Shakeſpeare und der Welifrieg
Richard von Kralik (Wien)
Sekretariat Sozialer Studentenarbeir
Eas Jahr 1916: War das 300. Todegichr. Shakeſpesres. Au
y zu normalen Frie denszeiten wäre ein fährlarer Rückblick nicht
umgehen geweſen; befonders nicht für ung Deutſche, die wir
gewohnt find, Shakeſpeare faſt mehr als Deutihen denn ald Eng
länder gu betrachten. Das Problem wird in dieſen Zeifen des Welt;
frieges, der feindfeligfien Stellung Englands gegen Die deutſchen
Zentealmächte, noch aufregender und antegender, Es iſt ganz not—
wendig, daß die deutſche Kultur, die nunmehr in eine neue Periode,
in ein neues Verhältnis zur ganzen Weltkultur tritt, fih da nen
orienfietk,
Es handelt ſich für ung nicht um die völlig müßige Trage, wie ſich
etwa heute ein Shakeſpeare, wenn er noch lebte, zum Weltkrieg und
zu ung Deutichen fielen würde, Es gibt feine wiſſe nſchaftliche Methode,
Sie Diefe Fra ge beantworten könnte; zudem iſt ed ung ja and ganz
gleich gültig, wie fich heute Shaw oder Maeterling, wie fih O'Annunzio
oder Tſchechoff zu uns fiellen, Ste können ung durch ihre Stellung,
nahme nicht weſentlich fchaden oder nützen. Wohl aber interefftert
uns die Beantwortung zweier anderer Fragen, Die aufs imnigfle
miteinander uuſammenhängen und ſehr wohl durch Ihre Beantwortung
die Sache unſerer Kultur fördern können; fie lauten: Wie hat fid
Shafefpeare als Dichter und Denker jur Politik und Kultur feines
Landes und feiner Zeit geflellt, und welche Stellung ergibt ſich dara us
für ung feiner Verfon und feinem Werke gegenüber?
Die folgenden Erörterungen Bilden den kurzen Auszug aus einem
Buch über Shakeſpeare, das ich ſchon one fünf Jahren im Anſchluß
an eigne praktiſche Verſuche entworfen habe.
Wir verbinden mit dem Namen Shakeſpeare den vollen Inbe griff
reichſter Poeſie. Schlägt man das Buch feiner Zauberwerke auf, ſo
befindet man ſich auf einmal wie in einem Wunderwald, wie im Bann
eines Märchengartens, der einen erhöhten Auszug diefer ganzen Welt
vol Harmonie und voll von Widerſprüchen bilder, Manch andere
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Dichter ſtehen uns näher: ſo gewiß unfere eignen deutſchen Klaſſiker,
in die Griechen, die noch viel mehr der Inbegriff einer einbeif;
lichen nationalen Kultur find. Als ſelbſtherrliche Dichterperfönlichkeit
ſtellt ſich an Shakeſpeares Seite nur noch erwa Calderon. Aber
Shakeſpeare zieht uns auch dadurch an, daß er ſelber mitten in den
Kulturproblemen feiner Zeit wie eine tragiſche Figur daſteht, am der
fich dag Schickſal erprobt und erfüllt, Shakeſpeare iſt wirklich der Spiegel,
die abgefürgte Chronik feiner Zeit, Wer ihn verſteht, der verſteht und
ergründet den großen politifchen, religiöfen, ſozialen Prozeß der Re⸗
naiffances und Reformationszeit, diefen Kampf zwi⸗
schen Humanismus und Romantik, zwifchen Glauben und Slepſis,
zwiſchen Demokratie und Ariſtokratie, dieſes Weltbeben, das der ganzen
Zeit einen Hamletcharalter einprägte. Es find Probleme, die auch
heute noch den Inhalt des Geiflesringens unferer Zeit ausmachen.
Das tft es, warum uns Shakleſpeare fo modern erſcheint. Es iſt der
Wahrheitsgehalt feiner Dichtung, was uns fo ſehr anzieht,
Bei Shafefpeares Geburt (1564) ſtand England noch mitten in den
Reformationskämpfen. Gerade die Gegend feiner. Geburt war ein
Hauptherd der katholiſchen Partei. Sein Vater war Rekuſant,
Nonkonformiſt, d. h. Fein Anhänger der proteſtantiſchen Staats⸗
kirche. Seine Mutter war aus dem katholiſchen Haus der Arden;
ein Edward Arden wurde noch 1583 wegen angeblicher Mitwirkung
bei einem katholiſchen Komplott gegen das Leben der Königin Eliſa⸗
berh hingerichtet. In diefem Jahre 1583 wurde Sir Thomas Lucy,
ein eifriger Proteſtant, als Mitglied einer Kommiſſion den verdächtigen
Stratfordern zugeſchickt. Der Dichter bat am ihm feinem vollen Spott
die Zügel ſchießen laſſen. Es war wohl nicht nur eine MWilddieberet,
weswegen der junge Shakeſpeare Bald darauf feine. Heimer floh.
Er haste ſchon 1582 geheiratet; feine Trauung finder ſich aber in feinem
Kirchenbuch verzeichnet, was Die Vermutung nahelest, daß dabei
eine Rentenz gegen die Staatskirche mitfpielte, Die einige wohl:
melnende Freunde nachträglich gutzumachen fuchten.
Bereit um 1584 mag die etwas berbe ehelihe Poſſe „Die Zäh⸗
mung der Widerfpenfligen“ entflanden fein, vielleicht ein Spiegel
ju gendlicher Eheverhältniſſe. Darüber erhebt ſich bereits die groß:
artige Sentens, ein Programm des konſervativen Sozialismus:
„Die Pflicht, Die der Bafall dem Fürften sollt, die iſt Die Frau auch
fchnldig ihrem Gatten. Und ift fie trotzig billigem Gebot, was ift
ſie als ein tückiſcher Nebel, ein Hochverräter an dem lieben Herrn?
Weshalb iſt unſer Leib zart, fanft und weich, als daß ein fanfter Sinn,
ein Herz voll Milde im Einflang fieh’ zum leiblichen Gebilde?”
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Weltkrieg 85 2
Dies eheliche Problem fotelt auch noch in die „Komödie der Ir⸗
tungen” hinein (etwa 1585), wenn e8 da heißt (2, 1): „ES folge dag
Weib in der Natur gehorfam flets dem Manne, Der Menfch, viel
höher, göftlicher geftellt, ift Herr des wilden Meers, der weiten Welt
und Durch Vernunft und hohe Geiftesgaben weit über Vogel, Fiſch
und Tier erhaben. Hier find die Männer auch der Weiber Heren.”
Sehr bemerkenswert ift es, daß der Dichter den heidnifchen Stoff,
ber und aus Plautus befannt ift, ganz in chriftliche Seit verfegt, mit
„Faſten und Beten”, mit Anflang an Evas Geburfsfchmerzen als
Strafe der Sünde, an Kreuz, Roſenkranz, „Limbus tartari“, „Jüngſter
Tag”, „Engel und Teufel”, Vor allem gilt das vom echt romantifchen
Schlug mit der Abtiffin des Kloſters. | | |
Ein Parallelſtück zum erſten, roheren Hamlet it „Titus Andro;
nikus“ (um 1587), Es iſt das die Zeit der Hinrichtung der Königin
Marie Stuart. Auffallend iſt der furchtbare Peſſtmismus
biefer Tragödie, die Verzweiflung an der Verderbtheit der Welk,
an dem Mangel jeder ausgleihenden Gerechfigfeit. Religionsloſigkeit
geht mit moralifcher Schlechtigkeit Hand in Hand.
Das Jahr 1588, das Jahr der fpanifhen Armada, br
deutet einen Wendepunkt in der Weltgefchichte. Spaniens Hegemsnie
geht damit zum Teil an den Piratenſtaat England über, und die big
dahin vorwärtsſchreitende Fatholifhe Bewegung kommt wieder eine
Weile zum Stillſtand. Die große patriotiſche Aufregung dieſer
zeit mag dem jungen Dichter den Plan eingegeben haben, in
energifcherer Weife, als 28 bisher geſchehen war, Die varerländifche
Geſchichte in einer großen Dramentreihe zu fpiegeln, wicht nur theatre:
liſcher Wirkungen wegen, fondern um die gefhichtlichen Probleme
zu klären. Zuerſt hat ihm der bunte Stoff gereist, den er in vier Stüden
(Heinrich VI., erfier Bis dritter Teil) und Nichard III. zuſammen⸗
hängend, vielleicht mit Benützung älterer Vorarbeiten, behandelt
hat. Sehr ſtark betont der Dichter gleich zu Beginn der Tetralogie,
ber tote Heinrich V. habe feine Schlachten für den Herrn der Heer;
(baren gefochten, „Durch Das Gebet der Kirche alüdt es ihm“,
Auffallend ift der Fluch, den Shakeſpeare durch die „Pucelle“ auf
England merfen läßt: „Die lichte Sonne mwerfe ihre Strahlen nie auf
848 Land, das eich zum Sitze dient! Umgeb' euch Nacht und düſtrer
To desſchatten, bis Unheil und Verzmweifelung euch drängt, den Hals
su brechen oder euch zu hängen!” Der Dichter lobt 08, daß Dapfl
und Kaiſer zum frommen Frieden raten, um Vergießung des
Chriſtenbluts zu hemmen (5, 1). Die Lady Glofter erfcheint mit ihren
Höllenzaubern als Gegenftüd der Pucelle. „Der Krieg ift der Sohn
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der Hölle, aber des Himmels Zorn braucht ihn um Werkeug (5, 2),
Der König befennt: „Dreimal bewehrt iſt der gerechte Streiter, und
nackt iſt der, obſchon in Stahl verſchloſſen, dem Unrecht das Gewiſſen
angeſteckt (3, 2). Höchſt be deutſam für die ſozialpolitiſche Anſchauung
Shakeſpeares iſt die Zeichnung des ſozialiſtiſchen Dema gogen Sohn
Cade und des von ihm geführten Pöbels (4, 2: 4, 4), Der Dichter
vertritt eine ſtarke Regierung: „Denn was nährt Unkraut als ges
linde Luft? Und was macht Räuber kühn als zuviel Milde (2. Teil, 2, 6),
Der Richard ILL iſt die Tragödie des fih ſelbſt überſtürzenden In⸗
divi dualismus: „Sch bin ich ſelbſt allein” — das mag man heitte den
„heiligen Egoismus” nennt. Shafefpeare, der Hiftorifer im Hiflorien;
Dichter, verfeßt ung fo recht in den Mittelpunkt feiner treibenden Ge;
dantenarbeit, wenn er von der Geſchichte fagt (3, DD: Die Wahrheit
follte, auch wenn fie nicht aufgezeichnet wäre, immer leben. Cäfer
hat aber als Held und Geſchichtſchreiber doppelten Ruhm, Gott
und die gute Sache ficht für die Guten, Gebete Heiliger und gefränfter
Seelen ſtehn wie hohe Schanzen vor unferm Antlitz (5, 3).
Die dramafifche Form der „Hiſtor ie“ ift aus dem Geifte der
Gefhichte hervorgewachſen. Sie unferfcheidet fich weſentlich son der
Form des hifiorifchen Dramas, wie Götz, Egmont, Wallenſtein uſw.
Der Held der Hiſtorie iſt nicht eine einzelne Derion, fondern der ganze
Staat. Die Hiſtorie ſchließt fih daher mir andern zu chro nolo giſchen
Reihen zuſammen. Shakeſpeare hat wohl zweifellos die eben erwähnte
York⸗Detralo gie einheitlich entworfen und ſie ebenſo zweifel⸗
los ſo gleich als ein Teil einer größeren dra matiſchen Epopde gedacht.
Zehn Rhapſodien dieſes Zyklus ſind erhalten, find ausgeführt, Sie
werden in der Folioaus gabe deutlich von andern hiſtoriſchen „Ira gödien“
gefhieden. Nachdem alfo der 2ı jährige Dichter in der Fülle feiner
Kraft den reizvollen Stoff der Yorktetralo gie erſchöpft hatte, mußte
er ſich die Fra ge vorlegen, woher denn dieſe verderblichen Sukzeſſio ns⸗
wirren ſtammen, wo alſo eigentlich das erſte tra giſche Moment des
ganzen geſchichtlichen Prozeſſes liegt. Und er mußte den Grund darin
finden, daß nach Richard Löwenherzens Tode Köni g Johann
den rechtmäßigen Erben des Reiches, den jungen Arthur, der ſchon
im Namen als Erneuerer der alien Herrlichkeit vom König Artus
auserſehen war, ſeines Erbes beraubte und töten ließ. So erhielt
er alſo als das zeitlich erſte Drama des Hiſtorienzyklus den König
Johann. Es gab ſchon ein älteres Drama diefes Namens, von
John Bode, eiwa 1550 alg erzproteſta ntiſches Tendenzſtück beat;
beitet. Nun iſt es ſehr bezeichnend für den Geiſt unſeres Shakeſpeare,
daß von dieſer Tendenz bei ihm keine Spur zu finden if. Im Gegen
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teil, es fällt geradezu auf, daß er alle Gelegenheiten, genen „Kleri⸗
kalismus“ oder „Ultra monta nismus“ zu demonfirieren, unbenutzt
gelaſſen hat. Das kann nicht Zufall ſein. Das iſt in einer Zeit und
in einem Land, wo der Proteſtantismus von Staats wegen befohlen
war, wo Katholizismus faft gleichbenentend mit Aufruhr und Ber
ſchwörung galt, eine unverfennbare Sprache, Ein Autor, der heute
die Gunft des „liberalen“ Publikums und der Preffe erringen wollte,
diirfte nicht gleich) Shafefpeare den Stoff alfo behandeln, ohne in den
Berdacht fehlechter Gefinnungss kommen. Daß Shafefpeare fo ſchreiben
fonnte, ift ein Zeugnis großen Mutes, großer Selbffändigfeit des
Urteils und vielleicht auch ein Zeichen dafür, daß er bei feinen nähern
Freunden auf Verſtändnis und Beifall rechnen durfte. Die ſpätere
Zeit hat Dies wohl gemerkt. In der Aufflärungsperinde (1745) hat
Colley Cibber Shakefpeares Hifforie wieder als Tendenzſtück umge⸗
arbeitet unter dem Titel: „Päpſtliche Tyrannei in der Regierung
König Johanns.“ Gans anders aber Shakeſpeare. Er meint es offen
bar als zu beſtrafenden Ubermut, wenn er den König bramarbafieren
laͤßt: „Ich will allein von allen Königen der. Chriftenheit den Papſt
nicht kennen!“ Denn Shafefpeare läßt zum Schluß ganz offenſichtlich
die päpſtliche Autorität triumphieren. Selbſt die Zerrgeſtalt des
Baftards muß am Schluß des 4. Altes gefiehen: „Aus die ſem
Stückchen toten Königtums floh diefes Reiches
Leben, Recht und Treue zumHimmel auf, undbleibt
für Englandnihtsals Balgen, Zerren, mit den
Zähnen Baden: das herrenlofe Vorrecht floker Hoheit. Der
Himmelſelbſtblickt dränendauf das Land.“ — Und
mit dem Himmel auch die Kirche. Denn der gedemütigte König iſt
ſchließlich gezwungen, feine Krone dem päpſtlichen Legaten gu über;
geben und fie von dieſem alg Lchendes Pan fie zurückzunehmen,
eine Strafe, die der Dichter zweifellos als rechtmäßig anerkennt; denn
er Enüpft durchaus feine Proteſte daran an. Der Legat ſchärft es dem
König ein: „Mein Odem war's, der Diefen Sturm erregt anf Ener
flarr Verfahren mit dem Papſt. Nun, da Ihr Euch mit milden Sinn
befehrt, fo foll mein Mind den Sturm des Krieges ftillen und
dem durchtobten Land ſchön Wetter geben’ (53, 1). In voller Sühnung
des engliſchen Unrechts wird ein Kreuzzug angekündigt (5, 2):
„D Volk, daß du von binnen könnteſt! Daß dich Neptun, des Arme dich
umfaffen, wegtrüge von der Kenntnis deiner felbft und würfe Di) auf
einen Heidenftrand, wo diefe Chriftenheere leiten Fönnten
der Feindſchaft Blut in eine Bundesader und nidt es fp
unnachbarlich vergießen!” Das ift entfihteden ein religiös-⸗politiſches
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Bekenntnis des Dichters, ein europäiſches Kulturprogramm, Das
er noch öfters befonf und gewiß auch feiner Zeit vorhält.
Der Dichter unterbrach nun für einige Zeit die Bearbeitung der
Hifiorien und gab in den folgenden drei Jahren 1590, 1591, 1592 drei
tiebesdramen. In dem erften, dem „Kaufmann von Venedig“, wird
dem Durch Das Judentum ſymboliſch repräfentierten formalen Recht
ber bloßen Geſetzlichkeit die chriffliche Gnade enfgegengefeßt, gemäß
dem Prolog des Sohannesevongelums, „Wir befenalle um
Gnade" (4, 1), Aus der Liebesfiimmung biefes ſozialen Theſen—
Dramas erwächſt Dann die Liebestra gödie von Ko meo und Julia,
in der der Frater Lorenzo eine fo überragende Rolle ſpielt, und der
Prinz zum Schluß erfennen muß: „Alle büßen.” Wieder iſt eg für
Shakeſpeares Bekenntnis ſehr begeichnend, daß. er die proteflantifche
fulturfämpferifche Tendenz feines Vorgängers Arthur Brofe (1562)
ind Gegenieil verändert hat. Broke benützt jede Gelegenheit, über „die
aber gläubiſchen Mönche, die rechten Förderer und Helfershelfer un;
ſaubern Tuns“, über die „Ohrenbeichte, den Schlüffel der Unzucht
und des Berrats”, zu fihelten. Ganz anders Shafefpeare, Ihm
wird Bru der Lorenzo zum reinſten, tadellofeften, weifeften und gütigſten
Vertreter aller Religion, alles Erhabenen. Diefe Umdeutung kann
ebenfowenig wie im König Sohann ein Zufall fein: fie kann nicht
auf einem bloß äſthetiſchen Katholizismus beruhen, Die Poefle Shaker
fpeates atmet ganz in katholiſcher Luft. Was den Sommer;
nacht straum, bie Liebesparodie oder Satire, bereifft, fo nehme ich
die Deutung von 9. Kurz (im Shakeſpearejahrbuch 4, 291) an, wonach
die Seenkönigin, die fich in den Efel verliebt, nur sie Königin Eliſabeth
elber fein Fann, in Anfpielung an Spenzers Lobgedicht „Feenkönigin“
(1590), Der Efel wäre dann Walter Raleigh, der damalige Günſiling
der polififche Gegner der EffersParsei, der Shakeſpeare angehörte.
Die drei Jahre 13593 bis 1595 zeigen ung Shafefpeare durch feine
beiden epiſchen Dichtungen und die Sonefte in einer auch politiſch
bedeutiamen Beziehung zum jungen Lord Southampton. Diefer
war der Enfel eines Lordkanzlers unter Heineich VIII. der Fatholifch
blieb, Auch deffen Sohn blieb katholiſch und war ein ritferlicher Ver—
ehrer Maria Stuarts, wofür er 1572 in gefängliche Unterſuchung
fam. Er war mit der Tochter einer reichen fatholifchen Familie ver;
heiratet, Unſer junger Henry Southampton gehörte zur politifchen
Parrei des Eſſer, nahm an deſſen Verſchwörung teil und war auch nahe
daran, fein Leben Dabei zur verlieren, Aber der Tod der Eliſabeth befreite
ihn aus dem Kerler. Uns intereffteren die in diefen Jahren entfiandenen
Dramen, die allerdings nicht ganz auf der Höhe der übrigen Werfe find,
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In der „Berlsrnen fiebesmth” fehe ich in romantifcher
Weiſe auf die Gefchichte des aleichgeitigen Königs Heinrich von Navarra
angefpielt, feit 1572 mit der franzöftichen Prinzeffin Margaretha von
Valois, der Tochter Heinrichs IL, vermählt. Das war ja die ſoge⸗
nannte Bluthochzeit. Nachdem Heintih am 26. Juli 1593 zur katho⸗
liſchen Kirche endgültig über getreten war, konnte er im März 1594
in Paris als König von Frankreich einsiehen, Vielleicht bezieht fich
darauf die Bemerkung (4, 1), diefe Zeit liebe die „Ketzerei“ der Werk—⸗
heiligfeit, wie diefe Den Rathofiten vorgeworfen wurde, Das ſonder⸗
bare Stüd hat einen etwas mönchiſchen Schluß, Meineid und Schuld
wird in einer wüſten und öden Klausnerei gebüßt.
Sn den. „Beiden Beronefern” (1594?) if dee Bender
Lorenz in St, Patriks Zelle, zu dem Silvin beichten geht, ein Nach⸗
ball von Romeos Bruder Lorenzo, bei dem Inlia beichtet. Schön
heißt e8 som Freund: „Befehl du meinem heiligen Gebet;
glaub, ich bin dein Fürhitter! 1%
Sp „Ende gut, alles gut“ (15952) heift 68: „Dan fast,
Binder gefchehen nicht mehr; und wir haben unſere Philoſophen,
um übernatärlide und unergründlide Dinge alltäglih und
glatt zu machen. Daher kommt eg, daß wir ung in angebliche Willen;
Schaft verfhanzen, wenn wir ung dem Schauder des Ungeahnten unfer
werfen follten.”
Die Sonette und manche diefer Dramen enfhalten deutliche Spuren
davon, daß Shafefpeare nicht nur in England, fondern auch auf dem
Kontinent gereiff iſt. Diefe Spuren weifen nah Dänemark, Witten:
berg, Prag (an den Kaiferhof Rudolfs IL), Wien, Venedig. Aber nicht
weiter, fo nicht nach Fra nkreich. Wenn aber in „Ende gut“ der aller;
dings prahleriſche Parolles in einer Lage, die alles Prahlen aus:
ſchließt, ſagt, er verfiünde Deutſch, Däniſch, Niederländiſch, Ita⸗
lieniſch und Franzöſiſch, fo find das die Sprachen, die von den reiſen⸗
den englifchen Komödianten geübt werden mußten, und Die auch Shafer
fpearen nicht ganz unbekannt geblieben fein mögen. Diefe Neifen
find fo zu denken, daß fie in die Jahreszeiten fallen, mo in London
rein Theaterleben war. Sie fallen vor dag Jahr 1596, in deffen Sommer
ſich der Dichter fefter in Stratford niederließ,
Eine Frucht der Reifen in Deutſchland fcheint „Viel Lärm um nichts“
zu fein, wozu vielleicht Jakob Ayrers „Phänicia“ die Anregung gab.
Sch ſtelle das Luſtſpiel ins Jahr 1596, Es wiederholt ſich darin ein
obſtinater Ausfall gegen die Zeitmode, offenbar auch auf poetiſchem
Gebiete. Die Mode ift ein „grotesker Spisbube”; er hat nun am Die
fieben Jahre (alfo etwa ſeit 1589) das Schelmenhandwerf mitgemacht
8 |
und geht jet herum. wie ein sornehmer Hett (3, 3), Die Männer
find ganz Zungen geivorden (4, 2). Dummoreiſte, free Buben,
Modegeden verleumden, lügen, frügen, ſchmähen und höhnen, gehen
wie Hansnarren, gar geäßlich anzuſchauen und wiſſen ein halb
Dutzend grimmige Worte... Ein Affe iſt ein Doktor gegen Solch
einen Mann (5, 1). | Rz
Vielleicht ift e8 eben die Mode, der Modismus geweſen, der dem
Dieter die Fortfegung feiner Hiſtorienarbeit verefelt hatte, Er ſah
ſich gezwungen, dem Publikum mit Sufifpielen Zu geſtändniſſe zu machen,
Wir entnehmen aber aus den Sonetten, daß ihn der Verkehr mit Lord
Southampton und feinem Kreife wieder der Hiſtorie zuführte. Cr
fand in Heinrich Southampton vor allem das Mo dell für ſeinen
Prinzen Heinz, ſeine Lieblingsgeſtalt. So begann denn Shakeſpeare
ſeine nene zuſammenhängende Lanca ſter⸗Tetralo gie als Gegenſatz
zur Modedichtung, und zwar vollendete er vorerſt den Richard II.
und die zwei Teile des Heinrich IV. In Richard IL ſchil dert er
als zweiten Grund aller nationalen Mißſtände Richards Thronent:
ſetzung und Ermordung mit peſſimiſtiſcher Grundſtimmung (2, 3):
„Troſt wohnt im Himmel, und wir find auf Erden, wo nichts alg
Unglüd, Sorg' und Kummer lebt,” Sehr beveutfam ift eg, daß Shake⸗
ſpeare auch in den verfäumten Kreuzfahrten eine Verſchul⸗
dung ſieht (2, 2), Weil „eines Chriſtenlands erlöfte Seelen“ ſchwarze
ſchnöde Taf verüben, anflatt ihrer Kampfespflicht gegen die Unglän:
digen zu folgen, Darum düngt das Blut der Bürger den Boden,
„Friede wird bei Türk und Heiden Fchlummern, und wilder Krieg
in Diefem Sitz des Friedens wird Stamm durch Stamm, und Glied
durch Glied verderben. Zerrüttung, Graufen, Furcht und Meuferei
wird wohnen bier, und heißen wird dies Land das Feld von Gol gatha
und Schädelſtätte“ (4, 1), Zur Sühne für all das gelobt ſchließlich
der Sieger (5, 5): „Sch will die Faher sun in das heil'ge Lan 5,
dies Blut gu wafchen von der ſchuld'gen Hand.” Aber er erfüllt wicht
dies Gelübde, Wir wiflen, daß der Kreuzzu gs geda nke in der Zeit
der Schlacht von Lepanto 1571 bis zu Sullhs „großem Plan“ 1601
lebendig war.
Heinrich IV. ſchließt ſich unmittelbar an Richard IL an. Auch
dieſe Hiſtorie beginnt mit dem Kreuzzu gspro gramm, das aber ſofort
durch innere Unruhen geſtört wird. Sehr ſchön heißt es aber: „Darum,
Freunde, ſo weit hin bis zur Grabesſtätte Chriſti, des Krieger nun
mit dem heiligen Kreuz, wir find gezeichnet und sum Streit verpflichtet,
woll'n wir ein Heer von Engländern fofort ausheben, deren Arm
im Mutterſchoß fchon ward geformt, zu jagen jene Heiden im Heil’gen
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Lande, über deſſen Hufen die fegensreihen Füße find gewandert,
die ung zum Heil vor viersehnhundert Jahren genagelt wurden an das
bittre Kreuz.“ Auch im 2. Teil heißt e8 (3, 2): „Und läßt der innre
Krieg ung freie Hand, ſo ziehn wir, werte Lords, ins heil’ge Land“
— „and ziehn nur Schwerter, die geheiligt find” (4, 4).
Am fprechendflen für Shakefpeares Stellung iſt feine Behand;
fung des Sir John Falſtaff oder, wie es auch bei Shakeſpeare
uefprünglich hieß, Sie John Didcaftle, Dieſe hiſtoriſche Gefialt
war ein Anhänger Wiclifs, ein Lollarde, der bereit8 unter Heineich IV.
der Keberei verdächtig war, Bei Beginn der Regierung Heinrichs V.
(1413) kam diefer Ritter in Unterſuchung; da er aber mit dem König
felber befreundet war, wagte man e8 nicht, ihm geradegu den Prozeß
su machen, fondern wandte fih an den König. Diefer ſuchte feinen
Freund auf beffere Gefinzungen zu bringen, aber umfonft, Es fam
zu ſtürmiſchen Szenen. Dldcaftle. verließ eigenmächtig das Fünigliche
Schloß und machte fih in feiner Burg zum Widerſtand bereit, Bor
dem geifllichen Gericht erflärte er ven Papſt als den Kopf des wahren
Anfichriften, die Höhere Geiſtlichkeit als deſſen Glieder und die Mönche
als feinen Schwanz Er wurde nun dem weltlichen Gericht sur Be
ſtrafung übergeben, aber er tiellte fih nicht. Er ſuchte zu Beginn
des Jahres 1414 feine Geſinnungs genoſſen, angeblich 20 ooo Lollarden,
in der Nähe von London zu vereinigen, mußte aber bald fliehen, Cr
wurde 1417 verhaftet und am Galgen höängend verbrannt, Geine
hervorſtechende Geflalt wurde von der Nachwelt nach zweifacher Rich⸗
ung hin ſa genhaft ausgeflaltet, Bei den Katholiken wurde er nicht
nur zu einen Keßer, ſondern auch gu einem Zerſtörer der geſellſchaftlichen
Dehnung, einem Verführer des Königs, einem habgierigen, feigen
Emporfömmling, der fih dem in Höhlen haufenden Gefindel gleich:
ftellt und in Maskenverkleidung einen Überfall auf den König ver:
Sucht, Von dem fiegreichen Proteſtantismus wurde er aber als Bor;
läufer des wahren, gereinigten Evangeliums, als ein Heiliger Märtyrer
der Reformation erhoben und gefeiert. Shakeſpeare bat fih nun ganz
der Fatholifhen Tra dikiy m uber diefen Mann angefhloflen,
fo weit er das im Gegenfag gegen feine Zeit, gegen feine Umgebung
wegen konnte. In Her erften Faſſung ließ er fogar den den
Proteſtanten heiligen Namen Dlöcafile ſtehen. Als ihm das fehr
übelgenomimen wurde, filgte er den Namen und erflärte im Epilog,
allerdings mit einer doppelt beleidigenden, wegwerfenden Zweidentig⸗
feit, daß der Dlöcafile, der als „Märtgrer” farb, nicht Derfelbe
Mann fei, aber er wolle in der nächſten Hifiorie, im Heinrich V.
vorausſichtlich den Sir John Falſtaff wieder auftreten Taflen, wie
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Br
er ſich zu Tode ſchwitzt. Das war ein heuer Hohn auf den
„Märtyrer“, denn auch Diefer har fih, nach volkstümlicher Redeweiſe,
zu Tode gefchwigt, als er verbrannt wurde, : Jedenfalls konnte
Shafefpeare unmöglich im Ernſt den Nebellen gegen feinen Ideal
könig einen Märtyrer nennen. Aber auch diefe entſchuldigenden
Worte genügten nicht dem proteflansitchen Publikum. Vier geſinnungs⸗
tüchtige protefiantifche Dramatiker, Munday, Drayton, Wilfon und
Hathway, taten fih zuſammen und fchrieben in auggefprochenem
Gegenfaße zu Shakeſpeare einen „Sir Sohn Didcaftle”; das Drama
mar eine Verherrlichung Das teuren Reformators, wurde 1599 gegeben
und 1600 gedruckt.
Um die miß günſtige Behandlung des proteſtantiſchen Heiligen mög⸗
lich zu machen, hatte Shakeſpeare den doppelten Kunſtgriff gebraucht,
alles rein Konfeſſionelle zu vermeiden, dafür alles auf das moraliſche
Gebiet zu verlegen und es außerdem vom fragifchen Kothurn auf
den komiſchen Sokkus herabzuſtimmen. Er fat noch ein übrige,
indem er das Treiben des zweidenfigen Helden in den „Eufligen
Weibern non Windfor” ganz ind Burlesfe herabzog. Das
geſchah wohl im Jahr 1598, im felben Jahre, da Shafefpeares Freund
und Kunftgenofie Ben Jonſon katholiſch wurde. Der Dichter Lodge
war zwei jahre vorher katholiſch geworden. |
Der „Heinrich V.“ (1599) bezeichnet die größte Verherrlichung
der Geftalt son Shafefpeares Gönner Henen Southampton: ber
Dichter ſchafft eine Ideal geſtalt, die ſich abfichtlich über den ganzen
übrigen grauenhaften Wuſt der englifchen Gefchichte erhebt. Er
ſtattet dieſe Geflale mit aller Frömmigfeit aus, gibt ihr wieder
den Kreuzzugsgedanken ein (5, 3), befünt de8 Königs Freundſchaft
zur „heiligen Kirche“ (z, 1), feine Beſtrafung des Kirchen:
raubs (3, 6), | |
Im Luſtſpiel: „Wie e8 Euch gefällt” (1600) Fam Shakeſpeare
wieder dem Gefhmad und der Mode der Zeit entgegen; er betont
es offenbar im Gegenfab zu dem, was ihm felber gefällt, was er
ohne Rückſicht auf das Gefallen des Publikums geſchaffen bat. Den
Moraliſten des Stüdes, Jacques, läßt er Die Welt in großartiger Parabel
als ein Schaufpiel, eine Bühne betrachten, alle Menfchen als Schau:
ſpieler (2, 7) — ähnlich wie Calderon in feinem „großen Welttheater“.
Diefer Ja cques wird zum Schluß Eremit und beginne mif dem reuigen
Uſurpator ein gemeinfames geiftliches Leben: „So feid denn guter
Dinge! Ich bin für andre als für Tängerfprünge.”
Ebenſo gibt Shafefpeare in dem folgenden Lufffpiel: „Was Ihr
wolle" aus drücklich etwas fürs breite Publitum, nicht das, was Er
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will, Seine eigne Sache führt er im Kampf gegen die Purifaner,
den er allerdings mis den Anglifanern gemeinfam hatte, und in bet
Verteidigung der alten volkstümlichen Kunft, des „alten lichten
Liedes” (2, 4), „Was ihr wollt” iſt wohlam Dreifönigsatg, 6. Ja nuar
des Jahres 1601 zum erſtenmal aufgeführt worden.
Kurz darauf bezeichnet der fragifche Yusgang der Verf ch wö⸗
rung des Effer einen Umſchwung der heitern Stimmung des alten
Englands und auch den Eintritt des Dichters in feine veiffte, aber
ſchwermütigſte Pertode. Shakeſpeare fand den arifiskratifchen Führern
der Verſchwörung fehr nahe; um fo Fühler verhielt er fich der rohen,
unfympatbifehen Natur der Königin Elifaberh gegenüber. Es fiel
schon bei feinen Lebzeiten auf, daß er fie feiner poetiſchen Huldigung
würdigte. Ihre Politik, deſpotiſch und piratenmäßig zugleich, war
freilich die eigentlich enalifche Politik Big zum Weltkrieg, Als Effer
in Ungnade fiel wegen feiner humaneren Bolitif gegenüber den katho—
liſchen Irländern, da war eg fein bisheriger Klient Francis Bacon,
der fih fo charakterlos wie möglich erwies. Die Verſchwörer ließen
fih am Borabend ihres tollfühnen Unternehmens Shakeſpeares
Richard IL mit der Abſetzungsſzene vorſpielen (7. Februar I6or),
Unmittelbar darauf wurde der Anſchlag gegen Elifaberh befprocen:
aber er mißlang. Effer wurde am 25. Februar enthauptet, Southamp⸗
ton zu lebenslänglihem Kerfer begnadigt. Auch der Schaufpielleiter
wurde vor Gericht genommen, Shafefpeare fpiegelte feinen Unmut
im großartigen Revolutionsdrama Julius Cäſar, mir den Klagen
über die böfe Zeit.
Noch deutlicher fpricht er feine tiefſte Seelenfiimmung in feinem
neu bearbeiteien Hamlet aus, deffen zweite, reife Geftaltung Id
ins Jahr 1602 fielle. Shakeſpeare fpiegelt offenbar und aus drücklich
in den Verhältniſſen des „faulen“ Staates Dänemark ſeine eigne
Zeit und ſein eignes Vaterland. „Die Zeit iſt aus den Fugen!“ das
gilt von der Zeit der Renaiſſance und der Reformation, die an Stelle
der Einheit Der Kultur die Entzweiung, den Zweifel, die Sfepfis in
alle Beziehungen dieſer „feiften, engbrüſtigen Zeit” brachte, wo „Zugend
ſelbſt Verzeihung flehn vom Laſter, ja friechen muß, daß fie ihm
wohltun dürfe”, In dieſe peinlide Lage verſetzt fah fich Shakeſpeare
felbft feiner Zeit dem enalifchen Hofe gegenüber. Sch Habe dag vor
Jahren ausführlich dargelegt (Literariſche Warte, 1903, ©. ı ff und
©. 66 ff). Im Shakeſpeare⸗Jahrbuch (41, 277) iſt auch Konrad Meiers
ähnliche Anſchauung vorgetragen, daß nämlich Hamlet eben durch
die Wittenberger Lehre in feinem Tun und Laffen beſtimmt ift, fo
daß daher der fragifhe Ausgang bedingte mird.
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Königin Eliſabeth farb am 26. März 1603, ohne daf Shaker
ipeate, trotz der Aufforderung des Dichters Chettle, feine „honig
füße Muſe“ zu einer einzigen Träne vermochte. Shakeſpeare und feine
Sefinnungsgenoffen blickten ſchon längſt hoffnungsvoll zum neuen
König Jakob von Schottland hin, dem Sohn der Märtyrin Maria
Stuart. Eine feiner erſten Taten war denn auch die Befreiung South⸗
amptons aus dem Kerker. Shafefpeare bewillkommte den König mit
feinem ſchottiſchen Drama Macbeth, darin.er auch wieder wie
im Hamlet das Senfeitsproblem fieffinnig aus deutete. — Im Othello
(2604) belebt und hebt der Dichter einen peinlichen Stoff durch alle
Mittel zauberhafrer Romantik, |
Das Jahr 1605 iſt daß der Pulververſchwörung. Eine
katholiſche Partei, in ihren Erwartungen von der neuen Regierung
arg. getäuſcht, faßte den Man, das Parlament mitſämt dem König
in die Luft zu ſprengen. Das Komplott wurde einen Tag vor ber
Ausführung, am 4. November, entdedt, und die ganze Verſchwörung
blutig unterdrüdt. Die Fäden der ganzen Bewegung gingen bis im
die Gegend von Stratford, dem derzeitigen Aufenthaltsorte des
Dichters, Dan zeigt Dort noch heute in. Clopton Houſe den Raum, indem
fih Die Verſchwörer verfammelten (das Bild bei Ward, Shakeſpeares
Town and Times &, 37), Warwickſhire war im allgemeinen noch flarf
katholiſch, fo auch die Gutsherrſchaft von Clopton Houfe. Shakeſpeare
hat perſönliche Beziehungen mit einigen der Schuldigen gehabt, wenn
er auch ſelbſtoerſtändlich dem Unternehmen ferne ſtand und es als
Rebellion verurteilt haben muß. Aber die tiefe Mißſtimmung des
ganzen Landes über die neue Regierung hat auch er mit gefühlt. Dieſe
Stimmung iſt wie ein ſchwüles Weltuntergangswetter über dem
„ge a r“ ausgebreitet; ebenfo wie die Stimmung der Eſſexverſchwörung
über den neuen Hamlet, In der Tat ſcheinen beide Verſchwörungen
mancdes Gemeinfame gehabt zu haben. R. Catesby, Th. Winter
und J. Weight, die drei Anflifter der Pulververſchwörung, waren
auch tätig in der Verſchwörung des Efler. Ebenſo Tresham, der
vermutliche Verräter der Verfhwörung Ambroſe Rookwood, ber
damalige Beſitzer von Clopton, war ſchon wiederholt verfolgt worden,
weil er Fatholifhe Priefter in feinem Haufe beherbergt nd verborgen
hatte. Clopton Houſe liegt nur eine englifche Meile von Stratford,
Shafefpeare hatte dorthin die Szene der „Widerſpenſtigen“ verlegt.
Ein anderer Teil der Unzufriedenen verfammelte fi damals unter
dem Vorgeben einer stoßen Jagd zu Dunchurch bei Sir Everard
Digby, 20 Meilen von Stratfsrd, Diefe Jäger waren alle wohl:
bewaffnet und bereit zu einem neuen Streich, wenn ber erfle mißriete,
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Als die Anflifter des Londsner Komplotts fliehen mußten, sogen
diefe Jäger mit Ausnahme der allzu vorſichtigen, in der Nacht des
5. November auf Warwid zu, verfchafften fich dort Nferde aus dem
Schloſſe felbft und fehlugen einen Haufen von Angreifern zurück, die
der Sheriff dort zuſammengerafft hatte. Nachdem fie zu Norbroofk
bei Spitterfield geruht hatten, zo gen ſie am folgenden Tage nach Strat⸗
ford, ließen auf dem Marktplatz die Trompete blofen und forderten
die Bürger auf, ihnen zu folgen. Aber ohne Erfolg. Sie verließen
denn Warwickſhire. „Wir haben nicht den letzten großartigen Kampf
Diefer verzweifelten, aber zweifellos reinen. und fapfern Gegner. des
Königs zu befchreiben.” So fehließt Snomwdon Ward (Shakefpeares
Town ©, 130) diefen Bericht, dem ich faft wörtlich gefolgt bin. Auch
Prof, John W. Hales führt in Fraſers Magazine, April 1878, den
übertaf enden Nachweis, daß fich die Lokalitäten und Perfönlichkeiren
der Pulververſchwörung fehr nahe mit denen des Shakeſpeareſchen
Kreifes berührten (Shakeſpeare⸗Jahrbuch 14, 350).
Wenn der „Lear“ die furchtbar verzweifelte Stimmung der Zeit
mwibderfpiegelt, jo gibt der „Cortiolam” (1606?) offenbar in einem
großen römifchen Vorbild den Spiegel für die ſcheinbar unpatriotiſchen
Verſchwörungen ber Zeit, denen Shakeſpeare durch Freunde, Nach⸗
barn, Parteigenoſſen irgendwie naheſtand. Auch Antonius
und Kleopatra (1607?) behandelt einen hersifhen Bürger:
krieg als lehrreichen Spiegel der politiſchen Zerwürfniſſe im Water;
lande des Dichters.
Tiefe Gedanken über Staat und Ethik geben die beiden folgenden
Dramen: „Maß für Maß“ (1608) und „Troilus und Kreſſida“
(1609). In dieſem heißt es (3, 3): „ES iſt ein Geheimnis in des Staates
Seele von einer göftlihern Wirkſamkeit, als Wort und Feder je
ausdrüden kann.“
Der „Cymbelin“ oder beffer „Kymbelin“ (1610) führt ung
wieder in die Mitte von edlen Verbannten, die von der Welt und
som Staate verfannf werden. Ich fehe darin eine Verherrlichung
der Politik des Grafen Salisbury, Sohnes deg Lord Cecil Burleigh,
an den der „Sicilius“ des Dramas anſpielt. Der Wahrſa ger mit dem
bedeutungsvollen Namen Philarmonus erkärt bie Frie de ns⸗
harmonie zwiſchen Britannien und Rom als gott ge gebenes
Regierungsprogramm (5, 25 5, 3). | |
In anderer Weiſe als Kymbelin hebt dus Wintermär ben
(617) den Gegenſatz eines argen Hoflebens mit dem idylliſchen Land⸗
ieben hervor. Auch der zauberreiche, weiſe Proſpero im Sturm
(1612) ſteht in ſcharfem Gegenſatze zum böſen Hofgetriebe.
14
1
Shakeſpeare hat mohl durch all das die Luft verloren, feinen Hiſto⸗
rienzyklus vollſtändig auszuarbeiten. Aber er hat ihm doch durch feinen
Heinrich VIEL einen Notabſchluß angedeihen laffen (1613). Das
Drama führte auch den fonderbaren Titel: „Alles iſt wahr“, offenbar
mir Besiehung darauf, daß Ro wley ein Drama gleichen Gegenflandes
(1605 gedruckt) betitelt hatte: „Wenn ihre mich feht, kennt ihr mich“,
und Heywood nannte ein 1605/6 gedrudtes Clifaberhdrama: „Wenn
ihr mich nicht kennt, fo kennt ihe niemand.” 1607 haften zwei Dichter
Th, Diders und J. Welfter die Kühnheit, die katholiſche Königin
Maris, die Gemahlin Philipps son Spanien auf der Bühne zu ver
herrlichen. Jakob fihloß ja mie Spanien Frieden; feine Gemahlin
galt als Heimliche Karholifin. Shakeſpeare wollte wohl fagen, daß er
ungeſchminkte Wahrheit gebe in einer durch Fonfeffionelfe Leiden⸗
ſchaften fo ſehr verzerrten Sache, Er ſchildert denn auch die Königin
Katharina durchaus als erhabene katholiſche Märtyrerin, erklärt
ihr mitleiderregendes Schickſal im Prolog als das Hauptthema gegen:
über den höfiſchen Prunkſzenen und läßt ihre die höchſten, gang einsigen
Ehren einer theatraliſchen Apotheoſe bei ihrem Tode zuteil werden,
Dagegen wird Unna Bullen ald „Heuchlerin“ mit „geißledernem
Gewiſſen“ gefchildert, als „mürriſche Lutheranerin“ an ber Geite
des „Erzketzers“ Cranmer. Den König charakterifiert der Dichter
noch immer als unwillkürlich katholiſch durch die wiederholte Anrufung
„unſerer Stau”, „unferer lieben Fran”, heilige Mutter Gottes” (x, 4;
5, 13 5, 2). Der Papſt wird durchaus würdig erwähnt (2, DA),
Auch der König erkennt ihn als höchſte Inſtanz an. Ebenſo würdig
ſteht Kaiſer Karl V, im. Hintergrund als Katharinas „großer Neffe”
(2, 25 4, 2), Der Dichter gibt Katharinen harte Worte gegen dag
heislerifche England in den Mund (3,1): „D hätt' ih Englands
Boden nie betreten, nie feiner Schmeicheleien Frucht gefchmedt !
Bon Antlitz feid ihr Engel; eure Herzen kennt Gott!” Sehr kühl und
zweideutig läßt der Dichter durch Cranmer von der profeflantifchen
Regierung Eliſabeths nicht mehr prophegeien als: „Gott wird er
kannt in Wahrheit” (5, 4), Das heißt doch, fich ang der Schlinge ziehen
und die erwartete Lobpreifung der Reformation ablehnen. Wenn
Shakeſpeare Katharinen bitten läßt, man möge ihre Tochter Hrift:
Lich erziehen (4, 2), fo ift Damit gewiß das Gegenteil von profeflan-
£ifch gemeint, Vom Proteflantismus urteilt Walfey (3, 2): Cranmer
und feine Prediger erfüllen „das ganze Neich mit newer Lehre, die,
mern nicht abgeſtellt, Verderben droht“, „Und folde Abſtellung
muß gleich geſchehn . . . Dulden wie aus Laßheit dieſer Peſtilen;
Verbreitung, dann Heilkunſt, lebe wohl! Was iſt die Folge? Ems
15
pörung, Aufruhr, allgemeine Seuche des gangen Stau
tes, wie jüngaft es unfere Nachbarn im untern
Deutfhland bitterlih bezeugten, davon noch friſch
in ung das Mitleid lebt” (5, 2).
Nach dem Heinrich VIIL, dieſem religiöfen Bekenntnisdrama,
hat Shakeſpeare, wie es ſcheint, nur noch den Timon geſchrieben,
den er aber nicht gang vollendet hinterließ, Er iſt Ausdruck des bitterſten
Peffimismus des an feiner Zeit und an feinem Lande gänzlich ver
zweifelnden Dichters.
Auffallend ift es, daß der feinen Tod ahnende Dichter fich nicht,
tie e8 der herefchende Gebrauch war, fein Teſtament vom anglifanifehen
Staats geiftlihen fehreiben ließ, fondern von einem Notar (25. Januar.
1616). Ebenſo auffallendifi es, daß er kurz vor feinem Tode die Trauung
feiner: zweiten Tochter Judith mit TH. Duinen (10. Februar 1616)
ganz ohne die üblichen Förmlichkeiten, ohne Aufgebot und „bifchdfz
liche" Erlaubnis erfolgen ließ; es mußte dafür fpäter eine Geldſtrafe
bezahlt werden. Das wirft ein Licht auf Shafefpeares eigne, nicht
„ſtaatskirchlich“ gefchloffene Ehe, Beidemal liegt wohl die Löſung
bes Rätſels in der Eonfeffionellen Überzeugung des Dichters. Sein
Tod erfolgte Bald darauf, am 23. April 1616. Er lieh fi eine Grab;
ſchrift feßen, in der er den verfluchte, der an fein Gebein (und Denk:
mal) in der Kirche rühre, Er muß alfo Grund zur Beſor gnis gehabt
haben, Daß Dies ans Fonfeffionellen Gründen durch die proteftantifche
Staatsgeiftlichkeit gefchehen Fönnte. In der Tat fihrieb der proteflanz
tiſche Reverend Richard Davies, Rektor zu Sapperton in Glouceſterſhire
(T 1708) nebft andern biographifchen Notizen von Shafefpeare ganz
fategorifch: „He died a papist“ — „Er flarb als Katholif”; womit
nur gemeint fein kann, daß Shafefpeate gerade bei feinem Tode feine
Konfeffion ausdrücklich und förmlich durch fein religiäfes Verhalten
befannte, Der kritiſchſte Bearbeiter des Lebens unferes Dichters,
Sidney Lee, fchreibt im Appendir zu feinem „Life of William Shake—
ſpeare“ diefen Notizen des Davies vollen Were zu. Es gibt denn auch
fein äußeres Zeugnis, das biefem Zeugnis widerſpräche, vielmehr
wird dies ausdrückliche, Hare Zeugnis von unbesweifelbarem Wert
duch alle andern Indizien aus dem Leben des Dichters und feiner
Familie beftätigt, Dies Hare und pofifive Zeugnis erflärt jene an
ſich auffallenden, fonft ſchwer oder nur gezwungen denkbaren Indizien
in abfchließender, unwiderfprechlicher Weife. J
Man wendet gewöhnlich als populären Grund gegen Shakeſpeares
Har bezeugten Katholizismus ein, er häfte als Patriot, Untertan
und Diener Eliſabeths und Jakobs nur Staatskirchler fein können.
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Aber wir wiſſen, daß fein Patriotismus durchaus nicht unkritiſch war,
wir wiſſen anderſeits ganz beſtimmt, daß im Jahr der Armada 1588
und fonft fih Katholifen und Puritaner Englands ebenfo patriotiſch
zeigten wie die GStaatsfichlichen. Auch Effer und Southampton,
die ſich gegen Eliſabeth empörten, waren pa triotiſche Engländer,
Shakeſpeares Oppoſilion gegen den Hof iſt ein vernichtendes Urteil
über das offizielle England jener Zeit. Er litt unter der Faul⸗
heit des Staates, er zog ſich, da er ſich nicht verſchwören und
empören wollte, in das Traumland der Poeſie zurück; dies der Zeit
entſchwundene Para dies war die Welt der alten ka tholiſchen Kultur,
der Proteſt gegen die Welt, in der er und ſeine Geſinnungsgenoſſen
leben mußten.
Ich kann hier nicht im einzelnen alle Stellen in den Dramen
du rchgehen, bie beweiſen, daß Shakeſpeare ganz in katholiſcher Luft
atmete. Die Stellen, die man dagegen anführt, können nur gewalt⸗
ſam als nicht kathoſiſch aus gelegt werden. Aber es iſt ganz natürlich,
daß Die proteſtantiſche Wiſſenſchaft ſich alle Mühe gibt, gegen das
poſttive Zeugnis und gegen eine Wolfe von innern Zeugniſſen mit
allen a dvoka toriſchen Kunſtmitteln einen Angriff zu verſuchen. Wir
Katholiken können uns ja in die Neutralität einer Schule hinein⸗
denken, der das ganze europäiſche Mittelalter, der der größte. und
befte Zeil der europäiſchen Kenaiffance big zur Barocke ufw, als
nicht ganz verflandener Bildungsſtoff gegenüberfiehf,
Gewiß, Shafefpeare durfte fih Feine polemifchen Yusfälle gegen
die Staatskirche erlauben, Das hätte ihm mie ſo vielen andern den
Kopf gekoſtet. Über die Puritaner durfte er ſpotten und tat es auch.
Über die Katholiken hätte er auch ſpotten dürfen, er fat es aber eben
nicht. Als der Spiegler der Wahrheit hätte er es aber merfen laſſen
müſſen. Aber er war ſchon deshalb katholiſch, weil er als größter
Dichter ſeiner Zeit nur den höchſten, geiſtigen Standpunkt mit univer;
ſalſtem Umblick und Tiefblick vertreten konnte, den Standpunkt ſeines
Kardinals Pandulfo im „König Johann“, feiner Königin Katharina,
feines Bruders Lorenzo, |
Das veligiöfe Problem war das treibende Problem der Zeit Shake;
ſpeares, und befonders bei den Dichtern waren Konverfionen häufig
als Zeichen des Strebens nach erwag abfolut Feſtem. Marlowe fagte
von den Katholiken: „Wenn e8 einen Gott und eine wahre Religion
gibt, fo iſt 68 bei den Papiffen, während alle Proteſtanten heuchlerifche
Efel find” (Shafefpeare Jahrbuch 1, 252). Im Jahre 1615 wurde
die ganze engliſche Schauſpielertruppe in Köln katholiſch (Jahrbuch
21, 245). Philipp Maſſinger, der befannte Dramatiker, wurde um das
17
Jahr Der Pulververſchwörun g, wohl in Orford, katholiſch; dieſe Univer⸗
ſität bewahrte immer eine Anhänglichkeit an den alten Glauben;
ans ihr sing ja auch im 19, Jahrhundert die Nitusliftenbewesung
hervor, die in den Konverfionen Wifemang und Newmans gipfelte.
Daß Shakefpeare Katholik war, haben alle unbefangenen Big:
graphen entweder anerfannt ober doch nicht gu widerſprechen gewagt
Macaulay, der pesteftantifche Gefchichtfchreiber, findet Shakeſpeare.
Hinneigung zu den Lehren und Gebräuchen der römifhen Kirde
unverkennbar (Jahrbuch 10, 75 ff). Chateaubriand fagf im Essai
sur la litterature anglaise I, 295: „Shakespeare, s’il etait queique-
chose, £tait catholique.“ Julius Thum mel geſteht (Jahrbuch ı6,
349 ff): „Wir begegnen in Heinrich VIII. nicht der geringſten Spur
von Englands Abfall von Rom, von der Aufrichtung der britiſchen
Hochkirche“ Dagegen nehmen bei Shakeſpeare die nichtfatholifehen
Geiftlichen eine verächtliche Stellung ein. Sie gehören ja auch nad
ber Keformation zum Dienfiperfonal,. Thornbury in „Shafefpeates
England” anerkennt auch die Hinneigung Shafefpeares zum Kathy;
lizismus (IT, 212; IL, 64), George Wilfes („Shakespeare from an
American Point of View“, Neuyork 1877) tritt, obwohl Proteſta nt
entſchieden für Shakeſpeares Katholizismus ein, ſagt aber ſehr auf—
richtig, die herrſchenden Kreiſe in England hätten ein Intereſſe da ran,
dieſe Tatſache zu leugnen (Jahrbuch 13, 302). Nicht nur in England!
Die für Shakeſpeares Katholizismus eintretenden Bücher von Raich
und Rio werden im Jahrbuch (20, 292) da durch widerlegt, daß Raich
wie Rio mit einem Rbeginnen, ebenſo wie Ridicule. Das iſt je den⸗
falls eine originelle Art wiſſenſchaftlicher Kritik. Bei der Gedächtnis—
feier in Stratford April 1903 äußerte ſich der anglikaniſche Biſchof
von Worceſter Or. Gore über Shakeſpeares Stellung zur Religion
alſo: Sohn der Renaiſſance, aber fein Kind der Reformation (Jahr⸗
buch 40, 335). Der bereits angeführte 9. Snowdon Ward (Shake,
ſpeares Town and Times 9, 32) fagf fehr richtig: „Wir als Proteſtanten,
die wir nur proteflantifhe Geſchichtsbücher leſen, können ſchwer die
Tatſachen feſtſtellen“, die den damaligen Religio nskämpfen zugrunde
la gen. James Walter („Shakespeares true life. Illuſstrated by Gerald
E. Moira“, London 1890, Longmans, Green & Co.) ebenſo wie Ward
halt Shafefpeare für einen Katholiken (Jahrbuch 26, 338). Ganz
entfchieden gilt Das auch von John Pym Yeatman „The gentle Shake-
speare, A vindication.“ Londen (18967), The Roxburghe Press,
Dies alles fei aus einer vollfländigern Duellenfammlung ang
gehoben zum Zeu gnis, daß es. vor allem die Katholiken find, die Shake⸗
fpeate als den Ihrigen a nerkennen dürfen, Das ift für die graße
18 | |
m
Ummälsung aller Verhältniffe Such den Weltkrieg vielleicht nicht
ohne Einfluß, Der englifche Protefantismus ſteht ſich ja durch feine
Stellungnahme gegen das Deutſche Reich in entſcheidender Weiſe
iſoliert; daher wurde bereits Die abenteuerliche Idee aus geſprochen,
den Anglika nismus mit dem ruſſiſchen Ortho dorismus eine Allianz
eingeben zu laffen in ähnlicher Weiſe wie eine folche vor 30 —60 Jahren
mie der preußifchen Staatskirche verſucht wurde.
In anderer Beziehung iſt die Frage ſirittig, ob Shakeſpeare mehr
der. engliſchen oder der deutſchen Kultur geſchichte angehörte. Abge⸗
ſehen davon, daß wir Deutſchen uns die Kunſt Shakeſpeares durch
wiſſe nſchaftliche und theatraliſche Arbeit inniger angeeignet haben
als die Engländer, hat unſere Darſtellung auch gezeigt, wie objektiv
Shatefpeare dem englifchen Weſen gegenüberfieht, ohne jeden Chau⸗
vinismus, ja mit einer Kritik, wie fie nicht herber von ung ausgefptogen
werden kann, Außer manchen bereits Angebdeuteten fällt da befonderg |
die durchaus hohnvolle Kritik auf, mie der Shafefpeare das engliſche |
Heerweſen in Falſtaff und feinen höchſt bedenflichen Gefellen behandelt
hat, Gerade der ſpezifiſche Engländer kommt neben dem Waliter,
Schotten uſw. fehr ſchlecht weg. Die englifhe Soldateska ift aus
purer Berfommenheit, Feigheit, Räuberei, Ehrloſigkeit zuſa mmengeſetzt.
Unſere aärgſten Karikaturen im Weltkrieg könnten nicht grauſamer fein.
Finden wir fo bei Shakeſpeare eine direkte Antipathie gegen das
eigentliche Engländerium, deſſen Charakter, deſſen Poliltik, ſo finden
wir eine freilich von ihm nieht Direkt aus geſprochene Wahlver wa noͤt⸗
haft mit deutſchem Weſen. Das erklärt e8 ung, weshalb wir Shake:
fpeste viel inniger lieben, als das die Engländer jemals Taten. Frei⸗
lich, ſie haben ihn zu allen Zeiten, ohne Unterbrechung gekannt; es
iſt eine Fabel, daß er in England erſt wieder neu entdeckt werden mußte.
Aber ſagt es nicht genug, daß er auf den engliſchen Bühnen ſich nur
durch äußerliche Ausſtattungskünſte o der durch virtuoſe Schauſpielerei
erhalten kann, während er uns Deutſchen in beſcheidenſter Aufführung
wie ein Verwandter enfgegenfommt, Auch das if begeichnend, daß
nicht die Engländer, ſondern nur die Deutſchen es zu einer dauernden
Shakeſpeare⸗Geſellſchaft und einem dauernden Shakeſpeare⸗Jahrbuch
gebracht haben, während in England dieſe Treue und Sorgfalt ſieter
Beſchäftigung mit dem Genius fehlt. Es iſt eine Ehrenſache für
Deutſchland, Daß dies durch den Weltkrieg nicht anders werde, im Gegen⸗
teil, Shafefpeare fol von uns Deutſchen noch ficherer erobert werden,
eine Eroberung, die manche andere Beute übertrifft,
Die Möglichkeit, daß Shakeſpeare durch Neifen Beziehungen zu
Deutſchland gehabt haben mag, iſt für all das nicht fo weſentlich. Ich
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glaube e8 aber und habe es In einigen Abhandlungen und auch in
sweien meiner hindert „Heimatersählungen aus «ler und neuer
zeit" zu begründen und darzuſtellen geſucht. „Shafefpeare in Böhmen“
(bei Kaiſer Rudolf IL) und „Shafefpeare in Wien‘ (Mat für Mas).
Das deutſche Volk iſt im Begriff, ein Weltvolk gu werden, in tieferm
Sinn ale das englifche, franzöftfche oder ruffifche, Es wird mehr ale
bisher Weltpolitik treiben, Weltkultur, Meltliteratur und — Welt:
religion, Dazu Braucht es Weltanſchauung, Weltglauben, Melt;
frömmigfeit, Weltweisheit und Weltgerechti gkeit — im Sinne der
beiden Welten, ber natürlichen und der übernatürlichen Welt, Dazu
reicht ein befchränfter Nationalismus ebenſo wenig aus wie ein be;
ſchränkter Staatsbegriff, Das deuifhe Volk wird ſich nach allen
Seiten erneuern, mit allen geifligen Mächten der Melt auseinander;
feßen müſſen, mit feinen Feinden wie mit feinen Freunden, mit
feiner Vergangenheit wie mit feiner Zukunft. Manches wird dabei
zurücktreten müſſen, um Wichtigerm Platz zu machen. Gewiß wird
dabei unſere deutſche Nationalliteratur, und zwar ſo wohl die aus
der Zeit des Nibelungenliedes und der Minneſänger wie aus der
zeit unſerer nenern Maffifer nur noch mehr herosrtreten, Aber
von nicht deutſcher Literatur mird uns fowohl die Verfönlichkeit wie
das Werk Shakeſpeares unverlierkar Bleiben. Schon feine Zeitz
genoflen haben in ihm „Neſtors Einficht, Sokraͤtes' Geift, des
Ver gilius Dichtkunſt“ vereint gefunden, d. h. ſie haben den ge—
walti gen Dichter geiſt deshalb fo hoch geſchätzt, weil er auch ein Prediger
des Gerechten und ein Lehrer des Wahren und Weiſen war, Fort
daher mit jener aus dem Kransöftfchen eingefchmuggelten Äſthetik
der „Üftheten“, wonach des Künſtlers Aufgabe nur in feiner techniſchen
Virtuoſität erſchöpft ſein ſoll! Solche Künſtler, denen das Moraliſche
und Das Gedankliche gleichgültig wären, kann das deutfche Volk nicht
brauchen. Das wäre eine Kunft, die ung entnerven, serweichlichen,
erniedeigen würde, Wir fchäßen Chafefpeare nicht nur als theatra⸗
liſchen Techniker, ſondern als Lehrer, als Verkünder, als Offenbarer,
als Zeugen für ſeine Zeit, ſein Land, für ſeinen Glauben, für ein
höheres Menſchheitsideal, als es das eltfaberhanifche England, als
es überhaupt das damals ſchon verfaulte England bieten fonnte,
Er führe ung darüber hinaus, Die Engländer haben fich dieſem Führer
nicht mie vollem Verfiändnis angefchloffen, Aber wir Deutſchen haben
es getan und werden es in Zukunft noch entfchledener sun.
Herausgegeben vom Sekretariat Sozialer Stubdentenarkeit, M.Gladbach
Voltksvereins Oruckerel, M. Gladbach 1917. 1.4, Tauſend. 3677