Full text of "Ungarn"
.“
te Stellung Ungarns in der Weltpolitit bat zweifellos ud
9 ben Weltkrieg eine größere Bedentungals je vorher erhalten,
und e8 iſt ebeufo zweifellos, daß diefe Bebentung in jenem |
Weltbund der Zentralmächte, der aus dem Krieg hervorgegangen ifl
und fich jet (Anfang 1816) bereits von Dfiende bis nach Mefopotamien
erſtreckt, noch immer mehr zunehmen wird, Um fo wichtiger iſt es für
uns, das fehr eigentimliche Mefen diefes Staats weſens geſchichtlich
und faatsrechtlich zu erfaflen, dag die wichtigfte Brüde zwiſchen Mit;
teleuropa und Mittelafien bildet, und von dem man eigentlich viel zu
wenig weiß.
Um gleich bei Beginn unferer Erörterung eine Vorptobe der
Schwierigkeiten des Gegenflandes zu geben, fel erwähnt, daß eigent-
ih die Beseihnung „Ungarn“ für das Staatswefen öſſtlich ber
Leichen nicht ganz richtig iſt, obwohl es ſcheinbar der offisiellen Bezeich⸗
nung Sſierreich⸗ Ungarn entfpricht, igentlih mäßte man fagen:
die Länder der heiligen Stephangfrone, weil gu dieſen Ländern neben
Ungarn im engern und eigentlihen Sinn auch Kroatien, Slawonien
und Siebenbürgen und andere noch nicht inforporierte Länder gehören,
wie 4. DB. das faktifch zu „Dflerreich” gehörende Dalmatien und wie
die noch feinem der beiden Staatsgebiete zugeteilten Länder Bosnien
und Herze gowina.
Alle Völker der Stephanstrone zeichnen ſich durch glühende Vater;
landsliebe aus, nicht nur die Magyaren, die fih als die vornehm⸗
fich politifche Nation betrachten, fondern auch die Kroaten, denen
auch noch der Charakter einer politifchen Nation zukommt, und bie
andern „Nationalitäten“, wie dus ſehr ſcharf geſchieden
wird; zu diefen Nationalitäten ohne eigentlih politifh anerfannte
Stellung gehören die Deutfchen (Schwaben und Sachfen), die Ru—
mänen und die verfchiedenen andern flamwifchen Völker, die Slowaken,
Serbe Ruthenen ufw.
Am glühendſten und am unbedingteſten äußern die herrſchenden
Magyaren ihren Patriotismus; ein ſprechendes Zeugnis dafür ift
ein Heines Buch, das ich, da ihm offizieller Charakter zukommt, im
folgenden hier und da benugen werde, Es ift in der mir vorliegenden
Ausgabe magyhariſch mit gegenüberfiehender deutfcher Überfegung
2 —
(oder, wenn man will, umgefehrt) abgefaßt: Törteneti olvasmänyok
a valläs — es közoktatäsüggi m. Kir. miniszter megbizäsäböl irta Bene-
dek Elek. Budapest Franklin-tärsulat . . . 1909. Zu deutſch: „Hiſto⸗
rifche Leſeſtücke. Im Auftrage des Königl. ungarifhen Kultus und
Unterrichtsminifter8 [Grafen Albert Apponyi] bearbeitet von Alexius
Benedek, Budapeft, Franklin Verein, ungarifhe literariſche Anftalt
und Buchöruderei 1909.“
Das Buch, vorbildlich in feiner wirkſamen Eindringlichkeit, beginnt
mit den Sagen von der „Landnahme“. Der als Jäger befannte Fürft
Nimrod hat zwei Söhne: Hunor und Magyar. Diefe beiden kommen
anf der Jagd nach einem weißen Hirfch in ein herrliches Land im Weflen
von Aſien, heiraten die beiden Töchter des Manenfürfien Dul und
werden die Stammoäter der Hunnen und Magyaren. Diefe Völker
vermehren fich fo fehr, daß fie noch weiter nad) dem Lande der Skythen
auswandern, und dort dag Gebiet unter ihre 108 Geſchlechter ver;
teilen. Wieder zwingt die Übervölferung die Hunnen, fih von den
Magyaren zu trennen. Der Führer der Hunnen Bendegus kommt
mit feinen Heldenföhnen Attila und Buda in das fand zwiſchen Donan
und Theiß. Vergebens ftellte fich ihnen Detre mit dem eifernen Kopf
(Dietrich von Bern, Theoderih der Große) entgegen. Ein eiferner
Heil drang ihm bis zur Hälfte in den Kopf, er brach die außenflehende
Hälfte ab und verfluchte die Hunnen bis in dag fiebente Glied, Attila
erhält von einem Hirten ein Schwert Gottes, von dem ber Magier
Torda weisfagt, 28 werde die Welt erobern. Die Wahrfagung ging
in Erfüllung. Nach dem Tode Attilas hetzte der böfe Dietrich, um ſich
su rächen, deffen Söhne Madar und Cſaba gegeneinander. Aladar
fiel; Cſaba 309 ſich wieder zu den Magyaren zurüd, nachdem er nur
3000 Hunnen (die Szefter) als Wache zurüdgelafien hatte. Als die
Szekler nach langer Zeit in Gefahr waren, führte der tote Cſaba die
Geifter der erfchlagenen Hunnen über die Milchſtraße, die von ihren
Hufen den Glanz erhielt, den Szeflern zu Hilfe. Nach einigen Jahr;
hunderten machten fih nun auch die Magyaren unter Arpad,
dem Sohne des Almos auf und erreichten das ehemalige Hunnen—
land unter dem Schute des „Gottes der Ungarn”. (ES ſcheint bag
der Planet Satuen zu fein.) Sie vereinigten fih mit den Sjellern
und überwanden den damaligen Heren des Landes, Swatopluk,
den Fürfien der Mährer, und die Deutſchen, Amaren, Bulgaren,
die noch fonft im Lande wohnten. Mit der Landnahme 895 —906
geht die Sage in die Geſchichte über.
Das Fefthalten an diefen Sagen ift um fo löblicher, da fie 4. ©.
gegenüber der germanifchen Heldenfage, die ja auch zum großen Teil
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Welitrieg 8 .
in Ungarn fpielt, auffallend dürftig ifl. Unfer Nibelungenlied und
bie Edda haben eine viel reichere und vollere Überlieferung von Etzel,
Ali und den Heunen.
Als Zeugnis dafür, daß der Magyare ſchon zur Zeit der Lands
nahme fein rohes Gemüt befaß, werden die urmagyariſchen Wörter
für Verfland, Glaube, Sorge, Scham, weife, rein, Hug, wahr ange
führt. Ein beweifenderes Argument für die zivilifatorifche Fähigkeit
des ma gyariſchen Volksſtammes ift die Tatfache, daß es ihm allein
außer den Germanen gelang, in nachrömifcher Zeit ein dauerndes
Staatsweien in Europa zu gründen. Alle fonfügen europäifchen
Staaten, die heute noch nach Jahrhunderten befieben, find germanifche
Gründungen, auch Rußland. Die germanifhe Nation ift die ſpe—
zifiſch politifhe Nation des nenern Europas im größten Stil. Bon
ihrem primären Kern im alten Germanien find wie von einem
Zentrum die fefundären Wirkungen nah allen Seiten audae;
gangen; aber fie erweilen fich eben im Weltkrieg als ſekundär. Die
Slawen hatten nicht die politifhe Anlage zu Staatengründungen,
Auch Böhmen ift nur als deutfcher Vafallenfiaat zu vorüber gehender
politifcher Bedentung gelangt. Nur den Magyaren iſt ein dauerndes
politiſches Gemeinmwefen gelungen. Die Magyaren betrachten dag
felber faft wie ein Wunder, daß ein kleines Häuflein nomadifcher
Krieger feßhaft geworden ift und manche andern zablreichern Nationen
unter feine Oberherrſchaft vereinigt hat. Ein ganz Europa dur,
beerendes Neitervolf wird vlößlih zum fefhaftefien Bauernvolk!
Die Magyaren finden die Löfung des Nätfels im weiſen Verzicht
der Nation auf Eroberung, in der Befchränfung auf die Bildung
eines gam an der Scholle Flebenden Territorialfiaates, im Unab;
hängtgfeitsgefühl der Nation. Deutfche Hiftorifer wollen das Wunder
der Umfhaffung des ma gyariſchen Vollscharakters hauptfächlich
dem Genius des tatfräftigen Königs Stephan des Heiligen zuſchreiben,
der in radifaler Weife mit Hilfe deutfcher Kultur, deutfcher Priefter,
deutfcher Krieger über den allu independenten und feparatiftifchen
Adel Herr wurde und einen Staat nah deutſchem Vorbild
ſchuf mir flarfer Königsgewalt, mit ıinnigftem Anschluß an Nom,
von denzgr die heilige Krone annahm, ebenio wie ber deutfche König
die Kaiſerkrone vom Papſt empfing, mit deutfcher Gauverfaffung
und Gangrafenfhaft (Komitate!), mit dem Pfalzgrafen (Balatin),
mit der Einrichtung des deutſchen Rittertums, mit dem Fefihalten
ber lateinifchen Kulturfprache neben der Vielfprachigfeit feines Neiches,
Mir Recht heißt darum noch heute das ungarifhe Staatswefen das
Reich der Krone des heiligen Stephan; denn e8 beruht durchaus auf
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ber überragenden Gentalität diefes aroßen Könige, des Gemahls der
bayriſchen Gifela,
Die Staatengründung des heiligen Stephan erfuhr unter feinem
Nachkommen Andreas II, die entfcheidende Modifikation zum Par;
lamentarismus, Etwa gleichzeitig mit der dem englifchen König Johann
von den Baronen 1215 abgedrängten Magna Charta, wurde auch
dieſem ungarifchen Könige, dem Vater der heiligen Elifabeth, von den
ungarifchen Baronen 1222 bie fogenannte Goldene Bulle abgedrängt.
Aber das bedeutete ebenfowenig wie für England eine freiheitliche,
demofratifche Ara. Im Gegenteil: die Verbriefung landftändifcher
Rechte bedeutete damals hier wie dort und zugleich in faft allen Ländern
der europäiſchen Ziviliſation den Sieg der Adelsariftofratie über Die
andern Stände, deren Vertreter der Monarch war oder fein follte,
Hoftage oder Landta ge gab e8 damals fchon überall, Selbſt dag in
ber goldenen Bulle dem Adel förmlich bewilligte Recht der Inſurrek—
tion gegen eine etwaige Nechtsverlegung des Königs wurde praftifch
überall geübt, übrigens auch in Ungarn alsbald geftrichen, Ein foäterer
Politiker (DVerfuch einer Darfiellung' der hungarifchen Konftitution,
Leipzig 1812) erflärt die Goldene Bulle für erzmungen und das darauf
beruhende Staatsrecht, wie e8 im Opus Tripartitum des Berbösn
(1514) gipfelt, für erfchlihen. Die fogenannte ungarifche Konffitution
fei nicht das Werf Stephans des Heiligen, fondern eine Ausgeburt
der nachfolgenden Zeiten ber Anarchie, des Beſtrebens der Adeligen
gegen die königliche Gewalt und gegen die Rechte des Volles; fie
fei der Widerſpruch des Werkes Stephang, der Verſuch, dag Werf
Stephans wieder ungefcheben zu machen und die frühere Dligarchie
oder Anarchie wieder einzuführen. Erfchlichen fei die Nechrlofigfeit
des Volkes, die gefeßgebende Gewalt des Adels und feine Stener;
freiheit. Es müſſe ein zweiter heiliger Stephan fommen und wie diefer
Stephans Werf auch wieder mit Hilfe deutfcher Waffen wiederer;
richten zum Heil des ungarifchen Volkes,
Ob das Königreich Ungarn zum Deutfhen Neih im Lehensver—⸗
hältnis fand, etwa fo wie Böhmen ohne Zweifel, das blieb immer;
fort beftritten, wenn auch deutfche Kaifer und Könige wiederholt diefen
Anſpruch erhoben, fo auch noch Rudolf von Habsburg. Als ungarifche
Könige in Not gerieten, waren fie bereit, dies Lehensverhältnis an
juerfennen; fo als König Bela IV. die Mongolengefahr 1241 durch
deutſche Hilfe abwenden wollte,
Aber wie auch immer die flaatsrechtlihen oder völkerrechtlichen
Berhältnifte aufsufaflen find, das eine ift fiher, daß feit Stephan dem
Heiligen, ja ſchon fräher, als Biſchof Piligrim von Paffan ans das
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untere Donanland miffionierte und zivilifierte und ihm das öfter;
veichifehsungarifche Nibelungenlied durch feinen Schreiber Konrad
in lateinifcher Sprache aufzeichnen ließ, daß in all der Zeit Ungarn
ebenfo wie Böhmen befonders lebhafte Aulturelle Beziehungen zu
Hfterreih und dem Deutſchen Reiche hatte, Ein Beifpiel unter vielen
ift die mythiſche Geftalt des mweifen Zauberers Klingfor, der vom Hofe
Andrea II. zum Wartburgfrieg kommt, die Geburt der heiligen Elifa;
beth verfündigt und in Wolftam von Eſchenbachs Parzifal erfcheint,
Die Wahlverwandtfchaft diefer Länder war fo groß, daß es wieder;
holt von der Weltgefchichte darauf angelegt zu fein ſchien, fei eg von
Prag, fei es von Dfen aug, einen öfterreichifchen Großftaat zu gründen.
Nah dem verunglüdten Erperimem Ottokars folgte die nicht
minder intereffante Epifode des Matthias Korvinus. Dieier
Ungar rumänifcher Abftammung fiellte das Werk Stephan des Hei-
(igen im Kampf gegen die Adelsoligarchie wieder ber, und es ſchien
ihm faft zu gelingen, Böhmen und Dfierreih dem Ungarlande an
zuglie dern. Er hätte dann wohl Wien zur Hauptfladt diefes Reiches
gemacht; denn hier in der faiferlihen Burg fiarb er 1490, und mit
ihm brach auch der mweltgefchichtliche Verſuch zuſammen. Es if bes
zeichnend, daß er feine innern und äußern Erfolge durch feine größten,
teil aus deutſchen Kriegern beftehende „Schwarze Legion“ von 4o 000
Mann errang; das war die einzige Methode, die Anarchie der adeligen
Unabhängigfeitsfhwärmer zu befiegen und Großmachtpolitif mit
ihnen au freiben.
Mit derfelben großartigen, aber ſchließüch doch nur vorübergehens
den Wirkung hatte ſchon vor Matthias der große ungarifche König
!udmwigl,. eine Großmacht errungen, die von drei Meeren befpält
wurde: von der Dftfee, der Adria und dem Schwarzen Meer, Es ver;
ſteht fich, daß dies nur mit Anfpannung der vollen Föniglihen Macht
möglih war und wicht mit feparatiftifcher Befcheidenbeit. Bejzeich—
nend für die religiöfe Kulturgemeinfhaft mit dem fpätern habs;
burgifchen Geſamt gebiet ift e8, daß Ludwig J. nach gefährlichen Schlachten
mig Türken und Serben feinem Gelübde gemäß die große gotifche
Kirche des Wallfahrtsortes Mariazell in Steiermarf 1363 erbauen
ließ, Die Heine Kapelle dafelbft war fhon von Markgraf Wladislam
von Mähren (r1rgr—ı222), em Bruder des Premysl Ditofar 1.
gebaut worden. Dies Heiligtum iſt alfo von geſamtbſterreichiſcher
Bedeutung, damals wie heute.
Nah dem formellen Staatsreht war Ungarn ein Wahlreich,
in Wirflichfeie war es ein Erbreich in männlicher und weiblicher Linie,
Als die Opnaftie der Yrpaden mit Undreas III. in männlicher Linie
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ausftarb (1301), wurde Karl Robert von Neapel, der Sohn einer
Yrpadin, vom Papſte zum Nachforger auserfehen, gemäß ber aller;
dings auch befirittenen Rechtsanſchauung, daß Ungarn päpftliches
Lehen fei. Der böhmifche König Wenzel II. konnte nur deshalb Gegen;
anfprüche an den ungarifhen Thron erheben, weil er auch durch feine
Mutter von den Arpaden abflammte, Es entbrannte ein Bürger;
frieg, aber die Stellungnahme des deutſchen Könige Albrecht von
Hfterreich entfchied zugunſten des päpftlihen Kandidaten Karl, ob;
wohl auch Otto von Bayern, ebenfalls der Sohn einer Arpabin,
fih um das Erbe bewarb und mit den echten Kroninfignien ſich wirk—
ih in Stuhlwerßenburg frönen ließ. Diefe Krönung hatte aber gar
feine Bedeutung. Karl von Neapel ließ fih gültig mit einer nachge—
machten Krone 1309 frönen, erft im folgenden Jahr, da man wieder
in den Befis der echten Stephanskrone fam, wurde bie Zeremonie
der Form wegen wiederholt. Damit fam alfo, weſentlich kraft weib—
lichen Erbrechts und kraft päpftlicher Autorität, die Dynaſtie Anjou
zum ungarifhen Thron. Die dnnaftifche Richtung tft bei den Ungarn
(0 far, daß noch im 18, und 19. Jahrhundert von Malkontenten die
Fabel verteidigt wurde, das Haus EronsChanel ffamme von den
Yrpaden ab und fei daher am nächſten berechtigt, bei Gelegenheit
„gewählt“ zu werben. Karl Roberts Sohn war Ludwig L. der Große;
da biefer feinen männliden Erben hatte, ging die ungarifhe Krone
auf Siegmund aus dem Haus Luremburg, den Gemahl von
Ludwigs älterer Tochter über, und als auch Siegmund ohne männ—
lichen Erben ftarb, folgte deffen Schwiegerfohn Albrecht V. von Öfter;
reich. Nach dem Tode von deſſen Sohn Ladislaus Pofiumus erwarb
Matthias Korvinus die Herrfchaft, im weſentlichen durch die Akkla—
mation feiner Soldaten, der die Wahl nachfolgte; aber dag war nur
eine Epifode, denn man ging dann wieder an das Haus der Ja gellonen
zurüch, das ja in weiblicher Linie von dem letzten Luremburger ab;
fammte. Endlich ging die Krone nach dem Tode des legten Ja gellonen
Ludwig IL, 1526 an den Gemahl von deflen Schwefter, an Ferdinand
von Habsburg über und blieb bis heute bei diefer Dynaſtie, auch in
weiblicher Linie. Es erfolgte freilich in jenen Zeiten immer eine formelle
Wahl und eine Krönung, und der ungarifche Landtag legte großen
Wert darauf, daß immer wieder die Wahl und die Krönung als eigent;
licher NRechtstitel der Königswürde und Königsmacht anerkannt werde,
ein ſchöner Beweis für die Höchft Löbliche anirifche Pietät der Ungarn
für ihre ſtaatsrechtlichen Deduftionen, auch ein Beweis für die aus;
gefprochene Veranlagung der Ungarn zur jnriftifchen, a dvokatoriſchen
Yuffaffung ihrer altehrwärdigen Traditionen. Es war ein Fehler
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auf Seite mancher Megierungen, daß diefem durchaus berechtigten
und unfhädlichen, ja höchſt faatserhaltenden, den Patriotismus
ſtärkenden Formalismus oftmals zu wenig Rechnung gefragen
wurde, Es war das oftmals eine bureaukratiſche Unterſchätzung der
repräfentativen Formen des Staatslebeng, der „Aſthetik des Rechts”,
der Poeſie in der Politik,
Erft nah der MWiedereroberung Ungarns von türkifher Gewalt
durch Öfterreihifche und deutfhe Waffen, zum Teil gegen feindfelige
Parteien im Lande felbit, färkte fich der MWirflichkeitsfinn fo fehr, daß
der ungariihe Landtag die Erblichkeit der Krone zuerſt 1687 im Manns;
ſtamm, dann 1723 auch im mweiblihen Stamm förmlich anerfannte
und auf das angeblihe Recht des bewaffneten Widerflandes gegen
den König, wenn er die Verfaffung verlegte, verzichtete. Aber auch
da iſt es ein glänzendes Zeu gnis jnriftifhen Scharffinns, daß die
ungarifhen Staatsrechtslehrer nicht etwa Ungarn feitdem als ein
Erbreich anfehen, nein Ungarn wird noch immer von ihnen, den eigent;
ich fo genannten Erbländern der Monarchie als ein Reich gegen
übergeftellt, in welchem das altheilige Wahlrecht nur vorübergehend
faktisch nicht ansgeübt wird, folange es eben zufälligerweiſe noch
männliche oder weibliche Nachkommen der Habsburg-Lorhringifchen
Familie geben mag. Wenn auch diefer Fall vorausſichtlich erft mir
dem Ausfterben des ganzes Menfchengefchlechtes in Frage fommen
kann, juriftifch iſt es doch möglich, ja es ift und bleibt für das ungarifche
Staatsreht das Normale, das Ewige. Man wird diefer Auffaſſung
eine gewiſſe Großartigfeit nicht abfprechen dürfen, wenn auch flachere
Köpfe darüber lächeln mögen.
Neben der hiſtoriſchen Pietät des Ungarn für feine anitifche, von
allen Zaubern der Phantafie verflärten „Verfaſſung“ fteht als andere
Haupteigenfchaft fein ebenſo anitifhes Unabhängiafeitsaefühl, jenes
bis zum Chaotiſchen gärende altmagyarifche Streben, das auch der
heilige König Stephan. durch feine gewaltige Staatsordnung nur
vorübergehend in beilfame Schranken bannen fonnte. jener fait
anarhifhe Sturm und Drang, der etwa in Goethes Götz von Ber
lichingen und in Schillers Räubern brauft, in jener Verherrlihung
der Baneenfriege und des „Ein freies Leben führen wir“, ift in Ungarn
nicht wie in der Jugendperiode unferer neuern Haffifchen Lireratur
nur eine vorübergehende Ericheinung, fondern permanent, ſozuſa gen
offisiell und flaatsrechtlih. Der Zuftand der Infurreftion nach der
Goldenen Bulle, auf den der ungarifche Landtag wiederholt formell
versichter hat, lebt in den Gemütern doch noch immer fort. Nicht
nur der Völkerpſycholo ge, fondern auch der Staatsmann, der ungari’
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ſche wie der nichtungarifche muß damit wie mit einer nationalen Ins
ſtitution rechnen. In diefem Sinne bitte ich meine Lefer, auch folgende
Stellen aus dem angeführten offiziellen Geſchichtsbuch aufzunehmen,
ohne fich zu ärgern, wie fie fich ja auch über den Götz und die Räuber
wicht ärgern. Alſo (S. M. 3 ff.): „Wien hat Ungarn immer als Pro;
vinz angefeben, die dem Kaifertum im geeigneten Moment einver;
leibt werden follte, und wollte deshalb die ungarifche Nation ihrer
in den Gefegen garantierten Verfaſſung und ihres nationalen Cha;
rafters berauben. Die deut ſchen Söldner, deren Aufgabe
es gemwefen wäre, die Türken zu vertreiben, ſchmarotzten lieber
meiter in Ungarn. So murde das arme ungarifche Wolf einerfeits
von dem erobernden Türken, anderfeitd von dem verteidigenden
Deutihen bedrängt und das Lebensmarf des Landes ausgefogen.
Es ward immer deutlicher, daß der Deutſche ein bei weitem ges
fährlicherer Feind fei als der Türke; denn diefer ließ wenigfieng die
ungariihe Verfaſſung ungefhoren und fümmerte fich nicht um die
Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche der Nation, wenn nur die
Stenern pünflih gezahlt wurden. Die väterliche Behandlung feiteng
der Deutſchen hingegen, die meift feige und untätig die türfifche
Ausbreitung gefchehen ließen, wollte die nationale Verfaffung ver;
nichten und richtete deshalb ihre Angriffe gegen die Sprade und
Religion, mit einem Worte gegen die Freiheit der Nation. Der Hof
verfuchte es, ihn (Bockfay) fich dienfibar zu machen, denn die nieder;
trächtigen Seelen, denen das Vaterland ein leerer Begriff, die Vater;
landgliebe aber ein lächerlicher Gegenfiand war, dachten, daß Bocskay
nur deshalb zu den Waffen gegriffen habe, weil er perfönlich gefränft
worden fei, Wie tänfchten fie fich aber! Anfangs wollte der Hof von
der Erfüllung diefer Wünfche nicht einmal hören, fchlieflich aber demü—
tigte er fih und nahm den angebotenen Frieden an. Doch Bocskay,
der große Mann farb an einem fehleihenden Gift, das ihm vorge;
jet worden war, 1606. Als die Wiener Regierung fah, daf die geifts
lichen und weltlihen Herren die Verfaffung mit gleicher Entfchloffen;
heit zu verteidigen bemüht waren, begann fie durch böfes Intrigen;
ſpiel den fonfeffionellen Haß zu ſchüren. Tököly fchlug die deutſchen
Söldner und zwang den König Leopold, demütig um Waffenftill
land zu bitten... .” Man muß fich diefe und andere Stellen voll von
Deutſchenhaß mit dem Pathos und den Geberden vorgetragen denken,
die bei Komitatswahlen fo lebendig hinreißend mirfen.
Jenes offizielle Geſchichtsbuch übergeht dagegen neben all den
Auffiandsgefhichten völlig die Verdienfte der römifchsdeutfchen Kaifer
und ungarifhen Könige um die vollffändige Befreiung Ungarng vom
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Türkenjoch. Es übergeht auch vollftändig die Gefchichte der Prag;
matifden Sanftion; offenbar and Befcheidenheit, denn
wir Öfterreicher find in der Tat den damaligen weitblidenden und
geoßdenkenden Ungarn eigentlich für die Begründung der einheit;
lich, real verbundenen Monarchie höchften Dank ſchuldig. Diefe Sache
ift jo wichtig, daß ich fie etwas eingehender behandeln muß, da ihr
mwirflicher Verhalt arg verdunfelt ift zum Schaden des ungarifchen
Ruhmes. (Man vergleiche darüber meine Hfterreichifche Gefchichte,
3. Auflage, ©. 186 ff.)
Schon 1712 erwog der froafifche Landtag die gefährlichen Folgen,
die fih aus dem Ausfterben des habsburgifhen Mannsſtammes
ergeben müßten. Man drang daher darauf, daf die weibliche Erbfolge
gefihert werde. Kroatien wolle nur den als Herrfcher anerkennen,
der in Wien refidiere und Herr von Öfterreich fei; denn nur ein folcher
Herr könne Kroatien ſchützen, nicht ein bloßer König von Ungarn.
Die kroatiſch⸗ſla wo niſchen Stände erflärten in einer Adrefle an Karl VI.
alio ihre fantsrechtliche Auffaffung: „Wir find wohl angegliederte
Zeile Ungarns, aber nicht Untertanen; wir hatten einft eingeborne
Könige; feine Gewalt oder Eroberung hat ung mit Ungarn verbunden,
ſondern wir haben ung freiwillig dem ungarifchen Könige, nicht dem
ungarischen Reich übergeben; und wir erkennen au den ungariz
(den König, folange er ein Sſterreicher ift und fein
wird, kein ſzythiſcher Tyrann.”
Kaifer Karl verlangte loyalerweiſe zuerft von einer ungarifchen
Palatinalfonferenz eine Äußerung darüber. Diefe erflärte nach Er—
fundigungen über die Stimmung der ungarifhen Stände: es fei zu
empfehlen, daß das Gefamtreich nicht etwa unter mehrere weibliche
Deigendenten verteilt würde, fondern daß es in einer Hand bliebe:
und zwar nicht nur fo wie bisher durch Einheit des Herrichers, fondern
„Damit diefer unlösbare Zufammenbang ein deſto geficherterer fei,
ſollten die Erblande in Form eineg unter fich zu ſchließenden Bünd—
niſſes vertragsmäßig feftftellen, daß fie fämtlih nur unfer einem
Herricher aus der Mitie der weiblichen Defgendenten beifammen
bleiben, fürderhin nur von einem regiert und verwaltet fein wollen,
und fig ſollten nach befiimmten Verhältniſſen zur Sicherung des
Geſamtreiches gegen die Türken beitragen. — Karl VI. hatte fich
nämlich bis dahin noch mit einer Teilung feiner Länder getragen:
feine Tochter Maria Therefia wurde ihm ja erft 1717 geboren. Nun
aber ließ er fich durch jene fiaatspolitifhen Notwendigkeiten bewegen,
den Grundfaß des Einheitsftaates feierlih anssufprehen (19. April
1713). Die bleibende unauflöslihe Verbindung aller Länder foll,
10
Rx
— ——
(0 hieß e8 aus drücklich, das öffentliche Wohl, dag Heil und den Ruhe:
ftand der betreffenden Bölfer, Stände und Untertanen fihern.
Die ungarifchen Stände hätten es zu ihrer eignen Sicherung
am liebften gefeben, wenn fie unmittelbar den Einigungspaft mit den
andern Ländern des Kaifers hätten abichließen dürfen. Das gefiel
aber dem Kaifer nicht; er meinte, e8 genüge, wenn jeder fandtag für
fih dem Kaifer gegenüber die Verpflichtung übernähme, In diefem
Sinne ließ der Kaifer 1720 den Ständen der einzelnen Provinzen
die Propofition zuftellen, und eine nah der andern verbürgte fich
daraufhin dauernd und rechtskräftig, mit ihrem Gut und Blut ein;
zutreten für den unauflöslichen, nun durch eine zweifellofe Univerfal;
fußreffion geficherten Gefamtftaat.
Durh die Annahmeerflärungen der öſterreichiſchen Landta ge
während der Jahre 1720 und 1721 wurde die Bedingung der ungari;
(hen Stände vom Jahre 1712 erfüllt, und der Kaifer fonnte nun auch
die gleiche Propofition dem ungarifchen Landtage zufommen laffen.
Daraufhin erfolgte der gefegliche Abſchluß der Pragmatiichen Sanftion
duch die ungarifchen Gefegartifel vom Jahre 1722/23. Es hieß darin:
„Nachdem die Stände des Königreiches Ungarn und der damit ver;
bundenen Länder die väterlihe und huldreichſte Zuneigung Str. ge
heiligten k. und f, Majeftät gegen die... - zahlreich verfammelten Stände
und die Sorge für ihre Erhaltung, fowie für die Erhöhung der öffents
lichen Wohlfahrt des Königreiches Ungarn und der damit verbundenen
Nebenländer, desgleichen für die Herfiellung einer füralle Fälle
und insbefondere auh gegen fremde Gemwalt und für die
Yufrehtbaltungderinnern Rube dienenden Union
mit den benachbarten Königreichen und Erbländern. . wahrgenommen
haben, fo erftatten fie . . . ihren ehrfurchtsvollſten Dank”; ebenfo
für Feftftellung der Erbfolge „nach demfelben Rechte. . . in Gemäß,
beit der in den übrigen Erbfönigreichen und Ländern Sr. geheiligten
Majeftät in und aufer Deutſchland beftimmten Ordnung; fo daß
jener weibliche oder männliche Erbe, welcher in Gemäßheit der erwähn—
ten, im Haufe Sſterre ich anerfannten Ordnung Erbe der genannten
Königreihe und Länder des durchlauchtigſſen Hauſes Öfterz
reich wird, infolge eben desſelben erblichen Nachfoigerechtes auch
as ungmweifeihbafter König von Ungarn und den damit verbundenen
Königreihen und Provinzen anerfannt und gefrönt werden folle,”
Im zweiten Artikel heißt e8 dann noch, daß der männliche oder mweib-
liche Erbe Fatholifhen Glaubens, Erzherzog, besiehungsmeife Erz
herzo gin von Dfterreich fein müſſe und daß alle Länder unteilbar
und untrennbar (indivisibiliter et inseparabiliter) zu beſitzen find,
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Es ift alfo kein Zweifel, daß wir die reale Einigung der
ha bsbur giſchen Länder, die früher alle, alle unabhängig und felb-
ſtändig waren, einzig und allein dem fiaatsmännifhen Sinn der
Ungarn verdanfen. Das, was früher nur eine Perfonalunion
von 23 verfchiedenen Staaten war, wurde durch diefe politische Ans
regung und Förderung der Ungarn ein realer Einheitsſtaat,
der „für alle Fälle“, und zwar ſowohl „gegen fremde Gewalt“ wie
„Kür Aufrechthaltung der innern Ruhe“ eine gegenfeitig verpflichtete
und berechtigte Umion wurde, unteilbar und untrennbar, folange
es noch einen Nachlommen Leopolds I. gab, d. h., wie die Sachen
heute sieben, für immer. In diefer flaatsweifen Gründung zeigt
ih das wahre Ungarn, in jenen Maltontentenphrafen nur der Schein.
Ebenſo wie diefe ungarifche Großtat, wird von jenem offiziellen
Geſchichtsbuch, wohl auch aus übertriebener Befcheidenheit, die loyale
Erhebung des Landes auf dem Preßburger Landtag 1741 jugunffen
der vergötterten Königin Maria Therefia verfchwiegen. Um fo
berzlicher und anfrichtiger wollen wir auch dafür dem ritterlichen
Ungarn danfen.
Jofeph II. wird von den Ungarn nicht als König gezählt, da er,
ber alle Formen verachtete, auch die, wie ihn deuchte, veraltete Form
der Krönung nicht über fich ergehen laffen wollte. Man warf ihm Ger
manifierungsgelüfte vor, obwohl er fich nur für die einheitliche deutſche
Staatsſprache an Stelle des veralteten Patein einfegte, und obwohl
gerade unter feiner Regierung die magyarifche Sprache und Literatur
die ſtärkſte Anregung erhielt.
Mit Recht trägt in jenem offiziellen Gefchichtsbuch ein bedent;
james Kapitel den nur dem Nichteingeweihten auffallenden Titel:
„Die Begründung des Nationalſtaates“. Es be
bandelt die Zeit von 1823 bis 1848. In der Tat wurde in diefer Zeit
ein ganz neuer nationalififcher Staat auf den netten Grundſätzen
und Dofteinen des modernen Narionalismus aufaebaut, etwas
weſentlich anderes, als der Staat des heiligen Stephan war. Es war
das die Zeit, im der ſich auch bei den Griechen, Stalienern, Polen,
Dentichen, Tſchechen, Slowaken, Ruſſen, Flamen, Rumänen uſw.
das Nationalitätsprinzip höchſt wirkſam zeigte, das Streben nach
einenmationalen Staat an Stelle des Rechtsſtaates,
ein Streben, das bis zu einem gewiſſen Grad ſeine Berechtigung hat,
nämlich bis dahin, mo es nicht mit dem Recht in Widerſpruch gerät.
Dazu kommt, daß das Nationalitätsprinzip, ebenfo wie das der Freis
heit oder das der Unabhängigkeit, wenn es auf die Spitze getrieben
wird, fich felber ins Abfurde verirrt und verliert, So rief denn auch
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der won den Magyharen angerufene Nationalismus folgerichtig den
Nationalimus jener andern Nationen, befonders der Slawen und
Rumänen hervor, die bisher im Nechtsftante Stephans des Heiligen
noch fo ziemlich befriedigt waren. Das ungarifche Staatswefen war
namlich wirklich, wie jenes ma gyariſche Geſchichts buch richtig betont,
vor der großen Unwälzung, vor der Mitte des 19, Sahrhunderts fein
Nationalfiaat, weder was die Sprache noch was die übrigen fosialen
Berhälrniffe betrifft. Die Sprache des Staates und ber höhern Ge;
ſellſchaft war nicht die magyariſche; die Sprache des Landtags und
der Gefeke war die Tateinifche, fo wie bei ung im früheſten Mittel;
alter, Als wir Weſiſtaaten an Stelle des Lateinifchen die nationalen
Sprachen einführten, da hatten diefe, das Stalienifche, Franzöfifche,
Deutfhe, Englifche, bereits einen völlig ausgebildeten Sprachſchatz,
eine reiche Literatur, die Fähiafeit alles anssudrüden, jene Nefo;
nanzeiner großen Nation, die bei aller Verfchiedenbeit der Stämme,
ber Dialefte, der Bildung, doch eine einzige große Seele bildet.
Die beiden romanifchen Kulturfprachen, ga denen auch noch als dritte
und vierte das Spanische und Portugiefifche vorübergehend gehörten,
hatten zudem die Reſonanz des klaſſiſchen Latein, das außer in der
gelehrten brmaniftifhen Bildung auch in der Sprache der Kirche
und der Gelehrfamfeit fortlebte; die beiden germanifchen Kultur—
ſprachen, zu denen vorübergehend auch das Niederländifche zu zählen
war, hatten eine mehr dem belfenifhen als dem lafeinifchen Alter;
tum gleichwertige geifiige Entwicklung durchgemacht, fie waren die
Spraden jener Germanen, die forufagen die alleinigen politifchen
Erben der Römer wurden, die alle modernen Staaten big zum Dean
gegründet hatten. Das Magnarifche aber war ein fehr intereflantes
Glied der finnifchmarifhen Sprachgruppe des wralaltaifchen (tura—
nifchen, tatarifchen) Sprachſta mms, am nächften verwandt mit dem
Oſtjaͤkiſch⸗Wo guliſchen, alfo ziemlich fernfiehend jener Entwidlung
der biftorifch feit den alten Griechen ununterbrochen das Mittelmeer
und Europa beiebenden Kultur, Es war alfo ein fpredhendes Zen gnis
der ungarifchen Staatsweisheit, daß das Lateinifche als Staatsſprache
bis ins ı9. Jahrhundert feſtgehalten wurde. Es galt nicht nur, da;
durch die Teilnahme an der abendländifchen Kultur feftsubalten, fon;
dern auch ein mehrfprachiges Neih zufammensubalten, in welchem
das Ma gyariſche nicht etwa fo wie in Öfterreich das Deutſche die aus—
gebildetite Sprache war. Als Graf Stephan Szechenyi, der „größte
Ungar”, aus Liebe zu feinem Waterlande das Mamarifche zur
Umgangsiprache machen wollte, da mußte er, der in Wien 17917 Ge
borene, zuerſt felber erit das Magyariiche, deflen er gar nicht mächtig
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war, lernen, mußte feine adeligen Standesgenoffen vermögen, dies
Idiom nicht nur im Verkehr mit ihren Kutſchern und Hirten, fondern
auch im Salon und in Verfammlungen zu fprechen, mußte erft fünf;
(ich, mit gleichbegeifterten Mitarbeitern die Dialekte des Landvolkes
durch Bildung und Schaffung neuer Wörter, Wortformen, Zufammen
feßungen fähig machen, um den Begriffen der höhern Bildung und
der netten Zeit gerecht zu werden. Das moderne Schriftungariich
ift die ſtaunenswerte energifche Arbeitsleiffung von einigen wenigen
Jahren, nicht die einer langen Entwidlung, es ift das Ergebnis bes
wußten Schöpferwillens, nicht einer jahrtanfendlangen Kultareni⸗
wickllung, es brach ſich nicht von ſelber aus dem Bedürfnis des Volkes
Bahn, ſondern es wurde von einigen wenigen patriotiſchen Politikern
als ſtarkes politiſches Werkzeug geſchaffen.
Man muß bewundernd anerkennen, daß dieſe Sprachſchöpfung
der Sprachneuerer (Neolo gen), an deren Spitze Franz Kazinchy ſtand,
höchſt wirkungsvoll gelungen iſt. Aber wie jedes Licht auch ſeinen
Schatten hat, ſo auch hier. Das dreifach ſtarke Licht warf gar drei
Schatten: der erſte war die Abrüdung des ungariſchen Staats; und
Kuliurweſens von der arifchen enropälfhen Kult, Wenn es aud
gewiß manden gibt, der das Magyarifche ans Intereffe an dieſem
höchft merfwürdigen Idiom fennenlernt, fo ift Die Anzahl diefer Kenner
doch wefentlich geringer ala etwa die Zahl der Kenner einer ſſlawiſchen,
eomanifchen oder germaniſchen Sprache. Infolge deſſen ſteht unzwei—
felhaft das ungariſche Staatsweſen heute der Geſamtheit der Rus
turftaaten in allen Weltteilen etwas ferner als vor 100 und mehr
Jahren. Der zweite Schatten zeigt fich darin, daß Die andersſprachigen
Nationalitäten des ehemaligen Stephansreiches, die ſich wohl ber
gemeinfamen lateinifchen Kulturfprache gefügt hatten, fih dem Idiom
einer Nation fo leicht nicht fügen wollen, und zwar gerade deshalb,
weil fich diefe Nation als die herrſchende im Reiche betrachtet. Den
Nationalitäten erſchien die lateinifch ſprechende ma gyariſche Nation
immerhin als apoftolifche Trägerin einer überlegenen Kultur, eines
Staatsamtes von Noms und Gottes Gnaden; die ma gyarifch forechende
Nation erfheint ihnen als Bedräderin ohne höhere Berechtigung mehr.
Deng vor dem Nationalitätsprinsip tritt das Staatsrecht zurück.
Der dritte Schatten zeigt fich, wenn ich nicht irre, in der Künftlichkeit
des neologifhen Idioms. Die neuma gyarifche Sprace ift eine fehr
finnreiche Begriffswiedergabe, die aber nicht fo ſehr auf dem natür—
lich gewachfenen Organimus einer Vollsſprache, als vielmehr auf
dem neuen, durch Autorität oder Vereinbarung offiziell gewordenen
Lexilon beruht. Das einzelne ungarifche Wort ift manchmal eine
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ſehr fchöne, duftende, aber eine fünftliche Blume, Das einzelne Wort
ift nicht immer durch fo reiche Kdeenaffoziationen umrankt wie ein
lateiniſches oder deutiches Wort; es ift ein Volapük, ein Eiperanto,
in dem man fogar ſehr ſchön und innig dichten und phantafieren fann.
Eine Folge diefer Eigentümlichkeit ift die Schwierigkeit, fich begriff:
lich, befonders in politifhen Begriffen, zu verftändigen. Wir Deutfche
verftändigen ung deshalb leichter mit jedem Andersſprechenden, als
mit einem Magyaren, weil wir (das ift unfere Schuld) nicht berück⸗
fichtigen, daß die ma gyariſchen Kunſtaus dr ücke lexikaliſch viel flrenger
beſtimmt find, als etwa ein franzöſiſches oder englifches Wort. Bei
einem frangöfifhen oder englifhen Wort klingt immer ein ganzer
Chor von Ober; und Untertönen mit; der Franzofe und Engländer,
und wir, die wir feine Literatur fennen, wir alle gebrauchen das Wort
in feiner ganzen Gefchmeidigfeit — micht Bieldeutigfeit, aber Ans
ſchmie gſamkeit an alle Beziehungen und Sagen, die auch nicht im
Lexikon ftehen; das neuma gyariſche Wort iſt aber durch das Geſetz
des Lexikons förmlich feſtgelegt, es macht immer dasſelbe Geſicht,
mit wem es auch ſpricht und über was es auch ſpricht. Das iſt ein großer
Vorteil — aber auch ein Nachteil. Nur daraus entftehen all unfere
Mißverſtändniſſe über ſiaatsrechtliche Begriffe und dergleichen, denn
die Magyaren find die liebenswür digſten, humanften Menfchen, aber
das Lerifon ift ihnen fo heilig wie das Opus Tripartitum troß feines
jüngern Alters. Das gilt übrigens auch dann, wenn fi die modernen
Ungarn deutſch aus drücken; daher die zielloſen Debatten in dem
Broſchüre nwechſel zwiſchen Deak und Hufitandl und andern noch vor
dem Ausgleich. Seit dem Weltkrieg wird bei ung viel mehr das Ruffiiche,
Kroatiſche, Italieniſche betrieben als bisher; vor allem mill jeder
Dartkrfch lernen; von einem gleichen Eifer für die Erlernung der
ma gyariſchen Sprache babe ih (ed mag ein Zufall fein) wenig gehört.
Es ift fehr wichtig, daß ein Ausgleich Oſterreichs mit Ungarn
erft dann möglich war, als Öfterreich aus dem Deutſchen Bunde aus;
ſchied. Es ift eine juriſtiſch durchaus falſche Auffaſſung, den Aus—
gieich des Jahres 1867 als die Begründung des Duaismus anzu—⸗
fehen; er war vielmehr die Aufhebung eines alten flaatsrechtlichen
Dıralismud. So lange nämlich das alte Deutfche Reich und dann
der Deutfche Bund beftand, regierte die Dynaftie bet Ha bsbur g⸗ Loth⸗
ringer nur über jene Länder, die nicht zu Deutfchland gehörten, mit
voller Souveränität: alfo auch über Ungarn. Über die Länder aber,
die zum Deutfchen Bund (früher Reich) gehörten, regierte fie nur nad
Maßgabe der deutfchen Bundesakte (früher nach Maßgabe des deut—⸗
(chen Reichsrechts). Darum hatte ja Kaifer Franz 1804 den Titel
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eines Kaifersuon Öfterreich nicht mit Bezug auf feine deut
(hen Ländern annehmen dürfen, fondern eigentlich nur mit Desug
auf feine außerdeutfchen Länder: Ungarn, Galisien, Bukowina; denn
er war damals König von Ungarn fraft unbedingten Rechts, König
von Böhmen aber nur kraft deutfchen Oberrechts. Als König von
Ungarn war er Sonverän, als König von Böhmen war er Lehe ns⸗
mann des Deutſchen Reichs. Ahnlich war es auch unter dem Deutfchen
Bund; die Sonveränität des öfterreichifehen Kaifers war in bezug
anf feine deurfchen Länder durch den Bundestag in Frankfurt weſent⸗
lich eingeſchränkt; aber über Ungarn war er unabhängiger Herrſcher.
Erſt ſeit dem Jahre 1866 glich ſich das ſtaatsrechtliche Verhältnis
aller Länder aus. Die ganze Monarchie war erſt von da an abfolnt
unabhängig, die Verfaffungsverhältniffe waren in allen Rändern ber
Monarchie in der Umbildung begriffen. Erſt jet konnte für die ganze
Monarchie eine Verfaffung fefigefiellt werden. Daf diefe neue Ver;
faffung föderalififch in vorwiegend dualiſtiſchem Sinne ausfiel, lag
durchaus in den gefchichtiichen und rechtlichen Vorausfekungen. Ein
vollftändiger Föderalismis, wie er Durch das Dftoberdiplsm 1860
angebahnt zu werden fchien, nämlich fo, daf jedes Land eine eigne
Verfaſſung und feinen Landtag erhielt, und feine Delegierien zu einem
gemeinfamen Beratungskörper fehidte, lag nicht in der Abficht ber
Ungarn; fie wollten vielmehr in ihrem Gebiet möglichft zentraliftifch
über die andern Nationalitäten herrfchen und dafür auch den Deutſchen
des andern Teiles die zjemraliflifche Hegemonie dort drüben gönnen,
Es iſt nun für den fonfervativen Politiker durchaus fein Gegen;
fand des Spottes, des Gelächters oder auch nur des Belächelng,
daß die Ungarn ihren neuen Nationalſtaat nach den umftürgenden
Ereigniffen der Jahre 1848/49 mit beiwunderungswürdiger Konfes
quenz und Kraft fcharffinnigfter juriſtiſcher Fiftionen bis auf den
heiligen Stephan und die Goldene Bulle des Königs Andreas an;
nüpften, um die alte Form in ganz neuem Geifte zu wahren. Die
Engländer haben diefelbe Methode, fo daß wirflih die ganze Welt
die heutige englifhe Verfaffung für nralt hält, obwohl fie eine der
mo dernſten iſt. Auch die Länder Niederöfterreich, Steiermark, Kärnten,
Tirol hätten fih wie die Engländer Perrüden aufſetzen oder Panzer;
hemden a nziehen fünnen, denn ihr Parlamentarismus ift ebenfo alt
und geht bis in die Zeit zurück, wo man noch feine Urkunden fchrieb
und geht auch ohne wefentliche Unterbrechung bis in die Gegenwart
mit Selbftverwaltung, Landeshoheit uſw.
Das Wefen des Ausgleichs von 1867 war’ die Feſtſetzung
ber gemeinfamen Angelegenheiten, wie fie entweder »ireft aus ber
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Pra gmatiſchen Sanftion 1723 ſich ergeben oder doch im Intereſſe
ber Gemeinfamfeit liegen. Das find: Die diplomatifche und fommer;
sielle Vertretung des Reiches gegenüber dem Auslande durch ein
gemeinfames Minifterium des Auswärtigen, das Kriegswelen und
die Geſamtkoſten für Diefe beiden Gegenfiände, nah Proportion,
für beftimmte Zeit. Diefe gemeinfamen Angelegenheiten werden durch
Ausſchüſſe, Delegationen beider Teile beraten, die abwechfelnd in Wien
und in Peft abgehalten werden. Ein Zols und Handelsbündnis
zwiſchen beiden Teilen wird von Zeit zu Zeit abgefchloffen.
Der Ausgleich mit. Ungarn berubte auf der fiaatsrechtlihen An;
nahme, daß die Länder der ungarifhen Krone den im äfterreichifehen
Neicherate vertretenen Ländern wie ein Individuum dem andern
gegenäberftänden. Beides erwies fih als Fiktion. Die öfterreichifehen
Länder proteftierten, fo weit e8 ging, gegen den ihnen allzu einfeitig
Iheinenden Dualismus. Nicht nur Böhmen, Mähren, Galizien,
auch Tirol behanptete, zum Gefamtreih im felben Verhältnis wie
Ungarn zu ſtehen. Anderfeit8 machten in Ungarn die unterdrüdten
Nationalitäten ähnliche Anfprüche geltend, und es ift höchſt bemerfeng;
mwert, daß dort mwenigflens die Kroaten es durchfeßten, daß Ungarn
(bon 1868 in einem befondern ungarifhrtroatifden Au
gleich die feibfländige fiaatsrechtlihe Individualität des König
reichs Kroatien Inerfennen mußte, Wir treffen bier wieder die hiſto—
riſch⸗ſtaa tsrechtliche Fiktion, daß der Ausgleich zwiſchen eimerfeits
Ungarn, anderſeits Kroatien, Sla wonien, Dalmatien zuſtande Fam,
obwohl im offenbaren Widerfpruch mit diefer Formel des Geſetzes
Dalmarien gar nicht mitwirkte, und auch gar nicht wollte, Ungarn
anetfannte, daß die Zuftimmung Kroatiens zum Ausgleich von 1867
notwendig war und auch in Zukunft notwendig fein wird bei ähn—
lichen Fällen: es waren alfo jenfeits zwei verrragfchließende Teile,
wicht einer. Kroatien ſchickt aus feinen Abgeordneten 5 Mitglieder
in die Delegationen. Die froatifhe Sprache iff für Kroatien die der
Geſetzgebung, Verwaltung und Nechtspflege; fie darf auch im Sefter
Reichstag und bei den Delegationen gebraucht werden, da die Kroaten
eine „politifche Nation“ find mit eigner Gefeßgebung und
Regierung (während die Deutfchen, Rumänen, Ruthenen, Slo waken
in Ungarn nicht als politifche Nationen gelten und feine dergleichen
Rechte haben). Außerdem wurde beftimmt, daß über die Autonomie
von Fiume ein Übereinfommen durch Deputationsverhandlungen
ju treffen fei. Das ift aber auch nicht gefchehen, fondern Fiume wurde
am 28. Juli 1870 von den ungatifhen Behörden einfach in Beſitz
genommen, ein Gouverneur für Fiume wurde ernannt und alle
feoatifhen Amter wurden daraus entfernt.
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Es iſt ein entfcheidendes Verdienſt Ungarns, daß es die orien—
talifche Politik AUndraffns im Jahre 1878 befler begriff als Die
andere Reichshälfte. Andem Ungarn damals die Okkupation von
Bosnien und der Herze gowina unterffüßte, ftärkte es die Groß:
machtftellung der Monarchie und wies ihr die Wege nach dem nähern
Drient. Es fürchtete ſich nicht wie leider die Deutfchen Hfterreiche
vor dem Zuwachs an Slawen, obgleih die Magyaren ebenfoniel
Grund zur Furcht gehabt hätten, wie die Deutfihen. Dadurch ftärkten
die Ungarn ihre Stellung in der Monardie ganz bedeutend, während
die Deutfchen dadurch fowohl ihre dominierende Stellung in Fig;
leithanien einbüßten, wie auch die Stellung von Zigleithanien gegen,
über Ungarn ſchwächten. Der Schwerpunft rüdte erfi damals ent
ſchieden nach Peſt hinüber; denn der Schwerpunft iſt immer dort,
two die größere Arbeit geleiftet wird.
Diefer Berdienft Ungarns wird etwas dadurch beeinträchtigt,
daß die ungarifche Oppofition binmwieder mit der Jahrhundertwende
gegen die Einheitlihfeit des Heeres auftrat, die deutſche
Dienftfprache abfchaffen wollte und das Heer durch Nichtbewilligung
von Kanonen und Mannfchaft,verdorren” ließ. Wenn im Welt;
frieg die Karpatben unzulänglich verteidigt waren, wenn eg an ber
genügenden Artillerie fehlte, um gleich den erften Anprall der ruſſiſchen
Maflenheere zum Stehen zu bringen, fo ift dag gewiß nicht die Schuld
des heldenmütigen ungarifchen Heeres, das Wunder von Tapferfeit
und von „Furor Ungaricus” die ganze Welt fehauen ließ, fondern eg
ift die Schuld jener oppofitionellen Parteien, die nicht beachteten, daß
eine Großmachtpolitik ja eine wirkſame Perteidigung des Vater;
landes nur auf Grund der pragmatifchfanktionierten Einheit
(„Union“) mit allen dfterreidifhen Ländern —
und mit dem ganzen Deutfhen Reich möglich ift, nicht aber
durch Separafion, Obftruftion, Independentismus. Niemand meiß
dag beffer al® die der Geſamtmonarchie getrenen, den weitausſehenden
Großmachtzielen und Kulturaufgaben Oſterreich⸗ Ungarns verſtaͤnd—
nisvoll gerechten, politifch überlegenen Führer der leitenden Parteien
Ungarns. So hat Graf Tifza den advokatoriſchen Spitfindigfeiten
der eien ein Ende zu machen geſucht mit einer Formel: „Staats,
rechtliche Kämpfe, ftaatsrechtliche Reibungen find in der Monardie
nicht mehr am Plate.” Natürlich unter Wahrung aller Beftimmungen
des Aus gleichs. (Siehe die Schrift „Warteipolitit und Gemeinfamfeit
in Oſterreich- Ungarn. Bon * * * Wien, 1915. U. Holsbaufen“,
Sie enthält eine lehrreiche kurze Überjicht über die Parteien.)
Was das fo leidenfchaftlie Unabhängigfeitsbeftreben der Ungarn
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betrifft, fo tft dns auch eine ſehr löbliche Eigenfchaft, die nicht der Über;
treibung zu verfallen braucht. Löblich ift jedes Streben nah Frei
beit, GSelbftregierung, Gelbfiverantmortlichfeit, Selbfiverwaltung.
Unfere Zeit, die jeden Deſpotismus mit Mecht verpönt, beruht anf
dem fortfchreitenden Prinzip der freien Verbindungen,
auf dem fogialen, dem föderativen, dem bündiſchen
Prinzip. Aus der Alltan; der Völker und Staaten in den Freiheits—
kriegen iſt dieſe Periode der Bündniffe hervorgegangen, bie
heute im Bund der Zentralmächte gipfel. Die beiden
heutigen Katferreihe Mitteleuropas find aus bündiſchen Grundlagen
hervorgegangen. Lange nor dem Deutfhen Bund hat der freie aber
fefte, ungertrennlihe Bund der Staaten der Habsburger Monarchie,
die Pra gmatiſche Santtion, eine zufunftsreiche Großmacht geſchaffen;
dieſer Bund ift 1867 feierlich erneuert worden. Auf ähnlichen bündi;
(ben Grundlagen beruht dag heutige Dentfche Reich. In der Natur
der Sache und in der Gefchichte beruht der Bund Deutſchlands mit
Oſterre ich⸗ An garn. Ans ihm ſcheint fich ein Zentralbund zu entwideln,
der nicht nur Europa umfaßt. Diefer Bund verfpricht jedem Teil;
nehmer Sicherheit im Innern und Außern. Wenn ein dauernder,
ein ewiger Friede annährend zu erreichen fein könnte, fo mag es nur
auf diefem Weg der Erſtarkung und Erweiterung dieſes Zentralbundes
fein, der ein Fortwirken der bündifhen Grundlagen ber beiden Kaifer;
reiche ifi, ein Gegenfas zum rohen Imperialismus der ergentri;
(hen Mächte England, Rußland uſw. Es feheint, daß diefe exzen—
teifchen Mächte ihrer Lage gemäß fo handeln müffen, bis fie von den
bündifhen Mittelmächten zur Ruhe gemwiefen werden. Unfer
Zentralbund, mag er fich auch noch fo weit ausdehnen, ift nur duch
Sreimilligfeit möglich und ffarf. Aber diefe Freimwilligfeit darf feine
Willkür fein, kein Feilfben von Fall zu Fall. Die einzige Schwäche
Sfterreich- Ungarns liegt darin, daß unfere Ausgleichs geſetze weſent—
liche Beflimmungen nicht für immer feftllegen, wie es doch im Sinne
der Pragmatifchen Sanktion wäre, fondern fie von Fall zu Fall neuen
Entfcheidungen überläßt. Das ift der Grund, warum Öfterreih- Ungarn
nicht fo ftarf ift wie das Deutfche Neid. So wenig fih aber der ſouve—
räne König von Bayern etwas vergibt, wenn er mit dem Deutfchen Reich
die norwendigen unfündbaren Berträge ſchließt und die Abgeordneten
feines unabhängigen Volkes mit den Abgeordneten anderer unab-
bängiger Völker zufammen tagen läßt, fo wenig würde es die Souve—
ränität und Unabhängigkeit Ungarns berühren, wenn es eine ähnliche
Politik folgerichtig einfchlagen würde. Ich habe nichts zu raten, nichts
zu ta deln, nichts zu fordern, Ich ftelle nur als Juriſt und als Hiftorifer
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— Tal: * — |
N PATE EN. den.
feſt, daß es gang in der Freiheit, Gewalt, Unabhängigfeit nd Souve /
ranitat Ungarns liegt, fich al das und auferdem noch Ruhm und
Ehre, Reihtum und Unfeben, alle Vorteile der Welt im —
ebenſo freiwilligen Verbündeten dauernd oder nicht dauernd ſicher
oder unſicher zu gewinnen, ob es an einer ſtarten oder (machen Große /
macht anteil haben will.
| Ich ftelle bei all dem nicht, wie Friedrich Naumann in um
verbreiteten Buch über Mitteleuropa das Gefchäft, die Wirtſchaft
in den Vordergrund, ſondern die ethiſchen Werte, die geiffigen Vors
teile, Schließlich find auch diefe von materieller Bedeutung; denn
die Macht der Staaten und Staatenbünde beruht nicht zum rn. *
auf dem Anſehen. Wir haben uns dieſes Anſehen gegen eine ——
flut von Haß, Verachtung, Mißgunſt, Argwohn erſt im We
zu erfämpfen gehabt und werden es uns in der Frie densarbeit
noch recht zu erringen haben durch unſere bündifche, alle Fragen dr =
Kultur erledigende Stellung und Halıung. Die Zufunft gehört ber
Aſſoziation auf jedem Gebiete fosialen oder flantlihen Lebens. Hier
liegt vor ung die allergrößte Aufgabe ſozialer und politiſcher Aſſo⸗
ziation. Wer fih in Zufunft diefem Prinzip der Affosiation entzieht,
fei e8 bei unfern Feinden oder bei unfern Freunden, der wird als
rückſchrittlich von der fortfohreiienden Zeit zermalmt werden. Auch
Souveränität beruht nur auf foztaler Anerkennung. Eine Sonveräns
tät, die nur auf fih allein abfiraft beruht, hat Feine Exiſtenz. Der
Alleinftehende, der Separatift und Jndependentift iſt der. Vermichter
feiner eignen Unabhängigkeit, Die ganze Geſchichte Ungarus zeigt,
daß es das nicht ſein will und a *
Fürs d Kriegs-Ausgabe
Feld u Köinischen Volkszeitung.
t n wiätigen Inhalt der 3 Tages-Aus | x
Donate Sk. R. 1,75, 75, wierteljähr! 1% MR. 5,25 des. Batta für tages nun höre En
Beftellungen unter gleidgeitiger Einjendung
Einzel-Derkauf an hunderten von hg im a
bie TFelbpoftabteilung der Kölniſchen Velksneitung, AB
au eben vom Setretariat Soylaler Studentenarbeit, M.Sla dbach
* RB————— M.GSlabbach. 1.—4. Tauſend. 3637