  selbst  wirkende  Kraft  voraussetzt,  die  den 
Sprung  des  hydrostatischen  Druckes  kompensiert.  Sie  muß  dem- 
gemäß normal  gegen  die  Grenze  wirken,  und  ihr  auf  die  Flächen- 
einheit bezogener  Betrag,  der  Grenzdruck  pj^j^  —  in  der  Sichtung 
von  der  Flüssigkeit  (A)  zur  Flüssigkeit  {k)  positiv  gerechnet  —  der 
Bedingung  p^^ p^  +  p^^  =  0  genügen. 

Mit  diesem  Grenzdruck  wollen  wir  uns  jetzt  näher  beschäftigen. 

Da  er  normal  zur  Grenze  steht,  so  wird  die  -^-Komponente 
seiner  Wirkung  gegen  ein  beliebiges  Stück  o  der  Grenzfläche  o,^^ 
gegeben  sein  durch 

^o  =  SPhj,  cos  (n,  z)  d Oj^j^,  28) 

wobei  auch  n  von  (A)  nach  (k)  hin  positiv  gerechnet  ist 

doj^j^cos{ny  z)  kann,  je  nachdem  die  Normale  einen  spitzen  oder 
stumpfen  Winkel  mit  der  Z-Axe  bildet,  gleich  ±dxdy  gesetzt 
werden;  wir  wollen  der  Einfachheit  halber  das  betrachtete  Stück  der 
Grenzfläche  so  wählen,  daß  ersteres  stattfindet,  und  erhalten  dem- 
gemäß 

^0="  ffPh\dxdy  =  /pM^dG),  28') 

wo  das  Integral  über  die  Projektion  oo  von  o  auf  die  XT- Ebene 
auszudehnen  und  p^j^  als  eine  Funktion  von  x  und  y  allein  zu  be- 
trachten ist,  die  sich  innerhalb  (o  regulär  verhält 

Ähnlich  wie  S.  200  kann  man  aber  jederzeit  setzen 

P^^="-J^+-d^'^  28") 


240  //.  Teil.     Mechanik  niehtstarrer  Körper,    IL  Kap, 


wo  Ä  und  B  Funktionen  von  x  und  y  sind,  denen  man  noch  die 
Bedingung 

auferlegen  kann,  in  der  /J^^  eine  willkürliche  Funktion  von  x  und 
y  bezeichnet. 

Aus  (28')  folgt  dann  nach  der  Gleichung  (178'")  des  ersten  Teiles 

29)  Zo=-f(Ädx  +  Bdy), 

worin  dx  und  dy  die  Projektionen  des  Eandelementes  d(T  von  w, 
somit  auch  des  Eandelementes  ds  von  o  bezeichnen^  und  die  Inte- 
gration in  positivem  Sinne  rings  um  o  zu  führen  ist  Hierfür  kann 
man  auch  setzen 

29')  Zo==  f{Ä  cos {s,  x)  +  B cos  («,  y))  rf« , 

d.  h.,  man  kann  die  Wirkung  des  Grenzdruckes  p^^  auf  das  Flächen- 
stück 0  zurückführen  auf  die  von  Kräften  oder  Spannungen,  welche 
die  Elemente  ds  seiner  Kandkurve  erfahren.  Bezeichnet  man  ihre 
Größe  pro  Längeneinheit  durch  5^^  und  charakterisiert  ihre  Rich- 
tung durch  den  Buchstaben  8,  so  muß  also  gelten 

29")  Zo^fSHjcCOs{S,z)ds. 

Bis  hierher  ist  die  Umformung  eine  rein  mathematische  Operation. 
Legt  man  aber  nunmehr  den  Spannungen  S  wirkliche  Existenz 
bei,  so  kann  man  über  sie  in  ähnlicher  Weise,  wie  S.  222  u.  f. 
über  die  Druckkomponenten  der  inneren  Kräfte,  einige  Sätze  er- 
halten, indem  man  die  Formel  (29')  resp.  (29")  und  die  ihnen  ent- 
sprechenden für  die  Komponenten  parallel  zu  X  und  Y  auf  ver- 
schieden gestaltete,  unendlich  kleine  Flächenstücke  anwendet  und 
berücksichtigt,  daß,  wenn  die  Lineardimensionen  derselben  unendlich 
klein  erster  Ordnung  sind,  die  Komponenten,  welche  sie  erfahren, 
nach  (28)  zweiter  Ordnung,  die  Momente  um  beliebige  durch  das 
Flächenstück  gehende  Axen  aber  dritter  Ordnung  sein  müssen. 

So  erhält  man  bei  Betrachtung  eines  streifenförmigen  Flächen- 
elementes das  Besultat,  daß  gegenüberliegende  Seiten  gleiche  und 
entgegengesetzt  gerichtete  Spannungen  erfahren,  und  daß  diese 
Spannungen  in  der  Ebene  des  Elementes  selbst  liegen  müssen. 
Der  Grundeigenschaft  der  Flüssigkeiten,  im  Gleichgewichtszustand 
keinen  tangentialen  Druck  zuzulassen,  entspricht  es  dabei,  daß 
auch  Anormal  gegen  ds  wirkend  angenommen  wird.  Die  Anwendung 
der  Formel  (29')  auf  ein  dreieckiges  Flächenstück  liefert  dann  so- 
gleich  das  Resultat,   daß  S  zwar   vom  Orte   auf  der  Grenzfläche, 


§  5,     Grenxdrucke  und  Oberfläehenspannungen,  241 


nicht   aber   von   der  Kichtung   des   Elementes  ds   abhängt,   gegen 
welches  es  wirkt 

Um  die  Resultate  dieser  Überlegungen  in  (29")  einzuführen, 
legen  wir  normal  zu  den  Richtungen  von  s  und  von  n,  deren  gegen- 
seitige Beziehung  bereits  festgelegt  ist,  und  zwar  in  den  Außenraum 
von  ©Äfc  hinein  positiv  gerechnet,  die  Richtung  von  S,  Dann  liegt 
^  zu  n  zu  Sj  wie  X  zu  Z  zu  Z,  und  man  kann  nach  bekannten 
Futidamentalformeln  sogleich  schließen,  daß 

cos  {S,  z)  =  cos  (n,  t/)  cos  {s,  x)  —  cos {n,  x)  cos  (ä,  y)  29'") 

ist     Die  Einsetzung  dieses  Wertes  in  (29")  und  die  Vergleichung 
des  Resultates  mit  (29')  ergiebt 

A  =  Shic cos  (n,  y) ,     5  =  —  S^j,  cos {n,  x),  30) 

oder  wenn  man  die  Gleichung  der  Oberfläche  z  =  F{xyp)  einführt  und 

^"  -  A.i/M||f7(||f 

setzt, 

^  =  ^--ö7'    ^=-^-K'  30') 

worin  P^k  ^^^  ^hk  nur  Funktionen  des  Ortes  auf  der  Oberliäche  sind. 
Damit  diese  Substitution  erlaubt  sei,  muß  in  Gleichung  (28"') 

_/•    _^^^hk  dF     ^Phk  dF__^{SHjc  <^o«  (^>  y))      ^  i^hk  C08  (^>  ^))       o^,/x 
'^*""    da?    dy         dy    dx'^  dx  dy  ^ 

sein,  was  eine  durchaus  zulässige  Verfugung  darstellt. 

Durch  die  Oberflächenspannung  Äa^  drückt  sich  nach  (28")  der 
Grenzdruck  p^jc  dann  aus  gemäß  den  Formeln 

öy    öy         dx     dx    \  ^ 

^  d{Sj,j,coB{n,y))       d{Sf^j^ cos (w ,  »))      i  ^ 

"  dy  "^  dsc  '  ^ 

andererseits  bestimmt  sich  erstere  durch   letzteren  vermittelst   der 
Beziehung 

S,^^sm^{n,z)^A^  +  JB^ 

worin  A  und  B  gemäß  den  allgemeinen  Regeln  in  §  24  des  ersten 
Teiles  bestimmt  gedacht  sind. 

Die  Oberflächenspannung  Äi^^  an  einer  beliebigen  Stelle  von  Of^|, 
kann  im  allgemeinen  stetig  mit  dem  Ort  variieren,  und  wird  dies 
auch  thun,  wenn  äußere  Ursachen,  wie  elektrische  oder  magnetische 
Kräfte,  den  Grenzdruck  p^k  bewirken;  rührt  letzterer  hingegen  nur  von 

VoioT,  Theoretische  Physik.  jg 


242  //.  Tßü.    Mechanik  niehtstarrer  ITörper,    ZT  Kap, 


molekularen  Wirkungen  her,  so  erscheint  es  als  das  nächstliegende, 
die  Oberflächenspannung  5^^  als  längs  der  ganzen  Oberfläche  o^k  kon- 
stant anzunehmen.  Denn  Einfluß  auf  ilire  Größe  könnte,  so  lange 
nicht  andere  Begrenzungsstücke  unendlich  nahe  sind,  wie  bei  sehr 
dünnen  Lamellen,  bei  gegebenen  Flüssigkeiten  {h)  und  (A)  nur  die 
Gestalt  von  o^jc  in  der  Nachbarschaft  des  betrachteten  Punktes  haben; 
da  aber  die  Richtung  von  /Sj^^^  unveränderlich  in  die  Tangential- 
ebene fällt,  erscheint  es  sehr  unwahrscheinlich,  daß  ihre  Größe  von 
der  Krümmung  der  Grenzfläche  abhängen  sollte. 

In  der  That  gelangt  man  zu  einer  der  Beobachtung  vollkommen 
entsprechenden  Theorie  der  Kapillaritätserscheinungen,  wenn  man 
die  Oberflächenspannung  5^^  als  eine,  der  KomBination  der  zwei 
Körper  (A)  und  (A)  individuelle  Konstante  einfuhrt 

In  diesem  Falle  wird  aus  (30'")  einfacher 

31)  ;,,,»_  5,»  (15^|l£I  +  Ü?|^) 

was,  falls  man  unter  R^  und  Ä,  die  beiden  Hauptkrümmungsradien 
der  Oberfläche  0^^  an  der  betrachteten  Stelle  versteht,  —  diese, 
wie  71,  von  der  Flüssigkeit  (A)  nach  (A)  hin  positiv  gerechnet  — 
identisch  ist  mit 

31')  p^^  =  +  ***  (ir  "^  i")  • 

Die  Gleichung  (31)  resp.  (31'),  mit  anderer  Bedeutung  der  Kon- 
stanten Äfcfc  zuerst  von  Laplace  ^^)  angegeben,  heißt  der  erste  Haupt- 
satz der  Kapillaritätstheorie,  S^k  die  Kapillaritätskon- 
stante für  die  Kombination  der  Flüssigkeiten  (A)  und  (A),  ihr 
Faktor  in  der  letzten  Gleichung  die  mittlere  Krümmung  der 
Oberfläche  an  dem  Punkte,  auf  den  sich  R^  und  7?^  bezieht 

Die  Dimension  der  Oberflächenspannung  Sj^k  ist  aus  der  Formel 
(31')  leicht  zu 
31")  [iS]  =  m^-2 

zu  erschließen.  Über  ihr  Vorzeichen  kann  man  aussagen,  daß  es 
für  zwei  Flüssigkeiten,  die  in  Berührung  miteinander  im  stabilen 
Gleichgewicht  verharren  können,  positiv  sein  muß:  bei  negativem 
Shk  giebt  eine  Vergrößerung  der  mittleren  Krümmung  eine  Ver- 
kleinerung von  phkj  also  eine  Kraft,  welche  nicht  eine  Bückkehr  in 
die  ursprüngliche  Lage,  sondern  eine  Bewegung  von  derselben  hinweg 
hervorruft,  die  schließlich  eine  Mischung  beider  Flüssigkeiten  bewirkt 
An  der  Grenze  zwischen  einer  Flüssigkeit  und  einem  festen 
Körper  kann  Sj^k  sowohl  positiv  als  negativ  sein. 


§  5.     Grenxdrurke  und  Oberfläehenspannungen,  243 


Die  Gleichung 

Ph—  Pk+  Phk  =  0 
gestattet  noch  eine  andere  Deutung,  wenn  man  die  Vorstellung  zu 
Grunde  legt,  daß  weder  der  Druck  p  noch  das  Potential  <f>'  der  auf 
die  Volumeneinheit  bezogenen  Kräfte  beim  Durchgang  durch  die 
Grenzfläche  unstetig  wird,  sondern  beide  sich  daselbst  nur  sehr 
schnell  ändern. 

Wendet  man  dann  die  Gleichung  (22'")  auf  zwei  dem  Element 
dojij^  der  Grenzfläche  diesseits  und  jenseits  sehr  nahe  Punkte  an, 
so  wird 

Äußere  köi*perliclie  Kräfte,  nach  Art  der  Schwere,  geben  demgemäß 
zu  der  Potentialdifferenz  rechts  keinen  endlichen  Anteil,  wohl  aber 
bei  ausreichender  Intensität  die  Molekularwirkungen,  die  nahe  der 
Grenze,  der  unsymmetrischen  M^^senverteilung  wegen,  wirksam  wer- 
den müssen,  während  sie  im  Innern  eines  homogenen  Körpers  sich 
zerstören.     Der  Wert  des  Grenzdruckes 

Phk  =  Pk  —  Ph 
wird  also  in  der  auf  Molekularkräfte   basirten  Theorie   durch   die 
Potentialdifierenz  <t>h  —  c/>i  dargestellt,  die  sich  in  der  That  auf  die 
Form  (31')  zurückführen  läßt 

Dies  ist  die  Grundlage  der  LAPLACE'schen  Theorie  der  Kapil- 
laritätserscheinungen ^•).  — 

Betrachtet  man  ein  Stück  der  Trennungsfläche,  das  durch  eine 
Kurve  «  begrenzt  ist,  und  verschiebt  man  jedes  Randelement  ds  um 
eine  willkürliche  Strecke  Sn,  die  sich  längs  s  stetig  ändert,  in  der 
Tangentialebene  normal  nach  außen,  so  leistet  dabei  die  Oberflächen- 
spannung Skk  eine  Arbeit 

S'a,=  —  SnufSnds  =  —  S,,jcSoi,u,  32) 

worin  Sohk  die  durch  die  Verschiebung  bewirkte  Vergrößerung  der 
innerhalb  s  liegenden  Grenzfläche  bezeichnet  Verechiebt  man  da- 
gegen jedes  Eandelement  ds  in  einer  Richtung  normal  zu  ä^^^,  so 
ist  die  dabei  geleistete  Arbeit  gleich  Null. 

Da  man  jede  Vergrößerung  der  Grenzfläche,  auch  durch  aus- 
schließliche  Änderung  der  Krümmung  bei  festgehaltener  Grenzkurve, 
durch  analoge  mit  den  einzelnen  Flächenelementen  vor- 
genommene Prozesse  bewirken  kann,  so  giebt  die  Gleichung  (32) 
den  allgemeinen  Wert  für  die  bei  diesem  Vorgang  durch  die  Span- 
nung Ä/kfc  geleistete  Arbeit 

16* 


244  //.  Teil,    Mechanik  nichlHarrer  Körper,     IL  Kap. 


So  lange  die  Veränderung  in  den  Grenzen  bleibt,  innerhalb  deren 
die  Spannung  ^1^*  konstant  ist,  hat  die  einer  einzelnen  Grenz- 
fläche 0^^  entsprechende  Arbeit  S'a,  ein  Potential  qp„  welches  lautet 
32')  ^»=  ShuOhk- 

Nachdem  die  Arbeit  der  Oberflächenspannung  bestimmt  ist, 
kann  man  auch  die  Gleichung  der  virtuellen  Verrückungen  für  eine 
ruhende  Flüssigkeit  unter  Berücksichtigung  der  Oberflächenspannung 
bilden.  In  dem  gewöhnlichen  Falle  inkompressibler  Flüssigkeiten 
lautet  sie,  wenn  S*^ay  S'Ao  und  S'^s  die  gesamten  Arbeiten  der 
körperlichen  Kräfte,  der  Oberflächendrucke  und  der  Oberflächen- 
spannungen bezeichnen, 

32")  SAa  +  SAo  -I-  <r^,  =  0 ; 

dazu  tritt  als  Nebenbedingung  die  Konstanz  des  von  jedem  Flüssig- 
keitsteilchen eingenommenen  Volumens  oder  die  Inkompressibilitäts- 
bedinguiig  (27"). 

Haben  die  wirkenden  Kräfte  Gesamtpotentiale  </>«>  ^i^o>  ^»j 
wie  dies  für  die  Oberflächenspannung  eben  gezeigt  ist,  so  ist  die  vor- 
stehende Gleichung  äquivalent  mit  der  Bedingung 

32'")  <l>a  +  *o  +  tf^  =  Minimum. 

Diese  Formel  kann  man,  wie  das  von  Gauss ^^)  geschehen  ist, 
als  Ausgangspunkt  für  die  Theorie  der  Kapillarität  wählen  und  4*, 
darin  aus  der  Annahme  von  Molekularwirkungen  zwischen  den  Flüs- 
sigkeitsteilchen bestimmen.  Wir  haben  einen  anderen  Weg  einge- 
schlagen, da  die  GAUSs'sche  Theorie  als  eine  streng  molekulare  nicht 
zu  betrachten  ist,  insofern  die  einzelnen  Teilchen  nicht  unter  allei- 
niger Wirkung  von  Molekularkräften  im  Gleichgewicht  befindlich 
gedacht  sind,  sondern  die  molekulare  Attraktion  durch  die  Inkom- 
pressibilität  der  Flüssigkeit  kompensirt  wird. 

Eine  rein  molekulare  Theorie  wird  anscheinend  nur  so  zu  ge- 
winnen sein,  daß  man  sich  auf  den  Boden  der  kinetischen  Gastheorie 
stellt  und  der  Attraktion  die  Zusammenstöße  der  bewegt  gedachten 
Teile  entgegenwirken  läßt 

§  6.     Über  die  Gestalt  einer  unter  gegebenen  Kräften  im  Gleich- 

gewicht  befindlichen  Flüssigkeit. 

Eine  gegebene  Menge  einer  gasförmigen  Flüssigkeit  wird,  wenn 
sie  nicht  in  ein  festes  Gefäß  eingeschlossen  ist,  nach  der  S.  236 
erörterten  Eigenschaft,  auch  bei  beliebig  verkleinerter  Dichte  immer 
noch  einen  Druck  auszuüben,  sich  unbegrenzt  ausdehnen,  und  ihre 
Dichte  wird,  wenn  sie  auch  in  gewissen  Bereichen  infolge  wirkender 


§  6.     Grenzflächen  tropfbarer  Flüssigkeiten.  245 


Kräfte  eine  endliche  sein  kann,  sich  nach  außen  hin  im  aligemeinen 
asymptotisch  der  Null  nähern. 

Von  einer  Gestalt,  welche  das  Gas  unter  den  gegebenen  Kräften 
annimmt,  kann  in  diesen  Fällen  nicht  die  Rede  sein;  ein  Bild  seiner 
Ausbreitung  wird  aber  durch  das  Gesetz,  nach  welchem  seine  Dichte 
mit  dem  Ort  wechselt,  speziell  durch  die  Gestalt  der  Oberflächen 
konstanter  Dichte  geboten  werden. 

Anders  verhält  es  sich  mit  tropfbaren  Flüssigkeiten.  Wenn 
wir  von  ihrer  Verdampfung  absehen,  so  nehmen  sie  auch  im  unbe- 
grenzten leeren  Raum  bei  endlicher  Quantität  nur  ein  endliches 
Volumen  ein  und  eine  bestimmte  Gestalt  an.  Ihre  Oberfläche  in 
diesem  Zustande  nennt  man  in  aller  Strenge  eine  freie  Ober- 
fläche, insofern  auf  sie  kein  äußerer  Druck  wirkt  Man  spricht 
aber  im  weiteren  Sinne  von  einer  freien  Oberfläche  auch  dann,  wenn 
eine  Flüssigkeit  durch  diese  Fläche  gegen  ihren  Dampf  oder  gegen 
ein  Gas  abgegrenzt  ist,  vorausgesetzt,  daß  letztere  gegenüber  der 
Flüssigkeit  eine  verschwindend  kleine  Dichte  besitzen. 

In  diesem  Falle  ist  nämlich  nach  (24")  die  Änderung  des  Druckes 
innerhalb  des  Gases  oder  des  Dampfes  verschwindend  klein  gegen- 
über derjenigen,  welche  auf  gleichen  Strecken  innerhalb  der  tropf- 
baren Flüssigkeit  stattfindet,  und  demgemäß  ist  der  gegen  die  Ober- 
fläche der  Flüssigkeit  wirkende  Druck  als  konstant  zu  betrachten. 
Gegen  die  freie  Oberfläche  im  engeren  Sinne  wirkt  also  der  Druck 
Null,  gegen  die  im  weiteren  Sinne  überhaupt  ein  konstanter  Druck. 

Hiemach  reduziert  sich  die  Aufgabe  der  Bestimmung  der  freien 
Oberfläche  einer  Flüssigkeit  auf  diejenige  der  Auffindung  einer  be- 
stimmten Fläche  konstanten  Druckes,  und  ist  in  den  Fällen,  daß 
die  Dichte  q  nur  vom  Druck  oder  nur  von  den  Koordinaten  ab- 
hängt, durch  die  Formeln  (25")  und  (22"')  überall  da  bereits  voll- 
ständig gelöst,  wo  die  Kräfte  X,  T,  Z  von  der  Gestalt  der  Flüssig- 
keit unabhängig  und  Grenzdrucke  p^^^  nicht  wirksam  sind^^.  Die 
in  diesen  Gleichungen  auftretenden  Integrationakonstanten  bestimmen 
sich  hierbei  in  der  Regel  durch  die  gegeben  gedachte  Menge  der 
von  der  Fläche  konstanten  Druckes  und  von  der  etwa  noch  vor- 
handenen Gefäßwand  begrenzten  Flüssigkeit 

Wenn  die  wirkenden  Kräfte  aber  von  der  Gestalt  der  Flüssig- 
keit abhängen,  so  ist  die  Aufgabe  schwieriger,  und  es  giebt,  auch 
bei  fehlenden  Grenzdrucken,  keine  allgemeine  Methode,  sie  zu  lösen. 
Für  den  praktisch  wichtigen  Fall,  daß  die  Kräfte  aus  der  Centri- 
fugalkraft  der  gleichförmig  rotierenden  inkompressibeln  Flüssigkeit 
und   ihrer    gegenseitigen   Gravitation   bestehen,    geht   die   Aufgabe 


246  //.  Teä.     Mechanik  niehtatarrer  Körper.    IL  Kap, 


dahin,  eine  Oberfläche  von  gegebenem  Inhalt  zu  finden,  längs  welcher 
die  Summe  der  Potentialfunktionen  der  Gravitation  aller  Massen  und 
der  Centrifugalkraft  konstant  sind.  — 

Ein  besonderes  Interesse  nehmen  bei  der  Frage  nach  der  Ge- 
stalt einer  tropfbaren  Flüssigkeit  die  Molekularwirkungen  in  An- 
spruch, welche  durch  den  Grenzdruck  p^u  die  Erscheinungen  der 
Kapillarität  verursachen. 

Nach  (23")  ist  bei  Existenz  eines  Potentiales  0'  der  auf  die 
Volumeneinheit  bezogenen  äuSeren  Kräfte  an  der  Grenze  zweier 
Flüssigkeiten  {h)  und  (A),  in  welcher  das  Potential  um  0«]^,  der 
Druck  um  p^u  springt,  die  Summe 

^hk  +  Phk  =  Cäh, 
d.  h.  konstant     Diese  Bedingung   giebt   bei   Berücksichtigung   der 
Kapillarkräfte 

33)  0;^,  +  ÄÄk(-l-  +  -l-)  =  (7Afc, 

und  damit,  wenn  0'  als  Funktion  der  Koordinaten  vorgeschrieben 
ist,  die  Differentialgleichung  der  Trennungsfläche  OAt^*). 

Die  Konstanten  C^jt  bestimmen  sich,  wenn  die  Gesamtmassen 
der  Flüssigkeiten  gegeben  sind,  durch  diese,  in  anderen  Fällen  durch 
die  festgesetzten  Koordinaten  eines  Punktes  der  betreffenden  Oberfläche. 

Eine  mitunter  besonders  bequeme  Verfügung  beruht  auf  folgen- 
der  Überlegung. 

Hat  an  irgend  einer  Stelle  a  die  Fläche  o^jc  eine  verschwin- 
dende mittlere  Krümmung,  also  einen  verschwindenden  Grenzdruck 
PJ^Jc,  so  kann  man,  da  W>\  und  0i^  nur  bis  auf  eine  additive  Kon- 
stante definiert  sind,  ebenda  0^»  zu  Null  machen  und  erhält  hier- 
durch Cj^j^  =  0. 

Solche  Stellen  haben  aber  die  Grenzflächen  zwischen  zwei 
Flüssigkeiten  immer  dann,  wenn  sie  Teile  besitzen,  die  sich  ins 
Unendliche  erstrecken,  falls  dort  die  Potentialflächen  die  Gestalt 
von  Ebenen  annehmen.  Nimmt  man  also  daselbst  sowohl  Wi  als 
0i  gleich  Null,  so  folgt  gleiches  für  6^^. 

Erstrecken  sich  die  gegebenen  Flüssigkeiten  nicht  ins  Unend- 
liche, so  kann  man  sie  in  den  Fällen,  wo  sie  mit  festen  Körpern 
in  Berührung  sind,  mittels  durch  jene  gefiihrte  Kanäle  immer  mit 
je  einer  unendlichen  Flüssigkeit 'gleicher  Art  kommunizieren  lassen, 
ohne  dadurch  die  Bedingungen  des  Problemes  zu  ändern.  Auch  hier 
bestimmt  sich,  wenn  man  an  einer  ebenen  Stelle  von  deren  Grenz- 
fläche die  Potentiale  0i  und  0i  verschwinden  läßt,  Cj^*  zu  Null.  — 


§  6,    Kapillare  Qrenxfiäckm,  2 AI 


Ist  die  wirkende  körperliche  Kraft  der  Masse  proportional,  also 
0;  =  0^^,  0i  =  0pt,  so  schreibt  sich  die  Formel  (33) 

^{Qu  -  Qh)  +  Snu  [-^  +  -^)  =  Ck,\  33') 

bei  gleichen  Dichtigkeiten  (»%  und  q^  yerschwindet  die  Wirkung  der 
äußeren  Kräfte  Yollständig  und  die  Bedingung  wird  zu 

:^  +  :^  =  ^**-  ^^") 

Diesen  Fall  kann  man  realisieren,  indem  man  eine  Flüssigkeit  in 
einer  anderen  von  gleicher  Dichte,  mit  welcher  sie  sich  nicht  mischt, 
suspendiert. 

Ist  die  eine  (A)  der  beiden  Flüssigkeiten  ein  'Gas,  z.  B.  die 
atmosphärische  Luft,  so  kann  man  Q}^  neben  qx  vernachlässigen; 
zugleich  sei  q^  mit  q  und  Sj^^  mit  S  vertauscht  Die  Formel  (33') 
lautet  dann 

^(i  +  i)-^«»"^-  33'") 

Ist  die  wirkende  Kraft  die  Schwere  und  ist  die  Z-Axe  positiv  nach 
oben  gerechnet,  so  nimmt  die  Gleichung  die  Form  an 

'{-k  +  i)-^^~'-^-^  33"") 

die  Krümmungsradien  B^  und  ß^  sind  dabei  aus  der  l^lüssigkeit 
heraas  positiv  gerechnet 

Denkt  man  sich  die  Flüssigkeit  mit  einem  unendliclien  Reservoir 
kommunizierend,  dessen  Oberfläche  an  dieselbe  Gasatmosphäre  grenzt, 
wie  die  eigentlich  betrachtete,  so  kann  die  Flüssigkeitsoberfläche 
in  dem  Eeservoir  als  eben  angesehen  werden;  rechnet  man  z  von 
deren  Niveau  aus,  so  ist  (7=0. 

Hat  die  Flüssigkeit  die  Form  einer  sehr  dünnen  Lamelle  zwi- 
schen zwei  Lufträumen,  so  kann  man  die  Formel  (33'")  auf  die  eine 
Seite  a  derselben  anwenden  und,  da  die  Krümmungsradien  auf  der 
zweiten  Seite  b  überall  denen  auf  der  ersten  Seite  nahezu  entgegen- 
gesetzt gleich  sind,  für  die  zweite  bilden 

Die  Differenz  beider  Formeln  giebt 

oder,    da   die  linke  Seite  nach  dem  oben  Entwickelten  gleich  dem 


248  IL  Teil.     Mechanik  niehtstarrer  Körper.     TL  Kap. 


Sprung  ist,  den  der  Druck  beim  Durchgang  durch  die  Lamelle 
erleidet, 

Die  Krümmungsradien  sind  von  der  Seite  b  nach  der  Seite  a  positiv 
gerechnet 

Kommunizieren   die   beiderseitigen  Lufträume   miteinander,  so 
ist  pa  =  pb,  und  die  vorstehende  Gleichung  wird  zu 

34'")  _1_  +    1    =  0; 

dies  ist  die  für  Minimalflächen  charakteristische  Bedingung,  was 
sich  auch  aus  der  Gleichung  (32'")  in  Verbindung  mit  (32')  ab- 
leiten läßt 

Beobachtungen  an  Lamellen  sind  sehr  geeignet,  die  Existenz 
der  Oberflächenspannung  S  zu  veranschaulichen,  und  auch,  indem 
man  die  Kraft  mißt,  die  erforderlich  ist,  um  ein  bewegliches  Stück 
ihrer  Begrenzung  festzuhalten,  ihre  Größe  zu  bestimmen;  dabei  ist 
zu  bemerken,  daß,  so  lange  die  Dicke  der  Lamelle  nicht  unter  eine 
gewisse  Grenze  sinkt,  ihre  Spannung  das  doppelte  von  derjenigen  in 
einer  einfachen  Grenzfläche  beträgt  Allerdings  gestatten  nur  ver- 
hältnismäßig wenig  Flüssigkeiten  die  Herstellung  von  Lamellen  in 
zu  Messungen  geeigneten  Dimensionen.  — 

Die  Grenzbedingungen,  welche  neben  den  vorstehenden 
Differentialgleichungen  (33)  und  (34)  zur  Bestimmung  der  Trennungs- 
fläche zwischen  zwei  Flüssigkeiten  erforderlich  sind,  erhält  man 
durch  Formulierung  der  Bedingung  dafür,  daß  die  sie  begrenzenden 
Linienelemente  unter  der  Wirkung  der  auf  sie  ausgeübten  Kräfte 
im  Gleichgewicht  sein  müssen.  Äußere  und  Oberflächendruckkräfte 
liefern  hier  einen  verschwindenden  Beitrag,  es  kommen  sonach  aus- 
schließlich die  auf  die  Randkurve  wirkenden  Oberflächenspannungen 
in  Betracht. 

Treffen  längs  einer  Kurve  drei  Flüssigkeiten  (1),  (2),  (3)  zusammen, 
und  sind  ^S'^g,  Sjj,  S^^  die  in  den  Grenzflächen  wirkenden  Spannungen, 
V'v  Vif  7'3  ^^®  Winkel,  welche  die  Begrenzungen  der  Flüssigkeiten 
(1),  (2),  (3)  an  dem  betrachteten  Linienelement  einschließen  und  welche 
wir  ihre  ßandwinkel  nennen  wollen,  so  ist  die  Bedingung  dafUr, 
daß  die  Komponentensummen  der  drei  Spannungen  nach  allen 
Richtungen  verschwinden, 

35^  —  ••     =  _  •'.    =-     ".. 

sin  (pi  sin  <p^         siu  gp. 


§  6.    Ztceiier  Hauptsatz  der  Kapülarttätslehre.  249 


Diese  Formel  stellt  den  zweiten  Hauptsatz  der  Eapillaritätslehre 
dar  und  ist  zuerst  von  F.  Neümann*^  angegeben;  sie  bestimmt  zu- 
sammen mit  der  Beziehung  <Pi+fp2  +  g>s=^^  alle  drei  Winkel  qp^ 
vollständig. 

Man  ersieht  aus  (35),  daß  drei  Flüssigkeiten  längs  einer  Kurve 
nur  dann  im  Gleichgewicht  sein  können,  wenn  die  drei  Ungleichungen 
bestehen 

^28  <  ^12  +  ^81  >      ^31   <  '^83  +  ^l%9      ^18  <  ^81   +  ^88'  ^^1 

Ist  eine  von  ihnen  nicht  erfüllt,  so  wird  sich  die  eine  Flüssigkeit 
als  eine  Schicht  zwischen  die  beiden  anderen  hineinschieben  und 
sie  trennen. 

Sind  sie  aber  erfüllt,  so  ist  das  Gleichgewicht  stabil,  denn  bei 
einer  Verschiebung  der  Grenzkurve  wird  eine  Kraft  erregt,  die  sie 
in  die  frühere  Iiage  zurückfuhrt. 

In  der  That,  betrachtet  man  die  Gesamtkomponente  N  der  drei 
Spannungen  nach  einer  beliebigen  Richtung  n  normal  zu  einem 
Linienelement  der  Grenzkurve,  so  ist  zunächst  nach  (36): 

iV  =  Äjg  cos  v^  +  Äjj  cos  v^  +  üSjjj  cos  v^  =  0, 

falls  i'j,  Vj,  V3  die  Winkel  zwischen  Ä33,  S^^,  S^^  und  n  bezeichnen. 
Hält  man  alle  drei  Grenzflächen  von  einer  beliebigen  endlichen 
Entfernung  a  von  der  Schnittkurve  aus  fest  und  verschiebt  das  be- 
trachtete Linieneleraent  in  der  Richtung  n  um  Sn  aus  seiner  Gleich- 
gewichtslage, so  wird  eine  Kraft  SN  entstehen,  gegeben  durch 

SN  =  —  (aSj3  sin  v^  Sv^  +  S^^  sin  v^  Sv^  +  S^^  ^i^  ^3  ^^s) 
oder,  da  Svj^  =  —  sin  i/^  ist,  durch 

SN==  ---^  (5,3  sin«  v^  +  8^^  sin»  v^  +  8^^  sin«  v^). 

Die  Kraft  ist  also  negativ,  da  nach  der  Voraussetzung  alle  <Sa*  >  0 
sind;  das  Gleichgewicht  ist  somit  stabil.  — 

Stoßen  in  einer  Grenzkurve  mehr  als  drei  Flüssigkeiten  zu- 
sammen, so  ist  die  Gleichgewichtslage  nicht  bestimmt,  da  für  vier 
Winkel  nur  drei  Bedingungen  vorhanden  sind,  und  das  Gleich- 
gewicht selbst  im  allgemeinen  labil. 

Dies  erkennt  man  in  dem  Falle,  daß  vier  Flüssigkeiten  (1),  (2,)  (8), 
(4)  vorhanden  sind,  einfach  so,  daß  man  an  dem  betrachteten  Linien- 
element zwei  der  vier  Grenzflächen  [z.  B.  (2,  3)  und  (3,  4)]  unge- 
ändert  läßt  und  die  beiden  anderen  [(1,  2)  und  (1,  4)]  parallel  mit 
sich  in  einer  beliebigen  Richtung  n  fortschiebt,   so  daß  parallel  71 


250  //.  Teil.    Mechanik  nichtetarrer  Körper.    IL  Kap. 


ein  Stück  einer  neuen  Grenze  zwischen  den  Flüssigkeiten  (2)  und  (4) 
entsteht,  die  zuvor  sich  noch  nicht  längs  einer  Fläche  berührten. 
Parallel  mit  n  wirkt  nun  auf  das  Linienelement,  in  dem  jetzt  (2),  (3\  (4) 
zusammenhängen,  in  leicht  verständlicher  Bezeichnung 

^24  +  ^23  cos  V,3  +  ^3^  COS  ^3^  =  A\  , 

auf  dasjenige,  in  welchem  (1),  (2),  (4)  zusammenhängen, 

-  ^24  +  ^12  cos  Via  +  *i4  cos  ^14  =  N^. 
Da  die  ursprüngliche  Lage  eine  Gleichgewichtslage  sein  sollte,  muß 

^12  cos  Via  +  ^23  cos  Vas  +  *34  cos  V34  +  5^1  cos  v^i  =  0 

sein,  es  ist  also  A\  +  N^  =  0,  aber  je  nach  den  Werten  der  Äj^»  und 
der  Richtung  von  n  kann  N^  und  N^  ebenso  wohl  positiv  als  negativ 
sein,  während  zum  stabilen  Gleichgewicht  N^>i)  und  N^<0  er- 
forderlich wäre.  Damit  ist  aber  die  Labilität  des  Gleichgewichtes 
erwiesen.  — 

Läuft  die  Grenzfläche  zwischen  zwei  Flüssigkeiten  (1)  und  (2) 
gegen  einen  stetig  gekrümmten  starren  Körper  (0),  so  wird  die  Kom- 
ponente der  Oberflächenspannungen  normal  zu  dessen  Oberfläche 
durch  seine  Festigkeit  zerstört,  und  die  Gleichgewichtsbedingung 
betrifll  nur  die  tangentiale.  Sie  lautet  hier,  falls  man  die  Rand- 
winkel der  Flüssigkeiten  (1)  und  (2),  welche  sich  zu  ;r  ergänzen, 
resp.  mit  q)^  und  (p^  bezeichnet: 

Ä,a  cos  ijpi  +  iSoi  =  ^02 
oder 

Ä,a  cos  9>a  +  S^^  =  Ä^i  • 

Sq^  und  5Jja  bezeichnen  die  Oberflächenspannungen  in  den  Grenzen 
zwischen  der  Flüssigkeit  (1)  oder  (2)  und  dem  Körper  (0);  sie  sind 
positiv  oder  negativ,  je  nachdem  die  Flüssigkeiten  das  Bestreben 
haben,  ihre  Berührungsfläche  mit  dem  festen  Körper  zu  verkleinem 
oder  zu  vergrößern. 

Man  erhält  somit  für  die  Randwinkel  die  Beziehungen 

35")  co8  9>i  =  -'^<"-7-A.-,     cos  y,  = -^' - -^'«i . 

Es  scheint  hiernach,  als  ob  bei  geeigneten  Werten  von  S^^  und 
fij,a  der  absolute  Wert  von  cos  qpj  resp.  cos  tp^  größer  als  Eins,  der  Rand- 
winkel also  imaginär  werden  könnte.  Die  Beobachtungen  zeigen 
indessen,  daß,  wenn  die  eine  der  beiden  Flüssigkeiten,  z.B.  (2), 
gegen  den  festen  Körper  eine  negative  Oberflächenspannung  besitzt, 
sie  ihn  bei  stattflndender  Berührung  in  einer  dünnen  Schicht  über- 


§  6.     Satz  von  Ijophce.  251 


zieht,  d.  h.  benetzt,  so  daß  der  feste  Körper  dadurch  gewissermaßen 
die  Eonstante  der  Flüssigkeit  (2)  erhält 

Demgemäß  wird  dann  Ä^g  =  0,  S^^  ==  -Sj^  und  wir  erhalten 

cos  qpi  =  —  1 ,     cos  ^2  =  +  1 , 

d.  h.  die  Grenzfläche  (1,  2)  tangiert  die  Oberfläche  des  festen  Kör- 
pers nach  der  Seite  der  Flüssigkeit  (1)  hin. 

Der  an  sich  denkbare  Fall,  daß  sowohl  S^^,  als  8^^  positiv,  und 
die  Ausdrücke  (35")  ihrem  absoluten  Werte  nach  größer  als  Eins 
sind,  scheint  in  der  Natur  überhaupt  nicht  vorzukommen;  es  bleibt 
vielmehr  bei  allen  bekannten  Kombinationen  8^^  —  8^^  erheblich 
kleiner  als  das  entsprechende  8^^.  — 

Ein  besonders  wichtiger  Fall  ist  der,  daß  die  eine  der  beiden 
Flüssigkeiten  (1)  und  (2),  z.  B.  (2),  ein  Gas  ist;  dann  ist  8^^  ver- 
schwindend, 8^^  =  8,  8^Q  =  8^  und  die  Bedingung  (33)  wird  zu 

cos  9^1  =  -  ^  ;  35'") 

über  sie  gilt  dasselbe,  was  zu  der  allgemeineren  Formel  gesagt  ist 
Hat  die  Flüssigkeit  die  Gestalt  einer  im  Luftraum  ausgespann- 
ten Lamelle,  die  gegen  einen  starren  von  ihr  benetzten  Körper  läuft, 
so  wird  wegen  8^^  =  8^^  die  Grenzbedingung  zu  cos  qp^  =  cos^j,  =  0; 
die  Lamelle  muß  also  überall  normal  auf  dem  festen  Körper  stehen. 
Treffen  mehrere  Lamellen  derselben  Flüssigkeit  in  einer  Kurve 
zusammen,  so  befinden  sie  sich  nach  (35)  u.  f.  nur  dann  im  stabilen 
Gleichgewicht,  wenn  ihre  Anzahl  gleich  drei  ist,  und  wenn  sie  die 
Winkel  von  120^  miteinander  einschließen.  — 

Aus  der  allgemeinen  Differentialgleichung  (33)  für  die  kapillare 
Oberfläche 

tl)?  Q     M    _L_    M         Q     l^  COS {n, x)       d  C08(w,  y)\ 

***  =  -  \i:  (ä^  +  jij  =  ^A.  [       ex       +-    dy  ~)  ' 

in  welcher  die  Konstante  C^j^  nach  S.  246  gleich  Null  gesetzt  und 
die  Normale  n  von  der  Flüssigkeit  h  nach  der  Flüssigkeit  k  hin 
positiv  gerechnet  ist,  kann  man  einen  einfachen  und  allgemeinen  Satz 
ableiten,  wenn  man  dieselbe  über  die  Projektion  cj  eines  beliebigen 
Bereiches  o  der  Fläche  o^^  auf  die  X  7- Ebene  integriert  Der  Ein- 
fachheit halber  sei  angenommen,  daß  diese  Projektion  g>  die  X  Y- 
Ebene  überall  nur  einfach  überdeckt,   so  daß  in  der  Formel 

dxdy  =  (/cö  =  ±  f/ocos(n,z) 

immer  dasselbe  Vorzeichen  —  etwa  das  positive  —  gilt;  in  dem 
allgemeineren  Falle  hat  man  das  Integrationsbereich  to  in  ange- 
messene Teile  zu  zerlegen. 


252  //.  Teil.    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    IL  Kap. 

Unter  Anwendung  der  Betrachtungsweise,  welche  zu  der  Formel 
(29")  gefuhrt  hat,  erhält  man  dann,  wenn  man  die  Randkurre  von 
o  mit  s,  ihre  Projektion  auf  die  XZ- Ebene  mit  (t  und  deren  äußere 
Normale  mit  v  bezeichnet: 

36)      /  0ikCOs(n,z)£/o  =  Sj^^f  d(T cos {n,v)  =  Sf^j^fdscos(S,2). 

Konstruiert  man  nun  durch  die  Randkurve  s  einen  geraden  Cylinder 
parallel  der  Z-Axe  bis  zu  der  Oberfläche  <f>  =  0,  über  deren  Lage 
wie  oben  so  verfügt  ist,  daß  sie  durch  eine  Stelle  verschwindender 
mittlerer  Krümmung  auf  o^^  hindurchgeht,  und  setzt  man  wie  S.  247 
0]^]^  =  {Qj^  —  (ij  0,  so  kann  man  das  Integral  links  auch  schreiben 

(('fc-eA)/*C0S(71,z)(/0, 

wo  die  Integration  über  die  ganze  Begrenzung  0  des  konstruierten 
cylindrischen  Stückes  ausgedehnt  ist     Dies  giebt  aber  auch 

((>k-Pfc)J|^£/Ä   oder    --{Qj,^Q^)jZdk, 

wo  Z  die  auf  die  Masseneinheit  bezogene  Komponente  der  wirken- 
den körperlichen  Kraft  bezeichnet,  und  das  Integral  über  den  Inhalt 
des  Cylinders  erstreckt  ist. 

Diskutiert  man  die  verschiedenen  nach  den  Umständen  mög- 
lichen Vorzeichen,  so  ergiebt  die  ganz  allgemeine  schließliche  Formel 

36')  ^  {Qu  -  Qh)fZdk  =  Snufd.^cos{S,z) 

das  Resultat,  daß  die  in  der  Randkurve  s  angreifende  Oberflächen- 
spannung der  Differenz  der  auf  den  Cylinder  wirkenden  körperlichen 
Kräfte  bei  Erfüllung  mit  der  Flüssigkeit  (A)  oder  (Ä)  das  Gleich- 
gewicht hält.  Dies  kann  man  auch  dahin  aussprechen,  daß  diese 
Spannung  jenen  Cylinder,  gefüllt  mit  der  einen  Flüssigkeit,  innerhalb 
der  anderen  trägt. 

Im  Falle,  daß  die  Schwere  die  einzige  wirkende  körperliche  Kraft 
ist,  entspricht  die  Oberfläche  0  =  0  nach  S.  247  dem  unendlichen 
Niveau.  Ist  in  dasselbe  ein  vertikaler  Cylinder  oder  ein  vertikales 
cylindrisclies  Rohr  von  ringsum  gleicher  OberflächenbeschaflFenheit 
eingetaucht,  so  ist,  wenn  man  für  s  die  Randlinie  der  Oberfläche  öai 
wählt,  daselbst  l_  S^z  konstant  und  zwar  gleich  dem  Randwinkel 
qp/,,  falls  (A)  die  untere  Flüssigkeit  bezeichnet  und  die  ^Axe  ver- 
tikal nach  unten  gerichtet  ist.     Es  gilt  dann 

36")  (pfc  •-  Qk)ff^=  ShkS cos (fh j 

worin  /'  das  über  das  unendliche  Niveau  gehobene  Volumen  bedeutet 


§  7.     Wirkungen  des  Dntekes  gegen  starre  Körper,  253 


Ist  (ph>  ^1^7  80  ist  r<  0,  und  es  findet  demgemäß  eine  Depression 
der  Oberfläche  o^^j.  unter  das  unendliche  Niveau  der  FlQssigkeit  statt 
Ist  die  Flüssigkeit  k  ein  Gas,  so  gilt  nach  früheren  Bezeich- 
nungen 

Qgr=G  =  Sscosfp,  36'") 

wo  G  das  gehobene  Gewicht  bezeichnet  Dieser  spezielle  Satz  ist 
von  Laplace^')  gegeben  und  liefert  bei  benetzenden  Flüssigkeiten, 
wo  y  =  0,  also  G  =  8s  ist,  die  Theorie  einer  bequemen  Bestim- 
muDgsmethode  für  S.  Hängt  man  nämlich  eine,  etwa  aus  dünnem 
Blech  gefertigte,  Cy linderfläche  über  einem  großen  Flüssigkeitsreser- 
voir mit  zunächst  horizontaler  Oberfläche  so  auf,  daß  ihre  Axe  ver- 
tikal steht,  und  die  untere  horizontale  Begrenzung  fast  die  Ober- 
fläche berührt,  so  ist  die  Kraft,  welche  nötig  ist,  um  den  Cylinder 
nach  erfolgter  Benetzung  in  dieser  Position  zu  erhalten,  gleich  2Ssj 
wenn  *  die  Länge  der  Grundlinie  des  Cylinders  ist 

•  Bei  nicht  benetzenden  Flüssigkeiten  leiden  alle  Methoden,  bei 
welchen  der  Randwinkel  in  Betracht  gezogen  werden  muß,  an  ün- 
genauigkeiten,  welche  daraus  fließen,  daß  der  Einstellung  einer 
Flüssigkeit  an  einer  nicht  benetzten  Wand  eine  starke  gleitende 
Reibung  entgegenwirkt 

Die  sicherste  Methode  ist  hier  die  Messung  des  Krümmungs- 
radius jB  in  der  Kuppe  einer  Rotationsfläche  und  des  hydrostatischen 
Druckes,  welcher  ebenda  wirkt  und  welcher  aus  der  Höhe  der  Kuppe 
über  dem  unendlichen  Niveau  folgt     Aus  (33"")  erhält  man  dann 

,         2S 

Andere  Beobachtungsmethoden,  welche  die  gleichzeitige  Be- 
stimmung des  Randwinkels  und  hierdurch  der  Difi'erenz  der  Ober- 
flächenspannungen 5^j  —  5^3  der  Flüssigkeiten  gegen  die  feste  Wand, 
—  bei  nur  einer  Flüssigkeit  und  einem  Gas  von  S  allein  — ,  zum  Ziele 
haben,  beruhen  auf  der  Messung  von  Dimensionen  an  theoretisch 
nach  ihrer  Gestalt  bestimmbaren  Grenzflächen,  z.  B.  an  Tropfen 
auf  ebenen  Unterlagen,  an  Flüssigkeitssäulen  in  engen  Röhren  oder 
zwischen  parallelen  Platten. 


ff  7.     Besultierende  Komponenten  und  Momente  des  hydrostatischen 
Dmckes  gegen  starre  Körper.     Kapillare  Kräfte. 

Die  Kräfte  und  Momente,  welche  durch  die  Wirkung  des  Druckes/? 
gegen  einen  festen  Körper  k\  z.  B.  gegen  ein  Stück  des  die  Flüssig- 


254 


//.  Tct/.     Mechanik  nirhfstarrer  Körper,     IL  Kap, 


37) 


keit  enthaltenden  Gefäßes  entstehen,  sind  durch  die  folgenden  For- 
meln gegeben: 

X'  =  fp  cos  {n\  x)  d  o\ 

T  =  fpGO^{n,y)do, 

Z'  =  f  p  cos (n, z)do  ^ 

L'  =  f  p  (y  cos  (w',  z)  —  z  cos  (?//,  y))  r/  r/ , 

M  ^  f  p{z  cos  (n',  x)  —  j:  cos  (n',  z))  (fo' , 

N  =  f  p  {x  cos  (n  ,y)  —  y  cos  (n',  ar))  do  . 

In  ihnen  ist  das  Integral  über  die  gesamte  von  der  Flüssigkeit  be- 
deckte Oberfläche  o  von  k'  auszudehnen;  die  Normale  v!  ist  aus  der 
Flüssigkeit  heraus  positiv  gezählt. 

Ist  die  Oberfläche  geschlossen,  und  ist  die  Flüssigkeit  in  ihrem 
Innern  vorhanden,  so  kann  man  die  Oberflächenintegrale  in  Raum- 
integrale  über  das  von  der  Plüssigkeit  erftülte  Bereich  k  verwandeln, 
da  p  nach  Annahme  stetig  ist;  es  folgt  dann  unter  Rücksicht  auf  (22) 


37') 


Die  Gesamtkomponenten  und  Momente,  welche  das  Gefäß  er- 
fährt, sind  also  dieselben,  welche  die  Flüssigkeit  seitens  der  ausge- 
übten Kräfte  X\  JT,  Z^  erleiden  würde,  wenn  sie  in  einen  starren 
Körper  verwandelt  werden  könnte. 

Ist  die  geschlossene  starre  Fläche  rings  von  der  Flüssigkeit 
umgeben,  läßt  sich  /?,  das  nur  für  den  äußeren  Raum  definiert  ist, 
in  den  Innenraum  K  stetig  analytisch  fortsetzen,  und  gilt  gleiches 
demgemäß  von  X',  T  und  Z\  so  erhält  man  die  obigen  Resultate, 
nur  mit  entgegengesetztem  Vorzeichen  und  mit  Vertauschung  von  A 
mit  Ä'.  Die  auf  den  starren  Körper  ausgeübten  Komponenten  und 
Momente  sind  also  hier  denjenigen  entgegengesetzt  gleich,  welche 
sich  mit  den  in  sein  Inneres  analytisch  fortgesetzten  Kraftkompo- 
nenten X*,  T,  Z^  berechnen  würden. 

Ist  die  Flüssigkeit  homogen,  so  sind  sie  denjenigen  Komponenten 
und  Momenten  entgegengesetzt  gleich,  die  ein  Hohlraum  von  gleicher 
Größe  wie  der  Körper,  mit  derselben  Flüssigkeit  erfüllt,  durch  die 
gleichen  körperlichen  Kräften  erfahren  würde. 

Dies  ist  die  allgemeine  Fassung  des  sogenannten  Archimedischen 


§  7.    KapiÜare  Kräfte  gegen  starre  Körper,  255 


Prinzipes  **),  auf  dem  die  bekannteste  Methode  zur  Bestimmung  der 
Dichte  fester  Körper  beruht 

Sind  unter  den  auf  die  Flüssigkeit  ausgeübten  Kräften  solche, 
die,  ähnlich  wie  Gravitationswirkungen,  von  dem  betrachteten  festen 
Körper  ausgehen,  und  die  S.  37  zusammengestellten  Eigenschaften 
besitzen,  so  geben  diese  gleichfalls  ihren  Anteil  zu  den  berechneten 
X', ...  Z';  es  ist  aber  zu  bedenken,  daß  die  Gegenwirkung,  welche 
die  Flüssigkeit  auf  den  festen  Körper  ausübt,  diesen  Teil  kom- 
pensiert 

In  der  That  läßt  sich  dann  z,  B.  die  erste  Gleichung  (37')  schreiben, 
indem  man  X*  als  von  allen  Elementen  dk'  des  festen  Körpers  auf  das 
Element  dk  der  Flüssigkeit  ausgeübt  gleich  fdk'Xijff  einfuhrt: 

X'=/rfÄ/rfÄ'12fc.; 

die  Gesamtkomponente  X[ ,  welche  die  Attraktion  der  Flüssigkeit  auf 
den  Körper  ergiebt,  ist  aber 

X[  =  fdkfdkXl'^j 

also  der  oberen  entgegengesetzt  gleich. 

Ebenso  erhält  man  dem  ersten  Moment  in  (37) 

L'^fdkfdk\Zl^yu-'H^z^) 
entsprechend  die  Reaktion 

Z'i  =  fdKfdk{Zl^j,iji^  —  ywk^ie)y 

welche  ersteres  gerade  aufhebt 

Demgemäß  kann  also  auch  die  Molekularattraktion  zwischen 
Flüssigkeit  und  Körper,  oder  die  OherHächenspannung  in  der  Grenze 
zwischen  beiden  keine  resultierenden  Kräfte  und  Momente  auf  den 
Körper  ausüben. 

Anders  verhält  es  sich  dagegen  mit  der  Wirkung  der  kapillaren 
Oberflächenspannung,  welche  zur  Geltung  kommt,  wenn  die  Grenze  0^^ 
zweier  Flüssigkeiten  (A)  und  {k)  gegen  die  Oberfläche  des  Körpers 
läuft,  und  welche  die  Tendenz  hat,  diese  Oberfläche  zu  verkleinem. 

Wird  die  Oberflächenspannung  wieder  mit  Sj^^  bezeichnet,  so 
nehmen  die  Werte  X,  Y,  Z  bei  ihrer  Berücksichtigung  die  Ge- 
stalt an 

X'=  /;?cos(n',  ar)r/o'+  AS)ik/cos(5,  x)d8\     j 

r=  fpcoH{n%  y)do  +  Sn,fcos(S,  f/)d/,     \  38) 

ir'=:  /;7cos(n',  z)do'+  /SÄ*/cos(fi',  z)ds\     ) 

Hierin  bezeichnet  ds  das  Element  der  Bandkurve  s,  normal 
zu  welcher  die  Spannung  Sf^j^  wirkt 


256  //.  Teil,     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IL  Kap. 


Bestimmt  man  die  Integrationskonstante  wie  auf  S.  246  durch 
Einführung  einer  Stelle  a  der  Grenzfläche  o^jt,  für  welche  die 
mittlere  Krümmung  verschwindet,  der  Druck  /?«  beim  Durchgaog 
durch  die  Fläche  also  nicht  springt,  und  für  welche  beiderseits 
der  Potentialwert  gleich  Null  gesetzt  ist,  so  wird  nach  (22'") 

Führt  man  diese  Werte  in  die  erste  Gleichung  (38)  ein,  so 
erhält  man,  weil  fcos{n'jx)do'  über  eine  geschlossene  Fläche  ge- 
nommen verschwindet, 

j  r  =  -  /  (c/>'  cos («',  x)do\  -  /(Ö?  cos («',  x)  do% 

\  +Äj,»/cos(Ä,x)rf/; 

das  erste  Integral  bezieht  sich  auf  den  mit  (A),  das  zweite  auf  den 
mit  (Ä)  bedeckten  Teil  der  Oberfläche  o  des  Körpers  k\ 

Begrenzt  man  einen  Teil  o  der  Trennungsfläche  o^jt  vollständig 
einerseits  durch  die  Grenzlinie  s\  andererseits  durch  eine  beliebige 
auf  oi^ji  gezogene  Kurve  ä,  und  wendet  auf  diesen  Teil  die  Glei- 
chung (36)  an,  indem  man  nur  z  mit  x  vertauscht,  und  addiert  man  das 
Resultat  zu  (38'),  indem  man  bedenkt,  daß  in  (36)  die  Spannung  S 
von  außen,  in  (38)  von  innen  her  gegen  die  Bandkurve  s'  wirkend 
eingeführt  ist,  so  erhält  man  nach  leichten  Reduktionen 

^g,,^     I  X'  =  -  / ('0'  cos {N,  X) dO\^f  (0' cos {N,  X) d 0)^ 

Hierin  bezieht  sich  das  erste  Integral  auf  das  ganze  von  s  be- 
grenzte Stück  Oi^=ol+o  der  Oberfläche  von  (A),  das  zweite  auf 
das  ganze  von  s  begrenzte  Stück  Ojt  =  oi  +  ö  der  Oberfläche  von  (A), 
welche  zum  Teil  an  die  andere  Flüssigkeit,  zum  Teil  an  den  festen 
Körper  grenzen;  JV  ist  die  aus  der  betreffenden  Flüssigkeit  heraus 
positiv  gerechnete  Normale  auf  0;  das  Bandintegral  bezieht  sich  auf 
die  willkürlich  gezogene  Grenzkurve  s,  und  die  Spannung  S^k  ist 
von  außerhalb  o  gegen  sie  wirkend  eingeführt 

Für  manche  Anwendungen  ist  es  bequem,  das  Bandintegral  zu 
schreiben 
38'")  / cos (S,x)d8  =  f  cos (n,  v)d(T, 

worin  o*  die  Projektion  von  s  auf  die  J^^- Ebene  und  v  ihre  Nor- 
male bezeichnet,  welche  zu  (t  und  X  liegen  muß  wie  n  zn  s  zu  S. 

Die  Oberflächenintegrale  lassen  sich  nach  dem  S.  252  an- 
gewandten Verfahren  häufig  anschaulich  deuten. 

Vergleicht  man  die  Schlußformel  (38")  mit  der  Ausgangs- 
formel (38'),  so  erkennt  man  den  Satz,  daß  man  zum  Zwecke  der 


§  7.    Kapillare  Kräfte  gegen  starre  Körper,  257 


Berechnung  der  Komponenten  X,  T,  Z',  welche  der  betrachtete  feste 
Körper  erfährt,  seiner  Oberfläche  o'  ein  beliebiges  benachbartes 
Stück  o  der  gegen  ihn  laufenden  Trennungsfläche  o^u  der  beiden 
Flüssigkeiten  (A)  und  {k)  zufügen  kann,  wenn  man  nur  die  gegen 
dasselbe  beiderseitig  wirkenden  hydrostatischen  Drucke  ebenfalls  in 
Rechnung  zieht  und  die  Oberflächenspannung  8^]^  nicht  gegen  die 
wirkliche  Randkurve  9  der  Grenzfläche  o^j^  am  starren  Körper, 
sondern  gegen  die  zweite  Begrenzung  s  von  o  wirken  läßt.    Dieser 

■  ■ 

fruchtbare  Satz  läßt  sich  direkt  durch  die  Überlegung  plausibel 
machen,  daß  man  im  Gleichgewichtszustand  das  Stück  o  der 
Trennungsfläche  starr  werden  und  fest  am  Körper  haften  lassen 
kann,  ohne  das  Gleichgewicht  zu  stören.  — 

Ist  die  wirkende  Kraft  die  Schwere,  und  liegt  die  positive  Z-Axe 
vertikal  nach  oben,  so  ist  (li  =  Qffz  also 

+  ÄÄfc/cos(S,  ar)rf*,  j 

worin  z  die  if-Koordinate  von  d  0  bezeichnet  Ist  endlich  die  obere 
Flüssigkeit  {k)  ein  Gas  oder  der  leere  Raum,  so  gilt  noch  einfacher, 
indem  man  die  Indices  jetzt  fortläßt, 

r==  --  ff  Q  f^ cos{N,  x)d 0  +  S f  coQ{Sf  x)ds .  39') 

Diese  Gleichungen,  denen  analoge  für  T'  und  Z'  zuzufügen 
sind,  gestatten  viele  interessante  Resultate  ohne  alle  Rechnung  ab- 
zuleiten. *^) 

Befindet  sich  ein  beliebiger  Körper,  dessen  Oberfläche  von  Ort 
zu  Ort  beliebig  wechselnde  Natur  hat,  so  daß  die  Grenzwinkel  der 
Flüssigkeiten  ruigsum  stetig  variieren,  schwimmend  in  einem  unend- 
lichen Bassin,  in  welchem  zwei  verschieden  schwere  Flüssigkeiten 
übereinander  geschichtet  sind,  so  daß  sein  oberer  Teil  ganz  in  der 
oberen,  der  untere  in  der  unteren  Flüssigkeit  liegt,  so  rücken  wir 
die  Grenzkurve  s  ins  Unendliche;  dort  liegt  die  Grenzfläche  o^j, 
beider  Flüssigkeiten  und  demgemäß  S^k  in  der  XJ- Ebene,  und  in- 
folge dessen  sind  hier  die  Randintegrale  in  den  Formeln  (39)  für  X\  F 
und  Z'  gleich  Null.  Die  Oberflächenintegrale  in  dem  Ausdruck  für 
X  und  y  verschwinden  gleichfalls,  denn  die  Projektionen  der  Ober- 
flächen 0^  und  Ok  überdecken  die  TZ-  und  i/X-Ebene  überall  ein 
geradzahliges  Mal.  Demgemäß  erfahrt  ein  schwimmender  Körper 
unter  den  vorausgesetzten  Umständen  keine  horizontale  Kraftwirkung. 

Dagegen  geben  die  Oberflächenintegrale  in  dem  Werte  von  Z' 
die   Gewichte  der  Flüssigkeiten,  welche  zwischen   den  Flächen  0^ 

VüiCKT,  Theoretliiche  Physik.  17 


258  //.  Tnl.    Mechanik  niehtstarrer  Korper,    77.  Kap, 


resp.  Ofc  und  der  Ebene  des  unendlichen  Niveaus  liegen,  und  zwar 
mit  verschiedenem  Vorzeichen,  je  nachdem  sich  die  begrenzenden 
Stücke  unterhalb  oder  oberhalb  der  Ebene  r  =  0  befinden.  In  dem 
auf  die  untere  Flüssigkeit  (ä)  bezogenen  Integral  erscheinen  die 
unterhalb  dieser  Ebene  gelegenen  Volumina  mit  negativem,  die  ober- 
halb gelegenen  mit  positivem  Zeichen,  in  dem  auf  die  obere 
Flüssigkeit  {k)  bezüglichen,  wegen  des  entgegengesetzten  Sinnes  der 
Normalen,  umgekehrt  Demgemäß  ergiebt  sich  folgendes  Resultat. 
Bezeichnen  Fj^  und  Fj,  die  Volumina  der  Teile,  in  welche  die  Ebene 
z  =  0  den  festen  Körper  zerlegt,  und  bezeichnet  F  das  Volumen  der 
unteren  Flüssigkeit,  welches  aus  dem  Niveau  herausgeschoben  ist, 
positiv,  wenn  es  gehoben,  negativ,  wenn  es  gesenkt  ist,  dann  gilt 

39")  -Z'=i7(?*^»+Pt^* +(?»-('»)?'). 

Die  ersten  beiden  Glieder  geben  die  Größe  des  Auftriebes,  wie 
er  dem  archimedischen  Prinzip  entspricht,  das  letzte  den  Einfluß 
der  Kapillaritätskräfbe.  Die  Gleichung  (39")  stellt  eine  Ver- 
allgemeinerung des  LAPLACE'schen  Satzes  (36'")  dar.  — 

Schwimmen  in  dem  vorausgesetzten  Bassin  zwei  in  Bezug  auf 
die  r^-Ebene  spiegelbildlich  gleichgestaltete  und  gleichgelegene,  im 
übrigen  beliebige  Körper,  so  wird  die  Grenzfläche  Oä*  der  Flüssig- 
keiten durch  die  Z^-Ebene  normal  geschnitten.  Die  Schnittkurve  *i 
wählen  wir  neben  einem  unendlich  großen  Halbkreis  s^  zur  Be- 
grenzungskurve s  und  betrachten  zunächst  die  X- Komponente  der 
Kraft,  welche  auf  den  nach  -f  X  zu  gelegenen  Körper  wirkt 

Die  Projektion  von  s  auf  die  YZ-Ehene  besteht  aus  der  T-Axe 
und  der  Kurve  s^,  die  umschlossene  Fläche  sei  mit  q  bezeichnet, 
die  Neigung  der  Kurve  s^  gegen  die  J^-Axe  mit  v.  Dann  giebt 
Formel  (39) 

+  00 

40)  X'=-ff{Qh-  ^o/l  z\dq-  5a»  j  ^  ~^^ "  dy. 


—  00 


Von  z  ist  der  absolute  Wert  \z\  genommen,  weil,  wie  man  leicht 
erkennt,  das  Integral  stets  positiv  sein  muß. 

Haben  die  Körper  die  Gestalt  von  Cylindem,  deren  Axen  der 
7-Axe  parallel  liegen,  so  verschwindet  das  zweite  Integral;  das  erste, 
welches  den  hydrostatischen  Druck  gegen  die  Fläche  q  angiebt,  aber 
von  der  Form  und  Entfernung  der  Cylinder  im  übrigen  ganz  unab- 
hängig ist,  bleibt  allein  übrig;  die  auf  die  Cylinder  ausgeübte  Krall 
findet  stets  im  Sinne  einer  gegenseitigen  Anziehung  statt 

Für  die  T- Komponente   der  wirkenden  Kraft  ergiebt  sich  der 


§  7.    Kapillare  Kräfte  gegm  starre  Körper.  259 


Wert  Null;  die  ^-Komponente  bestimmt  sich  nach  Formel  (39"), 
nur  ist  unter  V  ausschließlich  das  verschobene  Flüssigkeitsquantum 
auf  der  einen  Seite  der  Z^- Ebene  zu  verstehen.  — 

Ahnlich  kann  man  den  Anteil,  welchen  die  Eapillaritätskräfte 
an  der  ^-Komponente  geben,  überall  da  leicht  anschaulich  be- 
stimmen, wo  sich  um  den  untersuchten  Körper  auf  der  Flüssigkeits- 
oberfläche eine  Kurve  s  von  der  Eigenschaft  ziehen  läßt,  daß  in 
ihr  die  Oberflächenspannung  Sj^j^  horizontal  liegt  In  allen  diesen 
Fällen  gilt  die  Formel  (39"),  wenn  man  das  in  ihr  auftretende 
Volumen  seitlich  begrenzt  durch  den  vertikalen  Cylinder  durch  s. 
Ein  einfaches  Beispiel  giebt  ein  Rotationskörper,  der  in  einem  gleich- 
falls als  Rotationskörper  gestalteten  Gefäß  koaxial  schwimmt 

Wenn  in  dem  unendlichen  Bassin  zwei  Körper  verschiedener 
Oberflächenbeschaffenheit  schwimmen,  so  daß  zwischen  ihnen  auf 
der  Oberfläche  o^j^  eine  Kurve  «,  zu  ziehen  möglich  ist,  die  durchaus 
in  der  Höhe  des  unendlichen  Niveaus  liegt  und  sich  nach  beiden 
Seiten  ins  Unendliche  erstreckt,  so  kann  man  sie  durch  einen 
gleichfalls  im  Unendlichen  liegenden  Ejreisbogen  s^  zu  einer  ge- 
schlossenen Kurve  s  vervollständigen. 

Über  den  umschlossenen  Teil  von  0^  und  Oj,  integriert  ver- 
schwinden in  Formel  (39)  die  Oberflächenintegrale  und  es  bleibt 

X'  =  +  8^^  /cos  (Ä,  x)  ds,  40') 

d.  h.  die  Gesamtkomponente  aller  von  außen  gegen  s  wirkenden 
Oberflächenspannungen  nach  der  Richtung  von  X. 

Sind  die  beiden  Körper  Cylinder  von  der  gegen  ihren  Abstand 
bedeutenden  Länge  Z,  deren  Axen  der  F-Axe  parallel  liegen,  und 
schneidet  die  Oberfläche  die  A' 7- Ebene  unter  dem  Winkel  r,  so 
giebt  die  Formel 

^'  =  ±  5^,  /  (1  -  cos  T)rfy  =±Sn,L{l^  cos  r),  40") 

wo  sich  das  obere  Zeichen  auf  den  nach  +  X,  das  negative  auf 
den  nach  —  X  gelegenen  Cylinder  bezieht 

Die  ausgeübte  Kraft  wirkt  also  im  Sinne  einer  Abstoßung 
der  beiden  Körper.  — 

Eine  der  auf  S.  256  ausgeführten  Umformung  analoge  gestatten 
auch  die  unter  Berücksichtigung  der  Oberflächenspannung  gebildeten 
Drehungsmomente  Z',  M\  N\  welche  ein  starrer  Körper  in  einer 
Flüssigkeit  erfährt;  aber  die  Resultate  geben  nicht  Veranlassung  zu 
ähnlich  allgemeinen  und  anschaulichen  Sätzen,  wie  sie  vorstehend 
abgeleitet  sind. 

17* 


262  //.  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IL  Kap, 

und  demgemäß 

41'")  A  *  =  -',1'  +  4{«-  +  \^  =  -  4nk^Q, 

worin  Q  die  freie  Raumdichte  bezeichnet  Wir  wollen  indessen  Ton 
diesem  Fall  weiterhin  absehen. 

Der  Wert  der  freien  Flächendichte  a  bestimmt  sich  aus  der 
Potentialfunktion  0  der  gesamten  Verteilung  gemäß  Gleichung  (165') 
des  ersten  Teiles;  da  aber  0  innerhalb  eines  jeden  homogenen 
Konduktors  konstant  ist,  so  liefert  sie  für  die  Grenzen  gegen 
Nichtleiter 

hingegen  für  die  Grenzen  Of^j^  zwischen  zwei  Leitern  (A)  und(k)  fr^k^  0; 
dies  zeigt,  daß  wohl  auf  ersteren,  nicht  aber  auf  letzteren  eine 
Flächenbelegung  vorhanden  ist 

Indessen  müssen  jene  Zwischengrenzen  eine  Ladung  anderer 
Art  zeigen;  denn  die  in  ihnen  wirkende  elektromotorische  Kraft 
verlangt  zum  Gleichgewicht  als  Kompensation  ein  Gefälle  der 
Potentialfunktion  0,  das  sich,  wenn  die  elektromotorische  Kraft 
nur  in  einer  unendlich  dünnen  Schicht  wirkt,  durch  eine  ünstetig- 
keit  von  0  beim  Durchgang  durch  die  Grenze  äußern  muß. 
Setzt  man 

42)  *^-*^=:0,„ 

so  kann  nach  den  obigen  Annahmen  0/^^  nur  von  der  Beschaffen- 
heit der  beiden  Leiter  (A)  und  (A)  abhängen,  muß  also  längs  der 
Grenze  Ohk  zwischen  zwei  homogenen  Leitern  konstant  sein. 

Ein  solcher  Potentialsprung  verlangt  aber  zu  seiner  Entstehung, 
daß  die  Grenzfläche  O^u  als  Doppelschicht  mit  konstantem  Moment  v^t 
geladen  ist,  dessen  Größe  sich  nach  Formel  (176)  bestimmt  zu 

wobei  das  Moment  positiv  gerechnet  ist  in  der  Richtung  von  (A) 
nach  (A). 

An  äußeren  Grenzflächen  des  Leitersystemes  findet  nach  den 
gemachten  Annahmen  eine  solche  Ladung  nicht  statt. 

Im  äußeren  Raum  muß  0  der  Bedingung 

42'")  A  <»=  -4i;rA>o 

genügen,  falls  Qq  die  Dichte  der  gegebenen  elektrischen  Verteilung 
bezeichnet,  und,  wenn  letztere,  wie  auch  die  Leiter  sämtlich  im  End- 
lichen liegen,  sich  im  Unendlichen  so  verhalten,  daß  lim  {r^  0)  und 


§  8.     Gleichgewicht  der  Mektricität.  263 


lim  {tq^ö  ^P/dr^)  endlich  sind,  wobei  r^  die  Entfernung  vom  Ko- 
ordinatenanfang bezeichnet. 

Hiermit  sind  die  Fundamentalgesetze  des  elektrischen  Gleich- 
gewichtes in  Leitern,  nämlich  die  charakteristischen  Eigenschaften 
der  Potentialfunktion  aus  den  vorausgeschickten  Hypothesen  ab- 
geleitet Eine  Ableitung  auf  anderer  Grundlage  und,  daran  an- 
schließend, die  speziellen  Anwendungen  der  vorstehenden  Formeln 
sollen  an  einer  anderen  Stelle  Platz  finden.  — 

Auch  Nichtleiter  für  Elektricität  oder  Dielektrika  erhalten 
durch  die  Wirkung  elektrischer  Kräfte  scheinbar  freie  Ladungen. 
Man  hat  versucht  ^^)y  diese  Thatsache  dadurch  zu  erklären,  daß  man 
sich  die  Vorstellung  bildete,  die  Isolatoren  enthielten  unzählige  lei- 
tende Köri^erchen  in  eine  kontinuierliche  nichtleitende  Substanz  ein- 
gebettet, und  auf  erstere  die  Betrachtungen  dieses  Paragraphen 
anwandte. 

Die  gleiche  Behandlung,  wie  die  Dielektrika,  gestatten  die  magne- 
tisch erregbaren  Körper  bei  Annahme  zweier  magnetischer  Fluida, 
die  sich  innerhalb  der  kleinsten  Teile,  aber  nicht  zwischen  ihnen 
bewegen  können. 

Nach  der  Seite  der  Qualität  vermag  man  auf  diese  Weise  die 
genannten  Erscheinungen  darzustellen;  bezüglich  der  Quantität 
sind  aber  gegen  diese  Auffassung  Bedenken  erhoben,  welche  darauf 
beruhen,  daß  die  bei  Nichtleitern  aus  der  Beobachtung  zu  schließen- 
den scheinbaren  Ladungen  unter  Umständen  stärker  sind,  als  sie  aus 
der  angedeuteten  Theorie,  auch  unter  Annahme  günstiger  Struktur- 
verhältnisse, folgen.    Diese  Fragen  sind  noch  nicht  abgeschlossen. 

Endlich  hat  man  noch  eine  Erweiterung  der  erörterten  Vor- 
stellung in  dem  Sinne  vorgenommen,  daß  man  die  kleinsten  Teile 
der  Dielektrika  je  mit  Systemen  permanenter  elektrischer  Pole  fest 
verbunden  dachte,  die  ihrerseits  eine  elektromotorische  Kraft 
ausüben.  Da  dieser  Effekt  sich  bei  einer  Deformation  des  Dielek- 
trikums ändern  muß,  so  giebt  die  erwähnte  Anschauung  die  Grund- 
lage für  eine  Theorie  der  Piezolektricität,  die  auch  bis  zu  For- 
meln, welche  die  Prüfung  durch  die  Beobachtung  gestatten,  durch- 
geführt worden  ist*") 

Wir  werden  in  dem  Kapitel  über  Elektrostatik  eine  von  spe- 
ziellen Annahmen  über  die  Struktur  der  Dielektrika  freie  Ableitung 
der  Grundgesetze  für  ihre  elektrische  Erregung  mitteilen. 


III.  Kapitel. 

Dynamik  idealer  Flüssigkeiten. 

§  9.     Die  EuiiEB'sclieii  Gleiclituigen. 

Eine  ideale  Flüssigkeit  ist  nach  §  4  eine  solche,  in  der  auch 
bei  der  Bewegung  tangentiale  Druckkomponenten  nicht  zu  stände 
kommen.     Für  diese  gilt  dann,  wie  auf  S.  233,  wegen 

i;  =  ^,  =  j;  =  o, 

auch 

und  die  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (14)  nehmen,  wenn  man 
in  ihnen  die  Geschwindigkeitskomponenten 

dx         ,       dy         t       dx  , 

als  Funktionen  der  Koordinaten  und  der  Zeit  betrachtet,    die  von 
EuLEB^^  angegebene  Form  an 


43) 


du'  (du'    ,      ,du'    ,      ,du'  ,du'\        ,r,       dp 

^'-Ji  =  nöT  +  «  öl^  +  "  öy  +  '"  ö^J  =  -^   -  öl' 

dv'  (dv'         ,dv',      ,dv',      ,dv'\         t^        dp 

<^  dT  =  ?  i^  +  «  ö^  +  "  ö7  +  '"  ötJ  =  -^  -  d  y ' 

dw'  (dw'   .      ,dw'   ,      ,dw'    ,      ,dw'\        rwi       dp 


Die  körperlichen  Kräfte  X*,  T^  Z"  sind  dabei,  wie  in  den  Grund- 
formeln (10)  aus  den  dort  angegebenen  Gründen,  auf  die  Volumen- 
einheit  bezogen;  indessen  hat  es  keine  Bedenken,  durch  die  For- 
meln Z'  =  ()  X,  T  ^  Q  1\  Z"  ^  Q  Z  die  für  die  Masseneinheit  gelten- 
den Komponenten  A',  F,  Z  einzuführen,  weil  bei  Bewegungsvorgängen 
in  der  Praxis  Kräfte,  welche  nicht  mit  den  Massen  proportional 
sind,  wie  z.  B.  elektromagnetische  Wirkungen  auf  Stromleiter,  nur  bei 
nahezu  inkompressibeln  Flüssigkeiten  in  Betracht  kommen;  wo  dann  die 


§  9.    Die  Euler^sehen  hydrodynamisehen  Oleiekungen,  265 


Dichte  Q  als  konstanter  Faktor  geführt  werden  kann;  wir  werden 
demgemäß  auch  bei  den  allgemeinen  Sätzen  die  Eraftkomponenten 
X,  7,  Z  und  eventuell  deren  Potentialfunktion  0  benutzen. 

Die  Dichte  q  wird  meist  als  gegebene  Funktion  des  Druckes  p 
betrachtet,  und  wir  setzen  allgemein 

i  =  ^,    n=f^P;  43') 

bei  inkompressibeln  Flüssigkeiten  ist  q  konstant,  also  11  =  pJq  +  (7, 
worin  die  Konstante  C  beliebig  gleich  Null  gesetzt  werden  kann. 

Eine  letzte  Beziehung  zwischen  den  fünf  Unbekannten  u,  v,  w\ 
/?,  Q  erhält  man  durch  die  Überlegung,  daß  für  jedes  Volumen- 
element die  Differenz  der  Massen  der  in  einem  Zeitelement  ein-  -und 
ausströmenden  Flüssigkeitsmengen  der  in  derselben  Zeit  eintretenden 
Vermehrung  der  Masse  des  Elementes  gleich  sein  muß;  dies  liefert 
die  sogenannte  Kontinuitätsgleichung 

«l«'  +  ^'  +  ^^  +  f!  =  0  43") 

ox  ay  o  X         a  i  ' 

oder 

An  der  Grenze  zwischen  zwei  Flüssigkeiten  (A)  und  (A)  gilt  nach 
(9")  und  (14'") 

(wi  —  MiO  cos  (v,  x)  +  {li  —  vj,)  cos  (v,y)  +  {^Ch  —  »4)  cos  {v,  z)  =  0 ,     44) 

Ph  —  Pk+Phk  =  0,  44') 

unter  v  die  Richtung  einer  Normalen  auf  der  Grenzfläche  und  unter 
Phk  den  in  der  Richtung  von  (A)  nach  (A)  positiv  gerechneten  Grenz- 
druck verstanden;  Pf^j^  wird  in  der  Hydrodynamik  meist  gleich  Null 
gesetzt. 

Die  Grenzbedingungen  (44)  und  (44')  bleiben  gültig  in  einer 
Unstetigkeitsfläche  im  Innern  einer  einzigen  Flüssigkeit,  an  der 
Grenze  zwischen  einer  Flüssigkeit  und  einem  festen  Körper,  endlich 
auch  längs  einer  sogenannten  Eintrittsfläche,  durch  welche  hin- 
durch gegebene  Zuströmungen  stattfinden;  sie  liefern  aber  in  den 
beiden  letzten  Fällen  keine  Bedingungen  für  den  Druck  p. 

An  einer  freien  Oberfläche,  d.  h.  einer  Fläche,  welche  die  Flüs- 
sigkeit gegen  den  leeren  Raum  abgrenzt,  ist  der  äußere  Druck  /?'  =  0; 
dasselbe  muß  dort,  falls  der  Grenzdruck  verschwindet,  auch  für  den 
inneren  Druck/?  gelten.  Grenzt  die  Oberfläche  die  Flüssigkeit  gegen  ein 
Gas  ab,  dessen  Dichte  verschwindend  ist  gegen  diejenige  der  Flüssig- 


266  //.  TetL    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IL  Kap, 


keit,  in  dem  also  p  als  konstant  betrachtet  werden  darf,  so  folgte 
daß  an  dieser  Oberfläche  auch  p  konstant  sein  muß. 

Im  Innern  einer  tropfbaren  Flüssigkeit  können  mit  den  Ko- 
ordinaten stetig  variierende  Geschwindigkeiten  nur  eintreten,  so 
lange  die  Größe  von  p  nicht  unter  einen  gewissen  kleinsten  nega- 
tiven Wert  herabsinkt;  unterschreitet  p  diesen  Wert,  so  tritt  ein 
Zerreißen  der  Flüssigkeit  und  demgemäß  eine  unstetige  Bewegung 
ein;  da  indessen  in  den  Hauptgleichungen  nur  die  Differential- 
quotienten des  Druckes  nach  den  Koordinaten  auftreten,  so  kann 
man  bei  inkompressibeln  Flüssigkeiten,  ohne  die  Art  der  Bewegung 
zu  ändern,  jederzeit  durch  Vergrößerung  aller  äußeren  Drucke  um 
denselben  Betrag  das  Untersclireiten  jenes  Grenzwertes  von  p  inner- 
halb der  Flüssigkeit  unmöglich  machen  und  dadurch  jene  Grenzfälle, 
wo  die  Lösungen  ihre  Geltung  verlieren,  ausschließen.  — 

Da  wir  u,  v\  w  als  Funktionen  der  Koordinaten  und  der  Zeit 
betrachten,  so  ist  durch 

45)  dx:dy:dz  =  u:v:tD 

eine  Kurve  gegeben,  welche  durch  ihre  Tangente  an  jeder  Stelle  und 
zu  jeder  Zeit  die  Sichtung  der  eben  stattfindenden  Geschwindigkeit 
angiebt;  sie  heißt  eine  Stromlinie.  Ist  «',  v,  w\  o,  p  von  der  Zeit 
unabhängig,  also  die  Bewegung,  wie  man  sagt,  stationär,  so  ruhen 
alle  Stromlinien  und  sind  mit  den  Bahnkurven  der  Teilchen  iden- 
tisch, was  im  allgemeinen  Falle  nicht  stattfindet 

Ein  von  lauter  Stromlinien  begrenzter  Faden  heißt  ein  Strom - 
faden;  ist  die  Bewegung  stationär,  so  muß  das  durch  jeden  beliebig 
gelegten  Querschnitt  q  desselben  Stromfadens  in  der  Zeiteinheit 
gehende  Flüssigkeitsquantum 

Q  q  {u'  cos (v, x)  +  V  cos (v, y)  +  w  cos (f , z))  =  Qq  Fcos ( r,  v), 
wo  V  die  Normale  auf  q  und 
45')  V  =  ^u^  +  ü  2  +  Mj'ä 

die  resultierende  Geschwindigkeit  bezeichnet,  denselben  Wert  haben. 
Hieraus  folgt,  daß  ein  Stromfaden  bei  verschwindender  Geschwindig- 
keit sich  über  alle  Grenzen  ausbreitet,  bei  unendlicher  Geschwindig- 
keit sich  zu  einer  Linie  zusammenzieht,  aber  nicht  innerhalb  der 
Flüssigkeit  aufhören  kann.  — 

Wie  die  Geschwindigkeitskomponenten  u\  v\  w\  so  sind  auch 
die  Rotations-  oder  Wirbelkomponenten 

^^^  ^=*te""ölj'  '"=*(ä7-ä^J'  ^=i(ä^-ö^J 


§  9,    Stromlinien  und  Wirbellinien.  267 


im  allgememen  Funktionen  des  Ortes  und  der  Zeit;    demgemäß  ist 

durch 

dx\dy\dzr=il:mxn'  45'") 

eine  Kurve  gegeben,  deren  Tangente  an  jeder  Stelle  in  die  daselbst 
stattfindende  Rotations-  oder  Wifbelaxe  Mit;  eine  solche  Kurve  heißt 
eine  Wirbellinie.  Die  Wirbellinien  behalten  ihre  Lage  unverändert 
nur  dann  bei,  wenn  die  Flüssigkeitsströmung  stationär  ist.  Ein 
Faden,  dessen  Oberfläche  von  Wirbellinien  erfüllt  ist,  wird  ein 
Wirbelfaden  genannt 

Aus  der  Definition  (45')  der  Wirbelkomponenten  folgt  die  iden- 
tische Gleichung 

dV  ■    dm'   ,   Bn'       rx  ^«v 

multipliziert  man  dieselbe  mit  dem  Raumelement  dk  und  integriert 
über  einen  beliebigen  Raum,  innerhalb  dessen  sich  T,  m',  vi  regulär 
verhalten,  so  erhält  man 

/(/cos(v,x)  +  m'c08(if,y)  +  n'co8(v,2:))rfo  =  0,  46') 

wo  do  das  Element  der  Oberfläche  von  k,  und  v  die  Richtung 
seiner  Normalen  bezeichnet 

Bei  Einführung  der  resultierenden  Wirbelgeschwindigkeit 

D  =  yP  +  m'2  +  n'2  *  46") 

kann  man  dafür  auch  schreiben 

/J9cos(i?,i/)rfö  =  0.  46'") 

Wendet  man  diese  Formel  auf  einen  beliebigen  Abschnitt  eines 
Wirbelfadens  an,  so  wird,  weil  die  Mantelfläche  keinen  Anteil  zu  dem 
Integral  giebt,  nur  das  auf  die  Endquerschnitte  bezügliche  übrig 
bleiben.  Das  Resultat  spricht  den  Satz  aus,  daß  längs  desselben 
Wirbelfadens  das  Produkt  q  JD  cos  (2^,  v)  aus  der  Größe  eines  beliebig 
gelegten  Querschnittes  und  der  Komponente  der  Wirbelgeschwindig- 
keit normal  zu  ihm  konstant  ist 

Hieraus  folgt,  daß  ein  Wirbelfaden  innerhalb  der  Flüssigkeit 
nicht  aufhören  kann,  sondern  entweder  von  Oberfläche  zu  Oberfläche, 
oder  in  sich  zurück  verlaufen  muß. 

Erstreckt  man  die  Integrale  über  den  von  einem  geschlossenen 
Wirbelfaden  eingenommenen  Raum,  so  wird 

fldk  =  fm'dk  =.fn'dk==0',  46"") 

denn  man  kann  z.  B.  das  erste  schreiben 

f  DcoB{D,x)qd8  ==  Dqfoos{8,x)d8, 

woraus  die  Richtigkeit  der  gemachten  Bemerkung  sofort  erhellt  — 


268  IL  Teil,    Mechanik  mcktstarrer  Körper,    III,  Kap, 


Zwischen  den  Strömungs-  und  ßotationskomponenten  ergiebt 
sich  ein  bemerkenswerter  rein  kinematischer  Zusammenhang  durch 
Anwendung  des  wiederholt  benützten  STOKEs'schen  Satzes  von  S.  177 
auf  das  Integral  der  Geschwindigkeitskomponente  nach  einer  ge- 
schlossenen Kurve  <t,  welches  man  die  Cirkulation  der  Flüssigkeit 
längs  dieser  Kurve  nennt  ^^). 

Man  erhält  sogleich 

{/  (jl  cos  (<T,  X)  +  V  cos  {fT,  y)  +  W  cos  (<T,  Z))  d  (T 
=  2  f  (J  cos  [Vj  x)  +  m  cos [v, y)  +  .n'  cos  (v,  zfjdm, 

worin  (o  eine  beliebige  durch  die  Kurve  a  begrenzte  Fläche  und  v 
die  Richtung  ihrer  positiven  Normalen  bezeichnet. 

Auf  eine  Kurve  und  eine  Fläche  angewendet,  die  in  der  XT- 
Ebene  liegen,  folgt  daraus 

47')  /  {u  cos  ((T,  x)  +  V  cos  (<T,y))  cf  o*  =  2  //  n'  dx  dy,  — 

Mechanische  Beziehungen  zwischen  Strom-  und  Wirbell inien 
erhält  man  folgendermaßen*®). 

Fügt  man  zu  der  ersten  Gleichung  (43)  auf  der  linken  Seite 
additiv  und  subtraktiv  das  Aggregat 

dx  dx 

hinzu,  so  nimmt  die  Gleichung  bei  Einführung  der  resultierenden 
Geschwindigkeit  V  aus  (45')  die  Form  an: 

oder  anders  geordnet  und  bei  Einführung  der  auf  die  Masseneinheit 
bezogenen  Kraftkomponenten  X,  Z,  Z 

48')  ?i*^  +  2(«'m'  -  «'«')  =  X-  A(/7+  ^V^. 

Haben  die  äußeren  Kräfte  eine  Potentialfunktion  </>,  so  kann  man 
das  ganze  System  (43)  schreiben 

^---  +  2(wm-rn')=--^, 


48") 


—  +  2{vl-um)=-j^, 

worin  <U.+  11+  \V  =  ii  gesetzt  ist. 
Im  Falle  stationärer  Bewegung  ist 

du  ldt  =  dv' jdt^dw  jdt=Q 


§  9.     Wirbelbewegungen.  269 


und  die  Gleichungen  (48")  ergeben  dann  durch  Zusammenfassung  mit 
den  Faktoren  «',  v,  w   resp.  T,  m',  ri 


oa?  öy  ö*  ' 


49) 


Diese  Formeln  sagen  aus,  daß  bei  stationärer  Bewegung  die 
Oberflächen  fl  =  Const.  von  einem  Netz  aus  Stromlinien  und 
Wirbellinien  überzogen  sind.  Ferner  ergeben  sie,  wenn  v  die  Rich- 
tung der  Normalen  auf  diesen  Flächen,  positir  von  kleineren  zu 
größeren  ß  gerechnet,  und  0  den  Winkel  zwischen  Strom-  und 
Wirbellinien  an  einer  Stelle  einer  Fläche  £i  =  Const  bezeichnet: 

~==2FDsm0.  490 

Das  erstere  Resultat  läßt  sich  auch  so  aussprechen,  daß  längs 
jeder  Strom-  und  jeder  Wirbellinie  fl  konstant  ist,  der  konstante 
Wert  aber  im  allgemeinen  von  Linie  zu  Linie  variiert,  und  daß  nur 
diejenigen  Stromlinien  gleichen  Werten  Ü  entsprechen,  welche  durch 
eine  Wirbellinie  verbunden  sind,  und  umgekehrt 

Der  schon  von  Daihiil  BEBNOUiiLi^^  abgeleitete  Satz,  daß  bei 
stationärer  Bewegung  längs  einer  Stromlinie  0  +  ZT  +  ^  F*  konstant 
ist,  ist  hierin  enthalten  und  bildet  die  Grundlage  für  viele  An- 
wendungen. So  liefert  er  für  eine  schwere,  aus  einem  Gefäß  aus- 
fließende Flüssigkeit  das  ToKiCELLi'sche  Theorem  '^),  indem  man  ihn 
auf  eine  Stelle  der  freien  Oberfläche  im  Reservoir  und  auf  die  Ober- 
fläche des  Strahles  an  der  Austrittsstelle  anwendet  Sind  dort  die 
äußeren  Drucke  gleich,  sind  die  Geschwindigkeiten  resp.  gleich  V^ 
und  F^ ,  und  ist  die  Tiefe  der  Öffnung  unter  dem  Spiegel  im  Ge- 
fäß gleich  h,  so  folgt 

2ffh=  Fl«-  ?;^  49") 

wo  nun  Fq^  meist  neben  F^^  vernachlässigt  werden  kann.  — 

Über  Wirbelbewegungen  existieren  einige  allgemeine  Sätze,  die 

man  von  Helmholtz^^  verdankt 

Aus  den  Gleichungen  (43)  kann   man   durch  Elimination   der 

durch  (43')  definierten  Funktion  77  drei  neue  bilden,  die  sich  unter 

Rücksicht  auf  (43'")  folgendermaßen  schreiben  lassen: 

V    7/   ,    i/öY      dZ\      ydu'  ,      ,du'  ,     ,du' 
^dt'  +  ^[-Bx-dy)^^Fi  +  *«  ö-y  +  '^  "ä^  }         50) 

y  du'   ,       ,  d  v'  ,      ,  bvf  /» 


270  //.  na.    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    ni.  Kap. 


Benatzt  man   die   auf  S.  189    gegebene  Zerlegung   der  Eraft- 
komponenten  und  setzt  nach  den  Formeln  (187') 

SO   erhält   man  statt  des  Systems  (50),  indem  man  nur  den  ersten 
der  rechts  stehenden  Werte  benutzt, 


50") 


(7) 


dl-] 


dt  ^ '~^  dx^      dy  ^     dx 

Haben  die  wirkenden  Kräfte  eine  Potentialfunktion,  so  ist 

^  =  M  =  iV=0 

und  die  vorstehenden  Gleichungen  ergeben  in  diesem  Falle,  daß  für 
ein  Flüssigkeitsteilchen,  welches  zu  irgend  einer  Zeit  nicht  rotiert 
d.  h.  verschwindende  /',  m\  ii  besitzt,  /'/(>,  »i'/Pj  '^Vp  konstant,  also 
gleichfalls  dauernd  Null  sind. 

Man  darf  daher  behaupten,  daß  bei  Einwirkung  konservaÜTer 
Kräfte  innerhalb  einer  idealen  Flüssigkeit  Wirbelbewegungen  weder 
entstehen  noch  vergehen  können. 

Ist  die  Bewegung  eine  ebene,  etwa  ti  und  v  von  z  unab- 
hängig und  w  =  0,  so  ergeben  die  Formeln  (50")  spezieller,  daß  dabei 
für  jedes  Flüssigkeitsteilchen  n\^  sich  mit  der  Zeit  nicht  ändert  — 

Wir  betrachten  nun  zwei  Flüssigkeitsteilchen,  die  zur  Zeit  t  die 

Koordinaten  a:,  y,  z  und  x  -\-  Sx^  y  +  8y,  z  -\-  Sz  besitzen  und  auf 

einem  Wirbelfaden  im  Abstand  Ss  liegen;  dann  muß  zu  dieser  Zeit 

gelten : 

-^.  ^  V  bs       ^         m!  bs       ^  n'  ÖS 

51)  ^^  =  -D"'  ^y^~D~'  *^==~Ö~- 

Die  Geschwindigkeitskomponenten  u,  v,  w  und  «'+  Su^  »'+  Sx>\ 
tu'-j-  Sw   stehen  dabei  in  der  Beziehung,  daß 

D  \     ox  dy  axj ' 

ist,  woraus  nach  (50")  auch  folgt 


§  9.     Wirbelbewegungen,  271 


51') 


Wirken  nur  konservative  Kräfte,  so  giebt  dies  wegen 

«./       i^  dx         d  ö  X  /* 

O  M  =  d  —TT  =  --TT-   11«  S.  I. 

dt  dt 

äS.  =  ,'^-ä[L),   äSy^e'iä{"^j,  äS.=  ,'-±ä{^),         51") 

und  hieraus  folgt  flir  die  Werte 

(^:r)j=  Sx  +  dSx,     [dy\=z  Sy  +  dSy ,     (Sz\=^  Sz  +  ddZj 
welche  öx^  Sy,  Sz  zur  Zeit  t+  dt  besitzen,  das  System  Formehi: 

(*4-^('.'+<.^(:-))-<.4.'(7),' 

worin   der  Index   1   wiederum   bezeichnet,   daß   der  Wert   der   be- 
treffenden Größen  zur  Zeit  t  +  dt  zu  nehmen  ist. 
Vorstehende  Gleichungen  geben  das  Resultat 

welches  aussagt,  daß  die  betrachteten  beiden  Flüssigkeitsteilchen  auch 
zur  Zeit  t  +dt  noch  auf  einer  Wirbellinie  liegen,  und  daß  ihr  Ab- 
stand sich  in  demselben  Verhältnis  geändert  hat,  wie  i^/(>,  oder 
aber,  daß  das  Produkt  qSsjD  konstant  geblieben  ist 

Hieraus  folgt  auch,  daß  ein  Wirbelfaden  während  der  Be- 
wegung seinen  Charakter  beibehält;  ein  Abschnitt  desselben  von  der 
Länge  Ss  und  dem  Querschnitt  q  verwandelt  sich  also  während  dt  in 
einen  eben  solchen  von  der  Länge  {S8\  und  dem  Querschnitt  q^  Seine 
Masse  bleibt  dabei  ungeändert,  d.  h.  es  ist  qQSs^{qQSs\,  und 
da  gleichzeitig  qSs/D  ^^^  {qSsID\  ist,  so  folgt,  daß  das  Pro- 
dukt qJD  aus  Querschnitt  und  Rotationsgeschwindigkeit  f)ir  einen 
Abschnitt  eines  Wirbelfadens  bei  dessen  Bewegung  konstant  ist. 

Da  überdies  nach  S.  267  das  Produkt  qJD  längs  desselben 
Wirbelfadens  stets  konstant  ist,  so  kann  man  dasselbe  als  einen  Para- 
meter betrachten,  der  einen  bestimmten  Wirbelfaden  ein  für  allemal 
charakterisiert 


272  IL  TeiL     Mechanik  ni^chtstarrer  Körper .    III,  Kap. 


§  10.  Fotentialbeweg^geii,  begrenzt  durch  feste  und  bewegte  Wände. 

Haben  die  äußeren  Kräfte  X,  f,  Z  eine  Potentialfunktion  0, 
so  ist  eine  partikuläre  Lösung  der  allgemeinen  Gleichungen  (43) 
gegeben  durch  ^^ 

wo  F,  das  öeschwindigkeitspotential,  eine  stetige  Funktion  der 
Zeit  und  der  Koordinaten  sein  muß,  aber  in  mehrfach  zusammen- 
hängenden Räumen  vieldeutig  sein  darf,  wenn  nur  seine  Differential- 
quotienten eindeutig  sind. 

Diese  Lösung  ist  die  vollständige,  wenn  die  Geschwindigkeiten 
so  klein  sind,  daß  man  in  (43)  die  Glieder,  welche  die  Produkte  der 
Geschwindigkeitskomponenten  enthalten,  neben  den  übrigen  vernach- 
lässigen kann.  Hier  ist  dann  speziell  dFjdt^  T  —  {}U  +  IT),  wo 
T  eine  Funktion  von  t  allein  bedeutet,  also,  falls  F*  eine  Funktion 
der  Koordinaten  allein  bezeichnet, 

52')  F  =  f{T-^(t}-n)dt  +  r. 

Die  Formeln  (52)  stellen  eine  Bewegung  dar,  welche  stets  und 
überall  parallel  der  Normale  JV  auf  den  Oberflächen  F=  Const  statt- 
findet und  zwar  mit  einer  Geschwindigkeit 

Die  Bedingungen  für  die  Existenz  eines  Geschwindigkeits- 
potentiales  sind 

dfp'        dv'  ^  dti  dw'___dv'        ^  ^'  _  n 

dy         d  X        d  X         d  X         d  x         d  y 

d.  h. 

r=m'=?i'=0; 

sie  zeigen,   daß  eine    wirbellose  Bewegung   eine   Potentialbewegung 
ist,  und  umgekehrt 

Unter  Berücksichtigung  dieser  Resultate  folgt  allgemein  aus  den 
drei  Gleichungen  (48"),  daß 

52")  ^f^+ii=T 

d.  h.  eine  Funktion  der  Zeit  allein,  im  Falle  stationärer  Bewegung 
aber  spezieller,  daß 

52"')  ß=  0  +  n+\r''=c 


§  10.    PotetUiaibewegungen  oßme  freie  Ober  fläche.  273 

d.  h.  im  ganzen  Ton  der  Flüssigkeit  erfüllten  Baum  konstant 
sein  muß. 

Die  Formeln  (52")  resp.  (52'")  enthalten  neben  dem  Geschwindig- 
keitspotential noch  die  Funktion  11  und  durch  sie  den  Druck  /?;  wo 
p  vorgeschrieben  ist,  liefern  sie  also  eine  Bedingung  für  F,  wo  das 
nicht  der  Fall  ist,  eine  solche  für  p.  Ersteres  findet  an  sogenannten 
freien  Oberflächen  statt,  letzteres  an  Flächen,  wo  dFjdv  gegeben 
ist,  z.  B.  an  festen  Körpern.  Wir  beschränken  uns  zunächst  auf  den 
letzteren  Fall,  es  kommen  also  jene  Formeln  bei  der  Bestimmung 
von  F  für  uns  zunächst  nicht  in  Betracht.  — 

Die  Kontinuitätsgleichung  (43")  wird  bei  Einführung  der  Lösungen 
(49)  zu 

^^+7^  =  0  53) 

oder 

d(dF\,d(dF\,d(dF\^dQ       ^  .„ . 

und  die  Bedingung  an  den  Oberflächen,  wo  die  Geschwindigkeits- 
k'omponente  v   nach  der  Normalen  v  vorgeschrieben  ist,  zu 

^  =  v' .  53") 

Diese  Oberflächen  können  durch  starre,  aber  irgendwie  bewegte 
Wände  gebildet  werden,  sie  können  aber  auch  beliebige  Ausströmungs- 
oder Einströmungsfiächen  sein,  die  nur  für  die  Betrachtung  gezogen 
werden,  weil  in  ihnen  die  Normalgeschwindigkeit  gegeben  ist,  die 
aber  die  Flüssigkeit  nicht  wirklich  begrenzen. 

Ändert  sich  die  Dichte  jedes  Flüssigkeitsteilchens  während  der 
Bewegung  nicht,  d.  h.,  ist  dgldt=0,  etwa  weil  die  Flüssigkeit 
überhaupt  inkompressibel  ist,  so  lautet  die  Gleichung  (53) 

Ai'=0,  53"') 

und  sie  bestimmt  mit  (53")  nach  S.  181  die  Funktion  F  in  ihrer 
Abhängigkeit  von  x,  t/,  z  und  t  bis  auf  eine  additive  Funktion  der 
Zeit  vollständig,  falls  v'  für  die  ganze  Umgrenzung  der  Flüssigkeit 
gegeben  ist  und  letztere  vollständig  im  Endlichen  liegt. 

Gleiches  gilt  nach  S.  183  für  eine  unendliche  Flüssigkeit,  wenn 
die  Oberflächen,  längs  deren  dFjdv  gegeben  ist,  vollständig  im 
Endlichen  liegen;  gleiches  auch,  wenn  sie,  wie  etwa  eine  unendliche 
Ebene,  sich  zwar  ins  Unendliche  erstrecken,  dort  aber  dFjdv  von 
mindestens  zweiter  Ordnung  unendlich  klein  wird,  so  daß  jedenfalls 
das  Integral  fdo{dFjdv),  über  sie  alle  ausgedehnt,  endlich  ist. 

VoiOT,  Theoretische  Phjrnik.  18 


274  IL  Teil.     Mechanik  niehtsiarrer  Körper,    IIL-  Kap. 


Die  Bestimmung  von  F  kann  dann  nach  8.  185  mit  Hilfe  der 
zweiten  ÖREEN'schen  Funktion  G^  geschehen. 

Versteht  man  nämlich  unter  G^  eine  innerhalb  des  zunächst 
als  einfach  zusammenhängend  gedachten  Raumes  k  eindeutige  und 
stetige  Funktion,  welche  der  Hauptgleichung  A  G^^  0  genügt  und 
an  der  Oberfläche  die  Bedingung 

7^ 


6  Ö,  ,  r 

=  c  — 


d  y  d  y 

erfüllt,  wo  r  die  Entfernung  von  einem  Punkte  o,  b,  c  der  Flüssig- 
keit, V  die  innere  Normale  bezeichnet,  so  ist  jederzeit 


54)  /-.,.=  __L/4f(ö,+  ^)rf.  +  C. 

Ist  dabei  die  Flüssigkeit  von  den  Wänden,  längs  deren  d  Fjdv 
gegeben  ist,  vollständig  begrenzt,  so  muß  für  sie  gelten 

■ 

ist  dies  nicht  der  Fall,  sondern  erstreckt  sich  die  Flüssigkeit  ias 
Unendliche,  so  kommt  diese  Bedingung  in  Wegfall. 

Ist  der  von  der  Flüssigkeit  begrenzte  Raum  mehrfach  zusam- 
menhängend, z.  B.  von  ringförmiger  Gestalt,  so  genügen  die  bis- 
herigen Angaben  nicht  mehr,  um  F  zu  bestimmen,  da  in  diesem 
Falle  daQ  Potential  mehrwertig  sein  kann;  sie  sind  dann  durch  die 
Festsetzung  der  Potentialsprünge  zu  ergänzen,  die  an  den  Hilfs- 
querschnitten stattfinden,  durch  welche  der  Raum  in  einen  einfach 
zusammenhängenden  verwandelt  werden  kann.  Diese  Potentialsprünge 
entsprechen  Cirkulationen  in  den  bezüglichen  ringförmigen  Bereichen, 
welche  unabhängig  von  der  Bewegung  der  Oberflächenelemente  von 
k  vorgeschrieben  werden  können.  Die  Methode  zur  Bestimmung  von 
F  giebt  in  diesen  FäUen  die  Formel  (182")  des  ersten  Teiles  an.  — 

Ein  spezieller  Fall  ist  der,  daß  die  Begrenzung  der  Flüssigkeit 
durch  ruhende  feste  Wände  gebildet  wird  und  nur  durch  ge^en 
deren  Gesamtdimensionen  kleine  Öffnungen  y,^  in  den  Wänden,  die 
wir  Quellen  nennen  wollen,  Flüssigkeit  zu-  oder  abströmt^). 

In  diesem  Falle  ist  G^  +  (1  /r)  längs  jeder  dieser  Offiiungen  als 
konstant  anzusehen,  so  lange  der  betrachtete  Punkt  a,  &,  c  sich  in 
endlicher  Entfernung  von  ihr  befindet;  die  Formel  (54)  nimmt  hier 
also  die  Gestalt  an 

54V  F=--]^^2:q,[G,  +  \)+2:c,, 


§  10,     Potentialbewegungen  ohne  freie  Oberfläche.  275 


wonn 


die  in  der  Zeiteinheit  durch  die  Oifiiung  q^   zuströmende  Flüssig- 
keitsmenge die  Ergiebigkeit  der  Quelle  bezeichnet 

Für  den  Halbraum  ist  G^  gleich  der  reziproken  Entfernung  1/r' 
von  dem  Spiegelpunkt  der  untersuchten  Stelle  in  Bezug  auf  die 
begrenzende  Ebene;  daher  wird  in  der  Oberfläche  (zg  =  1/r  und 
demgemäß  bei  beliebigem  dFjdv 

2nJ    dv    r     ^       ^ 

was  sich  in  dem  zuletzt  betrachteten  speziellen  Falle  verwandelt  in 

Von  besonderem  —  allerdings  mehr  theoretischen  als  prak- 
tischen —  Interesse  sind  weiter  die  Fälle,  daß  die  Zuströmung  und 
Abströmung  von  Flüssigkeit  durch  unendlich  kleine  geschlossene 
Oberflächen  o^  im  Innern  des  erfüllten  Raumes,  je  von  den  Er- 
giebigkeiten Qj^,  stattfindet;  wenn  dabei  im  übrigen  die  Begrenzung 
nur  durch  feste  Wände  gebildet  ist,  so  muß  -SQ^^O,  d.  h.  die 
durch  diese  Quellen  zu-  und  abströmende  Flüssigkeitsmenge,  gleich 
groß  sein;  dies  ist  nicht  erforderlich,  wenn  sich  die  Flüssigkeit  ins 
Unendliche  erstreckt. 

Ist  die  Flüssigkeit  nach  aUen  Seiten  unbegrenzt,  und  liegen 
alle  Quellen  im  Endlichen,  so  ist  G^  =  Const,  denn  der  Ansatz 

p  - .^_  s;Sh 

^0-         4nQ-r^ 

gentigt  hier  für  sich  allein   schon   allen  Bedingungen;   ist  dagegen 
eine  feste  Begrenzung  gegeben,  so  kann  man 

F^F,  +  F, 
und 

^i  =  +  Ä/W(^«  +  7)''''  +  ^  5^'") 

setzen,   um  mit  Hilfe  von  G^  die  Grenzbedingung  dF  j  dv  ^Q   zu 
erfüllen. 

In  den  FäUen,  wo  die  Begrenzung  nur  diLrch  feste  Ebenen  ge- 
bildet wird,  kann  man  die  Funktion  /\  als  NEWTON'sches  Potential 
von  mit  Q,JA:nQ  gleichen  oder  entgegengesetzten  und  in  den  Spiegel- 
punkten   der  Quellen   angebrachten  Massen   immer   dann   erhalten, 

18* 


276  IL  Teü.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.     III.  Kap. 


wenn  diejenigen  Spiegelpunkte,  welche  in  den  von  Flüssigkeit  er- 
füllten Raum  k  fallen,  ausschließlich  in  den  Quellen  selbst  liegen. 
Dies  findet  u.  a.  statt  beim  Halbraum,  bei  einer  von  parallelen  Ebeneu 
begrenzten  Schicht,  bei  dem  rechteckigen  oder  gleichseitig  drei- 
eckigen Prisma,  bei  dem  Keil  von  der  Öffnung  nja,  wo  cc  eine 
ganze  Zahl  ist.  In  ähnlicher  Weise  kann  für  diese  Räume  G^  ge- 
bildet werden. 

Die  Betrachtung  gestattet  die  Ausdehnung  auf  ebene  Bewegungen, 
und  es  lassen  sich  hier  auch  Begrenzungen  in  Kreisbogen  durch 
die  Methode  der  Spiegelpunkte  behandeln. 

Ebene  Strömungen  sind  im  allgemeinen  leichter  zu  behandeln, 
als  räumliche,  weil  partikuläre  Integrale  der  Hauptgleichung  für  das 
Geschwindigkeitspotential 

sowohl  durch  den  reellen,  als  den  imaginären  Teil  einer  jeden 
Funktion  von  x  +  iy  geliefert  werden. 

Setzt  man  F  +  iS  =  f{x  +  iy),  so  ist  wegen 

ÖF^  d_S       dF^  _d_S 
d X        d y  ^      dy  d x 

die  Gleichung  der  Stromkurven 

dF    dF       ,      j 

ox     dy  ^ 

allgemein  integrabel  und  liefert 

55')  S  =  Const. ; 

S  führt  deshalb  den  Namen  der  Strömungsfunktion.    Längs  fester 

Grenzen  muß  die  Strömungsfunktion  konstant  sein.  — 

Vorstehendes  liefert  eine  erste  physikalische  Deutung  der  Funk- 
tion 6^3  oder,  noch  bequemer,  der  S.  187  aus  ihr  abgeleiteten 

^3  =  ^'2  +  7  -  7 
für  einen  allseitig  begrenzten  Raum  k.  Denn  da  im  Innern  von  k 
Ar^  =  0  und  da  an  der  Oberfläche  dF^ldv  ==  0  sein  soll,  so  läßt 
r^  sich  jederzeit  auffassen  als  das  Geschwindigkeitspotential  der 
stationären  Bewegung,  welche,  von  zwei  Quellen  in  a,  b,  c  und  a\  b\  c 
von  den  Ergiebigkeiten  ±4;r(>  ausgehend,  in  dem  mit  inkompres- 
sibler,  reibungsloser  Flüssigkeit  erfüllten  und  von  festen  ruhenden 
Wänden  begrenzten  Raum  k  stattfindet. 

Da  eine  solche  Bewegung  innerhalb  jedes  beliebig  gestalteten 
Bereiches  möglich  ist,  so  kann  man  daraus  schließen,  daß  sich  8t«tä 
eine  Funktion  F^  diesen  Bedingungen  entsprechend  bestimmen  lassen 


§  10,     Poientialhewegungen  ohne  freie  Oberfläche, 


277 


muß.  Dieselbe  Schlußweise  läßt  sich  in  Bezug  auf  ebene  Bewegungen 
und  die  ihnen  entsprechende  zweite  GnEEN'sche  Funktion  CP^  resp. 
die  daraus  abgeleitete  /^  =  (?!,  +  l{e)  —  l{e)  anwenden.  — 

Besitzt  die  Flüssigkeit  keine  freie  Oberfläche,  so  sind  alle  zur 
Bestimmung  von  F  dienenden  Gleichungen  in  dieser  Größe  linear; 
hierauf  beruht,  daß  man  in  dem  speziellen  Falle,  daß  die  Begren- 
zung der  Flüssigkeit  durch  die  Oberfläche  eines  starren,  beliebig 
bewegten  Körpers  gebildet  wird,  das  Geschwindigkeitspotential  in 
einer  bemerkenswerten  Weise  in  Teile  zerlegen  kann.**)  Wir  be- 
schicken uns  bei  dieser  Betrachtung  wieder  auf  unveränderliche 
Dichte  p,  resp.  inkompressible  Flüssigkeiten. 

Sind  j',  ^',  5'  die  Komponenten  der  Lineargeschwindigkeit  eines 
in  dem  starren  Körper  festen  Punktes  f,  ^,  j,  und  sind  T,  m',  n'  die- 
jenigen seiner  Rotationsgeschwindigkeit  um  Parallele  3E,  ^,  3  zu  den 
absolut  festen  Axen  X,  Y^  Z  durch  diesen  Punkt,  so  kann  man  setzen 


F-i^F^  +  ti'F^  +  j;F^  +  {'P^  +  m'F,  +  n'F^, 
wo  nun  wegen  /S^^y^F^O  und 

J^—  (j'  +  (^-  J)  m'  -  (y  -  9) n')  cos (n,  x) 
+  (9'  +  (^-  J)n   -  (z  -  j)r)  cos(n,y) 

+  (j'  +  (y  —  9)  1'  -  (*  - 1)^')  cos  (n,  z) 
die  F^  sämtlich  der  Hauptgleichung 

A.,.  ^»  =  0 
und  aoBerdem  den  speziellen  Bandbedingungen 


56) 


56') 


57) 


U  =C08(n,a:), 
g^  =  cos(n,y), 


a  ri  

:ö^  =  (y  -  9)cos(n,z)  -  (r  -  a)cos(n,y), 


bF, 


5^'  ==  (^  -  J)  cos(n,a:)  -  (x  -  f)cos  (n,z). 


^  =  (ar  -  j)cos(7i,y)  -  (y-  9)cos(n,  jr) 


570 


--—■  =s  cos(n,z), 

genügen  müssen. 

Da  die  Lage  der  Oberfläche  gegen  das  absolut  feste  System 
X,  y,  Z  wechselt,  und  da  die  Bedingungen  (57')  an  dieser  Oberfläche 
erfüllt  sein  müssen,  so  sind  die  Fy^  Funktionen  außer  von  den  Koordi- 
naten X,  y,  X  der  betrachteten  Stelle  in  der  Flüssigkeit  noch  von  der 
Gestalt  und  der  Lage  des  Körpers  abhängig;  sie  sind  aber  unab- 
hängig von  seinen  Translations-  und  Botationsgeschwindigkeiten. 

Die  vorstehende  Zerlegung  läßt  sich  ohne  Abänderung  auch 
auf  den  Fall  übertragen,  daß  sich  mehrere  starre  Körper  in  der 
Flüssigkeit  bewegen,   und  jederzeit  sind  die  F^^  dann  eindeutig  be- 


278  //.  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    II I.  Kap. 


Stimmt,  wenn  man  sie  den  obigen  Bedingungen  unterwirft  und 
außerdem  noch  festsetzt,  daß  sie  eindeutige  und  stetige  Funktionen 
der  Koordinaten  sind,  die  im  Unendlichen  verschwinden. 

Wird  nur  ein  starrer  Körper,  innerhalb  der  Flüssigkeit  bewegt, 
so  kann  man  den  ganzen  Vorgang  auch  auf  ein  in  ihm  festes 
Koordinatensystem  A,  B,  C  beziehen.  Für  eine  Stelle  o,  b,  c  der 
Flüssigkeit  sind  dann  dFjda,  dF/db,  dFjdc  nach  wie  vor  die 
absoluten  Geschwindigkeitskomponenten,  nur  genommen  nach  den 
bewegten  Axen,  und  die  Funktion  F  folgt  noch  derselben  Gleichung 

58)  Aa6c^=0, 

da  sie  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  nicht  enthält 

Bezeichnet  man  mit  a',  5',  c'  die  Geschwindigkeitskomponenten 
des  im  Anfang  des  Systems  A,  B,  C  befindlichen  Punktes  des  Kör- 
pers, mit  p',  q',  r'  die  Rotationskomponenten  des  Körpers,  beide  auf 
das  System  A,  B,  C bezogen,  so  sind  (a'  +  cq'  —  Ar'),  (b'  +  ar'  —  c\)% 
(c'  +  Äp'  —  aq')  die  absoluten  Geschwindigkeitskomponenten  des  Punk- 
tes a,  b,  c  des  Körpers  nach  den  Axen  A,  B,  C,  und  die  Oberflächen- 
bedingung lautet 

iß  -p 
—  =  (a'H-  cq'-  ^r')cos(n,a)  +  (b'-f-  a r' —  c p') cos (n, *) 
-h  (c'  -f  Ä  p'  —  a  q')  cos  (w,  c) . 
Man  kann  daher  auch  hier  zerlegen 
58")  i^=  a'g,  +  b'5,  +  c'53  +  p'g,  -f  q'S,  +  r'g, 

und  für  die  g^  analoge  Formeln  aufstellen,  wie  (57)  und  (57');  diese 
Funktionen  g^  sind  hier  aber,  da  die  Lage  des  starren  Körpers 
gegen  das  System  A,  B,  C  unveränderlich  ist,  nur  von  der  Gestalt  des 
Körpers  abhängig.  — 

Nach  den  vorstehenden  Entwickelungen  ist  die  lebendige  Kraft 
W  eines  Systems  von  starren  Körpern  und  der  Flüssigkeit,  innerhalb 
deren  sie  sich  bewegen,  eine  homogene  Funktion  zweiten  Grades  der 
Geschwindigkeiten  j ,  xf,  5',  T,  m',  11'  resp.  a',  b',  c',  p',  q',  r'  dieser 
Körper,  welche  vollständig,  bekannt  ist,  wenn  die  vorstehenden  Glei- 
chungen für  das  betrachtete  System  integriert  sind.  Hierauf  beruht 
die  Möglichkeit,  die  Gesetze  der  Bewegung  eines  solchen  zusammen- 
gesetzten Systems  unter  der  Wirkung  gegebener  äußerer  Kräfte  aus 
der  HAMiLTON'schen  Gleichung  abzuleiten.^®) 

Nach  der  Gleichung  (99)  des  ersten  Teiles  ergiebt  sich  hier 


§10,    Bewegimg  st  irrer  Körper  in  einer  Flüssigkeit  279 

'  ■  —  ■ 

wobei  das  Integral  links  über  Körper  und  Flüssigkeit  ausgedehnt  ist 
Für  die  starren  Körper  kann  man  die  virtuellen  Verrückungen  be- 
liebig vorschreiben,  auch  so,  daß  sie  für  ^  =  f^  und  t^  t^  verschwinden. 
Durch  sie  bestimmen  sich  die  virtuellen  Verrückungen  für  alle  Teile 
der  Flüssigkeit,  wenn  man  denselben  noch  die  Bedingungen  auf- 
erlegt, daß  sie  für  t  =  t^  verschwinden,  und  daß  die  durch  sie  mo- 
difizierte Bewegung  der  Flüssigkeit  wieder  eine  Potentialbewegung 
ist.  Damit  sind  dann  jene  Variationen  auch  für  t  ^  t^  bestimmt, 
aber  nicht  notwendig  gleich  Null. 

Trotzdem  verschwindet  an  der  oberen  Grenze  der  auf  die 
Flüssigkeit  bezogeue  Teil  des  Integrals  auf  der  linken  Seite  der 
Gleichung  (59);  denn  er  läßt  sich  schreiben 


=  e/^( 


Sx  cos  (n,  x)  +  Sy  cos  (n, y)  +  Sz  cos  (n,  z))  do 

/■al  ddx    ,     ddp    .     ddx  \   ,, 


und  beide  Integrale  verschwinden:  das  Raumintegral  wegen  der 
Inkompressibilitätsbedingung;  das  Oberflächenintegral,  soweit  es  sich 
auf  die  Grenzen  der  starren  Körper  bezieht,  weil  sich  durch  die 
für  sie  zur  Zeit  t  =^  t^  geltenden  Werte  Sx  =^  Sy  =^  dz  ^  0  die 
Normalkomponente  der  Verrückung  der  anliegenden  Flüssigkeitsteil- 
chen ebenfalls  zu  Null  bestimmt;  soweit  es  sich  auf  die  unendlich 
fernen  Teile  bezieht,  weil  nach  den  Betrachtungen  auf  Seite  184 
durch  Bewegungen  der  betrachteten  Art  im  EndUchen  für  unendlich 
ferne  Punkte  nur  solche  von  zweiter  Ordnung  hervorgerufen  werden. 
Demgemäß  gilt  auch  im  vorliegenden  Fall 

f{SW+S'jrjdt=:0.  59') 

Co 

Die  Arbeit  S'A  wird  teils  an  den  starren  Körpern,  teils  an  der 
Flüssigkeit  geleistet  und  möge  daher  in  S'Ajc  +  S^Af  zerlegt  werden. 
SoU  ein  Geschwindigkeitspotential  existieren,  so  müssen  die  auf  die 
Flüssigkeit  wirkenden  Kräfte  konservativ  sein.  Die  Arbeit  solcher 
Kräfte  würde,  wenn  der  ganze  Raum  von  homogener  Flüssigkeit 
erfüllt  wäre,  bei  jeder  Bewegung,  welche  die  äußere  Begrenzung 
nicht  verändert,  verschwinden.  Hieraus  folgt,  daß  die  faktisch  an 
der  Flüssigkeit  geleistete  Arbeit  S'Af  das  Entgegengesetzte  ist  von 
der  S^A'icj  welche  an  den  starren  Körpern  durch  dieselben  Kräfte 


280  //.   Tnl,     Mechanik  ndehUtarrer  Korper.    III.  Kap. 

geleistet  werden  würde,  wenn  ihre  Dichte  gleich  derjenigen  der 
Flüssigkeit  wäre.    Man  kann  demgemäß 

setzen  und  behaupten,  daß  sowohl  S  V,  wie  S^A  nur  von  der  Gestalt, 
Massenverteilung,  Lage  und  Bewegung  der  starren  Körper  abhängen. 
Bezeichnet  man  die  Potentialfunktion  der  wirkenden  Kraft  mit 
4>,  so  ist  nach  dem  Gesagten 

worin  (>k,  die  Dichte  der  festen  Körper,  mit  dk  yariieren  kann,  Qf,  die 
Dichte  der  Flüssigkeit,  aber  konstant  ist  • 

Die  HAMiLTON'sche  Gleichung  läßt  sich  weiter  vollständig  so 
entwickeln,  wie  das  auf  S.  107  angedeutet  ist,  und  filhrt,  wenn  es 
sich  um  die  Bewegung  nur  eines  Körpers  in  einer  unendlichen  und 
im  unendlichen  ruhenden  Flüssigkeit  handelt,  bei  Benutzung  des 
im  Körper  festen  Systemes  J,  B,  C  auf  die  Formeln  (182)  und  (132') 
des  ersten  Teiles  zurück. 

Den  Wert  der  lebendigen  Ejraft  W  zu  bestimmen  muß  man, 
wie  oben  gesagt,  im  allgemeinen  das  Strömungsproblem,  das  durch 
die  Formeln  (53)  und  (53")  definiert  ist,  gelöst  haben;  in  dem  Fall, 
daß  ein  einziger  Körper  vorhanden  ist,  welcher  Symmetrieelemente 
besitzt,  kann  man,  wenn  die  Bewegung  auf  ein  in  ihm  festes  System 
Jj  S,  C  bezogen  wird,  wenigstens  die  Form  von  W  bestimmen,  ohne 
jene  Vorbedingung  zu  erfüllen. 

Den  allgemeinen  Wert  W  der  lebendigen  Kraft  können  wir 
nämlich  definieren  durch 

+  c'(a3ia'+  «336'+  .  .  .) 

+ 

worin  die  a^jc,  welche  beiläufig  der  Beziehung  0^^  =  0^^  genügen, 
nur  von  der  Gestalt  und  der  Massenverteilung  des  Körpers  abhängen. 
Denn  V^  setzt  sich  zusammen  aus  der  lebendigen  Kraft  des  starren 
Körpers,  welche  von  dessen  Parametern  nur  solche  enthält,  die  sich 
durch  seine  Massenverteilung  bestimmen  (nach  S.  100  nämlich  m, 
a,  ß,  y,  Aj  B,  F,  A\  B\  /")  und  aus  derjenigen  der  Flüssigkeit, 
deren  Parameter  nach  dem  zu  (58")  Gesagten  nur  von  der  Gestalt 
des  Körpers  abhängen. 

Fallen  nun  die  Symmetrieelemente  beider  zusammen,  was  z.  B. 
stets  stattfindet,  wenn  der  starre  Körper  homogen  ist,  so  kann  man 


60) 


§  10,    Bewegung  eiarrer  Körper  in  einer  Fliiesigkeit,  281 


schließen,  daS  nach  gleichwertigen  Richtungen  gleiche  Translations- 
oder Sotationsgeschwindigkeiten  des  Körpers  auch  gleiche  Werte 
der  gesamten  lebendigen  Ejraft  ergeben.  Hiemach  muß  W  eine 
skalare  Funktion  der  zweimal  drei  Yektorkomponenten  q',  b',  c'  und 
p',  q\  x'  sein,  welche  die  Symmetrie  des  starren  Körpers  besitzt  und 
nach  den  in  §  17  des  ersten  Teiles  gegebenen  allgemeinen  Grund- 
sätzen für  spezielle  Fälle  spezialisiert  werden  kann'^. 

Um  dies  auszuführen,  zerlegen  wir  den  Ausdruck  (60)  nach 
dem  Schema 

2«P=  «Pi  +  2«P,+  V3, 
worin 

*i  =  ö'Kitt'  +  a^^^'+  OisO  +  6' Kitt'  +  a„b'  +  o^jC') 

+  c'(a5i0'+a„b'+a33  0, 
%  =  tt'(a,,p'  +  a^^d  +  a,er')  +  b'(fl^p'  +  a,,q'  +  o^^rO 

+  c'Coj^p'+OBjq'+ajer'), 

+  r'{fle4p'+ae6<^'+«660- 

Jede  dieser  drei  I\mktionen  hat  den  Typus  11,  der  auf  Seite  137 
behandelt  ist 

Ist  die  Z'Axe  in  Bezug  auf  die  Gestalt  und  Massenverteilung 
des  Körpers  eine  Symmetrieaxe  Ton  höherer  Zähligkeit,  als  zwei, 
so  reduzieren  sich  hiemach  diese  Ausdrücke  auf 


60') 


Ist  femer  die  positiTe  und  die  negative  Drehungsrichtung  um  die 
Eoordinatenaxen  oder  die  positive  und  negative  Yerschiebungsrichtung 
ihnen  parallel  gleichwertig,  so  muß  V^  verschwinden,  und  es 
resultiert 

W=a,^  (a'«  +  V)  +  a„  c'' +  a^{p'*  +  q'*)  +  a^  t'».  60") 

Dieser  Ausdruck  gilt  unter  anderem  für  eine  vier-  oder  sechsseitige 
Pyramide,  für  ein  analoges  Prisma,  für  einen  beliebigen  Botations- 
körper,  sämtlich  mit  homogener  Dichte  erfüllt  gedacht 

Sind   alle   drei   Koordinatenaxen    gleichwertig,    so    wird    noch 
spezieller  a^  =  a^^ ,  a^^  =  a^. 


282  IL  Teil,    Mechanik  niehisiarrer  Körper,    III.  Kap. 


§11.     Allgemeinste  Flnssigkeitsbewegnngen  ohne  freie  Oberfläche. 

Wendet  man  die  Resultate  der  in  §  23  des  I.  Teiles  allgemein 
durchgefiihrten  Zerlegung  von  Yektorkomponenten  auf  die  Geschwin- 
digkeitskomponenten u',  V,  u!  an,  so  erhält  man  folgendes  Resultat 

Innerhalb  eines  beliebig  begrenzten  Raumes  k  lassen  sich  stetige 
Geschwindigkeitskomponenten  jederzeit  darstellen  in  der  Form 


61) 


wobei 


~'  bx         by         ö*  ' 

.  _bF        BU       dW 
^  ""  dy   "^  dx         dx  ' 

fy=  —  +  —  —  -~ 

""  dx         dx         dy  ^ 

^        dU    ,    dV    ,    dW 


Diese  Zerlegung  ist,  vorausgesetzt,  daß  man  Anteile  an  F,  V]  F,  W\ 
welche  sich  in  dem  obigen  System  rechts  herausheben,  außer  Be- 
tracht läßt,  eindeutig  bestimmt,  wenn  man  F  die  Oberflächen- 
bedingung auferlegt,  daß 


fxjp  

61')  -^—  =  m'cos  (v,  x)  +  V  cos  (v,y)  +  tr'cos  [vj  z)  =*  v\ 

Aus  dem  Ansatz  (61)  folgt  unter  Benutzung  von  (43'") 

außerdem 

61'")  A?7=-2/',     Ar=-2m',     A^'=-2n'. 

Man  kann  daher  für  F,  U,  T,  W  folgende  Werte  bilden: 

worin  F^  durch  die  Gleichung 

62')  Ai^o  =  0 

und  die  Bedingung  (61')  bestimmt  ist; 

^^>      ^--d^--d^^     '-TF'TT'     '*'~~SV~'d^' 
worin 

ß2'"\   J  ^^^  \  ox  )i    r    ^  4nJ  \  oy  ji   r 

4nJ   \  ax  Ji    r 


§  11,    Allgemeinste  Strömungen  ohne  freie-  Oberfläcke,  283 


Erstreckt  sich  die  Flüssigkeit  ins  unendliche,  so  kommt  nach 
S.  191  für  die  unendlich  ferne  Begrenzung  die  Gleichung  (61')  als 
Bedingung  für  F  resp.  Fq  in  Wegfall,  und  die  Bestimmung  der 
Funktionen  F^  U,  F,  W  hört  auf,  eindeutig  zu  sein,  ausgenommen 
den  Fall,  daß  dgjodt  im  Unendlichen  verschwindet  und  f(dQlQdt)dk, 
über  den  ganzen  Raum,  ^fvj^dOf^,  über  etwaige  im  Endlichen 
liegende  geschlossene  Begrenzungsflächen  o^^  erstreckt,  endlich  ist. 
Fehlen  die  Grenzflächen  o^,  was  wir  weiter  zunächst  voraussetzen 
wollen,  so  ist  F^  gleich  Null;  ändert  sich  überdies  für  das  einzelne 
Teilchen  die  Dichte  o  mit  der  Zeit  nicht,  ist  etwa  die  Flüssigkeit 
inkompressibel,  so  ist  auch  F=0,  und  man  kann  ohne  Beschränkung 
der  Allgemeinheit  setzen 

.     dW      dV      .      du      dW       ,      dV      du  ßQ, 

dy         ox  '  ox        o X  ^  ox        oy  ' 

wobei 

dx        dy^        "  d  X        dx  ^         '~  dy       dx 
und 


dkl 


^j^_    1     f<dk,      ^^         1     rv{dk,      j.^         1     ru;iä 

ist 

Man  erhält  hier  durch  Kombination  der  letzten  Gleichungen 


63') 


U 


=  4^J  («"i  cos  (vj,  y)  -  »i  cos  (»1,  z))  -^ 

1     Cldtc,       dv,\  dk,  p 


63") 


worin  v^  die  innere  Normale  auf  do^^  bezeichnet,  und,  wenn  das  auf  die 
unendliche  Begrenzung  bezogene  Oberflächenintegral  verschwindet,  ^®) 

2nJ       r     '  2nJ         r        ^  2nJ         r        '  ' 

Es  ist  von  Interesse,  daß  eine  der  vorstehenden  analoge  Zer- 
legung auch  bei  Bewegungen  mit  wechselnden  Dichtigkeiten  an- 
wendbar ist,  soweit  jene  stationär  sind. 

Denn  die  Gleichung  (43")  lautet  in  diesem  Falle 

!^  +  öl^  +  ^'  =  0,  64) 

dx  dy  dx  '  ' 

man  kann  also   für  Strömungen  in  einer  unbegrenzten  Flüssigkeit 
setzen 


284  //.  Teil.    Meehamk  niehtstarrer  Körper.    IIL  Kap. 


^  ox       oy 

und  für  U,  SS,  S3  ähnliche  Ausdrücke  bilden,  wie  sie  in  (63'")  dar- 
gestellt sind.  — 

Die  Formeln  (68)  und  (63'")  gestatten,  die  (Jeschwindigkeits- 
komponenten  an  jeder  Stelle  der  Flüssigkeit  zu  irgend  einer  2^it 
als  die  Wirkung  der  Wirbel  aufzufassen,  welche  gleichzeitig  in  der- 
selben irgendwo  stattfinden.  Jedes  Yolumenelement  Sk^  giebt  zu 
u,  v\  w  Anteile  Su,  Sv\  Sto\  welche  sich  in  Bezug  auf  Stellen 
in  endlicher  Entfernung  von  Sk^  folgendermaßen  ausdrücken: 

du  =  — —  \  Tii  -ä mi 

271  \        oy 


65) 


Sv'=^\  h^  ' 


2n   \    ^    dx 


Diese  Anteile  kann  man  als  Komponenten  einer  Geschwindig- 
keit Ss  ansehen,  deren  Richtung  sich  dadiLrch  bestimmt,  daß  nach 
Vorstehendem 

r    l[Su'+m[Sv  +  n[dw'^Q 

650  \  dr  j.    r  ,    dr  j.   ,  .   dr^    ,      ^ 

ist;  88   steht  also  normal  auf  der  Ebene  durch  die  Botationsaxe  in 
8\  und  durch  die  Verbindungslinie  r;  die  Seite,  nach  welcher  S» 
liegt,  folgt  aus  der  Rotationsrichtung  in  S\, 
Die  Größe  Ton  Ss   findet  sich  zu 

65")  88^  l/*M'H<yö'*+^t^'*=  iAj^L«?^ 

2  71  r 

worin  D^  die  Rotationsgeschwindigkeit  und  x  ^^^  Winkel  zwischen 
der  Rotationsaxe  und  r  bezeichnet. 

Gleiche  Richtung  und  Größe  mit  8s  besitzt  die  Kraft,  welche 
nach  dem  sogenannten  BiOT-SAVABT'schen  Gesetze  ein  in  x,  y,  r  be- 
findlicher magnetischer  Einheitspol  seitens  eines  in  dk^  parallel  J)^ 
fließenden  galyanischen  Stromes  von  mit  D^  proportionaler  Stärke 
erleidet.  — 


§  IL    Allgemeinste  Strömungen  ohne  freie  Oberfläche.  285 


Die  erhaltenen  Resultate  über  die  Größe  und  die  Richtung  von 
Ss  genügen  in  einfachen  Fällen  —  z.  B.  wenn  ein  einziger  oder 
zwei  parallele  und  coaxiale  kreisförmige  Wirbelfäden  vorhanden 
sind  —  um  über  die  Bewegung  der  Flüssigkeit  und  demgemäß  der 
Wirbelfäden,  die  nach  S.  271,  falls  nur  konservative  körperliche 
Kräfte  wirken,  mit  jener  fortschwimmen,  eine  Vorstellung  zu  geben, 

Summiert  man  Su,  Sv,  8w'  über  einen  geschlossenen  Wirbel- 
faden, vom  normalen  Querschnitt  q^ ,  so  ist  zu  berücksichtigen,  daß 
längs  desselben  nach  S.  267  q^Di  konstant  ist;  bezeichnet  man  die 
Projektionen  des  Axenelementes  ds^^  des  Fadens  durch  dx^^  dy^^ 
dz^,  so  erhält  man  fiir  Punkte,  die  keinem  Teil  des  Wirbelfadens 
unendlich  nahe  liegen. 


(^«')=^/(-i-''^.-'i 


{Sv')  = 


_  Ji». 


65'") 


Vergleicht  man  diese  Resultate  mit  dem  System  (179')  des 
vorigen  Teiles,  so  erkennt  man,  daß  die  Geschvdndigkeit  {Ss)  nach 
Richtung  und  Größe  übereinstimmt  mit  der  Kraft,  welche  eine 
magnetische  Doppelfläche  von  dem  konstanten  Moment  +q^D^I27tf, 
welche  durch  den  Wirbelfaden  begrenzt  ist,  auf  einen  Einheitspol 
an  der  Stelle  x,  y,'z  ausübt. 

Da  jene  Kraft  ein  Potential  besitzt,  so  hat  auch  die  Ge- 
schwindigkeit {Ss)  ein  Geschwindigkeitspotential,  was  begreiflich  ist, 
da  die  Stelle,  auf  welche  sich  die  Formeln  beziehen,  außerhalb  des 
Wirbelfadens  liegt.  — 

Für  ebene  Flüssigkeitsbewegungen  kann  man  nach  S.  200,  wenn 
die  XZ- Ebene  der  Bewegungsebene  parallel  gelegt  wird,  allgemein 
die  Zerlegung  anwenden: 

,      dF.dW       ,      dF      dW  ^,.. 

ox        dy  oy         ox  ^  ' 

aus  der  folgt 

und 

Aj/r=-2n'.  66") 


286  U.  TeU.    Mechanik  niektstarrer  Körper,    IIL  Kap. 


unterwirft  man  F  noch  längs  der  Grenze  s  des  Flächenstückes, 
für  welches  die  Zerlegung  gelten  soll,  der  Bedingung 

66'")  I7  = "'  ^^^  (^'j  ^)  +  '^'  ^^^  (*''  y)  =  *^'' 

80  ist  es  dadurch  vollständig  bestimmt;  außerdem  gilt 

'  dy       dx 

und 

Erstreckt  sich  die  Flüssigkeit  über  die  ganze  unendliche  Ebene, 
und  genügt  die  Bewegung  der  Bedingung 

so  kann  man  nach  S.  201  Z'  konstant  setzen  und  erhält 

68 )  M  =  "ä— ,  t?  = 5— , 

^  1     rl  ,dl{e)  .dl(e)\. 

68")  \        =  -  2l^/(^^^^  (^1' ^^ ~"  ^1  ^^®  (*'i'y))  'W ^*i 

Wenn  das  Bandintegral  unendlich  klein  ist,  so  giebt  dies^^ 

68'")  W=-:^jn\l(e)dq„  . 

eine  Formel,  die  sich  genau  so  deuten  und  verwerten  läßt,  wie  (63'"); 
^  ist  nach  S.  276  mit  der  Strömungsfunktion  S  identisch,  und 
die  Formel  JF  =  Const  bestimmt  daher  die  Stromkurven.  — 

Ist  n!  zu  der  betrachteten  Zeit  nur  in  diskreten,  unendlich  kleinen 
Flächen  y^,  die  in  endlichen  Entfernungen  von  einander  liegen,  von 
Null  verschieden,  d.  h.,  ist  nur  in  einzelnen  parallel  der  Z-Axe 
liegenden  Fäden  Wirbelbewegung  vorhanden,  und  setzt  man  für  ein 
jedes  derselben  den  Wert  von 

69)  /^  =  ^„ 

SO  wird 

69')  W^-2NJ{e>), 

WO  nun  e^  die  Entfernung  der  betrachteten  Stelle  von  dem  Aten 


§  IL    Aligemeinste  Strömungen  ohne  freie  Oberfläeke,  287 

Wirbelfaden  bezeichnet  JT  ergiebt  sich  hier  gleich  dem  logarithmi- 
schen  Potential  eines  Systemes  von  in  der  XT-Ebene  verteilten  Massen- 
punkten Nj^.  Da  nach  dem  auf  S.  270  Gesagten  bei  ebenen  Be- 
wegungen unter  der  Wirkung  konservativer  Kräfte  n'  für  jedes 
Flüssigkeitsteilchen  konstant  ist,  so  ist  auch  iVJ^  eine  den  Wirbel- 
faden (A)  charakterisierende  Konstante. 

Die  dieser  Strömungsfunktion  W  entsprechenden  Werte  der 
Geschwindigkeiten  u  und  v  an  einer  beliebigen  Stelle  x,  y  sind 
nach  (68') 

jeder  Wirbelfaden  giebt  also  einen  Anteil  ä^  zur  Gesamtgeschwindig- 
keit, welcher  normal  zu  e^  steht  und  die  Größe  iVJ^/tf^  hat 

Dieser  Anteil  ist,  wie  oben  gesagt,  unabhängig  davon,  ob  in  .r,  y 
sich  etwa  ein  Wirbelfaden  befindet;  ein  solcher  wird  also  ebenso  in 
Bewegung  gesetzt,  wie  ein  wirbelloses  Flüssigkeitsteilchen.  Für  den 
Äten  Faden  gilt  somit 

oder  anders  geschrieben 

i\r,«i=-iv,^ivriizif*,   J^^„i=^.i^r^^^'^^pi     er-) 

die  Summen  sind  über  alle  Fäden  mit  Ausnahme  des  Aten  zu  er- 
strecken, da  dieser  sich  selbst  eine  Translationsbewegung  nicht 
erteilt 

Diese  Formeln  haben  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  denen,  welche 
die  Gesetze  der  ebenen  Bewegung  eines  Punktsystemes  unter  alleiniger 
Wirkung  innerer  Kräfte,  die  proportional  sind  mit  N•^^J^^  und  l/^^jy 
aussprechen;  nur  stehen  hier  die  Geschwindigkeiten  der  Massen- 
punkte N^  an  Stelle  der  Beschleunigungen  dort,  und  die 
inneren  Kräfte  liegen  hier  normal,  dort  parallel  der  Verbindungs- 
linie der  Punkte. 

Infolge  dieser  Analogie  haben  einige  aus  dem  System  (69"')  zu 
ziehende  Folgerungen  Verwandtschaft  mit  den  für  Punktsysteme  der 
genannten  Art  geltenden  Sätzen. 

Es  gilt  ein  Schwerpunktssatz 

^iV;,Mi  =  0,     ^iV;ri  =  0,  70) 

ein  Flächensatz 

ein  Satz  über  das  innere  Potential  des  Punktsystemes 


288  IL  TeU.    Mechanik  nidtUtarrer  Körper.    IIL  Kap. 


70")  2rA\N,le^,^C, 

endlich  ein  Satz  über  das  Trägheitsmoment  um  den  Eoordinaten- 
anfang 

70'")  2N^el^C\ 

die  alle  durch  geeignete  Zusammenfassungen  der  Formeln  (69") 
leicht  erhalten  werden  können;  C  und  C"  bezeichnen  in  den  letzten 
beiden  Formeln  Eonstanten  und  die  Summen  2  sind  über  alle  K 
die  Summen  JS''  über  alle  Kombinationen  von  h  und  k  zu  erstrecken. 

Die  allgemeinen  Sätze  (70)  bis  (70'")  liefern  jederzeit  Integrale  für 
das  Problem  der  Bewegung  eines  Systemes  von  geradlinigen,  parallelen 
Wirbelf&den  in  einer  unendlichen  Flüssigkeit,  die  aber  nur  in  den 
einfachsten  Fallen  flir  sich  allein  ausreichen,  um  das  Problem  zu 
Ende  zu  führen.  Die  Bewegung  wird  durch  äußere  Kräfte,  welche 
ein  Potential  haben,  nicht  beeinflußt,  sondern  nur  der  herrschende 
Druck;  im  allgemeinen  Falle  ist  auf  die  Formeln  (48)  zurück- 
zugreifen. — 

Sind  Begrenzungen  vorhanden,  so  kann  man  bei  inkompres- 
sibeln  Flüssigkeiten  nichtsdestoweniger  die  Wirbelbewegungen  zu 
einer  beliebigen  Zeit  willkürlich  vorschreiben,  so  weit  dabei  kein 
Widerspruch  mit  der  identischen  Formel 

a  /_'       dm'       ön;  ^  Q 

dx        dy        dx  "~ 
entsteht. 

Wendet  man  dann  für  U^  F,  IF  die  Gleichungen  (68'")  an,  so 
erfüllen  die  nach  (63)  hieraus  folgenden  u\  v,  w  die  Grenzbedin- 
gungen nicht;  letztere  lassen  sich  aber,  so  weit  sie  für  die  Oberfläche 
nur  die  Normalgeschwindigkeit  v  vorschreiben,  jederzeit  durch  Zu- 
fügung  einer  Potentialbewegung,  d.  h.  durch  Benutzung  des  allge- 
meinen Ansatzes  (61),  befiiedigen,  wo  nun  jP  außer  der  Hauptgleichung 
A  -^  =  0  noch  die  Bedingung  zu  erfüllen  hat 


+ 


(IJ-|f)^^«(^'^))- 


Die  so  erhaltenen  m',  t?',  w  gelten  aber  nur  für  den  Moment, 
für  welchen  die  T,  m',  n  vorgeschrieben  sind;  damit  sie  immer 
gelten,  die  Bewegung  also  stationär  sei,  müssen  körperliche  Kräfte 
spezieller  Art  wirken,  deren  Komponenten  aus  (48')  folgen,  falls  man 
dort  du  Idt,  dv  jdt,  dto  jdt  gleich  Null  setzt.  Wendet  man  auf 
sie  die  Zerlegung  (187)  des  ersten  Teiles  an,  so  erkennt  man, 


§  12.    Imponderable  Fhtida  innerhalb  ponderahkr  Körper,  289 


die  Potentialfunktion  0  von  p  I  q  =  11  untrennbar  ist,   so  daß  nur 
die  Summe  beider  Ausdrücke  sich  bestimmen  läßt 

Bei  vorgeschriebenen  Kräften  ist  die  Bewegung  im  allgemeinen 
veränderlich  und  bietet  dann  der  analytischen  Behandlung  selir  große 
Schwierigkeit. 


§  12.     Ghmndgleichimgen   für   die  Bewegung   imponderabler  Fluida 

innerhalb   ponderabler  Körper.     Strömung  von  W&rme   oder  Elek- 

tricitat  in  einem  Leitersystam  und  verwandte  Ersclieinungen. 

Wir  wollen  uns  nunmehr  den  Raum,  innerhalb  dessen  die  strö- 
mende Flüssigkeit  sich  befindet,  von  einem  feinen  Netzwerk  von 
regelmäßigem  und  gleichförmigem  Gefüge  erfüllt  denken,  welches 
der  Bewegung  einen  Widerstand  entgegensetzt  Die  auf  die  Massen- 
einheit bezogenen  Komponenten  X^,  Y^,  Z^  dieses  Widerstandes 
setzen  wir  an  jeder  Stelle  einerseits  der  Dichte  der  strömenden 
Flüssigkeit  proportional  und  denken  sie  andererseits  von  der  Größe 
und  Eichtung  ihrer  Geschwindigkeit  abhängig;  in  erster  Annäherung 
können  wir  sie  dann  als  lineare  Funktionen  der  Geschwindigkeits- 
komponenten u,  V,  w'  einführen.  Endlich  machen  wir,  wie  in  §  8, 
die  Annahme,  daß  die  inneren  Kräfte  der  Flüssigkeit  vernach- 
lässigt werden  können. 

Dann  erhalten  wir  aus  (48),  indem  wir  für  die  auf  die  Massen- 
einheit bezogenen  körperlichen  Kräfte,  ausschließlich  der  Wider- 
standskomponenten Xq,  Yqj  Zq,  die  Bezeichnungen  X,  T,  Z  beibehalten 
und  unter  x^^^  ein  System  von  Konstanten  verstehen, 

dazu 

~dx    "^    öy    "^     dx    '^  dl  "" 

Da  die  innem  Kräfte  der  Flüssigkeit  verschwinden,  kann  in  der 
Grenze  zweier  Körper  (A)  und  {k)  eine  unendliche  Kondensation  und 
demgemäß  eine  Flächendichte  rr^j^  entstehen,  deren  Anwachsen  gegeben 
ist  durch 

i^h  («A  C08  K,  x)  +  v^  cos  (n^,y)  +  w^  cos  («^,  z)) 
—   .-  —  —  .        d  <r 

+  PikK^ö^K»^)  +  Vk^^^(%^!/)  +  «^fcCOsCwjtjz))  +  -g^  =  0, 

worin  «^  und  w^  die  inneren  Normalen  auf  den  bezüglichen  Ober- 
flächenelementen bezeichnen. 

Voigt,  Theoretiaclie  Phjrilk.  19 


290 


IL  TeiJL    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    III,  Kap, 


Hierin  wollen  wir  abgekürzt 

()u  =  u,     p  r'  =  0,     Q  %o  =  lü, 
Q  {v!  cos  (n,  jt)  +  V  cos {n^y)  +  w  cos (n,  z))  =  n 

setzen  und  u,  ü,  m  die  Strömungskomponenten  nennen;  sie  stallen 
die  Menge  Flüssigkeit  dar,  welche  an  der  Stelle  j:,  y,  z  in  der  Zeit- 
einheit durch  ein  Flächenelement  dq  normal  zur  X-,  Z-,  ^Axe  resp. 
zur  Richtung  von  n  hindurchtritt,  durch  dies  Element  dividiert  Es 
ist  also 

[M]  =  [ö]  =  [,u]  =  [«]  =  m  /-2  ^-i . 

Endlich  nehmen  wir  an,  daß  —  etwa  wegen  der  sehr  bedeutenden 
Größe  der  Eonstanten  x^^  —  die  Beschleunigungen  du'  jdtj  dv'  jdtj 
dfß  jdt  neben  den  übrigen  Gliedern  vemachlässigt  werden  können. 
Dies  wird  stets  dann  stattfinden,  wenn  mit  dem  Verschwinden  der 
äußeren  Kräfte  auch  die  Geschwindigkeit  eines  jeden  Flüssigkeits- 
teilchens in  unmerklich  kurzer  Zeit  verschwindet,  also  das  Fluidum 
sich  so  verhält,  als  besäße  es  keine  Trägheit,  als  wäre  es,  wie  man 
sagt,  imponderabel. 

Dann  erhalten  wir 


71) 


I 


x„  u  +  Xjj  t)  +  Xj3  m  =  7, 


71') 


dx^'dy^  dx  ^  d  t '^  ^ ' 
"*  +  "*  +  ^  =  0. 


Die  Koeffizienten  x^^^,  welche  in  homogenen  Körpern  konstant,  in 
inhomogenen  stetig  mit  dem  Ort  veränderlich  sind  und  in  den 
Grenzen  springen,  heißen  die  Widerstandskoeffizienten  des  Me- 
diums und  spezialisieren  sich  eventuell  nach  dessen  Symmetrie- 
elementen gemäß  den  früher  hierfür  angegebenen  Regeln  und  nach 
Schema  II  auf  S.  137. 

Die   drei   Gleichungen  (71)  können   wir   nach  u,  ö,  ro  auflösen 
und  also  das  ganze  System  schreiben 


71") 


§  12,    Impimderable  Fluida  innerhalb  ponderabler  Körper,  291 


ö  u        ÖJD    ,    Ott    I    ^  ?  _  I) 
dx"^  dy'^  dx  '^  dt  "     ' 


71") 


Die  Faktoren  A^^  heißen  die  Leitfähigkeitskoeffizienten  der 
Substanz  und  lassen  sich  ähnlich  behandeln,  wie  die  x^^j^. 
Bei  isotropen  Körpern  wird 

und  analog 

-         -        -         -         -o'         -         -.         -1. 

^23  —  *32  —  ^31   ~  *13"~  ^12  ~"  *21   ~"  ^»      ^11  —  ^22  —  ^33  ~"  1  > 

daraus  folgt,  daß  hier  die  Strömung  der  treibenden  Kraft  stets  par- 
allel verläuft. 

Es  mag  hervorgehoben  werden,  daß  die  letzten  Formeln  un- 
geändert  bleiben,  wenn  wir,  etwa  weil  die  Trägheit  der  betrachteten 
Flüssigkeit  gegen  die  sonst  bekannter  unmerklich  ist,  die  bisherige 
mechanische  Definition  der  Masse  und  die  daraus  fließende  der 
Dichtigkeit  aufgeben  und  irgend  eine  andere,  z.  B.,  wie  bei  den  elek- 
trischen Massen,  die  durch  ihre  Femwirkimgen  gegebene,  an  ihrer 
Stelle  einfahren.  Nur  die  x^^  und  A^^^  verändern  dabei  ihre  Dimen- 
sionen und  ihre  numerischen  Werte. 

Die  Formeln  (71)  bis  (71")  sind  geeignet  zur  Ableitung  der 
Gesetze,  nach  welchen  die  Strömung  der  als  Fluida  aufgefaßten 
Wärme  und  Elektricität  in  Leitern   stattfindet     n,  t),  \\)   bedeuten 

■ 

auch  dann  die  in  der  Zeiteinheit  parallel  den  Koordinatenaxen  durch 
eine  dazu  normale  Flächeneinheit  strömenden  Mengen,  X,  Yj  Z  die 
auf  die  Masseneinheit  bezogenen  treibenden  Kräfte,  die  im  Falle  der 
Wärmeströmung  Temperaturdifferenzen,  im  Falle  elektrischer  Strö- 
mung meist  elektrostatischen  Ladungen  ihren  Ursprung  verdanken. 

Bei  den  elektrischen  Vorgängen  kann  man  dabei,  wie  in  §  8  des 
ersten  Teiles  schon  benutzt  ist,  zwei  Fluida  mit  entgegengesetzten 
Dichtigkeiten  in  voneinander  unabhängiger  Bewegung  befindlich 
denken. 

Femer  sind  die  Formeln  in  etwas  speziellerer  Fassung  auf  den 
Vorgang  der  Diffusion  einer  gelösten  Substanz  innerhalb  eines  Lö- 
sungsmittels oder  derjenigen  zweier  mischbarer  Flüssigkeiten  ineinander 
anwendbar  und  bieten  auch  Vorteile  zur  anschaulichen  Deutung  der 
Gesetze  der  magnetischen  und  dielektrischen  Polarisation.  — 

Charakteristische  Eigenschaften  der  allgemeinsten  thermischen 
und  elektrischen  Strömungen  erhält  man  durch  Diskussion  der  For- 
meln (71"),  diq  noch  keinerlei  beschränkende  Annahmen  enthalten.*) 

19* 


292  //.  T&a.    Mechanik  niehistarrer  Körper.    IIL  Kap. 


Die  durch  sie  dargestellten  Strömungskomponenten  lassen  sich 
in  zwei  Teile  zerlegen  nach  dem  Schema 

U  =  14  +  Ug,      0  =  Uj  +  Dg,      tu  =  iDj  +  lUg, 

Uj  =  AjX  + ;.;  J^  + ;.;  ^,     Ug  =  -  T3  Y  +  Tj  if, 

72)  \   \^}:^X+i^^Y+l\Z,     1)2=  -^i^+^8^J 


wobei 


72') 


außerdem  kurz 


^83  ^^  ^1  ^1  »       '''■32  ^^    "1  '•"  ^1  > 

^31  ^^  ^"2         ^2  '       ^18  ^^  '"2  "T"  ^2  ' 
^12  =  ^"8  ""  ^8  '       ^1   =  ^3  "^"  ^3  ' 


gesetzt  ist. 

Die  Komponenten  Uj,  Uj,  mj  geben  zusammengesetzt  eine  Strö- 
mung ®j,  welche  gegen  die  Kraftrichtung  ebenso  liegt,  wie  die  Nor- 
male auf  einer  Tangentenebene  an  dem  Ellipsoid 

72")        1  =  Aj-r»  +  l^y^  +  A3Z«  +  2;v\yz  +  2l\zx  +  2;;,  xy 

gegen  den  Radiusvektor  nach  der  Berührungsstelle. 

Das  Ellipsoid  (72")  heißt,  weil  seine  Axen  mit  den  Wurzeln  aus 
den  Leitfähigkeitskoeftizienten  A^^  indirekt  proportional  wachsen, 
das  Widerstandsellipsoid. 

Die  Komponenten  u^,  ü^,  vo^  geben  zusammengesetzt  eine  Strö- 
mung Sj,  welche  senkrecht  steht  auf  der  Richtung  der  Bj'aft  K  imd 
der  Richtung  des  Vektors  T,  den  man  erhält,  wenn  man  r^,  t^,  t^  als 
Strecken  aufdenKoordinatenaxen  aufträgt  und  zu  einer  Resultierenden 
zusammensetzt    Die  Gesamtströmung  SS,  ist  gegeben  durch 

72'")  S,  =  Z  fsin  (Z,  7) ; 

sie  hat,  wenn  K  nach  einem  festen  Punkte  gerichtet  ist,  den  Charakter 
einer  Rotation,  und  man  nennt  demgemäß  die  Konstanten  Tj^, 
welche  für  ihre  Größe  maßgebend  sind,  die  rotatorischen.  SS,  ver- 
schwindet, wenn  die  Bedingimgen  X^^  =  A^^  bestehen. 

Dasselbe  Verfahren  kann  man  auf  das  Formelsystem  (71)  an- 
wenden und  erhält  bei  mit  (72')  korrespondierenden  Bezeichnungen 

X  =i  X^  -{•  X^^     1^  =  Ij  +  y, ,     ^  Ä  ^j  +  ifj , 

A'j  =  Xj  u  +  X3 1)  +  Xg  tu ,    Ag  =  —  TT,  ü  +  TTj  m , 


73) 


ii  =  xi m-  Xgt)  +  x; lü ,   i^i  =  -  ^, w  +  JTj u , 

^1  =x;u  +  x;D  +  X3m,     ^2  =  -  ^jU  +  TTib, 


§  12,    Imponderabfe  Fluida  innerhalb  pmiderabler  Körper,  293 

WO  der  Zusammenhang  zwischen  S3  und  der  Resultierenden  K^  von 
Zj,  JTj,  Z^  durch  ein  zweites  EUipsoid 

1  =  x^x^  +  x^y*  +  XjZ*  +  2x\yz  +  2x\zx  +  2x\xy         U') 

bestimmt  wird,  welches  man  das  EUipsoid  der  Leitfähigkeiten 
nennt  *^) 

Die  Axen  der  beiden  Ellipsoide  fallen  im  allgemeinen  nicht 
zusammen,  sondern  nur  in  dem  Falle,  daß  die  rotatorischen  Kon- 
stanten Xy^  resp.  n^  verschwinden.  In  diesem  speziellen  Falle  sind 
die  gleichgelegenen  Axen  für  beide  Ellipsoide  einander  indirekt 
proportional. 

Dem  EUipsoid  der  Leitungsfähigkeiten  kann  man  eine  sehr 
anschauliche  Bedeutung  geben,  wenn  man  aus  den  allgemeinen  For- 
meln (71)  die  Komponente  S  der  wirkenden  Kraft  nach  der  Strö- 
mungsrichtung, aus  den  Formeln  (71")  die  Komponente  \  der  Strö- 
mung nach  der  Richtung  der  Kraft  bildet  Man  erhält,  wenn  durch 
0,  6,  c  die  Richtungscosinus  der  Strömung  93,  durch  a^h^c  diejenigen 
der  treibenden  Kraft  K  bezeichnet  werden, 

f  =  ir(Aja«  +  A3i2-hA3C«  +  2A;ic  +  2A;ca  +2A^ai),  J        ^ 

oder  wenn  91  den  Radiusvektor  im  EUipsoid  (73')  in  der  Richtung  von 
95,  R  denjenigen  im  EUipsoid  (72")  in  der  Richtung  von  K  bezeichnet 

»  =  581*,    K^\m.  740 

Die  erstere  Formel  gestattet  unmittelbar  die  Anwendung  auf  einen 
linearen  Leiter,  und  9%^,  das  Quadrat  des  Radiusvektors  im  Leitfähig- 
keitseUipsoid,  erscheint  hier  als  seine  spezifische  Leitungsfähigkeit 
Bezieht  man  den  KrystaU  auf  die  Hauptaxen  -X®,  7®,  Z^  des 
WiderstandseUipsoides  als  Koordinatenaxen,  so  wird 

i'j  =  Ag  =  Ag  =s  0 ,     Aft  Ä  A^  ,     Tft  s=  ta, 
und  das  System  (71")  ergiebt 

u«  =  -h  AJX<>  -  xi  r«  +  x\  z\ 

ü^  =  +  r»  Jf «  +  II  Y^  -  tJ  ^^  74") 

tt)«  =  -  xlX^  +  xl  ro  +  II Z\ 

Dies  System  kann  man  geometrisch  deuten,  indem  man  beide 
Seiten  der  Formeln  mit  einer  unendlich  kleinen  Zahl  e  multipUziert 
und  B  u®,  « t)^,  €  m°  als  die  Komponenten  einer  sehr  kleinen  Verrtickung 
<$  an  einer  SteUe  mit  den  Koordinaten  X®,  Y%  Z^  in  einem  nicht- 
starren Körper  betrachtet 

Die  Verrtickung  dieses  Punktes  ist  dann  nach  dem  System  (74") 
bewirkt  durch  eine  gleichförmige  Dilatation  des  Körpers  nach  den 


294  //.  TeiL    Mechanik  nichtatarrer  Körper.    IIL  Kap, 


drei  Axen  Jk?*,  Y^,  Z^  um  die  Beträge  cA,^,  «AJ,  6  A3  und  eine  gleich- 
zeitige Drehung  des  Körpers  um  die  Richtung  des  Vektors  T  und 
um  den  Betrag  e  T. 

Diese  Deutung  zeigt  beiläufig,  daß  der  Vektor  T  nach  Größe 
und  Bichtung  unabhängig  vom  Koordinatensystem  und  allein  durch 
die  Natur  des  Krystalles  bestimmt  sein  muß,  auf  den  sich  die  For- 
meln beziehen.  — 

Ist  die  Strömung  eine  ebene,  ist  etwa  lü  ==  0,  so  wird  durch 
Elimination  von  Z  aus  (71")  erhalten 

hz  ^'81 

I       1)    =3      ^*1  ^8  -"  ^81  ''1Z    X4-  *83  ~  ^  ?  ^-«3     Y 

*88  ^88 

ein  System,  an  welches  ähnliche  Betrachtungen  geknüpft  werden 
können,  wie  oben  an  (71"). 

Noch  wichtiger  ist  der  Fall,  daß  die  eine  Kraftkomponente 
verschwindet,  und  die  beiden  anderen,  sowie  alle  für  die  Strömung 
gültigen  Grenzbedingungen,  von  der  jener  entsprechenden  Koordinate 
unabhängig  sind,  etwa  ^=0  ist  und  X  und  Y  die  i?- Koordinate 
nicht  enthalten.  Dann  sind  auch  u,  D,  ID  Funktionen  von  x  und  y 
allein,  und  der  Vorgang  kann,  obwohl  die  Strömung  parallel  Z  nicht 
verschwindet,  ganz  in  der  X7- Ebene  verfolgt  werden,  da  die  Grenz- 
bedingungen die  Komponente  \o  nicht  enthalten.  Man  kann  dann  u 
und  t)  älinlich  wie  oben  zerlegen  und  setzen 


75') 


I    11  =  ;. 


u  =  x^^x+i^^Y=  A,x+  >t;r-  TgT, 


auch  eine  Widerstandsellipse 

1  =  X^x^  +  A,y«  +  2X\xy, 

die  Schnittellipse  des  EUipsoides  (72")  mit  der  AT- Ebene,  einfuhren, 
auf  deren  Hauptaxen  bezogen  A^  =  AJ,  T3  =  Tg  und  A3  =  0  ^ard,  und 
das  letzte  Formelsystem  lautet 

Fällt  die  ^-Axe  mit  der  Richtung  des  Vektors  T  auf  S.  292 
zusammen,  so  ist  in  den  wichtigsten  Fällen,  wo  die  rotatorischen 
Glieder  in  der  Natur  vorkommen,  nämlich  bei  gewissen  Gruppen 
des  rhomboedrischen,  des  tetragonalen  und  des  hexagonalen  KrystaU- 
systemes,  zugleich  die  X-  und  T-Axe  gleichwertig,  \o  mit  Z  gleich  Null, 
und  die  Formeln  (75)  und  (75')  nehmen  die  gleiche  Gestalt  an: 

75")  ii  =  AX-Tr,   ü  =  Ar-fTX. 


§  12.    Strömung  bei  teirkendem  Potential,  295 


Aus  derselben  folgt,  daß,  wenn  man  t/A  =  tgor  setzt  und  den  Winkel 
der  Strömungsrichtung  mit  der  JT-Axe  i9",  den  der  Kraftrichtung 
mit  der  X-Axe  0  nennt,  jederzeit 

,V^  =  0  +  « 

ist,  also  die  beiden  Richtungen  um  eine  konstante  Größe  gegen- 
einander geneigt  sind.  — 

Im  Vorstehenden  sind  keinerlei  Annahmen  über  das  Gesetz, 
nach  welchem  die  treibenden  Kräfte  wirken,  eingeführt.  Der  wich- 
tigste hierfür  in  Betracht  kommende  Fall  ist  der,  daß  sie  eine 
Potentialfunktion  besitzen.  Bei  der  Wärmeströmung  ist  dieselbe 
eine  Funktion  der  Temperatur  und  in  erster  Näherung  ihr  pro- 
portional, kann  aber,  da  die  A^^  schon  Proportionalitätsfaktoren  dar- 
stellen, auch  der  Temperatur  an  der  Stelle  x,  y,  z  einfach  gleich 
gesetzt  werden.  Gleiches  gilt  bei  dem  Vorgang  der  Diffusion  in 
Bezug  auf  die  Konzentration  der  Lösung. 

Bei  Existenz  einer  Potentialfunktion  0  werden  die  ersten  drei 
Gleichungen  (71")  zu 


11 

=  ).,, 

d0 

dx 

+  ^u 

80 

dy 

+  ^18 

80 

8x  ' 

\> 

80 

dx 

60 

80 
8y 

80 

80 

8x  ' 

80 

Z      f"  ^«8  "^7.      h  ^ 


81    8x    ^    "    dy    ^    8«   8x   ' 


76) 


0  betrachten  wir  innerhalb  der  Körper  mit  stetig  wechselnder  Be- 
schaffenheit als  selber  stetig,  lassen  aber  zu,  daß  beim  Durchgang 
durch  Flächen,  wo  jene  springt,  die  wir  also  passend  als  Grenz- 
flächen ö^^  zwischen  zwei  Körpern  (A)  und  {k)  ansehen,  auch  0  un- 
stetig wird.     Wir  setzen,  wie  S.  284, 

0,  -  0,  =  0,,  76') 

und  betrachten  dabei  0;,^  als  gegeben. 

Ein  Sprung  des  Potentiales  läßt  sich  nach  dem  auf  S.  261  Ge- 
sagten durch  die  Molekular  Wirkung  der  diesseits  und  jenseits  der 
Grenzfläche  ö^^  verschiedenen  Substanz  der  Körper  (Ä)  und  (k)  er- 
klären; bei  elektrischen  Vorgängen  ist  nach  der  Beobachtung  0^,^ 
eine  der  Kombination  der  Körper  (A)  und  {k)  und  der  Temperatur 
der  Grenzfläche  individuelle  Konstante,  deren  elektromotorische 
Kraft. 

Die  beiden  Formeln  (71'") 


29ö  //.  Teil.    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    lU.  Kap, 


76") 


j    dx  '^  dy 

i 


dx  ^  dt 


da. 


erfordern,  um  zur  Bestimmung  von  <U  verwertet  zu  werden,  noch 
Festsetzungen  über  die  Funktionen  q  und  /r,  die,  wenn  die  Teilchen 
der  Flüssigkeit,  etwa  nach  Ai:t  der  elektrischen  Fluida,  auf  einander 
Femwirkungen  ausüben,  mit  0  im  Zusammenhang  stehen  müssen. 
Der  einfachste  Zusammenhang  ist  der,  daß  q  mit  0,  und  (Tj^j^ 
mit  dem  Mittelwert  von  0  in  der  Grenze  o^j^  proportional,  etwa 

76"')  (,  =  ^0,  ,.,,  =  1^,^(0, +  aii) 

ist,  worin  fi  und  v  sich  mit  dem  Orte  stetig  ändern  können.  Man 
kennt  übrigens  kein  Beispiel  far  von  Null  verschiedenes  o-^^,  wenn 
die  Körper  {h)  und  (A)  beide  Leiter  sind,  und  kann  daher  an 
Zwischengrenzen  auch  rx^^  =  0  setzen: 

An  den  äußeren  Grenzflächen  des  stromdurchflossenen  Systemes 
können  je  nach  deren  Natur  verschiedene  Bedingungen  bestehen. 

Grenzt  in  ihnen  das  System  an  einen  Nichtleiter,  so  wird  dort 

76"")  n  +  ^  =  0, 

wobei  (7  s=  f  0  ist  Werden  sie  als  Eintrittstiächen  für  die  Strö- 
mung betrachtet,  so  kann  daselbst  0  oder  n  selbst  vorgeschrieben 
gedacht  werden,  es  kommen  auch  Fälle  vor,  wo  das  Aggregat 
5*0+11,  in  welchem  5  eine  Funktion  des  Ortes  bezeichnet,  ge- 
geben ist  Die  erste  und  letzte  Größe  kann,  soweit  die  Bedingung 
der  Stetigkeit  nicht  verletzt  wird,  als  willkürliche  Funktion  von  Ort 
und  Zeit  gewählt  werden;  die  Wahl  der  n  ist  durch  eine  aus  (76") 
folgende  Bedingung  beschränkt,  welche  für  einen  Körper  lautet 


J  ixdo^J  -q] 


^  dk. 


Die  vorstehenden,  aus  der  Vorstellung  einer  gegen  Widerstände 
stattfindenden  Flüssigkeitsbewegung  abgeleiteten  Formeln  können 
umgekehrt  benutzt  werden,  um  physikalische  Vorgänge,  welche  durch 
eine  Funktion  0  der  Koordinaten  und  der  Zeit  bestimmt  sind,  die 
den  vorstehenden  analoge  Bedingungen  erfüllt,  als  Strömungs- 
vorgänge zu  interpretieren.  — 

Die  Kombination  der  ersten  Formel  (76")  mit  den  Werten  (76) 
und  (76"')  giebt  der  Hauptgleichung  der  Potentialfunktion  für  einen 
homogenen  Leiter  die  Gestalt 


§  12,    Strämung  bei  wirkendem  PotenHoL  297 

+  (^23  +  ^82)  J^Ji  +  (^81  +  ^is)  g^^^  +  (^12  +  ^21)  5^ ' 

wofür  man  nach  (72')  auch  schreiben  kann 


+  2  A;  ^— ^  +  2  A^  ^— ^  +  2  A^ 


77) 


dydx  ^dxdx  ^dxdy^ 

sie  ist  also  von  den  rotatorischen  Gliedern  gänzlich  frei.    Auf  einen 

isotropen  Körper  bezogen  nimmt  die  rechte  Seite  die  Gestalt  A  A  <f^  an. 

Bei  ElinfÜhrung  der  Widerstandsaxen  erhält  man  hieraus 

Die  gleiche  Form   kann   man  bei  Einführung   von   schiefwinkligen 
Koordinatenaxen  X,  ©,  3  auf  unendlich  viele  Weise  erhalten**). 
Denn  setzt  man 

y  =  <^aiJ  +  «229  +  «23ä« 

^==«31?  +  «829+^83*» 

SO  ergiebt  sich  als  Bedingung  fhr  die  Beziehung 
das  System  Formeln 


^1  ^21^81  +  k  <^22«82  +  h  ^28^33  =  ^^ 


woraus  man  auch  folgern  kann 

"11*  .   ««1*  ,  ^31*  _  1 

A*^  A^  jo         /,  ' 

Aj  Aj  *3  * 


^'U"l8      I      "88  "«8      ■      "'«4" 


"18   _i_    "88  "«8      i_   "88  "88   l\ 

k■^  Aq  A3 

Die  letzteren  Gleichungen  geben  aber  die  Bedingung  dafür  an,  daß 

^-  +  y\  +  ^  =  ?•_  +  .«)i  +  ii 


298  //.  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    III.  Kap. 

ist,  und  damit  auch  dafür,  daß  die  Axen  X,  %  3  in  dem  sogenannten 
Hauptellipsoid  **) 

A|  ^2  Ag 

ein  System  konjugierter  Durchmesser  bilden.     Das  Hauptellipsoid 
wird  in  dem  speziellen  Falle,   daß   die   rotatorischen  Glieder  ver- 
schwinden, mit  dem  EUipsoid  der  Leitfähigkeiten  identisch.  — 
Macht  man  die  Substitution**) 

78)         aryÄ=iyÄ?,  y}/x^fimy  zvr=fyx|, 

so  bildet  man  dadurch  den  von  dem  homogenen  Leiter  mit  den 
Eonstanten  A^,  A^,  A3  eingenommenen  Raum  k  auf  einen  anderen 
X  ab;  dem  Hauptellipsoid  in  k  entspricht  dabei  in  x  eine  Kugel^ 
welche  den  gleichen  Inhalt  besitzt,  falls  speziell 

78')  A»  =  AJ  A*  XI 

gesetzt  wird.    Zugleich  nimmt  die  Hauptgleichung  (77)  die  Gestalt  an 

78")  /'^öT  =  ^^*'f*' 

wie  sie  fiir  isotrope  Leiter  gilt. 

Hat  das  Medium,  welches  der  Behandlung  unterworfen  wird, 
speziell  die  Eigenschaft,  daß  für  dasselbe  die  rotatorischen  Kon- 
stanten verschwinden,  so  folgt  aus  den  Werten 

4Ö     J  U  =    —  /"  -^    -,       t)  =—/"—--  ,      tu  =    —  ^J    -  - 

'  ^  ox^  ^  dy  ^  ax 

die  innerhalb  des  homogenen  Leiters  durch  ein  beliebiges  Flächen- 
stück o  gehende  Strömung 

Jxido^  ^  j\).l  ^^ cos {n,x)  +  II 1^  cos [n,y)  +  A3«  ~  cos (n,  2:))  rfö , 

also 

78"")      jwdo  =  -  xf^dcü , 

worin  [das  Integral  über  das  durch  Abbildung  aus  0  gewonnene 
Flächenstück  co  zu  erstrecken  ist,  und  v  die  Normale  auf  dem  Flächen- 
element d<D,  —  A(ö<i>/öi/)  die  normale  Strömung  durch  dasselbe 
bezeichnet. 

Diese  Betrachtungen  ergeben  das  Resultat,  daß  man  für  die 
Behandlung  der  Strömung  an  Stelle  eines   homogenen   krystalli- 


§  12,    Strömung  bei  wirkendem  Poteniial.  299 


nischen  Leiters  jederzeit  einen  durch  die  Substitution  (78)  aus 
ihm  transformirten  isotropen  Körper  substituieren  kann.  Dabei 
bleiben  die  Grenzbedingungen,  soweit  sie  die  Werte  <l>  vorschreiben, 
stets  ungeändert;  soweit  sie  aber  u  oder  §*  0  +  n  vorschreiben, 
nur  dann,  wenn  das  Medium  rotatorische  Eonstanten  nicht  besitzt. 

Eine  Ausdehnung  dieser  Behandlungsweise  auf  ein  System  kry- 
stallinischer  Leiter  ist  deshalb  nicht  möglich,  weil  die  Widerstands- 
axen  für  die  verschiedenen  Teile  im  allgemeinen  verschiedene  Größe 
und  Richtung  haben.  — 

Schließlich  mag  noch  auf  eine  wichtige  geometrische  Eigenschaft 
der  Substitution  (78)  aufmerksam  gemacht  werden.  Da  sie  linear 
ist,  so  führt  sie  Gerade  wieder  in  Gerade,  Ebenen  in  Ebenen  über 
und  beläßt  Abschnitten  von  gleicher  Länge  auf  einer  Geraden  auch 
diese  Eigenschaft.  Hieraus  folgt  sogleich,  daß  konjugierten  Diame- 
tralebenen und  konjugierten  Durchmessern  des  Hauptellipsoides  im 
Räume  k  zueinander  normale  Diametralebenen  und  zueinander  nor- 
male Durchmesser  im  Räume  x  entsprechen,  und  umgekehrt. 

Das  Gleiche  giebt  die  Berechnung  mit  Hilfe  der  auf  S.  297 
aufgestellten  Formelsysteme.  — 

Ist  0  nur  von  zwei  Koordinaten,  etwa  x  und  y,  abhängig,  so 
tritt  der  S.  294  charakterisierte  Fall  ein,  und  man  kann  den  Vor- 
gang ganz  in  der  Zr«  Ebene  darstellen.  Dies  gilt  zwar  immer,  wenn 
alle  Verhältnisse  des  Problems  längs  der  Z-Axe  konstant  sind,  also 
z.  B.  für  cylindrische  Körper  bei  längs  der  Axenrichtung  konstanten 
Anfangs-  und  Oberflächenbedingungen,  nicht  aber  auch  stets  bei 
unendlich  dünnen  Platten  parallel  der  Xr- Ebene;  sind  diese  z.  B. 
nach  beiden  Seiten  hin  durch  Nichtleiter  begrenzt,  so  wird  die 
Z-Komponente  der  Strömung,  also  m,  verschwinden  müssen,  und  es 
kommen  für  u  und  ö  die  Formeln  (75)  zur  Geltung.  Noch  anders 
gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn  längs  der  Seitenflächen  etwa 
S*0+  n  gegeben  ist,  ein  Fall,  auf  den  wir  bei  Gelegenheit  der 
Wärmeleitung  eingehen  wollen,  wo  er  besonderes  Interesse  gewinnt. 


§13.     Sie  Bewegung  imponderabler  Plnida  innerhalb  ponderabler 
Körper;  allgemeine  Sätze  über  den  stationären  Zustand. 

Wir  gehen  nunmehr  zu  spezielleren  Anwendungen  der  im  vo- 
rigen Abschnitt  abgeleiteten  allgemeinen  Grundbedingungen  über 
und  wenden  dieselben  zunächst  auf  den  stationären  Zustand  an, 
wo  der  ganze  Vorgang  von  der  Zeit  unabhängig  ist. 


300  //.  TnL    Mechanik  nichtstarrer  Körper»    HL  Kap. 

Hier  reduzieren  sich  die  Formeln  (76")  auf 

l  "A  +  "k  =  0, 

während  die  Gleichungen  (76)  und  (76')  ungeändert  bleiben,  die 
Bedingungen  an  den  äußeren  Grenzen  des  Systems  aber  die  Gestalt 
annehmen,  daß  entweder  0,  oder  n,  oder  g^  0  +  n  als  Funktion 
des  Ortes  vorgeschrieben  ist. 

Man  kann  die  Betrachtung  noch  etwas  Terallgemeinem,  indem 
man  in  den  Gleichungen  (79)  die  Null  auf  der  rechten  Seite  je  durch 
eine  gegebene  Funktion  der  Koordinaten  ersetzt,  die  resp.  mit  r  und 
\j^^  bezeichnet  werden  mag;  man  erhält  dann 

(  öji      9ü      öro  _ 

Diese  Gleichungen  entsprechen  nach  der  Bedeutung  der  n,  ü,  m 
und  n  dem  Falle,  daß  jedes  Volumenelement  dk  eine  Quelle  von 
der  Ergiebigkeit  rrfÄ,  jedes  Grenzelement  rfö^^  eine  solche  von  der 
Ergiebigkeit  f^j^rfö^j^  enthält 

Wir  werden  nun  zunächst  beweisen,  daß  die  Gleichungen  (79) 
resp.  (79')  mit  den  dabei  angegebenen  Neben-  und  Grenzbedingungen 
0  vollständig  bestimmen,  indem  wir  uns  der  S.  181  in  einem  spe- 
zielleren Falle  angewandten  Methode  bedienen  und  zeigen,  daß,  wenn 
zwei  Lösungen  tfK^)  und  0^)  j^ii^  gegebenen  r,  f^^,  0^^  und  0 
resp.  n,  oder  5*  ^  +  »  vereinbar  wären,  deren  Dififerenz  0'  eine 
Konstante,  und  zwar  im  allgemeinen  gleich  Null  sein  müßte.**) 

0'  genügt,  falls  wir  die,  statt  aus  0,  aus  0'  gebildeten  Größeij^ 
gleichfalls  durch  den  Index  '  bezeichnen,  nach  (79')  und  (76')  den 
Gleichungen 

I—  4-  —  -I-  —  =  0 
ni  +  iTi  =  0,     0;=0i; 

außerdem  muß  an  den  äußeren  Grenzen  des  körperlichen  Systeme», 
je  nachdem  dort  0,  n,  oder  5^  0  +  n  vorgeschrieben  ist,  0',  n', 
oder  32  cp»  ^  „»  gleich  Null  werden. 

Wir  bilden  nun  aus  der  ersten  Formel  (79") 


^/*'(i^ 


dy        dx) 


§  13.    Stationäre  Strümung  imponderabler  Fluida.  301 


WO  das  Integral  je  über  ein  Bereich  auszudehnen  ist,  innerhalb 
dessen  die  Beschaffenheit  des  Mediums  stetig  variiert,  —  wie  man 
kurz  sagen  kann,  über  einen  Körper  —  die  Summe  JS  über  alle, 
und  erhalten 

Die  Oberflächenintegrale  verschwinden,  soweit  sie  sich  auf 
Zwischengrenzen  beziehen,  nach  den  beiden  letzten  Formeln  (79"); 
soweit  sie  sich  auf  die  äußere  Begrenzung  des  Systems  beziehen, 
überall  da,  wo  0'  oder  n'  verschwinden,  und  ergeben 

wo  _  _      _ 

ga0'  +  n'  =  O 
ist. 

Setzt  man  noch  abgekürzt  die  quadratische  Form 

so  erhält  man 

-S'/S«  W^do  +  JSf  fl'rfA  =  0. 

Ist  ii  eine  definite  Form,  wie  da3  bei  isotropen  Medien  aus 
der  Definition  folgt,  und  wie  wir  auch  bei  anderen  auf  Grund  aller 
Erfahrungen  über  die  Werte  der  Eonstanten  A^j^  bei  den  verschie- 
denen physikalischen  Phänomenen  annehmen  dürfen,  so  folgt  aus 
dieser  Gleichung  in  Verbindung  mit  0^  =  0i,  daß  0'  im  ganzen 
Systeme  konstant  sein  muß,  und  diese  Eonstante  bestimmt  sich  stets 
zu  Null  mit  Ausnahme  des  einen  Falles,  daß  an  der  ganzen  äußeren 
Grenze  n  vorgeschrieben  ist,  wo  sie  willkürlich  bleibt  In  diesem 
Ausnahmefall  ist  also  noch  eine  weitere  Angabe,  etwa  diejenige 
des  Wertes  von  0  für  einen  Punkt,  nötig,  um  das  Problem  voll- 
ständig zu  bestimmen. 

Sind  Quellen  nicht  vorhanden,  und  ist  an  der  äußeren  Be- 
grenzung überall  n  gleich  Null,  so  ist  die  Lösung  des  Problemes 
allgemein  stets  angebbar,  wenn  die  Potentialsprünge  0;^^^,  unter 
Berücksichtigung  der  Durchgangsrichtung  durch  die  Zwischen- 
grenzen über  jede  innerhalb  des  Systems  zu  ziehende  geschlossene 
Eurve  summiert,  sich  zu  Null  ergänzen.  Dann  ist  für  jeden  homo- 
genen Teil  0^  konstant,  wobei  die  relativen  Werte  der  Eonstanten 
durch  die  Bedingungen 


bestimmt  sind. 


<^»  -  *^*  =  <«»** 


302  IL  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    III.  Kap, 


Diese  Lösung  entspricht  verschwindenden  u,  to,  m,  also  nicht 
einem  Strömungs-,  sondern  einem  Gleichgewichtszustand,  wie  der- 
selbe in  §  8  näher  untersucht  ist 

Da  alle  Bedingungsgleichungen  für  <U  in  dieser  Größe  linear 
sind,  so  kann  man  0  jederzeit  in  eine  Summe  von  Teilen  zerlegen, 
deren  jeder  Oberflächenbedingungen  unterworfen  werden  kann,  welche 
von  den  für  (p  gegebenen  abweichen,  etwa  vereinfacht  sind,  wenn 
nur  diese  Bedingungen,  über  alle  Teile  von  <P  summiert,  die  direkt 
vorgeschriebenen  liefern.  Jeder  Teil  wird  dann  vollständig  bestimmt 
sein,  wenn  die  für  ihn  geltenden  Bedingungen  den  aus  dem  Vor- 
stehenden ersichtlichen  Charakter  haben. 

Diese  Zerlegungen  haben  einmal  einen  praktischen  Nutzen,  in- 
dem sie  ein  kompliziertes  Problem  auf  eine  Anzahl  einfacherer  re- 
duzieren; sie  besitzen  aber  auch  theoretisches  Interesse,  weil  bei  der 
Zerlegung  der  Einfluß  der  einzelnen,  <i>  bestimmenden  Umstände 
sich  anschaulich  sondert  — 

Für  einen  homogenen  krystallinischen  Leiter  ist  nach  dem  am 
Ende  des  vorigen  Paragraphen  Gesagten  und  imter  den  dort  an- 
gegebenen Bedingungen  das  Problem  der  Bestimmung  der  Strömung 
zurückführbar  auf  dasjenige  der  Ableitung  einer  Funktion  0  aus 
der  Hauptgleichung 

und  aus  gegebenen  Oberflächenwerten  von 


0,  d(Dldv,  d^U^-^dd^ldv. 

Diese  Aufgabe,  welche  eine  Erweiterung  des  in  §  10  erörterten 
Problemes  der  stationären  Potentialbewegung  einer  inkompressibeln 
Flüssigkeit  darstellt,  ist  in  §  22  des  I.  Teiles  allgemein  behandelt 

0  erscheint  dort  als  die  Potentialfunktion  von  nach  ge- 
wissen, durch  die  GREEN'schen  Funktionen  ausgedrückten  Gesetzen 
in  die  Ferne  wirkenden  räumlichen  und  flächenhaften  Massen- 
verteilungen: hier  bestimmt  es  sich  durch  die  von  den  einzelnen 
Punkten  des  Raumes  und  der  Oberfläche  ausgehenden  Strömungen. 
Man  sieht  daraus,  daß  man  dieselben  Formeln  auf  zwei  durchaus 
verschiedene  Weisen  deuten  kann;  ein  Umstand,  der  für  die  Auf- 
fassung gewisser,  später  zu  behandelnder  Erscheinungen  bedeutungs- 
voll geworden  ist 

Ist  der  homogene  Leiter  unbegrenzt,  und  ist  allein  an  der 
Stelle  a,  b,  c  des  Raumes  ä,  also  im  Punkte  a,  ß,  y  des  Raumes  % 
im  Abstand  p  von  |,  //,  f  eine  Quelle  von  der  Ergiebigkeit  Q  vor- 
handen, so  wird 


§  13.    Stationäre  Strömung  imponderabler  Fluida.  303 


0=._O_    ^__0 


471  A  ^  4  71 A  V  (I  -  «)*  +  (I?  -  |9j«  +  (C  -  yj« 

Q 


1/      l      A?        +       AS        +        AS 


80) 


Die  Flächen  konstanten  Potentiales  in  k  sind   also  EUipsoide, 
die  dem  Hauptellipsoid  (77'")  ähnlich  und  homothetisch  sind. 
Für  eine  Anzahl  von  Quellen  gilt  analog 

1  Q 

0^-—Y^-\  80') 

4  7iA  ^^'  ' 

worin  Q^  die  Ergiebigkeit,  und  q^  die  Entfernung  der  Aten  im 
Räume  x  befindlichen  Quelle  von  der  Stelle  |,  ^,  J  bezeichnet 

Befinden  sich  die  Quellen  in  einem  endlichen  homogenen 
Körper  ä,  so  kann  man  jederzeit  setzen 

wo  nun  <pQ  innerhalb  k  regulär  ist,  der  Bedingung  A^tfC^o'^  ^  6®" 
nügt  und  an  der  Oberfläche  die  Wirkung  der  Summe  -2*  so  kom- 
pensieren muß,  daß  die  dort  geltenden  Bedingungen  erfüllt  sind. 

Ist  nur  eine  Quelle  im  Punkte  a^  b,  c  vorhanden,  und  ist  an 
der  ganzen  Oberfläche  0  konstant  oder  g^0  —  Aö<i>/öv  gleich  Null 
vorgeschrieben,  so  gilt  für  0  der  Reciprocitätssatz  (184)  auf  S.  186; 
sind  zwei  Quellen  von  entgegengesetzt  gleicher  Ergiebigkeit  an  den 
Stellen  a,  b,  c  und  a\  b\  c  vorhanden,  und  ist  längs  der  ganzen 
Oberfläche  d  0/0  v  =  0,  so  gilt  der  Reciprocitätssatz  (184"). 

0^j  kann  in  diesen  Fällen  zur  physikalischen  Deutung  der  Gbeen'- 
schen  Punktionen  G^  auf  S.  185  dienen;  0  ist  dabei  wesentlich  iden- 
tisch mit  den  auf  S.  187  aus  ihnen  abgeleiteten  resp.  Funktionen  7"^. 

Ist  der  Raum  k  durch  eine  Ebene  e  begrenzt,  so  gilt  Gleiches 
vom  Raum  x  und  einer  Ebene  £,  und  man  kann  bei  gegebenen 
Quellen  leicht  0  so  bestimmen,  daß  in  der  Grenze  entweder  0  oder 
ö  0/öf  verschwindet;  man  hat  zu  diesem  Zwecke  nur  in  den  Spiegel- 
punkten der  Quellen  in  Bezug  auf  e  Quellen  mit  der  entgegen- 
gesetzten oder  der  gleichen  Ergiebigkeit  anzubringen.  Hierdurch  sind 
dann  auch  die  GREEN'schen  Funktionen  G^j  G^  resp.  F^,  F^  für  den 
Halbraum  gegeben. 

Die  Lage  der,  diesen  Spiegelpunkten  im  Räume  k  entsprechen- 
den kann  man  ohne  Rechnung  finden,  wenn  man  den  oben  ange- 
gebenen Satz  benutzt,  daß  normalen  Durchmessern  einer  Kugel  im 
Räume  x  konjugierte  Durchmesser  des  Hauptellipsoides  im  Räume  k 


304  //.  Teil    Mechanik  nichtsiarrer  Körper.    IIL  Kap, 


entsprechen.  Die  Verbindungslinie  jeder  Quelle  mit  der  korrespon- 
dierenden ist  sonach  dem  Durchmesser  parallel,  welcher  der  zur 
Grenze  parallelen  Centralebene  des  Hauptellipsoides  konjugiert  ist; 
die  Abstände  beider  Quellen  Ton  der  Grenzebene  sind  gleich. 

Durch  das  Verfahren  der  wiederholten  Spiegelung  läßt  sich  die 
Stromverzweigung  in  einer  Reihe  von  endlichen,  nur  von  Ebenen  be- 
grenzten Körpern  behandeln;  doch  haben  diese  Probleme  für  Kr}'- 
stalle  geringeres  praktisches  Interesse,  weil  die  Größe  der  erforder- 
lichen Flächenwinkel  jener  Körper  im  Räume  k  von  den  Leitungs- 
fähigkeitskonstanten  des  Mediums  selbst  abhängen. 

Gleiches  gilt  von  der  Anwendung  des  Spiegelungsverfahrens  in 
Bezug  auf  eine  Kugelfläche  vom  Radius  P  im  Räume  x\  hier  kann 
man  bei  beliebigen  Quellen  auf  der  KugelAäche  0  zu  Null  machen, 
indem  man  zu  jeder,  im  Abstand  a,  vom  Centrum  befindHchen,  eine 
auf  demselben  Radiusvektor  im  Abstand  a^  =  P^/cCf^  gelegene  hinzu- 
fügt, deren  Ergiebigkeit  Q^  bestimmt  ist  durch  die  Beziehung 

Qk  =  QHi^klP^QkPI(^n  oder  <2Ä/a.=  «iV^i- 

Hierdurch  ist  also  auch  die  GREEN'sche  Funktion  Cj  resp.  F^ 
für  die  Vollkugel  gegeben. 

Der  Kugel  im  Räume  x  entspricht  im  Räume  k  ein,  dem 
Hauptellipsoid  ähnliches  Ellipsoid. 

Bei  unkrystallinischen  Medien  haben  diese  Methoden  eine  große 
Wichtigkeit  und  gestatten  dort  auch  die  Anwendung  auf  gewisse 
Systeme  von  homogenen  Leitern,  die  durch  Ebenen  gegeneinander 
abgegrenzt  sind.*®)  — 

Das  Strömungsproblem  kann  nach  dem  auf  S.  294  Gesagten  auf 
zwei  verschiedene  Weisen  zu  einem  ebenen  werden,  entweder  in- 
dem ID  gleich  Null,  oder  indem  0  von  z  unabhängig  wird. 

In  beiden  Fällen  kann  man  schließlich  schreiben 

du     ,     dt)  —    ,    —        r 

d"7+ö7=='^'   "A  +  "k  =  Uif 

Hat  der  betrachtete  Körper  keine  rotatorische  Eigenschaft,  ist 
also  A^^  =  ^21 '  ^^  kann  man  durch  Einführung  eines  Hauptaxen- 
systemes  X^,  Y^  aus  (81)  erhalten 

81')  -««=^?||,   -""  =  ^211 

und  hierauf  die  (78)  analoge  Substitution 

81")  xfÄ^^^Ä\,   yyT=i?VJö,    A^^A\Al 

anwenden,  welche  die  gleichen  Folgerungen  gestattet,  wie  jene. 


§  13,     Ebene  Strömung  mit  Rotation.  305 


Ist  nur  eine  Quelle  von  der  Ebrgiebigkeit  Q  an  der  Stelle  ar=a,  y =i 
vorhanden,  so  erhält  man  den  (80)  entsprechenden  Wert 

Q 


0=   - 


dem  für  eine  beliebige  Anzahl  von  Quellen  mit  den  Ergiebigkeiten  Qj^ 
in  den  Punkten  a^^,  i^  der  durch  Erweiterung  erhaltene  Ausdruck 

"f^-^h^^^nh),  81"") 

entspricht;  c  resp.  e^  bezeichnet  die  Entfernung  des  betrachteten 
Punktes  |,  tj  von  der  betreffenden  Quelle  im  Räume  x. 

Bei  beliebiger  Begrenzung  ist  das  auf  S.  303  auseinandergesetzte 
Verfahren  anwendbar  und  gestattet  bezüglich  gewisser  Beciprocitäts- 
sätze,  sowie  bezüglich  der  physikalischen  Interpretation  der  Gbebn'- 
schen  ebenen  Funktionen  (?i  analoge  Polgerungen,  als  dort  bezüg- 
lich der  räumlichen  G^^  gezogen  sind. 

Die  Methode  der  Spiegelpunkte  gilt  hier  in  der  Ebene,  wenn 
die  Begrenzungen  durch  Gerade  und  Kreisbögen  gegeben  sind,  ähn- 
lich wie  früher  im  Räume  bei  ebenen  und  kugeligen. Grenzen.  — 

Von  besonderem  Interesse  sind  bei  dem  ebenen  Problem  die 
Medien,  für  welche  die  rotatorischen  Glieder  nicht  verschwinden. 
Legt  man  die  ^Axe  in  die  Richtung  des  Vektors  T,  so  nehmen  in 
den  wichtigsten  ersten  beiden  auf  S.  294  angegebenen  Fällen  die 
Gleichungen  (81)  die  mit  (76")  gleichwertige  Gestalt  an: 

^d0         8  0  ^       ^ö0,      8  0  ooN 

^u  =  Ä^-r-^-,    -t)  =  A^  +  r^.  82) 

Die  Kauptgleichung  lautet  hier,  soweit  man  von  räumlichen 
Quellen  absieht, 

A,/i>  =  0;  82') 

die  Komponente  n  der  Strömung  nach  der  Richtung  der  Normalen  n 

auf  einem  Kurvenelement  ds  wird  zu 

^80  ,      80  QO"\ 

8n  ds  ^  * 

falls  man  cos(n,  ar)  =  —  cos(ä,  y),  cos(n,  y)  =  +  cos(*,  :r)  setzt. 

Ist  das  Bereich  der  XZ- Ebene,  in  dem  die  Strömung  statt- 
findet, gar  nicht  oder  aber  durch  Kurven  begrenzt,  längs  deren  0 
vorgeschriebene  Werte  annimmt,  so  kommen  die  rotatorischen  Glie- 
der für  das  Problem  der  Aufsuchung  von  0  nicht  in  Betracht; 
anders  natürlich,  wenn  längs  der  Grenzen  n  oder  3*0H-n  vor- 
geschrieben ist,  die  selbst  r  enthalten.  Dies  ist  von  Belang,  wenn 
es  sich  um  den  experimentellen  Nachweis  der  Ebdstenz  der  rotato- 
rischen Konstanten  für  ein  Medium,  eventuell  um  ihre  Bestimmung 

Voigt,  Theoretische  Physik.  20 


306  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    III,  Kap. 


handelt,  und  die  Beobachtung  nur  an  die  Werte  von  0,  nicht  aber 
an  die  Größe  und  Richtung  der  resultierenden  Strömung  an- 
knüpfen kann. 

Die  durch  (82)  dargestellte  Strömung  läßt  sich  jederzeit  als 
eine  Potentialbewegung  auffassen,  deren  Potential  im  allgemeinen 
mehrwertig  ist;  hierin,  und  in  dem  eigentümlichen  Zusammenhang, 
der  zwischen  jener  Strömung  und  der  bei  verschwindender  Rotations- 
konstante T  stattfindenden  besteht,  liegt  das  besondere  Interesse, 
welches  diese  Vorgänge  besitzen. 

Setzt  man  t  =  0,  also 

wo  sich  —  A^  als  Strömungspotential  darstellt,  so  kann  man  nach 
S.  276  für  0  den  reellen  Teil  einer  Funktion  f{x  +  iy)  wählen;  gleich- 
zeitig giebt  dann  der  imaginäre  Teil  eine  Strömungsfunktion  JSy 
deren  Konstantsetzen  die  Gleichimg  der  Stromkurven  liefert. 

Bei  nicht  verschwindendem  r  bilden  wir  aus  dieser  Funktion 

f{x  +  iy)  =  (0  +  i2), 

indem  wir  wie  auf  S.  295  rll  =  tga  setzen, 

831    !  ^^"^  "*"  '^^  "  ^^  ~  '■*« «)  A^  +  iy)  =  (1  -  «'tg  «)  (^  +  i^h 
'    \  ={(li  +  2tga)  +  i{2-  0iga)=  <lf+i:S', 


worin  0' 

und  2!^  neue  Bezeichnungen  sind. 

Wegen 

80       8Z      80            8Z 

dx   "^  8y  '     8y   ~        8x 

gilt  dann 

.8  0'           ^       .8  0'                   .8  0' 

83') 

8x  ^                     8y  ^                     8n 

sowie 

83") 

.8Z'           ^            ,  8Z' 

ri^i     '                                                 rinr. 

Demgemäß  stellt  sich  0'  als  das  Potential,  -2"  als  die  Strö- 
mungsfunktion der  rotatorischen  Bewegung  dar,  und  es  gilt 

83-)  <2>  =  4=:f^-^,    ^=4±:^. 

'  ^  l+tg^a'  l+tg"o 

Ergiebt  die  dritte  Formel  ^  mehrwertig,  während  seine 
physikalische  Bedeutung  Einwertigkeit  verlangt,  so  ist  die  bez.  Lö- 
sung nur  in  einem  angemessen  begrenzten  Bereich  der  Ebene  an- 
wendbar. 


§  13.    Ebene  Strömung  mit  Rotation,  307 


Die  vorstehenden  Eesultate  gestatten  ohne  Eechnung  wichtige 
Folgerungen  abzuleiten. 

Ist  0'  =  ax^  JS*  =  ay,  so  verlaufen  die  Stromlinien  parallel 
der  X-Axe,  und  es  wird 

0  ist  also  konstant,  wenn  gleiches  für  x  -—  y  ig  cc  gilt  Diese  Be- 
wegung läßt  sich  durch  zwei  Gerade  parallel  zur  X-Axe  begrenzen, 
falls  in  ihnen  das  Medium  an  Nichtleiter  stößt;  ist  die  Breite  des 
so  erhaltenen  Streifens  gleich  b,  so  ist  die  Differenz  ^^j  der 
Potentialwerte  in  gegenüberliegenden  Punkten 

^j2  =  ab  sin  a  cos  a;  84') 

ihre  Beobachtung  gestattet  die  Bestimmung  von  a  und  somit  die- 
jenige der  rotatorischen  Konstanten  t. 

Ganz  analog  läßt  sich  die  radiale  Strömung  in  einem  schmalen 
Ejreissektor  verwenden,  wenn  letzterer  von  Nichtleitern  begrenzt  ist. 

Für  eine  Quelle  in  der  unendlichen  Ebene  ist  nach  (81'") 

0=-^/W,  85) 

worin  Q  die  Ergiebigkeit  der  Quelle  und  e  ihren  Abstand  von  dem 
betrachteten  Punkt  bezeichnet  Hieraus  folgt  bis  auf  eine  irrelevante 
Eonstante 

^=--^i>,  85') 

falls  &  den  Winkel  zwischen  dem  von  der  Quelle  hinweg  positiv 
gerechneten  e  und  der  X-Axe  bezeichnet,  und 

*^=-2&('W  +  **8«),  ^=-2fi(*-/Wtg«).      85") 

Es  sind  in  diesem  Falle  also  die  Kurven  sowohl  konstanter  0'  als 
konstanter  JS^  logarithmische  Spiralen  mit  der  Quelle  als  Pol; 
erstere  schließen  mit  den  Eadienvektoren  die  Winkel  (3r/2)  +  a, 
letztere,  die  Stromkurven,  mit  ihnen  die  Winkel  a  ein.  Durch  Ver- 
gleichung  mit  S.  286  erkennt  man,  daß  in  dem  vorliegenden  Fall 
die  Quelle  zugleich  die  Rolle  eines  Wirbelfadens  spielt 

Ist  parallel  der  X-Axe  eine  geradlinige  Grenze  vorhanden, 
längs  welcher  n  verschwindet,  so  kann  man  der  dadurch  gelieferten 
Bedingung  genügen,  indem  man 

20* 


308  //.  Teil.    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    UL  Kap. 


setzt,  worin  e  die  Entfernung  des  in  Bezug  auf  die  Grrenzgerade  ge- 
nommenen Spiegelpunktes  der  Quelle  und  &'  den  Winkel  von  e  gegen 
die  X-Axe  bezeichnet 

Diese  Formeln  ergeben  um  den  Spiegelpunkt  eine  entgegen- 
gesetzte Rotation,  wie  um  den  QueUpunkt;  der  ihnen  entsprechende 
Ausdruck  für  0  ist  in  der  stromdurchflossenen  Halbebene  ein- 
wertig. 

Das  Spiegelungsverfahren  ist  bei  der  Grenzbedingung  n  =  0 
mitunter  auch  anzuwenden,  wenn  mehrere  geradlinige  Grenzen  vor- 
handen sind,  und  läßt  sich  mit  einer  der  S.  304  erwähnten  Ab- 
änderung analoger  auch  auf  kreisförmige  Grenzen  tibertragen. 

§  14.  Die  Bewegung  imponderabler  Fluida  innerhalb  ponderabler 
Körper;  allgemeine  Sätze  über  den  yeränderliohen  Zustand.   Biffiuiion. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zur  Behandlung  des  veränderlichen 
Zustandes,  so  sollen  auch  hier  zunächst  die  Bedingungen  untersucht 
werden,  welche  neben  den  Formeln  (76")  das  Strömungsproblem 
vollständig  bestimmen*^.  Wir  fügen  zu  den  oben  benutzten,  daß 
an  den  Zwischengrenzen  0^  —  0^^  =  (^^^  und  an  den  äußeren  Grenzen 
des  Systemes  entweder  0  oder  n  oder  3^0  + n  vorgeschrieben  ist, 
noch  die  weitere,  daß  zu  irgend  einem  Zeitpunkt,  von  welchem  aus 
wir  t  rechnen  wollen,  0  für  das  ganze  System  gegeben  ist. 

Wären  zwei  Lösungen  </>j  und  <i>2  mit  diesen  Bedingungen 
vereinbar,  so  müßte  ihre  Differenz  0^  —  0^  =  c/>'  den  beiden 
Gleichungen  (76")  analoge  befriedigen,  es  müßte  an  den  Zwischen- 
grenzen 0'  stetig  sein,  an  der  äußeren  Begrenzung  des  Systemes  0 
oder  n'  oder  g*  0'  +  n'  verschwinden,  desgleichen  zur  Zeit  f  =  0  im 
ganzen  System  0'  selbst. 

Hieraus  folgt  aber,  wie  sich  zeigen  läßt,  daß  0'  in  dem  ganzen 
System  verschwinden  muß.  Denn  bezeichnet  man  wieder  alle  statt 
aus  0  aus  0'  gebildeten  Funktionen  durch  den  Index  ',  so  folgt 
aus  der  ersten  Formel  (76"),  die  wir  nach  (76"')  schreiben 

««)  fe  +  S  +  lr  +  '-l?-». 

sei        ^//«,.(«+^  +  «  +  ,^).,«_o, 

WO  die  2fdk  sich  auf  das  ganze  System  erstreckt  und  die  Inte- 
gration nach  der  Zeit  von  ^  =  0  bis  zu  einem  beliebigen  t  —  t^  ge- 
nommen wird;  hieraus  erhält  man  aber  leicht 


§  14.     Veränderliehe  Strömungen  imponderabler  Fluida.  309 


2'JJ(tfn'dtdo 


-^If  {'■'-£  +.-?^+»'^).*..+t^/.|<.' 


2 


rfÄ  =  0. 


86") 


Das  Oberflächenintegral  verschwindet  an  den  äußeren  Grenzen, 
soweit  daselbst  0  oder  n  vorgeschrieben  ist,  und  giebt,  soweit  gleiches 
flir  5*0 +  n  gilt,  +  JSff^^^^dodt  Wo  die  Bedingung  (76"") 
gilt,  also  n  +  vd(Pldt  =:  0  ist,  wird  aus  dem  Oberflächenintegral 

Für  die  Zwischengrenzen  folgt  durch  Zusammenfassung  der  auf 
dasselbe  Flächenelement  doj^j^  bezüglichen  Teile,  falls  man  das 
gelegentlich  der  Gleichung  (76"')  über  cr^^  Gesagte  benutzt,  daß  sich 
die  bezüglichen  Tenne  sämtlich  hinwegheben.  Führt  man  noch  die 
durch  (79"')  definierte  Abkürzung  ß  ein  und  berücksichtigt,  daß  0' 
für  ^  =  0  überall  verschwindet,   so  erhält  man  aus  (86')  schließhch 


:sff^^(l>'^dodt  +  2^Jsi'dkdt 
+  ^:sfv{W\do  +  \:sffjL{0'\dk^O,  . 


86"') 


und  dies  ergiebt,  daß,  wenn  fl  eine  definite  quadratische  Form  und 
fji  und  V  positiv  ist,  0'  zu  jeder  Zeit  innerhalb  des  ganzen  Systemes 
gleich  Null  sein  muß.  Damit  ist  auch  erwiesen,  daß  0  durch  die 
oben  zusammengestellten  Bedingungen  vollständig  bestimmt  ist.  — 

Wie  früher  für  den  stationären,  so  bietet  auch  hier  für  den  ver- 
änderlichen Zustand  die  Zerlegung  der  Potentialfunktion  </>  und  dem- 
gemäß diejenige  der  in  ihr  linearen  Bedingungsgleichungen  praktisclie 
und  theoretische  Vorteile. 

Wir  wollen  von  diesem  Hilfsmittel  eine  Anwendung  auf  den 
Fall  machen,  daß  die  Bedingungen  für  die  äußere  Grenzfläche  des 
körperlichen  Systemes  die  Zeit  nicht  explicit  enthalten,  also  0 
resp.  n  oder  g^  0  +  n  als  Funktionen  des  Ortes  allein  gegeben  sind, 
worein  verschwindendes  a  einbegriffen  sein  mag.  Dann  bestimmen 
dieselben  mit  den  Gleichungen  (79)  und  den  Bedingungen  (76)  und 
(76')  zusammen  eine  Funktion  0^  welche  den  mit  den  Bedingungen 
vereinbaren  stationären  Zustand  charakterisiert  Ist  dabei  an  der 
ganzen  Oberfläche  u  vorgeschrieben,  so  muß  /nrfö  =  0  sein. 

Setzen  wir  nun 

0=  00+01,  87), 


810  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    III.  Kap. 


80  muß  (p^  die  unter  Rücksicht  auf  (76)  gebildete  Hauptgleichung 


erfüllen,  in  den  Zwischengrenzen 


87")  *Ä  =  0i?    und     ujj  +  iii?  =  0 

und  an  den  äußeren  Grenzen  des  Systemes,  je  nach  den  dort  für  0 
vorgeschriebenen  Bedingungen,  0^,  n®  oder  g*  0®  +  n®  gleich  Null 
ergeben.  Ist  zur  Zeit  ^  =  0  der  Wert  von  0  gleich  F  {z,  y,  z)  vor- 
geschrieben, der  natürlich  den  Bedingungen  0^  —  0,^  =  0^*  genügen 
muß,  so  gilt  ebenda  für  0*^ 

Multipliziert  man  die  Gleichung  (87')  mit  0^dk  und  integriert 
über  das  ganze  körperliche  System,  so  erhält  man  unter  Benutzung 
der  Bezeichnung  (79'") 

\~:sffjL{0^)^dk  =  :sfWnUo'^:sfn^dk. 

Das  Oberflächenintegral  verschwindet,  soweit  es  sich  auf  Zwischen- 
grenzen bezieht,  und  giebt  an  den  äußeren  Grenzen  den  von  Null 
verschiedenen  Wert  —  -2'/g*(0^  do  nur,  soweit  g*  0ö  +  n^  =  0 
vorgeschrieben  ist.     Man  erhält  sonach*®) 

d 


87'")    ^-^:sffi{0ydk  =  - :sfd\0ydo - 2fSi^dh. 

Diese  Formel  zeigt,  daß  der  Mittelwert  von  [0^  in  dem  ganzen 
System  dauernd  abnimmt;  diese  Abnahme  muß  indessen  mit  der  Zeit 
immer  langsamer  werden,  da  2fii[0ydk  jedenfalls  nicht  kleiner 
als  Null  werden  kann,  und  sie  verschwindet  ganz,  wenn  die  rechte 
Seite  der  Gleichung  (87'")  verschwindet  Im  allgemeinen  ist  hierzu 
erforderlich,  daß  auch  0®  im  ganzen  System  verschwindet,  nur  in 
dem  speziellen  Falle,  daß  längs  dessen  gesamter  Außengrenze  n 
vorgeschrieben,  also  n®  =  0  ist,  geschieht  dies  schon,  wenn  0®  inner- 
halb des  Systemes  konstant  ist. 

Hieraus  ist  zu  folgern,  daß  unter  den  gemachten  Voraussetzungen 
mit  wachsender  Zeit  endlich  ein  stationärer  Zustand  eintritt,  der 
im  allgemeinen  gar  nicht,  in  dem  speziellen  Falle,  daß  an  der 
ganzen  äußeren  Fläche  n  gegeben  ist,  aber  nur  in  einer  additiven 
Konstante  von  dem  Anfangswert  0  =  jP  abhängt. 

Diese  Konstante  C,  die,  wie  S.  301  gesagt,  bei  dieser  letzteren 
Form   der   Oberflächenbedingung    durch   alleinige   Betrachtimg   des 


§  14.     Veränderliche  Strömungen  imponderabler  Fluida.  311 

definitiven  Zustandes  ohne  eine  spezielle  auf  sie  bezügliche  Angabe 
nicht  bestimmbar  ist,  findet  sich  bei  Rücksicht  auf  die  Anfangswerte, 
aus  welchen  jener  Zustand  sich  entwickelt  hat,  und  auf  die  Be- 
dingung JSfn  rfo  =  0  folgendermaßen. 

Aus  (86)  erhält  man  durch  Integration  über  das  körperliche 
System 

somit  also 

:Sffi0dk=:  Const., 

oder  da  zur  Zeit  ^  =  0  gilt  0  =^  F,  zur  Zeit  des  stationären  Zu- 
standes 0  =i  Cj  auch 

C  ist  somit  das  in  einem  gewissen  Sinne  berechnete  arithmetische 
Mittel  aus  den  Anfangswerten  von  0.  — 

Über  die  Art  der  zeitlichen  Veränderung  von  0®  erhält  man 
für  Medien  ohne  rotatorische  Qualität  eine  merkwürdige  Fprmel, 
indem  man  durch  Integration  über  dSi^jdt  bildet 


A^Jfl.«  =  2^/'^„.i. 


woraus  gemäß  der  Hauptgleichung  und  den  Grenzbedingungen  von 
S.  301  für  a>^  folgt 

-jj\2JnUk  +  2fvWYdo   =-^22ffil^Ydk.      88) 

Setzt  man  hier  den  Wert  der  EQammer  links  aus  (87'")  ein,  so 
erhält  man 


d 
oder,  was  hiermit  identiscli  ist, 

^ft^m'^-^dk  =  0,  88') 

eine  Formel,  die  gar  nichts  auf  die  örtliche  Veränderlichkeit  von  0^ 
bezügliches  mehr  enthält 

Beim   Eintritt   des  stationären   Zustandes  ist    0^    im    ganzen 
System  konstant  und  zwar,  wenn  längs  der  ganzen  Oberfläche  n  von 


312  //.  T&ü,    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IIL  Kap. 


der  Zeit  unabhängig  ist,  im  allgemeinen  von  Null  yerschieden;  hier 
wird  dann  noch  einfacher 


88")  .  2:j^^; 


Zum  Zwecke  der  Ableitung  allgemeiner  Sätze  über  den  ver- 
änderlichen Zustand  in  einem  homogenen  krystallinischen  Körper 
kann  man  die  erste  Gleichung  (76")  durch  Einfuhrung  der  schon 
oben  benutzten  Substitution  (78)  auf  die  Form 

89)  AAf,^*-^-!?"^ 

reduzieren.    Führt  man  eine  Funktion  X  ein,  welche  der  Gleichung 

890  ÄAf,fX+,u^  =  0 

genügt,  so  erhält  man  fiir  0  und  X  eine  dem  GBEEN'schen  Satze 
ähnliche  Gleichung,  indem  man  die  erste  Gleichung  mit  Xdxdt,  die 
zweite  mit  (Pdxdt  multipliziert  und  die  Differenz  über  einen  Kaum  x 
im  Ä-fifZ- System,  innerhalb  dessen  0,  X  und  ihre  ersten  Derivierten 
sich  regulär  verhalten,  sowie  über  die  Zeit  von  ^  =:  0  bis  zu  dem 
betrachteten  Moment,  der  ^  =  f^  gesetzt  werden  mag,  integriert  Der 
Raum  X  entspricht  dabei  einem  Kaum  k  in  dem  eigentlichen  Körper, 
wie  er  durch  die  Substitution  (78)  sich  aus  x  ergiebt**). 
Man  erhält 


89") 


-  fifdx{H)X\  +  fxfdxid^X),  «  0. 


Hierin  bezeichnet  (o  die  Oberfläche  von  x,  und  v  die  nach  innen 
positiv  gerechnete  Normale  auf  dw. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  X  werde  zu  dem  Zeitpunkt  t=t^ 
an  einer  Stelle  Uj  ß,  y  des  Raumes  x  unendlich  und  gleichzeitig  im 
übrigen  Eaume  x  gleich  Null,  so  muß  man  in  den  auf  die  Zeit  f  =  /^ 
bezüglichen  Teüen  der  vorstehenden  Integrale  den  Punkt  a^  ß^  y 
durch  eine  kleine  Oberfläche  (o\  sagen  wir  durch  eine  Kugel  vom 
Radius  (),  ausschließen  und  das  Raumintegral  nur  auf  den  in  Bezug 
auf  sie  äußeren  Teil  x  —  x'  von  x  ausdehnen,  das  Oberflächen- 
integral aber  auch  auf  die  Oberfläche  (J  von  x\  Das  erste  Raum- 
integral über  X  —  7i  verschwindet  dabei  nach  der  Annahme ;  das 
fragliche  Oberflächenintegral,  welches  zu  dem  in  (89")  vorhandenen 


§  14.     VeränderUeke  Strömungen  unponderabler  FhMa,  313 


hinzutritt,  lautet,  da  nur  die  unmittelbar  t^  benachbarten  Elemente 
des  Zeitintegrales  einen  Wert  geben, 

J^-xfdtfd.'{x^-i^%),  90) 

worin  r  eine  sehr  kleine  Zeit  bezeichnet 

Nun  wollen  wir  spezieller  annehmen,  daß  X  in  der  Nähe  von 
^  =  ^  sich  verhält,  wie  die  der  Gleichung  (89']  genügende  Funktion 

y  =  -^  «"  ^  90') 

worin  r  =  ^  —  #,  p^  =  (|  —  «)*  +  (i?  —  /?)*  +  (f  —  y)^  und  C  eine  Kon- 
stante ist 

Es  ist  dann 

und  man  kann  schreiben 

Läßt  man  hierin  q  und  r  zugleich  unendlich  klein  werden  und 
zwar  so,  daß  q^/t  an  der  unteren  Grenze  verschwindet,  an  der 
oberen  aber  unendlich  wird,  so  läßt  sich  das  Integral  berechnen. 

Setzt  man  nämlich 

so  wird 

y  II     J       q     J  \Bq  q        I 

0 

und  es  verschwindet  wegen  (o^  ^  Ang^  das  erste  Glied  der  Klammer 
mit  verschwindendem  (>,  das  zweite  giebt,  da  0  stetig  ist, 

Verfugt  man  noch  über  die  willkürliche  Konstante  so,  daß 
so  folgt  schließhch 

/=   ^fl(Paßy  90'") 

und  die  Gleichung  (89")  nimmt  die  Gestalt  an 


814  //.  Teä,    Mechanik  niehistarrer  Körper,    IIL  Kap, 


91)    f^0aßy  =  -  kjdtjdm  (x  ^  -  0 ^)  +  (ifdx (0X)o, 

0 

drückt  also  den  Wert  von  0  zur  Zeit  ^  an  einer  beliebigen  Stelle 
von  X  mit  Hilfe  der  Funktion  X  durch  die  Randwerte  von  0  und 
d0jdv  zu  jeder  Zeit  zwischen  0  und  t^  und  den  Anfangswert  0^ 
von  0  im  ganzen  Innern  von  x  aus. 

X  ist  indessen  durch  die  bisherigen  Festsetzungen  noch  nicht 
vollständig  bestimmt 

Legt  man  ihm  die  Bedingung  auf,  daß  es  an  der  Oberfläche 
von  X  verschwindet,  so  fällt  d0/dv  aus  der  letzten  Gleichung  heraus, 
und  0aßY  bestimmt  sich  allein  durch  0  und  0q\  legt  man  ihm  die 
Bedingimg  dX/dv  =  Const  auf,  so  wird  0a ßy  his  auf  eine  additive 
Eonstante  durch  00/ dv  und  0q  ausgedrückt;  setzt  man  endlich 
8*X  — ÄöX/öfrsO,  worin  g  auf  der  Oberfläche  variieren  kann,  so 
wird  0aßy  durch  das  Aggregat  ^^0  —  kd0ldv  und  0^  gegeben. 

Daß  durch  diese  Festsetzungen  X  jedesmal  völlig  bestimmt  ist, 
folgt  aus  den  Betrachtungen  auf  S.  809,  in  denen  nur  die  Zeit  f=^ 
an  Stelle  von  ^  =  0  zu  setzen  ist. 

In  der  That,  vertauscht  man  in  der  Hilfsfunktion  X  das  Argu- 
ment t  mit  ^1  —  f  und  bezeichnet  das  Resultat  als  Funktion  von  t 
durch  0^,  80  erfüllt  0'  nach  (89')  die  Gleichung 

91-)  AA0'-/i^'  =  O 

und  verhält  sich  in  a,  ß,  y  zur  Zeit  ^  =  0  nach  (90')  und  (90")  wie 
die  Funktion 


91")  ^'  =  1/(4^) 


8    -'*^ 


4a 


ist  aber  im  übrigen  mit  seinen  ersten  Derivierten  endlich  und  stetig. 

Diese  Funktion  0  hat  dann  eine  einfache  Bedeutung. 

Sei  über  die  Oberflächenwerte  von  0  resp.  d0\dv  so  verfugt, 
daß  das  Oberflächenintegral  verschwindet,  und  sei  0^  überall  gleich 
Null  mit  Ausnahme  eines  Volumenelementes  x  an  der  Stelle  |,  17,  f, 
wo  es  gleich  Eins  ist,  so  wird  aus  (91) 

0«^y  =  x'(X),«o  =  ^'(*')r  =  ..; 

also  ist  0^  identisch  mit  dem  Potentialwert  0,  welcher  unter  diesen 
Bedingungen  zur  Zeit  t^  in  a,  /9,  y  eintritt,  dividiert  durch  x. 

Setzt  man  in  (89")  für  X  den  früheren  Wert  und  zugleich 
für  0  die  Funktion  0  mit  dem  Pol  in  a,  /9',  /  statt  in  a,  /9,  y  ein. 


§  14.     Veränderliche  Strömungen  imponderabler  Fluida.  315 


was  durch  0''  bezeichnet  werden  mag,  so  muß  für  die  Zeit  t^t^ 
der  Punkt  a,  ß,  y,  für  ^  =  0  der  Punkt  a ,  /9',  y  ausgeschlossen 
werden.  Die  Baumintegrale,  welche  über  den  äußeren  Baum  zu 
erstrecken  sind,  yerschwinden  beide;  Ton  den  Oberflächenintegralen 
bleiben,  wenn,  wie  vorher,  die  auf  die  äußeren  Begrenzungen  bezüg- 
lichen durch  die  Verfügungen  über  X  und  0'  zu  Null  gemacht 
werden,  nur  die  über  die  Hilfsfiächen  erstreckten  und  liefern 

Da  nun  aber  X  [t)  =  0'  (^  "~  0  ist,  so  giebt  dies  auch 

^-Vyt.  =  'K'ß^yi.  91'") 

und  damit  den  Satz: 

Wird  an  der  ganzen  Oberfläche  co  entweder  0,  oder  00/ dv 
oder  5*<J>  — AÖ0/ÖV  dauernd  gleich  NuU  erhalten  und  wird  <J>  zur 
Zeit  ^=0  einmal  in  cc,  ß,  y,  das  andere  Mal  in  a',  ß",  y  in  gleicher 
Weise  unendlich,  im  übrigen  Null,  so  hat  4>  zur  Zeit  t^t^  das  erste 
Mal  in  «',  ß!^  /,  das  zweite  Mal  in  a,  /9,  y  den  gleichen  Wert.  — 

Ist  der  Baum  A  unbegrenzt,  so  genügt  man  allen  für  ^  ge- 
stellten Bedingungen,  indem  man  X  =  ;^  setzt *^;  hierdurch  erhält 
man  dann  aus  (91) 

worin  e»  =  (I  -  a)*  +  (1?  -/?)*  +  (?  -  y)^  ist. 

Es  trägt  also  jedes  Baumelement  dx  einen  mit  dem  Anfangs- 
wert 0Q  proportionalen  Teil  zu  dem  in  a,  /9,  y  zur  Zeit  t^  statt- 
findenden Wert  4>  bei,  gemäß  der  räumlichen  und  zeitlichen  Ent- 
fernung in  der  Weise  geschwächt,  wie  es  der  Faktor  von  ^^dx 
im  obigen  Ausdruck  angiebt 

Ist  0Q  nur  in  einem  Baumelement  von  Null  verschieden,  und 
zwar  <i>^d^  ==  Vo»  so  erhält  man  flir  aUe  endlichen  Werte  p 

Hieraus  folgt,  daß  zu  einer  Zeit 

y  «  -^  92") 

0  einen  Maximalwert  erreicht  von  dem  Betrage 


—       9o  M 


92"') 
Dieser   Maximalwert  nimmt   also   indirekt   der   dritten   Potenz   der 


316  //.  Teü.    Mechanik  nicktstarrer  Körper.    III,  Kap, 


Entfernung  ab,  und  die  Zeit,  welche  bis  zu  seinem  Eintritt  verläuft, 
ist  mit  dem  Quadrat  der  Entfernung  proportional;  die  Fortpflanzung 
geschieht  also  nicht  gleichförmig. 

Ist  00  längs  Gerader  parallel  zur  Z-Axe  konstant  YOi^eschrieben, 
so  giebt  Formel  (92) 

worin  «2  --  (I  _  ^Y  -j-  (^  _  ^a  ist;  gilt  gleiches  fiir  Ebenen  parallel 
zur  Ä-fif- Ebene,  so  erhält  man 

Diese  Formeln  lassen  sich  ähnlich,  wie  (92),  auf  die  Fälle 
spezialisieren,  daß  <J>^  entweder  nur  längs  einer  Geraden,  oder  nur 
längs  einer  Ebene  von  NuU  verschieden  ist,  und  ergeben  ähnliche, 
aber  abweichende  Gesetze  für  die  Fortpflanzung  von  0^.  — 

Ist  der  Raum  k  irgendwie  begrenzt,  so  kann  man  X  =  ;if  +  X^ 
setzen,  wo  X^  der  Gleichung  (89')  genügt,  sich  in  k  regulär  ver- 
hält imd  dazu  dient,  um  die  Wirkung  von  x  ii^  der  Grenze  so  zu 
kompensieren,  daß  die  dort  geltenden  Bedingungen  erfüllt  werden. 

Für  eine  Ebene  kann  man  die  Bedingung,  daß  X  oder  dXjdv 
längs  derselben  verschwindet,  dadurch  erfiillen,  daß  man  X^  resp. 
gleich  ^x'  oder  +x'  setzt,  wo  x  diejenige  Funktion  bezeichnet, 
welche  aus  x  wird,  wenn  man  darin  die  Stelle  or,  ß,  y  mit  ihrem 
Spiegelpunkt  a',  /9',  /  in  Bezug  auf  die  Grenzebene  vertauscht. 

Um  die  Wirkung  allein  der  in  der  Grenzebene  vorgeschriebenen 
Werte  von  <J>  oder  d^bjdv  zur  Geltung  kommen  zu  lassen,  kann 
man  den  Anfangswert  </>o  überall  gleich  Null  setzen  und  erhält  so, 
da  x'  ^  der  Grenze  gleich  Xj  dx'jdv  ebenda  gleich  -^dx/dv  wird, 
die  beiden  Formeln 


94) 


0 


f,0,^^  =  +  2xjdrj^[ib\,^^^^d^', 


0 


Ist  im  Baume  x  die  Grenze  die  S-ff- Ebene  und  ist  längs  der- 
selben <J>  oder  dU^jdv  örtlich  konstant,  obwohl  zeitlich  variabel,  so 
ergiebt  dies  wegen 


§  14.    Diffuium. 


317 


und 


=i/(S 


8 


l^-|i--2,K-,)p/{ji-y 


94') 


die  Resultate 


h 


*.--l/^/(^L.; 

0 


4Jlr 


dl 

VT 


(p. 


(A^ 


aßY 


=  +  ^|/^/w<'-)^"^"7f 


94") 


welche  angesehen  werden  können  als  die  Fundamentalgesetze  für 
die  Fortpflanzung  ebener  Wellen  des  imponderabeln 
Fluidums")._ 

Ist  z.  B.  0  als  periodische  Funktion  der  Zeit  mit  der  Periode  T 
gegeben,  so  pflanzen  sich,  wie  die  Ausrechnung  des  letzten  Inte- 
grales lehrt,  in  großer  Entfernung  y  die  Maxima  und  Minima  mit 
der  Geschwindigkeit  VAnXjiiT  parallel  der  Z-Axe  fort,  während 
ihre  Größen  in  geometrischer  Progression  abnehmen.  — 

Von  den  speziellen  Vorgängen,  auf  welche  die  in  diesem  Para- 
graphen  angestellten  allgemeinen  Überlegungen  Anwendung  gestatten, 
werden  die  wichtigsten  in  späteren  Abschnitten  Besprechung  finden. 
In  näherer  Verbindung  mit  den  in  diesem  Teil  behandelten  Be- 
wegungen ponderabler  Massen  steht  von  ihnen  nur  die  Diffusion 
einer  gelösten  Substanz  in  einem  Lösungsmittel,  falls  man  die  bei 
der  Lösung  stattfindende  Volumenänderung  yemachlässigen  darf. 
Damit  ist  verwandt  die  Diffusion  zweier  Flüssigkeiten,  die  sich  in 
allen  Verhältnissen  und  ohne  Kontraktion  mischen**). 

Hier  liegen  die  Verhältnisse  insofern  besonders  ein&ch,  als  bei 
einer  Flüssigkeit  alle  Richtungen  unterschiedslos,  und  die  Formeln 
(76)  daher  mit  den  ein&cheren 


u  =  —  A-^ 


3  ö<P      ^  ,00) 


da?  '     '  äy  '    "  dx 

zu  vertauschen  sind. 

Die  Potentialfunktion,  welche  die  Diffusion  bewirkt,  wird,  wenn 
man  von  der  Schwere  absehen  kann,  nur  von  der  Konzentration  der 
Lösung  oder  auch  der  Dichte  (>'  der  gelösten  Substanz  innerhalb  der 
Lösung  abhängen  und  kann  nach  der  Beobachtung,  welche  die  aus 


318  //.  Teil.    Mechanik  niefästarrer  Korper.    III.  Kap. 


dieser  Annahme  gezogenen  Folgerungen  befriedigend  bestätigt,  der 
Dichte  proportional,  oder  bei  geeigneter  Definition  des  Faktors  k 
ihr  gleich  gesetzt  werden. 
Man  erhält  so 

95)       u^-l^^,  t,  =  -X^,   to  =  -X^,  n  =  -X^, 

und  aus  (86)  wegen  ft  =  1 

95-)  ^Ae'  =  ^; 

l  ist  der  Di£fusionskoe£&zient,  über  dessen  kinetische  Deutung  S.  74 
gesprochen  ist;  hängt  p'  nur  von  der  ^-Koordinate  ab,  so  ergiebt 
(Oö')  die  dort  erhaltene  spezielle  Form 

^  ö»»  "~   di  ' 


An  festen  Wänden  ist  dg' /dn^s^O,  dagegen  an  Stücken  der  lös- 
baren Substanz  (>'  =  p',  d.  h.  gleich  der  Dichte  in  konzentrierter 
Lösung.  Flächen  letzterer  Art  sind  also  als  Eintrittsflächen  zu 
betrachten,  und  zwar  streng  genommen  als  mit  der  Zeit  veränder- 
liche, da  die  Herstellung  der  vom  Oberflächenelement  do  während  dt 
abströmenden  Menge  dm=^  ^  o'ndodt  die  Auflösung  einer  Schicht 
von  der  Dicke  dn  erfordert,  gegeben  durch  rfm=  —Q^dudo,  worin 
Qq  die  Dichte  der  festen  Substanz  bezeichnet  Es  gilt  sonach  für 
die  Verschiebung  der  Grenzfläche 

indessen  kompliziert  ihre  Berücksichtigung  das  Problem  überaus,  da 
sie  neben  der  Bewegung  der  gelösten  Substanz  auch  noch  eine 
solche  des  Lösungsmittels  veranlaßt;  man  trifit  deshalb  in  Praxis 
Vorkehrungen,  dieselbe  bei  Beobachtungen  zum  Zweck  der  Bestim- 
mung von  X  zu  vermeiden. 

§  15.    Bewegungen  tropfbarer  Flüssigkeiten  mit  freier  Oberfläche. 

Die  Strömung  von  Elektricität  und  Wärme  erstreckt  sich  in 
einem  unendlichen  Leiter  jederzeit,  wenn  auch  eventuell  mit  un- 
endlich abnehmender  Intensität,  nach  aUen  Seiten  bis  ins  Unend- 
liche; dagegen  sind  in  wirklichen  Flüssigkeiten,  welche  bis  ins  Un- 
endliche reichen,  Bewegungen  möglich,  die  sich  auf  endliche  Bezirke 
beschränken  und  durch  eine  Unstetigkeitsfläche  gegen  den  äußeren 
ruhenden  Teil  abgegrenzt  werden,  so  lange  nur  die  Grundeigenschaft 


§  16.    Bewegungen  mit  freier  Ober  flocke,  319 

der  idealen  Flüssigkeiten,  keine  tangentialen  Druckkomponenten  zu- 
zulassen, vorhanden  ist 

Längs  solcher  Flächen  muß  dann  also 

u'  cos  (n,  x)  +  v'  cos  (n,y)  +  w'  cos  (n,  z)  =  0 
und 

d.  h.  gleich  derjenigen  Funktion  der  Koordinaten  sein,  welche  den 
Druck  in  dem  ruhenden  Teile  der  Flüssigkeit  nach  den  in  §  4 
dieses  Teiles  entwickelten  Gesetzen  angiebt  Wirken  keine  Kräfte, 
so  giebt  die  zweite  Bedingung/?  =  Const  Dasselbe  gilt  angenähert, 
wenn  die  ünstetigkeitsfläche  die  Grenze  zwischen  einer  bewegten 
tropfbaren  Flüssigkeit  und  einem  ruhenden  Gas,  also  eine  freie  Ober- 
fläche im  weiteren  Sinne  des  Wortes  ist. 

Bei  tropfbaren  Flüssigkeiten  kann  der  Druck  in  der  ünstetigkeits- 
fläche auch  verschwinden,  ohne  daß  der  Vorgang  unmöglich  wird, 
und  dann  kann  man  ohne  Änderung  der  Bewegung  die  ruhende 
äußere  Flüssigkeit  vollständig  beseitigen  und  dadurch  die  Grenze 
im  strengen  Sinne  zu  einer  freien  Oberfläche  machen. 

In  diesem  FaUe  ist  auch  die  Voraussetzung,  daß  die  ünstetig- 
keitsfläche ruht,  nicht  mehr  nötig,  jede  Fläche  /?  =  0  wird  eine  freie 
Oberfläche  darstellen  können,  wenn  nur  die  Bedingung 

erfüllt  ist. 

um  die  neue  Bedingungsgleichung  p  =  f{xyy,z)  oder  p  =  Const 
auch  durch  die  Geschwindigkeiten  auszudrücken,  müßte  aus  den 
Hauptgleichungen  (43)  erst  ein  Wert  für  p  durch  einmalige  Inte- 
gration gewonnen  werden.  Dies  ist  aber  weder  auf  Grund  der 
Gleichungen  (43)  direkt,  noch  auch  mit  Hilfe  der  allgemeinen  Sub- 
stitution (61)  möglich.  Man  gelangt  dazu  aber^^)  mit  Hilfe  jener 
zweiten  Zerlegung  von  u,  r',  to,  die  S.  193  angegeben  ist,  und  gemäß 
welcher  man  setzen  kann 

Hieraus  folgt  sogleich  für  die  Wirbelkomponenten 

dHdG       öGdH 


2r  = 
2m' = 

271'== 


dy   dx  dy  dx^ 

dHdG  ÖGdH 

dx   dx  dx   dx^ 

dHdG  dG  dH 

dx  dy  dx  dy' 


970 


320 


IL  TSeiL    Meekamk  niekUtarrer  Särpmr.    UL  Kap. 


und  dies  giebt 


97") 


ox  dy  0%  ' 


d.  h.  die  Wirbellinien  sind  die  SchnitÜnirven  der  Oberflächen  G  =  Const 
und  JS  =  Const 

Durch  eine  ein£Gu;he  Rechnung  findet  man  weiter 

öHdG       öQdH 


d 

dy 
dt 


t  '^  dx\dt'^       dt)  ' 


dt  dx       dt  dx 


dV^      dB  da      dG  dB 
dx         di    dx        dt   dx 


u.  8.  f.   und  die  Gleichungen  (43)  nehmen,  falls  man   ein  Kräfte- 
Potential  0  voraussetzt  und 


dt 


97'") 

abkürzt^  die  Gestalt  an 

dBdG  _dQdB 
dt  dx        dt  dx 

dBdG       dGdE 


98) 


dt  dy        dt   dy 

dBdG       dGdE 
dt   dx        dt  dz 


di 

dSl' 
dx  ' 

dSl' 
dy  ' 

dSl' 

dx  ' 


Nun  bewegen  sich  aber  nach  S.  271  die  Flüssigkeitsteilchen  bei 
Einwirkung  konserrativer  körperlicher  Eräfte  mit  den  Wirbellinien« 
und  hieraus  folgt,  daß  unter  den  gemachten  Voraussetzungen 


98') 
und 


dB _ dG  _^ 
dt  ~~  dt  "^ 


fl'  =  r, 

d.  h.  gleich  einer  Funktion  von  t  allein  sein  muß.    Diese  Gleichung 
liefert  allgemein  das  Gewünschte,  denn  sie  ergiebt 


98") 

oder  auch,  da  nach  (98') 


rrdG  ö-/  'öö^  ,     'öö  ,      ,dG 


d  x 


dy 


und  dies  nach  (97) 


dx 
,dF 


) 


ist,  auch 


jrn   .     ,  d  F  .     ,  d  F  , 


§  15,    Bewegungen  mit  freier  Oberfläche.  321 


-  77=  0  -  1^8  +  g  -  T.  98'") 

Für  die  stationäre  Bewegung  einer  inkompressibeln  Flüssigkeit 
folgt  aus  (98") 

;?  =  (>(C-*-|F2),  98'"') 

worin  C  eine  Konstante  bezeichnet;  dies  giebt,  wenn  äußere  Kräfte 
nicht  wirken  und  an  irgend  einer  Stelle  der  Flüssigkeit  p  ==  p^, 
V^Vq  vorgeschrieben  ist, 

also  die  kleinsten  Drucke  an  den  Stellen  größter  Geschwindigkeit. 

Verbinden  wir  mit  diesen  Formeln  die  auf  S.  266  gemachte 
Bemerkung,  daß  innerhalb  tropfbarer  Flüssigkeiten  der  Zusammen- 
hang zerreißt,  wenn  der  Druck  einen  gewissen  negativen  Grenzwert 
erreicht,  so  können  wir  schließen,  daß  stets  diskontinuierliche  Be* 
wegungen  einsetzen  werden,  wenn  die  Geschwindigkeit  eine  gewisse 
Größe  überschreitet 

Ein  hierher  gehöriger  besonders  einfacher  Fall  ist  derjenige 
einer  ebenen  stationären  Potentialbewegung,  welche  durch  eine  feste 
Wand  begrenzt  wird,  die  irgendwo  eine  einspringende  scharfe 
Kante  besitzt  An  ihr  würden,  wenn  man  das  Geschwindigkeits- 
potential nach  den  früher  gegebenen  Eegeln  berechnet,  die  Potential- 
j3ächen  unendlich  nahe  zusammenrücken;  es  würde  also  die  Ge- 
schwindigkeit imendHch  groß  werden  und  der  Druck  unter  jede 
negative  Grenze  herabsinken,  d.  h.,  die  so  gefundene  Bewegung  würde 
unmöglich  sein. 

In  Wirklichkeit  verlassen  daher  die  bisher  längs  der  Wand 
verlaufenden  Stromlinien  an  jener  Kante  in  zunächst  tangentialer 
Richtung  die  Wand  und  erfüllen  weiterhin  eine  Fläche,  längs  deren 
die  Bewegung  diskontinuierlich  ist  Der  zwischen  ihr  und  der  Wand 
liegende  Baum  kann  im  einfachsten  Fall  mit  ruhender  Flüssig- 
keit angefQUt  sein,  er  kann  auch  unabhängige  Strömungen  ent- 
halten; jedenfallB  aber  müssen  in  der  Diskontinuitätsfläche  die  Be- 
dingungen (44)  und  (44')  erfüllt  sein. 

Auch  bei  der  Strömung  gasförmiger  Flüssigkeiten  würde  eine 
ähnliche  Anordnung  eine  Diskontinuitätsfläche  hervorrufen;  denn  an 
der  Kante  würde  eine  unendlich  kleine  Dichte  und  demgemäß  eine 
faktische  Trennung  des  Gases  von  der  Wand  eintreten.  Dagegen 
würde  sie  bei  einem  imponderabeln  Fluidum  keinerlei  Singularitäten 
bewirken.  - 

Beschränken  wir  uns  weiterhin  auf  Grenzen,  in  denen  p  =  Const. 

Voigt,  Theoretische  Physik.  21 


322  IL  Teü,     Mechanik  mehtstarrer  Körper.    III.  Kap. 


ist,  80  gilt  dort  nach  (98"),  da  man  die  Konstante  mit  T  vereinigen 
kann,  ganz  aUgemein 

oder 

dF 


99')  0-^^'a  +  -_^y. 

bei  einer  Potentialbewegung  wird  spezieller,  wegen  G^  =  0, 


99")  0  +  |r*  +  ||'=r, 

bei  reiner  Wirbelbewegung,  wo  dFjdt  =  0  ist,  gilt  nach  {99') 

Im  Falle  des  stationären  Zustandes  folgt  aus  (98")  allgemein 
99'")      •  "Öi  +  \1^  =  Const. 

Die  Kontinuitätsgleichung  (43")  lautet  bei  Einfuhrung  der  obigen 
Substitution  und  unter  der  Annahme,  daß  jedes  Flüssigkeitsteilchen 
seine  Dichte  unverändert  beibehält, 

100)         A^+^A(?+(^^  +  ^^  +  ^^)=0; 

sie  giebt  mit  den  zwei  Gleichungen  (98'),  die  ausführlich  lauten: 


100') 


dB      ldF_  dB      dFdH      dFdH 
dt  "^  [dx  dx  "^  dy  dy  ^  dx  dx 

'^       \dx  dx  '^'dy  dy  "^  dx  dx)"     ' 

dO       IdF  ö_^   ,    ö^  ö_^   ,    ö^  ö_Ö\ 
\dx  dx        dy  dy        dx  dx) 


dt 


^«liW^mhm)'"' 


die  drei  Hauptgleichungen  des  Problems,  denen  zu  genügen  indessen 
große  Schwierigkeit  bietet  Demgemäß  sind  Probleme,  welche 
Wirbelbewegungen  mit  freier  Oberfläche  betreffen,  streng  überhaupt 
noch  nicht  behandelt,  und  auch  bei  Potentialbewegungen,  für  welche 
die  letzten  beiden  Gleichungen  identisch  erfüllt  sind,  ist  nur  die 
Durchführung  gewisser  ebener  Probleme  gelungen,  noch  dazu  be- 
schränkt auf  stationäre  Strömungen. 

Hier  giebt  nach  S.  276  der  reelle  Teil  einer  beliebigen  Funktion 
von  X  +  iy,  z.  B.  F  +  iS  =  f{x  +  ly),  eine  partikuläre  Lösung  für 
F,  und  die  Grenzbedingungen  lassen  sich,  falls  äußere  Kräfte  fehlen, 
dahin  formulieren,    daß  zugleich  mit  S  auch   J'  konstant  sein  muß. 


§  15,    Bewegungen  mit  freier  Oberfläche.  323 


Diese  Umstände  haben  gestattet,  eine  Reihe  von  ebenen  Bewegungen 
zu  finden,  die,  von  Unendlich  nach  Unendlich  verlaufend,  teils  von 
freien  Randkurven,  teils  von  festen  Wänden  begrenzt  sind  und  als 
ebene  Flüssigkeitsstrahlen  bezeichnet  werden  können.")  In  dem 
Falle,  daß  mehrere  solcher  Flüssigkeitsstrahlen  zusammenstoßen, 
können  dann  die  festen  Wände  ganz  in  Wegfall  kommen.**) 

Weicht  die  freie  ObeVfläche  der  bewegten  Flüssigkeit,  deren 
Gleichung  nach  (99'")  durch 

gegeben  ist,  nur  wenig  von  einer  Potentialääche  ' 

ab,  welche  dieselbe  Flüssigkeit  im  Zustand  der  Ruhe  zu  begrenzen 
vermöchte,  so  kann  man  die  Aufgabe,  eine  ihr  entsprechende  statio- 
näre Potentialbewegung  zu  finden,  durch  successive  Annäherung 
lösen.")  _ 

Hierzu  kann  man  zuerst  die  Fläche  </>  =  C  als  feste  Wand 
betrachten  und  ein  ihr  entsprechendes  Geschwindigkeitspotential  I\ 
nach  früheren  Methoden  aufsuchen,  aus  demselben  P^  in  erster  An- 
näherung =  P\  berechnen  und  die  Oberfläche 

bestimmen.  Diese  korrigierte  Oberfläche  wird  flir  ein  neues  Problem 
als  feste  Wand  behandelt,  eine  zw^eite  Annäherung  F^  für  F  aufge- 
sucht und  mit  dieser  eine  zweite  korrigierte  Grenzfläche  von  der 
Gleichung 

itj  +  ^ri^c 

bestimmt  u.  s.  f. 

Es  gelingt  auf  diesem  Wege  leicht,  Bewegungen  spezieller  Art 
innerhalb  einer  unendlichen  oder  geeignet  begrenzten  schweren  Flüs- 
sigkeit mit  freier  Oberfläche  zu  linden.  — 

Beschränkt  man  sich  von  vornherein  auf  so  kleine  Geschwin- 
digkeiten, daß  man  überall  die  in  ihnen  quadratischen  Glieder  neben 
den  linearen  vernachlässigen  kann,  so  gelingt  es  auch,  Fälle  nicht 
stationärer  Bewegung  mit  freien  Oberflächen  aufzufinden,  die  man 
allgemein  als  Wellen  bezeichnen  kann.^^ 

Unter  der  gemachten  Voraussetzung  gilt  zunächst  der  S.  272 
bewiesene  Satz,  daß  körperliche  Kräfte,  die  eine  Potentialfunktion 
haben,  stets  eine  Potentialbewegung  veranlassen;  gs  ist  also  im 
obigen  Ansatz  (97)  G  =  0  zu  setzen,  das  Geschwindigkeitspotential  F 

21» 


324  //.  TetL    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    III.  Kap, 

aber  als  eine  Größe  erster  Ordnung  zu  betrachten,  welche  bei  Vor- 
aussetzung einer  inkompressibeln  Flüssigkeit  die  Gleichung  erfüllt 

101)  aJ^=o. 

Femer  nehmen  hier  die  Bedingungen 

p  =  Const.     und     dp  I dt  ^  0 

relativ  einfache  Gestalten  an.    Denn  au»  (98")  folgt,  falls  man  die 
willkürliche  Funktion  T  der  Zeit  in  F  hineinzieht, 

Q       ^^  dt' 
also  als  erste  Grenzbedingung 


101')  0  +  ^  =  Const. ; 

dies  giebt  direkt  die  Gleichung  der  freien  Oberfläche.  Die  zweite 
Bedingung  aber  lautet,  wenn  0  die  Zeit  nicht  explicite  enthält 
wegen  dx / dt  =  ÖF/ dx, .,.. 


d^F      dFd0       dFd0dFd0_^ 
dt^'^  dx  dx  ^  dy    dy  '^  dx    dx  " 

imd  muß  gelten  für  Punkte,  welche  der  vorigen  Gleichimg  genügen. 
Da  aber  alle  Glieder  der  letzteren  Formel  bereits  erster  Ordnung 
sind,  muß  sie  bei  Vernachlässigung  der  Glieder  zweiter  Ordnung  für 
Punkte  erfüllt  sein,  welche  tf>  =  Const  machen;  das  sind  die  Punkte 
einer  freien  Oberfläche,  welche  die  Flüssigkeit  im  Gleichgevrichts- 
zustande  zu  begrenzen  vermag. 

Die  letzte  Formel   kann   man,   wenn  man  mit  v  die  Nonnale 
auf  der  Oberfläche  </>  =  Const  bezeichnet,  auch  einfacher  schreiben: 


101")  j^+4^4^=,o. 

Ist  die  wirkende  äußere  Kraft  die  Schwere,  und  ist  die  ^-Axe 
vertikal  nach  unten  gelegt,  so  wird  (t>  =  —  ^r,  die  letzte  Gleichung 
wird  also  für  ein  bestimmtes  z,   etwa  für  z  =  0  gelten  und  lauten 

ini'"\  ^^F  ÖF         f. 

101  )  T7r-^Tr  =  Ö' 

dazu  kommt  für  die,  die  Flüssigkeit  sonst  noch  begrenzenden  festen 
Wände 

lOr")  4^  =  0. 

o  n 

Im  Falle  periodischer  Bew^egungen  ist  jP=  Äsina(^+  t^)  zu 
setzen,  worin  q  und  t^  Konstanten  bezeichnen,  deren  erste  mit  der 
Periode  r  der  Bewegung  durch  die  Beziehung  czr  =  2w  zusammen- 


§  15,    Beilegungen  mit  freier  Oberfläche, 


325 


hängt,  während  R  eine  Funktion  der  Koordinaten  allein  ist,  fär  die 
folgende  Beziehungen  gelten 

AH  =  0  für  alle  Punkte, 


dR 


a^R  +  g^  =0  für  z  =  0, 

Fr 


dn 


=  0  an  begrenzenden  festen  Wänden.  , 


102) 


Diese  Bedingungen  haben  die  größte  Ähnlichkeit  mit  denen, 
durch  welche  8.  181' u.  f.  eine  Funktion  Fäer  Koordinaten  bestimmt 
worden  ist    Doch  sind  zwei  Unterschiede  zu  beachten. 

Erstens  ist  a  hier  nicht  durch  das  Problem  direkt  gegeben, 
sondern  ist  selbst  erst  aus  den  Bedingungen  (102)  zu  bestimmen. 

Zweitens  ist  in  der  zweiten  Formel  (102)  das  Vorzeichen,  welches 
die  beiden  Glieder  verbindet,  das  entgegengesetzte  von  demjenigen 
in  der  Grenzbedingung  JPF—  dF/ dn  ^  Oj  welche  in  der  allge- 
meinen, auf  S.  181  behandelten  enthalten  ist  Hieraus  folgt,  daß 
auch  bei  gegebenem  cc  das  System  (102)  die  Aufgabe  nicht  eindeutig 
bestimmt 

Ein  wichtiger  spezieller,  aber  immerhin  noch  ziemlich  allge- 
meiner Fall  ist  der,  daß  die  Begrenzung  der  Flüssigkeit  nach  unten, 
d.  h.  für  r  =  Ä,  durch  eine  horizontale  Ebene,  nach  den  Seiten 
durch  einen  vertikalen  Cylinder  gebildet  wird.  Hier  erhält  man 
eine  Lösung  durch  den  Ansatz 

R^ZÜ, 

in  dem  Z  nur  z,    U  nur  x  und  y  enthält     Die  Gleichungen  (102) 
nehmen  dabei  die  Form  an 

z  dx*  -       u  ^^y    ' 


dZ 


a^Z+g^  =0  für  z  =  0, 

^=-0  für  z=-A, 
dx 

FD 


1020 


«     =0  längs  des  Cylinders.  , 

Aus  der  ersten  Formel  folgt,  daß  sowohl  der  rechts-,  als  der 
linksstehende  Ausdruck  konstant  sein  muß;  wählt  man  diese  Kon- 
stante positiv  gleich  x^  so  erhält  man 

d'Z 


^^,=x2^,    A^U^^x^U, 


102") 


326  IL  T^L    Mechanik  fitchtstarrer  Körper.    IIL  Kap. 


Z  bestimmt  sich  bis  auf  einen  konstanten  Faktor  A  zu 
102'")  Z  =  ^(^(^-*)  +  tf-^C—«)), 

während  als  Beziehung  zwischen  cc  und  x  folgt 

102"")  xg[&'^  -  e-^^\  =  a\(^^  +  6-*^^*), 

Die  Bedingungen  für  U  nehmen  eine  Gestalt  an,  die  uns  bei  der 
Behandlung  der  Schwingungen  innerhalb  einer  elastischen  Flüssig- 
keit beschäftigen  wird,  wo  überhaupt  die  allgemeinen  Eigenschaften 
der  Wellenbewegungen  ausführlich  zur  Sprache  kommen  werden. 

Fehlt  die  seitliche  Begrenzung  der  Flüssigkeit  durch  den  Cylin- 
der,  so  bleibt  x  willkürlich,  im  anderen  Falle  werden  durch  die 
Grenzbedingung  dU  jdn  ^0  unendlich  viele  diskrete  Werte  als  mit 
dem  Problem  vereinbar  bestimmt;  jedem  x  entspricht  nach  (102"") 
eine  Bewegung  mit  anderer  Periode. 

Eine  interessante  partikuläre  Lösung  erhält  man,  wenn  man  die 
Gleichung  (101"')  statt  nur  für  z  =  0,  für  alle  z  gültig  annimmt*^ 
Man  kann  sie  dann  auch  nach  z  differentiieren  und  unter  Benutzung 
von  A  J^  =  0  aus  ihr  büden 

eine  Gleichung,  die  neben  A  -P  =  0  für  alle  Punkte  gelten  kann, 
weil  die  eine  nicht  t,  die  andere  nicht  z  enthält.  Als  Grenz- 
bedingung für  z  =  0  bleibt  die  Formel  (101'")  bestehen;  hinzu 
kommt,  wenn  die  Flüssigkeit  unendlich  tief  ist,  noch  die,  daß 
F  ^  0  sein  muß  für  r  ==  oo.  — 

Bei  diesen  Betrachtungen  ist  von  der  durch  kapillare  "Wirkung 
erzeugten  Oberflächenspannung  abgesehen.  Berücksichtigt  man  die- 
selbe, so  ist  p  nicht  konstant,  sondern  nach  (22')  um  eine  Kon- 
stante von  dem  Kapillardruck /?Q  verschieden  zu  setzen;  daher  lautet 
die  erste  Grenzbedingung  (1  Ol'),  falls  H^undU^  die  Hauptkrümmungs- 
radien der  Oberfläche  bezeichnen,  unter  Berücksichtigung  von  (31') 

103)  0  +  ^^  +  f  (^  +  i-)  =  Const 

In  dem  Falle,  daß  die  einzige  äußere  Kraft  die  Schwere,  also 
il),=i  —gz  ist,  weicht  die  freie  Oberfläche  unendlich  wenig  von  einer 
horizontalen  Ebene  ab,  es  ist  also 

103')  ^^=_Ä(-g-  +  -|l^); 

dies  giebt,  wenn  man  die  Gleichung  (103)  nach  t  difi'erentiiert  und 
berücksichtigt,  daß 


§  16,    Die  Lagrange' sehen  Oleichwigen.  327 

''*        ^^     und    AF=0  ist, 


dt  dx 


die  Fundamentalgleicbung  für  die  Behandlung  derKapillarwellen^% 
die  eine  der  obigen  analoge  Behandlung  gestattet. 

§  16.    Andere  Formen  der  kydrodynamiaolLen  Gnindgleiolinngen. 

sVon  den  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (14)  für  nichtstarre 
Körper  gelangt  man  durch  Einführung  der  Fundamentaleigenschaft 
der  idealen  Flüssigkeiten 

7  =  ^=X  =  0,    X  =  r  =  ^  =  ü 

z  X  y  '  sc  y  x       r 

und  unter  der  Voraussetzung,  daß  die  wirkenden  körperlichen  Kräfte 
der  Masse  proportional  sind,  zunächst  zu 

Die  in  §  9  benutzte  Betrachtungsweise  behandelt  weiterhin  die 
Geschwindigkeitskomponenten  dx/dt  ==  u,  dyfdx^Vy  dzjdt  ==  to 
als  Funktionen  der  Koordinaten  und  der  Zeit,  untersucht  also,  was 
an  beliebigen  Stellen  zu  wechselnden  Zeiten  stattfindet,  ohne  Rück- 
sicht darauf,  welche  Teilchen  der  Flüssigkeit  dabei  ins  Spiel  kommen. 

Umgekehrt  kann  man  die  Betrachtung  auf  die  wechselnden  Zu- 
stände richten,  welche  ein  und  dasselbe  Flüssigkeitsteilchen  mit  der 
Zeit  annimmt.  Bezeichnen  a,  b,  c  irgend  welche  Parameter,  welche 
ein  bestimmtes  Flüssigkeitsteilchen  definieren,  so  werden  seine  Ko- 
ordinaten zu  beliebiger  Zeit  x,  y,  z,  seine  Dichte  q  und  der  ihm  zu- 
gehörige Druck  p  Funktionen  von  (z^  b,  c  und  t  sein. 

Multipliziert  man  nun  die  Gleichungen  (104)  mit  dxida,  dt/jöa, 
dz/da  oder  dx/db,  dyjdb,  dz/db  oder  dx/dc,  di/ldc,  dzjdc 
und  addiert,  so  ergiebt  sich  das  System 


Idp        (d^x        Y\^^x(^y        Y\^yA.i^        7\^^(\ 
~^F'a^\rt^''^lda'^\dl^'^'^)~da'^\dt^       ^jda"^ 

\^Bp_ 
qdb 

1  dp 


104') 


q  de 

welches  in  dem  Falle,  daß  ein  Kräftepotential  0  existiert  und  die 
Dichte  Q  nur  vom  Druck  p  abhängt,  wenn  man  wieder 

^=^dn  104") 


328 


IL  Teil.    Meehantk  niohistarrer  Körper.    III,  Kap. 


setzt,  die  Fonn  annimmt 


104'") 


d(II+0)    .    d*xdx   ,   cPydy   ,   cPxdx 


da 


dt^  da^  dt^  da^  dt*  da 


d(II+0)   ,   d^xdx  ,   d^ydy   ,    d^xdx 


d& 


rf/«  db^  dt*  db^  dt*  db 


8(11-^0)  ,   d^xdx  ,  d^ydy  ,  d*xdx 
—        — r  TIS  äT  +  t:5  ä-r  + 


de 


dt*  de  ^  dt*  de  ^  dt*  de 


0, 
0, 
0. 


Diese  Gleicfanngen  rühren ,  wie  die  früheren  Grundgleichongen  {4S\ 
von  EüLEB®^  her,  werden  aber  gewöhnlich  nach  Lagbangb*^)  ge- 
nannt, der  sie  unabhängig  von  Euleb  gefunden  hat 

Die  Eontinuitätsbedingung,  welche  aussagt,  daß  die  Masse  ein^ 
beliebig  abgegrenzten  Bereiches  von  Flüssigkeitsteilchen  während  der 
Bewegung  sich  nicht  ändert,  läßt  sich  allgemein  schreiben 


105) 


d(Qdk)       r. 
dt  "' 


worin  dk  ein  Volumenelement  der  Flüssigkeit  bezeichnet    Bei  Ein- 
führung von  Oj  by  c  läßt  sich  schreiben 


105') 


dk^ 


dx  dy  dx 
d  ad  a da 

dx  dy  dx 
WbdlbJb 

dx  dy  dx 

de  de  de 


da  dbdc  iss  0  da  db  de ; 


die  Eonstanz  von  gdk  kommt  sonach  auf  die  Gleichung 

105")  e  0  =  Const  (^), 

oder,  wenn  q  konstant  ist,  auf 

105'")  0  =  Const(^) 

heraus.    Der  Fall  0  :=  0  ist  hierbei  ausgeschlossen. 

Die  Begrenzung  der  Flüssigkeit  enthält  nach  S.  218  immer  die- 
selben Teilchen;  denkt  man  also  ihre  Gleichung  in  x,  y,  z  und  t  aus- 
gedrückt, so  muß  bei  Einführung  der  Werte  von  Xj  y,  z  ia  a^  b,  c 
und  t  letzteres  aus  der  Formel  für  die  Oberfläche  der  Flüssigkeit 
herausfallen,  und  diese  sich  in  eine  Gleichung  zwischen  a,  b  und  c  ver- 
wandeln. Daher  ist  es  vorteilhaft,  über  die  Größen  a,  d,  c  so  zu 
verfügen,  daß  das  Eonstantsetzen  einer  von  ihnen  die  Gleichung 
der  Begrenzung  giebt 

Neben  dieser  Bedingung  ist  in  der  Grenze  zwischen  zwei  Flüssig- 
keiten h  und  k  noch  die  weitere  zu  erfiillen,  daß  dort  Pj^  —  Pj^==Pjti 


§  16,     Die  H.  Weber'sehen  Gleichungen, 


329 


sein  muß;  gleiches  gilt  fUr  etwaige  Unstetigkeitsflächen  und  für  freie 
Oberflächen. 

Die  vorstehenden  Formeln,  welche  anscheinend  in  allen  den 
Fällen  Vorteile  bieten,  wo  die  Oberfläche  der  Flüssigkeit  veränder- 
lich ist,  sind  erst  in  sehr  wenig  Fällen  integriert  worden,  von  denen 
der  interessanteste  Wellen  von  endlicher  Höhe  an  der  Oberfläche 
einer  schweren  Flüssigkeit  liefert®*).  Auch  für  die  Gewinnung  all- 
gemeiner Sätze,  wie  sie  S.  268  bis  271  abgeleitet  sind,  bieten  sie 
gegenüber  den  dort  benutzten  Formeln  (43)  besondere  Vorteile  nicht  — 

Multipliziert  man  die  Gleichungen  (104''')  mit  dt  und  integriert 
sie  zwischen  Grenzen  ^=0  und  t=^t^,  so  erhält  man  nach  geeigneter 
Umformung     des    zweiten    Gliedes     durch     teilweise    Integration, 


wenn  man 


/(/7+  ib^^r^dt^S 


106) 


setzt: 


da 


+ 


dxdx  .   dydy,dxdx 
H  da  '^  dt  da  "^  'dt  da 


=  0, 


1060 


ü 


Verfügt  man  über  a,  i,  c  spezieller  so,  daß  sie  den  Anfangswerten 
von  ar,  y,  z  gleich  werden,  und  nennt  die  korrespondierenden  Anfangs- 
werte der  Geschwindigkeitskomponenten  resp.  t£^,  ü^,  to^,  so  erhält 
man  für  die  untere  Grenze 


dx 


=  u 


di-'^oy 


dx 
~di 


=  tr. 


dt         0'    di  ~  "0^    dt  0'      da~  *'     db 

und  für  die  Gleichungen  (106')  daher  die  Form: 


dx       «       d  X       fx      d  X       f^  ff 

^  =  1)    5i:  =  0,     g^  =  0  u.s.f. 


«0  = 


^0== 


M?0  = 


Ta~  '^'didä^'didä'^'didä^ 

dSl'   ^dx  d_x       dy  dy       dx  dx 
'W  '^Ti  db  '^dtdb'^dtdb^ 

dSl'dxdxdydydx  dx 
~de'  '^didc'^'didc'^'dide' 


106") 


Zu  diesen  Formeln,  welche  wie  die  EuLEE^schen  (43)  vom  zweiten 
Grade  und  der  ersten  Ordnung  sind,  kommen  die  Gleichungen  (104") 
und  (105")  hinzu,  um  das  Problem  vollständig  zu  bestimmen;  sie 
sind  von  H.  Weber  **)  gegeben,  aber  zu  speziellen  Folgerungen 
noch  nicht  benutzt  worden. 


IV.  Kapitel. 

Elasticität  nnd  AkustiL 

§  17.    Das  GtesetE  der  elastisclien  Kräfte. 

Ein  Körper  heißt  elastisch,  wenn  in  ihm  eine  von  einem  be- 
liebigen Anfangszustand  ausgehende  Deformation  Spannungen  erregt 
welche  diese  Deformation  rückgängig  zu  machen  streben;  er  heißt 
vollkommen  elastisch,  wenn  bei  konstanter  Temperatur  der 
Spannungszustand  allein  von  dem  augenblicklichen  Deformations- 
zustand abhängt  und  die  Spannungen  nur  mit  den  Deformationen 
verschwinden.  . 

Bedeuten,  wie  in  §  1,  tz,  v,  to  die  Komponenten  der  ilie  De- 
formation bewirkenden  Verschiebung  eines  Punktes  mit  den  Anfangs- 
koordinaten X,  y,  Zj  so  ist  nach  S.  213  der  Deformationszustand 
eines  geeignet  um  den  Punkt  x,  y,  z  abgegrenzten  Bereiches  B  voll- 
kommen bestimmt  durch  die  sechs  Deformationsgrößen 


107) 


du  df>  duf 

^x-Q^y   Vy-ey    ^«"ä^' 

^dv       Bic  ^dw       du  du  _.dv 


dx       dy^       *       dx       ö»'       v       dy       dx 

Von  diesen  stellen,  wie  S.  216  gesagt,  die  drei  ersten  die  linearen 
Dilatationen,  die  drei  letzten  die  Winkeländerungen  für  drei  zu  de« 
Axen  X,  Y,  Z  parallele  Eichtungen  innerhalb  des  Bereiches  B  dar. 
Bezeichnen  wir,  wie  in  §  2,  die  Komponenten  der  gegen  ein 
Flächenelement  mit  der  inneren  Normale  n  wirkenden  Druckkraft 
P^  mit  X^j  ¥^,  Z^,  so  ist  nach  S.  225,  bei  Ausschluß  von  auf  die 
kleinsten  Teile  wirkenden  Drehungsmomenten,  der  Spannungszustand 
des  Bereiches  B  vollständig  bestimmt  durch  die  sechs  Druck- 
komponenten 

107')  X,,  i;,  Z,,  Y^,  Z^,  X,, 

welche    gegen    Flächenelemente    normal    zu    den    Koordinatenaxen 
wirken. 


§  17,    Das  Gesetz  der  elastischen  Kräfte.  331 


Soll  also  der  Spannungszustand  des  Körpers  nur  von  dem  augen- 
blicklichen Deformationszustand  abhängen,  so  müssen  die  sechs 
Druckkompcgnenten  (107')  an  jeder  Stelle  im  allgemeinsten  Falle 
Funktionen  der  sechs  DeformatiousgröBen  (107)  im  ganzen  Körper  sein. 

Die  denkbar  einfachste  Annahme  ist  nun  offenbar,  daß  der 
Spannungszustand  innerhalb  B  Ton  der  Deformation  allein  des 
Bereiches  B  abhängt,  und  weiter,  daß  die  Beziehungen  zwischen 
den  Druckkomponenten  und  den  Deformationsgrößen  lineare  sind. 

Demgemäß  machen  wir  als  erste  Annähenmg  den  Ansatz 

-  ^y  =  ^21  ^x  +  ^22yy  +  ^28^.  +  ^24^.  +  ^26  ^x  +  ^26  ^y »  i  ^^'^") 

Die  Koeffizienten  c^j^  heißen  die  Elasticitätskonstanten  der 
Substanz ;  fn  nicht  homogenen  Körpern  betrachten  wir  sie  als  stetige 
Funktionen  der  Koordinaten. 

Löst  man  die  vorstehenden  Gleichungen  nach  den  ar^p . . .  auf, 
so  erhält  man 

-^«  =  *ll^x  +  *12^y  +  *18^.+  ^14^".+  *M^x  +  *16^y/ 

~yy  =  *21^x  +  ^22i;  +  ^23^.  +  *24^«  +  ^25^x  +  *2eA;,  107-) 

•••"••••••• •••••••••••••••  j 

worin  die  Koeffizienten  ^^j^,  weil  sie  die  hauptsächlichsten  der  beobacht- 
baren elastischen  Veränderungen  messen,  die  Elasticitätsmoduln 
genannt  werden. 

Diese  Formeln  gelten,  wie  vorausgeschickt,  nur  dann,  wenn  die 
Temperatur  bei  der  Deformation  sich  nicht  ändert.  Die  Drucke 
X^j  '  -  '  ^y  sind  dabei  die  durch  die  Deformationen  jt^.,  . .  .  ^ 
erregten,  aber  nicht  immer  die  gesamten  vorhandenen; 
bei  Gasen  z.  B.  ist  notwendig  vor  der  Deformation  bereits  ein  von 
Null  verschiedener  Anfangswert  XJ^  =  YJ^  =  ZJ^  =  p^  vorhanden,  zu 
dem  sich  die  obigen  Größen  addieren. 

Die  Anzahl  der  Konstanten  und  Moduln  reduziert  sich  ganz 
allgemein,  wenn  man  die  Annahme  einführt,  daß  auch  auf  die 
elastischen  Körper  die  Energiegleichung  anwendbar  ist. 

Nach  den  auf  S.  228  und  229  abgeleiteten  Formeln  wird  der 
Zuwachs  der  Energie  eines  elastischen  Körpers  in  der  Zeiteinheit 
gegeben  durch  den  Ausdruck 

-dt  =J^*[*^  dt  -  (^^Tt  +  ^y  öl  +  ^'  Ti 


108) 


332  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IV.  Kap, 

Damit  der  Ausdruck  rechts  ein  Di£ferential  einer  nur  Tom 
augenblicklichen  Zustand  abhängigen  Funktion,  eben  der  Energie, 
nach  der  Zeit  sei,  ist  erforderlich,  daß  die  Druckkomponenten 
Differentialquotienten  einer  Funktion  der  sechs  Deformationsgrößen, 
nämlich  des  elastischen  Potentiales  (p  der  Volumeneinheit^ 
nach  ihren  Argumenten  sind,  also  die  Formeln  gelten 


108') 


y  ^^ ^y     TP-  _  ^y 


woraus  folgt,  daß  sein  muß 

108")    -^  =  1^      i^'^^^Ix     öA,  ^  öl^      dY,  ^BX^ 

ö*.         dyy       dx^        dxg       dtfy        dx^       dx^         dy^ ' 

Setzt  man  in  (108)  die  Werte  (107'")  der  Deformationsgrößen 
und  die  Werte  (107")  der  Druckkomponenten  ein,  so  kann  man  den 
Zuwachs  der  Energie  in  der  Zeiteinheit  auch  schreiben 

109)  ^  =^ J^*I*P^  -  V'-ef  +  yy-jf  +  ^.-äf 

+  y«-#  +  ^«-öf  +  ^y^JJ  5 

vergleicht  man  dies  mit  der  Formel  (108),  so  erkennt  man,  daß, 
falls  y'  den  Wert  von  (p  bezeichnet,  wenn  darin  die  Deformations- 
größen nach  (107'")  durch  die  Druckkomponenten  ausgedrückt  sind,  auch 


109') 

sein  muß,  woraus  dann  folgt 

109")      ^  =  -^      -^  =  ^     ^  =  ^      ^L  —  ^ 

dZ,        dYy      BX^       dZ,'     dYy       dXj     dX^       dY^'"' 

Diese  je  fünfzehn  Gleichungen  (108")  und  (109")  ergeben,  mit 
den  obigen  Ansätzen  (107")  und  (107"')  verbunden,  je  fünfzehn  Be- 
ziehungen von  der  Form 

und  reduzieren  so  die  Anzahl  der  unabhängigen  Elasticitätskonstanten 
und  -moduln  im  allgemeinsten  Falle  je  von  36  auf  21. 


§  17,    Das  Gesetz^  der  elasiisehm  Kräfte,  333 


Für  das  Potential  tp  der  Volumeneinheit  erhält  man  zugleich 
die  allgemeine  Beziehung 

-2cp^X^x^+  Y^^  +  Z,z^  +  r,y,  +  Z,z,  +  X^x^,         1 10') 

für  die  Energie  a  der  Volumeneinheit,  falls  ^\)  die  lebendige  Kraft 
derselben  bezeichnet, 

e  =  i/;  +  9P.  110") 

Weitere  Reduktionen  treten  ein,  wenn  der  elastische  Körper 
ein  homogener  Krystall  ist,  welcher  Symmetrien  besitzt,  und  ein 
spezielles,  das  Hauptaxensystem,  eingeführt  wird.  Eier  kommen 
die  auf  S.  217  und  S.  225  angegebenen  Eigenschaften  der  Defor- 
mationsgrößen und  der  Druckkomponenten  zur  Geltung ,  daß  resp. 

*«.  y,.  ^.,  ,y./y2>  ^./y2".  ^,/V2 

und 

^x,     Yy,     ^..      Y.f^,     Z,-^,     ^,f2 

sich  bei  Einführung  anderer  Koordinatensysteme  transformieren,  wie 
die  Aggregate  von  Yektorkomponenten 

x»,   r«,  ^«,   rzy2",  zxf2,  xrY2. 

Daraus  folgt  dann,  daß  man  die  aus  (107")  gebildeten  Formeln 


-r.y2=e,,y2a:,+  c,,y2y^+c,3y2z.+  c,,2^+c,,2^ 


111) 


ohne  weiteres  nach  dem  Schema  IV  auf  S.  143  für  die  verschiedenen 
Krystallgruppen  spezialisieren   kann;   es  steht  nur  beispielweise  c^ 
an  Stelle  von  c^,  c^^Y2  an  Stelle  von  q^,  2c^  an  Stelle  von  c^^. 
Analoges  gilt  für  die  aus  (107'")  gebildeten  Formeln 


-a-.-.„J.  +  ,„r,  +  .„«,  +  i|J',V2+^2.y2+Ä^y2, 


jÄ=  ^^.  +  ^'-.  +  ^^.  +  7  ^.V^+T^-l^+'f^.'^' 


iir) 


in  denen  beispielsweise  s^^  an  Stelle  von  c^,  s^^jY2  an  Stelle  von 
^4>  ^44/ 2  ^^  Stelle  von  c^^  steht 


334  IL  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


Wir  werden  im  folgenden  fast  alle  auf  Krystalle  bezüglichen 
Untersuchungen  an  die  allgemeinsten  Formelsysteme  (107")  resp.  (107'") 
anknüpfen,  also  die  speziellen  Gestalten,  welche  jene  annehmen 
können,  nicht  benutzen. 

Doch  ist  die  eine  Bemerkung  mehrfach  von  Interesse,  daß,  wenn 
die  ^-Koordinatenaxe  eine  zweizählige  Symmetrieaxe  ist,  von  den 
Konstanten  c^^^  und  von  den  Moduln  Sj^j^  die  mit  den  Indices 

111")  (14),  (24),  (34),  (64)  und  (15),  (25),  (35),  (65) 

verschwinden,  und  daß,  wenn  die  Zähligkeit  der  Axe  höher  ist,  als 
zwei,  außer  anderen  Belationen  jederzeit  die  gelten,  daß 

iirn  1  ^^*  ^  ^"'    ^^^  ^  ^^*'    ^**  ~  ^"'  ^*^  ~ 

Häufig  macht  es  das  spezielle  Problem  wünschenswert^  neben 
dem  Hauptkoordinatensystem  X,  Y,  Z  noch  ein  anderes  S^  H,  Z  ein- 
zuführen; dann  handelt  es  sich  um  die  Transformation  des  elasti- 
schen Potentiales  in  die  neuen  Koordinaten.  Seien  die  Koeffizienten 
der  Transformation  durch  das  Schema 

I     I      V      ? 

X 

112) 


z 


«1  ßi  n 

«8       ßt       Vi 

^   ß»   y» 

gegeben,  und  seien  die  Deformationsgrößen  x^...x  kurz  mit  p^j  •  •  »ft? 
die  analogen  1^) * •* ^n  ^^  ^^ . • . tt^  bezeichnet^  dann  ist  das  elastische 
Potential  in  der  ursprünglichen  Form  (p  gegeben  durch 

h    k 

in  der  transformierten  durch 

m    n 

wobei  alle  Summen  -2*  von  1  bis  6  zu  erstrecken  sind. 
Ist  dabei 

m  k 

worin  5^^  und  dj^^  die  nach  der  Regel  auf  S.  333  sogleich  angeb- 
baren Transformationskoeffizienten  für  die  Deformationsgrößen  be- 
zeichnen, so  findet  sich 

h    k  tn  n 

m     n  nk    nm    kn ' 

m     n  h    k 


§  17,    Deutung  der  Ela^tidtätsmoduln,  335 


woraus  der  Wert  der  abgeleiteten  Elasticitatskonstante  y      sich  er- 
giebt  zu 

Y„n--  ^^<=UuKJ,n^  112-) 

h    k 

dem  entspricht  umgekehrt 

nK  '  mn    Am    kn 

m    n 

Ganz  ebenso  läßt  sich  die  Transformation  der  Moduln  ausführen. 
Man  hat,  falls  X.,...^   kurz  durch  Pj, ...P^,  analog  S^j...S 
durch  II^,...ITq  bezeichnet  wird, 

h    k  m    n 

dabei  gilt,  wie  nach  S.  333  leicht  zu  erkennen, 

m  k 

und  hieraus  folgt 

h    k  m  n 

m      n  hk    hm    kn' 

.  m    n  h    Jlc 

also 

'^.,  =  -2:-^«»»rf*.rf»„,  «benso  *,,  =  ^•^«T„„5,„5,„.  -    112") 

Die  Elasticitätsmoduln  5^^  lassen  sich  anschaulich  deuten,  wenn 
man  die  Gleichungen  (14)  und  (14'")  für  das  Gleichgewicht  nicht- 
starrer Körper  benutzt,  wo  sie  lauten: 

_      dX       ÖZ„       dX 


X+  X„  =  7+  7„  =  if  +  if„=  0.  113') 

Man  kann  aus  ihnen  nämlich  schließen,  daß  für  ein  rechteckiges 
Prisma,  dessen  Flächen  den  Koordinatenebenen  parallel  sind,  und 
das  keinen  körperlichen  Kräften,  sondern  nur  Oberflächendrucken 
von  für  jede  Fläche  konstanter  Größe  und  Richtung  ausgesetzt  ist, 
die  inneren  Spannungen  X^,...X  sämtlich  konstant  sind  und  sich 
nach  den  Gleichungen  (113')  durch  die  Oberflächendrucke  bestimmen. 
Man  kann  über  diese  jederzeit  so  verfügen,  daß  von  allen  sechs 
Spannungen  X^, . . .  X^  nur  je  eine  von  Null  verschieden  ist,  und  daher 
in  den  Gleichungen  (107"')  für  die  Deformationen  je  nur  ein  Glied 
übrig  bleibt 

So  liefert  ein  normaler  Zug  ±  J,  auf  die  Einheit  der  beiden 
Prismenflächen,  welche  normal  zur  X-Axe  stehen,  ausgeübt,  X^^  —  A 
und  demgemäß 


386  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


113") 


woraus  also  sogleich  die  «^^  sich  als  die  Moduln  der  linearen  Dila- 
tationen und  der  Winkeländerungen  bei  dem  Zug  parallel  der  Z-Axe 
ergeben.     Gleicher  Weise  deuten  sich  die  s^^^  und  ^3^. 

Für  die  Interpretation  der  übrigen  muß  man  auf  je  zwei 
Flächenpaare  tangentiale  Kräfte  wirken  lassen,  so  auf  die,  deren 
äußere  Normale  die  ±  Z-Axe  ist,  eine  Kraft  F  pro  Flächeneinheit 
parallel  der  ^  7-Axe  und  umgekehrt  Dann  ist  Y^^  Z  =^  ^  F 
und  es  wird 


113'") 


ly.= 


*44^.      ^x  =  *46^»     ^,  =  ^46^; 


daher  stellen  sich  die  «^^  als  die  Moduln  der  Axendilatationen  und 
Axenwinkeländerungen  bei  tangentialen  Drucken  F  heraus. 

Dabei  ist  erkennbar,  daß  die  Moduln  der  Axenwinkeländerungen 
bei  normalen  Drucken  und  die  Moduln  der  Axendilatationen  bei 
tangentialen  Drucken  in  engster  Beziehung  stehen. 

Wirken  parallel  der  X-,  Y-  und  Z-Axe  gleichzeitig  gleiche 
Drucke  von  der  auf  die  Flächeneinheit  bezogenen  Größe  py  so  wird 
die  räumliche  Dilatation 

113"")     *  « {x^+y^  +  z^i  =  ^p{s^^  +  s^^  +  ^33  +  2(*„  +  ^31  +  *„)). 

Da  &  eine  Invariante  ist,  so  muß  gleiches  von  dem  Aggregat  der 
Moduln  5^^  rechts  gelten;  dasselbe  giebt  den  Modul  der  iä.umlichen 
Kx)mpression  bei  allseitig  gleichem  Druck  an  und  behält,  ebenso  wie 
die  ganze  Formel  (113""),  ihre  Bedeutung,  wie  weiter  unten  gezeigt 
werden  wird,  auch  bei  beliebiger  Form  des  dem  allseitigen  Druck  p 
ausgesetzten  Körpers. 

Die  Elasticitätskonstanten  gestatten  im  Anschluß  an  die  Formeln 
(107")  gleichfalls  eine  Deutung,  nämlich  durch  die  Gesamtheit  der 
äußeren  Drucke,  welche  erforderlich  sind,  um  eine  einzige  Axen- 
dilatation  oder  Axenwinkeländerung  hervorzubringen;  aber  diese 
Interpretation  ist  minder  anschaulich,  als  die  f&r  die  Moduln  nach 
obigem  mögliche.  — 

Die  Dimensionen  der  Elasticitätskonstanten  sind  gegeben  durch 

114)  K*]  =  '«/-^'-^ 

die  der  Moduln  durch 

114')  Wi^-'rn-Ht^ 

Beide  werden  seltener  im  (cm,  gr,  sec)  System  angegeben, 
sondern,  da  sie  meist  durch  Beobachtungen  gefunden   werden,   bei 


§  17,    Elasfisehe  Kräfte  in  isotropen  Medien, 


337 


denen-  Gewichte  die  wirkenden  Kräfte  repräsentieren,  in  einem 
eignen  System,  in  welchem  das  Kilogramm  die  Krafteinheit,  das 
Millimeter  die  Längeneinheit  ist  Es  gelit  dann  der  Zahlwert  c^ 
resp.  8tp  in  physikalischen  Einheiten  aus  dem  c^  resp.  s^  in  diesen 
technischen  hervor  gemäß  der  Beziehung 


8. 


c^  =  98,1. 10«  c,,     ^^  =  -^^-.10-«.— 


114") 

Wenn  nun  auch,  wie  oben  gesagt,  die  folgenden  Entwickelungen 
bezüglich  der  Krystallgruppeu  meist  durchaus  al. gemein  gehalten, 
also  keine  speziellen  vereinfachenden  Annahmen  über  ihre  Symmetrie- 
verhältnisse  eingeführt  werden  sollen,  so  erscheint  doch  mitunter 
rlie  Anwendung  oder  Beschränkung  der  Betrachtungen  auf  isotrope 
Körper  erwünscht 

Für  diese  nehmen  die  Formeln  (107")  und  (107"')  nach  dem 
Schema  auf  S.  144  die  spezielle  Gestalt  an: 

-  X^  =  cx^  +  c^i/y  +  ^1^,  =  Cjo:^  +  ^119-, 

-  -^t   =  ^\^x  +  hVy  +  ^^z     =  ^«^.   +  <^1  *  J 

-  ^,  =  -  ^y  =*  i(c  -  ^i)y«  =  i^2y.» 

-  ^x  =  -  ^^,  =  i{<^-  ^l)^x  =  i^S^x» 


und 


-  -Y„  =  -  ^x  =  \iP  -  Cx)\  ==  i^8 


115) 


y 


115') 


-  ^,  =  *j;     +  *1  ^y  +  h^n  =  h^x  +  \^^ 
-yy  =  *l-Yx  +  *^y     +h^z'^h^y  +  h^y 

-"y.--^y-2(*-*i)Jf;-2.,7., 

-^x=-^x  =  2(5-,.,)Z,  =  252^^, 
-  ^y  =  -  yx  =  2(«  -  .^)^y  =  2s^X^. 

Hierin  ist  kurz  A'^  +  1^  +  Z^  =  0  gesetzt 

Diese  Formeln  zeigen,  daß  bei  isotropen  Medien  die  tangen- 
tialen Druckkomponenten  1\.  Z^,  X^  mit  den  Wiukeländerungen 
y*>  ^x>  *y  gleichzeitig  verschwinden;  bei  ihnen  fallen  also  auch  nach 
s!  215  und  S.  226  die  Hauptdruckaxen  X^  7«,  Z^  und  die  Haupt- 
dilatationsaxen  X^,  Y^,  Zq  zusammen,  was  bei  krystallinischen  Medien 
im  allgemeinen  keineswegs  stattfindet 

Aus  den  Systemen  (115)  und  (115')  folgt  sogleich  der  Wert  des 
elastischen  Potentiales  (p  der  Volumeneinheit 

Voigt,  Thcoreti^cbe  Physik.  22 


338  IL  Teil,    Mechanik  ntchtstarrer  Körper,    IV,  Kap. 

oder  kürzer 

115")  2y  =  Cii9-2  +  Cj,i?'; 

ähnlich  bei  Einführung  der  Druckkomponenten 

2<p'=  s^  02  +  .,  (X,*  +  7/  +  Z/  +  2(7/  +  ZJ  +  X^')), 
oder  kurz 
115'")  2(p'=s^0^  +  s^&. 

Diese  Resultate  stehen  in  Übereinstimmung  mit  der  Forderung, 
daß  (f  vom  Koordinatensystem  unabhängig  sein  muß ;  denn  &  resp.  (^ 
ist  die  erste,  -^(»'^^  —  i9')  resp.  -|-{ö^  — ö')  die  zweite  der  in  den 
Formeln  (5')  resp.  (15")  angegebenen  Invarianten. 

Für  ideale  Flüssigkeiten  ist  nach  S.  233 

116)  i;  =  ^^  =  a;  =  o,   x^=r^  =  z,=p, 

also 

HC)  c  =  c^,   p  =  -^c&;    2ff  =- -  p{h  =^  +  c&^', 

für  Gase  wird  noch  spezieller  w^egen  der  Gültigkeit  des  BoYLE'schen 
Gesetzes,  welches  aussagt,  daß  bei  konstanter  Temperatur  das  Pro- 
dukt aus  Druck  und  Volumen  konstant  ist.  die  einzige  Konstante 

116")  c  =/><>, 

■ 

d.  h.  gleich  dem  Anfangsdruck,  unter  dem  das  Gas  vor  der  Defor- 
mation stand. 

Die  vorstehenden  Entwickelungen  gelten,  wie  ausdrücklich  her- 
vorgehoben, nur,  wenn  die  Deformation  ohne  Temperaturänderung 
vor  sich  geht,  ein  Fall,  der  bei  Problemen  des  Gleichgewichtes  meist 
nahe  realisiert  ist,  weil  hier  die  infolge  der  Deformationen  immer 
auftretenden  Temperaturdifferenzen   Zeit  haben,   sich  auszugleichen. 

Ist  dies  nicht  der  Fall,  so  kompliziert  das  Problem  sich  erheb- 
lich und  ist  überhaupt  nicht  ohne  Rücksicht  auf  Wärmeleitung  und 
Strahlung  zu  behandeln;  wir  werden  uns  im  nächsten  Teile  damit 
beschäftigen. 

Nur  in  einem  speziellen  Falle  ist  von  jenen  Wirkungen  abzu- 
sehen, nämlich  dann,  wenn  die  Deformationen  so  schnell,  etwa 
periodisch,  wechseln,  daß  ein  Temperaturausgleich  von  irgend  welchem 
Belang  nicht  eintreten  kann.  Dann  gelten,  \rie  die  späteren  Ent- 
wickelungen zeigen  werden,  Formeln  von  genau  derselben  Gestalt, 
wie  (107'')  und  (107"'),  aber  mit  anderen  Werten  der  Konstanten  und 
Modulen.  Man  nennt  im  Gegensatz  zu  den  früheren  isothernii- 
schen  dieselben  adiabatische. 


§  17,     Elastische  Kräfte  in  isotropen  Medien.  339 


Der  Unterschied  beider  Arten  von  Konstanten,  der  im  nächsten 
Teil  theoretisch  bestimmt  werden  wird,  ist  bei  festen  und  tropf bar- 
liilssigeu  Körpern  kaum  merklich,  hingegen  bei  Gasen  sehr  beträcht- 
lich; wir  werden  ihn  demgemäß  hier  auch  nur  bei  letzteren  aus- 
drücklich berücksichtigen.  — 

Der  Ansatz  (107")  für  die  Komponenten  der  inneren  oder 
elastischen  Drucke  ist,  wie  gesagt,  nur  als  eine  erste  Annäherung 
zu  betrachten,  die  allerdings  in  den  bei  weitem  meisten  und  wich- 
tigsten Fällen  die  Beobachtungen  mit  genügender  Genauigkeit 
darstellt  Indessen  ist  in  einzelnen  Fällen  eine  weitere  Annäherung 
dadurch  gefordert,  daß  die  Krfalirung  Abweichungen  von  der  Pro- 
portionalität zwischen  den  Drucken  und  den  Deformationsgrößen 
erwiesen  hat;  um  ihnen  Rechnung  zu  tragen,  hat  man  den  Ansatz 
(107")  durch  Glieder,  welche  Potenzen  und  Produkte  der  Defor- 
mationsgrößen enthalten,  zu  erweitem.  Die  ganze  Betrf^chtung 
kompliziert  sich  hierdurch  bedeutend  und  die  strenge  Durchführung 
spezieller  Probleme  stößt  auf  nahezu  unüberw^indliche  Schwierig- 
keiten. 

Kelativ  einfach  gestaltet  sich  die  Erweiterung  der  Theorie  in 
dem  angedeuteten  Sinne  bei  isotropen  Körpern®*),  weil,  wie  auf 
Seite  215  bewiesen  ist,  nur  drei  voneinander  unabhängige  Inva- 
rianten der  Deformationsgrößen  existieren,  nämlich  außer  den  oben 
schon  benutzten  &  und  iV  noch 

Will  man  also  das  elastische  Potential  isotroper  Körper  (115") 
durch  Glieder  höheren  Grades  erweitem,  so  können  dieselben  nur 
ganze  Funktionen  von  i9-,  ß-\  iV-"  sein. 

Beschränkt  man  sich  auf  Glieder  dritten  Grades  und  bezeichnet 
mit  Cj,  Cg,  Cg  drei  Ergänzungskonstanten,  so  wird  tp  gegeben 
sein  durch 

2(p  =  Cj  ,?•*  +  cj  &'  +  c\  &^  +  c^  x9  &'  +  4  ,r.  117') 

Auch  die  Gestalt,  welche  das  elastische  Potential  (p  in  der  an- 
gegebenen Erweiterung  bei  Einführung  der  Druckkomponenten  an- 
nimmt, läßt  sich  leicht  angeben,  weil,  wie  S.  226  bewiesen, 

0"  =  X^  YZ^  +  2YZX  -  X^  17  -  r  if  2  _  zX^       117") 

X      y     z    '  X     X      y  x     t  V     ^  ^      V  * 

für  sie  die  einzige  Invariante  dritten  Grades  ist.     Man  kann  daher 
schreiben 

22* 


340  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


WO  sich  die  Ergänzungsmoduln  Sy^j  s^',  s^'  leicht  durch  Annähe- 
rung aus  den  Elasticitatskonstanten  berechnen  lassen. 

Diese  Erweiterung  betrifft  die  eine  der  Seite  329  gemachten 
Annahmen,  nämlich  den  linearen  Zusammenhang  zwischen  Druck- 
komponenten und  DeformationsgröBen ;  aber  auch  bezüglich  der 
anderen  wäre  denkbar,  daß  die  Erfahrung  eine  Korrektion  verlangte^ 
dahingehend,  daß  nicht  nur  der  Deformationszustand  in  der  nächsten 
Umgebung  B  eines  Punktes  die  dort  stattfindenden  Spannungen  be» 
stimmte,  sondern  ein  größeres  Bereich  in  Betracht  zu  ziehen  wäre. 
Dies  würde  darauf  hinauskommen,  daß  in  den  Gleichungen  (3)  noch 
höhere,  wie  die  in  |,  ?;,  ^  linearen  Glieder  als  für  die  Deformation 
maßgebend  zu  betrachten  wären. 

Eine  Ausdehnung  der  Theorie  nach  dieser  Eichtung  hin  ist 
allgemein  noch  nicht  Yorgenommen  worden. 

§  18.    Eindeutigkeit  des  elasÜBohen  ProblesLB. 

Mit  den  vorstehend  abgeleiteten  Formeln  für  die  elastischen 
Drucke  sind,  um  das  Problem  des  Gleichgewichtes  oder  der  Be- 
wegung eines  Systemes  elastischer  Körper  zu  umfassen,  die  allge- 
meinen Gleichungen  (14)  und  (14'")  für  die  Abhängigkeit  dieser 
Drucke  von  körperlichen  und  Oberflächenkräften  und  die  allgemeinen 
Bedingungen  (9")  resp.  (9'")  für  die  Verrückungen  in  der  Grenze 
zweier  nichtstarrer  Körper  zu  verbinden. 

Das  System  der  Hauptgleichungen  (14),  welches  für  jeden 
inneren  Punkt  des  körperlichen  Systems  gilt,  nimmt,  wenn  man 
wegen  der  Kleinheit  der  Verrückungen  in  den  ausführlichen  Werten 
von  d^u/dt^,  d^v/dt^,  d^wjdt^  die  Glieder  zweiter  Ordnung  ver- 
nachlässigt, die  Gestalt  an 

^  dt* 


118) 


^  dt* 
d*w 


dx          dy 

ÖX, 
dx 

_y,         Ö5;           ÖY^ 

dx          dy 

ÖY, 

dx 

_  r     ^^'     ^^y 

az. 

"^dt*  dx  dy         dx' 

in  ihm  bezeichnen  die  X\  T',  Z^  die  auf  die  Volumeneinheit  be- 
zogenen Komponenten  der  wirkenden  körperlichen  Kräfte,  die,  falls 
letztere  mit  den  Massen  proportional  sind,  wie  S.  221  gezeigt,  mit 
gX,  g¥,  qZ  vertauscht  werden  können. 

Die  Bedingungen  für  die  äußere  Begrenzung  des  Systems 
lauten  verschieden  je  nach  den  dort  obwaltenden  Umständen. 


§  J8,    Eindeutigkeit  des  elasHachen  Probleme.  341 

Eine  erste  Klasse  von  Oberfläcbenelementen  bilden  diejenigen, 
längs  deren  alle  Verrückungskomponenten  (etwa  gleich  Null)  vorge- 
schrieben sind;  hier  setzen  wir 

indem  wir  mit  m^,  w^,  w^  gegebene  stetige  Funktionen  des  Ortes  und 
der  Zeit  bezeichnen. 

Andere  Oberflächenelemente  mögen  nach  Bichtung  und  Größe 
gegebene  Drucke  erleiden;  hier  gilt  also 

^  +  Z=  7„  +  F=  ^  +  F=  0,  118") 

worin  X,  /,  Z  als  Funktionen  des  Ortes  und  der  Zeit  gegebene  Größen 
bezeichnen.  Ist  die  gesamte  äußere  Begrenzung  des  Systemes  von 
dieser  Art,  so  müssen  im  Falle  des  Gleichgewichts  die  gewöhnlichen 
sechs  Gleichgewichtsbedingungen  durch  die  X\  Y\  Z^  und  X,  7,  Z 
zusammen  erfüllt  werden. 

Weiter  kann,  wie  beim  Andrücken  eines  starren  Körpers  an 
einen  elastischen,  nur  die  normale  Komponente  der  Verschiebung 

u  cos  (n,  a?)  +  V  cos  (n,y)  +  «?  cos  (w,  z)  ^  n^  1 18'") 

gegeben  sein;  gleichzeitig  sind  dann,  wenn  äußere  Beibung  fehlt, 
die  tangentialen  Komponenten  der  Druckkraft  gleich  NuU,  d.  h.,  es  gilt 

X^\Y^iZ^^  cos (n, x) : cos (n, y) : cos (n, z).  1 1 8"") 

Erstreckt  sich  das  System  ins  Unendliche,  so  kann  es  dort  mitunter 
absolut  festgehalten,  also  u,  v,  w  von  beliebiger  Ordnung  unendlich 
klein  angenommen  werden;  in  anderen  Fällen  ist  das  Verhalten  der 
Verrückungen  im  Unendlichen  aus  demjenigen  im  Endlichen  zu 
erschließen. 

Weiter  betrachten  wir  die  Flächen,  welche  zwei  elastische 
Körper  gegeneinander  scheiden,  sehen  aber  dabei  von  den  auf 
S.  222  eingeführten  Grenzdrucken  mit  den  Komponenten  X^j^,  Y^^^y  Z^^^ 
von  vornherein  ab. 

Hängen  die  Körper  in  der  Grenze  fest  zusammen,  so  ist 


««Ä  -  ^  =  »A  -  Vfc  =  W^A  -  «^fc  =  0 


_    *      _  [  119) 

berQhren  sie  dagegen  einander  nur,  und  zwar  ohne  Reibung,  so  ist 
K  —  «Ö  «'OS  (n,  ar)  +  (»^  —  v^  cos  (»,  y)  +  (to^  —  w^  cos  (n,  z)  -  0, 

ißX  +  (^)k)  cos  (B,  X)  +  {{YX  +  (XX)  cos  (n,y)  }  1 19') 

+  ((^A  +  (O*)  «08  («, ')  =  0, 


342 


IL  Teil,    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    IV.  Kap, 


und  zugleich  auch 

1 1 9")   [XX :  (XX :  (ßX  =  W*  •  (XnX  •  (ßX  =  C08(n, x) :  C08(n,y) :  C08(^^,  r). 

Handelt  es  sich  um  ein  Bewegungsproblem,  so  muß  noch  für  irgend 
eine  Zeit,  z.  B.  für  ^  =  0,  der  Anfangszustand  des  Systems  gegeben 
sein,  etwa 

120) 
120') 


M  =  «o>   »"=^o>   <^  =  ^o> 


du  _    , 
dt  ~  **o> 


ö7  =  "o' 


dw         , 


worin  die  m^,  r^J,, ...  stetige  Funktionen  der  Koordinaten  bezeichnen. 
Alle  vorstehenden  Gleichungen  können  ebenso  wie  auf  ein  absolut 
festes,  auch  auf  ein  parallel  mit  sich  gleichförmig  bewegtes  Koor- 
dinatensystem bezogen  werden. 

Um  die  Eindeutigkeit  zunächst  des  Gleichgewichtsproblems 
zu  untersuchen,  nehmen  wir  an,  es  seien  zwei  Systeme  von  Ver- 
rückungen mit  den  vorstehenden  Gleichungen  bei  gleichen  Werten  der 
vorgeschriebenen  Funktionen  vereinbar,  und  setzen  deren  Differenzen 
gleich  u\  v\  w\  die  Differenzen  der  ihnen  entsprechenden  Drucke 
analog  gleich  X^y  ...  Xy.  Dann  gelten  für  u\  v\  mj'  in  jedem  inneren 
Punkte  die  Formeln 


121) 


0  = 


dX:      dXl 

+ 


dx 


dy 


0  =  ^^« .  ^^; 


0  = 


dx 

ezi 


+ 


dy 


+ 


+ 


dZ'     dz; 

1 1  J 1 

dx  dy         dx 


ferner  an  den  verschiedenen  Arten  von  Oberflächenelementen  resp. 


121') 
oder 
121") 
oder 

121'") 


u   ==  V   =  W   =  \Jy 


-3^  =   ^  =  ^n  =  0, 


und 


m'  cos  (/i,  x)  +  v'  cos  (w,y)  +  w'  cos  (n,  2:)  =  0 


Xni  Yn'Zn  =  COS (u, x) i COS (w,y) : cos (n, z); 

endlich  an  den  verschiedenen  Zwischengrenzen  dieselben  Bedingungen 
(119)  bis  (119"),  denen  die  u,  v,  w  selbst  genügen  müssen. 

Multipliziert   man  die   drei  Gleichungen  (121)   resp.   mit  u^dk^ 
v'dk,  w'dk,  addiert  sie,  integriert  das  Eesultat  über  jeden  Körper, 


§  18,    Eindeutigkeit  des  elaetiseken  Problems,  343 


d.  h.  über  jeden  Teil  des  elastischen  Systems,  innerhalb  dessen  das 
elastische  Verhalten  stetig  ist,  und  summiert  danach  über  alle,  so 
ergiebt  sich  nach  Ausführung  einer  teilweisen  Integration 

Q  ^  2  \  do\  (XjJ cos (w, x)  +  Xy  cos [n^y)  +  XI  cos  (n,  z))  u 
+  (Yx  cos  {riyx)  +  Y^  cos  (n,y)  +  7,'  cos  (w,  zfj  v 
+  (ZI  cos  [rij  x)  +  Z'y  cos  (n.  y)  +  ZI  cos  (n,  z))  w 

oder  nach  (12)  und  (110") 

0=-2'/rfo(^i?"+7^t;^+^t?)+  2f2(p'dk,  122 

wo  ^'  das  elastische  Potential  der  Volumeneinheit  bezeichnet,  ge- 
bildet von  dem  Verrückungssystem  u\  v\  w\ 

Die  Oberilächenintegrale  verschwinden  einzeln  an  den  äußeren 
Grenzen  und  zerstören  sich  gegenseitig  in  den  Zwischengrenzen,  es 
bleibt  daher  nur 

0  =  :sf2(p'dk.  122') 

<jp'  ist  nun  nach  S.  333  eine  quadratische  Form  der  sechs  Argu- 
mente Xxy'X'y]  ist  diese  definit,  was  wir  auf  Grund  aller  bisherigen 
Beobachtungen  über  die  Werte  der  Elasticitätskonstanten  annehmen 
dürfen,  so  kann  das  Integral  nur  verschwinden,  wenn  überall  in 
dem  ganzen  System 

^i  =  J^y  =  ^«  =  yi  =  ^i  =  4  =  0 

ist     Dies  ergiebt  für  u\  v\  m?'  durch  Integration  die  Werte 

m'  =  a  +  ^z  —  Äy,  A 

v'  ^b  +  hx^fzA  122") 

M?'  =  c  +  /"y  -  ^j:,  j 

welche  nach  den  Grenzbedingungen  mit  denselben  Konstanten 
^  ^9  Cj  fi  ff9  Ä  ^^  ^^1^  Teile  des  elastischen  Systems  gelten  und  nach 
den  Formeln  (118)  des  L  Teiles  die  Werte  der  Verriickungskompo- 
nenten  bei  einer  beliebigen  Parallelverschiebung  und  Drehung  des 
Systems  im  ganzen  angeben. 

Uy  V,  w  sind  demnach  durch  die  aufgestellten  Bedingungen  bis 
auf  Glieder  von  der  Form  (122")  bestimmt;  die  gemachten  Annahmen 


344  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


ergeben  also  stets  die  Deformation  des  Systemes,  bestimmen 
aber  im  allgemeinen  nicht  zugleich  seine  Lage. 

Auch  letztere  ist  vollständig  gegeben,  falls  die  Gleichungen  (121') 
oder  (121"')  genügen,  um  die  sechs  Konstanten  o,  b,  c,  /J  p,  h  als  der 
Null  gleich  zu  bestimmen;  oder  anders  ausgedrückt,  falls  jene  Be- 
dingungen, in  denen  man  u\  v\  to'  als  die  Verrückungskomponenten 
auffaBt,  dem  elastischen  System  eine  Bewegung  ohne  Deformation 
unmöglich  machen.  Dies  findet  z.  B.  statt,  wenn  in  dem  ursprüng- 
lichen Problem  «,  r,  w  für  drei  oder  mehr  nicht  in  einer  Geraden 
liegende  Punkte  gegeben  waren,  u\  v\  w^  sich  also  für  dieselben  zu 
Null  bestimmen. 

Reichen  diese  Bedingungen  zur  Befestigung  des  Körpers  nicht 
aus,  so  kann  man  deren  willkürliche  zufügen,  welche  aber  natürlich 
nur  die  Lage,  nicht  die  Deformation  des  elastischen  Systems  beein- 
flussen dürfen«  Fehlen  Bedingungen  von  der  Art  (118')  oder  (118'") 
gänzlich,  so  ist  auch  die  Lage  des  Systemes  gänzlich  unbestimmt; 
sie  wird  in  diesem  Falle  ohne  Beeinflussung  der  Deformation  am  ein- 
fachsten dadurch  bestimmt,  daß  man  für  ein  einzelnes  Volumen- 
element die  Lage  im  deformierten  Zustand,  d.  h.  also  die  Verschie- 
bung und  die  Drehung  aus  der  ursprünglichen  Position  heraus, 
vollständig  vorschreibt,  nämlich  die  Werthe  von 

(dtc       dv\       (du       dw\       Idv  _  du\ 

angiebt. 

Die  im  vorstehenden  durchgeführte  Betrachtung  liefert  eine 
notwendige  Ergänzung  zu  der  auf  S.  835  u.  f.  gegebenen  Deutung  der 
Elasticitätsmoduln,  denn  sie  erweist  unsere  Berechtigung,  bei  fehlen- 
den körperlichen  Kräften  die  Drucke  X^, .  .  .  X  innerhalb  eines  mit 
seinen  Flächen  den  Koordinatenebeneh  parallelen  Prismas  konstant 
zu  setzen,  wenn  dessen  Flächen  konstante  äußere  Drucke  erfahren. 
In  der  That  sind  die  Deformationsgrößen  und  demgemäß  die  Kom- 
ponenten X ,  .  .  .  X  durch  die  aufgestellten  Bedingungen  (113)  und 
(113'),  wie  wir  gezeigt  haben,  eindeutig  bestimmt. 

Auch  die  allgemeine  Bedeutung  des  in  (113"")  angegebenen 
Modul  der  kubischen  Kompression  ist  dadurch  bewiesen;  denn  all- 
seitig gleicher  normaler  Druck  p  gegen  einen  beliebig  gestalteten 
Körper  hat  für  sein  ganzes  Innere  die  Beziehimg 

X  y  z         / 

zur  Folge.  — 

Für  das  Bewegungsproblem  treten  an  Stelle  der  Haupt- 
gleichungen (121)  die  folgenden 


§  19.    FAasHsehe  Flüssigketten.  345 


a»«'     öx^     dx;     dx; 

^       ^  dt*  ^   dx  ^    by    ^   d% 
^  dr         üx  By         ox 


123) 


außerdem  ordnen  sich  den  Nebenbedingungen  noch  die  aus  der 
Festsetzung  des  Anfangszustandes  fließenden  zu,  daß  für  ^  =  0 

^    dt        dt        dt  ^ 

sein  muß.  Die  Gleichungen  (121')  bis  (121'")  bleiben  ungeändert 
bestehen,  selbst  wenn  in  (118')  und  (118")  die  tio,  Vo,  w?o  ^nd  X,  Y,  Z 
als  Funktionen  der  Zeit  gegeben  sind. 

Multipliziert  man  dann  die  Gleichungen  (123)  resp.  mit 
{dt£ Idtjdkdt,  {dv^ /dfjdkdtf  {dw^ /  dt)dkdt,  integriert  und  summiert, 
wie  oben,  über  das  ganze  elastische  System  und  integriert  schließlich 
noch  über  die  Zeit  Ton  ^  =  0  bis  t^  so  erhält  man  durch  ähnliche 
Behandlung  wie  oben 

und  hieraus  folgt,  wenn  qj  eine  definite  quadratische  Form  ist,  daß 
u\  v\  vi  von  t  unabhängig  und  von  der  Gestalt  (122")  sein  müssen. 
Die  Bedingungen  (123')  bestimmen  aber  sämtliche  Eonstanten  dieses 
Ansatzes  und  damit  u',  v\  tr'  selbst  dauernd  und  überall  zu  Null.  Dies 
liegt  daran,  daß  mit  gegebenem  Anfangszustande  jene  Festsetzungen, 
die  beim  Gleichgewichtsproblem  mitunter  erst  zugefügt  werden 
mußten,  um  das  Problem  zu  bestimmen,  jederzeit  implicite  ge- 
geben sind. 

Die  Voraussetzung  der  Gültigkeit  dieser  Untersuchung  ist  die 
Kleinheit  der  Verrückungen  gegen  ein  absolut  festes  oder  aber 
gleichförmig  parallel  mit  sich  bewegtes  Koordinatensystem.  Auf 
endliche  Verschiebungen,  wie  sie  in  der  Praxis  bei  sehr  dünnen 
Stäben  oder  Platten  vorkommen,  sind  die  Resultate  nicht  anwendbar.®*) 


§  19.     Elastische  Flüssigkeiten.     Ebene  und  Kugelwellen  im 

unendlichen  Baume. 

Die   Erscheinungen   der  Elasticität    sind    bei    festen   und   bei 
flüssigen  Körpern  in  so  vielfältiger  Weise  verschieden.,  daß  es  sich 


346  IL  TeiL    Mechanik  nickistarrer  Körper,    IV»  Kap. 


empfiehlt,  für  die  Behandlung  eine  Sonderung  derselben  gemäß  der 
Natur  der  betrachteten  Medien  eintreten  zu  lassen. 

Wir  wenden  uns  zunächst  zu  denjenigen  Körpern,  in  denen  die 
elastischen  Vorgänge  die  einfachste  Gestalt  annehmen,  zu  den 
elastischen  Flüssigkeiten.  Unter  ihnen  nehmen  wiederum  die 
Gase  deshalb  eine  ausgezeichnete  Stellung  ein,  weil  ihnen  gegenüber 
die  festen  elastischen  Körper,  z.  B.  die  Gefaßwände,  in  großer 
Annäherung  als  starr  angesehen  werden  können;  dies  hat  nämlich 
zur  Folge,  daß  man  deren  eventuelle  Beteiligung  an  den  elastischen 
Erscheinungen  innerhalb  eines  mit  ihnen  in  Berührung  stehenden 
Gases  ganz  ignorieren  kann,  was  eine  bedeutende  Vereinfachung  der 
Aufgabe  bewirkt  Bei  tropfbaren  Flüssigkeiten  ist  dies  im  allge- 
meinen nicht  zulässig,  da  deren  elastische  Widerstandskräfte  nur 
unbedeutend  geringer  sind,  als  diejenigen  fester  Körper. 

Die  Hauptgleichungen  für  eine  homogene  elastische  Flüssigkeit 
lauten  nach  (14)  und  (116) 

124)    p_=X+c^-,    (,^  =  1   +cg^,    p__  =  Z+c^; 

an  den  äußeren  Begrenzungen  kann  der  Druck  oder  die  Normal- 
komponente der  Verschiebung  vorgeschrieben  sein,  an  den  Zwischen- 
grenzen ist,  wenn  man  von  Grenzdrucken  ;?^^  absieht  und  die  Rich- 
tung der  Normalen  mit  v  bezeichnet: 


124') 


K  —  ^^fc)  ^ös  (r,  .r)  -t-  (ü^  —  v^)  cos  (v,  y)  +  (w?^  —  irj  cos  (v,  z)  =  0, 
Gleichgewicht  ist  wegen  der  Bedingungen 


124")  T^^c^-^,     r^-c^-^,     ^'=^c|^ 

nur  möglich  unter  der  Wirkung  von  konservativen  Kräften,  und 
zwar  gilt  für  deren  Potential  einfach 

124'")  *'=ci9'  +  c', 

wo  c   eine  belanglose  Konstante  bezeichnet. 

Fehlen  äußere  Kräfte,  so  ist  die  räumliche  Dilatation  konstant 
und  durch  den  sie  bewirkenden  Oberflächendruck  p  gegeben  nach 
der  Formel 

p  =  ^c&. 

Diese  Beziehung  zeigt,  daß  man  die  einzige  Elasticitätskon- 
stante  c  einer  Flüssigkeit  durch  die  Beobachtung  der  einer  gegebenen 
Druckzunahme  p  entsprechenden  Kompression  —  &  bestimmen  kann. 


§  19.    Elastische  Flüssigkeiten.  347 


Geschieht  die  Kompression  so,  daß  eine  Temperatursteigerung  aus- 
geschlossen ist,  so  liefert  die  Methode  die  S.  338  definierte  iso- 
thermische Konstante  Cp  bei  Gasen  hat  c^  speziell  den  Wert  des 
Anfangsdruckes  p^.  — 

Für  den  Fall  der  Bewegung  kann  man  von  der  Wirkung 
körperlicher  Kräfte,  soweit  sie  die  Zeit  nicht  enthalten,  absehen,  da 
deren  Wirkung  sich  einfach  über  die  der  Bewegung  lagert;  man 
kann  also  ausgehen  von  den  Hauptgleichungen 

PöF-^ö^'    ^W'^J^'    ^^^""''ör-  ^^^^ 


Diese  Formeln  ergeben 


(>^  =  cAi^  125') 


d 
d 


woraus  folgt,  daß  die  räumliche  Dilatation  sich  mit  Zeit  und  Ort 
ändert,  während  die  Eotation  an  jeder  Stelle  in  der  einmal  erregten, 
natürlich  unendlich  kleinen  Intensität  imgeändert  fortbesteht 

Dies  zeigt,  daß,  wenn  die  Verrückungen  u,  r,  w  Anteile  be- 
sitzen, welche  eine  Botation  geben,  diese  keine  eigentiich  elastischen 
Erscheinungen  bewirken,  wie  sie  denn  nach  (116)  und  (116')  auch 
keine  elastischen  Kräfte  erregen;  wir  können  sie  daher  weiterhin 
immer  von  der  Betrachtung  ausschließen. 

Setzen  wir  demgemäß 

dtp  dv       du  dto       dv        du 

dy        dx  ^     dx        dx  ^     dx        öy  ' 

SO  bestimmen  wir  hierdurch  die  Verrückungskomponenten  als  die 
partiellen  Differentialquotienten  einer  und  derselben  Funktion  F  der 

Koordinaten  und  der  Zeit,  des  Deformationspotentiales,  so 
daß  gilt 

dF  dF               dF                               .oft\ 

dx  ^  dy  ^              dx                                      ' 
und 

x^^AJP.  126') 

Eine  durch  Formeln  von  der  Gestalt  von  (126)  gegebene  De- 
formationwollen wir  weiterhin  eine  Potentialdeformation  nennen; 
bei  Flüssigkeiten  kann  sie  als  die  allgemeinste  Form  einer  Defor- 
mation gelten.  Sie  hat  das  Eigentümliche,  daß  in  jedem  Moment 
eine  Schar  von  Flächen  F  =  Const.  existiert,  senkrecht  zu  welchen 
an  jeder  Stelle  die  Verrückung  5,  d.  h.  die  Verbindungslinie  der 
momentanen   mit   der   ursprünglichen   Lage    des   dort   befindlichen 


348  //.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


Massenteilchens  steht;  außerdem  ist  der  normale  Abstand  benach- 
barter und  gleichen  Zuwachsen  der  Eonstanten  entsprechender 
Flächen  an  jeder  Stelle  der  Größe  der  Verrückimg  S  indirekt 
proportional. 

Hieraus  folgt  indessen  keineswegs,  daß  die  Bewegung  der  ein- 
zelnen Punkte  der  Flüssigkeit  eine  geradlinige  ist,  denn  sonst 
müßte  aus  dem  Verhältnis  uiviw  die  Zeit  ganz  herausfallen,  was 
im  allgemeinen  nicht  stattfindet. 

Aus  den  drei  Gleichungen  (125)  können  wir  nunmehr  schließen 

126")  p^  =  cA^', 

wobei  eine  belanglose  additive  Funktion  der  Zeit  allein  in  F  hinein- 
gezogen ist. 

Die  Bedingungen  für  eine  starre,  beliebig  bewegte  Wand  redu- 
zieren sich  darauf,  daß  dFjdn  als  beliebige,  aber  stetige  Funktion 
des  Ortes  und  der  Zeit  vorgeschrieben  ist;  für  eine  Oberfläche,  längs 
deren  der  Druck  p  gegeben  ist,  muß  wegen  p  =  ^cj^F=  —  gd^Fjöt* 
das  Potential  F  die  Form 

1 26'")  F^r+  F" t  -  ^ffp{dt)^ 

haben,  worin  F^  und  jF"*  Funktionen  der  Koordinaten  allein  be- 
zeichnen, über  die  man  mitunter,  z.  B.,  wenn  ein  gleichförmiges 
Wachsen  oder  Abnehmen  von  F  mit  der  Zeit  durch  die  übrigen 
Bedingungen  des  Problemes  ausgeschlossen  ist,  einfach  verfügen  kann. 

Aus  gegebenen  Anfangsverrückungen  u,  v,  w  und  Gesch^nndig- 
keiten  u\  v',  to  kann  man  nach  den  in  §  23  des  I.  Teiles  gegebenen 
Begeln  die  zur  Zeit  ^  =  0  stattfindenden  Werte  F^  von  F  und  F^  von 
dFjdt  berechnen. 

Wenn  es  sich  nur  um  die  Bestimmung  der  räumlichen  Dilatation 
ß-  handelt,  nicht  auch  um  die  der  Verrückungen  w,  v,  tr,  und  wenn 
an  den  Grenzen  O-  und  zur  Zeit  t  =  Q  -d-  und  d&fdt  vorgeschrieben 
ist,  kann  man  auch  von  der  Gleichung  (125')  ausgehen;  im  allge- 
meinen ist  es  stets  praktischer,  direkt  das  Deformationspotential  / 
aufzusuchen. 

Von  den  Gestalten,  in  denen  dieses  sich  findet,  und  welche  je 
nach  der  Gestalt  des  von  Flüssigkeit  erfüllten  Baumes  und  den  an 
den  Grenzen  und  zur  Zeit  ^  =  0  geltenden  Bedingungen  verschieden 
sind,  haben  zwei  eine  besondere  Wichtigkeit,  die  durch  die  Art  der 
Abhängigkeit  von  der  Zeit  charakterisiert  sind. 

Eine  erste  spezielle  Bewegungsform  ist  gegeben  durch  ein 
Potential  von  der  Form 


§  19,    Elastische  FHissf'pkeiten.    Stehende  Schwingungen,  349 


F^R{x,y,z)T\().  127) 

Wegen  der  hieraus  folgenden  Beziehungen 

«  =  rw||,  r  =  rw|f,  tr  =  rw|^  127') 

werden  dabei  die  gröBten  Elongationen ,  wie  die  Euhelagen 
tissrsstrssOy  im  ganzen  Räume  gleichzeitig  erreicht;  derartige 
Bewegungen  nennt  man  stehende  Schwingungen. 

Femer  finden  die  Bewegungen  überall  geradlinig  statt,  und  ihre 
Richtungen  stehen  tiberall  normal  zu  der  Schar  fester  Flächen 
R  =  Const,  welche  man  die  Wellenflächen  der  stehenden 
Scliwingungen  nennen  kann.  Wo  R  ein  Maximum  oder  ein  Mini- 
mum besitzt,  ist  die  Verrückung  dauernd  gleich  Null,  befindet  sich 
also,  wie  man  sagt,  ein  Schwingungsknoten;  wo  A -B  gleich  Null 
ist,  verschwindet  dauernd  die  räumliche  Dilatation  ß-j  befindet  sich, 
wie  man  sagt,  ein  Schwingungsbauch. 

Setzt  man  den  Wert  (127)  in  die  Hauptgleichung  (126")  für  F 
ein,  so  erhält  man 

T  dt*  "■    QU  ' 

woraus  folgt,  daß  jedes  Glied  dieser  Gleichung  einer  Eonstanten 
gleich  sein  muß. 

Der  wichtigste  Fall  ist  der,  daß  diese  Konstante  negativ,  sagen 
wir  gleich  —  a*  ist,  weil  er  wegen 

f_|  +  ^2y^0  127") 

auf  periodische  Schwingungen  führt;  die  Periode  r  hängt  dabei 
mit  u  durch  die  Beziehung  a^2n\T  zusammen,  und  die  allgemeine 
Losung  für  T  lautet,  da  eine  multiplikatire  Eonstante  in  R  gezogen 
werden  kann, 

y=sin(a^  +  /S). 

Für  R  gilt  gleichzeitig  im  Inneni  der  Flüssigkeit  die  Formel 

CAÄ+  (^«2^  =  0;  127'") 

an  der  Oberfläche  ist  dRjdn  oder  R  vorgeschrieben,  je  nachdem 
dort  die  Verrückung  oder  der  Druck  als  periodische  Funktion  der 
Zeit  gegeben  ist 

Die  Werte  von  a  resp.  r  werden  dabei  durch  die  Nebenbedingungou 
des  Problems  bestimmt,  bleiben  also  willkürlich,  wenn  solche  nicLt 
existieren;  im  ersteren  Fall  findet  sich  je  nach  umständen  für  sie 
bald  nur  ein  einziger  Wert,  bald  eine  unendliche  Anzahl  diskreter 
Werte,  z.  B.  Wurzeln  transcendenter  Gleichungen,  und  beides  s;jj:t 


350  //.  Teil,    Mechanik  7vcktstarrer  Körper,    IV,  Kap, 

aus,   daß   unter    den   gestellten   Bedingungen   stehende    periodische 
Schwingungen  nur  von  bestimmten  Schwingungsdauem  möglich  sind. 
Bei  dem  einer  stehenden  periodischen  Schwingung  entsprechen- 
den Deformationspotential 

127"")  F  =  R{x,y,  z)  sin  {at  +  ß) 

heißt  dann 

ve^  -  i/(iHiF(ir  -  if  • 

falls  n  die  Normale  auf  der  Fläche  R  =  Const.  bezeichnet,  die  Am- 
plitude, und  das  Argument  des  Sinus  die  Phase  der  Schwingung. 
Der  zweite  spezielle  Bewegungstypus  ist  durch  das  Potential 

128)  F^  P{x,y,  z)Q(t^  f[x,y, z)) 

gegeben. 

Hier  findet  eine  Übereinstimmung  der  Bewegungen  in  verschie- 
denen Teilen  des  Raumes  in  der  Hinsicht  statt,  daß  der  Faktor  Q 
in  verschiedenen  Oberflächen  von  der  Gleichung 

f{x,y,z)  =  C^, 

welche  man  die  Wellenflächen  der  fortschreitenden  Schwin- 
gungen nennt,  zu  den  Zeiten  t  =  Cj^  den  gleichen  Wert  annimmt 
Jeder  Wert  von  Q  schreitet  also  von  Wellenfläche  zu  Wellenfläche 
fort,  und  daher  heißen  die  durch  (128)  gegebenen  Bewegungen 
fortschreitende  Schwingungen. 
Bringt  man  f  auf  die  Form 

/•(.r,y,z)  =  Ä/i;(|,7;), 

wo  I  =  Const.  und  i]  =  Const.  die  Gleichungen  einer  normalen 
Trajektorie  aller  Oberflächen  /*=  Cj^  darstellen,  und  s  die  auf  ilu* 
von  einer  beliebigen  dieser  Flächen  aus  abgegrenzte  Länge  bezeichnet 
so  heißt  V  —  nicht  zu  verwechseln  mit  der  Verrückung  v  —  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  längs  jener  Trajektorie. 

Die  Funktion  F  verhält  sich  wegen  des  Faktors  P  komplizierter 
als  Qj  ihr  absoluter  Wert  ändert  sich  von  einer  Oberfläche  f  zur 
anderen;  ihre  wesentliche  Eigenschaft  stimmt  aber  mit  der  von  Q 
überein. 

Ein  Wert 

128')  F==P'(x,y,z)Q{t+f{T,y,z)) 

stellt  eine  Bewegung  dar,  die  sich  mit  der  gleichen  Geschwindigkeit, 
in  den  gleichen  Wellen,  aber  in  der  entgegengesetzten  Richtung  fort- 
pflanzt, wie  die  durch  (128)  gegebene. 


§  19.    Elastische  Flüssigkeiten,    Fortsehreitende  Schwingungen.       351 


Die  aus  (128)  folgenden  Ausdrücke  für  u,  v,  tc  werden  ziemlic'.i 
kompliziert;  bezeichnet  maai  mit  Q'  den  Diflferentialquotienten  von  Q 
nach  t  oder  nach  dem  ganzen  Argument,  so  erhält  man 


128') 


die  Werte  lassen  sich  in  zwei  Teile  zerlegen,  welche  je  eine  gerad- 
linige Bewegung  normal  zu  einer  Fläche  Q  =  Const.  resp.  f  =  Const., 
oder,  anders  ausgedrückt,  normal  zu  einer  Fläche  konstanter  Ampli- 
tude und  einer  Fläche  konstanter  Phase  von  F  darstellen.  Enthält 
Q  die  Koordinaten  nur  in  der  Kombination  /',  so  sind  beide  Teile 
parallel. 

Der  wichtigste    Fall   ist  wieder   der   einer  periodischen  Be- 
wegung.    Setzt  man  Q  =  sina{(  —  f),  also 

F^Fsma{t-^f),  128") 

so  erhält  man 

u  =  y^-sin  e^(^  -f)  -  aP  |/cos  e^(^-  /'),  128") 


Bringt  man  (128'")  auf  die  Form 

F  =  Pcos  af^m  at  —  Psin  ce  f  cos  at 

und   vergleicht   dies  Resultat   mit   der  Formel   (127""),   so   erkennt 
man,  daß  eine  fortschreitende  periodische  Schwingung  als  die  Super- 
position  zweier  stehender,   mit  gleicher  Periode,  aber  verschiedener 
Phase  und  Amplitude  betrachtet  werden  kann. 
Andererseits  zeigt  die  Beziehung 

P  (sin  cc[t  —  f)  +  sin  a  (^  +  /*))  =  2  Pcos  afsina  i, 

daß  eine  stehende  periodische  Schwingung  sich  jederzeit  auffassen 
läßt  als  die  Superposition  zweier  durch  dieselben  Wellentiächen  mit 
der  gleichen  Geschwindigkeit  in  entgegengesetzter  Richtung  fort- 
schreitender Schwingungen  gleicher  Periode.  — 

Unser  Ohr  hat  die  Fähigkeit,  periodische  Schwingungen  der 
umgebenden  Atmosphäre  als  Töne  aufzufassen,  und  zwar  solche,  für 
w^elche  das  Deformationspotential  durch  eine  einzige  trigonometrische 
Funktion  der  Zeit  gegeben  ist,  als  einfache,  solche,  für  welche  es 
durch  eine  Summe  derartiger  Glieder  dargestellt  ist,  im  allgemeinen 
als  zusammengesetzte  Töne.  Die  empfundene  Tonhöhe  hängt 
von  der  Größe  der  Periode  r  oder  von  der  sogenannten  Schwin- 
gungszahl f  =  1/t  ab,  die  empfundene  Intensität  wahrscheinlich 


352  //.  TeiL    Mechanik  ntchtstarrer  Körper.    IV.  Kap, 


von  der  mittieren  Energie  der  stattfindenden  Luftbewegung  in  der 
Nähe  des  Ohres. 

Die   augenblickliche  Energie   6   der   Volumeneinheit    ist   nach 
(110")  und  (116') 

129)  6  =  |(()r»  +  ci9-^. 

Daraus  folgt  die  mittlere  Energie  e^  gemäß  der  Formel 

129)  $^  =  ^J{QF*  +  c&*)dt, 

t 

worin   t  eine   beliebige  Zeit  und   r  die  Dauer   einer  Periode  der 
Schwingung  bezeichnet. 

Sind  die  Schwingungen  stehende,  so  ist  nach  (127) 

129")  r2  =  (^j*GÄ,     &^TAli; 

entsprechen  sie  einem  einfachen  Ton  mit  der  Periode  r,   so  ist 
nach  (127") 


4/(^)*^-T/''^'-i«'. 


also 

oder  wegen  (127'")  und,  weil  c/q  —  r*  ist,  auch 
l--'9"')  a^  =  ^p„»(eÄ  +  ^)  . 

Hieraus  folgt,  daß  in  Schwingungsknoten  gilt 

in  Schwingungsbäuchen 

Für  fortschreitende  Schwingungen  eines  einfachen  Tones 
erhält  man  ähnlich  allgemeine  Eelationen,  wenn  man  sie,  wie  S.  351 
gezeigt,  als  Superposition  von  zwei  stehenden  Schwingungen  ansieht. 
Es  folgt  dann  nach  leichter  Rechnung 

€/.  =  i(('«^[Ö(P  cos  af)  +  Q{P  sin  af)] 
-f  c[A\P  cos  af)  +  a\P  sin  af')]). 

Ist  die  Bewegung  eine  Superposition  verschiedener  einfacher 
Töne,  so  ist  die  Energie  gleich  der  Summe  der  Energien,  welche 
jeder   einzelne  Ton    für    sich    besitzen    würde;    denn    die    bei   der 


1 29"") 


§  19.    Elaaidsehe  Flüssigkeiten.    Ebene  Wellen.  353 

Berechnung  von  6^  auftretenden  Glieder,  die  sich  auf  zwei  Töne 
beziehen,  verschwinden  bei  der  Integration  über  die  gemeinsame 
Periode.  — 

Von  besonderer  Einfachheit  und  von  großer  Wichtigkeit  ist 
der  Fall,  daß  die  Bedingungen  des  Problems  derart  sind,  daß  F 
nur  von  einer  Koordinate  abhängt,  sagen  wir  von 

s  =  Ix  +  my  +  nZj 

worin  l,  m,  n  die  Richtungscosinus  der  Wellennormalen  s  gegen 
die  Eoordinatenaxen  bezeichnen.    Dann  wird  die  Hauptgleichung  zu 

und  ihre  allgemeine  Lösung  besitzt  die  Form®^) 

F^f,{s  +  vt)  +  ^2  (^  -  ^^)^  130') 

worin 

ist 

Ist  die  elastische  Flüssigkeit  unbegrenzt,  und  ist  für  ^  =  0 

SO  erhält  man  durch  eine  einfache  Rechnung  den  allgemeinen  Wert 
F=\{F,{s+vt)  +  F,{s-  vt))  +  -^JF^  {&)  da,         1 80'") 

9  —  Vt 

der  sich  auch  schreiben  läßt 

■^  =  i  [^^/^oC«^)*^«^  +/^i(<r)rf<^]  130"") 

»  —  vt  a  —  vt 

und  aussagt,  daß  sich  nach  der  Seite  von  +8  der  halbe  Wert 
eines  Deformationspotentiales 

F,-l-JF,{<T)da, 
nach  der  Seite  von  —s  der  halbe  Wert  eines  Potentiales 


^O+^/^lH*^«^ 


mit  der  Geschwindigkeit  v  in  ebenen  Wellen  fortpflanzt. 

Wenn  die  unendliche  Flüssigkeit  durch  eine  Ebene  ä  =  0  be- 
grenzt ist,  die  als  Ganzes  in  gegebener  Bewegung  erhalten  wird, 
d.  h.,  längs  deren  die  Verrückungen  als  Funktionen  der  Zeit  allein 

Voigt,  Theoretische  Physik.  23 


354  //.  TeiL     Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IV.  Kap. 


vorgeschrieben  sind,  so  pflanzen  sich  nach  dem  S.  347  Gesagton 
die  tangentialen  Komponenten  nicht  fort,  und  die  Grenzbedingnng 
lautet  für  «  =  0 

Beginnt  diese  Bewegung  zur  Zeit  ^  =  0,  und  ist  im  ganzen  Ton 
der  Flüssigkeit  erfüllt  gedachten  Halbraume  ä  >  0  sowohl  F^,  als 
J^j  gleich  Null,  so  erhält  man  durch  eine  einfache  Rechnung 


131) 


woraus  folgt 


131') 


<  —  »  /  V 


F=  -V  Cs\a)da    für  ^>-^, 

0 

F=-0  für  t^  —  , 

—  V 

^    ds  —  V 

Ist  beispielsweise  S\t)  —  A sin ut,  so  wird  für  .9>0und^>f/y 

F  = cos  a  ^ 

Die  erzeugte  Bewegung  ist  also  eine  mit  der  Geschwindigkeit  v 
fortschreitende  Schwingung.  Führt  man  die  Periode  r  ein  und 
bezeichnet  das  Produkt  vt,  die  Wellenlänge,  durch  l,  so  giebt  dies 

131")  i^=-4^cos2jr(----f). 

Ist  dagegen  F^  und  F^^  zur  Zeit  ^  =  0  nicht  gleich  NuD,  son- 
dern je  gleich  einer  gegebenen  Funktion  Ton  ä,  und  ist  die  Ebene 
5  =  0  festgehalten,  dF jds  dort  also  gleich  Null,  so  kann  man  fiir 
den  positiven  Halbraum  die  Formel  (ISO'")  anwenden,  wenn  man 
nur  die  Funktionen  Fq  und  F^  in  dem  negativen  Halbraume  so 
definiert,  daß  sie  für  s  =  —  s^  denselben  Wert  annehmen,  wie  er 
für  s  =  +  s,  vorgeschrieben  ist  — 

Wenn  auch,  der  Übereinstimmung  mit  dem  allgemeinen  Fall 
wegen,  oben  die  Untersuchung  ebener  Wellen  an  das  Deformations- 
potential angeknüpft  ist,  so  empfiehlt  es  sich  doch  bei  dem  vor- 
liegenden speziellen  Fall  mehr,  von  der  Betrachtung  der  resultieren- 
den Verrückung 

OS 


§  19,     Elastische  Flüssigkeiten,    Ebene   Wellen,  855 


132") 


auszugehen,  welche  normal  zur  Wellenebene,  also  longitudinal, 
stattfindet,  und  für  welche  nach  (125)  dieselbe  Hauptgleichung 

gültig  ist,  wie  für  F,  Die  bisherigen  Resultate  sind  auf  S  direkt 
tibertragbar.  So  schreibt  sich  die  Formel  (130'")  für  die  Wirkung 
einer  AnfangSTerrückung  Sq  und  einer  Anfangsgeschwindigkeit  S^ 

S  =  :k(S,{s  +  vt)  +  S,{s-  vt))  +  ^fs, (<7) da ;  1 32') 

s  —  vt 

für  die  Fortpflanzung  der  normalen  Verschiebung  der  Ebene  s  =  0 
gilt  nach  (131') 

5=5'(.-A)       furo-:,    1 

5  =  0  für  ^<  — ;    1 

für  die  normale  Reflexion  an  der  festen  Wand  «  =  0  hat  man  den 
Anfangszustand  in  den  negativen  Halbraum  so  fortzusetzen,  daß 
entgegengesetzten  Argumenten  s  auch  entgegengesetzte  Funktions- 
werte Sq  und  Äj  entsprechen,  und  dann  die  Formel  (132')  zu  benutzen. 

Außerdem  bietet  die  Einführung  von  S  aber  besondere  Vorteile, 
wenn  es  sich  um  die  Wirkung  einer  Begrenzung  handelt,  an  welcher 
der  Druck,  und  daher  wegen  jt?  =  —  ci?*  =  —  cdS I ds  auch  dS / ds 
als  Funktion  der  Zeit  vorgeschrieben,  oder  aber  dauernd  gleich 
Null  ist,  wie  letzteres  an  der  freien  Oberfläche  einer  tropfbaren 
Flüssigkeit  stattfindet 

Ist  zunächst  im  positiven  Halbraume  iS^  =  Ä^  =  0,  und  ist  für 
s  =  0  und  ^  >  0  vorgeschrieben  dS  j  ds  =  S"{t),  so  wird 

S=-v  fS"{<T)d(T       für  f  >  — ,  ] 

i  "  132'") 

V 

Ist  dagegen  für  den  positiven  Halbraum  Sq  und  S^  als  Funktion 
von  s  vorgeschrieben  und  dSlds  =  0  für  ^  =  0,  so  hat  man  Sq  und 
iS'i  in  den  negativen  Halbraum  einfach  spiegelbildlich  fortzusetzen 
und  die  Grundformel  (132')  anzuwenden. 

Die  Superposition  der  beiden  Resultate,  die  sich  auf  in  der 
Grenzebene  gegebenes  S,  sowie  derjenigen,  die  sich  auf  ebenda  ge- 
gebenes dS/ds  beziehen,  gestattet  dann  gleichzeitig  vorgeschriebenes 

23* 


356  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Kärper,    IV,  Kap. 


Sq  und  Äj  einerseits,  gegebenes  ä'  resp.  5"  andererseits  zu  berück- 
sichtigen. 

Dabei  tritt  hervor,  daß  die  Reflexion  normal  auffallender 
ebener  Wellen  an  einer  Ebene  in  derselben  Weise  stattfindet,  ob 
S  daselbst  beliebig  wechselnd  gegeben  ist,  oder  dauernd  verschwindet; 
ebenso  ergiebt  beliebig  wechselnd  vorgeschriebenes  dS/ds  dieselbe 
Reflexion,  wie  dauernd  verschwindendes.  Im  ersten  Falle  werden 
die  auffallenden  Verrückungen  mit  umgekehrtem,  im  letzteren 
mit  gleichem  Zeichen  reflektiert. 

Man  kann  leicht  die  Betrachtung  auf  den  Fall  erweitem,  daß 
an  zwei  parallelen  Ebenen  ä  =  0  und  s  =  Z  entweder  S  oder  dSlÖJf 
auf  Null  erhalten  wird,  indem  man  den  zwischen  ihnen  gegebenen 
Anfangszustand  durch  wiederholte  geeignete  Spiegelung  an  den  beiden 
Grenzebenen  in  den  äußeren  Raum  fortsetzt.  — 

Größeres  Interesse,  als  diese  Probleme  fortschreitender 
Schwingungen,  besitzen  diejenigen,  welche  sich  aufstehende  Sch^vin- 
gungen  zwischen  den  Ebenen  ä  =  0  imd  s  =  Z  beziehen. 

Die  speziellen  nach  dem  Typus  (127"")  gebildeten  Werte 


133) 


as 

V 

resp. 


Si  =  Äsin      sin  a{t  +  ^^), 


Sil  =  ^  cos  —  sin  a{t  +  t^), 

worin 

aZ  =  nhv,     ä  =»  1,2, 3, ..., 

entsprechen  den  Fällen,  daß  S  resp.  dSJds  für  s  =  0  und  s=  L 
verschwinden;  die  Sch^dngungsdauern  r  und  die  Wellenlängen  / 
folgen  dabei  dem  Gesetz 

T  =  2i;/At;,     A  =  2Z/Ä. 
Dagegen  entspricht 

1 33')  5ui  =  ^  sin  "-  sin  a{t  +  t^), 


as 

V 

worin 


aZ  =  — -—7iv,  Ä  =  0,1,2,... 

ist,  dem  Falle,  daß  5  für  ä  =  0  und  öS/ö*  für  8  =  Z  verschwindet; 
zugleich  gilt 

T  =  4Z/(2A+  l)v,     ^=-  4ZI{2h+  1). 

Die  Schwingungszahlen  f  =  1/ r  schreiten  in  den  ersten  beiden  Fällen 

wie  die  natürlichen,  in  dem  dritten  wie  die  ungeraden  Zahlen  fort, 

Sch^vingungsknoten  entsprechen  den  Stellen,  wo  5,  Sch^iugimgs- 

bäuche  denen,  wo  dS/ds  verschwindet;  die  Entfernung  benachbarter 


§  19.    Elastische  Fiüsstgkeiten.    Ebene  Wellen,  357 

beträgt  A/2,  und  ihre  Messung  liefert  wegen  k  =  TV  ein  wichtiges 
Mittel  zur  Bestimmung  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  v. 

Diese  Verhältnisse  liegen  angenähert  bei  den  Pfeifen  vor,  d.  h. 
bei  cylindrischen,  mit  Luft  erfüllten  Röhren,  welche  an  den  Enden 
entweder  durch  feste  Böden  geschlossen  sind  oder  sich  in  den  Luft- 
raum öfl&ien;  wenn  der  Querschnitt  der  Pfeife  klein  ist,  kann  am 
offenen  Ende  eine  merkliche  Verdichtung  oder  Verdünnung  nicht  ein- 
treten, ist  also  näherungsweise  die  Bedingung  #  =  0,  d.  h.  ö5/Öä  =  0 
ei-föllt.  Eine  strenge  Analyse  muß  allerdings  die  von  dem  Rohr  aus 
im  umgebenden  Lufträume  fortgepflanzten  Schwingungen  mit  in  Be- 
tracht ziehen*^);  auch  der  Einfluß  der  Reibung  und  des  Wärmeaus- 
tausches mit  den  Seitenwänden  giebt  zu  Abweichungen  von  den 
obigen  Formeln  Veranlassung.  ®®)  — 

Ist  5  =  0  für  5  =  0,  und  ist  Ä  =  ^  sin  a^  für  «  =  i,  so  erhält  man 

.    .    as    , 
A  8in  —  Binnt 

S= "—f — .  133") 

8in 

V 

S  wird  also  unendlich,  wenn  ccZ=^k7tv  ist,  und  hieraus  ist  zu 
schließen,  daß,  falls  die  Ebene  s  =  Z  eine  nur  unendlich  schwache 
Bewegung  ausführt,  welche  die  Superposition  sehr  vieler  Schwin- 
gungen mit  verschiedenen  Perioden  bildet,  nur  diejenigen  stehenden 
Schwingungen  innerhalb  der  Flüssigkeit  merklich  erregt  werden,  für 
welche  die  Bedingung  uL  =  hnv  erfüllt  ist;  dies  sind  dieselben 
Schwingungen,  welche  bei  beiderseitig  festgehaltener  Begrenzung 
allein  bestehen  können. 

Ahnliche  Formeln  wie  (133")  gelten,  wenn  für  *  =  0  nicht  5, 
sondern  &  verschwindet,  und  auch,  wenn  für  s  ^  L,  statt  S,  &  vor- 
geschrieben ist 

Die  Erregung  von  stehenden  Schwingungen  in  Pfeifen  bei  Ein- 
wirkung auf  deren  Endquerschnitte  kann  man  als  Resonanz  im 
weiteren  Sinne  bezeichnen;  ist  die  Einwirkung  eine  periodische 
Dinickänderung,  die  durch  über  ein  offenes  Ende  ziehende  Wellen 
im  äußeren  Luftraum  bewirkt  wird,  so  giebt  dies  eine  Resonanz  im 
engeren  Sinne.  Wir  gehen  weiter  unten  auf  allgemeinere  Vor- 
gänge dieser  Art  ausführlicher  ein.  — 

Der  Wert  der  mittleren  Energie  c^  nimmt  bei  Schwingungen, 
die  in  ebenen  Wellen  stattfinden,  eine  besonders  einfache  Gestalt  an. 

Für  stehende  Schwingungen,  die  einem  einfachen  Ton  ent- 
si^rechen,  ist  nach  (127"")  allgemein 

i^  =  a  cos  --  (s  +  Sq)  sin  ce{t  +  t^), 


358  //.  Teil.     Mechanik  nichlstarrer  Körper,    IV.  Kap, 


und  daraus  folgt  nach  (129'") 


6^  =  ^  (sin* 


worin  das  erste  Glied  der  Klammer  den  kinetischen,  das  zweite 
den  potentiellen  Anteil  der  Gesamtenergie  angiebt.  Diese  Teile 
wechseln  also  von  Stelle  zu  Stelle,  während  ihre  Summe  überall 
konstant  ist. 

Führt  man  die  größte  Amplitude  Ä  =  aujv  der  resultierenden 
Verrückung  S=dF/ds  ein,  so  giebt  dies  auch 

133")  8,,=  ^^^. 

Für  fortschreitende  Schwingungen  mit  dem  Potential 

F=^  a  sin a[t  +  t^  —  — 


ist  das  Resultat  bezüglich  der  Gesamtenergie  €^  das  gleiche;  aber 
die  zeitlichen  Mittelwerte  des  kinetischen  und  des  potentiellen  Teiles 
sind  hier  im  ganzen  Saum  konstant,  und  zwar  einander  gleich.  — 

Fallen  fortschreitende  ebene  Wellen  auf  eine  ebene  Grenze 
zwischen  zwei  verschiedenen  Flüssigkeiten  auf,  so  werden  sie  zum 
Teil  zurückgeworfen,  zum  Teil  in  die  zweite  Flüssigkeit  hinein  fort- 
gepflanzt®^. Nach  Symmetrie  müssen  alle  die  entstehenden  Be- 
wegungen wieder  in  ebenen  Wellen  stattfinden,  deren  Normalen  der 
Ebene  durch  das  Ijot  auf  der  Grenze  und  durch  das  Lot  auf  der 
einfallenden  Welle,  der  sogenannten  Einfallsebene,  parallel  liegen. 

Wählt  man  die  XY-  zur  Grenzebene,  die  XZ-  zur  Einfalls- 
ebene und  rechnet  die  ^-Axe  von  dem  ersten  ins  zweite  Medium 
positiv,  so  sind  ebene  fortschreitende  Wellen,  welche  bei  dem  be- 
trachteten Vorgang  auftreten  können,  gegeben  durch  das  Defor- 
mationspotential 

I  =  asm  —  [t+tQ'--j=asm27(  \^—^  -  yj  , 

worin  s  ==  Ix  +  nz  ist,  und  /,  0  und  n  die  Richtungscosinus  der  in 
der  Richtung  der  Fortpflanzung  positiv  gerechneten  Wellennonnale  s 
bezeichnen. 

Die  Bedingungen  für  die  Grenzfläche,  d.  h.  für  z  =  0,  gehen 
nach  (124')  dahin,  daß 


§  19.    Elastische  Flüssigkeiten.    Ebene  Wellen.  859 


sein  muß;  letztere  Formel  ist  nach  (126")  identisch  mit 

Bezeichnet  man  die  einfallende,  die  reflektierte  und  die  durch- 
gehende Welle  resp.  durch  die  Indices  «,  r  und  rf,  so  ist  zu  setzen 

/  /         Lx  ■{■  nx 


'i  +  t         l  X  +  n  x"" 


^ 


134") 


P  =  F  4-  F     F  ^  F 

Kombiniert  man  diese  Werte  mit  den  Grenzbedingungen  (134) 
resp.  (134'),  so  erhält  man  zunächst,  da  nach  den  letzteren  für  z  =  0 
die  mit  Ort  und  Zeit  veränderlichen  Faktoren  stets  gleich  sein  müssen, 

^r  =  ^d  =  0,    Te  ==  T^  =  Tj  =  T,  135) 

worin  t  die  allen  Wellen  gemeinsame  Periode  bezeichnet;  femer 

/         /         / 

*e  *'r  ''d 

was  das  Gesetz  der  Eefiexion  und  der  Brechung  der  Wellennormalen 
ausspricht.  Wegen  A  =  tv  und  v^  =  v^  kann  man  nämlich  hierfür 
auch  schreiben 

/,=  /„  A  =  jk,  135") 

«  d 

woraus  die  Richtigkeit  der  gemachten  Bemerkung  erheUt. 

So  lange  /^,  d.  h.  lj^^\v^  <  1  ist,  bleibt  der  zu  dem  Richtungs- 
cosinus l^  gehörige  Winkel  und  somit  die  Lösung  F^  reell. 

An  und  für  sich  können  den  durch  (135')  definierten  l^  und  /^ 
je  zwei  Werte  n^  und  n^  entsprechen,  gemäß  den  Gleichungen 

n,=  ±ynrxs  n^=  ±yi^^jr 

und  die  Betrachtung  des  durch  (134")  gegebenen,  gewissermaßen 
stationären  Zustandes  allein  gestattet  nicht  die  Entscheidung 
darüber,  welche  von  ihnen  den  wirklichen  Fortpfianzungsrichtungen 
entsprechen,  lassen  vielmehr  alle  vier  Möglichkeiten  gleichmäßig  zu. 
Man  kann  zu  dieser  Entscheidung  das  Resultat  der  Anschauung 
heranziehen,  daß  die  durch  die  einfallende  Welle  erregten  Wellen 
von   der  Grenze  r  =  0   hinweggehen   müssen ;   noch   befriedigender 


360  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


erscheint  die  Anwendung  der  Überlegung,  daß  bei  stetiger  Änderung 
der  Konstanten  Qj^  und  c^  die  Fortpflanzungsrichtungen  dieser  Wellen 
sich  gleichfalls  stetig  ändern  müssen. 

Läßt  man  nämlich  c  im  zweiten  Medium  unendlich  werden,  so 
verwandelt  sich  dieses  dadurch  in  einen  —  bezüglich  der  Fortpflanzung 
longitudinaler  Wellen  —  starren  Körper;  die  erste  Bedingung 
(134)  liefert  {dFjdz\  =  0  für  z  =  0,  die  zweite  verliert  die  Bedeu- 
tung einer  Grenzbedingung,  da  die  rechte  Seite  die  Form  O.oo 
annimmt  Wir  erhalten  dadurch  den  Fall  der  Reflexion  von  einer 
festen  Wand,  der  im  folgenden  Paragraphen  ganz  allgemein  behan- 
delt werden  wird  und  darauf  führt,  daß  w^  =  —  yi  —  /^,  d.  h. 
=  —  n   ist 

Läßt  man  dagegen  c  und  q  in  beiden  Medien  gleich  werden,  so 
verschwindet  die  Grenze  überhaupt  und  damit  jede  Unterbrechung 
der  regelmäßigen  Fortpflanzung;  hier  ist  demgemäß 


Indem  wir  dies  benutzen,  erhalten  wir 

oder  indem  wir  die  auf  die  beiden  Flüssigkeiten  (1)  und  (2)  direkter 
hinweisenden  Indices  1  und  2  einführen: 

Unter  Benutzung  dieser  Resultate  und  der  Beziehungen 

Ag  =  A^  =  Aj ,  A^  =  Ag ,  ^1*^2^  k'h 
geben  die  Grenzbedingungen 

136)  «        «        2^.^._  !^^h^Jb?L, 

Diese  Formeln  bestimmen  die  reflektierte  und  gebrochene  Am- 
plitude, zunächst  des  Deformationspotentiales  und,  wegen  der  Be- 
ziehungen 

d'F  BF  BF 

dx  ay  dx 

auch  diejenigen  der  Verschiebimgen. 

Nach  der  Ableitung  ist  ersichtlich,  daß  die  Summe  der  Energien 
der  so  bestimmten  reflektierten  und  gebrochenen  Wellen  gleich  der 
Energie  der  einfallenden  Welle  sein  muß,  wenn  man  nur  die  Be- 
rechnung auf  Volumina  bezieht  welche  dieselbe  Bewegung  in  ver- 
schiedenen Stadien  der  Fortpflanzung,  nämlich  erst  als  einfallende, 


§  19,     Ekutiüeke  FHissigkeitm.     Ebene  Wellen,  361 


dann  als  retiektierte  und  gebrochene  'enthält  Solche  Volumina 
werden  nach  der  geometrischen  Anschauung  geliefert  durch  recht- 
winkelige Prismen,  deren  Kanten  |,  ?/,  f  resp.  parallel  der  Wellen- 
normalen, normal  zur  Einfallsebene,  und  parallel  der  Einfallsebene 
liegen,  falls  die  |  sich  verhalten  wie  die  Wellenlängen  oder  die  Fort- 
pH  anzungsgesch  windigkeiten  V,  die  7]  die  gleichen  sind,  und  die  ^ 
sich  verhalten  wie  die  Eichtungscosinus  n. 

Hiemach  muß  also  bei  Berücksichtigung  von  Formel  (185')  gelten 

(a|  -  a?)  /j  Wj  (^j  =  flj  /g  fig  Q^ ,  136') 

was  in  der  That  erfüllt  ist. 

Wegen  der  auf  S.  358  entwickelten  Beziehung  zwischen  der 
kinetischen  und  der  potentiellen  Energie  fortschreitender  ebener 
Wellen  ist  bei  der  obigen  Begrenzung  der  sich  entsprechenden 
Volumina  auch  die  lebendige  Kraft  in  der  einfallenden  Welle  für 
sich  gleich  der  Summe  derjenigen  in  der  gebrochenen  und  re- 
flektierten. 

Die  Formeln  (136)  zeigen,  daß  wegen  des  Auftretens  der  Dich- 
ten ()j  und  ^2  ^^8  einem  Gas  jederzeit  nur  sehr  wenig  Bewegung 
in  eine  tropfbare  Flüssigkeit  übergeht.  Ist  p^  grofli  gegen  p^  und 
nicht  gleichzeitig  l^  gegen  /j?  ^o  kann  man  in  erster  Näherung 
schreiben 

und  erhält  für  das  Verhältnis  der  einfallenden  zur  gebrochenen 
Energie 

Findet  sich  durch  die  Bedingungen  (134)  l^,  d.  h.  l^{v^lvj)>lj 
so  wird  der  Ansatz  für  F^  imaginär,  es  kann  also  dann  eine  Be- 
wegung der  durch  denselben  dargestellten  Art  im  zweiten  Medium 
nicht  stattfinden. 

Diesen  Fall  erledigt  man  durch  die  Bemerkung,  daß  die  Haupt- 
gleichung für  F,  nämlich 

unter  der  Voraussetzung  ebener  Wellen  normal  zur  Z^- Ebene  in- 
tegriert wird  durch  den  reellen  oder  imaginären  Teil  von 

2.-Ti  /    __  Ia;4-lti\ 

5  =  a/''^         "     \  137) 

worin  a,  I,  n,  D  komplexe  Größen  sind,  falls  nur  ist 

()O^=c((»+n'0.  137') 


362  IL  Teil,    Mechanik  niehtatarrer  Körper.    IV,  Kap, 


Setzt  man 
137")  I  =  /  -  il\     n  =  n  -  in\     ö  =  — ^-^ , 

SO  erhält  man 

137'")  '     ^^V 

I     ^^^?^  =  c(/r +  ««'); 

diese  Gleichungen  bestimmen  v  und  x  bei  gegebenen  Z, /'  und  lun, 
um  den  speziellen  vorliegenden  Grenzbedingungen  zu  genügen, 
muß  sich  jP  für  z  =  0  auf  die  Form 

asin2;r  I -r- 

reduzieren.     Wir  erreichen  dies,  indem  wir  setzen 
138)  r=0,     n  =  0,     /2_„»2^i^ 

woraus  dann  folgt,  daß 

1380  «  =  0,     vV  =  c 

ist,  und  daß  F^  sich  auf  die  Form  bringen  läßt 

138")      F^^e'^^.'  Lsin  25r(f  -  -f^  +  a'^cos2n  (f  -  -f^] ; 
zugleich  schreiben  «är  auch 

ZOO    ;  \  \         ^ 

i^^  =  a^sin2;r(-^^ ^    ^    M  +  a;cos2;rf^ "^    i        )' 

TT  r  r 

Die  Anwendung  der  Grenzbedingungen  (134)   liefert  zunächst 

für  die  reflektierte  Welle  folgt,  wie  früher,  n^  =  —  »*«>  filr  die  durch- 
gehende, da  die  Bewegung  nicht  mit  wachsendem  z  unendlich 
werden  darf,  wi  =  +  ]//J  —  1. 

Vertauschen  wir  wieder  /^,  /^,  l^  mit  ^j  ^,  ^3  und  n^,  «^,  «^  mit 
7?j,  —  Tij  und  Wg,  so  resultiert 

2w,  n\  /,  /j^j  ßj 


139') 


nUiai+n['liQl' 


§  19.    Elastische  Flüssigkeiten,     Kugelwellen.  363 


woraus  folgt 

a;  +  a;2=a^  139") 

Die  letzte  Formel  zeigt,  daß  bei  dieser  Art  der  Keüexion  die 
gesamte  Energie  der  einfallenden  in  der  reflektierten  Welle  ent- 
halten ist;  die  Beflexion  wird  deshalb  eine  totale  genannt.  Eine 
Bewegung  im  zweiten  Medium  fehlt  allerdings  nicht  vollständig, 
aber  sie  pflanzt  sich  nicht  mit  gleicher  Stärke  in  dasselbe  fort,  son- 
dern nimmt  mit  wachsendem  Abstand  von  der  Grenze  schnell  an 
Intensität  ab.  Übrigens  hat  sie  wesentlich  andere  Eigenschaften,  als 
die  in  das  erste  Medium  reflektierte;  ihre  Wellenebenen  liegen  nor- 
mal zur  X-Axe  und  pflanzen  sich  mit  einer  Geschwindigkeit  v^/l^  der 
A'-Axe  parallel  fort,  während  die  Ebenen  gleicher  Amplitude  der 
Grenzfläche  parallel  sind;  ersteres  erklärt,  daß  diese  Schwingungen 
dem  ersten  Medium  Energie  nicht  entziehen. 

Die  reflektierte  Bewegung  unterscheidet  sich  von  der  bei  der 
gewöhnlichen  Reflexion  erhaltenen,  abgesehen  von  der  Intensität, 
nur  dadurch,  daß  die  Phase  um  eine  vom  Einfallswinkel  abhängige 
Größe  geändert  ist,  was  deutlich  hervortritt,  wenn  man  in  dem  An- 
satz (138'")  schreibt 

^,=  yflr+aTsin2;r(^^-^^).   ~ 

Neben  den  ebenen  Wellen  besitzen  eine  hervorragende  Wichtig- 
keit die  kugelförmigen.  Man  gelangt  zu  ihnen,  indem  man  in  die 
Gleichung  (126")  die  Annahme  einführt,  daß  F  außer  von  t  nur  von 
der  Entfernung  r  von  einem  beliebigen  Punkt,  etwa  von  dem  Koordi- 
natenanfang, abhängt;  die  Gleichung  nimmt  dadurch  die  Form  an 

welche  zeigt,  daß  rF  bei  kugelförmigen  Wellen  dieselbe  Rolle  spielt, 
w^ie  F  selbst  bei  ebenen. 
Die  allgemeine  Lösung 

^  =  jr  {fiir  +  vt)  +  f,{r  -  vt))  HOO 

stellt   zwei   in   entgegengesetzter  Richtung  mit  wechselnder  Stärke 
sich  längs  der  Radien  fortpflanzende  Bewegungen  dar;  spezieller  giebt 

F=^sma(t--^]  140") 

eine  fortschreitende, 

F=^  sin-;-  (r  +  r J  sin  a{t  +  Q  1 40'") 

eine  stehende  periodische  Bewegung  mit  Kugel  wellen. 


364  IL  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


Die  resultierenden  Verrückungen  S  liegen  bei  den  kugeligen, 
wie  bei  den  ebenen  Wellen  normal  zur  Wellenfläche,  sind  also 
longitudinal  und  besitzen  den  Wert 

dr 

Für  eine  fortschreitende  Welle  von  der  Form  (140")  giebt  dies 

er  a    '         (,        r\        an  (.        r\ 

o  = rSmaU cos  ult , 

r*  \         V I        rv  \         V  / ' 

für  eine  stehende  von  der  Form  (l40"') 

5  =  -  amia{t  +  g  (^sin«  (r  +  rj  -  -^  cos  cf(r  +  r^))  ; 

in  beiden  Fällen  setzt  sich  die  Verrückung  aus  zwei  Gliedern  zu- 
sammen, die  mit  wachsendem  r  verschieden  schnell  abnehmen. 

In  großer  Entfernung  von  dem  Centrum  der  Bewegung  r  =  0 
übenviegt  je  das  zweite  Glied,  und  dort  erhält  man  daher,  wenn 
man  wieder  aa  I  v  =  Ä  setzt, 

Ä  i  r  \  A 

5=—    -cos<^(^ 1,   resp.   5= —sin  a(^  4- ^  cos  a{r  +  rj. 

Analoges   gilt   für   die  mittlere  Energie  c^;    bei  der  Beschränkung 
auf  das  Glied  niedrigster  Ordnung  erhält  man  aus  (129'")  resp.  (129"") 

Fortschreitende  cylindrische  Wellen  mit  konstanter  Ge- 
schwindigkeit v,  die  den  oben  betrachteten  ebenen  und  kugeligen 
zugeordnet  werden  könnten,  existieren  nicht  Es  ist  nämlich  nicht 
möglich,  der  Fundamentalgleichung 

welche  wegen  c/(»  =  r*  die  Übertragung  von  (126")  auf  die  Ebene 
darstellt,  durch  einen  Ansatz  von  der  Form 

F=F{e)q{e±vt), 
worin 

e"^  =^  [x  -  x^f  +  [y  -  y>,^, 

zu  genügen;  denn  die  resultierende  Gleichung 


Q  [P"  + 


^"^  +  Q'(2P'  +  ^]=0, 


e  j         "  \  e 

in  welcher  die  oberen  Indices  die  Differentialquotienten  nach  den 
ganzen  Argumenten  bezeichnen,  ist  bei  willkürlich  vorgeschriebenem 
Q  überhaupt  nicht  zu  befriedigen.    Läßt  man  Q  verfügbar,  so  muß. 


§  19.    ElasHsche  Flüssigkeiten,     Oylindrische  Wellen.  365 


weil  in  P  die  Zeit  nicht  vorkommt,  Q'  =  Q. Const  sein,  also  einem 

ganz  speziellen  Gesetz  entsprechen. 

Dagegen  sind  stehende  cylindrische  Wellen  möglich;  denn 

aus  dem  Ansatz 

P=  A{e)sijia{t+  t^) 

folgt  für  A  die  Gleichung 

öc*  e    de         v^ 

welche,   wenn   man   die  Bedingung   hinzunimmt,   daß  Ä  für  e  =  0 
logarithmisch  unendlich  wird, 

ergiebt,  worin  m  und  n  Konstanten,  Y^  und  J^  die  BESSEL'schen 
Funktionen  bezeichnen.     Es  wird  sonach  hier 


F  = 


m r, (^')  +  «/„  (^)]  sia cc{t+t,);  141') 


für  sehr  große  e  reduziert  sich  dies  auf 


ff«    .   ,    .    ae 
a  cos h  ö  sin  — 


F'. --=. ^^-sina(^+g,  141") 


unter  a  und  b  Konstanten  verstanden,  und  zeigt,  daß  v  bei  großem  e 
wieder  die  Eolle  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  spielt. 

Die  Ausdrücke  für  die  potentielle  und  die  kinetische  Energie 
derartiger  cylin drischer  Wellen  lassen  sich  e^nso  ableiten,  wie 
oben  diejenigen  für  die  Energien  kugeliger.  —  ^^ 

Bezüglich  der  bei  ebenen  und  bei  Kugelwellen  stets  auftretenden 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  v  =  "^Q  ist  daran  zu  erinnern,  daß 
nach  S.  338  bei  einigermaßen  großer  Schwingungszahl  des  erregten 
Tones  für  die  Elasticitätskonstante  c  der  speziell  als  adiabatisch 
bezeichnete  Wert  c  zu  setzen  ist  und  nicht  der  durch  statische 
Methoden  nach  S.  346  bestimmbare  isothermische  c^. 

Bei  tropfbaren  Flüssigkeiten  sind  beide  Werte  nur  unmerklich 
verschieden;  bei  gasformigen,  wo  das  isothermische  c^  nach  S.  338 
gleich  dem  Anfangsdruck  p^  ist,  den  das  Medium  vor  Beginn  der 
Bewegung  erfuhr,  findet  sich  die  adiabatische  Konstante 

c,  =  p'^x,  UV") 

WO  X  die  schon  auf  S.  71  eingeführte  und  im  folgenden  Teile 
näher  zu  bestimmende,  der  Substanz  des  Gases  individuelle  Kon- 
stante bezeichnet,  welche  sich  für  die  verschiedenen  Gase  zwischen 
|.  und  1  bewegt. 


366  //.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IV,  Kap, 


Die  Formel 


.2  _  r* 


141"")  v^  = 

giebt,  beiläufig  gesagt,  die  bequemste  Methode  zu  ihrer  numerischen 
Bestimmung  an  die  Hand,  da  v,  p^  und  q  der  Beobachtung  leicht 
zugänglich  sind.  — 

Die  Grundformeln  der  Elasticitätslehre  sind  unter  der  speziellen 
Annahme  abgeleitet,  daß  die  elastischen  Drucke  lineare  Funktionen 
der  Deformationen,  also  diese  selbst,  wie  auch  die  Verrückungen 
und  Geschwindigkeiten,  sehr  klein  sind. 

Dies  ist  in  der  Praxis  auch  bei  Flüssigkeiten  meist  soweit  er- 
füllt, daß  die  auf  dieser  Grundlage  abgeleiteten  Formeln  mit  der 
Erfahrung  befriedigend  stimmen ;  doch  kommen  bei  der  Fortptlanzang 
sehr  starker  Töne  oder  Schalle  in  Gasen  auch  Fälle  merklicher 
Abweichung  vor.  Diese  erfordern  also  eine  ergänzte  Theorie,  die 
man  auf  der  Grundlage  der,  wie  S.  337  angegeben,  erweiterten 
Elasticitätstheorie,  oder  aber  auf  der  Grundlage  der  strengen  hydro- 
dynamischen Gleichungen  (48)  aufbauen  kann.^^) 

Bei  dem  sehr  speziellen  Interesse,  welches  diese  Untersuchungen 
besitzen,  kann  hier  auf  dieselben  nicht  eingegangen  werden. 

§  20.    ElastiBche  Flüssigkeiten  mit  beliebiger  Begrenzung  bei 
beliebiger  Erregung.     Eesonanzerscheinungen. 

Um  die  allgemeine  Aufgabe  der  Bewegung  einer  beliebig  be- 
grenzten Flüssigkeit  bei  beliebigen  Oberflächenbedingungen  und  b^.- 
liebigen  Anfangswerten  F=Fq  und  öFjdt^  F^  vorzunehmen,  ziehen 
wir  außer  dem  Defomiationspotential  F  noch  eine  Funktion  G  heran, 
welche  ebenfalls  die  Hauptgleichung  (126")  erflillt  und,  wie  F^  inner- 
halb des  von  der  Flüssigkeit  eingenommenen  Raumes  k  sich  regulär 
verhält,  und  bilden,  indem  wir  cjq  =  v^  setzen, 

dabei  ist  die  räumliche  Integration  über  das  gesamte  k  auszudehnen, 
die  zeitliche  von  ^=0  bis  zu  einem  zunächst  beliebigen  t=T, 
Dies  giebt  sogleich 

1.2 ,  /; .■  If - ,^iu  +  „>/.,/(<7 II - j-l^) ... 0, 

0  Ü 

und  damit  ein  Analogon  zu  der  aus  dem  GKEEN'schen  Satz  abge- 
leiteten Gleichung  (181')  auf  S.  ITO.^^) 


1 


§  20,    Elastische  Flüssigkeiien  bei  beliehiger  Begreniung,  367 


Wir  wollen  nun  für  G  eine  Funktion  wählen,  die  zwar  im 
übrigen  innerhalb  k  regulär  ist,  aber  an  einer  Stelle  a,  b,  c  un- 
endlich wird,  wie 

^^^frj-^)^  •  143) 

worin  r  die  Entfernung  von  jenem  Punkte  und  x  eine  Funktion  von 
folgenden  speziellen  Eigenschaften  bezeichnet  xi^)  verhält  sich  mit 
seinen  Differentialquotienten  regulär,  verschwindet  aber  für  alle 
positiven  und  negativen  Argumente  s  mit  Ausnahme  derjenigen, 
welche  einem  speziellen  endlichen  positiven  Werte  *  =  *j  unendlich 
nahe  sind;  letzteres  wollen  wir  dadurch  ausdrücken,  daß  wir 

X{s)  =  0 
setzen,  wenn  nicht 

5j—  €<*<«!+€  143') 

ist,  unter  a  eine  unendlich  kleine  Größe  verstanden.  Innerhalb  des 
vorstehend  umgrenzten  Bereiches  soll  ;^  >  0  und 

Jx{s)ds=::l  143") 

«0 

sein,  sowie  Sq  um  eine  endliche  Größe  kleiner,  s^  größer  ist,  als  Sy 
Eine  Funktion  von  diesen  Eigenschaften  ist  u.  a. 

;^(ä)=  J*^e-/'^*-'w«  143'") 

für  sehr  große  Werte  von  fi. 

Weiter  können  wir  die  Funktion  G  noch  geeigneten  Anfangs- 
und Oberflächenbedingungen  unterwerfen.  In  ersterer  Hinsicht 
setzen  wir  fest,  daß  zur  Zeit  T,  welche  um  einen  endlichen  Betrag 
größer  als  t^^s^jv  sein  mag,  G  und  dGjdt  innerhalb  k  überall 
verschwinden;  über  das  Verhalten  von  G  an  der  Oberfläche  o  von  k 
behalten  wir  uns  die  Verfügung  zunächst  vor. 

Um  die  Gleichung  (142')  auf  ein  G  von  obigen  Eigenschaften 
anzuwenden,  muß  man  den  Punkt  a,  ä,  c  durch  eine  Fläche,  z.  B. 
eine  kleine  Kugelfläche  vom  Eadius  R  mit  dem  Centrum  in  a,  ä,  c, 
aasschließen.  Der  auf  sie  bezügliche  Anteil  des  Oberflächeninte- 
grales in  (142')  lautet  bei  Einfühnmg  der  Kegelöffnung  dco 


v'fdtf  [ßx  {ß  +  f  ^)  1^  -  (Ji/  (E  +  vt)-x{ß  +  vt)]  F 

ü 

und  reduziert  sich  bei  unendlich  kleinem  R  auf 


da) 


368  //.  Teil.    Mecßianik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap. 


T 
0 

worin,  wie  oben,  t[  für  s^^jv  gesetzt  ist 

Von  dem  Raumintegral  in  (142')  giebt  der  Anteil,  welcher  der 
Grenze  t=T  entspricht,  den  Wert  Null,  da  G  und  dGjdt  für  jenen 
Zeitpunkt  verschwinden;  der  Anteil  für  die  Grenze  ^=0  kann  über 
den  ganzen  Baum  k  mit  Einschluß  der  kleinen  Kugel  erstreckt 
werden,  da  diese  nur  einen  unendlich  kleinen  Betrag  liefert 

Daher  erhalten  wir  schließlich 

T 

144)      AnvF^^Xt.)  =f(0l^-  -  ^'~e^)äk  -  v^fätJ(G^  -  jf)  do. 

Unterwirft  man  G  der  Bedingung,  daß  dGjdn  an  der  ganzen 
Oberfläche  von  k  verschwindet,  so  ist  es  damit  vollständig  be- 
stimmt Denn  vertauscht  man  darin  t  mit  T—t,  so  kann  man  das 
Resultat  G(T—t)  auffassen  als  das  Deformationspotential,  welches 
einer  zur  Zeit  /  =  T—  t^  an  der  Stelle  a,  b,  c  hervorgebrachten  starken 
Verdichtung  entspricht,  falls  die  Begrenzung,  von  k  starr  ist  und 
die  Flüssigkeit  im  ganzen  Räume  k  zur  Zeit  ^  =  0  ruht  In  diesem 
Falle  hat  man  noch  einfacher 

T 

144-)      ^nvF^jA)  =/(^^  -  F'^^)dk-v^jdtJG^do, 

eine  Formel,  die  F  an  jeder  Stelle  durch  die  Anfangswerte  von  /' 
und  dF/dt  und  die  Oberflächenwerte  von  dFjdn  bestimmt 
Setzt  man,  wie  früher,  für  ^  =  0, 

F  —  F       ^^  --  F 
und  entsprechend  auch 

welch   letztere   Werte   aus   den   über    G   gemachten    Festsetzungen 

bestimmbar  sind,  so  wird  (144')  kürzer 

T  

144")        ^itvF„,Xh)  =  /(<^o^,  -  Gl K)  dk  -  v^fdtfG  |^  do. 

0 

Ist  Äj  kleiner,  als  der  kleinste  der  von  a,  b,  c  nach  der  Ober- 
•fläche  0  gezogenen  Radien vektoren  r,  der  mit  r'  bezeichnet  werde, 
80  kann  man''*) 


§  20.    Elastiaehe  Flüssigkeiten  bei  beliebiger  Begrenzung,  369 

setzen,  denn  für  alle  Oberflächenelemente  do  ist  dann  das  Argument 
Ton  ;^  größer,  wie  s^,  dort  also  6^  =  0  und  dGjdn  =  0. 
Hier  wird  aus  (144"): 

^nvFai,,{t,)  =  J^[F^x{r)  -  vF^x'ir)\Tdrdcü, 
was  durch  teilweise  Integration  liefert 

r 

=  -rj  I  F^rx[r)  d(o  +Jj  \r F^  +  v-^jx{r)drd(o. 


u 


Das  erste  Glied  ist  nach  den  vorausgesetzten  Eigenschaften  von  x 
gleich  Null,  das  zweite  liefert 

4nvFa,,(t,)  ^f{rF,  +  v^'^^-^^dro.  145') 


r  =  «, 


Die  Integration  über  co  ist  über  die  ganze  Eegelöffnung,  also  bei 
Einführung  von  s^^doo  =  dO  über  eine  Kugelfläche  vom  Eadius  s^ 
zu  erstrecken;  fuhrt  man  die  arithmetischen  Mittelwerte  von  Fq 
und  F^  auf  einer  Kugel  vom  Eadius  s^  um  die  Stelle  a,  b,  c  ein, 
indem  man 

^J(ro)fO^  =  I  F,  I.. ,      ,„^.,/(^xWO  =  !  F, : .  1 45") 

setzt,  so  erhält  man 

oder  wegen  ä^  =  v^^  auch 

F„,,{t,)  =  <J  ii  |„,  +  ^^^^ .  145'") 

Diese  wichtige,  zuerst  von  Poisson^')  abgeleitete  Formel  zeigt 
an,  daß  der  durch  Anfangswerte  F^  und  F^  erregte  Zustand  inner- 
halb der  Flüssigkeit  aufgefaßt  werden  kann  als  die  Superposition 
von  Zuständen,  die  von  allen  Teilen  der  Flüssigkeit  mit  der  kon- 
stanten Geschwindigkeit  v  gleichmäßig  nach  allen  Seiten  hin  fort- 
gepflanzt werden.  Ihre  Gültigkeit  ist  bei  begrenzten  Bäumen  k  be- 
stimmt durch  die  Ungleichung  s^  <  r\  wo  r'  oben  definiert  ist,  oder 
durch  ^j  <  r'/  v;  für  den  unendlichen  Raum  gilt  sie  ohne  Beschränkung.  — 

Für  beliebig  begrenzte  Bereiche  Funktionen  G,  den  oben  ge- 
gebenen Bedingungen  entsprechend,  zu  finden,  bietet  im  allgemeinen 

Voigt,  Theoretlache  PhyBik.  24 


370  //.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


große  Schwierigkeit,  doch  gelingt  es  mit  Hilfe  der  Spiegelungsmethode 
leicht,  ein  G  zu  konstruieren,  welches  längs  einer  Ebene  die  Be- 
dingung dG/dn  =  0  erfüllt 

Setzt  man  nämlich 

146)  G=^.^.'l^  +  '-^':-y-^=ff+g, 

worin  r  die  Entfernung  vom  Spiegelpunkt  von  a,  b,  c  in  Bezug  auf 
die  Ebene  bezeichnet,  so  kann  nach  der  Bedeutung  von  G  in  jener 
Ebene  eine  normale  Verrückung,  also  ein  von  Null  verschiedener 
Wert  von  dG-dn  nicht  eintreten. 

Ist  die  begrenzende  Ebene  starr,  so  ergiebt  die  Formel  (144  ) 
zunächst 

146')  iTtvF^Uti)  =S{{ffo  +  /o)^;  -  (^1  +  ^'i)^;)  A 

wo  das  Integral  über  den  nach  der  Seite  der  positiven  Normale  n 
gelegenen,  oder  kurz,  über  den  positiven  Halbraum  ausgedehnt  ist, 
für  welchen  allein  F^  und  F^  gegeben  sind. 

Nun  unterscheidet  sich  aber  ^  von  g  nur  dadurch,  daß  in  ihm 
der  normale  Abstand  des  Punktes  a,  i,  c  von  der  Grenzebene  negativ, 
statt  positiv  auftritt;  definiert  man  daher  F^  und  F^  für  den  negativen 
Halbraum  so,  daß  ihre  Werte  den  im  positiven  Halbraum  liegenden 
spiegelbildlich  entsprechen,  so  kann  man  statt  der  letzten  Formel 
auch  schreiben 

146")  4t«/;,.(^i)  =  j\oK-ff,I\,)dk, 

das  Integral  über  den  ganzen  Raum  erstreckt 

Die  feste  Wand  wirkt  also  ebenso,  als  wäre  jenseits  der  An- 
fangszustand des  positiven  Halbraumes  spiegelbildlich  wiederholt 
und  die  Wand  danach  beseitigt.  Jedes  Element  des  positiven 
Halbraumes  wirkt  daher  in  a,  i,  c  zweimal,  einmal  direkt,  einmal 
durch  Reflexion,  und  zwar,  wie  leicht  nachzuweisen,  nach  einer 
solchen  Zeit,  als  hätte  sich  die  Wirkung,  wie  einem  Lichtstrahle 
nach  a,  b,  c  hin  folgend,  mit  der  Geschwindigkeit  v  fortgepflanzt 

Dasselbe  Verfahren  der  Fortsetzung  der  Fimktionen  F^  und 
F^  über  die  Grenzen  von  k  hinaus  läßt  sich  auf  eine  Reihe  von 
durch  Ebenen  begrenzten  Räumen  übertragen.  Auch  sieht  man  leicht 
daß  es  nicht  nur  auf  die  Wirkung  von  Anfangszustanden  beschränkt 
ist,  sondern  sich  ebenso  auf  eine  von  irgend  welchen  Quellen  aus- 
gehende dauernde  Erregung  übertragen  läßt;  z.B.  auf  die  Schwingun- 
gen einer  fernen  Ebene,  welche  ebene  Wellen  gegen  die  Grenzfläche 


§  20,     Elastische  Flüssigkeiten  bei  beliebiger  Begrenzung.  371 


hinsendet  Damit  ist  denn  das  Resultat  beiläufig  erhalten,  auf  wel- 
ches schon  S.  358  Bezug  genommen  wurde.  — 

Ist  die  die  -Flüssigkeit  begrenzende  Wand  nicht  fest,  sondern 
\¥ird  sie  in  von  Stelle  zu  Stelle  wechselnder  Weise  bewegt,  ver- 
schwindet dafür  aber  anfänglich  sowohl  F,  als  dF/dt  innerhalb  k 
überall,  so  bleibt  von  (144')  nur 

T  

4^^a6c(^i)  =  -  vJdtjG^^do.  147) 

0 

Bei  einer  unendlichen  Ebene  als  einziger  Begrenzung  der  Flüssigkeit 
ist  für  G  der  Wert  (146)  zu  benutzen,  aus  dem  leicht  folgt 

r  _         

0 

Hierin  kann  man  die  Integrationsfolge  umkehren  und  erhält  nach 
(143") 

<  =  <i  —  r  V 

diese  Formel  bestimmt  vollständig  die  in  dem  positiven  Halbraum 
durch  beliebige  Bewegungen  in  der  Grenzebene  hervorgerufenen  Vor- 
gänge. — 

Eine  zweite  spezielle  Verfügung  über  G  bietet  die  Festsetzung, 
da£  an  der  Oberfläche  G  verschwindet.  Dann  nimmt  (144)  die  Ge- 
stalt an 

T 

^nvFa^c{t^)  =f{G,F,  -  G,F,)dk  +  v^fdifj^ldo     147") 

0 

und  gestattet,  F  aus  gegebenen  F^,  F^  und  F  zu  bestimmen. 

Nun  ist  zwar  an  der  Ober  däche  einer  elastischen  Flüssigkeit 
in  Praxis  F  nicht  direkt  vorgeschrieben,  aber  man  kann  es  aus  dort 
gegebenem  &  oder  gegebenem  /?  =  —  ci9"  bestimmen,  weil  nach  (126'") 

(  t 

F^F\  +  F\t  +  v^JJd'[dif  147'") 

ü  ü 

ist,  Indessen  ist  es  hier  im  allgemeinen  bequemer,  die  Untersuchung 
von  vom  herein  auf  die  Auffindung  von  0-  zuzuspitzen,  welches  ja 
derselben  Hauptgleichung  folgt,  wie  F,  und  erst  aus  dem  für  x)-  ge- 
fundenen Endresultat  das  zugehörige  F"  nach  der  letzten  Formel  zu 
berechnen. 

24' 


372  //.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV»  Kap. 


Wir  bilden  demgemäB 

r  

148)  47tv&auc{t,)  ^f{G,&,  -  G,&,)dk  +  v^fdtj&^^do, 

0 

worin  &q  den  Anfangswert  von  &,  und  r^^  denjenigen  Ton  d&jöt 
bezeichnet.  Die  Vensertung  des  ersten  Integrales  bei  unbegrenztem 
k  ist  dieselbe,  wie  oben  für  F  gezeigt  ist. 

Für  den  Fall,  daß  der  Raum  k  nur  durch  eine  Ebene  begreDzt 
ist,  in  welcher  &  verschwindet,  wie  das  etwa  "bei  einem  großen  Teicli. 
der  an  den  Luftraum  grenzt,  nahe  erfüllt  ist,  wird 

148')  G^g-g 

und 

1 48")  »,  ,  It,)  =  -^J  ((^„  -  g\)  &,  -{ff,-  g\)  .>,)  dk. 

Setzt  man  nun  \h^  und  \>^  in  den  negativen  Halbraum  derartig  fort. 
daß  die  Werte  an  jeder  Stelle  die  entgegengesetzten  von  denjenigen 
sind,  welche  für  die  spiegelbildlich  entsprechende  Stelle  vorgeschrieben 
waren,  so  erhält  man 

1 48'")  {K » o(<i)  =  j^-/(<7o  *i  -  9,  ^«)  dk, 

das  Integral  über  den  unendlichen  Raum  ausgedehnt 

Es  tritt  also  auch  hier  eine  Reflexion  ein,  aber  die  Dilatationen 

kehren  bei  der  Reflexion  ihr  Vorzeichen  um. 

Ist    i?-^  =  i^j  =  0    und    0-    gegeben,    so    folgt    aus    (148).   da 

dg  jdn  =  —  dgjdn 

T 

149)  I  %  _  _ 

0 

Kehrt  man  die  Integrationsfolge  um,  so  erhält  man  bei  ttil- 
weiser  Integration  des  ersten  Gliedes 


T 


149') 


=  -J_  r'  ^^  "t^L^j  ^-d 

2  TT  J  ^         dn 


0 


i>/(ff+7*)s^(' +■"""■ 


Ü 


§  20,    Elastische  Flüssigkeiten  hei  beHebiger  Begrenxwig.  373 


Hier  ist  wieder  das  erste  Glied .  gleich  Null,  das  zweite  giebt 


"> 


Diese  Formel  bestimmt  &  innerhalb  des  positiven  Halbraumes 
durch  seinen  mit  der  Zeit  und  dem  Ort  beliebig,  aber  stetig  wech- 
selnden Wert  längs  der  ebenen  Begrenzung;  durch  Kombination  mit 
(148'")  kann  man  eine  gleichzeitige  Wirkung  gegebener  anfänglicher 
Dilatation  und  Dilatationsgeschwindigkeit  mit  berücksichtigen.  — 

Wir  gehen  nun  zu  der  allgemeinen  Formel  (144)  zurück  und 
setzen  in  ihr  G  ^  ff,  während  wir  gleichzeitig  die  Zeit  t^  so  groß 
wählen,  daß  s^  =  vt^  größer,  als  der  größte  von  a,  b,  c  aus  nach 
der  Oberfläche  von  k  gezogene  EÄdiusvektor  r'  ist  Dann  verschwindet 
nach  dem  S.  367  Gesagten  das  Baumintegral,  was  besagt,  daß  die 
gesamte  Einwirkung  des  innerhalb  k  zur  Zeit  ^  ==  0  vorhanden  ge- 
wesenen Zustandes  über  die  Stelle  a,  b,  c  hinweggegangen  ist,  das 
Oberflächenintegral  gestattet  die  in  (147')  resp.  (149")  ausgeführte 
Umformung,  und  man  erhält 


^...w— i/[ilf+(i4^  +  i>^^^' 


dt         r*      I  dn_ 


do.  150) 


Wir  wollen  uns  hierin  F  und  dFjdn  als  Funktionen  der  Zeit 
für  jedes  Oberflächenelement  vorgeschrieben  denken,  setzen  also 

wendet  man  dann  die  Spezialisierung  von  t  auf  die  einzelnen  Glie- 
der der  Klammer  in  (150)  an  und  bedenkt,  daß 


Bf[t.-'-)  Bf[t,-^) 


s=    —  V 


^K  dr 

ist,  wo  der  partielle  Dififerentialquotient  nach  r  sich  nur  auf  das, 
durch  den  speziellen  Wert  von  t  m  f  eingeführte  r  bezieht,  so 
erhält  man^*) 

Diese  Formel  läßt  sich  sogleich  auf  den  Fall  übertragen,  daß 
der  Kaum  k  unendlich  und  einerseits  von  beliebigen  im  Endlichen 
liegenden  geschlossenen  Flächen  o^,  andererseits  von  der  unendlichen 
Kugel  begrenzt  ist;  man  braucht  dazu  nur  anzunehmen,  daß  einer- 


■^ahM  —  4y, 


do,       150') 


374  IL  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IV,  Kap. 


seits  Fq  und  I\  innerhalb  k  überall  gleich  Null  sind,  und  anderer- 
seits die  Zeit  t^,  zu  welcher  der  Zustand  in  k  untersucht  vnrä, 
endlich  ist,  so  daß  von  den  durch  die  Flächen  o^  eintretenden 
Bewegungen  kein  Anteil  ins  Unendliche  gelangt  ist 

Infolge  der  ersteren  Annahme  verschwindet  in  (144)  das  Raum- 
integral, infolge  der  letzteren  das  Oberflächenintegral  über  die  un- 
endliche Kugel. 

Die  somit  in  ihrer  Bedeutung  verallgemeinerte  Gleichung  (150'; 
lehrt  den  Zustand  an  einer  beliebigen  Stelle  a,  b,  c  eines  beliebig 
abgegrenzten  Teiles  einer  unendlichen  Flüssigkeit  kennen,  wenn  die 
durch  seine  Begrenzung  eintretenden  Bewegungen,  d.  h.  die  in  ihr 
stattfindenden  Werte  von  F  und  dFIdn,  gegeben  sind.  Sie  dis- 
pensiert von  der  Bestimmung  der  für  jede  Gestalt  von  k  besonders 
zu  findenden  Funktion  G,  dafür  verlangt  sie  aber  die  Kenntnis  der 
Oberfiächenwerte  von  F  und  dFIdn,  die  nicht  unabhängig  von- 
einander willkürlich  vorgeschrieben  werden  können. 

Man  kann  diese  Größen  insbesondere  aber  dann  angeben,  wenn 
die  Bewegung  nur  von  einer  Quelle  außerhalb  k  herrührt,  deren  Wir- 
kung sich  bis  zu  der  Oberfläche  von  k  theoretisch  verfolgen  laßt;  in 
diesem  Falle  kann  man  die  Bewegung  innerhalb  A,  statt  durch  die 
Quellen  direkt,  durch  Bewegung  der  Oberfläche  o  erregt  betrachten. 

Diese  Auffassung  erhält  eine  ganz  besondere  Wichtigkeit  in 
der  Optik,  wo  man  ihren  Grundgedanken  als  das  HuYGHENs'sche 
Prinzip  bezeichnet;  aber  sie  ist  auch  in  der  Akustik  überall  da 
nützlich  zu  verwenden,  wo  es  sich  um  die  Fortpflanzung  von  Wellen 
innerhalb  einer  Flüssigkeit  handelt,  die  von  einer  oder  mehreren 
Quellen  ausgehen  und  in  ihrer  Ausbreitung  durch  irgend  welche 
gegebene,  als  Schirme  wirkende  Körper  behindert  werden.  Um  die 
Verhältnisse  möglichst  zu  vereinfachen,  kann  man  von  den  letzteren 
annehmen,  daß  sie  nichts  von  der  auffallenden  Bewegung  durch- 
lassen oder  zurückwerfen,  was  voraussetzt,  daß  sie  die  Natur  von 
Flüssigkeiten  haben,  die  gleiche  Werte  v,  wie  die  betrachteten, 
und  außerdem  ein  sehr  starkes  Absorptionsvermögen  besitzen. 

Schließt  man  dann  die  Schallquelle  in  eine  —  etwa  kugel- 
förmige —  Hülle  von  der  beschriebenen  Beschaffenheit  ein,  deren 
Innenraum  mit  dem  äußeren  nur  durch  irgend  welche  kleine  Otf- 
nungen  kommuniziert,  so  gestattet  die  Formel  (150')  bei  Einsetzung 
der  durch  die  Quelle  in  den  Offnungen  erregten  Bewegungen,  die 
im  Außenraum  erregten  zu  berechnen. 

Die  Diskussion  der  allgemeinen  Formel  oder  ihre  Anwendung 
auf  die   einfachsten   Fälle    zeigt,    daß    hierbei    der   undurchlässige 


§  20.    Reaonanxeracheinungen.  375 


Schirm  keinen  Schallschatten  wirft,  sondern  die  in  der  Öffnung 
erregte  Bewegung  sich  nach  allen  Richtungen  hin  fortpflanzt. 

Das  analoge  Resultat  kann  man  übrigens  ohne  Benutzung  der 
Gleichung  (150')  in  dem  speziellen  Falle,  daß  im  unendlichen  Räume 
eine  punktförmige  Schallquelle  und  eine  starre  oder  in  gegebener 
Weise  oberflächlich  bewegte  Kugel  vorhanden  ist,  aus  der  all- 
gemeinen Formel  (144')  erhalten,  da  sich  für  diesen  Fall  die 
Funktion  G  bestimmen  läßt  — 

Die  Entwickelungen  dieses  Paragraphen  gestatten  keine  Über- 
tragung aus  dem  Raum  in  die  Ebene,  da  eine  dem  oben  benutzten  g 
entsprechende  Hilfsfunktion,  welche  nur  von  zwei  Koordinaten  ab- 
hängt, nach  S.  3G5  nicht  existiert. 

Demgemäß  sind  räumliche  Probleme,  in  denen  eine  Koordinate, 
etwa  z,  nicht  vorkommt,  trotzdem  noch  als  räumliche  zu  behandeln, 
und  auch  in  dem  Fall  einer  dünnen  ebenen  Flüssigkeitsschicht 
zwischen  festen,  der  XJ"- Ebene  parallelen  Wänden  erhält  man  die 
Lösung  am  einfachsten,  indem  man  die  Schicht  zu  einer  unend- 
lichen Flüssigkeit  mit  von  z  unabhängigen  Grenz-  und  Anfangs- 
bedingungen ergänzt. 

Man  kann  so  z.  B.,  wenn  die  Schicht  seitlich  unbegrenzt  ist, 
die  Wirkung  eines  Anfangszustandes  nach  dem  PoissoN'schen  Satz 
beurteilen  und  erkennt  auf  diese  Weise  leicht,  daß  Anfangsver- 
rtickungen,  die  ursprünglich  auf  einem  Kreiscylinder  konstant  waren, 
zwar  stets  auf  koaxialen  Kreiscylindern  konstant  bleiben,  aber  sich 
allmählich  über  den  ganzen  Raum  ausbreiten  und  an  jeder  Stelle 
erst  nach  unendlich  langer^  Zeit  verschwinden;  hierdurch  erklärt 
sich  beiläufig  auch,  daß  etwas  den  ebenen  und  den  kugeligen  fort- 
schreitenden Wellen  Entsprechendes  nicht  zu  stände  kommt. 

Dagegen  kann  man  die  speziellen  Sätze,  welche  gelten,  wenn  der 
Vorgang  nur  von  einer  Koordinate  und  der  Zeit  abhängt,  und  welche 
S.  353  u.  f.  direkt  erhalten  sind,  durch  eine  einfache  Rechnung  aus 
den  allgemeinen  Resultaten  dieses  Abschnittes  zurückgewinnen.  — 

Wir  wollen  schließlich  noch  eine  Anwendung  von  der  allge- 
meinen Formel  (142')  machen,  welche  Licht  auf  die  Gesetze  der 
Erregung  von  Schwingungen  innerhalb  einer  beliebig  begrenzten 
elastischen  Flüssigkeit  durch  Einwirkungen  auf  Teile  ihrer  Ober- 
fläche wirft,  —  Vorgänge,  die  man,  wie  schon  S.  357  erwähnt  ist, 
im  allgemeineren  Sinne  als  Resonanzerscheinungen  bezeichnen  kann. 
Dazu  wollen  wir  annehmen,  es  sei  G  eine  Lösung  der  Gleichung 


376  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


welche  den  stehenden  Schwingungen  eines  einfachen  Tones  inner- 
halb k  entspricht,   wie   dieselben"  eintreten,   wenn   ein  Teil  o^   der 
Begrenzung  o  von  k  durch  eine  feste  Wand,  ein  anderer  o,  durch 
eine  freie  Oberfläche  gebildet  ist 
Wir  setzen  demgemäß 

151)  G  =  Rsma{t+tQ), 

wo  nun  Ä  eine  Funktion  der  Koordinaten  allein  bezeichnet,  die  im 
ganzen  Innern  von  k  der  Gleichung 

151')  ßf^Ä  +  t/^AÄ^O 


und  längs  Oj  der  Bedingung  öi2/ö«  =  0,  längs  o^  der  Bedingung 
Ä  =  0  gentigt. 

Für  denselben  ßaum  k  sind  bei  denselben  Grenzbedingungen 
unendlich  viele  diskrete  Werte  von  a,  und  somit  auch  von  B,  mög- 
lich, die  den  Eigentönen  der  Flüssigkeit  unter  den  gegebenen 
Bedingungen  entsprechen. 

Wir  wählen  eine  dieser  möglichen  Lösungen  und  setzen  zu- 
gleich die  obere  Grenze  T  des  Zeitintegrales  gleich  einem  ganzen 
Vielfachen  von  deren  Periode  r  =^2nla\  nehmen  wir  dann  noch  F 
und  dFjdt  zur  Zeit  f=0  selbst  gleich  Null,  so  erhalten  wir 
aus  (142') 


151") 


j  [ccFt  cos  at^  —  (-^j   sin  atA  Rdk 

T T 

=  v^Jr  doj^^  sin  a(t  +  Q  dt  --  v^J^-^  do^fFsin  a  {t  +  t^)  dt. 


0  0 


worin  das  erste  Integral  rechts  über  o^,  das  zweite  über  o^  zu  er- 
strecken ist. 

Von  dieser  allgemeinen  Gleichung  wollen  wir  nun  Anwendungen 
machen. 

Sei  zunächst  o^  =  0,  also  für  die  stehende  Schwingung  G  der 
Kaum  k  rings  von  festen  Wänden  umgeben,  dann  verschwindet  in 
der  Formel  (151")  das  letzte  Integral.  Eine  vorgeschriebene  Be- 
wegung dFjdn  der  zuvor  festen  Wand  erregt  dann  eine  innere 
Bewegung  der  Flüssigkeit,  die  zur  Zeit  t  =  T  durch  gewisse  Werte 
von  {F)^  und  {dFjdt)T  an  jeder  Stelle  charakterisiert  ist;  über  deren 
Zusammenhang  mit  den  von  ^  =  0  bis  t  =  T  auf  die  Oberfläche  aus- 
geübten Einwirkungen  erkennt  man  leicht  folgendes. 

Ist  dFjdn  eine  endliche  periodische  Funktion  der  Zeit,  so  wird 
der  Wert  des  Zeitintegrales  rechts  bei  beliebig  großem  T  immer  end- 


§  20.    Resonanxerscheinungen.  377 


lieh  sein,  es  sei  denn,  daß  die  Periode  von  dFjdn  der  von  G  gleich 
ist;  in  diesem  Falle  wird  der  Ausdruck  rechts  mit  wachsender  Zeit 
über  alle  Grenzen  zunehmen  können.  Gleiches  gilt  sonach  von  dem 
Integral  links,  und  zwar  wird,  da  t^  völlig  willkürlich  ist,  im  ersten 
Falle  sowohl  das  Integral  über  Ft,  wie  über  {dFjdt)T  endlich,  im 
zweiten  unendlich  sein. 

Werden  also  Teile  der  Wände,  welche  ein  Flüssigkeitsquantum 
umschließen,  so  bewegt,  daß  die  normale  Komponente  der  Verschiebung 
durch  eine  Summe  von  unendlich  kleinen  Gliedern  von  allen  mög- 
lichen Perioden  dargestellt  wird,  dann  können  in  endlicher  Stärke 
nur  die  Eigentöne,  welche  die  Flüssigkeit  bei  ringsum  festen  Wänden 
besitzt,  ansprechen. 

Damit  sie  wirklich  ansprechen,  ist  noch  erforderlich,  daß  die 
Teile  des  Oberflächenintegrales  weder  einzeln  durch  den  Faktor  R 
verschwinden,  noch  sich  gegenseitig  zerstören. 

Am  einfachsten  werden  die  .  Verhältnisse,  wenn  nur  innerhalb 
eines  sehr  kleinen  Flächenstückes  q  der  Oberfläche  die  Verrückung, 
und  somit  dFIdrij  von  Null  verschieden  ist;  hier  kann  man  dann  R 
als  konstant  ansehen  und  erhält  für  das  Integral  rechts  den  Wert 

T 

v^^^qj  y-  sin  a{t  +  t^)  dt. 

0 

Derselbe  ergiebt,  daß  eine  Erregung  am  wirksamsten  ist  an  Orten, 
wo  der  absolute  Wert  von  R  ein  Maximum,  am  unwirksamsten,  wo 
er  ein  Minimum  besitzt;  ersteres  entspricht  den  Schwingungsknoten, 
letzteres  den  Schwingungsbäuchen.  Durch  Bewegung  eines  Flächen- 
elementes q  werden  also  Schwingungen,  welche  in  q  einen  Schwin- 
gungsbauch besitzen,  auch  dann  nicht  erregt  werden,  wenn  sie  die- 
selbe Periode,  wie  dFjdny  besitzen. 

Man  kann  die  Voraussetzungen  dieser  Entwickelungen  angenähert 
realisieren,  indem  man  ein  kleines  Stück  der  Wand  von  der  Um- 
gebung trennt  und  an  einer  schwingenden  Stimmgabel  befestigt  — 

Ein  zweiter  spezieller  Fall  ist  der,  daß  o^  =  0  ist,  daß  also  für 
die  stehende  Schwingung  die  —  natürlich  tropfbare  —  Flüssigkeit 
ringsum  durch  eine  freie  Oberfläche  begrenzt  ist;  dann  verschwindet 
in  (151")  das  erste  Integral  rechts.  Im  zweiten  können  wir  nach 
(147'"),  da -P  und  d F j dt  nsic^h  Xun^übm^  für^=0  überall  verschwinden, 

( t 

0  0 


378  //.  TeiL     Mechanik  niehtstarrer  Körper,    IV,  Kap, 


setzen  und  darin  nach  (124"")  {)•  mit  —pjc  vertauschen,  wo /?  den 
Wert  des  äußeren  Druckes  bezeichnet;  hierdurch  nimmt  das  zweite 

Integral  die  Gestalt  an 

T  t  t 

0  0  0 

Periodische  Druckänderungen  an  der  Oberfläche  können  also  die 
Eigentöne  wecken,  die  der  Flüssigkeit  mit  ringsum  freier  Oberfläche 
zugehören. 

Dieser  Fall  hat  kein  praktisches  Interesse. 

Dagegen  eignet  ein  solches  in  hohem  Maße  dem  Falle,  daß  die 
Flüssigkeit,  —  etwa  ein  Gas  —  von  einer  festen  Wand  umschlossen 
ist,  die  eine  oder  mehrere  kleine  Offnungen  besitzt,  durch  welche 
die  Flüssigkeit  mit  einer  gleichen,  den  Äußenraum  erfüllenden,  kom- 
muniziert Bei  stehenden  Schwingungen  darf  man  diese  Öffnungen 
als  freie  Oberflächen  betrachten,  da  an  ihnen  merkliche  räumliche 
Dilatationen  nicht  zu  Stande  kommen  können.  Es  wird  hier  also 
in  (151")  das  erste  Integral  rechts  über  die  ganze  feste  Wand,  das 
zweite  allein  über  die  Offnungen  zu  erstrecken  sein. 

Denkt  man  sich  nun  das  System  der  Wirkung  von  Wellen 
ausgesetzt,  die  außen  über  die  eine  Öffnung  hinziehen,  so  wird  das 
erste  Integral  verschwinden,  weil  auf  o^  jetzt  öi^/öw  =  0  ist;  in  dem 
zweiten  kann  man  p  als  durch  die  über  die  Ofihung  ziehenden 
Wellen  immer  dann  vorgeschrieben  betrachten,  wenn  deren  Wellen- 
länge  groß  gegen  die  Dimensionen  der  Öffnung  ist;  denn  dann  liegen 
dieselben  Umstände  vor,  wie  zuvor  bei  den  stehenden  Wellen,  und  ^^ 
kann  in  der  Ofinung  von  dem  im  Außenraum  vorhandenen  nicht 
merklich  verschieden  sein. 

Demgemäß  erhält  man  jetzt 

151'")      {  _       T  tt 

0  0  0 

eine  Formel,  welche  zur  Ableitung  der  Gesetze  der  Resonanz  im 
engeren  Wortsinne  benutzt  werden  kann  und  analoge  Eesultate  aus- 
spricht, wie  auf  S.  377  formuliert  sind. 

Eine  genaue  Analyse  würde  die  in  Folge  der  inneren  Bewe- 
gungen im  Außenraum  erregten  Schwingungen  mit  in  Betracht  ziehen 
müssen  und  dann  passend  nicht  die  Entstehung  der  Bewegung,  son- 
dern den  schließlich  eintretenden  stationären  Zustand  betreffen. 


§  21.     Oletehgewtcht  in  einem  unendlich  isotropen  Körper.  379 


Als  nahe  verwandt  mit  der  Erregung  stehender  Wellen  in  einem 
Luftraum  durch  Eesonanz  betrachtet  man  diejenige,  welche  durch 
Anblasen  einer  Öffnung  in  der  begrenzenden  festen  Wand  erfolgt; 
man  denkt  sich,  daß  hierbei  in  der  Öffnung  der  Druck  in  einer 
Weise  variiert,  die  der  Superposition  unendlich  vieler,  unendlich 
schwacher  Töne  entspricht,  und  kann  demgemäß  sofort  die  vorstehen- 
den Betrachtungen  zur  Anwendung  bringen.  Die  Beobachtung  be- 
stätigt diese  Auffassung,  indem  sie  zeigt,  daß  die  durch  Anblasen 
erregten  Töne  stehenden  Schwingungen  entsprechen,  bei  denen  die 
Öffnung  die  Rolle  einer  freien  Oberfläche  spielt. 

§  21.  Isotrope  elastische  feste  Körper.   Oleiohgewicht  und  Beweg^uig 

in  einem  unendlichen  Medium. 

Den  Flüssigkeiten  stehen  bezüglich  ihrer  elastischen  Eigen- 
schaften am  nächsten  die  isotropen  festen  Körper,  auf  welche  sich 
einige  der  im  vorstehenden  erhaltenen  Resultate  ohne  weiteres  über- 
tragen lassen.  Wir  schließen  daher  ihre  Betrachtung  derjenigen  der 
Flüssigkeiten  unmittelbar  an. 

Die  Gleichungen  für  einen  homogenen  isotropen  Körper  sind 
folgende.     Für  innere  Punkte  muß  gelten 


(1^  -  ^)  - 


2       '-'       '        2       dx 

c  "  c.    ^        ,    c  -h  c,  d  & 
-2--^^  +  — 2~öy' 


152) 


2       '-'        '        2      dx' 

für     die    Oberflächenpunkte    müssen    entweder    die    Verrückungen 
«,  Vj  w  oder  die  Drucke 

Ä^=  -X  =  (ca  ^+  Cj  ^[cos  {v,  x)  +  \c^  [x^  cos  (i^,y)  +  x^  cos(v,z)] 

T  =  -X  =  (Ca Vy+c^^ cos (y, y)+\c^ [j^cos [v,  z)  +  y^ cos ( v, .r)]  1152') 

Z^  -  X=  (cg  ^  +  ^1  ^)  cos  (y,  z)-\-\c^  [^  cos  (i/,  x)  +  V50s(v,y)] ,i 
worin  v  die  äußere  Normale  bezeichnet,  und  c  ^  c^  kurz  =  c^  gesetzt 
ist,  gegebene  Werte  haben;  es  kann  auch  bloß  die  Normalkomponente 
der  Verrückung  und  die  Tangentialkomponente  des  äußeren  Druckes 
vorgeschrieben  sein,  was  wir  der  Einfachheit  halber  ausschließen 
wollen.  Hierzu  kommen  die  allgemeinen  Bedingungen  für  den  An- 
fangszustand, wie  dieselben  in  §  18  auseinandergesetzt  sind. 

Alle    Gleichungen   sind   in   m,  r,  %o  und   den   äußeren   Kräften 
linear,  darum  kann  man  die  allgemeinen  Lösungen  durch  Superposition 


380 


//.  Teil.    Mechanik  nickietarrer  Körper.    IV.  Kap. 


von  partikulären  bilden,  die  je  nur  einem  Teil  der  wirkenden  Kräfte 
entsprechen,  wenn  nur  je  die  Summen  der  so  eingeführten  den  auf- 
gestellten Bedingungen  genügen. 

Sind  innerhalb  des  homogenen  Körpers  k  die  Komponenten 
Xj  ¥,  Z  der  körperlichen  Kräfte  stetige  Funktionen  der  Koordinateiu 
so  kann  man  nach  S.  189  schreiben: 


153) 


"( 


8  0   ,   BN 
+ 


X 


d  X 
80 


Z=  - 


d 
dM 


8  0 

dx  *^  dx 


y      dx)' 

dx)  ' 

dÄ\ 

~  dy)' 


worm 


dÄ    ^   BM   ^    dN       ^ 


dx 


dy 


dx 


ist,  und  die   ^,  A,  M,  N  vollständig  bestimmt  sind,  wenn  an  der 
Oberfläche  gilt 


153') 


a  /|)      

^ h  Xco%{vjx)  +  rcos(v,y)  +  i/Cos(v,2:)  =  0. 


Dasselbe  Verfahren  kann  man  auch  auf  gegebene  Verrückungskom- 
ponenten  m,  ü,  w  anwenden  und  bilden 


154) 


dF      dw      dV 

u  =  -.—  + 

dy 


d  X 

dy        dx 

w  =z-^  4-  — 
d  X        dx 


dx' 

d  W 
dx 

dU 

dy' 


wenn 


dx        dy 
ist,  und  an  der  Oberfläche  gilt 


du  ^    dV  ,    d\V      ^ 


dx 


154') 


Q  Jp         

y^  =  M  cos  [v,  x)  +  V  COS  (i/,y)  +  w  cos  {v,  z). 


Die  in  (154)  gegebene  Zerlegung  läßt  die  Verrückungen  aus 
einer  Potentialdeformation  mit  dem  Potential  F  und  einer 
Drillungsdeformation  mit  den  Drillungsfunktionen  Uj  V,  W  zu- 
sammengesetzt erscheinen;  beide  Teile  stehen  in  nahem  Zusammen- 
hang einerseits  mit  der  räumlichen  Dilatation  ß-^  andererseits  mit 
den  Drillungskomponenten  /,  w,  »;  denn  es  ist 

154")       AF^ß,    A^=-2/,    Ar=-27M,    A/^'=-2n. 


§  2L    Potential'  und  Drillungsdefonnationwi. 


381 


Die  Potentialdeformationen  geben  also  keine  Drillungen  /,  m,  n,  die 
Drillungsdeformationen  keine  Dilatation  &. 

Beide  Zerlegungen  (153)  resp.  (154)  bebalten  ihre  Bedeutung 
nach  S.  191  auch  bei  einem  unendlichen  Medium,  wenn  nur 
X,  Yj  Z  resp.  u,  v,  w  im  Unendlichen  verschwinden,  und  wenn 


dX  ^   dY   ,   dZ 


du    1^  ör        dw 


über  den  ganzen  Raum  integriert,  und 

Zcos(w,ar)  +  Zcos(w,y)  +  ^C08(n,z) 
resp. 

u  cos  (n,  x)  +  V  cos  (n,  t/)  +  to  cos  (n,  z), 

über  etwaige  im  Endlichen  liegende  Grenzflächen  des  Mediums 
integriert,  endlich  sind. 

Die  Werte  von  (l>,  Ay  M,  N  resp.  F^  U,  F,  W  sind  in  diesem  Falle 
auf  S.  189  und  191  allgemein  angegeben.  Bei  dem  vorliegenden 
Problem  sind  zwar  in  der  Regel  X,  Z,  Z  gegeben  und  u^  v,  w  ge- 
sucht; die  Zerlegung  ist  aber  natürlich  auch  dann  noch  auf  letztere 
Größen  anwendbar. 

Durch  die  Zerlegung  (154)  werden  auch  die  Druckkomponenten 
X^,  ...  X  in  potentielle  imd  rotatorische  Teile  zerfällt;  man  erhält 
nämlich,  wenn  man  sich  vorübergehend  der  Abkürzungen 

dy        dx  ^     dx         dx  '     dx        dy 


bedient,  die  Formeln 


dG 
dÄ 


+  i{-=-  + 


dx 
d 


))■ 


-  ^y  =  ^2 


d*F_ 
ßxdy 


+  i 


dx 
dB 


d 
dÄ 


dx         dy 


155) 


Die  potentiellen  Glieder  nehmen  in  dem  Falle,  daß  das  Defor- 
mationspotential F  die  Gleichung  aF=0  erfüllt,  eine  hervorragend 


382 


//.  Teil.    Mechanik  mehtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


einfache  Form  an  und  ergeben  fiir  die  Drucke  gegen  ein  Flächeu- 
element  mit  der  Normalen  v  sogleich 


o^F 


"Yl^c. 


d^F 


-Zl^c 


^  dxdv' 


155')         -  Ji;'- Cg^^^^,    -  -y-iQyQ^j 

Hieraus  folgt  für  die  Gesamtkomponenten  der  Wirkung,  welche 
ein  beliebiges  Bereich  ä,  innerhalb  dessen  die  Ableitungen  von  F 
sich  regulär  verhalten,  von  außen  erfährt, 


155") 


(T)  =  Jx'rf^  =  ^2/a|^^ä  =  0, 


und  analog  auch  {T)  =  [Z")  =  0. 

Die  rotatorischen  Glieder  werden  besonders  einfach,  wenn 
nur  eine  der  drei  Funktionen  U,  F,  fF,  z.  B.  U,  von  Null  ver- 
schieden ist     Hier  gilt  dann 


156) 


-jr;  =  o,  -r;=  +  c,S:,  -^,"=-03-^ 


y 


d^U 


und  gegen  ein  Flächenelement  mit  der  Normale  v  wirkt 


dW 


156') 


öxdy 


i^,^)). 


-j;=+ic,^^^:^cos(t.,y)-^ 

-  1;  =  +  \c,  (_.- cos(t.,x)  +  2g^^co8(i.,y) 

-^.  =-i^2tä^cos(i;,x)  +  (-^--y,---^Jco8(i.,y) 


+  2 :5— ^  cos 


(«'j  ^))  • 


Summiert  man  diese  Werte  über  eine  geschlossene  Fläche  o, 
innerhalb  deren  die  Ableitungen  von  U  sich  regulär  verhalten,  so 
erhält  man 

156")  (.r')  =  0,   (n  =  +  ic,/AgrfA,  (-?")  =  -ic,/A|^rf*; 

alle  Gesamtkomponenten  verschwinden  sonach,  wenn  A^  =0  ist.  — 

Setzt  man  die  Werte  (153)  und  (154)  in  die  Hauptgleichungeu 
(152)  ein,  so  nehmen  sie  für  den  Fall  des  Gleichgewichtes  die 
Form  an 


§  21,     Gleichgewicht  in  einem  unendlich  isotropen  Körper.  383 


(0  0  ,  BN  dM\  ,  ^  (dW  dr\  ,  ^  dF 
(0  0  ,  dÄ  dN\  ,  ,  (du  dW\  .  ,  dF 
(60   ,    ajf       d^\        ,       ^  /ÖF        Ö^JN    ,       ^  öi^ 


157) 


Diese  Gleichungen  kann  man  befriedigen  durch 
d.  h.  durch 


.} 


1570 


4ncJ        r       ' 


.  157") 


27rCjJ       r      '  27iCiJ       r      '  2nc^J       r 

Ist  der  Körper  unbegrenzt,  und  verschwinden  die  körperlichen 
Kräfte,  wie  auch  die  Verrückungen,  im  Unendlichen,  und  verhalten 
sie  sich  im  Endlichen,  wie  oben  erörtert,  so  stellen  diese  Formeln  die 
vollständige  Lösung  des  Problems  dar  und  zeigen,  daß  unter  den 
gemachten  Voraussetzungen  konservative  Kräfte  nur  Potentialdefor- 
mationen, rotatorische  nur  Drillungsdeformationen  bewirken. 

Sind  0,  A^  Mf  N  nur  innerhalb  eines  sehr  kleinen  Bereiches  k^ 
von  Null  verschieden,  so  kann  man  für  Punkte  in  angemessener 
Entfernung  bilden 


_^  H/" _^8 

r  r 

worin 


r  ' 

r 

^      ^ib.d 

k.  =  r?. 

gesetzt  ist. 

Ist  Aj  unendlich  klein,  und  sind  die  C^  trotzdem  endlich,  so 
werden  F^  U,  V,  W  in  k^  unendlich,  dies  Element  muß  dann  also 
durch  eine  geschlossene  Oberfläche  o^  ausgesondert  werden,  und  die 
resultierende  Deformation  ist  als  durch  Drucke  bewirkt  zu  betrachten, 
welche  von  innen  her  gegen  o^  ausgeübt  werden  und  sich  nach  den 
Formeln  auf  S.  382  berechnen  lassen. 

Wir  wollen  k^  an  der  SteUe  a,  b,  c  liegend  und  durch  eine 
Kugel  mit  dem  Centrum  in  a,  ft,  c  ausgeschlossen  denken. 


384  //.  TeiL    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 

Bezeichnet    man   die   Richtung  von   r   positiv  im    Sinne    vom 
Punkte  a,  ä,  c  hinweg  und  fuhrt  durch 

X  —  a  =  ra,     y  ^  b  ^  rßj     z  —  c  ^  ry 

ihre  ßichtungscosinus  «,  ß^  y  ein,  so  erhält  man  leicht  Folgendes. 
Der  Potentialdeformation,  die  durch 

r 

gegeben  ist,  entspricht 

158)     X^X=--'^-,    Y=Y^-^^,   Z^Z=-^'l^-^, 

der  Drillungsdeformation,  gegeben  durch 

r 

entspricht 

158')    x=  Jt^  =  0,    r^r^^  -^ l^»r-s   ^=  ^  =  +  -4S^ ; 

analoges  giebt  Toder  ^'gleich  C^/r,  resp.  (7g /r.  Das  erstere  System 
entspricht  einem  nach  innen  gerichteten  Zug  von  der  auf  der  Kugel- 
fläche konstanten  Größe  2c^Cjr^,  das  letztere  einem  Drehungsmoment 
um  die  X-Axe  von  dem  Betrag 

158")  (iV^  =  \c^C^j{ß^  +  y^dm  =  inc^C^. 

Die  Gesamtkomponenten  sind  für  beide  gleich  Null.  — 

Die  in  (157")  enthaltenen  Resultate  sind  wegen  der  Werte  von 
0,  Aj  Mf  N  durch  drei-  und  sechsfache  Integrale  gegeben,  und  daher 
zum  Teil  wenig  tibersichtlich.  Man  kann  sie  auf  einem  indirekten 
Wege  aber  sehr  leicht  durchaus  in  der  Form  dreifacher  Integrale 
erhalten. ''5) 

Hierzu  gehen  wir  aus  sron  den  partikulären  Lösungen 

159)        i^=i?,    c^=-^,    r=+^,   r=o, 

worin  r^  =  x^  +  y^  +  z^  ist,  und  welche  den  Hauptgleichungen  (152' 
resp.  (157)  bei  verschwindenden  X,  }\  Z  genügen,  wenn  nur 

159')  2cf/  =  c^p  =  {c-c^)p 

ist     Sie  liefern  die  Verrückungen 

1  KQ"\                 i^  +  ^i) ^*                   (^  +  Ci)yz                  {c  +  r,)  A»  +  (3r  -  e.  Ir* 
159  )      U  =  P— „      4 ,     V  =P—^  -a  -  >    ^  —P iT-i ^        • 

die  im  Unendlichen  verschwinden,  aber  im  Koordinatenanfang   un- 
endlich werden;  letzterer  Punkt  muß  daher  außerhalb  des  Mediums 


§  21,    Gleichgewicht  in  einem  unendlichen  isotropen  Körper.  385 


liegen.  Wir  schließen  ihn  durch  eine  Kugel  um  den  Koordinaten- 
anfang aus  und  erhalten  für  die  Druckkomponenten  gegen  ein 
Flächenelement  derselben 


160) 


^r-  2cr*  '        *•""  2cr*  ' 

^  __  3p (c»  -  Ci») x^      p{e-c{f 
*■""  2cr*  "^       2cr«      ' 

welche  nach  den  Grenzbedingungen 

durch  von  innen  gegen  die  Wand  der  Höhlung  ausgeübte  Druck- 
komponenten Xj  Tj  Z  hervorgebracht  sein  müssen.  Diese  letzteren 
geben  über  die  Fläche  der  Kugel  summiert  die  Resultate 

(X)  =  0,  (F)  =  0,  [Z)^i7ip{c'-  Cj).  160') 

Ist  der  Hohlraum  unendlich  klein,  so  können  in  endlicher 
Entfernung  von  ihm  die  Verrückungen  nicht  von  der  Gestalt  des 
Hohlraumes  und  der  Verteilung  der  gegen  seine  Wandung  wirken- 
den Drucke  abhängen,  sondern  nur  von  der  Größe  und  der  Rich- 
tung ihrer  Resultanten.  Sie  müssen  also  z.  B.  auch  dann  durch  die 
Formeln  (159)  resp.  (159")  gegeben  sein,  wenn  der  Hohlraum  aus- 
gefüllt ist  und  auf  seinen  Inhalt  eine  äußere  körperliche  Kraft  von 
der  Größe  jener  Resultanten  ausgeübt  wird.  Es  ist  dann  nur  {Z)  mit 
(>j  Z^  dk^  zu  vertauschen,  wenn  dk^  das  Volumen,  q^  die  Dichte  der 
den  Hohlraum  erfüllenden  Masse  bezeichnet,  und  Z^  wie  sonst  auf 
die  Masseneinheit  bezogen  wird.       • 

Es  wird  in  diesem  Falle  also 


^  _  9\Zx{c  '\-c;)xxdk^     ^  ^  Qy  Z^[c  +  c^) y X dk^ 
^nc{p  —  c^)r^     '  Sti  c  (e  —  Cj)  r* 

^  ^  gt  ^  ((c  +  c,)  »«  +  (3c  -  cQ r»)  dky  ^ 


161) 


Befindet  sich  das  Volumenelement  dk^  nicht  im  Koordinaten- 
anfang, sondern  an  der  Stelle  ^i,yi,^i,  so  ist  nur  x  mit  ;r  —  ar^, 
y  mit  y  —  yi,  z  mit  z  —  z^  zu  vertauschen. 

Von  diesen  Formeln  ist  nun  sogleich  der  Übergang  zur  Lösung 
unseres  allgemeinen  Problemes  möglich;  denn  wegen  der  linearen 
Form  der  elastischen  Gleichungen  finden  sich,  wenn  an  allen  Vo- 
lumenelementen beliebig  gerichtete  Kräfte  angreifen,  die  Verrückungen 
durch  Erweiterung  der  obigen  Ausdrücke  durch  ZufÜgung  der  von 
Xj  und  Jj  abhängigen  Glieder  und  Integration  über  alle  Volumen- 
elemente.    So  gelangt  man  zu  den  Werten 

Voigt,  Theoretiitche  Physik.  25 


386  IL  Teil.    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


dkt 


1 61-)  r  "  8^"c  c^/ 1*^ + '^i^^y  -  yi)  t^i  (^  -  *i) + ^1  (y  -  yi) + ^1  (^  -  ^i): 

+  {3c-Cj)j;r« 

+  (3c-c,)^,r^]^, 

welche,  wie  oben  gesagt,  nur  noch  dreifache  Integrale  enthalten.^*)  — 
Ist  der  Körper  endlich,  so  genügen  die  Lösungen  (157")  resp. 
(161')  nicht  den  Grenzbedingungen,  sie  stellen  aber  nach  dem  oben 
Gesagten  immer  noch  einen  Teil  der  allgemeinen  Lösung  dar.  Eüi 
zweiter  u\  v\  w^  muß  dann  den  Bedingungen  (152)  mit  verschwinden- 
den äußeren  Kräften  genügen  und  außerdem  bewirken,  daß  an  der 
Oberfläche  entweder  die  Verrüekungen  u\  v\  w\  oder  die  Drucke 
Xii,  Yn,  Zn  den  gegebenen  Werten,  vermindert  um  die  aus  m,  t?,  tr 
3ich  ergebenden  Beträge,  gleich  werden.  — 

Auch  für  die  Behandlung  des  Bewegungszustandes  in  unend- 
lichen isotropen  Medien  erweist  sich  die  oben  gegebene  Zerlegung 
der  Verrückungen  geeignet  Nach  S.  338  gelten  hier  bei  hinlänglich 
schnell  wechselnden  Deformationen  ebenfalls  die  Formeln  (152),  nur 
stehen  die  adiabatischen  Konstanten  an  Stelle  der  isothemüschen. 
Die  Gleichungen  (152)  nehmen  »durch  Einführung  der  in  (154)  ge- 
gebenen Werte  die  Form  an 


162) 


d^  (dF  ,    dW      dV\        ,        ^  (dW       dV\    ,       ^ 


dF 

d^  (dF      au        dW\       ,       ^  (dU       dW\    .       ^  dF 


dt^\dy        dx         dx  I      ^^      \dx         dxj  dy^ 

d'  (dF  ^     dV       dü\       ,       ^  (dV      dU\      ,       ^dF 

-  ' ' 1  — i/.  AI \  _j.cAg— ; 


^  dt^yd^"^  'dx         dy  )'~'^^^^[dx        dy) 


von  den  körperlichen  Kräften  und  Oberflächendrucken  kann  hierbei, 
wenn  sie  nicht  mit  der  Zeit  veränderlich  sind,  abgesehen  werden, 
da  sie  nur  eine  dauernde  Deformation  geben,  über  die  sich  die 
Schwingungen  lagern,  ohne  von  ihr  beeinflußt  zu  werden. 

Zu  diesen  Hauptgleichungen  kommen  noch  Bedingungen  fär 
den  Anfangszustand  und,  wenn  eine  dauernde  Erregung  an  den 
Grenzflächen  wirkt,  solche,  welche  die  Art,  wie  diese  stattfindet, 
ausdrücken. 


§  21,    Schwingungen  in  einem  unendlichen  isotropen  Medium,         387 


Ist  das  Medium  unbegrenzt  und  zeitlich  wechselnden  körperlichen 
Kräften  nicht  ausgesetzt,  so  können  Bewegungen  nur  in  Folge  an- 
fänglicher Verrückungen  oder  Geschwindigkeiten  eintreten. 

Wir  setzen  fest,  daß  zu  der  (beliebigen)  Zeit  ^  =  0 

du  dv  dw  ifio'x 

u  =  u^,     v  =  »o»     «^  =  «^0»     ~dt^'^^'      Ö7""^i'      yf^^^i         ^^^^ 

*ist,  und  daß  sowohl 

dx  "^  dy  ■*"  d%  dx'^  dy'^   dx 

im  Unendlichen  verschwinden  und  über  den  ganzen  Raum  integriert 
einen  endlichen  Wert  ergeben. 

Dann  können  wir  die  Zerlegung  (154)  auf  die  Anfangswerte 
anwenden  und  schreiben 


"*'~   dx  '^    dy 

dx   ' 

dFi       dW^ 
"i  ~   dx  "^    dy 

~'dx' 

■             •             • 

162") 


die  F,  Uj  Fj  W  werden  dabei  durch  die  gegebenen  Größen  vollständig 
bestimmt  sein,  und  man  wird  auch  umgekehrt  jede  einzelne  von 
ihnen  willkürlich  vorschreiben  können. 

Infolgedessen  müssen  die  allgemeinen  F^  Uj  F,  fF  in  den 
Formeln  (162)  gleichfalls  voneinander  unabhängig  sein,  und  jene 
Gleichungen  in  solche  zerfallen,  die  sich  nur  auf  je  eine  dieser 
Größen  beziehen. 

Die  Gleichung  für  F  lautet  bis  auf  eine  irrelevante  Funktion 
der  Zeit  allein,  die  mit  F  verbunden  werden  kann, 

ß-a^  =  cA/;  163) 

diejenigen  für  U,  Fj  JF,  bis  auf  gleichfalls  irrelevante  Funktionen 
von  X,  resp.  von  y  oder  z  und  t 

Q^^^  =  \c,AU,       (>^^  =  ic,AF;       p^J  =  ^c,Ar.      163') 

Diese  Formeln  sind  mit  der  Gleichung  (126"),  welche  für  elastische 
Flüssigkeiten  gilt,  der  Form  nach  identisch,  und  gestatten,  da  bei 
einem  unbegrenzten  Medium  die  Fj  U,  F,  JF  voneinander  unabhängig 
sind,  genau  dieselbe  Behandlung,  wie  jene,  insbesondere  auch  die 
Anwendung  der  PoissoN'schen  Gleichung  (145'"),  welche  ihre  Werte 

25* 


388  //.  Teil    Mechanik  niehtstarrer  Korper.    IV,  Kap, 


ZU  beliebiger  Zeit  direkt  durch  die  Anfangswerte  ausdrückt  Einen 
Unterschied  bedingt  allein  der  Wert  der  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit V  resp.  w,  der  für  F  gegeben  ist  durch 


163")  1/^  = 

für  ü,  Vy  W  durch 

163"0  «*  =  |^. 

Hieraus  folgt,  daß  in  einem  elastischen  festen  Körper  Anfangs- 
verrückungen  und  Anfangsgeschwindigkeiten,  welche  die  voraus- 
geschickten Bedingungen  erfüllen,  sich  in  je  zwei  Teile  von  dein 
Charakter  der  Potential-  und  der  Drillungsdeformation  sondern,  und 
daß  ihre  Wirkungen  sich  mit  verschiedener  Geschwindigkeit  fort- 
pflanzen, sich  also  räumlich  sondern. 

Die  Berechnung  der  einzelnen  Teile  ^^,,  ^j,  tZ^^,  i/^,  .  , .  ist  meist 
umständlich,  überaus  einfach  aber  in  dem  Fall,  daß  der  Anfangs- 
zustand nur  von  einer  Koordinate,  z.  B.  von  r,  abhängig  ist  Dann 
reduziert  sich  nämlich  das  System  (162")  auf 

und  man  kann  daher  die  Formel  (163)  auf  w  statt  auf  P^  die  For- 
meln (163')  auf  u  und  v  statt  auf  (7,  T,  W  anwenden. 

Hieraus  folgt,  daß  unter  den  gemachten  Voraussetzungen  die 
normal  zu  der  Wellenebene  stehenden,  also  longitudinalen,  Ter- 
rückungen  Potentialdeformationen,  die  ihr  parallel  liegenden,  also 
transversalen,  Drillungsdeformationen  bewirken. 

Die  Resultate  bezüglich  der  Einwirkung  des  Anfangszustandes 
sind  in  der  Gleichung  (132')  auf  S.  355  enthalten  bei  Berücksich- 
tigung der  hier  stattfindenden  Werte  der  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keiten und  der  an  Stelle  von  S  tretenden  m,  r,  w. 

Etwas  Ahnliches  findet  statt,  wenn  das  Medium  durch  die  un- 
endliche Ebene  z  =  0  begrenzt  ist,  welche  parallel  mit  sich,  aber 
sonst  beliebig,  bewegt  wird.  Sind  dabei  die  Anfangsverrückungen 
und  Geschwindigkeiten  im  positiven  Halbraum  gleich  Null,  so  muß 
nach  Symmetrie  die  fortgepflanzte  Bewegung  auch  in  W^ellenebenen 
parallel  der  A'^Z- Ebene  stattfinden,  wodurch  sich  wieder  t<  und  r  als 
Drillungs-,  w  als  Potentialverrückung  ergiebt 

Hier  gewinnen  die  Resultate  (132")  von  S.  355  bei  entsprechen- 
der Bestimmung  der  Geschwindigkeiten  Geltung. 


§  2L    Ebene  Wellen  in  einem  unendlichen  isotropen  Medium.        889 


Wird  die  Ebene  r  =  0  absolut  festgehalten,  und  ist  der  Anfange- 
zustand  von  x  und  y  unabhängig,  so  ist  das  Verfahren  der  entgegen- 
gesetzt-spiegelbildlichen Fortsetzung  des  Anfangszustandes  in  den 
negativen  Halbraum  hinein  anwendbar. 

Sind  in  der  Ebene  z  =  0  die  äußeren  Drucke  und  hierdurch 
nach  (152^)  X^,  J^,  Z^j  die  mit  dufdz,  dv/dz,  dw/dz  proportional 
sind,  als  Funktionen  der  Zeit  allein  vorgeschrieben,  so  wird  Formel 
(132"')  anwendbar. 

Ist  endlich  die  Ebene  z=0  frei,  also  nach  (152')  bei  den  ge- 
machten Annahmen  dujdz,  dvjdz,  dwjdz  daselbst  gleich  Null,  so 
ist  die  einfache  spiegelbildliche  Fortsetzung  der  Anfangswerte  in 
den  negativen  Halbraum  vorzunehmen. 

Daraus  ergeben  sich  dann  die  Regeln  für  die  Behandlung  einer 
planparallelen  Schicht  eines  festen  elastischen  Körpers,  deren 
Grenzen  fest  oder  frei  sind,  oder  gegebene  Verrückungen  oder  ge- 
gebene Drucke  erfahren;  auf  ihre  Wiedergabe  darf  bei  der  großen 
Ein&chheit  des  Problemes  verzichtet  werden. 

Komplizierter  gestalten  sich  die  Probleme  der  Reflexion  und  der 
Brechung  schief  auffallender  ebener  Wellen  an  der  ebenen  Grenze 
zwischen  zwei  elastischen  Medien.  Hier  wird  eine  wesentliche 
Vereinfachung  durch  die  Annahme  der  Isotropie  der  Medien  nicht 
bewirkt,  sondern  nur  eine  formale,  und  daher  mag  dies  Problem 
erst  bei  Behandlung  krystaUinischer  Medien  —  und  aus  gewissen 
Gründen  erst  im  nächsten  Kapitel,  —  in  Angriff  genommen  werden. 

Die  mittlere  Energie  einer  ebenen  Welle  berechnet  sich  genau 
so,  wie  auf  S.  358  für  longitudinale  Wellen  gezeigt  ist,  auch  für 
transversale;  bei  Einführung  der  größten  Amplitude  A  der  Ver- 
rückung erhält  man  in  beiden  Fällen  übereinstimmend 

Neben  den  ebenen  beanspruchen  auch  im  festen  elastischen 
Körper  die  Kugelwellen  ein  besonderes  Interesse,  welche  auftreten, 
wenn  jF,  i7,  T,  W  die  Koordinaten  nur  in  der  Kombination  enthalten, 
welche  die  Entfernung  r  des  betrachteten  Punktes  von  einem  be- 
liebigen festen,  etwa  dem  Koordinatenanfang  ausdrückt 

Die  Gleichungen  flir  jene  Fimktionen  nehmen  dann  die  Gestalt  an 

d^rF  __     d^rF 
d^rU  _  1      d^rU         d^rV  _  ^       d^rV        d^rW  _  ,       d^rW   '        ^ 


390  //.  TeiL    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


und  gestatten  dieselbe  Behandlung,  wie  S.  363  die  entsprechende 
für  F  allein.  Die  dort  erhaltenen  Resultate  über  die  Potential- 
verrückungen,  welche  longitudinal  stattfinden,  sind  sogar  unge< 
ändert  auf  unseren  Fall  zu  übertragen,  es  braucht  also  nur  auf  die 
UriUungsverrückungen,  die  sich  durch  U,  Fj  W  bestimmen  und 
deren  Komponenten  wir  mit  u\  v\  l^?'  bezeichnen  wollen,  etwas  näher 
eingegangen  zu  werden. 

Aus 


164-) 


'^   dr    r 

dV    X 

dr    r 

,_  dÜ   X 
dr    r 

dW  X 
dr    r 

,_  dV    X 
dr    r 

du  y 
dr    r 

u 


w  = 


folgt 

u^x  +  ü'y  +  w'z  =  0; 

die  resultierende  Verrückung  S^  ist  also  normal  zu  r  oder  trans- 
versal, analog  wie  bei  ebenen  Wellen. 

Einen  genaueren  Einblick  in  ihre  Natur  erhält  man,  wenn  man 
alle  Teilchen  betrachtet,  welche  auf  einer  Kugelfläche  um  den  An- 
fangspunkt liegen;  für  diese  sind  mit  r  auch  Uy  Fy  fT  die  gleichen, 
das  System  (164')  nimmt  also,  wenn  wir  mit  Z,  M,  A^  jenen  Teilchen 
gemeinsame  Funktionen  von  t  allein  bezeichnen,  die  Form 

y!  =  Ny  —  Mzj   v^  ^  Lz  —  Nx^   tr'  =  Mx  —  Ly 

an,  deren  Vergleichung  mit  den  Formeln  (118)  auf  S.  96  zeigte 
daß  die  Kugelfläche  in  dem  Augenblick,  wo  die  Werte  w',  t?',  \t 
gelten,  eine  Gesamtdrehung  vom  Betrage 


um  eine  Axe  durch  ihr  Centrum,  deren  ßichtungscosinus  resp.  LjB, 
MjDj  Njl)  sind,  erlitten  hat. 

Die  Rotationsaxe  fällt  mit  einer  Koordinatenaxe  zusammen^ 
wenn  zwei  von  den  drei  Funktionen  ?7,  F,  JF  verschwinden. 

Der  einfachste  Ansatz  für  eine  fortschreitende,  transversale 
Kugelwelle  wird  hiemach  durch 


164") 


erhalten. 


,      dW  y  ,  dW  jc  ,      .. 

dr    r  ^  dr    r 


JF 


a     .        (  r 

=  —  SinaU  +  <L 

r  V  "        w 


§  21.    Kugelwellen  in  einem  unendlichen  isotropen  Medium.  391 


Die  resultierende  Verriickung  besteht  wieder  aus  mehreren 
Grliedem,  die  nach  verschiedenen  Gesetzen  mit  wachsender  Ent- 
fernung r  abnehmen.  In  großen  Entfernungen  bleiben  nur  diejenigen 
merklich,  bei  welchen  die  Differentiationen  nach  den  Koordinaten 
sich  ausschließlich  auf  das  unter  dem  Sinus  vorkommende  Glied 
beziehen,  so  daß  man  setzen  kann,  indem  man  dWjdt  in  W 
abkürzt, 

«'=-  — ^,      t;'=+  — -,     tt;'=0,  164'") 

und  ähnlich  für  die  lebendige  Kraft  t/;'  der  Volumeneinheit 

2V'  =  ^'^-^^'.  165) 


G)' 


Das  Potential  qp'  der  Volumeneinheit  folgt  nach  (115")  wegen 
iV*  =  0  und  tt?  =  0  in  der  Form 

^^•-^[(fc")'+(S)'+t(i)'+(if)'+i+ii)')i. 

oder  bei  gleicher  Beschränkung  auf  die  höchsten  Glieder 

Hieraus  folgt  wegen  c^I^q  =  «^ 

und 

6  =  ^  — r^  =  -^T^^-smVsm^a  ^^  +  ^,  -  — J ,        165") 

wobei  y  den  Winkel  zwischen  r  und  der  +^-Axe  bezeichnet. 
Daraus  ergiebt  sich  der  Mittelwert 

'^        2r*(jjr  '  ' 

und  bei  Einfuhrung  von  acc/o)=  A  und  a  =^2n/r  schließlich 

«;=-S^8inV.  165'") 

Die  Fortpflanzung  geschieht  also  nach  verschiedener  Richtung 
mit  verschiedener  Intensität,  normal  zur  Rotationsaxe  mit  der 
größten,  ihr  parallel  mit  verschwindender. 


§  22.     Gleichgewicht  iflotroper  Medien  bei  beliebiger  Begrenzung. 

Satz  von  Betti. 

Wenn  auf  einen  beliebig  begrenzten  isotropen  elastischen  Körper 
körperliche  Kräfte  wirken,  so  ist  es  nach  dem  vorigen  Paragraphen 


392  //.  T(dL    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap. 


immer  möglich,  ein  Yerrüclningssystem  zu  finden,  welches  den  jene 
enthaltenden  Hauptgleichungen  genügt,  aber  den  Oberflächen- 
bedingungen nicht  entspricht  Man  kann  dies  System  als  einen 
Teil  der  allgemeinen  Lösung  ansehen,  und  das  Problem  ist  voll- 
ständig gelöst,  wenn  es  gelingt,  ein  zweites  System  Verrückungen 
zu  finden,  welches  den  Hauptgleichungen  bei  verschwindenden 
körperlichen  Kräften  genügt  und  an  der  Oberfläche  die  gegebeneu 
Werte  der  Verrückungen  oder  Drucke,  vermindert  um  die  von  dem 
ersten  System  herrührenden  Anteile,  ergiebt  Dies  soll  jetzt  aus- 
geführt werden ;  weil  aber  das  Problem  auch  selbständige  Bedeutung 
hat,  wollen  wir  die  bezüglichen  Verrückungen  wieder  mit  u,  v,  v, 
die  Oberflächendrucke  mit  X,  Y,  Z,  die  Oberflächenverrückungen 
mit  Uj  V,  w  bezeichnen  imd  von  dem  Zusammenhang  mit  der  oben 
gelösten  Aufgabe  absehen. 

Bei  verschwindenden  körperlichen  Kräften  lassen  sich  die  Haupt- 
gleichungen schreiben 

^«^)  0^=-^:+«;-^«'  ö7=-c-t4^'''  0^=-^^^^""- 

die  Grenzbedingungen  lauten,  wenn  die  Verrückungen  in  der  Ober- 
fläche vorgeschrieben  sind, 

166')  w  =  «o'    ^  =  ^o>    ^^  =  w^a» 

wenn  aber  die  Drucke  gegeben  sind,  kann  man  sie  nach  (152')  bei 
Einführung  der  Drillungen  /,  w,  n  leicht  in  der  Form  schreiben: 

^  =  -?- X -  ^  i9- cos (i/, ;r)  -  n  cos(v,y)  +  mcos{v,z). 


166") 


g^  =  ^ T-  ^  T> cos {i/,y)  -  /  cos (i/, z)  +  n  cos {if,x), 

o  tc         1  —        c   —  —  — 

j—  =  —Z ^-& cos {vy z)  —  m cos {v, x)  +  l  cos {vjv), 

0  V  Ca  c» 


worin  v  die  äußere  Normale  bezeichnet  und,  wie  schon  oben,  c  — fj 
in  Cj  abgekürzt  ist 

Diese  Formeln  weisen  darauf  hin,  daß  bei  gegebenen  Ober- 
flächenverrückungen zunächst  auf  die  Bestimmung  von  &  aus- 
zugehen ist;  aus  dessen  Werte  allein  findet  sich  dann  m,  r,  tr  nach 
den  in  §  22  des  ersten  Teiles  entwickelten  Methoden  fiir  die  Be- 
stimmung einer  Funktion  yj  aus  gegebenem  A'^  und  i//.  Bei  ge- 
gebenen Oberflächendrucken  muß  aber  &,  l,  m,  n  gefunden  sein. 
um  jene  Methoden,  und  zwar  für  gegebenes  A  V^  und  dxpjdvj  anzu- 


w 


167) 


§  22,    Der  Beüi'si^  ScUx.  393 

wenden;  es  bleibt  in  diesem  Falle,  wie  begreiflich,  in  Uj  v,  w  je 
eine  additive  Eonstante  unbestimmt 

Für  die  Lösung  der  Aufgabe,  &  und  l,  m,  n  zu  finden,  erweist 
sich  eine  Beziehung  nützlich,  welche  den  Namen  des  BETTi'schen 
Satzes  fiihrt^^  Sind  nämlich  zwei  Systeme  von  körperlichen  Kräften 
X,  Y,  Z  und  3£,  %  3>  sowie  von  Oberfiächendrucken  X,  ¥y  Z  und  dij%  S 
gegeben,  und  bezeichnen  u,  v,  w  und  u,  D,  m  zwei  Systeme  mit  ihnen 
verträglicher  Verrückungen  in  demselben  homogenen  elastischen 
Körper  ä,  so  ist 

/«"'*[(^-s?)"+(^-s)''+(^-w)" 

+  Jdo{X\i  +  Fi  +  Zto) 

Diese  Gleichung  wird  bewiesen,  indem  man  die  Werte  von 

aus  den  Hauptgleichungen  (118)  einsetzt  und  das  Raumintegral  so 
durch  teilweise  Integration  umformt,  daß  alle  Oberfiächenintegrale 
verschwinden. 

Man  erhält  aus  ihr  einfachere  Eeciprocitätssätze,  indem  man 
Verfügungen  trifft,  welche  eine  größere  oder  geringere  x\nzahl  von 
Gliedern  verschwinden  lassen.  Dabei  ist  indessen  zu  beachten,  daß 
die  damit  eingeführten  Annahmen  über  Kräfte  und  Verrückungen 
miteinander  vereinbar  sein  müssen. 

Betrachtet  man  z.  B.  zwei  Gleichgewichtszustände,  bei  welchen 
die  Oberäächenpunkte  sämtlich  festgehalten  sind,  und  läßt  körper- 
liche Kräfte  nur  auf  zwei  sehr  kleine  Bereiche  ä'  resp.  F  wirken, 
so  erhält  man 

k'  (Xu  +  ro  +  Zro)  =  r  {diu  +  ©t;  +  3tr);  167') 

dies  läßt  sich,  indem  man  von  den  Komponenten  einige  gleich  Null 
setzt,  noch  weiter  vereinfachen  und  ergiebt  einen  leicht  in  Worte 
zu  fassenden  Satz. 

Befindet  sich  der  elastische  Körper  unter  alleiniger  Wirkimg 
von  Oberflächendrucken  im  Gleichgewicht,  so  nimmt  die  Formel 
(167)  die  speziellere  Gestalt  an 

.       fdo(Xü  +  Tt>  +  Z^)  =-fdo{iü  +fv  +  3^),  167") 


394  IL  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV,  Kap. 


welche   die   Grundlage    für    die    weitere   Entwickelung   dieses  Ab- 
schnittes bildet 

Bei  derselben  soll  u,  t?,  w  jederzeit  das  gesuchte  System  Ton 
Verrückungen  und  X,  T,  Z  das  ihm  entsprechende  System  von  Ober- 
Üächendrucken  bezeichnen,  welches  mit  dem  der  inneren  Drucke 
durch  die  Beziehungen 


x+ x,=  r+ r,  =  z+z,=^o 

verbunden  ist 

u,  t),  \v  soll  hingegen  ein  System  von  Hilfsverrückungen  be- 
zeichnen, X,  I),  3  das  ihm  entsprechende  System  von  Drucken, 
und  zwar  wollen  wir  so  über  sie  verfugt  denken,  daß  Verrückungen 
und  Spannungen  an  einer  Stelle  a,  b,  c  des  Körpers  k  unendlich 
werden,  so  daß  dieselbe  also  durch  eine  unendlich  kleine  Ober- 
fläche, etwa  eine  Kugelfläche  ä'  um  a,  b,  c  als  Centrum,  ausgeschlossen 
werden  muß,  um  die  Formel  (167")  anwenden  zu  können. 

Außer  über  die  gegebene  Oberfläche  o  von  k  sind  dann  dit 
Integrale  in  (167")  noch  über  diejenige  o'  von  ä'  zu  erstrecken;  dit 
auf  letztere  bezüglichen  Werte  mögen  aber,  als  für  das  Innere  von  k 
geltend,  nicht  durch  einen  Strich  ausgezeichnet  werden. 

Führt  man,  wie  auf  S.  384,  die  Richtungscosinus  a,  ß,  y  de? 
Radiusvektors  von  a,  b,  c  aus  ein,  so  werden  nach  (152')  die  in 
dem  Integral  links  in  Formel  (167")  auftretenden  Drucke  an  der 
kleinen  Kugel  die  Werte  erhalten: 

168)       r==rr=^{c,i/^  +  c,&)ß-ic,{2/^r  +  i/.cc), 

Da  die  wirklichen  Verrückungen  m,  v,  w  innerhalb  k  stetig  sind 
so  kann  man  hierin  die  Werte  der  Deformationsgrößen  statt  ftr 
die  Kugelfläche  o'  für  ihr  Centrum,  d.  h.  für  den  Punkt  a,  b,  c  selbst 
nehmen. 

Was  die  Verrückungen  w,  v,  w  in  dem  Integral  rechts  in 
Gleichung  (167")  angeht,  so  kann  man  auf  o'  für  sie  die  Entwickelung 
setzen 


168') 


,       (du        .    du  a    .    du     \ 
—  ,       (dtc        ,    die  ^    ,    dw     \ 


r  =  17  +  r 


§  22.     Oleichgewieht  eines  beliebig  begrenzten  isotropen  Körpers.       395 


wo  sich  nunmelir  die  Größen  rechts  ebenfalls  auf  die  Stelle  a,  &,  c 
beziehen. 

Nach  diesen  Vorbereitungen  wählen  wir  zunächst  fiir  die  Hilfs- 
größen u,  ö,  xo  die  Komponenten  einer  Verrückung,  die  innerhalb  k 
regulär  ist,  aber  an  der  Stelle  a,  J,  c  sich  verhält  wie  diejenige  der 
S.  384  betrachteten  Potentialdeformation  mit  dem  Potential 


?=• 


nämlich  wie 


u'  = 


Setzen  wir  in  der  Formel  (167")  diese  Ausdrücke  neben  den 
Werten  (168)  in  das  Integral  links  über  die  kleine  Kugelfläche 
ein  und  bemerken,  daß 

/$'«"  =  /$>'  = /^V'=^,  169') 

aber 

j'-^ßy-S'-^yu-j^-ß-^  169") 

ist,  so  reduziert  sich  dasselbe  auf 

In  das  Integral  rechts  ist  neben  den  Werten  (168')  das  g'  ent- 
sprechende System  der  Potentialdrucke  einzusetzen,  das  nach  (158) 
lautet: 

I=-2c,^,    ^)=-2c,^,    3=_2c,^,         169'") 
woraus  unter  Rücksicht  auf  (169')  folgt 

g    ''3  ^'a  h  c  • 

Führt  man  diese  Werte  in  (167")  ein,  so  erhält  man  wegen  c^  +  c^  =  c 
das  Resultat 

4nc&abc  =  Jdo  [(Xw  +^^+  Sic)  -  (Xu  +Tö  +  Zio)] ,      1 70) 

wo  sich  das  Integral  über  die  gegebene  Oberfläche  des  elastischen 
Körpers  erstreckt 

Kann  man  nun  für  den  gegebenen  Körper  ein  System  Hilfs- 
größen u,  ö,  tu  finden,  welches  die  Hauptgleichungen  (166)  und  die 
Nebenbedingungen  (169)  befriedigt,  und  überdies  an  der  Oberfläche 
des  Körpers  verschwindet,  so  ist 


396  //.  Teil.     Mechamk  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 

170')  ^nc»abc  =  Jdo{£ii+^+Si^); 

es  ist  in  diesem  Falle  also  &  durch  die  vorgeschriebenen  Oberflächen- 
werte u,  V,  w  mit  Hilfe  der  aus  den  u,  ö,  to  folgenden  Oberflächen- 
drucke 3£,  ^,  3  vollständig  bestimmt  und  durch  eine  einfache 
Quadratur  zu  finden. 

Ist  hingegen  das  Hilfssystem  u,  t>,  tt)  so  bestimmt^  daß  an  der 
Oberfläche  de,  %  S  verschwindet,  so  wird 

170")  i7ic&abc=  -fdoiJ^i+Ti+Ziö)] 

hier  ist  also  &  durch  die  Werte  der  Oberflächendrucke  und  die 
Oberflächenwerte  der  u,  ö,  ttJ  bestimmt. 

Diese  Resultate  haben  große  Verwandtschaft  mit  der  S.  185u.f. 
auseinandergesetzten  Methode  der  GEEEN'schen  Funktionen  zur  Lo- 
sung von  Randwertaufgaben  flir  Funktionen  F,  die  der  Gleichung 
A  ^=  0  genügen. 

Für  den  Fall  gegebener  w.,  r,  w  ist  durch  Vorstehendes  alles 
erreicht,  was  zur  allgemeinen  Bestimmung  von  «,  r,  w  nötig  ist. 
Für  den  Fall  gegebener  X,  Y,  Z  muß  dagegen  erst,  wie  hier  ß-^  auch 
noch  /,  m,  n  gewonnen  werden. 

Zu  diesem  Zwecke  wählen  wir  für  u,  ö,  xo  ein  System  von  Ver- 
rückungen Uj,  Dj,  »1,  das  sich  im  übrigen  innerhalb  k  regulär  ver- 
hält, aber  an  der  Stelle  a,  ä,  c  übereinstimmt  mit  demjenigen,  welches 
einer  Drillungsdeformation  mit  der  S.  384  eingeführten  Drillungs- 
funktion 


entspricht,  also  mit 


U'  =  - 

r 


ai  5^ 


r      w '  -  ^ß 


171)       «',  =  0,    t,',=-^=-^,    „',  =  _^»+^. 

Führt  man  in  der  Gleichung  (167")  diese  Werte  in  den  An- 
teil des  Integrales  links  ein,  welchen  die  unendlich  kleine  Kugel- 
fläche d  liefert,  so  erhält  man  nach  (169")  den  Wert  Null 

Die  dem  obigen  U^  entsprechenden  DriUungsdrucke  werden 
nach  (158') 

171')  X'  =  0,    t=-|c3f,     3'=+|c,-^; 

setzt  man  sie  neben  (168')  in  den  auf  die  Kugelfläche  bezüglichen 
Anteil  des  Integrales  rechts  ein,  so  erhält  man 

und  somit  das  Gesamtresultat 


§  22.     Oleiehgewieht  eines  beliebig  begrenzten  isotropen  Körpers,      397 


^^c^laic  =  fdo  [(Xuj  +  Yt)^  +  Zro^)  -  [k^u  +  ^^v  +  Siw)]  ,   171") 

worin  Xj ,  Di ,  S^  die  dem  oben  definierten  System  % ,  ö^ ,  Wj  ent- 
sprechenden Drucke  an  der  Oberfläche  des  elastischen  Körpers  be- 
zeichnen. 

Führt  man  Hilfsgrößen   u,,  t>^j  tP]  ein,    die   in   a,  &,  c   mit  den 
durch  die  Drillungsfunktion 


bestimmten 


»'  =  - 

r 


öl  öi 


übereinstimmen,  so  folgt  analog 

4nc^ma^c  =  Jdo[{X}i^  +  Tö^  +  ^2)  —  (V  +  ^^  +  3a^)]-  172') 

Endlich  liefert  ein  System  U3,  D3,  rOj,  welches  in  a,  i,  c  über- 
einstimmt mit  den  aus  der  Drillungsfunktion 

1 


folgenden 


r 


(üe  Formel 

4nc^naj,c  =  /rfo  [(Xi^  +  fS;  +  ^3)  -  {X^ü  +  f 3^  4-  3,^)] .     173') 

Werden  die  u^,  ü^;  ft);^  überdies  den  Bedingungen  unterworfen, 
daß  sie  an  der  Oberfläche  o  verschwinden,  so  erhält  man 

^nc^laic  =  fdo{XÜ^  +  5^1  +  ^1),  173") 


werden   sie   so   bestimmt,   daß   daselbst   die    ihnen    entsprechenden 
Drucke  gleich  Null  sind,  so  ergiebt  sich 

4^c,/a5c  =  -  fdo{l^u  +  %i+  äT^);  173'") 


Diese  Formeln  entsprechen  genau  den  für  t'^ahc  abgeleiteten  (170') 
und  (170")  und  gestatten,  wenn  für  einen  Eaum  k  die  zugehörigen 
"a>  ^hi  ^h  göfttiiden  sind,  die  Bestimmung  der  Drillungskomponenten 
/,  m,  n  für  eine  jede  Stelle  aus  gegebenen  Werten  der  Oberflächen- 
verrückungen  oder  Oberflächendrucke. 

Beide  Systeme  können,  abgesehen  von  der  Bedingung  der  Stetig- 
keit,  im   allgemeinen   beliebig  vorgeschrieben  werden;    nur  in  dem 


398  //.  Teil,     Mechanik  nicktstarrer  Korper,     IV,  Kap, 


Falle,  daß  auf  der  ganzen  Oberfläche  X,  1",  Z  vorgeschrieben  sind, 
müssen  diese  mit  den  X,  Y,  Z  zusammen  die  allgemeinen  mechanischen 
Q-leichgewichtsbedingungen  erfüllen. 

Wie  aus  gefundenem  i^-  allein  bei  gegebenen  m,  v,  Wj  aus  ge- 
fundenen iV-,  /,  m,  n  bei  vorgeschriebenen  X^  Y,  Z  sich  schheßlich 
die  Verrückungen  w,  r,  w  für  jede  Stelle  bestimmen  lassen,  ist  bereits 
auf  S.  392  erörtert  worden.  — 

Die  Bestimmung  geeigneter  Hilfsfunktionen  u^,  ö^,  m^  ist  im  aD- 
gemeinen  schwierig,  läßt  sich  aber  für  den  Halbraum,  den  wir 
durch  die  Bedingung  z  >  0  definieren  wollen,  verhältnismäßig  leicbt 
durchführen.^®) 

Bei  gegebenen  Oberflächenverrückungen  m,  r,  tr  handelt 
es  sich  zunächst  nur  um  die  Berechnung  von  &^  nicht  auch  voii 
/,  m,  n.  Für  dieselbe  ordnen  wir  dem  Punkte  a^b,c  seinen  Spiegel- 
l)unkt  a,  by  —  c  in  Bezug  auf  die  Ebene  z  =  0  zu  und  bezeichneu 
die  Entfernung  von  ihm  mit  r . 

Setzen  wir  dann 

_  _r r  ^  ^  r' 

~  bx        bx  ^     bxbx"* 


174) 


b-      b-,  ö»-, 

vt  *"  *■  O  *■ 


by        by  *     bybi 

öl     ai  b^\ 


bx    •    bx        *""»      bx*  ' 
so  genügt  dies  System  den  Hauptgleichungen  (166),  wenn 

174-)  r,=  rtj^_!^^? 

ist  Stimmt  für  r  =  0  überein  mit  u\  t)\  id'  in  (169X  verhält  sich  im 
übrigen  filr  z  >  0  regulär  und  verschwindet  für  z  =  0. 

Das  in  der  Formel  (170')  für  *  vorkommende  Integral  ist  hier 
über  die  Ebene  r  =  0  zu  erstrecken,  die  X,  %  3  sind  daher  mit 
X,,  ?).,  3a  identisch. 

Ihre  Werte  findet  man  leicht  zu 

r'  e'-  e* - 

174*^       .\\  =  —  4rr.  i    .    .  '^l.  =  —  4rr.  ^^ — ^.  i  =  —  4rr. -r-^. 


wonn 

174  ^  .  _  —  M    _      M 


§  22,     Der  Halbraum  bei  gegebenen  Oberfläehenverrüekungen,         399 


Vertauscht  man  weiterhin  a,  ä,  c  mit  x,  y,  2  und  bezeichnet  die  Ko- 
ordinaten von  do  mit  ar^,  y^,  um  &  sogleich  als  Funktion  von  x,  y,  z 
zu  erhalten,  wie  es  weiter  gebraucht  wird,  so  wird  aus  Formel  (170') 


r^    I   I  \         r      —     .  r      —   .        r  - 


wofür  man  auch  setzen  kann 

oder,  wenn  man 

JJ^  dx,  dy,  =A,   JJ-^  dx^  dy,  =  B,  JJ^  dz,  dy,=C      1 75') 
setzt, 

wo  P  eine  gegebene  Größe  bezeichnet 

A,  Bj  C  sind  nach  S.  158  NEWTON'sche  Potentialfunktionen  mit 
der  Konstante  /"=  1  von  Belegungen  der  XT-Ebene  mit  den  Dichtig- 
keiten Uj  V,  10 ;  sie  erfüllen  demgemäß  die  Gleichungen 

A^=  AB=  AC=0  176) 

und,  da  sie  symmetrisch  zur  Xr- Ebene  sind,  nach  Gleichung  (165') 
auf  S.  158  auch  die  anderen 


-— -=— 2;rM,     -^~=—27tv,     -5— =— 2;r«7.  176) 

ox  '      o*  l      ax  ' 

Auch  P  erfüllt  die  Gleichung  A  i^  =  0,  giebt  aber  für  z  =  0  auch 
dP/ör  =  0. 

Diese  Eigenschaften  zusammen  mit  der  allgemeinen  Beziehung, 
daß  für  eine  Funktion  y,  welche  die  Gleichung  a  y  =  0  erfüllt, 

Azq>^2d(pldz  176") 

ist,  kommen  nun  bei  der  Bestimmung  von  u,  v,  w  aus  dem  gefun- 
denen i^  zur  Anwendung. 

Die    Hauptgleichungen    (166)    für    w,  r,  w    nehmen   jetzt    die 
Form  an 

dy  dx^ 

a»p 


71  A  V  =^  c^ 


?rA»f  =^3^^,  , 


177) 


400 


//.  TeiL    Mechanik  nichtsiarrer  Körper.    IV,  Knp, 


die  Grenzbedingungen  lauten  für  z  =  0, 

177')  M  =  w,     »  =  17,    «?  =  «?. 

Aus  ihnen  kann  man  nach  dem  Vorstehenden  schließen 


177") 


»     dy 
o  ÖP 


dA 

dx' 


wodurch  alle  Bedingungen  befriedigt  sind. 

Die  Gleichungen  (177")  stellen  also  die  Lösung  des  Problemes 
der  Deformation  des  positiven  Halbraumes  durch  in  der  Grenz- 
ebene z  =  0  ausgeübte  Verrückungen  dar. 

Das  Resultat  drückt  sich  aus  in  Summen  über  die  Wirkungen, 
welche  die  einzelnen  Oberflächenelemente  ausüben.  Für  ein  einziges 
do  :=  q  im  Koordinatenanfang  und  einen  in  endlicher  Entfernung 
davon  befindlichen  Punkt  x,  y,  z  erhält  man  leicht,  falls 


.2  _ 


2 


^a 


r^  =  ar^  +  y^  +  jr 


177'") 


2nu Cj/ 


q  r 


f  («(3a*  -  1)  +  vaß  +  toar)+ufi. 


2nto        c^if 
r 


=  -^(«ya  +  »y/9  +  «.{3y*-l))  + 


w 


ein  Resultat,  das  sich  noch  vereinfacht,  wenn  man  nur  eine  der 
Komponenten  w,  w,  w  von  Null  verschieden  annimmt 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  die  im  Innern  des  Körpers  erregten 
Verrückungen  ein  Glied  enthalten,  das  von  dessen  elastischen  Kon- 
stanten vollkommen  unabhängig  ist  — 

Nicht  so  einfach  ist  der  Fall  gegebener  Oberflächendrucke. 

Zur  Bestimmung  von  &  hat  man  zu  setzen 


.  178) 


öl 


u  =  -.-^  +  -'--/+2z 


^^ 


dx 


d  X 


oy        Cf  äff 


-  +  2z 


_     »•        1      »■    ,   o 


dxdx' 

"h 

dydx' 

"h 

§  22,    Der  HaUbraum  bei  gegebenen  Oberflächendnteken,  401 

worin  der  zweite  Teil  sich  nur  durch  den  konstanten  Faktor  — .l/c, 
von  demjenigen  des  Ansatzes  (174)  unterscheidet,  also  den  Haupt- 
gleichungen genügt,  da  es  jener  thut;  der  Ansatz  verhält  sich  für 
r  =  0  wie  u',  ö', »'  in  Formel  (169),  ist  im  übrigen  für  z  >  0 
regulär  und  macht  f&r  z  =  0  auch 

3E.  =  II.  =  3.  =  0. 

Für  die  Ebene  z  =  0  giebt  er,  da 

1  +  1=  *" 


ist, 

i  =  -^^,     ^=^-/,     »  =  ^/,  178-) 

c  +  Cjöaj'  c  +  Ol  oy^  c  +Ci  dx^  ' 

und  man  erhält  aus  (17U'')  sogleich,   indem  man,   wie  oben,   a^bjc 
nunmehr  mit  x,  y,  z  vertauscht 


*=;i^)iiU^ 


178") 


Führen  wir  die  erste  abgeleitete  Potentialfunktion  tp^  eines  Massen- 
punktes Eins  im  negativen  Halbraume  von  S.  207  mit  der  Kon- 
stante /*=  1  unter  der  Bezeichnung  ein 

/'  =  /(Zj  +  z  +  O  179) 

worin  r'*  ==  (a:  —  x^^  +  (y  —  yi)*  +  (^  +  ^i)*  ist,  beachten,  daß  die 
Beziehung  gilt 

1^  =  1^  =  1,  179-) 

und  setzen  kurz 

ffX^'dx,dy,^Ä\  ffr^^dx,dy,^F,  ffzJ'dx,dy,^C, 

ö^'      (9^      öa^_p,  ^179") 

80  erhalten  wir 

1  SP* 

&=    ,  \    ,^-  179'") 

n(c  +  Cj)    ax  * 

A\  B\  C  sind  nach  der  Definition*  Potentialfunktionen  der 
Art  X  Von  Belegungen  der  Ebene  z  =  0  mit  den  Flächendichten 
X,  r,  Z  und  sie  genügen  demzufolge  den  Gleichungen 

A^'=  A5'  =  AC'^O;  180) 

ebenso  gilt  ersichtlich 

AP'  =  0.  1800 

Voier,  TbeoretiBche  Physik.  26 


402 


U,  TdL    Meohawik  niehUtarrer  Körper,    IV.  Kap, 


Femer  sind  dA'/dzj  dB"  /dz,  dC  jdz  die  NBwroN'schen  Plächen- 
potentiale  von  den  gleichen  Verteilungen,  wie  Ä\  B\  C,  und  es  gilt 
demgemäß  wie  in  (176')  för  2:  =:=  0 


180") 


^•^;  =  _2„j.  ?5=-2«i;  4^- -2«^- 


dx^ 


dx' 


dx' 


Diese  Eigenschaften  kommen  bei  der  Fortführung  unseres  Pro- 
blemes  zur  Anwendung. 

Zur  Bestimmung  von  /  ist  ein  System  u^,  D^,  id^  zu  finden,  das 
den  Hauptgleichungen  (166)  genügt,  sich  ftir  r  =  0  verhält  wie 
Uj,  bj,  Xo\  in  (171),  im  Halbraum  z  >  0  übrigens  regulär  ist  und  in 
der  Ebene  z  =  0  die  Drucke 

werden  läßt.  Man  erhält  ein  solches  mit  Hilfe  der  Ton  einer  im 
Spiegelpunkt  ti,b,—c  befindlichen  Masse  Eins  genommenen  Potentiiil- 
fiinktion 

in  der  Form 


181) 


"1  = 


2z 


»'i=+^  +  2^ 


dxdydx 

p,  dx 

dy' 

«y   ,  2«. 

8y*dx       c  +  c, 

ay 

dy* 

ay 

9y 

2c, 

ay 

ay 

dx 

al 

^  ~"         dy    *"        dydx*       e  -hCi  dydx       dydx^ 

welches,   wie  die  Berechnung   zeigt,   allen   gestellten  Bedingungen 
genügt 

Da  in  der  Grenze  z  =  0 


öl 

r 


'  dx  dx 

ist,  so  erhält  man 


dx 


9  7 


ö —       d-j  .j,  , 

— ^  =  —  =  4-   ^^ 
öy         öy  dydx 


^  c  +  Ci  dxdy         dxd\ 


181") 


t)i==  + 


40 


4(? 


öy 


öa?" 


^1  = ; —  ä-1-  • 


Dies  ist  nun  in  die  erste  Gleichung  (173")  einzusetzen,  wobei, 


§  22,    Der  BaXbraum  bei  gegebenen  Oberflächendnteken,  403 


wie  S.  399,  x,  y,  z  mit  x^,  y^,  z^  und  a^  b,  c  mit  x,  y,  z  vertauscht 
werden  mag,  um  /  für  den  Punkt  x,  y,  z  zu  berechnen. 
So  erhält  man  zunächst 

oder  wegen  des  Wertes  von  /j  der  d^/ /dzy^dy^  mit  d^/jdxdy 
und  d^xj^z^djfy^  mit  ^d^z'ldzdy  zu  vertauschen  gestattet,  bei 
Einführung  der  Abkürzungen  (179") 

Die  Berechnung  von  m  ist  nicht  erforderlich,  sondern  das  Re- 
sultat ist  aus  dem  vorstehenden  durch  Yertauschung  von  x  mit  y 
und  von  y  mit  —  jt  sogleich  zu  erhalten  wie  folgt: 

e  dP' 


m  s=s  — 


1       ö    /OB'  _  3A'\  -go'^ 


n  Ä 


71  (c"  —  Ci"J   dx 
Zur  Bestimmung  von  n  ist  zu  setzen 

woraus  durch  leichte  Rechnung  folgt 

27pr,  ö»  \  öa?  öy  /  *  ' 

Hiermit  sind  die  ü'j  lyfn,n  durch  die  gegebenen  Z,  7,  i?  voll- 
ständig bestimmt  und  es  erübrigt  nur  noch  die  Ableitung  der  ihnen 
entsprechenden  u,  Vj  w  aus  den  Hauptgleichungen  (166)  und  den 
Oberflächenbedingimgen  (1 66"). 

Letztere  nehmen  in  unserem  Falle,  wo  die  XZ- Ebene  die 
Grenze  büdet,  die  einfachere  Form  an 

dt*        1  ^     —  dv        1   V  ,   7     \ 

fix  C,  Cg 

Die  Grenzbedingung  für  tr  enthält  also  keine  Drillungskomponente 
und  ist  deshalb  die  einfachste.  Für  w  gelten  bei  Benutzung  des 
Wertes  (179'")  von  d^  die  beiden  Formeln 

26* 


404 


IL  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper,    IV.  Kap. 


d^P' 


183') 


-=  -  Aw, 


dP' 


c,  7r(c*  — Cj*)   dx 


denen  man  wegen  der  Eigenschaften  (180)  bis  (180")  der  A\  Jffj  C 
und  P\  sowie  wegen  der  allgemeinen  Beziehung  (176")  genügt  durch 


183") 


2Ätr  =  r— — r  H -= z-^ —   . 


(c  +  Ci)    '    r,  \d»        "  dx 
Für  t£  und  t7  lauten  die  Bedingungen 


184) 


1    d^P' 


nc^dxdx 


=  —  Att, 


1     d»P' 


ne^dydx 


=  —  Av, 


c,  7p(c*  — Cj*)   005         2nc^  dy  \dx  dy  )  dx  ^ 


1    ^ 


«P' 


1      9    /aB^        dA'\  ^  _d 


c,  7i(c*  — Ci*)   öy         27IC,  dx  \  dx  dy  I  dx  ' 


) 


Den  Hauptgleichungen  genügt  man  durch  die  partikulären  Lösungeo 
tt'  und  v\  gegeben  durch 


1840 


o  »       dA'  dP' 


dx 


o  ,       dB'  ÖP' 


welche  in  den  Grenzbedingungen  die  Glieder  X/c,  und  l'/^i  hinweg 
heben;  können  also  zwei  Funktionen  k"  und  v"  so  gefunden  wer- 
den, daß 

Att"==0,     Ar"  =  0, 


184") 


dP' 


1  ÖP' 


ö    /öjy 


+ 


23ie,  dy  \  dx 

1     ä 

27iCg  öa; 


—  ^\  _  du'' 

dy)"  dx' 

Idß  _  dA'\  ^  §^ 

V  öa?  öy  /  ö« 


27i(c  +  Ci)  3y 
wird,  so  giebt 

die  vollständige  Lösung. 

Dazu   definieren   wir   drei   neue  Funktionen   A^\  B^\  (T  da- 
durch, daß 

185)  ^'=^,    Ä'=.i^\     6^'=^^" 

also  auch 

185')  P'  = 


ap" 


ö» 


wird,  wo  P"  aus  J",  B",  C'  ebenso  gebildet  ist,  wie  F  aus  i^',  J,C\ 
und  nehmen  die  Gleichungen  (184")  als  fUr  alle  z  gültig,  so  daß 
wir  sie  integrieren  können.     Es  folgt  dann 


§  22,    Der  Halbraum  bei  gegebenen  Oberfläehendrueken,  405 


„  1         aP"    .      1      d    IdE'       dÄ" 

M     =   — 


27i(c  +  Oi)    dx         2ne^dy\dx  öy  / '    •  iqr"\ 

„^  1         dP" 1      d    IdW'       dA''\      ^  ^ 

^  2n(c  +  Ci)    dy         27ic,  öaj  V  ö»  öy  / ' 

wobei  je  eine  additive  Funktion  von  x  und  y  unbestimmt  bleibt,  die 
gleich  Null  gesetzt  werden  kann,  wenn  die  w",  t?"  den  Haupt- 
gleichungen genügen. 

Nun  sind  aber  nach  der  Definition  (179")  ^',^',_C'_Potential- 
funktionen  ebener  Verteilungen  von  den  Dichten  X,  Z,  Zj  wie  sie 
S.  207  als  erste  abgeleitete  bezeichnet  sind;  danach  sind  J^\E'\  C" 
die  entsprechenden  Potentialfanktionen  zweiter  Art,  genügen  nach 
der  Formel  (212')  auf  S.  207  auch  der  Gleichung  Aqp^O,  und 
gleiches  gut  somit  von  «"  und  »". 

Es  wird  hiemach  allen  Bedingungen  genügt  durch  die  defini- 
tiven Werte 

^    '^  dx  dx        e  +  c^    dx  By  \  dx  dy  j^  \    -loc/'^ 

2nc  v^  —  -z— ^  ^— 6    /ag"        dA''\  ^ 

*  dx  dy       ß  +  e^    dy         dx  \  dx  dy  ]*  ^ 

Die   Ausdrücke   für  u,  v,  to   nehmen   eine   besonders   einfache 

Gestalt  an,  wenn  an  der  Oberfläche  nur  normale  Drucke  wirken, 

also 

X=  7=0 
und  daher 


J'  =  5'  =  0,    P'=:-^^-, 


^"=J?»'=0,    P"=^-  =  (7' 


dx 

3C' 
dx 


186) 


ist;  sie  lauten  dann: 


*  dxdx       c  +  Cj     o» 

2  .     öyo»       c  +  Ci    öy    ' 

o  ö»0'     ,      2<T      dC 


1860 


und  C"  ist  definiert  durch 

C'^jJZ'x'dx^dy^. 

Die  gefundenen  Resultate  stellen  sich  dar  als  die  Summen  der 
Wirkungen,  welche  die  einzelnen  Flächenelemente  der  Grenzebene 
z  =  0  infolge  der  erlittenen  Drucke  X,  F,  Z  fortpflanzen.     Ist  die 


406  U,  Teil.    Mechanik  niehiatarrer  Korper,    IV.  Kap. 

ganze  Ebene  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Elementes  q  im  Eoordi- 
natenanfang  frei,  so  wird  für  Punkte,  die  in  endlicher  Entfernung 
von  q  liegen,  das  letzte  System  die  Gestalt  annehmen 


186") 


^Z 


af  c,         «1 


q  ir         c4-<?i  x  +  r\  ' 

[r    ^c  +  Ci    r  J' 


worin  r*  =  ar*  +  y2  +  z^  und  a  =  x/r,  ß  =  y/r,  y  =  z/r  ist 

Das  Gesetz  der  Ausbreitimg  der  Wirkung  ist  auch  in  diesem 

einfachsten  Fall  ziemlich  kompliziert 

Analoge  Behandlung,  wie  vorstehend  für  den  Halbraum  gezeigt 

ist,  gestattet  eine  planparallele  Schicht  und  eine  Voll-  oder  Hohl- 

kugel/^ 

Zu  neuen  interessanten  Verhältnissen  gelangt  man,  wenn  mau 

die  Oberflächendrucke  als  nicht  direkt  gegeben,  sondern  durch  einen 

ohne  Reibung  gegen  die  Oberfläche  gedrückten  zweiten   elastischen 

Körper  bewirkt   denkt    Auf  diese  Fälle  kann  hier  indessen  nicht 

eingegangen  werden. 


§  23.    Ein  durch  Einwirkungen  auf  die  Grundflächen  g^leichförmig 
gespannter  Cylinder  aus  beliebiger  homogener  Substanz. 

Es  sei  ein  Cylinder  aus  beliebiger  homogener  Substanz  ge- 
geben, und  es  seien  in  ihm  die  Deformationeu  x^,  ,,,  x  ,  und  dem- 
gemäß auch  die  Spannungen  X^,  •  •  •  -^y  längs  der  Axenrichtung 
konstant  angenommen.  In  diesem  Zustand  wollen  wir  den  Cylinder 
gleichförmig  gespannt  nennen.®^ 

Wählt  man  die  Cylinderaxe  zur  ^-Axe,  so  ergiebt  sich  ans 
dieser  Annahme  durch  eine  einfache  Rechnung  für  die  Ver- 
rückungskomponenten  u,  v,  w  die  allgemeiuste  Form 

u  =  U  +  z[f[  ^^g^Z'-hy), 

187)  t;  =r  +  z(/3-i(7,z  +  Är), 

w=-W+z{g^x+g^y-\-g^), 

worin  die  fj  g,  h  Konstanten  und  Z7,  V,  W  Funktionen  von  x  und  y 
allein  sind. 

Setzt  man  fest,  daß  für  ar  =  y  =  z  =  0 

iQ«,x  t\        j  öw   dv        dv        du       ^ 

187)    w  =  ü  =  ?r  =  0  und  3— =  ä— =  ä ^- =  0 

ox        ox        ox        oy 


§  23.    Ein  gleichförmig  gespannter  Oylinder, 


407 


ist,  (L  h.  daß  das  Teilchen  im  Koordinatenanfang  keine  Verschiebung 
und  keine  Drehung  um  die  Z-Axe  erleidet,  und  daß  das  benach- 
barte, ursprünglich  in  die  ^-Axe  fallende  Linienelement  seine  Rich- 
tung beibehält,  so  ergeben  sich  für  U,  F,  W  die  Bedingungen 

U=^r^W=  (g)  -  (1^)  =  0  für  .  =  0;  187") 

außerdem  wird  f^  =  f^  ^  0. 

Die  vier  Eonstanten  y^,  y,,  ff^  und  A  lassen  sich  leicht  deuten, 
denn  es  ist 

-  (^\  -  V 

___  ,    ö    idtc        du\  __        dm  _  , 


A  =i 


187'") 


also  bezeichnet  ^3  =  c  die  lineare  Dilatation  der  Axenfaser  des 
Stabes,  ff^  =  /',  —  ^j  =  wi',  ä  =  n'  die  resp.  Änderungen  der  Drillungs- 
komponenten Z,  TU,  n  nach  der  Axenrichtung. 

Infolge  der  Deformation  nimmt  die  Faser  des  Cylinders,  welche 
ursprünglich  in  die  ^T-Axe  fiel,  eine  geänderte  Gestalt  an. 

Führt  man  den  längs  dieser  Axenkurve  gemessenen  Abstand  s 
eines  ursprünglich  der  Koordinate  z  entsprechenden  Querschnittes  ein, 
so  ist  wegen  der  Kleinheit  der  Deformation  Z'  mit  dl/ds,  vri  mit 
dm/ds,  ii  mit  dnjds  zu  vertauschen,  m  und  — /'  sind  daher  zu- 
gleich auch  die  reciproken  Krümmungsradien  der  beiden  Kurven, 
welche  die  Projektion  der  deformierten  Axenfaser  auf  die  XZ-  und 
die  7^- Ebene  liefert,  beide  nach  der  Seite  der  positiven  X-  resp. 
JT-Axe  hin  positiv  gezählt;  da  ihre  Werte  von  z  unabhängig  sind, 
so  sind  beide  Kurven  Kreisbögen,  w'  ist  die  gegenseitige  Drehung 
zweier  um  die  Längeneinheit  voneinander  entfernter  Querschnitte 
z  =  Const  des  Cylinders.  Wir  können  daher  die  Größen  m,  V  weiter 
kurz  die  spezifischen  Biegungen,  v!  die  spezifische  Drillung 
des  Cylinders  nennen,  während  c   seine  spezifische  Dehnung  ist. 

Nach  (187'")  läßt  sich  nun  (187)  auch  schreiben 


u  =  U+  z{\mz  —  n'i/), 
V  =  r  —  z  (^  /'  2:  —  nx), 
w  ^  H  +  z (—  m'x  +  Vy  +  c'),   , 


188) 


408  II,  Teü.    Mechanik  niehtsiarrer  Körper.    IV.  Kap. 


und  dies  ergiebt  für  die  Deformationsgrößen  die  Werte 

/  du  dV  '      ,    7/      ,     ' 

^  ^  dW  r      .   dW  du    .   dV 


I    , 


+  -^:ry  ^x= -»'y +  -^»:rj    ^u^'^  + 


öy  '      *  ^  ^    dx  ^       y       dy  ^  dx  ' 

Für   die   Spannungen   gelten   im  Falle   des  Gleichgewichtes 
wegen  ihrer  Unabhängigkeit  von  z  die  Formeln 

dX       ex^  dT        dY„  dZ         dZ^ 

^  öx  oy  '  dx  dy  '  dx         dy  ^ 

und  für  Punkte  des  Cylindermantels,  der  als  frei  gedacht  sein  mag. 


1890 


I 


189")  < 


0  =  X^  cos  (n,  *)  +  X^  cos  (n,  y),    0=7,  cos  (n,  ar)  +  T^  cos  (b,  y), 

—  —         • 

0  =  Z^cos{nyx)  +  Z  cos{n,y). 

Aus  diesen  Formeln  folgen  für  die  Integrale  über  irgend  einen  nor- 
malen Querschnitt  des  Cjlinders  die  Beziehungen 

{  f^.dq  =  /  Yydq  =  /  TJq  =  f  ZJq  =  f  X^dq  =  0, 
fX^xdq  =  /  T^xdq  =  fZ^xdq  =  fX^xdq  =  0, 

/^,y  rf?  =  /  Y^ydq  =  /  I^i^rfy  =  fX^ydq  =  0, 

fZ^ydq=^  ^  fY^xdq, 

welche  u.  a.  aussagen,  daß  ein  Cylinder  die  vorausgesetzte,  län^ 
seiner  Axe  gleichförmige  Spannung  nur  besitzen  kann  imter  der 
Einwirkung  von  Kräften  auf  die  Grundflächen,  welche  über  diese 
summiert,  keine  Komponenten  normal  zur  Stabaze,  sondern  nur 
eine  solche  C  parallel  zu  ihr  und  außerdem  Momente  i,  Jf,  N  nm 
die  Koordinatenaxen  ergeben.     Es  gilt  nämlich 

(-/^.rfy=C,     -•JZ^xdq^-^M,     -fZ^ydq^+L, 

189'")     {  .  . 

l  S^.ydq^-Jr^xdq^iN, 

wobei  C,  Zf  M,  N  auf  die  am  positiven,  —C^  —  L,  —  M,  —  N  auf 
die  am  negativen  Ende  liegenden  Grundflächen  wirken. 

Die  Gleichungen  (189")  und  (189'")  können  dazu  dienen,  die 
Konstanten  der  Dehnung  und  Biegung  c\  /',  rn!  ganz  allgemein 
für  beliebigen  Querschnitt  und  beliebige  Orientierung  des  Cylinders 
gegen  die  Krystallaxen  zu  bestimmen.  Die  dritte  Gleichung  (107'") 
liefert  nämlich  unter  Rücksicht  auf  (188') 

1 90)    m  x^ry^c=  s^^  X^  +  s^^  Y^  +  s^^ Z^  +  j?,^  7,  +  ^35 Z^  +  s^ X^ , 

und   hieraus   folgt,   wenn   die   Z-Axe   durch   die   Schwerpunkte  der 


§  23,     Eüi  gleichförmig  gespcmnter  Cylinder,  409 

Querschnitte  des  Cylinders  geht  und  die  X-  und  F-Axe  deren  Haupt- 
trägheitsaxen  parallel  sind,  durch  Integration  über  den  Querschnitt 
nach  Multiplikation  mit  1,  resp.  x  oder  y 

qxlm':=s^^M^\s^^N,  1900 

worin  x^  und  x  die  Hauptträgheitsradien  des  Querschnittes  q  be- 
zeichneiL 

Diese  Formeln  zeigen,  daß  bei  Cylindem  aus  krystallinischer 
Substanz  ein  Drehungsmoment  um  die  Längsaxe  im  allgemeinen 
neben  der  Drillung  noch  eine  gleichförmige  Biegung  bewirkt,  deren 
Betrag  nach  den  Hauptebenen  XZ  und  TZ  durch  die  Moduln  s^^ 
und  «3g  gemessen  wird. 

Die  Bestimmung  der  spezifischen  Drillung  n'  ist  nicht  in  gleicher 
Weise  allgemein  durchführbar. 

Aus  der  vierten  und  fünften  Gleichung  (107'") 


'  190") 


folgt  zwar  auf  dieselbe  Weise  nach  Multiplikation  mit  x  resp.  y  und 
Integration 

qxin'+J^xdq  =  -  8^^M+  \8^^2f, 


qxlri-j^ydq  =  -  «^3  i  +  ^s^^N, 


19O"0 


aber  die  weitere  Entwickelung  verlangt  die  Kenntnis  der  Funktion  Wy 
für  welche,  wie  auch  für  U  und  F,  die  Bedingungen  sich  durch 
Einsetzen  der  Werte  (188')  für  die  Deformationsgrößen  in  die  Glei- 
chungen (189)  und  (189')  ergeben. 

In  dem  speziellen  Fall,  daß  ein  Moment  N  um  die  Z-Axe  nicht 
stattfindet,  kann  man  diesen  Formeln  sämtlich  genügen,  indem  man 

X,=  7^=7.  =  ^,  =  X^  =  0  191) 

setzt;  aus  (190)  folgt  dann 

^,  = -L  (TO'ar  _ />  -  cO,  191') 

und  dies  verlangt,  in  die  Gleichungen  (190"),  sowie  die  analogen  für 


410  //.  TßiL    Mechanik  mchtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


die  anderen  Deformationsgrößen  eingesetzt,  für  U,  F,  W  Funktionen 
zweiten  Grades  von  x  und  y,  deren  Konstanten  sich  sämtlich  durch 
die  Gleichungen  bestimmen,  welche  die  fünf  Deformationsgrößen 
x^j  y  j  y^,  z^,  X    durch  Z^  ausdrücken.    Setzt  man  speziell 

191")  r  =  ax  +  by  +  \cx^  +  dxy  +  \ey^, 

so  wird 

/dW  CdW 

-^xdq  =  qxld,      J^^ydq  =  q)4d, 

und  (190'")  giebt  nach  Elimination  von  d 

192)  2qn' =  -  (^^  +  ?^y, 

C  tritt  hierin  nicht  auf;  ein  longitudinaler  Zug  bewirkt  also  bei  der 
vorausgesetzten  Befestigungsart  weder  eine  Biegung  noch  eine 
Drillung. 

Ist  N  von  Null  verschieden,  so  kommt  zu  obigem  noch  ein  mit 
N  proportionales  Glied  hinzu,  das  sich  aber  nicht  allgemein  angeben 
läßt,  sondern  für  jeden  Querschnitt  besonders  bestimmt  werden  muß. 
Wir  schreiben  allgemein  kurz 

192')  2  y«'  =  -  («-^  +  ^)  +  (^  +  ^.)  .V, 

worin  die  Parameter  x^^  und  x^^  sich  leicht  durch  die  beiden  in 
(190'")  auftretenden  Integrale  ausdrücken  lassen. 

Man  bemerkt,  wie  die  Nebenänderungen  —  Drillung  bei 
biegenden  und  Biegung  bei  drillenden  Momenten  —  von  denselben 
Moduln  *43  =  Äg^  und  «53  =  s^^  abhängen;  sie  verschwinden  mit  diesen 
nach  S.  334,  sowie  die  CyHnderaxe  in  irgend  eine  elastische  Sym- 
metrieaxe  fällt.  — 

Die  Vergleichung  der  obigen  Formeln  (190')  und  (192^  zeigt 
daß  man  setzen  kann 

i\9ö)  ^  -  dC      ^~ÖL'    '"""öS'     "^"FN' 

worin 

2p'^Ä^C^    und 

193')  2p  ^  A,,L^  +  A,^}P  +  A^^N^ 

+  2Ä,,ZN+2A^,MN 

ist,  und  die  Ä  aus  dem  Vorstehenden  sich  ablesen  lassen.  Ebenso 
muß  dann  auch  geschrieben  werden  können,  was  für  später  notiert 
werden  möge 

194)  C=^-7,   L  =  ^jr,   -^=ä— 7?    ^=3-7> 


§  23,    Em  gkiehßrmig  gespannter  Cylinder. 


411  ^ 


wonn 


2P'  =  a^c'2   und 


2P  =  Oji  /'«  +  a,,m'»  +  «33«'«  J  194') 

ist;    die   Xoefficienten  a  hängen   mit   den   Ä  zusammen   durch   die 
Formeln: 

S  ~  T  >    -^^1  ^  -^22  -^88  ""  ^33?    -^^22  ~  ^11  ^88  ~  ^18' 

"^^S  ~  -^11  -^22»    "^^8  ~  ""  ^11  -^28>    -^^81  ^  "■  -^22  -^18' 

-ö«12  =  ^28  ^18 


und 


i>  = 


0 


11 


0 

A^ 

-i,. 

^28 

^. 

-^8 

194") 


T8 

Wenn  die  Moduhi  s^^  und  ^35  und  damit  die  Nebenänderungen  ver- 
schwinden, folgt  aus  (190') 

qc=8^^C,     qxlm'^s^^M,     qxlV  ^  s^^L  195) 

und  aus  (192') 


und  in  (193')  wird 
in  (194') 


4^4    —  rt 


23 


^3  =  «18  =  «12  =  0. 

Hieraus  erhält  man  die  für  isotrope  Körper  gültigen  Formeln, 
indem  man  nach  S.  337  setzt 


*88  ""  *' 


8 


44 


=  *56=2ä3  =  2(*-äJ.    — 


Die  vorstehenden  Betrachtungen  liefern  strenge  Lösungen  des 
Gleichgewichts-Problemes  eines  nur  auf  den  Grundflächen  von 
Oberflächendrucken  beeinflußten  Cylinders,  wenn  letztere  eben  die- 
jenige Verteilung  über  die  Grundflächen  besitzen,  welche  die  spe- 
ziellen Werte  von  ?7,  V^  W  verlangen.  In  Wirklichkeit  fehlen  die 
Mittel,  über  die  Verteilung  dieser  Drucke  willkürlich  zu  verfügen,  und 
man  kann  nur  ihre  Komponenten-  und  Momentensummen  über  die 
ganze  Grundfläche  vorschreiben.  Trotzdem  giebt  die  obige  Ent- 
wickelung  praktisch  brauchbare  Lösungen  des  genannten  Problemes 
überall  da,  wo  die  Länge  z^  des  Cylinders  groß  gegen  seine  Quer- 
dimensionen ist;  denn  man  kann  annehmen,  daß  in  einiger  Ent- 
fernung von  den  Grundflächen  die  Art  der  Verteilung  der  äußeren 
Drucke  über  jene  keinen  Einfluß  mehr  übt,  sondern  nur  die  durch 
sie  bewirkten  Gesamtkomponenten  und  -momente.®^) 


412  IL  Teil,    Meehamk  mchtsta/rrer  Körper.    IV.  Kap. 

Die  erhaltenen  Lösungen  gestatten  auch  eine  Anwendung  auf 
den  Bewegungszustand,  wenn  die  äußeren  Bedingungen  derartige 
sind^  daß  sie  überhaupt  eine  Deformation  der  behandelten  Art  zu- 
lassen, und  die  Bewegung  eine  so  langsame  ist,  daß  in  den  allge- 
meinen Bewegungsgleichungen  (118)  die  Beschleunigungen  neben  ein- 
zelnen der  übrigen  Glieder  vernachlässigt  werden  können.  Dies 
findet  in  dem  wichtigsten  Falle  periodischer  Bewegungen  immer 
dann  statt,  wenn  die  Länge  X  der  Welle  gleicher  Periode,  welche 
die  vorausgesetzte  Bewegungsart  bei  einem  unendlichen  Cylinder 
gleicher  Natur  erregen  würde,  sehr  viel  größer  ist,  als  die  Länge  z^ 
des  betrachteten  Cylinders  selbst 

Teilt  man  nämlich  dann  den  unendlichen  Cylinder  in  Abschnitte 
von  der  Länge  r^,  so  ist  jeder  einzelne  als  gleichförmig  gespannt 
anzusehen  und  die  hier  räumlich  aufeinander  folgenden  Zustände 
sind  dieselben,  welche  bei  dem  betrachteten  Cylinder  von  der  Länge 
Zj  zeitlich  nacheinander  eintreten.  Veränderlich  mit  der  Zeit  sind 
in  diesem  Falle  in  obigen  Formeln  nur  die  vier  Parameter  c',  /',  m',  n 
der  Deformation. 


§  24.     Gleichgewicht  und  Bewegung  eines  unendlich  dünnen 

cylindrischen  Stabes. 

Es  sei  nunmehr  ein  gegen  seine  Länge  unendlich  dünner  Stab 
gegeben,  der,  obwohl  ursprünglich  gerade,  durch  die  Einwirkung  von 
körperlichen  Kräften,  die  auf  seine  Elemente,  und  von  Oberflächen- 
drucken, die  auf  seine  Endquerschnitte  wirken,  beliebige  endliche 
Gestaltsänderungen  erlitten  hat,  doch  so,  daß  die  Deformations- 
größen überall  unendlich  klein  sind. 

Wir  betrachten  ein  Element  des  Stabes,  welches  ursprünglich 
von  zwei  Querschnitten  q  und  q'  im  Abstand  ds  begrenzt  ist  Da 
die  Deformationsgrößen  stetige  Funktionen  der  Axenrichtungen  sein 
müssen,  so  läßt  sich  ds  stets  so  klein  wählen,  daß  ihre  Veränder- 
lichkeit parallel  der  Axe  innerhalb  des  betrachteten  Elementes  be- 
liebig klein  ist  und  vernachlässigt  werden  kann,  ohne  daß  dabei  ds 
klein  gegen  die  Querdimensionen  des  Cylinders  zu  werden  braucht. 
Das  Stabelement  ist  dann  gleichförmig  gespannt,  und  wir  können 
auf  dasselbe  die  Resultate  des  vorigen  Paragraphen  anwenden. 

Wir  beziehen  es  zu  dem  Zwecke  einmal  auf  ein  in  dem  Schwer- 
punkt des  Querschnittes  q  angebrachtes  Koordinatensystem  -I,  i\  Z. 
dessen  Axen  gemäß  den  Formeln  (187')  mit  dem  Element  verbunden 
sind,   und   außerdem  auf  ein  absolut  festes  System  5",  jff,  Z.    Die 


§  24.    Ein  unendlieh  dünner  eiastiaeher  Oy linder.  418 


Orientierung  des  Systemes  JT,  Y^  Z  gegen  Ai  H,  Z  soll  gegeben  sein 
durch  das  Schema 


X 

Y 

Z 

M 

«1 

«» 

«8 

H 

A 

Ä 

A 

Z 

Vi 

Yt 

Yi 

I,  f}j  ^  mögen  dabei  die  Koordinaten  eines  Punktes  der  Stabaxe  nach 
der  Deformation  sein,  der  vor  der  Deformation  die  Koordinaten 
1  =  0,  17  =  0,  f=8«  besaß. 

Die  HAMiLTON'sche  Gleichung  läßt  sich  dann  nach  S.  228  und 
229  schreiben 

Jdtjdq[fds  (Syj  -  *9>  +  S\)  +  8'aQ  +  S'a^]  =  0,       196) 

worin  Stfß  die  Variation  der  lebendigen  Kraft,  Stp  diejenige  des 
elastischen  Potentiales  der  Volumeneinheit,  S^a^  die  virtuelle  Arbeit 
der  auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  körperlichen  Kräfte  bezeichnet, 
und  S^cCq,  8^a^  die  virtuellen  Arbeiten  der  auf  die  Endquerschnitte 
8  ==  s^  und  s  =  8^  ausgeübten  und  auf  die  Flächeneinheit  bezogenen 
Oberflächendrucke  bedeuten. 

Zur  Berechnung  der  lebendigen  Kraft  d8f\pdq  eines  Abschnittes 
des  Stabes  von  der  Länge  d8  setzen  wir  voraus,  daß  die  lebendige 
Kraft  der  Deformation  verschwindend  gegen  diejenige  der  Translation 
und  Botation  ist,  d.  h.  daß  wir  das  Element  als  undeformiert  bewegt 
ansehen  können.    Dann  ist  nach  Formel  (123")  des  ersten  Teües 

+«(!!)■+ «.■te)'+«(i-:)'l»*. 

worin  k^  A  ,  k^  die  unendlich  kleinen  Trägheitsradien  des  Volumen- 
elementes um  die  Hauptträgheitsaxen  durch  seinen  Schwerpunkt, 
welche  mit  den  Koordinatenaxen  Xj  F,  Z  parallel  sind,  bezeichnen; 
hl  ist  dabei,  wie  leicht  ersichtlich,  =  xj  +  x^,  wo  x^^  und  x  die 
frühere  Bedeutung  haben. 

Hierin  können  die  Glieder  hl{dljdff  und  ky{dmjdt)^  nur 
dann  endliche  Werte  haben,  wenn  ö|/ö^,  dfijdt,  d^/dt  unendlich 
schnell  mit  8  wechseln,  und  können  daher  fortbleiben,  wenn  dieses 
ausgeschlossen  wird;  dnjdt  steht  mit  jenen  Größen  in  keinem  Zu- 
sammenhang.   Daher  reduziert  sich  die  obige  Gleichung  auf 


414  //.  TeiL    Mechanik  niehUtarrer  Körper.    IV.  Kap. 


ds  l  rüdcf  =^  Tds 


iseo 


t  j  rpdq  =^ 


worin  T  nunmehr  die  lebendige  Kraft  der  Längeneinheit  des  Stabes 
bezeichnet. 

Analog  machen  wir  für  die  Berechnung  der  virtuellen  Arbeiten 
d^cc^j  S'uq,  S'a^  der  körperlichen  Elräfte  und  der  Oberflächendrucke 
die  Annahme,  daß  die  Arbeit  der  Deformation  jener  Ejrafte  neben 
derjenigen  der  Translation  vernachlässigt  werden  könne. 

Bezeichnen  wir  die  Komponenten  der  auf  die  Yolumeneinheit 
des  Stabes  bezogenen  körperlichen  Kräfte  nach  den  absolut  festen 
Axen  mit  ^,  IT,  Z'  und  nehmen  an,  daß  die  körperlichen  Kräfte  um 
Parallele  zu  diesen  Axen  durch  das  betrachtete  Yolumenelement 
keine  endlichen  Momente  ergeben,  so  ist 

196")       dsfdqS'a  =  ySds  =^  giS^Si+STSv  +  Z'S^ds. 

Ebenso  findet  sich,  wenn  man  die  auf  die  Endquerschnitte  y^,  wo 
k  gleich  0  oder  1  ist,  ausgeübten  Gesamtkomponenten  und  Mo- 
mente mit 


u4„  B„  I\,  A„  M„  iV, 

und  die  virtuellen  Drehungen  um  die  Parallelen  zu  den  festen  Axen 
S,  H,  Z  durch  die  Schwerpunkte  der  Endquerschnitte  mit  ^'A^,  S'ftff 
S^Vj^  bezeichnet, 

(  fdg  8'a^  =  S'8^ 
196'")  J    ^       ^  ^ 

S^S  und  S'Sj^  sind  neue  Bezeichnungen. 

Die  Variationen  des  elastischen  Potentiales  für  das  Volumen  q  ds 
können  wir  nach  (17"')  schreiben,  da  Sa.=  —  Jqp  ist, 

,   xr  (ddw    .    ddv\    ,    „  (ddu   .    döw\    ,    ^  fdÖv    ,    ddu\] 

Nun  ist  aber  nach  (189)  und  (189')  für  jeden  Querschnitt 
zwischen  q^  und  7^,  wie  sich  durch  eine  teilweise  Integration  leicht 
zeigen  läßt, 

J     ^  l   '  dx  y  dy  '  dy  '        *öx     '      9\dx         dff  }\ 

und  man  erhält  durch  Addition  der  letzten  beiden  Formeln 


j 


§  24,    Ein  unendliöh  dünner  elasHaeh^r  Oy linder,  415 


äsfs^d,  =  -  äs  Ja,  [Zj-^  +  Z/-^  +  Z,^^] .        197) 

Hierein  sind  die  Werte  (188)  von  u,  v,  tr  zu  setzen  und  in  ihnen  die 
Variationen  auf  c,  l%m',7i  zu  beziehen;  nach  Ausführung  der  Differen- 
tiation nach  z  darf  man  in  denselben  r  =s  0  setzen,  da  jeder  Quer- 
schnitt zwischen  q^ .  und  q^  beliebig  zum  Querschnitt  ar  =  0  gemacht 
werden  kann. 

So  erhält  man 

^-^^-ySn',     ^^+xdn',    ^  =  -  xSm' +  ydl' +  de',     19T) 

und  durch  Einsetzen  der  Werte  in  Formel  (197)  und  Ausführung 
der  Integration  unter  Bücksicht  auf  die  Gleichungen  (189'") 

dsfS(pdq  «  (Z3l'  +  MSm'  +  IfSn  +  CSc')ds,  197") 

Bei  der  Ableitung  dieser  Formel  ist  bezüglich  der  Verrückungen 
UjVyW  nur  allein  benutzt,  daß  die  Deformationsgrößen  TOn  z  unab- 
hängig sind,  bezüglich  der  Druckkomponenten,  daß  sie  den  Formeln 
(189)  und  (189')  genügen;  dagegen  ist  von  den  speziellen  Werten, 
welche  die  X^, ...  X„  in  der  Elasticitätstheorie  besitzen,  kein 
Gebrauch  gemacht,  —  die  Resultate  haben  also  sehr  allgemeine 
Bedeutung. 

Nach  (194)  und  (194^)  ist  aber  in  dem  speziellen  Falle,  daß  die 
Ansätze  (107")  resp.  (107"')  der  Elasticitätstheorie  gelten 

^      aP'        r      dP      ji^      dP       1^     dP 

worin  2F  ^  a^c'\ 

2P=aiiZ'*+aj,m'«+a33  7i'*+  2a^mn  +  2a^^nl'  +  2a^^l'm 

ist,  und  die  a^j^  durch  die  Elasticitätsmoduln  der  Substanz  und  die 
Gestalt  des  Querschnittes  bestimmt  sind. 

Sonach  nimmt  die  Formel  (197")  in  unserem  speziellen  Falle 
die  einfache  Gestalt  an: 

dsf8(p  dq  =  (Z  SV  +  MSm'  +  Ndn'  +  CSc)  ds  =  {ßP+  SF)  ds.  197"') 

Dabei  ist  es  nützlich,  hervorzuheben,  daß  nach  der  Ableitung 
auf  S.  411  a^  in  Bezug  auf  die  Querdimensionen  des  Stabes  vom 
zweiten,  die  Hj^j^  aber  vom  vierten  Grade  sind. 

unter  B^ücksichtigung  der  vorstehenden  Resultate  nimmt  die 
HAHiLTON'sche  Gleichung  (196)  die  Form  an: 

ti        «1 
fdt[Jds(dT^  8F^  SP+  d"Ä)  +  J'5o  +  <yÄi]  =  0.       198) 


416  27.  Tßil    Mechanik  niohtatarrer  Körper,    IV,  Kap, 

Ist  der  Stab  bei  gegebenen  Positionen  der  Endquerschnitte  und 
ohne  die  Einwirkung  körperlicher  Kräfte  im  Gleichgewicht,  so 
reduziert  sich  die  Gleichung  einfach  auf 

»I 
198')  fds{dF  +  8P)=^0. 

Hierin   enthält  8P  nur  81%  Sm,  Sn']  wir  woUen  für  SF  =  CSc 
einen  entsprechenden  von  Sl,  Sniy  Sn  abhängigen  Wert  bilden. 

Dazu  beachten  wir,  daß,  wenn  A,  B,  F  die  gegen  einen  Quer- 
schnitt q  wirkenden  Gesamtkomponenten  parallel  den  absolut  festen 
Axen  bezeichnen,  dann  die  Gleichungen  (189),  auf  ein  zwischen 
zwei  Querschnitten  q^  und  q\  liegendes  Stück  des  Stabes  angewandt, 
ergeben,  daß  A,  B  und  F  längs  des  ganzen  Stabes  konstant  sein, 
also  auf  beide  Endquerschnitte  q^  und  q^  entgegengesetzt  gleiche 
Kräfte  wirken  müssen.  Gleiches  gut  beiläufig  yon  den  Momenten 
Aj  M,  N  um  die  festen  Axen. 

Nun  sei  die  Z-Axe  in  die  Richtung  der  auf  den  Endquerschnitt 
ji  wirkenden  Kraft  gelegt,  also  ^  =  5  =  0,  dann  ist  C  =  ryy, 
falls  ^3  den  Cosinus  des  Winkels  zwischen  der  Z-Axe  und  ds  an 
der  betrachteten  SteUe  bezeichnet,   imd   es   ist  F  längs  s  konstant 

Um  dann  die  virtuelle  Änderung  von  c'  zu  bestimmen,  hat  man 
zu  bedenken,  daß  die  virtuelle  Verrückung  die  Stabaze  nicht  zer- 
reißen darf,  also  eine  stetige  Funktion  von  s  sein  muß,  im  übrigen 
aber  beliebig  ist  Man  erhält  sogleich  das  veränderliche  Produkt 
y^Sc',  durch  Sl,  Sniy  Sn  ausgedrückt,  wenn  man  die  virtuelle  Ver- 
rückung so  vornimmt,  daß  alle  Punkte  der  Stabaxe  um  beliebige 
Beträge  normal  zur  Z-Axe  verschoben  werden;  dann  wird,  wie  eine 
einfache  geometrische  Betrachtung  zeigt 

/3  Sc  =  S/s  =  Ä  *^  -  ^3  ^^y 
also  die  Gleichung  (198^)  zu 

198")  Jd8{SP+FSrs)  =  0, 

wo  F  längs  s  konstant  ist 

Diese  Formel  vergleichen  wir  mit  der  im  §  14  des  ersten 
Teiles  für  die  Rotation  eines  schweren  starren  Korpers  lun  einen 
festen  Punkt  ebenfalls  aus  dem  HAMiLTOK'schen  Prinzip  abgeleiteten 
Gleichung  (134"'),  welche  lautet 

k 
198'")  Jdt{SW  +  GsSy^)  =  0; 

<0 


§  24,    Ein  tmendlich  dünner  etastiseher  Cy linder.  417 


hierin  ist  V  die  lebendige  Kraft  des  starren  Körpers,  G  sein  Ge- 
wicht, s  der  Abstand  seines  Schwerpunktes  vom  festen  Punkte  und 
yg  der  Cosinus  des  Winkels  zwischen  der  Richtung  von  s  und  der 
Richtung  der  Schwerkraft. 

Führt  man  ein  im  Körper  festes  Koordinatensystem  J,  ¥,  Z  ein, 
dessen  Anfang  in  dem  festen  Punkt  und  dessen  Z^Axe  in  s  liegt,  so 
ist  W  nach  S.  107  eine  quadratische  Form  der  Botationsgeschwin- 
digkeiten  /',  m',  n'  um  die  Axen  Z,  Yj  Z,  und  zwar  gilt 

worin  £,  H,  Z  die  Trägheitsmomente,  E',  H',  Z*  die  Deviations- 
momente um  die  Axen  X,  Yj  Z  bezeichnen. 

Hält  man  hiermit  zusammen,  daß  nach  (194') 

2P  =  «11  r  2  +  aj2  m'^  +  «33  n  2  +  20^3  mn  +  203^  »7'  +  2a^^  l'm 

ist,  so  erkennt  man,  daß  die  formale  Übereinstimmung  der  Glei- 
chungen (198")  und  (198"')  eine  vollständige  ist. 

Es  entspricht  daher  jedem  Stab  von  gegebener  Substanz  und 
gegebenem  Querschnitt  ein  starrer  Körper  von  bestimmten  Trägheits- 
und Deviationsmomenten;  es  entspricht  der  längs  9  wechselnden 
Lage  der  im  Querschnitt  des  Stabes  festen  Axen  Z,  JJ  Z  gegen  das 
absolut  feste  System  S,  H^  2  die  mit  der  Zeit  veränderliche  Lage 
der  im  starren  Körper  festen  Richtungen  -I,  Z,  Z\  es  entsprechen 
den  für  das  Ende  ä  =  0  geltenden  Richtungen  der  im  Stabquer- 
schnitt festen  Z,  7,^- Axen,  sowie  den  dort  stattfindenden  spezifi- 
schen Biegungen  und  Drillungen  dl/ dz,  dmjdz,  dnjdz  eine 
Anfangsposition  des  starren  Körpers  und  Anfangsrotationsgeschwindig- 
keiten dl/dt,  dmjdt,  dnjdt 

Ein  Unterschied  liegt  aber  darin,  daß  bei  dem  Rotationsproblem 
die  letzteren  Größen  direkt  gegeben  sind,  bei  dem  elastischen  hin- 
gegen die  auf  den  letzten  Querschnitt  wirkenden  Momente  Z^,  M^,  i\^, 
aus  denen  sich  zunächst  die  A,  M,  N  um  die  absolut  festen  Axen  be- 
stimmen, und  da  diese  längs  des  Stabes  konstant  sind,  auch  die  auf 
die  vorgeschriebenen  Axenrichtungen  X,  J",  Z  bezogenen  Z^,  M^,  Nq, 
die  im  ersten  Querschnitt  y^  wirken.  Aus  ihnen  folgen  aber  die 
/^,  m^,  n;  für  jenes  Ende  gemäß  den  Formehi  (190')  und  (192'). 

Hiernach  kann  man  behaupten,  daß  das  elastische  Problem  auf  das 
rein  mechanische  zurückgeführt  ist,  und  daß  jeder  spezielle  Fall,  für 
welchen  das  Rotationsproblem  eines  schweren  starren  Körpers  um 
einen  festen  Punkt  gelöst  ist,  zugleich  die  Lösung  eines  elastischen 
Problemes  liefert,  das  mit  ihm,  wie  oben  gezeigt,  zusammenhängt.®*)  — 

Voigt,  Theoretische  Physik.  27 


418  IL  Teil,    Mechanik  niehUtarrer  Körper,    IV.  Kap. 


Die  allgememe  Gleichung  (198)  giebt,  wie  für  die  endlichen 
Deformationen  unendlich  dünner  ursprünglich  gerader  Stabe, 
auch  die  Mittel  für  die  Behandlung  derjeniger  ursprünglich  ge- 
krümmter,  wenn  man  nur  die  Überlegung  zu  Hilfe  nimmt,  daß 
die  Momente  L^  M,  N,  welche  nötig  sind,  um  aus  der  ursprünglich 
gekrümmten  Gestalt  (a)  den  Stab  in  die  neue  {b)  zu  bringen ,  für 
jedes  Element  durch  die  Differenzen  derjenigen  gegeben  sein  müssen, 
welche  das  Element  aus  der  geradlinigen  Form  einmal  in  die 
Form  (Ä),  das  andere  Mal  in  die  Form  (a)  überfuhren. 

Der  Fall  eines  nicht  isotropen  Körpers,  der  wegen  der  von 
Element  zu  Element  wechselnden  Orientierung  der  Äxen  XfT^Z 
gegen  die  Hauptaxen  der  Substanz  große  Schwierigkeiten  bieten 
würde,  darf  hierbei  ausgeschlossen  werden.  Für  isotrope  besteht 
die  Erweiterung  darin,  daß  an  Stelle  der  Funktion  2P  auf  der 
Torigen  Seite  die  neue  tritt 

worin  /«,  m^j  ria  die  dem  ursprünglichen  Zustande  des  Stabes  ent- 
sprechenden Werte  von  /',  m',  n   bezeichnen. 

Die  Gleichgewichtsbedingungen  werden  dann  in  derselben  Weise 
durch  Benutzung  der  HAMiLTON'schen  Gleichung  erhalten,  wie  in  dem 
Fall  des  ursprünglich  geraden  Stabes.®'*) 

§  25.  unendlich  kleine  Verrückangen  ursprünglich  gerader  Stabe;  Saiten. 

Wir  wollen  nun  annehmen,  was  der  praktisch  wichtigste  Fall 
ist,  daß  die  Verrückungen  aller  Punkte  des  ursprünglich  geraden 
Cylinders  aus  ihren  Ruhelagen  nur  unendlich  klein  sind;  hier 
sind  dann  auch  die  Axen  X,  J,  Z  an  jeder  Stelle  nur  um  unendlich 
kleine  Winkel  gegen  die  Axen  ä,  H,  Z  geneigt. 

Für  einen  beliebigen  Punkt  der  ursprünglich  in  die  Z^Axe  fallen- 
den Stabaxe  darf  man  jetzt  in  erster  Näherung  setzen: 
199)  i'^u,     rj  =  v,     C^  z  +  u>, 

wo  nun  w,  v,  w  Funktionen  von  z  und  t  allein  sind.  Gleichfalls  in 
erster  Näherung  ist  dann  nach  (188) 

worin  n  den  Drehungswinkel  des  Querschnittes  um  die  Z-  oder 
Z-Axe  bezeichnet.  Da  femer  /'=  dl\dz^  m'=  dm  jdz  gesetzt  war, 
so  ist  auch 

199")  l^-ll,     .=  +||, 


§  26,     Unendlich  kleine  Verrüehmgen  ektsHacher  Stäbe. 


419 


199'") 


wobei    die   Integrationskonstanten    als    weiterhin    irrelevant    unter- 
drückt sind. 

Unter  Berücksichtigung  dieser  Werte  wird  nun  das  System  der 
Formeln  (196'),  (197'"),  (196")  und  (196"') 

"-i'^  Kr:)'+  *(l7)'+  *('.")'+  w  +  «.v(li)']. 

Wir  setzen  diese  Werte  in  die  HAMiLTON'sche  Gleichung  (198)  ein 
und  zerlegen  sie,  indem  wir  je  nur  u,  nur  r,  nur  ir,  nur  n  variieren. 
Wir  erhalten  auf  diese  Weise: 

fdt{Jds  [^qgSl^^J-  CS^^  +  qZ'Su>'\+r,Su>^  +  r,8w,\  =  0, 

Hierin,  wie  im  folgenden,  sind  die  Integrale  nach  t  zwischen  zwei 
beliebigen  Grenzen  t^  und  ^,  diejenigen  nach  z  über  die  ganze  Länge 
des  Stabes,  d.  h.  von  z  =  0  bis  2:  =  z^  |zu  nehmen;  in  der  letzten 
Gleichung  ist  xj  +  x^  in  x^  abgekürzt 

Entwickelt  man  diese  Formeln  in  bekannter  Weise,  so  ergiebt 


200) 


sich  für  alle  Punkte  der  Z-Axe 


d^v 


d*w         ,    ö(7    ,       „,  id*n         . 


9 

dN 


ö«' 


200') 


fiir  die  Grundfläche  z  =  0 


dM 

dx 


-^0=0, 


ÖL 

dx 


+  ^0  =  0; 


200") 


27' 


420  IL  Teü,    Mechanik  niehtstarrer  Körper.    IV,  Kap, 


für  die  Grundfläche  r  =  z^ 

Im  Falle  des  Gleichgewichtes  muß  zugleich  nach  allgemeinen 
mechanischen  Grundsätzen  gelten,  da  sich  dabei  die  äußeren  Wir- 
kungen zerstören  sollen, 

lA^-^A^  +  qfSdz^B^  +  B^+qflTdz^r^+r^  +  qfTdz 

200"")  =  ^^  +  iVj  =  0. 

yM^  +  M^  +  z^A^  +  qfzS'dz^A^  +  A^-^z^B^-qfzH'dz^^, 

Hierzu  kommen  unter  den  S.  344  angegebenen  Umständen  noch 
die  Bedingungen  der  Befestigung,  auf  die  wir  unten  näher  eingehen 
werden. 

Alle  diese  Formeln  sind,  wie  Gleichung  (197"'),  von  den  spe- 
ziellen Gesetzen,  welche  die  Komponenten  und  Momente  mit  den 
Deformationsgrößen  verbinden,  unabhängig,  besitzen  also  eine  sehr 
allgemeine  Anwendbarkeit. 

Auf  die  uns  hier  speziell  beschäftigenden  elastischen  Erschei- 
nungen wendet  man  sie  an,  indem  man  für  Cy  Lj  M,  N  die  Werte 
(194)  unter  Berücksichtigung  von  (194')  und  (199')  einführt. 

Wir  wollen  zunächst  die  Frage  erledigen,  welche  Grenzbedin- 
gungen nötig  sind,  um  mit  den  Hauptgleichungen  (200')  zusammen 
die  Deformationen  vollständig  zu  bestimmen. 

Zur  Behandlung  des  Gleichgewichtszustandes  fassen  wir  die 
Formeln  (200'),  nachdem  die  Beschleunigungen  darin  gleich  Null 
gesetzt  sind,  mit  den  Faktoren  «,  i?,  «?,  n  zusammen  und  integrieren 
das  Resultat  über  z  von  z  =  0  bis  z  ^  z^\  wir  erhalten  dann  unter 
Benutzung  der  Grenzbedingungen  (200")  und  (200"') 

+  ?/(£"  M  +  ff'  t;  +  Z'  w)  dz. 

Führt  man  noch  die  Beziehungen  (200"")  und  die  durch  (194)  und 
(194')  definierten  Funktionen  P  und  P'  ein,  so  erhält  man 


201) 


§  25.     UnendHeh  kleine  Verrüekungen  elastischer  Stäbe.  421 

0  =  [«1  -  «0  -  ^1  (öl)  J  A  +  [»1  -  »0  -  •^i  (^^)  J  ^1  +  K  -  «'o)  ^1 

[(r:).-(äl«.-[(r.l-(älA+!».-».)'^. 


+ 


201') 


-2/(P+Pyz+,/{F[«-«o-  .  g|)J  +if 

+  Z^w  —  WQudz, 

Hierin  können  wir  den  von  den  anderen  Gliedern  unabhängigen, 
nämlich  allein  w  enthaltenden  Teil 

0  =  («?i  -  w,)r^  -  2frdz  +  qfZ'(w  -  w^)dz 

zuerst  für  sich  betrachten. 

Da  2P^  =  aQ{dw I dz)^  ist,  so  kann  man  aus  dem  Verschwinden 
dieses  Ausdruckes  in  der  auf  S.  181  und  342  angewandten  Weise 
folgern,  daß  bei  gegebenem  Z'  und  (w?j  —  w^)  oder  /\  die  longitu- 
dinale  Verrückung  bis  auf  eine  additive  Konstante  bestimmt  ist. 

Die  übrigen  Glieder  ergeben,  daß,  wenn  P  eine  definite  qua- 
dratische Form  ist,  bei  vorgeschriebenem  H'  und  FT  und  zugleich 
gegebenem 

?^i-«^-^i(-|^)^  oder  ^1,  Vi-v^-^Tj^llj^oder  B^,  n^-n^oder  N^, 

n  stets  bis  auf  eine  additive  Konstante,  u  und  v  bald  bis  auf  eine 
Konstante,  bald  bis  auf  eine   lineare  Funktion   von  z  bestimmt  ist. 

Hierbei  hat  w^  —  Wq  die  Bedeutung  der  Gesamtdehnung,  n^  —  n^ 
die  der  Gesamtdrillung  des  Stabes ;  {dujdz\  —  (dujdz\  und 
{dv / dz\'-  (dv I d z)q  geben  die  gegenseitige  Neigung  des  letzten 
und  ersten  Elementes  der  Stabaxe,  also  etwa  die  Gesamtkrümmung; 
u^  —  Uq—  z^[dujd z\  und  v^  —  v^  —  2:^ (ö t? / ö z\  die  Ausweichung  des 
Endes  z  =  z^  aus  der  Tangente  an  dem  Ende  z  =  0  der  Stabaxe, 
also  etwa  die  Gesamtbiegung. 

Diese  Größen  stehen  auf  der  einen,  die  auf  das  Ende  z  =  z^ 
ausgeübten  Kräfte  und  Momente  auf  der  anderen  Seite  und  beide 
können  sich  paarweise  bei  der  Bestimmung  des  Problemes  vertreten. 

Nimmt  man  als  Befestigungsbedingungen  hinzu,  daß  an  einem 
Ende  z.  B.  für  2r  =  0,  m,  v,  w,  n  und  dujdz  und  dv/dz  vorgeschrieben 
sind,  so  sind  sämtliche  Verrückungen  vollständig  bestimmt. 

Genau  dieselbe  Überlegung  kann  man  für  den  Bewegungs- 
zustand anstellen;   man   hat   dabei  nur   statt  der  oben  benutzten 


422  //.  Teil.    Mechanik  mchtstarrer  Körper,    IV.  Kap. 

Faktoren  u,  v,  w,  n  jetzt  du  /dt,  dv  /  dt,  dwj  dt,  dn/  dt  in  An- 
Wendung  zu  bringen  und  außer  über  die  Länge  des  Stabes  auch  in 
Bezug  auf  die  Zeit  zu  integrieren,  und  zwar  das  letztere  von  dem 
Zeitpunkt  ^  =  0,  fllr  welchen  die  antänglichen  Verrückungen  und 
Geschwindigkeiten  gegeben  sind,  bis  zu  einem  willkürlichen  t  =  t^. 
Das  Resultat  ist  die  Formel: 

+[(r.l«.-(i:Ul+[ßi).^.-(KlA]) 


201") 


- J|P'+  P  dz  +  qfdtf{S'u+irv+Z'w')dz, 

0  0 

in  welcher  die  Geschwindigkeiten  kurz  durch  obere  Indices  be- 
zeichnet sind. 

Diese  Formel  läßt  sich  nicht  weiter  reduzieren,  da  für  den  Be- 
wegungszustand die  Beziehungen  (200'"')  nicht  gelten,  und  man  er- 
sieht daraus,  daß  fär  jedes  Ende  u  oder  ^,  w'  oder  ß,  u/  oder  F. 
n'  oder  N,  dujdz  oder  M,  dvjdz  oder  A  Torgeschrieben  sein 
muß,  um  M,  r,  w,  n  allgemein  zu  bestimmen.  Unbestimmte  additive 
Konstanten  oder  lineare  Funktionen  von  z  kommen  dabei  nicht  vor, 
da  für  die  Zeit  ^  =  0  alle  Größen  m,  v,  m?,  n  als  gegebene  ange- 
nommen sind.  — 

Wir  wenden  uns  nunmehr  spezielleren  Problemen  zu  und  be- 
trachten zunächst  einen  Stab  von  solcher  Substanz,  daß  für  ihn  die 
Moduln  «34  und  s^^  und  damit  die  Nebenänderungen  verschwin- 
den; hier  erhält  man  aus  (195)  u.  f. 

202)   (7=-l|^,i;  =  -^f-:,  ^=+'-^S,  ^^=-^^4: 
und  somit  das  System  der  Hauptgleichungen  (200')  in  der  Form 
202)  p_  +  _.^_  =  M,  ^_+__^if, 

In  ihnen,  wie  in  den  Grenzbedingungen,  erscheinen  hier  die  Variabehi 
Uj  V,  w,  n  völlig  gesondert.®*) 


§  25.     Oleiehgewicht  eines  elastischen  Stabes.  423 


Aus  diesen  Formeln  folgen  die  für  isotrope  Körper  gültigen, 
wenn  man  noch  setzt 

die  letzte  Spezialisierung  liefert  also  keine  formale  Vereinfachung 
der  Gleichungen  und  eine  wesentliche  Vereinfachung  nur  dadurch, 
daß  bei  isotropen  Körpern  die  Bestimmung  der  Parameter  x^  und  x^ 
geringere  Schwierigkeiten  bietet,  als  bei  krystallinischen. 

In  dem  allgemeinsten  Falle  beliebiger  Orientierung  des  Cylin- 
ders  und  nicht  verschwindender  Nebenänderungen  ist  die  Bestim- 
mung der  Xj  und  x^  bisher  nur  für  einen  elliptischen  Querschnitt 
möglich  gewesen.  — 

Wenden  wir  uns  zunächst  zu  der  speziellen  Gestalt,  welche  die 
Formeln  (202')  im  Falle  des  Gleichgewichtes  annehmen,  so  können 
wir  dabei  auch  von  der  Wirkung  körperlicher  Kräfte  5^,  ET,  Z\ 
deren  Behandlung  kein  theoretisches  Interesse  bietet,  absehen  und 
uns  allein  auf  die  Einwirkung  von  Kräften  und  Momenten  auf  die 
Endquerschnitte  beschränken.  Man  erkennt,  daß  hierbei  u  und 
V  Funktionen  dritten,  w  und  n  Funktionen  ersten  Grades  von  z 
werden,  deren  Konstanten  sich  aus  den  Bedingungen  für  den  End- 
querschnitt bestimmen.  Biegung  und  Längsdehnung  werden  allein 
von  dem  Modul  ^33  resp.  *,  Drillung  von  den  Moduln  s^^  und  s^^ 
resp.  8^  abhängig,  und  die  Beobachtung  der  betreffenden  Defor- 
mationen liefert  die  klassischen  Methoden  zu  deren  Bestimmung, 

Hierbei  wird  in  der  Regel  das  eine  Ende  [z  =  0)  des  Stabes 
befestigt,  das  andere  (z  =  z^  einer  Kraft  oder  einem  Moment  aus- 
gesetzt. 

Man  hat  so  für  z  =  0  bei  Dehnung  und  Drillung  zu  setzen 

w  =  0,     71  =  0;  ,  202") 

bei  Biegung,  wenn  das  Ende  eingeklemmt,  also  vollkommen  be- 
festigt ist,  und  dadurch  Verschiebung  und  Drehung  verhindert  wird, 

tt  =  i;  =  0,     |!*  =  J^  =  0,  202") 

dagegen,  wenn  das  Ende  auf  einer  Unterlage  liegt,  die  eine  Ver- 
schiebung unmöglich  macht  und  ein  Moment  nicht  ausübt,  also  wenn 
es  unvollkommen  befestigt  ist, 

w  =  v  =  0,     ^  =  ^-",  =  0.  202"") 

Ein  an  beiden  Enden  unterstützter,  in  einem  mittleren  Punkte 
belasteter  Stab   wird  in   seinen  beiden  Teilen   gesondert  behandelt; 


424  IL  TeiL    Mechanik  niehtstarrer  Körper,    IV.  Kap, 


an  den  äußeren  Enden  gelten  die  Bedingungen  (202'"'),  an  den 
inneren  ist  die  ausgeübte  transversale  Kraft  vorgeschrieben  und  muß 
außerdem  «,  r,  du I dz,  dv / dz  für  beide  Teile  übereinstinmien.  — 
Alle  Moduln  Sj^j^  sind  nach  den  Formeln  (112")  von  der 
Orientierung  des  Axensystems  X,  Y,  Z  gegen  die  Krystallaxen  ab- 
hängig und  dabei  lineare  Punktionen  der  21  Hauptmoduln  f^, 
die  man  erhält,  wenn  man  das  Hauptaxensystem  zu  Grunde 
legt  Ihre  allgemeinen  Werte  lauten,  falls  man  für  die  Kichtungs- 
Cosinus  der  Axen  X,  ¥,  Z  gegen  die  Hauptaxen  J^,  T^,  Z^  dasselbe 
Schema  benutzt,  das  S.  413  für  diejenigen  gegen  die  willkürlichen 
Axen  S,  H,  Z  aufgestellt  ist: 

203)  ]      +  2  a,»  [(*',  +  »!,)  /?,  Y,  +  s^  y»  «s  +  *?«  «3  ß»1 

+  2/?s*  ['«  ßs  n  +  («^  +  *^  n  «8  +  »^  «3  Ä] 
+  2^3*  K  Ä  n  +  *^  yj  «8  +  (*ä.  + '«)  «3  ft]. 

*44  =  4  Wi «,» «,« + .»,  /9,  V3'  +  *^  ^3*  y»*) 
+  *«  (/?3  r»  +  ^3  ft)'  +  «M  (^3  «a  +  «8  y«)*  +  C  («8  ß%  +  Ä  «3)'- 

+  8  (4  /?2  ^2  /'s  ^3  +  *31  ra  «3  7%  «8  +  *1°2  «8  A  «8  A) 

+  4  0?,  ^3  +  y,  /?,)  W, «,  a,  +  *»,  /?,  /9,  +  «^  y,  y,) 

203')  I    +  4  (y,  «3  +  «3  y*)  («i"6  «8  «8  +  «Js  Ä  Ä  +  *M  n  r^ 

+  4  («3  /?,  +  /?j  a,)  («i'e  a,  a,  +  »^  /9,  ß^  +  «^  y,  y,) 
+  2  K  0'8  «^8  +  «8  y»)  («8  Ä  +  ß%  «s) 

+  *M  («8  Ä  +  A  «2)  (/?8  ^8  +  ^3  Ä) 

+  *«  O^a  ri  +  r%  ß%)  (^8  «2  +  «8  J'a)] ; 

*jj  geht  aus  »^^  durch  Yertauschung  von  a,,  /9j,  y,  mitccj,  /?, ,  y, 
hervor.**) 

Man  erkennt  leicht,  daß  wegen  der  Beziehungen,  die  zwischen 
den  neun  Bichtungscosinus  stattfinden,  die  21  Hauptmoduln  in  den 
vorstehenden  Ausdrücken  nur  in  je  15  unabhängigen  Kombinationen 
auftreten,  so  daß  also  die  Beobachtung  von  Biegung  resp.  Dehnung 
allein  oder  von  Drillung  allein  auch  bei  vielseitigster  Veränderung 
der  Orientierung  immer  nur  15  Aggregate  der  «»  abzuleiten  gestattet 
um  sie  alle  zu  erhalten,  ist  also  stets  die  Kombination  der  Unter- 
suchung von  Biegung  und  von  DriUung  nötig;  auch  ist  es  im  allge- 
meinen unumgänglich,  Stäbe   in  Orientierungen   zu  benutzen,  für 


§  25,     Oleickgewidht  eines  elastischen  Stabes.  425 


welche  die  Nebenänderungen  nicht  verschwinden,  und  die  daher 
theoretisch  und  praktisch  erhöhte  Schwierigkeiten  bieten. 

Aus  den  gefundenen  Hauptmoduln  s^k  folgen  die  Hauptkonstan- 
ten gemäß  den  aus  (107")  und  (107"')  sich  ergebenden  Beziehungen 

Ihre  numerische  Bestimmung  hat  ein  hohes  Interesse  wegen 
der  eigentümlichen  Beziehungen,  welche  eine  gewisse  molekulare 
Theorie  der  elastischen  Kräfte  zwischen  ihnen  aufstellt. 

Geht  man  nämlich  von  der  Auffassung  aus,  daß  die  zwischen 
den  kleinsten  Teilchen  eines  elastischen  Körpers  wirkenden  Kräfte 
nur  Funktionen  von  deren  gegenseitigen  Entfernungen  sind,  so  ge- 
langt man  nach  S.  128  zu  den  Gleichungen  (150'") 

die  sich  nicht  ergeben,  wenn  man  die  Kräfte  auch  noch  von  der 
Richtung  der  Verbindungslinie  abhängig,  sagen  wir  kurz  polar 
wirkend,  annimmt. 

Die  Beobachtung  hat  entschieden,  daß  bei  Krystallen  diese  Be- 
ziehungen mitunter  angenähert,  mitunter  aber  auch  gar  nicht  erfüllt 
sind,  und  man  gelangt  dadurch  zu  der  Auffassung,  daß  polar  wir- 
kende Moleküle  die  Regel,  solche  mit  verschwindender  Polarität 
die  Ausnahme  darstellen.  Ein  eigentümlicher  Zusammenhang 
zwischen  elastischen  und  elektrischen  Wirkungen  wird  dadurch  an- 
gedeutet, daß,  soweit  die  Beobachtungen  reichen,  anscheinend  die 
Krystalle,  deren  Konstanten  die  Gleichungen  (204)  nicht  erfüllen, 
piezoelektrisch  erregbar  sind,  die  übrigen  nicht.  — 

Eine  gewisse  Schwierigkeit  bieten  die  isotropen  Körper,  für 
welche  die  aus  den  Formeln  (204)  folgende  Beziehung 

^1  =  i  <^2     oder    c  =  3  c^  204') 

Geltung  behält,  gleichviel  ob  man  die  Moleküle  als  polar  wirkend 
annimmt  oder  nicht,  wenn  man  nur  die  physikalische  Gleichwertig- 
keit aller  Richtungen  dadurch  bewirkt  denkt,  daß  jede  Orientierung 
des  einzelnen  Moleküles  gleich  häufig  ist  Denn  offenbar  wird  die 
polare  Wirkung  der  Moleküle  dann  nicht  zur  Geltung  kommen, 
sondern  nur  ein  mittlerer  Wert  der  Kraft,  der  mit  der  Richtung 
nicht  variiert 

Nun  zeigt  die  Beobachtung,  daß  bei  isotropen  Körpern  die  Be- 
ziehung (204')   nur  selten   angenähert,   meistens   sehr   wenig   erfüllt 


426  //.  Teil    Mechanik  nichtstarrer  Korper,    IV.  Kap, 

ist,  und  fordert  sonach  eine  von  der  zunächst  liegenden  und  eben 
skizzierten  abweichende  Auffassung  der  Konstitution  isotroper  Körper. 

Eine  solche  wird  unmittelbar  nahe  gelegt  durch  die  Wahr- 
nehmung, daß  eine  große  Zahl  sogenannter  isotroper  Körper,  insbe- 
sondere alle  Metalle,  nur  Anhäufungen  von  verschieden  orientierten 
Krystallbrocken  darstellen,  deren  einzelne  Teile  gegenüber  der  Mole- 
kularwirkungssphäre sehr  groß  sind,  und  man  kann  die  Annahme 
plausibel  machen,  daß  diese  nur  quasiisotrope  Struktur  bei  schein- 
bar isotropen  Körpern  die  Regel  bildet 

Das  elastische  Potential  für  solche  Körper  kann  demgemäß  aus 
dem  für  den  KrystaU  geltenden  erhalten  werden,  indem  man  Ton 
dem  letzteren  den  Mittelwert  für  alle  möglichen  Lagen  des  Krystalles 
gegen  die  Koordinatenaxen  bildet  Der  so  gefundene  Ausdruck  be- 
sitzt die  Konstanten 


1")      I 


worin 

^11  +  ^22  +  ^33==  3^1  >      ^23  +  ^31  +  ^12  =  ^^2>      ^44  +  ^66  +  ^66  =  ^^3 

gesestzt  ist,  imd  erfüUt  demnach  die  Beziehung  (204')  nicht,  wenn 
die  Konstanten  c^  des  EjrystaUes  die  ersten  drei  Formeln  (204)  nicht 
befriedigen.®^  — 

Das  Problem  der  Bewegung  cylindrischer  Stäbe,  bei  welchem 
wiederum  von  der  Einwirkung  körperlicher  Kräfte  abgesehen  und 
nur  anfängliche  Verrückungen  und  Geschwindigkeiten,  sowie  zeitlich 
wechselnde  Einwirkungen  auf  die  Endquerschnitte  in  Betracht  ge- 
zogen werden  mögen,  hat  praktisches  Interesse  allein  im  Fall  end- 
licher Länge  und  isotroper  Substanz. 

Die  Formeln  für  Dehnung  und  Drillung  nehmen  die  Ge- 
stalt an 

worin  bedeutet 

von  den  Bedingungen  für  die  Enden  kommen  besonders  die  in  Be- 
tracht, daß  die  Verrückung,  d.  h.  W  vorgeschrieben,  an  festen 
Endpunkten  speziell  gleich  NuU  ist,  oder  daß  die  äußere  Kraft,  d.  h. 
dfFjdz  vorgeschrieben,  an  freien  Endpunkten  speziell  gleich 
Null  ist. 

Dies  alles  stimmt  vollständig  mit  dem  System  der  Bedingungen 


§  25,    Bewegung  eines  elastischen  Stabes,  427 


tiberein,  welches  für  Schwingungen  einer  elastischen  Flüssigkeit  in 
ebenen  Wellen  gilt  und  S.  356  behandelt  ist  Für  begrenzte  Stäbe 
geschieht  im  Falle  einfacher  Töne  die  Integration  durch  trigono- 
metrische Funktionen  von  z,  womit  zusammenhängt,  daß  bei  stehenden 
Schwingungen  die  Stäbe  im  allgemeinen  in  eine  Anzahl  gleichartig 
bewegter  Teile  zerfallen,  deren  Grenzen  Schwingungsknoten  bilden. 

Die  Gleichungen  (202')  für  die  Biegungen  haben  die  Form 

T-?  +  '"*?:?  =  0  2«5") 

worin 

«»  =  -^     resp.  •  =  —  205'") 

ist,  sind  also  Yon  den  früher  behandelten  verschieden. 

Die  Grenzbedingungen  bieten  eine  wesentlich  größere  Mannig- 
faltigkeit als  bei  dem  Problem  der  Dehnung  und  Drillung. 

Gegebenes  U  bezeichnet  vorgeschriebene  Verrückung,  gegebenes 
dUjdz  vorgeschriebene  Drehung  des  Stabendes  um  eine  Queraxe; 
gegebenes  d^üjdz^  entspricht  vorgeschriebenem  Drehungsmoment 
um  eine  Queraxe,  gegebenes  ö'?//ö  2^  gegebener  transversaler  KrafL 

Welche  Kombinationen  dieser  Angaben  die  Bewegung  vollstän- 
dig bestimmen,  ist  aus  den  Betrachtungen  auf  S.  422  zu  erschließen. 

Man  erkennt  aus  ihnen,  daß,  neben  zur  Zeit  ^  =  0  vorgeschrie- 
benem  U  und  d  Uj dt,  für  jedes  Ende 

zugleich  U  und  d  Uj  d  z 
oder  «7  und  d^U/dz^ 
oder  d^Ujdz^  und  dUjdz 
oder  d^U/dz^  und  d^U/dz^ 

gegeben  sein  müssen,  damit  die  Bewegung  bestimmt  sei.  Von  diesen 
Möglichkeiten  besitzen  die  drei  besondere  Wichtigkeit,  daß  entweder 
U  und  dUjdzj  oder  C/^  und  d^U/dz^,  oder  endlich  d^U/dz^  und 
d^Ujdz^  verschwinden;  sie  entsprechen  den  Fällen,  daß  das  be- 
treffende Stabende  vollkommen  befestigt,  unvollkommen  befestigt  und 
vollkommen  frei  ist 

Die  Integration  der  Gleichung  (205")  geschieht  bei  endlichen 
Stäben  im  Falle  einfacher  Töne  durch  Exponentialgrößen  und  trigo- 
nometrische Funktionen  von  zr,  womit  zusammenhängt,  daß  bei  stehen- 
den Schwingungen  die  Stäbe  nicht  in  gleichwertige  Teile  zerfallen.  — 

Ein  rein  theoretisches  Interesse  weckt  der  FaU  der  Fortpflan- 
zung einer  Bewegung  längs  eines  unendlichen  Stabes,  sei  sie  nun 


428  //.  Teil.    Mechanik  nirktstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


durch  dauernde  Einwirkung  auf  einen  Punkt,  etwa  einen  Endpimkt, 
oder  durch  eine  AnfangSYerrückung  und  -geschwindigkeit  erregt 

Für  Dehnung  und  Drillung  gelten  hier  die  auf  S.  353  und  355 
abgeleiteten  Formeln  mit  entsprechender  Bedeutung  von  v;  eine  be- 
sondere Untersuchung  erfordert  dagegen  der  Fall  der  Biegung. 

Zur  Integration  gehen  wir  aus  von  dem  Ansatz®^ 


OD 


206)  ^=Ir{p^±iM&)^- 

0 

und  bilden,  indem  wir  mit  t/;'(?)  den  Differentialquotienten  nach  dem 
ganzen  Argument  f  bezeichnen, 


00 

d 

0 


F-//(.<±^>-(ä).$, 


was  sich  durch  die  Substitution 

a  * 

überführen  läßt  in 


0 

Hieraus  folgt  auch 

00 

d 

d 

0 


S-±/r(..±$)y(f)^^, 


oder  bei  Berücksichtigung  von  zjß=  a 


00 


206")  S=±//"(/"±T)v''(ä)''«- 


0 

Man  erhält  ebenso 


CD 


^.^^r{p>±^)r{^)äß, 


0 

cx> 


2»')  S-+/r(.'±T>"(S)^'«. 

0 

während  auch  gilt 

207-)  '-^T-Pif"[pt±^)^[^)da. 


§  25,    Bewegung  eines  eHasHschen  Stabes. 


429 


Sonach  ist  obiger  Ansatz  ein  Integral  unserer  Gleichung  ^  falls 
nur  p  ==  m  und 

nt)  +  ^(S)  =  0,  207") 

also 

\f)  ^  a  cos  ^  +  Ä  sin  f  ist 

Ein  zweites  Integral  wird  nahe  gelegt  durch  den  Wert  (206') 
von  dF/dz,  der  offenbar  dieselbe  Behandlung  gestattet,  wie  F  selbst, 
und  für  den  wir  schreiben  wollen 


00 


'-fr(p'±^M^]'"'- 


207'") 


wo  ip*{C)  ==  ö'  cos  ^  +  V  sin  ^  ist 

Mit  Hilfe  dieser  Lösungen  kann  man  nun  leicht  die  Fort- 
pflanzung der  auf  ein  Ende  des  nach  der  anderen  Seite  unendlichen 
Stabes  ausgeübten  Erregungen  bestimmen;  dabei  kommen  wieder 
die  vier  auf  S.  427  angegebenen  Kombinationen  von  Grenzbedingungen 
in  Betracht®^ 

Ist  für  r  =  0  Ü^F{t),  dUjdz  =  F^[t),  so  wird 

''"  =  ^/l^(' -  2-«^)  ^'^  T  +  ^'  (' -  Ä)  '"^  2^]  '-•     208) 

0 

Ist  für  z  =  0  V=F{t),  d^Ujdz^  =  F[{t),  so  wird 

^■-^/>'('-i^»)H^+-°T) 

Ist  far  z  =  0  d'Ujdz^  =  F{t),  dU/dz  =  F^{t),  so  wird 


2080 


—  F,\t—  ^A  (cos  ~  —  sin  ^] 

^\  20)/  V         2«e»  2«'/ 


dcc. 


208") 


Ist  für  z  =  0  d^Ujdz^  =  i?'(0,  d'Ujdz*  =  /';(*),  so  wird 
""=  i^/[^('-  Ä)  ''^^Ä  +  ^»('-  2-ä;)  «««-?]  ''«•    208'") 

0 

Haben  die  Punktionen  F  und  Fy^  die  Eigenschaft,  für  ein  negativ 
unendliches  Argument   zu   verschwinden,   so   gilt   gleiches  von  den 


430  U.  Teil,    Mechanik  mehtgiarrer  E&rper.    /F.  Kap, 


Werten  U.  Diese  Resultate  lassen  sich  leicht  yerifizieren,  wenn 
man  die  Gleichungen  (206)  u.  fl  zu  Hilfe  nimmt. 

Komplizierter  ist  die  Fortpflanzung  einer  anfanglichen  Ver- 
rückung und  Geschwindigkeit  *auf  einem  beiderseitig  ins  unendliche 
reichenden  Stab  auszudrücken.®*) 

Setzt  man 

für  <  =  0  ü=  V^,  dU/dt=  U^  und  Jdz fU^{^)d^^W^, 

—  OD        —  OC 

SO  erhält  man 
209) 

—  < 

+  W^{z+  lafiäi)  (sina»  _  cosof2)Jrfa, 
wofür  man  auch  schreiben  kann 

+  0D 


JJ^^—.  rr?7^(2r  +  2ay^)(sina*  +  cosa«) 

1/271*/    *- 


—  OD 


2090 


Ist  nur  eine  Anfangs  verrückung,  und  zwar  diese  nur  an  einer 
Stelle  z  =i  z^  von  Null  verschieden  gegeben,  so  wird  hieraus 

209")  U  =  — ^  (sin  ^^^^  +  cos  ^^^\ , 

2l/2^a)A  4w^  4«^    y 

worin 

Co-« 

ist,  und  e  eine  kleine  Größe  bedeutet 

Diese  Lösung  zeigt,  daß  an  jeder  Stelle  die  Wirkung  der  an- 
fänglichen Verrtickung  eine  Schwingung  mit  abnehmender  Amplitude 
und  zunehmender  Periode  bewirkt.  — 

Schließlich  wollen  wir  noch  die  dem  GnEKN'schen  Satz  für  den 
Stab  entsprechenden  Formeln  aufstellen  und  wie  auf  S.  376  u.  £  daraus 
Folgerungen  ziehen,  die  sich  auf  die  Erregung  von  Schwingungen 
durch  Resonanz  beziehen. 

Wir  gehen  aus  von  der  allgemeinen  für  die  Dehnungs-  und 
Drillungsschwingungen  eines  Stabes  gültigen  Formel,  die  wir  schreiben 

210^  f.^_^,s3'^_  ^^Q 


§  25,    Resonanx  in  elastischen  Stäben» 


431 


worin  A  eine  gegebene  Funktion  von  z  und  t  bezeichnet  und  v  eine 
je  nach  dem  Problem  yerschiedene  durch  (205')  gegebene  Konstante  ist 
Sei  nun  F  eine  Lösung  der  Gleichung 


dt^ 


dx' 


2100 


faßt  man  dann  beide  Gleichungen  mit  den  Faktoren  F  und  —  W 
zusammen,  integriert  das  Resultat  in  Bezug  auf  z  von  0  bis  z^,  in 
Bezug  auf  t  von  0  bis  ^,  wo  z^  die  Länge  des  Stabes  und  ^  eine 
beliebige  Zeit  bezeichnet,  so  erhält  man  leicht 


ß^ew^^.ev 


dt 


dt 


dz 


ö 


«1 


dx  dx 


ii  «j 


dt  +  Jf{AF''Bir)dtdz. 


00 


21O'0 


Wir  wollen  nun  F  speziell  so  wählen,  daß  es  den  stehenden 
Schwingungen  eines  einfachen  Tones  ohne  Einwirkung  äußerer 
Kräfte  entspricht,  also  setzen 

r=^sina(^  +  g,  211) 

worin  Z  der  Gleichung 

211') 


c.«Z+.«fJ  =  0 


genügt  Isif  zugleich  ^  ein  Vielfaches  einer  Periode  T  =  2;r/a,  und 
verschwindet  ^und  dJFjdt  für  ^=0,  dann  nimmt  die  vorstehende 
Gleichung  die  Form  an: 


J  [("öt)  ^^^  ^^0  "■  ^  ^^  ^^^  ^^0 

0 


Zdz 


<i«i 


^y^j\z'-^^w^-^ 


dx 


dx 


sma{t+tQ)dt+jjAZsma{t+tQ)dtdz. 


0  0 


211") 


Dies  Resultat  vereinfacht  sich  noch  dadurch,  daß  je  nach  den 
Umständen,  unter  denen  die  stehende  Schwingung  F  stattfindet,  für 
2r  =  0  und  z  =  z^  entweder  ^selbst  oder  dZjdz  verschwinden  muß. 

Nimmt  man  für  beide  Enden  Z  =  0  an,  so  wird 

-Z'=sin— z,   az.^hvn.   cos^^=±l> 
und  die  vorstehende  Formel  nimmt  die  Gestalt  an 


432  IL  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Kbrper,    IV,  Kap. 


j  [(^)t^  ^^  ^^0  -  a  ^^  COS  at^ 


211'") 


sm  —  zdz 

V 


=  avJiJF^  ^  r,,)  sin  a{t+  t^) dt 

0 

+  M  ^  sin  — *  sin  a{t  +  ^q)  dt  dz. 

0  0 

Sie  sagt  aus,  daß,  wenn  die  Enden  r  =  0  resp.  z  =  Zj  gegebene 
Verrückungen  Wq  resp.  F,^,  beliebige  Punkte  zwischen  ihnen  mit  Ä 
proportionale  Kräfte  erfahren,  welche  Anteile  mit  der  Periode  t 
Yon  F  enthalten,  dann  mit  wachsender  Zeit  das  Integral  links  und 
damit  die  durch  JF  gegebene  Schwingung  über  alle  Grenzen  wächst 
Dies  Resultat  gilt  für  jedes  a  und  jede  Periode  r,  welche  mit  den 
Bedingungen  des  Problemes  vereinbar  ist;  ausgenommen  ist  nur  der 
Fall,  daß  die  äußere  Einwirkung  A  sich  ausschließlich  auf  eine 
Stelle  erstreckt,  wo  bei  der  stehenden  Schwingung  von  der  gleichen 
Periode  ein  Knoten  liegt,  also  sin(az/t;)  verschwindet. 

Ganz  analoge  Formeln  wie  (211'")  lassen  sich  für  die  FäUe  aul- 
stellen, daß  die  Enden  nicht  befestigt,  sondern  frei  sind,  d.  h.,  daß 
daselbst  nicht  F  sondern  d  Fj  d  z  verschwindet,  oder  daß  an  einem 
Ende  F^  am  anderen  d  Fj  dz  gleich  Null  ist 

Aus  ihnen  allen  folgt  in  der  auf  S.  377  ausführlicher  be- 
sprochenen Weise,  daß  bei  auf  mittleren  oder  Endpunkten  ausge- 
übten Erregungen  die  Eigentöne  der  Stäbe  stärker  als  alle  anderen 
ansprechen;  und  zwar  werden  die  betrefiFenden  Eigentöne  bei  Er- 
regung mittlerer  Punkte  durch  die  gegebenen  Bedingungen  fftrAe 
Endpunkte  direkt  bestimmt,  bei  der  Ausübung  von  Verschiebungen 
auf  einen  Endpunkt  treten  diejenigen  auf,  welche  festgehaltenem 
Ende,  bei  Ausübung  von  Kräften  diejenigen,  welche  freiem  Ende 
entsprechen.  — 

Genau  dieselbe  Behandlung  gestatten  die  Formeln  für  die  Bie- 
gungsschwingungen von  Stäben,  die  wir  in  der  Form  schreiben 

worin  A  eine  gegebene  Funktion  von  z  und  t  bezeichnet  und  w  durch 
die  Gleichung  (205'")  gegeben  ist. 

Wir  ziehen  eine  zweite  Funktion  T  heran,  welche  der  Gleichung 

212')  •;  l,  +  ««-,  \  -B  =  Q 


§  25,    Resonanx  in  elastischen  Stäben, 


433 


genügt,  multiplizieren  die  Formel  (212)  mit  F,  die  Formel  (212')  mit 
Uj  subtrahieren  und  integrieren*  in  Bezug  auf  z  über  die  ganze  Stab- 
länge Zj,  in  Bezug  auf  t  über  eine  beliebige  Zeit  t^,  und  erhalten 
nach  ausgeführter  teilweiser  Integration 


0 


«1  »1 


/'  ^^t-^It  dz-Jj{Är-BV)dtdz 


00 


+  ^  JrT^^^Ö^- 


dx  dx^       dx  dx^ 


dt=0. 


212") 


ö 


Setzt  man  liier  für  F  den  Wert 

r=^sina(^+g  213) 

ein,    der   den  stehenden  Schwingungen   eines   einfachen  Tones   ohne 
äußere  Kraft  entspricht,  wenn 

«2^+fü2J^f  =0  213') 

ist,    so  erhält   man  wie   oben,   wenn  C^  und  dU/dt  für  ^  =  0  ver- 
schwinden, und  t^  ein  Vielfaches  einer  Periode  von  F  ist: 

«1  ti  z, 


J  M-g--)  sin utQ  —  aUt^coscctQ 


Zdz—  \\  AZ%ma[t+Qdtdz 

0  0 


0 


dx*  öx 


dx^ 


sma{t+Qdt=^0, 


213") 


0 


Diese  Formel  gestattet  dieselbe  Behandlung  wie  (211");  durch  Ein- 
fiihrung  der  Grenzbedingungen  für  F  nach  einem  der  auf  S.  427 
gegebenen  Schemas  verschwinden  vier  von  den  acht  Gliedern  des  dritten 
Integrales  und  es  bleiben  sonach  im  ganzen  fünf  Glieder  unter  den 
Integralen  nach  t  stehen,  die  fünf  verschiedene  Erregungsarten  des 
Stabes  repräsentieren.  Enthalten  die  ausgeübten  Wirkungen  Anteile 
mit  einer  der  flir  F  durch  die  Grenzbedingungen  zugelassenen  Periode, 
so  wird  das  erste  Integral  und  damit  die  Intensität  der  erregten 
Schwingung  von  dieser  Periode  mit  wachsender  Zeit  über  alle  Gren- 
zen wachsen. 

Eine  nähere  Erörterung  dieser  Verhältnisse  ist  nach  dem  früher 
Gegebenen  nicht  nötig.  — 

Die  am  Anfang  dieses  Paragraphen  vorgenommene  Entwickelung 
der  HAMiLTON'schen  Gleichung  hört  auf,  streng  zu  sein,  wenn  die 
Querdimensionen  des  Stabes  so  klein  und  zugleich  die  auf  ihn  aus- 

VoiOT,  Theoretiache  Physik.  28 


434  //.  Teii.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


geübte  Längsspannung  /'  so  groß  ist,  daß  in  dem  Wert  (199")  für 
<yP+  SF  das  Glied  CSc   die  übrigen  weitaus  übertrifft»®) 

In  diesem  Falle  darf*  man  sich  bezüglich  des  Wertes  der  line- 
aren Dilatation  c'  nicht  auf  die  erste  Annäherung  (199')  beschränken. 
Man  erhält  eine  zweite,  wenn  man  berücksichtigt,  daß  die  relativen 
Koordinaten  der  Endpunkte  eines  Axenelementes  ds  nach  der  De- 
formation resp.  gleich 


sind;  daraus  folgt 


V—  ds.     -ä-  ds.     - '  ds 


was  man  nach  (199)  leicht  in 

überführen  kann,  da  man  ds  mit  dz  identifizieren  darf. 

Benutzt  man  diesen  Wert  in  der  HAMiLTON'schen  Gleichung 
(198)  und  nimmt  den  Stab  so  dünn  an,  daß  die  in  SP  enthaltenen, 
von  M  und  v  abhängigen  Glieder  ganz  vernachlässigt  werden  können, 
und  variiert  man  nur  wegen  u  und  v,  während  diese  Größen  an  den 
beiden  Enden  z  =  0  und  z  =  zr^  gegebene  Werte  haben,  z.  B.  gleicb 
Null  sind,  so  erhält  man  statt  der  ersten  beiden  Formeln  (200) 


214') 


p,/..(i,,*(?')'-iM(|l)*  +  ,H-).0, 


während  die  beiden  letzten  sich  wie  früher  finden  lassen. 
Daraus  folgt  aber  in  bekannter  Weise 


214") 


ö««>         dC  ,       „,  ,  ö'n        dK 


Fehlen  longitudinale  Bewegungen  und  ebensolche  körperlicht' 
Kräfte,  so  ist  nach  der  dritten  Formel  innerhalb  der  benutzten  An- 
näherung C  konstant,  nämlich  gleich  der  auf  die  Enden  wirkenden 
Spannung  F,  und  es  wird  aus  den  zwei  ersten  Gleichungen  (21 4'"!: 


§  25,     Theorie  dtr  Saiden,  435 


214'") 


Zur  vollständigen  Bestimmung  des  Problems  treten  hinzu  für  die 
Enden  z  =  0  und  z=^z^  vorgeschriebene  Werte  von  u  und  v,  sowie  für 
irgend  eine  Zeit,  etwa  ^=0,  vorgeschriebene  m,  r  und  du /dt,  dv/dt;  für 
die  Enden  der  Saite  gegebene  du /dz  und  dv/dz,  die  ähnliches  leisten 
würden,  wie  dort  gegebene  u  und  v,  kommen  in  der  Praxis  nicht  vor. 

Dagegen  sind  Fälle  denkbar,  wo  die  Grenzbedingungen  die 
Aggregate  F^u  ±du/dz  und  F^v  ±dv  /  dz  bestimmen,  etwa  gleich 
Null;  dieselben  werden  dann  eintreten,  wenn  die  Enden  der  Saite 
nicht  völlig  unverrückbar  fest  sind,  sondern  transversalen  Zugkräften 
etwas  folgen  können.*^)  Solche  Kräfte  übt  während  der  Bewegung 
die  Spannung  F  der  Saite  selbst  aus,  und  zwar  ist  der  Betrag  ihrer 
Komponenten  parallel  der  X-  und  T-Axe  resp.  gleich  ±  Fd u/ dz, 
±  Fdv /  dz.  Tritt  nun  in  jedem  Augenblick  eine  Verschiebung  des 
Befestigungspunktes  ein,  welche  der  wirkenden  Kraft  proportional  ist, 
und  versteht  man  unter  F*  eine  geeignet  bestimmte  Konstante,  so 
wird  in  der  That  F^u  — du/dz  und  F^v  — dv/dz  am  Ende  z  =  0, 
F^u  +  du/dz  und  F^v  +  dv/dz  am  Ende  z  =  z^  verschwinden  müssen. 

Diese  Haupt-  und  Nebenbedingungen  enthalten  die  vollständige 
Grundlage  der  Theorie  des  Gleichgewichts  und  der  Schwingungen 
von  Saiten.  Ihre  Form  stimmt  überein  mit  derjenigen  der  für 
ebene  Wellen  in  einer  Flüssigkeit  und  der  für  Dehnung  imd  Dril- 
lung eines  Stabes  geltenden  Formeln;  ihre  Behandlung  ist  also  mit 
der  auf  S.  353  u.  f.  gegebenen  identisch,  doch  haben  hier  andere 
spezielle  Fälle  praktische  Bedeutung  als  dort 

Für  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  a>  erhält  man  die  Beziehung 

(o^^F/qQ; 

r  ist  darin  die  gesamte  die  Saite  spannende  Kraft,  F]  q  der  auf 
die  Flächeneinheit  bezogene  Wert. 

Das  Problem  der  Saite  fällt  im  Grunde  aus  dem  Gebiete  der 
elastischen  Erscheinungen  heraus,  da  die  Elasticität  bei  ihrer  Be- 
wegung keine  Rolle  spielt;  ihr  Interesse  ist  besonders  in  dem  Um- 
stand begründet,  daß  sie  hervorragend  geeignet  ist,  auf  verschiedene 
Erregungsarten  anzusprechen  und  ihre  Wirkung  zu  zeigen. 

Benutzt  man  neben  den  von  der  Längsspannung  jT  abhängigen 
Gliedern  die  in  (202')  enthaltenen,  welche  von  den  Elasticitätsmoduln 
abhängen,  so  erhält  man  allgemeinere  Formeln,  welche,  wie  man  sagt, 
die  Steifigkeit  der  Saite  berücksichtigen. 

28* 


436  //.  Teil.     Mechanik  niehistarrer  Körper,    IV.  Kap. 


§  26.    Gleichgewicht  einer  gleichförmig  geBpannten  Platte  von 

beliebiger  homogener  Snbstanz. 

Es  sei  nunmehr  eine  planparallele  Platte  aus  homogenem  Ma- 
terial gegeben,  und  es  seien  in  ihr  die  Deformationsgrößen  x^,  , , ,  x 
und  daher  auch  die  Spannungen  X^,  ...  X  in  zu  den  Seitenflächen 
parallelen  Ebenen  konstant  angenommen.  In  diesem  Zustand  wollen 
wir  die  Platte  gleichförmig  gespannt  nennen. 

Legt  man  die  Xl'^Ebene  in  die  Mittelfläche  der  Platte,  so  er- 
giebt  sich  für  die  Verrückungen  m,  r,  w  aus  der  gemachten  Annahme 
folgende  allgemeinste  Form: 

u  =  U+  x{f^  +  g^z)  +y(f+  hz\ 
215)  '    v=^V+x[g  +  hz)+y{f^+(f^z). 

w  =  r  +  xg\  +  yg^  -  \g^  x^-  -  \g^y^  -  Äxy, 

in  der  C',  V,  W  Funktionen  von  z  allein,  die  /*,  g^  h  abei%  Konstanten 
bezeichnen.  Verbindet  man  das  Koordinatensystem  so  mit  der  Platte, 
daß  für  ar=y  =  2  =  0 

215 )  M  =  ü  =  tu  =  0,    3^-  =  ^—  =  3 =  0 

'  ox        ay        ox       dy 

ist,  was  aussagt,  daß  der  Koordinatenanfang  an  seiner  Stelle,  das 
benachbarte  Element  der  Xr-Ebene  in  seiner  Ebene  bleibt  und  keine 
Drehung  um  die  Z-Axe  erfährt,  so  ist 

215")        ?7=  r=  r=  0  für  z  =  0,  und  auch  g[  ^g'^^f^g^  0. 

Die  übrigen  Konstanten  /,  ^,  h  lassen  sich  leicht  deuten. 
Es  ist  nämlich 

f'  -  ^A-j' '-  -  (§-;)-/■•  'f-iü^  ^fi-f- 


215'") 


=  +wi'. 


_^  i  d   (dv       dw\  _        ö^   __        ]' 


^dy\dx       dyj  dy 

~'  ^dy\dx       dxj^^dxydx        dy)~  dy'~        dx"^    ' 

d.  h.,  es  ist  f\  =  a  die  lineare  Dilatation  parallel  der  X,  /i  ==  *' 
diejenige  parallel  der  T-Axe,  2f=d'  die  Winkeländerung  zwischen 
der  X-  und  T-Axe,  —  dies  alles  in  der  Mittelfläche  der  Platte  ge- 
messen;  -\-g^  =  m  ist  die  Änderung  der  Drillung  m  nach  der  X-, 
—  ^2  =/'  diejenige  der  Drillung  l  nach  der  7-Axe,  während  ä  =  Jä' 
sowohl  durch  die  Änderung  von  m  mit  y  als  von  l  mit  x  ge- 
geben wird. 


§  26,    Gleichgewicht  einer  gleiehßrmig  gespannten  Platte,  437 


Die  Verrückungen  werden  unter  Einführung  der  neuen  Ab- 
kürzungen 

u  =  U+  x{a  +  mz)  +  \y{d'+  k' z),  \ 

v=F  +  ^x{d'+k'z)+y[b'^rz\  216) 

und  die  Deformationen  lauten: 

y^=d{^     ^«^rfT'     ^y-d  +  kz.  J 

Die  Hauptgleichungen  werden  nach  den  gemachten  Annahmen 

.^/.  =  ^^.  =  ^.  =  0,  217) 

ox  ox  ox  ^  ' 

die  Bedingungen  für  die  Plattenflächen 

:^=j;  =  ^  =  0,  217') 

woraus  für  alle  Stellen 

A>J>^.  =  0  217") 

folgt. 

Denken  wir  uns  die  Platte  seitlich  durch  einen  Cylindermantel 
begrenzt,  und  bezeichnen  die  äußere  Normale  auf  einem  seiner 
Elemente  mit  n,  so  muß  dort 

Ä'+  ä;  =  f +"i;  =  i;+  i^„  =  0  217'"} 

sein;  da  Z^  nach  (217")  gleich  Null  ist,  kann  die  gleichförmige 
Deformation  der  betrachteten  Platte  nur  durch  gegen  den  Rand 
wirkende  Zugkräfte,  die  in  der  Xl'- Ebene  liegen,  und  durch 
Drehungsmomente  bewirkt  werden. 

Begrenzen  wir  die  Platte  durch  zur  XZ-  und  zur  TZ- Ebene 
parallele  Seitenflächen,  so  sind  auf  diese  pro  Längeneinheit  des  Randes 
der  Mittelfläche  folgende  Komponenten  und  Momente  auszuüben 

-^XJz^A,       -[Y^dz^B,       -fX^dz^D,        I 

"  217""^ 
—  fX^z  dz  =  M,    +fr^zdz  =  Z,     -  fX^z  dz  =  Ä".  —  J 

Von  den  Gleichungen  (107"')  lauten  nunmehr  die  erste,  zweite 
und  letzte  unter  Benutzung  der  vorstehenden  Resultate 

-  (a'  +  m'z)  =  «11 J,  +  «12  i;  +  «le  Jj,,   1 

-  (6'  -l'z)=  *,i  A;  +  «,,  r^  +  s„X^,  218) 

-  (<f  +  Ä'Z)    =  »gl  A'^  +  »83  Ij,  +  »85  Xj,.    J 


438  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Korper,    IV,  Kap. 


Integriert  man  sie  über  die  Dicke  2h  der  Platte,  so  findet  sich: 
218')  2AÄ'  =  5,,yi  + ^2,^  +  ^3,2?, 

integriert  man  sie  nach  Multiplikation  mit  2:,  so  erhält  man: 

218")  f  Ä'Z'  =  -  s,,M+  s,,Z  -  s,,K, 

Hieraus  folgt,  daß  gesetzt  werden  kann: 

219)   1  worin 

bedeutet,  und 

'  ""ÖL'    '^  ""öi/'    '^  "  dK' 
219)     worin 

^  *A';^3  ==  *ii ^^+h2^^  +  *«6^'- 2*,3ZJIf  +  2*j,ilfr-2*,,iir. 
Umgekehrt  ist  auch 


220) 


wo  Pj  und  Pg  quadratische  Formen  von  a,  ä',  rf'  resp.  von  /',  m\  k' 
bezeichnen,  die  aus  den  Umkehrungen  der  Formeln  (218')  und  (218") 
.    ebenso  zu  bilden  sind,  wie  p^  und  p^  aus  diesen  selbst. 

Wir  schreiben  sie 


^~  da"    ^  ~  'db  ' 

■"öd" 

l    -L-  Qi.,  ^-  ö^>, 

220') 


^*-  =  yxi'w'H  ^,2^'*+  /«6*'*  -  2y„/'m'+  2y,,in'Ä'  -  2y„/'A': 

dabei  ist  von  Wichtigkeit  zu  beachten,  daß  P,  den  Faktor  h,  da- 
gegen P3  den  Faktor  h^  hat,  daß  beide  also  in  Bezug  auf  die  Dicke 
der  Platte  verschiedene  Größenordnung  besitzen.  — 

Nunmehr  können  auch  die  noch  in  den  Werten  von  u,  p,  tr 
unbekannten  Funktionen  ü,  V,  Jf  von  z  allein  leicht  bestimmt  werden. 
Denn  aus  der  dritten,  vierten  und  fünften  Gleichung  (107'")  folgt  bei 
Benutzung  der  Werte  (216')  von  z,,  y^,  z^ 


§  26,     Gleichgewicht  einer  gleichförmig  gespannten  Platte.  439 


dV 

dx 


=  h\^x  +  h%  ^y  +  *4e^^i/» 


^  =  *61^x  +  *52  ^y  +  he^y' 


220") 


Setzt  man  für  X ,  ¥  ,  X  die  aus  (218)  folgenden  Werte  ein  und 
berücksichtigt  die  Bedingungen  (215"),  so  erhält  man  für  U,  V,  W 
Funktionen  zweiten  Grades  von  z  mit  vöUig  bestimmten  Konstanten; 
das  Problem  ist  also  allgemein  gelöst. 

Wir  bemerken,  daß  bei  ausschließlicher  Wirkung  von  Zugkräften 
A^  jB,  I)  die  von  den  Drehungen  abhängigen  /',  m',  K  und  die 
quadratischen  Glieder  in  U,F,  ^  verschwinden,  bei  alleiniger  Wirkung 
der  Momente  Z,  M,  K  die  a,  b\  d'  und  die  linearen  Glieder  in  ?7,  F,  W 
gleich  Null  sind. 

Von  den  Moduln  haben  die 

*88>    *43'    *63'    *44J    *66'    *4« 

keinen  Einfluß  auf  das  gestellte  Problem;  die  Deformation  der 
Mittelfläche,  welche  durch  a,  ä',  cT,  /',  m',  K  bestimmt  wird,  hängt 
ausschließlich  ab  von 

*11>    *12'    *22'    *16>    *28'    *66' 

Von  spezielleren  Fällen  kommt  hier  besonders  der  in  Be- 
tracht, daß 

*16  =  ^26  ~  ^ 

ist,  wie  das  z.  B.  stets  stattfindet,  wenn  die  Z-  oder  T-Axe  eine 
mindestens  zweizählige,  die  Z-Axe  eine  drei-  oder  sechszählige 
elastische  Symmetrieaxe  ist. 

Dann  ist 
2Aa'=;?ii^  +  Äij5,    2kb'=8^^A  +  g^^B,    2hd' =  s^^B,     \    ^ 

also  wenn  man  abkürzt 

^11  --  y  ^M  —  y        ?13 —  —  y     =— y 

-     «     __  o    »"'/22>    ,    o     _o    «—/ll»    9    o     _c    a~        /12  fiV 


*6S 


~*  Vae 


9 


440  U,  Teä.    Mechanik  nichtsta/nrer  Körper.    IV.  Kap. 


Für  isotrope  Körper  ist  spezieller 


221'") 


«1 


^11  ""  ^22  ~  ^  "~  ^«  _  5  2  '      ^12  ""  ^1   ~  58  _  ^9  « 

/'eo  =  ?'2  =  orÄ^:^^  =  i(/  —  J'i)' 


2U-5i) 

worin  ä,  äj,  ^2  die  früheren,  y,  y^,  y^  neue  Bezeichnungen  sind. 

Bezüglich  der  Tragweite  der  im  vorstehenden  abgeleiteten  Se- 
sultate  und  ihrer  Anwendbarkeit  auf  die  Praxis  einerseits,  auf  Be- 
wegungszustände  andererseits  sei  auf  das  S.  411  Gesagte  verwiesen. 

§  27.    Gleichgewicht  und  Bewegung  einer  unendlich  dünnen  Platte. 

Das  Problem  einer  beliebig  gespannten  unendlich  dünnen  Platte 
läßt  sich  ebenso  auf  dasjenige  einer  gleichförmig  gespannten  von  end- 
licher Dicke  zurückführen,  wie  das  Problem  des  unendlich  dünnen 
Cylinders  auf  dasjenige  des  endlichen,  aber  gleichförmig  gespannten. 

Denken  wir  uns  die  Mitt^lfläche  der  Platte  vor  der  Deformation 
mit  der  Äi?- Ebene  eines  absolut  festen  Koordinatensystemes  zu- 
sammenfallend und  die  Platte  in  diesem  Zustande  durch  Ebenen 
parallel  zu  den  anderen  Koordinatenebenen  in  parallelopipedische 
Elemente  zerlegt;  denken  wir  uns  femer  in  der  der  —  ä  und 
—  H'Axe  zugewandten  Ecke  jedes  Elementes  ein  Koordinatensystem 
X,  r,  Z,  wie  in  (215')  festgesetzt  ist,  mit  dem  Element  verbunden, 
so  kann  man  die  Volumenelemente  jederzeit  so  klein  annehmen,  daß 
bei  stetiger  Deformation  der  ganzen  Platte  in  einem  jeden  Element 
die  Deformationsgrößen  nicht  merklich  von  x  und  y  abhängen,  ohne 
daß  dabei  die  Querdimensionen  der  Volumenelemente  verschwindend 
gegen  ihre  Dicke  wären.  In  diesem  Falle  kann  man  also  auf  das 
Volumenelement  sofort  die  im  vorigen  Paragraphen  abgeleiteten 
Formeln  anwenden.  Dabei  mögen  die  absoluten  Koordinaten  eines 
Punktes  der  Mittelfiäche  nach  der  Deformation  mit  |,  1],  ^  bezeichnet 
werden;  2A  sei  wieder  die  Dicke  der  Platte,  dq  ein  Element  seiner 
Mittelüäche,  ds  ein  Element  von  deren  Randkurve. 

Die  HAMiLTON'sche  Gleichung  lautet  hier 
ti      +/» 
222)  JdtJdz[fdq{S^P'^S(f  +  S'a^)+fdsS'a^'\==0, 

to  —h 

und  zwar  bezeichnet  darin  S'ip  und  S(f  die  Variation  der  lebendigen 
Kraft  und  des  Potentials  der  Volumeneinheit,  S^u^  die  gleichfalls 
auf  die  Volumeneinheit  bezogene  Arbeit  der  körperlichen  Kräfte,  S'a^ 


§  27,     Oleiekgewieht  und  Bewegung  einer  unendlich  dünnen  Platte.      441 


die  auf  die  Flächeneinheit  bezogene  Arbeit  der  auf  die  Randfläche 
wirkenden  äußeren  Drucke.  An  den  Integralen  nach  z  mögen  der 
Kürze  halber  weiter  die  Grenzen  —  h  und  +  h  fortbleiben. 

Die  lebendige  Kraft  eines  Volumenelementes  2hdq  drückt  sich, 
wenn  man  wieder  das  einzelne  Volumenelement  als  Ganzes  bewegt 
denkt,  analog  wie  in  (196')  aus;  da  aber  alle  Trägheiteradien  un- 
endlich klein  sind,  so  reduziert  sich,  wenn  die  d^jdt,  dt}/ dt,  d^/dt 
nicht  unendlich  schnell  mit  dem  Ort  auf  der  Mittelfläche  der  Platte 
wechseln,  der  Wert  auf 

ä,f^äz  =Tä,  =  e  (df )V  (||)V  %f)  Ä  ä,.         2220 

Die  Arbeit  der  körperüchen  Kräfte  an  demselben  Volumen 
wird,  wenn  diese  Kräfte  keine  Momente  um  zu  den  festen  Axen 
parallele  durch  den  Schwerpunkt  des  Elementes  liefern, 

dqfS'aJz  =  S'Sdq=:2h{S'S^+irdr]+Z'd^)dq,        222") 

worin  ff,  IT,  Z'  auf  die  Volumeneinheit  der  Platte  bezogen  sind. 

EndUch  wird  die  Arbeit  der  Oberflächendrucke  an  dem  Rand- 
element 2  k  ds,  falls  S%  S^fi,  S^v  die  Drehungswinkel  angeben, 

dsfS'adz^S'Sds  \ 

^{4a^  +  B8r]  +  rö^+AS'X  +  MS'ii  +  N8'v)d8,  J 

worin  A,  B,  F,  A,  M,  N,  die  Komponenten  und  Momente  nach  den 
festen  Axen,  sich  auf  ein  Stück  der  Randfläche  von  der  Länge 
Eins  beziehen.    T,  S'S  und  S^S^  sind  neue  Bezeichnungen. 

Die  Variation  des  elastischen  Potentiales  des  Volumenelementes 
2  h  dg  wird  hier  wegen  X^  =  J^  =  if^  =  0  einfach 


ä,fä.  S^=-  ä,fä.  [Z.  ^^  -H  7/^  -H  X,  {^'^  + 


döv^ 


223) 


dx 
Hier  hinein  sind  die  Werte  (216')  zu  setzen  und  das  Resultat 

==  -  dqjdz  [X^{Sa'  +  z  Sm)  +  ^  (^Ä'~  z  SV)  +  X^{dd'  +  z  dk')] 
nach  z  zu  integrieren;  dadurch  erhält  man  nach  (217"") 

=  +  [{A8a'  +  BSb'  +  BSd')  +  [LSV  +  MSm  +  K8K)\  dq,     223') 
oder  wegen  (220)  auch 

dq  JdzStp^  {SP^  +  SP^)  dq.  223") 


442  //.  TeiL    Meehanik  mehtstarrer  Körper.    IV,  Kap. 


Die  HAMiLTON'sche  Gleichung  (222)  lautet  somit 

223'")     fdt[^dq{ST-  SP^  -  SP^  4-  S'S)  +  JdsS'S^  =  0. 

Die  vorstehenden  Formeln  gestatten  leicht  die  Erweiterung  auf 
den  Fall  ursprünglich  gekrümmter  Platten,  wenn  man  sich  dabei 
auf  den  allein  in  Betracht  kommenden  Fall  isotropen  Materiales 
beschränkt  Indem  man  die  auf  S.  418  angewandte  Schlußweise 
wieder  benutzt,  kommt  man  zu  dem  Resultat,  daß  P^  für  den  Fall 
daß  die  Änfangswerte  von  Z',  m',  K  die  Beträge  Z«,  iWa,  ä«  besaßen, 
den  durch 

gegebenen  Wert  annimmt,  das  übrige  sich  aber  nicht  ändert 

Auf  Folgerungen  aus  den  vorstehenden  allgemeinen  Gleichungen, 
die  sich  auf  endliche  Formänderungen  ebener  oder  ursprünglich 
gekrümmter  Platten  beziehen,  gehen  wir,  weil  sie  zugleich  nur 
umständlich  zu  erhalten  und  von  geringerem  praktischen  Interesse 
sind,  nicht  ein. 


§  28.     unendlich  kleine  Verrückungen  ursprünglich  ebener 

elastischer  Platten;  Membranen. 

In  dem  wichtigsten  Fall,  daß  die  Platte  nur  unendlich  wenig 
von  der  ursprünglichen  ebenen  Gestalt  abweicht  und  auch  in  ihrer 
Ebene  nur  unendlich  kleine  Verrückungen  erfahren  hat,  bilden  die 
in  jedem  Volumenelement  konstruierten  X,  Y,  Z-Axen  nur  unendlich 
kleine  Winkel  mit  den  absolut  festen  ä,  H,  Z-Äxen. 

Es  kann  demnach  hier 

224)  |  =  ar  +  M,    rj  =  j/ +  v,    ^  =  w 

gesetzt  werden,  wo  u,  v,  w  sich  auf  die  Mittelfläche  r  =  0  beziehen 
und  nur  von  ar,  y  und  t  abhängen;  es  ist  dann  weiter  in  erster 
Näherung 

,  _^  du     »/_  öt'      ^'__^"   I    ^^ 


also  nach  (215'")>  his  auf  zwei  irrelevante  Konstanten, 

224")  l=i^,     m=-^. 

'  ay  ^  ox 


§  28.     ünendlieh  kleine  Verrückungen  elastischer  Platten, 


443 


Demgemäß  wird,  wenn  wir  nur  Momente  um  die  Randlinie  der  Platte 
zulassen,  also  N  in  dem  Wert  von  S^S  gleich  NuU  setzen, 


SP, 
8'S 


=  LS 


8'S  = 


/du  ,   dv\ 
\oxj  \oyi  \dtf       dx)' 

2Ä  {S'Su  +  irSv  +  Z'Sw), 

ASu  +  B8v  +  rSto  +  A~-  mI** 

oy  ox 


224'") 


Führt  man  diese  Werte  in  die  HAMiLTON'sche  Gleichung  (228'") 
ein  und  variiert  darin  successive  nur  u,  nur  v,  nur  w,  so  erhält  man: 


MI  "9  M^)'-^»  m  -^»(^) + 2*^'« 


+  fB'S^ds\  =  0, 


+  2hZ 


'H  +/[ 


rdw  + 


''^©-«(ai'"}-»-. 


225) 


Die  Entwickelung  dieser  Formeln   durch  teilweise  Integration 
giebt,  soweit  man  das  resultierende  Flächenintegral  in  Betracht  zieht, 


i/_  +  ^  +  2hS', 

dx  oy  ' 

da;*         oy'  oxoy 


225') 


Für  Punkte  der  Eandkurven  giebt  das  Nullsetzen  der  Faktoren 
von  Su  und  Sv  unter  den  Kurvenintegralen  sogleich,  falls  man  unter  n 
die  äußere  Normale  versteht: 


444 


//.  Teil.     Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


225") 


A  cos  (n,  x)  +  D  cos  {n,y)  =  ^, 
icoQ{n,x)  +  Bcos{njy)  =  B; 

außerdem  folgt    für  den  Fall  des   Gleichgewichts  aus    allgemeinen 
mechanischen  Bedingungen 

J^ds  +  2hJS'dq  =  fBds  +  2hjirdq  =  0, 

J(xB-^^^ds  +  2hJ[xir-yS)dq  =  0. 


225'") 


Hingegen  sind  die  Glieder  mit  S{dwldx),  S(dtcldi/)  und  Sw  erst 
umzuformen.     Wir  haben  zunächst 

Jds  \(KcoQ(n,x)  -  i;cos(7i,y)  +  ^)  ^(^f ) 

+  {Mcos  (n,  x)  +  äTcos  (n,y)  -  M)  J  (^^) 
'öS 


-[( 


+  -^^  I  cos 


dx       dy 


)  cos{n,x)  +  (II  -  ||j  cos(7i,y)  -  F^dtc]  =  0. 


Liegt  s  zu  n^   wie    die   J-   zur   X-Axe,   so    ist   cos(n,  ar)  =  cosf^yy). 
cos(7i,y)  =  —  cos(ä,  ar)  und 

femer  wird,  da  nach  der  Annahme  das  resultierende  Moment  A  um 
das  Randelement  ds  wirkt, 

—  -^cos(7^,y)  +  Mco8(w,a:)  =  J, 

^cos(n,ar)  +  Mcos(n,y)  =  0; 

daraus  folgt  für  das  obige  Integral,  falls  man  kurz  cos(7i,x)  =  cosy 
setzt. 


/rf,{(2 


Ä'cos  qp  sin  qp  —  i  sin^  qp  +  Jlf  cos^  qp  —  J) 


+  (Ä'  (cos*  (f  —  sin*  qp)  —  (i/  +  M)  cos  qp  sin  qp) 


-(( 


bM    .    BK 


+ 


K\  ,    IdK       dL\    . 

-Jcos9P  +  (^--g^)sin(^ 


-rj^tr}. 


dx        dy)^^^^    '    \dx        dy 

Formt  man  das  zweite  Glied  durch  teilweise  Integration  über  die 
ganze  Randkurve  um,  wobei  das  abgesonderte  Glied  verschwindeu 
so  ergiebt  sich  durch  NuUsetzen  der  Faktoren  von  ^?r  und  Sidwjdn^ 


§  28,    Longitudinale  Verriickungen  in  elastischen  Platten,  445 


d  r-^. 


Y-  T-ff  (cos  ^(f  —  sin  ^<f)  —  (Z  +  M)  cos  tp  sin  qpl 


226) 


,    (dM  ,   dK\  ,    /öJT      öZ;\   .  y,      ^ 

2  JTcos  9?  sin  qp  —  i  sin^  (p  +  Mcos^  qp  —  J  =  0.  226') 

Zugleich  muß  im  Falle  des  Gleichgewichts  gelten 

Jrd8  +  2hJZ'dq  =  0, 

f{A+  yT)  ds  +  2hjyrdq  =  0,    \  226") 

J{M-^xr)ds  —  2hJxZ'dq==0. 

Außer  diesen  Bedingungen  für  die  Kräfte  und  die  Momente 
existieren  noch  solche  für  die  Verrückungen,  auf  die  wir  weiter 
unten  eingehen  werden. 

Alle  die  vorstehenden  Bedingungen  (225')  bis  (226")  sind  unab- 
hängig von  dem  speziellen  Gesetz,  welches  die  Funktionen  A,  JB,  JD 
und  Z,  Mj  K  mit  den  Verrückungen  m,  t?,  w  verbindet;  sie  haben 
also  eine  bemerkenswerte  Allgemeinheit. 

Auf  das  spezielle  elastische  Problem  werden  sie  durch  Ein- 
führung der  Werte  Ä^  Bj  I)  und  i,  JKJ  K,  welche  aus  den  Formeln 
(220)  und  (220')  folgen,  angewandt.  — 

Wir  wenden  uns  zunächst  zur  Behandlung  der  longitudinalen 
Verschiebungen  innerhalb  einer  Platte  und  bemerken  dazu,  daß 
wegen  jener  Werte  geschrieben  werden  kann 

A:=-^2hA^,    B=-2hBy,    i>= -2ÄJj^== -2A5^,     227) 

worin  nun 

ist;  zugleich  nehmen  die  zwei  ersten  Gleichungen  (225')  die  Form  an 

\  22T\ 

die  Randbedingungen  (225")  die  andere 

Z^+^'=:b;^+JB'=0,  227 

worin  gesetzt  ist 

^^cos(n,ar)  +  J^cos(n,y)  =  A^,  A  =  2hA\ 
jB  cos(n,a:)  +  ^  cos(n,y)  =  B^,  B  =  2 kB, 


446  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


Diese  interessante  Form  zeigt,  daß  die  für  die  ebenen  Defor- 
mationen einer  ebenen  Platte  maßgebenden  Formeln  aus  den  allge- 
meinen fiir  räumliche  Probleme  gültigen  auf  S.  331,  340  u.  f.  durch 
eine  einfache  Übertragung  auf  die  XJ"-Ebene,  d.  h.  durch  Nullsetzen 
der  Komponenten  und  Verrückungen  parallel  der  ^-Axe,  sowie  aller 
DiflFerentialquotienten  nach  Zj  —  allerdings  unter  gleichzeitiger  Ver- 
änderung der  Elasticitätskonstanten  c^^  in  die  y^^j,  —  erhalten  werden. 

Hieraus  folgt,  daß  man  für  eine  ganze  Reihe  von  räumlichen 
elastischen  Vorgängen  Analoga  für  die  ebene  Platte  ohne  alle  Sech- 
nung  behandeln  kann;  z.  B.  ist  die  Untersuchung  über  die  Bestimmt- 
heit des  elastischen  Problems  von  S.  342  u.  f.  direkt  auf  den  vor- 
liegenden Fall  anwendbar. 

Für  spezielle  Probleme  kommen  besonders  solche  Platten  in 
Betracht,  die  sich  für  longitudinale  Verrückungen  wie  isotrope 
verhalten,  wozu  eine  bestimmte  Symmetrie  des  Erjstalles,  aus  dem 
sie  hergestellt  sind,  und  eine  bestimmte  Orientierung  der  Platte 
gegen  die  Krystallaxen  erforderlich  ist.®^ 

Hier  wird  nach  den  ersten  drei  Formeln  (221") 

und  die  Gleichungen  (227")  lauten,  wenn  man 


228) 


setzt, 


228') 


du    .    dv  CL        — >  —      m  Ti 


y 

Macht  man  hier  die  korrespondierenden  Zerlegungen 

d0      BN      „  80  ,   dN 

^  =  —  3t:  + 


228") 


^             dx        d  y^  dy        dx 
und 

_dF      dW  _dF      dW 

"■"öi  "^  öy  '  ^Ty  "JJ' 


SO  zerfällt  die  letztere  die  Deformation  in  eine  durch  F  bestimmte 
Potential-  und  eine  durch  H^  bestimmte  Drillungsdeformation. 
Für  die  Potentialdeformation  ist 

^^^)  I  d^F 

'^^dxdy' 


^  M  r. 


§  28.    Longitudinale  Verrücktingen  in  eiasiiachen  Platten.  447 


also  in  dem  speziellen  Falle,  daß  /^^F  =0  ist, 

daher 

-  <  =  ^3  /'f- ,     ~  Ä  =  n  -/-f  - ,  229") 

und  falls  wieder  cos(n,a:)  =  cos(«,y),cos(n,y)  =  —  cos(*,  ar)  ist,  und 
^  und  8  die  Komponenten  nach  den  Richtungen  von  n  und  a  be- 
zeichnen, 

-^«=y2?-i»      -*«=r2/^-  229"') 

»»      '  ^  a  w'  •*      '  *  OSO«  ' 

Für  eine  Drillungsdeformation  ist 


230) 


231) 


daher  also 

^«- t/2\öydn  ^  öicösj'  «""^■'^aVdyd«       dxdn)' 

Die    Grundgleichungen    (228')    nehmen    infolge    der    Substitu- 
tion (228")  flir  den  Fall  des  Gleichgewichtes  die  Gestalt  an 

(80       dm  ,        A     OTT  ,        ^     öi^ 

eine  partikuläre  Lösung  ist  gegeben  durch 

Q<lJ  =  rAF,     e^^i/aA//;  231') 

woraus  man  schließen  kann 

^=  r'^/**! '(*Vyi,    '^'^  2n'^/^i'(«V^r      231") 

Diese  Lösungen  sind  für  eine  unendliche  Platte,  die  im  Unendlichen 
fest  ist,  die  vollständigen;  sie  geben  in  dem  speziellen  Falle,  daß 
€p^  und  N^  nur  auf  einem  kleinen  Flächeusttick  q^  von  Null  ver- 
schieden sind,  für  Punkte  in  endlicher  Entfernung  von  y^ 

F=Hl{e^),     W=^Jl{e% 
worin  ^^ 

gesetzt  ist 


448  //.   Teil.     Mechanik  niehtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 


Wenn  q^  unendlich  klein,  aber  H  wie  /  trotzdem  endlich  ist, 
wird  F  und  JT  in  q^  unendlich  und  dessen  Ort  muß  demnach  für 
die  Betrachtung  durch  eine  q^  umschließende  Kurve  *j  ausgeschlossen 
werden.  In  diesem  Falle  sind  die  Deformationen  als  durch  Drucke, 
welche  gegen  s^  wirken  und  sich  nach  (229")  und  (230')  berechnen 
lassen,  hervorgerufen  zu  betrachten. 

Ist  die  Kurve  s^  ein  Kreis  vom  Radius  e  um  q^  als  Mittel- 
punkt, so  wird  die  obige  Potentialdeformation  durch  einen  normal 
gegen  s^  wirkenden  Druck  von  der  Größe  2y^ffle^,  die  DriUungs- 
deformation  durch  einen  tangentialen  von  der  Größe  y^Jie' 
bewirkt  — 

Die  allgemeinen  Lösungen  (231"),  die  in  Wirklichkeit  vierfache 
Integrale  enthalten,  kann  man  auf  eine  einfachere  Form  bringen 
durch  Betrachtung  der  kombinierten  Deformation,  die  gegeben 
ist  durch 

232)  F=  --qx  l{e%     W=  -pt/  l{e% 

und  die  den  Hauptgleichungen  genügt,  wenn  gilt 

232')  2qr  =  pr2=pir-rir 

Es  wird  dabei 

die  Verrückungen  sind  also  im  Unendlichen  nicht  gleich  NuU,  u  ist 
dort  sogar  unendlich. 

Begrenzt  man  die  Platte  durch  eine  kleine  geschlossene  Kurve 
um  den  Koordinatenanfangspunkt,  so  sind  gegen  dieselbe  Drucke 
auszuüben,  deren  Gesamtkomponenten  sind 

Hiernach  kann  man,  analog  wie  auf  S.  385  und  386,  sogleich  bilden, 
wenn  alle  Elemente  der  Platte  Komponenten  S,  H  erfahren 

-='i(y+yO(x-xO(y-y,)]'''' 


232") 


233) 


«=  -        * 


e» 


§  28.     Transversale  Verrückungen  m  einer  ehisHsehen  Platte,         449 


Wirken  Kräfte  S  und  H  nur  im  Endlichen,  und  ist 

fS,dq,^fH^dq,=^0,  233') 

so  ergeben  diese  Lösungen   im  Unendlichen  «  =  r  =  0  und  lassen 
sich  überdies  auf  die  mit  (161')  übereinstimmende  Form  bringen 


233") 


Auch  die  in  §  22  gegebenen  Entwickelungen  über  Gleichge- 
wichtsdeformationen beliebig  begrenzter  isotroper  Körper  infolge  von 
Oberflächendrucken  und  -verrückungen  gestatten  eine  teilweise  Über- 
tragung auf  den  Fall  der  Platte;  doch  mag  deren  Umständlichkeit 
wegen  von  der  Auseinandersetzung  abgesehen  werden. 

In  gleicher  Weise  mag  es  an  dem  Hinweis  genügen,  daß  die 
Fortpflanzung  von  longitudinalen  geradlinigen  Wellen  innerhalb  der 
Platte  nach  ganz  analogen  Gesetzen  geschieht,  wie  die  von  ebenen  Wellen 
im  Baume;  bezüglich  der  Kreiswellen  gilt  das  auf  S.  364  Gesagte. — 

Wir  wenden  uns  nun  zu  dem  wichtigeren  Problem  der  trans- 
versalen Verrückungen  einer  Platte  und  betrachten  zunächst  die 
Bedingungen  des  Gleichgewichtes.®') 

Die  Hauptgleichung  lautet  nach  (225') 

0  =  ??-?|  +  2^T.  +  2AZ';  234) 

mit  ihr  sind  die  allgemeinen,  aus  (220)  und  (220')  folgenden  Werte 
von  Lj  Mj  K  zu  kombinieren. 

Multiplizieren  wir  sie  mit  w  und  integrieren  über  die  ganze 
Ausdehnung  der  Platte,  so  erhalten  wir  zunächst,  falls  n  die  äußere 
Normale  bezeichnet, 


-  f  [(i¥cos  {n,x)  +  K  cos  (w,  t/))  |j 
+  (ü:cos(n,a:)  -  i;cos(n,y))  ^   ds 

Voigt,  Theoretische  Physik.  29 


wds 


234') 


450  //.  Teil.    Meckamh  nicMstarrer  Körper.    IV.  Kap. 

durch  teilweise  Integration  des  zweiten  Integrales  und  Benutzung  der 
Formeln  (226)  und  (226')  ergiebt  dies  bei  Berücksichtigung  des  Wertes 
von  Pg 


234")  Q=J(rw  -  j|^W5-2j(P2-AZ'M?)rf9. 

Hieraus  folgt,  falls  P^  eine  definite  quadratische  Form  ist,  was 
wir  voraussetzen  wollen,  in  mehrfach  benutzter  Weise,  daß  w  bis 
auf  eine  additive  lineare  Funktion  von  x  und  y  vollständig  bestimmt 
ist,  wenn,  neben  der  äußeren  Kraft  Z'  für  alle  Stellen  der  Platte, 

noch  r  und  J, 
oder  r  und  dw j dn, 
oder  w  und  J, 
oder  w  und  dwjdn 

für  alle  Bandpunkte  —  F  und  J  natürlich  im  Einklang  mit  den 
Bedingungen  (226")  —  vorgeschrieben  sind. 

Von  besonderem  Interesse  sind  die  zwei  Grenzfälle,  daß  P  und 
J  oder  w  und  dwjdn  ringsum  gleich  NuU  sind;  im  ersten  Falle 
ist  der  Band  der  Platte  frei,  im  letzteren  vollkommen  befestigt. 

Man  kann  die  Gleichung  (234")  auf  eine  mit  (201')  korrespondie- 
rende Form  bringen,  indem  man  die  erste  Formel  (226"),  mit 
—  t«?Q,  die  zweite,  mit  —  (dw / dt/)^,  die  dritte,  mit  +  (ötr/ÖJr\, 
multipliziert,  zu  ihr  addiert,  wobei  durch  den  Index  ^  der  Wert  in 
dem  auf  der  Platte  liegend  gedachten  Koordinatenanfang  bezeiclmet 
werden  mag.     Das  Besultat  lautet 


(»-/{4-«'«-'(l?).-»(lll 


234'") 


+ 


^fö-dfll-^K-di).])^' 


-2fp,ä,  +  ,,fr[u,-.,-,m-,m]ä,. 


bietet  indessen  hier  keine  besonderen  Vorteile  dar. 

Dieselbe  Betrachtung  läßt  sich  für  den  Fall  der  Bewegung  an- 
stellen, wie  dies  auf  S.  422  gezeigt  ist;  statt  mit  todq  ist  dabei  die 
Hauptgleichung  mit  {dwjdi)dqdt  zu  multiplizieren  und  sowohl 
über  die  Mittelfläche  der  Platte,  als  über  die  Zeit  von  ^  =  0  bis  zu 
einem  willkürlichen  t  =^  t^  tm  integrieren.  Die  Resultate  bezüglich 
der  zur  Bestimmung  des  Problems  erforderlichen  Randbedingungen 
sind  mit  den  früheren  identisch.  —  • 


§  28,     Transversale  Verrückungen  in  einer  elasiisehen  Platte.         451 


In  dem  auf  S.  439  besprochenen  speziellen  Fall,  daß  s^^  ==  «^^  =  0 
ist,  wird 


^         Ua?'^"        Öy«^lV'     //--hy/l     (^3^.1^2+   Öy9/22J> 


235) 


und  die  Hauptgleichung  (234)  für  w  nimmt  die  Form  an 
P  TT  +  *  *   ( Ji* ''"  +  2  5^^-.  ^^  (Xi,  +  2rJ  +  j^  y,,)  =  Z\       2350 
Für    isotrope    Körper    erhält    man    noch    einfacher    wegen 

^11  ~  ^22  ~  y»      ^12  ~  ^1  >      ^66  =  ^2  ~  Tu  1  "  /) 

(>|\v  +  iAVAaA3t^  =  ^^  235") 

Im  Falle  des  Gleichgewichts  bei  gegebenen  Randwerten  von  w 
und  dw/dn  treten  die  auf  S.  207  angegebenen  Regeln  in  Kraft; 
die  übrigen  dort  angegebenen  FäUe  von  Randbedingungen  haben 
kein  physikalisches  Interesse.  — 

Das  Problem  der  stehenden  transversalen  Schwingungen 
einer  begrenzten  ebenen  Platte  ohne  äußere  Kräfte  bietet  im  allge- 
meinen der  Behandlung  große  Schwierigkeiten. 

Setzt  man  w  ^  Ssma{t  +  t^),  so  gut  für  B  die  Gleichung 

-  a^R  +  (o'^Ai  A^JR  =  0,  235'") 

wo  (M}^^=^  h^Y I^Q  18*5  die  Randbedingungen  sind  dem  Schema  auf 
S.  450  bei  Berücksichtigung  der  für  isotrope  Medien  vereinfachten 
Werte  von  F  und  A  aus  (226)  und  (226')  zu  entnehmen. 

Bei  rings  freiem  Rande  ist  bisher  die  Lösung  nur  für  die  Kreis- 
scheibe gefunden,  bei  teilweise  freiem  Rande  für  das  Rechteck, 
hier  nämlich  in  dem  Fall,  daß  für  ein  Seitenpaar  F  und  J,  für 
das  andere  w  und  A  gleich  Null  sind.  Bei  ringsum  festem  Rande 
sind  die  Schwierigkeiten  geringer.'*) 

Im  allgemeinen  findet  sich,  wie  bei  dem  Stab,  für  a  und  damit 
für  die  Periode  r  der  Schwingung  eine  unendliche  Anzahl  diskreter 
Werte;  in  speziellen  Fällen  können  zwei  oder  mehrere  zusammen- 
fallen, so  daß  also  mehrere  Lösungen  R  oder  mehrere  Schwingungs- 
formen demselben  Ton  entsprechen.  Solche  Töne  heißen  doppelte 
oder  mehrfache. 

Die  Schwingungsknoten  sind  bei  einfachen  Tönen  gegeben  durch 

Ä  =  0, 
bei  mehrfachen,  falls  Äj ,  Ä^  .  . .  demselben  a  entsprechen,  durch 

Äj +  i?3+ . .  .  =  0; 

29* 


452  IL  TeiL    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 

da  die  i2^  nur  Funktionen  von  x  und  y  sind,  so  erfüllen  die  Knoten- 
punkte im  allgemeinen  gewisse  Kurven,  die  Knotenlinien,  stetig. 
Einfachen  Tönen  entspricht  nur  ein  einzelnes  System  von  Knoten- 
linien,  n-fachen  ein  (n  -—  l)fach  unendliches;  die  speziellen  Formen 
hängen  in  letzterem  Falle  von  der  relativen  Intensität  ab,  welche 
die  einzelnen  einfachen  Schwingungen,  d.  h.  von  der  relativen  Größe, 
welche  die  einzelnen  Funktionen  Ä^  in  der  allgemeinen  Lösung 
besitzen. 

über  die  Erregung  von  transversalen  Schwingungen  in  endlichen 
Platten  durch  Resonanz  kann  man  einen  allgemeinen  Satz  auf  dem 
auf  S.  433  für  die  transversalen  Schwingungen  endlicher  Stäbe  ein- 
geschlagenen Wege  erhalten,  der  jenem  genau  entspricht  und  hier 
daher  ausgelassen  werden  kann. 

Die  allgemeinen  Gesetze  für  die  Fortpflanzimg  einer  anfang- 
lichen Verrückung  und  Geschwindigkeit  auf  einer  unbegrenzten 
isotropen  Platte  sind  noch  nicht  gefunden.  — 

Wenn  in  den  Werten  (224'")  von  8P^  und  SP^  zugleich  wegen 
sehr  geringer  Dicke  der  Platte  SP^  sehr  klein  und  wegen  sehr  großer 
Aj  JBj  D  auch  SP^  sehr  groß  ist,  so  muß  in  den  Ausdrücken  für  die 
Faktoren  Sa,  Sb\  8d'  der  letzteren  in  SP^  noch  die  zweite  Ordnung 
berücksichtigt  werden.  Bedenkt  man  die  Bedeutung  von  a ,  b'j  c 
und  berücksichtigt,  daß  die  relativen  Koordinaten  der  Endpunkte 
eines  Linienelementes,  welches  ursprünglich  der  f-Axe  parallel  lag, 

H''*'  IJ''^'  rJ"' 

diejenigen  eines  Linienelementes,  das  ursprünglich  der  JBT-Axe 
parallel  lag, 

ry^y^  di'^y'  ry'^y' 

sind,  so  erhält  man  leicht,  indem  man  schließlich 


setzt, 


236) 


2         /a._\a\ 


'■-^^i((^;^(lf'' 


Benutzt  man  diese  Werte  bei  der  Entwickelung  der  HAMiLTON^schen 
Gleichung  (223'")  und  variiert  allein  w,   während  man   zugleich  die 


§  28.     Theorie  der  Membranen,  453 

von     8P^     herrührenden    Glieder    vernachlässigt,     so    erhält    man 
zunächst 

«1 


P,P,  [*,. (|^)>_ ^^,(U)'_  j BSI^^)'- L,  (If  I-;) 


+  2A  T  8v3 


=  0. 


2360 


Führt  man  die  Variation  bei  gegebenen  Randwerten  Ton  to,  also  ver- 
schwindendem  Sw  aus,  so  giebt  dies**) 

dabei  muß,  wenn  Bewegungen  und  körperhche  Kräfte  parallel  der 
Platte  fehlen,  nach  (225') 

0  =  1^  +  1^,      0  =  1^  +  1^,  237) 

außerdem  am  Eande  nach  (225") 

Ä  cos  (n, x)  +  I)  cos(7i,y)  =  A,     D  cos (n, x)  +  B cos [n,y)^  B     237') 

sein. 

Hier  kann  man,  da  t  in  diesen  Gleichungen'^nicht  auftritt, 
Aj  JB,  D  als  von  der  Zeit  unabhängig  ansehen,  was  nur  aussagt, 
daß  der  Einfluß  der  transversalen  Schwingungen  auf  diese  Größen 
höherer  Ordnung  ist 

Der  wichtigste  spezielle  Fall  ist  der,  daß  auf  die  Eandkurve 
eine  konstante  normale  Zugkraft  11  wirkt;  dann  ist 

u4  =  neos  (w,  ar),     jß  =  iZcos  (n,y) 

und  n  konstant;  hieraus  folgt 

A==  B  =  n,    i>  =  0 
und 

2Ä(>  Jj  =  /lAa«'  +  2AZ'.  237") 

Dazu  kommen  für  den  Rand  vorgeschriebene  Werte  von  w,  und 
für  die  Zeit  ^  ==  0  vorgeschriebene  Werte  von  w?  und  dw / dt,  um 
das  Problem  vollständig  zu  bestimmen;  am  Kand  gegebene  dwjdn 
kommen  in  der  Praxis  nicht  vor,  doch  kann  man,  ähnlich 
wie  S.  435  geschehen,  den  Fall  konstruieren,  daß  am  Rande 
F^w  ^  dw I dn  gegeben,  etwa  gleich  Null  ist,  ohne  daß  derselbe 
eine  praktische  Bedeutung  besäße. 

Diese  Formeln  enthalten  die  Theorie  des  Gleichgewichts  und 
der  Bewegung  einer  Membran  und  sind  die  gleichen,  ob  jene  von 


454  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.    IV.  Kap. 

isotroper  oder  anisotroper  Substanz  ist,  was  damit  zusammenhängt 
daß  die  Elasticität  der  Membran  bei  der  Erscheinung  überhaupt 
keine  Rolle  spielt. 

Ihre  Gestalt  stimmt  überein  mit  derjenigen  der  Gleichungen 
für  die  nur  Ton  zwei  Koordinaten  abhängigen  Verrückungen  inner- 
halb einer  elastischen  Flüssigkeit;  sie  gestatten  demgemäß  die  genau 
gleiche  Behandlung,  doch  sind  hier  andere  spezielle  Fälle  von 
praktischer  Bedeutung,  wie  dort. 

Im  Falle  des  Gleichgewichts  lautet  die  Hauptgleichung 

238)  0  = /7AaM?  +  2AZ'; 

sie  läßt  sich  also  bei  gegebenem  w  nach  S.  199  mit  Hilfe  der  ersten 
GnEBN'schen  Funktion  behandeln. 

Im  FaUe  der  Bewegung  ohne   körperliche  Kräfte  erhält  man 

238')  2A(>^  =  /7A3t^, 

woraus  sich  der  Wert  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  a>  gerad- 
liniger Wellen  ergiebt  gemäß 

238")  «»^=2?^,; 

n  ist  darin  die  gegen  die  Längeneinheit  des  Randes  wirkende  Zug- 
kraft, nj2h  also  ihr  auf  die  Flächeneinheit  bezogener  Wert 

Eine  eigentliche  Fortpflanzung  von  Kreiswellen  auf  einer 
Membran  findet  nicht  statt,  wie  das  schon  auf  S.  364  erwähnt  und 
S.  375  näher  begründet  ist,  sondern  statt  dessen  eine  Ausbreitung, 
welche  die  ergriffenen  Punkte  erst  nach  unendlich  langer  Zeit  in 
die  Ruhelage  zurückkehren  läßt. 

Hiermit  hängt  zusammen,  daß  die  Erregung  einer  transversalen 
Bewegung  durch  ebensolche  Anfangsverrückungen  und  Geschwindig- 
keiten auf  einer  unendlichen  Membran  nach  viel  komplizierteren 
Gesetzen  geschieht,  als  die  einer  Bewegung  in  einer  unendlichen 
elastischen  Flüssigkeit,  obgleich  die  Bedingungen  für  erst^re  aus 
denen  für  letztere  durch  die  Vereinfachung  hervorgehen,  daß  in 
ihnen  jede  Abhängigkeit  von  der  z-Koordinate  beseitigt  wird.  Wie 
man  das  räumliche  Problem  für  das  vorliegende  ebene  nutzbar 
machen  kann,  ist  auf  S.  375  erörtert  worden. 

Für  die  Erregung  stehender  Kxeiswellen  durch  die  periodische 
Bewegung  eines  sehr  kleinen  Bereiches  innerhalb  einer  sonst  unbe- 
grenzten Membran  folgen  die  Gesetze  aus  der  Formel  (141'). 

Von   praktischer   Wichtigkeit   sind   allein   die   Fälle   stehender 


§  28.     Theorie  der  Membranen.  455 

Schwingungen  in  ringsbegrenzten  Membranen.  Hier  erhält  man 
durch  die  Substitution 

«7  =  Äsina(^+  ^^),  239) 

welche  einem  einfachen  Ton  entspricht  aus  (238') 

cr«Ä  +  «2AjÄ  =  0,  239') 

wo  nun  für  a  durch  die  Randbedingung  ein  System  diskreter  Werte 
bestimmt  wird;  unter  bestimmten  Umständen,  z.  B.  bei  Membranen 
von  quadratischer  Form,  fallen  mehrere  dieser  Werte  zusammen 
und  liefern  dann,  wie  S.  451  schon  ausgeführt,  doppelte  und  mehr- 
fache Töne.  -2*72^,  über  die  demselben  a  entsprechenden  Lösungen 
ausgedehnt  und  gleich  Null  gesetzt,  giebt  die  Gleichung  der  Knoten- 
linien  für  den  durch  a  definierten  mehrfachen  Ton. 

Membranen  mit  ringsum  festen  Grenzen  können  in  der  Praxis  nur 
durch  Resonanz  in  Schwingungen  gesetzt  werden,  und  eben  deshalb 
wollen  wir  schließlich  noch  die  Grundformel  der  Resonanz  für  die 
Membran,  die  ebenso  leicht,  wie  S.  431  für  den  Stab  gezeigt  worden, 
zu  bilden  ist,  angeben;  sie  lautet,  wenn  ^  ein  ganzes  Vielfaches 
einer  Periode  bezeichnet: 

h 


I  (utot^cosatQ— l-^j  sinatQjRdq-] — /  dt  j  Z'-B sin a(^  +  ^j,)rfy 


0 


+  a^^JdtJ(R^£-w^^)sma{t+t,)ds^O. 


239") 


0 

Ist  der  Rand  der  Membran  festgehalten,  also  sowohl  w  als  £  gleich 
NuU,  so  wird  noch  einfacher 

h 

j  (atot^cosat^ - (^]  smat^ Rdq  =-—    Rdq  /  Z'  sin a[t+  Q dt,     239'") 

0 

und  diese  Formel  gestattet  dieselben  Schlüsse,   die  S.  432  an  die 
entsprechende  Formel  für  den  Stab  geknüpft  sind. 


V.  KapiteL 

Innere  Beibnng  nnd  elastische  Nachwirkung. 

§  29,     Die  Druokkomponenten  der  inneren  Beibnng  nnd  der 

elastischen  Nachwirknng. 

Die  in  den  beiden  vorhergehenden  Kapiteln  aufgestellten  Gesetze 
für  die  Bewegung  von  Flüssigkeiten  und  von  elastischen  Körpern  werden 
von  der  Beobachtung  zwar  angenähert  bestätigt,  bewähren  sich  aber 
keineswegs  streng.  Am  auffälligsten  von  den  obigen  Resultaten 
abweichend  ist  die  Erscheinung,  daß  ein  in  innerer,  z.  B.  in 
Schwingungsbewegung  begriffener,  aber  äußeren  Einwirkungen  nicht 
unterworfener,  nichtstarrer  Körper  seine  Energie  nicht,  wie  oben 
entwickelt  ist,  unverändert  beibehält,  sondern  anscheinend  teilweise 
verliert  Man  hat  aus  ihr  zu  schließen,  daß  die  bisher  in  nicht- 
starren Körpern  wirksam  angenommenen  Druckkräfte  nicht  die 
einzigen  in  Wirklichkeit  vorhandenen  sind,  und  wo  die  Gleich ge- 
Wichtsphänomene  mit  der  Theorie  übereinstimmen,  wie  das  jedenfalls 
vielfach  anscheinend  geschieht,  wird  man  schließen  müssen,  daß 
die  als  Korrektionen  zu  den  früher  benutzten  zuzufügenden  Kräfte 
von  der  Bewegung,  und  zwar,  nach  dem  oben  Gesagten,  von  der 
inneren,  d.  h.  der  Deformationsbewegung  jener  Körper  abhängen. 

Um  eine  Verallgemeinerung  der  oben  benutzten  Ansätze  zu 
erhalten,  ist  der  einfachste  Weg  der,  die  Druckkomponenten  durch 
Summen  von  Gliedern  in  der  fiir  die  Elasticitätstheorie  benuteten 
Form  (107"),  genommen  über  die  Differentialquotienten  der  Defor- 
mationsgrößen nach  der  Zeit,  auszudrücken,  also  zu  setzen"*) 

r X  ^  -  V  ic''^  ^'^^  4-  c'^"^  -i^^  4-  c^^'^  ^'   4-  r^^'>  -^»- 
^^x)-^[^UQ^j    ■t-Ci2    Q^j    -^■^l3    QfJ    -+-^14   Q^J 

240) 

.     (i)  ^^x    .     (i)  ^^\        ^   c 


§29,    Innere  Reibung  und  elastische  Nachwirkung,  457 

wobei  in  den  c^^i  der  Exponent  j  einen  Index  bedeutet,  und 
J  =  0, 1,2, .  .  .  ist 

Setzt  man 

(jy  =  Z,  +  ^,, . . .  (j;  =  Z^  +  A^,  240') 

worin  die  X^,  ...  X  die  Bedeutung  der  gewöbnlichen  elastischen 
Druckkomponenten  haben,  so  sind  Ä^,  B  , . .  .  A  die  zu  den  früheren 
Ansätzen  gefügten  Korrektionen.  Für  manche  Zwecke  ist  es  bequem, 
(240)  abzukürzen  in 

(XJ  =  2  ^^'»  •  •  •  (^»)  =  2  ^'A  240") 

wo  dann  der  obere  Index  J  sich  auf  die  Ordnung  der  in -^■'^ . .  Xy-^^ 
vorkommenden  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  bezieht,  und  X^, 
.  .  .  Xy  identisch  mit  X^,  ...  X    ist. 

Bei  einem  solchen  Ansatz  berührt  also  die  Erweiterung  nicht 
die  früher  gemachte  Grundannahme,  daß  die  Drucke  in  irgend 
einem  Volumenelement  ausschließlich  von  der  Deformation  desselben 
Volumenelementes,  und  zwar  linear,  abhängen;  sie  läßt  aber  die 
Drucke  nicht  mit  den  Deformationsgrößen  verschwinden,  sondern 
ergiebt  sie  nur  dann  stets  gleich  Null,  wenn  gleichzeitig  auch  alle 
in  dem  Ansatz  (240)  vorkommenden  Differentialquotienten  der  Defor- 
mationsgrößen nach  der  Zeit  gleich  NuU  sind;  dies  wird  aber  bei 
jeder  Veränderung  der  Deformationen  im  allgemeinen  erst  nach 
unendlich  langer  Zeit  eintreten. 

Die  zu  den  früheren  elastischen  Drucken  X^,...X  neu  hinzu- 
gekommenen Summen  A^,  •  •  •  -^«  mögen  die  Komponenten  der 
inneren  Reibung  im  allgemeinsten  Sinne  heißen. 

Für  die  Gesamtkomponenten  (XJ, . . .  (X^)  müssen  die  allgemeinen 
Gleichungen  gelten,  welche  in  §  2  dieses  Teiles  ganz  ohne  spezielle 
Annahmen  über  die  Natur  der  inneren  Drucke  abgeleitet  sind; 
auch  die  Grenzbedingungen  für  die  Verrückungen  bleiben  die 
gleichen.  Dagegen  bedürfen  die  für  letztere  geltenden  Anfangs- 
bedingungen einer  Erweiterung,  weil  die  Gleichungen  (14)  für  die 
Bewegung  des  nichtstarren  Systemes  durch  die  verallgemeinerten 
Werte  der  Drucke  höhere  Differentialquotienten  nach  der  Zeit,  als 
die  zweiten  enthalten.  Sind  die  höchsten  vorkommenden  von  Äter 
Ordnung,  so  erfordert  die  Bestimmung  des  Problems  die  Angabe 
der  Anfangswerte  für  die  Oten  bis  {h  —  l)ten  Differentialquotienten 
der  Verrückungskomponenten  nach  der  Zeit,  oder,  mit  anderen 
Worten,  die  Angabe  eines  Teiles  der  Vorgeschichte  des  elastischen 
Systemes  bis  zur  Zeit  ^  =  0. 


458  //.  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Körper.     V.  Ka^. 


Diese   Überlegung   steht   in   engem   Zusammenhang    mit  einer 
eigentümlichen  Deutung,  welche  man  dem  Ansatz  (240)  geben  kann. 
Schreibt  man  die  Konstanten  desselben 


ac 


241)  c',^l  =  (-  iyJ-^—-.f^^id-)d» 

0 

und  bezeichnet  mit  ^{t)  irgend  eine  der  Deformationsgrößen  x  , ...x  , 
SO  wird 


CO  .       . 


-t^**  ~J^^i  ^"^*^  ''*•  2 1727^7  -dir 

•^  0  -^ 

Dies  ist  aber,  falls  die  Reihe  konvergiert, 

0 

oder,  wenn  man  t  —  d-  ^  r  setzt, 

t 

241')  ^cUl^f-=fi(T)f,,{t-r)dr. 


—  OD 


Dann  wird,  wenn  man  x^,  ,  .  .  x    als  Funktionszeichen  benutzt, 

t 
-  iK  +  ^:i  =  J  dr  ifn  {t  -  r)  x^  (r)  +  /i,  {t  -  r) «  (t) 


—  OD 


241") 

d.  h.,  es  wird  die  Druckkraft  zur  Zeit  t  nicht  nur  abhängig  von  den 
Werten,  welche  die  Deformationsgrößen  zur  gleichen  Zeit  besitzen, 
sondern  auch  von  aUen  Werten,  die  sie  in  früheren  Zeiten  t  be- 
saßen; die  Funktionen  f^j^it  —  r)  stellen  die  Wirkungsgrade  jeder 
einzelnen  Deformationsgröße  über  die  Zeit  {t  —  r)  hinweg  dar. 

In  dieser  Deutung  nennt  man  die  Zusatzglieder  A  , ,  , ,  A  die 
Druckkomponenten  der  elastischen  Nachwirkung.*^  Innere 
Reibung  und  elastische  Nachwirkung  sind  also  bei  dieser  allgemeinen 
Auffassung  im  Wesen  nicht  verschieden. 

Beide  Ansätze  (240)  und  (241")  haben  etwas  unbefriedigendes, 
denn  der  eine  enthält  unendlich  viele  Konstanten,  der  andere  unbe- 
kannte Funktionen,  welche  mit  Hilfe  der  Beobachtung  zu  bestimmen 
sind.  Da  gemäß  der  Form  (240)  die  Einwirkung  einer  vergangenen 
Deformation  nach  unendlicher  Zeit  verschwindet,  so  liegt  es  nahe, 
für  die /J^j^(^— t)  wiederum  Reihen  von  Exponentialgrößen  einzu- 
führen, was  man  auch  unter  Benutzung  plausibler  Hypothesen 
näher  begründen  kann.*®) 


§  29,    Konservative  und  absorbierende  Kräfte,  459 

Sieht  man  von  dem  Wege  ab,  auf  welchem  die  Formeln  (241") 
gefunden  sind,  und  betrachtet  sie  als  einen  frei  gebildeten  Ansatz, 
so  könnte  man  yersuchen,  ihn  dahin  zu  erweitem,  daß  er  auch  den 
in  Wirklichkeit  sehr  häufigen  Fall,  wo  durch  eine  frühere  Defor- 
mation dauernde  Veränderungen  bewirkt  werden,  mit  umfaßt  Hierzu 
müßten  die  /J^j^  für  unendlich  großes  Argument  von  Null  verschieden 
angenommen  werden.  Indessen  erweist  sich  eine  solche  Annahme 
als  unzulässig,  da  sie  bei  zeitlich  konstanten  Deformationen  eine 
allmählich  über  alle  Grenzen  wachsende  Wirkung  ergeben  würde. 

Der  Ansatz  (241")  kann  also  dauernde  Deformationen  nicht  mit 
umfassen.  Praktisch  bringt  dies  keine  Nachteile,  weil  durch  die 
Beobachtung  sichergestellt  ist,  daß  die  d^^uemden  Deformationen 
dem  Gesetz  der  Proportionalität  mit  den  Druckkräften,  welches 
durch  (241")  statuiert  wird,  nicht  folgen.  — 

Die  ursprünglichen  Gleichungen  (240)  sind  in  allen  den  Fällen 
vorzuziehen,  wo  die  in  ihnen  enthaltenen  Reihen  stark  konvergieren, 
und  man  für  die  Anwendung  auf  Beobachtungen  mit  einer  endlichen 
Anzahl  von  Gliedern  auskommt  Für  solche  Zwecke  ist  es  nützlich, 
die  in  (240")  definierten  Summen  -2'X0'\  . . .  -2*  J^'>  in  Gruppen  von 
Gliedern  verschiedener  Eigenschaften  zu  zerlegen.  •*) 

Zunächst  unterscheiden  wir  solche  mit  geraden  und  solche 
mit  ungeraden  Differentialquotienten  nach  der  Zeit,  und  darauf 
zerlegen  wir  jedes  dieser  Systeme  von  Druckkomponenten  in  zwei, 
(X<JJ)^  und  {X^\  u.  8.  f.,  mit  den  Koeffizienten  «^^  und  i^^^,  von  denen 

hk  kh'         hk  kh^         hh 

ist  Von  jedem  Anteil  der  Komponenten  {X^^\  und  {X^\  u.  s.  f. 
bilden  wir  danach  die  Arbeit  J[^  resp.  ^^J>  während  der  Zeitein- 
heit, welche  nach  (17"')  lautet,  falls  man  dxjdt  in  /  abkürzt, 

^.<+  w+ ^«<+  ^.y;+ ^«<+ ^,<- 

Jeder  der  so  erhaltenen  Ausdrücke'  besteht  aus  einer  Reihe 
von  Aggregaten  von  der  Form 

welche  sich  auch  schreiben  läßt 


dt 


qp  ...  —  (—  l)'»(y(»»)t/;0*-n)  -f  t^f*»)  y(i- «)) 
+  (—  l)'»(y(«  +  i)yi-n)  +  yA«  +  i)yO-«)), 


460  IL  Teil»    Mechanik  niektstarrer  Körper.     V,  Kap. 

oder  kürzer 

Ol    V 

worin  &xldf  =  ;^^'''  gesetzt  ist,  und  0  <  w  <  j  sein  muß. 
Dies  ergiebt 

für  gerades  j,  d.  h.  j  =  2?«,  falls  n  =  2m  —  1  gesetzt  wird, 

242)  2 (9>'t//'~>  +  V  9><'"»)  =  '^^^^'y"'"'^  , 

und 

242-)  0  =  '<'^-(W^-»)  ; 

für  ungerades  J,  d.  h.  j  =  2?«  +  1,  falls  n=^  m  gesetzt  wird, 


242") 


aber 

242'")  y' t//2m  + 1)  _  ^/  y(2«  + 1)  =  :^J^^±1»!^ . 

Hieraus  folgt,  daß  die  Arbeiten  ^^2«)  ^^^  ^^»«  +  i)  vollständige 
Differentialquotienten  nach  der  Zeit  sind,  die  sie  liefernden  Druck- 
komponenten also  die  Energie  erhalten;  sie  erweisen  sich  daher 
als  Ergänzungen  des  in  (107")  gemachten  Ansatzes  für  die  elasti- 
schen Kräfte,  welche,  wie  jene,  konservative  Natur  besitzen. 

Die  Arbeiten  ^i2m  +  i)  setzen  sich  aus  zwei  Teilen   zusammeu. 

a 

aus  einem  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  und  einer  quadrati- 
schen Form  der  [m  +  l)ten  Differentialquotienten  der  Deformations- 
größen. Ist  die  letztere  wesentlich  negativ,  so  wird  durch  die  Arbeit 
der  betreffenden  Kräfte  die  Energie  des  bewegten  elastischen  Körpers 
jederzeit  vermindert,  nie  vermehrt;  legt  man  also  den  ^^"  +  ^ 
die  genannte  Eigenschaft  bei,  so  kommt  dadurch  der  Ansatz  (240; 
in  Einklang  mit  der  allgemeinen  Beobachtung,  daß  die  Energie  der 
Deformations-Bewegung  eines  sich  selbst  überlassenen  Körpers  stets 
abnimmt,  niemals  wächst  Wir  nennen  derartige  Kräfte  absor- 
bierende. 

Die  letzte  der  vier  Arten  innerer  Arbeit  A^^^  hat  keine  der 
beiden  an  den  drei  anderen  nachgewiesenen  Eigenschaften;  sie  kann 
vielmehr  je  nach  dem  zeitlichen  Verlauf  der  Deformation  bald  die 
Energie  derselben  vergrößern,  bald  verkleinem;  da  ersteres  der 
Beobachtung  widerspricht,  so  wird  man  annehmen  dürfen,  daß  die 
Koeffizienten  der  Drucke  [X^^"*\  . .  .  [X^^'^\  in  Wirklichkeit  ver- 
schwinden. 


§  29,    Konservative  und  absorbierende  Kräfte,  461 

Um  die  allgemeinen  Ansätze  für  die  verschiedenen  Krystall- 
systeme  zu  spezialisieren,  hat  man  die  in  §  17  des  ersten  Teües 
gegebenen  Kegeln   einfach   auf  die  Arbeiten   der   einzelnen  Anteüe 

JCi),  .  .  .  Xü) 

anzuwenden,  die  vom  Koordinatensystem  unabhängig  sein  müssen. 
Diese  Arbeiten  fallen  unter  die  auf  S.  142  angegebene  Form  (154)  und 
ist  darin  A,B,C,D,E,G  mit  x^,  y^,  z^,  yj  y2,  zj  y2,  xj}f2,  L,  M, 
N,P,Q,R  mit  d^xJdtJ,  d^yJdP,  d^zJdP,  d^yJ-ßdVj  d'zj-ßdt^, 
d^'x  /y2dPj  wo  j  beliebig  ist,  zu  identifizieren.  Dabei  kann  man 
auch  noch  die  beiden  Teile  der  Arbeiten,  welche  oben  mit  ^^  und 
^,  bezeichnet  sind,  gesondert  behandeln,  da  sie  ganz  verschiedenen 
Charakter  besitzen.  Die  Konstanten  werte  für  eine  jede  Krystall- 
gruppe  sind  daher  aus  dem  Schema  IV  auf  S.  143  unmittelbar  ab- 
zulesen, wenn  man  darin  nur  für  die  Kräfte  der  Gattung  (a)  die 
Beziehung  c^^  =  Cj^^,  für  die  Kräfte  der  Gattung  (ä)  aber  die  Be- 
ziehungen C;y^  =  0  und  c^  =  —  Cjy,  einführt  Die  Konstanten  jeder 
Beihe  der  betreffenden  Zusammenstellimg  geben  dann  sehr  leicht 
die  Koeffizienten'  der  Komponenten  X^"), .  . .  X<J).  — 

Um  die  für  die  Anwendungen  nötigen  Formeln  beisammen  zu 
haben,  setzen  wir  schließlich  noch  die  Hauptgleichungen  und  die 
Grenzbedingungen  in  den  verallgemeinerten  Druckkomponenten 
hierher. 

Es  gilt  für  alle  iiineren  Punkte 

PT?==^   ""l"ö^  +  -öir"^"öT  /'  243) 


fiir  die  äußeren  Grenzen 

X+[XJ=  Y+  (!])  =  Z  +  {ZJ  =  0,  243' 

ftlr  die  Zwischengrenzen  bei  Ausschluß  von  Grenzdrucken 


{^1  +  W»  =  (^A  +  (^J*  =  (^A  +  {K\  =  0 ;  243") 

dazu  kommen  die  Bedingungen  für  die  Verrückungen  oder  Geschwin- 
digkeiten, die  je  nach  den  Umständen  verschieden  lauten. 


462  U.  Teil.    Mechanik  ntchtstarrer  Körper.     V,  Kap, 

§  30.    Die  hydrodynamiflchen  Oleiohnngen  bei  Beriicksichtigiuig  der 

inneren  Eeibung. 

Nach  den  Darlegungen  am  Ende  des  vorigen  Paragraphen  sind 
absorbierende  Kräfte  bestimmten  Charakters  in  nichtstarren  Körpern 
durch  einen  Ansatz  von  der  Form  (240)  gegeben,  wenn  in  demselben 
nur  ungerade  Diflferentialquotienten  nach  der  Zeit  vorkommen,  und 
die  Koeffizienten  den  Beziehungen  cO^  ==  ^j/l  entsprechen.  Für  iso- 
trope Körper  spezialisieren  sie  sich  nach  dem  letzten  System  in 
Schema  IV,  welches  sich  auf  S.  144  findet. 

Den  vorhandenen  Beobachtungen  an  Flüssigkeiten  wird  indessen 
beMedigend  schon  genügt,  wenn  man  sich  auf  die  Einführung  des 
niedrigsten  derartigen  Gliedes  der  Summen  (240)  in  die  hydrodyna- 
mischen Gleichungen  beschränkt;  dasselbe  entspricht  dem  Wert  j  —  1. 

Hiemach  nehmen  die  Druckkomponenten  der  inneren  Reibung 
in  einer  Flüssigkeit  die  folgende  einfache  Form  an,  in  der  die 
Konstanten  kurz  durch  a^  bezeichnet  sind,  und,  wie  bei  den  elasti- 
schen Drucken  c  —  Cj  =  Cg ,  auch  a  —  a^  =  a^  gesetzt  ist,  ^^ 

-  c;  =  «1  x^  +  «1  y/  +  fl  <  =  «a  <  +  «1  ^'y 

—  <^x  =   —  ^,  =   2-02  ^«  > 
-^y=   -5«,=   KV 

a  und  a^  resp.  a^  und  Oj  sind  die  beiden  Konstanten  der 
inneren  Reibung  der  Flüssigkeit;  ihre  Dimensionalgleichung  ist 

{a;\^ml'U-\ 

Eine  Relation  zwischen  a  und  Oj  würde  sich  ergeben,  wenn 
man,  wie  dies  ausgesprochen  ist,  annehmen  dürfte,  baß  bei  einer 
nach  allen  Seiten  gleichförmigen  Dilatation  die  Kräfte  der  inneren 
Reibung  verschwänden.  Hierzu  ist  indessen  gar  keine  innere  Veran- 
lassung gegeben  und  die  durchgeführten  Bestimmungen  der  a^  bei 
festen  Körpern  stehen  damit  in  vollkommenem  Widerspruch.  Es 
sind  also  im  allgemeinen  zwei  Reibungskonstanten  beizubehalten. 

Die  Bewegungsgleichungen  (243)  erhalten  in  Rücksicht  auf 

allgemein  die  Form 


244) 


§  30.    FUiangkeiten  mit  innerer  Reibung. 


463 


du' 
^1t 

dtd 
^-di 


=  Z'- 


ö^  +  i(a-ai)Att?'+i(a  +  ai)-^, 


244') 


worin  X\  T,  Z*  wie  früher  die  auf  die  Volumeneinheit  bezogenen 
körperlichen  Kräfte  bezeichnen;  hierzu  kommt  die  Kontinuitäts- 
gleichung 


Q  dt  "  dx        dy 


du/        1    dQ_^ 


244") 


dx         ^ 

und  zumeist  noch  eine  Bedingung  für  (>,  z.  B. 

e  =  F{p);  244'") 

indessen  ist  eine  solche  Gleichung  nicht  unbedenklich,  da  das  Yo- 
lumenelement  von  der  Dichte  q  bei  Berücksichtigung  der  inneren 
Reibung  gar  keinen  allseitig  gleichen  Druck  von  der  Größe  p,  son- 
dern vielmehr  parallel  den  Koordinatenaxen  die  verschiedenen  Drucke 

erleidet 

Daher  beschränken  wir  uns  auf  die  Betrachtung  inkompres- 
sibler  Flüssigkeiten  und  gehen,  indem  wir  zugleich  die  körperlichen 
Kräfte  auf  die  Masseneinheit  beziehen,  aus  von  dem  System 

du'  ^       ^P    \    \        A      ' 

dw'  n  d  P     ,      1  A         ' 

dx        dy        dx  ~^ 

Zu  diesen  Hauptgleichungen  kommen  noch  folgende  Grenzbe- 
dingungen. Für  die  Geschwindigkeitskomponenten  gilt  in  der  Grenz- 
fläche zwischen  zwei  Körpern  (A)  und  (A)  mit  der  Normalen  n,  von 
denen  der  eine  oder  auch  beide  flüssig  sein  können, 

(<  —  O  Cös  (n,  x)  +  {v^;  -  tT;)  cos  (n,y)  +  {w^;  -  t^^)  cos  (n,  z)  =  0,  2450 
für  die  Drucke 


245) 


(J„+ JJ,+  X,,=  0,  {r^+JBX+  4=  0,(^+  CJ,+  i^^=  0,1 
iK+^Jk+^jcH-Oy  (^„+  ^n)*+  ^*.=  0,(i^„+  6'A+  4=  0,J 


245") 


464  IL  Teil,    Mechanik  nichtstarrer  Korper.     V.  Kap, 


worin  X^,  .  .  ,  die  von  (ä)  auf  (ä),  und  Jjy^, .  .  .  die  von  (A)  auf  (ä)  aus- 
geübten Druckkomponenten  bezeichnen,  für  die  also  gelten  muß 

245'")  ^^+x^=f^+  r^=  4  +  4=  0. 

Diese  Komponenten  rühren  einmal  von  einem  normalen  Druck 
Phk  r^sp.  pj^j^  in  der  Grenze  her,  sodann  von  einem  tangentialen  Wider- 
stand J?^j^  resp.  Rj^j^  welcher  der  Verschiebung  der  beiderseitigen  Grenz- 
teile aneinander  hin  entgegenwirkt  und  nach  Symmetrie  der  relativen 
Geschwindigkeit  V^  resp.  V^  entgegengesetzt  parallel  sein  wird. 

Wir  erhalten  demnach 

246)        J  ^   ^  ^ 

Ä  +  ^Jä  -  Pick  cos  K,  x)  -  R^  ""^^  =  0,  u.8.f.; 

hierin  sind  p^  und  p^^  Ä^  und  R^^  F^  und  Fj^  dem  Werte  nach 
gleich,  aber  von  entgegengesetzter  Richtung;  n,^  und  n^  bezeichnen 
die  resp.  äußeren  Normalen.  R^  resp.  Ä^  verschwindet,  wenn  /^^ 
gleich  Null  ist,  man  wird  also  in  erster  Annäherung 

246')  _        Ä^=«^«. 

setzen  können,  worin  a  der  Koeffizient  der  äußeren  Reibung 
zwischen  den  Körpern  (A)  und  [k)  heißt    Es  ist  ersichtlich 

[ä]  =  ml'^t-K 

Wenn  a  über  aUe  Grenzen  wächst,  so  muß  notwendig  F^^  unendlich 
abnehmen,  und  im  Grenzfall,  wo  die  eine  Flüssigkeit  die  andere  oder 
den  festen  Körper,  wie  man  sagt,  benetzt,  muß  ^^  verschwin- 
den, d.  h. 

246")  «Ä  —  Wfc  =  üA  —  «fc  =  wa  —  ^k  =  0 

sein.  Hier  verliert  wegen  der  Unbestimmtheit  der  Größe  und  Rich- 
tung von  Rj^  das  System  (246)  seine  Bedeutung  als  Grenzbedingung 
und  giebt  vielmehr  nur  die  Größe  der  Inanspruchnahme  der  Adhä- 
sion zwischen  (A)  und  (A);  es  treten  an  seiner  Stelle  die  drei  For- 
meln (246").  — 

Die  Bewegungsgleichungen  (245)  werden  fiir  den  Fall,  daß  die 
körperlichen  Kräfte  ein  Potential  haben,  durch  dieselbe  Potential- 
bewegung befriedigt,  die  ihnen  bei  verschwindender  Reibung  genügt; 
denn  wegen  der  Inkompressibilitätsbedingung,  die  für  das  Geschwin- 
digkeitspotential F  die  Bedingung  A  ^  =  0  ergiebt,  verschwinden 
die  mit  a^  behafteten  Glieder  A  w',  A  v,  A  to\    So  lange  also  keine 


§  30.    Flüssigkeiten  mit  innerer  Reibung. 


465 


Grenzbedingungen  zu  erfüllen  sind,  hat  die  innere  Reibung  auf  die 
Potentialbewegung  durchaus  keinen  Einfluß. 

An  den  Begrenzungen  kann  aber  durch  das  Geschwindigkeits- 
potential im  allgemeinen  nur  einer  Bedingung,  z.  B.  (245'),  genügt 
werden;  daraus  folgt,  daß  Bewegungen  mit  irgend  welchen  Begren- 
zungen in  reibenden  Flüssigkeiten  keine  reinen  Potentialbewegungen 
sein  können. 

Für  die  Wirbelkomponenten  /',  m',  n  folgt  bei  Existenz  einer 
Potentialfunktion  der  körperlichen  Kräfte  aus  (245),  analog  wie  (50"), 


dV       jrdu'   ,      rdu'  ,     ,öt*' 

-TT  =  t  -^ h  ^  "ä r  n  -5— 

ox  ay  ax 


dt 

dm' 
~dt 

dn' 


=  *  — h  vfi  -5-^  -f-  n 


dx 


dy 


dx 


=  l  — 1-  m  -5^  +  n 


+ 

AI', 

+ 

2q 

Am', 

+ 

<h 

0  » 

An'. 

246'") 


dt        '   dx    ^    '"  dy    ^    "  dx 

Dies  zeigt,  daß  der  Fundamentalsatz  für  Wirbelbewegungen  in 
reibenden  Flüssigkeiten  seine  Gültigkeit  verliert,  daß  nämlich  die 
einzelnen  Teilchen  Wirbelbewegungen  erhalten  und  verlieren  können. 
Die  Hauptgleichungen  (245)  lassen  sich  auch  filr  den  einfach- 
sten Fall  stationärer  Bewegungen  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  streng 
integrieren,  so  für  die  Strömung  zwischen  zwei  koaxialen  Kreis- 
cylindern  parallel  deren  Axe  und  parallel  deren  Grundlinie,  —  zwei 
Probleme,  welche  mit  wichtigen  Methoden  zur  Bestimmung  der 
Reibungskonstanten  o,  und  a  in  Zusammenhang  stehen.  Die  Schwie- 
rigkeit liegt  besonders  in  den  in  u,  r',  w  quadratischen  Gliedern 
und  fällt  zum  Teil  hinweg,  wenn  man  sich  auf  so  kleine  Ge- 
schwindigkeiten beschränkt,  daß  jene  Glieder  neben  den  linearen 
vernachlässigt  werden  können.  Man  erhält  dann  aus  (245),  falls  man 
p  I  Q  =  n  und  a^  I  2q  =  cc  setzt, 

du'  yr  dH      .  .  , 

Ör'  yr  dir     .  .  r 

dt  dy  ^ 


dw'        y      dH  .        .      , 


dt 
du' 


+  |^'  +  4^  =  0. 


247) 


in 


dx    '    dy    '    dx 

Wegen  der  linearen  Gestalt  dieser  Gleichungen  kann  man  wie 
der  Elasticitätslehre  verfahren,  die  Abhängigen,  hier  also 
77,  tt',  ü,  tt?',  in  je  zwei  Teile  zerlegen  und  den  ersten  nur  der  Ein- 
wirkung  der    körperlichen  Kräfte    gemäß    bestimmen,    mittels    des 

YoiQT,  TheoretUehe  Phjsik.  80 


466  IL  TeiL     Mechanik  niekUtarrer  Körper,     V,  Kap. 

zweiten  aber  die  Oberflächenbedingungen  erfüllen.  Sind  die  körper- 
lichen Kräfte  zeitlich  konstant,  so  können  wir  für  ihre  Behandlang 
die  Bewegung  als  stationär  betrachten. 

Die  Hauptgleichungen  nehmen  aber  bei  stationärer  Bewegung, 
falls  man  die  Komponenten  von  Kraft  und  Geschwindigkeit  wie  toher 
zerlegt,  die  folgende  Gestalt  an: 


248) 


8(0  +  11)   ,dN_  ÖM  _  (dF       dW 

dx        '^  dy        dx  "  ^^  \dx  "*"  ö 


W      dV\ 

y      dx)' 


dy        '^  dx        dx^^^[dy'^dx        dx)' 

dx       '^  dx        dy  "^^[dx"^  dx        dy)' 
A   F      n      dU.dV.dW       ^ 

woraus  die  partikulären  Lösungen 

(  (*  +  /7)  =  Const 

folgen;  filr  letztere  Formeln  kann  man  nach  (61'")  auch  schreiben: 

248")  -2aZ'=^,     -2am'=M,     -2an'=iV. 

Die  erste  Gleichung  (248')  bestimmt  11  vollständig,  wenn  dasselbe 
für  eine  Stelle  gegeben  ist;  die  übrigen  drei  lassen  sich  nach  be- 
kannten Methoden  integrieren  und  liefern  in  einer  unendlichen  Flüssig- 
keit, wenn  überdies  nach  S.  283  JP  =  0  ist,  die  vollständige  Lösung. 
Sind  aber  Begrenzungen  vorhanden,  so  geben  diese  Ausdrücke 
nur  den  einen  Teil  der  Geschwindigkeiten  «',  »',  w  und  der  l!\uik- 
tion  77;  der  zweite  hat  den  Gleichungen 

^  dx  dy  '    dx  ^   dx        dy    ^    dx 

und  dazu  den  Grenzbedingungen  unter  Rücksicht  auf  die  von  den 
ersten  Teilen  gelieferten  Beiträge  zu  genügen.  Die  Grenzbedingungen 
nehmen  ihre  einfachste  Form  an,  wenn  die  Begrenzung  durch  irgend- 
wie bewegte  und  von  der  Flüssigkeit  benetzte  Wände  gebildet  wird; 
hier  schreiben  sie  direkt  die  Werte  der  drei  Geschwindigkeitskom- 
ponenten für  die  Flüssigkeit  vor. 

Daß  sie  neben  den  Hauptgleichungen  (249)  zur  Bestimmung 
der  Uf  V,  w  genügen,  ergiebt  sich  leicht;  multipliziert  man  die 
Formeln  (249)  resp.  mit  «' ,  v\  w',  integriert  sie  über  den  von  der 
Flüssigkeit  erfüllten  Raum  und  addiert  die  Resultate,  so  erhält  man, 
falls  V  die  innere  Normale  bezeichnet,  wegen  19-  =  0 


§  3L    Feste  Körper  mit  innerer  Reibung,  467 


j  \u'cos{v,x)  +  t;'co8(i',y)  +  M?'cos(f^,z)   Udo 

=  ^ J  r  TTT  +  ^  ö7  +  "^  -dV)  ^'  f  249') 

-  aC{eu  +  0V  +  0w')dk. 

Hieraus  kann  man  aber  nach  früheren  Methoden  schließen,  daß  bei 
gegebenen  Randwerten  von  «', »',  w'  durch  die  vorstehenden  Gleichungen 
u,  V,  w   für  alle  Stellen  der  Flüssigkeit  bestimmt  sind. 

Ist  tt',  t?',  w  gefunden,  so  folgt  77  aus  (249)  durch  eine  Quadratur 
bis  auf  eine  additive  Konstante,  und  diese  bestimmt  sich,  wenn  sein 
Wert  für  irgend  eine  Stelle  vorgeschrieben  ist 

Eliminiert  man  77,  so  giebt  (249)  bei  Einführung  von  7^,  U,  V,  W 

aJ^=o,    AA  «7=  aa  ?"=  AA  »^=0, 

ÖO-      ÖF      ÖJ^_^  249") 

und  die  Grenzbedingungen  schreiben  die  Werte  von 

«'=— 4-^-—    r'=— 4-  — -—    vi^^—-^  —  —  —    249'"^ 
bx        by      dx^  dy      dx       dx^  dx      dx       dy  ' 

vor;  es  existiert  keine  allgemeine  Methode,  die  Unbekannten  ihnen 
gemäß  zu  bestimmen. 

Sehr  einfach  wird  dagegen  das  Problem  in  dem  Falle  ebener 
Bewegungen,  in  welchem  C7=  F=  0,  F  und  W  von  z  unabhängig 
sind,  und  die  Formeln  (249")  die  Gestalt  annehmen: 

Aj  ^'  =  0,  Aa  Aa  ^  =  0.  249"") 

Hier  kann  man  nämlich  die  Oberflächenbedingungen  auch  bei  der 
Vereinfachimg  F  =0  befriedigen.  Denn  aus  vorgeschriebenen 
u  imd  V  resp.  dH^'/dy  und  dlVjdx  folgt  auch  gegebenes  dWjdn 
und  dlFjdsj  falls  s  das  Element  der  Randkurve  bezeichnet;  statt 
des  letzteren  auch  bis  auf  eine  additive  Eonstante  gegebenes  /T. 
Um  aber  aus  Aa  Aj  ^,  ^  und  d  Wj  dn  für  alle  Punkte  W  zu  finden, 
ist  S.  207  eine  allgemeine  Methode  angegeben;  das  Problem  ist  hier- 
durch also  auf  ein  früheres  zurückgeführt. 


§  31.    Die  elasÜBchen  Oleichungen  unter  Bernoksiohtig^nng  der 

inneren  Eeibung. 

Zur  Bestimmung  der  Bewegungen  elastischer  Körper  unter 
Wirkung  der  inneren  Reibung  ist  der  allgemeine  Ansatz  (240)  mit 
den  in  §  2  gegebenen  Sätzen  über  die  Druckkräfte  in  nichtstarren 

30* 


470  //.  Tetl.    Meckamk  niehtatarrer  Körper.     V,  Kap. 


ist,  was  u.  a.  dann  gilt;  wenn  seine  Axe  eine  zwei-  oder  mehr- 
zählige  Symmetrieaxe  ist.  Dann  sind  die  drei  durch  /',  m  und  n 
gegebenen  Bewegtingen  Ton  einander  völlig  unabhängig,  und  man 
kann  die  träge  Masse  jedesmal  um  eine  bestimmte  feste  Axe  drehbar 
anbringen.  Ist  sie  z.  B.  mit  dem  Ende  z  =  z^  des  Stabes  fest  ver- 
bunden und  um  die  ^-Axe  drehbar,  so  ist  ihr  Drehungswinkel  n^ 
gegeben  durch  Zj  n'  =  n^ ,  und  es  gilt 

251")  gK.^=-iV, 

worin  9K^  das  Trägheitsmoment  der  Masse  SK  um  die  Z-Axe  bezeichnet. 
Die  Elimination  von  N  aus  der  letzten  Gleichung  (250'")  kann  also 
in  derselben  Weise  stattfinden,  wie  oben  diejenige  von  C,  Dasselbe 
Verfahren  ist  auf  L  und  M  anwendbar.  — 

Um  beliebige  Schwingungen  eines  unendlich  dünnen  cylindrischen 
Stabes  unter  Berücksichtigung  der  inneren  Eeibung  zu  behandeliL 
kann  man,  wie  in  §  24,  jedes  Längselement  als  gleichförmig  gespannt 
betrachten  und  auf  dasselbe  die  Formeln  (250")  und  (250"')  an- 
wenden, in  denen  nun  c',  /',  m,  n  Funktionen  der  Zeit  und  des 
Ortes  auf  der  Stabaxe  sind. 

In  dem  wichtigsten  speziellen  Falle,  daß  die  Verrückungen  und 
Drillungen  der  einzelnen  Stabelemente  unendlich  klein  sind,  ist,  wie 
in  (199')  gezeigt, 

252)  '  =  -ä^,  '»=äl?'    "=äi'    '  =  Ji^ 

und  da  nach  (200')  außerdem,  wenn  körperliche  Kräfte  nicht  wirken. 


252') 


d^w       Bö  oö«n       BN 


ist,  so  kann  man  nach  geeigneter  Differentiation  nach  z  in  (250") 
statt  Lj  M,  C,  N  überall  u,  Vy.  lo,  n  einflihren  und  so  die  allgemeinen 
Bewegungsgleichungen  für  einen  unendlich  dünnen  Stab  bei  Rück- 
sicht auf  die  innere  Reibung  bilden. 

Dieselben  nehmen  für  isotrope  Stäbe  relativ  einfache  Formen 
an  und  lauten  dort: 

^  _     ^s^  cO)^!^     ö^»  _  ^  /  1        \\  ^^  a^'  +  ^n 
Die  Summen  sind  hier,  wie  früher,  von  j  =  0  bis  j  =  cx)  zu  nehmen. 


252") 


§  32,    Ebene  Wellen  fW  einem  unendHohen  Medium.  471 

aber  fbr  die  Anwendung  nach  einer  endlichen  Anzahl  von  Gliedern 
abzubrechen. 

Für  den  Fall  einer  Saite  kommen  zu  den  beiden  ersten  For- 
mehi(2520  rechts  nur  noch  die  Glieder  r{d*u)l{dz^  und  r{d^v)l{dz^ 
hinzu,  wo  F  die  Längsspannung  bezeichnet. 

Die  Theorie  der  gedämpften  Schwingungen  von  Platten  läßt 
sich  in  ähnlicher  Weise  entwickeln,  bietet  aber  geringeres  Interesse. 

§  32.    Ebene  Wellen  in  einem  unendlichen  elastisohen  und 

absorbierenden  Medium. 

Die  im  allgemeinen  sehr  komplizierten  Gleichungen,  die  den 
Einfluß  der  inneren  Eeibung  auf  die  Bewegung  elastischer  Medien 
darstellen,  nehmen  eine  relativ  einfache  Form  an,  wenn  es  sich  um 
rein  periodische  Bewegungen  handelt.  Hier  kann  man  für  ti,v,w 
den  reellen  Teil  von  Ausdrücken  von  der  Form 

2nit 

u  =  e  "^    f(^>y;^)  253) 

setzen,  oder,  da  aUe  Gleichungen  linear  sind,  mit  diesen  Ausdrücken 
selbst  rechnen,  wenn  man  nur  am  Schluß  sich  auf  den  reellen  Teil 
beschränkt     Dabei  mögen  hier    und   weiterhin    komplexe   Größen 
durch  deutsche  Buchstaben  bezeichnet  werden. 
Es  gilt  dann 

afu^/2^y     ^^/2^y,   öitt,^/2^y 

und  man  kann  statt  des  Ansatzes  (240)  schreiben,  indem  man  die 
von  u,  \),  m  statt  von  u,  v,  w  gebildeten  Deformationsgrößen  und 
Drucke  angemessen  bezeichnet  und  die  Dichte  q  als  Faktor  vorzieht, 


-  (XJ  =  P(«iiJ«+  ^12^.+  ®i8Sz+  S:,,l,.+  (£1,8,+  ©lefy); ,         ^^^,,, 


1 


hierin  sind  die  S^,^  komplexe  Größen,  die  wir  nach  der  Formel 

S:ä*=C«  +  'C\»  253'") 

in  den  reellen  und  imaginären  TeU  zerlegen,  und  die  definiert  sind 
durch 

CeA*=5;'^l(^T'  253"") 

worin  J  =  0, 1, 2,  . . .  ist 


472 


II.  TdL    Mechanik  niehistarrer  Körper.     V.  Kap. 


Für  ein  beliebiges  krystallinisches  Medium  nehmen  dann,  wenn 
man  wieder  von  körperlichen  Kräften  absieht,  die  Hauptgleichungen 
(243)  die  folgende  Form  an: 


254) 


+  (®14  +  ^66) 


+  (ex,+  ea.)älT, 


+(®«+®«*)ä?fe+(®«.+®«)ä?^ 


+  ®: 


66  ö 


''".  +  e,X"  +  <^«S^  +  (<^.8+eJä7£ 


a;' 


öy 


+  (®e3+eJä^  +  (<5e.+  eJä^,' 


ö«m 


+  (©,1 +  e„)^, +  (©.,  +  (£„), -^ 


+  e, 


6«  ÖX 


öy' 


s*a» 


''Uieas+Sj''" 


dy  d» 


Wir  woUen  sie  benutzen,  um  die  Fortpflanzung  ebener  Wellen 
zu  untersuchen,  und  zwar  zimächst  in  einem  allseitig  unbegrenz- 
ten elastischen  Körper.    Da  hier   die  Koordinatenaxen   vollständig 


§  32,    Ebene  Wellen  in  einem  unendlichen  Meditmi. 


473 


willkürlich  sind,  so  kann  man  die  Z-Axe  in  die  Wellennormale  legen 
und  erhält  hierdurch  sogleich  yiel  einfacher: 


44    ß^2    +®43    ö^.   J 


254') 


Setzt  man  nun  zur  Integration 

u  =  a8(^--j),    ü  =  bg(^-^),    w  =  cS(^--^),      255) 


worin 


0  = 


Ct) 


1    -»JC' 

a  =  a  +  la*,     b  =  /9  +  i/?',    c  =  y  +  if 
ist»  so  giebt  (253) 


255') 


255") 


Dieser  Ansatz  stellt  eine  in  ebenen  Wellen  mit  der  Geschwindig- 
keit a>  längs  der  ^Axe  fortschreitende  Bewegung  dar,  deren  Ampli- 
tude mit 

2nx» 

proportional  ist;  x  führt  darin  den  Namen  des  Absorptions- 
koeffizienten. 

Aus  den  Gleichungen  (254')  wird  durch  das  Einsetzen  dieser 
Werte 

o  =  a(e:56-o^  +  b(ä:,,  +  c®„,  j 

0  =  a®«  +  b(e,, -  0^  +  c (£43,  256) 

o  =  ae3,  +  be3,  +  c(e33-o^J 

Diese  Formeln  bestimmen  a  :  b :  c  und  0. 

In  dem  speziellen  FaUe,  daß  die  Eonstanten  ^  der  Bedingung 

®** = e»* 

genügen,  stimmt  das  System  (256)  mit  demjenigen  überein,  welches 
die  Lage  und  Größe  der  Maxima  und  Minima  der  Funktion 

o*=e66ö'+®44«>*+®33c'+2e,3bc  +  2e:3,ca  +  2®3,ab     256') 
bestimmt. 


474  II,  Teil    Mechanik  mehtstarrer  Körper,     V.  Kap, 

I/o  kann  hiemach  als  der  Eadiusvektor  r  in  einem  gewissen 
komplexen  dreiaxigen  Ellipsoid  aufgefaßt  werden,  welches  durch  die 
Konstanten  des  elastischen  Mediums,  durch  die  Periode  der  fort- 
gepflanzten Schwingungen  und  durch  die  Richtung  der  Wellen- 
normalen bestimmt  ist;  a,  6,  c  stellen  die  komplexen  £ichtungs- 
kosinus  von  r  dar. 

Dies  komplexe  Ellipsoid  wird  zu  einem  reellen,  wenn  in  den 
Eonstanten  ®^j^  die  imaginären  Theile  C^k  verschwinden,  also  6jkk=  C^jt 
wird;  dies  ist  der  Fall,  wenn  die  Konstanten  K^^^  ^^  ungerades  r 
gleich  Null  sind,  also  nach  S.  460  nur  Energie  erhaltende  Kräfte 
wirken.  Hier  kann  man  nämlich  den  Gleichungen  (256)  durch  reeUe 
a,  b,  c  und  o  genügen  und  daher  a  =  a,  b  =  ß,  c  =  y,  o  =  «  und 
X  =  0  setzen.  Zugleich  werden  die  Verrückungskomponenten  UjV,tp 
mit  a,  ß,  y  proportional,  und,  da  letztere  von  der  Zeit  nicht  abhängen, 
so  finden  in  diesem  Fall  die  Schwingungen  in  geraden  Linien  statte 
sind,  wie  man  sagt,  geradlinig  polarisiert;  die  Schwingungs- 
richtung, wie  auch  die  Größe  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  ro 
ist  von  den  Konstanten  des  Mediums,  der  Scliwingungsdauer  und  der 
Lage  der  Wellennormalen  abhängig.  ^^^ 

Die  Existenz  des  hier  aus  (256^)  resultierenden  reellen  EUlipsoides 

256")     «*=  C,,a2-H  C,,/9*+  (733^2+  2C,3/9y+  2(73,/«.}.  2C,^aß 

spricht  dabei  den  Satz  aus,  daß  jeder  Wellenebene  drei  im  all. 
gemeinen  verschiedene  Fortpflanzungsgeschwindigkeiten  und  drei  zu 
einander  normale  Schwingungsrichtungen  zugehören. 

Die  eine  dieser  Schwingungsrichtungen  ist  streng  longitudinal, 
die  anderen  streng  transversal,  wenn  eine  Axe  des  Ellipsoides  in  die 
^-Axe  fällt,  d.  h., 

ist 

Dies  findet  jedenfalls  —  aber  nicht  allein  —  dann  statt,  wenn 
die  ^Axe  eine  irgendwie  vielzählige  Symmetrieaxe  des  Krystalles  ist. 

Die  beiden  transversalen  Wellen  besitzen  gleiche  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeiten, wenn  zugleich  das  Ellipsoid  ein  Botationsellipsoid 
um  die  iT-Axe  ist,  d.  h.,  wenn  gilt 

q^,=  c,,  und  c;,=  o. 

Dies  findet  immer  —  aber  nicht  allein  —  dann  statt,  wenn  die 
Zähligkeit  der  ^Axe  eine  höhere,  als  zwei  ist.  In  diesem  Falle 
sondern  sich  also  die  beiden  transversalen  Schwingungen  nicht  bei 
der  Fortpflanzung,  woraus  folgt,  dass  jede  beliebige  transversale 
Schwingung  sich  parallel  jenen  Eichtungen  ungeändert  fortpflanzt. 


§  32,    Ein  Medium  ohne  Absorption,  475 


Wegen  dieser  Eigenschaft  könnte  man  die  elastischen  Symmetrie- 
axen  von  höherer  Zähligkeit,  als  zwei,  und  die  Eichtungen,  welche 
etwa  sonst  noch  die  obigen  Erscheinungen  zeigen,  um  eine  in  der 
Optik  gebräuchliche  Bezeichnimg  zu  übertragen,  Schwingungsaxen 
nennen. 

Das  Hilfsellipsoid  (256")  kann  auch  über  die  Abhängigkeit  der 
Geschwindigkeiten  und  der  Schwingungsrichtungen  von  der  Richtung 
der  Wellennormalen  Aufschluß  geben,  wenn  man  die  C^^^  durch  die 
auf  irgend  ein  absolut  festes  Koordinatensystem  bezogenen  Haupt- 
konstanten C^jt  ausdrückt,  wie  dies  auf  S.  334  gezeigt  ist  Noch 
einfacher  erhält  man  jenen  Zusammenhang,  wenn  man  statt  des 
obigen  Wertes  (255")  für  g  mit  x  =  0  den  allgemeineren 

g  =  ^e"^n'"^>',  256") 

worin  r  =  Ix  +  fiy  +  vz  ist  und  A,  fi,  v  die  Eichtungskosinus  der 
Wellennormale  r  bezeichnen,  in  die  Hauptgleichungen  (254)  einführt 
Das  allgemeine  dadurch  erhaltene  Resultat  ist  außerordentlich  kom- 
pliziert und  nur  bei  den  höchstsymmetrischen  Bj7stallsystemen  zu 
übersehen.  Wir  wollen  uns  darauf  beschränken,  das  Verhalten  von  (o 
und  a,  ß,  y  in  der  Nähe  gewisser  Schwingungsaxen,  welche 
mit  der  Z-Axe  zusammenfallen  mögen,  zu  untersuchen. 

Damit  die  Z-Axe  eine  Symmetrieaxe  von  höherer  Zähligkeit, 
als  zwei  sei,  ist  jedenfalls  erforderlich,  daß  gilt 

^11  =  ^32  J       ^13  =  ^28  y       ^44  =  ^ß6  5 

ist  die  Zähligkeit  höher,  als  drei,  so  muß  auch  noch  C^^,  C^^,  C^^, 
Cgg,  C^j  C^Q  verschwinden. 

Femer  ist,  wenn  die  Wellennormale  der  iZ'-Axe  unendlich  nahe 
liegt,  X  und  fi  von  erster  Ordnung,  v  bis  auf  zweite  Ordnung 
gleich  Eins. 

Schließt  man  Größen  zweiter  Ordnung  aus,  so  erhält  man  hier- 
nach aus  (254) 

+  y(^i3+^44)^. 
0^(^{{C,e+C,,)fi  +  {C\^+CJk)+ß{C^+2C,,fi  +  2C,,X--co^ 

0  =  («A  +  ßfi){C,,  +  CJ  +  y{C,,  -  co^) . 


476  //.  Teil    Mechanik  nichtstarrer  Körper.     V.  Kap. 

Für  die  transversalen  Wellen  ist  y  eine  Größe  erster  Ordnimg 
denn  die  Schwingungsrichtung  liegt  der  Xr-Ebene  unendlich  nahe; 
das  letzte  Glied  in  den  ersten  beiden  Gleichungen  ist  für  sie  also 
zweiter  Ordnung  und  deshalb  zu  vernachlässigen. 

Wendet  man  das  Resultat  auf  eine  vier-  oder  sechszählige  Axe 
an,  so  erhält  man  sehr  einfach 

was  für  beide  transversale  Wellen 

ergiebt  Hieraus  folgt,  daß  die  beiden  Flächen,  welche  man  erhält, 
wenn  man  cj  auf  der  Sichtung  der  Wellennormalen  aufträgt,  in  der 
Z'Axe  eine  der  ZZ-Ebene  parallele  Tangentenebene  haben,  sich  dort 
also  berühren,  wenn  die  Zähligkeit  der  Z-Axe  vier  oder  sechs  ist 

Dies  findet  ersichtlich  nicht  statt,  wenn  die  Axe  dreizäJilig  ist, 
dort  schneiden  sich  also  die  beiden  Flächen. 

Die  dreizähligen  Schwingungsaxen  haben  also  einen  merklich 
anderen  Charakter,  als  die  vier-  oder  sechszälüigen;  eine  Ver- 
schiedenheit, die  sich  in  der  Optik  bei  den  Axen  der  einaxigen  und 
der  zweiaxigen  Medien  ähnlich  wiederfindet  — 

Gehen  wir  mm  zu  dem  allgemeinen  Falle  komplexer  (J^^^  zurück, 
so  resultieren  dort  auch  komplexe  n,  D,  c  und  o;  daraus  folgt,  daß 
hier  die  Bewegung  in  jeder  Welle  nicht  geradlinig,  sondern  ellip- 
tisch ist.     Wir  können  nämlich  setzen 

257)  a  =  ae»v,     b  ==  be'^ ,     c  =  cc*'^, 

worin  a,  ä,  c,  y,  yj,  x  reelle  Konstanten  sind,  und  dadurch  die  Kom- 
ponenten Uy  V,  w  auf  die  Form  periodischer  Funktionen  mit  um 
gewisse  Konstanten  verschiedenen  Phasen  bringen;  solche  setzen  sich 
aber  jederzeit  zu  elliptischen  Bewegungen  zusammen,  deren  Bahn- 
gleichungen  man  durch  Elimination  der  Zeit  leicht  bilden  kami. 
Femer  erhalten  wir  hier  gedämpfte  Schwingungen,  insofern  die 
Amplituden  mit  wachsendem  z  in  geometrischer  Progression  abnehmen. 
Für  den  reellen  und  den  imaginären  Teil  von  o^,  d.  h.  für 

fa)«(l-x»)  j  2g)»x 

(1  +  X«)«  (1  +  7(Y  ' 

liefern  die  Gleichungen  (256)  nach  Elimination  von  aißiy  zwei 
kubische  Gleichungen,  die  aus 


§  32.    Reflexion  und  Brechung  ebener  Wellen,  All 


0  = 


2^35        ^Z,       (K33-0') 


257') 


durch  Sonderung  des  Beeilen  und  des  Imaginären  erhalten  werden. 

Diese  Formeln  sind  im  allgemeinen  überaus  kompliziert  und 
geben  im  allgemeinen  mehr  als  drei  Wurzeln  für  co^,  also  auch  mehr 
als  drei  in  einer  jeden  Eichtung  sich  fortpflanzende  Wellen.  Eelativ 
einfache  Gestalt  nehmen  sie  an,  wenn  die  imaginären  Teile  der 
Konstanten  ^j^j^  klein  gegen  die  reellen,  und  demgemäß  x  klein 
neben  Eins  ist  Dann  wird  nämlich  der  reelle  Teil  bis  auf  Glieder 
zweiter  Ordnung  dieselbe  Gestalt  annehmen,  als  wenn  gar  keine  Ab- 
sorption stattfände,  es  gelten  also  für  die  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keiten die  oben  angegebenen  Sätze.  ^^^  — 

Die  im  Vorstehenden  behandelten  Lösungen  für  u,  ö,  xo  lassen 
sich  leicht  in  der  Eichtung  erweitern,  daß  der  reelle  und  der  imaginäre 
Teil  des  Exponenten  von  e  verschiedene  lineare  Funktionen  der 
Koordinaten  enthält,  indem  man  setzt 

8  =  ^«v['('-^) --<„-],  257") 

wo  nun  r  ^  Xx  +  iiy  -\-  vz^  r^ z==  V x  +  ^jü y  +  v* z  und  sowohl 
A*+  ju^+  1^*=  1,  als  X^+  jia'*+  1^'^=  1  ist.  Hier  ist  dann  also  in 
den  Ebenen  r  =  Const.  die  Phase,  in  den  Ebenen  r'=Const  die 
Amplitude  die  gleiche. 

Derartige  Lösungen  kommen  u.  a.  zur  Geltung,  wenn  eine 
ebene  Welle  mit  konstanter  Amplitude,  in  einem  nicht  absorbieren- 
den Medium  fortgepflanzt,  auf  die  ebene  Grenze  fallt,  welche  dies 
Medium  von  einem  absorbierenden  trennt.  Die  in  dem  zweiten 
Medium  erregten  Wellen  haben  dann  notwendig  jene  allgemeinere 
Form. 

Die  Grenzbedingungen,  welche  den  Vorgang  der  Eeflexion  und 
Brechung  an  der  Grenze  zweier  elastischer,  ev.  mit  innerer  Eeibung 
behafteter  Medien  (1)  und  (2)  regeln,  sind  in  §  30  allgemein  angegeben. 

Legen  wir  die  XJT-Ebene  in  die  Grenze,  so  lauten  dieselben 


Ui^Ug,    t),=:02,    lüi^m^,  2 

(x.)i=(3y«,  C)i=(f:)2,  (3:)i=(s:)2- 

Ihre  allgemeine  Verwertung  liefert  ungemein  komplizierte  For- 
meliiy  die  bisher  noch  geringes  Interesse  erwecken.  Einige  wichtige 
Eesultate  sind  aber  ohne  alle  Eechnung  zu  erhalten. 


478  //.  Teil.    Mechanik  nichtstarrer  Körper.     V.  Kap. 

Die  Grenzbedingungen  sind  BärnÜich  linear,  daher  kann  man 
auch  bei  dem  Problem  der  Eeilexion  und  Brechung  mit  den  kom- 
plexen Ansätzen  (257)  rechnen  und  braucht  nur  am  Ende  den 
imaginären  Teil  zu  beseitigen. 

Die  für  die  reflektierten  und  gebrochenen  ebenen  Wellen  neben 
der  für  die  einfallende  in  die  Grenzbedingungen  einzusetzenden 
partikulären  Lösungen  müssen  jene  Gleichungen  zu  jeder  Zeit  und  an 
jeder  Stelle  der  Grenze  z  =  0  erfüllen.  Hieraus  folgt  aber,  daß  in 
ihren  Exponentialgrößen  t^  x  und  y  allenthalben  denselben  Faktor 
haben,  daß  also 

1         X        fi        xX*       xju' 

T    '        CJ  '        Ol  '  ft)     '         Ol 

für  alle  Wellen  den  gleichen  Wert  besitzen  müssen. 

Aus  der  ersten  Beziehung  folgt,  daß  die  Schwingungsdauer 
durch  Reflexion  und  Brechung  auch  in  dem  hier  vorliegenden,  so 
allgemeinen  Falle  nicht  geändert  wird;  die  beiden  folgenden  ent- 
halten das  Brechungsgesetz  für  die  Ebenen  gleicher  Phase,  die 
beiden  letzten  ein  analoges  für  die  Ebene  gleicher  Amplitude.  Hier- 
bei ist  nicht  zu  übersehen,  daß  die  Nenner  co  selbst  im  allgemeinen 
Funktionen  der  Sichtungen  der  Normalen  auf  den  betr.  Ebenen  sind 
und  von  der  Schwingungsdauer  t  abhängen;  letzteres  bewirkt  Erschei- 
nungen, welche  der  Dispersion  in  der  Optik  entprechen. 

In  dem  speziellen  Fall,  daß  die  Wellennormale  der  einfallenden 
Welle  in  die  X^-Ebene  fällt,  ist  für  alle  Wellen  des  Systemes 
jti  =  0,  liegen  also  alle  Wellennormalen  in  der  Z^-Ebene. 

Ist  noch  spezieller  das  erste  Medium  frei  von  Absorption,  so 
ist  in  ihm  x  =  0,  es  muß  also  für  das  zweite  Medium,  wenn  wegen 
dort  vorhandener  Absorption  x  nicht  verschwinden  kann,  notwendig 
r  =  jit'  =  0  und  r'  =  1  sein;  d.  h.,  die  Ebenen  konstanter  Amphtude 
müssen  daselbst  parallel  der  Grenze  liegen. 


§  33.    Benehungen  zur  Theorie  des  LiohtoB. 

Die  im  vorigen  Paragraphen  beschriebenen  Vorgänge  haben  so 
große  Ähnlichkeit  mit  den  bei  der  Fortpflanzung  des  Lichtes 
innerhalb  krystallinischer  Körper  beobachteten,  daß  es  nahe  liegt, 
die  letzteren  als  in  Schwingungen  eines  Mediums  bestehend  anzu- 
sehen, welches  sich  im  Krystall  befindet  und  sich  der  Erystallsub- 
stanz  ähnlich  verhält,  indessen  nicht  mit  ihr  identisch  sein  kamu 
weil  die  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  des  Lichtes  unvergleichlich 


§  33.    Beziehungen  zur  Theorie  des  Lichtes,  479 


viel  größer  ist,  als  sie  sich  für  nicht  absorbierende  Medien  aus  der 
Dichte  und  den  Elasticitatskonstanten  des  Erystalles  nach  den 
Eesultaten  des  vorigen  Abschnittes  berechnet.  Dieses  hypothetische 
Medium  bezeichnet  man  als  den  Lichtäther. 

Da  nach  dem  Obengesagten  flir  den  Äther  Gleichungen  von 
der  Form  der  in  (254)  gegebenen  gelten  sollen,  und  da  diese 
Gleichungen  für  das  Quadrat  der  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  co 
Werte  liefern,  welche  gegeben  sind  durch  lineare  Funktionen  der 
allgemeinen  elastischen  Konstanten,  dividiert  durch  die  Dichte  des 
Mediums,  so  wird  man  aus  den  beobachteten  enormen  Lichtgeschwin- 
digkeiten in  allen  bekannten  Körpern  auf  eine  sehr  geringe  Dichte 
und  eine  sehr  große  elastische  Widerstandskraft  des  Äthers  schließen 
müssen. 

Außerdem  wird  man  dem  Äther  eine  Eigenschaft  beilegen 
müssen,  die  das  Zustandekommen  gewisser  Wellen  verhindert,  welche 
von  den  obigen  allgemeinen  Formeln  gefordert  werden,  aber  der 
Beobachtung  nicht  entsprechen. 

Beobachtungen  verschiedener  Art  haben  mit  großer  Schärfe  den 
Nachweis  dafür  geliefert,  daß  ebene  Lichtwellen  mit  konstanten  Am- 
plituden in  isotropen  Medien  nur  transversale  Schwingungen  ent- 
halten können,  und  machen  es  wahrscheinlich,  daß  sie  in  krystallini- 
schen  Medien  streng  oder  wenigstens  nahe  transversale  Bewegungen 
ausführen.  Da  nun  die  longitudinalen  Schwingungen  jederzeit  von 
Kompressionen  und  Dilatationen  begleitet  sind,  so  werden  erstere 
nicht  zu  Stande  kommen,  wenn  die  letzteren  durch  irgend  einen 
umstand  unmöglich  gemacht  werden.  Dies  drückt  man,  ohne  sich 
über  die  Ursache  der  Erscheinung  zu  äußern,  analytisch  dadurch 
aus,  daß  man  die  Verrückungskomponenten  u,  v,  to  der  Bedingung 

^=fl^  +  ä^  +  ä^  =  0  258) 

unterwirft  ^^)  Diese  Bedingung  kann  natürlich  neben  den  drei  all- 
gemeinen Bewegungsgleichungen  (243)  durch  die  drei  Funktionen 
M,  V,  w  nur  dann  erfüllt  sein,  wenn  von  den  letzteren  drei  Formeln 
die  eine  mit  Hilfe  der  Gleichung  &  =  0  aus  den  beiden  anderen 
folgt,  d.  h.,  wenn  die  Koeffizienten  der  Kräfte  (ZJ, . .  .  (X)  gewisse 
Bedingungen  erfüllen. 

Diese  Bedingungen  folgen  aus  (243),  wenn  man  die  drei  Formeln, 
in  denen  man  nach  dem  Früheren  die  körperlichen  Kräfte  X,  T,  Z 
gleich  Null  setzen  kann,  nach  x,  y,  z  differentiiert  und  addiert  und 
in  dem  so  resultierenden  Ausdrucke: 


480 


//.  TeiL    Mechanik  niektstarrer  Kärper.     V.  Kap. 


2580 


I»-äC 


da; 


+ 


d  KZ,) 


X 


dy 


Bx 


P(^x)   ,   «(^v) 


+ 


+ 


^M] 


dx\  dx     '     dy     '     ö* / ' 

die  Faktoren  der  unabhängigen  Diflferentialquotienten  der  Ver- 
rückungen fiir  sich  gleich  Null  setzt  ^^^)  Dabei  ist  zu  berücksich- 
tigen, daß  wegen  der  Willkürlichkeit  des  Gesetzes  der  fortgepflanzten 
Schwingungen  verschieden  hohe  Differentialquotienten  der  Ver- 
rückungen u,  V,  w  nach  der  Zeit  Toneinander  unabhängig  sind, 
von  den  gleichen  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  aber  eine 
größere  Zahl  durch  die  Bedingungen  verknüpft  ist,  w^elche  aus 
&  =  0  durch  Differentiation  nach  den  Koordinaten  und  nach  der 
Zeit  hervorgehen.     Es  sind  dies,  wenn  der  Kürze  halber 

gesetzt  wird,  allgemein  die  Formeln: 

'     dx^  öy*     "~     dx^     ~~  dydx         dxdx  ~  dxdy 

sie  ergeben,  daß  von  den  30  dritten  Differentialquotienten  von  u'J', 
t?0"),  ifyCO  nur  24  voneinander  unabhängig  sind,  woraus  folgt,  daß  für 
jedes  System  von  Konstanten  c^J^  sich  24  Bedingungen  aus  der 
Gleichung  i^*  =  0  ergeben  müssen. 

Diese  führen  auf  folgendes  System  von  Werten  der  Koeffizienten 


ö"  &^^'^        ö«  &^'^ 


=  0; 


259) 


' 

d\ 

^Vy 

dh. 

d'y. 

dh^ 

d^x^ 

dfi 

ö^' 

et^ 

dfi 

di^ 

dt^ 

-X0-) 

X 

0 

-2cü) 

66 

-  2c<-i) 

66 

-2d}) 

66 

0 

0 

—  Y(J) 
y 

66 

0 

-2cO") 

44 

0 

-2cO0 

64 

0 

s 

_2c<A 

66 

-2cO') 

44 

0 

0 

0 

45 

—  7(y) 

s 

66 

0 

0 

44 

46 

•4 

X 

0 

-2cO-) 

64 

0 

46 

66 

SS 

'■          y 

0 

0 

_2c<Ä 

46 

64 

66 

66 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  für  die  allein  übrigen  Koefiicienten 
die  Beziehung 


kh  hk 


gilt,   daß  sonach  Kräfte  der  auf  S.  460  als  vierte  bezeichneten  Art 


§  33.    Bezeichnungen  xur  Theorie  des  Lichtes.  481 


durch   die  Einführung   der  Inkompressibilitätsbedingung   unmöglich 
gemacht  werden. 

Die  Bewegungsgleichungen  (243)  oder  (254)  nehmen  bei  Ein- 
führung dieser  Vereinfachungen  und  unter  Benutzung  der  Ab- 
kürzungen 


I 


_  ,  /Ott)       öö\     ^_i(Bvi      dto\     ^       ,/öö      du\ 


in    welchen  u,  ö,  W   die   schon  S.  471    eingeführten  komplexen  Ver- 
rückungskomponenten  bezeichnen,  die  Gestalt  an^^^; 

dt*^dx[dm)      dy\dn)'    dt^^öxydn)       dx\dl)'\ 

worin 

ffi  =  ©44 1^+  e„m*+  ©ee"'-  2(6:56««»  +  ©64«^  +  ®45tnO    259") 

ist,  und  die  S^^^  die  in  (253"")  definierten  komplexen  Funktionen  der 
Schwingungsdauer  t  bezeichnen. 

Für  jedes  t,  d.  h.  für  jede  Farbe,  läßt  sich  ein  Koordinaten- 
system angeben,  auf  welches  bezogen  der  reelle,  und  eines,  für  welches 
der  imaginäre  Teil  von  (E^g,  ©^4,  ©4^  yerschwindet;  diese  Axen  wird 
man  als  die  Symmetrieaxen  der  konservativen  und  der  absorbierenden 
Kräfte  für  das  bestimmte  t  bezeichnen  können.  Verschwinden  die 
absorbierenden  Kräfte,  oder  fallen  nach  den  allgemeinen  Symmetrie- 
verhältnissen des  Krystalles  beide  Axensysteme  zusammen,  so  müssen 
die  Erscheinimgen  der  Fortpflanzung  von  Schwingungen  symmetrisch 
in  Bezug  auf  die  durch  jene  gegebenen  Koordinatenebenen  verlaufen, 
wenn  die  Erregungen  symmetrisch  zu  ihnen  stattfinden.  Im  allge- 
meinen Falle  hingegen  besitzen  sie  derartige  Symmetrieebenen  nicht. 

Die  Formeln  (259')  und  (259"),  welche  das  Eesultat  der  Ein- 
führung der  Bedingung  i?*  ==  0  in  die  allgemeinen  Gleichungen  (254) 
sind,  gestatten  die  Ableitung  aller  bekannten  Erscheinungen,  welche 
die  Fortpflanzung  von  Lichtwellen  innerhalb  durchsichtiger  oder 
absorbierender,  z.  B.  farbiger,  Krystalle  begleiten,  und  verbinden 
daher  diese  Vorgänge  nahe  mit  denen  der  Elasticität  und  der 
inneren  Beibung.  Ihre  Behandlung  wird  in  dem  letzten  Teil  dieses 
Buches  vorgenommen  werden.  — 

Während  die  Ableitung  der  obigen  Hauptgleichimgen  der  Optik 
aus  den  Vorstellungen  dieses  Teiles  überaus  glatt  und  einfach  möglich 
war,  bietet  diejenige  der  Grenzbedingungen  eine  eigentümliche 
Schwierigkeit 

Voigt,  Theoretische  Physik.  31 


482  //.  Teil.    Mechanik  nicktstarrer  Korper,     F.  Kap, 


^  Nachdem  durch  die  Einführung  der  Bedingrung  d*  =  0  die  An- 
zahl der  in  einer  Richtung  fortgepflanzten  Wellen  reduziert  ist,  so 
daß  sie  in  durchsichtigen  krystallinischen  Medien  nunmehr  zwei  betragt 
ist  es  nämlich  nicht  mehr  möglich,  den  für  die  Grenze  zwischen  zwei 
zusammenhängenden  nichtstarren  Körpern  geltenden  aUgemeinen  Be- 
dingungen  ______ 

260)  Wi  =  t£2,     üi  =  Va,     iri=tt?a, 

2600  {X\  +  (X)2=  (XX  +  (Y:\  =  {X\  +  (^)a  =  0 

durch  sie  zu  genügen;  denn  mit  den  vier  Konstanten  der  beiden 
reflektierten  und  der  beiden  gebrochenen  Wellen,  die  zu  einer  ein- 
fallenden gehören,  kann  man  nicht  sechs  Gleichungen  befriedigen. 

Daß  die  Grenzbedingungen  fQr  die  im  Äther  fortgepflanzten 
Bewegungen  mit  den  für  die  Schwingungen  der  ponderablen  Körper 
gültigen  nicht  übereinstimmen,  kann  an  sich  allerdings  nicht  Wunder 
nehmen,  da  der  in  der  Trennungsfläche  stattfindende  Vorgang  in 
beiden  Fällen  ein  ganz  yerschiedener  ist. 

Mit  den  schwingenden  ponderabeln  Körpern  bew^egt  sich  auch 
die  Grenzfläche  selbst,  bei  Ätherschwingungen  steht  infolge  des 
Ruhens  der  ponderabeln  Teile  die  Grenzfläche  zwischen  zwei  hetero- 
genen Bereichen  fest,  und  die  Bewegung  fuhrt  wechselweise  Äther 
in  der  einen  und  der  anderen  Richtung  durch  sie  hindurch. 

Daher  kann  man  zwar  die  beiden  ersten  Bedingungen  (260) 
für  optische  Probleme  ungeändert  beibehalten,  wenn  man  einen 
festen  Zusammenhang  zwischen  dem  in  beiden  ponderabeln  Körpern 
befindlichen  Äther  annimmt;  statt  der  letzten  aber  wird,  wenn  die 
Dichte  Q  in  beiden  Körpern  verschieden  ist,  d.  h.,  der  Äther  sich 
in  verschieden  komprimiertem  Zustande  befindet,  die  Gleichung 

I   ■   Qi[ui00s{v,x)  +  v^cos{v,y)  +  w^cos{v,z] 

l  =  e«  [^3 cos (i;, ar)  +  v^cos{v,y)  +  w^cos{Vjz\ 

einzusetzen  sein,  welche  ausdrückt,  daß  in  der  Grenzfläche  das  auf 
der  einen  Seite  eintretende  Quantum  dem  auf  der  anderen  aus- 
tretenden gleich  sein  muß. 

Auch  die  Bedingungen  fftr  die  Drucke  (260')  nehmen  unter 
den  Vorliegenden  Verhältnissen  andere  Gestalt  an.  Denn  der  Äther 
wird  hier  nicht  nur  unter  der  Wirkung  innerer  Kräfte  stehen,  sondern 
auch  unter  der  Wirkung  solcher,  die  von  der  ponderabeln  Masse 
ausgehen,  und  wenu  die  letzteren  sich  auch  nach  Symmetrie  im 
Innern  eines  homogenen  Körpers  zerstören,  so  werden  sie  doch  in  der 
Grenze,   entsprechend  der  Unsymmetrie  der  diesseits  und  jenseits 


§  33.     Die  Qrenxbedingungen  der  Optik. 


483 


verschiedenen  Masse,  einen  Grenzdruck  erzeugen,  dem  verwandt, 
der  auf  S.  222  eingeführt  ist. 

Hiemach  werden  an  die  Stelle  der  Gleichungen  (260")  die  all- 
gemeinen (14'")  zu  setzen  sein,  welche  lauten: 

(a;),  +  (^),  +  x,^  =  (i;)i  +  (7,),  + 1^3 = {z;),  +  {Z\\  +  ^, = o.   2m") 

In  ihnen  sind  allerdings  die  Xj^,  Y^^,  Z^^  unbekannt  und  erfordern 
zu  ihrer  Bestimmung  spezielle  Annahmen,  die  als  einigermaßen 
willkürlich  am  besten  vermieden  würden. 

Man  umgeht  dergleichen,  indem  man  als  Erfahrungsthatsache 
benutzt,  daß  in  der  Grenztiäche  selbst,  auch  zwischen  zwei  absor- 
bierenden Medien,  Energie  der  fortgepflanzten  Scliwingungen  nicht 
verloren  geht.  ^^^  Dies  kann  man  einerseits  aus  optischen  Messungen 
schließen,  sicherer  noch  aus  der  Beobachtung,  daß  in  der  Grenze 
keine  Wärmeentwickelung  stattfindet,  die  zu  erwarten  sein  würde, 
wenn  daselbst  optische  Energie  verschwände,  ein  Umsatz,  der  im 
Innern  absorbierender  Körper  in  der  That  stattfindet. 

Um  diesen  Gedanken  analytisch  zu  formulieren,  bilden  wir  die 
Gleichung  der  lebendigen  Kraft  für  ein  System  von  Körpern,  welche 
Äther  enthalten.  Wir  erhalten  dieselbe  einmal,  indem  wir  die 
Gleichungen  (243)  mit  den  Faktoren 

dx  ,1      dy  jy       dx  j, 

dt^^^    rf7''*'    rfV''* 

zusammenfassen  und  das  ßesultat  über  das  System  integrieren,  in 
der  Form: 


^  =  -  2/  ^^) «'  +  ^y;)  V  +  {z;)  w' 


do 


+ 


2/  [W'i  +  (2;)y;+ (^.)^;+ {r.)y;+(4)4+  (X,)x^ 


dk. 


261) 


Sodann  können  wir  sie  auch  erhalten,  indem  >\'ir  das  System  (259') 
nach  Zufügung  des  Faktors  q  analog  hehandeln  und  von  dem  Resultat 
den  reellen  Teil  nehmen;  in  der  komplexen  Form  schreiht  sie  sich 


ä7  =  ^P 


J[(^,,-C08K^)--^--C0S 


+ 


^.,-cos(»',ar) 


öl 


+    _cos(i.,y)-g-^co8 


[v,  2) j  V 
(V,  :r)  j  to 


do 


-2  2(,/( 


31 


261') 


484  n,  TeiL    Mechanik  niohtatarrer  Körper,     V,  Kap. 


V  bezeichnet  hierin  die  äußere  Normale  auf  der  Begrenzung  des 
betrefifenden  homogenen  Teils  des  Systemes;  von  den  unter  dem 
Summenzeichen  stehenden  Oberflächenintegralen  beziehen  sich  immer 
zwei  Anteile  auf  dasselbe  Flächenstück. 

Diese  beiden  Zerlegungen  in  ein  Kaum-  und  ein  Oberflächen- 
integral  sind  im  allgemeinen  verschieden;  die  Oberflächenintegrale 
sind  aber  gleich,  wenn  u,  v,  w  in  der  Grenze  Funktionen  derselben  Funk- 
tion von  t,  X  und  y  sind,  wie  dies  nach  S.  478  bei  den  Problemen  der 
Reflexion  und  Brechung  der  Fall  sein  muß.  Die  Eaumintegrale  sind 
beide  von  der  Form,  welche  S.  459  betrachtet  ist,  und  werden  durch 
die  angenommenen  Kräfte,  soweit  sie  konservativ  sind,  zu  vollstän- 
digen Diflferentialquotienten  nach  der  Zeit,  soweit  jene  absorbierend 
sind,  zu  wesentlich  negativen  quadratischen  Formen  gemacht 

In  betreff  der  Form  (261)  ist  dies  unmittelbar  aus  den  Ent- 
wickelungen  in  §  29  evident;  in  betreff  der  Form  (261')  erkennt 
man  es  leicht,  wenn  man  den  Wert  (259")  von  ®  benutzt  und  be- 
rücksichtigt, daß  die  imaginären  Teile  von  I,  m,  n  den  ersten  Diffe- 
rentialquotienten von  /,  m,  n  nach  der  Zeit  proportional  sind. 

Soll  nun  in  den  Grenzflächen  bei  den  Schwingungen  Energie 
nicht  verloren  gehen,  so  müssen  die  Oberflächenintegrale  entweder 
die  Form  vollständiger  Differentialquotienten  nach  der  Zeit  haben, 
oder,  da  dies  ersichtlich  nicht  möglich  ist,  verschwinden,  und 
zwar,  da  erfahrungsgemäß  die  einzelnen  Oberflächenelemente  von- 
einander unabhängig  sind,  in  ihren  auf  die  einzelnen  Elemente 
bezüglichen  Teilen  für  sich. 

Betrachten  wir  also  wie  oben  zwei  Medien  (1)  und  (2),  die  durch 
die  XZ-Ebene  geschieden  werden,  so  ergiebt  dies 


oder  wegen  i£/=  u^%  rj'==  v^'  auch 

Bedenkt  man,  daß  u,  t?,  w  voneinander  unabhängig  sind,  und  ®  alle 
drei  Größen  enthält,  so  kann  man  hieraus  schließen 


Formeln,  welche  vereinbar  sind  mit  der  aus  der  dritten  Gleichung 
(259^)  —  bei  Anwendung  auf  die  Grenze  und  bei  Berücksichtigung 
von  (260")  —  folgenden  Gleichung 


§  33,    Die  Orenxbedmgtmgen  der  Optik.  485 


Die  Verhältnisse  yereinfachen  sich  noch  dadurch,  daß  die  Verglei- 
chung  der  aus  diesen  Gleichungen  folgenden  Resultate  mit  der 
Beobachtung  auf  die  Relation  q^  =  q^  fahrt,  die  sich  mit  der  Grund- 
vorsteDung  eines  innerhalb  der  verschiedenen  Körper  befindlichen 
Fluidums  von  konstanter  Dichte  aufs  beste  verträgt  Hierdurch  er- 
hält man  das  System  von  Grenzbedingungen  ^®®) 


aus  ihnen  folgt  w^  =  w^y  was  mitunter  praktisch  statt  einer  der 
letzten  beiden  Formeln  benutzt  wird. 

Diese  Bedingungen  sind  höchst  allgemein;  sie  gelten  für  isotrope, 
wie  für  krystallinische,  für  durchsichtige,  wie  für  absorbierende  Körper 
und  fuhren  auf  der  Erfahrung  durchaus  entsprechende  Resultate.  — 

Die  vorstehenden  Betrachtungen  gestatten  noch  eine  Erweiterung, 
indem  man  die  von  den  ponderablen  Massen  auf  den  Äther  in  ihrem 
Innern  ausgeübten  Kräfte  nicht  nur  in  die  Grenzbedingungen,  son- 
dern auch  in  die  Hauptgleichungen  einführt;  sie  fallen  dann  unter  die 
in  den  allgemeinen  Bewegungsgleichungen  (243)  auftretenden  äußeren, 
auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  Komponenten  Z*,  T',  Z^.  Diese 
Kräfte  brauchen  nämlich  nicht  allein  von  den  Deformationsgrößen 
x^,  .  .  .  X  abzuhängen,  sondern  können  Funktionen  der  Verschiebun- 
gen M,  v,  w  und  aller  ihrer  Differentialquotienten  sein.  ^^®) 

Beschränkt  man  sich,  um  nicht  in  durchsichtigen  Körpern  mehr 
als  zwei  Wellen  zu  erhalten,  auf  nullte,  erste  und  zweite  Differential- 
quotienten  nach  den  Koordinaten  und  beliebige  nach  der  Zeit,  so 
kann  man  diese  sehr  allgemeinen  Ansätze,  genau  wie  oben  den 
spezielleren,  zunächst  in  absorbierende  und  in  konservative  Teile 
zerlegen  und  sodann  durch  die  Einführung  der  Bedingung  t^*  =  0 
spezialisieren.  Unter  den  so  erhaltenen  Resultaten  befindet  sich 
naturgemäß  das  System  (259)  als  spezieller  Fall,  außerdem  geben 
sie  aber  noch  Formeln,  welche  die  Ableitung  der  Erscheinungen 
der  natürlichen  und  der  magnetischen  Girkularpolarisation  gestatten. 

Wir  wollen  auf  diese  Betrachtungsweise  nicht  eingehen,  sondern 
eine  andere  anwenden,  welche  die  gleichen  Resultate  auf  einem 
wesentlich  einfacheren  und  anschaulicheren  Wege  liefert,  überdies 
mit  früheren  Entwickelungen  in  engem  Zusammenhange  steht 


486 


//.  Teil.    Mechanik  nichUtarrer  Körper.     V.  Kap. 


§  34.   Medien  ohne  innere  Kräfte;  mechaniBche  Analogie  zn  den 

Gesetzen  des  elektromagnetischen  Feldes. 

Die  allgemeinen  Gleichungen  (13)  und  (IS')  auf  S.  223  fiir  nicht- 
starre Körper,  welche  die  Wirkungen  von  Drehungsmomenten  L\  M*y  N" 
noch  nicht  ausschließen,  lassen  sich  folgendermaßen  schreiben: 


262) 


=  Z'- 


dx 


-f 


dy  dx 


dy 


+ 


dx 


0  =  i'- 


dL 


X 


dx 


ÖL  ÖL   1 


worin 


Y  +  Z 

g  ^     y    yf  y/ 

9  —   ^«  —  ^yj 


«        y  Y" 


-Z'' 


gesetzt  ist 

Denken  wir  uns  nun  ein  nichtstarres  Medium,  in  dem  Moment^n- 
drucke  L,  .  .  .  N,  nicht  wirken,  so  ist  für  dieses 

262')  2 7,"=  -  r,     1Z';=  -  M\ .  2  j;'=  -  iV ; 

sind  auch  noch  die  X,,,  Yy,  Z,,  X^,  X',  .  .  .  gleich  Null,  so  ist 

['>*  dfi 


262") 


~      l~  dy  ~   dx  ' 


dx 


Von  einem  solchen  Medium  dürfen  wir  sagen,  daß  in  ihm  innere 
Kräfte  überhaupt  nicht  wirken,  denn  Y!^\  Z'^^  Xy  haben  nach  den 
Gleichungen  (262')  den  Charakter  äußerer  Kräfte  (genauer  äußerer 
Momente).  Ein  solches  Medium  würde,  in  freiem  Zustand  betrachtet, 
keiner  Deformation  irgend  einen  Widerstand  leisten.  ^^^ 

Wir  wollen  dasselbe  nun  innerhalb  eines  Raumes  betindlich 
denken,  wo  es,  etwa  seitens  einer  sehr  großen  Zahl  regelmäßig  ver- 
teilter Ej'aftcentren,  unter  denen  wir  uns  ponderable  Moleküle  vor- 
stellen können,  Kräfte  und  Drehungsmomente  erfährt,  sowie  es  aus 
einem  ursprünglichen  Normalzustande  verschoben  wird.  JT,  T*,  Z^ 
sind  dann  die  auf  die  Yolumeneinheit  bezogenen  Kräfte, 

262")  Z'=2^=  -27,    ^=2X=-2^.    3^=27=  -2T 

'  y  Z '  t  X'  X  m 

die  auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  Momente. 


§  34,    Ein  Medium  ohne  innere  Kräfte.  487 


Führt  man  noch  die  Geschwindigkeiten 

dx f        dy ,         dx 

Ti"'^'       'di'^^'       ~di 


ein,  so   erhält  man  bei  Beschränkung  auf  unendlich  kleine  Werte 
derselben 


Ott'  _  ^       dN^  __  ÖAT 
^'dt  ^       ^   2dy         2dz  ' 

du/       »,   ,     SM'         dU 


263) 


dt  ^  2dx         2dy  '  ) 

Zu  diesen  Hauptgleichungen  kommen  Oberfiächenbedingungen 
für  die  Grenze  zwischen  zwei  Medien,  die  wir  nur  für  den  speziellen 
Fall  aufstellen,  daß  die  Grenze  durch  die  AT-Ebene  gebildet  wird. 

Setzt  man  voraus,  daß  die  beiden  Medien  in  der  Grenzfläche 
zusammenhängen,  so  muß  jedenfalls  daselbst 

<  =  «2>    ^1  =  ^2  '     263') 

sein,  während  bezüglich  derKomponente  to  Gleiches  nicht  auszusagen  ist. 
Denn  einerseits  ist  bei  einem  Fluidum  ohne  innere  Kräfte,  wie  schon 
S.  260  bemerkt,  eine  Kondensation  in  der  Grenze  nicht  ausgeschlossen, 
also  die  Bedingung  ^^tc^':=t  q^w^  keineswegs  notwendig;  andererseits 
würde  dieselbe,  solange  über  das  Verhalten  von  q  keine  spezielle 
Annahme  notwendig  ist,  dies  also  als  unbekannt  gelten  muß,  keine 
Bedingung  für  u\  v\  to   liefern. 

Die  allgemeinen  Bedingungen  für  die  Drucke 


(^.)l=(^.),.       mi=(^.)».       (^.)l=(^z). 

nehmen  hier,  da  nach  S.  486 

2  X=  M\     2  7=  -  L\    Z=0 
ist,  die  spezielle  Form  an: 


L\=L\,     MI=M;.  263") 

Bildet  man  aus  dem  System  (263)  die  Gleichung  der  lebendigen 
Kraft,  so  ergiebt  sich  für  die  Volumeneinheit 

und  über  ein  beliebiges  endliches  Volumen  integriert. 


488 


//.  TßiL    Mechanik  ntefUstarrer  Körper,     F.  Kap. 


dW 


dt 


=  I  r[(JVco8(f;^) -  M'cos{vyz))  u  +  (X'cos  (f/,  z)  -  iVcos {v.x")  v 
263'")]  +  ( jlf 'cos  {v,x)  -  Z'  cos(f;,y)) tc']  rfo 

+J[(jrtt'+  !'«'+  ^M?')  +  {rV+  3rm'+  iV'nOJrfÄ, 

worin  fr  die  äußere  Normale  auf  das  Oberflächenelement  bezeichnet 
Das  Oberflächenintegral  verschwindet,  soweit  es  sich  auf  Zwischen- 
grenzen bezieht,  nach  den  Grenzbedingungen  (263')  und  (263"),  resp 
den  ihnen  bei   beliebiger  Lage  des  Grenzelementes  entsprechenden. 
Die  Funktion  unter  dem  Baumintegral  ist  die  Arbeit  der  wirken- 
den Kräfte  ftir  die  Kaum-  und  Zeiteinheit.     Man  kann  sie  denselben 
Betrachtungen  unterwerfen,  wie  die  Arbeit  der  inneren  Kräfte  eines 
elastischen   Mediums   auf  8.  459,   und  für   die   Komponenten  und 
Momente  solche  lineare  Ausdrücke  bilden,  welche  die  Energie  stets 
erhalten,  und  solche,  welche  sie  stets  verzehren. 
Ein  System  ersterer  Art  ist  u.  a. 

—  27  =  flu  tt  -1-  Oja  V  -f-  Ojj  M7  , 
264)                             -  r  =  flgi  m"  -f-  fljg  t?"  -f.  0,3  !£?", 

l     —  ^    =  «31  M    +  «82  ^    +  «83  "^  » 

—  i'  =  &11  /  +  Äj3  m  -J-  Äi3  n, 

264')  -^=*21^+*23"»  +  *2S«. 

eines  der  letzteren 

-  Z'  =  Cum'+  Cjgü'-t-  Cjjtr , 

264")  -1"=  ^21  ^'+^22  «'+^23«^'. 

-  ^'  =  ^31«*'+  ^32^'+  ^33«^'- 

Für  ihre  Konstanten  müssen  dabei  die  Beziehungen  a^^^  a^^* 

*/ik=  Ku^   ^Afc=  ^kÄ  gelten- 

Das    System   (264')    wollen    wir   nach    l,   ntj  n    auflösen   und 

schreiben 

-  4/   =  ^iiZ'  +  e^^AT  +  e^^N\ 

264'")  -  4in  =  e,,L'  +  e^^AT  +  e,,N% 

-  4»  =  ^31 Z'  -f  e^^M'  +  e^^N\ 

Betrachtet  man  endlich  die  Dichte  q  als  unendlich  klein,  oder 
zieht  sie  in  die  Faktoren  a^^,  a^^,  a^^  hinein,  um  eine  symmetrische 
Endform  zu  erhalten,  so  nehmen  die  Formeln  (263)  und  (264'") 
folgende  Gestalt  an 


§  34,    Em  Medium  ohne  innere  Kräfte. 


489 


ä7Kl«'+  «31»'+  «88«»')  =   -  ('^31«'+  <'S«'''+  «SS«»') 

dazu  kommt  wegen  der  Werte  von  l,  m',  n' 


265) 


iT?(^3i^'  +  ^sa^'  +  ^8s^')=   ^"' 


öi;' 


2650 


dy  dx 

Diese  Systeme  von  Hauptgleichungen  (265)  und  (265^),  von  Ober- 
flächengleichungen (263^)  und  (263"),  gehen  in  die  von  Hebtz^") 
formulierten  Grundgleichungen  der  MAXWELL'schen  Theorie  der 
Elektrodynamik  über,  wenn  man 

mit  den  Komponenten  der  elektrischen, 

mit  den  Komponenten  der  magnetischen  Kraft  identifiziert 

Nichtleiter  für  Elektricität  sind  dann  solche  Körper,  in  welchen 

nur  Energie  erhaltende,  Leiter  solche,  in  denen  auch  absorbierende 

Kräfte  auf  den  Äther  wirken. 

Wir  machen  die  obige  Einführung  nur  für  isotrope  Körper,  wo 

in   den  Systemen  (264)  bis  (264'")  sich  die   rechten  Seiten  auf  die 

Diagonalglieder  reduzieren,  deren  Konstanten  gleich  werden  und  weiter 

ohne  Index  geführt  werden  mögen. 
Man  erhält  hier 


dS  ^  ,   dN      dM 

dZ  ^  r    dM      dA 

dt  dx        oy  \ 


266) 


490 


//.  leiL    Mechanik  niehtstarrer  Körper,     F.  Kap. 


266') 


e  —^  -    Ä. 


e 


dA         dH 

dt       '    dx 

dZ 

dy^ 

dM         dZ 

dA- 

dt    "    dx 

dx  ' 

dN  __   dS 
dt    "^    dy 

dH 

dx  ' 

und   außerdem  an  einer  der  Xr-Ebene  parallelen  Grenze  zwischen 
zwei  Körpern  (1)  und  (2) 

266")  \-\.     H,^H^,    A=A^     M,^M^. 

Folgerungen  aus  diesen  Gleichungen  werdet  im  IV.  Teil  ge- 
zogen werden,  wo  sich  auch  eine  Ableitung  aus  der  Erfahnmg  ohne 
Zuhilfenahme  spezieller  Vorstellungen  finden  wird.  — 

Die  obigen  linearen  Ansätze  (264)  sind  ganz  spezielle  und  nur  aus- 
gewählt, um  eine  spezielle  Gestalt  der  Endformeln  zu  erhalten.  Die 
allgemeinst  möglichen,  welche  für  die  Zwecke  der  Optik  Bedeutung 
gewinnen,  sind  nach  den  allgemeinen  Angaben  auf  S.  460  zu  bilden. 

Wir  können  demgemäß  folgende  Zusammenstellung  geben. 


267) 


Konservative  Kräfte. 

;j/2j     ^    11  12  13      '' 


wobei  ci^J}=  c^^l* 

hk  kh 


267') 


wobei  a^Jl=  dj}* 

hk  kh 


267") 


3.  Art. 


dt 


ö2i 


2.  Art     -  r=  ~  ^ .- (aOV  +  a(j')m  +  d^^n ) , 

^^J    ^    11        '        12  '        13      ^' 


Ö2i 


Qf3     Ml       ^        12  '        13      " 


und  zugleich 


'■>-• 


-  7v'  = 


-^(iiO*'M  +  qS^)v  +  dJhü)y 

ßpj     Ml  21  31      '' 


Hier  ist  nicht  notwendig  a|^^ 


ith 


267'") 


4.  Art.     -  Z'  = 


S2j  +  i 
^^»j+1    ^12         •    *^13      '' 


worin  m  =-m. 


kh 


§  34,    Bexiehungen  xur  Optik,  491 

5.  Art.     -  i'  =  -^^-TT  (*^^*>  m  +  b^^'^n) ,  267'") 

worin  UJl==^  —  it^J. 

In  die  Gleichungen  (263)  bis  (263")  eingesetzt,  führt  die  erste 
oder  zweite  Art  auf  die  Gesetze  der  Doppelbrechung,  die  dritte  auf 
diejenigen  der  natürlichen,  die  vierte  oder  fünfte  auf  diejenigen 
der  magnetischen  Zirkularpolarisation. 

Absorbierende  Kräfte. 
1.  Art    -  r  =  ~^(yV?«  +  J'l^  +  r?,"^)^  268) 


worin  M  =  yU). 


2.  Art     -  r  =  -^.^  (c<i)/  +  cO-)m  +  d^^n ) ,  268') 


worin  c^J.  =  c(.-5. 

Sie  geben,  neben  den  konservativen  eingeführt,  die  Modi- 
fikationen, welche  die  genannten  optischen  Erscheinungen  in  absor- 
bierenden Körpern  erfahren. 

Endlich  sei  noch  ein  spezieller  Ansatz  von  abweichendem 
Charakter  erwähnt 

Setzt  man 

^r  =  ^4^,     _r==e4^,.   -^  =  ^4-.         268") 
as  o»  ö«    '  ' 

worin  s  eine  willkürliche  Richtung  bezeichnet,  so  laßt  sich  für  die 
Arbeit  schreiben 

fdk{Tv:+  Tv  +  Z'w)  =  -  ef(^'^+^^+w'^QO%[n,s)do, 

woraus  hervorgeht,  daß  sie  als  ganz  in  der  Oberfläche  geleistet  auf- 
gefaßt werden  kann. 

Dieser  Ansatz  erweist  sich  geeignet,  um  die  optischen  Er- 
scheinungen in  bewegten  Medien  abzuleiten. 

Die  Grenzbedingungen  behalten  in  allen  Fällen  die  in  (263') 
und  (263")  gegebene  Gestalt 

Auf  die  Behandlung  spezieller  hierher  gehöriger  Probleme  wird 
im  V.  Teil  eingegangen  werden;  hier  handelt  es  sich  nur  um  die 
Herstellung  der  Verbindung  zwischen  der  Dynamik  gewisser  nicht- 
starrer Körper  und  den  Grundformeln  der  Optik. 


Litteratnr  zum  H.  Teil. 

ELiBCHBOFF,  Mechanik.  Lieipzig  1877.  —  Yoior,  Elementare  Meehanik. 
Leipzig  1889.  —  Thomson  und  Tait,  Treatise  on  Natural  Philosophj.  Cambridge 
1888,  1886.  —  RiEMANN,  Partielle  Differentialgleichungen,  herausgeg.  von  Hat- 
TENDORF.  2.  Aufl.  Braunschwetg  1876.  —  F.  Neuicakn,  Vorlesungen  über  die 
Theorie  der  Kapillarität,  herausgeg.  von  Wai^oebin,  Leipzig  1894.  —  ÜATHiEr, 
Theorie  de  la  Capillarit^.  Paris  1888.  —  Lamb,  Treatise  on  the  math.  theory 
of  the  motion  of  fluids.  Cambridge  1879.  —  Basset,  Treatise  on  Hydrodynamics, 
Cambridge  1888.  —  Lam£,  Le^ons  sur  la  th^orie  math^matique  de  l'^asticite 
des  Corps  solides.  Paris  1852.  —  Clebsch,  Theorie  der  Elasticitfit  fester  Korper. 
Leipzig  1862.  Übersetzung  mit  Anmerkungen  von  SADTr-YENANT.  Paris  1883. 
—  Beer,  Einleitung  in  die  math.  Theorie  der  Elasticität  und  KapillaritSt 
Leipzig  1869.  —  Navieb,  Le9ons  sur  Tapplication  de  la  möcanique.  I.  Resistance 
des  Corps  solides.  3.  6dit.  par  Saint- Vekant.  Paris  1864.  —  P.  Neumanm,  Voi^ 
lesnngen  über  die  Theorie  der  Elasticität,  herausgeg.  von  0.  E.  Meyeb.  Leipzig 
1885.  —  Jbbetson,  Math,  theory  of  perfectly  elastic  solids  and  viscoos  fluids. 
London  1887.  — -  Love,  Treatise  on  the  math.  theory  of  elasticity.  Cambridge 
1892.  —  PoiNCABt,  Le^ons  sur  la  th^orie  de  T^lasticit^.  Paris  1892.  —  Dchem, 
Hydrodynamique,  £lasticit6,  Acoustique.  Cours  profess^  en  1890 — 91.  Paria 
1891.  —  W.  Thomson,  Artikel  Elasticity  in  der  Encyclopaedia  Britannica,  9.  ed.« 
1878.  —  Rayleigu,  Theory  of  sound.  London  1877.  Übers,  von  Nebsen.  Brann- 
schweig  1880.  —  Boüsstnesc^,  Application  des  potentiels  k  T^tude  de  T^quilibre 
et  du  mouvement  des  solides  ^fastiques.    Paris  1885. 


L  Kapitel.  ^)  Moebiüs,  Der  barycentrische  Calcul.  2.  Abschn.,  Kap.  III. 
Leipzig  1827;  Thomson-Tait,  Natural  Philosophy,  Vol.  I,  Sect  155—159,  S.  114 
— 115.  —  *)  Cauohy,  Ezercices  de  Mathematiques  II,  S.  62.  1827.  —  •)  Bbltrahi, 
Rendiconti  del  Circolo  Matematico  di  Palermo  III,  S.  73,  1889.  —  *)  Cauchy, 
Exercices  de  Math.  II,  8.  62,  1827;  III,  S.  237—242,  1828.  —  *)  W.  Thomsos, 
Theory  of  Elasticity,  Chap.  VIII,  IX;  Math.-phys.  papers  m,  S.  94.  —  •)  Kibch- 
HOFF,  Mechanik,  27.  Vorlesung,  S.  399.  —  ^)  Poisson,  Tiait^  de  M^canique, 
Livre  VI,  Chap.  I,  No.  652.  —  «)  Voigt,  Theoret.  Studien  über  d.  Elasticittts- 
verhältnisse  der  Krystalle,  S.  11.  Abhandl.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen  1887.  — 
»)  Cauchy,  Exercices  de  Math.  II,  S.  111,  1827;  HI,  S.  166,  1828.  —  ")  Caucht, 
ibid.  II,  S.  52.  —  ")  Cauchy,  ibid.  II,  S.  53,  Th^or^me  HI.  —  ")  Thomsok- 
Taft,  Treatise  on  Natural  Philosophy,  I,  S.  327.  —  ^*)  Elibchhoff,  Mechanik. 
9.  Vorlestmg. 

n.  Kapitel.  ^^)  Poisson,  Trait^  de  M^canique,  Livre  V,  Chap.  II,  Nr.  581. 
1833.  —  *^j  Laplace,  I.  SuppUment  au  livre  X  de  la  M^canique  Celeste,  Nr.  3. 
1805.  —  Oeuvres,  T.  IV,  S.  366.  —  »•)  Laplace,  1.  c.  Nr.  1.  —  »')  Gauss,  Prin- 
cipia  generalia  theoriae  figurae  fluidorum  in  statu  aequilibrii.  Comment  sog. 
Gottingensis  VII,  1830.  Werke  Bd.  V,  S.  29—77.  —  »»)  Poisso»,  Tiaite  de 
Möcanique  II,  Nr.  583  -  584.  —  ")  Laplace,  1.  c.  Nr.  4,  S.  369.  —  ^)  F.  Nkt- 
MAKN,  Vorlesungen  über  d.  Theorie  der  Kapillarität  (herausgeg.  von  Wahokrui, 
1894),  S.  161.  —  **)  Laplace,  II.  Supplement  au  livre  X  de  la  M^.  Celeste, 
Oeuvres  T.  IV,  S.  432.  —  '*)  Abchikedeb,  De  iis  quae  in  aqua  vehuntur,  Liber  h 
Theorema  VI  u.  VII.  Opera,  herausgeg.  von  Heibebo,  Leipzig  1881,  S.  868—869. 
—  "j  Kibchhoff,  Mechanik,  13.  Vorlesung,  S.  149.  —  **)  Coulomb,  M^m.  AcaoL 
roy.  des  Sciences  Paris  1785,  S.  578—611.  —  '")  Clausius,  Mechanische  Wfinne- 
theorie,  II,  Abschnitt  8,  §  4.  —  Poisson,  Theorie  du  Magn^tisme.  M^m.  Acs<L 
Paris  V,  1821—22,  S.  247,  §  1.  —  ")  Riecke,  Molekulartheorie  der  pigzoelcktr. 
u.  pyroelektr.  Erscheinungen.   8.  6.   Abhandl.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen  38, 1^91 


Liiteraiur  xum  IL  Teil.  493 


III.  Kapitel.  '0  Euleb,  Priucipes  genuraux  du  mouvement  des  fluides. 
Hist  de  l'Acad.  de  Berlin  1755.  p.  286.  —  Theorie  des  Gleichgew.  u.  d.  Bewe- 
gung d.  Flüssigkeiten.  Übers,  von  Bbanobs,  Leipzig  1806.  S.  189 — 140.  — 
")  W.  Thomsok,  On  vortex  motion,  Trans.  Roy.  Soc.  Edinb.  XXV,  8.  248—49. 
1869.  —  **)  Lamb,  Mathematical  theory  of  tiie  motion  of  floids,  (Cambridge 
1879).  Chap.  VI,  Art.  145.  —  •*)  Daniel  Bebnoülli,  Hjdrodynamica,  Sect  lA, 
S.  179.  1788.  —  ^*)  ToBBiCELLi,  Trattato  del  moto  dei  gravi,  Floren«  1641.  — 
**)  V.  Ueluholtz,  Cbbllb's  Joamal  66.  S.  25—55,  §  2.  1858.  —  ^)  v.  Helm- 
HOLTZ,  1.  c.  S.  25.  —  •*)  Basset,  Hydrodynamics,  III.  Chap.  —  '*)  ELibch- 
HOFF,  Mechanik,  18.  Vorlesung,  §  3.  —  ^)  Kibcbhoff,  Mechanik,  19.  Vorl.,  §  2. 

—  'Ö  KiBCHHOFF,  1.  c.  §§  2,  8.  —  ^)  V.  Helmholtz.  Cbelle's  Journal  66,  S.  88, 
1858.  —  »•)  KiBCHHOFF,  Mechanik,  20.  Vorl.  §  2.  —  *»)  Stokes,  Cambr.  and 
Dublin  Math.  Joum.  6,  S.  215-38, 1851.  —  W.  Thomson,  Trans.  K.  Soc.  Edinb.  21, 
S-  165,  1857.  —  *»)  BoüssiNESQ,  Compt  Rend.  63,  S.  104,  1867.  —  Lioüville's 
Joum.  de  math.  (2)  14,  S.  265,  1869.  —  **)  Lam^,  Theorie  analytique  de  la 
chaleur,  §  25.  1861.  —  *•)  Lama,  1.  c.  S.  42.  —  **)  Stokes,  Cambr.  and  Dublin 
Math.  Joum.  6,  S.  224.    1851.  —  *>)  Kibchhoff,  Mechanik,  16.  VorL  §§  5  u.  6. 

—  *•)  W.  Thomson,  Lioüville's  Journal  X,  1845,  S.  864 — 67.  Beprint  of  papers  on 
Electr.  and  Magnet  S.  52.  —  Maxwell,  Treatise  on  Electr.  and  Magn.  Uhap.  XI 
u.  Xn.  —  *0  Amsleb,  Cbelle's  Joumal  42,  S.  322—23.  1851.  —  *•)  Minnioe- 
bode,  Wärmeleitung  in  KrystaUen.  Dissertation,  Göttingen  1862.  S.  13.  —  Amsleb, 
1.  c.  S.  323.  —  *')  MiNNiGEBODE,  1.  c.  S.  9.  —  ^)  Minnigebode,  1.  c.  S.  9,  11,  15. 

—  ^^)  RiEMANN,  Partielle  Differentialffleichungen  (Braunschweig  1876).  S.  135.  — 
RiBCUHOTF,  Vorlesungen  Über  die  Theorie  der  Wärme  (Leipzig  1894),  2.  Vorl. 
§  6.  —  **)  FicK,  Poggend.  Annalen  94,  S.  66.  1855.  —  ")  Clebsch,  Cbelle's 
Joumal  Bd.  66,  S.  1.  1859.  —  ^*)  Kibchhoff,  Mechanik,  22.  Vorlesung.  — 
")  Voigt,  Math.  Annalen  Bd.  28,  S.  14—33,  1885.  —  »•)  Voigt,  Nachrichten  v. 
d.  Ges.  d.  WisB.  Göttingen  1891,  S.  54—64.  —  ")  Kibchhoff,  Mechanik,  25.  Vor- 
lesung, §  3.  —  '^  BoüssiNESO,  Application  des  potentiels  etc.,  Note  II,  §  IV,  Nr.  24. 

—  *»)  KoLAÖEK,  Wied.  Annalen  5,  S.  425,  1878.  —  W.  Thomson,  PhiL  Magazine 
(4)  42,  S.  868—77,  1871.  —  Basset,  Hydrodynamics  Vol.  11,  Chap.  XVII,  S.  177. 

—  ^  EüLEB,  De  principiis  motus  fluidorum.  Novi  comm.  acad.  sc.  imp.  Petro- 
politanae  14,  Teil  I,  6.  Kap.,  S.  358.  1759.  —  '')  Lagbange,  M^canique  analy- 
tique II,  Sect  XI-  —  *")  Gebstnbb,  Theorie  der  Wellen  etc.  Prag  1804.  —  Ran- 
KiNB,  Phil.  Transactions  1863,  I,  S.  227.  —  ^)  H.  Webeb,  Cbelle's  Joumal  68, 
S.  287.   1868. 

rV.  Kapitel.  •*)  Voigt,  Wied.  Annalen  52,  S.  536.  1894.  —  •*)  Kibch- 
hoff, Cbelle*s  Joumal  66,  S.  291.  1859.  —  F.  Neumann,  Vorl.  Über  Elasü- 
citätstheorie,   §§   60,   61.   —   ^   d*Alembebt,    M^m.   de   TAcad.   Berlin   1768. 

—  •^  V.  Helmholtz,  Cbelle's  Joumal  57,  S.  1.  1860.  —  •*)  Kibchhoff,  Pogg. 
Annalen  134,  S.  177.  1868;  ges.  Abhandlungen  S.  540.  —  ••)Poisson,  M^moires 
de  rinst.  Paris,  II,  S.  305,  1819  und  X,  S.  317.  1831.  —  Geben,  Trans. 
Cambridge  phil.  soc.  1888,  Math.  Papers  S.  284.  —  ^^)  Kieicann,  Über  d.  Fort- 
pflanzung ebener  Luftwellen  von  endlicher  Schwingungsweite.  Abhandl.  k.  Ges. 
d.  Wiss.  Göttingen,  Bd.  8.  1860;  Werke,  S.  145—164.  —  ")  Kibchhoff,  Berl. 
Sitzungsber.  1882,  S.  644;  Wied.  Ann.  18,  S.  667;  ges.  Abhandl.  Nachtrag  S.  26. 

—  '»)  Kibchhoff,  Mechanik,  23.  Vorl.  §  3.  —  ^)  Poisson,  M^m.  de  l'Insitut  III, 
S.  121.  1820.  —  ^*)  Kibchhoff,  Beri.  Sitzungsber.  1882,  S.  641,  §  2;  Wied. 
Annalen  18,  S.  663,  1883;  ges.  Abhandl.  Nachtrag  S.  22.  —  '^  Voigt,  Elemen- 
tare Mechanik,  S.  439—441.  —  '•)  W.  Thomson,  Natural  philosophy  1883,  §§  730, 
731.  —  '0  Beth,  Nuovo  Cimento  (2)  VII,  S.  89.  (Teoria  dell*  elasticiti  §  6). 
1872.  —  ^»)  Cbbbuti,  Mem.  R.  Acad.  d,  Line.  (3)  XIII,  S.  81.  1881/82.  —  Boüs- 
siNESQ,  Application  des  potentiels  etc.  Chap.  in  u.  IV.  —  ^')  Cebbuti,  Bend. 
Acad.  d.  Line.  (4)  11,  S.  461,  586.  1886.  —  ^)  Voigt,  Theoret.  Studien  über  d. 
Elasticitfttsverhaltnisse  d.  Kryst  S.  52—79.  Abhandl.  Ges.  d.  WLbs.  Göttingen  34. 
1887.  —  •*)  Saint- Vbnant,  Memoire  sur  la  torsion  des  prismes  etc.,  M^m.  sav. 
Strang.,  Chap.  HI,  §  33,  T.  XIV,  S.  291—99.  Paris  1856.  —  ««)  Kibchhoff, 
Mechanik,  28.  Vorl.,  §  5,  S.  422.    —   »)  Kibchhoff,    1.  c.  §  7.    —    •*)  Poisson, 


494  Litteraiur  xum  IL  TßiL 


M^m.  sur  T^uilibre  et  le  mouvement  des  corps  ^lastiques  §  IV.  M^m.  Acad. 
Paris  VIII,  1829.  Trait^  de  m^canique,  Livre  IV,  Chap.  8,  §  5.  —  ")  Voigt, 
Wied.  Ann.  16,  S.  404.  1882.  —  ")  Voigt,  Theoret  Studien  üb.  d.  Elasticitäts- 
Verhältnisse  der  Krystalle,  S.  52.  Abhandl.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen  34,  1887. 
—  ®^)  Boü88iNE8(i,  Application  des  poteutiels,  Note  II,  §  1.  —  ^  Bovssixesq, 
1.  c.  Note  n,  §  8.  Nr.  17.  —  «*0  Boussikesq,  1.  c.  Note  II,  §  8.  Nr.  20.  — 
^)  KiBCHHOPP,  Mechanik,  29.  Vorl.  §  7,  S.  445.  —  »^  Pockels,  Über  die  part 
Differentialgleichung  Af*  +  A;'f*  —  0.  Leipzig  1891,  S.  36.  —  •■)  Kibchhopt, 
Mechanik,  30.  Vorl.,  §  8,  S.  459.  —  •»)  Kirchhopp,  1.  c.  §  4,  S.  460.  —  •*)  Kirch- 
uopp,  Crelle's  Joum.  40,  1850,  §  4.  —  Voigt,  Nachr.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen 
1893  Nr.  6.  —  »»)  Kirchhopp,  1.  c.  §  5,  S.  465. 

V.  Kapitel.  ••)  Maxwell,  .Constitution  of  bodies,  EncycL  Brit  VI, 
S.  313.  1877;  Scientific  papers  II,  S.  623.  —  •')  Boltzmann,  Pogg.  Annalen, 
Erg.-Bd.  7,  S.  629—30.  1876.  —  •«)  Wiechert,  Über  elastische  Naihwirkung, 
Königsberg  1889;  Wied.  Ann.  60,  S.  335.  1893.  —  »»)  Voigt,  Wied.  Ann.  43, 
S.  414—420.  1891.  —  ^^)  Stores,  Transact  Cambridge  phil.  soc.  VIII,  P.  III, 
S.  297.  1847.  —  "*)  Voigt,  Über  die  innere  Beibung  der  festen  Korper,  §  2. 
Abhandl.  Ges.  d.  Wiss.  Göttingen,  Bd.  36,  1889.  —  »<>«)  F.  Neumann,  Pogg. 
Ann.  26,  S.  418,  §  3.  1832.  —  "»)  Voigt,  Wied.  Ann.  23,  S.  109,  1884.  — 
*^)  C.  Neumann,  Theorie  der  magnetischen  Drehung  der  Polarisationsebene  des 
Lichtes.  §  8.  Halle  1863.  —  »«»)  Volkmann,  Wied.  Ann.  36,  S.  354—360.  1888. 
Voigt,  Wied.  Ann.  43,  S.  423.  1890.  —  *^)  Kirchhopp,  Abhandl.  d.  Berliner 
Akad.  1876,  S.  73;  ges.  Abhandl.  S.  366.  —  Voigt,  Wied.  Ann.  43,  S.  410,  Ab- 
schnitt II  u.  IV.  —  »«0  Voigt,  1.  c.  Abschn.  III.  —  >««)  Kirchhopp,  1.  c  S.  74 
—75  bezw.  S.  366-67.  —  "»)  Voigt,  1.  c.  Abschn.  I.  —  »")  Voigt,  Wied. 
Ann.  62,  S.  665.   1894.  —  "»)  Hertz,  Wied.  Ann.  40,  S.  577,  1890. 


IIL  Teil, 
Wärmelehre. 

L  Kapitel. 

Thermiscli-nieclianisclie  Umsetzungen. 

§  1.    Onmddeflnitionen.    Die  erste  Hauptgleichnng  der  meohaniBchen 

Wäimetheorie. 

Die  Beobachtung,  welche  der  ganzen  Wärmelehre  zur  Grundlage 
dient,  ist  die  Wahrnehmung  unseres  Temperatursinnes,  daß  ver- 
schiedene Körper  sich  im  allgemeinen  in  verschiedenen  Wärme- 
zuständen  befinden,  oder,  wie  man  sagt,  verschiedene  Temperaturen 
besitzen,  und  daß  mit  den  Änderungen  der  Temperaturen  Ver- 
änderungen in  dem  sonstigen  Verhalten  der  Körper  zusammenhängen. 

Um  den  Wärmezustand  eines  Körpers  konstant  zu  erhalten, 
muß  man  ihn  durch  Hüllen  aus  Substanzen,  welche  für  Wärme  in 
jeder  Weise  undurchdringlich  sind,  adiathermane  Nichtleiter, 
von  anderen  Körpern  trennen,  ein  Prozess,  der  in  Wirklichkeit  nur 
angenähert  möglich  ist,  den  wir  aber  zum  Zwecke  der  Feststellung 
fundamentaler  Definitionen  voUkpmmen  realisiert  denken  dürfen. 

Bringt  man  innerhalb  einer  solchen  Hülle  zwei  verschiedene 
Körper  zur  Berührung,  so  verändern  sie  im  allgemeinen  ihren  Wärme- 
zustand und  nehmen  schließlich  einen  konstanten  neuen  Zustand  an, 
von  welchem  wir  aussagen,  daß  in  ihm  Temperaturgleichgewicht 
herrscht,  oder  daß  beide  Körper  gleiche  Temperatur  besitzen.  Der- 
selbe Vorgang  tritt  ein,  wenn  wir  mehrere  beliebig  temperierte 
Körper  in  dieselbe  isolierende  Hülle  bringen. 

Auf  diesem  Vorgang  und  der  darangeknüpften  Festsetzung  be- 
ruhen die  gewöhnlichen  Methoden  der  Temperaturmessung,  bei  denen 
als  Maß  der  Temperatur  eines  Körpers  gewisse  erfahrungsmäßig  vom 
Wärmezustande  abhängige  Eigenschaften  eines  mit  ihm  in  Temperatur- 


496  IIL  2bt/.     WärmelehrB,    L  Kap. 


gleichgewicht  gelangten  Normalkörpers  oder  Thermometers  benutzt 
werden. 

Sind  die  Normalkörper  feste,  so  wird  ihre  Länge,  sind  sie 
flüssige,  so  ihr  Volumen,  sind  sie  gasförmig,  so  der  yon  ihnen  auf  das 
sie  einschließende  Oefäß  ausgeübte  Druck  als  Maß  der  Temperatur  r 
benutzt,  indem  man  die  Änderungen  der  ersteren  Größen  denen  der 
letzteren  proportional  setzt 

Indessen  geben  verschiedene  Normalkörper,  nach  dieser  Kegel 
benutzt  und  durch  Anwendung  auf  dieselben  zwei  Normaltempera- 
turen graduiert,  im  allgemeinen  verschiedene  Temperaturangaben; 
nur  die  Gase  liefern  stets  nahezu,  und  je  weiter  ihr  Zustand  von 
ihrem  Kondensationspunkt  entfernt  liegt,  d.  h.  je  verdünnter  und  je 
wärmer  sie  sind,  um  so  genauer  übereinstimmende  Skalen.  Daher 
ist  man  übereingekommen,  Gase,  die  sich  in  diesem  sogenannten 
idealen  Zustande  befinden,  als  Normalkörper  für  die  Festlegung 
einer  Temperaturskala  zu  benutzen,  so  daß  man  also,  indem  man 
den  Druck,  welchen  ein  in  einem  unveränderlichen  Volumen  ein- 
geschlossenes ideales  Gas  ausübt,  mit  P  bezeichnet,  zu  setzen  hat 

P=  a  +  br. 

Die  Konstanten  a  und  b  werden  durch  zwei  willkürlich  als 
0  und  100  festgesetzte  Temperaturgrade  —  Schmelzpunkt  und  Siede- 
punkt des  Wassers  unter  76  cm  Quecksilberdruck  im  Meeresniveau 
auf  45^  Breite  —  bestimmt,  so  daß  also  durch  die  Beobachtungen  der 
zugehörigen  Drucke  P^^undP^Q^  das  Thermometer  vollständig  graduiert 
ist.    Es  gilt  nämlich: 

oder 

Die  vorstehende  Definition  der  Temperatur  läßt  scheinbar  im 
Stiche,  wenn  es  sich  um  Körper  mit  zeitlich  und  räumlich  variabler 
Temperatur  handelt  Hier  muß  man  sich  ein  Volumenelement  des 
betrachteten  Körpers  in  äußere  und  innere  Euhe  versetzt^  mit  einer 
isolierenden  Hülle  umgeben,  aus  dem  Zusammenhang  der  übrigen 
getrennt  und  mit  dem  Thermometer  in  Berührung  gebracht  denken; 
ist  die  Temperatur  des  letzteren  der  des  Volumenelementes  gleich, 
so  verharren  beide  im  Wärmegleichgewicht.  Dieser  Prozeß  ist  prak- 
tisch nicht  ausfuhrbar,  kann  aber  zur  Definition  ebensowohl  heran- 
gezogen werden,  wie  ähnliche  in  anderen  Gebieten  der  Physik. 


§  1.     Kalorische  und  mechanische  Einwirkungen.  497 


Die  Temperatur  t  eines  Körpers  betrachten  wir  als  eine  neue 
Fundamentalgröße  und  setzen  ihre  Dimension 

M  =  «; 

sie  als  reine  Zahl  zu  führen,  wie  mitunter  geschieht,  empfiehlt  sich 
wegen  daraus  folgender  Mißstände  nicht  — 

Um  die  Temperatur  eines  Körpers  zu  ändern,  ist  das  ein- 
fachste Mittel,  ihn  mit  einem  kälteren  oder  einem  wärmeren  Körper  in 
Berührung  zu  bringen,  wodurch,  wie  man  sagt,  ein  Wärmeübergang 
von  dem  wärmeren  nach  dem  kälteren  eingeleitet  wird.  Die  Quantität 
der  übergegangenen  Wärme  beurteilt  man  nach  der  Wirkung,  d.  h. 
der  Temperaturänderung,  die  sie  hervorbringt.  Als  Wärmeeinheit 
kann  man  dabei,  so  lange  es  sich  nur  um  thermische  Vorgänge 
handelt,  eine  ganz  belieljige  Wärmemenge  wählen  und  auch  deren 
Dimension  willkürlich  lassen,  also  die  Wärmemenge  als  neue  Funda- 
mentalgröße betrachten.  In  der  theoretischen  Physik  dient  als 
W^ärmeeinheit  die  Grammkalorie,  d.  h.  diejenige  Wärmemenge,  die 
bei  Ausschluß  aller  anderen  Einwirkungen  erforderlich  ist,  um  1  g 
Wasser  unter  Atmosphärendruck  von  0^  auf  l^C.  zu  erwärmen;  in 
der  Technik  die  (Kilogramm-)  Kalorie,  welche  sich  ebenso  auf  das 
Kilogramm  bezieht,  und  mitunter  für  15^  statt  für  0^  definiert  wird. 

Diese  Einheiten  sind  theoretisch  nicht  sehr  glücklich  gewählt, 
weil  sie  zur  Definition  den  Begriff  der  Temperatureinheit  voraus- 
setzen, sie  sind  aber  praktisch  sehr  bequem.  So  geschieht  es,  daß, 
obwohl  eine  absolute  Einheit  der  Wärme  vorhanden  und  im  Ge- 
brauch ist,  die  Kalorie  mehr,  als  irgend  eine  andere  spezielle  Ein- 
heit, noch  neben  der  absoluten  benutzt  wird.  Wir  wollen  Wärme- 
mengen, die  in  Kalorien  ausgedrückt  sind,  durch  den  Buchstaben  ^, 
ihre  Dimension  durch  w  bezeichnen.  — 

Eine  zweite  besonders  einfache  Art,  die  Temperatur  eines  Körpers 
zu  (erhöhen,  ist  die,  daß  man  auf  ihn  gar  nicht  kalorisch,  sondern 
nur  mechanisch  einwirkt,  ihn  z.  B.  komprimiert  oder  seine  Teile 
gegeneinander  reibt.  Dieselbe  wird  in  Praxi  bald  absichtlich  aus- 
geübt, wie  bei  den  angeführten  Beispielen,  bald  stellt  sie  sich  als 
Begleitung  ausgeübter  kalorischer  Wirkungen  infolge  der  veränderten 
Temperatur  von  selbst  ein  und  ist  nur  durch  besondere  Kunstgriffe 
zu  verhindern. 

Die  Beobachtung  hat  gezeigt,  daß,  wenn  diese  mechanische  Ein- 
wirkung nur  zur  Erhöhung  der  Temperatur  dient,  also  z.  B.  dem 
betrachteten  Körper  keinerlei  Geschwindigkeit  erteilt,  die  zugeflihrte 
Arbeit  ^  hinsichtlich  der  bewirkten  Temperaturänderung  jederzeit 

Voigt,  TheoretiBche  Physik.  32 


498  IIL  Teü,    Wärmelehre.    L  Kap. 


mit  einer  ihr  proportionalen  Wärmemenge  W  äquivalent  ist,  so  daß 

1)  ^  =  «  r. 

Der  Proportionalitätsfaktor  %  der  numerisch  gegeben  ist  durch 
die  Arbeitsmenge,  welche  mit  der  Wärmeeinheit,  also  z.  B.  mit 
einer  Grammkalorie,  äquivalent  ist,  hat  nach  vielfachen  und  genauen 
Messungen  für  alle  benutzten  Körper  und  für  jede  Art  mechanischer 
Arbeit  denselben  Wert  und  heißt  das  mechanische  Wärme- 
äquivalent Seine  Bestimmung  nach  einer  Reihe  von  sehr  ver- 
schiedenen Methoden  und  der  dadurch  erbrachte  Nachweis  seiner 
Unabhängigkeit  von  der  Art  und  Weise  der  Arbeitszufährung  ist 
hauptsächlich  von  Joule  geliefert.  ^)     Für  die  Dimension  von  Ä  gilt 

Der  aus  den  zuverlässigsten  Beobachtungen  geschlossene  Zahlen- 
wert von  St  ist  im  [cm  sec  g]  System  bei  Voraussetzung  von  Gramm- 
kalorien 

«  =  4,22.10% 

bei  Voraussetzung  von  Kilogrammkalorien  und  der  technischen  Arbeits- 
einheit aber  91  =  430. 

Diese  Resultate  legen  eine  andere  Wärmeeinheit  nahe,  als  die 
oben  benutzte,  welche  von  der  Temperatureinheit  unabhängig  ist 
und  demzufolge  theoretisch  den  Vorzug  verdient,  nämlich  die  Wärme- 
menge, die  mit  der  Arbeitseinheit  äquivalent  ist;  dieselbe  ist  dar- 
gestellt durch 
n  /r=l/9l, 

sie  ist  also  der  4,22 .10^  Teil  von  einer  Grammkalorie. 

Der  Zahlwert  einer  in  dieser  Einheit  angegebenen  Wärmemenge 
mag  mit  il  bezeichnet  werden,  dann  ist 

1'")  ß  =  91 IV  und  [ß]  ^  TW  ?  ^-2.  _ 

Hält  man  zusammen,  daß  nach  §*6  des  ersten  Teiles  bei  rein 
mechanischen  Einwirkungen  und  bei  rein  mechanischer  Energie,  wio 
sie  durch  die  kinetische  Energie  der  sichtbaren  Bewegung  und  die 
potentielle  Energie  der  Wechselwirkung  zwischen  allen  Volumenelemen- 
ten bestimmt  ist,  der  Zuwachs  dE  der  Energie  eines  körperlichen 
Systemes  der  zugeflihrten  Arbeit  (VA  gleich  ist,  daß  aber  zugeftlhrte 
Arbeit  nach  dem  eben  Gesagten  noch  eine  andere  Wirkung  üben  kann. 
als  eine  Vergrößerung  dieser  rein  mechanischen  oder  sichtbsui^n 
Energie,  nämlich  eine  Steigerung  der  Temperatur,  so  wird  man  zu- 
nächst zu  dem  Schluß  geführt,  daß  eine  Temperaturerhöhung  ebenfalls 
eine  Energievermehrung  repräsentiert,  daß  also    neben  der  äußeren 


§  1.    Erste  Bauptgleickimg,  499 


sichtbaren  oder  mechanischen  noch  eine  unsichtbare  oder 
thermische  Energie  in  einem  jeden  körperlichen  System  in  Betracht 
zu  ziehen  ist 

So  gelangt  man  zu  der  Erweiterung  der  Energiegleichung  (48) 
des  ersten  Teiles  in 

die  auf  ganz  andere  Weise  bereits  S.  42  plausibel  gemacht  ist. 

Nimmt  man  noch  hinzu,  daß  bezüglich  der  Vermehrung  dieser 
inneren  Energie  auch  eine  Wärmemenge  statt  einer  Arbeit  wirksam 
sein  kann,  so  erscheint  eine  zweite  Erweiterung  wahrscheinlich  durch 
ZufÜgung  der  etwa  zugefiihrten  Wärme  in  mechanischem  Maße  rf'fl 
auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung,  welche  dadurch  die  Form  an- 
nimmt *) 

rf£*=  d£.+  dE^^  d'A  +  rf'fl.  2) 

Diese  Oleichung,  welche  wir  als  hypothetische  Erweiterung  der 
früher  abgeleiteten  Formel  der  Mechanik  betrachten,  sagt  aus,  daß, 
wenn  einem  System  Wärme  und  Arbeit  zugeführt  wird,  und  zugleich  ein 
Austausch  von  innerer  und  äußerer  Energie  stattfindet,  die  Änderung 
der  Gesamtenergie  stets  gleich  der  Summe  aller  gemachten  Auf- 
wendungen ist  Man  bezeichnet  sie  wohl  als  die  erste  Haupt- 
gleichung der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Sie  darf  aber  nicht  etwa  in  dem  Sinne  aufgefaßt  werden,  als 
ob  die  in  ihr  angedeuteten  und  in  Zusammenhang  gebrachten  Um- 
setzungen stets  im  ganzen  Umfang  physikalisch  möglich  wären;  als 
ob  wir  beispielsweise,  wenn  wir  d^A  +  d^i2  =  0,  also  die  Summe  der 
äußeren  Einwirkungen  verschwindend  nehmen,  beliebig  viel  der 
inneren  Energie  in  äußere  überführen  könnten;  oder  als  ob,  wenn 
wir  dE^+  dE^=  0,  also  den  Anfangs-  und  Endzustand  gleichwertig 
annehmen,  es  möglich  wäre,  beliebige  zugeführte  Wärme  d'i}  als 
Arbeit  d^A  wieder  zu  gewinnen.  Die  Formel  spricht  nur  eine  Be- 
ziehung aus,  die,  wenn  alle  vier  Änderungen  dE^,  ^^o»  ^-^  ^^^ 
d'ii  möglich  sind,  jederzeit  erfüllt  sein  muß. 

Bei  den  Problemen  der  Wärmelehre  ist  häufig  eine  andere  Zer- 
legung der  Energie  von  Nutzen,  als  die  im  vorstehenden  eingeführte 
E  =  E.+  E^j  nämlich  die  durch  Absonderung  der  lebendigen  Kraft  V 
der  sichtbaren  Bewegung  erhaltene  E  =  E^+  W.  Hier  kann  £*',  da 
femwirkende  Kräfte  im  allgemeinen  ausgeschlossen  sein  werden,  in 
einem  anderen  Sinne  als  die  innere  Energie  des  Systems  be- 
zeichnet werden.    Gleichung  (2)  nimmt  dadurch  die  Gestalt  an 

dE  +  dW=:^d'A  +  d'il.  2') 

32* 


500  III.  mi,     Wärmelehre.    L  Kap. 


In  unserer  Grundformel  (2)  ist  E  eine  Funktion  nur  des  augen- 
blicklichen Zustandes,  dE  ihre  Änderung  in  einem  beliebigen  Zeit- 
raum; cVA  und  d^Sl  sind  aber  keine  Differentiale,  sondern  nur  will- 
kürlich gegebene,  unendlich  kleine  Beträge  von  Wärme  und  Arbeit 
Dies  hat  zur  Folge,  daß  angewandt  auf  den  Übergang  zwischen 
zwei  verschiedenen  Zuständen  (1)  und  (2)  die  obige  Formel  ergiebt 

(2)  (2) 

T)  £,-  E^^Jd'A  +  Jd'ü  =^A,,  +  ß,„ 

(1)  (1) 

wo  die  Werte  der  Integrale  rechts  von  dem  Integrationsweg,  d,  h. 
den  zwischen  (1)  und  (2)  passierten  Zwischenzuständen,  abhängen, 
^j,  und  ßjj  aber  Abkürzungen  bezeichnen,  die  auch  weiter  in 
gleicher  Bedeutung  benutzt  werden  sollen. 

Ist  speziell  der  Anfangs-  und  Endzustand  der  gleiche,  die  Ver- 
änderung ein  sogenannter  Kreisprozeß,  so  folgt  hieraus 

n  0  =  (.^ + (ß) , 

worin  die  Klammer  ()  die  bei  dem  Kreisprozeß  im  ganzen  zu- 
geführten Beträge  andeutet  Bei  einem  Kreisprozeß  ist  also  die  er- 
forderliche Arbeit  und  die  erforderliche  Wärme  für  sich  je  von  Null 
verschieden,  ihre  Summe  aber  verschwindet 

Es  mag  im  voraus  darauf  hingewiesen  werden,  daß,  weil  d'*u4 
und  d^ii  positiv  oder  negativ  sein  können,  {A)  und  (fl)  keineswegs 
die  ganzen  in  Bewegung  gesetzten  Beträge  bedeuten,  sondern  nur 
die  Differenzen  der  zu-  und  der  abgeführten  Mengen.  Dies  ist  ins- 
besondere von  Bedeutung  bei  der  zugefuhrten  Wärme  (fl),  die  wir 
nach  S.  497  geeignet  temperierten  Wärmereservoiren  entnommen 
denken  müssen;  dieselbe  wird  bei  ganz  verschiedenen  Temperaturen 
zu-  und  abgeführt  werden,  und  es  ist  daher  ersichtlich,  daß  am 
Schluß  des  Kreisprozesses  zwar  das,  wie  man  sagt,  arbeitende 
System,  nämlich  der  Körper,  der  den  Kreisprozeß  durchläuft,  und 
auch  das  Arbeitsreservoir,  aus  dem  (A)  bestritten  wird,  wieder  in 
den  Anfangszustand  zurückgeführt  ist,  nicht  aber  die  beteiligten 
Wärmereservoire. 


§  2.    Allgemeine  Bestimmung  des  zu  vorgeschriebenen  Zustands- 

ändenmgen  erforderlichen  Aufwandes  von  Arbeit  und  Warme.     Die 

zweite  Hauptgleichung  der  mechanischen  Wärmetheorie. 

Während  im  vorigen  Abschnitt  d^A  und  d^£i  imendlich  kleine, 
aber  willkürlich  zu  wälilende  Beträge  von  zuzuführender  Arbeit  und 


§  2.    Zugefährie  Arbeit  501 


Wärme  bezeichneten,  sollen  dieselben  jetzt  nicht  mehr  als  direkt 
gegeben  betrachtet,  sondern  aus  der  durch  sie  zu  bewirkenden 
Zustandsänderung  des  gegebenen  Körpers  berechnet  werden. 

Der  Zustand  des  in  Ruhe  befindlichen  homogenen  Körpers  sei 
durch  eine  Anzahl  von  n  unabhängigen  Variabebi  a,  b,  c  ,  ,  ,  bestimmt, 
eine  Zustandsänderung  ist  dann  durch  ein  System  von  Variationen 

düj  dbj  de  .  ,  , 

dargestellt,  und  es  ist  die  Aufgabe,  d*^  und  rf'fl  als  Funktionen 
dieser  Größen  zu  finden. 

Die  Zustandsänderungen  teilt  man  in  zwei  Klassen:  umkehr- 
bare und  nicht  umkehrbare,  je  nachdem  man  sie  in  den  beiden, 
durch  entgegengesetzt  gleiche  Werte  der  Variationen  da,  db,  de,,.. 
gegebenen  Eichtungen  unter  entgegengesetzt  gleichen  Aufwendungen 
von  Arbeit  und  Wärme  bewirken  kann  oder  nicht.  Zu  den  um- 
kehrbaren gehören  unter  anderen  die  isothermischen  Deformationen 
vollkommen  elastischer  Körper,  die  erhalten  werden,  wenn  man  den  Kör- 
per in  Berührung  mit  einem  unendlichen  Wärmereservoir  von  gleicher 
Temperatur  unendlich  langsam  anwachsenden  äußereren  Kräften 
aussetzt  Zu  den  nicht  umkehrbaren  gehören  u.  a.  die  mechanischen 
Vorgänge,  bei  welchen  durch  Reibungskräfte  Arbeit  in  Wärme  über- 
geführt wird. 

Da  rf'^  und  rf'fl  Funktionen  der  unendlich  kleinen  Variationen 
da,  db,  de,  .  .  .  sind,  so  kann  man  durch  Entwickelung  bilden 

d'A  ^  A^da+u4j^db  +  ui^dc  +  .  .  .,] 

d'n==  n^da+  i2j^db+  QJe +  ...;]  ^^ 

bei  umkehrbaren  Zustandsänderungen  sind  dann  die  A^,*..  ß«,.. 
nur  Funktionen  —  und  zwar  naturgemäß  eindeutige  —  der  Ausgangs- 
werte a,  b,  e  . . .,  welche  als  solche  zu  bestimmen  unsere  Aufgabe  ist. 
Die  Anzahl  der  Variabein  a,  b,  c  .  .  .  ist  je  nach  der  Natur  des 
betrachteten  Körpers  verschieden.  Für  eine  homogene  gasförmige 
oder  tropfbare  Flüssigkeit  braucht  man  zur  Festlegung  des  Zustandes 
nur  zwei  Variabein,  —  etwa  das  Volumen,  welches  die  Flüssigkeit  ein- 
nimmt, und  die  Temperatur,  welche  sie  besitzt;  flir  homogene  feste  Körper 
bedarf  man  deren  im  allgemeinsten  Falle  sieben,  nämlich  außer  der 
Temperatur  etwa  die  sechs  Deformationsgrößen,  die,  wenn  der  Körper 
homogen  deformiert  sein  soll,  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  konstant 
sein  müssen.  Bei  besonderer  Form  des  festen  Körpers  und  bei  beson- 
derer Verteilung  der  äußeren  Einwirkungen  genügt  auch  wohl  eine 
kleinere  Anzahl.  — 


502  IIl.  Teil.     Wärmelehre.    I.  Kap. 


Der  Wert  der  Arbeit  d^^  berechnet  sich  in  allen  Fällen  voll- 
ständig nach  der  S.  40  gegebenen  Definition 

f   d'ui  =  2  (X,  dx,  +  r,  rfy,  +  Z,dz^ 

'  \  =:SK,ds,coH{K,ds,); 

er  nimmt  z.  B.  für  einen  kontinuierlichen  Körper  den  Wert  an 

[    d'^  =  J dk{r dx  +  r dy  +  Z' dz) 

3")  {  . 

I  +Jdo{X„dx+r;dy  +  Z„dz), 

worin  X*,  P,  Z^  die  Komponenten  der  auf  die  Volumeneinheit  be- 
zogenen körperlichen  Kräfte,  X^,  Y^,  Z^  die  Komponenten  der  auf 
die  Flächeneinheit  bezogenen  Oberflächendrucke  und  x,  y,  z  die  Ko- 
ordinaten ihrer  Angriffspunkte  bedeuten. 

Für  eine  im  Gleichgewicht  befindliche  Flüssigkeit  reduziert  sich 
dieser  Ausdruck  bei  verschwindenden  X\  T  ZP^  da  hier  nur  eine 
normal  wirkende  Druckkraft  P  von  überall  konstanter  Größe  übrig 
bleibt,  wie  schon  auf  S.  238  benutzt,  auf 

3"')  d'A  ^  -PdF, 

worin  d  V  die  die  Zustandsänderung  begleitende  Volumenvergrößerung 
bezeichnet.  — 

Der  zu  einer  gegebenen  Zustandsänderung  aufzuwendende 
Wärmebetrag  rf'fl  läßt  sich  allgemein  nicht  ebenso  vollständig 
angeben;  doch  gelingt  es  ohne  irgend  eine  Voraussetzung  über  die 
Natur  des  betrachteten  Körpers  immerhin,  ganz  allgemein  die  ana- 
lytische Form  zu  finden,  in  welcher  sich  d^Q,  darstellen  muß. 

Zur  Erreichung  dieses  Zieles  ist  eine  Vorbereitung  nötig. 

Ist  der  Zustand  des  betrachteten  Körpers  von  n  Variabein  ab- 
hängig, die  man  bequem  als  die  Koordinaten  eines  Punktes  in 
einem  n  dimensionalen  Räume  auffassen  kann,  so  ergiebt^  da  die 
Energie  eine  Funktion  dieser  Variabein  ist,  die  aus  der  Gleichung 
(2')  für  <f' ß  =  0  und  d^=0  hervorgehende  Formel 

dB'  =  d'A 
die  Differentialgleichung  einer  einfach  unendlichen  Schar  räumUcher 
Gebilde  von  (n — 1)  Dimensionen,   die  wir   kurz  Flächen   nennen 
wollen.     Ihr  Integral  sei 
4)  f{aj  Ä,  c  .  .  .)  =  <ö, 

und  o>  bezeichne  den  Parameter  dieser  Schar. 

Jede  dieser  Flächen  ist  der  geometrische  Ort  aller  derjenigen 
Zustände,  die  man  von  einem  auf  ihr  liegenden  Anfangszustand  ohne 
thermische,  durch  alleinige  mechanische  Einwirkung  erreichen  kann: 


§  2,    Zugeführte  Wärme,  503 


man  nennt  sie  kalorische  oder  adiabatische  Flächen.  Ist  der 
Zustand  des  Körpers  durch  nur  zwei  Variabein  bestimmt,  so  wird 
der  oben  betrachtete  Raum  von  n  Dimensionen  zu  einer  Ebene; 
die  kalorischen  Flächen  verwandeln  sich  in  kalorische  Kurven. 

Drückt  man  nun  einen  beliebigen  Anfangszustand  durch  n  neue 
voneinander  unabhängige  Koordinaten  aus,  unter  denen  auch  co  ist, 
z.  B.  durch 

(p (a,  bj  Cj  .  ,  .),     xp[a,  b,  Cj  .  .  .)j     .  .  .  a> (o,  &,  c  .  .  .), 

und  demgemäß  eine  Zustandsänderung  durch  die  n  Differentiale 

dtp,  dxfj,  .  .  .  dü)y 

so  muß  sich  nach  (3)  die  zu  dieser  Änderung  aufzuwendende  Wärme- 
menge d^ii  als  Funktion  von  d(p,  drp,  ,  .  ,  don  schreiben  lassen: 

d'i2  =  n^d(p  +  Ily^d^ß  +  .  .  .  n^ dm.  AT) 

Hierin  muß  aber,  da  bei  verschwindendem  doa  die  Veränderung  auf 

einer  kalorischen  Fläche  liegt,  d^ü  mit  dco  verschwinden;  d.  h.,  es 

müssen  alle  11^  mit  Ausnahme  des  letzten  gleich  Null  sein,  so  daß 

resultiert 

d'i2=ndo),  4") 

worin  77,  der  Kürze  halber  für  77^,  gesetzt,  eine  Funktion  der 
n  Variabein  qp,  i/;,  . .  .  tu  ist,  die  ohne  Beschränkung  der  Allgemein- 
heit als  stets  positiv  betrachtet  werden  kann. 

Dies  ist  die  Form,  in  der  man  allgemein  d^  ii  darstellen  kann; 
in  welcher  Weise  die  Funktionen  77  und  od  von  den  direkt  gegebenen 
Variabein  abhängen,  ist  in  jedem  einzelnen  Falle  aufzusuchen.  Die 
erste  dieser  beiden  Aufgaben  läßt  sich  aber  ganz  allgemein  noch 
eine  Strecke  weit  durchführen. 

Außer  den  kalorischen  Flächen 

ü)  =  Const. 

sind  hierfür  noch  die  Temperaturiiächen 

r  =  Const. 
von  Nutzen. 

Wenn  nämlich  die  Variabein  a,  &,  c, . . .  den  Zustand  eines  homo- 
genen Körpers  vollständig  angeben,  so  müssen  sie  auch  seine  Tem- 
peratur eindeutig  bestimmen,  und  daraus  folgt,  daß  durch  konstantes  t 
ein  geometrischer  Ort,  eine  Fläche  im  n-dimensionalen  Räume,  eine 
Kurve  in  der  Ebene,  gegeben  ist  Wir  können  also  auch  r  als  eine 
der  neu  eingeführten  Unabhängigen  (p,  i/v  .  .  .  betrachten. 

Von  allen  Veränderungen  sind  nun  diejenigen  die  wichtigsten, 
welche  ganz    auf  Temperatur-   oder   ganz    auf  kalorischen  Flächen 


504  IlL  Teil.     Wärmelehre,    L  Kap, 


verlaufen;  solche  sind  auch  praktisch  in  ziemlicher  Annäherung  zi 
erhalten,  indem  man  den  zu  ändernden  Körper  mit  einem  sekr 
großen  Wärmereservoir  von  konstanter  Temperatur  in  Berühnng 
erhält  oder  mit  nicht  für  die  Wärme  durchlässigen  Hüllen  umgfebt 
und  das  eine,  wie  das  andere  Mal  mechanisch  auf  ihn  einwirkt 

Kreisprozesse,  welche  aus  zwei  auf  verschiedenen  kalorüschen 
und  zwei  auf  verschiedenen  isothermischen  Flächen  liegenden  Wegen 
zusammengesetzt  sind,  heißen  CARNOT'sche  Kreisprozesse^;  sind 
die  Parameter  dieser  Flächen  resp.  r^,  Zg  und  ot^,  (o^,  wobei  r,  >  Tj 
und  cöj  >  (öj  gesetzt  sein  mag,  so  ist  ein  CARNOT'scher  Kreisprozeß 
durch  ein  Kurvenviereck  mit  den  festgelegten  Eckpunkten  auf  den 
Kurven  (tj,  (o^),  (r^,  cj^),  (r,,  ro^),  (r^,  (o^)  charakterisiert,  welche  mit 
1),  2),  3),  4)  bezeichnet  werden  mögen. 

Es  ist  dann  bei  einem  Umlauf  im  Sinne  wachsender  Zahlen 
die  für  jede  Seite  des  Kurven  Vierecks  aufzuwendende  Wärme  ge- 
geben durch 


CO, 


5) 

worin  der  Zusatz  r  =  r^  resp.  r  =  Tg  den  Integrationsweg  zwar 
nicht  erschöpfend,  aber  doch  für  das  Verständnis  ausreichend  charak- 
terisiert; ferner  ist  nach  (2")  und  (2'") 

5')  (ß)  =  fl„  +  ß,,  =  /(/7(x  =  r.)  -  i7„  = ,.,)  dcj 

und 

5")  (ß)  +  (^  =  0. 

Hieraus  folgt,  daß,  wenn  die  Klammer  in  dem  Integral  (5')  positiv 
ist,  der  Kreisprozeß  Wärme  in  Arbeit  verwandelt,  wenn  negaüV. 
Arbeit  in  Wärme;  bei  entgegengesetzter  Umlaufung  findet  das  Um- 
gekehrte statt. 

Mittels  zweier  Wärmereservoire  kann  man  mehrere  beliebige 
Körper  gleichzeitig  CARNox'sche  Kreisprozesse  durchlaufen  lassen, 
deren  adiabatische  Strecken  ganz  beliebig  sind,  während  die  iso- 
thermischen gleichen  Temperaturen,  z.  B.  r^  und  r^,  entsprechen 
müssen.  Wir  wollen  zunächst  annehmen,  daß  alle  diese  Kreispro- 
zesse umkehrbar,  d.  h.  in  beiden  Richtungen  ausführbar  sind. 

Seien  nur  zwei  arbeitende  Körper  ä'  und  k"  vorhanden  und 
für  beide  die  dem  obigen  (o^  —  ro^   entsprechenden  Änderungen  der 


§  2»     Camofsehe  Kreisprozesse,  505 


Parameter  w'  und  w"  unendlich  klein,  resp.  gleich  dw'  und  da)'\ 
80  wird  nach  dem  Vorsteheaden  die  während  der  durch  da)'  und 
da/'  charakterisierten  Veränderungen  von  ihnen  aus  dem  höheren 
und  tieferen  Reservoir  aufgenommene  Wärme  resp.  sein 


diii'  =  n[da}',    d[ii''  =  zr; do) 


;l 


•6) 


wohei  ohne  Beschränkung  der  Allgemeinheit  sämtliche  /7  >  0  ge- 
nommen werden  können. 

Läßt  man  nun  k'  hei  der  höheren  Temperatur  Wärme  auf- 
nehmen, Ä"  bei  der  tieferen,  so  ist  bei  n- maligem,  resp.  n"- maligem 
Umlauf  der  Kreise  die  Summe  aller  zugeführten  Wärmemengen 
aus  dem  oberen  Reservoir 

aus  dem  unteren  i  6') 

din  =  -  n'n[da)'+  n"n{'da)",  ) 

also  die  Gesamtsumme 

(ß)  =  n'(/7^  -  /Z;)  rfco'  -  »"  (77^'  -  n[')  d(o".  7) 

Unter   Rücksicht   auf  die  Gleichung  (2'")   folgt  hieraus   die   ganze 
zugeflihrte  Arbeit 

(^  =  -  (fl)  =  -  n'  (77^  -  770  ^«>'  +  «"  (^2'  -  ^1')  ^ß^"-        '^0 

Bei  umgekehrter  Richtung  der  Umlaufung  beider  Kreisprozesse 
kehren  alle  fl  und  ^  die  Vorzeichen  um. 

Diese  Formeln  können  zur  Auffindung  einer  allgemeinen 
Eigenschaft  der  Funktionen  77  benutzt  werden  durch  Einführung 
der  von  Claüsius*)  aus  der  Erfahrung,  daß  Wärme  von  selbst  jeder- 
zeit vom  wärmeren  zum  kälteren  Körper  übergeht,  abgeleiteten  fun 
dameutalen  Hypothese,  daß  es  nicht  möglich  ist,  durch  irgend 
einen  Kreisprozeß  ohne  Arbeitsaufwand  Wärme  von  einem 
niedriger  temperierten  Reservoir  nach  einem  höher  tem- 
perierten überzuführen.  Denn  wenn  durch  geeignet  gewählte 
Werte  von  n  und  n"  (^  zu  Null  gemacht  wird,  soll  hiemach  sowohl 
bei  der  ersten,  wie  bei  der  zweiten  Richtung  des  Umlaufs  rf^  ß  ^  0, 
also  dlQ^O  sein,  was  nur  möglich  ist,  wenn  beide  Größen  gleich 
Null  sind,  d.  h.,  wenn  gilt 

n'n'^dfü'=n''n;;dfü'',\ 

7fL  n[ d(ü  =  n' JJ'^ da)'\ 
daraus  ergiebt  sich 


8) 


506  ///.  TeiL     Wärmelehre.    L  Kap. 


n\  ""  n'{ ' 

oder  ausführlicher  geschrieben,  um  die  in  jedem  Ausdrucke  statte 
findenden  Werte  der  Argumente  (p,  ip,'*. r,  (o  hervortreten  zu  lassen, 

^,.  jg'(y;,  ya, . .  .Tj^üO  ^  II" (q)'i,  rff'j, . , .  u,ia") 

Hieraus  folgt  aber  notwendig,  daß  die  Funktionen  11  die  Form 
haben  müssen  eines  Produktes  aus  einer  universellen  Funktion 
der  Temperatur,  die  mit  T  bezeichnet  werden  mag,  und  einer  der 
Substanz  individuellen  Funktion  von  o),  die  n  heißen  mag,  so 
daß  also 

8")  /7'=r^'(«'),     /7"=  T;i"(ö>") 

wird.  Setzt  man  dieses  Resultat  in  die  Beziehung  d'Sl  ^  Ildo}  ein, 
so  erhält  man 

9)  d'fl=  Tn[Gi)d(a, 

worin  n{po)d(ü  als  ein  vollständiges  Differential  in  dH  abgekürzt 
werden  mag.  Es  ist  dann  H  eine  Funktion,  die  konstant  ist,  wenn 
(o  sich  nicht  ändert,  und  die  also  ebensowohl  als  Parameter  der 
adiabatischen  Flächen  betrachtet  werden  kann,  wie  (o  selbst 

Sonach  sind  wir  zu  dem  allgemein  gültigen  Besultat  gelangt,  daß 

9')  rf'fl  =  TdH 

ist,  d.  h.,  daß  die  zu  einer  bestimmten,  umkehrbaren  Zustandsände- 
rung  aufzuwendende  Wärmemenge  gegeben  wird  durch  eine  universelle 
Funktion  der  Temperatur,  multipliziert  in  die  Variation  einer,  jeder 
Substanz  individuellen  Funktion  H  der  den  augenblicklichen  Zu- 
stand bestimmenden  Variabeln,  welche  auf  jeder  kalorischen  Fläche 
konstant  ist 

Die  Gleichung  (9)  resp.  (9')  wird  die  zweite  Hauptgleichung 
der  mechanischen  Wärmetheorie  genannt*) 

Integriert  man  die  Gleichung  (91)  nach  Division  durch  T  über 
einen  beliebigen  umkehrbaren  Kreisprozeß  und  bezeichnet  die  In- 
tegration über  eine  geschlossene  Bahn  hier  und  weiterhin  durch 
Klammern  um  das  Integralzeichen,  so  erhält  man 

9")  (/)4^  =  0, 

eine  Formel,  die  sich  der  Formel  (2'")  für  Kreisprozesse  zuordnet 
Verläuft  der  Kreisprozeß  durchaus  auf  derselben  Temperatur- 
fläche, so  ist  die  Funktion  T  konstant  und  nach  (9")  (ß)  und  somit 
auch  {A)  gleich  Null. 


§  2.    Zweite  Hauptgleiehtmg,  507 


Dies  ergiebt  den  Satz,  daß  die  durch  einen  umkehrbaren  iso- 
thermen Kreisprozeß  zu  gewinnende  Arbeit  stets  gleich  Null  ist.  — 

Die  oben  eingeführte  Funktion  H  nennt  man  die  Entropie  des 
betrachteten  Körpers  im  augenblicklichen  Zustand®),  die  vorläufig  noch 
unbekannte  Funktion  Tder  Temperatur  r  die  CABNOT*sche  Funktion. 

Letztere  steht  in  enger  Beziehung  zu  dem  CARNOT'schen  Satz 
über  das  Verhältnis  der  bei  einem  CABNOx'schen  Kreisprozeß  in 
Arbeit  umgewandelten  zu  der  überhaupt  in  Bewegung  gesetzten 
Wärmemenge,  ein  Verhältnis,  welches  man  den  Wirkungsgrad  v  des 
Prozesses  nennt  Verläuft  der  Kreisprozeß  zwischen  den  Temperaturen 
Tj  und  Tg,  wobei  Tg  >  r^  sein  möge,  und  zwischen  den  Entropien  H^ 
und  H^,  wobei  ^2  >  ^i  s®^  möge,  so  ist  die  aus  dem  Reservoir 
von  der  Temperatur  r^  entnommene  Wärmemenge  nach  (9') 

die  an  das  Reservoir  von  der  Temperatur  r^  abgegebene 

die  in  Arbeit  umgesetzte  also 

(fl)  =  fl,  -  ß,  =  (r,  -  T,){H,  -  H,), 
wofür  man  wegen  (2'")  auch  schreiben  kann 

(ß)  =  -  (^  =  fl,  ^«^  =  ß,  ^i^' .  9'") 

Hieraus  folgt  für  die  Größe  des  Wirkungsgrades 

Diese  Gleichung  spricht  den  CAENOT'schen  Satz  aus,  wonach 
der  Wirkungsgrad  eines  CAENOT'schen  Prozesses  nicht  von  der 
arbeitenden  Substanz,  sondern  nur  von  den  Temperaturen  abhängt, 
zwischen  denen  er  verläuft.^)  — 

Die  ganze  vorstehende  Entwickelung  ruht  auf  der  Annahme, 
daß  die  beiden  auf  S.  504  eingeführten  und  kombinierten  Kreis- 
prozesse in  beiden  Richtungen  ausführbar  sind.  Indessen  ist  schon 
früher  bemerkt,  daß  es  Zustandsänderungen  giebt,  die  eine  Umkeh- 
rung nicht  gestatten. 

Enthält  einer  der  beiden  S.  505  benutzten  Kreisprozesse  einen 
Teil  von  diesem  Charakter,  so  führt  die  dort  angestellte  Betraclitung, 
statt  auf  die  Gleichungen  (8),  auf  die  Ungleichung 

während  aus  (^  =  0  sich  wie  früher 


508  ///.  Ibü.     Wärmelehre.    L  Kap. 


ergiebt     Hieraus  folgt  also 

i?;     —     //;'     ' 

oder 

Ist  der  Kreisprozeß  Q  umkehrbar,  so  gilt  für  ihn  nach  (8") 


man  erhält  also 

oder  nach  (6)  auch 
10) 


TT//  rp 


T,     -     T, 

Diese  Ungleichung  gewinnt  erst  dann  an  Wert,  wenn  man  weiß, 
ob  der  nicht  umkehrbare  Kreisprozeß,  den  wir  weiterhin  ohne  den 
Index  (")  lassen  wollen,  Wärme  in  Arbeit  oder  Arbeit  in  Wärme 
verwandelt  Gewöhnlich  nimmt  man  als  Eesultat  der  Erfahrung  an, 
daß  alle  nicht  umkehrbaren  Kreisprozesse  das  letztere  leisten.  In 
diesem  Falle  würde  also  (—  rf^fl)  die  aus  dem  oberen,  (+  djß)  die 
aus  dem  unteren  Reservoir  entnommene  Wärmemenge  sein,  und  die 
Ungleichung  (10)  in  der  Form 

10')  ^^  +  ^^0 

aussagen,  daß  bei  dem  nicht  umkehrbaren  CABNOT'schen  Prozeß  die 
Summe  der  aufgenommenen  Wärmen  durch  den  entsprechenden 
Wert  der  CABNOT*schen  Funktion  dividiert  nicht  notwendig  gleich 
Null  ist,  sondern  auch  kleiner,  als  Null,  sein  kann. 

Diese  Gleichung  läßt  sich  leicht  auf  einen  beliebigen  Kreis- 
prozeß erweitern;  denn  einen  solchen  kann  man  durch  eine  Zick- 
zackkurve ersetzen,  deren  Wegelemente  abwechselnd  adiabatisch  und 
isothermisch  sind,  und  zwar  können  die  letzteren  so  gewählt  werden, 
daß  sie  überall  durch  ein  und  dasselbe  System  adiabatischer  Flächen 
begrenzt  werden.  In  diesem  Falle  giebt  es  zu  jedem  isothermischen 
Linienelement  ein  zweites  mit  demselben  do),  das  im  Kreisprozeß 
in  entgegengesetzter  Richtung  durchlaufen  wird,  und  fiir  beide  gilt 
demgemäß  die  Ungleichung  (10').  Summiert  man  dieselbe  über  den 
ganzen  Kreisprozeß,  und  berücksichtigt,  daß  auf  den  adiabatischen 
Linienelementen  Wärme  nicht  aufgenommen  wird,  so  erhält  man 
für  denselben 


§  3,    Spezifische  und  Beakiumstoärmen.  509 


(/)-#^0,  10") 

wo  nun  d^  ii  in  demselben  Sinne,  wie  in  Formel  (9"),  positiv  ist, 
wenn  eine  Wärmezufuhr,  negativ,  wenn  eine  Wärmeentnahme  für 
den  Körper  stattfindet,  und  das  Integral  alle  auf  dem  Kreisprozeß 
stattfindenden  Wärmezufuhren  umfaßt®) 

Der  hier  eingeschlagene  Weg  hat  den  Ubelstand,  eine  Eigen- 
schaft nicht  umkehrbarer  Kreisprozesse  zu  benutzen,  die  in  deren 
Definition  nicht  liegt,  sondern  als  Besultat  der  Beobachtung  anzu- 
sehen ist  Wir  werden  analoge  und  noch  weitergehende  Resultate 
später  auf  einem  befriedigenderen  Wege  gewinnen. 


§  3.   Spesiflflche  und  Beaktionswärmen. 

Ehe  wir  in  der  Bestimmung  des  Wertes  der  zu  einer  gegebenen 
Zustandsänderung  notwendigen  Wärme  d'fl  weiter  fortschreiten 
können,  müssen  wir  den  dazu  nötigen  Begriff  der  spezifischen 
Wärme  erörtern. 

Wenn  ein  homogener,  gleich  temperierter  Körper  von  der  Massel 
infolge  der  Zufuhrung  der  Quantität  d'  JF  von  Wärme  in  kalorischem 
Maße  eine  Temperaturänderung  dr  erfährt,  so  bezeichnet  man  das 
Verhältnis 

als  die   spezifische  Wärme  der  Substanz  des  Körpers  bei  dem 
beschriebenen  Vorgang^).     Dabei  ist  ersichtlich 

[C]  ==  7D  m-^  u-\  11') 

Da  nun  aber  9id^fr=:d^£2  die  zugefugte  Wärmemenge  in  ab- 
solutem Maße  war,  so  stellt 

die  gleiche  spezifische  Wärme  in  absolutem  Maße  dar.    Es  gilt  dafür 

Die  spezifische  Wärme  ist  keineswegs,  wie  der  Mame  anzudeuten 
scheint,  eine  der  Substanz  des  betrachteten  Körpers  allgemein  oder 
auch  nur  in  einem  speziellen  Zustande,  d.  h.  für  spezielle  Werte 
der  diesen  bestimmenden  Variabein,  individuelle  Konstante,  sondern 
eine  Funktion  der  Verhältnisse  der  Variationen,  welche  diese  Variabein 
während  der  Zuführung  der  Wärmemenge  d^i2,  eventuell  unter  gleich- 
zeitiger mechanischer  Einwirkung,  erleiden. 


510  ///.  Tea,     Wärmelehre.    L  Kap, 


Man  erkennt  dies,  wenn  man  der  letzteren  Formel  unter  Be- 
nutzung von  (9)  oder  (9')  die  Gestalt  giebt 

-^^  „_  Tn{(o)d(o  __   TdH 

^  Mdx      ^    Mdx 

und  sich  erinnert,  daß  r  und  co  voneinander  unabhängig  sind,  also 
das  Verhältnis  dcofdr  völlig  unbestimmt  ist,  so  lange  nicht  in  den 
durch  die  ursprünglichen  Variabein  a,  b,  c  .  .  ,  ausgedrückten  Zu- 
wachsen 


12') 


dco  =  -^da  +  j-^db  +  ^dc+.. 


das  Verhältnis 

daidb: de:  .  . . 

und  damit  die  Richtung  der  gesamten,  die  Erwärmung  begleitenden 
Zustandsänderung  vorgeschrieben  ist.  Außerdem  erfordert  aber,  wie 
gesagt,  die  Bestimmung  von  F  noch  die  Festsetzung  der  Änfangs- 
werte  a,  b^  c  ,  .  .,  von  denen  aus  die  Veränderung  stattfindet 

Dieselbe  Betrachtung,  wie  an  die  Gleichung  (12),  kann  man  auch 
in  für  das  Folgende  noch  geeigneterer  Weise  an  die  Formel 
1  Q\  j^       du'-  d'A 

anknüpfen,  die  man  aus  (11")  durch  Einsetzen  des  Wertes  von 
(ti2  gemäß  (2')  bei  verschwindendem  d  W  erhält  In  der  That  kann 
man  'unter  Rücksicht  darauf,  daß  d^^  kein  vollständiges  Differential 
ist,  auch  schreiben 

und  gelangt  zu  der  gleichen  Folgerung,  wie  oben. 

Unter  den  unendlich  vielen  spezifischen  Wärmen,  die  ein  Körper 
in  einem  bestimmten  Zustand  besitzt,  erwecken  diejenigen  ein  be- 
sonderes Interesse,  welche  Zustandsänderungen  entsprechen,  bei  denen 
alle  Variabein  a,  ä,  c  .  .  .  bis  auf  eine  konstant  bleiben.  Wir  wollen 
dieselben  durch  einen  oberen  Index  bezeichnen,  welcher  diejenige 
Variable  enthält,  die  sich  allein  ändert 

Sonach  würde 

da  da 

die  spezifische  Wärme  bei  konstantem  &,  c, .  .  .  bezeichnen,  und  man 


§  3,    Spexd fische  und  Reaktionstcärmen,  511 


und 


kann  unter  Bücksicht  hierauf  den  allgemeinen  Wert  (12)  auch 
schreiben 

^ —  aa  -{•  VT"  »  ö  +  . . . 
da  ob 

Diese  Resultate  vereinfachen  sich  erheblich  flir  homogene  Körper, 
welche,  wie  die  meisten,  mit  denen  man  thermisch  operiert,  unter  all- 
seitig gleichem  Druck  sich  im  Gleichgewicht  befinden,  also  in  ihrem 
Zustande  durch  nur  zwei  Unabhängige  bestimmt  sind.  Wählt  man 
für  letztere  Druck  P  und  Volumen  F,  so  wird  aus  Formel  (13) 

r=-^-^— 5l^-V-  -15) 

/^-J=^  =  /;,     /Tn=,iZ__^/;,  15-) 

worin  F^  und  F^  neue,  dem  eingebürgerten  Gebrauch  entsprechende, 
im  allgemeinen  Falle  aber  nicht  so  praktische  Bezeichnungen  sind. 
Die  allgemeine  spezifische  Wärme  (14')  nimmt  die  Form  an 

r^-^ «£ — ._  15") 

äT'^^  +  äp'*^ 

Die  gewöhnlichen  Beobachtungen  über  die  Temperaturwirkung 
von  Wärmeaufnahme  oder  -abgäbe  finden  in  der  Weise  statt,  daß 
sich  die  betreffenden  Körper  dauernd  unter  dem  Atmosphärendruck 
befinden  und  ungehindert  ausdehnen  können;  sie  liefern  also  /^^J 
oder  Fp,  Die  gewöhnlichste  der  angewandten  Messungsmethoden 
ist  die  der  Mischung,  bei  welcher  die  Menge  der  yon  einem  festen 
Körper  während  des  Temperaturausgleiches  an  einen  umgebenden 
flüssigen  abgegebenen  Wärme  aus  der  Temperaturerhöhung  geschlossen 
wird,  welche  dieser  erfährt.     Es  gilt  dabei  das  Gesetz 

T  t" 

M  fr^dr  =  M'fr;dr,  16) 

in  welchem  die  oberen  Indices  sich  auf  die  beiden  im  Wärme- 
austausch befindlichen  Körper  beziehen,  r',  r",  die  resp.  Anfangs- 
temperaturen und  r  die  erreichte  Mischungstemperatur  bezeichnet. 


512  III.  Teil     Wärmelehre.    I.  Kap. 


Ist  für  die  eine  Substanz  F^  als  Funktion  von  r  YöUig  bekannt,  so 
liefert  diese  Methode  die  mittlere  spezifische  Wärme  des  anderen 
Körpers  innerhalb  der  benutzten  Temperaturgrenzen,  und,  wenn  man 
für  diese  betr.  spezifische  Wärme  selbst  einen  Ansatz  von  der  Form 

einführt,  bei  geeigneter  Veränderung  der  Grenztemperaturen  auch 
die  Zahlwerte  der  einzelnen  Koeffizienten  F^,  F^,  F^, .  .  . 

Ijetztere  sind  im  allgemeinen  Funktionen  des  Druckes  P,  unter 
welchem  der  Körper  bei  der  Temperaturänderung  steht,  ändern  sich 
aber  meist  nur  wenig  mit  P.  Bei  Gasen  ist  F^,  als  Funktion  von  V 
und  T  dargestellt,  mit  r  nur  mäßig,  mit  F  aber  anscheinend  gar 
nicht  veränderlich.^^) 

^  F^  gestattet  keine  direkte  Beobachtung,  da  in  jedem  Falle  die 
Vorrichtungen,  die  erforderlich  sind,  um  das  Volumen  des  Körpers 
bei  der .  Erwärmung  konstant  zu  erhalten,  sich  an  dem  Wärme- 
austausch so  stark  beteiligen,  daß  die  Messungen  unsicher  werden. 

Dagegen  giebt  es  Hilfemittel,  auf  die  wir  im  nächsten  Para- 
graphen eingehen  werden,  um,  wenigstens  für  Gase,  mit  ziemlicher 
Genauigkeit  das  Verhältnis 

P«         ^« 
16")  -^^   J-=.x 

V  V 

zu  bestimmen,  wodurch  also  indirekt  auch  F^  geliefert  wird. 

Zahlreiche  Beobachtungen  haben  gezeigt,  daß  x,  und  somit  auch 
F^,  ähnlich  wie  jT^,  bei  Gasen  von  der  Temperatur  nur  wenig,  vom 
Volumen  aber  anscheinend  gar  nicht  abhängig  ist  ^^);  eine  Thatsache, 
die,  wie  sich  zeigen  wird,  große  theoretische  Bedeutung  besitzt  — 

Es  giebt  für  Körper  der  betrachteten  Art  Zustände,  für  welche 
bei  konstantem  Druck  eine  zugeführte  Wärmemenge  keine  Temperatur- 
änderung bewirkt,  F^  also  =  oo  wird.  Dies  findet  dann  statt,  wenn 
die  Körper  die  dem  vorhandenen  Druck  entsprechende  Temperatur 
besitzen,  bei  welcher  sie  eine  Umwandlung  aus  einer  Modifikation 
(z.  B.  einem  Aggregatzustande)  in  eine  andere  erleiden,  und  dem- 
gemäß beide  Modifikationen  nebeneinander  im  Gleichgewicht  sind. 
Hier  verliert  C^  resp.  P^  seinen  Sinn,  die  zugefügte  Wärme  dient 
nicht  mehr  zur  Temperaturerhöhung,  sondern  zur  Umwandlung  einer 
bestimmten  Quantität  dM  der  Substanz  in  die  durch  Wärmezufuhr 
entstehende  zweite  Modifikation. 

Das  Verhältnis 

l7^  ^'^-/ 

*')  dM  -  ^ 


§  4,     Wärmetheorie  für  ideale  Oase.  513 


heißt  die  spezifische  Beaktioniswärme  in  kalorischem,  das 
Verhältnis 

diejenige  in  absolutem  Maße;  beide  sind  ersichtlich  Funktionen 
des  Druckes  oder  der  mit  ihm  eindeutig  verbundenen  Reaktions- 
temperatur allein.^*)     Ihre  Dimensionalgleichungen  lauten: 

[2;]  =  M7m-i,    [A\^Ptr\ 

In  dem  speziellen  Falle,  daß  die  Umwandlung  den  Übergang 
aus  dem  festen  in  den  flüssigen  oder  aus  dem  flüssigen  in  den  dampf- 
förmigen Zustand  betrifft,  heißt  L  resp. -^1  die  spezifische  Schmelz- 
wärme oder  die  spezifische  Verdampfungswärme.  Alle  diese 
Größen  werden  uns  weiterhin  noch  vielfach  beschäftigen. 

§  4.   Mechanische  Wärmetheorie  far  ideale  Oase.    Bestimmung  der 

CASiroT'Bchen  Funktion. 

Da  T  eine  universelle  Funktion  der  Temperatur  allein  ist,  so 
ist  sie  für  alle  Substanzen  gefunden,  wenn  es  gelingt,  sie  für  eine 
zu  bestimmen.  Körper,  für  welche  das  Problem  durchführbar  ist, 
sind  die  sogenannten  idealen  Gase. 

Unter  einem  idealen  Gase  versteht  man  in  der  Wärmelehre  speziell 
eine  gasförmige  Flüssigkeit,  welche  die  drei  Eigenschaften  besitzt: 

1)  Das  BoYLE'sche  Gesetz  über  den  Zusammenhang  zwischen 
Volumen  V  und  Druck  P  zu  befolgen; 

2)  die  spezifische  Wärme  bei  konstantem  Druck  F^  und 

3)  die  spezifische  Wärme  bei  konstantem  Volumen  F^  mit  dem 
Volumen  gar  nicht,  mit  der  Temperatur  nur  wenig  zu  ändern. 

Die  wirklichen  Gase  erfüllen  diese  Voraussetzungen  nicht  genau, 
aber  um  so  strenger,  je  weiter  entfernt  sie  sich  vom  Kondensations- 
punkt befinden;  deshalb  erscheint  die  Ann^me  von  Körpern,  die 
ihnen  völlig  entsprechen,  physikalisch  unbedenklich. 

Die  erste  Eigenschaft  führt  zusammen  mit  der  auf  S.  496  ge- 
gebenen Definition  der  Temperatur  zu  der  Formel 

-f-r=.^^M£,  18) 

in  der  S  eine  für  alle  Gase  gleiche  Konstante,  JB  aber  der  ge- 
gebenen Gasart  individuell  ist;  man  nennt  diese  Gleichung,  wie  schon 
S.  56  erwähnt,  das  Gesetz  von  Boyle  und  Gay  Lussac. 

Weil  bei  der  Temperatur  r  =  —  J  die  idealen  Gase  in  jedem 
Volumen  den  Druck  Null  auf  die  Gefaßwände  ausüben  und  dement- 

VoiOT,  Theoretlflche  Physik.  83 


514  lU.  T&il     Wärmelehre,    L  Kap. 


sprechend  durch  einen  beliebig  kleinen  Druck  auf  ein  unendlich 
kleines  Volumen  gebracht  werden  würden,  so  betrachtet  man  diese 
Temperatur  als  besonders  geeignet  zum  Nullpunkt  einer  allgemeinen 

Temperaturskala  und  nennt 

S  +  t 

die  absolute  Temperatur  des  Körpers,  dessen  Temperatur  nach 
der  CELSius'schen  Skala  r  beträgt. 

Der  Zustand  eines  ruhenden  Gases  wird,  wie  schon  S.  501  ge- 
sagt, durch  nur  zwei  Unabhängige  yollständig  bestimmt,  läßt  sich 
also  durch  einen  Punkt  in  einer  Ebene  repräsentieren,  t  =  Const 
gesetzt  definiert  eine  Kurve  in  dieser  Ebene,  co = Const  oder  JEZ"=ConsL 
eine  andere;  diese  Temperatur-  und  kalorischen  Kurven  treten^  wie 
oben  gesagt,  an  Stelle  der  im  allgemeineren  Falle  betrachteten  (»  —  1)- 
dimensionalen  räumlichen  Gebilde  analogen  Charakters.  In  der 
rP-Ebene  sind  die  Temperaturkurven  für  ein  ideales  Gas  nach  (18) 
gleichseitige  Hyperbeln,  welche  die  Koordinatenaxen  zu  Asymptoten 
haben. 

Um  die  zweite  und  dritte  der  für  ideale  Gase  charakteristischen 
Eigenschaften  zu  verwerten,  führen  wir  zunächst  das  spezielle 
Gesetz  (18)  für  r,  welches 

IS')       MB^==P,     M£^=^r,     MBdx^PdV+rdP 

ergiebt,  in  die  Gleichungen  (15')  für  die  spezifischen  Wärmen  F^  und 
r^  bei  konstantem  Druck  und  konstantem  Volumen  ein. 

Wir  erhalten  so 
18")  T-^^^J-—- +  ij,     r^  =  j___, 

woraus  nach  leichten  Reduktionen  für  dE^  der  Wert  folgt 

19)  rf^  =  ^[(r^-r„-5)(*  +  r)^  +  /;rfr]. 

Da  hierin  rechts  ein  vollständiges  Differential  stehen  muß,  so  ergiebt 
sich,  wenn,  wie  angenommen,  für  ideale  Gase  F^  und  F^  vom  Volu- 
men unabhängig  sind,  und  wenn  ein  Unendlichwerden  der  Energie 
mit  unendlichem  Volumen  ausgeschlossen  wird,  zunächst  die  Bedingung 

190  -T,  -  /;  =  B, 

Welche  eine  wichtige  Beziehung  zwischen  der  BoYLE'schen  Konstante 
und  den  spezifischen  Wärmen  F^  und  F^  darstellt    Zugleich  nimmt 
(19')  die  Form  an 
19")  d£r=-MF^dr, 

welche  zeigt,  daß  die  innere  Energie  eines  idealen  Gases  eine  f\ink- 
tion  von  dessen  Temperatur  allein  ist.  ^') 


§  4,    Bestimmung  der  Camot* sehen  Funktion,  515 


Setzt  man  die  erhaltenen  Werte  (3'"),  (90  und  (19")  für  d'A, 
(TSi  und  dF  in  die  Energiegleichung  (2^  und  zugleich  d  W  wie  bis- 
her gleich  Null,  so  erhält  man 

Mr^dr^  -  Pdr+  TdH 
oder 

dH^^[r^dT  +  B{S  +  T)^-y  20) 

Da  dieser  Ausdruck  ein  yollständiges  Differential  sein  muss,  so  be- 
stimmt sich  hieraus  bis  auf  einen  konstanten  Faktor,  der  nach  (9') 
in  die  Funktion  H  hineingezogen  werden  kann, 

T=S  +  T,  20') 

wodurch  die  Gleichung  (21)  die  Form  annimmt 

dH=Ml^r^^  +  B^-y  20") 

Die  gesuchte  universelle  CABNOT*sche  Funktion  der 
Temperatur  ist  hiernach  die  absolute  Temperatur  selbst^*), 
für  welche  weiterhin  nun  auch  der  Buchstabe  T  beibehalten  werden 
mag,  so  daß  die  Gleichung  (9')  ihre  Form 

d'n^TdH  21) 

bewahrt;  das  BoYLE'sche  Gesetz  aber  geschrieben  werden  kann: 

F  r=  M£  1\  21') 

oder  bei  Einführung  der  Dichte  ()  ^  M/F  auch 

P^BTq,  21") 

BeschrSLnkt  man  sich,  wie  meist  zulässig  ist,  auf  solche  Fälle, 
in  denen  man  F^  als  konstant  betrachten  kann^^),  so  folgt  aus  (19"), 
wenn  man  £^  f&r  r  =  —  ^  gleich  Null  setzt, 

E  =  Mr^  T  22) 

aus  (20"),  indem  man  eine  irrelevante  Konstante  unterdrückt, 

H^M(rj(T)  +  £l{F)),  22') 

oder  nach  (19')  und  wegen  /^//^^  =  x 

H^Mrj[r—^T).  22") 

Bei  Absonderung  einer  anderen  Konstanten  erhält  man  nach  (22') 
hierftlr  auch 

ir^Mrj{r'<P)  oder  ir'^MrjiT-iP^"^).        22"') 

Diese  Formeln  liefern  die  Gleichung  der  kalorischen  Kurven  in  den 
drei  Gestalten 

r«-ir=^o^  r^'/p^-i^^i,  v-p^a^,  23) 

worin  die  A^  Konstanten  bezeichnen;  die  letzte  Gleichung  läßt  er- 
kennen, daß  diese  Kurven  eine  den  Temperaturkurven  PV  =  Const. 

33* 


i 


516  IIL  Teil.     Wärmelehre.    L  Kap, 


ähnliche  Gestalt  besitzen,  aber,  falls  die  P-Axe  vertikal  steht,  starker 
fallen,  als  jene.  Zugleich  giebt  sie  ein  Mittel  zur  experimentellen 
Bestimmung  von  x  fiir  ein  ideales  Gas  an;  denn  jede  Beobachtung 
über  den  Zusammenhang  von  Druck  und  Volumen  bei  adiabatischen 
Zustandsänderungen  wird  von  dieser  Größe  abhängig.  Adiabatische 
Vorgänge  spielen  sich  aber  am  vollkommensten  bei  raschen  Schwin- 
gungen ab,  die  den  erzeugten  Temperaturdifferenzen  keine  Zeit  zur 
Ausgleichung  lassen;  demgemäß  ist  auch  die  genaueste  Methode  zur 
Bestimmung  von  x  auf  die  Messung  der  Fortpflanzungsgeschwindig- 
keit von  Schallwellen  gegründet.  Wir  kommen  hierauf  weiter  unten 
zurück.  — 

Nachdem  oben  die  CABNOT'sche  Funktion  T  der  absoluten 
Temperatur  S  +  t  gleich  gefunden  ist,  gewinnen  die  am  Ende  von 
§  2  erhaltenen  allgemeinen  Resultate  anschaulichere  Bedeutung.  Dies 
gilt  insbesondere  von  den  Formeln  (9")  und  (9'"). 

Aus  (9")  folgt  bei  Anwendung  auf  den  CAENOT'schen  Kreispro- 
zeß von  S,  504: 

d.  h.,  die  absoluten  Werte  der  bei  einem  umkehrbaren  CAENOT'schen 
Prozesse  aus  dem  oberen  und  unteren  Reservoir  entnommenen 
Wärmemengen  sind  deren  absoluten  Temperaturen  proportional. 
Dieses  Resultat  kann  man  zur  Feststellung  einer  absoluten  Temperatur- 
skala benutzen,  welche  den  Vorteil  hat,  sich  nicht  auf  das  Ver- 
halten spezieller  (bis  zu  einem  gewissen  Grade  hypothetischer)  Körper 
zu  stützen;  die  so  erhaltene  Skala  stinmit  natürlich  mit  der  des  Luft- 
thermometers überein,  soweit  das  dieses  letztere  füllende  Gas  als  im 
Idealzustande  befindlich  betrachtet  werden  kann. 
Aus  (9'")  folgt  für  den  Wirkungsgrad 

T  —  T 
23")  v=     'y       > 

was  aussagt,  daß  eine  vollständige  Umwandlung  der  in  Bewegung 
gesetzen  Wärme  nur  möglich  wäre,  wenn  das  untere  Reservoir  auf 
die  Temperatur  des  absoluten  Nullpunktes  gebracht  werden  könnte. 
Schließlich  sei  noch  auf  die  mechanische  Deutung  aufinerksam 
gemacht,  welche  die  zweite  Hauptgleichung  der  mechanischen 
Wärmetheorie  (21)  durch  die  Vergleichung  mit  der  Formel  (112^ 
auf  S.  89  erfährt;  ebenso  auch  auf  die  Beziehungen,  die  zwischen 
den  Entwickelungen  auf  der  vorigen  Seite  und  den  auf  S.  71  und  72 
mitgeteilten  Resultaten  der  kinetischen  Gastheorie  bestehen. 


§  5,    Energie  und  Entropie.  517 


§  5.    Allgemeines  über  Energie  nnd  Entropie. 

Wie   die  erste  Hauptgleiöhung  (2)   der  mechanischen   Wärme- 
theorie 

eine  Definition  der  Energie  enthält,   so  liefert  die  zweite  (22)  in 
der  Form 


dH  = 


T 


eine  Definition  der  Entropie.  Beide  bestimmen  die  betreffende 
Funktion  nur  bis  auf  eine  additive  Konstante,  über  die  man  ver- 
fugen kann,  indem  man  für  einen  gewissen  Zustand  des  Systemes, 
den  Normalzustand  (0),  Entropie  und  Energie  gleich  Null  setzt 
Dann  ist  für  jeden  anderen  Zustand  (1)  Energie  und  Entropie  ge- 
geben durch  die  beiden  Formeln 

■ 

(1)  (1) 

E  =  j{dCA  +  <ni),      H^J-^;  (24) 

(0)      .  (0) 

in  Bezug  auf  die  letztere  ist  nur  Sorge  zu  tragen,  daß  der  Zustand  (1) 
aus  dem  Zustande  (0)  auf  umkehrbarem  Wege  erreichbar  sei,  da 
nur  in  diesem  Falle  das  Integral  eine  eindeutige  Bestimmung  von  H 
ergiebt 

Es  ist  nützlich,  darauf  hinzuweisen,  daß,  wenn  für  alle  Teile 
eines  körperlichen  Systems,  z.  B.  für  die  Elemente  eines  Systems 
von  chemischen  Verbindungen,  die  Normalzustände  festgesetzt 
sind,  dann  die  Energie  und  die  Entropie  jenes  Systems  in  allen 
beliebigen  Zuständen,  in  welche  dasselbe  durch  Zufuhr  oder  Ent- 
ziehung von  Wärme  und  Arbeit  versetzt  werden  kann,  gleichfalls 
vollständig  bestimmt  sind.  — 

Die  oben  speziell  für  ideale  Gase  gefundenen  Werte  der 
Energie  (22)  und  Entropie  (22^  haben  sich  mit  der  Masse  des  be- 
trachteten Gases  proportional  ergeben;  es  bietet  sich  demgemäß 
die  Frage,  unter  welchen  Umständen  dies  bei  beliebigen  anderen 
Körpern  gleichfalls  stattfindet  Diese  Frage  ist  ein  spezieller  Fall 
der  allgemeinen  und  fundamentalen,  unter  welchen  Bedingungen  die 
Energie  eines  körperlichen  Systems  gleich  der  Summe  der  Energien 
seiner  Teile  ist,  wenn  man  die  Zerlegung  in  beliebiger  Weise  be- 
wirkt    Wir  wollen  letztere  Frage  jetzt  in  Angriff  nehmen.'®) 


518  UL  Teil     Wärmelehre.    L  Kap, 


Was  zunächst  die  Energie  des  ganzen  Systems  angeht,  so  ist 
dieselbe  nach  (24)  in  der  Form  zu  schreiben 

h 
worin 

(1)  (i) 

(0)  (0) 

ist,  und  die  Summe  2  sich  auf  alle  Zufuhren  von  Wärme  und  Arbeit 
bezieht,  welche  die  einzelnen  Teile  von  Quellen  außerhalb  des  Systems 
erhalten.  Dagegen  wird  die  Energie  eines  einzelnen  Teiles  (Ä)  gegeben 
sein  durch 

worin  die  Summe  -2*  die  seitens  der  anderen  Teile  {k)  des  Systemes 
an  {h)  stattfindenden  Abgaben  darstellt. 
Hieraus  folgt 

h  h  h      k 

oder  auch 

24')  ^=2^»-22(^**  +  ßJ, 

h  h      k 

was  bedeutet,  daß  die  Gesamtenergie  der  Summe  der  Teilenei^een 
nur  dann  gleich  ist,  wenn  bei  der  ganzen  Überfuhrung  aus  dem 
Normal-  in  den  betrachteten  Endzustand  die  Summe  der  inneren 
Austausche  gleich  Null  ist. 

Dieses  ganz  allgemeine  Besultat  läßt  sich  in  speziellen  Fällen 
noch  anschaulicher  und  einfacher  darstellen. 

Wir  wollen  zunächst  voraussetzen,  daß  die  Teile  des  Körpers 
aus  dem  Ganzen  durch  Zerlegung  seines  Volumens  hergestellt 
sind,  —  im  Grenzfall  die  Teile  die  Raumelemente  eines  endlichen, 
homogenen  oder  stetig  veränderlichen  Körpers  darstellen. 

Haben  dann  die  zwischen  den  Teilen  stattfindenden  Wechsel- 
wirkungen Potentiale  <J>^,  so  erhält  man  durch  eine  leichte  Eeduktion 

h     k 

und  dies  zeigt,  daß,  wenn  irgend  welche  Femwirkungen  von  der  Art 
der  Gravitation  in  Betracht  gezogen  werden,  die  Summe  links  im 
allgemeinen  nicht  verschwindet;  es  sei  denn,  daß  die  beiden  Zu- 
stände (0)  und  (1)  derselben  äußeren  Konfiguration  des  körperlichen 
Systems,  also  gleicher  Gestalt  und  gleicher  Massen  Verteilung  ent- 
sprechen. 


§  5,    Energie  und  Entropie,  519 


Finden  keine  Femwirkungen,  sondern  nur  Druckkräfte  in  den 
Grenzflächen  zwischen  den  Teilen  statt,  so  ist 

^hk  =  /(^^«  +  y'dv  +  Zdw\do^, 

Aj^  =  j  (Xdu  +  Ydv  +  Zdw\do^\ 
hierin  gilt  längs  desselben  Flächenelementes 

^*  +  ^=^*  +  i'»  =  ^*  +  ^»  =  o, 

und  es  wird  daher  also  stets 

sein,  wenn  die  Körper  fest  zusammenhängen,  und  die  Drucke  beliebig 
gerichtet  sind,  oder  wenn  die  Körper  aneinander  hingleiten,  und  die 
Drucke  normal  zur  Grenze  stehen. 

Bezüglich  des  zwischen  den  Teilen  (h)  und  (A)  des  vorausgesetzten 
Systems  stattfindenden  Wärmeaustausches  ß^^^  und  ß^^  können  wir 
auf  Grund  der  bisherigen  Eesultate  nur  wenig  behaupten.  Erst  in 
§  9  werden  wir  Mittel  erhalten,  zu  zeigen,  da:i,  gewisse  Grenzfälle 
ausgenommen,  die  zwischen  räumlich  getrennten  Teilen  eines  Systems 
stattfindende  thermische  Wechselwirkung  immer  der  Bedingung 

genügt. 

Demgemäß  können  wir  für  den  FaU,  daß  von  fernwirkenden 
Kräften  zwischen  den  Teilen  des  Systems  abgesehen  werden  könne 
die  Beziehung 

E=^E,  24") 

anwenden,  die  bei  einem  homogenen  Körper  die  Gestalt 

£'  =  jtf  6  =  r«!  24'") 

annimmt,  in  welcher  £  die  Energie  der  Massen-,  £^  diejenige  der 
Volumeneinheit  bezeichnet 

Diese  Eesultate  sind  im  Grunde  stillschweigend  bereits  in  den 
früheren  Abschnitten  benutzt  worden,  wo  mit  homogenen  Körpern 
operiert  wurde;  denn  die  jenen  zugeführte  Arbeit  und  Wärme  wird 
in  Wirklichkeit  direkt  nur  den  an  der  Oberfläche  liegenden  Kaum- 
elementen mitgeteilt  und  pflanzt  sich  zu  den  inneren  fort;  die  ganzen 
Überlegungen  der  §§  2  und  4  sind  also  nur  haltbar,  wenn 

ist. 

Sind  di^  Teile  des  Systems  nicht  in  verschiedenen  Räumen 
liegende  Massen,  sondern  Bestandteile,  welche  in  demselben  Volumen 


520  UI,  Teü,     Wärmelehre.    L  Kap, 


nebeneinander  existieren,  etwa  die  Elemente  einer  chemischen  Ver- 
bindung, so  liegen  die  Verhältnisse  total  anders  und  werden  im 
folgenden  Kapitel  genauer  untersucht  werden. 

Was  dann  weiter  die  Entropie  eines  Systems  angeht,  so  setzt 
die  Definition  (24)  voraus,  daß  die  Wärmezufulir  dSi  ausschließlich 
auf  umkehrbarem  V7ege,  also  durch  Abgabe  von  einem  gleich- 
temperierten Körper,  stattfindet.  Dies  ist  angenähert  erfüllt  auch 
innerhalb  eines  Systems  von  stetig  mit  dem  Ort  wechselnder  Temperatur, 
falls  der  Austausch  nur  zwischen  unendlich  benachbarten 
Elementen,  wie  man  sagt  durch  Leitung,  nicht  durch  Strahlung 
stattfindet  Zerlegt  man  ein  solches  System  durch  beliebige  Flächen 
in  unendlich  kleine  Teile,  innerhalb  deren  die  Temperatur  als  kon- 
stant  betrachtet  werden  kann,  und  stellt  die  frühere  Überlegung  an, 
so  erhält  man 


U     vT*^^*      TT      C^3l^ 


also 

h  h      k  J         ^h 

worin  das  letzte  Integral  verschwindet,  wenn  der  Austausch  nur 
zwischen  den  benachbarten  Elementen  stattfindet,  und  die  frühere 
Beziehung  cF£ikjc  +  fmkh  =  0  gültig  ist 

Für  einen  Körper  mit  stetig  wechselnder  Temperatur,  der  für 
Wärmestrahlung  undurchlässig  ist,  kann  man  daher  setzen 

25')  H=^^H^, 

woraus  für  einen  homogenen  und  gleichförmig  temperierten  bei  mit 
(24"')  übereinstimmender  Bezeichnung  auch  folgt 

25")  H^Mfi^Ffi,.-^ 

Die  Energiegleichung  (2')  wird  für  ^  =  0  bei  Einfiihrung  des 
Wertes  von  (Tii  zu 

26)  dE'=d'A+  TdH 

und  stellt  in  dieser  Form  ein  wichtiges  Hilfsmittel  dar  zur  Be- 
stimmung der  Funktionen  E^  oder  H  für  eine  bestimmte  Substanz 
aus  empirischen  Gesetzen  über  deren  Verhalten  thermischen  und 
mechanischen  Einwirkungen  gegenüber. 

Sei  z.  B.,  was  die  Resultate  besonders  symmetrisch  werden  läßt, 
der  Zustand  des  Körpers  durch  die  Temperatur  x  oder  T  und  be- 
Uebige  (»  —  1)  unabhängige  Variable  a,  ä,  c, .  .  .  bestimmt,  so  wird 


§  6,    Allgemeine  Orundformeln, 


521 


26') 


dT  '^  ^    '   o    da 

d'A  ^  At  dT  +  ^  Aa  d a  , 

wobei   die  Summen  über  die  von  allen  Variabein  a,  b,  c  , . ,  her- 
rührenden Anteile  zu  erstrecken  sind. 

Setzt  man  dies  in  (26)  eii^  und  berücksichtigt,  daß  die  Di£Ferentiale 
samtlich  voneinander  unabhängig  sind,  so  erhält  man 


dT 

dE' 
da 


dT 


«    '  da  ^ 


26") 


oder  bei  Einf&hrung  der  Abkürzung 

worin  S  den  Namen  der  freien  Energie  trägt  *^,  auch 


dS 

-Q-ji  ==  At  —  Hf 


dS 
da 


-A  -^-A. 


27) 


27') 


Die  Verbindung  dieser  Werte  mit  der  dritten  Gleichung  (26')  ergiebt 

d'A=-HdT+dS,  27") 

worin  dS  die  gesamte  Änderung  von  S  mit  a^b^c,..,  und  T  bezeichnet. 
Für  isothermische  Vorgänge  erhält  man  noch  einfacher 

dA^drS,  27'") 

was  eine  wichtige  Eigenschaft  der  freien  Energie  ausdrückt 

Aus  (27')  folgen  Beziehungen  zwischen  den  Aj^  und  H,  indem 
man  S  eliminiert,  z.  B. 

28) 


dAj, 

dA^         dH 

dAj,        dA^          dH 

da 

dT   ~    da    ' 

db           dT   ~    db 

und  auch 

dA          dA^ 
db     "    da    ' 

dA          dA 

a     _           e 

de    -    da    '•••' 

28') 

die  Verbindung   der  Werte   (27")   mit  der  zweiten  Gleichung  (26') 
führt  dann  auf 

was  man  auch  schreiben  kann 


diH-Aj.)  c\  ^^a 

dH=^  j^ dT  +  dAr  —  ^-Öji-da^ 

wobei  dAr  die  gesamte  Änderung  von  At  mit   T,  a,  b,  c 
zeichnet. 


28'") 
.  be- 


522  ///.  Teü,     Wärmelehre,    L  Kap. 


In  dem  wichtigsten  speziellen  Falle,  daß  die  Arbeit  verschwindet, 
wenn  da  =  db  =  ...  =  0  ist,  d.h.,  daß  At^O  ist,  giebt  dies 
einfacher 

28"")  dH^^dT-%^-^da. 

Nun  ist  allgemein  bei  umkehrbaren  Zustandsänderungen 

29)  rf'fl  =  MrdT=  TdH, 

worin  r  die  aUg^emeine  spezifische  Wärme  bezeichnet.  Benutzt  man 
dies,  und  versteht  unter  JT^  denjenigen  speziellen  Wert  von  JT,  der 
da  =  db  =  ...0  entspricht,  so  wird 

29')  ^-^^^^ 

29")  d'ü  =  MF"  d  T.+  TS  (-^  .^  -^)  da , 

oder  in  dem  speziellen  Falle  Ar  =  0  auch 

29'")  d'ii  =  Mr'^d  T-^T^^  da. 

Diese  Gleichung  wird  für  den  Fall  dT ^  0  identisch  mit  der 
Formel  (114'")  auf  S.  91  und  deshalb  durch  die  Vorstellungen,  die 
zu  jener  geführt  haben,  mechanisch  interpretiert.  — 

Von  den  obigen  Eesultaten  wollen  wir  eine  Anwendung  auf  den 
wichtigen  Fall  machen,  daß  es  sich  um  einen  Körper  handelt,  der 
unter  allseitig  gleichem  Druck  P  im  Gleichgewicht  ist;  hier  ist 
außer  T  nur  noch  eine  Unabhängige  einzuführen.  *®) 

Wählen  wir  hierfür  das  Volumen,  setzen  also  a  =  /',  so  ist 
r^=  /;  und 

30)  dA  =  -PdV,     daher  A^=  -  P,     ^r  =  0 , 
und  wir  erhalten  sofort  aus  (27')  und  (27") 

qri/x                   öS  __       p        BS  __        JT      öS  __  dP 
^    f  dV  '      dT '     dV^öT' 

30")  rf'ß  =  y¥/;  d  T  +T^dF;     r,=  -J  ^  . 

Wählt  man  dagegen  als  zweite  Unabhängige  den  Druck,  setzt 
also  a  =  P,  so  ist  r^=  F    und 


31) 


d'A=-  P[^dP  +  l^d  7') ,  ^Iso 


und  man  erhält  analog 
^  dP^  dP^    dT~  BT  '     öP~        dT^ 


§  6,     Wärmeikeorie  für  elasiisoke  Körper,  523 


d^ü  =  ]i/r^dT-T^^dP,  r^=~^^.  31") 

Beachtet  man,  daß 

ist,  worin  a  der  Eoef&sient  der  thermischen  kubischen  Dilatation, 
ß  derjenige  der  elastischen  kubischen  Kompression  ist,  —  ersterer 
bei  konstantem  Druck,  letzterer  bei  konstanter  Temperatur  ge- 
nommen, —  so  erkennt  man,  daß  Beobachtungen  über  die  Abhängig- 
keit dieser  Größen,  sowie  der  spezifischen  Wärme  F  von  Druck 
und  Temperatur  die  Bestimmung  von  H  und  ä,  und  wegen  (27), 
auch  von  f  gestatten. 

lü  der  Regel  wird  man  a,  /9,  F^  dabei  durch  Konstanten  oder 
durch  lineare  Funktionen  hinreichend  genau  darstellen,  auch  die 
Änderung  von  T  häufig  neben  •  seinem  Gesamtwert  vernachlässigen 
können;  dadurch  erhält  man  dann  für  HunA  S  resp.  f  Funktionen 
von  ziemlich  einfacher  Gestalt 


§  6.     MechanlBche  Wärmetheorie  für  elastische  Körper. 

Die  im  vorigen  Paragraphen  entwickelten  Grundsätze  wenden 
wir  nunmehr  auf  umkehrbare  Zustandsänderungen  eines  elastischen, 
beliebig  deformierten  und  temperierten  Körpers  an.  ^®)  Wir  können 
dabei,  weil  die  obigen  Betrachtungen  sich  zum  Teil  nur  auf  homo- 
gene Körper  beziehen,  nicht  den  gesamten  Körper  mit  einem  Male, 
sondern  nur  seine  einzelnen  Volumenelemente,  in  denen  die  Defor- 
mationen \ind  die  Temperatur  als  konstant  angesehen  werden  dürfen, 
der  Behandlung  unterwerfen.  Warum  und  inwieweit  in  diesem  Fall 
die  Wärmezufuhr  zu  jedem  Volumenelement  als  auf  umkehrbarem 
Wege  stattfindend  angesehen  werden  kann,  ist  oben  angedeutet  und 
wird  später  noch  genauer  erörtert  werden. 

Als  ursprünglichen  oder  normalen  Zustand  betrachten  wir 
denjenigen,  der  sich  bei  überall  gleicher  Temperatur  T^  einstellt, 
falls  auf  den  Körper  entweder  keinerlei  oder  aber  bestimmt  gegebene 
äußere  Kräfte  wirken;  der  deformierte  Zustand  ist  dann  für  jede 
Stelle  gegeben  durch  die  sechs  Deformationsgrößen  x^, . , .  x  und 
die  von  Ort  zu  Ort  wechselnde  Temperatur  T;  erstere  werden  als 
neben  1  sehr  kleine  Größen  angesehen,  während  T,  und  auch  die 
relative  Temperatur  T  —  Tq=  r,  wo  t  eine  allgemeinere  Bedeutung 
hat,  als  in  den  früheren  Paragraphen,  zunächst  beliebige  Größen 
haben  können. 


524  ///.  rni.     Wärmelehre.    L  Kap. 


Die  Deformationsgrößen  sollen  innerhalb  eines  homogenen  oder 
in  seiner  Natur  stetig  veränderlichen  Körpers  stetige  FunktioneD 
der  Koordinaten  sein,  sie  können  aber  in  der  Grenze  zwischen  zwei 
dergleichen  Körpern  springen;  die  Temperatur  soll  indessen  überall 
stetig  sein,  da  auch  in  der  Grenze  zweier  Körper,  welche  ursprüng- 
lich verschieden  temperiert  zur  Berührung  gebracht  werden,  sich 
nach  der  Erfahrung  augenblicklich  ein  stetiges  Temperaturgefalle 
bildet 

Die  Verrückungskomponenten  mögen,  wie  im  IV.  Kapitel  des 
n.  Teiles,  mit  «,  r,  w  bezeichnet  werden,  die  Komponenten  der 
körperlichen,  auf  die  Volumeneinheit  bezogenen  Kräfte  mit  X\  ¥^,  iT, 
diejenigen  der  auf  die  Flächeneinheit  bezogenen  äußeren  Drucke 
mit  Xy  r,  Z]  dagegen  mögen  die  Komponenten  der  inneren  Drucke 
als  von  den  früher  betrachteten,  rein  mechanischen,  durch  Berück- 
sichtigung des  Einflusses  der  Temperatur  verschieden,  gleich 
Äj.,  H^y  Z^,  . .  .  gesetzt  werden;  sie  gestatten  indessen  die  unge- 
änderte  Anwendung  der  auf  S.  221  u.  f.  angestellten  Überlegungen. 

Demgemäß  haben  sie  in  jedem  Punkte  des  körperlichen  Systemes 
den  Hauptgleichungen 


32) 


an  der  äußeren  Begrenzung  den  Bedingungen 


32')  Ä,+  2:  =  /f„+r=z„+^  =  o, 

an  der  Grenze  zwischen  zwei  Körpern  (ä)  und  (A)  den  Formeln 

32")  {SS  +  (5A  =  {HX  +  (HX  =  (ZX  +  {ZX  =  0  • 

ZU  genügen,  in  denen 

32'")  H^Z,     Z^S,    S^H 

und 

32"")  K  =  ^x  cos  (n,  x)  +  Sy  cos  (n,  y)  +  S,  cos  (n,  z), 

ist. 

Die  einem  beliebigen  Volumen  k   zugeführte   unendlich  kleine 
äußere  Arbeit  ist  definiert  durch 

d'J[  =  f{Tdu  +  Tdv  +  2rdw)dk 

33)  {  •"._..__ 

-f  /  {Xdu  +  Ydv  +  Zdw)do, 

und  läßt   sich   durch  Berücksichtigung  von  (32')   und  (32""),   sowie 
durch  eine  teilweise  Integration  leicht  auf  die  Form  bringen 


§  6,     Wärmetkeorie  für  elastische  Körper, 


525 


d'A  =fdk{Tdu  +  rdv  +  iPdw) 

+  -^-^{H^du  +  H^dv+H^dw) 
+  ^^{Z^du  +  Zydv  +  Z^dw) 


33') 


Für  ein  unendlich  kleines  Volumen  dk  benutzt,  giebt  diese  Formel 
nach  Division  mit  dk  den  Wert  der  auf  die  Volumeneinheit  be- 
zogenen Arbeit  d^A  I  dk  ^  d^a^ 

d'a^  =  {rdu+  Tdv  +  Z'dw) 


d 


33") 


—  -^[Z^du  +  Zydv  +  Z.rfti?), 

oder  unter  Berücksichtigung  von  (32) 

d'a^^-'{S^dx^-^-H/y^+Z^dz^+H^dy^+ZJz^+S^dx^)+d^lf^,  34) 

worin  ^ifj^  die  lebendige  Kraft  der  Volumeneinheit  an  der  betrach- 
teten Stelle  ist. 

Hierzu  fügen  wir,  indem  wir  unter  t^  die  auf  die  Volumenein- 
heit  bezogene  Energie  verstehen: 


dt,  =  -f-?'-  dx,  +  ^  •l  rfy  +  !_*..  dz^  +  I  *»-  dy^  +  J*'  dz. 

1       dx       »       dy     ^y      dx       '       dy     '^'^       dx       * 


34') 


ebenso  giebt  sich  für  die  Entropie  tj^  der  Volumeneinheit,  welche 
nach  ihrer  Definition  von  der  Bewegung  unabhängig  sein  muß: 


'^^/i  -V^<^-,+  i^äy.+  i^'i^.+  '^äy.+  p^dz 


dx 


dy  "^y 

y 


d% 


dy 


dx  ""« 

X 


^  dx  "^""y^  dT^^' 
y 


34") 


Da  zwischen  den  vorstehend  definierten  Größen  die  Beziehung 

rf«!  =  d'a^  +  d'm^  =  d'a^  +  Tdri^  34'") 

besteht,   in   welcher   sich   das   von   der   Geschwindigkeit   abhängige 
Glied  d'kfß^    heraushebt,   so   sind  die   hier  vorliegenden  Verhältnisse 


526  IIL  TeU.     Wärmelehre.    L  Kap. 


den  am  Eude  des  yorigen  Paragraphen  vorausgesetzten  gleich,  auch 
ist  der  Wert  rf*«^  von  der  einfachsten  Gestalt,  bei  veelcher  ^t  ver- 
schwindet 

Demgemäß  können  wir  alle  dort  allgemein  erhaltenen  Resultate 
auf  unser  Problem  einfach  übertragen. 

Setzen  wir  abgekürzt 

35)  e^^Tfj,-yj,  =  el-  T.?,  =  |„ 

worin  1^  als  die  freie  Energie  der  Volumeneinheit  zu  be- 
zeichnen ist,  so  erhält  man  aus  (27') 

aus  (28) 

35")  ^^  _  ^'^*  ^ly.  —  ^^y 

und  aus  (28') 
35'") 


dx   ~  BT''  "  dx  "  BT 

X     '  y 


«5  ^.BH^      3^  ^  «5 

dy         dx    ^     dx         dx  ^ 

y  X  t  X 


Mit  der  Formel  (28")  korrespondiert  wegen  der  Beziehung  (29) 

r 

und  wenn  man  nach  (29')  die  spezifische  Wärme  /"^  bei  konstanter 
Deformation,  welche  durch  dx^=  ^Vy^  .  .  .  =  dx  =  0  definiert 
ist  und  der  Größe  F^  auf  S.  522  entspricht,  mittelst  der  Beziehung 

Qft/\  r  -^  —^^ —  — ^* 

einführt,  giebt  dies  auch 

36")  dn^=^-^dT+  i^^dx^+  .  .  .  +  ^^'^^  dx^. 

Hierdurch  ist  di]^  mit  Hilfe  von  wohldefinierten  und  direkter  oder 
indirekter  Bestimmung  durch  die  Beobachtung  zugänglichen  Großen 
ausgedrückt. 

Weitere  reciproke  Beziehungen  erhält  man  durch  Kombination 
von  (35")  und  (36')  in  der  Form 

^^    f  T    dx      "dT^^"'     T    dx      r  öT«  ' 

sie  sprechen  einen  merkwürdigen  Zusammenhang  zwischen  der  spe- 


§  6.     Wärtnethearie  für  elasUseke  Körper.  527 


ziiischen  Wärme  /'^  und  den  Gesanitdruckea  5'a.;...S  aus,  auf 
den  wir  bei  gewissen  speziellen  Fällen  noch  zurückkommen. 

Eine  zweite  wichtige  spezifische  Wärme,  nämlich  diejenige  F^ 
bei  konstanten  Spannungen  S^,  .  .  .  S ,  erhält  man,  indem  man 
in  der  Formel  (36)  die  Veränderungen  dx  , . . ,  dx  so  bestimmt, 
daß  sie  die  dS^. . . .  dS,,  zu  Null  machen;  man  kann  das  Resul- 
tat  schreiben 

w^enn  man  sich  in  den  ersten  Faktoren  der  Ausdrücke  in  der  Klammer 
die  Drucke  durch  die  Deformationsgrößen  und  die  Temperatur,  in 
den  zweiten  die  Deformationsgrößen  durch  die  Drucke  und  die 
Temperatur  ausgedrückt  denkt  — 

Bis  hierher  sind  die  Entwickelungen  yoUständig  allgemein; 
nunmehr  wollen  wir  zu  speziellen  Ansätzen  übergehen  und  nehmen 
dazu  an,  daß  die  Abweichungen  der  vorkommenden  Temperaturen  T 
von  der  normalen  T^,  also  T—  To  =  t  als  eine  Größe  erster  Ordnung 
neben  T^  betrachtet  werden  können,  wie  gleiches  für  die  Deformations- 
größen gegenüber  Eins  gilt  Wir  können  dann  1^  nach  Potenzen 
von  x^y  .  .  .  X  und  t  entwickeln  und  mit  dem  niedrigsten  Glied  ab- 
brechen. Macht  man  die  beiden*  speziellen  Annähmen,  daß  im 
Normalzustande,  d.  h.  mit  verschwindendem  x^, . . .  a:  und  r,  sowohl 
die  Drucke,  als  die  Entropie  verschwinden  —  von  denen  nach  dem 
oben  Gesagten  die  erstere  wesentliche,  die  zweite  nur  formale 
Bedeutung  besitzt  — ,  so  stellt  sich  |j  als  eine  homogene  Funktion 
zweiten  Grades  dar,  die  wir  bei  Einführung  der  Konstanten  c^^ 
qj^  und  r  schreiben  woUen*^: 

+  ^22y/+2ca3V«+2e24yyy.  +  2c3,yy2r^+2c2^yya:y 

Für  die  Größe  von  r  folgt  aus  (36') 

betrachtet  man  hierin,  gemäß  der  eingeführten  Beschränkung  auf 
Glieder  zweiter  Ordnung,  q  und  T  als  die  konstanten  Normalwerte 
^Q  und  Tq,  wie  dies  weiterhin  geschehen  soll,  so  findet  sich  in 
gleicher  Annäherung  F^  konstant 

Aus  (37)  erhält  man  gemäß  den  Beziehungen  (35') 


37) 


370 


528  IlL  TeiL     Wärmelehre.    I.  Kap. 


(  -5x=^ii**  +  ---  +  ^ie^y-yi^=  -{^x  +  9i^)y 


87") 


-  '^^  =  ^«1  ^«  +  •  •  •  +  ^66  *y  -  ?€  '^  =   -  (-^y  +  ?«  ^)  > 


(fo^ä^ 


die  Größen  X., . . .  X  stellen  sich  also  als  die  elastisrfb^n  isothermischen 
Drucke  des  Ansatzes  (107")  auf  S.  331  dar,  die  Produkte  y^r  als 
die  Zuwachse,  welche  sie  infolge  der  Temperaturänderungen  erhal- 
ten, und  die  man  kurz  die  thermischen  Drucke  nennt. '^) 

Die  isothermischen  Elasticitätskonstanten  o^^  und  die  Eon- 
stanten qj^  der  thermischen  Drucke  folgen  aus  |^  durch  zweimalige 
DiiFerentiation;  denn  es  ist 

Die  freie  Energie  1^  läßt  sich  unter  Einführung  des  elastischen 
Potentials  y^  der  Volumeneinheit  schreiben 

und  für  die  gesamte  Energie  e^  der  Volumeneinheit  findet  man 
nach  (35) 

37'")  «1  =  (91  +  V'i)  +  ^;(yi ^«  + .  • .  +  y«^y)  +  i'-cr»-  '^), 

worin  (y^  +  t//j)  den  rein  mechanischen  Anteil  derselben  darstellt; 
die  innere  Energie  e\  wird  daraus  durch  Beseitigung  des  Glie- 
des i//j ,  der  lebendigen  Kraft,  erhalten.  Da  die  Deformationsgrößeii, 
sowie  die  Differenz  T  —  T^,  =  t,  als  Größen  erster  Ordnung  gelten^ 
so  enthält  s[  Glieder  erster  und  zweiter  Ordnung  nebeneinander; 
bei  Beschränkung  auf  die  ersteren  wird  unter  Bücksicht  auf  (37') 
sehr  einfach 

37'"')  b\  =  To  (?i  ^x  +  •  •  •  +  96^y)  +  Po  r^r. 

Die  elastische  Energie  ist  hieraus  vollständig  verschwunden,  und  der 

übrigbleibende  Teil  ist  mit  i?,  Tq  identisch.  — 

Bezeichnet  man  die  isotiiermischen  Elasticitätsmoduln,  wie  im 
IV.  Kapitel  des  11.  Teiles,  mit  Sj^j^  und  setzt  abgekürzt 

38)  9ihi  +  9%'ia  +  '*'  +  9b  ^fs  =  ^h> 

so  gilt  auch  umgekehrt 

36')  «1  ^Äi  +  «« ^Ä2  +  •  •  •  +  «6  *Aa  =  7fc- 

Unter  Berücksichtigung  dieser  Beziehungen  kann  man  die  ersten 
sechs  Gleichungen  (37 ')  leicht  nach  x^j . . .  x^  auflösen,  indem  man 
sie  mit  den  Faktoren  .9^^,  ^/^^  •  •  •  ^m  zusammenfaßt;  setzt  man  noch 


§  6.     Wärmetheorie  für  elaetiscke  Körper. 


529 


die  erhaltenen  Werte  in  die  letzte  Gleichung  (37")  ein,  so  erhält 
man  das  (37")  entsprechende  System 


-  ^x  =  *ii  Ä,  +  .  .  .  +  *ie  Ä  -  «1  T, 


-  ^«  =  *fli  A«  +  .  .  .  +  «ae  S„  —  a-  T, 


66 


+        ^1         =  V (^1       Ä       +         .         .         .        +        öfl      Äy), 

worin  nach  Formel  (36"") 


38") 


T, 


^.=  ^d  +  T^(7i«i+---  +  y6«6> 


9o 


38'") 


Es  ist  also  in  der  eingeführten  Annäherung,  sowie  F^,  auch  F^  von 
Xx,  . . .  ^y  und  r  unabhängig. 

Weiter  gut  bei  Vernachlässigung  der  Glieder  zweiter  Ord- 
nung auch 

«;  =  (j.F^T  ^T,{a,S.  +  ...  +  a,S,)  =  f],  T,.  38'"') 

Für  krystallinische  Körper,  welche  Symmetrieen  besitzen,  spe- 
zialisieren sich  die  Teile  des  Ansatzes  (37)  nach  den  Schemas  IV 
und  n  auf  S.  137  imd  143.     Für  isotrope  Körper  wird  speziell 


-  2yT(xa,  +  yy+z«)  — 


T« 


39) 


39') 


oder  bei  Benutzung  der  Abkürzungen  &  und  &^  von  S.  336 

2|i  =  c,  19-«  +  c^&'  -  2yT,^  -  "^-V, 
und  hieraus  folgt 

—  Hy^c^yy  +  c^d-^-qr,      —  Z^=-\c^z^, 

—  Z^  =  c^z^  +  c^&  —  qr,      —  5y  =  iCjOTy, 

—  ^y  =  «1  Ab  +  *  Äy  +  *1  2,  —  a  T  ,        —  ZjB  =■  2  «3,  Za , 

—  2r,  =  «1  Sb  +  'i  ^  +  *  2g  —  a  T ,      —  ^y  =  2  *3,  ^ , 

Vo 

wobei  wie  früher  c  —  Cj  =  c,,  *  —  «^  =  ä^  gesetzt  ist.     Für  Flüssig- 
keiten wird  speziell 


39") 


c  =  Cj ,     Cg  =  0 ,     also     y  =  3  a  c. 


39'") 


Voigt,  Theoretische  Physik. 


84 


530  lU.  Teil.     Wärmelehre,    L  Kap. 


Bei  isotropen  Körpern  hat,  wie  man  sieht,  der  thermische  Druck 
die  Natur  eines  hydrostatischen  Druckes;  er  ist  normal  gegen 
das  Flächenelement  gerichtet  und  von  dessen  Orientierung  unab- 
hängig. Die  Entropie  enthält  die  Deformationsgrößen  nur  in  der 
Kombination  &^  und  hieraus  folgt  bei  Rttcksicht  auf  (36),  daß  auf 
die  spezifischen  Wärmen  auch  nur  das  .Verhalten  der  räumlichen 
Dilatation  Einfluß  hat  Demgemäß  muß  hier  die  spezifische  Wärme  bei 
konstanter  Deformation  mit  der  bei  konstantem  Volumen  identisch 
sein,  und  da  nach  der  vorletzten  Gleichung  (39")  auch  nur  eine 
spezifische  Wärme  bei  konstanter  Spannung  existiert,  muß  diese  mit 
derjenigen  bei  konstantem  allseitig  gleichen  Druck  übereinstimmen. 

Wir  wollen  demgemäß,  um  die  Verbindung  mit  der  früheren 
Bezeichnung  herzustellen,  für  isotrope  Körper  setzen 

39"")  ^.  =  ^.,   r,  =  r^.- 

Diese  Resultate  bedürfen  einer  Ergänzung,  wenn  im  Normal- 
zustande die  äußeren  Kräfte,  und  daher  die  inneren  Spannungen, 
nicht  verschwinden,  sondern  beliebig  vorgeschriebene  Werte  5^, . . .  rj 
besitzen,  ein  Fall,  der  fast  nur  bei  Gasen  ein  Interesse  hat  und 
daher  durch  einen  Zusatz  erledigt  werden  mag.  Hier  ist  zu  dem 
Werte  von  |j  in  (37)  noch. das  Glied 

hinzuzufügen,  welches  bewirkt,  daß  in  den  Formeln  (37"),  wie  denen 
des  Systems  (38)  bis  (38""),  B^- Sl=  SL,  . . .  Sy  S'y  =  5y  an  SteUe 
der  Sxi  i  '  '  Sy  tritt,  und  daß  sich  in  (37"")  auf  der  rechten  Seite 

d.  h.  die  Arbeit,  welche  die  Deformation  bei  konstanten  Anfangs- 
spannungen erfordert,  den  übrigen  Gliedern  zuordnet,  so  daß 
€^  =  c^j  +  rj^  T^  wird. 

Die  Notwendigkeit  dieser  '^Ergänzung  erkennt  man  deutlich, 
wenn  man  die  Energie  eines  idealen  Gases  berechnet,  das  im  Normal- 
zustande unter  dem  Druck  P^  stehen  mag.  Hier  wird  die  ergänzte 
Formel  (37"")  zu 

40)  €l=Toyi^-|-(>or/;-P,*; 

zugleich  folgt  aus  (39') 

(40')  BL=^Hy^Z,=p^  --c^  +  qx. 

Nun  giebt  aber  das  Boyle-Gay  LussAC'sche  Gesetz  bei  vollständiger 

Dififerentiation 

PdV+VdP^MBdT, 


^  6.     Wännetheorie  für  elastische  Körper.  531 


und  hieraus  folgt  in  der  jetzt  benutzten  Bezeichnung 

p^^P,ß'  +  BQ,T^^P,»  +  4^.  40") 

Die  Vergleichung  mit  (40')  zeigt,  daß  bei  idealen  Gasen  einer- 
seits c  =  Pq  sein  muß,  was  schon  früher  benutzt  ist,  andererseits 

q^BQ,^^;  40'") 

letzteres  führt,  in  (40)  eingesetzt,  sogleich  auf 

«'i  =  n?o^.  40"") 

in  Übereinstimmung  mit  Formel  (20),  wenn  man  berücksichtigt, 
daß  wir  bei  der  jetzigen  Betrachtung  die  Energie  von  dem  Normal- 
zustande r  =  0,  nicht  von  T=  0  aus  rechnen.  — 

Der  Ansatz  (37),  welcher  für  sehr  kleine  Temperaturintervalle 
T=  T—  7{j  gilt,  muß  für  größere  verallgemeinert  werden,  und  es 
vnrd  der  nächste  Grad  der  Genauigkeit  erreicht,  wenn  man  die 
Konstanten  Cj^j^,  q^  und  r  mit  linearen  Funktionen  der  Temperatur 
vertauscht;  eine  Berücksichtigung  höherer  Potenzen  der  Deformations- 
größen ist  dabei  noch  nicht  nötig,  da  diese  in  praxi  immer  sehr 
klein  sind.*^ 

Dieser  verallgemeinerte  Ansatz  führt  auf  dieselben  Formeln  für 
die  Druckkomponenten  S^,, . . .  Sy,  nur  ist  die  Bedeutung  der  c^,^  imd  qj^ 
eine  andere  geworden;  dagegen  ist  der  Ausdruck  für  rj^  viel  kom- 
plizierter, denn  es  tritt  zu  den  in  (37")  aufgefiihrten  Gliedern  noch 
der  negative  Wert  von  1^  selbst,  nachdem  in  demselben  die  c^^,  qj^ 
und  r  mit  öc^^/ör,  öy^/ör  und  drjdr  vertauscht  sind. 

Wir  wollen  ihn  daher  nicht  aufstellen,  sondern  nur  hervorheben, 
dass  nach  (36')  unter  der  geraachten  Voraussetzung,  falls  man 
dfpjdr  in  (p   abkürzt,  folgt 

^d  =  y  [yi^*  +  •••  +  ?i^y  -h  r  +  2r'r]  .  41) 

[Es   wird   hier   also  I^  sowohl   von   der  Temperatur,   als   von   den 
Deformationsgrößen  abhängig. 

Die  Formeln  (36'")  aber  lauten  hier 

0  y 

bei  isotropen  Körpern  enthält  F^  =  F^  die  Deformationsgrößen  nur 
in  der  Kombination  0-  =  x^  +  y  +  z^,  und  es  gilt 

34* 


532  UL  Teil.     Wärmelehre.    L  Kap. 


wodurch  eine  merkwürdige  Beziehung  zwischen  der  Wärmekapacitat 
der  Volumeneinheit  qF^  und  dem  Koeffizienten  q  des  thermischen 
Druckes  ausgesprochen  ist. 

§  7.    ThermiBche  Dilatation.     Adiabatische  Deformation. 

Die  oben  gefundenen  Formehi  (37")  für  die  in  einem  elastischen, 
beliebig  temperierten  Körper  wirkenden  Gresamtdrucke,  welche 
allerdings  kleine  Abweichungen  r  der  Temperatur  T  von  der  An- 
fangstemperatur Tq  voraussetzen,  bieten  die  Grundlage  f&r  die  Ent- 
wickelung  der  allgemeinen  Gesetze  der  thermischen  Dilatation  bei 
mäßiger  Temperaturänderung. *^ 

Wir  betrachten  zunächst  nur  Körper  mit  in  der  ganzen  Aus- 
dehnung konstanter  Temperatur  ohne  Einwirkung  äußerer  Kräfte. 
Man  genügt  in  diesem  speziellen  Falle  den  Haupt-  und  Oberfiächen- 
bedingungen  (32)  und  (32')  zugleich,  indem  man  überall 

setzt    Es  folgt  dann  aus  (38") 

42)    j:,  =  «1  r,  y^  =  a,  r,  z^  =  a^  t,  y,  =  a^  t,  z^  =  a^  t,  x^  =  a^  t, 

und  hierdurch  werden  die  Konstanten  a^,  a^,  o,  als  die  Konstanten 
der  thermischen  linearen  Dilatationen  parallel  den  Koordinaten- 
axen,  a^,  a^,  a^  als  diejenigen  der  thermischen  Axenwinkel- 
änderungen  definiert;  sie  sind  sämtlich  reine  Zahlen,  es  gilt  also 

42')  W  =  1 . 

Die  räumliche  thermische  Dilatation  findet  sich  nach  (42) 

42")  i9-  =  («1  +  flg  +  a^)T  =  ar , 

der  Faktor  von  r  ist  also  der  kubische  thermische  Dila- 
tationskoeffizient 

Die  lineare  thermische  Dilatation  X  in  einer  beliebigen,  durch 
die  Eichtungskosinus  a^,  ß^,  y^  gegebenen  Richtung  s  ist  nach  For- 
mel (7)  auf  S.  217 

42"')    A  =  a.r  =  [a^a]  +  a^ß\  +  a^y]  +  a^ß^y^  +  a^y.^.  +  a«a,/!.)T, 

woraus  folgt,  daß  aus  einer  Kugel,  die  aus  einem  beliebigen  Krystall 
hergestellt  ist,  durch  gleichförmige  Erwärmung  jederzeit  ein  Ellip- 
soid  wird. 

Von  erheblichem  praktischen  Interesse  ist  femer  die  thermische 
Änderung  des  Winkels  zwischen  zwei   in  oder   an  einem  Krystali 


§  7,     Thermische  Dilatation.  533 


bezeichneten  Ebenen ,  welche  der  Beobachtung  fast  noch  leichter 
zugänglich  ist,  als  die  lineare  Dilatation  einer  an  ihm  markierten 
Strecke.*^) 

Seien  die  Gleichungen  der  beiden  Ebenen  vor  der  Deformation 

^^+yßh  +  ^rh^r'h    für  Ä=  1  und  A  =  2,  43) 

so  sind 

r  r  r 

t   _Ä      M    __A     ;•   h 

bA  •"■  a    '    ^'Ä  "~    o    »    bA  —  "IT 

die  Abschnitte,  welche  dieselben  auf  den  Koordinatenaxen  markieren. 
Infolge  der  Deformation  erhalten  die  Schnittpunkte  die  folgenden 
Koordinaten 


du         (■{   _i^^\         ^^ 
t,   Bu      u,   Bv      y  1-%     \    ^^\ 

^*  ölt'  ^*ö^'  ^^y  "^  'dlj' 


und  wenn  man  die  Gleichungen  der  Ebenen  nach  der  Deformation 
schreibt 

xan+yß'n  +  zn^rn,  43') 

so  läßt  sich  cChlr^j  ßhl^hj  Yhlfh  dadurch  bestimmen,  daß  die 
Gleichungen  (43')  durch  die  Koordinaten  des  vorstehenden  Systems 
befidedigt  werden  müssen. 

Man  erhält,  da  u^  v,  w  unendlich  klein  sind,  durch  Annäherung 
sehr  leicht 

f*  =,  f»  _  /^l-«  +  Aö!«  +  A^)  u.  s.  f.,  43") 

oder,  da  r»  und  r^  sich  auch  nur  um  eine  Größe  erster  Ordnung 
r A  —  r^  =  Q^  unterscheiden, 

„;=«,|i + ^)- (-4-: +/?.!-:+..£)  u.s.f.  48'") 

Nun  sind  zwar  die  Strecken,  welche  bei  der  Deformation  aus 
den  Loten  r^  und  r^  werden,  nicht  mit  r^  und  r^  identisch;  sie 
unterscheiden  sich  aber,  wie  die  bloße  Anschauung  lehrt,  nur  um 
eine  Größe  zweiter  Ordnung  von  ihnen;  daher  dürfen  wir  Qj^Jt^^  mit 
der  linearen  Dilatation  A^  in  der  Richtung  von  r^  identifizieren. 

Ist  weiter  x  ^^r  ursprüngliche,  x   der  durch  Deformation   er* 


534  ///.  TeU,     Wärmelehre.    L  Kap. 


44) 


44') 


haltene  Winkel  zwischen  den  beiden  Ebenen  und  ;^'  —  ;^  =  v,  so  er- 
hält man  wegen 

cos/  =  «j «3  +  ß^ ß^  +  riri7   cos;ir'  =  «;«;  +  /?; ß'i  +  r\ r^ 

sogleich 

cos  x  —  cos  /  =  —  t^  sin  ;jf 

-  [ySßiYt  +  Yißi)  +  ^^{ri^2  +  <^iY2) + ^Kft  +  ft  «!)]• 

Setzt  man  in  diesen  allgemeinen  Wert  die  Ausdrücke  (42) 
und  (42"'),  so  ergiebt  dies  schließlich: 

vsin;ir  =  «12  T sin;jr  =  \2[a^  a^  a^  +  a^  ß^  ß^  +  a^  Yi  Y^) 

+  «4(A  Y2  +  ßiYi)  +  «6  (/l  ^2  +  Y2^)  +  «eK  Ä  +  ^ißl)]^ 
-  [«1  W  +  ^1)  +  «2  0??  +  ßl)  +  «3  (r?  +  ^1) 

+  ^^{ßiYi  +  ß2Y2)  +  «öO'i  0^1  +  YtCC2)  +  «e(ö^i  A  +  «^2ft)]^c<>8/- 

Die  Formel  vereinfacht  sich  erheblich,  wenn  die  beiden  Flächen 
ursprünglich  zu  einander  normal  waren. 

Bei  regulären  Krystallen  und  isotropen  Körpern  wird 

44")  &  =  3aT  =  ar,     X  =  ar,     v  =  0; 

bei  idealen  Gasen  ist  überdies 

44'")  3fl  =  a=l/r; 

denn  aus  dem  BoYLE-GAY-LussAc'schen  Gesetze  folgt 

i  dV _  Bq 
VdT  ""   P  ' 

und  die  linke  Seite  ist  gleich  a,  die  rechte  gleich  1  /  T.  — 

Die  Hauptgleichungen  (32)  werden  im  Falle  des  Gleichgewichtes 
auch  durch  beliebige  konstante,  aber  von  Null  verschiedene 
Werte  der  Druckkomponenten  H^, ...5  befriedigt  Bestimmt  man 
deren  Größe  dadurch,  daß  man  die  Deformationsgrößen  sämtlich 
gleich  Null  setzt,  so  geben  die  Gleichungen  (37") 

und  aus  den  Formeln  (32')  und  (32"")  kann  man  dann  diejenigen 
Werte  der  äußeren  Drucke  bestimmen,  welche  notwendig  sind,  um 
die  Wirkung  der  konstÄuten  Temperaturänderung  t  gerade  zu  kom- 
pensieren. 

Für  ein  rechteckiges  Prisma,  dessen  Flächen  den  Koordinaten- 
ebenen parallel  sind,  erhält  man  die  Werte  (45)  selbst  als  die  Be- 


§  7.    AdiabaUsche  Deformation.  535 


träge  der  Komponenten  der  äußeren  Drucke.  Sie  drücken  sich  in 
den  der  direkten  Beobachtung  zugänglichen  thermischen  Deformations- 
koeffizienten a^  und  den  iso thermischen  Elasticitätskonstanten  c^j^  aus 
gemäß  der  Formel  (38') 

9/»  =  «1  ^h\  +  S  Cäs'+  •  •  •  «6  ^fcö  •  —  ^^T 

Das  allgemeine  Problem  der  Deformation  eines  verschieden  tem- 
perierten Körpers  ist  bei  gegebener  Temperatur  auf  dasjenige  der 
Deformation  eines  Körpers  unter  der  Wirkung  körperlicher  Kräfte 
und  oberflächlicher  Drucke  zurückführbar.  Denn  in  den  Haupt- 
gleichungen (32)  lassen  sich  die  Anteile,  welche  die  thermischen 
Drucke  zu  den  S^,**.S  liefern,  als  körperliche  Kraftkomponenten 
deuten,  in  den  Oberflächenbedingungen  (32')  als  die  Komponenten 
von  Oberflächendrucken. 

In  praxi  komplizieren  sich  die  Verhältnisse  dadurch,  daß  die 
Temperaturverteilung  nicht  direkt  gegeben,  sondern  aus  gewissen 
Bedingungen,  welche  ihrerseits  die  Deformation  des  Körpers  ent- 
halten, zu  bestimmen  ist  Die  Gleichungen  dieses  Problems  werden 
in  §  9  abgeleitet  werden.  — 

Adiabatische  Zustandsänderungen  eines  elastischen  Körpers 
sind  solche,  bei  denen  keinerlei  Wärmeaustausch  zwischen  den 
einzelnen  Volumenelementen  des  Körpers,  wie  auch  zwischen  dem 
Körper  und  seiner  Umgebung  stattfindet.  Sie  treten  bei  homogenen 
Deformationen  stets  dann  ein,  wenn  der  Körper  von  adiather- 
manen  Hüllen  umgeben  ist,  bei  nicht  homogenen  allein  im  Falle 
von  schnellen  Schwingungen,  bei  welchen  der  Wärmeübergang  zwischen 
Nachbarelementen  der  Kürze  der  Zeit  halber,  welche  ein  jeder  Zu- 
stand andauert,  nicht  merklich  ist.  Letzteres  ist  bei  allen  tönenden 
Schwingungen  sehr  nahe  erfüllt;  für  sie  gelten  daher  in  erster 
Linie  die  folgenden  Gesetze.  ^^ 

Da  die  Entropie  ri^  im  natürlichen  Zustande  des  Körpers  gleich 
Null  gesetzt  war,  so  sind  adiabatische  Zustandsänderungen  solche, 
bei  welchen  ly^  =  0  bleibt.  Dies  ergiebt  nach  (37")  und  (38")  zwei 
Formen  der  daraus  folgenden  Beziehungen,  nämlich 

jT-  =  q^x^  +  ...  +  q^Xy  46) 

und 

^rp'     =a^S^+  ,,.  +  a^By',  46') 

die  erstere  bestimmt  die  bewirkte  Temperaturänderung  r  durch  die 
hervorgebrachten   Deformationen,    die   letztere    durch   die    erregten 


536  lU.  Teü.     Wärmelehre.    I.  Kap, 


Druckkomponenten.   Das  Verhältnis  beider  Formeln  bei  gleichem  r, 
nämlich: 


46") 


T^  aiA^  +  .,.  -^  a^Sjf 


drückt  das  Verhältnis  der  beiden  spezifischen  Wärmen  r^/Fd  durch 
die  bei  einer  adiabatischen  Deformation  einander  entsprechenden 
Drucke  und  Deformationsgrößen  aus. 

Für  isotrope  Körper  liefert  (46)   unter   Berücksichtigung,   daß 
hier  /^  =  /i  ist, 

Da  T„t  a& 

wobei  3  a  nach  Formel  (44")  die^Bedeutung  des  kubischen  thermischen 
Dilatationskoefficienten  a  und  3(«  +  2s{)  nach  Formel  (1 1 3"")  auf  S.  336 
diejenige  des  kubischen  Kompressions moduls  ß  besitzt;  (46*)  ergiebt 
wegen  T,  =  F^ 

47')  SlIpl^a{S.  +  Hy+Z,), 

also  bei  allseitig  gleicher  Druckänderung  /?.  =  P  —  P^, 

47")  ^p=3ap. 

■'■0 

a,  der  thermische  lineare  Ausdehnungskoeftizient,  ist  je  nach  der 
Substanz  meist  größer,  in  vereinzelten  Fällen  auch  kleiner,  als  NuU; 
in  dem  ersteren  Falle  bewirkt  nach  der  letzten  Formel  ein  allseitig 
gleicher  Druck  eine  Steigerung,  in  letzterem  eine  Erniedrigung  der 
Temperatur.  Dies  Resultat  ist  durch  Beobachtungen  bestätigt 
Durch  Elimination  von  r  folgt  aus  (47)  und  (47") 

48)  -/  =  x= 5^ , 

V 

eine  Beziehung,  die  eine  experimentelle  Bestimmung  von  x  ermöglicht» 
Bedenkt  man  nämlich,  daß  bei  isothermischer  Deformation 

48')  19«,  =  -  3  (5  +  2  s^)p 

ist,  so  kann  man,  indem  man  die  demselben  Druck  entsprechende 
adiabatische  Dilatation,  durch  &^  bezeichnet,  auch  schreiben 

48")  ^  =  1^' 


woraus  die  Richtigkeit  der  gemachten  Bemerkung  erhellt. 

Für  ideale  Gase  ist  nach  (44'")  3a=  l/T^,  also  wird  für  sie 
aus  (47") 
48'")  Qor.r^p. 


§  7.    Adiahatisehe  MasHcitätskonstanten,  537 


Hierin  bezeichnen  r  und  p  nur  die  einander  entsprechenden  Zu- 
wachse von  Druck  und  Temperatur,  sind  also,  um  zu  den  Formehi 
von  §  4  zurück  zu  leiten,  durch  d  T  und  dP  zu  ersetzen.  Es  wird 
dann  wegen  Fq  ^  M 

Mr^dT=  FdP, 
oder,  da 

MBT=FP,B  =  r^- /;  und  /;//;  =  x 

ist,  auch 

dT       ,  ..dP 

Dies  giebt  durch  Integration 

T"  =  A^  i^-i  oder  F**  P  =  A^, 

worin  A^  und  A^  Konstante  bezeichnen,  in  Übereinstimmung  mit  den 
Formeln  (28'")  flir  adiabatische  Zustandsänderungen  idealer  Gase.  — 
Entnimmt  man  den  Formeln  (46)  und  (46')  den  Wert  der  adia- 
batischen Temperaturänderung  r  und  setzt  ihn  resp.  in  die  Gleichungen 
(37")  und  (38")  ein,  so  resultiert  ein  System  von  Beziehungen  zwischen 
den  Druckkomponenten  Sxj^'Sy  und  den  Deformationsgrößen  Xa^,...Xy, 
wie  es  speziell  den  adiabatischen  Deformationen  entspricht^^ 
Es  wird 

-  Ä  =  cJi ar,  +  cl^i/y  +  c[^ z,  +  c'i^y.  +  c\^ z^  +  c\q Xy , 


worin 


49) 


50) 


4.  =  c,,  +  -Yr^  49') 

ist;  analog  wird 

—     X^    =     Äj^    ÄJC     +     Äj3    Hy     +     *J3    Zg     +     S^^Hg     +     *jg    Zg.     +     5jg   ^y  , 

—  Xy  =  Ägj  ^a;  +  Ägg  Hy  +  Äg3  Zj  -[-  SQ^Hg  +  Ägg  ^a,  +  *gg  Äy, 

worin 

«.  ö,  ^0 

Berücksichtigt  man  das  auf  S.  338  über  Deformationen  ohne 
Wärmebewegung  Gesagte,  so  erkennt  man,  daß  die  Faktoren  clk  mit 
den  dort  erwähnten  adiabatischen  Elastizitätskonstanten, 
die  sj^jt  mit  den  adiabatischen  Elastizitätsmoduln  des  Körpers 
identisch  sind;  ihr  Zusammenhang  mit  den  isothermischen  Kon- 
stanten  und  Moduln  c^^   und   Sj^j^  ist   nach  (49')    und  (50')  in   sehr 


538  IIL  Teil,     Wärmelehre.    L  Kap. 


einfacher  Weise  durch  die  Koeffizienten  der  thermischen  Drucke 
und  der  thermischen  Deformationen  vermittelt. 

Eine  besonders  einfache  Bedeutung  haben  die  Formeln  für  die 
Elasticitätsmoduln,  weil  diese  Größen,  wie  im  IV.  Elapitel  des 
II.  Teiles  gezeigt  ist,  das  Maß  einer  Reihe  von  wichtigen  Defor- 
mationen bilden. 

Der  isothermische  Modul  Sj^  der  räumlichen  Kompression  bei  all- 
seitig gleichem  Drucke  ist  nach  Formel  (113"")  auf  S.  336 

h  =  *11  +  h2  +  *38  +  2(*23  +  «31   +  5i2), 

für  den  adiabatischen  sj^  erhält  man  nach  (50') 

51)  sl  =  s,--^^^{a,+a,  +  a,)'^s,-^^, 

worin  a  nach  (42")  die  Bedeutung  des  kubischen  thermischen  Dila- 
tationskoeffizienten hat. 

Der  isothermische  Modul  der  linearen  longitudinalen  Dilatation 
bei  einseitiger  Dehnung  eines  Cylinders  ist,  wenn  die  zunächst  beliebige 
Z'Axe  in  die  Richtung  der  Cylinderaxe  gelegt  wird,  nach  der  ersten 
Formel  (190')  auf  S.  409  gleich  s^^;  für  den  adiabatischen  giebt  (50') 

WO  «3  nach  (42)  der  lineare  thermische  Dilatationskoeffizient  nach 
der  Cylinderaxe  ist 

Die  isothermischen  Moduln  der  Drillung  eines  Cylinders  durch 
ein  Moment  um  seine  Axe,  sind,  wenn  man  wieder  die  ^-Koordinaten- 
axe  in  die  Cylinderaxe  legt,  nach  Formel  (192')  auf  S.  410  gleich  j^ 
und  Ägg,  die  adiabatischen  werden  nach  (50') 

darin  haben  a^  und  a^  nach  (42)  die  Bedeutung  der  Koeffizienten 
der  thermischen  Winkeländerungen  der  Y-  und  Z-,  resp.  der  J- 
und  ^Axe.  Die  isothermischen  und  adiabatischen  Moduln  sind  hier 
also  gleich,  wenn  die  Cylinderaxe  sich  durch  die  Erwärmung  nicht 
gegen  die  Ebene  des  Querschnittes  neigt  Dies  ist  immer  der 
Fall,  wenn  die  Cylinderaxe  in  eine  krystallographische  Symmetrie- 
axe  fällt 

Für  isotrope  Körper  vereinfachen  sich  die  Formeln  (49),  da 
(49')  hier  speziell  die  drei  Beziehungen 

52)  e  =  c  +  -t^^-,      c\  =  c,+  ^,      c,^c, 
liefert,  zu 


§  7.     Adiahaiiache  EhsHcttätskonstanten.  539 


-s;=^2^.+  (^i  +  ^r;)'9',  -J^.  =  i^2y. 


52') 


ebenso  ergiebt  (50')  hier 


S   ^  S  —  ,       Äj—  ^j  —  -— --  ,    ^2  —  <^2  >  ^^   J 

und  wird  demgemäß  aus  (50) 

•  .' I 

Bei  Flüssigkeiten  wird  c^==  0,  c  =  c^,  also  auch  0^=  0,  c'=  Cj-, 
c  ist  dabei  identisch  mit  dem  auf  S.  347  eingeführten  c^,  c*  mit  dem 
S.  365  benutzten  c. 

Es  ist  bemerkenswert,  daß  bei  allen  isotropen  Körpern  der 
unterschied  zwischen  isothermischen  und  adiabatischen  Konstanten 
oder  Moduln  sich  nur  bei  solchen  Deformationen  geltend  macht,  die 
von  einer  kubischen  Dilatation  begleitet  sind.  — 

Bei  allen  festen  und  tropfbar  flüssigen  Körpern  ist  der  Unter- 
schied der  adiabatischen  von  den  isothermischen  Konstanten  und 
Moduln  sehr  klein;  bei  den  gasförmigen  dagegen  wird  er  außer- 
ordentlich bedeutend. 

Wir  wollen  c'  für  ein  ideales  Gas  bestimmen. 

Hier  ist  c  =  P^,  d.  h.  gleich  dem  Druck  im  Normalzustande, 
q  =  PqITq,  worin  T^  die  Normaltemperatur  bezeichnet;  es  folgt  aus 
der  ersten  Formel  (52) 

p  * 


worin  Qq  den  Werten  P^  und  Tq  entspricht     Da  nun  femer 

^Q    ==  B  =T  -  r 

Vo  -'^o  ^ 

ist,  so  wird  auch 

c^^:P,^^^P,^,  52-") 

eine  Beziehung,  die  unter  etwas  abweichender  Bezeichnung  schon  auf 
S.  365  erwähnt  und  benutzt  worden  ist. 


I 


I 


540  m.  Teü.     Wärmelehre.    L  Kap. 


§  8.   Hicht  umkehrbare  Vorgänge  ohne  Wärmebewegnng. 

Im  vorstehenden  sind  ausschließlich  umkehrbare  Zustands- 
änderungen  eines  körperlichen  Systemes,  oder  wenigstens  solche,  die 
sich  nur  unendlich  wenig  von  dergleichen  unterscheiden,  der  Be- 
trachtung unterworfen  worden.  Auf  nicht  umkehrbare  ist  ein  großer 
Teil  der  erhaltenen  Resultate,  nämlich  alles,  was  sich  auf  die  zweite 
Hauptgleichung  der  mechanischen  Wärmetheorie,  d.  h.  auf  die 
Formel  d^ii  =  TdH  gründet,  nicht  mehr  anwendbar.  Trotzdem 
kann  man  diese  Vorgänge  der  Theorie  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
unterwerfen,  weil  die  Energiegleichung  für  alle  Arten  von  Vor- 
gängen gültig  ist,  und  der  analytische  Ausdruck  der  Energie  eines 
Systemes  flir  jeden  Zustand,  der  überhaupt  aus  dem  Normalzustand 
auf  umkekrbarem  Wege  zu  erhalten  ist,  —  und  es  scheint,  als  ob 
alle  Zustände  diese  Eigenschaft  besäßen  —  jederzeit  nach  früheren 
Methoden  angebbar  ist    Demgemäß  giebt  die  Formel 

53)  dE^dlA  +  dia, 

wenn  d\A  und  rfjß  die  auf  dem  nicht  umkehrbaren  Wege  gemachten 
Aufwendungen  von  Arbeit  und  Wärme  bedeuten,  und  dE  die 
Differenz  der  den  beiden  Endzuständen  entsprechenden  Energieen 
angiebt,  eine  jederzeit  gültige  und  fruchtbare  Beziehung. 

Nehmen  wir  z.  B.  den  wichtigsten  speziellen  Fall  an,  daß  das 
körperliche  System  aus  einem  Anfangszustand  (1)  der  Buhe,  welcher 
kein  Gleichgewichtszustand  war,  in  Bewegung  gekommen  und  unter 
der  Wirkung  innerer  Widerstände  nach  einiger  Zeit  in  einen  stabilen 
Gleichgewichtszustand  (2)  gelangt  ist,  ohne  daß  während  des  Über- 
gangs äußere  Einwirkungen  stattgefunden  hätten,  so  giebt  die  letzte 
Formel  das  Resultat,  daß  sich  dabei  die  innere  Energie  nicht  ge- 
ändert hat,  also 
53')  El  =  E[ 

sein  muß.    Für  homogene  Körper  reduziert  sich  diese  Formel  auf 

53")  («0,  =  W, . 

Der  Anfangszustand  ist  dabei  vollständig  gegeben  zu  denken, 
der  Endzustand  nur  bis  auf  den  Wert  einer  der  Unabhängigen, 
meistens  der  Temperatur,  der  dann  durch  vorstehende  Formel  be- 
stimmt wird.  — 

Wir  betrachten  einen  elastischen  Körper,  der  ursprünglich 
bei  normaler  Temperatur  T^  irgendwie  homogen  auf  das  Potential  <p\ 


§  8.    Nicht  umkehrbare  Vorgänge.  541 


der  Volumeneinheit  gespannt  gewesen  ist  und  nun  ohne  Arbeits-  und 
Wärmeaufnahme  diese  Spannungen  verliert 

Hier  ist,  da  wir  von  den  extremen  Fällen,  in  denen  die  Glieder 
zweiter  Ordnung  Bedeutung  erhalten  könnten,  absehen,  von  dem 
Wert  (38"")  der  inneren  Energie  e\  der  Volumeneinheit 

auszugehen.     Im  ersten  Zustand  ist  nach  Annahme  r  gleich  Null, 
dadurch  51  mit  X, , . . .  ä„  mit  X,  identisch  und  somit 

sc  « '  y  y 

im  zweiten  Zustande  ist 

daher 

Die  Formel  (53")  ergiebt  also  in  unserem  Falle  für  die  ein- 
tretende Temperaturänderung 

^=-^K^.+  ---  +  «eJ;)-  53'") 

Die  aus  (37"")  analog  zu  gewinnende  Formel 


r-  + 


^^(?i^2  +  ---  +  ?6  4) 


wtLrde  dem  Falle  entsprechen,  daß  in  dem  zweiten  Zustande  die 
Deformationen,  welche  an  und  für  sich  durch  die  Temperaturände- 
rung bewirkt  worden  wären,  durch  äußere  Kräfte  rückgängig  gemacht 
würden,  deren  Arbeit  wiederum  durch  eine  Wärmeentnahme  kompen- 
siert wäre  —  ein  Fall,  der  kein  praktisches  Interesse  hat 

Ist  der  Körper  beliebig  gestaltet  und  war  er  ursprünglich  einem 
allseitig  gleichen  normalen  Gesamtdrucke  P  ausgesetzt,  so  ist 

-5c  =   ^  =  ^*  =*  -P>        Ji  =  ^jB  =  -^  =  0, 

also 


ToP^  .  n^« 


«0 


worin  a  den  kubischen  thermischen  Dilatationskoeffizienten  bezeichnet 
Ist  der  Körper  ein  Cylinder,  dessen  Axe  in  die  Z-Axe  fällt,  und 
war  er  ursprünglich  durch  einen  longitudinalen  Zug  von  der  Größe  Z 
pro  Flächeneinheit  gestreckt,  so  ist 

^,=  -^,  x,=  r^=r.  =  ^,  =  x^  =  o, 

also 


^0 


542  ///.  TeiL     WärfruUhre.    I.  Kap. 


worin  ^3  den  thermischen  longitudinalen  Ausdehnungskoeffizienten 
des  Cylinders  bezeichnet 

Diese  speziellen  Formeln  nehmen  für  isotrope  Körper  einfachere 
Gestalten  nicht  an;  die  allgemeine  Gleichung  (53")  hingegen  lautet 

53"")  x:  =  _  i]>^  (z.  +  r, + ^.)-  - 

Po  -*p 

Von  dem  betrachteten  Falle  gänzlich  fehlender  kann  man 
leicht  zu  dem  unvollständiger  Arbeitszufuhr  oder  Arbeitsleistung 
übergehen,  der  überall  da  stattfindet,  wo  beim  Beginn  des  nicht 
umkehrbaren  Prozesses  die  inneren  Spannimgen  des  betrachteten 
Körpers  durch  die  äußeren  Drucke  und  Kräfte  nicht  vollständig  im 
Gleichgewicht  gehalten  werden.  Sind  die  äußeren  Kräfte  und  Drucke 
konstant,  so  ist  es  bequemer,  den  ihnen  entsprechenden  Zustand 
des  Körpers  als  den  normalen  einzuführen,  und  von  ihm  aus 
Spannungen  und  Deformationen  zu  rechnen.  Dann  ist  also  von 
dem  nach  S.  530  vervollständigten  Ausdruck  für  die  Energie 

«1  =  Po  ^.^  -  '^o(«i  -X  +  .  .  .  +  «flS;) 

auszugehen  und  dieser  in  die  allgemeine  Formel 

54)  {e\\  -  {%\\  =^a.  +  (ü. 

einzusetzen,  in  der  ct^  und  co^  die  zu  der  Überführung  aus  dem 
Zustand  (1)  in  den  Zustand  (2)  auf  irreversibelm  Wege  erforderliche 
Wärme  und  Arbeit  bezeichnen.     Man  erhält  dadurch 

54^)  Qo^.T  +  r,{a,SL  +  .  .  .  +  a,Sy)  +  (S:r,  +.  .  .  +  ^  x,) 

=  a.  +  ö)., 

wobei  rechts  für  a.  nur  der  Anteil  der  äußeren  Arbeit  zu  setzen 
ist,  welcher  der  Steigerung  der  inneren  Energie  zu  gute  kommt, 
d.  h.  derjenige,  welcher  im  Zustande  des  Gleichgewichtes  die  inneren 
Spannungen  Si,  .  .  •  5J  bewirken  würde,  also  nach  (34)  der  Anteil 

derselbe  ist  hier  mit  dem  positiven  Zeichen  zu  nehmen,  weil  die 
Arbeit  das  Verschwinden,  nicht  das  Entstehen  der  durch 
jrjB,  .  .  .  Xy  gegebenen  Deformation  begleitet. 

Sonach  gilt  in  dem  betrachteten  allgemeineren  Falle  einfach 

54")  Q^r^T  +  T,(a,5;  +  .  .  .  +  a^S;,)  =  «.. 

Für  die  Ausdehnung  eines  Gases  mit  unvollkommener  Arbtit 
benutzt  man  am  einfachsten  den  Wert  der  Energie  aus  (40"")  und 
erhält  so  ohne  weiteres 
54"')  (>^  /;  r  =  a.  +  (o..  — 


§  8.     Verhalten  der  wirkliehen  Gase.  543 


Die  Formeln  (53"')  bis  (54'")  setzen  wesentlich  den  Ansatz  (37) 
für  die  freie  Energie  |j  voraus  und  verlangen  daher  im  allgemeinen, 
um  verwendbar  zu  sein,  unendlich  kleine  Änderungen  der  Tem- 
peratur und  der  Deformationsgrößen.  Nur  für  ideale  Gase  gilt,  wie 
der  Wert  der  Energie  (40""),  auch  die  Formel  (54"')  allgemein;  dagegen 
würde  für  die  wirklichen  Gase  und  für  Dämpfe  das  Verfahren  die 
Anwendbarkeit  verlieren,  sowie  die  Druckänderung  p  mit  dem  Gesamt- 
druck Pq  vergleichbar  ist  Denn  für  diese  Körper,  wie  für  alle 
Flüssigkeiten,  ist  der  Parameter  c  des  Potentiales  mit  Pq  identisch, 
darf  also  nicht  mehr  als  konstant  angesehen  werden,  sowie  der 
Gesamtdruck  im  Laufe  des  Vorganges  um  eine  endliche  Größe  variiert. 
Da  aber  die  nicht  umkehrbaren  Veränderungen  dieser  Körper  ein 
hohes  Interesse  besitzen,  so  soll  ihre  Theorie  nunmehr  unabhängig 
von  dem  Ansatz  (37)  allgemein  entwickelt  werden. 

Der  Grundgedanke  des  einzuschlagenden  Weges,  der  auch  für 
beliebige  feste  und  tropfbarflüssige  Körper  anwendbar  ist,  besteht 
darin,    daß  in    die  Grundformel  (53) 

dE^dl^  +  dlii 

links  der  Wert  der  Energieänderung  eingesetzt  wird,  wie  er  sich 
aus  dem  Betrage  cTA  an  Arbeit  und  ^  i}  an  Wärme  berechnet,  die 
auf  umkehrbarem  Wege  die  Energieänderung  dE  hervorzubringen 
vermögen;  die  hierdurch  erhaltene  Formel 

(f^-h^ß  =  (/I^-t-cfiß  55) 

bildet  die  Grundlage  des  folgenden. 

Wir  betrachten  nun  speziell  einen  Körper,  der,  wie  eine  ruhende 
Flüssigkeit,  unter  allseitig  gleichem  normalen  Druck  im  Gleich- 
gewichte ist 

Wählen  wir  als  unabhängige  Variabein  F  und  T,  so  ist  nach 
(30)  und  (30") 

d'^^-PdF,    d!il=^Ml\dT+T^,dV, 
also  giebt  (55) 

Mr^dT+  (t|  f  -  P)  ^  r=  rfl^  -t-  rfjß;  55') 

wählen  wir  P  und  T,  so  ist  nach  (31)  und  (31") 

also  nach  einfacher  Umformung 

-d{VF)  +  Mr^dT+[^ r-  t|^)  dF=d,A  +  d[,9..         55") 


544  ///.  Tfnl.     Wärmelehre.    L  Kap. 


Hieraus  erhält  man  durch  Integratiou  zwischen  zwei  Endzustanden 

(1)  und  (2)  (2) 

55-)  {FP),^{Fi\  +f[Mr^dT+  (r-r|^)dp]  =^,+  fi, 

(i) 

Die  letzte  Formel  kann  zur  Berechnung  der  fundamentalen  Beob- 
achtungen von  W.  Thomson  und  Joule*')  über  die  Dilatation  einiger 
Gase  bei  unvollständiger  Arbeitsleistung  benutzt  werden.  Die  Ge- 
nannten unterzogen  der  Messung  die  Temperaturändenmg,  welche 
ein  Gas  beim  Ausströmen  aus  einem  Gasometer  erlitt,  während 
seine.  Geschwindigkeit  durch  einen  im  Ausflußrohr  eingeschalteten 
Widerstand  —  einen  porösen  Pfropfen  —  auf  eine  solche  Größe 
herabgedrückt  wurde,  daß  seine  lebendige  Kraft  vernachlässigt 
werden  konnte. 

Bezeichnet  P^  den  Druck  im  Gasometer,  Pg  den  im  äußeren 
Lufträume,  und  begrenzt  man  durch  eine  diesseits  und  eine  jenseits 
des  Pfropfens  normal  zu  der  Bewegungsrichtung  konstruierte  Fläche, 
etwa  durch  zwei  normale  Querschnitte  durch  das  cylindrische  Aus- 
flußrohr, ein  Volumen  U,  so  wird  der  darin  enthaltenen  Masse,  die 
zusammengesetzt  ist  aus  dem  umschlossenen  Gasquantum  und  dem 
Pfropfen,  während  dt  eine  Arbeit  zugeführt,  welche  gegeben  wird  durch 

d'i^  =  Pi  qi  ds^  —  Pj  q^  ds^  , 

worin  die  y^  die  Querschnitte  und  die  dsj^  die  während  dt  von  den 
in  ihnen  befindlichen  Gasteilchen  zurückgelegten  Wege  bezeichnen. 
Es  ist  dann  also  q^ds^=^dU^  das  Volumen,  welches  das  während  dt 
austretende  Gasquantum  innerhalb  des  Gasometers,  q^ds^^  dl\ 
dasjenige,  welche  es  im  äußeren  Lufträume  einnimmt  Ist  P^  und  Pj 
konstant,  so  läßt  sich  die  Formel  auf  eine  beliebige  endliche  Zeit 
anwenden  und  ergiebt 

als  den  Betrag  der  beim  Ausströmen  einer  Masse  ^iPi  =  '^P3=-^ 
aufgewandten  äußeren  Arbeit;  hierin  bezeichnet  q^  und  q^  die  Dichte 
des  Gases  innerhalb  und  außerhalb  des  Gasometers. 

Ist  während  des  Ausströmens  ein  stationärer  Zustand  erreicht 
also  die  Wandung  allenthalben  von  gleicher  Temperatur,  wie  das 
Gas,  so  ist  fi^  gleich  Null,  und  die  Formel  (55'")  nimmt  bei  Be- 
nutzung des  obigen  Wertes  von  A^,  in  dem  man  U^  mit  /^,  U^  mit  Tj 
identifizieren  kann,  die  Gestalt  an 

(2) 

55"")  j^Mr^dT+(v^T^^dP 


=  0; 


CD 


§  8,     Verhalten  der  wirklichen  Gase,  545' 


sie  gestattet,  wenn  F  und  /'^  als  Funktionen  von  P  und  T  bekannt 
sind,  die  einer  gegebenen  Druckänderung  P^  —  Pj  entsprechende 
Temperaturänderung  T,  —  T^  zu  berechnen. 

Bei  idealen  Gasen  ist  dVjdT^  F/T  und  F^  konstant,  also 

T3  -  r,  =  0. 

Für  kleines  t  =  T^  —  Tj  und  kleines  »  «  P^  —  P,  kann  man 
schreiben 

und  aus  beobachteten  Wertpaaren  r  und  n  den  Differentialquotienten 
ör/öT  berechnen;  indessen  ist  dies  Verfahren  wegen  der  starken 
thermischen  Änderung  von  V  bedenklich. 

Legt  man  die  Van  der  WAALs'sche  Gleichung  (78')  auf  S.  59 
fiir  Gase  und  Dämpfe  zu  Grunde,  setzt  also 

p       MBT         a  .^. 

80  wird 


dT        j  _  2a(K-*)« 


Der  ganze  Ausdruck  rechts  kann,  da  er  bei  idealen  Gasen  ver- 
schwindet, bei  den  wirklichen  als  eine  Größe  erster  Ordnung  an- 
gesehen werden.  Betrachtet  man  noch  ä/T  als  von  erster  Ordnung^ 
so  erhält  man  bis  auf  zweite  Ordnung  exklusive 

2g 


dT  2a 


MB  TV 


und  wenn  man  auch  a  so  klein  annimmt,  daß  das  Glied  im  Nenner 
neben  1  vernachlässigt  werden  kann. 

Setzt  man  dies  in  (55"")  ein  und  bedenkt,  daß  der  Ausdruck  unter 
dem  Integral  ein  vollständiges  Differential  sein  muß,  so  findet  sich 


also 


er 
dP 

2a 

^    M' 

\BT^  ' 

^. 

2aP 

-+nT), 

worin  die  Funktion  f  von  T  allein  durch  Anwendung  der  Formel 

Yoier,  TheoretlBChe  Physik.  35 


'546  III.  TnL     Wärmelehre.    L  Kap. 


auf  yerschwindende  Drucke,  wo  die  Eigenschaften  idealer  Gase  ein- 
treten, sich  zu  einer  Eonstante  /^  bestimmt,  so  daß  folgt: 

56  j  ^j»  ~  M^BT*  "^  ^ ' 

Integriert  man  unter  Rtcksicht  hierauf  den  Ausdruck  (55"") 
zwischen  den  Grenzzuständen  (1)  und  (2),  so  erhält  man 

Da  Tj  —  Tj  =  T  immer  sehr  klein  neben  T^  oder  7',  ist,  so  kann 
man,  indem  man  wieder  P^  —  P,  =  :t  setzt,  das  Resultat  auch  schreiben 

56'")  Mr,T=-^[-^^-^r-l>). 

Nach  den  Beobachtungen  über  die  Abhängigkeit  des  Volumens 
von  Druck  und  Temperatur  ist  für  die  von  Joule  und  Thomson 
untersuchten  Gase  (Luft  und  Eohlensäur'^)  a  und  b  positiv  und  das 
erste  Glied  der  Klammer  größer,  als  das  zweite;  in  der  That 
lieferten  die  Messungen  eine  Temperaturemiedrigung  beim  Aus- 
strömen, welche  mit  steigender  absoluter  Temperatur  abnahm  und 
der  Größe  nach  befriedigend  mit  der  obigen  Formel  übereinstimmt 

Da  positives  a  nach  S.  58  einer  wechselseitigen  Anziehung 
der  Gasteile  entspricht,  so  ist  eine  solche  auch  durch  die  genannten 
Beobachtungen  festgestellt. 

Dasselbe  Resultat  giebt  auch 'Formel  (55'),  wenn  man  darin 
nach  (56) 

setzt;  r^  muß  hier  konstant  sein,  und  man  erhält 

57')  ^^  +  ß^=^/;r  +  «(-l--J--), 

also  bei  Ausdehnung  ohne  Wärme-  und  Arbeitsaufnahme 

57")  ,if/;r=+a(-^--l). 

Einer  Abkühlung  bei  Volumenvergrößerung  entspricht  a  >  0,  einer 
Erwärmung  a  <  0.  — 

Die  am  Anfang  dieses  Abschnittes  eingeführte  Annahme,  daß 
alle  Zustände  eines  Systemes  auf  umkehrbarem  Wege  aus  dem 
Normalzustand  erhalten  werden  können,  gestattet  aus  der  Ungleichung 

()     -    rj.        ^0, 


die  nach  Seite  509  für  nicht  umkehrbare  Kreisprozesse  unter  ge- 


§  9.     Wärmeleittmg  und  DefarmaHov.  547 


wissen  Voraussetzungen  zu  erhalten  war,  eine  interessante  Folgerung 
zu  gewinnen.*®) 

Wir  wollen  annehmen,  daß  der  Kreisprozeß  nur  auf  einem  Teil 
zwischen  den  Zuständen  (0)  und  (1)  nichtumkehrbare  Änderungen 
enthalte,  und  daß  diese  ohne  äußere  Wärmezufuhr  vor  sich  gingen. 
Dann  fällt  jener  Teil  aus  dem  obigen  Integral  wegen  des  ver- 
schwindenden d^ii  fort,  und  es  bleibt  nur 

(0) 

jT-^^O,  58) 

(1) 
oder,  da  für  die  Zustände   auf  dem  umkehrbaren  Teil  des  Kreises 

rf'ß=  TdH 

//,-/f,^0,     H,^H,.  58) 

Dies  sagt  aus,  daß  unter  den  gemachten  Voraussetzungen  auf 
dem  nicht  umkehrbaren  Teil  bei  mangelnder  Wärmezufuhr  die  En- 
tropie des  Körpers  stets  zunimmt. 

Fügt  man  die  plausible  Annahme  hinzu,  daß  die  Zustands- 
änderungen,  welche  in  der  Natur  in  abgeschlossenen  Systemen  sich 
von  selbst  abspielen,  niclitumkehrbare  sind,  so  erhält  man  das 
Resultat,  daß  diese  Vorgänge  jederzeit  von  einem  Wachstum  der 
Entropie  begleitet  sind. 

Wir  werden  ein  diesem  Resultat  nahe  verwandtes  im  nächsten  Ab- 
schnitt auf  einem  anderen  Wege  beiläufig  noch  einmal  ableiten,  der 
die  S.  508  gemachte  Annahme  über  nicht  umkehrbare  Vorgänge 
nicht  voraussetzt. 


§  9.    IFicht  umkehrbare  Vorgänge,  die  mit  Wärmebewegung 
verbunden  sind.     Theorie  der  Wärmeleitung. 

Einer  der  wichtigsten  nicht  umkehrbaren  Vorgänge  ist  die  inner- 
halb eines  körperlichen  Systemes  infolge  von  Temperaturdiflferenzen 
stattfindende  Wärmebewegung;  auch  für  sie  und  die  sie  be- 
gleitenden Vorgänge  bietet  die  Energiegleichung  in  der  Form  (53), 
wie  sie  den  Ausgangspunkt  der  Entwickelungen  des  vorigen  Para- 
graphen bildete,  die  geeignete  theoretische  Grundlage. 

Wir  schreiben  dieselbe  zunächst,  indem  wir  die  BezeichnuDgen 
€j,  ti,  V,  w,  X\  y,  Z^  und  X,  Y,  Z  in  demselben  Sinne  benutzen, 
wie  S.  524  u.  f. 

35* 


648  m.  Teä,     Wärmdehre.    L  Kap. 


69) 


f{dB^)dk  ==f{Tdu  +  rdv  +  Z'dw)dk 

+  f(Xd'v  +  Yd~i+Zdw)d&  +  dlii. 

Hierin  sind,  solange  die  Wärmezufuhr  völlig  willkürlich  ge- 
lassen wird,  Beziehungen  zwischen  den  äußeren  und  den  inneren  Elräften 
nicht  vorhanden,  und  die  in  §  6  hierfür  benutzten  Gleichungen  haben 
deshalb  zunächst  keine  Gültigkeit 

In  der  That,  könnte  man  einem  beliebig  abgegrenzten  Volumen  k 
des  Körpers  für  sich  allein  in  unendlich  kleiner  Zeit  eine  endUche 
Wärmemenge  zufuhren,  so  würde  dessen  Temperatur  sich  augen- 
blicklich um  einen  endlichen  Betrag  erhöhen,  und  in  gleicher  Weise 
würden  seine  inneren  Drucke  variieren,  während  in  seiner  Umgebung 
aUes  konstant  bliebe,  und  daher  auch  die  gegen  seine  Oberfläche 
wirkenden  Drucke  die  früheren  Werte  behalten  müßten;  dies  würde 
dann  einen  Fall  geben,  welcher  der  Ausdehnung  eines  Gases  bei  un- 
voUkommener  Arbeitsleistung  analog  wäre  und  an  gewissen  Stellen 
auf  unendliche  Beschleunigungen  führte. 

Anders  in  der  Wirklichkeit;  die  stets  langsame  Wärmeeinstromung, 
welche  nie  ein  Volumenelement  allein  trifft,  und  die  große  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeit von  Deformationen  innerhalb  elastischer 
Körper  wirken  übereinstimmend  daMn,  daß  in  letzteren  auch  bei 
Wärmebewegungen  in  jedem  Augenblick  die  verallgemeinerten  elasti- 
schen Fundamentalgleichungen  (32)  und  (32')  äußerst  nahe  gültig 
^nd.  Ist  dies  aber  der  Fall,  so  kann  man  die  Gleichung  (69)  imter 
Benutzung  von  (32)  und  (32')  umformen  und  bei  Einführung  der 
inneren  Energie  b\  der  Volumeneinheit  erst  schreiben 

590  J{d  e;  -1-  S^  dx^+  ...B^dx^)dk^  din , 

und  sodann  bei  Berücksichtigung  von  (35)  und  (35')  auch  folgern 

59")  J[Tdfi^)dk^dlSi. 

Letzteres  giebt,  auf  ein  Volumenelement  angewandt,  die  Gleichung 

Tdri.=  ^^=-dlio 

^         dk 

und  somit  dieselbe  Formel,  als  wenn  die  Wärmezufuhr  in  umkehr- 
barer Weise  stattfände;  wir  wollen  deshalb  auch  weiterhin  an 
d^Q  und  d^m  den  Index  ^  nicht  mehr  anbringen. 

Durch  Vorstehendes  ist  die  auf  S.  623  eingeführte  Annahme 
begründet  und  ihr  Gültigkeitsbereich  begrenzt 

Zerlegt  man  den  Körper  durch  eine  beliebige  Fläche  in  zwei 
Teile  (l)  und  (2)  und  bezeichnet  die  Wärmemenge,  die  (1)  von  (2) 


§  9.     Wärmeteitung  und  Deformation.  549 


erhält,  mit  d^ii^^j  die  umgekehrte  mit  d^ii^ij  so  folgt  aus  (59")  er- 
sichtlich 

denn  wenn  man  das  Integral  über  den  ganzen  Körper  erstreckt, 
darf  nur  die  von  außen  zugefiihrte  Wärme  übrig  bleiben.  Gleiches 
gilt  offenbar  bei  beliebiger  Zerlegung  des  Korpers  für  den  Wärme- 
austausch zwischen  beliebigen  Teilen  (Ä)  und  (A),  sodaß  aus  den 
obigen  Voraussetzungen  nunmehr  auch  die  Beziehung 

d'ii,,+  d'ii,,=  0 

folgte  welche  auf  S.  519  erwähnt  und  benutzt  ist.  — 

Nimmt  man  an,  daß  die  ganze  Wärmezufuhr  direkt  nur  einer 
unendlich  dünnen  Oberflächenschicht  zukommt,  der  Körper  also,  wie 
man  sagt,  absolut  adiatherman  ist,  so  kann  man  statt  (59'')  schreiben 

JT^^dk^jSlJo,      .  59'") 

worin  ß^  die  durch  da  eintretende,  auf  die  Einheit  von  Zeit  und 
Fläche  reduzierte  Wärmemenge  in  absolutem  Maße  bezeichnet,  deren 
Dimensionalgleichung  lautet 

[ßj  =  »i^3.  .    59"") 

Hierin  ist  dfj^jdt  ein  totaler  Differential quotient,  insofern  er 
die  ganze  durch  TjX^,  •  •  •  ^w  vermittelte  Änderung  von  ly^  darstellt; 
er  ist  zugleich  ein  partieller,  insofern  er  sich  auf  eine  einzige 
Stelle  X,  y,  z  des  Körpers  bezieht  — 

Bei  der  vorstehenden  Entwickelung  ist  in  Übereinstimmung  mit 
dem  Inhalt  von  §  6  stillschweigend  angenommen,  daß  die  Druck- 
komponenten Sg^j  '  '  '  ^y  1^611^6  absorbierenden  Anteile  enthalten, 
also  durchaus  konservativ  sind.  Ist  dies  nicht  der  Fall,  enthalten 
sie  vielmehr  noch  Glieder  H«,  •  •  •  Äy  in  sich,  welche,  wie  die  Kom- 
ponenten der  inneren  Reibung  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  von 
den  Deformationsgeschwindigkeiten  abhängen,  so  fällt  deren 
Anteil  in  dem  Raumintegral  auf  der  linken  Seite  von  (59')  nicht  fort, 
es  bleibt  vielmehr,  wenn  wir 

{Sxdx^+  ...  +  S^dxy)^  d'aj  60) 

setzen,  d^aj  in  den  weiteren  Formeln  bestehen,  sodaß  (59")  lautet     • 

J{Tdf]^  +  d'aj)dk  =  d'i2,  60') 

und  analog  (59"),  falls  d'aj/dt  —  aj  gesetzt  wird, 

f^T-^  +  aijdk^fn^do.  60") 


550  ///.  Teil.     Wärmelehre.    L  Kap, 


Ganz  ähnliche  Entwickelungen  sind  in  den  Fällen  anzuwenden, 
daß  noch  Kräfte  von  der  Art  der  höheren  Glieder  des  allgemeinen 
Ansatzes  (240)  auf  S.  456  eingeführt  werden. 

Indessen  kompliziert  sich  hier  die  Betrachtung  dadurch,  daß 
dann  |j  und  ^\  noch  von  mehr,  als  den  früheren  sieben  Argumenten 
abhängen,  und  sie  mag  daher  umsomehr  unterbleiben,  als  die  Resultate 
praktische  Bedeutung  zunächst  noch  nicht  haben.  — 

Wendet  man  die  Gleichung  (59'")  oder  (60")  auf  ein  unendlich 
kleines  Yolumenelement  an,  so  müssen  in  dem  Oberflächenintegrale 
die  endlichen  Glieder  sich  gegenseitig  zerstören,  weil  das  Volumen 
um  eine  Ordnung  höher  unendlich  klein  ist,  als  die  Oberfläche  des 
Elementes. 

Man  erhält,  indem  man  für  das  Volumen  k  zunächst  einen  un- 
endlich niedrigen  Cylinder  wählt,  dessen  Grundflächen  die  inneren 
Normalen  +  n  und  —  n  haben, 

61)  ß+„  +  ß-„  =  0, 

eine  Formel,  die  auch  gilt,  wenn  der  Cylinder  über  der  Grenzfläche 
zwischen  zwei  verschiedenen  Körpern  h  und  k  errichtet  ist,  und  die 
sich  hier  anschaulicher  schreibt 

Wählt  man  für  k  ein  Elementartetraeder,  dessen  Flächen  normal 
zur  X-,  T-,  Z'kxe  und  einer  beliebigen  nach  außen  positiv  gerech- 
neten Richtung  n  sind,  so  folgt 

61")  ß^=  fl^  cos  [tIj  x)  +  ßy  cos  (n,y)  +  fi,  cos(n,  z) , 

ß^,  ß  ,  ß^  sind  hierin  die  speziellen  Werte,  die  ß^^  annimmt 
wenn  die  Normale  n  auf  dfo  in  die  X-,  J-,  Z-Axe  fällt;  sie  sind 
innerhalb  k  als  Funktionen  der  Temperatur  zu  betrachten  und  dürfen 
mit  dieser  selbst  stetig  gesetzt  werden. 

Betrachtet  man  ß^^,  ß  ,  ß^  als  die  Komponenten  eines  Vektors 
ß^,  dessen  Richtung  {s)  sei,  so  ist  nach  (61") 

61"')  ß^=  ß,cos(n,5). 

Auf  der  Geltung  der  Beziehungen  (61)  bis  (6r")  beruht  die 
Berechtigung,  für  die  Vorgänge  des  Wärmeaustausches  zwischen  sich 
berührenden  Volumenelementen  die  Wärme  als  eine  Flüssigkeit  zu 
betrachten;  ß^,  ß  ,  ß^  sind  dann  die  Strömungskomponenten,  ß, 
die  resultierende  Strömung,  die  parallel  mit  s  stattfindet 

Setzt  man  ß„  aus  Formel  (61")  in  (60")  ein,  so  erhält  man, 
da  nach  der  gemachten  Annahme  die  teilweise  Integration  er- 
laubt ist. 


§  9.     Wärmeleifung  und  Deformation.  551 


62') 


J  (ß^  cos  (n,  x)  +  £i  cos  {n,y)  +  ii^  cos  (n,  z))  do 

Diese  Formel  gilt  für  jede  Gestalt  des  Volumens  A,  also  folgt 
auch  für  jede  Stelle 

und  damit  das  Gesetz,  nach  welchem  sich  die  Entropie  f}^  der 
Yolumeneinheit  unter  den  gemachten  Voraussetzungen  mit  der  Zeit 
ändert. 

Entnimmt  man  der  Formel  (36")  den  allgemeinen  Wert  für 
dfi^jdt,  der  Formel  (60)  den  für  a^,  so  erhält  man  schießlich 

dT      dSl^        dSiy        dSl^ 

hier  erscheint  die  Temperatursteigerung  gegeben  durch  den  Wärme- 
strom und  durch  die  mechanische  Wirkung  der  konservativen,  wie 
der  absorbierenden  Kräfte;  das  letzte  Glied  stellt  die  S.  460  er- 
wähnte, in  der  Volumeneinheit  während  der  Zeiteinheit  absorbierte 
Arbeit  dar. 

Die  Gleichung  (62')  ist  —  abgesehen  von  der  Beschränkung  auf 
sieben  Argumente  —  noch  ganz  allgemein,  setzt  z.  B.  nichts  über 
den  Grad  voraus,  in  welchem  die  Druckkomponenten  die  Temperatur 
und  die  Deformationsgrößen  enthalten;  ebensowenig  ist  über  das 
Gesetz  der  ii  etwas  angenommen.  Nun  erst  wollen  wir  hierüber 
besondere  Verfügungen  treffen. 

Für  die  Behandlung  spezieller  Probleme  beschränkt  man  sich 
in  Bezug  auf  ii^j  ^yj  Um  stets  auf  einen  Ansatz,  der,  etwa  wie  der 
Ansatz  (37)  für  |.,  als  eine  erste  Annäherung  zu  betrachten  ist  Man 
setzt  nämlich,  da  die  Wärmeströmungen  unzweifelhaft  von  der  Ände- 
rung der  Temperatur  mit  dem  Orte  abhängen,  die  Strömungs- 
komponenten gleich  linearen  Funktionen  der  Temperaturgefälle  nach 
den  Eoordinatenaxen,  nimmt  also 


63) 


552  UI.  Teil     Wärmelehre,    L  Kap. 

Hierin  sind  die  A^j^  die  Wärmeleitungskoeffizienten  in  mecha- 
nischem Maße,  /^j  =  Kkl^  diejenigen  in  calorischem  Maße;  und 
zwar  gilt  offenbar 

dagegen 

63")  [/^J=M?/-^r-itt-i. 

Die  Formeln  (63)  stimmen  mit  den  auf  S.  295  u.  £.  behandelten 
Ansätzen  für  die  Strömungskomponenten  einer  imponderabeln  Flüssig- 
keit  Yollständig  überein,  gestatten  also  ohne  weiteres  die  Übertragung 
der  dort  aus  ihnen  gezogenen  Folgerungen. 

Was  die  Druckkomponenten  angeht,  so  wollen  wir  uns  zunächst 
auf  konseryative  Kräfte  beschränken,  die  S^,  ...  S^  also  gleich 
Null  setzen;  sodann  wollen  wir,  als  in  der  Praxis  meis^  genügend, 
den  Ansatz  (37)  einführen,  welcher  für  ^^  eine  Funktion  zweiten  Grades 
von  Xgsy  .  .  .  Xy  uud  T  giebt,  und  aus  welchem  das  System  der 
Druckkomponenten  (37")  folgt. 

Benutzt  man  gleichzeitig  die  obigen  Werte  von  ß«»  ßy»  fit> 
so  erhält  man  aus  (62') 


64) 


^^^    ÖT   ^  ^1  Öi«  +^2y^   +  ^83  ä^  +  (^23  +  ^82)  Qydx 

+  (^31   +  ^13)    Ö^CÖX    +  ^^12  +  ^2l)-ö^ö^ 

•3 

-  ^-ßjiai  ^x  +  92!/y  +  ?3  ^*  +  y^y«  +  95^'  +  ye^y)» 


oder  unter  Rücksicht  auf  (38")  auch 

^'^Tt^^^Wx*^^^  di/  ■*" '^33  a  j^l  T- l^Ajj,    -t   A33J    ^^^^ 


64') 


+  (^1  +  ^is) "ä^ö ^    +(^2+^1)  öa?9y 


Hierin  ist   innerhalb   der   durch  den  Ansatz  (37)  eingeführten 
Annäherung  q  und  T  als  konstant,  etwa  gleich  q^  und  7^  anzusehen. 
Für  isotrope  Körper  giebt  (64)   unter  Rücksicht  auf  (39"") 

65)  /'.(>«47=^AT-'roy-|f-, 

oder,  da  nach  der  vorletzten  Formel  (39") 
61')  r       r  -  Hkl" 

ist,  auch 


§  9,     WärmeleUung  und  Deformation,  553 


/;?oT/-=^Ar-p,i^3^^;  65") 

die  Deformationen  haben  hier  also  nur  dann  Einfluß  auf  r,  wenn 
sie  mit  der  Zeit  veränderliche  räumliche  Dilatationen  i^  bewirken.*^ 
Die  Formeln  (64)  resp.  (65)  bilden  mit  den  Gleichungen  (32) 
nach  Einsetzen  der  Werte  (37")  flir  die  Drucke  Sx,  ...  Äy  die 
Hauptgleichungen  für  das  ganz  allgemein  und  streng  gefaßte  Problem 
des  Gleichgewichts  und  der  Bewegung  elastischer  Körper  ohne  innere 
Reibung,  bei  Berücksichtigung  der  thermisch-mechanischen  Umsetzungen, 
oder,  anders  ausgedrückt,  für  das  Problem  der  Wärmeleitung  bei  Ein- 
führung der  mechanisch-thermischen  Wirkungen;  dazu  kommen  die 
Grenzbedingungen  der  Elasticität  für  äußere  und  Zwischengrenzen, 
in  den  Sb>  •  •  •  Äy  statt  in  den  X^^  .  ,  .  Xy  ausgedrückt,  und  die 
thermischen  Grenzbedingungen,  welche  an  Zwischengrenzen  lauten: 

und  an  Außengrenzen  entweder  r  oder  ß^  oder  ein  Aggregat  von  der 
Form  jPt  +  ß^  vorschreiben;  endlich  auch  noch  die  Angaben  über 
die    Anfangswerte    von    m,   v,  m?,  r  und   dujdt  ^u,  dvjdt^v'j 

Sie  bilden  zusammengenommen  ein  System,  welches  nur  in 
seltenen  Fällen  analytischer  Behandlung  zuganglich  ist. 

um  zu  untersuchen,  ob  es  das  Problem  eindeutig  bestimmt, 
hat  man  ähnlich,  wie  auf  S.  308  und  S.  345  zu  verfahren.  Man 
nimmt  an,  daß  zwei  Systeme  von  Lösungen  für  u,  v,  w  und  r  mög- 
lich wären,  bezeichnet  ihre  Differenzen  mit  u\  v\  vf  und  t',  bildet 
die  Haupt-  und!  Grenzgleichungen  für  letztere  Größen  und  faßt  die 
den  Gleichungen  (32)  entsprechenden  mit  den  Faktoren 

{du'ldt)dkdt,  {dv'ldt)dkdt,  {drc' fd t)dkdt 

zusammen,  addiert  hierzu  die  der  Gleichung  (64)  entsprechende  mit  dem 
Faktor  r'dk  dtj  T^,  integriert  und  summiert  über  das  System  und  inte- 
griert nach  t  von  0  bis  ty  Man  erkennt  leicht,  daß  in  dem  so  erhal- 
tenen Aggregat  die  Glieder,  welche  in  die  q^^  multipliziert  sind,  sich 
herausheben  und  dadurch  das  Eesultat  sich  als  einfache  Superposition 
der  S.  308  und  S.  345  erhaltenen  darstellt;  es  gestattet  somit  auch  die 
früheren  Schlüsse,  daß  nämlich  das  Problem  eindeutig  bestimmt  ist, 
wenn  das  elastische  isothermische  Potential  und  die  Wärmeleitungs- 
funktion (79"')  auf  S.  301   definite  quadratische  Formen  sind.  — 

Der  einfachste  und  zugleich  wichtigste  spezielle  Fall  ist  derjenige 
der  Fortpflanzung  von  Schwingungen  in  einer  unendlichen  Flüssigkeit. 


554  ///.  T«Y.     Wärmelehre.    L  Kap. 


Die  dafür  geltenden  Hauptgleichungen  (124)  von  S.  346  nehmen 
jetzt^  falls  man  von  körperlichen  Kräften  absieht^  die  Gestalt  an 

Id^u  __     d^d^  dj_  d^  _      ^  ^  ^  ^ 

zu  ihnen  kommt  die  thermische  Gleichung  (65")  von  S.  553. 

Wenn  es  sich  nur  um  die  Bestimmung  von  &  handelt,  kann 
man  statt  der  vorstehenden  drei  die  eine  Formel  benutzen 

66')  ^^.^^  =  cAr')--qAT, 

während  man  für  (65")  kurz  schreiben  kann: 

66")  4}=^'^^-*'4f- 

Durch  Elimination  von  r  erhält  man  hieraus  ftir  i9-  die  Gleichung 

66'")  Qo"^,  +  ^'A  (^At^-P^f)  -{x'q  +  c)A  ||  =  0, 

welche  durch  Exponentialgrößen  und  trigonometrische  Funktionen 
integriert  werden  kann.  Sie  zeigt  u.  a.,  daß  fortschreitende  ebene 
Schwingungen  mit  wachsender  Entfemimg  von  der  Erregungsstelle, 
stehende  Schwingungen,  welche  durch  einen  Anfangszustand  bewirkt 
sind,  mit  wachsender  Zeit  schwächer  werden,  während  die  mittlere 
Temperatur  an  jeder  Stelle  sich  nicht  ändert 

Dieses  Eesultat  ist  offenbar  unrichtig,  denn  es  steht  mit  der 
Energiegleichung  im  Widerspruch.  Verursacht  ist  die  Ungenauigkeit 
dadurch,  daß  die  ganze  vorstehende  Betrachtung  nur  die  niedrigsten 
Korrektionsglieder  berücksichtigt 

Man  erkennt  dies  am  einfachsten,  wenn  man  den  Ansatz  (37) 
als  streng  richtig  betrachtet  und  bei  seiner  Anwendung  keine  Ver- 
nachlässigungen eintreten  läßt  Dies  kommt  darauf  hinaus,  daß  man 
im  Endresultate  (64)  resp.  (65)  T,  und  damit  qF^^tT^  worin  r 
eine  Konstante  ist,  nicht  mehr  als  konstant  ansieht  Führt  man  den 
Wert  r=  T^  +  T  ein,  so  findet  man  an  Stelle  der  Formel  (66") 
eine  von  der  Gestalt 

dx        va  /»i      •>    \^^         X    dx 

_  =  A  Ar  -  (x  +  xir)^  -  ^^-^  , 

welche  in  der  That  dauernde  Temperaturänderungen  infolge  von 
Bewegungen  ergiebt  — 

Auch  für  die  absorbierenden  Kräfte  wollen  wir  uns  mit  der 
einfachsten  Annahme  begnügen.    Wählt  man  für  sie  den  der  inneren 


§  9,    Beine  Wärmeleitung. 


555 


Reibung  entsprechenden  Ansatz  (244)  von  S.  462,  so  tritt  an  Stelle 
von  (66)  folgendes  System 


d*u         d»  ,    ,  ,  \  „    ÖM    ,    ,  ,     ,       ,    8*»  dt 


dy 


67) 


670 


und  an  Stelle  von  (65) 

worin  a,  o^  oder  Oj ,  o,  =  a  —  o^  die  Beibungskonstanten  der  Flüssig- 
keit sind. 

Beschränkt  man  sich  in  der  letzten  Formel,  wie  früher,  auf  die 
niedrigsten  Glieder,  so  reduziert  sie  sich  auf  ^^) 

^f^o^  =  ^  Ar-  T^q-jjy  67") 

wozu  aus  (67)  tritt 


Po  -Q^  =  cA*  +  aA-^-yAT. 


67"') 


Aus  ihnen  kann  man  r  eliminieren  und  erhält  eine  (66"')  ähnliche 
Gleichung,  die  die  analogen  Folgerungen  gestattet,  wie  jene;  sie 
führt  auch  auf  den  gleichen  Widerspruch  mit  dem  Energieprinzip, 
der  sich  ähnlich,  wie  dort,  aus  der  Vernachlässigung  der  Glieder 
zweiter  Ordnung  erklärt.  — 

Bei  der  Untersuchung  der  Wärmeleitung  in  festen  und  flüssigen 
Körpern  spielt  erfahrungsgemäß  die  Wirkung  der  Deformationen  auf 
die  Temperatur  nur  eine  untergeordnete  Rolle,  und  man  kann  sie  in 
den  meisten  Fällen  der  Praxis  vernachlässigen.  In  gleicher  An- 
nälierung  kann  man  auch  den  Unterschied  zwischen  der  spezifischen 
Wärme  F^  und  der,  direkter  Beobachtung  zugänglichen  F^  ignorieren. 
Dann  nehmen  die  Formeln  (62^)  und  (64)  die  Gestalt  an*^) 


P  dt 
^^     P  dt  "^    "da? 


+  -,17-  +  -p  /  =  0^  o^ör 


dx     *     dy     *     dx 


68) 


dU 


+  (^81  +  ^s)  ölTdJ'  "^  ^^>  "*" ^1^  dxdy  ' 


68') 


556  /ZT.  Teü.     Wärmelehre.    L  Kap, 


welche  letztere  sich  bei  isotropen  Körpeni  reduziert  auf 

68")  ,,^/;^  =  AAT. 

Die  Formel  (68')  ist  identisch  mit  der  allgemeinen,  in  §  13  und 
§14  des  II.  Teiles  behandelten  Hauptgleichung  der  Bewegung  im- 
ponderabler  Fluida,  und  gleiches  gilt  bezüglich  der  Grenz-  und 
Oberüächenbedingungen  für  r,  die  auf  S.  553  angegeben  sind. 

Wir  wollen  die  Umstände  erörtern,  unter  denen  die  eine  oder 
die  andere  Form  der  letzteren  in  praxi  Geltung  gewinnt 

Die  erste  der  für  Zwischengrenzen  gültigen  Bedingungen 

gilt  stets,  wenn  die  Körper  in  der  Grenze  relativ  zu  einander  ruhen, 
die  zweite  immer  dann,  wenn  die  Grenzfläche  keine  Quellen  enthält, 
was  wir  hier  voraussetzen  wollen,  was  aber,  wie  im  folgenden  Teüe 
sich  zeigen  wird,  nicht  immer  stattfindet. 

An  einer  Außengrenze  ist  die  Temperatur  dann  konstant  vor- 
geschrieben, wenn  die  Oberfläche  mit  einem  Körper  in  Berührung 
ist,  der  sich  auf  derjenigen  Temperatur  befindet,  bei  welcher  er 
seinen  Aggregatzustand  ändert,  z.  B.  mit  Wasserdampf  im  Sättigungs- 
zustande oder  mit  Eis  bei  Schmelztemperatur.  Ist  Sorge  getragen, 
das  Umwandlungsprodukt  —  hier  Wasser  —  dauernd  zu  beseitigen 
und  die  Berührung  zu  erhalten,  so  vermag  die  bei  der  Umwandlung 
in  Aktion  tretende  Wärme  jederzeit^  die  durch  Leitung  abgeführte 
zu  ersetzen  und  die  Oberflächentemperatur  konstant  zu  erhalten. 

Wird  die  Quantität  umgewandelter  Masse  der  Messung  unter- 
worfen, so  giebt  dieselbe  bei  stationärem  Zustande  nach  Gleichung  (17') 
zugleich  die  Größe  von  ß,^  an. 

Zwei  Fälle  von  besonderer  praktischer  Bedeutung  führen  auf  die 
Oberflächenbedingung,  welche  den  Wert  von  F^r  +  ii^  vorschreibt 

Der  erste  ist  der,  daß  die  betreffende  Oberfläche  des  Körpere 
von  einer  stark  umgerührten  Flüssigkeit  bespült  wird,  innerhalb 
deren  man  daher  die  Temperatur  r'  als  konstant  ansehen  kann. 

Faßt  man  die  betreffende  Oberfläche  als  eine  Zwischengrenze 
auf,  so  handelt  es  sich  darum,  in  einer,  der  zweiten  Gleichung  (69) 
entsprechenden  Bedingung  die  in  die  Flüssigkeit  übergehende  Wärme- 
menge ii'  zu  bestimmen;  diese  wird,  falls  der  Übergang  nur  durch 
Leitung  stattfindet,  eine  Funktion  der  Oberflächentemperatur  r 
des  Körpers  und  der  Temperatur  r'  dgr  Flüssigkeit  sein,  die  nach 
S.  495  verschwinden  muß,  wenn  r  =  r'  ist.  Infolgedessen  wird  man 
setzen  können 


§  9.    Reine  Wärmeleittmg,  557 


fl»=  X\t  -  O  +  X\  (t  -  ry  +  .  .  . , 

worin  die  AJ  Konstanten  sind,  welche  von  der  Natur  der  Grenzfläche 
nnd  etwa  noch  von  dem  Bewegungszustande  der  Flüssigkeit  ab- 
hängen. Setzt  man  kleine  Temperaturdifferenzen  voraus,  so  kann 
man  sich  auf  das  erste  Glied  der  Reihe  beschränken  und  erhält 
nach  der  zweiten  Gleichung  (69) 

ß„+r(7-T')  =  0,  69') 

also  wenn  r'  gegeben,  etwa  durch  die  direkte  Beobachtung  bestimmt 
ist,  eine  Grenzbedingung,  welche  der  oben  angegebenen  entspricht. 
Eine  ähnliche  Formel,  in  analoger  Weise  begründet,  wird  auch 
in  dem  Falle  angewandt,  daß  der  Wärme  abgebende  oder  empfangende 
Körper  vom  leeren  Baum  oder  einem  Gase  umgeben  ist,  und  die 
Wärmebewegung,  wie  man  sagt,  weniger  durch  Leitung,  als  durch 
Strahlung  bewirkt  wird;  nur  steht  dann  an  Stelle  von  V  eine  andere 
Konstante  A,  die  sogenannte  äußere  Leitfähigkeit,  an  SteUe  von  r' 
die  Temperatur  r^  welche  ein  Thermometer,  in  bedeutender  Ent- 
fernung von  dem  Körper  oder  durch  einen  Schirm  gegen  dessen 
Wirkung  geschützt,  anzeigt,  und  welche  man  als  die  Temperatur 
der  Umgebung  bezeichnet,  während  t  in  dem  Falle,  daß  der 
Körper  selbst  adiatherman  ist,  beibehalten  werden  kann.  Man  kann 
hier  also  schreiben'*) 

fl„  +  l(r-rj  =  0.  69") 

Nach  der  Ableitung  werden  die  beiden  Gleichungen  (69')  und  (69") 
nur  im  Falle  sehr  kleiner  Temperaturdifferenzen  der  Wirklichkeit 
entsprechen.     Die  Dimensionen  der  Konstanten  T  und  l  sind 

[A']  =.  [I]  «  mr-3tt-i.  —  69"') 

Wegen  der  im  Vorstehenden  nachgewiesenen  Übereinstimmung 
zwischen  den  für  die  Wärmeleitung,  ohne  Bücksicht  auf  die  mechar 
nischen  Wirkungen,  gültigen  Gleichungen  und  denjenigen,  die  wir 
der  Theorie  der  Bewegung  eines  imponderabeln  Fluidums  innerhalb 
eines  Leiters  zu  Grunde  gelegt  haben,  sind  alle  bei  dem  ftüheren 
Problem  gewonnenen  Besultate  auf  das  neue  einfach  übertragbar, 
mögen  sie  nun  den  stationären  oder  den  veränderlichen  Zustand 
betreffen.  Es  genügt  daher,  hier  auf  einige  Punkte  hinzuweisen,  die 
von  besonderem  Interesse  fllr  das  thermische  Problem  sind. 

Hier  kommt  in  erster  Linie  der  Umstand  in  Betracht,  daß  wir 
in  praxi  ein  System  thermisch  zu  isolieren  nicht  vermögen,  daß  also 
die  in  anderen  Gtebieten  vorkommende  Oberflächenbedingung  ß^  =  0 
in  der  Wärmelehre  keine  Anwendung  findet,  sondern  überall  durch 


558  UI.  Teü.     Wärmelehre,    L  Kap. 


eine  Bedingung  von  der  Form  (69")  ersetzt  wird.  Hierdurch  erhalten 
die  für  die  Beobachtung  so  wichtigen  Probleme  der  Wärmebewegung 
in  Platten  und  Stäben  ihr  eigentümliches  Gepräge.'^ 

Handelt  es  sich  um  eine  planparallele  Platte  von  der  Dicke  2A, 
die  so  dünn  gegen  ihre  Länge  und  Breite  ist,  daß  man  r  als  in  der 
Dickenrichtung  merklich  konstant  ansehen  kann,  so  wollen  wir  die 
ZT- Ebene  in  die  Mittelfläche  der  Platte  legen  und  die  Haupt- 
gleichung (68)  dadurch  umformen,  daß  wir  sie  nach  Multiplikation 
mit  dz  von  2:=— Abi8z=+Ä  integrieren.    Dann  wird  nach  (63) 

/^■'''--2*5l('..r>^=li). 

+  A 


+  h 


/ 


-  h 

wobei  schon  die  Bedingung  (69")  benutzt  ist     Durch  Einsetzen  er- 
hält man  die  Hauptgleichung  für  homogene  ebene  Platten: 

Sie  läßt  sich  durch  Wahl  eines  geeigneten  Koordinatensjstemes 
Xq,  Yq  auf  die  Form 

and  bei  konstantem  r„  durch  Einführung  von 


und  durch  die  Substitution 


r  -  r„  =  r 


70")        *o  y^  =  I  y^.  yoV^ = »?  vk>  ^' = K  K 

auf  die  andere  _ 

bringen.     Eine  partikuläre  Lösung  von  der  Form 

läßt  sich  dem  Fall  anpassen,  daß  sich  an  der  Stelle  |  =  ?/  =  0  der 
unbegrenzten  und  anfänglich  auf  konstanter  Temperatur  beiindlichen 
Platte  eine  Quelle  befindet;  in  demselben  sind  die  Kurven  konstanter 
Temperatur  gegeben  durch  die  Gleichung 


§  9,    Wärmeleit«ng  in  Platten  und  Stäben.  559 


^"  +  lJ  =  Const, 

welche  Ellipsen  darstellt,  die  der  Schnittkurve  des  Hauptellipsoides 
(77'")  auf  S.  298  mit  der  X^Y^-lSh^nQ  ähnlich  und  gleichliegend  sind. 

Auf  diesem  Resultate  beruht  eine  bekannte  Methode,  die  Lage 
und  das  Größenverhältnis  der  Hauptaxen  jener  Kurven  experimentell 
angenähert  zu  bestimmen. 

Ist  die  Platte  seitlich  begrenzt,  so  wird  am  Hände  entweder  die 
Temperatur  r  vorgeschrieben  sein,  oder  es  wird  freie  Ausstrahlung 
stattfinden;  im  letzteren  Falle  gilt  daselbst  die  Bedingung  (69").  — 

Für  einen  geraden  Cylinder,  dessen  Dicke  gegen  seine  Länge 
so  gering  ist,  daß  man  die  Temperatur  als  auf  jedem  Querschnitt 
merklich  konstant  ansehen  darf,  ist  ähnlich  zu  verfahren;  wir  legen 
die  ^-Axe  in  eine  beliebige,  etwa  die  Axenfaser  des  Cylinders  und 
integrieren  die  Formel  (68)  über  den  Querschnitt  q.    Dann  wird 

falls  Xq  die  mittlere  äußere  Leitfähigkeit  und  s  die  Länge  der  Peri- 
pherie des  Querschnittes  q  bezeichnet;  außerdem  ist 

also  nimmt  die  Hauptgleichung  die  Gestalt  an 

oder  bei  konstantem  t„  und  bei  Einführung  von  t  —  r^  =  r'  auch 

An  den  Enden  wird  entweder  die  Temperatur  r  vorgeschrieben  sein, 
oder  es  wird  freie  Ausstrahlung  stattfinden;  im  letzteren  Falle  gilt 
daselbst  die  Bedingung 

±^3f^  +  Mr-r„)  =  0,  71') 

wobei  das  obere  Zeichen  dem  negativen,  das  untere  dem  positiven 
Ende  des  Cylinders  entspricht. 

Diese  Formeln,  welche  durch  Exponentialgrößen  und  trigono- 
metrische Funktionen  integriert  werden,  enthalten  die  Grundlage 
wichtiger  Beobachtungsmethoden  zur  Bestimmung  der  Leitfähigkeits- 
konstanten A^j^;  handelt  es  sich  um  krystallinische  Körper,  so  müssen 
mehrere,  verschieden  gegen  die  Krystallaxen   orientierte  Stäbe  der 


/■ 


560  ///.  Teil     Wärmeiehre,    L  Kap. 


71") 


Untersuchung  unterworfen  werden,  um  alle  Konstanten  zu  finden. 
Benutzt  man  das  Schema  der  Eichtungskosinus  auf  S.  418  und  be- 
trachtet darin  die  Axen  S,  H^  Z  sls  die  krystallographischen  Haupt- 
axen,  auf  welche  bezogen  das  System  der  Hauptkonstanten  mit 
l^ic  bezeichnet  werden  mag,  so  ergiebt  sich  leicht  aus  den  Grund- 
formeln (63) 

dies  Resultat  zeigt,  daß  man  überhaupt  mit  Hilfe  von  Stäben  nur 
sechs  Aggregate  der  neun  Eonstanten  lHj^  bestimmen  und  speziell 
die  rotatorischen  Glieder  (A^  —  k^^)  u.  s.  f.  nicht  erhalten  kann. 

Die  Gleichungen  für  den  stationären  Zustand,  die  man  aus 
^68),  (70)  und  (71)  erhält,  indem  man  in  denselben  dr  jdt  gleich 
Null  setzt,  enthalten  ebenso,  wie  die  zugehörigen  Grenzbedingungen, 
von  den  Leitungskoeffizienten  A  und  A^^  nur  die  Verhältnisse,- 
woraus  folgt,  daß  absolute  Werte  durch  die  Beobachtungen  des 
stationären  Zustandes  nicht  gewonnen  werden  können.  Diese  liefert 
die  vorhergegangene  Bestimmung  des  Produktes  /^  q^  vorausgesetzt 
nur  die  Untersuchung  des  veränderlichen  Zustandes,  welche  sowohl 
bei  Kugeln  und  Parallelepipeden,  als  bei  cylindrischen  Stäben  theore- 
tisch und  praktisch  durchgeführt  ist. 

Für  den  stationären,  wie  für  den  veränderlichen  Zustand  kommt 
dabei  die  folgende  Bemerkung  in  Betracht. 

Alle  Methoden  zur  Bestimmung  der  A^^ ,  bei  denen  Oberflächen- 
bedingungen von  der  Form  (69')  oder  (69")  einen  wesentlichen  Ein- 
fluß auf  das  Resultat  besitzen,  sind  nach  dem  S.  556  und  557  Gesagten 
prinzipiell  bedenklich.  Demgemäß  wird  insbesondere  die  Anwendung 
von  dünnen  Stäben  und  Platten  nur  dann  zuverlässige  Werte  der 
Konstanten  durch  die  Beobachtung  abzuleiten  gestatten,  wenn  Mittel 
vorhanden  sind,  die  Gültigkeit  dieser  Bedingungen  durch  das  Experi- 
ment zu  prüfen.  Theoretisch  am  vollkommensten  wird  jederzeit  eine 
Methode  sein,  welche  den  veränderlichen  Zustand  innerhalb  eines 
homogenen  Mediums  beobachtet,  das  in  erster  Annäherung  als  un- 
endlich betrachtet  werden  kann;  angenähert  realisieren  läßt  sich 
z.  B.  der  Fall  des  Halbraumes  von  anfänglich  konstanter  Temperatur, 
dessen  Grenzebene  von  einem  bestimmten  Zeitpunkt  an  auf  einer 
abweichenden  konstanten  Temperatur  erhalten  wird.  — 

Eine  Schwierigkeit  wird  in  der  Praxis  dadurch  hervorgebracht,  daß 
das  Thermometer,  welches  zur  Beobachtung  der  Temperatur  mit  dem 
zu  untersuchenden  Körper  in  Verbindung  gebracht  werden  muß,  sich 


§  10.    Allgemeine  Olmehgewiektsbedingtmgen.  561 


an  der  Wärmebewegung  beteiligt  und  sonach  bei  der  Theorie  in 
das  System  mit  einbezogen  werden  muß.  Um  seinen  Einfluß  mög- 
lichst klein  und  möglichst  leicht  auswertbar  zu  machen,  wählt  man 
als  Thermometer  zumeist  ein  Thermoelement,  aus  zwei  Drähten  ge- 
bildet, welche  als  lineare  Leiter  von  unendlicher  Länge  betrachtet 
werden  können.  — 

Rotatorische  Qualitäten  können  in  Bezug  auf  die  Wärmeleitung 
bei  Krystallen  gewisser  Gruppen  vorkommen,  die  aus  dem  Schema  11" 
auf  S.  138  zu  ersehen  sind;  sie  können  in  isotropen  Körpern  auftreten, 
wenn  dieselben  während  der  Wärmebewegung  einer  magnetischen  Kraft 
ausgesetzt  werden,  wie  dies  im  nächsten  Teile  erörtert  werden  wird. 

liber  den  experimentellen  Nachweis  dieser  Eigenschaften  ist  auf 
S.  305  u.  f.  in  dem  Falle  gesprochen  worden,  daß  die  Strömung  in  einer 
beiderseitig  isolierten  Platte  stattfindet;  das  Verfahren  ist  im  wesent- 
lichen auch  noch  anwendbar,  wenn  auf  den  Seitenflächen  das  Aus- 
strahlungsgesetz (69")  gilt,  nur  ist  die  Theorie  der  Methode  dann 
natürlich  komplizierter.  — 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  schließlich  noch  der  in  den 
früheren  allgemeinen  Entwickelungen  nicht  enthaltene  und  praktisch 
wichtige  Fall,  daß  die  Zwischengrenze  zwei  Körper  von  derselben 
Zusammensetzung,  aber  in  verschiedenem  Aggregatzustande 
scheidet,  z.  B.  Wasser  und  Eis.  Hier  hat  die  Wärmebewegung  die 
Umwandlung  von  Masse  aus  der  einen  in  die  andere  Modifikation 
und  damit  zugleich  eine  Verlegung  der  Grenzfläche  zur  Folge;  sieht 
man  von  der  Verschiedenheit  der  Dichte  der  beiden  Modifikationen 
ab,  so  kann  man  das  System  im  übrigen  als  ruhend  betrachten. 

Bezeichnet  hierbei  dn  die  während  dt  stattfindende  Verschiebung 
der  Zwischengrenze  in  der  Richtung  der  Normalen  in  diejenige 
Modifikation  hinein,  die  durch  Wärmezufuhr  aus  der  anderen  ent- 
steht, und  bezeichnet,  wie  in  (17'),  A  die  spezifische  Reaktionswärme 
in  mechanischem  Maße,  so  erhält  man  leicht  die  Bedingung  ^^) 

(ßA  +  (^J»  +  ^P^  =  0.  72) 

ZU  welcher  noch  hinzuzimehmen  ist,  daß  die  Temperatur  in  der 
Grenze  der  ümwandlungstemperatur  gleich  sein  muß. 

§  10.   Sie  allgemeinen  Bedingungen  fiir  das  thermisch -mechanische 

Gleichgewicht. 

In  der  reinen  Mechanik  haben  wir  gefunden,  daß  alle  Bedingungen 
für  das  Gleichgewicht   eines  beliebigen  materiellen  Systemes  unter 

Voigt,  Theorettecho  Physik.  3g 


562  lU,  TeiL     Wärmelehre.    L  Kap, 


der  Wirkung  konservativer  innerer  und  beliebiger  äußerer  Kräfte  in 
das  eine  Symbol 

73)  5  0  -  5!^  =  0  . 

zusammengefaßt  werden  können,  in  dem  S  0  eine  virtuelle  Variation 
des  Potentiales  der  inneren,  und  S^A  die  virtuelle  Arbeit  der  äußeren 
Kräfte  bezeichnet. 

Kann  dagegen  das  System  in  der  gegebenen  Konfiguration  nicht 
im  Gleichgewicht  verharren,  so  folgt  die  im  ersten  Moment  eintretende 
Bewegung  der  Ungleichung 

73')  d(l>^d'A  <0. 

Letztere  Bedingung  hat  zur  Folge,  daß  bei  mangelnden  äußeren 
Kräften  die  Bedingung  des  Gleichgewichts  auf  die  Form 

73")  0  =  Minimum 

gebracht  werden  kann. 

Diese  Resultate  gestatten  auch  die  Anwendung  auf  nicht  kon- 
servative Kräfte,  wenn  dieselben  mit  den  Geschyrindigkeiten  selbst 
verschwinden;  denn  da  in  beiden  Formeln  (73)  und  (73')  Ruhe  oder 
unendlich  kleine  Geschwindigkeit  vorausgesetzt  ist,  so  können  die 
Arbeiten  solcher  Kräfte  in  ihnen  nicht  auftreten.  — 

Es  liegt  nun  nahe,  durch  analoge  Schlüsse,  wie  sie  auf  S.  499 
den  Übergang  von  der  rein  mechanischen  Gleichung  der  Energie 
(48)  |auf  S.  40  zu  der  durch  Heranziehung  der  thermischen  Vor- 
gänge erweiterten  Gleichung  der  Energie  (2)  auf  S.  499  vermittelten, 
auch  die  vorstehenden  mit  der  Gleichung  der  mechanischen  Energie 
in  Zusammenhang  stehenden  Bedingungen  zu  erweitem,  das  Potential 
durch  die  gesamte  innere  Energie  £"'  des  Körpers,  die  Arbeit  durch 
die  Summe  von  zugeflihrter  Arbeit  und  Wärme  zu  ersetzen.  Man 
gewinnt  dadurch  als  Bedingung  des  Gleichgewichts  die  Formel 

74)  5J?'-^'ß- J!^  =  0, 

und  als  charakteristische  Eigenschaft  des  Beginnens  der  Bewegung 
aus  der  Ruhe  die  andere 

74')  rf£"-rf'ß-rf!^<0. 

Daß  die  erste  Bedingung  im  Falle  des  Gleichgewichts  erfölli 
also  notwendig  ist,  ergiebt  ihre  Vergleichung  mit  der  Energie- 
gleichung (2'),  indem  man  in  derselben  die  lebendige  Kraft  V  der 
äußeren  Bewegung  gleich  Null  setzt  Daß  sie  aber  auch  die  hin- 
reichende Bedingung  ftir  den  Eintritt  des  mechanischen  Gleich- 
gewichtes bildet,  läßt  sich  für  den  oben  betrachteten  Fall  eines 
beliebigen  elastischen  Mediums  auf  folgende  Weise  zeigen. 


§  10,    Attgemeine  Gleiehgewiehishedmgungen.  568 


Wir  nehmen  an,  die  Wärmebewegung  finde  auf  eine  Weise  statt, 
die  sich  nur  unendlich  wenig  von  einer  umkehrbaren  unterscheidet, 
eine  Annahme,  über  die  S.  548  gesprochen  ist,  setzen  also 

unter  Benutzung  der  Bezeichnungen  aus  §  6  lautet  dann  die  Gleich- 
gewichtsbedingung (74)  ausführlich 

J{Se\  -  T5^i-  S\)dk  -  fS\do  =  0. 

Führt  man  wieder  die  freie  Energie.  |j  der  Volumeneinheit 
durch  die  Beziehung 

ein,  so  erhält  man 

Entwickelt  man  ferner 

*  y 
und  bedenkt,  daß  nach  (35') 

ist,  so  fällt  S  T  unter  dem  Raumintegral  ganz  heraus,  und  es  bleiben 
nur  die  sechs  unabhängigen  Variationen  Sx^,  .  .  .  Sx    übrig. 
Da  nach  (35')  femer 

öx  '"*'  *  *  '  dx  '"y 

*  y 

ist,  so  erhält  man  durch  Umformung  des  Raumintegrales  und  Be- 
rücksichtigung der  Werte: 

S\  =  TSu  +  r8v  +  2PSw , 

S'a^^X8ü+~r8^  +  ZSw 

leicht  die  Gleichungen 

ö*HL      dS'       dS 


dx         dy         d%  ' 
• '  •  ^  •  •  • .  -. 

Dies  sind  aber  die  Bedingungen  (32)  und  (32')  des  mechanischen 
Gleichgewichtes  bei  Berücksichtigung  der  thermisch-mechanischen  Wir- 
kungen, wie  sie  auf  S,  524  aufgestellt  sind;  die  Gleichung  (74)  ist  also 
die  hinreichende  Bedingung  des  mechanischen  Gleichgewichtes. 

J^6* 


564  ni  Teü.     Wärmelehrt.    L  Kap, 

Soll  gleichzeitig  auch  thermisches  Gleichgewicht  stattfinden,  so 
muß  die  Temperatur  im  Innern  des  Systemes  konstant  sein. 

Die  Formel  (74')  lä&t  sich  in  dem  betrachteten  Falle  noch  ein- 
facher nachweisen.  Denn  da  IP  die  Gesamtenergie  E  minus  der 
lebendigen  Kraft  W  bezeichnet,  so  ist  nach  (2')  der  Ausdruck  links  der 
negative  Zuwachs  der  lebendigen  Kraft  während  dt,  also  beim  Be- 
ginn der  Bewegung  stets  kleiner  als  Null.  — 

Wir  haben  früher  aus  der  nur  filr  spezielle  Probleme  der 
Mechanik  direkt  bewiesenen  Energiegleichung  ein  allgemeines  Prinzip 
von  größter  Fruchtbarkeit  gewonnen,  indem  wir  sie  hypothetisch  auf 
jede  Art  von  Vorgängen  erweiterten.  Es  Hegt  nahe,  die  obigen  zwei 
Formehl,  die  Ji  der  Energiegleichung  so  nahe  v;rwandt  sind,  in 
ähnlicher  Weise  zu  verallgemeinem  und  die  erstere  als  stets  gültige 
Gleichgewichtsbedingung,  die  letztere  als  stets  gültige  Regel  für  den 
Sinn  einer  aus  der  Ruhe  bei  fehlendem  Gleichgewicht  eintretenden 
Veränderung  anzusehen.  Dies  wird  wahrscheinlich  gemacht  durch  die 
Vorstellung,  daß  alle  Umsetzungen  in  letzter  Instanz  mechanische 
sind.  Die  Erfahrung  hat  die  Richtigkeit  der  so  gewonnenen  Bedingungen 
bisher  in  allen  Fällen,  auf  welche  sie  angewandt  wurden,  und  welche 
hauptsächlich  thermochemische  Probleme  darstellen,  bestätigt 
Deren  Zahl  ist  allerdings  noch  nicht  sehr  groß,  da  es  in  praxi  meist 
große  Schwierigkeiten  macht,  für  körperliche  Systeme,  namentlich  für 
Mischungen,  Lösungen  und  Verbindungen,  die  Ausdrücke  für  die  Energie 
und  die  Entropie  zu  gewinnen.  Immerhin  genügen  sie,  um  die  allge- 
meine Gültigkeit  der  neuen  Prinzipe  sehr  wahrscheinlich  zu  machen. — 

Die   Gleichungen  (74)   und  (74^),    die   wir  nun   in   der   Form 
schreiben  **) 
76)  SE"--  TSH-^S'A^Qj 

75')  rf£"-  TrfÄ-  d'A  <  0, 

gestatten  verschiedene  Deutungen. 

Setzt  man  nur  isothermische  Änderungen  voraus,  so  kann  man, 
indem  man  wieder  die  freie  Energie 

76)  F-TH^S 

einführt,  schreiben: 

760  JÄ-^'^^O,     dS-d'A<Q, 

woraus  folgt,  daß  bei  isothermischen  umkehrbaren  Zustandsändenmgen 
die  freie  Energie  genau  dieselbe  Rolle  spielt,  wie  bei  rein  mecha- 
nischen Vorgängen  nach  (73)  und  (73')  das  innere  Potential;  man 
nennt  daher  £  auch  das  thermodynamische  Potential  bei  kon- 
stanter  Temperatur. 


§  10,    Allgemeine  Qleiehgewiehtsbedingungen.  665 


Steht  das  System  unter  allseitig  gleichem  Druck,  und  wird 
außer  diesem  auch  die  Temperatur  konstant  erhalten,  so  kann  man 
wegen  <J'^  =  --PSF 

JT-  TH+PF=^Z  77) 

setzen  und  die  beiden  Gleichungen  schreiben 

3Z  =0y    resp.     dZ<0.  77') 

Z  nennt  man  das  thermodynamische  Potential  bei  kon- 
stantem Druck  und  konstanter  Temperatur;  es  spielt  bei 
diesen  Vorgängen  dieselbe  ßoUe,  wie  das  innere  Potential  bei  äußeren 
Kräften  nicht  unterworfenen  mechanischen  Systemen. 

Nimmt  man  an,  daß  äußere  Kräfte  nicht  vorhanden  sind,  oder 
daß  die  Bedingungen  des  Problems  ihre  Arbeit  zu  Null  machen,  so 
ist  J!/^  =  0,  d^^=sOy  und  die  Gleichungen  geben  als  spezielle 
Folgerungen: 

fiir  konstante  Entropie 

J£'=0,     d£r<Oy  78) 

für  konstante  Energie 

Jigr=0,     dH>0.  780 

Der  letztere  Fall  findet  bei  einem  mechanisch  und  thermisch 
isolierten  System  statt  Die  letzte  Gleichung  besitzt  eine  gewisse 
Verwandtschaft  mit  dem  auf  S.  549  angegebenen,  allerdings  nicht 
völlig  sicher  basierten  Resultat  über  die  Zunahme  der  Entropie  bei 
natürlichen  Vorgängen.  Dort  war  gezeigt,  daß  bei  einem  beliebigen 
nicht  umkehrbaren  Vorgang,  der  ohne  Wärmezufuhr,  aber  bei  be- 
liebiger Arbeitsleistung  stattfindet,  die  Entropie  zunimmt;  hier  ergiebt 
sich  das  Gleiche  nur,  wenn  das  körperliche  System  nach  außen  völlig 
isoliert  ist,  und  die  Veränderung  aus  einem  Ruhezustand  beginnt, 
welcher  kein  Gleichgewichtszustand  ist 

Aus  den  Gleichungen  (78)  und  (78')  ergiebt  sich  in  früherer 
Weise,  daß  im  Zustand  stabilen  Gleichgewichtes  bei  vorgeschriebener 
Entropie  die  Energie  ein  Minimum,  bei  vorgeschriebener  Energie 
die  Entropie  ein  Maximum  ist 

Die  vorstehenden  Betrachtungen  werden  in  dem  nächsten  Teil 
wichtige  Anwendung  finden. 


n.  Kapitel. 

Thermisch-chemische  Umsetzungen. 

§  11.     Gmndvontellimg^n  und  Befinitioiien. 

In  dem  vorigen  Kapitel  sind  ausschließlich  Umsetzungen  be- 
handelt worden,  bei  denen  die  Substanz  des  veränderten  Körpers 
ungeändert  blieb.  Wir  wenden  uns  nunmehr  denjenigen  zu,  welche 
die  Substanz  in  Mitleidenschaft  ziehen,  sei  es  nun,  daß  sie  den 
Aggregatzustand  oder  die  Modifikation  eines  Körpers  bei  ungeänder- 
ter  chemischer  Zusammensetzung  wandeln,  sei  es,  daß  sie  die  Zu- 
sammensetzung selbst  verändern.  Alle  diese  Umsetzungen  haben  so 
viel  Gemeinsames,  daß  wir  sie  unter  dem  Namen  der  allgemein- 
sten von  ihnen,  der  chemischen,  zusammenfassen  wollen. 

Für  letztere  können  wir  uns  folgendes  allgemeine  Schema 
bilden. 

In  einem  Räume  sind  verschiedene  chemisch  aufeinander  wir- 
kende Substanzen  vereinigt  und  werden,  während  sie  nach  außen 
thermisch  und  mechanisch  isoliert  bleiben,  in  irgend  welchem  fein 
verteilten  Zustande  andauernd  durcheinander  gerührt,  bis  sich  alle 
Umsetzungen  ,  die  ohne  äußere  Einwirkungen  eiutreten  können,  ab- 
gespielt haben.  Es  wird  sich  schließlich  ein  Gleichgewichtszustand 
einstellen,  bei  welchem  die  Temperatur  und  der  Druck  in  dem 
ganzen  Baume  konstante  Werte  haben. 

Die  Produkte  der  chemischen  Prozesse  sind  dann  entweder  feste, 
oder  flüssige,  oder  gasförmige  Körper.  Die  festen  —  etwa  in  Form 
von  Krystallen  erhalten  —  sind  stets  in  gesonderten  Räumen  Tor- 
banden,  die  flüssigen  nur,  wenn  sie  nicht  mischbar  sind,  die  gas- 
förmigen dagegen  nie,  denn  sie  durchdringen  sich,  wenn  man  von 
der  Schwere  absieht,  jederzeit  vollkommen. 

Die   voneinander    unabhängigen    chemischen    Bestandteile   des 


§  11.    Komponenten  und  Phasen.  567 


Systems,  seien  sie  nun  chemische  Elemente  oder  Verbindungen,  die 
bei  den  stattfindenden  Umsetzungen  nicht  zerlegt  werden,  nennen 
wir  nach  Gibbs  seine  Komponenten,  die  räumlich  gesonderten 
Körper,  welche  sich  aus  ihnen  bilden,  seine  Phasen. 3®) 

Die  Anzahl  der  festen  und  flüssigen  Phasen  ist  beliebig,  die 
Anzahl  der  gasförmigen  stets  gleich  Eins.  In  einer  Phase  können 
alle  Komponenten  vereinigt  sein,  sie  kann  aber  auch  deren  nur  eine 
einzige  enthalten.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  gleichzeitig 
mehrere,  ja  alle  Phasen  dieselben  Komponenten  in  dem  gleichen 
Verhältnis  enthalten,  also  dieselbe  chemische  Zusammensetzung  be- 
sitzen; dies  kommt  z.  B.  bei  den  verschiedenen  Aggregatzuständen 
einer  und  derselben  Substanz  vor.  — 

Nachdem  die  Chemie  festgestellt  hat,  in  welchen  einzelnen  Phasen 
unter  irgend  beliebigen  Umständen  gegebene  Komponenten  be- 
stehen können,  eröffnet  sich  für  die  Wärmetheorie  die  Aufgabe,  die 
charakteristischen  Eigenschaften  der  Phasen  eines  Systemes  aufzu- 
finden, welche  dieselben  befähigen,  bei  gegebenen  Umständen  einzeln 
oder  nebeneinander  im  Gleichgewicht  zu  verharren;  damit  steht 
die  weitere  Aufgabe  im  nächsten  Zusammenhang,  die  infolge  geän- 
derter äußerer  Umstände,  d.  h,  gegebener  dP  und  dT,  sowie  infolge 
gegebener  äußerer  Einwirkungen,  d.  h.  gegebener  d^A  und  ^'ß,  ein- 
tretenden Veränderungen  innerhalb  des  Systems  zu  bestimmen. 

Für  die  Inangriflhahme  dieser  Aufgabe  hat  man  sich  des 
Fundamentalgesetzes  der  Chemie  zu  erinnern,  nach  welchem  die 
Umsetzungen  nach  konstanten,  für  die  einzelnen  Stoffe  charakteristi- 
schen Massenverhältnissen,  den  ganzzahligen  Vielfachen  der  sogenann- 
ten  Aquivalentgewichte,  stattfinden^^;  die  Aquivalentgewichte 
sind  hiemach,  selbst  wenn  eines  von  ihnen  willkürlich  gewählt  ist, 
zunächst  nur  bis  auf  einen  willkürlichen  ganzzahligen  Faktor  defi- 
niert, und  es  steht  frei,  über  letzteren  für  die  verschiedenen  Stoße 
so  zu  verfügen,  daß  die  erhaltenen  Zahlen  irgend  welche  spezielle 
Bequemlichkeit  bieten. 

Für  den  idealen  Gaszustand  ist  dabei  maßgebend  die  Beobach- 
tung von  Gay  Lussao^®),  daß  sich  ideale  Gase  nicht  nur  nach 
ganzzahligen  Vielfachen  der  Aquivalentgewichte,  sondern  auch  nach 
ganzzahligen  Vielfachen  der  ursprünglichen  Volumina  verbinden, 
wenn  man  die  Substanzen  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Tem- 
peratur voraussetzt 

Man  definiert  nämlich  für  die  Zwecke  der  Thermochemie  nach 
AvooADBo'**)  diejenigen  Äquivalentgewichte  als  Molekularge- 
wichte   |Lt,    welche    die    Anzahl    der    Moleküle    v  =^  q  j  ^    in    der 


568  UL  Teil     Wärmelehre.    IL  Kap. 


Volumeneinheit  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur  für 
alle  idealen  Grase  gleich  werden  lassen.  Die  Massen  fA  sind  hier- 
durch bis  auf  einen,  allen  gemeinsamen,  konstanten  Faktor  yollstandig 
definiert;  letzteren  bestimmt  man,  indem  man  fi  filr  Wasserstoff 
gleich  2  Gramm  setzt  Die  hierdurch  festgestellte  Quantität  fi  eines 
Gases  —  und  analog  eines  beliebigen  anderen  Körpers  —  bezeichnet 
man  auch  wohl  als  ein  Grammmolekül  seiner  Substanz. 

Es  ist  nützlich,  darauf  hinzuweisen,  daß  diese  Definitionen  und 
Festsetzungen  von  einer  speziellen  Vorstellung  über  die  Konstitution 
der  Materie  vollkommen  unabhängig  sind  und  keineswegs  etwa  die 
atomistische  voraussetzen. 

Bei  Gasen  oder  Dämpfen,  die  sich  nicht  im  idealen  Zustand 
befinden,  ebenso  bei  flüssigen  und  festen  Körpern,  existiert  eine  ähn- 
lich vollständige  Definition  des  Molekulargewichtes  nicht,  und  man 
muß  sich  vielfach  damit  behelfen,  den  Wert  vom  gasförmigen  Zu- 
stand derselben  Substanz  zu  übernehmen,  oder  ihn  gemäß  der  che- 
mischen Konstitutionsformel  zu  berechnen. 

Nur  bei  verdünnten  Lösungen  hat  man  auf  Grund  von  Beobach- 
tungen, auf  die  wir  weiter  unten  zurückkommen,  eine  der  Avogadbo'- 
schen  analoge  Definition  des  Molekulargewichtes  für  die  gelösten 
Substanzen  aufgestellt,  die  zu  widerspruchsfreien  Resultaten  fuhrt *^ 

Als  das  Atomgewicht  eines  chemischen  Elementes  definiert 
man  die  kleinste  Masse  dieses  Stoffes,  welche  in  den  Molekülen  seiner 
Verbindungen  auftritt.  Ist  die  Einheit  des  Molekulargewichtes  wie 
oben  festgestellt,  so  bleibt  doch  bei  den  Atomgewichten  ein  ganz- 
zahliger Faktor  unbestimmt,  weil  man  nicht  sicher  sein  kann,  alle 
Verbindungen  des  betreffenden  Elementes  zu  kennen.  Die  Zahlwerte, 
welche  sich  durch  diese  Definition  ergeben,  sind  also  gewissermaßen 
vorläufige;  indessen  besitzen  die  gegenwärtig  angenommenen  eine 
bedeutende  innere  Wahrscheinlichkeit,  wegen  einer  Reihe  von  Gesetz- 
mäßigkeiten, welche  sie  zeigen.  Unter  diesen  kommt  für  uns  be- 
sonders das  von  Dulong  und  Petit  ^^)  gegebene  Gesetz  von  der  an- 
genäherten Konstanz  der  Atomwärmen,  d.  h.  der  Produkte  aus 
spezifischer  Wärme  F^  und  Atomgewicht,  in  Betracht,  ein  Gesetz, 
welches  sich  auf  Grund  der  Virialgleichung,  welche  den  Ausgangs- 
punkt für  die  Betrachtungen  in  §  9  des  ersten  Teiles  bildete,  auch 
mechanisch  plausibel  machen  läßt^^ 


§  12.    Tßiermodynamisehe  Potential.  569 


§  12.    Allgemeine  Sätse  über  das  thermiBch-chemiBche  Gleichgewicht 

Die  Grundlage  für  die  Bearbeitung  der  im  vorigen  Abschnitt 
formulierten  Aufgaben  bieten  die  S.  564  abgeleiteten  Bedingungen, 
nach  welchen  in  einem  durchweg  gleichtemperierten  System  mecha- 
nisches Gleichgewicht  vorhanden  ist,  falls  bei  allen  virtuellen  Ände- 
rungen 

sir^  TJigr-^^  =  o  79) 

ist,  und  daß  bei  nicht  vorhandenem  Gleichgewicht  die  Veränderung 
aus  der  Ruhe  in  dem  Sinne  eintritt,  daß 

dE'--  TdH-'d'A<0.  79') 

In  unserem  speziellen  FaUe  allseitig  gleichen  Druckes  ist  S'A^  —FSV 
und  d^A^-^Pdr. 

Wir  bezeichnen  allgemein  die  Phasen  durch  obere  Indices, 
die  Komponenten  durch  untere,  verstehen  also  unter  w^^  die 
Masse  der  Komponente  (ä),  welche  in  der  Phase  (i)  vorhanden  ist; 
weiter  setzen  vnr  kurz 

2K'^=»»k,  80) 

wo  ntj^  die  Gesamtmasse  der  Komponente  k  in  allen  Phasen,  und 

mjf  =  m(0  ^  30') 


h 


WO  rd^  die  Gesamtmasse  der  Phase  {i)  ist 

Da  die  Phasen  räumlich  getrennt  sind,  so  ist  das  Gesamtvolumen 

unter  ü^*^  das  Volumen  der  Masseneinheit  oder  das  spezifische 
Volumen  der  Phase  («)  verstanden.  Femer  dürfen  wir  mit  Rück- 
sicht auf  die  S.  518  u.  f.  angestellten  Betrachtungen  auch  setzen 

i:=.^E^^^^m^^^^%     H^  2^*"^=  2^^'^V*^  81'^ 

wo  nun  «'(»)  und  rf^  Energie  und  Entropie  der  Masseneinheit  oder 
spezifische  Energie  und  spezifische  Entropie  der  Phase  [%) 
bezeichnen  und  Funktionen  von  Druck,  Temperatur  und  der  Zu- 
sammensetzung der  Phase,  d,  h.  der  Verhältnisse  der  m^)  für  das- 
selbe 2,  sind. 

Da  weiter  F,  £",  H  bei  proportionaler  Zunahme  aller  m^^  in 
gleichem  Verhältnis  zunehmen,  so  sind  alle  drei  homogene  Funktionen 
ersten  Grades  der  iw^O,  was  wir  durch  die  Ansätze 


570  UI.  Teü.     Wärmelekre.    II.  Kap. 


'  i      k  i      k  i      k 

ausdrücken,  in  denen  nun  die  Koeffizienten  rj.*),  «'[•),  ^J['>  gleichfalls 
außer  von  P  und  T  im  allgemeinen  noch  von  den  Verhältnissen  der 
gleichen  Werten  i  entsprechenden  mj^')  abhängen. 

Es  mag  beiläufig  bemerkt  werden,  daß  die  in  (ST')  enthaltenen 
Zerlegungen  von  F,  IP,  H  keineswegs  mit  denen  identisch  sind, 
welche  aus  (81')  durch  Einführung  der  Substitution  (80')  resultieren. 

In  der  Gleichgewichtsbedingung  (79)  betreffen  die  Variationen 
sowohl  Pund  Tals  die  Mengen  der  Komponenten  in  den  verschiedenen 
Phasen,  also  die  Zusammensetzung  des  Systems;  aber  die  Variation 
wegen  P  und  T  liefert  keine  neuen  Gesetze,  da  sie  aus  der  obigen 
Formel  die  bekannte  Bedingung  des  thermisch-mechanischen  Gleich- 
gewichtes macht,  welche  wegen  der  Konstanz  von  P  und  T  identisch 
erfüllt  ist.     Für  uns  haben  also  nur  die  Variationen  der  m'**'  eine 

k 

Bedeutung,  und  daher  können  wir  für  unsere  Zwecke,  indem  wir, 
wie  S.  565, 

82)  £'^  TH+  Pr=Z 

setzen,  die  obige  Bedingung  in 

82')  3ptZ  =  0 

abkürzen,  wo  die  Indices  die  Konstanz  von  P  und  T  bei  der 
Variation  aussprechen.  Z  beißt,  wie  gesagt,  das  thermodynamische 
Potential  des  System  es  bei  konstantem  Druck  und  konstanter  Tem- 
peratur. 

Wie  F,  £*'  und  H,  so  ist  auch  Z  eine  homogene  Funktion 
ersten  Grades  der  m^^^;  es  kann  also  gesetzt  werden 

83)  ^  =  22SI''< 

i      k 

worin 

83')  51"  =  /4  ' 

das  Potential*^)  der  Komponente  k  in  der  Phase  i,  außer 
von  P  und  7',  im  allgemeinen  auch  von  den  Verhältnissen  der  m^i^ , 
welche  gleichen  Werten  i  entsprechen,  oder  was  damit  äquivalent 
ist,  von  den  Dichtigkeiten  (>j^^  =  mjj^  / 1?^*>  abhängig  ist 

Die  Gleichgewichtsbedingung  (82')  nimmt  hiemach  die  Form  an 

83'-)  0^^:^ifSmf. 

i     k 

Die  Wahl  der  in  den  vorstehenden  Gleichungen  auftretenden 
Komponenten  mj*^  ist  bis  zu  einem  gewissen  Grade  beliebig.    Dnter 


§  12,     Thermodynamiscke  Potentiale.  571 


Umstanden  kann  man  sie^mit  den  Elementen  der  das  System  bil- 
denden chemischen  Verbindungen  identifizieren,  wobei  natürlich, 
wenn  in  derselben  Phase  ein  Element  in  mehreren  Verbindungen 
auftritt,  demselben  auch  mehrere  m^*)  mit  gleichem  i  und  verschie- 
denem Ä  entsprechen;  doch  ist  diese  Wahl  keineswegs  stets  vorteil- 
haft Die  hier  vorliegende  Willkür  wird  ausgeglichen  durch  den 
Umstand,  daß  jeder  getrofi'enen  Verfügung  andere  Formen  der  für 
die  virtuellen  Variationen  dwjj^  geltenden  Nebenbedingungen  ent- 
sprechen. Man  wird  die  äußere  Gestaltung  des  Problems  am  meisten 
vereinfachen,  wenn  man  über  die  Komponenten  so  verfugt,  daß  die 
Anzahl  der  Nebenbedingungen  möglichst  klein  ist 

Handelt  es  sich  beispielsweise  um  ein  System,  welches  nur 
eine  chemische  Verbindung  in  verschiedenen  Phasen  enthält,  etwa 
eine  Substanz  in  verschiedenen  Aggregatzuständen,  so  wird  man  diese 
Substanz  selbst  als  einzige  Komponente  wählen  und  hierdurch  die 
Gleichungen  (83)  und  (83")  auf 

t  l 

reduzieren.  Überhaupt  wird  man  mehrere  Elemente,  die  stets  nur 
in  derselben  chemischen  Verbindung  vorkommen,  passend  zu  einer 
Komponente  zusammenfassen. 

Auch  wenn  nur  eine  Phase  vorhanden  ist,  und  in  ihr  eine  An- 
zahl von  h  chemischen  Elementen  in  mehreren,  z.  B.  in  n  Ver- 
bindungen vorkommen,  wird  man  praktisch  nicht  die  Elemente, 
sondern  diese  Verbindungen  als  Komponenten  einfahren,  weil  man 
dadurch  deren  Zahl  möglichst  klein  macht.     Es  wird  dann 

Z-^C,m„       0  =  2?*^'«»-  84') 

k  k 

Die  Bedingungen,  welche  für  die  Jm^'>  bestehen  und  nach  der 
Methode  der  Lagrange' sehen  Multiplikatoren  mit  der  Haupt- 
gleichung (83")  zu  kombinieren  sind,  fließen  zum  Teil  aus  den 
chemischen  Konstitutionsformeln  der  Komponenten  und  hängen  daher 
von  den  speziellen  Problemen  ab.  Außerdem  müssen  aber  stets  die 
Gleichungen  erfüllt  sein,  welche  aussprechen,  daß  die  Gesamtmengen 
eines  jeden  chemischen  Elementes  vorgeschrieben  sind,  ohne  daß  sie 
in  allen  Fällen  direkt  die  Nebenbedingungen  des  Problems  dar- 
stellen. 

Wählt  man  z.  B.  als  Komponenten  beliebige  Verbindungen, 
welche  nur  die  Eigenschaft  haben,  daß  innerhalb  des  betrachteten 
Systems  ein  Austausch  zwischen  ihnen  nicht  stattfindet,  so  treten  an 
Stelle   dieser  letzteren   Bedingungen   diejenigen,   daß   die   Gesamt- 


572  UL  Teil.     Wärmelehre,    U.  Kap. 

masse  jeder  Komponente  gegeben  und  imreränderlich  ist,  d*  h.  die 
Fonneln 

woraus  folgt 

85)         '^Sml^  =  0,    für  Ä  =  1,  2  ...»  und  I  =  1,  2  ...  Ä. 

Bestehen  keinerlei  andere  Bedingungen,  so  erhält  man 
in  der  angegebenen  Weise  die  Formel 

85-)  ^^(^^-l^Smf  =  Q, 

i      k 

welche  in  die  h,n  Gleichungen 

85")  ^^  -  A,  =  0 

zerfällt;  dieselben  enthalten  den  von  W.  Gibbs  entdeckten  Satz,  daß 
unter  den  gemachten  Voraussetzungen  das  Gleichgewicht  nur  dann 
stattfindet,  wenn  die  Potentiale  jeder  Komponente  in  aUen  Phasen 
gleich  sind.**) 

Durch  Elimination  der  X^  erhält  man  aus  (85") 

85'")  £<;)  =  Si')  =  .  .  .  =  ^),       für  Ä  =  1,  2,  .  .  .  n, 

also  ein  System  von  w(ä  —  1)  Gleichungen  zwischen  den  nÄ  +  2 
Variabein,  nämlich  P,  T  und  den  n,h  Massen  rd^  oder  den  n.h 
Dichtigkeiten  q^^  ,  Zu  ihnen  kommen  noch  die  Zustands- 
gieichungen flür  die  einzelnen  h  Phasen,  nämlich  die  Beziehungen, 
welche  die  Verhältnisse  der  mjj)  und  das  Volumen  t/'),  oder  sym- 
metrischer die  Dichten  q^^,  der  Komponenten  einer  Phase  i  mit  f 
und  T  verbinden,  so  daß  also  nh  +  2  Variabein  n(A  — 1)  +  A 
Gleichungen  gegenüberstehen. 

Ist  die  Anzahl  n  der  Komponenten  gegeben,  so  kann  man  aus 
diesem  Verhältnis  Schlüsse  ziehen  über  die  Anzahl  der  Phasen,  die 
nebeneinander  im  Gleichgewicht  verharren  köimen. 

Das  Problem  wird  im  allgemeinen  unmöglich,  wenn  die  An- 
zahl der  Gleichungen  größer  ist,  als  die  der  Variabein.   Wir  schüeßen 

daher,  daß  jedenfalls 

A^n  +  2 

sein  muß,  d.  h.  daß  die  Anzahl  der  Phasen  höchstens  um  zwei  großer 
sein  kann,  als  die  Anzahl  der  Komponenten.*^) 

Ist  A  =  n  -f  2,  so  bestimmt  das  Gleichungssystem  alle  Variabein 
vollständig,  und  damit  auch  ein  bestimmtes  Wertpaar  P  und  % 
welchem  allein  jene  höchste  Zahl  koexistierender  Phasen  entspricht 

Ist  A  =  71  +  1 ,  so   folgt   aus   dem  Gleichungssystem  nach  der 


§  12.    Die  Begren'X/ung  der  Phaaengebieie.  578 


Elimination  der  q^^  eine  Beziehung  zwischen  P  und  7',  also  eine 
zusammengehörige  Wertreihe  dieser  Größen.  Ist  A<n+1,  so 
bleiben  P  und  T  beliebig  verfügbar. 

Diese  Resultate  kann  man  sich  so  veranschaulichen,  daß  man 
über  einer  PT-Ebene  soviel  Blätter  auüschichtet,  als  Phasen  über- 
haupt möglich  sind,  und  jedes  Blatt  einer  Phase  zuordnet. 

Die  Anzahl  der  überhaupt  möglichen  Phasen,  und  somit  der 
Blätter,  sei  gleich  J,  und  j^n  +  2,  worin  n  wie  früher  die  Anzahl 
der  Komponenten  bedeutet.  Jede  einzelne  Phase  ist  im  allgemeinen 
in  isoliertem  Zustande  nur  innerhalb  eines  gewissen  Wertbereiches 
von  P  und  T  beständig;  es  wird  also  auf  jedem  Blatt  eine  Fläche 
das  Beständigkeitsbereich  der  entsprechenden  Phase  darstellen. 

Ein  Bereich,  wo  mehrere,  etwa  h  Phasen  nebeneinander  existieren 
können,  muß  auf  eine  Fläche  fallen,  welche  von  den  Beständigkeits- 
bereichen  aller  der  betreffenden  A  Phasen  bedeckt  wird. 

Je  Ä  =  n  +  2  Phasen  können  nach  dem  Vorstehenden  nur  in 
einem  Punkte  der  P  T- Ebene  nebeneinander  bestehen,  den  wir  einen 
(«  +  2) fachen  Punkt  nennen  wollen.  Ist  j  >  n  +  2,  so  giebt  es 
deren  mehrere,  ist  J  =  «  +  2,  so  nur  einen  einzigen.  Je  A  =  w  +  1 
Phasen  können  nebeneinander  nur  längs  einer  Kurve  existieren, 
welche  von  einem  (n  +  2)  fachen  Punkte  ausgehen  und  entweder 
nach  einem  anderen  oder  ins  Unendliche  verlaufen  muß. 

Diese  Kurven  begrenzen  Flächenstücke,  längs  deren  je 
n  Phasen  zusammen  existieren  können,  und  aus  diesen  setzen  sich 
wiederum  Flächenkomplexe  zusammen,  die  dem  Gleichgewichte 
von  je  n  —  1,  n  —  2, . . .,  schließlich  von  je  einer  Phase  entsprechen. 
Die  übrigen  Bereiche  geben  für  jede  Kombination  labile  oder  un- 
mögliche Zustände. 

Jene  (n  +  l)fachen  Kurven  haben  für  die  Theorie  besondere 
Bedeutung,  denn  sie  geben  die  Grenzen  an,  über  welche  hinüber 
die  Umsetzungen  zwischen  den  beiderseits  verschiedenen  Phasen 
stattfinden;  in  den  durch  sie  getrennten  Gebieten  sind  stets  (n  — 1) 
Phasen  gleich,  während  eine  verschieden  ist.  Die  Umsetzungen 
betreffen  sonach  immer  die  letztere. 

Haben  diese  benachbarten  verschiedenen  I^asen  dieselbe 
Zusammensetzung,  so  kann  eine  Umwandlung  zwischen  ihnen  allein 
stattfinden;  im  anderen  Falle  ändert  sich  dabei  gleichzeitig  auch 
die  Quantität  der  beiderseitig  gleichen  Phasen. 

Für  diese  Umwandlung  läßt  sich  ein  höchst  allgemeiner  Satz 
durch  Anwendung  der  auf  die  Masseneinheit  bezogenen  Gleichung  (9"), 
also  der  Beziehung 


574  ///.  Teil     Wärmelehre.    II,  Kap. 


auf  eine  geschlossene  Kurve  erhalten,  welche  ein  Element  der  Grenz- 
kurve rings  umschlingt  Die  beiden  Seiten  der  Grenzkurve  mögen 
nach  den  dort  vorhandenen  verschiedenen  Phasen  mit  a  und  ß  be- 
zeichnet, die  Enden  des  Kurvenelementes  durch  die  Wertpaare  Pj ,  Tj 
und  Pj,  Tj  definiert  werden.  Führt  man  mit  der  Masse  Eins  diesen 
KreisproceB  aus,  so  erhält  man 

j  T        -^      T,  J         T  2\      -''' 

wo  {coaß)2  resp.  {fOaß\  die  der  Masseneinheit  zuzuführende  Umwandlungs- 
wärme {—{(Oaß\  und  —{(i)aß)i  die  sogenannte  Wärmetönung)  für 
den  XJbergang  a->ß  bei  der  Temperatur  7\  resp.  T^  bezeichnet, 
und  jH«)  resp.  /^>  die  spezifischen  Wärmen  in  absolutem  Maße  für 
die  Zustandsänderungen  längs  der  Grenzkurve  sind. 

Rückt  man  T^  unendlich  nahe  an  T^,  so  erhält  man 


d 


m 


86)  r(ß)  -  rt«)  =  T    ^  y    , 

wo  der  Difi'erentialquotient  längs  der  Grenzkurve  zu  nehmen  ist*^ 
Die  in  diesen  Formeln  auftretenden  spezifischen  Wärmen  /^**> 
und  r^fi^  lassen  sich  näher  bestimmen  mit  Hilfe  der  allgemeinen 
Beziehung  (31"),  die,  auf  die  Masseneinheit  der  Phase  (a)  oder  (/?) 
angewandt  und  bei  Einführung  der  Bezeichnung  Vj  M  =^v^  lautet 

Setzt  man  nämlich  ftir  dPfdT  den  speziellen  Wert  ein,  der  der 
Grenzkurve  entspricht,  so  erhält  man  sogleich 


86')  r=r^_T|4,^; 

hierin  hat  dv  jd  T  die  Bedeutung  der  spezifischen  thermischen 
Volumenänderung  bei  konstantem  Druck,  ist  also  bei  festen  und 
flüssigen  Körpern  eine  so  kleine  Größe,  daß  für  letztere  angenähert  F  mit 
dem  durch  Messung  direkt  zu  erhaltenden  /"^  zu  vertauschen  ist 

Ist  sonach  F  für  die  eine  Phase,  z.  B.  (a\  bekannt,  und  ist  das 
Gesetz,  welches  maß  mit  T  verbindet,  gegeben,  so  liefert  die  Glei- 
chung (86)  T  für  die  andere  Phase  iß).  — 


§  12.     Umtpandlungsufännen  und  -dilatatümen.  576 


Wir  stellen  nunmehr  die  wichtigen  DiiFerentialeigenschaften  zu- 
sammen,  welche  das  Potential  Z  besitzt. 
Aus  seiner  Definition 

ergiebt  sich  unter  Rücksicht  darauf,  daß  bei  Änderungen,  die  nur  P 

und  T  betreffen, 

dr+PdF^TdH^O 

ist*0; 

d  Z  jj-         ^  ^  _^    TT  Qß"\ 

^=-lf,     ^=-^.  8b) 

Femer  gilt  aus  demselben  Grunde 

d  (z\         ir-^-  pv  Q^,,^ 

Wendet  man  die  letzten  beiden  Formeln  auf  zwei  Zustande  (1) 
und  (2)  desselben  Systemes  an,  welche  gleicher  Temperatur  und 
gleichem  Druck,  aber  verschiedenen  rd^  entsprechen,  so  erhält  man*®) 

gp(^a  —  -^i)  =  ^2  —  ^1  =^  ^\% y 


(Z^-ZA  ^  _  (^-+PF)«-(-g^  +  Pni  ^  _  -^ 


86"") 


wo  fl^j  die  mechanisch  gemessene  Wärmemenge  bezeichnet,  welche 
zur  Überführung  des  Systems  aus  dem  Zustand  (1)  in  den  Zu- 
stand (2)  bei  konstantem  Druck  und  konstanter  Temperatur  erforder- 
lich ist  — 

Endlich  sei  noch  bemerkt,  daß  die  aus  der  Energiegleichung  (2) 
für  einen  beliebigen  Kreisprozeß  gezogene  Folgerung 

[A)  +  (fl)  =  0  87) 

unter  Umständen  dazu  dienen  kann,  die  Umwandlungswärme  ßj^ 
oder  die  Wärme tönung  —  ßi2  ^^  ^®^  direkten  Übergang  aus 
einem  Zustand  (1)  in  einen  Zustand  (2),  die  sich  direkter  Beobach- 
tung entzieht,  aus  dem  Betrag  Q\^  zu  berechnen,  der  bei  der  auf 
Umwegen  bewirkten  Umwandlung  erforderlich  ist  Denn  da  die 
beiden  Umwandlungen  sich  zu  einem  Kreisprozeß  kombinieren  lassen, 
so  kann  man  die  obige  Formel  schreiben 

Findet  die  Umwandlung  beide  Male  bei  konstantem  Volumen 
statt,  was  sich  leicht  bewirken  läßt,  wenn  die  eine  Komponente  bei 
beiden  Überführungen  gasformig  ist»  so  gilt  streng 


576  ///.  TeU.     Wärmelehre,    IL  Kap. 


dieselbe  Formel  wird  als  sehr  nahe  richtig  zu  benutzen  sein,  wenn 
die  Reaktion  in  flüssigem  Zustande  stattfindet,  und  die  sie  begleitende 
Volumenänderung  unbedeutend  ist  Die  Gleichung  (87")  ist  durch 
eine  große  Zahl  von  Messungen  bestätigt  worden.^^) 


§  13.    Eine  Komponente  in  h  Phasen.     Gleichgewicht  zwischen  rer- 
schiedenen  Aggregatznstanden  desselben  Körpers. 

Die  denkbar  einfachste  Anwendung  der  allgemeinen  Resultate 
des  vorigen  Abschnittes  betrifft  den  Fall  eines  Systemes  mit  nur  einer 
Komponente.  Ein  solches  wird  geliefert  durch  eine  Substanz,  die 
bei  Ycrschiedenen  Temperaturen  und  Drucken  verschiedene  Modifi- 
kationen oder  Aggregatzustände  besitzt,  falls  von  diesen  Modifika- 
tionen nur  eine  gasförmig  ist,  und  die  tropfbarflüssigen  sich  nicht 
mischen. 

Hier  gilt  dann  nach  (84) 

*  • 

und  die  einzige  Nebenbedingung  hat  die  Form 

2m(0  =  w,     d.  h.  ^Sfd^  =  0, 

woraus  sogleich  folgt 

2(f<0-A)^ni^o  =  o,     oder 

Dies  giebt  in  Übereinstimmung  mit  dem  allgemeinen  GiBBs'schen  Satx 
S.  572  als  Bedingung  des  Gleichgewichts  zwischen  verschiedenen 
Phasen  die  Gleichheit  ihrer  Potentiale;  zugleich  nehmen  die  Folge- 
rungen aus  diesem  Satze  wegen  n  =  1  hier  die  spezielle  Form  an, 
daß  mehr  wie  drei  Phasen  niemals,  drei  nur  in  einzelnen  Punkten 
und  zwei  nur  in  einzelnen  Kurven  der  P  T-Ebene  nebeneinander  im 
Gleichgewicht  sein  können. 

Die  S.  573  besprochene  Veranschaulichung  wird  demgemäß  sehr 
einfach.^^ 

In  der  P T-Ebene  liegen  je  nach  Umstanden  ein  oder  mehrere 
dreifache  Punkte,  gegeben  durch 

für  beliebige  (or),  (/?),  (/);  zwischen  ihnen  oder  von  ihnen  ins  Unend- 
liche erstrecken  sich  die  Doppelkiu'ven  mit  den  Gleichungen 


§  13.     Eine  Komponente  in  h  Phasen.  577 


welche  so  liegen  müssen,  daß  sie  sich  nur  in  den  dreifachen  Punkten 
schneiden,  und  begrenzen  Flächengebiete,  in  denen  nur  je  eine  Phase 
im  Gleichgewicht  verharren  kann.  Wenn  wir  also  jeder  Phase  ein 
über  die  PT-Ebene  gelegtes  Blatt  zuordnen,  so  stellen  nur  die  inner- 
halb dieser  Grenzen  gelegenen  Bereiche  stabile  Gleichgewichtszustände 
dar,  die  darüber  hinausliegenden  Zustände  labilen  oder  aber  fehlenden 
Gleichgewichts.  Die  Verlängerungen  der  Grenzkurven  über  die  drei- 
fachen Punkte  hinaus  müssen  dann  dem  labilen  Gleichgewicht  zwi- 
schen zwei  labilen  Phasen  entsprechen. 

Man  kann  bei  den  vorliegenden  einfachen  Verhältnissen  die 
Veranschaulichung  noch  weiter  treiben. 

Man  hebe  an  jeder  Stelle  der  horizontal  gedachten  PT-Ebene 
das  dort  liegende  Phasenblatt  um  eine  Höhe,  welche  proportional 
ist  mit  dem  Volumen  v^>\  welches  die  Masseneinheit  der  Phase  bei 
dem  obwaltenden  P  und  T  einnimmt,  dann  erhält  man  statt  ebener 
Blätter  soviel  Oberflächen  von  der  Gleichung 

i/»)=P«)(P,  T), 

als  Phasen  vorhanden  sind;  wir  wollen  diese  Flächen  kurz  PhaseD- 
flächen  nennen  und  mit  P^*)  bezeichnen. 

Über  den  Grenzkurven  ^">  =  ^  errichte  man  vertikale  Cylinder- 
flächen  Caß,  so  begrenzen  ihre  Schnittkurven  mit  den  Phasenflächen 
PW  auf  den  letzteren  die  Gebiete  stabilen  Gleichgewichts,  und  die 
zwischen  zwei  Schnittkurven  liegenden  Teile  der  Cylinderflächen  C«« 
repräsentieren  die  Zustände  des  Überganges  von  einer  Phase  zur 
anderen,  während  dessen  die  Substanz  nicht  homogen,  sondern  aus 
zwei  verschiedenen  Phasen  gemischt  ist. 

Die  über  die  Grenzkurven  hinausragenden  Teile  der  Flächen  F^^ 
werden  labile  Gleichgewichtszustände  darstellen. 

Gewisse  Beobachtungen^^)  machen  es  nun  wahrscheinlich,  daß 
diese  Flächenstücke  zwischen  den  Phasenblättem  P^**)  und  F^^  der 
benachbarten  Bereiche  (a)  und  {ß)  eine  vollständige  Verbindung  her- 
stellen, die  eben  deshalb  sich  im  allgemeinen  der  erschöpfenden  ex- 
perimentellen Untersuchung  entzieht,  weil  sie  labile  Gleichgewichts- 
zustände enthält.  Diese  Verbindungsstücke  müssen  dann,  wie  die 
unmittelbare  Anschauung  ergiebt,  um  sich  an  zwei  in  verschiedener 
Höhe  liegende  Phasenblätter  stetig  anzuschließen,  S-formig  gekrümmt 
sein,  also  die  Cylinderfläche  einmal  durchsetzen. 

In  diesem  Falle  wird  eine  Zustandsgieichung  v  =  F{Pj  T)  das 
Verhalten  der  Substanz  in  den  beiden  zusammenhängenden  Phasen 

Voigt,  Theoreüache  Phjrilk.  37 


678  ///.  !Zfet7.     Wärmelehre.    IL  Kap, 


darstellen.  Die  Gleichgewichtsbedingung  ^«^  =  ^fi)  gewinnt  hier  eine 
besonders  einfache  und  anschauliche  Bedeutung. 

Legen  wir  durch  die  Flächen  F  und  C  einen  der  FP- Ebene 
parallelen  ebenen  Schnitt  T  =  Const,  so  schneidet  derselbe  die  Ober- 
fläche F  in  der  Nähe  der  Grenzkurve  {aß)  nach  dem  Gesagten  in 
einer  S-förmigen  Kurve,  auf  der  ebenfalls  T  konstant  Ist,  die  Cylinder- 
Üäche  C  in  einer  vertikalen  Geraden,  in  der  sowohl  P,  als  T 
sich  nicht  ändert;  diese  Gerade  schneidet  die  genannte  Kurve  in 
drei  Punkten.  Bezeichnen  wir  diese  Punkte  von  unten  nach  oben 
fortschreitend  mit  1),  2),  3),  so  umschließen  beide  Kurven  zwischen 
1)  und  2)  und  zwischen  2)  und  3)  Flächenstticke  f^  und  ^,  deren 
Größen  nach  der  Anschauung  resp.  gegeben  sind  durch 

2  8 

f,=  ±J{P-P,)dv,    f,^±J{P,-P)dv, 

1  2 

WO  P  den  auf  der  gekrümmten  Bandkurve  variabeln,  P^  den  auf 
der  geradlinigen  konstanten  Druck  bezeichnet;  von  den  doppelten 
Vorzeichen  gehören  die  beiden  oberen  oder  die  beiden  unteren  zu- 
sammen. 

Integrieren  wir  die  Energiegleichung 

dB  =  Tdfj  -  Pdv 

längs  der  S-förmigen  Kurve,  für  welche  T  konstant^  P  aber  variabel 
ist,  zwischen  den  Grenzen  1)  und  3),  so  ergiebt  sie 

8 

1 
hiermit  kombinieren  wir  die  Gleichung  S^=^«^,   die  sich  ersichtlich 
auf  die  Punkte  1)  und  3)  anwenden  läßt  und  dann  die  Form  an- 
nimmt 

«3  -  «1  =  '^(^3  -  ^i)  -  ^1  K  -  «'i)» 
und  erhalten 

8 

/(P-Pi)^r  =  0    oder 

1 

2  8 

J{P^P^)dv^f{P^^F)dv    und  somit 

1  2 

Die  Lage  der  Grenzkurven  {ccß)  ist  also  dadurch,  daß  sie  die  oben 
definierten  Flächenstücke  gleich  machen  muß,  anschaulich  fest- 
gelegt") 


§  13,     ümtpandlungstcämie  and  -dilatation,  579 

Nachdem  wir  somit  an  der  Hand  der  GiBss'schen  Phasenregel 
eine  deutliche  Anschauung  von  dem  Verhalten  unseres  speziellen 
materiellen  Systemes  in  dem  PTT-Koordinatensysteme  gewonnen 
haben,  wollen  wir  nun  auch  die  weiteren  allgemeinen  Sätze  auf  den 
vorliegenden  speziellen  Fall  tibertragen. 

Die  Gleichung  (86) 


r(ß)—  jf^«)  =  T 


BT 


gewinnt  bei  unserem  Beispiel  eine  besonders  einfache  Bedeutung, 
weil  beim  Überschreiten  der  Qrenzkurve  {cc  ß)  keine  anderen  Phasen, 
als  eben  {u)  und  {ß)  in  Betracht  kommen,  coaß  also  direkt  die  Um- 
wandlungswärme der  Masseneinheit  aus  dem  Zustand  {ci)  in  den  Zu- 
stand {ß)  bedeutet. 

Nach  der  zweiten  Formel  (86'")  ist  weiter  in  unserem  Falle 


denn  die  Zustände  diesseits  und  jenseits  der  Qrenzkurve  entsprechen 
der  gemachten  Voraussetzung,  daß  Druck  und  Temperatur  für  sie 
übereinstimmen. 

Nun  ist  aber  längs  der  Grenzkurve  (aß)  die  Beziehung  ^*)  =f^^ 
erfüllt,  daher  ist  die  letztere  Formel  identisch  mit 


j(fe"^  -  s'-))  =  -  -^''-  •  88') 


d 
Femer  folgt  aus  der  ersten  Gleichung  (86'") 


-^{^l^-^''>)^v„ß,  88") 

falls  Vaß  =  »^  —  t?^"^  die  Änderung   des   spezifischen  Volumens  be- 
zeichnet,  welche  den  Übergang  (a)  ->  {ß)  begleitet 

Verbindet  man  mit  diesen  Beziehungen  die  Gleichung 


^(^/?)^^«))^T+A(^y^^^«))rfP:^0, 

welche  daraus  folgt,  daß  die  Bedingung  ^")  =  5*Ä  für  jede  Stelle  der 
Grenzkurve  gültig  ist,  so  erhält  man  die  überaus  wichtige  Gleichung  ••) 


'^=^vaß[~-nr\     ,  88-) 


aß 

welche  den  Zusammenhang  zwischen  Umwandlungswärme,  Volmmen- 
änderung    und    dem    für    die   Grenzkurve   {aß)    oharakteristiscben 

87* 


580  ///.  Teü,     Wärmelehre.    IL  Kap. 


Differentialverhältnis  Yon  Umwandlungsdruck  und  -temperatur  aus- 
spricht 

Da  {dTjdPjaß  zugleich  die  Tangente  des  Winkels  ist,  den  in 
der  PT-Ehene  die  Grenzkurve  (ccß)  mit  der  P-Axe  einschließt,  so 
giebt  die  Gleichung  (88'")  auch  für  diesen  Winkel  eine  Beziehung. 
Stellt  man  sie  für  die  in  einem  dreifachen  Punkt  {a  ß  y)  zusammen- 
kommenden drei  Kurven  {aß),  {ßy)j  (/^)  ^^^  ^^^  berücksichtigt, 
daß  im  dreifachen  Punkt  identisch  sowohl 


88"") 


Vaß+    Vßr   +    Vya  =  0,    als 

ist,  so  erhält  man  leicht  einfache  Beziehungen  zwischen  den  Winkeln, 
unter  denen  die  Kurven  von  dem  dreifachen  Punkt  ausgehen,  die 
wir  aber  allgemein  nicht  aufstellen  woUen.  — 

Der  wichtigste  spezielle  Fall,  welcher  sich  auch  zur  experi- 
mentellen Prüfung  der  Resultate  der  vorstehenden  Entwickelungen 
hervorragend  eignet,  ist  derjenige,  daß  die  Phasen  des  Systemes 
durch  die  verschiedenen  Aggregatzustände  des  betrachteten  Körpers 
geliefert  werden;  in  anderen  Fällen  werden  die  theoretisch  not- 
wendigen Reaktionen  häufig  durch  Widerstände  so  verzögert,  daß 
der  Moment  ihres  Eintrittes  nur  sehr  ungenau  zu  beobachten  ist. 
Die  Phasen  der  drei  Aggregatzustände  seien  durch  die  oberen  Indices 
s  (starr),  f  (flüssig),  d  (dampfförmig)  bezeichnet 

Hier  giebt  es  nur  einen  dreifachen  Punkt,  definiert  durch  die 

Gleichimg 

89)  ^•)  =  ^n  =  ^i); 

von  ihm  aus  gehen  drei  Doppelkurven  (sf),  {fd),  {ds)j  welche  die 
Grenzen  zwischen  den  Gebieten  der  bezüglichen  drei  Phasen  büden 
und  durch  die  Gleichungen 


89')  ^'^=^^\    ^^=^^,     frcD^jf.) 

definiert  sind,  ins  Unendliche. 

Nach  der  Natur  der  Vorgänge,  welche  die  Übergänge  über  diese 
Kurven  im  Sinne  steigender  Temperatur  bedeuten,  nennt  man  sie 
anschaulich  Schmelzkurve,  «Verdampfungskurve,  Sublimier- 
kurve,  und  mit  den  analogen  Namen  bezeichnet  man  die  Bereiche 
auf  den  Cylinderflächen  (7,  welche  die  Verbindungen  zwischen  den, 
wie  oben  erörtert,  in  verschiedenen  Höhen  über  der  P  T-Ebene 
liegenden  Phasenblättern  herstellen  und  Übergänge  durch  inhomogene 
Zustände  repräsentieren.  Analog  bezeichnet  man  femer  die  resp. 
auf  die   Masseneinheit   bezogenen   oder   spezifischen   Uberfuhrungs- 


§  13.     Verschiedene  Aggregatx/ustWnde  desselben  Körpers.  581 


wärmen  m,f,  aofa,  (o^d  als  Schmelzungs-,  Verdampfungs-  und 
Sublimierwärmen;  sie  sind  Gegenstände  der  exakten  Messung  und 
sind  sämtlich  bei  Übergängen,  die  im  Sinne  der  Beihenfolge  der 
Indices  {s)->{f)  u.  s.  f.  stattfinden,  positiv  gefunden. 

Auch  die  die  Überführung  begleitenden  Volumenänderungen  der 
Masseneinheit  v,^,  Vfa,  Vtd  sind  meßbar;  aber  während  die  letzten 
beiden,  im  Sinne  der  Reihenfolge  der  Indices  stattfindend,  sich 
stets  positiv  ergeben,  ist  die  erstere,  die  Volum enänderung  beim 
Schmelzen,  bei  einigen  wenigen  Substanzen,  unter  denen  sich  das 
Wasser  befindet,  negativ.  — 

Was  nun  die  Prüfung  der  oben  abgeleiteten  Gesetze  angeht^ 
so  ist  die  in  den  Gleichgewichtsbedingungen  (89')  ausgesprochene 
Thatsache,  daß  ein  Gemisch  von  zwei  Aggregatzuständen,  so  lange 
der  Druck  konstant  ist,  seine  Temperatur  nicht  ändert  und  um- 
gekehrt, vollständig  sichergestellt  und  bildet  eine  Hauptstütze  der 
Theorie. 

Weiter  kann  die  Formel  (86),  angewandt  auf  die  Grenze  zwischen 
der  flüssigen  und  dampfförmigen  Phase,  die  Gelegenheit  zu  einer 
Prüfung  der  Theorie  liefern.**)     Wir  schreiben  sie 

=  f^      I  ^fA\  d^fÄ  ^fA  /^rvv 

I^ä^^nn  +  T-^[-^]  =  /V)+  -^  -  _^  90) 

und  bemerken,  daß  sie  die  spezifische  Wärme  des  Dampfes  an  der 
Grenzkurve  (/,  d\  d.  h.  des  gesättigten  und  bei  der  Temperatur- 
änderung gesättigt  bleibenden  Dampfes,  aus  der  spezifischen  Wärme 
der  Flüssigkeit  längs  derselben  Kurve  und  aus  dem  Verhalten  der  Ver- 
dampfungswärme zu  berechnen  gestattet  Indessen  ist  eine  direkte 
Beobachtung  der  spezifischen  Wärme  I^^  und  I^f^  kaum  möglich, 
und  die  Prüfung  der  obigen  Formel  geschieht  deshalb  besser  auf 
einem  indirekten  Wege,  den  wir  weiter  unten  besprechen  werden. 

Endlich  gestattet  die  Formel  (88'")  eine  sehr  feine  Vergleichung 
mit  der  Wirklichkeit,  denn  sie  enthält  einen  Zusammenhang  zwischen 
drei  der  genauen  Beobachtung  zugänglichen  Größen. 

Auf  den  üebergang  (/"— v  d)  und  [s-^  d)  angewandt  ergiebt  sie 

also,  da  nach  Obigem  hier  sowohl  die  co  als  die  v  positiv  sind,  für 
dPIdT  positive  Werte,  d.  h.  mit  dem  Druck  wachsende  Verdampfungs- 
und  Sublimiertemperaturen.  Bei  dem  Übergang  {s-^f)  ist  v  bald 
positiv,  bald  negativ,  daher  liefert  die  Formel 


582  IlL  TeU.     Wärmelehre.    IL  Kap. 

unter  Umständen,  z.  B.  im  Falle  des  Eises,  mit  wachsendem  Druck 
fallende  Schmelztemperaturen.  Die  Beobachtungen  haben  diese 
Resultate  qualitativ  und  quantitativ  vollständig  bestätigt.  ^^) 

Wir  wollen  weiterhin  die  Körper  mit  positivem  v^f  normale,  die 
mit  negativem  anormale  nennen,  bemerken  aber  zugleich,  daß  an 
sich  möglich,  wenn  gleich  noch  nicht  beobachtet,  auch  der  allgemeiiie 
Fall  ist,  daß  eine  Substanz  sich  bei  gewissen  Temperaturen  normal, 
bei  anderen  anormal  verhält. 

Berücksichtigt  man  die  für  jeden  dreifachen  Punkt  gültigen 
Beziehungen  (88""),  so  erhält  man  aus  den  Gleichungen  (90')  und 
(90")  leicht 

diese  noch  strenge  Formel,  der  sich  zwei  ähnliche  zuordnen,  verein- 
facht  sich  durch  die  Überlegung,  daß  bei  den  Umständen,  welche 
für  den  dreifachen  Punkt  charakteristisch  sind,  das  spezifische  Vo- 
lumen iK*^  der  dampfförmigen  Phase  vielemale  größer  ist,  als  das- 
jenige der  flüssigen  resp.  festen.  Infolge  dessen  kann  man  sie  näm- 
lich schreiben 

^  Tv^^^       \dTj,a       \dTJfd 

und  erhält  damit  einen  Aufschluß  über  die  gegenseitige  Neigung 
der  Kurven  {sd)  und  [fd)  im  dreifachen  Punkt.  — 

Durch  da&  oben  Entwickelte  sind  wir  nun  auch  in  den  Stand 
gesetzt,  die  Lage  der  drei  Doppelkurven  deutlich  zu  übersehen. 
Wählen  wir  die  P-Axe  als  Abscissen-,  die  T-Axe  als  Ordinaten- 
axe,  so  steigt  die  Kurve  [fd)  bei  allen  bekannten  Körpern  vom  drei- 
fachen Punkt  aus  nach  rechts  an,  die  Kurve  {sd)  fällt  nach  links 
hin  ab;  die  Kurve  («,  f)  hingegen  steigt  nach  rechts  hin  nur  bei 
normalen,  sie  fällt  nach  rechts  hin  bei  anormalen  Körpern.  Ton 
den  drei  Gebieten  (*),  (/^,  {d)  liegt  (ft)  oben  links,  (/)  oben  rechts, 
{s)  unten.  Die  Phasenfläche  {d)  liegt  bei  allen  Körpern  längs  der 
Grenzkurven  (fd)  und  {sd)  höher  als  die  Phasenfläche  {f)  resp.  (*)t 
aber  längs  der  Grenze  (*,  f)  ist  bei  normalen  Körpern  die  Fläche 
{f\  bei  anormalen  die  Fläche  {s)  die  höhere. 

Folgen  wir  von  dem  dreifachen  Punkt  aus  der  Grenzkurve  {fd), 
so  wird  nach  der  Beobachtung  der  Unterschied  in  Volumen  oder 
Dichte  beider  Phasen  immer  geringer,  der  Höhenunterschied  der  an- 


§  13.    Orenxkurven  xwtsehen  verschiedenen  Äggregatxuständefi.  583 


grenzenden  Phasenflächen  {f)  und  {d)  mit  wachsendem  P  und  T 
also  immer  kleiner,  und  für  eine  Reibe  von  Körpern  ist  mit  dem 
Experiment*®)  ein  Zustand  erreicht  worden,  wo  die  Dichte  der  flüs- 
sigen und  der  dampfförmigen  Phase  gleich  und  damit  überhaupt' 
jeder  Unterschied  zwischen  den  beiden  Phasen  verschwunden  ist; 
diese  Eigentümlichkeit  bleibt  auch  bei  weiter  gesteigertem  P  und  T 
erhalten.  Unter  diesen  Umständen  verläuft  also  die  Grenzkurve  [fd) 
nicht  ins  Unendliche,  sondern  endigt  in  Wirklichkeit  bei  einem  be- 
stimmten Punkt,  den  man  den  kritischen  Punkt  nennt. 

Da  einem  Wachsen  von  P  und  T  prinzipiell  keine  Grenze  ge- 
setzt werden  kann,  so  darf  man  sich  vorstellen,  daß  die  nach  der 
Seite  wachsender  P  und  T  verlaufende  Kurve  {fd)  für  alle  Körper 
mit  einem  kritischen  Punkt  der  betrachteten  Art  endigt.  Gleiches 
gilt  von  der  Grenzkurve  {sf)  für  normale  Körper. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  Kurve  {s  d),  die  vom  dreifachen 
Punkte  aus  nach  kleineren  Werten  P  und  T  verläuft;  hier  ist  durch 
die  Werte  P  =  0  und  T  =  0,  die  in  Praxis  nicht  zu  überschreiten 
sind,  eine  Begrenzung  der  Kurve  im  Endlichen  gegeben,  und  dem- 
nach ist  ein  diese  Kurve  abschließender  kritischer  Punkt  nur  aus- 
nahmsweise zu  erwarten. 

Ähnliches  wird  für  die  Grenzkurve  {sf)  bei  anormalen  Körpern 
gelten,  wenn  dieselbe  dauernd  und  in  genügendem  Grade  fällt,  um 
die  P-Axe  im  Endlichen  zu  erreichen.  — 

Der  Umstand,  daß  die  Phasenblätter  {f)  und  {d)  oberhalb  des 
kritischen  Punktes  über  die  Grenze  {fd)  hinweg  zusammenhängen, 
legt  von  neuem  die  Vorstellung  nahe,  daß  auch  längs  der  ganzen 
übrigen  Strecke  der  Kurve  {fd)  eine  stetige  Verbindung  zwischen 
ihnen  möglich  ist,  welche  homogenen,  aber  instabilen  Zuständen  ent- 
spricht Ist  diese  Vorstellung  richtig,  so  muß  es  nach  dem  S.  577 
Gesagten  möglich  sein,  das  Verhalten  beider  Phasen  {f)  und  {d) 
durch  ein  einziges  Gesetz  darzustellen. 

Dies  ist  in  einer  bemerkenswerten  Weise  durch  die  van  der 
WAALs'sche  Zustandsgieichung '^^)  geleistet,  die  wir  schon  früher  bei- 
läufig benutzt  haben,  die  aber  erst  bei  dem  hier  vorliegenden  Pro- 
blem des  stetigen  Überganges  aus  dem  flüssigen  in  den  gasförmigen 
Zustand  ihre  volle  Bedeutung  erhält.  Daß  man  sie  durch  theo- 
retische Überlegungen  ableiten  kann,  ist  S.  58  u.  f.  gezeigt  worden; 
bei  der  geringen  Strenge,  welche  jene  Entwickelungen  besitzen,  be- 
trachtet man  sie  indessen  besser  als  eine  zur  Darstellung  der  Be- 
obachtungen gebildete  Interpolationsformel. 

Wir  wollen  sie  jetzt  speziell  auf  die  Masseneinheit  beziehen 


584  HL  Teü,     Wärmelehre,    IL  Kap. 


und  daher  schreiben 

91)  (p+5)(«-*)  =  i?T; 

hierin  bezeichnet  v  das  Volumen  der  Masseneinheit  oder  das  spezi- 
fische Volumen  der  Substanz.  Die  Dimensionen  der  Konstanten 
dieser  Gleichung  sind 

Die  Gleichung  ist  in  Bezug  auf  das  spezifische  Volumen  v  vom 
dritten  Grade,  so  daß  sich  also  zu  gegebenem  P  und  T  drei  Wur- 
zeln V  ergeben,  die  unter  gewissen  Voraussetzungen  sämtlich  reell 
sind;  sie  entsprechen  den  S.  578  erwähnten  Schnittpunkten  einer 
Normalen  auf  der  P  T-Ebene  mit  der  Volumenfläche.  Der  kritische 
Punkt  ist  nach  dem  soeben  Entwickelten  dadurch  definiert,  daß  in 
ihm  die  drei  Wurzeln  für  v  zusammenfallen. 

Bezeichnet  man  die  diesem  Punkte  entsprechenden  Werte  der 
Variabein,  welche  man  die  kritischen  nennt,  mit  P,  ü,  T,  so  erhält 
man  als  Bedingungen  dafür,  daß  die  Gleichung  (91)  die  Form 
{v  —  »)•  s=  0  annimmt^ 

p  p  p 

Hieraus  folgen  die  kritischen  Daten,  durch  die  Eonstanten  ausgedrückt: 
91')  v  =  3b,    P=^,     T=    '^ 


276»'  2765' 

und  umgekehrt  die  Konstanten,  durch  diese  ausgedrückt: 

91")  a  =  3Pir8,     *  =  |,     B  =  ^. 

8  ST 

Kombiniert  man  mit  der  van  deb  WAAiiS'schen  Formel  die 
allgemeine  Gleichung  (30")  für  d'i2  bei  Benutzung  der  Unabhängigen 
T  und  F,  die,  auf  die  Masseneinheit  bezogen,  lautet: 

so  erhält  man  leicht 

92)  d'07  ^rjT+^^dv, 

da  außerdem  die,  ebenso  auf  die  Masseneinheit  bezogene  Formel  tiir 

die  Arbeit  lautet 

92')  d'a  =  -  Pdv , 

so  findet  man 

92")  de'^r^dT+^dv, 


§  13.    Folgerungen  aus  dem  van  der  Waals'sehen  Oesetx,  585 


also 


e'^c  +  fr^dT^^,  93) 


während  zugleich 

rTdT 
ri^c'+j^^+BHv^b)  93') 

wird;  c  und  c'  bezeichnen  hierin  Integrationskonstanten.  Das  Po- 
tential ^  berechnet  sich  daraus  zu 

f  =  e  -  c'T+fr^dT^  '^f^^  -  ?  -BTlip^b)  +  Pv 
oder  nach  Elimination  Ton  P  zu 

^=c-c'T+fr„dT-  Tf^^-^-BT[l{v-b)-^^.    93") 

Da  nach  den  Formeln  (92)  und  (92")  F^  nur  eine  Funktion  von 
T  Bein  kann,  so  haben  die  drei  Gleichungen  für  e',  tj,  ^  die  Formen 

«'  =  0.--^,  94) 

1?  =  0,  +  Bl{v  -  b),  94') 

;=e,-^--BT{l{v-b)-^^,  94") 

in  denen  die  0  Funktionen  von  T  allein  bezeichnen.  Führt  man 
die  durch  die  Beobachtung  nahegelegte  Annahme  ein,  daß  F^  merk- 
lich konstant  ist,  so  lassen  sich  die  drei  Funktionen  0  allgemein 
angeben. 

Aus  der  Formel  (94)  folgt  für  zwei  Zustände  (1)   und  (2),   die 
gleicher  Temperatur  entsprechen, 

.;_.;=«(1_1);  95) 

berücksichtigt  man  die 'Gleichung  (2^)  der  Energie,  so  erhält  man 
die  zur  Überführung  nötige  Wärmemenge 

(2) 
(1) 

Sind  die  Zustände  (1)  und  (2)  mit  den  oben  betrachteten  der  koexistie- 
renden flüssigen  und  dampfförmigen  Phase  identisch,  so  ist  bei  iso- 

■  ■  

thermischer  Überführung  auf  dem  Wege  über  lauter  stabile  Zustande 
auch  P  konstant  und  die  letzte  Formel  identisch  mit 

'^f^  - « (^  -  ,-^)  +  ^(«^"^  -  '^)-  ö5") 


«12 


586  lU,  Teil.     Wärmelehre,    IL  Kap, 


Dies  Gesetz  wird  durch  die  Beobachtung  sehr  unvollständig 
bestätigt,  woraus  folgt,  daß  die  van  beb  WAALs'sche  Formel  selbst 
nur  angenähert  richtig  sein  kann.*^)  — 

Wir  wollen  nun  einige  der  vorstehenden  Formeln  dadurch  um- 
gestalten, daß  wir  die  Konstanten  a,  b,  B  nach  (91'^  durch  die 
kritischen  Daten  ausdrücken  und  dann 

96)  y  =  ^^     j  =  <P>    |  =  * 

setzen,  also  die  Verhältnisse  von  Druck,  Volumen  und  Temperatur 
zu  den  kritischen  Werten  einfahren,  welche  man  die  reduzierten 
Größen  dieser  Variabein  nennt 
Wir  erhalten  dann  aus  (91) 

96')  (,«  +  1.)  (3  9  -  1)  =  8  *, 

die  reduzierte  Form  der  van  dee  WAAia'schen  Formel**);  femer 
aus  (94")  __ 

96")  f=0,_^-lfl*(/(39,-l)--^^). 

Diese  Resultate  schreiben  wir  kürzer 


worin  zwar  0^  noch  der  Substanz  individuelle  Parameter  enthält, 
nicht  aber  ^  und  ^;  die  letzteren  Größen  sind  also  universelle 
Funktionen. 

Hieraus  folgt  einerseits,  daß  in  einem  n  &  ^-Koordinatensystem 
die  möglichen  Zustände  aller  Körper  durch  die  Punkte  einer  und 
derselben  Oberfläche  /j(9?,:;r)=i9' dargestellt  werden;  es  folgt  auch 
andererseits,  daß  die  Grenzkurve,  welche  auf  dieser  Fläche  die  Be- 
reiche labiler  Zustände  gegen  diejenigen  stabiler  Zustände  scheidet, 
filr  alle  Körper,  welche  die  Gleichung  (91)  befolgen,  gleich  liegt 
Denn  sie  ist  die  Schnittkurve  der  genannten  Oberfläche  mit  dem 
Cylinder,  dessen  Gleichung  allgemein  f (<»)  =  f CA  ist,  und  diese 
Gleichung  lautet  in  unserem  Falle 

ist  also  gleichfalls  für  alle  Körper  die  gleiche.  Auch  dies  Besultat 
wird  durch  die  Beobachtung  nur  unvollkommen  bestätigt,®^ 

Führen  wir  endlich  die  reduzierten  Variabein  in  die  Formel  (95") 
ein,  so  nimmt  dieselbe  die  Gestalt 

96"')  «,,,  =  i^;  [  (^  _  -^)  +  „  (5,(^  _  y(.))] 


§  14.    mn  Gemisch  von  %^  koexisHerendm  Phasen.  587 


an.  In  ihr  hat  die  Klammer  bei  gegebenem  ß-  für  alle  Körper  den- 
selben Wert;  (»fd  wird  also  bei  gleichen  reduzierten  Temperaturen 
für  verschiedene  Substanzen  den  Produkten  aus  dem  kritischen  Druck 
und  dem  kritischen  Volumen  proportional  sein. 


§14.  Eise  Komponente  in  h  Phasen.  Eigensohaften  eines  Oemisohes 
zweier  koexistierender  Phasen.    EinfloTs  der  Oberflächenspannimg  in 

der  Grenzfläche. 

Die  Umwandlung  einer  Masse  von  einer  Phase  (cc)  in  eine 
andere  [ß)  mit  ihr  zusammen  bestehende  findet,  wie  oben  gesagt, 
in  Wirklichkeit  so  statt,  daß  ein  Massenteilchen  nach  dem  anderen 
sprungweise  die  neue  Natur  annimmt,  so  daß  also  während  des 
Überganges  die  Masse  ein  Gemisch  von  beiden  koexistierenden 
Phasen  bildet.  Die  Untersuchung  der  Eigenschaften  eines  solchen 
Gemisches  ist  sonach  gleichwertig  mit  der  Entwickelung  der  Gesetze 
des  Überganges  selbst.®^) 

Für  die  Behandlung  des  Ubergangszustandes  sind  die  bisher 
benutzten  Unabhängigen  P  und  T  nicht  mehr  anwendbar,  da  ja  der 
ganze  Zustand  durch  die  Beziehung 

definiert  ist,  welche  P  und  T  miteinander  verbindet  Wir  wählen 
vorläufig  als  Unabhängige  T,  die  Umwandlungstemperatur,  und  die 
Masse  rd^  der  einen  Phase,  welche  dadurch  eine  ausgezeichnete 
Stellung  erhält  Zwischen  ihr  und  der  Masse  m<«)  der  anderen 
Phase  besteht  die  Beziehung 

,„(«)  ^  ^)ß)  ^  My  97) 

wobei  My  die  Gesamtmasse  der  Substanz,  konstant  ist;  mit  dem 
Volumen  V  ist  m^  verbunden  durch  die  Formel 

V  =  ?n(«)  t?f«)  +  m^  v^  =:  M^^)  +  m^  v^ß ,  97') 

worin  wie  früher  t?(«)  und  vl^  die  spezifischen  Volumina  der  beiden 
Phasen  (a)  und  Q9),  v^ß  aber  die  Volumenänderung  xß^  — 1;(«)  bei  der 
Umwandlung  in  der  Richtung  {p^-^iß)  bezeichnet  »(">  und  v>^^  also 
auch  v^ß^  hängen  bei  dem  betrachteten  Problem  nur  von  der  Tem- 
peratur ab. 

In  den  Variabein  T  und  m^  drückt  sich  unter  Benutzung 
von  (3)  die  zugeführte  Wärmemenge  sehr  einfach  aus.    Schreibt  man 


588  ///.  7c»;.     Wärmelehre.    IL  Kap, 


SO  sieht  man,  daß  Üt  einer  Erwärmung  ohne  Umwandlung  und  ä^ 
einer  Umwandlung  ohne  Temperaturänderung  entspricht 
Es  muß  daher  gelten 

98)  d'ü  =  (7w^«)r(«)  +  m^i^)  dT+  (Oaßdmfß)-, 

die  spezifischen  Wärmen  in  der  Klammer  sind  mit  den  früher  so 
bezeichneten  identisch,  denn  sowohl  die  Phase  {a\  wie  die  Phase  (ß)^ 
befindet  sich  in  dem  der  Grenzkurve  (a  ß)  entsprechenden  Zustande. 
Drückt  man  hierin  JT^  mit  Hilfe  der  Gleichung  (86)  aus,  so 
erhält  man  nach  leichter  Umformung 

980  ^ß  =  ^^"^  ^  ^  +  Tdy — ^j , 

wobei,   wie   weiterhin   immer,   bei   einer   Abhängigen    0  der  Aus- 
druck d0  das  Yollständige  Differential  bezeichnet 

Femer  folgt  aus  der  Definition  cf^= --P«fr  unter  Benutzung 
von  (97') 

\  d:A=-  -P]^Mdv^<^)  +  d{m^Vaß)\ 

=  -  PMdv^^^  -  d{m(ß) Pvaß)  +  rdß) v^ßäP, 
oder  unter  Benutzung  der  Beziehung  (88'")  auch 

98'")  d!A^  ^  PMdvi<^)  +  — ^  dT--  d{m^Pvaß\ 

Die    Werte   von   d£i   und  d*A  können   zur  Bestimmung  der 
Funktionen  E\  H  und  Z  dienen. 

Man  hat  nämlich  zunächst  nach  (2')  wegen  V'  =  0 

99)  rf£"=  Jlf ( r(«) -  P~^-]  dT+  d[m^(paß  -  Pv^ß)] , 
also,  falls  C  eine  Eonstante  bezeichnet, 

99)    E'=  M^C  +  J[r^-)^  P^)dT^  +  m^>{p^ß  ~  Pvaß)\ 
femer  nach  (22) 


98") 


_      dT  f  m^ 

9r)  dH^Ml\^>-^  +  d 


also,  wenn  C  eine  andere  Konstante  bedeutet, 

99'")  H=m[c+  J -"  P-]  +  —^ ; 

endlich  erhält  man  nach  (82)  durch  eine  einfache  Umformung 


§  14.     Ein  Gemisch  von  xw&i  koexistierenden  Phasen,  589 


Z^M 


C^CT+P^-)+j  ^/^(a)_  p__J^7^_  Tj  ^—Y^\ .  99"") 

Daß  Z  hier  wirklich,  wie  Gleichung  (99"")  zeigt,  eine  Funktion 
Ton  T  allein  und  mit  M  proportional  sein  muß,  ergiebt  sich  durch 
die  Überlegung,  daß  das  allgemeine 

für  die  Grenzkurve  {aß)  wegen  der  dort  geltenden  Bedingung  S^"^  =  f^^^ 
die  Form 

Z^Ml 

annehmen  muß,  worin  ^  nur  T  enthalten  kann. 

Um  diese  Formeln  anzuwenden,  muß  P,t?(«),  /"■(«)  und  cu«^  oder 
Vaß  als  Funktion  von  T  durch  die  Beobachtung  gegeben  sein. 

Ein  besonders  wichtiger  spezieller  Fall  ist  der,  daß  die  Phase  («) 
flüssig  oder  starr,  die  Phase  {ß)  gasformig  ist.  Hier  kann  man 
nämlich  /"(«>  und  t?(«)  als  nahezu  von  der  Temperatur  unabhängig, 
also  als  absolut  konstant  betrachten  und  erhält,  indem  man  gleich- 
zeitig (Oaß  durch  Anwendung  der  Beziehung  (88"')  eliminiert  und 
m^  nach  (97')  durch  F  ausdrückt,  die  einfacheren  Formeln 


/f=M(c'+r^«)/(7o)  +  (r-.if/Xa);(l^,)^^, 


100) 


Diese  Gleichungen  sind  u.  a.  für  die  Entwickelung  der  Theorie 
der  Dampfmaschine,  die  ja  mit  einem  Gemisch  von  Wasser  und 
Wasserdampf  arbeitet,  von  Wichtigkeit. 

Femer  gestatten  sie  die  Anwendung  zur  Bestimmung  der  bei 
nicht  umkehrbaren  Vorgängen  eintretenden  Veränderungen,  wozu  in 
§  8  die  allgemeinen  Regeln  angegeben  sind. 

Beschränken  wir  uns  auf  den  FaU  der  Ausdehnung  ohne  Arbeits- 
und Wärmezufuhr  und  bezeichnen  die  beiden  Grenzzustände  mit 
(1)  und  (2),  so  erhalten  wir,  indem  wir  den  Wert  der  Energie  in 

£"==  MF{'r)  +  Ff{T)  100') 

abkürzen, 

m[f{  i\)  -  F{  T,)]  =  r,  /•(  i\)  -  V,  f{  r,) ,  i  oo") 

was    Tj    aus   gegebenem    1\,  }\    und    V^    zu   berechnen   gestattet. 


590  ///.  Teil.     Wärmelehre.    U.  Kap. 


während  (97')  den  beiden  Zuständen  zugehörigen  Wert  {rdß\  und 
{rd^\  angiebt.  — 

Wir  wollen  endlich  noch  die  Wirkung  bestimmen,  die  eine 
adiabatische  umkehrbare  Yolumenänderung  auf  das  Gemisch  ausübt. 

Hierzu  ist  in  der  Formel  (98)  cCSi  gleich  Null,  also  auch 

101)  (wi(«)  r(«)  +  rn^ rßy) d  T  +(o^ßdm^=^0 

zu  setzen  und  durch  Benutzung  von  (97')  dF  au  Stelle  von  dT 
einzuführen.     Aus  letzterer  Gleichung  folgt 

und  man  erhält  daher  aus  (101)  allgemein 

101')    (7n(«)r(«)+  m^P)r^) {dV^ v^ßdra^)  +  ui^Ä oj^ß-^dm^  =  0. 

Wir  wollen  uns  nun  auf  den  Fall  beschränken,  daß  nahezu  die 
ganze  Masse  M  sich  in  der  Phase  {ß)  befindet,  also  gasförmig  ist; 
dann  ist  7w(«>=s0,  m^^:=  M  zu  setzen,  und  die  letzte  Gleichung 
liefert 

101")  -T^dV ^  ^^^ß^ 

^''<^ß  riß) 

Hierin  überwiegt  das  erste  Glied  des  Nenners  jederzeit  wegen  des 
neben  F^ß^  stets  großen  Wertes  (Daß  weit  das  zweite;  da  dVaßldT. 
wie  schon  auf  8.  582  bemerkt,  kleiner  als  NuU  ist,  so  hat  der  ganze 
Nenner  einen  negativen  Wert;  man  kann  also  schreiben,  indem 
man  durch  ^  eine  Funktion  der  Temperatur  bezeichnet, 

101'")  ^^r^)dV==dmfß). 

Die  nach  (90)  ausgeführte  Berechnung  hat  i^^>  för  einige 
Flüssigkeiten  und  für  bestimmte  Temperaturen  positiv,  fikr  andere 
negativ  ergeben.  Berücksichtigt  man,  daß  negatives  dm^  eine 
Kondensation  von  Dampf  angiebt,  so  zeigt  die  letzte  Formel,  daB 
bei  positivem  F^  die  Kondensation  durch  Kompression,  bei 
negativem  durch  Dilatation  bewirkt  werden  muß.  Da  die  Kon- 
densation, wenn  sie  hinreichend  schnell  stattfindet,  zu  einer  Nebel- 
bildung innerhalb  des  in  gesättigtem  Zustande  zunächst  durch- 
sichtigen Dampfes  führt,  so  ist  hierdurch  der  Beobachtung  ein  ein- 
faches Mittel  gegeben,  um  das  Vorzeichen  von  JT^  zu  kontrollieren 
und  mit  dem  aus  der  Berechnung  folgenden  zu  vergleichen.  Diese 
eigentümliche  Prüfung  der  Theorie,  auf  die  schon  S.  581  hingewiesen 


§  14,     Oberflächenspannung  in  der  Orenxe  xtceier  Phasen.  591 


worden  ist,   hat   zu  einer  vollständigen  Bestätigung   derselben   ge- 
führt.«^. — 

Die  Gesetze  der  Umwandlung  werden  durch  Berücksichtigung 
der  in  der  Grenzfläche  zwischen  den  koexistierenden  Phasen  etwa 
stattfindenden  Oberflächenspannungen  in  einer  bemerkenswerten  und 
im  Anschluß  an  die  Grundformel  (79)  auf  S.  569  leicht  angebbaren 
Weise  modifiziert 

Da  keine  Beobachtung  bisher  dafür  spricht,  daß  zur  Ver- 
größerung oder  Verkleinerung  der  Grenzfläche  außer  mechanischer 
Arbeit,  die  z.  B.  bei  einer  Deformation  der  Bandkurve  der  Fläche 
zu  leisten  wäre,  auch  Wärme  zugeführt  werden  muß,  so  ist  die 
Entropie  von  der  Gestalt  und  Größe  der  betrachteten  Fläche  un- 
abhängig. Setzen  wir  ferner  voraus,  daß  bei  der  Variation  der 
Grenzfläche  äußere  Kräfte  keine  Arbeit  leisten,"^  so  enthält  auch  S'A 
keinen  auf  die  Grenzfläche  bezüglichen  Teil.  Es  bleibt  also  nur  in  F 
ein  auf  sie  bezügliches  Glied,  welches  als  Energie  der  Grenzfläche 
bezeichnet  werden  kann,  zu  berücksichtigen,  und  von  diesem  ist 
nach  dem  oben  Gesagten  klar,  daß  es  mit  dem  auf  S.  244  einge- 
führten dberflächenpotential  SaßOaß  identisch  sein  muß;  hierin  be- 
zeichnet Oaß  die  Größe  der  Grenzfläche  zwischen  den  Phasen  {cc) 
und  {ß),  Saß  die  in  ihr  wirkende  Oberflächenspannung,  welche  als 
der  Kombination  der  Körper  (ä)  und  {ß)  bei  gegebener  Temperatur 
individuell  betrachtet  werden  kann. 

Wir  erhalten  sonach  als  Potential  Z  der  beiden  koexistierenden 
Phasen 

Z  =  wi(«>  f  («)  +  m(fi>  ^0?)  +  Saß  Oaß.  102) 

Für  die  Anwendung  dieses  Ausdruckes  wollen  wir  uns  speziell 
vorstellen,  daß  die  Phase  {a)  außer  durch  die  Oberfläche  (aß)  nur 
noch  durch  starre  Wände  begrenzt  wird;  fehlen  solche,  so  muß 
sie  hiemach  rings  von  {ß)  umgeben  sein.  Die  äußere  Begrenzung 
der  Phase  {ß)  mag  entweder  konstante  Größe  besitzen  oder  von 
Oberflächenspannung  frei  sein. 

Bei  der  Variation  ist  dann  zu  benutzeui  daß 

und  daß  nach  einem  bekannten  geoiüetrischen  Satze  zugleich 

und  I  102') 


592  111.  Teil.     Wärmelehre.    U.  Kap. 


ist,  wobei  Sv  die  normale  Verschiebung  der  Grenzfläche  an  der 
Stelle  des  Elementes  doaß  nach  der  Seite  der  Phase  {ß),  und  Äj,  ß^ 
die  Hauptkrümmungsradien  ebenda  und  analog  gerechnet  bezeichnen. 
Wirken  körperliche  Kräfte  nicht,  so  ist  nach  S.  247  (1  /i?,  + 1  /S^) 
längs  der  ganzen  Grenze  konstant,  und  es  folgt  daher  aus  (102^ 

102")  Sm(-)  (-!_  +  _!_)  +  p(«)  d  oaß  =  0; 

die  Variation  der  Gleichung  (102)  führt  somit  auf  die  Formel 

welche  bei  Berücksichtigung  der  Oberflächenspannung  an  Stelle  Ton 
^(a)  =  ^(Ä  tritt. 

Die  weitere  Entwickelung  der  Theorie  erfordert  die  Aufstellung 
der  Potentialwerte  f  für  die  beiden  Phasen,  ist  also  nur  unter 
speziellen  Voraussetzungen  möglich. 

Wir  wollen  uns  auf  die  Betrachtung  des  speziellen  Falles  be- 
schränken, daß  die  Phase  {a)  durch  eine  Flüssigkeit,  (ß)  durch  ihren 
Dampf  gebildet  wird,  und  die  Formel  (94")  für  f  benutzen  unter 
der  Annahme,  daß  die  Dichten  der  beiden  Phasen  bei  der  vor- 
liegenden Temperatur  sehr  verschieden  sind. 

In  dem  Ausdrucke  für  die  flüssige  Phase  können  wir  dann  r, 
wie  S.  589,  als  konstant  betrachten  und  schreiben 

103)  f  ^«)  =  0(°)  +  Pv<«), 

worin  0<«)  eine  Funktion  von  r  oder  T  allein  bezeichnet;  in  dem 
für  die  gasformige  können  wir  v  als  sehr  groß  neben  a  und  b  an- 
sehen und  in  analoger  Bezeichnung  schreiben 

103')  C^  =  &ß)^  B  Tl{v^ß))  +  Fv^fi). 

Es  gilt  sonach,  da  auch  p^**)  ü^")  ==  1  ist. 

Vernachlässigt  man  noch  t;^«)  neben  t/^  und  läßt  den  Dampf  an- 
genähert das  BoYLE-MAßiOTTE'sche  Gesetz  befolgen,  setzt  also 

so  hat  man  schließlich,  wenn  0  eine  neue  Funktion  von  T  bezeichnet, 
103'")  0_^P(P)  =  5„,(-l-  +  -i^-). 

Differentiiert  man  dies  bei  konstantem  T  nach  P,  so  muß  sich  der 
Ausdruck  in  der  Klammer  rechts  ändern,  und  es  folgt 


§15.    n  +  1  Komponenten  in  einer  Phase,  593 


BT  dP         ^^"> 


^(a)        p  ^(ß) 


rfP=-Ä,^^(-l-  +  -Lj.  103'") 


Diese  merkwürdige  Formel  ergiebt,  wie  der  Sättigungsdruck  bei 
konstanter  Temperatur  mit  der  mittleren  Krümmung  der  Grenzfläche 
variiert,  welche  den  Dampf  gegen  die  Flüssigkeit  scheidet®'). 


§15.    (n  +  1)  Komponenten  in  einer  Phase.    Dissooiation  der  Ghkse 

und  Lösungen. 

Nach  Gleichung  (83)  kann  zwar  für  das  thermodynamische  Po- 
tential Z  jederzeit  der  Ansatz  gemacht  werden 


z-:e^^ 


^•>m^'> 


k  > 


aber  nur  in  ganz  speziellen  Fällen,   von   denen   einer   im   vorigen 
Abschnitt  behandelt  ist,  sind  die  Koeffizienten  ^^  allein  von  P  und 


T,  nicht  aber  auch  vom  Verhältnis  der  Massen  mj*^  abhängig.    Der 


k 


allgemeinere  Fall  bietet  stets  erhebliche  Schwierigkeiten,  und  nur  bei 
wenigen  Beispielen  ist  bisher  die  vollständige  Bestimmung  der  Po- 
tentiale ^'^  möglich  gewesen.  Eines  von  -diesen  liefert  der  Fall,  daß 
die  Komponenten  {k)  einer  Phase  die  Eigenschaft  besitzen,  in  den 
Ansätzen  für  Energie  und  Volumen,  welche  hier  aus  (81)  und  (81') 
folgen,  nämlich  in  den  Formeln 

£'  =  2«>*^     ?^=2«*m„  104) 

für  «i  und  v^  Funktionen  von  F  und  T  allein  zu  geben,  während 
über  die  Koeffizienten  rju  in  der  Formel 

H^-^fjumj,  104') 

nichts  ausgesagt  wird. 

Dieser  Fall  ist  physikalisch  dadurch  charakterisiert,  daß  die 
Vereinigung  der  Komponenten  (ä)  zu  dem  betrachteten  System  bei 
konstantem  P  und  T  weder  von  einer  Volumenänderung  begleitet 
ist,  noch  Wärme-  oder  Arbeitsaufwand  erfordert.  Denn  r^wi^  ist 
nach  der  gemachten  Annahme  das  Volumen  7^,  welches  die  Masse 
TWj^  der  Komponente  (ä),  bei  gleichem  Druck  und  gleicher  Temperatur 
für  sich  allein  vorhanden,  einnehmen  würde,  und  F^^Fi^;  fiiwk 
ist  die  entsprechende  Energie  £*,  und  E^  ^^Ei, 

Voigt,  Theoretische  Physik.  38 


594  ///.  Teü,     Wärmelehre.    IL  Kap. 


Für  die  Entropie  erhalten  wir  ans  der  Energiegleichung  unter 
Benutzung  der  Ansätze  (104)  und  (104')  die  Bedingung 

worin  die  Differentiale  sich  auf  P  und  T  allein  beziehen.     Da  die 
m^  Yollkommen  willkürlich  sind,  kann  man  hieraus  schließen 

d%  =  ^{dsl  +  Pdvj^   für   Ä  =  1, 2, . . .  n  +  1 . 

Hier  stellt  der  Ausdruck  rechts  das  Differential  der  Entropie  t}^ 
der  Volumeneinheit  der  Komponente  (A)  dar,  wenn  dieselbe  allein 
vorhanden  ist,  und  hängt  nur  von  P  und  T  ab.  Da  aber  tjj^  außer 
diesen  Argumenten  noch  die  Verhältnisse  der  Massen  ntj^  enthält^  so 
folgt  durch  Integration 

104")  Vk=-fji  +  Mj^, 

worin  Mj^  eine  Funktion  der  m,.  allein  ist  Die  gesuchte  Größe  17^ 
unterscheidet  sich  also  von  der  Entropie  t]^  der  Masseneinheit  der 
Komponente  (ä)  bei  den  Werten  P  und  T,  denen  das  ganze  System 
ausgesetzt  ist,  nur  durch  eine  von  P  und  T  unabhängige  Größe.**) 
Führt  man  das  Resultat  (104")  in  den  Ausdruck 

«i  -  Tvk  +  Pü*  «  Ök 

für  das  thermodynamische  Potential  der  Masseneinheit  der  Kompo- 
nente (A)  ein  und  kürzt  ab 

wo  dann  Q  das  Potential  bei  Abwesenheit  der  übrigen  Komponenten 
angiebt,  so  erhält  man 

104'")  &  =  S2-  7W,; 

diese  Formel  läßt  den  Einfluß  der  Mischung  mit  anderen  Kompo- 
nenten auf  den  Wert  des  Potentiales  deutlich  hervortreten. 

Über  die  Funktionen  M^  läßt  sich  ohne  Zuhilfenahme  von  neuen 
experimentell  festgestellten  Thatsachen  oder  neuen  Hypothesen  nur 
soviel  sagen,  daß  M^  eine  Funktion  der  n- Argumente 

k  k  k  k  k  k 

sein  muß,   welche  sich  auf  eine  Konstante   reduziert,   wenn   deren 

Zähler  verschwinden;   da  in  f]^  schon   eine  willkürliche  Konstante 

enthalten  ist,  so  kann  man  jene  zweite  beliebig  gleich  Null  setzen. 

In  dem  speziellen  Fall,  daß  eines  der  m^^,  z.  B.  m^,  alle  anderen 


§  15,    Das  Potential  eines  Qasgemiaehes,  595 


sehr  weit  übertrifft,   ist  allerdings  f&r  M^   sogleich  der  Ansatz  zu 
bilden 

Mo=^±c,m„  104"") 


^0     1 


in  welchem  die  Cj^  Eonstanten  bezeichnen;  aber  sowohl  die  übrigen 
M^,  als  auch  der  Wert  von  Mq  im  allgemeinen  Falle  sind  zunächst 
unbekannt 

Ein  Weg  zu  ihrer  Bestimmung  ist  geboten,  wenn  man  die  Ver- 
einigung der  Komponenten  zu  dem  Gemisch  auf  umkehrbarem  Wege 
isotherm  zu  vollziehen  und  die  dabei  eintretende  Energieänderung 
E^  —  El,  wie  die  dabei  aufzuwendende  Arbeit  ^^^  zu  bestimmen  ver- 
mag. Dann  gilt  nämlich  allgemein,  weil  -ffj=2^k*Wfcj  ^2=2^k"*k  ^*> 

J?,  -  £,  -  ^1,  =  T{H^  -  Hl)  =  T^M^m,,  105) 

woraus  der  Wert  des  einzelnen  M^  zu  entnehmen  ist.  Da  wir  hier 
aber  nur  Fälle  betrachten,  bei  welchen  die  Energie  sich  bei  der  Ver- 
einigung der  Komponenten  nicht  ändert,  so  haben  wir  noch  einfacher 

Wir  wenden  diese  Formel  auf  ein  Gemisch  von  idealen 
Gasen  an,  welches  den  auf  S.  593  gemachten  Voraussetzungen  ge- 
nügt, denken  also  alle  Komponenten  {k)  anfänglich  bei  gleichem  P 
und  T  in  getrennten  Behältern  von  den  Volumina  ?^  =  ^k^v  ^^ 
welche  2^»~  ^  ^®^  befindlich  und  diese  Behälter  dann  in  Kom- 
munikation gesetzt  Daß  bei  der  Vereinigung  mit  P  und  T  auch  F, 
oder  umgekehrt  mit  F  und  T  auch  P  ungeändert  bleibt,  können  wir 
dahin  deuten,  daß  jedes  Gas  bei  seiner  Ausbreitung  durch  das  Volumen 
F  einen  Partialdruck  pj^  von  einer  solchen  Größe  erreicht,  daß  die 
Summe  über  alle  Partialdrucke 

2f»  =  P,  106) 

d.  h.  gleich  dem  Anfangsdruck  ist;  dies  von  Dalton  angegebene 
Gesetz  ist  bereits  S.  58  erwähnt  worden. 

Die  so  verlaufende  Vereinigung  ist  indessen  nicht  umkehrbar. 
Umkehrbar  kann  sie  vollzogen  werden,  indem  man  zunächst  zwei 
Gase  (a)  und  {b)  in  einen  Cylinder  bringt,  der  in  zwei  Abschnitte 
von  den  Größen  T«  und  Fi  durch  zwei  aufeinander  liegende  Schirme 
geschieden  ist,  von  denen  der  dem  Gas  (a)  zugewandte  nur  fUr 
(a),  nicht  aber  für  {b\  der  dem  Gas  {b)  zugewandte  nur  für  {b),  nicht 
aber  fiir  (a)  durchlässig  ist,  so  daß  die  Kombination  beider  sowohl 
(a)  als  {b)  den  Durchgang  verbietet 

Halbdurchlässige  Schirme  von  genau  solcher  Eigenschaft 

38* 


596  IlL  Teü,     Wärmelehre,    IL  Kap. 


sind  zwar  in  der  Natur  nicht  vorhanden ,  wohl  aber  von  so  weit 
ähnlicher,  daß  die  Annahme  keine  physische  Unmöglichkeit  ent- 
halten dürfte.««) 

Beide  Schirme  müssen,  falls  ihr  Querschnitt  gleich  Q  ist,  mit 
einer  Kraft  K  =  QP  gehalten  werden,  um  in  Ruhe  zu  bleiben. 

Nun  lasse  man  beide  Gase  sich  ausdehnen,  indem  man  die  auf 
die  Schirme  wirkende  Kraft  jederzeit  unendlich  wenig  geringer  sein 
läßt,  als  die  Resultierende  des  auf  sie  wirkenden  Druckes;  die 
Schirme  werden  dann  in  der  Richtung  des  von  den  resp.  Gasen  auf 
sie  ausgeübten  Druckes  sich  verschieben.  Wenn  sie  auf  ihrer  Be- 
wegung die  Enden  des  Cylinders  erreicht  haben,  ist  die  Vereinigung 
auf  umkehrbarem  Wege  bewirkt,  denn  sie  läßt  sich  durch  den  ent- 
gegengesetzt gleichen  Arbeitsaufwand  rückgängig  machen. 

Jedes  der  beiden  Gase  befolgt  bei  diesem  Prozeß  das  Botle- 
GaY  LüssAO'sche  Gesetz;  es  gilt  sonach  für  nur  zwei  Komponenten 

V  V 

was  sich  für  deren  {n  +  1)  sogleich  erweitem  läßt  zu 

Nun  ist  aber  gleichzeitig 

rp,=^m,B,T    und     F,P=m^B,T, 

oder  unter  Berücksichtigung  von  (106), 

rP  =  T^m.B^    und     T^P  =  rrij^Bj^  T; 

ftihrt  man  dies  in  (106')  ein,  so  erhält  man  sofort 

106")  ^i2=  +  72'«A^(^). 

und  wegen  (105')  als  schließliches  Resultat: 

106'")  M,=  -  B,l(^J^f]  =  -  B,l{ßr^, 

worin  TV^  eine  neue  Bezeichnung  ist. 

Für  ideale  Gase  gilt  somit««)  nach  (104")  und  (104'") 

107)  ^*  =  ^i2-^*/(^*), 

und 

107')  &  =  Ci2  +  J?*77(iV,). 

Für   die  weitere  Entwickelung   wirkt  vereinfachend    die  Ave- 


§  15.    Das  Potential  eines  Oaagemisohes.  597 


OADBo'sche  Begel,  nach  welcher  bei  gleichem  Druck  P'  und  gleicher 
Temperatur  7^,  denen  die  Dichte  Qu  entspricht,  gleiche  Volumina 
verschiedener  Gase  gleiche  Anzahlen  t^i  von  Grammmolekülen  ju^ 
enthalten,  nach  welcher  also  unter  den  genannten  Umständen 

vi  ^  eil  flu  108) 

f&r  alle  Gase  gleich  ist  Denn  da  nach  dem  Botle-Gat  Lussac'- 
sehen  Gesetz 


ist,  so  ergiebt  sich 


Ql         P' 


1         u  B  T 

^  =  'S»*--  ,  1080 

und  die  obige  Begel  sagt  aus,  daß 

ft,^,  =  Ä  108") 

eine  universelle  Konstante  sein  muß. 

Benutzt  man  dies  und  beachtet,  daß  bei  Einführung  der  effek- 
tiven Anzahl  v^  der  vorhandenen  Grammmoleküle  der  Komponente  (A) 

m^  =  H^u  109) 

ist,  so  kann  man  in  dem  Wert  des  Gesamtpotentiales 

Z=2^*[S2  +  J?kT/(;V,)]  109') 


auch 


V. 


iVj  =  ^  109") 


2". 
setzen,  oder  bei  Einführung  der  Bezeichnung 

li^a  =  I*  109'") 

schreiben 

^  =  2''»[l»  +  ÄT/(irj].  109"") 

Hierin  stellt  der  Faktor  von  v^^  das  Potential  für  ein  Gramnmiolekül 
der  Komponente  (A)  dar;  iV^  kann  als  die  Konzentration  des  Ge- 
misches in  Bezug  auf  die  Komponente  (A)  bezeichnet  werden. 

Die  vorstehenden  Eesultate  sind  zwar  zunächst  nur  für  ideale 
Gase  abgeleitet,  besitzen  jedoch  eine  erheblich  allgemeinere  Gültig- 
keit. Denn  da  die  Funktionen  M^  von  Druck  und  Temperatur 
unabhängig  sind,  so  ist  es  gleichgültig,  bei  welchen  Werten  dieser 
Größen  der  für  ihre  Ableitung  vorausgesetzte  Vorgang,  nämlich 
die  auf  umkehrbarem  Wege  stattfindende  Vereinigung,  sich  abspielt 
Hieraus  folgt  dann  sogleich,  daß  die  erhaltenen  M^  für  jedes  System 
von  (n  +  1)  Komponenten  in  einer  Phase  anwendbar  sind,  welches 
sich  durch  Veränderung  von  Temperatur  und  Druck  in  den  Zustand 


598  ///.  Teil     Wärmelehre.    IL  Kap. 

eines  idealen  Oases  überführen  läßt,  ohne  dabei  chemische  Umsetzungen 
zu  erfahren.^^  Elinen  solchen  allgemeinen  Fall  können  wir  daher 
weiterhin  zunächst  voraussetzen.  — 

Nun  mögen  mit  wechselnden  P  und  T  zwischen  den  Kompo- 
nenten Umsetzungen  derartig  stattfinden,  daß 

110)  Sv^^Xuj^ 

ist,  wobei  X  eine  Konstante  und  a^^  eine  ganze,  positive  oder  nega- 
tive Zahl,  im  speziellen  auch  Null  bedeutet 

Zerfallen  z.  B.  a^  Moleküle  ju-^j,  und  bilden  sich  aus  ihren  Pro- 
dukten öfj,  «2  ...  Moleküle  fjL^,  fA^  . . .,  —  ein  Vorgang,  den  man 
eine  einfache  Dissociation  der  Komponente  (0)  nennt  —  so  ist 

110')  Svq  =  —  XaQ ,     Sv^  =  +  Xa^ ,     Sv^  ==  +  Xa^  .  .  . 

zu  setzen.  Ahnlich  bei  simultanen  Dissociationen,  wo  mehrere 
Molekülarten  gleichzeitig  zerfallen  müssen,  um  das  Material  fiir  die 
Neubildungen  zu  liefern. 

Anders  dagegen  bei  den  stufenweisen  Dissociationen,  wo  die 
Zersetzungsprodukte  zum  Teil  in  dieser  Gestalt  fortbestehen,  zum 
Teil  weiter  zerfallen.  Hier  wird  für  jede  neue  Zerfallung  eine  neue 
Formel  der  obigen  Art  mit  willkürlichem  Faktor  und  gegebenem  a^ 
aufzustellen  sein;  z.  B. 

110")  dVfc  =  Töfi,     ^'f/fc  =  X'a'iy  .  .  . 

Da  aber  jede  dieser  Gleichungen  in  derselben  Weise  zu  verwerten 
ist,  wie  die  erste,  so  genügt  es,  diese  weiter  zu  verfolgen. 

Die  Gleichgewichtsgleichung  (84')  nimmt  nach  (109"")  die  Form  an 

111)  :^[h  +  RTl{N^-\a,^Q, 
oder 

was  wir  durch  die  Bezeichnung 

Hl')  -;^2I*«*  =  ^W 

abkürzen  in 

111")  K==Yl{Nl^). 

Hier  steht  rechts  eine  Funktion  allein  der  Argumentreihen 
f/^  und  öfj^,  deren  erste  die  Zusammensetzung  des  betrachteten  Sy- 
stemes  und  deren  letzte  die  stattfindenden  Umsetzungen  charakteri- 
siert, links  eine  Funktion  von  Druck  und  Temperatur  allein. 

Unterscheidet  man  unter  den  Uj^  die  positiven  und  die  negativen, 
welche  sich  bildenden  und  zerfallenden  Verbindungen  entsprechen,  durch 


§  15,    Di88oeiaiion  eines  Oasee.  599 


die  Indices  als  a^^  und  —  ci^j  so  nimmt  die  letzte  Gleichung  die 
Form  an 

II  A> 

in  welcher  sie  als  das  Güldberg-  und  WAAGE'sche  Gesetz  der 
Massenwirkung*®)  bezeichnet  wird.  Sie  giebt  eine  Beziehung  an, 
welche  im  Zustand  des  Gleichgewichtes  bei  ungeändertem  P  und  T 
bei  beliebig  geänderten  Massenverhältnissen  zwischen  den  bez.  Kon- 
zentrationen JVj^  bestehen  muß.  Die  Funktion  K  heißt  der  Gleich - 
gewichtskoeffizient;  seine  Abhängigkeit  von  P  und  T  ist  nicht 
ein  ftir  allemal  angebbar,  doch  kann  man  über  seine  Natur  einiges 
ganz  allgemein  behaupten.  — 

Die  kleinstmögliche  Anzahl  von  unzerlegten  Molekülen,  welche 
zur  Ausführung  der  gedachten  Umwandlung  nötig  sind,  (bei  der  ein- 
fachen Dissociation  also  cc^  von  der  Gattung  fi^),  wollen  wir  eine 
Molekülgruppe,  und  den  Zustand,  in  welchem  sie  unzerlegt  sind, 
den  Zustand  (1)  nennen.  Nach  vollständiger  Umwandlung  soll  die 
Gruppe  den  Zustand  (2)  erreicht  haben. 

Dann  läßt  sich  die  in  (111)  links  stehende  Funktion  auffassen 
als  die  Differenz  der  Werte  der  auf  die  einzelne  Gruppe  bezogenen 
Funktion  Z,  die  wir  in  dieser  Bedeutung  durch  Z'  bezeichnen 
wollen,  in  dem  Zustand  (1)  und  (2);  denn  die  positiven  a^  entsprechen 
den  neugebildeten,  die  negativen  den  zerfallenen  Molekülen.  Die 
Gleichung  (111)  ist  dann  identisch  mit 

z;  -  z;  ^  0. 

Wendet  man  hierauf  die  Formeln  (86'")  an,  so  erhält  man  leicht 

^(Z^  -  ZO  =  +  i;;,,  112) 

dT\       T      )  T»'^  ^^^^ 

in  denen  v\^  die  Volumen  Vergrößerung  bezeichnet,  welche  die 
Grammmoleküle  der  Gruppe  bei  der  Umwandlung  (l)->(2)  erfahren, 
G>j2  die  zur  Umwandlung  nötige  Wärmezufuhr. 

Nach  der  Bedeutung  von  Z^  —  Z\  giebt  dies  aber  sogleich 

wi^h-,)  -  +  v\,,    ^(2'4*)=-^S  112") 

oder  unter  Berücksichtigung  von  (IIT)  auch 

dP     "■        RT^       dT ^RT^^  ' 


600  IIL  T&ü.     Wärmelehre.    IL  Kap. 


wodurch  zwei  wichtige  Eigenschaften  der  Funktion  K  ausge- 
sprochen sind. 

Die  letzte  Formel  führt  den  Namen  des  van't  HoFF'schen 
Gesetzes.®^  — 

Nach  diesen  allgemeinen  Entwickelungen  kehren  wir  wieder  zu 
dem  speziellen  Falle  zurück,  von  dessen  Betrachtung  wir  ausge- 
gangen waren,  und  nehmen  an,  daß  das  System  ein  Gemisch  idealer 
Gase  sei. 

Hier  lassen  sich  die  Funktionen  ^  sogleich  vollständig  angeben; 
man  erhält  sie  aus  der  Gleichung  (93"),  welche  unter  Voraussetzung 
des  VAN  DEE  WAALs'schen  Gesetzes  abgeleitet  war,  indem  man  darin 
a  a  ^  s=  0  und  F  konstant  nimmt  Um  die  Indices  nicht  zu  häufen, 
wollen  wir  weiterhin 

113)  r,^r,r^=r 

setzen.     Dann  ergiebt  sich  zunächst 

113')  S  =  ^,  -  Äi  T -  i;  Tl{T)  -  B,  Tl{v^\ 

worin  c^  und  h^^  Konstanten  bezeichnen,  oder,  bei  Einführung  von 

passender  in  P  und  T  allein  ausgedrückt, 

1 13")  ^  =  c^,  ^  Ä^  T  -  r;  Tl{T)  +  B^  Tl[P). 

Hieraus  folgt  nach  (109"')  bei  Einführung  anderer  Konstanten  A 
und  1  sogleich 

113'")  |,=  itt,?2  =  h^^  i^T ^  r\Tl['r)  +  RTl{P), 

wobei  yjc=  fJi^ri  die  Molekularwärme  der  Komponente  (A)  bei 
konstantem  Druck  bezeichnet. 

Setzt  man  dies  Resultat  in  die  Grundformel  (111)  ein  und 
kürzt  ab 

114)  i2«A=-'(A  i^c'uh-m,  i2«*K=c', 

so  erhält  man^^ 

114')  A^JTO- =11  [{N.P)-*]  =  n(P"*)- 

Nun  ist  aber 

also  liefert  die  obige  Formel 

114")  A^I)T<^^ll{e^rc), 

wo  JD  eine  neue  Konstante  und 


§  15.    Dissodation  eines  Gases,  601 

ist,  unter  yj^  die  Molekularwärme  bei  konstantem  Volumen  ver- 
standen. 

Benutzt  man  noch,  daß  die  Atomwärme  eines  Elementes  an- 
scheinend in  allen  Verbindungen  sich  gleich  bleibt,  so  ist  C  =  0, 
und  die  letzte  Formel  wird  zu 

1^ 
A^D^Hify^).  114'") 

Giebt  man  dieser  Formel  die  mit  (111'")  verwandte  Gestalt 

•  -^- 

so  ist  hier  0  eine  Funktion  der  Temperatur  allein. 

Diese  Formel  ist  für  die  Vergleichung  der  Theorie  mit  der 
Beobachtung  von  besonderer  Wichtigkeit,  da  die  Partialdichten  Qj^ 
sich  relativ  leicht  bestimmen  lassen. 

Hierzu  dient  außer  der  Definition  der  beobachtbaren  Gesamtdichte 

?  =  2p*  115') 

k 

und  der  Gleichung  des  BoYLE'schen  Gesetzes  in  der  Form 

2^  =  ^  115") 

noch  das  System  von  Formeln,  welches  ausdrückt,  daß  die  Um- 
setzung glatt  aufgehen  muß,  wenn  nicht,  wie  hier  ausgeschlossen 
sein  mag,  eines  der  Dissociationsprodukte  von  vornherein  im  Über- 
schuß vorhanden  ist,  nämlich 

-?^  =  -??-  =  ...=  -^  ;  115'") 

die  Formeln  (115)  bis  (115")  geben  zusammen  {n+  1)  Gleichungen, 
die  zu  der  gewünschten  Operation  ausreichen. 

Die  Beobachtungen  auch  an  Dämpfen,  welche  von  dem  Zustand 
der  idealen  Gase  ziemlich  weit  entfernt  sind,  haben  die  vorstehenden 
Resultate  der  Theorie  sehr  befriedigend  bestätigt  — 

Außer  auf  Gemische  von  idealen  Gasen  gestatten  die  obigen 
Formeln  noch  die  Anwendung  auf  sehr  verdünnte  Lösungen,  welche 
die  ersten  der  vorstehend  eingeflihrten  Voraussetzungen  erfüllen,  da 
die  Beobachtungen  gezeigt  haben,  daß  von  einem  gewissen  Verdün- 
nungsgrade an  der  Zusatz  von  Substanz  gleicher  Temperatur  weder 


602  ///.  Teü,     Wärmelekre,    U.  Kap, 


eine  Kontraktion,    noch    eine   Wärmetönung    bewirkt     DemgemaB 

sind  für  sie  jedenfalls  die  Formeln  (104")  und  (104'")  zu  benutzen, 

und  ist  daher 

116)  Vj,==fji+M^,     ^,=  f£-Titf, 

zu  setzen. 

Auch  die  auf  S.  596  u.  f.  durchgeführte  Bestimmung  der  Funk- 
tionen Mj^  würde  anwendbar  bleiben,  wenn  man  die  Lösung  in  den 
idealen  Gaszustand  bringen  könnte,  ohne  daß  hierbei  chemische 
Veränderungen  einträten.  Dies  ist  indessen  in  hohem  Grade  un- 
wahrscheinlich, und  daher  ist  die  Übertragung  der  Werte  (106'") 
f&r  die  Mj^  auf  unseren  FaU  nicht  unbedenklich. 

Nimmt  man  sie  als  richtig  an,  so  werden  durch  den  Umstand, 
daß  in  den  zu  betrachtenden  Lösungen  die  Masse  des  Lösungsmittels 
diejenigen  der  gelösten  Substanzen  sehr  übertrifft,  die  Ausdrücke, 
welche  oben  für  die  Funktionen  M^  abgeleitet  sind,  einigermaßen 
vereinfacht 

Bezeichnet  man  nämlich  das  Lösungsmittel  durch  den  Index  (0)^ 
die  gelösten  Substanzen  durch  die  Indices  A  =  1,  2, . . .  n,  so  folgt 
aus  (106'")  leicht  in  erster  Annäherung 

116-)  i»o^o  =  Ä2^»    i«.Af,=  -Ä/(^). 

Da  außerdem  das  Lösungsmittel  an  den  Umsetzungen,  die  inner- 
halb der  Lösung  stattfinden,  nicht  beteiligt  ist,  so  ist  in  der  For- 
mel (111)  e^o  =  0,  und  Nq  fällt  dadurch  gänzlich  aus  ihr  heraus 
Im  übrigen  finden  sich  die  Schlußformeln  für  die  in  der  Lösimg 
stattfindenden  Veränderungen,  z.  B.  Dissociationen,  genau  wie  oben 
für  Gase  gezeigt  ist^^) 


§16.     Zwei  Thasen  mit  mehreren  Komponenten,  deren  eine  beiden 
Phasen  gemeinsam  ist    Siede-  imd  Gefrierpunkte  von  Lösung^en;  der 

osmotische  Druck. 

Außer  den  in  den  vorigen  beiden  Paragraphen  behandelten  ex- 
tremen Fällen  nur  einer  Komponente  oder  nur  einer  Phase  haben 
bisher  nur  wenige  eine  vollständige  Durchführung  und  eine  Ver- 
gleichung  mit  der  Beobachtung  gefunden.  Die  Schwierigkeit  für  die 
Theorie  liegt  jederzeit  in  der  Aufstellung  der  Potentialwerte  fj^ 
welche  meist  nur  auf  Grund  des  Experimentes  und  dann  nur  in 
Form  mehr  oder  weniger  unbequemer  Interpolationsformeln  möglich 
ist;    dabei  kann  überdies  der  oben  bei  dem  van  dsb  WAALs'schen 


§  16,    Zwei  Phasen  mit  einer  gemeinsaffien  Komponente.  603 


Gesetz  hervorgehobene  Fall  eintreten,  daß  eine  so  gewonnene  Formel 
gewisse  Beobachtungen  anscheinend  vollständig  darstellt,  während 
aus  ihr  abgeleitete  Gesetze  infolge  ungllnstiger  Kombinationen  ihrer 
Eonstanten  kaum  angenähert  der  Wirklichkeit  entsprechen.  Relativ 
vollkommen  haben  sich  die  am  Ende  des  vorigen  Paragraphen  er- 
wähnten Formeln  für  stark  verdünnte  Lösungen  bewährt,  besonders 
der  in  (116')  gegebene  Ausdruck  für  M^,  was  nicht  Wunder  nehmen 
darf,  da  sich  derselbe,  abgesehen  von  dem  Werte  des  Faktors  £, 
nach  (104"")  ohne  spezielle  Annahmen  bilden  läßt  In  der  That 
kann  man  den  nicht  unbedenklichen  Weg,  welcher  zu  der  ersten 
Formel  (116')  geführt  hat,  vermeiden,  indem  man  von  dem  allge- 
meinen Resultat  (104"")  ausgeht  und  darin  die  Konstanten  c^  durch 
eine  Vergleichung  mit  der  Beobachtung  bestimmt;  zu  letzterer  eignet 
sich  besonders  das  unten  abzuleitende  Gesetz  über  den  osmotischen 
Druck. 

Aus  diesen  Gründen  wollen  wir  bei  den  folgenden  Entwicke- 
lungen,  die  einen  in  mancher  Hinsicht  allgemeineren  Fall  betreffen, 
als  die  beiden  letzten  Paragraphen,  Anwendungen  bevorzugen,  bei 
denen  jener  Wert  von  M^  eine  Rolle  spielt.  — 

Wir  denken  uns  nunmehr  zwei  Phasen  {cc)  und  {ß).  gegeben, 
von  denen  die  eine  n^«)  +  1 ,  die  andere  n^+  l  Komponenten  ent- 
hält Ist  die  einzige,  beiden  Phasen  gemeinsame  Komponente  durch 
den  unteren  Index  i  charakterisiert,  so  ist  nach  (85"')  die  einzige 
Gleichgewichtsbedingung,   auf  welche   die   allgemeinen  Regeln   des 

§  12  führen, 

ö«)  -  TM«)  =  l:ffi-  TMj^ .  117^ 

Diese  allgemeine  Formel  kommt  u.  a.  zur  Anwendung,  wenn 
die  beiden  Phasen  zwei  nicht  mischbare  Flüssigkeiten  sind,  welche 
außer  beliebigen,  je  nur  in  einer  von  beiden  lösbaren  Substanzen, 
auch  eine  in  beiden  lösbare  Komponente,  nämlich  eben  (i)  enthalten. 
Sind  beide  Lösungen  so  verdünnt,  daß  man  den  zweiten  Wert  (116'), 
in  dem  sich  der  Index  (0)  auf  das  Lösungsmittel  bezieht,  für  (i)  an 
Stelle  von  (A)  benutzen  kann,  so  erhält  man 

also  bei  Benutzung  der  Abkürzung  vJvq^^  JV. 

Diese  Gleichung  enthält  das  Gesetz  der  Verteilung  einer  Sub- 


604  ///.  Teü.    Wärmelehre.    IL  Kap. 


stanz  zwischen  zwei  in  Berührung  stehenden  Lösungsmitteln  und  spricht, 
solange  man  die  ^  auf  der  rechten  Seite  nicht  kennt,  nur  die  That- 
Sache  aus,  daß  das  Verhältnis  der  N  links  allein  von  Druck  und 
Temperatur,  nicht  aber  von  den  absoluten  Konzentrationen  ab- 
hängig ist 

Diese  Betrachtung  läßt  sich  leicht  auf  den  Fall  erweitem,  daß 
beiden  Phasen  mehrere  Komponenten  gemeinsam  sind,  z.  B.  die 
gelöste  Substanz  sich  dissociiert  Dann  sind  Überlegungen  der  im 
vorigen  Paragraphen  angewandten  Art  mit  den  vorstehenden  zu  kom- 
binieren. Hierdurch  werden  die  Besultate  natürlich  complizierter;  sie 
haben  aber,  solange  man  die  ^  unbestimmt  läßt,  stets  den  Charakter 
des  soeben  erhaltenen,  indem  sie  nämlich  aussprechen,  daß  gewisse 
Funktionen  der  Konzentrationen  nur  von  Druck  und  Temperatur 
abhängen/*)  — 

Wir  wollen  uns  nun  zu  dem  wichtigen  Fall  wenden,  daß  die 
gemeinsame  Komponente  in  beiden  Phasen  weitaus  die  Massen  der 
nicht  gemeinsamen  überwiegt,  und  hierbei,  um  die  Verbindung  mit 
früheren  Bezeichnungen  herzustellen,  (i)  mit  (0)  identifizieren. 

Da  ^^^  und  ^f^  die  Potentiale  der  Komponente  (0)  in  den  beiden 
Phasen  bei  Abwesenheit  der  übrigen  Komponenten  darstellen,  so  giebt 

118)  0,"^=^"' 

die  Bedingung  für  die  Koexistenz  der  beiden  Phasen  [a)  und  {ß)  der 

Komponente  (0)  allein. 

Da  die  beidenFormeln(l  1 7)und  (11 8)  durch  verschiedene  Wertpaare 
P,  T  und  Pq,  Tq  erfüllt  werden,  so  schreiben  wir  sie  in  der  Form 

'  \     ^^^{P,T)-TM-)=^{P,T)-TMf. 

Aus  diesen  Gleichungen  lassen  sich  allgemeine  Folgerungen 
ziehen,  wenn  Mf^—  MS^\  und  demgemäß  auch  die  Differenzen 

als  Größen  erster  Ordnung  betrachtet  werden  können ;  in  diesem  Falle 
giebt  nämlich  die  DifiTerenz  der  resp.  mit  T^  und  T  dividierten 
Formeln  (118') 

118")         /^(-L^^)r  +  ^(^i^5^)  n  =  MW-  M«). 
Vergleicht  man  dies  mit  den  Formeln  (88)  und  (88"),  so  erhält  man 
118'")  vaß  I;  -  ^a^  ^  =  M/)  -  M«) , 

wobei  Vaß  die  Volumenänderung,  ooaß  den  Wärmeaufwand  bezeichnet, 


§  16,    Sieden  und  Gefrieren  von  verdünnten  Lösungen,  605 


der  die  Umwandlung  der  Masseneinheit  der  Komponente  (0)  aus  dem 
Zustand  {cc)  in  den  Zustand  {ß)  begleitet. 

Von  dieser  allgemeinen  Formel  sind  besonders  die  beiden  spe- 
ziellen Fälle  von  Bedeutung,  die  man  erhält,  wenn  man  erst  n  und 
dann  r  gleich  Null  wählt 

Die  Formel 

T  =  -  -^  [Mf  -  itfj«))  119) 

giebt  nämlich  die  Steigerung  der  Gleichgewichtstemperatur  an,  welche 
eintritt,  wenn  man  bei  ungeändertem  Druck  der  Komponente  (0)  in 
beiden  Phasen  verschiedene  weitere  Komponenten  zufügt;  die  andere 

'w  =  +  ^{Mf-  MC«))  119') 

aß 

analog  die  Steigerung  des  Gleichgewichtsdruckes,  wenn  man  die 
Zufägung  bei  ungeänderter  Temperatur  vornimmt. 

Vorbedingung  für  ihre  Gültigkeit  ist,  daß  nur  die  Komponente  (0) 
beiden  Phasen  gemeinsam  ist 

Wir  wollen  uns  weiterhin  auf  den  FaU  beschränken,  daß  die 
Phase  [ß)  dauernd  von  der  Komponente  (0)  allein  gebildet  wird, 
daß  also  M^f^  verschwindet.  Dieser  Fall  tritt  z.  B.  ein,  wenn  in 
einer  Flüssigkeit  (0)  Substanzen  gelöst  sind,  die  in  deren  dampf- 
förmige oder  feste  mit  der  flüssigen  koexistierende  Phase  nicht  über- 
gehen.   Dann  wird  aus  (119)  und  (119') 

T  =  +-^Mi«),     ;r=--^M(-),  119") 

und  wir  können  für  iWJ«)  den  speziellen  Wert  (116')  setzen,  auf  dessen 
Wichtigkeit  im  Eingang  dieses  Paragraphen  hingewiesen  ist  Be- 
zeichnen wir  noch  die  Produkte  fiQCOaß  und  fiQVaß,  d.  h.  die  Um- 
wandlungswärme und  Volumenänderung  eines  Grammmoleküles,  mit 
(Oaß  und  Vaß,  so  erhalten  wir  schließlich^^ 

Diese  Formeln  geben  die  Änderungen  von  Siede-  resp.  Schmelz- 
temperatur  bei  konstantem  Druck,  sowie  die  Änderung  des  Gleich- 
gewichtsdruckes bei  konstanter  Temperatur,  die  eintreten,  wenn  man 
in  der  Flüssigkeit  fremde  Substanzen  löst,  welche  die  oben  hervorge- 
hobenen Eigenschafben  besitzen. 

Da  (Oaß  beim  Schmelzpunkt  negativ,  beim  Siedepunkt  positiv 
ist,  so  wird  die  Schmelztemperatur  durch  Zufügung  lösbarer  Sub- 


606  ///.  TeiL     WärmeleJtre.    IL  Kap, 


stanz  stets  erniedrigt,  die  Siedetemperatur  stets  erhöht  Vaß  ist  beim 
Siedepunkt  stets  positiv,  beim  Schmelzpunkt  bald  positiv,  bald  negativ; 
der  Sättigungsdruck  wird  also  durch  den  Zusatz  lösbarer  Substanz 
im  ersteren  Falle  stets  vermindert,  im  letzteren  bald  gesteigert,  bald 
vermindert 

Die  Formeln  (119'")  sind  in  der  Praxis  oft  deshalb  schwierig 
anzuwenden,  weil,  wie  schon  am  Ende  des  vorigen  Paragraphen  er- 
örtert, die  gelösten  Substanzen  häufig  sich  dissociieren,  nicht  selten 
aber  sich  auch  polymerisieren.  über  die  Art,  wie  dies  geschieht, 
kann  man  meistens  keinen  vollkommen  sicheren  Aufschluß  erhalten, 
und  dann  ist  die  Anwendung  der  Formel,  in  der  Vj^/ffQ  jederzeit  dem 
Dissociationszustand  entsprechend  zu  bestimmen  ist,  schwierig.  In 
der  That  wendet  man  sie  auch  häufig  umgekehrt  dazu  an,  um  über 
den  Dissociationszustand  durch  die  Beobachtung  der  Änderungen 
des  Schmelz-  und  Siedepunktes  Aufklärung  zu  erhalten.  ^*)  — 

Denkt  man  sich  die  Lösung  und  das  reine  Lösun^mittel  durcli 
eine  nur  für  die  gelösten  Substanzen  undurchlässige  Wand  voneinander 
getrennt,  so  tritt  laut  der  Beobachtung  ein  Gleichgewichtszustand 
nur  ein,  wenn  man  auf  die  Lösung  einen  größeren  äußeren  Druck 
ausübt,  als  auf  das  Lösungsmittel.  Die  Wand  erfahrt  dabei  also 
von  beiden  Seiten  verschiedene  Drucke;  da  aber  das  Lösungsmittel 
frei  durch  sie  passiert,  so  scheint  es  möglich,  die  Gleichgewichts- 
bedingung (117)  auf  dasselbe  auch  hier  in  Anwendung  zu  bringen.") 
Damit  die  in  der  halbdurchlässigen  Wand  selbst  befindlichen  Teile 
des  Lösungsmittels  bei  dem  diesseits  und  jenseits  verschiedenen 
Druck  im  Gleichgewicht  verharren  können,  müssen  sie  eine  einseitige 
molekulare  Kraft  von  der  Wand  erfahren;  befinden  sich  die  äußeren 
Begrenzungen  des  Systemes  in  endlicher  Entfernung  von  jenem 
Diaphragma,  so  geht  diese  Wirkung  in  die  Gleichgewichtsgleichung 
nicht  ein,  da  ihre  virtuelle  Arbeit  verschwindet 

Wir  setzen  daher,  indem  wir  wieder  {i)  mit  (0)  identifizieren 
und  den  ersten  Wert  (116')  für  M^  benutzen. 

Für  ^  erhalten  wir  eine  angenähert  richtige  Form,  indem  wir 
von  der  nach  (31'")  gebildeten  Gleichung  für  das  spezifische  Vo- 
lumen V  ausgehen  und  schreiben 

120')  dv=^v{adT'^ßdP), 

worin  a  den  räumlichen  thermischen  Dilatationskoefiizienten,  ß  den 
Kompressionsmodul  bei  allseitig  gleichem  Druck  bezeichnet 


§  16,    Der  osmotisohe  Druck.  607 


Damit  kombinieren  wir  die  Formel  (31"),  nach  welcher 

120")  d'co^r^dT-^Tva  dP 

ist,  und  erhalten,  indem  wir  F^  und  in  dem  kleinen  Glied  mit  a 
auch  av  2i\&  konstant  annehmen, 

fi^r^l{T)^vaP+k,  120'") 

worin  k  die  Integrationskonstante  bezeichnet 

Femer  ergiebt  sich,  wenn  wir  die  äußere  Arbeit 

d'cc^  --vPiadT'-ßdP) 
zu  d^m  addieren, 

dB=^r^dT-  va{TdP  +  PdT)  +  vßPdP,  121 

also  bei  ähnlicher  Annäherung 

6  =  /;T-t;aTP  +  |r/SP«  +  Ä,  121') 

unter  A  eine  andere  Integrationskonstante  verstanden. 
Daraus  folgt  aber  flir 

^  =  e  -  T«?  +  Pv  der  Wert: 

f  =  (r^- Ä)  r- /;  r/(T)  +  Pt;(i  +  I/9P)  +  A.  j 

Hierin  ist  bei  allen  in  Betracht  kommenden  Fällen  \ßP  sehr 
klein  neben  Eins,  und  man  erhält  bei  seiner  Vernachlässigung 
schließlich 

f  ==P(T)  +  Pt;.  121'") 

Setzt  man  diesen  Wert  bei  beiderseitig  gleichem  T,  aber  ver- 
schiedenem Pin  Formel  (120)  ein,  so  resultiert,  da  man  den  kleinen 
Unterschied  der  spezifischen  Volumina  rj»)  und  r^  ignorieren  kann, 

f 0  i»o  W^  -  P!,«)  =  Ä  T2  {^f  .  1 22) 

Die  Druckdifferenz  P^«)  —  PW  z=:  p  nennt  man  den  osmotischen 
Druck  in  der  Lösung.  Man  erhält  aus  (122),  da  v^fi^^Q^  und 
QqVq=  1  ist,  bei  Fortlassung  des  Index  (a) 

p^RT^v^,  122') 

so  daß  p  als  eine  Summe  von  Gliedern  p^  erscheint,  die  den  ver- 
schiedenen gelösten  Substanzen  ihren  Ursprung  verdanken.  Jedes 
GUed 


121") 


608  UL  Tßil     Wärmelehre,    IL  Kap. 


nimmt  wegen  R  ^  B^pi^  die  Form  an 

122")  Ph  =  KQkT'- 

Darin  ist  B^  die  Konstante  des  BoTLB'schen  Gesetzes  für  die 
vergaste  Substanz  (ä),  (>^  die  Dichte  derselben  innerhalb  der  Lösung. 

Der  osmotische  Druck  folgt  hiemach  also  dem  Boylb' sehen 
Gesetz  mit  demselben  numerischen  Werte  der  Konstanten,  welcher 
der  vergasten  Substanz  zugehört 

Damit  ist  das  Gesetz,  welches  wir  auf  S.  61  aus  der  kinetischen 
Vorstellung  plausibel  gemacht  haben,  nun  auch  thermodynamisch, 
wenngleich  nicht  ohne  spezielle  Annahmen,  abgeleitet 


Litteratur  zum  III.  Teil. 

F.  Neumank,  Vorlesungen  über  die  Theorie  der  WSrmeieitang  (im  Druck).  — 
KiBOHHorr,  Yorles^ieen  über  die  Theorie  der  Wärme.  Leipzig  1894.  —  Clau- 
sius,  MechaniBche  'V^^lrmetheorie,  Bd.  1.  8.  Aufl.  Braunschweig  1887.  —  Max- 
well, Theory  of  heat,  10  ed.  London  1891.  —  W.  Thohsok,  Artikel' „H^at" 
in  Encyclopaedia  Britannica,  1873.  Math.  phys.  papers  Vol.  III,  Art  92.  — 
0.  Xbümaiw,  Vorlesungen  über  die  mechanische  Theorie  der  Wärme.  Leipzig 
1875.  —  Huur,  Th^rie  m^canique  de  la  chaleur.  Paris  1875/76.  —  Bühlmann, 
Handbuch  der  mechanischen  Wärmetheorie.  Braunschweig  1876.  —  Bertrakd, 
Thermodynarniquey  Paris  1887.  —  Poincar£,  Thermodynamique.  Paris  1892.  — 
FoüBiER,  Theorie  analytique  de  la  chaleur.  Paris  1822.  Übers,  von  Weikstbin 
Berlin  1889.  —  Lam£,  LeQons  sur  la  th^orie  analytique  de  la  chaleur.  Paris 
1861.  —  DuHEM,  Le  potentiel  thermodynamique,  Paris  1886.  —  Gibbs,  Thermo- 
dynamische  Studien,  Übers,  von  Ostwald.  Leipzig  1892.  —  J.  J.  Thoxsok, 
Anwendungen  der  Dynamik  auf  Physik  u.  Chemie.  Übers.  Leipzig  1890.  — 
Ostwald,  Lehrbuch  der  allgemeinen  Chemie,  Leipzig  1891,  1898.  —  Nebnst, 
Theoretische  Chemie  vom  Standpunkte  der  AvooADRo'schen  Regel  und  der 
Thermodynamik.  Stuttgart  1893.  —  Jahn,  Grundsätze  der  Thermochemie. 
2.  Aufl.  Wien  1892.  —  Planck,  Grundriss  der  Thermochemie.  Breslau  1893. 
—  VAN  Laar,  Die  Thermodynamik  in  der  Chemie.  Leipzig  1893. 


^)  R.  Mateb,  die  organische  Bewegung  in  ihrem  Zusammenhange  mit  dem 
Stoffwechsel;  Heilbronn  1845,  §  8.  (Mechanik  der  Wärme.  Stuttgart  1893,  S.  56). 

—  Joule,  Phil.  Mag.  (3)  23,  S.  263,  847,  435,  1843;  26,  S.  369,  1845;  27,  S.  205, 
1845;  31,  S.  178,  1847;  Phil.  Transact.  1850,  S.  61 ;  Pogg.  Ann.  Erg.-Bd.  4, 
S.  601.  Das  mechanische  Wärmeäquivalent,  deutsch  von  Spenuel.  Braunschweig 
1872.  —  *)  B.  Mater,  Die  organische  Bewegung  etc.  Hblmholtz,  Die  Erhal- 
tung der  Kraft  —  ')  Cabnot,  E6flexions  sur  la  puissance  motrice  du  fe,u  et 
les  machines  propres  k  d^velopper  cette  puissance.  Paris  1824,  S.  82 — 87. 
(Klassikerausgabe  Nr.  37,  S.  20—22.)  —  *)  Clausius,  Pogg.  Ann.  79,  S.  503, 
1850;  93,  S.  487—88,  1854.    Mechanische  Wärmetheorie  1,  Abschn.  III,  §  5. 

—  W.  Thomson,  Dynamical"  theory  of  heat,  £dinb.  Trans.  XX,  S.  265,  1851. 

—  *)  Clausius,  Pogg.  Ann.  93,  S.  500,  1854.    Mechan.  Wärmetheorie  1,  S.  93. 

—  •)  Clausius,  Pogg.  Ann.  126,  S.  390,  1865.  —  ^  Cabnot,  1.  c.  S.  38.  (Klas- 
sikerausgabe Nr.  37,  S.  23.)  —  *)  Clausius,  Pogg.  Ann.  116,  S.  77,  1862;  Mechan. 
Wärmetiieorie  Abschn.  X,  §  1,  S.  221.  —  »)  Wilke,  M6m.  Acad.  R.  de  Stock- 
holm, 1781;  Observations  et  Mdmoires  sur  la  physique,  Tome  XXVI,  p.  I, 
S.  259,  1785.  —  ")  RfioNAULT,  M6m.  Acad.  des  Sciences.  Paris  XXVI,  S.  298, 
301,  1862.  —  ")  P.  Müller,  Wied.  Ann.  18,  S.  94,  1883.  —  ")  Black,  Lec- 
tures  on  the  elements  of  chemistry,  herausgeg.  von  Robinson.  Edinb.  1803.  — 
*•)  Clausius,  Mechanische  Wännetheorie,  Bd.  1,  Abschn.  11,  §§  3  u.  4,  IX,  §  5. 

—  ")  Clausius,  Pogg.  Ann.  93,  S.  494— 497,  1854;  Mechan.  Wärmetheorie  1, 
III,  §  7.  —  '*J  Clausius,  Mechan.  Wärmetheorie,  1,  IX,  §  5.  —  *•)  C.  Neumann, 
Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wiss.  43,  S.  98—103,  1891.  —  *0  v.  Helmholtz,  Zur 
Thermodynamik  chemischer  Vorgänge,  §  1,  Berl.  Sitzungsber.  1882,  S.  9;  ges. 
Abhandl.  II,  S.  965.  —  ")  Kibchhoff,  Pogg.  Ann.  103,  S.  178,  1858;  ges.  Ab- 
handl.  S.  454—56.  —  *»)  W.  Thomson,  Quarterly  Joum.  of  Math.  I,  S.  57,  1857. 

—  Schilleb,  Joum.  d.  russ.  phys.  Ges.  11,  S.  6,  1879.  —  Planck,  Gleichge- 
wichtszustände isotroper  Körper.  München  1880.  —  v.  Hslhuoltz,  Berliner 
Sitzungsber.  1882.  —  Voigt,  Göttinger  Nachr.  1888,  S.  360  u.  f.  —  «^  Voigt, 
1.  c.  S.  363.  —  ")  F.  Neumann,  Vorl.  über  Elasticitätstheorie,  S.  109.  —  Voigt, 
Best.  d.  Elast.-Konst  von  Beryll  u.  Bergkrystjdl.  1886,  S.  15.  —  »*)  Voigt, 
Göttineer  Nachr.  1888,  S.  373.  —  ")  F.  Neumann,  Vorl.  über  Elasticitätstheorie  §  58. 

—  «*)  Voigt,  Wied.  Ann.  16,  S.  416,  1882.  —  »*)  Voigt,  1.  c.  S.  364—65.  —  W.  Thom- 
son, Artikel  „Heat"  in  Encycl.  Brit,  1878;  Math.-phys.  papers  III,  S.  188.  — 
")  Maxwell,  Theorie  der  Wärme.  Braunschweig  1878,  S.  197.  —  Voigt,  1.  c. 
S.  366.  —  «^  Joule  u.  Thomson,  Phil.  Transactions  1853,  S.  357;  1854,  S.  321;