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Full text of "Kulturpflanzen und Hausthiere in ihrem Übergang aus Asien nach Griechenland und Italien sowie in das übrige Europa; historisch-linguistische Skizzen"

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UC-NRLF 


B    3    157 


Ex 

Libris 
BEATRIX 
FARRAND 


REEF  POINT  GARDENS 
LIBRARY 


The  Gift  of  Beatrix  Farrand 

to  the  General  Library 
University  of  California,  Berkeley 


" 


KDLTURPFLANZEN  UND  HAUSTHIERE 

IN  IHREM 

UBERGANG  AUS  ASIEN 

NACH  GRIECHENLAND  UND  ITALIEN     SOWIE  IN 
DAS  tJBRIGE  EUROPA 


HISTORISCH-LINGUISTISCHE    SKIZZEN 
VON 

VICTOR  HEHN 

SIEBENTE  AUFLAGE 

NEU  HERAUSGEGEBEN 

VON 

0.  SCHRADER 

MIT  BOTANISCHEN  BEITRAGEN 

VON 

A.  E  N  G  L  E  R 


BERLIN 

VERLAG  VON  GEBRUDER  BORNTRAEGER 


SW  4«  DESSAUERSTR.  29 
1902 


LANDSCAPE 
ARCHITECTURE 

A  lie  Rechte,  insbesondere  das  der  Uebersetzung 
in  fremde  Spracheu,  vorbehalten. 


Ncu-lluppin,"Buchdriickerei  von  E.  Buchbinder  (H.  Duskc). 


Farrand  Gift 


Lan- 
'* 


Vorrede  zur  YL  Auflage*). 


Die  Anfange  des  Werkes,  welches  hier  zum  ersten  Mai  seit  dem 
Tode  V.  Hehn's  (am  21.  Marz  1890)  neu  herausgegeben  wird,  gehen 
in  eine  fiir  den  Verfasser  desselben  triibe,  aber  lehrreiche  Zeit  seines 
Lebens,  in  die  Jahre  seines  unfreiwilligen  Aufenthaltes  in  der  russi- 
schen  Gouvernementalstadt  Tula,  zur  tick.  Indem  ich  mich  hinsicht- 
lich  der  Ereignisse,  welche  zu  Hehn's  Internirung  in  dem  Inneren 
Russlands  fiihrten,  sowie  der  naheren  Umstande  seines  Lebensganges 
iiberhaupt  auf  meine  Schrift:  Viktor  Hehn,  Ein  Bild  seines  Lebens 
und  seiner  Werke  (Berlin  1891)  beziehen  kann,  habe  ich  hier  nur 
diejenigen  Punkte  hervorzuheben,  welche  geeignet  erscheinen,  die 
Entwicklung  seiner  historisch-linguistischen  Studien  zu  veranschau- 
lichen. 

Von  tiefem  Verstandniss  und  gliihender  Begeisterung  fiir  das 
klassische  Alterthum  durchdrungen  und  von  dem  selbstgeschauten 
Bild  des  Siidens,  das  er  erst  vor  kurzem  in  einer  seiner  Erstlings- 
schriften,  Ueber  die  Physiognomie  der  italienischen  Landschaft,  fest- 
zuhalten  versucht  hatte,  in  Kopf  und  Busen  erfullt,  war  V.  Hehn 
unvermuthet  (1851)  in  einen  zuriickgebliebenen  Theil  der  indo- 
germanischen  Volkergruppe,  in  die  Welt  der  Slaven,  versetzt  worden. 
Aber  so  schmerzlich  und  niederdriickend  dieser  plotzliche  Wechsel 
aller  Lebensverhaltnisse  dem  jungen  Gelehrten  sein  musste,  so  er- 
schienen  doch  die  Menschen,  die  er  hier  schaute,  und  deren  Sprache 
er  lernte,  sowie  die  Verhaltnisse  des  Landes,  die  er  auf  haufigen 
Ausfliigen  in  das  Innere  studirte,  seinem  fiir  die  Erfassung  von 
Volkerindividualitaten  durch  Beanlagung  und  Uebung  besondes  ge- 
scharften  Auge  bald  in  einem  eigenthiimlich  interessanten  Lichte. 


*)  Bei  diesem  im  wesentlichen  uiiveranderten  Abdruck  der  Vorrede  zur 
VI.  Auflage  (1894)  sind  einige  jetzt  entbehrliche  Ausfiihrungen  gestrichen 
oder  gekiirzt,  einige  Zusatze  in  eckigen  Klammern  beigefiigt  worden. 

I* 


341 


jy  Vorrede. 

Er  erkannte,    dass  hier   »fiir  den  Kulturhistoriker  eine  reiche,  bisher 
noch  so  gut  wie  unberiihrte  Fundgrube  von  Alterthiimern«  verborgen 
sei,  oder,  wie  er  es  an  einer  anderen  Stelle  ausdriickt:    »Die  Slaven 
sind  sehr  alt,  uralt  und  haben  das  Aelteste  conservativ  bewahrt  und 
geben  es  nicht  auf.    An  ihrer  Sprache,  ihrer  Familienverfassung,  ihrer 
Religion,   ihren  Sitten,    ihrem  Aberglauben,  ihrem  Erbrecht  u.  s.  w. 
lasst  sich  das  fruhste  Alterthum  studiren.«     Aus  den  hier  gleichsam 
crstarrten  Anfangen  indogermanischen  Volkeiiebens,  dessen  geschicht- 
liche  Einheit  ihm  in  Folge  des  unter  Franz  Bopp  selbst  begonnenen 
Studiums    der    vergleichenden  Sprachforschung    zu   einer   lebendigen 
Vorstellung  geworden  war,  wie  war  aus  ihnen  die  Civilisation  Athens 
und  Roms  und  des  unter  dem  Banne  des  letzteren  stehenden  mittel- 
alterlichen  Europa  erwachsen?   Diese  Frage  war  es,  die  den  einsamen, 
aller    literarischen  Hilfsmittel  Beraubten    wahrend  der  Tula'er  Jahre 
zu    beschaftigen   anfing,    diese   Frage,    deren  Beantwortung  er  unter  - 
nahm,    als   er    (im  Jahre  1855)   begnadigt   und  zu  einem  der  Ober- 
bibliothekare    an    der  Kaiserlichen   offentlichen  Bibliothek  zu  Peters- 
burg ernannt,  sich  plotzlich  an  einen  Quell  wissenschaftlicher  Arbeit 
versetzt    sah.     Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,    dass  V.  Hehn  das 
gestellte  Problem    in    seiner    ganzen  Ausdehnung   zu  behandeln  vor- 
hatte.     Ein  Hehn's  Nachlass    entnommener  Stoss    von  Papieren   lin- 
guistisch-historischen  Inhalts,    dessen  Durchsicht   mir   die  Cotta'sche 
Buchhandlung  in  Stuttgart  freundlichst  gestattet  hat,  zeigt,  dass  Hehn 
in  der  That,  um  es  kurz  zu  sagen,  eine  Kulturgeschichte  Europas  auf 
sprachwissenschaftlicher  Grundlage    zu  schreiben  beabsichtigte.     Den 
Standpunkt,    von    dem    aus    er    eine    solche   Aufgabe    gelost    haben 
wiirde,  hat  ef  in  den  Kulturpflanzen  und  Hausthieren  selbst  bezeich- 
net,    indem    er    sagt:    »Auch    die    letztere  (die  Kulturgeschichte   im 
Ganzen)    ist    nur    eine  Geschichte  des  Verkehrs,   und  wie  der  ein- 
zelne  Mensch    nur   in  der  Gesellschaft  seine  Bestimmung,    d.  h.  die 
hochste  Entwicklung  seiner  Anlagen  erreicht,  so  sind  auch  die  Volker 
in  demselben  Masse,   wie  sie  zur  Bildung  sich  erheben,  nur  Schiiler 
und  Erben    anderer    umwohnender,   iiberlegener  Volker. «     Aber   aus 
der  Fulle    dieses  Stoffes    loste.    sich    immer  deutlicher  ein  einzelner, 
wenn  auch  an  sich  wieder  ausserordentlich  weit  reichender  Gesichts- 
punkt  ab:  Was  verdankte  die  Civilisation  Europas  der  Kultur  gewisser 
Pflanzen  und  der  Zahmung  gewisser  Thiere?  Dieses  besondere  Thema 
lag  dem  Verfasser  nahe  genug.     Hatte  er  der  Flora  und  Fauna  des 
Siidens  sich  schon  in  der  genannten  Schrift,  Ueber  die  Physiognomic 
der    italienischen  Landschaft,  und  in  seinem  aus  dieser  erwachsenen 


Vorrede.  \r 

Buch  uber  Italien  (zuerst  1864)  besonders  liebevoll  zugewendet  und 
die  Eigenart  derselben,  so  wie  sie  sich  jetzt  dem  Beschauer  dar- 
bietet,  mit  Meisterhand  entworfen,  so  sollte  nunmehr  dieser  Gegen- 
stand  in  geschichtliche  Beleuchtung  gestellt  und  erortert  werden, 
welchen  Antheil  an  dieser  gegenwartigen  Flora  und  Fauna  die  kultur- 
fordernde  Thatigkeit  des  Menschen  gehabt  habe.  Das  Ergebniss, 
zu  welchem  er  hierbei  gelangte,  lasst  sich  in  zwei  Satzen  zusammen- 
fassen:  erstens,  die  Kultur  der  wichtigsten  Charakterpflanzen  des 
Sudens,  sowie  die  Domestication  zahlreicher  Hausthiere  hat  im 
Orient  begonnen  und  ist  aus  diesem  nach  Griechenland  und  Italien, 
sowie  in  das  ubrige  Europa  iibertragen  worden,  und  zweitens,  auch 
jene  Pflanzen  und  Thiere  selbst  sind  an  der  Hand  des  Menschen 
und  zwar  erst  in  historischer  Zeit  die  gleichen  Wege  gewandert. 
» Was  ist  Europa,  als  der  fur  sich  unfruchtbare  Stamm,  dem  alles 
vom  Orient  her  eingepfropft  und  erst  dadurch  veredelt  werden 
musste?«  Diese  Worte  Schilling's,  neben  Hegel,  des  Lieblings- 
philosophen  V.  Hehn's,  bildeten  das  Motto  des  Buches.  Als  Folie 
diente  dem  geschilderten  Kulturprocess  die  Darstellung  der  Zustande, 
in  denen  die  Griechen  und  Italiker  vor  oder  bei  ihrer  Einwanderung 
in  die  Balkan-  und  Apenninhalbinsel  lebten. 

Im  Mai  1869  war  das  Werk,  an  dem  Hehn  nach  seinen  Brief  en 
an  den  Freund  Berkholz  bereits  1863  seit  langerer  Zeit  gearbeitet 
hatte,  fertig  und  erschien  im  Jahre  1870  im  gegenwartigen  Verlag 
zum  ersten  Mai.  Schon  1874  wurde  eine  zweite  Auflage  nothig, 
die  durch  ein  neues  Kapitel  liber  das  Pferd  und  durch  ein  spater 
Avieder  weggelassenes  [im  Anhang  abgedrucktes]  Vorwort  vermehrt 
war,  in  welchem  Hehn  seine  Stellung  gegen  zwei  Recensenten  der 
ersten  Auflage,  A.  Grisebach  (Gottinger  Gel.  Anz.  1872,  2  p.  1766 ff.) 
und  0.  Heer  in  Zurich  (Neujahrsblatt,  herausg.  v.  d.  naturf.  Gesell- 
schaft  auf  das  Jahr  1872)  vertheidigte,  und  in  der  inzwischen  viel 
erorterten  Frage  nach  der  Urheimat  der  Indogermanen  sich  als 
einen  entschiedenen  Verfechter  der  Hypothese  ihres  centralasiatischen 
Ursprungs  bekannte.  Bis  hierher  lasst  sich  eine  lebhafte  Theilnahme 
Hehn's  an  dem  von  ihm  behandelten  Stoff  und  an  linguistisch- 
historischer  Forschung  uberhaupt  verfolgen.  Dieselbe  beginnt  zu 
erkalten,  als  Hehn,  irn  Jahre  1873  zur  Ruhe  gestellt,  seinen  Wohn- 
sitz  von  Petersburg  nach  Berlin  verlegte.  Schon  am  26.  Februar  1873 
hatte  er  an  Berkholz  iiber  seine  Plane  in  Berlin  geschrieben:  »Schrift- 
stellern  will  ich  gleichfalls  weiter,  aber  nicht  mehr  gelehrt,  wozu  mir 
die  bequemen  Mittel  fehlen  werden,  sondern  angenehm.  Ich  traue 


VI  Vorrede. 

mir  dazu  einiges  Talent  zu,  an  Aufforderungen  fehlt  es  mir  schon 
jetzt  nicht.«  Und  in  der  That,  die  unvermeidlichen  Unistandlich- 
keiten  in  der  Benutzung  der  Kgl.  Bibliothek  zu  Berlin,  neue 
Stromungen  in  verschiedenen,  den  Gegenstand  seines  Buches  be- 
riihrenden  Zweigen  der  Wissenschaft,  und  die  Schwierigkeit  fur  den 
alternden  Gelehrten,  sich  in  dieselben  hineinzuarbeiten,  vor  allem 
aber  der  Umstand,  dass  eine  neue  Aufgabe,  sein  Buch  liber  Goethe, 
ihn  mehr  und  mehr  in  Anspruch  nahm,  alles  dies  liess  ihn  neue 
Auflagen  seines  Werkes,  von  denen  eine  dritte  1877,  eine  vierte  1883, 
eine  funfte  1887  erschien,  mehr  als  eine  Last,  denn  als  eine  will- 
kommene  Gelegenheit  empfinden,  seine  Ansichten  zu  vertiefen,  auszu- 
bauen  oder  gegen  Angriffe,  an  denen  es  nicht  fehlte,  zu  vertheidigen. 

Es  ergiebt  sich  also,  dass  wir  einer  seit  zwei  vollen  Jahrzehnten 
in  allem  Wesentlichen  abgeschlossenen  Untersuchung  gegeniiberstehen, 
und  die  Hauptfrage,  welche  der  Herausgeber  einer  solchen  sich  vor- 
zulegen  hat,  ist  daher  diejenige,  wie  sich  die  gegen  war  tige 
Forschung  zu  der  damaligen  Behandlung  jener  Probleme  verhalte. 
Indem  ich  zu  der  Erorterung  dieses  wichtigsten  Punktes  iibergehe, 
lasse  ich  vorlaufig  die  schon  kurz  charakterisirte  Bedeutung  unseres 
Buches  fiir  die  urgeschichtliche  Forschung  bei  Seite,  und  da  die  auf 
die  Geschichte  der  Pflanzen  und  Thiere  beziiglichen  Kapitel  auf  einer 
dreifachen  Basis,  einer  naturwissenschaftlichen,  sprachwissen- 
schaftlichen  und  historischen  beruhn,  so  wird  es  gut  sein,  wenn 
ich  meine  Bemerkungen  nach  diesen  drei  Seiten  ordne. 

In  ersterer  Hinsicht  schien  es  vor  allem  klar,  dass  die  moderne 
Botanik  die  Frage  nach  der  Herkunft  und  Verbreitung  der  Pflanzen- 
arten  vielfach  mit  anderen  Mitteln  und  in  anderer  Weise  beantworte, 
als  dies  von  V.  Hehn  geschehen  war.  Da  aber  der  Herausgeber  auf 
diesem  Gebiet  selbstverstandlich  sich  kein  eigenes  Urtheil  gestatten 
durfte,  so  war  es  nothwendig,  einen  botanischen  Fachmann  als  Mit- 
arbeiter  zu  gewinnen,  sowohl  um  die  einzelnen  Pflanzenkapitel  mit 
seinern  sachverstandigen  Urtheil  zu  begleiten,  wie  auch  seinen  Stand- 
punkt  zu  dem  Hehn'schen  Werk  im  allgem einen  fiir  den  nicht 
botanisch  gebildeten  Leser  darzulegen.  Ein  solcher  wurde  erfreulicher 
Weise  in  Professor  A.  Engler,  Direktor  des  botanischen  Gartens  in 
Berlin,  und  durch  haufige  Reisen  mit  der  Flora  des  Siidens  vertraut, 
gefunden.  Dieser  aussert  sich  iiber  die  Hehn'sche  Darstellung  der 
Geschichte  der  Kulturpflanzen  in  folgender  Weise: 

»Dem  Wunsche  des  Herrn  Verlegers,  bei  einer  neu  zu  veran- 
staltenden  Ausgabe  des  Hehn'schen  Werkes  » Kulturpflanzen  und 


Vorrede.  yjj 

Hausthiere«  mitzuwirken,  konnte  ich  nur  unter  der  Bedingung  ent- 
sprechen,  dass  mir  gestattet  wurde,  das,  was  iiber  die  Geschichte  der 
von  Hehn  behandelten  Kulturpflanzen  vom  naturwissenschaftlichen 
l-?tandpunkt  aus  zu  sagen  war,  in  Form  von  Anmerkungen  zu  bringen, 
welche  zugleich  auch  meinem  geehrten  Herrn  Kollegen,  Herrn  Prof. 
Schrader,  der  Hehn's  Werk  als  Linguist  einer  Neubearbeitung 
unterwarf,  zum  Anhalt  dienen  konnten.  Bekanntlich  batten  Hebn's 
Ausfiihrungen  iiber  die  Kulturpflanzen  und  Haustbiere  in  ihrem  Ueber- 
gang  aus  Asien  nach  Europa  bei  den  bervorragendsten  Vertretern  der 
Pflanzengeographie  und  Pflanzengeschichte,  bei  Grisebach,  Oswald 
Heer  und  Alpbons  de  Candolle,  Widerspruch  gefunden;  abertrotz- 
dem  konnten  weder  diese,  noch  andere  Botaniker  den  Darstellungen 
Hehn's  die  Anerkennung  versagen,  dass  durch  sie  die  Kulturgeschichte 
der  Nutzpflanzen  in  bohem  Grade  gefordert  wurde. 

Gerade  durch  den  Gegensatz,  der  zwischen  Hehn's  Anscbau- 
ungen  und  dem  der  genannten  Gelehrten  hervortrat,  wurde  es  recht 
klar,  dass  die  Geschichte  der  Kultur  einer  Pflanzenart,  insbesondere 
ihrer  Rassen,  und  die  Geschichte  der  Verbreitung  einer  Art  nicht 
zusammenfallen.  Wiirde  ein  Botaniker  seine  Kenntnisse  und  Er- 
fahrungen  mit  der  Hehn'schen  Darstellung  verwebt  haben,  dann 
wiirde  das  Charakteristische  derselben  erheblich  geschmalert  worden 
sein.  Es  erschien  mir  daher  das  Richtige,  die  Revision  des  Hehn'- 
schen Textes  ausschliesslich  dem  Linguisten  zu  iiberlassen  und  als 
Botaniker  in  Anmerkungen  den  nicht  botanisch  gebildeten  Lesern 
eine  kurze  Uebersicht  iiber  den  Standpunkt  der  naturwissenschaft- 
lichen Kenntniss  von  der  Herkunft  und  Verbreitung  der  behandelten 
Pflanzenarten  zu  geben.  Auf  andere  Arten  als  die  von  Hehn  behan- 
delten wurde  nicht  eingegangen,  obwohl  die  Versuchung,  die  Ge- 
schichte der  Getreidearten  zu  besprechen,  recht  nahe  lag. 

Die  Heimatsbestimmung  einer  Pflanze  und  die  Feststellung  der 
Wege,  welche  sie  allmahlich  bei  der  Ausdehnung  ihres  Areals  ge- 
nommen  hat,  erfolgt  auf  sehr  verschiedene  Weise.  Die  sicherste  und 
zuverlassigste  Methode  ist  natiirlich  die  rein  historische;  aber  diese 
Methode  setzt  wohlverbiirgte  Aufzeichnungen  iiber  das  etappenweise 
Vordringen  einer  Pflanze  voraus,  die  in  verhaltnissmassig  seltenen 
Fallen  vorhanden  sind.  Bei  Pflanzenwanderungen,  welche  in  den 
letzten  Jahrzehnten  erfolgt  sind,  wie  z.  B.  bei  der  des  parasitischen 
Pilzes  Puccinia  Malvacearum,  ferner  bei  der  von  Elodea  cana- 
densis,  der  aus  Nordamerika  stammenden  und  zuerst  1836  in  Gross.- 
britannien  beobachteten  Wasserpest,  allenfalls  auch  bei  Wanderungen, 


VTTI  Vorrede. 

welche  in  dem  letzten  Jahrhundert  beobachtet  v/urden,  wie  bei  der  von 
Senecio  vernalis  W.  Kit.,  gelingt  es  einigermassen,  an  der  Hand 
historischer  Daten  die  Erweiterung  des  Areals  festzustellen.  Aber  schon 
bei  den  zahlreichen  Pflanzen,  welche,  aus  Nordamerika  stammend,  sicb 
auf  den  Aeckern  und  an  Flussufern  Europas  eingebiirgert  haben,  ist 
es  oft  scbwierig,  die  Zeit  ihres  Auftretens  in  Europa  und  den  Weg 
ihrer  Wanderung  genau  zu  ermitteln.  (Diejenigen  Leser,  welche  iiber 
die  Herkunft  und  das  erste  Auftreten  solcher  Pflanzen  in  Deutschland 
Auskunft  wiinschen,  wenden  sich  zunachst  am  besten  an  Ascher- 
son's  klassische  Flora  der  Provinz  Brandenburg,  Berlin  1864.)  Ueber 
Pflanzen  jedoch,  welche  schon  langere  Zeit  in  Europa  eingebiirgert 
sind,  fehlen  sehr  oft  die  geeigneten  historischen  Angaben.  Mogen 
uns  auch  die  Schrif tsteller  der  Griechen  und  Romer  iiber  einzelne  in 
historischer  Zeit  eingefuhrte  Pflanzen,  wie  z.  B.  iiber  die  Einfiihrung 
der  Citronen,  Aufschluss  geben,  so  lassen  sie  uns  doch  anderseits  im 
Stich,  wenn  wir  iiber  die  Herkunft  derjenigen  Nutzpflanzen,  welche 
auch  ausserhalb  der  Kultur  vorkommen,  etwas  wissen  wollen;  denn 
den  wildwachsenden  Pflanzen  und  namentlich  der  Art  ihres  Vor- 
kommens  wurde  doch  erst  seit  dem  vorigen  Jahrhundert  die  nothige 
Beachtung  geschenkt.  Man  hat  vielfach  Werth  darauf  gelegt,  zu  er- 
mitteln, wann  zuerst  der  Name  einer  Pflanze  in  der  alteren  Literatur 
oder  das  Bildniss  einer  Pflanze  auf  Denkmalern,  Miinzen  etc.  auf- 
tauchte  und  aus  der  Entwicklung  der  Pflanzenbezeichnungen  hat  man 
auch  Schliisse  auf  die  Entwicklung  der  Pflanzenverbreitung  gezogen, 
also  mit  der  rein  historischen  Methode  die  linguistische  verbunden. 
Die  Bedeutung  dieser  Studien  fiir  die  Kenntniss  der  Beziehungen 
zwischen  Mensch  und  Pflanze  soil  nicht  im  Geringsten  angezweifelt 
werden;  aber  fiir  die  Kenntniss  der  Geschichte  einer  Pflanze,  ins- 
besondere  fiir  die  Heimatsbestimmung  sind  sie  nur  in  seltenen  Fallen 
ausschlaggebend,  denn  es  ist  klar,  dass  in  dem  Gebiet  einer  Volker- 
schaft  eine  Pflanze  langst  existirt  haben  kann,  bevor  diese  Volker- 
schaft  von  einer  anderen  die  Verwendung  der  Pflanze  kennen  lernte ; 
es  ist  ferner  zweifellos,  dass  eine  weniger  betriebsame  und  in  der 
Kultur  zuriickstehende  Volkerschaft  auch  dann,  wenn  von  einer 
anderswo  durch  die  Kultur  veredelten  Pflanze  in  ihrem  eigenen 
Lande  die  minderwerthige  Stammform  vorkommt,  es  doch  sehr  leicht 
vorziehen  wird,  durch  Tausch  oder  Kauf  die  veredelte  Rasse  zu  er- 
werben,  als  selbst  aus  der  heimischen  Stammform  eine  edle  Rasse 
zu  erziehen.  Mit  den  fremden  Rassen  werden  aber  die  Volkerschaften 
auch  vielfach  die  fremden  Namen  iibernommen  haben,  ganz  abgesehen 


Vorrede.  JX 

davon,  dass  friiher  ebenso  wie  heute  ein  und  derselbe  Name  oft  auf 
sehr  verschiedene  Pflanzen  angewendet  wnrde,  die  einigermassen  ahn- 
liche  Producte  lieferten. 

Eine  historische  Methode  anderer  Art  dagegen  erscheint  deni 
Naturforscher  zuverlassiger,  namlich  die,  aus  dem  Vorkommen  von 
Pflanzenresten  in  verschiedenen  Lagerstatten  auf  die  Geschichte  der 
Pflanzen  zu  schliessen,  mogen  nun  die  Lagerstatten  alteren  geo- 
logischen  Perioden  angehoren,  wahrend  deren  der  Mensch  Europa 
hochstwahrscheinlich  noch  nicht  bewohnte,  oder  mogen  sie  aus 
jiingerer  Zeit  stammen,  in  der  der  Mensch  wohl  existirte,  aber 
noch  nicht  schriftliche  Aufzeichnungen  uber  sein  Thun  und  Treiben 
hinterliess.  Sicher  ist  diese  Methode  die  zuverlassigste ,  um  das 
Auftreten  einer  Pflanze  zeitlich  und  raumlich  zu  verfolgen;  aber  auch 
diese  Methode  hat  ihre  schwachen  Seiten:  1.  ist  die  Zahl  der  auf- 
geschlossenen  Fundstatten  von  Pflanzenresten  eine  verhaltnissmassig 
sehr  geringe ;  2.  ist  die  Erhaltung  solcher  Pflanzenreste  oft  eine  sehr 
mangelhafte,  sodass  man  nicht  immer  liber  die  Richtigkeit  der  Be- 
stimmung  ausser  Zweifel  ist.  Es  ist  daher  auch  bei  Anwendung 
dieser  Methode  grosse  Vorsicht  und  kritische  Priifung  der  von  den 
einzelnen  Autoren  gemachten  Angaben  geboten ;  namentlich  darf  man 
auch  nicht  aus  dem  Nichtvorhandensein  gewisser  Pflanzenreste  in  den 
aufgeschlossenen  Lagerstatten  irgendwelche  Schliisse  machen,  da  die 
meisten  Pflanzen  unter  Verhaltnissen  absterben,  welche  der  Erhaltung 
einzelner  Theile  derselben  im  Wege  stehen.  Die  positiven  Ergebnisse 
der  palaeontologischen  und  prahistorischen  Forschung  sind  aber  doch 
in  nicht  wenigen  Fallen  recht  wichtige,  wie  aus  den  bei  der  Be- 
sprechung  einzelner  Kulturpflanzcn  mitgetheilten  Daten  hervorgeht. 
Es  hat  sich  namentlich  mit  Sicherheit  ergeben,  dass  mehrere  Pflanzen, 
welche  heutzutage  im  ganzen  Mittelmeergebiet  verbreitet  sind  und 
welchen  aus  kulturgeschichtlichen  Griinden  asiatische  Abstammung  zu- 
geschrieben  wurde,  schon  gegen  das  Ende  der  Tertiarperiode,  vor  der 
Erscheinung  des  Menschen  in  Europa,  existirten.  Nun  ist  aber  wohl- 
bekannt,  dass  seit  der  Tertiarperiode  sehr  wichtige  Veranderungen  in 
Europa  eingetreten  sind,  dass  namentlich  wahrend  der  Glacialperiode 
gewaltige  Veranderungen  in  der  Verbreitung  der  Pflanzen  hervorgerufen 
wurden;  es  konnte  daher  auch  gerade  die  Glacialperiode  eine  Hand- 
habe  zu  der  Vorstellung  geben,  dass  wahrend  derselben  die  vorher  in 
Europa  eingebiirgerten  mediterranen  Pflanzen  verdrangt  wurden  und 
orst  nachher  wieder  aus  dem  Osten  einwandern  mussten.  Aber  wir 
wissen  heut,  dass  das  Glacialphanomen,  so  wichtig  es  auch  fur  die 


X  Vorrede. 

ganze  Entwicklungsgeschichte  der  Pflanzenwelt  gewesen  1st,  doch  nicht 
im  Entferntesten  die  Ausdehnung  gehabt  hat,  welche  ihm  friiher  in 
raumlicher  Beziehung  zugeschrieben  wurde.  Ware  in  der  That,  wie 
man  einst  anzunehmen  geneigt  war,  der  grosste  Theil  Europas  von 
Eis  bedeckt  gewesen,  dann  hatten  allerdings  die  Funde  von  Kultur- 
pflanzen  in  jiingeren  Tertiarablagerungen  fur  deren  Geschichte  in 
Europa  keine  Bedeutung;  dann  hatte  eben  eine  erneute  Einwanderung 
von  Osten  her  erfolgen  mussen,  als  die  Vergletscherung  Europas 
zuriicktrat.  Schon  in  meinem  Versuch  einer  Entwickelungsgeschichte 
der  Pflanzenwelt,  I.  (1879)  habe  ich  darauf  hinge wiesen,  dass  die 
Thatsachen  der  Pflanzenverbreitung  in  Europa  gegen  die  Annahme 
einer  so  ausgedehnten  Vergletscherung  sprechen.  Seitdem  haben  die 
Studien  liber  das  Glacialphaenomen  in  Europa  an  Ausdehnung  und 
Vertiefung  erheblich  gewonnen  und  als  eines  der  wesentlichsten  Re- 
sultate  steht  fest,  dass  selbst  zur  Zeit  der  weitestgehenden  Vergletsche- 
rung in  Europa  ein  grosser  Theil  von  Mittel-  und  Siiddeutschland, 
der  grosste  Theil  von  Frankreich,  das  siidliche  England,  fast  ganz 
Spanien  und  Italien,  sowie  die  Balkanhalbinsel,  eisfrei  waren,  dass 
also  die  Mediterranpflanzen,  welche  vor  der  Eiszeit  in  Europa  vege- 
tirten,  wahrend  derselben  wohl  ihre  Nordgrenze  weiter  nach  Siiden 
verschieben,  aber  nun  und  nimmermehr  aus  Europa  weichen  mussten. 
[Neuere  Untersuchungen  haben  dies  nur  in  erhohtem  Maasse  be- 
statigt  und  namentlich  auch  dargethan,  dass  die  fiir  das  Mittelmeer- 
gebiet  charakteristische  Macchienflora  niemals  aus  Italien  und  Corsica 
verschwunden  1st.]  (Wer  mit  diesen  Dingen  nicht  vertraut  ist,  hat 
nur  nothig,  einen  Blick  auf  die  Karte  der  einstigen  und  jetzigen  Eis- 
verbreitung  in  Berghaus'  Physikalischem  Atlas,  Geologic  No.  5  zu 
werfen.)  Wir  sind  daher  berechtigt,  von  alien  Pflanzen,  welche  am 
Ende  der  Tertiarperiode  oder  in  der  Interglacialperiode  oder  auch 
bald  nach  der  Glacialperiode  in  Sudeuropa  existirten,  anzunehmen, 
dass  sie  ohne  Zuthun  der  Menschen  dahin  gelangt  sind. 

Endlich  haben  wir  zur  Heimatsbestimmung  einer  Pflanze  auch 
noch  andere  Mittel,  die  sich  auf  die  Kenntniss  ihrer  physiologischen 
Eigenthumlichkeiten  und  ihrer  verwandtschaftlichen  Beziehungen  zu 
den  ubngen  Pflanzen  in  der  Gegenwart  und  Vergangenheit  grunden. 
Aus  der  Beschaffenheit  der  vegetativen  Organe  vermogen  wir  zu  er- 
kennen,  ob  eine  Pflanze  in  einem  gewissen  Gebiet  existiren  kann;  in- 
dessen  giebt  auf  diese  Frage  bei  den  hier  behandelten  wichtigen 
Kulturpflanzen  die  seit  langer  Zeit  bestehende  Kultur  schon  von 
selbst  die  Antwort.  Wiohtiger  ist  die  Beachtung  der  Verbreitungs- 


Vorrede.  XT 

mittel.  1st  eine  Pflanze  mit  guten  Verbreitungsmitteln  ausgestattet, 
d.  h.  sind  ihre  Friichte  oder  Samen  leicht  durch  Thiere  oder  Wind, 
also  ohne  die  Thatigkeit  des  Menschen,  zu  verbreiten,  dann  ist  leicht 
einzusehen,  dass  eine  solche  Pflanze  bald  nach  dem  ersten  Auftreten 
in  einer  Zone  sich  innerhalb  derselben  rasch  weiter  verbreiten  musste, 
weil  die  an  dem  einen  Ort  vorhandenen  Existenzbedingungen  auch 
an  anderen  Orten  derselben  Zone  wiederkehrten.  Wenn  einzelne 
Kulturpflanzen  wie  Wein,  Lorbeer,  Feige  auch  leicht  ausserhalb 
ihrer  Pflanzstatten  sich  verbreiten,  so  liegt  dies  daran,  dass  ihre 
Friichte  von  Vogeln  vielfach  verschleppt  werden.  Das  ist  aber  auch 
immer  bei  den  wildwachsenden  Pflanzen  geschehen.  Sobald  nach 
der  Eiszeit  am  Fuss  der  Alpen,  Apenninen  und  Pyrenaen  das  fur 
die  Mediterranpflanzen  geeignete  Terrain  wieder  frei  wurde,  mussten 
alle  mit  guten  Verbreitungsmitteln  versehenen  und  nicht  auf  beson- 
ders  eigenartige  Standorte  angewiesenen  Pflanzen  nordwarts  Areal 
gewinnen.  Bei  der  Verbreitungsgeschichte  hat  man  auch  darauf  zu 
achten,  ob  eine  Pflanze  nur  auf  Kulturland  oder  uberhaupt  auf  durch 
den  Menschen  verandertem  Land  vorkommt,  oder  ob  sie  einer  fin- 
em  gewisses  Gebiet  charakteristischen  urspmnglichen  Formation  an- 
gehort;  findet  sie  sich  vorzugsweise  auf  Standorten  ersterer  Art,  dann 
spricht  mehr  dafiir,  dass  sie  verwildert  sei;  findet  sie  sich  dagegen 
an  Standorten  letzterer  Art,  dann  ist  man  in  der  Regel  zu  der  An- 
nahme  berechtigt,  dass  sie  ohne  Zuthun  des  Menschen  eingewandert 
ist.  Hierbei  ist  noch  in  Betracht  zu  ziehen,  dass  sehr  oft  gerade 
solche  Eindringlinge,  welche  von  ihrer  urspriinglichen  Heimat  sehr 
weit  entfernt  sind,  auf  einem  neuen  Terrain  zugelassen  sich  ganz 
besonders  schnell  und  sogar  die  einheimische  Flora  verdrangend 
ausbreiten.  Das  zeigt  das  Verhalten  von  zahlreichen  nordamerika- 
nischen  Pflanzen  in  Europa,  von  zahlreichen  europaischen  Pflanzen 
in  •  Australian  und  Neu-Seeland,  von  Opuntia  und  Agave  im 
Mediterrangebiet,  von  zahlreichen  amerikanischen  Pflanzen  im  tro- 
pischen  Afrika  und  von  manchen  tropisch-asiatischen  im  tropischen 
Amerika.  Immer  sind  diese  sich  leicht  verbreitenden  Pflanzen 
solche,  welche  in  dem  neuen  Gebiet  dieselben  klimatischen  Verhalt- 
nisse  wieder  finden,  die  sie  in  ihrer  urspriinglichen  Heimat  hatten, 
immer  sind  es  Pflanzen,  welche  von  dem  neubesiedelten  Terrain 
durch  so  weite  ihrer  Existenz  nicht  zutragliche  Raume  getrennt 
waren,  dass  deren  Ueberwindung  erst  durch  die  Thatigkeit  der 
Menschen,  allerdings  meist  von  diesen  nicht  beabsichtigt,  erfolgen 
konnte.  Immer  aber  sind  diese  Eindringlinge  auch  auf  einein  durch 


XIT  Vorrede. 

die  Kultur  veranderten  Terrain,  also  vorzugsweise  auf  Ackerland,  auf 
stark  abgeweideten  Triften  ocler  auf  Neuland,  Sandbanken,  An- 
schwemmungen  an  Flussufern,  auf  vulkanischem  Boden,  bisweilen 
auch  auf  ganz  besonders  sterilem  und  einbeimischen  Pflanzen  nicbt 
zusagenden  steinigen  Boden  (Opuntia,  Agave)  anzutreffen.  Fur 
die  Heimathsbestimniung  einer  Pflanze  kommt  auch  ihre  systema- 
tische  Stellung  in  Betracht,  ihre  phylogenetische  Verwandtschaft  rait 
anderen  Formen.  Die  Pflanzengeographie  stiitzt  sich  hierbei  auf  sehr 
/Aiverlassige  Grundlagen.  Wir  konnen  einer  Pflanze  sehr  wohl  an- 
sehen,  ob  sie  in  naherer  verwandtschaftlicher  Beziehung  zu  Pflanzen 
des  ostlichen  oder  westlichen,  des  nordlichen  oder  siidlichen  Nachbar- 
gebietes  steht  und  konnen  darauf  Annahmen  beziiglich  ihrer  Her- 
kunft  griinden,  welche  zusammen  mit  Anderem  oft  zu  guten  Re- 
sultaten  fiihren.  Bei  der  Lage  Europas  ist  es  nun  nicht  zu  ver- 
wundern,  dass  in  der  That  eine  recht  grosse  Zahl  der  alteren  Kultur- 
pflanzen  nahe  Beziehungen  zu  anderen  Pflanzen  des  Ostens  zeigt; 
aber  diese  Beziehungen  sind  meistens  uralte,  vor  die  Existenz  des 
Menschen  zuriickdatirende,  die  fur  die  Wanderungen  in  der  gegen- 
wartigen  Erdperiode  nicht  mehr  in  Betracht  kommen.  Es  ist  nament- 
lich  wichtig,  dass  mehrere  der  mediterranen  Kulturpflanzen  Typen 
angehoren,  welche  nachweislich  schon  in  der  Tertiarperiode  im  Medi- 
terrangebiet  existirten  und  ausserhalb  desselben  iiberhaupt  nicht  an- 
getroffen  werden;  es  ist  ferner  von  Wichtigkeit,  dass  die  iberische 
Halbinsel,  welche  durch  Nordafrika  mit  dem  Orient  in  Verbindung 
steht,  nicht  wenige  Pflanzen  mit  diesem  gemein  hat,  welche  in 
Italien  fehlen  (vgl.  Engler,  Versuch  einer  Entwicklungsgeschichte 
der  Pflanzenwelt  I.  S.  51  ff.);  es  konnte  zweifelsohne  auch  von  der 
iberischen  Halbinsel  her  die  Wiederbesiedelung  Ober-  und  Mittel- 
italiens  mit  mediterranen  Pflanzen  nach  der  Glacialperiode  erfolgen. 
Dass  andererseits  auch  einzelnc  Bestandtheile  der  Mediterranflora 
(Granate,  Johannisbrodbaum,  welche  jedoch  in  den  dichteren  Macchien 
des  mediterranen  Hiigellandes  nicht  angetroffen  werden)  vom  Osten 
her  in  Italien  und  andere  Theile  des  Mittelmeergebietes  durch  Zuthun 
der  Menschen  eingedrungen  sind,  soil  nicht  bestritten  werden.  — 
Dies  sind  die  Gesichtspunkte,  von  denen  ich  bei  meinen  An- 
merkungen  zu  Hehn's  Darstellungen  ausgegangen  bin  und  welche, 
soweit  es  sich  um  Heimatsbestimmung,  nicht  urn  Verwendung  von 
Kulturpflanzen  handelt,  durchaus  neben  ,der  von  Hehn  in  den  Vorder- 
grund  gestellten  Methode  beachtet  werden  miissen.  Bei  den  einzelnen 
Besprechungen  habe  ich  nicht  immer  alle  diese  Gesichtspunkte  her- 


Vorrede. 


xm 


vorgehoben,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden;  man  moge  daher  bei 
denselben  die  kurze  und  vielleicht  auch  bisweilen  zu  apodiktisch  er- 
scheinende  Fassung  mit  Riicksicht  auf  die  hier  gegebenen  allgemeinen 
Erlauterungen  erklaren. « 

In  weit  geringerem  Umfang  greifen  rein  zoologische  Fragen 
in  das  Untersuchungsgebiet  Hehn's  ein.  Bei  einer  grosseren  Reihe 
von  Thieren,  wie  dem  Esel  oder  dem  Pfau,  1st  es  wohl  niemals  be- 
zweifelt  worden,  dass  dieselben  nicht  einheimisch  in  Europa  seien. 
Bei  anderen  freilich  wiederholen  sich  auf  zoologischem  Gebiet  die 
Bedenken,  welche  wir  oben  die  Botaniker  gegen  Hehn  geltend 
nmchen  sahen,  d.  h.  auch  hier  nehmen  auf  Grund  palaeontologischer 
Indicien  die  Naturforscher  nicht  selten,  wie  bei  dem  Pferd,  dem 
Dachs,  dem  Hamster  ein  weit  hoheres  Alter  dieser  Thiere  in  Europa 
als  V.  Hehn  an.  In  dieser  Richtung  sind  mir  besonders  die  Arbeiten 
A.  Nehr  ing's  werthvoll  gewesen,  so  wohl  sein  Buch  »Ueber  Tundren 
und  Steppen  der  Jetzt-  und  Vorzeit  (Berlin  1890)«,  in  welchem  der- 
selbe  seine  Ansichten  von  der  geologischen  Entwicklung  Mittel- 
europas  seit  der  Glacialzeit,  so  wie  der  seiner  Fauna  und  Flora  unter 
mehrfacher  Riicksichtnahme  auf  Hehn's  Anschauungen  aus^iihrt,  als 
auch  kleinere  Monographien  des  genannten  Gelehrten  iiber  das  Pferd, 
die  Katze,  den  Hamster  u.  s.  w.  Aber  auch  personlich  hat  Herr 
Prof.  Nehring  mir  iiber  mehrere  Punkte  bereitwilligst  Auskunft  zu 
ertheilen  die  Giite  gehabt. 

Ich  komme  nunmehr  zu  einem  mir  vertrauteren  Gebiet,  wenn 
ich  weiter  die  Frage  erortere,  wie  sich  Sprachwissenschaft  und  Ge- 
schichte  zu  den  Untersuchungen  Hehn's  im  Allgemeinen  und  zu  den 
geschilderten  Einwendungen  der  Naturforscher  gegen  dieselben  im 
Besonderen  stellen. 

Seit  den  70  er  Jahren  hat  die  vergleichende  Sprachforschung  in 
Folge  einer  Reihe  glucklicher  Entdeckungen,  zu  deren  Charakteri- 
sirung  ich  nur  die  Namen  J.  Schmidt,  K.  Brugmann,  K.  Verner 
zu  nennen  brauche,  und  in  durchaus  folgerich tiger  Entwicklung  ihrer 
friiheren  Bestrebungen  den  Begriff  des  Lautgesetzes,  auch  auf  dem 
Gebiete  des  Vocalismus,  das  bis  dahin  fur  eine  Art  »freier  Biihne« 
gegolten  hatte,  scharfer  ausgebildet.  Und  zwar  bezieht  sich  dies 
nicht  nur  auf  die  etymologische  Durchforschung  des  sogenannten 
urverwandten  Wortschatzes  der  idg.  Sprachen,  sonderu  auch  auf  den 
Theil  der  Sprache,  welcher  bei  dem  Hehn'schen  Werk  eine  besonders 
wichtige  Rolle  spielt,  auf  die  Entlehnungen  von  Volk  zu  Volk. 


XIV  Vorrede. 

Vor  einer  strengeren  Anwendung  lautlicher  Kriterien,  als  sie 
Hehn  und  seiner  Zeit  eigen  war,  mussen  nun  zunachst  eine  Reihe 
von  Gleichungen  des  Hehn'schen  Werkes  zusammen  mit  den  Schliissen, 
welche  auf  sie  gebaut  sind,  iiberhaupt  fallen.  Den  Granatapfelbaum 
wird  man  nicht  schon  wegen  der  angeblichen  Entsprechung  von 
griech.  §ot,d  und  hebr.  rimmon  aus  semitischem  Kulturkreis  ableiten 
wollen.  Lat.  fwus  hangt  schwerlich  mit  griech.  avxov,  lat.  palma 
nicht  mit  hebr.  tdmar  zusammen.  Griech.  ovog  werden  viele  nicht 
mehr  an  hebr.  aton,  lat.  mulus  viele  nicht  mehr  an  griech.  /uv/Adg 
anzukniipfen  geneigt  sein  u.  s.  w.  Freilich  ist  auch  hier  die  Kritik 
leichter  wie  das  Bessermachen,  und  im  Allgemeinen  wird  man  sagen 
diirfen,  dass  die  moderne  Entwicklung  der  vergleichenden  Sprach- 
wissenschaft  auf  dem  Gebiete  des  Kulturworterschatzes  mehr  unrichtige 
Erklarungen  der  friiheren  Zeit  vernichtet  als  neue  richtige  zu  Tage 
gefordert  habe.  Wie  tief  ist  z.  B.  das  Dunkel,  das  noch  auf  einer 
ganzen  Reihe  von  Benennungen  siidlicher  Kulturpflanzen,  wie  dav^va- 
ddyvri  oder  laurus  oder  nv^og  u.  s.  w.  lastet! 

Eine  zweite  Klasse  Hehn'scher  Entlehnungsreihen  ist  laut- 
geschichtlich  richtig;  es  fragt  sich  aber,  ob  in  ihnen  der  Ausgangs- 
punkt  der  Entlehnung  richtig  bestimmt  ist.  So  ist  der  Weinstock 
nach  Hehn  ein  Geschenk  der  Semiten  unter  Anderm  deswegen,  weil 
griech.  olvog  aus  dem  hebr.-phonicischen  jajin  entlehnt  sei.  Der 
Zusammenhang  beider  Worter  liegt  auf  der  Hand;  aber  des  Naheren 
diirfte  das  Verhaltniss  desselben  eher  das  sein,  dass  das  west-semi- 
tische  Wort,  wenn  auch  nicht  aus  dem  Griechischen  selbst,  so  doch 
aus  einer  indogermanischen  Sprache  tibemominen  wurde.  Griech. 
sQepivtog,  lat.  ervum,  ahd.  araiviz  Erbse  und  xdwapig,  lat.  cannabis, 
ahd.  hanaf  Hanf  hangen  untereinander  zusammen,  aber  die  von 
Hehn  als  fiir  die  Wanderung  der  Kulturworter  normale  bezeichnete 
Strasse:  (Orient) — Griechenland — Italien- — Nordeuropa  kann  in  diesen 
beiden  Fallen  nicht  die  eingeschlagene  sein.  Der  germanische,  ftir 
die  Geschichte  der  Falkenjagd  wichtige  Name  des  Habichts,  ahd. 
hdbuh,  ist  zwar  identisch  mit  dem  irischen  sebocc,  aber  das  Verhalt- 
niss ist  das  umgekehrte,  als  es  von  Hehn  angenommen  wurde. 

Eg  folgt  eine  dritte  Klasse  von  Gleichungen,  die,  lautlich  un- 
anfechtbar,  auch  im  richtigen  Verhaltniss  ihrer  einzelnen  Glieder  auf- 
gefasst  sind,  so  dass  nur  zu  erortern  bliebe,  ob  auch  die  Schliisse, 
welche  sie  tragen,  unanfechtbar  sind.  Das  ist  der  Punkt,  welcher 
uns  zu  dem  Haupteinwand  der  Botaniker  gegen  Hehn  zuriickfuhrt. 
Was  folgt  daraus,  dass  griech.  xdvvt]  aus  dem  Semitischen,  lat. 


Vorrede. 

murtus  und  buxus  aus  dem  Griechischen,  das  deutsche  birne  aus  dem 
Lateinischen  entlehnt  sind?  Unzweifelhaft  konnen  diese  Ent- 
lehnungen  darauf  hindeuten,  dass  die  genannten  Pflanzen  selbst 
aus  dem  Orient  nach  Griechenland  oder  aus  Griechenland  nach 
Italien  oder  aus  Italien  nach  Deutschland  verpflanzt  worden  sind. 
Aber  ebenso  unzweifelhaft  ist,  dass  man  einen  solchen  Schluss  nicht 
ziehen  muss.  Denn  sprachliche  Entlehnungen  treten  keineswegs  nur 
dann  auf,  wenn  ein  neuer  Gegenstand  aus  der  Fremde  eingefiihrt 
wird,  sondern  aucb  dann,  wenn,  um  es  allgemein  auszudriicken,  an 
einem  langst  bekannten  Gegenstand  durch  fremde  Einwirkung  eine 
neue  kulturhistorische  Erfahrung  gemacht  worden  ist.  Niemand 
wird,  weil  das  deutsche  pferd  aus  lat.  paraveredus  entlehnt  ist,  die 
deutschen  Pferde  aus  Italien  ableiten.  Man  lernte  von  den  Romanen 
eben  lediglich  eine  neue  Benutzung  der  Pferde  (paraveredus,  eine 
Art  Postpferd)  kennen.  Den  in  alien  Theilen  des  Mittelmeeres  ein- 
heimischen  Delphin  benannten  die  Romer  offenbar  deswegen  mit  dem 
griechischen  Namen  delphmus,  weil  griechische  Kulte  sie  auf  das  dem 
Apollo  geheiligte  Thier  in  einer  neuen  Richtung  aufmerksam  gemacht 
hatten.  Ebenso  tragt  der  auch  nach  Hehn  bei  uns  einheimische 
Feld-  und  Wiesenkummel  trotzdem  lateinische  Namen:  Karbe  und 
Kummel.  Der  Grund  liegt  in  dem  Einfluss,  den  die  romische 
Gartenbau-  und  Kiichenkunst  auf  uns  ausiibte.  Dasselbe  ist  bei 
unserem  Kohl  der  Fall. 

Bedenkt  man  dies,  so  wird  man  zugeben  miissen,  griech.  xdvvy 
konne  desshalb  aus  dem  Semitischen  entlehnt  sein,  weil  die  Griechen 
Fabrikate  aus  Arundo  Donax  zuerst  aus  dem  Orient  erhielten,  oder 
lat.  murtus  und  buxus  konnten  desshalb  aus  dem  Griechischen  iiber- 
nommen  sein,  weil  die  Romer  nach  dem  Vorbild  der  Griechen  in 
der  Myrte  den  heiligen  Baum  der  Aphrodite  schauten,  und  die  Ver- 
wendung  des  Buchsbauniholzes  in  der  Technik  des  Drechslers  und 
Zimmermanns  von  den  Griechen  kennen  lernten,  oder  deutsch  birne 
konne  desshalb  aus  lat.  pirus  gebildet  sein,  weil  man  in  Deutschland 
den  einheimischen  wilden  Birnbaum  mit  edlen  Reisern  aus  Italien 
pfropfte. 

So  ergiebt  sich,  dass  sprachliche  Entlehnungsreihen  uns  zwar 
mancherlei  iiber  die  Geschichte  der  Kultur  einer  Pflanze  werden 
lehren  konnen,  dass  wir  aber  bis  zu  der  Geschichte  einer  Pflanze 
selbst  mit  ihrer  HiiJfe  nicht  vordringen  konnen,  dass  also  gegen 
die  Behauptung  der  Botaniker,  eine  Pflanze  sei  in  diesem  oder  jenem 
Lande  einheimisch,  der  Umstand  nicht  als  entscheidende  Instanz 


XVI  Vorrede: 

gel  tend  gemacht  werden  kann,  dass  diese  Pflanze  daselbst  einen  ent- 
lehnten  Namen  trage. 

Es  soil  mit  diesen  Bemerkungen  nicht  gesagt  sein,  dass  Hehn 
gelegentlich  nicht  selbst  die  so  wichtige  Unterscheidung  zwischen  der 
von  aussen  iibemommenen  Kultur  einer  eben  desshalb  fremdlandisch 
benannten  Pflanze  und  der  einheimischen  wilden  Pflanze  gemacht 
babe.  Es  ist  dies  z.  B.  bei  seiner  Erorterung  des  Safrans  der  Fall. 
Aber  im  Allgemeinen  wird  man  doch  betonen  miissen,  dass  Hehn 
bei  seiner  Behandlung  der  Pflanzengeschichte  der  Thatsache,  dass 
ein  Pflanzenname  entlehnt  ist,  zu  grossen  Werth  fiir  die  Bestimmung 
der  Herkunft  einer  Pflanze  selbst  beigelegt  hat. 

Es  diirfte  hier  der  Platz  sein,  sich  in  Kiirze  die  Moglichkeiten 
zu  vergegenwartigen,  welche  sich  ergeben,  wenn  die  Sprache  vor  die 
Aufgabe  gestellt  wird,  neue  Kulturpflanzen  zu  benennen.  Es  sind 
a  priori  zwei  Falle  moglich:  a)  die  Pflanze  war  bereits  in  wildem 
Zustand  bekannt;  b)  sie  war  es  nicht.  In  beiden  Fallen  ist,  wie  wir 
schon  gesehen  haben,  Entlehnung  moglich,  durch  die,  was  Fall  a) 
betrifft,  einheimische  Bezeichnungen  vernichtet  oder  zuriickgedrangt 
werden  konnen.  Von  Seiten  der  Sprache  lasst  sich  hier  ein  Unter- 
schied  nicht  machen.  Eine  Entlehnung  wie  ahd.  chol  aus  lat.  caulis 
Kohl  (einheimisch  in  Deutschland)  ist  nicht  verschieden  von  einer 
Entlehnung  wie  ahd.  mur -bourn  aus  lat.  morus  Maulbeerbaum  (nicht 
einheimisch  in  Deutschland).  Dasselbe  gilt  von  lat.  murtus  = 
Myrte  (einheimisch  in  Italien  nach  Engler) :  lat.  eupressus  = 
C^resse  (nicht  einheimisch  in  Italien  nach  E.),  oder  von  griech. 
xQoxog  =  hebr.  karkom  Safran  (einheimisch  in  Griechenland):  griech. 
mtiidxiov,  entlehnt  aus  dem  Iranischen,  Pistazie  (nicht  einheimisch  in 
Griechenland).  Beidemal  kann  aber  die  Sprache  auch  aus  eigenem 
Borne  schopfen.  In  Fall  a)  wird  dabei  der  Name  der  wilden  auf  die 
veredelte  Pflanze  iibertragen  werden  konnen,  wie  xsQatfog-cerasus  ur- 
spriinglich  die  Bezeichnung  einer  wilden  Kirschenart  gewesen  sein 
wird,  oder  wie  auch  ngovfjivog-prunus  von  Haus  aus  die  wilde  Pflaume 
bezeichnete.  Ferner  aber  finden  in  Fall  a)  und  b)  iiberaus  haufig 
Uebertragungen  der  Benennungen  solcher  schon  friiher  bekannten 
Pflanzen  auf  die  neue  Pflanze  statt,  welche  fiir  die  Anschauung 
des  Volkes  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  neuen  Kulturpflanze 
hatten,  wie,  um  ein  modernes  Analogon  zunachst  anzufiihren,  die 
Kartoffel  bei  ihrem  Erscheinen  in  Europa  bald  als  Triiffel  (it.  tartufo), 
bald  als  Frucht  des  Convolvulus  Batatas  (engl.  potatoe)  bezeichnet 
wurde.  Auf  einen  sehr  starken  Fall  solcher  Uebertragung  hat  Hehn 


Vorrede.  XVII 

selbst  hingewiesen,  indem  er  das  lat.  citrus  Citrone  von  xefyog-cedrus 
Ceder  ableitet,  well  Cedernholz  wie  Citrone  durch  ihren  starken  Duft 
conservirende  Kraft  ausiiben.  Wenn  aber  solches  moglich  1st,  warum 
sollte  da  nicht,  wie  ich  hier  im  Gegensatz  zu  Hehn  annehme,  in 
Italien  schon  friiher  der  Name  der  dort  einheimischen  Zwergpalme 
pofrna.mxf  die  Phoenix  dactylifera  iibertragen  worden  sein  konnen? 
Ein  ahnlicher  Process  hat  meiner  Ansicht  nach  bereits  begonnen,  als 
die  Griechen  aus  einer  nordlichen  Heimat  in  Hellas  einwandernd 
eine  ganze  Heine  neuer,  im  Siiden  nach  Engler  einheimischer  Pflanzen 
(damals  noch  in  wildem  Zustand)  vorfanden,  fiir  die  ihnen  natiirlich 
zunachst  Namen  fehlten.  So  ordneten  sie  nach  meiner  Anschauung 
sprachlich  die  Pinie  unter  andere  Coniferenarten,  die  Frucht  der 
Kastanie  unter  die  Eicheln  u.  s.  w.  ein,  bis  sich  spater  eine  scharfere 
Terminologie  beider  Pflanzen  ausbildete.  Ferner  sind  die  Namen 
der  Kulturpflanzen  haufig  von  ihrem  wirklichen  oder  vermeintlichen 
Herkunftsort  abgeleitet,  wovon  Benennungen,  wie  ^r\Xov  xvdwviov, 
•indium  punicum,  (potvt%,  /uifcfcx??,  mdlum  armeniacum  etc.,  reich- 
liches  Zeugniss  ablegen.  Dass  auch  hiermit  die  Quellen  der  Namen  - 
gebung  auf  diesem  Gebiet  nicht  erschopft  sind,  dass  vielmehr  bei 
clerselben  noch  eine  Reihe  anderer  zufalliger  Verhaltnisse  und  Be- 
ziehungen,  die  in  bestimmte  Gruppen  schwer  zu  bringen  sein  diirften, 
mitspielen,  werden  die  einzelnen  Pflanzen-Kapitel  unseres  Buches 
zeigen. 

Wenden  wir  uns  zur  Betrachtung  der  linguistischen  Seite  des- 
selben  zuriick,  so  darf  nicht  vergessen  werden,  dass  die  verflossenen 
10  Jahre  in  mancher  Beziehung  nicht  nur  eine  Vertiefung  des  in 
Frage  kommenden  sprachlichen  Materials,  sondern  auch  eine  betracht- 
liche  Erweiterung  desselben  herbeigefiihrt  haben.  In  Europa  1st 
das  Albanesische,  fur  dessen  Studium  V.  Hehn  ausschliesslich  auf 
das  mitzliche,  aber  unkritische  Buch  v.  Hahn's  angewiesen  war,  durch 
G.  Meyer  gewissermassen  neu  entdeckt  worden,  und  ich  gestehe,  dass 
ich  den  Schriften  dieses,  kulturhistorischen  Fragen  ein  warmes 
Interesse  entgegenbringenden  Gelehrten,  namentlich  seinem  Etymolo- 
gischen  Worterbuch  der  albanesischen  Sprache,  sehr  viel  verdanke. 
Vor  Allem  aber  erweckt  das  auch  auf  unserem  Gebiet  in  Folge  der 
Arbeiten  Lagarde's,  Noldeke's,  Hommel's,  Eb.  Schrader's, 
Ermann's,  Hiibschmann's  u.  A.  immer  fortschreitende  Verstand- 
niss  der  orientalischen  Sprachen,  einschliesslich  des  Aegyptischen,  die 
Hoffnung,  dass  sich  aus  demselben  noch  manche  Forderung  fiir 
die  Geschichte  der  Kulturpflanzen  und  Hausthiere  ergeben  werde. 

H 


XVIH  Vorrede. 

Schon  jetzt  konnte  auf  Grund  dieser  Forschungen  die  Terminologie 
der  Pflanzen  und  Thiere  vielfach  'welter  oder  in  anderer  Richtung 
verfolgt  werden,  als  dies  zu  Hehn's  Zeit  moglich  war. 

Was  hier  von  den  Sprachen  des  Orients  gesagt  wurde,  gilt 
natiirlich  ebenso  von  seiner  Geschichte,  in  welcher  durch  die 
Forschungen  der  verflossenen  Jahrzehnte  theils  neue  Provinzen  er- 
offaet,  theils  die  schon  eroffneten  genauer  bekannt  wurden.  Um  die 
hier  gemachten  Fortschritte  zu  ermessen,  vergegenwartige  man  sich 
etwa  den  Weg,  der  von  Movers'  Phoeniciern,  einem  wichtigen 
Hulfsmittel  Hehn's,  zu  E.  Meyer's  Geschichte  des  Orients  fiihrt. 

Wir  wenden  uns  damit  der  historischen  Argumentation 
Hehn's  zu. 

Den  Ausgangspunkt  derselben  bildet  fur  ihn  naturgemass  die 
homerische  Dichtung  als  das  alteste  Denkmal  europaischer  Geschichte, 
und  seine  erste  Frage  ist  daher  die,  ob  ein  Thier  oder  eine  Pflanze 
schon  dem  homerischen  Zeitalter  bekannt  war  oder  nicht.  Seitdem 
ist  durch  die  bewunderungswiirdige  Thatigkeit  Schliemann's  und 
seiner  Mitarbeiter  und  Nachfolger  der  Anfang  der  griechischen  Ge- 
schichte sozusagen  um  Jahrhunderte  zuriickgeschoben  worden.  Hehn 
verfolgte  diese  Entdeckungen  mit  Misstrauen  und  einer  gewissen  Be- 
sorgniss,  als  ob  von  ihnen  her  manchen  seiner  Anschauungen  Gefahr 
drohen  konnte.  »Am  meisten  erschiittert  und  zugleich  erfreut,« 
schreibt  er  1880  an  Wichmann,  »hat  mich  in  den  letzten  Wochen 
eine  Kritik  von  L.  Stephani  in  Petersburg  (im  neuesten  Compte-Rendu 
der  Comm.  archeol.),  wonach  die  Funde  Schliemann's  in  Troja  und 
Mycena,  der  Schatz  des  Priamus,  das  Grab  des  Agamemnon  u.  s.  w. 
nicht  in  eine  dunkle  Ur-  und  Vorzeit,  sondern  in  das  Jahr  267  n.  Chr. 
gehoren  und  von  gothischen  Barbaren  am  Pontus  herriihren.  Die 
Beweisfiihrung  ist  schlagend  und  mir  dadurch  ein  Stein  vom 
Herzen  gewalzt;  Schliemann  und  die  Griechen  aber  und  Glad- 
stone und  die  Englander  werden  sich  garstig  erbosen  und  argern.« 
Es  kann  gegenwartig  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass  Hehn  in 
dieser  Beurtheilung  Schliemann's  mit  so  vielen  anderen  geirrt  hat, 
und  die  Frage  wird  sich  nicht  vermeiden  lassen,  ob  jene  altgriechi- 
schen  Funde  nicht  auch  iiber  die  Geschichte  der  Kulturpflanzen 
und  Hausthiere  uns  einiges  neue  werden  lehren  konnen.  Herr  Chr. 
Tsountas  in  Athen,  einer  der  erfolgreichsten  Schiller  Schliemann's, 
hat  zum  Zweck  der  Neuherausgabe  des  Hehn'schen  Buches  die  grosse 
Giite  gehabt,  mir  unter  dem  1.  November  1892  ausfiihrlich  iiber 
alles  zu  berichten,  was  in  den  Ueberresten  der  »mykenischen  Periode« 


Vorrede.  XIX 

an  Kulturpflanzen  und  Hausthieren,  sei  es  in  Knochen  oder  vegeta- 
bilischen  Ueberbleibseln,  sei  es  auf  den  Abbildungen  der  Denkmaler, 
bis  jetzt  zu  Tage  getreten  ist.  [Vgl.  jetzt  das  vortreffliche  Buch 
von  Tsountas  und  Manatt,  The  Mycenaean  age,  a  study  of  the 
monuments  and  culture  of  pre-homeric  Greece.  London  1897].  Aller- 
dings  lassen  sich,  zum  Theil  in  Folge  des  Umstandes,  dass  die  wissen- 
schaftliche  Bestimmung  der  gefundenen  Thierknochen  und  Pflanzen- 
reste  noch  nicht  allzuweit  vorgeschritten  ist,  vor  der  Hand  sichere 
Resultate  nur  selten  gewinnen.  Bei  einigen  Punkten  scheint  es  aber 
doch  schon  jetzt,  als  ob  das  von  Hehn  gezeichnete  Bild  infolge  jener 
Funde  sich  in  etwas  verschieben  wurde.  Ich  verweise  in  dieser  Be- 
ziehung  auf  die  beiden  Abschnitte  Oelbaum  und  Taube. 

Verhaltnissmassig  selten  geben  uns'die  Alten  selbst,  bei  denen 
eine  wissenschaftliche  Botanik  ja  bekanntlich  erst  in  dem  Zeitalter 
Alexanders  des  Grossen  aufzubluhen  anfangt,  iiber  das  erste  Er- 
scheinen  und  die  Herkunft  einer  Kulturpflanze  ausdriickliche  und 
wohl  zu  beachtende  Nachrichten.  Freilich  sind  auch  diese  nicht 
immer  auf  Treu  und  Glauben  hinzunehmen,  und  gerade  Plinius,  der 
besonders  haufig  das  Indigenat  einer  italischen  Pflanze  in  Abrede 
stellt,  ist,  wie  sich  an  mehreren  Stellen  dieses  Buches  zeigen  wird, 
von  dem  Verdachte  nicht  freizusprechen,  zu  diesem  Urtheil  lediglich 
durch  den  griechischen  Namen  des  betreffenden  Gewachses  veranlasst 
worden  zu  sein.  Auch  sonst  wird  das  Urtheil  dieses  Sammlers  bei 
Hehn  zuweilen  uberschatzt,  wofiir  H.  Bliimner  in  seinem  Edictum 
Diocletianum  S.  100  ein  schlagendes  Beispiel  anfuhrt. 

In  den  weitaus  meisten  Fallen  sind  wir  daher,  um  das  erste 
Auftreten  einer  Kulturpflanze  zu  bestimmen,  auf  die  erste  Nennung 
ihres  Namens  bei  den  klassischen  Schriftstellern  angewiesen.  Ohne 
Zweifel  liegt  hier  der  Hauptnachdruck  der  Hehn'schen  Beweisfiihrung, 
und  seine  Ausbeute  der  klassischen  Literatur  in  dieser  Hinsicht 
diirfte  nur  ganz  ausnahmsweise  einer  Erganzung  bediirfen.  Natiirlich 
aber  kann  der  Um  stand,  dass  eine  Kulturpflanze  bei  diesem  oder 
jenem  Autor  zuerst  genannt  wird,  nichts  daruber  aussagen,  ob  nicht 
eben  diese  Pflanze  in  wildem  Zustand  schon  fruher  bekannt  und 
benannt  gewesen  sei.  Unzweifelhaft  waren  die  Wurzelgraber, 
Qi&TOfJiot,,  und  Arzneihandler,  yaQfJiaxonwlcu,  die  wir  als  Vorlaufer 
einer  wissenschaftlichen  Botanik  bei  den  Griechen  betrachten  diirfen, 
im  Besitz  einer  reichen  Pflanzenkenntniss,  deren  Terminologie  aber 
nur  ausnahmsweise  und  sparlich  auf  uns  gekommen  ist.  Ein  Bei- 
spiel aus  dem  Thierreich  ist  hier  lehrreich.  Erst  Archilochus  nennt 

n* 


XX  Vorrede. 


den  Fuchs  (aAewVr^J)  und  zwar  in  den  Resten  einer  Fabel.  Niemand 
wird  hieraus  den  Schluss  ziehen,  dass  es  zu  homerischer  Zeit  in 
Griechenland  keine  Fuchse  gegeben  habe,  sondern  nur  soviel  wird 
man  vermuthen  diirfen,  dass  erst  die  von  Osten  vordringende  Thier- 
fabel  auf  das  geistig  bevorzugte  Thier  aufmerksam  machte,  fiir  das 
es  im  Griechischen  eine  reiche  volksthiimliche,  aber  meistens  erst 
sehr  spat  iiberlieferte  Terminologie  gab,  die  ich  in  Bezzenbergers 
Beitragen  XV  S.  135  ff.  besprochen  habe.  Der  eigentliche  literarische 
Name  des  Thieres  war  und  blieb  aAcoTr?^,  das  selbst  von  einigen 
Etymologen  fiir  orientalischeri  Ursprungs  gehalten  wird. 

Aber    auch    bei    Schliissen    aus    der    ersten    Erwahnung    einer 

Kulturpflanze    nur    auf    das    erste  Auftreten   ihrer  Kultur   bei    den 

klassischen    Volkern,    wird    man    die    Gefahren   nicht    unterschatzen 

diirfen,    welche    alien    Schliissen   e  silentio    anhaften,    die  Gefahren, 

welche    die  Liickenhaftigkeit    der  Literatur,    der  Zufall    und    andere 

Faktoren    der   Sicherheit    unserer   Argumentation   bereiten.     Die  Be- 

deutung   des    Schweigens    unserer   Ueberlieferung    wird    wachsen,    je 

grosser    und    literarisch    reicher    der  Zeitraum    ist,    in   welchem  von 

einer  Kulturpflanze  nicht  gesprochen  wird.    Aber  je  friiher  ihre  erste 

Erwahnung   fallt,    um    so  mehr  wird  man  sich  hiiten  miissen,  allzu 

viel    auf  den  Umstand  zu  geben,    dass  nicht  noch  eher  von  ihr  die 

Rede   ist.     Die  Sache   scheint   mir   bei    einem  konkreten  Beispiel  so 

zu    liegen.      Die  Feigen    und    der  Granatapfel    werden   erst   in    den 

jiingsten  Stellen  der  homerischen  Dichtung  genannt.   Von  Hausthieren, 

von  denen  mutatis  mutandis  naturlich  dasselbe  wie  von  den  Kultur- 

pflanzen    gilt,    begegnet    der    Esel    nur    ein    einziges  Mai    in    einem 

Gleichniss  der  Ilias.    Es  ist  also,  wie  die  Dinge  liegen,  nicht  moglich, 

die    Hehn'schen    Schliisse,    dass    die    Einfuhrung    der    Kultur    der 

Feige    und    des    Granatapfels    erst   in   die  Zeit   des  Ausklingens    der 

homerischen  Poesie  falle,   und  dass  der  Esel  als  Hausthier  noch  der 

homerischen  Welt  fremd  gewesen  sei,  mit  Erfolg  anzufechten.    Aber 

sollten  im  Laufe  der  Zeit  Feigen-  und  Granatenkerne  in  den  Ueber- 

resten    der    »mykenischen  Periode«    gefunden  und  sollten  unter  den 

Knochenresten    dieser  Epoche    die    des   Esels    mit    Sicherheit   nach- 

gewiesen   werden,    was   nach    den  Mittheilungen  des  Herrn  Tsountas 

gar   nicht   unmoglich*)   ist,    so  wiirden  jene  literarischen  Thatsachen 


*)  Derselbe  schreibt:  »Was  ich  selbst  an  Hausthieren,  namentlich  aus 
den  Zfthnen  erkannt  habe,  sind  die  folgenden:  Ziege,  Schwein,  Rind,  Schaf, 
Hund,  Pferd  und  Esel;  von  den  zwei  letzteren  ist  die  Sache  nicht  so  sicher; 


Vorrede.  XXI 

auch  nicht  als  entscheidende  Instanz  gegen  die  Annahme  eines 
hoheren  Alters  jener  Kulturpflanzen  und  jenes  Hausthieres  in 
Griechenland  gel  tend  gernacht  werden  konnen,  als  es  von  Hehn  an- 
genommen  wird. 

Wesentlich  kiirzer  kann  ich  mich  iiber  diejenige  Seite  unseres 
Werkes  fassen,  welche  wir  die  prahistorische  nennen  konnen,  in 
der  Hehn  die  Zustande  zu  ermitteln  sucht,  in  welchen  Griechen  und 
Romer  vor  oder  zur  Zeit  ihrer  Einwanderung  in  den  Suden  Europas 
lebten.  Gegenuber  den  bisherigen  einseitig  linguistischen  Con- 
structionen  der  Sprachvergleicher  auf  dem  Gebiete  der  indogermani- 
schen  Urgeschichte  knlipft  Heh'n  in  erster  Linie  an  historische  Com- 
binationen  an.  Er  erkennt,  dass  die  Anfange  indogermanischen 
Kulturlebens,  von  dem  Firniss  westeuropaischer  Civilisation  nur 
schlecht  verborgen,  in  der  Welt  der  Slaven  noch  in  Wirklichkeit 
vorhanden  sind.  Die  Spuren  dieser  Zustande  sucht  er  in  der  Ueber- 
lieferung  des  klassischen  Alterthums,  der  Kelten,  Germanen  u.  s.  w. 
wiederzufinden.  Er  sieht,  dass  die  sprachlichen  Gleichungen,  weit 
entfernt,  dem  so  gewonnenen  Bild  der  Urzeit  zu  widersprechen,  viel- 
mehr,  wenn  man  sie  nur  richtig  deutet,  wenn  man  nicht  alten 
Wortern  neuen  Sinn  unterschiebt  oder  spat  entlehntes  als  alt  ererbtes 
auffasst,  geeignet  sind,  seine  Auffassung  der  Urzeit  zu  bestatigen 
und  zu  vervollstandigen.  So  kann  man  sagen,  ist  V.  Hehn  der  Be- 
grunder  einer  indogermanischen  Alterthumswissenschaft  ge- 
worden,  der  immer  mehr  Krafte  ihre  Thatigkeit  widmen,  die  die 
Katheder  der  Universitaten  zu  besteigen  beginnt,  der  eine  neue  Zeit- 
schrift  (Indogermanische  Forschungen,  Zeitschrift  fur  idg.  Sprach- 
und  Alterthumskunde)  eine  Heimat  eroffnet  hat.  Und  alle,  die  sich 
diesen  Studien  hingeben,  werden  auf  das  Hehn'sche  Werk  als  auf 
eine  immer  junge  Quelle  frischer  Anregung  und  Belehrung  blicken. 
Von  Einzelheiten  abgesehn,  werden  auch  hier  freilich  gewisse  prin- 
cipielle  Anschauuugen  Hehn's  sich  nicht  halten  lassen.  Vor  allem 
wird  dies  von  seiner  gerade  fiir  die  Geschichte  der  Kulturpflanzen 
und  Hausthiere  bedeutungsvollen  Vorstellung  einer  verhaltnissmassig 
grossen  Jugend  des  Ackerbaues  in  Europa  gelten.  Doch  ist  hiervon 


denn  da  sie  wohl  nicht  gegessen  wurden,  so  haben  sich  nur  ein  paar  Zahne 
in  dem  Schutt  der  Hauser  gefunden.  Es  mogen  aber  andere  Pferde-  und 
Eselknochen  imter  den  gesammelten  Thierresten  sein,  die  ich  nicht  im  Stande 
bin,  als  solche  zu  unterscheiden.«  »Eselskopfig«  sind  wohl  die  Damonen  'Apx- 
1887.  T.  10. 


XXII  Vorrede. 

ausfuhrlicher  in  dem  Anhang  zu  dem  Abschnitt  »Griechen,  Italer, 
Phoenicier«  gesprochen  worden. 

Wer  den  bisherigen  Ausfiihrungen  gefolgt  1st,  wird  nicht  ver- 
kennen  konnen,  dass  die  Neuherausgabe  des  vorliegenden  Werkes 
eine  in  vieler  Beziehung  schwierige  und  verantwortungsvolle  Auf- 
gabe  war.  Gait  es  doch  auf  der  einen  Seite,  ein  Buch  wie  dieses, 
welches  zu  dem  nicht  allzureichen  Hausschatz  der  deutschen  wissen- 
schaftlichen  Literatur  an  bahnbrechenden  und  zugleich  geschmack- 
vollen  Werken  gehorte,  mit  aller  nur  moglichen  Scheming  zu  be- 
handeln,  und  sollte  doch  andererseits  in  demselben,  dem  Wunsche 
des  Herrn  Verlegers  entsprechend,  der  dem  Werke  seine  lebendige 
Einwirkung  auf  die  Wissenschaft  in  alien  seinen  Theilen  gewahrt 
sehen  wollte,  der,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  selten  abweichende 
Standpunkt  der  gegenwartigen  Forschung  zum  Ausdruck  gebracht 
werden.  Unter  diesen  Umstanden  hielt  es  daher  wie  Herr  Prof. 
Engler  (vgl.  oben  S.  VII),  so  auch  der  Unterzeichnete  fur  bedenk- 
lich,  durch  Eingriffe  irgend  welcher  Art,  so  berechtigt  sie  an  und 
fur  sich  sein  mochten,  den  Charakter  des  Hehn'schen  Buches  zu 
verwischen  und  den  Reiz  seiner  Darstellung  zu  gefahrden.  So  wird 
der  Text  desselben  vollig  unverandert  dem  Leser  dar- 
geboten.  Dagegen  ist  in  besonderen,  den  einzelnen  Abschnitten 
angehangten  und  durch  den  Druck  unterschiedenen  Anmerkungen 
das  Wichtigste  gesagt  worden,  was  von  naturwissenschaftlicher  oder 
philologischer  Seite  zu  Hehn's  Ausfiihrungen  zu  bemerken  ist. 
Die  Beitrage  des  Prof.  Engler  sind  hierbei  durch  *,  die  des  Heraus- 
gebers  durch  **  bezeichnet.  Etwas  grossere  Freiheit  hat  sich  der 
letztere  in  der  Bearbeitung  des  Hehn'schen  Apparates  (Anmerkungen) 
genommen,  insofern  hier  bei  solchen  Excursen,  welche  zu  der  Beweis- 
fuhrung  des  Buches  keine  oder  eine  sehr  entfernte  Beziehung  batten, 
wenn  es  nothig  schien,  Streichungen  oder  Ueberarbeitungen  vor- 
genommen  wurden.  Der  Grund  dieses  Verfahrens  lag  in  dem  Wunsche, 
nicht  uberflussiger  Weise,  d.  h.  wenn  nicht  durch  den  grossen  Zu- 
sammenhang  des  Ganzen  gefordert,  unzweifelhaft  Unhaltbares  abzu- 
drucken,  um  es  kurze  Zeit  darauf  als  solches  zu  bezeichnen.  Doch 
ist  auch  hierbei  auf  das  peinlichste  darnach  gestrebt  worden,  jeden 
werthvollen  Gedanken  Hehn's  zu  erhalten  und  fremde  Zuthat  in 
deutlicher,  aber  den  Leser  nicht  storender  Weise  kenntlich  zu  machen. 
Vgl.  das  Nahere  S.  524  Anmerkung. 

Im  Ganzen  wird  sich  durch  die  vorliegende  Neubearbeitung  des 
Hehn'schen  Buches  herausstellen,  dass  bei  nicht  wenigen  Kultur- 


Vorrede.  XXIII 

pflanzen  der  Unterschied  zwischen  der  Herkunft  der  wilden  Pflanze 
nnd  derjenigen  mrer,  Kulturjscharfer  betont  werden  muss,  als  dies 
von  Hehn  geschehen  1st,  und  dass,  wenn  man  nur  die  Geschichte 
der  Kultur  einer  Pflanze  von  derjenigen  der  Pflanze  selbst  scheidet, 
eine  Versohnung  des  von  Prof.  Engler  vertretenen  naturwissenschaft- 
lichen  Standpunktes  mit  dem  linguistisch-historischen  des  Hehn'schen 
Buehes  wohl  moglich,  wenn  auch  vielleicht  noch  nicht  an  alien  Stellen 
dieser  Neubearbeitung  erreicht  ist.  Das  von  Hehn  gezeichnete  Bild 
des  europaischen  Siidens,  wie  es  gewesen  sein  muss,  bevor  hierher 
der  Fuss  eines  Menschen  oder  wenigstens  der  eines  Indogermanen 
kam,  wird  allerdings  in  mannigfacher  Beziehung  umgestaltet  werden 
miissen.  Weinstock  und  Feige,  Lorbeer  und  Myrte  u.  s.  w.  sind  hier 
seit  unvordenklichen  Zeiten  einheimisch.  Andere  Pflanzen,  wie  die 
Granate,  die  Cypresse  und  Platane,  scheinen  ihr  urspriingliches  Ver- 
breitungsgebiet  wenigstens  liber  die  Inseln  des  aegeischen  Meeres  bis 
nach  Griechenland  erstreckt  zu  haben.  Aber  auch  hiervon  abgesehn 
wird  bei  einzelnen  Kulturpflanzen,  sowie  fur  gewisse  Hausthiere  ein 
hoheres  Alter  oder  werden  andere  Wege  ihrer  Verbreitung  anzunehmen 
sein.  Der  Hauptwerth  des  Buehes,  nachgewiesen  zu  haben,  wie  die 
im  wesentlichen  von  Osten  nach  Westen  und  dann  weiter  nach  Norden 
fortschreitende  Kultur  der  Pflanzen  in  Verbindung  mit  der  Zahmung 
gewisser  Hausthiere  Wesen  und  Wirken  des  Menschen  durchdringt 
und  umgestaltet,  wird  so  nicht  angetastet.  Nicht  minder  bestehen 
bleibt  die  Bedeutung  des  Buehes  fur  die  Urgeschichte  der  Volker 
unseres  Stammes.  Dass  aber  an  so  weitschichtig  angelegte  Unter- 
suchungen  Spatere  immer  aufs  neue  ankniipfen,  gereicht  dem  Ur- 
heber  derselben  auch  dann  nicht  zur  Unehre,  wenn  seine  Ergebnisse 
sich  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  als  unhaltbar  herausstellen 
sollten.  Sagt  doch  Goethe,  dessen  Lebensanschauungen  V.  Hehn 
so  gern  zu  den  seinen  machte: 

»Was  fruchtbar  ist,  allein  ist  wahr,« 

und  so  verstanden  ist  das  Hehn'sche  Buch  im  hochsten  Sinne  wahr 
und  wird  es  bleiben. 

Jena,  den  .1.  Januar  1894. 

O.  Schrader. 


Vorrede  zur  VII.  Auflage. 


In  der  vorliegenden  neuen  Auflage  des  Hehn'schen  Werkes  1st 
die  seit  dem  Jahre  1894  erschienene  Literatur,  einschliesslich  der 
zahlreichen  kritischen  Besprechungen  der  VI.  Auflage,  sorgfaltig 
herangezogen  worden.  Zu  einer  Aenderung  der  Anlage  dieser  Neu- 
bearbeitung  (vgl.  oben  S.  XXII),  wie  sie  hie  und  da  gewiinscht  worden 
ist,  habe  ich  mich  indessen  nicht  verstehen  konnen.  Wer  da  meint,  wir 
hatten  nicht  davor  zuruckscheuen  sollen,  den  Hehn'schen  Text  selbst 
umzuarbeiten,  iibersieht  nicht,  zu  welchen  Umwalzungen  ein  solches 
Verfahren  gefiihrt  hatte.  Wer  hinwiederum  glaubt,  dass  der  ruhige 
Genuss  des  Lesers  durch  unsere  den  einzelnen  Abschnitten  ange- 
hangten,  mehrfach  eine  von  der  Hehn'schen  abweichende  Anschauung 
zum  Ausdruck  bringenden  Amnerkungen  gestort  werde,  bedenkt 
nicht,  dass  das  Hehn'sche  Werk  nicht  nur  fiir  Liebhaber  geschrieben 
ist,  und  dass  jeder  uberschlagen  kann,  was  ihm  iiberschlagenswerth 
erscheint.  Hingegen  habe  ich,  einem  mehrfach  geausserten  Wunsch 
entsprechend,  das  bemerkenswerthe  Vorwort  Hehn's  zur  II.  Auflage 
dieses  Werkes  (vgl.  oben  S.  V)  in  einem  Anhang  vollstandig  abge- 
druckt. 

Bei  der  Korrektur  dieses  Werkes  hat  mich  Herr  Gymnasiallehrer 
Dr.  Walter  in  Weimar  in  dankenswerther  Weise  unterstiitzt. 

O.  Schrader. 

Jena,  21.  Marz  1902. 


Inhalt. 


Seite 

Yorrede  zur  VI.  und  VII.  Auflage ,    .  Ill 

Inhaltsverzeichniss     .     .         25 

Einleitung I 

Aussaugung  durch  Kultur 2 

Urzeit 14 

Das  Pferd 19 

Griechen,  Italer,  Phonizier 55 

Weinstock 65 

Feigenbaum       94 

Oelbaum 102 

AnsSssigkeit,  Baumzucht • 121 

Esel,  Maulthier,  Ziege 131 

Bienenzucht .     '.     .     .    . 134 

Steinbaukunst 136 

Bier 142 

Butter 154 

Schluss        160 

Flachs 162 

Hanf        188 

Lauch,  Zwiebel 191 

Ktimmel 206 

Senf       208 

Linsen,  Erbsen 210 

Lorbeer,  Myrte 220 

Buchsbaum 227 

Granatapfel       207 

Quitte 245 

Hose,  Lilie 247 

Viole 257 

Safran 259 

Dattelpalme '. 266 

Cypresse     .     .     ; 281 

Platane 289 

Pinie •     .     .  296 

Rohr •  V 303 

Papyrus 307 

Cucurbitaceen(Kurbis,  Gurke,  Melone) 309 

Haushahn ."' 321 

Taube                                                                                                    ....  335 


XXVI  Inhalt- 

Seite 

Pfau        349 

Perlhuhn 358 

Fasan 361 

Gans,  Ente 364 

Zucht  der  Vogel     ....  ,..   r   .;  ._T 367 

Falkenjagd I '  •*- 368 

Pflaume 376 

Maulbeere 381 

Mandeln,  Walntisse,  Kastanien      v   •  ;*^ V  j;./  s.ir: 387 

Kirsche 398 

Arbutus,  Medica,  Cytisus 404 

Oleander '  .     .     .  410 

Pistazie      ......  414 

Terpentinbaum 417 

Mastixbaum         420 

Perrukenbaum 420 

Sumach 421 

Styrax         '  . 421 

Pfirsich,  Aprikose        ...........  424 

Obstzucht,  Impfen  und  Propfen 428 

Agrumi  (Citronen,  Pomeranzen,  Orangen) 435 

Johannisbrodbaum 449 

Kaninchen ,    , 453 

Katze 456 

Ratte,  Dachs,  Hamster 462 

Biiffel 469 

Rindvieh 471 

Hopfen 473 

Riickblick,  Untergang  des  Alterthums 481 

Neu-Europa 489 

Reis ' 495 

Mais       '. 501 

Mohrhirse 502 

Buchweizen 504 

Araber         ...  508 

Tiirken 509 

Tulpen,  Blumen      .          509 

Amerika 512 

Cactus,  Aloe  . 513 

Tabak - 514 

Schluss 515 

Anmerkungen   .     .     .     .'..        ....*.' 524 

Ai-hang  (Vorrede  Hehns  zur  zweiten  Auflage) 617 

Wortregister      ....*... 624 

Druckfehler  561 


JJass  die  Thier-  und  Pflanzenwelt,  also  die  ganze  okonomische 
und  landschaftliche  Physiognomic  eines  Landes  im  Laufe  der  Jahr- 
Imndprte  unter  der  Hand  des  Menschen  sich  verandern  kann,  ist 
besontters  seit  der  Entdeckung  Amerikas  ein  unwidersprechlicher 
Erfahrungssatz  geworden.  Auf  den  neuentdeckten  Inseln  und  in 
den  von  europaischen  Ansiedlern  besetzten  Landstrichen  der  west- 
lichen  Hemisphere  ist  wahrend  der  letztverflossenen  drei  Jahr- 
hunderte,  also  in  ganz  historischer  Zeit,  nach  Erfindung  der  Buch- 
druckerkunst  und  gleichsam  unter  den  Augen  der  gebildeten  Welt, 
die  einheimische  Flora  und  Fauna  durch  die  europaische  oder  eine 
aus  alien  Welttheilen  zusammeiigebrachte  verdrangt  vvorden.  So  hat 
sich  z.  B.  auf  St.  Helena  die  urspriingliche  wilde  Vegetation  auf  den 
Bergstock  im  Innern  der  Insel  zuruckgefliichtet,  von  einer  neuen, 
ringformig  nachriickenden  Flora  umgeben,  die  im  Gefolge  des  Euro- 
paers  liber  den  Ocean  kam1).  Auch  in  den  Pampas  von  Buenos 
Ayres  sieht  das  Auge  meilenweit  fast  keine  einheimischen  Gewachse 
mehr :  sie  sind  der  Usurpation  eingefiihrter  europaischer  Pflanzen 
erlegen.  Eine  viel  weitere,  auf  zwei  bis  drei  Jahrtausende  sich  er- 
streckende  Uebersicht  aber  gewahrt  die  Geschichte  der  organisirten 
Natur  in  Griechenland  und  Italien.  Beide  Lander  sind  in  ihrem 
jetzigen  Zustand  das  Resultat  eines  langen  und  mannigfachen  Kultur- 
processes  und  unendlich  weit  von  dem  Punkte  entfernt,  auf  den  sie 
in  der  Urzeit  von  der  Natur  allein  gestellt  waren.  Fast  Alles  was 
den  Reisenden,  der  von  Norden  iiber  die  Alpeii  steigt,  wie  eine 
neue  Welt  anmuthet,  die  Plastik  und  stille  Schonheit  der  Vegetation, 
die  Charakterformen  der  Landschaft,  der  Thierwelt,  ja  selbst  der 
geologischen  Structur,  insofern  diese  erst  spater  durch  Umwandlung 
der  organischen  Decke  hervortrat  und  dann  die  Einwirkungen  des 
Lichtes  und  der  atmospharischen  Agentien  erfuhr,  sind  ein  in  langen 
Perioden  durch  vielfache  Bildung  und  Umbildung  vermitteltes  Pro- 
duct der  Civilisation.  Jeder  Blick  aus  der  Hohe  auf  ein  Stuck  Erde 
in  Italien  ist  ein  Blick  auf  friihere  und  spatere  Jahrhunderte  seiner 

Viet.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  1 


2  Emleitung. 

Geschichte.  Die  Natur  gab  Polhohe,  Formation  des  Bodens,  geo- 
graphische  Lage:  das  Uebrige  1st  ein  Werk  der  bauenden,  saenden, 
einfiihrenden,  ausrottenden,  ordnenden,  veredelnden  Kultur.  Die 
zwischen  Festland  und  Insel  die  Mitte  haltende  Configuration  des 
Landes,  das  gemassigte  mittlere  Klima,  die  Mannigfaltigkeit  der 
historischen  Verhaltnisse,  in  der  Urzeit  die  inehrmals  wiederholte 
Einwanderung  von  Norden,  der  tyrische  Seeverkehr,  die  griechischen 
Kolonien,  die  Nahe  des  gegeniiberliegenden  Afrika,  die  sich  aus- 
breitende,  alle  Gaben  und  Kiinste  des  Orients  hiniiberleitende 
romische  Weltherrschaft,  dann  die  Volkerwanderung  von  Nordosten, 
die  Herrschaft  der  Byzantiner  und  Araber,  die  Kreuzziige,  die  Ver- 
bindung  italienischer  Seestadte  mit  der  Levante,  endlich  nach  Ent- 
deckung  Amerikas  die  enge  politische  Verbindung  mit  Spanien  - 
aus  diesen  und  andern  Umstanden  und  Schicksalen  ist  das  Land 
hervorgegangen,  wo  im  dunklen  Laub  die  Goldorangen  gliihn  und 
die  Myrte  still  und  hoch  der  Lorbeer  steht.  Die  Agave  americana 
und  der  Opuntiencactus,  diese  blaugriinen  Stachelpflanzen,  die  alle 
Ufer  des  Mittelmeeres  iiberziehen  und  so  wunderbar  zur  siidlichen 
Felsennatur  und  Gartenwirthschaft  stimmen,  sie  sind  erst  seit  dem 
sechszehnten  Jahrhundert  aus  Amerika  heriibergekommen !  Diese 
Cypresse  neben  dem  Hause  des  Winzers,  einsam  und  duster  die 
ringsum  verworren  sich  ausbreitende  Fruchtfulle  iiberragend,  sie  hat 
ihre  .Heimath  auf  den  Gebirgen  des  heutigen  Afghanistan,  diese 
eigensinnig  gewundenen,  mit  fliessendem  grauem  Laube  bedeckten 
Oliven,  sie  stammen  aus  Palastina  und  Syrien,  diese  Dattelpalmen 
im  Klostergarten  von  S.  Bonaventura  in  Rom,  ihr  Vaterland  ist  das 
Delta  des  Euphrat  und  Tigris!  So  echte  Kinder  hesperischen  Bodens 
und  Klimas  diese  und  andere  Kulturpflanzen  uns  jetzt  erscheinen,  so 
sind  sie  doch  erst  im  Laufe  der  Zeiten  und  in  langen  Zwischen- 
raumen  gekommen.  Oft  liegt  ihre  Geschichte  mehr  oder  minder 
deutlich  vor,  oft  aber  muss  sie  aus  zerstreuten  und  zweifelhaften 
Angaben  zusammengelesen  oder  nach  Analogien  errathen  werden. 


Vielleicht  aber  ware  diese  Umwandlung,  so  wie  sie  jetzt  vor-. 
liegt,  nichts  als  Verderbniss,  Ausnutzung,  versiegte  Lebenskraft  ? 
Historische  Mystiker  haben  nicht  verfehlt,  diese  romantische,  d.  h. 
kulturfeindliche  Ansicht  auszusprechen.  Wie  unser  Geschlecht  iil)er- 
haupt  von  einem  edleren  Urzustand  herabgekommeii  ist,  wie  wir  die 


Aussaugung  durch  Kultur.  3 

\Yerke  Gottes  nur  zu  vernichten  verstehen,  wie  jedes  Land  und  Yolk 
seine  Zeit  hat,  derselbe  Process  sich  an  jedem  der  Reihe  nach  wieder- 
holt,  die  Geschichte  also  nur  ein  immer  wiederkehrender  Natur- 
vorgang  ist,  dem  zuletzt  durch  die  Wiederkunft  des  Herrn  und  das 
Gericht  ein  Ende  gernacht  wird,  —  so  sind  auch  die  klassischen 
Lander  physisch  abgelebt,  ihre  natiirliche  Ordnung  zerstort,  ihr  Boden 
durch  Aufsaugung  der  Kultur  erschopft  und  verbraucht.  In  Betreff 
Griechenlands  hat  diese  Meinung  auf  den  ersten  Blick  allerdings 
oinigen  Schein.  C.  Fraas  erklart  in  seiner  Schrift:  Klima  und 
Pflanzenwelt  in  der  Zeit,  Landshut  1847,  das  jetzige  Griechenland, 
welches  in  der  Bliithezeit  seiner  Geschichte  waldig,  regnerisch,  von 
wasserreichen  Bach  en  und  Flussen  durchstromt  gewesen  sei,  fur  eine 
starre,  in  Folge  der  Ausrodung  der  Walder  wasserlose,  der  obern 
Erdschicht  entkleidete,  einem  heissen  Klima  verfallene  Wiiste,  fiir 
ein  Land,  das  eines  ergiebigen  Ackerbaues  und  aller  Industrie,  zu 
der  Holz  erfordert  wird,  unfahig  und  folglich  zum  Wohnplatz  einer 
6'konomisch  entwickelten  Gesellschaft  angeeignet  sei.  Diese  Behaup- 
tung  wird  denn  auch  auf  ganz  Vorderasien  ausgedehnt:  Babylonien 
z.  B.  soil  durch  uralte  Menschenkultur  ausgenutzt  und  ohne  Wieder- 
kehr  verdorben  sein.  Indess,  der  Groll  und  manche  getauschte  Hoff- 
nung  hat  den  mit  Undank  belohnten  Gelehrten  in  jenem  Urtheil 
offenbar  zu  weit  gefiihrt.  Die  Stellen  der  Alien  sind  einseitig  aus- 
gewahlt;  was  dem  Thema  nicht  dienen  konnte,  ist  bei  Seite  gelassen, 
Manches  im  Eifer  auch  falsch  gedeutet.  Der  Eingang  des  Vendidad 
z.  B.,  wo  iiber  grosse  Kalte  geklagt  wird,  kann  nicht  beweisen,  dass 
•das  Klima  von  Iran  erst  seit  jener  Zeit  heiss  geworden,  da  die  Stelle 
entweder  nur  eine  Erinnerung  an  die  Urheimath  des  Zendvolkes, 
d.  h.  an  das  Hochland  am  westlichen  Rande  Centralasiens  enthalt 
oder  sich  auf  irgend  eine  der  kalten  Gebirgslandschaften  bezieht, 
an  denen  es  innerhalb  des  Gebietes  der  iranischen  Stamme  nicht 
fehlt.  Der  Umstand,  dass  zu  Alexander  des  Grossen  Flotte  auf  dern 
Euphrat  Cypressenholz  genommen  wurde,  fallt  gleichfalls  nicht  sehr 
ins  Gewicht,  denn  erstens  gait  seit  den  altesten.  Zeiten  der  phonizi- 
schen  Seefahrt  die  Cypresse  fiir  ganz  besonders  zum  Schiffbau  ge- 
eignet,  zweitens  -  -  wer  sagt  uns,  ob  Babylonien  jemals  reich  an 
schwerem  festem  Hochwald  gewesen  sei?  -  -  Dass  Griechenland  jetzt 
weniger  belaubt  ist,  als  zu  Homers  und  vor  Homers  Zeit,  ist  sicher; 
dass  aber  z.  B.  der  Peloponnesus  in  manchen  Gebirgsgegenden  jetzt 
dichtere  Eichen-  und  Fichtenwalder  tragt,  als  damals,  wo  das  Land 
bevolkert  und  mit  Stadten  besaet  war,  ebenso  dass  Attika  schon  zu 

1* 


4  Aussaugimg  durch  Knltur. 

Perikles'  und  zu  Alcibiades'  Zeit  diirr  war,  wie  heute  -  -  ist  gleich- 
falls  unleugbar.  Der  Ilissus  heisst  bei  Plato  auch  nur  ein  »Wasser- 
lein*  (vdduov)  und  erst  durch  Pisistratus  sollte  das  bis  dahin  kahle 
baunilose  Attika  mit  Oelbaumen  bepflanzt  worden  sein.  Wald- 
zerstorung  ist  eine  Phase,  aber  nicht  das  letzte  Wort  der  Kultur. 
Wenn  auf  einem  jungfraulichen  Boden  eine  Menschengesellschaft 
die  ersten  Schritte  zur  Bildung  thut,  da  muss  der  Urwald  dem 
nachsten  Bediirfniss  welch  en,  da  wird  an  Wahl  und  Schonung  nicht 
gedacht.  Jeder  schopft  nach  Belieben  aus  dem  unermesslichen  Vor- 
rath,  der  wie  die  Luft  Allen  gleich  geschenkt  ist.  Ja,  der  Aus- 
roder  des  Waldes  erscheint  auf  dieser  Stufe  als  ein  Wohlthater  und 
hiilfreicher  Heros.  In  den  Wald  vorzudringen  war  in  jenen  Urzeiten 
in  der  That  schwieriger,  als  man  jetzt  denkt,  ein  Werk,  das  fast 
ubermenschliche  Anstrengungen  forderte.  Theophrast,  h.  pi.  5,  8,  2, 
erzahlt  von  einem  Versuch  der  Romer,  auf  der  Insel  Corsica  eine 
Niederlassung  zu  griinden,  der  aber  an  der  Undurchdringlichkeit 
des  Waldes  scheiterte:  die  Ankommlinge  warden  vom  Dickicht  so 
zu  sagen  zuriickgeschlagen.  Belehrend  in  dieser  Hinsicht  ist  auch 
die  Stelle  des  Strabo,  14,  6,  5:  » Eratosthenes  sagte  (zunachst  von 
der  Insel  Cypern,  aber  der  Vorgang  ist  typisch),  Wald  habe  vor 
Alters  alle  Ebenen  bedeckt  und  den  Anbau  gehindert;  der  Bergbau 
habe  ihn  ein  wenig  gelichtet;  dann  sei  die  Schifffahrt  gekommen, 
die  gleichfalls  viel  Holz  verbraucht  habe;  da  aber  auch  damit  die 
Wildniss  nicht  bezwungen  worden,  habe  man  Jedem  erlaubt,  nieder- 
zuhauen  und  sich  anzusiedeln,  wo  er  wolle,  und  ihm  das  also  ge- 
wonnene  Stuck  Land  als  sein  steuerfreies  Eigenthum  zugesprochen.« 
Und  erst  diese  letzte  Massregel  setzen  wir  in  seinem  Sinne 

hinzu  -  -  schuf  Licht  und  Kultur.  Je  welter  der  Wald  sich  zuriick- 
zog,  desto  freundlicher  wurde  die  Natur,  desto  mannigfal tiger  ihre 
Gahen  an  Krautern  und  Friichten,  denn  der  ununterbrochene  Urwald 
duldete  auf  dem  mit  Fichtennadeln  oder  gerbstoffhaltigen  Blattern 
bedeckten  ewig  beschatteten  Boden  nur  eine  beschrankte  und  ein- 
formige  Vegetation.  Erst  lange  nachher  kehrt  sich  nach  dem  Gesetz 
der  drei  Momente  dies  Vevhaltniss  um;  der  Mangel  an  Holz,  an 
Schatten  und  Feuchtigkeit  erweckt  die  Klage  nach  der  entschvvun- 
denen  Naturfrische ;  es  regt  sich  gleichsam  das  Gewissen;  jetzt  wird 
niit  bewusster  Absicht  dem  Walde  sein  Bestehen  innerhalb  gewisser 
Grenzen  gesichert  oder,  da  wo  er  ganz  fehlt,  Anpflanzung  unter- 
nonunen,  wie  schon  heute  in  mehreren  europaischen  Staaten  ge- 
schieht.  Ehe  aber  rationelle  Wirthschaft  wieder  gut  machen  kann, 


Aussaugung  durch  Kultur.  5 

was  vorausgegangene  Generationen  unbefangen  verdorben  haben,  tritt 
haufig  aus  anderen  historischen  Griinden  Verwilderung  ein,  so  dass 
das  Land  theils  als  wie  von  der  Kultur  verbraucht,  theils  als  der 
blinden  menschenfeindlicben  Natur  anheimgefallen  (z.  B.  durch  Ver- 
sumpfung)  sich  darstellt  -  -  auf  welchern  Punkte  Griecbenland  jetzt 
steht.  Zu  keiner  Zeit  aber  1st  dies  Land  feucht  und  dunstig,  wie 
England,  gewesen,  immer  lag  es  Afrika  nabe  und  schon  die  Alten 
haben  Ziegen  gehalten,  Cisternen  angelegt  und  kunstlich  bewassert.  - 
Von  Fraas  hat  sich  wohl  auch  E.  Curtius  imponiren  lassen,  wenn 
er  in  der  Einleitung  zu  seiner  Bereisung  des  Peloponnesus  (1,53 — 55) 
auf  Griechenlands  physische  Natur  so  duster  und  hoffnungslos  blickt. 
Dass  sich  bei  den  Philosophen,  namentlich  Plato,  Stellen  linden, 
nach  denen  die  Erde  und  insbesondere  Hellas  als  gealtert,  als 
blosses  einst  bekleidetes  Todtengebein  erscheint  -  -  was  will  das 
sagen?  Plato  war  seinem  ganzen  Charakter  nach  ein  elegischer 
Idealist  und  Seneca,  wenn  er  den  Ausdruck:  Altersschwache  des 
Erdbodens  (loci  seniurn)  gebraucht,  erscheint  auch  hierin  als  Vor- 
laufer  des  Christenthums.  1st  es  nicht  auch  bei  uns  ein  allgemein 
verbreitetes  Gefiihl  und  hort  man  nicht  oft  genug  sagen,  dass  das 
Klirna  sich  verandert  habe,  dass  in  den  Jugendtagen  des  Sprechenden 
die  Menschen  kraftiger  und  gesunder,  der  Boden  ergiebiger  u.  s.  w. 
war?  Der  alte  Schiffer,  mit  dem  Julius  Frobel  (Aus  Amerika  1,  200) 
die  Ueberfahrt  von  New- York  nacb  Chagres  machte,  behauptete  sogar, 
die  Passatwinde  batten  wahrend  seiner  Lebenszeit  an  Regelmassig- 
keit  eingebiisst.  Aus  der  zunehmenden  Schlechtigkeit  der  Welt  hat 
man  unzahlige  Male  das  bevorstehende  Ende  aller  Tage  gefolgert. 
Lasaulx,  ein  anderer  Munchener  Romantiker,  prophezeite  vor  nicht 
langer  Zeit  den  Untergang  der  westeuropaischen  Civilisation  (der 
ihm  einerlei  war  mit  dem  der  Kirche)  und  setzte  schon  die  Slaven 
als  Erben  ein.  Solchen  Stimmungen  und  Phantasien  gegeniiber 
giebt  es  jetzt  Widerlegungsgriinde,  die  den  alteren  Zeiten  nicht  zu 
Gebote  standen,  namlich  die  Zablen  der  Statistik  und  die  Rech- 
nungen  der  Naturwissenschaft.  E.  Curtius  schliesst  mit  den  Worten: 
»Ein  Theil  dieser  Uebelstande  (die  durch  Ausrodung  der  Walder  sich 
ergeben  haben)  kann  wieder  gehoben  werden,  wenn  von  Neuem  die 
gestorte  Ordnung  der  Natur  hergestellt  wird.  Andere  Schaden  kann 
keine  zweite  Kultur  ersetzen,  so  wenig  wie  im  organischen  Leben 
erstorbene  Krafte  durch  Kunst  wieder  erzeugt  werden  konnen.« 
Welches  sollen  diese  unersetzlichen  Schaden  sein?  Humuserde  kann 
im  Terrassenbau  auf  die  Berge  geschafft,  stockende  Fliisse  konnen 


6  Aussaugung  durch  Kultur. 

gereinigt,  diirre  Heiden  bewassert,  versumpfte  Ebenen  durch  Kanal- 
bauten  entwassert  werden;  die  Walder  warden,  wenn  man  sie  gegen 
Ziegen  und  die  Feuer  der  Hirten  schtitzte,  in  diesem  glucklicheii 
Klinia  in  nicht  allzulanger  Zeit  wieder  die  Abhange  der  Berge  be- 
decken.  Was  ware  dem  Kapital  hier  unmoglich  und  welche  Krafte 
waren  hier  auf  immer  erstorben?  Die  allgemeinen  Naturverhalt- 
nisse,  deren  der  Mensch  nicht  Herr  werden  kann,  bestanden  im 
friihesten  Alterthuni  wie  jetzt.  Die  Fluten  plotzlich  einbrechender 
Gewitterstiirze  z.  B.  werden  sich  immer  zerstorend  ins  Thai  stiirzen, 
Baume  und  Felsen  mit  sich  fortreissen,  wie  in  Homers  Zeit,  und 
wenn  sie  abgeflossen,  sogenannte  Rheumata  oder  Fiumaren,  d.  h. 
trockene  Kiesgriinde  hinterlassen,  Dinge,  die  in  den  Ebenen  Mittel- 
europas,  wo  der  Regen  oft  tagelang  vom  grauen  Himmel  traufelt, 
nicht  zu  befiirchten  sind.  Was  sich  nordischen  Reisenden,  die  ein 
ideales  Griechenland  in  der  Vorstellung  mitbringen,  als  Yerderbniss 
in  der  Zeit  darstellt,  ist  zum  Theil  Charakter  siidlicher  Lander 
und  Klimate  iiberhaupt.  Die  Mangel,  uber  die  gekiagt  wird,  sind 
mit  allem  Zauber  und  Segen  dieser  der  Sonne  naher  liegenden 
Gegenden  unaufloslich  verkniipft.  Man  iiberschatze  auch  nicht  den 
Einfluss  der  Walder  auf  das  Klima.  Es  ist  damit  gegangen,  wie 
oft  mit  neuen  Gesichtspunkten :  man  pflegt  sie  allzu  ausschliesslich 
geltend  zu  rnachen.  In  dem  vorliegenden  Falle  kam  noch  das 
Interesse  poetischer  Gemuther  und  besonders  das  des  feudalen  Adels 
hinzu,  der  fur  grossere  Besitzstiicke  kampfte,  sein  Jagdrevier  nicht 
missen  wollte  und  diesmal  so  gliicklich  war,  mit  den  neuen  Lehren 
der  Bodenwirthschaft  und  Nationalokonomie  Chorus  machen  zu 
konnen.  In  der  Tha|,  aber  hangen  die  klimatischen  und  Witterungs- 
verhaltnisse  der  europaischen  Lander  im  Grossen.  gar  nicht  von  der 
Pflanzendecke  des  Bodens  ab,  sondern  nachst  der  geographischen 
Breite  von  weitgreiferiden  meteorologischen  Vorgangen,  die  von 
Afrika  und  dem  atlantischen  Ocean  bis  zum  Aralsee  und  Sibirien 
reichen. 

Umsich tiger  als  Fraas  hat  Franz  Unger  die  Frage,  ob  der  Orient 
von  Seiten  seiner  physischen  Natur  einer  Wiedergeburt  fahig  sei,  mit 
Ja  beantwortet  (Wissenschaftliche  Ergebnisse  einer  Reise  in  Griechen- 
land und  in  den  ionischen  Inseln,  Wien  1862,  S.  187  ff.).  Unger 
widersetzt  sich  auch  der  Annahme,  als  gebe  es  einen  Marasmus  senilis 
der  Natur  und  als  grabe  die  Civilisation  sich  ihr  eigenes  Grab.  Man 
bilde  nur  die  Menschen  um,  die  diesen  Boden  bewohnen:  der  Boden 
selbst  hat  von  seiner  schopferischen  Kraft  nichts  eingebusst;  er  ver- 


Aussaugung  durch  Kultur.  7 

langt  nur  Schonung  und  Nachhiilfe.  Konnten  z.  B.  nur  die  Ziegeiv 
heerden  verringert  oder  zu  Hause  gefiittert  werden,  so  wiirde  sich 
die  Strauchvegetation  in  kraftigen  Wald  verwandeln  und  die  Trocken- 
berge  sich  wenigstens  mit  Gestriipp  bekleiden,  ohne  irgend  eine  kiinst- 
liche  Pflanzung  oder  Terrassirung.  Die  Strandkiefer  und  quercus 
aegilops  wiirden  bald  nicht  mehr  die  einzigen  Baume  sein,  die  dem 
Reisenden  auf  Ausfliigen  in  Griechenland  begegnen.  Wie  viel  Men- 
schenalter  nothig  waren,  den  Orient  wieder  zu  belauben,  ist  schwer 
zu  bestimmen,  doch  ist  unter  diesem  Himmel  die  Zeugungs-  und 
Heilkraft  der  Natur  erstaunlich.  Und  wie  mit  der  Vegetation,  steht 
es  auch  mit  manchen  andern  Einbussen,  die  das  Land  seit  dem 
Alterthuni  erlitten  hat.  Manche  Hafen  z.  B.,  die  die  Alten  benutzten, 
sind  jetzt  versandet,  aber  dafiir  giebt  es  andere,  noch  schonere,  die 
der  kleinen  Schifffahrt  der  Alten  zu  gross  und  tief  waren,  aber  den 
jetzigen  Mitteln  und  Massstaben  gerade  entsprechen.  Man  sieht, 
ob  Griechenland,  Kleinasien,  Syrien,  Palastina,  diese  jetzt  so  ver- 
wahrlosten  Lander,  einer  neuen  Bliithe  sich  erfreuen  sollen,  hangt 
allein  von  dem  Gange  der  Welt-  und  Kulturgeschichte  ab:  die 
physische  Natur  wiirde  kein  uniibersteigliches  Hinderniss  in  den 
Weg  stellen.  Auch  liegt  dem  Urtheil,  dass  diese  Gegenden  fur 
immer  ausgenutzt  seien,  keine  wirthschaftliche  oder  naturwissen- 
schaftliche  Beobachtung,  vielmehr  nur  falsche  geschichtsphilosophische 
Theorie  zu  Grunde. 

Von  einem  andern,  aber  gleich  triiben  Gesichtspunkt  aus  haben 
Junger  einer  neueren  Wissenschaft,  der  Agrikultur-  und  Bodenchemie, 
dem  Orient  und  den  Landern  urn  das  Mittelmeer  das  Urtheil  ge- 
sprochen  und  schon  die  Todtenklage  angestimmt.  Der  Ackerbau, 
Jahrhunderte  und  Jahrtausende  fortgesetzt,  erschopft  den  Boden  und 
/wingt  den  Menschen,  in  ein  frisches  Land  zu  wandern.  Die  Stoffe, 
die  zum  Wachsthum  der  Pflanzeh  und  zur  Fruchtbildung  nothig  sind, 
Alkalien,  phosphorsaure  Salze  u.  s.  w.,  sind  auf  einer  gegebenen 
Bodenflache  nur  in  einem  gewissen  begrenzten  Masse  vorhanden: 
ist  durch  lange  auf  einander  folgende  Krnten  dieser  Vorrath  ver- 
braucht  und  dieses  Mass  erreicht,  so  tragt  der  Acker  keine  Frucht 
mehr,  wie  ein  ausgebeutetes  Bergwerk  kein  Metall  mehr  liefert.  Durch 
die  Brache  gevvinnen  die  im  Boden  enthaltenen  Minenilien  nur  Ge- 
legenheit  zu  verwittern,  losbar  zu  werden:  die  Zeit  schliesst,  so  zu 
sagen,  den  Boden  nur  auf:  aber  welter  geht  ihre  Macht  nicht  und 
wo  jene  Mineralien  ihm  einmal  genommen  sind,  da  kann  auch  die 
Ruhe  dem  Acker  nichts  helfen.  Die  sorgfaltigste  Bearbeitung  wirkt 


8  Aussaugung  durch  Kultur. 

nur  dahin,  die  chemischen  Processe,  die  die  Bestandtheile  des  Bodens 
erleiden  miissen,  um  von  der  Pflanze  ergrifFen  zu  werden,  zu  er- 
leichtern  und  zu  beschleunigen,  aber  neue  Bestandtheile  der  Art  kann 
sie  nicht  schafFen.  Durch  D  tin  gun  g  geben  wir  dem  Boden  einen 
Theil  dessen  wieder,  was  wir  von  ihra  empfangen,  aber  eben  nur 
einen  Theil,  und  im  Laufe  der  Jahrhunderte  muss  diese  DifTerenz 
sich  so  haufen,  class  auch  der  einst  reichste  Acker  die  menschliche 
Arbeit  nicht  mehr  belohnt.  Jede  Ernte,  die  ausser  Landes  geht, 
jedes  Getreideschiff,  das  den  Ertrag  einer  ackerbauenden  Gegend  liber 
See  entfuhrt,  ist  eine  direkte  Schmalerung  des  im  Boden  liegenden 
Kapitals.  Was  die  Stadte  verzehren,  ist  dem  Lande  entzogen  und 
kommt  ihm  gar  nicht  oder  in  geringem  Masse  wieder  zu.  Der  Abfall 
der  Thiere  und  Menschen,  das  Laub  der  Baume,  der  Verwesungs- 
staub  des  organischen  Lebens  wird  von  Stiirmen  verweht,  von  Stromen 
fortgerissen  und  von  beiden  endlich  dem  Ocean,  dem  letzten  grossen 
Beh  alter,  iiberliefert.  Was  London  verbraucht,  haben  die  Grafschaften 
hergeben  miissen  und  wird  durch  die  Themse  in  die  Abgriinde  der 
Nordsee  versenkt.  Wie  mit  London,  so  war  es  einst  mit  Babylon, 
mit  Rom,  so  mit  den  unzahligen  stadtischen  Ansiedelungen  des  Alter- 
thums;  die  umgebenden  Landschaften  liegen  jetzt  kraft-  und  hulflos 
da  und  es  ist  keine  Hoffnung,  dass  sie  je  wieder  aufleben  konnten, 
da  durch  eine  friihe  begonnene  und  lange  fortgesetzte  Kultur  alle  der 
limwandlung  in  Pflanzenleben  fahigen  Stoffe  aufgesogen  und  entfernt 
worden  sind.  —  Ist  dieser  Gedankengang  richtig,  so  steht  der  ganzen 
Erde  dasselbe  Geschick  bevor,  das  die  Lander  des  Alterthums  bereits 
betroffen  hat.  Auch  England  wird  keinen  Weizen  mehr  tragen,  wie 
einst  auch  sein  Kohlen-  und  Eisenvorrath  erschopft  sein  wird;  dann 
wird  Mexico  noch  fruchtbar  sein,  fur  welches  aber  auch  der  Tag  der 
ewigen  Ruhe  kommen  wird;  und  so  weiter  durch  alle  Lander  beider 
Hemispharen  durch.  Und  was  der  Mensch  durch  seine  Nutzung  nur 
beschleunigt,  das  muss  auch  auf  dem  Wege  des  natiiiiichen  Pflanzen- 
lebens,  auch  wenn  es  nie  einen  Menschen  gegeben  hatte,  als  letzte 
Folge  sich  ergeben.  Dann  wird  auch,  setzen  wir  noch  hinzu,  alles 
Gebirge  auf  Erden  durch  die  Kraft  der  Wasser  und  Wincle  und  der 
Verwitterung  geebnet  sein  und  die  Sonne,  die  immerfort  WTarme  ab- 
giebt,  ohne  dass  ihr  die  verlorene  durch  irgend  Etwas,  so  viel  wir 
wissen,  ersetzt  wird,  todt  und  kalt  sein  und  mit  ihr  die  Erde  und 
der  Mensch.  Gliicklicher  Weise  konnen  wir  die  Zeit,  in  der  dies 
Alles  sich  vollziehen  wird,  auch  nicht  annahernd  berechnen  und 
haben  unterdess  Musse,  abzuwarten,  ob  in  unserer  Schlusskette  sich 


Aussaugung  durch  Kultur.  9 

nicht  irgend  ein  Glied  als  unhaltbar  erweist  und  damit  die  ganze  Vor- 
aussage  triigerisch  und  zur  hypochondrischen  Chimare  wird.  So  sind 
schon  jetzt  an  mehr  als  eiriem  Punkte  der  Erde  unerschopfliche  Lager 
von  Phosphoriten  entdeckt  worden,  geeignet  den  Boden  ganzer  Lander 
fur  unabsehbare  Zeiten  zu  befruchten.  Sollte  nicht  in  naherer  oder 
fernerer  Zukunft  die  Kraft  der  raumbewaltigenden  Mechanik  so  ge- 
wachsen  sein,  dass  von  solchen  localen  Anhaufungen  auch  welter  ab- 
liegende  Gegenden  einen  neuen  Boden  und  mit  ihm  eine  neue  Energie 
des  Pflanzenlebens  beziehen  konnten?  Was  auf  diesera  Wege  einst 
moglich  sein  wird,  das  besitzen  die  Lander  um  das  Mitteltneer  zum 
Theil  schon  jetzt  an  ihrer  gebirgigen,  reich  gegliederten  Bodengestalt 
und  an  der  seit  uralter  Zeit  an  dieselbe  sich  kniipfenden  Irrigation. 
Denn  wahrend  in  den  Kornebenen  des  europaischen  Wald-  und 
Steppengebietes  die  Meteorwasser  den  Acker  nur  tranken,  ohne  seine 
Verluste  zu  ersetzen,  bereichern  die  von  den  Bergen  stiirzenden 
Quellen  die  ausgelaugte  obere  Erdkrume  unaufhorlich  aus  den  Schatzen 
des  Erdinnern.  Ein  lebendiges  Beispiel  dafiir  bildet  die  Lombardei: 
das  Felsengeriiste,  an  das  sie  sich  lehnt,  sendet  ihr  durch  die  Fliisse 
und  die  festen  oder  aufgelosten  Erden,  die  sie  mitfuhren,  immer  ncue 
Mineralkrafte  zu  und  erhalt  sie  so  fruchtbar,  wie  vor  zweitausend 
Jahren.  Was  aber  die  Natur  allein  nicht  leistete,  erganzte  der  Mensch, 
von  der  Noth  belehrt,  mit  bewusster  Zweckthatigkeit.  Im  Orient 
und  am  Mittelmeer,  ini  Bereiche  regenloser  Sommer,  drohte  der 
Vegetation  jedes  Jahr  wahrend  der  drei  oder  vier  heissen  Monate 
der  Tod  durch  Verschmachtung.  Daher  in  diesen  Landern  seit  dem 
friihen  Alterthum  die  Sorge  fur  Bewasserung,  die  Fassung  und  Leitung 
der  Quellen,  die  Kunst  wagerechter  Vertheilung,  die  Einschnitte  in 
den  Rand  der  Strome,  die  Damme  und  Durchstiche,  die  Schopfrader 
und  Rinnen.  So  nothwendig  war  unter  jenem  Himmelsstrich  diese 
Bemiihung,  dass  sie  sich  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  fortsetzte  und 
zum  bleibenden  Naturell  und  zu  angeborener  Kunstfertigkeit  wurde. 
Und  wenn  die  kiinstliche  Bewasserung  urspriinglich  ein  Zeichen  des 
sich  regenden  vorberechnenden  Denkens  gewesen  war,  so  wurde  sie 
ihrerseits  ein  machtiger  Anreiz  fernerer  geistiger  Entwickelung.  Sie 
band  den  Menschen  an  den  Menschen,  -  -  nicht  durch  jene  dumpfe 
natiirliche  Gesellung,  die  auch  die  Thiere  treibt,  heerdenweise  zu 
leben,  sondern  durch  freie  Gegenseitigkeit,  die  erste  Gemeinde-  und 
Staatenbildung.  Nordlich  der  Alpen  fiel  diese  Nothigung  weg:  da 
siedelte  sich  der  Germane  an,  wo  es  ihm  beliebte,  fragte  iiichts  nach 
dem  Nachbar  und  bildete  den  Charakter  personlicher  Eigenheit  in 


10  Aussaugung  durch  Kultur. 

sich  aus.  Selbst  in  der  Neuen  Welt  wahrte  dies  Verhaltniss  fort, 
da  wo  beide  Racen  in  einer  ahnlichen  Natur  zusammenstiessen.  In 
Xeu-Mexiko,  z.  B.  am  Rio  Grande,  und  in  Texas  batten  die  Spanier 
meilenweit  Bewasserungskanale  gezogen,  die  die  einwandernden  angel- 
sachsischen  Amerikaner  zum  Schaden  des  Landes  wieder  eingehen 
liessen.  »Den  Bewohnern  der  Vereinigten  Staaten  ist  diese  Art  des 
Landbaues  frernd,  und  sie  widerstreitet  ihrem  individualistischen 
Geiste,  da  ein  grosseres  Bewasserungssystem  nicht  obne  eine  darauf 
beziiglicbe  Gesetzgebung  und  ohne  Schmalerung  der  freien  Dis- 
position des  Einzelnen  auf  seinern  Lande  denkbar  ist«  (Frobel,  Aus 
Amerika,  2,  160).  Ja,  ein  Amerikaner  bemerkt  selbst,  unter  ameri- 
kanischen  Handeii  miisse  der  an  Bewasserung  gebundene  Ackerbau 
stets  damieder  liegen,  »weil  die  bei  einem  solchen  System  noth- 
wendige  despotische  Verwaltung  der  Gemeinde  zu  wenig  mit  den 
dortigen  Sitten  iibereinstimmt&  (Grisebach,  Vegetation  der  Erde, 
2,  276).  Organisirte  Gemeinschaft  also  erscheint  dem  sachsischen 
Stamme  als  despotisph  iiberhaupt;  am  Mittelmeer,  von  Bactrien  und 
Babylonien  bis  zu  den  Saulen  des  Herakles,  war  sie  ein  Gebot  der 
Xatur  und  wurde  ein  Charakterzug  der  Volker.  Abgesehen  aber  von 
dieser  politisch-sittlichen  Wirkung  verbiirgt  die  Irrigation  auch  dem 
Grund  und  Boden,  so  lange  die  Berge  stehen  und  die  Wasser  rinnen, 
eine  unvergangliche  physische  Jugend.  Wo  das  Ackerland  und  die 
Wriese  nur  auf  die  aufsteigenden  und  niederfallenden  Dampfe  des 
Meeres  angewiesen  sind,  da  muss  jener  Zustand  der  Erschopfung 
viel  rascher  eintreten,  welchem  in  den  Augen  besorgter,  vielleicht 
auch  hochmuthiger  Beurtheiler  die  Lander  des  Altertbums  schon  ver- 
f alien  sind. 

Nicht  ein  unerbittliches  Naturgesetz  war  es,  was  der  Kultur 
des  Orients  den  Untergang  gebracht  hat,  sondern  der  Zusammenhang 
geschichtlicher  Ereignisse,  die  erst  die  humane  Entwickelung  be- 
giinstigende,  dann  sie  gefahrdende  geographische  Lage,  der  Contakt 
der  Racen,  Lebensformen  und  Religionen  und  die  ihn  begleitende 
Wuth  der  Zerstorung  und  Verunreinigung  des  Blutes.  Die  Region 
der  acker-  und  stadtebauenden  Volker  Vorderasiens  stiess  an  un- 
ermessliche  Steppen  und  Wiisten,  aus  denen  immer  von  Neuem 
wilde,  blutgierige  Nomaden  hervorbrachen.  Einst  in  sehr  friiher  Zeit 
batten  nomadische  Semiten  vom  Kaukasus  bis  zum  persischen  und 
arabischen  Meerbusen  sich  ergossen  und  eine  ihnen  vorausgehende 
Kultur  zerstort,  deren  Wesen  und  Richtung  wir  nicht  mehr  erkennen. 
Als  sie  drauf  begonnen  batten,  sich  auf  dem  neuen  Boden  sesshaft 


Aussaugung  durch  Kultur.  ;Q 

zu  machen,  erfolgte  die  iranische  Flut,  die,  vielleicht  gleichzeitig 
mil  dern  Einbruch  der  Indoeuropaer  nach  Europa,  die  semitische 
Welt  mitten  durch  spaltete  und  in  einzelnen  Wellen  unter  der  Be- 
nennung  Phryger,  Lykier  u.  s.  w.  bis  an  das  mittellandische  Meer 
sich  fortsetzte.  Seitdem  rangeii  in  Asien  beide  Racen  mit  einander, 
die  Semiten  in  ungeheuren  despotischen  Centren,  um  bildgeschmuckte 
Paliiste  sich  sammelnd,  Kaiiale  zieheiid  und  den  Spaten  fiihrend, 
die  Iranier  in  naturlicher  Freiheit  ihre  Thiere  weidend,  in  Stain  me 
gesondert  und  von  Patriarchen  gefuhrt,  lauernd  und  rauberisch,  ver- 
wiistend  oder  wegschleppend,  was  sie  erreichen  konnten.  Allmahlich 
aber,  durch  den  Einnuss  der  Zeit  und  des  Beispiels  und  in  der 
Herrschaft  iiber  gebildetere  Kulturlaiider,  ging  ein  Theil  der  Iranier 
selbst  zu  Niederlassung  und  hoherer  Staatsordnung  iiber,  indess  die 
andere  Halfte  dieses  grossen  Stammes  -  -  Saken  und  Massageten, 
Sarmaten  und  Scythen,  spater  Alanen  und  Jazygen  -  -  in  den  weiten 
unerreichbaren  Flachen  die  alte  nomadische  Lebensart  bewahrte. 
Diese  Spaltung  in  zwei  Halften  war  der  Gegensatz  von  Iran  und 
Turan,  von  Civilisation  und  Freiheit:  das  iranische  Kulturgebiet 
erwehrte  sich  nur  muhsam  der  aus  dem  Schosse  der  Steppe  immer 
neu  herein brechenden  Wildheit.  Schoii  gegen  Ende  des  7.  Jahr- 
hunderts  vor  Chr.  batten  Scythen  einen  Pliinderungszug  durch  ganz 
Asien  gemacht,  der  aber  nur  acht  und  zwanzig  Jahre  dauerte  und 
als  blosse  Episode  bald  wieder  vergessen  wurde.  Dann  hatte  Cyrus 
versucht  die  Massageten,  Darius  die  Scythen  zu  bandigen,  beide 
ohne  Erfolg.  Vielmehr  setzten  sich  unter  dem  Seleucidenreiche  die 
aus  den  Jaxartes-Gegenden  gekommenen  reitenden  Bogenschiitzen 
iranischen  Stammes,  die  Farther,  in  dem  ostlichen  Theile  Asien  s  bis 
an  den  Euphrat  fest.  Dann,  im  siebenten  Jahrhundert  unserer  Zeit- 
rechnung,  stiirmten  die  Araber,  ein  fanatischer  Wiistenstamm,  ur- 
plotzlich  heran  und  rotteten  alle  Griindungen,  die  mit  der  Religion 
zusammenhingen  -  -  und  was  im  Orient  hing  und  hangt  nicht  mit 
der  Religion  zusammen?  -  -  mit  der  Wurzel  aus.  Wieder  einmal 
war  der  Geist  der  Semiten  Herr  geworden  liber  den  iranischen,  als 
Widerspiel  dessen,  was  einst  Meder  und  Perser  an  ihnen  veriibt. 
So  gross  nun  auch  die  Verwiistung  war,  mit  der  Turanier  und 
Islamiten  gegen  die  Garten  und  Stadte  Bactriens  und  Mediens,  der 
Tigris-  und  Euphratlander,  Syriens  und  Kleinasiens  reagirten,  - 
diese  Nomaden  und  Reiter  waren  doch  immer  desselben  Blutes,  von 
edler  Herkunft  mid  schoner  Leibesgesta.lt,  bildungsfahig  und  Anlage 
und  Bediirfniss  civilisirten  Lebens,  ihnen  selbst  unbekannt,  in  sich 


12  Aussaugung  durch  Kultur. 

tragend.  Das  eigentliclie  Verderben,  ohne  Moglichkeit  der  Wider- 
herstellung  und  Ankniipfung,  erfolgte  erst,  als  die  bestialischen 
Racen,  die  bisher  am  Altai  und  von  da  welter  am  Baikalsee  und 
auf  der  fiirchterlicben  Hochflache  im  Herzen  des  Welttheils  sich  ver- 
borgen  gehalten  und  nur  fiir  das  chinesische  Reicb  den  homogeiien 
nomadischen  Hintergrund  gebildet  batten,  die  Tiirken  und  auf  deren 
Spuren  die  Mongolen,  den  Weg  nach  Siidwesten  in  die  arisch- 
semitische  Welt  gefunden  batten.  In  Europa  tauchte  der  tiirkische 
Stamm  zuerst  in  der  Horde  der  Hunnen  auf,  und  welcben  Eindruck 
schon  ihr  brutales  Aeussere  auf  den  Abendlander  macbte,  seben  wir 
aus  den  Schilderungen  der  gleicbzeitigen  Bericbterstatter  und  den 
Fabeln,  die  tiber  die  neu  erschienenen  Unholde  im  Volksmunde  uro- 
gingen.  Ammianus  Marcellinus,  da  wo  er  die  roben  Sitten  der 
Alanen,  die  frtiher  Massageten  genannt  wurden,  beschreibt,  fiigt  docb 
hinzu:  »die  Alanen  sind  fast  alle  hohe,  schone  Menscben  (proceri 
autem  Alanipaene  sunt  omnes  et  pulehri),  den  Hunnen  in  der  Lebens- 
art  abnlich  (suppares),  dennoch  aber  auf  hoherer  Stufe  der  Mensch- 
lichkeit  stehend  (verum  victu  mitiores  et  cultu)«.  In  Asien  waxen 
schon  im  6.  christlicben  Jahrhundert  Sogdiana  und  Bactrien  oder 
die  alt-iraniscben  kanalreichen.  Ufer  des  Jaxartes  und  Oxus  tiirkisches 
Land;  von  da  wurde  in  den  folgenden  Jahrhunderten  ganz  Asien 
allmahlich  durchritten,  verheert,  verbrannt,  gepliindext  und  die  Ein- 
wohner  gemordet  oder  in  die  Gefangenschaft  abgefiihrt.  Seldschukische 
Hauptlinge  schwangen  die  Lederpeitscbe,  legten  besiegten  arabischen 
Emiren  feierlicb  den  Fuss  auf  den  Nacken  und  liessen  sie  dann  in 
Stiicke  hauen;  persische  Madcben  mit  mandelformigen  Augen  und 
langen  Wimpern  wurden  in  die  schmutzigen  Filzzelte  ibrer  heulenden 
missgestalteten  Gebieter  gescbleppt;  so  mischte  sich  vom  Aralsee  bis 
zum  mittellandischen  Meer  unedles  hochasiatisches  Blut  in  das  der 
alten  Kulturvolker,  als  ein  fortwirkendes  Element  sittlicher  Erniedri- 
gung  und  geistiger  Ohnmacht.  Indess,  auch  die  tiirkische  Eroberung 
erscheint  als  nur  geringes  Leiden  im  Vergleich  mit  den  entsetzlichen 
Graueln,  die  den  Weg  der  Mongolen  bezeichneten.  Was  diese 
Race  gelber  schiefblickender  Schakale  au?  der  Wiiste  Gobi  auf 
orientalischem  Boden  vertibt  hat,  lasst  sich  mit  Worten  gar  nicht 
schildern.  Als  Dschingiskhan  im  Jahre  1221  -  -  wir  wollen  nur 
dies  eine  Beispiel  anfiihren  -  -  gegen  die  bliihende  volkreiche  Stadt 
Balkh,  das  altberiihmte  Bactra,  die  1200  Moscheen  und  200  offent- 
liche  Bader  besass,  drohend  heranzog,  gingen  ihm  Abgesandte  mit 
Geschenken  und  Lebensmitteln  entgegen,  um  Schonung  flehend: 


Aussaugung  durch  Kultur.  ^3 

der  Khan  war  scheinbar  begiitigt,  zog  in  die  Stadt  ein  und  liess 
dann  sammtliche  Einwohner,  unter  deni  Vorwand  sie  zahlen  zu 
wollen,  in  einzelnen  Abtheilungen  aufs  Feld  hinausfiihren  und  sie 
dort  abschlachten,  die  Stadt  selbst  aber  schleifen  -  -  die  noch  gegen- 
wartig  ein  unabsehbares  Ruinenfeld  bildet.  Die  tlirkischen  Volker, 
deren  Ausgang  mehr  nach  Westen  zu  gelegen  war,  waren  gleich 
Anfangs  vom  Islam  gewonnen  worden  und  batten  sich  dadurch  dem 
Westen  innerlich  verbunden;  auch  waren  sie,  wie  man  gesteben 
muss,  im  Laufe  der  Jahre  nach  manchen  Seiten  gegen  die  mildere 
Sitte  und  ererbte  Bildung  der  ihnen  unterworfenen  Bevolkerung 
nicht  ganz  unempfindlicb  geblieben:  die  mongolischen  Horden  aber 
trieb  nur  der  Instinkt  der  Zerstorung  und  des  Mordes,  und  die 
Spuren  ihres  Daseins  sind  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  erloschen. 
Seit  der  mongolischen  Zeit  liegt  der  Orient  wie  ein  zu  Tode  Ge- 
troffener  da,  ohne  sich  aufraffen  zu  konnen.  So  verhangnissvoll 
wurde  der  altesten  Menschenkultur  und  den  gesegneten  Landern,  in 
deneii  sie  erbliihte,  der  ununterbrochene  Zusammenhang  mit  den 
unwirthlichen  Hochflachen  im  Innern  des  grossen  Welttheils,  der 
Heimath  einer  niedern  Menschenrace  von  abstossender  Gesichtsbildung 
und  unflathigen  Sitten. 

Auch  der  griechischen  Halbinsel  gereichte  die  Nahe  Asiens  und 
der  osteuropaischen  Steppen  und  die  Verunreinigung  mit  fremdem 
Blute  zum  Verderben.  Denn  welches  waren  ihre  Schicksale  seit 
der  Volkerwanderung  ?  Die  Bulgaren,  ein  tiirkischer  Stamm,  liessen 
sich  siidlich  der  Donau  nieder,  die  gleichfalls  turkischen  wilden 
Avaren  iiberfielen  mordend  und  pliindernd  die  um  die  befestigte 
Hauptstadt  gelegenen  Provinzen;  Osmanen  streiften  und  herrschten 
schon  vor  einem  halben  Jahrtausend  in  diesem  Vorland  Europas. 
Auch  den  Germanen  diente  der  griechische  Boden  zum  Schauplatz 
ihrer  noch  ungebandigten  Kriegs-  und  Beutegier  -  -  man  erinnere 
sich  nur  der  furchtbaren  Verheerungsziige  der  am  schwarzen  Meer 
angelangten  Gothen  gegen  die  Kiisten,  Stadte  und  Inseln  Kleinasiens 
und  des  Peloponnes  — ;  nach  Italien  pflegten  sie  erst  zu  kommen, 
wenn  sie  ihre  erste  frische  Rohheit  schon  abgelegt  batten.  Slaven 
iiberschwemmten  dauernd  nicht  bloss  die  Donau  gegenden  und 
Thrakien,  sondern  auch  alle  Theile  des  alten  Griechenlands  selbst 
und  belegten  Berge,  Thaler,  Fllisse  und  Ortschaften  mit  Xamen 
ihrer  Sprache;  aus  rauhen  Gebirgswinkeln  drangten  Albanesen 
liaufenweise  in  die  entvolkerten  Landschaften  hinab;  beide  nahmen 
dann  die  von  Konstantinopel  auf  dem  Wege  der  Kirche  und  der 


1 4  Urzeit. 

politischen  Administration  ihneii  gebotene  griechische  Sprache  (in 
entarteter  byzantinischer  Aussprache)  an  und  bildeten  mit  dem  Rest 
der  friiheren  Bewohner,  soweit  sich  ein  solcher  noch  vorfand,  das 
Yolk  der  heutigen  Griechen.  So  erklart  sich  die  Barbarei,  der  sich 
Hellas  so  schwer  entwindet,  aus  dem  Fluche  der  Schandung,  der  auf 
ihm  liegt,  nicht  aus  der  angeblichen  Erschopfung  der  Naturkraft, 
die  sicher  noch  so  wirksam  ist,  wie  einst  in  den  Tagen  der  schonsten 
Bliithe  dieses  Landes. 


Als  die  grosse  arische  Wanderung  den  beiden  Halbinseln,  die 
nachher  cler  Schauplatz  der  klassischen  Bildung  wurden,  die  ersten 
Bewohner  hoherer  Race  gab,  von  denen  wir  historisch  wissen,  da 
waren  diese  Lander  -  -  so  diirfen  wir  uns  die  Sache  denken  -  -  von 
einer  dichten  schwer  zu  durchdringenden  Waldung  diisterer  Fichten 
und  immergriiner  oder  laubabwerfender  Eichen  bedeckt,  etwa  wie 
Homer  sie  schildert: 

Diese  durchathmete  nie  die  Gewalt  feuchthauchender  Winde, 
Noch  traf  Helios  Leuchte  sie  je  mit  den  flammenden  Strahlen, 
Auch  kein  stromender  Regen  durchnasste  sie:  so  in  einander 
Wuchs  das  Geholz;  viel  lagen  umher  der  gefallenen  Blatter  - 
dazwischen  in  den  Flussthalern  rait  offnern  Weidestreckeii,  auf  denen 
die  Kinder  der  Ankommlinge  sich  zerstreuten,  reich  an  nackten  und 
krauterbewachsenen  Felsabstiirzen,  an  denen  die  Schafe  rupfend  auf- 
und  abkletterten  und  von  deren  Gipfel  bin  und  wieder  das  ode 
unfruchtbare  Meer  sichtbar  wurde.  Das  Schwein  fand  reichliche 
Eichelnahrung,  der  Hund  hiitete  die  Heerde,  wilde  Bienenstocke 
lieferten  Wachs  und  Honig,  wilde  Apfel-,  Birn-  und  Schlehenbaume 
boten  saure  harte  Friichte  zum  Gemiss,  gegen  den  Hirsch  und  Eber, 
den  wilden  Stier  und  den  raubgierigen  Wolf  ward  der  Pfeil  voin 
Bogen  geschnellt  oder  der  mit  scharfem  Stein  bewaffnete  Speer  ge- 
schwungen.  Das  Jagdthier  und  das  Thier  der  Heerde  gab  alles 
Nothige,  sein  Fell  zur  Kleidung,  seine  Homer  zu  Trinkgefassen, 
seine  Darme  und  Sehnen  zu  Bogenstrangen,  sein  Geweih  und  seine 
Knochen  zu  Werkzeugen  und  den  Handgriffen  derselben;  robes 
Leder  war  der  vorherrschende  Stoff,  die  beinerne  und  hornerne 
Nadel  diente  zum  Nahen  und  Befestigen  desselben  (suere  ist  das  ur- 
alte  Wort  fiir  solche  Lederarbeit,  man  vergleiche  sutor  der  Schuster, 
xaOffvpa  das  Leder,  subula  die  Able,  slav.  podusiva  die  Schuhsohle, 
silo,  ahd.  siula  der  Pfriemen  u.  s.  w.).  Mit  Leder  war  der  auf  dem 


Ur/eit.  15 

Wasser  schwimmende  geflochtene  Kahn  iiberzogen,  mit  Stiersehnen 
das  Lederkleid  zusammengenaht,  Hesiod.  0.  et  d.  544: 

Nahe  dir  Haute  zusammen  mit  Sehnen  des  Stiers  — , 

mit  Rieinen  die  Spitze  am  Pfeil  und  am  Speer  befestigt,  das  Zug- 
thier  vor  dem  Wagen  angeschirrt  und  die  Peitsche,  die  zum  An- 
treiben  diente,  bewaffnet.  Ein  viel  erlegtes,  auch  zur  Nahrung 
dienendes  Thier  war  der  Biber,  der  durch  ganz  Europa  die  Seen 
und  Fliisse  dicht  bevolkerte  (lat.  fiber,  keltisch  beber,  biber,  wonach 
die  gallischen  Stadte  Bibrax  und  Bibracte  benannt  waren,  ahd.  pipar, 
bibur,  mhd.  biber,  ags.  beofor,  altn.  bifr,  preussisch  und  lit.  bebrus, 
slavisch  bobrif,  auch  bebru,  bibru;  im  Griechischen  ist  das  Wort,  wie 
auch  das  Thier  in  Griechenland,  fruhe  untergegangen,  dafur  aber 
von  Europa  in  den  Orient  gedrungen,  Frahn  Ibn-Foszlan  S.  57). 
Zum  Bogen  diente  besonders  das  Holz  der  Eibe2),  zum  Schaft  des 
Speers  das  der  Esche,  auch  des  Holunders  (dxTsa,  axTrf}  und  Hart- 
riegels,  zum  Schilde  ein  Gefiecht  aus  Rutheri  der  Weide  (ixvs,  hsa 
=  Schild);  die  Baume  des  Urwaldes,  von  riesenhaftem  Wachsthum, 
wurden  durch  Feuer  und  mit  der  steinernen  Axt  zu  ungeheuren 
Boteii  ausgehohlt.  Auf  dem  Raderwagen,  einer  friih  erfundenen 
Maschine,  die  ganz  aus  Holz  zusammengefugt  war  und  an  welcher 
Holzpflocke  die  Stelle  der  spatern  eisernen  Nagel  vertraten,  ward  die 
Habe  der  Wanderer,  ihre  Melkgefasse,  Felle  u.  s.  w.  mitgefuhrt8). 
Die  Wolle  der  Schafe  ward  ausgerupft4)  und  zu  Filzdecken  und 
Filztiichern  zusammengestampft,  besonders  zum  Schutze  des  Hauptes 
(gr.  Ttthog,  lat.  pilleus,  pileus  der  Hut,  germanisch  und  slavisch  mit 
erweitertem  Stamm:  Filz,  plusti,  Hesiod.  0.  et  d.  545: 

iiber  das  Haupt  dir 
Setze  geformten  Filz,  vor  Nasse  die  Ohren  zu  schiitzen.) 

Aus  dem  Bast  der  Baume,  besonders  der  Linde,  und  aus  den  Fasern 
der  Stengel  mancher  Pflanzen,  besonders  der  nesselartigen,  f  loch  ten 
die  Weiber  (das  Flechten  ist  eine  uralte  Kunst,  die  Vorstufe  des 
Webens,  dem  es  oft  sehr  nahe  kommt)  Matten  und  gewebeartige 
Zeuge  und  Jagd-  und  Fischernetze.  Milch  und  Fleisch  war  die 
Nahrung,  das  Salz  ein  begehrtes  Gewiirz,  das  aber  schwer  zu 
erlangen  war  und  dem  am  Meeresufer,  in  der  Pflanzenasche  u.  s.  w. 
nachgegangen  wurde5).  Je  weiter  nach  Siiden,  desto  leichter  wurde 
es,  das  Vieh  zu  iiberwintern,  das  im  hohern  Norden  wahrend  der 
rauhen  Jahreszeit  nur  kummeiiich  unter  dem  Schnee  seine  Nahrimg 
fand  und  unter  ungiinstigen  Umstanden  massenhaft  zu  Grunde  gehen 


16  Urzeit 

musste  -  -  denn  der  Heerde  ein  Obdach  zu  schaffen.  und  getrocknetes 
Gras  filr  den  Winter  aufzubewahren,  sind  Kiinste  spatern  Ursprungs, 
die  sich  erst  im  Gefolge  des  ausgebildeten  Ackerbaues  einfandeii. 
Auch  die  Race  der  Hausthiere  war  eine  geringe,  das  Schwein  z.  B. 
das  kleine  sogenannte  Torfschwein,  und  stand  von  der  spatern  durch 
Kultur  und  Verkehr  veredelten,  die  wir  jetzt  vor  Augen  haben,  noch 
weit  ab.  Zur  Wohnung  fiir  den  Menschen  diente  im  Winter  die 
unterirdische,  kunstlich  gegrabene  Hohle,  von  oben  mit  einem  Rasen- 
dach  oder  mit  Mist  verdeckt6),  im  Sommer  der  Wagen  selbst  oder 
in  der  Waldregion  die  leichte,  aus  Holz  und  Flechtwerk  errichtete 
zeltahnliche  Hiitte.  Der  Natur  der  Sache  nach  musste  bei  einem 
viehschlachtenden  Volke  die  Kampfsitte  blutig  und  die  Strafe  grausam 
sein;  Wuth  und  Rache,  Raub  und  Beutegier  bildeten  die  Antriebe, 
List  und  Hinterhalt  und  Ueberfall,  wie  auf  der  Jagd  dem  Thiere 
gegeniiber,  die  Formen  und  Mittel  des  Kriegs;  die  Gefangenen 
wurden  geschlachtet,  wie  bei  den  Cimbern,  ja  noch  den  Germanen 
des  Tacitus,  die  Sclaven  zu  grosserer  Sicherheit  verstummelt; 
der  Sieger  trank  von  dem  Blute  des  erlegten  Feindes,  der  Hirn- 
schadel  diente  ihm  beim  Schmause  zur  Schale  und  zu  ubermiithiger 
Erinnerung 7).  Greise,  wenn  sie  zum  Kampfe  kraftlos  geworden, 
gingen  freiwillig  in  den  Tod  oder  wurden  gewaltsam  erschlagen, 
ahnlich  auch  unheilbare  Kranke8).  Bei  religiosen  Festen  und  Siihn- 
opfern  floss  reichlich  Menschenblut ;  dem  Hauptling  folgten  seine 
Knechte,  Weiber,  Pferde  und  Hunde  in  das  Grab  nach9);  die  Frau 
wurde  geraubt  oder  gekauft,  das  Neugeborene  vom  Vater  aufgehoben 
oder  verworfen  und  ausgesetzt  (Grimm  R.  A.  455:  »Von  Aussetzung 
der  Kinder  sind  alle  Sagen  voll,  nicht  allein  deutsche,  auch  romische, 
griechische  und  des  ganzen  Morgenlandes.  Es  lasst  sich  nicht 
zweifeln,  dass  diese  grausame  Sitte  in  der  Rohheit  des  Heidenthums 
rechtlich  war«).  Die  Naturkrafte,  deren  Gegenwart  mit  dumpfem 
Schauer  empfunden  wurde,  hatten  noch  keine  menschlich-personliche 
Gestalt  angenommen:  der  Name  Gottes,  dessen  lateim'sche  Form 
dens  ist,  bedeutete  noch  Himmel  (das  von  den  Finnen  erborgte 
litauische  dtiwctfy  preuss.  deivas  hat  bei  ihnen  noch  heute  den  Sinn 
von  Himmel,  finnisch  taivas,  estnisch  taevas,  livisch  tovas),  und 
wahrend  in  dem  indischen  Varuna  schon  ethische  Motive  entwickelt 
sind,  hat  in  dem  griechischen  Uranos  der  Process  der  Personification 
kaum  erst  angesetzt.  Das  Loos  entschied  bei  wichtigen  oder  un- 
gewohnlichen  Begegnissen  und  Entschliissen10);  Vorbedeutung  und 
Aberglaube  bestimmten  alles  Thun  und  Lassen;  Zauberformeln  losten 


Urzeit. 


17 


die  Fesseln  der  Gefangenen  und  gaben  der  WafTe  iibernatiirliche 
Kraft;  die  Wunden,  die  die  Ax t  gerissen,  wurden  durch  Besprechung 
geheilt,  ebenso  das  hervorspritzende  Blut  gestillt  (em  solcher  Be- 
schworer  hiess  gotisch  lekeis,  leiheis,  slavisch  UJcari,  altirisch  liaig, 
Zeuss2  19;  Od.  19,  456: 

Und  sie  verbanden  zugleich  des  untadligen  hohen  Odysseus 
Wunde  geschickt  und  stillten  das  dunkele  Blut  mit  Beschworung. 

Noch  bei  Pindar  Pyth.  3,  51  drei  Arten  der  Behandlung  des  Kranken: 
durch  Beschworung,  snaotdri,  auch  Kvmi  Gebet  zu  den  Gottern, 
durch  Salben  und  Tranke,  durch  Schneiden  mit  dem  Messer). 
Wie  in  der  religiosen  Anschauung  die  Verwandlung  der  Natur- 
machte  in  damonische  Personen  sich  noch  nicht  vollzogen  oder  eben 
erst  begonnen  hatte,  so  walteten  auch  im  Zusammenleben  der 
Menschen  die  unmittelbaren  Naturformen:  aus  dem  Familienverbande 
und  der  Herrschaft  des  Patriarchen  ging  in  weiterem  Wachsthum 
der  erst  engere,  dann  umfassendere  Zusammenhang  des  Stammes 
hervor  (Worter  wie  nohg,  populus,  goth.  thiuda  u.  s.  w.  sehen  wir 
erst  allmahlich  in  das  Reich  der  Freiheit,  d.  h.  zu  politischen  Be- 
griffen  emporsteigen)11).  Als  Auszeichnung  adeliger  Geschlechter 
findet  sich  in  historischer  Zeit  die  Tatowirung,  vielleicht  ein  Rest 
uralter  Sitte,  da  sie  bei  entfernten  Gliedern  des  grossen  Stammes 
wiederkehrt,  so  bei  Gelonen  und  Agathyrsen  (Mela  2,  1,  10:  Aga- 
thyrsi  ora  artusque  pingunt :  ut  quique  majoribus  praestantj  ita  magis 
vel  minus:  ceterum  iisdem  omnes  notis,  et  sie  ut  ablui  nequeant), 
bei  Thrakern  (schon  bei  Herodot  5,  6,  also  vor  der  keltischen  Zeit), 
Sarmaten,  Daken,  den  Briten  auf  ihrer  entlegenen  Insel,  welche 
letztere  danach  benannt  waren  (kambrisch  breith  =  variegatus,  auch 
die  Picti  moglicher  Weise  nur  die  lateinische  Uebersetzung  von 
Briten,  Britten)12).  Bei  der  Aufstellung  zum  Kriege  herrschten 
schon  die  Zahlen  des  Decimalsystems  -  -  eine  erste  Regung  der 
Abstraction,  doch  war  der  Begriff  tausend,  da  das  Wort  dafur  fehlt, 
noch  nicht  aufgegangen 13).  Im  Uebrigen  bildete  die  Sprache  einen 
verhaltnissmassig  intakten,  viel  gegliederten,  von  lebendigen  Gesetzen 
innerlich  beherrschten  Organismus,  wie  er  nach  Jahrtausenden  die 
Freude  ,und  Bewunderung  des  Grammatikers  ist  und  wie  er  nur  im 
Dunker'-eingehullten  Geistes  und  unmittelbaren  Bewusstseins  wachst 
und  sich  entfaltet  -  -  mit  dem  erwachenden  Denken  beginnt  die 
lastige,  wuchernde  Formen- Vegetation  und  die  paradiesische  Klang- 
fiille  allmahlich  abzusterben.  —  Dies  etwa  war  der  Zustand  jener 
Wandervolker  zur  Zeit  ihrer  Ausbreitung  in  Europa,  —  so  weit 

Viet.  Hehn,  Kulturpflan/en.     7.  Aufl.  2 


1 8  Urzeit. 

wir  ihn  nach  einigen  seiner  allgemeinen  Ziige  im  Geiste  wieder- 
herstellen  konnen.  Eine  Vergleichung  gewahren  etwa  die  Andeu- 
tungen  des  alien  Testaments  iiber  die  kriegerische  Einwanderung 
semitischer  Hirtenvolker  in  Palastina:  dort  traten  den  Kanaanitern 
wilde  Ureingeborene  entgegen,  die  spater  als  Riesen  gedacht  wurden 
und  die  in  einigen  Resten  noch  bestanden,  als  ganz  zuletzt  die 
Beni-Israel  in  dem  Lande  ihrer  vorausgegangenen  Stammgenossen 
gewaltsam  sich  festsetzten.  So  mogen  auch  die  Indogermanen  in 
Europa  urspriingliche  Bewohner  vorgefunden  haben,  die  sie  aus- 
rotteten,  oder  mit  denen  sie  sich  vermischten :  im  Osten  die  Finnen, 
ein  sehr  tief  stehendes  Jagervolk,  das  die  Wolle,  das  Salz  und  den 
Raderwagen  nicht  kannte  und  nicht  einmal  bis  hundert  zahlte,  im 
Westen  und  Siiden  die  Iberer  und  vielleicht  die  Libyer,  von  deren 
Kulturstufe  wir  nichts  wissen.  Ein  anderes  noch  lehrreicheres,  in 
ganz  historische  Zeit  fallendes  Beispiel  bietet  der  grosse  Eroberungs- 
zug  der  Tiirken  durch  Asien  und  die  Niederlassung  dieses  noma- 
dischen  Stammes  auf  dem  weiten  von  ihm  uberschwemmten  Boden. 
Die  Tiirken  freilich  —  und  dies  konnte  geeignet  sein,  die  Analogic 
wieder  etwas  einzuschranken  -  -  trieben  nicht  ihre  Rinderheerden 
vor  sich  her,  sondern  kamen  auf  dem  geschwinden  Ross,  das  sie 
und  ihre  Zelte  durch  die  Weite  trug  —  und  hier  erhebt  sich  die 
schwierige  Frage,  ob  auch  die  Indoeuropaer  schon  mit  dem  ge- 
zahmten  Pferde  in  Europa  einwanderten  oder  es  erst  nachmals  er- 
hielten?  Wir  haben  oben  unter  den  Grabesopfern  auch  die  Pferde 
des  Bestatteten  mit  aufgefiihrt  -  -  wie,  wenn  wir  damit  einen  Ana- 
chronismus  begangen  hatten?  Humboldt,  Central- Asien,  1,  436  sagt: 
»die  Innere  (Kirghisen)  Horde  bewohnt  einen  Theil  der  Gegenden, 
in  welchen  vormals  dieselben  Kalmuk-Turguten  nomadisirten,  welche 
von  der  chinesischen  Grenze  gekommen  waren  und  in  der  Nacht  des 
5.  Januar  1771  mit  ihren  30,000  Jurten  davonzogen,  urn  auf  einem 
400  Meilen  langen  Marsche  kriegfiihrend  die  Ebenen  der  Dsun- 
garei  zu  erreichen.  Diese  Wanderung  von  150,000  Kalmuken,  be- 
gleitet  von  ihren  Frauen,  Kindern  und  Heerden,  vor  etwa  70  (jetzt 
iiber  100)  Jahren,  ist  eine  historische  Thatsache,  welche  auf  die 
alteii  Einfalle  asiatischer  Volker  in  Europa  grosses  Licht 
wirft.«  Diese  Bemerkung  des  tiefblickenden  Meisters  (fur  welche 
wir  bereit  waren,  ein  Dutzend  sog.  indogermanischer  Idyllen,  so 
reizend  ihr  Colorit  ist,  herzugeben)  wollen  wir  uns  gesagt  sein  lassen 
und  nicht  vergessen  -  -  aber  die  Karren  und  Heerden  der  Kalmuken 
waren  von  kriegerischen  Reitern  umschwarmt  und  so  ging  der  Zug 


Das  Pfercl.  ^9 

unaufhaltsam  nnd  sicher  fort:  durfen  wir  uns  den  fruhesten.  Ein- 
bmch  aus  Asien  auch  schon  ahnlich  ausgeriistet  denken?  Wir  ver- 
suchen  im  Folgenden  die  Hauptziige  der  altesten  Geschichte  des 
Pferdes  zusammenzustellen  und  dadurch  vielleicht  einige  Wahrschein- 
lichkeit  fur  oder  wider  zu  gewinnen. 


Das  Pferd. 

(equus  caballiis.) 

Das  edle  Ross,  der  Liebling  und  Begleiter  des  Helden,  die 
Freude  der  Dichter,  die  es  in  prachtigen  Schilderungen  verherrlicht 
haben,  z.  B.  der  Verfasser  des  Buches  Hiob  ira  39.  Kapitel  oder 
Homer  in  der  Ilias  6,  506: 

Gleichwie  das  Ross,  das  lang  im  Stall  sich  genahrt  an  der  Krippe, 
Seine  Fessel  zerreisst  und  stampfenden  Hufs  durch  die  Ebne 
Rennt,  sich  zu  baden  gewohnt  in  dem  schonhinwallenden  Strome, 
Strotzend  von  Kraft ;  hoch  tragt  es  das  Haupt  und  umher  an  den  Schultern 
Flattern  die  Mahnen  empor;  im  Gefiihl  der  eigenen  Scho'nheit 
Tragen  die  Schenkel  es  leicht  zur  gewohnten  Weide  der  Stuten,  - 
So  schritt  Priamos'  Sohn  von  Pergamons  Veste  hernieder, 
Paris  im  leuchtenden  Waffenglanz,  der  Sonne  vergleichbar, 
Freudig  und  stolz,  rasch  trugen  die  Schenkel  ihn  - 
oder  Vergil  Georg.   3,  83: 

turn,  si  qua  sonum  procul  anna  dedere, 
Stare  loco  nescit,  micat  auribus  et  tremit  artus, 
Conlectumque  fremens  volvit  sub  naribus  ignem  - 

-  dies  glanzende,  stolze,  aristokratische,  rhythmisch  sich  bewegende, 
schaudernde,  nervose  Thier  hat  doch  fiir  die  gegenwartige  Erdepoche 
seine  Heimath  in  einer  der  rohesten  und  unwirthlichsten  Gegenden 
der  Welt,  den  Kiessteppen  und  Weideflachen  Centralasiens,  dem 
Tummelplatz  der  Stiirme.  Dort  schwarmt  es  noch  jetzt,  wie  ver- 
sichert  wird,  im  \vilden  Zustande  unter  dem  Namen  Tarpan  umher, 
—  welcher  Tarpan  sich  nicht  immer  von  dem  bloss  verwilderten 
Musin,  dem  Fliichtling  zahmer  oder  halbzahmer  Heerden,  unter- 
scheiden  lasst.  Es  weidet  gesellig,  unter  einem  wachsamen  Fiihrer, 
dem  Winde  entgegen  vorschreitend,  mit  den  Niistern  und  Ohren 
immer  der  Gefahr  gewartig,  und  weil  phantasievoll,  nicht  selten 
von  panischem  Schreck  ergriffen  und  unaufhaltsam  durch  die  Weite 
gejagt.  Wahrend  des  fiirchterlichen  Steppenwinters  scharrt  es  den 

2* 


20  Das  Pferd. 

Schnee  mil  den  Hufen  weg  und  nahrt  sieh  diirftig  von.  den  drunter 
befindlichen  abgestorbenen  Gramineen  und  Chenopodeen.  Es  hat  erne 
reich  wallende  Mahne  und  einen  buschigen  Schweif,  bei  Einbruch 
der  Winterkalte  wachst  ihm  das  Haar  am  ganzen  Leibe  zu  einer 
Art  dunnen  Pelzes.  In  eben  jener  Weltgegend  lebten  auch  die  ur- 
spriinglichsten  Reitervolker,  von  denen  wir  Kunde  haben,  im  Osten 
die  Mongolen,  im  Westen  die  Tiirken,  beide  Nameii  im  weitesten 
Sinne  genommen.  Noch  jetzt  ist  die  Existenz  dieser  Racen  an  die 
des  Pferdes  gebunden.  Der  Mongole  halt  es  fur  eine  Schande,  zu 
Fuss  zu  gehen,  sitzt  stets  zu  Rosse  und  bewegt  sich  und  steht  auf 
der  Erde,  als  ware  er  in  ein  fremdes  Element  versetzt.  Ehe  der 
kleine  Knabe  noch  gehen  kann,  wird  er  auf  das  Pferd  gehoben  und 
klammert  sich  an  die  Mahne;  so  wachst  er  im  Verlauf  der  Jahre 
auf  dem  Riicken  des  Thieres  au^  und  wird  zuletzt  ganz  eins  mit 
diesem.  Auch  der  mongolischen  Korperbildung  hat  diese  Lebens- 
art,  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  Jahrtausende  lang  fortgesetzt,  ihr 
unterscheidendes  Geprage  gegeben.  Die  Beine  des  Mongolen  sind 
sabelformig  gebogen,  der  Gang  ist  schwerfallig  und  der  Oberkorper 
nach  vorn  gebeugt;  auch  innerhalb  des  Zeltes  gleicht  sein  unstat 
umherspahender  Blick  dem  des  Reiters  in  der  unermesslichen  Steppe, 
der  nach  alien  Seiten  ausschauend  eine  Meile  weit  die  kleinste  Staub- 
wolke  am  Horizonte  entdeckt.  Der  Reichthum  des  Einzelnen  besteht 
in  der  Zahl  und  Grosse  seiner  in  halbwildem  Zustand  weidenden 
Tabuns;  bedarf  er  in  gegebenem  Falle  eines  jungen  Thieres,  so  wird 
dieses  mit  der  Schlinge  eingefangen.  Die  Milch  der  Stuten  ist  das 
Getrank  und  das  Berauschungsmittel  (es  gehort  viel  Uebung  und 
Kraft  dazu,  die  Stuten,  nachdem  sie  gekoppelt  worden,  zu  melken), 
das  Pferdefleisch  die  gewohnte  und  liebste  Nahrung.  Bei  den  jetzi- 
gen  Mongolen  hat  freilich  der  Buddhisnius  die  letztere  Speise  aus- 
zurotten  gesucht  und  der  Lama  wenigstens  hiitet  sich  in  frommer 
Enthaltsamkeit,  d'avon  zu  kosten.  Auch  das  Fell  und  das  Haar  des 
Pferdes  ist  dem  Mongolen  nutzbar:  aus  dem  erstern  werden  die 
Riemen  geschnitten,  die  ihm  so  unentbehrlich  sind,  das  letztere 
client  zu  Stricken  und  Sieben  und  aus  dem  Felle  der  jungen  Fullen 
werden  die  Kleider  zusammengenaht. 

Von  dem  breiten  Riicken  des  Welttheils  stieg  das  Thier  nach 
alien  Seiten  bis  in  die  Hochgebirge  des  nordlichen  Indien  hinauf 
und  in  die  Flussthaler  Turkestans,  in  die  Landschaften  und  Wusteii 
des  Jaxartes  und  Oxus  hinab.  Dort  ist  das  Pferd  des  Turkmenen 
noch  jetzt  von  ungemeiner  Kraft,  Ausdauer  und  Klugheit.  Mit 


Das  Pferd.  21 

geringem  Mundvorrath  verseheii  macht  der  Turkmene  Ritte  von  hun- 
dert  Kilometern,  ohne • zu  rasten,  iiberfallt  und  plunder!,  und  ver- 
schwindet,  ehe  der  Beraubte  rioch  zur  Besinnung  gekommen.  Oft 
iibernachtet  der  Reiter  scblafend  auf  seinem  Thiere,  mitten  in  der 
Wiiste,  obne  diesem  einen  Tropfen  Wasser  bieten  zu  konnen.  Auch 
liebt  er,  nach  Vamberys  Worten,  sein  Ross  mehr  als  Weib  und 
Kind,  mehr  als  sich  selbst;  es  ist  riihrend,  rait  welcher  Sorgfalt 
dieser  robe,  habgierige  Sohn  der  Wiiste  sein  Thier  aufziebt,  wie  er 
es  hiitet,  gegen  Frost  und  Hitze  kleidet 'und  mit  Zaum  und  Sattel- 
zeug  nach  Kraften  Aufwand  treibt.  Auch  in  den  Augen  des  Kirgisen 
ist  das  Pferd  der  Inbegriff  aller  Schonheit.  »Er  liebt  sein  Pferd  mehr 
als  seine  Geliebte  und  schone  Pferde  verleiten  auch  den  ehrlichsten 
und  angesehensten  Mann  zum  Diebstahl«  (W.  RadlofF  in  der  Zeitschr. 
fiir  Ethnologic,  3,  S.  301).  Doch  ist  zu  bemerken,  dass  die  turk- 
menische  Race,  obwohl  dem  Kerne  nach  einheimisch,  doch  stark 
mit  arabischem  Blute  gekreuzt  ist  und  dieser  Mischung  einen  Theil 
ihrer  edlen  Eigenschaften  verdankt. 

Dass  das  Pferd  auch  westlich  von  Turkestan  das  Steppengebiet 
des  heutigen  siidostlichen  und  sudlichen  Russland  bis  zum  Fusse  der 
Karpathen  in  urspriinglicher  Wildheit  durchstreifte,  kann  glaublich 
erscheinen,  weniger,  dass  sogar  die  Waldregion  Mitteleuropas  einst 
von  Rudeln  dieser  Thiere  belebt  gewesen.  Und  doch  liegt  eine  Reihe 
historischer  Zeugnisse  vor,  die  diese  letztere  Thatsache  ausser  Zweifel 
zu  stellen  scheinen.  Von  spanischen  wilden  Pferd  en  berichtet 
Varro  de  r.  r.  2,  1,  5:  equi  feri  in  Hispaniae  citerioris  regionibus 
aliquot,  und  ebenso  Strabo  3,  4,  15:  »Iberien  tragt  viele  Rehe  und 
wilde  Pferde  (innovo,  ayQCovg).«  In  den  Alp  en  lebten,  wie  wilde 
Stiere,  so  auch  wilde  Pferde  (Strab.  4,  6,  10),  und  nicht  bloss  in 
den  Alpen,  sondern  im  Norden  iiberhaupt,  Plin.  8,  39:  septen- 
trio  fert  et  equorum  greges  ferorum.  Auch  im  Mittelalter  fehlt  es 
nicht  an  Belegen  fiir  die  Existenz  wilder  Pferde  in  Deutschland  und 
in  den  von  Deutschland  ostlich  gelegenen  Landen.  Zur  Zeit  des 
Venantius  Fortunatus  wird  in  den  Ardennen  oder  Vogesen  neben 
dem  Baren,  Hirschen  und  Eber  auch  der  onager  gejagt,  worunter  - 
wenn  das  Wort  nicht  bloss  eine  poetische  Floskel  ist  -  -  das  wilde 
Pferd  verstanden  werden  kann,  ad  Gogonem,  Miscell.  7,  4,  19: 

Ardennae  an  Vosagi  cervi,  caprae,  helicis  ursi 
Caede  sagittifera  silva  fragore  tonat? 
Seu  validi  bufali  ferit  inter  cornua  campum. 
Nee  mortem  differt  ursus.  onager,  aper? 


22  I>as  Pferd. 

In  Italien  sah  man  wilde  Pferde  zum  ersten  Mai  wahrend  der  longo- 
bardischen  Herrschaft,  unter  dem  Konig  Agilulf,  Paul.  Diac.  4,  11: 
tune  primum  cdballi  silvatici  et  bubali  in  Italiam  clelati  Italiae 
populis  miracula  fuerunt.  Papst  Gregorius  3  schreibt  um  732  an 
den  heil.  Bonifacius  (Bonifac.  ep.  28  bei  Jaffe,  Mon.  Mog.  p.  91  ff.): 
»Du  hast  Einigen  erlaubt,  das  Fleisch  von  wilden  Pferden  zu  essen, 
den  Meisten  auch  das  von  zahmen.  Von  nun  an,  heiligster  Bruder, 
gestatte  dies  auf  keine  Weise  mehr.«  Der  Apostel  der  Deutschen 
war  also  bis  dahin  in  diesem  Punkt  liberal  gewesen  —  vielleieht 
weil  er  einen  Gebrauch,  der  dem  Italiener  in  Kom  graulich  erschien, 
auf  seiner  heimathlichen  Insel  von  frtiher  Jugend  an  gekannt  und 
selbst  geiibt  hatte  ?  Unter  den  von  dem  St.  Galler  Monch  Ekkehard 
dem  vierten  herruhrenden  Segensspriichen  zu  den  bei ,  dem  gemein- 
samen  Mahl  aufgetragenen  Speisen  (vom  Jahr  1000  oder  bald  nach- 
her,  herausgegeben  von  Ferdinand  Keller  in  den  Mittheil.  der  antiqu. 
Ges.  in  Zurich,  III,  2,  S.  99  ff.)  bezieht  sich  einer  auch  auf  das 
Fleisch  vom  wilden  Pferde,  das  also  von  den  frommen  Vatern  des 
einst  in  der  Wildniss  gegrlindeten  Klosters  noch  genossen  wurde, 
v.  127: 

sit  fcralis  equi  caro  dulcis  in  hac  cruce  Christi. 

Der  Winsbeke  spricht  in  Strophe  46  (Weingartner  Liederhandschrift 
S.  217)  die  Erfahrung  aus:  »Ein  Fohlen  in  einer  wilden  Heerde 
Pferde  wird,  eingefangen,  eher  zahm,  als  dass  ein  ungerathener 
Mensch  in  seinem  Innern  Scham  empfinden  lerne « : 

ein  vol  in  einer  wilden  stuot 
un  uzgevangen  wirt  e  zam, 
e  daz  ein  ungeraten  lip 
gewinne  ein  herze  daz  sich  scham. 

Im  Sachsenspiegel,  da  wo  die  Gerade  der  Frau  bestimmt  wird  (d.  h. 
die  fahrende  Habe  derselben),  sagt  die  Glosse,  wilde  Pferde,  die 
man  nicht  immer  in  Hut  behalte,  seien  dazu  nicht  zu  rechnen,  1,  24: 
hir  pruve  hi,  dat  wilde  Perde,  de  men  al  tit  nicht  unhut,  de  un  horen 
Mr  tu  nicht.  In  einer  westphalischen  Urkunde  vom  Jahre  1316  (bei 
Venantius  Kindlinger,  Miinsterische  Beitrage,  Miinster  1787,  I,  Urk. 
no.  8,  S.  21)  wird  einem  gewissen  Hermann  die  Fischerei  im  ganzen 
Walde  und  die  wilden  Pferde  und  die  Jagd,  die  Wildforst  genarmt 
wird,  zugetheilt:  item  recognoscimus  quod  piscatura  per  totum  nemus 
pertinet  Hermanno  praedicto  et  vagi  equi  et  venatio  dicta  wiltforst. 
Ja  nicht  bloss  zur  Zeit  der  Merovinger,  noch  am  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts  lebten  solche  wilde  Pferde  in  dem  Vogesengebirge,  der 


Das  Pferd.  23 

rauhen  Kriegs-  und  Grenzscheide  zweier  Racen,  -  wie  Helisaeus 
Rosslin,  des  Elsass  und  gegen  Lotringen  grentzenden  wassgawischen 
Gebirgs  Gelegenheit,  Strassburg  1593,  S.  21,  ausfuhrlich  berichtet: 
»die  in  ihrer  Art  viel  wilder  und  scheuer  sind,  dann  in  vielen 
Landen  die  Hirsch,  auch  viel  schwerer  und  muhsamlicher  zu  fangen, 
eben  so  wohl  in  Garnen  als  die  Hirsch,  so  sie  aber  zahm  gemachet, 
das  doch  mit  viel  Muh  und  Arbeit  geschehen  muss,  sind  es  die 
allerbesten  Pferd,  spanischen  und  tiirkischen  Pferden  gleich,  in  vielen 
Stiicken  aber  ihnen  fiirgehen  und  barter  seind,  dieweil  sie  sonder- 
lich  der  Kalte  gewohnet,  und  rauhes  Futters,  im  Gang  aber  und 
in  den  Fussen  fest,  sicher  und  gewiss  seind,  weil  sie  der  Berg  und 
Felsen,  gleich  wie  die  Gemsen,  gewohnet. «  Fanden  sich  solcher- 
gestalt  wilde  Pferde  in  dem  kultivirten  West-  und  Suddeutschland, 
so  mussten  sie  sich  in  den  Wildnissen  an  der  Ostsee,  in  Polen  und 
Russland  um  so  langer  erhalten.  Hier  sind  in  der  That  die  Zeug- 
nisse  bis  in  die  neuere'  Zeit  hinab  zahlreich.  Das  Land  der  Pom- 
mern  war  zur  Zeit  des  Bischofs  Otto  von  Bamberg,  also  in  der 
ersten  Halfte  des  12.  Jahrhunderts,  reich  an  aller  Art  Wild,  darunter 
auch  wilde  Ochsen  und  Pferde,  Herbordi  vita  Ottonis  bei  Pertz  XX, 
p.  745 :  bubalorum  et  equulorum  agrestium  .  .  .  copia  redundat  omnis 
provincia.  Um  die  gleiche  Zeit  gab  es  auch  in  Schlesien  ungezahmte 
Pferde:  der  Canom'cus  Wissegradensis,  der  Fortsetzer  des  Cosmas, 
berichtet  zum  Jahr  1132,  bei  Pertz  SS.  IX,  p.  138:  Interea  dux 
Sobeslaus  (der  Schwager  des  Konigs  Bela  von  Ungarn)  .  .  .  Poloniam 
cum  exercitu  suo  15  Kal.  Novembris  intravit  totamque  partem 
illius  regionis  quae  Sleszko  (Schlesien)  vocatur  penitus  igne  con- 
sumpsit.  Multos  etiam  captivos  cum  innumera  pecunia  nee  non 
indomitarum  equarum  greges  non  paucos  inde  secum  adduxit. 
Bekannt  ist  und  durch  viele  literarische  Erwahnungen  wird  bestatigt, 
class  in  Preussen  bis  zum  Zeitalter  der  Reformation,  ja  noch  spater, 
die  Walder  von  wilden  Pferden  bevolkert  waren.  Toppen,  Geschichte 
Masurens,  Danzig  1870,  S.  XVII:  »In  Ordenszeiten  jagte  man  wilde 
Rosse,  so  wie  anderes  Wild,  vorzuglich  um  ihrer  Haute  willen.  Noch 
Herzog  Albrecht  erliess  um  1543  ein  Mandat  an  den  Hauptmann  zu 
Lyck,  in  welchem  er  ihm  anbefahl,  fur  die  Erhaltung  der  wilden 
Rosse  zu  sorgen«  (s.  auch  denselben  in  den  Preussischen  Provinzial- 
blattern  1839,  Bd.  22,  S.  481  und  den  Neuen  Pr.  Prov.  Bl.  1847,  Bd.  4, 
8.  453).  Auch  fur  Polen  und  Litauen  gehen  die  Hinweisungen  auf 
das  Pferd  als  Jagdthier  bis  tief  in  das  17.  Jahrhundert  hinab  (so  bei 
Guillebert  de  Lannoy  1399-1450,  Simon  Grunau,  schrieb  zwischen 


24  Das  Pferd. 

1516  und  1527,  Matthias  a  Michovia,  1521  herausgekommen,  Her- 
berstein  u.  s.  w.),  fur  Russland  geniige  die  merkwiirdige  Aussage  des 
Fiirsten  von  Tschernigow,  Wladimir  Monomach  (er  lebte  von  1053 
bis  1125),  der  in  seiner  hinterlassenen  Mahnung  an  seine  Sohne  (er- 
halten  in  der  sog.  Lawrentisehen  Chronik)  iiber  sich  selbst  berichtet: 
»Aber  in  Tschernigow  that  ich  dies:  ich  fing  und  fesselte  eigenhandig 
zehn  bis  zwanzig  wilde  Pferde  lebendig;  und  als  ich  langs  deni  Flusse 
Rossj  ritt  (so  wird  jetzt  gelesen:  in  der  auch  sonst  sehr  fehlerhaften 
Handschrift  steht  das  sinnlose  po  Rovi\  der  genannte  Fluss  Rossj 
bildete  eine  Art  Grenzscheide  zwischen  den  Russen  und  den  wilden 
tiirkischen  Polowzern),  fing  ich  mit  den  Handen  eben  solche  wilde 
Pferde. « 

Zur  richtigen  Beurtheilung  dieser  Stellen  ist  vor  Allem  Folgen- 
des  zu  erwagen.  Bei  den  europaischen  Volkern  wurde  in  altester 
historischer  Zeit  das  Pferd  gehalten  wie  bei  den  asiatischen  Nomaden : 
es  weidete  abseits,  fern  von  der  Niederlassung,  in  ganzen  Heerden, 
im  halb wilden  Zustande  (eine  solche  Heerde  hies  ahd.  stuot,  ags. 
und  altn.  stod,  lit.  stodas,  slav.  stado\  und  wurde  hervorgeholt, 
wenn  die  Gelegenheit  sich  hot,  es  zu  brauchen.  War  ein  heran- 
gewachsenes  Thier  dazu  bestimmt,  den  Herrn  auf  einem  Zuge  zu 
begleiten,  so  wurde  es  eingefangen,  durch  energische  Mittel  gezahmt 
-  wobei  manches  Individuum  durch  Erdrosselung  zu  Grunde  gehen 
musste  -  -  und  flog  dann  mit  seinem  Reiter  windschnell  durch  die 
Weite.  Wenn  es  im  altnordischen  Havamal  heisst: 

Fiittere  das  Ross  daheim, 
Den  Hund  auswarts, 

so  ist  dies  schon  eine  spatere  Regel,  die  ungefahr  dasselbe  sagt,  wie 
das  griechische,  auch  unter  uns  gebrauchlich  gewordene  Sprichwort: 
des  Herrn  Auge  macht  die  Pferde  fett.  Die  Freiheit  aber,  in  der 
in  fruherer  Zeit  die  junge  Zucht  aufwuchs,  rnusste  haufig  Anlass  zu 
volliger  Verwilderung  einzelner  Thiere  oder  ganzer  Heerden  geben. 
Jene  rissen  sich  los,  so  die  Stuten  in  der  Zeit  der  Brunst,  und  ver- 
irrten  sich,  diese  stiirzten,  von  Wolfen  verfolgt  oder  von  Moskitos 
gepeinigt,  sinnlos  in  die  Weite  fort;  so  wurden  sie  als  freie  Be- 
wohner  der  buschigen  Wildniss  Gegenstand  der  Jagd,  wie  Hirsche 
und  Elene.  Gegen  die  Annahme,  dass  das  mittlere  Europa  bis  nach 
Spanien  hin  zu  dem  naturlichen  Verbreitungsbezirk  des  Pferdes  ge- 
hort  habe,  scheint  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  dieser  Welttheil 
vor  Beginn  der  Kulturthatigkeit  des  Menschen  ein  dicht  verwachse- 
nes  und  beschattetes  Waldgebiet  darstellte,  das  Pferd  aber  ein  auf 


Das  Pfercl.  25 

Gras  als  seine  Nahrung  und  Schiielligkeit  als  seine  Waffe  zur  Rettung 
vor  den  grossen  Raubthieren  berechnetes  fliichtiges  Steppenthier  ist. 
Die  Art,  wie  einige  der  oben  angefiihrten  Nachrichten  gefasst  sind, 
deutet  gleichfalls  mehr  auf  verwilderte,  als  auf  urspriinglich  wilde 
Pferde.  Wenn  die  Pferde  der  Vogesen,  zwar  mit  Miih  und  Arbeit, 
aber  doch  mit  Erfolg  gezahmt  werden;  wenn  der  dux  Sobeslaus  von 
einem  Kriegszuge  in  Schlesien  indomitarum  equarum  greges  mit 
heimfuhrt  oder  in  jener  westphalischen  Urkunde  Fischerei,  Jagd  und 
die  vagi  equi  eines  Territoriums  einem  der  Theilhaber  zugesprochen 
werden;  ebenso  wenn  die  ungehiiteten  Pferde  nicht  zu  dem  Gute 
der  Frau  zu  rechnen  sind,  so  ist  gewiss  die  Vermuthung  gestattet, 
dass  in  all  diesen  Fallen  nur  von  Fliichtlingen  berichtet  wird.  So 
konnten  auch  die  Thiere,  die  der  heilige  Otto  in  Pommern  vorfand 
oder  die  die  Ordensritter  in  Preussen  jagten,  zwar  in  der  Wildniss 
geboren  sein,  dennoch  aber  von  entlaufenen  Stuten  abstammen,  und 
dies  um  so  eher,  je  mehr  jene  noch  ungelichteten  Gegenden  seit 
Jahrhunderten  von  innern  Raub-  und  Kriegsziigen  beimgesucht 
waren.  Noch  natiirlicher  war  dies  im  Gebiet  von  Tschernigow,  wo 
der  Grossfiirst  zehn  oder  zwanzig  unbandige  Pferde  mit  eigener 
Hand  fing  und  koppelte:  in  jenem  Grenzgebiet,  das  unmittelbar  an 
die  nomadischen  Pferdevolker  stiess,  konnten  die  Walder  verlorenen 
oder  verirrten  Thieren  der  Art  leicht  eine  Zuflucht  geboten  haben. 
Auch  sagt  der  Grossfiirst  nicht,  er  habe  Pferde,  wie  andere  Jagd- 
thiere,  erlegt,  sondern  er  habe  sie  eingefangen  und  gefesselt,  d.  h. 
mit  kraftigem  Arm  die  Schlinge  gefiihrt,  die  auch  bei  halbzahmen 
Heerden  in  Gebrauch  war.  Wir  fiigen  noch  hinzu,  dass  auch  die 
um  den  See,  aus  dem  der  Hypanis  seinen  Ursprung  hatte,  weidenden 
wilden  Pferde  bei  Herodot  4,  52 :  innot,  aygioi  tevxot  sich  durch  das 
Pradikat  weiss,  Aevxot,  als  geheiligte,  in  halber  Freiheit  gehaltene 
Heerden  verrathen. 

Kehren  wir  aus  dem  europaischen  Waldrevier  zu  der  urspriing- 
lichen  Heimath  des  Thieres,  dem  Steppengebiet  Asiens,  zuriick,  so 
begegnet  uns  hier  weiter  die  bedeutungsvolle  Thatsache,  dass,  je 
ferner  von  diesem  Ausgangspunkte  eine  Landschaft  gelegen  ist,  desto 
spater  in  ihr  auch  historisch  das  gezahmte  Pferd  auftritt,und  desto 
deutlicher  die  Rossezucht  als  eine  von  den  Nachbaren  im  Osten  und 
Nordosten  abgeleitete  erscheint. 

In  Aegypten,  um  mit  dem  entlegensten  Gliede  zu  beginnen, 
hat  sich  im  sogenannten  alten  Reiche  keine  Abbildung  eines  Rosses 
oder  eines  Kriegswageiis  gefunden.  Erst  da  die  Epoche  der  Hirten- 


26  I>as  Pferd. 

konige  voriiber  1st,  begimieii  unter  der  achtzehnten  Dynastic  mid  bei 
Gelegenheit  der  Kriegsziige,  die  dieselbe  unternahrn  (etwa  um  das 
Jahr  1700  v.  Chr.),  die  bildlichen  Darstellungen  und  in  den  Papyrus, 
so  weit  deren  Lesung  mit  Sicherheit  gelungen  ist,  die  Erwahnungen 
des  Rosses  und  der  in  asiatischer  Weise  bespannten  Streitwagen 
(Brugsch,  Gescbichte  Aegyptens,  Leipzig  1877,  S.  198,  273;  Chabas, 
fitudes  sur  Fantiquite  historique,  p.  413  ff.).  Die  Vermuthung,  dass 
es  eben  das  Hirtenvolk  der  Hyksos  gewesen,  welcbes  das  neue  Thier 
und  mit  ihm  die  rieue  Kriegskunst  nach  Aegypten  brachte  (Ebers, 
Aegypten.  und  die  Bticher  Mose's  1,  121:  »es  unterliegt  keinem 
Zweifel,  dass  dies  Thier  von  den  Hyksos  in  Aegypten  eingefiihrt 
worden  ist«),  hat  viel  Bestechendes ,  wird  aber  bis  jetzt  von  keinem 
bestimmten  Denkmal  gestiitzt.  Vielleicht  also  wareii  es  erst  die 
Konige  der  genannten  achtzehnten  Dynastie,  denen  bei  ihrem 
kriegerischen  und  friedlichen  Verkehr  mit  Syrien  das  Pferd  und  der 
Streitwagen  von  diesem  Lande  her  bekannt  wurden  (der  agyptische 
Name  des  Wagens  ist  dem  hebraischen  fast  vollstandig  gleich, 
agyptisch  sus  das  Pferd  ist  ein  semitisches  Wort,  Brugsch  a.  a.  0.). 
Wenn  Chabas  meint,  die  Zahmung  und  Anschirrung  des  Rosses 
setze  eine  langere  Anwesenheit  desselben  voraus,  wahrend  welcher 
es  stufenweise  zum  Dienst  des  Menschen  erzogen  worden,  so  vergisst 
er,  dass  es  sich  hier  um  ein  fertig  von  den  Nach  barn  dbernommenes, 
langst  an  diesen  Dienst  gewohntes  Thier  handelt.  Uebrigens  wurde 
auch  in  Aegypten,  wie  bei  den  Asiaten,  das  Pferd  nur  zu  kriege- 
rischen Zwecken  gehalten;  iiber  seine  Anwendung  bei  hauslichen 
und  landlichen  Arbeiten  sind  die  Bildwerke  stumm,  -  -  denn  das 
Wenige,  was  dahin  zu  deuten  ware,  durferi  wir  als  allzu  zweifelhaft 
unbeachtet  lassen.  Kriegswagen  hat  auch  Achilles  im  Sinn,  wenn 
er  II.  9,  383  vom  agyptischen  Theben  sagt: 

Theben  die  hundertthorige  Stadt,  es  fahren  aus  jedem 
Thor  zwei'huiidert  Manner  heraus  mit  Rossen  und  Wagen. 

Wie  der  Aegypter  selbst  iiber  den  Gebrauch  des  Pferdes  dachte, 
lehrt  die  mythische  Erzahlung  bei  Plut.  de  Is.  et  O.  19:  » Osiris 
fragte  den  Horus,  welches  Thier  fur  den  Krieg  wohl  das  nutzlichste 
sei?  Als  Horus  darauf  erwiderte:  das  Pferd,  wunderte  sich  Osiris 
und  forschte  weiter,  warum  nicht  eher  der  L6 we  als  das  Pferd? 
Da  sagte  Horus:  der  Lowe  mag  demjenigen  niitzlich  sein,  der  Hiilfe 
braucht,  das  Pferd  aber  dient  den  fliehenden  Feind  zu  zerstreuen 
und  aufzureiben. «  Der  Lowe  namlich  war  von  den  Aegyptern,  wenn 
wir  den  Abbildungen  trauen  diirfen,  in  so  weit  gezahmt  worden, 


Das  Pferd.  27 

dass  er  den  Pharao  in  die  Schlacht  begleiten  konnte;  er  wurde  an 
einer  Kette  am  Wagen  mitgefiihrt  und  im  rechten  Augenblick  los- 
gelassen. 

Fur  das  Alter  des  Pferdes  bei  den  Semiten  Vorderasiens  sind 
wir  auf  die  Zeugnisse  des  Alten  Testaments,  des  Pentateuch,  des 
Buches  Josua  u.  s.  w.  gewiesen  —  aus  welcher  Zeit  aber  stammen 
dieselben?  Es  giebt  kein  Stiick  dieser  Sammlung,  das  nicht  aus 
verschiedenartigen  Bestandtheilen  zusammengesetzt  und  nicht  durch 
die  Hand  eines  Bearbeiters  oder  mehrerer  sich  folgender  Bearbeiter 
gegangen  ware.  Hatten  sich  wirklich  einzelne  schriftliche  Auf- 
zeichnungen  aus  der  Zeit  der  ersten  Besetzung  des  Landes  erhalten, 
so  mogen  diese  in  die  Erzahlung  aufgenommen  worden  sein;  im 
Uebrigen  konnte  auch  der  alteste  biblische  Verfasser,  der  altere 
Elohist,  dessen  Schrift  gleichwohl  nicht  iiber  die  Epoche  der 
Konige  hinaufgeht,  nur  aus  der  Sage  schopfen,  die  ihrer  Natur  nach 
in  der  langen  Zeit  geschaftig  gewesen  war,  ihren  Stoff  je  nach  dem 
Bediirfniss  zu  gestalten  und  umzugestalten.  So  sind  wir  bei  keinem 
einzelnen  Zuge  der  biblischen  Berichte  vollig  sicher,  ob  er  von 
echter  Ueberlieferung  oder  von  spaterer  theokratischer  oder  nationaler 
Absicht  oder  endlich  von  dem  Geiste  anachronistisch  ausmalender 
Dichtung  eingegeben  worden.  Was  nun  das  Pferd  betrifft,  so  fehlen 
in  den  sogenannten  Biichern  Mosis  und  auch  in  den  Geschichts- 
biichern  die  Erwahnungen  desselben  nicht,  z.  B.  Jos.  11,  4  von  den 
Kanaanitern:  » diese  zogen  aus  mit  all  ihrem  Heer,  ein  gross  Volk, 
so  viel  als  des  Sandes  am  Meer  und  mit  sehr  viel  Ross  und  Wagen « 
und  der  Inhalt  dieser  Stellen  wird  durch  das  Lied  der  Deborah, 
Richter  5,  welches  bedeutend  alter  sein  muss,  als  die  Griindung  der 
Monarchic,  und  wohl  in  das  13.  Jahrhundert  v.  Chr.  fallt,  als  echt 
bestatigt,  22:  »da  rasselten  der  Pferde  Fiisse  fiir  dem  Zagen  ihrer 
machtigen  Reiter«,  28:  »warum  verzeucht  sein  Wagen,  dass  er  nicht 
kommt?  wie  bleiben  die  Rader  seiner  Wagen  so  dahinten?«  —  aber 
als  Haus-  und  Heerdethier  der  Patriarchen  erscheint  es  in  diesen 
Schilderungen  nicht;  es  nimmt  an  den  Wanderungen  und  Kampfen 
des  Volkes  Israel  nicht  Theil;  es  ist  das  kriegerische  Thier  der 
Nachbarn  und  Feinde,  rasselnd  und  stampfend  vor  dem  Streitwagen 
oder  unter  dem  Reiter;  als  Kriegsross,  und  nur  als  solches,  wird  es 
auch  in  der  schwungvollen  Schilderung  des  Buches  Hiob  gefeiert; 
im  Haushalt  vertritt  seine  Stelle  der  Esel.  »Lass  dich  nicht  ge- 
1  iisten«,  lehrt  der  Dekalog,  dessen  Gebote  doch  aus  verhaltniss- 
massig  sehr  alter  Zeit  stammen,  »deines  Nachsten  Weibes 


28  Das  Pferd. 

noch  seines  Ochsen  noch  seines  Esels  noch  Alles,  was  dein  Nachster 
hat« :  das  Pferd,  der  Hauptgegenstand  des  Raubes  mid  Begehrs  bei 
reitenden  Nornaden,  ist  hier  bezeichnender  Weise  nicht  genannt. 
(Weitere  Belege  dafiir,  dass  den  Hebraern  in  friiher  Zeit  das  Pferd 
fehlte,  bei  Michaelis,  Mosaisches  Recht,  Theil  3  der  zweiten  Auflage, 
Anhang:  »Etwas  von  der  altesten  Geschichte  der  Pferde  und  Pferde- 
zucht  in  Palastina  imd  den  benachbarten  Landern,  sonderlich 
Aegypten  und  Arabien. «)  Wenn  uns  spater  von  dem  Konig  von 
Juda,  Josias,  berichtet  wird,  er  habe  ausser  anderem  heidnischen 
Grauel  auch  die  der  Sonne  geweihten  Pferde  und  Wagen  abgeschafft, 
2.  Kon.  23,  11:  »Und  that  abe  die  Ross,  welche  die  Konige  Juda 
hatten  der  Sonnen  gesetzt  im  Eingang  des  Herren  Hause,  an  der 
Kamnier  Nethanmelech  des  Kammerers,  der  zu  Parwarim  war.  Und 
die  Wagen  der  Sonnen  verbrannte  er  mit  Feuer«  —  so  war  dies 
unter  den  mannigfachen  Gotterdiensten,  die  in  Jerusalem  zusammen- 
flossen,  ein  aus  Medien  hierher  gelangter  Zug  des  iranischen  Sonnen- 
kultus  (s.  unten).  -  Kein  Wunder,  dass  wir  das  Pferd  auch  bei 
dem  sudlichen  Zweige  der  Semiten,  den  Ismaeliten  oder  Arabern, 
nicht  antreffen.  Nirgends  im  Alten  Testament  treten  die  Hirten  der 
arabischen  Wiiste  in  Begleitung  dieses  Thieres  auf;  sie  ziehen  nur 
mit  Eseln  und  Kameelen  umher  und  die  Kriegskunst  der  despotischen 
Reiche  vom  Tigris  bis  zum  Nil  ist  ihnen  unbekannt.  Ganz  damit 
in  Uebereinstimmung  reiten  in  des  Xerxes  Heer  die  Araber  nur  auf 
Kameelen,  Herod.  7,  86  :  »die  Araber  waren  alle  auf  Kameelen  be- 
ritten,  die  den  Pferden  an  Schnelligkeit  nicht  nachgaben.«  Auch 
nach  Strabo  gab  es  in  dem  gliicklichen  Arabien  keine  Pferde  und 
also  auch  keine  Maulthiere,  16,  4,  2:  »an  Haus-  und  Heerdethiereii 
(foaxvjfiaT(ov)  ist  dort  Ueberfluss,  wenn  man  Pferde,  Maulthiere  und 
Schweine  ausnimmt«,  und  ebenso  im  Lande  der  Nabataer,  16,  4, 
26:  »Pferde  sind  in  dem  Lande  keine:  deren  Stelle  in  der  Dienst- 
leistung  vertreten  die  Kameele«  —  und  doch  war  Strabo,  der  Freund 
und  Genosse  des  Aelius  Gallus,  des  Feldherrn,  der  die  grosse  miss- 
lungene  Expedition  nach  Arabien  gemacht  hatte,  iiber  die  Halbinsel 
sicherlich  so  genau,  wie  nur  irgend  Jemand  in  damaliger  Zeit,  unter- 
richtet.  Noch  in  der  Schlacht  bei  Magnesia  fiihrte  Antiochus  der 
Grosse,  wie  einst  Xerxes,  Araber,  auf  Dromedaren  sitzend,  ins  Gefecht, 
Liv.  37,  40  (das  aus  mancherlei  asiatischen  Volkerschaften ,  jede  in 
der  ihr  zusagenden  Riistung  und  Waffe,  bestehende  Heer  wird  be- 
schrieben,  darunter  die  Araber):  cameli,  quos  appellant  dromadas. 
His  insidebant  Ardbes  sagittarii,  gladios  liabentes  tenues  u.  s.  w. 


Das  Pferd.  29 

Diejenigen,  die  diese  Nachrichten  der  Alien  aus  dem  Grunde  un- 
glaublich  finden  wollten,  well  jetzt  die  'arabischen  Pferde  fur  die 
edelsten  ibres  Gesehlechts  gelten,  haben  nicht  erwogen,  dass  auf  dem 
Gebiet  der  Kulturgeschichte  ahnliche  Falle  keineswegs  selten,  ja 
ausserordentlich  haufig  sind.  In  den  Sandrneeren  Arabiens,  in  denen 
die  Oasen  gleicbsam  die  Inseln  bilden,  war  zur  Ueberfabrt  von 
einer  zur  andern  das  Kameel,  das  Schiff  der  Wiiste,  bei  Weitem 
dienlicher  als  das  Pferd :  es  konnte  schnell  sein,  wie  dieses,  es  konnte 
auch  lange  dursten;  es  nahrte  sich  von  Wiistenkrautern  und  auf 
seinem  breiten  Rucken  trug  es  die  Zeltstangen  und  den  Mundvorratb, 
die  Weiber  und  Kinder  des  herumziebenden  Hirteii  iiber  weite 
Strecken.  Zu  den  obigen  direkten  Zeugnissen  lasst  sicb  noch  das 
negative  des  Publius  Vegetius,  eines  spaten  hippiatrischen  Compilators, 
fiigen,  der  im  6.  Kapitel  des  6.  Buches  (der  Ausgabe  von  Schneider) 
die  dem  Alterthum  bekannten,  durch  irgend  welche  Eigenschaften  hervor- 
steehenden  Pferderacen  aufzablt  und  charakterisirt,  iiber  das  arabische 
Pferd  aber  sehweigt.  Von  den  afrikanischen ,  also  dem  arabischen 
Schlage,  wie  man  glauben  konnte,  nahestehenden  Pferden  sagt  er, 
sie  wiirden  fur  den  Circus  als  die  schnellsten  bezogen,  fiigt  aber 
hinzu,  sie  seien  spanischen  Blutes,  6,  6,  4:  nee  inferiores  prope 
Sicilia  exhibet  circo,  quamvis  Africa  Hispani  sanguinis  velocissimos 
praestare  consueverit.  Auch  bei  Symmachus  Epp.  4,  62  wird  aus 
Antiochia  eine  Gesandtschaft  nicht  etwa  ins  nahe  Arabien, 

sondern  nach  Spanien  geschickt,  urn  dort  Rennpferde  zu  kaufen,  und 
erhalt  von  Symmachus  einen  Empfehlungsbrief  an  den  Spanier 
Euphrasius,  den  Besitzer  grosser  Stutereien.  Aber  bei  Ammianus 
Marcellinus,  dem  etwas  alteren  Zeitgenossen  des  Symmachus,  in  der 
zweiten  Halfte  des  4.  Jahrhunderts ,  wird  14,  4,  3  bei  Schilderung 
der  Sitten  der  »Saracenen«,  deren  Wohnplatz  der  Geschichtsschreiber 
vom  Tigris  bis  zu  den  Wasserf alien  des  Nil  sich  denkt,  ihrer 
schnellen  Pferde  und  schlanken  Kameele,  equorum  adjumento  per- 
nicium  graciliumqiie  camelorum,  Erwahnung  gethan.  Ungefahr  gleich- 
zeitig  besass  auch  der  Kaiser  Valens  saracenische  Reiterei,  Eunap.  6 
ed.  Bonn.  p.  52 :  ^o  SaQaxqvwv  Irtmxov,  die  er  aus  dem  Orient  gegen 
die  sein  Land  verwiistenden  Goten  voraussandte ,  und  nach  der 
etwas  spateren  Notitia  dignitatum  I,  cap.  25,  1,  4  hatte  der  Comes 
limitis  Aegypti  unter  seinem  Oberbefehl  equites  Saraceni  Thamudeni, 
wie  auch  cap.  29,  1,  5  equites  Thamudeni  Illyriciani  fur  Palastina 
vorkommen.  Das  arabische  Pferd  muss  also  in  den  letzten  Zeiten 
des  Alterthums  und  im  friihen  Mittelalter,  zwar  nicht  zu  allererst 


30  Das  Pferd. 

eingefuhrt,  doch  in  einer  ihm  zusagenden  Natur  und  unter  der  Gunst 
pflegender  Sitte  zu  dem  stolzen  und  schonen  Geschopf  geworden 
sein,  wie  wir  es  gegenwartig  bewundem.  Im  Koran  und  in  den 
Ueberbleibseln  vorislamitischer  Poesie,  so  weit  sie  uns  in  genuiner 
Gestalt  erhalten  sind,  wird  es  schon  in  Schilderungen  und  Vergleichen 
mit  zartlicher  Vorliebe  gepriesen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Ostsemiten,  den  Babyloniern  und 
Assyrern  im  Gebiet  des  Euphrat  und  Tigris,  so  tritt  uns  hier  an 
den  Wanden  der  neu  aufgegrabenen  Palaste  der  Kriegswagen,  von 
reich  aufgescbirrten  Rossen  gezogen,  uberall  in  sprechenden  Bildern 
entgegen.  (Ausfiihrlich  handelt  dariiber  Layard,  Ninive  and  its 
remains,  T.  2,  chap.  4.)  Von  hier  aus  war  diese  Waffe  ohne  Zweifel 
weiter  nach  Westen  und  Siidwesten,  zu  den  Syrern  am  mittel- 
landischen  Meer  und  zu  den  Aegyptern  im  Nilthal  gekommen.  In 
den  mesopotamischen  Ebenen  muss  es  gewesen  sein,  wo  die  An- 
wendung  des  Wagens  zum  raschen  Angriff  und  ebenso  raschen 
Riickzug  fiir  den  Bogenschiitzen  erfunden  wurde.  Wo  uns  die  nini- 
vitischen  Skulpturen  einen  Reiter  mit  Pfeil  und  Bogen  im  Kampf 
zeigen,  da  wird  sein  Pferd  jedesmal  von  einem  andern  Reiter  ihm 
zur  Seite  gehalten  und  gelenkt;  ist  der  Reiter  statt  des  Bogens  mit 
dem  Speer  bewaffnet,  so  fehlt  dieser  Gehiilfe.  Der  Schiitze  musste 
die  Hande  frei  haben,  um  an  den  Kocher  zu  greifen,  den  Bogen  zu 
.spannen  und  den  Pfeil  richtig  zum  Ziele  zu  senden;  ein  so  mit  dem 
Rosse  verwachsener  Reiter,  wie  der  Farther  und  jetzt  der  Turkmene, 
war  der  Assyrer  noch  nicht.  So  verfiel  er  auf  die  Einrichtung  des 
helfenden  Nebenreiters  und  in  weiterer  Folge  auf  den  leichten,  zwei- 
radrigen,  mit  zwei  Rossen  bespannten  und  zwei  Menschen  fassenden 
Kriegswagen.  Er  stand  auf  diesem  Wagen,  frei  umherblickend,  und 
der  Rosselenker  an  seiner  Seite;  selbst  auf  der  Flucht  konnte  er  sich 
umwendend  den  verfolgenden  Feind  noch  treffen.  Doch  scheint  auch 
in  den  assyrischen  Kriegsziigeii  der  Wagenkampf  ein  Vorzug  der 
Edlen  zu  sein,  wie  in  anderen  Zeiten  und  bei  anderen  Volkern  der 
ritterliche  Kampf  zu  Rosse:  der  assyrische  Konig  zeigt  sich  nicht 
zu  Fuss,  auch  nicht  reitend,  sondern  immer  zu  Wagen,  ausser  bei 
Belagerungen  fester  Platze,  wo  es  der  Natur  der  Sache  nach  auf 
Fliichtigkeit  der  Bewegung  nicht  ankam.  Vor  den  Wagen  sind 
immer  nur  zwei  Rosse  gespannt;  ein  drittes,  in  seltenen  Fallen  auch 
ein  viertes,  laufen  lose  neben  her,  um  weun  eins  der  Deichselpferde 
verwundet  oder  sonst  unbrauchbar  geworden,  an  seine  Stelle  zu 
treten.  Die  Pferde  dieser  Bilder  sind  zwar,  wie  die  Menschen, 


Das  Pferd.  31 

strenge  stilisirt,  doch  will  Place,  Ninive  et  1'Assyrie,  II.  p.  233,  bei 
den  heutigen  Kurden,.  also  einem  iranischen  Volke,  ganz  ahnliche 
gefunden  haben.  Dass  das  semitische  Ross  uberhaupt  aus  iranischen 
Landen,  wie  das  agyptische  aus  semitischen,  stammte,  ist  eine  aus 
alien  Umstanden  sich  ergebende  Vermuthung.  Nach  dem  Propheten 
Ezechiel  bezog  auch  Tyrus  seine  Pferde  aus  Thogarma,  d.  h.  aus 
Armenien  und  Cappadocien,  27,  14:  »Die  von  Thogarma  haben  Dir 
Pferd  und  Wagen  und  Maulesel  auf  Deine  Markte  bracht.« 

Tiefer  nach  Siidosten,  in  Indien,  entfernen  wir  uns  sichtlich  von 
dem  Mittelpunkt  des  Kreises,  den  die  Verbreitung  des  Pferdes  be- 
schreibt.  In  Indien  waren  die  Pferde  weder  haufig,  noch  schon 
und  stark,  sie  wurden  aus  den  Landern  im  Nordwesten  eingefuhrt 
und  arteten  leicht  aus.  Die  Alten  erwahnen  dieser  Eigenthtimlichkeit 
des  an  alien  andern  Naturschatzen  so  reichen  Landes  nicht  selten 
und  neuere  Berichterstatter  stimmen  mit  ihnen  iiberein  (s.  Lassen, 
Ind.  Alterthumskunde  1 ,  301  f .).  Doch  im  Grenzgebiet  bei  den 
vedischen  Stammen  im  Fiinfstromlande,  steht  das  Ross  im  hochsten 
Ansehen  und  bildet  einen  erstrebten  Besitz  und  Reichthum  (H. 
Zimmer,  Altindisches  Leben,  S.  230  f£.).  Es  die-nt  zum  Kriege  und 
als  Opfer,  wird  nicht  geritten,  sondern  zieht  den  Kriegswagen. 
Aber  wie  noch  andere  Ziige  beweisen,  dass  das  aus  den  Veden  zu 
erschliessende  Leben  keineswegs  ein  ganz  ursprungliches  war,  sondern 
schon  mannigfache  Kultureinfliisse  von  Westen  erfahren  hatte  (die 
babylonische  Mine  als  Goldeinheit,  das  Wegemass,  die  Eintheilung 
des  Tages,  die  Mondstationen ,  die  semitische  Fluthsage),  so  gleicht 
auch  der  vedische  Streitwagen  genau  und  in  alien  Theilen  dem 
homerischen  und  beide  zusammen  dem  assyrischen,  von  dem  sie 
stammen  (Zimmer  a.  a.  O.  S.  245  ff.).  In  Karmanien,  westlich  vom 
Indus,  vertrat  auch  im  Kriege  der  Esel  das  Pferd  (Strab.  15,  2,  14) 
und  auch  in  der  Landschaft  Persis,  aus  der  die  Stifter  des  persischen 
Weltreichs  hervorgingen ,  fehlte  das  Pferd  fast  ganz  und  war  das 
Reiten  unbekannt.  Der  junge  Cyrus  jauchzte,  als  er  am  Hofe  seines 
Grossvaters  das  edle  Thier  tummeln  lernte,  denn  in  seiner  gebirgigen 
Heimath  war  es  ungewohnlich,  Pferde  zu  halten  oder  sie  zu  be- 
steigen,  ja  man  bekam  kaum  ein  Pferd  zu  Gesicht  (Xen.  Cyrop.  1, 
3,  3).  Als  er  spater  die  Waff  en  gegen  die  Meder  und  Hyrkanier 
erhoben  und  deren  geschwinde  Reiterei  hatte  bekampfen  miissen,  da 
empfahl  er  den  Seinigen,  von  nun  an  auch  das  Ross  zu  besteigen 
und  gleichsam  beflugelt  dem  Feinde  sich  entgegen  zu  schwingen. 
Auf  die  wohlgesetzte  Ansprache  voll  attischer  Beredsamkeit,  die  ihm 


32  Das  Pferd. 

Xenophon,  Cyrop.  4,  3,  bei  dieser  Gelegenheit  in  den  Mund  legt, 
erwidert  einer  der  Grossen,  Chrysantas,  mit  einer  beistimmenden 
Rede,  und  seit  jenen  Tagen,  setzt  Xenophon  hinzu,  halten  es  die 
Perser  so,  dass  kein  Vornehmer  und  Gebildeter,  oiSelg  x<Zv  xahoiv 
xdyaOwv ,  jemals  freiwillig  zu  Fusse  gehend  erblickt  wird.  Daher 
auf  dem  Grabmal  des  Darius,  wie  Onesikritos  bei  Strabo  15,  3,  8 
berichtet,  geschrieben  stand,  der  Konig  sei  nicht  nur  ein  treuer 
Freund,  sondern  auch  der  beste  Reiter,  Schutze  und  Jager  gewesen 
tyikoo,  fjv  wig  (pttoig'  ITITISVS  xal  ^o%o^r\q>  agrtfiog  eytv6[Jir]V'  xwr^wv 
sxQawvv  Tidvia  noielv  ^wdfAtjV.  Auch  in  diesem  Punkt,  wie  in 
den  Staatsf ormen ,  der  Kleidertracht,  den  Sitten  und  Lebensgewohn- 
heiten  bildeten  sich  die  Perser  nach  den  ihnen  blutsverwandten 
Medern,  —  nach  babylonischem  Muster  nur,  in  so  fern  dies  schon 
1'riiher  in  Medien  gewirkt  hatte.  Das  Ross  als  ein  heiliges,  verehrtes 
Thier,  als  weissagerisch ,  als  Opfer  fiir  den  Lichtgott,  der  Wagen 
des  grossen  Konigs  mit  lichtweissen  Rossen  bespannt,  die  Unsterb- 
lichen  auf  weissen  Rossen  daher  sprengerid,  die  Heldennamen,  die 
Narnen  der  Untergotter  mit  dem  Worte  agpa  das  Pferd  zusammen- 
gesetzt  —  dies  Alles  ist  medisch  und  baktrisch  und  wurde  auch 
Glaube  der  Perser,  Strab.  11,  13,  9:  »Die  ganze  jetzt  persisch  ge- 
nannte  Kriegsordnung  und  die  Vorliebe  fiir  das  Schiitzenwesen  und 
fiir  die  Reitkunst  und  der  das  Konigthum  umgebende  Dienst  und 
Prunk  und  die  dem  Herrscher  von  dem  Beherrschten  gewidmete 
gottahnliche  Ehrfurcht,  Alles  dies  ist  aus  Medien  zu  den  Persern 
gekommen.«  Medien  war  das  Land  der  Pferde,  woher  sie  ganz 
Asien  bezog;  es  war  dazu  geeignet,  theils  der  natiirlichen  Beschaffen- 
heit  mancher  Oertlichkeiten ,  theils  der  angeborenen  Neigung  seiner 
Bewohner  wegen ;  es  bildete  selbst  den  Uebergang  von  Iran  zu  Turan, 
d.  h.  von  den  ansassigen  zu  den  reitenden  Volkern  iranischen  Blutes. 
Medien,  sagt  Polybius,  10,  27,  zeichnet  sich  durch  die  Vorziige 
seiner  Menschen  wie  seiner  Pferde  aus;  durch  die  letzteren  steht  es 
ganz  Asien  voran,  daher  auch  die  koniglichen  Stutereien  in  dieses 
Land  verlegt  waren.«  Auch  Strabo  ruhmt  Medien  und  das  an- 
grenzende  Armenien  wegen  seiner  Rossezucht,  11,  13,  7:  »Beide 
Lander,  Medien  und  Armenien,  sind  ausnehmend  reich  an  Pferden; 
auch  giebt  es  dort  eine  Wiesengegend  Hippobotos,  durch  welche  die 
Reisenden  hindurchkommen ,  die  von  Persis  und  Babylon  zu  den 
Kaspischen  Thoren  wollen:  in  dieser  sollen  zur  persischen  Zeit  funf- 
zigtausend  Stuten  geweidet,  die  Heerden  aber  dem  Konige  gehort 
haben.«  In  Medien  war  es,  wo  die  beriihmten  nisaischen  oder 


Das  Pferd.  33 

nesaischen  Rosse  gezogen  wurden,  von  deneii  das  ganze  Alterthum 
redet,  y.uerst  Herod.  7r  40:  »in  Medien  liegt  eine  weite  Ebene,  deren 
Name  Nesaion  1st :  diese  Ebene  tragt  die  (nach  ihr  benannten)  grossen 
Pferde.«  Strabo  lasst  sie  von  jener  Wiese  Hippobotos  ausgehen 
und  versetzt  sie  auch  nach  Armenien,  11,  13,  7:  »die  nesaischen 
Pferde,  die  als  die  besten  und  grossten  den  Persischen  Konigen 
dienten,  stammen  nach  den  Einen  von  hier,  nach  den  Andern  aus 
Armenien*,  11,  14,  9:  »so  sehr  ist  Armenien  mit  Pferden  gesegnet, 
dass  es  hierin  Medien  nicht  nachsteht  und  die  nesaischen  Pferde, 
deren  sich  die  persischen  Konige  bedienten,  auch  hier  vorkommen; 
auch  schickte  der  Satrap  von  Armenien  dem  Perser  jedes  Jahr 
zwanzigtausend  junge  Thiere  zu  dem  Mithrasfeste".  Die  nisaischen 
Pferde  waren  schnell,  wie  die  heutigen  turkmenischen,  und  Aristoteles, 
h.  a.  9,  50,  §  251,  riihmt  den  hyrkanischen  Dromedaren  nach,  wenn 
sie  sich  in  Lauf  setzten,  thaten  sie  es  sogar  den  nisaischen  Pferden 
zuvor,  also  den  geschwindesten  aller  Pferde.  Sie  waren  von  eigen- 
thumlicher  Bildung,  wie  die  bei  den  asiatischen  Griechen  zu  Strabos 
Zeit  parthisch  genannten  Thiere  (Strabo  11,13,7).  Ammianus  Marcellinus 
hatte  so  berittene  Kampferschaaren  selbst  gesehen,  23,  6,  30:  sunt  apud 
eos  (Medos)  prata  virentia:  fetus  equarum  nobilium  quibus  (ut 
scriptores  antiqui  docent,  nos  quoq^te  vidimus)  ineuntes  proelia  viri 
summa  vi  vehi  exsultantes  solent  qiios  Nesaeos  appellant.  Nisaa 
selbst  ist  ein  Orts-  und  Landschaftsname ,  der  in  Cis-  und  Trans- 
oxanien  hin  und  wieder  vorkommt  und  ohne  Zweifel  eine  appella- 
tivische  Bedeutung  hatte.  Nach  Strabo  11,  7,  2  war  Nesaa  ein 
Theil  Hyrkaniens  oder  auch,  wie  Andere  sagten,  ein  Land  fur  sich, 
und  der  Ochus  floss  durch  dasselbe,  wie  auch  Ammianus  Marc.  23, 
6,  54  in  Hyrkanien  eine  Stadt  Nisea  kennt.  In  Parthien  lag  eine 
Landschaft  Nisaa,  wo  von  den  Macedoniern  Alexandropolis  gegriindet 
war,  Plin.  6,  113:  regio  Nisiaea  Parthyenes  nobilis,  uU  Alexandropolis 
a  conditore,  und  die  Stadt  Parthaunisa,  in  der  der  Name  Parthiens 
und  der  Farther  nicht  verkannt  werden  kann,  fiihrte  nach  Isidor 
von  Charax  12  Miiller  bei  den  Hellenen  auch  den  Namen  Niaaia. 
Ptolemaus  6,  10,  4  und  8,  23,  6  hat  in  Margiana  einen  Ort,  Nfacua 
oder  Nfycua,  nordlich  von  Aria  sogar  ein  Volk  der  Nisaer,  Nusaloi, 
(6,  17,  3).  Nach  den  Glossarien  des  Hesychius  und  Suidas  (unter 
Nytfatag  innovg  und  "Irtnog  Niaalog)  liegt  zwischen  Susiana  und 
Bactriana  eine  Gegend,  deren  Name  griechisch  Nlaog  oder  Nfoog 
wiedergegeben  wird.  Ja  selbst  in  den  altpersischen  und  altbaktrischen 
Denkmalern  ist  dieser  Name  noch  erhalten:  in  der  grossen  Darius- 

Vict.  Hehu,   Kulturpflanzen.     7.  Aufl. 


34  Das  Pferd. 

inschrift  von  Behistun  oder  Bisitun  wird  eine  Landschaft  Nigaya  in 
Medien  genannt  und  im  Vendidad  im  obern  Thai  des  Margos 
(Murghab)  zwischen  Bakhdhi  (Balkh)  und  Mouru  (Merw)  eine  Ort- 
schaft  Nicaya  (s.  Justi,  Handbuch  S.  173,  Spiegel  Commentar  zu 
der  St. :  » Wir  wollen  bloss  bemerken,  dass  oft'enbar  der  Name  Nic.aya 
im  alien  Iran  ein  ziemlich  haufiger  war  und  an  verschiedenen  Orten 
vorkommt.«)  Die  nisaischen  Pferde  weisen  demnach  in  das  Grenz- 
land  zum  heutigen  Turkestan  bin,  von  wo  zu  aller  Zeit  die  Einbriiche 
der  Nomaden  in  das  orientalische  Kulturland  ergangen  sind.  Hier 
bis  an  den  Jaxartes  oder  Tanais  (beide  Namen  des  Flusses  sind' 
iranisch)  und  driiber  hinaus  lebten  jene  auf  fliichtigen  Rossen  umher- 
schweifenden  Volker,  die  im  stetigen  Uebergang  auch  im  Norden  des 
kaspiscben  und  schwarzen  Meeres  bis  zum  europaischen  Tanais  und 
zum  Borysthenes  und  Ister  reicheii:  die  Farther,  die  Massageten, 
die  Daer  und  Chorasmier ,  die  Sarmaten  und  Scythen  u.  s.  w. ,  mit 
einem  Gesammtnamen  Saker  genannt.  Wie  diese  Volker  alle  auf 
und  mit  ihren  Rossen  leben,  wie  sie  als  Innoxo^oTai,  reitend  ihre 
Pfeile  versenden,  wie  ihre  Rosse,  gleich  den  heutigen  turkmenischen, 
die  weitesten  Strecken  fliichtig  zuriicklegen,  ist  von  den  Alten  haufig 
mit  mehr  oder  minder  Ausfiihrlichkeit  geschildert  worden.  Just.  41, 
3  (von  den  Parthern):  equis  omni  tempore  vectantur.  Illis  bella,  illis 
convivia,  illis  publica  ac  privata  officia  obeunt:  super  illos  ire,  con- 
sistere,  mercari,  colloqui,  hoc  denique  discrimen  inter  servos  liberosque 
est,  quod  servi  pedibus,  lib  en  non  nisi  equis  incedunt.  Von  den 
Neu-Parthern,  gegen  die  der  Kaiser  Alexander  Severus  zog,  giebt  He- 
rodian  6,  5,  9  folgendes  Bild:  »Sie  brauchen  ihre  Bogen  und  Pferde 
nicht  bloss  zum  Kriege,  wie  die  Romer,  sondern  wachsen  mit  ihnen 
von  Kindesbeinen  auf  und  verbringen  ihr  Leben  auf  der  Jagd;  den 
Kocher  legen  sie  niemals  ab  und  steigen  nicht  von  den  Pferden, 
sondern  brauchen  sie  immer,  sei  es  gegen  Feinde  oder  gegen  Jagd- 
thiere.«  (Ganz  ahnlich  malt  es  in  Versen  Dionys.  Perieg.  v.  1044  ft'.) 
Die  Daer  ritten  durch  die  weiten,  wasserlosen  Wiisten,  erst  nach 
langen  Strecken  Rast  machend,  und  iiberfielen  Hyrkanien  und  Nesaa 
und  die  Ebenen  Parthyaas  (Strab.  11,  8,  3).  Die  Reiterei  der  Saken 
war  die  vorziiglichste  im  persischen  Heere,  Herod.  9,  71:  »unter  den 
Barbaren  zeichnete  sich  das  Fussvolk  der  Perser  und  die  Reiterei 
der  Saken  vor  den  iibrigen  aus.«  Als  Xerxes  nach  Thessalien  kam, 
dessen  Pferde  vor  alien  griechischen  im  Rufe  standen,  machte  er 
Wettversuche  zwischen  diesen  und  den  von  ihm  mitgebrachten  und 
die  seinigen  zeigten  sich  bei  Weitem  iiberlegen  (Herod.  7,  196). 


Das  Pferd. 


35 


Eewunderungswiirdig  war  die  Fahigkeit  dieser  Pferde,  diirre  Wiisten 
in  langen  Tagereisen  zu  durcheilen,  Propert.  5,  3,  35: 

Et  disco,  qua  parte  fluat  vincendus  Araxes, 
Quod  sine  aqua  Parthus  milia  currat  equus. 

Kaiser  Probus  ha  tie   von   den  Alanen    oder   einem    andern    dortigen 
Volke   ein  Pferd   erbeutet,    ausserlich    ganz    unansehnlich,    das  aber 
hundert   Meilen   taglich  laufen   und   dies   acht    bis   zehn  Tage    nach 
^inander  wiederholen  konnte,  Vopisc.  Prob.  8:  qui  quantum  captivi 
loquebantur  centum  ad  diem  milia  currere  dicer  etur,  ita  ut  per  dies 
octo  vel  decem  continuaret.     Doch  auch   Heerden   schonen  Schlages 
miissen,  wie  in  Medien,  von  den  scythischen  Fursten  gehalten  worden 
sein,  denn  Konig  Philipp,  Vater  Alexanders  des  Grossen,   nahm  den 
.Scytheii   an   der  Ister  -  Miindung  20,000  edle  Stuten   ab  und  schickte 
sie  zur  Zucht  nach  Macedonien,  Justin.  9,  2,  6:  (a  Philippo)  viginti 
milia  nobilium  equarum  ad  genus  faciendum  in  Macedoniam  missa. 
Umgekehrt  werden  die  Pferde  der  Sigynnen,  welches  Volk  zwar  He- 
rodot  in  die  Striche  nordlich  vom  Ister  versetzt,  das  aber  in  der  That 
viel  weiter  nach  Osten  am  kaspischen  Meere  hauste,  noch  in  manchen 
Ziigen   dem   wilden   Tarpan   der   Tartarei  und   Mongolei   ahnlich  be- 
schrieben:  sie  sind  behaart,  die  Haare  haben  5  Zoll  Lange;  sie  sind 
stumpfnasig    und    so    klein,    dass    sie   keine   Reiter   tragen   konnen: 
daher  sie  vor  Wagen  gespannt  werden,  mit  denen  sie  sehr  geschwind 
laufen  (Herod.  5,  9.     Strab.   11,   11,  8).     Die  Sigynnen   waren  kein 
turkischer  Stamm,    denn   es  wird  ihnen   ausdriicklich  medische  Her- 
kunft,  Sitte  und  Tracht  zugeschrieben,   aber  ihre  Thiere  waren  noch 
auf   der   altesten  Stufe  verblieben  oder   auf  dieselbe  zuriickgesunken, 
wahrend   die   der  iibrigen   sakischen  Reitervolker   durch   Riicknahme 
von    den    grasreichen,    klimatisch   mildern   medischen   Strichen   eine 
veredelte  Bildung  gewonnen  hatten.     Urspriinglich   aber  waren   auch 
die  medischen  aus  Turan  gekommen,  der  Heimath  der  nordostlichen 
Zweige   des  grossen  iranischen  Stammes,   die,   so  weit  das  Licht  der 
Geschichte   reicht,    als   Reitervolker   erscheinen.      Da   nun   auch   der 
Ursitz  des  indo-europaischen  Centralvolkes  in  jener  Gegend  oder  ihr 
nahe  zu  clenken  ist,  so  stehen  wir  hier  vor  unserer  eigentlichen  Frage : 
waren    es    schwarmende    Reiterschaaren ,    gleich    den    Turaniern    der 
altesten  Geschichte,   die   sich  von    jenem    Centralvolk    ablosten    und 
liber   Europa   hereinbrachen ,    oder    erhielten    die    Ausgezogenen    das 
gezahmte  Ross,   gleich   Assyrern  und  Aegyptern,    erst  nachmals  aus. 
der     einst     verlassenen    Heimath    im    Quellgebiet    des    Oxus     und 

Jaxartes  ? 

3* 


36  Das  Pferd. 

Dass  die  Indogermaneii  das  Ross  kamiten,  wird  unwiderleglich 
durch  den  Namen  desselben,  alcva:  bewiesen,  der  bei  alien  Gliedern 
dieser  Familie  wiederkehrt,  nur  je  nach  Zeit  und  Mundart  etwas 
verschieden  gesprochen:  sanskr.  a$va,  zendisch  und  altpersich  agpa, 
litauisch  aszwa  die  Stute,  preussisch  asvinan  Stutenmilch,  altsachsisch 
ehuscalc  der  Pferdeknecht,  angels,  eoh,  altn.  ior,  gothisch  vielleicht 
aihvs,  aihvus,  altirisch  eeh,  altkambrisch  und  gallisch  ep  (z.  B.  in 
Epona  Pf  erdegottin) ,  lat.  equus,  griech.  innog,  Ixxog  (nur  in  den 
slavischen  Sprachen  verloren).  Dieser  Wortstamm  wird  allgemein 
von  der  Wurzel  ok,  eilen,  streben,  abgeleitet:  das  Pferd  Mess  so  von 
seiner  Schnelligkeit ,  sowohl  an  sich,  als  vielleicht  im  Gegensatz  zu 
dem  sobwerwandelnden  Ocbsen.  Die  Vorstellung  des  Rosses  als  des 
fliichtigen,  geschwinden  Thieres  wirkt  noch  lange  in  manchen  Mythen 
und  in  der  Di enter sprache  nach.  Die  Sonne  eilt  schnell  am  Himmel 
dahin,  darum  wird  ihr  von  Persern  und  Massageten  das  schnellste 
Thier,  das  Pferd  geopfert,  Ov.  Fast.  1,  385: 

Placat  equo  Persia  radiis  Hyperiona  cinctum, 
Ne  deiur  celeri  victima  tar  da  Deo. 

Herod.  1,  215  (von  den  Massageten):  »als  Gott  verehren  sie  allein 
die  Sonne,  der  sie  Pfercle  opfern.  Der  Sinn  dieses  Opfers  ist  folgender: 
dem  schnellsten  aller  Gotter  theilen  sie  das  schnellste  aller  irdischen 
Geschopfe  zu.«  Die  Sonne  ist  bei  Homer  unerrnudlich,  dxdjjiag,  eben 
so  Notus  und  Boreas  bei  Sophokles,  Trach.  112,  so  aber  auch  die 
Rosse  vor  dem  Wagen  bei  Pindar,  01.  1,  87: 

Den  goldenen  Wagen  und  die  befliigelt  unermiidlichen  Rosse. 
Das  Ross  verschmilzt  in  der  Anschauung  mit  dem  Sturm,  so  be- 
sonders  deutlich  in  der  Dichtung  von  Boreas,  der  des  Erich  thonius 
Stuten  befruchtet:  die  Rosse  fliegen  dahin,  ohne  die  Aehren  des 
Feldes  zu  knicken,  sie  streifen  liber  den  Kamm  der  Brandung  des 
grauen  Meeres,  II.  20,  226: 

Diese,  so  oft  sie  springend  ein  Feld  mit  den  Fiissen  beriihrten, 
Streiften  die  nickenden  Aehren  im  Flug   und  zerknickten  den  Halm  nicht, 
Sprangen  sie  aber  dahin  auf  machtigem  Riicken  des  Meeres, 
Netzten  sie  leise  den  Huf  in  der  brandenden  Spitze  der  Wellen. 

Die  Rosse  sind  nicht  bloss  wxesg,  toxvTisisig,  wxvnodeg, 
deQGLnodsg,  nodag  aioloi,  sie  heissen  stiirmisch,  sturnifiissig, 
deg,  aekkoTTodeg,  bei  Vergil  alipedes,  sie  sind  [udgyoi  d.  h.  rasend 
(in  dem  alten  Orakel  aus  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts),  schneller 
als  Habichte,  ttdacroveg  IQIJXWV,  schnell  wie  Vogel,  nodwxesg  OQVC- 
•3"sg  wg.  Die  Rosse  des  Rhesus  glichen  im  Laufe  den  Winden, 


Das  Pferd.  37 

ofioZoi,  und  die  des  Achilleus  waren  Sohne  des  Zephyr 
und  der  Harpyie  Podarge  (d.  h.  der  Schnellfiissigen ;  die  Harpyien 
sind  verderbliche  Windstosse),  sie  flogen  roit  dem  Wehen  des  Windes, 
und  eins  derselben  spricht  selbst  II.  19,  415: 

Wir  wohl  liefen  sogar  mit  des  Zephyros  Hauch  in  die  Wette, 
Dem  nichts  Anderes  gleicht  an  Geschwindigkeit. 

Ja  Aeolus,  der  Herrscher  der  Winde  selbst,  ist  l/7r/rozd^g,  Sohn  des 
Hippotes  oder  des  Reiters.  Wie  bei  den  Griechen,  erscheint  auch 
in  deii  Naturbildern  der  nordischen  Edda  der  Wind  und  Sturm  hin 
und  wieder  als  Ross.  Den  Odin,  den  Gott  des  wehenden  Elements, 
tragt  sein  graues  achtfiissiges  Ross  Sleipnir;  der  Winter,  als  Riese 
gedacht,  will  den  Gottern  die  Burg  bauen,  und  dabei  hilft  ihm  sein 
Ross  Svadilfari,  d.  h.  der  Nordwind,  aber  ehe  der  Eispalast  ganz 
fertig  ist,  verwandelt  sich  Loki  in  eine  Stute,  den  Siidwind,  die  nun 
jeiies  erste  Pferd  von  seiner  Arbeit  ablenkt:  so  ist  das  Werk  des 
Rlesen  im  Friihling  unvollendet  und  der  Donnergott  zerschmettert 
ihm  mit  dem  Hammer  den  Schadel  u.  s.  w.  Auch  in  der  deutschen 
Sage  von  der  wildeii  Jagd,  an  deren  Spitze  Wuotan  auf  weissem 
Rosse  dahinfahrt,  ist  es  nur  der  nachtliche  Sturm,  der  sich  in  Ross 
und  Reiter  verwandelt  hat.  Mit  diesen  alten  Vorstellungen  mag  es 
zusammenhangen ,  wenn  in  der  romischen  Zeit  allgemein  geglaubt 
wurde,  in  Lusitanien  am  Ufer  des  Oceans  wiirden  die  Stuten  vom 
Winde  trachtig:  Varro,  der  zuerst  davon  spricht,  nennt  es  ein  un- 
glaubliches,  aber  dennoch  wahres  Factum,  2,  1,  19:  In  foetura  res 
incredibilis  est  in  Hispania,  sed  vera,  quod  in  Lusitania  in  ea  re- 
gionc,  libi  est  oppidum  Olysippo,  monte  TagrOj  quaedam  e  vento  certo 
teinpore  concipiunt  equae.  -  •  War  nun  solchergestalt  das  Pferd 
dem  Urvolke  bekannt  und  lebte  es  in  dessen  Vorstellung  als  das 
fluchtige,  geschwinde,  so  dass  auch  der  Name,  den  es  trug,  nach 
diesem  Eindruck  gebildet  war  so  konnen  wir  es  uns  im  Ver- 

haltniss  zum  Menschen  auf  dreifacher  Stufe  denken,  entweder  als 
blosses  Jagdthier,  das  blitzschnell  voriiberschoss  und  darum  schwer 
zu  erreichen  war,  oder  als  Reitthier,  das  wie  in  spaterer  Zeit  den 
herumstreifenden  Nomaden  rasch  zum  Ziele  trug  und  auf  dem  er 
die  weidende  fortgetriebene  Heerde  umkreiste,  oder  endlich  auch  vor 
den  Karren  gespannt,  die  Kibitke  ziehend  und  der  Umsiedelung 
dienend.  Letzteres  aber  ist  schon  nicht  wahrscheinlich,  da  es  dabei 
nicht  auf  die  Geschwindigkeit,  wie  bei  der  Jagd  und  auf  der  Wache, 
sondern  auf  die  Kraft  der  Muskeln  und  den  starken  Nacken  ankaiii. 
Die  Scythen,  ein  Reitervolk,  wie  ihre  Verwandten  weiter  nach  Osten, 


38  Das  Pferd. 

fahren  doch  bei  Herodot  und  Hippokrates  auf  ochsenbespannten 
Wagen,  und  auf  dieselbe  Art  bewegen  sich  die  Kriegs-  und  Wande- 
rungsziige  der  iibrigen  europaischen  Volker,  zu  der  Zeit,  wo  sie  uns 
zuerst  historisch  zu  Gesichte  kommen.  Als  die  Kimbern  die  Schlacht 
gegen  die  Romer  verloren  sahen,  da  warfen  die  Weiber,  wie  Plutarch 
Mar.  27  erzahlt,  ihre  Kinder  unter  die  Rader  der  Wagen  und  die  Fiisse 
der  Zugthiere,  TWV  VTIO&YIVOV,  die  Manner  aber,  weil  in  der  Gegend 
sich  nicht  genug  Baume  zuni  Aufhangen  fanden,  banden  sich  mit 
den  Gliedern  an  die  Beine  oder  die  Horner  der  Ochsen,  trieben  diese 
nach  entgegengesetzter  Richtung  und  liessen  sich  so  in  Stiicke  reissen. 
Der  Ochsenwagen  erscheint  bei  religiosen  und  politischen  Feierlich- 
keiten,  als  Rest  uralter  Tradition,  in  einer  im  Uebrigen  veranderten 
Zeit.  Die  Gottin  Nerthus  bei  Tacitus  fahrt  in  einem  mit  Klihen 
bespannten  Wagen,  eben  so  die  altgallische  Gottin,  die  Gregor  von 
Tours  Berecynthia  nennt  (Grimm  DM2  234).  Wenn  ein  Verstorbener 
den  Weg  der  Hel  (goth.  Halja)  zum  Grabe  fahrt,  wird  der  Leichen- 
wagen  von  Rindern  gezogen.  Auch  Konige  fahren  mit  Ochsen  in 
die  Volksversammlung  und  uberall  hin,  wo  sie  sich  offentlich  zeigen, 
so  die  merovingischen  (Grimm  RA.  S.  262  f.),  eben  so  konigliche  und 
edle  Frauen.  Der  taurus  regis  wird  im  salischen  Gesetz  mit  der 
hochsten  Composition  gebiisst,  mit  einer  hoheren,  als  das  edelste 
Pferd,  der  varannio  regis.  Auf  der  Antoninsaule  werden  zwei  ge- 
fangene  Fiirstinnen  auf  einem  mit  Polstern  belegten  Wagen  von 
einem  Ochsen  gezogen,  daneben  schreitet  ein  bartiger  Mann,  die 
Hande  auf  den  Riicken  gebunden,  von  zwei  romischen  Soldaten 
eskortirt.  Dies  ist  normal:  Frauen  und  Kinder  auf  dem  Ochsen- 
wagen, Manner  zu  Fuss.  Auch  bei  Griechen  und  Romero  haben 
sich  Spuren  der  altesten  Zeit  erhalten,  wo  das  Rind  das  allgemeine 
Zugthier  war.  Die  Erfindung  des  Wagens  und  die  Zahmung  des 
Stieres  werden  zusammengedacht,  Tibull.  2,  1,  41: 

Illi  etiam  tauros  primi  docuisse  feruntur 
Servitium  et  plaustro  supposuisse  rotam. 

Aus  der  riihrenden  Fabel  von  Cleobis  und  Biton,  die  Solon  bei 
Herodot  dem  Konig  Crosus  erzahlt,  ersehen  wir,  dass  die  Priesterin 
der  argivischen  Hera  von  der  Stadt  zum  Tempel  auf  einem  Ochsen- 
wagen zu  fahren  gewohnt  war.  Auf  eben  solchern  Wagen  musste 
nach  dem  Spruche  des  Zeus  Cadmus  mit  der  Harmonia  aus  Theben 
zu  den  Barbaren  fliehen,  Eurip.  Bacch.  1333. 

o%ov  tie  [wtixwv,  /£?7(fyeo£  cog  heyet,  dicig, 


Das  Pferd.  39 


und  grimdete  in  Illyrien  die  Stadt  Uov^w?,  die  nach  diesem  Um- 
stand  benannt  war  (Steph.  Byz.  s.  v.).  Bei  Verrichtungen  im  Hause, 
auf  dem  Felde,  bei  landlichem  Verkehr  dient  nur  der  Ochse;  vor 
den  Pflug  wird  nur  der  Ochse  gespannt;  ein  Haus,  ein  Weib  und 
der  Pflugochse  bilden  die  Grundlage  der  bauerlichen  Wirthschaft, 
Hesiod.  Op.  et  d.  405  : 

Erst  vor  Allem  ein  Haus  und  ein  Weib  und  ein  pflugender  Ochse. 

Wer  keinen  Ochsen  hat,  der  kann  keine  Last  bewegen  und  er  spricht 
wohl  zum  Nachbar:  gieb  mir  ein  Paar  Ochsen  und  deinen  Wagen, 
aber  Jener  erwidert:  meine  Ochsen  haben  fur  mich  zu  arbeiten,  453: 

Leicht  ist  das  Wort:  zwei  Ochsen  gewahr  mir,  Freund,  und  den  Wagen, 
Leicht  ist  die  Weigerung  auch:  die  Ochsen  sind  eben  in  Arbeit. 

Ein  Sprichwort  sagte  :  ?}  a[Jia%a  wv  povv,  der  Wagen  zieht  den  Ochsen, 
d.  h.  es  ist  die  verkehrte  Welt.  Der  Ochse  als  Arbeitsgenosse  des 
Menschen  ist  daher  unverletzlich  wie  der  Mensch  selbst,  Varr.  de  r. 
r.  2,  5:  bos  socius  hominum  in  rustico  opere  et  Cereris  minister. 
Ab  hoc  antiqui  manus  ita  dbstineri  voluerunt,  ut  capite  sanxerint 
si  quis  occidisset.  Plin.  8,  180:  socium  enim  laboris  agrique  culturae 
habemus  hoc  animal  tantae  apud  priores  curae  ut  sit  inter  exempla 
damnatus  apopulo  Romano  die  dicta  qui  .  .  .  occiderat  bovem,  actusque 
in  exsilium  tamquam  colono  suo  interempto.  Ael.  V.  H.  5,  14: 
»Und  dies  war  bei  den  Attikern  Brauch:  den  Ochsen,  der  das  Joch 
tragen  und  vor  dem  Pfluge  oder  dem  Wagen  sich  anstrengen  musste, 
nicht  zu  opfern,  denn  auch  dieser  war  ja  ein  Landmann  und  theilte 
die  Arbeit  und  Miihe  des  Menschen.  «  Spruch  des  Pythagoras:  Lasse 
die  Hand  vom  Pflugstier,  ftobg  dgoTTjQog  ans^ea^ai.  —  Das  Pferd 
dient  auch  bei  den  homerischen  Griechen  nur  zum  Kriege  und  zwar 
ganz  wie  bei  den  orientalischen  Volkern:  wie  bei  diesen  und  auf 
ihren  Bildwerken  wird  auch  in  der  epischen  Welt  mit  dem  Pferde 
gefahren,  nicht  auf  demselben  geritten.  Das  Letztere  zwar  ist  den 
homerischen  Dichtern  nicht  ganzlich  unbekannt,  wie  ware  dies  auch 
moglich?  Als  der  Seesturm  dem  Dulder  Odysseus  das  Floss,  das  er 
sich  auf  der  Insel  der  Kalypso  gezimmert,  zerbrach,  da  rettete  er 
sich  auf  einem  Balken,  auf  dem  er  nun  sass  wie  auf  dem  Riicken 
des  Renners;  als  Diomedes  und  Odysseus  Nachts  die  Rosse  des  Rhesu& 
entwandten,  da  wollte  Ersterer  auch  den  Wagen  des  erschlagenen 
Konigs  aufheben  und  forttragen,  aber  auf  den  Rath  der  Athene  zogen 
die  Helden  es  vor,  die  Thiere  zu  besteigen  und  mit  ihnen  zu  den 
Schiffen  zuriickzueilen.  Dies  ist  unter  den  geschilderten  Umstanden 


40  Das  Pferd. 

das  Naturliche;  wie  oft  musste  der  Bube,  der  die  Rosse  zur  Tranke 
fuhrte,  ein  Gleiches  vor  Aller  Augen  gethan  haben!  Wie  von  selbst 
ergiebt  sich  auch  die  Scene,  die  II.  15,  679  geschildert  wird:  ein 
Mann  hat  aus  der  ini  Freien  weidenden  Heerde  vier  fliichtige  Renner 
ausgewahlt :  er  hat  sie  langs  der  Heerstrasse  in  die  Stadt  zu  bringen, 
sitzt  auf  und  schwingt  sich  wahrend  des  gleichstrebenden  Laufes  von 
einem  Riicken  zum  andern,  zur  Bewunderung  der  am  Wege  stehenden 
Menge.  Mil  Ausnahme  dieser  wenigen  Falle,  aus  denen  sich  auf 
kein  wirkliches  Reiten  schliessen  lasst,  dient  bei  Homer  das  Ross 
nur  vor  dem  Wagen.  Auf  dem  Genlde  vor  Troja  wird  gekampft, 
wie  auf  den  Wanden  des  Konigspalastes  von  Kojundschik  oder 
Khorsabad:  leichte  Streitwagen  mit  einer  Achse  und  zwei  acht- 
speichigen  Radern,  von  zwei  Rossen  an  der  Deichsel  bewegt,  fiihren 
den  Helden  in  die  Nahe  der  Feinde,  dort  springt  er  ab  und  schleudert 
den  Speer  oder  zieht  das  Schwert.  Die  Rosse  halten  unterdess,  bis 
der  Zeitpunkt  gekommen  ist,  ihn  wieder  zuriick  zu  den  Seinigen  zu 
tragen.  Dabei  hat  der  Streiter  einen  Freund  und  Genossen,  den 
tfegdrtcov,  als  Rosselenker  zur  Jiinken  Seite  stehn;  wahrend  der  Eine 
den  Wagen  fiihrt,  ersieht  sich  der  Andere  in  der  Rtistung  und  mit 
Schild  und  Larize  den  Feind.  Zuweilen  riickt  ein  ganzes  Geschwader 
von  Wagen  zum  Angriff  vor:  so  im  vierten  Buch  der  Ilias,  wo  der 
erfahrene  Nestor  die  Seinigen  so  aufstellt,  dass  vorn  die  Wagen,  in 
letzter  Reihe  als  unerschiitterlicher  Wall  die  Fusskampfer,  in  der 
Mitte  die  Schwachen  stehen,  und  dann  das  Gebot  giebt,  kein  Wagen- 
lenker  solle  sich  vordrangen,  keiner  zuriickbleiben,  so  seien  vor 
Alters  Stadte  und  Mauern  bezwungen  worden,  308: 

Dies  war  der  Branch  der  Alten,  so  sttirzten  sie  Vesten  und  Mauern. 

Wie  die  Griechen,  kampften  auch  die  Trojaner  und  die  Bundes- 
genossen,  die  Ilatovtg  oder  Mrjoveg  iriTtoxoQvGmC,  die  tygvyeg  ITCTIO- 
dafiot,  und  alolortwkoi, ,  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  ganze 
Kampfweise,  so  wie  das  dazu  gebrauchte  Ross  selbst  aus  Kleinasien 
stammte.  Beinamen,  wie  die  eben  angefuhrten,  oder  wie  inmoxaQfjirjg, 
,  xayvnwhot,,  evinnog,  evTiwhog,  xhvTGTiwhog,  xwrngeg  ITITICDV, 
u.  s.  w.  tragen  ganz  iranisches  Geprage.  Ares,  der  Kriegs- 
gott,  selbst  kampft  entweder  zu  Fuss  oder  zu  Wagen,  niemals  als 
heransturmender  Reiter.  Da  im  fiinften  Buch  der  Ilias  die  ver- 
wundete  Aphrodite  zum  Olymp  eilen  will,  entleiht  sie  ihm  seineii 
Kriegswagen  und  seine  Rosse,  die  sie  pfeilschnell  zum  Gottersitz 
tragen.  Daher  er  auf  dem  Schilcle  des  Herakles  191  fT.  dargestellt 


Das  Pferd.  41 

war,  wie  er  die  Lanze  in  der  Hand  hoch  auf  dem  Wagensessel 
stand,  vor  ihm  die  schnellen  Rosse,  schrecklich  anzuschauen.  So 
heisst  er  auch  bei  Pindar  Pyth.  4,  87:  '/jalxaQ^arog  ncffig  'Ayyo- 
dfaag,  der  mit  ehernem  Wageii  fahrende  Gatte  der  Aphrodite.  Auch 
ausser  dem  Kriege  wird-bei  Homer  das  Pferd  nicht  zum  Reiten  be- 
nutzt.  Dies  erhellt  z.  B.  aus  dem  dritten  Gesang  der  Odyssee,  wo 
Telemachus  und  des  Nestors  Sohn  Pisistratus  von  Pylos  nach 
Lakedamon  quer  durch  den  schwierigen,  gebirgigen  Peloponnes 
vsteheiid  im  Wagen  fahren,  nicht  etwa  auf  und  ab  iiber  die 
Gebirgspasse  oder  im  kiesigen  Bette  der  Bergwasser  reiten.  Und 
zwar  geschieht  dies  ganz  in  derselben  Schirrung  und  Riistung,  wie 
bei  den  Kampfen  auf  dem  troischen  Gefilde,  und  neben  dem  Helden 
steht  Pisistratus,  der  die  Zugel  fuhrt  und  die  Rosse  lenkt.  Da 
spater  Menelaus  dem  Telemachus  zum  Abschiede  drei  Pferde  mit 
dazu  gehorigem  Wagen  schenken  will,  lehnt  Telemachus  die  Gabe 
ab,  indem  er  daran  erinnert,  dass  in  Ithaka  weder  weite  Rennbahn 
noch  Wiese,  OVT  ag  SQO^OC  evgeeg  OVTS  u  foifuov ,  sich  finde,  wie 
in  der  Ebene,  die  Menelaus  beherrsche:  keine  der  Inseln,  die  im 
Meer  liegen,  ist  faTtrj  faros  d.  h.  eignet  sich  zum  Fahren  im  niich- 
tigen  Wagen,  von  alien  aber  Ithaka  am  wenigsten.  Wer  sich  des 
Rosses  freuen  will,  der  bedarf  also  nicht  bloss  fetter  Wiesen,  auf 
clenen  die  Heerde  weide  —  und  Erichthonius  besass  eine  solche  von 
dreitausend  Stuten,  —  sondern  auch  weiten  Raumes,  nokv  nsdlov, 
und  ebener  Wege,  foZae,  bdoC,  urn  auf  diesen  mit  rasch  rpllenden 
Radern  dahinzufliegen ;  auf  ungleichem  Boden  mit  steigenden  und 
fallenden  Gebirgspfaden ,  auf  denen  der  Reiter  wohl  auf-  und  ab- 
klettert,  ist  bei  Homer  das  Ross  von  keinern  Gebrauch.  Auch  bei 
den  Leichenspielen  der  altern  Zeit  finden  sich  noch  keine  Wett- 
rennen  zu  Pferde;  die  im  23.  Gesang  der  Ilias  bei  der  Bestattung 
des  Patroklus  abgehaltenen  Spiele  bestanden  aus  Wagenrennen,  Faust- 
kampf,  Ringen,  Lauf,  Waffenkampf,  Wurf  mit  der  Kugel,  Bogen- 
schiessen,  Speerwurf.  Auch  auf  der  Lade  des  Kypselos,  wo  die  viel- 
beruhmten  von  Akastus  am  Grabe  des  Pelias  veranstalteten  Spiele, 
dftta  enl  IleMy,  die  Stesichorus  besungen  hatte,  abgebildet  waren, 
hatte  der  Kiinstler  kein  Pferderennen  dargestellt,  nur  zum  Ziele 
eilencle  Zweigespanne,  Faustkampfer,  Ringer,  Diskuswerfer  und  Laufer. 
Aus  dieser  altesten  Zeit  sind  uns,  wenn  iiberhaupt,  doch  nur  ganz 
abstrakte  Abbildungen  des  Rosses  aufbehalten:  was  uns  an  Dar- 
stellungen  desselben  aus  der  spatern  Zeit  der  beginnenden  und 
vollendeten  Kunstbliithe  verblieben  ist,  zeigt  nach  dem  Urtheil  von 


42  Das  Pferd. 

Kennern  den  schlanken,  orientalischen ,  nicht  etwa  den  nordischeii 
nnd  aus  ferner  Heimath  hierher  mitgebrachten  Typus. 

In  dieser  Hinsicht  sind  noch  einige  Zuge  des  altesteii  Kultus  zu 
erwahnen,  die  gleichfalls  auf  iranische  Einwirkung  hinweisen.  Die 
Perser  verehrten  die  Fliisse  durch  Opferung  von  Pferden:  als  Xerxes 
an  den  Strymon  kam,  schlachteten  die  Magier  diesem  Strome  weisse 
Pferde  (Herod.  7,  113),  und  der  Parther  Tiridates  versohnte  zu 
Tiberius'  Zeit  den  Euphrat  durch  ein  Ross,  Tac.  Ann.  6,  37 :  cum  .  .  . 
ille  (Tiridates)  equum  placando  amni  (Euphrati)  adornasset.  Ganz 
ebenso  waren  die  Troer  gewohnt,  lebendige  Rosse  in  die  Wirbel  des 
Skamandros  zn  versenken,  wie  Achilleus  sagt:  II.  21,  132; 

Auch  in  den  Wirbel  der  Fluth  lebendige  Rosse  versenket. 

An  der  argivischen  Kuste  gab  es  mitten  im  Meere  eine  Quelle  siissen 
Wassers,  Jewy  oder  dCvq,  so  genannt  wegen  des  aufsteigenden 
Wirbels,  den  sie  bildete.  In  diese  Dine  pflegten  die  Argiver  vor 
Alters  aufgezaumte  Rosse  zu  stiirzen,  dem  Poseidon  zum  Opfer 
(Paus.  8,  7,  2).  Auch  die  Rhodier  warfen  jahrlich  der  Sonne  ge- 
weihte  Viergespanne  ins  Meer,  Fest.  v.  October  equus:  Rhodii  qui 
quotannis  quadrigas  soli  consecratas  in  mare  jaciunt,  eben  so  die 
Illyrier  jedes  neunte  Jahr,  Fest.  v.  Hippius:  cui  (Neptuno)  in  lllyrico 
quaternos  equos  jaciebant  nono  quoque  anno  in  mare.  Auch  der  Sonne 
Pferde  zu  opfern,  weisse  Rosse  -  -  eine  durch  Kultur  geschaffene 
krankhafte  Abart  —  als  durch  ihre  Farbe  dem  Lichtgott  geweihte, 
dann  iiberhaupt  als  Gotterpferde  und  als  konigliche  anzuschauen,  diese 
iranische  Kultussitte  und  religiose  Phantasie  findet  sich  hin  und 
wieder  in  Griechenland,  selbst  in  Italien.  Kastor  und  Pollux,  die 
beiden  Lichtgotter,  reiten  auf  schneeweissen  Pferden  und  so  erschienen 
sie  z.  B.,  in  Scharlachmantel  gehiillt,  in  der  Schlacht  der  Crotoniaten 
und  Lokrer  am  Sagraflusse,  den  letztern  Hiilfe  bringend,  Justin.  20, 
3,  8,  Cic.  de  nat.  deor.  3,  5;  sie  sind  mit  den  heitern,  glanzenden 
Tochtern  des  Leukippos  vermahlt,  in  dessen  Namen  sein  lichtes  Wesen 
wiederklingt;  der  Tag  bei  Aeschylus,  Pers.  387,  bei  Sophokles,  Aj.  672 
steigt  mit  weissen  Pferden,  fovxonwhog,  auf  und  verdrangt  den  diistern 
Umkreis  der  Nacht  u.  s.  w.  Als  der  Agrigentiner  Exaenetus  als 
Sieger  heimkehrte,  begleiteten  ihn  die  jubelnden  Mitbiirger  unter 
Anderem  mit  dreihundert  Wagen  und  weissen  Rossen  davor,  Diod. 
13,  82,  und  auch  Camillus  zog  nach  der  Einnahme  Vejis  in  einem 
mit  weissen  Rossen  bespannten  Wagen  triumphirend  in  die  Stadt 
ein,  Plut.  Cam.  7,  1  und  Liv.  5,  23,  was  von  den  Zeitgenossen  als 


Das  Pferd.  43 

ein  Uebergriff  des  Menschen  in  das  Recht  und  die  Herrlichkeit 
des  Sonnen-  und  Hirnmelsgottes  geriigt  wurde.  Die  Lacedamonier 
schlachten  auf  einem  Gipfel  des  Taygeton  dem  Helios  Pferde  (Paus. 
3,  20,  5,  der  noch  hinzufiigt:  »ich  weiss,  dass  auch  die  Perser  die- 
selben  Opfer  zu  bringen  pflegen«)  —  welcher  Branch  nicht  phonizisch 
sein  konnte ,  da  die  Phonizier  das  Pferd ,  das  sie  ohnehin  aus  der 
Fremde  bezogen,  in  ihrern  Gotterdienst  nicht  verwendeten.  Vielmehr 
deutet  dieser  Zng,  wie  alle  friiher  erwahnten,  auf  Entlehnung  von 
den  Iraniern  Kleinasiens,  und  kam  das  griechische  Urvolk  wirklich 
rait  dem  kleinen  rauchhaarigen  Steppenpferde  in  seine  spateren  Wohn- 
sitze  eingezogen,  so  haben  sich  wenigstens  schon  in  der  altesten  uns 
erreichbaren  Zeit  alle  Spuren  davon  verloren.  Nicht  ganz  so  verhalt 
es  sich  mit  dem  nordlich  von  Griechenland  gelegenen  Thrakien, 
einem  schon  bei  Homer  rosseberuhmten  Lande.  Man  konnte  Letzteres 
zwar  mythisch  deuten;  Thrakien  ware  die  Heimath  der  Rosse,  wie 
die  der  Nordstiirme;  a  us  dem  thrakischen  Meer  kommen  die  wilden 
Wogen  herabgestiirzt,  in  dem  Rosse  aber  wird  der  Sturm  und  die 
sich  baumende,  weissmahnige  Woge  angeschaut  und  es  ist  daher  auch 
von  Poseidon  geschaffen  und  dient  zu  Uebungen  und  Spielen  an  den 
Kultstatten  dieses  Gottes.  Aber  die  thrakischen  Rosse  des  epischen 
Gesanges  haben  doch  ein  zu  wirkliches  und  geschichtliches  Ansehen; 
die  Thraker  sind  fimwtotot,  Thrakien  ist  InnoTQoyog  (Hes.  Op.  et 
d.  507)  und  in  dem  alten  Orakel  aus  dem  siebenten  Jahrhundert 
werden  die  thrakischen  Rosse  hervorgehoben,  Schol.  zu  Theocr.  14,  18: 

innoi  Ogytxiai,,  ^axedac/noviac  Se  yvvalxsg, 

wo  freilich  statt  Qgrifaiat,  eine  andere  Ueberlieferung  OsGffafoxat 
nannte.  Die  Thraker  standen  friihe  mit  den  gegeniiberwohnenden 
Volkern  Kleinasiens  in  Kultur-  und  religiosem  Verkehr  und  in  Rhesus 
mit  seinen  Rossen,  die  weisser  denn  Schnee  waren,  sein  em  Wagen 
und  seinen  Waff  en,  die  zu  tragen  eher  den  Gottern,  als  den  sterb- 
lichen  Menschen  geziemte,  -  -  ist  ein  iranischer  Lichtdamon  nach- 
gebildet,  der  daher  auch  im  Dunkel  der  Nacht  seiner  Rosse  und 
seines  Lebens  beraubt  wird.  Aber  wie  Kleinasien  wohnten  die 
Thraker  auch  dem  Gebiet  der  nordischen  Reitervolker  nahe  und  der 
thrakische  Schlag  mochte  dem  Lande  der  Hippomolgen  urspriinglich 
entstammen.  Weiter  lassen  sich  auch  die  zahmen  Pferde  der  Slaven, 
Litauer  und  Germanen  leicht  von  denen  der  reitenden  iranischen 
Nachbarn  ableiten.  Von  den  Slaven  bemerkt  Tacitus  ausdriicklich, 
sie  seien  kein  Pferdevolk,  wie  die  Sarmaten,  von  deren  Sitten  sie  im 
Uebrigen  viel  angenommen,  sondern  hatten  ihre  Starke  zu  Fuss, 


44  Das  Pferd. 

peditum  usu  ac  pemititate  gaudent,  und  er  rechnet  sie  deshalb  lieber 
zu  den  Germanen.  Als  sie  spater  nach  dem  Abzuge  der  Deutschen 
an  die  Elbe  und  Oder  vorgeruckt  waren,  da  horen  wir  (lurch  die 
Geschichtsschreiber  des  Mittelalters  von  einer  Verehrung  des  Pferdes 
bei  ihnen,  die  uns  lebhaft  an  die  gleiche  bei  Iraniern  erinnert.  Dem 
Svatovit,  dem  Lichtgotte,  1st  ein  weisses  Pferd  geweiht,  dem  Triglav, 
dem  Bosen  und  Feindlichen,  ein  schwarzes;  das  letztere  wird  nie  ge- 
ritten,  das  erstere  zuweilen  von  dem  Priester  bestiegen.  Das  Pferd 
dient  zur  Vorbedeutung,  es  weissagt  Gliick  und  Ungliick,  die  Tempel, 
bei  denen  es  gehalten  wird,  werden  dadurch  zu  Orakelstatten.  Audi 
in  der  bohmischen  Ursprungssage  ist  es  ein  damonisches  Ross,  das 
den  Abgesandten  der  Libussa  den  Weg  zum  Premysl,  dem  aus- 
erkorenen  Herrscher,  weist.  Dieser  Gegensatz  von  Licht  und  Dunkel 
und  die  Heiligung  des  Rosses  wird,  so  gut  wie  der  Name  Gottes, 
bogu,  von  den  sarmatischen  und  alanischen  Nachbarn  gekommen 
sein.  -  -  Auch  die  Litauer  finden  wir  in  alten  Zeugnissen  als  Hippo- 
molgen,  d.  h.  als  Trinker  der  Pferdemilch,  erne  Sitte,  die,  bei  den 
Germanen  unbekannt,  von  den  Reitern  der  siklrussischen  Steppen 
bis  an  die  Ostsee  sich  weiter  verbreitet  hatte.  Wulfstan  bei  Konig 
Alfred  (Antiquites  russes  II,  p.  469)  berichtet:  »bei  den  Esten  (d.  h. 
den  Preussen)  giebt  es  so  viel  Honig,  dass  der  Konig  und  die 
Reichen  den  Metb  den  Armen  und  den  Knechten  iiberlassen,  selbst 
aber  Stutenmilch  trinken.«  Adam.  Brem.  4,  18  :  (Sembi  vel  Pruzzi) 
carnes  jumentorum  pro  cibo  sumunt,  quorum  lacte  vel  cruore  utuntur, 
in  potu,  ita  ul  inebriari  dicantur,  und  Peter  von  Dusburg,  III,  cap.  5 
(Scriptores  rerum  pruss.  1,  p.  54):  pro  potu  habent  simplicem  aquam 
et  mellicratum  sen  medonemet  lac  equarum,  quod  lac  quondam  non 
biberunt  nisi  prius  sanctificaretur.  alium  potum  antiquis  temporibus 
non  noverunt.  Aucb  bei  ihnen  also,  wie  bei  den  Iraniern,  wurden 
die  Stuten  in  grossen  Heerden  gehalten  und  diese  dann  umzingelt 
oder  herangetrieben,  um  gemolken  zu  werden,  —  eine  Operation,  die 
Anfangs  schwierig  war,  an  die  sich  aber  die  Stuten,  besonders  wenri 
das  Tranken  damit  verbunden  wurde,  zuletzt  gewohnten.  Und  die 
so  gewonnene  Milch  wurde  auch  hier,  wie  am  Tanais,  durch  Gahrung 
in  ein  berauschendes  Getrank  urngesetzt,  dessen  sich  vorzugsweise 
die  Vornehtnen  bedienten:  auch  aus  dem  letzteren  Zuge  schliessen 
wir,  dass  die  Pferdezucht  eine  der  Fremde  entlehnte  Kunst  war. 
Dass  auch  die  Gothen  in  Schweden,  wie  die  Semben  in  Samland, 
sich  mit  Stutenmilch  l>erauschten,  scheint  zwar  das  Scholion  129  zu 
Adam  von  Bremen  zu  sagen:  hoc  usque  hodie  Gothi  et  Sembi  facere 


Das  Pferd.  45 

dicuntur,  quos  ex  lacte  jumentorum  inebriari  cerium  est,  allein  das 
Melken  der  Stuteii  1st  bei  reinen  Germanen  nie  Branch  gewesen  und 
so  wird  sich  der  Scholiast,  wie  wir  mit  Grimm,  Gesch.  d.  d.  Spr.  721, 
annehmen ,  miter  Gothi  et  Sembi  wohl  Samogeten  gedacht  haben. 
Uebrigens  hatte  die  an  den  Gegensatz  des  weissen  und  schwarzen 
Pferdes  gekniipfte  religiose  Symbolik  auch  bei  den  Preussen  Eingang 
gefunden,  Peter  von  Dusburg  3,  5  :  Prussorum  aliqui  equos  nigroSj 
quidam  albi  eoloris,  p  ropier  Deos  suos  non  audebant  aliqualiter 
equitare.  -  -  Bei  den  Germanen  tragt  der  clem  Rosse  gewidmete 
Kultus  gleichfalls  einige  ganz  iranische  Ziige;  die  Pferde  besitzen 
die  Kraft  der  Weissagung,  sie  werclen  den  Gottern  geopfert,  sie 
ziehen  den  heiligen  Wagen,  die  weisse  Farbe  gilt  fur  die  heiligste, 
wie  bei  Persern,  Scythen,  deri  Venetern,  die  nach  Strab.  5,  1,  9  clem 
Diomedes  ein  weisses  Pferd  opferten  u.  s.  w.  Die  romischen  Beur- 
theiler  erklareri  das  germanische  Pferd  fiir  gering  und  unedel :  bei 
Casar  sincl  die  jumenta  der  Germanen  parva  atque  deformia,  bei 
Tacitus  die  equi  derselben  non  forma,  non  velocitate  conspicui.  aber 
nach  dem  ersteren  waren  sie  so  gewohnt,  dass  sie  viel  leisten  konnten, 
summi  ut  sint  laboris.  Der  Schlag  mochte  dem  urspriinglichen,  wie 
ihn  die  Steppe  geboren  hatte,  noch  nahe  stehen :  sagt  cloch  Strabo 
von  den  Pferden  am  Borysthenes  und  an  der  Maotis  fast  dasselbe, 
was  Casar  von  den  germanischen,  7,  5,  8:  »sie  sind  klein,  aber  sehr 
schnell  (6%els)  und  unbandig  (3v(f7i€i9el$).«  Im  Uebrigen  war  auch 
der  germanische  Mann,  \vie  der  slavische,  fester  auf  den  Fiissen  als 
zu  Ross,  Tac.  Germ.  6 :  in  universum  spectanti  plus  penes  peditem 
roboris,  einzelne  Stamme  vielleicht  ausgenommen,  die  mit  iranischen 
Volkern  auf  dem  Steppenboden  enge  Gemeinschaft  gemacht  hatten, 
wie  die  Quaden  mit  den  jazygischen  Sarmaten,  Amm.  Marc.  17,  12,  1 : 
permistos  Sarmatas  et  Quados,  vicinitate  et  similitudine  morum  arma- 
turaeque  Concordes.  Von  den  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin 
wohnenden  Germanen,  den  nach  Britannien  gezogenen  Angeln  und 
den  Warnen,  die  er  sich  am  Niederrhein  denkt,  will  Procopius  wissen, 
das  Pferd  sei  ihnen  ganzlich  unbekannt,  de  b.  g.  4,  20 :  »Diese  Insel- 
bewohner  sind  kriegerischer,  als  die  andern  Barbaren,  von  denen  wir 
wissen,  liefern  aber  ihre  Treffen  immer  zu  Fuss.  Ja  sie  kennen  das 
Ross  nicht  einmal  von  Angesicht  und  auf  der  Insel  Brittien  kommt 
dies  Thier  gar  nicht  vor.  Gelangt  einer  von  ihnen  auf  einer  Ge- 
sandtschaft  oder  sonst  wie  zu  Romern  oder  Franken  oder  sonst  wo 
hin,  da  ist  er  nicht  im  Stande,  selbst  aufzusteigen ,  sondern  muss 
hinaufgehoben ,  und  eben  so,  wenn  er  absteigen  will,  auf  die  Erde 


46  Das  Pferd. 

hinabgesetzt  werden.  Und  eben  so  sind  auch  die  Warnen  keine 
Keiter,  sondern  alle  nur  Fussganger.«  Fiir  die  Zeit,  von  welcher 
Procopius  spricht,  ist  dies  sehr  unwahrscheinlich :  vielleicht  bezogen 
sich  die  Nachrichten,  die  er  benutzte,  auf  die  Moorgriinde  des  Nord- 
westens,  die  fur  Pferde  allerdings  unwegsam  waren  und  sind.  Statt 
der  Angeln  hatte  er  dann  die  Friesen  und  statt  Brittien  eine  der 
Flussinseln  des  Festlandes  nennen  sollen.  Aber  die  Bataver,  die 
Bewohner  der  Rheininsel,  galten  gerade  fiir  die  besten  Reiter  unter 
den  Germanen,  Cass.  Dio  55,  24:  xgduffcot  Innsvuv,  Plut.  Oth. 
12,  4:  FsQuavwv  Innelg  aqunoi,  die  bewaffnet  mit  ihren  Pferden  liber 
den  Rhein  schwammen,  Tac.  Hist.  4,  12:  eques,  praecipuo  nandi 
studio,  arma  equosque  retinens  integris  turmis  Rhenum  perrumpere. 
-  Auch  das  kaledonische  Pferd  wird  als  klein  und  unansehnlich 
geschildert,  war  also  dem  germanischen  verwandt  und  stellte  auf  der 
isolirten  Insel  den  altkeltischen  Schlag  dar,  der  in  Gallien  langst 
gekreuzt  und  veredelt  war,  Cass.  Dio  76,  12  (von  den  Caledoniern) : 
»sie  haben  kleine  und  schnelle  Pferde,  gehn  aber  auch  zu  Fuss  und 
lauf en  sehr  schnell  und  halten  im  Kampf  sehr  festen  Stand. «  Also 
auch  die  Caledonier  sind  geschwinde  Laufer,  wie  die  Germanen  und 
die  Wenden  im  Gegensatz  zu  den  Sarmaten:  die  Reiterei  ist  bei 
diesen  Volkern  nur  eine  untergeordnete  Hilfswaffe.  Ja  der  Reiter 
bedarf  eines  fliichtigen,  starken  Kampfgenossen  zu  Fuss,  der  ihn  be- 
gleitet  und  ihm  in  entscheidenden  Momenten  zu  Hilfe  kommt.  Aus- 
fiihrlich  schildert  Casar  diese  Combination  von  Ritt  und  Lauf  bei 
den  Germanen,  de  b.  g.  1,  48:  »Es  waren  (im  Heere  des  Ariovistus) 
sechstausend  Reiter  und  eben  so  viel  sehr  schnelle  und  kraftige 
Kampfer  zu  Fuss,  die  Jene  sich  um  ihres  Heils  willen,  suae  salutis 
causa,  aus  der  ganzen  Menge  ausgewahlt  hatten,  und  mit  denen  sie 
wahrend  der  Schlacht  im  Verkehr  standen.  Zu  diesen  zogen  sich 
die  Reiter  zuriick;  wurde  an  einem  Punkte  cler  Kampf  schwierig,  so 
eilten  die  Fussganger  zur  Unterstiitzung  herbei;  war  ein  Reiter  ge- 
troffen  und  sank  vom  Pferde,  so  umstanden  sie  den  Verwundeten: 
handelte  es  sich  darum,  weiter  vorzusprengen  oder  rasch  sich  zuriick- 
zuziehen,  so  war  ihre  durch  Uebung  gewonnene  Geschwindigkeit  so 
gross,  dass  sie  die  Mahne  fassend  mit  den  Pferden  Schritt  hielten.« 
Tacitus  bestatigt  dies  in  seiner  gedrangteren  Redeweise,  Germ.  6: 
eoque  (pedite)  mixti  proeliantur  apta  et  congruente  ad  equestrem 
pugnam  velocitate  peditum,  quos  ex  omni  juventute  delectos  ante  aciem 
locant.  Schon  lange  vorher  waren  auch  die  Bastarnen  gewohnt,  solche 
Nebenkampfer  zu  Fuss,  die  bei  Plutarch  naQa^drat,  heissen,  zu  gleicher 


Das  Pferd.  47 

Zahl  unter  ihre  Reiter  zu  mischen,  Liv.  44,  26:  veniebant  decem  milia 
equitum,  par  numerus  peditum,  et  ipsorumjungentiwm  cur  sum  equis, 
et  in  vicem  prolapsorum  equitum  vacuos  capientium  ad  pugnam 
equos,  und  dass  auch  die  Gallier,  die  den  spateren  Germanen  immer 
ahnlicher  werden,  je  weiter  wir  in  ihrer  Geschichte  hinaufgehen,  sich 
auf  ihre  Reiterei    allein    nicht  verliessen,    sondern    diese  gern  durch 
kraftiges  Fussvolk  unterstiitzten ,    lehren  einzelne  Erwahnungen,    wie 
Casar  d.  b.  g.   7,  80.     Es  war   also  allgemein  nordeuropaische  Sitte, 
von   Gallien  bis   zur   Istermundung.     Zwar  wird   auch  bei   den   siid- 
lichen  Volkern  hin  und  wieder  von   einer  ahnlichen  Kampfweise  be- 
richtet,    die  aber,    genauer  betrachtet,    dennoch   anderer  Natur  war. 
Die  Iberer  ritten  zu  zwei  auf  dem  Pferde  in  die  Schlacht  und  dann 
-kampfte  der  eine  von  beiden  zu  Fuss  (Strab.  3,  4,  18),  und  von  den 
Keltiberen    sagt  Diodor  5,   33,    sie    seien    d(,(.id%(u,    d.  h.    wenn    sie 
zu  Pferde    mit  Erfolg   gekampft,    sprangen   sie   ab    und   lieferten  zu 
Fuss  erstaunliche  Gefechte.     Aehnlich  war   der   taktische  Kunstgriff, 
den   nach   der   Erzahlung   des   Livius  26,  4   und   des  Valerius   Maxi- 
mus  2,  3,  3    die   Romer   einmal    im    zweiten  punischen   Kriege   an- 
wandten:    als  Capua    von    ihnen    unter  Q.  Fulvius  Flaccus    belagert 
wurde  und  die  romische  Reiterei,  an  Zahl  schwacher,   gegen  die  der 
Belagerten  sich  nicht  halten  konnte,  erdachte  der  Centurio  Q.  Navius, 
um  diesem  beschamenden  Verhaltniss  ein  Ende  zu  niachen,  folgenden 
Behelf.     Es   wurden   aus   alien  Legionen   die   kraftigsten  und  beweg- 
lichsten  Jiinglinge    ausgewahlt    und    mit    langen  Speeren    bewaffnet, 
diese    setzten    sich    hinter    den  Reiter    aufs  Pferd    und  sprangen  bei 
gegebenem  Zeichen    ab,    so    dass    sich    gleichzeitig    mit   dem  Reiter- 
kampf  ein  Kampf  zu  Fuss   entwickelte;   das  Unerwartete   der  Scene 
und   die   beigebrachten  Wunden   zwangen   von   da  ab    die  feindliche 
Reiterei   zur  Flucht.     Die  Angabe   dazu  hatte,   wie  gesagt,   der  Cen- 
turione  Navius  gemacht ,   auctorem  peditum  equiti  immiscendorum 
centurionem  Q.  Navium  ferunt:  es  war  aber  wohl  nicht  seine  eigene 
Erfmdung,    sondern    von    ihm    bei    den    Barbaren    oder    auch    den 
Griechen  gesehen  oder  ihm  durch  Horensagen  kund  geworden.    Nach 
Pollux  1,  132   hatte  Alexander   der  Grosse   eine  Art  Reiter,   &iiagBt, 
erfunden,  die  leichter  bewaffnet  waren,  als  der  Hoplit,  schwerer,  als 
der   eigentliche  Reiter,    und   die   auf  Beides   geiibt   waren,    auf   den 
Kampf  zu  ebener  Erde  und  auf  den  vom  Pferde  herab,  so  dass  sie, 
wenn  es  eine  Reiterschlacht  gab,    mit  dreinhauen,    wenn   es  auf  ein 
Gefecht    zu  Fuss   ankam,    gleichfalls   das  Ihrige   leisten   konnten  - 
also   eine,   wie   die  neueren  Dragoner,   auf   die   eine   und   die  andere 


48  Das  Pferd. 

Waffe  eingeiibte  Truppe,  ein  Erzeugniss  nicht  nationaler  Sitte,  son- 
dern  reflectirender  Kriegskunst.  Aehnliches  besagt  auch  wohl  der 
griechische  Ausdruck  vtfJUTCTToi,  bei  Xenophon  Hell.  7,  5,  23:  Trefoov 
dfJtCnTKov  mid  Thucydid.  5,  57:  die  Booter  stellten  fiinftausend  Hop- 
liten,  eben  so  viel  Leichtbewaffnete,  fiinfhundert  Reiter  und  eben  so 
viel  aiLUTiTiot.  Schon  naher  der  germanischen  Art  stiinde  die  Fecht- 
weise  der  Daer,  wenn  in  dem  Bericht  des  Curtius  die  letzten  Worte 
voile  Geltung  batten,  7,  32 :  equi  binos  armatos  vehunt,  quorum  in- 
vicem  singuli  repente  desiliunt:  equestris  pugnae  ordinem  turbant. 
Equorum  velocitati  par  hominum  pernicitas.  Aber  dass  die  Reiter- 
volker,  die  irnmer  und  uberall  schwerfallig  zu  Fusse  sind,  im  Lauf 
mit  ihren  Rossen  batten  wetteifern  konnen,  hat  wenig  Wahrscheinlich- 
keit  und  der  Angabe  des  genannten  Geschichtsschreibers  liegt  sicher. 
irgend  eine  Verwechselung  zu  Grunde.  Man  konnte  eine  solcbe 
conibinirte  Kampfart  schon  in  der  Odyssee  finden,  wo  es  von  dem 
tbrakiscben  Volke  der  Kikonen  heisst,  9,  49: 

geiibt  von  den  Pferden  (i<p5  ?IETCU>V) 
Oder  zu  Fuss,  wo  die  Noth  es  gebot,  mit  den  Mannern  zu  kampfen  - 

aber  der  Ausdruck  dtp*  CTITWDV  bedeutet  bei  Homer  sonst  immer 
vom  Wag  en  herab  und  die  kikonische  Kriegsweise  wiirde  also 
ganz  mit  der  in  der  Ilias  gebrauchlicben  zusammenfallen.  Waruni 
aber  wurde  sie  dann  ausdriicklich  erwahnt?  Weil  der  ritterliche 
Kampf  bei  einem  barbarischen  Volke  etwas  Unerwartetes  Avar?  — 
Zum  Verwundern  aber  stimmt  das  troische  und  kikonische  Wagen- 
gefecht  mit  den  Kampfsitten  uberein,  die  nachher  Casar  bei  den  kel- 
tischen  Stammen  in  Britannien  vorfand.  Diese  rollten  mit  ihren 
Wagen  in  die  Schlacht,  wie  die  Helden  vor  Troja.  Casar  bescbreibt 
ihr  Verfahren  dabei  ausfiihrlich,  de  b.  g.  4,  33;  »Erst  reiten  und 
fahren  sie  pfeileversendend  nach  alien  Seiten  und  sucben  die  feind- 
lichen  Reihen  in  Auflosung  zu  bringen.  Dann  springen  sie  plotzlich 
von  den  Wagen,  ex  essedis,  und  kampfen  zu  Fuss.  Unterdess  halten 
die  Wagenlenker  abseits, .  um  die  Streiter,  wenn  diese  vom  Feinde 
bedrangt  werden,  sogleicb  wieder  aufzunehmen.  So  vereinigen  sie 
die  Fliichtigkeit  des  Reiters  mit  der  Standhaftigkeit  des  Streiters  zu 
Fuss.  Ibre  Uebung  darin  ist  so  gross,  dass  sie  auf  steilen  Berg- 
abb  angen  die  in  vollem  Lauf  begriffenen  Rosse  auf  halten  und  lenken 
und  an  der  Deichsel  bin  und  her  laufen  und  auf  das  Joch  treten 
und  dann  wieder  im  Nu  sich  in  den  Wagen  zuriickziehen  konnen. « 
Die  namliche  Kampfart  hatte  spater  auch  Agricola  vor  sich,  Tac. 
Agr.  35:  media  campi  covinarius  et  eques  strepitu  ac  discursu  com- 


Das  Pferd.  49 

plebat.  Mela  fiigt  hinzu,  die  Wagen  seien  mil  Sicheln  bewaffnet  ge- 
wesen,  woruber  Casar  und  Tacitus  schweigen,  3,  6,  5 :  dimicant  non 
equitatu  modo  aut  pedite,  verum  et  bigis  et  curribus  gallice  armati: 
covinnos  vacant,  quorum  falcatis  axibus  utuntur.  (Ueber  die  Namen 
esseda  und  essedum  und  covinus  s.  Diefenbach  O.  E.  unter  diesen 
Wortern  und  Gliick  in  Fleckeisens  Jahrbb.,  Th.  89,  1864,  S.  599.) 
Andere  berichten  daneben,  diese  Kriegswagen  seien  bei  den  Belgen 
im  Gebrauch  und  dies  fiihrt  uns  zu  der  Annahme,  dass  sie  nach 
dem  grossen  keltischen  Wanderzuge  in  den  Osten  und  in  die  Nahe 
iranischer  und  thrakischer  Volker  diesen  letztern  entlehnt  waren  und 
nachdem  sie  auf  dem  Festlande  ausser  Gebrauch  gekommen,  auf  der 
britischen  Insel,  wie  so  manches  Andere  aus  alterer  Zeit,  sich  noch 
erhalten  batten.  Die  Sichelwagen  waren  asiatisch  —  Livius  37,  41 
nennt  sie  der  romischen  Kriegskunst  gegeniiber  ein  inane  ludibrium 
—  und  das  Fahren  in  der  Schlacht  iiberhaupt,  wie  wir  gesehen  haben, 
assyrisch,  persisch  und  kleinasiatisch. 

Ob  das  Reiten  oder  das  Fahren  das  Erste  gewesen,  ist  eine 
von  den  Dichtern  bei  ihren  Phantasien  iiber  die  Urzeit  zuweilen  auf- 
geworfene  Frage.  Lucretius  meint,  bewaffnet  auf  den  Riicken  des 
Thieres  zu  springen  und  es  mit  dem  Zaume  zu  lenken,  sei  alter, 
als  mit  der  Biga  in  die  Schlacht  zu  ziehen,  5,  1297: 

El  prius  est  armatum  in  equi  conscendere  costas 
Et  moderarier  hunc  frenis  dextraque  vigere, 
Quam  bijugo  curru  belli  temptare  perida  - 

uncl  dies  mag  in  dem  Sinne  richtig  sein,  dass  zwar  der  Wagen  selbst 
ein  uraltes  Gerath  ist,  dass  aber  von  dem  rohen,  schwerfalligen  Lnst- 
fuhrwerk  der  friihesten  Zeiten  bis  zu  dem  leichten,  geschwinden,  zier- 
lichen,  mit  Melall  gearbeiteten  zweiradrigen  Kriegswagen  der  Assyrer 
ein  sehr  weiter  Schritt  ist.  Der  Gebrauch  des  Rindes  als  Zugthier 
konnte  dazu  einladen,  auch  das  gefangene  Ross  zu  gleichem  Dienst 
anzuhalten;  aber  natiirlicher  ist  es,  das  wilde  Thier  auf  dessen 
eigenem  Riicken  mit  Handen  und  Fiissen  zu  umklammern  und  dann 
miide  zu  jagen,  so  dass  es  nicht  weiter  kann  und  dann  willig  wird. 
Auch  war  das  Ross,  wie  wir  gesehen  haben,  immer  nur  ein  kriege- 
risches  Thier,  dessen  Werth  in  der  Geschwindigkeit  bestand,  und 
erst  der  Reiter  verfiel  darauf,  durch  ein  angehangtes  leicht  rollendes 
Gefass,  das  ihn  und  seinen  Gefahrten  aufnahm,  gewisse  Kriegszwecke 
vollstandiger  zu  erreichen. 

Fassen  wir  alle  obigen  Notizen  zusammen,  so  verrath  sich  uns 
nirgends  in  Europa,  weder  bei  den  klassischen  Volkern  des  Siidens, 

Viet.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  4 


50  Das  Pferd. 

noch  bei  den  nordeuropaisehen  von  den  Kelten  westlich  bis  zu  den 
Slaven  ostlich  das  hohe  Alter  des  Pferdes  und  die  lange  Dauer 
dieser  Zahmung  durch  deutliche  Spuren  und  unzweifelbafte  An- 
zeichen.  Ja  manche  Thatsachen  scheinen  in  positiver  Weise  die 
Bekanntscbaft  mit  dem  Thiere  in  friiher  Zeit  auszuscbliessen,  z.  B. 
dass  die  homerischen  Griecben  auf  dem  Rosse  nicbt  reiten  (wie  sie 
cloch  thun  miissten,  wenn  sie  es  urspriinglich  besessen  batten),  son- 
dern  mit  dem  Rosse  nur  fahren  (was  sie  den  Asiaten  abgesehen 
haben  miissen).  Wir  haben  daber  keinen  Grund,  uns  die  Indo- 
germanen  bei  ihrer  friihesten  Einwanderung  als  ein  Rossevolk  zu 
denken,  das  mit  verhangtem  Ziigel  iiber  Europa  dabergesprengt  kam 
und  Menscben  und  Tbiere  mit  der  Schlinge  aus  Pferdebaar  einnng. 
Begleitete  sie  aber  das  Ross  auf  ibrem  grossen  Zuge  durch  die  Welt 
nocb  riicht,  so  miissen  die  dem  Ausgangspunkt  nabe  gebliebenen 
iraniscben  Stamme  diese  Kunst  erst  spater  erlernt  haben  —  von  wem 
anders,  als  von  den  hinter  ihnen  hausenden,  allmahlich  im  Laufe  der 
Zeit  naher  geriickten  Tiirken?  Diesen  und  hinter  ihnen  den  Mon- 
golen  verbliebe  der  Anspruch,  den  fliichtigen  Einhufer  auf  der  weiten 
Steppe  zuerst  gefangen  und  iiberwaltigt  und  zur  Jagd  und  zurn 
Kriege  abgerichtet  zu  haben.  Als  die  Tiirken  den  gebildeten  Volkern 
des  Occidents  zuerst  zu  Gesicht  kamen,  da  waren  sie  ein  Reitervolk, 
wie  man  in  solchem  Masse  noch  keines  kannte,  auch  die  Scythen 
und  Farther  und  andere  Iranier  nicht  ausgenommen.  Die  Hunnen 
sind  dxgoGyahelg,  d.  h.  sie  fallen  bei  jedem  Schritt,  und  anodsg, 
d.  h.  ohne  Fiisse  zum  Auftreten  (bei  Suidas),  sie  leben,  wachen  und 
schlafen,  essen  und  trinken,  berathen  sich  unter  einander  zu  Pferde 
und  die  Thiere  sind  ausdauernd,  aber  hasslich,  also  friscb  von  der 
hochasiatischen  Steppe  gekommen,  Amm.  Marc.  31,  2,  6:  equis  prope 
adfixi,  cluris  quidem,  sed  deformibus,  et  muliebriter  iisdem  nonmm- 
quam  insidenteSj  funguntur  muneribus  consuetis.  Ex  ipsis  quivis 
pernox  et  perdius  emit  et  vendit  cibumque  sumit  et  potum  et  in- 
clinatus  cervici  angustae  jumenti  in  altum  soporem  adusque  varie- 
tatem  effunditur  somniorum.  Et  deliberatione  super  rebus  propo- 
sita  seriis,  hoc  habitu  omnes  in  commune  consultant.  Und  nicht 
anders  schildert  sie  Zosimus  4,  20:  »sie  sind  nicht  im  Stande,  den 
Fuss  fest  auf  den  Boden  zu  heften,  leben  ganz  auf  den  Pferden, 
scblafen  auf  ihnen  u.  s.  w.«  Die  Steppe  hat  das  Pferd  geboren,  die 
gelben  Steppenvolker  haben  es  gezahmt  und  nacbdem  ihnen  diese 
That  gelungen,  ihr  ganzes  Dasein  von  ihr  abgeleitet.  Wenn  es  wahr 
sein  sollte,  wie  neuerdings  im  Hinblick  auf  die  zweite  Art  der  acha- 


Das  Pferd.  51 

menidischen  Keilschriften  angenommen  wird,  dass  Medien  entweder 
eine  urspriinglich  turanische,  d.  h.  nicht-iranische  Bevolkerung  gehabt 
hat  oder  urspriinglich  von  Ariern  bewohnt  wurde,  die  spater  von 
eingewanderten  Turaniern  unterjocht  worden  —  so  wiirde  sich  dadurch 
des  Weiteren  erklaren,  waruni  dieses  Land  fiir  ganz  Vorderasien  Heimath 
mid  Ausgang  der  Rossezucht  und  Reitkunst  geworden  istu). 


**  Der  Annahme  Helm's,  dass  die  Indogermanen  in  einer  centralasiati- 
schen  Urheimath  das  Pferd,  dessen  urspriingliche  Weideplatze  sich  in  westlicher 
Richtung  hochstens  bis  zu  den  Karpathen  erstreckt  batten  (S.  21),  nur  in 
wildem  Zustand  kannten,  und  dass  die  europaischen  Indogermanen  das  Pferd 
als  Hausthier  erst  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  auf  den  Wegen  des  Volker- 
verkehrs  mittelbar  oder  unmittelbar  von  iranischen  Stammen  her  empfingen, 
dieser  Annahme  steht  die  nicht  beachtete  Schwierigkeit  entgegen,  dass  man 
so  nicht  begreift,  wie  das  Wort  equus  z.  B.  bei  den  westlichsten,  den  keltischen 
Stammen  sich  erhalten  konnte,  wenn  die  Bekanntschaft  mit  dem  Thier  Jahr- 
hunderte  lang  unterbrochen  war.  Das  Vorhandensein  dieses  Wortes  in  dem 
Sprachschatz  fast  aller  Indogermanen  erklart  sich  vielmehr  nur  unter  der 
Voraussetzung,  dass  das  Pferd  entweder  in  gezahmtem  oder  halbgezahmtem 
Zustand  die  Indogermanen  auf  ihren  Wanderungen  begleitete,  oder  dass  das 
Wanderungsgebiet  auch  der  europaischen  Indogermanen  in  das  Verbreitungs- 
gebiet  des  wilden  Pferdes  fiel  oder  endlich  dass  beides  zugleich  der  Fall  war. 

Dass  Europa  mit  zu  den  ursprtinglichen  Wohnsitzen  des  wilden  Pferdes 
gehore,  wird  von  den  Naturforschern  gegenwiirtig  mit  grosser  Entschiedenheit 
angenommen.  Vgl.  A.  Otto,  Zur  Geschichte  der  altesten  Hausthiere  S.  73  ft 
Vor  allem  ist  hier  eine  Arbeit  A.  Nehrings  in  den  Landwirthschaftlichen 
Jahrbiichern  vom  Jahre  1884  zu  nennen:  »Fossile  Pferde  aus  deutschen 
Diluvial-Ablagerungen  und  ihre  Beziehungen  zu  den  lebenden  Pferden.  Ein 
Beitrag  zur  Geschichte  des  Hauspferdes.«  Nehring  unterscheidet  mit  anderen 
zwei  Hauptrassen  des  Hauspferdes,  die  orientalische,  welche  durch  eine 
starke  Entwicklung  des  Gehirnschadels  charakterisirt  sei,  wahrend  der  Ge- 
sichtsschadel  mehr  zuriicktrete,  und  die  occidentale,  bei  welcher  das  um- 
gekehrte  Verhaltniss  vorliege.  Zu  letzterer  gehore  das  schwere,  starkknochige 
Diluvialpferd  Mitteleuropas,  und  es  konne,  das  ist  der  Hauptsatz  der  Arbeit, 
kein  Zweifel  obwalten,  dass  von  diesem  unser  schweres,  gemeines  Hauspferd 
direct  abstamme.  Daneben  wird  das  Vorhandensein  einer  kleineren,  zier- 
licheren  Rasse  schon  in  der  Diluvialzeit,  z.  B.  in  den  Funden  von  Schussen- 
ried  als  wahrscheinlich  angenommen.  Das  schwere  Diluvialpferd  habe  in  der 
Europa  in  postglacialer  Zeit  theilweis  bedeckenden  Steppen vegetation ,  deren 
Ueberreste  in  Schlesien  und  in  der  Theissebene  Ungarns  noch  bestiinden,  als 
Jagdthier  des  Menschen  in  ungeheurer  Menge  gelebt,  vor  den  sich  immer 
mehr  ausdehnenden  Waldungen  sich  zwar  grosstentheils  in  die  Steppenflora 
des  Ostens  zuruckgezogen,  aber  doch  theilweis  in  den  Lichtungen  des  Urwalds 
bis  in  historische  Zeiten  erhalten.  Die  Nachrichten  iiber  das  europaische 
Wildpferd  werden  daher  nicht  mit  H.  auf  verwilderte,  sondern  auf  wirklich 
wilde  Thiere  bezogen  (ebenso  wie  von  Ecker  Globus  1878  Bd.  34  in  einer 

4* 


52  Das  Pferd. 

ausfiihrlichen  Arbeit  iiber  das  europaische  Wildpferd).  Die  Domestication 
des  wilden,  mitteleuropaischen  Diluvialpferdes  habe  sehr  friih  begonnen, 
wann  sie  durchgefiihrt  worden  sei,  lasse  sich  mit  Sicherheit  nicht  ermitteln. 
-  Lehrreich,  aber  freilich  wenig  trostlich,  sind  auch  die  Mittheilungen  Neh- 
rings  iiber  den  vielgenannten  Tarpan  (oben  S.  19).  Nach  ihnen  sind  wir  iiber 
dieses  Wesen  lediglich  auf  die  Berichte  der  gelehrten  Reisenden  des  vorigen 
Jahrhunderts,  wie  Pallas,  Gmelin,  Georgi  angewiesen;  denn  gegenwartig  exi- 
stire  nirgends  in  Russland,  wenigstens  nirgends  in  Siid- Russland  uiid  den 
aralo-kaspischen  Steppen,  irgend  ein  wildes  Pferd.  Auch  sei  in  keiner  ein- 
zigen  Sammlung  Russlands  ein  Skelett  dieses  sogenannten  Tarpan  aufzufinden. 
Die  letzte  noch  iibrige  Form  des  wilden  Pferdes  ist  Nebring  geneigt,  in  dem 
equus  Przewalkii  bei  dem  See  Lob-Nor  in  Mittelasien  zu  erblicken.  —  Wie  stellt 
sich  nun,  wenn  man  mit  den  Naturforschern  von  dem  Indigeuat  des  Pferdes 
in  Europa  ausgeht,  hierzu  die  Frage  der  Zahmung  des  Thieres  bei  den 
Indogermanen  ?  Da  dieselben  nach  den  iiberzeugenden  Ausfiihrungen  H.'s  in 
der  Urzeit  weder  ein  Reitervolk  gewesen  sind,  noch  auch  das  Pferd  als  Zugthier 
benutzt  haben  konnen,  andererseits  aber  doch  das  Thier,  wie  andere  indo- 
germanische  Hausthiere  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Opfer  und  Pferd),  bei' 
alien  idg.  Volkern  zu  Opfer-  und  Speisezwecken  verwendet  wurde,  wird  man 
fiir  die  indogermanische  Urzeit  am  wahrscheinlichsten  einen  halb wilden 
Zustand  des  Thieres  anzunehmen  haben,  in  welchem  es  nicht  sowohl  zu 
Dienstleistungen  als  zur  Nahrung  uud  Bekleidung  des  Menschen  (Fleisch, 
Milch,  Felle)  in  Heerden  gehalten  wurde.  In  diesen  Zustand  konnte  das 
Thier  ebenso  wohl  in  Asien  wie  in  Europa  versetzt  worden  sein,  und  der 
Umstand,  dass  die  Indogermanen  das  Pferd  halbwild  oder  wild  gekannt  batten, 
Hesse  sich  an  und  fiir  sich  weder  zu  Gunsten  der  asiatischen,  noch  zu  Gunsten 
der  europaischen  Hypothese  des  Urlandes  der  Indogermanen  ausbeuten.  Mog- 
lich  ist  aber  auch,  dass  erst  die  europaischen  Indogermanen  nach  Auflosung 
des  indogermanischen  Verbandes,  wahrend  aber  noch  engere  kulturgeschicht- 
liche  und  volkergeschichtliche  Beziehungen  zwischen  alien  oder  gewissen  Theilen 
bestanden  (vgl.  unten  S.  63  f.),  zur  ersten  Zahmung  des  einheimischen  Thieres 
vorschritten.  Hierfiir  konnte  man  auf  einige  Benennungen  des  jungen  oder 
des  Mutterthieres  hinweisen,  die  sich  auf  Europa  beschranken.  So  auf  das 
griech.  ncuXoc:  goth.  fula  Fohlen,  ir.  (p)klir,  alb.  pel's  Stute  (G.  Meyer,  Et.  W. 
S.  326)  und  auf  das  oben  (S.  24)  genannte  ahd.  stuot.  Hingegen  diirfte  die 
Gleichung  altgallisch  marka,  ir.  marc  =  ahd.  marah,  meriha  eher  auf  friilr 
zeitiger  Entlehnung  aus  dem  Keltischen  beruhn.  Das  in  den  germanischen 
Sprachen  weit  verbreitete  Wort  ist  in  der  Bedeutung  Vieh,  Mahre,  Waare 
(vgl.  Miklosich,  Et.  W.  S.  190)  in  zahlreiche  Slavinen,  auch  ins  Rumanische 
und  Magyarische  eingedrungen,  so  auf  einen  friihen  westostlichen  Pferde- 
handel  hindeutend,  der  seinen  Ausgangspunkt  in  Gallien  zu  haben  scheint. 
Vgl.  Caesar  De  bello  gallico  IV,  2:  Quin  etiam  iumentis  (»Pferd«,  Wolft'lin 
Archiv  VII,  322),  qalbus  maxime  Galli  delectantur  quaeque  inpenso  parant  pre- 
tio,  imp  or  tat  is  hi  (Suebi)  non  (wie  andere  Germanen)  utuntur,  sed  quac  sunt 
apud  eos  nata,  prava  (nicht  parva)  atque  deformia,  haec  cotidiana  exerciiatione. 
summi  ut  sint  laboris  efficiunt.  Bekanntlich  wurde  auch  in  Gallien  eine 
besondere  Pferdegottin ,  Epona  (*ep-  =  ir.  ech),  verehrt,  deren  Altare  noch 
heute  sichtbar  sind.  —  Mo'glich  ist  aber  auch  endlich,  dass  die  Indogermanen 


Das  Pferd.  53 

erst  als  Einzelvolker  und  in  ihren  historischen  Wohnsitzen  die  Zahmung  des 
einheimischen  Pferdes  begannen,  nachdem  sie  auf  den  A- on  Hehn  geschil- 
derten  Wegen  des  Volkerverkehrs  von  aussen  dieselbe  erlernt  hatten;  denn 
aucli  Nehring  hebt  mil  Nachdruck  hervor,  dass  schon  in  vorhistorischer  Zeit 
das  Eindringen  des  asiatischen  Hauspferdes  in  Europa  stattgefunden  haben 
miisse.  Weiter  als  zu  dem  Abwagen  von  Moglichkeiten  wird  man  in  diesen 
sclnvierigen  Fragen  vorlaufig  nicht  kommen.  —  In  den  Schweizer  Pfahlbauten 
der  Steinzeit  sind  nach  Rfitimeyer,  Fauna  der  Pfahlbauten,  S.  123,  Ueberreste 
des  Pferdes,  und  zwar  unseres  Hauspferdes,  unzweifelhaft  nachgewiesen 
worden;  doch  sind  dieselben  der  Haufigkeit  der  Knochen  anderer  Hausthiere 
gegeniiber  selten.  Fiir  die  danische  Steinzeit  wird  die  Bekanntschaft  mit  dem 
Pferd  als  ,,zweifelhaft"  bezeichnet  (vgl.  S.  Miiller,  Nordische  Alterthumskunde  I 
S.  204,  445),  wahrend  in  Schweden  sichere  Pferdereste  ans  der  gleichen  Epoche 
zu  Tage  gekommen  sind  (vgl.  Montelius,  Kultur  Schwedens  2  S.  26).  Zwei 
Species  von  Pferden  haben  sich  in  den  Pfahlbauten  der  Poebene  gefunden 
(W.  Helbig,  Die  Italiker  in  der  Poebene  S.  14).  Die  in  Mykenae  gefundenen 
Thierreste  harren,  wie  Herr  Tsuntas  schreibt,  noch  einer  sorgfaltigen  Unter- 
suchung. 

Bemerkenswerth  1st,  dass  an  zwei  Stellen  des  europaisch-indogermanischen 
V(">lkergebiets  nichtindogermanische,  vielleicht  vorindogermanische  Be- 
zeichnungen  des  Pferdes  hervortreten.  Es  ist  dies  einerseits  im  Norden  altsl. 
kobyla  Stute,  mit  dem  sich  auch  das  gemeinslavische  kom  Pferd  und  das 
gleichbedeutende  altruss.  komom,  cech.  Jcomon  (vgl.  auch  altpreuss.  camnet 
Pferd,  lit.  klime  Stuet,  kumdys  Fohlen)  lautlich  vermitteln  lassen,  und  das 
des  weiteren  sowohl  mit  gallisch-lateinischem  cabo,  cabonis  (G.  Goetz,  Thesau- 
rus I,  159),  caballus  (griech.  xapd/^Y|C,  Hesych.),  wie  endlich  auch  mit  dem 
gemeinlinnischen  hebo,  hepo  Pferd,  estn.  hebu,  hobu  Stute,  hobune  Pferd  etc. 
zustimmenzuhangen  scheint  (vgl.  tiber  diese  Worter  Leskien,  Bildung  der  Nomina 
im  Litauischen  S.  277  und  J.  Schmidt,  Kritik  der  Sonantentheorie  S.  138). 
Es  ist  dies  zwei  tens  im  Alpengebiet  bask,  mando  Pferd  oder  Maulthier,  das 
in  lat.  mannus  (aus  *mandus\  ein  gallisches  Pferd  und  in  alb.  mes  Fullen  von 
Pferd  oder  Esel  aus  *mandia  (vgl.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  276)  wiederkehren  diirfte. 

Weiteres  tiber  die  Terminologie  des  Pferdes  s.  in  meinem  Reallexikon 
u.  Pferd. 

Wenden  wir  uns  nach  Asien,  so  weist  die  Sprachvergleichung  darauf 
bin,  dass  auch  bei  den  Semiten  die  Bekanntschaft  mit  dem  Pferd  bis  in 
die  Urzeit  dieser  Volker  zuruckgeht.  Es  handelt  sich  hier  um  die  beiden 
Gleichungen  assyr.  sisu,  hebr.  sus,  aram.  susjd  und  hebr.  para*  Reiter  mit  dem 
Pferd,  Pferd,  athiop.  faras,  arab.  feres,  die  doch  kaum  anders  wie  die  indo- 
gerinanische  Gleichung  equiis  etc.  beurtheilt  werden  konnen  (vgl.  F.  Hominel, 
Die  Namen  der  Saugethiere  S.  45  f.).  Auf  keine  Weise,  meint  Hommel,  S.  54, 
lasse  sich  die  (mit  der  Hehn'schen  Anschauung  von  der  iranischen  Herkunft 
des  semitischen  Pferdes  am  besten  ubereinstimmende)  altere  Erklarung  von 
*susu  als  »das  susische«  und  von  *param  als  »das  persische«  aufrecht  halten, 
hinoegen  nimmt  er  (Beilage  zur  allg.  Zeitung  1895  No.  197  S.  2,  einen  uralten 
Zusammenhang  zwischen  der  ursemitischen  Grnndform  *sisivu  =  assyr.  sisu 
und  der  indogermanischen  *  ekvo  =  scrt.  d^va-,  lat.  equus  an  (?).  -  •  Den 
Sumerern,  der  altesten  Bevolkerung  Babyloniens,  scheint  im  Gegensatz 


54  Das  Pferd. 

zu  den  Semiten  das  Pferd  niclit  urspriinglicli  bekannt  gewesen  zu  sein.  Seine 
augenscheinlich  junge  Benennung  lautet  hier  »Esel  des  Berges  oder  Ostens« 
(vgl.  F.  Hommel,  Die  Semiten  S.  402). 

Weitere  (oben  S.  26)  Thatsachen  lassen  sich  dafur  geltend  machen,  dass 
inAegypten  Pferd  und  Wagen  durch  semitisclie  Beziehungen  bekannt  warden 
(Hommel,  Namen  der  Saugethiere  S.  422,  E.  Meyer,  Geschichte  des  Alter- 
thums  I,  §  211).  Dass  dies  durch  die  Hyksos  geschehen  sei  (oben  S.  26),  wird 
von  F.  Hommel  energisch  vertheidigt;  er  versteht  unter  diesem  Namen  ara- 
bisclie  Beduinenstamme  und  ist  daher  S.  422  geneigt,  dem  arabischen  Pferd 
ein  hoheres  Alter  als  Helm  (oben  S.  29  f.)  zuzuschreiben.  Spater  war  Aegypten. 
ein  pferdeausfiihrendes  Land  (E.  Schrader,  Keiliiischriften  u.  d.  a.  Testament, 
2.  Auflage  S.  188).  Ueber  das  Pferd  in  Aegypten  vgl.  noch  Dttmichen  in  Brelims 
Thierleben  III3,  39  f.  und  Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  420  ff.,  fur  das 
Pferd  bei  den  Semiten  Riehm,  Bibellexikon,  2.  Aufl. 

Sehr  anschanlich  schildert  E.  Meyer  a.  a.  O.  die  Umgestaltung,  welche 
im  ganzen  Gebiete  der  a"  gyptisch  -  vorderasiatischen  Kulturwelt  das  Kriegs- 
wesen  durch  die  Einfiihrung  des  Pferdes  und  seine  Benutzung  zum  Ziehen 
des  leicht  durch  die  Reihen  der  Feinde  dahinfliegenden  Kriegswagens 
erfuhr.  Zu  den  im  obigen  (S.  26  ff.)  von  Helm  zusammengestellten  Be- 
legen  hierfur  ware  noch  nachzutragen ,  dass  schon  auf  den  mykenischen 
Grabstelen  Streitwagen  dargestellt  sind  (Helbig,  Homerisches  Epos,  2.  Aufl. 
S.  126).  So  erhalten  die  schon  oben  citirten  Verse  der  Jlias  (4,  308),  die 
Worte  des  Nestor 

d»8s  xal  oi  TtpoTspoi  TtoXta?  xal  TS'.^E'  Ircopd'eov 

eine  vertiefte  Bedeutung.  Auch  bei  den  Ostiraniern  des  Zendavesta  waren 
Wettrennen  zu  Wagen  ebenso  wie  das  Fahren  in  die  Schlacht  gebrauchlich ; 
aber  auch  die  Reitkunst  wurde  geiibt  (W.  Geiger,  Ostiranische  Kultur  S.  350). 
Wie  kam  es  nun,  dass  in  der  ganzen  agyptisch-vorderasiatischen  Kultur,  vorn 
Nil  bis  an  die  Ufer  des  Indus  das  Pferd  offenbar  zuerst  dazu  verwendet 
wurde,  den  Kriegswagen  zu  ziehen,  nicht  aber  den  Reiter  in  die  Schlacht  zu 
tragen?  Diese  Frage  ist  in  neuerer  Zeit  mehrfach  erortert  worden.  W.  Ridge- 
way  in  der  Academy  vom  3.  Jan.  1891  S.  14  sucht  den  Grund  jener  Erschei- 
nung  in  dem  angeblich  kleinen  und  schwachen  Typus  des  primitiven  Pferdes. 
Er  beruft  sich  dabei  auf  die  schon  oben  S.  35  genannte  Stelle  des  Herodot 
von  den  Sigynnen,  einem  Volke,  das  tibrigens  auch  MiillenhofF,  Deutsche 
Alterth.  III.  If.  ahnlich  wie  Helm  localisirt:  TOO?  2s  irereooc  aotw  eivai  XociS-oo? 
6citav  TO  au>{xa  Inl  itevTe  SaxTuXoo?  TO  (3dS-o<;  TU>V  Tpt^cuv,  jAtxpou?  os  xai  otjxoui;  xal 
&8ovaTOD<;  avBpai;  cpspeiv,  CeuYvufxsvou?  8s  6cp'  apfiaTa  etvat  O|UTOCTOUC.  dpjjLatYjXaTe'etv  os 
Ttpo?  TauTa  TOO?  e:ct^a>piooc.  Man  hat  aber  mit  Recht  in  der  Academy  vom 
10.  Jan.  1891  S.  40  eingewandt,  dass  die  Pferde,  wie  sie  auf  den  assyrischen 
und  agyptischen  Monumenten  dargestellt  sind,  zu  dieser  Ansicht  durchaus 
nicht  stimmen.  Dass  man  das  Pferd  gekannt,  es  aber  iiberhaupt  niclit  zu 
reiten  verstanden  hatte,  ist  ebenfalls  unglaublich.  Die  homerischen  Zeug- 
nisse  ftir  die  Ausiibung  der  Reitkunst  s.  oben  S.  39  f.  Fur  die  Inder  des  Rig- 
veda  beweist  dasselbe  Rgv.  V,  61,  2  (vgl.  M.  Muller,  Biographies  of  words 
S.  116).  Auch  in  Aegypten  diente  das  Pferd  zum  Reiten  (vgl.  Wiedemann 
mid  Dlimichen  a.  d.  angegebenen  Stellen).  In  Vorderasien  selbst  ritten  die 


Griechen.     Italer.     Phonizier.  55 

iirspriinglich    wohl    nicht   sernitischen  Chetta's,    deren  Kriegsgottin    sogar    zu 
Pferde  erscheint  (vgl.  Wiedemann  a.  a.  O.). 

Es  handelt  sich,  das  1st  festzuhalten,  bei  der  ganzen  Erscheinung  ledig- 
lich  um  eine  Sitte  der  Kriegsfiih rung,  zu  deren  Erklarung  die  oben 
S.  30  gegebenen  Ausfiihrungen  Helm's  gentigen.  Dass  aber  gerade  auf  dem 
Gebiete  des  Kriegswesens  eine  machtige  Nation,  hier  also  wahrscheinlich  die 
assyrische,  tonangebend  auf  andere  Volker  wirken  kann,  ist  eine  Erfahrung, 
die  man  auch  heutzutage  bei  den  modernen  Militarstaaten  machen  kann. 
Dazu  kam,  dass  das  Pferd  in  gewissen  Theilen  seines  Verbreitungsgebietes 
anfangs  ein  seltner  und  wertlivoller  Besitz  war  (vgl.  fur  Indien  Roth  Z.  d.  d. 
M.  G.  85,  686),  so  dass  auch  nach  dieser  Richtung  die  Ausbildung  einer  ins 
Gewicht  fallenden  Reiterei  zunachst  unmoglich  war.  —  Die  erste  europaische 
Kunde  eigentlicher  (turko-tatarischer)  Reitervolker  bringt  das  von  W.  Tomaschek 
in  den  Sitzungsb.  d.  k.  Ak.  d.  W.  in  Wien  CXVI  (1888)  behandelte  arimaspische 
Gedicht  des  Aristeas  :  die  Arimaspen,  ein  in  iranischem  Mund  gebildetes  Wort, 
das  nach  Miillenhoff  soviel  wie  Besitzer  folgsamer  Rosse,  nach  Tomaschek 
S.  47  Besitzer  von  wilden  oder  Steppenrossen  bedeuten  wiirde.  Wie  Indo- 
germanen  und  Semiten,  besitzen  endlich  auch  die  Turko-Tataren  eine  auf 
dem  ganzen  Sprachgebiet  gemeinsame  Bezeichnung  des  Pferdes  at  (woruber 
Vambery,  Primitive  Kultur  S.  189).  Ebenso  scheinen  die  Finn  en  das  Pferd 
schon  vor  ihrem  EintrefFen  an  der  Ostsee  gekannt  zu  haben  (vgl.  A.  Ahlqvist, 
Die  Kulturvolkcr  der  westfinnischen  Sprachen.  Ein  Beitrag  zur  altesten 
Kulturgescliichte  der  Finnen.  Deutsche  Ausgabe.  Helsingfors  1875,  S.  9  ff.). 


Zur  Zeit,  wo  die  erste  Dammerung  der  Geschichte  liber  der 
griechischen  Halbinsel  anbricht,  lasst  sich  etwa  Folgendes  erkennen. 
Das  Volk,  welches  spater  unter  dem  Namen  der  Hellenen  die  Welt 
mit  seinem  Ruhm  erfiillen  sollte,  mag  an  der  Ostseite  des  adria- 
tischen  Meeres  durch  Gebirge  und  Walder  bis  Dodona  in  Epirus 
sich  durchgekampft  haben,  an  welche  Gegend  die  Nachkommen  ihre 
altesten  Erinnerungen  und  Vorstellungen  friihesten  Gottesdienstes  und 
primitiven  Lebens  kniipften.  Hier  war  ein  Haltepunkt;  von  hier 
gingen  die  beiclen  nationalen  Gesammtnamen  aus,  der  der  Hellenen, 
der  spater  mehr  im  Osten  Geltung  gewann,  und  der  -der  Griechen, 
TgaixoC,  der  im  Westen  der  Halbinsel  haftete  und  von  da  den 
gegeniiberwohnenden  Italern  zukam,  nachmals  aber  im  Mutter- 
lande  -wieder  erlosch.  Von  Epirus  ging  der  Einwanderungszug,  ohne 
Zweifel  wilden  Drangern  von  Norden  ausweichend,  uber  schwierige 
Gebirge  nach  Thessalien,  wo  ein  zweites  sehr  altes  Dodona  gelegen 
haben  sollte,  und  erfullte  von  dort  in  weiterer  Ausbreitung  die  an- 
grenzenden  Landschaften,  die  erreichbaren  Inseln  und  die  siidlichste 
fast  von  alien  Seiten  vom  Meer  umflossene  Halbinsel.  Als  in  einer 
viel  spatern  Epoche  der  kleine  Stamm  der  Dorer  von  seiner  Heimath 


56  Griechen.     Italer.     Phonizier. 

am  Parnassus  erobernd  den  Peloponnes  uberzogen  hatte,  da  war  die 
vorbereitende  Zeit  der  Mischung  und  der  unstaten  Hin-  und  Her- 
ziige  geschlossen  und  die  Bevolkerung  der  Halbinsel  im  Wesentlichen 
in  den  festen  Sitzen  angesessen,  in  denen  sie  uns  seitdem  die  Ge- 
schichte  zeigt.  Ueberall  wird  der  eigentlich  griechischen  Zeit  die 
der  Pelasger  als  vorausgehend  gedacht,  ein  Name,  in'dem  entweder 
nur  die  Vorwelt  und  altere  Kulturform  als  solche  personificirt  (Pelasger 
am  wahrscheinlichsten  so  viel  als  Altvordern,  die  Altersgrauen) 15), 
oder  die  Erinnerung  an  einen  bei  der  Einwanderung  den  eigent- 
liclien  Griechen  vorausgegangenen  und  allmahlich  von  diesen  absor- 
birten  Zweig  desselben  Volkes  erhalten  worden  ist.  Wie  mit  den 
Pelasgern  verhalt  es  sich  mit  den  friihzeitig  verschwindenden  Stanir 
men,  die  wir  unter  dem  Namen  der  Leleger  (wohl  so  viel  als  Selecti, 
Erlesene,  in  anderer  Form  Lokrer)  zusammenfassen  konnen  und  die. 
sich  als  zerstreute  Trammer  von  Westgriechenland  iiber  die  Inseln 
bis  an  einzelne  Punkte  der  kleinasiatischen  Kiiste  verfolgen  lassen. 
Sie  gehorten  wie  die  Pelasger  zu  den  Ersten  des  grossen  Einwamle- 
rungszuges  und  wurden  von  nachriickenden  Haufen  zersprengt  oder 
unterjocht  oder  iiber  das  Meer  gejagt;  ihr  Ausgangspunkt  war,  so 
viel  wir  sehen  konnen,  Akarnanien  nebst  den  davor  liegenden  Inseln16). 
In  dieser  altesten  Zeit  ist  die  Volkerscheidung  noch  keine  bestimmte 
und  Uebergange  fiihren  nach  alien  Seiten  hin.  Erst  die  fortgehende 
Bildungsgeschichte  schuf  den  Gegensatz  zwischen  Barbaren  und 
Hellenen ;  ethnologlsch  verwandte  Stamme,  die  aber  auf  altern  Stufen 
der  Kultur  verblieben  waren  und  deren  Mundart  nicht  mehr  ver- 
standen  wurde,  erschienen  als  fremden  und  ungewissen  Blutes.  Zu 
solchen  Halbhellenen  mit  vermittelnder  Zwischenstellung  gehorten 
spater  die  Aetoler  und  Akarnanen,  weiter  hinauf  die  Thesproten  und 
Molosser  in  dem  einst  griechischen  Epirus,  auf  der  entgegengesetzten 
ostlichen  Seite  das  nachher  grosse  und  ruhmreiche  Volk  der  Make- 
donen  (so  viel  als  die  Langen,  wie  umgekehrt  die  Minyer  so  viel 
als  die  Kleinen).  Sie  bildeten  den  Uebergang  zu  den  beiden  weit 
ausgebreiteten  Volkern  der  Thraker  ostlich  und  der  Illyrier  west- 
lich,  die  zwar  der  indoeuropaischen  Familie  angehorten,  also  auch 
den  Hellenen  nicht  absolut  fremd  waren,  dennoch  aber  wegen  langer 
Trennung  und  abweichender  Schicksale  bereits  in  so  weitem  Abstand 
sich  befanden,  dass  bei  der  Beriihrung  kein  unmittelbares  Gefiihl 
der  Bluts-  und  Kulturverwandtschaft  mehr  sprach.  Ob  diese  massen- 
haft  dort  gelagerten  Stamme  dem  in  den  Siiden  fortgezogenen  Ur- 
volke  der  Griechen  erst  stidlich  der  Donau  nachgeriickt  oder  ob 


Griechen.     Italer.     Phonizier.  57 

dieses  sich  karopfend  an  ihnen  vorbeigedrangt  habe,  bleibt  in  Dunkel 
gehiillt,  obgleich  Pott,  Ungleichheit  menschlicher  Rassen,  S.  71,  das 
Letztere  glaubt  annehmen  zu  diirfen.  Dass  uns  aber  die  Sprache 
beider  Volker  auf  immer  verloren  gegangen  ist,  bleibt  fur  die  Auf- 
hellung  der  friiheren  Schicksale  des  Indogermanismus  auf  europai- 
schem  Boden  eine  schwere  Einbusse.  In  diesen  Spracheii  ware  uns 
der  Schliissel  fur  so  manches  Problem  der  Theilung  und  Wande- 
rungsrichtung  und  allmahlichen  Succession  der  Hauptglieder  dieses 
Volkersystems  gegeben  gewesen.  Denn  die  Thraker  mit  den  zu 
ihnen  gehorenden  Geten  und  Daken  und  die  Illyrier  mit  ibren  Neben- 
zweigen,  den  Pannoniern  und  Venetern,  bilden  die  Centralmasse,  von 
der  nach  alien  Seiten  verbindende  Faden  auslaufen.  Sie  standen 
den  Griechen  nahe,  aber  auch  den  Phrygern  und  durch  diese  den 
Armeniern  und  iranischen  Stammen,  mit  welchen  letzteren  sie  ohne- 
hin  durch  Skythen  und  Sarmaten  sich  unmittelbar  beriihrten;  nicht 
geringe  Spuren  verkniipfen  sie  gleichzeitig  mit  den  nordlichen  Litu- 
slaven  und  Germanen  und  mit  den  westlichen  Kelten.  Indem  uns 
so  in  der  Reihe  der  Sprachen  und  also  der  Volker  ein  wichtiges 
Glied  fehlt,  bleiben  wir  fur  die  Gruppirung  derselben  auf  vereinzelte 
Beobachtungen  angewiesen,  deren  Gewicht  der  Eine  so,  der  Andere 
anders  schatzen  kann.  Zwar  scheint  von  einem  der  beiden  Zweige 
wenigstens  ein  kostbarer  Rest  in  der  heutigen  albanesischen  Sprache 
erhalten.  Allein  dieses  Idiom  liegt  in  junger,  sehr  entstellter  Form 
vor;  es  ist  von  Einwirkungen  der  es  umgebenden  Zungen  in  alter 
wie  in  neuer  Zeit  tief  durchdrungen  worden;  was  diesem  fremden 
Einfluss  und  was  der  Urverwandtschaft  zuzutheilen  sei,  muss  oft 
zweifelhaft  bleiben  und  Alles  zusammengenommen  hat  bis  jetzt  die 
ohnehin  vielbeschaftigte  vergleichende  Sprachwissenschaft  abgehalten, 
auf  diesem  Boden,  der  vielleicht  noch  manches  verbirgt,  die  Aiis- 
.grabung  in  grosserem  Masse  vorzunehmen17).  —  Die  Thraker  (scheint 
eine  griechische  Benennung,  die  Rauhen  oder  die  Gebirgsstamme, 
von  TQa%vg  mit  vertauschter  Aspiration,  wie  Ligures  asperi  bei 
Avienus)  hatten  friihe  asiatische  Kulturvvirkung  erfahren  und  in  ihreh 
siidlichsten  Zweigen  friihe  eine  solche  auf  den  Norden  Griechenlands 
geiibt:  die  Illyrier  fiihren  uns'  auf  der  entgegengesetzten  Seite  zur 
Schwesterhalbinsel  It  a  lien.  Dort  hatten  Illyrier  unter  dem  Namen 
Veneter,  Heneter,  Eneter  nicht  bloss  das  Miindungsland  des  Po  und 
der  iibrigen  Alpenfliisse  besetzt,  sondern  auch,  wie  mancherlei  Namens- 
spuren  verrathen,  ja  selbst  directe  Zeugnisse  bestatigen,  schon  friihe 
langst  dor  ganzen  Ostkiiste  bis  tief  an  die  stidliche  Spitze  sich  aus- 


58  Griechen.     Italer.     Phonizier. 

gebreitet,  ohne  indess  den  Apennin  zu  iiberschreiten.  Zu  dem  illyri- 
schen  Stamm  mogen  auch  die  Messapier  uiid  Japygen  im  Sudosten 
der  Halbinsel  nebst  den  Nachbarvolkchen  zu  rechnen  sein.  Auf 
dem  grossen  Volkerwege  um  den  venetischen  Meerbusen  herum,  die 
italischen  Illyrier  entweder  vor  sich  und  zur  Seite  schiebend  oder 
umgekehrt  von  diesen  vorwarts  nach  Siiden  und  Siidwesten  gedrangt, 
war  denn  auch  das  eigentlich  italisehe  Volk  in  die  Halbinsel  vor- 
geriickt,  das,  wie  der  Augenschein  den  Unbefangenen  lehrt,  von  den 
Vorvatern  der  Hellenen  sich  erst  verbal  tnissmassig  spat  getrennt 
hatte.  '  Unter  den  Unterabtheilungen,  in  die  es  auf  dem  neuen  Boden 
zerfiel  nnd  die  vielleicht  nur  der  in  intermittirenden  Stossen  erfol- 
genden  Einwanderung  ihr  Dasein  verdanken,  setzten  sich  die  Latiner 
in  der  Ebene  sudostlich  von  dem  unteren  Tiber  und  auf  den  daran 
stossenden  vulkanischen  Vorbergen.  fest;  die  sabellischen  Stamme 
drangen  auf  dem  Rucken  des  Gebirges  selbst  vor;  vom  untern  Po 
und  den  Ebenen  am  adriatischen  Meer  quer  durch  die  Halbinsel 
bis  zum  westlichen  Meer  waren  die  Umbrer  verbreitet,  an  welche 
sich  im  Nordwesten,  in  den  Gebirgen,  die  zu  den  Golfen  von  Genua 
und  Spezzia  hinabsteigen,  die  Ligyer  oder  Ligurer  (in  altester  Form : 
Liguses),  ein  nicht  italisches  Volk,  anschlossen.  Ob  die  Einwanderer 
an  den  Westkiisten  Italiens  bis  hinab  nach  Sicilien  ligurische  und 
iberische  Bewohner  vorfanden  und  sie  verjagten  oder  vertilgten,  lasst 
sich  mehr  ahnen  als  behaupten  oder  verneinen.  Aber  friihe  schon 
wurden  die  Umbrer  durch  einen  neuen  Einbruch  von  Norden  ver- 
drangt,  gespalten  und  unterjocht:  das  rathselhafte,  indess  doch  wohl 
indoeuropaische  Volk  der  Etrusker  setzte  sich  in  breiter  Herrschaft 
von  den  Alpen  bis  zum  Tiber  durch  die  obere  Halfte  der  Halbinsel 
fest,  wurde  machtig  zur  See,  ging  spater  sogar  nach  Campanien 
iiber,  bis  es  durch  die  iiber  die  Alpen  brechenden  Kelten,  die  sich 
der  Ebenen  Ober  Italiens  bleibend  bemachtigten,  immer  mehr  be- 
schrankt  und  geschwacht  wurde.  Unterdess  aber  hatten  sich  die 
kriegerischen ,  raub-  und'  wanderlustigen  Hirtenstamme  in  beiden 
Halbinseln,  der  griechischen  und  der  italischen,  allmahlich  zum  Acker- 
bau  gewandt  und  damit  den  machtigsten  Schritt  auf  der  Balm  der 
Humanitat  gethan.  Dass  sie  vor  'der  Einwanderung,  zur  graco- 
italischen  Epoche,  ja  wohl  gar  schon  im  Herzen  Asiens  den  Acker 
bestellt  und  sich  von  der  Frucht  der  Demeter  genahrt,  ist  eine  oft 
mit  mehr  oder  minder  Sicherheit  aufgestellte  Behauptung,  deren 
Stiitzen  aber  grosstentheils  wenig  haltbar  sind.  Griechisch  fyia  Spelt, 
agovga  der  getreidespendende  Acker,  litauisch  jawas  Getrcide- 


Griechen.     Italer.     Phonizier.  59 


korn,  Plur.  jaival  Getreide  ira  Allgemeinen,  so  lange  es  noch  auf  dem 
Halme  steht,  jawiena  die  Stoppel,  1st  zwar  eine  richtige  Gleichung, 
beweist  aber  nur,  dass  zur  Zeit,  wo  die  Griechen  und  Litauer  noch 
nngeschieden  waren,  irgend  eine  Grasart,  vielleicht  mit  essbarem 
Korn  in  der  Aehre,  mit  diesem  Namen  bezeichnet  wurde  (man  ver- 
gleiche  sanscr.  yava  Gerste,  yavasa  grasreiche  Weide).  Aehnlich 
verhalt  es  sich  mit  XQI&I],  lat.  hordeum,  ahd.  gersta:  die  Sprache 
eines  Volkes,  dessen  Beschaftigung  es  war,  Thiere  zu  weiden,  musste 
an  Gras-  und  Pflanzennamen  besonders  reich  sein.  Aus  griechisch 
dyQog,  lat.  ager,  gothisch  akrs  ist  gar  iiichts  zu  schliessen,  da  die 
Bedeutung  dieses  Wortes  Feld  iiberhaupt,  nicht  bestellter  Acker, 
gewesen  sein  wird.  Rechnet  man  ahnliche  Falle  und  A  lies,  was  auf 
Entlehnung  beruht,  ab,  so  bleibt  eigentlich  nur  der  eine  Wortstamm 
griech.  dgovv,  lat.  arare,  lit.  drti,  goth.  arjan  u.  s.  w.  mit  den  dazu 
gehorigen  agoigov,  aoovQa,  arvum  u.  s.  w.  als  Beweis  der  Bekannt- 
schaft  mit  dem  Pfliigen  und  dem  Pfluge  vor  der  Volkertrennung 
auf  europaischem  Boden  iibrig.  Die  lange  Wanderung  von  den 
Gegenden  jenseits  des  Aralsees  bis  in  die  Walcler  Ureuropas  wird 
von  Hasten  unterbrochen  gewesen  sein,  auf  denen  je  nach  ihrer 
grossern  oder  geringern  Zeitdauer  Anfaiige,  aber  auch  nur  Anfange, 
des  Ackerbaues  moglich  waren.  Wenn  der  neue  Wandertrieb  er- 
wachte,  wurde  das  schwere,  muhselige,  alien  Hirtenstammen  so  ver- 
hasste  Geschaft  der  Bodenarbeit  aufgegeben  und  es  blieb  nur  die 
allgemeine  Bekanntschaft  damit  zuriick.  Wir  mogen  also  bei  den 
Graco-Italern  jenen  halbnomadischen  Ackerbau  voraussetzen,  den  wir 
noch  heute  bei  Beduinen,  den  Stammen  jenseits  der  Wolga  u.  s.  w. 
im  Schwange  finden.  Der  Pnug  bestand  aus  einem  passend  ge- 
kriimmten  Stiick  Holz,  Avie  man  es  in  den  Waldern  suchte  und 
fand,  das  CZQOTQOV  avioyvov,  welches  noch  Hesiodus  kennt,  wahrend 
die  verschiedeneii  Theile  des  zusammengesetzten  Pfluges,  des  von 
Homer  und  Hesiod  genannten  agoiQov  Tcrjxrov,  griechisch  und  latei- 
nisch  ganz  verschieden  benannt  werden  und  also  erst  nach  der 
Trennung  in  den  neuen  Sitzen  erfunden  oder  von  aussen  her  bekannt 
wurden18).  Die  gebaute  Pflanze  konnte  Hirse  gewesen  sein,  griechisch 
fiMvij,  lat.  miliuin,  lit.  malnos,  f.  pi.  Schwaden,  nicht  sowohl  dieses 
Xamens  wegen,  der  offenbar  nur  eine  Grasart  bezeichnet,  als  weil 
die  Hirse  schon  fruhe  im  Osten  und  Westen  des  Welttheils  gemeine 
Kornart  war.  In  Gemeinschaft  mit  ihm  treten  haufig  die  Riibe  und 
die  Bohne  auf,  zwei  sehr  alte,  mit  gemeinsamen  Namen  benannte 
Friichte,  deren  Pflanzung  vielleicht  dem  Ackerbau  vorausging19). 


(30  Griechen.     Italer.     Phonizier. 

Indess,  wie  sich  dies  auch  verhalten  mag,  nachdem  das  unruhige 
Hirtenvolk  in  den  meerumgiirteten  Landschaften  Griechenlands  mid 
Italiens  seine  feste  Heimat  gefunden  und  der  alte  Trieb  nur  noch 
in  localen  Wanderungen  und  Kampfen  ausklang,  da  musste  in  den 
fetten  Ebenen  am  Meere  oder  zwischen  bewaldeten  Bergen  (Hesiod. 

Op.  et  d.   388: 

die  sich  dem  Meere 

Nah  ansiedelten,  die  in  dem  Thai  am  Fusse  der  Waldschlucht, 
Fern    von    den  schaumenden  Wogen    des  Meers,    den  fruchtbaren   Acker 
Bauen) 

der  schwarze  Boden  und  der  gluckliche  Himmel  zum  Kornerbau  ein- 
laden.  Die  Pelasger  wurden  ein  von  der  Bodenarbeit  sich  nahrendes 
Bauernvolk,  mil  dem  Antlitz  zur  Mutter  Erde  gewandt,  die  voran- 
schreitenden  Ochsen  mit  dem  X&VCQOV  stachelnd,  an  dem  schweren 
AVerke  sich  abmuhend,  das  die  Gotter  den  Menschen  gelehrt  und 
auferlegt,  Hesiod.  Op.  et  d.  398: 

Schaffe  das  Werk,  das  dem  Menschengeschlecht  zumassen  die  Gotter. 

Der  in  den  AValdgebirgen  verbliebene  Hirte  freute  sich  der  leichtern 
Freiheit;  arbeitsscheu  uncl  raubgierig,  wie  alle  Hirten,  liberfiel  er 
die  Wohnungen,  Hiirden  und  Speicher  der  Ackerbauer  und  im 
Kleinen  herrschte  dasselbe  Verhaltniss  wie  im  Grossen  zwischen  Iran 
und  Turan,  zwischen  den  Galliern  kurz  vor  Casar  und  den  Germanen, 
spater  zwischen  den  Deutschen  und  den  Ungarn  und  an  so  vielen 
andern  Stellen  der  Geschichte.  So  fiihrte  das  Bediirfniss  zu  festeii 
Bauten,  Mauern  und  Burgen  auf  den  Hohen,  Schutzwerken  der  Feld- 
besteller  gegen  die  wilden  Nachbarn  in  den  Waldgebirgen  und  so 
ragen  an  vielen  Stellen  Griechenlands  unter  dem  Namen  Ephyra 
(die  Warte),  Larissa  oder  rich  tiger  La  r  is  a  (wohl  so  viel  als  be- 
gabt  mit  fettem  Boden,  wie  ev  TCLOVI  $*?,«%  ncoiawv  TisdCovf  niova 
£Qya,  moveg  dygoi,  /ad^a  nlaQ  vri  ovdag  u.  s.  w.,  Larisae  campus 
opimae.  Larisa  ist  die  Tochter  des  Piasos,  in  dem  thessalischen  Larisa 
herrschen  die  Aleuaden,  d.  h.  die  Drescher  auf  der  Tenne  oder 
Stampfer  im  Morser)  und  Argos  (Fruchtebene  gegen  das  Meer  ge- 
offnet)  feste  Niederlassungen  der  Ackerbauer  und  Mauerngriinder  aus 
der  dunklen  in  die  historische  Zeit  hinein.  AVahrend  die  stamm- 
verwandten  Volker  im  Norden  bei  ihrer  alten  unstaten  Lebensart 
verblieben,  richteten  sich  die  graco-italischen  Stamme  in  dem  neu- 
gewonnenen  herrlich  ausgestatteten  Gebiete  hauslich  ein,  des  An- 
stosses  gewartig,  der  sie  aus  der  natiirlichen  Dumpfheit  erwecken 
und  auf  eine  unabsehbare  Kulturbahn  drangen  solltc.  Diesen  An- 


Griechen.     Italer.     Phonizier.  Ql 

stoss  gewahrte  die  Beriihrung  mit  den  Semiten,  einer  im  Vergleich 
niit  der  schwerfalligeren  indoeuropaischen  Natur  gewandten,  an 
Abstractionskraft  reichen  und  bereits  in  vielen  Zweigen  der  Kultur- 
technik  weit  vorgeschrittenen  Race,  Sidonische  Phonizier  hatten  im 
Verein  mit  Karern  die  Inseln  des  agaischen  Meeres  besetzt,  viel- 
leicht  schon  im  vierzehnten  oder  dreizehnten  Jahrhundert ;  sie  hatten 
sich  ihrer  Sitte  gemass  der  kleinen  Eilande  und  abgesonderten  Fels- 
vorspriinge  am  Kande  des  Festlandes  bemachtigt,  als  eben  so  be- 
quemer  wie  gefahrloser  Stiitzpunkte  fur  Handel  und  Industrie,  waren 
von  den  nordlichen  Inseln  auf  thrakischen  Boden  iibergegangen,  wo 
sie  sich  mit  heriibergekommenen  Phrygern  beriihrten,  herrschten  in 
Bootien  und  Attika  (man  denke  an  die  Sagen  von  der  Europa  und 
vom  Tribut  der  Athener  nach  Kreta),  fassten  von  der  Insel  Kythere, 
einer  uralten  phonizischen  Kultusstatte ,  Fuss  in  dem  gegeniiber- 
liegenden  Lakedamon,  hielten  Korinth  besetzt,  wo  Aphrodite,  die  phoiii- 
zische  Astarte,  und  Elis,  wo  Herakles,  der  phonizische  Melkarth,  vor 
Alters  verehrt  wurde,  ja  gingen  viclleicht  die  Kuste  des  ionischen 
Meeres  bis  zu  den  Aetolern,  Thesprotern  und  Illyriern  hinauf.  Sie 
trieben  an  passenden  Stellen  Purpurfischerei  und  Buntfarberei,  eroff- 
neten  Bergwerke  auf  Metalle  und  kniipften  mit  den  Naturkindern, 
die  um  die  Faktoreien  heruni  wohnten,  einen  gewinnbringeiiden  Handel 
an,  mit  dem  nach  Weisc  der  altesten  und  auch  der  jiingeren  Zeit 
Blendwerk  und  Raub  Hand  in  Hand  ging.  Was  die  Eingeborenen 
bei  diesein  Austausch  geben  konnten,  war  natiirlich  nur  der  Ertrag 
ihrer  Heerden  und  Walder,  also  Haute,  Wolle,  Holz,  wilden  Honig, 
Rinder  und  £chafe,  —  dazu  kraftige  Jiinglinge  und  schone  Madchen, 
d.  h.  Sclaven  und  Sclavinnen.  Was  sie  empfingen,  war  mannig- 
fach :  Tand  aller  Art,  wie  er  Wilde  zu  verlocken  pflegt,  Figuren  und 
Biichsen  von  Bronce  und  Glas,  fertige  Kleider  (WTWV  und  tunica 
sind  phonizische  Worter) ,  eherne ,  iiberhaupt  metallene  Werkzeuge, 
Messer  und  Waffen,  Erzeugnisse  verschiedenartigen  Handwerks,  die 
Mechanik  der  Steinbaukunst,  mythische  Erzahlungen,  Ideen  vorder- 
asiatischer  religioser  Symbolik,  grausame  Opfergebrauche.  Zwar 
wurde  allmahlich  das  fremde  Element,  das  doch  numerisch  schwacher 
sein  musste,  von  der  Nationalitat  der  Eingeborenen  wieder  auf- 
gesogen  und  ging  als  besondere  Existenz  unter;  zwar  stromten  nach 
dem  Zuge  der  Dorer  unternehmende  Auswanderer  in  wiederholten 
Seeziigen  aus  Griechenland  von  Insel  zu  Insel,  an  einzelne  Punkte 
der  karischen  und  lydischen  Kiiste,  von  diesen  wieder  zu  andern, 
Ja  bevolkerteii  mid  unterwarfen  sogar  die  einst  semitischen  Inseln 


62  Griechen.     Italer.     Phonizier. 

Kreta  uncl  Rhodus;  zwar  erscheinen  wahrend  dieser  Periode  griechi- 
scher  Beherrschung  des  agaischen  Meeres  die  tyrischen  Phonizier  nur 
noch  als  Kaufleute  auf  einzelnen  Handelsschiffen  am  hellenischen 
Strande,  aber  mit  ihrer  Vertreibung  oder  Assimilation  waren  manche 
Kenntnisse  und  Begriffe,  die  einst  durch  sie  vermittelt  wurden, 
nicht  mit  ausgerottet  worden,  sondern  blieben  als  verdunkelter 
religioser  Kultus,  als  nationale  Gewohnheit,  deren  Ursprung  bald 
vergessen  wurde,  als  werthvoller  fortzeugender  Besitz  von  Ge- 
rathen,  Kulturarten,  Erfmdungen  bestehen.  Wer  will  entscheiden, 
ob  z.  B.  die  Bekanntschaft  mit  der  Topferscheibe  (TQo%6g)  und  die 
mit  Spindel  und  Webstuhl  schon  mitgebracht  oder  von  Karem  und 
Lydern  und  Phoniziern  uberkommen  war? 20)  Ob  nicht  Worter  wie 
Xffwtos**)',  %aA,xog,  [JieTaMov,  die  sich  in  die  indo-europaische  Ver- 
wandtschaft  nur  gezwungen  einfugen,  von  jenem  altesten  Verkehr 
stammen  und  lydisch-phonizischer  Herkunft  sind22),  so  gut  wie 
tidxxog,  xdSog  und  andere  Handelsausdriicke?  Phonizische  Heilig- 
thiimer  wurden  von  den  Griechen  iibernommen  und  allmahlich  in 
dem  freieren  hellenischen  Geiste  ausgebildet,  ohne  ihre  urspriing- 
liche  Physiognomic  jemals  ganz  verlieren  zu  konnen;  asiatische 
Baume,  die  um  die  alten  Kultstatten  gestanden,  Zweige  und  Blumen, 
die  als  alte  Symbole  gegolten  hatten,  pflanzten  sich  in  der  neuen 
Heimath  fort;  der  Wein,  der  iiber  Meer  gekommen  war,  die  siissen 
getrockneten  Friichte,  das  duftende  Oel  konnten  vielleicht  im  Lande 
selbst  erzeugt  werden,  und  was  von  Anfangen  solcher  Kultur  im 
^igentlichen  Hellas  wieder  erloschen  war,  wurde  durch  die  grosse 
Kolonisation  im  Osten  neu  belebt  und  stromte  von  Kreta  und  Rhodus, 
von  Naxos  und  Thasos  und  von  den  neuen  Sitzen  an  der  anatoli- 
schen  Kiiste  ins  Mutterland  zuriick.  Semitischer  Wein-,  Oel-  und 
Feigenbau  siedelte  sich  auf  den  Hugeln  an,  die  das  Saatfeld  be- 
grenzten,  und  die  Pflanzung,  die  der  pflegenden  Hand  im  Einzelnen 
bedarf,  neben  dem  Acker,  der  mit  Ochsen  gepfliigt,  besaet  und 
dann  der  Sorge  der  himmlischen  und  unterirdischen  Gotter  iiber- 
lassen  ward.  Aus  jener  Zeit  ist  uns  wie  durch  ein  Wunder  in  den 
homerischen  Gedichten  ein  Spiegelbild  der  Sitten,  Vorstellungen  und 
Beschaftigungen  der  Menschen  erhalten  worden.  Indess,  so  licht- 
voll  dies  Bild  ist,  so  viel  Rathsel  lasst  es  dennoch  zuriick,  und  ein 
so  treues  Zeugniss  es  abzulegen  scheint,  mit  so  grosser  Vorsicht 
muss  es  dennoch  aufgenommen  werden.  Denn  in  dem  homerischen 
und  hesiodischen  Epos  ist  nicht  Alles  gleich  werthvoll:  naive  Ge- 
sange  wvon  echtem  sagenhaftem  Gehalt  und  kluge  Werke  jiingerer 


Griechen.     Italer.     Phonizier.  03 

Nachahmer  mid  Bearbeiter,  Dichtungen  voll  alterthiimlich  scheuen 
Olaubens  und  spate  Leistungen  profaner  rhapsodischer  Fertigkeit 
sind  hier  rait  Geschick  und  Ungeschick  und  mit  mehr  oder  minder 
AVahrscbeinlicbkeit  in  einen  Rahmen  vereinigt.  Auf  jene  altesten 
Theile,  so  weit  sie  erkennbar  sind,  gilt  es  fest  den  Blick  zu 
richten;  was  hinter  Homer  hinausliegt,  verbirgt  sich  im  Dunkel, 
das  nur  von  einzelnen  Streiflichtern  der  Sprache  und  des  religiosen 
Mvthus  bin  und  wieder  erhellt  wird. 


Von   gleicher  Beweiskraft   fiir   einen  vorhistorischen  Ackerbau   der 
Indogermanen  Europas    wie    das    von    Hehn    in   diesem    Sinne    zugestandene 


sind  aber  ohne  Zweifel  auch  Gleichungen  wie  goth.  tnalan,  altsl. 
mdjq,  lit.  mdlti,  alb.  mid  Mehl,  lat.  molere,  griech.  \L&kf\  (&Xlu>);  ahd.  mdjanm&hen, 
griech.  hp-aun,  &JJLYJTOI;  =  ahd.  mad;  ahd.  samo,  altsl.  slm§,  altpr.  semen,  lit.  semu, 
lat.  semen;  ahd.  egjan,  lit.  dketi,  altcorn.  ocet,  lat.  occa,  occare,  griech.  6|tvYj  u.  a.  m. 
Ein  sehr  altes  Wort  fur  die  Halmfrucht  war  *bharos:  lat.  far,  farreus,  farsio, 
goth.  barrz-(dns),  altsl.  brasino,  dessen  Grundbedeutung  (vgl.  Miklosich  Et.  W.  19) 
Mehlspeise  ist.  Ein  gemeinsamer  Ausdruck  fiir  die  (urspriinglich  steinerne) 
Pflugschar  scheint  in  griech.  b'cpvtc,  lat.  vomis,  ahd.  waganso,  altpr.  icagnis  (Fick, 
Indog.  W.  I4,  554),  ein  gemeinsames  Ackermass  in  osc.-umbr.  vorsus  =  lit. 
wdrstas  zu  stecken  u.  s.  w. 

Alle  diese  Gleichungen  beschranken  sich  auf  die  europaischen  Sprachen. 
Sie  sind  nicht  speciell  graco-italisch,  wie  denn  die  Annahme  einer  solchen 
Volkerperiode  in  neuerer  Zeit  weder  kulturhistorisch  noch  sprachlich  an 
Wahrscheinlichkeit  gewonnen  hat.  Unter  diesen  Umstanden  erhalt  es  den 
Anschein  ,  als  ob  die  Ausbildung  eines  ,  wenn  auch  noch  primitiven  Acker- 
baues  bei  den  Indogermanen  vor  Hich  gegangen  sei,  nachdem  die  arischen 
Volker  (Inder  und  Iranier)  sich  von  dem  gemeinsamen  Grundstock  ge- 
trennt  hatten.  Auf  dem  damals  noch  beschrankteren  und  durch  ununter- 
brochene  Continuitat  verbundenen  vorhistorischen  Sprachgebiet  der  europai- 
schen Indogermanen  ist  dann  die  Entwicklung  jener  Ackerbaugleichungen 
in  der  Weise  erfolgt,  wie  sie  Hehn  Anm.  18  schildert,  d.  h.  Wortformen, 
die  in  allgemeiner  Bedeutung  schon  in  der  Ursprache  vorhanden  waren, 
nahmen  an  einer  bestimmten  Stelle  des  Sprachgebiets  einen  besonderen, 
auf  den  Ackerbau  beziiglichen  Sinn  an,  um  sich  so  in  theils  weiteren, 
theils  engereri  Kreisen  zu  den  Nachbarn  f  ortzupflanzen  :  *mer,  einst  allgemein 
»zerreiben«,  bedeutet  nunmehr  in  Europa  »mahlen«  (molere),  *agros,  einst 
>Trift«,  nun  »  Acker  «,  *  grnom,  einst  vielleicht  »gereift«,  nun  »Korn«  (goth. 
kailrn,  altsl.  zruno,  lat.  grdnum)  u.  s.  w.  Dass  derartige  Vorgange  auch  auf  dem 
historischen,  durch  allophyle  Volker  unterbrochenen,  weiten  Sprachgebiet 
der  europaischen  Indogermanen  denkbar  seien,  ist  eine  nicht  bewiesene  An- 
nahme Hehn's.  Wenn  dieser  Anm.  18  gegen  die  Annahme  eines  vor- 
historischen Ackerbaus  der  europaischen  Indogermanen,  auf  den  ja  auch-  die 
prahistorische  Forschung  schon  in  den  altesten,  metalllosen  Stationeii  der 
Pfahlbauten  unzweifelhaft  hinweist,  sich  auf  die  Verschiedenartigkeit  der 


64  Griechen.     Italer.     Phonizier. 

Ackerbausprache  im  Griechischen  und  Lateinischen  beruft,  so  ist  zu  be- 
denken,  class  auch  auf  dem  Gebiete  anderer  kulturhistorischer  Erwerbungen, 
die  zweifellos  in  die  Urzeit  zuriickfiihren,  spater  bei  zunehmender  Erfahrung 
eine  mannigfache  und  in  den  Einzelsprachen  auseinandergehende  Termino- 
logie  emporbltiht.  Niemand  wircl  daran  zweifeln,  dass  die  Urzeit  schon  Rind- 
viehzucht  kannte,  und  doch  stimmen  im  Griechischen  und  Lateinischen  nur 
$ob<;-bos,  taopoc-Jmmts  uberein;  auseinandergehen  itopnc,  fxoaxoc,  SafxaXcc,  SafxotXrj, 
CouYujvsp  (Lacones),  xotptY)  (Cretes),  C"Y»^a,  TcstaXa  (Hes.)  etc.  —  hwnentum,  armen- 
tum,  vacca,  vitulus,  for  da  u.  s.  w. 

Ebenso  wenig  einleuchtend  erscheint  aus  allgemeinen  Erwagungen  und 
gegeniiber  den  oben  geschilderten,  deutlich  verfolgbaren  Sprachprocessen  der 
neuerdings  namentlich  von  H.  Hirt  (Idg.  Forsch.  I,  464,  V,  395,  Jahrbiicher  t'iir 
Nation  alokonomie  und  Statistik  III.  Folge  XV,  462)  vertretene  Gedanke,  es 
hatten  einst  auch  die  arischen  Indogermanen  an  jenen  Ackerbaugleichungen 
theil  gehabt  und  dieselben  auf  ihrer  Wanderung  durch  unfruchtbare  Steppen 
eingebiisst,  so  dass  der  Ackerbau  bereits  indogermanischer  Kulturerwerb  ware. 
Eine  ausfiihrliche  Widerlegung  dieser  der  Hehn'schen  Auffassung  der  altesten 
Kulturverhaltnisse  der  Indogermanen  diametral  gegeniiberstehenden  Anschauung 
habe  ich  in  meinem  Reallexikon  u.  Ackerbau  und  u.  Viehzucht  gegeben. 
Indessen  bedarf  es  eines  Eingehens  auf  diese  Frageii  hier  um  so  weniger,  als 
ja  bei  jener  Hirt'sclien  Hypothese  der  Ackerbau  der  Indogermanen  in  eine 
noch  fernere  Vorzeit  als  von  uns  zuriickgeriickt  wird. 

Ich  bin  also  der  Meinung,  dass  der  Uebergang  der  europaischen  Indo- 
germanen (nach  Loslosung  der  Arier)  zu  einer  gewissen  Stufe  der  Agrikultur 
eine  der  sichersten  Erkenntnisse  der  vergleichenden  Alterthumskunde  ist. 

Fragen  wir  nach  dem  Schauplatz,  auf  welchem  jene  europaische  Knltur- 
periode  sicli  abspielte,  so  wird  man  passend  dafiir  diejenige  Localitat  ins 
Auge  fassen,  welche  aus  allgemeinen  geographischen  und  ethnologischen 
Griinden  als  Trennungspunkt  der  europaischen  Indogermanen,  wo  immer  im 
tibrigen  ihre  Urheimath  war,  gelten  darf.  V.  Hehn  selbst  dachte  sich  als 
letzteren  (Das  Salz2  S.  26  u.  27)  das  Uebergangsgebiet  der  stidrussischen  Steppe 
zu  dem  mitteleuropaischen  Waldland,  das  wir  uns  gegen  Westen  und  Stiden 
von  den  Karpathen,  der  Niederdonau,  dem  Schwarzen  Meer  begrenzt  denken 
diirfen,  und  der  gleichen  Ansicht  ist  Karl  Mtillenhoff  in  dem  dritten  Band 
seiner  deutschen  Alterthumskunde  S.  164  ff.  Dass  auf  diesem  Terrain  sich 
der  Uebergang  der  enropaischen  Indogermanen  vom  Nomadenthum  zum 
Ackerbau  sehr  wohl  erklaren  lasse,  ist  in  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte 
2.  Aufl.  S.  412  ff.,  624  ff.  ausfiihrlich  erortert  worden. 

Sehr  wohl  moglich  scheint  es,  was  gegen  Anm.  18  i.  Anf.  bemerkt  werden 
muss,  dass  in  dieses  Gelande  zunachst  nur  ein  Theil  der  europaischen  Indo- 
germanen, etwa  Germanen,  Italer,  Kelten,  vielleicht  auch  Griechen  eintraten 
und  jene  Ackerbauausdriicke  bei  sich  ausbildeten,  die  dann  die  nachdringen- 
den  Schaaren  litu-slavischer,  illyro-thrakischer  u.  s.  w.  Volker  von  ihnen  iiber- 
nahmen. 

Wenn  nach  alledem  dem  vorhistorischen  Ackerbau  der  Indogermanen 
Europas  eine  grossere  Bedeutung  zugestanden  werden  muss,  als  Hehii  sie 
ilim  einraumt,  so  ergiebt  sich  hieraus  die  Moglichkeit,  vielleicht 
auch  Wahrecheinlichkeit,  dass  das  Kapital  jener  Epoche  an 


Der  Weinstock.  55 

Kulturpflanzeii  ein  grosseres  gewesen  sei,  als  Helm  oben  an- 
nimmt.  Hierauf  sei  zunachst  im  allgemeinen  hingewiesen. 

IJeber  die  Volkerverhaltnisse  im  Norden  der  Balkanhalbinsel  vergl. 
Anra.  17,  iiber  die  Pelasger-  und  Lelegerfrage  Holm,  Griech.  Gesch.  I  Cap.  VI 
und  VII.  Dieser  stellt  die  Realitat  beider  Volker  fast  durchaus  in  Abrede. 
Dagegen  hat  Carl  Pauli  (Eine  vorgriechische  Inschrift  von  Lemnos,  Leipzig 
1886)  den  Pelasgern  wieder  zum  Leben  zu  verhelfen  gesucht,  indem  er  eine 
grosse  pelasgisch-etruskische  Sprachfamilie  aufstellt,  die  auch  Lykisch,  Karisch 
und  Lydisch  umfassen  soil.  Vergl.  dazu  F.  Hommel,  Neue  Werke  iiber  die 
iilteste  Bevolkerung  Kleinasiens,  Archiv  f.  Anthropologie,  XIX.  Bd.,  S.  251  ff. 

Den  Deutungsversuchen  der  griechischen  Orts-  und  VOlkernamen,  welche 
der  vorstehende  Abschnitt  enthalt,  wird  man  sich  jetzt  nur  selten  noch  an- 
schliessen  konnen.  Unmo'glich  ist  z.  B.  die  Verbindung  der  @paxs?  (Bpa-Ftxec) 
mit  tpa^u?.  Eine  Grundlage  fur  das  richtige  Verstandniss  der  griechischen 
Ortsnamen  hat  A.  Fick  in  mehreren  Aufsatzen  in  Bezzenbergers  Beitragen 
Bd.  21  ff.  gegeben. 

Ueber  die  phonizischen  Handelsfahrten  und  Colonien  vgl.  E.  Meyer, 
Geschichte  des  Alterthums  I,  §  190 — 194  und  Holm,  Griech.  Geschichte  I, 
Cap.  IX.,  tiber  das  semitische  L  ehngut  im  Griechischen  vgl.  zuletzt  H.  Lewy, 
Die  semitischen  Fremdworter  im  Griechischen,  Berlin,  1895.  Ein  neuer  Hinter- 
grund  der  griechischen  Kulturgeschichte  aberhat  sich  durch  die  bedeutungsvollen 
Entdeckungen  H.  Schliemanns  und  seiner  Nachfolger  in  Mykenae,  Tiryns, 
Orchomenos,  Troja  u.  s.  w.  ero'ffnet,  und  so  zahlreich  noch  die  Rathsel  sind, 
welche  sich  an  den  Ursprung  und  die  Trager  dieser  »mykenischen«  Kultur- 
epoche  kntipfen,  so  werden  wir  doch  nicht  unterlassen  dtirfen,  auch  in  diesen 
Funden  nach  neuen  Anhaltspunkten  fiir  die  besonderen  Zwecke  dieser  Unter- 
suchungen  zu  forschen. 


Der  Weinstock. 

(Vitis  vinifera  L.) 

Bei  den  homerischen  Griechen  ist  der  Wein  schon  in  all- 
gemeinem  Ge branch  und  wird  iiberall  als  eine  naturliche  Gabe  des 
Landes  vorausgesetzt.  2lrog  xal  owog  oder  alwg  xal  pe&v  ist  eine 
gewohnliche,  haufig  wiederkehrende  Form  el;  so  giebt  Kalypso  dem 
scheidenden  Odysseus  Brod,  Wein  und  Kleider,  die  drei  ersten  Lebens- 
bedurfnisse,  aufs  Schiff  mit  (Od.  7,  264).  In  Brod  und  Wein  liegt 
Kraft  und  Starke  des  Menschen  (II.  9,  706  und  19,  161)  und  darin 
unterscheiden  sich  die  leichtlebenden  Gotter  von  den  sterblichen 
Menschen,  dass  jene  keiner  Nahrung  bediirfen  und  keinen  Wein 
trinken  (II.  5,  341).  Schon  die  kleinen  Kinder  werden  mit  Wein 
aufgezogen:  Phoenix,  der  Sobn  des  Ormeniden  Amyntor,  hat  das 

Viet.  Hehn,  Kiilturpflanzen.     7.  Aufl.  5 


66  Der  Weinstock.  ' 

Knablein  Achilleus  genahrt  und  getrankt,  ihm  die  Speise  vor- 
geschnitten  und  ihm  den  Becher  Weins  an  den  Mund  gehalten ;  der 
Knabe  hat  ihm  oft  das  Gewand  besudelt,  indem  er  nach  kindischer 
Art  das  Getrunkene  wieder  ausspie  (II.  9,  485  ff.).  Auch  Jung- 
f rauen  und  Magde  trinken  Wein  wie  die  Manner :  da  Nausikaa  zum 
Waschen  an  den  Meeresstrand  fahren  will,  bekommt  sie  von  der 
Mutter  nicht  bloss  Speise  und  Zukost,  sondern  auch  Wein  ini 
Schlauch  von  Ziegenfell  rait  auf  den  Weg  (Od.  6,  76) 23).  Auf  dem 
Schilde  des  Achilleus  im  achtzehnten  Buch  der  Ilias  sah  man  ausser 
einem  Brach-  und  Erntefelde  und  anderen  Scenen  des  landlichen 
Lebens  auch  einen  Weinberg  abgebildet,  in  welchem  frohliche 
Winzer  und  Winzerinnen  gerade  mit  der  Traubenlese  beschaftigt 
waren.  Wie  die  Griechen  thun  auch  die  Troer:  Hektor,  Nachts  am 
Flusse  mit  seinen  Schaaren  lagernd,  lasst  die  Pferde  ausspannen. 
und  ihnen  Futter  vorwerfen,*zur  Erquickung  fiir  die  Menschen  aber 
Kinder  und  Schafe  und  lieblichen  Wein  und  Brod  herbeiholen  (II.  8, 
503  ff).  Griechische  Stadte  und  Gegenden  werden  als  reich  an  Reberi 
bezeichnet,  so  II.  9,  152 :  Hr^aaov  a^ne^oeaaav  (an  der  Westkiiste 
des  Peloponnes)  und  im  Schiffskatalog  v.  507 :  01  ve  nohvffTacpvhov 
™AQvr]v  e%ov  (in  Bootien),  537 :  TTohvGrdyvhov  tf  'Idiialav  (in  Euboa), 
561 :  xal  dfjinshoevT  ' E-nidavQO'v .  Eine  Menge  alter  Stadt-  und  Land- 
schaftsnamen  sind  vom  Wein  und  Weinbau  abgeleitet:  so  hiess  die 
Insel  Aegina  einst  Olvwvr}:  in  Akarnanien  lag  dem  rechten  Ufer  des 
Acheloos  nahe  auf  einem  empor'ragenden  Hiigel  die  Stadt  Oividdat, 
von  drei  Seiten  von  einem  See  umgeben,  der  den  phonizischen  Namen 
Mehwi]  trug;  in  der  Stadt  der  ozolischen  Lokrer  Olvtwv,  nahe  der 
atolischen  Grenze,  sollte  Hesiodus  den  Tod  gefunden  haben;  in 
Attika  lag  eine  doppelte  Ortschaft  Olvo^  die  eine  in  der  Nahe  von 
Eleuthera  an  der  bootischen  Grenze,  die  andere  bei  Marathon,  wie 
dieses  zu  der  alten  ionischen  Tetrapolis  jeiier  Gegend  gehorend ;  auch 
Megaris,  friiher  gleichfalls  ionisch,  hatte  in  der  Peraa,  dem  Grenz- 
gebiet  nach  Korinth,  einen  Ort  Oivoy;  derselbe  Name  kehrt  in  Argolis 
und  auch  in  Elis  wieder;  vor  Methone  in  Messenien,  welches  selbst 
weinreich  war,  lagen  die  Olvovaacu,  die  Weininseln  u.  s.  w.  Fragen 
wir,  wo  diese  so  allgemein  verbreitete  Kultur  zuerst  in  Griechenland 
aufgetreten  war,  so  scheint  die  Antwort  in  zahlreichen  Ursprungs- 
und  Stiftungssagen  gegeben,  die  aber  als  blosse  mythische  Spiegel- 
bilder  des  Keimens,  Bliihens,  Verdorrens  der  Rebe  oder  des  Gegen- 
satzes  der  neuen  gebundenen  Kulturart  gegeii  das  rohe  Wald-  und 
freie  Hirtenleben  dem,  der  sie  fassen  mochte,  grosstentheils  unter 


Der  Weinstock.  57 

den  Handen  zergehen.  So  war  das  siidliche  Aetolien  eine  Geburts- 
statte  des  Weinstockes :  dem  Sohne1  des  Deucalion,  Orestheus  (also 
dem  Manne  vom  Berge),  gebar  daselbst  ein  Hund  (der  Sirius,  die 
heisse  Zeit)  ein  Stammende,  <frefo%og;  er  liess  es  in  die  Erde  ver- 
graben  und  es  envuchs  daraus  ein  rebenreicher  Weinstock;  drum 
gab  er  seinem  Sohne  den  Namen  Phytios  (Pflanzer) ;  dessen  Sohn 
war  wieder  Oineus,  der  vom  Wein  benannt  war  (Hecataus  von  Milet 
bei  Athen.  2,  p.  35).  Ganz  dasselbe  erzahlten  auch  die  benachbarten 
Lokrer  als  bei  ibnen  geschehen  (Paus.  10,  38,  1),  deren  Beiname 
Ozolae  sogar  von  den  Sprossen  dieses  ersten  Weinstammes  abgeleitet 
wurde.  Den  atolischen  Oineus  kennt  auch  schon  die  Ilias  als  Ver- 
treter  des  milden  Weinbaues  (9,  539  und  14,  117):  er  hat  der  Artemis 
nicht  geopfert  (ohne  Zweifel  der  kalydonischen  Artemis  Laphria)  und 
wird  dafiir  von  dem  verwiistenden  Eber  bedrangt;  seine  Briider  sind 
Agrios  (der  Wilde)  und  Melas,  der  Schwarze,  Schmutzige,  d.  h.  der 
Ziegenhirt,  dessen  Name  mit  dem  des  Melantheus  oder  Melanthios, 
des  bosen  Ziegenhirten  in  der  Odyssee,  ubereinkommt;  sein  Sohn, 
Jager  Meleager,  der  seine  Burg  gegen  die  anstiirmenden  Kureten 
rettet,  ist  der  Gemahl  der  Kleopatra;  Mutter  der  Kleopatra  ist 
wiederum  die  Marpessa  (die  Rauberin),  deren  Eltern  Idas  (das 
Waldgebirge)  und  die  Euenine,  d.  h.  die  Tochter  des  atolischen 
Flusses  Euenos  sind.  So  blickt  in  der  kalydonischen  Sage  vom 
Weinmann,  wie  sie  Homer  giebt,  nicht  bloss  der  Drang  und  Wider- 
spruch  sich  befehdender  Volksstamme,  sondern  auch  der  an  diese 
sich  kniipfenden  verschiedenen  Lebensformen  hindurch.  Wie  in 
Aetolien  war  die  Rebe  auch  an  vielen  anderen  Orten  zuerst  von 
Dionysos  geschaffen  oder  geschenkt,  so  im  attischen  Demos  Ikaria 
dem  Ikarios,  dem  Vater  der  Erigone  (der  im  Fruhling  geborenen), 
dem  Herrn  des  Hundes  Maira  (des  schimmernden  Sirius),  und  eine 
Menge  durchsichtiger  Marchen  und  lustiger  oder  betaubender  Feste 
an  den  verschiedensten  Orten  erhielten  das  Andenken  an  des  Gottes 
Oeburt  und  erste  Schicksale  und  seine  Leiden  und  herrlichen  Thaten. 
Vor  alien  Gegenden  aber  erscheint  Thrakien  als  hauptsachliche  Hei- 
math  und  als  Ausgangspunkt  der  Dionysos-Religion.  Dort  lag  das 
alteste  Nysa,  das  des  Homer  (II.  6,  130ff.);  von  dort  kommen  tag- 
lich  weinbeladene  Schiffe  zum  Lager  der  Griechen  vor  Troja  (II.  9, 
72)  24);  dort  hat  Odysseus  von  Maron25),  dem  Priester  des  ismari- 
schen  Apollo,  dem  Sohne  des  Euanthes,  d.  h.  des  Dionysos  selbst, 
jenen  kostlichen  Wein  erhalten,  mit  dem  er  den  Kyklopen  trunken 
macht  (Od.  9,  196rT.).  Den  ismarischen  Wein  kennt  auch  ein  an- 


68  Der  Weinstock. 

clerer  alter  Zeuge,  Archilochos,  der  in  jener  Gegend  wohl  bewandert 
war,  Fragm.  3.  Bergk. : 

*Ev  tiogl  fjiev  f.ioc  [ta£a  fisficcyiJievr},  ev  dogi  <T  olvog 

'iG/iiaQixog,  nCvw  <T  sv  dogl  xex^tfusvog. 

Bine  merkwiirdige  Stelle  des  Herodot,  7,  111,  berichtet  von  einem 
unabhangigen  und  kriegerischen  thrakischen  Gebirgsvolke,  den  Satren, 
die  im  innersten  Gebirge  ein  Dionysos  -  Orakel  besassen,  dessen 
Priesterthum  in  deri  Handen  der  Besser  war.  Lobeck  Aglaoph. 
p.  290:  vperspicuum  est,  oram  maritimam,  quae  ab  Hebri  ostiis  ad 
Pindum  protenditur,  quasi  pro  domestico  sacrorum  Bacchicormn  solo 
habitum  esse."  Man  sehe  das  weitere  gelehrte  Material,  das  Lobeck 
beibringt,  und  Welcker,  Griechische  Gotterlehre  1,  S.  424  ff.  Bis  ins 
Innerste  des  Landes,  hinauf  in  das  Hamosgebirge,  ging  der  Dionysos- 
Kultus,  Mel.  2,  2,  2:  Monies  interior  attollit  Haemon  et  Khodopen  et 
Orbelon,  sacris  Liberi  patris  et  coetu  Maenadum  Orpheo  primum  ini- 
tiante  celebratos.  Ohne  Zweifel  stammte  dieser  thrakische  Weingott 
aus  dem  gegeniiberliegenden  Kleinasien,  mit  welcher  Gegend  kriege- 
rische  Wanderungen  und  Riickwanderungen  das  diesseitige  Thrakien 
friihe  in  Sitten-  und  Kulturverkehr  gesetzt  batten.  Der  grosse  Ein- 
bruch  der  Myser  und  Teukrer  z.  B.,  den  Herodot  (5,  20)  vor  die 
Zeit  des  troischen  Krieges  setzt,  mocbte  auch  den  Sabosdienst,  den 
Weinstock  und  die  Kunst  der  Weinbereitung  unter  die  wilden  Thraker, 
die  Verehrer  des  Ares  gebracht  haben.  Mysien  wird  als  besonders 
rebenreich  gepriesen.  Find.  Isthm.  7,  54:  Mvdiov  .  .  .  dftnekoev 
7iedCov.  Strab.  13,  1,  12:  GcpodQa  £vd(.inMq  Iffav  fj  XUJQO,  (nam- 
lich  die  der  Stadt  Priapus)  xal  avir]  xal  £^€^g  ofjiogos,  fj  TS  rwv 
IIaQ(,avuL>v  xal  y  TWV  stctfupaxrjvoiJv.  Lampsakus  war  von  dem  Gross- 
konig  dem  Themistokles  zugewiesen,  damit  er  von  dort  seinen  Bedarf 
an  Wein  bestreite;  Cyzicus  hatte  zu  den  vier  altattischen  Phylen 
noch  zwei  besondere,  darunter  eine  der  O'lvwrtsQ,  d.  h.  der  Wein- 
bauer,  und  seine  Miinzen  zeigen,  wie  die  der  griechisehen  Nachbar- 
stadte,  bacchische  Attribute,  den  Panther,  die  Traube,  den  zwei- 
henkeligen  Weinkrug.  Der  Dienst  des  Priapos,  des  Gottes  der 
Fruchtbarkeit  in  Garten  und  Pflanzungen,  ist  den  hellespontischen 
Stadten  geineinsam.  Die  Vorstellungen  von  dem  leidenden  und 
wieder  triumphirenden  Sonnen-  und  Jahresgotte,  die  wiithende  Lust 
und  die  herzzerreissende  Klage,  mit  der  die  Thyiaden  seinen  Tod  und 
seine  Wiederauferstehung  Mem,  der  Doppelcharakter,  in  welchem 
Dionysos  und  Apollon,  Ares  und  Dionysos  verschmelzen,  dies  und 
alles  daran  sich  Schliessende  ist  phrygische  und  iiberhaupt  vorder- 


Der  Weinstock.  69 

asiatische  Art.  Auch  im  thrakischen,  wie  im  atolischen  Bacchus- 
mythus  spielt  durch  die  Symbolik  des  Naturlebens  die  dunkle 
Anschauung  eines  Kulturgegensatzes,  der  Feindseligkeit  entgegen- 
stehender  Stamme.  Lykurgus  bei  Homer  (II.  6,  130),  der  die 
Ammen  des  scb  warm  en  den  Dionysos  im  heiligen  Nyse'ion  verfolgt, 
so  dass  der  Gott  selbst  entsetzt  sich  in  die  Meerestiefe  fliichtet,  — 
er  mag  ein.  Bild  des  Winters  sein,  wie  Pentbeus  in  Bootien  ein  Bild 
winteiiicber  Trauer :  aber  als  xQars^bg  stvxooQyog,  d.  h.  als  barter 
Wolfsmann,  als  Sohn  des  Dryas  d.  h.  des  Waldes  und  avSgocpovog 
d.  h.  Menschenmorder,  der  den  QovitKrfe  d.  b.  die  schlachtende  Axt26), 
in  der  Hand  fiihrt,  ist  er  der  blutige,  tbrakische  Gebirgsbewohner, 
der  in  wilden  Ueberi'allen  den  Weinbauer  angstigt  und  die  fremden 
Kultusbrauche  nicht  unter  sich  dulden  will.  Dahin  deuten  wir  es, 
wcnn  Maron,  der  Priester  des  Apollon  (d.  h.  des  Apollon-Dionysos), 
dem  Odysseus  ausser  Gold-  und  Silberwerken  (Erzeugnissen  orienta- 
lischer  Kunstfertigkeit)  zwolf  Amphoren  des  gottlichen.  Weins  schenkt, 
zum  Lohne  dafur,  dass  er  mit  Weib  und  Kind  von  dem  Helden 
beschiitzt  worden  ist  (Od.  9,  199).  Aber  der  Weingenuss  und 
die  im  Weine  alle  Naturfiille  anschauende  Dionysos-Religion.  setzte 
sich  durch  ganz  Thrakien  durch  und  wanderte  mit  thrakischen 
Stammen  welter  nach  Siiden,  erfiillte  Makedonien,  wo  die  Mimallo- 
nen  und  Klodonen,  bacchische  Jungfrauen,  rasten,  gelangte  an  den 
Parnass  und  nach  Delphi,  wo  Apollon  allmahlich  den  Brudergott  in 
Sinn  und  Verehrung  der  Menschen  verdrangte,  nach  Theben,  wo 
Semele,  die  Erdgottin 27),  dem  Zeus  ihren  herrlichen  Sobn  gebar,  an 
den  Kitharon,  als  Eumolpos  personificirt  nach  Eleusis  in  die  Nahe 
Attikas  und  in  mancheii  Verzweigungen  welter  nach  andern  Seiten 
bin.  Diesem  Kulturstrom  aber  begegnete  von  Anfang  an  und  im 
weitern  Verlaufe  ein  anderer,  mit  ihm  urspriinglich  identischer,  der 
in  entgegengesetzter  Richtung  kam,  der  phonizische  oder  karisch- 
phonizische.  Die  Kiiste  Thrakiens  war  ein  alter  Schauplatz  pho- 
nizischer  kolonialer  und  commercieller  Thatigkeit:  Phonizier  batten 
das  Goldbergwerk  am  Berge  Pangaus  eroffnet,  die  gold-  und  wein- 
reiche  Insel  Thasos  besetzt  und  von  dort  Emporien  an  der  thraki- 
schen und  hellespontischen  Kiiste  gegriindet,  deren  Erhaltung  ihren 
Nachfolgern,  den  Pariern,  schwierig  wurde  (Movers,  Phonizier,  2,  2, 
S.  273 ff.).  Ueberall,  wo  sie  landeten,  werden  sie  mit  dem  Wein, 
den  sie  rnitbrachten,  die  Barbaren  zum  Tauschhandel  gelockt  und 
wo  sie  sich  bleibend  niederliessen  und  Kultusstatten  griindeten,  die 
Umwohner  zur  Rebenpflanzung  angehalten  haben.  Auf  den  Inseln 


70  Der  Weinstock. 

des  agaischen  Meeres  geht  von  Kreta,  einem  Mittelpunkt  phonizi- 
scher  Ansiedelungen ,  der  Weinbau  uud  die  an  ihn  sich  kniipfende 
Sage  nach  Naxos  und  Chios  und  strahlt  von  dort  welter  aus,  siehe 
Fr.  Osann,  »0enopion  und  seine  Sippschaft  oder  einige  Andeutungen 
iiber  die  alteste  Weinkultur  in  Griechenland«  (im  Rheinischen  Museum, 
von  Welcker  und  Nake  III.  1835.  S.  241ft'.).  Osann  schliesst  seine 
Untersuchung  mit  dem  Resultat  (S.  259):  »Die  Verbreitung  und 
Einfiihrung  der  Weinkultur  an  verschiedenen  Orten  Griechenlands 
sehen  wir  mittels  einer  aus  Kreta  stammenden  Familie  person!  ficirt, 
welche  ihren  Weg  liber  Naxos  und  Chios  nimmt,  welches  der  Mittel- 
punkt einer  ausgebildeten  Weinkultur  wird,  von  wo  in  verschiedenen 
Verzweigungen  neue  Colonien  ausgehen  und  den  Weinstock  ver- 
breiten.«  Ja  nach  einer  schon  von  Hesiod  (Fragin.  LVII.  Gottl.) 
erwahnten  Uebeiiieferung  war  sogar  der  thrakische  Maron  der 
Odyssee  ein  Sohn  oder  Enkel  dieses  Oenopion  und  liefen  also  beide 
Zweige  oder  Ausgangswege  der  griechischen  Rebenkultur  in  cins  zu- 
sammen28).  Dass  der  Wein  den  Griechen  aus  semitischem  Kultur- 
kreise  zugekommen,  lehrt  auch  die  Identitat  der  Benennung  des- 
selben,  gr.  oivog,  bekanntlich  mit  Digamma,  hebr.  jain,  athiopisch 
und  auch  arabisch  wain  (Fr.  Miiller  in  Kuhns  Zeitschr.  10,  319), 
denn  die  umgekehrte  Annahme  Kenans  (Histoire  generate  des  langues 
Semitiques  p.  193  der  ersten  Ausg.),  die  Semiten  batten  das  Wort 
von  den  Ariern  entlehnt  -  -  wohlgemerkt  von  den  Graco-italern,  nicht 
von  den  Iraniern,  denen  es  fehlt  —,  ist  kulturhistorisch  von  der 
aussersten  Unwahrscheinlichkeit.  Auch  die  Versuche,  das  Sanscrit 
heranzuziehen  und  mit  dessen  Hulfe  den  Wein  als  Urbesitz  des  un- 
getrennten  indoeuropaischen  Stammvolkes  darzuthun  (Pictet,  Origines 
indoeuropeennes,  1,  250ft'.),  sind  ungliicklich  ausgefallen  und  haben 
in  den  Augen  Unbefangener  eher  das  negative  Resultat  bestatigt. 
Das  eigentliche  Vaterland  des  Wein  stocks,  die  durch  iippigen  Baum- 
wuchs  ausgezeichneten  Gegenden  siidlich  vom  Siidrande  des  Kaspi- 
schen  Meeres,  war  auch  dem  Ursitz  —  so  weit  sich  dieser  historisch 
verfolgen  lasst  -  -  des  semitischen  Stamms  oder  eines  seiner  Haupt- 
zweige  benachbart  (Renan  a.  a.  0.  p.  27  ff.).  Dort  windet  sich  im 
Dickicht  der  Waldung  die  Rebe  mit  armdickem  Stamme  bis  in  die 
Wipfel  der  himmelhohen  Baume,  schlingt  ihre  Ranken  von  Krone 
zu  Krone  oder  lockt  von  oben  durch  schwerhangende  Trauben;  dort 
oder  in  Kolchis  am  Phasis,  in  den  Landschaften  Kachethien,  Min- 
grelien,  Imerethien,  Armenien,  zwischen  Kaukasus,  Ararat  und 
Taurus,  sind  nach  den  anziehenden  Schilderungen  Moritz  Wagners 


Der  Weinstock.  71 

(Reise  nach  Kolchis,  Leipzig  1850),  Kolenatis  (Reise  nach  Hoch- 
armenien  und  Elisabethpol,  Dresden  1858)  und  von  Blarambergs 
(Erinnerungen,  I,  Berlin  1872,  S.  167  if.)  ganz  die  uralten  Methoden 
im  Gebrauch,  die  wir  aus  den  Schriften  der  Griechen  und  Romer 
kennen,  die  Al>theilung  der  Weingarten  durch  Kreuzgange  nach 
den  vier  Himmelsrichtungen  (limes  decumanus  und  cardo),  das  Ver- 
pichen  oder  Verkalken  der  Amphoren,  das  Vergraben  des  Stamm- 
endes,  dann  des  Weines  selbst  in  die  Erde  u.  s.  w.  Dort  wachsen 
die  pomeranzengelben,  siiss  balsamischen,  durchdringend  duftenden 
Weine  und  liefert  die  edelste  kachethische  Rebe,  die  sapiranica  praecox 
und  major,  einen  Saft  von  so  intensivem  Dunkelroth,  dass  die  Damen 
mit  ihni  ihre  Briefe  zu  schreiben  pflegen.  Aus  jener  Gegend  be- 
gleitete  der  Weinstock  die  sich  ausbreitenden  senritischen  Stamme 
an  den  unteren  Euphrat  und  in  die  Wiisten  und  Paradiese  des  Stid- 
westens,  in  dem  wir  sie  spater  ansassig  finden.  Den  Semiten,  die 
auch  die  Destination  des  Alkohols  erfunden  haben,  die  die  ungeheure 
Abstraction  des  Monotheismus ,  des  Masses,  des  Geldes  und  der 
Buchstabenschrift  —  einer  Art  geistiger  Destination  -  -  vollbrachteii 
(denn  die  Aegypter  blieben  an  der  Schwelle  derselben  stehen),  wird 
auch  der  zweideutige  Ruhm  verbleiben,  den  Fruchtsaft  der  Wein- 
beere  auf  der  Gahrungsstufe  festgehalten  zu  haben ,  wo  er  ein  auf- 
regendes  oder  betaubendes  Getrank  abgiebt.  Aus  Syrien  ging  die 
Weinkultur  welter  iiber  das  gauze  sogenannte  Kleinasien,  zu  Lyclern, 
Phrygern,  Mysern  und  andern  unterdess  von  Osten  nach  Westen  voiv 
geriickten  iranischen  oder  halbiranischen  Volkern,  und  drang  von 
Norden  her  in  die  griechische  Halbinsel,  indess  auch  direkt  zur  See 
phonizischer  Handel,  karische  Ansiedelungen,  von  Europa  an  die 
Kiisten  des  fremden  Welttheils  iibersetzende  urgriechische  Stamme 
die  Kenntniss  der  wunderbaren  Erfindung  und  mit  steigender  An- 
sassigkeit  auch  den  Anbau  des  Gewachses  selbst  vermittelten.  Zur 
Zeit  des  homerischen  Epos  und  der  hesiodischen  Gedichte  1st,  wie 
gesagt,  diese  Aneignung  bereits  geschehen  und  langst  vergessen;  das 
Dasein  des  Weinstockes  und  des  Weines  versteht  sich  von  selbst 
und  wird,  wie  alles  Gute  im  Leben,  einem  lehrenden  oder  schaffenden 
Gotte  zugeschrieben. 

Die  frahesten  Seefahrten  der  Griechen  nach  Westen  miissen  den 
damonischen  Trank  auch  an  die  Kiisten  Italiens  gebracht  haben, 
denn  dass  er  aus  Griechenland  kam,  zeigt  auf  den  ersten  Blick  das 
Wort  vinum  (als  Neutrum,  welches  nach  der  Analogic  anderer  itali- 
*cher  Lehnworter  aus  dem  Accusativ  olvov  zu  erklaren  1st)29).  Wie 


72  Der  Weinstock. 

Odysseus  auf  den  Cyclopen,  stiessen  die  iiber  Meer  gekommenen 
griechischen  Schiffer  und  Abenteurer  auf  ein  einfaltiges  Hirtenvolk, 
auf  welches  der  gierig  aufgenommene  fremde  Wein  dieselbe  un- 
gewohnte  betaubende  Wirkung  iibte,  wie  auf  die  Centauren  des 
Pindar  bei  Athen.  11,  p.  476:  »als  die  Pheren  die  mannerbezwin- 
gende  Kraft  des  stissen  Weines  kennen  lernten,  stiessen  sie  hastig 
die  weisse  Milch  von  den  Tischen,  tranken  aus  silbernen  Hornern 
und  irrten  willenlos  umher.«  Dass  die  Milch  in  Latium  alter  war 
als  der  Wein,  geht  aus  den  auf  Romulus  zuruckgefiihrten  Opfer- 
satzungen  hervor,  wonach  den  Gottern  nicht  mit  Wein,  sondern  mit 
Milch  gespendet  wurde  (Plin.  14,  88:  Romulum  lacte,  non  vino  libasse 
indicia  sunt  sacra  ab  eo  instituta,  quae  hodie  custodiunt  morem). 
Nach  einem  Gesetz  des  Numa  durfte  der  Scheiterhaufen  nicht  mit  Wein 
besprengt  werden  (Plin.  a.  a.  0. :  vino  rogum  ne  respargito\  d.  h.  die- 
altesten  Bestattungsgebrauche  kennen  den  Wein  noch  nicht.  Denri 
es  gab  eine  Zeit,  wo  die  Romer  nur  noch  Ackerbau  trieben  und 
die  Rebenkultur  noch  nicht  eingeflihrt  war,  Plin.  18,  24:  apud 
JRomanos  multo  serior  vitium  cultura  esse  coepit  primoque,  ut  necesse 
estj  arva  tantum  coluere.  Merkwiirdig  4st ,  dass  auch  hier  wie  in 
Griechenland  Legenden  von  Volkerkampfen  an  die  Griindung  des  Wein- 
baues  sich  kniipfen.  Nach  einer  viel  berichteten  Sage  (z.  B.  von  Cato 
bei  Macrob.  3,  5,  10)  sollte  Mezentius,  der  Konig  von  Care,  den 
Latinern  den  Ertrag  ihrer  Weinberge  oder  die  Erstlinge  der  Kelter 
abgefordert,  die  Latiner  sie  aber  dem  Jupiter  gelobt  und  so  den 
Sieg  iiber  den  frevelhaften  Tyrannen  gewonnen  haben.  Die  Herr- 
schaft  der  Tusker  in  Campanien  und  Latium  wurde,  wie  wahr- 
scheinlich  ist,  durch  gemeinsame  Anstrengungen  der  lange  in  Bundes- 
genossenschaft  vereinigten  Griechen  und  Latiner  gebrochen:  die 
dunkle  Erinnerung  daran  verschmolz  mit  dem  Andenken  an  die  zu 
jener  Zeit  in  Latium  sich  verbreitende  griechische  Weinkultur,  deren 
Segen  man  als  die  Habsucht  reizend  sich  dachte,  und  an  die  Ein- 
fiihrung  der  Erstlingsspenden  an  den  Jupiter  Liber  und  die  Venus 
Libera.  Der  19  August,  an  dem  die  beiden  Heiligthiimer  der 
Murcia  und  der  Libitina,  der  Gottinnen  der  Erntelust,  ihren  Stiftungs- 
tag  feierten,  wurde  nun  zugleich  der  Tag  der  vinalia  rustica,  des 
Vorfestes  der  Weinlese,  dem  am  23.  April  das  der  vinalia  priora 
vorausging  —  beides  in  Ankniipfung  des  jiingern  Weinbaues  an  die 
alteren  Ackerbaufeste.  Dass  Jupiter  der  Schiitzer  der  neuen  Gabe 
wurde  und  sein  Priester,  der  Flamen  Dialis,  die  Weinlese  weihte, 
lag  in  dem  Wesen  dieses  Gottes,  von  dem  alle  Befruchtung  und 


Der  Weinstock.  73 

landliche  Nahrung  kam;  der  Beiname  Liber,  mit  clem  er  sich  als 
Weingott  oder  italischer  Dionysos  besonderte,  war  die  Uebersetzung 
des  griechischen  Avfaog  oder  'Efav&fyi&$  (Grassmann  in  Knhn's 
Zeitschr.  16,  107);  die  genealogische  Ableitung,  wie  in  Griechenland, 
wo  Dionysos  als  Sohn  des  Zeus  gedacht  wurde,  war  den  Italern 
nicht  gelaufig.  Uebrigens  gedieh  die  Rebe  an  den  Bergen  Unter- 
italiens  so  iippig,  dass  schon  im  5.  Jahrhundert  Sophokles  Italien 
das  Lieblingsland  des  Bacchus  nennen  (Ant.  1117:  xhvrav  og  dfiyz- 
nttg  'Ixahlav  —  co  Baxyev}  und  die  Siidspitze  Italiens  bei  Herodot 
(1,  167)  den  Namen  Oenotrien  d.  h.  Land  der  Weinpfahle  (nach 
Hesychius  war  omorgov  dorisch  so  viel  als  Weinpfahl)  tragen 
konnte.  Oenotrien  war  die  Gegend,  wo  die  Reben  an  Pfahlen  ge- 
zogen  wurden,  im  Gegensatz  zu  den  Landschaften ,  wo  der  Wein 
hoch  an  Baumen  emporwuchs,  wie  in  Etrurien  und  Campanien, 
dem  Gebiet  der  Tusker,  oder  ohne  Stiitze  kurz  und  niedrig  ge- 
halten  wurde,  wie  in  der  Gegend  von  Massilia  und  in  Spanien, 
oder  in  dachartigen  Spalieren  an  Stangen  oder  Stricken  sich  fort- 
rankte,  wie  im  Brundisinischen ,  oder  am  Boden  fortkroch,  wie  in 
Kleinasien  u.  s.  w.  Die  verschiedenen  Methoden,  am  biindigsten 
aufgefiihrt  bei  Varro  1,  8,  ergaben  sich  theils  aus  der  Natur  dep 
Bodens,  der  entweder  felsig  und  heiss  oder  feucht  und  humusreich 
war,  theils  aus  dem  Mangel  oder  Vorrath  an  dem  nothigen  Holz 
oder  Rohr,  theils  aus  der  Gewohnheit  derjenigen,  von  denen  in  einer 
bestimmten  Gegend  der  Weinbau  urspriinglich  ausgegangen  war,  und 
der  Rebenvarietat,  die  sie  zu  allererst  mitgebracht  hatten.  Der  Wald- 
reichthum  des  spater  Lucania  und  Bruttium  genannten  Landes, 
welches  von  der  damit  zusammenhangenden  Viehzucht  auch  Italia 
benannt  war,  mag  zu  allgemeinem  Gebrauch  eigener  Weinpfahle, 
sini,  sudes,  ridicae,  poll  (fur  pacli  oder  pagli:  das  entsprechende 
griechische  Ttdaaalog  bedeutet  nur  Pflock)  gefiihrt  und  der  Name 
Oivwxgia,  OivwTQot  von  solchen  Griechen  herriihren,  denen  die  frei 
am  Boden  gezogene  Rebe,  die  yawing,  orthampelos  ipsa  se  sustinens, 
oder  die  Baumrebe,  die  dvadsvdQag,  dfjidfjia^vg  (ein  Wort,  dessen  eigent- 
liche  Form  nicht  feststeht,  das  aber  Sappho  und  Epicharmus 
brauchten),  fj,a[Jiaug,  dnva%ata,  SQvaxtg,  oqwCa,  ffixa,  %vffidg,  vaiag, 
TiaQidg,  vlog,  vlr^  u.  s.  w.  das  Gewohnte  war80).  Auch  in  die 
Gegenden  an  den  Pomundungen  muss  der  Weinstock  mit  dem 
griechischen  Seeverkehr  fruhe  gekommen  sein,  so  wenig  der  niedrige 
wasserreiche  Boden  diese  Kultur  zu  begiinstigen  scheint.  Ueber  das 
Zusammentrefren  der  dortigen  Siimpfe  mit  reichem  Weinbau  wunderte 


74  Der  Weinstock. 

sich  init  Itecht  schon  Strabo  (5,  1,  7).  Die  vitis  spionia  quam 
quidam  spineam  vacant  (Plin.  14,  34.  Colum.  3,  2,  27.  3,  7,  1. 
3,  21,  3.  10)  wuchs  im  Gebiet  von  Ravenna  (Ravennati  agro 
peculiaris),  ertrug  Hitze  und  Regen,  nahrte  sicb  von  Nebeln  und 
gait  -  -  was  aucb  von  andern  nordischen  Reben  ausgesagt  wird  - 
fur  reich  an  Ertrag.  Der  Wein  war  in  Ravenna  wohlfeiler  als  da& 
Wasser,  so  dass  Martial  daselbst  lieber  eine  Cisterne  mit  Wasser, 
als  einon  Weinberg  besitzen  mochte,  3,  56: 

Sit  cisterna  mihi  quam  vinea  malo  Ravennae, 
Ctim  possim  multo  vendere  pluris  aquam  — 

und  sicb  beklagt,  ein  dortiger  betrtigerischer  Schenkwirth  babe  ihm 
reinen  Wein  statt  des  mit  Wasser  gemischten  verkauft,  57 : 

Callidus  imposuit  nuper  mihi  copo  Ravennae, 
Cum  peterem  mixtum,  vendidit  ille  merum. 

Auch  die  Landschaft  Picenum,  in  der  geograpbische  Namen  und 
nianche  andere  Spuren  auf  eine  alte  Verbindung  mit  den  Po- 
miindungen  hindeuten,  wird  schon  friihe  als  besonders  weinreich 
geschildert:  bei  Polybius  3,  88,  1  kurirt  Hannibal  die  Pferde  seiner 
Armee  mit  den  alten,  im  Ueberfluss  vorhandenen  Weinen  der  Gegend: 
xal  Tovg  ^v  i'nnovg  exhovwv  wlq,  Tta'ka.iQlQ.  olvoiq  dia  TO  Tdydog, 
RettsQCLHtvae  T^V  %a%t&av  aviwv.  Nocb  lange  nachher  gingen  grade 
die  Weine  Picenums  ins  Ausland,  nach  Gallien  (Plin.  14,  39),  wie 
in  den  Orient  (Edict.  Diocl.  2.).  Dort  lag  die  Landschaft,  in  der 
die  beriihrnte  vinum  Praetutianum  genannte  Weingattung  wuchs, 
Sil.  Ital.  15,  568: 

Turn  qua  vitiferos  domitat  Praetutia  pubes 
Laeta  laboris  agros  — 

die  der  istrischcn  Traube  ahnlich  war,  Dioscorides  5,  10:  6  ds  to- 
iQixbg  feyoftevog  i'oixs  no  nQauovuavo),  ja  von  Plinius  mit  dem  am 
Flusse  Timavus  bei  Aquileja  wachsenden  vinum  Pucinum  identificirt 
wird  (14,  60  nach  Silligs  Emendation).  Die  picenische  Rebe  also 
war  aus  alter  griechischer  Zeit  am  Westufer  des  adriatischen  Meeres 
bis  in  clessen  innersten  Winkel  bin  verbreitet.  Von  der  grossen 
Fruchtebene,  die  sich  vom  Po  bis  an  den  Fuss  der  Alpen  erstreckt, 
weiss  auch  im  Punkt  des  Weines  Polybius,  der  als  Augenzeuge 
spricht,  nicht  genug  Riihinens  zu  machen  (Polyb.  2,  15);  sie  mochte 
wohl  schon  Trauben  tragen,  als  die  Kelten  in  Italien  einbrachen 
und  nach  der  Sage  (Liv.  5,  33.  Plin.  12,  5.  Plut.  Camill.  15)  eben 


Der  Weinstock.  "5. 

durch  den  Wein  und  die  Friichte  des  Siidens  dazu  angereizt  wurden. 
Mit  Weinlaub  bedeckt  erscheinen  bei  Martial  anch  die  Abhange  der 
vulkanischen  Euganeen  bei  Padua,  10,  93: 

SI  prior  Euganeas,  Clemens,  Helicaonis  oras 
Pictaque  pampineis  videris  arva  jug  is, 
Perfer  Atestinae  nondum  vulgata  Sdbinae 
Carmina. 

Sehr  beriihmt  wurden  friihzeitig  auch  die  vina  Raetica  d.  h.  die 
heutigen  Tiroler  und  Veltliner  Weine,  die  aus  der  Ebene  kommend 
die  Vorhiigel  und  den  Siidabhang  der  Alpen  erstiegen  batten.  Nach 
Serv.  zu  Verg.  G.  2,  95  hatte  schon  Cato  die  rhatische  Traube 
gelobt,  wurde  aber  dafiir  von  Catullus,  der  als  geborener  Veronese 
hierin  Bescheid  wissen  musste,  getadelt.  Unverganglicheii  Ruhm 
aber  erwarb  sich  der  rhatische  Wein  durch  Vergil,  der  ihn  nur  dem 
Falerner  nachstellte,  G.  2,  95: 

et  quo  te  carmine  dicam, 
Raetica?  nee  cellis  ideo  contende  Falernis. 

Auch  Vergil  war  nicht  weit  von  den  Hiigeln  und  Thalern  des  Siid- 
alpenlandes  zu  Hause,  vielleicht  aber  pries  er  den  Rhatier  nur,  weil 
Augustus,  wie  Sueton  Aug.  77  erzahlt,  ihn  besonders  liebte.  Strabo 
stimmt  in  das  Lob  mit  ein,  4,  6,  8:  xal  o  ys  'Patuxbg  olvog,  -iwv 
sv  wig  'ImfoxoZg  STratvovjusvcov  ovx  aTtoheiTisG&at  doxwv,  sv  xalg 
TOVTCDV  VTiwoehug  yiveTat,  aber  vielleicht  ist  er  nur  ein  Echo  Vergils. 
Auch  Plinius  berichtet  14,  16:  ante  eum  (Tiberium  Caesar  em) 
Raeticis  prior  mensa  erat  et  avis  Veronensium  agro,  gleich  darauf 
fiigt  er  indess  hinzu :  quod  et  in  Raetica  Allobrogicaque  -  -  evenit, 
domi  nobilibus  nee  adgnoscendis  alibi.  Martial  kennt  gleichfalls  die 
rhatischen  Weine  aus  der  Heimath  des  Catullus,  14,  100:  Panaca. 

Si  non  ignota  est  docti  tibi  terra  Catulli, 
Potasti  testa  Raetica  vina  mea. 

Auch  noch  ganz  spat  zu  Cassiodors  Zeit  stand  das  Gebiet  von  Verona 
wegen  seiner  Weine  in  Ruf  (Var.  12,  4). 

Schon  Cato  hatte  gefunden,  dass  von  alien  Arten  der  Boden- 
benutzung  der  Weinbau  die  vortheilhafteste  sei,  1,  7:  de  omnibus 
agris  .  .  .  vinea  est  prima,  si  vino  multo  siet,  und  in  den  spatern 
Zeiten  der  romischen  Republik  war  Italien  bereits  in  so  ausgedehn- 
tem  Masse  ein  Weinland  geworden,  dass  das  Verhaltniss  der  Reben- 
zucht  zum  Kornbau  sich  umgekehrt  hatte  und  die  Halbinsel  Wein 
aus-  und  Getreide  einfuhrte.  Aber  langst  hatte  diese  Kultur  auch 
begonnen,  iiber  die  Grenzen  Italians  hinauszudringen  und  im  Norden 


76  Eter  Weinstock. 

und  Westen  sich  einzubiirgern.  Columella,  1,  1,  5,  fiihrt  aus  dem 
altern  landwirthschaftlichen  Schriftsteller  Sasema  den  Ausspruch  an, 
das  Klima  habe  sich  geandert,  denn  die  Gegenden,  die  sonst  zum 
Wein-  und  Oelbau  zu  kalt  gewesen,  batten  jetzt  Ueberfluss  an  beiden 
Produkten.  Hier  liegt  die  richtige  Beobachtung  zu  Grande,  dass 
der  Anbau  der  genannten  Gewachse  im  Laufe  der  Zeiten  immer 
weiter  nach  Norden  geriickt  sei,  nicht  weil  das  Klima  ein  anderes 
geworden,  sondern  durch  allmahliche  Acclimatisation.  In  der  neuern 
Zeit  ist  im  Verhaltniss  zum  Mittelalter  das  Umgekehrte  eingetreten : 
der  Weinbau  hat  sich  aus  den  nordischen  Landstrichen  zuriick- 
gezogen,  in  denen  er  okonomisch  nicht  mehr  vortheilhaft  war.  Das 
nordliche  Frankreich,  die  sudlichen  Grafschaften  Englands,  Thiirin- 
gen,  die  Mark  Brandenburg  u.  s.  w.  trieben  sonst  Weinbau.  Bei 
entwickelterem  Verkehr  musste  man  es  vorziehen,  den  Wein  be- 
giinstigterer  Gegenden  gegen  diejenigen  Friichte  einzutauschen,  die 
der  eigene  Bodeii  reichlich  und  sicher  hervorbrachte.  Der  Ueber- 
gang  des  Weinbaus  nach  Frankreich,  wie  er  aus  historischer  Zeit 
in  einzelnen  Notizen  vorliegt,  gewahrt  iibrigens  eine  lebendige  Ana- 
logic der  Vorgange,  durch  welche  die  Rebe  Jahrhunderte  friiher  zu 
den  Volkem  des  innern  Italiens  sich  mag  verbreitet  haben.  Der 
erste  Weinstock  auf  gallischem  Boden  wurde  ohne  Zweifel  von  der 
Hand  eines  Massalioten  gepflanzt;  auf  den  Massilia  umgebenden 
Bergen  gedieh  die  Rebe  vortrefflich,  Strab.  4,  1,  5:  von  den  Massa- 
lioten: HWQCLV  S'  e'xovffiv  ehcu6(pvrov  /tev  xal  xardfJiTis^ov.  Die 
Kulturart  war  die  aus  der  Heimath  mitgebrachte  kleinasiatische 
ohne  Stiitzen  und  Pfahle.  Die  ostlich  und  westlich  ausgesandteii 
Ansiedler  verbreiteten  den  Weinbau  larigs  der  Kiiste,  zunachst  11111 
die  befestigten  Stationen  herum.  Die  Eingebornen  —  Ligurer  und 
Iberer,  spater  Kelten  -  -  tauschten  den  Wein  gegen  die  Rohproducte 
ihres  Landes  ein,  ganz  wie  spater  die  Bewohner  von  Aquileja  den 
Ill}Triern  Oel  und  Wein  lieferten  und  von  diesen  dafiir  Sclaven,  Vieh 
und  Haute  bezogen  (Strab.  5,  1,  8).  Zunachst  waren  es  nur  die 
Reichen,  die  den  italienischen  und  massaliotischen  Wein  tranken, 
wahrend  die  Aermeren  bei  dem  nationalen  Getrank  aus  gegohrenem 
Getreide  blieben  (Posidonius  Fr.  25.  Muller).  Allmahlich  drang  dann 
die  Kultur  weiter  ins  Innere;  von  den  benachbarten  lernten  die  ent- 
fernteren  Stamme  selbst  die  Rebe  ziehen  und  den  Saft  der  Beeren 
durch  Gahrung  in  Wein  verwandeln,  Justin.  43,  4:  tune  et  vitem  pu- 
tare,  tune  olivam  serere  consueverunt .  Macrob.  Somn.  Scip.  2,  10,  8: 
Galli  vitem  vel  eultum  olivae,  Roma  iam  adolescents,  didicerunt  - 


Der  Weinstock.  77 

so  sehr,  dass  die  Romer,  die  nicht  bloss  ein  Krieger-,  sondern  auch 
ein  eigenntitziges  Kaufmannsvolk  waren,  bereits  eifersuchtig  wurden 
und  im  Interesse  der  italischen  Ausfuhr  den  von  ihnen  geziichtigten 
transalpinischen  Volkchen  die  Friedensbedingung  auflegten,  des  Oel- 
und  Weinbaus  sich  zu  enthalten,  Cic.  de  rep.  3,  9,  16:  nos  vero 
iustissimi  homines  qui  Transalpinas  gentes  oleam  et  vitem  serere  non 
siniimis,  quo  pluris  sint  nostra  oliveta  nostraeque  vineae  (Mommsen, 
Romische  Geschichte2,  2,  159).  Als  nach  den  Siegen  iiber  die 
Allobroger  und  Arverner  die  Gegend  zwischen  Pyrenaen,  Cevennen 
und  Alpen  zur  provincia  Narbonensis  erhoben  worden  war,  fand 
immer  noch  eine  starke  Einfahr  von  italienischem  Wein  statt.  Wir 
sehen  dies  aus  Ciceros  Rede  fiir  den  Fontejus,  der  sich  erlaubt  hatte, 
von  den  aus  Italien  eingehenden  Weinen  ein  vectigal  zu  erheben 
und  ein  portorium  vini  einzusetzen,  und  deshalb  in  Rom  angeklagt 
wurde  (Cic.  pro  Font.  5).  Es  folgte  Casars  Eroberung  des  ganzen 
Landes  bis  zur  Nordsee  und  zura  Rbein  und  der  Eindrang  romischer 
Kultur,  Sitte  und  Lebensgewohnheit  in  ungehemmter  Stromung.  Im 
ersten  Jahrhundert  der  Kaiserzeit  zeigen  uns  die  Nachricbten  bei 
Plinius  und  Columella  das  heutige  Frankreich  bereits  als  selbstandi- 
ges,  rivalisirendes  Weinland,  mit  eigenen  Trauben-  und  Weinsorten, 
mit  Ausfubr  und  Verpflanzung  nach  Italien,  zugleich  nicht  ohne 
Anzeichen  der  eben  erst  vollbrachten  Aneignung  einer  noch  jugend- 
lichen  Kultur.  Gallien  stand  damals  zu  Italien,  wie  in  der  Urzeit 
Italien  zu  Griechenland  und  noch  friiher  Griechenland  zu  Syrien, 
Phrygien  und  Lydien.  Gallische  Weine  fanden  bei  Italienem  Ge- 
schmack:  Plin.  14,  39:  mirum  --  in  Italia  Gallica  placere,  trans 
Alpis  vero  Picena.  Colum.  1,  praef.  20:  et  vindemias  condimus  ex 
insults  Cycladibus  ac  regionibus  Baeticis  Gallicisque.  Der  Bur- 
gunderwein  tritt  auf,  wenn  auch  natiirlich  nicht  unter  diesem  Namen, 
sondern  als  Wein  von  Vienna  an  der  Rhone,  als  Arverner,  Sequaner, 
Helvier,  Allobroger,  Plin.  14,  18:  iam  inventa  vitis  per  se  in  vino 
picem  resipiens,  Viennensem  agrum  nobilitans,  Arverno  Sequanoque 
et  Helvico  generibus  non  pridem  illustrata  atque  Vergili  vatis  aetate 
incognita,  a  cujus  obitu  xc  aguntur  anni.  Er  schmeckte  nach  Pech 
(wie  nach  Strabo  4,  6,  2  auch  der  ligurische,  und  wie  noch  heute 
einige  Burgunderweine),  wurde  auch  kiinstlich  mit  Harz  und  Pech 
behandelt,  war  an  Ort  und  Stelle  beliebt,  ward  aber  auch  nach  Italien 
ausgefuhrt,  Martial.  13,  107:  Picatum  vinum : 

Haec  de  vitifera  venisse  picata  Vienna 
Ne  dubites:  inisit  Romulus  ipse  mihi. 


78  Der  Weinstock. 

Auch  gallische  Traubensorten,  also  Varietaten,  die  sich  bereits  nuf 
dem  neuen  Boden  gebildet  batten,  fanden  in  Italien  Verbreitung:  die 
vitis  helvenacia,  elvenaca,  helvennaca  (Colum.  3,  2,  25.  5,  5,  16. 
Plin.  14,  32  ;  der  Name  abgeleitet,  Avie  es  scheint,  von  dem  keltischen 
Volksnamen  Helvii,  in  anderer  Form  Helvetii,  s.  oben  das  genus 
Helvicum  bei  Plinius),  die  vitis  Biturica,  Biturigiaca  (Plin.  14,  27. 
Colum.  3,  2,  19  und  ofter.  Isid.  Hisp.  17,  5,  22;  schon  in  das 
Gebiet  des  heutigen  Bordeauxweins  hinuberreichend),  die  Allo- 
brogica  (Plin.  14,  26.  Colum.  3,  2,  16;  colore  nigra,  eben  die  rothe 
Burgundertraube)  u.  s.  w.  Die  Eigenschaften,  die  diesen  gallischen 
Reben  zugeschrieben  werden,  laufen  alle  auf  grossere  Widerstands- 
kraft  gegen  Ungunst  des  Klimas  hinaus:  sie  nehmen  mit  magerem 
Boden  vorlieb,  ertragen  Kalte,  Regen,  Wind;  sie  sind  alle  reich  an 
Beeren  und  liefern  viel  Most;  sie  arten  bei  Ortsveranderung  leicht 
aus,  baben  also  noch  keinen  constanten  Cbarakter  gewonnen:  die 
helvennaca  kommt  in  Italien  schlecht  fort,  bleibt  dort  klein  und  fault 
leicht,  die  Lieblichkeit  des  Allobrogers  cum  rcgione  mutatur  u.  s.  w. 
An  der  geringen  Haltbarkeit  lag  es,  wenn  die  Weine  von  Massilia, 
die  etwa  unseren  Cette-Weinen  entsprachen,  nach  griechischer  Sitte 
gerauchert  wurden  (oft  erwahnt,  z.  B.  Martial  3,  82,  23 :  vel  cocta 
fumis  musta  Massilitanis)  und  die  provengalischen  Weine  iiberhaupt 
nicht  bloss  durch  Rauch,  sondern  durch  Zusatz  von  Krautern  und 
Gewurzstoffen  entstellt  in  den  Handel  kamen  (Plin.  14,  68).  Die 
Alten  griffen  nach  allerhand  Mitteln,  wie  Einkochen,  Rauchern,  Zu- 
mischen  u.  s.  w.,  da  sie  den  Branntwein,  durch  den  unsere  Xerez-, 
Porto-,  Marsala-  und  andere  siidliche  Weine  vor  dem  Verderben  be- 
wahrt  werden,  noch  nicht  kannten.  Dass  nun  wahrend  der  romischen 
Kaiserjahrhunderte  der  Weinbau  in  Gallien  nicht  bloss  sich  befestigte, 
sondern  seine  Grenzen  erweiterte,  dass  er  sieh  des  Thales  der  Ga- 
rumna,  nach  Norden  und  Nordwesten  der  Thaler  der  Marne  und 
der  Mosel  bemachtigte,  lag  im  natiirlichen  Laufe  der  Dinge.  Den 
Rhein  aber  iiberschritt  er  zur  Romerzeit  noch  nicht  (Bodmann,  Rhein- 
gauische  Alterthiimer,  S.  393:  »Wir  setzen  unbedenklich  die  Ur- 
spriinge  des  Weinbaues  im  westlichen  Rheingaue  auf  den  Zeitraum 
der  austrasischen  Regierung  des  Merovingischen  K6nigsstammes«). 
Von  Gallien  aber  ward,  wenn  auch  nicht  der  Weinstock,  so  doch 
der  Wein  den  angrenzenden  Germanen  zugefiihrt,  die  mit  Aufnahme 
dieses  Products  den  verhangnissvollen  Pact  mit  gallisch-romischer 
Kultur  schlossen,  wahrend  bei  den  weiter  wohnenden  Stammen  das 
sogenannte  Freiheitsgefiihl,  d.  h.  die  Anhanglichkeit  an  das  von  den 


Der  Weinstock.  79 

Vatern  ererbte  halbnomadische  Jagd-  und  Heerdenleben  cler  verdach- 
tigen  Gabe  sich  erwehrte.  (Mehr  als  tausend  Jahr  spater  ging  es 
den  Deutschen  in  Norwegen,  wie  einst  den  Romern  in  Deutschland: 
da  waren  sie  die  weinfuhrenden  Siidmanner,  die  das  Volk  verdarben 
und  deshalb  vom  Konig  Sverris  in  Bergen  nicht  zugelassen  wurden, 
s.  die  Stelle  aus  der  Sverris  saga  bei  Weinhold,  Altnordisches  Leben, 
S.  109  f.).  So  sehr  drohte  aber  auch  in  den  Provinzen  die  Wein- 
kultur  den  Getreidebau  zu  iiberwuchern,  dass  der  Kaiser  Domitianus 
in  einem  Anfall  von  Besorgniss  die  Halfte  und  mehr  aller  ausser- 
halb  Italiens  bestehenden  Weinberge  auszurotten  befahl  -  -  was  sich 
indess  natiirlich  nicht  ausfiihren  Hess,  Suet.  Domit.  7:  ad  summam 
quondam  ubertatem  vini,  frmnenti  vero  inopiam,  existimans  nimio 
vinearum  studio  negligi  arva,  edixit:  Ne  quis  in  Italia  novellaret, 
atque  in  provinciis  vineta  succiderentur,  relicta,  ubi  plurimum, 
dimidia  parte:  nee  exsequi  rem  perseveravit.  Da  gleichzeitig  ein 
Verbot  gegen  die  orientalische  Sitte  der  Entmannung  erging,  sagte 
Apollonius,  der  Kaiser  schone  dieMenschen,  eunuchisire  aber  dieErde: 
yijv  svvovxi&iv  (Philostr.  vit.  Apoll.  6,  42).  Die  Ausfuhrnng  des  Be- 
fehls  wurde  von  lonien  und  iiberhaupt  von  Asien  durch  eine 
Gesandtschaft  abgewehrt  (Id.  vit.  Soph.  1,  21,  12) 81).  Indess 
muss  der  provinciale  Weinbau  imnier  von  Italien  aus  mit  un- 
giinstigen  Augen  angeseheii  worden  sein.  Denn  vom  Kaiser 
Probus  wird  berichtet,  er  habe  den  Provinzen  Gallien,  Spanien  und 
Britannien,  nach  Andern  Gallien,  Pannonien  und  Mosien  erlaubt, 
Weinberge  zu  besitzen  und  Wein  zu  bereiten,  Fl.  Vopisc.  Prob.  18: 
Gallis  omnibus  et  Hispaniis  ac  Britanniis  hinc  permisit  ut  vites 
haberent  vinumque  conficerent.  Eutrop.  h.  Rom.  17:  Vineas  Oallos 
et  Pannonios  habere  permisit.  Aurel.  Viet,  de  Caes.  37,  2:  Hie 
Galliam  Pannoniasque  et  Moesorum  colles  vinetis  replevit.  Auch  die 
Trinker  des  Tokayerweins  also  konnen  den  Kaiser  Probus  leben 
lassen,  der  nur  kurz  regierte,  aber  ein  Held  der  Legende,  eine  Art 
Weiiiheiliger  wurde  -  -  natiirlich,  wie  so  oft,  auf  gelehrtem  Wege 
d.  h.  nach  den  so  eben  beigeschriebenen  Stellen  der  Historiker. 
Weniger  besungen,  aber  von  nicht  geringer  Wichtigkeit  ist  ein 
anderes  Kulturproduct,  das  das  transalpinische  Europa  zugleich  mit 
dem  Wein  von  Siiden  her  kennen  und  vielfach  anwenden  lernte, 
wir  meinen  den  Essig32),  franzosisch  vinaigre,  (wortlich:  saurer  Wein), 
englisch  vinegar,  goth.  alceit  (aus  acetuwi),  alts,  ekid,  ags.  oced,  ahd. 
ezih  (durch  Umstellung  der  beiden  Consonanten),  kirchensl.  ocitu, 
poln.  neosl.  bulgar.  ocet,  serb.  ocat,  magyar.  eczet,  walach.  ocet.  Die 


80  Der  Weinstock. 

Russeii  und  durch  sie  die  Litauer  haben  ihre  Benennung  des  Essigs 
aus  dem  Griechischen,  d.  h.  aus  Byzanz:  griech.  o%og,  russisch  uksus, 
litauisch  uksosas,  obgleich  es  jetzt  kein  Land  giebt,  wo  eine  grossere 
Vorliebe  fiir  alles  Sauere  herrschte,  als  in  dem  weiten  Gebiet  von 
den  Karpathen  bis  an  die  chinesische  Mauer.  Essig  mil  Wasser 
gemischt,  die  sog.  posca  (das  Wort  angeblich  aus  s'no^vg  entstanden), 
griech.  oZtixgamv,  war  ein  unter  dem  Volk  in  Italien  und  in  den 
Soldatenlagern  gewohnliches  Getrank  und  mag  von  den  letzteren  aus 
auch  in  den  barbarischen  Landern  sich  verbreitet  haben. 

Vergleicht  man  den  heutigen  Zustand  des  Weinbaues  mit  dem 
zur  Zeit  der  Alten,  so  hat  auch  diese  Kultur  einigermassen  an  dem 
allgemeinen  Gange  der  Geschichte  Theil  genommen,  d.  h.  sie  ist  in 
ihren  Ausgangslandern  in  Verfall  gerathen  und  steht  in  dem  zu  aller- 
jiingst  gewonnenen  Gebiete  auf  der  hochsten  Stufe  der  Entwickelung.. 
Als  Vorderasien,  die  Wiege  der  Rebenzucht,  von  Volkern  islamiti- 
schen  Glaubens  tiberzogen  worden,  konnte  ein  Product  nicht  mehr 
gedeihen,  dessen  Genuss  das  Gesetz  den  Eroberern  untersagte.  In 
alien  Landern  arabischer  Herrschaft,  in  Nordafrika,  Sicilien,  Spanien 
ging  der  Weinbau  zuriick,  da  er  von  den  Machtigen  nicht  begiinstigt 
wurde,  die  mit  semitischer  Massigkeit  mehr  den  Kultus  des  Wassers 
und  kiihlen  Schattens,  als  den  des  erhitzenden  Getrankes  ubten.  Ja 
es  fanden  sich  einzelne  Fanatiker,  die  den  Wein  gar  nicht  dulden 
wollten,  so  der  Kalif  Hakem  2.  von  Spanien;  »er  liess  fast  alle  Wein- 
rebeii  in  Spanien  ausrotten:  nur  ungefabr  einen  dritten  Theil  der 
Weingarten  liess  er  stehen  zum  Genuss  ihrer  Friichte  als  reife 
Trauben,  als  getrocknete  Frucht,  Rosinen,  Syrup  und  Traubenhonig, 
was  zu  geniessen  das  mohammedanische  Gesetz  erlaubte«  (Aschbach, 
Gesch.  der  Ommaijaden  in  Spanien,  2.  S.  158f.).  Was  dem  Islam 
in  Spanien  nicht  gelang  —  wie  die  heutigen  Xerez-  und  Malaga- 
weine  beweisen  — ,  das  setzte  er  in  dem  gegeniiberliegenden  Marokko 
durch.  Die  atlantische  Kiiste  des  letztgenannten  Landes  war  im 
Alterthum  ein  ergiebiger  und  gepriesener  Weinbezirk  gewesen,  dem 
seine  Traube,  wie  Movers,  2,  2,  S.  528 ff.  urtheilt,  nicht  erst  von 
den  Karthagern,  sondern  schon  in  der  Urzeit  von  den  Phoniziern 
zugetragen  war.  Dort  lag  das  Vorgebirge  Ampelusia  (Mela  1,  5. 
Plin.  5,  in.),  also  das  Weinkap,  heut  -zu  Tage  Cap  Spartel,  und  die 
uralte  Stadt  Lix,  die  auf  ihren  punischen  und  punisch-romischen 
Munzen  die  Traube  als  Wahrzeichen  fiihrt  (Miiller,  Numismatique 
de  1'anc.  Afrique  3,  p.  155  ff.)  und  von  deren  Einwohnern  die  Sage 
erzahlte,  dass  sie  sich  ohne  Bodenbestellung  nur  von  freiwachsenden 


Der  Weinstock.  gj 

Weinbeeren  nahrten  (Paus.  1,  33,  4).  Auch  nach  Strabo,  17,  4,  4 
soil  ten  die  Weinstocke  von  Maurusien  so  dick  gewesen  sein,  dass 
sie  von  zwei  Mannern  nicht  umspannt  werden  konnten,  und  Trauben 
von  einer  Elle  Lange  getragen  haben.  Von  reicher  Weinerzeugung 
dieser  Gegend  und  einem  darauf  gegriindeten  Ausfuhrhandel  der 
Phonizier  berichtet  ancb  der  Periplus  des  Scylax  112.  Noch  im 
Mittelalter  bei  Ankunft  der  Araber  muss  diese  Kultur  bestanden 
haben,  da  die  Stadt,  die  von  ihnen  an  Stelle  des  alten  Lix  ge- 
griindet  wurde,  den  Namen  El-Araiscb,  d.  h.  Weinberg  erhielt.  Jetzt 
nun  tragt  das  iiberaus  fruchtbare  Land  in  Folge  der  arabischen 
Herrscbaft  keine  oder  fast  keine  Weinpflanzung  mehr  und  nur  unter 
den  ungebundenen  Schelluh's  des  Rif  hat  der  Islam  das  verbotene 
Getrank  nicht  ausrotten  konnen  (s.  Earth,  Wanderungen  durch  die 
Kiistenlander  des  mittellandischen  Meeres,  S.  20) 33).  Das  heutige 
Griechenland  —  nach  so  vielen  zerriittenden  Schicksalen  und  Jahr- 
hunderten  ethnologischer  und  wirthschaftlicher  Erniedrigung  -  -  er- 
zeugt  mit  wenigen  Ausnahmen  nur  schlechten  Wein;  der  Ruhm  des 
Chiers,  Lesbiers,  Thasiers  ist  langst  dahin  und  der  harzgeschwangerte 
Resinato ,  liber  den  schon  Liudprand  in  seiner  Gesandtschaf tsreise 
nach  Konstantinopel  vom  Jahre  968  klagt,  nicht  geeignet,  ihn  wieder 
ins  Leben  zu  rufen  (Ausfuhrliche  Mittheilungen  darliber  in  Fiedlers 
Reise  durch  alle  Theile  des  Konigreichs  Griechenland,-!,  S.  571  ff.). 
Vielleicht  sind  auch  die  Korinthen  nur  eine  durch  Degeneration 
hervorgerufene  Varietal.  Sie  sollen  von  der  Insel  Naxos  gekommen 
und  nicht  vor  dem  Jahre  1600  in  Morea  bekannt  gewesen  sein. 
Merkwiirdig  ist,  class  sie  gleichsam  von  Gegend  zu  Gegend  wandern: 
auf  Naxos  sind  sie  verschwunden ,  bei  Korinth,  woher  ihr  Name 
stammt,  sind  sie  nicht  mehr  vorhanden,  ihr  Productionsbezirk  ist 
jetzt  Patras,  Zante  und  Kephalonia  (s.  Xavier  Scrofani,  Memoire 
sur  la  culture  du  raisin  de  Corinthe,  in  dessen  Voyage  en  Grece, 
trad,  de  1'italien,  3,  S.  115  ff.).  -  -  In  Italien  kam  es  den  ostgothi- 
schen  und  longobardischen  Fursten  und  Edlen  wie  alien  Barbaren 
gewiss  nicht  auf  feine  geistige  Blume  ihres  Weines,  sondern  auf  das 
Quantum  an,  das  die  unterworfenen  Colonen  ihnen  zu  liefern  batten. 
Wer  beim  Schmause  aus  dem  Schadel  des  erschlagenen  Feindes 
trinkt,  dem  sagt  das  Herbe  und  Starke  am  meisten  zu,  vor  Allem 
aber  begehrt  er,  seine  kriegerische  Trinkschale  recht  oft  leeren  und 
wieder  fiillen  zu  konnen.  Die  Normannen  im  Siiden,  die  deutschen 
Konige  auf  ihren  Romerziigen  und  die  sie  begleitenden  Herzoge, 
Graf  en,  Edlen  und  Mannen  waren  allesammt  wackere  Trinker,  aber 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  6 


82  Der  Weinstock. 

sicherlich  keine  allzu  kritischen  und  wahlerischen  Kenner.  Dazu 
die  Gebundenheit  des  Grund  und  Bodens,  die  den  arbeitenden  Stand 
in  dusterem  Stumpfsinn  erhielt,  die  ewigen  Raub-  und  Verwustungs- 
ziige  und  die  Verwilderung  und  Unsicherheit  des  Lebens  iiberhaupt, 
die  keine  Kapitalanlage  auf  langere  Jahre  gestattete.  Vielleicht 
machten  einige  geistliche  Besitzthiimer  eine  Ausnahme,  und  die 
Keller  der  Kloster  mogen  bin  und  wieder  alien,  durch  Lagerung 
veredelten  Wein  enthalten  haben,  doch  darf  man  sich  die  Zunge  der 
Bischofe  und  Aebte  des  heiligen  romischen  Reichs  aucb  nicht  allzu 
fein  denken,  denn  auch  sie,  wie  die  Ritter,  waren  Kinder  einer  rohen 
Zeit:  nicht  bloss  tranken  sie  den  Wein  ohne  Zusatz  von  Wasser  - 
im  Gegensatz  zu  der  humaiien,  schon  bei  Homer  geltenden  und 
durch  die  Gesetze  des  Zaleukos  ausdriicklich  gebotenen  Sitte  der 
Alten,  den  Wein  mit  Wasser  zu  mischen,  sondern  am  meisten  mundete 
ihnen  Wein  mit  Gewiirz,  Beeren  und  Honig  abgekocht,  vinum 
moratum,  claretum  s.  claratum,  lutertranc,  moras,  claret,  em  Misch- 
trank,  der  zwar  auch  bei  den  Alten  mitunter  erwahnt  wird,  aber 
dort  nur  eine  unter  mannigfachen,  in  weinreichem  Lande  natiirlichen 
Nebenanwendungen  des  zu  taglichem  Genusse  dienenden  Productes 
war.  Dass  seit  der  Romerzeit  die  edlere  Weinkultur  Riickschritte 
gemacht  hat,  darf  man  in  Anbetracht  dieser  ungiinstigen  Verhalt- 
nisse  wahrscheinlich  finden.  Liest  man  die  weitlaufige  Abhandlung 
des  Plinius  iiber  den  Wein  (im  14.  Buche)  oder  den  Abschnitt  iiber 
denselben  Gegenstand  im  Auszuge  des  ersten  Buches  des  Athenaus, 
so  sieht  man  deutlich,  wie  der  Geschmack  und  Reichthum  der  Vor- 
nehmen  diesen  Kulturzweig  in  steter  Regsamkeit  erhielt.  Es  hat 
sich  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von  Sorten  und  Arten  ergeben 
(gleich  dem  libyschen  Sande,  sagt  Vergil,  oder  den  Wellen  des 
Meeres),  von  denen  die  eine  von  diesein,  die  andere  von  jenem 
Magnaten  patronisirt  wird;  der  Wetteifer,  sich  gegenseitig  zu  iiber- 
bieten,  fiihrt  zu  immer  neuen  Versuchen,  sowohl  in  Wahl  der 
Trauben,  als  in  Behandlung  des  Saftes :  die  Mode  wechselt  —  aber 
vielleicht  auch  die  natiirliche  Gute  des  Gewachses.  So  batten  zur 
Zeit  des  Augustus  die  auf  der  Grenze  Latiums  und  Campaniens 
wachsenden  Weine,  der  aus  Horaz  Jedem  bekannte  Falerner, 
Massiker,  Cacuber,  fiir  die  edelsten  der  Halbinsel  gegolten,  und 
Plinius  berichtet,  zu  seiner  Zeit,  also  nach  etwa  zwei  Menschen- 
altern,  wiirden  sie  nicht  mehr  geschatzt,  wodurch,  fiigt  er  hinzu, 
offenbar  wurde,  dass  jeder  Boden  seine  Zeit  hat,  14,  65:  sua  qui- 
busque  terris  tempora  esse,  sicut  rerum  proventus  occasusque.  Kurz 


Der  Weinstock.  33 

vorher  hatte  er  freilich  gerade  mit  Bezug  auf  den  Falerner  gesagt, 
dieser  Wein  sei  nicht  mehr  der  alte  (exolescit),  well  die  Producenten 
mehr  auf  die  Menge  als  auf  die  Qualitat  des  Erzeugnisses  Bedacht 
nahmen.  Ganz  denselben  Vorwurf  niacht  man  auch  dem  heutigen 
Weinbau  in  Griechenland,  wie  in  Italien.  Bei  der  vorherrschenden, 
auf  Naturalabgabe  basirteii  Pachterwirthschaft  wird  hauptsachlich 
auf  das  Quantum  gesehen,  und  diejenige  Kulturmethode  vorgezogen, 
die  den  reichlichsten  Ertrag  verspricht;  die  Traubenlese  geschieht 
sorglos,  unreife  und  faule  Beeren  werden  mit  den  reifen  zusammen- 
geworfen;  um  moglichst  dunklen  Wein  zu  erzielen,  fur  welchen  ein 
allgemeines  Vorurtheil  herrscht,  wird  der  Most  zu  spat  von  den 
Trestern  abgezapft,  wodurch  der  in  der  Haut  der  Beeren  enthaltene 
Pflanzenschleim  und  Farbestoff  in  den  Wein  iibergeht  und  die  essig- 
saure  Gahrung  hervorruft,  die  den  italienischen  Landwein  meistens 
noch  vor  dem  Schluss  des  Weinjahres  ergreift.  Dazu  kommt  die  noch 
zu  hohe  Temperatur  zur  Zeit  der  Gahrung  im  Herbste,  so  wie  der 
Mangel  an  luftdichten  soliden  Fassern  und  an  kiihlen  Kellern.  Die 
Temperatur  der  letztern  bleibt  selten  unter  der  mittleren  des  Jahres. 
Die  Art  der  Aufbewahrung  bei  den  Alten  war  in  einem  warmen 
Klima  vielleicht  wirklich  passender,  als  die  unsere  in  holzernen 
Tonnen,  die  die  Romer  bei  den  cisalpinischen  Galliern  und  den 
Alpenvolkern  zuerst  kennen  lernten  und  die  sich  von  da  weiter  nach 
Siiden  verbreitet  hat34).  Die  Schlauche  im  Orient  haben  wenigstens 
den  Vortheil,  dass  sie  keine  Luft  zulassen,  beim  Gebrauch  sich  ent- 
sprechend  zusammenziehen,  leicht  aufgepackt  werden  und  auf  Reisen 
zum  Liegen  und  Sitzeii  dienen.  -~  Allbekannt  ist,  dass  in  moderner 
Zeit  die  Palme  der  Weinproduction  dem  mittleren  und  siidlichen 
Frankreich  zukommt.  Wenn  Italien  die  30  Millionen  Hectoliter 
seines  jahrlichen  Ertrags  fast  ausschliesslich  selbst  verbraucht  und 
also  fiir  das  Ausland  wenig  ubrig  hat,  so  erzeugte  Frankreich  bis 
vor  Kurzem  (d.  h.  ehe  die  Reblaus  ihre  Verwiistungen  begann)  das 
Doppelte  davon,  mit  einem  Geldwerth  von  etwa  2000 — 3000  Mill. 
Franken,  und  bildete  das  Hauptausfuhrland,  welches  alle  Gegenden 
der  Erde  mit  den  feinsten  wie  mit  gewohnlichen  Tischweinen  ver- 
sorgte.  Das  einzige  Departement  de  1'Herault  brachte  durchschnitt- 
lich  12  —  15  Millionen  Hectoliter,  also  dreimal  oder  viermal  mehr 
Wein  hervor,  als  das  ganze  Konigreich  Portugal.  Es  ist  eine  merk- 
wiirdige  Thatsache,  dass  der  Weinstock  ganz  nahe  an  der  Nord- 
grenze  seiner  Verbreitungssphare,  in  Gegenden,  wo  er  erst  miihsam 
und  allmahlich  und  ganz  zuletzt  eingebiirgert  worden,  den  edelsten 

6* 


84  Der  Weinstock. 

Fruchtsaft  hervorbringt,  cler  unter  clem  Namen  Burgunder,  Johannis- 
berger  u.  s.  w.  in  aller  Welt  beriihmt  1st.  Kultur  und  Technik 
haben  freilich  das  Ihrige  dnbei  gethan,  und  wir  wissen  nicht,  was 
beide  in  den  alien  Heimathlandern  des  Weinstocks  leisten  konnteii, 
wenn  sie  daselbst  Eingang  und  Aufnahme  fanden.  In  dieser  Hin- 
sicht  verdient  eine  in  den  ersten  Jahrhunderten  des  beginnenden 
Mittelalters,  zur  Zeit  des  Sidonius  Apollinaris,  Cassiodorus,  Grego- 
rius  Turonensis,  Venantius  Fortunatus,  Fulgentius  u.  s.  w.,  auftretende 
Erscheinung  alle  Aufmerksamkeit.  Daroals  namlich  wanclte  sich  die 
occidentalische  Welt  zu  den  Weinen  Palastinas,  als  den  starksten 
und  edelsten  zuriick,  etwa  in  der  Weise,  wie  wir  die  Sherry-  und 
Portweine  aus  der  pyrenaischen  Halbinsel  beziehen:  Gregor.  Turon. 
7,  29  :  misitqiie  pueros  unum post  alium  ad  requirenda  potent  ior  a 
vina,  Laticina  videlicet  atque  G  a  sit  in  a  (Weine  von  Gaza).  Sid. 
Apoll.  carm.  17,  15: 

Vina  mihi  non  sunt  Gazetica,  Chia,  Falerna 
Quaeque  Sareptano  palmite  missa  bibes. 

Cassiod.  Var.  12,  12:  ibi  enim  reperitur  (vinum)  etGazeto  par  et 
Sabino  simile.  Auch  am  byzantischen  Hofe  ward  dieser  Wein  der 
phonizisch-philistaischen  Kiiste  geschatzt,  Coripp.  de  laud.  Just.  3,  87: 

et  dulcia  Bacchi 

Munera  quae  Sarepta  ferax,  quae  Gaza  crearat, 
A  seal  on  et  laetis  dederat  quae  Graeca  colonis. 

Der  Einbruch  der  Araber  machte  dieser  Weinproduction  und  dein 
darauf  gegriindeten  Handel  ein  Ende  (s.  Stark,  Gaza,  S.  561  f.). 

Zur  Zeit  des  Alterthums  wurde  der  Weinstock  durch  alle  Lander 
getragen,  die  das  Mittelmeer  umgeben:  hat  er  sich  jetzt  —  konnte 
man  fragen  — ,  wo  die  Kultur  in  immer  grosserem  Massstab  die 
ganze  Erde  umfasst,  iiber  alle  Welttheile  verbreitet?  Die  Antwort 
muss  verneinend  ausfallen.  In  der  slidlichen  Hemisphare  ist,  mit 
Ausnahme  des  nicht  bedeutenden  Kaplandes,  die  schmale  gemassigte 
Zone,  in  der  der  Weinstock  gedeiht,  nicht  vorhanden,  und  in  der 
sogenannten  Neuen  Welt  haben  die  Versuche,  ihn  anzupflanzen  und 
ertragfahig  zu  machen,  keinen  ubermassigen  Erfolg  gehabt.  Nord- 
amerika  mag  jetzt  nahe  an  eine  Million  Hectoliter  erzeugen  und 
in  den  meisten  Wirthshausern  der  Vereinigten  Staaten  ist  schon  ein- 
heimischer  Kalifornier  zu  haben,  aber  er  wird  als  von  nicht  an- 
genehmem  Geschmack  geschildert.  Der  Wein  liebt,  so  zu  sagen, 
den  Westen  nicht  und  hangt  an  seiner  alten  Nachbarschaft.  In 
einigen  Theilen  Australiens  sollen  sich  jetzt  ziemlich  ausgedehnte 


Der  Weinstock.  85 

AVeinkulturen  finden,  meist  von  deutscher  Hand  angelegt,  aber  der 
dortige  Bordeaux  geht  zu  sehr  ins  Blut,  Mosel-  und  Rheinwein 
haben  keine  Blume  u.  s.  w.  (s.  Hugo  Zoller,  Rund  um  die  Erde, 
Koln  1881,  I,  S.  157  und  190  f.).  Nur  an  zwei  Punkten  hat  am 
Ausgang  des  Mittelalters  die  Hand  des  Menschen  den  Bezirk  der 
Rebe  wirklich  erweitert,  in  Madeira  und  auf  den  Canarien  —  die 
aber  beide  gewissermassen  noch  zu  Europa  und  zum  Kreise  des 
Mittelmeers  gehoren.  Nach  Madeira  liess  schon  Prinz  Heinrich  der 
Seefahrer  Rebschosslinge  aus  dem  Peloponnes  und  von  der  Insel 
Kreta  bringen,  nach  Teneriffa  verpflanzte  Alonzo  de  Lungo  gegen 
das  Jahr  1507  Weinstocke  von  Madeira.  Der  dort  also  aus  griechi- 
schen  Reben  gewonnene  Wein  wurde  spater  in  alien  Landern  beriihmt; 
in  neuester  Zeit  hat  der  Traubenpilz  dieser  Kultur  den  Garaus  ge- 
macht,  und  sie  hat  jetzt  Miihe,  sich  wieder  herzustellen.  Interessant 
aber  ist  der  Weinbau  auf  jenen  Inseln  auch  desshalb,  well  er  sich 
hier  dem  Tropenklima  am  moisten  nahert:  die  Weinberge  von  Siid- 
persien  und  die  am  Kap  stehen  vom  Aequator  welter  ab,  als  die 
der  Insel  Ferro  unter  27°  48'  (s.  Leop.  v.  Bach  in  den  Abhandl. 
der  Berliner  Akaclemie  vom  Jahre  1817,  S.  352). 


*  Fiir  die  Frage  nach  der  Herkunft  des  Weinstockes  sind  mehrere 
pflanzengeographische  und  pflanzengeschichtliche  Thatsachen,  welche  vordem 
von  He  tin  nicht  beriicksichtigt  wurden,  von  entscheidender  Bedeutung.  Schon 
in  der  mittleren  Tertiarperiode,  zur  Zeit  der  Braunkohlenbildung,  wareh  in 
Deutschland  bis  zu  den  Alpenlandern,  gleichzeitig  in  Frankreich,  England, 
Island,  Gronland,  Nordamerika  und  Japan  Weinreben  verbreitet,  von  denen 
sich  sowohl  Blatter,  wie  auch  Samen  erhalten  haben.  In  wie  weit  dieselben 
zu  einer  und  derselben  Species  oder  zu  verschiedenen  Arten  gehoren,  ist 
naturlich  nicht  sicher  zu  entscheiden;  |aber  so  viel  ist  sicher,  dass  die  in 
Deutschland  in  den  Braunkohlenlagern  von  Salzhausen,  der  Wetterau,  bei 
Bischofsheim  in  der  Rhon,  bei  Schossnitz  in  Schlesien,  im  Jesuitengraben  bei 
Kundraditz  im  iiordlichen  Bohmen,  bei  Leoben  in  Steiermark  und  bei  Oeningen 
in  der  Schweiz  vorkoramenden  Blatter  der  Vitis  teutonica  A.  Braun  viel  mehr 
Aehnlichkeit  mit  den  Blattern  der  im  atlantischen  Nordamerika  verbreiteten 
V.  cordifolia  Michx.,  sowie  auch  der  anderen  nordamerikanischen  Arten  be- 
sitzen,  als  mit  der  jetzt  in  Mittel-  und  Siideuropa  cultivirten  V.  vinifera  L. 
Birnformige  Samen,  wie  sie  Vitis  vinifera  besitzt,  finden  sich,  allerdings  mit 
kleinen  Abanderungen,  auch  bei  den  nordamerikanischen  und  ostasiatischen 
Arten;  es  ist  daher  sehr  wahrscheinlich,  dass  die  mit  den  Blattern  von 
V.  teutonica  in  Salzhausen  zusammen  gefundenen  Samen  auch  zu  dieser  Art 
gehoren.  Auch  die  in  England  bei  Bovey  Tracey  gefundenen  Samen,  ferner 
die  auf  Island  gefundenen  Blattfragmente  (V.  islandica  Heer),  ebenso  die  in 
Gronland  beobachteten  Blattfragmente  und  Samen  (V.  areiica  Heer)  weisen 


86  Der  Weinstock. 

grosse  Aehnlichkeit  mit  denen  von  V.  teutonica  A.  Braun  auf,  gehoren  also 
ebenfalls  dem  in  Nordamerika  und  auch  in  Ostasien  entwickelten  Typus  der 
V.  cordifolia  Michx.  und  ihrer  Yerwandten  an;  auch  schliesst  sich  V.  subintegra 
Saporta  aus  dem  Unterpliocan  von  Meximieux  diesem  Typus  an.  Dagegen 
finden  sich  Reste  der  V.  vinifera  L.  bis  jetzt  nur  in  jiingeren  Lagerstatten 
fossiler  Pflanzen,  namlich  1.  in  Frankreich:  in  diluvialen  Tuffen  von  Mont- 
pellier  (G.  Planchon,  Etude  des  tufs  de  Montpellier  1864  p.  63),  in  den  Tuffen 
von  Meyrargues  und  Castelnau,  znsammen  mit  der  Feige  (Ficus  carica  L.),  dem 
Perrlickenbaum  (Cotinus),  Ahorn  (Acer  neapolitanuni),  dem  kanarischen  Lorbeer 
(Laurus  canariensis),  Pinus  Salzmannii  Duval;  ferner  in  den  etwas  jiingeren 
Tuffen  von  St.  Antoine  im  Departement  Bouches  du  Rh6ne  zusammen  mit 
der  Terebinthe  (Pistacia  terebinthus  L.)  und  der  weichhaarigen  Eiche  (Quercus 
pubescens  Willd).  -  -  2.  In  Italien:  in  dem  alten  Travertin  des  Val  d'Era 
und  bei  San  Viraldo  in  Toscana  (Gaudin  et  Strozzi,  Contributions  a  la  flore 
fossile  italienne,  I.  et  VI.  mem.  p.  18  t.  11  f.  9),  ferner  im  Travertin  von 
Fiano  Romano  am  rechten  Ufer  der  Tiber,  etwa  35  Kilom.  von  Rom  und  im 
vulkanischen  Tuff  von  Pejerina  auf  der  Via  Flaminia,  etwa  6  Kilom.  von 
Rom,  zusammen  mit  Taxus,  Buxus,  Hedera,  der  Feldriister  (Ulmus  campestris), 
dem  Wachholder  (Juniperuscommunis).  Die  franzosischen  Tuff bildungen  stammen 
aus  der  Zeit,  zu  der  noch  der  dem  afrikanischen  Elephant  verwandte  Elephas  an- 
tiquus  sich  in  Sudeuropa  aufhielt,  als  das  bekannte  Rhinoceros  Merckii,  der  Urstier 
(Bos  primigenius),  der  Hohlenbar  noch  nicht  vom  Menschen  verdrangt  waren, 
die  Vegetation  Sud-  und  Mitteleuropas  aber  im  Wesentlichen  schon  die  Be- 
standtheile  unserer  heutigen  Flora  eiithielt.  Einer  spateren  Zeit,  der  Bronze- 
zeit,  gehoren  die  Sam  en  der  Weinrebe  an,  welche  in  den  Pfahlbauten  von 
Castione  bei  Parma  (Heer,  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  28  f.  11),  im  See  von 
Varese  (Ragazzoni  in  Rivista  arch,  della  prov.  di  Como  1880  fasc.  XVII.  p.  30) 
gefunden  wurden.  Hierbei  ist  ausdrucklich  zu  bemerken,  dass  diese  Kerne 
mit  denen  des  wilden  Weines  ubereinstimmen,  woraus  auf  eine  urspriingliche 
Verwendung  der  Weinbeeren  bei  jenen  Pfahlbaubewohnern  geschlossen  werden 
kann.  Auch  die  in  der  zweiten  Stadt  von  Hissarlik  (Troja)  in  der  Konigsburg 
von  Tirynth  gefundenen  Samen  sind  klein  und  durften  (nach  Buschan,  Vor- 
geschichtliche  Botanik,  S.  227)  von  wilden  Reben  stammen,  desgleichen  auch 
die  in  Pfahlbauten  des  Lago  di  Fimon  im  Gebiet  von  Vicenza  gefundenen 
Samen  (s.  Buschan,  S.  227).  Dagegen  sind  die  im  Terramare  von  Castione 
in  Parma  und  von  Cogozzo  in  Oberitalien  gefundenen  Samen  schon  etwas 
grosser;  und  die  Weinkerne,  welche  in  den  Pfahlbauten  von  Wangen  in  der 
Schweiz  (Heer  a.  a.  0.)  gefunden  wurden,  stimmen  mit  denen  der  Kulturpflanze 
uberein;  Heer  halt  sie  daher  fur  unsichere  Zeugen.  Bevor  man  diese 
Thatsachen  kannte,  war  man  vielfach  geneigt,  die  in  Slid-  und 
Mitteleuropa  ausserhalb  des  cultivirten  Terrains  vorkommenden 
Weinreben  als  verwildert  anzusehen;  auch  von  V.  Hehn  war  diese 
Meinung  getheilt  worden.  Nur  am  Siidrande  des  Kaspischen  Meeres  und 
in  den  pontischen  Landern  zwischen  Kaukasien,  Ararat  und  Taurus  sollte  der 
Weinstock  heimisch  sein  und  von  hier  aus  iiber  Kleiuasien,  Griechenland  nach 
Ober-  und  Unteritalien,  dann  nach  Spanien,  Frankreich  und  endlich  durch 
die  Romer  auch  nach  Deutschland  gebracht  worden  sein.  Mag  auch  die  Kultur 
des  Weinstockes  ihren  Weg  von  Osten  nach  Westen  und  Nordwesten  ge- 


Der  Weinstock.  37 

nommen  haben,  so  ist  doch  zweifellos  vor  der  Verbreitung  der  Wein- 
kultur  der  Weinstock  selbst  durch  ganz  Siideuropa  und  einen 
Theil  Mitteleuropas  verbreitet  gewesen,  ja  es  ist  sogar  wahrscheinlich, 
<lass  vor  den  Eingriffen  der  Menschen  in  die  urspriingliche  Vegetation  der 
Weinstock  noch  verbreiteter  gewesen  ist,  als  gegenwartig.  Durch  ihre 
Beerenfriichte  zur  Verbreitung  durch  Vogel  leicht  befahigt, 
musste  die  Weinrebe  zusammen  mit  anderen  Waldpflanzen  tiberall 
da  sich  ansiedeln,  wo  die  klimatischen  Verhaltnisse  ihre  Frucht- 
entwicklung  gestatteten.  Die  klimatischen  Verhaltnisse  waren 
aber  vom  mittlereii  Tertiar  bis  zur  Glacialperiode  und  nach  der- 
selben  fast  tiberall  da  gegeben,  wo  heute  die  wilde  Weinrebe  ge- 
deiht;  nur  wahrend  der  Glacialperiode  wird  dieselbe  nordlich 
der  Alpen  gefehlt  haben  und  ihr  Areal  auch  jenseits  der  Alpen 
etwas  eingeschrankt  gewesen  sein;  nach  der  Glacialperiode  aber 
musste  sich  dasselbe  wieder  mehr  ausdehnen.  Dass  die  Weinrebe 
auch  verwildert,  indem  die  Samen  der  aus  den  Kulturen  von  Vogeln  ver- 
schleppten  Beerenfriichte  an  geeigneten  Stellen  zur  Entwicklung  gelangen,  ist 
gewiss;  aber  dann  findet  sie  sich  nur  in  Hecken  oder  auf  Boden,  der  von 
heimischen  Pflanzen  entblosst  worden  ist  oder  auch  auf  jungfraulichem,  erst 
von  Wasser  entblosstem  Boden.  Unter  solchen  Verhaltnissen  vermogen  wohl 
die  Keime  einer  nicht  einheimischen  Pflanze  sich  weiter  zu  entwickeln,  da  sie 
in  geringerem  Grade  der  Concurrenz  mit  langst  eingebiirgerten  Pflanzen  aus- 
gesetzt  sind;  aber  gewohnlich  treten  derartige  Ansiedler  nur  vereinzelt  auf 
und  erhalten  sich  auch  nur  kurze  Zeit  im  Kampfe  mit  den  einheimischen 
Pflanzen.  Am  scbwersten  ist  es  fur  verschleppte  Samen,  in  den  geschlossenen 
Formationen  der  Walder,  der  dichten  Gebiische,  der  Wiesen  aufzugehen  und 
reichliche  Nachkommenschaft  zu  erzeugen.  Wenn  wir  daher  den  Weinstock 
oder  eine  andere  Pflanze  in  grosserer  Anzahl  in  Waldern  auftreten  sehen, 
dann  haben  wir  ein  Recht  anzunehmen,  dass  dieselbe  unabhangig  von  der 
Kultur  ihren  Weg  nach  diesen  Standorten  gefunden  hat.  Diese  Annahme 
wird  um  so  begriindeter  sein,  je  mehr  die  Fundorte  einer  Pflanze  mit  ein- 
ander  in  Verbindung  stehen  und  in  ihrem  sonstigen  Vegetationscharakter 
iibereinstimmen.  Als  nach  der  Glacialperiode  in  Europa  die  Laubwald- 
formationen  von  Osten,  Stiden  und  Westen  wieder  vordrangen,  wurden  jeden- 
falls  die  Beeren  des  Weins  mindestens  eben  so  rasch  verschleppt,  wie  die 
Steinfriichte  des  Faulbaums  oder  des  Schneeballes  und  anderer  Straucher. 
Gegenwartig  findet  sich  die  wilde  Weinrebe  in  ganz  besonders  uppiger  Ent- 
wicklung im  westlichen  Transkaukasien ,  in  dem  zum  Schwarzen  Meer  ab- 
fallenden  feuchtwarmen  Gebiete,  von  Beschtau  und  den  Ufern  des  Terek 
siidwarts  bis  Armenien  und  bis  zum  Talyschgebirge  (vergl.  den  auch  sonst, 
namentlich  in  Bezng  auf  die  Vulgarnamen  sehr  wichtigen  Artikel  iiber  den 
AVeinstock  in  Koppen,  geogr.  Verbreitung  der  Holzgewachse  des  europaischen 
Russlands  I.  98);  von  hier  verfolgen  wir  sie  ost warts  bis  in  die  persische 
Provinz  Ghilan  und  in  nordostlicher  Richtung  bis  Turkestan,  wo  sie  Capus 
an  den  Ufern  des  Pakeme  und  an  den  Ufern  des  Pokem  bis  zu  einer  Ho'he 
von  1250  in  wild  beobachtete  (Planchon  in  De  Candolle,  Suites  au  Prodr. 
V.  2  p.  360),  wahrend  Albert  Regel  sie  im  Tschitschikthal  und  Tshotkalthal 
zusammen  mit  wilden  Apfelbaumen,  Pflaumen,  Aprikosen,  Kirschen,  Maul- 


88  Der  Weinstock. 

beeren  und  Pistacien  constatirte.  Ob  die  in  Afghanistan  und  im  nordwest- 
lichen  Himalaya  ausserhalb  der  Kultur  vorkommenden  Weinrebeii  verwildert 
oder  wild  sind,  ist  noch  fraglich.  Westlich  vom  Kaukasus  finden  wir  die 
Rebe  zunachst  wild  in  der  Krim  auf  beiden  Seiten  des  Gebirges,  meist  an 
Bachufern,  auf  der  Siidseite  bisweilen  Stamme  mit  4'/2  Fuss  Umfang  (v.  Steven, 
Verzeichniss  der  auf  der  taurischen  Halbinsel  wild  wachsenden  Pflanzen  p.  96), 
wahrend  derselbe  Beobachter  bei  Tiflis  nur  Stamme  von  3Y»  Fuss  Umfang  ge- 
sehen  hatte.  Auch  wircl  nach  Angabe  desselben  Gewahrsmannes  in  der  Krim 
bisweilen  aus  den  schwarzen  sauren  Beeren  der  wilden  Rebe  Wein  bereitet, 
wie  ja  uberhaupt  wohl  nirgends  die  Benutzung  wildwachsender  Beerenfriicbte 
zur  Bereitung  von  Getranken  so  verbreitet  ist  als  in  Russland.  Sodann  ist 
die  Rebe  hochstwahrscheinlich  wild  am  rechten  Ufer  des  Dnjepr  von  Alexan- 
drowsk  bis  Cherson,  in  Podolien  am  linken  Ufer  des  Dnjestr  zwischen  den 
Ortschaften  Wyschwatencz  und  Jagorlyk,  in  Bessarabien  an  den  Ufern  des 
Djnestr,  des  Pruth  und  der  Donau,  sicher  wild,  wie  ich  selbst  beobachtete, 
an  den  Ufern  der  Donau  in  Rumanien  (vergl.  auch  Brandza,  Prodromul 
Florei  romane  p.  209)  bis  Orsowa,  auch  im  Banat,  wo  ich  sie  in  den  Misch- 
waldern  bei  Mehadia  als  kraftige  Liane  entwickelt  sah.  Auch  in  den  bis- 
weilen noch  Urwaldcharakter  zeigenden  Eichenwaldern  des  ungarischen  Tief- 
landes,  in  welchen  die  hier  schlanken  Stamme  der  Rebe  bis  zu  den  Wipfeln 
der  Eichen  hinanreichen  und  von  da  malerisch  in  das  schattige  Waldesdunkel 
herabhangen,  ist  nach  Kerner  (Pflanzenlebeii  der  Doiiaulander,  p.  42)  der 
Weinstock  wahrscheinlich  einheimisch,  ebenso  findet  er  sich  dort  haufig  in 
den  aus  Erlen  bestehenden  Uferwaldern.  Ob  die  haufig  auf  den  Auen  der 
Donau  und  March  unterhalb  Wiens  vorkommenden  Reben  wild  oder  ver- 
wildert sind,  lassen  die  osterreichischen  Floristen  noch  unentschieden,  doch 
mochte  ich  auch  hier  ein  von  der  Kultur  unabhangiges  Einwandern  Mr  das 
Wahrscheinlich  ere  halten.  Siidlich  der  Donau  ist  der  Weinstock  auf  der 
Balkanhalbiusel  sicher  wild;  ich  sah  ihn  selbst  als  kraftige  Liane  in  den 
dichten  Waldern  von  Bujukdere  bei  Constantinopel ;  sowohl  in  der  Dobrud- 
scha  wie  im  Balkan  und  dem  Rhodopegebirge,  wo  er  bis  in  die  Buchenregion 
hinaufsteigt,  ist  er  sehr  verbreitet  (Velenovsky,  Flora  bulgarica  p.  Ill),  sehr 
haufig  auch  in  Waldern  und  Gebiischen,  namentlich  in  Eichenwaldern  Thra- 
ciens,  haufig  auf  der  Insel  Tasos,  in  Gebiischen  der  Ebene  Tettovo  bei  Cal- 
candela,  in  Siidalbanien  (Grisebach,  Spicilegium  Florae  rumelicae  I,  p.  153). 
In  grosser  Ueppigkeit  sah  ich  selbst  die  Rebe  im  Tempethal  und  am  Wege 
von  da  nach  Larissa.  In  Sibthorp's  Florae  graecae  prodr.  I  wird  die  Rebe 
als  »ad  fluviornm  margines  Graeciae  omnino  indigena«  bezeichnet;  das  Aui- 
finden  von  Weinkernen  in  Tiryns  (Wittmack  in  Tageblatt  d.  Vers.  der  Natur- 
forscher  und  Aerzte  in  Berlin  1886,  p.  194)  ist  nicht  von  grosser  Bedeutung, 
da  die  Weinkultur  jener  Zeit  anderweitig  hinreichend  verbiirgt  ist,  Auch 
Visiani,  der  Florist  Dalmatiens,  giebt  an,  dass  die  Rebe  an  Hecken  in  ganz 
Dalmatien,  selbst  in  der  Bergregion,  wild  sei.  Dagegen  sagt  G.  von  Beck  in 
seiner  Flora  von  Siidbosnien  und  der  angrenzenden  Herzegovina:  »Ueberall 
verwildert  im  Drinathal,  an  der  Narenta«,  doch  ist  mir  kein  triftiger  Grund 
gegen  die  Annahrne  des  spontanen  Vorkommens  in  diesem  Gebiet  erfindlich. 
Der  vortreffliche  Florist  Italiens  Parlatore,  welcher  die  grosste  Sorgfalt  auf 
die  Standortsangabeii  verwendete,  giebt  in  seiner  Flora  italiana  V.  483  an, 


Der  Weinstock.  $9 

class  der  Weinstock  sowohl  auf  der  Halbinsel,  wie  Sicilien,  Corsica  und  Sar- 
dinien  in  Gebtischen  und  Macchien  der  Olivenregion,  wie  er  glaube,  heimisch 
oder  seit  den  altesten  Zeiten  verwildert  sei;  dagegen  ist  er  geneigt  anzunehmen, 
dass  in  den  mittleren  und  nordlichen  Theilen  der  Halbinsel,  wo  die  Wein- 
rebe  auch  in  der  Eichenregion  vorkommt,  weniger  haufig  und  kraftig  ist, 
wahrscheinlich  verwildert  sei.  Es  ist  aber  bei  der  Continuitat  aller  an- 
gegebenen  Fundorte  die  Annahme  der  Verbreitung  vor  der  Einfuhrung  der 
Kultur  fiir  mich  das  Wahrscheinlichere,  zumal  mit  Riicksicht  auf  die  oben 
erwahnten  fossilen  Funde.  Der*  Florist  von  Tirol,  v.  Hausmann,  erklart  sich 
entschieden  fur  das  Indigenat  der  Rebe  im  Etschlande:  »Wild  kommt  die 
Rebe  im  ganzen  Etschlande  allenthalben  im  Thai  an  Zaunen,  in  Hecken  und 
Auen  vor.«  Dagegen  sind  die  Schweizer  Floristen  meist  geneigt,  die  in  der 
Schweiz  ausserhalb  der  Kultur  vorkommenden  Reben  als  verwildert  anzusehen. 
Im  siidlichen  Spanien,  wo  in  einzelnen  waldreichen  Thalern,  namentlich  der 
Provinz  Almeria,  die  kleinfriichtige  Rebe  armsdicke  Stamme  entwickelt  und 
hoch  in  die  Wipfel  der  Baume  aufsteigt,  diirfte  sie  auch  ursprunglich  wild 
sein;  auch  in  Neu-Castilien  und  selbst  im  nordlichen  Spanien  bei  Bilbao 
lindet  sich  diese  Form  der  Rebe  noch  sehr  haufig  in  Hecken  und  Hainen. 
Willkomm  (Prodromus  Florae  hispanicae  III.  2,  p.  567)  sieht  die  Rebe  zwar 
auch  als  verwildert  an;  aber  das  urspriingliche  Vorkommen  im  Siiden  der 
iberischen  Halbinsel  ist  auch  deshalb  wahrscheinlich,  weil  sowohl  bei  Algesiras 
als  auch  im  siidlichen  Portugal  » Rhododendron  baeticum  Boiss.  etReut.«  vor- 
kommt, welches  mit  dem  am  Siidrande  des  schwarzen  Meeres  von  Bithynien 
bis  zum  Kaukasus  verbreiteten  Eh.  ponticum  L.  identisch  ist,  einem  bei  uns 
jetzt  vielfach  kultivirten  Strauch,  der  in  interglacialer  Zeit  auch  noch  bei 
Innsbruck  in  einer  Hohe  von  1000 -1200m  zusammen  mit  Linde,  Ahorn, 
Fichte  vorkam  (vergl.  v.  Wettstein  in  Sitzungsber.  d.  Kais.  Akad.  d.  Wise,  in 
Wien,  Bd.  XCVII.  Abth.  1,  1888  und  Denkschr.  derselben  Akad.  Bd.  LIX., 
1892).  Es  ware  sonderbar,  wenn  die  Samen  der  Weinrebe  sich  nicht  auch 
bis  Spanien  und  Portugal  verbreitet  hatten,  da  es  doch  die  Samen  jenes 
Rhododendron  gethan  haben.  Nachdem  jetzt  in  Frankreich  die  wilde  Wein- 
rebe fossil  nachgewiesen  ist,  mehren  sich  auch  die  Angaben  tiber  das  gegen- 
wartige  Vorkommen  von  wildem  Wein;  Sagot  fand  solchen  in  einem  Wald 
bei  Belley  (Dep.  Ain),  Carriere  bei  St.  Amans  (Dep.  Cher),  Planchon  bei 
Montpellier  und  in  den  Sevennen  etc.  etc.;  sie  ist  verbreitet  in  Sud-,  Mittel- 
und  Ostfrankreich.  Ebenso  finden  sich  wilde  Reben  in  Baden  und  im  Elsass ; 
Oberlin  (Pomologische  Monatsschrift  VII.  1881,  Heft  1,  S.  20,  21)  fand  neun 
Standorte  wilder  Reben  auf  dem  rechten  Rheinufer  zwischen  Rastatt  und 
Mannheim,  zwei  auf  dem  linken  bei  Strassburg  und  Speier,  meist  in  den 
Waldungen,  durch  Winterfroste  nicht  leidend. 

Verfolgen  wir  das  Vorkommen  der  wilden  Rebe  durch  Kleinasien  nach 
Nordafrika,  so  finden  wir  Angaben  tiber  das  Vorkommen  der  wilden.  Rebe  in 
Anatolien  (Boissier,  Flora  orientalis)  und  Palastina  (v.  Klinggraff  in  Oest. 
Bot.  Zeitschr.  XXX),  dagegen  keine  liber  spontanes  Vorkommen  in  Arabien 
und  Aegypten,  wo  aber  die  Kultur  nach  den  von  Prof.  Schweinfurth  ge- 
machten  Funden  von  Totengaben  mindestens  bis  in  die  Zeit  der  XXI.  Dy- 
nastie  zuriickreicht  (vergl.  Schweinfurth  in  Engler's  bot.  Jahrb.  V,  S.  189). 
Von  Tunis  durch  Algier  bis  Marokko  ist  die  Rebe  wahrscheinlich  wild ;  nach 


90  Der  Weinstock. 

Cosson  findet  sie  sich  z.  B.  im  westlichen  Tunis  am  Dschebel  Cheban,  fern 
von  aller  Kultur ;  in  Algier  ist  sie  nach  Cosson  und  Battandier  sehr  ver- 
breitet  und  in  Marokko  hat  sie  Ball  beobachtet  (vergl.  Planchon  in  De  Can- 
dolle,  Suites  au  Prodr.  V.  2,  p.  357).  Leider  hat  es  bis  jetzt  noch  kein 
Botaniker  unternommen ,  die  wilden  Keben  dieser  verschieclenen  Gebiete 
genau  zu  studiren  und  zu  classificiren;  vor  einigen  Jahrzehnten  hatte  man 
vielleicht  noch  hier  und  da  Beziehungen  zwischen  den  wildwachsenden  und 
den  kultivirten  Reben  einzelner  Gebiete  herausfinden  konnen,  heutzutage, 
nach  der  Eiiifiihrung  der  amerikanischen  Reben  und  nach  wahrscheinlich 
auch  schon  weit  gegangener  Vermischung  der  Arten  wird  dies  kaum  noch 
moglich  sein.  Nur  darauf  sei  hingewiesen,  dass  nach  Kolenati  (Bulletin  de 
la  soc.  imp.  des  naturalistes  de  Moscou  1846  p.  279)  in  dem  Gebiet  zwischen 
dem  Schwarzen  und  dem  Kaspischen  Meer  zwei  entschieden  wilde  Formen 
vorkommen,  die  sich  nicht  bloss  durch  die  Behaarung  und  Nervatur  ihrer 
Blatter,  sondern  auch  durch  die  Form  und  Farbe  ihrer  Beereii  unterscheiden. 
Interessant  ist  auch  die  Angabe  R.  Gothe's  (Ampelographische  Berichte  1882 
No.  5,  p.  40),  dass  die  aus  dem  westlichen  Asien  stammenden  Kulturreben 
zu  Vitis  vinifera  L.  gehoren,  dass  dagegen  die  aus  Ostasien  erhaltenen  Wein- 
sorten  theils  mit  der  japanischen  V.  Thunbergii  Sieb.  et  Zucc.,  theils  mit  der 
chinesischen  V.  ficifolia  Bunge  verwandt  sind,  theils  zur  Gattung  Cissus  ge- 
horen. Endlich  seien  auch  die  Nichtbotaniker  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  zahlreiche  amerikanische  Reben,  vor  alien  Vitis  Labrusca  L.,  V.  aestivalis 
Michx.,  V.  riparia  Michx.,  V.  rotundifolia  Michx.  (V.  vulpina  Aut.,  Muscadine) 
nach  der  Entdeckung  Amerikas  in  Kultur  genommen  sind.  Im  Gegensatz  zu 
den  vorhistorischen  Resten  des  wilden  Weins  tragen  die  Merkmale  des  kulti- 
virten an  sich  die  Beeren  und  Samen,  welche  in  altagyptischen  Grabern  ge- 
funden  wurden  (vergl.  A.  Braun,  iiber  die  im  Kgl.  Museum  zu  Berlin  auf- 
bewahrten  Pflanzenreste  aus  altagyptischen  Grabern  in  Zeitschr.  f.  Ethnolosrie 
1877,  S.  289 — 310  und  Schweinfurth ,  iiber  Pflanzenreste  aus  altagyptischen 
Grabern,  Ber.  d.  deutsch.  bot.  Ges.  IF,  1884,  S.  362,  ferner  Buschan  a.  a.  O.r 
S.  222).  Von  besonderem  Interesse  aber  und  fur  die  Geschichte  der  Kultur- 
weinrebe  in's  Gewicht  fallend  ist  der  Umstand,  dass  nach  Loret,  la  flore 
pharaonique,  Paris  1887,  S.  46  in  den  hieroglyphischen  Texten  bereits  acht 
Weinsorten  erwahnt  werden.  Wie  es  in  dem  Gebiet  zwischen  Schwarzes  Meer 
und  Kaspi-See,  welches  gern  als  die  ursprungliche  Heimath  des  Kulturweines 
angesehen  wird,  zu  jener  Zeit  mit  den  Sorten  oder  Rassen  bestellt  gewesen 
sein  mag,  entzieht  sich  vorlaufig  noch  der  Beurtheilung. 


**  Versuchen  wir  zunachst  eine  Uebersicht  iiber  die  geographisclie 
Verbreitung  der  Benemiungen  des  Weins  zu  geben,  indem  wir  die  auf 
den  eiuzelnen  Gebieten  jedesmal  altesten  Namen  zusammenstellen,  ohne  in- 
dessen  schon  hier  auf  eine  Erorterung  des  historischen  Zusammenhangs 
der  sichtlich  mit  einander  zusammenhangenden  Bezeichnungen  naher  ein- 
zugehen. 

In  Europa  gilt  iiberall  die  Sippe  unseres  deutschen  ivein:  goth.  cein  (ahd. 
truba,  rebaj,  slav.  vino  (altsl.  yrozdu  Traube),  lit.  ivynas,  altir.  fin,  lat.  vinum  (wti8f 


Der  Weinstock.  91 


tlva  =  lit.  uge),  griech.  ^o-voc  (a|j.7t?Xoc,  oTacp'j)/rj,  436"poc),  alb.  vt'Jis  (alb.  harcU 
Weinstock,  ruts  Traube).  Unter  den  asiatischen  Indogermanen  setzt  sich  diese 
Keihe  in  dem  armenischen  gini  aus  *voino-,  *voinio-  (orf  Weinstock)  fort, 
das  auch  im  Kaukasus,  in  georgischen  (g'wino)  und  lasischen  Dialecten  (g'ini) 
wiederkehrt.  Hingegen  erlischt  dieselbe  in  den  iranischen  Sprachen.  Die  hier 
geltenden,  ziemlich  jungen  Nameii  des  Weins,  z.  B.  pers.  mai,  kurd.  mei  =  scrt. 
•madhu  findet  man  bei  Pott  in  Lassens  Z.  f.  d.  K.  d.  M.  V.  S.  62.  Vgl.  auch 
Koppen,  Holzgewachse  I,  11(1  Ossetisch  san  vgl.  Anm.  17.  -  -  Wohl  aber 
beherrscht  das  in  Europa  geltende  W^ort  auch  den  grossten  Theil  des  seini- 
tischeii  Sprachgebiets  :  hebr.  jajin  (aus  *wain}}  arabisch-aethiop.  wain  (vgl. 
F.  Hommel,  Z.  f.  d.  K.  d.  M.  1889  S.  653  ff.).  Ob  diese  Bezeichnung  des  Weines 
auch  im  Babylonisch-Assyrischen  von  Alters  her  vorhanden  war,  scheint  noch 
zweifelhaft.  P.  Jensen  (Z.  f.  Assyriologie  I,  S.  187)  erblickt  die  lautgesetzliche 
Entsprechung  von  hebr.  jajin  in  assyr.  inu,  wahrend  F.  Hommel  das  nur  in 
den  spaten  Nationallexicis  belegte  Wort  fur  aram.-hebraische  Entlehnung  halt. 
Letzterer  hebt  auch  hervor,  dass  eine  Reihe  semitischer,  auf  den  Weinbau 
beziiglicher  Ausdriicke:  *karmu  Weingarten,  *gupnu  Weinrebe,  *inabu  Wein- 
traube  im  Assyrisch-Babylonischen  noch  die  allgemeinen  Bedeutungen  von 
Ackerland,  Stamm,  Pfahl  batten,  woraus  geschlossen  werden  konne,  dass  der 
Weinbau  in  Mesopotamien  von  Haus  aus  fremd  sei  (Hommel,  Die  sprachge- 
schichtliche  Stellung  des  Babylonisch-Assyrischen,  Aufsatze  und  Abh.  S.  94). 
Der  spatere  Name  des  Weines  im  Assyrischen  war  kardnu  (vgl.  griech.  xapoivov), 
dessen  wichtige  Bezugsquelle  fiir  die  assyrischen  Konige,  wie  iibrigens  auch 
fiir  die  persischen,  die  syrische  Stadt  Helbon,  nordwestlich  von  Damaskus 
(E.  Schrader,  Die  Keilinschriften  und  das  alte  Testament'2  S.  425  f.)  war.  Auch 
der  sumerisch-akkadischen  Urbevolkerung  Mesopotamiens  ware  nach  Hommel 
(Die  Semiten,  S.  408)  der  Weinstock  unbekannt  gewesen. 

Ganz  ohne  Zusammenhang  mit  dem  westsemitisch-indogermanischen 
Wort  steht  der  altagyptische  Name  des  Weines  arp,  der  in  der  Form  Ipsi? 
schon  im  Zeitalter  der  Sappho  in  Griechenland  bekannt  war  (A.  Wiedemann, 
Sammlung  altag.  W.  S.  20).  Ueber  die  Bedeutung  des  Weinbaus  im  alten 
Aegypten,  der  trotz  Herodots  Nachricht  II,  77:  06  Y"P  ac?'  £'tcj-  ^  Ttf  X'"?!? 
afxrtsXoi  von  sehr  friiher  Zeit  an  hier  nachweisbar  ist,  vergl.  auch  Woenig,  Die 
Pflanzen  im  alten  Aegypten,  VII.  Abschnitt.  Hiernach  Hesse  sich  an  der 
Hand  der  bildlichen  Darstellungen  die  Kultur  des  Weinstocks  bis  zur 
IV.  Dynastie  verfolgen  (vgl.  oben  S.  90). 

Zum  Schluss  dieser  Uebersicht  sei  erwahnt,  dass  bei  den  Turko-Tataren 
zwar  nicht  der  Wein,  wohl  aber  die  Weintraube  eine  gleichlautende  Benennung 
iizilm,  mong.  udsiim  tragt,  woraus  Vambery,  Primitive  Kultur  S.  219  folgert, 
dass  das  ursprungliche  Vaterland  des  Weinstockes  auch  die  urbaren  Oasen- 
lander  im  Osten  des  Kaspischen  Meeres  umfasst  habe. 

Es  erhellt,  dass  unter  den  aufgezahlten  Wortern  der  europaisch-semi- 
tische  Name  des  Weines  hauptsachlich  unser  Interesse  in  Anspruch  nehmen 
muss.  Wie  ist  dieser  Zusammenhang  geschichtlich  zu  erklaren?  In  dieser 
Beziehung  muss  zuerst  gegen  Hehn  (oben  S.  70)  hervorgehoben  werden, 
<lass  an  eine  Entlehnung  des  griech.  /olvo?  aus  dem  hebr.  jajin,  wie  auch  der 
phonizische  Ausdruck  gelautet  haben  muss,  nicht  wohl  gedacht  werden  darf, 
da  bei  dieser  Annahme  zunachst  das  anlautende  w  des  Griechischen  unerklart 


92  Der  Weinstock. 

bleibt  (vgl.  z.  B.  den  schon  homerischen  Flussnamen  'Icipov-voc  in  Elis  und  auf 
Kreta  aus  hebr.  jarden  Fluss).  Dazu  kommt,  dass  naeh  den  Ausfiibrungen 
A.  Mtillers  in  Bezzenbergers  Beitragen  I,  S.  294  fiir  die  semitischen  Worter 
innerhalb  des  Semitischen  eine  Wurzel  nicht  nachweisbar  1st,  so  dass  das 
Indigenat  des  Wortes  *wainu  im  Semitischen  von  dieser  Seite  her  nicht  gestiitzt 
werden  kann.  Diese  Ansicht  M.'s  ist  bis  jetzt  von  Niemandem  widerlegt 
worden,  auch  nicht  von  Lagarde,  der  Mittheilungen  II  S.  356  neben  ganz  hin- 
falligen  Semitischen  Ableitungen  von  ajjuusXex;  und  (Jotpos  auch  an  der  Erklanmg 
von  olvo?  aus  jajin  festhalt  (anders  jedoch  noch  Armen.  Stud.  S.  35). 

Eine  andere  Moglichkeit  ware,  dass  die  Jndogermanen  und  Semi  ten 
gleichermassen  von  einem  dr itt en  Volke  entlehnt  batten.  Thatsachlich  wird 
diese  Annahme  durch  F.  Hommel  vertreten,  der  in  seinem  Aufsatz  Neue 
Werke  tiber  die  Urheimath  der  Indogermanen  (Archiv  f.  Anthrop.  XV.  Suppl. 
S.  163  ff. ;  vgl.  dazu  Aufsatze  und  Abh.  S.  102)  der  Meinung  ist,  dass  die  oben 
S.  91  genannten  kaukasischen  Benennungen  des  Weins  (vgl.  dazu  auch 
Tomaschek  Z.  f.  o.  Gymn.  1875  S.  526)  die  gemeinschaftliehe  Quelle  sein,  aus 
der  sowohl  die  westlichen  Indogermanen,  als  sie  aus  dem  inneren  Asien, 
nord warts  des  Kaukasus  voruberzogen,  wie  auch  die  Semiten,  als  sie  ebeii- 
falls  auf  dem  Wege  aus  Innerasien  nach  Ablosung  der  Babylonier  siidwarts 
des  genannten  Gebirges  zogen,  geschopft  batten.  Allein  auch  abgesehen  da  von, 
dass  hier  durchaus  unbewiesene  und  unbeweisbare  Volkerbewegungeii  und 
Volkerlocalisationen  angenommen  werden,  diirfte  gegenwartig  ein  Zweifel  claran 
kaum  gestattet  sein,  dass  die  kaukasischen  Worter  einfache  Entlehnungen  aus 
dem  Armenischen  darstellen.  Die  westsemitischen  Namen  des  Weins 
konnen  also  nur  aus  einer  der  obengenannten  indogermanischen 
Sprachen  stammen,  und  bedenkt  man,  dass  in  Klein-  und  Vorderasien  die 
Natur  dem  Menschen  in  der  Zeitigung  der  Friichte  des  Weinstocks  soweit  ent- 
gegenkommt,  dass,  wie  A.  de  Candolle  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  236  sagt, 
in  Pontus,  in  Armenien,  im  Suden  des  Kankasus  und  des  Kaspisees 
die  Rebe  den  Anblick  einer  wildwachsenden  Liane  bietet,  welche  hohe  Baume 
tiberzieht  und  ohne  Schnitt  oder  irgend  welche  Kultur  eine  Menge 
von  Friichten  hervorbringt."  so  wird  es  am  nachsten  liegen,  das  westsemi- 
tische  *wainu  an  das  obengenannte  armenische  *voino-,  *voinio-  =  gin'i 
oder  eine  diesem  entsprechende  Form  aus  einer  indogermanischen  Sprache 
des  westlichen  Vorderasieiis  anzukntipfen.  Wir  denken  dabei  nicht  mit  Hehn 
(oben  S.  70)  an  einen  Ursitz  der  Semiten  in  der  Nachbarschaft  Armeniens 
,,siidlich  vom  Siidrand  des  Kaspischen  Meeres,"  eine  Anschauung,  gegen  die  auch 
E.  Meyer  Geschichte  des  Alterthums  I  S.  208  sich  mit  Entschiedenheit  wendet, 
sondern  begniigen  uns  mit  der  Annahme  frtihzeitiger,  teils  kriegerischer,  teils 
friedlicher  Beziehungen  semitischer  und  west-kleinasiatiecher  Lander  und 
Volker  indogermanischen  Stammes.  Vielleicht  hat  die  Spur  einer  Erinnerung 
an  eine  solche  Herkunft  der  Weinkultur  die  biblische  Sage  von  Noah,  dem 
Weinbauer,  bewahrt. 

Dieses  armenische  *voino-.  *vomio-  =  gini  biklet  nun  zusammen 
mit  dem  illyrischen  (albanesischen)  *vaina  =  vcm  und  dem  altgriechischen 
/oivoc:  olvot;  eine  aufs  engste  zusammenhangende  Gruppe  der  Benennungen  des 
Weins,  die  (im  Gegensatz  zu  den  semitischen  Namen)  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit  auf  eine  einheimische  Wurzel  zuriickzufiihreii  ist,  und  zwar 


Der  Weinstock.  93 

auf  die  Wurzel  vei,  die  in  lat.  vieo,  sich  winden,  in  mtia  und  limen  sowie  in 
der  Benennung  des  wilden  Weins  im  Griechischen  6i4jv,  6».ov  =  J^t-j-^v,  fi-j-w 
(G.  Meyer,  Griech.  Gramm.  3.  Aufl.  S.  320)  vorliegt  (daneben  vgl.  das  dunkle 
Hesychische  TJtyva-  TOV  oivov.  Kpv]tE?.  ol  8s  f^]^)-  Dass  aus  derselben  Wurzel 
auch  Worter  fiir  weide  etc.  hervorgegangen  sind,  findet  sein  Analogon  in  dein 
glavischen  loza  (Miklosich  Et.  W.  s.  v.),  das  ebenfalls  die  Bedeutungen  Wein- 
rebe  und  Weide  in  sich  vereinigt. 

Des  nahereii  lasst  sich  dieser  Zusammenhang  in  einer  doppelten  Weise 
historisch  erklaren.  Entweder  man  nimmt  an,  dass  bei  den  europaischen 
Indogermanen  in  vorhistorischer  Zeit  ein  Wort  *voino-,  *voina  in  der  Bedeutung 
Ranke,  Weinstock  vorhanden  war.  Dass  hieraus  sich,  nachdem  man  gelernt 
hatte,  aus  der  Frucht  der  Ranke  ein  berauschendes  Getrank  zu  bereiten,  sich 
die  Bedeutung  Wein  entwickeln  konnte,  wird  von  Helm  Anm.  29  mit  Unrecht 
bestritten.  Man  braucht  nur  an  das  schon  von  Hesiod  bezeugte  oivrj  Weinstock 
zu  denken,  welches  spate  r  geradezu  im  Sinne  von  Wein  gebraucht  wird,  oder 
sich  solcher  A.usdriieke,  wie  »bei  einem  Fass  voll  Reben«,  »ein  Glas  Korn«, 
»eine  Flasche  Kiimmeh  zu  erinnern.  Das  lat.  tem-$tum  »Wein«  hat  nach  den 
iiberzeugenden  Ausf iihrungen  Kellers  Lat.  Volkset.  S.  261  f .  ursprtinglich  sogar 
>AVeingarten«  bedeutet.  ^atiirlich  schwebte  clem  Sprechenden  zu  der  Zeit, 
als  oivoc  Weinstock  in  der  Bedeutung  von  Wein  gebraucht  wurde,  die  etymo- 
logische  Grundbedeutung  des  Wortes  (»rankende  Pflanze«)  nicht  mehr  vor. 
Haben  wir  oben  (S.  64)  den  Schauplatz  richtig  bezeichnet,  auf  dem  wir  uns 
das  letzte  Zusammensein  der  europaischen  Jndogermanen  denken  miissen,  so 
wiirde  nach  den  vorstehenden  Mittheilungen  (oben  S.  88)  des  Herrn 
Botanikers  das  Vorhandensein  des- wilden  Weinstocks  auf  demselben  in  sehr 
alter  Zeit  wohl  moglich  sein.  Oder  aber  —  und  diese  Auffassung  diirfte  nach 
Lage  der  Dinge  vielleicht  die  grossere  Wahrscheinlichkeit  fiir  sich  haben  —  der 
vorausgesetzte  Uebergang  eines  Starames  *voino-:  vieo  von  der  Bedeutung 
.,Rankeu  zu  der  von,, Wein"  hat  nur  auf  einern  der  obengenannten  Sprachgebiete, 
namlich  auf  dem  armenisch-kleinasiatischen,  stattgef unden ,  und  das 
albaiiesische  vens  nebst  dem  griech.  /oivo;  stellen,  ebenso  wie  das  westsemitische 
*wainu,  eine  uralte,  vorhistorische  Entlehnung  aus  dem  Armenisch- 
Kleinasiatischen  dar.  Da  es  sich  hierbei  um  einen  geographisch  zusammen- 
hangenden  Bereich  idg.  Sprachen :  Altgriechisch,  Altillyrisch,  Thrakisch  (Y«VO<; 
bei  Suidas  verschrieben  fiir  *-(aiVO~^  ===  *vaino-sty,  Phrygisch-Armenisch  handelt, 
so  ware  gegen  die  Annahme  der  friihzeitigen  Wanderung  eines  derartigen 
Kulturbegriffs  nichts  einzuwenden. 

Grosse  Schwierigkeit  macht  dagegen  die  richtige  Beurtheilung  des  lat. 
vinmn,  umbr.  vinu,  volsk.  vinu,  osk.  Vnnikiis,  falisk.  vinu.  Rein  lautlich  ist 
nach  unserem  gegenwartigen  Wissen  fiir  diese  Worter  allein  die  Ansetzung 
eines  zu  dem  oben  besprochenen  *voino-  ablautenden  Stammes  *vino- 
berechtigt  (vgl.  Planta  Grammatik  der  oskisch-umbrischen  Dialekte  I.  S.  279). 
Entschliesst  man  sich  dennoch,  mit  Bartholomae  (Wochenschrift  f.  klass.  Phil. 
1 895  S.  595)  und  H.  Hirt  (Anzeiger  fiir  idg.  Sprach-  und  Alterthumskunde  VI, 
175),  lat.  vinum,  aus  dem  die  ubrigen  italischen  Formen  entlehnt  sein  konnten, 
etwa  unter  Annahme  einer  Beeinnussung  des  zu  erwartenden  *voenum,  *vunum 
durch  das  daneben  liegende  vitis  auf  *voinom  zuriickzufiihren,  so  setzte  sich 
also  die  oben  besprochene  Reihe  armen.  gini,  alb.  venr,  griech.  /otvoc  bis  zur 


94  Der  Feigenbaum. 

Apeniiinhalbinsel  fort.  Nicht  zufallig  ist  es  wohl  auch,  dass  neben  alb.  vens. 
griech.  /otvoc,  lat.  vmum  noch  eine  zweite  sehr  alte  Benennung  des  Weins 
ungefahr  dieselben  Gegenden  verbindet.  Es  ist  dies  thrak.  Ci/.ai,  maked. 
xdX'.O-oc,  griech.  x^C  (zuerst  bei  Archilochus  Bergk  frgm.  78),  denen  sich  ein 
aus  dem  lat.  Falernus  ager  erschliessbares  sabinisches  *fali-  Wein  zugesellt. 
In  keinem  Falle  wahrscheinlich  ist  der  Hehn'sche  Ansatz,  dass  erst  in 
historischer  Zeit  die  Griechen  ihr  otvo?  in  der  Gestalt  von  vmum  nach 
Italien  gebracht  batten,  da  es  auch  an  sachlichen  Anhaltspunkten  daftir  nicht 
fehlt,  dass  die  griechischen  Colonisten  Weinstock  und  Weinbau  auf  der 
Apeniiinhalbinsel  schon  vorfanden  (vgl.  W.  Helbig  Die  Italiker  in  der  Poebene 
S.  109  und  P.  Weise  Ueber  den  Weinbau  der  Romer.  Progr.  Hamburg  S.  4). 

Hinsichtlich  der  nordeuropaischen  Ausdrticke,  goth.  vein,  IT.  fin,  slav. 
vino,  lit.  wynas  zweifelt  wohl  niemand  mehr,  dass  sie  aus  dem  Lateinischen 
direkt  und  indirekt  entlehnt  sind. 

Die  Ausftihrungen  Hehn's  tiber  die  Wanderungen  der  Weinkultur 
werden  durch  unsere  Darstellung  nicht  wesentlich  beeintrachtigt.  Nament- 
lich  bleibt  es  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  die  Ausbreitung  der- 
selben  tiber  die  Balkanhalbinsel  in  zwei  Richtungen,  einer  von  Norden 
(Thrakien)  und  einer  von  Osten  (tiber  die  Inseln)  ausgehenden  sich  vollzogen 
hat;  nur  dass  diese  beiden  Faden  wahrscheinlich  nicht  bei  einem  semi- 
tischen, sondern  bei  einem  indogermanischen  Volk  des  westlichen  Kleinasien 
zusammenlaufen.  In  das  Gebiet  des  letzteren  Kulturstroms  gehort  auch  in 
dieser  Beziehung  die  »mykenische«  Periode;  denn  dass  man  an  den  Konigs- 
hofen  von  Mykenae,  Tiryns  u.  s.  w.  bereits  wacker  dem  Tranke,  der  dazu 
geschaffen  ist 


(Athen.  II,  S.  35  c.),  zugesprochen  hat,  ist  nicht  zweifelhaft.  Vgl.  zu  oben 
S.  88  Schliemann,  Tiryns  S.  93.  Auch  Herr  Tsuntas  glaubt  in  Mykenae 
am  Boden  eines  Thonfasses  Spuren  des  Niedersatzes  von  Wein  oder  Essig 
erkamit  zu  haben.  Vollstandige  Litteraturangaben  tiber  alles  sprachlich 
hierher  gehorige  bei  Muss-Arnolt,  Transactions  of  the  American  Phil.  Asso- 
ciation XXIII,  S.  142  ff.  und  bei  H.  Lewy  Die  semitischen  Fremdworter  im 
Griechischen  S.  79  f  . 


Der  Feigenbaum. 

(Ficus  carica  L.) 

An  die  Rebe  schliesst  sich  von  selbst  die  Feige  an,  die 
Schwester  des  Weinstocks,  wie  sie  schon  der  lambograph  Hipponax 
nannte  (Fragm.  24.  Bergk.) : 

2vxi]v  [ishcuvav ydjiiTiehov  xa^yvr^xr^v. 

Der  Feigenbaum  hat  im  semitischen  Vorderasien,  in  Syrien  und  Pa- 
lastina    sein    eigentliches  Vaterland    und    erreicht    dort    das  iippigste 


Der  Feigenbaum.  95 

Wachsthum  und  die  siisseste  Fruchtfiille.  Das  Alte  Testament  er- 
wahnt  des  Baumes  oft,  vorzuglich  in  Verbindung  mit  dem  Weinstock, 
und  ist  voll  von  Bildern  und  Gleichnissen ,  die  daher  entnommen 
sind;  unter  seinem  Weinstock  und  Feigenbaum  wohnen  oder  von 
seinem  Weinstock  und  Feigenbaum  essen  -  -  heisst  so  viel  als  eines 
ruhigen,  friedlichen  Daseins  geniessen.  Auch  in  Lydien  galten  Wein 
und  Feigen  so  sehr  als  die  ersten  Giiter  des  Lebens,  dass  diejenigen, 
die  dem  Krosus  den  Zug  gegen  Cyrus  abriethen,  sich  darauf  be- 
riefen,  die  Perser  tranken  nicht  einmal  Wein,  sondern  Wasser,  und 
batten  auch  keine  Feigen  zur  Nahrung  (Herod.  1,  71).  Eben  so  in 
Phrygien:  der  komische  Dichter  Alexis  nannte  die  getrocknete  Feige, 
die  ia%dg,  eine  Erfindung  der  phrygischen  ffcxf)  (Meineke,  Fr.  com. 
Gr.  3,  p.  456).  Aber  auf  den  nahe  gelegenen  kleinasiatischen  Kiisten 
und  Inseln  findet  sich  die  Feige  als  Fruchtbaum  zur  Zeit  und  im 
Kreise  der  Ilias  noch  nicht,  um  so  weniger  folglich  auf  dem 
griechischen  Festlande.  Erst  in  der  Odyssee  tritt  der  Feigenbaum 
auf,  aber  auch  bier  nur  an  Stellen,  deren  nachtragliche  Einfiigung 
sichtlich  ist.  In  dem  Liede  von  Odysseus  Niederfahrt  zur  Unter- 
welt,  welches  selbst  aus  verschiedenen  Stiicken  von  verschiedenem 
Alter  zu  bestehen  scheint,  hangen  iiber  dem  hungernden  Tantalus 
unter  anderen  Friichten  auch  Feigen  herab,  11,  588: 

Nieder  am  Haupt  ihm  senkten  die  Frucht  hochblattrige  Baume, 
Voll  von  Granaten  und  Birnen  und  glanzvoll  prangenden  Aepfeln, 
Auch  siisslabenden  Feigen  und  grunenden  dunklen  Oliven. 

Die  beiden  letzten  Verse  finden  sich  dann  in  einem  Bruchstiick 
wiederholt,  das  in  die  alterthiimliche  Beschreibung  vom  Palast  des 
Alkinoos  mit  Unterbrechung  des  Zusammenhangs  mitten  eingeschoben 
ist  (7,  103 — 131)  und  ausser  dem  Hauswesen  auch  den  Garten  des 
Phaakenkonigs  schildert,  in  welchem  Traube  an  Traube,  Feige  an 
Feige  unverganglich  sich  reiht.  Endlich  in  den  letzten  Scenen  der 
Odyssee,  einem  jungen  Anhangsel,  erscheint  Laertes  als  Pflanzer 
auch  von  Feigenbaumen.  Hesiodus  kennt  die  Feige  und  deren 
Kultur  noch  gar  nicht;  bei  Archilochus  aber  (um  700  v.  Chr.)  er- 
scheint sie  sicher  als  Product  seiner  heimathlichen  Insel  Paros 
(Fragm.  51.  Bergk.): 

"Ea  Jldgov  xal  Gvxa  xslva  xai  tfahdffffiov  fitov  — 

ein  Vers,  der  vielleicht  nicht  viel  j linger  ist,  als  die  letzterwahnte 
Stelle  der  Odyssee.  Spater  rtihmte  sich  Attika,  neben  Sikyon,  der 
besten  Feigen,  ja  die  Derneter  hatte  auf  attischem  Gebiet  dem 


gg  Der  Feigenbaum. 

Phytalus,  der  sie  gastlich  aufgenommen  hatte,  den  Feigenbaum  als 
Geschenk  aus  der  Erde  spriessen  lassen,  wie  bei  anderer  Gelegen- 
heit  Athene  den  Oelbaum,  und  Pausanias  las  noch  die  Grabschrift 
des  Heroen,  1,  37,  2: 

Hier  hat  Phytalos  einst,  der  Held,  die  hehre  Demeter 
Gastlich  empfangen  und  hier  zuerst  erschuf  sie  die  Frucht  ihm, 
Die  von  dem  Menschengeschlecht  die  heilige  Feige  genannt  wird; 
Seitdem  schmiickt  des  Phytalos  Stamm  nie  alternde  Ehre. 

Dass   dies  Geschenk   zugleich   als  Beginn   eines   edleren,   gebildeteren 

Lebens    gefuhlt    wurde,    geht    aus    dem   Namen   ^YI^T^Q ia,    yyywQla 

hervor,  mit  dem  eine  am  Feste  der  Plynterien  in  Athen  aufgefiihrte 

Masse    trockener   Feigen    benannt  wurde:    die  Kultur    der  Feige   er- 

schien    gleichsam    als    Fiihrerin    zu    reinerer    Sitte35).     Wein    und 

Feigen    wurden   in    Griechenland    ein    allgemeines   Lebensbediirfniss, 

dem  Armen  und  dem  Reichen  gemeinsani,  und  wie  der  Araber  sich 

mit  einer  Handvoll  Datteln  begniigt,  so  reichten  auch  einige  trockene 

Feigen    dem    attischen   Miissigganger    hin,    wenn    er   gaffend  und  je 

nach  der  Jahreszeit  im  Schatten   oder  in  der  Sonne  liegend  den  Tag 

verbrachte.     Was    von  Plato  erzahlt    wird,    er  sei   ein  Feigenfreund, 

yihGtivxog,  gewesen  (Plut.  Symp.  4,  4,  5),  gait  irn  Grunde  von  jedem 

Athener,   und  wie  stolz  der  Letztere  auf  dies  Product  seines  Bodens 

war,   lehrt  die  Sage  vom  Perserkonig  Xerxes,   der  bei  jeder  Mittags- 

tafel  durch  vorgesetzte  attische  Feigen  sich  daran  erinnern  liess,  dass 

er    das   Land,    wo   sie   wiichsen,    noch    nicht    sein   nenne    und    jene 

Fruchte,    statt   sie   sich  von  deri  Einwohnern    steuern  zu  lassen,   als 

auslandische  kaufen  miisse  (Athen.  14,  p.  652.     Plut.  Reg.  Apophth. 

Xerx.   3).     Der  persischen  Knechtschaft  nun  erwehrte  sich  die  Stadt 

der    Sykophanten,    aber    der    Auflosung    politischer    Moral,     an    die 

dieser  von  den  attischen  Feigen  hergenommene  Name  erinnert,    und 

dem  daraus  folgenden  Verderben  entging  sie  nicht.  -  -  Mit  der  grie- 

chischen   Colonisation   muss  auch  der  Feigenbaum  zu  den  Stammen 

Unter-    und    Mittelitaliens    gedrungen    sein.     Er    findet    sich    in    die 

romische  Ursprungssage  verflochten,  denn  unter  der  ficus  Ruminalis 

sollten   Romulus   und   Remus   von   der  Wolfin    gesaugt    worden   sein 

—  ein   Zug   der   Sage,    der   offenbar   ganz   der  namlichen   Symbolik, 

nach  welcher  der  strotzende  fruchtreiche  Baum  ins  hebraische  Eden 

versetzt   wurde,    sein  Dasein   verdankt36).      Spater  in   der  Kaiserzeit 

waren   der  Sorten  und  Benennungen   schon    so  viele   geworden,   dass 

Plinius  den  gedankenvollen  Ausspruch  thut,  man  ersehe  daraus  wohl, 

class   das  Bildungsgesetz,   welches  die  Arten  in  festem  Typus  erhalt, 


Der  Feigenbauin.  97 

schwankend  geworden  sei,  15,  72:  ut  vel  hoc  solum  aestumantibus 
adpareat,  mutatam  esse  vitam.  Noch  zur  Zeit  des  Kaisers  Tiberius 
wurden  edle  Feigenarten  direct  von  Syrien  nach  Italien  versetzt 
(Plin.  15,  83).  Wie  damals,  ist  noch  heut  zu  Tage  die  Feige,  so- 
wohl  frisch  als  getrocknet,  die  allgemeine  und  gesunde  Nahrung  des 
Volkes  in  Italien,  besonders  im  siidlichen  Theile  des  Landes.  Neben 
den  einmal  jahrlich  tragenden  Baumen  giebt  es  eine  Varietat,  die 
zweimal  tragt,  im  Sonimer  und  im  Spatherbst:  ficus  bifera.  Die 
reifen  Friichte  miissen  sogleich  nach  dem  Abpflticken  gegessen  und 
diirfen  nicht  viel  mit  den  Fingern  beriihrt  werden :  daher  die  drastische 
Argumentation  des  Cato  im  romischen  Senat ,  der  eine  Feige  aus 
Karthago  vorwies,  die  noch  vollig  frisch  war:  tarn  prope  a  muris 
habemus  hostem  (Plin.  15,  75).  Sie  war  wohl,  diirfen  wir  ratio- 
nalistisch  hinzusetzen,  unreif  gepfliickt  und  durch  Zeit  und  Drdcken 
reif  geworden.  Die  Feigen  von  Smyrna,  die  wir  jetzt  fur  die  besten 
halten,  kamen  auch  schon  im  Alterthum  unter  dem  Namen  caricae 
und  cauneae  nach  Italien  und  wurden  damals,  wie  jetzt,  gepresst  in 
Schachteln  versandt.  Auch  die  ficus  duplex  des  Horaz  (Sat.  2,  2, 
122)  trifft  man  noch  in  Unteritalien  und  kann  das  Verfahren  dabei 
aus  der  Anschauung  leichter  kennen  lernen,  als  aus  den  Worten 
der  Alten.  Wie  von  alien  viel  angebauten  Kulturfriichten  gab  es 
und  giebt  es  auch  von  der  Feige  eine  Menge  Spielarten,  besonders 
aber,  wie  bei  dem  Wein,  zwei  Hauptsorten,  die  purpurrothen  und 
die  griinlichen,  auch  jetzt  noch  neri  und  bianchi  genannt.  Die 
letzteren  als  die  siisseren  dienen  mehr  zum  Trocknen,  die  ersteren 
von  mehr  sauerlichem  Geschmack  werden  frisch  verzehrt.  In  der 
heissen  Zeit  erquickt  der  Baum  zugleich  mit  den  riesigen  Blattern  an 
den  winkligen,  gliederreichen  Zweigen  durch  erwiinschten  Schatten  - 
im  heutigen  Griechenland  und  Italien,  wie  zur  Zeit  des  Alten  Testa- 
ments in  Palastina;  im  verwilderten  Stande  wachst  er  malerisch  aus 
den  Spalten  alter  Mauern  und  in  den  Ruinen  und  an  Felsen;  sein 
Holz,  ein  inutile  lignum,  d.  h.  ein  schwammiges,  leicht  berstendes 
und  sich  werfendes,  so  lang  es  frisch  ist  (daher  Ausdriicke  wie 
avxivog  avr^Q  bei  Aristophanes),  soil  nach  gehorigem  Trocknen  hart 
und  fest  werden  wie  Eichenholz. 


*  Was  wir  liber  die  Geschichte  und  die  Verbreitung  des  Feigenbaumes 
wissen,  ist  bereits  in  der  klassischen  Abhandlimg  von  Graf  zu  Solms- 
Laubach,  Die  Herkunft,  Domestication  und  Verbreitung  des  gewohnlichen 
Feigenbaumes  (Abhandl.  der  Konigl.  Ges.  d.  Wiss.  zu  Gottingen  XXVIII. 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzcn.     7.  Aufl.  7 


98  Der  Feigenbaum. 

1882)  zusamrnengestellt.  Die  jetzt  in  Siideuropa  so  verbreitete  Feige  gehort 
der  grossen  in  alien  warmeren  Landern  mit  etwa  600  Arten  entwickelten 
Gattung  Ficus  an  und  zwar  der  nnr  in  Asien,  Ostafrika  und  Europa  ent- 
wickelten Section  Eusyce  Gasp.  Innerhalb  dieser  Section  existiert  eine  Gruppe 
von  einigen  der  gewohnlichen  Feige  sehr  ahnlichen  und  einander  so  nahe- 
stehenden  Arten,  dass  iiber  deren  gemeinschaftlichen  Ursprung  kein  Zweifel 
bestehen  kann. 

Alle  diese  Arten  haben  das  charakteristische  allbekannte  Blatt  des  ge- 
wohnlichen Feigenbaumes  mit  geringen  Variationen  in  der  Gestalt  und 
starkeren  in  der  Haarbekleidung.  Es  steht  nun  unzweifelhaf t  fest, 
dass  dieser  Typus  und  zwar  die  jetzt  in  Siideuropa  weit  ver- 
breitete Ficus  Carica  in  der  Quartar- oder  Diluvialperiode  bereits 
im  westlichen  Theil  des  Mediterrangebietes  existirte,  ja  sogar 
nordwarts  von  den  Grenzen  der  heutigen  Mediterranflora  in  Westeuropa 
vorkam.  Es  wurden  grosse  Mengen  von  Feigenblattern  und  auch  Hohl- 
drucke  von  Fruchtstanden  in  den  quaternaren  Travertinen  Toscanas,  bei 
Prota,  Gallerage,  Poggio  a  Montone  gefunden  (Gaudin  et  C.  Strozzi,  Contri-, 
butions  a  la  flore  fossile  italienne,  4.  memoire  in  Neue  Denkschr.  d.  allg. 
schweizerischen  Ges.  f.  d.  ges.  Naturwiss.  XVII.  (1860)  p.  10);  ferner  in 
Tuffen  von  Meyrargues  und  Aygalades  bei  Marseille  (Saporta  in  Comptes 
rendus  de  la  33  e  session  du  congres  scientifique  de  France  p.  27),  in  Siiss- 
wasserbildungen  von  Castelnau  bei  Montpellier  (Planchon,  Etude  des  tufs  de 
Montpellier,  Paris  1864  p.  44,  63),  in  Tuffen  von  la  Celle  bei  Moret  und  bei 
Paris  (Gast.  de  Saporta,  Sur  1'existence  constated  du  Figuier  aux  environs 
de  Paris  a  1'epoque  quaternaire,  Bull.  soc.  geol.  de  France,  ser.  III.  vol.  2 
(1873—74),  p.  442). 

Da  nun  in  den  so  zahlreichen  tertiaren  Ablagerungen  Europas  der 
Typus  der  Ficus  Carica  nicht  vertreten  ist  und  ausserdem  dieser  Typus  in 
Westasien  und  Ostafrika  reicher  entwickelt  ist,  so  ist  es  allerdings,  wie  Graf 
Solms-Laubach  annimmt,  durchaus  wahrscheinlich,  dass  die  europaische  Feige 
aus  dem  Osten  stammt;  aber  sie  hat  sich  schon  in  vorhistorischen 
Zeiten  von  Osten  nach  Westen  verbreitet,  als  sie  noch  nicht 
Kulturpflanze  geworden  Avar. 

Die  heutige  Verbreitung  der  wilden  Ficus  Carica  und  ihrer  Verwandteii 
ist  folgende: 

Beginnen  wir  im  Osten,  so  haben  wir  zunachst  Ficus  palmata  Forsk. 
(=  F.  virgata  Koxb.)  zu  nennen,  welche  in  den  niederen  Gebirgen  des  west- 
lichen  Indiens  vorkommt  und  ihre  ostliche  Grenze  in  Kamaon  und  Oudh 
erreicht,  im  Satletschthal  bis  fast  3000  m  aufsteigt,  in  der  obereii  Ganges- 
ebene,  im  Pendschab,  Sud-  Beludschistan  und  Afghanistan  vorkommt  und 
auch  in  diesen  Gebieten  als  Essfeige  kultivirt  wird  (Brandis,  Forest  Flora 
419);  da  nach  King  (The  species  of  Ficus  etc.  II.  148,  Calcutta  1888)  die 
ostindische  Pnanze  von  der  durch  Forskal  in  Arabien  entdeckten  F.  palmata 
Forsk.  nicht  verschieden,  so  erstreckt  sich  das  Areal  dieser  Art  bis  Aegypten 
und  Abyssinien.  Eine  zweite  Art  ist  F.  serrata  Forsk.,  welche  am  Sinai  und 
in  den  agyptischen  Wiisten  am  Rothen  Meer  vorkommt.  F.  geraniifolia 
Miqu.  (F.  persica  Boiss.^)  wachst  im  siidwestlichen  Persien  haufig  und  auch  in 
Beludschistan.  F.  Pseudo-Carica  Hochst.  vertritt  den  Typus  in  der  Woena- 


Der  Feigenbaum.  99 

Dega  Abyssiniens.     F.  Carica   selbst    wachst    sehr    gern    wild  in   Felsspalten, 
ihr  Areal    ist,    ganz    abgesehen    von  dem  durch  die  Kultur  gewonnenen,  viel 
ansgedehnter    als    das  der  iibrigen  Arten.     Sie  findet  sich  ebenfalls  im  nord- 
westlichen  Ostindien,    in  Beludschistan,    dem    ostlichen,    stidlichen    und    sud- 
westlichen  Persien,   in  Mesopotamien  und  ganz  Kleinasien,  sie  ist  ferner  ver- 
breitet  vom  Talysch  entlang  dem  Siidufer  des  Kaspischen  Meeres,  durch  ganz 
Transcaucasien,    bis    zu   einer  Hohe  von  fast  1000  m,  sodann  auf  der  Krim ; 
in   der   europaischen  Tiirkei    findet    sie    sich    am  Bosporus    und    Hellespont, 
sodann   in  den  warmeren  Theilen  Macedoniens  und  Thraciens  ;  haufig  ist  sie 
in  ganz  Griechenland  und  auf  den  griechischen  Inseln,  ebenso  in  Italien  und 
auf  den  dazu  gehorigen  Inseln  in  der  Olivenregion,  sodann  auch  an  warmeren 
Platzen    der  Kastanien-    und  Eichenregion.     Sicher    ist  sie  auch  wild  in  Siid- 
tirol   bei  Bozen,  wo  sie  eine  kurze,  nicht  anhaltende  Kalte  von  —  10°  C.  un- 
bedeckt    zu    ertragen    vermag    (v.  Hausmann,  Flora    von  Tirol  II.    1.   S.  713). 
In  Spanien    ist  sie   wild  verbreitet,  besonders  in  den  siidostlichen  Provinzen, 
woselbst  sie  bis  zu   1300  m  vorkommt.     In  Frankreich  ist  sie  sicher  wild  in 
der  Provence;  Zweifel   tiber   das  Indigenat   des  Feigenbaumes    bestehen   nur 
beziiglich  seines  Vorkommens  im  westlichen  Frankreich  in  den  Departements 
Charente-inferieure,  Deux-Sevres  und  Finisterre;  sie  wachst  auch  da  zerstreut 
an  Felsen.     Da  die  kultivirte  Feige  in  diesen  Gebieten  nicht  Samen  reift,  so 
ist    es    aber   sehr  fraglich,  ob  die  Samen  dieser  nicht  gepflanzten  Feigen  von 
den    dort    kultivirten    abstammen;   es  ist  sehr  wohl  moglich,  dass  die  Samen 
aus    dem    stidwestlichen  Frankreich  nach  dem  westlichen  durch  Vogel  trans- 
portirt    sind.     So  sind  die  nordlichsten  Standorte  der  Feige  nicht  mehr  weit 
entfernt    von    den  Anfangs    erwahnten  prahistorischen  bei  Paris.     Sicher  war 
die  Feige,    als    sie    in  Siideuropa    in  Kultur    genommen  wurde,   ein  dort  ein- 
heimisches  Gewachs.     Ebenso    ist    die  Feige    hochst    wahrscheinlich    wild  in 
Arabien    und  Nordafrika    bis  Marokko    und    ebenso    auf   den  Kanaren.     Der 
sogenannte    Caprificus,    welcher    sich    vorzugsweise    im    wilden 
Zustande    v  or  findet,    ist    nicht,    wie  Graf  Solms-Laubach    anzuiiehmen 
geneigt    war,    die    einzige    wildeUrform    der  Kulturfeige,   sondern 
er    ist,    wie  Fritz  Muller    betonte    und    nachher    auch  Graf  Solms    in  einer 
zweiten  Abhandlung  (Die  Geschlechtsdifferenzirung  des  Feigenbaumes,  in  Bot. 
Zeitung  1885    No.  33—86)    bestatigte,    die  mannliche  Pflanze,   die  Ess- 
feige  dagegen  die  weibliche  Pflanze,  welche  in  der  Kultur  weiter 
ausgebildet  und  fixirt  wurde.     Hierzu  sei  bemerkt,  dass  sparliche  Samen- 
bildung  bei  dem  Caprificus  auch  vorkommt,  dass  er  aber  vorzugsweise  mann- 
liche Bliithen  entwickelt,   deren  Bluthenstaub   von  den  Blastophagen,  welche 
sich  in  den  Gallenbliithen  des  Caprificus  entwickelt  hatten,  auf  die  weiblichen 
Stocke  getragen   wird  und  dort  zur  Befruchtung  gelangt.     Mit  der  Erfindung 
der  Caprification    war    die  Moglichkeit  gegeben,   zahlreiche  weibliche  Stocke 
durch  einen  mannlichen  zu  befruchten;  diese  Erfindung  der  Caprification  ist 
aber    sicher  von  den  Semiten  Syriens  und  Arabiens  gemacht  worden;  durch 
sie  wurde  jedenfalls  die  Kultur  des  im  Mittelmeergebiet  heimischen  Feigen- 
baumes   in    Griechenland,    wahrscheinlich    auch    in  Nordafrika,   Siidportugal, 
Siidspanien    und    Sicilien    eingeftihrt,    woselbst    die    Caprification   auch    noch 
heute  zu  Hause    ist.     (Vergl.   Graf  Solms,  Die  Herkunft  etc.    S.  78—83.)     In 
Italien    dagegen    wird    die  Caprification    nicht  ausgeiibt;   dies  lasst  nach  den 


100  Der  Feigenbaum. 

Ausfiihrungeii  von  Graf  Solms  (a.  a.  O.  S.  85 — 1)5)  darauf  schliessen,  class  die 
Feige  den  Bewohnern  Italiens  wohl  bekannt  war,  dass  sie  aber  wahrschein- 
lich  im  Verkehr  mit  den  ostlichen  Volkern  die  von  diesen  erzogeiien  besseren 
Rassen  iiberkamen,  deren  Vermehrung  durch  Stecklinge  erfolgte  und  bei 
\velchen  die  Entwicklung  fleischiger  zuckerreicher  Bliithenstaride  auch  ohne 
die  Caprification  eintritt.  Hinsichtlich  der  Geschichte  der  Kulturfeige  scheint 
nach  Buschan  (Vorgeschichtliche  Botanik  S.  112)  sich  zu  ergeben,  dass  in  der 
friihgeschichtlichen  Zeit  die  Kultur  auf  Syrien,  Aegypten  und  Arabien  be- 
schrankt  war  und  dass  sie  verhaltnissmassig  spat  in  Griechenland  Eingang 
fand;  noch  spater  in  Italien.  Nichts  desto  weniger  kannte  man  schon  zur 
Zeit  des  Plinius  in  Italien  29  Sorten  (Hist.  nat.  XV,  18  nach  Buschan,  a.  a. 
O.  S.  113).  

**  Mit  der  Annahme  des  Grafen  Solms,  der  Ursprung  der  griechischen 
und  der  romischen  Feigenkultur  sei  ein  verschiedener  gewesen  und  die  letztere 
nicht  aus  ersterer  ableitbar,  stehen  die  sprachlichen  Thatsachen  nicht  in 
Widerspruch;  denn  es  wird  heute  kaum  jemand  mehr  geneigt  sein,  das  laL 
ficus  fur  eine  Entlehnung  aus  griech.  ouxov  zu  halten. 

Schwieriger  freilich  ist  es,  liber  den  Crsprung  dieser  beiden  Worter  etwas 
Positives  auszusagen  (vgl.  die  alteren  Ansichten  Anm.  36). 

Graf  Solms  (S.  80,  81)  gelangt  an  der  Hand  von  Gutachten  Lagarde's 
(Ueber  die  semitischen  Namen  des  Feigenbaums  und  der  Feige,  Mittheil.  I, 
58  ff.)  und  Noldeke's  zu  der  Ueberzeugung,  dass  das  lat.  ficus  eine  directe 
Entlehnung  aus  dem  Phonikischen  (paggim,  halbreife  Feigen,  vgl.  auch  syr. 
paggd  und  arab.  figg,  fagg]  sei.  Bei  dem  Wenigen  und  Zweifelhaften,  was  wir 
uber  semitisches  Lehngut  im  Lateinischen  wissen,  ist  es  leider  nicht  moglich, 
diese  kulturhistorisch  sehr  wahrscheinliche  Ansicht  lautlich  mit  Sicherheit 
anzunehmen  oder  zu  verwerfen.  Als  auf  eine  Sttitze  fiir  diese  Erklarung  kann 
man  auf  das  freilich  erst  von  Plinius  iiberlieferte  coitana,  coctana,  eine  Art 
kleiner  Feigen  verweisen,  das  man  aus  dem  hebraischen  qdton  zu  erklaren 
pflegt  (O.  Weise,  Griech.  W.  im  Latein.  S.  139,  Keller,  Lat.  Volksetymologie 
S.  65).  Was  ooxov,  TOXOV,  von  dem  auch  Hehn,  Anm.  36  oixoa,  oixo?  Gurke 
nicht  trennen  wollte,  betrifft,  so  halten  wir  den  einheimischen  Ursprung  des 
Wortes  fiir  noch  am  wahrscheinlichsten.  Wir  nehmen  mit  Rticksicht  auf 
altsl.  tylty  Kiirbis  ein  vorhistorisches  *tveqo-  und  *luqo-  (vgl.  auch  Fick,  Vergl. 
W.  I4  S.  449)  an,  welche  eine  gurkenartige  Frucht  bedeuten  mochten  (vgl. 
weiteres  u.  Cucurbitaceen).  Von  diesen  beiden  Grundformen  spiegelt  sich  die 
erstere  in  griech.  osxooa  (Hesych),  otxua,  oUoc  Gurke  (i  aus  e  noch  unklar  wie 
in  vielen  Fallen,  vgl.  G.  Meyer  Griech.  Gr.3  S.  108),  die  letztere  in  unserem 
TOXOV  und  (mit  Anlehnung  des  Anlauts  an  die  erstere  Formation)  in  ooxov  ab. 

Diese  Benennung  iibertrugen  die  Griechen,  als  sie  bei  ihrer  Ankunft  in 
Hellas  auf  den  wilden  Feigenbaum  stiessen  (s.  o.),  nach  einer  oberflach lichen  Aehn- 
lichkeit,  die  in  ihrer  Bedeutung  fiir  die  Namengebung  uns  noch  ofters  in  diesem 
Buche  begegnen  wird,  zunachst  auf  die  Fruchte  des  Iptvsoc,  dann,  als  man  von 
Asien  her  die  Essfeigen  kennen  lernte,  auf  die  der  OOXYJ.  Es  trat  also  eine 
Bedeutungsdifferenzirung  ein,  die,  wie  so  oft,  von  einer  Formendiflfereiizirung 
insofern  begleitet  war,  als  allmahlich  otxuc  nur  fur  Cucurbitaceen,  auxov  nur 
fiir  Feigen  gebraucht  wurde. 


Der  Feigenbaum. 

Anderer  Ansicht  iiber  griech.  ooxov  sind  freilich  Bartholomae  (Wochen- 
schrift  fur  klass.  Phil.  1895  S.  595)  und  H.  Hirt  (Anzeiger  fur  idg.  Sprach- 
und  Alterthuniskunde  VI,  175),  die  beide  einen  vorhistorischen  Zusammenhang 
des  griech.  Wortes  mit  lat.  ficus  fiir  moglich  halten,  indem  der  erstere  fiir 
beide  Worter  eine  Grundform  *tje°  oder  *dhje°,  der  letztere  ein  *j)vuko-s  ansetzt. 
Zu  bedenken  bleibt  endlich  das  armenische  t'uz  Feige  (==  idg..  *tuy1i),  ohne 
dass  es  bis  jetzt  moglich  gewesen  ist,  das  Verhaltniss  dieses  Wortes  dem 
griech.  coxov,  toxov  gegenuber  festzustellen. 

Die  Einfuhrung  der  Feigenkultur  in  Griechenland  wiirde  nach  Hehn's 
Ausfiihrungen  erst  in  nach-  oder  spathomerischer  Zeit  erfolgt  sein,  und  wir 
wiissten  nicht,  was  sich  Sachliches  hiergegen  einwenden  liesse.  Einigermassen 
auffallend  ist  vielleicht  bei  dieser  Annahme  die  schon  in  den  altesten  Theilen 
der  Ilias  vorkommende  Benennung  des  wilden  Feigenbaumes,  da  dieser  Name 
mit  dem  Sinne  »Bocksfeigenbaum«  (vgl.  Anm.  18)  einen  Gegensatz  zur  »Ess- 
feige«  anzudeuten  scheint.  Oder  hatte  man  dabei  einen  Gegensatz  zu  anderen 
Fruchtbaumen  im  Auge?  Aber  solche  werden  von  Hehn  fiir  die  alteste 
homerische  Zeit  kaum  angenommen.  -  -  Der  Ausdruck  o^ovfroc,  ion.  oXovfto; 
(vgl.  namentlich  Herodot  I,  193:  'I>Y]voc<;  Y«?  O"*]  <popsooa'.  ev  TCO  xaprcu)  ol  epoeve? 
(tu»v  <p«vHiu>v)  xata-=p  rA  oKov&ot)  ist  leider  ganz  dunkel. 

Jedenfalls  hat  der  griechische Name  der  Feige  nichts  mit  der  semitischen 
Benennung  des  Feigenbaums  oder  seiner  Frucht  zu  thuii.  Im  Semitischen  heisst 
der  Feigenbaum  *  ti'nu,  die  Feige  *  balasu.  Der  erstere  Ausdruck  begegnet  im 
Hebraischen,  Phonikischen  (vgl.  Bloch,  Phonikisches  Glossar),  Aramaischen 
und  Arabischen,  der  letztere  im  Hebraischen,  Arabischen  und  Aethiopischen 
(vgl.  Lagarde,  Mittheilungen  I,  S.  58  ff.).  Eine  lehrreiche  Ableitung  von 
letztere m  Wort,  boles  xiqmim  »Jemand  der  an  der  Sycomore  eine  Operation 
besorgt,  ahnlich  derjenigen,  die  am  Feigenbaume  iiblich  ist«,  findet  sich  bereits 
Amos  c.  7,  v.  14  und  beweist,  dass  schon  damals  die  Kenntniss  der  Caprifi- 
cation  bei  den  Juden  verbreitet  war  (vgl.  Graf  Solms  a.  a.  0.  S.  75  f.).  In 
beiden  Fallen  versagt,  wie  beim  Wein  und  Oelbaum,  das  Babylonisch-Assy- 
rische  (vgl.  aber  bei  Delitzsch  Assyrisches  Handworterbuch  S.  716  tittu  (aus 
*tintu?)  ein  Baum?*,  woraus  zu  folgen  scheint,  dass  die  Feigenkultur  nicht 
der  ursemitischen  Zeit  angehort.  In  Uebereinstimmung  hiermit  will  Lagarde 
aus  der  Lautgestalt  des  oben  genannten  *  ti'nu  Feigenbaum  es  wahrscheinlich 
machen,  dass  dieses  Wort  nicht  der  Zeit  vor  der  Trennung  der  Semiten  in 
ein'zelne  Nationen  angehorte,  sondern  seinen  Ausgangspunkt  im  Clan  Bahra 
des  siid-ostlichen  Arabiens  habe,  von  wo  Wort  und  Sache  sich  dann  weiter 
verbreitet  habe.  Graf  Solms  (S.  78)  halt  diese  Anschauung,  auch  aus  natur- 
geschichtlichen  Griinden,  fiir  glaubhaft. 

In  Aegypten  fallt  die  erste  Darstellung  eines  Feigenbaums,  die  Ab- 
bildunur  einer  Feigenernte,  in  die  XII.  Dynastie.  Da  bis  zu  diesem  Zeitraum 
nach  Wonig  (Die  Pflanzen  im  alten  Aegypten  S.  293)  der  Feigenbaum  auf  den 
Denkrnalern  fehlt,  so  liegt  es  nahe,  an  eine  Einfuhrung  dieses  Gewachses 
um  jene  Zeit  von  auswarts  zu  denken.  Nun  fallt  bekanntlich  in  die  letzten 
Jahre  der  XI.  Dynastie  die  Expedition  des  Konigs  Sanchkara  durch  die  Wttste 
zurn  Rothen  Meer,  um  die  Kostbarkeiten  des  Landes  Punt  (im  siidlichen 
Arabien)  einzutauschen.  Es  scheint  daher  nicht  unmoglich,  die  agyptische 
mit  dem  hypothetischen  Ausgangspunkt  der  semitischen  Feigenkultur  in  Ver- 


102  Der  Oelbaum. 

bindung  zu  setzen.  Nach  F.  Hommel  (Aufsatze  mid  Abh.  S.  105)  ware  sogar 
Entlehnung  des  agyptischen  Wortes  fur  Feige  aus  dem  Semitischen  moglich. 
Vgl.  auch  Schweinfurth,  Zeitschrift  fur  Ethnologic  1891  S.  657. 

Nordlich  der  semitischen  Lander  zeigt,  wie  wir  oben  sahen,  das  Ar- 
menische  eine  selbstandige,  leider  dunkle  Benennung  des  Feigenbaums  (t'zeni) 
und  der  Feige  (t'uz). 

Eine  grossere  Gruppe  zusammenhangender,  aber  offenbar  junger  Be- 
nennungen  der  Feige  weisen  ferner  die  neuiranischen  Sprachen  (kurd.  ezir, 
buchar.  indschir,  afgh.  intsir),  kaukasische  und  turkestanische  Dialecte,  sowie 
auch  das  Russische  (indzaru)  auf.  Vgl.  Pott  in  Lassens  Z.  f.  d.  Kunde  d. 
Morgenlands  VII  S.  110,  Koppen,  Beitrage  zur  Kenntniss  d.  russischen  Reiches 
VI  S.  22  und  Miklosich,  Turk.  Elemente  S.  76. 

Wahrend  das  nordliche  Europa  zur  Bezeichnung  der  auf  Handelswegen 
zugefuhrten  Frucht  im  Allgemeinen  Entlehnungen  aus  lat.  ficus  beherrschen  — 
im  Russischen  bedeutet  indessen  pigva  =  ahd.  figa  Quitte  —  hat  das  Gothische 
einen  besondern  Ausdruck  smakka,  smakkabagms,  der  mit  dem  in  fast  alien 
Slavinen  verbreiteten  smoky  iibereinstimmt.  Eine  Verkniipfung  desselben  mit 
griech.  ooxov,  wie  sie  von  Hehn  Anm.  36  versucht  wird,  ist  lautlich  unmoglich. 
Freilich  wissen  wir  eine  einleuchtende  Erklarung  dieser  Gruppe  nicht  zu 
geben.  Im  Slavischen  bedeutet  smoku  Zukost.  Kamen  die  Feigeii  den  Gothen 
durch  die  Vermittlung  slavischer  Stamme  zu  und  wurden  mit  slavischem  Wort 
allgemein  als  obsonium  bezeichnet? 


Der  Oelbaum. 

(Oka  europaea  L.) 

Der  Oelbaum  ist,  wie  der  Feigenbaum,  ein  Gewachs  des  siid- 
lichen  Vorderasiens,  das  in  dieser  seiner  eigentlichen  Heimath  unter 
den  dort  wohneiiden  semitischen  Volksstammen  frtihe  veredelt  nnd 
durch  Kultur  zu  lohnendem  Fruchtertrage  gebracht  wurde.  In  alien 
Theilen  des  Alten  Testamentes  finden  wir  das  Oel  zu  Speisen,  bei 
den  Opfern,  zum  Brennen  in  der  Lampe  und  zum  Salben  des  Haares 
und  des  ganzen  Korpers  in  allgemeinem  Gebrauch.  Tiefer  nach 
Asien  hinein  verschwindet  diese  Kultur,  denn  der  Oelbaum  liebt  das 
Meer  und  das  Kalkgebirge,  und  auch  Aegypten  brachte  kein  Olivenol 
hervor.  An  der  griechischen  Kiiste  Kleinasiens,  auf  den  Inseln  und 
in  Griechenland  selbst  wuchs  der  wilde  Oelbaum  haufig,  der  denn 
auch  in  den  homerischen  Gedichten  ofters  erwahnt  wird;  sein  immer- 
griines  Laub,  das  hohe  Alter,  das  er  erreicht,  seine  unzerstorbare 
I.ebenskraf t ,  das  harte  Holz,  das  eine  schone  Politur  annimmt, 
empfahlen  ihn  der  Aufmerksamkeit  des  Volkes  und  der  epischen 


Der  Oelbaum.  103 

Sage.  So  hat  bei  Homer  die  Axt  des  Peisandros  (II.  13,  612)  einen 
langen,  wohlgeglatteten  Stiel  von  Olivenholz;  die  Keule  des  Cyclopen 
besteht  aus  deraselben  Material  (Od.  9,  320),  wie  die  des  Herakles 
bei  Theokrit  (25,  207  ff.)  und  Andern;  Odysseus  hat  sein  Ehebett 
auf  den  im  Boden  haftenden  Wurzelstock  eines  wilden  Oelbaums 
gegriindet  (Od.  23,  190  ff.),  offenbar  der  Festigkeit  wegen,  weil  der 
Oelbaum  sich  mit  weitlaufenden  Wurzeln  an  den  Boden  klammert, 
die  Unverriickbarkeit  des  Lagers  aber  den  sicheren  Bestand  der  Ehe 
und  des  Besitzes  bedeutet  und  verbiirgt;  eine  ravixpvkkoi;  sXaCt]  stand 
am  Eingange  der  Hohle,  im  Grunde  des  Hafens,  in  dem  die  Phaaken 
den  schlafenden  Odysseus  ans  Land  setzten  (Od.  13,  102),  und  erhalt 
im  Verfolg  das  Pradikat  heilig  (v.  372:  leQ^q  naga  nv&fjiev'  ehaCyg) 
u.  s.  w.  Den  Oleaster,  von  dessen  Zweigen  die  Sieger  in  Olympia 
bekranzt  wurden,  hatte  nach  Erzahlung  der  Elier  (Pausan.  5,  7,  4) 
Herakles  von  den  Hyperboreern  im  aussersten  Westen  hierher  ge- 
bracht,  eine  Sage,  die  auch  Pindar  sich  angeeignet  hat  (Ol.  3,  13). 
Auf  der  Agora  von  Megara  stand  ein  uralter  wilder  Oelbaum,  der  in 
die  Heldenzeit  hinaufreichte  (Theophr.  h.  pi.  5,  2,  4.  Plin.  16,  199). 
So  ist  das  Dasein  des  wilden  Oelbaums  in  Griechenland  zwar  in  den 
altesten  Quellen  und  Ueberlieferungen  constatirt,  aber  dass  er  auf 
griechischem  Boden,  in  einem  immerhin  rauhereii  Klima,  unter  einer 
im  Vergleich  mit  der  semitischen  noch  jungen  und  unentwickelten 
Gesellschaft  allmahlich  zur  olreichen  Olive  erzogen  worden,  hat  keine 
Wahrscheinlichkeit:  vielmehr  fuhrte  der  Volkerverkehr  mit  andern 
werthvollen  Giitern  auch  diese  Kultur  den  Griechen  zu.  Die  Frage 
ist  nur,  wie  friihe?  Der  homerischen  Welt  ist  das  Oel  nicht  un- 
bekannt,  aber  als  unverkennbar  exotisches  Produkt,  zum  Gebrauch 
der  Edlen  und  Reichen.  Wenn  die  Helden  gebadet  oder  gewaschen 
worden,  wird  der  Korper  in  orientalischer  Weise  mit  Oel  eingerieben 
und  glanzend  und  geschmeidig  gemacht.  Nausikaa,  da  sie  zum 
Meeresufer  fahrt,  erhalt  von  der  Mutter  ein  Flaschchen  (hjxvfhs) 
mit  duftendem  Oel;  der  Leichnam  des  Patroklus  wird  gewaschen 
und  mit  Oel  gesalbt;  ebenso  die  Mahne  der  Rosse  des  Achilleus, 
denn  sie  waren  ja  unsterblich,  Sohne  des  Zephyr;  in  der  Schatz- 
kammer  des  Telemachos  lag  neben  Gold,  Erz  und  Wein  auch 
duftendes  Oel.  Besonders  kostlich  und  von  wunderbarer  Kraft  ist 
die  Salbe,  deren  die  Gottinnen  sich  bedienen:  Hera,  dip  den  Zeus 
verfiihren  will,  salbt  sich  mit  gottlichem  Oel,  dessen  Duft,  wenn  es 
bewegt  wird,  Himmel  und  Erde  durchdringt  (II.  14,  171  ff.);  Aphrodite 
salbt  den  Leichnam  des  Hector  mit  ambrosischem  Rosenol  (II.  23> 


104  Der  Oelbaum. 

186);  Aphrodite  wird  auf  Cypern  von  den  Chariten  mit  dem  un- 
sterblichen  Oel  gesalbt,  wie  es  den  ewigen  Gottern  anhaftet  (Od.  8, 
364.  Hymn,  in  Ven.  61);  Penelope  hat  sich  wegen  der  Trauer  nicht 
gewaschen  iioch  gesalbt,  da  fallt  sie  in  eiiien  Schlummer,  und  Athene 
reinigt  ihr  wahrend  desseii  das  Antlitz  mit  der  unsterblichen  Schonheit, 
mit  der  die  schongekranzte  Cytherea  sich  salbt,  wenn  sie  zum  lieb- 
lichen  Chor  der  Chariten  geht  (Od.  18,  192  ft'.).  An  zwei  andern 
homerischeii  Stellen,  wo  des  Gels  Erwahnung  geschieht,  II.  18,  596 
und  Od.  7,  107,  war  schon  den  Alten  die  Erklarung  schwierig:  an 
der  erstern  heissen  die  Rocke  der  tanzenden  Junglinge  sanft  glanzend 
von  Oel,  an  der  andern  rinnt  von  den  Gewandern  der  sitzenden 
Magde  das  Oel  herab.  Hier  ist  entweder  der  fliessende  Glanz  des 
Zeuges  mit  dem  des  Oeles  nur  verglichen,  wo  aber,  wie  man  denken 
sollte,  der  gleichnissreiche  Dichter  sich  weniger  kurz  und  bestimmt. 
ausgedriickt  und  mis  sein  wie  oder  gleichsam  nicht  vorenthalten 
hatte,  oder  —  nach  einer  neuern  Deutung  (Philologus,  1860,  XV, 
329)  -  -  die  Faden  des  Gewebes  sind  zum  Behufe  des  Glanzes  oder 
der  Biegsamkeit  schon  urspriinglich  mit  Oel  behandelt,  so  dass  also 
das  fertige  Gewand,  das  die  Magde  im  Wunderpalaste  des  Alkinous 
angelegt  haben,  buchstablich  von  Oel  trieft  (anofaifi&TCu  vygbv  ehcuov) 
und  sich  beim  Tragen  auch  triefend  erhalt  —  was  keiner  Wider- 
legung  bedarf.  Da  im  Morgenlande  und  bei  den  Gottern  des  Epos, 
wenigstens  des  spatern,  duftende  Kleider  gewohnlich  sind  (z.  B. 
Psalm  45,  9:  Deine  Kleider  sind  eitel  Myrrhen,  Aloes  und  Kassia; 
in  dem  schonen  Fragment  aus  den  Cyprien  bei  Athen.  15,  p.  682  f. 
sind  die  Kleider  der  Aphrodite,  von  den  Chariten  und  Horen  in 
Fruhlingsblumenduft  getaucht,  und  sie  tragt  wQaig  navioCcug  Te$vw- 
jtisva  ei'^axa),  so  liesse  sich  auch  hier  an  ein  fliichtiges  Oel,  an  eine 
phonizische  Essenz  denken,  mit  der  die  Gewander  besprengt  wurden; 
allein  von  Duft  ist  nicht  die  Rede,  nur  von  Glanz,  und  die  Ana- 
logic von  hjragog  fettig,  glaiizend,  z.  B.  fanaga  xgyfofwa,  entscheidet 
fur  die  erste,  schon  von  den  Alten  gegebene  Erklarung.  So  ist  auch 
die  weisse  steinerne  Bank,  auf  der  Nestor  vor  cler  Thiir  seines  Hauses 
sitzt,  blank  von  Fett,  d.  h.  als  ware  sie  mit  Fett  iiberzogeii,  spiegel- 
blank  (Od.  3,  408:  Zevxoi  aTioGrikpovTtg  ahsitfctTog).  Die  grossen 
Kriige  mit  /ash  und  afaiyaQ  auf  dem  Scheiterhaufen  des  Patroklos 
(II.  23,  170)  werden,  da  hier  bei  den  Bestattungsgebrauchen  Alles 
alterthiimlich  ist,  wie  der  Name  sagt,  Honig  und  Thierfett  enthalten 
haben,  zwei  von  dem  primitiven  Menschen  hoch  geschatzte  Sub- 
stanzen,  die  er  auch  den  Todten  mitgiebt.  Wenn  in  dem  Schiffs- 


Der  Oelbaum.  105 

katalog  (II.  2,  754)  der  Fluss  Titaresius,  der  in  den  Peneus  fallt,  sich 
mit  dem  Wasser  des  letzteren  nicht  mischt,  sondern  oben  schwiimnt, 
ifuT  shcuov,  so  musste  beim  Baden  und  Waschen  oft  die  Erfahrung 
gemacht  werden,  dass  die  Salbe  sich  auf  dem  Wasser  schwimmend 
ausbreitet.  Nimmt  man  alle  diese  Stellen  zusammen,  so  erscheiiit 
das  Gel  nicht  als  haufiges  und  verbreitetes  Ertragniss  des  heimischen 
Bodens,  sondern  als  Schmuckmittel,  das  der  Handel  aus  dem  Orient 
einfuhrte,  und  das  allmahlich  an  die  Stelle  des  Thierfettes  trat.  Es 
diente  zum  Abreiben  des  Korpers,  nicht  aber  zur  Beleuchtung  und 
Nahrung.  Ueberall  ist  viel  Zeit  vergangen,  ehe  ein  nordliches  Volk 
sich  entschloss,  seine  Speisen  mit  Oel  anznrichten.  Wie  noch  jetzt 
ein  deutscher  Bauer  mit  Behagen  grosse  Massen  Speck  verzehrt, 
sich  aber  schwer  entschliesst,  Oel  zum  Gemiise  hinzuzugiessen  oder 
sein  Fleisch  mit  Oel  zu  braten,  so  weigerten  sich  die  Gallier,  wegen 
Ungewohntheit ,  wie  Posidonius  sagt,  den  Gebrauch  des  Oeles  zur 
Kiiche  anzunehmen  (Posid.  bei  Athen.  4,  p.  151).  Nicht  anders  wird 
es  bei  den  Griechen  der  alteren  Zeit  gewesen  sein.  Um  so  weniger 
konnen  wir  erwarten,  dass  der  Baum  selbst  damals  schon  angepflanzt 
gewesen  sei.  Unter  den  landlichen  Scenen,  die  Hephaistos  auf  dem 
Schilde  des  Achilleus  dargestellt  hatte,  befand  sich  ein  schwarzer 
Acker  mit  Pflugern  darauf,  ein  Erntefeld,  ein  Weinberg  und  eine 
AVeinlese,  eine  Kinder-  und  eine  Schafheerde,  aber  noch  k'ein  Oliven- 
hain.  Ganz  an  denselben  Stellen  der  Odyssee  freilich,  wo,  wie  friiher 
erwahnt,  der  Feigenbaum  genannt  ist,  wird  auch  des  Oelbaum s  und 
seiner  Friichte  gedacht,  aber  diese  Stellen  gehoren,  wie  auch  schon 
oben  bemerkt,  zu  den  jungeren  Bestandtheilen  der  Odyssee  und  fallen 
wohl  nicht  viel  friiher  als  die  Olympiadenrechnung.  Von  dem  Schluss 
der  Odyssee  ist  dies  unzweif elhaft ;  bei  den  beiden  andern  Stellen 
(in  dem  Bruchstiick  von  den  Hollenstrafen  in  der  Nexvia  und  in 
dem  gleichen,  das  in  die  Beschreibung  des  Palastes  des  Alkinoos  ein- 
geschoben  ist,  7,  103 — 131),  die  zusammen  eigentlich  nur  eine  sind, 
da  die  eine  offenbar  nur  eine  Wiederholung  der .  andern  gleichlauten- 
den  ist,  erhellt  wenigstens  die  spatere  und  nachtragliche  Einfugung. 
Auch  an  diesen  Stellen  erscheint  iibrigens  der  Oelbaum  nur  als  ein 
neben  Aepfeln,  Birnen,  Granaten  und  Feigen  der  essbaren  Friichte 
wegen  gezogener  Gartenbaum,  nicht  als  Objekt  landlicher  Kultur 
der  Oelgewinnung  wegen.  Mitten  in  der  urspriinglichsten  und  herr- 
lichsten  Partie  des  Gesanges  von  Odysseus  Riickkehr  kommt  aller- 
dings  ein  Vers  vor,  der,  wenn  die  gewohnliche  Deutung  richtig  ware, 
nothigen  wiirde,  das  Dasein  kultivirter  Oelbaume  anzunehmen:  Od. 


106  Der  Oelbaum. 

5,  476,  477.  Odysseus,  an  das  Ufer  von  Scheria  ausgeworfen,  findet 
im  Walde  zwei  ganz  zusammengewachsene ,  gegen  Wind  und  Sonne 
Schutz  gewahrende  Straucher: 

Sotovg  <?'  aV  vnrjhvSe  Sdf 
e£  opo  fav  Tieytvuuag'  o  jUer  yv^Cr^g,  o 
1st  nun  hier  yvMa  der  Oleaster,  so  lasst  sich  IkaCa  nur  als  frucht- 
tragender  Olivenbaum  fassen.  Allein  das  Wort  <pvMa  gehort  zu 
denjenigen,  von  denen  offenbar  die  Alten  selbst  nicht  mehr  wussten, 
was  der  Dichter  mit  ihnen  bezeichnet  habe.  Ammonius  erklart 
(fidla  als  Gylvoq,  Mastixbaum,  Andere  verstanden  darunter  eine 
Abart  des  Oelbaums  mit  myrtenahnlichen  Blattern,  und  fur  letztere 
behauptet  Eustathius  sei  der  Name  noch  bis  auf  seine  Zeit  bei  Vielen 
gebrauchlich.  Auch  Pausanias  2,  32,  9  nennt  die  <pvUa  unter  den. 
Arten  unfrucbtbarer  Oelbaume :  nav  oaov  axagnov  ittaiag,  xoitvov 
xal  (pvMav  xal  ekcuov.  Der  spatere  Gebrauch,  wenn  er  wirklich 
stattfand,  wird  seine  Quelle  wobl  nur  in  eben  diesem  Verse  Homers 
baben.  Das  Wort  (pvMa  tragt  nocb  deutlich  eine  allgemeine  ab- 
strakte  Gestalt  an  sicb.  Es  ist  aus  der  Wurzel  y>v  gebildet,  wie 
(pvrov,  (pvGig,  (fv^ia,  nur  mit  anderem  Suffix,  demselben,  das  aucb 
in  (pv^rj  und  in  <pvM.ov  (fur  <pvhov)  und  lateinisch  folium  erscheint. 
<PvMa  ist  also  das  Gewachs  iiberhaupt,  und  zwar  das  immergriine, 
da  in  diesem  die  Lebenskraft  als  besonders  reich  sich  darstellt;  die 
Bedeutung  mag  in  jener  friihen  Zeit  sich  noch  nicht  individualisirt 
haben  oder  je  nach  den  Landschaften  verschieden.  Soil  aber  auf 
eine  bestimmte  Pflanze  gerathen  werden,  so  wiirde  sich  mit  Bezug 
auf  eine  Stelle  des  Theophrast  die  Myrte,  die  bei  Homer  nicht  ge- 
nannt  wird,  am  natiirlichsten  darbieten.  Theophrast  namlich  meint 
(de  caus.  pi.  3,  10,  4),  einige  Baume  schienen  sich  zu  lieben,  und 
berichtet  nach  einem  altern  Gewahrsmann,  Androtion,  Myrte  und 
Olivenbaum  pflegten  ihre  Wurzeln  durch  einander  zu  flechten  und 
die  Zweige  der  Myrte  durch  die  Aeste  des  Oelbaums  zu  wachsen, 
andern  Pflanzen  aber  sei  die  Nahe  des  Oelbaums  zuwider.  Vielleicht 
stammt  auch  dieser  Glaube  nur  aus  Homer;  aber  an  welches 
Gewachs  man  auch  denken  mag  (z.  B.  an  die  Steinlinde,  Phillyrea, 
oder  an  eine  Art  Elaeagnus),  gAat?y  ist  auch  an  dieser  Stelle  der 
wilde,  strauchartige ,  als  Salvos  bezeichnete  Oleaster,  ein  Gewachs 
des  Waldes,  fern  von  der  Stadt,  in  der  Nahe  des  Wassers,  wie  der 
Dichter  ausdriicklich  sagt.  Nicht  so  leicht  ist  die  Entscheidung  an 
einer  andern  Stelle,  wo  des  Oelbaums  Erwahnung  geschieht:  II.  17, 
53  bis  58.  Dort  hat  Menelaus  den  Euphorbus,  Sohn  des  Panthous, 


Der  Oelbaum.  107 

mit  dem  Speer  durchstochen ,  und  der  GetrofFene  sank  bin,  gleich 
dem  Spross  des  grunenden  Oelbaums,  den  ein  Pflanzer  an  einsamem 
wasserreichem  Orte  aufzieht;  die  Liifte  umwehen  ihn  von  alien  Seiten, 
er  bedeckt  sicb  mit  weisser  Bluthe;  plotzlich  aber  kommt  ein  Wirbel- 
wind,  reisst  ihn  aus  der  gegrabenen  Vertiefung  und  streckt  ihn  iiber 
den  Boden  bin.  Hier  ware  allerdings  moglich,  an  einen  Setzling 
des  Oleasters  zu  denken,  der  einst  nicht  Friicbte,  sondern  Schatten, 
Holz,  griine  Zweige  geben  soil:  cloch  1st  die  Anpflanzung  eines 
Waldbaumes  in  der  noch  waldreicben  bomeriscben  Zeit  nicbt  wahr- 
scheinlich.  Wir  werden  also,  Alles  zusammenfassend,  sagen  diirfen: 
in  der  vielleicht  langen  Zeit,  deren  Denkmaler  uns  bei  Homer  vor- 
liegen,  sehen  wir  die  Feigen-  und  Olivenkultur  erst  fremd  und  un- 
bekannt,  dann  sicb  ankiindigen,  dann  in  spateren  Zusatzen  und  in 
einem  Gleichniss  deutlich  hervortreten ,  zunachst  natiiiiich  auf  ioni- 
scbem  Kiisten-  und  Inselboden. 

Auf  diesem  Boden  bliihte  auch  in  der  nacbbomeriscben  Epoche 
der  Oelbau.  Die  Insel  Samos  heisst  bei  Aeschylus  (Pers.  884) 
shaioyvcog,  olivenbepflanzt ;  fur  Milet  und  Chios  ist  ein  noch  alteres 
Zeugniss  in  der  Anekdote  enthalten,  die  Aristoteles  (Polit.  1,  4,  5) 
aus  dem  Leben  des  Thales  berichtet.  Thales  namlich  schloss  aus 
meteorologiscben  Griinden  (ex  rrfi  aGrgohoytag),  dass  eine  ungewohn- 
lich  reiche  Olivenernte  bevorstehe;  er  pacbtete  also  fur  das  kommencle 
Jahr  sammtliche  Olivenpressen  in  Milet  und  Chios,  zog  dann,  als 
der  vorausgesehene  Ueberfluss  wirklicb  eintrat,  betrachtlichen  Ge- 
winn  aus  der  Aftervermietbung  derselben  und  bevvies  so,  dass  auch 
ein  Philosoph,  wenn  er  wolle,  aus  seiner  Wissenschaft  irdischen 
Vortheil  zieben  konne.  Auf  der  Insel  Delos,  die  von  den  ionischen 
Cycladen  umgeben  war,  und  wo  schon  in  alterer  Zeit  Festziige  der 
lonier  sicb  vereinigten,  hatte  Latona  bei  der  Geburt  ihrer  beiden 
Kinder  entweder  die  delische  Palme  mit  den  Arm  en  umfangen  (so 
im  homerischen  Hymnus  an  den  delischen  Apollo  117  und  Theogn. 
4),  oder  sich  an  den  Olivenbaum  gehalten  (Hygin.  Fab.  140, 
Catull.  35,  7),  oder  an  beide  genannten  Baume  sich  gelehnt  (Ael. 
V.  H.  5,  4,  Schol.  zu  II.  1,  9,  Ovid.  Met.  6,  335).  Der  Chor  in 
der  Iphig.  T.  des  Euripides  sehnt  sich  nach  Delos  zur  Palme,  zum 
Lorbeer  und  zur  heiligen  Olive,  die  er  als  stcuovg  udZva  (pttav  be- 
zeichnet  (v.  1102);  Callimachus  h.  in  Del.  nennt  erst  die  Palme 
v.  210,  gleich  darauf  v.  262  das  ytveVfaov  fyvog  elatyg  (wo  die  feste 
Formel  tyvog  shaCqg  nicht  auseinandergerissen  und  yevsttfaov  in  na- 
tiirlicher  Weise  nur  auf  die  Geburt  der  Leto  gedeutet  werden  kann). 


108  Der  Oelbaum. 

Nach  Strabo  14,  1,  20  ruhte  die  Gottin.  nach  der  Geburt  miter 
dem  Oelbaum  nur  aus,  durch  welche  Wendung  die  abweichenden 
Gestalten  des  My  thus  gliicklich  vereinigt  wurden.  Die  Ephesier  be- 
haupteten  spater,  nicht  auf  Delos,  sondern  bei  ihnen  sei  die  Geburt 
am  Fusse  des  Oelbaumes  erfolgt,  und  jener  Baum  sei  noch  vor- 
handen  (Tac.  Ann.  3,  61.  Strab.  14,  1,  20),  wie  es  auch  eine  Quelle 
f YTtehaiog  »Unter  den  Oliven«  bei  Ephesus  gab,  die  in  die  Grim- 
dungs-Sage  der  Stadt  verflochten  war  (Strab.  14,  1,  4.  Atben.  8, 
p.  361).  Da  der  Oelbaum  dem  apollinischen  Kultus  sonst  fremd 
ist  (denn  der  dem  Apollon  geweihte  heilige  Oelbaum  in  Milet  bei 
Athen.  12,  p.  524  ist  eine  ganz  vereinzelte  Erscheinung) ,  so  mag 
vermuthet  werden,  die  Olive  auf  Delos  und  der  an  sie  gekniipfte 
Mythos  sei  dort  nicht  urspriinglich ,  sondern  verdanke  ihr  Dasein 
erst  den  Athenern  und  dem  iibergreifenden  Athenedienst ;  auf  Rho- 
dus  aber,  dieser  einst  ganz  phonizischen  Insel,  die  dann  zum  Gebiet 
der  dorischen  Colonisation  gehorte,  muss  der  Oelbau  in  hohes  Alter- 
thum  hinaufgehen.  Dort  besass  die  Stadt  Lindos  eiiien  Tempel  der 
Athene,  den  schon  die  Danaiden  gebaut  und  in  dem  Kadmos  Weih- 
geschenke  zuriickgelassen  hatte,  mil  einem  Olivenhain,  gegen  welchen 
die  Oelbaume  von  Attika  zuruckstandeii  (Anthol.  Pal.  15,  11). 
Auf  dem  griechischen  Festlande  finden  wir  in  dem  Kreise,  den  die 
Hesiodischen  Gedichte  beschreiben,  also  in  aolisch-bootischer 

Sittensphare  — ,  noch  keine  Spur  von  Olivenzucht;  denn  ein  von 
Plinius  (15,  3)  angefiihrter  angeblicher  Ausspruch  des  Hesiodus  liber 
die  Langsamkeit  des  Wachsthums  der  Olive  ist  sowohl  in  Betreff 
der  Zeit  als  des  wirklichen  Urhebers  desselben  allzu  unsicher.  Bei 
den  spateren  Griechen  gait  Athen  als  der  Ursitz  dieser  Kultur,  ja 
es  gab  nach  einem  merkwurdigen  Ausspruche  des  Herodot  (5,  82) 
eine  Zeit,  und  sie  war  noch  nicht  lange  vergangen,  wo  es  sonst 
nirgends  auf  Erden  Oelbaume  gab,  als  in  Athen.  Als  namlich  die 
Epidaurier,  von  Misswachs  heimgesucht,  sich  an  das  delphische 
Orakel  wandten,  gab  dieses  den  Rath,  Bildsaulen  der  Damia  und 
Auxesia  aus  dem  Holze  der  zahmen  Olive  aufzustellen,  sie  baten  also 
die  Athener  um  Erlaubniss,  einen  der  attischen  Oelbaume  umhauen 
zu  durfen,  da  sie  die  dortigen  fiir  die  heiligsten  hielten,  oder,  wie 
auch  gesagt  wird,  weil  sonst  nirgends  Oelbaume  existirten.  Die 
Athener  bewilligten  die  Bitte  unter  der  Bedingung,  dass  die  Epi- 
daurier jahrlich  der  Athene  Polias  und  dem  Erechtheus  Opfer 
brachten.  Damals  waren  die  Aegineten  Epidauros  unterthan;  seit- 
dem  aber  (TO  Ss  ano  xovde)  fielen  sie  von  ihrer  Mutterstadt  ab,  raubten 


Der  Oelbaum. 

die  beiden  Bilder  und  geriethen,  da  sie  die  ausbedungenen  Opfer 
unterliessen,  mit  Athen  in  Feindschaft.  Ueber  den  Zeitpunkt  dieser 
Begebenheit  berichtet  Herodot  nichts*  nach  Otfried  Miillers  Ver- 
muthung  (Aeginet.  p.  73)  fiele  sie  etwa  in  01.  60,  also  in  Pisistratus 
Zeit,  doch  darf  man  sie  wohl  in  die  erste  Halfte  des  6.  Jahrhun- 
derts  hinaufriicken.  Schon  am  Beginn  des  genannten  Jahrhunderts 
hatte  Solon  gesetzliche  Bestimmungen  iiber  Oliven-  und  Feigenbau 
erlassen  (Plut.  Sol.  23,  10.  24,  1),  der  also  doch  schon  einige 
Wichtigkeit  haben  mnsste,  wenn  auch  erst  Pisistratus,  der  Schiitz- 
ling  und  Verehrer  der  Athene ,  direkt  fur  Anbau  des  niitzlichen 
Baumes  auf  der  bis  dahin  kahlen  und  baumlosen  Landschaft  sich 
bemuht  haben  soil  (Dio  Chrysost.  orat.  25,  p.  281).  In  der  Akademie 
standen  die  der  Gottin  geweihten  unantastbaren  Oelbaume,  die 
fioQtcu,  die  einen  reichen  Ertrag  geliefert  haben  miissen  —  anders 
als  sonst  heiliges  Besitzthum  zu  thun  pflegt  — ,  da  bei  den 
grossen  Panathenaen,  die  Pisistratus  gestiftet  hatte,  im  gymnischen 
Agon  die  den  Siegespreis  bildenden,  in  bedeutender  Zahl  gereichten 
Oelkriige  von  daher  gefiillt  wurden.  Die  Baume  in  der  Akademie 
stammten  von  der  Mutterolive  auf  der  Burg,  der  dacr]  ehaia,  die 
von  Athene  selbst  geschaffen  war  und  spatei;  nach  der  Verbrennung 
durch  die  Perser  von  selbst  wieder  aufsprosste.  Da  sie  ndyxvcpog 
heisst,  ist  sie  als  ein  blosser  niedrig  kriechender  Wurzeltrieb  zu 
denken.  Dass  die  Attiker  shaCa  und  xouvog,  den  zahmen  und 
wilden  Oelbaum,  durch  eigene  Benennungen  unterschieden ,  beweist 
schon,  dass  hier  die  Kultur  des  veredelten  Baumes,  der  felix  oliva, 
festen  Bestand  gewonnen  hatte,  wie  auch  Pindar  in  einem  seiner 
Hymnen  ayQiog  l&aws  (Fr.  19.  Bergk.)  sagte  und  Herodot  in  der 
oben  angefiihrten  Stelle  das  Orakel  von  dem  Holze  der  zahmen 
Olive,  fjfJifyrjs  ehafyg,  sprechen  lasst.  In  Attika  kam  der  weissliche 
Kalkboden,  die  yr\  GxiQgdg  der  attischen  Halbinsel,  der  dem  Ge- 
treidebau  wenig  forderlich  war,  der  Olive  begunstigend  entgegen, 
und  sie  gedieh  hier  -  -  nach  den  Worten  des  Chors  im  Oedipus  auf 
Kolonos  —  »wie  nicht  im  Lande  Asien  noch  auf  der  grossen  dori- 
schen  Pelops-Insel«.  Warum  aber  wurde  gerade  Athene  die  Schutz- 
herrin  der  neuen  Kultur,  und  warum  verflocht  sich  Oel  uud  Oel- 
baumzucht  so  innig  und  mannigfach  mit  dem  Dienst  der  aus  dem 
Haupte  des  Himmels  unmittelbar  hervorgegangenen  Lichtgottin? 
Nach  Suidas  weil  das  Oel  zur  Leuchte  diente  und  der  Oelbaum  das 
Feuer  nahrte  ('AVyvag  ayal^a'  didoamv  avxfj  xal  lAatav,  c«g 

ovacag    ov&r}$'    (pcomg  yaQ  v^  r)  ehata)  -  -  woraus  zu- 


HO  Der  Oelbaum. 

gleich  hervorginge,  class  die  Anwendung  des  Oels  zum  Brennen  in 
der  Zeitfolge  die  zweite  war,  wie  die  als  Nahrungsmittel  die  dritte. 
Homer  kennt  noch  keine  Beziehung  der  Olive  zu  der  Gottin,  denn 
aus  dem  Beiwort  heilig,  welches  an  der  einen  Stelle  Od.  13,  373: 
IsQ^g  Ttaga  7iv9tusv*  eAatrj?  dem  Oelbaum  gegeben  wird,  lasst  sich 
eine  solche  nicht  erschliessen  (das  alteste  mit  Vers  184  schliessende 
Gedicht  von  Odysseus  Ruckkehr,  aus  dem  der  jiingere  Fortsetzer 
sowohl  den  Oelbaum,  als  die  Phrase  naga  Tiv^iev"  eAaiyg  genom- 
men  hat,  enthalt  auch  das  Adjectiv  » heilig «  noch  nicht).  Als  seit  den 
Pisistratiden  der  Oelbau  den  Hauptreichthum  und  die  auszeichnende 
Eigenschaft  des  attischen  Landes  bildete,  als  die  Athener  prahlten, 
vor  noch  nicht  so  1  anger  Zeit  sei  nur  bei  ihnen  und  sonst  an  keinem 
Ort  der  Erde  ein  zahmer  Oelbaum  zu  finden  gewesen,  als  sie  auf 
jedes  Land,  wo  nur  Getreide  und  Oelbaume  wuchsen,  als  auf  ihr 
Eigenthum  Anspruch  machten  (Cic.  de  rep.  3,  9,  15:  Athenienses 
jurare  etiam  publice  solebant,  omnem  suam  esse  terrain,  quae  oleam 
frugesve  ferret),  da  konnte  dieser  Segen  und  Stolz  ihres  Landes  nicht 
anders  als  der  unterdess  immer  mehr  in  der  Bedeutung  gestiegenen 
Landesgottin  geweiht  und  von  ihr  als  Geschenk  gespendet  sein. 
Dass  auf  dem  Burgfelsen  einst  wilde  Oelbaume  wuchsen,  dass  einer 
von  diesen  mit  einem  liber  Meer  gekommenen  oder  an  einem  der 
Kiistenorte  gewachsenen  edlen  Zweige  gepfropft  worden  und  von 
diesem  wieder  andere  Reiser  und  Setzlinge  abstammten,  dass  die 
mvax  oliva  nach  dem  persischen  Brande  wieder  neu  aus  der  Wurzel 
trieb:  das  Alles  kann  immerhin  Wirklichkeit  sein,  doch  bedurfte  der 
My  thus  solchen  realen  Anhaltes  nicht.  Als  gegen  Ende  der  Perser- 
kriege  der  alte  Nationalheld  Theseus  mit  seinen  Abenteuern  und 
Thaten  in  verklartem  Licht  ins  Bewusstsein  trat,  da  hatte  auch  er 
schon  vor  der  Ausfahrt  nach  Kreta  vom  heiligen  Oelbaum  einen 
Zweig  gebrochen,  ihn  mit  weisser  Wolle  umwunden  und  bit-tend  im 
Delphinium  dem  Apollo  niedergelegt  (Plut.  Thes.  18,  1  —  die  sog. 
Eiresione).  —  Auch  in  Sicyon,  welches  aus  gleichem  Grunde,  wie 
Attika,  namlich  des  giinstigen  Bodens  wegen,  als  olivifera  beruhmt 
war  und  Olivenfriichte,  Sicyonias  baccas,  reichlich  hervorbrachte, 
hatte  der  alte  fabelhafte  Konig  Epopeus  der  Athene  einen  Tempel 
gebaut  und  die  Gottin  ihm  zum  Zeichen  ihres  Wohlgefallens  vor 
dem  Tempel  eine  Oelquelle  aufsprudeln  lassen  (Pausan.  2,  6,  2),  - 
ihm  also  unmittelbar  das  Oel  geschenkt,  das  die  Athener  und  iiber- 
haupt  die  spateren  Zeiten  sich  erst  durch  Anpfianzung,  Lese,  kiinst- 
liche  Pressen  u.  s.  w.  erarbeiten  mussten. 


Der  Oelbaum. 

Als  wahrend  des  ersten  Jahrhunderts  der  Olympiadenrechnung 
die  Kiisten  des  Westens,  Italiens,  Siciliens,  Galliens,  zahlreiche  und 
bald  aufhliihende  griechische  Ansiedelungen  empfingen,  da  offnete 
sich  fur  die  Olive  ein  neuer,  grosser  Bezirk,  den  sie  allmahlich  ein- 
nehmen  und  beherrschen,  und  in  dem  sie  sich  heimisch  fiihlen  sollte, 
fast  wie  im  Mutterlande.  Im  Laufe  des  siebenten,  sicher  aber  in 
dem  des  sechsten  Jahrhunderts  bedeckten  sich  nach  und  nach  die 
herrlichen  Hiigellandschaften  und  Kiistenabhange  der  Inseln  und 
Siiditaliens  mit  jener  fruchttragenden  und  immergriinen  Waldimg. 
Vielleicht  aber  war  es  keine  griechische,  sondern  eine  phonizische 
Hand,  die  hier  im  fernen  Westen  den  allerersten  Olivenkern  in  die 
Erde  senkte  oder  den  ersten  mitgebrachten  Steckling  pflanzte.  JEin 
My  thus  namlich,  der  uns  hier  entgegentritt,  der  von  Aristaus,  scheint 
eine  dunkle  Erinnerung  dieses  Verhaltnisses  zu  enthalten.  Aristaus, 
ein  alter  arkadischer,  thessalischer,  bootischer  Hirtengott,  den  die 
ersten  Ansiedler  mit  nach  Sicilien  gebracht  hatten,  gait  bei  ihren 
Nachkommen  spater  als  der  Ernnder  der  Olive  und  des  Oeles,  Cic. 
in  Verr.  4,  57:  Aristaeus  qui  —  inventor  olei  esse  dicitur.  De  nat. 
deor.  3,  18:  Aristaeus  qui  olivae  dicitur  inventor.  Plin.  7,  199: 
oleum  et  trapetas  Aristaeus  Atheniensis  (invenit).  Diod.  4,  81 :  rov- 
lov  de  TtaQa  xwv  Wfjupttv  jua&ovia  —  xcor  ehat'ov  irp>  xaTSQya^av 
SM^ac  TIOCOTOV  rolg  dvttQWTTOig.  Nach  dem  Schol.  zu  Theocr.  5, 
53  berichtete  auch  Aristoteles,  die  Nymphen  hatten  dem  Aristaeus 
IT(V  lov  skatov  egyaatav  gelehrt.  Man  bemerke,  dass  Aristaeus 
nicht,  wie  Athene,  den  Oelbaum  erschaffen,  sondern  das  Oel  oder 
die  Olive  erfunden  hatte,  dass  er  die  xaiegfaoCa  TO>V  shcuwv  oder 
lov  shaiov,  also  die  Oelbereitung,  gelehrt,  zu  der  auch  der  Gebrauch 
der  Oelpresse  trapetum,  impetus,  plur.  trapetes,  gehort,  und  dass  er 
grade  bei  der  Lese  der  Friichte  von  den  Bewohnern  Siciliens  gott- 
lich  verehrt  wurde  (Diod.  4,  82).  Nun  war  aber  derselbe  Aristaus, 
noch  ehe  er  Sicilien  betrat,  Herrscher  der  den  Griechen  fremden 
Insel  Sardinien  gewesen  (Pausan.  10,  17.  Arist.  de  mir.  ausc.  100 
(95).  Serv.  ad  V.  Georg.  1,  14),  hatte  auf  derselben  die  Acker-  und 
]>aumkultur  eingefiihrt,  da  sie  vorher  nur  von  vielen  und  grossen 
Vogeln  bewohnt  gewesen  Avar,  und  daselbst  zwei  Sohne  gezeugt,  den 
(Aristaus  selbst  ist  bei  Pindar  Pyth.  9,  64  avfyaffi  xaQfta 
und  den  KalkCxagrtog  (bei  Homer  ist  das  Adjectiv 
da  jenes  nicht  ins  Metrum  ging).  Von  Sardinien  kommt  er 
nach  Sicilien,  welches  von  Aeschylus  Prom.  371  xalUxaQTiog  genannt 
wird,  wie  auch  Gyrene  bei  Strabo  17,  3,  31  xahkixaonoc  ist,  humanisirt 


Der  Oelbaum. 

auch  dieselnsel  mid  erfindet  ausser  andern  landlichenKunsteiibesonders 
das  Oel  und  die  Procedur  der  Oelgewinnung.  Wie  nun  Aristaus  dem 
neuen,  ubermachtig  und  glanzvoll  auftretenden  Glauben  an  die  ihm 
wesensverwandten  Gotter  Apollon  und  Dionysos  gegeniiber  sich  nicht 
hatte  halten  konnen,  sondern  zu  deren  Sohne  oder  Erzieher  wurde,  so 
verschmolz  er  auch  sichtlich  mit  einem  libyphonizischen  Gotte,  den 
die  griechischen  Einwanderer  schon  vorfanden  und  in  den  Kreis  ihrer 
Vorsteilungen  aufnahmen.  Dieser  Gott,  der  Sohn  der  Nymphe  Gyrene, 
der  auch  in  Cyrenaa  zuerst  das  Silphion  gepflanzt  hat,  kann  nicht 
anders  als  von  Af  rika  nach  Sardinien  gekommen  sein ;  von  Sardinien 
kam  er  nach  Sicilien:  sein  Gewachs  oder  seine  Ernndung  muss 
denselben  Weg  genommen  haben.  Ueber  die  Zeit  freilich  sagt  der 
My  thus  nichts,  und  ob  die  Griechen  in  der  Umgegend  der  phonizi- 
schen  Handelsniederlassungen,  die  sie  mit  bewafrneter  Hand  besetz- 
ten,  Olivengarten  vorfanden  oder  nicht,  muss  zweifelhaft  bleiben. 
Spater,  als  auch  im  griechischen  Mutterlande  das  Oel  seine  wichtige 
Stelle  in  der  Oekonomie  der  Sitten  eingenommen  hatte,  da  begegne- 
ten  sich  in  Sicilien  beide  Stromungen,  die  karthagische  und  die  von 
dem  Vorbild  Attikas  u.  s.  w.  ausgehende. 

Wenden  wir  uns  zum  Festland  Italien,  so  tritt  uns  hier  beim 
ersteii  Schritt  eine  Art  chronologischer  Notiz  entgegen,  ein  Gliicks- 
fall,  der  in  der  altesten  Kulturgeschichte  so  ausserst  selten  ist. 
Plinius  namlich  berichtet  nach  dem  Annalisten  L.  Fenestella,  zur 
Zeit  des  Tarquinius  Priscus  sei  in  Italien  noch  kein  Oelbaum  vor- 
haiiden  gewesen,  Plin.  15,  1:  Fenestella  vero  (ajebat  oleam)  omnino 
non  fuisse  in  Italia  Hispaniaque  aut  Africa  Tarquinio  Frisco  reg- 
nante  ab  annis  populi  Romani  CLXXIII.  Wenn  diese  Nachricht  nicht 
bloss  ein  Echo  der  oben  angefiihrten  Stelle  des  Herodot  ist  —  und 
die  Hinzufugung  von  Spanien  und  Afrika  ist  geeignet,  diesen  Ver- 
dacht  zu  wecken  —  so  durfen  wir  sie  positiv  weiideii  und  dahin 
auslegen,  dass  es  die  Zeit  der  Tarquinier,  die  Zeit  lebhafter  Verbin- 
dung  mit  den  campanischen  Griechen  war,  die  mit  andern  griechi- 
schen Kiinsten  auch  die  Olive  nach  Latium  brachte.  Vielleicht 
stammt  die  Notiz  aus  eiiier  cumanischen  Geschichtsquelle.  Dass  der 
Baum  jedenfalls  von  den  Griechen  und  nicht  etwa  auf  anderem 
Wege  den  Latinern  zukam,  beweisen  die  lateinischen  Worter  oliva, 
oleum,  die  dem  Griechischen  entlehnt  sind37),  und  so  viele  auf 
Olivensorten  und  die  Manipulation  bei  der  Oelbereitung  beziiglicheii 
Ausdriicke,  die  gleichfalls  griechische,  im  lateinischen  Munde  oft  ein 
wenig  entstellte Benennungen  sind:  orchis,  cercitis,  dmippa,  trapetum, 


Der  Oelbaum. 

amurca  u.  s.  w.  Wenn  auf  dem  Hute  des  flamen  Dialis  die  oberste 
Spitze,  der  apex,  aus  einem  Reise  vom  Oelbaum  bestand  (Fest.  p.  10 
albogdlerus :  pileum  capitis  .  .  .  adfixum  Jidbens  apicem  virgula  olea- 
gina)  und  dieses  mit  Wolle  umwunden  und  befestigt  war  (Serv.  ad 
V.  Aen.  2,  683.  10,  270),  so  ergiebt  sich,  dass  auch  dieser  sehr 
alte  Gebrauch  gleichwohl  j linger  ist,  als  die  Ankunft  der  Griechen 
in  Italien  und  der  Verkehr  der  Latiner  mit  ihnen.  Denn  was  ist 
der  mit  wollenen  Faden  umwundene  Oelzweig  anders,  als  die  ent- 
lehnte  griechische  SiQSfftwvrj  ?  Vielleicht  klingt  eine  Erinnerung  da- 
von  in  der  Angabe  nach,  dass  die  virga  lanata  zuerst  in  Alba  von 
Ascanius  angeordnet  sei  (Serv.  ad  V.  Aen.  2,  683 :  quod  primum 
constat  apud  Albam  Ascanium  statuisse),  sie  war  also  weder  etrus- 
kisch,  noch  sabinisch.  Bei  Vergil  freilich  tritt  der  Konig  Numa,  so 
wie  der  marsische  sacerdos  (Aen.  6,  809.  7,  751)  mit  Oelzweigen 
geschmiickt  auf,  aber  hier  hat  die  dichterische  Phantasie,  die  auch 
sonst  in  der  Aeneis  vom  Olivenlaube  reichlich  Gebrauch  macht,  die 
spatere  griechische  Sitte  den  Helden  der  Urzeit  geliehen.  Bei  den 
Triumphen  siegreicher  lorbeergeschmiickter  Feldherren  trugen  die 
Diener  oder  die  Anordner  des  Triumphs,  die  selbst  nicht  in  der 
Schlacht  gewesen  waren,  Kranze  von  Olivenzweigen  (Paul,  p.  114: 
oleagineis  coronis  ministri  triumphantium  utebantur.  Gell.  5,6,4; 
oleaginea  corona,  qua  uti  solent,  qui  in  proelio  non  fuerunt,  sed 
triumphum  procuranf),  also  in  griechischer  Weise  als  Zeichen  mehr 
friedlicher,  als  kriegerischer  Beschaftigung.  Auch  bei  der  Ovation, 
einer  geringeren  Art  des  Triumphes,  bestand  der  Ehrenkranz  aus 
gleichem  Laube  (Plin.  15,  19  —  wenn  hier  nicht  em  Versehen  vor- 
liegt,  da  bei  der  ovatio  sonst  immer  die  Myrte,  auch  von  Plinius 
selbst,  15,  125  genannt  wird).  Bei  der  jahrlich  am  15.  Juli  zu  Ehren 
des  Kastor  und  Pollux  gefeierten  transvectio  equitum  dienten  gleich- 
falls  Kranze  aus  Oelzweigen  als  Schmuck:  die  Verehrung  der  ge- 
nannten  Heroen  war  grossgriechischen  Ursprungs  (Preller,  Rom. 
Mythol.  658  ff.).  Dies  alles  sind  Symptome  der  Bekanntschaft  mit 
der  Olive  schon  in  den  fruhern  Zeiten  der  Republik,  aber  noch  nicht 
Beweise  wirklichen  Anbaues  derselben.  Letzterer  musste  sich  von 
den  verschiedenen  griechischen  Mittelpunkten  aus  uberall  hin  ver- 
breiten,  wo  nur  der  Boden  dies  zuliess,  zuerst  an  der  Kiiste,  dann 
in  den  innern  Landschaften,  in  demselben  Masse,  als  das  natiirliche 
Vorurtheil  gegen  den  Oelgenuss  bei  den  doch  hauptsachlich  vom 
Ertrage  der  Heerden  lebenden  Eingebornen  sich  minderte.  Bei  dem 
komischen  Dichter  Amphis,  der  in  der  zweiten  Halfte  des  vierten 

Viet.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  8 


114  Der  Oelbaum. 

Jahrhunderts,  etwa  in  der  Zeit  von  Philipp  und  Alexander  von  Mace- 
donien  lebte,  wird  das  Oel  von  Thurii,  also  der  Gegend  des  alteu 
Sybaris,  geriihmt  (Meineke,  fr.  com.  gr.  3,  p.  318:  sv  OovQioig 
rovhcuov.  Athen.  1,  p.  30).  Von  daher  und  von  Tarent  mochte 
die  kalabrische  Olive,  die  auch  oleastella  hiess  (Colum.  12,  51,  3), 
und  die  Sallentina,  die  schon  Cato  nennt,  stammen ;  die  hochberuhmte 
Liciniana  oder  Licinia  ini  ager  Venafranus  in  Campanien  und  die 
vom  Berge  Taburnus  an  der  Grenze  von  Campanien  und  Samnium 
(Verg.  G.  2,  38)  wird  zu  allererst  von  den  kampanischen  Griechen 
eingefuhrt  worden  sein.  Die  sabinischen  Berge  trugen  viel  Oel:  die 
Sorte  Sergio,  aber,  quam  Sabini  Regiam  vacant  (Plin.  15,  13),  war 
eine  grosse,  der  Kalte  widerstehende ,  olreiche,  aber  nicht  feine 
(Colum.  5,  8)  -  -  bei  der  also  dasselbe  eintrat,  wie  bei  dem  in  die 
kaltern  Gegenden  des  Nordens  verpfianzten  Weinstock.  Jenseit  des 
Apennin,  wo  die  herrlichen  Kornebenen  sich  offnen,  duldete,  wie 
auch  heut  zu  Tage,  das  Klima  keinen  Oelbaum  mehr,  der  aber  in 
Picenum,  also  der  Gegend  der  heutigen  Mark  Ancona,  die  schon 
zu  Suditalien  gerechnet  werden  kann,  noch  bliihte  (Martial.  1,  43,  8. 
5,  78,  19.  13,  36).  Italien  war  im  ersten  Jahrhundert  vor  Christo 
schon  so  reich  an  Oel  und  dies  Produkt  so  vorziiglich  und  zugleich 
so  wohlfeil,  dass  die  Halbinsel  alien  Landern  den  Rang  darin  ablief 
(Plin.  15,  3.  Id.  8:  principatum  in  hoc  quoque  bono  obtinuit  Italia 
toto  orbe).  Von  Massilia  war,  wie  der  Wein,  so  auch  die  Olive,  be- 
gunstigt  durch  Boden  und  Himmel  der  Provence,  allmahlich  ins 
gallische  Land  vorgeriickt,  doch  naturlich  ohne  dem  Wein  bis  in  die 
Thaler  der  Marne  und  der  Mosel  zu  folgen.  Massaliotischer  Her- 
kunft  waren  ohne  Zweifel  auch  die  Oelpflanzungen  an  der  ligurischen 
Kuste,  die  noch  heut  zu  Tage  ein  ungeheurer,  iippiger  Olivengarten 
ist.  In  kurzer  Entfernung  vom  Meere,  wo  das  Gebirge  sich  hebt, 
musste  der  Oelbaum  verschwinden,  daher  die  Reiser  und  Kranze, 
mit  denen  die  Alpenbewohner  dem  Hannibal  unter  dem  Schein  der 
Freundschaft  entgegenzogen  (Polyb.  3,  52,  3),  keine  Oelzweige  ge- 
wesen  sein  werden,  obgleich  das  von  Polybius  gebrauchte  AVort 
daMac  in  der  Regel  diese  Bedeutung  hat.  Zu  Strabos  Zeit  lieferte 
Genua  diesen  Gebirgsvolkern  Oel  und  bezog  von  ihnen  dagegen 
Vieh,  Haute  und  Honig  (Strab.  4,  6,  2).  Auf  der  entgegengesetzten 
Seite  Italiens,  im  Gebiet  der  Pomiindungen,  verbot  der  niedrige 
wasserreiche  Boden  die  Einfiihrung  der  Olive,  so  alt  und  lebhaft  der 
Verkehr  dieser  Gegend  mit  den  ionischen  Inseln,  mit  Tarent,  spater 
niit  Syrakus  u.  s.  w.  auch  war.  Umgekehrt  verhielt  es  sich  mit 


Der  Oelbaum. 

dem  gegeniiberliegenden  Istrien  uncl  Liburnien,  deren  zum  Meere 
absteigende,  sonnige,  kalkreiche  Hiigel,  geschtitzt  durch  das  hinter 
ihnen  sich  erhebende  Gebirge,  zum  Anbau  einladen  und  denselben 
reichlich  lohnen  mussten.  Auch  kam  das  Oel  von  Istrien  oder  viel- 
mehr  nur  der  westlichen  Kiiste  dieser  Halbinsel  -  -  denn  Istrien  hat, 
der  Krim  vergleichbar,  einen  Meeresrand  mit  subtropischem  Klima 
und  Pflanzenwuchs  und  ein  rauhes,  unwirthliches,  von  Nordwinden 
gepeitschtes  Innere  —  in  der  Schatzung  gleich  nach  dem  italiscben 
und  wetteiferte  mit  dem  von  dem  spanischen  Baetica  (Plin.  15,  8: 
reliquum  certamen  inter  Histriae  terram  et  Baeticae  par  est).  Das 
Oel,  welches  Aquileja  gegen  Vieh,  Haute  und  Sklaven  in  die  illyri- 
schen  Donaulander  einfiihrte  (Strab.  5,  1,  8),  wird  eben  dies  histrische 
gewesen  sein,  wobei  zugleich  die  Thatsache  interessant  ist,  dass  die 
Pannonier  und  Kelten  der  genannten  Gegend  zu  Strabos  Zeit  nicht 
bloss  den  Wein,  der  alien  Barbaren  willkommen  ist,  sondern  auch 
schon  das  Oel  —  wenn  auch  nur  als  Brennol  in  Lampen  —  be- 
gehrten.  Noch  zur  gothischen  Zeit,  nach  so  vielen  Stiirmen  und 
Schrecken,  hatte  jene  Region  Ueberfluss  an  Oliven,  wie  wir  aus 
Cassiodorus  sehen,  Variar.  12,  22:  est  enim  proximo,  vobis  regio  supra 
sinum  maris  lonii  constituta  olivis  referta.  Apicius  1,  5,  Palladius 
12,  18  und  die  Geoponika  9,  27  lehren  durch  allerlei  gewiirzige  Zu- 
thaten  kiinstlich  oleum  Liburnicum  darstellen,  welches  also  zur  Zeit 
dieser  spaten  Gewahrsmanner  im  Rufe  stand.  Die  so  eben  erwahnte 
Provinz  Baetica  fiihrte  auch  nach  Strabo  nicht  bloss  viel,  sondern 
auch  das  schonste  Oel  aus  (Strab.  3,  2,  6:  £%dyeTai  cT  £x  TOVQ^- 
ravtag  —  &'A.(uov  ov  nokv  f.wvov,  dhha  xal  xdhfoatov)  und  das 
batische  Corduba  iibertraf  oder  erreichte  die  beruhmten  Olivengarten 
von  Venafrum  und  Istrien,  Martial  12,  63,  1  (Schneidewin) : 

Uncta  Corduba  laeiior  Venafro, 
Histra  nee  minus  absoluta  testa. 

Dass  Spanien,  ein  siidliches  Land  mit  grosser  Mannigfaltigkeit  der 
Lagen  und  des  Bodens,  in  demselben  Masse  als  die  fremde  Civili- 
sation sich  erst  der  Kiisten  und  dann  des  Innern  bemachtigte  und 
darin  Bestand  gewann,  auch  den  Oelbaum  aufnahm,  liegt  in  der  Natur 
der  Dinge.  Als  das  romische  Reich  seine  Vollendung  erreicht  hatte, 
war  auch  die  edle  Olive  von  ihrem  Ausgangspunkt,  dem  siidostlichen 
Winkel  des  mittellandischen  Meeres,  uber  alle  Lander  verbreitet,  die 
ihren  heutigen  Bezirk  bilden,  und  gedeiht  an  manchen  Punkten  des 
europaischen  Siidwestens  so  gut,  als  ware  sie  dort  geboren  und 
immer  dagewesen38).  Nach  dem  Volksglauben,  der  schon  bei  den 

8* 


116  Der  Oelbaum. 

Alien  herrschte,  tragt  cler  Oelbaum  in  Europa  nur  alle  zwei  Jahre; 
davon  aber  1st  nur  so  viel  wahr,  dass,  wenn  der  Baum  sich  durch 
eine  besonders  reiche  Fruchtbildung  erschopft  hat,  seine  Kraft  im 
nachsten  Jahr  zu  einer  gleicheii  nicht  ausreicht,  es  mussten  ihm 
denn  die  allergiinstigste  Witterung  oder  ein  ausserordentlicher  Kultur- 
beitrag  zu  Hulfe  kommen.  Auch  dass  die  Olive  sich  nicht  weiter 
von  der  Kiiste  als  300  Stadien  (oder  TVs  geogr.  Meilen)  entferne, 
wie  Theophrast  (h.  pi.  6,  2,  4)  meinte,  ist  nicht  buchstablich,  sondern 
nur  in  dem  Sinne  richtig,  dass  sie  den  Anhauch  des  mittellandischen 
Meeres  liebt,  dass  aber  zu  ihrem  Gedeihen  auch  z.  B.  der  Spiegel 
des  Gardasees  geniigt.  Ohnehin  fallt  ihre  Verbreitungssphare  ziemlich 
genau  mit  dem  Oval  der  Ufergegenden  des  mittellandischen  Meeres 
und  seiner  Buchten  zusammen.  Schon  im  Sinne  der  Romantik  ist 
der  Baum  der  Minerva  nicht,  aber  nichts  erweckt  mehr  das  Gefiihl 
der  Kultur  und  friedlicher  Ordnung  und  zugleich  der  Dauer  derselben, 
als  wenn  er  in  offenen,  gereinigten  Hallen  mit  dem  kaum  merklich 
flusternden  Laube  an  gewundenen  Stammen  die  Hugel  ersteigt  oder 
die  geneigten  Ebenen  leicht  beschattet,  und  gern  gesteht  man  ihm 
clann  mit  Columella  5,  8,  1  das  Pradikat  prima  omnium  arborum 
zu.  Indessen  fehlt  viel,  dass  das  Produkt  uberall  dem  der  Provence 
oder  dem  von  Genua  und  Lucca  gleichkame.  Das  kalabrische, 
sicilische  und  sardinische  Oel  ist  meistens  unrein  und  nur  zur  Seifen- 
bereitung  und  in  Tuchfabriken  anwendbar.  Der  Grund  liegt  in 
der  mangelhaften  Darstellungsart ,  und  diese  wieder  erklart  sich 
aus  den  ungiinstigen  agrarischen  und  volkswirthschaftlichen  Ver- 
haltnissen.  Besonders  die  Ernte  erfordert  die  grosste  Vorsicht  im 
Einzelnen:  die  eben  gereiften  Friichte  miissen  Stuck  fur  Stuck  mit 
der  Hand  abgepfliickt  und  ohne  Zeitverlust  unter  die  Presse  gebracht 
werden;  Schnelligkeit  und  Reinlichkeit  sind  dabei  wesentliche 
Bedingungen.  Zu  all  dem  aber  fehlt  es  in  den  genannten  Gegen- 
den  an  Kapital,  an  Einrichtungen  und  an  Handen.  Man  schlagt 
die  von  Natur  zarten  Friichte  entweder  mit  Strecken  ab  oder,  was 
noch  iibler  ist,  wartet,  bis  sie,  iiberreif  und  halbfaul,  von  selbst 
abfallen  (iiber  Beides  klagen  schon  die  Alten,  z.  B.  Plinius  15,  11); 
dann  bleiben  sie  in  Haufen  liegen  und  gerathen  in  Gahrung,  ehe 
eine  Oelmuhle  frei  wird.  Letztere  ist  auch  meistens  so  unvollkommen 
construirt,  dass  sie  Arbeitskraft  verschwendet  und  einen  betracht- 
lichen  Theil  Oel  in  den  Trestern  zuriicklasst.  Da  der  gemeine  Mann 
das  so  gewonnene  ubelriechende  Produkt,  als  von  kraftigerem  Ge- 
schmack,  dem  feinsten  proven§alischen  Tischol,  welches  ihm  nichts- 


Der  Oelbaum. 

sagend  erscheint,  vorzieht,  so  fiihlt  er  sich  natiirlich  auch  nicht  durch 
das  Bedurfniss  aufgefordert,  auf  die  Herstellung  des  letztern  beson- 
deren  Fleiss  zu  wenden.  Bei  all  dem  sind  in  neuerer  Zeit  die  Fort- 
schritte  unverkennbar.  Wenn  erst  in  Folge  eines  natiirlichern  Blut- 
umlaufes  im  Volkskorper  der  gedriickte  Stand  der  Paehter  sich  heben 
wird,  dann  muss  in  der  Oelkultur  eine  Quelle  des  Wohlstandes  fiir 
den  gebirgigen  Siiden  des  neuen  Konigreiches  sich  offnen.  —  »Zwei 
Fliissigkeiten,  sagt  Plinius  14,  150,  giebt  es,  die  dem  menschlichen 
Korper  angenehm  sind,  innerlich  der  Wein,  ausserlich  das  Oel,  beide 
von  Baumen  kommend,  aber  das  Oel  etwas  Nothwendiges. «  Demo- 
kritus  von  Abdera,  der  beriihmte  Philosoph,  der  iiber  hundert  Jahr 
alt  wurde,  erwiderte  auf  die  Frage,  wie  man  gesund  bleiben  und 
seine  Tage  verlangern  konne,  mit  der  diatetischen  Regel:  innerlich 
Honig,  ausserlich  Oel  (Diophanes  in  den  Geopon  15,  7,  6  und 
Athen.  2,  p.  47).  Aehnlich  war  die  Antwort  des  hundertjahrigen 
Pollio  Romilius  auf  die  Frage  des  Kaisers  Augustus,  durch  welches 
Mittel  er  sich  so  riistig  erhalten  habe:  »innerlich  durch  Wein  mit 
Honig,  ausserlich  durch  Oel«,  intus  mulso,  foris  oleo  (Plin.  22,  114). 
Heut  zu  Tage  dient  das  Oel  nicht  inehr  zur  aussern  Korperpflege 
oder  nur  in  Gestalt  von  Seife;  aber  eben  die  den  Alten  unbekannte 
Seife,  eine  nordische  Erfindung  (Grimm  in  Haupts  Zeitschrift  VII, 
S.  4601;  Zeuss2  p.  161;  Beckmann,  Beytrage,  IV,  1),  hat  die 
orientalisch-griechische  Sitte,  den  Leib  zu  salben,  die  in  Italien 
ohnehin  nur  bei  den  hoheren  Klassen  herrschte,  ganz  und  gar  ver- 
drangt.  Nur  die  Salbung  der  Konige  und  Kaiser  und  die  letzte 
Oelung  sind  noch  ein  verklingendes  Echo  der  alten  Romerzeit. 


*Der  Oelbaum  gehort  zu  einer  Artengruppe  der  Gattung  Oka,  welche 
in  Ostindien,  dem  Kaplande,  Abyssinien  und  Arabien  entwickelt  ist.  In 
neuerer  Zeit  hat  F.  Cavara  (Le  sabbie  marnose  plioceniche  di  Mongardino 
e  i  loro  fossili  in  Boll.  Soc.  geol.  ital.  V  (1886)  p.  265—275)  Blatter  des  Oel- 
baumes  in  pliocenen  Lagerstatten  bei  Mongardino,  18  Kilometer  nordwestlich 
von  Bologna  am  linken  Ufer  des  Reno  aufgefunden  und  damit  das  Indigenat 
des  Baumes  in  Italien.  dargethan.  Im  Orient  findet  sich  der  Oelbaum  wild- 
wachsend  sowohl  als  Baum,  wie  besonders  haufig  als  Strauch  in  den  Steppeii 
des  Pendschab  von  Beludschistan,  von  Persien  bis  Transkaukasien  und  auf 
der  Krim,  in  Syrien,  in  Palastina  und  in  Cilicien,  auch  in  Mesopotamien  und 
im  siidlichen  Arabien  bis  Mascat.  Von  Bithynien  aus  verfolgen  wir  ihn  durch 
Thracien  nach  Macedonien ;  er  bezeichnet  daselbst  zusammen  mit  Quercus  cocci- 
fera  L.  die  Grenze  der  Mediterranflora  und  reicht  bis  350  m.  Sicher  wild  ist 
er  auch  in  Griechenland,  wo  man  in  den  Macchien  vielfach  die  kleinfruchtige 


118  Der  Oelbaum. 

Form  Oleaster  antrifft.  Caruel  sieht  in  Parlatore's  Flora  italiana  vol.  VIII. 
p.  155  den  Oelbaum  auch  fur  einen  einheimischen  Baum  Italiens  an,  der  vor- 
zugsweise  auf  Kalkboden,  aber  auch  auf  vulkanischern  Boden  in  der  Ktisten- 
region  vorkommt;  auch  im  stidlichen  Istrien  1st  er  wild  und  ebenso  treffen 
wir  die  wilde  Form  noch  am  Gardasee  und  am  Luganer  See  an.  Sehr  haufig 
ist  er  auf  Sicilien,  Sardinien  und  Corsica.  Im  ganzen  mittlereu,  stidlichen 
und  sudostlichen  Spanien  wird  in  der  unteren  und  der  montanen  Region  an 
felsigen  Orten  und  auch  in  Gebiischen  der  wilde  Oelbaum  als  Strauch  und 
Baum  angetroffen,  desgleichen  in  Portugal,  auf  den  Azoren  und  Kanaren. 
Auch  im  mediterranen  Frankreich  ist  der  Oelbaum  ausserhalb  der  Anpflan- 
zungen  anzutreffen. 

In  Nordafrika  ist  der  Oelbaum  ebenfalls  einheimisch,  sicher  von  Tunis 
bis  Marokko.  Battandier  sagt  in  seiner  Flore  de  1'Algerie:  »Aucune  plante 
ne  peut  d'apres  sa  dispersion  actuelle  etre  considered  comme  indigene  en 
Algerie,  a  plus  juste  titre  que  1'Olivier,  qui  constitue  notre  essence  forestiere 
la  plus  generalement  repandue,  en  dehors  de  toute  action  de  l'homme.« 
Ebenso  spricht  sich  Ball  in  seiuem  Spicilegium  Florae  maroccanae,  Journ. 
of  the  Linnean  Society  XVI.  p.  565  dahin  aus,  dass  der  Oelbaum  im  nord- 
lichen  und  westlichen  Marokko  wild  ist.  Dagegen  ist  Prof.  Schweinfurth 
(Aegyptens  auswartige  Beziehungen  hinsichtlich  der  Kulturgewachse,  in  Verh, 
der  Berliner  anthropol.  Gesellsch.,  Sitzung  vom  18.  Juli  1891)  der  Ansicht, 
dass  der  Oelbaum  in  Aegypten  unter  der  XIX.  Dynastie  aus  Syrien  eingefiihrt 
wurde.  Die  Annahme,  dass  der  Oelbaum  aus  Arabien  stamme,  bestatigt  sich 
nicht,  da  derselbe  nach  Schweinfurth's  Beobachtungen  (a.  a.  O.  S.  649) 
im  glucklichen  Arabien  nur  in  einigen  neueren  Garten  gebaut  wird.  Da  die 
Frtichte  des  Oelbaumes  durch  Vogel  verbreitet  werden  und  von 
jeher  im  ganzen  Mediterrangebiet  an  vielen  Stellen  die  Existenz- 
bedingungen  fur  den  Oelbaum  gegeben  waren,  so  war  es  auch 
ganz  naturlich,  dass  derselbe  die  ihm  zusagenden  Localitaten 
besiedelte,  ehe  die  orientalischen  Kulturvolker  aus  ihm  eine 
der  wichtigsten  Nutzpflanzen  machten.  Hier  ist  auch  zu  erwahnen, 
dass  in  Spanien  bei  El  Garcel  in  neolithischen  Fundstatten  von  den  Gebrtidern 
Siret  zahlreiche  durch  Kleinheit  ausgezeichnete  Steinkerne  gefunden  wurden, 
welche  aber  der  wilden  Stammform  angehoren  durften. 


*  In  Homerischer  Zeit  ware  nach  Hehn  das  Oel  lediglieh  zum  Salben 
des  Korpers  und  nicht  zu  sonstigen  Zwecken  verwendet  worden.  Auch  dieses 
Oel  sei  aber  kein  inlandisches  Erzeugniss,  sondern  ein  vom  Orient  eingeftihrtes 
gewesen;  denn  die  Kultur  des  Oelbaums  ginge  hochstens  in  ihren  Anfangen 
in  die  Homerieche  Zeit  zurtick.  Wir  glauben,  dass  diese  Anschauungen  nicht 
1  anger  haltbar  sind. 

Zunachst    dtirfte    allgemein    zugestanden    sein,    dass    die  beiden   Stellen 
II.  18,  596: 

tuiv  8'otl  JJLSV  XSKTCC?  ftO-ovac  s/ov,  ol  8s 

etat'  SOVVYJTOO?  Y]xa  otcXpovta?  iXauo 
und  Od.  7,  105  ff.: 


Der  Oelbaum. 


)C  uccocuot  v.a    *f] 

old  TS  cp6XXa  fxaxs8vfj<; 


von  Hehn  (oben  S.  104)  unrichtig  aufgefasst  sind.  Freilich  nicht  von  den  ferti- 
gen  Gewandungen  traufelt  Oel  herab,  was  auch  Philologus  1860  XV,  329  nicht 
gemeint  war  (vgl.  Hertzberg,  Philologus  1874  XXXIII,  7),  sondern  gemeint 
ist,  dass  die  linnenen  Stoffe  bei  ihrer  Herstellung  einer  Appretur  mit  Oel 
nnterzogen  wurden  oder  waren.  Naheres  daruber  vgl.  ausser  bei  Hertzberg 
a.  a.  O.  bei  W.  Helbig,  Homerisches  Epos,  2.  Ann.,  S.  168  f.  und  bei  F.  Stud- 
nitzka,  Beitr.  z.  Geschichte  der  altgr.  Tracht  S.  48  f.  Es  steht  also  fest,  dass 
das  Oel  bereits  in  der  Technik  'der  homerischen  Linnenindustrie  eine  Eolle 
spielte.  Nun  konnte  ja  freilich  auch  das  hierbei  gebrauchte  Oel  auslandisches 
gewesen  sein;  aber  wir  miissen  'doch  gestehen,  dass  uns  die  Ausfiihrungen 
Hehns,  durch  welch  e  er  die  fast  vollige  Abwesenheit  der  Kultur  des  Oel- 
baums  in  Homerischer  Zeit  zu  beweisen  versucht,  auch  sonst  nicht  tiber- 
zeugt  haben.  Wir  billigen  in  dieser  Beziehung,  ihrem  Inhalte  nach,  die  Em- 
wendungen  Hertzbergs  a.  a.  O'.,  wenn  es  auch  Friedlander  in  Fleckeisens 
Jahrbiichern,  XIX.  Jahrg.  1873  S.  89  gelungen  ist,  einige  Stellen  fiir  Hehns 
Anschauung  zu  retten.  In  keinem  Falle  aber  kommen  wir  tiber  das  Gleich- 
niss  in  einem  als  alt  und  echt  unangefochtenen  Theile  der  Ilias  (17,  58  —  58) 
hinweg;  denn  wie  fest  musste  die  Vorstellung  eines  vom  Pflanzer  aufgezogenen 
Oelbaums  in  der  Seele  des  Dichters  und  seiner  Horer  haften,  wenn  ersterer 
dieselbe  zur  Veranschaulichung  anderer  Begriffe  gebrauchen  konnte!  Auch  bei 
der  IXaiY],  aus  welcher  Odysseus  sein  Ehebett  gezimmert  hat,  ist  nicht  zu  ver- 
gessen,  dass  dieselbe  ipxeo<;  IVTOC;  (23,  190)  gewachsen  war.  Die  Hehn'sche 
Erklarung  endlich  der  rnit  der  eXaivj  zusammengewachsenen  ^uXt-r]  als  Myrte 
(oben  S.  106)  schiene  uns  nur  dann  annehmbar,  wenn  anderweitig  fest  stiinde, 
dass  die  eXaifj  nothwendig  als  wilder  Oelbaum  gefasst  werden  musste,  was 
eben  nicht  der  Fall  ist.  Ueber  die  verschiedenen  Deutungen  der  cpuXiYj  bei 
alten  und  neuen  vgl.  Buchholz,  Die  horn.  Realien  I,  2  S.  255  ff. 

Zu  dem  gleichen  Ergebniss,  wie  wir,  kommen  Neumann  und  Partsch, 
Physikalische  Geographic  von  Griechenland  S.  413:  »Ho"chst  unwahrschein- 
lich  ist,  dass  noch  im  homerischen  Zeitalter  Olivenol  den  kleinasiatischen 
Griechen  nur  als  phonizischer  Importartikel  bekannt  gewesen  sein  soil.  Diese 
Ansicht  Hehns  ist  wohl  nur  dadurch  erklarlich,  dass  er  bei  seinem  Nach- 
weis  der  Seltenheit  des  Oeles  bei  den  homerischen  Helden  reines  Olivenol 
und  wohlriechendes  Salbol  nicht  auseinanderhalt.  Letzteres  scheint  aller- 
dings  ein  specifisch  semitisches  Erzeugniss  und  fiir  die  Griechen  ein  kost- 
spieliger  Importgegenstand  gew^esen  zu  sein.« 

Eine  endgiltige  Entscheidung  daruber,  ob  die  Kultur  des  Oelbaurns  der 
homerischen  Zeit  noch  fremd  war  oder  nicht,  wird  man  von  den  altgriechi- 
schen  Ausgrabungen  erhoffen  diirfen.  Schon  sind  einige  Denkmaler  zu  Tage 
getreten,  welch  e  nach  dem  Urtheil  der  Sachverstandigen  hochstwahrscheinlich 
Abbildungen  von  Oelbaumen  enthalten.  Zunachst  sind  hier  die  beiden  Gold- 
becher  von  Vafio  bei  Amyclae  (3EcpYj|jisp!<;  (Scp^aioXoYtxY)  1889,  Tafel  9)  zu  nennen. 
Ist  es  hier  nach  Massgabe  der  Situation  (Stierjagd)  moglich,  an  wilde  Baume 
zu  denken,  so  scheint  das  Bruchstvick  eines  silbernen  Gefasses  aus  Mykenae 
1891,  3,  2),  welches  die  Vertheidigung  einer  Stadt  darstellt,  zu  deren 


120  Der  Oelbaum. 

Linken  Oliven  auftreten,  mehr  auf  angepflanzte  Oelbaume  hinzuweisen.  Immer- 
hin  aber  kann  man  ja  gegen  die  Beweiskraft  derartiger  Kunstwerke  einwendeii, 
dass  wir  es  hier  mit  auslandischer  Arbeit  oder  der  Arbeit  nach  auslandischen 
Motiven  zu  thun  batten.  Von  grosserer  Bedeutung  sind  daher  die  Oliven- 
kerne,  welcbe  man  neuerdings  in  Mykenae  aufgefunden  hat.  Hieruber  be- 
ricbtet  Herr  Tsuntas  brieflich  am  1.  November  1892:  »Olivenkerne  (die 
schoii  Schliemann  in  Mykenae  gefunden  hatte)  babe  ich  auch  dies  Jahr  in 
dem  Schutt  von  Hausern  drei  Mai  gefunden,  freilich  im  Ganzen  nur  etwa  ein 
Dutzend,  einmal  auch  einen  in  dem  Dromos  eines  Grabes,  also  sicher  aus 
mykenischer  Zeit.  Ich  zweifle  also  nicht  mehr,  dass  man  Oliven  ass^wilde 
Oliven  sind  ungeniessbar) ;  ob  man  aber  auch  Oel^daraus  presste,  weiss  ich 
nicht,  scheint  mir  aber  nicht  unwahrscheinlich ;  denn  in  Thera,  wo  die  unter 
der  Lava  entdeckten  Hauserreste  etwa  gleichzeitig  mit  der  alteren  mykeni- 
schen  Periode  sind,  und  deren  Kultur  sich  vielfach  mit  der  mykenischen 
bertihrte,  hat  man  gefunden  ,7un  instrument  complique  en  lave,  qid  parait  etre  un 
pressoir  a  huile  (Dumont  et  Chaplain  Ceramique  de  la  G-rece  propre  t.  1,  p.  31)«. 
Vgl.  dazu  auch  Neumann  und  Partsch,  a.  a.  0.  Wenn  Tsuntas  CEcprjjjLepi?  1888, 
S.  136)  an  die  Stelle  Plutarch,  Lykurg  27:  1'itetta  oovfrdirte-.v  ooSev  eiaae,  aXXa  iv 
cpoivtxiSt  xftl  cpoXXoi?  eXoua?  •8-svts?  to  aaifxa  TCEpteateXXov  erinnert,  so  haben  auch  in 
Aegypten  sich  aus  der  XXII.  und  XXV.  Dynastie  Todtenkranze  aus  Oelbaum- 
blattern  gefunden  (Wonig,  Die  Pflanzen  im  alten  Aegypten  S.  330). 

Was  die  Namen  des  Oelbaums,  gewohnlich  identisch  mit  denen  des  Pro- 
ductes  seiner  Fruchte,  anlangt,  so  wird  das  Hebraische,  Phonizische  (vgl. 
Schroder,  S.  131),  Arabische  und  Aramaische  (vgl.  Low,  Aram.  Pflanzennamen 
S.  136)  durch  eine  gemeinschaftliche  Benennung  (*zeitu)  verbunden.  Auf  dem 
Wege  spaterer  Entlehnung  ist  dieser  Ausdruck  auch  in  das  Persische  und 
Kurdische,  in  kaukasische  und  tatarische  Dialecte  eingedrungen  (Pott  in 
Lassens  Zeitschr.  VII,  110,  Koppen  a.  a.  0.  V,  573).  Das  Babylonisch- 
Assyrische  kennt  keinen  Namen  fur  die  Olive.  Hingegen  setzt  sich  die 
semitische  Reihe  offenbar  fort  einerseits  im  Armenischen  (jet\  dzet'  Oel  und 
Olive,  jit'eni  Oelbaum),  andererseits  im  Aegyptischen  (t'et-t  Olive,  vgl. 
Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  383) ;  denn  es  ist  eine  irrige,  durch  Strabo 
p.  809  und  Hitters  Erdkunde  XI,  519  veranlasste  Anschauung  Hehns  (oben 
S.  102),  dass  Aegypten  kein  Olivenol  hervorgebracht  habe.  Im  Gegentheil 
wird  der  Oelbaum  auf  den  Denkmalern,  z.  B.  d.  XVIII.  Dynastie  in  getreuer 
Wiedergabe  der  Blattformen  und  Fruchte  nicht  selten  dargestellt.  Nach 
Woenig  a.  a.  O.  S.  329  ware  das  Olivenol  in  Aegypten  ausser  zum  Salben 
auch  schon  zu  Speisen  und  als  Opfergabe  gebraucht  worden.  Ueber  die  Funde 
handelt  G.  Schweinfurth  in  Englers  Bot.  Jahrb.  VIII,  1886  S.  6f.  Vgl.  auch 
G.  Buschan,  Vorgesch.  Botanik.  S.  127  ff. 

Die  oben  genannte  agyptisch-semitisch-armenische  Namenreihe  hat  La- 
garde  in  den  Mittheilungen  III,  S.  214 ff.  einer  eingehendeii  Untersuchung 
uiiterzogen.  Er  gelangt  dabei  zu  dem  Ergebniss,  dass  der  Ausgangspunkt 
derselben  im  Armenischen  oder  in  einer  diesem  nachststehenden  Sprache 
Kleinasiens  —  er  denkt  an  die  Landschaft  Cilicien  —  zu  suchen  sei,  und 
dass  von  hier  sowohl  das  semitische  wie  auch  das  agyptische  Wort,  ersteres 
auf  dem  Landwege,  letzteres  auf  dem  Seewege  entlehnt  sei.  Eine  Bestatigung 
dieser  Ansicht  erblickt  Lagarde  darin,  dass  auch  das  griech.  eXata,  eXaiov  auf 


Ansassigkeit.     Baumzucht.  121 

das  Armenische  (iul  Oel)  hinweise.  Jedenfalls  erscheint  diese  Erklarung 
annehmbarer  als  die  versuchte  Herleitung  der  griechisclien  Worter  aus  einer 
indogermaniscben,  aber  im  Griechischen  nicht  vorhandenen  Wurzel  (lat.  ad- 
olere,  ags.  alan  verbrennen,  brennen,  vgl.  Prellwitz  Et.  W.  S.  89).  Olivenbau 
fiir  pontische  Gegenden,  fiir  Armenien  (p.  528),  Melitene  (535),  Sinopitis  (540), 
Phanaroa  (556)  \vird  von  Strabo  bezeugt,  wie  auch  nach  Mos.  Geog.  p.  610 
Oelbaume  in  der  armenischen  Provinz  Uti  vorkamen.  1st  die  Ansicht  La- 
garde's  mit  welcher  F.  Hommel,  Aufs.  und  Abh.  S.  99  tibereinstimmt,  richtig, 
so  wiirde  die  Geschichte  des  Oelbaums  in  Asien  mancherlei  Verwandtes  mit 
der  des  Weines  haben,  wie  sie  oben  skizzirt  worden  ist. 

Auch  darauf  macht  Lagarde  zum  Schluss  aufmerksam,  dass  »die  bei 
Israeliten  und  Juden  umlaufende  Fluthsage  (wie  den  Weinstock  so)  den  Oel- 
baum  nach  Armenien  setze,  da  die  aus  der  gestrandeten  Arc-he  Noe's  aus- 
gesandte  Taube  doch  wohl  das  beriihmte  Oelblatt  aus  keiner  anderen  Land- 
schaft  als  Ararat,  dem  Lande  der  'AXapoStoi,  geholt  habe«. 

Umgekehrt  allerdings  leitet  Htibschrnann,  Z.  d.  D.  M.  G.  XLVI,  S.  243, 
Armen.  Gr.  S.  309  das  armenische  Wort  aus  dem  Semitischen  ab,  und  weiter 
betrachtet  Ermann  ibid.  S.  123  die  semitische  Benennung  der  Olive  als  eine 
Entlehnung  aus  dem  Aegyptischen.  Das  Verhaltniss  von  griech.  eXatov  zu 
armen.  iul  halt  Hiibschmann  Armen.  Gr.  S.  394  fiir  unaufgeklart.  Eine  Ueber- 
einstimmung  in  der  Erklarung  der  sprachlichen  Thatsachen  ist  also  noch 
nicht  erzielt. 

Zusammenfassend  wird  man  sagen  diirfen:  es  ist  wahrschein- 
lich,  dass  die  Kultur  der  Olive  im  Orient  —  noch  ungewiss  von 
welchem  Ausgangspunkt  —  sich  auf  der  Linie  Aegypten,  Syrien, 
Kleinasien  verbreitet  hat,  und  von  letzterem,  schon  in  vor- 
homerischer  Zeit,  nach  Griechenland  iibertragen  worden  ist. 


Wo  die  Kultur  der  drei  genannten  Gewachse,  des  Weines,  der 
Feige  und  des  Oelbaums,  in  grosserem  Massstab  sich  festsetzte,  da 
musste  Lebensart  und  Beschaftigung  der  Menschen  eine  andere  wer- 
den,  das  Land  ein  anderes  Ansehen  gewinnen.  Die  Baumzucht  war 
ein  Schritt  mehr  auf  der  Bahn  fester  Niederlassung :  erst  mit  ihr 
und  durch  sie  wurde  der  Mensch  ganz  ansassig.  Der  Uebergang 
vom  unstaten  Hirtenleben  zur  festen  Ansiedelung  ist  nirgends  ein 
plotzlicher  gewesen,  sondern  fiihrte  immer  durch  zahlreiche  Zwischen- 
stufen,  auf  denen  die  Volker  oft  Jahrhunderte  verharrten.  Der 
herumziehende  Hirte  besaet  fluchtig  ein  Stuck  Land,  das  er  im 
Herbst  ebenso  fluchtig  aberntet;  er  wahlt  im  nachsten  Friihling  ein 
anderes,  frisches,  das  er  aberrnals  liegen  lasst,  nachdem  er  ihm  den 
Raub  abgenommen.  Hat  die  Horde  an  einem  besonders  fruchtbaren 
Fleck  sich  mit  ihren  leichten  Hausern  festgesetzt,  so  ist  doch  auch 
hier  der  Boden  nach  einigen  Jahren  erschopft:  die  ganze  Gemein- 
schaft  bricht  auf,  ladt  alles  Bewegliche  auf  ihre  Thiere  und  Wagen 


122  Ansassigkeit.     Baumzucht. 

und  baut  sich  an  einem  andern  Orte  wieder  an.  Auch  vvenn  die 
Ansiedelung  eine  statige  geworden,  1st  cler  Begriff  individuellen 
Eigenthums  am  Boden  doch  noch  nicht  vorhanden:  wie  die  Weide 
eine  gemeinsame  war,  wircl  auch  das  Ackerland,  an  welchem  bei 
der  geringen  Bevolkerung  kein  Mangel  ist,  in  jedem  Jahr  an  die 
Genossen  je  nach  ihrer  Zahl  neu  vertheilt.  Dies  war  der  Zustand 
der  Germanen  zu  Tacitus  Zeit,  und  dies  ist  der  naturliche  Sinn  der 
Worte  des  genannten  Schriftstellers,  an  denen  patriotische  Ausleger, 
die  gern  das  Gegentheil  erfahren  batten,  nicbt  minder  miihselig,  als 
in  ahnlichem  Fall  die  Bibelexegeten,  gedeutet  haben.  Dieselbe 
communistische,  noch  halb  nomadische  Form  des  Ackerbaues,  die 
mit  dem  Patriarcbalismus  eng  zusammenhangt,  berrscht  nocb  heute 
in  einem  grossen  Theil  Russlands,  bei  Tataren,  Beduinen  und 
manchen  andern  Volkern.  Viehzucht  bleibt  auf  diesen  ersten  Stufen 
des  Ackerbaus  immer  noch  das  vorherrschende  Geschaft,  Wandern 
und  Raub  die  Leidenschaft,  Fleisch  und  Milch  die  Hauptnahrung ; 
die  Hauser  sind  nur  leicht  gebaut,  brennen  haufig  auf,  ihr  Material 
ist  Holz;  der  Pflug  besteht  aus  einem  spitzen  Baumast,  ritzt  den 
Boden  nur  leicht  und  wird  von  kriegsgefangenen  Sklaven  gefiihrt; 
die  Voraussicht  ist  keine  lange,  sie  geht  nur  vom  Friihling  auf 
den  Herbst.  Einen  bedeutenden  Schritt  weiter  bezeichnet  schon 
die  Winter saat,  aber  den  entscheidenden  erst  die  Baumzucht.  Erst 
mit  der  letzteren  ging  das  Gefiihl  ortlicher  Heimath  und  der  Begriff 
des  Eigenthums  auf.  Der  Baum  muss  Jahre  lang  erzogen  und 
getrankt  werden,  ehe  er  Frucht  giebt  (»den  ich  hegte  und  pflegte  wie 
eine  Pfianze  im  Baumgarten«,  sagt  Thetis  in  der  Ilias  von  ihrem 
Sohne  Achilleus);  dann  giebt  er  sie  jedes  Jahr,  indess  der  Bund  mit 
dem  einjahrigen  Grase,  das  die  Demeter  saen  gelehrt,  in  dem  Augen- 
blick  aufgelost  ist,  wo  die  Frucht  geerntet  worden.  Um  den  Weiri- 
berg,  um  den  Baumgarten  wird  eine  schiitzende  Hecke  gezogen,  das 
Zeichen  vollen  Eigenthums :  dem  blossen  Ackerbauer  geniigt  im  besteii 
Falle  ein  Grenzstein.  Das  Saatfeld  muss  auf  Thau  und  Regen  barren: 
der  Pflanzer  leitet  die  Quelle  aus  den  Bergen  herab  und  um  seine 
Beete  herum,  und  indem  er  dies  thut,  verwickelt  er  sich  mit  seinen 
Nachbarn  in  Rechts-  und  Eigenthumsfragen,  die  nur  durch  eine  feste 
politische  Ordnung  gelost  werden.  Schon  eine  der  altesten  politi- 
schen  Urkunden,  von  denen  wir  iiberhaupt  wissen,  der  uns  vom 
Redner  Aeschines  aufbewahrte  Bundeseid  der  delphischeii  Amphi- 
ktyonen,  enthielt  die  Bestimmung:  es  darf  keiner  der  verbiindeten 
Stadte  das  fliessende  Wasser  abgeschnitten  werden,  weder  im  Kriege 


Ansassigkeit.     Baumzucht.  123 

noch  im  Frieden.  Auch  das  Haus,  das  von  Fruchtbaumgruppen 
umgeben  1st,  wird,  wie  diese  auf  lange  Jahre  berechnet,  d.  h.  es  1st 
von  Stein  erbaut  und  schmiickt  sich  in  seinem  Innern  mit  deni  Ver- 
machtniss  der  Geschlechter  und  dem  Erwerbe  fortgehender  Kultur. 
Das  Eisen  findet  sich  ein  und  wird  allmahlich  das  immer  haufigere, 
zuletzt  vorherrschende  Material  aller  Werkzeuge,  Auch  die  Gotter 
werden  edler:  deneii  des  Hirten,  der  gewohnt  ist,  thierische  Leiber 
aufzuschneiden,  und  dessen  Poesie  in  der  Vorstellung  grasslicher,  mit 
der  Steinaxt  aufgerissener  Wunden  schwelgt,  wird  blutig  und  roh 
geopfert,  sanfter  der  Ceres  mit  geschrotenem  Spelz  und  Salz  und  dem 
Terminus  mit  Kranzen  und  Kuchen,  aber  erst  der  Wein  stimmte  den 
harten  Ackerbauer  mild  und  heiter  und  machte  ihn  zu  dramatischen 
Spielen  aufgelegt,  und  erst  die  Olive,  der  Baum  der  Athene,  der 
Gottin  geistiger  Helle,  gab  das  Symbol  des  Friedens,  der  Bitte  und 
der  Freundlichkeit  ab. 

Schon  die  alten  epischen  Dichter  unterscheiden  genau  die  drei 
Arten  der  Bodenbenutzung:  Thierweide  oder  FJeisch,  Milch  und 
Wolle;  Ackerbau  oder  die  siisse  Halmfrucht,  die  Nahrerin  des  Men- 
schengeschlechts ;  endlich  Baumpnanzung  oder  Wein  und  Oel.  Fur 
die  beiden  letzten  Stufen,  von  denen  die  dritte,  je  alter  die  ent- 
sprechende  Dichterstelle  ist,  um  so  mehr  nur  auf  die  Weinkultur 
sich  beschrankt,  gelten  die  sich  gegeniiberstehenden  technischen  Aus- 
driicke:  dgoa),  agovQa  und  yvisvw,  (pvmkCa.  II.  14,  124  (Dio- 
medes  erzahlt,  sein  Vater  T}7deus  habe  ein  reiches  Haus  bewohnt 
und  viel  weizenreiche  Felder,  viele  Baumgarten  und  viele  Heer- 
den  besessen): 

sein  Haus  war 

Reich  mit  Schatzen  gefiillt:  er  besass  viel  Weizengefilde, 
Auch  viel  Garten  umher,  von  Baum  und  Rebe  beschattet, 
Auch  Schafheerden  in  Menge. 

II.   12,  313  (Sarpedon  spricht  zu  Glaukos): 

Wesshalb  baun  wir  den  weiten  Bezirk  an  den  Ufern  des  Xanthos, 
Welch  er  mit  Pflanzungen  prangt  und  weizenergiebigem  Saatfeld? 

II.  20,  184  (Achilleus  fragt  den  Aeneas,  ob  ihm  die  Troer  etvva  als 
Preis  fur  die  Todtung  seines  Gegners  ein  Stuck  Land  ausgesetzt, 
versehen  mit  Pflanzung  und  Acker): 

Steckten  die  Troer  vielleicht  dir  ab  ein  erlesenes  Grundstiick, 
Treffliche  Saatengefild'  und  Pflanzungen,  class  du  sie  hauest, 
Wenn  du  mich  todt  hinstreckst? 

(Aehnlich  und  mit  denselben  Worten  von  den  Lykiern  und  dem 
Bellerophontes,  II.  6,  194.)  Auch  die  Aetoler  bieten  dem  Meleager 


124  Ansfissigkeit.     Baumzucht. 

als  Preis  fur  die  Theilnahme  am  Kampfe  ein  Grundstuck,  zur  Halfte 

Weideland,  zur  Halfte  Ackerboden,  II.   9,   578: 

Allda  hiessen  sie  ihn  ein  herrliches  Gut  sich  erlesen, 

Fiinfzig  Hufen  umher,  zur  Halft'  ein  Rebengelande, 

Halb  ein  freies  Gefild,  mit  dem  Pflug  es  zu  schneiden  geeignet. 

Od.  9,  108  (von  den  Cyclopen,  die  weder  Feldbestellung  noch  Baum- 
zucht kennen): 

ovts  cpvievovaiv  %eQ(flv  (pviov,  OVT    dyowtitv, 

wo  das  xsQGlv  bedetitungsvoll  ist.     Hesiod.   Op.  et  d.  22: 
og  tfTTSvdsi,  lusv  aQOf-i/uisvai  yde  (pvrevew. 

Auch  bei  Tyrtaus,  fr.   3  (Brgk.)  : 

Me<ttfivrp>  dya&rjv  fusv  dgovv,  aya&p>  Sh  yvrevetv. 

An  einer  homerischen  Stelle  tritt  aufMlender  Weise  zu  Acker,  Garten 
und  Weide  als  Viertes  der  Pischfang  an  der  Kiiste:  Od.  19.  Ill  (in 
dem  Lande  des  gerechten  Herrschers) 

da  bringt  der  schwarzliche  Boden 

Weizen  und  Gerste   hervor,   schwer  lastet  die  Frucht  an  den  Baumeii, 
Kraftig  gebaren  die  Schafe,  das  Meer  giebt  Fische  zur  Nahrung, 
Alles  als  Lohn  der  Weisheit  und  zum  Gedeihen  des  Volkes. 


Auch  die  spatern  Prosaisten  pflegen  das  Ackerland,  yr{ 
i/Jt^r()  und  das  bepflanzte  Land,  y?J  Tieyvrt  vf-isvrj  ,  als  die  beiden 
integrirenden  Theile  des  Kulturbodens  zusammenzustellen  ,  z.  B. 
Xenoph.  Hell.  3,  2,  10:  Tio^r^v  ds  xdya$ifv  yr\v  GTtoQifJiov,  TtoUdrp 
6k  jreg)vi:£Vfi£vrjv,  na^i7iliqi)elg  de  xal  nayxdkovg  vopag  navioda- 
Tiolg  xxrjvBGt,.  Demosth.  adv.  Lept.  115:  sxawv  [tsv  sv  Evfioiy 
TrAetya  yrtg  rtstyvttv/nsvqg  ffdotiav,  exawv  tie  ipihrjg.  In  Xenophons 
Oeconomicus  hat  sich  Sokrates  langere  Zeit  mit  Ischomachus  uber 
den  Landbau,  die  yernQyixr]  TS-^vr^  unterhalten,  da  fragt  Ersterer: 
gehort  denn  auch  die  Baumpflanzung,  ^  TWV  dwdgoov  yvTeia,  mit 
zum  Ackerbau  als  ein  Theil  desselben?  Freilich,  erwidert  Ischo- 
machus. Und  darauf  wird  denn  ausfiihrlich  iiber  Tiefe  und  Breite 
der  Gruben,  die  Bedeckung  mit  Erde,  die  Bewasserung,  die  Wahl 
des  Bodens  u.  s.  w.  verhandelt,  mit  ausschliesslicher  Beziehung  auf 
die  drei  Gewachse  aftnshog,  avxr}  und  £kaia.  Wie  Demeter  die 
Gottin  der  Feldfrucht,  so  ist  besonders  Dionysos,  der  Gott  mit  halb- 
orientalischem  Charakter,  Personification  der  gedeihenden  Baumfrucht 
und  des  Segens,  der  daher  kommt:  Pindar,  fr.  153  (Bergk.): 

d&vfyiwv  ds  vofjibv  dwvvoog 
dyvbv 


Ansassigkeit.     Baumzucht.  125 


Plut.  Symp.  5,  3,  4:  xal  UoasMvC  ye  (pvTcdpcw,  diovi'&p  6s 
TidvTsg,  wg  enog  slnslv,  "Ehhyveg  ttvovffiv.  Auch  evSsv- 

hiess  der  Gott  nach  dieser  Seite  seines  Wesens,  Hesych.  s.  v. 
Wenn  der  Beiname  der  Demeter  [JLahocpOQog  in  einer  Inschrift  von 
Selinus  so  viel  bedeutet,  als  Spenderin  von  Baumfriichten,  nicht  etwa 
von  Schafen  (0.  Benndorf,  die  Metopen  von  Selinnt,  S.  31),  so  ware 
auch  diese  Gottin  zuweilen  als  Vorsteherin  der  Garten  gedacht  worden. 

Nicht  anders  war  das  Verhaltniss  in  Italien;  auch  dort  sind 
Acker  und  Pflanzung  coordinirte  Kulturzweige,  Dionysius  Halic. 
1,  37  preist  Italien  als  keine  Art  des  Anbaues  ausschliessend  :  es 
sei  baumlos,  udevdgog,  weil  es  korntragend,  (UmyoQog,  sei,  es  sei 
aber  auch  arm  an  Getreide,  6^t,yoxaQTiog^  weil  es  mit  Baumeii  be- 
pflanzt,  devdQlug,  sei  u.  s.  w.  Bei  Eroberung  Italiens,  sagt  Appian 
de  bell.  civ.  1,  7,  wiesen  die  Romer  das  wiiste  liegende  Land  Jedem 
zu,  der  Lust  hatte,  es  zu  bebauen,  »indem  sie  sich  nur  einen  jahr- 
lichen  Zins  vorbehielten,  den  Zehnten  von  dem  Ertrage  des  besae- 
ten,  den  Fiinften  von  dem  des  bepflanzten  Landes.«  Cic.  de  rep.  5, 
2  (den  Konigen,  denen  die  Rechtsprechung  oblag,  wurde  Land  zur 
Entschadigung  gegeben):  ob  easque  causas  agri,  arvi  et  arbusti  et 
pascui,  lati  atque  uberes  definiebantur,  qui  essent  regii  —  in  welcher 
alterthiimlichen  Formel  also  der  ager  arbustus,  die  Baumpflanzung, 
dem  ager  arvus  und  pascuus,  dem  Saat-  und  Weidelande,  als  Glied 
der  Dreitheilung  gegeniibersteht,  ganz  wie  in  der  obigen  Stelle  des 
Xenophon.  Lucret.  5,  933  ed.  Lachm. 

Nee  robustus  erat  curvi  moderator  aratri 
Quisquam,  nee  scibat  ferro  molirier  arva; 
Nee  nova  defodere  in  terram  virgulta  neque  aliis 
Arboribus  veteres  decider  e  falcibu'  ramos  — 

also  ohne  Umschreibung  :  weder  Ackerbauer  noch  Baumpflanzer. 
Daher  auch  Cn.  Tremellius  Scrofa  bei  Varro  de  r.  r.  1,  7,  8  es  als 
eine  Sonderbarkeit  anfuhrt,  dass  er  bei  einem  Kriegszuge  ins  innere 
Gallien  gegen  den  Rhein  hin  Gegenden  gefunden  habe,  wo  es  ganz 
an  Weinstocken,  Oel-  und  Obstbaumen  fehlte:  in  Gallia  transalpina 
intus  ad  Rhenum*  cum  exercitum  ducerenij  aliquot  regiones  accessi, 
ubi  nee  vitis  nee  olea  nee  poma  nascerentur;  ubi  agros  stercorarent 
Candida  fossicia  creta;  ubi  salem  nee  fossicium  nee  maritimum 
haberent,  sed  ex  quibusdam  lignis  combustis  carbonibus  salsis  pro 
eo  uterentur.  So  natiirlich  also  schien  einem  Zeitgenossen  des  Varro 
und  Bewohner  des  Siidens  die  Verbindung  des  reinen  Ackerbaues 
mit  Anpflanzung  des  Weinstocks  und  fruchttragender  Baume,  dass 


126  Ansassigkeit.     Baumzucht. 

er    die  Abwesenheit    der    letztern  mil  der  ihm  imbekannten  Mergel- 
diingung  und  dem  Gebrauche  der  Asche  statt  des  Salzes  zusammenstellt. 

Interessant  1st,  dass  auch  in  den  heiligen  Schriften  des  Zend- 
volkes  der  Boden  auf  die  dreifache  Art  benutzt  wird,  wie  in  Griechen- 
land  und  Italien.  Vendidad  3,  12 — 13  (nach  Spiegels  Uebersetzung) : 
»Was  ist  zum  Dritten  dieser  Erde  am  angenehmsten?  Darauf  ent- 
gegnete  Ahura-mazda:  wo  am  meisten  durch  Anbau  erzeugt  wird, 
o  heiliger  Zarathustra,  von  Getreide,  Futter  und  speisetragenden 
Baumen.«  76 — 77:  »Wer  erfreut  zum  Vierten  diese  Erde  rnit  der 
grossten  Zufriedenheit?  Darauf  entgegnete  Ahura-mazda:  Wer  am 
meisten  anbaut  Feldfriichte,  Gras  und  Baume,  die  Speisen  bringen, 
o  heiliger  Zarathustra. «  Aehnlich  driickt  sich  auch  der  Perser  Mar- 
•donius  bei  Herodot  aus:  als  dieser  den  Xerxes  zum  Kriegszug  gegen 
die  Athener  bereden  wollte,  da  ruhmte  er  ihm  Europa  als  ein  schones 
Land,  wo  aller  Art  Fruchtbaume  wiichsen  und  der  Boden  hochst 
kraftig  (zum  Getreidebau)  sei,  Herod.  7,  5:  cog  q  EvQW7trt 
xaMrjC  WQQI],  xal  SevdQsa  rtavxola  (psQsi,  TO,  r^fiSQa,  aQST^v  re 
Umgekehrt  war  Babylonien  nach  Herod.  1,  193  hochst  fruchtbar 
an  Getreide :  a^iatr}  dfarJTQog  xagnov  zxysgeiv,  trug  aber  keine  Spur 
von  Baumen:  devtigsa  ovds  neiQaicu  aQxyv  (pegtw  OVTS  <Svxei]v,  OVTS 
afiiTiehov,  ovT8  shaCyv  -  -  wo  die  typische  Zusammenstellung  der  drei 
Oewachse,  der  Feige,  Rebe  und  Olive,  wiederkehrt. 

Wenn  Vergil  G.  2,  371  sagt:  Texendae  saepes  etiam  u.  s.  w., 
so  ist  dies  nicht  etwa  ein  neuerer  Gebrauch:  schon  im  Alten  Testa- 
ment und  in  der  epischen  Zeit  Griechenlands  werden  solche  Baurn- 
garten  als  umzaunt,  mit  Graben  oder  Hecke  und  Mauer  umgeben 
gedacht,  wahrend  das  Saatgefilde  frei  daliegt.  Wie  die  Parabel  des 
Propheten  Jesaias  Kap.  5  mit  den  Worten  beginnt:  »Mein  Lieber  hat 
einen  Weinberg  an  einem  fetten  Ort  und  er  hat  ihn  verzaunet  und 
mit  Steinhaufen  verwahret  und  edle  Reben  drein  gesenket«.  — ,  so 
war  auch  der  Weinberg  auf  dem  Schilde  des  Achilleus  mit  einem 
Oraben,  xdnsxos,  und  einer  Hecke,  eQxog,  umzogen;  Oineus,  der 
Herrscher  von  Kallydon,  todtete  seinen  eigenen  Sohn  Toxeus,  d.  h. 
den  Schiitzen,  weil  dieser  es  gewagt  hatte,  den  Graben,  der  die 
Weinstocke  umschloss,  zu  tiberspringen  (Apollodor.  1,  8,  1).  Das 
Material,  das  zu  der  Umzaunung  gelesen  wird,  heisst  mit  einer  ety- 
mologisch  dunklen  Benennung  al^aaia  —  entweder  Dornen  oder 
Steine,  vielleicht  bald  das  Eine,  bald  das  Andere,  oder  Beides  zu- 
gleich,  je  nach  der  Gegend  oder  ihrer  natiirlichen  Beschaffenheit ;  der 
gottliche  Sauhirt  in  der  Odyssee  wenigstens  hat  seinen  Hof  mit 


Ansassigkeit.    Baumzucht.  127 

herbeigeschleppten  Steinen  verwahrt  und  diese  dann  mit  Dornen 
besteckt,  14,  10: 

Steine  zusamraengeschleppt  und  oben  umfriedet  mit  Dornen. 

Solche  o£/o£,  <fVTu>v  OQ^CLTOC,  wie  Homer  und  Hesiod  die  umfrie- 
digten  Fruchtgarten ,  besonders  die  Weingarten,  nach  dieser  ihrer 
Eigenschaft  benennen  (da  diese  Worter  doch  wohl  auf  el'^yco, 
schliessen,  zuriickzufiihren  sind,  JJLETOQWOV  =  ein  Getreidefeld  zwischen 
zwei  geschlossenen  Garten),  bedecken  und  durchschneiden  noch  jetzt 
das  siidliche  Italien,  dessen  Wege  zwischen  Mauern  und  Hecken  von 
Stachelpflanzen  dahinziehen  und  dem  staubbedeckten  Reiter  die  Aus- 
sicht  auf  das  Meer  oder  das  Gebirge  versagen.  Auch  gilt  noch  jetzt 
in  jener  Gegend  ein  Grundstuck,  das  mit  Mauer  oder  Hecke  um- 
geben  ist,  allgemein  fur  werthvoller  und  an  Ertrag  reicher  als  ein 
offenes. 

Schon  bei  Homer  sind  es  die  Schwachern,  besonders  die  Greise, 
deren  Obhut  die  Baume  anvertraut  sind  und  die  niedergebiickt  im 
Garten  pflanzen,  graben  und  schneiden:  mit  dem  Ochsengespann 
Furchen  ziehen  und  die  Wiese  mit  der  Sense,  SgeTravov,  abmahen, 
gilt,  wie  der  Krieg,  fur  das  Werk  der  Jiinglinge  und  Manner.  Be- 
sonders deutlich  ist  in  dieser  Beziehung  die  Stelle  Od.  18,  356  ff. 
Einer  der  Freier,  Eurymachus,  hat  den  Odysseus  wegen  seines  Kahl- 
kopfes  verlacht  und  schlagt  ihm  darauf  vor,  als  Arbeiter  am  Zaun 
und  als  Pflanzer  von  Baumen  in  seinen  Dienst  zu  treten: 

Dornengestrauch  mir  zu  sammeln  und  stammige  Baume  zu  pflanzen. 

Hierauf  erwidert  ihm  Odysseus:  »Sollte  ich  mit  dir  auf  der  Wiese 
den  ganzen  Tag  liber  um  die  Wette  das  Gras  abmahen  oder  mit 
dem  Joch  Ochsen  vier  Morgen  fetten  Ackers  pfliigen,  dann  wurdest 
du  sehen,  ob  ich  eine  Furche  zu  ziehen  im  Stande  bin.  Und  hatte 
ich  Waffen,  wie  sie  sich  fur  den'Krieger  schicken,  du  wiirdest  mich 
unter  den  Ersten  kampfen  sehen.  Du  aber  scheinst  dir  gross  und 
stark,  weil  du  mit  Wenigen  und  Bosen  verkehrst.«  —  So  hat  sich 
auch  der  greise  Laertes  zu  den  Garten  zuriickgezogen ,  und  sein 
Genosse  ist  der  gealterte  Sklave  Dolios,  den  einst  Penelope  von 
ihres  Vaters  Hause  in  das  des  Ehegatten  mithiniibergebracht.  - 
Nicht  anders  im  Hymnus  an  den  Hermes.  Dort  treibt  der  Gott  die 
gestohlenen  Kinder  hinweg,  da  sieht  ihn  ein  Mann,  der  im  Wein- 
garten arbeitet:  es  ist  ein  Greis,  der,  zur  Erde  gebeugt,  im  Boden 
grabt,  v.  90: 

co  yegov,  ocrce  (pvia  GxaiTTSig  emxafjiTfvhog 


128  Ansassigkeit.     Baurnzucht. 

Und  als  Tags  darauf  Apollon  suchend  an  derselben  Stelle  vorbei- 
kommt,  da  findet  er  den  Greis,  einen  Zaun,  €Qxog  aAco?^,  zum 
Schutz  gegen  die  Strasse,  auf  der  viel  Wanderer  ziehen,  nags^ 
oSov,  aus  Dornen  flechtend  und  redet  ihn  demgemass  an,  v.  190: 

co  YSQOV,  yQy*tf\6i;olo  fiaxodgoTie  no^eviog. 

Das  in  dem  ersten  Verse  gebrauchte  o*&rz€W  ist  gleichfalls  feste 
Bezeichnung  fur  Arbeit  im  Wein-  und  Baumgarten,  wie  bei  Hesiod. 
Op.  et  d.  572: 

tors  drj  Gxd(pog  ovxen  oivewv, 

und  wird  gern  dem  OQOVV,  dem  Ackern  auf  dem  Felde,  gegeniiber- 
gestellt.  So  in  dem  Verse  aus  dem  homerischen  Margites: 
Tbv  &  OVT  aQ  ffxaTTT^Qa  fool  dzaav,  OVT'  aQOT^ga. 
Auch  lateinisch  heisst  es  fodere  hortum  (Plaut.  Pten.  5,  2,  30),  und 
fodere  und  arare  stehen  in  Parallele,  Terent.  Heaut.  1,  1,  16:  quin 
te  in  fundo  conspicer  fodere  aut  arare.  Das  Werkzeug  dazu  ist 
entweder  das  MGTQOV,  daher  Od.  24,  227  Odysseus  seinen  alten  Vater 
foffiQSvovTa  (fVTov  findet,  oder  die  [idxeMa,  d.  h.  die  einzinkige 
Hacke,  in  der  Ilias  21,  259  zum  Aufgraben  der  Wasserrinnen  im 
Garten  gebraucht,  oder  die  dixekla,  d.  h.  die  zweizinkige  Hacke, 
in  einem  Fragment  des  Aeschylus  in  Gegensatz  zum  Pfluge  gestellt, 
fr.  190  (Nauck): 

rafitovg,  iv    OVT   O.QOTQOV  OVTS  yarofJiog 
TSftvsi,  dtxsW  agovgav, 

auch  die  Gxanavr]  (bei  Theokrit,  davon  vielleicht  das  italienische  zappa, 
franz.  sappe},  in  der  spatern  attischen  Sprache  die  a^  und  tfp&tvS 
oder  Gfuvvrj,  lat.  ligo,  bidens,  vanga  (bei  Palladius,  noch  italienisch), 
franzosisch  pioche  (vermuthlich  statt  picoche)  u.  s.  w. 

Mit  der  Baumzucht  freilich  wurden  auch  die  Kriege  furchtbarer, 
weil  die  Zerstorung  mehr  Gegenstande  fand.  Nach  der  uraltesten 
Sitte,  die  auch  bei  Homer  nicht  fehlt,  wie  sie  noch  jetzt  bei  den 
Beduinen  herrscht,  ist  das  Wegtreiben  der  Heerden,  der  Raub  der 
Pferde  ein  gewohnlicher  Kriegsvortheil  und  die  an  dem  Feinde 
geiibte  Rache  und  Strafe;  oft  holt  der  Beschadigte  den  abziehenden 
Rauber  wieder  ein  und  nimmt  sein  Eigenthum  zuriick;  in  jedem 
Falle  ersetzt  sich  die  Heerde  in  nicht  allzulanger  Zeit  wieder.  Die 
Germanen  zogen  sich  hinter  ihre  Walder  und  Siimpfe  zuriick,  und 
die  Romer  konnten  sie  nirgends  empfindlich  treffen.  »Warum  sollten 
wir  uns  auf  eine  Schlacht  mit  Euch  einlassen,  antwortet  bei  Herod. 
4,  127  der  Skythenkonig  Idan thyrsus  dem  Darius,  wir  haben  ja  keine 


Ansassigkeit.     Baurazucht.  129 


Stadte,  die  eingenommen,  keine  Pflanzungen.  (yrj  Tteg)  VTSV/LISV^)  ,  die 
ausgerottet  werden  konnten.«  Noch  in  unserm  Jahrhundert,  im 
Jahre  1812,  machten  es  die  Russen  ganz  ahnlich:  sie  brannten  sogar 
ihre  Hauptstadt  nieder,  die  doch  nur  grosstentheils  aus  Holz  bestand, 
zogen  sich  immer  weiter  ins  unwirthliche  Innere  zuriick  und  liessen 
Entfernung,  Wildniss,  Klima  die  Vertheidigung  fuhren.  Anders  da, 
wo  der  Mensch  in  dauernden  Hausern  unter  Weinstocken,  Oel-  und 
Feigenbaumen  wohnt,  da  wuthet  ein  grausamer  Feind  schrecklich, 
und  das  Land  ist  auf  Menschenalter  verodet.  Die  Wasserleitungen 
werden  zerstort  und  damit  die  eigentliche  Lebensquelle  abgeschnitten  : 
sie  wieder  einzurichten  ,  kostet  viele  Arbeit  und  mehr  Kapital,  als 
nach  einem  Kriege  vorhanden  ist.  Die  Oelbaume  werden  nieder- 
gehauen  und  wachsen  nur  langsam  wieder;  auch  der  Weinstock 
fordert  manches  Jahr,  ehe  er  tragfahig  wird.  Zwar  das  mosaische 
Gesetz  verbot  das  Ausrotten  der  Fruchtbaume,  Deuteron.  20,  19: 
»Wenn  du  fur  einer  Stadt  lange  liegen  musst,  wider  die  du 
streitest,  sie  zu  erobern,  so  sollst  du  die  Baume  nicht  verderben, 
dass  du  mit  Aexten  daran  fahrest,  denn  du  kannst  davon  essen, 
darum  sollst  du  sie  nicht  ausrotten«,  aber  dass  das  Verbot  in  der 
Kriegswuth  nicht  beachtet  wurde,  lehrt  das  Alte  Testament  selbst. 
So  verbrannte  z.  B.  der  hebraische  Nationalheld  Simson  mittelst 
seiner  Fiichse  nicht  bloss  die  Saaten  des  feindlichen  Landes  (die  im 
nachsten  Jahr  wiederwachsen  konnten),  sondern  auch  die  Wein-  und 
Oelpflanzungen  ,  die  nicht  so  leicht  wieder  herzustellen  waren.  Als 
Alyattes,  Konig  von  Lydien,  die  Stadt  Milet  nicht  einnehrnen  konnte, 
bezog  er  alle  Jahre  regelmassig  ihr  Gebiet  und  verdarb  Baume  und 
Feldfriichte  (Herod.  1,  17).  Auf  solche  Art  ist  auch  spater  der 
Orient  wiederholt  von  hereingebrochenen  wilden  Horden  zur  Wiiste 
gemacht  worden  und  hat  die  fruhere  Bliite  nie  wieder  erreicht. 
Auch  die  Geschichte  der  Griechen  ist  voll  von  ahnlichen  Barbareien 
—  vor  und  nach  Plato,  der  sie  in  seiner  Republik  (5.  p.  470) 
wenigstens  unter  Griechen  nicht  dulden  will.  Wie  oft  liest  man 
beim  Thucydides  die  verhangnissvollen  Worte:  vrp  yr^v  $drjovv  oder 
Zufivov,  z.  B.  3,  26;  »sie  verheerten  Attika,  sowohl  die  Gegenden, 
wo  schon  fmher  die  Gewachse  niedergemacht  und  jetzt  etwa  neu 
aufgesprosst  waren,  als  diejenigen,  die  bei  fruhern  Einfallen  verschont 
geblieben  waren.  «  Wie  die  Peloponnesier  besonders  in  den  Oel- 
pflanzungen Attikas  gehaust  hatten,  ergiebt  sich  deutlich  aus  des 
Lysias  Rede  negl  wv  ffyxov,  wo  unter  andern  z.  B.  folgende  Stelle 
vorkommt:  »Ihr  wisst,  dass  damals  viele  Gegenden  mit  Oelbaumen 

Viet.  Hehn,  KiUturpflanzen.     7.  Aufl.  9 


130  Ansassigkeit.     Baumzucht. 

bestanden  waren,  die  jetzt  grosstentheils  niedergehauen  sind,  und 
dass  das  Land  seitdem  kahl  geworden  ist.«  Im  ersten  messenischen 
Kriege  sollen  nach  Pausanias  4,  7,  1  zwar  die  Baume  verschont 
worden  sein  (ovds  devdga  sxoniov),  aber  nur  weil  die  Lacedamonier 
das  Land  als  ihr  eigenes  betrachteten :  spater  iibten  sie  das  Ver- 
wiisten  urn  so  besser.  Von  dem  Kriege,  den  sie  gegen  die  Eleer 
fiihrten  und  den  Xenophon  Hell.  3,  2,  21  ff.  beschreibt,  heisst  es 
auch:  »da  das  Heer  ins  feindliche  Gebiet  eingeriickt  war  und  schon 
im  Lande  das  Niederhauen  der  Baume  begonnen  hatte,  trat  ein  Erd- 
beben  ein«  und  spater:  »er  marschirte  gegen  die  Stadt,  niederschlagend 
und  sengend  im  Lande «.  Umhauen  und  ausrotten  war  auch  im 
neueren  griechischen  Freiheitskriege  das  gewohnliche  Mittel,  den  Feind 
zu  ziichtigen,  und  in  Unteritalien  reden  die  mittelalterlichen  Chroniken 
oft  genug  von  der  gleichen  Behandlungsart  feindlichen  Gebietes 
(z.  B.  Muratori  Scriptt.  VIII,  p.  546:  Obsedit  itaque  Princeps 
[Manfredus]  civitatem  Brundusii  et  cum  civitas  ipsa  moenibus  et 
populo  valde  munita  esset  nee  posset  per  insultum  earn  de  facili 
capere,  fecit  fieri  depopulationem  arborum  circumcirca  civi- 
tatem ipsam  usque  ad  moenid).  Nach  Kaiser  Friedrichs  I.  Barbarossa 
Reichsabschied,  die  Mordbrenner  und  Friedenstorer  betreffend,  Niirnberg 
1187,  sollen  diejenigen,  die  Weinberge  oder  Fruchtgarten  zerstoren,  der 
Strafe  der  Brandstifter  verfallen,  §  14:  statuimus  etiam,  ut  si  quis 
vineas  aut  pomeria  exciderit  proscriptioni  et  excommunicationi 
incendariorum  subjiciatur.  Umgekehrt  verwirkte  wohl  auch  der 
Rebell  und  Uebelthater  nicht  nur  sein  Leben,  sondern  auch  sein  Haus 
wurde  niedergerissen ,  seine  Fruchtbaume  umgehauen,  seine  Reben 
ausgerottet39). 

Wie  sich  halber  und  ganzer  Ackerbau  oder  Ackerbau  mit  no- 
madischen  Gewohnheiten  und  Ackerbau  verbunden  mit  Baumpflanzung 
unterscheiden ,  dariiber  haben  die  Franzosen  in  Algier  Gelegenheit 
gehabt,  Erfahrungen  zu  machen.  Die  fliichtigen  Araber  zu  treffen, 
mussten  die  europaischen  Kolonnen  mit  ihnen  an  Beweglichkeit  und 
Schnelligkeit  wetteifern;  denn  hatte  das  Dorf  auch  nur  zwei  Stunden 
vorher  von  der  Annaherung  des  Feindes  Nachricht,  so  fand  man  an 
der  Stelle,  wo  man  es  zu  iiberf alien  gedachte,  nichts  als  die  oft  noch 
warme  Asche  ausgeloschter  Lagerfeuer.  Der  Stamm  hatte  sich 
weiter  ins  Innere  gezogen,  von  da  wich  er,  wenn  er  verfolgt  wurde, 
immer  weiter  und  weiter  ins  Innere  bis  in  die  unnahbare  Wiiste. 
Man  mahte  ihre  Ernten  ab,  man  trieb,  soweit  man  derselben  habhaft 
werden  konnte,  ihre  Heerden  weg;  zuweilen  unterwarfen  sie  sich 


Esel.     Maulthier.     Ziege. 

dann  demuthig;  im  nachsten  Jahr  aber  konnte  dieselbe  Scene  von 
Neuem  spielen.  Ganz  anders  verhielten  sich  die  Kabylen  des  Djur- 
djuragebirges  der  Invasion  gegeniiber.  Diese  directen  Nachkommen 
der  alien  Libyer  sind  namlich  ein  gartenbauendes  Volk  mit  halb- 
steinernen  Wohnungen,  festem,  durch  Mauern  und  Hecken,  uber  die 
iiberall  fruchttragende  Aeste  herabhangen,  bezeichneten  Besitzthum, 
und  dem  Gefuhl  der  Anhanglichkeit  an  den  Ort  ihrer  Geburt.  Sie 
wohnen  im  Gebirge,  und  der  Zugang  zu  ihnen  ist  schwer:  ist  dieser 
a,ber  einmal  erzwungen,  dann  bait  sie  die  in  ihrer  Mitte  angelegte 
kleine  Festung  mit  der  geringen  Besatzung  bleibend  im  Zaum.  Sie 
zahlen  regelmassig  ihren  Tribut  und  sind  zufrieden,  wenn  man  sie 
bei  ihren  alten  Sitten  und  bei  der  eigeiien  Gemeindeverwaltung  lasst. 
Einige  Strassen  werden  durch  ihr  Gebirge  gezogen,  die  ungewohnte 
Sicherheit  belebt  den  Waarenaustausch  und  den  Besuch  der  Markte, 
und  langsam  und  unmerklich,  aber  sicher  dringt  europaische  Civili- 
sation unter  das  bisher  nach  aussen  abgeschlossene  und  miss- 
trauische  Volk.  Auch  die  Dichtigkeit  der  Bevolkerung  steht  in 
gradem  Verhaltniss  zu  der  mehr  oder  minder  durchgefiihrten  Abkehr 
vom  Hirtenleben.  Eine  Beduinenfamilie  bedarf  zu  ihrer  Ernahrung 
eines  weiten  Raumes,  den  sie  immer  nur  streift,  die  Kabylen  graben 
den  Boden  um  und  entlocken  ihm  zehnfachen  Ertrag,  und  wo  dort 
Quadratkilometer  nothig  sind,  geniigt  hier  ein  Garten  von  wenig  Schritten. 
Gleichzeitig  mit  der  Aufnahme  der  neuen  Kulturart,  weil  eng 
an  sie  gekniipft,  war  die  Einfiihrung  des  Esels,  die  Erzeugung  des 
Maulthiers,  die  Verbreitung  der  Ziege.  Der  geduldige,  arbeitsame 
(plagarum  et  penuriae  tolerantissimus ,  Idboris  et  famis  maxime 
patiens),  zugleich  sehr  verstandige  Esel,  der  die  Geschafte  des  Hauses 
besorgte,  die  Miihle  und  den  Brunnen  trieb,  die  Erde  in  Korben  auf 
die  Anhohe  trug  und  beladen  den  Landmann  zu  den  Markten  und 
Opferfesten  begleitete,  —  er  bedurfte  nicht  wie  das  Rind  fetter 
Wiesen  und  schattiger  Gebiische,  iiberhaupt  weiterer  Strecken,  er 
nahm  mit  dem  Ersten  Besten  vorlieb,  was  am  Wege  wuchs  oder 
was  das  Hauswesen  abwarf,  mit  Stroh,  Stengeln,  Disteln  und  Dornen. 
Dass  er  aus  dem  semitischen  Kleinasien  und  Syrien  nach  Griechen- 
land  gekommen  sei  —  wobei  immer  wahr  sein  kann,  dass  Afrika, 
wo  noch  jetzt  seine  Verwandten  leben,  seine  urspriingliche  Heimath 
ist  — ,  lehrt  die  Sprachgeschichte 40) ,  und  wird  durch  die  altesten 
Kultur-  und  Volkerverhaltnisse  bestatigt.  In  der  epischen  Zeit,  in 
welcher  Viehzucht  und  Ackerbau  noch  vorherrschen ,  ist  der  Esel 
noch  gar  nicht  das  gewohnliche  Hausthier;  er  kommt  nur  an  einer 

9* 


132  Esel.     Maulthier.     Ziege. 

Stelle  der  Ilias  vor  (bloss  in  einem  Gleichniss,  11,  558  ff. ,  das  von 
einem  den  Salaminiern  und  Athenern  nicht  gunstigen.  Dichter  verfasst 
und  dann  an  dieser  Stelle  eingeschoben  scheint;  es  streift  an  das 
Parodische  und  1st  mit  der  vorausgehenden  Vergleichung  widersinnig 
gepaart,  s.  Welcker,  der  epische  Cyclus2,  II.  361);  in  der  Odyssee, 
in  deren  zweitem  Theil  Gelegenheit  genug  dazu  vorhanden  war,  wird 
er  gar  nicht  genannt  und  eben  so  wenig  bei  Hesiod.  Da  das  latei- 
nische  Wort,  asinus,  eine  alterthiimliche  Gestalt  zeigt,  die  iiber  die 
Zeit  der  griechischen  Kolonisation  hinauszuliegen  scheint,  so  muss 
das  Thier  schon  vorher  auf  dem  Landwege  durch  Vermittelung  der 
illyrischen  Stamme  in  Italien  eingewandert  sein.  Oder  sollen  wir 
annehmen,  dass  die  Cumaner  noch  affvog  sprachen,  als  sie  ihre  Staclt 
auf  der  heutigen  Insel  Ischia  anlegten?  Im  spateren  Italien  war 
der  Esel,  ausser  den  gewohnlichen  Haus-  und  Felddiensten ,  die  er 
verrichtete,  auch  wichtig  fur  den  Ein-  und  Ausfuhrhandel  der  ge- 
birgigen  Theile  der  Halbinsel.  Der  Waarentransport  aus  den  innern 
Landschaften  zu  den  Seehafen  geschah  auf  dem  Rucken  der  Esel 
und  die  Kaufleute  hielten  zu  diesem  Zweck  eigene  Heerden  dieser 
Lastthiere,  Varro  de  r.  r.  2,  6,  5:  Greges  fiunt  fere  mercatorum,  ut 
eorum  qui  e  Brundisino  aut  Appulia  asellis  dossuariis  comportant 
ad  mare  oleum  aut  vinum  itemque  frumentum  aut  quid  aliud.  Mit 
der  Wein-  und  Oelkultur  —  die  Grenze  derselben  nicht  iiberschreitend 
-  ging  auch  der  Esel  weiter  nach  Norden,  mit  ihm  sein  Name:  in 
demselben  Masse,  wie  das  Hochwild  der  Walder,  der  bos  urus  und 
der  bos  primigenius  (der  Auerochs  und  der  Wisent)  und  der  Riesen- 
hirsch  (der  Schelch,  noch  im  Nibelungenliede  genannt)  ausstarben, 
biirgerte  sich  der  aus  der  Fremde  gekommene  Langohr  beim  Land- 
mann  in  Gallien  ein,  erhielt  mannigfache  Namen  und  lebte  in  den 
Sitten,  Scherzen,  Sprichwortern  und  Fabeln  des  Volkes.  In  Deutsch- 
land  war  es  ihm  schon  zu  kalt.  —  Das  Maulthier,  bei  Homer 
schon  nicht  selteii,  stammte  aus  dem  pontischen  Kleinasien  und  zwar, 
wie  Homer  ausdriicklich  sagt,  von  den  Enetern,  einem  paphlagonischen 
Volke,  II.  2,  872: 

£§  ^Everwv,  o&ev  r^fjiiovwv  yevog  dygozsQawv, 

wozu  der  Scholiast  bemerkt:  »bei  den  Enetern  wurde  zuerst  die 
Vermischung  der  Esel  und  Pferde  erdacht.«  An  einer  andern 
Stelle  sind  es  die  Myser,  die  dem  Priamus  Maulthiere  schenken, 
II.  24,  277: 

Schirrten  die  Maulthiere  an,  starkhuiige,  kraftig  zur  Arbeit. 
Welche  die  Myser  dem  Greise  verehrt  als  edle  Geschenke. 


Esel.     Maulthier.     Ziege. 

Myser  und  Paphlagonier  wohnten  nicht  weit  von  einander,  und  der 
Weg  zu  den  letzteren  geht  durch  das  Gebiet  der  ersteren.  In  einem 
Fragment  des  Anakreon  werden  die  Myser  geradezu  als  Erfinder  der 
Maulthierzucht  genannt  (fr.  34.  Bergk.): 

InTtottoQov  de  MvcfoC 

SVQflV    [itfyv    OVVOV    TlQOg    LTlTlOVg. 

Damit  stimmt  iiberein,  dass  auch  im  Alten  Testament  die  Landschaft 
Thogarma,  d.  h.  Armenien  oder  Kappadocien  die  besten  Maulesel 
lieferte  (Ezech.  27,  14);  den  Israeliten  selbst  verbot  das  Gesetz  diese 
Zucht.  Auch  spater  noch  horen  wir  von  kappadocischen  und  ga- 
latischen  Maulthieren,  und  von  den  erstern  wird  berichtet,  sie  seien 
fruchtbar,  also  unter  besonders  giinstige  Naturverhaltnisse  gestellt: 
Pseudo-Aristot.  de  mirab.  ausc.  69  (70):  sv  KajinadoxCq,  (patiiv 
fj/iuovovg  elvat,  yovttuovg.  Plin.  8,  173:  Theophrastus  volgo  parere 
in  Cappadocia  tradit,  sed  esse  id  animal  ibi  sui  generis.  Plut.  de 
cupiditate  divitiarum,  2:  r^iio'voi  PahauxaC  (als  Gegenstand  des 
Luxus) 41).  Hochst  merkwiirdig,  well  den  israelitischeii  religiosen  Vor- 
stellungen  (vielleicht  auch  denen  anderer  semitischer  und  halbsemiti- 
scher  Stamme?)  analog,  ist  das  alte,  in  die  mythische  Zeit  hinauf- 
verlegte  Verbot,  im  Lande  der  Eleer  Maulthiere  zu  erzeugen.  Der 
Konig  Oenomaus,  der  Sohn  des  Poseidon  und  Vater  der  Hippodameia, 
sollte  einen  Fluch,  xaidga,  iiber  diese  Zeugung  ausgesprochen  haben, 
und  seitdem  brachten  die  Eleer  ihre  Stuten  ausser  Landes,  um  sie 
dort  von  Eseln  belegen  zu  lassen  (Herod.  4,  30,  Paus.  5,  5,  2);  dass 
der  Fluch  von  dem  alten  Konig  Oenomaus  herriihrte,  setzt  Plutarch 
hinzu  (Qu.  graec.  52).  Vielleicht  war  in  diesem  elischen  Brauch 
nur  die  durch  Religion  festgehaltene  alteste  Zeit  aufbewahrt,  wo  es 
in  Griechenland  keine  anderen,  als  vom  Orient  eingefiihrte  Maulthiere 
gab  und  das  Volksgefuhl  sich  gegen  solche  widernatiirliche  Mischung 
noch  straubte.  Auch  bei  Homer  besitzt  der  Ithakesier  Nae'mon  in 
dem  weidereichen  Elis  zwolf  Stuten  mit  den  dazu  gehorigen  Maulthier- 
fiillen  (Od.  4,  635  if.).  Im  Uebrigen  ist  in  der  epischen  Welt  das 
Maulthier  schon  ein  eigentliches  Arbeitsthier,  sowohl  bei  der  Feld- 
bestellung,  als  im  Geschirr  vor  dem  Wagen  (&vz&n&qyov$)  und  beim 
Schleppen  von  Lasten,  und  es  wird  daher  gern  als  vielduldend  und 
muhselig  dargestellt  (lahaeQYog).  Dass  es  als  starker  dem  Esel  vor- 
gezogen  wurde,  lehrt  der  bekannte  Vers  des  Theognis  996: 

yvotfig  %    oGffov  oroov  xgeffaovss  Tffiiovoi. 

Auffallend  aber  ist  die  abstracte  Benennung  r^uovog,   Halbesel,   und 
OQwg,   ovgevg,   Bergthier,    die   sich   in  dieser  doppelten  Gestalt  auch 


134  Esel.     Maulthier.     Ziege. 

bei  Hesiod  findet  und  durch  das  ganze  Alterthum  fortwahrt.  Zur 
Erklarung  von  ovQei'>c  mag  II.  17,  742  dienen,  wo  das  Maulthier 
Balken  und  Schift'sbauholz  aus  den  Bergen  miihsam  hinabschleppt, 
oder  II.  23,  114  ff. ,  wo  die  Manner  mit  Aexten,  Seilen  und  Maul- 
thieren  in  die  hohen  Schluchten  des  Idagebirges  hinaufziehen,  um 
Holz  fur  den  Scheiterhaufen  des  Patroklos  zu  holen,  die  Last  aber 
den  Maulthieren  angebuiiden  wird,  die  sie  dann  in  die  Ebene 
stampfend  hinabtragen.  —  Nach  Italien  kam  der  mulus,  wie  dieser 
Name  beweist,  aus  Griechenland42);  das  lateinische  Wort  diente 
dann  alien  Volkern,  die  das  neue  kiinstlich  geschaffene  Thier  bei 
sieh  aufnahmen,  zur  Bezeichnung  desselben.  Wie  noch  heute,  wurden 
auch  zu  Varros  Zeit  die  Fubrwerke  auf  den  Landstrassen  von  Maul- 
thieren gezogen,  die  neben  der  Kraft  und  Starke  auch  durch  Schon- 
heit  dem  Auge  wohlgefallig  sein  mussten,  wie  gleichfalls  noch  heut 
zu  Tage,  2,  8,  5 :  in  grege  mulorum  parando  spectanda  aetas  et  forma, 
alterum  ut  vecturis  sufferre  Idbores  possint,  alteruin  ut  oculos  aspectu 
delectare  queant,  hisce  enim  binis  conjunctis  omnia  vehicula  in  viis 
dueuntur.  Auch  die  Griechen  lieben  ein  solches  ^svyog  OQIXOV,  und 
schon  Nausicaa  fahrt  in  der  mit  Maulthieren  bespannten  a,ua£a  oder 
aniqvri  zum  Meeresufer  und  von  diesem  zur  Stadt  zuriick.  —  Auch 
die  Ziege  ist  das  Hausthier  des  mehr  gartenartigen  Anbaues  in  siid- 
lichen  Gebirgsgegenden ;  sie  nahrt  sich  von  aromatischen  Stauden,  die 
von  selbst  an  den  heissen  Felsabhangen  spriessen;  sie  nimmt  auch 
mit  hartblattrigem  Gestrauch  vorlieb  und  giebt  eine  fette,  gewiirzige 
Milch.  Das  diirre  Attika,  reich  an  Oel  und  Feigen,  ernahrte  auch 
zahlreiche  Ziegen;  ja  eine  der  vier  alten  attischen  Phylen,  die  der 
AlyixoQeZs,  war  nach  den  Ziegen  benannt.  Auch  wenn  die  Ziege  schon 
mit  den  ersten  arischen  Volkerziigen  in  Europa  einzog  und  also  den 
Hellenen  und  Italern  nicht  erst  in  ihrer  neueii  Heimath  bekaniit 
wurde,  so  fand  sie  doch  erst  hier  und  erst  mit  der  adoptirten  semi- 
tischen  Kulturart  ihre  eigentliche  Stelle  und  niitzliche  Verwendung43). 
Dass  auch  die  eigentliche  Bienenzucht  erst  mit  der  Baum- 
zucht  auftreten  konnte,  ist  leicht  einzusehen.  Wer  ein  Olivenreis 
pflanzte,  das  ihm  gehorte,  und  von  dem  er  erst  nach  Jahren  Friichte 
erwartete,  der  konnte  auch  innerhalb  eines  umfriedigten  Raumes 
Bienenstocke  hinstellen,  sie  zur  Winterszeit  pliegen,  ihre  Zahl  durch 
Kolonien  des  Mutterstockes ,  wie  die  der  Fruchtbaume  durch  Setz- 
linge,  zu  seinem  Nutzen  vermehren  und  zu  rechter  Zeit  und  in  be- 
stimmten  Fristen  in  G'estalt  von  Honig  und  Wachs  den  Lohn  fur 
seine  Bemiihung  einziehen.  Aristaus,  der  inventor  olei,  erfand  auch 


Esel.     Maulthier.     Ziege.  135 

die  xaraGxevi]  rwv  o^vciov,  d.  h.  die  Bienenwirthschaft,  und  als  sein 
Bruder  wird  Autuchos  genannt,  d.  h.  der  Selbstbesitzende.  Homer 
weiss  noch  nichts  von  Bienenstocken ;  wenn  das  zweite  Buch  der 
Ilias  einmal  die  Achaer  sich  sammeln  lasst,  wie  die  Bienen  aus 
einer  Felsenhohlung  ausfliegen,  so  bilden  die  letzteren  also  einen 
frei  in  der  Wildniss  lebenden  Schwarm.  Erst  eine  Stelle  der  hesio- 
dischen  Theogonie  (v.  594  if.),  die  eben  darum  nicht  sehr  alt  sein 
kann,  kennt  die  o/^'i^  und  die  Giinfihoi,,  d.  h.  kunstliche  Bienen- 
korbe,  und  unterscheidet  auch  die  Arbeitsbienen  von  den  Drohnen, 
welche  letztere  mit  den  Weibern  verglichen  werden!  Der  Hirte  be- 
raubte  wilde  Bienenstocke,  die  er  im  Walde  fand,  und  bereitete, 
wenn  der  Fund  reich  war,  M  e  t  h  aus  dem  Honig ;  der  Ackerbauer 
liess  sein  Mehl  zu  einer  Art  rohen  Bieres  gahren;  der  Weinbauer 
mischte  oft  den  Honig,  den  er  regelmassig  gewann,  in  seinen  Wein 
und  nannte  diesen  dann  pedv  oder  inulsum  und  glaubte,  der  Genuss 
davon  schaft'e  ihm  langes  Leben44). 


*  *  So  wahrscheinlich  es  ist,  dass  der  Esel  in  homerischer  Zeit  noch  kein 
eigentliches  Hausthier  war,  ebenso  un wahrscheinlich  ist  es,  dass  sein  Name 
aus  dem  semitischen  Volkerkreis  den  Griechen  zukam,  dass  mit  Benfey 
und  Hehn  (ygl.  oben  S.-131  und  Anm.  40)  Entlehnung  des  griech.  ovo?  aus 
semitischem  dton  Eselin  anzunehmen  sei.  Dariiber  zuerst  Lagarde,  Arm.  Stud. 
S.  56.  Das  griech.  ovo?  und  lat.  asinus  gehen  vielmehr  wahrscheinlich  auf 
eine  gemeinsame  Grundform  *  asnas  zuriick,  deren  Herkunft  zunachst  im  Norden 
der  Balkanhalbinsel  zu  suchen  sein  wird.  Vielleicht  ist  weiter  eine  Verkniipfung 
mit  dem  araien.  es  Esel  moglich,  von  dem  wieder  das  turko-tat.  esek,  esik  und 
das  sumerische  ansu,  ansi  nicht  getrennt  werden  konnen.  Vgl.  hier- 
iiber  F.  Hommel  in  der  Beilage  zur  allg.  Zeitung  1895,  No.  197,  S.  3,  der 
auch  den  Namen  der  medisch-elamitischen  Landschaft  Anschan,  der  Heimath 
des  Perserkonigs  Kyros,  hierherstellt,  die  er  ansprechend  als  »Eselland«  deutet. 
-  Wenn  aber  der  homerischen  und  hesiodischen  Volkswirthschaft,  welche 
das  Maulthier  haufig  verwendet,  der  Esel  als  Hausthier  noch  nicht  bekannt 
war,  so  ist  es  auffalligj  dass  das  altere  Maulthier  dennoch  nach  dem  spater 
auftretenden  Esel  benannt  ist  (4)fxiovoi;:  b'voc).  Es  scheint  sich  dies  durch  die 
Annahme  zu  erklaren,  dass,  als  die  Hellenen  sich  selbst  der  Zucht  von  Maul- 
thieren  zuwandten,  sie  einzelne  Esel  oder  Eselinnen  lediglich  zum  Beschalen 
oder  Beschaltwerden  bei  sich  einfiihrten,  die  viel  zu  kostbar  waren,  um  der 
Feld-  und  Hausarbeit  zu  dienen.  Hierfiir  scheint  zu  sprechen,  dass  in  der 
altesten  an  Homer  anschliessenden  Lyrik  der  Esel  eher  als  Zuchtthier  denn 
als  Hausthier  geschildert  wird.  So  lautet  das  97.  Fragment  des  Archilochos 
(bei  Bergk): 

4]  8s  ol  oa^Y) 
st  t'ovou 


136  Steinbaukunst. 

(inguina  ei  turgebant,  wie  die  des  Prienischen  Zuchtesels,  der  mit  Korn  ,ge- 
fiittert).  Auch  Simonides  von  Amorgos,  der  jungere  Zeitgenosse  des  Archi- 
lochos,  der  in  seinem  Gedicht  auf  die  Weiber  einigen  von  ihnen  den  Sinn 
des  Esels  beilegt,  bezieht  sich  hierbei  auf  das  Phlegma,  die  Gefrassigkeit  und 
die  Geneigtheit  des  Esels  zu  den  epya  ft«ppo8iata.  Die  Phokaer  batten  nach 
Hesych  ein  besonderes  Wort  fur  die  ovou?  ere5  c^siav  ireptTCOfxIvou?,  fiir  die  zum 
Beschalen  eingefiihrten  Esel:  jjio^Xoi;  (:jAtSvcXor  ol  XOCYVOC,  xai  ft/eotou  und  fxuttoi;' 
Yovatxo<;  atSoiov,  von  scrt.  mue,  Curtius  No.  92).  Die  erste  sichere  Erwahnung 
des  Esels  als  eines  Hausthieres  findet  sich  bei  Tyrtaus  (Bergk  6),  der  j  linger 
ist  als  Archilochos  und  Simonides: 

ovoi  fxeYa^oi?  ofyfteao  Tetp6}xevot 


ftavcoc  ooov  xaprcov  apoupa  cpepst. 
Ist  es  richtig,  dass  ovoc  urspriinglich  nicht  als  Lastthier,  sondern  als  Zucht- 
thier  seinen  Werth  batte,  so  wiirde  schon  hieran  der  Versuch  Ficks  (Vergl. 
W.  I4,  15,  368),  ovo;  von  asinus  zu  trennen  und  zu  lat.  onus  Last  zu  stellen, 
scheitern.  Vgl.  dazu  auch  G.  Meyer,  Idg.  F.  I,  319.  Vollstandige  Litteratur- 
angabe  iiber  die  Deutungsversuche  der  Worter  ovos-asinus  bei  Muss-Arnolt, 
Transactions  of  the  American  Phil.  Association  XXIII,  96  f.  und  H.  Lewy, 
Die  semitischen  Freindw.  im  Griechischen  S.  4. 

In  nahem  Zusammenhang  mit  der  aphrodisischen  Bedeutung,  welche 
der  Esel  im  altesten  Griechenland  hatte,  wahrscheinlich  auch  mit  der  nord- 
lichen  Herkunft  des  Thieres,  steht  die  Rolle,  welche  dasselbe  im  Dionysos- 
dienst  in  Verbindung  mit  Bacchos  und  Seilenos,  von  Reben  umgeben,  auf 
antiken  Mtinzen  (namentlich  macedonischen)  und  Gemmen  spielt  (vgl.  Thier- 
und  Pflanzenbilder  auf  Mtinzen  und  Gemmen  des  klassischen  Alterthums  von 
Imhof-Blumer  und  Otto  Keller,  Leipzig  1889). 

Ebenso  wenig  wie  lat.  asinus  aus  ovo?  entlehnt  sein  kann,  ist  lat.  mulus  aus 
griech.  jio^Xo?  hervorgegangen  (vgl.  oben  S.  134  und  Anm.  42),  das,  wie  die 
Falle  von  codea,  troclea,  nucleus,  codes,  -dum  zeigen,  seinen  inlautenden  Guttural 
im  Lateinischen  hatte  bewahren  mussen.  Lat.  mulus  aus  *mus-lo  schliesst  sich 
vielmehr  mit  alb.  musk  Maulesel  aus  *mus-Jco,  friaul.  muss,  venez.  musso  Esel, 
auch  rum.  muscoiu  zu  einer  einheitlichen  Gruppe  zusammen,  die  auch  ins 
Slavische  (altsl.  mizgu  und  misku)  ubergegangen  ist.  Vgl.  G.  Meyer,  Idg. 
Forschungen  I,  S.  322.  Ebendieser  Gelehrte  hegt  die  ansprechende  Vermuthung, 
dass  jenes  so  erschliessbare  illyrische  *mu80,  *mus-ko,  *nms-lo  nichts  anderes 
als  my  sis  dies  (Muooi)  Thier  (vgl.  oben  S.  132)  bezeichnet  habe.  Wir  wtirden 
also  auch  hier  in  den  Norden  Kleinasiens  gefuhrt  werdeu,  und  naturgemass 
wird  der  Ursprungsort  der  Maulthierzucht  in  der  Nahe  des  Ausgangspunktes 
des  Esels  zu  suchen  sein.  —  Ein  anderer  Ausgangspunkt  fur  die  Zucht  des 
Maulthiers  als  die  sudpontischen  Gebirge  scheint  das  abessynische  Hochland 
gewesen  zu  sein.  Vgl.  daruber  F.  Hommel,  Die  Namen  der  Saugethiere  S.  112ff. 


Schon  im  Vorhergehenden  ist  hin  und  wieder  darauf  hingedeutet 
worden,  dass  mit  der  grossern  Stabilitat  des  Lebens,  die  die  Garten- 
kultur  mit  sich  brachte,  auch  die  Wohnungen  der  Menschen  einen 


Steinbaukunst.  137 

dauernden  Charakter  gewannen.  In  der  That  ging  auch  die  Stein- 
baukunst vom  sudostlichen  Winkel  des  mittellandischen  Meeres  aus 
und  verbreitete  sich  wie  Wein  und  Oel  schrittweise  liber  die  Kiisten 
und  Halbinseln  des  siidlichen  Europas  und  von  da  iiber  die  civilisirte 
Welt.  Phonizier  batten  in  der  Urzeit  die  Kunst  des  Mauer-  und 
Terrassenbaues  den  Griecben  gelehrt,  Griechen  bracbten  sie  spater 
den  Etruskern  und  Lateinern  zu,  von  Italien  kam  sie  in  einem  ganz 
jungen  Zeitalter  zu  den  Volkern  iiber  den  Alpen.  Als  die  Indoeuro- 
paer  mit  ihren  Heerden  vom  Aralsee  und  kaspischen  Meer  —  deren 
damalige  Gestalt  wir  nicht  kennen  —  westwarts  zogen,  da  ernpfing 
sie  entweder  unabsehbare  Steppe  oder  zusammenhangender,  endloser 
Wald.  In  der  erstern,  die  zum  Umherschweifen  einlud,  fehlte  das 
Material  zum  Aufbau  eines  Hauses,  und  so  lebten  Skythen  und 
Sarmaten  auf  dem  Wagen  und  unter  dem  binsengeflochtenen  Korbe, 
der  diesen  iiberdeckte,  Hesiod.  Frag.  189  Gottl.: 

yhaxToydywv  sis  alav,  dmjvcug  oixC* 
Aesch.  Prom.   708: 

S'  CKpC&t,  voftddag,  ot  rcfaxzag 
vaiova  &TI  evxvxhoig  oxocg. 
Diese  Wagen  waren  sehr  gross  und  wurden  nicht  bloss  von  vier, 
sondern  auch  von  sechs  Radern  getragen,  Hippocr.  de  aere  etc.  25, 
Ermer. :  »sie  heissen  Nomaden,  weil  sie  keine  Hauser  haben,  sondern 
auf  Wagen  wohnen ;  von  den  Wagen  sind  die  kleinsten  vierraderig, 
die  andern  haben  sechs  Rader«  —  so  dass  die  Hauser  auf  Radern, 
vjiiaZoyoQyTOt,  olxot,  bei  Pindar,  bewegliche  Hauser  genannt  werden 
konnten.  Und  wirklich  fahrt  Hippokrates  fort:  »diese  Wagen  sinrl 
mit  Filz  bedacht;  sie  sind  g'ebaut  wie  Hauser,  waney  oixijfjiaxa, 
die  einen  zweifach,  die  anderen  dreifach;  sie  schiitzen  wider  Regen, 
Schnee  und  Wind  und  werden  von  Ochsen  gezogen,  bald  von 
zweien,  bald  von  dreien«  u.  s.  w. ;  auf  den  Wagen  leben  die  Weiber 
und  Kinder,  die  Manner  reiten.  Die  nordlich  an  die  Sarmaten 
stossenden  Slaven  batten  viel  von  den  Sitten  der  erstern  ange- 
nomrnen,  aber  ein  Reiter-  und  Wagenvolk  waren  sie  nicht;  sie 
schweiften  als  Rauber  durch  die  Walder,  aber  sie  bauten  Hauser, 
Tac.  Germ.  46  (die  erste  genauere  Erwahnung  der  Slaven  und  ihr 
Eintritt  in  die  Geschichte,  nachdem  Plinius  bloss  ihren  Namen  ge- 
nannt) :  Veneti  multum  ex  moribus  (Sarmatarum)  traxemnt.  Nam 
quicquid  inter  Peucinos  Fennosque  silvarum  ac  montium  erigitur, 
latrociniis  pererrant.  Hi  tamen  inter  Germanos  potius  referuntur 
quid  et  domos  figunt  et  scuta  gestant.  Wie  dies  alteste  slavisch- 


138  Steinbaukunst. 

deutsch-keltische  Haus  aussah,  lehren  uns  noch  heut  zu  Tage  die 
Wohnungen  der  an  den  Grenzen  von  Europa  und  Asien  umher- 
schweifenden  Volker,  z.  B.  der  Turkmenen  (abgebildet  bei  Vambery, 
Reise  in  Mittelasien,  deutsche  Ausgabe,  zu  S.  253):  das  Gestell  wird 
aus  Stangen  gemacht  und  ebenso  das  Dach;  beides  zusammen  bildet 
einen  oben  abgerundeten  Cylinder;  das  Ganze  wird  mit  Filzdecken 
belegt,  auch  vorn  die  rechtwinkelige  Thuroffnung  durch  eine  Filzdecke 
verhangt.  In  seiner  spatern,  wohl  schon  vervollkommneten  Gestalt 
zeigen  es  uns  die  Darstellungen  der  Antoninsaule  und  die  gelegent- 
lichen  Nachrichten  der  Griechen  und  Romer,  denen  die  Zeugnisse 
des  fruhern  Mittelalters  nicht  widersprechen.  Auf  der  ersten  bestehen 
die  Vertheidigungswerke  der  Marcomannen  und  Quaden,  die  Marcus 
Aurelius  stiirmt,  deutlich  aus  Flechtwerk,  das  ins  Kreuz  mit  gedrehten 
Seilen  umschniirt  ist;  die  Wohnungen  bilden  Cylinder  mit  rundge- 
wolbtem  Dach,  ohne  Fenster,  mit  rectangularer  Thur:  sie  scheinen 
mit  Binsen  oder  Ruthen  durchflochten  und  sind  mit  Schnuren  um- 
wunden.  Die  Hauser  der  Kelten  beschreibt  Strabo  4,  4,  3  als 
VoAoeideig,  cylinderformig,  und  aus  Brettern  und  Ruthengeflecht, 
ex  oavldwv  xal  yeggvov,  bestehend,  und  ahnlich  wohnen  noch  zu 
Jordanis  Zeit  die  entfernten  Kaledonier  und  Maoten,  als  die  Stamm- 
genossen  auf  dem  Festland  sich  schon  langst  romisch  eingerichtet 
hatten,  Jord.  2:  virgeas  habent  casas,  communia  tecta  cum  pecore, 
silvaeque  illis  saepe  sunt  domus.  Auch  die  Slaven  erscheinen  bei 
Procop  in  solchen  geflochtenen  Hiitten,  die  sie  in  unstatem  Wechsel 
leicht  veiiassen  und  am  andern  Orte  wieder  aufstellen,  de  bell.  goth. 
3,  14:  olxovfft,  ds  ev  xahvftaig  olxTQalg  distixrjvrjjiievoi,  jro&fap  /tisv  an 
aMfawv'  dfisifiovTeg  de  a>g  xa  TtoMa  rbv  ire,  evot,xr^(Seiog  exaatoi  ywgov, 
ja  ganz  spat,  als  Helmold  schrieb,  war  es  noch  nicht  anders,  2,  13: 
nee  in  construendis  aedificiis  operosi  sunt  (Sclavi),  quin  potius 
easas  de  virgultis  contexunt,  necessitati  tantum  consulentes  adversus 
tempestates  et  pluvias  .  .  .  nee  quicquam  hostili  patet  direptioni 
nisi  tuguria  tantum,  quorum  amissionem  facillimam  judicant. 
Die  Sueven,  sagt  Strabo,  und  die  iibrigen  dortigen  Stamme  wohnen 
in  Hiitten,  deren  Einrichtung  nur  auf  einen  Tag  berechnet  ist,  7, 
1,  3 :  xocvov  <f  eauv  anaat,  wig  xavry  ^o  ,  ,  .  .  ev  KC&vfttov;  oixelv, 
eytfiueQov  e'xovGi  naQaaxevtjv.  Nicht  anders  schildert  uns  Seneca  die 
Hauser  und  die  Lebensart  der  Germanen  und  der  Volker  an  der 
Donau,  de  provid.  4,  4:  omnes  consider  a  gent  es,  in  quibus  It  omana 
pax  desinit:  Germanos  dico  et  quidquid  circa  Histrum  vagarum 
gentium  occursat.  Perpetua  illos  hiems,  triste  coelum  premit, 


Steinbaukunst. 

maligne  solum  sterile  sustentat,  imbrem  culmo  aut  fronde  defendunt, 
super  durata  glade  stagna  persultant,  in  alimentum  feras  captant. 
-  Nullae  illis  domicilia  nullaeque  sedes  sunt,  nisi  quas  lassitudo 
in   diem  posuit.     Die  Germanen    kannten,   wie    nachher  Tacitus  be- 
richtet,   den  Gebrauch   von  Mortel  und  Ziegeln  nicbt,  Germ.   16:  ne 
caementorum  quidem  apud  illos   aut  tegularwm  usus:  materia  ad 
omnia  utuntur  informi  (Baumstarame,    geflochtene   Weiden,  Schilf) 
et  citra  speciem  aut  delectationem.     Ungefahr  dasselbe  melden  He- 
rodian    7,    2,    der    von    den  Buden    der  Germanen   den   sprechenden 
Ausdruck    GxyvoTioislGdai,    braucht,    und  Ammianus  Marc.,    wenn    er 
18,  2,  5   die  Wobnungen    der  Germanen  poetisirend  als  saepimenta 
fragilium  penatium  bezeichnet.     Auf  einem  Fundament  ruhten  diese 
Hiitten  nicht,  denn  ein  Dieb  konnte  Nachts  in  sie  eindringen,  indem 
er  sich  unter  der  Erde  durchgrub,  1.  Saxon.  4,  4 :  qui  noctu  domum 
alterius   effodiens  vel  effringens  intraverit  ....   capite  puniatur. 
Ueber   den  Umfassungswanden   Ing   das  Dach,   ohne  innere  Theilung 
des  Raumes,    denn   das   alemannische  Gesetz   bestimmte,   ein  Neuge- 
borenes  habe  gelebt,  wenn  es  die  Augen  geoffnet  und  das  Dach  und 
die  vier  Wande  erblickt  habe,  1.  Alam.  92 :  ut  possit  aperire  oculos 
et   videre    culmen  domus   et  quatuor  parietes  (das  Haus   war  also 
nicht    rund,    sondern    schon    viereckig,    gleich   den   Wohnungen   der 
Dacier  auf  der  Trajanssaule,  die  auch  liber  der  Thur  schon  ein  Fenster 
zeigen).     Wie  leicht  das  Ganze  gezimmert  war,  ersehen  wir  besonders 
aus    dem  Titel  10    der   lex  Bajuv.,   ob gleich    doch   der  Einfluss   aus 
Siiden    damals   schon   gewirkt   hatte  :  dort  wird  z.  B.  mit  Strafe  be- 
droht,  wer  ein  fremdes  Haus  auseinanderwirft  —  welches  letztere 
folglich  von  lockerem  Bestande  war.     Dass  solchen  Hausern  ewig  die 
Gefahr   drohte,    in  Feuer  aufzugehen,  war  natiirlich:  der  Feind  warf 
den  Brand   in   das  Schilfrlach,   wie   wir  Marc  Aurel  auf  seiner  Saule 
wiederholt    thun    sehen,    der  Rauber    legte    heimlich  Feuer    an   das 
Zimmerwerk,  eine  zufallig  ausgebrochene  Flamme  verzehrte  rasch  die 
Stamme  der  Wande  und  das  trockene  Geflecht,  mit  dem  sie  verbunden 
waren.     Schon  das  in  der  Mitte  des  Hauses  auf  dem  Boden  brennende 
Heerdfeuer,  das  seinen  Rauch  zum  Dach  hinaussandte  und  das  Holz- 
werk   ausdorrte,    so  wie  die  bei  alien  Nordvolkern  herrschende  Sitte, 
die   langen  Winterabende    mit   dem    brennenden,   in   einen  Spalt  ge- 
steckten  Span  zu  erhellen,  musste  dem  Hause  oft  Verderben  bringen. 
Nicht   selten   mochten   dann   auch    die   auf  dem   Boden   schlafenden 
Hausgenossen  in  Rauch  und  Flammen  ihren  Untergang  finden ;  aber, 
wenn   sie   sich   retteten,   stand   ein   neues  Haus   bald  wieder  da,  das 


140  Stembaukunst. 

nicht  wie  das  alte,  den  Regen  durchliess  und  von  Rauch  iiber  und 
iiber  geschwarzt  war,  und  mit  deni  alten  war  gliicklicher  Weise  auch 
alles  Ungeziefer,  von  dem  es  bevolkert  gewesen  war,  mitverbrannt. 
-  Die  Vordersten  des  grossen  indoeuropaischen  Zuges,  die  Kelten, 
waren  auf  ihrer  Wanderung  nach  Westen  auf  das  Volk  der  Iberer 
gestossen,  die,  wenn  die  Vermuthung  nicht  triigt,  ihrerseits  das 
ausserste  Glied  einer  grossen  Volkerreihe  bildeten,  welch  e  vom  Nil- 
thai  die  Nordkiiste  Afrikas  entlang  durch  das  heutige  Spanien  bis 
an  den  Kanal  und  den  atlantischen  Ocean  reichte.  Gehorte  dieser 
Race  der  Drang  nach  Aufrichtung  jener  Steindenkmale  an,  die  wir 
unter  verschiedenen  Fomien  und  Namen  in  Algier  wie  auf  Sardinien, 
im  westlichen  Frankreich  wie  auf  den  britischen  Inseln  verbreitet 
finden  (Nuragen,  Dolmen,  Cromlech  u.  s.  w.),  und  hatten  die  Kelten 
diese  Sitte,  wenn  sie  sie  spater  auch  iibten,  nur  von  diesen  ihren. 
Vorgangern  geerbt?  War  es  derselbe,  nur  hier  im  Nordwesten  in 
den  rohesten  Anfangen  verbliebene  Zug,  der  in  der  Errichtung  der 
Tempel  Aegyptens  waltete  und  fast  bis  an  die  Grenze  des  Schonen 
und  wirklicher  Kunst  sich  erhob?  —  Zufolge  ihrer  geographischen 
Stellung  traten  die  Kelten  friiher  mit  phonizischer,  griechischer  und 
romischer  Kultur  in  Beziehung  und  lernten  eine  steinerne  Grundlage 
in  die  Erde  senken,  den  Stein  fiigen,  schneiden,  mit  Mortel  verbinden 
und  sich  dadurch  dauernd  auf  der  heimischen  Scholle  niederlassen. 
Viel  spater  lernten  es  die  Germanen,  die  Slaven  des  Ostens  haben 
es  grossentheils  noch  heute  nicht  gelernt.  Der  blosse  Ackerbau  be- 
gniigte  sich  wohl  noch  mit  holzernen  Hausern,  mit  geflochtenen 
Speichern  (lit.  Metis,  altsl.  Idett,  Nebengebaude,  Vorrathskammer ; 
goth.  hleithra,  Zelt,  Laube;  im  altkeltischen  cletd,  irischen  cliath, 
kymbrischen  eluit,  noch  in  der  Bedeutuug  Flechtwerk,  Hiirde,  mittell. 
cleta,  franz.  claie,  proven9alisch  cleda  u.  s.  w.)  und  blossen  Hiirden 
fiir  Pferde  und  Vieh;  erst  als  der  Weinstock  kam,  kam  auch  die 
Mauer  (auch  altirisch  mur),  die  ihn  umschloss,  die  steingewolbte 
Strasse,  via  strata,  die  an  ihm  vorbeifiihrte  und  die  steinerneii 
Weiler,  villas,  die  Markte,  mercatus,  die  Brunnen  (lat.  puteus, 
ahd.  puzza,  mhd.  biitze,  nhd.  mit  etwas  veranderter  Bedeutung 
Pfiitze),  die  Kloster,  die  Dome  und  bald  auch  die  Stadte  mit  ein- 
ander  verband.  Konnten  wir  daran  zweifeln,  dass  die  eigentliche 
Baukunst  vom  Mittelmeer  stammt,  und  dass  sie  vom  Siiden  nach 
Norden  und  vom  Westen  nach  Osten  langsam  vordrang,  die  Geschichte 
der  gebrauchlichsten  Worter  wiirde  es  uns  beweisen.  Das  griechische 
%dfa%  wurde  von  den  Romern  als  calx  entlehnt,  aus  dem  romischen 


Steinbaukunst.  1 4  j 

calx  entstand  unser  Kalk;  die  franzosische  und  deutsche  Chaussee 
1st  die  romische  via  calcata,  die  Kalkstrasse.  Unser  Ziegel  und 
Tie  gel  ist  das  entlehnte  lateinische  tegula,  unser  Mortel  das  lat. 
mortarium,  unser  Thurm  das  germanisirte  turns,  das  goth.  Jcelikn, 
der  Thurm,  stammt  aus  dem  Altgallischen  (celicnon  in  einer  In- 
schrift,  s.  de  Belloguet,  ethnogenie  gauloise,  1,  p.  202  und  Kuhn 
und  Scbleicher,  Beitrage,  2,  108),  das  inhd.  phisel,  phiesel,  heizbares 
Frauengemach,  ist  das  mittell.  pisalis,  pisale,  unser  Fenster  und 
Seller  das  lat.  fenestra  und  solarium,  unser  Pforte,  Pfosten, 
Pfeiler  die  lateinischen  porta,  postis,  pilarium,  die  ahd.  cheminata, 
mhd.  kemendte  die  lateinische  caminata  u.  s.  w.  Woher  die  Stube, 
urspriinglich  ein  heizbares,  feuerfestes  Gemach,  besoriders  zum  Bade 
eingerichtet,  eigentlich  stammt,  ist  dunkel :  ital.  stufa,  schon  in  der 
lex  Alam.  82,  2  stuffa,  stuba,  altslavisch  istuba,  izba,  jetzt  in  alien 
slavischen  Sprachen  fiir  Bauerhaus,  tugurium:  gebrauchlich45).  Als 
die  Slaven  in  die  Oder-  und  Donaugegenden  einwanderten,  konnen 
sie  keinerlei  Mauerwerk  gekannt  oder  betrieben  haben,  denn  ihre 
Ausdriicke  dafiir  stammen  theils  aus  Byzanz,  theils  aus  Deutschland, 
einige  auch  aus  dem  Bereich  tiirkischer  Sprachen.  Fiir  Kalk  gilt 
altsl.  und  serbisch  Idak  aus  dem  Deutschen,  altsl.  und  russisch  izvisti 
aus  dem  byzantinischen  afffteffrog.  Fiir  Ziegel  sagen  Polen  und  Bohmen 
init  dem  germanischen  Wort:  cegta,  cihla,  wahrend  das  altsl.  pli- 
niita,  plita,  russ.  plita,  poln.  ptyta,  lit.  plyta  aus  dem  byzantinischen 
rcUvSoi;,  cremiga  aus  TO,  xegd^ia  gebildet  ist.  Der  Ursprung  des 
altsl.  Jcamara  oder  Jcomara,  des  altsl.  hamina,  des  russischen  und 
polnischen  Jcomnata,  Zimmer,  liegt  auf  der  Hand.  Das  griechische 
xa&vpr]  wurde  zu  einem  gemeinslavischen  Wort,  altsl.  Icoliba,  Jcolibu, 
lit.  kaMpa,  das  griech.  rsQe/avov  zu  trJmu,  Thurm,  Schloss,  das 
deutsche  Mauer  zum  polnischen  mur,  kroatischen  und  serbischen 
mir,  drang  aber  nicht  bis  zu  den  Russen  tief  im  Osten.  —  Das 
bohmische  Prag  an  der  Moldau  ist  eine  hochgethurmte  Stadt,  denn 
es  liegt  dem  europaischen  Westen  nahe  und  ist  mit  dessen  Hiilfe 
gebaut;  das  russische  Moskau  war  bis  1812  und  ist  zum  grossen 
Theil  noch  jetzt  ein  holzernes  Lager,  ahnlich  der  Budinennieder- 
lassung,  von  der  Herodot  berichtet,  und  wenn  das  russische  Volk 
seinern  Czarensitz  der  wenigen  Steinbauten  wegen,  die  sich  drin 
fanden  und  die  von  herbeigerufenen  Italienern  errichtet  waren,  in 
seinen  Liedern  den  stehenden  Beinamen  die  weisssteinige,  beloka- 
mennaja,  gab  und  giebt,  so  beweist  dies  nur,  wie  es  solche  Wunder 
sonst  im  Reiche  seiner  Erfahrung  nicht  fand.  Der  romanisch- 


142  Das  Bier. 

germanische  Westen,  nachdem  er  sich  einmal  der  sudlichen  Bauweise 
bemachtigt,  trieb  im  Mittelalter  seine  Thurrne  und  Kreuzgewolbe 
sehnsuchtsvoll  gen  Himmel,  fast  bis  zur  Hohe  der  agyptischen 
Pyramiden  —  ein  dennoch  barbarischer ,  krankhafter  Drang,  von 
dem  sich  das  massvolle  Gemiith  des  Griechen  frei  gehalten  hatte. 
Auch  die  Stadtearchitektur  des  Mittelmeers ,  horizontal,  in  Wiirfeln 
und  Terrassen  den  mit  der  Burg  gekronten  Hugel  von  alien  Seiten 
ersteigend  oder  amphitheatralisch  gegert  die  Meeresbucht  geoffnet, 
reicht  nicht  weiter  als  etwa  der  Bezirk  der  Olive;  von  da  nach 
Norden  beginnt  die  von  mystisch  sinnenden  Meistern  der  Bauzunft 
errichtete,  gothische,  in  spitzen  Giebeln  aufwarts  gedrangte  mittel- 
europaische  Stadt.  Wie  hoch  die  babylonisch-assyrischen  Terrassen- 
bauten  aus  Luftziegeln  sich  erhoben,  wissen  wir  nicht  gewiss;  was 
die  Erde  jetzt  tragt,  steigt  etwa  so  weit  empor,  wie  auch  die  hoch- 
sten  Baume,  die  Sequoja  von  Kalifornien  und  die  Eucalyptus  von 
Australien,  —  4  bis  500  Fuss  — ,  so  weit  ist  fur  Menscherikunst 
und  fur  das  organische  Leben  das  Streben  aufwarts  von  diesem 
Plane  ten  moglich.  Wie  einst  der  hamitisch-semitische  Stein  das 
TJrmaterial,  das  Holz,  verdrangt  hatte,  so  ist  mit  der  neuesten 
technisch-mechanischen  Civilisation  das  Glas  und  das  Eisen  als 
Baustoff  aufgetreten,  das  Glas,  ein  fast  unkorperliches  Ding,  das 
Eisen,  spat  gefunden  und  nur  zu  Werkzeugen  erschaffen,  —  eine 
damonische  Zauberkunst,  die  den  Alten  so  unbegreiflich  geschienen 
hatte,  wie  Gebaude  aus  Wolkendunst,  oder  als  eine  Sinnestauschung, 
wie  die  Perlenbriicke  der  Iris. 


Als  das  romische  Weltreich  fertig  war,  fielen  seine  Grenzen  un- 
gefahr  mit  denen  des  Weines  und  Oeles  zusammen;  wo  es  nach 
Suden  dem  Weinstock  zu  heiss  oder  nach  Norden  zu  kalt  war  oder 
wo  das  Olivenol  nicht  mehr  zur  taglichen  Nothdurft  gehorte,  da 
herrschte  auch  der  Romer  nicht  oder  nur  voriibergehend  und  da 
endete  der  Boden  der  antiken  Welt.  Auch  das  heutige  Europa  lasst 
sich  passend  in  das  Wein-  und  Oelland  und  das  Bier-  und 
Butterland  theilen;  das  Gebiet  des  erstern  deckt  sich  etwa  mit 
dem  der  Senkung  zum  mittellandischen  Meere,  der  Bezirk  des 
letzteren  etwa  mit  dern  der  Abdachung  zur  Nord-  und  Ostsee.  In 
altester  Zeit  war  dies  Verhaltniss  ein  anderes.  Sammelt  man  die 
in  den  Schriften  der  Griechen  und  Romer  zerstreuten  auf  die  Ge- 
schichte  des  Bieres  und  der  Butter  beziiglichen  Stellen,  so  erstaunt 


Das  Bier.  143 

man,  wie  ausgedehnt  einst  das  Reich  beider  jetzt  fur  nordisch  ge- 
haltenen  Genussmittel  gewesen  1st  und  wie  ganze  Lander  und  Volker 
von  ihm  abgef alien  sind.  Bacchus  Gabe  verdrangte  das  alteinheiniische 
aus  Kornerfriichten  gekochte  triibe  Getrank  und  Minervens  Geschenk 
trat  an  die  Stelle  des  Fettes,  das  djer  Hirte  aus  der  Milch  der 
Schafe,  Kinder  und  Pferde  abgeschieden  hatte.  Es  war  wie  der 
Sieg  einer  aus  der  Fremde  gekommenen  neuen  Religion  und  Sitte 
liber  barbarische  Gewohnheiten ,  fur  welche  letztere  der  Geschmack 
nur  sehr  allmahlich,  erst  bei  den  Stammeshauptern  und  Edlen,  zuletzt 
auch  bei  der  Menge  und  dem  Volke  verloren  ging.  —  Dass  bei  den 
Aegyptern  —  diesem  uralten,  vorsemitischen  Volk,  das  vielleicht 
schoii  vor  der  Zeit,  wo  indoeuropaische  Schwarme  sich  iiber  Europa 
ergossen,  eine  eigenthumliche  Civilisation  entwickelt  hatte  —  ein 
Trank  aus  Gerste  im  Gebrauch  war,  berichtet  schon  Hecataus,  Athen. 
10,  p.  447  und  10,  p.  418  =  Mull.  Fragm.  290:  tag  xQtttag  sk  w 
,  und  nach  ihm  Herodot  2,  77:  owo  <T  sx  XQI&SWV 

ov  yaQ  o<pC  eltiw  sv  vy  %a>QH  afiTishoi.  Bei 
Aeschylus  ruft  der  Konig  von  Argos  den  aus  Aegypten  gekommenen 
Danaiden  zu,  hier  wiirden  sie  eine  mannliche  Bevolkerung  finden, 
nicht  Trinker  von  Gerstenwein,  Suppl.  953: 

tfsvdg  tot,  xrjgds  yrjg  oixrpoQag 

ov  TiCvovmg  ex  xqidwv  fj,e&v. 
Der  Gott  Osiris  selbst  hatte  da,  wo  die  Landesnatur  der  Erzeugung 
des  Weins  sich  widersetzte,  zum  Ersatz  die  Bereitung  eines  Ge- 
trankes  aus  Gerste  gelehrt,  welches  an  Wohlgeschmack  und  Kraft 
sich  fast  mit  dem  Weine  messen  konnte  (Diod.  1,  20).  Die  Aegypter, 
sagt  der  Akademiker  Dio  bei  Athen.  1,  p.  34,  die  ein  sehr  zum 
Trinken  geneigtes  Volk  sind,  haben  fur  diejenigen,  die  zu  arm  sind, 
sich  Wein  zu  schaffen,  ein  Surrogat  erfunden,  namlich  den  Wein 
aus  Gerste:  wenn  sie  diesen  zu  sich  nehmen,  sind  sie  lustig  und 
singen  und  tanzen,  kurz  benehmen  sich,  als  waren  sie  siissen  Weines 
voll.  Auch  in  dem  erst  seit  der  macedonisch-griechischen  Zeit  be- 
stehenden  und  von  sehr  gemischter  Bevolkerung  bewohnten  Alexan- 
drien  genoss  die  Menge  zu  Strabos  Zeit  meist  jenes  altagyptische 
Getrank  (Strab.  17,  1,  14).  Den  Namen  desselben  meldet  zuerst  Theo- 
phrast,  de  caus.  pi.  6,  11,  2:  olov  cog  ol  wvg  olvovg  Tioiovvisg  lx 
rajv  xQidwv  xai  TWV  TIVQWV  xal  TO  sv  Myvniw  xahov [tevov  £v&og, 
und  unter  diesem  Namen  £v$og  (auch  £v$og  geschrieben,  bald  als 
Masculinum,  bald  als  Neutrum,  lat.  zythum}  wird  das  Getrank  seit- 
dem  ofters  von  griechischen  und  lateinischen  Schriftstellern  erwahnt. 


144  I>as  Bier- 

Das  Wort  ware  wohl  aus  griechischem  Sprachmaterial  zu  deuten, 
wenn  es  nicht  ausdrucklich  als  agyptisch  bezeichnet  wiirde,  z.  B.  von 
Diodor  1,  34:  »die  Aegypter  bereiten  auch  aus  Gerste  ein  Getrank, 
welches  sie  £v9og  nennen«  (o  xa&ovai  £v$og).  (S.  Jablonskii 
Opera  ed.  Te  Water  1,  p.  76—79).  Begreiflich  ist,  dass  auch  die 
Aegypter  den  schleimigen ,  susslichen  Trank  durch  beissende  Zu- 
thaten  geniessbarer  zu  machen  suchten,  wie  denn  auch  bezeugt  wird, 
Colum.  10,  114: 

Jam  siser  Assyrioque  venit  quae  semine  radix 
Sectoque  praebetur  madido  sociata  lupino 
Ut  Pelusiaci  proritet  pocula  zythi. 

Selbst  von  den  oberhalb  Aegypten  wohnenden  Aethiopen  berichtet 
Strabo  17,  2,  2,  sie  lebten  von  Hirse  und  Gerste  und  bereiteten  sich 
aus  dieser  Feldfrucht  ein  Getranke.  Noch  jetzt  fanden  die  von  ver- 
schiedenen  Ausgangspunkten  zu  den  Nilquellen  vordringenden  eng- 
lischen  Reisenden  bei  den  Halbnegerstammen  jener  Gegend  ein 
rohes,  berauschendes  Bier  im  Gebrauch,  das  aus  Kiirbisschalen  ge- 
trunken  wurde.  Ueber  die  Biere  und  Biernamen  der  friihern  und 
der  spatern  Araber  in  Aegypten  s.  die  Abhandlung  von  S.  de  Sacy  in 
seiner  Chrestomathie  arabe  II,  437  ff. ;  einer  der  letzteren  fokka  ging 
als  (fovxag  zu  den  Byzantinern  iiber,  s.  Ducange  s.  v.  und  die  daselbst 
angefuhrten  Stellen  des  Simeon  Seth  und  des  Matthaeus  Silvaticus. 
—  Wie  in  Afrika  ist  auch  in  Spanien  bei  vor-indoeuropaischen,  mit 
den  Libyern  Afrikas  genealogisch  oder  culturhistorisch  sich  beriihren- 
den  iberischen  Stammen  das  Bier  seit  alter  Zeit  iiblich.  Spanien 
gilt  bei  Plinius  als  ein  vorziigliches  Bierland,  wo  man  das  Produkt 
lange  aufzubewahren  —  was  in  warmem  Klima  doppelt  schwierig 
ist,  —  ja  wohl  gar  durch  Alter  zu  vertedeln  verstand,  14,  149: 
Hispaniae  jam  et  vetustatem  ferre  ea  genera  docuerunt.  In  den  von 
Strabo  geschilderten  Sitten  der  entfernter  nach  den  Kiisten  des  Oceans 
zu  wohnenden  iberischen  Stamme  findet  sich  so  viel  Fremdartiges, 
Wildes  und  Isolirtes,  dass,  wenn  derselbe  Schriftsteller  von  den 
Lusitanern  berichtet,  sie  bedienten  sich  des  &9os  (3,  3,  7 :  XQWVTCU, 
de  xal  £v$ei,),  wir  diesen  Gebrauch  nicht  von  keltischem  Einfluss 
ableiten,  sondern  fiir  altlusitanisch  halten  werden.  Der  Wein  aber, 
fiigt  Strabo  hinzu,  ist  bei  ihnen  selten  (olvco  tie  anavC&VTai)  —  der 
also  damals  schon  in  das  Land  des  Portweins  vorzudringeii  begann 
und  jetzt  auf  der  Halbinsel  die  Alleinherrschaft  behauptet.  Einen 
charakteristischen  Zug  der  Anhanglichkeit  an  das  nationale  Getrank 
berichtet  Polybius  (bei  Athen  1,  p.  16)  von  einem  halbgracisirten  und 


Das  Bier. 


also  halbcivilisirten  iberischen  Konige:  er  ahmte  im  Uebrigen  in 
seinem  Palaste  den  des  Konigs  der  Phaaken  bei  Homer  nach  — 
schon  dies  war  barbarisch,  —  liess  aber  eine  Ausnahme  zu:  in  der 
Mitte  des  Gebaudes  standen  silberne  und  goldene  Gefasse,  gefiillt 
init  —  Gerstensaft.  Einen  ahnlichen  Eindruck  macht  es,  wenn  wir 
von  den  heldenmiithigen  Numantinern  lesen,  dass  sie  aufs  Aeusserste 
gebracht,  im  Begriff  einen  Ausfall  auf  Tod  und  Leben  zu  machen, 
sich  vorher  bei  einem  Schmause  mit  halbrohern  Fleische  fallen  — 
also  wie  heutige  Englander  —  und  mit  der  indigena  ex  frumento 
potio  oder  dem  succus  triticus  per  artem  confectus  begeistern  (Flor. 
Epit.  1,  34  —  2,  18;  ausfuhrlicher  Paul.  Oros.  5,  7).  Den  Namen 
dieses  spanischen  Getrankes  erfahren  wir  zuerst  durch  Plinius  22,  164: 
ex  iisdam  (frugibus)  fiunt  et  potus,  zythum  in  Aegypto,  caelia  et 
cerea  in  Hispania.  --  Auch  die  Ligurer,  wohl  ein  Seitenzweig  der 
Iberer  oder  ihr  ausserster  Vortrapp  nach  Osten,  nahren  sich  bei 
Strabo  4,  6,  2,  vom  Ertrage  der  Heerden  und  trinken  Gerstenwein. 
-  Eiiie  andere  Reihe  urspriinglich  biertrinkender  Volker  im  Siidosten 
gehort  schon  in  die  grosse  Gruppe  der  Indoeuropaer.  Phryger  und 
Thraker,  auch  sonst  unter  einander  nahe  verwandt,  erscheinen  schon 
bei  Archilochus,  also  nach  dem  Jahr  700  vor  Chr.,  als  fiqvwv  trinkend, 
Athen  10,  p.  447  =  Fragm.  32  Brgk: 

<Mff7l€Q    TTdQ      avhujt    fJQVTOV    T 


Dasselbe  Wort  @QVWV  brauchten  auch  Aeschylus  in  seinem  Lykurgos 
(Nauck,  Fragm.  trag.  graec.  p.  29)  und  Sophokles  in  seinem 
Triptolemos  (Nauck  1.  1.  p.  211).  Hecataus  berichtete,  die  Paoner, 
ein  Volk  in  Thrakien,  tranken  pgmov  aus  Gerste  und  TtaQaftir]  aus 
Hirse  und  dem  beigemengten  Wiirzkraut  xovt'fy  (Athen.  10,  p.  447  = 
Mull.  fr.  123),  und  der  etwas  spatere  Hellanicus  hatte  in  seinen 
Kzlffeig  die  Notiz  gegeben,  PQVTOV  werde  auch  aus  Wurzeln  bereitet, 
wie  bei  den  Thrakern  aus  Gerste  (Athen.  1.  1.).  An  die  Phryger 
schliessen  sich  als  nachstes  Glied  nach  Osten  die  Armenier,  und 
von  dem  Gebrauch  des  olvog  xQi&ivog  auch  bei  diesen  berichtet 
Xenophon,  also  ein  Augenzeuge,  ausfuhrlich  in  der  Anabasis  4,  5,  26  f. 
Die  Zehntausend  waren  vom  karduchischen  Gebirge  gekommen  und 
rasteten  in  armenischen  Dorfern,  auf  dem  Wege  zu  den  Chalybern. 
Ausser  anderen  Vorrathen  fanden  sie  hier  Ktibel,  xQazr^Qsg,  mit 
Gerstenwein:  die  Gerste  lag  noch  darin,  bis  an  den  Rand  des  Ge- 
fasses  (svfoav  ds  xal  amal  at  xQid-ai  ido^'A.slg)  ;  zum  Trinken  dienten 
grossere  und  kleinere  Rohrhalme,  durch  die  der  Trinker  den  Saft 

Viet.  Hohn,   Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  10 


Das  Bier- 

in  den  Mund  sog;  das  Getrank  war  stark  und  berauschend  (ndvv 
axqawg\  wenn  man  nicht  Wasser  zugoss,  im  Uebrigen  aber  fur  den, 
der  sich  daran  gewohnt  hatte  (<fvpfjta$wu),  sehr  lieblich  (paha  fjdv). 
Wie  die  Eingeborenen  —  die  der  Heimath  des  Weines  so  nahe 
wohnten  —  diesen  ihren  Trank  benannten,  sagt  Xenophon  leider 
nicht:  dass  man  aber  den  Biergenuss  lernen  muss, 


kann  man  noch  heut  zu  Tage  an  Siidlandern  beobachten,  denen 
Anfangs  der  braune  Trank  wider  steht,  die  aber  nach  einiger  Ge- 
wohnung  oft  leidenschaftliche  Freunde  desselben  werden46).  —  Westlich 
und  nordlich  von  den  Thrakern,  bei  den  ihnen  cultur-  und  stamm- 
verwandten  Illyriern  und  Pannoniern,  finden  wir  das  Bier  unter  dem 
Namen  sdbaja,  sdbajwn,  aber,  da  unsere  Nachrichten  dariiber  aus 
spater  Zeit  stammen,  nur  noch  als  schlechtes  Volksgetrank,  wahrend 
bei  den  Vornehmen,  die  schon  lateinisch  und  griechisch  sprachen, 
ohne  Zweifel  langst  der  Wein  an  die  Stelle  getreten  war:  Amm. 
Marcell.  26,  8,  2  (der  Kaiser  Valens  belagert  Chalcedon;  von  den 
Mauern  rufen  ihm  die  Belagerten  Schimpfreden  entgegen  und  nennen 
ihn  einen  Sabaiarius;  der  Autor  fahrt  zur  Erklarung  dieses  Wortes 
fort)  :  est  autem  sdbaia  ex  ordeo  vel  frumento  in  liquorem  conversis 
paupertinus  in  lllyrico  potus.  Aehnlich  der  aus  eben  jener  Gegend 
gebiirtige  h.  Hieronymus,  Comment.  7.  in  Isaiae  cap.  19  :  quod  genus 
est  potionis  ex  frugibus  aquaque  confectum  ei  vulgo  in  Dalmatiae 
Pannoniaeque  provinciis  gentili  barbaroque  sermone  appellatur  saba- 
jum.  Die  Pannonier  schildert  auch  Cassius  Dio,  49,  36,  der  sie  kennen 
musste,  da  er  selbst  als  Legat  Dalmatien  und  dann  Oberpannonien  ver- 
waltet  hatle,  als  ein  armseliges  nordisches  Volk  in  winterlichem  Klima, 
das  weder  Oel  noch  Wein  erzeugt  und  seine  Gerste  und  seinen 
Hirse  nicht  bloss  isst,  sondern  auch  trinkt.  Mehr  als  zwei  Jahr- 
hunderte  spater  erhalten  wir  durch  den  merkwiirdigen  Bericht  des 
Priscus,  der  im  Jahr  448  nach  Chr.  mit  der  griechischen  Gesandt- 
schaft  auf  dem  Wege  zum  Hunnenkonig  Attila  die  pannonischen 
Ebenen  durchstrich,  ein  anschauliches  Bild  des  Landes,  der  Sitten, 
des  Volkergemisches  u.  s.  w.  Statt  Weizens  erhielt  die  Gesandtschaft 
uberall  Hirse,  statt  des  Weines  den  von  den  Eingeborenen  so  ge- 
nannten  Meth;  auf  den  Antheil  der  Dienerschaft  und  des  Gefolges 
aber  fiel  gleichfalls  Hirse  und  ein  aus  Gerste  bereitetes  Getrank, 
von  den  Barbaren  xdfiov  genannt  (Miiller  Fragm.  IV,  p.  83).  Welche 
Barbaren  ihr  Bier  camum  nennen,  wird  uns  nicht  gesagt;  gewiss 
aber  waren  es  nicht  die  Hunnen,  derm  das  Wort  ist  alter,  als  die 
Ankunft  dieser  Horde  in  Europa,  Bei  Ulpian  Dig.  33,  6,  9  (also  am 


Das  Bier.  147 

Anfang  des  3.  Jahrh.)  soil  bei  Vermachtnissen  das  camum  nicht  als 
Wein  gerechnet  werden,  und  im  sog.  Edictum  Diocletian!  vom 
Jahre  301  wird  II.  11  (ed.  Waddington)  neben  dem  Maximalpreis 
verschiedener  Lebensmittel  auch  der  des  camum  vorgeschrieben. 
Das  Wort  scheint  keltisch  (s.  Ducange  s.  v.  camba  3)  und  konnte 
seit  den  Zeiten  der  grossen  keltischen  Wanderung  in  Pannonien 
heimisch  geworden  oder  auch  durch  romische  Soldaten  dahin  gebracht 
sein.  -  -  Auch  im  heutigen  Ungarn  also,  in  Illyrien  und  Thrakien, 
d.  h.  in  der  grosseren  nordlichen  Halfte  der  turkisch-griechischen 
Halbinsel,  in  Phrygien,  Armenien,  Aegypten,  in  Portugal  und  Spanien 
bis  an  die  Gebirge  der  genuesischen  Kiiste  —  war  einst  das  heute 
in  jenen  Landern  bei  der  Masse  des  Volkes  fast  unbekannte  Bier 
im  allgemeinen  Gebrauch.  Wenden  wir  uns  zu  den  Volkern  von 
Mittel-  und  Nordeuropa,  den  Kelten,  Germanen,  Litauern  und  Slaven 
-  sammtlich  indoeuropaischen  Blutes  — ,  so  erhalten  wir  den  altesten 
Bericht  iiber  Nahrung  und  Getrank  der  Erstgenannten  durch  Pytheas 
von  Massilia,  dessen  Zeit  zwar  nicht  ganz  sicher  ist,  indessen  mit 
Wahrscheinlichkeit  bald  nach  Aristoteles  angesetzt  werden  kann. 
Er  erzahlte  nach  Strabo  4,  5,  5  von  den  Volkern,  die  er  bei  seiner 
Kustenfahrt  ins  Nordmeer  kennen  gelernt  hatte,  »an  Gartenfriichten 
und  Hausthieren  (xaQnwv  rwv  yptifHov  xal  fcpcov)  sei  bei  ihnen  ganz- 
licher  oder  fast  ganzlicher  Mangel,  sie  nahrten  sich  von  Hirse  und 
anderen  Krautern  und  Beeren  (ha%dvotg  xal  xaQnolg)  und  Wurzeln: 
diejenigen,  die  Getreide  und  Honig  erzeugten,  bereiteten  sich  daraus 
auch  ihr  Getrank «  (also  Bier  und  Meth).  Den  Winter  der  Scythen 
d.  h.  der  Nordvolker  iiberhaupt,  die  Pelzbekleidung,  die  Wohnungen 
unter  der  Erde,  die  langen  Nachte,  endlich  auch  das  gegohrene 
Getrank  statt  des  Weines  schildert  auch  Vergil  Georg.  3,  376,  fast 
mit  den  Worten  des  spateren  Tacitus: 

Ipsi  in  defossis  specubus  secura  sub  alia 
Otia  agunt  terra,  congestaque  robora  totasque 
Advolvere  focis  ulmos  ignique  dedere. 
Hie  noctem  ludo  ducunt,  et  pocula  laeti 
Fermento  atque  acidis  itnitantur  vitea  sorbis. 
Tails  Hyperboreo  Septem  subjecta  trioni 
Gens  effrena  virum  Shipaeo  tunditur  Euro, 
Et  pecudum  fulvis  velatur  corpora  saetis. 

Insbesondere  bei  den  Kelten  des  mittleren  Frankreichs  war  zur  Zeit 
des  Posidonius  (Anfang  des  ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.)  das  Bier 
unter  dem  Namen  xoQfia  noch  das  eigentliche  Volksgetrank,  wahrend 
die  oberen  Klassen  schon  massaliotischen  Wein  tranken,  Athen.  4, 

10* 


148  Das  Bier- 

p.  151 :  n-aga  dk  rolg  vTiodst-GtSQQtg  £v&o$  nvgwov  fasra 

,   TictQa   6s  Tolg   nokkolg  x«#'  avw'   xahetTat,  6s  xog/ua,  O.TIOQQO- 
Ss  sx  wv  ctvwv  noxr^iov  xaia  /IIIXQOV,  ov  nfolov  xvddov  nvx- 
VOTSQOV  de  VOVTO  noiovGi'  TteQicpegsi,  Se  6  nalg  sirl  ra  ds^ia  xaC  TO,  kacd 

—  Letzteres  etwa  in  heutiges  Deutsch  iibersetzt :   Aus  demselben  Fasse 
(Ix  TOV  avwv  noTr^Qiov}  wird  fleissig  favxvoTsgov}  Seidel  nach  Seidel 
(ov  Tihsov  xvd&ov)  gezapft  und  von  dem  Kellner  (6  nalg)  rechts  und 
links    ausgetheilt.     Bei   den  Spateren  wird    dann    das   keltische   Bier 
nicht  selten  erwahnt :  es  erhielt  sich  in  Nordfrankreich,  Belgien,  den 
britischen    Inseln     wahrend    des    romischen    Kaiserreiches    bis    zum 
Mittelalter    und    von    da    bis   auf  den  heutigen  Tag.     Kaiser  Julian, 
der    es    mit    eigenen  Augen    gesehen  und  gewiss   mit  eigener  Zunge 
gekostet   hatte,   der  aber  an  der  klassischen  Denkart  und  Sitte  hielt 
und   sich    gegen   das  Barbarische   des  Nordens  wie   gegen    das  Orien- 
talische    straubte ,    verhohnte    den  Pariser  Pseudo-Bacchus    in   einem 
bekannten  Epigramm: 

Elg  olvov  ano  xQi&rjg. 

Tig  Tto&ev  slg  Jwvvte;  fia  yaQ  rbv  ctir}&€a  JBdx%ov 
ov  0    ImyiyvwGxao'  TOV  dibg  olda  fj.6vov. 
xslvog  VSXTO.Q  odwde'  tfu  ds  TQayov  r]  ()d  as  Ksfaoi 
TTJ  nevfy  POTQVOOV  xsv^av  an   dffca%va>v. 

ijtuyigtov,  ov  dtovvcfov, 
xal  ftQOjLiov,  ov  Bgofiiov  — 

—  das  sich  mit  Weglassung  der  uniibersetzbaren  Wortspiele  etwa  so 
wiedergeben  lasst: 

Auf  den  Wein  aus  Gerste. 

Du  willst  der  Sohn  des  Zeus,  willst  Bacchus  sein? 
Was  hat  der  Nektarduftende  gemein 
Mit  dir,  dem  Bockigen?  des  Kelten  Hand, 
Dem  keine  Traube  reift  im  kalten  Land, 
Hat  aus  des  Ackers  Frtichten  dich  gebrannt. 
So  heisse  denn  auch  Dionysos  nicht, 
Der  1st  geboren  aus  des  Himmels  Licht, 
Der  Feuergott,  der  Geistge,  frohlich  Laute, 
Du  bist  der  Sohn  des  Maizes,  der  Gebraute. 

Auch  Ammianus  Marcellinus  kennt  die  Gallier  als  ein  Trinker- 
volk,  das  sich  in  Ermangelung  des  Weins  mit  Surrogaten  half,  15, 
12,  4:  vini  avidum  genus,  adfectans  ad  vini  similitudinem  multi- 
plices  potus  -  -  also  Cider  und  Bier.  Der  von  Posidonius  gebrauchte 
Name  XOQ/LUX,  der  bei  Dioscorides  2,  110  in  der  Form  XOVQJM,  er- 


Das  Bier.  149 


scheint,  1st  mit  regelrechtem  Uebergang  des  m  in  w  und  f  noch  in 
den  heutigen  keltischen  Sprachen  lebendig  (Zeuss2  p.  115  und  821). 
Vielleicht  ist  das  Wort  dem  Stamme  nach  identisch  mit  dem  oben 
aus  Plinius  angefiihrten  spanischen  cerea  (nur  mit  anderem  Ableitungs- 
suffix),  wo  dann  die  Wahl  bliebe,  das  Wort  und  folglich  auch  die 
Sache  aus  Spanien  zu  den  Kelten  (wofiir  wir  uns  oben  entschieden 
haben)  oder  mit  den  Kelten  aus  Gallien  nach  Keltiberien  wandern 
zu  lassen.  Fruhzeitig  und  allmahlich  immer  haunger  erscheint  die 
durch  Derivation  erweiterte  Namensform  cervesia,  cervisia  (wie  mar- 
cisia  von  marca  Ross),  zuerst  bei  Plinius  (in  der  o.  a.  Stelle  am 
Schluss  des  Buches  22),  dann  in  haufigem  Gebrauch  durch  das 
ganze  Mittelalter  (s.  Ducange  s.  v.)  und  noch  in  den  heutigen  ro- 
manischen  Sprachen  erhalten.  Ein  anderes  sehr  merkwiirdiges  kel- 
tisches  Wort  ist  brace  bei  Plin.  18,  62,  zuerst  Name  einer  Getreideart, 
des  Spelzes,  dann  ubergehend  in  die  Bedeutung  Malz,  Bierwiirze,  Bier 
selbst,  in  mannichfachen  Formen,  Ableitungen  und  Anwendungen, 
mit  dem  dazwischenspielenden  Sinn  von  germinare,  fermentari,  im 
Mittellatein,  in  den  nordromanischen  und  in  den  heutigen  keltischen 
Sprachen  reich  entwickelt  und  auch  ins  Deutsche  iibergegangen 
(s.  Diefenbach,  O.  E.  p.  265  ff.,  woselbst  auch  die  bemerkenswerthe 
Form  bracisa,  analog  der  Bildung  cervisia,  cervesa,  cervise ;  im  Capi- 
tulare  de  villis  61  ist  bracii  offenbar  Malz,  nicht  ein  bierartiges 
Getrank:  der  judex  soil  die  bracii  zum  Palatium  schaffen  und  Leute, 
die  es  verstehen,  mitkommen  lassen,  damit  sie  dort  gutes  Bier  daraus 
brauen).  Einen  Beweis  von  der  in  der  Sitte  tief  gewurzelten  Kraft 
des  Bieres  bei  den  britischen  Kelten  liefert  unter  vielem  Anderen 
die  Lebensgeschichte  der  h.  Brigitta:  diese  Heilige  namlich  wieder- 
holte  das  Wunder  der  Hochzeit  zu  Kana,  doch  so,  dass  sie  den 
Durst  der  Bediirftigen  zu  stillen,  das  Wasser  in  Bier  verwandelte 
(Acta  SS.  Febr.  1.  Vita  IV.  S.  Brigidae,  cap.  10:  quodam  die  quidam 
leprosi  sitientes  de  via  cerevisiam  anxie  a.  B.  Brigida  postula- 
verunt.  Christi  autem  ancilla,  videns  quia  tune  illico  non  poterat 
invenire  cerevisiam,  aquam  ad  balneum  portatam  benedixit,  et  in 
optimam  cerevisiam  conversa  est  a  Deo,  et  abundanter  sitientibus 
propinata  est);  auch  mehrte  sie  durch  den  blossen  Blick  ihrer  Augen 
den  vorhandenen  Vorrath  von  Bier,  Milch  und  Butter.  -  -  Auch  die 
ostlichen  Nachbarn  der  Kelten,  die  Germanen,  zeigen  sich  allmahlich, 
je  mehr  sie  aus  dem  Nebel  hervortreten  und  je  mehr  sie  sich  dem 
Ackerbau  zuwenden,  als  dem  berauschenden  Gerstensaft  ergeben.  Casar 
erwahnt  das  Bier  noch  nicht  als  germanisch,  wohl  aber  anderthalb 


150  Eas  Bier. 

Jahrhunderte  spater  Tacitus,  Germ.  23:  Potui  humor  ex  hordeo  aut 
frumento  in  quandam  similitudinem  vini  corruptus.  wahrend  Plinius 
an  den  Stellen,  wo  er  des  Bieres  mehr  oder  minder  ausfiihrlich  ge- 
denkt,  iiber  Germanien  schweigt.  Die  gegen  die  gallischen  Grenzen 
drangenden  Deutschen  am  Niederrhein  und  im  Quellgebiet  der  Donau 
mussten  bald  von  den  Kelten  den  Biergenuss  iiberkommen;  die  an 
die  Niederdonau  gewanderten  fanden  bei  der  thrakischen  und  panno- 
nischen  Urbevolkerung  den  Trank  aus  Kdrnerfriichten  vor,  den  sie 
in  ihren  friiheren  Sitzen  an  der  Ostsee  vielleicht  nicht  gekannt  batten ; 
von  allem  Auslandischen  aber  nebmen  Barbaren  uberall  nichts  so 
gem  und  willig  an,  als  Berauschungsmittel.  Das  deutscbe  Wort 
Bier  hat  Grimm  nacb  Wackernagels  Vorgange  aus  dem  mittellatei- 
niscben  bibere,  das  nordgermaniscbe  Ale  (welches  auch  zu  Finnen 
und  Litauern  iibergegangen  ist)  aus  dem  lateinischen  oleum  abgeleitet, 
Diejenigen,  die  dariiber  erschrecken,  sollten  bedenken,  dass  das  Bier 
em  Erzeugniss  und  ein  Genuss  des  Ackerbauers  ist  und  zu  seiner, 
wenn  auch  rohen  Herstellung  eine  Technik  fordert,  die  nur  bei  vor- 
herrschendem  Ackerbau  moglich  ist;  dass  eine  Zeit  war,  wo  die  Ger- 
manen  als  Hirtenstamm  in  Europa  einwanderten  und  in  den  neuen 
Landstrichen  umherzogen ;  dass  sie  in  dem  Augenblick,  wo  wir  sie 
kennen  lernen,  erst  im  Begriffe  sind,  zu  vollig  sesshaftem  Leben 
iiberzugehen;  dass  es  folglich  thoricht  ist,  das  Bier  und  Biertrinken 
als  urgermanisch  oder  als  von  Wesen  und  Begriff  des  Germanismus 
unzertrennlich  anzusehen;  dass,  wenn  der  Genuss  und  die  Bereitung 
des  Bieres  bei  den  Germanen  allgemeine  hervorstechende  Sitte  ge- 
wesen  ware,  die  Alten  nicht  so  sparlich  da  von  Meldung  gethan  und 
die  Namen  Bier  und  Ale  uns  nicht  vorenthalten  batten,  wie  sie  uns 
ja  auch  thrakische,  spanische,  keltische  Benennungen  der  ihnen  fremden 
und  auffallenden  Sache  iiberliefert  haben;  dass  endlich  die  nachsten 
Nachbarn  der  Germanen,  die  Preussen,  zu  Wulfstans  und  Konig 
Alfreds  Zeit  nur  Meth  und  gegohrene  Pferdemilch  tranken,  das  Bier 
aber  nicht  kannten  (Antiquites  russes  2  p.  469:  cerevisia  apud  Estos 
non  coquitur)  -  -  was  einen  sichern  Ruckschluss  auf  die  Germanen 
in  ihrer  friiheren  Bildungsepoche  erlaubt.  Auf  jeden  Fall  wiirde  das 
robe  fermentum,  das  in  den  subterranei  species  der  Deutschen  des 
Tacitus  getrunken  wurde,  dem  heutigen  phantasievollen  Urenkel  sehr 
ungeniessbar  vorkommen:  von  allem  Anderen  abgesehen,  erinnere 
man  sich  nur,  dass  der  Hopfen  erst  in  Folge  der  Volkerwanderung, 
wie  es  scheint,  von  Osten  nach  Deutschland  gedrungen,  obgleich 
jetzt  vielfach  verwildert  ist,  und  dass  die  Beimischung  dieser  narko- 


Das  Bier. 

tischen  Pflanze  zum  Bier  erst  im  Mittelalter  allmahlich  Sitte  wurde. 
Der  heil.  Columbanus  traf  zwar  um  das  Jahr  600  bei  den  Sueven 
einst  eine  cupa  mit  Bier  gefiillt,  die  ungefahr  26  rnodii  enthielt, 
und  mit  der  sie  ihrem  Wodan  ein  Trankopfer  bringen  wollten  (Grimm, 
DM2  S.  49),  und  schon  in  der  lex  Alamann.  22  sollen  die  Knechte 
der  Kirche  rich  tig  ihr  Quantum  Bier  steuern,  aber  im  weiteren  Ver- 
lauf  des  Mittelalters  war  das  Bier  in  Siiddeutschland  ganz  oder  fast 
ganz  aus  dem  Gebrauch  gekommen,  unter  denselben  Modalitateh, 
wie  etwa  ehemals  in  Slid-  und  Mittelfrankreich,  und  Baiern  durch - 
gangig  ein  Weinland  geworden  (Wackernagel  in  Haupts  Zeitschrift 
6,  261  fiy,  bis  in  neuerer  Zeit  das  norddeutsche  Bier,  untersttitzt 
durch  vervollkornmnete  Bereitungsmethoden,  besonders  durch  die 
Kunst  es  haltbar  zu  machen,  und  durch  Wohlfeilheit  des  Preises 
das  verlorene  Terrain  von  Neuem  eroberte.  Jetzt  gilt  das  Bier, 
welches  bei  Beginn  der  europaischen  Geschichte  das  vorzugsweise 
keltische  Nationalgetrank  gewesen  war,  fur  das  Erkennungszeichen 
des  Deutschen  und  deutscher  Sitte :  so  riickt  die  Kulturgeschichte 
im  Laufe  langer  Perioden  von  Land  zu  Land  und  von  Volk  zu  Volk, 
und  so  leicht  tauscht  sich  der,  der  nur  die  Gegenwart  im  Auge  hat ! 
Raumen  wir  indess  ein,  dass  Malz  d.  h.  das  Geschmolzene,  Er- 
weichte,  ein  echt  deutsches  Wort  ist  (und  also  auch  der  allheilende 
Malzextract  wenigstens  zur  Halfte  deutsch).  Brauen  dagegen,  ahd. 
briuwan,  ist  ein  Wort,  iiber  dessen  Urgestalt  und  Herkunft  sich 
nichts  Sicheres  aussagen  lasst ;  es  erinnert  lebhaft  an  das  thrakische 
PQVIOV  (mit  participialem  t);  das  litauische  bruwele  der  Brauer  steht 
vereinzelt  und  wird  aus  dem  Deutschen  stammen.  Da.s  gothische 
leithus  (fiir  sicera,  berauschendes  Getrank),  in  den  iibrigen  deutschen 
Sprachen  wiederkehrend,  im  jetzigen  Neuhoch deutsch  erst  seit  Kurzem 
erloschen,  scheint  eins  und  dasselbe  mit  altirischem  Und  (cerevisia), 
heut  zu  Tage  je  nach  den  Mundarten  linn,  lionn,  leann,  llyn 
(Stokes,  Ir.  gl.  221),  so  dass  also  leithus  ftir  linthus  steht  (wie 
seit  eins  fiir  sinteins).  Wohl  ein  Lehnwort  aus  dem  Kel  tischen, 
zumal  auch  im  Slavischen  fehlend.  —  Weiter  nach  Osten  haben  die 
Litauer  ihr  alus  Bier,  wie  gesagt,  von  ihren  deutschen  Nachbarn 
entlehnt  (es  stimmt  ganz  mit  dem  altn.  07,  wie  dieses  vor  Eintritt 
des  Umlauts  lautete),  die  Slaven  aber  ihr  pivo  ganz  abstrakt  aus 
dem  Verbum  piti  trinken  gebildet.  Wir  holen  hier  eine  oben  ab- 
sichtlich  iibergangene  Notiz  des  Aristoteles  nach,  der  in  der  verloren 
gegangenen  Schrift  negl  ime&vjg  auch  iiber  die  Wirkungen  des  Gersten- 
weines  gesprochen  und  diesen  als  das  sogenannte  nlvov  bezeichnet 


152  Das  Bier. 

hatte  (TO  foyofJievov  nlvov,  bei  Athen.  10,  p.  447).  Den  Namen 
(auch  von  Eustathius,  II.  11,  637.  p.  871  erwahnt,  aber  in  der  Form 
nCvos)  hatte  Aristoteles  ohne  Zweifel  aus  dem  Norden:  er  gleicht 
dem  slavischen  pivo,  nur  mit  anderem  Suffix;  denn  Meinekes  Coii- 
jectur  zu  Fr.  43  des  Hipponax,  wonach  schon  dieser  kleinasiatische 
Dichter  das  Wort  gebraucht  hatte,  ist  allzu  unsicher.  Eine  dritte 
Ableitung  ist  das  slavische  piru,  Schmaus,  Gelage,  welches  buch- 
stablich  mit  dem  albanesischen  Partic.  pass,  pire  (als  Substantiv : 
Getrank)  von  pi  trinken  zusammenfallt  (v.  Hahn,  Albanesische  Studien, 
2,  76  und  3,  101).  Wer  das  deutsche  Bier  mit  diesem  pirt  und 
also  mit  nCvsw,  potus  u.  s.  w.  identificirt,  muss  im  deutscheri  Wort 
einen.  verdorbenen  Anlaut  statuiren,  also  die  Grundlage  der  Ver- 
gleichung  aufheben.  Das  altsl.  olu,  olovina  sicera,  neusl.  ol  cerevisia, 
walach.  olovin  idem  hat  denselben  Ursprung  wie  das  deutsche  ale^ 
ol.  Ein  anderes  slavisches  Wort  braga,  braha,  braja  (Maische, 
Schlampe,  Trester,  ein  bierartiges  gemeines  Volksgetrank,  litauisch 
broga)  weist  auf  das  keltische  brace  zuriick.  Da  es  in  den  germa- 
nischen  Sprachen  fehlt  —  ein  Zeichen  spater  und  fremder  Herkunft 
—  und  da  es  von  den  Litauern  aus  dem  Slavischen  entlehnt  seiii 
kann,  vielleicht  erst  nach  Einfiihrung  der  Branntweinbrennerei,  so 
mag  es  nach  der  Zeit  zu  den  Slaven  gelangt  sein,  wo  keltische 
Stamme  in  den  Sudosten,  nach  Bohmen  und  Pannonien  und  in  die 
Donaugegenden  zuriickgewandert  waren.  Von  den  beiden  finnisch- 
estnischen  Ausdriicken  fiir  das  volksmassige  Diinnbier,  potus  vilissimus 
ex  hordeo:  kalja,  kalli  und  taari,  taar  erinnert  der  erstere  an  das 
spanische  eaelia,  ohne  dass  wir  uns  erlauben,  daraus  fiir  eine  iberisch- 
finnische  Verwandtschaft  oder  Beriihrung  Schliisse  zu  ziehen.  In  den 
lindenreichen  Waldern  des  europaischen  Ostens,  selbst  noch  hinter 
den  slavischen  Stammen  bei  den  Nomaden  und  Halbnomaden  der 
Wolgagegenden,  spielte  indess  der  berauschende  Honigtrank  eine 
grossere  Rolle  und  war  gewiss  daselbst  alter,  als  das  Bier.  Ja  man 
darf  vermuthen,  dass  der  Meth  das  Urgetrank  der  in  Europa  ein- 
Avandernden  Indogermanen  war  und  sich  im  Osten  des  Welttheils 
wie  so  vieles  andere,  nur  langer  erhielt.  In  Griechenland,  wo  das 
Bier  i-mmer  nur  fiir  barbarisch  gait,  taucht  doch  von  einem  der 
Weinzeit  vorausgehenden  Honigtranke  hin  und  wieder  eine  verlorene 
Spur  auf.  Der  Dichter  Antimachus  aus  Kolophon  liess  in  seiner 
Theba'is,  -  -  deren  Sagen  in  ein  hoheres  Alter  hinaufreichen,  als  die 
der  Ilias,  —  den  Adrast  die  schmausenden  Helden  mit  einem  Trank 
aus  Wasser  und  unversehrtem  Honig  bewirthen,  Athen.  11,  p.  468: 


Das  Bier.  153 


Ildvm  (uah',  oW  "Adgrjamg 

8V  (H8V  vScoQ,  ev  6'  dffxiy&g  fish 
xgyrrgf,,  ns()t(pQadeu>g  xsgooovrsg. 
In  dem  Orphischen  Fragment  49  (aus  Porphyr.  de  antro  Nympharum, 
Orph.    ed.  Hermann,   p.   500)  giebt   die  Nacht   dem  Zeus   den  Rath, 
den  Vater  Kronos,   wenn   er  honigberauscht  unter  den  Eichen  liege, 
zu  binden  und  zu  entmannen: 

EIT    av  §YI  ILUV  Id^ac  vm   dgvalv  vipixoftoiaiv 

fyyoMttv  [is&vovm  [uefaaGdojv  tytftofjiftajv, 

avxCxa  fuv  dfjffov  — 

wo  also  die  Zeit  cles  Kronos  und  des  Waldlebens  als  methtrinkend 
gedacht  ist.  Die  Taulantier,  ein  illyrisches  Volk,  verstanden  es 
nach  Aristot.  de.  mirab.  auscult.  22  (21)  aus  Honig  Wein  zu  machen: 
»nachdem  der  Honig  aus  den  Waben  gepresst  worden  u.  s.  w.  (wir 
iibergehen  das  weitere  Verfahren),  ergiebt  sich  ein  weinartiges,  lieb- 
liches  und  kraftigep  Getrank  (olvwdeg  xal  a'AAcog  rtdv  xal  sviovov); 
auch  in  Griechenland  soil  dasselbe  Einigen  gelungen  sein,  so  dass 
sich  das  Produkt  in  nichts  von  altem  Wein  unterschied  (ware  (a^Jfcr 
SiayisQew  owov  Ttahcuov),  nachher  aber  konnteii  sie  trotz  aller  Be- 
mlihung  die  richtige  Mischung  nicht  mehr  finden.«  Auf  reiche 
Honiggewinnung  in  den  Landstrichen  jenseits  des  Ister  deutet  es 
vielleicht,  wenn  die  Thraker  zu  Herodots  Zeit  berichteten,  die  ge- 
nannte  Gegend  stecke  voll  von  Bienen,  die  ein  Vordringen  dahin 
unmoglich  machten  (Herod.  5,  10;  dasselbe  wurde  ehemals  von  der 
Liineburger  Heide  geglaubt).  Weiter  wird  der  Meth  direkt  als 
skythisches  Getrank  bezeichnet,  das  die  Skythen  aus  dem  Honig 
der  wilden  in  Felsen  und  Eichen  wohnenden  Bienen  bereiten,  Maxim. 
Tyr.  27,  6:  rolg  de  (unter  den  Skythen)  at  fiehnat,  xaOrjdvvovat, 
TO  Tro^tt,  87tl  TTSTQWV  xal  dgvcov  dtaTtkaTTOvGai  Tovg  (fi[if&ov$.  Hesychius  : 
fjiehcziov  no/no.  ^^,  2xv9ixbv  /usfaTog  eipoflevov  (fuv  vSau  xal  Ttoq.  uvt. 
Der  byzantinische  Gesandtschaftsattache  Priscus  endlich  giebt  in  der 
oben  angefiihrten  Stelle  den  in  Pannonien  einheimischen  Namen 
[itdog,  welcher  sowohl  mit  dem  altirischen  mid,  altcambrischen  med 
(=  sicera,  Cormac  p.  106.  Zeuss2  136)  und  griechischen  [is&v  —  in 
den  Landstrichen  nordlich  von  Griechenland  wurde  die  Aspirata  als 
Media  gesprochen  —  ,  als  mit  dem  slav.  inedu  zusammenfallt,  welches 
letztere  Wort  nicht  bloss  Honig  und  Meth  bedeutet,  sondern  auch, 
wie  das  griechische  fJLe&v,  geradezu  vinum  iibersetzt(medari  =  oivo%nog, 
pincerna;  medviniza  =  cella  vinaria  u.  s.  w.).  Die  heutigen  Litauer 
unterscheiden  mediis  Honig  von  midus  Meth  ;  in  dem  entsprechenden 


154  ®'IG  Butter. 

deutschen  Wort  1st  die  Bedeutung  Honig  ganz  verloren,  fiir  welche 
gothisch  das  wahrscheinlich  an  der  Niederdonau  entlehnte  milith,  in  den 
anderen  Mundarten  das  rathselhafte  Honig  gilt.  Auch  heut  zu  Tage 
ist  das  Bier  in  slavischen  Landen  nicht  das  populare,  unentbehrliche, 
altiiberlieferte  Getrank ;  der  Meth  ist  freilich  auch  in  Gross-  und  Klein- 
russland  und  in  Polen  mit  jedem  Jahre  seltener  geworden,  hauptsach- 
lich  weil  der  Zticker  die  Bienenzucht  zerstort  hat;  an  seine  Stelle  ist 
die  Erfindung  der  Holle,  der  Branntwein,  getreten,  der  das  gegenwartige 
Geschlecht  decimirt  und  die  Lebensquelle  des  kiinftigen  vergiftet. 

Die  Geschichte  der  Butter  geht  der  des  Bieres  parallel.  Die 
Butter  kann  eine  Kunst  und  Gewohnheit  des  Hirten  genannt 
werden,  wie  das  Bier  die  des  Acker bauers  ist.  Die  Milch  in 
Schlauchen  musste  beim  Reiten  oder  auf  dem  Wagen  —  und  alle 
Nordvolker  zogen  auf  Wagen  herum,  mit  denen  sie  gleich  den 
Cimbern  und  Teutonen  ihre  Lager  bildeten  —  leicht  das  in  ihr  ent- 
haltene  Fett  als  Butter  ausscheiden,  und  ahnlich  war  die  Wirkung, 
wenn  die  abgeschopften  fetteren  Theile  der  Warme  des  Ofens  aus- 
gesetzt  wurden.  Die  so  gesonderte  Butter  konnte  zum  Essen,  zum 
Salben  des  Haares  und  zum  Bestreichen  der  Wunden  dienen.  Griechen 
und  Romer  der  guten  Zeit  wissen  von  Butter  nichts;  dass  sie  ihnen 
vor  der  Einfiihrung  des  Olivenols  bekannt  gewesen,  dafiir  giebt  es 
keine  Spur  oder  Andeutung.  Dennoch  werden  uns  in  ziemlich 
friihen  Zeugnissen  die  Volker  rund  um  die  beiden  klassischen  Lander 
als  butterbereitend  geschildert  und  miissen  dies  Produkt  also 
nach  der  Volkertrennung  kennen  gelernt  haben.  Schon  der  weit- 
gereiste  Solon  gedenkt  des  durch  Umriihren  der  Milch  gewonnenen 
Fettes  und  braucht  es  als  Bild  fiir  den  Vortheil,  den  eigensiichtige 
Fiihrer  aus  politischen  Unruhen  ziehen,  Plut.  Sol.  16: 

OVT   av  xttr£(S%£  Sr^fiov  OVT   STiavcfaw, 

TTQIV  av  Ta^d^ag  nlag  eZety  yd  ha. 

Noch  vor  Hero  dot  berichtete  dann  Hecataus  von  den  Paonern  am 
Strymon,  denselben,  die  in  Pfahldorfern  wohnten  und  eine  doppelte 
Art  Bier  brauten:  »sie  salben  sich  mit  einem  aus  Milch  gewonnenen 
Oel«,  Athen.  10,  p.  447:  akeiyovmt,  Ss  £haia)  arco  ydhaxxog.  Bei 
dem  komischen  Dichter  Anaxandrides  (bliihte  um  die  Mitte  des 
4.  Jahrhunderts,  etwa  01.  101 — 108)  sitzen  an  der  Tafel  des  thra- 
kischen  Konigs  Kotys,  der  seine  Tochter  dem  Iphikrates  vermahlte, 
strupphaarige  butteressende  Manner,  Athen.  4,  p.  131: 


Die  Butter.  155 

Von  einer  skythischen  Art,  die  Pferdemilch  zu  behandeln,  hat 
Herodot  4,  2  gehort,  aber  in  noch  ganz  unbestimmter  Weise:  nach- 
dem  er  angegeben,  die  nomadischen  Sky  then  blendeteii  ihre  Sclaven, 
fahrt  er  fort:  sie  setzen  sie  um  die  hohlen  holzernen  Milchgefasse 
und  lassen  sie  diese  ruhren  (oder  schwingen:  Soveovat,');  was  dann 
sich  oben  ansetzt,  10  smtimf.iwov,  wird  abgeschopft  und  fur  hoher 
geschatzt,  das  sich  zu  Boden  Senkende,  TO  vmtixdfjievov,  gilt  fiir 
geringer  als  Jenes.  Naher  beschreibt  das  Verfahren  der  auctor 
Hippocrat.  de  morbis  4,  20  (ed,  Ermerins,  II.  p.  461),  indem  er  zu- 
gleich  das  Wort  flovrvgov  —  ohne  Zweifel  zum  Behufe  der  Bedeut- 
samkeit  in  griechischem  Munde  mehr  oder  minder  umgestaltet  — 
als  skythisches  iiberliefert:  die  Skythen,  sagt  er,  giessen  Pferdemilch 
in  holzerne  Gefasse  und  schiitteln  diese;  dadurch  sondern  sich  die 
Theile,  und  das  Fett,  welches  sieButternennen,  schwimmt  oben, 
da  es  leicht  ist :  xal  TO  f-iev  TIIOV,  o  ^OVTVQOV  xaheovdi,  sncTto^g 
dutfrarai  ehacpgbv  sov;  die  schwereren  Theile  senken  sich  herab, 
werden  herausgenommen,  getrocknet  und  verdickt  und  heissen  dann 
tnndxri  (Pferdekase,  auch  bei  Aeschylus  Fr.  192  Nauck,  und  bei 
Hippocrates  de  aere  u.  s.  w.  genannt);  in  der  Mitte  ist  der  oQQog 
(Molken).  Diese  Kenntniss  der  Sache  und  des  Nam  ens  stammte 
ohne  Zweifel  von  den  griechischen  Kolonien  an  der  pontischen 
Kiiste47).  Trotzdem  scheint  Aristoteles  den  Gebrauch  der  Butter 
im  Grossen  und  als  Volkssitte  nicht  gekannt  oder  nicht  beachtet  zu 
haben ;  wenigstens  kommt  in  der  langen  Auseinandersetzung  iiber 
die  Milch  der  Thiere,  die  wir  Histor.  animal.  3,  20  lesen,  weder  der 
Name  noch  die  Gewinnung  und  Anwendung  der  Butter  vor;  hochstens 
deuten  darauf  die  im  Voriibergeheri  gesprochenen  Worte :  vnagxti, 
$  sv  TO)  ydhaxu  foTraQOTyg,  1}  xal  zv  wig  TiKnrflQGi  ywsuu  e&aiwdyg. 
Bei  den  Aerzten  ist  fiovivQOV)  butyrum,  ein  bin  und  wieder  ge- 
nanntes  Medicament,  aber  noch  Plinius  11,  239,  ja  sogar  Galenus 
de  alim.  facult.  3,  15  halten  fiir  nothig,  ihren  Lesern  das  Wort  wie 
die  Herkunft  und  den  Gebrauch  der  Sache  zu  erklaren.  -  -  Da  die 
Thraker  und  Skythen  Butter  bereiteten,  so  diirfen  wir  das  Gleiche 
bei  den  Phrygern  voraussetzen.  Wirklich  findet  sich  bei  Hippo- 
krates  ein  Ausdruck  TMXSQIOV  ,  der  auf  phrygische  Butter  hindeutet. 
Dies  Wort  namlich,  welches  Galenus  und  Erotianus  in  ihren  Glos- 
saren  zu  Hippokrates  als  POVTVQOV  deuten,  wird  von  dem  Letzteren 
zugleich  nach  einer  alteren  Quelle  fiir  phrygisch  erklart,  Erotian. 
s.  v. :  ou  06ag  o  J ISaxfaiog  ItfioQsZ  naga  <&Qv%l  TICXSQCOV  xa^elffdac 
TO  POVTVQOV.  Es  scheint  wurzelverwandt  mit  na%vg,  pinguis.  — 


156  Die  Butter. 

Auch  imter  den  taglichen  Lief erun gen  fur  den  persischen  Hof  sind 
skaCov  ano  ydhaxmg  TTSVIS  pagies  aufgefiihrt  (Polyaen.  strat.  4,  3,  32) 
—  eine  sehr  geringe  Quaiititat  verglichen  mit  den  Aiisatzen  fur  die 
iibrigen  Bediirfnisse  der  koniglichen  Tafel.  Auch  steht  die  Butter 
mitten  zwiscben  dem  Sesam-  und  dem  Terebinthenol ,  wahrend  das 
Olivenol  in  dem  Verzeichniss  charakteristischer  Weise  ganz  fehlt.  - 
Dass  den  Juden  die  Butter  nicht  unbekannt  war,  wenigstens  zu 
einer  gewissen  Zeit,  ist  aus  Spricbw.  30,  33  mit  Sicherheit  zu 
schliessen:  »wenn  man  Milch  stosset,  so  machet  man  Butter  draus«  ; 
fiir  die  halbsemitische  Insel  Cy pern  scheint  ein  Gleiches  aus  der 
Glosse  des  Hesychius  hervorzugehen :  $k(pog'  ftovrvQOv.  KVTTQIOI 
(vgl.  bei  demselben:  sknog-  ekcuov,  ffteag).  Gesenius  Monum.  p.  389 
deutet  dies  cyprische  Wort  aus  dem  Semitischen,  Job.  Schmidt 
sieht  darin  das  sanscr.  Neutrum  sarpis.  —  Nach  dem  Periplus  maris 
Erythraei  (der  unter  den  Kaisern  Titus  und  Domitian  geschrieben 
ist)  kam  Butter  aus  Indien  in  die  Hafen  des  rothen  Meeres,  und 
das  heisse  Land  wird  reich  an  Reis,  Baumwolle,  Sesamol  und  — 
Butter  genannt  (14  und  41);  wie  auch  verwundete  Elephanten  da- 
selbst  durch  eingegebene  Butter  (Strab.  15,  1,  43)  oder  durch  Be- 
streichen  der  Wunde  mit  Butter  (Ael.  H.  A.  13,  7)  geheilt  wurden. 
Auch  in  Arabien,  im  Lande  des  Konigs  Aretas,  bekam  das  Heer 
des  Aelius  Gallus,  wie  Strabo  16,  4,  24  berichtet,  nur  Butter  statt 
des  Oeles.  —  Durch  denselben  Strabo  horen  wir,  dass  bei  den 
Aethiopiern  im  aussersten  Siiden  Butter  und  Fett  die  Stelle  des 
Oeles  vertrat,  die  Lusitanier  im  aussersten  Westen  statt  des  Oeles 
sich  der  Butter  bedieaten  (an  den  schon  obeii  citirten  Stellen:  17, 
2,  2  und  3,  3,  7).  Sicher  war  diese  indische,  arabische,  athiopische 
und  lusitanische  Butter  ein  flussiges  Fett,  wie  auch  die  heutigen 
Beduinenaraber  gierige  Triiiker  von  Butter  sind,  die  sie  aus  der 
Milch  ihrer  Schafe  und  Ziegen  abscheiden.  -  -  Am  Fest  der  Riick- 
kehr  der  eryciiiischen  Aphrodite  in  Sicilien  duftete  die  ganze 
Gegend  um  den  Tempel  nach  Butter,  zum  Beweise,  dass  die  Gottin 
wirklich  aus  Afrika  wiedergekehrt  sei,  Athen.  9,  p,  395:  o&i  Je  nac, 
o  -i6nog  TOTS  ftovxvoov,  o>  dr]  texfjiriQiw  ^cu-vra^  TT^  tteCac  ertavodov. 
Das  Heiligthum  auf  dem  Eryx  gehorte  urspriinglich  den  Elymern, 
einem  Volke,  dessen  Herkunft  streitig  und  in  Sageii  gehiillt  ist. 
Mogeii  sie  ein  Rest  des  iiber  die  Inseln  des  westlichen  Mittelmeeres 
verbreiteten  iberischen  Volksstammes  oder  wirklich  von  Asien  eiii- 
gewandert  sein,  -  -  sie  werden  als  Rinderhiiter  gedacht  und  verehrten 
einen  entsprechenden  Gott,  dessen  Gegenwart  durch  die  Butter  — 


Die  Butter.  157 

entweder  als  Leib-  uncl  Haarsalbe  oder  von  den  Pfannen  dampfend  - 
kund  gethan  wird  (Klausen,  Aeneas,  488:  »von  deni  segnenden 
Schutz  des  Butas  oder  des  Rinderfursten  Anchises  zeugt  dann  der 
durch  den  ganzen  Ort  verbreitete  Buttergeruch«).  —  Ganz  allgemein 
aber  heisst  es  dann  bei  Plinius  28,  133 :  e  lacte  fit  et  butyrum,  bar- 
bararum  gentium  lautissimus  eibus  et  qui  divites  a  plebe  discernat. 
Unter  den  b'arbarae  gentes  sind  hier  dem  Gesichtskreis  des  Plinius 
nach  hauptsachlich  Germanen  zu  verstehen.  Die  Reichen  eriibrigten 
Butter,  da  sie  die  Milch  ihrer  grosseren  Heerde  nicht  sogleich  ver- 
zehrten,  und  der  Genuss  derselben  unterschied  folglich  den  Begiiterten 
von  dem  Armen.  Die  bei  Plinius  gleich  folgende  Beschreibung  der 
Bereitung  sowohl  der  Butter  als  des  Quark  (oxygala)  leidet  iibrigens 
an  Confusion  und  ist  wenig  sachgemass  —  ein  Beweis  mehr,  wie 
fern  diese  Speise  der  klassischen  Welt  lag.  An  eirier  anderen  Stelle 
hat  Plinius  die  Notiz,  auch  die  gentes  pacatae,  d.  h.  die  schon  poli- 
cirten  und  halb  romanisirten  Stamme  wendeten  die  Butter,  wie  Eier 
und  Milch,  zu  kunstlicherem  Backwerk  an,  18,  105:  quidam  ex  ovis 
aid  lacte  subigunt  (panem),  butyro  vero  gentes  etiam  pacatae,  ad 
operis  pistorii  genera  transeunte  cur  a;  -  -  also  die  Kuchenbackerei 
trat  auf,  die  bei  Griechen  und  Romern  wegen  Mangels  an  Butter  und 
beschrankter  Anwendung  der  Hefe  (die  letztere  ist  gleichfalls  ein 
nordischer  Gebrauch)  unentwickelt  geblieben  war.  Merkwiirdig  genug 
ist  es,  dass  das  Wort  Butter  auf  dem  weiten  Umwege  vom  Pontus 
Euxinus  iiber  Griechenland  und  Italien  —  zwei  Lander,  die  das 
damit  Benannte  kaum  kannten  und  wenig  schatzten  —  zu  den 
meisten  Volkern  des  westlichen  und  des  mittleren  Europa  gekommen 
ist.  Vielleicht  ist  eine  Spur  seiner  Herkunft  in  dem  magyarischen 
vaj,  lappischen  wuoj,  finnischen  und  estnischen  woi  (im  Accusativ 
mit  wieder  hervortretendem  Dental  der  WTurzel:  woid),  ivoid-tna 
salben,  lapp.  wuotiet,  ivuoitas,  finn.  ivoitaa,  woitelee  u.  s.  w.  erhalten. 
Die  Erfindung,  die  Butter  durch  starkes  und  wiederholtes  Waschen, 
Kneten  und  Salzen  so  rein  und  fest  zu  machen,  wie  wir  sie  jetzt 
kennen,  scheint  von  den  nordgermanischen  Stammen  ausgegangen. 
Noch  jetzt  besteht  der  Unterschied  zwischen  Nord-  und  Siiddeutsch- 
land,  dass  in  dem  ersteren  die  Butter  gesalzen  wird  (wie  auch  in 
Scandinavien  und  England),  das  letztere  aber  siisse  Butter  isst  und 
die  Speisen  mit  Schmalz,  d.  h.  fliissiger  Butter  bereitet.  Dieses 
Butterschmalz  nennt  der  Alemanne  (nicht  der  Schwabe)  Anke  (nach 
Grimm  wurzelverwandt  mit  ungere,  imguere:  vielleicht  gehort  auch 
das  altpreussische  auctan,  aucte  und  das  keltische  imb  dahin,  wenn 


158  Die  Butter. 

in  letzterem  b  aus  g  entstanden  1st,  Stokes,  ir.  glosses  784),  auch 
wohl  Schmutz;  bei  den  Scandinaven  heisst  die  Butter  Schmeer 
(d.  h.  woniit  geschmiert  wird,  schwedisch  smo'r,  smorja  u.  s.  w.  wie 
ahd.  anchunsmero,  ancsmero).  Auch  Sal  be  mag  in  der  Urzeit  ein 
deutsches  Wort  dafur  gewesen  sein,  wenigstens  hat  das  entsprechende 
albanesische  Wort  gjalpe  noch  jetzt  die  Bedeutung  Butter  (alban.  gj 
ist  gleich  s,  vergl.  gjaschte  mit  sex,  gjaTc  -Blut  mit  sanguis  u.  s.  w., 
Kuhns  Zeitschrift  11,  235)  und  beiden  entspricht  vielleicht  das  oben 
genannte  sanscr.  sarpis  mit  der  Bedeutung:  zerlassene  Butter.  Die 
Slaven  benennen  die  Butter  mit  demselben  Wort  wie  das  Oel: 
maslo,  wortlich  Mittel  zum  Salben,  also  iibereinstimmend  mit  den 
obigen  germanischen  Ausdriicken.  Beide  Volker,  Germanen  und 
Slaven,  schmierten  sich  also  das  Haar  mit  fliissiger  Butter,  die 
dann,  wenn  sie  ranzig  geworden,  nicht  den  besten  Duft  verbreitete, 
Sidon.  Apoll.  carm.  12,  6: 

Quod  Burgundio  cantat  eseulentm, 
Infundens  acido  comam  butyro. 

Dass  auch  die  Kelten,  wenigstens  die  Galater  in  Kleinasien,  sich 
mit  Butter  salbten,  die  sich  dem  Geruchsinn  merklich  machte,  geht 
aus  einer  Anekdote  hervor,  die  Plutarch  adv.  Colot.  4,  5  erzahlt: 
zu  der  Berronike  (Berenice),  der  Frau  des  Dei'tauros  (Dejotarus), 
soil  eine  Lacedamonierin  gekommen  sein:  als  sie  einander  nahe 
standen,  sollen  sich  beide  augenblicklich  und  gleichzeitig  abgewandt 
haben,  indem  der  einen,  wie  es  scheint,  der  Geruch  der  Salbe, 
JAVQOV,  der  anderen  der  der  Butter  zuwider  war.  —  In  entlegenen 
Dorfern  nordischer  Lander  ist  diese  Sitte  bei  Weibern  und  Madchen 
auch  jetzt  noch  nicht  ausgestorben ,  im  Uebrigen  aber  ist  sie  durch 
die  Pomade,  ital.  pomata,  verdrangt  worden,  in  der,  wie  der  Name 
sagt,  irgend  eine  duftende  Frucht,  porno,  beigemischt  war.  Ur- 
sprunglich  diente  sie  zugleich  als  Haarfarbemittel  und  schied  sich 
erst  spater  aus  demselben  als  reine  Salbe  aus.  Die  Erfindung 
scheint,  wie  die  der  Seife,  eine  altbelgische  zu  sein,  denn  Toiletten- 
kiinstler  waren  schon  die  alten  Gallier,  wie  es  ihre  heutigen  Pariser 
Nachkommen  noch  sind. 


*  Zu  der  Geschichte  des  Bieres  ist  zu*  bemerken,  dass  die  ger- 
manischen Benennungen.  dieses  Getrankes  keinen  berechtigten  Anlass  zu 
der  Anschauung  Hehns  bieten,  das  Bier  sei  bei  den  Germanen  verhaltniss- 
massig  jung  und  keltischen  Ursprungs. 


Die  Butter.  159 

Das  gothische  leitku,  ahd.  lid,  ags.  Ud  kann  lautgesetzlich  nicht  aus 
dem  keltischen  ir.  lind  (vgl.  oben  S.  151)  entlehnt  sein.  Da  das  germanische 
Wort  auch  mit  poculum,  fiala  erklart  wird  (vgl.  Schade,  Ahd.  W.),  so  liegt  die 
Vergleichung  desselben  mit  griech.  a-Xeis-ov  (aus  i-Xeit-jov)  Becher  nahe. 
Ebenso  wenig  darf  an  Entlehnung  des  deutschen  bier  und  nordgermanischen 
ale  aus  dem  mlat.  bibere  und  lat.  oleum  gedacht  werden.  Was  das  erstere 
betrifft  (ahd.  bior,  ags.  beor,  altn.  bjorr),  so  hat  R.  Kogel  in  Paul  und  Braunes 
B.  IX  S.  537  es  an  agls.  bed,  altn.  bygg  Gerste,  Getreide  angekniipft,  eine 
sachlich  ansprechende  Deutung  (,,Gerstensaft"),  die  aber  grosse  Schwierigkeiten 
der  Wortbildung  darbietet.  Neuerdings  hat  daher  E.  Kuhn  (K.  Z.  XXXV 
S.  313)  die  germanischen  Worter  als  Entlehnung  aus  dem  altsl.  pivo,  *pives-, 
altpr.  piivis  Bier  (eigentl.  ,,Getrank":  griech.  TCIVUJ  etc.)  aufgefasst.  Bestatigt 
sich  diese  Erklarung  (germ,  b  aus  slav.  p?  vgl.  etwa  ahd.  bilih  aus  slav.  *pilchu, 
altsl.  pluchu  nach  Palander  Ahd.  Thiernanien  S.  68),  so  bote  sie  eine  ansprechende 
Parallele  zu  der  unten  bei  Besprechung  des  Hopfens  hervorgehobenen  That- 
sache,  dass  dieser  Zusatz  des  Bieres  durch  die  Vermittlung  slavischer 
Volker  zu  uns  gekommen  ist.  Unser  ,,bier"  bezeichnete  dann  urspriinglich 
nur  das  gehopfte  Getrank,  wahrend  der  urgermanische  Ausdruck  fur  den  des 
Hopfens  noch  entbehrenden  Trank  in  dem  englischen  ale  erhalten  ware. 
Dieses  (ags.  ealu,  gen.  ealod.  altn.  61)  fiihrt  auf  einen  nordeurop.  Stamm  alut 
Bier,  aus  dem  auch  lit.  alus  (woher  finn.  olut  nach  W.  Thomsen,  Beroringer 
mellem  de  finske  og  de  baltiske  Sprog  S.  157)  und  altsl.  olu  lautgesetzlich 
hervorgegangen  sein  konnen  (vgl.  J.  Schmidt,  Plural bildungeii  S.  180),  wenn 
sie  nicht  wie  das  slavische  mlato,  preuss.  piiva-maltan  (finn.  mallas)  Bierrnehl 
und  vielleicht  preuss.  dragios  Hefen  (aus  altn.  dregg,  *dragja,  vgl.  G.  Meyer, 
Et.  W.  S.  72)  aus  dem  Germanischen  entlehnt  sind.  Urverwandtschaft  mit 
dem  germ,  malz  zeigt  aber  Cecil,  mladina,  russ.  molodi  Bierwiirze  (Miklosich, 
Et.  W.  S.  200):  altsl.  mladu  zart.  Beilaufig  nennen  wir  noch  zwei  angel- 
sachsische  Namen  des  Bieres :  coerin  und  swatan,  schott.  swats,  ersteres  an  die 
oben  angeftihrten  keltischen  Worter  (S.  148)  erinnernd,  letzteres  offenbar  zu 
ags.  swete  suss  gehorig,  ahnlich  wie  im  Slavischen  der  einheimische  Name  des 
Maizes  slad,  der  in  zahlreiche  ostliche  Sprachen  entlehnt  ist,  so  viel  wie  suss 
bedeutet. 

Ueber  das  keltische  brace  (oben  S.  149)  vgl.  jetzt  Holder,  Altkeltischer 
Sprachschatz.  Hier  wird  ein  inschriftlich  tiberlieferter  Beiname  des  Mars 
Braci-dca  als  Gott  des  Maizes  gedeutet.  Ob  mit  diesem  keltischen  brace  die 
oben  (S.  152)  genannten  slavischen  Worter  etwas  zu  thun  haben  (was  Krek, 
Einleitung  in  die  slav.  Litg.  2.  Aufl.  S.  131  billigt,  Miklosich,  Et.  W.  abzu- 
lehnen  scheint),  ist  sehr  zweifelhaft. 

Schliesslich  sei  auf  eine  lehrreiche  Abhandlung  iiber  das  agyptische 
Bier  verwiesen:  Karl  Wessely,  Zythos  und  Zythera  im  13.  Jahresbericht  d. 
K.  K.  Staatsgymnasiums  in  Hernals  Wien  1887,  in  welcher  interessante  Mit- 
theilungen  iiber  agyptische  Biersteuer  und  Fabrication  in  den  letzten  vor- 
christlichen  Jahrhunderten  gemacht  werden.  Der  Ausdruck  Cu^o?  (oben  S.  143) 
hat  sich  bis  jetzt  im  Altagyptischen  nirgends  gefunden.  Das  Bier  heisst  hier 
held.  Es  ist  uns  daher  wahrscheinlicher,  dass  Cu^o?  ( :  Cs«>,  wie  ^puiov,  lat. 
defrutum :  brauen)  ein  dem  agyptischen  Griechisch  eigenthtimliches  ein- 
heimisches  Wort  ist.  Eine  Abhandlung  von  Death,  The  beer  of  the  bible  London 


160  Die  Butter. 

1887  ist  uns  nicht  zu  Gesicht  gekommen.  Ueber  cervesia.  camuni.  zyihum  vgl. 
noch  Bliimner,  Maximaltarif  des  Diocletian  1893  S.  69  f. 

Die  Butter:  Dass  die  Indogermanen  schon  vor  ihrer  Trennung  es 
verstanden,  die  fetten  Theile  der  Milch,  um  sie  .als  Salbe  zu  benutzen,  abzu- 
sondern,  geht  aus  den  beiden  oben  S.  157  f.  genannten  Gleichungen  (vgl.  dazu 
scrt.  anjana  Salbe,  a/jya  Opferbutter)  gegeniiber  scrt.  sdra  geronnene  Milch, 
griech.  6po<;,  lat.  serum  Molken  (davon  zu  trennen :  altsl.  syru  Kase  =  alb.  hift 
Molken,  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  152)  und  zend.  tuirinqm  =  griech.  topot;  Kase 
mit  Sicherheit  her  vor.  In  der  Heimath  der  Olive  ging  Griechen  und  Eomern 
allmahlich  diese  Kunst  verloren.  Doch  ragt  ein  uralter  sprachlicher  Zeuge 
des  einstigen  Gebrauchs  des  Fettes  zum  Salben  in  die  historischen  Zeiten  der 
Griechen :  das  griech.  [Aopov,  mit  der  Nebenform  ojxopov  =  Salbe.  Unzweifelhaft 
steckt  in  diesem  Wort  zum  Theil  das  entlehnte  hebr.  mor,  aram.  murrdh  Saft 
der  arabischen  Myrrhe.  Allein  die  orientalischen  Formen  erklaren  nicht  das 
anlautende  a  des  Griechischen,  und  so  ist  es  wahrscheinlich,  dass  ojxupov  zu- 
nachst  ein  einheimisches  Wort  ist  und  dem  ahd.  smero  Fett,  Schmiere,  goth. 
smairthra  Fett  entspricht  (vgl.  auch  Fick,  Vergl.  W.  4.  Aufl.  I,  S.  575,  Muss- 
Arnolt,  Transactions  XXIII,  119,  Prellwitz  Et.  W.  d.  griech.  Spr.  s.  v.  fxuppa, 
Lewy  Die  semit.  Fremdw.  im  Griech.  S.  42;  unbegrtindet  ist  Hirts  Ein  wand 
im  Anzeiger  f.  idg.  Sprach-  und  Alterthumsk.  VI  S.  175\ 

Vom  Pontus  her  mogen  dann  die  Griechen  aufs  neue  die  Butterbereitung 
und  dazu  den  Buttergenuss  kennen  gelernt  haben ;  doch  scheint  es  uns  lautlich 
und  sachlich  wenig  wahrscheinlich,  dass  in  poutopov  ein  finnisches  woi  (oben 
S.  157)  stecken  soil;  bedeutet  doch  letzteres  ausschliesslich  im  Finnischen 
Butter,  wahrend  es  in  alien  anderen  Sprachen  dieses  Stammes  nur  den  Sinn 
von  Fett  hat,  das  doch  die  Griechen  selbst  kannten.  Vielleicht  ist  ^ouTopov 
»Kuhquark«  nichts  als  eine  ungeschickte  Uebersetzung  eines  scythischen  Aus- 
drucks  (vgl.  etwa  ahd.  chuo-smero  =  Butter),  so  dass  8  pootopov  xaXeoooi  (oben 
S.  155)  nur  bedeuten  wiirde :  ein  Produkt,  das  sie  mit  einem  Namen  benennen, 
dem  im  Griechischen  ein  ^outopov  entsprechen  wiirde.  Die  weiteren  Schicksale 
von  fioompov-butyrum  s.  bei  Kluge,  Et.  W.  6.  Aufl. 

Goth,  milith  (oben  S.  154)  kann  nur  auf  TJrverwandtschaft  mit  griech. 
fiiXt(T)  beruhen. 

Eine  neuere  sachlich  werth voile  Arbeit  fur  die  alteste  Geschichte  der 
Butter  ist  das  Buch  von  B.  Martiny,  Kirne  und  Girbe  (d.  h.  Stand-  und 
Schwingbutterfass).  Berlin  1894. 


Inclem  wir  hier  die  drei  Urgewachse  der  friihesten  hoheren 
Civilisation,  Wem,  Oel  und  Feigen,  verlassen,  —  womit  konnten 
Avir  passender  schliesseii  als  mit  der  sinnvollen  Parabel  im  neunten 
Kapitel  des  Buches  der  Richter?  Wir  setzen  sie  her,  da  das  Buch, 
in  dem  sie  steht,  doch  heut  zu  Tage  wenig  mehr  gelesen  wird. 
»Die  Baume  gingen  hin,  dass  sie  einen  Konig  iiber  sich  salbeten, 
und  sprachen  zum  Oelbaum:  Sei  unser  Konig.  Aber  der  Oelbaum 
antwortete  ihnen:  Soil  ich  meine  Fettigkeit  lassen,  die  beide,  Gotter 


Die  Butter. 

und  Menschen,  an  mir  preisen,  und  hingehen,  dass  ich  schwebe  liber 
den  Baumen?  Da  sprachen  die  Baume  zum  Feigenbaum:  Komm  Du 
und  sei  unser  Konig.  Aber  der  Feigenbaum  sprach  zu  ihnen:  Soil 
ich  meine  Siissigkeit  und  meine  gute  Frucht  lassen  und  hingehen, 
dass  ich  iiber  den  Baumen  schwebe?  Da  sprachen  die  Baume  zum 
Weinstock:  Komm  Du  und  sei  unser  Konig.  Aber  der  Weinstock 
sprach  zu  ihnen :  Soil  ich  meinen  Most  lassen,  der  Gotter  und  Men- 
schen frohlich  macht,  dass  ich  iiber  den  Baumen  schwebe'?  Da 
sprachen  alle  Baume  zum  Dornbusch:  Komm  Du  und  sei  unser 
Konig.  Und  der  Dornbusch  sprach  zu  den  Baumen:  Ist's  wahr, 
dass  ihr  mich  zum  Konige  salbet  iiber  Euch,  so  kommt  und  ver- 
trauet  Euch  unter  meinen  Schatten,  wo  nicht,  so  gehe  Feuer  aus 
dem  Dornbusch  und  verzehre  die  Cedern  des  Libanon.«  Welch  ein 
Bild  syrischer  Natur  und  semitischen  Lebens!  Jene  ungeheuren 
Dornhecken  und  Stachelpflanzen  der  Wiiste,  die  Acacien-Biische, 
denen  man  nicht  anders  nahen  kann,  als  mit  langen,  schneidenden 
und  zusammenraffenden  eisernen  Stangen  bewaffnet,  —  sie  werden 
in  der  Sommergluth  diirre  wie  Gerippe  und  werfen  keinen  Schatten, 
und  wenn  sie  sich  zufallig  entziinden,  dann  geht  der  Brand  ver- 
heerend,  so  weit  der  Horizont  reicht,  und  ergreift  die  Fruchtbaume 
mit,  die  sich  auf  seinem  Wege  finden.  So  lief  en  die  Feuer  des 
Despotismus  und  der  Eroberung  iiber  ganz  Asien  und  verzehrten 
alles  Privatgliick,  alle  stille  Kulturthatigkeit.  Die  furchtbare  Maje- 
stat  der  Herrscher  von  Ninive  und  Babylon  gliihte  erbarmungslos 
wie  die  Sonne  im  Sommer  und  brannte  die  Volker  nieder,  wie  der 
Dornbusch  die  Cedern  des  Libanon;  Oelbaum,  Feigenbaum  und  Wein- 
stock aber  glichen  dem  Manne,  der  in  begrenztem  Kreise  Werke 
des  Friedens  schafft  und  Wohlthaten  spendet.  Und  bis  auf  den 
heutigen  Tag  sind  Politik  und  Musik  -  -  im  griechischen  Sinne  - 
feindliche  Gegensatze  geblieben:  unser  Dichter  erfuhr  es,  als  er 
unternahm ,  iiber  den  Baumen  zu  schweben ,  und  Wahrheit  und 
Liebe,  vor  Allem  aber  die  Poesie,  die  Gotter  und  Menschen  frohlich 
macht,  in  seinem  Innern  zu  versiegen  drohte.  Seitdem  hasste  er  in 
der  Revolution  den  flammenden  Dornbusch,  der  die  Garten  und 
Pflanzungen  verheerte. 


Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  11 


162  Der  Flachs. 

Der  Flachs.  Der  Hanf. 

(Linum  usitatissimum.)  (Cannabis  sativa.) 

In  welcher  Gegend  der  Erde  der  Flachs  autochthon  1st,  1st  eine 
noch  nicht  mit  Sicherheit  beantwortete,  bei  so  vielen  Kulturgewachsen 
wiederkehrende  Frage.  Da  der  diirre  Felsboden  der  Lander  um  das 
Mittelmeer,  die  lange  Sommergluth,  die  oft  plotzlich  niederstiirzenden 
Regengiisse  u.  s.  w.  dem  Flachse  nicht  zusagen,  so  hat  man  seine 
Heimath  wohl  in  den  kalteren  und  feuchteren  Strichen  des  mittleren 
Europa  gesucht.  Allein  Aegypten  und  Kolchis  lehren,  dass  nicht 
die  Warme  des  Siidens,  nur  die  mangelnde  Feuchtigkeit  dem  Ge- 
deihen  der  Pflanze  in  den  klassischen  Landern  hinderlich  ist.  Wenn 
neuere  Reisende  den  Flachs  in  Nordindien  oder  am  Altai  oder  am 
Fusse  des  Kaukasus  wild  wachsend  gefunden  haben,  wenn  Grisebach, 
Spicilegium,  1.  p.  118  vom  Flachse  sagt:  sponte  crescit  in  Macedonia 
Thraciaque  omni,  so  liegt  bei  einer  so  alten  Kulturpflanze  die  Mog- 
lichkeit  nahe,  dass  sie  auch  da  nur  der  Gefangenschaft  des  Menschen 
entschlupft,  d.  h.  nur  verwildert  sei.  Von  Wichtigkeit  bei  der  Ge- 
schichte  sowohl  des  Flachses,  als  des  Hanfes,  ist  auch  ihre  doppelte 
Anwendung:  die  Benutzung  der  oligen  Frucht  zur  Nahrung  und  die 
der  Fasern  des  Stengels  zu  Stricken  und  Geweben:  beide  finden  sich 
nicht  immer  gleichzeitig  auf  demselben  Boden  und  bei  demselben 
Volke,  und  es  ist  noch  die  Frage,  welche  von  beiden  den  Anbau 
zuerst  veranlasst  hat.  Das  heutige  Indien  presst  die  Leinsaat  zu 
Oel,  verarbeitet  aber  die  Pflanze  selbst  nicht;  auch  in  Abyssinien 
dient  sie  nur  zum  Essen;  Herodot  erzahlt  4,  73  ff.  von  den  Skythen, 
wie  sie  bei  Todtenbestattungen  mit  dem  Dampf  der  auf  gliihende 
Steine  geworfenen  Hanfsaat  sich  reinigten  und  zugleich  berauschten; 
dass  sie  aber  die  Benutzung  des  Hanfes  zu  Geweben  nicht  kannten, 
geht  aus  der  Notiz  hervor,  die  Herodot  sogleich  hinzufiigt,  die  Thraker 
(also  nicht  die  Skythen)  verstanden  aus  dieser  Pflanze  auch  Kleider 
zu  weben,  die  dem  Linnen  sehr  ahnlich  seien.  Eben  so  finden  wir 
bei  den  Griechen  zeitig  neben  den  Mohn-  und  Sesamkornern  auch 
die  Leinsaat  mit  Honig  eingekocht  zum  Gebacke  dienend:  zuerst  im 
siebenten  Jahrhundert  bei  dem  Lyriker  Alcman,  Fr.  74  Bergk.  : 

xtivai,   jisv  enxd  xal  TOGCU 


TS 


Der  Flachs.  163 

Im  peloponnesichen  Kriege,  als  die  Insel  Sphakteria  von  den  Athenern 
belagert  wurde,  brachten  Taucher  unter  dem  Wasser  in  Schlauchen 
Mohnsaat  in  Honig  und  zerstossene  Leinsaat  den  Belagerten  zu. 
Thucyd.  4,  26 :  hCvov  ff7isQf.ia  xexofjL(.ievov.  Auch  in  Italien  jenseits 
des  Po  gab  es  nach  Plinius  19,  in.,  einen  cibus  rusticus  ac  praedulcis 
aus  Leinsaat,  der  aber  jetzt  nur  noch  bei  Opfern  vorkomme:  nach 
der  Oertlichkeit  und  dem  Opfergebrauch  zu  schliessen  wohl  ein  alt- 
keltisches  oder  altliguriscbes  Gericht.  Reicher  als  die  Geschichte 
der  Leinsaat  als  Speise  ist  freilich  die  des  Flachses  als  technischen 
Gewachses. 

Die  Linnenkultur  geht  in  Aegypten  und  Vorderasien  ins  hochste 
Alterthum  hinauf.  Linnene  Stoffe  und  Kleider,  Tucher  und  Bin  den, 
Zelte  und  Netze,  Taue  und  Segel  sind  bei  den  Aegyptern,  den  Pho- 
niziern,  im  Alten  Testament  in  allgemeinster  Anwendung.  Alt- 
agyptische  Wandmalereien  zeigen  uns  den  ganzen  Process  der  Be- 
arbeitung  des  Flachses,  das  Rosten,  Blauen,  Kammen  u.  s.  w.  des- 
selben  (Wilkinson,  III,  p.  138.  No.  356,  p.  140.  No.  357).  Dass  die 
Mumien  in  Leinwandbinden  gewickelt  sind,  haben  nach  der  ent- 
gegengesetzten  Behauptung  Rosellinis,  der  gegen  zweihundert  Mumien 
untersucht  und  nie  anders  als  baumwollene  Binden  gefunden  haben 
wollte  (Monumenti,  II.  1.  p.  333  ff.),  neuere  auf  die  Anwendung  des 
Mikroskops  gestiitzte  Forschungen  unzweifelhaft  festgestellt  (Brugsch 
in  der  Allgemeinen  Monatschrift  1854,  August,  S.  633)48).  Bedenkt 
man  die  Lange  der  so  verwendeten  Leinwandstreifen  und  die  natiir- 
liche  Zahl  der  Todten  —  einen  Leichnam  in  Wolle  zu  bestatten 
ware  ein  Grauel  gewesen  — ,  ferner  die  allgemeine  Anwendung  der 
Leinwand  auch  bei  der  Tracht  der  Lebenden  und  die  Satzung,  nach 
der  die  Priester  nur  reine  linnene  Unterkleider  tragen  (Herod.  2,  37 
von  den  Aegyptern:  eifJLaxa  6e  Mvea  (pogsovGi,  alel  vsoTiAv 
jfevovteg  WVTO  ftdJUtna,  und  von  den  Priestern:  stf&rjta  de 
ol  fyssg  foverjv  fjiovvyv  ....  cU/l^v  de  ffy>e,  scf^Ta  ovx 
und  hochstens  ausser  dem  Tempel  einen  wollenen  Mantel  iiberwerfen 
duiiten,  endlich  den  Betrag  der  Ausfuhr,  der  zu  jeder  Zeit  bedeutend 
war,  so  muss  man  iiber  den  Umfang  und  die  Masse  dieser  Produktion 
in  dem  Nilthale  erstaunen.  Dass  die  agyptische  Linnenindustrie  auch 
die  feinsten  und  kunstreichsten  Luxusgewebe  lieferte,  beweist  nicht 
nur  ihr  Ruf  im  ganzen  Alterthum,  sondern  auch  der  Befund  mancher 
Mumienhullen.  So  schenkte  der  Konig  Amasis  den  Lacedamoniern 
und  dem  Tempel  der  Athene  zu  Lindos  auf  der  Insel  Rhodus  je  ein 
leinenes  Panzerhemd  mit  eingewebten  Thierbildern ,  mit  Gold  und 

11* 


164  De 

Baumwolle  gestickt,  von  solcher  Feinheit  der  Faden,  dass  dreihundert- 
sechzig  derselben  wieder  einen  Faden  bildeten  (Herod.  3,  47;  2,  182. 
Plin.  19,  12) 49).  -  -  Dass  die  Phonizier  friihe  den  Anwohnern  der 
Kiisten  des  Mittelmeeres  linnene  Kleider  als  Tauschwaaren  zubrachten, 
geht  aus  der  Identitat  des  griechischen  Wortes  /trcov,  xcdwv  mit  dem 
phonizischen  kitonet,  Jcetonet  Leinwand  (Movers  3,  1,  S.  97),  so  wie 
aus  dem  homerischen  o$6vr]  (s.  u.)  hervor.  Sie  bezogen  jenen  Stoff 
ihrerseits,  ausser  aus  Aegypten,  besonders  aus  ihrem  palastinensischen 
Hinterlande,  wo  nach  den  Zeugnissen  des  Alten  Testaments  der  Flachs 
allgemein  in  den  Hausern  von  der  Hand  der  Frauen  gesponnen  und 
zu  Kleidern,  Giirteln,  Schniiren,  Lampendochten  u.  s.  w.  verarbeitet 
ward.  Da  in  einzelnen  warmeren  Gegenden  Palastinas  auch  die 
Baumwollstaude,  gossypimn  herbaeeum,  wuchs,  so  mogen  auch  hier, 
wie  bei  der  agyptischen  Waare,  Baumwollstoffe  und  feines  Linnen 
in  Sprache  und  Verkehr  nicht  immer  unterschieden  worden  sein. 
Die  Schift'e  der  Phonizier  wurden  nicht  bloss  von  Rudern  fortbewegt, 
sondern  fiihrten  auch  linnene  Segel:  woraus  aber  bestand  das  Tau- 
werk,  das  die  Hasten  hielt  und  an  dem  die  Segel  hingen?  Vielleicht 
aus  agyptischem  Byblus,  da  der  Flachs  dazu  zu  schwach  scheint- 
Als  viele  Jahrhunderte  spater  Xerxes  seine  grosse  Schiffbriicke  iiber 
den  Hellespont  schlug,  hatten  die  Aegypter  die  dazu  nothigen  Seile 
aus  Byblus,  die  Phonizier  aus  weissem  Flachs,  favxokwov,  zu  liefern, 
(Herod.  7,  25  und  34).  Unter  dem  weissen  Flachs  verstand  Salmasius 
(Plin.  Exercitat.  p.  538)  bearbeiteten,  linum  maceratum,  da  der  Flachs 
durch  Rosten,  Blauen  u.  s.  w.  weiss  wird,  im  Gegensatz  zu  dem  rohen 
Flachs,  crudarium,  cojUo'Awov.  Allein  bei  Seilen,  an  denen  eine  Briicke 
hangen  soil,  kommt  es  nicht  auf  Weisse  und  Zartheit,  sondern  vor 
Allem  auf  Haltbarkeit  an.  stevxofavov  ist  nichts  anderes,  als  die 
tevxea,  tevxaCa,  die  nach  Athen.  5,  p.  206  Hiero  II  zu  den  Tauen 
seines  Prachtschiffes  aus  Spanien,  $•  'IfiyQiag,  bezog,  also  Spartgras, 
stipa  tenacissima,  welche  spanische  Pflanze  die  Phonizier  zu  Xerxes' 
Zeit  langst  kennen  und  benutzen  gelernt  hatten.  —  Tiefer  in  den 
Continent  hinein  trugen  auch  die  Babyionier  lange  linnene  Kittel 
(Herod.  1,  195:  l(f^iju  de  xoifjde  /^aovrcM,  xi&nvt,  Ttodr^vexeC  hwiw 
.  .  .);  Strabo  16,  1,  7  zeichnet  besonders  die  babylonische  Stadt 
Borsippa  als  fovovgyeZov  /neya  aus,  und  was  fur  seine  Zeit  gait,  wird 
bei  der  Stabilitat  des  Orients  in  lokalen  Gewerben  auch  fur  eine 
viel  friihere  richtig  sein.  -  -  Weiter  nach  Norden  bliihte  die  Flachs- 
kultur  in  Kolchis  d.  h.  in  den  sumpfigen  Gegenden  am  sudwestlichen 
Fuss  des  Kaukasus,  in  solcher  Fiille  und  Vollkommenheit,  dass 


Der  Flachs.  165 

Herodot  2,  105  darin  einen  weiteren  Grund  sieht,  die  Kolcher  und 
Aegypter  fiir  eines  Stammes  zu  halten.  Kolchisches  Linnen  hiess 
nach  Herodot  bei  den  Griechen  sardonisches,  Ja^Jowxov50);  und  war 
aueh  spater  noch  ein  Ausfuhrartikel  von  Ruf,  Strab.  11,  2,  17: 
(Kolchis)  hCvov  "is  noizl  noKv  xal  xdvvafiiv  xal  XYJQLV  xal  TrCrxav.  q 
<?£  fovovgyla  xal  xs&Qvhyrat,'  xal  ydg  slg  wvg  &-co  tonovg  ££exo/u£or. 
Zu  alien  Arten  Netze,  lehrt  Xenophon  de  ven.  2,  4  dient  phasianischer 
(d.  h.  kolchischer)  oder  karthagischer  feiner  Flachs  (ahnl.  Poll.  5,  26). 
Der  ganze  Orient  wusste  die  Leinwand  zugleich  bunt  zu  farben,  glanzend 
zu  durchwirken,  arabeskenartig  oder  in  Form  von  Bildern  mit  Gold- 
faden  u.  s.  w.  zu  sticken,  und  linnene  Gewander  auf  die  angegebene 
Art  verziert  und  wegen  der  hochsten  Feinheit  halb  durchsichtig 
bildeten  an  den  Hofen  und  im  Harem  der  Konige  und  Satrapen  die 
dem  Machtigen  und  Gottergleichen  und  seiner  llmgebung  zukommende 
Tracht.  Wie  in  Aegypten  hiillteu  sich  auch  in  den  vorderasiatischen 
Kulten,  die  Jehovareligion  nicht  ausgenommen,  die  Priester  in  zartes, 
weisses  Linnen,  Symbol  des  Lichtes  und  der  Reinheit:  Joseph. 
Ant.  3,  7,  2:  Mveov  gvdvfia  SiTrhrjg  (pogeZ  fftvSovog  ftvaatvrj?  (o  fogevs). 
XsO-ofisvTf  [j,ev  xafolTCu,  Mveov  6s  rovro  Grjfuawst,'  %e$vv  yaQ  TO  hCvov 
t]/uelg  xa^ovfjisv.  Nach  Philo  warf  der  Hohepriester ,  wenn  er  das 
Allerheiligste  betrat,  das  bunte  Gewand  ab  und  legte  das  linnene 
von  .weissem  Byssus  gewebte  an,  de  somn.  1,  37:  oiav  slg  m 
twv  ayfaw  6  avxbg  oviog  dgxiSQevg  8l(ffy,  T^V  f.ihv  noixC^' 
,,  fovyv  ds  Mgav,  fivaaov  zrjg  xaSctQwmirjg 

Diese  agyptisch-asiatische  Kultussitte  ging  dann  spater 
auch  in  Europa  auf  die  Pythagoreer,  die  Orphiker,  die  Isispriester, 
auf  Betende  und  Biissende  uberhaupt  tiber,  wie  Tibulls  Delia  sich 
bei  soldier  Gelegenheit  in  Leinwand  hiillte,  1,  3,  29: 

Ut  mea  votivas  persolvens  Delia  voces 
Ante  sacras  lino  tecta  fores  sedeat, 

ja  erhielt  sich  als  weisses  Chorhemd,  alba  sacerdotalis,  franzos.  aube, 
in  der  christlichen  Kirche  bis  auf  den  heutigen  Tag.  -  -  Auch  bunt- 
gewirkte  Segel  und  Flaggen  aus  Linnen  mit  Gold-  und  Purpur- 
besatz  und  eben  solche  Zeltdecken  werden  an  den  Schiffen  und 
Barken  der  orientalischen  Despoten  geriihmt,  von  denen  die  griechi- 
schen  Konige,  wie  so  vieles  Andere,  auch  diesen  halbbarbarischen 
Luxus  annahmen.  Schon  Theseus  hatte,  aus  Kreta  heimschiffend, 
zum  Zeichen  seiner  Rettung  ein  purpurnes  Segel  aufgezogen  (eine 
Wendung  der  Sage,  welcher  Simonides  gefolgt  war,  Plut.  Thes.  17), 
und  so  wagte  es  auch  Alkibiades,  als  er  nach  der  Verbannung 


166  Der  Flachs. 

triumphirend  in  seine  Vaterstadt  zuriickkehrte,  auf  einer  Trireme  mit 
purpurnem  Segel,  facto)  ahovgya),  in  den  Hafen  einzufahren  (Plut. 
Ale.  32  und  Athen.  12.  p.  535,  beide  nach  Duris  von  Samos).  Auch 
Kleopatras  Schiff  fiihrte  bei  Actium  ein  solches  Segel,  mit  dessen 
Hiilfe  sie  gegen  Ende  der  Schlacht  eilig  das  Weite  suchte.  Eine 
weitere,  in  Asien  gewiss  seit  alien  Zeiten  gebrauchliche  Anwendung 
des  Flachses  war  die  zu  linnenen  Panzern,  durch  welche  der  scharfe 
Pfeil  des  Feindes  und  auf  der  Jagd  der  Zahn  und  die  Kralle  des 
Raubthieres ,  des  Lowen  und  Pardels ,  abgestumpft  wurde.  Die  Be- 
mannung  der  phonizischen  und  philistaischen  Schiffe  im  Kriegszuge 
des  Xerxes  trug  linnene  Panzer  (Herod.  7,  89:  evdsdvxoTsg  <?e  #(«£»?- 
xag  favsovg);  ebenso  die  Assyrer  (Herod.  •  7,  63);  Abradatas,  Konig 
der  Susier,  legt  bei  Xenophon,  Cyrop.  6,  4,  2,  den  landesiiblichen 
linnenen  Harnisch  an  (SwQaxa  og  smxwQwg  rtv  avrolg);  bei  den 
Chalybern  in  Armenien  fanden  die  Zehntausend  dieselbe  Art  Kriegs- 
bekleidung  (Xen.  Anab.  4,  7,  15);  die  Mossynoken,  ein  pontisches 
Volk,  trugen  Kittel  bis  uber  die  Knie,  von  der  Dicke  wie  die  Leiii- 
wandsacke,  in  welche  man  im  damaligen  Griechenland  die  Bettpolster 
beim  Wegraumen  oder  auf  Reisen  zu  stopfen  pflegte  (Xen.  Anab.  5, 
4,  13),  und  auch  in  den  karthagischen  Heeren,  die  aus  sehr  ver- 
schiedenen  Soldnern  bestanden,  war  der  Leinwandpanzer  ein  gebrauch- 
liches  Waffenstiick  (Pausan.  6,  19,  7). 

Dass  nun  ein  durch  ganz  Asien  von  Alters  her  so  allgemein  ver- 
breitetes  Produkt  den  Griechen  der  epischen  Zeit  nieht  unbekannt 
sein  konnte,  ergiebt  sich  von  selbst.  Es  fragt  sich  nur,  ob  die  bei 
Homer  erwahnten  linnenen  Gewander  auf  dem  Wege  des  Handels 
eingefiihrt  oder  der  Rohstoff  daheim  gewonnen  und  von  den  Frauen 
mit  der  Spindel  und  am  Webstuhl  zu  Zeugen  verarbeitet  worden? 
Die  bttovrj  wenigstens,  ein  feines  linnenes  Frauenkleid  von  weisser 
Farbe51),  war,  wie  der  Name  lehrt  (Movers,  2,  3,  S.  319),  und  der 
Zusammenhang  der  Stellen,  in  denen  sie  erscheint,  wahrscheinlich 
macht,  ein  Erzeugniss  asiatischer,  nicht  griechischer  Kunstfertigkeit. 
Helena,  die  auch  sonst  mit  semitisch-phrygischem  Luxus  umgebene 
Konigin,  die  eben  ein  Gewand  gewebt  hat,  doppelt  und  purpurn,  in 
welchem  die  Kampfe  der  Troer  und  der  Achaer  zu  schauen  waren, 
eilt  aus  dem  Gemache,  in  weisse  oftovcu  gehiillt  (II.  3,  141).  Auf 
dem  Schilde  des  Achilleus  sah  man  tanzende  Jiinglinge  in  wuujvsg 
gekleidet,  die  Jungfrauen  aber  in  zarte  oS-ovai  gehiillt  (II.  18,  595). 
Bei  den  Phaaken,  in  dem  Wunderschlosse,  sitzen  die  Magde  webend 
und  die  Spindel  drehend,  gleich  den  Blattern  der  Pappel,  gekleidet 


Der  Flachs.  167 

in  dichtgewebte  oSovai,  die  von  Oel  triefen  (Od.  7,  107),  wo  das 
Adjectiv  xaiQoaewv,  die  von  Aristarch  (statt  x^ocrffcozon;,  mit  Troddeln 
versehen)  eingefiihrte  Lesart,  zur  Aufhellung  der  Natur  des  Stoffes 
nichts  beitragt,  da  es  selbst  dunkel  ist.  Auch  die  feinen  Betttiicher, 
fiir  welche  Homer  den  europaischen  im  Orient  sich  nirgends  finden- 
den  Namen  ktvov  (mit  kurzem  Wurzelvokal)  braucht,  konnten  immer 
noch  fremder  Herkunft  sein.  Zum  wohlbereiteten  Lager  gehort  ausser 
Vliessen  und  Wollstoffen  auch  der  zarte  Flaum  desLinnens  (II.  9,  660), 
so  bei  dem  Lager,  das  die  Phaaken  dem  Odysseus  auf  dem  Schiffe 
bereiten  (Od.  13,  73)  und  mit  dem  sie  ihn  schlafend  ans  Land  tragen 
(118).  Aus  welchem  Stoffe  die  Segel  der  homerischen  Schiffe  be- 
standen,  ergiebt  sich  aus  der  stehenden  Formel  der  Odyssee:  tana 
Asvxd:  sie  waren  weiss  und  folglich  von  Leinwand,  und  wenn  Kalypso 
dem  Odysseus  cpdgsa,  Tucher,  bringt,  damit  er  fur  sein  frisch  ge- 
zimmertes  Fahrzeug  Segel  daraus  mache  (Od.  5,  258),  so  lehren  die 
Beiworter,  mit  denen  kurz  vorher  das  Gewand  oder  der  Umwurf, 
(pagog,  der  Kalypso  geschildert  worden,  dass  auch  dieses' als  linnenes 
Gewand  zu  denken  ist  (Od.  5,  230;  danach  wiederholt  10,  543). 
Zum  Tauwerk  dagegen  konnte  auch  in  der  homerischen  Schifffahrt 
der  Flachs  nicht  dienen;  woraus  es  hergestellt  war,  dariiber  geben 
glucklicher  Weise  Anzeigen  des  Textes  selbst  hinreichende  Auskunft. 
Od.  12,  422  wird  der  Mast  von  den  Wogen  niedergebrochen ;  an 
dessen  Spitze  war  das  Tau,  Smrovog,  umgeschlungen,  welches  aus 
Rindshaut  verfertigt  war  (fiobg  QWOIO  rersv^g}  und  das  daher  a\ich 
geradezu  posvg  genannt  wird  (Od.  2,  426  und  in  der  Parallel stelle 
15,  291,  wo  zugleich  das  Adjectiv  evatQeTcioiat,  lehrt,  dass  ein  solches 
Tau  aus  zusammengedrehten  schmaleren  Lederstreifen  bestand).  Neben 
den  Riemen  aus  Ochsenhaut  aber  findet  sich  im  zweiten  Theil  der 
Odyssee  auch  schon  fivjttivog  als  Pradikat  eines  Schiff sseiles :  unter 
der  Vorhalle  des  Palastes  liegt  ein  von  einem  Schiffe  stammender 
Strang  aus  Byblus  und  Philoitios  bindet  damit  die  Ausgangsthlir  zu 
(21,  390).  Wie  nun  solche  Seile  aus  agyptischem  Bast  den  Griechen 
ohne  Zweifel  durch  semitische  Schiffer  zugebracht  waren,  so  konnten 
auch  die  Tucher  der  Kalypso  und  iiberhaupt  das  Segeltuch  aus 
fremden  Regioneh  auf  dem  Wege  des  Handels  bezogen  worden  sein. 
Der  obige  Name  Mvov  dient  aber  wieder  bei  Homer  auch  fiir  die 
Angelschnur,  das  Fischernetz  und  den  Faden  an  der  Spindel. 
Patroklus  hat  den  Thestor  mit  dem  Schwert  in  die  Zahne  getroffen 
und  zieht  ihn  vom  Wagen,  wie  der  Angler  den  hciligen  Fisch  an 
der  Leinschnur  aus  dem  Wasser  zieht  (II.  16,  406).  Sarpedon  ruft 


168  Der  Flachs. 

dem  Hektor  scheltend  zu,  er  moge  sich  hiiten,  mit  den  Seinigen  eiue 
Beute  des  Feindes  zu  werden,  gleichsam  gefasst  von  den  Maschen 
des  allfangenden  Leinnetzes  (II.  5,  487).  An  der  Spindel  zum  Faden 
gezogen  erscheint  das  Mvov  in  dem  religiosen  Bilde  von  dem  zuge- 
sponnenen  Lebensschicksal.  Achilles  wird  dasjenige  erdulden,  was 
ihm  die  Schicksalsgottin  bei  der  Geburt  mit  dem  Leinenfaden  zuge- 
sponnen  (II.  20,  128;  danach  auch  24,  209;  ahnlich  auch  Od.  7,  198). 
Bedenkt  man,  dass  noch  jetzt  der  rohe  Flacbs  in  ganzen  Sehiffs- 
ladungen  in  die  Lander  des  Siidens  geht,  um  dort  von  Frauen  und 
Madchen  im  Freien,  vor  den  Hausern,  auf  der  Weide  der  Schafe 
und  Ziegen  an  der  Kunkel  versponnen  zu  werden,  so  konnten  auch 
die  homerischen  Weiber  und  nach  ihrem  Vorbild  die  Moren  agyp- 
tischen,  palastinensischen  oder  kolchischen  Flachs  zu  Faden  gedreht 
und  zu  Netzen  gestrickt  haben.  Eine  andere  Frage  ware  die,  ob 
nicht  Mvov  in  Europa  ein  sehr  altes  Wort  ist,  das  iiber  die  Zeit  des 
Flachses  hinausgeht  und  nur  den  Faden  und  das  daraus  Gestrickte 
iiberhaupt  bedeutet?  Fischfang  mit  Angel  und  Netz  ist  eine  sehr 
primitive  Beschaftigung  und  Naturvolker  wissen  aus  allerlei  wild- 
wachsenden  Pflanzen,  besonders  denen  aus  dem  Nesselgeschlecht, 
und  aus  dem  Bast  gewisser  Baume  Faden  zu  drehen  und  gewand- 
artige  Matten  zu  flechten.  Warum  sollten  auch  die  Parzen  bei 
Homer  gerade  den  Lein  und  nicht  lieber  die  Wolle  des  Schicksals 
abspinnen,  wie  sie  doch  spater  thun?  (S.  dariiber  unten.)  Asiatische 
Waare  mogen  auch  die  Lein  wand-Panzer  gewesen  sein,  die  an  zwei 
Stellen  des  Schiffskatalogs  erwahnt  werden,  II.  2,  529  und  830.  An 
der  einen  (die  freilich  ganz  wie  ein  junges  Einschiebsel  aussieht) 
wird  Ajax,  Fiihrer  der  Lokrer,  favo#a)()r]%  genannt,  an  der  andern 
gleicher  Weise  Amphius,  Sohn  des  Merops,  einer  der  troischen 
Bundesgenossen.  Dass  der  Letztere,  ein  halbbarbarischer  Asiate,  in 
der  Tracht  erscheint,  wie  die  Chalyber  des  Xenophon,  hat  nichts  Auf- 
fallendes;  bei  dem  Fiihrer  der  Lokrer  hangt  das  Pradikat  offenbar 
mit  der  Kampfweise  dieses  den  Lelegern  blutsverwandten  Stammes 
zusammen:  die  Lokrer  standen  nicht  Mann  gegen  Mann  in  der 
Schlacht,  schwangen  nicht  den  Speer  und  trugen  nicht  eherne  Helme 
und  Schilder,  sondern  fiihrten  Bogen  und  Schleuder,  schossen  aus  der 
Feme  und  deckten  sich  also  zweckmassig  durch  leichtere  gewebte 
oder  gesteppte  Kittel  (II.  13,  373  ff.).  Der  linnene  Harnisch  wird 
von  da  an  durch  das  ganze  griechische  Alterthum  hin  und  wieder 
erwahnt.  In  dem  um  die  Mitte  des  siebenten  Jahrhunderts  an  die 
Aegier  (nach  Anderen  an  die  Megarer)  ergangeiien  sehr  beriihmt 


Der  Flachs.  169 

und  sprichwortlich  gewordenen  Orakel  heissen  die  Argiver  leinwand- 
bepanzert,  Anth.  Pal.   14,   73: 

'AgysZot,  Aiyo&x>£^x££,  xevrga  mohsfjioto. 

In  einem  Fragment  des  Alcaus  (bliihte  urn  600  vor  Chr.)  wird 
unter  andern  Kriegswaffen  auch  der  #«)((>«£  aus  Uvov  aufgefiihrt 
(Fr.  15  Bergk.);  in  Olympia  lagen  drei  linnene  Harnische,  Weih- 
geschenke  des  Gelon  und  der  Syrakuser  nach  ihren  Siegen  zu  Lande 
und  zu  Wasser  iiber  die  Karthager  (Paus.  6,  19,  4),  und  auch  sonst 
sah  Pausanias  Panzer  dieser  Art  an  heiligen  Statten  aufgehangt, 
z.  B.  im  Heiligthum  des  gryneischen  Apollo  (1,  21);  Iphikrates  gab 
den  athenischen  Kriegern,  um  sie  beweglicher  zu  machen,  linnene 
statt  der  friihem  ehernen  und  Kettenpanzer  (Corn.  Nep.  Iphicr.  1,  4: 
pro  sertis  atque  aeneis  linteas  dedif).  In  der  Gruppe  der  Aegineten 
tragt  Teucer,  des  Ajax  Bruder,  iiber  einem  armellosen  reich  gefalteten 
Unterhemd  den  linnenen  Harnisch  mit  doppelten  TtTSQvysg,  dessen 
Enden  nach  vorn  iiber  beide  Schultern  fallen;  auch  Hercules  hat 
iiber  einem  Untergewand  mit  gefaltetem  Saum  den  Linnenpanzer, 
aber  nur  ein  Ende  hangt  iiber  die  linke  Schulter.  Dass  der  Lokrer 
diese  Art  Riistung  erhielt,  geschah  nach  homerischem  Vorgang  und 
nach  der  Sitte  dieses  gewissermassen  vorhellenischen  Stammes;  bei 
Hercules,  dem  mit  Keule  und  Bogen  bewaffneten  Helden,  erscheint 
natiirlicher  Weise  neben  dem  Fell  des  erlegten  Thieres  auch  die  alteste 
leichte  Kriegstracht,  noch  nicht  der  Stahlpanzer  und  die  dorisch-ritter- 
liche  navorcMa.  —  Im  Uebrigen  herrscht  das  wollene  Kleid  bei  den 
Griechen  vor;  die  Leinwand  gilt  fiir  iippig  und  weibisch,  sowohl 
wenn  sie  weiss  und  glanzend  wie  Schnee,  als  wenn  sie  mit  Farben, 
Bildern  und  Franzen  geschmiickt  war.  Die  lonier  in  Asien  hatten 
das  lange  fliessende  Kleid  aus  Leinwand  von  ihren  karischen  Unter- 
thanen  und  reichen  Nachbaren  angenommen :  schon  bei  Homer  heissen 
sie  'Idoveg  shxexiTwvsg,  wie  die  Troerinnen  ^IxsGCneTtloi,;  von  den 
loniern  war  dieselbe  Tracht  zu  den  blutsverwandten,  friihe  der  orien- 
talischen  Civilisation  geoffneten  Athenern  iibergegangen.  Herodot 
erzahlt  5,  87  die  angebliche  Veranlassung  zu  dem  Letzteren:  da  nach 
einem  ungliicklichen  Kriegszuge  gegen  die  Aegineten  der  einzige 
entronnene  athenische  Krieger  von  den  wegen  der  Ungliicksbotschaft 
und  des  Verlustes  ihrer  Manner  wuthenden  Weibern  mit  dem  Dorn 
der  Schnallen,  die  ihre  Gewander  festhielten,  erstochen  worden, 
wurde  zur  Strafe  dafiir  die  weibliche  Tracht  durch  Volksbeschluss 
geandert:  die  Frauen  mussten  das  dorische,  wollene,  bloss  umge- 
Avorfene  Kleid  ablegen  und  den  ionischen  oder,  wie  Herodot  hinzu- 


170  Der  Flachs. 

setzt,  eigentlich  altkarischen,  ganz  genahten  und  folglich  keiner 
Spange  bediirfenden  linnenen  xtdwv  annehmen.  Spater  kam  indess 
in  Athen  die  ionische  Leinwandtracht  wieder  ab :  Thucydides  berichtet 
in  einer  nicht  ganz  klaren  und  viel  bestrittenen  Stelle  (1,  6),  gegen 
die  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  sei  auch  bei  den  Athenern 
das  altgriechische  wollene  Gewand  wieder  Gebrauch  geworden;  nur 
unter  der  Klasse  der  reichern  Burger  batten  die  altern  am  Herge- 
bracbten  hangenden  Leute  den  gewohnten  Prunk  nicht  aufgeben 
wollen.  Seitdem  trugen  nur  die  Weiber  nocb  Stoffe  aus  Flachs, 
deren  feinere  Sorten  aus  fremden  Landern  eingefiihrt  wurden.  Bei 
Aeschylus  Sept.  1038  tragt  Antigone  ein  ftv&KVOV  TiSTihw/ua  und  in 
Euripides'  Bacchen  820  sind  fivGMvoe,  nenhoi,  so  viel  als  Frauen- 
kleider.  Ueber  einen  Anbau  der  Pflanze  selbst  auf  griechischem 
Boden  liegt  aus  alterer  Zeit  kein  bestimmtes  Zeugniss  vor.  In  den 
besiodischen  Gedichten  ist  nirgends  vom  Flachs  die  Rede;  auch 
spater  sagt  Theophrast  nur  einmal  im  Vorbeigehen,  der  Flachs  ver- 
lange  einen  guten  Boden  (de  caus.  pi.  4,  5,  4);  ganz  spat  berichtet 
Pausanias  (6,  26,  4)  von  den  Bewohnern  der  Landschaft  Elis,  sie 
saeten  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Bodens  Hanf,  Lein  und  Byssos. 
Elis  tragt  nach  Leake,  Morea,  1,  S.  12,  noch  heut  zu  Tage  einigen 
Flachs,  der  aber  nur  ein  grobes  Produkt  giebt.  Jedenfalls  nahm  der 
Flachs  zu  keiner  Zeit  in  der  griechischen  Bodenwirthschaft  die  her- 
vorragende  Stelle  ein,  wie  in  manchen  Gegenden  des  asiatischen 
Continents. 

Es  konnte  nicht  fehlen,  class  linnene  Tiicher,  Kleider  und  Stoffe 
friihzeitig  auch  nach  Italien  himibergebracht  wurden.  Freilich,  wenn 
Diogenes  von  Laerte  Recht  hatte,  so  ware  zu  Pythagoras'  Zeit,  also 
in  der  zweiten  Halfte  des  sechsten  Jahrhunderts,  die  Leinwand  in 
den  grossgriechischen  Stadten  noch  unbekannt  gewesen  (8,  1,  19:  TO. 
yag  fava  ovno)  tig  Ixetvovg  dyiZxro  wvg  Tonovg),  daher  der  Meister, 
anders  als  seine  spatern  Nachfolger,  gezwungen  war,  sich  in  reine 
weisse  Wolle  zu  kleiden,  —  allein  die  Nachricht  hat  wenig  Gewahr 
und  besagt  wohl  nur,  dass  das  ionische  linnene  Kleid  bei  den  Kro- 
toniaten,  wie  natiirlich,  nicht  im  Gebrauch  war  und  Pythagoras  in 
Kroton  sich  trug,  wie  a)le  Uehrigen.  Das  lateinische  Wort  linum 
stimmt  in  der  Quantitat  nicht  mit  dem  homerischen  Atvov  iiberein, 
wohl  aber  mit  dem  Gebrauch  attischer  Komiker  und  wanderte  also, 
wenn  es  Lehnwort  war,  aus  einer  Gegend  ein,  deren  Volkssprache 
jener  attischen  nahe  stand.  Aus  fruher  Zeit  horen  wir  von  alt- 
romischen  Biichern  auf  Leinwand,  libri  lintei,  auf  deren  Auctoritat 


Der  Flachs. 


sich  noch  einzelne  Annalisten  berufen:  dem  Nanien  nach  vermuthen 
wir,  dass  sie  auf  Bast  geschrieben  waren ;  an  wirkliche  Leinwand  1st 
wohl  deshalb  schou  nicht  zu  denken,  well  die  Alien  nicht,  wie  wir, 
lange  zusammengerollte,  spater  zu  verschneidende  Stiicke  dieses 
Stoffes  webten,  sondern  immer  schon  fertige,  zu  unmittelbarem  Ge- 
brauch  bestimmte  Kleider,  Tiicher  u.  s.  w.  Dass  die  vejentischen 
Etrusker  nach  der  Mitte  des  fiinften  Jahrhunderts  vor  Chr.  sich 
linnener  Harnische  bedienten,  oder  dass  wenigstens  ihr  Konig,  wenn 
er  zu  Pferde  in  die  Schlacht  zog,  einen  Thorax  von  Leinwand  trug, 
geht  aus  Livius  4,  20  hervor:  damals  namlich  todtete  A.  Cornelius 
Cossus  den  Vejenterkonig  Tolumnius  in  der  Schlacht  und  weihte 
dessen  thorax  linteus  im  Tempel  des  Jupiter  Feretrius  auf  dem  Kapitol, 
Kaiser  Augustus  aber,  als  er  den  genannten  Tempel,  der  verfallen 
war,  wieder  herstellte,  las  noch  die  Weihinschrift  auf  dem  thorax 
selbst,  an  dessen  Echtheit  also  nicht  zu  zweifeln  war.  Dem  Volk 
der  Falisker,  das  den  Vejentern  blutsverwandt  und  benachbart  war 
und  an  der  erwahnten  Schlacht  Theil  genommen  hatte,  schreibt  der 
Dichter  Silius  Italicus  linnene  Tracht  zu,  als  bei  ihnen  hergebracht, 
4,  223: 

Inductosque  simul  gentilia  Una  Faliscos. 

Eine  andere  etruskische  Stadt,  Tarquinii,  die  gleichfalls  nicht  sehr 
fern  lag,  lieferte  gegen  Ende  des  zweiten  punischen  Krieges,  als  die 
Bundesgenossen  pro  suis  quisque  facultatibus,  d.  h.  Jeder  nach  den 
Naturerzeugnissen  oder  der  Industrie  seines  Landes  zur  romischen 
Flotte  beisteuerten,  Leinwand  zu  Segeln  (Liv.  28,  45).  Ja  die  ganze 
Gegend,  wo  der  Tiberfluss  durch  buschige  Wildniss  dem  Meere 
zustromte,  wird  von  Gratius  Faliscus  als  Flachs  tragend  ge- 
schildert,  36: 

et  aprico  Tuscorum  stupea  campo 

Messis  contiguum  sorbens  de  flumine  rorem. 

Qua  cultor  Latii  per  opaca  silentia  Tibris 

Labitur  inque  sinus  magno  venit  ore  marines. 

At  contra  nostris  imbellia  Una  Falisois. 

Und  nicht  bloss  feucht,  setzen  wir  hinzu,  war  der  Landstrich  am 
untern  Tiber  und  darum  fur  die  stupea  messis,  d.  h.  die  Flachsernte 
geeignet,  sondern  auch  Schauplatz  eines  sehr  alten  Handelsverkehrs. 
Dass  die  Samniter  gegen  Ende  des  vierten  Jahrhunderts  von  der 
Leinwand  schon  ausgedehnten  Gebrauch  machten,  wie  sie  auch  an 
Gold  und  Silber  nicht  arm  sein  konnten,  erhellt  aus  dem  Bericht 
des  Livius  9,  40:  danach  stellteii  sie  ein  doppeltes  Heer  auf,  das 


172  Der  Flachs. 

eine  mit  vergoldeten,  das  andere  mit  silbergeschmiickten  Schildern, 
beide  mit  Biischen  auf  den  Helmen;  die  goldene  Schaar  trug  bunte, 
die  silberne  weisse  leinene  Tuniken;  auch  die  bunten  bestanden  wohl 
aus  gefarbter  Leinwand,  die  vielleicht  im  fernen  Osten  gewebt  war, 
wie  ja  auch  der  Besitz  kostbarer  Metalle  auf  Tauschverkehr  mit  dem 
Auslande  hinweist.  Noch  bedeutungsvoller  ist  ein  anderer  Vorgang, 
von  dem  Livius  10,  38  erzahlt  und  der  die  Aufmerksamkeit  der 
M}rthologen  noch  wenig  erregt  hat.  Im  Jahre  293  versammelten 
die  Samniter  bei  Aquilonia  mit  Aufgebot  aller  Krafte  ein  Heer  von 
vierzigtausend  Mann.  Mitten  im  Lager  war  ein  Raum  von  zwei- 
hundert  Fuss  nach  alien  Seiten  mit  Flechtwerk  und  Brettern  um- 
geben  und  mit  Leinwand  bedeckt.  Dort  wurde  nach  verschollenem 
Brauch  der  Vater  und  dem  Text  ernes  alten  liber  linteus  ein  Opfer 
gebracht  und  dann  die  Edelsten  des  Volkes  einer  nach  dem  andern 
hereingefuhrt.  Der  Anblick  des  nach  ungewohnter  Form  vollzogenen 
Opfers,  der  Altar  mitten  in  dem  ganz  bedeckten  Raum,  die  frisch 
geschlachteten  Opferthiere  ringsum ,  die  mit  geziickten  Schwertern 
dastehenden  Centurionen:  Alles  ergriff  das  Gemuth  des  Eintretenden, 
der  sich  mehr  wie  ein  Schlachtopfer ,  als  wie  ein  Opferer  vorkam. 
Erst  musste  er  schworen,  nichts  von  dem  zu  verrathen,  was  er  hier 
sehen  oder  horen  wurde,  dann  leistete  er  nach  einer  grausigen  Formel, 
mit  Anrufung  des  Verderbens  auf  sich,  seiii  Haus  und  sein  Ge- 
schlecht,  einen  Eid,  durch  den  er  sich  verpflichtete,  den  Fiihrern  in 
die  Schlacht  zu  folgen,  nimmer  aus  der  Schlacht  zu  fliehen  und  Jeden, 
den  er  fliehen  sane ,  augenblicklich  zu  todten.  Als  Anfangs  Einige 
sich  weigerten,  diesen  Schwur  zu  leisten,  wurden  sie  am  Altar  selbst 
niedergemacht,  welcher  Anblick  darauf  die  Folgenden.  willig  machte. 
Nachdem  so  der  Adel  durch  den  Eidschwur  sich  gebunden,  befahl 
der  Feldherr  zehn  von  ihm  Ernannten,  sich  Jeder  einen  Genossen 
zu  erwahlen,  und  dieser  wieder  dasselbe,  bis  so  durch  fortgehende 
Wahl  ein  Heerhaufe  von  sechszehn  tausend  Mann  beisammen  war. 
Diese  Legion  hiess  die  legio  Unteata,  von  der  Umhiillung  des  Raumes, 
in  welchem  der  Adel  sich  dem  Siege  oder  Tode  geweiht  hatte.  Sie 
erhielt  hervorleuchtende  Waffen  und  Heltnbusche,  wurde  aber  trotz 
Allern  von  den  Romern  an  einem  blutigen  Schlachttage  vollig  auf- 
gerieben.  Warum  aber  war  der  Raum,  wo  die  Yerschworungshand- 
lung  vor  sich  ging,  grade  mit  Leinwand  iiberspannt  und  die  Legion 
grade  nach  diesem  Umstand  linteata  geheissen?  Vielieicht  wirkten 
hier  pythagoreische  religiose  Vorstellungen  ein,  von  denen  die  Sam- 
niter,  wie  sich  auch  sonst  beobachten  lasst,  nicht  unberiihrt  geblieben 


Der  Flachs.  173 

waren.  —  Als  die  Romer  in  die  Erbschaft  der  Samniter  und  der 
Griechen  eintraten,  waren  vestes  linteae,  wie  im  Orient  und  in  Griechen- 
land,  eine  kostbare  iippige  Tracht:  Cicero  in  Verr.  5,  56  fiihrt  unter 
den  Luxuswaaren  des  Orients,  wie  Purpur  von  Tyrus,  Weihraueh, 
wohlriechende  Essenzen,  feine  Weine,  Geninien  und  Perlen,  auch 
leinene  Kleider  auf,  etwa  wie  wir  sagen:  Diamanten  und  Spitzen. 
Dienende  Knaben  bei  schwelgerischen  Gastmahlern  trugen,  um  fliich- 
tiger  in  der  Bewegung  zu  sein,  leichtes  anschliessendes  Linnen;  die 
Reize  schoner  Libertinen  wurden  durch  fiorartige,  purpurfarbige,  gold- 
gestickte  koische  und  amorgische  Gewebe  —  zu  denen  auch  der 
feinste  Flachs  diente,  Poll.  7,  74  —  mehr  verrathen  als  verhiillt;  reiche 
Magistrate  und  Casaren  spannten,  um  das  schauende  Volk  und  Richter 
und  Gerichtete  vor  der  Sonne  zu  schiitzen,  ein  Leinwanddach  iiber 
das  Theater  und  das  Forum.  Bei  dem  Wechsel  der  Mode,  iiber  den 
schon  friihe  noch  zur  Zeit  der  Republik  geklagt  wird,  erschienen 
neue  Kleiderformen,  Tiicher,  Binden  u.  s.  w.  aus  linnenem  Stoff :  so 
der  stippams  (ursprlinglich  Name  eines  Segels  und  zwar  eines  kleinen 
oder  Hiilfssegels,  dann  ein  Frauengewand,  schon  bei  den  Komikern, 
Novius  (bei  Ribbeck,  Com.  lat.  reliq.  p.  224): 

Supparum  purum  Veliensem  linteum, 
Afranius  (p.  154): 

tace ! 
Puella  non  sum,  supparo  si  induta  sum; 

nach  Varro  1.  1.  5,  30  Spengel.  ein  oscisches  Wort,  das  aber  wohl 
aus  dem  Orient  stammte;  Paul.  p.  311  Miiller  setzt  es  geradezu  dem 
spatern  camisia,  Hemde,  gleich),  das  sudarium  (eine  Art  Handtuch 
oder  Taschentuch,  das  von  Leinwand  gewesen  sein  muss,  da  Catullus 
es  an  zwei  Stellen  12,  14  und  25,  7  von  Saetabis  in  Spanien,  dem 
beruhmten  Flachsbezirke,  kommen  lasst  und  Vatinius  bei  Quintilian  6, 
3,  60  ein  candidum  sudarium  fiihrt;  spater  orarium  genannt  und  als 
solches  zur  christlichen  Messkleidung  gehorig)  u.  s.  w.  Linnene  Faden 
dienten  zur  Angelschnur,  zum  Verbinden  der  Brief e,  dickgewebte 
Leinwandtiicher  zum  Abreiben  in  den  Badern,  als  Tischdecken,  letztere 
unter  dem  Namen  mantelia,  mantela,  dazu  bestimmt,  den  aus  kost- 
barem  Holz  bestehenden  Tisch  gegen  die  Eindriicke  der  aufgetragenen 
Schiisseln  zu  schiitzen,  Mart.  14,  138.  Mantele: 

Nobilius  villosa  tegant  tibi  lintea  dtrum; 

Orlibus  in  nostris  circulus  esse  potest. 

.Die  Pflanze   selbst   aber   wurde   in   dem  Itaiien  siidlich   von  Rom  - 
und   dieser  Theil   der  Halbinsel   war   in   den  ersten  Zeiten  der  romi- 


174  Der  Flachs. 

schen  Weltherrschaft  der  civilisirte,  der  gebende  mid  empfangende, 
der  Weg  in  die  alte  Welt,  auf  ihn  gleichsam  das  Gesicht  der  Haupt- 
stadt  gerichtet  —  kaum  oder  nur  in  geringem  Masse  angebaut.  Cato 
erwahnt  des  Flachses  in  seiner  Landwirthschaft  ganz  und  gar  nicht, 
Varro  nur  fliichtig.  Auch  Columella  legt  auf  diese  Kultur  kein  Ge- 
wicht;  einmal  2,  7,  1,  zahlt  er  unter  Bohnen,  Linsen,  Erbsen  und 
anderen  Arteii  legumina  auch  den  Flachs  mit  auf,  woraus  sich  ergiebt, 
dass  in  Krautgarten  wohl  auch  ein  Stuck  Land  zur  Erzeugung  von 
Leinsaat  bestimmt  wurde.  Ein  ganz  anderer,  weiter,  iiber  die 
griechisch-romische  Welt  hmausfiihrender  Blick  aber  offnet  sich  in 
dem  Kapitel,  welches  Plinius  am  Anfang  des  19.  Buches  dem  Flachse 
und  seiner  Kultur  in  der  Welt  widmet.  Wir  erkemien  hier,  dass, 
wenn  die  am  Nil  und  im  Herzen  Asiens  friihe  bliihende  Linnenkultur 
bei  ihrer  Wanderung  nach  Europa  in  den  warrnen  Gebirgsland- 
schaften  der  beiden  klassischen  Halbinseln  keine  rechte  Statte  fand, 
sie  in  den  feuchten,  nebligen  Ebenen  der  Barbaren,  auf  humusreichem 
Waldboden,  in  den  Landern  frischen  Anbruchs  sich  bald  iippig  ent- 
faltete.  Schon  Herodot  5,  12  lasst  ein  Madchen  vom  Stamme  der 
Paoner  in  Thrakien  mit  dem  Flachs  an  der  Spindel  auftreten;  am 
entgegengesetzten  Ende  Europas  wird  Spanien  in  friiher  und  in 
spater  Zeit  als  leinproducirend  geriihrnt:  in  der  Schlacht  bei  Canna 
trugen  die  Iberer  purpurverbrarnte  linnene  Kittel  nach  Landessitte 
(xaia  ^VL  TrdrQia,  Polyb.  3,  114,  4  und  nach  ihm  Liv.  22,  46:  His- 
pani  Unteis  praetextis  purpura  tunicis);  die  feinen  Siebe  aus  Flachs- 
faden  sind  eine  urspriinglich  spanische  Erfindung  (Plin.  18,  108);  die 
Emporiten  treiben  Leinwandindustrie  (Strab.  3,  4,  9);  das  feine  Pro- 
dukt  von  Tarraco  (dort  mit  dem  phonizischen  Worte  carbasus  be- 
nannt,  welches  selbst  wieder  fur  den  indischen  Namen  der  Baum- 
wolle  gehalten  wird)  und  Saetabis  stand  in  hohem  Rufe  und  wird 
oft  erwahnt,  z.  B.  Sil.  Ital.  3,  374 : 

Saetabis  et  telas  Arabum  sprevisse  superba 
Et  Pelusiaco  filum  componere  lino  - 

und  wenn  uns  dies  von  Orten  an  der  Kiiste  des  mittellandischen 
Meeres,  die  von  friihe  an  mannichfachem  Kultureinfluss  geoffnet 
war,  weniger  wundert,  so  horen  wir  doch  auch  von  dem  Flachs  der 
fernen  Stadt  Zoelae  im  Lande  der  rohen  Asturer  am  Strande  des 
atlantischen  Oceans  (Plin.  19,  10)  und  von  den  linnenen  Harnischen 
der  wilden  und  rauberischen  Lusitanier  im  hintern  Land  (Strab.  3,  4,  6). 
Daher  es  von  Spanien  ganz  allgemein  heisst,  Just.  44,  1,  6:  jam 
lini  spartique  vis  (in  Hispania)  ingens;  Mel.  2,  6,  2:  (Hispania)  adeo 


Der  Flachs.  175 

nt,  sicubi  ob  penuriam  aquarum  effeta  et  sui  dissimilis  est, 
linum  tamen  aut  spartum  alat.  In  Italien  selbst  aber  bilden  alle 
die  von  der  inneren  Adria  her  zuganglichen  Gegenden,  die  wasser- 
reichen,  von  Fliissen  und  Kanalen  durchschnittenen  Ebenen,  der  Land- 
strich,  den  einst  Etrusker,  dann  keltische  Volker  besetzt  hielten,  und 
das  von  entgegengesetzten  Seiten  daran  stossende  ligurische  und 
venetische  Gebiet  von  Alters  her  eine  Zone  der  Flachskultur.  Plinius 
kennt  in  Oberitalien  Flachssorten,  die  nach  den  spanischen  fiir  die 
besten  auf  europaischem  Boden  galten,  den  von  Faenza  in  der  Romagna 
(in  Aemilia  via  Faventina,  noch  heut  zu  Tage  geschatzt),  den  von 
Retovium  (bei  dem  heutigen  Voghera)  und  den  in. der  regio  Aliana 
zwischen  Po  und  Tessin  (beide  letztere  auf  altligurischem  Boden). 
Eine  in  der  Umgegend  Ferrara's,  also  gleichfalls  in  der  Romagna, 
gefundene,  freilich  verdachtige  Inschrift  (Orelli  1614)  ist  dem  Sil- 
vanus  cannabifer  et  linifer  geweiht.  Dass  die  Etrusker  friihe  Flachs- 
bau  trieben,  ist  schon  oben  erwahnt  und  bildet  ein  Symptom  mehr 
fiir  den  Zusammenhang ,  der  dies  Volk  mit  dem  Norden  verkniipft, 
und  fiir  die  Kuiturscheide ,  die  der  Tiberfluss  abgab.  Jenseits  der 
Alpen  beschreibt  Plinius  ganz  Gallien  als  Leinwand  webend,  be- 
sonders  die  Cadurci  (Strab.  4,  3,  2 :  naga  tie  rolg  KadovQxoig  hvovQ- 
yiaC),  die  Caleti,  Ruteni,  Bituriges,  und  die  fiir  die  aussersteri  der 
Menschen  geltenden  Morini,  d.  h.  die  keltischen  Bewohner  der 
Niederlande,  -  -  so  dass  also  belgischer  Flachs  und  flamische  Lein- 
wand ihren  Adel  bis  wenigstens  zum  ersten  Jahrhundert  nach  Chr. 
hinaufdatiren  konnen.  Ein  Denkmal  davon  bewahrt  die  italienische 
Sprache  in  dem  Wort  renso,  feiner  Flachs,  von  der  Stadt  Rheims, 
wo  er  bezogen  wurde.  Selbst  bis  zu  den  Germanen  jenseits  des 
Rheins,  fahrt  Plinius  fort,  ist  diese  Kunstfertigkeit  gedrungen;  das 
germanische  Weib  kennt  kein  schoneres  Kleid  als  das  linnene;  sie 
sitzen  in  unterirdischen  Raumen  und  spinnen  und  webeii  dort  (id 
opus  agunt).  Ungefahr  dasselbe  sagt  Tacitus,  Germ.  17:  die  Frauen 
kleiden  sich  wie  die  Manner,  nur  dass  die  erstereri  haufiger  sich  in 
linnene  Tiicher  hiillen,  die  sie  mit  Roth  verzieren  (purpura  variant). 
-  Finden  wir  so  den  Flachs  bei  alien  Volkern  Mittel-Europas  unter 
den  friihe  ergriff enen ,  weil  dem  Boden  und  Himmel  zusagenden 
Kulturzweigen,  bei  den  Keltiberern  am  biscayischen  Meerbusen,  den 
Ligurern  am  obern  Po,  den  Thraken,  Kelten,  Germanen,  so  lehrt 
zugleich  das  Wort  Lein,  dass  ihnen  Allen  das  Gewachs  von  den 
klassischen  Volkern  zugekommen  war:  dieser  Name  geht  namlich 
durch  den  ganzen  Welttheil,  von  den  Basken  am  Fuss  der  Pyrenaen 


176  Der  Flachs. 

(lurch  alle  keltischen  und  germanischen  Volker  bis  zu  den  Litauern 
und  Slaven,  den  Albanesen,  Magyaren  und  Finnen,  und  findet  sich 
in  den  Sprachen  verschiedenster  Herkunft  wieder52).  Bei  den  Bar- 
baren  aber  wurde  Leinwand  nicht  bloss  allgemeines  Lebensbediirfniss 
und  fand  mannichfache  Anwendung,  sondern  gewann  von  dort  auch 
Eingang  in  die  Sitten  der  im  Abscheiden  begriffenen  antiken  Welt. 
Leinwand  als  Volkstracht  ist  nordischen  Ursprungs.  Wie  der  Ge- 
brauch  gestopfter,  mit  Leinwand  iiberzogener  Polster  und  Kissen  aus 
Gallien,  namentlich  von  den  schon  oben  genannten  Cadurci,  nach 
Italien  kam  (culcitae,  tomenta,  bei  Martian's  Leuconica  oder  Lingonica 
genannt)  —  denn  das  friihere  Alterthum  bediente  sich  der  stramenta, 
d.  h.  blosser  Lagen  von  Decken  tund  weichen  Stoffen  (Plin.  19,  13) 
—  so  ging  auch  das  linnene  Unterkleid,  das  eigentliche  Hemde, 
das  die  Griechen  und  Romer  in  der  Weise,  wie  die  heutigen  Europaer, 
nicht  kannten,  von  den  Barbaren  aus,  mit  ihm  der  neue,  zuerst  bei 
dem  heiligen  Hieronymus  vorkommende ,  gallische  Name  camisia 
(Zeuss2  p.  787).  Friiher  hatten  hochstens  die  Weiber  vornehmen 
Standes  Leinwand  unmittelbar  am  Korper  getragen;  Plinius  bemerkt, 
in  der  Familie  der  Serraner  sei  auch  zu  seiner  Zeit  das  Hemd  als 
weibliches  Kleidungsstiick  nicht  ublich :  ohne  Zweifel  in  conservativer 
Anhanglichkeit  an  die  altere  Sitte.  Nicht  mehr  sudlich-klassisch, 
schon  nordisch-barbarisch  war  es,  wenn  der  Kaiser  Alexander  Severus, 
wie  ein  Biograph  Aelius  Lampridius  40  berichtet,  frische,  weisse 
Leinwand  liebte,  weil  sie  nichts  Rauhes  habe  (wie  die  Wolle),  und 
die  purpurgestreifte  oder  gar  mit  Goldfaden  gestickte,  also  das 
orientalische  Luxusgewand,  verschmahte.  Einige  Decennien  spater 
schenkte  Kaiser  Aurelian  schon  dem  populus  Romanus  weisse,  mit 
Aermeln  versehene  Tuniken,  die  in  verschiedenen  Provinzen  angefertigt 
waren,  darunter  auch  ungefarbte  linnene  aus  Afrika  und  Aegypten, 
Vopisc.  Aur.  48.  Aus  dem  Edictum  Diocletiani  vom  Jahre  301, 
Cap.  17  und  18,  ersehen  wir,  dass  die  altberuhrnten  syrischen  Lein- 
wandfabriken  schon  grobe  Zeuge  fur  den  gemeinen  Mann  und  fur 
Sclaven  (Ig  xQfoiv  idov  t&corcov  r^TOt,  (pafJufoaQixiDv)  lieferten,  darunter 
caracallae,  Leinwandmantel  gallischen  Schnittes,  mit  Kaputze  in  Weise 
der  noch  heute  geltenden  Monchstracht ,  yaoxwia  oder  (paGxelai, 
Binden,  die  Fiisse  zu  umwickeln,  an  Stelle  der  heutigen  Striimpfe, 
awdovsg  xoiTagtat,,  Bettlaken,  xvlat,  und  TTQogxscpdhaia  oder  Matratzen- 
iiberziige  und  Kissenbiihren  u.  s.  w.,  lauter  im  Laufe  der  Kaiserzeiten 
von  Gallien  her,  wie  wir  glauben,  bei  den  untern  Volksklassen 
herrschend  gewordene  Bediirfnisse.  Noch  ein  Jahrhundert  spater 


Der  Flachs.  '  177 

encllich  sagt  der  h.  Augustinus  Sermon.  37,  6,  schon  geradezu  und 
ganz  allgemein :  interiora  sunt  enim  linea  vestimenta,  lanea  exteriora, 
also:  liber  Leinwandhemden  tragt  man  Rocke  von  wollenem  Tuch 
(der  Kirchenvater  findet  desshalb,  mit  dem  aberwitzigen  Tiefsinn 
des  Mittelalters ,  in  der  Wolle  etwas  Fleischliches ,  carnale  aliquid, 
im  Lein  aber  etwas  Geistiges  oder  Geistliches,  spirit  ale). 

Weder  Plinius  noch  Tacitus  sagen  uns,  ob  der  rohe  Flachs, 
der  den  germanischen  Frauen  zu  ihren  Leingeweben  diente,  wie  die 
rothe  Farbe,  etwa  aus  Gallien  eingefuhrt,  oder  der  Anbau  schon  ins 
innere  Land  eingedrungen  war,  oder  ob  er  sich  auf  die  Rheingegenden, 
die  an  gallischer  Kultur  am  friihesten  Theil  nahmen,  beschrankte? 
Aus  der  Tracht  der  heiligen  Phrophetinnen  bei  den  Cimbern,  welche 
Strabo  7,  2,  3  als  grauhaarig,  barfuss  mit  ehernen  Giirteln  und 
spangenbefestigten  Manteln  aus  feinem  Flachs  (xagnncCvag  sfpaTrrtdag 
emTTSTtOQTirjfigvai,)  schildert,  lasst  sich  nicht  etwa  auf  Flachsbau  an 
der  untern  Elbe  in  so  friiher  Zeit  schliessen,  da  die  Cimbern,  wenn 
sie  wirklich  germanischen  Stammes  waren,  vor  ihrem  Untergang 
durch  die  Romer  weit  in  keltischen,  ja  in  keltiberischen  Landen  um- 
hergezogen  und  in  jeder  Beziehung  nicht  ohne  keltische  Beimischung 
geblieben  waren.  Paulus  Diaconus  1,  20  berichtet  aus  der  alteren, 
d.  h.  voritalischen  Geschichte  der  Longobarden  eine  sagenhafte  Be- 
gebenheit,  die  auf  germanischen  Flachsbau  deuten  konnte.  Die 
Heruler,  von  den  Longobarden  besiegt,  hielten  auf  der  Flucht  ein 
bluhendes  Leinfeld  fur  einen  See  (Goethe,  Italien.  Reise,  Palermo, 
13.  April  1787:  »Man  glaubt  in  den  Griinden  kleine  Teiche  zu  sehen, 
so  schon  blaugriin  liegen  die  Leinf elder  unten«),  sturzten  sich  hinein, 
als  ob  sie  schwimmen  wollten,  und  wurden  so  von  den  verfolgenden 
Siegern  ereilt  und  niedergemacht.  Allein  die  Scene  dieser  Sage  ist 
die  pannonische  Theissgegend ,  wo  die  Flachskultur  alt  sein  mochte, 
und  ohnehin  die  vorausgesetzte  Zeit  eine  spate,  etwa  das  Jahr  500 
nach  Chr.  Im  Lauf  der  Volkerwanderung  hatte  sich  indess  das 
Leinkleid  bei  den  aus  ihren  Sitzen  aufgebrochenen  Stammen  immer 
allgemeiner  verbreitet  und  wird  gegen  Ende  derselben  ausdriicklich 
als  gewohnliche  germanische  Volkstracht  genannt,  Paul.  Diac.  4,  23: 
Vestimenta  vero  eis  (Longobardis)  erant  laxa  et  maxim e  linea  qualia 
Anglisaxones  habere  solent,  ornata  institis  latioribus,  vario  colore  con- 
textis.  Als  die  Gothen  unter  Kaiser  Valens  iiber  die  Donau  setzten, 
um  in  romisches  Gebiet  aufgenommen  zu  werden,  da  reizten  ihre 
linnenen  Gewebe  mit  troddelartigem  Besatz  die  Habsucht  der  Griechen 
(Eunap.  6  ed.  Bonn.  p.  50).  So  tragen  auch  die  Franken  bei 

Viet.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  12 


178  Der  Flachs. 

Agathias  2,  5  theils  lederne,  theils  linnene  Hosen  und  die  west- 
gothischen  Aeltesten  bei  Sidonius  Apolliiiaris  c.  7,  455  schmutziges 
Linnen  und  kurze  Pelze.  Nach  deni  inonaclius  Sangallensis  1,  34 
gehorte  friiher  zu  der  Tracht  der  vornehmsten  Franken  ausser  den 
rothen  leinenen  Hosen,  tibialia  vel  coxalia  linea,  auch  die  camisia 
clizana,  d.  h.  das  Hemd  aus  Glanzleinwand ;  zu  Karls  des  Grossen 
Zeit  aber  zogen  die  jungen  Prinzen  schoii  das  gallische  kurze  ge- 
streifte  sagum  vor,  wahrend  der  Kaiser  selbst  bei  der  vaterlichen 
Tracht  blieb,  Einh.  vit.  23:  vestitu  patrio  id  est  francisco  utebatur. 
Ad  corpus  camisam  lineam  et  feminalibus  lineis  induebatur.  Wenn 
die  Germanen,  die  viele  Jahrbunderte  lang  ruhige  Anwobner  des 
Meeres  gewesen  waren  und  Anfangs  nur  in  leichten  Kahnen  (lintreSj 
Tac.  Ann.  11,  18)  oder  ausgehohlten  Baumstammen  (singulis  ar~ 
boribus  cavatis,  Plin.  16,  203)  die  benachbarten  belgischen  Kiisten 
zu  pliindern  gewagt  batten,  plotzlich  in  weiten  See-  und  Raubziigen 
als  kuhne  Scbiffer  erscheinen,  die  Sacbsen  seit  dem  vierten,  die 
Danen  seit  dem  sechsten,  die  Normannen  seit  Beginn  des  achten 
Jahrbunderts,  so  mag  ausser  der  allmahlichen  Bekanntschaft  mit  deni 
Eisen  und  mit  dem  romischen.  Schiffsbau  iiberhaupt  (einen  sprechen- 
den  Fall  solcher  Aneignung  erzahlt  Eumenius  in  seinem  Panegyricus 
an  den  Kaiser  Constantius,  cap.  12),  vielleicbt  auch  die  steigende 
Verbreitung  des  Flachsbaues  und  die  Gewinnung  von  Leinwand  im 
Grossen  zu  Segeln  ein  Grund  davon  gewesen  sein.  Die  Veneter 
wenigstens  in  der  Betragne,  die  haufig  zu  den  blutsverwandten 
Stammen  in  Britannien  hinuberschifften,  batten  zu  Casars  Zeit,  wie 
dieser  ausfiibrlich  beschreibt  (de  bell.  gall.  3,  13),  Segel  aus  Thier- 
fellen  und  Leder  und  eiserne  Ankerketten,  entweder,  fugt  Casar 
binzu,  weil  sie  den  Gebrauch  des  Flacbses  nicht  kannten,  oder,  was 
wahrscheinlicher  ist,  weil  die  Gewalt  der  Stiirme  dort  so  gross  ist. 
Woraus  bestanderi  aber  die  venetiscben  Segeltaue,  die  von  der 
romischen  Schiffsmannschaft  mit  scharfen  Sicheln  an  langen  Stangen 
zerscbnitten  wurden,  so  dass  die  feindlicben  Schiffe  unbeweglich 
wurden  und  sich  ergeben  mussten?  Wohl  aucb  aus  ledernen  Riemen, 
da  Casar  das  Material  nicht  besonders  bezeichnet;  bedienten  sich 
doch  auch  nicbt  bloss  die  homerischen  Griechen,  sondern  auch  die 
illyrischen  Liburnen  derselben  bei  ibren  Schiffen  (Varro  bei  Gellius 
17,  3),  wie  auch  bei  den  Normannen  die  Ankertaue  aus  dem  Fell 
der  Walthiere  und  Seehunde  geschnitten  (s.  Ohtheres  ersten  Reise- 
bericht  bei  Konig  Alfred)  und  in  Island  nocb  bis  in  die  neuere 
Zeit  die  Fischernetze  aus  Lederstreifen  geflochten  waren;  wo  es 


Der  Flachs.  179 

hanfene  Taue  gab,  waren  wohl  auch  die  Segel  aus  Hanf  gewebt 
worden.  Zu  Plinius  Zeit  webte  ganz  Gallien  Segeltuch,  das  auch 
schon.  jenseit  des  Rheins  Eingang  gefunden  hatte  (dort  also  friiher 
unbekannt  war),  19,  8:  Galliae  universae  vela  texunt,  jam  quidem  et 
transrhenani  hostes.  Die  Suionen,  also  die  Vorfahren  der  Normannen, 
kannten  zu  Tacitus  Zeit,  wie  dieser  Germ.  44  ausdriicklich  sagt,  den 
Gebrauch  der  Segel  noch  nicht,  eben  so  wenig  die  Einrichtung 
geschlossener  Ruderbanke;  Vorder-  und  Hintertheil  war  bei  ihren 
Schiffen  nicht  geschieden,  so  dass  sie,  ohne  zu  wenden,  iiberall  landen 
konnten  —  eine  Einrichtung,  die  Germanicus  auf  seinem  grossen 
ungliicklichen  Nordseezuge  im  Jahre  16  nach  Chr.  bei  einem  Theil 
seiner  Schiffe  nachahmte.  Solche  altnordische  Kahne  mochten  zur 
Fahrt  zwischen  den  Inseln  und  in  den  Belten  und  Fiorden  geeignet 
sein;  im  Hochsomrner  setzten  sie  vielleicht  von  der  Insel  Gothland  in 
den  finnischen  und  rigaischen  Meerbusen  hinuber ;  aber  erst  mit  der 
aus  Siiden  gekommenen  Technik  des  Segeltuchs  und  des  Eisens  kam 
•der  Muth  zu  den  weiten  Wikingerziigen.  Das  deutsche  Wort  Segel, 
ags.  segel,  altn.  segl,  im  Germanischen  dunkel  und  fremdartig,  stammt 
wohl  aus  dem  Keltischen  (aldrisch  seal,  sool,  mit  unterdriicktem 
gutturalen  Inlaut)  oder  direkt  aus  dem  lateinischen  sagulum.  Litauer 
und  Polen  entlehnten  wieder  das  deutsche  Segel,  litauisch  zeglys, 
polnisch  zagiel,  die  Bohmen  half  en  sich  mit  der  Wendung:  Stiick 
Leinwand  oder  Windfang,  die  Siidslaven  brauchten  Schoss  fur  Segel, 
die  Russen  nahmen  das  griechische  (pagog  in  der  Formparus  an  — 
lauter  spate  Sprachprodukte.  —  Bei  den  Germaneri  wurden  iibrigens 
seit  jenen  Zeiten  Gewebe  aus  Flachs  fur  immer  eine  Lieblings- 
kleidung.  Der  Siidlander,  mehr  im  Freien  lebend,  bedurfte  zum 
Schutz  gegen  die  wechselnde  Temperatur  der  Umhullung  mit  Wolle; 
der  Germane,  besonders  der  Nordgermane,  im  winterlichen  Klima 
zur  Gefangenschaft  im  Hause  gezwungen,  dabei  mit  angeborenem 
Sinn  fur  Reinlichkeit  begabt,  zog  das  leichte  glatte  Linnen  vor,  das 
Abends  und  Nachts  in  der  geheizten  dumpfen  Hiitte  sich  kiihl  an 
den  Leib  legte,  an  dem  jeder  Fleck  gleich  sichtbar  wurde,  das 
haufig  gewaschen  werden  konnte  und  immer  weicher  und  schmieg- 
samer  aus  der  Wasche  kam.  Ganz  dieselben  Eigenschaften  riihmt 
schon  Plutarch  de  Isid.  et  Os.  4  an  der  Leinwand:  sie  gewahrt,  sagt 
«r,  ein  glattes  und  immer  reines  Kleid,  beschwert  den  Tragenden 
durch  kein  Gewicht,  ist  passend  zu  jeder  Jahreszeit  und  beherbergt 
keine  Lause  —  in  der  That  ist  die  letztgenannte  Plage,  an  der  die 
gepriesene  Urzeit  gewiss  in  einem  Masse  litt,  von  dem  sich  unsere 

12* 


180  Der  Flachs. 

Idealisten  nichts  traumen  lassen,  ein  Charakterzug  aller  pelztragenden 
Volker.  In  einer  altnordischen  Sage  (die  wir  Weinhold,  Altnordisches 
Leben,  S.  160,  entnehmen)  wird  ein  Meermannlein  von  einem  Konig 
gefangen :  von  Allem,  was  es  im  menschlichen  Leben  erfahrt,  gefallt 
ihm  dreierlei  am  meisten:  kalt  Wasser  fiir  die  Augen,  Fleisch  fur 
die  Zahne  und  Leinwand  fiir  den  Leib.  Dies  ist  aus  dem  Innersten 
germanischer  Empfindung  geschopft.  Die  damonische  Frau  Berchta 
und  die  gleichbedeutende  Holla,  die  als  spinnende  Frau  gedacht 
wird  und  der  der  Flachsbau  angelegen  ist  (Grimm  DM2  S.  247), 
bezeugen  gleichfalls  als  mythische  Gegenbilder  der  fleissigen  spinnen- 
den  Hausfrau  den  Werth,  den  das  Volksgefiihl  auf  dies  Geschaft  und 
auf  dessen  Produkt  legt.  Nicht  bloss  Silbergerath,  sondern  auch 
Leinwand  in  Fiille  ist  in  einer  Zeit,  in  der  es  weder  Werthpapiere 
noch  Sparkassen  gab,  das  Zeichen  des  Reich thums,  der  Stolz  und 
die  Vorliebe  der  Mutter  und  eine  Mitgift  fiir  die  Tochter.  Mit 
treffendem  Scherz  behauptet  Jean  Paul  irgendwo,  wenn  der  Teufel 
eine  deutsche  Hausfrau  verfiihren  wollte,  wiirde  ihm  das  durch  ein 
Geschenk  von  guter  Leinwand  noch  am  leichtesten  gelingen.  Alexis 
bei  Goethe  ruft  aus: 

Doch  nicht  Schmuck  und  Juwelen  allein  verschafft  Dein  Geliebter, 
Was  ein  hausliches  Weib  freuet,  das  bringt  er  Dir  auch  — 
Kostlicher  Leinwand  Stiicke.     Du  sitzest  und  nahest  und  kleidest 
Dich  und  mich  und  auch  wohl  noch  ein  Drittes  darein, 

und  der  Vater  in  Hermann  und  Dorothea  meint: 

Nicht  umsonst  bereitet  durch  manche  Jahre  die  Mutter 

Viele  Leinwand  der  Tochter,  von  feinem  und  starkem  Gewebe. 

Dann  neben  andern  trefflichen  Eigenschaften  hat  die  Leinwand  auch 
die,  aufbewahrt  werden  zu  konnen  und  fiir  kiinftige  Zeiten  unver- 
sehrt  bereit  zu  liegen,  wahrend  die  Wolle  mancherlei  Feinde  zu 
fiirchten  hat. 

Auch  den  westlichen  Slaven  war  ziemlich  friihe  im  Mittelalter 
der  Flachs  und  die  Leinwand  schon  bekannt.  Nach  Helmold  1,  12 
erhielt  der  Bischof  von  Aldenburg  aus  dem  ganzen  Lande  der  Wagrier 
und  Obodriten  von  jedem  Pflug  vierzig  Biindel  Flachs  als  Zins  — 
so  dass  also  diese  deutschen  Grenznachbarn  schon  zur  Zeit  als  das 
Bisthum  Aldenburg  noch  bestand,  Flachs  auf  ihren  Feldern  bauten. 
In  der  von  Herzog  Heinrich  von  Sachsen  und  Baiern  fiir  das  Bis- 
thum Ratzeburg  ausgestellten  Dotationsurkunde  vom  Jahre  1158 
(Mecklenburger  Urkundenbuch  No.  65)  wird  bestimmt,  es  solle  de 
unco,  d.  h.  vom  Haken  Landes  ein  Topp  (d.  h.  Zopf)  Flachs,  toppus 


Der  Flachs.  181 

lini  unus,  gegeben  werden,  dessen  Anbau  also  schon  gewohnlich  war. 
Derselbe  Helmold  berichtet  von  den  Ranen  auf  der  Insel  Riigen, 
sie  hatten  (Anfang  des  12.  Jahrhunderts)  noch  kein  gemiinztes  Geld, 
an  dessen  Stelle  Leinwand  als  Tauschwerth  diene,  1,  38,  7:  apud 
Ranos  non  habetur  moneta  nee  est  in  comparandis  rebus  consuetudo 
numorum,  sed  quidquid  in  foro  mercari  volueris,  panno  lineo  compa- 
rabis.  Ganz  ebenso  wird  in  altnordischen  Gesetzbiichern  nach  Ellen 
Leinwand  gerechnet,  die  bedeutend  hoher  im  Preise  stand,  als  das 
einheimische  grobe  Tuch,  das  Wadmal.  Weiter  nach  Osten  erhielt 
sich  die  Leinwand  noch  lange  als  allgemeines  Aequivalent,  ja  noch 
im  18.  Jahrhundert  wurde  sie  von  kaukasischen  Volkern  als  Durch- 
gangszoll  gefordert,  Giildenstadts  Reisen,  herausgegeben  von  J.  von 
Klaproth,  Berlin  1815,  S.  25:  »Die  Dugoren  verlangten  fiir  jeden 
Mann  meiner  Begleitung  funf  Hemden  oder  vierzig  Ellen  Leinewand 
und  zwei  Hemden  fiir  jedes  Pferd  als  Zoll  und  noch  fiir  jeden  Ge- 
hiilfen,  den  ich  zum  Uebertragen  nothig  haben  wiirde,  fiinf  Hemden : 
so  stark  war  aber  mein  Vorrath  von  Leinwand  nicht.«  Mit  dem  ge- 
regelten  Ackerbau  drang  die  Flachskultur  in  das  Innere  des  grossen 
osteuropaischen  Flachlandes  ein,  wo  der  Pflanze  der  Ueberfluss  an 
frischem  Boden  in  der  See-  und  Waldregion  giinstig  entgegenkam. 
Ganze  Bauerndorfer  im  Herzen  Russlands  legten  sich  auf  Leinwand- 
weberei  und  wussten  ihren  Handtiichern  und  Laken  denselben  rothen 
Rand  zu  geben,  wie  die  Germanen  des  Tacitus.  Segeltuch  wurde 
seit  Eroffnung  des  Landes  ein  bedeutender  Ausfuhrartikel,  bis  die 
Baumwollfabrikation  auftrat  und  den  alteinheimischen  Industriezweig 
todtete.  Besonders  in  den  feuchten  Ostseestrichen  gedieh  der  Flachs, 
den  wohl  die  deutschen  Eroberer  und  Kolonisten  dort  einfiihrten, 
wie  in  seinem  eigentlichen  Vaterlande,  und  rigaischer  Lein  und  Werg 
und  die  von  dort  kommende  Leinsaat  ist  Jahrhunderte  lang  eine  in 
Westeuropa  unter  diesem  Namen  gesuchte  Handelswaare  gewesen. 

Die  Geschichte  des  Flachses  bei  den  neueuropaischen  Volkern 
bis  zum  industriellen  neunzehnten  Jahrhundert  hinab  zu  verfolgen, 
iiberlassen  wir  dem  historischen  Theil  der  Technologic  und  Volks- 
wirthschaft  und  wollen  nur  erwahnen,  dass  eine  der  wichtigsten 
Erfindungen,  die  des  Papiers  aus  linnenen  Lumpen,  nur  durch  die 
allgemeine  Verbreitung  und  Anwendung  dieser  Pflanze  in  Europa 
moglich  war.  Die  Alten  verfielen  nicht  darauf,  da  damals  keine 
massenhaften  Abfalle  zu  weiterer  Verarbeitung  aufforderten :  hatten 
die  Lumpen  linnener  Kieider,  Betttiicher,  Tischdecken  u.  s-  w.  sich 
gehauft,  etwa  wie  die  Scherben  der  Topfe,  die  in  Rom  angeblich 


132  Der  Flachs. 

einen  ganzen  Berg  gebildet  haben,  vielleicht  ware  schon  damals  diese- 

neue  Art   libri  lintel  aufgetreten,  -  -  da  doch  z.  B.  die  Cbarpie  aus 

altem  Linnen    den    griechischen    und    romischen   Wundarzten   nicht 

unbekannt  war.     Mit  dem  Anbau  der  Baumwolle  in  Westasien  batte 

sich  auch  die  Kenntniss  des  baumwollenen  Papiers  von  China  nach 

Samarkand,  von  da  durch  die  Araber  mit  Beginn  des  achten  christ- 

lichen    Jabrhunderts    nacb   Mekka,    von   Mekka    nacb    Spanien    ver- 

breitet.     In  Spanien  muss  dann  aucb  die  Anwendung  alter  Leinwand 

statt  baumwollener  Lumpen  zuerst  versucbt  worden  sein :  interessant 

ist,   dass   schon   seit  dem  12.  Jahrhundert  die  Ortschaft  Xativa,  das 

alte  durch  seinen  Flachsbau  bei  den  Romern  beriihmte  Saetabis,  un- 

vergleichliches  Papier  lieferte,   das   in   den  Orient  und  Occident  ver- 

sandt    wurde,    s.    Edrisis   Geographic    von   Jaubert  II.    p.   37.      Von 

Spanien    gelangte    dann   diese  Kunst   allmahlich  welter  nach  Frank- 

reich,     Burgund,     Deutschland    und    Italien.       (Ausfiihrlich    handelt 

dardber  W.  Wattenbach,    das  Schriftwesen   im  Mittelaltcr.     Leipzig, 

1871,  S.  92  ff.).     Da   aber    das  Linnenpapier    wiederum   die   spatere 

Erfindung   der  Buchdruckerkunst   erst  fruchtbar  machte,  da  auf  der 

Wohlfeilheit    und   Zweckmassigkeit    dieses  Materials    die    allgemeine 

Anwendung  der  Schrift  in  Leben,  Verkehr  und  Staat  und  damit  die 

ganze  neuere  Kultur  beruht,  so  steigt  die  Bedeutung  der  Leinpflanze 

in   den  Augen   des  Kulturhistorikers  so  hoch,  dass  er  ihr  in  antiker 

Weise    das  Pradikat    heilig    oder   gottlich   geben  mochte,  das  ihr 

die  Alten,    die    sie  nur  halb    kannten    und  niitzten,  beizulegen  ver- 

saumt  haben.     Vergessen  wir  auch  die  Malerei  auf  Leinwand  nicht, 

die  erst  im  spateren  Alterthum  und  auch  da  nur  sparlich  sich  findet, 

sowie    die  Anwendung    des  Leinols   zur  Malerei,    die   in  den  Nieder- 

landen,  der  alten  Heimath  des  Leinbaues,  wenn  auch  nicht  zu  aller- 

erst   erfunden,    doch    vervollkommnet    und    zu    einem    edlen    neuen 

Kunstzweige   erhoben  worden  ist.     Der   Orient   mochte   in  alter  Zeit 

feine  Gewebe    lie  fern    und    sie    mit    glanzenden  Farben,    wie   sie   in 

jenen   Sonnenlandern    erzeugt    werden    und    den   Menschen   gefallen, 

tranken  und  verzieren:  unsere  Batiste,  brabanter  Spitzen,  flamischen 

Tafelzeuge,    hervorgebracht    unter    Sturm    und    Nebel    in    den    Um- 

gebungen    des  Oceans,    konnen    sich  mit  jenen  wohl  messen.     Auch 

wissen   wir  unsere  weissen  Kleider  mit  Laugenseife,  einer  gleichfalls 

altbelgischen  Erfindung,    wirklich    zu    was  chert;    Nausikaa  und  das 

friihere  Alterthum  verstand  sie  nur  in  fliessendem  Wasser  zu  spiilen, 

wahrend    die    halb    aberglaubische,    halb   zweckmassige  Technik  der 

fidlones   in  Rom  nur  mit  Surrogaten  operirte.     Wie  aber  im  Mittel- 


Der  Flachs.  1§3 

alter  das  linnene  Segel,  »das  sich  fur  alle  bemiiht«  (Goethe),  die 
Ruderbanke  entfernte  und  die  daran  geschmiedeten  Sclaven  befreite, 
*o  hat  in  neuester  Zeit  der  Dampf  das  Segel  mit  seineii  vielen 
Tauen,  das  immer  noch  so  viel  Hande  forderte,  immer  mehr  zur 
Seite  gedrangt  und  die  Zahl  der  dienenden  Matrosen  vermindert. 
Dann  ist  die  Baumwolle  gekommen,  die  die  Alten  nur  aus  der 
Feme  kannten,  und  hat  tausend  Fabriken  in  Bewegung  gesetzt  und 
Millionen  Menschen  bekleidet:  ihr  erster  ernsthafter  Zusammenstoss 
mit  der  Leinfaser  fiihrte  zu  der  wichtigen  Erfindung  der  mechani- 
schen  Flachsspindel.  Wiederum  trat  eine  Zeit  der  Baumwollennoth 
ein,  wo  der  king  cotton  seiner  Herrlichkeit  entkleidet  zu  sein  schien 
und  Wolle  und  Flachs  wieder  den  ersten  Rang  einnehmen  wollten. 
Doch  ging  die  Krisis  wieder  voruber  und,  statt  die  Baumwolle  fallen 
zu  lassen,  hat  die  europaische  Arbeit  angefangen,  immer  mehr  aus 
dem  Reichthum  der  Tropenlarider  und  fremder  Welttheile  zu  schopfen 
und  dort  entdeckte  neue  Gespinnstpflanzen  durch  chemische  und 
technische  Wissenschaft  nutzbar  zu  machen.  Wir  erinnern  in  dieser 
Beziehung  nur  an  die  Jute,  das  Chiuagras  und  den  neuseelandischen 
Flachs,  Phormium  tenax,  und  den  bedeutenden  Rang,  den  diese 
Stoffe  schon  in  der  heutigen  Industrie  einnehmen.  In  clen  klassi- 
schen  Landern,  um  zu  unserem  Ausgangspunkte  zuriickzukehren, 
halt  sich  die  Flachskultur  ungefahr  auf  der  Stufe  des  Alterthums. 
In  Griechenland  ist  sie  fast  null;  die  fluss-  und  kanalreichen  Ebenen 
der  Lombardei  und  Venetiens  bringen  geschatzte  Sorten  von  Sommer- 
und  Winterflachs  hervor,  der  durch  eigenthiimliche,  sorgfaltige,  viel- 
leicht  aus  dem  Alterthum  stammende  Behandlung  ein  sehr  weisses 
und  dauerhaftes  Produkt  giebt;  auch  Toskana,  das  alte  Etruskerland, 
die  Romagna  und  die  Marken  haben  noch  ziemlich  viel  Flachs;  je 
weiter  nach  Siiden,  desto  sporadischer  wird  der  Anbau,  und  Samen- 
und  Oelgewinnung  der  Hauptzweck.  Im  Ganzen  ist  auch  das  heutige 
Italien,  trotz  der  zahlreichen  Webstuhle  der  Lombardei,  im  Punkte 
der  Leinwand  den  nordlicher  gelegenen  Landern,  der  im  Nebel  sich 
verbergenden  Insel  Hibernia,  dem  Lande  der  Bataver,  dem  Cherusker- 
sitze  Westphalen,  dem  Lygierlande  Schlesien  u.  s.  w.,  nicht  eben- 
burtig.  Wie  die  Baumwolle  erst  durch  ihre  Verpflanzung  nach 
Amerika  ein  Weltprodukt  wurde,  so  auch  der  Flachs  erst  im  Norden 
Europas,  welcher  fur  diese  altagyptische  und  babylonische  Pflanze 
das  Colonialland  bildete  wie  Amerika  fiir  jene  ostindische. 


184  Der  Flachs. 

*  Mit  der  Frage  nach  der  Herkunft  des  Leines  haben  sich  Oswald 
Heer  (Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten,  Zurich  1865  p.  35  und  "Uber  den  Flachs 
und  die  Flachskultur  im  Alterthum,  Zurich  1872),  sowie  Alph.  de  Candolle 
(Geographic  botanique  raisonne~e  p.  833  und  L'origine  des  plantes  cultivees 
p.  95—102)  besonders  eingehend  beschaftigt.  Durch  diese  Untersuchungeii 
hat  sich  zunachst  ergeben,  dass  in  Europa  schon  zu  einer  Zeit,  wo 
nur  Steininstrumente  im  Gebrauch  waren,  Flachs  kultivirt 
wurde.  Es  wird  dies  durch  die  Funde,  welche  man  in  den  Pfahlbauten 
von  Robenhausen  in  der  Schweiz  und  von  Lagozza  in  der  Lombardei  gemacht 
hat,  bewiesen.  Diese  Funde  haben  aber  zugleich  gezeigt,  dass  cler 
damals  in  der  Schweiz  kultivirte  Lein  nicht  der  heutzutage  liber- 
all  angebaute  einjahrige  Lein  (Linum  usitatissimum  ~L.)  war,  sender n 
vielmehr  das  mit  diesem  sehr  nahe  verwandte,  aber  sowohl  einjahrig  wie 
mehrjahrig  vorkommende,  mit  zahlreichen  vom  Grunde  aus  aufsteigenden 
Stengeln  versehene  L.  angustifolium  L.,  welches  auch  aufspringende  Kapseln 
und  kleinere  Samen  besitzt  und  von  den  Kanarischen  Inseln  durch  das 
Mittelmeergebiet  bis  Palastina  und  zum  Kaukasus  verbreitet  ist.  Diese  Art 
oder  Stammform  ist  es  auch,  welche  in  Macedonien  und  Thracien  wachst 
und  von  Grisebach  (Spicil.  Fl.  rumel.  p.  117)  falschlich  als  L.  usitatissimum  L. 
bezeichnet  wurde.  Der  heutzutage  allgemein  in  Europa  kultivirte  Lein  (Linum 
usitatissimum  L.)  ist  entweder  einjahrig  (annuum)  oder  zweijahrig  (hiemale  Winter- 
lein);  er  unterscheidet  sich  von  dem  wildwachsend  verbreiteten  L.  angusti- 
folium L.,  welches  wie  oben  bemerkt  sowohl  einjahrig  als  mehrjahrig  vor- 
kommt,  hauptsachlich  durch  etwas  grOssere,  geschlossen  bleibende  Kapseln, 
durch  kahle,  gewimperte  Scheidewande  derselben,  durch  grossere  und  etwas 
geschnabelte  Samen,  Unterschiede,  welche  bei  einer  in  Stidfrankreich  vor- 
kommenden  Pflanze,  dem  zwischen  den  beiden  Hauptrassen  in  der  Mitte 
stehenden  Linum  ambiguum  Jordan,  sich  verwischen.  Demnach  ist  die  von 
De  Candolle  (L'origine  des  pi.  cult.  p.  96)  ausgesprochene  Ansicht,  dass 
wir  hier  nur  Rassen  oder  Formen  einer  Art  vor  uns  haben,  wohl 
berechtigt.  Wie  aber  die  oben  an gefuhrten  prahistorischen  und  die  his tori- 
schen  Funde  beweisen,  sind  diese  Rassen  sehr  alte.  Wahrend  namlicL 
in  den  prahistorischen  Pfahlbauten  der  Schweiz  (Robenhausen,  Wangeii, 
Moosseedorf ),  Oberosterreichs  (Mondsee)  und  Oberitaliens  (Lagozza  in  der  Provinz 
Mailand),  ebenso  in  den  der  Bronzezeit  angehorigen  Fundstatten  von  Argar 
in  Spanien  nur  das  im  Mittelmeergebiet  wildwachsende  L.  angustifolium  L. 
nachgewiesen  werden  konnte,  haben  die  in  den  altagyptischen  Grabern 
gemachten  Funde  unzweifelhaf t  dargethan,  dass  in  Aegypten 
schon  2400  bis  2200  Jahre  vor  Christus  der  jetzt  bei  uns  kultivirte 
Flachs  angebaut  wurde,  wie  auch  heute  noch.  Schon  Al.  Brauii 
(Die  Prlanzenreste  des  Aegyptischen  Museums  in  Berlin,  1877  p.  4)  hat  dies 
dargethan;  noch  mehr  geklart  wurde  diese  Sache  durch  Schweinfurth  (Ber. 
d.  Deutsch.  bot.  Gesellsch.  I.  (1883)  p.  546,  II.  (1884)  p.  360)  und  durch 
Fr.  Kornicke  (Ber.  d.  Deutsch.  bot.  Gesellsch.  VI.  (1888)  p.  380-384). 
Letzterer  zeigte  namlich,  dass  der  in  Dra  Abu  Negga  (Theben,  XII.  Dynastie, 
2400 — 2200  v.  Chr.)  gefundene  Lein  geschlossene  Kapseln  mit  stark  gewimper- 
ten  Scheidewanden  besass,  welche  etwas  langere  Samen  enthielten  als  der 
heutzutage  in  Mitteleuropa  kultivirte  Flachs;  er  zeigte  ferner,  dass  der  beim 


Der  Flachs.  185 

Assasif  (Theben)  von  Schiaparelli  gefundene  Lein  und  der  in  einein  Grabe  zu 
Schech  Ourna  (Theben)  gesammelte  in  der  Grosse  der  Kapseln  und  Samen 
unseren  mitteleuropaischen  Lein  etwas  iibertraf,  dagegen  hinter  deni  heute 
in  Aegypten  kultivirten,  noch  mehr  hinter  einzelnen  italienischen  und  spani- 
schen  Sorten  zurtickstand.  Diese  Thatsachen  beweisen,  dass  schon  im  alten 
Aegypten  mindestens  zwei  Varietaten  des  Schliessleines  existirten.  Plinius 
(hist.  nat.  XIX,  1)  berichtet  sogar,  wie  Buschan  angiebt,  dass  4  Varietaten 
Flachs  in  Aegypten  vorhanden  waren.  Da  das  mit  sich  offnenden  Kapseln 
versehene  L.  angustifolium  in  Aegypten  nicht  vorkommt,  so  ist  nicht  anzu- 
nehmen,  dass  der  Schliesslein  in  Aegypten  entstanden  ist ;  vielmehr  ist  wahr- 
scheinlich,  dass  der  Schliesslein  aus  Asien  nach  Aegypten  eingefiihrt  wurde, 
zuraal  das  L.  angustifolium  auch  in  Kleinasien  und  den  Kaukasuslandern  vor- 
kommt  und  Lein  sogar  in  einem  altchaldaischen  Grab  gefunden  wurde  (Mas- 
pero,  Histoire  ancienne  des  peuples  de  1'Orient,  ed.  3.,  Paris  1878  p.  13). 


*  Dieselben  Verse  Homers,  die  wir  oben  (unter  Oelbaum)  anfiihrten, 
um  mit  ihnen  die  Benutzung  des  Oels  zu  technischen  Zwecken  schon  im 
homerischen  Zeitalter  zu  erharten,  beweisen  zugleich,  dass  man  bereits  in 
homerischer  Zeit  sich  auf  die  Anf ertigung  linnener  Stoffe  verstand ;  denii 
nur  bei  solchen  ist  die  hier  gemeinte  Appretur  mit  Oel  iiblich  (vgl.  die  am 
angegebenen  Ort  angefuhrte  Literatur;  iiber  xaipooewv,  xaipouaoscuv  s.  jetzt 
Studniczka,  Beitr.  z.  Geschichte  d.  altgr.  Tracht  S.  48;  Helbig,  Homerisches 
Epos2  S.  168;  Blumner,  Technologic  und  Terminologie  I,  S.  126).  Nun  konnte 
man  ja  freilich  an  und  fur  sich  bei  solchen  und  ahnlichen  Stellen  immer 
noch  an  die  Verarbeitung  auslandischen,  durch  den  Handel  eingefuhrteii 
Flachses  denken,  wie  wenig  passend  es  auch  schiene,  etwa  II.  20,  127  das 
»Walten  der  Schicksalgottinnen«  sich  an  einem  »modernen  ImportartikeU 
vorzustellen  (Helbig  a.  a.  0.  S.  171).  Die  Entscheidung  daruber,  ob  man  sich 
die  Griechen  bei  dem  Betreten  ihrer  neuen  Heimath  mit  der  Kenntniss  des 
Flachses  und  den  Anfangen  der  Flachsindustrie  ausgeriistet  denken  soil,  wird 
daher  im  wesentlichen  davon  abhangen,  ob  man  die  Ausfuhrungen  Hehns 
tiber  griech.  Xivov  und  seine  Sippe  (hier  und  namentlich  Anna.  52)  billigt, 
oder  ob  man  zu  der  Ueberzeugung  kommt,  dass  in  den  genannten  Wortern 
eine  jener  vorhistorischen,  gemeineuropaischen  Ackerbaugleichungen  vorliegt, 
auf  die  wir  schon  oben  S.  63  hingewiesen  haben.  Wir  sind  der  Meinung, 
dass  die  letztere  Annahme  den  Vorzug  verdient. 

Auf  keinen  Fall  lasst  sich  seinem  Consonanten  und  Vocal  nach  das 
griechische  \ivov  mit  H.  aus  dem  dakischen  86v  Nessel  ableiten;  auch  hat 
letzteres  Wort  nichts  mit  cymr.  dynad,  bret.  linad  zu  thun,  die  auf  eine  Grund- 
fonn  *nenat-.  *ninqt-  (ir.  nenaid  Nesseln)  zuriickgehn  (vergl.  Thurneysen  bei 
P.  v.  Bradke,  Ueber  Methode  und  Ergebnisse  der  arischen  Aw.  S.  245). 
Eine  altere  Bedeutung  als  Flachs  lasst  sich  also  fur  Xtvov,  neben 
dem  XI-T-I,  Xi-t-a  liegen,  nicht  erweisen.  Im  Lateinischen  heisst 
linutn  Flachs,  linteum  Lein  wand.  Das  Vorhandensein  von  Leinsamen  und  -Fasern 
in  den  zeitlich  vor  jede  griechische  Beeinflussung  Italiens  gehorenden  Pfahl- 
dorfern  der  Poebne  (vgl.  W.  Helbig,  Die  Italiker  in  der  Poebne  S.  16,  67) 
macht  schon  an  sich  das  Vorhandensein  eines  alten  Wortes  fur  Flachs  im 


186  Der  Flachs. 

Lateinischen  wahrscheinlich  und  die  Annahme  einer  lautlich  zwar  inoglichen 
Entlehnung  von  linwn  aus  Xtvov  (Mvov)  kulturhistorisch  wenig  ansprechend. 
TAnum  aber  von  linteum  zu  trennen  und  letzteres  mit  ahd.  linta  Lindenbast  (das 
vielmehr  mit  den  meisten  neueren  Etymologen  zu  griech.  £Xdr/]  Fichte,  Tanner 
lit.  lentil  Brett,  lat.  Unter  Kahn  zu  stellen  1st)  zu  vereinigen,  1st  sowohl  an  sich 
hart  als  auch  besonders  deswegen  bedenklich,  weil  alle  die  Falle,  auf  welche 
Hehn  den  Bedeutungswandel  Bast,  Nessel  —  Flachs,  Hanf  (Anm.  52)  stiitzte,. 
vor  einer  strengeren  Auffassung  der  Lautgesetze  unhaltbar  sind.  Ebenso 
wenig  wie  Xivov  zu  dakisch  dyn  gehort,  kann  lat.  liciutn  mit  lit.  lunkas,  poln. 
lyko  Bast  oder  griech.  Xeirra  ucpaojAata,  XSTCTOC;  mit  slav.  lipa  Linde,  lit.  luptl 
schalen,  ahd.  louft,  loft  Baumrinde  oder  ahd.  flahs  (zu  trennen  von  fahs  Haar- 
schopf  =  scrt.  pakshd  Flugel,  J.  Schmidt,  Pluralbild.  S.  148)  mit  lit.  plaiiszas- 
Bast  (zu  trennen  von  pldukas  Haar  und  vor  allem  voii  slav.  vlasu)  oder  ahd. 
liaru  Flachs  mit  altsl.  kropiva  Nessel,  alb.  Jcsrp  (siehe  dies  unter  Hanf)  ver- 
glichen  werden.  Der  behauptete  Bedeutungsiibergang  lasst  sieh  daher  auf 
idg.  Boden,  wenn  man  von  dem  secundaren  lat.  tilia  Linde,  frz.  teiller  Hanf 
brechen  absieht,  tiberhaupt  nicht  nachweisen.  Nieht  als  ob  er  an  sich  nicht 
denkbar  ware  —  auf  finnischem  Gebiet  ist  er  thatsachlich  zu  belegen  (vgl. 
Ahlqvist,  Kulturw.  in  den  westf .  Sprachen  S.  43)  — ;  aber  in  den  idg.  Sprachen,. 
soweit  wir  sie  verfolgen  konnen,  lag  keine  Veranlassung  ftir  ihn  vor  aus  dem 
einfachen  Grunde,  weil  schon  in  vorhistorischer  Zeit  sich  eine  feste  Bezeichnung^ 
fur  den  Lein  gebildet  hatte.  —  Aehnlich  wie  bei  den  Lateinern  stehen  die 
Dinge  bei  den  Kelten.  Wenn  man  auch  die  Moglichkeit  einer  Entlehnung 
von  ir.  lin,  cymr.  ttin,  corn.  bret.  lin  Lein  aus  lat.  linum  zugiebt  (Stokes  Ur- 
keltischer  Sprachschatz  S.  249  halt  sie  ftir  urverwandt  mit  dem  lat.  Wort), 
so  bleiben  doch  noch  cymr.  lliain.  corn.  bret.  lien  Leinen,  ir.  le'ne,  gen.  lened, 
n.  pi.  lenti  ,camisia;  tibrig.  Die  Grundform  der  letztgenannten  Sippe  erblickt 
Rhys  Revue  celtique  VII,  241  in  *li-s-an,  das  bei  der  Uebereinstimmung  der  Be- 
deutungen  von  griech.  Xl-t-,  ),t-vov,  li-num  (welche  letzteren  Rhys  auf  *li-s-no-n 
zurtickfiihren  mochte)  zu  trennen  zum  mindesten  gewaltsam  erscheinen  muss. 
Eine  andere  Erklarung  fur  ir.  lene  schlagt  freilich  Strachan,  The  compensatory 
lengthening  of  vowels  in  Irish  p.  3  vor  (:  lacerna,  lacinia).  —  Auf  germa- 
nischem  Boden  war  schon  in  der  Urzeit  eine  gemeinschaftliche  Ableitung 
von  lin-  vorhanden:  (goth.  *lein-jd},  ags.  line,  altn.  Una,  ahd.  Una  Leine, 
aus  Lein  verfertigt  (griech.  Xtveo?  leinen,  Xtvoua  Strick).  Vgl.  Kluge,  Et. 
W.6  unter  Leine.  Fiir  das  hohe  Alter  der  Flachsindustrie  bei  den  Ger- 
manen  spricht  auch  der  Umstand,  dass  das  spatlat.  camisia  (oben  S.  176)  im 
Germanischen  (ahd.  hamidi),  nicht  im  Keltischen  wurzelt,  durch  dessen  Ver- 
mittlung  das  Wort  vielleicht  erst  zu  den  Romanen  gedrungen  ist  (vgl.  Kluge, 
Et.  W.°  unter  Hemd,  Thurneysen,  Keltoromanisches  S.  51).  Dasselbe  ist, 
wie  ich  in  meinem  Reallexikon  u.  Hose  gezeigt  habe,  bei  altgall.  braca 
(ahd.  bruoh  etc.)  der  Fall.  —  Litauisch  Vinas  und  slavisch  linu  konnen  zur 
Entscheidung  nichts  beitragen ;  doch  sei  erwahnt,  dass  ein  gemeinslavischer 
Name  fur  die  Leinwand  (altsl.  plaiino,  nach  Stokes  a.  a.  O.  S.  255  im  Irischen 
wiederkehrend,  vgl.  ir.  dia  loit  find  zwei  weisse  Mantel)  besteht.  --  Zu- 
sammenfassend  betonen  wir  also  die  hohe  Wahrscheinlichkeit, 
dass  schon  in  vorhistorischer  Zeit  in  den  Sprachen  der  europa- 
ischen  Indogermanen  Ableitungen  von^einer  Wurzel  //  (scrt,  II 


Der  Flachs.  187 


sich  anschmiegen,  li-na-s  anliegend,  vgl.  auch  griech.  Xstoc  glatt) 
vorhanden  waren,  welehe  Flachs  und  primitive  Gewebe  (vgl. 
Anm.  20)  a  us  Flachs  bezeichneten.  Sehr  wohl  mo'glich  ist,  dass  dieser 
urverwandte  Kern  dann  spater  durch  zahlreiche  Entlehnungen,  die  mit 
verbesserten  Arten  des  Gespinnstes  wanderten,  zugleich  erweitert  und  ver- 
dunkelt  wurde. 

Nach  alledem  sind  wir  der  Meinung,  dass  die  Indogermanen  Europas 
sich  mit  der  Kenntniss  des  Flachsbaus  und  einer  primitiven  Linnenindustrie 
ausgeriistet  in  Europa  verbreitet  haben.  Die  jetzt  allgemein  anerkannte  That- 
sache  (vgl.  auch  Buschan  Vorgesch.  Botanik  S.  234 ff.),  dass  der  in  den  mittel- 
europaischen  Mederlassungen  der  Steinzeit  angebaute  Flachs  das  linum  angusti- 
f oil  am  (nicht  das  heutige  1.  usitatissimuni)  war,  erklart  sich  also  wohl  nicht  mit 
Hehn  (Anm.  52)  aus  einem  verhaltnissmassig  spaten  Vordringen  der  Flachskultur 
aus  dem  Stiden  nach  dem  Norden,  sondern  daraus,  dass  die  Indogermanen 
diese  Flachsart  aus  ihren  Kleinasien,  Thracien  und  Macedonien  (vgl.  oben  S.  184} 
benachbarten  Stammsitzen,  in  denen  sie  zum  Ackerbau  iibergegangen  wareii 
(vgl.  oben  S.  64),  mitbrachten. 

Storend  ist  bei  dieser  Ansicht  nur  der  Umstand,  dass  bis  jetzt  jede- 
Spur  des  Flachses  und  seiner  Verarbeitung  in  der  skandinavischen  Steinzeit, 
die  ethnisch  doch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf  germanischer  Grund- 
lage  ruht,  fehlt.  Indessen  darf  man  nicht  vergessen,  dass  erst  iin  Jahre  1894 
(vgl.  S.  Mtiller  Nordische  Altertumskunde  I,  205)  durch  unzweifelhaft  nach- 
gewiesene  Getreidekorner  der  Beweis  erbracht  wurde,  dass  auch  im  Norden 
ein  Landbau  ahnlichen  Umfangs  wie  im  tibrigen  neolithischen  Europa  be- 
trieben  wurde.  Jeder  neue  Fund  kann  hier  also  diese  Lticke  ausfullen. 

Wann  in  Europa  das  ursprtinglich  angebaute  I.  angustifolium  durch  das 
heutige  linum  usitatissimum  verdrangt  wurde,  scheint  nicht  bekannt  zu  sein. 

Dass  die  Griechen  spater  auch  auf  dem  Gebiete  der  Flachsindustrie  in 
ihrem  an  dem  Rohmaterial  armen  Lande  bald  unter  den  vollen  Einfluss  des 
Orients  geriethen,  bleibt  natiirlich  bestehen.  Zu  den  schon  oben  (S.  164)  an- 
gefuhrten  sprachlichen  Belegen  hierfiir  kommt  vielleicht  noch  das  homerische 
'fapoc,  das  Studniczka  (a.  a.  O.  S.  89  ff.)  zusammen  mit  lat.  supparus  (vgl.  sub- 
serious)  aus  dem  Aegyptischen,  Helbig  (Homerisches  Epos'2  S.  195)  nach 
S.  Fraenkel  aus  dem  Semitischen  ableitet.  Vgl.  noch  aus  spaterer  Zeit  griech. 
(joaooc;  aus  hebr.  bus  und  griech.  cpouoacuv  grobe  I>einwand  —  kopt.  cpo»x  (hierogL 
pg,  pJc).  Dazu  0.  Schrader,  Handelsgeschichte  und  Waarenkunde  I,  191ff. 
(hier  auch  iiber  otvScuv).  Fiir  den  Zusammenhang  zwischen  den  semitischen 
Landern  und  Aegypten  auf  dem  Gebiet  der  Linnenindustrie  von  Bedeutung 
sind  die  Gleichungen  hebr.  pheset  (pun.  <potot  =  fist  in  Cspa-^poiot  Diosc.,  vgl. 
Low,  Aram.  Pflanzennamen  S.  233,  406)  =  agypt.  pest  Flachs  (Brugsch,  Wb. 
Nachtrag  S.  489,  Ermann,  Z.  d.  D.  M.  G.  46,  111)  und  hebr.  ses  =  agypt.  ss, 
sin  ss,  konigliches  ses  (Brugsch).  Doch  ist  hervorzuheben,  dass  tiber  die 
meisten  der  hier  genannten  Worter,  wie  auch  tiber  andere  in  dieses  Gebiet 
einschlagende,  die  Ansichten  der  Sachverstandigen  noch  weit  auseinandergehen. 
Eine  vorzugliche  Uebersicht  tiber  die  hier  in  Frage  kommende  Litteratur  giebt 
MussArnolt,  Transactions  of  the  American  Phil.  Association  XXIII,  On  Semitic 
words  in  Greek  and  Latin.  Cap.  V :  Clothing  and  ornaments  (vgl.  dazu  auch 
H.  Lewy  Die  semit.  Fremdw.  im  Griechischen  S.  82 ff.).  Dass  Linnen  auch 


188  Der  Flachs. 

unter  den  Funden  der  mykenischen  Periode  vorkommt  (vgl.  Schliemann,  Myc. 
S.  265,  Studniczka,  Mitth.   cl.  Inst.  1887   S.  21  ff.),  1st  nicht  verwunderlich.  - 
Ein  etymologisch  noch  nicht  aufgeklartes  Wort  1st  das  deutsche  Segel  (oben 
S.  179).     Seine  verschiedenen  Deutungen  sind  in  meinem  Reallexikon  u.  Segel 
und  Mast  zusammengestellt  worden. 


Der  Zwillingsbruder  des  Flachses,  der  Hanf,  Cannabis  sativa, 
gehort  doch  einer  anderen  Familie  an,  der  der  Urticeen,  und  hat 
sich  auf  anderen  Wegen  und  viel  spater  iiber  die  Welt  verbreitet. 
Die  Aegypter  kannten  ihn  nicht  — •  in  der  Umhlillung  der  Mumien 
hat  sich  keine  Spur  von  Hanffasern  gefunden,  -  -  ebenso  wenig  die 
Phonizier  53) ,  und  auch  das  Alte  Testament  erwahnt  seiner  nirgends. 
Dass  die  Pflanze  zu  Herodots  Zeiten  in  Griechenland  unbekannt 
war,  geht  aus  der  schon  oben  angefiihrten  Stelle  dieses  Geschichts- 
.schreibers  (4,  74)  hervor,  wo  er  sie  seinen  Lesern  als  eine  neue  be- 
schreibt.  Die  Skythen  aber  bauten  den  Hanf  an  und  reinigten  und 
berauschten  sich  mittelst  der  Saat;  er  war  also  bei  medopersischen 
Stammen,  gleichsam  im  Riicken  der  Vorderasiaten ,  im  Gebrauch 
und  stammte  aus  Bactrien  und  Sogdiana,  den  kaspischen  und  Aral- 
gegenden,  wo  er  noch  jetzt  mit  Ueppigkeit  wild  wachsen  soil  (Hum- 
boldt,  Ansichten  der  Natur,  3.  Ausg.,  Th.  2,  S.  64:  »der  aus  Persien 
nach  Europa  eingefiihrte  gemeine  Hant'«).  Auch  der  Gebrauch  des 
Haschisch,  d.  h.  die  Betaubung  durch  einen  Extract  aus  Cannabis 
indica  findet  ein  Analogon  schon  bei  den  Skythen  Herodots.  Hesych. 
ig'  ffxvdixbv  ^vficafna  o  xoiaviyv  £%£(,  Svva/uw  ware  Qixfid&iv 
vbv  TraQSffiwm.  Die  Thraker  webten  Kleider  aus  dieser  Pflanze, 
die  sie  diesmal  nicht  aus  Kleinasien  —  denn  sonst  ware  sie  auch 
den  Griechen  bekannt  gewesen  —  ,  sondern  von  ihren  Nachbarn  im 
Nordosten  am  Tyras  und  Borysthenes  liberkommen  batten.  Vom 
Pontus  und  aus  Thrakien  wird  denn  auch  dies  vorziigliche  Material 
zu  Seilerarbeiten  den  Griechen  zugekommen  sein,  wie  noch  heut  zu 
Tage  die  griechische  Seemacht  ihren  Hanfbedarf  aus  Russland  bezieht. 
Unter  dem  unveranderten  Namen  cannabis,  cannabus  wanderte  das 
Gewachs  in  verhaltnissmassig  spater  Zeit  auch  nach  Sicilien  und 
Italien.  Als  Hiero  II.  von  Syrakus  sein  bei  Athenaus  5,  p.  206  be- 
schriebenes  ungeheures  Prachtschiff  baute,  zu  dem  er  von  alien 
Landern  je  das  Beste  in  seiner  Art  kommen  Hess,  wurden  Hanf 
und  Pech  vom  Flusse  Rhodanus  in  Gallien  bezogen.  Dort  also  ge- 
dieh  er  besonders  -  -  war  er  von  Italien  aus  dahin  verpflanzt  oder 
langs  der  grossen  keltischen  Volkerkette,  die  damals  schon  von 


Der  Hanf.  189 

Gallien  bis  Pannonien  und  an  den  Hanms  reichte,  so  weit  vor- 
gedrungen?  -  -  Von  den  romischen  Schriftstellern  1st  cler  Satiriker 
Lucilius  uni  100  vor  Chr.  der  alteste,  cler  des  Hanfes  Erwahnung 
thut  (Festus  p.  356  Miiller:  vidimus  vinctum  thomice  canndbina,  mit 
einem  hanfenen  Strick).  Cato  nennt  weder  Flachs  noch  Hanf;  das 
seit  dem  zweiten  punischen  Kriege  aufgekommene  spanische  Spartum, 
stipa  tenacissima,  schrankte  den  Hanf  ein,  der  nicht  oft  genannt  und 
also  wohl  auch  sparsam  angebaut  ward.  An  einzelnen  fruchtbaren 
Stellen  indess  gedieh  er  uppig,  so  in  dem  beriihmten  Landstrich  um 
Reate  im  Sabinerlande,  wo  er  Baumeshohe  erreichte,  Plin.  19,  174: 
rosea  agri  Sabini  arborum  altitudinem  aequat.  Der  griechisch-romische 
Name  fur  die  Pflanze,  der  urspriinglich  medisch  gewesen  sein  wird, 
aber  auch  in  der  Sprache  der  alten  Inder  vorkommt 54) ,  geht  zum 
Beweise  ihrer  Herkunft  unverandert  durch  alle  europaischen  Spracheu, 
im  Deutschen  lautverschoben ,  ahd.  hanaf,  ags.  hdnep,  altn.  hanpr. 
Auch  die  deutschen  Benennungen  des  mannlichen  und  weiblichen 
Hanfes,  Fimmel  und  Maschel,  sind  lateinischen  oder  italienischen 
Ursprungs,  Fimmel  =  femella,  Maschel  =  masculus,  freilich  mit  um- 
gekehrter  Aiiwendung,  denn  der  Fimmel  ist  gerade  der  mannliche 
Hanf,  der  aber,  weil  er  kiirzer  und  schwacher  ist,  in  der  Vorstellung 
des  Volkes  als  der  weibliche  erschien.  Jetzt  ist  der  Hanf  durch  ganz 
Europa  ausgebreitet  und  spottet  so  sehr  aller  klimatischen  Unter- 
schiede,  dass  Ostindien  und  die  russischen  Hafen  an  der  Ostsee,  ja 
Archangel  in  der  Nahe  des  Polarkreises  in  Betreff  dieses  Produktes 
in  den  englischen  Markt  sich  theilen.  Im  heutigen  Italien  sind  die 
Gegenden  siidlich  vom  unteren  Po  ein  reicher  Kulturbezirk  fiir  diese 
Pflanze,  in  welchem  sie  oft  doppelte  Manneshohe  erreicht;  die  Ernte 
wird  theils  im  Lande  selbst  zu  Tauen  und  Segeltuch  verarbeitet, 
theils  liber  das  adriatische  Meer  ins  Ausland  verschifft.  Der  Betrieb 
auf  Saat,  der  in  Russland,  wo  wahrend  der  langen  und  strengen 
griechischen  Fasten  das  Hanf 61  allgemein  zur  Nahrung  dient,  eine 
Hauptstelle  einnimmt,  ist  im  Siiden  nicht  gewohnlich.  Wir  bemerken 
noch,  dass  der  auf  europaischen  Markten  unter  dem  Namen  Kanton- 
hanf  oder  Manillahanf  bekannte  Faserstoff  kein  wirklicher  Hanf 
ist,  sondern  aus  dem  Schaft  einer  tropischen  Pflanze,  einer  Art  Ba- 
nane,  gewonnen  wird ;  er  soil  viel  biegsamer,  elastischer  und  leichter 
sein,  als  der  gemeine  Hanf,  ferner  auf  dem  Wasser  schwimmen  und 
im  nassen  Zustand,  auf  Reisen  in  den  nordlichen  Gegenden,  nicht 
gefrieren,  s.  J.  W.  von  Miiller,  Reisen  in  Mexico,  I.  218  und  Jagor, 
Reisen  in  den  Philippinen,  S.  245  if. 


190  Der  Hanf. 

*  Der  Hanf,  Cannabis  saliva  L.,  findet  sich  sicher  wild  siidlich  vom  Kas- 
pischen  Meer  in  Siimpfen  und  bei  Lenkoran,  sowie  Lei  Astarte  (Bunge  nach 
<jay  in  Bull,  de  la  soc.  bot.  de  France  1860  p.  30);  er  wird  auch  haufig  in 
TVlittel-  und  Stidrussland,  sowie  in  Sibirien  vom  Ural  bis  Dahurien  angetroffen ; 
<es  ist  somit  erklarlich,  dass  gerade  asiatische  Volkerschaf ten ,  die  Scythen 
und  die  Chinesen  den  Hanf  kultivirten,  wahrend  die  TJmwohner  des  Mittel- 
meeres  Leinkultur  betrieben. 


*  *  Was  die  Verbreitung  des  Hanfes  und  seiner  Benennung  in  Europa 
betrifft,  so  konnen  die  nordeuropaischen  Namen  nicht  direkt  aus  dem  griech.- 
lat.  Y-awa^Ki-cannabis  entlehnt  sein.  Vgl.  in  dieser  Beziehnng  iiber  die  ger- 
manischen  ahd.  hanaf,  ags.  haenep,  nord.  hampr  Kluge,  Et.  W.u  unter  Hanf, 
iiber  die  slavischen  altsl.  konoplja  u.  s.  w.  Miklosich  im  Et.  W.  Es  ist  viel- 
mehr  anzunehmen,  dass  alle  die  genannten  Ausdriicke  unabhangig  von  ein- 
ander  aus  einer  gemeinsameii  Quelle  abstanimen.  Auf  diese  geht  offenbar 
auch  eine  grossere  Zahl  der  Namen  des  Hanfes  aus  ural-altaischen  und  turko- 
tatarischen  Sprachen  zuruck.  In  denselben  lasst  sich  zunachst  ein  einfaches 
*  kanna,  *  ken  unterscheiden,  das  im  ceremissischen  Icefie,  kine  vorliegt.  Hiermit 
wiirde  auch  das  indische  gana  ubereinstimmen  (vgl.  iioch  osset.  san  Anm.  17). 
Als  eine  Erweiterung  von  oder  Zusammensetzung  mit  diesem  *  kanna  stellt 
sich  einerseits  xdwa^  dar,  das  vielleicht  auf  *y.awa-iuc  zuruckzufiihren  ist 
(vgl.  iieben  lat.  cannabis:  it.  canape,  rum.  canapa.  alb.  kan-p,  kzrp}.  Es  liegt 
nahe  bei  dem  Bestandtheil  -ret?,  -pt?  an  die  syrjanische  und  wotjakische  Be- 
nennung des  Hanfes,  eigentlich  der  Nessel  pis,  pus  (Ahlqvist,  Kulturw.  S.  43) 
zu  denken,  die  hochst  auffalliger  Weise  im  Angelsachsischen  wiederkehrt 
(cannabum  haenep  vel  pis  Wright- Wulcker,  Agl.  a.  0.  E.  Vocabularies  I,  198 1:!), 
falls  hier  nicht  eine  blosse  Verstiimmlung  aus  cannapis  anzunehmen  ist.  Vgl. 
noch  moksa-mordv.  kafdf,  ersa-mordv.  kafd.  Andererseits  scheint  das  oben 
.genannte  *kana,  *ken  auch  in  den  turko-tat.  Namen  des  Hanfes  kin-diir,  ken-dir. 
cuvasch.  kan-dyr)  vorzuliegen.  Hieraus  stammt  bulg.  kenevir  Leinwand,  magy. 
-kender  Hanf  (Miklosich,  Turk.  Elemente),  aus  lit.  kanapis  und  preuss.  konapios: 
liv.  kamp'  estn.  kanep  etc.  (Thomsen,  Beroringer  etc.  S.  177).  1m  Armenischen 
begegnet  kanap\  kanep",  kurd.  leinif,  npers.  kanab.  »Woher«,  fragt  Hiibschmann 
Arm.  Gr.  I,  S.  165,  »stammt  das  armenische  Wort  zunachst«?  -  -  Einen 
ganz  anderen,  aber  schwerlich  richtigen  Weg  schlagt  zur  Erklarung  von 
^griech.  v.awa^tc  W.  Tomaschek,  Die  alten  Thraker  (Wiener  Sitzungsberichte 
130)  S.  13  ein.  Nach  ihm  gehOre  das  Wort  ursprunglich  der  Handelssprache 
der  Rarer  und  Phoenicier  an,  die  den  Stoff  aus  dem  Norden  bezogen  batten. 
Seine  Bezeichnung  konne  von  xotvva,  hebr.  kanndh,  assyr.  kanu  Eohr,  Geiiecht 
nicht  getrennt  werden.  —  In  Europa  ist  aus  alten  Pflanzenglossaren  (vgl. 
G.  Goetz  Thesaurus  I,  S.  174)  noch  eine  hochst  merkwiirdige  Bezeichnung 
unserer  Pflanze  in  lat.  agrius,  agre  zu  nennen,  die  eigentlich  ,,wild"  (griech. 
aYptoc)  bedeutet.  »Sollte  dies«,  meint  v.  Fischer-Benzon  Altdeutsche  Gartenflora 
S.  88,  »daher  kommen  konnen,  dass  der  Hanf  auf  wiisten  Platzen  gesat  M^urde, 
ahnlich  wie  friiher  der  Flachs  in  Mecklenburg,  der  sich  mit  den  Handera  der 
JDorfstrassen  und  Wege  begniigen  musste«?  Ueberhaupt  sei  der  Hanf  in 


Lauch.     Zwiebeln. 

Deutschland  selten  gebaut  worden,  doch  batten  sich  in  den  Garten  von  Fischern 
und  Landleuten  friihzeitig  grossere  mit  Hanf  bestellte  Beete  gefunden,  von 
•denen  man  die  hauslichen  Bedurfnisse  an  Hanffasern  befriedigt  habe. 

Die  aus  dem  Bisherigen  hervorgehende  Jugend  des  Hanfes  in  Europa 
bestatigt  sich  auch  auf  archaologischem  Weg. 

In  den  Schweizer  Pfahlbauten  fehlt  er  ebenso  wie  in  denen  der  Poebne 
(Christ  in  Rutimeyers  Fauna  der  Pfahlbauten  S.  226,  Kellers  Berichte  VII,  65) 
vollig.  Nach  G.  Buschan  Vorgesch.  Botanik  S.  116  sei  er  in  dem  ganzen 
mittleren  und  westlichen  Europa  zur  jiingeren  Stein-  und  Bronzezeit  und  auch 
wohl  noch  zur  Eisenzeit  unbekannt  gewesen. 


Lauch.  Zwiebeln. 

Neben  den  Nahrungspnanzen  und  dem  Fleisch  und  der  Milch 
<ler  Jagd-  und  der  gezahmten  Thiere  griffen  schon.die  Urvolker  mit 
Begierde  nach  anregenden  Gewiirzen,  unter  denen  das  Salz  bis  auf 
den  heutigen  Tag  die  erste  Stelle  einnimmt.  Das  Pflanzenreich  bot 
mancherlei  scharfe,  beissende  Safte,  auf  deren  Entdeckung  der  Zufall 
fiihrte  und  die  dann  auf  den  Bergen  eifrig  gesucht  wurden.  Je  nach 
ursprunglicher  Anlage  und  dem  Grade  der  Bildung  wirkten  solche 
Heizmittel  freilich  sehr  verschieden  auf  die  feineren  oder  roheren 
oder  auch  nur  anders  organisirten  Geschmacksnerven  der  sich  fol- 
genden  Menschengeschlechter.  Das  Silphium,  das  die  alteren  Griechen 
fur  die  kostlichste  Beigabe  jeder  Speise  hielten,  gerieth  spater  in 
Vergessenheit,  angeblich  weil  es  nicht  mehr  aufzutreiben  war,  in  der 
That,  wie  wir  glauben,  weil  sich  der  Geschmack  veranderte;  denn 
bei  starker  Nachfrage  ware  es  entweder  mehr  im  Innern  Afrikas 
noch  zu  finden  gewesen  oder,  wenn  die  Pflanze  endemisch  war,  im 
Gebiet  von  Gyrene  durch  Anbau  kiinstlich  erzeugt  worden.  Das 
laserpitium,  das  die  Romer  Jahrhunderte  nachher  fur  einerlei  mit 
dem  griechischen  Silphium  hielten  und  aus  Asien  bezogen  —  ob- 
gleich  nachbildende  Dichter  und  alterthiimelnde  Literatoren  dabei 
Cyrene  zu  nennen  liebten  —  war  wahrscheinlich  ferula  asa  foetida, 
deren  Beimischung  die  verschlemmte  Zunge  vornehmer  Wiistlinge 
fremdartig  reizte.  Auch  den  Zwiebeln  gegeniiber  reagirt  noch  jetzt 
die  Volksempfindung  sehr  verschieden.  Dem  niedersachsischen  Ger- 
manen  ist  der  Knoblauch  des  Orientalen  ganz  unertraglich  und  der 
-Zwiebelathem  des  Russen  eine  Scheidewand,  die  keine  Gemeinschaft 
zulasst.  Ja,  man  konnte  nach  diesem  Kriterium  die  Volker  in  zwei 


192  Lauch.     Zwiebeln. 

grosse  Gruppen  theilen,  in  die  der  aZZmm-Verehrer  und  der  allium- 
Hasser,  die  nach  der  Weltgegend  zugleich  als  die  nordwestliche  und 
die  siidostliche  oder  in  Europa  als  die  des  Mittelmeeres  und  die  der 
Nord-  und  Ostsee  zu  bezeichnen  waren. 

Wenn  es  wahr  ist,  dass  die  in  Rede  stebenden  Pflanzen  ur- 
spriinglich  im  innern  Asien  zu  Hause  sind,  auf  dessen  Steppen  Bo- 
taniker  sie  wildwachsend  gefunden  haben  wollen,  dann  hat  sie  schon 
in  grauer  Vorzeit  Verkehr  und  Wanderung  nach  Siidwesten  weiter 
verbreitet,  zum  Beweise,  wie  sehr  diese  derbe  Wiirze  dem  Natur- 
nienschen  begehrenswerth  schien.  Denn  in  Aegypten,  dessen  Sitten 
sich  in  einer  Epoche  festsetzten,  als  es  vielleicht  noch  gar  keine 
Indogermanen  gab,  finden  wir  Zwiebel  und  Knoblauch  von  jeher  als 
Bestandtheile  der  allgemeinen  Volksnahrung.  Nach  den  Lauch- 
gewachsen  des  Nilthales  sehnen  sich  in  der  Wiiste  die  Israeliten 
zuriick,  Num.  11,  5:  »Wir  gedenken  —  der  Pheben,  Lauch  (chazir), 
Zwiebeln  (bezdfari)  und  Knoblauch  (schumim).«  Beim  Bau  der  grossen 
Pyramide  des  Cheops,  so  erzahlt  Herodot  2,  125,  wurden  allein  fiir 
die  Rettig-,  Zwiebel-  und  Knoblauchkost  der  Arbeiter  1600  Talente 
Silber  aufgewandt,  wie  auf  der  Pyramide  selbst  in  agyptischen  Schrift- 
zeichen  zu  lesen  stand.  Da  die  Aegypter  alle  Dinge,  auch  das  Ein- 
zelnste  und  das  Greiflichste  der  realen  Welt  in  das  Dunkel  der  Re- 
ligion versenkten,  so  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  diese  Lieblings- 
gewachse  auch  als  heilige  und  geweihte,  als  Gotter  mit  Scheu 
verehrt  und  demgemass  von  Priestern  und  From  men  nicht  beruhrt 
wurden.  Die  Aegypter,  sagt  Plinius,  schworen  unter  Anrufung  des 
Knoblauchs  und  der  Zwiebel,  19,  101:  Alium  cepasque  inter  deos  in 
jure  jurando  hdbet  Aegyptus.  Juvenal  spottet  dariiber,  dass  auf  solche 
Art  die  Gotter  der  Aegypter  im  Kiichengarten  wiichsen,  15,  9 : 

Porrum  et  caepe  nefas  molar  &  ac  f rang  ere  morsu. 
O  sanctas  gentes,  quibus  haec  nascuntur  in  hortis 
Numina! 

wahrend  der  Christ  Prudentius  dariiber  entrustet  ist,  contra  Symmach. 
2,  865: 

Sunt  qui  quadriviis  brevioribus  ire  parati 
Vilia  Niliacis  venerantur  oluscula  in  hortis, 
Porrum  et  cepe  Deos  inponere  nubibus  ausi, 
Alliaque  et  Serapin  caeli  super  astro,  locare. 

und  Peristeph.  10,  259: 

Adpone  porris  religiosas  arulas, 
Venerare  acerbum  cepe,  mordax  allium. 


Lauch.     Zwiebeln.  193 

Fur  die  Enthaltung  der  Priester  vom  Zwiebelgenuss  fiihrt  Plutarch 
deren  eigene  Erklarung  an,  es  geschehe,  well  diese  Pflanze  nur  bei 
abnehmendem  Mond  wachse,  sucht  aber  seine  eigenen  verniinftigen 
Grimde  geltend  zii  rnachen:  in  der  That  schicke  sich  die  Zwiebel 
weder  fur  fastende  Blisser,  noch  fur  die,  die  frohliche  Feste  begehen; 
den  ersteren  wecke  sie  Begierden,  den  anderen  locke  sie  Thranen 
ins  Auge  (de  Is.  et  Osir.  8).  An  einer  anderen  Stelle  hat  Plutarch, 
wie  wir  aus  Gellius  ersehen,  unter  Anfiihrung  desselben  astro-phyto- 
logischen  Motivs  die  Scheu  gegen  die  Zwiebel  auf  die  Priesterschaft 
von  Pelusium,  also  auf  den  Lokalkultus  der  den  semitischen  und 
philistaischen  Landen  zunachst  gelegenen  und  mit  diesen  durch 
Handel  und  Verkehr  eng  verbundenen  Stadt  beschrankt,  20,  8:  quod 
apud  Plutarchum  in  quarto  in  Hesiodum  commentario  legi:  »cepe 
turn,  revirescit  et  congerminat  decedente  luna,  contra  autem  inarescit 
adulescente.  Earn  causam  esse  dicunt  sacer dotes  Aegyptii,  cur 
Pelusiotae  cepe  non  edant,  quia  solum  olerum  omnium  contra  lunae 
augmenta  atque  damna  vices  minuendi  et  augendi  hcibeat  contrarias 
—  und  dies  wird  durch  Lucian  bestatigt  (Jup.  Tragoed.  42),  wahrend 
wir  noch  naher  durch  Sextus  Empiricus  erfahren,  dass  es  der  Dienst 
des  Zeus  Kasios  bei  Pelusium  war,  der  die  Zwiebel  ausschloss,  wie 
der  d*er  libyschen  Aphrodite  den  Knoblauch  (Pyrrh.  hypot.  3,  24, 
p.  184).  —  In  deni  nahen  Philistaa  wird  Zwiebelbau  und  also 
Zwiebelverbrauch  durch  die  beriihmte  Zwiebel  von  Ascalon  verbiirgt, 
die  schon  Theophrast,  h.  pi.  7,  4,  7.  8,  beschreibt  und  nach  der 
bis  auf  den  heutigen  Tag  die  Schalotte,  echalotte,  scalogno  (in 
Deutschland  vorn  Volksmunde  zu  Aschlauch,  Eschlauch  germanisirt) 
benannt  ist.  Die  kretische  Zwiebel  war  der  askalonischen  ahnlich 
oder  mit  ihr  eins  und  dasselbe  (Theophr.  1.  1.  9.)  —  hatten  die 
Philister  diese  Zwiebel  auf  ihren  friihen  Wanderungen  und  Seeztigen 
von  einer  Kuste  zur  anderen  gebracht?  Wie  die  libysche  Aphrodite 
schloss  auch  die  Mutter  der  Gotter  den  Knoblauchesser  von  ihrem 
Tempel  aus.  Denn  als  der  witzige  und  gottlose  Philosoph  Stilpo 
einst  sich  mit  Knoblauch  gesattigt  und  dann  in  dem  genannten 
Heiligthum  sich  zum  Schlaf  niedergelegt  hatte,  erschien  ihm  die 
Gottin  im  Traum  und  sagte:  du  bist  doch  ein  Philosoph  und  scheust 
dich  nicht,  das  Gesetz  zu  iibertreten?  Worauf  er  antwortete:  Gieb 
mir  was  Anderes  zu  essen  und  ich  will  mich  des  Knoblauchs  ent- 
halten  (Athen.  10  p.  232).  -  -  Die  Israeliten,  seit  sie  im  Wiisten- 
sande  sich  des  agyptischen  Knoblauchs  wehmiithig  erinnerten,  blieben 
alle  Zeit  unerschutterliche  Freunde  desselben,  sowohl  vor  als  nach 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  13 


194  (  Lauch.     Zwiebeln. 

der  Zerstorung  Jerusalems,  wie  einst  daheim  in  Palastina,  so  in  der 
Diaspora  unter  der  Herrschaft  des  Talmuds  und  der  Rabbinen. 
Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Sage  von  dem  foetor  judaicus, 
wegen  dessen  die  Juden  von  alien  Nationen  alter  und  neuer  Zeit 
verhohnt  und  zuriickgestossen  wurden,  von  dem  unter  ihnen  allgemein 
verbreiteten  Genusse  dieses  streng  riechenden  Gewiirzes  zu  allererst 
herriihrte.  Ein  komischer  Zug,  den  Ammianus  Marcellinus  aus  dem 
Leben  des  Marcus  Aurelius  erzahlt,  beweist,  dass  schon  damals  die 
Juden  in  dem  erwahnten  bosen  Rufe  standen :  als  dieser  Kaiser,  der 
Sieger  iiber  die  Markomannen  und  Quaden,  auf  einer  Reise  nach 
Aegypten  durch  Palastina  kam,  da  wurde  ihm  Gestank  und  Larm 
der  Juden  so  lastig,  dass  er  schmerzlich  ausgerufen  haben  soil: 
o  Markomannen,  Quaden  und  Sarmaten!  habe  ich  doch  noch  schlimmere 
Leute,  als  ihr,  gefunden,  22,  5,  5:  llle  enim  cum  Palaestinam 
transiret,  Aegyptum  petens,  foetentium  Judaeorum  et  tumultuantium 
(durch  einander  schreiend,  etwa  wie  in  den  heutigen  Borsenhallen  oder 
den  sprichwdrtlich  gewordenen  Judenschulen)  saepe  taedio  percitus 
dolenter  dicitur  exclamasse:  o  Marcomanni,  o  Quadi,  o  Sarmatae; 
tandem  olios  vobis  inertiores  inveni.  (Wenn  in  Griechenland  eine 
Abtheilung  der  Lokrer  Ozolae  d.  h.  die  Stinkenden  genannt  wurden, 
so  riihrte  dieser  Beiname  vermuthlich  nicht  von  einem  Nahrungsmittel, 
sondern  von  ihrer  Kleidung  her:  sie  trugen  in  alterthiimlicher  Weise 
Ziegenfelle  und  verbreiteten  daher,  wo  sie  erschienen,  eine  Art 
Juchtenduft.)  —  Aus  dem  Verzeichniss  taglicher  Lieferungen  an 
das  Oberkuchenmeisteramt  des  persischen  Hofes  ersehen  wir,  dass 
der  Verbrauch  von  Knoblauch  und  Zwiebeln  an  der  Tafel  des  grossen 
Konigs  und  seines  Gesindes  kein  unbedeutender  war:  ausser  Kiimmel, 
Silphium  u.  s.  w.  ist  als  tagliches  Bediirfniss  ein  Talent  Gewicht 
Knoblauch,  ein  halbes  Talent  Zwiebeln,  letztere  von  der  scharfen 
Art,  angesetzt  (Polyaen.  Strat.  4,  3,  32).  Das  hohe  Alter  der 
Zwiebel  wird  dann  weiter  durch  Homer  bestatigt,  der  diese  Pflanze 
bereits  unter  dem  Namen  xftofwov  kennt,  und  zwar  sowohl  in  der 
Ilias  als  in  der  Odyssee.  In  der  ersten  heisst  die  Zwiebel  11,  630, 
nor$  oipov,  Beiessen  zum  Mischtrank,  den  die  schonlockige 
Hekamede  dem  durstig  aus  der  Schlacht  heimgekehrten  Nestor  be- 
reitet,  in  der  andern,  19,  232,  tragt  Odysseus  eine  glanzende 
Tunika,  fein  wie  das  Hautchen  um  die  trockene  Zwiebel.  Ebenso 
alt  oder  noch  alter  als  diese  homerischen  Stellen  ist  moglicher  Weise 
der  Name  der  einst  megarischen,  spater  korinthischen  Ortschaft 
der  offenbar  von  der  dort  angebauten  Zwiebel 


Lauch.     Zwiebeln.  195 

abgeleitet  1st.  Megaris  war  auch  in  spateren  Zeiten  wegen  des  in 
der  Landschaft  wachsenden  und  von  den  Bewohnern  reichlich  ver- 
zehrten  Knoblauchs  beruhmt  oder  beriichtigt:  ^  Y®Q  MeyaQMri  GXOQO§Q- 
(fogog,  sagt  der  Scholiast  zu  Aristoph.  Pac.  246,  —  und  megaren- 
sische  Thranen,  MeyaQewv  ddxQva,  nannte  ein  Sprichwort  (bei  Suidas 
und  Hesychius)  erheuchelte  oder  Krokodilsthranen,  wie  derjenige 
vergiesst,  der  eine  aufgeschnittene  Zwiebel  anblickt.  In  der  altesten 
Zeit,  ehe  das  Landchen  ionisch  und  spater  dorisch  wurde,  war  es 
von  Karern  und  spater  Lelegern  besetzt  oder  heimgesucht  gewesen, 
und  schon  damals  konnten  von  diesen  schwarmenden  Ankommlingen 
orientalische  attmm-Avten  eingefiihrt  worden  sein.  Aus  dem  Namen 
des  mythischen  Stifters  der  Stadt,  des  Kromos,  des  Sohnes  des 
Poseidon  (bei  Pausan.  2,  1,  3),  lasst  sich  auf  eine  kurzere  Urform 
des  griechischen  Wortes  fur  Zwiebel  schliessen,  welches  mit  dem 
von  der  Schweiz  bis  nach  Skandinavien  hin  verbreiteten  Ramser, 
Ramsel,  Rams  (Schmeller  3,92),  AUiumursinumL.,  wilderKnoblauch, 
Allermannsharnisch,  Siegwurz,  angelsachsisch  hramsa,  englisch  ramsenj 
ramson,  buckrams,  irisch  cream/fc,litauisch&mm^£0,polnisch  trzemcha, 
trzemucha,  russisch  ceremsa,  ceremica,  ceremucka  zusammengestellt 
werden  darf.  —  Lateinisch  cepe,  caepa  hat  offenbar  sein  Analogon 
in  dem  von  Hesychius  aufbewahrten  arkadischen  xdma  fiir  Knoblauch 
(xdrua*  TO.  Gxogoda.  KsQvvrjTCu),  die  Annahme  aber,  dass  in  dem 
Worte  der  Begriff  Kopf  liege,  caepa  capitata,  xeyahwiov,  xscfa^oQQ^a 
haufig  bei  Theophrast  -  -  diese  Annahme  fiihrt  in  eine  feme  Sprach- 
periode  hinaus,  wo  caput  und  xf(pa^  ihre  Suffixe  noch  nicht  ent- 
wickelt  hatten.  Und  dennoch  reichen  die  letzteren  noch  in  die  Zeit 
der  europaischen  Volkergemeinschaft  hinauf :  caput  stimmt  genau  zu 
dem  altnordischen  hofuth  fiir  hafuth  (das  gothische  haubith  zeigt  schon 
eine  Ausartung),  xeyahr]  zu  dem  angelsachsischen  hafela,  heafola  (wo 
die  Aspiration  im  griechischen  Wort  wohl  dem  folgenden  I  ihr 
Dasein  verdankt).  Da  indess,  wie  sich  hieraus  ergiebt,  die  Suffixe 
noch  schwankten,  so  mochte  zu  derselben  Zeit  auch  das  unbekleidete 
Wort  bei  einzelnen  Wanderstammen,  die  das  Alterthumliche  be- 
wahrten,  noch  fortdauern  und,  als  der  Kopflauch  oder  die  Zwiebel 
vom  Orient  kam,  auf  diese  angewandt  worden  sein.  Die  von  Po- 
lybius  12,  6  berichtete  Ursprungssage  der  italischen  Lokrer  zeigt 
deutlich,  dass  unter  ihnen  xeyahrj  auch  den  Kopf  der  Zwiebel  be- 
deuten  konnte.  Als  sie  zu  allererst  in  Italien  gelandet  waren,  gaben 
sie  den  Ureinwohnern,  den  Siculern,  das  eidliche  Versprechen,  in 
Frieden  und  Freundschaft  mit  ihnen  das  Land  gemeinsam  zu  be- 

13* 


196  Lauch.     Zwiebeln. 

•  ,*• 

sitzen,  so  lange  sie  diese  Erde  betreten  und  ihre  Kopfe  auf  den 
Schultern  tragen  wiirden.  Sie  batten  aber  Erde  in  ibre  Schuhe 
gescbiittet  und  trugen  Zwiebelkopfe,  axogodwv  xscpahdg,  heimlicb  unter 
den  Kleidern  auf  den  Scbultern;  nachdem  sie  sicb  beider  entledigt, 
waren  sie  frei  vom  Schwur  und  nahmen  das  Land  fur  sich  allein 
in  Besitz.  Und  daher  kam  das  Spricbwort  AOXQWV  tn/Vvfywa65). 
Auch  lateiniscb  wird  in  dem  Zwiegesprach  des  Konigs  Numa  mit 
dem  Himmelsgotte  bei  Ov.  Fast.  3,  339  eaput  und  eepa  als  gleich- 
bedeutend  vorausgesetzt : 

Caede  caput,  dixit.     Cui  rex,  parebimus,  inquit, 
Caedenda  est  hortis  eruta  cepa  meis. 

Das  griechische  dxoQodov,  oxogdov,  ist  als  »ubel  machend«  erklart 
und  mit  dem  slavischen  skar^du  verglichen  worden  (Fick2  S.  204); 
die  lateinischen  Namen  alium,  allium  und  ulpicum  (scbon  bei  Plautus 
und  Cato)  wissen  wir  nicbt  zu  deuten  —  oder  sollte  in  dem  erstern, 
worauf  das  griecbiscbe  ayfog  fiihrt,  ein  assimilirter  g-  oder  c-Laut 
stecken?  IlQaaov  hiess  urspriinglicb,  wie  das  hebraische  chazir,  Kraut, 
Gemiise  iiberhaupt;  das  davon  abgeleitete  TiQaaid  Gartenbeet  branch t 
schon  der  Dichter,  der  in  der  Odyssee  die  Garten  des  Alcinous  be- 
schrieb,  und  giebt  ihm  das  Beiwort  xoafjirpog  d.  h.  durch  Kultur 
geschaffen,  Vernunft  und  Zweck  offen  an  sich  tragend ;  ein  attischer 
Demos  hiess  IlQaaiaC,  ebenso  eine  lakonische  Stadt;  in  der  Bedeutung 
Lauch  ging  das  Wort  zu  den  Lateiriern  iiber,  in  deren  Munde  es 
p  or  rum  lautete,  und  in  weit  spaterer  Zeit  in  der  Form  prasu,  prazu 
zu  den  Slaven.  Der  durch  Herodot  beriihmte  See  Prasias  tragt 
seinen  Namen  wohl  eben  daher,  woher  in  derselben  Gegend  der  von 
Aeschylos  und  Thucydides  Bohpij  genannte  See  so  hiess,  namlich 
von  einer  am  Ufer  wachsenden  Zwiebelart,  vielleicht  der  sogenannten 
Meerzwiebel,  scilla  maritima.  Unter  den  andern  griechischen  Be- 
nennungen  xldahov  (bei  Hesychius),  ayhg,  yshylg,  at  yehysig,  ysh- 
yt,6ovcfd-(u  (bei  Theophrast),  Gen.  yehyldog,  yshyldvg,  pohfiog,  Gxttha, 
ytf&vov,  yfaiov,  yr]9vhMg  (schon  bei  Epicharmus)  -  nimmt  die 
letzte,  y^^-yAAtg,  ein  besonderes  Interesse  in  Anspruch,  weil  sich  ein 
religioser  Brauch  an  sie  kniipft  und  ihr  daher  ein  relatives  Alter 
verbiirgt.  Am  Fest  der  Theoxenien  in  Delphi  namlich,  das  als  eine 
Bewirthung  sammtlicher  Gotter  durch  Apollo  gedacht  war,  erhielt 
derjenige,  der  die  grosste  y^v^KCg,  Lauchzwiebel,  mitbrachte,  einen 
Antheil  von  dem  Opf erschmause :  der  Grund  war,  weil  Leto,  da  sie 
mit  ihrem  Sohn  schwanger  ging ,  Verlangen  nach  einer  solchen 
getragen  hatte.  So  erzahlt  Polemon,  der  Perieget,  bei 


Lauch.     Zwiebeln.  197 


Athen.  9,  p.  372.  Sollte  tfj&wv,  YyfhfMfc  ein  Compositum  aus  y^ 
und  &va)  sein  konnen^  mit  der  Bedeutung  Erdrauch  (so  auch  im 
Slavischen,  woher  das  litauische  dimJcas,  eine  Zwiebelgattung),  in 
spaterer  Sprache  xdrtvtos,  fumaria?  Lateinisch  hiess  das  Wort  palla- 
cana  (nach  Plinius)  —  welches  wie  von  pattaca,  Kebsweib,  abgeleitet 
aussieht. 

Uebrigens  waren  ini  nachhomerischen  Griechenland  wie  in  Italien 
Zwiebelgewachse  die  allerbeliebteste,  iiblichste  Nahrung  des  Volkes. 
Fur  Athen  lehrt  dies  fast  jede  Scene  des  Aristophanes,  so  wie  eine 
Menge  gelegentlicher  Aeusserungen  anderer  Autoren,  Anekdoten,  die 
erziihlt  werden,  Redensarten,  die  daher  entnommen  sind  u.  s.  w. 
Mit  der  steigenden  Bildung  und  daraus  fliessenden  Milderung  der 
Sitten  und  feinern  Reizbarkeit  der  Nerven  schlug  dann  bei  den 
hoheren  Standen  die  alte  Vorliebe  in  Widerwillen  uni:  Jemandeni 
Zwiebeln  anwiinschen,  bedeutete  jetzt  nichts  Gutes,  und  Knoblauch 
geniessen  und  die  entsprechende  Atmosphare  verbreiten,  verrieth  den 
Mann  aus  dem  niedrigsten  Volke  oder  ward  als  ein  Ueberbleibsel 
aus  der  rohen,  bauerischen  Zeit  der  Vater  angesehen.  Als  der  ly- 
dische  Konig  Alyattes  den  wreisen  Bias  von  Priene  einlud,  zu  ihm 
zu  kommen,  fertigte  dieser  den  Einlader  mit  der  kurzen  Antwort 
ab  :  nach  meinem  Willen  soil  der  Konig  Zwiebeln  essen  d.  h.  Thranen 
vergiessen  (Diog.  Laert.  Bias).  Dieselbe  Sage  berichtet  Plutarch  von 
Pittakus  von  Mitylene,  dem  er  noch  eine  Erweiterung  in  den  Mund 
legt:  der  Konig  sollte  Zwiebeln  essen  und  heisses  Brot  verschlingen 
(Sept.  sap.  conviv.  10).  Dieselbe  Redensart  auch  in  Italien  :  in  den 
Eumeniden  des  Varro  hiess  es  (Riese,  M.  T.  Varronis  Sat.  Menipp. 
reliquiae,  fr.  28):  in  somnis  venit,  jubet  me  cepam  esse.  Der  home- 
rische  Branch,  den  Trunk  durch  den  Genuss  von  Zwiebeln  zu  wiirzen, 
der  sich  mehr  far  Matrosen  als  fur  Konige  zu  schicken  schien,  er- 
regte  bei  den  Spateren  Verwunderung  (Plut.  Symp.  4,  3,  8.)  Doch 
half  man  sich  mit  Unterscheidung  der  siissen  und  der  herben  Zwiebel; 
die  erstere,  noch  jetzt  im  Orient  gebrauchlich,  von  milderem  Geschmack 
und  Geruch,  kann  ohne  Unbequemlichkeit  aus  freier  Hand  genossen 
werden;  nur  die  andere,  xgofivov  djp«/ti#,  verbreitete  den  lacrimosus 
odor  und  konnte  von  Ennius  cepe  maestum,  von  Varro  und  Lucilius 
flebile  cepe,  von  letzterem  die  talla  oder  tola  (Zwiebelhiilse)  lacrimosa 
genannt  werden.  Bei  einem  komischen  Dichter  setzen  die  Athener 
den  Dioskuren  Kase,  Oliven  und  Lauch  nach  alter  Sitte  zum 
Fruhrnahl  vor  (Athen.  4,  p.  137)  -  -  und  dasselbe  wendet  Varro  in 
mehr  romischer  Weise  so,  die  Worte  der  Vorfahren  hatten  wohl  nach 


198  Lauch.     Zwiebeln. 

Knoblauch  geduftet,  um  so  edler  sei  aber  der  Hauch  ihres  Geistes 
gewesen,  bei  Non.  Marc.  3,  p.  201 :  am  et  atavi  nostri,  cum  alium  ac 
cepe  eorum  verba  olerent,  tamen  optume  animati  erant.  Schon  bei 
Plautus  ist,  wie  bei  Aristophanes,  Knoblauchgeruch  das  Zeichen  des 
Armen  und  erregt  dem  Edlen  heftigen  Ekel,  Mostell.  1,  1,  38: 

At  te  Jupiter 
Dique  omnes  perdant:  fit,  oboluisti  alium, 

worauf  spater  der  Andere  sagt: 

Tu  tibi  istos  habeas  turtures,  piscis,  avis, 
Sine  me  aliatum  fungi  fortunas  meas  — 

und  bei  Naevius  (in  Apella,  Prise.   6,  11,  p.  681)  kam  der  Vers  vor: 
ut  ilium  di  ferant,  qui  primum  holitor  cepam  protulit. 

Bekannt  ist  die  an  Macenas  gerichtete  dritte  Epode  des  Horaz,  in 
der  der  nervos  organisirte  Dichter  seinem  ganzen  Abscheu  gegen  den 
Knoblauch  halb  ernst,  halb  scherzend  Luft  macht.  Hart  ist  das 
Eingeweide  der  Schnitter,  ruft  er  aus,  —  deren  Arbeit  in  der  That 
bei  der  Sommerglut  des  Siidens  zu  den  allerschwersten  gehort,  die 
darum  viel  vertragen  konnen,  und  die  auch  bei  Vergil  sich  mit 
Knoblauch  starken,  Eel.  2,  10: 

Thestylis  et  rapido  fessis  messoribus  aestu 
Alia  serpyllumque  herbas  contundit  olentis. 

Mir  scheint  es,  fahrt  er  fort,  ein  Gift,  das  eine  bose  Hexe  mir  bei- 
gebracht  hat !  Gebt  es  kiinftig  den  Verbrechern  statt  des  Schierlings- 
bechers!  Es  versengt  mir  die  Glieder,  wie  die  Sonne  Apuliens,  wie 
das  Nessusgewand  den  Korper  des  Herkules!  Sollte  jemals,  o 
Macenas,  eine  Laune  dich  verfuhren,  von  diesem  Kraut  zu  geniessen, 
dann  mdge  die  Geliebte  deinen  Kuss  abwehren  und  fern  von  deiner 
Umarmung  an  das  unterste  Ende  des  Lagers  sich  niichten!  -  -  Der 
letztere  Gedanke:  »das  Madchen  kiisst  dich  nicht,  wenn  du  Lauch 
gegessen  hast«  (man  konnte  in  moderner  Weise  sagen:  wenn  du 
Tabak  rauchest  oder  schnupfest,  —  aber  die  heutigen  Damen  — 
rauchen  selbst!),  dieser  Gedanke  kehrt  bei  griechischen  und  romischen 
Dichtern  auch  sonst  wieder,  z.  B.  bei  Martial  1,  3,  18: 

Fila  Tarentini  graviter  redolentia  porri 
Edisti  quotiens,  oscula  clusa  dato  — 

und  in  einer  Komodie  des  Alexis  oder  Antiphanes  enthalt  sich  der 
noQVog,  wenn  er  mit  guten  Gesellen  speist,  des  Lauches,  um  dem 
Geliebten  keinen  unreinen  Athem  entgegenzubringen  (Athen.  13, 


Lauch.     Zwiebeln.  199 

p.  572).  Umgekehrt  that  Niceratus  seiner  eifersiichtigen  Frau  wegen, 
bei  Xenophon  Symp.  4,  8:  »Charmides  sagte:  Hochgeehrte  Herren, 
der  Niceratus  hier  liebt  es,  mit  einem  Zwiebelathem  nach  Hause  zu 
kommen,  damit  seine  Frau  iiberzeugt  sein  konne,  es  habe  Niemand 
es  sich  einfallen  lassen,  ihm  einen  Kuss  zu  geben.«  Auch  bei  Ari- 
stophanes Thesmoph.  493  kaut  die  ungetreue  Frau  gegen  Morgen 
Knoblauch,  um  dem  von  der  Wache  heimkehrenden  Manne  dadurch 
ihre  Unschuld  zu  beweisen. 

Nach  einer  anderen  Seite  hin  schaffte  der  durchdringende  Ge- 
ruch  und  Geschmack  der  Zwiebel  und  dem  Knoblauch  auch  aber- 
glaubische  Heilkraft,  besonders  die  Kraft,  bosen  Zauber  zu  brechen 
und  eingeflosstes  Gift  unwirksam  zu  machen.  Denn  alles  Stark- 
riechende  hat  diese  abwehrende,  das  Feindselige  erstickende  Macht, 
wie  auch  der  dampfende  Schwefel  als  xaxwv  axog  die  durch  Mord 
befleckte  Halle  reinigt.  Eine  Schrift  iiber  die  Heilkraft  der  bulbi 
wurde  auf  Pythagoras  zuriickgefiihrt,  Plin.  19,  94:  unum  de  Us  (bulbis) 
volumen  condidit  Pythagoras  philosophus,  colligens  medicas  vires,  und 
der  Knoblauch  war  Bestandtheil  vieler  Arzneien,  besonders  bei 
dem  Landvolk,  ibid.  Ill:  alium  ad  multa  ruris praecipue  medica- 
menta  prodesse  creditur.  Derselbe  Philosoph  sollte  gelehrt  haben, 
eine  an  der  Schwelle  der  Thiir  angebrachte  Meerzwiebel  wehre  dem 
Uebel  den  Eintritt,  Plin.  20,  101 :  Pythagoras  scillam  in  limine  quoque 
ianuae  suspensam  malorum  introitum  pettere  tradit,  und  auf  denselben 
Glauben  zielt  ein  Fragment  des  Aristophanes  (bei  Suidas  v.  avfowg, 
mit  Meinekes  Correctur):  TtQog  zbv  ffrgocpea  TYJS  ctvheCag  <f%wov 
xecpahrjv  xaiOQVTrsw.  Da  in  der  bei  alien  Griechen  beruhmten 
Stelle  der  Odyssey  das  Kraut  jtiaUv  —  von  den  Gottern  so  benannt, 
mit  schwarzer  Wurzel  und  milchweisser  Bliite,  den  Menschen  schwer 
zu  graben,  den  Gottern,  die  alles  konnen,  leicht  zuganglich  —  den 
Odysseus  stark  macht,  die  Kunste  der  Circe  zu  vereiteln,  so  wurden 
spater  in  den  verschiedenen  Landschaften  bald  diese  bald  jene  zu 
Gegenzauber  dienende  Krauter  und  Wurzeln  mit  dem  schon  zur  Zeit 
des  Dichters  der  Abenteuer  mit  der  Circe  nur  in  der  Gottersprache 
noch  vorhandenen,  nachher  ganz  verschollenen  Namen  fuwZv  be- 
zeichnet,  darunter  auch  die  aus  der  Gattung  allimn.  So  wuchs  in 
gewissen  Gegenden  Arkadiens,  wie  Theophrast  in  dem  fur  die  populare 
d.  h.  alteste  Heilmittellehre  iiberaus  wichtigen  15.  Kapitel  des  9.  Buches 
seiner  Pflanzengeschichte  berichtet,  ein  Kraut  juaUi;,  mit  runder 
zwiebelformiger  Wurzel,  mit  Blattern,  denen  der  Meerzwiebel  ahnlich, 
als  Gegengift  und  zur  Abwehr  von  Zauber  dienlich,  sonst  ganz  zu 


200  Lauch.     Zwiebeln. 

Homers  Worten  passend,  nur  im  Widerspruch  mit  ihnen  ganz  leicht 
zu  graben.  Im  Norden  Kleinasiens  und  in  der  Pontusgegend,  dem 
Gebiet  der  Gifte  und  Gegengifte,  der  Zauber  und  Gegenzauber,  der 
blutstillenden  und  gegen  Schlangenbiss  feienden  Wurzeln,  an  dessen 
Aberglauben  und  magischen  Verrichtungen  auch  die  Nachbarlander, 
Thessalien  und  Thrakien  auf  der  einen,  Kolchis  auf  der  andern 
Seite  Theil  nahmen,  in  dem  kleinasiatischen  Galatien  und  in 
Kappadokien  trug  die  Bergraute,  Tnrjyavov  ayQiov,  Riita  graveolens 
oder  montana  L.,  den  homerischen  Namen  ILIW&V  und  diente  ohne 
Zweifel  zu  Averruncationen  (Dioscor.  3,  46).  Diesen  Namen  batten 
die  griechischen  Ansiedler  des  Pontus  mit  ihrem  Homer  in  das  gift- 
und  zauberkundige  Land  mitgebracht,  und  in  die  kappadokische 
wie  in  die  galatische  Sprache  war  es  mit  anderen.  Gracismen  uber- 
gegangen.  Denn  wenn  aucb  [AO&V  urspriinglich  ein  Fremdling  war, 
—  dass  das  vorauszusetzende  Mutterwort  sicb  nach  so  viel  Jahr- 
hunderten  bei  den  eingewanderten  Galatern  und  den  fernen  Kappa- 
doken  lebendig  erhalten  hatte,  erscheint  uns  hundertmal  minder 
wahrscbeinlich,  als  dass,  wie  in  anderen  Fallen,  auch  hier  Homer 
die  gemeinsame  Quelle  war. 

Die  Germanen  lernten  die  eigentlicbe  Zwiebel  oder  Bo  lie  von 
Italien  aus  kennen,  wie  diese  Namen  lehren  (beide  aus  ital.  cipolla, 
die  aus  dem  spatlateinischen  cepulla).  Aber  ein  anderes  merk- 
wiirdiges  Wort  geht  nordlich  der  Alpen  quer  von  West  nach  Ost 
durch  die  drei  grossen  Racen  der  Kelten,  Germanen  und  Slaven,  in 
der  urspriinglichen  Bedeutung  herba,  herba  succulenta,  dann  in  der 
determinirten  porrum,  cepe,  attium.  Altirisch  lus,  kymrisch  Uysiau, 
cornisch  les,  herba,  porrum  (s  fur  alteres  x,  wie  dess  =  dexter, 
sess  —  sex,  ess  =  goth.  auhsa,  auhsus,  der  Ochse  u.  s.  w.);  altn. 
lauJcr,  ags.  ledc,  ahd.  louh  (also  gothisch  lauks) ;  slav.  luku,  lit.  luJcai 
plur.  Dass  hier  nicht  etwa  Urverwandtschaft,  sondern  Entlehnung 
vorliegt,  lehrt  die  gleiche  Consonantenstufe  im  Deutschen  und  Sla- 
vischen;  von  wo  aber  ging  das  Wort  aus,  und  in  welcher  Richtung 
wanderte  es?  Grimm  Gr.  2,  22  leitet  laukr  vom  gothischen  luhan 
claudere  ab  (welches  Verbnm  selbst  sich  ein  wenig  der  Analogic 
entzieht)  und  erklart:  ab  aperiendo  folia;  danach  ware  das  Wort 
bei  den  Deutschen  entstanden  und  rechts  und  links  von  Slaven  und 
Kelten  erborgt  worden  —  kulturhistorisch  wenig  glaublich.  Da  die 
Urbedeutung  herba  bei  den  Kelten  am  meisten  erhalten  geblieben, 
die  enger  fixirte  cepa,  porrum  bei  den  Slaven,  wie  es  scheint,  die 
einzige  ist;  da  die  Kelten,  wie  in  alien  Zweigen  kultivirten  Lebens, 


Lauch.     Zwiebeln.  201 

so  auch  im  Garten-  und  Gemiisebau  den  welter  ostlich  •  in  halber 
Wildheit  verbliebenen  verwandten  Stammen  um  Jahrhunderte  vor- 
ausgingen,  so  scheint  uns  der  Lauch  und  der  Name  dafiir  eher  aus 
Gallien  an  die  Ostsee,  als  vom  Ilmensee  und  oberen  Dniepr,  Gegenden, 
die  die  Slaven  noch  zu  Tacitus  Zeit  als  Rauber  durchstreiften,  zum 
Rhein  und  zu  den  Fruchtgefilden  und  Stadten  an  der  Sequana  und 
dem  Rhodanus  gekommen  zu  sein.  Das  auslautende  s  des  keltischeii 
Wortes  konnte  von  den  Deutschen  als  Nominativzeichen  empfunden 
und  als  solches  weggelassen  worden  sein.  Doch  muss  hier  Alles, 
wie  natiirlich,  nur  Vermuthung  bleiben.  Die  Alazonen  und  Kalli- 
piden  in  der  Nahe  Olbias  am  schwarzen  Meer  bauten  zu  Herodots 
Zeit,  4,  17,  xQo/u/uva  xal  ffxdgoSa,  doch  waren  diese  halbhellenisirten 
Skythen  den  nachmaligen  Slaven  raumlich  nicht  naher,  als  sie  es 
bald  den  heranziehenden  Kelten  wurden,  geistig  aber  viel  ferner. 
Bei  den  Thrakern  war  die  Zwiebel  altherkb'mmlich  und  unentbehr- 
lich,  wenn  wir  namlich  dem  Komiker  bei  Athen.  4.  p.  131,  der  die 
thrakischen  Hochzeitsgebrauche  schildert,  trauen  durfen  :  dort  er- 
halten  bei  der  Vermahlung  des  Iphikrates  mit  der  Tochter  des 
Konigs  Kotys  die  Neuvermahlten  ausser  andern  kostbaren  Geschenken 
•einen  Krug  Schnee,  einen  Keller  Hirse  und  einen  zwolf  Ellen  hohen 
Topf  Zwiebeln: 

%wvog  xe  TCQO^OVV  xey/^cov  re 
pokpwv  rs  XVTQKV 


Die  thrakischen  fiohfioi  gehorten  wohl  demselben  Kulturkreise  an, 
wie  die  xQOpva  des  Homer,  und  haben  mit  dem  des  europaischen 
Nordens  nichts  zu  thun.  Als  die  Slaven  spater  in  die  Wohnsitze 
der  Thraker  riickten,  wurden  sie  die  Erben  des  thrakischen  Hirse 
und  der  thrakischen  Zwiebel.  Im  germanischen  Norden  scheint 
der  laukr  magische  Kraft  gehabt  zu  haben,  wie  in  Kleinasien  und 
Griechenland.  Er  wird  in  den  Trank  geworfen,  um  diesen  vor  Ver- 
rath  zu  schiitzen,  Lied  von  Sigurdrifa  8  (nach  Simrocks  Ueber- 
setzung)  : 

Die  Fiillung  segne, 

Vor  Gefahr  Dich  zu  schiitzen, 

Und  lege  Lauch  in  den  Trank. 

So  weiss  ich  wohl 

Wird  dir  nimmer 

Der  Meth  mit  Meineid  gemischt. 

Als  Helgi  geboren  war  und  Sigmundr,  sein  Vater,  aus  der  Schlacht 


202  Lauch.     Zwiebeln. 

heimkehrte,  da  trug  er  edlen  Lauch  (UrlauJc),  Erstes  Lied  von  Helgi 
dem  Hundingstodter,  7 : 

Der  Konig  selbst 
Ging  aus  dem  Schlachtlarm, 
Dem  jungen  Helden 
Edlen  Lauch  zu  bringen. 

Grimm  DM2  1165  fiihrt  dazu  die  Volsungasaga  Cap.  8  an  und 
fugt  hinzu:  »es  erhellt  nicht,  ob  der  Konig  als  heimkehrender  Sieger 
Lauch  trug,  oder  weil  es  Sitte  war,  beim  Namengeben  ihn  zu  tragen.« 
Da  der  Allermannsharnisch  dem  Namen  gemass  den  Mann  beschiitzt 
und  als  Siegwurz,  dllium  victoriale,  den  Sieg  verleiht,  so  scheint  die 
erstere  Erklarung  sich  mehr  zu  empfehlen.  —  Unser  Knoblauch 
ist  verdorbene  neuere  Aussprache  fur  Kloblauch,  ahd.  ehlopolouhj. 
Movolouh,  welches  Grimm  als  gespaltenen,  zerriebenen  Lauch, 
von  klieben,  klauben,  erklart  hat;  dass  das  richtig  ist,  beweist  da& 
slavische  cesniiku,  cesmci,  welches  von  cesati  pectere,  radere  abgeleitet 
ist.  Das  angelsachsische  gdrledc,  engl.  garlick,  altirisch  gairleog 
(entlehnt),  altn.  geirlaukr  besagt  soviel  als  Spiesslauch.  Ein  in 
althochdeutschen  Glossen  vorkommendes  surio,  surro  fur  eepa,  porrumr 
und  das  litauische  swogunas  Zwiebel,  notiren  wir,  ohne  eine  Erklarung 
geben  zu  konnen.  —  Das  Gegentheil  von  Knoblauch  driickt  das 
bauerisch  lateinische  Wort  unio  bei  Columella  aus,  d.  h.  die  einfache 
einzige  Zwiebel,  aus  dem  das  franzosische  oignon  entstanden  ist  — 
denn  dass  dies  unio  nicht  lateinisch,  sondern  nur  Wiedergabe  einer 
altgallischen  Benennung  der  Zwiebel  ware,  wie  Stokes  Irish  glosses 
Nr.  862  andeutet,  kommt  uns  diesmal  weniger  wahrscheinlich  vor. 
Das  franzosische  cive,  civette,  Schnittlauch,  ist  nichts  als  das  latei- 
nische caepa. 

Im  europaischen  Siiden  ist  heut  zu  Tage  Zwiebel  und  Knob* 
lauch  ganz  eben  so  gesucht  und  gemieden,  wie  zur  Zeit  des 
Aristophanes  und  Plautus.  In  Italien  versaumt  kein  Bauer,  wenn 
er  irgend  kann,  etwas  Knoblauch  im  Garten  zu  ziehen  und  ihm 
fleissig  zuzusprechen,  wahrend  der  Gebildete  sich  dieser  Wiirze  zu 
enthalten  oder  vorsichtig  zu  bedienen  pflegt.  Dass  Spanien  ein  noch 
argeres  Knoblauchland  ist,  als  Italien,  ist  bekannt;  wir  erinnern  nur 
an  die  kostliche  Scene  im  Don  Quixote,  wo  der  edle  Ritter  an  der 
Heerstrasse  eine  Bauerin  heranreiten  sieht,  sie  fiir  die  schone  Dulciiiea 
von  Toboso  halt,  in  seiner  Liebeshuldigung  aber  durch  den  stechen- 
den  Knoblauchsgeruch,  der  von  dem  vermeintlichen  Edelfraulein  aus- 
geht,  etwas  gestort  wird  und  den  ungliicklichen  Umstand  durch  die 


Lauch.     Zwiebeln.  2  OS 

Tiicke  der  Zauberer  erklart,  die  ihn  schon  so  lange  verfolgen  und 
nun  auch  den  sussesten,  lange  ersehnten  Moment  seines  Lebens  durch 
solches  Missgeschick  verderben.  —  In  Byzanz  war  der  Zwiebel- 
verbrauch,  sogar  an  der  Kaiserlichen  Tafel,  so  stark,  dass  Liudprand, 
der  Bischof  von  Cremona,  der  doch  selbst  ein  Italiener  war,  dies 
Uebermass  anstossig  fand.  »Der  Beherrscher  der  Griechen,  sagt  er 
in  seinem  Gesandtschaftsbericht  vom  Jahre  968,  tragt  langes  Haar, 
Schleppkleider,  w'eite  Aermel  und  eine  Weiberhaube  .  .  .  .  ,  nahrt  sich 
von  Knoblauch,  Zwiebeln  und  Lauch  und  sauft  Badewasser«  (d.  h. 
mit  Harz  und  Gips  versetzten  Wein).  Und  ein  ander  Mai:  »Er 
befahl  mir  zu  seiner  Mahlzeit  zu  kommen,  die  tiichtig  nach  Knob- 
lauch und  Zwiebeln  duftete  und  mit  Oel  und  Fischlake  besudelt  war. « 
Ganz  um  dieselbe  Zeit  freilich  machte  ein  Orientale,  der  Geograph 
Ibn-Hauqal,  einer  occidentalischen  Stadt,  der  Hauptstadt  von  Sicilien, 
denselben  schmahlichen  Vorwurf.  In  seiner  Beschreibung  von  Pa- 
lermo (ed.  de  Goeje  S.  86  ff.  und  im  Auszuge  bei  Jaqut)  schreibt 
er  den  Einwohnern  alle  moglichen  Laster  und  Thorheiten  zu,  nennt 
sie  stumpf  und  gottlos,  lau  zu  allem  Guten,  geneigt  zu  allem  Bosen; 
die  Wurzel  dieses  traurigen  Zustandes,  fiigt  er  hinzu,  1st  die  Ge- 
wohnheit,  die  bei  ihnen  herrscht,  Morgens  und  Abends  rohe 
Zwiebeln  zu  essen,  wodurch  ihr  Hirn  verstort  und  ihr  Sinn  ab- 
gestumpft  wird.  Man  sieht  dies  an  ihrem  Benehmen,  an  ihrem 
Aussehen:  sie  trinken  lieber  stehendes,  als  fliessendes  Wasser,  scheuen 
sich  vor  keiner  stinkenden  Speise,  sind  schmutzig  am  Leibe,  ihre 
Hauser  sind  unrein,  in  den  prachtigsten  Wohnungen  laufen  die 
Huhner  herum  u.  s.  w.  Zur  Erklarung  dieser  Stelle  seines  Vor- 
gangers  fiihrt  Jaqut  das  Zeugniss  eines  medicinischen  Buches  an, 
wonach  die  Zwiebel  so  sehr  das  Gehirn  und  die  Sinne  betaubt,  dass 
nach  deren  Genuss  der  Esser  iibelriechendes  Wasser  nicht  mehr  als 
solches  erkennt  (bei  M.  Amari,  Storia  dei  Musulmani  di  Sicilia,  II, 
Firenze  1858,  p.  307).  Ob  hier  nicht  der  alte  Glaube  an  die 
Wunderkraft  der  Zwiebel  noch  nachwirkt,  nur  dass  sich,  wie  so  oft, 
der  behiitende  Zauber  in  den  bethorenden  umgesetzt  hat? 

*Die  Pflanzen,  um  welche  es  sich  hier  handelt,  sind  folgende: 
1.  Knoblauch,  Allium  sativum  L.  Diese  in  Stideuropa  haufig  verwildert 
vorkommende  Art  1st  wildwachsend  mit  Sicherheit  nur  aus  den  Thalern  des 
Kauman  und  Chautan  in  der  Songarei  bekannt  (Re gel,  Alliorum  mono- 
graphia,  Petropolis  1875  S.  44);  es  muss  daher  die  Pflanze  von  Centralasien 
aus  durch  die  Kultur  schon  in  sehr  frtiher  Zeit  nach  den  Mittelmeerlandern 
verbreitet  worden  sein,  da  sie  in  Aegypten  schon  vor  der  Auswanderung  der 


204  Lauch.     Zwiebeln. 

Israeliten  eingebiirgert  war.  Dies  beweisen  auch  die  Graberfunde  von.  Assassif 
z\i  Theben  (Schweinfurth  in  Englers  Bot,  Jahrb.  VIII  (1886)  S.  10)  sowie  von  Dra- 
Abu-Negga,  bestehend  aus  Biindeln  von  einigen  Stielen.  Auch  in  China  wurde 
der  Lauch  seit  langer  Zeit  als  Suan  kultivirt.  Eine  Varietat  mit  kugelig-ei- 
formigen  Bulbillen  wird  als  Rocambole  (aus  dem  deutschen  Rockenbolle  ge- 
bildet)  kultivirt.  Viel  haufiger  wird  aber  als  solche  Attium  Scorodoprasum  L. 
gezogen,  das  in  Eussland  von  Finnland  bis  nach  der  Krim  verbreitet  ist. 

2.  Eschlauch,   Schalotte,  Allium  ascalonicum  L.     Derselbe  soil    nach  der 
Meinung  Linne's    und  anderer   Autoren  aus  Kleinasien   stammen,  indessen 
giebt    es  hierftir,   wie  Alph.    de   Candolle  (L'origine   des  plantes  cultivees 
S.   55)    gezeigt    hat,    durchaus    keine  zuverlassigen  Belege.     Vielmehr  gehort 
A.  ascalonicum  als  Varietat  zu  A.  Cepa  L.,  welches  schon  im  Alterthum  in  ver- 
schiedenen    anderen  Varietaten    in   Griechenland    und    in    Aegypten    in    aus: 
gedehntem  Maasse  kultivirt  wurde.     Neben  vielen  zweifelhaften  Angaben  iiber 
die  Heimath  des  Allium  Cepa  L.  (Zwiebel,  Bolle)  existiren  einige  zuverlassige. 
Die  Pflanze    wurde    wild    gefunden    von   Stokes    in  Beludschistan    auf  dem 
Chehil  Tun,    von  Griffith    in   Afghanistan    und    von   Thomson  in  Lahore 
(Aitchison,    a    catalogue    of  the  plants   of  Punjab  and  Sindh   1869  p.    19), 
ferner  in  Khorassan  (Herbar  Boissier)  und  Kuldscha  am  Thianschan  (Alb. 
Hegel).     Weniger  verbtirgt  ist  ihr  wildes  Vorkommen  in  Palastina.     Jeden- 
falls  ist  das  Verbreitungsgebiet  so  gelegen,  dass  die  Pflanze  gleichzeitig  nach 
Indien,  China,  wo  sie  ebenfalls  schon  lange  als  Tsung  kultivirt  wird,  und  nach 
den  Mittelmeerlandern  verbreitet  werden  konnte. 

3.  Porree,  Allium  porrum  L.     Dieser   auch  heute  noch  in  Aegypten  als 
Salat   und  Zuspeise   beliebte  Lauch,   welchen  Schweinfurth  auch  aus  altagyp- 
tischen    Grabern    angiebt,    ist    hochstwahrscheinlich    eine  Kulturvarietat    des 
Allium   ampeloprasum    L.,    welches     im  'Mittelmeergebiet,    insbesondere    dem 
nordafrikanischen   sehr   haufig  ist,  auch  im  Siiden  des  Kaukasus  vorkommt. 


**  Ueber  die  Kultur  der  Allium-Arten  in  Aegypten  vgl.  auch  Woenig, 
Die  Pflanzen  im  alten  Aegypten-  S.  192fF.  Dazu  Schweinfurth  in  d.  Verh.  d.  Berl. 
Ges.  fur  Anthropologie  etc.  1891  S.  666,  von  dem  die  Kultur  der  Zwiebel- 
gewachse  in  Aegypten  wohl  fiir  ebenso  alt  wie  die  der  Getreidearten  gehalten 
wird.  Die  Nachricht  des  Herodot  tiber  die  Inschrift  der  Cheopspyramide 
(oben  S.  192)  ist  aber  unglaubwurdig  (vgl.  Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  472). 
Ebensowenig  wird  eine  gottliche  Verehrung  der  Zwiebeln  durch  die  Monu- 
mente  bestatigt;  doch  dienen  sie  als  Opfergabe.  Benierkenswerth  ist  die 
Uebereinstimmung  von  agypt.  bassal,  bussal  und  hebr.  besdtim  Zwiebel.  — 
Ein  anscheinend  in  die  TJrzeit  der  semitischen  Volker  zuriickgehender 
Name  des  Knoblauchs  ist  hebr.  sum,  arab.  turn,  pun.  aoufx  (vgl.  Low,  Arain. 
Pflanzenn.  S.  393),  assyr.  sumu  (?Schenkl  im  Bibellexicon).  —  Sprachliche 
Abhangigkeit  derGriechen  vom  Orient  lasst  sich  auf  diesem  Gebiete  iiicht 
nachweisen,  da  die  Erklarung  von  griech.  npdcoov  (ion.  *xpdaov)  aus  arab.  kurrdt, 
armen.  yourath  clurch  Lagarde  (Armen.  Stud.  S.  160)  unhaltbar  ist  (vgl. 
A.  Miiller  in  B.  B.  1,  296  und  Muss-Arnolt,  Transactions  XXIII,  105).  Von 
Benennungen  des  Knoblauchs  und  der  Zwiebel  gehen  iiber  die  Einzelsprachen 
hinaus  nebeii  dem  oben  S.  195  genannten  xpdfiuov  ^*npojxuaov)  und  seiner  Sippe 
noch  griech.  axdpoSov  =  alb.  hufors  Knoblauch  (vgl.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  154) 


Lauch.     Zwiebeln.  205 

und  vielleicht  griech.  *(e\fi<;  neben  ^0)^6?  —  lat.  bulbus  (vgl.  den  Eigennamen 
Bulbils ;  das  lat.  Ackerbauwort  1st  dann  wegen  des  b  oskischeii  ITrsprungs ; 
anders  Prellwitz,  Et.  W.  der  griech.  Spr.  S.  50  und  H.  Lewy,  Semit.  Fremdw. 
S.  32,  der  griech.  -(eX-ft?.  f^i^ec  a-  T&v  o*opo8u>v  xecpaXai  Hes.  ans  arab.  galaga 
Schadel,  Kopf  ableiten  mochte).  Auch  fur  das  Verhaltniss  von  griech.  rcpdcov: 
lat.  porrum.  beide  Porree  oder  Lauch  (Allium  Porrum  L.)  nimmt  man  jetzt 
meist  Urverwandtschaft  an  (vgl.  Bartholomae  Wochenschrift  fur  klassische  Phil. 
1895  S.  596 f.  und  K.  Brugmann  Grundriss  I2,  2  S.  744).  —  Die  tibrigen  oben  meist 
genannten  Namen  von  allium-A.rten  bieten  zum  Theil  noch  ungeloste  Schwierig- 
keiten.  Ob  griech.  xama,  lat.  cepeetwas  mit  den  idg.  Wortern  fiir  Kopf  (oben  S.  195) 
zu  thun  hat,  ist  sehr  zweifelhaft.  Die  letzteren  sind  so  zu  ordnen,  dass  die  germa- 
nischen  goth.  haubiih,  ahd.  houbit,  ags.  he'afod,  altn.  haufuth,  spater  hofud  auf 
eine  gemeinsame  Grundform  *kaupot-  zuriickgehn,  die  sich  mit  lat.  caput  iiur 
dann  vermitteln  lasst,  falls  man  letzteres  durch  eiii  dem  ags.  hafola  Kopf,  scrt. 
kapala  Schadel  entsprechendes  Wort  umgestaltet  sein  lasst  (Kluge).  Griech. 
xE<paX-f]  wird  fern  zu  halten  und  zu  ahd.  gebal  Kopf  zu  stellen  sein.  Nimmt 
man  arcad.  xditia  als  xaiua,  so  liegt  die  Ableitung  von  x-vjno?,  V.&KOC,  Garten 
nahe,  ,,Gartenfrucht".  Lat.  cepe.  caepa  ware  dann  entlehnt  aus  ion.  *xYj7tia. 
Fasst  man  hingegen  xdiua  als  xaicta  und  vermuthet  Urverwandtschaft  mit  cepe, 
so  machen  die  Vocalverhaltnisse  (lat.  e,  ae:  griech.  a)  dem  Verstandniss 
Schwierigkeiten.  Nach  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  68  waren  auch  ir. 
cainnen  Zwiebel,  Lauch,  cymr.  cenin  unter  Annahme  des  Ausfalls  eines  inter- 
vocalischen  p  (capi-)  hier  anzureihen.  Schliesslich  konnte  man  ftir  die  Erklarung 
von  xarua  auch  noch  an  xdirix;  .fumus1,  Hauch,  Athem  denken.  Vgl.  oben 
S.  197  und  griech.  ftufioc;  eine  Zwiebelart  (=  klr.  dymki  eine  Zwiebelgattung, 
altsl.  dymu  Rauch),  Ganz  dunkel  ist  griech.  JXOTTO-,  kypr.  fAottocpaYia  Knoblauch- 
breiesserei;  Meister,  Griech.  Dial.  Ill,  218.  —  Lat.  allium,  alium  deutet  man 
jetzt  wohl  richtig  als  »stinkendes«  (lat.  hdlare,  anhelare,  altsl.  achati,  *on-s-ati) 
Kraut.  --  Was  die  deutschen  Knoblauch  und  Bolle  anbetrifft,  so  wird 
ersteres  so  zu  verstehen  sein,  dass  in  ahd.  chlobolouh  schon  der  erste  Bestand- 
theil  chlobo-  (ags.  clufe,  engl.  dove,  vgl.  Skeat  Et.  Diet.)  friiher  » Knoblauch « 
bedeutete  (vgl.  maul-tier,  ivint-spiel,  damm-hirsch  etc.).  Bolle  ferner  ist  em 
echtdeutsches  Wort  mit  der  Grundbedeutung  ,,Knollenartiges"  (ahd.  hirnibolla 
Hirnschale).  Ueber  lauch  Kluge,  Et.  W.6  Die  alteste  Entlehnung  aus  lat. 
cepa  ins  Germanische  ist  ags.  cipe  Zwiebel  (vor  400,  nach  Hoops,  Altengl. 
Pflanzennamen,  Diss.  Freiburg  1889,  S.  75).  Vgl.  dazu  ir.  -dap  in  folt-chiap 
.Lauch'  und  alb.  k'eps.  Weitere  germanische  Entlehnungen  aus  dem  Latei- 
nischen  sind  ags.  ynne,  ynne-le'ac  aus  lat.  unio,  das  wohl  weder  aus  dem  Kel- 
tischen  stammt,  noch  mit  lat.  unus  (*oino-s]  etwas  zu  thun  hat  (vgl.  oben 
S.  202),  und  ahd.  pforro,  ags.  porr  (alb.  por)  aus  lat.  porrum.  Ahd.  surio, 
surro  (oben  S.  202)  konnte  die  ,,syrische"  Pflanze  (goth.  Saur,  gurus')  sein  (vgl. 
cepa  Ascalonica,  unser  Eschlauch). 

Bei  den  Turko- Tatar  en  'gingeii  nach  Vambery,  Primitive  Kultur 
S.  220  Zwiebel  und  Knoblauch  als  Nahrpflanzen  bis  in  die  altesten  Zeiten 
zuriick  (sogan,  das  in  hochst  beachtenswerther  Weise  dem  lit.  swogiinas  Zwiebel 
(oben  S.  202)  zu  entsprechen  scheint,  und  sarimsak),  wahrend  die  Westfinnen 
auf  diesem  Gebiet  sich  sprachlich  ganz  von  ihren  europaischen  Nachbarn 
abhangig  zeigen  (Ahlqvist,  Kulturworter  S.  40f.).  —  Ein  Anbau  von 


206  Kiimmel. 

Zwiebelgewachsen  im  vorhistorischen  Europ  a  hat  sich  unseres 
Wissens  bis  jetzt  nicht  nachweisen  lassen.  (Vgl.  fiber  die  Geschichte 
der  Zwiebelgewachse  auch  v.  Fischer-Benzon  Altdeutsche  Gartenflora  S.  137  ff .) 

A  us  dem  Orient  stammen  auch  zwei  and  ere  Gewiirzpflanzen, 
die  wir  hier  gleich  anschliessen ,  der  Pf eff erkummel ,  Cuminum  Cy- 
minum  L.,  und  der  Senf,  Sinapis  alba  und  nigra  L.  Bei  dem 
ersteren  liegt  dies  in  dem  griechischen  Wort  xv/ncvov  unmittelbar  zu 
Tage.  Das  hebraische  Jcammon  muss  in  den  iibrigen  semitischen 
Sprachen  ahnlich  gelautet  haben:  aus  einer  derselben  stammt  die 
griechische  Form,  die  weiter  das  romische  cuminum  abgab,  aus  welchem 
letztern  dann  wieder  alle  europaischen  Namen  abgeleitet  sind  —  nur 
dass  die  Deutschen  sich  die  Endung  etwas  mundgerechter  machten, 
die  Polen  mit  Ausstossung  des  Vocals  Jcmin  sagten  und  daraus  die 
Russen  endlich  mit  Herstellung  der  beliebten  Verbindurig  tm  statt 
Jem  ihr  tmin  schmiedeten.  Der  Weg,  auf  dem  dies  Gewurz  wanderte, 
ist  also  der  bei  zahlreichen  Kulturobjecten  beobachtete  und  kultur- 
geschichtlich ,  sozusagen,  normale.  Theophrast  berichtet,  zum  Ge- 
deihen  des  Kiimmels  gehore,  bei  der  Saat  Fliiche  und  Lasterungen 
horen  zu  lassen  (h.  pi.  7,  3,  3  und  9,  8,  8).  Diesem  Aberglauben 
liesse  sich  vielleicht  eine  Deutung  abgewinnen,  aber  auf  die  Herkunft 
der  Pflanze  fiele  dadurch,  so  viel  wir  sehen,  kein  neues  Licht.  Nach 
Dioskorides  3,  61  war  der  athiopische  Kummel  der  beste,  der  von 
Hippokrates  der  konigliche  genannt  worden  sei.  In  unserm  jetzigen 
Hippokrates  findet  sich  nichts  von  einem  xvpivov  flaffihixov,  und 
Dioskorides  bezieht  sich  entweder  auf  eine  jetzt  verlorene  Schrift, 
die  unter  dem  grossen  Namen  des  koischen  Arztes  ging,  oder,  was 
wahrscheinlicher  ist,  sein  Gedachtniss  war  ihm  hier  untreu.  Am 
persischen  Hofe  wurde  allerdings  nach  der  bereits  angefiihrten  Stelle 
des  Polyaenus  auch  athiopischer  Kummel  verbraucht  und  zwar  tag- 
lich  sechs  xaneusg,  welches  persische  Mass  dem  attischen  yplvti, 
gleich  war.  Nach  dem  athiopischen  Kummel  kam  als  nachstbeste 
Sorte  der  agyptische;  unter  dem  erstern  wiirde  also  der  oberagyptisch- 
nubische  zu  verstehen  sein,  wenn  wir  nicht  vorzogen,  an  den  vom 
rothen  Meer  zu  denken:  da  ja  Aethiopen  auch  in  Indien  gedacht 
wurden.  Der  Kummel,  fahrt  Dioskorides  fort,  wachst  auch  in  dem 
kleinasiatischen  Galatien  und  in  Cilicien,  sowie  im  Tarentinischen 
(durch  Verpflanzung) :  in  der  That  bezieht  ihn  auch  das  heutige 
Griechenland  aus  levantinischen  Hafen,  besonders  aus  Smyrna,  und 
Apulien  treibt  starken  Kummelbau  und  lebhaften  Handel  mit  dem 
geernteten  Produkt.  Innerhalb  des  romischen  Reiches  —  so  erganzt 


Kiimmel.  207 

Plinius  die  Angaben  des  Dioskorides  —  gilt  der  Kiimmel  von 
Carpetanien  im  Herzen  Spaniens  fur  den  besten,  sonst  der  athiopische 
und  afrische  oder  auch  der  agyptische,  19,  161:  in  Carpetania  nostri 
orbis  maxume  laudatur,  alioqui  aethiopico  africoque  palma  est.  quidam 
huic  aegypticum  praeferunt.  —  Im  ganzen  Alterthum  war  iibrigens 
der  Kiimmel  als  ein  mildes,  anregendes,  wohlschmeckendes  Gewiirz 
beliebt.  Bei  einem  Dichter  der  mittleren  Kornodie  sind  Kraut, 
Kiimmel,  Salz,  Wasser  und  Oel  die  gewohnlichsten  Kiichenrequisite, 
um  einen  Fisch  anzurichten  (Athen.  7,  p.  293)  und  bei  Plinius  reizt 
der  Kiimmel  einen  verdrossenen  Magen  am  angenehmsten ,  160: 
fastidiis  cuminum  amicissimum.  Wie  das  Salz  ein  Symbol  der 
Freundschaft  war,  so  auch  Salz  und  Kiimmel:  ot  negl  aha  xal 
xvfuv'ov  sind  soviel  als  vertraute  Freunde  (Plut.  Symp.  5,  10,  1). 
Der  Kiimmel  gait  fur  ein  hochstrebendes  Kraut,  in  sublime  tendens, 
wie  schon  Phythagoras  anerkannt  haben  sollte,  und  besass  die  Kraft, 
rothe  Wangen  zu  bleichen,  daher  exsangue  cuminum  bei  Horaz  und 
pallentis  grana  cumini  bei  Persius.  Ehe  der  PfefTer  erfunden  war 
oder  in  allgemeinen  Gebrauch  kam,  spiel  ten  Samen,  wie  der  romisohe 
Kiimmel,  der  Schwarzkiimmel,  Nigella  sativa,  der  Koriander,  xoglavvov, 
u.  s.  w.  natiirlich  eine  wichtigere  Rolle.  Darunter  heben  wir  den 
Schwarzkiimmel  hervor,  weil  er  bei  den  Romern  den  orientalischen 
Namen  git,  gith  fiihrt  und  seinen  Ursprung  also  an  der  Stirn  tragt. 
Er  kommt  schon  bei  Plautus  Rud.  5,  2,  39  vor,  wenn  anders  die 
Stelle  nicht  verdorben  ist;  spater  wird  er  von  Columella  und  Plinius 
als  etwas  Gewohnliches  genannt.  Da  er  bei  den  Griechen  anders 
heisst,  Plin.  20,  182:  git  ex  Graecis  alii  melanihium,  alii  melaspermon 
vocant,  so  kann  er  nicht  iiber  Griechenland  nach  Italien  gekommen 
sein  —  von  wo  anders  also  in  so  friiher  Zeit,,  als  vom  karthagischen 
Afrika?  In  der  That  berichtet  ein  Zusatz  zu  Dioskorides  3,  64,  die 
Afrer  nannten  das  xogtavvov  (d.  h.  Wanzensamen,  Koriander)  yotd. 
Lesen  wir  dies  Wort  nach  spat  griechischer  Aussprache  gid,  so  ist 
dieser  Name  derselbe,  wie  der  rornische  fur  Nigella  sativa,  an  den 
sich  auch  der  althebraische  gad  fur  Koriander  anschliesst.  Ob  dies 
gad  urspriinglich  semitisch  oder  selbst  wieder  entlehnt  ist,  kann  uns 
hier  gleichgiiltig  sein ;  auch  dass  die  Pflanzen  verschieden  sind,  macht 
bei  der  Ungenauigkeit  und  Unbestandigkeit  der  Volks-  und  popularen 
Handelssprache  des  Alterthums  keine  Schwierigkeit.  —  Der  eigentliche 
in  Mitteleuropa  einheimische  Kiimmel,  Carum  Carvi,  ist,  wie  bekannt, 
bis  auf  den  heutigen  Tag  ein  vielgebrauchtes,  willkommenes  Gewiirz 
geblieben,  das  auf  dem  Brote,  im  Kase,  Kohl  u.  s.  w.,  besonders 


208  Senf. 

aber  im  Branntwein   als  Doppelkiimmel   auch  den  Hyperboreern  gar 
sehr,  oft  nur  allzusehr  nrnndet. 

*  Der  agyptische  Kiimmel,  Cuminum  Cyminum  L.,  1st  wild  nur  aus  Tur- 
kestan von  den  Ufern  des  Kisilkura  bekannt,  wo  er  von  Lehmann  gefunden 
wurde.  Nach  Aegypten  1st  er  wahrscheinlich  fiber  Syrien  eingeftihrt  worden 
(Schweinfurth  in  Verb.  d.  Berliner  antbropol.  Gesellsch.,  Sitzg.  vom  18.  Juli 
1891).  Der  eigentliche  Kiimmel,  Carum  Carvi  L.,  ist  von  Europa  bis  zum 
Himalaya  und  durch  Sibirien  verbreitet. 


**  Zu  beachten  ist,  dass  griecb.  XOJJLIVOV  erst  bei  Aristophanes  auftritt,. 
mithin  die  Uebernahme  des  semitischen  (auch  ins  Armenische  eaman  ge- 
drungenen)  Wortes  vielleicht  erst  in  die  Zeit  nach  den  Perserkriegen  fallt,  in 
welcher  ein  sich  statig  erhohender  Lebensgenuss  die  Aufmerksamkeit  auf  eine 
ganze  Reibe  bis  dahin  unbekannter  Aromata  und  Gewtirze  des  Orients  lenkte. 
Freilich  bezweifelt  man  neuerdings  (kaum  mit  Recht)  die  Herleitung  des  griech. 
xojuvov  aus  dem  semitischen  hebr.  kammon,  aram.  kamond,  pun.  ^aixav  mit 
Rucksicht  auf  die  Verschiedenheit  des  Vocalismus  beider  Worter.  Vgl. 
Kretschmer,  K.  Z.  29,  440;  dazu  Muss-Arnolt,  Transactions  XXIII,  105,  117, 
der  auch  ein  assyr.  kamanu  (F.  Delitzsch  Assyr.  HandwOrterbuch  S.  836: 
kamunu  ein  Gartengewachs)  nennt.  Kretschmer  moehte  mit  der  semitischen 
Sippe  vielmehr  das  griech.  (o)*ajAu>via  vergleichen  »eine  Art  Winde,  aus  deren 
Wurzel  (wie  auch  aus  dem  Kummel)  ein  abfiihrender  Saft  bereitet  wird«(?).  — 
Der  Feldktimmel  (Mattkiimmel,  Wiesenkiimmel,  vgl.  Pritzel  und  Jessen,  Die 
deutschen  Volksnamen  der  Pflanzen  (S.  275)  heisst  mhd.  karbe,  karve,  engl. 
caraway,  entlehnt  (unter  Einwirkung  von  arab.  al-karavia)  aus  lat.  careum.  nach 
Plinius  «aus  Karien«  (19,  164:  careum  gentis  suae  nomine  appellatmn  culinis 
principale).  Diosc.  xcxpov.  Doch  wird  Carum  Carvi  L.  auch  schlechthin  Kummel 
genannt.  Eigene  Ausdrticke  fur  die  in  Europa  einheimische  Pflanze  sind,  wie 
es  scheint,  durch  diese  Entlehnungen  ganz  verdrangt  worden,  ein  in  der 
Kulturgeschichte  typischer  Vorgang.  Graff  bietet :  ivitesa  (careola),  Bock,  Krauter- 
buch  (bei  Pritzel- Jessen) :  Wistkimmel.  --  Ueber  7018  Low,  Aram.  Pflanzenn. 
S.  155. 

Auch  der  Senf  wird  schon  von  den  attischen  Komikern  als 
wohlbekannte  beissende  Substanz  erwahnt,  die  zwar  zu  Thranen 
und  Gesichtsverzerrung  reizt,  aber  trefflich  sich  eignet,  eine  abge- 
schmackte  Kost  zu  starken  und  zu  beleben.  Die  Attiker  nannten 
ihn  vanv,  wahrend  der  hellenistische  Name  (Swam,  (ftvanv  und  da- 
nach  der  lateinische  sinapi,  sinape  oder  senapis  war.  Die  erstere 
Form,  die  auch  in  der  Erweiterung  vdnsiov  vorkommt,  stimmt 
auffallend  mit  dem  lateinischen  napus,  die  Steckriibe,  uberein,  mit 
welcher  letztern  die  Senfstaude  einige  Aehnlichkeit  hat  und  deren 
Namen  sie  annehmen  oder  der  sie  den  ihrigen  geben  konnte.  Nanv 
heisst  der  Senf  bei  alien  Aelteren  (z.  B.  Aristoph.  Eq.  631)  und 
auch  Theophrast  sagt  nie  anders,  bis  seit  der  maceclonischen  Zeit 


Senf.  209 

die    urn    die    Silbe    at,    liingere    Form    auftaucht,    zuerst    bei    einern 
Dichter  der  neueren  Komodie,  Athen.  9,  pag.   404: 
aCvam  rovioig  TtaQau&rjfM  xal  TTOIVO 
%vhovg  exofiifvovg  fy&fJbVTVjWS,  vrv  (pvffiv 
tva  dieysfycts  nvsv^ia^  TCV  aega. 

Der  Verfasser  dieser  Verse  wird  im  iiberlieferten  Text  Anthippus 
genannt;  da  ein  solcher  Name  unerhort  ist,  so  haben  die  Heraus- 
geber  daflir  Anaxippus  gesetzt,  welcher  Dichter  zur  Zeit  des 
Antigonus  und  Demetrius  Poliorcetes  lebte.  Noch  alter  indess  ware 
das  abgeleitete  Verbum  awam&w,  Athen.  9,  367:  TO  SvyaTQwv  ii 
ILIOV  Gstfwdmxs  dia  vrjg  ^svrjg  —  wenn  die  Worte  in  Ordnung  sind 
und  der  Urheber  derselben,  Xenarchus,  rich  tig  zur  mittleren  Komodie 
gerechnet  wird.  Bei  dem  alexandrinischen  Dichter  Meander  ist  der 
vollere  Name  haufig  und  seitdem  das  altere  vanv  ausser  Gebrauch 
und  nur  noch  literarisch  vorhandeii.  In  Italien  herrscht  sinapis, 
senapis  ausschliesslich  (schon  bei  Ennius  und  Plautus),  wahrend  napus, 
wie  gesagt,  nur  die  Kohlrube  bedeutet.  In  welchem  Verhaltniss 
beide  Formen  zu  einander  stehen  —  denn  dass  sie  vollig  unabhangig 
von  einander  und  also  der  Gleichklang  nur  zufallig  ware,  scheint 
doch  nicht  annehmbar  -  -  und  wie  die  Vorsatzsilbe  hinzutreten  oder 
wegf alien  konnte,  dariiber  haben  wir  keine  Meinung.  In  den  Ge- 
setzen  der  Sprache,  aus  der  das  Wort  entnommen  wurde,  konnte 
diese  Doppelform  begriindet  sein,  aber  welches  war  die  Sprache? 
In  Athen  gait  fur  den  besten  Senf  der  von  der  Insel  Cypern,  vanv 
KVTIQOV,  wie  wir  aus  den  Versen  des  Eubulus  bei  Pollux  6,  67  und 
Athen.  1,  28  ersehen.  Benfey,  Griech.  Wurzelworterb.  1,  428,  stellt 
eine  Vermuthung  auf,  wonach  das  Wort  urspriinglich  sanskritisch, 
dann  in  persischem  Munde  umgestaltet,  endlich  noch  mehr  verwandelt 
zum  griechischen  aivanc  geworden  ware  -  -  der  Sache  nach  nicht 
unmoglich,  ob  aber  lautlich  ohne  Gewaltsamkeit?  Aegyptische  Worter 
wie  ffi fa  und  aeaefag ,  vagi  (agyptische  Wasserpflanze)  und  afaagov, 
ferner  xofifjit,,  xixt,  oder  xlxt,,  xvyx,,  a^^u,  dTi^c  oder  Gufii  u.  s.  w. 
lassen  uns  auch  fiir  vanv  und  awam  auf  agyptische  Herkunft 
rathen.  -  -  Das  ital.  mostarda,  franz.  moutarde  u.  s.  w.  stammt  von 
dem  Most,  mustum,  mit  dem  der  Senf  angemacht  wurde,  der  deutsche 
Senf  aber  wie  der  Essig,  die  Zwiebel,  der  Kiimmel,  das  Oel  und 
der  Salat,  wie  Lattich,  Endivie,  Cichorie,  Kresse,  Sellerie,  Petersilie, 
Fenchel,  Anis  und  vieles  Andere  aus  Italien. 

*  Der  weisse  Senf,    Sinapis  alba  L.,  ist    in  Mittel-  und  Sudeuropa  ver- 
breitet,  doch  ist  die  Pflanze  in  Norddeutschland  nur  kultivirt  oder  als  Ruderal 

Viet,  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  14 


210  Linsen.     Erbsen. 

pflanze  verwildert  anzutreffen;  ihre  eigentliche  Heimath  1st  wahrscheinlich 
Sudeuropa,  zumal  auch  die  ihr  nahe  verwandten  Arten,  S.  dissecta  Lag;  und 
8.  hispida  Schousb.  in  Stidspanien  heimisch  sind. 

Der  schwarze  Senf,  Brassica  nigra  (L.)  Koch,  findet  sich  in  Mittel-  und 
Sudeuropa,  in  Gebuschen  nnd  an  Graben  wildwachsend,  fehlt  nur  in  Nor- 
wegen,  Schweden  und  Nordrussland. 


**  Eine  altenglische  Bezeichnung  des  Senfes  cedelc  giebt  Hoops  iiber  die 
ae.  Pflanzennamen  S.  75.  Damit  sind  vielleicht  das  von  Pictet  Origines  I,  296 
genannte  cymr.  cethiv,  cediv.  ceddw,  sowie  norddeutsche  Namen  fiir  Sinapis 
arvensis,  wie  kiddik,  kidk  (Ostfriesland),  koddik  (Unterweser)  bei  Pritzel-Jessen 
S.  379  zu  vergleichen.  —  Aus  Sudeuropa  nennen  wir  noch  das  leider  dunkle 
albanesisch-neugriechische  vruvs-$pou$a ,  &Ypto£po0^a  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  479) 
und  alb.  I'inarife  Sinapis  alba  (Heldreich,  Nutzpflanzen  S.  47,  G.  Meyer  S.  246). 


Linsen  und  Erbsen. 

Nahe  der  Zeit  nach  schliessen  sich  an  den  ersten  Anbau  der 
mehlreichen  Graser  auch  die  noch  jetzt  gebrauchlichen  Hiilsen- 
friichte  an,  in  manchen  Gegenden  den  ersteren  an  Rang  und  Nutzen 
fast  ebenbiirtig,  sei  es  zur  Ernahrung  des  Menschen  oder  als  Thier- 
f utter  oder  als  Brach-  und  Zwischenf rucht ,  und  auch  darin  jenen 
gleichkommend,  dass  ihre  Korner  -  -  ein  sehr  wesentlicher  Vorzug  - 
nicht  verganglich  sind,  sondern  sich  lange  aufbewahren  und  in  die 
Feme  tragen  lassen.  Von  der  Bohne,  als  einem  sehr  alten  Nahrungs- 
mittel,  1st  an  einer  andern  Stelle  (Anmerk.  19)  ina  Voriibergehen 
gesprochen;  auch  Linse  und  Erbse  mussten  in  den  Landern,  wo  sie 
wild  wuchsen,  friihe  unter  den  Krautern  des  Feldes  durch  ihren  ess- 
baren  Samen  den  Hirten  bemerkbar  werden;  von  da  an  war,  als 
Noth  und  Beispiel  dem  schweifenden  Leben  immer  engere  Grenzen 
steckten,  bis  zur  kiinstlichen  Ausstreuung  derselben  nur  ein  Schritt. 
Wo  aber  wuchsen  sie  wild?  und  von  wo  ging  folglich  ihre  Kultur 
aus?  Da  die  Naturforscher  bis  jetzt  dariiber  nichts  Bestimmtes  aus- 
zusagen  wissen,  so  finden  wir  uns  wieder  auf  die  uralten  Zeugnisse 
zuriickgewiesen,  die  in  den  Sprachen  niedergelegt  sind  und  von  den 
sich  folgenden  Menschengeschlechtern  in  unbewusstem  Thun  bis  in 
die  Zeiten  welter  gerettet  wurden,  wo  das  historische  Morgengrauen 
anbricht.  Aber  auch  dort  scheint  diesmal  nur  ein  vieldeutiges ,  un- 


Linsen.     Erbsen.  211 

bestimmtes  Orakel  auf  unsere  Frage  zu  antworten.  Erstlich  sind 
die  beziiglichen  Namen  zum  Theil  von  so  allgemeinem  Charakter, 
dass  sie  sehr  alt  sein  konnen,  die  Frucht  aber,  die  sie  benennen, 
jung;  zweitens  steigt  mitten  in  der  Freude,  bei  getrennten  Volkern. 
eine  ubereinstimmende  individuelle  Bezeichnung  zu  finden,  der  bose 
Zweifel  auf,  ob  nicht  "Kulturunterricht  ganz  spater  Zeit  d.  h.  Ent- 
lehnung  das  Wort  weiter  getragen;  drittens  entzieht  sich  auch  in 
dem  letzteren  Falle ,  der  immerhin  belehrend  sein  wiirde ,  oft  der 
Zusammenhang  selbst  unseren  Blicken  d.  h.  es  bleibt  oft  fraglich, 
ob  die  Ueberlieferung  von  Nord  nach  Siid  u.  s.  w.  oder  in  um- 
gekehrter  Richtung  geschehen  sei.  Nur  so  viel  erkennen  wir  mit 
einiger  Deutlichkeit ,  dass  die  Linse  schon  ein  Besitz  der  vorindo- 
germanischen  Kultur  und  den  europaischen  Volkern  von  Siidost  her 
zugekommen  ist,  dass  umgekehrt  die  Erbse  -  -  wir  fassen  unter 
diesem  Namen  alle  verwandten  Arten  zusammen  —  dem  Norden  d.  h. 
clem  mittleren  Asien  angehort  und  sich  von  dort  am  Pontus  voruber 
den  Weg  nach  Europa  gebahnt  hat. 

Die  Linse  in  Aegypten,  namentlich  bei  dem  semitischen  Grenz- 
ort  Pelusium  und  sonst  im  Nildelta,  wo  Phacussa  oder  Phacussae, 
die  Linsenstadt,  lag,  ist  vielfach  bezeugt.  Um  die  Pyramiden  sah 
Strabo  17,  1,  34  die  Abfalle  von  den  behauenen  Steinen  in  Gestalt 
kleiner,  linsenformiger  Kornchen  haufenweise  liegen  und  die  Leute 
behaupteten,  dies  seien  versteinerte  Reste  der  dort  von  den  Arbeitern 
gehaltenen  Mahlzeiten  —  woraus  wenigstens  erhellt,  dass  man  sich 
jene  altesten  Steinmetzen  schon  als  linsenessend  dachte.  Dass  die 
Frucht  auch  den  alten  Hebraern  nicht  fremd  war,  weiss  Jeder  aus 
der  sogenannten  biblischen  Geschichte,  mit  der  man  seine  friiheste 
Jugend  aufgezogen  hat.  Der  Erzvater  kochte  einen  Linsenbrei,  und 
so  kostlich  war  diese  Speise,  dass  der  altere  Sohn  dem  jiingeren 
dafiir  das  Recht  der  Erstgeburt  verkaufte.  Und  den  David,  da  er 
in  der  Wiiste  weilte,  versehen  seine  Freunde  ausser  anderen 
Lebensmitteln  auch  mit  Linsen,  2.  Sam.  17,  28:  »brachten  .... 
Weizen,  Gersten,  Mehl,  Sangen  (gerostete  Aehren),  Bohnen,  Linsen, 
Griitz,  Honig,  Butter,  Schaf  und  Rinder,  Kase  zu  David  und  zu 
dem  Volk,  das  bei  ihm  war,  zu  essen,  denn  sie  geclachten,  das  Volk 
wircl  hungrig,  miide  und  durstig  sein  in  der  Wiisten.«  Der  alt- 
hebraische  Name  dafiir  adaschim  ist  noch  der  heutige  bei  den  Arabern 
und  auch  von  den  Persern  adoptirt  worden  (01.  Celsius,  Hierobot. 
2,  103  ff.).  Den  Griechen,  den  Zoglingen  der  Semiten,  konnte  auch 
cliese  Frucht  nicht  lange  verborgen  bleiben.  Zwar  Homer  erwahnt 

14* 


212  Linsen.     Erbsen. 

sie  nicht ;  aber  in  Athen  1st  seit  der  Mitte  des  fiinften  Jahrhunderts 
das  Linsenessen  schon  eioe  Sitte  des  niederen  Volkes,  deren  sich  der 
Beguterte  und  Gebildete  enthalt,  und  hat  also  bereits  eine  lange 
Geschichte  hinter  sich,  z.  B.  Aristoph.  Plut.  1004:  »jetzt  wo  er  reich 
geworden  ist,  inag  er  Linsen  nicht  mehr,  friiher,  da  er  noch  arm 
Avar,  ass  er  was  ihm  vprkarn.«  »Nur  keine  Linsen,  ruft  eine  Person 
bei  dem  Komiker  Pherecrates  (Athen.  4  p.  159),  wer  Linsen  isst, 
riecht  aus  dem  Munde.«  Die  Griechen  nannten  die  Linse  und  das 
Gericht  daraus  yaxrj ,  die  Pflanze  und  ihre  Frucht  (paxog  -  -  mit 
einem  dunklen  Worte,  das  ganz  einsam  steht  d.  h.  in  keiner  ver- 
wandten  Sprache  sein  Analogon  hat,  auch  nicht  nach  Italien  weiter 
gewandert  ist.  Denn  bei  den  Romern,  wo  schon  der  alte  Cato  in 
seiner  Landwirthschaft  Linsen  saen  und  Linsen  mit  Essig  behandeln 
lehrt  und  bei  Todtenmahlern  den  Verstorbenen  Linsen  und  Salz  vor* 
gesetzt  wurden  (Plut.  Crass.  19),  tragt  die  Frucht  den  ganz  ab- 
weichenden  Namen  lens,  lentis  -  -  der  also  nicht  aus  griechischer 
Quelle  stammt.  Aus  welcher  aber?  Wir  haben  nicht  einmal  eine 
Vermuthung  daruber.  Auch  aus  dem  Lateinischen  selbst  bietet  sich 
keine  Ableitung.  Ist,  wie  in  dem  ahnlich  klingenden  lens,  lendis, 
nach  lateiuischer  Weise  ein  Anfangs-c  oder  -g  abgef alien?  oder  diirfen 
wir  an  lentus,  lenis  denken?  Auf  dem  richtigen  Wege  gelangte 
die  Linse  weiter  aus  Italien  iiber  die  Alpen  nach  Deutschland  und 
zu  Litauern  und  Slaven.  Althochdeutsch  linsi,  mittelhd.  linse  aus  dem 
Lateinischen;  litauisch  lenszis,  slavisch  lesta,  leca,  lesta,  leca  u.  s.  w.. 
magyarisch  lencse  u.  s.  w.  -  -  Alles  nur  das  im  barbarischen  Munde 
nach  Bediirfniss  umgemodelte  lateinische  lens,  lentis.  Die  Slaven 
haben  daneben  noch  einen  anderen  Ausdruck:  socivo ,  lens,  auch 
legumen  uberhaupt,  novella  tritici  grana,  lupinus,  in  den  lebenden 
Sprachen  gewohnlich  in  verlangerter  Form:  russ.  cecevica,  soeeviea, 
poln.  soczewica,  soczka,  czech.  socovice.  Damit  vergleicht  sich  das 
altpreussische  UcutTceTcers  Linsen,  ~keckers  Erbsen.  Wie  das  letztere, 
sind  auch  die  assibilirten  slavischen  Form  en  nur  ein  Nach  hall 
des  lateinischen  deer,  deutsch  Richer,  italienisch  cece,  franzosisch 
chiche. 

Unter  den  vielfachen  Namen  fur  die  Erbse  und  ihre  Arten  ist 
der  interessanteste ,  weil  altbezeugte  und  noch  heute  in  seinen  Ab- 
kommlingen  lebende,  das  griechische  eQepwSvg.  Es  steht  namlich 
schon  bei  Homer  und  zwar  neben  der  Bohne:  Helenus,  der  Sohn 
des  Priamus,  hatte  auf  den  Menelaus  einen  Pfeil  abgeschossen,  dieser 
aber  sprang  von  der  Rustung  ab,  wie  auf  weiter  Tenne  im  Wehen 


Linsen.     Erbsen.  213 

des  Windes  die  dunklen  Bolmen  und  die  Erebinthen  von  der  Wurf- 
schaufel  springend  fliegen,  II.  13,  588  (nach  Dormer): 

Wie  von  geplatteter  Schaufel  die  Frucht  der  gesprenkelten  Bohnen 
Oder  der  Erbsen  im  Herbst  auf  raumiger  Tenne  dahin  fliegt, 
Unter  dem  Schwunge  des  Worfiers  vom  sausenden  Winde  getragen: 
So  von  dem  Panzergewolbe  des  herrlichen  Danaerfiirsten 
Prallte  der  bittere  Pfeil  und  tauchte  sich  weit  in  die  Feme. 

Ob  hier  die  Richer-  oder  die  gemeine  oder  die  Platterbse  u.  s.  w. 
zu  verstehen  sei,  lehrt  die  Stelle  unmittelbar  nicht;  der  um  so  viel 
Jabrhunderte  spatere  Theophrast  freilich  spricbt,  wenn  er  egsfavdog 
sagt,  sicber  von  der  Kichererbse,  da  er  die  Schote  fiir  rund  erklart, 
h.  pi.  8,  5,  2:  GTQoyyvkokofia  xa^drrsQ  6  SQsftw&og.  Aus  dem 
Hiatus  bei  Homer  aber  und  aus  einigen  bei  Hesychius  erhaltenen 
mit  y  beginnendeii  Formen,  in  denen  sich  zugleich  ein  I  dem  r  sub- 
stituirt  hat,  erhellt,  dass  das  Wort  urspriinglich  mit  einem  Digamma 
begann.  Trennen  wir  das  im  alteren  Griechisch  haufige  und,  wie  es 
scheint,  deminutivische  Suffix  tv&-  ab,  so  fallt  SQsfiiv&og  mit  dem 
aiidern  Erbsennamen  ogofiog  zusammen.  Da  ferner  auch  das  in- 
lautende  fl  nur  ein  verhartetes  Digamma  ist,  so  wird  die  Urform  des 
Wortes  J-OQfog  gewesen  sein  (s.  Legerlotz  in  Kuhns  Zeitschrift 
10,  379),  die  sich  nicht  weiter  auflosen  lasst,  und  in  der  uns  ein 
Fremdwort  aus  Kleinasien  vorliegen  kann.  Nach  Kleinasien  aber 
kann  der  ogopog  oder  fysflw&og  nicht  aus  den  warmen  Palmenlandern 
nach  Indien  zu,  denen  Theophrast  h.  pi.  4,  4,  9  ausdriicklich  so- 
wohl  den  KQepw&og  als  (paxog  abspricht,  gekommen  sein  und  eben 
so  wenig  aus  dem  syrisch-agyptischen  Kulturkreise,  innerhalb  dessen 
die  Frucht  nirgends  erwahnt  wird,  folglich  nur  aus  dem  Gebiet  des 
Pontus  und  des  Kaukasus,  das  mit  dem  innern  Asien  in  natiirlichem 
Zusammenhange  stand.  Als  die  Kultur  der  Erbse  von  den  Griechen 
nach  Italien  gebracht  und  den  Romern  bekannt  wurde,  war  das 
anlautende  Digamma  in  der  Aussprache  schon  verschwunden,  denn 
die  Lateiner  sagten  ervum,  ervilia,  Festus:  ervum  et  ervilia  a  Graeeo 
sunt  dicta  quia  illi  ervum  oQofiog,  ervilium  oQofiwov  appellant.  Die 
lateinische  Wortform  liegt  clann  weiter  der  deutschen  zu  Grunde, 
noch  ohne  Ableitung  im  angelsachsischen  earfe,  plur.  earfan,  in  den 
iibrigen  deutschen  Sprachen  mit  t  weiter  gebildet,  woraus  sich  in 
hochdeutscher  Lautverschiebung  das  althochd.  arawiz,  araweiz  und 
clurch  fernere  Entstellung  unser  heutiges  Erbse  ergab.  In  seiner 
Geschichte  der  deutschen  Sprache  hatte  Grimm  die  deutschen  Worter 
noch  fiir  entlehnt  gehalten,  S.  46  Anm. :  »mit  der  Sache  scheinen 


214  Linsen.     Erbsen. 

uns  diese  Namen  von  den  Romern  zugebracht« ,  bei  Ausarbeitung 
des  Worterbuches  aber,  wo  sein  Sinn  immer  grublerischer  geworden 
war  und  das  Einfache  ihm  nicht  mehr  geniigte,  schrieb  er  unter 
Erbeiss:  «die  Wurzel  liegt  vollig  im  Dunkel.«  Wir  halten  uns,  wie 
in  andern  Fallen,  an  den  friiheren  Grimm,  besonders  an  den  un- 
sterblichen  Verfasser  der  Grammatik;  indess,  sehen  wir  genauer  zu, 
so  konnte  vielleicht  in  der  That  nicht  das  lateinische  ervum,  sondern 
das  griechische  IgtfUvdog  die  Quelle  von  arawiz,  ervet  u.  s.  w.  und 
der  Zeitpunkt,  wo  die  Erbsen  den  Deutschen  bekannt  warden,  in 
die  Jahrhunderte  hinaufzuriicken  sein,  in  deneii  die  Gothen  und 
andere  deutsche  Volker  an  der  unteren  Donau  unmittelbar  mit 
griechischer  Sprache  oder  mit  Volkern  griechischer  Halbkultur  zu- 
sammenstiessen.  Wackernagel,  die  Unideutschung  fremder  Worter, 
Ausgabe  2,  S.  18  driickt  sich  unbestimmt  aus:  »aus  dem  Griechischen 
und  Lateinischen  entlehnt  SQept,v$og  ahd.  arawiz  araweiz«;  an  einer 
anderen  Stelle,  S.  14,  bemerkt  er,  das  Hochdeutsche  habe  schon 
friiher  das  griechische  fh  als  t  genommen,  weil  sonst  aus  €Q8{ltv&og 
nicht  arawiz  hatte  werden  konnen;  dass  der  Anfangsvokal  im  Hoch- 
deutschen  ein  a  ist,  erklart  er  aus  dem  im  gothischen  ai  vor  r  — 
denn  nur  so  konnte  Ulphilas  das  s  in  SQs^tv^hg  schreiben  —  docli 
noch  horbaren  a  (Beispiele  davon  S.  18).  Die  gothische  Form  des 
Wortes  entgeht  uns  leider;  nach  araiviz  rathen  wir  auf  airveits:  in 
SQS^cv&og  namlich  wurde  das  b  schon  wie  v,  das  fh  in  nord- 
griechischer  Weise  wie  d  gesprochen;  aus  diesem  d  ergab  sich  regel- 
massig  ein  goth.  t,  ahd.  z\  der  Diphthong  ei  entstand  aus  Unter- 
driickung  des  nt  wie  seiteins  aus  sinteins,  peikabagms  aus  q>uvi£,  yivixog 
(so  wurde  damals  schon  statt  (foCvi^  ausgesprochen)  u.  s.  w.  Ein 
slavisches  revitovo  zrino  fur  sQs^tviJoc  (Mikl.  p.  797)  gleicht  ganz  dem 
supponirten  goth.  airveits  und  gr.  s^s^v^og. 

Neben  ogofiog  und  8Qe^v^)og  besassen  die  Griechen  noch  eine 
>alterthumliche  Benennung  fur  die  gemeine  Erbse:  maog,  mffog, 
TiiGov,  nCoaov.  Dieses  Wort  bringen  alle  Etymologen  in  Verbiiidung 
mit  dem  Stamrae,  zu  dem  das  lateinische  pinsere,  pisere  stampfen 
gehort,  .und  die  Ableitung  hat  gewiss  viel  Wahrscheinlichkeit,  fiir 
das  Alter  der  Frucht  ist  aber  damit  nichts  gewonnen.  Sie  ist  damit 
nicht  sowohl  als  mahlbare,  wie  Grimm  will,  bezeichnet  —  denn  dass 
sie  gemahlen  werde,  ist  gerade  bei  der  Erbse  nicht  von  nothen,  - 
auch  nicht  als  zu  einem  Brei  verkochte,  wie  Curtius  erklart,  —  denn 
dieser  Begriff  liegt  nicht  in  der  Wurzel  und  dem  daraus  erwachsenen 
Wortstamme  — ,  sondern  als  Kornerf rucht ,  aus  runden  Stiickchen 


Linsen.     Erbsen.  215 

oder  Kiigelchen  "besteliend,  wie  sie  beim  Zermalmen  und  Zerstampfen 
sich  ergeben  und  bei  grobem  Kies,  Hagelschauern  u.  s.  w.  der  An- 
schauung  vorlagen:  litauisch  peska  Sand,  (auch  smiltis,  begrifflich 
fast  dasselbe),  altslavisch  pesuku,  Sand,  auch  calculus,  russ.  pesok, 
poln.  piasel'  u.  s.  w.  Das  langst  vorhandene  Wort  wurde  also  auf 
die  Erbse  angewandt  und  blieb  an  ihr  haften.  Dem  Beispiel  der 
Griechen  folgten  die  Lateiner  mit  ihrem  pisum,  wenn  sie  das  Wort 
nicht  direkt  entlehnten;  es  erhielt  sich  in  den  romaniscben  Sprachen 
und  ging  auch  in  die  keltischen  und  ins  Englische  iiber,  nicht  aber 
zu  den  Germanen,  vielleicht  ein  weiterer  Wink,  dass  diese  ihr  Erbse 
schon  friiher,  noch  vor  Beginn  des  mittelalterlichen  Kultureinflusses 
von  Siiden  und  Westen  gebildet  batten. 

Aehnlich  wie  mit  nfoov  verhalt  es  sich  mit  dem  reduplicirten 
lateinischen  deer,  dem  nach  Curtius  no.  42 b  der  Begriff  des  Harten, 
also  kleiner  barter  Korperchen,  zu  Grunde  liegt.  Dasselbe  Wort 
ware  das  griecbische  xeyxQog,  welches  aber  in  die  Bedeutung  Hirse 
ausgewichen  war  und  in  dieser  sich  fixirte.  Schwierigkeit  macht 
nur  der  Urn  stand,  dass  die  kurzen,  dicken,  an  einem  Ende  etwas 
umgebogenen  Schoten  des  deer  arietinum,  xgibg  oQofiialog,  wirklicb 
einem  Widderkopf  ahnlich  sehen  wodurch  die  Deutung  nach 

einer  anderen  Seite  abgelenkt  wird.  Wie  die  Zwiebeln  und  Linsen 
in  Athen,  bildeten  Zwiebeln  und  Kichererbsen  in  Italien  die  frugale 
Mahlzeit  der  armeren  Volksklasse,  z.  B.  Horat.  Sat.  1,  6,  144: 

inde  domum  me 
Ad  porri  et  ciceris  refero  laganiqiie  catinum  — 

daher  auch  bei  den  Floralien  Bohnen  und  Kichern  unter  das  Volk 
ausgestreut  wurden ,  das  sie  rnit  Gelacbter  aufzufangen.  suchte. 
Jedermann  weiss,  dass,  wie  Lentulus,  Fabius,  Piso  nach  den  ent- 
sprecbenden  Kornern,  so  Cicero  nach  den  Kichern  benannt  1st:  wir 
erinnern  bier  nur  deshalb  daran,  weil  solche  populare  Beinamen 
nur  einer  dem  Volke  altbekannten  Speise  oder  Feldfrucht  entnommen 
sein  konnen.  Das  deutsche  Richer,  preussische  keekers  verdient  Er- 
wahnung,  weil  es  in  eine  Zeit  weist,  wo  das  c  noch  wie  Tc  gesprochen 
wurde;  viel  j linger  ist  die  anclere  Form  Zieser  und  wohl  aus  dem 
norditalienischen  sizer,  sezer  entsprungen. 

Andere  griechische  Ausdriicke,  wie  w%()og,  agaxog  oder  aQCtypg 
und  hdd-vQog  iibergehen  wir,  weil  sie  fur  die  Geschicbte  nichts 
ergeben,  und  halten  uns  nur  noch  bei  einem  slavischen  Worte  auf: 
altslavisch  grachu  in  der  Bedeutung  fdba,  russisch  goroch,  polniscb 
groehj  czechisch  hrdeh  die  Erbse,  slovenisch  grah,  grahor,  grahorica 


216  Linsen.     Erbsen. 

die  Wicke.  Das  neugriechische  yQa%og  wird  ein  Lehnwort  aus  dem 
Slavischen  sein,  ebenso  das  albanesische  gross,  die  Linse.  Wohl 
aber  muss  vicia  cracca  bei  Plinius  dasselbe  Wort  sein,  welches 
wieder  auf  das  reduplicirte  griechische  xdylrfe,  x6%ha£  Kiesel,  Stein- 
chen  hinweist.  Letzteres  stellte  sich  slavisch  als  grachu  dar,  wie 
X«A«£a  (fur  %ahadja  und  dies  fur  %hddja)  als  gradu.  Auch  hier  also 
wiirde  der  Name  fur  die  Korner  der  Hulsenfriichte  auf  den  Begriff 
calculus  zuruckzufiihren  sein,  den  die  verschiedenen  Volker,  sei  es 
zufolge  angeborener  gleicher  Richtung  der  Phantasie  oder  nach  dem 
Beispiel  derer,  von  denen  sie  jene  Korner  erhielten,  gleichmassig 
anwandten.  Ein  anderes  altslavisches  Wort  fur  Erbse  slanutuku 
(Mikl.  s.  v.)  muss  von  slana  Reif  abgeleitet  sein  -  -  bedeutete  also 
ursprunglich  Hagelkorner,  Eistropfen. 

Da  die  Wicke  nur  als  grimes  Futterkraut  oder  zur  Nahrung  der 
Tauben,  Hiihner  u.  s.  w.  in  cler  spateren  Zeit  kiinstlicher  Boden- 
wirthschaft  angebaut  wurde,  so  ist  der  Weg  vom  griechischen  flfaog, 
PIXCOV  zum  lateinischen  vicia,  von  diesem  zu  dem  deutschen  Wicke 
und  weiter  zum  litauischen  wike  u.  s.  w.  der  normale,  den  so  viel 
Dinge  und  Namen  gewandert  sind. 


*  Bohne.  Die  heutzutage  bei  uns  allgemein  kultivirte  Gartenbohue 
(Phaseolus  vulgar  is  Savi)  ist  weder  in  Grabern  der  alten  Welt,  noch  in  Pfahl- 
bauten  aufgefunden  worden,  noch  sind  im  Mittelmeergebiet  irgend  welche 
nahe  verwandte  Formen  derselben  wildwachsend.  Da  aber  andrerseits  sich 
die  Bohne  in  den  altperuanischen  Grabern  mit  anderen  ausschliesslich  ameri- 
kanischen  Samen  zu  Ancon  bei  Lima  haufig  findet  (Wittmack  in  Verhandl. 
d.  bot.  Vereins  d.  Prov.  Brandenburg  XXI.,  Sitzungsberichte  S.  176),  da 
ferner  Asa  Gray  und  J.  Hammond  Tumbull  (The  American  Journal  of 
science  XXV.  (1883)  S.  130)  gezeigt  haben,  dass  unsere  Gartenbohne  den 
nordamerikanischen  Indianern,  selbst  denjenigen  Canadas  vor  der  Ent- 
deckung  Amerikas  durch  die  Europaer  bekannt  war,  da  die  gewohnliche 
Bohne  in  nordamerikanischen  Grabern  von  Arizona  gefunden  wurde,  da 
ferner  alle  verwandten  grosssamigen  Arten  in  Siidamerika  heimisch  sind,  so 
ist  es  wahrscheinlich,  dass  unsere  Gartenbohne  den  Alten  nicht  bekannt  war 
und  erst  nach  der  Entdeckung  Amerikas  nach  Europa  gelangte-  Die  Bohnen 
der  Alten  gehorten,  wie  Wittmack  (Nachrichten  aus  dem  Club  der  Land- 
wirthe  zu  Berlin  No.  115,  20.  Juli  1881,  p.  782)  und  Koernicke  (Verhandl. 
d.  naturhist.  Ver.  d.  preuss.  Rheinlandes  u.  Westfalens  1885,  Corresp.-Blatt 
S.  136)  dargethan  haben,  zu  der  im  tropischen  Afrika  heimischen  Vigna  sinensis 
(L.)  Endl.  Obgleich  diese  Pflanze  im  tropischen  Afrika  heimisch  ist,  so  ist 
sie  wahrscheinlich  doch,  wie  einige  andere  im  tropischen  Afrika  heimischen 
Kulturpflanzen,  erst  iiber  Indien  nach  Aegypten  gelangt,  da  auch  ein  director 
Verkehr  Indiens  mit  Afrika  auf  dem  Seewege  bestand.  (Vergl-  Schwein- 


Linsen.     Erbsen.  217 

furth,  Aegyptens  auswartige  Beziehungen  hinsichtlich  der  Kulturgewachse 
in  Verhandl.  d.  Berliner  anthropolog.  Gesellsch.  Sitzg.  vom  18.  Juli  1891.) 
Die  sogenannte  Pferdebohne  oder  Saubohne,  Vicia  faba  L.,  (Faba  vulgaris 
Moench),  welche  heutzutage  in  Stideuropa  und  dem  Mittelmeergebiet  viel 
genossen  wird,  war  bei  den  Aegyptern  nicht  beliebt,  ja  sogar  verachtet;  es 
sind  nach  Schweinfurth  (Berichte  d.  deutsch  bot.  Gesellsch.  II  (1884)  S.  362) 
auch  erst  2  Samen  der  genannten  Art  in  Grabern  aus  der  XII.  Dynastie  auf- 
gefunden  worden,  in  derselben  kleinen  Form,  welche  heutzutage  viel  in  Ae- 
gypten  gebaut  wird.  Reichlieh  fand  Schliemann  Bohnen  in  den  Ruinen  von 
Troja.  Derselben  neolithischen  Periode  gehoren  nach  Buschan  (Vorgeschicht- 
liche  Botanik  S.  213)  Bohnenfunde  vom  Monte  Loffa  in  Italien,  von  El  Garcel 
und  Campos  in  Spanien,  von  der  Aggtelek-Hohle  und  Lenggel  in  Ungarn; 
haufig  findet  sie  sich  in  Pfahlbauten  und  an  anderen  Fundstatten  der  Bronze  in 
der  Schweiz,  Frankreich,  Spanien,  Italien  und  Griechenland,  sodann  in 
deutschen  und  italienischen  Fundstatten  der  Eisenperiode.  Buschans  genaue 
Studien  an  den  zahlreichen  Bohnenfunden  haben  ergeben,  dass  die  aus  dem 
ostlichen  Europa  stammenden  Bohnen  kleiner  und  mehr  rundlich,  die  aus 
dem  westlichen  Europa  stammenden  mehr  langlich,  flach  und  schmal  sind. 
Diese  sind  es  auch,  welche  eine  grosse  Uebereinstimmung  mit  den  Samen  der 
vom  Mittelmeergebiet  bei  Nordpersien  und  Mesopotamien  haufigen  Vicia  nar- 
bonensis  L.  zeigen  und  die  Abstammung  der  Vicia  faba  von  dieser  Art  hochst 
wahrscheinlich  machen.  Hingegen  diirfte  die  kleinsamige  Form  aus  Vorder- 
asien  oder  Siidosteuropa  stammen. 

Erbsen.  Von  den  beiden  gegenwartig  in  Europa  kultivirten  Arten  der 
Erbse  wurde  die  gewohnliche  Gartenerbse  mit  kugeligem  Samen,  Piswm 
sativum  L.  in  den  Pfahlbauten  der  Bronzezeit  in  der  Schweiz  und  Savoien 
gefimden  (0.  Heer,  Die  Pflanzen  der  Pfahlbauten  S.  23  und  Per r in,  Etudes 
prehistorique  sur  la  Savoie  p.  22);  sie  war  damals  kleiner,  als  unsere  jetzige 
Erbse.  Ferner  wurde  sie  von  Schliemann  und  Virchow  zusammen  mit 
kleinen  Saubohnen  (Vicia  faba  ~L.)  in  Troja  (Hissarlik)  gefunden  (Wittmack 
in  Berichten  der  Deutsch.  botan.  Gesellschaft  1886  p.  XXXI).  Bis  jetzt 
kennt  man  keinen  Ort,  wo  die  Gartenerbse  mit  Sicherheit  wild  wachst.  Da- 
gegen  ist  die  graue  Erbse,  Pisum  arvense  L.,  welche  durch  eckige,  braun  und 
graugriin  gescheckte  Samen  ausgezeichnet  ist,  weder  in  Pfahlbauten  noch  in 
Grabern  gefunden  worden;  doch  will  Unger  Samen  derselben  in  einem 
Luftziegel  der  aus  der  V.  Dynastie  (im  3.  bis  4.  Jahrtausend  vor  Christus) 
stammenden  Ziegelpyramide  von  Daschur  gefunden  haben.  Sie  wird  im  Orient 
und  in  Europa  kultivirt  und  findet  sich  wildwachsend  in  Hecken  und  Gebirgs- 
wiildern  Nord-  und  Mittel-Italiens ;  in  Griechenland  und  Syrien  kommt  sie 
ausserhalb  der  Kulturen  nur  verwildert  vor.  Da  die  wenigen  aus  Fundstatten 
der  neolithischen,  Bronze-  und  Eisen-Periode  stammenden  Erbsen,  wie  Buschan 
gezeigt  hat,  eine  allmahliche  Gro'ssenzunahme  erkennen  lassen,  je  jiingeren 
Alters  sie  sind,  so  ist  es  hochst  wahrscheinlich,  dass  die  Gartenerbse  von  dem 
Pisum  arvense  abstammt.  Da  die  Erbse  in  Griechenland  sicher  schon  zu  Zeiten 
Homers  angebaut  war  und  die  altesten  prahistorischen  Funde  aus  der  Schweiz 
(Pfahlbauten  von  Liischerz,  Moosseedorf)  und  aus  Kleinasien  (Hissarlik) 
stammen,  so  ist  zu  vermuthen,  dass  die  Kultur  der  in  der  Schweiz  gefundenen 
Erbsen  im  nordlichen  Theil  von  Italien  begonnen  hat. 


218  Linsen.     Erbsen. 

Linse.  Die  Linse  (Lens  esculenta  Moench)  wurde  unter  Todtenspeisert 
der  XII.  Dynastie  von  Mariette  zu  Dra-Abu-Negga  gefunden  und  zwar  conform 
mit  einer  kleinsamigen  Varietat,  welche  auch  heute  im  Grossen  in  Aegypten 
kultivirt  wird.  (Vergl.  Schweinfurth  in  Ber.  d.  deutsch.  bot.  Ges.  II.  362. 
Ferner  fand  sie  Schliemann  in  der  zweiten  Stadt  von  Hissarlik.  Derselbeii 
neolithischen  Periode  gehoren  die  Linsenfunde  aus  Pfahlbauten  und  anderen 
Fundstatten  in  Ungarn,  Deutschland,  der  Schweiz,  Italien  an  (Vergl.  Buschan,. 
Vorgeschichtliche  Botanik,  S.  206).  In  dieselbe  (Bronze-)  Periode,  wie  der 
anfangs  erwahnte  aegyptische  Fund,  gehoren  nach  Buschan  die  Linsen> 
welche  Schliemann  in  grossen  Thongefassen  in  Herakleia  auf  Kreta  nach- 
wies,  ferner  die  aus  den  Pfahlbauten  der  Peterinsel  (Schweiz)  und  von  Bourget 
(Frankreich).  Auch  aus  Fundstatten  der  Eisenperiode  wurden  Linsen  mehrfach 
zu  Tage  gefordert.  Das  vergleichende  Stadium  dieser  Funde  fiihrte  Buschan 
zu  dem  Ergebniss,  dass  alle  vorgeschichtlichen  Linsen  weit  kleiner  sind,  als 
die  jetzt  gebauten.  Es  ist  wohl  ziemlich  sicher,  dass  die  kultivirte  Linse  von 
der  im  Mittelmeergebiet  und  Orient  auf  Feldern  haufig  anzutreffenden  Feld- 
liiise  abstammt  und  dass  diese  urspriinglich  in  Kleinasien  heimisch  war,  da 
die  zunachst  verwandte  Art,  Lens  Schnittspahnii  Alefeld  auf  steinigen  Platzen 
von  Kleinasien  bis  Afghanistan  verbreitet  ist. 


*  *  Die  einzelnen  Gattungen  der  Hulsenfriichte  werden  sprachlich  selbst. 
in  jtingeren  Epochen  nicht  scharf  unterschieden.  So  vereinigen  sich  in  slav. 
grachu  (aus  *gorchu,  das  sich  mit  xa/XYjS,  oben  S.  216,  nicht  verbinden  lasst) 
und  seiner  alb.  Entlehnung  gross  die  drei  Bedeutungen  Erbse,  Linse,  Bohne. 
Aus  dem  von  lat.  faba  Bohne  abgeleiteten  fabarium  stammt  alb.  oHef?,  fizfs 
Linse  (G.  Meyer,  Et.  W.)  u.  s.  w.  Das  gleiche  werden  wir  daher  auch  fur 
die  vorhistorische  Zeit  anzunehmen  haben.  In  dieselbe  gehen  mit  grosserer 
oder  geringerer  Sicherheit  eine  gauze  Anzahl  von  Beiiennungen  der  Hiilsen- 
friichte  zurtick:  1.  *keqro-,  aus  welchem  vielleicht  mit  entgegengesetzter  Assi- 
milation der  Gutturale  armen.  sisern,  lat.  deer  (von  xifXP0?  oben  S.  215  zu 
trennen),  altpr.  keekers  und  griech.  (xe)iipi6s  hervorgegangen  sind;  freilich  macht 
bei  dieser  Annahme  der  Stammvocal  des  armenischen  und  lateinischen  Wortes 
(i)  Schwierigkeit  (vgl.  H.  Hiibschmann  Armenische  Grammatik  I  S.  490). 
2.  *lenth-:  griech.  Xdft-opo?  eine  Htilsenfrucht,  lat.  lens,  lentis  (vgl.  lat.  rote,. 
scrt.  rathas,  lit.  rdtas),  slav.  l$sta  aus  *lentja  (vgl.  tiber  slav.  t  =  th  Archiv  f. 
slav.  Phil.  XI,  387),  ahd.  linsi,  linsm  (vgl.  ahd.  flins:  icXtvO-o?;  doch  ist  auch 
Entlehnung  des  deutschen  Wortes  aus  dem  Lateinischen  nicht  ausgeschlossen,. 
(vgl.  zuletzt  Kluge  in  Pauls  Grundriss  I2  S.  339).  3.  griech.  cpaxo?  Linse,  oben 
S.  212  —  alb.  bate  Saubohne  (G.  Meyer,  Et.  W.);  4.  lat.  faba  —  altsl.  bobii* 
5.  griech.  uico<;  =  lat.  pisum  (oben  S.  214),  fiir  das  aber  auch  Entlehnung  aus 
•  lem  Griechischen  angenommen  wird.  Was  die  Reihe  (oben  S.  212  f.)  griech. 
ips^-vftoc,  gpo^o?  —  lat.  ervum  —  ahd.  araiviz  betrifft,  so  ist  jedenfalls  soviel 
jetzt  klar,  dass  dieselbe  nicht  auf  Entlehnung  des  lat.  Wortes  aus  dem  Grie- 
chischen und  des  deutschen  Wortes  aus  dem  Lateinischen  oder  Griechischen 
beruhen  kann.  Einen  urverwandten  Kern  erblicken  die  einen  in  ervum  —  arawiz 
(Fick,  Vergl.  W.  I4,  364),  andere  in  sps^oc,  opo^o;  —  ervum  (*er<jvo-tn  oder 


Linsen.     Erbsen.  219 


*eregvo-m,  *erogvo-m)  und  griech.  apaxoc  Hiilsenfrucht  =  arawiz  (Sprachver- 
gleichung  und  Urgeschichte,2  S.  426  f.).  Aber  auch  wenn  wir  von  dem  vielerlei 
unklaren  in  der  Terminologie  der  Hiilsenfriichte  absehn,  bleibt  eine  Anzahl 
sicher  urverwandter  Nameii  derselben  (vgl.  namentlich  griech.  <paxo<;  =  alb. 
bafts  und  lat.  faba  —  altsl.  bobu)  iibrig.  Es  liegt  daher  seitens  der  Sprache 
auch  hier  die  Moglichkeit  vor,  dass  Griechen  und  Homer  bereits  mit  der  Kultur 
der  Hiilsenfriichte  vertraut  in  der  Balkan-  resp.  Apenninhalbinsel  eingewandert 
seien.  Welche  Gattungen  der  Hiilsenfriichte  alsdann  freilich  in  proethnischer 
Zeit  angebaut  worden  sind,  lasst  sich  aus  den  angegebenen  Griinden  mit  rein 
sprachlichen  Mitteln  nicht  entscheiden.  Hier  miissen  die  prahistorische  Ar- 
chaologie,  sowie  historische  und  geographische  Erwagungen  eingreifen.  Was 
wir  in  dieser  Beziehung  bis  jetzt  wissen,  ist  das  folgende:  1.  Da  die  heutige 
Gartenbohne  (Phascolus  vulyaris)  erst  durch  die  Entdeckung  Amerikas  bei  uns 
bekannt  geworden  ist,  so  ist  fur  die  prahistorische  Zeit  und  das  Alterthum 
vor  allem  der  Anbau  der  sogenannten  Saubohne  (Faba  vulgar  is)  anzunehmen. 
In  neolithischen  Ansiedlungen  wurde  sie,  wie  oben  gezeigt  ist,  in  Aegypten 
i  in  einein  Grab  der  XII.  DynastieX  in  Kleinasien  (im  Burghiigel  von  Hissarlik, 
II.  Stadt\  in  Italien,  Spanien  und  Ungarn  nachgewiesen.  Die  Saubohne  war 
ohne  Zweifel  em  wichtiges  Nahrungsmittel  schon  der  Urzeit  und  wrurde  daher 
mit  Vorliebe  auch  zur  Speisung  der  Todten  ^Todtenopfer)  verwendet  (vgl.  L. 
v.  Schroder  in  der  Wiener  Zeitschr.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.  XV,  187  ff.,  der 
auch  tiber  die  Frage  des  Alters  der  einzelnen  Bohnenarten  in  Europa  aus- 
fiihrlich  handelt).  Ausserdem  wurde  von  den  Griechen  und  Romern  noch 
eine  Dolichosart  (Dolichos  melanophthalmos  D.  C.)  angebaut,  die  griech. 
BoXi^oc;  (^Theophr.),  aju/.al  x-r}TCaia  und  cpaaioXoc  (Diosc.),  lat.  phaselus,  faseohis. 
phasiolus  hiess  (vgl.  v.  Fischer-Benzon  Altd.  Gartenfl.  S.  98).  2.  Von  Erbsen- 
arten  ist  bis  jetzt  nur  die  Garten  e  rb  se  (Pisum  sativum  L.),  nicht  die  Feld- 
erbse  (Pisum  arvense  L.),  in  praehistorischen  Schichten  Europas,  aus  neoli- 
thischer  Zeit  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  von  Mooseedorf  und  Liischerz 
nachweisbar.  Auch  in  Hissarlik  kommt  sie  vor.  Doch  wurde  im  Alterthum 
auch  die  Felderbse  angebaut,  wie  z.  B.  die  Hervorhebung  ihrer  unebenen  und 
eckigen  Samen  durch  Plinius  XVIII,  123ff.  lehrt  (vgl.  v.  Fischer-Benzon  S.  95). 
Aehnlich  steht  es  mit  der  Kichererbse  (Cicer  arietinum  L.),  die  ebenfalls 
bis  jetzt  in  den  Funden  fehlt.  Auch  ob  homerisch  Ip^ivftos  sie  bezeichne, 
ist  ungewiss.  Unverkennbar  wird  sie  erst  bei  Columella  genannt  (deer  —  quod 
arietinum  vocatur).  Wahrscheinlich  ist  ihre  Kultur  von  Italien  nach  dem  Norden 
iibergegangen,  worauf  die  Entlehnung  von  lat.  cicer  in  ahd.  chichhira,  mengL 
chiche  etc.  hinweist.  3.  Wichtig  fiir  die  Richtung,  in  der  Erbse  und  Linse 
sich  in  Alteuropa  verbreitet  haben,  ist  der  schon  von  Hehn  (oben  S.  211  f.) 
hervorgehobene,  durch  die  spatere  Forschung  bestatigte  Umstand,  dass  die 
erstere  hochstwahrscheinlich  dem  agyptisch-semitischen  Kulturkreis  fehlt,  da- 
gegen  im  nordlichen  Kleinasien  (Hissarlik)  vorkommt.  —  Weitere  Namen 
von  Hiilsenfruchten  in  Europa:  griech.  oorcpia  (armen.  ospn,  osbn  cpaxoc?) 
und  x^poTra  Hiilsenfriichte;  neben  eps^ivfto;  noch  Xep-iv*o?  (=  lat.  leg-umen?: 
aus  dem  griechischen  Xo(3o£  Schotenhiilsen  :  kurd.  lobia,  armen.  loubiaj  Bohnen, 
Jaba-Justi  S.  381)  und  yi'k-wd'oc,  lip-^-froc,  (:  lit.  zirnis  Erbse?);  griech.  etvoc 
Erbsen-  oder  Bohnenbrei;  griech.  SoXt^o?  eine  an  Stangen  emporgerankte 
Bohnenart  (s.  o.);  griech.  xoafxo?,  Tiuavo;:  xuloj  schwellen;  slav.  socivo  Linse 


220  Lorbeer.     Myrte. 

(von  lat.  deer  u.  s.  w.  oben  S.  212  zu  trennen):  soku  Saft  (nach  Miklosich, 
Et.  W.).  slanutuku  Erbse  oben  S.  216  =  salzlose  Frucht  (nach  ebendemselben) ; 
alb.  moduh  Erbse  =  rum.  mazdre  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  284)  u.  s.  w.  Griech. 
ptxiov  wohl  aus  lat.  vicia  und  nicht  umgekehrt  (oben  S.  216). 

Die  westfinnischen  Sprachen  haben  die  Namen  der  Htilsenfrtichte  aus 
dem  litauischen  £irnis  Erbse  und  lett.  lezas  Linsen,  sowie  aus  russ.  bob  Bohne 
entlehnt.  Letzteres  Wort  ist  durch  die  Vermittlung  der  finnischen  Sprachen  wohl 
wieder  ins  Litauische  (pupa)  eingedrungen.  Vgl.  Thoniseu,  Beroringer  S.  251, 
195,  210  und  Kretschraer  Einleitung  S.  146.  Fur  Erbse  haben  ostfinnische 
Sprachen  ein  tatarisches  Wort,  von  welchem  ausgehend  sie  zuweilen  die  Bohne 
benennen.  Vgl.  Ahlqvist,  Kulturworter  S.  37  fF. 


Lorbeer  und  Myrte. 

(Laurus  nobiliSj  Myrtus  communis  L.) 

In  friihe  Zeit  fallt  auch  die  Einfuhrung  der  Myrte  und  des 
Lorbeers,  -  -  die  eine  der  Aphrodite,  die  andere  dem  Apollo  heilig, 
und  beide,  wie  in  Mignons  Liede,  so  auch  bei  den  Alten  oft  zusammen- 
genannt,  z.  B.  Verg.  Eel.  2,  54: 

Et  vos.  o  lauri,  carpam,  et  te.  proximo,  myrte: 
Sic  posltae  quoniam  suavis  miscetis  adores. 

ober  bei  Horaz,  Od.  3,  4,  18,  wo  die  Tauben  das  schlafende  Dichter- 
kind  mit  Lorbeer  und  Myrte  bedecken: 

ut  premerer  sacra 
Lauroque  collataque  myrto. 

Beide  gelangten  im  Gefolge  wandernder  religioser  Kulte  von  Ort  zu 
Ort  welter  ins  griechische  Land  und  wurden  um  die  entsprechenden 
Heiligthiimer  angepflanzt.  Die  Myrte,  ihres  balsamischen  Duftes 
wegen  so  benannt,  kam  aus  eben  der  Gegend,  von  wo  die  orientalische 
Naturgottin,  die  Aphrodite,  stammte.  In  Lydien  jenseits  des  Hermos 
in  der  Stadt  Temnos  hatte  schon  Pelops,  des  Tantalos  Sohn,  der 
Aphrodite  aus  lebendiger  Myrte  ein  Bild  gemacht,  damit  die  Gottin 
ihm  bei  Bewerbung  um  die  Hippodamia  giinstig  sei  (Pausan.  5,  13,  4). 
In  Cypern,  dem  Sitze  der  Astarte  ward  des  Priester-Konigs  Cinyras 
Tochter,  die  Myrrha,  nachdem  sie  mit  dem  Vater  in  blutschande- 
rischem  Umgang  gelebt,  um  sie  nach  der  Entdeckung  vor  der  Ver- 
folgung  desselben  zu  retten,  in  einen  Myrtenbaum  verwandelt,  aus 
dem  nach  vollendeter  Zeit  Adonis  geboren  wurde  (Serv.  ad  V.  Aen. 


Lorbeer.     Myrte.  221 

5,  72).  Dasselbe  erzahlte  der  Epiker  Panyasis,  nur  hiess  bed  ihm 
der  Vater  Theias  und  'war  ein  assyrischer  (d.  h.  syrischer)  Konig, 
die  Tochter  aber  ward  in  den  Myrrhenbaum,  Smyrna,  die  arabische 
Myrte,  verwandelt  (Apollod.  3,  14,  4).  Auch  bei  Hyginus  (Fab.  .58) 
ist  Cinyras,  ihr  Vater,  ein  assyrischer  Konig.  Bei  dem  Fest  der 
Hellotien,  das  in  Kreta  und  Korinth,  Statten  altsemitischer  Religions- 
iibung,  der  Mondgottin  Europa  gefeiert  wurde,  ward  auch  ein  un- 
geheuerer  Myrtenkranz  mit  aufgefuhrt,  Hellotis  genannt,  nach  dem 
gleich  oder  ahnlich  lautenden  Namen  der  Gottin  selbst  (Et.  Magn., 
Athen.  15,  p.  678  und  Schol.  zu  Find.  Ol.  13,  39).  Auch  die 
Namen  der  Amazonen,  der  Priesterinnen  der  kleinasiatischen  Mond- 
gottin Myrina,  deren  Grabhiigel  schon  in  der  Ilias  erwahnt  wird, 
Smyrna,  nach  der  die  Stadt  des  Namens  benannt  sein  sollte,  u.  s.  w. 
weisen  auf  die  mit  dem  Dienst  der  Gottin  verkniipften  Raucherungen, 
Salbungen  und  Bekranzungeri  mit  Myrrhen  und  Myrten.  Als  die 
drei  uralten,  der  Insel  Cythere  gegeniiberliegenden  Stadte,  Side,  nach 
der  Tochter  des  Danaus  genannt,  Etis  und  Aphrodisias,  beide  von 
Aeneas,  dem  Sohne  der  Aphrodite,  gegriindet,  sich  zu  gemeinsamer 
Anlage  einer  neuen  Stadt  Boa,  BoiaC,  vereinigten,  da  zeigte  ihnen 
ein  Hase  (ein  aphrodisisches  Thier),  der  sich  in  einem  Myrtenbusch 
verbarg,  den  passenden  Ort  dazu  an;  die  Myrte  ward  zu  einem 
Gotterbilde  geweiht  und  bestand  noch  zu  Pausanias  Zeit,  unter  dem 
Namen  der  Artemis  Soteira  (Pausan.  3,  22,  9).  Polycharmus  aus 
Naukratis  erzahlte  in  seiner  Schrift  liber  die  Aphrodite,  in  der 
dreiundzwanzigsten  Olyrnpiade  habe  Herostratus  auf  einer  Kaufmanns- 
fahrt  in  Paphos  in  Cypern  ein  kleines  Bild  der  Aphrodite  erworben 
und  sei  darauf  nach  Naukratis  unter  Segel  gegangen;  nicht  weit  von 
der  agyptischen  Kiiste  habe  ihn  plotzlich  ein  Sturm  uberfallen,  so 
dass  die  Schiffsleute  zum  Bilde  der  Aphrodite  sich  wandten.  und  die 
Gottin  um  Rettung  anflehten;  diese,  die  den  Naukratiten  hold  war, 
habe  darauf  das  ganze  Schiff  plotzlich  mit  grunen  Myrtenzweigen 
und  siissem  Duft  erfuilt  —  wie  im  homerischen  Hymnus  auf 
Dionysos  dieser  das  Schiff  der  den  Gott  verkennenden  Seeleute  ganz 
mit  Weinlaub  und  Epheu  fiillt  — ,  zugleich  sei  die  Sonne  wieder 
erschienen  und  die  Fahrenden  seien  glucklich  in  den  ersehnten  Hafen 
eingelaufen;  da  habe  Herostratus  sowohl  das  Bild,  als  alle  die  Myr- 
tenzweige  im  Tempel  der  Aphrodite  als  Weihgeschenk  niedergelegt 
und  im  Heiligthum  selbst  ein  Mahl  gegeben,  bei  dem  die  Gaste 
Myrtenkranze  trugen,  und  solche  Kranze  seien  seitdem  naukratische 
genannt  worden  (wortlich  aus  Polycharmus  bei  Athen.  15,  p.  675). 


222  Lorbeer.     Myrte. 

Da  dies  in  der  23.  Ol.  geschehen  sein  soil,  also  vor  der  Griindung 
des  Delta-Emporiums,  das  den  griechischen  Namen  Naukratis  trug, 
so  bestand  hier  also  schon  friiher  eine  Seestation  mit  Aphroditekultus, 
wie  denn  die  ttnteragyptische  Kiiste  seit  uralter  Zeit  mit  Syrien, 
Phonizien  und  Cypern  durch  Schifffahrt  und  Wanderung  verbundeii 
war  und  mit  diesen  Landern  in  religioser  Wechselwirknng  stand. 
Als  im  Verlaufe  der  Zeit  die  Aphrodite  aus  einer  unter  barbarischer 
Form  angeschauten  und  mit  zuchtlosen  Brauchen  verehrten  Natur- 
potenz  bei  den  Griechen  immer  mehr  zur  Personification  weiblicher 
Schonheit  und  des  Liebesgenusses  geworden  war,  da  fehlte  auch  nir- 
gends  im  uferreichen  Lande  bei  Tempeln,  in  Garten  und  bald  auch 
im  Freien  an  den  Felsenkiisten  der  Myrtenstrauch,  wegen  seines  lieb- 
lichen  Duftes,  der  freundlichen  Gestalt  seiner  unverwelklichen  immer- 
griinen  Blatter,  der  weissrothen  Bliithen  und  gcwiirzhaften  Beeren 
allgemein  beliebt  und  reichlich  zu  Schmuck  und  Kranzen  verwandt, 
auch  bei  Gelegenheiten,  wo  Aphrodite  nicht  unmittelbar  waltete. 
Nur  der  strengen  Hera  und  der  Artemis  war  begreiflicher  Weise  die 
Myrte  verhasst  und  von  ihrem  Dienst  ausgeschlossen,  und  in  den 
seltenen  Fallen,  wo  wir  die  keusche  Artemis  mit  dem  brautlichen 
Gewachs  in  Verbindung  gebracht  finden,  da  mag,  wie  bei  der  obigen 
Artemis  Soteira  in  Boa,  die  Verwandlung  der  bewaffneten  Aschera 
von  Askalon,.  der  Gottin  von  Cythere,  in  eine  griechische  Gestalt 
nur  eine  andere  Richtung  genommen  haben.  —  Auch  der  Lorbeer 
ward  wegen  des  scharfen  aromatischen  Geruchs  und  Geschmacks 
seiner  immergriinen  Blatter  und  Beeren  friihe  ein  Gotterbaum.  Der 
starke  Duft  seiner  Zweige  verscheuchte  Moder  und  Verwesung,  und 
derjenige  Gott,  der  aus  einer  Personification  der  die  Seuche  senden- 
den  und  also  auch  von  ihr  wieder  befreienden  Sonnenglut  allmahlich 
zum  ernsten  Gott  der  Suhne  fiir  sittliche  Befleckung  und  Erkrankung 
geworden  war,  Apollo,  der  Leto  Sohn,  Apollo  Katharsios,  erwahlte 
sich  diesen  Baum  als  Zeichen  und  magisches  Mittel  der  von  ihm 
ausgehenden  Reinigungen.  Zwar  im  ersten  Buch  der  Bias,  wo  das 
Heer  der  Achaer  sich  entsiindigt  (dTtehvfjiawovTo)  und  die  Avfjiara 
in-  Meer  geworfen  werden,  ist  von  dem  Lorbeer  nicht  die  Rede, 
aber  in  der  Sage  von  Orestes,  dem  von  den  Erinyen  umgetriebenen 
und  dann  durch  Apollo  von  Wahn  und  Schuld  geheilten  Mutter- 
morder,  hat  auch  der  Lorbeer,  der  Baum  der  Siihne,  seine  Stelle. 
Als  Orestes  in  Trozen  in  einem  eigenen  Gebaude,  Gxqvij  des  Orestes 
genannt,  da  den  Befleckten  kein  Burger  in  sein  Haus  aufnehmen 
"wollte,  vom  Mutterblute  gesiihnt  worden  war  und  die  xa&dQGta  in 


Lorbeer.     Myrte.  223 

die  Erde  vergraben  waren,  sprosste  von  ihnen  ein  Lorbeerbaum  auf, 
der  noch  zu  Pausanias' Zeit  vor  der  (fxyvrj  zu  sehen  war  (Pausan. 
2,  31,  11).  Apollo  selbst,  da  er  den  Python  erlegt  hatte,  bedurfte 
der  Siihne  des  vergossenen  Blutes:  auf  Geheiss  des  Zeus  (xara  TTQOG- 
vayiJia  xov  Jtog)  elite  er  -  -  wie  die  Thessaler  erzahlten  -  -  nach  der 
thessalischen  Hestiaotis  in  das  Thai  Tempe,  kranzte  sich  dort  mit 
dem  Lorbeer  neben  dem  Altare,  nahm  einen  Zweig  des  Baumes  in 
die  Hand  und  zog  auf  der  pythischen  Strasse  als  herrlicher  Orakel- 
fiirst  in  Delphi  ein  (Ael.  V.  H.  3,  1).  Diesen  mythischen  Vorgang 
wiederholen  die  Delphier  alle  acht  Jahre  in  einer  eigenen  heiligen 
Darstellung:  ein  delphischer  Edelknabe  zog,  wie  einst  der  Gott,  mit 
der  Theorie  der  Daphnephoren  zu  dem  Altare  im  Thai  Tempe,  brach 
sich  den  Suhnzweig  von  dem  Baume  und  kehrte  auf  dem  vom 
Mythus  bezeichneten  heiligen  Wege  von  einer  apollinischen  Kultstatte 
zur  anderen  zum  delphischen  Tempel  zuriick  (0.  Miiller,  Dorier, 
2.  Ausgabe,  1,  204 fr*.).  Griechenland  bedeckte  sich,  je  dichter  die 
apollinischen  Heiligthihner  in  alien  Landschaften  ausgestreut  waren, 
u in  so  mehr  mit  gepflanzten,  duftenden,  immergrunen  Lorbeer- 
waldchen.  Weil  der  Baum  einmal  dem  Gotte  gehorte,  nahm  er 
auch  Theil  an  dessen  iibrigen  gottlichen  Neigungen  und  Verrich- 
tungen.  Der  Lorbeerstab  (alaaxog)  verlieh  dem  Seher  und  Weis- 
sager  die  Kraft,  das  Verborgene  zu  schauen;  Apollo  selbst  gab  seine 
Orakel  vom  Lorbeer  her  (Horn.  hymn,  in  Apoll.  396)  und  im  Aller- 
heiligsten  um  und  an  dem  Dreifuss,  von  dem  die  Pythia  weissagte, 
schlangen  sich  Lorbeerzweige.  Die  Tochter  des  Sehers  Tiresias,  die 
Manto,  wurde  von  Andern  auch  Daphne,  der  Lorbeer,  genannt:  als 
die  Epigonen  Theben  eingenommen  hatten,  weihten  sie  diese  Daphne 
nach  Delphi  und  dort  weissagte  sie  seitdem  die  Zukunft,  Homer  aber 
entlehnte  manchen  ihrer  Spriiche  und  verwob  sie  in  seinen  epischen 
Gesang  (Diod.  4,  66).  Und  da  die  Dichter  auch  Seher  sind  und 
Apollo,  der  Musenfiirst,  sie  erfiillt,  so  wurde  der  Lorbeerzweig  und 
der  Kranz  aus  Lorbeerblattern  auch  das  Abzeichen  der  Sanger,  das 
die  musische  Begeisterung  weckende  Zaubermittel.  So  gaben  die 
Musen  dem  Hesiodus,  wie  er  selbst  riihmt,  den  helikonischen  Lorbeer 
in  die  Hand,  auf  dass  er  mit  Gotterstimme  das  Zukiinftige  und  das 
Vergangene  verkiinde  (Theog.  30).  Bei  apollinischen  Festziigen, 
Opfern,  Wettspielen,  Anrufungen  und  Besprengungen,  Abwendungen 
von  Uebel  und  Krankheit  an  Menschen  und  Pflanzen  u.  s.  w.  dienten 
Lorbeerreiser  als  nirgends  zu  missendes  Wahrzeichen  der  Gegenwart 
des  Gottes.  Gediehen  diese  an  einer  giinstigen  Stelle  besonders  gut, 


224  Lorbeer.     Myrte. 

dann  bildete  sich  bald  die  Fabel,  hier  sei  die  Daphne  urspriinglich 
entstanden  und  geboren  worden:  so  erzahlten  die  Arkader,  Daphne 
sei  die  Tochter  ihres  Flusses  Ladon  und  der  Erde  gewesen  und  dort 
in  einen  Lorbeerbaum  verwandelt  worden  (Serv.  ad  V.  Aen.  2,  513. 
Pausan.  8,  20,  2.).  'Nach  Python  aber  war  der  Lorbeer  von  Thessalien 
iibertragen  worden,  wie  die  Sage  in  mancherlei  Wendungen  iiberein- 
stimmend  berichtet:  der  Kranz  der  Sieger  in  den  pythischen  Spielen 
war  Anfangs  aus  Tempe  beschafft  (Argum.  Pind.  Pyth.)  oder  be- 
stand  aus  Eichenlaub,  da  der  Lorbeer  dort  noch  fehlte  (Ov.  Met. 
1,  449)  u.  s.  w.  Der  Scholiast  zu  Nic.  Alex.  198  sagt  geradezu: 
@eGffaA,txrjg,  dtort,  TIQWTOV  sxel  svQsO't]  TO  (pvtov.  Der  Lorbeer  war 
also  ein  thessalisches  Gewachs:  weiter  fuhrt  vorlaufig  die  Spur  nicht. 
Begeben  wir  uns  auf  italischen  Boden,  so  waren  diesem  sowohl 
Aphrodite  als  Apollo  urspriinglich  fremd.  Erst  die  griechischen  An- 
siedelungen  brachten  beide  Gottheiten  und  mit  ihr  die  Myrte  und 
den  Lorbeer  in  die  westliche  Halbinsel.  Die  Vorstellungen  der  cam- 
panischen  Griechen  von  des  Aeneas,  des  Sohnes  der  dardanischen 
Aphrodite,  Wanderfahrt  und  Niederlassung  in  Italien,  der  weite  Ruhm 
und  Einfluss  des  von  den  Phoniziern  gegriindeten,  dann  von  den 
Griechen  ubernommenen  Heiligthums  der  Venus  Urania  in  Eryx  auf 
Sicilien,  die  von  dort  ausgehenden  neuen  Stiftungen,  dies  Alles  konnte 
nicht  verfehlen,  wie  den  Kultus  der  Gottin,  so  auch  ihr  Lieblings- 
symbol  unter  den  Bewohnern  des  Westens  zu  verbreiten.  Zu  aller- 
erst  sollte  die  Myrte  in  diesen  Gegenden  auf  der  Insel  der  Circe, 
dem  Vorgebirge  siidlich  von  den  pontinischen  Siimpfen,  am  Grabe 
des  Elpenor,  des  jugendlichen  Gefahrten  des  Odysseus,  der  wein-  und 
schlaftrunken  vom  Dache  gestiirzt  war  (Od.  10,  552  ft'.),  erschienen 
sein,  Theophr.  h.  pi.  5,  8,  3  und  nach  ihm  Plin.  15,  119:  primum 
Circeis  in  Elpenoris  tumulo  visa  traditur  Oraeciimque  ei  no  men 
r  em  a  net  quoperegrinam  esseadparet.  In  den  grossgriechischen 
Stadten  war  auch  Apollo  ein  viel  verehrter  Gott,  dem  die  fromme 
Hand  der  Tempelstifter  und  der  ihn  mit  Opfern  und  Gebet  An- 
gehenden  seinen  Baum  zu  pflanzen  gewiss  nicht  unterliess.  In 
Rhegium  sollte  Orestes  vom  Mutterblute  gestihnt  worden  sein,  wie 
in  Athen  und  Trozen;  er  griindete  dort  dem  Apollo  einen  Tempel, 
aus  dessen  geweihtem  Hain  die  Rheginer,  wenn  sie  nach  Delphi 
pilgerten,  den  Lorbeer  mitzunehmen  pflegten  (Varro  bei  Prob.  Verg. 
Eel.  Prooem.);  Miinzen  der  Brettier,  von  Nola  u.  s.  w.  zeigen  den 
Apollokopf  mit  Lorbeerkranz  (Mommsen,  Romisches  Miinzwesen, 
S.  130,  165  u.  s.  w.);  in  Cuma,  der  Heimath  der  sibyllinischen  Spriiche, 


Lorbeer.     Myrte.  225 

stand  der  Tempel  des  weissagenden  Gottes  auf  der  Burghohe  liber 
dem  Meere;  von  dort  her  ergoss  sich  griechische  Bildung  nach 
Cicero's  Ausdruck  nicht  als  diinnes  Bachlein,  sondern  in  vollem  Strom 
liber  die  Barbaren  und  trug  ihnen  vor  Allem  die  Verehrung  der 
reinsten  griechischen  Gottergestalt  und  deren  Attribute  zu.  Der 
Lorbeer  fand  bald  seine  Stelle  in  den  zahlreichen  dem  Apollo glauben 
wahlverwandten  Lustrations-  und  Suhnungsgebrauchen  der  latinisch- 
sabinischen  Religion,  in  dem  Dienst  der  Laren,  in  der  Feier  der 
Palilien  und  Poplifugien,  bei  Triumphzugen  siegreicher  Heere  und 
Feldherren  —  denn  er  reinigte  von  dem  im  Kriege  vergossenen 
Blute,  wie  die  Myrte,  das  Symbol  der  Vereinigung  und  des  Gliickes, 
denjenigen  schmiickt,  der  den  Feldzug  ohne  Schwertschlag  beendigt 
hat  — ,  und  ward  auch  nach  dieser  reinigenden  Kraft  benannt56). 
So  konnte  um  300  vor  Chr.  Theophrast  (an  dem  so  eben  ange- 
flibrten  Orte)  schon  sagen,  die  latinise  he  Ebene  sei  reich  an 
Lorbeer-  und  Myrtenbaumen  und  die  Berge  an  Tannen  und 
Fichten.  Anderthalb  Jahrhunderte  spater  nnden  wir  bei  Cato  drei 
Lorbeerarten  genannt,  laurus  Cypria,  Delphica,  silvatica,  von  welchen 
Namen  die  beiden  ersten  sich  selbst  erklaren,  der  letzte  aber  wohl 
auf  Viburnum  Tinus  L.  geht  (Plin.  15,  128:  tinus;  hanc  silvestrem 
laurum  aliqui  intelligunt),  wie  auch  die  wilde  Myrte,  (JbvqoCv^  dygCa 
des  Dioskorides,  nichts  ist  als  der  Mausedorn,  Ruscus  aculeatus  L. 
Dass  der  Lorbeer  nicht  etwa  in  Italien  einheimisch  war,  beweist  auch 
die  Analogic  der  Insel  Corsica,  wo  die  ursprungliche  Wildniss  sich 
bis  in  die  historische  Zeit  erhielt  und  an  welcher  Italien  daher,  wie 
immer  Continente  an  gegeniiberliegenden  Inseln,  ein  Spiegelbild  seiner 
eigenen  Vorzeit  hatte:  auf  Corsica  wuchs  keine  Art  Lorbeer,  gedieh 
aber  spater  nach  der  Einfiihrung  ganz  wohl,  Plin.  15,  132:  notation 
antiquis  nullum  genus  laurus  in  Corsica  fuisse,  quod  nunc  satum 
et  ibi  provenit.  In  Italien  war  der  Lorbeer  immer  ein  Tempel-  und 
Gartenbaum,  und  der  nordische  Wallfahrer,  der  von  hesperischen 
Lorbeerwaldern  traumt,  wird  sich  in  dieser  Hinsicht  sehr  getauscht 
finden.  Auch  in  Griechenland  ist  laurus  nobilis  im  wilden  Zustande 
meistens  nur  ein  grosserer  Strauch,  wachst  aber  wohf  unter  giinstigen 
Umstanden  zu  einem  stattlichen  Baum  heran.  Fraas  (Synopsis  plan- 
tarum  florae  class,  p.  288)  fand  ihn  im  siidlichen  Griechenland  selten, 
erst  im  nordlichen,  namentlich  im  phthiotischen  Thessalien,  wald- 
almlich  versammelt  und  Haine  bildend,  »  we  nigs  tens  in  der  Nahe 
vonKlostern,  die  sich  ihre  Zucht  angelegen  sein  lassen.« 
Zur  Zeit  Hesiod's  muss  der  Baum  in  Bootien  am  Helikon  schon  nicht 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  15 


226  Lorbeer.     Myrte. 

ungewohnlich  gewesen  sein,  da  der  Dichter  (Op.  et  d.  435,  also  in 
einer  der  echtesten  Partien  des  Gedichts)  die  Vorschrift  giebt,  die 
Deichsel  des  Pfluges  aus  Lorbeer-  oder  Ulmenholz  zu  machen,  als 
dem  Wurnifrass  nicbt  ausgesetzt.  Auch  die  Hohle  des  Cyclopen  in 
der  Odyssee  ist  schon  in  Lorbeer  versteckt,  9,  182: 

Sahn  wir  am  Ufersaum  in  der  Nahe  des  Meeres  die  Hohle, 

Hoch  und  von  Lorbeerbaumen  umwolbt. 

Der  Baum  kam,  wie  wir  vermuthen,  aus  Kleinasien  nach  Europa 
hinuber,  wobl  als  Begleiter  einer  lustrirenden  Religion,  sei  es  mil 
wandernden  Thrakern  oder  Karern  oder  Kretern  u.  s.  w.  Von  dem 
Seher  Branchus,  dem  mythischen  Stifter  des  Branchiden-Orakels  bei 
Milet,  welches  die  ionischen  Einwanderer  als  karisches  Institut  schon 
vorfanden,  berichtet  die  Sage,  er  habe  bei  einer  Pest  in  Milet  die 
Milesier  mit  Lorbeerzweigen  besprengt  und  gereinigt  (Clem.  Alex. 
Strom.  5  p.  570  B.  ed.  Paris.  1629.  fol.).  Eine  andere  Erwahnung 
des  Lorbeers  in  der  Argonautensage  fiihrt  auf  den  thrakischen  Bos- 
porus. Dort  wohnte  in  der  Vorzeit  das  mythische  Volk  der  Bebryker, 
nach  Strabo  thrakischen  Stammes,  deren  Konig  Amykos,  Sohn  des 
Poseidon,  sich  mit  Polydeukes  in  einen  fur  ihn  todtlichen.  Faustkampf 
einliess  -  -  wie  Apollonius  Rhodius  am  Anfang  des  zweiten  Buches 
der  Argonautica  ausfuhrlich  erzahlt.  Die  Helden  kriinzten  sich  nach 
dem  Siege  mit  dem  Laube  eines  am  Ufer  wachsenden  Lorbeers,  an 
dem  sie  ihr  Schiff  mit  Seilen  befestigt  hatten,  und  sangen  zu  Orpheus 
Leier  den  Hyrnnus  (v.  159).  Dazu  bemerkt  der  Scholiast  nach  dem 
einen  von  zwei  alteren  Autoren,  die  jenes  Lokal  in  ihren  Schriften 
behandelt  hatten :  es  stehe  dort  wirklich  ein  hoher  Lorbeerbaum  an 
einem  noch  bewohnten  Orte,  der  Amykos  heisse,  fiinf  Stadien  vom 
Chalcedonischen  Nymphaum  entfernt;  nach  dem  andern:  es  befinde 
sich  dort  ein  Heroon  des  Amykos  mit  eiriem  Lorbeer,  und  wer  von 
demselben  ein  Reis  breche,  verfalle  in  Schmahungen  (slg  koidoQiav 
dvtorrjGi,).  Nach  Plinius  wuchs  der  Lorbeer  seit  Bestattung  des 
Amycus  auf  dessen  Grabe  und  hiess  der  unvernunftige,  weil,  wenn 
ein  Reis  davon  aufs  Schiff  gebracht  wurde,  sogleich  Zank  entstaiid, 
bis  es  wieder  weggeworfen  wurde,  16,  239:  in  eodem  tractu  portus 
Amyci  est  Bebryce  rege  inter fecto  clarus:  ejus  tumulus  a  supremo 
die  lauro  tegitur  quam  insanam  vacant,  quoniam  si  quid  ex  ea 
decerptum  inferatur  navibus,  jurgia  fiunt,  donee  abiciatur.  Der 
Lorbeer  hat  auch  hier  die  Bedeutung  der  Siihne  nach  geschehener 
Todtung:  dass  er  aber  zu  bosen  Reden  verfiihrt,  und  insana  oder 
[tawo/Lievrj  heisst  (bei  Arrian.  peripl.  Ponti  Eux.  und  Steph. 


Lorbeer.     Myrte.  227 

Byz.)  kommt  daher,  well  er  auf  dem  Grabe  oder  beim  Sacellum  des 
prahlerischen,  streitsiichtigen  Riesen  wuchs.  Noch  welter  nach  Nord- 
osten  bei  Panticapaum  (dem  heutigen  Kertsch  in  der  Krirn)  hatte 
man,  wie  Theophrast  h.  pi.  4,  5,  3  berichtet,  Myrte  und  Lorbeer 
anzupflanzen  versucht,  zum  Zwecke  priesterlicher  Verrichtungen  (rrgbg 
rag  fegoffuvag,  namlich  des  Apollo  und  der  in  Panticapaum  vielver- 
ehrten  Aphrodite),  aber  der  Versuch  misslang,  ofFenbar  der  skythischen 
Winter  wegen.  Plinius  wiederholt  diese  Nachricht,  mischt  aber  selt- 
samer  Weise  den  Konig  Mithridates  ein,  18,  137:  circa  Bosporum 
Cimmerium  in  Panticapaeo  urbe  omni  modo  Idboravit  Mithridates 
rex  et  ceteri  incolae,  sacrorum  certe  causa,  laurum  myrtumque 
hdbere:  non  contigit.  Hing  diese  Anpflanzung  —  falls  Plinius  nicht 
aus  irgend  einem  Missverstandniss,  wie  ihm  dies  nicht  selten  begegnet, 
den  Mithridates  herbeigezogen  hat57)  —  mit  der  Religion  des  pon- 
iischen  Konigs,  der  vom  persischen  Stamme  war,  zusammen,  so  wird 
auch  von  den  Persern  selbst  erwahnt,  sie  bedienten  sich  bei  gewissen 
heiligen  Handlungen  der  Myrten  und  Lorbeerreiser,  die  sich  also 
doch  in  ihrem  Lande  finden  mussten  (Herod.  1,  132.  Strab.  15,  3, 
14).  Die  uferliebende  Myrte  (amantis  lit  or  a  myrtoSj  litora  myrtetis 
laetissima)  und  auch  der  Lorbeer  sind  Gewachse  eines  milden,  von 
Extremen  freien  Himmelsstrichs.  Die  Myrte  ist  in  dieser  Beziehung 
wie  auch  Theophrast  h.  pi.  4,  5,  3  bemerkt,  noch  zartlicher  als  der 
Lorbeer.  Die  erstere  verbreitete  sich,  wenn  wir  uns  nicht  tauschen, 
von  Siidosten  her  uber  die  Felsenufer  des  mittellandischen  Meeres; 
der  andere,  haufig  nicht  bloss  in  Cilicien,  wo  er  fast  bis  an  die  be- 
ruhmten  cilicischen  Thore  reicht,  in  dem  apollinischen  Lycieri,  an 
den  Gestaden  Kleinasiens  bis  Troas  hinauf,  sondern  auch  am  Siid- 
rande  der  Propontis  und  des  Pontus  bis  Georgien,  wo  er  aufhort 
(s.  Tchihatscheff,  Asie  mineure,  botanique  II.  p.  445  und  die  daselbst 
angefiihrten  Werke  von  Sestini,  Grisebach  und  Koch),  ward  zuerst 
in  den  Norden  der  hellenischen  Halbinsel  und  weiter  nach  Sliden 
und  Westen  getragen,  ohne  indess  in  Europa  im  freien  Stande, 
sowohl  was  die  Zahl  als  die  Pracht  der  Exemplare  betrifft,  so  frohlich 
xu  gedeihen,  wie  in  Vorderasien. 

Die  Frage,  ob  das  geringere  Abbild  der  Myrte,  der  immer- 
griine  Buchsbaum,  der  siideuropaischen  Flora  urspriinglich  an- 
gehort,  werden  alle  Botaniker  unbedenklich  mit  Ja  beantworten: 
dem  Historiker  ist  die  Sache  noch  nicht  so  ausgemacht.  Beim 
ersten  Blick  muss  auf  fallen,  dass  die  lateinische  Benennung  buxus 
(oder  in  der  altern,  volksmassigen  Form  buxum)  von  den  Griechen, 

15* 


228  Lorbeer.     Myrte. 

bei  denen  das  Gewachs  nv^og  heisst,  entlehnt  1st  —  derm  an  eine- 
Urverwandtschaft  beider  Worter  wird  Niemand  denken  wollen  - 
und  dass  also  ein  in  Italien  einheiniischer  Strauch  oder  Baum  einen 
fremden  Namen  tragt.  Das  Holz  des  buxus  wurde  seit  dem  frtihen 
Alterthum  wegen  seiner  Harte,  Dichtigkeit,  Schwere,  uriverganglichen 
Dauer  und  wegen  der  fehlerlosen  Glatte  der  daraus  gefertigten 
Flatten  hochgeschatzt :  es  war  das  nordische  und  abendlandische 
Ebenholz;  es  diente  zu  Werkzeugen  aller  Art,  zu  Cithern  und  Floten, 
Schmuckkastchen,  Tafeln,  Thiirpfosten,  Gotterbildern,  wie  auch  heut 
zu  Tage  die  Holzschneidekunst  es  nicht  entbehren  kann;  Grundes 
genug  das  Baumchen  zu  verbreiten,  welches  nach  Theophrast  h.  pi.  3r 
6,  1  zu  den  evav^rj  gehort  d.  h.  zu  solchen  Gewachsen,  die  sich  leicht 
vermehren,  und  also,  nachdem  es  in  einer  dunkeln  Periode,  aus  der 
es  keine  Urkunden  giebt,  von  Menschen  weiter  getragen  worden,  in, 
historischen  Zeiten  leicht  sich  auf  dem  neuen  Boden  als  freigeboren 
darstellte.  Wenn  es  aber  von  Asien  herubergekommen  war,  —  in 
welcher  Gegend  dieses  Festlandes  lag  der  Punkt,  von  dem  seine 
Wanderung  ausging?  Theophrast  in  dem  wunderbaren  Abschnitt 
seiner  Pflanzengeschichte,  wo  er  das  Bild  einer  Pflanzengeographie 
entwirft,  die  schon  das  ungeheure  Reich  Alexanders  des  Grossen 
und  einen  Theil  der  Welt  dariiber  hinaus  umfasst,  wir  meinen  die 
ersten  Kapitel  des  vierten  Buches  — ,  rechnet  4,  5,  1  die  Tiv^og  unter 
die  <ft,koipv%Qa  d.  h.  unter  die  Gewachse  nicht  des  warmen,  sondern 
des  kalten  Himmelsstrichs,  und  im  vorhergehenden  Kapitel  hatte  er 
berichtet,  der  griechische  Epheu  lasse  sich  in  den  babylonischen 
Garten  wegen  der  iibergrossen  Milde  des  Klimas  gar  nicht,  der  Buchs- 
baum  und  die  Linde  aber  nur  mit  grosser  Schwierigkeit  ziehen 
(4,  4,  1).  Aehnlich  aussert  er  sich  de  caus.  pi.  2,  3,  3:  in  den  heissen 
Landern,  wo  die  Dattelpalme  gedeiht,  kommen  Buchsbaum  und  Linde 
schwer  fort.  Der  Buchsbaum  war  also  kein  Gewachs  des  warmen 
semitischen  Landstrichs,  und  der  im  Alten  Testament  Jes.  41,  19. 
60,  13  und  in  etwas  anderer  Form  Ezech.  27,  6  genannte  Baum  kann 
schon  aus  diesem  Grunde  nicht  Buxus  sein,  wie  Bochart  und  nach 
ihm  Celsius  wollten.  Aber  auf  den  Gebirgen  des  pontischeii  Klein- 
asiens  wucherte  der  Baum  in  unermesslicher  Fiille,  und  erreichte  in 
Hohe  und  Dicke  ein  Wachsthum,  wie  nirgends  in  Griechenland. 
Dort  in  Paphlagonien,  bei  der  Stadt  Amastris,  wrar  besonders  das 
Cytorusgebirge,  welches  nahe  an  das  schwarze  Meer  herantritt,  wegen 
seiner  Buxuswaldung  beruhmt  (Theophr.  3,  15,  5,  Strab.  12,  3,  10, 

Catull.  4,   13: 

Amastri  Pontica  et  Cytore  buxifer, 


Lorbeer.     Myrte.  229 

Verg.   Georg  2,   437: 

Et  juvat  undantem  buxo  spectare  Cytorum  — 

und  wie  es  hiess:  Eulen  nach  Athen  oder  Fische  in  den  Hellespont 
tragen,  und  wie  wir  sagen:  Holz  in  den  Wald  tragen,  so  gait  nach 
Eustathius  ad  II.  1,  206  auch  das  Spriichwort:  Du  hast  Buchsbaum 
auf  den  Cytorus  gebracht,  TTV^OV  dg  KVTCOQOV  ^yaysg).  Zu  dem 
Cytorus  fiigt  Plinius  noch  das  Berecyntus-Gebirge  in  Phrygien  am 
Flusse  Sangarius,  16,  71:  buxus  .  .  .  Cytoriis  montibus  pluruma  et 
Berecyntio  tractu.  Ebenso  die  Dichter:  Verg.  Aen.  9,  619: 

buxusque  vocat  Berecyntia  matris 
Idaeae, 

Ovid,   ex  Pont.   1,   1,  45: 

pro  sistro  phrygiique  foramine  buxi. 

Da  nun  die  Paphlagonier  schon  bei  Homer  Bundesgenossen  der  Troer 
sind  und  von  den  dortigen  Henetern  die  Maulthiere  stammten,  so 
erklart  sich,  dass  schon  das  Epos,  obgleich  in  einem  seiner  jiingsten 
Theile,  dem  24.  Buch  der  Ilias,  dem  alten  Priamus  einen  maulthier- 
bespannten  Wagen  giebt  mit  einem  aus  Buxus  gearbeiteten  schon 
yerzierten  Joche  (v.  268).  Noch  im  Mittelalter  heisst  es  bei  Marco 
Polo,  1,  Cap.  4:  In  der  Provinz  Georgien  bestehen  alle  Walder  aus 
Buchsbaum  —  wozu  der  neueste  Herausgeber  H.  Yule  die  Notiz 
fiigt:  Buchsbaumholz  fand  sich  in  den  abchasischen  Waldern  so 
reichlich  und  bildete  einen  so  wichtigen  genuesischen  Handelsartikel, 
dass  die  Bai  von  Bambor,  nordwestlich  von  Suchum  Kale,  iiber  welche 
dieser  Handel  ging,  den  Namen  Chao  de  Bux  (cavo  di  Bussi)  erhielt. 
Auch  auf  dem  macedonischen  Olympus  wuchs  der  Buchsbaum  schon 
zu  Theophrasts  Zeit,  aber  verkiimmert,  niedrig,  knotenreich  und 
darum  den  Technikern  nicht  nutzbar  (Theophr.  h.  pi.  3,  15,  5.  5,  7,  7). 
In  clem  mehr  siidlichen  Griechenland,  dem  Gebiet  des  heutigen 
Konigreichs,  ist  Buxus  sempervirens  ungewohnlich ;  von  dem  West- 
lande  aber  und  insbesondere  von  der  Insel  Kyrnos  hat  Theophrast 
gehort,  dort  wachse  der  hochste  und  schonste  Buchsbaum,  der  jeden 
anderen  an  Lange  und  Dicke  iibertrerle,  und  davon  babe  der  dortige 
Honig  seinen  iiblen  Geruch  (h.  pi.  3,  15,  3).  Den  Griechen,  die 
einen  Theil  der  Kiisten  Italiens,  Galliens  und  Spaniens  schon  friihe 
mit  Kolonien  besetzt  hatten,  blieb  doch  das  Innere  der  genannten 
Lander  lange  und  bis  in  die  jungste  Epoche  fast  unbekannt,  und 
noch  zu  Theophrasts  Zeit  ruht  ein  Schleier  dartiber,  der  den  Schrift- 
stellern  des  Mutterlandes  nur  momentane  einzelne  Blicke  gestattet. 
Besonders  Corsica  war  dainals  noch  ein  halb  mythisches  Land,  auf 


230  Lorbeer.     Myrte. 

welches  nach  der  uralten  Anschauung  der  Identitat  des  aussersten 
Westens  mit  dem  aussersten  Osten  gewohnheitsmassig  die  Naturgaben 
des  Pontus,  in  diesem  Fall  das  gepriesene  Holz  des  Buchsbaums 
iibertragen  werden  konnten.  Denn  auch  im  Pontus  hatte  der  Honig 
seinen  widrigen  Geruch  von  dem  Buchsbaum  (Aristot.  de  mir.  auscult. 
18,  wiederholt  von  Aelian  n.  a.  5,  42),  und  noch  ein  so  spater 
Schriftsteller  wie  Diodor  (oder  vielmehr  der  sicilische  Geschichts- 
schreiber  Timaeus,  welchen  Diodor  hier  ausschrieb)  berichtet  5,  14 
iiber  Corsica  wie  iiber  ein  Phantasieland,  in  dem  tugendhafte  und 
gerechte  Menschen  leben,  gleich  den  Abiern  und  Hyperboreern,  und 
die  einfachen  Sitten  der  Hirtenwelt  herrschen.  Sei  es  nun,  dass 
auf  diese  Art  die  Phantasie  in  die  gefiirchteten  dichten  Wai  der  der 
Insel  den  Buchsbaum  nur  hineinschaute,  oder  class  wirklich  die  jetzt 
den  balearischen  Inseln  eigenthiimliche,  friiher  vielleicht  weiter  iiber 
die  atlantisch  iberische  Welt,  wie  Korkbaum  und  Speiseeiche,  ver- 
breitete  Art,  die  die  Botaniker  Euxus  balearica  nennen,  auch  auf 
Corsica  sich  fand  -  -  auf  jeden  Fall  gehort  der  Zusammenhang 
zwischen  dem  bitteren  Honig  und  dem  Buchsbaum  der  Insel  in  das 
Reich  der  Fabel,  ja  jene  Eigenschaft  des  Honigs  selbst  ist  nur  von 
der  gleichen  des  pontischen  abgeleitet.  Dass  aber  wenigstens  an  der 
italischen  Kiiste  und  zwar  bei  dem  heutigen  Policastro  in  Kalabrien 
im  funften  Jahrhundert  vor  Chr.,  zwei  bis  dreihundert  Jahre  nach 
der  ersten  Ankunft  der  Griechen  in  jenen  Gegenden,  der  Buchsbaum 
wuchs,  geht  aus  dem  Namen  der  Stadt  IlvZovg,  bei  den  Italern 
Buxentum,  hervor:  dieser  von  Mikythos,  Tyrannen  von  Messana, 
01.  78,  2  oder  467  vor  Chr.  gegriindete  Ort  war  ohne  Zweifel  nach 
dem  in  der  Umgegend  vorgefundenen  Buxus  benannt.  Bei  den 
spateren  Romern  diente  der  lebendige  Strauch,  wie  noch  heute,  zu 
Einfassung  von  Gangen  und  Beeten  und  wurde  nach  dem  Geschmack 
der  damaligen  Gartenkunst  von  der  Hand  der  topiarii  und  viridarii 
zu  mannigfachen  Gestalten,  Thierbildern,  sogar  Buchstaben  zu- 
geschnitten,  woriiber  der  jiingere  Plinius  in  der  Schilderung  seiner 
tuscischen  Villa,  Ep.  5,  6,  uns  ein  belehrendes  Document  hinterlasseii 
hat.  Ein  so  allgemein  verwendetes  Gewachs  und  ein  so  gesuchtes 
Holz  musste  sich  nach  und  nach  in  passenden  Localitaten  Dasein 
und  Raum  schaffen.  Der  altere  Plinius  wiederholt  nach  seiner  Art 
die  Angaben,  die  er  bei  Theophrast  fand,  darunter  auch  die  vom 
corsischen  Buchsbaum;  Einiges  aber  fiigt  er  auch  selbstandig  oder 
aus  anderen  Quellen  hinzu,  was  iiber  die  damalige  Verbreitung  des 
Baumes  Licht  giebt,  1.6,  70  (wir  geben  hier  den  Text  nach  Detlefsen): 


Lorbeer.     Myrte.  231 

fi'hi  ejus  genera:  gallicum  quod  in  metas  emittitur  amplitudine 
proceriores;  oleastrum-  in  omni  usu  damnatum  gravem  praefert 
odor  em;  tertium  genus  nostras  vacant,  e  silvestri,  ut  credo,  miti- 
gatum  satu,  diffusius  et  densitate  parietum,  virens  semper  ac  ton- 
sile.  Buxus  Pyrenaeis  ac  Cytoriis  montibus  plurima  (u.  s.  w.,  s.  o.). 
Die  gallische  Art  halten  wir  fiir  die  balearische,  die  edler,  hoher 
und  gegen  die  nordische  Kalte  empfindlicher  ist,  als  die  gemeine, 
und  eben  dahin  mag  der  Buchsbaum  der  Pyrenaen  gehort  haben: 
die  beiden  anderen  unterschieden  sich  nach  Plinius  eigener  Andeutung 
nur  wie  Verwilderung  und  Kultur.  In  den  achtzehn  Jahrhunderten 
seit  Plinius  hat  sich  der  Buchsbaum  an  den  Kiisten  Frankreichs, 
Englands,  ja  Irlands  in  volliger  Freiheit  angesiedelt;  da  ihn  dorthin 
sicher  erst  menschlicher  Verkehr  gebracht  hat,  so  wird  es  nicht  un- 
verniinftig  sein,  fiir  eine  viel  friihere  Zeit  eine  ahnliche  Wanderung 
von  Kappadocien  in  das  europaische  Mittelmeergebiet  anzunehmen. 
Dass  die  europaische  Benennung  des  Baumes  in  alien  Sprachen 
aus  der  lateinischen  stammt,  kann  nicht  verwundern;  interessanter 
aber  ist,  wie  seit  dem  Mittelalter  das  beliebte  Material  allem  urspriing- 
lich  daraus  Gefertigten  den  Namen  lieh.  So  im  Deutschen.  Buchse 
(in  alien  Bedeutungen,  auch  in  der  des  Feuergewehrs) :  franzosisch 
boite  die  Schachtel,  hotter  hinken  (d.  h.  aus  der  Pfanne,  botte,  bringen 
oder  gerathen);  boisseau  der  Scheffel,  englisch  bushel;  boussole  der 
Kompass,  spanisch  bruxula:  buisson  der  Strauch,  ital.  buscione; 
buste,  ital.  busto  die  Biiste  (nach  Diez);  slavisch  pusika,  pusJca  die 
Kanone,  puskari  der  Kanonier,  magyarisch  pusJca  (aus  dem  deutschen 
buhsa,  puhsa)  und  manches  Andere58). 


*  Lorbeer.  Fiir  den  Lorbeer,  Laurus  nobilis  L.,  liegen  ahnliche 
palaoiitologische  Thatsachen  vor,  Avie  fiir  den  Weinstock,  welche 
die  prahistorische  Existenz  dieser  Pflanze  in  Italien  und  Siid- 
frankreich  beweisen.  Im  Travertin  um  Fiano  Romano,  am  rechten  Tiber- 
ufer,  wurden  in  den  obersten  weissen  Schichten  Blatter  des  Lorbeer  gefunden 
(Clerici,  II  travertino  di  Fiano  Romano,  Boll,  del  R.  Com.  geol.  d'ltalia 
ser.  II  vol.  VIII.,  Roma  1877  p.  99 — 121),  desgleichen  am  Fuss  des  Quirinals 
in  einer  Tiefe  von  20 — 31,5  m  (Clerici,  sulla  natura  geologica  di  terreni 
incontrati  nella  fondazioiie  del  palazzo  della  Bauca  nazionale  in  Roma,  Boll. 
<lel  R.  Com.  geol.  ser.  II  vol.  VII.,  Roma  1886  p.  369—377).  Ferner  wurde  der 
Lorbeer  constatirt  in  den  Travertinschichteii  zu  Jano  bei  Florenz  (Ristori, 
Filliti  dei  Travertini  toscani,  P.  V.  Pisa  vol.  V.  1885—87,  p.  114—115).  End- 
lich  existirte  er  auch  zur  pliocenen  Zeit  nordwestlich  von  Bologna,  woselbst 
er  fossil  in  den  Argille  turchiue  von  Mongardmo  gefunden  wurde  (Cavara, 
le  sabbie  marnose  plioceniche  di  Mongardino  e  i  loro  fossili,  Boll.  soc.  geoL 


232  Lorbeer.     Myrte. 

ital.  V.  1886,  p.  265—275).  In  Frankreich  fand  man  die  Blatter  des  Lorbeers 
zusammen  mit  denen  der  Feige  und  denen  von  Eichen  im  De~partement 
1'Herault  in  quaternaren  Tuffeii  des  Vis-Thales  (Boulay,  Notice  sur  la  flore 
des  tufs  quaternaires  de  la  vallee  de  la  Vis,  Annales  de  la  Soc.  des  sc.  de 
Bruxelles,  1887  p.  186—199;  Annal.  geol.  univ.  t.  IV.  p.  901).  Desgleichen 
wurde  der  Lorbeer  in  den  Tuffen  von  Montpellier,  Aygelades,  des  Arcs,  im 
Pliocen  von  Meximieux  und  von  Valentine  bei  Marseille  nachgewiesen.  Audi 
der  heut  noch  auf  den  Kanaren  wildwachsende  Laurus  canariensis  L.  wurde 
in  quartaren  Tuffeii  der  Provence,  Liparis  und  Toscanas  gefunden.  Diese 
fossilen  Funde  haben  durchaus  nichts  Befremdendes,  weil  in  den 
vorangehenden  Perioden  der  Tertiarzeit  die  Lorbeergewachse 
auch  in  Mitteleuropa  reichlich  vertreten  waren,  mit  Sicherheit 
in  der  Schweiz  bei  Oeningen  und  sogar  im  Samlande  existirten. 
Durch  die  wahrend  der  Glacialperide  in  Mitteleuropa  herr- 
schenden  Verhaltnisse  koiinte  wohl  das  Area!  des  Lorbeers  im 
nordlicheii  Theil  des  Mediterrangebietes  eingeschrankt,  sicher 
aber  nicht  die  Pflanze  aus  Europa  verdrangt  werden;  zudem 
konnte  der  Lorbeer  bei  der  Verbreitungsfahigkeit  seiner  fleischigen  Friichte 
sich  mit  dem  Riickgange  der  Vergletscherung  der  Alpenlander  auch  wiederum 
im  nordlichen  Mittelmeergebiet  ansiedeln.  Heutzutage  ist  der  Lorbeer  sicher 
wild  in  der  immergriinen  Region  der  Kiistenlander  Kleinasiens,  im  nordlichen 
Kleinasien  bis  an  die  Stidostecke  des  schwarzen  Meeres  (Imeretien,  Colchis 
der  Alten)  und  im  Kiistengebiet  von  Syrien.  Auf  der  Krim  findet  er  sich 
nur  bei  dem  Dorf  Alupka  haufig  um  Ruinen  und  ist  vielleicht  dort  nicht 
wirklich  einheimisch.  Haufig  ist  er  im  siidlichen  Thracien  und  Macedonien, 
in  vielen  Theilen  Griechenlands  (selten  in  Attica)  und  auf  den  griechischen 
Inseln.  In  Istrien  findet  sich  der  Lorbeer  strauchartig  stellenweise  in  Menge 
an  Waldrandern  und  in  Gebiischen  bis  zu  100  m  Hohe,  und  bei  Abbazia  ist 
es  vorzugsweise  der  Rest  eines  alten  Lorbeer waldes,  welcher  dem  kleinen 
Kiistenstrich  einen  so  siidlichen  Charakter  verleiht;  auch  in  Dalmatien  wird 
der  Lorbeer  mehrfach  wild  angetroffen,  namentlich  aber  auf  den  Inseln 
Brazza  und  Lesina.  In  Italien  ist  der  Lorbeer  sicher  wild  in  den  warmeren 
Theilen  und  auf  den  Inseln,  so  namentlich  auch  in  den  Waldern  Sardiniens. 
Nordwarts  reicht  in  Italien  der  Lorbeer  bis  in  das  Gelande  des  Gardasees; 
im  Gebiet  von  Brescia  und  Verona  ist  er  stellenweise  so  haufig,  dass  man 
ihn  auch  dort  fur  heimisch  halten  mochte.  In  Spanien  ist  der  Lorbeerbaum 
unzweifelhaft  wild  in  den  schattigen  Uferwaldern  von  Algesiras,  wo  er  bis 
zu  600m  Hohe  aufsteigt  und  sich  nach  Willkomm  zu  Baumen  von  16  bis 
22  m  Hohe  entwickelt.  Auch  in  Portugal  ist  er  sicher  spontan.  In  Marokko 
ist  der  Lorbeer  nach  Ball  (Spicileg.  florae  marpccanae  p.  655)  wahrscheinlich 
wild  bei  Tetuan  am  Fuss  des  Berges  Beni  Hosmar.  Sehr  verbreitet  findet 
er  sich  in  dem  Kiistengebiet  von  Algier  und  bildet  stellenweise  geradezu  un- 
durchdringliche  Walder  mit  einigen  anderen  immergriinen  Geholzen.  Schliess- 
lich  sei  noch  erwahnt,  class  der  Lorbeer  kultivirt  auch  noch  im  westlichen 
Frankreich  und  siidlichen  England  aushalt;  dies  beweist,  dass  er  durch  die 
Verhaltnisse  der  Glacialzeit  nicht  aus  Europa  verdrangt  werden  konnte.  Ma.u 
also  auch  der  Kultus  des  Lorbeers  von  Kleinasien  nach  Europa 
gelangt  sein,  so  ist  doch  sicher  der  Baum  selbst  schon  lange  vor 


Lorbeer.     Myrte.  233 

der  Einfiihrung  seiner  Verehrung  in  Sudeuropa  heimisch  ge- 
wesen;  ja  die  Geschichte  der  Lorbeergewachse  spricht  viel  mehr 
dafiir,  dass  der  Lorbeer  vom  westlichen  Europa  nach  Osten  vor- 
gedrungeii  ist  und  in  Vorderasien  seine  Grenze  gefunden  hat. 

Myrte.  Betreffs  der  Myrte  (Myrtus  communis  L.)  ist  nicht  absolut 
sicher,  dass  sie  schon  zur  Tertiarperiode  in  Sudeuropa  existirte,  da  die  bei 
8t.  George  auf  Madera  und  im  Quartar  von  Montpellier  fossil  gefundenen  und 
als  Myrtus  communis  angesprochenen  Blatter,  desgleichen  die  bei  Gaville  in 
Toscana  gefundenen  Blatter  des  Myrtus  Veneris  Gaud,  auch  noch  andere  Deu- 
tungen  zulassen.  Es  ist  aber  die  Myrte  in  alien  Macchien  des 
Mittelmeergebietes  und  gerade  an  den  von  der  Kultur  am  wenig- 
sten  beriihrten  Stellen  so  verbreitet,  dass  tiber  ihr  Iiidigeiiat  in 
Europa  bei  einem  Botaniker  kein  Zweifel  aufkommen  kann.  In 
Vorderasien  ist  die  Myrte  weiter  verbreitet,  als  der  Lorbeer,  sie  findet  sich 
auch  im  inneren  Anatolien,  am  Libanon,  in  Mesopotamien  bei  Habebschi  um 
1300m,  im  siidwestlichen,  siidlichen  und  6'stlichen  Persien,  sowie  in  Afgha- 
nistan und  Beludschistan.  Sie  fehlt  auf  der  Krirn.  Auf  der  Balkanhalbinsel 
findet  die  in  Griechenland  sehr  haunge  Myrte  ihre  Nordgrenze  in  Macedonien, 
Albanien  und  in  Dalmatien,  wo  sie  auf  sonnigen  felsigen  Abhangen  verbreitet 
ist ;  besonders  haufig  ist  sie  auch  noch  auf  den  dalmatinischen  Inseln.  Ebenso 
ist  sie  verbreitet  in  Istrien  in  den  Macchien  der  Westktiste  uberall  von  Stig- 
nano  bis  Promontore,  auch  auf  beiden  Brioni,  San  Girolamo  und  den  Inseln 
bei  Veruda  (Freyn,  Flora  von  Stid-Istrien  in  Abhandl.  der  K.  K.  zool.-bot. 
Gesellsch.  in  Wien  1877,  p.  337  (99).  Sie  komrnt  auch  noch  an  warmen  Felsen 
bei  Triest  und  Duino  vor;  wachst  aber  nicht  mehr  wild  in  Siidtirol,  obgleich 
sie  angepflanzt  noch  in  der  Nahe  von  Bozen  aushalt.  In  Italien  und  auf  den 
italienischen  Inseln  ist  die  Myrte  in  den  Macchien  so  verbreitet,  dass  jeder 
Zweifel  an  ihrem  Indigenat  zurtickzuweisen  ist;  ebenso  ist  die  Myrte  sicher 
in  Siidfrankreich  in  der  Gegend  von  Montpellier  und  Narbonne  heimisch. 
Auf  der  iberischen  Halbinsel  gehort  die  Myrte  zu  den  charakteristischen 
Strauchern  der  in  den  Ktistenstrichen  noch  vorhandenen  immergriinen  Ge- 
holze.  Von  Galizien  im  nordlichen  Spanien  geht  sie  durch  Portugal  und  vom 
siidlichen  Catalonien  tiber  Valencia  bis  Granada.  Haufig  findet  sich  die  Myrte 
auf  Madera,  fehlt  dagegen  auf  Teneriffa.  Verbreitet  ist  sie  endlich  auch  im 
Kustengebiet  Nordafrikas,  sie  kommt  im  nordlichen  Marokko  vor  und  in  Algier 
gehort  sie  zu  den  gemeinsten  Geholzen  der  stellenweise  noch  in  urspriinglicher 
Dichtigkeit  erhaltenen  immergriinen  Macchien. 

Buchsbaum.  Der  Buchsbaum,  Buxus  sempervirens  L.,  ist  nebst  der  grosy- 
blattrigen  B.  bakarica  Lam.  in  Europa  der  einzige  Vertreter  der  nur  27  Arten 
/iihlenden  Familie  der  Buxaceae;  die  19  Arten  zahlende  Gattung  Buxus  ist  sehr 
formenreich  auf  den  westindischen  Inseln  und  hat  ausserdem  Vertreter  auf 
Madagascar,  Socotra  und  in  Asien  von  Kleinasieu  bis  Japan.  Unser  ge- 
wohnlicher  Buchsbaum  war  schon  in  der  Tertiarperiode  in  Europa 
heimisch;  man  hat  ihn  fossil  gefunden  in  Tuffen  von  La  Celle  bei  Paris  in 
Gesellschaft  der  Ficus  Carica  (Saporta  in  Bull.  soc.  geol.  de  France  ser.  Ill 
vol.  2  (1873—74)  p.  442),  in  den  Tuffen  von  Montpellier  und  in  einer  nur 
wenig  abweichenden  Form  im  Pliocen  von  Meximieux.  Auch  in  Italien 
kommt  er  fossil  vor  in  den  vulkanischen  Tuffen  von  Peperino  auf  der  via 


234  Lorbeer.     Myrte. 

Flaminia,  6  Kilometer  von  Rom,  sowie  im  Travertin  am  Fiano  Romano  am 
rechten  Ufer  der  Tiber  (Clerici,  II  travertine  di  Fiano  romano,  in  Boll.  dell. 
R.  Com.  geol.  d'ltalia,  ser.  II  vol.  VIII  (1881).  Gegenwartig  ist  der  Buchsbaum 
als  wildwachsender  Strauch  oder  als  Baumchen  weit  verbreitet.  An  das  Vor- 
kommen  der  im  nordwestlichen  Himalaya  von  1300 — 2GOO  m  wachsendeii 
und  vielleicht  nur  als  Varietat  des  gewohnlichen  Buchsbaumes  anzusehenden 
B.  Wallichiana  Baill.  schliesst  sich  zunachst  ein  Fundort  in  Afghanistan  an; 
dort  wachst  er  bei  Kabul  um  1300  m  Hohe.  Sodann  wurde  er  im  nordostlichen 
Persien,  bei  Siaret,  in  Ghilan  und  im  persischen  Talysch  angetroffen,  im  letzte- 
ren  bisweilen  in  kleinen  Bestanden  bis  zu  1000  m  Hohe.  Die  Daten  fiber  sein 
Vorkommen  im  Gelande  des  Kaukasus  wurden  sehr  sorgfaltig  von  K  op  pen 
(Geogr.  Verbreitung  der  Holzgewachse  des  europaischen  Russland  und  des 
Kaukasus  II,  S.  1 — 4)  zusammengestellt.  Hiernach  ist  in  der  Kustenzone 
des  westlichen  Transkaukasiens  bis  1300  m  Hohe  und  nordwarts  bis  zum 
Fluss  Psesuape  verbreitet.  An  der  Ktiste  des  schwarzen  Meeres  selbst  finden 
sich  in  Folge  der  schonungslosen  Verwerthung  des  kostbaren  Buchsbaumholzes 
nur  noch  kleine  Bestande  als  Unterholz  unter  Eschen,  Buchen,  Eichen  etc./ 
auf  der  zweiten  Terasse,  um  800  m  dagegen  ist  er  noch  haufig  und  ent- 
wickelt  bisweilen  Stamme  von  6 — 7  dcm  Durchmesser.  Im  ostlicheii  Kaukasus 
und  auch  nordlich  desselben  findet  sich  der  Buchsbaum  ebenfalls  mehrfach> 
aber  meist  in  der  Nahe  friiherer  Kulturstatten ;  er  wird  daher  von  Einzelnen 
als  dort  verwildert  angesehen.  Ueber  das  Vorkommen  des  Buchsbaums  in 
Kleinasien  wissen  wir  wenig,  wir  haben  nur  Angaben  fiber  sein  Vorkommen 
in  Karien  und  Bithynien;  sodann  finden  wir  ihn  wieder  bei  Constantinopel,. 
in  Macedonien,  auf  dem  thessalischen  Olymp  und  im  Pindus,  dann  an  trocke- 
nen  Abhangen  bei  Gornja  Voda  in  Albanien  und  auf  den  dalmatinischen. 
Inseln,  besonders  auf  Arbe.  Ferner  kommt  er  in  Istrien  auf  steinigen  Hiigeln,. 
stellenweise  dichte  Gebusche  bildend,  vor,  sodann  im  osterreichischen  Littorale. 
Haufiger  findet  er  sich  dann  im  mittleren  und  nordlichen  Italien  von  der 
Kastanienregion  und  Eichenregion  bis  in  die  subalpine  Region,  desgleichen 
in  Sudtirol,  wo  er  vom  Gardasee  zerstreut  bis  zur  Region  des  Knieholzes  auf- 
steigt,  in  der  Westschweiz,  den  Seealpen  und  der  Dauphine,  wo 
er  oft  in  ausserordentlicher,  jeden  Gedanken  an  Einschleppung 
zuruckweisender  Haufigkeit  ganze  Bergabhange  bedeckt  und 
eine  charakteristische  Formation  bildet.  Ebenso  verhalt  er  sich  in 
den  Pyrenaen  und  auch  in  Catalonien,  seltener  ist  er  in  Castilien  und 
Valencia;  im  sudwestlichen  Spanien  (Granada  und  Malaga)  tritt  an  seine  Stelle 
Buxus  balearica  Willd.,  wahrend  in  Algier  eine  schmalblattrige  Varietat  des 
Buxus  sempervirens  angegeben  wird.  Bemerkenswerth  ist  auch  noch  das  reich- 
liche  Vorkommen  des  Buchsbaums  auf  Kalkhugeln  bei  Belfort  und  im  Elsass> 
in  Oberbaden,  im  Moselthal  von  Bernkastel  bis  Alken,  endlich  in  den  Ar- 
dennen  und  in  der  englischen  Grafschaft  Surrey.  Diese  luckenhafte  Verbrei- 
tung des  Buchsbaums  konnte  leicht  zu  der  Annahme  veranlassen,  dass  der 
Buchsbaum  an  diesen  Orten  verwildert  sei;  aber  es  ist  wohl  zu  beriicksichtigen, 
dass  auch  manche  andere  Pflanzen  in  Westeuropa,  wo  die  Kultur  die  ursprung- 
liche  Flora  im  hGchsten  Grade  eingeschrankt  hat,  nur  zerstreut  vorkornmen. 
Sodann  spricht  auch  das  fossile  Vorkommen  von  Buxus  in  der  Gegend  von 
Paris  fur  eine  ehemalige  weitere  Verbreitung  dieses  Strauches. 


Lorbeer.     Myrte.  235 

**  Die  sprachliche  Erklarung  der  hier  in  Betracht  kommenden  Aus- 
drticke  ^a^vr^-laurus,  fxoptoc  (murtus),  TCD^O?  (buxus)  hat  bisher  leider  nur  geringe 
Fortschritte  gemacht.  Weder  wissen  wir  die  thessalischen  Formen  Sauyva.  etc. 
(vgl.  Anm.  56  und  Meister,  Griech.  Dialecte  I,  301)  zu  deuten,  noch  erkennen 
wir,  in  welchem  Verhaltniss  hierzu  das  gemeingriech.  Sdcpv-q  steht.  Nach 
G.  Meyer,  Griech.  Gramm.3  S.  192  ware  von  dem  ao  des  Thessalischen  als  dem 
ursprunglichen  Laut  auszugehn.  Lat.  laurus  ist  wohl  sicher  nicht  von  lat. 
luo,  lavo  (vgl.  Anm.  56)  abzuleiten,  da  nicht  abzusehen  ist,  wie  eine  so  primi- 
tive Bildung  noch  in  der  verhaltnissmassig  spaten  Zeit  hatte  entstehen  sollen, 
in  welcher  man  den  Lorbeer  als  Suhnebaum  auffassen  lernte.  Dagegen  liegt 
die  Annahme  eines  Zusammenhangs  mit  dem  kleinasiatischen  Soapsta  (Anm.  56) 
doch  sehr  nahe.  M6pto<;  hat  mit  dem  orientalischen  Namen  des  Balsamodendron 
Myrrha  (Anm.  56),  so  sehr  Myrrhe  und  Myrte  auch  in  der  Sagenwelt  ineinander 
fliessen  (vgl.  auch  Baudissin,  Studien  zur  semitischen  Religionsgeschichte  II, 
200),  kaum  etwas  zu  thun  (vgl.  A.  Muller  in  Bezzenb.  B.  I,  293).  Ebenso  sind 
Myrte  und  Myrrhe  in  den  orientalischen  Sprachen  ganz  verschieden  benannt. 
Letztere  wird  als  *o|j.6pa  zuerst,  was  Athenaus  III,  242  ausdrucklich  hervor- 
hebt,  bei  Archilochos  genannt:  iojjLopiojj.eva<;  xojjtac  xal  ot^^oc,  u><;  av  xal  *{ipa>v 
vjpdaaato  (Bergk  30).  Daneben  liegen  bei  demselben  Dichter  das  schon  friiher 
(vgl.  unten)  bezeugte  p-opoiviq  Myrte:  s^oooa  ftaXXov  p.opoivY]c:  stepTceto  p^oS^c  te 
xaXov  av&oc,  YJ  8s  ol  v.ofxv]  UJJJLODC  xaTsou'Ia^s  xal  |xstdcppsva  (29),  sowie  |xoptov  Myrten- 
beere:  ots4  to  fxoptov  (164,  165")  und  jxupov  Salbe:  o5x  av  fiopoiai  ^P01^0'  soua5  •JjXslcpsto 
(31).  Mopoivf]  und  [xupto!;,  woraus  armen.  murt,  pers.  murd  (Lagarde,  Armen. 
Stud.,  Hiibschmann,  Armen.  Gr.  I,  197)  entlehnt  sein  durften,  werden  mit 
dem  Namen  der  Tamariske  schon  in  der  Ilias  zusammenhangen.  Ueber 

oben  S.  160.  n6|o?  endlich  wird  von  den  Etymologen  theils  zu  TCTOCJOU) 
(so  Anm.  58),  theils  zu  rceoxf]  Fichte,  theils  zu  TCUXTCOC  dicht,  fest  gezogen,  ohne 
class  sich  etwas  bestimmtes  bis  jetzt  sagen  Hesse.  Sicher  ist  jedenfalls,  dass 
alle  eben  besprochenen  Worter  nichts  mit  den  westsemitischen  Bezeichnungen 
des  Lorbeers,  der  Myrte  und  des  Buchsbaums  (vgl.  Low,  Aram.  Pflanzennamen 
S.  299,  50,  63)  zu  thun  haben.  Auch  eine  Verbindung  des  griech.  Sau^va,  Sd-fvrj 
mit  dem  assyrischen  daprdnu,  dupranii,  nach  Delitzsch  Assyr.  Worterbuch 
S.  226/27,  ein  Baum,  nach  F.  Hommel,  Beilage  zur  allg.  Z.  1895  No.  197,  S.  2, 
der  Lorbeer  lasst  sich  bis  jetzt  lautlich  nicht  erweisen.  Sind  die  in  Rede 
stehenden  Pflanzen,  wie  von  unserem  botanischen  Gewahrsmann  angenommen 
wird,  wirklich  seit  Urzeiten  im  Siiden  Europas  heimisch,  so  wird  man  auch 
mit  der  Moglichkeit  rechnen  miissen,  dass  aborigine  Benennungen  derselben 
von  den  Griechen  oder  Roinern  iibernommen  wurden,  in  welchem  Falle  dann 
alle  unsere  etymologischen  Kiinste  scheitern  wurden. 

Bestehen  bleibt  die  Thatsache,  dass  lat.  murtus  und  buxus  aus  dem  Grie- 
chischen  entlehnt  sind.  Dass  aber  hieraus  nicht  gefolgert  zu  werden  braucht, 
auch  die  Pflanzen  selbst  seien  von  Griechenland  nach  Italien  gewandert,  haben 
wir  schon  gesehen  und  wird  noch  aus  weiteren  Beispielen  hervorgehen.  Wie 
die  Entlehnung  von  lat.  oliva  aus  griech.  eXaia  sich  nur  auf  die  Uebernahme 
der  Oelbaum  k  u  1 1  u  r  durch  die  Romer  aus  Griechenland  beziehen  wird,  so  steht 
nichts  der  Annahme  entgegen,  lat.  murtus  sei  deshalb  aus  dem  Griechischen 
entlehnt,  weil  bei  den  Griechen  die  Myrte  der  Baum  der  Aphrodite  war  und 
es  infolge  (lessen  auch  bei  den  Romern  wurde,  und  lat.  buxus  sei  deshalb 


236  Lorbeer.     Myrte. 

aus  dem  Griechischen  ubernommen,  well  die  Romer  von  den  Griecheii  die 
hervorragende  Verwendung  des  Buchsbaumholzes  in  der  Technik  des  Drechslers 
und  Zimmermanns  (vgl.  dartiber  Bliimner,  Terminologie  und  Technologic  II, 
252—254  und  Das  Maximalt.  d.  Diocl.  S.  134  f.)  erfuhren.  Vgl.  zu  S.  231  noch 
alb.  bost  Spindel,  Achse,  schon  bei  Hippokrates  w^ivo:  atpaxtot.  (G.  Meyer, 
Et.  W.). 

Dasselbe  wiirde  von  dem  griech.  TTU^OC  gelten,  wenn  sich  etwa  heraus- 
stellen  sollte,  dass  dasselbe  doch  ein  fremder  Bestandtheil  der  griechischen 
Sprache  ware.  Koppen,  Holzgewachse  II,  9  erinnert  hierfiir  an  das  kaukasische 
bsa  Buchsbaum.  Auf  die  Uebernahme  eines  Fremdwortes  hatte  der  Umstand 
von  Einfluss  sein  konnen,  dass  die  Griechen,  wie  auch  Neumann  -Partsch, 
Physikalische  Geographic  S.  390,  391  hervorheben,  in  der  Drechslerei  wohl 
weniger  das  klein  und  kriippelig  bleibende  Buchsbaumholz  des  Pindos  und 
Olympos  als  vielniehr  (iberwiegend  auslandisches  Material  verwendeten. 

Ueber  die  Entlehnung  des  lat.  buxus  nach  dem  Norden  handelt  ausfiihr- 
lich  J.  Hoops,  Ueber  die  altengl.  Pflanzennamen,  Diss.  Freiburg.  S.  81  ff. 

Fragen  wir  schliesslich  nach  der  Zeit  der  ersten  Ueberlieferung 
unserer  drei  Kulturpflanzen  oacpv-r),  jAoptoc,  roS^oc,  in  Europa,  so  ergiebt  sich 
aus  vorstehendem  S.  226  und  S.  229,  dass  BdcpvYj  und  itu£o<;  schon  der  Sprache 
Homers  eigen  sind.  Bei  p.opdvYr|ji6pTo<;  ist  dies  allerdings  nicht  der  Fall.  Doch 
setzt  neben  Archilochos  (S.  235)  schon  der  homerische  Hymnus  etc,  'Epfx-rjv  die 
Bekanntschaft  mit  der  Myrte  voraus: 

oojJifuaYuuv  jj.upoV.ac;  xai  jj-opaivosiofa^  o£oocj  (81) 

und  Ilias  2,  616  wird  man  den  Ortsnamen  Mopctvo?  in  Elis  (spater  Muptoovnov) 
nicht  von  dem  Namen  der  Myrte  trennen  wollen. 

Fassen  wir  zusammen,  so  konnen  wir  in  Sprache  und  Ueber- 
lieferung keinen  durchschlagenden  Grund  finden,  aus  welchem 
Lorbeer,  Myrte  und  Buchsbaum  in  Griecheiilaiid  und  Italien  als 
Fremdlinge  zu  betrachten  seien,  es  sei  denn,  dass  man  sich  fur  die 
spatere  Einfiihrung  der  Myrte  in  Italien  auf  das  oben  S.  224  angefiihrte  Zeug- 
niss  des  Plinius  beruft.  Allein,  wahrend  es  nach  den  Worteii  Hehns  scheinen 
konnte,  als  ob  bereits  Theophrast  5,  8,  3  von  einer  Verpflanzung  der  Myrte 
aus  Griechenland  nach  Italien  sprache,  heisst  es  an  der  angegebenen  Stelle 
nur:  »Das  Gebiet  der  Latiner  ist  durchgehends  wasserreich.  Das  ebene  Land 

erzeugt  Lorbeer,    Myrte    und    herrliche  Buchen Das    kirkaische  Vor- 

gebirge  ist  sehr  hoch,  dicht  bewachsen,  und  tra'gt  Eichen,  viel  Lorbeer  und 
Myrten.  Die  Eingeborenen  sagen,  dass  dort  Kirke  gewohnt,  und  zeigen  das 
Grab  Elpenors,  woraus  solche  Myrten  hervorwachsen,  wie  man  sie  zu  Kranzen 
nimmt;  die  anderen  Myrten  sind  gross «  (K.  Sprengel).  Das  iibrige  ist  also 
Zuthat  des  Plinius,  die  ganz  wie  ein  Schluss  aus  murtus  =  jjujptcx;  aussieht.  - 
Hinsichtlich  des  Buchsbaums  sei  noch  auf  eine  merkwiirdige  Ueberein- 
stimmung  seiner  Nomenclatur  in  Ost  und  West  aufmerksam  gemacht.  Im 
kaukasischen  Russisch  heisst  der  Buchsbaum  pal'ma,  kawkassaja  pal'ma  kauka- 
sische Palme,  pal'mowoje  dereivo  Palmbaum,  Namen,  die  davon  herriihren, 
dass  der  Buchsbaum  im  Kaukasus  am  Palm-Sonntag,  wie  im  Norden  die 
Weiden,  benutzt  wird.  Sowohl  die  christlichen  Grusier  wie  muselmannische 
Volkerschaften  Transkaukasiens  brachten  und  bringen  dieser  Holzart  religiose 
Verehrung  entgegen,  woraus  sich  die  Anpflanzung  des  Buchsbaums  niu 


Der  Granatapfelbaum.  237 

Kirchen,  Gebethauser  und  Kirchhofe  erklart  (Koppen,  Geogr.  Verbreitung 
der  Holzgewachse  etc.  II,  1  ff:.).  Dieselben  Narnen  wie  im  Kaukasns  kehren 
nun  merkwiirdiger  Weise  in  Deutschland  und  zwar  an  ganz  entgegengesetzten 
Stellen  wieder.  Pritzel-Jessen,  Deutsche  Volksnamen  der  Pflanzen  S.  71  haben 
Palm  (Schweiz,  Ostfriesland,  Eifel)  und  Palmenberg  (Eifel).  S.  daruber  auch 
mein  Reallexikon  u.  Dattelpalme.  —  Kaukasische,  persische  und  armenische 
Namen  des  Buchsbaums  giebt  Koppen  a.  a.  O.  II,  8  f. 


Der  Granatapfelbaum. 

(Punica  Granatum  L.) 

Religioser  Verkehr  hat  in  alter  Zeit  auch  den  gchonen  Granat- 
baum  nach  Europa  gebracht,  dessen  purpurne  Bliite  im  glanzenden 
Laube  und  rothwangige,  kernreiche  Frucht  die  Phantasie  symbo- 
lisch  denkender  Volker  Vorderasiens  von  Anbeginn  lebhaft  ergreifen 
musste.  In  der  Odyssee  sind  an  zwei  schon  friiher  behandelten 
Stellen  unter  den  Fruchten  im  Garten  des  Phaakenkonigs  und  unter 
denen,  die  den  phrygischen  Tantalus  durch  ihren  Anblick  qualen, 
auch  Granatapfel,  yoial,  welcher  Name  allein  schon  fiir  die  Her- 
kunft  des  Gewachses  aus  seinitischern  Sprach-  und  Kulturkreise 
entscheidendes  Zeugniss  ablegt59).  Im  syrisch-phonizischen  Gotter- 
dienst  war  der  Baum  von  so  hervorragender  Bedeutung,  dass  der 
Name  des  Granatapfels,  Rimmon,  mit  dem  des  Sonnengottes,  Hadad- 
Rimmon,  zusammenfallt  (Movers,  Phonizier,  1,  196  ff.).  In  Cypern 
hatte  Aphrodite  selbst  den  Baum  gepflanzt  (nach  dem  Komiker 
Eriphus  bei  Athen.  3,  p.  84);  er  war  dem  Adonis  geweiht  und  in 
die  phrygischen  theogonischen  Mythen  vielfach  verwebt.  Der  Apfel, 
den  der  troische  Paris  der  Aphrodite,  der  Landesgottin ,  im  Streite 
mit  den  eindringenden  Kulten  der  Athene  und  Hera  als  Preis  zu- 
erkannte,  war  ohne  Zweifel  urspriinglich  als  Granatapfel  gedacht. 
Eine  zweite  griechische  Benennung  der  Frucht  und  des  Baumes, 
(tidy,  stammte,  wie  Qota  aus  Syrien,  so  vermuthlich  aus  Kleinasien 
und  mag  karisch  oder  pbrygisch  u.  s.  w.  gewesen  sein.  Literarisch 
erscheint  das  Wort  zuerst  in  dem  von  Plutarch  (Symp.  5,  8,  2) 
aufbewahrten  Verse  des  Empedokles  (v.  220.  Stein.): 

ovvsxsv  otyCyovoC  je~~<fifat  xal  vTcsocphoa  f.iijJLa, 

also  in  der  Mitte  des  f iinften  Jahrhunderts.  Die  Schriften  des  Hippo- 
krates,  in  denen  das  Wort  gleichfalls  wiederholt  vorkommt,  gewahren 
zwar  keine  sichere  Zeitbestimmung,  wohl  aber  Aufklarung  iiber 


238  Der  Granatapfelbanm. 

Localitat  und  Mundart,  in  denen  es  gebrauchlich  war.  Die  Booter 
sagten  OY^,  die  Athener  Qod:  Athenaus  erzahlt  nach  Agatharchides 
{14.  p.  650  f.),  einst  batten  die  Booter  und  Athener  um  eiii  Grenz- 
land,  Namens  2tdcu,  gestritten:  da  habe  Epaminondas  plotzlich  einen 
Oranatapfel  hervorgeholt  und  gefragt:  wie  nennt  ihr  das?  Als  darauf 
•die  Athener  erwiderten:  $oa,  rief  Epaminondas:  wir  aber  aidy,  und 
blieb  auf  solche  Art  Sieger  im  Streit.  In  viel  altere  Zeit,  als  diese 
Erwahnungen,  fiihren  die  Namen  von  Ortschaften,  die  von  der  cidy 
entlehnt  sind.  An  der  lakonischen  Kiiste  lag  eine  Stadt  Side,  nach 
«iner  Tochter  des  Danaus  benannt,  im  politischen  Verein  mit  den 
beiden  auf  Troas  hinweisenden  Orten  Etis  und  Aphrodisias  (s.  oben 
bei  der  Myrte);  in  der  Landschaft  Troas  selbst  nennt  Strabo  (13, 
1,  11  und  42) 'eine  Stadt  Sidene  am  Granikus  nebst  gleichnamigem 
Gebiet;  ein  anderes  lykisches  Sidene  erwahnt  Stephanus  von  Byzanz 
nach  Xanthus;  ein  Flecken  bei  Korinth  oder  ein  Hafenort  in  Megaris 
2t,dovg  trug  besonders  schone  /.t^Aa  (Nicand.  in  seinen  Heteroumena 
und  andere  Gewahrsmanner  bei  Athen.  3.  p.  82),  worunter  dem 
Namen  des  Ortes  nach  urspriinglich  oder  vorziiglich  Granatapfel  zu 
verstehen  waren ;  Dorfer  mit  demselben  Namen  kennt  Stephanus  von 
Byzanz  an  der  kleinasiatischen  Kiiste  bei  Klazomena  und  bei  Erythra; 
eine  Stadt  2idovo<fa  in  lonien  kam  4  bei  Hecataus  in  seiner  Um- 
schiffung  Asiens  vor  und  wird  auch  spater  noch  erwahnt.  Side  in 
Pamphylien,  welches  auf  seinen  Miinzen  einen  Granatapfel  zeigt, 
lag  zwar  dem  syrischen  Siiden  schon  nahe,  war  aber  eine  Griindung 
des  aolischen  Kyme  (Strab.  14,  4,  2:  2Cdrj9  Kv[jiaCan>  anoixog). 
Auch  im  innersten  Pontus  endlich  lag  in  der  gliicklichen  Landschaft 
Sidene,  also  dem  Granatenlande ,  die  hochgelegene  Kiistenstadt  Side 
(Strab.  12,  3,  16).  Eine  altere,  auch  von  Kallimachos  (in  lavacr. 
Pall.  28)  gebrauchte  Wortform  <rCfldi]  statt  ffCdrj  -  -  alter,  weil  die 
letztere  aus  der  ersteren,  nicht  aber  jene  aus  dieser  entstehen  konnte  — 
iiihrt  direct  nach  Karien,  Steph.  Byz.:  2ifi8a,  TIG  fag  Ragtag.  --  Wie 
in  Asien,  dient  der  Baum  und  seine  Frucht  denn  auch  in  Griechen- 
land  in  den  entsprechenden  Kulten  zum  Ausdruck  dunkler  Vor- 
stellungen  von  Zeugung  und  Befruchtung  und  wiederum  von  Tod 
und  Vernichtung.  Eine  phrygische  Farbung  trug  die  thebanische 
Legende,  nach  welcher  am  Grabe  des  Eteokles  ein  von  den  Erinyen 
gepflanzter  Granatbaum  wuchs,  aus  dem,  wenn  man  eine  Frucht 
brach,  Blut  floss  (Philostr.  Imag.  2,  29),  oder  jene  andere,  nach 
welcher  beim  Grabmal  des  Menoikeus,  der  beim  Anzug  des  Polynices, 
oinem  delphischen  Orakelspruch  gehorchend,  sich  selbst  den  Tod 


Der  Granatapfelbanm.  239 

gegeben  hatte,  eine  Granate  aufgesprosst  war,  deren  reife  Friichte 
inneiiich  wie  von  Blut  gerothet  waren  (Paus.  9,  25,  1).  Auf  der 
bildgeschmiickten  Lade  des  Kypselos  im  Heraum  zu  Olympia,  deren 
Anfertigung  in  das  erste  Jahrhundert  der  Olympiadenrechnung  fallt 
und  die  noch  Pausanias  an  Ort  und  Stelle  fand  und  genau  be- 
schrieben  hat,  sah  man  den  Gott  Dionysos  in  einer  Hohle  liegend, 
um  ihn  herum  aber  Weinstocke,  Apfel-  und  Granatbaume  wachsend 
(Paus.  5,  19,  1).  Das  im  Heraum  zwischen  Argos  und  Mykene 
von  Polyklet  gearbeitete  Bild  der  Gottin  hielt  in  der  einen  Hand 
das  Scepter  mit  dem  Kukuk,  in  der  anderen  den  Granatapfel  - 
was.  dieser  letztere  bedeutet,  fiigt  Pausanias  bei  Beschreibung  des 
Werkes  (2,  17)  hinzu,  verschweige  ich,  da  es  nicht  auszusprechen 
1st.  Er  bedeutete  aber  eben  die  Erdgottin  als  die  vom  Himmel  be- 
fruchtete  und  unendlich  hervorbringende,  wie  der  Kukuk  die  regne- 
rische  Friihlingszeit,  in  der  jene  Befruchtung  vor  "sich  geht.  Be- 
sonders  im  Mythus  von  dem  Pluto  und  der  Proserpina  erscheint 
der  Granatapfel  als  bedeutungsvolles  Attribut:  schon  der  homerische 
Hymnus  auf  die  Demeter  berichtet,  wie  Persephone  in  der  Unterwelt 
einen  Kern  der  Frucht  (QOtr^g  xoxxov,  fjtrehrjde'  f-tSmdrjv)  zu  kosten  ge- 
zwungen  worden,  d.  h.  mit  dem  Ai'doneus  sich  geschlechtlich  verbun- 
den  habe  und  ihm  dadurch  verf alien  sei.  Da  die  Granate  uberall  in 
mystischer  Weise  auf  das  Natuiieben  deutet,  so  konnte  sie  der  Pallas 
Athene,  der  sittlichen,  geistigen  Gottin,  der  Gottin  des  Staates  und 
der  Stadt  Athen,  nicht  angehoren.  Um  so  auffallender  musste  es  sein, 
wenn  von  dem  Bilde  der  ungefliigelten  Athena  Nike  am  Aufgang  zur 
Burg  in  Athen  berichtet  wird,  es  habe  in  der  Linken  den  Helm,  in 
der  Rechten  einen  Granatapfel  getragen  (Harpocration  unter  Ntxt] 
'AV^va),  und  wir  stimmen  daher  gern  0.  Benndorf  bei,  der  dies  Bild 
von  dem  oben  genannten  Side  in  Pamphylien  ableitet  (Festschrift  zur 
funfzigjahrigen  Griindungsfeier  des  archaologischen  Institutes  in  Rom, 
Wien  1879,  4°).  Danach  hat  es  Kimon  als  Denkmal  des  Doppel- 
sieges  am  Eurymedon  gestiftet  und  zum  Zeugniss  dessen  die  Pallas 
von  Side,  der  dem  Eurymedon  nahe  gelegenen  Stadt,  clurch  Kalamis 
nachbilden  lassen.  So  war  hier  die  Gottin  nur  zugewandert  und  ihr 
Granatapfel  nur  das  Zeichen  der  asiatischen  Gegend,  aus  der  sie  kam 
und  in  der  eben  die  Asiaten  iibervvunden  worden  waren. 

Wie  bei  der  argivischen  Hera,  so  wird  auch  in  dem  abgeleiteten 
Herakult  der  achaischen  Stadte  in  I  tali  en,  besonders  der  ihnen 
gemeinsamen  Hera  Lakinia  bei  Kroton,  das  Symbol  des  Granat- 
apfels  mid  also  auch  bei  Tempeln  und  in  Garten  der  Baum  selbst 


240  I*er  Granatapi'elbaum. 

nicht  gefehlt  haben.  Darauf  deutete  bin,  was  von  der  Siegesstatue 
des  Milon  von  Kroton  in  Olympia  berichtet  wird:  dieser  gross- 
griecbiscbe  Athlet,  der  schon  um  das  Jahr  520  vor  Chr.  lebte,  war 
als  Priester  der  Hera  dargestellt  und  trug  als  solcher  in  der  linkeii 
Hand  einen  Granatapfel  (Philostr.  vit.  Apoll.  4,  28,  woselbst  der 
Satz  aufgestellt  ist:  t]  Qod  ds  povr]  gwtwv  TY^  "Hgq,  (pvsiat,).  Weiter 
muss  der  Verkehr  der  Romer  mit  den  campanischen  Griecben,  der  die 
erycinische  Aphrodite  und  die  vom  troischen  Ida  stammenden  sibyl- 
linischen  Biicher  nach  Rom  brachte,  auch  die  Kunde  der  Granatfrucht, 
dieses  haufigen  Symboles,  und  des  Baumes,  auf  dem  sie  wucbs,  ver- 
mittelt  haben.  In  der  That  finden  wir  den  Granatzweig  in  einer  der 
altesten  Partieen  des  romischen  Priesterrituals  erwahnt:  die  Gattin  des 
flamen  DialiSj  die  Flaminica,  die  in  Tracht  und  Sitte  ein  Abbild  der 
romischen  Matrone  aus  der  Urzeit  dnrstellte,  trug  auf  dem  Haupte 
einen  Granatenzweig,  arculum,  inarculum,  dessen  Enden  mit  einem 
Faden  weisser  Wolle  an  einander  gekniipft  waren,  offenbar  zum 
Zeichen  ehelicher  Fruchtbarkeit  —  wie  das  Haupt  ihres  Gatten  mit 
einem  Oelzweig  am  apex  geschmiickt  war.  Hier  wird  die  Granate 
nicht  jiingeren  Datums  sein,  als  die  Olive,  die,  wie  wir  sahen,  zur 
Zeit  der  Tarquinier  in  Italien  auftrat.  » Granatapfel  von  Thon  sind 
zugleich  mit  sonstigen  Friichten  ahnlicher  Votivbestimmung  aus 
unteritalischen,  hauptsachlich  nolanischen  Grabern  -  -  zahlreich  vor- 
handen«  (Gerhard,  Denkm.  und  Forsch.  1850,  n.  14.  15).  Um  so 
mehr  durfen  wir  uns  wundern,  in  Italien  keine  der  beiden  grie- 
chischen  Benennungen  der  Frucht,  sondern  bloss  den  allgemeinen 
Ausdruck  malum  mit  dem  specificirenclen  Adjectiv  punicmn  oder 
granatum  zu  finden,  z.  B.  Columella  12,  42,  1:  mala  dulcia  granata 
quae  Punica  vocantur.  Aus  welcher  Zeit  stammt  der  Beisatz  pu- 
nicum?  Aus  jenem  friihen  Alterthum,  in  dem  der  von  Polybius 
aufbewahrte  Handels-  und  SchifFahrtsvertrag  mit  Karthago  abge- 
schlossen  ward?  Schon  deshalb  nicht,  weil  die  nahe  Verbindung 
mit  den  Griechen  in  Cuma,  Velia  u.  s.  w.  in  noch  altere  Zeit  fallt 
und  der  Name  der  Punier  selbst  ein  aus  griechischem  Munde  ent- 
lehnter  ist.  Wie  das  Wort  f^^ov  bei  den  Griechen  selbst  nicht  bloss 
die  eigentlichen  Aepfel,  sondern  auch  die  Quitten,  Granaten  u.  s.  w. 
umfasst,  so  geniigte  den  italischen  Naturkindern  auch  der  allgemeine 
Begriff  malum,  der  erforderlichen  Falles  durch  ein  beschreibendes 
Epitheton  naher  bestimmt  wurde.  Als  dann  den  Romern  der  Reieh- 
thum  an  Granatbaumen  in  den  Kolonien  der  Karthager  und  endlich 
in  Afrika  selbst  zu  Gesicht  kam  und  der  Handel  ihnen  die 


Der  Granatapfelbaum.  241 

siissesten,  blutrothen,  scheinbar  kernlosen,  d.  h.  weichkernigen  Friichte 
aus  Siiden  in  Menge  zufiihrte,  da  mag  sich  der  Beiname  punisch 
festgesetzt  haben,  in  dem  zugleich  ein  Anklang  an  die  Farbe  lag. 
Denn  dem  Wortlaut  nach  kann  malum  punicum  auch  als  malum 
puniceum  yoivixovv  jiiaAov,  der  Purpurapfel,  verstanden  werden.  Auf 
dem  afrikanischen  Boden,  wohin  der  Baum  gerades  Wegs  von  Ka- 
naan,  seiner  Heimath,  gebracht  war,  gediehen  die  feinsten  Sorten. 
Zwar  wenn  Plinius  13,  112  den  Granatapfel  geradezu  den  Gegenden 
um  Karthago  zuspricht:  circa  Carthaginem  Punicum  malum  cog- 
nomine  sibi  vindicat  (Afrika),  so  ist  dies,  wie  der  Zusatz  cognomine 
lehrt,  nur  ein  Schluss  aus  dem  Namen,  keine  historische  oder  natur- 
geschichtliche  Beobachtung;  aber  dass  Afrika  in  dieser  Hinsicht  bei 
den  Romern  beruhmt  war,  leidet  keinen  Zweifel.  Martialis  begleitet 
die  Zusendung  eines  Korbes  mit  Obst  mit  den  Worten:  »hier  keine 
afrikanischen  Granaten  ohne  Kern,  sondern  inlandische  Friichte  aus 
meinem  Garten,  13,  42: 

Non  tibi  de  Libycis  inheres  aut  apyrina  ramis, 
De  Nomentanis  sed  damus  arboribus. 

Direkt  bestatigt  dies  das  an  den  Flavianus  Myrmecius  gerichtete 
kleine  Gedicht  des  Rufus  Festus  Avienus  (bei  Wernsdorf,  Poetae 
lat.  min.  5,  p.  1296),  der  in  der  zweiten  Halfte  des  vierten  Jahr- 
hunderts  lebte  und  Afrika  selbst  gesehen  hatte.  Er  bittet  den  ge- 
nannten  Freund,  wenn  dessen  Schiff  aus  Afrika  ankommen  sollte, 
ihm  einige  dort  gewachsene  Granatapfel  zuzuschicken.  Nicht  dass 
mein  eigener  Garten,  fiigt  er  hinzu,  keine  Friichte  der  Art  triige,  aber 
sie  sind  sauer  und  herb  und  nicht  mit  dem  Nekfcar  zu  vergleichen, 
wie  ihn  die  warme  Sonne  Afrikas  erzeugt,  v.  25: 

Nee  tantum  miseri  videar  possessor  agelli, 
Ut  genus  hoc  arbos  nullo  mihi  floreat  horto: 
Nascitur  et  multis  onerat  sua  brachia  pomis, 
Sed  grams  austerum  fert  succus  ad  ora  saporem. 
Ilia  autem  Libycas  quae  se  sustollit  ad  auras, 
Mitescit  meliore  solo  coelique  tepentis 
Nuirimenta  trahens  succo  se  nectaris  implet. 

In  den  Paradiesen  der  Vandalen  in  Afrika,  von  denen  Luxorius 
spricht  (Anthologia  vet.  Lat.  et  epigr.  poem.  ed.  H.  Meyer,  epigr.  343), 
fehlt  ohne  Zweifel  der  liebliche  Baum  nicht,  den  auch  die  Araber, 
die  Freunde  schoner  Bliiten  und  erfrischender  Fruchtsafte,  mit  Vor- 
liebe  pflegten.  Der  Name  des  Granatapfels  und  des  Granatbaumes 
bei  den  Portugiesen  ist  noch  heut  zu  Tage  der  arabische,  roma, 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.    7.  Aufl.  16 


242  Der  Granatapfelbaum. 

romeira  (also  wie  malum  punicum  bei  den  Romern) ;  von  demselben 
arabischen  Wort  stammt  der  italienische  und  franzosische  Name  der 
Schnellwage,  romano,  romaine,  da  das  Gegengewicht  bei  arabiscben 
Wagen  in  Form  eines  Granatapfels  gebildet  zu  sein  pflegte ;  aucb  die 
von  den  Mauren  im  zehnten  Jabrbundert  gegriindete  Stadt  Granada, 
•das  Damaskus  des  Westens,  sollte  von  der  Granate  den  Nam  en 
haben,  deren  Bild  in  das  Wappen  der  Stadt  iiberging  und  noch 
jetzt  alle  Strassen  und  offentlichen  Gebaude  schmuckt  (Murpby,  Tbe 
history  of  the  mahometan  empire  in  Spain,  p.  188).  In  Italien  ist 
bei  den  scriptores  rei  rusticae,  von  Cato  an,  der  Baum  schon  ge- 
wohnlich;  Plinius  in  der  Kaiserzeit  weiss  mannigfache  Sorten,  mit 
vielfacher  Anwendung,  aufzuzahlen.  Das  heutige  Griechenland  und 
Italien  haben  schon  wilde  Granatapfelbaume,  d.  h.  verwilderte,  strauch- 
formige,  dornige  an  Hecken,  deren  Friichte  aber  ungeniessbar  sindj 
auch  die  kultivirten  erreichen  die  Grosse  und  den  kostlichen  Ge- 
schmack  nicht,  der  von  den  Granatapfeln  in  dem  asiatischen  Paradies- 
klima  des  Baumes  geruhmt  wird  (s.  daruber  den  treff lichen  Excurs 
yon  Ritter,  Erdkunde  Band  XI.)-  Auch  dient  in  Italien  die  prachtige 
rothe  Frucht  mehr  zur  Augenweide,  zum  Schmuck  der  Tafel,  als  zum 
eigentlichen  Genuss.  Im  Spatherbst,  wo  sie  reift  (vergl.  oben  oipfyovoi 
Gidai,  im  Verse  des  Empedokles),  ist  mit  der  heissen  Jahreszeit  auch 
das  Verlangen  nach  Erquickung  durch  sauerlichen  Fruchtsaft  vor- 
iiber.  Hauptsachlich  die  Citrone,  kann  man  sagen,  hat  dem  Granat- 
apfel  den  Platz  geraubt,  den  er  bei  den  Alten  behauptete.  Noch  jetzt 
aber  nach  so  vielen  Jahrhunderten  verkniipft  das  Volk  in  Griechen- 
land mit  der  Granate  die  Vorstellung  reichen  Segens  und  der  un- 
zahlbaren  Menge60)  und  die  purpurfarbene  Bliite  ist  als  Geschenk 
em  Zeichen  feuriger  Liebe.  Dass  das  Wort  punicum  nirgends  in 
den  neuromischen  Sprachen  erhalten  ist  (die  Italiener  sagen:  mela- 
grano,  granato  u.  s.  w.),  beweist,  dass  es  nie  ganz  volksmassig  ge- 
wesen  ist. 


*  Die  Gattung  Punica,  von  der  man  lange  Zeit  nur  eine  Art,  den  im 
Mediterrangebiet  jetzt  allgemein  kultivirten  Granatapfelbaum  kannte,  von  der 
aber  neuerdings  eine  zweite  Art,  P.  protopunica  Balfour  fil.  auf  der  Insel  Socotra 
entdeckt  wurde,  ist  schon  gegen  das  Ende  der  Tertiarperiode  in  Europa  hei- 
misch  gewesen;  Blatter  und  Blutenknospen  einer  von  unserer  jetzt  lebenden 
P.  Granatum  L.  etwas  abweichenden  Art,  P.  Planchoni  Saporta,  werden  in  den 
fur  die  Geschichte  der  europaischen  Pflanzenwelt  so  wichtigen  pliocanen  Ab- 
lagerungen  von  Meximieux  (Departement  Ain)  gefunden;  dagegen  ist  die 
echte  Granate  fossil  noch  nicht  nachgewiesen.  Wild  findet  sich  sicher  P.  Gra- 


Der  Granatapfelbaum.  243 

natum  in  Felsspalten  der  Kalkgebirge  Avroman  und  Schahu  im  persischen 
Kurdistan,  sowie  in  Beludschistan,  Afghanistan  und  im  nordwestlichen  Indien. 
Es  fehlt  nicht  an  Angaben  fiber  das  Vorkommen  der  Granate  von  Persien 
bis  zum  schwarzen  Meer,  doch  ist  iiber  die  Beschaffenheit  der  Standorte 
wenig  gesagt  und  darurn  schwer  zu  entscheiden,  ob  sie  seit  langerer  Zeit 
wild  ist  oder  erst  nach  Einfuhrung  der  Kultur  verwilderte.  In  Griechenland 
und  auf  den  Inseln  des  griechischen  Archipels  wachst  sie  nach  Boissier 
wild;  auch  in  Montenegro,  der  Czrnagora  und  in  der  Herzegowina  findet  sich 
die  Granate  mehrfach  in  Felsspalten  unkultivirter  Gegenden,  so  dass  sie  da- 
selbst  moglicherweise  wild  ist.  Dagegen  ist  sie  in  Dalmatien  meist  nur  in 
Hecken  anzutreffen  und  daher  hier  wahrscheinlich  erst  nach  ihrer  Einfuhrung 
in  die  Kultur  verwildert.  Auch  im  osterreichischen  Ktistenland  kommt  die 
Granate  ausserhalb  der  Garten  vor,  so  bei  Duino,  ist  aber  dort  wohl  ebenso 
wenig  urspriinglich  wild,  wie  in  Siidtirol,  wo  sie  noch  bei  Bozen  an  vielen 
siidlichen  Abhangen  und  Felsen,  aber  meist  unweit  menschlicher  "Wohnungen, 
angetroffen  wird.  In  Italien  kommt  die  Granate  zerstreut  in  Gebiischen  und 
Hecken  vor,  jedoch  auch  meistens  in  der  Nahe  von  Ortschaften.  Im  medi- 
terranen  Spanien  ist  die  Granate  durch  die  Kultur  ungemein  verbreitet;  ob- 
gleich  sie  auch  vielfach  als  Strauch  an  unkultivirten  Orten  Granadas  ange- 
troffen wird,  so  scheint  inir  doch  mit  Rtieksicht  auf  die  friiher  noch  aus- 
gedehntere  Kultur  der  Araber  ihr  Indigenat  in  Spanien  zweifelhaft.  Auch 
in  Marokko  und  Algier  findet  sich  die  Granate  meist  nur  in  der  Nahe  von 
Ortschaften  und  ist  daher  wahrscheinlich  als  verwildert  anzusehen.  Dem- 
nach  ist  sicher  die  Granate  in  Vorderasien  und  einem  Theil 
der  Balkanhalbinsel  heimisch,  ihre  Verbreitung  in  Italien  und 
den  westl'ichen  Theilen  des  Mittelmeergebietes  aber  wahr- 
scheinlich erst  in  historischen  Zeiten  nach  Einfuhrung  ihrer 
Kultur  erfolgt. 


**  Die  Annahme,  dass  griech.  £otdt,  poa  aus  dem  west-semitischen  hebr. 
rimmon,  arab.  rummdn  (amh.  rumdri)  Granatapfel  entlehnt  sei,  darf  jetzt  wohl 
als  aufgegeben  gelten,  da,  wie  schon  A.  Muller,  B.  B.  I,  296  bemerkt,  »die 
ganze  Aehnlichkeit  im  gleichen  Anfangsbuchstaben  beruht«  und  der  Anm.  59 
nach  Benfey  angenommene  Lauttibergang  unerweislich  ist.  Auch  der  Ansatz 
einer  Grundform  *  ribbon,  durch  welche  O.  Keller,  Lat.  Volksetym.  S.  193  das 
semitische  Wort  dem  griechischen  zu  nahern  versucht,  ist  willkurlich  und 
fiihrt,  selbst  wenn  richtig,  nicht  weiter.  Vgl.  jetzt  auch  Muss-Arnolt,  Trans- 
actions XXIII,  110  f.  Es  liegt  daher  nahe,  nach  einer  einheimischen  Ety- 
mologie  des  griech.  Wortes  zu  suchen.  Pott  II2,  1,  964,  III2,  1022  hielt  einen 
Zusammenhang  zwischen  poia  und  dem  idg.  Wort  fur  rot  griech.  l-pu^-po?  (vgl. 
ahd.  rotes  apholes  =  mali  punici)  fiir  moglich.  Lautlich  wahrscheinlicher  ware 
die  von  Fick  I3,  225  (aber  nicht  I4,  151)  versuchte  Ableitung  von  £ew  (»zer- 
fliessende  Frucht«).  Eine  Unterstiitzung  wiirde  diese  Annahme,  die  auch  von 
H.  Lewy,  Die  semit.  Fremdw.  im  Griech.  S.  25  gebilligt  wird  (er  deutet  »die 
in  reicher  Fiille  sich  ergiessende  FruchU),  scheinbar  in  dem  von  Hesych  tiber- 
lieferten  p68:a  Granaten  finden,  das  man  zu  pu§Y]v  fiberfliissig,  puSov  stellen 
konnte.  Doch  ware  es  auch  moglich,  in  poSia  eine  Nebenform  von  poSov,  £6810? 

16* 


244  Der  Granatapfelbaum. 

Rose  zu  erblicken,  wie  im  Stidslavischen  (serb.  sipati)  die  Bedeutungen  Granat- 
apfel  und  Rosenstrauch  mit  einander  wechseln.  Am  wahrscheinlichsten  1st 
aber  das  hesychische  p68ta  nichts  anderes  als  pot&ta  (so  jetzt  auch  G.  Meyer, 
Griech.  Gr.3  S.  238);  hierzu  im  Neugriechischen  potSia,  die  Fruchte  der  poto-rjd, 
wahrend  die  sauren  Friichte  einer  anderen  Varietat  £cvopo8a  genannt  werden 
(Heldreich,  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  64).  1st  potd  ein  echt  griechi- 
sches  Wort,  so  wird  es  zunachst  den  nach  den  Botanikern  (oben  S.  243)  auf 
der  Balkanhalbinsel  einheimischen  wilden  Granatbaum  bezeichnet  haben,  und 
dann  auf  die  edle  Granate  iibertragen  worden  sein,  deren  Kultur,  wie  die  der 
Feige,  nach  Hehn  erst  zur  Zeit  des  Ausklingens  der  homerischen  Dichtung 
aufgekommen  ware. 

Mehr  nach  Entlehnung  sieht,  schon  in  Folge  des  Schwankens  der  Schrei- 
bung,  der  zweite,  spater  tiberlieferte  Name  des  Granatapfelbaums  otpSv],  OL'SYJ 
aus,  mit  dem  auch  das  Anm.  59  genannte  4^ai  (tiber  £  =  a  in  Fremdwortern 
G.  Meyer,  Idg.  F.  I,  328)  zu  verbinden  sein  durfte.  Das  ebendaselbst  zur 
Erklarung  angezogene  np.  seb,  kurd.  siw  bedeutet  allerdings  nur  Apfelj  der 
Granatbaum  heisst  in  den  neuiranischen  Sprachen  pers.  ndr,  kurd.  endr  u.  s.  w. 
(Pott,  Lassens  Z.  f.  d.  Kunde  des  Morgenl.  VII,  106,  Koppen,  Holzgewachse  I, 
421)  =  armen.  nurn  (nach  Lagarde,  Armen.  Stud.  S.  115,  wahrend  Hiibschmann, 
Arm.  Gr.  I,  207  nur  einen  zufalligen  Anklang  beider  Wo'rter  annimmt).  In 
Europa  scheint  mit  ot^St),  oiS-rj  irgendwie  das  alb.  segs  Granatapfel  zusammen- 
zuhangen  (G.  Meyer,  Et.  W.).  Ein  agyptisches  shidchi  ,Granatapfelwein<  wird 
von  F.  Hommel  Beilage  z.  allg.  Zeit.  1895,  Nr.  197,  S.  4  genannt.  Sicher  dem 
Orient  entstamnit  das  zuerst  von  Dioskorides  fur  die  Bltite  des  wilden  Granat- 
baums  gebrauchte  ^aXaoottov,  das  nach  Low  und  Noldeke  (vgl.  Lewy  a.  a.  O. 
S.  25)  dem  syrischen  bdlas  entspricht. 

Italien  hat,  worauf  der  Name  malum  punicum  doch  in  erster  Linie  hin- 
weist,  die  Kultur  des  Granatapfelbaums,  wie  wohl  in  diesem  Falle  auch  den 
Baum  selbst  (oben  S.  243),  von  Afrika  her  empfangen,  wodurch  sich  fur  die 
Geschichte  des  Granatbaums  ein  neues  Analogon  zu  der  des  Feigenbaums 
ergiebt.  Auch  in  A  e  gyp  ten  ist  die  Kultur  des  Baumes,  nach  dessen  Friichten 
sich  die  Israeliten  in  der  Wiiste  zuriicksehnten  (Mos.  4,  20,  5),  wie  die  Denk- 
maler  (vgl.  Woenig  a.  a.  O.  S.  323)  beweisen,  uralt.  Als  agyptischen  Namen 
giebt  F.  Hommel  (Aufsatze  und  Abh.  arabistisch  -  semitischen  Inhalts  S.  98) 
nach  Brugsch  'inrhamiti,,  'inhmn,  'inhm'ni  (kopt.  erman,  herman)  an,  der  nach 
ihm  mit  dem  westsemitischen  Namen  des  Granatapfelbaums  in  Zusammenhaiig 
sttinde.  Es  wiirde  dies,  wenn  richtig,  mit  der  Ansicht  Sch weinfurths ,  Ver- 
handlungen  1891,  S.  658  iiberemstimmen,  nach  welcher  der  Granatapfelbaum 
nach  Aegypten  in  sehr  frtiher  Zeit  aus  dem  stidlichen  Arabien,  wiederum 
ebenso  wie  die  Feige  (oben  S.  102),  gekommen  ware. 

Ueber  Hadad-Rimmon  (oben  S.  237)  vgl.  Baudissin,  Studien  zur  semitischen 
Religionsgeschichte  II,  187,  215,  Hommel  a.  a.  O.  S.  98  und  Muss-Arnolt,  Trans- 
actions XXIII,  110.  Der  Zusammenhang  des  Gottes-  und  des  Pflanzennamens 
wird  vielfach,  auch  von  Sayce  in  der  Academy  46,  S.  283,  bestritten. 

Vgl.  tiber  die  Geschichte  des  Granatapfelbaums  jetzt  auch  G.  Buschan, 
Vorgesch.  Botanik  S.  155  ff. 


Der  Quittenbaum.  245 

Der  Quittenbaum. 

(Pyrus  Cydonia  L.     Cydonia  vulgaris.) 

Unter  den  Aepfeln  sind,  wie  oben  gesagt,  im  friiheren  Alter thum 
neben  den  Granateri  auch  Quitten  zu  verstehen,  die  wir  aus  diesem 
Grunde  sogleich  hier  anschliessen.  Die  ygvcSea  [jifjha  der  Hesperiden 
und  der  Atalante  waren  idealisirte  Quitten,  und  der  der  Aphrodite 
geweihte,  in  Madchen-  und  Liebesspielen  aller  Art  und  zu  braut- 
lichen  Gaben  dienende  Apfel  war  gleichfalls  kein  anderer  als  der 
duftende  Quittenapfel.  Seine  Farbe,  wie  die  der  rothen  Granate, 
machte  uberall,  wo  er  zuerst  erschien,  lebhaften  Eindruck  auf  den 
Naturmenschen.  Roh  konnte  er  nicht  genossen  werden,  aber  in 
Wein,  Most,  Oel  und  besonders  Honig  eingemacht,  gab  er  diesen 
Stoffen  einen  feinen  Duft  und  Geschmack.  Der  griechische  Name, 
cydonischer  Apfel,  [irjhov  Kvdwviov,  wirft  einiges  willkommene  Licht 
auf  die  Geschichte  des  Baumes.  Danach  kam  er  den  Griechen 
zunachst  aus  Kreta  und  zwar  aus  dem  Gebiete  der  Kydonen,  die 
an  der  Nordwestkiiste  am  Flusse  Jardanus  wohnten  und,  mochten 
sie  nun  semitischen  Stammes  sein  oder  nicht,  doch  zu  den  altesten 
halb-mythischen  Bewohnern  der  Insel  gehorten.  Ihre  Stadt  war  die 
mater  urbium  des  Landes,  und  dass  die  Quitte  gerade  nach  ihr 
benannt  wa,r,  deutet  auf  ein  fruhes  Zeitalter  ihrer  Einfiihrung  so- 
wohl  als  ihrer  AVeiterverbreitung  zu  den  Griechen.  Ihre  alteste  ur- 
kundliche  Erwahnung  findet  sich,  wenn  xodv^ahov,  worin  ein  Anklang 
an  palov  Kvdwviov  nicht  verkannt  werden  kann,  so  viel  als  Quitte 
ist,  bei  dem  aus  Lydien  gebiirtigen  Alcrnan  (Fr.  90  Bergk.),  also  in 
der  Mitte  des  siebenten  Jahrhunderts ;  bald  darauf,  um  600  vor  Chr., 
wird  sie  in  der  Helena  des  Siculers  Stesichorus  genannt  (Fr.  27 
Bergk.) : 

llohhd  ILISV  Kvdwi'ia  f.iaha  TIOTSQQCTTWVV  noil  dtcpgov  avaxn. 
Etwa  um  dieselbe  Zeit  verordnete  Solon  in  einem  Gesetz,  bei  Hoch- 
zeiten  solle  die  Braut,  ehe  sie  das  Brautgemach  betrete,  einen  cy- 
donischen  Apfel  essen,  offenbar  um  sich  symbolisch  damit  dem  Dienst 
der  Aphrodite  zu  weihen  (Plut.  Conj.  Praecept.  1  und  Quaest.  Rom.  65, 
der  iibrigens  dies  solonische  Gesetz,  durch  welches  nur  ein  attischer 
Branch  sanctionirt  wurde,  rationalistisch  erklart).  Gleichzeitig  wird 
der  Baum  auch  von  den  italiotischen  Griechen  kultivirt  worden  sein: 
Ibykus  aus  Rhegium,  also  ein  geborener  Italiot,  erwahnt  um  die 
Mitte  des  6.  Jahrhunderts  der  cydonischen  Apfelbaume  in  bewasserten 


246  Der  Quittenbaum. 


Garten  (Fr.  1  ,  1  :  Kvdwviai,  /nrjhCdsg).  Auf  die  umwohnenden  Bar- 
baren  verfehlten  die  goldenen  Aepfel  ihren  Reiz  gewiss  nicht.  Dass 
die  Frucht  in  Italien  alt  war,  lehrt,  ausser  der  popularen  Latinisirung 
im  Volksmunde:  mala  cotonea  statt  cydonia,  auch  eine  sprechende 
Stelle  bei  Properz  (B,  13,  27),  wo  der  Dichter  die  Einfachheit  der 
friihern  Zeit  mit  der  spater  herrschenden  Ueppigkeit  vergleicht:  sonst, 
sagt  er,  schenkte  die  landliche  Jugend  sich  Quitten,  vom  Baum  herab- 
geschiittelt,  und  voile  Korbe  mit  Brombeeren,  jetzt  mussen  es  Lev- 
koien  und  leuchtende  Lilien  sein  u.  s.  w.  Columella  und  Plinius 
kennen  schon  mehrere  Arten,  darunter  die  Quittenbirne,  malum  stru- 
theum,  wortlich  Sperlingsapfel,  die  schon  bei  Cato  erwahnt  wird  und 
also  gleichfalls  alter  als  der  dritte  punische  Krieg  ist.  Wie  zu 
Plinius  Zeit,  werden  noch  jetzt  in  Italien  die  Quitten  in  Zimmern 
aufgestellt,  um  diese  mit  angenehmem  Duft  zu  erfullen,  und  den 
Zuckerbackern  dienen  sie  zu  der  cotognata,  franz.  cotignac,  wie  im 
Alterthum  zum  ^r^ofjie^i  oder  xvda)vcf.i€fo.  Die  melimela  ,  wortlich 
Honigapfel,  bei  Varro  de  r.  r.  1,  59,  1  :  quae  antea  mustea  vocabant, 
nunc  melimela  appellant,  bei  Horaz  Sat.  2,  8,  31: 

post  hoc  me  docuit  melimela  rubere  minorem 
ad  lunam  delecta  — 

und  an  mehreren  Stellen  des  Martial,  werden  von  neueren  Auslegern 
als  besonders  siisse  Aepfel  gedeutet  ;  dass  sie  aber  eine  zum  Ein- 
kochen  in  Most  und  spater  in  Honig  vorziiglich  geeignete  Varietat 
Quitten  waren,  bezeugt  nicht  nur  der  Schol.  Cruq.  ausdriicklich, 
sondern  lehrt  auch  das  spanische  membrillo,  das  portugiesische  mar- 
melo,  Quitte,  Quittenmus,  von  welchem  letzteren  das  allgemein  euro- 
paische  Wort  Marmelade  abgeleitet  ist.  Schon  zu  Galenus'  Zeit  kam 
solche  spanische  Marmelade  nach  Rom  (de  aliment,  facult.  2,  23. 
VI.  p.  603  Kiihn).  Im  Uebrigen  ist  der  Baum  im  heutigen  Italien 
nicht  sehr  haufig  und  gewiss  seltener  als  bei  den  Alten,  die  noch 
keine  Ananas  und  keine  Apfelsinen  kannten.  Im  Orient  dagegen 
und  in  ganz  Osteuropa,  der  Weltgegend  eingemachter  Friichte  und 
des  Zuckerwerks,  ist  das  Mittelalter  hindurch  und  bis  auf  die 
neueste  Zeit  die  Quitte  ein  beliebter,  in  Bazaren  feilgebotener  Genuss 
mdssiger  Menschen  geblieben,  wo  von  die  Menge  der  zum  Theil  ver- 
stummelten  Namen  derselben  bei  den  Volkern  slavischen  Stammes 
ein  lebendiges  Bild  giebt  (s.  Miklosich,  Fremdworter,  S.  89,  darunter 
auch  persische  und  tiirkische,  wie  pigva,  aiva,  armud  u.  s.  w.). 


Kose.     Lilie.  247 

*  Cydonia  vulgar  is  Pers.  (Pyrus  Cydonia  L.)  wachst  mit  Sicherheit 
wild  im  Kaukasus,  namentlich  in  Transkaukasien  bis  zu  1300  m 
Hohe,  sodann  in  Armenieii,  Kleinasien  und  den  Kaspischen 
Provinzen  Persiens  Talysch  und  Asterabad.  Ob  der  Quittenbaum  in 
Griechenland  und  Thracien  wild  ist,  ist  zweifelhaft;  tiber  sein  urspriingliches 
Vorkomrnen  in  Greta  existiren  keine  Angaben  neuerer  Schriftsteller.  Im 
ubrigen  Siideuropa  und  in  warmeren  Theilen  Mitteleuropas  kommt  die  Quitte 
wohl  hier  und  da  verwildert  vor,  ist  aber  daselbst  kaum  einheimisch  und 
auch  nicht  in  grosserer  Menge  als  Bestandtheil  einzelner  Pflanzengemein- 
schaften  anzutreffen. 


**  Der  Baum  scheint  dem  agyptisch-semitischen  Kulturkreis  urspriinglich 
gefehlt  zu  haben.  Neuere  aramaische  Namen  bei  Low,  a.  a.  0.  S.  144.  —  Eine 
gemeinsame  Benennung  bieten  die  neuiranischen  Dialecte  kurd.  beh,  pehl.  be, 
buchar.  bihir,  pers.  beh  (vgl.  Pott  in  Lassens  Z.  f.  d.  K.  d.  M.  VII,  106  und 
Koppen,  Holzgewachse  I,  419  (in  Beitrage  z.  Kenntniss  des  russischen  Reiches 
II.  Folge,  V.  Band),  die  keine  Beziehung  zu  Europa  zeigen.  —  Theophrast,  h.  pi. 
2,  2,  5  gebraucht  die  Bezeichnung  xo8umo<;  von  dem  wilden  resp.  verwilderten 
Quittenbaum,  wahrend  er  die  Friichte  des  zahmen  otpooO-ta  (vgl.  oben  S.  246) 
nennt  (weil  ihnen  die  Sperlinge  nachstellen?)  —  Die  lateinische  Form  cotonea 
wird  auf  einer  Vermischung  mit  Namen  derFeige  beruhn,  die  auch  in  russ.pigva 
Quitte  (das  also  nicht,  wie  Hehn  nach  einer  friiheren  Aeusserung  Miklosich's 
vermuthete,  orientalisch  ist)  =  ahd.  figa  hervortritt.  Vgl.  xoScovsa*  aoxa  ^et|j.eptvd 
Hesychius  und  lat.  cotana,  cottana  kleine  Feigen  (oben  S.  100).  Ins  Deutsche 
sind  beide  Formen  cotonea  und  cydonia  iibergegangen :  ahd.  cozzana,  cottana  und 
chutina  (altengl.  cod-,  godceppel).  Alb.  ftua-oi  aus  lat.  cotoneum  (G.  Meyer,  Et.  W. 
S.  113).  Im  Slavischen  scheint  das  Wort  (gdunje  etc.)  theilweis  die  Bedeutung 
Birne  angenommen  zu  haben.  Vgl.  Miklosich,  Et.  W.  S.  61. 

Sehr  abweichend  von  Hehn,  aber  kaum  richtig,  wird  die  Geschichte  des 
Quittenbaums  von  Koch,  Baume  und  Straucher  S.  174 — 176  dargestellt.  VgL 
auch  Neumann  und  Partsch,  Physikalische  Geographic  S.  428  f.  und  v.  Fischer- 
Benzon,  Altd.  Gartenflora  S.  146  f.,  wo  ein  spates  griech.-lat.  coronopus  sKrahen- 
fuss«  fur  die  Frucht  der  Quitte  genannt  wird. 


Kose  und  Lilie. 

(Rosa  gallica,  centifolia.    Lilium  candidum  L.) 

Wie  die  Friichte  mit  dem  kostlichen  goldenen  oder  rothlichen 
Mark,  so  erschienen  auch  die  Blumen  des  Orients  —  dort  von  weich- 
lich  civilisirten ,  nur  fiir  ihre  Despoten  und  Religion sbrauche  leben- 
den  Menschen  angepflanzt,  veredelt  und  zu  Salben  und  Wassern  ver- 
arbeitet  den  Hirten,  Kriegern  und  Ackerbauern  des  Westens 

lockend    und    wunderbar.     Rosen    und  Lilien   waren    schon   zur  Zeit 


248  Hose.    Lilie. 

des  Epos  zu  den  Griechen  gelangt,  Anfangs  wohl  nur  dem  Rufe 
nach,  als  etwas  unbestimmt  Herrliches  der  Blumenwelt,  von  dessen 
Farbe  und  Gestalt  erzahlt  wurde,  in  Form  duftenden  Oeles,  dann 
auch  allmahlich  die  Pflanzen  selbst  mit  ihren  Bluten.  Homer  und 
Hesiod  nennen  die  Morgenrothe  rosenfingrig,  in  einem  homerischeii 
Hymnus  heisst  sie  auch  rosenarmig,  wie  auch  in  der  Theogonie 
zwei  rosenarmige  Tochter  des  Nereus  vorkommen ;  Aphrodite  salbt 
den  Leichnam  des  Hektor  mit  rosenduftendem  Oel;  Hektor  will 
die  lilienzarte  Haut  des  Ajax  mit  seinem  Speer  zerfleischen;  die 
Stimme  der  Cicaden  und  in  der  Theogonie  die  der  Musen  heisst  eine 
Lilienstimme.  Dies  sind  lauter  vergleichende  Bezeichnungen ,  die 
sich  auf  eine  moglicher  Weise  feme  Sache  beziehen,  wie  denn  auch 
schon  jener  alte  Forscher  bei  Gellius  N.  A.  14,  6,  3  die  Frage  auf- 
warf,  warum  Homer  das  Rosenol  gekannt,  die  Rose  selbst  aber  nicht 
gekannt  habe  (quapropter  rosam  non  norit,  oleum  ex  rosa  norit). 
Die  Blumen  selbst  erscheinen  in  dem  Hymnus  auf  die  Demeter,  dieser 
ehrwiirdigen  Urkunde  des  alteleusinischen  Demeterdienstes  (von 
Welcker,  Gr.  Gotterlehre  2,  S.  546,  in  01.  30  oder  in  die  Mitte  des 
7.  Jahrhunderts  gesetzt),  aber  immer  noch  in  fremdartigem  Phantasie- 
Scheine :  Proserpina  spielt  auf  der  Wiese  mit  ihren  Gefahrtinnen  und 
pniickt  Rosen  (die  Rose  also  als  Blume  einer  idealen  Wiese,  nicht  vom 
Strauch  gebrochen  und  nicht  mit  Dornen  bewehrt)  und  ausser  Krokos 
und  Violen  und  Iris  und  Hyakinthos  auch  den  Narkissos,  eine  neu- 
geschaffene  Wunderblume,  bei  deren  Anblick  Gotter  und  Menschen 
staunen,  die  sich  mit  hundert  Hauptern  aus  der  Wurzel  erhebt,  deren 
Duft  Himmel,  Meer  und  Erde  erfreut  • —  offenbar  Verherrlichung 
des  in  den  Mysterien  gebrauchlichen  Symbols  der  Narcisse,  die,  wie 
der  Name  bezeugt,  urspriinglich  nur  berauschende,  exotische  Blumen- 
diifte  iiberhaupt  reprasentirte.  An  einer  spateren  Stelle  desselben 
Hymnus  erzahlt  Proserpina  ihrer  Mutter,  wie  sie  auf  der  reizenden 
Wiese  gespielt  und 

Kelche  der  Rosen  und  Lilien  auch,  ein  Wunder  zu  schauen, 

gepfllickt  -  -  wo  der  Zusatz  ^av^a  iSetiitai  das  Feme  und  Fabelhafte 
oder  Seltene  dieser  herrlichen  Blumen  ausdriickt.  Unter  den  Namen 
der  Nymphen,  der  Gespielinnen  Proserpina's  auf  der  Wiese,  finden 
sich  auch  zwei  oder  drei,  die  der  Rose  entnommen  sind:  'Podeia, 
cPoJo7r^  (die  Rosige),  *&xvQoir]  xahvxwmg  (Okyroe  mit  dem  Gesicht 
wie  der  Kelch  einer  Rose;  dasselbe  Adjectiv  auch  im  Hymnus  an 
die  Aphrodite  zur  Bezeichnung  einer  Nymphe).  In  einem  Fragment 
des  um  ein  Menschenalter  alteren  Archilochus,  dessen  Welt  aber 


Rose.    Lilie  249 

eine  weitere  war,  als  die  jener  eleusinischen  Tempelpoesie,  und  ausser 
den  Inseln  auch  Thrakien  und  Lydien  umfasst,  tritt  der  Rosenstrauch 
selbst  mit  seinen  Bliiten  auf  und  zwar  letztere  neben  Myrtenzweigen 
als  Schmuck  des  Madchens,  ohne  Zweifel  der  Neobule,  der  Geliebten 
des  Dichters,  Fr.  29.  Bergk: 

e'xovffa  Sakhov  {.ivQawqg  ^QTISTO 

godijg  re  xahbv  av&og. 

Hundert  Jahre  spater  war  die  Rose  ein  Liebling  der  Dichterin  Sappho, 
von  der  sie  haufig  gepriesen  und  verherrlicht  und  als  Gleichniss 
schoner  Madchen  gebraucht  wurde  (Philostr.  Ep.  73).  Von  da  an 
nnden  wir  Rosen  und  Lilien  unter  dem  Fest-  und  Blumenschmuck 
liebenden  Volke  der  Griechen  eingebiirgert,  uberall  verbreitet  und  in 
Leben  und  Sitte  verflochten.  Von  wo  aber  waren  beide  Blumen 
gekommen?  In  welcher  Gegend  des  Orients,  unter  welcher  seiner 
Volkergruppen  war  die  auch  in  Europa  einheimische  Rosa  gallica, 
die  Stammform  der  Centifolie,  zur  siissduf tenden ,  sechzig-  oder 
hundertblattrigen  erzogen  worden? 

Dass  die  Rosen  den  Verfassern  der  Apokryphen  des  Alten  Testa- 
ments nicht  unbekannt  sind,  darf  nicht  Wunder  nehrnen,  da  diese 
Schriften  in  griechische  Zeit  fallen,  aber  auch  in  den  alteren  Theilen 
der  Bibel  wurde,  wenn  wir  Luthers  Uebersetzung  folgen  wollten,  die 
Rose  erwahnt  werden,  z.  B.  bei  dem  Propheten  Hosea  (er  lebte  im 
8.  Jahrh.)  14,  6:  Ich  will  Israel  wie  ein  Thau  sein,  dass  er  soil 
bliihen  wie  eine  Rose,  oder  an  mehreren  Stellen  des  Hohen  Liedes, 
z.  B.  2,  1 :  Ich  bin  eine  Blume  zu  Saron  und  eine  Rose  im  Thai, 
2:  wie  eine  Rose  unter  den  Dornen,  so  ist  meine  Freundin  unter 
den  Tochtern  u.  s.  w.  Allein  Luther  hat  hier,  der  Auslegung  der 
Rabbinen  folgend,  das  hebraische  susan,  Susannah  falsch  mit  Rose 
"iibersetzt:  es  bedeutete  vielmehr  XQWOV  nach  der  Uebertragung  der 
Septuaginta  d.  h.  Lilie  und  zwar  nicht  sowohl  Lilium  candidum, 
griechisch  hsigiov,  als  die  farbige  Feuerlilie,  Lilium  chalcedonicum 
und  bulbiferum  (Plinius:  est  et  rubens  lilium  quod  Graeci  XQLVOV 
vacant)  oder  noch  wahrscheinlicher  eine  Art  der  gleichfalls  glocken- 
formigen  Kaiserkrone,  fritillaria.  Die  edle  Gartenrose  war  also  den 
Griechen  friiher  bekannt  als  den  alten  Hebraern  und  ist  somit  keine 
semitische  Kulturpflanze.  Bestatigt  wird  dies  durch  die  Abwesenheit 
der  Rose  auf  den  Bildwerken  des  alten  Aegyptens,  auf  denen  sonst 
die  Blumenzierde  nicht  fehlt:  auch  Herodot  erwahnt  in  seinen 
Schilderungen  agyptischer  Sitten  nur  der  Lotosblume  und  rosen- 
ahnlicher  xgCvsa,  von  welchen  letzteren  dasselbe  gilt,  was  von  den 


250  Rose.    Lilie. 

Lilien  der  Hebraer  (Herod.  2,  92:  ,  (pvsmi  Iv  TOJ  vSan  xgCvsa 
—  von  den  Aegyptern  Acorog  genannt:  &m.  Ss  xal  aMa  XQWSCC 
QodoHU  liMpSQ&a*1).  Sind  wir  somit  in  Betreff  beider  Blumen  auf 
Oentralasien  gewiesen,  so  kommt  uns  hier  die  Sprache  hiiltreich  ent- 
gegen,  die  so  oft  die  Tiefen  der  Vorwelt  erschliesst,  bis  zu  denen 
keine  historische  Kunde  reicht.  Das  griechische  godov,  in  alterer  Form 
fiQodov  (noch  Sappho  schrieb  das  Wort  mit  dem  Digamma),  die  Rose, 
und  AeiQiov,  die  Lilie  sind  urspriinglich  iranische  Worter62),  und  aus 
Medien  also,  iiber  Armenien  und  Phrygien  kamen  Benennung  und 
Sache  den  Griechen  zu.  Das  heisse  heitere  Persien  ist  noch  jetzt 
ein  Blumenland.  Ueber  Teheran  sagt  Ritter,  Erdkunde,  8,  610:  »die 
Rose  gedeiht  hier  zu  einer  Vollkommenheit,  wie  in  keiner  Gegend  der 
Welt,  nirgend  wird  sie  wie  hier  gepflanzt  und  hochgeschatzt ;  Garten 
und  Hofe  sind  mit  Rosen  uberfiillt,  alle  Sale  mit  Rosentopfen  be- 
setzt,  jedes  Bad  mit  Rosen  bestreut,  die  von  den  immer  wieder  sich 
fiillenden  Rosenbiischen  stets  ersetzt  und  erneut  werden.  Selbst  das 
Kalium  (die  Rauchtabak-Wasserflasche)  wird  mit  der  hundertblatt- 
rigen  Rose  fur  den  armsten  Raucher  in  Persien  geschmiickt,  so  dass- 
Rosenduft  Alles  umweht.«  Auch  die  Rosen  von  Schiras  in  Sud- 
Persien  sind  wenigstens  aus  Hafis'  Gedichten  Jedermann  bekannt. 
Zu  Herodots  Zeit  hatten  die  Babylonier  den  Gebrauch  der  Rosen  be- 
reits  von  ihren  medisch-persischen  Ueberwindern  angenommen :  jeder 
Babylonier,  sagt  er  1,  195,  tragt  auf  seinem  Stock  das  Bild  entweder 
eines  Apfels  oder  einer  Rose  oder  eines  xqCvov  oder  eines  Adlers 
oder  irgend  eines  anderen  Gegenstandes.  Nach  Griechenland  aber 
wanderte  die  Blume  iiber  Phrygien,  Thrakien  und  Macedonien  ein, 
wie  unverkennbare  Spuren  in  sagenhaften  Nachrichten  der  Alten 
selbst  verrathen.  Das  nyseische  Gefilde ,  auf  dem  Persephone  nach 
dem  homerischen  Hymnus  Rosen  und  Lilien  pfluckt,  ist  nach  Ilias 

6,  133   in  Thrakien  zu  denken,  und  der  Name    einer   ihrer    Gespie- 
linnen,  Rhodope,  ist  zugleich  der  des  thrakischen  Gebirges,  in  welches 
jene   Nymphe   verwandelt    sein   sollte.     Nach   Herodot   8,   138   lagen 
am  Fuss  des  Bermionberges  in  Macedonien  (an  welchem  nach  Strabo 

7.  Excerpt.  Vat.   25   die  Briger  wohnten,    die    in  Asien  Phryger    ge- 
nannt wurden)    die   sogenannten  Garten   des  Midas,  des   Sohnes   des. 
Gordias :    dort  sprossten  von  selbst  die  sechzigblattrigen  Rosen,  deren 
Duft  schoner  war,  als  der  aller  anderen.     Noch  deutlicher,   nur  mit 
Anwendung  der  gelehrten  Terminologie  seiner  Zeit  und  Schule,  driickt 
sich   der    alexandrinische  Dichter    Nicander    aus,    im    zweiten    Buch 
seiner  Georgika  (bei  Athen.  15.  p.  683):    Midas  von  Odonien  (Edonien, 


Hose.    Lilie.  251 

Landschaft  in  Thrakien),  nachdem  er  die  Herrschaft  von  Asis  (in 
Kleinasien)  verlassen,  erzog  zuerst  in  emathischen  Garten  (Emathia> 
Landschaft  in  Macedonien)  die  Rosen,  die  mit  sechzig  Blumen- 
blattern  umsaumt  sind.  Man  bemerke  hier  die  altbabylonische  Zahl 
sechzig,  die  allein  schon  auf  Herkunft  aus  Asien  weist.  Nach 
Macedonien,  in  die  Gegend  von  Philippi  setzt  auch  Theophrast 
(h.  pi.  6,  6,4)  die  reich  gefiillten  Rosen,  die  er  schon  gxamvrdfpvMa, 
Centifolien,  nennt:  die  Einwohner  sollten  sie  vom  nahe  gelegenen 
gold-  und  silberreichen  Berge  Pangaus  (TO  UttyyaiQv)  beziehen.  In 
dieselbe  Gegend  weist  ein  Fragment  der  Sappho,  also  ein  altes  und 
gewichtiges  Zeugniss,  Fr.  68  Bergk: 

ov 

TVJV  ex 

Auch  aus  Mythen,  die  sich  sofort  an  die  neuen  Blumen  kniipfen, 
klingt  der  phrygische  Naturdienst  wieder.  Die  Rose  ist  der  Aphro- 
dite geweiht,  sie  ist  auch  die  Blume  des  Dionysos;  sie  ist  zugleich 
das  Symbol  der  Liebe  und  des  Todes;  wie  sie  entstand,  als  Attis, 
der  phrygische  Adonis,  starb,  wird  verschieden  erzahlt:  bald  schuf 
sie  Aphrodite  aus  dem  Blut  des  Adonis  (Serv.  ad.  V.  Aen.  5,  72), 
bald  ritzte  sich  die  Gottin  selbst,  als  sie  von  dem  Tode  ihres  Lieb- 
lings  horte,  und  durch  Dornen  herbei  eilte,  den  Fuss,  und  ihr  Blut 
verwandelte  die  weisse  in  die  rothe  (Geopon.  11,  17),  bald  -  -  und 
dies  scheint  die  eigentlich  phrygische  Form  des  Mythus  -  -  erwachst 
die  Blume  von  selbst  aus  dem  Blut  des  Adonis,  wie  in  ahnlichem 
Falle  Granat  und  Mandelbaum,  Bion  1,  64: 

Soviel  Thranen  vergiesst  die  paphische  Gottin  als  Tropfen 
Blutes  Adonis:  am  Boden  da  werden  sie  alle  zu  Blumen, 
Rosen  erwachsen  dem  Blut,  Anemonen  den  Thranen  der  Gottin. 

Von  der  Lilie,  der  rosa  Junonis,  wurde  gefabelt,  sie  sei  aus  der 
Milch  der  Hera  entstanden,  als  diese  schlafend  den  Herakles  saugte 
(Geopon.  11,  19);  mit  der  Aphrodite  war  die  Lilie  der  reinen  unbe- 
fleckten  Farbe  wegen  in  Streit:  um  die  keusche  Blume  zu  beschamen, 
setzte  die  Gottin  ihr  das  gelbe  Pistill  ein,  welches  an  den  briinstigen 
Esel  erinnerte  (Nic.  Alexiph.  406  f£.,  id.  apud  Athen.  1.  1.). 

Nach  Italien  kam  die  orientalische  Gartenrose  friihe  mit  den 
griechischen  Kolonien,  wie  die  populare  Verwandlung  des  Namens 
in  das  lateinische  rosa  beweist,  und  mit  ihr  wohl  auch  die  Lilie, 
Ulium68);  von  Italien  gingen  beide  unter  demselben  Namen  in  alle 
Welt  aus,  doch  je  weiter  nach  Norden,  desto  mehr  von  der  Kraft 
und  Siissigkeit  des  Duftes  einbiissend,  der  sie  in  ihrer  urspriinglichen 


252  Rose.    Lilie. 

Heimath  umweht.  Unter  dem  italienischen  Himmel  gedieh  indess 
die  Rose  noch  herrlich,  sie  bluhte  den  grossten  Theil  des  Jahres  je 
nach  den  Varietaten ,  von  denen  die  campanische  die  friiheste ,  die 
von  Praneste  die  spateste  sein  sollte  (Plin.  21,  20);  Campanien  brachte 
Centifolien  hervor;  von  den  Rosen  um  Pastum  riihmte  man,  sie 
bliihten  zweimal  im  Jahr.  Schon  bei  Plautus  ist  rosa,  mea  rosa 
eine  liebkosende  Anrede;  schon  Cicero  nennt  die  Rose,  wo  er  ein 
Leben  voll  Ueppigkeit  bezeichnen  will,  z.  B.  de  fin.  2,  20:  M.  Re- 
gulum  clamat  virtus  beatiorem  fuisse  quam  potantem  in  rosa  Tho- 
rium. Zwar  mag  es  orientalische  Ausschweifung  gewesen  sein,  wenn 
Kleopatra  den  Antonius  von  Cilicien  in  Speisezimmern  bewirthete, 
deren  Boden  eine  Elle  hoch  mit  Rosen  bedeckt  war  (Athen.  4, 
p.  148);  zwar  war  es  von  Verres,  dem  Proprator  in  Sicilien,  Nach- 
ahmung  der  bithynischen  Konige,  wenn  er  sich  auf  Rosenkissen  in 
der  Sanfte  tragen  Hess  und  dabei  ein  mit  Rosen  gefiilltes  Spitzen- 
netz  an  die  Nase  hielt  (Cic.  in  Verr.  5,  11,  27:  lectica  octophoro 
ferebatur,  in  qua  pulvinus  erat  perlucidus,  Melitensis,  rosa  fartus: 
ipse  autem  coronam  habebat  unam  in  capite,  alteram  in  collo, 
reticulumque  ad  naris  sibi  admovebat,  temiissimo  lino,  minutis 
maculis,  plenum  rosae),  aber  ein  Blick  in  die  lyrischen  und  elegi- 
schen  Dichter  lehrt,  wie  auch  in  Italien  die  Rose  iiberall  in  den 
Liebes-  und  Lebensgenuss  verflochten  ist :  der  Tisch  der  Schmausen- 
den  ist  ganz  unter  Rosen  verborgen,  Liebende  liegen  auf  Rosen, 
der  Boden  ist  mit  Rosen  bestreut,  das  Haupt  der  Tanzerin,  der 
Flotenspielerin,  des  weinschenkenden  Knaben  mit  einem  Rosenkranz 
umwunden.  Der  Trinker  bekranzt  sich  selbst,  er  bekranzt  den 
Becher  mit  Rosen.  Sinnentaumel  und  Rosen  sind  unzertrennbar: 
unter  zahlreichen  Stellen  der  Dichter  nur  die  eine  des  Martial,  10, 19,  19 : 

cum  furit  Lyaeus, 
Cum  regnat  rosa,  cum  madent  capilli. 

Und  dass  die  Rose  hinwiederum  auch  eine  Blume  der  Graber  war, 
dass  man  den  Todten  Rosen  mit  Thranen  spendete,  ist  eine  sehr 
alte,  psychologisch  nahe  liegende  und  auch  in  Italien  gewohnliche, 
durch  zahlreiche  Grabinschriften  (Orelli-Henzen,  inscriptt.,  T.  3,  ind. 
s.  v.  rosa)  bestatigte  Sitte  und  Vorstellung.  Denn  die  aus  dern 
Blute  des  sterbenden  Naturgottes  entstandene  Rose  ist  ebenso  schon 
als  fluchtig  (Hor.  Od.  2,  3,  13:  nimium  breves  flores  amoenae  rosae\ 
1,  36,  16:  breve  lilium;  »bist  du  an  einer  Rose  voriibergegangen, 
so  suche  sie  nicht  wieder« ,  sagt  das  griechische  Sprichwort:  qoSov 
JTM  ndfav,  und  das  italienische :  non  v'ha  rosa  di 


Kose.    Lilie.  253 

cento  giorni);  sie  stellt  hochste  Lebensfulle  dar,  aber  momentan: 
wegen  der  ersteren  Eigenschaft  1st  sie  wie  Wein  und  Blut  den 
Todten,  den  lechzenden  Schattenwesen,  erwunscht.  Auch  zu  Essen- 
zen,  Wassern  und  Salben  wurde  die  Rose  viel  verarbeitet,  so  wie  sie 
auch  in  der  Arzneikunst  als  Rosenwein  und  Rosenwasser,  ja  nach 
den  Berichteri  der  Alien  sogar  in  der  Kiiche  reicher  Schlemmer 
Anwendung  fand.  Kein  Wunder,  dass  in  und  ausserhalb  der  Stadt 
Rosen  garten  haufig  waren,  und  deren  Ertrag,  sowie  die  der  Lilien- 
beete,  von  stationaren  und  wandernden  Blumenhandlern  feilgeboten 
wurde.  Varro  rath  schon  in  der  republikanischen  Zeit  als  vortheil- 
haft  an,  wenn  man  in  der  Nahe  der  Stadt  ein  Grundstiick  besitze, 
Veilchen-  und  Rosengarten  anzulegen,  1,  16,  3:  itaque  sub  urbe 
colere  hortos  late  expedit,  sic  violaria  ac  rosaria,  wie  er  auch 
1,  35,  1  die  Jahreszeit  bestimmt,  wo  es  passend  sei,  serere  lilium. 
Aber  auch  in  weiterem  Kreise  bis  nach  Campanium  und  Pastum  hin 
sorgten  Blumenanlagen  fur  das  Bedurfniss  der  reichen,  ungeheuren 
Hauptstadt  (Martial  9,  61).  In  der  Kaiserzeit,  wo  die  Ausschweifung 
in  der  vornehmen  Welt  und  bei  Hofe  immer  hoher  stieg  und  die 
Sitten  sich  orientalisirten ,  wurde  auch  im  Punkt  der  Blumen  sinn- 
los  verschwendet.  Im  Sommer  Rosen  zu  haben,  war  jetzt  schon  zu 
gem  ein,  man  suchte  sie  im  Winter,  bei  Beginn  des  Friihlings.  Leben 
diejenigen  nicht  widernatiirlich ,  klagt  der  Philosoph  Seneca,  die  im 
Winter  nach  Rosen  verlangen,  ep.  122,  8:  non  vivunt  contra  natu- 
ram  qui  hieme  concupiscunt  rosam?,  und  Macrobius  (Sat.  7,  5,  32) 
stellt  als  parallele  Forderungen  des  Luxus  zusammen:  aestivae 
nives  et  hibernae  rosae.  Man  bezog  daher  zur  Winterzeit  Rosen  zu 
Schiff  aus  dem  warmeren  Aegypten,  wie  Martial  6,  80  beweist,  und 
trieb  Rosen  und  Lilien  in  Rom  selbst  unter  Glas,  wie  wir  aus  dem- 
selben  Dichter  ersehen,  4,  22,  5: 

Condita  sic  puro  numerantur  lilia  vitro, 
Sic  prohibet  tennis  gemma  latere  rosas. 

In  all  dem  waren  die  Orientalen  vorangegangen.  Von  Antiochus 
dem  Grossen,  einem  echten  griechisch-antiochischen  Despoten,  erzahlt 
Florus  Ep.  2,  8,  9,  er  habe  nach  Eroffnung  des  Krieges  mit  den 
Romern  und  Einnahme  der  Inseln  goldgestickte  seidene  Zelte  am 
Euripus,  der  ein  fliessendes  Wasser  ist,  aufgestellt,  dann  sub  ipso 
freti  murmure,  quum  inter  fluenta  tibiis  fidibusque  concineret, 
coltatis  undique,  quamvis  per  hiemem,  rosis,  ne  non  aliquo  du- 
cem  genere  agere  videretur,  virginum  puerorumque  delectus  habebat 
—  die  Romer  trieben  ihn,  jam  sua  luxuria  debellatumj  wie  Florus 


•254  Rose.    -Lille. 

mit  Recht  hinzusetzt,  schnell  nach  Hause  zurlick.  Die  spateren 
Kaiser  in  Rom  aber  gaben  ihm  nichts  nach.  Ueber  L.  Aelius  Verus 
berichtet  sein  Biograph  Ael.  Spartiaiius,  5,  er  babe  eine  neue  Art 
Bett  erfunden,  ganz  von  einem  feinen  Netz  umgeben,  ausgestopft  mit 
Rosenblattern ,  denen  das  Weisse  genommen  war,  und  mit  einer 
Decke  von  Lilienblattern.  Auch  bei  Tische  lag  er,  wie  einige  liber- 
liefern,  auf  Polstern,  von  Rosen  und  Lilien,  und  zwar  gereinigten. 
Noch  arger  ist,  was  Aelius  Lampridius  9  und  11  von  Heliogabalus 
«rzahlt.  Dieser  aus  Syrien  stammende  Kaiser  liess  nicbt  nur  Alles 
in  seinem  Palaste  mit  Rosen-,  Lilien-,  Violen-,  Hyacinthen-  und  Nar- 
cissenteppichen  belegen,  liber  die  er  wandelte,  sondern  bei  Gast- 
mahlern  lagen  seine  Gaste  auf  beweglichen  Polstern  so  in  Blumen 
vergraben,  dass  einige,  wabrscheinlich  schwer  vom  Wein,  sich  nicht 
mebr  emporarbeiten  konnten  und  in  Violen  und  anderen  Blumen 
^rstickten. 

Im  Mittelalter ,  wo  so  viel  Kulturen  zu  Grunde  gingen,  blieben 
doch  Rose  und  Lilie,  beide  verhaltnissmassig  leicht  zu  erziehen  und 
durch  Duft  und  Farbe  auch  dem  rohen  Menschen  imponirend,  in 
den  Garten  gewohnlich.  Die  Dichter  des  Mittelalters ,  denen  nicht 
viel  Farben  zu  Gebote  stehen,  verwenden  Rosen  und  Lilien  reichlich 
in  ihren  Schilderungen ;  dem  Christenthum  dienten  beide  zu  beliebten 
ftymbolen :  die  heilige  Jungfrau  in  ihrer  Anmuth  und  Milde  erschien 
als  Rose,  die  himmlische  Reinheit  ward  in  der  Lilie  angeschaut; 
gothische  Kirchen  schmiickten  sich  mit  steinernen  mystischen  Rosen, 
auf  Bildern  der  Verklindigung  pflegt  der  Engel  den  Lilienstengel  zu 
tragen,  mitunter  —  und  dies  ist  charakteristisch  —  die  Kelche  ohne 
Staubfaden.  Auch  in  die  Wappensprache  jener  bildlich  denkenden 
Zeit  gingen  beide  Blumen  liber:  bekannt  sind  die  (angeblich  aus 
Lanzenspitzen  hervorgegangenen)  drei  Lilien  im  koniglichen  Wappen 
von  Frankreich,  die  auch  der  Jungfrau  von  Orleans  bei  ihrer  Er- 
hebung  in  den  Adelstand  verliehen  wurden,  so  wie  die  feindlichen 
Zeichen  der  rothen  und  weissen  Rose  in  den  Kampfen  der  Konigs- 
•geschlechter  von  England.  Unter  den  unzahlig  vielen  Einzelheiten, 
-die  sich  aus  Sitte,  Kunst  und  Religion  des  Mittelalters  in  Bezug  auf 
dies  Thema  sammeln  liessen,  wollen  wir  nur  zweier  Zlige  gedenken, 
die  beide  im  Grunde  aus  derselben  Wurzel  abzuleiten  sind :  der  papst- 
lichen  sogenannten  goldenen  Rose  und  der  mythischen  Figur  der 
Russalken  bei  einem  Theil  der  Slaven.  Am  vierten  Fastensonntage, 
dem  Sonntage  Latare,  der  in  den  Frlihling  fallt,  weihte  der  Papst, 
weiss  angethan,  in  Gegenwart  des  Cardinalcollegiums,  in  einer  mit 


Eose.     Lilie.  255 

Rosen  geschmiickten  Kapelle,  am  Altare  eine  goldene  Rose,  die  hernach 
als  segenbringend  Fiirsten  und  Fiirstinnen,  auch  Kirchen  und  Stadten 
verschenkt  wurde.  Er  tauchte  sie  in  Balsam,  bestreute  sie  mit  Weih- 
rauch,  besprengte  sie  mit  Weihwasser  und  betete  indess  zu  Christus 
als  der  Blume  des  Feldes  und  Lilie  des  Thales.  Kurz  vor  der  Re- 
formation erhielt  Kurfiirst  Friedrich  der  Weise  von  Sachsen  die 
goldene  Rose,  in  unseren  Tagen  die  ungliickliche  Kaiserin  Charlotte 
von  Mexiko  und  die  fromme  Konigin  Isabella  II.  von  Spanien.  Nach- 
richten  iiber  diesen  Gebrauch  gehen  bis  in  das  eilfte  Jahrhundert, 
in  die  Zeit  Leo  des  XL,  hinauf,  aber  die  Anfange  desselben  kniipfen 
sich  ofFenbar  an  die  altromischen  Vorstellungen  von  der  Rose  als 
Blume  des  Lebens  wie  der  Verganglichkeit,  die  in  der  Hand  des 
Ueberwinders  sowohl  seine  Glorie  und  Freude  als  seine  Sterblichkeit 
und  Demuth  bedeutet.  —  Ueberaus  interessant  sind  die  slavischen 
Russalken  als  lebendiger  Beweis,  wie  in  einer  nocb  im  Naturdienst 
gefangenen  Volksseele  aus  kleinen  Umstanden,  Namensklangen,  all- 
gemeinen  Begriffen,  auswartigem  Kultureinfluss  mythische  Personi- 
ficationen  sich  bilden.  Rosenfeste,  rosaria,  rosalia,  wurden  noch  im 
spatesten  Rom  an  verschiedenen  Tagen  des  Mai  und  Juni  gefeiert 
und  bestanden  in  Schmiickung  der  Graber  mit  Rosen  und  in  gemein- 
samen  Mahlzeiten,  bei  denen  den  Theilnehmern  Rosen,  die  Gabe  der 
Jahreszeit,  gereicht  wurden.  Auch  in  der  illyrischen  Halbinsel  und 
an  der  Donau  waren  bei  dem  romanisirten  Landvolke  solche  Friih- 
lings-  oder  Sommerfeste  unter  dem  lateinischen  Namen  govffdfaa  ge- 
brauchlich,  hier  ohne  Zweifel  als  Fortsetzung  der  bei  den  thrakischen 
Stammen  langst  hergebrachten  sommerlichen  Dionysosfeier  und  der 
an  diese  geknupften  Rosenlust  (s.  W.  Tomaschek,  Ueber  Brumalia 
und  Rosalia,  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  1868). 
In  der  christlichen  Zeit  trat  das  gleichfalls  in  den  Mai  fallende  Pfingst- 
fest  in  die  Erbschaft  der  Rosalien  ein:  es  hiess  pascha  rosata  oder 
rosarum  (im  romischen  Volksmunde  noch  heute:  pasqua  rosa  oder 
durch  Missverstandniss  pasqua  rugiada)  und  am  Pfingstsonntage,  der 
sogenannten  domenica  de  rosa,  wurden  Rosen  von  der  Hohe  der 
Kirche  auf  den  Boden  herabgelassen.  Als  darauf  im  sechsten  Jahr- 
hundert slavische  Volkerschwarme  die  Landstriche  an  der  mittleren 
und  unteren  Donau  und  im  Osten  und  Siiden  der  Karpathen  besetzten 
und  zwischen  Heidenthum  und  Christenthum  schwankend  und  getheilt 
waren,  da  fiel  auf  natiirliche  Weise  das  christliche  Pfingst-  oder 
Rosenfest  mit  der  heidnisch-barbarischen  Friihlingsfeier  zusammen. 
Bei  den  Slovenen,  Serben,  Weiss-  und  Kleinrussen  und  bei  den  Slo- 


256  Rose.    Lilie. 

waken  hiess  das  Pfingstfest  oder  ein  um  die  gleiche  Zeit  begangenes 
frohliches  Naturfest  rusalija  (ahnlich  bei  Walachen  und  Albanesen) ; 
aus  dem  Feste  entwickelte  sich  dann  bei  den  Weiss-  und  ein  em 
Theil  der  Kleinrussen  die  Vorstellung  iiberirdischer  weiblicher  We  sen, 
die  um  diese  Zeit  Feld  und  Wald  beleben,  der  Rusalky,  des  mythischen 
Gegenbildes  der  herumschwarmenden,  lachenden,  Kranze  windenden 
und  das  selbsterdachte  Orakel  befragenden  slavischen  Madchen.  Diesen 
historischen  Ursprung  des  Russalkenglaubens  aus  dem  lateinischen. 
rosa  hat  zuerst  Miklosich  dargethan  (in  den  Sitzungsberichten  der 
Wiener  Akademie  vom  Jahr  1864),  wahrend  noch  Schaffarik  in  einer 
eigenen  Abhandlung  die  Wurzeln  desselben  im  tiefsten  Alterthum 
und  in  den  Abgriinden  des  Slavismus  suchte  und  Andere,  die  in  der 
Nationalbegeisterung  starker  als  in  der  wissenschaftlichen  Kritik  waren, 
den  Volksglauben  mit  mannigfachen  poetisch-romantischen  Flittern 
eigener  Erfindung  aufstutzten.  Auch  in  Deutschland  mischte  sich 
iibrigens  in  die  alten  Vorstellungen  vom  Kampfe  des  Winters  und 
Sommers  die  siidlandische  Rose  und  das  italische  Rosenfest  (s.  Uhland, 
der  Rosengarten  von  Worms,  in  der  Germania  6,  307  ff.);  wie  die 
Slaven  diese  Form  des  Festes  und  Einkleidung  des  Mythus  von  der 
Niederdonau  empfingen,  so  die  Germanen  aus  dem  keltisch-romischen 
Tirol  und  uberhaupt  aus  Walschland. 

In  der  neueren  Zeit  hat  die  Gartenkunst  unzahlige  Varietaten 
der  Rose  geschaffen,  in  alien  Formen  und  Farben,  mit  eigenen  Phan- 
tasienamen  belegt64).  Es  kamen  auch  Zeiten,  wo  die  Rose  von 
anderen,  zum  Theil  aus  fernen  Landern  eingefiihrten  Blumen  ver- 
drangt  wurde,  den  Dahlien,  Camelien,  Azalien  u.  s.  w.  Aber  bei 
allem  Wechsel  der  Mode  wird  sich  die  Rose  als  Konigin  der  Blumen 
immer  wieder  herstellen.  Nordlich  von  den  Alpen,  besonders  in  Eng- 
land, mag  die  Kunst  sie  in  einzelnen  Fallen  veredeln  und  vervoll- 
kommnen ;  doch  wird  sie  dort  nie  so  in  das  Leben  verwebt  sein  und 
fast  das  ganze  Jahr  hindurch  in  Villen  und  an  alien  Mauern  bliihen, 
wie  unter  dem  Himmel  von  Neapel.  Im  Orient,  so  weit  er  nicht 
ganz  in  Barbarei  verfallen  ist,  hat  sich  die  Pflege  der  Rosen  wohl 
erhalten:  in  der  Poesie  ist  die  Rose  immer  gefeiert  und  die  Liebe 
zwischen  ihr  und  der  Nachtigall  besungen  worden;  noch  jetzt  werden 
auf  weiten  Rosenfeldern  die  Blatter  gesammelt,  die  zur  Bereitung  der 
kostlichen  Rosenessenz  und  des  beliebten  Rosen-Zuckerwerks  dienen. 
Der  alte  Busbequius  im  16.  Jahrhundert  erzahlt  im  ersten  seiner 
Brief e  aus  Konstantinopel,  die  Tiirken  duldeten  nicht,  dass  ein  Rosen- 
blatt auf  der  Erde  liege,  denn  sie  glaubten,  die  Rose  sei  aus  Mu- 


Rose.     Lilie.  257 

hammeds  Schweisstropfen  entstanden  —  die  alte,  nicht  erloschene, 
nur  islamisirte  und  ins  Prosaische  iibertragene  Adonissage.  Auf  dem 
angeblichen  Grabe  Ali's  bei  Messar,  in  der  Nahe  des  heutigen  Belch 
und  alten  Bactra,  sah  Vambery  (Reise  in  Mittelasien,  Deutsche  Aus- 
gabe,  S.  188)  die  wunderwirkenden  rothen  Rosen  (gull  surcti),  die 
ihm  in  der  That  an  Geruch  und  Farbe  alien  anderen  vorzugehen 
schienen,  und  die,  weil  sie  nach  der  islamitischen  Lokalsage  nirgends 
anderswo  gedeihen  sollen,  auch  nirgends  angepflanzt  worden  sind. 
Mit  der  Rose  und  weissen  Lilie  pflegt  bei  den  Alten,  wie  schon 
aus  einigen  der  obigen  Citate  hervorgeht,  als  Schmuck  der  Garten 
und  angenehme  Zierde  die  Viole  zusammen  genannt  zu  werden.  Ihre 
Geschichte  lauft  der  der  Rose  parallel.  Auch  sie  stammt  als  Garten- 
blume  und  in  ihren  veredelten  Formen  aus  Kleinasien;  Homer  er- 
wahnt  sie  in  vergleichenden  Adjektiven,  wie  iodvscprjg,  lo£t,dr{g,  iosig^ 
die  auf  die  schwarze  Farbe,  nicht  auf  den  Duft  gehen;  einmal  auch 
in  der  Odyssee  bei  Beschreibung  der  wunderbaren,  selbst  die  Gotter 
zum  Staunen  bewegenden  Natur  um  die  Hohle  der  Kalypso :  dort 
wachst  sie  auf  weicher  Wiese  neben  dem  Eppich  (»eine  iible  Stand- 
ortsgesellschaft«,  Fraas  Synops.  114);  I'ov  bedeutet  eben  noch  jede 
oder  irgend  eine  dunkelbliihende  Blume,  duftend  oder  nicht.  Spater 
unterschied  man  von  den  schwarzen  die  hellen,  farbigen  Violen  (Find. 
01.  6,  55)  und  verstand  unter  den  letzteren  durchgangig  die  Levkoje, 
Matthiola  incana,  und  den  Goldlack,  Cheiranthus  cheiri.  Das  la- 
teinische  viola  stammt  wohl  aus  dem  Griechischen  und  demgemass 
auch  die  Kultur  dieser  Blumen  aus  Griechenland,  welches  dieselbe 
selbst,  wie  gesagt,  dem  gegenuberliegenden  Asien  verdankt. 


*  Rose  und  Lilie,  Viole,  Goldlack.  Die  zuerst  im  westlichen  Asien 
und  im  stidlichen  Europa  kultivirten  Edelrosen  sind  vorzugsweise  Kulturformen 
der  in  diesem  Gebiet  verbreiteten  Rosa  galliea  L. ;  eine  durch  niedrige  Stengel 
ausgezeichnete  Varietat  derselben,  S,.  pumila  Linn,  fil.,  ist  auch  noch  in  Siid- 
und  Mitteldeutschland  zerstreut  wild  anzutreffen.  Auch  die  R.  centifolia  L. 
(Centifolie)  gehort  dem  Formenkreis  der  R.  galliea  an;  sie  ist  im  Wesent- 
liclien  eine  Form,  deren  Staubblatter  in  Blurnenblatter  umgewandelt  sind. 
Die  Damascener  Rose.  R.  damascena  Mill.,  dagegen  ist  wahrscheinlich  ein 
Bastard  der  R.  galliea  L.  und  der  gewohnlichen  Hundsrose,  R.  canina  L. 
Das  Gleiche  gilt  von  Rosa  alba  L.  Zu  letzterer  gehoren  die  heutzutage  in 
Ostrumelien  in  so  grosser  Ausdehnung  kultivirten  bulgarischen  Oelrosen, 
wahrend  in  Ostindien  meistens  die  Damascener  Rose  und  in  Siidfrankreich 
Rosa  galliea  var.  provincialis  als  Oelrose  kultivirt  wird.  Endlich  kommt  als 
Oelrose  auch  noch  die  in  Nordafrika,  Abyssinien  und  Nordindien  heimische 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  17 


258  Rose.    Lilie. 

Rosa  moschata  Mill,  in  Betracht,  von  welcher  Dr.  Dieck  vermuthet,  dass  sie 
das  im  Alterthum  so  geschatzte  Rosenol  von  Kyrene  geliefert  habe.  Die  im 
Mittelmeergebiet  verbreitete  R.  sempervirens  L.  hat  als  Oelrose  keine  Bedeu- 
tung;  von  ihr  stammen  aber  die  kletternden  Ayrshire-Rosen  ab.  Die  Bengal- 
rosen,  Theerosen,  indischen  Monatsrosen  etc.  stammen  von  der  asiatischen 
Rosa  indica  L.  ab;  sie  alle  haben  nur  als  Zierstraucher  Bedeutung,  so  dass 
also  die  geruhmten  Rosen  des  Alterthums  nur  in  die  Formen- 
kreise  der  Rosa  gallica  und  R.  moschata  gehoren. 

Die  weisse  Lilie,  Lilium  candidum  L.,  ist  in  den  Gebirgen  Griechen- 
laiids  und  Kleinasiens  verbreitet,  aber  nieist  in  der  Nahe  menschlicher  Woh- 
nungen;  Boissier  glaubt,  dass  sie  im  Libanon  wirklich  wildwachsend 
vorkomme. 

Der  Levkoje,  Matthiola  incana  L.,  ist  eine  an  den  felsigen  Ktisten 
des  Mittelmeeres  weit  verbreitete  Pflanze,  welche  man  von  den  Ka- 
narischen  Inseln  entlang  an  Portugal,  Spanien,  Stidfrankreich,  Italien  bis 
Griechenland  und  Cypern  verfolgen  kann.  Von  dem  Vorkommen  der  Pflanze 
an  den  Ktisten  Kleinasiens  ist  mir  nichts  bekannt. 

Der  Goldlack.  Cheiranthus  Cheiri  L.,  findet  sich  ebenfalls  alsFelsen- 
pflanze  in  Griechenland  und  dem  ganzen  stidlichen  Europa  zer- 
streut,  auch  im  westlichen  Europa,  ist  aber  aus  Kleinasien  nicht  bekannt. 


*  *  Dass  griech.  ^poSov  eine  alte,  vorhomerische  Entlehnung  aus  irani- 
schem  Gebiet  (vgl.  awestisch  vare^d-  Pflanze,  np.  gul  Pflanze  xat'  e£o^v,  Rose, 
woraus  einerseits  armen.  vard,  andererseits  arab.  ward,  aram.  vardah,  kopt. 
vert  entlehnt  wurden)  sei,  und  dass  aus  einem  griech.  po&a,  poSsa  (*po8^a) 
wiederum  das  lat.  rosa  hervorging,  wird  man  auch  heute  noch  als  die  wahr- 
scheinlichere  Annahme  gelten  lassen  miissen.  In  neuester  Zeit  sind  fur  die- 
selbe,  was  das  griech.  poSov  anbetrifft,  G.  Meyer  Griech.  Gramm.3  S.  237,  und 
hinsichtlich  des  lat.  rosa  K.  Brugmann  Grundriss  I2,  2  S.  684  eingetreten. 
Doch  fehlt  es  nicht  an  abweichenden  Anschauungen.  So  erblickt  A.  Fick  in 
der  4.  Auflage  seines  Vergl.  Worterbuchs  S.  556  in  poSov  einen  einheimischen 
Pflanzennamen,  den  er  mit  griech.  p'aSajxvo?  junger  Zweig  und  pi£a  Wurzel 
verbindet,  Worter,  die  semasiologisch  doch  recht  fern  von  p68ov  liegen.  Auch 
ist,  wenn  an  derselben  Stelle  armen.  vard  zur  Vergleichung  herangezogen 
wird,  nicht  bedacht,  dass  dieses  Wort  bei  Urverwandtschaft  mit  po§ov  *vart, 
nicht  vard  lauten  mtisste  (vgl.  armen.  sirt  —  griech.  xapSta).  Aehnlich  wie 
Fick  urtheilt  Mikkola  B.  B.  XXH  S.  244,  wo  auch  ein  lit.  radastai  Rosen- 
strauch  beigebracht  und  mit  diesem  sowohl  po'Sov  wie  rosa  (*rod-s-a)  verglichen 
wird.  Bemerkt  sei  noch,  dass  im  heutigen  Armenisch  vardeni,  das  auch  in 
kaukasischen  Dialekten  vorkommt,  die  Rosa  centifolia  L.  meint,  wahrend  fur 
Rosa  canina  etc.  andere  Namen  bestehen  (vgl.  Koppen,  Holzgewachse  I,  345). 

Mit  grosserem  Recht  wie  fur  griech.  p"o8ov  ist  neuerdings  die  iranische 
Herkunft  des  griech.  Xetptov  stark  in  Zweifel  gezogen  worden,  und  zwar  durch 
Lagarde,  Mittheilungen  II,  S.  21  ff.  Dieser  sagt:  »Alle  persischen  Worter, 
welche  ein  L  enthalten,  miissen  mit  Vorsicht  behandelt  werden,  da  L,  welches 
in  einzelnen  Gegenden  Erans  ganz  oder  fast  ganz  verschwindet,  entweder  die 


Der  Safran.  259 

es  enthaltende  Vocabel  der  Herkunft  aus  der  Fremde  verdachtigt,  oder  darauf 
hinweist,  dass  sie  starke  Umbjldungen  erfahren  hat.  Stammte  das  Wort  lala 
nicht  aus  Persien,  sondern  ware  es  nur  dorthin  verschleppt,  so  diirfte  Herr 
Hehn  nicht  um  seinetwillen  die  Heimath  der  Lilie  in  Persien  suchen:  ware 
lala  eine  Versttimmlung  eines  urspriinglich  ganz  anders  lautenden  Wortes,  so 
konnte  ein  aus  lala  entstandenes  Xetptov  erst  verhaltnissmassig  spat  sein:  aber 
Xeiptov  ist  alt.«  Ferner  wreist  Lagarde  darauf  hin,  dass  npers.  lala  jede  »wild- 
wachsende  Blume«  bezeichne.  »Wanderte  aber  die  Lilie  aus  Persien  nach 
Griechenland,  so  that  sie  dies  schwerlich  unter  dem  ganz  allgemeinen  Namen 
»wildwachsende  Blume«.  Endlich  macht  er  auf  die  Schwierigkeiten  aufmerk- 
sam,  den  Vocalismus  von  npers.  lala  und  griech.  Xsiptov  mit  einander  zu  ver- 
mitteln.  Auch  Bartholomae  in  der  Wochenschrift  fiir  klassische  Philologie 
1895  No.  22  S.  598  hebt  hervor:  ,,Wenn  das  np.  Idlah  Lilie,  Tulpe  echtpersisch 
ist,  so  fiihrt  dl  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf  alteres  (uriran.)  ard  oder 
arz.  Ist  das  rich  tig,  so  kann  das  schon  bei  Pindar  (richtiger:  Homer,  vgl. 
Xeipcoeic)  vorkommende  Xeipwv  nicht  aus  dem  Iranischen  entlehnt  sein,  weil 
jenes  dl  sich  erst  wesentlich  spater  eingestellt  hat."  Lagarde  selbst  leitet 
das  griechische  Wort  aus  deni  Aegyptischen  (kopt.  'pfjpe,  fifjpi,  ,av8-o;',  ,xplvov*) 
ab,  eine  Erklarung,  welche  darin  eine  Stiitze  findet,  dass  der  in  ganz  Vorder- 
asien  verbreitete  Name  der  Lilie  ebenfalls  im  Aegyptischen  wurzelt:  syr. 
sosanetd,  hebr.  sosanndh,  arab.  sausan,  susan,  armen.  susan,  pers.  susan  (daraus 
altsl.  sosonu  Lilie),  dazu  Etymologieum  magnum:  So5oa  4)  rcoXts  arco  tuiv 
TCcptTiscpoxoTtuv  xptvcuv  aouaa  yap  ta  Xsipta  xaXeltat  (vgl.  Lagarde,  Ges.  Abh.  S.  227), 
alle  aus  agypt.  seschen  Lotus;  vgl.  Erman,  Z.  d.  D.  M.  G.  46,  117,  der  dazu 
bemerkt:  »Die  sem.  Worte  sind  entlehnt  zu  einer  Zeit,  als  das  agypt.  Wort 
schon  wie  im  kopt.  sosen  lautete.«  Das  agypt.  Wort  bedeutet  Lotus  Nymphaea  L.  = 
griech.  XCUTOC,  das  bis  jetzt  im  Aegyptischen  aber  nicht  nachgewiesen  ist.  Ueber 
den  Sinn  der  semitischen  Worter  gehen  die  Ausleger  vielfach  auseinander. 
Nach  Lagarde  hatte  das  hebraische  Wort  im  alten  Testament  in  der  Sprache 
der  Architekten  den  Sinn  von  Lotus  gehabt,  im  Volke  aber  sei  der  agyptische 
Name  des  Lotus  auf  lilium  chalcedonicum  oder  eine  buntbliihende  Liliacee 
tibertragen  worden.  Nach  Riehm  im  Bibellexikon  hatte  es  sowohl  die  weisse 
Gartenlilie  wie  auch  verwandte  wildwachsende  Pflanzen  bezeichnet.  —  Griech. 
xptvov  ist  dunkel.  (Prellwitz,  Etym.  W.  d.  griech.  Spr.  vergleicht  goth.  hrains, 
wie  er  auch  Xeiptov :  Xetpo?  mager,  bleich  stellt.)  Vgl.  zur  Geschichte  der  Rosen- 
kultur  in  sachlicher  Beziehung  noch  v.  Fischer-Benzon  Altdeutsche  Garten- 
flora  S.  34  ff. 


Der  Safran. 

(Crocus  sativus  L.) 

Eine  friihe  beriihmte  Blume,  der  Rose  an  Rang  gleich,  sie  an 
technischem  Nutzen  noch  iibertreffend,  war  auch  der  orientalise  he 
Safran,  Crocus  sativus,  —  der  vornehme  und  erlauchte  Verwandte 
des  europaischen  bescheidenen  Fruhlingscrocus,  Crocus  vernus.  Ausser 

17* 


260  Der  Safran. 

seinem  Dufte,  der  das  orientalische  und  spater  auch  das  europaische 
Alterthum  entziickte,  gab  die  Narbe  seiner  Bliite  auch  eine  dauernde 
gelbe  Farbe,  und  Gewander,  Saume,  Schleier,  Schuhe,  mit  dieser  ge- 
trankt,  erschienen  dem  Auge  der  altesten  asiatischen  Kultur-  und 
Religionsgriinder  so  herrlich,  wie  der  Purpur,  sowohl  an  sich,  als 
zum  Ausdruck  des  Lichtes  und  der  Majestat  —  denn  Wirklichkeit 
und  Symbol  scheidet  der  gebundene  Geist  jener  traumenden  Zeiten 
noch  nicht.  Krokus-  und  Purpurgewand,  thatlose  Apathie,  Aermel 
am  Kleide  und  Binden  um  das  Haupt  bilden  die  Lust  der  Phryger, 
Verg.  Aen.  9,  614: 

Vdbis  picta  croco  et  fulgenti  murice  vestis, 

Desidiae  cordi;  juvat  indulgere  choreis 

Et  tunicae  manicas  et  habent  ridimicula  mitrae. 

Zu  der  Tracht  der  Perserkonige,  die  der  alteren  babylonisch-medischen 
nachgeahmt  war,  gehort  die  safrangelbe  Fussbekleidung :  in  den 
Persern  des  Aeschylus  (v.  657  ff.)  ruft  der  Chor  den  todten  Darius 
aus  der  Unterwelt  mit  den  beschworenden  Worten  empor:  Erscheine, 
erscheine,  alter  Herrscher,  komme  mit  der  krokusgetrankten  Eumaris 
an  den  Fiissen,  mit  der  koniglichen  Tiara  auf  dem  Haupt.  (Ueber 
die  Verbreitung  dieser  Pflanze  durch  Asien  s.  Ritter,  Erdkunde, 
Band  18,  S.  736ff.)  Den  Abglanz  orientalischer  Heiligung  des  lichten, 
reinen  Safrangelb  zeigen  die  altesten  mythisch-poetischen  Vorstellungen 
der  Griechen.  lason,  der  Argonaute,  als  er  in  Kolchis  sich  anschickte 
mit  den  feuerspeienden  Stieren  den  Acker  zu  pfliigen,  warf  das  safran- 
farbige  Gewand,  mit  dem  er  bekleidet  war,  ab  (Pind.  Pyth.  4,  232). 
Bacchus,  der  orientalische  Gott,  tragt  den  xgoxwrfa,  das  Safrankleid, 
und  eben  so  die  taumelnden  Theilnehmer  an  den  Freudenfesten,  die 
ihm  geweiht  sind.  Der  neugeborene  Herakles  ist  bei  Pindar  in  krokus- 
gelbe  Windeln  gehiillt  (Nem.  1,  37).  Besonders  aber  Gottinnen, 
Nymphen,  Koniginnen,  Jungfrauen  werden  mit  dem  safrangelben 
oder  mit  Safran  gezierten  Kleide  gedacht.  Der  Pallas  Athene  sticken 
die  attischen  Jungfrauen  das  buntdurchwirkte  Krokusgewand,  Eur. 
Hec.  466: 

Schonthronige  Pallas,  soil 

Einst  wohl  ich  in  dieser  Stadt 

Auf  dein  Krokosgewande  dein 

Eossegespann  und  den  Wagen 

Bilden  im  Kunstgewebe  mit 

Blumengefarbtem  Faden? 

Antigone  in  der  Verzweiflung  uber  der  Briider  und  der  Mutter  T< 
lasst   die   krokosfarbene  Stolis   fallen,   in  der  sie  im  Gliicke  und 


Der  Safran.  261 

Konigstochter  prangte  (Eur.  Phoen.  1491),  ebenso  Iphigenia  bei  der 
Opferung  in  Aulis  (Aesch.  Agam.  239).  Venus  kleidet  die  Medea 
in  ihr  (der  Gottin)  krokusgewebtes  Kleid,  Valer.  Flacc.  8,  234: 

Ipsa  suas  illi  (Medeae)  croceo  subtemine  vestes 
Induit. 

Die  an  den  Fels  geschmiedete  Andromeda  (oder  vielmehr  Mnesilochus, 
der  als  solche  verkleidet  ist)  hat  den  xQoxostg  angelegt  (Aristoph. 
Thesm.  1044).  Helena  hat  von  ihrer  Mutter  Leda  die  goldgestickte 
Palla  und  den  rnit  Krokus  umsaumten  Schleier  zum  Geschenk  er- 
halten  und  mit  nach  Mycena  gebracht,  Verg.  Aen.  1,  648 : 

Ferre  jubet  pallum  signis  auroque  rigentem 
Et  circumtextum  croceo  velamen  acantho, 
Ornatus  Argivae  Helenae,  quos  ilia  Mycenis, 
Pergama  quum  peteret  inconcessosque  Hymenaeos, 
Extulerat,  matris  Ledae  mirdbile  donum. 

Die  Eos  im  Epos  ist  durchgangig  xQoxoTtenhog,  bei  Hesiodus  die 
Flussnymphe  Telesto  und  die  Enyo,  die  Tochter  des  Phorkys  und 
der  Keto,  und  ebenso  die  Musen  bei  Alcman  fr.  85:  MWGCU  XQO- 
xoTiejr&oi,.  Auch  das  Haar  der  Jungfrauen  des  Mythus  wird  als 
krokusfarben  angeschaut,  so  das  der  Ariadne  auf  Naxos,  Ov.  Art. 

am.   1,  530: 

nuda  pedem,  croceas  inreligata  comas, 

und  das  der  schonen  Tochter  des  Keleos,  die  mit  aufgeschurztem 
Gewande  zum  Brunnen  eilen,  an  dem  die  Demeter  sitzt,  Hymn,  in 

Cerer.   177: 

doch  um  die  Schultern 
Flatterte  rings  das  Haar,  der  Blume  des  Krokos  vergleichbar. 

Die  Bekanntschaft  mit  der  Safranfarbe  geht  also  bei  den  Griechen 
in  die  Zeit  der  Ausbildung  des  Heroenmythus  hinauf;  dass  sie  aus 
orientalischer  Quelle  stammte,  wiirde,  wenn  dies  sonst  zweifelhaft 
sein  konnte,  das  Wort  xQoxog  selbst  lehren.  Die  althebraische  Form 
desselben  war  Jcarkom,  wie  wir  aus  dem  Hohenliede  4,  14  sehen;  in 
andern  semitischen  Dialecten,  z.  B.  in  der  Sprache  der  Cilicier,  mag 
sie  anders,  doch  ahnlich  gelautet  haben.  Denn  in  Cilicien  fand  sich 
ein  Vorgebirge  Kwgyxog,  und  nicht  weit  davon  die  corycische  Hohle, 
wo  in  einer  Thalniederung  der  schonste  echte  Safran  wuchs  (Strab.  14, 
5,  5),  und  dass  Berg  und  Gefilde  von  dem  Krokos  benannt  sind,  ist 
eine  naheliegende  Vermuthung.  Ob  dem  semitischen  Worte  vielleicht 
ein  indisches  zu  Grunde  liegt,  das  durch  uralten  Verkehr  heriiber- 
gebracht  sein  konnte,  ist  fur  Griechenland  gleichgiiltig ,  welches  die 
gelben  oder  mit  Gelb  gestickten  Kleider  als  kostbare  Waare  zunachst 


262  Der  Safran. 

aus   semitischen  Handen   empfangen  hatte.     Dies    war  schon  in  und 
vor  der  epischen  Zeit  geschehen;  eine  andere  Frage  aber  ist,  ob  die 
homerischen  Sanger  die  Blume  selbst  schon  mit  Augen  erblickt  batten? 
Als  Zeus  und  Hera  auf  dem  Ida  sich  vereinigten,  sprosste  der  Krokos, 
wie  Lotos  und  Hyakintbos,  aus  der  Erde,  II.  14,  347: 
Ihnen  gebar  frisch  griinenden  Rasen  die  heilige  Erde, 
Lotos,  besprengt  mit  Thau,  auch  Krokos  und  auch  Hyakinthos, 
Dicht  zur  weichlichen  Streu,  die  vom  Boden  sie  schwellend  emporhob  — 

aber  das  ideale  Friihlings  -  Brautbett  des  Himmels  und  der  Erde 
schmiickt  der  Dichter  mit  dem  Herrlichsten,  von  dem  er  in  Nahe 
und  Ferae  gehort.  Auch  sonst  wachsen  Krokusblumen  auf  den 
mythischen  Wiesen,  den  Schauplatzen  der  Gottergeschichte ,  so  bei 
dem  Raube  der  Proserpina,  Horn.  h.  in  Cerer.  6: 

Rosen  sich  pfluckend  und  Krokos  und  liebliche  Veilchen  auf  zarter 
Wiese  — 

425: 

Spielten  und  lasen  uns  liebliche  Blumen  daselbst  mit  den  Handen, 
Bald  Hyakinthos  und  Iris  und  bald  den  freundlichen  Krokos, 
Kelche  der  Rosen  und  Lilien  aucb,  ein  Wunder  zu  schauen, 
Auch  den,  gleich  dem  Krokos,  die  Erde  gebar,  den  Narkissos. 

Wie  bier  in  Proserpina,  ist  aucb  Creusa,  die  Tochter  des  Erechtheus, 
beschaftigt,  goldene  Krokusbliiten  in  ihren  Schooss  zu  lesen,  da  sie 
von  dem  schimmernden  Gotte  Apollo  iiberrascbt  wird,  Eurip.  Ion.  887: 

Da  erschienst  du  mit  goldenem  Haar 
Schimmernd,  als  ich  zur  Blumenzier 
Sammelte  mir  ins  Gewand 
Goldleuchtende  Krokosbliiten. 

Und  ebenso  die  Gefahrtinnen  der  Europa,  als  sich  ihr  Zeus  in  Stier- 
gestalt  nahte,  Mosch.  1,  86: 

Sie  wetteifernd  lasen  sich  grade  des  goldenen  Krokos 
Duftendes  Haar. 

Wenn  Pan  auf  weicher  Wiese  mit  den  Nymphen  singend  streift,  dann 
bliiht  Krokos  und  Hyakintbos  unter  dem  mannigfachen  Rasen,  Horn, 
h.  in  Pan.  25: 

Auf  dem  Teppich  der  Wiese,  da  wo  Hyakinthos  und  Krokos 
Duftend  sich  drangen  und  bliihn  in  verworrener  Fiille  der  Graser. 

Als  die  Pbantasie  diese  Scenen  erfand ,  war  die  Aufmerksamkeit 
schwerlich  scbon  auf  die  einheimischen  Krokus-Arten  gelenkt;  uberall 
ist  der  feme  asiatiscbe  Safran  gedacbt,  von  dem  die  Sage  erzahlte. 
Auch  in  dem  herrlichen  Triumphliede  des  Sophokles  auf  Kolonos 


Der  Safran.  263 

schob  sich  der  begeisterten  Anschauung  des  Dichters  statt  des  wirk- 
lichen  Fruhlingsblumchens,  das  dort  wuchs,  der  als  goldstrahlend  ge- 
dachte  Crocus  sativus  des  Morgenlandes  unter,  0.  C.  681: 

Und  in  schonem  Geringel  bltiht 

Ewig  unter  des  Himmels  Thau  Narkissos, 

Der  altheilige  Kranz  der  zwei 

Grossen  Gottinnen;  golden  glanzt 

Krokos;  nimmer  versiegen  die 

Schlummerlosen  Gewasser. 

Theophrast  aber  unterscheidet  schon  genau  den  wilden,  ogewog,  nicht 
duftenden  d.  h.  Crocus  vermis,  von  dem  kultivirten,  ^ueQog,  mid  duf- 
tenden  (h.  pi.  6,  8,  3).  Den  ersten  nennt  er  auch  den  weissen,  eine 
dritte  Art  den  dornigen,  die  beide  duftlos  sind  (7,  7,  4).  Doch  biisste 
die  Blume  in  dem  kalteren  Europa  einen  Theil  ihres  Aromas  ein, 
denn  sie  artet  leicht  aus  (6,  6,  5);  unter  alien  von  Griechen  be- 
wohnten  Landschaften  aber  trug  der  Krokus  von  Gyrene  am  afri- 
kanischen  Stran'de  den  Preis  da  von  (de  cans.  pi.  6,  18,  3).  Auch 
in  den  romischen  Garten  finden  wir  neben  Rosen,  Lilien  und  Violen 
auch  den  Krokus ;  Varro  1,  35,  1  giebt  an,  wann  liliuin  und  crocus 
zu  stecken,  und  wie  Rosenbiische  und  violaria  zu  behandeln  sind. 
Doch  war  die  Blume  fremd  und  sie  erziehen  ein  Triumph  der  Accli- 
matisationskunst:  wir  sehen  dies  aus  Columella,  der  sie  mit  der  casia, 
dem  Weihrauch,  der  Myrrhe  zusammenstellt,  3,  8,  4:  quippe  com- 
phiribus  locis  urbis  jam  casiam  frondentem  conspicimus,  jam  tuream 
plantam,  florentesque  hortos  myrrha  et  croco.  Nach  Plinius  21,  31 
lohnt  es  sich  nicht,  in  Italien  Safran  anzupflanzen;  serere  in  Italia 
minime  expedit,  doch  wird  auch  wieder  der  sicilische  geriihrnt  und 
mit  dem  italischen  verglichen,  den  es  also  doch  geben  musste.  Auf 
jeden  Fall  konnte  den  starken  Verbrauch  die  einheimische  Produktion 
nicht  decken,  und  der  sonnigere  Orient  musste  Massen  von  Safran, 
theils  roh,  theils  in  Gestalt  von  Wassern,  Salben,  Arzneien,  gefarbten 
Stoffen  ins  romische  Italien  senden.  Wo  der  vorzuglichste  wuchs, 
daruber  waren  die  Meinungen  getheilt;  Theophrast  hatte  den  cyre- 
naischen  besonders  hervorgehoben,  Vergil  den  des  lydischen  Tmolus- 
Gebirges,  Georg.  1,  56: 

nonne  vides  croceos  ut  Tmolus  odores, 
India  mittit  ebur? 

Sonst  gait  allgemein  der  cilicische,  namentlich  der  vom  Berge  Corycus, 
fur  den  edelsten,  so  auch  bei  Dioscorides  1,  25,  der  fur  den  nachst 
besten  den  lycischen  vom  Berge  Olympus,  fiir  den  dritten  den  von 


264  Der  Safran. 

der  aolischen  Stadt  Aegae  in  Kleinasien  erklart.  Plinius  21,  31  weist 
nach  dem  cilicischen  und  lycischen  dem  von  Centuripae  in  Sicilien, 
einer  Stadt  am  Fusse  des  Aetna,  den  dritten  Rang  an.  In  den  Zeiten 
romischen  Reichthums  und  sinnloser  Anwendung  desselben  wurden, 
wie  Rosenblatter,  so  auch  Krokusdiifte  und  Krokusblumen  ver- 
schwendet,  wovon  in  den  scriptores  historiae  Augustae  Beispiele  zu 
nnden  sind.  Wenn  schon  Lucretius  zur  Zeit  der  Republik  den 
Gebrauch  kennt,  die  Theater  des  Wohlgeruchs  wegen  mit  Safran- 
wasser  zu  besprengen  2,  416: 

et  cum  scena  croco  Cilici  perfusa  recens  est, 

und  nach  Sallustius  bei  Macrob.  Sat.  3,  13,  9  Metellus  Pius  durch 
em  Gastrnahl  gefeiert  wurde,  bei  dem  der  Speisesaal  wie  ein  Tempel 
ausgestattet  und  der  Boden  mit  Krokus  bestreut  war:  simul  croco 
sparsa  humus  et  alia  in  modum  templi  celeberrimi,  —  so  ist  nicht 
zu  verwundern,  wenn  zur  Kaiserzeit  die  Statuen  im  Theater  von 
Krokussaft  flossen,  Lucan.  9,  809 : 

Atque  solet  pariter  totis  se  effundere  signis 
Corycii  pressura  croci :  sic  omnia  membra 
Emisere  simul  rutilum  pro  sanguine  virus  — 

oder  wenn  es  von  Hadrian  heisst,  Ael.  Spart.  19 :  in  honor  em  Trajani 
balsama  et  crocum  per  gradus  theatri  fluere  jussit,  und  Heliogabalus, 
der  verkorperte  Orient  auf  dem  romischen  Thron,  in  Teichen  sich 
badete,  deren  Wasser  durch  Safran  duftend  gemacht  war,  oder  seine 
Gaste  auf  Polstern  von  Krokusblattern  niedersitzen  liess.  Auch  die 
Kochkunst  und  Medicin  machte  von  dem  Safran  reichlichen  Ge- 
brauch. Er  bildete  eine  beliebte  Wurze  in  Speisen  und  Getranken 
und  war  gegen  alle  Uebel  heilsam.  Es  gab  wenig  componirte  Recepte, 
in  deren  Zusammensetzung  dieser  Bestandtheil  fehlte  (J.  F.  Hertodt, 
Crocologia  s.  curiosa  croci  enucleatio.  Jenae  1670,  8°).  Die  hohen 
Ehren,  die  das  Alterthum  dem  Safran  zuerkannt  hatte,  mussten  in 
dem  kindisch  abhangigen  Mittelalter  unverkurzt  bleiben,  ja  sich  noch 
steigern.  So  ging  die  Sage,  unter  Eduard  III.  habe  ein  Pilger  aus 
dem  gelobten  Lande  in  einem  ausgehohlten  Stocke  eine  Saffranzwiebel 
nach  England  gebracht  (Beckmann,  Beytrage,  2,  80),  —  offenbar 
weil  das  Kostlichste  auf  Erden  nur  in  tiefem  Geheimniss  und  unter 
Lebensgefahr  zu  gewinnen  ist ;  mit  der  Seide  hatte  es  ja  eine  ahnliche 
Bewandtniss  gehabt.  In  Wirklichkeit  waren  es  die  Araber,  die  neben 
so  vielem  Andern  auch  diese  Kultur  nach  Europa  brachten;  ihnen 
gelang,  was  das  Alterthum  entweder  vergeblich  unternommen  oder 
bei  dem  offenen  Verkehr  mit  dem  Orient  nicht  ernstlich  versucht 


Der  Safran.  265 

hatte.  Von  jener  Zeit  und  aus  Spanien  stammen  die  Safranfelder 
am  Mittelmeer,  wie  auch  seitdem  der  arabische  Name  Safran,  ital. 
zafferano,  span,  azafran  u.  s.  w.  den  alten  griechisch-romischen  crocus, 
der  freilich  anderthalb  oder  zwei  Jahrtausende  fruher  auch  von  den 
Grenzen  Arabiens  gekommen  war,  verdrangt  hat.  NUT  darin  haben 
sich  die  Zeiten  geandert,  dass  die  jetzigen  Menschen  gegen  das 
Aroma  dieser  Blume  gleichgiiltig  geworden  sind:  weder  gilt  der 
Duft  und  Geschmack  fur  so  reizend,  wie  er  friiheren  Geschlechtern 
schien:  ja  Manche  weisen  ihn  ganz  ab;  noch  bediirfen  wir  dieser 
Bliitengriffel  ausschliesslich ,  um  den  Geweben  und  dem  Leder 
den  Glanz  hochgelber  Farbe  zu  geben;  und  dies  Alles  nicht  bloss 
in  Europa,  sondern,  was  merkwiirdig  ist,  auch  im  Orient  selbst. 
Dieser  Eiickgang  des  Safrans  in  Asien  beweist,  dass  auch  in 
jener  uiibeweglichen ,  ganz  von  unabanderlichen  Naturbedingungen 
gebundenen  Weltgegend  in  langen  Zeitraumen  langsame  Abweichungen 
vor  sich  gehen  und  die  Nerven  eine  andere  Stimmung  gewinnen. 

Wir  fiigen  noch  anhangsweise  hinzu,  dass  eine  ahnliche,  doch 
minder  edle  Farbepflanze ,  der  Saflor,  Carthamus  tinctorius ,  ein 
Distelgewachs,  das  in  Ostindien  zu  Hause  ist,  schon  den  Griechen 
iiber  Aegypten  bekannt  geworden  war.  Der  griechische  Name  xvrjxog 
entspricht  einigermassen  dem  indischen  (s.  Benfey,  Wurzelworter- 
buch,  unter  diesem  Wort)  und  stammte  ohne  Zweifel  aus  der  an- 
gegebenen  vermittelnden  Gegend.  Schon  Aristoteles  und  Theophrast 
kennen  das  Wort;  Theokrit  braucht  es  adjectivisch  in  der  Bedeutung 
fahl,  gelblich  (wo  es  dann  die  Grammatiker  xvqxog  betont  haben 
wollen).  Theophrast  unterscheidet  h.  pi.  6,  4,  5,  schon  die  aygCa 
und  die  yiusgog,  von  der  Anwendung  zur  Farberei  aber  spricht  er 
nicht,  die  doch  allein  die  Verbreitung  bewirkt  haben  kann.  Im 
heutigen  Aegypten  werden  die  Samen  gegessen,  in  Italien  dienten 
sie  als  Lab  zur  Milch.  Erst  die  Araber  aber  lehrten  den  Anbau  im 
Grossen  und  die  Benutzung  zur  Roth-  und  Gelbfarbung,  und  von 
ihnen  stammt  denn  auch  der  Name,  ital.  asforo,  asfiori,  zaffron, 
deutsch  Saflor,  engl.  safflow,  zaffer  u.  s.  w. 


*  Der  in  Sudeuropa  und  England,  namentlich  in  Spanien  kultivirte 
Safrancrocus,  Crocus  saiivus  L.,  ist  mit  keiner  der  wildwachsenden  Formen  voll- 
kommen  identisch;  er  ist  stets  steril,  wenn  er  nicht  mit  dem  Pollen  einer 
wilden  Form  befruchtet  wird.  Wildwachsend  findet  sich  Crocus  sativus  L. 
auf  den  Bergen  bei  Smyrna,  auf  Greta,  den  Cykladen  und  um 
Athen,  in  einer  anderen  Varietat  auch  in  Taurien,  Thracien  und 
Dalmatien. 


266  Die  Dattelpalme. 

**  Zu  griech.  xpdxoc  etc.  vgl.  noch  das  ebenfalls  aus  dem  Semitischen 
entlehnte  armen.  k'rkfum  Safran  (Hiibschmann ,  Z.  d.  D.  M.  G.  46,  254).  — 
Griech.  xv?]v.o<;,  xvrjxvo?  wird  ein  einheimisches  Wort  mit  der  Bedeutung  gelb 
sein  =  scrt.  Jcdncana  golden  (Fick,  Vgl.  W.4  I,  19).  Das  von  Benfey  (oben 
S.  265)  angezogene  scrt.  Icufikuma  Safran  1st  wohl  fernzuhalten,  hingegen  bringt 
Muss-Arnolt,  Transactions  XXIII  S.  116,  nach  Oppert  ein  assyr.  Jcarkuma  (?). 
Auch  pers.  Tcarkum.  Vgl.  noch  Low,  Aram.  Pflanzennamen  S.  215 — 220. 


Die  Dattelpalme. 

(Phoenix  dactylifera  L.) 

Die  Dattelpalme  ist  nach  Ritter  der  echte  »Reprasentant  der 
subtropischen  Zone  ohne  Regenniederschlag  in  der  Alten  Welt«,  einer 
Zone,  als  deren  Mittelpunkt  etwa  Babylon,  die  palmenreiche  Haupt- 
stadt  der  semitischen  Volker,  angesehen  werden  kann.  Am  besten 
gedeiht  sie  nach  Link,  Urwelt  1,  347,  zwischen  dem  19.  bis  35.  Grad 
nordlicher  Breite;  siidwarts  vom  Ausfluss  des  Indus  und  eben  so  in 
der  Landschaft  Darfur  unter  13.  bis  15.  Grad  der  Breite  ist  sie  bereits- 
verschwunden ;  nach  Norden  bedarf  sie,  um  geniessbare  Friichte  zu 
tragen,  einer  mittleren  Jahreswarme  von  21  bis  23  °  C.  Sie  verlangt 
Sandboden  und  liebt  den  sengenden  Hauch  der  Wiiste;  aber  als 
Gegensatz  ist  Befeuchtung  ihren  durstigen  Wurzeln  unentbehrlich. 
Der  Konig  der  Oasen,  sagt  der  Araber,  taucht  seine  Fiisse  in  Wasser 
und  sein  Haupt  in  das  Feuer  des  Himmels.  Kein  Sturm  bricht 
oder  entwurzelt  die  Dattelpalme,  denn  ihr  Stamm  besteht  aus  den 
verflochtenen  Fasern  der  Blattstiele,  und  die  durch  einander  geschlun- 
genen  Wurzeladern  binden  sie  an  den  Boden.  Sie  wird  50  und  mehr 
Fuss  hoch,  sie  wachst  langsam,  ist  mit  100  Jahren  in  ihrer  vollen 
Kraft,  von  da  an  mm  nit  sie  ab.  Durch  das  Schirmdach  der  sauseln- 
den  geneigten  Blatter  dringt  kein  Sonnenstrahl ;  drunten  weht  es 
lieblich,  auch  das  Wasser  fehlt  nicht;  Gemiise  und  kleinere  Frucht- 
baume  gedeihen  noch  auf  dem  Boden.  Alle  Ortschaften,  alle  Einzel- 
hiitten  der  Araber  bergen  sich  in  Palmenhainen,  und  mit  Freude 
sieht  der  Reisende  am  Wiistenhorizont  die  dunkeln  Kronen  auf- 
tauchen,  gewiss,  dort  bewohnte  Statten  und  gastfreundliche  Aufnahme 
zu  finden.  »Ehret  die  Dattelpalme,  soil  der  Prophet  gelehrt  haben, 
denn  sie  ist  eure  Muhme  von  Vaters  Seite«  (Kazwini  bei  S.  de  Sacy, 
Chrestomathie  arabe,  3  p.  378)  und  »sie  ist  aus  demselben  Stoffe 
geschaffen,  wie  Adam  und  der  einzige  Baum,  der  kiinstlich  befruchtet 


Die  Dattelpalme.  267 

wird.«  Im  heutigen  Arabien  bildet  die  Dattel  das  Brod,  das  eigent- 
liche  tagliche  Brod  des  Landes  und  zugleich  den  wichtigsten  Handels- 
artikel  (nach  Palgrave,  Reise  in  Arabien,  1,  46  der  deutschen  Aus- 
gabe).  Aber  nicht  von  Anbeginn  ist  der  Baum  in  vollem  Masse 
das  gewesen,  was  er  jetzt  ist.  Erst  die  Pflege  der  Menschenhand 
hat  ihn  so  veredelt,  dass  seine  Friichte  siiss  und  essbar  wurden  und 
ganze  Volkerstamme  jetzt  von  ihm  fast  ausschliesslich  leben  konnen. 
Die  altesten  Nachrichten  kennen  die  Dattelpalme  noch  nicht  als 
Fmchtbaum  (s.  die  Ausfiihrung  bei  Ritter,  Erdkunde,  13,  771  ff.). 
Es  war  in  den  Ebenen  am  unteren  Euphrat  und  Tigris,  im  Paradies- 
klima  des  Baumes,  wo,  wie  Ritter  urtheilt,  die  Kunst  der  Dattel- 
veredelung  von  den  babylonischen  Nabataern  zuerst  erfunden  und 
geiibt  wurde.  Dort  zog  sich  meilenweit  eine  ununterbrochene  frucht- 
tragende  Palmenwaldung  fort;  dort  befriedigte  der  Baum  fast  alle 
Lebensbediirfnisse;  es  gab  nach  Strabo  16,  1,  14  einen  persischen, 
nach  Plut.  Symp.  8,  4,  5  einen  babylonischen  Hymnus,  in  welchem 
360  Arten,  von  ihm  Nutzen  zu  ziehen,  aufgezahlt  waren  (die  mystisch- 
astrologische  Zahl,  die  uns  schon  bei  den  Aegyptern  begegnet  ist, 
und  die  z.  B.  bei  den  360  Frauen  des  Perserkonigs,  regiae  pellices, 
die  den  Macedoniern  in  die  Hande  fielen,  Curt.  3 ,  8 ,  wiederkehrt). 
Von  dort  wurde  die  fruchttragende  Dattelpalme  nach  Jericho,  Pho- 
nizien,  zum  ailanitischen  Golf  am  rothen  Meer  u.  s.  w.  verbreitet. 
Man  kann  dies  merkwiirdige  Factum  der  Kulturgeschichte  nur  mit 
jener  andern  Thatsache  in  Parallele  stellen,  dass  das  Kameel  erst 
seit  dem  dritten  Jahrhundert  nach  Chr.  in  Afrika  eingefiihrt  worden 
—  welches  Thier  doch  fiir  die  libyschen  Wiisten  wie  geschaffen 
scheint  und  den  unzuganglichen  Welttheil  fremden  Volkern,  ihrem 
Handel,  ihrer  Religion  erst  geoffnet  hat  (s.  Waitz,  Anthropologie 
1,  410,  der  sich  auf  Reinaud  im  Institut  von  1857  p.  136  beruft; 
auch  nach  Brugsch  fehlt  das  Kameel  ganzlich  auf  den  agyptischen 
Monumenten,  histoire  d'Egypte,  p.  25:  nous  remarquons  que  le 
chameau,  r animal  le  plus  utile  aujourd'hui  en  Egypt  e,  ne  se  ren- 
contre jamais  sur  les  monuments)**).  Kameel  und  Dattelpalme, 
zwei  innerlich  verwandte  und  denselben  Existenzbedingungen  unter- 
worfene  Geschopfe,  gehoren  dem  Oasenvolke  der  Semiten,  dem  Volke 
der  bitteren  Miihsal  und  der  traumerischen  Musse,  nicht  nur  ur- 
spriinglich  an,  sondern  sind  auch  von  ihm,  so  zu  sagen,  geschaffen 
worden:  es  hat  das  erstere  gezahmt  und  verbreitet  und  der  andern 
den  nahrenden  Fruchthonig  entlockt  und  so  durch  beides  eine  ganze 
Erdgegend  bewohnbar  gemacht. 


268  Die  Dattelpalme. 

Von  einer  Uebertragung  der  Dattelpalme  nach  Europa  in  dem 
Sinne,  wie  der  Weinstock,  der  Oel-  und  Kirschbaum  dort  eine  zweite 
Heimath  fanden,  kann  nach  den  oben  angegebenen  klimatischen  Be- 
dingungen,  von  denen  sie  abhangt,  nicht  die  Rede  sein.  Sie  wurde 
am  nordlichen  Ufersaume  des  mittellandischen  Meeres  angepflanzt, 
aber  trug  keine  reifen  Friichte  mehr;  sie  schmiickte  reizend  und 
fremdartig  die  Landschaft  und  lieh  ihr  einen  fliichtigen  Schimmer 
der  jenseits  gelegenen  orientalischen  Sonnenlander ;  der  nordische 
Gebirgsbewohner,  der  in  die  Kiistenlander  hinabstieg,  staunte  sie  als 
eine  wunderbare  Naturgestalt  an,  aber  er  konnte  nicht,  wie  der 
Orientale,  sorglos  sein  Dasein  an  sie  kniipfen  und  in  ihrem  Schatten 
Marchen  ersinnen  und  anhoren:  eine  schwerere  Arbeit  war  ihm  unter 
dem  rauheren  europaischen  Himmel  auferlegt.  Zwar  ist  alle  Baum- 
zucht,  wenn  sie  auch  nachdenkliche ,  zusammenhangende  Thatigkeit 
voraussetzt  und  entwickelt,  eine  leichtere,  in  gewissem  Sinne  huma- 
nere  Beschaf tigung :  aber  von  dem  Leben  unter  der  Dattelpalme  gilt 
dies  in  allzu  hohem  Grade,  und  der  Mensch,  dem  sie  fast  ohne  sein 
Zuthun  Alles  gewahrt,  bleibt  ewig  in  dusterem  Fatalismus  gebunden, 
und  unter  der  wurdevollen  Ruhe,  die  inn  selten  verlasst,  schlummert 
eine  heisse  tigerartige  Leidenschaft. 

Von  wem  den  Griechen  die  Kenntniss  des  wunderbaren  Baumes 
zugekommen  war,  lehrt  uns  gleich  an  der  Schwelle  der  Name,  den 
er  bei  ihnen  fiihrt.  Wie  <foCvi%  Scharlach  die  aus  Phonizien  stam- 
mende  Farbe,  (po£vi%,  (powixtov  ein  phonizisches  musikalisches  In- 
strument, so  bezeichnete  <poivt,%  Dattelpalme  den  aus  Phonizien 
herriihrenden  Baum66),  der  als  charakteristisches  Produkt  und  zu- 
gleich  Symbol  des  Landes  auf  phonizischen,  spater  karthagischen,  in 
Sicilien  geschlagenen  Miinzen  wiederkehrt.  Die  Ilias  weiss  von  der 
Palme  nichts,  die  an  der  anatolischen  Kiiste  ganz  ebenso,  wie  im 
eigentlichen  Griechenland  ein  Fremdling  ist;  aber  Odyss.  6,  162,  in 
der  altesten  und  schonsten  Partie  dieses  Epos,  wird  der  Palme  auf 
Del os  gedacht,  in  Worten,  aus  denen  die  Bewunderung  spricht,  die 
das  neu  erschienene  fremdartige  Pflanzengebilde  bei  den  Griechen 
der  epischen  Zeit  erregte.  Odysseus  hat  sich  am  Meeresstrande  der 
Nausikaa  genahert  und  spricht  zu  ihr  schmeichelnd  und  um  Hulfe 
flehend : 

Denn  noch  nirgends  sah  ich,  wie  Dich,  der  Sterblichen  einen, 

Sei  es  Weib  oder  Mann,  und  Bewunderung  fasst  mich  beim  Anblick. 

Also  auf  Delos  erblickt'  ich  einst  mit  Augen  der  Palme 

Jung  aufstrebenden  Spross  am  Altar  des  Phobus  Apollon. 


Die  Dattelpalme.  269 

Derm  dorthin  auch  war  ich  gelangt  mit  vielen  Genossen 

Auf  der  Fahrt,  die  mir,  schwer  zum  Unheil  sollte  gereichen. 

So  nun  jeiie  erblickend,  erstaunt  ich  lang'  im  Gemiithe, 

Denn  nicht  tragt  ein  solches  Gewachs  sonst  irgend  die  Erde. 

So  auch  Dich,  o  Jungfrau,  schau  ich  bewundernd  und  fiirchte 

Flehend  die  Knie  zu  beriihren,  und  schmerzliche  Trauer  befangt  mich. 

Der  weitgewanderte  Odysseus  also  hatte  sonst  nirgends  auf  Erden 
einen  Baum  (dogv  —  in  dieser  alterthiimlichen  Bedeutung  nur  an 
dieser  einen  Stelle,  sonst  bei  Homer  imrner  Balken,  Speer;  wohl  mit 
Bezug  auf  den  graden,  zweiglosen,  oben  in  einer  Krone  endigenden 
Schaft),  wie  den  Spross  des  Phonix  ((powixoQ  ggvog)  gesehen,  und 
er  vergleicht  die  schlanke  Bildung  des  letzteren  mit  der  Gestalt  der 
koniglichen  Jungfrau,  ganz  wie  der  Sanger  des  Hohen  Liedes,  7,  8: 
»Dein  Wuchs  gleicht  der  Palme  und  Deine  Bruste  den  Datteltrauben«, 
und  wie  Konigstochter  im  Alten  Testament  den  Namen  Tamar, 
Dattelpalme,  tragen.  Auch  der  homerische  Hymnus  auf  den  delischen 
Apollo,  der  bei  einer  delischen  Festversammlung  gesungen  word  en 
sein  mag,  versaumt  nicht  die  Palme  zu  nennen,  die  der  Stolz  der 
Insel  war;  an  ihrem  Fuss,  den  Stamm  mit  den  Armen  umfassend, 
117:  a(JL(pl  ds  <powix(,  pake  nqxes,  gebiert  Leto  ihren  herrlichen 
Sohn.  Je  besuchter  die  Insel  als  apollinischer  Wallfahrtsort  und  als 
Emporium  wurde,  desto  hdher  stieg  der  Ruhm  der  delischen  Palme, 
zumal  da  er  auch  in  der  Odyssee  einen  Widerhall  gefunden  hatte67). 
Palmblatter  dienten  spater  bei  den  vier  grossen  Festen  als  Sieges- 
zeichen,  theils  in  Gestalt  von  Kranzen  auf  dem  Haupt  theils  als 
Zweig  in  den  Handen:  zur  Erklarung  dieser  Sitte,  die  schon  Pindar 
kennt  (s.  Boeckh  zu  Pind.  Fr.  p.  578),  berichtete  der  Mythus, 
Theseus  habe,  von  Kreta  zuruckkehrend,  in  Delos  zu  Ehren  Apollos 
ein  Kampfspiel  gefeiert  und  die  Sieger  mit  Zweigen  der  Palme  ge- 
schmiickt,  und  dies  sei  dann  auf  die  iibrigen  Spiele  iibergegangen 
(Plut.  Thes.  21.  Sympos.  8,  4,  3.  Pausan,  8,  48,  2).  Wir  deuten 
dies  so,  dass  nicht  bloss  die  Palme  als  Attribut  des  Licht-  und 
Sonnengottes  Apollon,  sondern  der  Palmzweig  als  Symbol  des  Sieges, 
und  der  Siegesfreude  uber  Kreta  und  Delos  aus  dern  Kultur-  und 
religiosen  Vorstellungskreise  der  Semiten  gekommen  war,  denn  auch 
bei  diesen  dienten  Palmen  als  Zeichen  des  Lobes  und  Sieges  und 
festlicher  Freude  (z.  B.  am  jiidischen  Laubhiittenfest) ,  und  Theseus 
personificirt  die  Fahrten  und  Thaten  der  attischen  lonier  zwischen 
Kreta  und  Athen  und  erscheint  als  ein  eifriger  Jiinger  auch  der 
semitischen  Aphrodite.  Statt  des  Theseus  nannte  eine  auf  anderem 
Lokal  erwachsene  Legende  denHerakles:  dieser  hatte  aus  der  Unter- 


270  Die  Dattelpalme. 

welt  wiederkehrend  zuerst  die  Palme  erblickt  und  sich  mit  ihren 
Zweigen  bekranzt,  Philargyr.  ad  V.  G.  2,  67:  quia  Hercules  cum 
ab  inferis  rediret  hanc  primus  arborem  dicitur  contemplatus  esse 
et  se  inde  coronasse,  conveniente  colore  arboris  itti  eventui  quo  e 
tenebris  in  lucem  commeavit  —  wo  im  Herakles  der  orientalische 
Sonnengott,  dem  die  Palme  als  Baum  des  Lichts  angehort,  nicht 
zu  verkennen  ist.  Damals  hatte  der  arkadische  Held  lasios  als  erster 
Ueberwinder  im  Wettrennen  von  Herakles  die  Siegespalme  erhalten, 
und  Pausanias  8,  48,  1  sah  sein  Bild  in  der  Stadt  Tegea,  wie  er  in 
der  Linken  ein  Ross  fiihrte  und  in  der  Rechten  den  Palmzweig 
Melt.  Schon  in  der  Mitte  des  siebenten  Jahrhunderts  vor  Chr.  stif- 
tete  der  Tyrann  Kypselos,  der  Herrscher  im  halborientalischen  Ko- 
rinth,  eine  eherne  Palme  als  Weihgeschenk  in  Delphi,  woselbst  die 
natiirliche  Palme  nicht  wuchs :  die  unten  am  Stamme  angebrachten 
Frosche  und  Wasserschlangen  machten  den  spateren  Mythologen  und 
Hodegeten  viel  Kopfzerbrechens  (Pint.  Conv.  sept.  sap.  21.  de  Pyth. 
oracc.  12);  wahrscheinlich  hatte  der  Kiinstler  in  naturalistischer 
Weise  nur  ausdriicken  wollen,  dass  die  Palme,  das  Kind  der  Wuste, 
doch  ohne  im  Boden  verborgenes  oder  aus  der  Tiefe  hervorbrechen- 
des  Wasser  nicht  leben  kann,  brakiges  Wasser  aber  allem  Uebrigen 
vorzieht  —  woriiber  ihm  in  Korinth  wohl  Kunde  zugekommen  sein 
konnte.  Wie  Kypselos,  weihten  auch  die  Athener  zu  Ehren  ihres 
Doppelsieges  am  Eurymedon,  vielleicht  um  damit  das  Land  zu  be- 
zeichnen,  in  welchem  dieser  Sieg  erfochten  war,  eine  eherne  Palme 
in  Delphi  (Paus.  10,  15,  3)  und  spater  eine  gleiche  durch  Nikias 
in  Delos  (Plut.  Nic.  3,  5);  Palmbaume  sieht  man  auf  Miinzen  von 
Ephesus,  von  Hierapytna  und  Priansus  auf  Kreta,  von  Karystos  auf 
Euboa  (s.  Mionnet  unter  diesen  Stadten)  und  auf  Vasengemalden 
als  Attribut  der  Leto  und  des  Apollo  oder  auch  den  Palmzweig  als 
dem  Sieger  am  Ziele  winkend  (z.  B.  vor  einem  brausend  daher- 
sprengenden  Viergespann  bei  Millin  1,  pi.  24).  Dass  auch  das 
argivische  Nemea  schon  zu  Pindars  Zeit  seine  Palme  besass,  geht 
aus  dem  von  Dionysius  de  comp.  verb.  22  aufbewahrten  Anfang 
des  in  Athen  gesungenen  Friihlings-Dithyrambus  dieses  Dichters 
hervor,  v.  12: 

Im  Argeischen  Nemea  bleibt  dem  Seher  nicht  verborgen 

Der  Palme  Spross,  wenn  der  Horen  Gemach  sich  offnet 

Und  den  duftenden  Friihling  empfindeii  die  nektarischen  Pflanzen  — 

wo  die  homerische  Formel  (poCvixog,  tyvog  nichts  anderes  bedeutet 
als  Palmbaum  (Hesych.  cpoCvixog  sgvog'  TceQKpQaGnxwg  TOV 


Die  Dattelpalme.  271 

der  Seher,  [idvug,  aber  wohl  nur  der  priesterliche  Wachter  1st,  der 
den  geweihten  Baum  beobachtet  und  pflegt.  Auch  zu  Aulis  vor 
dem  Tempel  der  '.dortigen  Artemis  fand  Pausanias  9,  19,  5  Palm- 
baume  stehen,  die  keine  so  schoneu  Datteln  gaben,  wie  die  von 
Palastina,  aber  immer  siissere,  als  die  in  lonien  erzeugten.  So  batten 
sich  denri  im  Laufe  der  Zeiten  trotz  des  pythagoreischen  Verbots 
fjirjds  (poivixa  (pvievsw,  keinen  Dattelbaum  zu  pflanzen,  Plut.  de  Is. 
et  Os.  10  (weil  Zweige  dieses  Baumes  das  Siegeszeichen  abgaben, 
ein  solches  aber  den  Pythagoreern  gottlos  schien)  bin  und  wieder  in 
Griechenland  die  Umgebungen  der  Heiligthiimer  und  Ortschaften  rnit 
einzelnen  oder  Gruppen  jener  babylonisch-libyschen  Wunderbaume 
geschmiickt,  zum  Staunen  Jedes,  der  sie  zum  ersten  Male  sah. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Schicksalen  der  Palme  in  Sicilien  und 
Italien,  so  mussen  wir  vor  Allem  die  Dattelpalme,  Phoenix  dacty- 
lifera,  und  die  Zwergpalme,  Chamaerops  humilis.  genau  unter- 
scbeiden  -  -  letztere  ein  in  Spanien,  Sicilien  und  aucb  Unteritalien 
auf  heissem  Boden  wucherndes,  meist  verkriippeltes ,  blaugriines  Ge- 
strauch,  dessen  junge  Blattsprossen ,  Wurzeln  und  Friichte  gegessen, 
und  aus  dessen  facherforrnigen  Blattern  Kehrbesen  verfertigt,  Stricke 
gedrebt  und  Korbe,  Matten  u.  s.  w.  geflochten  werden.  In  Folge 
des  gleichen  Namens  palma  sind  haufig  Notizen  der  Alten,  die  sich 
auf  die  Zwergpalme  bezogen,  irrig  fur  die  Geschichte  der  Dattelpalme 
benutzt  worden.  Schon  Tbeophrast  sondert  beide  Arten  aufs  Be- 
stimmteste,  h.  pi.  2,  6,  11:  »die  sog.  Zwergpalmen  (o£  %aft(U()Qi,<p£Zg 
xakovpevoi?)  sind  von  den  Dattelpalmen  verschieden,  obgleich  sie  den- 
selben  Namen  tragen:  sie  leben  nacb  Entfernung  des  Gebirns  fort 
(die  schmackhaften  Blatterknospen,  wabrend  die  Dattelpalme  abstirbt, 
wenn  man  ihr  das  cerebrum,  den  Gipfeltrieb,  nimmt)  und  abgehauen 
scblagen  sie  aus  der  Wurzel  wieder  aus  (dies  sind  die  eaeduae  pal- 
marum  silvae,  germinantes  rursus  ab  radice  succisae  des  Plinius, 
die  Dattelpalme  treibt  nicbt  wieder  aus  der  Wurzel).  Sie  unter- 
scheiden  sich  auch  durch  die  Frucht  und  die  Blatter:  letztere  sind 
breit  und  zart  (sie  sind  denen  der  Facherpalme  nicht  unahnlich), 
weshalb  man  auch  Korbe  und  Matten  aus  ihnen  flicht  (wie  noch 
heut  zu  Tage).  Die  Zwergpalmen  sind  haufig  in  Kreta,  aber  noch 
mehr  in  Sicilien. «  Von  den  Wurzeln  und  Trieben  dieser  sicilischen 
Kiistenpalme  nahrten  sich  die  Matrosen  der  von  ihrem  Fiihrer  ver- 
lassenen  Flotte  bei  Cic.  Verr.  II,  5,  87:  posteaquam  paulum  pro- 
vecta  classis  est  et  Pacliynum  quinto  die  denique  appulsa:  nautae 
coacti  fame  radices  palmarum  agrestium,  quarum  erat  in  illis 


272  Die  Dattelpalme. 

locis,  sicut  in  magna  parte  Siciliae,  multitude,  eolligebant  et  his 
miseri  perditique  alebantur.  Wenn  Vergil  Aen.  3,  705  sagt:  pal- 
mosa  Selinus,  so  dachte  er  an  die  Zwergpalme,  die  noch  jetzt  die 
Kustensteppe  um  die  Ruinen  dieser  Stadt  bei  Castelvetrano  weit 
und  breit  iiberzieht.  Von  derselben  Palme  kamen  die  Kehrwische, 
mit  denen  der  musivische  Fussboden  gereinigt  wird,  bei  Horaz 

Sat.  2,  4,  83: 

Ten'  lapides  varios  lutulenta  radere  palma, 

und  bei  Martial  14,  82: 

In  pretio  scopas  testatur  palma  fuisse. 

Zu  den  Stricken,  Seilen  und  Matten,  die  Varro  1,  22,  1  aus  Hanf, 
Flachs,  Rohr,  Pal  men  und  Binsen  bereiten  lasst,  ebenso  zu  den 
Palmmatten,  mit  denen  Columellas  Oheim  in  der  Provinz  Batica  zur 
Zeit  der  Hundstage  seine  Weinreben  bedeckte  (Col.  5,  5,  15),  dienten 
die  Blatter  der  einheimischen  Zwergpalme.  Palma  campestris  bei 
Colum.  3,  1,  2  ist  offenbar  Chamaerops  humilis,  und  eben  dahin 
gehort  die  regio  palmae  foecunda  bei  demselben  11,  2,  90.  Das 
Verbum  palmare,  Colum.  11,  2,  96:  caeterum  palmare  id  est  ma- 
terias  alligare  -  -  kann  weder  von  palma,  die  flache  Hand,  mit  der 
sich  nichts  anbinden  lasst,  noch  von  palmes,  palmitis,  gebildet  sein, 
sondern  nur  von  palma,  die  Zwergpalme.  Selbst  die  planta  pal- 
marum  bei  dem  spateren  Palladius  5,  5,  2,  quam  cephalonem  voea- 
muSj  und  die  den  diirren  Boden,  der  sonst  keine  Frucht  tragt,  von 
selbst  iiberdeckt  11,  12,  2:  constat  autem  locum  prope  nullis  utilem 
fructibus  in  quo  palmae  sponte  nascuntur  —  kann  keine  andere 
sein,  als  die  Chamaerops  humilis,  die  noch  jetzt  in  Italien  cefag- 
lione  heisst  (von  gy*£<paAog,  die  essbaren  obersten  jungen  Sprossen). 
Auch  die  Insel  Palmaria,  jetzt  Palmarola,  hiess  so  von  dem  Palmen- 
gestrauch,  mit  dem  sie  urspriinglich  bewachsen  war.  —  Aber  auch 
die  Dattelpalme  oder  die  Palme  als  wirklicher  Baum  tritt  uns  in 
Italien  ziemlich  friihe  entgegen.  Zwar  wenn  erzahlt  wurde,  Rhea 
Silvia,  die  Mutter  des  Romulus  und  Remus,  habe  im  Traume  am 
Altar  der  Vesta  zwei  Palmbaume  aufwachsen  sehen,  von  denen  der 
eine  grossere  den  ganzen  Erdkreis  beschattete  und  zugleich  den  Him- 
mel  mit  dem  Gipfel  beriihrte,  Ov.  Fast  3.  31: 

Inde  duae  pariter,  visu  mirdbile,  palmae 
Surgunt.    Ex  illis  altera  major  erat 
Et  gravibus  ramis  totum  protexerat  orbem 
Contigeratque  sua  sidera  summa  coma  — 

so  konnte  diese  griechische  Dichtung  erst  entstehen,  als  Rom  schon 
machtig  und  an  Siegen  reich  war,  und  das  Vorbild  gab  der  Wein- 


Die  Dattelpalme.  273 

stock  ab,  der  aus  dem  Schooss  der  Mandane ,  der  Tochter  des 
Astyages,  emporwuchs  und  ganz  Asien  uberdeckte,  oder  jener  Oel- 
kranz,  den  Xerxes  im  Traum  sah  und  dessen  Zweige  uber  die  ganze 
Erde  reichten,  Herod.  7,  19.  Aber  auch  in  Roms  friiherer  Zeit,  da 
es  noch  klein  war  und  sein  Name  nicht  weit  reichte,  war  schon  die 
tunica  palmata,  die  die  Romer  mit  den  ubrigen  Abzeichen  obrigkeit- 
licher  Herrlichkeit  von  den  Etruskern  uberkommen  batten,  mit  den 
Blattformen  der  orientalischen  Dattelpalme  gestickt.  Palmzweige  als 
Siegespreis  in  den  romischen  Spielen  kamen,  wie  Livius  10,  47  aus- 
driicklicb  berichtet,  zuerst  im  Jahr  der  Stadt  459  oder  293  vor  Cbr. 
vor,  in  Nacbabmung  griechischer  Sitte:  translate  e  Crraecia  more. 
Hieraus,  wie  aus  der  Palmstickerei  ware  freilich  noch  nicht  mit 
Sicherheit  zu  schliessen,  dass  die  Palmbaume  selbst  schon  in  Italien 
wuchsen:  die  zu  den  Siegespreisen  nothigen  Blatter  konnten  zu 
Schiff  nach  Italien  kommen,  wie  noch  heut  zu  Tage  der  Seehandel  den- 
selben  Artikel  fur  jiidische  und  christliche  Feste  liefert,  und  dies  um 
so  leichter,  als  Palmblatter  lange  griin  bleiben  und  nicbt  welken. 
Aber  um  dieselbe  Zeit  im  Jahre  291  vor  Chr.,  geschah  folgendes 
Wunder  im  Hain  des  Apollo  zu  Antium :  die  Romer  batten  aus  An- 
lass  einer  Pest  die  Schlange  des  Aesculap  aus  Epidauros  geholt  und 
landeten  mit  ihr  in  der  genannten  Stadt ;  die  Schlange,  die  bis  dahin 
den  Abgesandten  klug  und  willig  gefolgt  war  und  deren  Absichten 
errathen  hatte,  schliipfte  aus  dem  Schiff,  ringelte  sich  um  die  dort 
stehende  bohe  Palme  und  kehrte  nach  drei  Tagen  ruhig  in  das 
Schiff  zuriick,  welches  dann  den  Tiber  hinauf  nacb  Rom  fuhr  u.  s.  w. 
(Val.  Max.  1,  8,  2).  Man  mag  iiber  diesen  Vorgang  denken,  wie 
man  wolle:  die  Existenz  eines  Palmbaumes  in  Antium  muss  als 
Ankniipfungspunkt  fur  die  Sage  vorausgesetzt  werden  und  hat  in 
einem  Hafen  mit  lebhaftem  Verkehr  und  Apollodienst  nichts  Un- 
wabrscheinliches.  Das  Prodigium,  welches  Livius  24,  10  unter  dem 
Jahr  214  berichtet:  in  Apulia  palmam  viridem  arsisse,  konnte  nicht 
geschehen,  wenn  damals  in  Apulien  nicbt  wenigstens  eine  Palme 
vorhanden  war.  Wie  in  Antium  standen  wohl  auch  bei  den  griechischen 
Stadten  in  Unteritalien  Dattelpalmen  bin  und  wieder  an  der  schonen 
Kiiste  als  Begleiterinnen  apollinischer  Heiligthumer.  Zu  Varros  Zeit 
fehlte  es  an  diesen  Baumen  in  Italien  nicht,  wie  aus  seiner  Be- 
merkung  hervorgeht,  der  Palmbaum  bringe  in  Judaa  reife  Datteln 
hervor,  in  Italien  vermoge  er  es  nicht,  2,  1,  27:  non  scitis  palmu- 
las  (Aldina  rich  tiger:  palmas)  caryotas  in  Syria  parere  in  Judaea, 
in  Italia  non  posse?  und  bei  Plinius  im  ersten  Kaiserjahrhundert 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  jg 


274  Die  Dattelpalme. 

1st  der  Baum  schon  in  Italien  gemein,  13,  26:  Sunt  quidem  et  in 
Europa  volgoque  Italia,  sed  steriles.  Von  wem  aber  war  er  ur- 
spriinglich  in  Italien  eingefiihrt  worden?  Wenn  nach  Livius  die 
Palmen  als  Siegerschmuck  in  den  romischen  Spielen  aus  Griechen- 
land  stammten,  wenn  auch  die  etruskische  Palmenstickerei ,  wie 
Otfried  Miiller,  Etrusker  1,  373,  urtheilt,  ein  Ausfluss  griechischer 
Sitte  war  —  woher  dann  der  ungriechische  Name  palma?  Das 
Wort  ist  aus  dem  Lateinischen  nicht  zu  erklaren,  wie  sollte  auch 
ein  so  fremder  exotischer  Baum  einheimisch  benannt  worden  sein? 
Palma  muss  aus  dem  semitischen  tamar,  tomer  entstellt  (wie  aus 
raw's  der  Pfau  pavus,  pavo  wurde),  oder  es  muss  einer  semitischen 
Sprache  in  der  der  Anlaut  wie  p  klang  nachgesprochen  worden  sein. 
Letztere  Annahme  findet  in  dem  biblischen  Tadmor  und  der  ent- 
sprechenden  griechisch-lateinischen  Benennung  Palmyra,  Palmira  (zu-' 
erst  bei  Plinius  und  Josephus) ,  wobei  an  keine  Uebersetzung  zu 
denken  ist,  einigen  Anhalt68).  Noch  vor  den  Griechen  also  oder 
vielmehr,  so  zu  sagen  an  ihnen  vorbei,  zu  einer  Zeit,  in  deren  See- 
verkehr  uns  der  von  Polybius  aufbewahrte  Schiffahrtstraktat  einen 
Blick  eroffnet ,  mussen  entweder  tuskische  oder  lateinische  Schiffer 
den  Baum  an  libyschen,  sicilischen,  sardinischen  Kiisten  erblickt  und 
seinen  Namen  erfahren  oder  punische  Kauffahrer  Zweige  desselben, 
termites,  anddixsg 69) ,  an  die  italische  Kuste  gebracht  haben,  sei 
es  als  Wunder  des  Siidens,  wie  auch  unsere  Schiffer  Papageien  und 
Kokosmisse  bringen,  sei  es  zum  Schmuck  religioser  Feste  oder 
als  Zeichen  der  Huldigung  fiir  einheimische  Fursten  und  Ober- 
haupter.  So  konnten  auch  die  Etrusker,  wie  die  Namen,  so  auch 
den  Gebrauch  der  Palmblatter  als  Insignien  der  Herrscherwiirde  ohne 
griechische  Vermittelung  direkt  von  den  Puniern  gelernt  haben.  An 
die  Frucht  der  Palme  als  Handelsartikel  ist  nach  dem  gleich  An- 
fangs  Bemerkten  in  jener  alteren  Zeit  noch  nicht  zu  denken.  Das  dem 
Semitischen  entlehnte  Wort  ddxrvhog,  dactylus,  welches  mit  Finger 
nichts  zu  thun  hat,  wie  palma  nichts  mit  der  Hand,  kommt  erst 
spat  vor  (bei  Artemidor.  5,  89,  zur  Zeit  der  Antonine,  und  unter  den 
Lateinern,  bei  dem  wahrscheinlich  noch  viel  jiingeren  Apicius,  denn 
bei  Plinius  13,  46  sind  die  dactyli  nur  eine  bestimmte  Sorte  unter 
vielen  andern),  ist  aber  in  alle  romanischen  Sprachen  (ital.  dattero, 
span,  datil,  franz.  datte)  und  von  diesen  auch  in  die  germanischen 
iibergegangen.  Aelter  ist  eine  andere,  gleichfalls  nur  einer  besonderen 
nussformigen  Art  Datteln  zustehende  spater  verallgemeinerte  Be- 
nennung xaQvatTog,  xagvwug,  lat.  caryota,  caryotis,  haufig  im  ersten 


Die  Dattelpalme.  275 


Jahrhundert  der  Kaiserzeit,  zu  allererst  bei  Varro  2,  1,  27,  dann  bei 
Strabo  und  Scribonius  Largus.  Entsprechend  dem  griechischen  <folv(,% 
die  Dattel  sagten  die  Dicbter  auch  palma  fur  die  Fmcbt,  z.  B.  Ov. 
Fast.  1,  185: 

quid  vult  palma  sibi  rugosaque  carica  dixi, 

wie  auch  das  verkleinerte  palmida  denselben  Begriff  ausdriickte, 
schon  bei  Varro  1,  67.  Doch  gin  gen  alle  diese  Ausdriicke  wieder 
verloren,  und  Dattel  wurde  der  allgemein  ubliche  Name  in  der  west- 
europaischen  Handelssprache. 

Da  der  in  die  Erde  gesteckte  Dattelkern  bald  keimt,  so  1st  es 
leicht,  Palmen  zu  erziehen  und  zu  vervielfaltigen.  Triige  der  Baum 
in  Europa  Frucht,  wie  im  afrikanischen  Dattellande,  gewiss  wiirden 
dann  an  zahlreichen  Stellen  der  drei  ins  mittellandische  Meer  aus- 
laufenden  europaischen  Halbinseln  Palmenwalder  rauschen,  und  gewiss 
hatten  auch  dann  die  Menschen  Sorge  getragen,  beide  Geschlechter 
des  Baumes  neben  einander  zu  pflanzen  und  der  natiirlichen  Be- 
fruchtung,  wie  im  Orient,  kiinstlich  zu  Hiilfe  zu  kommen.  Als  nach 
dem  Untergang  der  antiken  Welt  Barbarei  iiber  jene  Gegenden  herein- 
brach  und  der  Sinn  fiir  Anmuth  des  Lebens  erloschen  war,  da 
starben  auch  die  Palmbaume  allmahlich  ab,  die  etwa  aus  dem  Alter- 
thum  sich  noch  erhalten  hatten:  sie  brachten  nichts  ein,  und  neben 
der  Sehnsucht  ins  Jenseits  und  der  Selbstqual  herrschte  nur  noch 
der  grobe  gierige  Eigennutz.  So  weit  dann  die  Araber  an  den 
Kiisten  des  Mittelmeers  sich  niederliessen,  ward  auch  die  Palme 
wieder  sichtbar.  In  Spanien  pflanzte  um  das  Jahr  756  der  christ- 
lichen  Aera  der  Kalif  Abdorrahman  I  in  einem  Garten  bei  Cordova 
mit  eigener  Hand  die  erste  Dattelpalme,  von  der  alle  iibrigen  im 
heutigen  Spanien  abstaramen  sollen  (Conde,  historia  de  la  dominacion 
de  los  Arabes  en  Espafia,  part.  2,  cap.  9),  und  betrachtete  sie  oft  in 
sehnsuchtiger  Erinnerung  an  die  arabische  Heimath,  von  der  sie 
beide,  der  Kalif  und  der  Baum,  so  fern  waren.  Aehnlich  thaten  die 
Saracenen  in  Sicilien  und  Kalabrien,  doch  hatte  dieser  Orientalismus 
auf  europaischem  Boden  nur  fliichtigen  Bestand.  Bis  in  die  neuere 
Zeit  waren  einzelne  Exemplare  wie  zufallig  stehen  geblieben,  zur 
Freude  und  Ueberraschung  der  Reisenden  von  Norden,  durch  welche 
die  Anwohner  erst  auf  den  malerischen  vegetativen  Schmuck,  den 
sie  an  dem  Baum  besassen,  aufmerksam  gemacht  wurden.  Wie  in 
so  Vielem,  war  unterdess  auch  in  dem  Symbol  der  Palmen  die 
christliche  Kirche  der  Bildersprache  des  Heidenthums  und  Juden- 
thums  treu  geblieben,  und  dieselben  Zweige,  die  bei  den  Festen  des 

18* 


276 


Die  Dattelpalme. 


Osiris  in  Aegypten,  bei  feierlichen  Einziigen  der  Konige  und  Kriegs- 
helden  in  Jerusalem,  bei  den  olympischen  Spielen  und  auf  dem 
Kleide  romischer  Imperatoren  ein  Zeichen  der  Siegesfreude  geweseii 
waren,  wurden  auch  in  Rom  am  Palmsonntage  vom  Haupte  der 
Christenheit  geweiht  und  an  alle  Kirchen  der  ewigen  Stadt  vertheilt. 
Dies  gab  Veranlassung  zur  Anlage  des  grossten  Palmenhaines,  den 
das  jetzige  Italien  besitzt,  des  von  Bordighera,  an  der  herrlichen 
Uferstrasse,  die  von  Genua  nach  Nizza  fiihrt,  zwischen  S.  Remo  und 
Ventimiglia,  unter  fast  44  Gr.  nordl.  Breite.  Die  Einwohner  dieses 
Stadtchens  haben  seit  alter  Zeit  (angeblich  seit  Errichtung  des  Obe- 
lisken  auf  dem  St.  Petersplatze)  das  durch  Gewohnheit  geheiligte 
Vorrecht,  zum  Osterfest  Palmen  nach  Rom  zu  liefern,  und  diese 
Industrie  schuf  allmahlich  die  iiber  mehrere  Meilen  sich  hinziehende 
Pflanzung,  die  iiber  4000  Stamme  zahlen  soil.  Um  die  theueren  und 
besonders  geschatzten  weissen  Palmen  zu  erzielen,  werden  vom  Hoch- 
sommer  an  die  Kronen  oben  zusammengebunden,  so  dass  die  innersten 
Blatter,  vom  Licht  unberiihrt,  kein  Chlorophyll  erzeugen  konnen  und 
dann  ein  Bild  nicht  bloss  des  Sieges,  wie  die  griinen,  sondern  zu- 
gleich  der  himmlischen  Reinheit  abgeben  —  ein  acht  christlicher 
Gedanke,  auf  den  die  Alten  nicht  verfielen.  Der  Reisende,  der  um 
die  genannte  Zeit  die  Riviera  di  Ponente  durchzieht,  sieht  dann  die 
Palmengipfel  in  Gestalt  riesiger  Tulpenknospen  sich  erheben  und  be- 
greift  Anfangs  nicht,  was  die  Verstummelung  des  schonen  Baumes 
bezweckt.  Von  Bordighera  aus  hat  sich  die  Palme  in  einzelnen 
Exemplaren  langs  dieser  ganzen  Kuste  verbreitet;  in  Rom  bildet  die 
Palme  vor  S.  Pietro  in  vinculis  das  Studium  der  Maler,  die  an 
biblischen  Scenen  arbeiten;  wer  Capri  besucht  hat,  kennt  die  Palme 
im  Garten  von  Michele  Pagano;  in  der  villa  nazionale  von  Neapel 
sind  jetzt  einige  prachtige  Exemplare  der  Umgegend  vereinigt,  die 
an  dunklen  Sommerabenden,  von  dem  bleichen  Licht  der  weissen 
Gasflammen  getroffen,  iiber  den  Klangen  des  Orchesters  und  den 
Kopfen  der  ruhenden  und  auf-  und  abwandelnden  Menge  geisterhaft 
schweben.  Haufiger,  mit  der  zunehmenden  Kraft  der  Sonne,  wird 
der  Baum  nach  Calabrien  zu  und  in  Sicilien  und  Sardinien.  In  der 
Umgegend  des  calabrischen  Reggio  sollen  ehedem  ganze  Walder  von 
Dattelpalmen  sich  erhoben  haben,  die  entweder  von  den  Arabern 
selbst,  als  sie  von  dieser  Kiiste  verdrangt  wurden,  oder  von  den 
Christen  als  Nachlass  der  Unglaubigen  zerstort  wurden  (G.  Vom 
Rath,  ein  Ausflug  nach  Calabrien,  Bonn  1871,  S.  15).  Auch  siidlich 
von  Palermo  soil  durch  die  Konige  aus  dem  Hause  Anjou,  als  diese 


Die  Dattelpalme.  277 

im  14.  Jahrhundert  die  Insel  Sicilien  wieder  zu  unterwerfen  suchten, 
eine  ganze  Palmenwaldtmg  ausgerottet  worden  sein  (Theob.  Fischer, 
Beitrage  zur  physischen  Geographic  der  Mittelmeerlander,  Leipzig  1877, 
S.  146  f.).  Wie  zu  Bordighera  in  Italien,  steht  in  Siidspanien,  zu 
Elche  siidwestlich  von  Alicante  nach  der  Grenze  des  heissen  Murcia 
hin,  zwischen  39  und  40  Gr.  nordl.  Br.,  ein  beriihmter  Palmenwald, 
60000  Stamme  stark,  der  nicht  bloss  Blatter  in  die  Hand  frommer 
Waller,  sondern  auch  siisse  Friichte  zum  Genuss  fur  Knaben  und 
Madchen  bietet.  Die  Araber  wurden  besiegt,  die  Moriscos  ausge- 
trieben  und  vertilgt,  der  Wald  von  Elche,  obgleich  urspriinglich  von 
unglaubiger  Hand  gepflanzt,  blieb  stehen,  ein  Zeichen  von  Glaubens- 
schwache  selbst  bei  den  Zoglingen  Loyolas.  Im  aussersten  Westen 
mitten  im  Ocean,  auf  den  Inseln  der  Gliickseligen  fanden  die  ersten 
Entdecker  schon  fruchtbare  Dattelpalmen  vor:  wenigstens  berichtete 
cler  numidische  Konig  Juba,  dessen  Aussage  uns  Plinius  6,  205  auf- 
bewahrt  hat,  hanc  (Canariam)  et  palmetis  caryotas  ferentibus  ac  nuce 
pinea  (von  Pinus  Canariensis)  abundare.  Waren  von  dem  gegeniiber- 
liegenden  Afrika  etwa  Dattelkerne  durch  die  Wellen  hinubergespult 
worden  und  so  die  genannten  Baume  au£  jener  Insel  aufgegangen? 
In  der  entgegengesetzten  Weltrichtung  hatten  die  friiheren  Araber 
sogar  am  Siidufer  des  kaspischen  Meeres  noch  eine  ergiebige  Dattel- 
zucht  getrieben,  so  dass  das  kalte  Reich  der  Russen  hier  seine 
Grenzeri  bis  fast  an  die  subtropische  Zone  der  Dattelpalme  vorgeriickt 
hat;  wenn  aus  jener  Zeit  nur  noch  einzelne  Epigonen  ohne  Frucht- 
ertrag  iibrig  geblieben  sind,  so  scheint  v.  Baer,  der  zuerst  auf  ihr 
Vorkommen  aufmerksam  gemacht  hat,  mehr  geneigt,  den  Untergang 
dieser  Kultur  auf  eine  Abkiihlung  des  Klimas,  als  auf  die  Indolenz 
der  jetzigen  Bewohner  zurtickzufuhren  (s.  v.  Baer  im  Bulletin  der 
Petersburger  Akademie,  1860 :  » Dattelpalmen  an  den  Ufern  des 
Kaspischen  Meeres,  sonst  und  jetzt«). 


Es  ist  nach  den  palaontologischen  Befunden  nicht  zu  bezweifeln,  dass 
im  alteren  und  mittleren  Tertiar  Mittel-  und  Siideuropas  Palmen  aus  der 
Gattung  Phoenix  existirt  haben.  Da  nun  die  Dattelpalme,  Phoenix  dactylifera  L., 
\7on  alien  Arten  gegenwartig  am  weitesten  nach  Norden  reicht,  so  ist  es  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  diese  ausgestorbenen  siideuropaischen  Phoenix  mit  der 
Dattelpalme  naher  verwandt,  wenn  auch  nicht  identisch  waren.  Es  ist  hochst 
wahrscheinlich,  dass  schon  in  vorhistorischen  Zeiten  das  Areal  der 
Dattelpalme  sich  von  Nordafrika  bis  nach  dem  Pendschab  er- 
streckte.  Wenn  aber  auch  die  Kanaren  als  urspriingliche  Heimath  der 
Dattelpalme  angefiihrt  werden,  so  ist  darauf  zu  erwidern,  dass  die  Palme, 


278  Die  Dattelpalme. 

welche  auf  jenen  Inseln  an  natiirlichen  Standorten  (z.  B.  in  der  Caldera  di 
Bandama  von  Gran  Canaria,  im  Barranco  Guignigada  von  Canaria,  im  Barranco 
Carmen  von  Palma  sah  ich  sie  selbst)  vorkommt,  nicht  Ph.  dactylifera  L., 
sondern  die  durch  dicken  kraftigen  Stamm,  viel  dichtere  Krone,  bogenformig 
herabhangende  Blatter  mit  breiteren  Fiedern,  bandformigem  Stiel  des  weib- 
lichen  Bliitenstandes  und  durch  kleine  goldgelbe,  im  reifen  Zustande  zur 
Not  essbare  aber  mit  sehr  diinnem  Fleisch  versehene  Frtichte  ausgezeichnete, 
auf  den  Kanaren  endemische  Ph.  canariensis  Chabaud  ist,  welche  auch  jetzt 
an  der  Riviera  und  iiberhaupt  in  Oberitalien  viel  angepflanzt  und  reichlich 
vermehrt  wird,  um  als  widerstandsfahige  Decorationspflanze  in  alle  Welt  ver- 
sendet  zu  werden.  Diese  Art  wachst  auf  felsigem  Terrain  und  bedarf  keines- 
wegs  in  solchem  Grade  der  Bodenfeuehtigkeit ,  wie  die  Ph.  dactylifera  L., 
welche  andrerseits  feuchte  Luft  schlecht  vertragt  und  daher  auch  in  unseren 
Gewachshausern  nicht  gedeihen  will.  Letztere  Art  ist  zwar  auf  den  Kanaren 
auch  schon  vor  der  Ankunft  der  Spanier  cultivirt  gewesen,  wie  einzelne  heut 
noch  stehende  Exemplare  (z.  B.  die  30  m  hohe  Dattelpalme  im  Garten  der 
Marqueses  de  Sauzal  in  Villa  Orotava)  beweisen.  Ob  die  vonPlinius  (Hist. 
nat.  lib.  VI  cap.  37)  erwahnten  Palmen  der  Kanaren  (,,hanc  [Canariam]  et 
palmetis  caryotas  ferentibus  .  .  .  abundare")  Dattelpalmen  gewesen  sind,  ist 
mehr  als  unwahrscheinlich ;  es  dtirfte  sich  diese  Stelle  auf  die  wilde  Ph.  ca- 
nariensis Chabaud  (=  Ph.  Jubae  (Webb.)  Christ)  beziehen;  aber  es  ist  wohl, 
wahrscheinlich,  dass  die  Berber  die  Dattelpalme  von  Afrika  nach  den  Kanaren ' 
gebracht  haben.  Wenn  nun,  wie  auch  der  beste  Kenner  der  Gattung  Phoenix 
Prof.  Beccari  im  III.  Bd.  seiner  Malesia  S.  359  annimmt,  die  von  Th.  Fischer 
in  seiner  Schrift  tiber  die  Dattelpalme  (Petermanns  Mittheilungen,  Erganzungs- 
heft  Nr.  64)  und  auch  von  anderen  vertretene  Ansicht,  dass  Ph.  dactylifera 
von  Ph.  canariensis  abstamme,  nicht  haltbar  ist,  so  fragt  es  sich,  an  welche 
andere  Art  sie  sich  naher  anschliesst.  Hierbei  kommt  einerseits  die  im  tro- 
pischen  Afrika  verbreitete  Ph.  reclinata  Jacq.  (=  Ph.  spinosa  Thonning)  und 
anderseits  die  in  Vorderindien  verbreitete  Ph.  silvestris  Roxb.  in  Betracht. 
Es  ist  nun  sicher,  dass  die  Dattelpalme  durch  ihre  langlichen  stumpfen  mann- 
lichen  Bliiten  der  genannten  indischen  Art  naher  steht,  als  der  afrikanischen 
Ph.  reclinata  und  dies  hat  auch  zu  der  Vermuthung  Veranlassung  gegeben,  dass 
die  Dattelpalme  eine  von  Ph.  silvestris  abstammende  Kulturpflanze  sei.  Es 
ist  aber  wegen  der  eigenartigen  physiologischen  Bedtirfnisse  der  Dattelpalme 
(etwas  feuchter  Boden,  trockene  Luft)  anzunehmen,  dass  sie  iin  afrikanisch- 
indischen  Wustengebiet  entstanden  sei.  Schon  Boissier  (Flora  orientalis  V. 
S.  47)  giebt  zu,  dass  die  Dattelpalme,  wenn  nicht  im  inneren  Nordafrika,  sich 
vielleicht  auch  im  siidlichen  Persien  und  Beludschistan  wild  finden  konne. 
Bonavia  (The  Date  palm,  in  Gardener's  Chronicle  XXIV  (1885)  p.  178—211) 
nimmt  an,  dass  sie  in  Arabien  heimisch  und  von  dort  nach  der  Sahara  ein- 
gewandert  sei.  Dagegen  betrachtet  sie  Grisebach  (Vegetation  der  Erde)  als 
einen  indigenen  Biirger  der  Sahara,  wie  auch  Schweinfurth,  der  aber  Ph. 
reclinata  alsStammpflanze  annimmt.  Gegeniiberdiesen  verschiedenen  Meinungen 
vertritt  nun  Beccari  die  Ansicht,  dass  Ph.  dactylifera  eine  selbstandige  Art 
sei,  welche  mit  der  auf  gro'ssere  Regenmengen  angewiesenen  Ph.  reclinata 
wahrscheinlich  einen  gemeinsamen  Ursprung  gehabt  habe,  dass  daher  ihr 
Heimathland  dem  der  Ph.  reclinata  zunachst  liegen  musse  und  wahrscheinlich 


Die  Dattelpalme.  279 

im  Westen  des  Indus,  im  stidlichen  Persien  oder  am  persischen  Golf  in 
Arabien  gewesen  sei.  Dass  die  Dattelpalme  noch  wild  existiere,  halt  er  fiir 
ausgeschlossen,  weil  sie  so  verandert  sei,  dass  sie  nur  unter  dem  Schutze  der 
Menschen  sich  entwickeln  konne.  Schliesslich  spricht  er  sich  auch  fiir  die 
Ansicht  Playfair's  (Esparto  and  Datepalm  in  Tunis,  Gardeners  Chro- 
nicle, XXV  (1886)  p.  731)  aus,  wonach  die  Dattel  der  Lotus  der  Alten  und 
die  Lotophagen  die  Araber  seien. 

Sehr  interessante  Mittheilungen  tiber  die  Kultur  der  Dattelpalmen  enthalt 
ein  Vortrag  von  Prof.  Schweinfurth,  abgedruckt  in  der  ,,Gartenflora"  1901, 
S.  506—522. 


*  *  Der  Ausgangspunkt  der  Dattelpalmenkultur,  wenn  derselbe  uberhaupt 
ein  einheitlicher  war,  steht  noch  nicht  hinlanglich  fest;  sicher  aber  ist,  dass 
die  altesten  Nachrichten,  welche  von  dem  Baume  berichten,  auch  seine  Kultur 
bereits  kennen.  Ueber  die  Dattelpalme  in  Aegypten  vgl.  Woenig,  Die 
Pflanzen  im  alten  Aegypten  S.  304  ff.  Nach  ihm  ware  es  nicht  zu  gewagt, 
den  Beginn  der  Dattelpalmenkultur  in  die  X.  und  XI.  Dynastie  zu  verlegen; 
er  vermuthet,  dass  es  der  Handelsverkehr  zwischen  Aegypten  und  dem  Laiide 
Punt  (stidliches  Arabien)  war,  welcher  die  Kultur  nach  Aegypten  brachte. 
Ein  Landschaftsbild  aus  der  genannten  Gegend  in  der  Tempelhalle  von 
Der-el-Baharie  zeigt  uns  ein  auf  Pfahlen  errichtetes  Dorf  zwischen  Dattel- 
palmen und  Weihrauchbaumen.  Doch  zeigen  die  agyptischen  Namen  am  fiir 
den  Baum,  baner  (nach  Diimichen),  ba'unirit,  ba'unit,  baune  (nach  F.  Hommel) 
fiir  die  Dattel  keine  sichere  Beziehung  zum  Semitischen.  Auch  halt  Schwein- 
furth, Aegyptens  auswartige  Beziehungen  hinsichtlich  der  Kulturgewachse 
(Verb.  d.  Berl.  Gesellschaft  fiir  Anthropologie  1891  S.  656)  einen  in  Afrika 
einheimischen  Ursprung  der  agyptischen  Dattelkultur  nicht  fiir  ausgeschlossen. 
-  Auch  der  Bekanntschaft  der  Aegypter  mit  dem  Kameel  wird  man  ein 
betrachtlich  hoheres  Alter  zuschreiben  miissen,  als  oben  S.  267  geschieht. 
Bereits  in  einem  Papyrus  aus  dem  XIV.  Jahrhundert  wird  das  Thier  mit  seinem 
semitischen  Namen  genannt,  und  der  russische  Forscher  Golenischeff  hat  unter 
den  aus  der  XI.  Dynastie  stammenden  Felseninschriften  im  Wadi-Hammamat 
unter  sieben  Abbildungen  von  Straussen,  Antilopen  und  Stieren  auch  eine 
Abbildung  des  Kameels  gefunden.  Vgl.  F.  Hommel,  Namen  der  Saugethiere 
S.  215  und  Schweinfurth  a.  a.  0.  S.  651  Anm.  1. 

Ueber  die  Palme  auf  den  assyrischen  Monumenten  handelt  eingehend 
E.  Schrader  in  den  Monatsberichten  der  kgl.  preuss.  Akad.  d.  W.  zu  Berlin 
Mai  1881.  Nach  ihm  sind  die  hier  genannten  Musukkanbaume  mit  der  Palme 
identisch.  »Das  Musukkanholz  wird  bei  Bauten  in  Niniveh  und  Babylon  ver- 
wendet  und  erscheint,  wenn  es  Tributgegenstand  ist,  lediglich  als  solcher 
eines  besiegten  babylonischen,  naher  stidbabylonischen  Machthabers.  Ein 
Hain  von  Musukkanbaumen  wird  vom  Assyrerkonig  vor  der  stidbabylonischen 
Stadt  Sapi'  vernichtet,  durch  Umhauen  der  Stamme.  Dagegen  erscheint  das 
Musukkanholz  niemals  als  ein  Tributgegenstand  westlicher  syrisch-palasti- 
nischer  Volker  und  wird  niemals  als  ein  in  Westasien,  von  den  Assyrern  etwa 
auf  dem  Libanon  und  Amanus  gefallter  Baum  bezeichnet.«  Auch  in  dem 
heiligen  Baum  auf  den  babylonisch-assyrischen  Denkmalern  (vgl.  den  Anhang) 


280  Die  Dattelpalme. 

erblickt  E.  Schrader  die  Dattelpalme.  Das  Wort  musukkan  deutet  er  aus  dem 
Sumerisch-Akkadischen  und  erklart  er  als  »himmelhauptig«,  wie  auch  hebr. 
tamar  »die  schlanke,  hochgewachsene«  sei.  Anderer  Ansicht  dariiber  1st 
F.  Delitzsch  in  seinem  Assyrischen  Handworterbuch  S.  420.  Nach  ihm  ist 
musukkannu  eine  jiingere  Form  fiir  das  altere  mis-md-kan-na,  d.  i.  Mis-Holz 
von  Makan.  Noch  anders  urtheilt  F.  Hommel  in  der  Beilage  zur  Allg.  Z. 
1895  No.  197.  S.  4.  Ihm  zufolge  stehe  es  durch  die  altesten  suinerischen  In- 
schriften  fest,  dass  die  Dattelpalme  aus  Arabien  nach  Babylonien  eingefiihrt 
wurde.  ,,Der  uralte  Konig  Ur-channa  (nach  anderen  irrig  Ur-Mna)  sagt  in 
«iner  seiner  Weihinschriften :  ,,Aus  dem  Lande  Magan  (d.  i.  Ostarabien)  den 
•w^m-Baum  habe  ich  gebracht."  Das  ist  aber  derselbe  Baum,  den  die  Baby- 
lonier  und  Assyrer  musukkan  (aus  mus  =  Baum  und  ugiri)  und  mit  volks- 
etymologischer  Umformung  mismdkan  (d.  i.  Baum  von  Magan)  spater 
nannten,  und  in  welchem  schon  der  englische  Assyriologe  George  Smith  die 
Dattelpalme  richtig  erkannt  hatte.  Deutlicher  kann  die  Einfuhrung  aus  Arabien 
nicht  ausgesprochen  sein."  Beide  letztgenannte  Forseher  nehmen  also  in 
musukkan,  mistnakan  eine  direkte  oder  indirekte  Beziehung  zum  Lande  Makan 
an,  hinsichtlich  dessen  es  freilich  ungewiss  zu  sein  scheint,  ob  es  mehr  mit 
dem  6'stlichen  Arabien  (so  nach  F.  Hommel),  oder  mehr  mit  dem  stidlichen 
Babylonien  (vgl.  z.  B.  E.  Meyer  Geschichte  des  Alterthums  I  §  129,  133) 
identisch  ist. 

Was  das  griech.  <poivt£  betrifft,  so  wird  die  Deutung  desselben  als 
»Phonicier«  (vgl.  yaXo^  Stahl,  eigentl.  der  Chalyber),  d.  h.  als  »der  Baum,  der 
seine  eigentliche  Heimath  im  fernen  Stid-Osten  hat«,  richtig  sein.  Ein  Zu- 
sammenhang  mit  den  oben  genannten  agyptischen  Namen  der  Dattelpalme, 
den  F.  Hommel  a.  a.  O.  fiir  wahrscheinlich  halt,  ist  kaum  anzunehmen. 
Bemerkenswerth  sind  noch  die  Hesychischen  Glossen  oooxXar  <powtxo(3aXavoi 
und  ooov(X)o-£aXavoc;*  TO  aiko  Ooivixsc,  die  man  seit  alters  in  Verbindung  mit 
aram.  diqld  Palme  (s.  u.)  zu  bringen  versucht;  vgl.  M.  Schmidt  zu  den  angegeb. 
Glossen.  Dass  die  Palme  auf  den  mykenischen  Kunstdenkmalern  tiberaus 
haufig  ist,  ist  bekannt.  Ueber  die  Verbreitung  des  Baumes  im  alten  Griechen- 
land  vgl.  noch  Neumann-Partsch,  Physik.  Geogr.  S.  411.  —  Schwierig  ist  die 
Entscheidung  tiber  das  lat.  palma.  Auf  jeden  Fall  ist  der  Gedanke  an  einen 
Zusammenhang  mit  dem  Stadtenamen  Tadmor-Uo.\\i.6po.  (oben  S.  274  und 
Anm.  68)  aufzugeben.  Noldeke  in  den  Gottinger  Gel.  Anzeigen  1881  S.  1229 
aussert  sich  dariiber  f olgendermassen :  »Die  von  Salomo  gegriindete  Stadt  ist 
nach  dem  echten  Text  1.  Kon.  9,  18  Tamar  in  Juda;  die  Lesart  Tadmor 
2.  Chron.  8,  4  beruht  auf  einer  Textanderung,  welche  lieber  die  beriihmt 
gewordene  Handelsstadt  als  einen  obskuren  Ort  von  dem  sagenhaft  verherr- 
lichten  Konig  ableiten  wollte.  Bei  Tadmor-Palmyra  kennt  allerdings  Abulfida 
Dattelpalmen,  und  noch  heute  sind  dort  einige;  aber  eine  ergiebige  Dattel- 
kultur  ist  da  schwerlich  je  betrieben.  Nun  ware  es  immerhin  denkbar,  dass 
auf  dem  Kriegszuge  des  Antonius,  bei  dem  uns  zuerst  der  Name  RaX^xtSpa 
«ntgegentritt  (Appian  &.  t.  5,  9),  der  Anblick  der  Palmen  bei  jener  Stadt  auf 
italische  Soldaten,  die  eben  die  trostlose  Wiiste  durchwandert  batten,  einen 
solchen  Eindruck  gemacht  hatte,  dass  sie  den  Namen  Tadmor  nach  ihrem 
heimischen  palma  in  Palmyra  abanderten  (so  dass  also  ziemlich  das  um- 
gekehrte  Verhaltniss  vorlage,  als  wie  es  von  H.  angenommen 


Die  Cypresse.  281 

wird).  Aber  sehr  wahrscheinlich  1st  das  doch  eben  nicht.  Bei  einem  solchen 
Namen  einer  asiatischen  Stadt  wird  man  lieber  annehmen,  dass  er  zuerst  von 
Griechen  gebraucht  sei,  zumal  das  griech.  u  darin  vorkommt;  und  dann  hat 
er  keinen  Zusammenhang  mit  der  Palme.  Der  Stadtname  Tadmor  selbst  kann 
aber  mit  tdmar  Palme  absolut  nichts  zu  thun  haben,  und  an  die  Ableitung 
des  lat.  palma  von  einem  angeblich  »semitischen«  tadmar,  das  »  Palme «  bedeuten 
soil,  ist  nicht  zu  denken.«  Noldeke  selbst  theilt  die  altere  (vgl.  Fischer  a.  a.  O. 
S.  278)  Ansicht,  nach  welcher  das  lat.  palma  Dattelpalme  identisch  ist  mit  der 
gleichlautenden  Benennung  der  in  Siideuropa  einheimischen  Zwergpalme  (Chamae- 
rops  humilis),  die,  wie  sie  z.  B.  H.  Masius,  Die  gesammten  Naturw.  Ill,  161 
beschreibt,  »baid  einen  10 — 15  Fuss  hohen  Stamm  treibt,  bald  fast  ohne 
Stamm  mit  20 — 30  Fuss  hohen  facherformigen  Blattern  erscheint.«  Und  wer 
die  am  eben  genannten  Orte  (S.  24/25)  einander  gegeniiber  gestellten  Ab- 
bildungen  der  Dattelpalme  und  der  Zwergpalme  mit  einander  vergleicht, 
wird  dieser  Anschauung  nur  beipflichten  konnen.  Palma  ist  dann  die  ur- 
spriingliche  Benennung  der  in  Italien  einheimischen  Chamaerops  humilis  und 
spater  von  der  Zwergpalme  auf  die  Dattelpalme  nach  der  Aehnlichkeit  tiber- 
tragen  worden.  Ob  das  sehr  spate  $a.Y.tokot.-dactyli  Datteln  aus  dem  ara- 
maischen  daqual,  diqld  die  Palme  (arab.  eine  Sorte  Datteln)  entlehnt  ist,  oder 
einfach  » Finger «  bedeutet,  wie  Noldeke  will  (vgl.  Plinius  13,  9  §  46  daciyli:  prae- 
longa  gracilitate  curvati  interim},  und  nach  ihm  im  Gegensatz  zu  Lagarde,  Mitthl. 
II,  356  auch  Muss-Arnolt  a.  a.  O.  S.  107  anzunehmen  geneigt  ist,  mag  dahin 
gestellt  sein.  —  Im  heutigen  Griechenland  stammen  nach  Heldreich,  Die 
Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  10,  die  meisten  alteren  Palmen  aus  der  Tiirken- 
zeit  her,  da  dieses  Volk  die  Palmen  liebt  und  gern  anpflanzt.  Damit  stimmt 
uberein,  dass  unser  Baum  im  Neugriechischen  tiirkisch  benannt  ist,  xoopfxa??]?, 
ein  Wort,  das  auch  im  Albanesischen  wiederkehrt.  In  Kreta  haben  sich  die 
alteren  cpoivtx-r]d  und  ftaYjd  (spatgriechisch  pat;  vgl.  Anm.  69)  erhalten.  Der 
Palmsonntag  heisst  soprr]  tuiv  Patcuv  oder  kurz  ta  ^dia,  und  da  man  sich  an 
diesem  Fest  statt  der  Palmblatter  der  Lorbeerzweige  bedient,  so  hat  der 
Lorbeer  neben  seiner  eigentlichen  Bezeichnung  Sdcpv-rj  auch  die  Bezeiclmung 
4]  fBaiT|d  angenommen,  ein  interessantes  Beispiel,  von  welch  zufalligen  Um- 
standen  oft  der  Bedeutungswandel  der  Worter  abhangt.  —  Schliesslich  sei 
auf  das  merkwiirdige  gothische  peikdbagms  =  Dattelpalme  hingewiesen,  dessen 
erster  Bestandtheil  (mit  cpoivi£  oben  S.  214  nicht  vereinbar)  neuerdings  als 
eine  durch  Kelten  vermittelte  Entlehnung  aus  lat.  ficus  Feige  angesehen 
wird  (vgl.  K.  Much  Deutsche  Stammsitze  §  33). 


Cypresse. 

(Cupressus  sempervirens  L.) 

Nach  A.  v.  Humboldt,  Kosmos  2,  132,  der  sich  auf  Edrisi  be- 
ruft,  scheinen  die  Gebirge  von  Busih  westlich  von  Herath  die  ur- 
spriingliche  Heimath  der  Cypresse  zu  sein.  Auf  der  Westseite  des 


282  Die  Cypresse. 

Industhales,  in  den  Plateaulandschaften  von  Kabul  und  Afghanistan, 
wo  der  Baum  zu  riesigen  Grossen  emporwachst,  besonders  aber  in 
dem  genannten  Busih  oder  Bushank,  Fuscheng,  findet  auch  Hitter, 
auf  Ibn-Hauqual  und  Edrisi  gestiitzt,  das  wahre  Vaterland  der  Berg- 
Cypresse  (Erdkunde,  Band  XI:  »die  asiatiche  Verbreitung  der  Cy- 
presse«).  Von  diesem  seinem  Ursitz  wanderte  der  Baum  im  Gefolge 
des  iranischen  Lichtdienstes  weiter  nach  Westen.  In  der  schlanken,. 
obeliskenartigen,  zum  Himniel  aufstrebenden  Gestalt  der  Cypresse 
schaute  die  Zendreligion  das  Bild  der  heiligen  Feuerflamme;  nach 
dem  Schah-Nameh  stammte  sie  aus  dem  Paradiese,  Zoroaster  selbst 
hatte  sie  zuerst  auf  Erden  gepflanzt,  sie  ward  die  Zeugin  fiir  Ormuzd 
und  dessen  reines  Wort  und  prangte  durch  ganz  Iran  in  alten  ehr- 
wiirdigen  Exemplaren  vor  den  Feuertempeln ,  in  den  Hofen  der 
Palaste,  im  Mittelpunkt  der  medopersischen  Baumgarten  oder  Paradiese. 
Friihzeitig,  mit  den  altesten  assyrisch-babylonischen  Eroberungsziigen, 
war  sie  in  die  Lander  des  aramaisch-kanaanitischen  Stammes  gelangt> 
auf  den  Libanos,  auf  die  nach  der  Cypresse  benannte  Insel  Cypern70), 
und  ward  auch  hier  ein  heiliger  Baum,  in  welchem  eine  Naturgottin 
gegenwartig  war,  dieselbe,  deren  uralten  verlassenen  Tempel  mit  der 
geweihten  Cypresse  Vergil  uns  im  troischen  Gebiete  zeigt,  Aen. 
2,  713: 

Est  urbe  egressis  tumulus  templumque  vetustum 
Desertae  Cereris  juxtaque  antiqua  cupressus 
Religione  patrum  multos  servata  per  annos  - 

und  die  er  wie  hier  Ceres,  so  an  einer  andern  Stelle  Diana  nennt> 
Aen.  3,  680: 

Aeriae  quercus  aut  coniferae  cyparissi 
Constiterunt,  silva  alia  Jovis  lucusve  Dianae. 

Mit  der  religiosen  Bedeutung,  dieselbe  theils  erhohend,  theils  durch- 
kreuzend,  verschmolz  eigenthumlich  der  technisch-praktische  Werth,. 
den  die  Cypresse  bei  den  Phoniziern  gewann  und  spater  durch  das 
ganze  griechische  und  romische  Alterthum  behielt.  Das  Cypressen> 
holz,  hart,  duftend,  in  der  Flamme  mit  angenehmem  Geruch  ver- 
brennend,  gait  zugleich  fiir  unverganglich  und  unzerstorbar.  Plat, 
de  legg.  5,  p.  741 :  die  Landloose  der  Burger  sollen  in  den  Tempeln 
auf  cypressenen  Gedenktafeln  fiir  die  Nach  welt,  fig  TIV  ensna 
XQOVOV,  verzeichnet  werden.  Theophr.  h.  pi.  5,  4,  2 :  von  Natur  un- 
verweslich  ist  die  Cypresse,  Ceder  (folgen  noch  eine  Anzahl  Holzer): 
von  diesen  scheint  das  Cypressenholz  am  meisten  Dauer  zu  haben> 


Die  Cypresse.  283 

Soxel  TO.  xviragiTuva  sivai.    Martial.  6,  73,  7  (das  Bild  des 
Priapus  spricht): 

Sed  mihi  perpetua  nunquam  moritura  cupresso 
Phidiaca  rigeat  mentula  digna  manu. 

Cypressenstamme  wurden  zum  Bau  der  phonizischen  Handelsschiffe 
alien  ubrigen  vorgezogen;  wie  schon  die  Arche  Noah  aus  Cypressen- 
holz  bestanden  haben  sollte,  so  baute  noch  Alexander  der  Grosse 
seine  Euphratflotte  aus  diesem  edlen  Material,  das  er  zum  Theil  quer 
iiber  Land  in  fertig  gezimmerten  Stiicken  aus  Phonizien  und  Cypern 
bezog  (Strab.  16,  1,  11  und  Arr.  7,  19,  3),  so  wie  Antigonus  zu  der 
seinigen  im  Kriege  gegen  die  wider  ihn  verbiindeten  Mitfeldherren 
die  prachtvollen  Cedern  und  Cypressen  des  Libanon  fallen  Hess 
(Diod.  19,  58).  Das  Cypressenholz  wurde  zu  kostbaren  Kisten,  zu 
Thiiren  der  Tempel,  z.  B.  zu  denen  des  ephesischen  Dianentempels 
(Theophr.  h.  pi.  5,  4,  2)  u.  s.  w.  verarbeitet;  es  war  im  Bezirk  des 
delphischen  Tempels  bei  dem  fuehafyov  verwendet  worden,  in  welchem 
Arkesilas  den  Wagen  weihte,  mit  dem  er  in  den  pythischen  Spielen 
gesiegt  hatte  (Pind.  Pyth.  5,  51);  es  diente  zu  Sargen  Verstorbener, 
denen  es  eine  lange  Dauer  versprach.  Als  z.  B.  in  Athen  zu  An- 
fang  des  peloponnesischen  Krieges  jene  offentliehe  Bestattung  der  fur 
das  Vaterland  Gefallenen  gefeiert  ward,  bei  welcher  Perikles  seine 
beriihmte  Rede  zur  Verherrlichung  Athens  hielt,  da  umschlossen 
Schreine  aus  Cypressenholz,  hagvaxsg  xvTraQiGMvae,,  je  einer  fur  jede 
Phyle,  die  in  die  Erde  zu  bergenden  Gebeine  (Thuc.  2,  34).  Auf 
dem  schon  erwahnten  prachtvollen  Getreideschiff  Hiero  des  zweiten 
von  Syrakus,  diesem  Great  Eastern  des  Alterthums,  dessen  Bau 
Archimedes  als  Ober-Ingenieur  leitete,  bestanden  Wande  und  Dach 
des  Aphrodisiums  aus  Cypressenholz,  die  Thiir  aus  Elfenbein  und 
Thujaholz.  Besonders  aber  zu  Idolen  der  Gotter  —  und  deren  waren 
in  grossen  und  kleinen  Heiligthumern  eine  Unzahl  iiber  ganz  Griechen- 
land  zerstreut  —  wurde  gern  duftendes,  der  Zeit  und  den  Wurmern 
widerstehendes  Cypressenholz  genommen:  wie  man  sich  das  Scepter 
des  Zeus  aus  diesem  Holz  bestehend  dachte  (Diog.  Laert.  8,  1,  8  (10), 
Jambl.  de  vit.  Pyth.  155),  so  schien  es  auch  fur  %6ava  d.  h.  holzerne 
Gotterbilder  (neben  Eben-,  Cedern-,  Eichen-,  Taxus-  und  Lotosholz, 
Pausan.  8,  17,  2.  Theophr.  h.  pi.  5,  3,  7)  ein  besonders  wiirdiger 
Stoff.  Der  komische  Dichter  Hermippus,  der  im  Beginn  des  pelopon- 
nesischen Krieges  bliihte,  nennt  in  einer  uns  erhaltenen  merkwiirdigen 
Stelle,  die  den  Handel  des  mittellandischen  Meeres  in  parodischen 
homerischen  Hexametern  schildert,  unter  den  Artikeln,  die  zur  See 


284  Vie  Cypresse. 

iiach  Athen  kamen,  auch  kretisches  Cypressenholz  zu  Statuen  der 
Gotter,  Meineke  Fr.  com.  gr.  2,  1,  p.  407: 

doch  aus  Kreta,  der  schonen,  Cypressen  zu  Bildern  der  Gotter  — 
und  Xenophon  erzahlt,  wie  er  nach  der  Riickkehr  aus  Asien  bei 
Olympia  einen  kleinen  Tempel  der  ephesischen  Artemis  und  darin 
das  Bild  der  Gottin  aus  Cypressenholz  gestiftet  habe  (Anab.  5,  3,  12). 
Auch  die  alteste  Athletenstatue ,  die  Pausanias  in  Olympia  sah,  die 
des  Aegineten  Praxidamas,  vor  Ol.  59  (c.  540  vor  Chr.),  bestand 
aus  Cypressenholz  und  hatte  sich  besser  erhalten,  als  eine  andere, 
etwas  spatere,  die  aus  Feigenholz  gearbeitet  war  (Paus.  6,  18,  7). 
Nicht  anders  in  Italien.  Plinius  spricht  von  einem  sehr  alten  Idol 
des  Vejovis  auf  der  arx  in  Rom,  das  aus  Cypressenholz  bestand 
(Plin.  16,  216),  und  Livius  erzahlt,  wie  im  Jahre  207  vor  Chr.  zwei 
aus  diesem  Stoff  gearbeitete  Bilder  der  Juno  Regina  in  feierlicher 
Prozession  in  den  aventinischen  Tempel  der  Gottin  gebracht  wurden 
(Liv.  27,  37).  Was  vor  Zerstorung  durch  Warmer  und  Insekten  be- 
wahrt  bleiben  sollte,  wurde  auch  bei  den  Romern  in  cypressene 
Kastchen  eingeschlossen  z.  B.  Manuscripte  bei  Horaz,  ad  Pis.  332: 
carmina  —  levi  servanda  cupresso. 

Kein  Wunder  nun,  dass  einen  religios  so  hoch  verehrten  und 
technisch  so  niitzlichen  Baum  die  Phonizier  und  Philister  schon  in 
altester  Zeit  iiberall  verbreiteten ,  wo  sie  sich  niederliessen  und  wo 
das  Klima  es  erlaubte.  In  Kreta,  dieser  fruhe  semitischen  Insel,  ge- 
dieh  die  Cypresse  so  machtig  und  stieg  so  hoch  die  Gebirge  hinan 
(Theophr.  h.  pi.  4,  1,  3),  dass  diese  Insel  fur  das  urspriingliche 
Vaterland  derselben  gehalten  werden  konnte,  Plin.  16,  141:  huic  patria 
insula  Greta.  Der  homerische  Schiffskatalog  kennt  bereits  auf  dem 
griechischen  Festlande  zwei  nach  der  Cypresse  benannte  Oertlich- 
keiten,  die  eine  in  Phocis  auf  dem  Parnas,  II.  2,  519 : 

Die  Kyparissos  umher  und  die  felsige  Pytho  bewohnten, 
die  andere  in  Triphylien,  im  Gebiet  des  Nestor,  II.   2,   593: 
Auch  die  Kyparissei's  und  Amphigeneia  bestellten. 

Auch  an  der  lakonischen  Kiiste,  einem  fruhen  Schauplatz  phonizischer 
Einwirkungen ,  lag  eine  Hafenstadt  KvTtaQiGala ,  wie  denselben  oder 
einen  ahnlichen  Namen  auch  eine  messenische  Ortschaft  trug,  in 
beiden  Stadten  ward  eine  'AS-qva  KvTraQiaaia  verehrt,  in  der  wir 
eine  griechisch  benannte  semitische  Gottheit  vermuthen  diirfen. 
Wandert  man  an  der  Hand  des  Pausanias  durch  das  spatere  Griechen- 
land,  so  trifft  man  hin  und  wieder  auf  Cypressenhaine ,  in  denen, 


Die  Cypresse.  285 

was  wohl  zu  beachten  1st,  meist  Damonen  asiatischer  Herkunft  ver- 
ehrt  werden,  so  auf  der  Burg  von  Phlius  die  Ganymeda,  eine  dem 
Dionysos  wesensverwandte,  in  keinem  Bilde  verehrte  Gottin,  sonst 
auch  Dia  genannt  (Strab.  8,  6,  24),  die  Loserin  der  Bande,  an  deren 
Cypresse  befreite  Gefangene  ihre  Fesseln  aufhingen  (Paus.  2,  13,  3), 
oder  im  Kraneion,  einem  Cypressenhain  bei  Koririth,  die  Heiligthiimer 
des  Bellerophontes  und  der  Aphrodite  Melainis  (Paus.  2,  2,  4),  oder 
die  himmelhohen  Cypressen  vori  Psophis  in  Arkadien,  die  am  Grabe 
des  Alcmaon  standen  und  von  den  Einwohnern  Jungfrauen  ge- 
heissen  und  nicht  angetastet  wurden  (Paus.  8,  24) 71).  Dass  die 
Cypresse  aus  semitischen  Landen  nach  Griechenland  eingewandert 
war,  wird  schon  durch  den  Namen  xvTTCtQiGcrog  (im  alteren  Hebraisch 
gofer,  1.  Mos.  6,  14)  ausser  Zweifel  gesetzt.  Vielleicht  bildete,  wie 
so  oft,  die  Insel  Kreta  dabei  eine  Zwischenstation :  darauf  deutet 
wenigstens  eine  von  Serv.  ad.  Aen.  3,  680  aufbehaltene  Version  des 
Mythus  von  der  Verwandlung  des  Kyparissos  in  einen  Cypressen- 
baum:  danach  war  dieser  Jiingling  ein  Kretenser,  wurde  von  Apollo 
oder  vom  Zephyr  geliebt,  fliichtete,  um  seine  Keuschheit  zu  bewahren, 
zum  Flusse  Orontes  und  zum  mons  Casius  (woselbst  Baal  als 
Himmelsgott  thronte,  ein  alter  den  Aramaern  und  Philistaern  ge- 
meinsamer  Kultus)  und  wurde  dort  in  den  nach  ihm  benannten 
Baum  verwandelt.  Was  die  Zeit  dieser  Einfuhrung  betrifft,  so  kennt 
die  Ilias,  oder  wenigstens  das  Stuck  derselben,  welches  unter  dem 
Namen  xardhoyog  TWV  vecov  ein  abgesondertes  Gauze  bildet,  bereits, 
wie  so  eben  erwahnt,  zwei  nach  der  Cypresse  benannte  griechische 
Stadte,  deren  Grundung  also  das  Dasein  des  Baumes  schon  voraus- 
setzt.  In  der  Odyssee  und  zwar  dem  altesten,  achtesten  Kern  der- 
selben, wachst  der  duftende  Cypressenbaum  schon  in  dem  Park  um 
die  Hohle  der  Kalypso,  5,  63 : 

Bingsher  breitete  sich  frischgriinender  Wald  um  die  Grotte, 
Eller  und  Pappel  und  auch  die  balsarnreiche  Cypresse  - 

und  in  dem  zweiten  Theil  der  Odyssee,  der  auf  Ithaka  spielt,  er- 
scheint  das  Cypressenholz  wenigstens  als  Baumaterial,  entweder  ein- 
gefuhrt  oder  an  Ort  und  Stelle  gewonnen:  Odysseus  lehnt  sich,  in 
Bettlergestalt  auf  der  Schwelle  seines  Palastes  sitzend,  an  die  Thiir- 
pfosten  aus  Cypressenholz,  die  der  Zimmermann  einst  kundig  ge- 
glattet  und  nach  dern  Richtmasse  gefugt  hatte  (17,  340).  In  dem 
beschrankteren  Kreise  des  Hesiodus  ist  von  der  Cypresse  nirgends 
die  Rede. 

Da  die  Cypresse  kein   Fruchtbaum   ist   (Schwatzer  wurden   gern 


•286  I^  Cypresse. 

mit  den  fruchtlosen  Cypressen  verglichen),  und  da  ihre  religiose  Be- 
•deutung  bei  den  Griechen  keine  sehr  ausgebreitete  war,  so  fallt  ihre 
Versetzung  nach  Italien  schw^rlich  in  die  Zeit  der  ersten  Colonisation. 
Zwar  spricht  Plinius  (16,  236)  von  einer  Cypresse  im  Vol canal  in 
Rom,  die  zu  Ende  der  Regierungszeit  Neros  zusarnmenbrach  and 
eben  so  alt,  wie  die  Stadt  gewesen  sein  sollte,  aber  wer  besass  da- 
mals  die  Mittel,  jenes  Alter  zu  berechnen?  Glaublicher  sagt  der- 
selbe  Schriftsteller  an  einer  anderen  Stelle,  die  Cypresse  sei  ein  in 
Italien  fremder  Baum,  dessen  Acclimatisation  schwierig  gewesen,  daher 
auch  Cato  so  umstandlich  iiber  ihn  handle,  16,  139:  cupressus  ad- 
vena  et  difficillime  nascentium  fuitj  ut  de  qua  verbosius  saepiusque 
quam  dc  omnibus  aliis  prodiderit  Cato.  In  Theokrits  Idyllen,  die 
auf  dem  warrneren  Boden  Siciliens  spielen,  ist  ein  Jahrhundert  vor 
€ato  die  Cypresse  schon  ein  ofters  erwahnter  und  gepriesener  Baum, 
z.  B.  11,  45,  wo  der  verliebte  Polyphemos  die  Galathea  in  seine 
Hohle  lockt,  die  von  Lorbeeren  und  schlanken  Cypressen  gadwal  xv- 
TtaQiGtfot,  umwachsen  ist.  Von  Sicilien  scheint  der  Baum  iiber 
Tarent  ins  innere  Italien  gelangt  zu  sein,  wie  aus  Catos  Bezeichnung 
tarentinische  Cypresse  (151,  2)  hervorgeht,  Plin.  16,  141:  Cato 
Tarentinam  earn  appellat,  credo  quod  primum  eo  venerit.  Dies 
wird  in  der  Zeit  nach  der  Unterwerfung  Tarents  geschehen  sein,  wo 
der  hellenisirende  Einfiuss  der  Stadt  auf  das  neue  romische  Gebiet 
machtig  war,  und  wo  zugleich  der  Geschmack  an  Villen,  Parks, 
Grabmalern,  die  Freude  an  der  Schonheit  der  Baume  als  solcher 
den  Romern  allmalig  aufzugehen  begann.  Dass  auch  der  Nutzen, 
den  die  Cypresse  als  bei  Tischlern  und  Schnitzlern  im  Preise  stehen- 
•des  Holz  brachte,  dem  praktischen  Volke  bald  einleuchtete ,  erhellt 
aus  der  Nachricht  des  Plinius,  die  Alten  hatten  eine  Cypressen- 
pflanzung  die  Aussteuer  fur  die  Tochter  zu  nennen  gepflegt,  16,  141: 
quaestiosissima  in  satus  ratione  silva  volgoque  dotem  filiae  antiqui 
plantaria  appellabant:  man  pflanzte  die  Baume  etwa  bei  Geburt 
einer  Tochter  und  mit  ihr  wuchsen  sie  in  die  Hdhe,  als  lebendiges 
Kapital,  zugleich  ihr  Bild  und  Gleichniss 72).  Auch  urn  die  Grenzen 
des  fundus  zu  bezeichnen,  wurden  ausser  anderen  Baumen  Reihen 
von  Cypressen  gepfianzt  (Varro  1,  15,  der  aber  zu  diesem  Zweck 
die  Ulmen  vorzieht).  Als  dann  das  romische  Reich  Afrika  und 
Asien  umfasste,  verbreitete  sich  auch  die  diistere  immergrune  Cy- 
presse in  orientalischer  Weise  als  Symbol  der  chthonischen  Gott- 
heiten  (Plin.  16,  139:  Diti  sacra  et  ideo  funebri  signo  ad 
domus  posita),  zunachst  natiirlich  bei  den  Vornehmen,  die  sich 


Die  Cypresse.  287 

bald  die  mystische  Zeichensprache  des  Morgenlandes  aneigneten, 
Lucan.  3,  442: 

Et  non  plebejos  luctus  testata  cupressus. 

Bei  den  Dichtern  des  augusteischen  Zeitalters  1st  die  Cypresse 
als  Baum  der  Trauer,  mit  dessen  Zweigen  Leichenaltar  und  Scheiter- 
haufen  besteckt  werden  und  der  gern  in  Gegensatz  zum  Gemiss  der 
heiteren  Gegenwart  gestellt  wird,  schon  gewohnlich,  z.  B.  Horaz 

Od.   2,   14,   22: 

neque  harum,  quas  colis,  arborum 
Te  praeter  invisas  cupressos 
Vila  brevem  dominum  sequetur  - 

oder  Ovid.  Trist,   3,   13,  21: 

Funeris  ara  mihi  ferali  cincta  cupresso 
Convenit  et  structis  flamma  parata  rogis. 

Bei  Vergil  errichtet  Aeneas  dem  Polydorus  einen  Altar  mit  schwarzen 
Binden  und  Cypressenzweigen  umwunden,  Aen.  3,  64: 

slant  tnanibus  arae, 
Caeruleis  maestae  vittis  atraque  cupresso  - 

wie  auch  am  Scheiterhaufen  des   Misenus  Cypressen  angebracht  sind, 

6,  215: 

Ingentem  struxere  pyram:  cui  frondibus  atris 
Intexunt  latera  et  feralis  ante  cupressos 
Constituunt  decorantque  super  fulgentibus  armis. 

Seit  jener  Zeit  ist  der  herrliche  Baum,  der  neben  der  Pinie  die  eigent- 
liche  Charaktergestalt  der  sudeuropaischen  Landschaft  bildet,  in 
Italien  eingeburgert.  Wo  die  Cypresse  beginnt,  da  beginnt  das  Reich 
der  Formen,  der  ideale  Stil,  da  ist  klassischer  Boden.  Eigentliche 
Cypressenhaine,  cupresseta,  sind  in  Italien  indess  nicht  zu  finden: 
die  Cypresse  steht  meist  einsam  oder  in  kleinen  Gruppen,  oder  sie 
zieht  in  ebenso  diisterer  als  anmuthiger  Saulenreihe  dahin.  Wie  in 
der  Ebene  von  Neapel  der  Blick  besonders  haufig  auf  Pinien  fallt, 
so  im  Arnotbal  auf  Cypressen.  Ueber  die  Alpen  geht  der  Baum 
nicht  hinaus.  So  machtig  und  schlank  iibrigens  einzelne  Exemplare 
hin  und  wieder  in  Italien  erscheinen  mogen,  z.  B.  in  der  Villa 
Este  bei  Tivoli,  der  Baum  erreicht  in  diesem  fremden  Lande  doch 
nicht  die  Majestat,  wie  im  Orient,  wo  nach  Hitters  Worten  »bal- 
samisch  duftende,  ewig  griine,  unvergangliche  Haine  solcher  Pyra- 
midengestalten«  iiber  die  weissen  Graber  der  Glaubigen  ihre  schirn- 
mernde  lichte  Damrnerung  verbreiten,  z.  B.  in  Scutari  bei  Konstanti- 
nopel  oder  noch  schoner  in  Smyrna  oder  Brussa,  und  im  Angesicht  des 


288  Die  Cypresse. 

Todes  doch  das  Gefiihl  des  ewig  sich  erneuenden,    emporstrebenden, 
unerschopf  lichen  Lebens  erwecken. 

Eine  Abart  der  pyramidalen  Cypresse,  Cupressus  horizontalis,  mit 
nicht  aufstrebenden,  sondern  sich  seitwarts  ausbreitenden  Zweigen  ist 
in  Italien  und  Griechenland  selten,  in  den  warmeren  Oertlichkeiten 
von  Kleinasien  haufiger.  Ein  herrliches  Exemplar  dieser  Spezies, 
die  Cypresse  des  heil.  Elias,  findet  sich  in  dem  Prachtwerk:  die  Insel 
Rhodes  von  A.  Berg,  Braunschweig  1862,  Beschreibender  Theil 
S.  146,  abgebildet. 


*  Die  Cypresse,  welche  bekanntlich  in  zwei  Varietaten  '(Cupressus  py- 
ramidalis  Targ.  Torz.  und  C.  horizontatis  Mill.)  durch  das  ganze  Mediterran- 
gebiet  kultivirt  wird,  ist  auf  den  Gebirgen  des  nordlichen  Persiens, 
und  Ciliciens  wildwachsend  gefunden  worden,  namentlich  aber  im 
Libanon  von  1000  —  1600  m,  auf  den  Bergen  von  Cypern,  Rhodes 
und  Melos,  sowie  auch  auf  Greta  wo  sie  zwischen  600  und  1400  m  eine 
charakteristische  Region  bildet. 


:  Gegen  die  Annahme,  griech.  xoTcaptooo?  sei  aus  hebr.  gofer  entlehrit, 
hat  man  eingewendet,  dass  das  semitische  Wort  —  ein  &rca£  XeY^Vsvov»  Gen. 
VI,  14,  das  ein  Material  bezeichnet,  aus  welchem  die  Arche  gebaut  ward  — 
in  seiner  naheren  Bedeutung  ganz  unsicher  sei,  und  dass  sonst  semitische, 
ins  Griechische  aufgenommene  Lehnworter  nicht  in  ihrem  Lautbestand  (xorcdp- 
toaos  :  gofer)  vermehrt  wiirden.  Dazu  sei  die  gewohnliche  Bezeichnung  der 
Cypresse  im  Semitischen  sicher  nicht  gofer,  sondern  hebr.  blrsos  (s.  u.).  Vgl. 
A.  Mtiller  in  Bezzenbergers  Beitragen  I,  S.  290  und  S.  Fraenkel  bei  E.  Hies 
Quae  res  et  vocabula  a  gentibus  semiticis  in  Graeciam  pervenerint.  Diss.  Vratis- 
laviae  1890,  S.  32.  Andererseits  hat  Lagarde  zu  verschiedenen  Malen  (vgl. 
die  Literatur  bei  Muss-Arnolt,  Transactions  XXIII,  109)  nachzuweisen  versucht 
dass  gofer  an  der  angegebenen  Stelle  nichts  als  eine  gelehrte  und  miss- 
verstandliche  Abkiirzung  aus  dem  6'fter  iiberlieferten  gnfrit  Harz,  Pech, 
Schwefel  sei,  und  dass  an  dieses  vollere  Wort  das  griech.  v.orcdptTto<;  anzu- 
kniipfen  sei,  wobei  freilich  der  Bedeutungswandel  unklar  bleibt  (vgl.  auch  Lewy 
Semit.  Fremdw.  S.  33).  —  Wenig  wahrscheinlich  ist  es,  dass  die  Insel  Cypern 
von  der  Cypresse  ihreii  Namen  haben  sollte.  Sie  heisst  bei  den  Aegyptern 
Asebi  (E.  Meyer,  Gesch.  d.  Altert.  I,  §  191),  bei  den  Assyrern  mat  Jatnana. 
(E.  Schrader,  Keilinschr.  u.  Geschichtsf.  S.  242  ff.),  bei  den  Hebraern  Kitwi 
(nach  Kition).  irfo  mtisste  die  Benennung  KoTtpo?  von  griechischen  Schiffern 
herrtihren,  denen  aber  der  Baum  doch  eben  xtircdpiooo<;  hiess. 

Hingegen  sind  zwei  andere  Benennungen  der  Cypresse  mit  Sicherheit  aus 
dem  Orient  nach  Europa  eingewandert  freilich  erst  spat  und  auf  nicht  immer 
klaren  Wegen.  Diese  beiden  Reihen  sind :  sum.-akkad.  mr-man,  assyr.  surmenu, 
eine  cypressenartige  Conifere  (von  den  assyrischen  Konigen  auf  dem  Libanon 
gefallt,  vgl.  E.  Schrader  Berl.  Monatsberichte  1881  S.  419  ff.),  syr.  surbmd,  pers. 


Die  Platane.  289 

sarv,  pehl.  sanv,  kurd.  selbi,  selvi  (vgl.  Selvi-stan,  alter  Sarvi-stan,  Jaba-Justi 
S.  244),  armen.  saroy,  (?  vgl.  Lagarde,  Armen.  Stud.  S.  133  und  Ges.  Abh.  S.  79 
sowie  Hiibscbmann,  Armen.  Gr.  I,  S.  237),  tiirk.  selvi,  alb.  selvi1  Cypresse 
(G.  Meyer,  Et.  W.  S.  381),  bulg.  selvija,  ngr.  oeX^ivt  (Miklosich,  Turk.  Elem.) 
und  assyr.  burdsu  (E.  Schrader  a.  a.  O.),  bebr.  herds,  aram.  berata,  berotd  (Low, 
Pflanzenn.  S.  82),  arab.  brot,  griecb.  ppafto  (spat)  Sevenbaum,  lat.  brains,  eine 
Cypressenart  Vorderasiens  (Plinius).  Armeniscb  beisst  die  Cypresse  auch  noc, 
ndci,  pers.  noj ,  noz,  noz  (Lagarde,  Armen.  Stud.  S.  144,  Htibscbmann,  Arm. 
Gr.  I,  S.  207). 

Im  Ganzen  wird  das  urspriingliche  Verbreitungsgebiet  der  Cypresse  ein 
weiteres  gewesen  sein,  als  es  oben  von  H.  angenommen  wird.  Vgl.  auch 
Anm.  70.  Namentlich  muss  es  seit  altester  Zeit,  wie  schon  die  Sprach- 
vergleicbung  lehrt  (vgl.  oben  assyr.  burdsu  u.  s.  w.),  die  semitischen  Lande  mit 
umfasst  haben.  Dass  der  Baum  hierher  an  der  Hand  des  zoroastrischen 
Lichtkultus  aus  iranischen  Gegenden  erst  eingewandert  sei,  lasst  sicb  durch 
nichts  beweisen.  Auf  semitiscbem  Boden  ist  die  Cypresse  seit  Alters  der 
heilige  Baum  der  Apbrodite- Astarte ,  auf  die  sich  wohl  ohne  Zweifel  der 
Gottername  B^pooO-  bei  Philo  Byblius  =  Ba'alat  Berut,  Gottin  der  Cypresse 
bezieht  (vgl.  Baudissin,  Studien  zur  semitischen  Religionsgeschichte,  2.  Band, 
»Heilige  Baume«  S.  186,  187,  196).  Hingegen  sind  die  Nachrichten  iiber  die 
Verehrung  der  Cypresse  bei  den  Persern  (vgl.  dieselben  in  Eitters  Erdkunde 
Bd.  XI)  verhaltnissmassig  spate,  und  die  Sprache  (vgl.  oben  pers.  sarv  u.  s.  w.) 
konnte  eher  auf  eine  umgekehrte  Eichtung  der  Wanderung  des  Cypressen- 
dienstes  hinweisen.  Nach  den  Botanikern  (siehe  auch  Koppen,  Holzgewachse 
II,  S.  389  ff.)  hatten  auch  die  Inseln  des  agaischen  Meers  mit  zu  dem  ursprting- 
lichen  Verbreitungsgebiet  der  Cypresse  gehort.  Von  hier  ware  dann  der  Kult 
des  Baumes,  und  in  diesem  Falle  auch  der  Baum  selbst,  durch  orientalische 
zumeist  an  den  Kult  der  Aphrodite-Astarte  ankntipfende  Beziehungen  in  west- 
licher  Richtung  tiber  das  Mittelmeergebiet  verbreitet  worden  (s.  auch  den 
Abschnitt  tiber  die  Taube). 


Platane. 

(Platanus  orientalis  L.) 

Der  Ruhm  des  Platanenbaumes  erfiillt  das  ganze  Alterthum, 
das  Morgenland  wie  das  Abendland,  und  klingt  noch  heute  aus 
den  Berichten  alterer  und  neuerer  Reisenden  wieder.  Was  kann  in 
den  diirren  Felsenlabyrinthen  siidlicher  Sonnenlander  erwiinschter 
sein,  ja  mehr  zu  Andacht  und  Bewunderung  stimmen,  als  der  Baum, 
der  mit  herrlichem  hellem  Laube  an  grunlich-grauem  Stamme,  mit 
schwebenden,  breiten,  tiefausgezackten  Blattern  murmelnde  Quellen 
und  Bache  beschattet  und  noch  heute  den  Ankommling  empfangt, 
wie  er  vor  Jahrhunderten  die  Voreltern  empfangen  und  mit  Kiihlung 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  ^g 


290  Die  Platane. 

erquickt  hat?  Welche  Aussicht  1st  kostlicher,  als  die  von  verbrannten 
Bergzinnen  auf  erne  Platanengruppe  tief  unten,  die  Verkiindigerin 
eines  Quells  im  feuchten  Thalgrunde,  wo  der  Wanderer  losbinden, 
sein  Thier  tranken,  seinen  eigenen  Durst  stillen  und  im  Schatten 
ausruhen  kann?  Mit  welchem  Entziicken  beschreibt  der  platonische 
Socrates  jene  Platane  in  der  Nahe  Athens,  unter  der  er  sich  mit 
Phadrus  zum  Gesprach  lagert,  das  eiskalte  Wasserlein  an  ihrem 
Fuss,  den  Bliitenduft  von  oben,  die  wehende  Ktihlung,  den  Chor  der 
Cicaden,  den  weichen  Rasen  —  in  Worten  von  so  siisser  Fiille,  dass 
das  gekiinstelte  rhetorische  Compliment,  das  ihnen  spater  Cicero 
machte,  uns  recht  abgeschmackt  erscheint,  de  orat.  1,  7:  ilia  (pla- 
tanus),  cujus  umbram  secutus  est  Socrates,  quae  mihi  videtur  non 
tarn  ipsa  aquula  quae  describitur,  quam  Platonis  oratione  crevisse. 
Kleinasien  und  die  griechische  Halbinsel,  sonst  von  Menschenhand  so 
schmahlich  verwiistet,  weisen  doch  noch  immer  einzelne  Platanen  von 
riesenhafter  Grosse  und  hohem  Alter  auf.  Weit  und  breit  beriihmt 
1st  die  ungeheure  Platane  von  Vostizza,  dem  alten  Aigion  in  Achaja, 
deren  Stamm,  eine  Elle  vom  Boden,  iiber  vierzig  Fuss  im  Umfange 
misst;  der  Baum  hat  noch  seine  vollstandige  Krone  und  »wiirde 
vielleicht  noch  Jahrhunderte  leben,  wenn  man  nicht  wahrend  der 
Revolution  den  unten  zum  Theil  hohlen  Stamm  zur  Kiiche  benutzt 
und  ihn  bei  dieser  Gelegenheit  angeziindet  hatte,  so  dass  das  Feuer 
bis  oben  hinaus  brannte«  (Fiirst  Piickler,  Siidostlicher  Bildersaal,  2, 
127).  Jeder,  der  Konstantinopel  besucht  hat,  kennt  die  Platanen 
von  Bujukdere,  genannt  die  sieben  Briider,  aneinander  gewachsen, 
durch  Alter  und  die  Feuer  der  Hirten  ausgehohlt,  aber  noch  immer 
majestatisch  und  herrlich.  Stackelberg  (der  Apollotempel  von  Bassa, 
S.  14  Anm.)  sah  in  der  Nahe  des  Tempels  eine  Platane,  deren 
Stamm  einen  Umfang  von  48  Fuss  hatte,  wahrend  die  in  demselben 
befindliche  Hohlung  einem  Schafer  fur  seine  ganze  Heerde  als  Hiirde 
diente.  Der  Verfasser  von  »Morgenland  und  Abendland«  berichtet 
(2,  S.  131  der  zweiten  Aufl.)  von  Stanchio  auf  der  Insel  Cos:  »Vor 
der  Moschee  steht  eine  Platane,  uralt  und  herrlich,  dreissig  Fuss  im 
Umfang,  und  ringsum  gestiitzt  und  getragen  von  antiken  Marmor- 
und  Granitsaulen,  denen  man  keine  schonere  Ruhestatte  anweisen 
konnte.«  Von  demselben  Baume  sagt  der  Fiirst  Piickler,  die  Riick- 
kehr,  3,  164:  »Mein  erster  Gang  am  folgenden  Tage  war  nach  der 
beriihmten  Platane,  die  fur  den  kolossalsten  Baum  dieser  Gattung 
im  Orient  gilt.  Der  Umfang  ihres  Stammes  misst  zwar  nur  fiinf- 
unddreissig  Fuss,  aber  ihre  Aeste  beschatten  den  ganzen  kleinen 


Die  Platane.  291 

Marktplatz  von  Stanchio.  Sie  werden  von  Marmorsaulen  gestiitzt, 
die  man  friiher  aus  dem  Tempel  Aesculaps  entnommen  hat,  und  die 
jetzt  an  ihrer  Spitze  meist  schon  von  der  Rinde  der  ungeheuren  Aeste 
wie  mit  einer  dicken  Wulst  iiberwachsen  sind  und  sich  so  vollig 
mit  ihnen  amalgamirt  haben.  Zwei  Sarkophage  am  Fusse  des  Baumes 
dienen  als  Wasserbehalter. «  Bei  dem  in  der  arkadischen  Gebirgs- 
wildniss  liegenden  Hohenkloster  Megaspelaon  steht  die  Platane,  an 
der  der  heilige  Lucas  das  wunderthatige  Bild  der  Mutter  Gottes 
malte;  »ihr  hohler  aber  frischer  Stamm  umschliesst  die  Kapelle  der 
Panagia  Plataniotissa,  die  so  geraumig  ist,  dass  zehn  Menschen  darin 
Platz  haben«  (Ulrichs,  Reisen  und  Forschungen  in  Griechenland,  1,  51; 
s.  auch  Ross,  Konigsreisen,  1,  169  ff.).  Nach  Dodwell,  A  classical  and 
topographical  tour  through  Greece,  1,  121,  sind  noch  jetzt  die  Bazars 
oder  Marktplatze  der  meisten  griechischen  Stadte  von  Platanen  be- 
schattet,  ganz  wie  einst  die  Agora  von  Athen  durch  Cimon  mit 
Baumen  derselben  Gattung  bepflanzt  worden  war  (Plut.  Cim.  13,  11). 
Schon  die  Alten  bewunderten  einzelne  alte,  besonders  umfangreiche 
und  ehrwiirdige  Exemplare.  So  erzahlt  Theophrast,  h.  pi.  1,  7,  1, 
von  einer  Platane  in  der  Nahe  der  Wasserleitung  im  Lyceum  bei 
Athen,  die,  obgleich  sie  noch  Jung  war,  doch  schon  Wurzeln  von 
drei  und  dreissig  Ellen  Langen  getrieben  hatte.  Auch  Pausanias  weiss 
auf  seiner  Wanderung  hin  und  wieder  von  gewaltigen,  an  die  Fabel- 
welt  gekniipften  Individuen  dieser  Baume  zu  berichten.  So  sah  er 
bei  Phara  in  Achaja  am  Flusse  Pieros  Platanen  von  solcher  Grosse, 
dass  man  in  der  Hohlung  der  Stamme  einen  Schmaus  halten  und 
nach  Belieben  auch  darin  schlafen  konnte  (7,  22,  1)  und  bei  Kaphya 
in  Arkadien  die  hohe  und  herrliche  Menelais  d.  h.  die  Platane  des 
Menelaus,  die  dieser  Held  selbst,  wie  die  Urwohner  sagten,  vor  der 
Abfahrt  naoh  Troja  an  der  Quelle  gepflanzt  hatte  (8,  23,  3).  Nach 
Theophrast,  h.  pi.  4,  13,  2,  war  der  Baum  von  Kaphya  vielmehr  von 
Agamemnon  gepflanzt  worden,  auf  den  auch  die  Platane  am  kasta- 
lischen  Quell  in  Delphi  zuriickgefuhrt  wurde.  Nimmt  man  dazu  die 
Platane  der  Helena  bei  Theokrit  18,  43  ff.,  so.  sieht  man,  wie  die 
Sage  diesen  Baum,  der  als  Schatten-  und  Wonnebaum  immer  den 
Konigen,  iiberhaupt  den  Hohen  und  Reichen  gehorte,  gern  mit  den 
Pelopiden,  als  dem  eigentlichen  Herrschergeschlechte,  in  Verbindung 
brachte.  Als  unter  ihrer  Fuhrung  die  Helden  in  Aulis  sich  zur  Ab- 
fahrt riisteten,  da  brachten  sie  am  Quell  unter  einer  Platane  das 
Opfer,  II.  2,  307: 

Unter  der  schonen  Platane,  wo  blinkendes  Wasser  hervorquoll, 

19* 


292  Die  Platane. 

und  dort  ward  ihnen  in  den  Zweigen  des  Baumes  das  Zeichen, 
welches  Kalchas  auf  zehnjahrige  Dauer  des  Zuges  deutete.  Griechen- 
land  hatte  den  Baum  und  die  Freude  an  ihm  (sie  druckt  sich  in  dem 
Adjectiv  schon,  xcdfj,  aus)  aus  Asien  uberkommen,  wo  die  Platane, 
wie  die  Cypresse,  von  Alters  her  bei  den  baumliebenden  Iraniern 
und  den  vorder-iranischen.  Stammen  Kleinasiens  in  religioser  Verehrung 
stand.  Bekannt  ist  die  schone  Episode  im  Kriegszuge  des  Xerxes 
gegen  Hellas,  die  uns  Herodot  7,  31  und  Aelian  V.  H.  2,  14,  auf- 
bewahrt  haben :  der  Konig  kam  auf  dem  Wege  nach  Sardis  in  Lydien 
zu  einer  .Platane,  deren  Schonheit  sein  Gemiith  so  ergriff,  dass  er 
sie,  wie  ein  Liebender  die  Geliebte,  beschenkte,  ihre  Zweige  mit 
Goldketten  und  Armbandern  umwand  und  einen  immerwahrenden 
Wachter  fur  sie  bestellte.  Hamilton,  Reisen  in  Kleinasien,  deutsche 
Uebersetzung  1,  470,  zog  ganz  in  derselben  Gegend  an  dem  halb- 
verrotteten  Stamme  einer  der  riesigsten  Platanen  voriiber,  die  er 
jemals  gesehen,  und  deutet  an,  es  konne  vielleicht  noch  die  namliche 
sein,  die  einst  von  Xerxes  bewundert  wurde.  In  derselben  Land- 
schaft  wurde  auch  die  hohe  Platane  des  Marsyas  gezeigt,  an  der  der 
Gott  Apollo  seinen  unglucklichen  Gegner  aufgekniipft  hatte,  Plin.  16, 
240 :  regionem  Aulocrenen  diximus,  per  quam  db  Apamia  in  Phry- 
giam  itur;  ibi  platanus  ostenditur,  ex  qua  pependerit  Marsyas  victus 
db  Apolline,  quae  jam  turn  magnitudine  electa  est.  Einen  der 
grossten  Baume  der  Art  beschreibt  derselbe  Plinius  12,  9  als  in  Lykien 
befindlich,  wo  er  ohne  Zweifel  gleichfalls  durch  den  Mythus  geheiligt 
war :  er  stand,  wie  immer,  an  einer  Quelle,  fontis  gelidi  soda  amoe- 
nitate,  und  die  Weite  seiner  Hohlung  betrug  81  Fuss,  obgleich  die 
Krone  noch  so  kraftig  griinte,  dass  sie  ein  breites  undurchdring- 
liches  Schattendach  bildete;  der  Consul  Licinius  Mutianus,  als  er  in 
dieser  Platane  mit  achtzehn  Gasten  gespeist  und  nach  dem  Schmause 
geruht,  gestand,  das  sie  ihm  eine  schonere  Umgebung  gewahrt  habe, 
als  die  gold-  und  bildgeschmiickten  Marmorsale  Roms  bieten  konnten. 
Bei  Homer  erscheint  die  Platane  nur  an  der  einen  so  eben  erwahnten 
Stelle,  die  moglicher  Weise  jiingeren  Datums  ist;  wenigstens  dem 
Dichter  der  herrlichen  Stelle  Od.  17,  204 ff,  wo  der  pappelbeschattete 
Quell  in  der  Nahe  der  Stadt  Ithaka  beschrieben  wird,  kann  der 
Baum  schwerlich  bekannt  gewesen  sein.  Nach  Homer  findet  sich 
zuerst  wieder  bei  Theognis  ein  Platanenhain  in  Lakonien  erwahnt 
(unter  der  Form  TT^araviffiovg}  und  auch  dieser  Haln  stand  an  einem 
kalten  Wasser,  mit  dem  ein  Winzer  seine  Reben  trankte  (v.  879 — 884). 
Die  Phonizier  hatten  die  Platane  nicht  nach  Griechenland  gebracht, 


Die  Platane.  293 


derm  sie  1st  kein  semitischer  Baum;  zwar  stand  bei  Gortyn  auf  Kreta 
die  angeblich  immergriine  Platane,  unter  welcher  Zeus  mit  der  Europa 
sich  vermahlt  hatte  (Theophr.  h.  pi.  1,  9,  5),  allein  in  dem  Europa- 
dienst  von  Gortyn  muss  das  phonizische  Element  mit  lykisch-karischem 
sich  durchdrungen  haben  (Movers,  2,  2,  S.  80).  Denn  auch  den 
Karern  war  die  Platane,  wie  den  Lykiern,  ein  heiliger  Baum:  nach 
Herodot  5,  119  stand  bei  Labraynda  ein  ausgedehnter,  dem  ein- 
heimischen  Zeus  Stratios  geweihter  Platanenhain,  in  dessen  Schutz 
sich  die  von  den  Persern  geschlagenen  Karer  zuruckzogen  (ein 
iranischer  Zug  in  dem  sonst  sernitischen  Charakter  der  karischen 
Religion).  Als  eigentliches  Heimathland  der  Platane  mochten  nach 
Grisebach,  Vegetation  der  Erde,  1,  310,  die  Gebirge  der  vorder- 
asiatischen  Steppen  gelten  diirfen,  wo  die  Platane  am  Taurus  bis 
iiber  5000  Fuss  ansteigt.  Dass  die  Griechen  den  Baum  nicht  aus  se- 
mitischem,  sondern  aus  phrygisch-lykischem  oder  iiberhaupt  iranischem 
Kulturkreise  empfangen  hatten,  beweist  auch  der  Name  desselben 
(nhaxdviGTog  bei  Homer,  Theognis  und  Herodot,  /r^dravog  bei 
den  Attikern);  an  phonizischen  Ueberlieferungen  haftete  auch  der 
phonizische  Name ;  nhaTaviarog  aber  —  der  breitblatterige  oder  weit- 
schattende  Baum  —  ist  entweder  innerhalb  der  griechischen  Sprache 
selbst  gebildet  worden  (rt^arvg  breit  u.  s.  w.)  oder,  was  uns  wahr- 
scheinlicher  ist,  lautete  schon  in  dem  verwandten  iranischen  Idiom 
ahnlich  (zendisch  frath  ausbreiten,  perethu  breit,  von  der  Wohnung, 
den  Wolken,  der  Erde,  Justi  Handbuch  S.  191.  Die  spatern  per- 
sischen  Namen  des  Baumes,  dulb,  dulbar  und  tschindr,  tschandl  sind 
auch  in  die  neueren  semitischen  Sprachen  iibergegangen,  die  sich 
also  darin  von  iranischer  Kultur  abhangig  zeigen,  P.  de  Lagarde, 
Ges.  Abhandlungen  S.  31).  Eine  schone  Abbildung  der  orientalischen 
Platane  findet  sich  in  der  Ausgabe  des  Marco  Polo  von  H.  Yule, 
London  1871,  1,  120. 

Ueber  die  Verbreitung  des  Platanenbaumes  weiter  in  den  euro- 
paischen  Westen  haben  wir  ein  gewichtiges  Zeugniss  des  Theophrast, 
h.  pi.  4,  5,  6 :  »In  den  Landschaften  um  das  adriatische  Meer  soil 
die  Platane  nicht  vorkommcn,  ausser  um  das  Heiligthum  des  Dio- 
medes  (d.  h.  auf  der  Diomedes-Insel,  einer  der  jetzt  sogenannten 
Tremiti-Inseln,  nordlich  vom  Garganos-Vorgebirge),  in  Italien  soil 
sie  selten  sein,  obgleich  es  dem  Lande  an  grosseren  Gewassern  nicht 
fehlt;  diejenigen  Platanen  wenigstens,  die  der  altere  Dionysius  in 
Rhegium  in  seinen  Baumgarten  gepflanzt  hatte  und  die  jetzt  im 
Gymnasium  stehen,  wollen  trotz  aller  Pflege  nicht  recht  gedeihen.« 


294  Die  Platane. 

Diese  Nachricht  wiederholt  Plinius  12,  6,  erweitert  sie  aber,  wir 
wissen  nicht  ob  aus  andern  Quellen  oder  bloss  durch  Interpretation 
der  ihm  vorliegenden  Stelle  des  Theophrast,  dahin,  dass  der  Baum 
zuerst  ins  adriatische  Meer  nach  dem  Grabe  des  Diomedes  auf  der 
nach  diesem  Helden  benannten  Insel,  dann  nach  Sicilien  und  fruh- 
zeitig,  inter  primas,  nach  Italien  gebracht  worden  sei  —  worauf  die 
Geschichte  von  der  Anpflanzung  des  Dionysius  in  Rhegium  folgt. 
Bei  den  romischen  Grossen  des  letzten  Jahrhunderts  der  Republik  ist 
Anpflanzung  von  Platanen  ein  vornehmer  Zeitvertreib,  gleich  den 
Fischteichen  und  andern  kostspieligen  Anlagen  in  Villen  und  Garten, 
wahrend  geringe  Leute  natiirlich  lieber  einen  Fruchtbaum  setzten, 
der  etwas  tragen  und  einbringen  konnte.  Dass  es  den  Platanen  gut 
thue,  mit  Wein  statt  mit  Wasser  begossen  zu  werden,  war  ein  der 
reichen  Aristrokratie  willkommener  Aberglaube,  da  er  dem  Hange 
nach  exclusivem  Luxus  entgegenkam.  Von  dem  beriihmten  Redner 
Hortensius,  dem  Zeitgenossen  des  Cicero,  wird  berichtet  (Macrob. 
Sat.  3,  13,  3),  er  habe  einmal  bei  einer  Gerichtsverhandlung  den 
Cicero  gebeten,  mit  ihm  die  Reihe  im  Reden  zu  tauschen,  da  er 
nothwendig  auf  seine  Villa  bei  Tusculum  musse,  um  seine  Platane 
eigenhandig  mit  Wein  zu  begiessen.  Wie  einst  Menelaus  und  Aga- 
memnon und  spater  Dionysius  und  wie  die  persischen  Konige,  die 
[teydhoi  paathslg,  so  pflanzte  auch  der  grosse  Casar  am  Guadalquivir 
eine  Platane,  von  der  wir  durch  einen  Hymnus  des  Martial  wissen; 
ihr  Wachsthum  war  in  den  Augen  des  Dichters  ein  Sinnbild  der 
unverganglichen  Herrlichkeit  des  Dictators  und  seines  Hauses,  9,  61 : 

0  dilecia  deis,  o  magni  Caesaris  arbor, 
Ne  metuas  ferrum  sacrilegosque  focos. 
Perpetuos  sperare  licet  tibi  frondis  honores: 
Non  Pompejanae  te  posuere  manus. 

Ini  dichten  Schatten  dieses  aristokratischen  Baumes  am  kiihlen  Quell 
dem  Genusse  der  Ruhe  und  des  Weines  sich  hingeben,  ist  auch  bei 
den  Dichtern,  den  Freunden  des  Hofes,  Lieblingssitte.  Verg.  G. 
4,  146: 

Jamque  ministrantem  platanum  potantibus  umbram. 
Hor.  Od.  2,   11,   13: 

Cur  non  sub  alia  vel  platano  vel  hac 
Pinu  jacentes potamus  uncti? 

Bei  Ovid,  Met.  10,  95,  heisst  die  Platane  genialis  d.  h.  ein  wonniger 
der  Pflege  des  Genius  oder  dem  Lebensgenuss  dienender  Baum. 
Indess  regt  sich  in  echt  romischer  Weise  auch  wieder  das  Ge- 


Die  Platane.  295 

wissen,  den  heiligen  Boden,  die  fruchtspendende  Erde  durch  einen 
blossen  Schonheitsbaum,  der  keinen  Nutzen  brachte,  zu  entweihen  — 
etwa  wie  man  den  Kindern  verbietet,  mit  Brot  zu  spielen.  Daher 
die  Ausdriicke:  platanus  vidua,  sterilis,  caelebs,  z.  B.  Hor.  Od.  2,  15: 

Jam  pauca  aratro  jugera  regiae 
Moles  relinquent,  undique  latins 
Extenta  visentur  Lucrino 
Stagna  lacu  platanusque  caelebs 
Euincet  ulmos  — 

welche  letztere  namlich  Weinreben  zu  tragen  geeignet  sind,  oder  die 
Klage  des  Nussbaumes  bei  Ovid,  Nuc.  17: 

At  postquam  platanis,  sterilem  praebentibus  umbram, 
Lberior  quams  arbor e  venit  honos: 
Nos  quoque  frugiferae,  si  nux  modo  ponor  in  illis, 
Coepimus  in  patulas  luxuriare  comas. 

Plinius  driickt  dies  Gefiihl  in  directen  Worten  aus,  12,  6:  quis  non 
jure  miretur  arborem  umbrae  gratia  tantum  ex  alieno  petitum  orbe? 
Platanus  —  jam  ad  Morinos  usque  perveeta  ac  tributarium  etiam 
detinens  solum,  ut  gentes  vectigal  et  pro  umbra  pendant.  Dass 
iibrigens  die  echte  Platane,  Platanus  orientalis,  bei  den  Morinern 
am  belgisch-franzosischen  Seestrande  angepflanzt  worden  sei  und  da- 
selbst  ausgedauert  habe,  ist  nicht  glaublioh:  es  wird  ein  ahnlicher 
Schattenbaum  gewesen  sein,  der  nordische  Aborn,  Acer  platano'ides ; 
von  Plinius  selbst  16,  66  der  gallische  oder  weisse  Ahorn  genannty 
fiir  welchen  Baum  eine  merkwiirdige  gleichartige  Benennung  durch 
die  Sprachen  der  Kelten,  Germanen,  Slaven  und  —  Thraker  geht73). 
Aus  noch  weiterer  Feme,  als  die  Platane  der  Alten,  und  auch  nur 
um  des  Schattens  willen  ist  der  gewohnlichen  Meinung  nach  der 
amerikaniscbe  Ahornbaum,  Platanus  oecidentalis,  zu  uns  gebracht 
worden,  der  jetzt  in  Mitteleuropa  vielfach  zu  Baumgangen  verwandt 
wird ;  Andere  wollen  in  ihm  nur  eine  Abart  der  orientalischen  finden. 
Nach  den  Beobachtungen  von  Theobald  Fischer,  Beitrage  150ff.,  ist 
indess  die  erstere  Annahme  bei  weitem  wahrscheinlicher. 


*  Das  Geschlecht  der  Platanen  besass  in  der  Tertiarperiode  eine  viel 
ausgedehntere  Verbreitung,  als  in  der  Gegenwart ;  so  waren  P.  Guillelmae  (Les- 
quereux)  Heer  zur  Zeit  der  mittleren  und  oberen  Tertiar  von  Gronland  durch 
Nordamerika  und  das  nordostliche  Asien,  P.  aceroides  (Goeppert)  Heer  von 
Gronland  und  Spitzbergen  durch  Europa,  Nordamerika  und  Nordasien  ver- 
breitet,  neben  ihnen  existfrten  namentlich  in  Nordamerika  eine  Anzahl  anderer 


296  Di 

mehr  lokalisirter  Formen.  Von  der  letztgenannten  Art  diirften  die  in  Nord- 
amerika  heimische,  in  Mittel-  und  Sudeuropa  jetzt  allgemein  kultivirte  P.  occi- 
dentalis  L.,  sowie  P.  orientalis  L.  abstammen.  Diese  letztere  findet  sich  wild 
im  Himalaya,  in  Afghanistan,  dem  sudlichen  Persien,  in  Imeretien  und  Gurien, 
in  Paphlagonien,  auf  dem  Libanon  und  Cypern,  ferner  im  westlichen  und 
sudlichen  Anatolien  unterhalb  der  Cedernregion  bis  zu  1600  m,  haufig  in 
Bithynien  bis  zu  800  m,  desgleichen  in  Thracien,  Macedonien  und  Griechen- 
land;  sie  kommt  daselbst  in  Waldern  und  an  Gebirgsbachen  vor,  an 
Standorten,  bei  denen  an  eine  Einschleppung  der  Pflanze  nicht 
zu  denken  ist.  Aber  auch  aufSicilien  und  in  Unteritalien  ist  die 
Platane  wildwachsend. 


*  *  Dass  TcXatavtoTo?,  rcXatavoi;  aus  dem  Iranischen  oder  aus  einer  klein- 
asiatischen  Sprache  entlehnt  sei,  lasst  sich  durch  nichts  wahrscheinlich 
machen.  Es  ist  sicherlich  eine  echt  griechische  Ableitung  von  itXaTu?  breit. 
Lat.  platanus  ist  aus  dem  Griechischen  entlehnt.  Dies  weist  im  Zusammen- 
hang  mit  den  obigen  geschichtlichen  und  botanischen  Nachrichten  darauf  hin, 
dass  der  Baum  in  Italien  sich  hauptsachlich  durch  Kultur,  die  von  den  grie- 
chischen  Kolonien  ausging,  verbreitete,  wahrend  der  Annahme,  dass  er  in 
Griechenland  einheimisch  sei,  nichts  im  Wege  steht.  Vgl.  Neumann-Partsch, 
Physikalische  Geographie  S.  387  f.,  Koppen,  Holzgewachse  II,  68  ff.,  Muss- 
Arnolt,  Transactions  XXIII,  p.  110. 


Die   Pinie. 

(Pinus  pinea  .L.) 

Die  Geschichte  des  Pinienbaumes  ist  aus  dem  Grunde  schwierig, 
weil  die  Alten,  wo  sie  der  zapfentragenden  Nadelbaume  erwahnen, 
die  Arten  derselben  nicht  strenge  zu  sondern  pflegen  und  also  der 
Deutung  und  Vermuthung  ein  freies  Feld  lassen.  Immerhin  konnen 
zwei  Gruppen  dieser  Bauaie  mit  hinreichender  Sicherheit  unterschieden 
werden,  die  eine,  eAcm?  genannt,  Pinus  picea  L.,  die  andere  mit  dem 
Doppelnamen  nCxvc,  und  nevxrj,  unter  der  die  Pinie,  wo  sie  iiberhaupt 
vorkommt,  mitbegriffen  sein  muss.  Homer  kennt  schon  alle  drei 
Benennungen ;  gAa^  ist  ihm  ein  hoher,  zum  Himmel  strebender  Baum, 
ovQavoLirjxrjg,  nsQc^xewg ,  wt^/Uj,  also  die  Tanne;  dass  er  aber 
unter  seiner  nltvg  die  Pinie,  Pinus  pinea,  den  Baum  mit  dem  rei- 
zenden  Schirmdach  und  den  essbaren,  mandelartigen  Friichten  ver- 
standen  hat,  wie  Fraas,  Synopsis  p.  263,  annimmt,  geht  aus  den 
drei  oder  vielmehr  zwei  Stellen,  in  denen  das  Wort  vorkommt,  nicht 


Die  Pinie.  297 

hervor.  II.  13,  389  ff.  und  gleichlautend  16,  482  ff.  heisst  es  von  dem 
in  der  Schlacht  fallenden  Helden: 

Aber  er  stiirzte  dahin,  wie  der  Eichbauin  oder  die  Pappel 

Oder  die  Fichte,  die  schlanke  ((3X(u&pY)),  von  Zimmerern  hoch  im  Gebirge 

Mit  scharfschneidendem  Beile  gefallt  zum  Baue  des  Schiffes. 

Hier  fiihrt  das  Pradikat  fthwd-Qog ,  hochaufgeschossen ,  und  die  Ver- 
bindung  mit  Eiche  und  Silberpappel  weit  natiirlicher  auf  Pinus  Laricio 
oder  auch  auf  die  sonst  gAan/  genannte  Pinus  picea,  als  auf  den 
niissetragenden  Pinienbaum,  wie  denn  auch  Odysseus,  Od.  5,  239, 
auf  der  Insel  der  Kalypso  sein  Scruff  aus  Ellern,  Pappeln  und  Tannen 
ehdxy,  baut.  Ganz  ebenso  verhalt  es  sich  mit  der  anderen  Stelle, 
Od.  9,  186  ff.,  wo  urn  die  Hohle  des  Cyclopen  eine  Hiirde  flir  Schafe 
und  Ziegen  aus  Steinen  und 

Aus  langstammigen  (fxaxp-goiv)  Fichten  und  hochumwipfelten  Eichen  — 

gebaut  ist.  IlCxvq  und  rtevxr^  sind  nur  verschiedene  Formen  desselben 
Wortes,  welchem  die  Bedeutung:  harzreicher  Baum,  Pechbaum  zu 
Grunde  zu  liegen  scbeint.  Je  nach  den  Landschaften  mag  bald  diese, 
bald  jene  Benennung  fur  ein  und  dieselbe  Species,  oder  umgekehrt 
dieselbe  Benennung  fur  verschiedene  Arten  im  Gebrauch  gewesen 
sein  —  wie  denn  Theophrast  h.  pi.  3,  9,  4  ausdriicklich  sagt,  was 
er  nevxTf]  nenne,  heisse  bei  den  Arkadern  nCxvg.  Standort,  Boden, 
Klima,  Altersstadium  brachten  gewiss  auch  damals  schon  Varietaten 
hervor.  Die  ausfuhrliche  Darstellung  bei  Theophrast  (in  dem  so  eben 
angefiihrten  9.  Kapitel  des  dritten  Buches  seiner  Pflanzengeschichte) 
ist  doch  nicht  bestimmt  genug,  um  in  unserem  Sinne  eine  feste  Syno- 
nymik  der  Nadelholzer  moglich  zu  machen.  In  der  dort  vorkommenden 
Ttsvxr]  r}fj,€QO$,  die  mit  der  7i€vxr(  f]  xwvoyoQog,  2,  2,  6,  identisch  zu 
sein  scheint,  erkennt  man  die  Pinie,  da  jenes  Adjectiv  die  von 
Menschenhand  der  Friichte  oder  des  Schattens  wegen  gepflanzten, 
veredelten  Baume  zu  bezeichnen  pflegt,  und  xcovot,  Zapfen,  auch 
sonst  als  der  specifische  Ausdruck  fiir  die  essbare  Pinienfrucht  auf- 
tritt;  aber  nichts  sagt  uns  zunachst,  ob  die  zahme  Kiefer  ihren 
wilden  Reprasentanten  in  den  griechischen  Bergen  hatte,  oder  ob  sie 
ein  fremder  Baum  und  im  letztern  Falle  wann  und  wo  sie  ein- 
gefiihrt  war.  Sehen  wir  auf  die  Namen  fiir  die  Niisse  selbst,  so  ist 
uns  ein  solcher  angeblich  schon  aus  einem  Gedicht  des  Solon  auf- 
bewahrt:  Phrynich.  p.  396,  ed.  Lob.:  Ifu  yaQ  vvv  xoxxwva  heyovac, 
ot  nohhol  oQ^g.  xal  yaQ  2oA,o)V  sv  wig  Tiotri^acfc  OVTCD 
Koxxwvag  aMog,  arsgog  Ss 


298  Die  Pinie. 

Daraus  geht  nur  hervor,  dass  xoxxwvsg,  die  bei  Solon  auch  Granat- 
kerne  oder  sonst  eine  Beere  bezeichnen  konnten,  in  der  spatesten  Zeit 
als  Pinienkerne  gedeutet  wurden.  Dasselbe  ist  der  Fall  mit  clem 
verwandten  Wort  xoxxahog  bei  Hippokrates,  von  welchem  Galenus, 
XV.  p.  848  Kiihn,  erklarend  bemerkt,  es  sei  dasselbe,  was  sonst 
xwvog  genannt  worden  sei,  bei  den  neueren  Aerzten  aber  QiqofUtog 
heisse.  Dass  ein  ahnlicher  Ausdruck  in  spaterer  Zeit  im  Munde  des 
Volkes  lebte,  beweist  auch  der  neugriechische  Name  fiir  die  Pinie 
xovxovvctQtd.  Eine  friihere  Beiiennung  war  xwvog,  eine  spatere 
fohog,  Galen.  XIII.  p.  10  Kiihn:  ovg  vvv  anavTeg  "EM^ves  ovo^i 
GrQopttovg,  TO  ndkai,  tie  naga  Tolg  'Atuxolg  sxahovvxo  xwvot,.  In  der 
attischen  Inschrift  bei  Bockh,  Staatshaushalt  2,  356  (der  zweiten 
Ausg.),  die  vielleicht  in  das  zweite  Jahrhundert  vor  Chr.  gehort,. 
kommen  in  der  That  unter  anderem  Naschwerk  auch  xwvoi,  vor, 
aber  ob  sie  in  Griechenland  gewachsen  oder  von  auswarts  gekommen 
waren,  wie  z.  B.  die  Datteln  und  die  agyptischen  Bohnen,  erfahren 
wir  nicht.  Pseudo-Herodot.  vit.  Horn.  20  sagt  von  der  Pinienfrucht : 
Einige  nannten  sie  (ftQofltJioSj  Andere  xwvog.  Die  Benennung  titgofiikog 
tritt  zuerst  bei  Aristoteles  oder  bei  Theophrast  auf  (Lobeck  zu  der 
obigen  Stelle  des  Phrynichus).  Wenn  in  der  so  eben  erwahnten  In- 
schrift ausser  xwvot,  auch  nvQ^veg  erwahnt  werden,  so  deutet  Boeckh 
die  ersteren  gewiss  richtig  als  Pignolen  mit  der  Schale,  die  letztern 
als  geschalte  (und  zugleich  gedorrte,  weil  sie  sich  sonst  nicht  halten) ; 
das  Wort  TrvQVJv,  welches  in  alterer  Zeit  ganz  allgemein  den  Kern 
der  Friichte,  z.  B.  der  Weinbeere  oder  der  Olive  (Herodot  2,  92), 
bedeutet  hatte,  erfuhr  also  dieselbe  Entwickelung  der  Bedeutung,. 
wie  xoxxcov,  xoxxahog,  xcxxog.  Einen  andern  sonst  nicht  vor- 
kommenden  und  von  der  Harte  der  Umhullung  entnommenen  Aus- 
druck bargaxCg  brauchte  der  athenische  Arzt  Mnesitheus,  wie  wir 
aus  Athen.  2.  p.  57  erfahren.  Dioskorides  im  ersten  Jahrhundert 
nach  Chr.  hat  die  abstractere  Benennung  nirvL'g,  1,  87:  mTv'i'deg  de 
xahovvrat,  o  xaQ?wg  TWV  TUTVWV  xal  xr^g  Trevxqg  6  stQKfxofuevog  ev  Tolg 
xwvoig  -  -  also  die  Kerne  selbst,  die  in  den  Niissen  stecken.  Halt 
man  alle  diese  Zeugnisse  zusammen,  so  ergiebt  sich  als  Resultat, 
dass,  je  weiter  in  der  Zeit  hinab,  desto  deutlicher  die  Pinie  hervor- 
tritt,  desto  bestimmter  allgemeine  Namen  auf  die  Pinienfrucht  sich 
fixiren  und  desto  gewohnlicher  die  letztere  als  Naschwerk  im  ge- 
meinen  Leben  erscheint.  Bei  den  attischen  Komikern  geschieht  der 
Pignolen  keine  Erwahnung.  In  Sicilien  kennt  Theokrit  die  Pinien- 
nlisse  bereits  als  beliebten  Leckerbissen :  5,  45  if.  wird  ein  angenehmer 


Die  Pinie.  299 

Ruhesitz  beschrieben,  wo  Quellen  frischen  Wassers  sprudeln,  die 
Vogel  zwitschern,  die  Schatten  der  Baume  Kuhlung  verbreiten  und 
die  Pinie  von  oben  ihre  Niisse  abwirft: 

fidMsi  Jg  xal  a  nCrvg  vipo&e  xwvoig  — 

(in  der  That  offnet  der  Pinienzapfen,  nachdem  er  vier  Jahre  festver- 
schlossen  am  Baume  gehangen,  von  selbst  die  Schuppen  und  lasst 
dann  die  Niisse  herabfallen,  die  dann  nur  aufgeklopft  zu  werden 
brauchen).  Auf  dem  italienischen  Festland  treffen  wir  die  Pinie  auch 
bei  Cato,  der  die  Kerne  saen  lehrt,  48,  3:  nuces  pineas  ad  eundem 
modum,  nisi  tanquam  alium  serito.  Plinius  15,  35  beginnt  seine 
Aufzahlung  der  Baumfriichte  schon  mit  vier  Sorten  essbarer  Zapfen- 
kerne,  vier  verschiedenen  Arten  Baume  angehorig,  darunter  auch  die 
Picea  sativa  und  der  Pinaster,  dessen  Niisse  »die  Trauriner  in  Honig 
einkochten  und  dann  aquicelos  nannten«.  Wenn  der  jiingere  Plinius 
in  seinem  beriihmten  zweiten  Brief e  an  Tacitus  den  aus  dem  Vesuv 
aufsteigenden  Rauch  mit  einer  pinus  vergleicht,  6,  20:  nubes  oriebatur, 
cujus  similitudinem  et  formam  non  alia  arbor  magis  quam  pinus 
expresserit,  so  erkennen  wir  deutlich  unsere  Pinie  mit  der  gewolbten 
Laubkrone  auf  schlankem,  oben  in  Aeste  sich  theilendem  Stamme. 
Von  den  Dichtern  wird  sie  bei  Schilderungen  landlicher  Paradiese 
mitaufgefiihrt ;  sie  war  kein  Wald-,  sondern  ein  Gartenbaum  und 
also  gewiss  frernder  Herkunft.  Verg.  Eel.  7,  65: 

Fraxinus  in  silvis  pulcherrima,  pinus  in  hortis, 
Populus  in  fluviis,  dbies  in  montibus  altis. 

Ovid.  Art.  am.   3,  687: 

Est  prope  purpureos  collis  florentis  Hymetti 
Fons  sacer  et  viridi  cespite  mollis  humus. 
Silva  nemus  non  alia  facit;  tegit  arbutus  herbam; 
Ros  maris  et  lauri  nigraque  myrtus  olent. 
Nee  densum  foliis  buxum  fragilesque  myricae 
Nee  tenues  cytisi  cultaque  pinus  abest. 

Petron.  sat.   131: 

Nobilis  aestivas  platanus  diffuderat  umbras 

Et  baceis  redimita  daphne  tremulaeque  cupressus 

Et  circumtonsae  trepidanti  vertice  pinus  — 

wo  das  Bild  der  unten  zweiglosen,  circumtonsa,  oben  ein  fliisterndes 
Schirmdach  tragenden  Pinie  deutlich  wiedergegeben  ist.  Martial 
warnt  den  Wanderer  davor,  sich  unter  die  Pinie  zu  setzen,  denn 


300  Die  pinie- 

ihre  schweren  Zapfen  konnten  ihm  auf  den  Kopf  fallen,  13.  25 
nuces  pineae: 

Poma  sumus  Cybelae,  procul  hinc  discede.  viator, 

Ne  cadat  in  miserum  nostra  ruina  caput. 

Die  Pinie  steigt  nicht  auf  die  hohen  Gebirge,  entfernt  sich  auch 
nicht  von  den  Vorbergen  und  Ufern  des  mittellandischen  Meeres, 
fiir  uns  ein  Beweis  mehr,  dass  sie  in  Italien,  ja  auch  in  Griechenland 
eingewandert  ist;  denn  was  urspriinglich  in  diesen  Landern,  iiber  die 
doch  auch  schneidende  Nordhauche  hinwehen,  einheimisch  war,  be- 
sitzt  auch  die  Kraft,  mit  Hiilfe  pflegender  Kultur  die  Alpen  zu  tiber- 
steigen  und  einzelne  begunstigte  Localitaten  Mitteleuropas  zu  betreten. 
Der  Pinie  ist  aber  bereits  die  Gegend  von  Turin  zu  kalt.  Wir 
wissen  nicht,  ob  und  in  welcher  Landschaft  Asiens  sie  etwa  noch 
wild  vorkommt.  Nach  Fiedler  wachst  sie  im  heutigen  Griechenland 
nur  hin  und  wieder  und  meist  einzeln;  was  an  Kieferniissen  auf  den 
grosseren  Bazars  feilgeboten  wird,  kornmt  meistens  aus  Russland  von 
Pinus  Cembra  L.  Nach  Grisebach,  Spicilegium  II,  347,  findet  sich  die 
Pinie,  vermischt  mit  Pinus  Laricio,  als  hoher  Wald  auf  dem  nord- 
lichen  Ufer  der  Halbinsel  Hajion-Oros  (die  in  den  Berg  Athos  aus- 
lauft).  Im  heutigen  Italien  bildet  die  Pinie  den  malerischen 

Schmuck  der  Villen  und  Garten,  z.  B.  in  Rom;  besonders  haufig  ist 
sie  neuerdings,  wie  schon  friiher  bemerkt,  in  der  reichen  Campagna 
von  Neapel  angepflanzt,  iiber  der  weit  und  breit  ihre  reizenden  grunen 
Laubkugeln  schweben.  Hin  und  wieder  trifft  man  die  Pinie  auch 
in  zusammenhangenden  Bestanden,  nirgends  so  ausgedehnt,  als  in 
der  beruhmten  Pineta  von  Ravenna.  Dieser  Pinienwald,  dem  das 
sumpfumgebene  Ravenna  nach  der  allgemeinen  Meinung  seine  gesunde 
Luft  verdankt,  erstreckt  sich  auf  altem  Meeresboden  in  einer  Breite  von 
einer  Stunde  und  in  einer  Lange  von  mehr  als  sechs  geographischen 
Meilen  dem  Ufer  entlang.  Schoii  ist  er  von  Karl  Witte  beschrieben, 
Alpinisches  und  Transalpinisches ,  Berlin  1858,  S.  308:  »Statt  der 
Einformigkeit  eines  schwebenden  Baldachins,  die  man  sonst  an  ihm 
gewohnt  ist,  entwickelt  der  Baum  hier  in  so  viel  hundert  uralter  und 
kraftiger  Exemplare  die  mannigfachsten,  oft  wunderbar  verschrankten. 
und  knorrigen  Gestalten.  Unter  dem  Dache  der  Pinien  aber,  auf 
dem  feuchten  fruchtbaren  Boden  hin,  wuchert  ein  iippiges  Wachs- 
thum  von  niederen  Gestrauchen  und  Schlingpflanzen  in  buntester 
Fiille.  Schon  ein  Schriftsteller  des  vorigen  Jahrhunderts  zahlte  fast 
dreihundert  Pflanzenarten  in '  dieser  Pineta.  Dazwischen  singt  und 
summt  und  zwitschert  es  von  unzahligen  Vogeln  und  anderem  fliegen- 


Die  Pinie.  301 

den  Gethier;  oben  durch  die  Pinienzweige  aber  fliistert  ohne  Unter- 
lass  der  Windeshauch  vom  nahen  Meere.«  Ueber  den  Ertrag  an 
Friichten  und  die  Art  der  Einsammlung  und  Reinigung  s.  eben- 
daselbst  S.  309 f.  Die  Pineta  giebt  jahrlich  etwa  9000  preussische 
Scheffel  Pinienkerne,  die  leereri  harzigen  Zapfen  bilden  das  schonste 
Material  fiir  Kaminfeuer.  Da  der  Wald  von  Ravenna  zum  grossten 
Theil  auf  neugebildetem  Boden  steht,  der  zur  Romerzeit  noch  Meer 
war,  so  kann  er  erst  im  Mittelalter,  nicht  vor  den  Zeiten  des  Pro- 
copius,  angelegt  worden  sein.  Wohl  aber  war  jenes  ganze  Territormm 
schon  friihe  reich  an  Pinien,  Sil.  Ital.  8,  595: 

et  undique  sellers 
Arva  coronantem  nutrire  Faventia  pinutn. 

Das  von  Ravenna  nicht  weit  abstehende  Faenza  pflegte  also  zu  Silius' 
Zeit  schon  die  Pinie,  die  die  Saatf elder  kront.  Dass  Augustus  wegen 
dieses  Baumes  Ravenna  zu  einem  der  beiden  Standorte  seiner  Flotte 
erhoben  haben  sollte,  glauben  wir  nicht,  da  Schiffswerft  und  Flotten- 
station  zweierlei  sind  und  bei  Wahl  der  letzteren  ganz  andere  mili- 
tarisch-politische  Grande  entscheiden.  Jordanis  57 :  (Theodorictis) 
transacto  Pado  amne  ad  Itavennam,  regiam  urbem,  eastra  componit 
tertio  fere  milliario  loco  qui  appellatur  Pineta.  Zur  Zeit  des  Ein- 
bruchs  der  Ostgothen  gab  es  also  schon  einen  Ort  Pineta  bei  Ravenna, 
der  aber  nordwestlich  von  der  Stadt  gelegen  zu  haben  scheint  und 
also  mit  der  heutigen  Pineta  nicht  zusammenfallt  (Palmann,  Geschichte 
der  Volkerwanderung,  II,  489  f.).  Der  Wald  wurde  zum  Schutze 
Ravennas  gegen  das  Meer  zu  der  Zeit  angelegt,  wo  durch  ganz  Nord- 
italien  im  Kampfe  mit  der  Natur  Kanale,  Damme  und  andere  Wunder- 
werke  der  technischen  Kunst  ausgefuhrt  wurden.  Dante  kennt  und 
preist  ihn  bereits  und  benennt  ihn  nach  Chiassi  (dem  alten  Hafen, 
Classis,  von  Ravenna),  ebenso  Boccaccio.  Er  gehorte  sonst  mehreren 
Kirchen  und  Klostern  und  bildete  dann  bis  zur  Entstehung  des  Konig- 
reichs  Italien  ein  Eigenthum  der  apostolischen  Kammer:  diese  trat 
ihn  im  Jahre  1860  durch  Vertrag  (oder  Scheinvertrag)  an  die  Ka- 
noniker  des  Lateran  ab,  die  ihrerseits  ihre  Rechte  auf  eine  Pri vat- 
person  ubertrugen.  Beide  Kontrakte  wurden  von  den  italienischen 
Gerichten  fiir  nichtig  erklart,  da  wegen  Wechsels  der  Landes- 
souveranetat  die  papstliche  Kammer  nicht  mehr  als  Eigenthiimerin 
angesehen  werden  konnte.  Indess  Hess  sich  die  italienische  Regie- 
rung  zu  einem  Abkommen  herbei,  vermoge  dessen  gegen  eine  ver- 
haltnissmassig  geringe  Abfindungssumme  die  Pineta,  deren  Kapital- 
werth  auf  4 — 5  Millionen  Franken  geschatzt  wird,  in  die  Hand  der 


302  Die  Pinie. 

neuen  Regierung  iiberging  (heftige  Debatten  dariiber  im  Florentiner 
Parlament,  Marz  1866).  Uebrigens  haben  nach  altem  Branch  die 
Burger  von  Ravenna  ausgedehnte  Nutzungsrechte  an  dem  Walde;  ja 
man  beschwerte  sich,  dass  der  leichte  Erwerb,  zu  dem  er  Gelegen- 
heit  bietet,  der  Faulheit  Vorschub  leiste  und  miissiges  Gesindel  aus 
weitem  Umkreise  herbeiziehe.  Dennoch  gilt  die  Pineta  fur  das 
Heiligthum  Ravennas,  das  die  Stadt  und  ihr  Gebiet  gegen  giftige 
Diinste  und  die  Meeresstromungen  schiitzt  und.  demgemass  hoch- 
gebalten  und  gepflegt  wird. 


*  Die  Pinie  ist  nach  der  Ansicht  fast  aller  Floristen  der  Mittelmeer- 
lander  ein  in  den  Kiistenstrichen  des  Mittelmeers  heimischer 
Baum.  Nach  Karl  Koch  (Linneae  1849  p.  298)  und  Koppen  wachst  sie 
vollig  wild  am  Fluss  Tschoroch  unweit  Artevin  im  Gebiet  von  Batum;  sie 
ist  ferner  haufig  in  Gurien,  wo  sie  aber  nur  in  der  Nahe  von  Ruinen  ange- 
troffen  wird;  an  der  Siidkuste  der  Krim  ist  sie  eingefiihrt.  Im  Ktistengebiet 
von  Anatolien  und  Syrien  wird  sie  als  wild  angesehen.  Dass  sie  im  Pelo- 
ponnes  heimisch  sei,  wird  von  Heldreich  nicht  bezweifelt,  dagegen  ist  sie 
nach  dessen  Ansicht  in  Creta  wohl  nicht  spontan.  In  Italien  ist  die  Pinie 
an  den  Kiisten  und  in  der  Ebene  haufig,  zwar  vielfach  angepflanzt,  aber  doch 
wohl  auch  ursprunglich  wild.  Sehr  verbreitet  ist  die  Pinie  als  einheimischer 
Baum  durch  Spanien  mit  Ausnahme  der  nordwestlichen  Provinzen;  sie  bildet 
namentlich  ausgedehnte  Walder  zwischen  Sevilla  und  Huelva,  sowie  zwischen 
Huelva  und  Ayamonte,  ferner  in  der  Provinz  Segovia,  sowie  in  den  castilischen 
Ebenen  zwischen  Penaranda,  Avila  und  Labajos.  Auch  auf  Madeira  kommt 
die  Pinie,  allerdings  nur  vereinzelt  und  wahrscheinlich  angepflanzt  bis  zu 
einer  Hohe  von  600  m  vor.  In  Algier  ist  die  Pinie  nach  Letourneux 
nicht  wild,  aber  stellenweise  verwildert;  auch  in  Tunis  kommt  sie  nicht 
spontan  vor. 


*  *  Griech.  TCITD?  und  K&UXY]  (oben  S.  297)  sind  verschiedene  Worter,  von 
denen  letzteres  zu  ahd.  fiuhta  und  lit.  puszis  Fichte,  ersteres  zu  scrt.  pita-dru, 
piia-daru,  pitu-daru,  Pamird.  pit,  lat.  pitu-ita  Schnupfen,  eigentl.  zahe  Feuchtigkeit 
gehort.  Hierher  wird  auch  lat.  pinus  zu  stellen  sein,  sei  es,  dass  dasselbe  aus 
*pit-snu-s  oder  pi-nu-s  (vgl.  scrt.  pi-na-s  feist)  entstanden  ist.  Dass  die  Griechen 
und  Romer,  als  sie  im  Siiden  die  Pinus  pinea  kennen  lernten,  den  neuen  Baum 
zunachst  mit  unter  die  alten  Benennungen  langst  bekannter  Coniferenarten 
unterordneten,  hat  um  so  weniger  auffallendes,  als  uns  ein  specieller  alterer 
Name  der  Pinus  pinea  uberhaupt  nicht,  weder  im  Orient  noch  im  Occident, 
bekannt  ist.  Das  allmahliche  Hervortreten  besonderer  Benennungen  fur  die 
Pinie  und  ihre  Frtichte  erinnert  in  mancher  Beziehung  an  die  Geschichte  der 
Kastanie  und  ihrer  Namen  (s.  dieselbe  unten),  ohne  dass  es  hier  wie  dort 
nothig  ware,  aus  dieser  sich  nach  und  nach  verfeinernden  Terminologie 
Schlusse  auf  ein  urspriingliches  Unbekanntsein  beider  Baume  in  Griechenland 


Das  Rohr.  303 

oder  Italien  zu  ziehen.  Ausfiihrlich  handeln  tiber  die  antike  Nomenclatur  der 
Kiefernarten  Neumann  und  Partsch,  Physikalische  Geographic  S.  366  Anm.  2. 
Gegen  die  botanische  Argumentation  Hehns  (oben  S.  300)  beztiglich  des  spate- 
ren  Bekanntwerdens  der  Pinie  in  den  Mittelmeerlandern  vgl.  auch  Grisebach, 
Gott.  Gel.  Anzeigen  1872  S.  1766  ff.  Zu  ngr.  xooxoovapid  vgl.  noch  alb.  kukunare 
Pinie  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  211).  —  Wohlerhaltene  Zapfen  von  Pinus  pinea 
nennt  Woenig  (a.  a.  0.  S.  362)  unter  den  Pflanzenresten  auslandischer  Ge- 
wachse  in  agyptischen  Grabern. 


Das   Rohr. 

(Arundo  donax  L.) 

Der  nordische  Reisende  staunt,  wenn  er  jenseits  der  Alpen  ein 
dichtes,  hochwallendes,  im  Winde  rauschendes  Rohrfeld  sieht,  dessen 
schwankende,  in  Blatter  gekleidete,  knotenreiche  Halme,  oft  bis  zu 
einem  Zoll  Dicke,  weit  iiber  seinen  Kopf  reichen.  In  fetten,  be- 
feuchteten  Griinden,  langs  den  Darnmen,  an  den  Ufern  der  Fliisse 
und  Kanale,  aber  auch  auf  trockenen  Feldern  werden  die  Wurzel- 
knollen  (oculi  bei  den  Alten)  in  tiefe  Graben  gelegt,  die  aufgeschosse- 
nen  Rohre  im  Herbste  geschnitten  und  die  iibrig  bleibenden  Stocke 
angeziindet,  damit  die  Asche  den  Boden  fur  die  neuen  Triebe  des 
kiinftigen  Jahres  diinge.  Oft  sieht  man  dann  von  hohern  Punkten, 
z.  B.  auf  Abend-Spaziergangen  von  einem  der  sieben  Hugel  Roms, 
Feuer  und  Rauch  in  der  Feme  wunderbar  iiber  die  Ebene  ziehen. 
Dies  Riesengras  ersetzt  nicht  nur  im  waldlosen  Siiden  das  fehlende 
Holz  zur  Feuerung,  sondern  es  stiitzt  auch  die  Weinreben,  umzaunt 
die  Aecker  und  Garten,  dient  zu  Lauben,  Spalieren,  Gipsdecken  der 
Zimmer,  zum  Trocknen  der  Wasche,  zu  Angel-  und  Leimruthen,  zu 
Spulen  der  Weber  und  zu  hundertfaltigem  anderem  Gebrauch.  Wie 
schon  im  Alterthum,  so  ist  noch  jetzt  ein  Stuck  Rohr  die  leichte 
Spindel  des  Hirtenmadchens,  mit  der  sie,  ohne  an  ihr  schwer  zu 
tragen,  auf  Felsenpfaden  den  Zickeln  und  Lammern  nachspringt;  wie 
im  Alterthum,  schneidet  noch  jetzt  der  Hirtenbursche  aus  dem  Rohr- 
halme  sich  seine  Schalmei,  die  tibia,  fistula,  syrinx.  Zwar  geschrieben 
wird  auch  im  Siiden  nicht  mehr  mit  dem  Rohre,  aber  das  Tintenfass 
heisst  noch  immer  ealamqjo,  wie  die  Magnetnadel  calamita  und  das 
Brenneisen  calamistro,  und  die  Kiiaben  reiten  noch  immer  auf  dem 
langen  Rohrhalme  umher,  wie  die  Buben  zu  Horatius'  Zeiten,  Sat. 
2,  3,  248:  equitare  in  arundine  longa.  Auch  diese  Kulturpflanze,  die 


304  Da 

mit  dem  europaischen  Sumpfrohr,  Phragmites  communis,  nicht  zu  ver- 
wechseln  1st  (s.  Zeitschrift  fiir  allgemeine  Erdkunde,  Neue  Folge, 
Band  13:  »Die  Gras vegetation  Italiens,  nach  Parlatores  Flora  italiana 
bearbeitet  von  Dr.  C.  Bolle«,  S.  298),  stammt  aus  dem  warmeren 
Asien  und  verlasst  auch  jetzt  nicht  den  Bezirk  des  Mittelmeeres. 
Schon  in  homerischer  Zeit  brachten  die  Phonizier  mancherlei  aus 
Arundo  donctx  Gefertigtes  heriiber  —  wie  wir  aus  einigen  Namen 
schliessen,  die  schon  die  epische  Sprache  kennt.  Das  dem  Semitischen 
entnommene  xdvvr],  urspriinglich  xdvrj  (Renan,  histoire  des  langues 
semitiques,  edit.  1,  p.  192,  193  und  Benfey  unter  diesem  Wort),  das 
wieder  die  Romer  den  Griechen  entlehnten  (canna  friiher  cana,  wie 
canalis  beweist),  gab  namlich  das  homerische  xdvsov,  xdvswv  Brot- 
korb,  und  den  xdvv^  d.  h.  Kamm  oder  Spule  am  Webstuhl  und 
das  Querholz  am  Schilde,  das  entweder  die  Handhabe  zu  befestigen 
oder  den  Schild  selbst  auszuspannen  diente.  Der  Brotkorb,  spater 
auch  in  der  erweiterten  Form  xdvatftgov,  xdviGTQov,  aus  dem  beim 
Mahl  den  Gasten  das  Brot  vertheilt  wird,  war  aus  gespaltenem  Rohr 
geflochten  und  mag  ein  phonizischer  Handelsartikel  gewesen  sein. 
Die  xavovsg  am  Schilde  mussten  stark  und  zugleich  leicht  sein: 
beide  Eigenschaften  sind  die  Hauptvorziige  eines  guten  Schildes  und 
beide  besass  gerade  das  asiatische  Rohr.  Die  Wage,  deren  sich  die 
Kauf  leute  bedienten,  wenn  sie  am  Strande  ihre  Waaren  ausbreiteten 
und  den  Kauflustigen  zuwogen,  wird,  ein  gleichschwebendes  Rohr 
gewesen  sein74),  eben  so  das  Mass  und  das  Richtscheit  ein  grader 
Rohrstab,  denn  in  beiden  Bedeutungen  finden  wir  das  Wort  xavwv 
spater  wieder.  Die  cyclopischen  Mauern  von  Mycena  waren  mit  dem 
Kanon  und  dem  Steinmeissel  gefugt,  Eurip.  Here.  fur.  944: 

ra  Kvxhomwv 
gtoCvixi,  xavovt  xal  vvxoig 
wo  das  Adjectiv  <poCvt£  roth  —  denn  phonizisch  kann  es  ja  wohl 
nicht  bedeuten  —  beweist,  dass  der  Dichter  sich  unter  xavwv  bereits 
eine  Richtschnur  gedacht  hat,  die  beim  Abschnellen  eine  farbige  ge- 
rade Linie  zuriicklasst.  Auch  Matten  und  Decken  aus  xdvva  ge- 
flochten kommen  friihe  vor,  schon  in  einem  Fragment  des  Hipponax 
bei  Pollux  10,  183.  Das  Wort  xdvva,  xavvy  selbst  ist  im  griechischen 
Alterthum  selten  und  wo  es  erscheint,  hat  es  die  Bedeutung  des  aus 
Rohr  Geflochtenen,  nicht  der  Pflanze  selbst.  Wann  kam  die  letztere 
also  nach  Griechenland,  und  wie  allgemein  wurde  sie  angebaut?  Das 
Rohrdickicht,  in  welchem  Menelaus  und  Odysseus  die  Nacht  hindurch 
vor  Troja  im  Hinterhalt  lagen,  Od.  14,  174,  mag  aus  gewohnlichem 


Das  Rohr.  305 


Sumpfrohr  bestanden  haben;  aber  waren  nicht  die  dovaxsg 
an  der  Phorminx  des  Hermes,  Hymn,  in  Merc.  47,  aus  edlem  asia- 
tischem  Rohr  geschnitten?  Das  letztere  Hesse  sich  noch  am  ehesten 
bei  dem  Pfeil  voraussetzen,  mit  welchem  Paris,  II.  11,  584,  den  Eury- 
pylus  im  Schenkel  traf,  so  dass  das  Rohr  abbrach,  denn  hier  kam 
es  auf  einen  leichten  und  doch  kraftigen  Schaft  an:  aber  die  Pfeile 
konnten  eingefiihrt  und  das  Material  ein  fremdes  sei.  Auch  die 
ausfiihrliche  Erorterung  iiber  die  Arten  des  Rohres  bei  Theophrast 
h.  pi.  4,  11,  ist  nicht  pracis  genug,  um  Arundo  donax  mit  Sicherheit 
in  einer  derselben  wiederzuerkennen.  Indess  wenn  er  am  Schluss 
des  Kapitels  hinzufugt,  alles  Rohr  wachse  schoner,  wenn  es  nach 
dem  Schnitt  abgebrannt  werde,  so  muss  er  doch  wohl  eine  wirkliche 
Rohrpflanzung  oder  wenigstens  ein  Gerohricht,  das  von  Menschenhand 
gepflegt  wurde,  im  Auge  gehabt  haben.  Deutlicher  bezeichnet  Dio- 
skorides  das  echte  asiatische  Rohr,  wenn  er  1,  114  sagt:  »eine  Art 
des  Rohres  ist  dick  und  hohl,  wachst  an  Fliissen  und  wird  donax, 
von  Einigen  auch  cy  prise  he  s  Rohr  genannt«  —  von  welcher  Insel 
es  also  bezogen  wurde  oder  urspriinglich  gekommen  war.  Eine  weitere 
Uebergangsstation  mag  die  Insel  Kreta  gewesen  sein,  deren  Einwohner 
schon  bei  Pindar  m^oyioQOi,  sind  und  treffliche  im  ganzen  Alterthum 
beruhmte  Pfeile  fiihren.  Cnidus  an  der  karischen  Kiiste  heisst  bei 
Catull  36,  13  anmdinosa;  im  eigentlichen  Griechenland  eignete  sich 
keine  Oertlichkeit  mehr  zur  Aufnahme  des  fremden  Rohres,  als  die 
Ufer  des  kopaischen  Sees  in  Bootien  und  der  in  denselben  miindenden 
Fliisse,  eine  Gegend,  die  friihe  dem  orientalischen  Einfluss  geoffriet 
war.  Das  spater  dort  wachsende  Flotenrohr,  xdhafiog  avhynxog, 
kann  wohl  nur  Arundo  donax  gewesen  sein,  aus  der  sich  noch  heute 
die  griechischen  Hirten  ihre  Syrinx  schneiden  (Fraas,  Synops.  298, 
denkt  an  eine  andere  seltenere  Rohrspecies,  Saccharum  Ravennae  L.\ 
Vielleicht  waren  auf  sicilischem  Boden  die  Rohrhalme,  mit  denen 
Dionysius  der  altere  Nachts  das  achradinische  Thor  in  Syrakus  an- 
zundete,  und  die  er  aus  den  nahen  Siimpfen  hatte  holen  lassen,  Diod. 
13,  113,  von  Menschenhand  gezogen  worden  —  wie  noch  jetzt  am 
Anapus  Arundo  donax  uppig  gedeiht.  In  Italien  giebt  schon  Cato 
6,  3  Anweisung,  an  Flussufern  und  feuchten  Stellen  ein  arundinetum 
anzulegen,  eben  so  seine  Nachfolger  Varro,  Columella,  Plinius  u.  s.  w., 
und  zwar  sind  die  Methoden,  das  Einlegen  der  Wurzelstocke,  das 
Abbrennen,  die  Benutzung  zu  Hiirden,  zum  Hauserbau,  zur  Stiitze 
der  Weinstocke  u.  s.  w.  ganz  die  heutigen.  Wie  in  Griechenland 
erscheint  aber  auch  in  Italien  das  Wort  canna  erst  spat,  ja  es  ist 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  20 


306  Das  Eohr. 

der  Name  fiir  das  diinnere  und  schwachere  gemeine  Rohr  im  Gegen- 
satz  zu  der  eigentlichen  arundo.  Der  alteste  Schriftsteller,  bei  dem 
es  vorkommt,  scheint  Vitruvius  zu  sein,  welcher  7,  3  die  Wande  zum 
Behuf  der  Stuckatur  mit  cannae  benageln  lehrt.  Ovid,  der  eine  Vor- 
liebe  fiir  das  Wort  canna  hat,  dessen  sich  seine  poetischen  Zeit- 
genossen  enthalten,  unterscheidet  die  kleinere  canna  von  der  langen 
arundo,  Met.  8,  337: 

longa  parvae  sub  arundine  cannae, 

und  Columella  berichtet  ausdriicklich,  das  Volk  nenne  das  aus- 
geartete  Rohr  canna,  7,  9,  7:  tanquam  scirpi  juncique  et  degeneris 
arundinis  quam  vulgus  cannam  vacant,  und  meint,  durch  Alter 
werde  der  Wuchs  des  Rohres  so  dicht,  dass  die  Halme  schlank  wiirden, 
wie  die  der  canna  4,  32,  3:  ....  ut  gracilis  et  cannae  similis 
arundo  prodeat.  Vitruv  in  dem  so  eben  angefiihrten  Kapitel  rath 
fiir  den  Fall,  dass  arundo  graeca  nicht  zur  Hand  sei,  als  Surrogat 
diinnes  Sumpfrohr  zu  nehmen:  sin  autem  arundinis  graccae  copia 
non  erit,  de  paludibus  tenues  colligantur,  und  nennt  also  Arundo 
donax  noch  immer  nach  dem  Lande,  aus  dem  es  zunachst  stammte. 
Bei  Palladius  endlich  in  der  spatesten  Kaiserzeit  ist  der  vulgare 
Ausdruck  schon  ganz  so,  wie  noch  heute,  fiir  Rohr  iiberhaupt  herrschend, 
1,  13:  postea  palustrem  cannam  vel  hanc  crassiorem.  quae  in  usu 
est  .  .  .  subnectemus.  Dass  das  Wort  in  Italien  viel  alter  als  Vitruv 
ist,  bezeugt  die  schon  oben  erwahnte  Ableitung  canalis;  auch  der 
beriihmte  Flecken  Cannae  am  Aufidus  in  Apulien  wird  von  dem  dort 
wachsenden  Rohr  den  Nam  en  gehabt  haben,  wie  von  demselben  Um- 
stand  die  aolische  Stadt  Kdvat,  in  Kleinasien.  Die  neueren  europa- 
ischen  Sprachen  besitzen  dann  noch  weitere  Anwendungen  und  Ab 
leitungen  des  Wortes,  denen  man  die  mannigfache  Geschichte,  deren 
Niederschlag  sie  sind,  nicht  ansieht:  Kanne  und  Kannengiesser, 
Knaster,  Canon,  Kanone,  kanonisches  Recht,  Kaneel  (Zimmt),  chanoine 
und  chanoinesse,  cheneau  (Dachrinne),  engl.  channel  (der  Kanal 
zwischen  England  und  Frankreich)  u.  s.  w.,  alle  in  letzter  Instanz 
auf  das  hebraische  Jcaneh  oder  dessen  phonizischen  Reprasentanten 
zuriickgehend. 

*  Arundo  donax  L.  ist  im  ganzen  Mittelmeergebiet  als  wildwachsende 
Pflanze  verbreitet ;  denn  sie  findet  sich  nicht  bloss  an  Graben  und  in  Hecken 
angepflanzt,  sondern  auch  an  Flussufern,  oft  schwer  zu  durchdringende 
Dickichte  bildend.  Es  spricht  zwar  der  italienische  Florist  Parlatore  die 
Vermuthung  aus,  dass  die  Pflanze  vielleicht  fruher  kultivirt  worden  sei  und 
sich  in  Folge  der  Kultur  verbreitet  habe ;  an  dem  Indigenat  zweifelt  er  haupt- 


Der  Papyrus.  307 

sachlich  deshalb,  well  die  Pflanze  auch  da,  wo  sie  massenhaft  vorkommt,  nur 
sparsarn  bltiht.  Indessen  scheint  mir  dieser  Grund  nicht  stichhaltig;  denn 
die  in  Europa  weit  verbreiteten  Wasserlinsen  bliihen  auch  ausserst  selten. 
Vielmehr  mochte  ich  einen  Grund  ftir  das  seltene  Bliihen  der  Arundo  donax  L. 
in  der  starken  vegetativen  Vermehrung  der  Pflanze  suchen;  auch  vermuthe 
ich,  dass  die  Pflanze  aus  alteren  Perioden  stammt  und  bei  der  allmahlichen 
Herabsetzung  der  mittleren  Temperatur  des  Mediterrangebietes  im  Bliihen 
und  Fruchttragen  zuriickgegangen  ist.  Fiir  ihr  Indigenat  im  ganzen  MitteJ- 
meergebiet  scheint  mir  auch  der  Umstand  zu  sprechen,  dass  eine  sehr  nahe- 
stehende  Art,  A.  Plinii  Turr.  von  Spanien  bis  Griechenland  und  Constanti- 
nopel  verbreitet,  aber  nicht  aus  Kleinasien  bekannt  ist. 


**  Die  griechisch-lateinischen  Worter  v.a.vvr^-canna  lassen  sich  jetzt  nicht 
nur  bis  in  das  Semitische,  sondern  weiter  bis  in  das  Sumerisch-Akkadische 
verfolgen.  Hier  heisst  das  Rohr  gin,  woraus  babylonisch-assyrisch  qanu  u.  s.  w. 
«ntlehnt  sind.  »Die  Haufigkeit  des  Schilfrohrs,«  sagt  F.  Hommel,  Die  Semiten 
S.  407,  »das  besonders  an  den  Stricben  am  Meer  und  den  Ufern  der  Fliisse 
und  Kanale  vorkam  und  bei  dem  urspriinglichen  sumpfigen  Charakter  des 
Landes  natiirlich  hier  von  Anfang  an  einen  giinstigen  Boden  hatte,  geht 
schon  daraus  hervor,  dass  eines  der  gewohnlichsten  altbabylonischen  Schrift- 
zeichen,  das  fiir  gi,  seitwarts  urngelegt  das  klare  und  deutliche  Bild  einer 
solchen  Wasserpflanze  ergiebt,  deren  Name  im  Sumerischen  eben  gi  (altere 
Form  gin)  war.«  Ist  die  Arundo  donax  wirklich  in  Griechenland  und  Italien 
einheimisch,  so  wird  sich  die  sprachliche  Entlehnung  auch  hier  aus  der 
kulturhistorischen  Bedeutung  des  Rohres  erklaren,  die  im  Orient  aufkam. 
Das  semitische  Wort  muss  lange  vor  Homer  nach  Griechenland  gekommen 
sein,  wie  die  mehrfachen  Ableitungen  von  demselben  in  der  homerischen 
Sprache  (oben  S.  304)  beweisen.  - 


Eine  den  Cyperaceen  oder  Halbgrasern  angehorende,  also  der 
Arundo  donax  nur  halb  verwandte  Pflanze,  die  Papyrus staude, 
ubertrifft  diese  durch  tausendjahrigen  Ruhm  und  reizende  Schonheit 
der  Erscheinnng.  Dass  sie  auch  nach  Europa  gekommen  ist,  weiss 
Jeder,  der  das  alte  Syrakus  auf  der  Insel  Sicilien  besucht  hat.  Dort 
ist  ein  Nebenarm  des  Anapus,  der  zu  der  fabelberiihmten  Quelle  der 
Cyane  (jetzt  Testa  di  Pisima)  fiihrt,  von  beiden  Seiten  mit  Papyrus- 
schilf  bewachsen,  der  unmittelbar  aus  dem  nicht  tiefen,  klaren,  leise 
rinnenden  Gewasser  aufsteigt.  Besonders  an  einer  Stelle,  wo  sich 
das  Fliisschen  zu  einem  seeartigen  Becken  ausdehnt,  dem  sogenannten 
Camerone,  wird  die  Scene  marchenhaft  und  ganz  tropisch:  die  riesen- 
haften,  zwolf  bis  sechzehn  oder  gar  achtzehn  Fuss  hohen  Stauden 
mit  ihren  anmuthig  geneigten  Kronenbiischeln  umschliessen  von  alien 

20* 


308  Der  Papyrus. 

Seiten  wie  ein  dichter  Wald  die  Spiegelflache,  auf  der  ihr  Bild  ruhig 
schwimmt  und  an  der  ihre  Wurzeln  und  Stengel  ewig  trinken.  Im 
alten  Aegypten  wuchs  diese  Pflanze,  wie  allbekannt,  in  ungeheurer 
Menge  und  wurde  zu  mannigfachen  Zwecken  verwendet,  die  Wurzeln 
zur  Nahrung,  der  Bast  zu  Stricken,  Korben,  Matten,  Flusskahnen, 
die  feinen  Haute  zu  Schreib  papier.  Die  Griechen  bezogen  ihr  Byblos- 
Material  aus  dem  Nilthale  und  benannten  ihre  Bibeln  oder  Biicher, 
Schriften  und  Brief  e  nach  dem  Nam  en  desselben.  Merkwiirdig  genug 
ist  es,  dass  die  Papyrusstaude  im  heutigen  Aegypten  ganz  ausgestorben 
ist  —  denn  wenn  einzelne  Reisende  sie  gesehen  haben  wollten,  so 
war  hochst  wahrscheinlich  Verwechslung  im  Spiel  —  und  dass  die 
Pflanze  erst  am  weissen  Nil  und  Gazellenflusse  wieder  vorkommt  und 
zwar  in  ungeheurer  Menge.  Sie  ging  in  Aegypten  unter,  wohin  sie 
wohl  aus  den  oberen  Gegenden  eingefuhrt  war  und  theilte  darin  das 
Schicksal  der  im  Alterthum  vielgenannten  agyptischen  Bohne  (xva/nog 
Alyvnuog,  Nymphaea  Nelumbo  L.)  -  -  zum  Beweise,  dass  die  Kultur, 
wie  sie  ein  Land  oder  ganze  Welttheile  bereichert,  so  auch  unter 
veranderten  Umstanden  ihre  Gaben  wieder  zurucknimmt.  Beiden 
Gewachsen  ward  die  Concurrenz  anderer  Pflanzen  und  neuer  Er- 
findungen  verderblich,  die  des  Pergaments  und  besonders  des  Lumpen- 
papiers,  des  Hanfes  und  Spartgrases,  mehlreicherer  Friichte  u.  s.  w. 
In  Griechenland  selbst  hat  sich  nie  eine  Spur  einer  Papyruspflanzung 
gefunden:  um  so  rathselhafter  schien  ihr  Auftreten  in  Sicilien,  bis 
die  Untersuchungen  des  Florentiner  Botanikers  P.  Parlatore  in  den 
Schriften  der  Pariser  Akademie  (Memoires  presentes  par  divers  savants 
etc.  Sciences  mathem.  et  physiques  T.  12.  1854.  p.  469  et  suiv.) 
die  Geschichte  des  sicilischen  Papyrus  aufklarten.  Parlatore  unter- 
scheidet  zunachst  zwei  Arten  der  Pflanze,  die  jetzt  verschwundene 
agyptische,  die  aber  in  Mumienresten  und  noch  lebend  in  Nubieii 
und  Abyssinien  vorhanden  sei,  und  die  er  Cyperus  papyrus  nennt, 
und  die  sicilische,  viel  hoher  wachsende,  oben  in  einen  ausgebreiteten 
Biischel,  nicht  in  einen  Kelch  ausgehende,  die  aus  Syrien  stammt 
und  der  er  daher  den  Namen  Cyperus  syriacus  giebt.  Diese  Unter- 
scheidung  hat  wenig  Gliick  gemacht,  zumal  Syrien  seinen  Papyrus 
doch  nur  durch  Verpflanzung  aus  Aegypten  besitzt,  historisch  sichcr 
aber  ist,  dass  die  Alten  von  keiner  Papyrusstaude  in  Sicilien  wissen, 
und  dass  sie  damals  auf  der  Insel  noch  fehlte.  Vielmehr  brachten  sie  die 
Araber  kurz  vor  dem  1 0.  Jahrhundert  aus  Syrien  dahin :  Ibn-Hauqal,  der 
977  —  978  schrieb,  nennt  sie  zuerst;  Hugo  Falcandus  bei  Muratori 
Scrip tt.  t.  7  (gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts)  kennt  sie  gleichfalls 


Cucurbitaceen.  309 

in  Sicilien.  Zuerst  mag  sie  an  dem  Fliisschen  bei  Palermo,  dem 
danach  benannten  Papireto,  angepflanzt  worden  sein:  dort  wuchs 
sie  reichlich  bis  zum  Jahre  1591,  wo  auf  Veraiilassung  des  darnaligen 
Vicekonigs  wegen  der  vom  Papireto  ausgehenden  Malaria  die  ganze 
Gegend  trocken  gelegt  wurde  und  damit  auch  der  Papyrushain  ver- 
schwand.  Aber  noch  jetzt  heisst  jene  Oertlichkeit  piano  del  papireto 
und  in  dem  dort  angelegten  offentlichen  Garten  wird  auch  die  Pa- 
pyrusstaude  gepflegt.  Nach  Syrakus  muss  sie  erst  um  die  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts  versetzt  worden  sein,  denn  ein  zuverlassiger  Autor 
vom  Jahr  1624  kennt  sie  daselbst  noch  nicht,  wohl  aber  ein  anderer 
vom  Jahr  1674.  Jetzt  findet  sie  sich,  ausser  am  Anapus,  hin  und 
wieder  im  siidlichen  und  ostlichen  Theil  der  Insel  wild  und  in  den 
Garten  der  reichen  Aristokratie  mit  Vorliebe  cultivirt.  Die  Exem- 
plare  in  den  europaischen  Gewachshausern  scheinen  alle  aus  Sicilien 
zu  stammen.  Hatten  die  Araber  ihre  Herrschaft  auch  auf  Griechen- 
land  ausgedehnt  und  daselbst,  wie  in  Palermo,  einen  glanzenden  Hof 
gegriindet,  so  wiirden  wir  an  dem  einen  oder  dem  andern  Flusse 
dieses  warmen  und  der  syrischen  Kiiste  naheren  Landes  vielleicht 
auch  dem  herrlichen  Uferschmuck  begegnen,  wie  einst  am  Papireto 
und  jetzt  am  Anapo. 

*  Die  Annahme  Parlatore's,  dass  der  sicilianische  Papyrus  nicht  zu 
Cyperus  papyrus  L.  gehore  und  von  einer  syrischen  Art,  C.  syriacus  Parl.  ab- 
stamme,  1st  auch  botanisch  nicht  begriindet.  In  Syrien  komint  kein  Papyrus 
vor  und  die  sicilianische  Papyrusstaude  weicht  von  der  afrikanischen  nur 
durch  etwas  mehr  rundliche  Halme  ab. 


1  Fur  TraTiopoc  fehlt  es  bis  jetzt  an  einer  geniigenden  Deutung.  Den 
Versuch  zu  einer  solchen  hat  Lagarde,  Mittheilungen  II,  260  f.  gemacht, 
indem  er  das  griechische  Wort  in  Zusammenhang  mit  dem  Stadtchen 
Biira,  einem  Kiistenorte  des  Bezirks  von  Damiette,  bringt,  die  ein  Haupt- 
ausfuhrort  des  Papyrus  gewesen  sei.  Doch  kennen  wir  den  alten  Namen 
des  Platzes  nicht.  —  Zu  (36£Xo;  vergl.  Anm.  28  und  Muss-Arnolt,  Trans- 
actions XXIII,  125. 


Cucurbitaceen. 

Die  Friichte  dieser  Familie,  die  zu  den  grossten,  zu  den  wahren 
Riesen  des  Pflanzenreichs  gehoren,  stammen  alle  aus  Asien,  die 
meisten  aus  Siidasien,  speciell  aus  Indien.  In  einigen  Arten  friihe 


310  Cucurbitaceen. 

in  den  Landern  der  alten  Kulturwelt  verbreitet,  bilden  sie  noch  jetzt 
die  Lieblinge  der  stidlichen,  besonders  aber  der  ostlichen  Volker. 
Durch  eine  dichte  Schale  gedeckt,  die  die  Ausdiinstung  der  inneren 
Feuchtigkeit  verhiitet ,  sammeln  sie  wahrend  der  Monate ,  wo  der 
Sonnenbrand  Alles  versengt,  einen  reichlichen  immer  kiihlen  Saft 
an,  mit  dem  sie  dann  den  durstigen  Esser  erquicken.  Je  nach  den 
Arten  ist  freilich  Menge  und  Geschmack  desselben  sehr  verschieden; 
bald  zerfliesst  das  Fleisch  der  Frucht  fast  zu  Wasser  und  traufelt 
beim  Essen  in  dicken  Tropfen  von  Hand  und  Mund,  wie  bei  der 
orientalischen  Wassermelone ,  bald  bildet  es  eine  aromatische,  siisse, 
duftende  Masse,  wie  bei  der  Zuckermelone ;  wahrend  die  eben  ge- 
nannten  Arten  im  Zustand  volliger  Reife,  iiach  Entfernung  der  Saat, 
genossen  werden,  dient  die  Gurke  heut  zu  Tage  nur  unreif  mitsammt 
der  Saat  und  meistens  eingemacht  ocler  mit  beissenden  Zuthaten  ver- 
sehen  zur  Nahrung ;  der  Kiirbiss  aber  ist  nicht,  wie  seine  Verwandten, 
roh,  sondern  nur  gekocht  oder  gebraten  essbar.  Zu  der  oft  unge- 
heuren  Grosse  der  Friichte  stehen  die  schwachen  Stengel  und  Ranken 
nicht  im  Verhaltniss,  daher  die  ersteren  ruhig  auf  der  Erde  liegend 
anschwellen  und  ihre  Reife  erwarten,  nicht  etwa,  wie  die  Kokosniisse 
oder  andere  Baumfriichte,  lockend  von  oben  herabhangen  und  end- 
lich  zur  Verbreitung  des  Samens  auf  den  Boden  niederfallen.  Dies 
setzte  schon  die  Alten  in  Verwunderung.  So  nannte  Matron,  der 
lustige  Parode,  den  Kiirbiss  »den  Sohn  der  hehren  Erde«,  was  Homer 
von  dem  Titanen  Tityos  gesagt  hatte,  und  wenn  der  Letztere  bei 
Homer  auf  dem  Boden  liegt  und  neun  Plethren  bedeckt,  so  lag  der 
Kiirbiss  des  Matron  im  Gartenbeet  und  reichte  iiber  neun  Tische 
weg,  Athen.  3  p.  73: 

Auch  den  Kiirbiss  sah  ich,  den  Sohn  der  gewaltigen  Erde, 
Liegend  unter  dem  Kraut;  er  lag  neun  Tische  bedeckend. 

So  wachst  und  wachst  bei  Callimachus  der  Kiirbiss  im  thauigen 
Beet  dQoaeQu)  svl  %<oQ(p,  d.  h.  nicht  am  luftigen  Zweige,  Athen.  ibid.) 
und  ist  daher  qdvyaiog,  wie  Heraklides  von  Tarent  bei  Athenaeus 
ebenda  sagt,  und  so  windet  sich  bei  Vergil  die  Gurke  durch  das  Gras, 
allmahlich  zur  Bauchform  anschwellend,  G.  4,  121: 

tortusque  per  herbam 
Cresceret  in  ventrem  cucumis. 

Bei  keiner  Art  Friichte  sind  die  Abweichungen ,  Uebergange  und 
Ausartungen  so  gross,  als  bei  den  Cucurbitaceen.  Vielleicht  liegt 
die  Ursache  in  demselben  strotzenden  und  daher  leicht  abirrenden 
Bildungstriebe,  der  auch  den  erstaunlichen  Umfang  einiger  derselben 


Cucurbitaceen. 

erzeugt.  Da  nun  schon  im  Alterthum  die  Grenze  zwischen  den 
Arten  in  der  Anschauung  des  Volkes  oft  unbestimmt  schwankte  und 
die  gebrauchlichen  Namen,  von  vieldeutiger  Allgemeinheit ,  je  naeh 
Zeit  und  Gegend  und  Umstanden  Verschiedenes  bezeichneten,  so  ist 
es  jetzt  ausserordentlich  schwer,  ja  unmoglich,  die  Angaben  der 
Alten  mit  unserer  Kenntniss  der  Sache  zu  vereinigen  und  im  ge- 
gegebenen  Falle  mit  Sicherheit  zu  unterscheiden ,  ob  ein  Kiirbiss  und 
welcher  oder  eine  Gurkenart  und  welche  gemeint  sei. 

Das  alteste  Zeugniss  fur  die  Existenz  der  Kiirbissfruchte  im 
Orient  oder  eigentlich  in  Aegypten  findet  sich  im  4.  Buch  Mosis  11,  5. 
Dort  erinnern  sich  die  Israeliten,  durch  die  wasserlose  Wiiste 
wandernd,  sehnsiichtig  der  in  Aegypten  genossenen  Friichte:  »Wir 
gedenken  der  Fische,  die  wir  in  Aegypten  umsonst  assen,  und  der 
Kiirbiss,  Pfeben,  Lauch,  Zwiebeln  und  Knoblauch. «  Was  hier  Luther 
mit  Kiirbiss  und  Pfeben  wiedergiebt,  wird  von  neueren  Auslegern 
seit  Celsius,  Hierobotanicon  I,  356  und  II,  247,  wahrscheinlicher 
durch  Gurken  und  Melonen  gedeutet,  da  die  beiden  hebraischen 
Ausdriicke,  Jcischuim  und  Ctbattichim,  bis  auf  den  heutigen  Tag  bei 
den  semitischen  Volkem  in  dem  angegebenen  Sinne  gebrauchlich 
sind.  Bei  der  Gurke  wird  dabei  an  die  agyptische  Cucumis  chate  L. 
gedacht,  eine  grosse,  langliche  Frucht,  die  noch  jetzt  unter  diesem 
Namen  in  der  Levante  allgemein  frisch  verzehrt  wird,  nachdem  sie 
zur  Reife  gelangt  und  dann  in  Geschmack  und  Wirkung  einiger- 
massen  der  Melone  ahnlich  geworden  ist.  Doch  ware  immer  mog- 
lich,  dass  seit  jener  friihen  Zeit  bei  Syrern,  Arabern  und  Juden  die 
Namen  von  einer  Art  auf  die  andere  iibergingen  und,  wahrend  die 
eine  verschwand  und  die  andere  neu  auftrat,  doch  die  Bezeichnung, 
dieselbe  blieb,  s.  unten. 

In  der  epischen  Poesie  der  Griechen,  bei  Homer  und  Hesiod,. 
findet  sich  weder  eine  der  fur  diese  Friichte  spater  iiblichen  Be- 
nennungen,  noch  eine  Andeutung,  die  auf  Kenntniss  derselben  zu 
jener  Zeit  schliessen  liesse.  Eine  solche  konnte  in  dem  Namen  der 
Stadt  Sicyon  liegen  d.  h.  die  Gurkenstadt,  doch  geht  derselbe  in 
kein  hohes  Alterthum  hinauf.  Zwar  kennt  ihn  schon  die  Ilias  an 
zwei  Stellen,  im  Schiffskatalog  v.  572  und  bei  den  Leichenspielen 
zu  Ehren  des  Patroklus  23,  299,  aber  der  erstgenannte  Vers  ist  auch 
aus  anderen  Griinden  als  spateres  Einschiebsel  verdachtig,  und  die- 
letzterwahnte  Partie  tragt  ganz  den  Charakter  einer  nachmaligea 
rhapsodischen  Erweiterung.  Der  friihere  Name  Sicyons  war  Mekone, 
die  Mohnstadt,  und  so  heisst  die  Stadt  noch  in  der  hesiodischen  Theo- 


312  Cucurbitaceen. 

gonie;  als  der  Vater  des  Sikyon  nenrit  der  My  thus  den  Marathon 
d.  h.  den  Fenchelmann.  Danach  trug  die  fruchtbare  Ebene  von 
Sicyon,  die  Asopia  langs  dem  unteren  Laufe  des  Asopus,  zuerst 
Mohn  (ein  uraltes  mit  dem  Getreide  als  Unkraut  aus  Asieii  ge- 
kommenes  Gewachs  mit  schoner  Blunae  und  essbarem  Samen)  und 
Fenchel  (eine  einheimische  Doldenpflanze,  schon  friihe  von  den 
altesten  Bewohnern  des  Landes  als  Gewiirz  aufgefunden  und  seitdem 
durch  alle  Jahrhunderte  hindurch  hochgehalten),  dann  erst  in  weiterer 
Folge  die  aus  dem  Morgenlande  iiber  See  eingefiihrten  Gurken  (oder 
Kiirbisse).  Bei  einer  Neugriindung  erhielt  die  Stadt  dann  auch  nach 
dieser  Kultur  ihren  neuen  Namen.  Bestande  fur  uns  nicht  die  lange 
traurige  Liicke,  die  in  der  griechischen  Literatur  das  alteste  Epos 
von  Pindar  und  Aeschylos  trennt,  so  wiirden  wir  den  Zeitpunkt,  in, 
dem  die  Griechen  Kleinasiens  und  des  europaischen  Mutterlandes 
sich  zuerst  mit  Gurken  und  Kiirbissen  befassten,  vielleicht  genauer 
pracisiren  konnen.  Aber  weder  die  Elegiker  und  Lyriker  sind  uns 
erhalten,  noch  Archilochus,  der  vielberiihmte  zweite  Homer,  dessen 
Werke  noch  in  der  christlichen  Zeit  vorhanden  waren  und  erst  dem 
Vertilgungseifer  der  Kirche  und  ihrer  Bischofe  erlagen.  Jetzt  wissen 
wir  durch  einen  Zufall  nur,  dass  Alcaus  einmal  das  Wort  Gt'xvg 
brauchte,  das  also  zu  seiner  Zeit  schon  bestand,  Athen.  3,  p.  73: 
'Ahxalog  de  ,,ddxr],  (pyal,  TWV  cfixvwv"  ano  ev&stag  T^g  aixvg.  Aber 
was  dachte  sich  der  Dichter  unter  oCxvg?  Das  Wort  mit  wechseln- 
der  Endung  ist,  wie  wir  glauben,  eine  Neben-  und  Scheideform  von 
Gvxov  die  Feige  (s.  Anmerkung  36)  mit  vertauschtem  oder  dissimi- 
lirtem  Vokal;  wie  bei  der  Feige,  war  es  auch  bei  der  Gurke  und 
dem  Kiirbiss,  der  praegnans  cucurbita,  zunachst  die  strotzende  Zeu- 
gungskraft,  der  Samenreichthum ,  woran  Sinn  und  Blick  des  Natur- 
sohnes  haftete.  Fur  Kiirbiss  setzte  sich  spater  ein  anderer  Ausdruck 
fest:  xohoxvvda,  xohoxvvir],  wie  wir  aus  dem  Ausspruch  des  Phanias, 
eines  Schiilers  des  Aristoteles,  sehen,  Athen.  2,  p.  68:  xohoxi'virj  Ss 
OJ^TJ  [AW  dpQWTog'  £g)$y  Se  xal  omri  pQovTrj  denn  nicht  anders 

als  gekocht  oder  gebraten  geniessbar  zu  sein,  kann  nur  auf  den 
Kiirbiss  gehen.  Die  Anschauung,  die  diesem  Namen  zu  Grunde 
liegt,  ist  iibrigens  derjenigen,  die  zu  der  Benennung  aCxvg,  fftxvog, 
Gixva  fiihrte,  analog:  die  Frucht  wurde  nach  ihrer  kolossalen  Grosse 
so  benannt  (xohoaaog  fiir  xohoxwg  mit  der  haufigen  Ableitungssilbe 
VVT,  wd-;  eine  andere  Form  desselben  Wortes  enthalt  der  Beiname 
der  in  Sicyon  verehrten  Ko^oxaaCa  'A&yva,  der  Kiirbiss  -  Gottin ,  bei 
Athen.  3,  p.  72,  worunter  spater  die  sog.  agyptische  Bohne,  eine 


Cucurbitaceen.  313 

gleichfalls  durch  den  Wuchertrieb  und  die  Grosse  der  Blatter  auf- 
fallende  Pflanze,  verstanden  wurde).  Eben  dahin  deutet  das  Spriich- 
wort:  gesunder  als  ein  Kiirbiss,  das  schon  Epicharmus  branch te 
(Athen.  2,  p.  59)  und  spater  Diphilus,  Com.  gr.  fr.  4,  420:  »in  sieben 
Tagen  stelle  ich  ihn  dir  entweder  als  Kiirbiss  oder  als  Lilie«  d.  b. 
entweder  strotzend  von  Gesundheit  oder  bleich  und  todt  als  ein  Bild 
der  Verganglichkeit.  Dass  die  xohoxvvrr]  als  etwas  Neues  und 
Ausserordentliches  gleichsam  in  die  bekannte  Naturordnung  nicht 
passte,  sieht  man  aus  dem  lacherlichen  Streit  der  akademischen  Phi- 
losophen  im  Gymnasium  bei  dem  Komiker  Epikrates,  Athen.  2,  p.  59: 
dort  ist  die  Frage  aufgeworfen,  was  die  xohoxvvtrj  fiir  eine  Pflanze 
sei;  die  Denker  beugen  sich  nieder  und  versinken  in  tiefes  Sinnen; 
plotzlich  sagt  Einer,  es  sei  ein  rundes  Gemiise,  ein  Anderer,  es  sei 
ein  Kraut,  ein  Dritter,  es  sei  ein  Baum  (Id^avov  tic  z<pr\  GTQoyyvhov 
tivat,  noiav  d'akkog,  SsvSgov  cffe^og);  da  unterbricht  sie  drastisch 
ein  anwesender  sicilischer  Arzt,  worauf  Plato  mit  unerschuttertem 
Ernst  die  Untersuchung  fortfuhrt.  Besonders  merkwiirdig  aber  ist, 
dass  die  xohoxvvtrj  noch  in  spaterer  Zeit  hin  und  wieder  'fvdixrj, 
die  indische  Frucht  genannt  wird,  mit  dem  ausdriicklichen  Beifiigen, 
sie  heisse  so,  weil  sie  aus  Indien  stamme  (Athen.  2,  p.  59).  Ein 
dritter,  noch  spaterer  Ausdruck  ist  Tre/rcov ,  eigentlich  das  Adjektiv 
reif,  welches  dann  ohne  hinzugefiigtes  rixvog  diejenige  Frucht  be- 
zeichnete,  die  zur  Reife  kommen  musste,  um  zur  Nahrung  zu  dienen. 
Der  Name  schloss  also  nur  solche  Gurken  aus,  die  im  ersten  zarten 
Stadium  genossen  wurden,  wahrend  diejenigen  Sorten,  die  bei  der 
Reife  einen  melonenartigen  Wohlgeschmack  erreichten  und  nach 
orientalischer  Weise  frisch  aus  dem  Garten  gegessen  wurden,  eben 
so  wohl  TiSTiovsg  heissen  konnten. 

Alle  bisher  erwahnten  und  auch  die  nicht  angefiihrten  Stellen 
der  Alten  lassen  sich  ohne  Zwang  auf  Gurke  und  Kiirbiss  deuten, 
keine  einzige  mit  Sicherheit  auf  die  eigentliche  Melone.  Nirgends 
wird  die  honiggleiche  Siissigkeit  (eingekochter  Melonensaft  dient  den 
Orientalen  noch  jetzt  an  Stelle  des  Zuckers),  nirgends  das  auf  der 
Zunge  schmelzende,  den  kostlichsten  Baumfriichten  ebenbiirtige  Mark, 
die  goldgelbe  oder  auch  zartweisse  Farbe,  der  ambrosische,  die  Ver- 
kaufshalle,  ja  den  Markt  erfiillende  Duft  hervorgehoben.  Erst  unter 
den  spateren  romischen  Kaisern  erkennen  wir  in  der  von  den  scriptores 
historiae  Augustae  melo  genannten  Frucht,  die,  wie  Pfirsiche  u.  s.  w., 
zu  den  Delicien  gerechnet  wird,  ohne  Schwierigkeit  unsere  Zucker- 
melone.  Plin.  19,  67  berichtet,  in  Campanien  sei  zufallig  eine  Gurke 


314  Cucurbitaceen. 

entstanden,  mail  cotonei  effigie  (die  Farbe  des  Quittenapfels  mit 
eingeschlossen) ,  die  dann  durch  Saat  weiter  vermehrt  worden;  da& 
Wunderbare  dieser  melopepones  sei  ansser  der  Gestalt  und  dem 
Dufte,  dass  sie  sich  nach  der  Reife  sogleich  vom  Stengel  ablosten. 
Hier  horen  wir  zum  ersten  Mai  von  dem  Duft,  odor,  dieser  Fruchte- 
sprechen;  der  griechische  Ausdruck  entstand  in  dem  griechischen 
Campanien  (ftrj&ov  die  Quitte)  und  wurde  spater  nach  Verbreitung 
der  Frucht  im  Volksmunde  zu  melo  abgekiirzt  —  wie  sie  auch 
Palladius  nennt.  Bei  Galenus  ist  das  Wort  [trjhonenwv  schon  haufig. 
Dass  die  Melone  durch  ein  Naturspiel  in  Campanien  aus  der  eucumis 
entstanden  sei,  wird  Niemand  glaublich  finden;  woher  also  kam  sie? 
Nach  Alph.  Decandolle  geographic  botanique  p.  907,  ware  die  Me- 
lone urspriinglich  ein  Produkt  der  Tartarei  und  des  Kaukasus.  Unter 
der  ersteren  kann  wohl  nur  das  alte  Bactrien  und  Sogdiana,  die 
Oasen  am  Oxus  und  Jaxartes  gemeint  sein,  und  von  dorther  also 
ware  die  Frucht  im  Laufe  des  ersten  christlichen  Jahrhunderts  in 
die  Garten  Neapels  gebracht  worden.  Zwar  ist  liber  die  letztere 
Thatsache  keine  positive  historische  Nachricht  aufbehalten  worden, 
aber  diese  Art  Friichte  sind  leicht  durch  die  Saat  in  die  weiteste 
Feme  zu  iibertragen,  und  die  ersten  Versuche  konnten  unbemerkt 
bleiben  oder  in  Vergessenheit  gerathen.  Marco  Polo  sagt  von  der 
Landschaft  westlich  von  Balkh,  1,  26:  »hier  wachsen  die  besten  Me- 
lonen  der  Welt.  Man  schneidet  sie  in  die  Runde  in  Streifen  und 
lasst  sie  an  der  Sonne  trocknen.  So  gedorrt  sind  sie  siisser  als 
Honig  und  gehen  als  Handelswaare  iiber  alles  Land.«  Dasselbe- 
riihmt  Ibn  Batuta  von  den  Melonen  von  Kharizm,  Pariser  Ausgabe,. 
3,15,  und  Vambery  von  denen  von  Chiwa :  »Fur  Melonen  hat  Chiwa 
keinen  Rivalen,  nicht  nur  in  Asien,  sondern  in  der  ganzeii  Welt. 
Kein  Europaer  kann  sich  einen  Begriff  machen  von  dem  siissen 
wlirzigen  Wohlgeschmack  dieser  kostlichen  Frucht.  Sie  schmilzt  im 
Munde  und  mit  Brot  gegessen  ist  sie  die  lieblichste  und  erquicklichste- 
Speise,  die  die  Natur  bietet.«  Auch  Persien  ist  ein  vorzugliches- 
Melonenland,  in  welchem  die  feinsten  Sort  en  erzogen,  mit  ausserster 
angeerbter  Sorgfalt  behandelt  und  aufs  Hochste  geschatzt  werden. 
Der  Varietaten  sind  dort  unzahlige,  und  sie  wechseln  von  Dorf  zu 
Dorf;  darunter  einige  von  weitverbreitetem,  verdientem  Ruhme.  Zu 
den  wichtigsten  Lebensbediirfnissen  der  persischen  Stadte,  berichtet 
E.  Polak,  gehoren  auch  die  Melonen:  in  den  Preistarifen  steht  gleich 
hinter  Brot,  Reis,  Fleisch,  Kase,  Butter  und  Eis  der  Marktpreis  der 
Melonen.  Sie  sind  dort  so  suss,  dass  der  Perser  liber  den  Unver- 


Cucurbitaceen.  31-> 

stand  der  Europaer  lacht,  die  ihre  Melonen  mit  Zucker  essen.  Das 
Alles  scheint  dafiir  zu  sprechen,  dass  die  Zuckermelone  eine  in  jenen 
Gegenden  einheimische  Frucht  ist;  dem  Auslander  aber  ist,  wie  Polak 
hinzusetzt,  ihr  Geiiuss  gefahrlich,  zum  Theil  auch  dem  Inlander,  in 
so  fern  Umnassigkeit  in  diesem  Punkt  auch  bei  diesem,  obgleich 
haufig  begangen,  doch  sich  sogleich  bestraft. 

Die  lateinischen  Bezeichnungen  fiir  Gurke  und  Kiirbiss,  cucumis 
und  cucurbita,  geben  den  Eindruck  strotzenden  Wachsthums,  den 
diese  Friichte  auch  dort  auf  die  Volksempfindung  gemacht  hatten, 
durch  die  Reduplication  wieder;  zugleich  steht  cucurbita  so  nahe 
zu  corbis,  Korb,  Gefass,  corbita  das  Lastschiff,  corbitare  einladen,  und 
eben  so  cucumis,  gen.  cucumis  und  cucumeris,  zu  cumera,  cumerum, 
bedecktes  Gefass,  Truhe,  dass  es  schwer  ist,  den  Zusammenhang 
zwischen  beiden  abzuweisen.  Kiirbissschalen  dienten  von  jeher  zu 
Gefassen  und  dienen  unter  dem  Namen  Calebassen  dazu  noch  jetzt: 
erblickten  die  italischen  Strandbewohner  zuerst  solche  griine  Schalen 
und  Topfe  in  den  Handen  gelandeter  Schiffer,  ehe  sie  die  Frucht 
selbst  zu  essen  und  spater  auch  zu  pflanzen  Gelegenbeit  hatten? 
Colum.  11,  3, 49 :  nam  sunt  (cucurbitae)  adusum  vasorum  satis  idoneae. 
Plin.  19,  71:  nuper  in  balnearmn  usum  venere  urceorum  vice, 
jampridem  vero  etiam  cadorum  ad  vina  condenda  —  also  Ktirbiss- 
flaschen  zur  Aufbewahrung  des  Weines.  (Nach  Fick,  Beitrage  7,  383, 
ware  cucurbita  mit  xvQJlig  drehbare  Saule,  xogvcpri  Gipfel  d.  h.  Wirbel 
und  goth.  hvairban,  altn.  hverfa  zusammenzustellen  und  also  so  viel 
als  rund  gedreht).  Sonderbar  stimmen  zu  dem  lateinischen  cucumis 
und  cucurbita  die  Glossen  des  Hesychius:  xi'xvov  TOV  ctcxvov,  und 
xvxvi^a.'  yhvxsla  xoAoxvvtta.  Leider  erfahreii  wir  nicht,  wo  das  Wort 
xvxvog  gebrauchlich  war,  ocler  welcher  Schriftsteller  es  gebraucht 
hatte;  wie  die  jungeren  Sprachen  aus  cucurbita  durch  Lautentstellung 
neue  Worter  geschafFen  haben,  lehrt  der  Artikel  cucuzza  bei  Diez. 

1m  friihen  Mittelalter  trat  in  Byzanz  ein  neuer  Name  fiir  Gurke 
auf,  der  aus  dem  Orient  gekommen  war  und  sich  im  Laufe  der  Zeit 
weit  iiber  Europa  von  Volk  zu  Volk  verbreitete.  Es  war  dies 
ayyovQiov,  ayyovqov,  dyyovQiv,  ein  persisch - aramaisches  Wort,  zu 
dessen  Bildung  der  Anklang  an  dyyelov  Gefass  vielleicht  mitgewirkt 
hat.  Neben  dyyovQia  sagte  man  auch  TSiQayyovga,  entweder  um 
damit  eine  viermal  schwerere  oder  eine  viereckig  gestaltete  Sorte  zu 
bezeichnen,  oder  nach  Salmasius'  gar  nicht  verwerf  licher  Vermuthung 
als  Verstummelung  und  Umdeutung  von  xiTQayyv&ov ,  ital.  citriuolo, 
franz.  citrouitte,  von  citreum.  Ueber  die  Zeit,  wann  dieser  neue 


316  Cucurbitaceen. 

Name  auftrat,  sagt  E.Meyer,  Geschichte  der  Botanik,  3,  361:  »In 
den  Geoponicis  heissen  die  Gurken  noch  wie  vor  Alters  Gixva;  erst 
Suidas  erklart  diesen  zu  seiner  Zeit  ausser  Gebrauch  gekommenen 
Namen  durch  ra  TSTQayyovQa,  und  einen  Unterschied  zwischen  An- 
gurien  und  Tetrangurien  macht  erst  Michael  Psellus.«  Indess,  wenn 
der  Arzt  Aetius  Amidenus,  der  unter  Justinian  lebte,  das  neue  Wort 
schon  brauchte,  so  muss  es  bedeutend  alter  sein,  als  die  Sammlung 
der  Geoponica  und  Suidas.  Die  damit  bezeichneten  Gurken  scheinen 
dieselben  Sorten  gewesen  zu  sein,  deren  wir  uns  jetzt  zu  unseren 
Salaten  und  zum  Einmachen  bedienen;  was  das  Alterthum  an  Gurken 
besass,  war  nach  allem  Obigen  eine  grosse,  jetzt  in  Europa  nicht 
mehr  angebaute  Art,  die  zur  Erfrischung  gegessen  und  je  nach  dem 
Stadium  der  Keife  auch  gesotten  und  gebraten  wurde.  Von  Byzanz 
kam  die  Gurke,  wie  der  Name  bezeugt,  zu  den  Slaven,  russisch 
ogurec,  poln.  ogoreTc  u.  s.  w.  und  ward  bei  den  Volkern  dieser  Race, 
so  wie  bei  den  unmittelbar  hinter  ihnen  wohnenden  Stammen  tata- 
rischer  und  mongolischer  Abkunft,  zu  dem  allgemeinsten,  mit  grosser 
Vorliebe  genossenen  Nahrungsmittel.  Ohne  Gurken  kann  z.  B.  der 
Gross-  und  Kleinrusse  nicht  leben;  in  Salzwasser  eingemacht  verzehrt 
er  sie  den  ganzen  Winter  und  schlagt  sich  mit  ihrer  Hiilfe  durch 
die  langen,  strengen  Fasten  der  orientalischen  Kirche  durch.  Von 
den  Slaven  kam  die  Agurke,  spater  mit  abgefallenem  Vokal  Gurke, 
wie  gleichfalls  der  Name  lehrt,  zu  den  Deutschen,  aber  erst  in  neuerer 
Zeit,  denn  die  Spuren  des  Wortes  gehen  nur  bis  in  das  siebzehnte 
Jahrhundert  hinauf  (s.  Grimm,  Worterbuch,  unter  Agurke,  und 
Weigand  unter  Gurke).  Ethnographisch  beachtenswerth  ist  der 
Umstand,  dass  die  sogenannte  »saure  Gurke «  nur  in  den  Theilen 
Deutschlands  ublich  geworden  ist,  die  ehemals  von  Slaven  bewohnt 
waren  und*  sich  erst  nachmals  germanisirt  haben.  Uebrigens  soil 
die  kleine,  grunliche,  wohlschmeckende  slavische  Gurke,  wie  sie  in 
ganz  Russland  gemein  ist,  nach  Deutschland  versetzt  ausarten:  sie 
bedarf  also  jvohl  eines  excessiven  Klimas. 

Gleichfalls  erst  ein  Ankommling  des  Mittelalters  ist  die  saftreiche 
Wassermelone,  Cucumis  Citrullus,  denn  dass  sie  der  pepo  der 
Alten  sei,  wie  Manche  angenommen  haben,  lasst  sich  nicht  erweisen. 
Italienisch  tragt  sie  den  byzantinischen  Namen  anguria  (in  manchen 
Gegenden  cocomero  aus  Cucumis),  franzosisch  den  ar&bischenpasteque. 
Sie  ist  jenseits  der  Alpen  beliebt,  da  sie  in  der  entsprechenden  Jahres- 
zeit  ein  e.rfrischendes  Labsal  bietet,  und  iiberall  sieht  man  dann  die 
blutrothen  Halbfruchte  mit  den  glanzend  schwarzen  Kernen  auf  den 


Cucurbitaceen.  317 

Markten  und  an  den  Strassenecken  aufgethiirmt  und  die  Tische,  wo 
sie  schnittweise  fiir  geringe  Kupfermiinze  fell  sind,  von  durstigen 
Bauern,  Soldaten  u.  s.  w.  umdrangt.  Sie  reift  grade  in  der  grossten 
Hitze  des  Augustmonats  und  ist  um  so  siisser  und  saftiger,  je  heisser 
und  trockener  der  Jahrgang  gewesen.  Ungleich  wichtiger  aber  ist 
sie  im  Haushalt  des  orientalischen  Lebens  und  bei  den  Halborientalen 
des  europaischen  Siidostens.  Die  gliihenden  Sommer  und  strengen 
Liifte  begiinstigen  dort  das  Gedeihen  der  einjahrigen  Pflanze.  Sie 
wird  auf  weiten  Feldern  gebaut  und  znr  bestimmten  Zeit  in  ganzen 
Wagenladungen  in  die  Stadte  gebracht,  wo  Jung  und  Alt  sich  mit 
Leidenschaft  dem  Genusse  hingiebt.  Die  Wassermelone  geht  durch 
ganz  Vorderasien,  Persien,  die  Kaukasuslander  bis  zur  Niederdonau, 
Ungarn,  der  Wallachei  (vergl.  schon  Plin.  19,  65:  cucumeres  .  .  . 
placent  grandissimi  Moesiae),  besonders  aber  den  humusreichen 
trockenen  Ebenen  des  siidlichen  Russlands  und  den  angrenzenden 
asiatischen  halb  Steppen-  halb  Gartenlandern.  Mindestens  zwei  Monat 
im  Jahr  lebt  der  russische  Steppenbewohner  nur  von  Arbusen  - 
dies  ist  der  tatarisch-slavische  Name  der  Frucht  -  -  mit  ein  wenig 
Brot.  Ist  der  nordische  Reisende  in  seinem  unformlichen  »Tarantas« 
allmablig  bis  in  jene  Gegend  gerollt,  dann  lehrt  ihn  ein  Blick  auf 
die  Melonenfelder  und  die  gewohnlich  danebenstehenden  hochragenden, 
urspriinglich  aus  Amerika  stammenden  Sonnenblumen ,  Helianthus 
annuus,  deren  Samen  ein  beliebtes  Oel  abgeben,  dass  er  die  Schwelle 
des  Orients  bereits  uberschritten  hat.  In  den  Kaukasuslandern,  die 
so  tiberschwenglich  reicb  an  dem  herrlichsten  Obst,  an  Trauben  und 
Nussen  sind,  verschmaht  der  Eingeborene,  er  sei  welcher  Race  er 
wolle,  neben  dem  Saft  der  Wassermelone,  der  dem  Deutschen  wie 
Gurkenwasser  mit  ein  wenig  Zucker  schmeckt,  jeden  andern  Lecker- 
bissen.  Auf  die  Herkunft  der  Frucht  wirft  der  neupersische  Name 
hindevdne  d.  h.  indische  Frucht  ein  helles  Licht;  woher  sie  nach 
Griechenland,  Russlaiid  und  Polen  kam,  lehrt  die  tatarische  Be- 
zeichnung  charpuz,  Icarpus  gegenuber  dem  neugriechischen 
slavischen  arbuz.  (Die  Variante  arbuz  und  Icarpus  erinnert  an  o 
und  slav.  Icosti,  "Ynavig  und  Kuban  und  an  den  alanischen  Namen 
Aspar  und  dessen .  deutsche  Form  Gaspar,  hochd.  Kaspar,  s.  Zeuss, 
die  Deutschen,  S.  461  Anm.).  Sie  wanderte  also  nach  Persien  ein, 
als  die  Verbindung  mit  Indien  neu  eroffnet  war,  sei  es  zur  Zeit  der 
arabischen  oder  der  mongolischen  Herrschaft,  nach  Griechenland 
durch  die  Tiirken,  nach  Russland  von  den  tatarischen  Reichen  Astrachan 
und  Kasan;  in  Kleinrussland  waren  wohl  die  Kosakenhorden  am 


:318  Cucurbitaceen. 

Dniepr  die  Verbreiter.  Das  polnische  Icawon  Wassermelone  ist  gleich- 
falls  ein  orientalisches  Wort  (asiatische  Benennungen  der  Friichte 
dieser  Familie  finden  sich  gesammelt  und  untersucht  von  Pott  in  der 
Zeitschrift  fur  Kunde  des  Morgenl.  7,  151  ff.).  Das  altslavische  tylcva^ 
der  Kiirbiss,  haben  wir  schon  Miner  (bei  der  Feige)  an  das  grie- 
chische  tfixva  angelehnt;  das  altsl.  dynja,  Melone,  erklart  Miklosich 
aus  dem  Verbum  dati  dunati  flare,  also  die  aufgeblasene  Frucht; 
poln.  banja,  Wassermelone,  scheint  eins  und  dasselbe  mit  banja,  Ge- 
fass,  Wanne;  beides  letztere,  wie  man  sieht,  eine  der  Auffassung 
der  alten  Griechen  und  Romer  ganz  verwandte  Namensgebung.  Alt- 
und  siidslavisch  (auch  albanesisch)  Jcrastavici  cucumis  erklart  sich  aus 
Icrastavi  scabidus,  scaber,  also  die  rauhe  Frucht,  alt-  und  siidslavisch 
lubu,  Cucurbita  Citrullus,  wohl  aus  lubu  calva,  Hirnschadel.  Die 
deutschen  Worter  Kiirbiss,  Pfebe,  Melone  stammen  aus  dem 
Lateinischen  und  die  damit  bezeichneten  Naturobjecte  aus  Italien,  also 
nicht  etwa  aus  Ungarn  und  dem  byzantinischen  Reiche. 


*  Von  den  kultivirten  Cucurbitaceen  sind  mehrere  in  der  alten  Welt 
heimisch;  einige  stammen  aber  hochstwahrscheinlich  aus  Amerika.  Die 
Wassermelone  (Citrullus  vulgaris  Schrad.)  ist  im  stidlichen  Afrika  heimisch, 
wo  die  Friichte  nicht  nur  von  Menschen,  sondern  auch  von  fleischfressenden 
Thieren  aufgesucht  werden.  (Vergl.  Pax  inEngler  und  Prantl,  natiirl. 
Pflanzenfamilien  IV,  5,  S.  27.)  Von  Stidafrika  ist  sie  nach  Aegypten  und 
dem  Orient  schon  in  den  altesten  Zeiten  gelangt  und  noch  in  vorchristlicher 
Zeit  tiber  Siideuropa  und  Asien  verbreitet  worden.  Die  Melone  (Cucumis 
melo  L.,  zu  welcher  Cucumis  chate  L.  als  wilde  Stammform  gehort)  ist  im 
stidlichen  Asien  und  im  tropischen  Afrika  heimisch,  wo  sie  von  vielen  Rei- 
senden  gesammelt  wurde;  in  denselben  Gebieten  kommen  auch  zahlreiche 
verwandte  Arten  vor.  Nach  Schweinfurth  ist  C.  melo  L.  var.  chate  Forskal 
von  den  Aegyptern  selbst  zur  Kulturpflanze  gemacht  worden.  Die  Gurke 
{Cucumis  sativus  L.)  stammt  hochstwahrscheinlich  aus  Ostindien,  von  wo  sie 
sich  rasch  nach  Westen  verbreitet  haben  muss.  Ebenfalls  in  den  Tropen 
der  alten  Welt  heimisch  sind  die  Flaschenkiirbisse  oder  Calebassen  (Lagenaria 
vulgaris  Ser.).  Dagegen  sind  die  echten  Kiirbisse,  von  denen  Cucurbita pepo L. 
heute  auch  im  gemassigten  Europa  kultivirt  wird,  hochst  wahrscheinlich  in 
Amerika  heimisch;  denn  alle  verwandten,  nicht  kultivirten  Arten  sind  dort 
angetroffen  worden,  und  Samen  der  in  den  Tropen  vielfach  angebauten 
C.  maxima  und  C.  moschata  Duchartre  wurden  unter  den  aus  altperuanischen 
Grabern  von  Ancon  stammenden  Pflanzenresten  von  Wittmack  nachgewiesen 
(Ber.  d.  deutsch.  bot.  Gesellsch.  IV.  (1886)  p.  XXXIV),  wahrend  in  altagyp- 
tischen  Grabern  keine  Kiirbisskerne  gefunden  worden  sind.  Auch  haben  Asa 
-Gray  und  Hammond  Trumbull  (The  American  Journal  of  science  XXV. 
1883  S.  130  ff.)  aus  zahlreichen  Stellen  der  altesten  Reisebeschreibungen 


Cucurbitaceen.  319 

und    aus    eingehenden    Vergleichnngen    der    Indianersprachen    die    amerika- 
nische  Heimath  der  Kiirbisse  bewiesen. 


*  *  Einige  Namen  von  Cucurbitaceen  scheinen  tiber  die  Einzelsprachen 
hinauszugehn.  So  sahen  wir  schon  oben  (S.  100  f.)  oexooa,  atxua,  auo;;  mit  H. 
{oben  S.  312  u.  Anm.  36)  als  Nebenform  von  ooxov  Feige  an  und  stellten  es  zu 
aitsl.  tyky  Kiirbiss,  ein  Verhaltniss,  das  aber  natiirlich  nicht  auf  Entlehnung, 
sondern  nur  auf  Urverwandtschaft  beruhen  kann.  Die  versuchte  Ableitung 
von  otxo?  aus  hebr.  qissu'fon  (vgl.  Lagarde,  Arraen.  Stud.  S.  134)  1st  abzuweisen, 
•da  eine  Umstellung  von  qissuim  zu  oixuc,  wie  sie  Lagarde  annimmt,  unglaublich 
ist.  Vgl.  auch  Muss-Arnolt,  Transactions  XXIII,  S.  111.  —  Eine  wichtige 
lautlich  freilich  noch  nicht  vollig  sicher  gestellte  Gleichung  ist  ferner  lat. 
•cucurbita ,  scrt.  carbhata,  cirbhati,  cirbhitd  Gurke  (Fick,  Vergl.  W.  I*  S.  25),  wozu 
vielleicht  weiter  ags.  hverfette  Kiirbiss  zu  stellen  ist.  Welche  Art  von  Cucur- 
bitaceen mit  diesen  Wortern  urspriinglich  aber  gemeint  war,  und  ob  wir  an 
eine  wilde  oder  angebaute  Gattung  zu  denken  haben,  lasst  sich  nicht  sagen. 
Zu  bemerken  ist  jedenfalls,  dass  keine  einzige  Cucur bitaceenart  bis 
jetzt  im  prahistorischen  Europa  nachgewiesen  werden  konnte. 
Ebenso  wird  sich  wohl  kaum,  namentlich  in  Folge  des  Fehlens  alterer  Ab- 
bildungen  auf  Miinzen  u.  dergl.,  je  mit  volliger  Bestimmtheit  der  genaue  Sinn 
der  klassischen  Benennungen  ermitteln  lassen.  In  dem  alten  Aegypten  wurden 
nach  Massgabe  der  Funde  oder  Abbildungen  bereits  in  den  ersten  Kultur- 
«pochen  gebaut:  Citrullus  vulgaris  Schrad.  (Wassermelone),  Cucumis  melo  L. 
(Melone),  Cucumis  chate  L.  (agyptische  Gurke)  und  Lagenaria  vulgaris  L. 
(Flaschenkiirbiss);  vgl.  Woenig  a.  a.  0.  S.  201  und  A.  Braun,  Z.  f.  Ethnologic 
1877  S.  303 f.  Auch  das  im  4.  Buch  Mosis  (oben  S.  311)  genannte  dbattiMm 
bedeutete  nach  Massgabe  des  arab.  batlich  Wassermelone  und  wird  in  der 
Septuaginta  mit  -srcove;  tibersetzt.  Auch  im  Aramaischen  bezeichnet  das  Wort 
zunachst  Wassermelone,  wahrend  fiir  Zuckermelone  der  griechische  Ausdruck 
(jjLY]Xo7riTrcuv)  gebraucht  wird.  Vgl.  Low,  Aram.  Pflanzenn.  S.  352.  Dies  zu- 
sammengehalten  mit  den  obigen  botanischen  Ausfiihrungen 
wiirde  zweierlei  wahrscheinlich  machen,  einmal  dass  die  echten 
Kiirbisse  den  Alten  noch  fremd  waren,  und  zweitens  dass  die 
Wassermelone  nicht  erst  im  Mittelalterin  den  Mittelmeerlandern 
erschien.  Die  Richtigkeit  des  ersteren  Satzes  ist  neuerdings  auch  durch 
v.  Fischer-Benzon  ausfiihrlich  erwiesen  worden  (vgl.  Altdeutsche  Gartenflora 
S.  89  ff.),  woraus  sich  ergiebt,  dass  der  im  Alterthum  gebaute  Kiirbiss  nur  der 
Flaschenkiirbiss  (Lagenaria  vulgaris  L.)  gewesen  sein  kann. 

Die  letztere  Ansicht  wird  ausser  von  Fischer-Benzon  auch  von  H.  Bliimner 
(Maxim altarif  des  Diocletian  S.  88)  vertreten,  der  namentlich  darauf  hinweist, 
dass  verschiedene  Angaben  in  der  Beschreibung  der  rcircovec,  die  Hervorhebung 
ihres  Wasserreichthums  und  gewisser  Gefahren  fiir  die  Verdauung,  nur 
auf  die  Wassermelonen  passen.  Als  Plinianische  Terminologie  ergiebt 
sich  aus  allem  mit  einiger  Sicherheit:  cucurbita  als  Flaschenkiirbiss,  cucumis 
als  Gurke,  pepo  als  Wassermelone,  melo-pepo  als  Melone  (v.  Fischer-Benzon 
S.  94). 


320  Cucurbitaceen. 

Zu  den  einzelnen  Benennungen  der  Cucurbitaceen  1st  noch  folgendes  zu 
bemerken:  Ob  xoXoxovtv]  (der  Flaschenkiirbiss)  nur  der  Kolossale  bedeutet,  1st 
zweifelhaft.  Andere  (vgl.  Prellwitz,  Et.  W.  S.  157)  trennen  xoXo-xovtY]  und 
vergleichen  einerseits  xoXo-xofxa  grosse  Woge  und  ziehen  andererseits  -xovlH], 
-XOVTYJ:  xof'u>  (vgl.  auch  cu-cu-mis,  griech.  xo-xo-ov  TOV  oixoov  Hes.).  Pott  in 
Lassens  Z.  f.  d.  K.  d.  M.  VII,  152  denkt  fur  xoXox-ovrrj  an  kurd.  kalak  ,melori, 
das  bei  Jaba-Justi  zu  scrt.  Mlinda  gestellt  wird.  Nach  Euthydemus  bei 
Athenaeus  II,  p.  58  f.  waren  die  xoXoxoviai  bei  den  Cnidiern  ,,indische"  genannt 
werden,  weil  ihr  Samen  aus  Indien  gekommen  sei.  —  Was  das  byzantinische 
ocYfODptv  Gurke  betrifft,  so  leugnet  Karl  Foy  in  Bezzenbergers  Beitragen  VI, 
226  den  behaupteten  orientalischen  Ursprung  dessslben.  vAYoopo<;  und  aY'foupov, 
&YY°%>  «YY0"Piv  seien  dieselben  Worter,  orf-oopo?  aber  (=  awpoc)  sei  das  ge- 
wohnliche  Wort  fur  unreif,  so  dass  fcYT°"P'  die  unreif  genossene  Art  des  otxoo<; 
bezeichne,  wahrend  vulg.  irsrcovt  die  reif  genossene  Art  benenne.  Das  indirect 
daraus  hervorgegangene  deutsche  gurke  lasst  sich  iibrigens  schon  kurz  nach 
1500  im  Deutschen  nachweisen  (vgl.  Kluge,  Et.  W(i).  —  Zu  den  zahlreichen 
ost-  und  siidosteuropaischen  Namen  der  Melone  fiige  noch  alb.  bostdn  Melonen- 
feld  (kokomare  Melone),  auch  neugriechisch,  bulgarisch,  serbisch,  rumanisch, 
aus  ttirk.  bostan  Gemiisegarten  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  42).  -  -  H.  Vambery 
(Primitive  Kultur  S.  217)  ist  der  Ansicht,  dass  nur  die  Zuckermelone  (kavun, 
Jcaburi)  in  der  Urheimath  der  Turko-Tataren  einheimisch  gewesen  sei,  dass 
hingegen  die  Wassermelone,  wie  die  Entlehnung  des  tiirkischen  karpuz  oder 
charbuz  aus  pers.  xerbuz  (wortlich  »Eselsgurke«,  P.  Horn,  Grundr.  d.  np.  Ety- 
mologic S.  105)  zeige,  aus  Persien  stamme.  Der  wechselnde  Anlaut  des  Wortes 
in  den  slavischen  Sprachen,  z.  B.  poln.  harbuz,  garbuz,  arbuz,  karpuz  (Miklosich, 
Turk.  Elem.  S.  92)  wird  auf  das  verschiedene  Horen  des  fremden  Lautes 
zuriickzufiihren  sein  und  findet  ein  Analogon  weder  in  altsl.  kostl:  griech. 
OOTSOV  (oben  S.  317),  die  ganz  von  einander  zu  trennen  sind,  noch  in  deutsch 
Gaspar,  Kaspar  gegentiber  dern  alanischen  Namen  Aspar,  Worter,  von  denen 
das  erstere  nichts  anderes  als  der  Name  des  ersten  der  heiligen  drei  Konige 
(vgl.  R.  Much  Z.  f.  d.  osterreichischen  Gymnasien  1896  S.  607)  ist.  —  Altsl. 
dynja  ,pepo'  scheint  Miklosich,  Et.  W.  S.  55  jetzt  von  dunqti  blasen  zu  trennen. 
Bulg.,  serb.  lubenica  Wassermelone  mochte  eher  zu  dem  Stamme  lub-  (Miklosich, 
Et.  W.  S.  175)  gehoren,  der  die  Bedeutungen  Rinde,  Gefass  von  Baumrinde, 
Korbchen  aus  Baumrinde  u.  s.  w.  entwickelt.  --  Nach  dem  Norden  tiberge- 
gangen  ist  das  lat.  pepo  in  einer  doppelteii  Form,  einmal  als  ahd.  pepano> 
bebano,  mhd.  be'ben  (neben  pfeberi),  das  andere  Mai  als  pethemo,  pfedamo,  mhd. 
pfedem  (vgl.  F.  Kluge  in  Pauls  Grundriss  P,  342).  Ganz  gewohnlich  ist  ferner 
der  Ausdruck  ,,Erdapfela  fur  die  einzelnen  Cucurbitaceenarten.  Ein  spater 
mittelalterlicher,  zuerst  bei  Albertus  Magnus  bezeugter  Ausdruck  fiir  dieselben, 
narnentlich  fiir  die  Gurke,  ist  auch  citrulus,  eigentl.  kleine  Zitrone  (vgl.  von 
Fischer-Benzon  a,  a.  O.,  s.  auch  den  Anhang  dieses  Werkes).  —  Zum  Schluss 
geben  wir  nach  Heldreich,  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  49,  die  neu- 
griechisch e  und  »pelasgische«  (albanesische)  Terminologie  der  Cucurbitaceen: 
Lagenaria  vulgaris  oder  Flaschenkiirbis  YJ  vepoxoXoxuO-ta  (4j  cpXAaxa  oder  TO 
(pXaoxl  und  Y]  xooita  die  aus  den  trocknen  Friichten  verfertigten  Trinkgefasse), 
alb.  kavke  (vgl.  oben  ttirk.  kavun?\  Cucumis  tnelo  L.  oder  Zuckermelone  TOC 
alb.  pieper  (^.TCooTavta  Melonenfelder),  Cucumis  sativus  L.  oder  Gurken 


Der  Haushahn.  321 

alb.  kratsaveis  (s.  oben  S.  318),  Citrullus  vulgaris  Schrad.  oder 
Wassermelonen  ta  xapno6Cia  und  ta  yofxovixd,  alb.  yimiko,  Cucurbita  pepo  4j 
xoXoxuO-cd,  der  Ktirbiss  to  xoXoxoth,  alb.  kiinku\,  kungut  (aus  cucmnis  nach 
trangut, 


I 


Der  Haushahn. 

Der  Haushahn  1st  in  Vorderasien  und  in  Europa  viel  jiinger, 
als  man  denken  sollte.  Die  semitischen  Kulturvolker  konnen  ihn 
nicht  gekannt  haben,  da  das  Alte  Testament  seiner  nirgends  erwahnt. 
Er  fehlt  auch  auf  den  agyptischen  Denkmalern,  deren  Bildwerke  uns 
im  Uebrigen  das  Detail  des  Haushalts  der  Nilthalbewohner  so  an- 
schaulich  vor  Augen  stellen:  wir  sehen  dort  Scharen  von  zahmen 
Gansen,  wie  sie  von  der  Weide  heimgetrieben,  sie  selbst  und  ihre 
Eier  sorgfaltig  gezahlt  werden  u.  s.  w.,  nirgends  aber  Huhner,  und 
wenn  Aristoteles  sagt,  die  Eier  wiirden  in  Aegypten  auch  kiinstlich 
ausgebriitet,  indem  man  sie  in  Mist  vergrabe  (hist.  anim.  6,  2,  3), 
und  Aehnliehes  auch  Diodor  1,  74  berichtet,  so  wird  diese  Industrie 
entweder  nur  an  Gansen  und  Enten  geiibt  -  -  welcher  Vermuthung 
Aristoteles  nicht  widerspricht ,  da  er  nur  ganz  allgemein  von  Vogel- 
eiern  redet,  oder  gehort  in  die  Zeit  nach  der  persischen  Eroberung,  - 
wie  Diodor  selbst  anzudeuten  scheint,  da  er  seine  Erzahlung  von  den 
Brutofen  mit  den  Worten  einleitet,  Vieles  in  Betreff  der  Ziichtung 
und  Wartung  der  Thiere  hatten  die  Aegypter  von  den  Vorfahren 
uberkommcn,  Vieles  aber  hatten  sie  dazu  erfunden  und  darunter  als 
das  Wunderbarste  die  kiinstliche  Ausbriitung  der  Eier.  Der  Haushahn 
stamrnt  urspriinglich  aus  Indien,  wo  sein  Vorfahr,  der  Bankiva-Hahn, 
noch  jetzt  von  Hinterindien  und  den  indischen  Inseln  bis  nach  Kasch- 
mir  hin  lebt,  und  verbreitete  -sich  erst  mit  den  medisch-persischen 
Eroberungsziigen  weiter  nach  Westen.  Der  Samier  Menodotus  be- 
hauptete  in  seiner  Schrift  iiber  den  Tempel  der  samischen  Hera, 
wie  der  Hahn  von  der  Landschaft  Persis  aus,  so  habe  sich 
der  Pfau  von  dem  genannten  Heiligthum  aus  iiber  die  umliegenden 
Gegenden  verbreitet  (Athen.  14  p.  655).  In  der  Zoroaster-Religion 
waren  Hund  und  Hahn  heilige  Thiere,  der  eine  als  der  treue  Hiiter 
des  Hauses  und  der  Heerden,  der  andere  als  Verkiindiger  des  Morgens 
und  als  Symbol  des  Lichts  und  der  Sonne.  Der  Hahn  ist  vorziiglich 
dern  Qraosha  geweiht,  clem  himmlischen  Wachter,  der,  vom  Feuer 
geweckt,  selbst  wieclerum  den  Hahn  weckt:  dieser  vertreibt  dann 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  21 


322  ^er  Haushahn. 

durch  sein  Krahen  die  Daevas,  die  bosen  Geister  der  Finsterniss, 
besonders  den  Damon  des  Schlafes,  die  gelbe,  langhandige  Bushyagta. 
Im  18.  Fargard  des  Vendidad  heisst  es  §  34  ff.  (nach  Spiegels  Ueber- 
setzung):  »Darauf  entgegnete  Ahura-mazda :  der  Vogel,  der  den  Namen 
Parodars  fiihrt,  o  heiliger  Zarathustra,  den  die  iibelredenden  Menschen 
mit  dem  Namen  Kahrkatag  belegen,  dieser  Vogel  erhebt  seine  Stimme 
bei  jeder  gottlichen  Morgenrothe. «  (Ebenso  18,  51  ff.).  .  Ormuzd 
hatte  den  Vogel  also  selbt  dem  Zoroaster  empfohlen.  Eine  Stelle 
des  Bundehesch  im  14.  Abschnitt  lautet  (iibersetzt  von  Grotefend  in 
Lassens  Zeitschr.  4  S.  51):  »Halka  der  Hahn  ist  den  Dews  und 
Zauberern  feind.  Er  unterstiitzt  den  Hund,  wie  im  Gesetze  steht: 
Unter  den  Weltgeschopfen ,  die  Darudsch  plagen,  vereinigen  Hahn 
und  Hund  ihre  Krafte.  Er  soil  Wache  halten  liber  die  Welt,  gleich 
.als  ware  kein  Hund  zur  Beschiitzung  der  Heerden  (oder  Hauser)  da: 
Wenn  der  Hund  mit  dem  Hahn  gegen  Darudsch  streitet,  so  ent- 
kraften  sie  ihn,  der  sonst  Menschen  und  Vieh  peinigt.  Daher  heisst 
es :  durch  ihn  werden  alle  Feinde  des  Guten  iiberwunden ;  seine  Stimme 
zerstort  das  B6se«  oder  nach  der  Uebersetzung  Windischmann's  (Zo- 
roastrische  Studien,  S.  95):  »Der  Hahn  ist  zur  Vertilgung  der  Devs 
und  Zauberer  geschaffen;  mit  dem  Hund  sind  sie  Gehiilfen,  wie  ge- 
sagt  ist  in  der  Din:  von  den  irdischen  Geschopfen  sind  diese  zum 
vSchlagen  der  Drukh's  zusammen  Gehiilfen,  Hahn  und  Hund.«  Wo 
sich  ein  persischer  Mann  niederliess,  da  sorgte  er  gewiss  so  sicher 
fiir  einen  Hahn,  als  er  die  Friihgebete  und  Reinigungen  vor  und  bei 
Sonnenaufgang  nicht  unterliess.  So  weit  die  Grenzen  der  persischen 
Herrschaft  reichten,  fand  ohne  Zweifel  das  so  zahme  und  nutzliche, 
so  leicht  iibertragbare  und  zugleich  in  Gestalt  und  Sitten  so  eigen- 
thiimliche  Thier  in  den  Hofen  und  Haushaltungen  der  Menschen, 
&uch  der  Andersglaubigen ,  leichten  Eingang  und  willige  Aufnahme. 
Auf  dem  sogenannten  Harpyieri- Monument  der  Akropolis  von  Xanthus 
in  Lykien,  das  sich  jetzt  in  London  befindet,  wird  einer  sitzenden 
Gottergestalt  ein  Hahn  als  Geschenk  oder  Opfer  dargebracht.  Stammte 
dies  Grabdenkmal,  wie  Welker  in  seiner  Ausgabe  von  O.  Miillers 
Archaologie  der  Kunst  annimmt,  wirklich  aus  der  Zeit  vor  Ol.  58,  3 
d.  h.  vor  der  Einnahme  der  Stadt  Xanthus  durch  die  Perser,  so 
ware  der  Hahn  den  Lykiern  in  der  That  vor  der  Ausbreitung  der 
persischen  Macht  bekannt  gewesen.  Allein  der  archaistische  Stil  der 
dort  dargestellten  Scenen,  der  in  Griechenland  vielleicht  auf  eine 
mehr  oder  minder  bestimmte  Epoche  fiihren  wiirde,  bildet  fiir  Lykien, 
dessen  Kunstentwicklung  uns  unbekannt  ist,  kein  irgendwie  sicheres 


Der  Haushahn.  323 

chronologisches  Merkmal.  Die  Akropolis  wurde  vor  der  Einnahme 
durch  den  persischen  Feldherrn  von  den  Einwohnern  selbst  durch 
Feuer  vernichtet  und  dabei  gingen,  wie  man  glauben  muss,  auch  die 
daselbst  vorhandenen  Denkmaler  mit  zu  Grunde,  und  dass  zur  Zeit 
der  persischen  Herrschaft,  die  nur  eine  Art  Oberhoheit  war  und  die 
Lykier  in  relativer  Unabhangigkeit  beliess,  kein  solches  Grabmonument 
errichtet  werden  konnte,  ist  gewiss  eine  grandiose  Behauptung. 
Ginge  die  Bekanntschaft  mit  dem  Haushahn  in  Lykien  weit  in  die 
vorpersische  Zeit  hinauf,  dann  wurde  die  griechische  Welt  sicher  an 
dieser  Kenntniss  Theil  genommen  haben.  Aber  auf  griechischem 
Boden  zeigt  sich  bei  Homer  und  Hesiod  und  in  den  Fragmenten 
der  alteren  Dichter  von  Hahn  und  Henne  keine  Spur.  Und  doch 
miisste  der  bei  Nacht  die  Stunden  abrufende  Prophet  (unter  Menschen, 
die  noch  keine  Uhr  besassen),  der  vornehm  stolzirende,  lacherlich 
krahende,  blinzelnde  Sanger  (Herr  Chanteclers),  der  von  seinem 
Huhnerharem  umgebene,  hochst  eifersuchtige  Sultan  (salax  gallus), 
der  hitzige,  eitle,  mit  Kamm,  Troddel  und  Sporn  bewaffnete  Kampfer, 
die  ihr  Eierlegen  durch  schluchzendes  Gackern  der  Welt  verkiindende 
Henne  (Frau  Kratzefuss),  iiberhaupt  diese  ganze  heitere  Parodie 
menschlicher  Familie  und  ritterlicher  Sitte  ein  haufiger  Gegenstand 
der  Besprechung  und  Vergleichung  bei  den  Dichtern  sein,  wenn  Be- 
kanntschaft damit  stattgefunden  hatte.  Auch  war  es  schon  den 
Alten  nicht  entgangen,  dass  Homer,  wenn  er  auch  die  Eigennamen 
A&SXTWQ  und  ^AfoxTQvwv  habe,  doch  das  Thier,  das  eben  so  be- 
nannt  wurde,  nicht  zu  kennen  scheme,  Eustath.  ad.  II.  17,  602, 
p.  1120,  13:  »aber  des  Thieres  Name,  sagen  die  Alten,  werde  bei 
Homer  nirgends  gelesen«  (ahnlich  p.  1479,  41).  Die  alteste  Erwah- 
nung  ist  die  bei  Theognis,  einem  Dichter  der  zweiten  Halfte  des 
6.  Jahrhunderts,  der  ohne  Zweifel  die  Unterwerfung  der  lonier  durch 
Harpagus  und  die  Besetzung  von  Samos  durch  die  Perser  (im  J.  522) 
erlebte  und  schon  die  nahe  Besorgniss  vor  einem  Kriege  mit  den 
gewaltigen.  Medern  ausspricht,  v.  863,  864: 

xal  O^LY   avug 


afoxTQvovwv  (pSoyyog 

-  obgleich  die  Zumischung  so  mancher  fremden  Bestandtheile  in 
unserer  Sammlung  der  Gedichte  des  Theognis  jeder  darauf  gebauten 
Zeitbestimmung  viel  von  ihrer  Sicherheit  nimnit.  Aus  der  Batracho- 
myomachie,  wo  der  Hahn  gleichfalls  vorkommt,  ist  bei  dem  Zustand 
des  Textes  und  dem  vermuthlich  jungen  Ursprung  dieses  Werkes 
natiirlich  noch  viel  weniger  zu  schliessen.  Zu  der  Zeit  des  Theognis 

21* 


324  Der  Haushahn. 

wurde  es  stimmen,  wenn  der  beriihmte  Athlet,  Milon  von  Kroton, 
wirklich  von  der  gemma  alectoria  d.  h.  dem  im  Magen  des  Hahnes 
gefundenen  angeblichen  Edelsteine  als  Amulet  zur  Erringung  des 
Sieges  Gebrauch  gemacht  hatte  (Plin.  27,  144):  allein  dieser  Aber- 
glaube  wurde  von  den  Spateren  nur  auf  Milon  tibertragen,  dessen 
Leben  von  einer  Menge  Legenden  uinsponnen  ist.  Aber  bei  Epi- 
charmus,  der  um  die  Zeit  der  Perserkriege  bliihte,  bei  Simonides, 
Aeschylus  und  Pindar  nnden  wir  den  Hahn  unter  dem  stolzen  Nam  en 
dhexTWQ  schon  als  gewohnten  Genossen  des  Menschen.  Der  Kampf 
der  Hahne  desselben  Hofes  mit  einander  wird  friihe  von  den  Dichtern 
als  Gleichniss  und  Vorbild  auf  den  Streit  der  Menschen  bezogen. 
In  den  Eumeniden  des  Aeschylus  (v.  848  ed.  Herm.)  warnt  Athene 
vor  dem  Biirgerkrieg,  als  dem  Kampf  der  Hahne  gleichend  (nach 
Otfr.  Mullers  Uebersetzung) : 

Noch  auch  vergall'  ihr  Herz  wie  eines  Hahnes  Sinn, 
Und  pflanze  Kriegslust  meinen  Burgern  in  den  Geist, 
Die  innern  Zwist  schafft,  Trutz  und  Gegentrutz  erzeugt. 
Jenseits  der  Marken  wiithe  Krieg,  vom  Heerde  fern, 
Wo  hohe  Sehnsucht  nach  dem  Ruhm  sich  offenbart; 
Den  Kampf  des  Vogels  auf  dem  Hof  wiinsch  ich  hinweg. 

Eben  so  vergleicht  Pindar  im  12.  olympischen  Liede  den  ruhmlosen 
Sieg  in  der  Vaterstadt  mit  dem  des  Hahnes  daheim  auf  dem  Hofe 
(in  der  Epode):  evSofid^ag  ax  dhsxxwQ.  Auch  Themistokles  soil 
den  Muth  seines  Heeres  einst  durch  den  Hinweis  auf  zwei  kampfende 
Hahne  belebt  haben,  die  bloss  fur  den  Siegerruhm,  nicht  fur  Heerd 
und  Gotter  ihr  Leben  einsetzen  (Ael.  V.  H.  2,  28).  Wenn  man  die 
spateren  offentlichen  und  kiinstlichen  Hahnengefechte,  die  sehr  beliebt 
wurden  und  in  zahlreichen  Bildwerken  des  Alterthums  dargestellt 
sind  (0.  Jahn,  Archaologische  Beitrage,  S.  437  ft'.),  von  dieser  Rede 
des  Themistokles  ableitete,  so  erhellt  daraus  wenigstens,  dass  man 
sich  diese  Wettkampfe  nicht  alter  dachte,  als  die  persischen  Kriege. 
Bei  den  Komikern,  bei  denen  wir  rnehr  die  Sprache  des  Lebens 
vernehmen,  heisst  der  Hahn  immer  noch  der  persische  Vogel: 
Gratinus  bei  Athen  9,  p.  374: 

d)0tt&g  b  TifQGixbg  wgav  Tiaaav  xava%wv  bhocpwvog 
Aristoph.  av.   483: 

avxCxa  fvulv  Tigwr   hmfafew  wv  dJlextQVQv',  wg 
ij^%£  re  JlegGuiiv  TIQWTOV  ndviwv,  Jagetov  xal  Msyafid&v, 
WOTS  xafoZrai,  IJeQCttxbg  ogvig  dno  T^g  dgxyg  ei    exetvqg. 
v.   707: 
b  f.isv  oQTvya  dovg,  b  ds  7ioQ(fvQC(ov\  b  dk  %yv'>  o  Je  USQGIXOV  OQVCV. 


Der  Haushahn.  325 

(Nach  Aussage  des  Scholiasteii  verstanden  hier  einige  unter  dem 
persischen  Vogel  den  Pfauen:  aber  die  Zusammenstellung  mit 
Wachtel,  Wasserhuhn  und  Gans  spricht  mehr  fiir  das  bescheidene 
Huhn,  als  fiir  den  kostbaren  Pfau). 

v.   883: 

d<p    yfjiwv  wv  yevovg  TOV  IltQGixov, 

ksysrat,  dst,v6iam<;  sivat  navia^ov 
vsorwg. 

An  einer  anderen  Stelle  desselben  Stiickes  (v.  276)  fiihrt  der  Hahn 
den  komischen  Namen  Mrtdog,  der  Meder,  und  Peithetairos  wundert 
sich  wie  er  als  Meder  ohne  Kameel  herbeigekommen  sei.  An  zwei 
Stellen  des  Tragikers  Ion,  die  Athenaus  (4,  p.  185)  erhalten  hat, 
lasst  die  Flote  als  Hahn  das  lydische  Lied  erklingen: 

enl  <f  avAbg  dhexraiQ  AvSiov  vfnvov  a%eu*v 

(nach  Meineckes  Emendation),  und  die  Hirtenpfeife  heisst  der  Hahn 
voin  Berge  Ida  in  Phrygien: 

TCQoSsZ  (Mein.  yottet*)  tie  vot,  avQty%  'fSalog  dhexiwQ. 
Woher  aber  das  Wort  dhsxnnQ,  dhexrQvwv  selbst,  das  ein  so  emi- 
nent griechisches  Geprage  tragt?  Es  muss  in  lonien,  als  die  dor- 
tigen  Stadte  nach  dem  Sturz  des  Crosus  unter  persische  Botmassig- 
keit  fielen  und  wie  den  Besatzungen,  so  auch  dem  Kultus  des  Siegers 
und  dessen  heiligen  Thieren  ihre  Thore  offneten,  entstanden,  oder 
vielmehr,  vielleicht  mit  Anklang  an  das  iranische  halka,  alka,  er- 
funden  worden  sein.  Der  wunderbare,  lichtverkiindende  Sonnenvogel, 
der  den  priesterlichen  Namen  Parodars  fiihrte,  wurde  in  einer  aus 
dem  Traume  des  Mythus  halb  erwachten  und  der  epischen  Sprache 
wie  der  epischen  Sage  schon  in  beginnender  Reflexion  sich  gegen- 
iiberstellenden  Zeit  mit  dem  auf  den  Sonnengott  hinvveisenden  gleich- 
falls  mystisch-bedeutungsvollen  Worte  dhexiwQ  genannt.  Die  Namen 
tyexTWQ  'Ymqimv  (die  strahlend  wandelnde  Sonne),  ifisxigov  (glan- 
zendes  Metall,  sonnenfarbiger  Bernstein),  'Hhsxiga  (Gottin  des  wieder- 
spiegelnden  Wasserglanzes),  'HhexrQiwv ,  Sohn  des  Perseus,  die  elek- 
trischen  Inseln,  das  elektrische  Thor  in  Theben  u.  s.  w.,  und  auch 
die  Formen  mit  anlautendem  a:  ^AhexiQvwv,  'AhexiaiQ  waren  aus 
Homer  und  dem  Heroenmythus  jedem  gebildeten  Frommen  lebendig 
und  gelaufig,  wie  auch  noch  Empedokles  in  dem  Verse,  in  dem  er 
die  vier  Elemente  aufzahlt,  das  Feuer  hieratisch  rjhexccoQ  nennt: 

rjhexTWQ  T8  %3wv  TS  xal  ovgavbg  yde  SdkatiGa. 

Mit  der  Zeit  freilich,  als  der  urspriingliche  Sinn  des  alten  Wortes 
im  allgemeinen  Gefiihl  erloschen  war,  wurde  es  in  popularer  Deutung 


326  Der  Haushahn. 

als  Zusammensetzung  mit  &SXTQOV  aufgefasst,  entweder  als  Lager- 
genosse,  wie  Sophokles  dhsxtwg  fur  aho%o$  Gattin  gebrauchte 
(fr.  766  Nauck),  oder  als  der  Lager  lose,  nicht  Schlummernde,  was 
auf  den  Harm  gut  zu  passen  schien.  Dass  aber  der  neue  Name  in 
den  beiden  Formen  dhsxrwQ  und  dhexTQvwv  auftrat  —  von  denen 
die  erstere  sich  als  die  poetisch-edle  isolirte,  die  andere  dem  taglichen 
Gebrauche  zufiel  — ,  ist  ein  sprechender  Beleg  dafiir,  dass  er  nach 
dem  Vorbild  jener  mythischen  Heroennamen  gebildet  ist.  Auch  dass 
zu  Aristophanes'  Zeit  die  Sprache  noch  keine  feste  Form  des  Femi- 
ninums  zu  dem  Masculinum  dhexrgvwv  gebildet  hatte ,  so  dass  der 
Dichter  diejenigen  verlacht,  die  sich  des  Ausdrucks  dfaxryvaiva  be- 
dienten  (Nub.  658  ff.),  bestatigt  die  Neuheit  des  Namens  und  der 
Sache,  da  gerade  bei  diesem  Hausthiere  die  fixe  Unterscheidung 
beider  Geschlechter  ein  dringendes  sprachliches  Bediirfniss  ist;  erst 
Aristoteles  braucht  die  weibliche  Form  dfoxmQig  neutral  in  der 
Weise  unseres  Huhn  fiir  die  Gattung.  Der  Volksmund  mag  sich, 
ehe  dksxTQvwv  von  oben  herab  durchdrang,  mancherlei  Benennungen 
gebildet  haben,  von  denen  persischer  Vogel  eine  ist,  die  ubrigen 
aber,  wie  natiirlich,  auf  literarischem  Wege  Dicht  bis  zu  uns  gelangt 
sind.  -  -  Da  der  Hahn  in  einer  jiingeren  Epoche  erschien,  wo  die 
mythische  Produktion  schon  im  Absterben  begriffen  war,  so  konnte 
er  keine  hervorragende  religiose  Bedeutung  erlangen.  Als  Kampf- 
hahn  war  er  natiirlich  dem  Ares  und  auch  der  Pallas  Athene  heilig ; 
Plutarch  Marcell.  22  erzahlt,  in  Sparta  sei  nach  vollbrachtem  Feld- 
zuge  eine  zwiefache  Art  Opfer  Brauch  gewesen :  wer  seine  Sache  mit 
List  und  Ueberredung  gefiihrt,  opferte  ein  Rind ;  wer  durch  Kampf 
seine  Absicht  erreicht,  einen  Hahn.  Als  die  Sonne  verkiindend 
oder  bedeutend  war  der  Hahn  in  Olympia,  von  der  Hand  des  Onatas 
gebildet,  auf  dem  Schilde  des  Idomeneus  zu  sehen,  der  ein  Enkel 
der  Pasiphae  und  also  Abkommling  des  Sonnengottes  war  (Pausan. 
5,  25,  5);  Plutarch  spricht  (de  Pythiae  oracc.  12)  von  einem  Bilde 
des  Apollo,  der  auf  der  Hand  einen  Hahn  trug,  also  als  Sonnengott 
gedacht  war;  auf  Miinzen  von  Phaestus  in  Kreta  halt  ein  jugend- 
licher  Gott,  offenbar  Personification  der  Sonne,  mit  der  Rechten 
einen  auf  seinem  Schoss  sitzenden  Hahn  (Welcker,  Gr.  Gotterl. 
2,  244).  Dass  der  Hahn  dem  Heilgotte  Asklepius  geopfert  wurde, 
ist  aus  dem  Schlusse  von  Platos  Phadon  allgemein  bekannt.  Der 
Hahnenaberglaube  in  dem  Felsenstadtchen  Methana  zwischen  Epi- 
daurus  und  Trozen,  von  welchem  Pausanias  (2,  34,  3)  erzahlt,  hiingt 
gleichfalls  mit  dem  Dienst  des  Asklepios  in  jener  Gegend  zusammen: 


Der  Haushahn.  327 

um  die  bosen  Wirkungen  des  ACip,  des  Siidostwindes,  auf  die  Reben 
zu  verhuten,  zertheilten  dort  zwei  Mariner  einen  Hahn,  lief  en  jeder 
mit  der  Halfte  des  Thieres  von  entgegengesetzter  Seite  um  die  Wein- 
berge  herum  und  begruben  das  Thier  an  der  Stelle,  wo  sie  zu- 
sammentrafen.  Das  bei  dem  beriihmten  Beilager  des  Ares  und  der 
Aphrodite  der  Wachter  Alektryon  eingeschlafen,  den  Tag  zu  melden 
vergessen  und  dafiir  von  Ares  in  einen  Habn  verwandelt  worden, 
erklart  Eustathius,  der  an  der  betreffenden  Stelle  der  Odyssee 
(p.  1598  ex.)  diese  auch  von  Lucian  (Somnium  seu  gallus  p.  292  f. 
ed.  Bip.)  erwahnte  Fabel  erzahlt,  selbst  fur  eine  spatere  Erdichtung. 
Bald  nach  ihrem  Erscheinen  in  Griechenland  werden  Huhnerfamilien 
zu  Schiffe  -  -  nichts  ist  leichter  als  diese  Thiere  zu  SchifFe  mit  sich 
zu  fiihren  -  -  auch  nach  Sicilien  und  Unteritalien  gekommen  und 
wie  in  Griechenland  von  Haus  zu  Haus  gewandert  sein.  Dass  die 
Sybariten  keinen  Hahn  geduldet,  um  nicht  im  Schlaf  gestort  zu 
werden,  ist  eine  von  den  spat  erfundenen  Anekdoten,  an  denen  der 
Witz  sich  ubte;  ihre  Stadt  wurde  ubrigens  schon  510  oder  511 
vor  Chr.  zerstort,  als  der  Hahn  noch  gar  nicht  in  Italien  oder 
daselbst  noch  sehr  Jung  war.  Auf  den  Miinzen  von  Himera  in 
Sicilien  sieht  man  den  Hahn,  zuweilen  auf  der  Riickseite  die  Henne, 
vielleicht  als  Attribut  des  Asklepios,  der  in  den  Heilquellen  der 
Stadt  waltete.  Auch  was  sonst  auf  Munzen  und  auf  Vasen  alten  und 
altesten  Stils  in  Griechenland  wie  in  Sicilien  und  Italien  an  Dar- 
stellungen  des  Haushahns  sich  findet,  geht  liber  die  von  uns  an- 
gegebene  Epoche  (zweite  Halfte  des  6.  Jahrhunderts)  nicht  hinaus. 

Die  Romer,  die  den  Vogel  direkt  oder  durch  Vermittelung  von 
einer  dieser  griechischen  Stadte  empfingen,  benutzten  ihn  mit  echt 
romischer  religioser  List  zur  Weissagung  im  Kriege:  da  namlich 
kein  Augur  das  romische  Heer  begleitete  und  folglich  auspicia  ex 
avibus  nicht  moglich  waren,  schuf  man  sich  den  Ausweg,  zahme 
Hiihner  im  Rang  mitzufuhren  und  mittelst  ihrer  sog.  auspicia  ex 
tripudiis  anzustellen :  frassen  die  Thiere  mit  Begierde  von  dem  vor- 
geworfenen  Brei  und  zwar  so,  dass  Stiicke  desselben  aus  dem  Schna- 
bel  wieder  auf  die  Erde  fielen,  so  war  dies  ein  tripudium  solisti- 
mum  d.  h.  ein  giinstiges  Zeichen  fiir  die  bevorstehende  Unter- 
nehmung;  der  umgekehrte  Fall  ward  als  Warnung  und  Abmahnung 
angesehen.  Natiirlich  hatte  dabei  der  pullarius ,  je  nachdem  er 
seinen  Thieren  zu  fressen  gegeben  hatte  oder  nicht,  den  Erfolg  ganz 
in  seiner  Hand.  Dass  die  Sitte  jiingeren  Ursprungs  war  (Cic.  de 
divin.  2,  35 :  quo  antiquissimos  augures  non  esse  usos,  argumento 


328  ^er  Haushahn. 

estj  quod  decretum  collegii  vetus  habemus,  omnem  avem  tripudium 
facer e  posse),  geht  auch  aus  der  verhaltnissmassig  kritischen  Auf- 
fassung  hervor,  die  sie  in  einer  religios  bereits  herabgestimmten 
Epoche  erfuhr.  Jener  Feldherr  im  ersten  punischen  Kriege,  P.  Clau- 
dius Pulcher,  von  dem  Cicero  erzahlt  (de  nat.  deor.  2,  3,  7),  Hess 
die  heiligen  Hiihner,  weil  sie  das  vorgeworfene  Futter  verschmahten, 
ins  Wasser  werfen ;  wenn  sie  nicht  fressen  wollten,  rief  er,  so  moch- 
ten  sie  saufen;  biisste  die  Lasterung  freilich  mit  dem  Verlust  der 
Flotte.  Cicero  selbst  aber  driickt  sich  nicht  sehr  respectvoll  iiber 
das  Htihnerorakel  aus  —  er  nennt  es  ein  auspicium  coactum  et 
expressum  —  und  Plinius  10,  49  ist  ironisch  erstaunt,  dass  die 
wichtigsten  Staatsgeschafte,  die  entscheidenden  Schlachten  und  Siege 
von  Huhnern  gelenkt  und  die  Weltbeherrscher  wieder  von  'Hiihnern 
beherrscht  wiirden.  In  Catos  landlicher  Oekonomie  spielen  die 
Hiihner  noch  keine  grosse  Rolle  —  er  lehrt  nur  an  einer  Stelle,  wie 
Hiihner  und  Ganse  gestopft  wiirden  — ,  aus  der  ausfiihrlichen  Unter- 
weisung  aber,  die  Varro  3,  9  und  Columella  8,  2  ff.  iiber  die  Be- 
handlung  und  Pflege  derselben  geben,  ersieht  man,  wie  entwickelt 
und  verbreitet  die  Hiihnerzucht  zur  Zeit  dieser  Schriftsteller  in  Ita- 
lien  schon  war.  Grossere  edlere  Varietaten  des  asiatischen  Haus- 
hahnes,  besonders  Kampfhahne,  wurden  aus  verschiedenen  durch 
besondere  Zucht  und  Race  sich  auszeichnenden  Orten  Griechenlands 
bezogen.  In  friiherer  Zeit  war  die  Insel  Delos  in  dieser  Hinsicht 
beriihmt  gewesen:  Cicero  erzahlt  (Acad.  2,  18),  die  Delier  hatten 
beim  Anblicke  eines  Eies  die  Henne  angeben  konnen ,  von  der  es 
gelegt  worden  (was  iibrigens  nicht  so  schwer  ist,  denn  das  Sp rich- 
wort:  so  ahnlich  wie  ein  Ei  dem  andern  —  trifft  nicht  ganz  zu); 
jetzt  standen  die  tanagraischen ,  rhodischen,  chalcidischen  Hahne 
als  stark  und  schon  in  besonderem  Ruf.  Varro,  Columella  und 
Plinius  erwahnen  auch  der  grossen  sogenannten  melischen  Hiihner, 
gallinae  melicae,  die  nach  dem  Erstgenannten ,  der  auch  ein 
Sprachforscher  war,  wiewohl  nicht  immer  ein  gliicklicher,  eigentlich 
inedicae,  medische  Hiihner,  heissen  sollten.  Wir  entnehmen  daraus 
die  Thatsache,  dass  noch  in  romischer  Zeit  Medien,  woher  die 
Hiihner  zuerst  nach  Europa  gekommen  waren,  frisches  Blut  nach- 
lieferte;  die  Form  melicae  konnte  aber  eben  deshalb  richtig  sein 
und  das  altbaktrische  meregha  avis,  persische  murgh,  kurdische 
mrishk,  ossetische  margh  gallina  wiedergeben,  welches  danii  auch 
die  Urform  zu  dern  griechischen,  durch  Volksetymologie  entstellten 
ware. 


Der  Haushahn.  329 

Auf  welchen  Wegen  sich  das  Geschlecht  der  Haushiihner  zu  den 
Barbaren  im  mittleren  lind  nordlichen  Europa  verbreitete,  dariiber 
giebt  es  natiirlich  keine  direkten  historischen  Zeugnisse.  Diese  Ver- 
breitung  konnte  geraden  Weges  von  Asien  zu  den  stammverwandteii 
Volkern  der  siidrussischen  Steppen  und  des  Ostabhangs  der  Karpathen 
gehen,  deren  Religion  der  der  iibrigen  iranischen  Stamme  folgte  und 
die  in  einigen  ihrer  Glieder  schon  zu  Herodots  Zeit  Ackerbau  trieben, 
oder  durch  die  griechischen  Kolonien  am  schwarzen  Meer,  deren 
Einfluss  sich  bekanntlich  weit  erstreckte,  oder  von  Thrakien  zu  den 
Stammen  an  der  Donau,  oder  von  Italien  aus  auf  den  alten  Handels- 
wegen  iiber  die  Alpen,  oder  tiber  Massilia  in  die  Rhone-  und 
Rheingegenden,  oder  endlich  auf  mehreren  dieser  Wege  zugleich. 
Je  mehr  ein  Volk  vom  nomadischen  Hirtenleben  zur  festen  An- 
siedelung  iiberzugehen.  sich  anschickte,  desto  leichter  musste  dies  den 
geschlossenen  Hof  belebende,  kornerfressende,  von  Fuchs  und  Wiesel 
verfolgte  Hausgefliigel  bei  ihnen  Aufnahme,  bleibende  Statte  und 
Gedeihen  finden.  Casar  traf  um  die  Mitte  des  ersten  Jahrhunderts 
vor  Chr.  die  Henne  schon  bei  deri  Britannen  (de  b.  gall.  5,  12),  in- 
dess  vielleicht  nur  bei  den  gallisch  gebildeten,  den  Boden  bestellenden 
Stammen  in  der  Nahe  der  Sudkuste.  Befragen  wir  die  Sprachen, 
so  ergeben  sich  einige  nicht  uninteressante  Resultate.  Wir  sehen 
Reihen  von  Benennungen  von  Volk  zu  Volk  gehen,  in  verschiedenen 
sich  kreuzenden  Richtungen,  die  auf  die  Sitze  und  den  Verkehr  dieser 
Volker  ein  dammerndes  Licht  werfen.  Zwar  gestatten  auch  manche 
andere  Kulturbegriffe  ahnliche  Schliisse,  selten  aber  mit  einem  ver- 
haltnissmassig  so  festen  chronologischen  Anhalt.  Da  der  Hahn  nicht 
vor  der  zweiten  Halfte  des  6.  Jahrhunderts  vor  Chr.  in  Griechenland 
erschien,  so  werden  wir  seine  Ankunft  im  innern  Europa  nicht  vor 
das  fiinfte  Jahrhundert  setzen  diirfen.  Was  in  dem  civilisirten 
Griechenland  schnell  von  Statten  ging,  konnte  im  barbarischen  Norden 
nur  langsam,  allmahlich  und  stufenweise  sich  vollziehen.  Um  die 
genannte  Zeit  mussen 

1.  die  Germanen  schon  ein  abgesondertes  Ganze  gebildet  haben, 
da  sie  den  Vogel  mit  einem  eigenen,  nur  ihnen  angehorenden  Nam  en : 
liana  bezeichnen;  sie  miissen 

2.  auf  engem   abgeschlossenen  Raum   zusammengewohnt  haben, 
da  alle  germanischen  Stamme  diesen  Namen  gleichmassig  besitzen; 
sie   zerfielen  folglich  noch  nicht  in  einen  scandinavischen  und  einen 
€ontinentalen   Zweig  oder   nach   anderer   Ansicht   in  Ost-   und  West- 
germanen; 


330  Der  Haushahn. 

3.  die   Deutschen    miissen    unmittelbare    Nachbarn    der   Finnen 
gewesen     sein,    da     das    gothische    Wort    sich    finnisch    (nicht    aber 
litauisch  u.  s.  w.)  wiederfindet; 

4.  die   deutsche  Lautverschiebung  kann   noch   nicht   eingetreten 
gewesen  sein,  da  das  deutsche  hana  bei  den  Finnen  Jcana  lautet: 

5.  der  bildende  Trieb   war  in  der  Sprache  der  Deutschen  jener 
Zeit  noch  so  naturalistisch  fein  und  rege,  dass  er  rnit  den  geringsten 
Lautmitteln   fur   das  mannliche  und  weibliche  Thier  und  das  Junge 
besondere  Benennungen   schuf,   etwa   wie   solche  fur  Stier,  Kuh  und 
Kalb   schon   bestanden.     Aus  dem  gothischen  hana,  ahd.  hano,  ags. 
hona,  altn.  hani  -  -  welches  selbst  sehr  alterthiimliche  Gestalt  zeigt, 
da   es   durch  keinen  andern  Behelf,  als  das  bei  Nominalstammen  so- 
haufige  n,   gebildet  ist  —  ward  ein  epiconisches  Neutrum  ahd.  huonr 
in  der  Bedeutung  pullus,  spater  in  der  des  nhd.  Huhn,  also  gothisch 
hon,   und   zur  Bezeichnung  des  weiblichen  Genus  vermittelst  eines  j 
ahd.  henna,  also  gothisch  hanjo,  abgeleitet  -  -  zwei  ungemein  primi- 
tive Bildnngen; 

6.  Slaven  und  Litauer  miissen  bereits  von  einander  gesondert  ge- 
wesen sein,  da  sie  den  Hahn  abweichend  benennen; 

7.  das   Volk    der   Slaven    muss    schon   auf   dem   urspriinglichen 
Boden  in  die  spatere  nordost-siidliche  und  die  westliche  Gruppe  zer- 
f alien  sein,  da  pietlu  gallus  nur  bei  der  ersteren,  Tcogut,  kohut  idem 
vorzugsweise    bei   der  letzteren   erscheint,    wahrend  das  erstere  Wort 
zugleich    in    der  Bedeutung    (der   Sanger),   nicht   in   der   Etymologie 
mit  dem  litauischen  und  vielleicht  mit  dem  germanischen  zusammen- 
stimmt; 

8.  die  Slaven  miissen  nach  ihrer  Trennung  von  den  Litauern  in 
einem,  auch  durch  andere  Indicien  sich  verrathenden  Zusammenhang 
mit    medopersischen    Stammen    (Skythen,    Sauromaten,    Alanen)    ge- 
standen    haben,   da   das   gemeinslavische  Jcuru,  Jcura  gallus •,  gallina, 
zugleich  persisch  ist:  churu,  churuh,  churns; 

9.  das    tiJc,    tyuk  gallina   der  Magyaren   stimmt   genau  zu  dem 
kurdischen  dik  gallus  (bei  Lerch,  Forschungen  II.  130.  122),  welches 
selbst    wieder    arabisch   ist;   erhielten    sie    es,   wie   ihr  Wort  fiir  den 
Begriff   tausend,    direkt    von    einem   iranischen   Volke,    damals    als 
sie    noch   jenseits    der    Wolga    im    Lande    der    heutigen   Baschkiren 
sassen  ? 

10.  Eine   seltsame  Kette   von  Namen   geht  vom  Kanal  bis  zum 
innersten  Winkel   der  Ostsee   oder   vom   franzosischen  (nicht  proven- 
yalischen)    und   aremorischen   coq  bis   zum  finnischen  Tculcko  und  zu 


Der  Haushahn.  33 X 

anderen  finnischen  Stammen,  wahrend  ein  ahnliches  Wort  (Kiichlein) 
in  etwas  veranderter  Bedeutung  bei  Niederdeutschen,  Angelsachsen 
und  Scandinaviern  (nicht  bei  Hochdeutschen)  herrscht,  also  auf  dem 
angegebenen  Parallel  am  Boden  haftete; 

11.  keine   Spur  weist   direkt   nach  Italien,   sondern   alle   fiihren 
mehr   oder  minder  deutlich  nach  dem  Sudosten  des  Welttheils,  was 
nur  bei   iranischen,   nie  bei  semitischen  Kulturerwerbungen  der  Fall 
ist.     Ware  uns  das  Alt-Thrakische  und  Alt-Illyrische  oder  Pannonische 
erbalten,  so  wiirden  die  Namensanklange,  die  das  Griechische  gewabrtr 
vielleicht  zur  vollen  Identitat  werden; 

12.  das    altbaktrische  Icalirlca  Huhn  (zu  erschliessen  aus  kahrlc- 
dga  der  Geier  d.  h.  der  Hiihnerfresser)  stimmt  unmittelbar  zusammen 
mit  dem  altirischen  cere  gallina,  Glosse  bei  Zeuss  2  p.  782 :  cerc-daer 
gallinaceus.     Dazwischen  liegt  das  ossetische  Icjarlc  gattina  und  die 
Glosse  des  Hesychius :  xegxog'  dhsxTQvwv  (welcbe  Benennung  irgendwo 
auf  der  Hamus-Halbinsel  Braucb  gewesen  sein  muss),  so  wie  vielleicht 
gothisch  hruk  gallicinium,  mit  dem  dazu  gehorigen  Verbum  hrukjan. 
Das  Wort  geht  also  quer  durch  das  europaische  Festland  vom  Pon- 
tus   bis   an   den  Kanal   und  jenseits   desselben  und  stammt  aus  der 
Zeit,    wo    keltische   Stamme    von   Gallien    bis   zum   schwarzen   Meer 
theils     sich    tummelten,    theils    sich    bereits    gelagert    hatten.      Die 
litauischen  und    slavischen  Verba  karkti,  karkati,   IcroTcati  bedeuten 
mehr    krachzen,    schnarren,    und   gehen,   wie   graculus,    altn.  kraka, 
XQW&W,   crocire,   crocitare  und  eine  Menge  anklingender  Ausdrticke 
auf  das  Genus  corvus: 

13.  es    war  natlirlich,  dass  mit  dem  Thier  und  seinem  Namen 
auch   die    religiosen  BegrifFe,   die  daran  sich  kniipften,  von  Land  zu 
Land  wanderten.     Die  Redensart:  den  rothen  Hahn  aufs  Dach  setzen, 
nennt   statt    des  Elementes   den  Vogel,  der  ihm  geweiht  und  in  der 
Anschauung   verwandt   war.     Eine   in  dem  Volumen  decretorum  des 
Bischofs   Burchard    von   Worms    (bei   Panzer,   Bayerische  Sagen  und 
Brauche,  I,    S.   310)   eiithaltene  Stelle,   wonach  es  gefahrlich  ist,  vor 
dem  Hahnenruf  Nachts    das  Haus   zu    verlassen,    eo   quod  immundi 
spiritus  ante  gallicinium  plus  ad  nocendum  potestatis  habent,  quam 
post,   et  gallus  suo  cantu  plus  valeat  eos  repellere  et  sedare  quam 
ilia  divina  mens,   quae  est  in  homine  sua  fide  et  crucis  signaculo 

•  diese  Stelle  klingt  wie  ein  direkter  Bericht  liber  den  Glauben 
der  alten  Perser  an  die  von  ihnen  Daevas  genannten  immundi  spiritus 
und  an  die  Kraft  des  Hahnes,  dieselben  durch  seine  Stimme  zu 
verscheuchen.  Noch  in  Shakespeares  Hamlet  (Act  1,  Scene  1)  sagt 


332  Der  Haushalm. 

Horatio  ganz  ahnlich:  »Ich  habe  gehort,  dass  der  Hahn,  der  die 
Trompete  des  Morgens  1st,  mit  heller  Stimme  den  Gott  des  Tages 
weckt  und  dass  bei  seinem  warnenden  Ruf  all  die  Geister,  die  in 
Wasser  oder  Feuer,  in  Luft  oder  Erde  schweifen  und  irren,  jeder  an 
seinen  Ort  zuriickschliipfen. «  Demselben  Vorstellungskreise  gehort 
es  an,  wenn  der  Vogel  des  Lichts  bei  Nacht  der  Nachtgottin  geopfert 
wird,  Ov.  Fast.  1,  455: 

Node  deae  noctis  cristatus  caeditur  ales. 

Auch  die  slavischen  Pommern  verehrten  den  Hahn  und  fielen  an- 
betend  vor  ihm  nieder  (die  Citate  bei  Panzer  a.  a,  0.  S.  317);  bei 
den  Litauern  werden  Hahn  und  Henne  der  Erdgottin  geschlachtet 
(Matth.  Praetorius,  Deliciae  prussicae,  herausgeg.  von  W.  Pierson, 
Berlin,  1871,  S.  62),  eben  so  bei  Einsegnung  der  Hauser  zuerst  ins 
Haus  gelassen:  »diese  werden  gehegt  und  nicht  geschlachtet  noch 
gegessen,  aber  darum  nicht  vor  Gotter  gehalten«  (S.  37).  In  dem 
altindischen  Gesetzbuch  war  das  Essen  von  Huhnerfleisch  nicht  erlaubt 
(Lassen,  Ind.  Alterth.  1,  297),  und  auch  die  Mysten  in  Eleusis 
enthielten  sich  dieser  Vogel,  die  der  chthonischen  Gottin,  der  Perse- 
phone, und  der  Demeter  geweiht  waren  (Porphyr.  de  abst.  4,  16): 
in  iiberraschender  Weise  berichtet  Casar  (a.  a.  0.)  von  den  Britannen  : 
leporem  et  gallinam  et  anserem  gustare  fas  non  putant  — ,  die 
also  mit  dem  Thier  und  seinem  Namen  aueh  die  Scheu  vor  seiner 
Gottlichkeit  mit  ubernommen  hatten.  Wie  die  Romer,  wo  keine 
wilden  Vogel  und  Vogelschauer  zur  Hand  waren,  mit  zahmen  Huhnern 
sich  halfen,  so  opferten  auf  Seeland  die  heidnischen  Danen  alle  neun 
Jahre  neben  Menschen,  Pferden  und  Hunden  auch  Hahne,  weil  die 
Raubvogel  nicht  zu  beschaffen  waren,  Thietmar  von  Merseburg  bei 
Pertz  Scriptt.  Ill  p.  739:  nonaginta  et  novem  homines  et  totidem 
equos  cum  eanibus  et  gallis  pro  accipitribus  oblatis  immolant 
—  was  ihnen  vielleicht  kluge  Sclaven  aus  dem  Siiden  vor  Alters  an 
die  Hand  gegeben  hatten.  Wie  ferner  bei  Plutarch  de  Is.  et  Osir.  61 
Anubis  sowohl  iiber  die  Oberwelt,  TO,  avai,  als  unter  dem  Namen 
Hermanubis  iiber  die  Unterwelt,  za  xcmo,  waltet  und  ihm  in  der 
ersteren  Eigenschaft  ein  weisser,  in  der  anderen  ein  safrangelber, 
gleichsam  schwefelfarbiger,  Hahn  geopfert  wird,  so  singt  in  der  V6- 
luspa,  dem  altesten  Theil  der  Edda,  der  goldkammige  Hahn,  Symbol 
des  Lichtes,  bei  den  Asen,  der  schwarzrothe,  damonische  in  der 
Unterwelt,  in  den  Salen  der  Hel  (Vol.  35),  und  so  unterscheiden 
die  Volkssagen  auch  sonst  zwischen  dem  weissen,  rothen  und  schwar- 


Der  Haushalm. 

zeu  Hahn  (s.  Reinhold  Kohler  in  der  Germania  XI,  S.  85  ff.).  Die 
Russen  unter  Sviatoslav  bringen  nachtliche  Todtenopfer  bei  Doro- 
stolum  am  Ister,  indem  sie  Sauglinge  und  Hahne  erwiirgen  und  sie 
dann  in  die  Wogen  des  Stromes  versenken  (Leo  Diac.  9,  6);  auch 
bei  der  Bestattung  des  russischen  Hauptlings,  deren  Verlauf  uns 
Ibn-Foszlan  (bei  Frahn)  ausfuhrlich  schildert,  werden  Hahn  und 
Henne  geschlachtet  und  dann  zu  dem  Todten  in  das  Schiff  geworfen. 
Wenn  es  wahr  ist,  was  in  der  Zeitschr.  fiir  d.  Mythologie  II.  S.  327  f. 
deducirt  wird,  dass  der  Hahn  dem  Donar,  Thunar,  Thorr  eigen- 
thumlich  gehort,  so  wiirde  dieser  deutsche  Gott  sich  dem  Qraosha 
oder  einer  entsprechenden  Gestalt  der  vermittelnden  Volker  substituirt 
haben.  Da  die  nordischen  Stamme  zur  Zeit,  wo  dies  neue,  seltsame 
Hausthier  bei  ihnen  erschien,  noch  in  ganz  elementarem  Bewusstsein 
befangen  lagen  und  das  Gemuth  sich  der  Eindriicke,  die  es  erfuhr, 
nur  in  ahnender  Bildersprache  entaussern  konnte,  so  wird  ein  mannig- 
facher  Hahnenaberglaube  seitdem  auch  spontan  bei  ihnen  Wurzeln 
gefasst  und  sich  ausgebreitet  haben.  Die  Mythenvergleicher  aber,  die 
die  wirkliche  oder  angebliche  Uebereinstimmung  von  mythischen 
Vorstellungen,  Namen,  Spriichen,  Marchen,  Zauberformeln,  Ge- 
brauchen  u.  s.  w.  der  alien  und  neuen  europaischen  und  asiatischen 
Volker  zum  Aufbau  einer  reichen  und  phantasievollen  Urmythologie 
des  indoeuropaischen  Stammvolkes  benutzen,  sollten,  wie  sich  auch 
hierbei  wiederum  ergiebt,  drei  Momente  bei  jedem  Schritte  sich 
gegenwartig  halten:  erstens  dass,  so  weit  der  Blick  reicht,  eine  un- 
geheuere  Kultur-  und  Religionsentlehnung  Statt  gefunden  hat,  zwei- 
tens  dass  dieselben  Umstande  und  Lebensstufen  auf  den  ver- 
schiedensten  Punkten  zu  sehr  verschiedener  Zeit  parallele  Anregungen 
hervorriefen,  drittens  dass  in  gewissen  Grenzen  auch  dem  Zufall  sein 
Recht  werden  muss. 

Statt  die  Geschichte  des  Hahnes  durch  das  Mittelalter  zu  ver- 
folgen  und  durch  alle  fiinf  Welttheile  zu  begleiten,  denn  dies  niitz- 
liche  Hausthier  ist  selbst  bis  zu  den  Negern  im  innersten  Afrika 
gedrungen,  schliessen  wir  lieber  mit  den  Worten  des  alten  wiirdigen 
Thomas  Hyde  (Veterum  Persarum  et  Parthorum  et  Medorum  reli- 
gionis  historia.  Ed.  II.  Oxonii  1760.  4°.  p.  22):  Usque  hodie  gallinis 
adeo  scatet  Media,  ut  eo  fere  solo  cibo  et  earum  ovis  (una  cum 
carne  ovina)  excipiantur  nostrates  ibi  peregrinantes.  Ab  ilia  regione 
jam  utilissima  haec  avis  per  totum  orbem  multiplicatur.  Hocque 
novisse  juvat:  nam  rebus  alienigenis  longo  temporis  tractu  apud 
nos  factis  tamquam  indigenis,  unde  primum  venerint  tandem  igno- 


334  Der  Haushahn. 

raturj  quod  de  multis  plantis  et  arboribus  verum  et  de  animalibus 
hand  paucis  —  Worte,  die  wir  diesem  ganzen  Buche  als  Motto 
batten  voranstellen  konnen75). 


**  Naheres  tiber  den  iranischen  Haushahn  siehe  jetzt  bei  W.  Geiger, 
Ostiranische  Kultur  S.  365  ff.  Friihzeitig  scheint  die  Verehrung  des  Haus- 
hahns  auch  in  Babylonien  bekannt  gewesen  zu  sein.  Layard  erhielt  bei 
Babylon  eine  Gemme,  auf  dessen  unterer  Flache  ein  gefltigelter  Priester  oder 
^eine  Gottheit  eingeschnitten  ist,  die  in  einer  betenden  Stellung  vor  einem 
Hahne  auf  einem  Altar  steht.  Ein  ganz  ahnlicher  Gegenstand  findet  sich  auf 
einem  Cylinder  im  britischen  Museum,  ein  Priester  in  Opferkleidung,  der  an 
einem  Tische  steht,  vor  einem  grosseren  Altar  und  einem  kleineren,  auf  dem  sich 
ein  Hahn  befindet.  Beidemal  erscheint  der  Hahn  von  Osten,  und  tiber  beiden 
Abbildungen  schwebt  ein  Halbmond,  vielleicht  als  Zeichen  der  schwindenden 
Nacht  (vgl.  Layard,  Ninive  und  Babylon,  tibersetzt  von  Zenker  S.  410,  411). 
Merkwurdig  ist,  dass,  obgleich  sonst  das  Haushuhn  im  alten  Aegypten 
allerdings  keine  Eolle  spielt,  doch  die  Hieroglyphe  u  das  deutliche  Bild 
eines  Htihnchens  zeigt,  was  doch  auf  eine  sehr  alte  Bekanntschaft  mit  dem 
Thiere  hinzuweisen  scheint  (vgl.  A.  Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  545). 

Eine  sichere  Deutung  des  griech.  &XlxTu>p,  iXsvupocov  ist  noch  nicht  ge- 
funden.  Das  spate  alka,  halka  des  Pehlewi  (F.  Justi,  Bundehesch  S.  272)  ist 
bei  der  Erklarung  fern  zu  halten  (vgl.  unten).  Man  hat  das  griechische  Wort 
als  Bernsteinvogel  (YJXextpov)  deuten  wollen,  weil  die  altesten  auf  griechischen 
Munzen  gefundenen  Hahnentypen,  die  Htihner  von  Himera  in  Sicilien  (erstes 
Viertel  des  V.  Jahrh.)  und  von  Dardanos  an  den  Dardanellen  (vor  d.  Mitte 
des  V.  Jahrh.)  eine  grosse  Uebereinstimmung  mit  dem  Gallus  Sonnerati  in 
Nordindien  zeigen  sollen.  Die  eigenthtimlichen  glanzend  -  gelben  hornartigen 
Gebilde  an  den  Federn  des  Halses  liessen  sich  aber  mit  Bernsteinschmuck 
vergleichen  (s.  Imhoof-Blumer  und  0.  Keller,  Thier-  und  Pflanzenbilder  S.  35). 
Eine  andere,  aber  ausserst  gewaltsame  Erklarung  hat  O.  Keller  (Lateinische 
Volksetymologie  S.  195  f.)  versucht.  Am  wahrscheinlichsten  ist  die  neuer- 
dings  von  P.  Kretschmer  (K.  Z.  XXIII,  560  ff.)  gegebene  Erklarung  des  griech. 
&XexT(up,  &XexTpoow,  denen  sich  erst  spater  ein  aXextpoaiva  Henne,  &Xextopt<; 
Huhn  zugesellt.  Hiernach  waren  die  genannten  Worter  identisch  mit  den 
gleichlautenden  Eigennamen  des  homerischen  Epos,  Alektor  und  Alektryon, 
die  zu  otXs^tu,  &Xe§?jrfip,  iXxt-rip  wehre  ab,  Kampfer  gehoren.  Man  habe  den 
Hahn  seinem  streitbaren  Charakter  entsprechend  mit  einem  aus  dem  Epos 
in  doppelter  Form  bekannten  heroischen  Namen  benannt.  Aehnlich  sei 
Mepivcuv  ein  Name  des  Esels,  KaXXia?  des  Affen,  Kep8a>  des  Fuchses,  und  genau 
entsprachen  die  Schicksale  des  frz.  renard  Fuchs  aus  Reinhart,  der  volks- 
thumlichen  Benennung  des  Thieres  im  altgermanischen  Thierepos. 

Was  den  Norden  Europas  betrifft,  so  wird  die  Anschaunng  Hehn's 
von  dem  verhaltnissmassig  spaten  Auftreten  des  Haushahns  daselbst  durch 
den  Umstand  bestatigt,  dass  Ueberreste  des  Thieres  bis  jetzt  prahistorisch 
nicht  nachweisbar  waren.  Zu  den  auf  S.  329 — 332  gezogenen  sprachlichen 
•Schliissen  ist  folgendes  zu  bemerken: 


Der  Haushahn.  335 

Zu  4.  Das  finnische  kana  wird  nicht  vor  der  Lautverschiebung  aus  dem 
Germanischen  entlehnt  sein;  es  scheint  vielmehr,  dass  das  anlautende  k  nur 
Lautsubstitution  fur  germ,  h,  /  1st  (vgl.  W.  Thomsen,  Ueber  den  Einfl.  d.  germ. 
Spr.  S.  66).  Zu  5.  Es  1st  nicht  wahrscheinlich,  dass  zu  der  Zeit,  in  welcher 
das  Haushuhn  bei  den  Germanen  bekannt  wurde,  ihre  Sprache  noch  einen 
Ablaut  wie  hana :  *  hdn  bilden  konnte.  Glaublicher  ist,  dass  diese  Worter  (vgl. 
^ji-xavo?  und  d-cdnia)  zur  Bezeichnung  eines  wilden  Vogels  uralt  waren  und 
dann  auf  den  Haushahn  iibertragen  wurden.  Zu  7.  Gegeniiber  deni  Aus- 
einandergehn  der  slavischen  Sprachen  in  der  Benennung  des  Haushahns  fallt  die 
Uebereinstimmung  seiner  Terminologie  in  den  germanischen  und  keltischen 
(ir.  cailech,  cymr.  ceiliog,  corn,  chdioc]  Mundarten  auf.  Vielleicht  darf  man 
hieraus  schliessen,  dass  das  Thier  eher  im  Westen  und  in  der  Mitte  als  im 
Osten  unseres  Erdtheils  auftrat.  Zu  8.  In  den  angegebenen  Zusammenhang 
scheinen  auch  die  finnischen  Ausdriicke  wotjakisch  kurek,  syrj.  kurb'k  u.  s.  w. 
(Ahlqvist  S.  20)  zu  gehoren.  Uebrigens  ist  die  Entlehnung  des  slavischen 
Worts,  das  Archiv  fur  slav.  Spr.  XI,  394  gleich  lat.  corvus  gesetzt  wird,  aus 
dem  Iranischen  zweifelhaft.  Auch  P.  Horn,  Grundriss  d.  np.  Etym.  S.  106 
scheint  dieselbe  nicht  anzuerkennen.  Vgl.  daselbst  auch  kurd.  kords  etc. 
Sicher  aus  dem  Persischen  entlehnt  ist  serb.  oroz  Hahn  (Miklosich,  Turk. 
Elem.  S.  74).  Zu  9.  Das  magyarische  tyu~k  schliesst  sich  zunachst  an  das 
ostjakische  tava^  Huhn,  dann  an  das  turko-tat.  tavok,  tauq  an  (vgl.  Donner, 
Vgl.  W.  d.  f.  Spr.  I,  S.  116).  Ferner  stellt  sich  hierzu  kaukas.  hiirk.  daghwa, 
woraus  das  kurdisch-arabische  Wort  wohl  stammt  (Tomaschek,  Z.  f.  6'str. 
Gymn.  1875  S.  524).  Vgl.  auch  kurd  mami,  mamir  zu  kaukasisch  laz.  mamuli 
(Jaba-Justi  S.  406)  und  das  oben  genannte  alka  des  Pehlewi  zu  kaukas.  heleko, 
helk,  alkuz  (Klaproth,  Asia  polyglotta  S.  135).  Zu  12.  Hinzuzufiigen  ist  Pamird. 
ko'rk,  afgh.  cirk,  kurd.  kurk,  kerge,  zu  streichen  got.  hruk,  welches  lautgesetz- 
lich  entweder  zu  griech.  xpaoY^  oder  zu  xpdCu),  xpu>Cu>  gehort,  vgl.  auch  altn. 
hrokr  Seerabe,  altengl.  hrdc  Mandelkrahe,  ahd.  hruoh  Krahe  (Kluge  in  Paul  u. 
Braunes  B.  VI,  377).  Dass  die  Benennungen  von  gallus  und  corvus  in  ein- 
ander  tibergehn,  zeigt  auch  das  Verhaltniss  von  krahen:  krahe,  engl.  croiv 
krahen :  crow  Krahe.  Aehnlich  wird  der  unter  10.  genannte  Lautcomplex 
kuko-  auch  zur  Bezeichnung  des  Kukuks  verwendet.  Uebrigens  konnen  sowohl 
die  Ableitungen  von  kerk  wie  von  kuku-  kuko-  (vgl.  Fick,  Vergl.  W.  4.  Aufl. 
S.  384,  21)  schon  idg.  Vogelnainen  gewesen  sein,  die  spater  auf  den  Haus- 
hahn iibertragen  wurden.  Vgl.  iiber  die  Geschichte  des  Haushahns  neuer- 
dings  E.  Hahn,  Die  Hausthiere  S.  291  ff.  (mehr  in  naturgeschichtlicher  Be- 
ziehung)  und  rnein  Keallexicon  u.  Hahn,  Huhn. 


Die   Taube. 

Schon  Homer  erwahnt  nicht  selten  der  Tauben  unter  dem  Namen 
TTtfaiddeg;   aber  nichts  lasst  vermuthen,   dass  er  die  Haus- 
taube  darunter  verstanden  habe.    Die  Tauben  sind  inm  das  Bild  des 


336  Die  Taube. 

Fliichtigen  und  Furchtsamen  :  so  entzieht  sich  Artemis  der  Hera,  die 
ihr  den  Kocher  geraubt  hat,  II.  21,  493: 

Weinend  aber  entfloh  sie  zur  Seite  sofort,  wie  die  Taube, 

Die  vom  Habicht  verfolgt  in  den  Spalt  des  zerkliifteten  Felsens 

Schliipft  —  nicht  wars  ihr  beschieden  des  Raubers  Beute  zu  werden. 

Hector  flieht  vor  Achilles,  wie  eine  scheue  Taube  vor  dem  Falken, 
II.  22,  139,  wo  das  Gleichniss  folgendermassen  ausgemait  wird: 

Wie  im  Gebirge  der  Falk,  der  geschwindeste  unter  den  Vogeln, 
Leicht  im  Schwunge  des  Flugs  der  schtichternen  Taube  sich  nachsturzt; 
Seitwarts  fliichtet  sie  bang;  dicht  hinter  ihr  stiirmt  er  bestandig 
Nach  mit  hellem  Geschrei  und  brennt  vor  Begier  sie  zu  fangen. 

Daher  auch  das  Adjectiv  rgr/gan',  scheu,  fliichtig,  das  Homer  dem 
Namen  der  Tauben  gern  hinzufugt,  wie  Aeschylus  Sept.  292  Ttdvigo- 
fjiog  Tishsidg,  die  ganz  zitternde  Taube,  sagt.  Auch  als  der  schnellste 
Vogel  erscheint  die  Taube  in  dem  Sagenkreise  von  den  Argonauten. 
Das  Schiff  Argo  war,  wie  der  Name  sagt,  wunderbar  schnell,  und 
wenn  die  Taube  zwischen  den  zusammenschlagenden  Felsen  hindurch- 
flog,  durfte  auch  das  Fahrzeug,  das  die  Helden  trug,  unverletzt  hin- 
durchzusegeln  hoffen.  Daher  vorher  mit  ihr  die  Probe  gemacht 
werden  soil,  Apoll.  Rh.  Argon.  2,  328: 

Macht  vor  Allem  zuerst  den  Versuch  mit  dem  Vogel,  der  Taube, 
Lasst  sie  zuvor  vom  Schiff  ausfliegen. 

Aus  der  Argonautensage  stammt  denn  auch  in  der  Odyssee  die  War- 
ming der  Circe  vor  den  glatten  Felsen,  12,  59: 

Rechtshin  sind  zwei  Felsen  und  hangen  heriiber,  an  diese 
Donnert  die  machtige  Woge  der  blaulichen  Amphitrite: 
Die  sind  irrende  Felsen  genannt  von  den  seligen  Gottern. 
Da  fliegt  selbst  kein  Vogel  vorbei,  ja  schiichterne  Tauben 
Nicht  einmal,  die  dem  Vater,  dem  Zeus,  Ambrosia  bringen; 
Auch  von  diesen  sogar  raubt  allzeit  eine  die  Felswand, 
Und  eine  andere  sendet,  die  Zahl  zu  erganzen,  der  Vater. 

So  verderblich  also  sind  diese  Felsen,  dass  selbst  die  geschwinden 
Tauben  ihnen  nicht  immer  entgehen  und  Vater  Zeus,  dem  sie  Am- 
brosia bringen  —  sie  schwingen  sich  als  dun&sig  durch  die  Himmels- 
blaue  —  ,  die  verlorenen  durch  andere  ersetzen  muss.  Auch  bei  den 
Tragikern  ist  die  Taube  schnell  wie  der  Sturmwind  und  wie  die 
Wuth  oder  die  Rache,  Soph,  O.  C.  1081: 
sl$  aekkaCa 


Die  Taube.  337 

Eurip.  Bacch.   1090  (die  Manaden  stiirzen  auf  den  Pentheus): 

fj%av  nefotag  wxvTrjT   ov%  yaffoves. 

Noch  schneller  freilich  1st  der  Habicht  oder  Falke,  der  der  schnellste 
aller  Vogel  1st  —  da  er  ja  auf  die  Tauben  Jagd  macht  —  und  nur 
das  Wunderschiff  der  Phaaken,  das  den  schlummenden  Odysseus  nach 
Ithaka  brachte,  iibertrifft  ihn  an  Fliichtigkeit,  Od.  13,  86: 

Kastlos  lief  es  und  sicher  dahin :  kein  kreisender  Habicht 
Floge  den  Lauf  ihm  nach,  der  geschwindeste  unter  den  Vogeln; 
So  hineilend  und  leicht  durchschnitt  es  die  Wogen  des  Meeres. 

Griechenland  war  in  Fels  und  Wald  so  reich  an  Tauben,  Ringel-, 
Felsen-,  Turteltauben,  dass  ihre  Rolle  in  Gedicht  und  Sage  nicht  auf- 
f alien  kann.  Der  Schiffskatalog  bezeichnet  das  bootische  Thisbe 
(II.  2,  502)  und  das  lacedamonische  Messe  (582)  als 
taubenreich,  ebenso  Aeschylus  die  Insel  Salamis  als 
taubennahrend  (Pers.  309  Dindorf.).  Drosseln  und  Tauben  werden 
in  Netzen  oder  Schlingen  gefangen,  die  im  Gebusch.  aufgestellt  sind, 
Od.  22,  468: 

Wie  bisweilen  ein  Zug  breitschwingiger  Drosseln  und  Tauben 
Sich  in  der  Schlinge  verfangt,  die  aufgestellt  im  Gebusch  ist, 
Wann  sie  zum  Nest  heiraeilen;  ein  trauriges  Lager  empfangt  sie  — 

und  es  kann  daher  nicht  auffallen,  wenn  im  23.  Buch  der  Ilias 
Achilles  bei  den  Leichenspielen  des  Patroklus  eine  lebendige,  an  die 
Spitze  eines  Mastbaumes  gebundene  Taube  als  Ziel  aufstellt:  Teukros, 
der  gefeierte  Bogenschiitze ,  schiesst  zuerst,  aber  er  vergisst,  dem 
Apollo  sein  Gelubde  zu  thun,  und  trifft  nur  die  Schnur;  die  befreite 
Taube  strebt  kreisend  zum  Himmel  auf;  da  ergreift  Meriones  schnell 
den  Bogen,  betet,  und  holt  den  fliichtigen  Vogel  mit  dem  Pfeil  vom 
Himmel  herunter  (II.  23,  850  ff.).  Daher  die  Taube  auch  das  my- 
thische  Bild  des  der  Fesseln  sich  entledigenden  Gefangenen  und 
Fluchtlings  ist:  die  drei  Tochter  des  Anius  auf  Delos,  die  Oino, 
Spermo  und  Elais,  die  Alles,  was  sie  beriihrten,  in  Wein,  Korn  und 
Oel  verwandelten  und  desshalb  Oinotropoi  genannt  wurden,  sollten 
von  Agamemnon  in  Fesseln  geschlagen  und  mit  Gewalt  nach  Troja 
geschleppt  werden,  da  verwandelten  sie  sich  in  Tauben  und  flogen 
davon  (Ov.  Metam.  13,  650  fL).  Dass  endlich  die  Taube  auch  ein 
damonischer  weissagerischer  Vogel  ist,  beweist  das  Orakel  von  Do- 
dona:  dort  thaten  Ringeltauben  vom  Gipfel  der  heiligen  Eiche  in 
ihrem  Fluge  und  Girren,  dem  Gerausch  ihrer  Flugel,  ihrem  Kommen 
und  Gehen,  Aufsteigen  und  Niederstiirzen  die  Zukunft  und  den  Willen 
des  Zeus  kund,  wie  ja  Vogelorakel  auch  in  dem  gegeniiberliegenden, 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  22 


338  Die  Taube. 

in  Vieletn  dem  epirotischen  Lande  so  verwandten  Italien  ein  uralter 
Branch  waren  und  wie  die  Veneter  den  Dohlen  Kuchen  auf  dem 
Felde  hinzustellen  pflegten,  damit  sie  die  Saat  verschonten  (Theo- 
pompus  bei  Miiller  Fr.  143). 

An  alien  angefiihrten  Stellen  des  Epos  wird  die  Taube  Ttskeia 
genannt  (im  Plural  auch  nsksid dsg) ;  nur  einnial  kommt  bei  Homer 
das  spater  ubliche  (pdaaa  vor  und  zwar  als  erster  Bestandtheil  des 
Adj.  <pa(Hfo(p6vog,  taubenmordend,  Pradikat  des  Habichts  (II.  15,  237). 
Ein  dritter  Ausdruck,  ydip,  Gen.  cpafiog,  findet  sich  zuerst  bei 
Aeschylus,  fragm.  206  Nauck. : 

Svffrrjvov  d&ltctv 
nqog  rtTvocg 

also  die  vom  Korn  naschende,  ungliickliche  Taube,  der  mit  der  Worf- 
schaufel  die  Knochen  zerschmettert  werden.  Die  spatere  wissen- 
schaftliche  Zoologie  (bei  Aristoteles,  Anim.  hist.  5,  13,  2)  unterscheidet 
mit  diesen  Namen  die  besonderen  Arten  Tauben  und  fiigt  noch  olvdg 
(wortlich:  die  Weintaube)  und  TQvytov  (die  Turteltaube,  vom  Girren, 
XQV£O),  benannt,  zuerst  bei  Aristophanes  in  den  Vogeln)  hinzu:  in 
der  Urzeit  gingen  diese  Benennungen  wohl  ohne  Unterschied  je  nach 
der  Landschaft  oder  nach  einer  der  Eigenschaften  des  Thiers,  die 
grade  in  das  Bewusstsein  des  Redenden  fiel,  auf  das  Geschlecht  der 
wilden  Tauben  iiberhaupt,  denn  die  dodonaische  Tieheia,  die  in  den 
Baumen  wohnte,  Columba  Palumbus,  kann  unmoglich  mit  der  nefoia, 
die  bei  Homer  in  einen  Felsspalt  schliipft,  Columba  lima,  dieselbe 
gewesen  sein.  Der  eigentliche  Name  fur  die  Haustaube,  und  damit 
diese  selbst,  tritt  erst  in  der  spatern  attischen  Sprache  auf,  zuerst 
bei  Sophokles  (Fr.  781  Nauck. ,  wo  sie  deutlich  als  oixetig  und 
Icpeouog  bezeichnet  ist),  dann  bei  den  Komikern  und  bei  Plato: 

Tauberich,  Taube,  neQiaceQcdevg,  TISQIGTS- 
TTSQIGTSQIOV  Taubchen ,  TisQiaTSQSojv ,  der  Taubenschlag  — 
neue  Worter,  die  der  dorische  Dialect,  der  fortfuhr  nefaidg  zu  sagen, 
gar  nicht  annahm  (Sophron  bei  Athen.  9,  p.  394).  Woher  nun  kam 
den  Griechen  in  so  spater  Zeit  dies  freundliche  Hausthier,  das  gegen 
das  Ende  des  5.  Jahrhunderts  vor  Chr.  in  Athen  schon  ganz  ge- 
wohnlich  ist?  und  war  die  zahme  Taube  etwa  identisch  mit  einer 
der  in  Griechenland  lebenden  wilden  Arten?  —  Sehen  wir  uns  zur 
Beantwortung  dieser  Fragen  zuerst,  wie  gewohnlich,  in  der  semi- 
tischen  Welt  um. 

Dass  in  den  syrischen  Stadten  die  Taube  der  dort  unter  ver- 
schiedenen  Namen  verehrten  weiblichen  Naturgottheit ,  die  die 


Die  Taube.  339 

Griechen  Aphrodite  nennen,  heilig  war  und  bei  ihren  Tempeln  in 
dichten  Schaaren  gehegt  wurde,  ist  eine  von  den  verscbiedensten 
alten  Schriftstellern  bezeugte  Thatsache.  Xenophon,  als  er  im  Heere 
des  jiingeren  Cyrus  mit  andern  griechischen  Soldnern  Syrien  durch- 
zog,  fand,  dass  die  Einwohner  die  Fische  und  die  Tauben  als  gott- 
liche  Wesen  verehrten  und  ihnen  kein  Leid  anzuthun  wagten,  Anab. 
1,  4,  9:  »welche  (die  Fische)  die  Syrer  fiir  Gotter  hielten  und  ihnen 
kein  Leids  antbaten,  so  wenig  als  den  Tauben. «  Nach  Pseudo- 
Lucian.  de  Syria  dea  54  waren  in  Hierapolis  oder  Bambyce  die 
Tauben  so  heilig,  dass  Niemand  eine  derselben  auch  nur  zu  beriihren 
wagte;  wenn  dies  Jemandem  wider  Willen  widerfuhr,  dann  trug  er 
fiir  den  ganzen  Tag  den  Fluch  des  Verbrechens;  daher  auch,  fiigt 
der  Verfasser  hinzu,  die  Tauben  mit  den  Menschen  ganz  als  Ge- 
nossen  leben,  in  deren  Hauser  eintreten  und  weit  und  breit  den  Erd- 
boden  einnehmen.  Ganz  dasselbe  berichtet  der  Jude  Philo  (bei 
Euseb.  praep.  evang.  8,  14)  von  Askalon,  dem  Ursitz  der  'Ayigodfarj 
Ovgavfy  oder  der  Astaroth:  »ich  fand  dort,  sagt  er  wortlich,  eine 
unzahlige  Menge  Tauben  auf  den  Strassen  und  in  jedem  Hause,  und 
als  ich  nach  der  Ursache  fragte,  erwiderte  man  mir,  es  bestehe  ein 
altes  religioses  Verbot,  die  Tauben  zu  fangen  und  zu  profanem  Ge- 
brauch  zu  verwenden.  Dadurch  ist  das  Thier  so  zahm  geworden, 
dass  es  nicht  bloss  unter  dem  Dache  lebt,  sondern  ein  Tischgenosse 
des  Menschen  ist  und  dreisten  Muthwillen  treibt.«  Die  Tauben  der 
paphischen  Gottin  auf  Cypern,  die  Paphiae  columbae,  die  im  Tempel 
ein-  und  ausflogen,  ja  sich  selbst  auf  das  Bild  der  Gottin  setzten, 
sind  so  bekannt,  selbst  aus  Miinzen  und  Gemmen,  dass  es  der  An- 
fiihrung  eines  besonderen  Zeugnisses  nicht  bedarf.  Da  nun  die 
Astarte  von  Askalon  in  sehr  alter  Zeit  nach  Kythera  und  Lacedamon, 
uberhaupt  die  semitische  Aphrodite  nach  Korinth  und  an  die  ver- 
schiedensten  Punkte  der  griechischen  Kiiste  verpfianzt  wurde  und 
Cypern  schon  fruhe  das  Ziel  griechischer  Seefahrten  und  Nieder- 
lassungen  war,  so  musste,  wie  man  denken  sollte,  auch  die  Taube, 
das  Symbol  und  der  Liebling  der  Gottin,  mit  ihr  selbst  und  eben  so 
friihe  nach  Griechenland  gekommen  und  bei  ihren  Heiligthtimern 
Gegenstand  der  Zucht  und  Pflege  geworden  sein.  Davon  aber  giebt 
es  durchaus  keine  Ueberlieferung.  In  dem  homerischen  Hymnus  auf 
Aphrodite  finden  sich  die  Tauben  nicht  erwahnt:  die  Gottin  betritt 
ihren  duftenden  Tempel  auf  der  Insel  Cypern,  sie  wird  von  den  Chariten 
mit  dem  unsterblichen  Oel  gesalbt,  mit  herrlichen  Gewandern  be- 
kleidet  und  mit  goldenem  Geschmeide  geschmuckt  und  schwingt  sich 

22* 


340  Die  Taube. 

dann,  Cypern  verlassend,  hoch  durch  die  Wolken  nach  dem  quellen- 
reichen  Ida.  Und  auch  am  Schlusse  des  Hymnus  heisst  es  bloss: 
sie  entschwebte  zum  wehenden  Himmel:  yj'C^e  TiQog  ovqavov  r^ve- 
(j,6svTtt.  Auch  in  den  kleineren  Hymnen  V  und  IX  bezieht  sich 
keines  der  der  Gottin.  gegebenen  Pradikate  auf  ihre  Tauben;  sie 
heisst  xQvaoGTeyavog  ,  loffi  eyxxvog  ,  JlfaxofihsyaQog  ,  yhvxvftslfoxog, 
2ala(Jilvog  giixupevyg  fisdsovcfa  xal  Ttdaqg  KVTIQOV,  TJ  ndti^g  KVTIQOV 
xQTjdeiiJiva  A,ehoy%£V  elvaMrjg  u.  s.  w.  In  der  uns  durch  Dionysius 
von  Halikarnassus  de  compos,  verb,  erhaltenen  Ode  der  Sappho,  die 
mit  den  Worten  beginnt: 


wird  der  Wagen  der  Gottin  nicht  von  Tauberi  oder  Schwanen, 
sondern  von  schnellen  Sperlingen  durch  den  Himmel  gezogen  (fr.  1. 
Bergk.): 

xakoi  de  G    dyov 

wxssg  ffTQOvdoi  nsQl  yag  [tehalvag 

Tivxva  dwevvTsg  nxio    an    wgdvco 


Von  einer  Erwahnung  der  Tauben  bei  derselben  Sappho  berichtet  das 
Scholion  zu  Pindar  Pyth.  1,  10:  bei  Pindar  namlich  sitzt  der  Adler 
auf  dem  Scepter  des  Zeus,  die  Fliigel  sinken  lassend:  wxelav  TixsQvf 
dtu<porsQa)&ev  %ahd%aig-,  umgekehrt,  sagt  der  Scholiast,  aussert  sich 
die  Sappho  iiber  die  Tauben: 

Tafat,  tie  ipv%Qog  ftsv  syevro  $V{JLO<;, 

nay  S'  isHU  TO,  TirsQa  (fr.   16  Bergk.) 

Wir  wissen  weder,  mit  welchem  Worte  hier  die  Tauben  bezeichnet 
waren,  noch  ob  sie  als  Attribut  eines  Gottes  oder  einer  Gottin  vor- 
kamen  ;  da  ihnen  ein  kaltes  Gemiith  zugeschrieben  wird,  konnen  nur 
die  .wilden,  nicht  die  kyprischen  gemeint  gewesen  sein.  In  der 
ganzen  iibrigen  Lyrik  bis  auf  Pindar  hinab  —  so  weit  sie  uns  in 
Bruchstiicken  und  Nachrichten  erhalten  ist  •  fehlt  die  Taube 
durchaus. 

Dies  spate  Erscheinen  des  nachher  in  Kunst,  Religion  und  Leben 
so  verbreiteten  Vogels  hat  seinen  Grund  offenbar  in  dem  gleichen 
Vorgang  in  Syrien,  Palastina  und  Cypern.  Auch  dort  geht  die 
zahme  Taube  nicht  in  friihes  Alterthum  hinauf,  sondern  wurde  erst 
Symbol  der  Astarte  und  Aschera,  als  in  Folge  von  Eroberungsziigen 
und  Han  dels  verkehr  der  Dienst  dieser  Gottinnen  mit  dem  der  wesens- 
gleichen  centralasiatischen  Semirainis  verschmolz.  Semiramis  war 


Die  Taube.  341 

als  Taube  gedacht  und  bedeutete  so  viel  als  Taube,  Diodor  2,  4: 
»Semiramis  1st  in  der  Sprache  der  Syrer  so  nach  den  Tauben  be- 
nannt,  die  seit  jener  Zeit  von  alien  Bewohnern  Syriens  als 
Gottinnen  verehrt  werden.«  Hesych.  ^sfjicQa^g-  neQitiisQa  oQstog 
*Ehhr]ve,cri£.  Sie  wurde  in  Askalon  von  ihrer  Mutter,,  der  Fischgottin 
Derketo,  gleich  nach  der  Geburt  ausgesetzt,  von  Tauben  genahrt, 
vom  Hirten  Simmas,  der  sie  nach  seinem  Namen  benannte,  aufer- 
zogen;  dann  trat  sie  in  Ninive  als  herrliche  Kriegerin  auf  und  ver- 
wandelte  sich  zuletzt  in  eine  Taube  und  flog  mit  Tauben  davon 
(Diod.  2,  20  nach  Ktesias).  Nach  Hygin.  fab.  197  fiel  vom  Himmel 
ein  ungeheures  Ei  in  den  Euphrat;  Fische  walzten  es  an  das  Ufer, 
Tauben  briiteten  es  aus,  und  es  ging  die  Venus  daraus  hervor,  die 
spater  die  dea  Syria  genannt  wurde;  daher  die  Syrer  auch  Fische 
und  Tauben  fur  heilig  halten  und  nicht  essen.  Der  Taubendienst 
kam  also  vom  Euphrat  nach  Vorderasien,  ebenso  die  Anschauung  der 
Naturgottin  als  Taube.  Im  Alten  Testament  findet  sich  die  erste 
einigermassen  sichere  Erwahnung  der  zahmen  Taube  bei  Pseudo- 
Jesaias  60,  8:  »Wer  sind  die,  welche  fliegen  wie  die  Wolken  und 
wie  die  Tauben  zu  ihren  Fenstern  (Gittern  d.  h.  zum  Taubenschlage)?« 
Diese  Partie  des  Jesaias  ist  in  der  Epoche  des  Exils  geschrieben, 
und  um  diese  Zeit,  nach  den  babylonischen  Eroberungsziigen ,  mag 
sich  auch  die  Aneignung  der  Taubenzucht  in  Vorderasien  und  die 
Aufnahme  des  zartlichen  Vogels  in  den  syrisch-phonizischen  Kultus 
und  als  Tempelbewohner  schrittweise  vollzogen  haben.  Sollten  die 
Taubengleichnisse  in  dem  Hohen  Liede  nicht  anders  als  von  zahmen 
Tauben  verstanden  werden  konnen  -  -  was  wir  dahin  gestellt  sein 
lassen  — ,  dann  konnte  auch  dies  Gedicht,  dessen  Zeitalter  ungewiss 
ist,  nicht  hoher  hinaufgeriickt  werden.  (Nach  H.  Gratz,  das  Salo- 
monische  Hohelied,  Wien  1871,  fiele  es  erst  in  die  macedonisch- 
griechische  Zeit,  nach  S.  J.  Kampf,  das  Hohelied,  Prag  1877,  in  die 
vorexilische  Epoche  und  zwar  weil  die  Stimmung  darin  eine  freudige 
ist!)  Attch  auf  der  spateren  Konigsburg  in  Jerusalem,  die  im  all- 
gemeinen  Brande  unterging,  waren  nach  Josephus  b.  j.  5,  4,  4  »viele 
Thiirme  zahmer  Tauben«. 

Von  den  syrischen  Kiisten,  doch  auf  einem  Umwege,  kam  dann 
die  Haustaube  mit  dem  Beginn  des  fiinften  Jahrhunderts  auch  den 
Griechen  zu  —  wie  uns  ein  merkwiirdiges  Zeugniss  belehrt,  das 
nur  richtig  verstanden  werden  muss.  Charon  von  Lampsakus,  der 
Vorganger  des  Herodot,  berichtete  in  seinen  JIsQffixd,  zu  der  Zeit, 
wo  die  persische  Seemacht  unter  Mardonius  bei  Umschiffung  des 


342  Die  Taube. 

Vorgebirges  Athos  zu  Grunde  ging,  also  zwei  Jahre  vor  der  Schlacht 
bei  Marathon,  seien  zuerst  in  Griechenland  die  weissen  Tauben  er- 
schienen,  die  bis  dahin  unbekannt  waren  (Athen.  9.  p.  394).  Was 
ist  hier  unter  weissen  Tauben  gemeint?  Nichts  anderes  als  Haus- 
und  Tempeltauben  edler  Race,  wie  die  wilden  als  schwarze,  graue, 
aschfarbene,  fahle  gedacht  und  danach  genannt  werden,  und  zwar 
nicht  bloss  bei  den  Griechen,  sondern  auch  in  den  Sprachen  der 
urverwandten  europaischen  Volker.  Den  Tauben  von  Dodona  legt 
Herodot  ausdriicklich  schwarze  Farbe  bei,  2,  55  und  57,  wenn  er 
auch  das  schwarze  Gefieder,  sowie  das  ganze  Taubenorakel ,  bereits 
in  der  Weise  der  jiingeren  Zeit  rationalistisch  deutet.  Den  Namen 
des  Vogels  nekeia  erklarten  schon  die  Alten  aus  dem  Adjectiv  nshog, 
nefaog,  TtsMog,  nofaog  grau  (womit  einverstanden  ist  Pott,  Zeitschr. 
6,  282);  dasselbe  Wort  ist  das  lateinische  pahtmbus  oder  palumbes, 
auch  palumba,  dessen  erweiterte  Form  aus  dem  urspriinglich  auf  das 
I  folgenden  v  mit  hinzutre tender  Nasalirung  entstand,  wie  in  pallidus, 
pullus  das  doppelte  I  aus  Assimilation.  Ganz  so  stammt  das  czechische 
(auch  polnische  und  russische)  siwdk,  die  wilde  Taube,  aus  siwy  = 
caesius,  glaucus,  das  gleichbedeutende  russische  sizjak  aus  sizyi  blaulich, 
das  franzosische  biset,  die  Holztaube,  aus  bis  schwarzlich.  Nicht 
anders  ist  auch  das  deutsche  Taube,  goth.  dtibo,  ags.  dufe,  altn. 
dufa  mit  dem  Adjectiv  daubs,  taub,  stumm,  blind,  duster,  dunkel- 
farbig,  zusammenzustellen ,  fur  welche  letztere  Bedeutung  das  Kel- 
tische  willkommene  Bestatigung  bietet:  altirisch  dubh  niger,  dub  atra- 
mentum,  Dubis  der  Schwarzbach  (Zeuss2  p.  14).  Im  Gegensatz  dazu 
wird  die  asiatische,  der  Aphrodite  geweihte  Taube  wegen  ihres  zart 
weissen,  in  hellen  Farben  schillernden  Gefieders  durchgangig  die 
weisse,  hevxrj,  alba,  Candida  genannt.  Der  Komiker  Alexis  bei 
Athen.  9,  p.  395: 

hsvxbg  ' A(fQodLxri<;  elftl  yaq  rtKQiGTSQcg. 

Catull.  29,   9: 

ut  albulus  columbus  aut  Adoneus. 

Tibull.   1,   7,   16: 

Quid  referam,  ut  volitet  crebras  intacta  per  urbes 
Alba  Palaestino  sancta  columba  viro. 

Ovid.  Metam.  2,  536  (vom  Raben,  der  friiher  schneeweiss  war  wie 
die  Taube): 

Nam  fuit  haec  quondam  niveis  argentea  pennis 
Ales,  ut  aequaret  iotas  sine  labe  columbas. 


Die  Taube.  343 

Martial.  8,  28  (der  Dichter  richtet  das  Epigramm  an  eine  ihm  ge- 
schenkte  Toga  und  riihmt  die  Reinheit  ihrer  weissen  Farbe  durch 
Vergleichung  mit  der  Lilie,  der  Ligusterbliite ,  dem  Elfenbein,  dem 
Schwan,  der  paphischen  Taube  und  der  Perle),  v.  11: 

Lilia  tu  vincis  nee  adhuc  delapsa  ligustra 

Et  Tiburtino  monte  quod  albet  ebur. 

Spartanus  tibi  cedet  olor  Paphiaeque  columbae, 

Cedet  Eryihraeis  eruta  gemma  vadis. 

Apulej.  Met.  6,  6,  p.  175:  de  multis  quae  circa  cubiculum  dominae 
stdbulant  procedunt  quatuor  candidae  columbae  et  hilaris  in- 
cessibus  picta  colla  torquentes  jugum  gemmeum  subeunt  susceptaque 
domina  laetae  subvolant.  Sil.  Ital.  3,  677  lasst  im  Anschluss  an 
Herodot  und  zugleich  einigermassen  im  Widerspruch  mit  ihm,  also 
vielleicht  nach  Pindar,  der  in  seinem  Paan  an  den  dodonaischen 
Zeus  derselben  Stiftungssage  erwahnt  hatte,  urspriinglich  zwei  Tauben 
aus  dem  Schoss  der  Thebe  ausfliegen:  die  eine  schwingt  sich  nach 
Chaonien  und  weissagt  auf  dem  Wipfel  der  Eiche  von  Dodona;  die 
andere,  weiss  mit  weissen  Fliigeln  (jene  erste  war  also  schwarz 
oder  grau)  strebt  iiber  das  Meer  nach  Afrika  und  grimdet  als  Vogel 
der  Cy there  das  ammonische  Orakel: 

Nam  cm  dona  Jovis  non  divulgata  per  orbem, 
In  gremio  Thebes  geminas  sedisse  columbas? 
Quarum  Chaonias  pennis  quae  contigit  oras, 
Implet  fatidico  Dodonida  murmure  quercum. 
At  quae  Carpathium  super  aequor  vecta  per  auras 
In  Libyen  niveis  tranavit  concolor  alls, 
Hanc  sedem  templo  Cyihereia  condidit  ales. 

Die  favxal  nsQtGteQai  des  Charon  von  Lampsakus  waren  also  zahme 
Tauben,  die  beim  Schiffbruch  der  persischen  Flotte  am  Athos  von 
den  scheiternden  Fahrzeugen  sich  ans  Land  gerettet  haben  mochten 
und  den  Einwohnern  in  die  Hande  fielen.  Da  die  Perser  nach  He- 
rodot 1,  18  die  assyrisch-babylonischen  ksvxas  neQiGTZQag  auch 
Herodot  nennt  sie  fovxat  —  als  der  Sonne  feindlich  verabscheuten 
und  in  ihrem  Lande  nicht  duldeten,  so  werden  es  phonizische, 
cyprische,  cilicische  Schiffer  gewesen  sein,  die  mit  Idolen  ihrer  Gottin 
auch  die  Tauben  derselben  mit  sich  fiihrten.  Ein  halbes  Jahrhundert 
spater  ist  unter  den  Athenern,  die  mit  Thrakien  in  lebhaftem  poli- 
tischen  und  Handelsverkehr  standen,  die  Taube  unter  dem  Namen 
7ieQ(,0i£Qd,  der  vielleicht  auch  aus  jener  nordlichen  Gegend  stammt, 
ein  verbreitetes  Hausthier  und  wird,  wie  im  Orient,  zu  schnellen 


344  Die  Taube. 

Botschaften  gebraucht,  Pherecr.  bei  Ath.  9,  p.  395  (Meinecke,  fr. 
com.  gr.  II,  1,  266): 

anoTts^iipov  dyyehhovTa  rov  nsQidregov . 

Der  um  dieselbe  Zeit  lebende  Aeginet  Taurosthenes  sandte  seinem 
Vater  von  Olympia  aus  durch  eine  Taube  Botschaft  von  seinem 
Siege,  die  noch  an  dernselben  Tage  nach  Aegina  gelangte,  Ael.  V. 
H.  9,  2.  Miiller,  Aegin.  p.  142  Anna.  Dass  von  nun  an  die  Tauben 
der  Aphrodite  untrennbar  gehorten,  dass  sie  in  deren  Heiligthiimern 
gehegt,  ihr  als  Geschenk  dargebracht  wurden,  in  Wirklichkeit  und 
in  Marmor,  dass  Tauben  unter  Liebenden  eine  bedeutungsvolle  Gabe 
bildeten,  das  Alles  ist  aus  bildlichen  Darstellungen  und  Erwahnungen 
der  Dichter  allbekannt. 

Italien  machte  mit  der  Haustaube  wohl  durch  Vermittelung  des 
Tempels  von  Eryx  in  Sicilien  zuerst  Bekanntschaft.  Auf  diesem 
Berge,  einem  alien  phonizischen  und  karthagischen  Cultussitze, 
wohnten  Schaaren  weisser  und  farbiger,  schmeichlerischer,  girrender 
Tauben,  der  dort  verehrten  grossen  Gottin  geweiht  und  an  deren 
Festeii  theilnehmend.  Zog  die  Gottin  am  Tage  der  *Awrfmfta  fort 
nach  Afrika,  dann  verschwanden  mit  ihr  auch  ihre  Tauben;  erschien 
nach  neun  Tagen  die  erste  Taube  wieder,  dann  war  auch  Hie  Gottin 
nahe,  und  es  brach  das  larmende  Freudenfest  der  KaTaywyia  an 
(Athen.  9.  p.  394.  Ael.  N.  A.  4,  2).  In  der  traurigen  Zwischenzeit 
der  neun  Tage  mochten  die  Tauben  wohl  in  ihren  Kammern  ver- 
schlossen  gehalten  werden.  Vom  Eryx  stammen  denn  auch  die 
2ixeA,ixai  TieQ&GisQaC ,  die  in  Theophrast  Charakteren  V.  der  Selbst- 
gefallige  neben  Affen  sich  anschafft.  Den  Vogel  nannten  die  sici- 
lischen  Griechen,  als  sie  ihn  zuerst  erblickten,  xo  hv  ft/log ,  xo^v^i 
(vergl.  xoAv^/Sa'co),  wie  wir  aus  dem  lateinischen  columba,  columbus 
schliessen.  Schwarzlich  namlich  twar  die  die  Uferklippen,  Felsen- 
zinnen  und  Kronen  hoher  Baume  hewohnende  wilde  Taube  im 
Gegensatz  zu  den  Wasser  und  Schwimmvogeln,  welche  letztere  die 
weissen  hiessen:  z.  B.  ahd.  alpiz,  ags.  alfet,  altn.  (Lift,  si.  lebedi, 
identisch  mit  lat.  albus,  gr.  dtyog.  Das  griechische  xo^v^og  (ge- 
bildet  wie  xoQVf-ifiog  und  palumbus)  hat  sein  Analogon  im  litauischen 
gulbe  der  Schwan,  altir.  gall  idem  (Cormac  p.  84)  und  da  es  also 
den  weissen  Wasservogel  bedeutet,  so  lag  es  nahe,  auch  den  weissen 
Vogel  der  Aphrodite  so  zu  benennen,  die  ja  selbst  eine  pelagische 
Gottin  ist  und  deshalb  auch  den  Schwan  liebte.  In  Italien  wurde 
der  schone  Vogel  erst  allmahlig  naher  bekannt  und  seine  Zucht  zur 
allgemeinen  Sitte.  Wir  brauchten  sonst,  sagt  Varro,  ohne  Unter- 


Die  Taube.  345 

schied  columbae  von  den  Mannchen  und  Weibchen,  erst  spater,  da 
der  Vogel  in  unseren  Hausern  gewohnlich  ward,  lernten  wir  den 
columbus  von  der  columba  unterscheiden ,  de  1.  1.  9,  38.  Spengel: 
Nam  et  cum  omnes  mares  et  feminae  dicer  entur  columbae,  quod 
non  erant  in  eo  usu  domestico  quo  nunc,  contra  propter  domesticos 
usus  quod  internovimus,  appellatur  mas  columbus,  femina  columba. 
Aus  den  scriptores  rei  rusticae,  zuerst  aus  Varro,  3,  7,  ersehen  wir, 
dass  auch  eine  Art  der  einheimischen  Taube,  das  genus  saxatile, 
also  die  Felsentaube,  italienisch  sassajuolo,  in  den  Villen  zu  einer 
Art  halber  Zahmung  gebracht  war:  diese  Tauben  bewohnten  die 
hochsten  TMrme  und  Zinnen  des  Landhauses,  kamen  und  gingen 
und  suchten  im  Uebrigen  ihr  Futter  frei  im  Lande.  Die  andere 
Art,  fiigt  Varro  hinzu,  ist  zahmer  und  lebt  nur  von  dem  innerhalb 
des  Hauses  gereichten  Futter:  sie  ist  hauptsachlich  von  weisser 
Far  be,  wahrend  jene  wilde  Taube  gemischten  Gefieders,  ganz  ohne 
Weiss  ist.  Diese  vollig  domesticirte  weisse  Taube  -  •  offenbar  die 
aus  Babylonien  stammende  kypriotisch-syrische  -  -  wurde  dann  auch 
mit  der  einheimischen  grauen  Art  zusammengebracht  und  eine 
Mischung  erzeugt,  miscellum  tertium  genus,  von  der  in  den  grossen 
Taubenhausern  TtftQitireQewv  oder  TTSQiGcsgoTQocpeZov  genannt,  oft  bis 
auf  5000  Stuck  versammelt  waren  (Varro  1.  1.).  Den  Unterschied 
beider  Arten,  der  xcnoixCdwt,  oder  Haustauben  und  der  fiotfxddeg, 
aygiat,  oder  Feldtauben,  kennt  auch  Galenus,  der  noch  hinzusetzt, 
bei  ihm  zu  Hause  d.  h.  in  der  Gegend  von  Pergamum  in  Klein- 
asien  erbaue  man  auf  dem  Lande  Thiirme  zum  Anlocken  und  Unter- 
halten  der  letztgenannten  (de  compositione  medicamentorum  per 
genera,  II.  10,  T.  XIII.  p.  514  Kiihn).  Diese  Halbzucht  der  wilden 
Taube  mochte  nicht  bloss  in  Kleinasien,  sondern  ini  Orient  uberhaupt 
und  in  Aegypten  sehr  alt  sein.  Wenn  das  mosaische  Gesetz  Vor- 
schriften  liber  Taubenopfer  giebt,  die  Hebraer  aber  sonst  wilde 
Thiere  nicht  opfern,  so  miissen  in  dem  taubenreichen  Kanaan  solche 
Anstalten  zur  Anlockung  der  columba  lima  und  auch  der  Turtel- 
taube  friihzeitig  bestanden  haben.  Auch  in  der  Sage  von  Noah  und 
seinem  Kasten  scheinen  die  Taube,  welche  wiederkehrt,  und  der 
Rabe,  welcher  ausbleibt,  nicht  bloss  den  Gegensatz  der  Farbe,  son- 
dern auch  den  der  Zahmheit  und  Wildheit  ausdriicken  zu  sollen. 
Eben  so  in  Aegypten.  Zwar  bei  der  Kronungsscene,  die  Wilkinson 
hat  abbilden  lassen  (Second  series,  pi.  76),  konnen  die  vier  Tauben, 
die  als  Symbol  weitreichender  Herrschaft  nach  den  vier  Weltgegenden 
ausfliegen,  der  Natur  der  Sache  nach  nur  wilde  gewesen  sein,  die 


346  Die  Taube. 

der  Bande  entledigt  das  Weite  suchen,  aber  das  von  Brugsch  (die 
agyptische  Graberwelt,  S.  14)  beschriebene  Wirthschaftsbild  enthalt 
wirklich  Tauben,  die  gefiittert  werden.  Man  bemerke  iibrigens,  dass 
die  beigefugten  Inschriften  sagen  sollen:  »die  Gans  wird  gefiittert, « 
»die  Ente  erhalt  zu  fressen,«  »die  Taube  holt  sich  Futter«  — welcher 
letztere  Ausdruck  auf  die  ebenso  schiichterne,  als  gierige  Feldtaube 
trefflich  passt.  Aber  die  Taube  der  Semiramis ,  die  von  Askalon 
und  unsere  Farben-  und  Racentaube  -  -  verschieden  von  den  soge- 
nannten  Feldfliichtern  —  kann  in  so  alter  Zeit  in  Aegypten  nicht 
vorhanden  gewesen  sein,  da  sie  dann  auch  in  der  asiatisch-europai- 
schen  Kulturwelt  nicht  so  spat  erschienen  ware. 

Von  Italien  ging  mit  der  Macht  und  Kultur  des  romischen  Reiches 
die  Haustaube  iiber  ganz  Europa  aus.  Die  keltischen  ISTamen  fur 
dieselbe  (altirisch  colum,  walsch  und  altkornisch  colom,  bretonisch 
koulm,  kloni)  sind  dem  Lateinischen.  entlehnt,  eben  so  die  slavischen 
(golabl  u.  s.  w.).  Dem  Christenthum  diente  ihr  Bild  friihe  zum  Aus- 
druck der  neuen  Religion  und  der  daniit  verbundenen  Seelenstimmung ; 
die  Taube  war  ein  reiner,  frommer  Vogel,  einfaltig  und  ohne  Falsch ; 
in  ihrer  Gestalt  stieg  der  heilige  Geist  nieder;  beim  Tode  des  Glau- 
bigen  schwang  sich  die  Seele  als  Taube  zum  Himmel.  Man  sieht 
sie  in  den  altesten  christlichen  Katakomben  haufig  abgebildet,  und 
in  den  Heiligenlegenden  des  Mittelalters  ist  sie  das  sich tb are  Zeicheii 
der  Einwirkung  des  Geistes  von  oben.  Als  der  Frankenkonig  Chlod- 
wig  sich  in  Rheims  taufen  Hess,  da  brachte  eine  Taube  dem  h.  Remi- 
gius  -  -  wie  Hincmar  im  Leben  des  Heiligen  erzahlt  —  das  Oel- 
flaschchen  zur  Salbung  vom  Himmel  herab.  Es  war  seit  den  Zeiten 
der  Kirchenvater  ein  allgemeiner  Glaube,  dass  die  Taube  keine  Galle 
habe;  daher  z.  B.  bei  Walther  von  der  Vogelweide  19,  13  Lachm.: 

ros  dne  dorn,  ein  tube  sunder  gallen. 

Der  Papst  verschenkte,  wie  die  Rose,  so  auch  das  Bild  der  Taube. 
Den  europaischen  Naturvolkern  war  die  graue  Taube,  wie  sie  in  der 
Wildniss  lebt,  ein  diisterer  vorbedeutender /Vogel,  vielleicht  auch  ein 
Leichen-  und  Trauervogel  gewesen  (Grimm,  DM.2  S.  1087 f.  und 
daselbst  die  Stelle  aus  Paulus  Diaconus  5,  34):  ihr  trat  jetzt,  wie 
dem  Heidenthum  das  Christenthum,  die  anmuthige  und  zartliche, 
mit  dem  Menschen  lebende  und  aus  der  Hand  des  Menschen  ihre 
Speise  nehmende,  weisse,  fremdlandische  Taube  gegeniiber.  Im 
Westen  war  indess  die  Taube  immer  auch  ein  Hausvogel,  dessen 
Mist  und  Federn  verwandt  wurden  und  der  wie  Gans,  Ente  und 
Huhn  zum  Essen  diente;  in  den  Gemeinden  der  anatolischen  Kirche 


Die  Taube.  347 

aber  bildete  sie  in  Ankniipfung  an  altorientaliscbe  Vorstellungen 
einen  Gegenstand  religioser  Verehrung  und  aberglaubischer  Skrupel. 
In  Moskau  und  den  iibrigen  Stadten  des  weiten  Russlands  werden 
uberall  Schaaren  von  Tauben  von  den  Kaufleuten  unterhalten  und 
genahrt,  und  einen  der  heiligen  Vogel  zu  todten,  zu  rupfen  und  zu 
essen  ware  eine  Art  Schandung  des  Heiligen  und  wiirde  dem  Thater 
ubel  bekommen  —  ganz  wie  einst  zur  Zeit  Xenophons  und  Philos 
in  Hierapolis  und  Askalon.  In  dem  halbgriechischen  Venedig  be- 
wohnen  noch  jetzt  Schwarme  von  Tauben  die  Kuppeln  der  Markus- 
kircbe  und  das  Dach  des  Dogenpalastes,  treiben,  von  Niemandem 
gekrankt,  auf  dem  Markusplatze  ihr  Wesen  und  erhalten  zur  be- 
stimmten  Stunde  auf  offentliche  Kosten  ihr  Futter  gestreut.  Die 
neueuropaische  Taubenzucht  theilt  sich  zwar  noch  in  die  beiden 
varronischen  Zweige,  aber  die  Arten  und  Varietaten  der  eigentlichen 
Haustaube,  der  sogenannten  Racen-  oder  Farbentaube,  haben  sich  'in 
Folge  der  Zuchtung  und  des  umfassenden  Weltverkehrs  ins  Uniiber- 
sehbare  vermehrt,  wie  jeder  zoologische  Garten  und  jede  Tauben- 
ausstellung  beweist.  Im  Orient  werden  noch  jetzt,  wie  altere  und 
neuere  Reisende  berichten,  ungeheure  Taubenhauser  unterhalten,  deren 
Hauptwerth  in  der  Erzeugung  des  fur  die  Gartenkultur  unschatzbaren 
Taubenmistes  besteht:  sie  mogen  noch  dieselbe  columba  livia  ent- 
halten  und  noch  die  Form  und  Grosse  haben,  wie  die,  deren  Galenus 
an  der  o.  a.  Stelle  erwahnt  und  die  wir  in  Aegypten  und  Palastina 
voraussetzten.  Auch  bei  Moscheen  und  Heiligthiimern ,  in  Mekka 
und  anderswo,  unterhalten  die  Muhammedaner  gern  Tauben,  die 
ihnen,  wie  den  orientalischen  Christen,  fromme,  dem  Reiche  Gottes 
angehorende  Vogel  sind:  eine  Taube  war  es  gewesen,  die  dem  Pro- 
pheten  Alles  ins  Ohr  fliisterte,  was  sie  gesehen  und  erspaht  hatte. 
Zu  keiner  Zeit  aber,  weder  irn  Westen  noch  im  Osten,  hat  die 
Taube  irn  wirthschaftlichen  Leben  der  Menschen  die  Bedeutung  er- 
reicht  wie  das  Haushuhn76). 


*  *  Der  Glaube,  dass  der  Taube,  der  schwarzen,  wilden  Taube,  die  Gabe 
der  Weissagung  innewobnt,  kehrt  auch  auf  arischem  Gebiet  wieder.  Schon 
im  Rigveda  kiindet  der  Vogel  Verderben  an  und  wird  als  Bote  der  Nirriti, 
des  Genius  des  Verderbens,  und  des  Yama,  des  Todtengottes  bezeichnet 
(Rgv.  X,  165).  Die  Veranlassung  zu  dieser  wohl  bereits  indogermanischen 
Auf  fassung  der  Taube  mag  theils  in  ihrem  schwarz-grauen  Gefieder,  theils  in 
ihrer  klagenden,  auch  auf  anderen  Volkergebieten  bemerkten  Stirnme  gelegen 
haben,  wie  es  schon  in  sumerischen  Busspsalmen  (vgl.  F.  Hommel,  Die 
Semiten  S.  321)  heisst:  »Wie  eine  Taube  klagt  er«  oder  »\vie  eine  Taube  klage 


348  Die  Taube. 

ich  und  zergehe  in  Seufzen«.  —  Dem  Verbal tniss  von  grieeh.  rceXsta  Taube 
zu  TcsXio?  schwarzlich,  womit  sich  lat.  palumbus  (alb.  pshim,  daneben  palarg  vgl. 
G.  Meyer,  Et.  W.  S.  331)  wegen  seiner  abweichenden  und  auffallenden  Wort- 
bildung  (Anlehnung  an  col-umba?)  nur  schwer  vereinigen  lasst,  entspricht  ferner 
das  von  scrt.  kapota,  npers.  kaputar  Taube:  npers.  kabud  blau  (vgl.  Anm.  76), 
osset.  aysinak  Taube:  ostiran.  a^saena  blauschwarz  (Hiibschmann,  Osset.  Spr. 
S.  26,  Z.  d.  d.  M.  G.  38,  427),  lit.  karszulis  Taube:  scrt.  krsna  schwarz  (Feist 
in  Paul  und  Braunes  B.  XV,  548).  Umgekehrt  heisst  die  Taube  die  »weisse« 
auch  in  armen.  a\auni:  lat.  albus,  grieeh.  &Xcp6c,  osset.  balon,  balan:  lit.  bdlti 
weiss  werden,  grieeh.  <paX6c  (Bugge  in  Kuhns  Z.  32,  1).  Als  Entlehnung  aus 
lat.  colutriba  darf  wohl  auch  ags.  culufre,  engl.  culver  gelten;  das  Verhaltniss 
von  columba  selbst  einerseits  zu  slav.  golqbi,  andererseits  zu  lit.  gulbH  Schwan 
ist  noch  nicht  geniigend  aufgeklart.  Wichtig  dafur  sind  auch  die  Formen 
altpr.  golimban  blau,  klruss.  holub  (Miklosich,  Et.  W.).  Vgl.  iiber  alle  diese 
Worter  neuerdings  Holthausen  I.  F.  X,  112. 

Die  Annahme  Hehns  (oben  S.  340),  dass  in  der  vorderasiatisch-griechi- 
schen  Welt  die  Taube  erst  verhaltnissmassig  spat  Symbol  der  Astarte- Aphro- 
dite geworden  sei,  wird  sich  neueren  Funden  gegentiber  schwer  halten  lassen. 
In  dem  dritten  Grabe  von  Mykenae  wurden  zwei  Goldbleche  entdeckt,  die 
das  Bildniss  weiblicher  Gottheiten  enthalten,  auf  deren  Haupte  eine  Taube 
sitzt.  In  dem  einen  Fall  fliegen  ausserdem  von  jedem  Arme  eine  Taube  aus. 
Es  kann  nicht  bezweifelt  werden,  dass  wir  in  der  Gottheit  Astarte-Aphrodite 
zu  erblicken  haben.  Fiinf  andere  Goldbleche  aus  dem  III.  und  V.  Grabe 
stellen  ein  von  Tauben  umgebenes  Gebaude  dar,  das  an  den  Aphroditetempel 
von  Paphos  erinnern  soil  (vgl,  W.  Helbig,  Homerisches  Epos  2.  Aufl.  S.  33, 
Schuchhardt,  Schliemanns  Ausgrabungen  S.  226).  Auf  einem  elfenbeinernen 
Spiegelgriff  (vgl.  Tsountas  and  Manatt  The  Mycenaean  age  S.  187)  sind  zwei 
weibliche  Gestalten  dargestellt,  von  denen  jede  eine  Taube  mit  ausgebreiteten 
Fltigeln  und  ausgestrecktem  Halse  auf  dem  Arme  halt.  -  -  Eine  schone 
Bestatigung  der  Benutzung  des  Taubenmotivs  in  der  bildenden  Kunst, 
auf  welche  die  Beschreibung  des  Bechers  des  Nestor  (II.  11,  632  ff. :  Sotai 
8e  TCsXsidSsc;  ftfxcplc  ixaatov  ^pooeta:  VEJJLS^OVTO)  hinwies,  ist  durch  den  Fund 
eines  mykenischen  Goldbechers  (Helbig,  Homerisches  Epos  S.  371)  ge- 
geben.  Der  diesen  Kunstwerken  zu  Grunde  liegende  Gedanke,  dass  Tauben 
vertraulich  sich  dem  Becher  des  Menschen  nahen,  scheint  auch  mehr  auf  ein 
gezahmtes,  denn  auf  ein  wildes  Thier  hinzuweisen.  —  In  Griechenland  muss. 
worauf  zahlreiche  Miiiizen  deuten,  Sikyon  eine  Hauptstatte  der  Taubenzucht 
und  des  Aphroditekultus  gewesen  sein  (Imhoof-Keller  S.  33).  —  In  den  semi- 
tischen  Landern  scheint  schon  in  der  vorsemitisch-sumerischen  Kultur  die 
Taube  in  einem  gewissen  Verhaltniss  zum  Menschen  gestanden  zu  haben 
(»Die  Krankheit  des  Hauptes  fliege  davon,  wie  eine  Taube  zu  ihrem  Schlage«, 
F.  Hommel,  Die  Semiten  S.  401,  402).  Auch  in  dem  keilinschriftlichen  Sint- 
fluthbericht  (E.  Schrader,  Die  Keilinschriften  und  das  alte  Testament  2.  Aufl. 
S.  63)  erscheint  Taube  (*  samdmu-summatu)  und  Rabe  ganz  wie  in  der  Bibel. 
-  Ueber  die  Taube  bei  Griechen  und  Romern  vgl.  jetzt  auch  Lorentz,  Die 
Taube  im  Alterthum,  Progr.  Wurzen  1886,  iiber  die  Geschichte  des  Vogels 
im  allgemeinen  E.  Hahn  Die  Hausthiere  S.  331  ff.  und  mein  Reallexicon 
unter  Taube. 


Der  Pfau.  349 

An  die  beiden  im  Obigen  behandelten,  zu  historischer  Zeit  aus 
Asien  nach  Griechenlaiid  versetzten  Hausvogel  schliessen  sich  drei 
andere  an,  gleichfalls  Fremdlinge  auf  deni  naturarmen  europaischen 
Boden,  gleichfalls  zur  Griechenzeit  herubergebracht,  um  das  auf 
hoheren  Stufen  der  Civilisation  sich  regende  Bedurfniss  nach  Er- 
weiterung  und  Bereicherung  der  Anschauung  zu  befriedigen:  der 
Pfau,  das  Perlhuhn,  der  Fasan. 


Der  Pfau. 

Noch  weniger  als  die  Taube  war  der  Pfau  unmittelbar  nutz- 
bar,  aber  noch  mehr  geeignet,  durch  die  Pracht  seines  Gefieders,  das 
er  stolz  auszubreiten  verstand,  der  schauenden  Menge  zur  Augen- 
weide  zu  dienen  und  den  Glanz  reicher  Hauser  und  Hofe  zu  erhohen. 
Er  gait  fur  den  schonsten  aller  Vogel,  Varr.  3,  6,  2:  huic  (pavoni) 
enim  natura  formae  e  volucribus  dedit  palmam;  Colmnell.  8,  11,  1: 
harum  autem  decor  avium  etiam  exteros,  nedum  dominos  oblectat. 
Der  Weg  seiner  Einfuhrung  zu  den  Kulturvolkern  des  Alterthums 
lasst  sich  im  Allgemeinen,  wenigstens  nach  den  Haupt-Haltepunkten, 
noch  erkennen.  Er  stammte  aus  dem  fernen  Wunderlande  Indien 
und  gehorte,  wie  das  blanke  Gold,  die  blitzenden  Edelsteine,  das 
weisse  Elfenbein  und  das  schwarze  Ebenholz  zu  dessen  angestaunten 
und  begehrten  Herrlichkeiten.  Alexander  der  Grosse  fand  dort  die 
Pf auen  in  wildem  Zustande  in  einem  Walde  voll  unbekannter  Baume, 
Curt.  9,  2:  Hinc  per  deserta  ventum  est  ad  fiumen  Hydraotim. 
junctum  erat  flumini  nemus,  opacum  arboribus  alibi  inusitatis 
agrestiumque  pavonum  multitudine  frequens,  und  bedrohte,  von  der 
Schonheit  der  Vogel  betroffen,  Jeden,  der  sie  zum  Opfer  schlachten 
wollte,  mit  den  schwersten  Strafen,  Aelian.  N.  A.  5,  21:  xal  TOV 
xdMovg  tyavftaGag  rJTrsttrjas  tw  xara$v(favu  tawv  aTrsihag  paQVTCtTag. 
Dort  also  lebte  der  Vogel  frei  in  den  Waldern,  und  von  dort  gelangte 
er  auf  dem  Wege.  des  phonizischen  Seehandels  in  das  Gebiet  des 
Mittelmeers,  wie  nicht  bloss  ein  bestimmtes,  auf  den  Anfang  des 
zehnten  Jahrhunderts  weisendes  Zeugniss  lehrt,  sondern  auch  die 
Vergleichung  der  Namen  bestatigt.  Konig  Salomos  in  den  edomi- 
tischen  Hafen  ausgeriistete  Schiffe  brachten  von  der  Fahrt  nach  und 
von  Ophir  neben  andern  Kostbarkeiten  auch  Pfauen  mit  (1.  Konige 
10,  22),  die  im  hebraischen  Text  den  Namen  tukkijim  fuhren.  Dieses 


350  De 

Wort  1st,  wie  zuerst  Benary,  dann  Benfey,  Griech.  Wurzelworterb.  2, 
236  erkannt  hat  (dem  dann  Lassen,  Indische  Alterthumskunde  1, 
538  folgte,  ohne  Neues  hinzuzuf ugen ;  Ritter,  Erdkunde  14,  402  ff. 
beruht  auf  Lassen),  nichts  anderes,  als  das  Sanscritwort  gikM,  welches 
idttamulisch  togei  lautet.  An  der  Kiiste  Malabar  also  lag  Ophir, 
oder  von  dort  kamen  jene  kostbaren  Waaren  nach  Ophir,  wenn 
letzteres  nur  ein  vermittelnder  Stapelplatz  war,  —  und  neben  bunten 
Papageien  und  lacherlichen  Affen  ward  auch  der  Pfau  nicht  unwiirdig 
befunden,  dem  Hofe  des  weisen  Konigs  Unterhaltung  und  den  Schein 
des  Ausserordentlichen  zu  geben.  Eine  feme  Seltenheit  muss  der 
Vogel  indess  noch  lange  geblieben  sein ;  er  war  theuer  zu  beschaffen, 
vielleicht  noch  nicht  ganz  gezahmt  oder  schwer  im  neuen  Klima  zu 
-erhalten  und  zu  vermehren.  Wir  schliessen  dies  aus  der  Lang- 
samkeit  seiner  Verbreitung  nach  Westen  und  der  Schwierigkeit,  die 
seine  2^ucht  und  Hutung  noch  gegen  Ende  des  fiinften  Jahrhunderts 
in  Athen  machte.  Dass  die  Griechen  ihn  aus  dem  semitischen  Vor- 
derasien  erhalten  hatten,  lehrt  schon  der  Name,  den  er  bei  ihnen 
fiihrt:  xawg  (mit  schwankender  grammatischer  Form;  die  Attiker 
sprachen  in  sonst  ganz  ungewohnlicher  Weise,  aber  der  urspriinglichen 
Gestalt  des  Wortes  naher,  die  zweite  Silbe  mit  Aspiration:  rawg). 
Der  erste  Punkt  auf  griechischem  Boden,  wo  Pfauen  gehalten  wurden, 
konnte  das  Heraum  von  Samos  gewesen  sein,  da  nach  der  Legende 
des  genannten  Tempels  die  Pfauen  dort  zuerst  entstanden  und  von 
dort  als  dem  Ausgangspunkt  den  andern  Landern  zugefiihrt  sein 
sollten  (Menodotus  von  Samos  in  der  schon  oben  im  Abschnitt  vom 
Haushahn  aus  Athen.  14.  p.  655  angefiihrten  Stelle).  Was  den  Pfau 
zum  Liebling  der  Hera  machte,  war  der  Augenglanz  seines  Gefieders; 
denn  die  Augen  sind  Sterne,  und  Hera  war  auch  die  Himmelsgottin, 
nicht  bloss  im  abgeleiteten  samischen,  sondern  auch  im  urspriing- 
lichen argivischen  Cultus.  Hier  floss  der  Bach  Asterion,  also  der 
Sternenbach,  dessen  drei  Tochter  die  Ammen  der  Hera  gewesen 
waren;  am  Ufer  dieses  Flusses  wuchs  das  Kraut  Asterion,  also  das 
Sternenkraut,  welches  der  Gottin  dargebracht  wurde  (Pausan.  2,  17,  2). 
Der  Pfau,  der  Sternenvogel,  schloss  sich  so,  nachdem  er  bekannt  ge- 
worden,  dem  Herakultus  ganz  naturlich  an.  Ein  sich  von  selbst  er- 
gebender  My  thus  war  es  denn  auch,  dass  der  allschauende  Argus, 
der  die  Mondgottin  lo  zu  bewachen  hatte,  nach  seiner  Todtung  durch 
den  Argeiphontes  sich  in  den  Pfau  verwandelte  (Schol.  Aristoph. 
Av.  102)  oder  dass  der  Pfau  aus  dem  purpurnen  Blut  des  Getodteten 
mit  blumenreichen  Fittigen  hervorging  und  seine  Schwingen  entfaltete, 


Der  Pfau.  351 

wie  das  Seeschiff  seine  Ruder  (Mosch.  2,  58)  oder  dass  die  Juno 
die  hundert  Augen  des  Wachters  auf  die  Federn  des  Vogels  setzte, 
Ovid.  Met.  1,  722: 

Excipit  hos  (oculos)  volucrisque  suae  Saturnia  pennis 

Collocat  et  gemmis  caudam  stellantibus  implet. 

Der  Pfau  war  also  an  der  Kultusstatte  selbst  entstanden,  nicht  aus 
Indien  gekommen,  aber  in  »unvordenkliche  Zeit,«  wie  Movers  will, 
diirfen  wir  desshalb  seine  Aufnahme  in  den  Heradienst  nicht  setzen. 
Dass  bestehenden  religiosen  Gebrauchen  eine  anfangslose  Dauer  zu- 
geschrieben  wird,  liegt  in  der  Natur  solcher  Institute  und  der  an 
dieselben  sich  kmipfenden  Sage.  Als  der  spatere  samische  Tempel, 
den  Herodot  fur  den  grossten  aller  griechischen  seiner  Zeit  erklart, 
vollendet  war,  da  schenkte  vielleicht  ein  reicher  Verehrer,  ein  Kauf- 
mann,  der  nach  Syrien  und  bis  ins  rothe  Meer  handelte,  oder  ein  in 
einem  syrischen  oder  agyptischen  Hafenplatz  angesiedelter  frommer 
Samier  dem  Tempel  das  erste  Paar;  ging  dieses  etwa  zu  Grunde, 
dann  bemiihte  sich  die  Priesterschaft  um  ein  neues,  das  endlich  be- 
schaft't  wurde  und  gliicklich  ausdauerte  und  sich  f ortpflanzte ;  das 
Naturwunder  zog  dann  irnmer  neue  Wallfahrer  an  und  trug  dazu 
bei,  das  Ansehen  des  Tempels  und  dessen  Einkunfte  zu  mehren; 
und  so  stolz  war  die  Insel  zuletzt  auf  diesen  Besitz,  dass  sie  den 
Pfau  auf  ihre  Mimzen  setzte  (Athen.  a.  a.  0.;  Mionnet  unter  den 
Miinzen  von  Samos).  Zu  Polykrates'  Zeit  wird  der  Vogel  indess  auf 
Sarnos  noch  nicht  vorhanden  gewesen  sein :  batten  die  Dichter  Ibykus 
und  Anakreon,  die  am  Hofe  des  Tyrannen  lebten,  den  Pfau  mit  Augen 
gesehen,  so  hatten  sie  desselben  in  ihren  Gedichten  doch  \vohl  er- 
wahnt  und  Spatere,  wie  Athenaus,  nicht  unterlassen,  diese  Stellen 
zu  citiren  und  fur  uns  aufzubewahren77).  Auch  nach  Athen  wiirde 
dann  der  Ruf  des  Vogels  und  der  Vogel  selbst  wohl  friiher  gedrungen 
sein.  In  Athen  namlich  finden  wir  ihn  erst  nach  Mitte  des  funften 
Jahrhunderts  und  zwar  als  hochste  Merkwiirdigkeit  und  Gegenstand 
ausserster  Bewunderung.  Vielleicht  gab  der  Abfall  der  Samier  von 
der  athenischen  Hegemonie  in  Ol.  84,  4  oder  440  a.  Chr.  und  der 
Feldzug,  den  Perikles  zur  Ziichtigung  der  Insel  unternahm  und  mit 
TJnterwerfung  derselben  beschloss,  den  Siegern  Gelegenheit,  auch 
Pfauen  vom  Heraon  nach  Athen  zu  entfiihren,  obgleich  Thucydides 
1,  117  nur  von  Auslieferung  der  Schiffe  und  Bezahlung  der  Kriegs- 
kosten  spricht.  Wie  das  neugierige,  schaulustige  athenische  Volk 
durch  die  Erscheinung  des  glanzenden  Vogels  aufgeregt  wurde,  und 
wie  sich  die  Begierde,  ihn  zu  sehen  und  zu  besitzeii,  durch  den 


352  P 

hohen  Preis  und  die  Schwierigkeit  der  Zucht  und  Vermehrung  nur 
steigerte,  dies  Bild  malen  uns  in  einzelnen  treffenden  Ziigen  die  bei 
Athenaus  14.  p.  654.  655  aufbewahrten  Stellen  der  Komiker  und  die 
Inhaltsangaben  eines  Xoyog  des  Redners  Antiphon  uber  die  Pfauen 
(ibid,  und  bei  Aelian.  N.  A.  5,  21).  Aus  der  letzteren  Schrift  ersehen 
wir  z.  B.,  dass  es  in  Athen  einen  reichen  Vogelziichter  gab,  Namens 
Demos,  Sohn  des  Pyrilampes,  —  reich,  denn  er  stellte  eine  nach  Cypern 
bestimmte  Triere  und  besass  vom  Grosskonig  eine  goldene  Trinkschale 
als  (fu/tifjohov,  vielleicht  weil  er  dem  Monarchen  einen  Pfauen  iiber- 
reicht  hatte  (Lysias  de  bonis  Aristophanis  19,  25 ff.)?  Dieser  Demos 
wurde  seiner  Pfauen  wegen  von  Neugierigen  uberlaufen,  selbst  aus 
fern  en  Landschaften,  wie  Lacedamon  und  Thessalien.  Jeder  woilte 
die  Vogel  schauen  und  bewundern  und  womoglich  Eier  von  ihnen 
sich  verschaffen.  Jeden  Monat  einmal,  am  Tage  des  Neumondes, 
wurden  Alle  zugelassen,  an  den  anderen  Ta'gen  Niemand.  »Und  das, 
setzt  Antiphon  hinzu,  geht  nun  schon  mehr  als  dreissig  Jahr  so 
fort« 78).  In  der  That  war  auch  schon  der  Vater,  Pyrilampes,  Be- 
sitzer  einer  oQvidvTQoyta  und  sollte  seinem  Freunde,  dem  grossen 
Perikles,  bei  dessen  Liebeshandeln  Vorschub  geleistet  haben,  indem 
er  den  Weibern,  die  Perikles  zu  gewinnen  wiinschte,  unbemerkt  Pfauen 
zuwandte  (Plut.  Pericl.  13,  13).  Die  Vogel  in  der  Stadt  zu  verbreiten, 
fahrt  Antiphon  fort,  geht  nicht  an,  weil  sie  dem  Besitzer  davon- 
fliegen;  woilte  sie  Jemand  stutzen,  so  wurde  er  ihnen  alle  Schonheit 
nehmen,  denn  diese  besteht  in  den  Federn,  nicht  in  dem  Korper. 
Daher  sie  lange  eine  Seltenheit  blieben  und  ein  Paar  10,000  Drachmen 
(<J(?ajflMcov  (WQ&ov9  nach  anderer  Lesart  gjuUoy)  kostete.  »Ist  es  nicht 
Wahnsinn,  hiess  es  bei  Anaxandrides,  einem  Dichter  der  mittleren 
Komodie,  Pfauen  im  Hause  zu  ziehen  und  Summen  dafiir  aufzu- 
wenden,  die  zum  Ankauf  von  Kunstwerken  ausreichen  wurden  ?« 
Und  in  einer  Komodie  des  Eupolis  kamen  die  Worte  vor:  »So  viel 
Geld  zu  verthun!  Hatte  ich  Hasenmilch  und  Pfauen,  wahrhaftig  ich 
wurde  das  nicht  verzehren!«  Die  Komiker  unterliessen  nicht,  den 
Werth,  der  auf  den  Besitz  von  Pfauen  gelegt  wurde,  aus  deren  Selten- 
heit zu  erklaren  (Eubulus  bei  Athen.  9.  p.  397),  denn  an  sich  sind 
Pfauen  und  nichtige  Possen  an  Gehalt  einander  gleich,  wie  eine 
Stelle  des  Strattis  sagte.  Im  Laufe  des  vierten  Jahrhunderts  mussten 
die  Pfauen  von  Athen  aus,  der,  wenn  auch  nicht  mehr  politisch,  doch 
im  Punkte  der  Sitten  und  des  Geschmackes  noch  immer  hegemo- 
nischen  Stadt,  sich  mehr  und  mehr  unter  den  Griechen  verbreiten. 
»Sonst  —  sagt  der  Komiker  Antiphanes  ohne  Zweifel  iibertreibend  - 


Der  Pfau.  353 

war  es  etwas  Grosses,  auch  nur  ein  Paar  Pfauen  zu  besitzen,  jetzt 
sind  sie  haufiger  als  die  Wachteln!«  Nach  Alexander  dem  Grossen 
drang  mit  der  griechischen  Herrschaft  und  Colonisation  auch  der 
Pfau  in  die  Stadte  und  Garten  des  inneren  Asiens.  Zwar  wird  auch 
Babylonien  reich  an  schonfarbigen  Pfauen  genannt  (Diod.  2,  53)  und 
dass  ein  Naturobjekt,  welches  schon  Konig  Salamo  aus  der  Feme 
bezog,  auch  in  dem  verwandten,  durch  Krieg  und  Handel  mit  den 
semitischen  Kustenlandern  am  Mittelmeer  vielfach  verbundenen  Ba- 
bylon bekannt  und  dann  haufig  geworden,  hatte  an  sich  nichts  Un- 
wahrscheinliches ;  aber  der  Umstand,  dass  die  asiatischen  Pfauennamen 
alle  dem  Griechischen  entlehnt  sind  (Pott  in  Lassens  Zeitschr.  4,  S.  28, 
Paul  de  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen,  227.  35 ff.),  spricht 
dafiir,  dass  erst  die  griechische  Herrschaft  —  durch  Riickwanderung, 
die  auch  sonst  noch  beobachtet  werden  kann  —  den  Vogel  in  dem  weiten 
Continent  popular  machte.  Dass  Suidas  furjdtxbg  OQVtg  mit  Pfau  glossirt 
und  Clemens  von  Alexandrien  den  Pfauen  an  zwei  Stellen  das  Pradikat 
Mydog,  [trjdixog  giebt,  will  eben  so  wenig  sagen,  als  wenn  wir  den  aus 
Amerika  stammenden  Mais  Tiirkischen  Weizen  oder  den  gleichfalls  ameri- 
kanischen  Truthahn  Kalkutischen  Hahn  (d.  h.  Hahn  von  Calicut)  nennen. 
Die  Griechen  hatten  den  Pfau  tawos,  tawon,  tahos  genannt:  die 
Romer  nannten  ihn  abweichend  pdvus  oder  pdvo,  pdvonis.  Dieses 
Eintreten  eines  p  statt  des  t  erinnert  an  das  gleiche  bei  tadmor  - 
palma,  welches  wir  durch  eine  vorausgesetzte  Differenz  semitischer 
Mundarten  zu  erklaren  suchten.  Ware  auch  hier  der  Vogel  aus 
phonizisch-karthagischen  Handen  direkt  den  italisch  redenden  Stammen 
iiberliefert  worden?  Die  Notiz  bei  Eustathius  (II.  22,  p.  1257.  30): 
»der  Pfau  war  bei  den  Bewohnern  Libyens  heilig  und  wer  ihn  scha- 
digte,  wurde  bestraft«  —  ist  zu  vereinzelt  und  bei  einem  so  spaten 
Schriftsteller  ohne  Gewfcht;  von  Pfauen  in  Afrika  weiss  die  Natur- 
geschichte  nichts  und  eben  so  wenig  die  Religionsgeschichte  von  solchen 
beim  Tempel  des  Ammon  oder  der  karthagischen  Juno.  Adler  und 
Pfau  auf  den  Miinzen  von  Leptis  magna,  auf  die  sich  Movers  beruft, 
sind  nichts  als  Apotheosen  des  Augustus  und  der  Li  via  oder  Julia, 
die  demgemass  als  Jupiter  und  als  Juno  erscheinen  sollten  (Miiller, 
Numismat.  de  1'anc.  Afrique  II.  p.  13).  Die  Moglichkeit  indess,  dass, 
wie  ebur,  barrus,  palma,  so  auch  dies  Produkt  der  Ophirfahrten  aus 
Karthago,  Sardinien,  Sicilien  unmittelbar  an  die  italische  Kuste  ge- 
langt  sei,  lasst  sich  nicht  verneinen.  Pf auenf edern ,  aus  ihnen  zu- 
sammengebundene  Biischel  und  Wedel,  mit  ihnen  besetzte  Hiite,  sind 
wie  Glas-  und  Bernsteinperlen  ein  bei  Kindervolkern  beliebter  Ab- 

Vict.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  23 


354  Der  Pfau. 

satzartikel,  fiir  den  sie  ihre  Schafe  und  Felle  gern  hingeben.  Wenn 
Ennius  fingirte,  Homer  sei  ihm  im  Traume  erschienen  und  habe  ihm 
eroffnet,  er  (Homer)  erinnere  sich  in  einen  Pfau  verwandelt  gewesen 
zu  sein  (Vahlen,  Enn.  poes.  reliquiae  p.  6.  Charis.  ed.  Keil.  96:  me- 
mini  me  fieri  pavum\  so  war  dies  ohne  Zweifel  eine  pythagoreische 
Vorstellung,  die  sich  der  Dichter  in  Tarent  angeeignet  hatte:  als 
Symbol  des  sternetragenden  Firniamentes  und  der  Erd-  und  Himmels- 
gb'ttin  war  gerade  der  Pfau  wiirdig  befunden  worden,  Homers  Seele 
aufzunehmen,  der  ja  auch  fiir  einen  Samier  gait,  wie  der  Meister 
Pythagoras  einer  war.  Auch  als  romisches  Cognomen  tritt  Pavus, 
Pavo,  wie  andere  Vogelnamen,  schon  zur  Zeit  der  Republik  auf  und 
die  Sache  kann  daher  in  Italien  nicht  neu  gewesen  sein:  so  der 
Fircellius  Pavo  bei  Varro  de  r.  r.  3,  2,  2,  der  auch,  wenn  Reatinus 
nicht  dabei  stiinde,  durch  Fircellius  (fircus  =  hircus)  sich  als  Sabiner 
verrathen  wiirde,  und  P.  Pavus  Tuditanus  in  der  14.  Sat.  des  Lucilius 
(ed.  L.  Muller.  p.  64): 

Publiu   Pavo'  Tuditanus  mihi  quaestor  Hibera 
In  terra  fuit,  lucifugus,  nebulo,  id  genu  sane. 

Bei  den  spateren  Romern  musste  ein  Thier,  das  schon  in  Athen  der 

Ueppigkeit    gedient    hatte,    in    um    so  hoherem  Masse  in  Aufnahme 

kommen,  als  der  romische  Luxus  und  Reichthum  den  attischen  hinter 

sich  liess.     Zuerst  sollte  der  Redner  Hortensius,  der  Zeitgenosse  des 

Cicero,    der    auch    in    andern    Dingen    den    Reihen    romischer    Aus- 

schweifung  eroffnet,  den  Pfau  gebraten  auf  die  Tafel  gebracht  haben 

und    zwar    bei    dem   prachtigen  Antrittsmahl,    das  er  bei  seiner  Er- 

nennung  zum  Augur  gab  (Varr.  de  r.  r.  3,  6,  6).     Obgleich  das  Pfauen- 

fleisch,  wenigstens  das  der  alteren  Thiere,  ziemlich  ungeniessbar  ist, 

so    fand    das    gegebene    Beispiel    doch    bald    allgemeine    Nachfolge. 

Schon  Cicero  schreibt  in  einem  Briefe :    Ich  habe  mir  eine  Kiihnheit 

erlaubt    und    sogar    dem   Hirtius    ein   Diner    gegeben  —  doch    ohne 

Pfauenbraten  (Ad  famil.  9,  20,  3:  sed  vide  audaciam:  etiam  Hirtio 

cenam  dedi,  sine  pavone  tameri),  und  Horaz  wirft  seinen  Zeitgenossen 

vor:    wird    ein  Pfau    aufgetragen  und  daneben  ein  Huhn,    da  greift 

Alles    nach   dem  Pfau  -  -  und    warum   das?   weil  der  seltene  Vogel 

Goldes  werth    ist    und   ein   prachtiges  Gefieder  ausbreitet,    als  wenn 

dadurch  dem  Geschmack  geholfen  werde,  Sat.  2,  2,  23: 

Vix  tamen  eripiam,  posito  pavone,  veils  quin 

Hoc  potius  quam  gallina  tergere  palaium, 

Corruptus  vanis  rerum,  quia  veneat  auro 

Kara  avis  et  picta  pandat  spedacula  cauda, 

Tamquam  ad  rem  adtineat  quidquam  — , 


Der  Pfau.  355 

welchem  horazischen  quid  als  eigentliches  Motiv  das  stolze  Bewusst- 
sein  im  Besitz  grenzenloser  Mittel  zu  sein  und  Sonne,  Mond  und 
Sterne  in  die  Luft  verpuffen  zu  konnen,  und  der  daraus  hervor- 
gehende  Selbstgenuss  zu  Grande  lag.  Auch  zu  Fliegenwedeln 
dienten.  an  reichen  Tafeln  Pfauenschweife,  wie  goldenes  Geschirr  und 
Becher  mit  geschnittenen  Steinen,  Mart.  14,  67.  Muscarium  pa- 
voniurn : 

Lambere  quae  turpes  prohibet  tua  prandia  muscas, 

Alitis  eximiae  cauda  superba  fuit. 

Da  so  der  Pfau  in  allgemeinem  Begehr  stand,  so  wurde  die  Zucht 
dieses  Vogels  in  ganzen  Heerden  Gegenstand  landwirthschaftlicher 
Industrie,  die  Anfangs  nicht  ohne  Schwierigkeit  war.  Die  kleinen 
Eilande  um  Italien  herum  wurden  zu  Pfaueninseln  eingerichtet, 
wohl  nach  griechischem  Vorgange;  so  hatte  schon  zu  Varros  Zeit 
(3,  6,  2)  M.  Piso  die  Insel  Planasia,  jeizt  Pianosa,  mit  seinen  Pfauen 
besetzt.  Die  Vortheile  solcher  seeumgebenen  Pfauengarten  setzt 
Columella  8,  11  auseinander:  der  Pfau,  der  weder  hoch  noch  langere 
Zeit  zu  fliegen  vermag,  kann  iiber  die  Insel  nicht  hinaus,  lebt  aber 
auf  dieser  in  volliger  Freiheit  und  sucht  sich  den  grossten  Theil 
seines  Futters  selbst;  die  Pfauenhennen  erziehen  in  der  Freiheit  ihre 
Jungen  mit  naturgemasser  Sorgfalt;  kein  Wachter  ist  erforderlich, 
kein  Dieb  und  kein  schadliches  Thier  ist  zu  fiirchten;  der  Aufseher 
hat  nur  nothig,  zur  bestimmten  Stunde  die  Heerde  um  das  Wirth- 
schaftsgebaude  zu  versammeln,  den  herb eieilen den  Thieren  etwas 
Futter  zu  streuen  und  sie  dabei  zu  iiberzahlen.  Da  solcher  Inseln 
aber  doch  nur  eine  beschrankte  Zahl  war,  so  wurden  denn  auch  auf 
dem  Festlande  Pfauenparks  mit  grossen  Kosten  angelegt.  Die  ganze 
Einrichtung,  die  dabei  zu  beobachtende  Vorsicht  und  die  mannig- 
fachen  Operationen  einer  solchen  Ziichtung  beschreiben  uns  die  Alten 
gleichfalls  ausfiihrlich.  Zu  Athenaus'  Zeit  (gegen  Ende  des  zweiten 
Jahrhunderts  nach  Chr.)  war  Rom  so  voll  Pfauen,  dass  diese  nach 
des  Komikers  Antiphanes  prophetischem  Ausspruch  wirklich  gemeiner 
waren,  als  die  Wachteln,  wahrend  gleichzeitig  der  indische  Handel 
iiber  das  rothe  Meer  und  wohl  auch  zu  Lande  iiber  Neu-Persien 
immer  neue  Exemplare  aus  dem  Vaterlande  des  Thieres  selbst  Heferte. 
In  dem  Gesprach  des  Lucian  Navigium  seu  vota  23.  wiinscht  sich 
der  eine  der  Redenden,  Adimantus,  wenn  er  plotzlich  reich  wurde, 
fiir  seine  Tafel  ausser  andern  Leckerbissen  aus  fernen  Landern  auch 
einen  xawg  $•  3Ivd£ag,  der  also  damals  aus  jener  Gegend  noch 
bezogen  wurde. 

23* 


356  Der  Pfau. 

In  sammtlichen  europaischen  Sprachen  beginnt  der  Name  des 
Pfauen  mit  dem  lateinischen  p,  nicht  dem  griechischen  t,  zum  deut- 
lichen  Beweise,  dass  der  Vogel  von  der  Apenninenhalbinsel,  nicht  aus 
Griechenland  oder  dem  Orient  in  das  barbarische  Europa  gekommen 
ist.  Wie  die  Taube,  nahm  das  Christenthum  auch  den  Pfau  in  seine 
Symbolik  auf,  theils  als  Bild  der  Auf erstehung ,  weil  nach  der 
marchenhaften  Naturgeschichte  der  Zeit  das  Pfauenfleisch  unverweslich 
sein  sollte  (August,  de  Civ.  Dei  21,  4:  quis  enim  nisi  Deus  creator 
omnium  dedit  carni  pavonis  mortui  ne  putresceret?  der  Kircbenvater 
will  lacherlicher  Weise  bei  einem  von  ibm  selbst  angestellten  Versuche 
die  Sacbe  bestatigt  gefunden  haben),  theils  zum  Ausdruck  himm- 
lischer  Herrlichkeit,  wegen  der  Pracht  seines  Aeussern.  In  letzterer 
Beziehung  erinnern  wir  nur  an  die  Pfauenfedern  in  den  Fliigeln  der 
Engel  auf  Hans  Memlings  beruhmtem  Bilde  des  jiingsten  Gerichts 
in  Danzig.  Das  Misstrauen  gegen  alle  sinnliche  Schonheit,  das  der 
christlichen  negativen  Weltansicht  eigen  war,  scharfte  den  Blick 
dann  auch  wieder  fur  die  Unvollkommenheiten  des  schmuckreichen 
Geschopfes,  z.  B.  in  Freidanks  Bescheidenheit ,  43,  S.  142.  Grimm: 

der  phdwe  diebes  sliche  hat, 
tiuwels  stimme,  und  engels  wai. 

urid  gern  wies  man  im  Sinne  christlicher  Moral  auf  seine  nackten 
hasslichen  Fiisse  hin,  als  eine  beschamende  Mahnung  zur  Demuth. 
Auf  den  schleichenden  Diebsgang  ging  wohl  auch  der  Name  Petitpas, 
den  der  Pfau  im  franzosischen  Renart  fiihrt.  Im  Uebrigen  sagte  die 
Pfauenfeder  dem  barbarischen  Geschmacke  ganz  so  zu,  wie  einge- 
setzte  Edelsteine  und  wie  iiberhaupt  alles  Schimmernde  und  Hervor- 
stechende.  Pfauenfedern  prangten  auf  dem  Haupte  des  Ritters,  wie 
in  Gestalt  von  Kranzen  um  den  Hals  des  Frauleins,  Petr.  Crescentius 
im  Kapitel  de  pavonibus:  pennae  puellis  pro  sertis  et  aliis  orna- 
mentis  aptae,  und  wenn  z.  B.  im  Parcival  die  prachtige  Kleidung 
des  kranken  Konigs  Amfortas  (225,  Lachmann)  oder  die  majestatische 
Tracht  der  furchtbaren  Kundrie  la  Sorciere  (313)  oder  die  des  Konigs 
Gramoflanz  (605)  beschrieben  wird,  da  fehlt  nirgends  unter  andern 
kostbaren  Gewandstiicken  der  pfaewin  oder  phawin  huot.  Dass 
solche  Pfauenhiite  aus  England  kamen ,  lehren  die  obengenannten 
und  noch  andere  Dichterstellen ,  und  dort  mussen  auch  die  das 
Material  dazu  liefernden  Thiere  geziichtet  worden  sein.  Schon  Karl 
der  Grosse  hatte  befohlen,  auf  seinen  Gutern  ausser  andern  Vogeln 
auch  Pfauen  und  Fasanen  zu  halten  (Capitulare  de  villis  40),  und 
diese  Sitte  pflanzte  sich  wohl  auf  den  Schlossern  des  normannischen 


Der  Pfau.  357 

A  dels  in  England  fort.  Auch  der  Gebrauch,  bei  Prunkmahlzeiten 
einen  gebratenen  Pfauen  im  ganzen  Schmuck  seines  Gefieders  auf 
den  Tisch  zu  bringen,  war  seit  dem  Alterthum  nicht  verloren  ge- 
gangen  und  erhielt  sich  bis  ins  16.  Jahrhundert  hinein.  Gewohnlich 
trug  ihn  die  Dame  selbst  unter  Trompetenschall  auf  goldener  oder 
silbener  Schiissel  feierlich  auf  und  der  Herr  zerlegte  ihn,  wie  im 
Lanzelot  Konig  Artus  dies  seinen  an  der  Tafel  versammelten  Bittern 
thut.  Ueber  die  auf  den  gebratenen  Pfau  von  franzosischen  Rittern 
abgelegten  halb  wahnsinnigen  Geliibde,  die  sogenannten  voeux  du  pan, 
in  denen  es  immer  Einer  dem  Andern  zuvorzuthun  suchte,  s.  Legrand 
d'Aussy,  Histoire  de  la  vie  privee  des  Franyais,  Paris  1782,  p.  299  ff. 
und  Grimm  RA.  S.  901,  der  die  Sitte  von  den  altnordischen  Ge- 
liibden  auf  den  Eber  ableitet.  Gegen  die  Zeit  der  Renaissance  be- 
gann  dieser  Pfauen-Enthusiasmus  zu  erkalten,  und  der  Vogel  trat 
allmahlig  in  die  bescheidenere  Stellung  zuriick,  die  er  heutiges  Tages 
einnimmt.  Er  verschwand  von  der  Tafel,  mit  manchem  anderen  in- 
haltslosen  Prunk,  an  dem  sich  der  rohere  Sinn  ergotzte,  und  wenn 
der  Wilde  sich  mit  vorgefundenen  Naturgegenstanden,  wie  Vogelfedern 
und  Glimmerblattchen ,  unmittelbar  behangt,  so  verschmaht  der  ge- 
bildete  Geschmack  alien  nicht  von  der  mildernden  und  ausgleichenden 
Hand  der  Kunst  umgewandelten  und  dem  Reich  des  Elementaren 
enthobenen  Schmuck.  In  Parks  mag  auch  jetzt  noch  wohl  unter 
anderem  Gethier  ein  Pfau  stolziren,  obgleich  seine  hassliche  Stimme 
und  der  Schade,  den  er  anrichtet,  nicht  im  Verhaltniss  zu  dem  Ver- 
gniigen  steht,  das  sein  Anblick  gewahrt :  die  Pfauenfedern  aber  sind 
immer  weiter  nach  Osten,  zu  Orientalen,  Tataren,  russischen 
Kutschern,  Chinesen,  die  sie  zur  Auszeichnung  der  hochsten  Rang- 
stufen  benutzen,  u.  s.  w. ,  gedrangt  worden  uud  stehen  nur  noch 
einem  blau  und  roth  tatowirten  Hauptling  gut,  wenn  er  sie  als 
glanzenden  Schurz  um  die  Weichen  giirtet. 


*  *  Ungeloste  Schwierigkeiten  bereitet  noch  immer  das  lat.  pdvus,  pavo 
gegeniiber  taox;  und  den  orientalischen  Wortern;  denn  es  ist  uns  weder  ein 
semitischer  noch  italischer  Dialekt  bekannt,  in  dem  eine  Vertauschung  eines 
anlautenden  t  mit  p  stattfinden  konnte,  und  die  Berufung  auf  das  selbst 
anders  zu  erklarende  palma  (s.  oben  S.  280  f.)  fiihrt  nicht  weiter.  O.  Keller, 
Lat.  Volksetym.  S.  51  denkt  an  volksetymologische  Anlehnung  an  paupulare, 
welches  das  Schreien  des  Pfauen  bezeichnen  soll(?).  Das  friiher  mit  lat.  pavo 
verglichene  armen.  hav  Vogel,  Huhn  (armen.  siramarg  Pfau)  wird  jetzt  von 
Hiibschmann,  Armen.  Gr.  1,  237  davon  getrennt  und  zu  lat.  avis  Vogel  gestellt. 


358  Das  Perlhuhn. 

—  An  den  Pfau,  der  liuvels  stimtne  hat,  erinnert  es,  dass  das  in  den  Orient 
zuruckwandernde  TGCUK;  im  kurdischen  teous  (Jaba-Justi  S.  274)  den  Teufel 
bezeichnet,  wie  denn  von  der  Sekte  der  Jezidi  oder  Teufelsanbeter  der  Bose 
als  MeleJc  Taus  Konig  Pfaubahn  verehrt  wird  (vgl.  Layard,  Ninive  and  its 
remains,  deutsche  Ausg.  8.  158). 


Das  Perlhuhn. 

Das  Perlhuhn,  Numida  meleagris  L.,  wird  fur  unsere  Kennt- 
niss  zuerst  von  Sophokles  erwahnt,  der  in  seiner  Tragodie  Melea- 
gros  gesagt  hatte,  das  Electron  fliesse  jenseit  Indien  aus  den  Thranen 
der  den  Tod  des  Meleager  beweinenden  Vogel  dieses  Namens,  Plin. 
37,  38:  Hie  (Sophocles)  ultra  Indiam  fluere  dixit  (electrum)  e  lacrimis 
meleagridum  avium  Meleagrum  deflentium.  Dass  die  Schwestern  des 
Meleager  bei  dem  Tode  ihrer  Mutter  und  ihres  Bruders  und  dem 
Untergang  ihres  Hauses  in  Vogel  verwandelt  worden,  mochte  eine 
sehr  alte  Sage  sein,  da  der  Mythus  in  seiner  Sprache  das  uner- 
tragliche  Leid  der  Unglucklichen  durch  eine  Verwandlung  in  Vogel 
auszudriicken  pflegt  (s.  Feuerbach  in  den  annali  dell'  institute  T.  15. 
1843  iiber  die  Meleagerstatue  des  Berliner  Museums):  merkwiirdig 
aber  1st:  dass  schon  zu  Sophokles'  Zeit  diese  Vogel  nicht  als  irgend 
ein  einheimisches,  sondern  als  ein  femes,  fabelhaftes  Geschlecht 
bestimmt  waren  und  das  Elektron  in  einem  iiber  Indien  hinaus 
liegenden  Phantasielande  erzeugen  sollten.  Nimmt  man  die  andere 
Sage  hinzu,  dass  die  Meieagriden  auf  den  elektrischen  Inseln  am 
Ausfluss  des  Eridanus  —  den  Aeschylus  zu  den  Iberern,  dem 
aussersten  Westvolke,  verlegte  -  -  leben  sollten  (Strab.  5,  1,  9),  eben 
da,  wo  Phaeton,  herabgestiirzt  war  und  von  den  Pappeln,  in  die  seine 
Schwestern,  die  Heliaden,  verwandelt  waren,  das  kostbare  goldgelbe 
Harz  niedertraufelt,  -  -  so  bestatigt  sich  die  Vermuthung,  dass  der 
Haushahn,  akexraiQ,  nach  der  Sonne  und  dem  Sonnenstein,  dem 
Bernstein,  diesen  Namen  erhalten  hatte:  die  Perlhuhner,  als  die 
nachsten  Verwandten  des  Haushuhns,  waren  gleichfalls  Sonnenkinder 
und  wurden  tief  im  Morgenlande,  wo  die  Sonne  sich  vom  Lager  er- 
hebt,  und  tief  im  Westen,  wo  sie  untertaucht,  oder  vielrnehr  an  dem 
Punkte  gedacht,  wo  Osten  und  Westen  jenseits  Indien  zusammen- 
stossen.  Schon  geographisch  genauer,  obgleich  immer  noch  halb 
mythisch,  berichtete  Mnaseas  (bei  Plin.  37,  38),  es  sei  in  Afrika  eine 
Gegend  Sicyon,  wo  ein  See  durch  den  Fluss  Crathis  in  den  atlan- 


Das  Perlhuhn.  359 

tischen  Ocean  abfliesse:  dort  lebten  die  Vogel,  die  meleagrides  und 
penelopae  (eine  bunte,  gleichfalls  fremdlandische  Entenart)  genannt 
wurden,  und  dort  entstehe  auch  das  Elektron.  Ganz  dieselbe  Gegend, 
doch  mit  andern  Ortsnamen  und  mit  Weglassung  der  fabelhaften 
Erzeugung  des  Bernsteins,  wird  dann  in  dem  Periplus  des  Scylax  von 
Caryanda  112  als  einziger  Ort  bezeichnet,  wo  sich  ptfcoyc&BS 
fanden:  wenn  man  zu  den  Saulen  des  Hercules  hinausschifft  und 
Afrika  immer  zur  Linken  behalt,  so  offnet  sich  bis  zum  Cap  des 
Hermes  ein  weiter  Golf  mit  Namen  Kotes  (Kwrifi);  in  der  Mitte 
dieses  Golfes  liegt  die  Stadt  Pontion  (Hovuwv)  und  ein  grosser 
rohrumgebener  See,  Kephesias  (K^v^fcdg)  genannt;  dort  leben  die 
Vogel  p*fo(K¥Qifo$  und  sonst  nirgends,  ausser  wohin  sie  von  dort 
hiniibergebracht  sind.  In  der  That  ist  das  nordwestliche  Afrika,  die 
Gegend  von  Sierra  Leone,  des  griinen  Vorgebirges  u.  s.  w.  reich  an 
Perlhiihnern,  aber  sie  fehlen  auch  im  Osten  des  Welttheils  nicht. 
Nach  Strabo  16,  4,  5  und  Diodor  3,  29  war  eine  Insel  des  rothen 
Meeres  von  Perlhiihnern  bewohnt;  Kapitan  Speke  fand  auf  seiner  von 
Zanzibar  aus  zur  Entdeckung  der  Nilquellen  unternommenen  Reise, 
dass  »das  Perlhuhn  der  haufigste  aller  jagdbaren  Vogel «  war  (S.  13 
der  deutschen  Uebersetzung),  ja  selbst  von  Arabien  sagt  Niebuhr: 
»Perlhiihner  sind  daselbst  zwar  wild,  aber  in  Tehama  an  der  bergichten 
Gegend  so  haufig,  dass  die  Knaben  sie  mit  Steinen  werfen  nnd  nach 
der  Stadt  zum  Verkaufe  bringen«  (Beschreibung  von  Arabien,  Kopen- 
hagen  1772,  S.  168).  Ueber  den  Weg,  auf  dem  diese  Vogel,  sei  es 
vom  Westen  oder  vom  Osten  Afrikas,  zuerst  nach  Griechenland 
gelangt  und  warum  sie  gerade  nach  Meleager  benannt  worden,  ist 
uns  nichts  Bestimmtes  aufbewahrt.  Vielleicht  dachten  sich  diejenigen 
unter  den  Griechen,  die  diesen  schonen,  dem  Haushahn  verwandten, 
mit  Perlen  oder  Thranen  uber  und  uber  besaten  Vogel  zuerst  mit 
Augen  erblickten,  auch  den  bliihenden,  starken,  dem  Mutterfluch  er- 
legenen  Jiingling  als  den  scheidenden  Sonnengott,  der  vom  Winter 
getodtet  worden,  und  daher  seine  Schwestern  alle  in  Sonnenvogel 
verwandelt.  Wenn  Menodotus  von  Samos  in  der  schon  oben  zwei- 
mal  von  uns  angezogenen  Notiz  Aetolien  als  Ausgangspunkt  der 
Meleagriden  angiebt,  so  enthalt  dies  Zeugniss  nichts  als  einen  Schluss 
aus  dem  Namen  und  ist  daher  historisch  werthlos.  Nach  dem  Schiller 
des  Aristoteles,  Clytus  von  Milet,  aus  dessen  Geschichte  von  Milet 
Athenaus  14,  p.  655  die  betreffende  Stelle  des  ersten  Buches  wortlich 
anfiihrt,  wurden  auf  der  kleinen,  von  den  Milesiern  kolonisirten 
Insel  Leros  um  den  Tempel  der  Parthenos  d.  h.  der  Artemis,  die  bei 


360  Das  Perlhuhn. 

den  Leriern  den  Namen  lokallis  gefiihrt  zu  haben  scheint, 
[jiefoayQtdeg  gehalten,  d.  h.,  wie  aus  der  nachfolgenden  ausfiihrlichen 
Beschreibung  hervorgeht,  afrikanische  Perlhiihner.  Wie  sie  dahiii 
gekommen  und  warum  sie  der  jungfraulichen  Gottin  geweiht  waren, 
wird  nicht  gesagt.  Da  die  Perlhiihner  noch  tapferer  und  streitsiich- 
tiger  sind,  als  der  indische  Haushahn,  so  schaute  die  mythische 
Phantasie  in  diesen  Vogeln  wohl  die  kriegerischen  Amazonen,  die 
Hierodulen  der  sproden  Artemis:  sie  waren  die  Genossinnen  der 
lokallis  gewesen,  avvrj&sig  3 'loxahhtdog  Trjg  Iv  A£Q($  llaQ&evov,  rjr 
T&fiwtit,  daifuovfag  (Suid.  und  Phot.  v.  MelsayqCdsg).  Die  Lerier 
wissen  wohl,  sagt  Ael.  N.  A.  4,  42,  warum  derjenige,  der  die  Gottheit, 
besonders  aber  die  Artemis  verehrt,  sich  des  Fleisches  dieser  Vogel 
enthalt.  Kein  Raubvogel,  behauptete  die  dortige  fromme  Sage,  wagte 
es  mit  gebogenen  Krallen  die  lerischen  heiligen  Hiihner  anzugreifen 
(Ister  bei  Ael.  N.  A.  5,  27).  Die  lokallis  mochte  wohl  einerlei  sein 
mit  der  arkadischen  Nymphe  Kallisto,  der  Tochter  der  "AQre^g 
Kahkfatt],  die  zusammen  mit  lo  auch  auf  der  Burg  von  Athen 
stand  (Pausan.  1,  25,  1);  vielleicht  erklart  sich  dadurch  die  sonst  un- 
erhorte  Nachricht  des  Suidas  von  Perlhuhnern  auf  der  Akropolis: 
MsfoayQldeg.  oQvea  aneQ  evepovio  ev  Trj  '  AxQOTtokei.  Italien,  welches 
dem  westafrikanischen  Ausgangspunkte  derselben  schon  naher  lag, 
mochte  sie  wohl  ohne  Vermittelung  der  Griechen  durch  die  Schiff- 
fahrt  des  Westens,  vielleicht  erst  zur  Zeit  der  punischen  Kriege 
erhalten  haben,  darauf  deuten  wenigstens  die  lateinischen  Namen: 
Numidicae,  Africae  aves,  gattinae  Africanae  bei  Varro,  Afra  avis 
bei  Horaz  und  Juvenal,  Libycae  volucres  und  Numidicae  guttatae 
bei  Martial  u.  s.  w.  Als  man  die  damit  bezeichneten  Hiihner  mit 
den  griechischen  [tefoayQCdsg  vergleichen  konnte,  musste  die  Identitat 
in  die  Augen  springen,  Varr.  3,  9,  18:  gallinae  Africanae  sunt 
grandes,  variae,  gibberae,  quas  (jLeteayQidag  appellant  Graeci.  Hae 
novissimae  in  triclinium  ganearium  introierunt  e  culina,  propter 
fastidium  hominum.  Veneunt  propter  penuriam  magno.  Die  Perl- 
hiihner waren  also  zu  Varros  Zeit  immer  noch  selten,  folglich  theuer 
in  Italien;  sie  kamen  schon  auf  die  Speisetische,  weil  die  Romer 
Alles  in  den  Mund  stecken  mussten  und,  je  neuer  und  kostbarer  ein 
Gericht  war,  um  so  gieriger  darnach  trachteten;  von  einer  religiosen 
Scheu  oder  Einfuhrung  in  eine  Phantasiewelt  zeigt  sich  keine  Spur. 
Mit  dem  Untergang  des  romischen  Reiches  verschwand  auch  dieser 
Ziervogel  aus  dem  Bereiche  europaischen  Lebens  —  denn  das  Mittel- 
alter  kannte  ihn,  so  viel  wir  wissen,  nicht  — ,  um  nach  tausend 


Der  Fasan.  361 

Jahren  mit  der  Wiedergeburt  der  antiken  Kultur  und  den  Ent- 
deckungen  der  Portugiesen  langs  der  Kiiste  Afrikas  sich  den  Euro- 
paern  wieder  zu  zeigen.  Er  ward  von  den  nachsten  Nachbarn  Nu- 
midiens,  den  Portugiesen  und  Spaniern,  auch  nach  Amerika  hinuber- 
gebracht  und  fand  dort  am  entgegengesetzten  Ufer  des  atlantischen 
Oceans  eine  ihm  so  zusagende  Natur,  dass  er  in  den  Waldern  Mittel- 
amerikas  jetzt  in  grossen  Schaaren  formlich  verwildert  sein  soil. 


Der  Fasan. 

Dass  der  Fasan  oder  Vogel*  vom  mythusberiihmten  Flusse 
Phasis  in  dem  nach  Morgen  gelegenen  Zauberlande  Kolchis,  zu  dem 
einst  in  der  uralten  Wunderzeit  die  gottergleichen  Heroen  auf  der 
schnellen  Argo  geschifft,  —  in  demselben  Jahrhundert  bei  den 
Griechen  erschienen  ist,  wie  der  ahsxiwQ  und  die  fie&eayQig ,  gent 
nicht  ohne  Wahrscheinlichkeit  aus  diesem  seinem  Namen  hervor. 
Er  ist  ihm  von  Menschen  gegeben,  die  noch  die  Welt  nicht  anders 
fassten,  als  in  mythischer  Verwandlung,  und  die  dennoch  mit  dem 
Mythus  schon  spielten.  In  den  Waldern  Hyrkam'ens,  sudlich  vom 
kaspischen  Meer,.  mag  der  Vogel  ursprunglich  zu  Hause  sein  und 
von  dort  den  griechischen  Ansiedlern  am  schwarzen  Meer  und  weiter 
den  europaischen  Griechen  bekannt  geworden  sein.  In  der  Literatur 
finden  wir  ihn  vor  Aristophanes  nicht.  Denn  dass  Solon  dem  Krosus, 
als  dieser  sich  ihm  einst  in  seiner  ganzen  koniglichen  Herrlichkeit 
zeigte,  zur  Beschamung  gesagt  habe,  Hahne,  Fasanen  und  Pfauen 
-seien  weit  schoner,  weil  von  der  Natur  selbst  geschmiickt  (Diog. 
Laert.  Sol.  51)  —  dies  im  Sinne  der  spateren  Zeit  erdachte  moralische 
Geschichtchen  wird  Niemand  historisch  nehraen  wollen,  wie  wir  auch 
beim  Hahn  und  beim  Pfauen  davon  keinen  Gebrauch  gemacht  haben. 
Die  Verse  des  Aristophanes  aber,  Nub.  108 : 

ovx  av  /Lid  TOV  Jwvvffov,  si  dotqg  ye  pot, 
Tovg  cpatfiavovg  ovg  TQecpei,  Aswfogag  — 

constatiren  zur  Zeit  des  Dichters  den  Fasanen  als  kostbaren  Luxus- 
vogel  in  Athen.  Zwar  wollten  hier  einige  Grammatiker  nicht  Vogel, 
sondern  Pferde  vom  Phasis  verstanden  wissen,  allein  diese  Erklarung 
scheint  nur  eine  zum  Besten  der  Theorie,  nach  welcher  die  attische 
Sprache  nicht  (paocavog,  sondern  (pacuav&xog  gesagt  haben  sollte ,  er- 
dachte Auskunft.  An  einer  anderen  Stelle  desselben  Komikers, 


362  ^er  Fasan. 

Av.  68,  kommt  allerdings  <Pafftavix6g  als  Beiwort  zu  einem  erfundenen 
lacherlichen  Vogelnamen  vor:  nachdem  Euelpides  sich  fiir  einen 
libyschen  Vogel,  Hypodedios,  ausgegeben,  fiigt  Peithetairos  hinzu,  er 
sei  ein  phasianischer  Epikechodos: 

3 'Emxexodwg  sywys  (DaMavixog  — 

mit  offenbarer  Hindeutung  auf  den  also  den  Zuschauern  schon  wohl- 
bekannten  kolchischen  Vogel.  Aristoteles  in  seiner  Thiergeschichte 
spricht  von  dem  Fasan  bin  und  wieder  in  einer  Weise,  die  schliessen 
lasst,  dass  der  Vogel  ihm  und  seinen  Lesern  keine  ungewohnliche 
Erscheinung  war.  Einige  weitere  historiscb-geographische  Auf  klarung 
giebt  uns  dann  eine  Stelle  aus  den  Scbriften  des  agyptischen  Konigs 
Ptolemaus  Euergetes  II  oder  Physkon,  die  uns  bei  Athenaus  14.  p.  654 
aufbewabrt  ist.  In  seinen  Denkwiirdigkeiten  iiber  den  Palast  von 
Alexandrien  namlich  sagte  dieser  Konig  da,  wo  er  auf  die  dort  ge- 
haltenen  Thiere  zu  reden  kam,  von  den  Fasanen:  »diese  Vogel,  die 
man  rsTagot,  nennt,  wurden  nicht  bloss  aus  Medien  eingefiihrt,  son- 
dern  auch  durch  Ziichtung  so  vermebrt,  dass  sie  auch  zur  Speise 
dienten,  denn  ibr  Fleisch  soil  kostlicb  sein«  (der  Text  ist  zwar  ver- 
dorben,  aber  der  Sinn  nicbt  zweifelbaft).  Wir  erseben  bieraus,  dass 
die  Fasanen  auch  nach  Alexandrien  aus  Medien  d.  h.  den  siid- 
kaspiscben  Landen  kamen,  und  dass  ibr  eigentlicber  Name  vsiaQot, 
war  oder  wie  Athenaus  an  einer  anderen  Stelle  (9.  p.  387)  nach 
alteren  Glossatoren  das  Wort  scbreibt:  TO.TVQCU,.  So  hiessen  sie  in 
medischer  Spracbe  wie  das  heutige  persische  tedzrev  der  Fasan  und 
das  gleichbedeutende ,  eben  daher  stammende  altslavische  tetrevi, 
teterevi,  tetrja,  teterq  bestatigt.  Das  Wort  zieht  sich  durch  den 
Osten  Europas  von  Volk  zu  Volk  fort  und  bezeichnet  dort,  da  der 
Fasan  feblt,  einen  der  grossen  einheimischen  Vogel,  Trappe,  Auer- 
hahn,  Birkhahn,  neuerdings  auch  Truthahn.  Russisch  teterev,  teterja, 
polnisch  cietrzew,  czechisch  tetrev,  litauiscb  teterwa,  tytaras,  preus- 
sisch  tatanvis,  lettiscb  tettera,  tetteris,  estnisch  tedder,  finnisch  tetri, 
scbwedisch  tjdder ,  daniscb  tuir,  angeblicb  auch  altnordisch  thidr, 
thidhr  (das  Schneehuhn).  In  das  Scandinaviscbe  kam  das  Wort, 
welches  den  germanischen  Sprachen  fehlt,  aus  dem  Finnischen  (etwa 
wie  der  Name  des  Fuchses:  altn.  refr,  schwedisch  rdf,  danisch  rdv\ 
in  dieses  aus  dem  Litauisch-Lettiscben:  entnahmen  es  die  Litauer 
und  die  Slaven  von  ihren  einstigen  Nachbarn  im  Suden,  den  scy- 
thisch-sarmatischen  Medern?  Grande  und  Umstande  der  Entlehnung 
lassen  sich  mancherlei  denken :  Knechtschaft  und  Unterwerfung, 
Jagd-,  Religions-,  Marktverkehr ,  Thiermarchen ,  die  mit  sammt  den 


Der  Fasan. 

Namen  welter  erzahlt  werden  u.  s.  w.  Auch  das  griechische  TSTQO.WV 
(Hesych.  ogvtg  noiog),  xsiga^  (bei  Epicharmus  und  Aristophanes), 
TSIQC^  (bei  Aristoteles),  TSTQddwv  (bei  Alcaus),  rsTQalov  (lakonisch)  ist 
schwerlich  einheimisch,  sondern  aus  Asieii  heriibergekommen ,  aus 
ahnlichem  Anlass,  wie  die  Lateiner  ihr  tetrao  aus  dem  Griechischen 
erborgten.  -  -  Bei  der  ins  Ungeheuere  getriebenen  Zucht  der  Vogel 
in  den  romischen  Aviarien  und  Parks  fehlte  auf  romischen  Gasttafeln 
der  phasianus,  auch  tetrao  genannt,  natiirlich  nicht,  spielte  vielmehr, 
wie  sich  denken  lasst,  eine  Hauptrolle;  in  dem  Edict  Diocletians  hat 
der  gemastete  und  der  wilde  Fasan,  phasianus  pastus  und  agrestis, 
sowie  die  Fasanenhenne,  ihren  besonderen,  von  oben  anbefohlenen 
Marktpreis;  auf  Karls  des  Grossen  Villen  sollen,  wie  der  Kaiser  an- 
ordnet,  auch  Fasanen  gehalten  werden,  und  so  hat  sich  der  schone, 
auf  reichen  Tafeln  gesuchte  Vogel  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
nicht  bloss  in  fiirstlichen  Fasanerien  erhalten,  sondern  lebt  jetzt  in 
manchen  Gegenden,  z.  B.  des  osterreichischen  Kaiserstaats,  im  Zu- 
stande  vollkommener  Freiheit,  so  dass  ihm  Europa,  wohin  ihn  einst 
die  menschliche  Hand  nicht  ohne  Schwierigkeit  hiniiberbrachte,  zum 
zweiten  Vaterlande  geworden  ist.  Die  beiden  prachtigen  Abarten 
des  gemeinen  westasiatischen  Fasans,  der  Silber-  und  der  Goldfasan, 
die  man  jetzt  in  Parks  der  Vornehmen  und  in  Thiergarten  bewundert, 
wurden  in  Folge  der  Entdeckung  des  Seeweges  nach  Ostindien  von 
ihrem  Vaterlande  China  her  bekannt  und  in  einzelnen  Exemplaren 
nach  Europa  gebracht.  (Dass  sie  schon  fruher  in  Kolchis  gewesen, 
will  Dureau  de  la  Malle,  Annales  des  sc.  naturelles,  XVIII.  p.  279 
aus  den  Worten  des  Plinius  10,  132  schliessen:  phasianae  in  Col- 
chis geminas  ex  pluma  auris  submittunt  subriguntque.}  Den 
wunderbar  geschmuckten  Goldfasan  hielt  Cuvier  fur  den  alle  500 
Jahr  erscheinenden  heiligen  Sonnenvogel  der  Aegypter,  den  Phonix  - 
in  euhemeristischer  grober  Materialisirung  eines  mythischen  Symbols 
oder  einer  kosmogonisch-periodologischen  Phantasie,  wie  wir  ihr  von 
Rationalisten  und  Naturforschern  im  Felde  der  Wunderdeutung  der 
Urgeschichte  u.  s.  w.  oft  genug  begegnen. 


*  Die  auf  S.  362  f.  besprochene  Wortsippe  geht  wahrscheinlicher  auf 
einen  uridg.  Vogelnamen  *tdero-,  *tetervo-  zuriick  (Fick,  Vgl.  W.  I4  S.  58),  zu 
dem  auch  scrt.  tittiri  Rebhuhn  gehort,  und  der  dann  in  den  Einzelspracheii 
auf  verschiedene,  aber  ahnliche  Vogel  ubertrageii  wurde.  So  ist  auch  altn- 
thidurr  Auerhahn  nicht  aus  dem  Finnischen  entlehnt,  sondern  mit  *tetero-  als 
urverwandt  zn  verkniipfen.  Daneben  mogen  Entlehnungen  wie  griech. 


364  Gans.     Ente. 

tstocpo?  hergehn.  Finnisclies  tetri  entstammt  zwar  dem  Litauischen;  daneben 
liegen  aber  perm,  tar,  votjak.  tur,  die  wie  ein  reduplicationsloses  idg.  *te-tero- 
aussehn  (vgl.  TV.  Thomsen,  Beroringer  mellem  de  finske  og  de  baltiske 
Sprog  S.  231  f.) 


Wahrend  die  Zahl  der  Saugethiere,  die  der  Mensch  gezahmt 
und  sich  als  Hausgenossen  zugesellt  hat,  in  historischer  Zeit  nur 
urn  ein  Geringes  sich  vermehrte,  haben  sich  in  relativ  spater 
Epoche,  wie  aus  dem  Obigen  erhellt,  die  Gehofte  und  Niederlassungen 
der  Menschen  mit  mannichfachem  zahmem  Hausgefliigel  belebt  und 
bevolkert,  darunter  das  wichtigste  von  allem,  das  Haushuhn.  Zucht 
des  Gefliigels  und  Rindviehzucbt  stehen  in  einem  gewissen  Gegen- 
satz  zu  einander:  nicht  wo  weite,  von  reichlichen  Niederschlagen  be- 
fruchtete  Ebenen  in  unabsehbaren  Saatfeldern  und  griinen  Wiesen 
sich  dehnen  und  dichte  Walder  und  Forsten  sich  anschliessen,  son- 
dern  im  sonnigen,  auf  und  absteigenden  Gebiet  der  kleinen  Garten- 
kultur,  wo  Hof  an  Hof  stosst,  und  Hecke  an  Hecke  sich  reiht,  da 
picken  und  flattern  die  gefliigelten  Geschopfe  um  den  an  und  neben 
seinem  Hause  hantierenden  Menschen  und  bilden  im  System  seiner 
Wirthschaft  eine  nicht  zu  unterschatzende  Quelle  des  Unterhalts  und 
der  Einnahme.  In  Europa  sind  daher  ihrem  Wohnorte  und  ihrer 
Tradition  nach  die  romanischen  Volker  die  vogelessenden  und  vogel- 
erziehenden;  die  Germanen  nahren  sich  mehr  von  dem  Fleisch  und 
der  Milch  ihrer  Kinder.  Frankreich  besitzt  nach  einem  massigen 
Anschlag  liber  100  Millionen  Hiihner  und  fiihrt  jahrlich  iiber  400 
Millionen  Huhnereier  nach  England  aus;  in  siidlichen  Landern  ist 
das  einzige  Fleisch,  das  der  Reisende  oft  Monate  lang  zu  kosten 
bekommt  und  das  der  einheimische  Bauer  an  Festtagen  sich  erlaubt, 
ein  gebratenes  oder  mit  Reis  oder  Polenta  gekochtes  Huhn. 

In  viel  hoheres  Alterthum,  als  das  der  bisher  genannten  Vogel, 
geht  die  Zahmung  der  Gans  und  Ente  hinauf;  auch  sind  beide 
nicht  aus  Asien  eingefiihrt,  sondern  stammen  von  den  einheimischen 
wilden  Arten.  Der  Name  der  Ente  gehort  den  verwandten  Volkern 
gleichmassig  an:  sanscr.  dti  (fur  anti),  lat.  anas,  anatis,  griech. 
vrjOGa  (wohl  aus  vfaia),  ahd.  anut,  ags.  enedj  altn.  ond,  altkornisch 
hoet  (rnit  miissigem  h  und  unterdriicktem  Nasal),  kambrisch  hwyadt 
litauisch  dntis,  kirchenslavisch  aty,  at%,  atica,  atuca,  russisch  utka, 
serbisch  utva  u.  s.  w.,  und  auch  der  der  Gans  geht  iiber  die  ganze 
indoeuropaische  Gruppe  vom  altirischen  geidh,  gdd,  auch  goss  (mit 
unterdriicktem  Nasal)  im  aussersten  Westen  bis  zum  sanskritischen 


Gans.     Ente.  365 

hansas,  hansi  im  aussersten  Osten.  Die  Gans  darum  fiir  ein  bereits 
gezahmtes  Hausthier  des  Urvolks  vor  der  Epoche  der  Wanderungen 
zu  halten,  ware  ein  voreiliger  Schluss:  sie  konnte  ein  gesuchtes 
Jagdthier  an  Seen,  Stromen  und  wasserreichen  Niederungen  sein,  wie 
sie  es  noch  jetzt  bei  Nomaden  und  Halbnomaden  in  Mittelasien  ist. 
So  lange  sie  haufig  und  leicht  zu  erlangen  war,  regte  sich  kein  Be- 
diirfniss,  sie  in  der  Gefangenschaft  kiinstlich  aufzuziehen,  und  war 
die  darauf  gerichtete  Bemiihung  zwecklos ,  und  so  lange  die  Lebens- 
art  eine  unstate  blieb,  passte  ein  Vogel,  der  dreissig  Tage  zum 
Brliten  und  eine  entsprechende  Zeit  zum  Aufziehen  seiner  Jungen 
braucht,  nicht  wohl  zum  Haushalt  der  Weidevolker.  Als  sich  aber 
an  den  Ufern  der  Seen  relativ  feste  Niederlassungen  gebildet,  konn- 
ten  junge  Thiere  leicht  von  Knaben  aus  den  Nestern  genommen  und 
dann  mit  gebrochenen  Fliigeln  aufgezogen  werden  ;  starben  diese  weg, 
so  wurde  der  Versuch  wiederholt,  bis  er  endlich  gelang,  zumal  die 
Wildgans  verhaltnissmassig  zu  den  am  leichtesten  zahmbaren  unter 
den  Vogeln  gehort.  Da  sie  im  Siiden  Europas  nicht  brute t,  sondern 
im  Herbst  mit  bereits  erwachsenen  Jungen  in  das  Gebiet  des  Mittel- 
meers  fliegt,  so  ist  dieser  Vorgang  im  mittleren  Europa  leichter  denk- 
bar ,  als  in  den  klassischen  Landern ,  und  da  es  den  letztern  an 
Wasserspiegeln  fehlt,  so  ist  sie  dort  uberhaupt  nicht  so  haufig  und 
zuganglich,  als  in  den  Gegenden  am  Ausfluss  des  Rheins,  in  Mecklen- 
burg, Pommern  und  Scandinavien.  Bei  den  Griechen  gait  die  Gans 
fiir  einen  lieblichen  Vogel,  dessen  Schonheit  bewundert  wurde  und 
der  zu  Geschenken  an  geliebte  Knaben  u.  s.  w.  diente  (s.  Jahn, 
Leipziger  Berichte,  1848,  S.  51  ff.).  Schon  Penelope  bei  Homer,  in 
der  herrlichen  Stelle,  wo  sie  ihrem  unbekannten  in  Bettlergestalt  ihr 
gegeniibersitzenden  Gemahl  ihreii  Traum  erzahlt,  besitzt  eine  kleine 
Heerde  von  20  Gansen,  an  denen  sie  ihre  Freude  hat;  sie  erscheinen 
dort  als  Hausthiere,  die  weniger  um  des  Nutzens  willen,  den  sie 
bringen,  als  wegen  der  Lust  des  Anblicks,  den  sie  gewahren,  von 
der  Herrin  des  Hofes  gehalten  werden.  So  hat  auch  Gudrun  in  der 
Edda  ihre  Ganse  auf  dem  Hofe  und  diese  schrieen  hell  auf  als 
ihre  Herrin  am  Leichnam  Sigurds  laut  jammerte,  erstes  Lied  von 
Gudrun  16  (nach  Simrock): 

Und  hell  auf  schrien  Die  zieren  Vogel, 

Im  Hofe  die  Ganse,  Die  Gudrun  zog. 

Zugleich  sind  die  Ganse  nach  griechischer  Vorstellung  wachsame 
Hiiterinnen  des  Hauses:  auf  dem  Grabe  einer  guten  Hausfrau  war 


366  Gans.     Ente. 

unter  anderen  Emblemen   eine  Gans  abgebildet,    urn    die  Wachsam- 
keit  der  Verstorbenen  auszudriicken,  Anth.  Pal.   7,  425,   7: 

yav  tie  dofjicov  <fvhaxa<;  [tsfodr^iova. 

Bei  den  Romern  wurden  sorgfaltig  die  ganz  weissen  Ganse  aus- 
gewahlt  und  zur  Zucht  verwandt,  so  dass  sich  mit  der  Zeit  eine 
weisse  und  zahmere  Abart  bildete,  die  sich  von  der  grauen  Wild- 
gans  und  ihren  direkten  Abkommlingen  merklich  unterschied.  Wie 
noch  ini  heutigen  Italien,  war  auch  im  alten  die  Gans  in  der  kleinen 
Landwirthschaf  t  nicht  so  verbreitet,  wie  im  Norden :  theils  f ehlte  es 
.an  dem  nothigen  Wasser,  theils  wurde  der  Schade  gefiirchtet,  den 
das  mit  den  Halsmuskeln  und  dem  kraftigen  Schnabel  die  jungen 
Pflanzen  abzupfende  und  die  Weide  verunreinigende  Thier  anzustiften 
pflegt,  aber  in  den  grossen  Chenoboskien  der  Unternehmer  und 
Villenbesitzer  schnatterten  zahlreiche  Schaaren  dieser  Vogel;  dabei 
ward  durch  Zwangsfutter  die  ubergrosse  Leber  erzeugt,  nach  der  den 
Schwelgern  der  Mund  wasserte,  —  eine  kiinstliche  Krankheit  zum 
Dank  fur  die  Rettung  des  Kapitols.  Die  Benutzung  der  Ganse- 
federn  zu  Kissen  war  dem  eigentlichen  Alterthume  fremd:  erst  die 
spateren  Romer  lernten  diesen  Gebrauch  von  Kelten  und  Germanen. 
.Zu  Piinius'  Zeit  wurden  ganze  Heerden  von  Gansen  aus  Belgien  nach 
Italien  getrieben,  namentlich  aus  dem  Gebiet  der  Morini,  die  an  den 
belgischen  Kiisten  sassen;  auch  die  zarten  weissen  Federn,  die  von 
dorther  kamen,  waren  beriihmt  und  sollten  einer  Art  angehoren,  die 
den  Namen  gantae  fiihrte  (der  dentale  Auslaut  des  Wortes  ist  speci- 
fisch  keltisch,  findet  sich  indess  in  dem  angrenzenden  niederdeutschen 
Mundarten ,  sowie  im  ahd.  ganzo ,  der  Ganserich).  Es  war  kein 
Hausvogel,  sondern  eine  Art  wilde  Gans,  und  die  von  ihr  gewonne- 
nen  Federn  standeii  in  so  hohem  Preis,  dass  auf  den  entfernten  romi- 
schen  Militarstationen  oft  ganze  Cohorten  auseinandergingen ,  um 
dieser  Jagd  obzuliegen.  Die  so  gestopften  Kissen  waren  eine  Neue- 
rung,  zu  der  die  echten  Romer  bedenklich  den  Kopf  schiittelten:  wir 
sind  jetzt,  fiigt  Piinius  hinzu,  zu  dem  Grade  von  Weichlichkeit  ge- 
langt,  dass  sogar  Manner  ohne  eine  solche  Vorrichtung  ihr  Haupt 
nicht  niederlegen  konnen  (Plin.  10,  54).  Bis  auf  den  heutigen  Tag 
sind  Federbetten  eine  mehr  nordische  Sitte  geblieben,  die  dem  war- 
meren  Suden  nicht  zusagt.  Ein  anderer  Gebrauch  der  Gansefeder, 
der  zum  Schreiben,  war  dem  Alterthum  gleichfalls  unbekannt:  die 
Schreibfeder  tritt  genau  mit  Einbruch  des  eigentlichen  Mittelalters 
auf,  zu  allererst  zur  Zeit  des  Ostgothen  Theoderich  bei  dem  Anony- 
mus  Valesii,  s.  Beckmann,  Beytrage  4,  289,  Isid.  Orig.  6,  14:  in- 


Zucht  der  Vogel.  367 

strumenta  sunt  scribendi  calamus  et  pennd).  Jetzt  1st  sie  durch 
die  Stahlfeder  verdrangt,  so  dass  sich  fur  dieses  Werkzeug  drei 
grosse  Perioden  ergeben:  die  alteste,  die  von  den  Anfangen  des 
Schreibens  bei  den  Aegyptern  bis  zum  Untergange  des  romischen 
Reiches  geht,  die  des  gespaltenen  Rohrs,  welches  Thucydides  und 
Tacitus  in  der  Hand  fiihrten;  —  die  andere,  die  des  Gansekiels,  niit 
der  Dante  und  Voltaire,  Goethe,  Hegel  und  Humboldt  geschrieben 
haben;  endlich  die  im  19.  Jahrhundert  beginnende  der  Stahlfeder, 
mit  der  Leitartikel  und  Feuilletons  hingeworfen  werden,  um  noch 
nass  in  der  Werkstatt  gesetzt  und  mit  Dampfkraft  gedruckt  zu 
werden.  Die  Perioden  dieses  Schreibewerkzeuges  fallen,  wie  man 
sieht,  mit  denen  des  Materials,  auf  welches  geschrieben  wurde  und 
wird,  nicht  zusammen.' 

Das  Alterthum  hatte  in  Domestication  der  Vogel  nach  ver- 
schieclenen  Seiten  hin  Wege  eroffnet,  die  seitdem  nicht  wieder  be- 
treten  worden  sind,  und  Resultate  erreicht,  die  die  heutige  Welt 
wieder  hat  fallen  lassen.  In  Aegypten  war,  wie  die  Monumente 
lehren,  ein  grosser  Wasservogel,  der  in  unbestimmter  Weise  Reiher 
genannt  wird,  zum  zahmen  Genossen  des  Menschen  ge worden,  in 
Rom  der  Kranich,  der  Storch,  der  Schwan,  von  kleinerem  Gevogel 
der  turdus,  die  perdix,  coturnix  u.  s.  w.  Gegenstand  der  Zucht 
und  Fiitterung  und  auf  den  Tafeln  ein  von  der  Mode  bald  em- 
pfohlener  und  geforderter,  bald  wieder  verschmahter  Braten.  Man 
sehe  bei  Horaz,  um  nur  diesen  Dichter  zu  nennen,  die  Stellen: 
Sat.  II.  2,  49  und  8,  87.  Noch  in  den  leges  barbarorum,  wie 
1.  Sal.  7,  8  (wenigstens  in  der  spateren  Redaktion)  und  1.  Alam. 
99,  17 ff.,  werden  dem  vorgefundenen  Stande  romischer  Landhauser 
gemass  auch  Schwane,  Storche,  Kraniche  und  andere  Vogel,  deren 
Namen  schwer  zu  deuten  sind,  zum  Hausgeflugel  gerechnet  und 
Strafen  auf  deren  Entwendung  gesetzt.  Die  Kirche  verbot  aber  den 
Genuss  z.  B.  von  Storchen  (wie  auch  von  Bibern,  Hasen  und  Pferden); 
Papst  Zacharias  schreibt  am  4.  Nov.  751  an  den  heiligen  Bonifa- 
cius:  in  primis  volatilibus,  id  est  de  graculis  et  corniculis  atque 
ciconiis.  Quae  omnino  cavendae  sunt  ab  esu  Christianorum. 
Etiam  et  fibri  et  lepores  et  equi  silvatici  multo  amplius  vitandi. 
Das  spatere  Mittelalter  beschrankte  sich  daher  auf  Ganse,  Enten 
und  Hiihner  und  iiberliess  es  der  Jagd ,  die  in  den  ungeheuren, 
wenig  bevolkerten  Waldstrecken  Mitteleuropas  ein  ergiebiges  Revier 
fand,  die  Kiiche  mit  Wildpret  zu  versorgen.  In  Italien  hatte  zur 
Zeit  der  Romer  von  reicher  Jagdbeute  nicht  die  Rede  sein  konnen, 


368  Die  Falkenjagd. 

und  das  Hochwild,  von  dem  die  germanischen  Walder  belebt  waren, 
sowie  das  Federvieh  der  Moore  des  Nordens  nach  Italien  zu  schaffen, 
wurde  durch  die  Entfernung  und  das  warme  Klima  verhindert.  So 
sahen  sich  die  Romer  auf  kiinstliche  Zucht  delikater  Wildvogel  an- 
gewiesen,  die  denn  auch  in  oft  kolossalen  Anstalten  der  Art  betrieben 
wurde  und  auf  verschiedenen  Stufen  zu  mehr  oder  minder  erreichter 
Zahmung  fuhrte.  Diese  Versuche  sind,  wie  gesagt,  von  der  neueren 
Thierzucht  nicht  vviederholt  worden,  und  wenn  auch  in  Europa  die 
Wildniss  immer  welter  geriickt  ist,  so  fiihren  jetzt  die  Eisenbahnen 
die  erlegten  Jagdthiere  der  fernsten  Einoden  blitzschnell  den  grossen 
Consumtionscentren  zu:  der  Markt  von  Paris  bezieht  seine  Rebhuhner 
schon  aus  Algier  und  dem  nordlichen  Russland.  Die  Varietaten  des 
einrnal  bestehenden  Hausgefliigels,  besonders  der  Hiihner  und  Tauben, 
haben  sich  dagegen  im  heutigen  Europa,  bei  der  immer  umfassen- 
deren  und  beschleunigteren  Weltverbindung,  ins  Unendliche  vermehrt, 
und  die  vortheilhafteren  und  schoneren  unter  ihnen  verdrangen  all- 
mahlich  die  aus  dem  Alterthum  zu  uns  iibergegangenen  Racen. 

**  Ir.  ged  ist  von  der  Reihe  scrt.  hansa  u.  s.  w.  zu  trennen;  es  wird  von 
Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  119  zusammen  mit  cymr.  gwyddd  auf  eine 
Grundform  *gegdd  (vgl.  auch  ir.  gigrann  Gans)  zurtickgeftihrt.  —  Unter  den 
vom  Stamme  ghan-s  gebildeten  Formen,  zu  denen  als  urverwandt  auch  altir. 
ge'is  Schwan  gehort,  ist  slav.  gasi  aus  dem  Germanischen,  ir.  goss  wahr- 
scheinlich  aus  dem  Angelsachsischen  entlehnt.  Ueber  die  mit  dem  von 
Plinius  genannten  ganta  zusammenhangenden  germanischen  und  romanischen 
Formen  vgl.  Kluge  Et.  W.6  u.  Gans  und  Ganserich.  —  Merkwiirdig  ist,  dass 
der  indogermanische  Name  des  Thieres,  scrt.  hansa,  griech.  ^v,  lat.  anser  u.  s.  w. 
auch  in  anderen  Sprachgebieten  vorzukommen  scheint :  so  im  turk.  tat.  kaz  (woraus 
nach  Hiibschmann  Osset.  Spr.  S.  123  osset.  fdz)  und  im  sumerischen  guz,  gaz, 
waz,  us  (vgl.  iiber  diese  Worter  F.  Hommel  Beil.  z.  allg.  Z.  No.  197  S.  3).  - 
Finnisches  hanhi  entstammt  dem  Litauischen  (W.  Thomsen  Beroringer  S.  247. 
Armen.  sag  ist  dunkel.  —  Was  den  idg.  Namen  der  Ente  anbetrifft,  so  sind 
altc.  hoet  etc.  (Zeuss,  Gramm.  celt.  -  p.  1074)  mit  demselben  nicht  zu  vereinen. 
-  Im  Stidosten  Europas  gelten  fiir  Gans  oder  Ente  Benenmmgen  mit  bat-y 
pat-:  alb.  pate,  bulg.  paika  (aber  auch  span,  pato,  paid)  u.  s.  w.,  die  wahr- 
scheinlich  asiatisch  sind:  pers.  bat  Ente  u.  s.  w.  (Miklosich,  T.  E.  S.  22, 
G.  Meyer,  Et.  W.  S.  324,  P.  Horn,  Grundriss  d.  np.  Et.  S.  51).  Neugr.  gilt 
ndiciua  Ente.  —  Ausfuhrlich  handelt  iiber  die  Gans  im  Alterthum  O.  Keller, 
Thiere  des  klassischen  A.  Innsbruck  1887  S.  286  ff.  Vgl.  auch  E.  Hahn  Die 
Hausthiere  S.  274  u.  286  und  mein  Reallexikon  u.  Gans  und  Ente. 

Eine  gezahmte  Vogelklasse,  von  der  das  fruhere  Alterthum  nur 
als  Wunder  aus  der  Feme  gehort  hatte,  trat  mit  der  Herrschaft  der 
Barbaren  in  ganz  Europa  auf  und  ist  seit  clem  Anbruch  der  neueren 
Bildung  langsam  wieder  verschwunden  —  wir  meinen  die  zur  Jagd 


Die  Falkenjagd. 

auf  andere  Vogel  abgerichteten  Raubvogel,  Geier,  Habichte,  Falken, 
die  Lieblinge  des  Ritters,  die  so  stolz  auf  seiner  Faust  sassen,  in 
denen  er  sein  eigenes  Ebenbild  erkannte  und  denen  er  oft  eine  leiden- 
schaftliche  Zuneigung  zuwandte.  Jacob  Grimm  hat  der  Falkenjagd 
in  seiner  Geschichte  der  deutschen  Sprache  ein  eigenes  Kapitel  ge- 
widmet,  in  welchem  er  durch  Sammlung  von  Stellen  aus  Schrift- 
stellern  und  Dichtern  des  Mittelalters  die  herrschende  Vorliebe  fur 
diese  Art  Jagd  ins  Licht  setzt  und  die  letztere  zugleich  als  nationale 
Sitte  in  das  hochste  vorhistorische  Alterthum  des  germanischen 
Stammes  zuriickverlegt.  Allein,  wie  es  seiner  Phantasie  auch  sonst 
begegnet,  spat  Erborgtes  und  nachmals  Erlerntes,  das  auf  dem  neuen 
Boden  oft  am  iippigsten  wuchert,  wenn  es  auf  dem  alten  schon  im 
Absterben  begriffen  ist,  als  ein  in  den  Tiefen  der  Jahrhunderte 
schattenhaft  sich  Bewegendes  und  von  dort  an  das  Licht  Aufsteigen- 
des  ahnungsvoll  zu  schauen,  —  so  auch  hier.  Die  Falkenjagd  ist 
keine  deutsche  Uebung,  vielmehr  den  Deutschen  von  den  Kelten  zu- 
gekommen  und  nicht  einmal  in  sehr  fruher  Zeit.  Die  Jagd  als 
Kunst,  in  verfeinerter  und  berechneter  Ausbildung,  ist  ein  keltischer 
Nationalzug,  der  sich  durch  den  Bestand  eines  reichen  und  machti- 
gen  Adels  in  dem  zu  Casars  Zeit  schon  hoch  civilisirten,  mit  Strassen, 
Stadten,  Briicken,  Zollen  u.  s.  w.  versehenen  und  doch  noch  frischen 
und  waldreichen  G  alii  en  leicht  erklart.  Schon  die  Romer  lernten 
von  den  Kelten  die  Hetzjagd  im  freien  Felde,  die  chasse  au  courre, 
im  Gegensatz  zu  der  Birsch  (mit  Spurhund,  Armbrust  und  Bolzen, 
im  Walde;  das  deutsche  Wort  Birsch,  birschen  vom  altfranzosischen 
berser),  und  entlehnten  daher  den  canis  gallicus  (schon  bei  Ovid  und 
Martial,  erhalten  im  heutigen  spanischen  galgo),  den  canis  vertragus, 
im  heutigen  Deutsch  durch  Volksetymologie  in  Windhund  entstellt, 
s.  die  Geschichte  des  interessanten  Wortes  bei  Zeuss  2  p.  145,  Dief en- 
bach  0.  E.  330  und  Gliick  in  Fleckeisens  Jahrbb.  1864  S.  597) 
und  segusius  (eine  besondere  Art  Jagdhund,  benannt  nach  einem 
gallischen  Stamme  an  der  Loire).  Beide  letzteren  Ausdrucke  kommen 
schon  in  den  deutschen  Gesetzbuchern  vor,  und  wenn  der  Falke 
als  Haus  und  Jagdthier  eben  da  erwahnt  wird,  so  beweist  dies  also 
nichts  fur  einen  altgermanischen  Ursprung.  Deutlich  aber  weist  der 
Name  des  eigentlichen  deutschen  Jagdvogels,  des  Habichts,  auf 
seine  Herkunft  aus  Gallien:  altirisch  heisst  er  sebocc,  und  so  oder 
ahnlich  muss  er  in  der  altesten  keltischen  Sprache  gelautet  haben. 
In  dem  einen  der  beiden  Zweige  des  Keltischen,  dem  Britischen, 
dem  sich  auch  das  Idiom  der  Gallier  des  Festlandes  anschloss,  ver- 

Vict.  Hehn,  Kulturpflanzen.    7.  Aufl.  24 


370  Die  Falkenjagd. 

wandelte  sich  aber  in  einer  Anzahl  Worter  das  s  in  h:  aus  sebocc 
wurde  im  kambrisch-kornischen  Munde  hebauc,  und  in  dieser  secun- 
daren  Gestalt  ging  das  Wort  zu  den  Deutschen  iiber :  hapuh ,  altn. 
hauler  u.  s.  w.  Die  Germanen  der  altesten  Zeit  kampften  gegen 
den  Baren  und  Wolf  und  erlegten  den  Auer-  und  Bisonochsen, 
den  Elch  und  Schelch  und  den  Eber:  die  Falkenbeize  aber 
lernten  sie  spater  von  jenseits  des  Rheines  und  der  Donau  -her 
kennen.  Auch  lasst  sich  nicht  behaupten,  dass  die  letztere  jemals 
in  Deutschland  volksmassig  gewesen  sei.  Sie  war  die  Lust  des 
Edlen  hoch  zu  Ross,  seiner  Dame  und  des  Jagdgesindes :  der  Bauer 
trieb  sie  nicht,  er  staunte  die  adelige  fremdlandische  Kunst  an,  wie 
er  die  Waffen  und  Kampfmanieren  der  Ritter  bewunderte  und  deren 
romanische  Namen  allmahlig  nachsprechen  lernte.  Eine  andere 
Frage  aber  ist,  ob  die  keltischen  Volker,  die  die  germanische  Welt 
von  Westen  und  Siiden  her  ein-  und  abschlossen,  die  Jagd  mit  ab- 
gerichteten  Stossvogeln  etwa  selbst  erfunden  oder  sie  nur  ausge- 
bildet,  und  im  letzteren  Falle  von  welcher  Seite  sie  sie  ursprunglich 
empf angen  hatten  ?  Die  alteste  Nachricht  iiber  Jagd  mit  Raubvogeln 
findet  sich  bei  Aristoteles  H.  A.  9,  36,  4  (das  neunte  Buch  riihrt 
zwar  in  seiner  jetzigen  Gestalt  schwerlich  von  Aristoteles  her,  aber 
die  Stelle  findet  sich  schon  bei  Antigonus  Carystius,  unter  dem 
zweiten  und  dritten  Ptolemaer,  im  Auszuge  wiederholt):  »In  der 
Gegend  von  Thrakien,  welche  ehemals  Kedreipolis  hiess  (Iv  Se 
Qgyxfl  vfi  xahovfievy  nois  KedgsiTiohei) ,  werden  in  einem  Sumpfe 
die  kleinen  Vogel  von  den  Menschen  in  Gemeinschaft  mit  den  Ha- 
bichten. gejagt:  die  Menschen  schlagen  mit  Stocken  an  das  Rohr  und 
Buschwerk,  damit  die  Vogel  auffliegen,  die  Habichte  aber  erscheinen 
von  oben  her  und  verfolgen  sie  und  die  erschreckten  Vogel  fliegen 
wieder  zur  Erde  hinab,  worauf  sie  die  Menschen  mit  Stocken  schlagen 
und  ergreifen  und  den  Habichten  einen  Theil  von  der  Beute  ge- 
wahren,  sie  werfen  ihnen  namlich  einige  Vogel  entgegen  und  diese 
werden  von  den  Habichten  aufgef angen. «  Statt  der  ®g$xr)  r\  xahov- 
fjLevTf]  7iOT£  KsdosCnohg  wird  in  der  Schrift  de  mirab.  auscultat.  118 
die  Qgyxri  fj  vTtSQ  ' A^Cnohv  genannt,  und  in  dieser  Gestalt  ist  die 
Notiz  auf  Plinius  10,  23  iibergegangen.  Gewisse  Thraker  also  be- 
dienten  sich  der  gezahmten  Raubvogel,  tsQaxeg,  um  in  einer  Sumpf- 
gegend  die  aufgejagten  Vogel  wieder  zur  Erde  zuriickzuscheuchen,  wo 
sie  von  den  Jagern  mit  Stocken  erlegt  wurden:  der  Raubvogel  fasst 
das  gejagte  Thier  nicht  selbst,  erhalt  aber  von  der  Beute  semen  An- 
theil.  (Letzteres  ganz  nach  der  Sitte  der  spateren  Falkenjager.) 


Die  Falkenjagd.  371 

Der  Jude  Philo    lasst    in    seinem  verloren  gegangenen,  aber    in    der 
armenischen  Uebersetzung  erhaltenen  Dialog:     de   ratione  quam  ha- 
bere    etiam  bruta  animalia  dicebat  Alexander  (Opera  ed.  Richter, 
T.  8,  §  37)  seinen  Gegner  ganz  dieselbe  aristotelische  Angabe  wieder- 
holen  und  zwar  mit   dem  Zusatz:    »mir  schien    die    Geschichte    von 
den  thrakischen  Habichten  unglaublich,  bis  ich  mehrere  Eingeborene, 
darunter  einen  vollig  redlichen,  befragte,  die  mir  alle  die  Sache  be- 
statigten.«     War   dies   thrakische  Erfindung?     Wir   wissen   es  nicht, 
clenn  wenn  auch  von  Aehnlichem  in  Iiidien  berichtet  wird  (schon  von 
Ktesias  bei  Photius    und  ausfiihrlicher    bei    Aelian    N.  A.  4,    26,  s. 
Miiller  Fr.  Ctesiae  11   hinter  seiner  Ausgabe  des  Herodot;  die  Inder 
jagen  Hasen  und  Fiichse  mit  Raubvogeln;  die  Zahmung  der  letzteren 
ist  ganz  die  der  spateren  Falkoniere,  die  Thiere  bekommen  ihr  Theil) 
und  die  Aegypter  einen  Raubvogel,    den  aGiSQcag,  so  zahm  gemacht 
hatten,  dass  er  der  menschlichen  Stimme  gehorsam  war  (Ael.  N.  A. 
5,   36),  so  liegt   zwischen  beiden  Landern   und  Thrakien  ganz  West- 
asien   und   von   einer   so    auffallenden  Jagdart   bei   den  Volkern   des 
letztgenannten  Landergebietes  hatten  uns  die  Griechen  wohl  Meldung 
gethan,    wenn    sie  daselbst    ublich    gewesen   ware.     Ktesias  erzahlte 
von  ihr  als  einer  Merkwurdigkeit  Indiens:    am  persischen  Hofe,  an 
dem  er  lebte,  muss  sie  also  unbekannt  gewesen  sein.     Dass    sie  bei 
einem    der    das    sogenannte    Kleinasien    bewohnenden    Volker,     der 
Nachbarn  und  Verkehrsgenossen  der  Thraker,   gangbar  gewesen,    ist 
bei  dem  Stillschweigen  der  Griechen    gleichfalls    nicht   anzunehmen. 
Da   aber  die  von  Ktesias  ausfuhrlich    beschriebene  Abrichtungsweise 
mit  der  spateren   europaischen    so   genau  zusammenstimmt ,   so   mag 
irgend   ein  Zusammenhang,    den  wir  nicht   mehr    aufweisen  konnen, 
von    dem    diese    Jagd    betreibenden    in    irgend    einem   Grenzgebirge 
Indiens  hausenden  Stamme  (Ktesias  spricht  von  Gebirgshasen,  die 
so  gejagt   werden)    bis   nach  Thrakien   reichen  —  wo   die   Zwischen  - 
glieder    etwa    Chorasmier    und   Massageten,    Sarmaten    und   Scythen 
waren?     Layard,  Niniveh  und  Babylon,  iibersetzt  von  Zenker,  Leip- 
zig s.  a.  enthalt  S.   369  Anm.   die  Notiz:     »Auf  einem   Basrelief    in' 
Khorsabad,    welches  ich    bei    meinem    letzten  Besuche    daselbst  sah, 
war,  wie  es  schien,  ein  Falkonirer  mit  dem  Falken    auf    der    Faust 
abgebildet.«     Leider    macht   der    Zuzatz    »wie   es    schien «   die  Sache 
unsicher;  aber  wenn  die  Herrschaft  der  grossen  Euphrat-  und  Tigris- 
Reiche   zu  Zeiten  bis   an   die  Grenzen  Indiens  reichte,    mochte    eine 
dort  gebrauchliche  Jagdart  auch  einmal   in    der  Hauptstadt  an  einer 
der  Wande  des  Konigspalastes  dargestellt  worden  sein.  -  -  Aus  Thra- 

24* 


372  Die  Falkenjagd. 

kien  konnten  die  Kelten,  die  auf  zahlreichen  Kriegs-  und  Wander- 
ziigen  die  Hamushalbinsel  heimsuchten,  die  nicht  leichte  Kimst  der 
Abrichtung  von  Raubvogeltt  zur  Jagd  sich  geholt  haben.  Auf  einer 
gewissen  Lebensstufe  eignen  sich  die  Volker  von  ihren  Nachbaren 
nichts  bereitwilliger  an,  als  neue  und  leichtere  Arten  dem  Jagdthier 
beizukommen,  das  den  Gegenstand  ihrer  Begierde  bildet.  Diejenigen 
Kelten  wenigstens,  die  Italien  iiberzogen  und  Rom  verbrannten, 
konnen  die  Falkenjagd  noch  nicht  gekannt  haben,  da  sich  bei  den 
alteren  Roruern  keine  Spur  einer  solchen  findet.  Erst  in  den  Jahr- 
hunderten  der  Kaiserzeit  tauchen  hin  und  wieder  Andeutungen  der- 
selben  auf,  aber  in  sehr  unbestimmter  Weise,  bis  plotzlich  in  den 
letzten  Zeiten  der  Volkerwanderung  und  bald  nachher  die  Sache  im 
Munde  aller  Schriftsteller  ist  und  als  allgemein  iiblich  vorausgesetzt 
wird.  In  dem  Epigramm  des  Martial  14,  216.  Accipiter: 

Praedo  fuit  volucrum,  famulus  nunc  aucupis:   idem 
Decipit    et  capias  non  sibi  maeret  aves  — 

scheint  ein  ganz  deutlicher  Hinweis  auf  Verwendung  des  Habichts 
zur  Jagd  zu  liegen,  aber  gleichzeitig  berichtet  Plinius  von  der  neuer- 
dings  ergangenen,  hochst  wunderbaren  Sage,  in  der  Gegend  von  Eriza 
in  Asien  (dies  Eriza  war  eine  Stadt  in  Karien  an  den  Grenzen 
Lykiens  und  Phrygiens)  jage  ein  gewisser  Craterus  Monoceros  mit 
Hulfe  von  Raben,  die  fur  ihn  das  Wild  auf  spur  ten  und  trieben  und, 
wenn  er  ausziehe,  gesellten  sich  auch  wilde  Raben  dazu  10,  124: 
nee  non  et  recens  fama  Crateri  Monocerotis  cognomine  in  Erizena 
regione  Asiae  eorvorum  opera  venantis  eo  quod  devehebat  in  silvas  eos 
insidentis  corniculis  umerisque-,  illi  vestigabant  agebantque  eo  per- 
ducta  cousuetudine  ut  exeuntem  sic  comitarentur  et  feri.  Aus  der 
zweiten  Halfte  des  folgenden  Jahrhunderts  scheint  eine  Stelle  bei 
Apulejus  (Apologia  s.  de  magia  lib.  34.  p.  44  ed.  Krueger.)  auf  Jagd 
mit  Habichten  hinzudeuten :  ware  es  nicht  absurd,  so  ungefahr  driickt 
sich  der  Autor  aus,  mit  missbrauchlicher  Anwendung  des  Gleichklangs 
den  Fisch  accipiter  zum  Vogelfang  brauchen  zu  wollen:  quam  si 
dicas  ....  aucupandis  volantibus  piscem  accipitrem  (quaesitum), 
aber  der  Schluss  aus  den  Worten  wird  hinfallig,  wenn  man  das  un- 
mittelbar  Folgende  hinzuzieht :  aut  venandis  apris  piscem  apriculum. 
Denn  wie  konnten  Eber  mit  Hulfe  eines  Ferkels  gejagt  werden? 
Hochstens  bei  Wolfen  konnte  es  zur  Anlockung  verwandt  werden. 
Vielleicht  liegt  in  folgender  Beschreibung  einer  Art  Falkenjagd  in 
der  Paraphrase  von  Oppian.  de  aucup.  3,  5  die  Erklarung  des  obigen 
Epigramms  von  Martial  und  der  Worte  des  Apulejus:  »eine  ange- 


Die  Falkenjagd.  373 

nehme  Jagd  ist  es,  wenn  man  einen  Falken,  tegaxa,  mitbringt  und 
diesen  unter  einen  Busch  legt;  die  kleinen  Vogel  ot  GTQOV&OL,  er- 
schrecken,  suchen  sich  ini  Laube  zu  verbergen,  schauen  aber  immer 
auf  den  Falken,  von  der  Angst  gebannt,  wie  wenn  ein  Wanderer 
plotzlich  einen  Rauber  erblickt  und,  starr  vorn  Schreck,  sich  nicht 
von  der  Stelle  bewegt;  der  Vogelsteller  zieht  die  Vogel  so  mit  aller 
Musse  voni  Baume  herab.«  Hier  haben  wir  den  Anfang  einer  noch 
sehr  unvollkommerien  Jagd  mit  Raubvogeln,  und  an  nichts  Anderes 
dachten,  wie  gesagt,  vielleicht  Martialis  und  Apulejus.  Aber  bei 
Julius  Firmicus  Maternus,  bei  Prosper  Aquitanus,  Sidonius  Apollinaris 
u.  s.  w.  im  vierten  und  fiinften  Jahrhnndert  ist  die  Falkenjagd  eine 
ausgebildete,  beliebte  und  verbreitete  Kunst,  die  ohne  Zweifel  von 
den  Barbaren  herriihrte.  Schon  in  der  halb  fabelhaften  Urgeschichte 
der  Sachsen  bei  Widukind.  tritt  ein  Jager  mit  dem  Habicht  auf, 
1,  10:  aus  der  belagerten  Stadt  Scheidungen  an  der  Unstrut,  die 
durch  die  Verheissung  des  Friedens  in  Sicherheit  gewiegt  war,  girg 
ein  Thuringer  mit  einem  Habicht  hinaus  und  suchte  iiber  dem  Ufer 
des  genaniiten  Flusses  Nahrung;  als  er  den  Vogel  hatte  steigen  lassen, 
nahm  ihn  Einer  von  den  Sachsen  am  jenseitigen  Ufer  alsbald  in 
Empfang  und  weigerte  sich  ihn  herauszugeben ;  Jener  aber  sprach: 
gieb  ihn  heraus,  so  will  ich  dir  ein  wichtiges  Geheimniss  verrathen; 
die  Mittheilung  des  Geheimnisses  aber  fiihrte  zum  Untergang  der 
Stadt  —  lauter  in  Marchen  nicht  ungewohnliche  Motive.  Wahrend 
des  Mittelalters  stand  diese  Jagd  im  ganzen  feudalen  Europa  in 
Bliite  (der  grosse  Kaiser  Friedrich  II.  schrieb  selbst  ein  Buch  de  arte 
venandi  cum  avibus)  und  wanderte  von  Deutschland  und  von  Byzanz 
nach  dem  Osten  des  Welttheils  und  zu  den  Volkern  Asiens  an  die 
Hofe  der  Grossfiirsten  und  Czaren,  der  Emire,  Scheikhs,  Chagane 
und  Schahs,  bis  zu  den  Nomaden  der  Steppe  und  den  Beduinen  der 
Wiiste.  Marco  Polo  fand  sie  in  den  Residenzen  der  mongolischen 
Fiirsten  bis  nach  China  hin,  ebenso  neuere  Reisende  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  in  den  Landern  des  Islams.  In  Europa  gerieth 
sie  in  demselben  Maasse,  wie  das  Schiessgewehr  sich  ausbreitete  und 
vervollkommnete,  in  Verfall  und  endlich  in  Vergessenheit,  wobei  es 
charakteristisch  ist,  dass  die  Namen  der  neuen  durch  die  Luft 
treffenden  morderischen  Waffen  so  haufig  von  den  Stossvogeln  ent- 
nommen  sind,  an  deren  Stelle  sie  traten  (vgl.  falconetto;  moschetto, 
die  Muskete,  eigentlich  der  Sperber;  terzeruolo,  eigentlich  das 
Mannchen  des  Habichts ;  sagro,  ein  Geschiitz,  eigentlich  der  Saker- 
falke).  In  Frankreich  gingen  bis  zur  Revolution  bei  feierlichen  Auf- 


374  Die  Falkenjagd. 

ziigen  des  Hofes  die  koniglichen  Falkoniere  voran,  oder  vielinehr 
Leute,  die  deren  Abzeichen  trugen,  denn  in  Wirklichkeit  gab  es  keine 
fauconnerie  du  Roi  raehr.  In  England  soil  noch  jetzt  bei  eineni 
oder  zwei  Landlords  in  ehrwurdiger  Tradition  ein  Falkenstaat  auf- 
recht  erbalten  und  die  dazu  nothigen  abgerichteten  Thiere  aus  Belgien 
bezogen  werden.  In  Asien  aber  ist  die  Falkenjagd  bis  auf  den 
heutigen  Tag  in  vielen  Gegenden  eine  eifrig  betriebene  Lieblings- 
beschaf  tigung 79). 

*  *  Der  Ausgangspunkt  der  Falkenjagd  ist  in  dem  vorhergehenden  kaum 
richtig  bestimmt  worden.  Dass  den  Kelten  in  alterer  Zeit  die  Jagd  mit 
Vogeln  bekannt  gewesen  sei,  daftir  fehlt  jedes  Zeugniss.  Erst  im  X.  Jahrh. 
zeigen  wallisische  Rechtsquellen  (vgl.  Baist  in  seinem  fur  den  ganzen  folgen- 
den  Abschnitt  bedeutungsvollen  Aufsatz  Falco,  Z.  f.  D.  A.  27,  55)  die  Jagd 
mit  Habicht,  Falke  und  Sperber,  die  sich  durch  nichts  wesentliches  von  der 
Jagdweise  des  friiheren  Mittelalters  unterscheidet.  Namentlich  aber  hat 
R.  Thurneysen,  Kelto  -  Romanisches  S.  23  ff.  den  iiberzeugenden  Nachweis 
gefiihrt,  dass  acymr.  hebaue  und  altir.  sebocc  nicht  die  Quelle  von,  sondern 
Entlehnungen  und  Umbildungen  aus  ags.  heafoc  sind.  —  Wenden  wir  uns 
vom  Westen  Europas  in  die  slavisch-byzantinische  Welt,  so  weist 
jedenfalls  die  Sprache  darauf  bin,  dass  die  Jagdweise  des  europaischen  Ostens 
nicht  vom  Westen  her,  sondern  durch  den  Orient  beeinflusst  wurde.  Schon 
in  sehr  friiher  Zeit  ist  das  tiirkische  karagu,  Jcergu  Sperber  in  siimmtliche 
slavische  Sprachen  eingedrungen :  altsl.  kraguj,  bulg.  kargo,  nsl.  Jcragulj,  russ. 
(lautlich  auffallend)  kraguj  u.  s.  w.  (vgl.  Miklosich,  Turk.  Elern.  S.  91).  Eben- 
dahin  gehort  vielleicht  auch  kurd.  Jcvrgho  nom  d'une  petite  espece  de  faucon 
(vgl.  Jaba-Justi  S.  308),  wie  auch  kurd.  do^dn  faucon  dem  tiirk.  tughan  ent- 
stammt  (Jaba-Justi  S.  277).  Aus  dem  Russischen  ist  noch  sarycu  Falco  Buteo 
=  nordttirk.  sareca  Jagdfalke  zu  nennen  (Miklosich,  T.  E.). 

Unter  den  byzantinischen  Ausdriicken  ftir  Jagdvogel,  die  Hammer- 
Purgstall,  Falknerklee  S.  XVII  zusammenstellt,  sind  neben  Upa£  Habicht, 
icsTpttYj?  Edel-,  Tauben-,  Wanderfalke  und  e>£orcTepiov  Sperber  drei  orientalischen 
Ursprungs:  namlich  ^woc  aus  tiirk.  zagen  Weihe  (Zenker  480,  1)  oder  aus 
arab.-pers.  sdhm,  Pamird.  sain,  kurd.  sin  Konigsfalke,  ooYxooptov  aus  pers.  sonkur 
Gerfalke  und  tCoopdxtov  Sorrak,  Falco  candicans  wohl  aus  pers.  cargh,  Pamird. 
tsar,  tsdrgh.  Allerdings  sind  diese  Namen  spat  iiberliefert,  doch  brauchen  sie 
desshalb  nicht  spaten  Ursprungs  zu  sein,  und  keinesfalls  sieht  man  ein,  wie 
sie  sich  in  der  byzantinischen  Fachliteratur  festsetzen  konnten,  wenn  die 
Byzantiner  die  Lehrmeister  der  Asiaten  auf  dem  Gebiete  der  Falkenjagd  waren. 
Hammer-Purgstall  S.  XIX  halt  es  daher  fiir  selbstverstandlich,  dass  die  Griechen 
ihre  Kenntniss  der  Falknerei  von  den  Persern  erhielten,  die  ihrerseits  Schiller 
der  Tiirken  waren,  in  deren  Stammland,  Turkistan,  die  edelsten  Falken-  und 
Habichtsarten  einheimisch  seien.  Ueber  das  Alter  der  Falkenjagd  bei  Turko- 
Tataren  vgl.  auch  Vambe>y,  Primitive  Kultur  S.  100.  Dass  die  Falkenjagd  im 
Orient  uralt  ist,  geht  ferner  aus  assyrischen  Keilinschriften  hervor  (vgl.  o. 
S.  371),  die  aus  der  Mitte  des  7.  vorchristlichen  Jahrhunderts  stammen.  Der  Falke 


Die  Falkenjagd.  375 

heisst  in  ihnen  surdu,  sumer.  sur-cla.  Von  ihm  wird  u.  a.  gesagt:  ,,Wenn  ein 
Falke  auf  die  Jagd  geht  und  von  der  rechten  Seite  des  Konigs  auf  die  linke 
fliegt,  wird  der  Konig,  wohin  er  geht,  siegreich  sein"  oder:  ,,Wenn  ein  Falke 
jagt  und  seine  Beute  im  Schnabel  zerknickt  und  vor  den  Konig  fliegt,  wird 
der  Konig  seinen  Feind  vertreiben."  Andere  Namen  des  Jagdvogels  scheinen 
busu  und  issur  hurri  gewesen  zu  sein:  ,,Fahre  wie  ein  Falke  (issur  hurri}  aus 
deinem  Verstecke  hervor",  womit  vielleicht  dieselbe  Art  der  Jagd  gemeint 
ist,  die  Aristoteles  (oben  S.  370)  von  den  Thrakern  nieldet.  ,,Recken  mit 
Falkenkorpern"  werden  bereits  in  der  kuthaischen  Schopfungslegende  aus  der 
Zeit  der  ersten  babylonischen  Dynastie  (ca.  2000  v.  Chr.)  genannt  (vgl.  naheres 
bei  B.  Meissner  Falkenjagden  bei  den  Babyloniern  und  Assyrern  in  den  Bei- 
tragen  zur  Assyriologie  und  semitischen  Sprachw.  herausg.  von  F.  Delitzsch 
und  P.  Haupt  S.  418ff.) 

Unter  den  romanischen  Volkern  tritt  nach  den  Ausfiihrungen  H.'s 
die  neue  Jagdweise  im  Anfang  des  IV.  nachchristlichen  Jahrhunderts  auf, 
und  allmahlich  erscheint  eine  Eeihe  neuer  Benennungen  von  Falkoniden, 
iiber  deren  Ursprung  viel  gestritten  worden  ist.  Sicher  deu  tscher  Herkunft 
ist  it.  sparaviere,  frz.  epervier  aus  ahd.  spurawdri  Sperber.  Fiir  deutsch  halten 
wir  auch  mit  Baist  a.  a.  0.  S.  59  und  Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  XIII,  186  it.  ger- 
fako,  span,  gerifalte,  prov.  girfale,  frz.  gerfaut:  altn.  geirfalki  Sperfalke,  Falco 
islandicus,  da  uns  die  Ableitung  von  gyrus,  gyrare,  also  vom  Kreisen  des 
Vogels,  sowohl  an  sich  zu  abstract  erscheint,  wie  sie  auch  nach  Baist's  An- 
gaben  sachlich  unrichtig  ist.  Uebrigens  ist  auch  unser  geier  nicht  von  gyrus, 
sondern  von  gier,  gierig  abzuleiten ;  vgl.  scrt.  grdhra  gierig  und  Geier.  Deutsch 
ist  ferner  it.  smerlo,  prov.  esmirle,  it.  smeriglione  u.  s.  w.  Schmerl  (Baist,  Z.  f. 
D.  A.  27,  60)  und  die  Benennung  eines  wesentlichen  Bestandtheils  der  Falken- 
jagd, der  Lockspeise  it.  logoro,  frz.  leurre:  mhd.  luoder.  Unter  diesen  Um- 
standen  spricht  von  vornherein  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  dafiir,  dass 
auch  das  mlat.,  zuerst  bei  Julius  Firmicus  Maternus  erscheinende  falco,  it. 
falcone,  frz.  faucon  (auch  alb.  fallcue,  fekua  Adler,  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  98): 
ahd.  falcho,  altn.  faOce  germanischen  Ursprungs  ist.  Demnach  ware  die  alte 
Ableitung  von  falx  Sichel,  die  wiederum  zu  reflektirend  und  sachlich  be- 
denklich  ist  (vgl.  Baist,  a.  a.  0.  S.  57),  zu  verwerfen,  wie  auch  griech.  Spitfj: 
dpTCctCcD  raube  und  nicht:  Sprcf)  Sichel  gehort.  Baist  leitet  ahd.  falcho  von 
fatten  ab  (»der  Habicht  fangt  seine  Beute,  der  Falke  stiirzt  sich  auf  dieselbe « : 
accipitres  praedas  persequuntur,  falcones  ab  alto  feruntur)  and  beruft  sich,  was 
die  Suffixbildung  anbetrifft  (Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  XIII,  186  Anm.)  auf  Vogel- 
namen  wie  storch,  kranich,  dhaks,  lerche,  habuh,  belche.  Auch  an  Zusammenhang 
mit  ahd.  falo  fahl  hat  man  gedacht.  Auf  jeden  Fall  spricht  aber  fiir  die 
deutsche  Herkunft  des  Wortes  falco  seine  Verwendung  als  Eigenname  im 
Ahd.,  Ags.,  Langob,  und  Westgotischen  (Baist.  a.  a.  O.).  -  -  Die  Komanen 
haben  also,  darauf  fiihrt  die  Sprachbetrachtung  mit  grosser  Deutlichkeit,  im 
III.  oder  IV.  Jahrhundert  die  Sitte,  mit  Vogeln  zu  jagen,  von  den  germanischen, 
in  ihre  Grenzen  einbrechenden  Schaaren  kennen  gelernt.  Da  nun  weder 
Caesar,  noch  Plinius,  noch  Tacitus,  noch  sonst  jemand  von  altgermanischer 
Falkenjagd  zu  berichten  wissen,  so  ist  es  wahrscheinlich ,  dass  unsere  Vor- 
fahren  diese  neue  Kunst  nicht  allzulange  vor  dem  Beginne  des  IV.  Jahrhunderts 
bei  sich  ausgebildet  oder  von  aussenher  iibernommen  haben. 


376  Der  Pflaumenbaum. 

Es  ergeben  sich  also  fur  Europa  bis  jetzt  zwei  Entstehungsheerde  des 
Jagdsports  mit  Vogeln:  fiir  die  slavisch-griechische  Welt  Turko-Tataren  nebst 
Persern  und  Arabern,  fur  die  romanischen  Volker  die  Germanen  etwa  des 
III.  Jahrhunderts.  Ob  diese  beiden  Ausgangspunkte  der  neuen  Jagdweise 
unter  sich  irgendwie  zusammenhangen,  bleibt  eine  offene  Frage.  Unmoglich 
scheint  es  uns  nicht,  dass  mit  den  ersten  Wehen  der  Volker wanderung  die 
Anregung  zu  der  Falkenjagd,  deren  hohes  Alter  im  Orient  durch  die  obigen 
Ausfuhrungen  erhartet  wird,  und  dessen  Urspriinge  man  eher  in  der  unend- 
lichen  Steppe  des  Ostens  als  in  dem  begrenzten  Waldgebiet  unseres  deutschen 
Vaterlands  wird  suchen  wollen,  zu  ostgermanischen  Stammen  kam,  die  die 
neue  Gewohnheit  dann  nach  dem  romanischen  Stiden  trugen. 

In  spate rer  Zeit  ist  der  Osten  alsdann  die  Quelle  eines  erneuten  Auf- 
schwungs  der  Falkenjagd  geworden.  Von  den  Arabern  lernte  Europa  den 
Gebrauch  der  Haube  kennen.  Einen  interessanten  sprachlichen  Beleg  fiir 
den  gleichen  Kultureinfluss  bietet  mlat.  sacer,  it.  sagro,  frz.,  span,  sacre,  nihd. 
sackers  der  Sackerfalk.  Die  Meinung,  dass  diese  verhaltnissmassig  spat  be- 
zeugte  Sippe  nichts  sei  als  das  lat.  sacer  heilig,  eine  Uebersetzung  von  Upag,' 
kann  jetzt  wohl  als  allgemein  aufgegeben  gelten  (vgl.  Lagarde,  Mittheilungen 
II,  252,  Baist  a.  d.  o.  a.  Orten  S.  62  und  189).  Auch  ist  ahd.  ivie  zu  trennen 
von  wiho  heilig,  und  auch  in  lepa£  ist,  wie  Hesychs  ^stpaxsi;  (*ivei-r-ak :  ahd.  wie ; 
Wurzel  wi,  wei  jagen,  vergl.  Kluge,  Et.  W.)  zeigt,  bpo?  =  scrt.  ishira  erst  volks- 
etymologisch  hereingetragen  worden.  Die  oben  genannte  Sippe  ist  vielmehr 
eine  Entlehnung  aus  dem  alt-arab.  saqr.  Ob  dieses  wieder  aus  tiirk.  tschakir 
(Hammer-Purgstall  S.  XIX)  entstellt  sein  kann,  vermogen  wir  nicht  zu  ent- 
scheiden.  Slavisch  sokolu  und  lit.  sakalas  sind  fern  zu  halten.  Weitere  Namen 
von  Jagdvogeln  vgL  Anm.  79. 


Der  Pflaumenbaum. 

(Prunus  domestica  L.,  Prunus  insititia  L.) 

Der  Pflaumenbaum,  prunus,  wird  nur  einmal  bei  Cato  133  ge- 
nannt,  wahrend  er  in  der  Parallelstelle  51  iibergangen  ist.  Von 
allgemeiner  Kultur  in  den  Garten  und  einer  dabei  sich  ergebenden 
Mannigfaltigkeit  der  Sorten  konnte  also  damals  noch  nicht  die  Rede 
sein.  Den  Dichtern  der  goldenen  Zeit  dagegen  ist  die  Frucht  schon 
ganz  gelaufig,  Verg.  Eel.  2,  53: 

Addam  cerea  pruna;  honos  erit  huic  quoque  porno. 
Was  cerea  pruna  sind,  erklart  Ovid.  Met.  13,  817: 

Prunaque,  non  solum  nigro  liventia  succo, 
Verum  etiam  generosa  novasque  imitantia  ceras. 


Der  Pflaumenbaum.  377 

Auch  das  Pfropfen  der  edlen  Pflaume  auf  den  Schlehdom  1st  all- 
gemein,  Verg.  G.  4,  145: 

spinos  jam  pruna  ferentis. 

Auf  Horazens  Villa  waren  Pflaumen  auf  Dornen  zu  sehen,  Ep. 
1,  16,  8: 

quid?  si  rubicunda  benigne 
Corna  vepres  et  pruna  ferunt? 

Columella  kennt  drei  Sorten:  cereolum,  Damasci,  onychinum,  Plinius 
aber  eine  verwirrende  Menge  von  Varietaten,  15,  41:  Ingens  posted 
turba  prunorum  —  folgt  die  Aufzahlung  einiger  derselben.  In  pere- 
grinis  arboribus  dicta  sunt  Damascena  a  Syriae  Damasco  cogno- 
minata,  jam  pridem  in  Italia  nascentia.  —  Simul  did  possunt 
popular es  eorum  myxae,  quae  et  ipsae  nune  coeperunt  Rotnae  nasci 
insitae  sorbis.  Diese  Damascener-Pflaume,  als  die  alleredelste,  gab 
bei  den  Byzantinern  und  Neugriechen  den  Namen  fur  Kulturpflaume 
iiberhaupt  her;  der  Name  prunus  ging  mit  dem  Baum  und  der 
Frucht  von  Italien  aus  durch  alle  Lander  West-  und  Mitteleuropas. 
Die  Romer  batten  ihrerseits  den  Namen  von  den  Griechen  entlebnt; 
nQOVpvov  aber  gait  nach  Galenus  eigentlich  fiir  die  Frucht  des  wilden 
Baumes,  6,  p.  619  Kuhn:  o  rs  TWV  ay()(,oxoxxvfjirjA.u)V,  a  nQovfJiva  TIO.Q 
fjfilv  (d.  h.  im  nordwestlichen  Kleinasien)  xahovfft,,  fand  aber  dann 
auch,  wie  in  ahnlichen  Fallen  auch  sonst  geschah,  auf  die  edle 
Prunus  domestica  Anwendung,  z.  B.  bei  Dioscor.  1,  174.  Sonst  hiess 
bei  den  Griechen  die  Frucht  der  letzteren  xoxxvfji^ov  (die  erste 
Halfte  ein  orientalisches  Wort,  s.  Pott  in  Lassens  Zeitschrift  7,  109), 
die  Schlehenpflaume  fi()d{}vA.ov.  Das  alteste  Zeugniss  fiir  den  ersteren 
Narneii  ist  in  einem  Citat  des  Pollux  1,  232  aus  Archilochus,  also 
aus  dem  Anfang  des  siebenten  Jahrhunderts ,  enthalten,  dann  in 
einem  Fragment  des  Hipponax  aus  der  Mitte  des  sechsten  Jahr- 
hunderts, Fr.  81.  Bergk. : 

tfiscpavov  el%ov  xoxxvpfawv  xal  [twdrjg. 

In  der  Abhandlung  liber  die  Pflaumen  bei  Athenaus  2,  p.  49  ff.  wird 
nach  dem  Peripatetiker  Clearchus  berichtet,  die  Rhodier  und  die  Sike- 
lioten  nennten  auch  die  Pflaumen  pQafivha,  und  nach  dem  Glossator 
Seleukus,  {tgaflvJia,  rjka,  xoxxvpyha,  f-iddgva  seien  dasselbe.  Der 
Sprachgebrauch  des  Theokrit  bestatigt  diese  Angabe  nicht:  von  den 
zwei  Stellen  dieses  Dichters,  in  denen  das  Wort  fiQafivko'v  vorkommt, 
wird  in  der  einen,  12,  3,  die  Ankunft  der  Geliebten  so  suss  genannt, 
wie  der  Friihling  im  Gegensatz  zum  Winter,  und  das  fjirjhov  im  Ver- 
gleich  mit  dem  Pgafivkov:  hier  kann  unter  den  letzteren  schwrerlich 


378  Der  Pflaumenbaum. 

die  kostliche  Pflaume  verstanden  werden,  vielmehr  wird  firjhov  nur 
als  kiirzerer  Ausdruck  fur  xoxxvpqhov  zu  nehmen  sein.  In  der  anderen 
Stelle  7,  146  werden  bei  Schilderung  eines  Lustortes  Birnen,  Aepfel 
und  pgafivha  zusammen  genannt,  und  es  steht  nichts  entgegen,  sie 
auch  hier  als  die  einheimischen  Schlehenpflaumen  zu  fassen.  Die 
heutigen  ronianischen  Sprachen  verwenden  fur  die  Schlehe  das  Ver- 
kleinerungswort  der  Pflaume:  prugnola,  prunelle;  das  englische  bullace 
Schlehe  soil  aus  dem  Keltischen  stammen  (s.  Schuchardt  in  K. 
Zeitschr.  20,  1871,  S.  249);  dem  deutschen  Schlehe,  ahd.  sUha,  mhd. 
slehe  entspricht  buchstablich  das  slavische  sliva  in  der  Bedeutung 
Pflaume;  dem  franzosischen  creque  oder  vielleicht  direkt  dem  lat. 
graecum  ist  das  deutsche  Krieche,  niederdeutsche  Kreke  nachgebildet 
(Grimm,  Worterb.  5,  2206),  auch  altpreussisch  Jcrichaytos ;  Zwetsche> 
welches  slavischen  Klang  hat,  aber  in  den  slavischen  Sprachen  nicht 
vorkommt,  ist  nach  Schmeller  4,  310  aus  dafMCGXipev  entstellt,  wie 
die  Englander  aus  demselben  griechischen  Wort  ihr  damsin,  damson 
gemacht  haben.  Das  italienische  susina,  spanische  endrina,  vielleicht 
nach  Orten  oder  Menschen  benannt,  stimmen  wenigstens  in  der 
Endung  mit  dem  Namen  bei  Plinius:  onychina,  malina  u.  s.  w.  iiber- 
ein.  Die  Mirabelle,  italienisch  mirabella,  fiihrt  Diez  1,  280  auf 
[tvQopdhavog  zuriick,  welches  griechische  Wort  urspriinglich  eine 
indische,  zur  Bereitung  einer  Salbe  dienende  Frucht  bedeutete,  dann 
aber  auf  eine  einheimische  Art  kleiner  gelblicher  Pflaumen  angewandt 
wurde.  Das  in  Tyrol  gebrauchliche  Zeiber  (s.  Schopf,  Tyrolisches 
Idiotikon)  lautet  bei  den  benachbarten  Slowenen  cibara.  Von  den 
obigen  Glossen  ?jAa,  padgva,  zu  denen  man  noch  6%v{iaka  und  ftddgva 
hinzufiigen  kann  (Nauck  zu  Arist.  Byz.  p.  118),  ist  nur  r^la  allenfalls 
aus  orientalischen ,  zur  iranischen  Familie  gehorenden  Sprachen  zu 
erklaren  (Pott  a.  a.  O.  S.  108). 

Die  gegen  den  nordischen  Winter  abgehartete  Prunus  insititia 
mit  runden  Friichten  mag  in  Europa  urspriinglich  heimisch  sein,  aber 
in  ihrer  veredelten  Gestalt  stammt  sie,  wie  die  echte  Pflaume,  aus 
Asien.  Bei  den  Alten  wird  die  eine  von  der  anderen  um  so  weniger 
genau  unterschieden,  als  auch  die  erstere  unter  der  Hand  der  Kultur 
die  feinsten  Friichte  lieferte  und  noch  liefert,  z.  B.  die  Reine-Claude. 
Wie  schon  der  letztere  Name  andeutet,  ist  auch  in  diesem  Zweige 
der  Obstbaumzucht  Frankreich  das  eigentlich  klassische  Land,  sei  es 
in  Folge  des  Klimas  oder  der  industriellen  Bemuhung  seiner  Bewohner. 
Geht  man  weiter  nach  Siiden,  zu  den  Kusten  des  mittellandischen 
Meeres  hinab,  so  scheint  auch  die  Pflaume  viel  von  ihrem  kostlichen 


Der  Pflaumenbaum.  .      379 

Aroma  zu  verlieren.  Die  europaische  Gegend  aber,  wo  die  Pflaumen- 
zucht  ini  Grossen  betrieben  wird  und  als  integrirender  Factor  der 
Bodenproduetion  auftritt,  ist  das  osterreichisch-tiirkische  Grenzland 
(s.  dariiber  G.  Thoemmel,  Geschicbtliche,  politische  und  topographisch- 
statistische  Beschreibung  des  Vilajet  Bosnien,  Wien  1867,  und 
F.  Kanitz,  Serbien,  Wien  1868).  Dort  begegnet  man  ganzen  Waldern 
von  Zwetschenbaumen,  ihre  Friichte  bilden  4  bis  6  Wochen  hindurch 
frisch  gepfliickt  die  Hauptnahrung  der  Bevolkerung  und  werden  in 
gedorrtem  Zustande  massenhaft  nach  Deutschland,  ja  bis  nach  Amerika 
bin,  ausgefiihrt.  Schweine  und  Pflaumen  sind  fast  die  einzigen  Aequi- 
valente,  mit  denen  diese  Lander  ibren  Bedarf  vom  Auslande,  von 
dem  sie  in  alien  Stucken  abbangig  sind,  bezablen.  Die  Haupt- 
anwendung  aber,  die  von  dem  reichen  Ertrage  der  Frucbt  gemacht 
wird,  ist  die  zu  Pflaumenbranntwein,  der  beliebten  slivovica.  Obgleicb 
von  diesem  Artikel  ungebeure  Mengen  an  Ort  und  Stelle  verbraucbt 
werden,  —  denn  wozu  besassen  jene  Racen  eine  tiefere  Predestination, 
als  zum  Genuss  von  Raki?  — ,  so  ist  auch  die  Ausfubr  noch  be- 
deutend.  Wie  alt  diese  Kultur  dort  ist  und  ob  sie  vielleicht  uber 
die  Zeit  der  slavischen  Einwanderung  binausgebt,  ist  uns  unbekannt. 
Aus  Beeren,  an  denen  der  Nordosten  reich  ist,  ein  Getranke  zu 
machen,  ist  ein  altslavischer  oder  osteuropaiscber  Nationalzug,  der 
schon  von  Herodot  in  seiner  Beschreibung  des  binterskytbischen 
Landes  angedeutet  wird. 


*  Die  in  Kultur  befindlichen  Pflaumen  stellen  nicht  eine 
Art  dar,  sondern  sind  von  verschiedenen  Stammarten  abzuleiten. 
Die  Kriecherpflaume  (Primus  insititia  L.)  ist  sicher  in  den  Kaukasuslandem 
und  Kleinasien  heimisch;  aber  sie  findet  sich  auch  in  Nordafrika,  sowie  in 
ganz  Siid-  und  Mitteleuropa  in  Waldern  vielfach  zerstreut,  so  dass  sie  mit 
grosser  Wahrscheinlicbkeit  als  dort  einheimisch  anzusehen  ist.  Dagegen 
stammt  die  Kirschpflaume,  Prunus  cerasifera  Ehrh.,  von  der  in  Turkestan 
und  tiberhaupt  in  Vorderasien  heimischen  und  in  Persien  angebauten  (Inst. 
XV.  1887.  2,  S.  105)  P.  divaricata  Ledeb.  ab.  Die  Zwetsche  (P.  oeconomica 
Borkhausen)  und  andere  Formeii  gehoren  zu  P.  domestica  L.,  welche  im 
Kaukasus  sowohl  diesseits  wie  jenseits  des  Gebirges  bei  1300  in,  ferner  auf 
dem  Talysch  und  dem  Elbrus  sehr  verbreitet  ist  (Koppen,  Geographische 
Verbreitung  der  Holzgewachse  des  europaischen  Russlands  I,  261);  diese  Art 
wurde  schon  zu  Catos  Zeiten  von  den  Romern  kultivirt.  Ob  die  Reneclode 
(P.  italica  Borkhausen)  eine  selbstandige  Art  darstellt,  ist  nicht  bekannt. 
Andere  kultivirte  Pflaumen  sind  hochstwahrscheinlich  durch  Bastardirung  der 
genannten  Arten  entstanden.  Jedenfalls  spricht  der  Umstand,  dass  die  meisten 
Pflaumenarten  in  Vorderasien  heimisch  sind,  dafur,  dass  die  Kultur  der 


380  -Der  Pflaumenbaum. 

Pflaumen  sich  im  Orient  entwickelt  hat,  wenn  auch  vielleicht 
die  Kriecherpflaume  schon  vorher  von  den  Europaern  genossen 
wurde.  Fur  letzteres  spricht  der  tlmstand,  dass  Heer  Kerne  dieser  Pflaume 
in  den  Pfahlbauten  von  Robenhausen  nachweisen  konnte  und  dass  solche 
auch  in  Pfahlbauten  am  Gardasee  aufgefunden  wurden. 


**  Der  deutsche  Ausdruck  krieche  kann,  wie  auch  Kluge,  Et.  W.6  hervor- 
hebt,  nicht  identisch  mit  ahd.  chriah,  mhd.  kriech  Grieche  sein;  denn  erstens 
ist  ein  mlat.  graeca  in  der  Bedeutung  Pflaumenschlehe  nicht  vorhanden,  und 
zweitens:  wie  hatten  die  Deutschen  den  bei  ihnen  einheimischen  Baum  »ohne 
auswartigen  Vorgang«  als  »griechischen«  bezeichnen  sollen?  Wohl  aber  konnte 
ahd.  chridh  u.  s.  w.  einen  urspriinglichen  Nanien  des  Baumes  volksetymologisch 
umgestaltet  haben.  Es  fehlt  namlich  nicht  an  Formen,  welche  auf  einen  ur- 
spriinglich  kurzen  Wurzel vocal  des  Wortes  hinweisen:  ahd.  crichboum  Gl. 
florent.  Graff  III,  120,  mnd.  krike,  kreke,  schwed.  krikon,  nhd.  schlesisch  krichele, 
krichdn,  waldek.,  Ostfriesland-Altmark  krekenbaum  u.  s.  w.  (vgl.  Pritzel  u.  Jessen, 
Deutsche  Volksnamen  der  Pflanzen  S.  315).  Weisen  diese  Formen  auf  ein 
germanisches  krik-,  krek-,  vorgermanisches  greg-  hin,  so  lasst  sich  letzteres  ohne 
Schwierigkeit  mit  griech.  (tya^-oXcx;  vermitteln,  so  dass  also  die  Prunus  insititia 
auch  sprachlich  sich  als  einheimisch  in  Europa  erwiese.  Eine  zweite  ur- 
verwandte  Bezeichnung  einer  Pflaumenart  lasst  sich  vielleicht  aus  lit.  slywa. 
altsl.  sliva,  dessen  Beziehungen  zu  ahd.  sleha  (oben  S.  378)  noch  nicht  aufgeklart 
sind,  =  lat.  lividus,  eigentl.  schlehenfarbig  (vgl.  nsl.  sliv,  blaulich),  dann 
blaulich,  blau  erschliessen  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Blau),  wobei  zu  bemerken 
ist,  dass  Kerne  sowohl  der  Prunus  insititia  L.  wie  auch  der  eigentlichen  Schlehe 
(Prunus  spinosa  L.}  und  der  Traubenkirsche  (Prunus  Padus  L.)  ausser  in  der 
Schweiz  (s.  o.)  auch  in  neolithischen  Stationen  Oesterreichs  und  Italiens  ge- 
funden  worden  sind  (vgl.  G.  Buschan,  Vorgesch.  Botanik  S.  181).  Urkeltisch: 
ir.  draigen,  draighin  gl.  prunus,  cymr.  draen  spinus,  spina,  sentis.  —  Was  die 
tibrigen  Pflaumennamen,  zunachst  die  des  Griechischen  anbetrifft,  so  diirfte 
x<yxx6fAf]Xov  kaum  etwas  anderes  als  *xoxx6-jrr]Xov,  wortlich  »Kernobst«  (xoxxo?) 
sein.  Neugriechisch  heisst  Prunus  insititia  xopojrfjXfjd  (alb.  korombil'e)  und 
noupvsX-rjd  (Heldreich,  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  68).  —  Die  schon  von 
H.  zur  Erklarung  von  r[ka.  herangezogenen  iranischen  Worter  lauten  pers.  dlu, 
kurd.  alou.  Geht  man  von  einem  idg.  Stamm  el-  aus,  so  konnte  mit  dem- 
selben  auch  der  deutsche  Name  der  Prunus  Padus:  ale,  ahlbaum,Ahlkirschenu.s.w. 
(Pritzel-Jessen  a.  a.  O.  S.  316,  Koppen  a.  a.  O.  I,  262)  zusammenhangen.  - 
Griech  jxd^pua  wird  im  Archiv  fur  slavische  Philol.  13,  424  zu  altsl.  modru  blau 
gezogen,  wie  auch  wahrscheinlich  die  alb.  kumbuh  Pflaume,  kulumbri  Schlehe 
und  das  rum.  porumbe  Schlehe  von  der  blauschwarzen  Farbe  der  wilden  Taube 
her  (columba,  palumbes)  benannt  sind.  Vgl.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  212/13.  - 
Vgl.  noch  kurd.  chilour  aus  armen.  slor  Jaba- Justi  S.  260  und  neuere  orientalische 
Namen  bei  Koppen,  a.  a.  O.  —  It.  susina  hat  man  von  sucus  »die  saftige« 
abzuleiten  versucht  (Korting,  Worterbuch).  -  -  Der  keltische  Ursprung  von 
engl.  bullace  wird  wohl  mit  Recht  bezweifelt  von  James  A.  H.  Murray  (A  new 
English  dictionary).  —  Was  die  germanischen ,  gewohnlich  als  aus  dem  lat. 


Der  Maulbeerbaum.  381 

prunus,  prumim  entlehnt  angesehenen  Pflaumennamen  ahd.  phruma,  pfliimo, 
ags.  plume  anbetrifft,  so  inacht  ihr  m  dem  n  der  lateinischen  Formen  gegen- 
tiber  Schwierigkeiten.  J.  Schmidt,  Kritik  der  Sonantentheorie  S.  Ill  1st  daher 
geneigt,  die  germanischen  Benennungen  unserer  Kulturpflanze  durch  thrakische 
oder  illyrische  Vermittlung  direkt  auf  griech.  Tipoojj.vov  zuruckzuftihren ,  und 
zwar  umso  mehr,  als  die  nordlichen  Gegenden  der  Balkanhalbinsel  noch  heute 
ein  Hauptsitz  der  Pflaumenkultur  seien  (vgl.  o.  S.  379). 


Der  Maulbeerbaum. 

\ 

(Morus  nigra  L.) 

Dieser  niedisch-pontische  Baum  fand  seiner  blutrothen,  angenehm 
sauerlich-siissen  Friichte  wegen  ziemlich  friihe  Verbreitung  nach 
Westen.  Er  erreicht  eine  ansehnliche  Hohe  und  tragt  ein  dunkles 
Laub,  das  im  Friihling  spat  hervorbricht.  Letztere  Eigenschaft  ver- 
schaffte  ihm,  wie  Plinius  16,  102  sagt,  den  Beinamen  sapientissima 
arborum,  d.  h.  der  vorsichtige  Baum,  der  sich  erst  hervorwagt,  wenn 
kein  Fruhlingsfrost  mehr  zu  fiirchten  ist.  Die  Beeren,  der  Himbeere 
an  Gestalt  ahnlich,  im  eigentlichen  Vaterlande  oft  einen  Zoll  gross, 
munden  nur  und  sind  nur  gesund,  wenn  sie  die  vollige  Reife  haben, 
dann  aber  mussen.  sie  rasch  verzehrt  werden,  weil  der  Saft  bald  in 
Gahrung  gerath  und  zu  Essig  wird.  Man  pfliickt  sie  daher  fruh- 
morgens  und  kauft  und  geniesst  sie,  ehe  die  Hitze  des  Tages  sie 
verdorben  hat,  auf  den  Fruchtmarkten  heutiger  siidlicher  Stadte,  wie 
einst  in  Italien  zu  Horaz'  Zeiten,  Sat.  2,  4,  21: 

Hie  salubris 

Aestates  peraget  qui  nigris  prandia  tnoris 
Finiet,  ante  gravem  quae  legerit  arbore  solem. 

Die  dunkelrothe  Farbung  war  das  Merkmal,  das  den  Alten  an  ihnen 
besonders  auffiel.  Wie  Horaz,  so  nennt  sie  auch  Martial  schwarz, 
8,  64,  7: 

sit  moro  coma  nigrior  caduco; 

bei  Vergil  sind  sie  blutig,  Eel.   6,  22: 

Sanguineis  frontem  tnoris  et  tempora  fingit; 

so  auch  bei  Columella,   10,  401 : 

cumulataque  moris 
Candida  sanguineo  manat  fiscella  cruore; 


382  Der  Maulbeerbaum. 

Sullas  Gesicht  war  von  grellem  Roth  mit  weissen  Flecken  untermischt, 
so  class  ein  Spotter  in  Athen  dichtete,  es  sei  wie  eine  Maulbeere,  mit 
Mehl  bestreut,  Plut.  Sull.  2: 

Svxdfuvov  say  6  2iMa<;,  a^(fCr(o  7ie7ta(ftuevov. 

Elephanten,  denen  vor  der  Schlacht  der  Riissel  mit  Maulbeeren  be- 
strichen  war,  sollten  dadurch  kampfgierig  werden,  offenbar  wegen 
der  Aehnlichkeit  des  Saftes  mit  dem  Blute  (1.  Maccab.  6,  34  nach 
Luther:  »da  liess  der  Konig  ....  die  Elephanten  mit  rothem  Wein 
und  Maulbeersaft  bespritzen,  sie  anzubringen  und  zu  erziirnen«). 
Ueppige  Weiber  und  lustige  Leute,  die  Mummenschanz  trieben,  be- 
malten  sich  Schlafe  und  Wangen  mit  Maulbeersaft,  und  dem  Weine, 
den  sie  dazu  tranken,  war  vielleicht  auch,  wenn  er  zu  blass  gewesen 
war,  ein  Zusatz  von  dermselben  Saft  gegeben  worden,  um  ihn  dunkel- 
roth  zu  machen  (juehag  olvog,  wie  [tshav  afaa)  —  wie  noch  jetzt  im 
Siiden  Praxis  ist. 

Fragen  wir,  wann  der  Maulbeerbaum  aus  seinem  asiatischen 
Vaterlande  zuerst  in  Europa  erschienen,  so  verweisen  uns  einige  bei- 
laufig  aufbewahrte  Dichterstellen  auf  die  Zeit  der  attischen  Tragiker, 
andere  ein  Jahrhundert  spater  auf  die  der  mittleren  und  neuen 
Komodie.  Nur  dass  die  Verwechselung  mit  der  Sykomore,  dem 
agyptischen  Maulbeerfeigenbaum,  und  andererseits  mit  dem  Brombeer- 
und  Himbeerstrauch  einige  Unsicherheit  in  die  Deutung  der  Zeug- 
nisse  bringt.  Die  Sykomore  namlich,  ein  weitschattender  Baurn  mit 
feigenahnlichen  Friichten  ursprunglich  in  Aegypten  zu  Haus,  aber 
auch  in  semitischen  Landen,  wo  der  Boden  es  erlaubte,  in  Palastina 
und  Cypern  vielfach  angepflanzt,  war  auch  den  Griechen  aus  ihrem 
Verkehr  mit  jener  Erdgegend  nicht  unbekannt  geblieben;  der  Baum 
empfahl  sich  nicht  bloss  durch  die  Kiihlung,  die  sein  Laub  gewahrte, 
sondern  auch  durch  die  Friichte,  die  eine  Nahrung  des  niederen  Volks 
bildeten,  und  durch  das  sehr  geschatzte  Holz,  das  eben  so  fest  als 
leicht  sein  sollte.  In  den  heiligen  Schriften  der  Hebraer  erscheint 
die  Sykomore  nur  in  den  beiden  Pluralf ormen :  schikmim  und  schik- 
mot,  und  vergleicht  man  dazu  die  beiden  griechischen  Benennungen, 
•die  friihere  ffvxdiuivog,  und  die  spatere  cfvxofAOQog,  ffvxo(MDQ£a,  so  ist 
augenfallig,  dass  sie  jenen  hebraischen  oder  vielmehr  den  entsprechen- 
den  syrischen  oder  niederagyptischen  nachgebildet  sind.  Diesem  Sy- 
komorenbaum  erschien  nun  der  eigentliche  Maulbeerbaum  mit  Recht 
oder  mit  Unrecht  sehr  ahnlich  und  entlieh  ihm  auch  seinen  Namen. 
Theophr.  h.  pi.  4,  2,  1:  »der  Maulbeerbaum  kommt  der  dortigen 
Sykomore  sehr  nahe,  denn  er  hat  ein  ahnliches  Blatt,  gleicht  ihm 


Der  Maulbeerbaurn.  383 

auch  in  der  Grosse  und  der  ganzen  Gestalt.«  Wiederholt  von  Pli- 
nius,  13,  56:  Arbor  (ficus  Aegyptia)  moro  similis  folio,  magnitudine, 
adspectu.  Ebenso  Dioscorides,  1,  181:  rolg  (pvMoig  soixbg  (uogsa. 
Daher  sagt  Diodor  1,  34  geradezu:  es  giebt  zwei  Arten  Sykaminen, 
die  einen  tragen  Maulbeeren,  die  andern  Friichte  wie  Feigen.  Anderer- 
seits  waren  die  Friichte  des  Maulbeerbaumes  denen  des  Brombeer- 
strauches,  fidwg,  sehr  ahnlich,  und  der  uralte  Name  des  letzteren  [toga, 
{,iwQa,  mom  konnte  leicht  auch  auf  die  ersteren  angewandt  werden, 
Athen.  2.  p.  51:  crvxafiwa  a  xahoiGiv  evt,ot,  [toga  .  .0  JrjfJLrjXQiog  Ss 
"I'&wv  TO,  avTa  aoxdfJLwa  xal  [toga.  Phanias,  der  Eresier,  der  Schiiler 
des  Aristoteles,  wollte  den  Namen  /IWQOV  auf  die  Frucht  der  wilden 
Gvxdfiiivog  d.  h.  auf  die  Brombeere  beschrankt  wissen,  die  auch  sehr 
suss  sei  (Athen.  ibid.),  aber  die  Uebertragung  hatte  schon  zu  weit 
um  sich  gegriffen.  Ja  die  Alexandriner  brauchten,  wie  Athenaus 
eben  dort  berichtet,  ausschliesslich  {JLOQO,  fur  Maulbeeren,  vermuthlich 
well  avxdfjiwa  fur  die  bei  ihnen  haufigen  Friichte  der  agyptischen 
Sykomore  schon  seine  feste  Verwendung  gefunden  hatte.  Selbst  der 
Ausdruck  fidua,  der  doch  wortlich  die  Beeren  des  Dornstrauchs  be- 
deutet,  wurde  hin  und  wieder  auf  die  Maulbeeren  angewandt.  Bekk. 
Anecd.  gr.  224,  23:  fidua*  ffcoxa^cvov  6  xaQTibg  v/rb  2a^.a^Jiivi(ov. 
Wenn  nun  berichtet  wird,  Aeschylus  habe  in  seiner  Tragodie  »die 
Phryger«  von  Hektor  gesagt,  er  sei  reifer  gewesen,  als  die  [toga, 
Athen.  2  p.  51: 

BV^p  sxewog  i]v  nsTiacTSQog  [togwv, 

so  sind  wir  nicht  sicher,  ob  der  Dichter  hier  in  der  That,  wie  die 
Spateren  annahmen,  an  Maulbeeren  gedacht  und  diese  ihm  also  be- 
kannt  gewesen,  oder  ob  er  nicht  vielmehr  die  einheimischen  Brom- 
beeren  im  Sinne  gehabt?  Bedenkt  man,  dass  die  Maulbeere  vor  der 
volligen  Reife  ungeniessbar  ist,  dann  aber  auch  unverweilt  gepfliickt 
und  verzehrt  werden  muss,  so  kann  das  Erstere  allerdings  wahr- 
scheinlicher  sein  und  besser  auf  Hektors  vollzogenes  Geschick  passen. 
Aber  dasselbe  Wort  [IOQOV  hatte  Aeschylus  noch  bei  einer  andern 
Gelegenheit  gebraucht,  in  den  Kreterinnen,  und  zwar  vom  Brombeer- 
strauch,  xctTa  rr^g  fldrov,  Athen.  ibid. : 

Asvxolg  rs  yag  JUOQOKU  xal  [jishay 

xal  (MkxonQKTiTOtg  ^Qi3erai  zavrov 
Hier  wiirde  der  Wechsel  der  Farbe  an  den  Friichten  vom  Weiss 
durch  das  Rothliche  bis  zum  Schwarzen  in  der  That  auf  Maulbeeren 
rathen  lassen  (Plin.  15,  97:  mom...  trim  colores,  candidus primo, 
mox  rubens,  maturis  niger,  cf.  Theophr.  de  caus.  pi.  6,  6,  4),  wenn 


384  £>er  Maulbeerbaum. 

nicht  Athenaus,  der  die  Stelle  excerpirte  und  den  Zusammenhang 
doch  gekannt  haben  muss,  grade  die  fidmg  als  den  Gegenstand  der 
Rede  angabe.  Eben  so  unbestimmt  als  diese  Stellen  des  Aeschylus 
ist  die  des  Sophokles  aus  einer  verlorenen  Tragodie,  Bekk.  Anecd. 
gr.  361,  20  (Nauck,  Fr.  Soph.  n<>  362): 

fiisv  otyst,  fovxbv  dv&ovvia  ard%vv, 
(poivfeavra  yoyyvhov  HOQQV, 

€7T£t,ia  yrjQag  ha^pdveig  Aiyvnuov. 

Ausser  manchen  Bedenken,  die  diese  Verse  erwecken,  worunter  das 
unertragliehe  6  /uoQog  fur  TO  [*OQOV,  welches  freilich  Eustathius  sich 
gefallen  Hess,  erscheint  das  Beiwort  yoyyvAog  rund  weder  fiir  die 
Brombeere  noch  fiir  die  Maulbeere  passend.  Ein  dritter  Zeuge  aus 
alterer  Zeit  fiir  das  Wort  yoga,  welches  mehr  der  dorischen 
Mundart  angehorte,  ist  Epicharmus,  Phot.  Lex.  v.  Ovxapiva* 
ra  tie  fioga,  dwQwv  /uahhov  xal  'EnfyaQnog'  /.to^cov  veov  TO  (fvrov. 
Muss  auch  hier  die  eigentliche  Bedeutung  zweifelhaft  bleiben,  so 
findet  sich  bei  den  jiingeren  Komikern  die  Maulbeere  deutlich  und 
unverkennbar,  Eubulus  (bliihte  nach  Suidas  01.  101,  muss  aber  bis 
zu  Demosthenes'  Zeit  gelebt  haben)  bei  Athen.  13,  p.  557: 

ovtf  SxiTifg  vf.islg  (rvxafjiivcp  rag  yvdtiovg 


Philippides  (zwischen  01.  118  und  122,  Freund  des  Konigs  Lysimachus) 
bei  Phot.  1.  1.: 

wig  ffvxa/nCvocg  (T  dvil  wv  cpvxovg  ohov 

TO    TTQO&OTIOV    - 

denn  statt  der  Schminke  kann  zum  Farben  des  Gesichts  nur  der 
rothe  Maulbeersaft  dienen.  Theophrast  unterscheidet  in  seiner  ge- 
naueren  Sprache  die  dvxd^cvog  oder  den  Maulbeerbaum  von  der 
tfvxdfuvog  AlyvTiria  oder  der  Sykomore,  und  ebenso  sicher  ist  der 
erstere  unter  dem  Namen  [toQsa  in  den  von  Athenaus  2.  p.  51  auf- 
bewahrten  Versen  aus  den  Fsw^ycxd  des  Nicander  zu  erkennen: 

xal  fLiogeyg  1}  natal  rtefai,  {.is  thy  pa 

TIQWTOV  enayyeMovaa  figowlg  ridsla 

Und  des  Maulbeerbaumes  mit  den  jugendbegluckenden  Friichten, 
Der  den  Menschen  zuerst  die  Fruchtzeit  kiindigt,  die  siisse. 

In  der  That  ist  Morus  nigra  wie  mit  ihrem  Laube  im  Friihling  die 
spateste,  so  mit  ihren  Friichten  der  Wonne  der  Jugend  im  Sommer 
die  erste.  Zu  Galenus'  Zeit  endlich  war  JUOQOV  schon  der  allein  ge- 
brauchliche  Ausdruck  und  crvxdfuvov  nichts  als  eine  klassische  Anti- 
quitat:  »ich  will  lieber,  bemerkt  er  de  aliment,  facult.  2,  11, 


Der  Maulbeerbaum.  335 

sagen,  wie  es  alien  gelaufig  1st,  als  avxdfjiivov ,  wie  die  Attiker  vor 
600  Jahren  sich  ausdruckten;  thoricht  derjenige,  dem  es  mehr  auf 
sogenannte  korrekte  Sprache,  als  auf  Gesundheit  des  Lebens  an- 
kommt.«  Um  so  auffallender  1st,  dass  die  Neugriechen  zwar  auch 
fAOQsa,  daneben  aber  auch  avxa/nyved  sagen  sollen. 

Bei  dem  Uebergange  des  Baumes  nach  Italien  war  die  Be- 
nennung  avxdfjiwog  schon  verloren  gegangen :  er  trug  fortan,  wie  der 
Brombeer-  und  Himbeerstraucb,  nur  Mora.  War  HOQOV  oder  (LIMQOV 
ein  dorischss  Wort  und  brauchte  es  Epicharmus  in  Sieilien,  so  wird 
Name  und  Sache  von  Grossgriechenland  aus  zu  den  Lateinern  ge- 
kommen  sein.  Der  Name  in  so  fern,  als  das  Beispiel  der  Griechen 
die  lateinisch  Redenden  vermochte,  das  in  ihrer  Sprache  gewiss  alte 
Wort  morum  auf  die  neue  Beere  anzuwenden.  Wo  Verwechselung 
moglich  war,  da  mochte  man  sagen  Beere  vom  Baume,  morum  celsae 
arboris,  und  fiir  Maulbeerbaum  morus  celsa,  worauf  wenigstens  das 
italienische  gelso  fiihrt.  Bei  den  Dichtern  wird  die  Frucht  nicht 
selten  erwahnt;  Ovid  erzahlt  uns  im  vierten  Buche  seiner  Metamor- 
phosen,  woher  die  rothe  Farbe  der  Beeren  stammt,  namlich  vom 
Blute  des  Pyramus,  als  dieser  sich  wegen  der  Thisbe  unter  dem 
Baume  den  Tod  gab  —  eine  ganz  kleinasiatische ,  auch  bei  andern 
Pflanzen  wiederkehrende  Sage,  die  diesmal  Babylon  zum  Schauplatz 
gewahlt  hatte  und  darin  eine  Erinnerung  an  die  Herkunft  des 
Baumes  aus  dem  tieferen  Osten  bewahrte.  Sehr  zartlich  war  der 
Baum  nicht,  denn  er  hat  seitdem  die  Alpen  iiberstiegen  und  gedeiht 
nicht  bloss  in  Frankreich,  sondern  auch  in  England  und  Deutsch- 
land,  ja  in  Skandinavien ,  obgleich  es  wohl  vorkommt,  dass  er  in 
harteren  Wintern  erfriert.  Wich tiger  als  durch  seine  Friichte  wurde 
er  ein  Jahrtausend  spater  durch  sein  Laub;  er  machte  die  Ein- 
wanderung  der  ostindischen  Seidenraupe  moglich.  Die  ersten  Pflan- 
zer,  die  nach  den  schwarzen  Beeren  begehrten,  ahnten  nicht,  dass 
die  rauhen  Blattter  einst  durch  eine  mannigfache  Metamorphose  ver- 
mittelst  einen  kleinen  Thierchens  sich  in  ein  kostbares,  weiches, 
glanzendes  Gewebe  verwandeln  wiirden.  Die  Romer  hatten  zwar  die 
serischen  Gewander  allmahlich  kennen  gelernt  und  wogen  sie  mit 
Gold  auf,  aber  dass  diese  wunderbaren  Faden  nur  versponnene 
Maulbeerblatter  seien,  kam  auch  ihnen  nicht  in  den  Sinn.  Im  wei- 
teren  Verlauf  der  Zeiten  freilich  trat  Morus  nigra  das  Amt,  die 
Seidenraupe  zu  fiittern,  an  einen  andern  noch  spatern  Ankommling 
aus  dem  centralen  und  ostlichen  Asien  ab,  an  die  Morus  alba,  einen 
Schwesterbaum  von  kleinerm  Wuchse,  glatteren  und  zarteren  Blattern 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  25 


386  I^er  Maulbeerbaum. 

und  weissen  honigsiissen  Friichten,  der  gegen  Ende  des  Mittelalters 
in  Europa  erschien.  Die  persischen  Provinzen  am  kaspischen  Meere, 
in  Europa  Italien  und  Frankreich,  die  Hauptseidenlaiider  des  Westens, 
sind  jetzt  in  den  Bezirken,  wo  diese  Industrie  bluht,  iiber  und  iiber 
mit  beschnittenen  und  berupften  weissen  Maulbeerbaumen  bedeckt; 
nur  bin  und  wieder  steht  der  Maulbeerbaum  der  Alten  noch  ange- 
pflanzt  da  und  dient  nur  in  zuriickgebliebenen  und  abgelegenen 
Gegenden  mit  seinem  Laube  zur  Ernahrung  der  spinnenden  Raupe 
und  zur  Erzeugung  einer  groberen,  minder  edlen  Seide.  Eine  noch 
dienlichere  Art  Morus,  als  der  gewohnliche  weisse  Maulbeerbaum, 
die  Morus  alba  multieaulis,  ist  in  neuerer  Zeit  aus  Manilla,  wohin 
sie  aus  China  gekommen  war,  in  Europa  eingefuhrt  worden  und  soil, 
richtig  behandelt,  gut  gedeihen80). 


*  Der  schwarze  Maulbeerbaum  ist  unzweifelhaft  wild  im  stidlichen  Trans- 
kaukasien ,  z.  B.  in  Karabagh  und  Talyschj  ob  er  auch  in  den  persischen 
Provinzen  Ghilan  und  Masenderan,  wo  er  ofters  verwildert  vorkommt) 
heimisch  ist,  ist  nicht  ganz  sicher.  (Vergl.  Koppen,  a.  a.  O.  II.  15.)  Zu 
Zeiten  der  Homer  wurde  er  auch  aus  Syrien  nach  Aegypten  eingefuhrt.  Der 
in  Stideuropa  und  auch  in  Mitteleuropa  so  haufig  kultivirte  weissfriichtige 
Maulbeerbaum  (Morus  alba  L.)  ist  in  China  und  dem  nordlichen  Ostindien 
heimisch. 

**  Die  Gleichung  griech.  fxopov,  jxdipov  =  lat.  morum  (S.  385)  setzt  sich  in 
ir.  merenn  Maulbeere  etc.  (vgl.  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  212)  und 
in  armen.  mor,  mori,  moreni  pdtoc,  Brombeere  fort.  Hiibschmann  Armen.  Gr. 
I,  394  rechnet  freilich  den  armenischen  Ausdruck  zu  den  »Armenischen  Lehn- 
wortern  unsicherer  Herkunft.«  —  Derselbe  Bedeutungsubergang  von  Brom-, 
beere  in  Maulbeere  kehrt  im  dak.  jxavtsta,  mantia  Brombeere  in  seinem  Ver 
haltniss  zu  alb.  man,  scut,  mand  Maulbeerbaum  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  257) 
wieder.  Vielleicht  ist  auch  eine  Beziehung  zwischer  dak.  fxavteta  und  griech. 
Patoi;  denkbar.  —  Von  anderen  Benennungen  des  Maulbeerbaumes  nennen 
wir  noch  das  seltsame  gothische  baira-bagms,  was  man  neuerdings  aus  lat. 
pirus  Birnbaum  zu  erklaren  versucht  hat,  wobei  eine  allerdings  starke  Ver- 
wechslung  der  beiden  Baume  angenommen  wird.  Iin  Altslovenischen  be- 
gegnen  die  Ausdrucke  crunicije  (:  crunu  schwarz),  jagodicije  (:  jagoda  Beere)  und 
§elkovica  (:  §ellcu  Seide). 

Die  Morus  alba  wird  durch  den  Ausdruck  tut  bezeichnet.  Dieser  be- 
herrscht  die  ganze  Balkanhalbinsel  (ttirk.  dud,  alb.  duds,  Du  Cange:  tout  xal 
Tia  ta  n<5pa,  rum.  dud.  auch  russ.  tut,  serb.  dud)  und  lasst  sich  durch  die  ira- 
nisch-arraenischen  Lander  (pers.  tut,  kurd.  tou.  armen.  t'ut',  auch  aram.  tutd') 
bis  ins  Indische  verfolgen,  wo  tud  nach  B.  K.  wie  tula  die  Baumwollenstaude 
und  den  Maulbeerbaum  bezeichnet. 


Mandeln.     Walniisse.     Kastanien.  3^7 

Mandeln.     Walntisse.     Kastanien. 

In  der  romischen  Kaiserzeit  wusste  man  die  drei  in  deiHJeber- 
schrift  genannten  Friichte,  als  juglandes,  Walniisse,  amygdalae,  Man- 
deln, und  nuces  castaneae,  Kastanien,  genau  zu  unterscheiden :  je 
weiter  man  aber  in  der  Zeit  hinaufgeht,  desto  mehr  verwirren  sich 
die  Namen.  So  lange  die  Baume  selbst,  deren  Ansehen  und  Natur 
so  verschieden  ist,  dass  sie  gar  nicht  mit  einander  zu  verwechseln 
sind,  nicht  allgemein  bekant  waren,  und  nur  der  Seehandel  jene 
Schalenfriichte  in  Sacken  oder  Thonfassern  auf  den  Markt  z.  B.  den 
von  Athen,  brachte,  griff  man  bei  der  Benennung  zu  den  einheimi- 
schen  Wortern  Nuss  oder  Eichel  und  fiigte  wechselnde  Beinamen 
hinzu,  die  von  der  Beschaffenheit  der  Schale  oder  von  dem  Lande, 
wo  die  Frucht  angeblicb  wuchs,  oder  von  dem  Handelshafen,  der  sie 
geliefert  hatte,  hergenommen  waren.  So  schwankend  aber  blieb  der 
Gebrauch,  dass  z.  B.  der  populate  Name  Jupiters  Eichel,  Jcbg  ftdhavog, 
der  in  Griechenland  in  den  meisten  Fallen  die  Kastanie  bezeichnete, 
in  der  entsprechenden  lateinischen  Form  juglans  die  Bedeutung 
Walnuss  hat.  Am  friihesten  trat  die  Mandel  auf,  die  unter  dem 
Namen  dfivyddhir]  bei  den  attischen  Komikern  schon  gewohnlich  ist; 
die  Namen  der  Walnuss,  der  Kastanie  und  einiger  edlern  Arten  der 
Haselnuss  laufen  aber  noch  lange  durch  einander.  Halt  man  die 
Hauptstellen  zusammen,  so  ergiebt  sich  wenigstens  eine  unzweifel- 
hafte  pflanzengeographische  Thatsache,  namlich  die  Herkunft  aller 
dieser  Friichte  aus  dem  mittleren  Kleinasien,  besonders  aber  aus 
den  Pontusgegenden  und  zwar  in  verhaltnissmassig  spater  Zeit.  Dort- 
hin  weisen  alle  Namen:  Hermippus  ap.  Athen.  1,  p.  28: 
Tag  Jg  Jtbg  fiahdvovg  xal  duvydaha  (Kyahosvia 
Jlayhaycvsg  naQK%ova<,'  ra  yaQ  T  dvadriuara  dawog. 
Plin.  15,  93  von  den  Kastanien:  Sardibus  hae  provenere  primum: 
ideo  apud  Graecos  Sardianos  balanos  appellant.  Dioscor.  1,  145: 
at  2aQdiaval  fidhavoe,,  dg  ruvsg  AoTtifia,  r)  xdcrmva  xahovtiw,  rj  fiota, 
rj  Jiog  pdhavoi.  Galen.  6,  p.  778  Kiihn. :  OL  ye  fji^v  epol  noklxat,, 
ovv  xal  aMot,  TWV  sv  3AaCa,  Sagdiavag  rs  xal  fovxrvag 
avrag  (die  Kastanien)  dnb  TWV  %oo^toor,  Iv  oig  nfolffiai 
(also  wo  sie  am  haufigsten  sind,  nicht  etwa  wo  eine  be- 
sonders feine  Sorte  wachst).  TO  ftev  ovv  STSQOV  xwv  ovoudiwv  TOVTWV 
evdyhov  tGuv  dnb  rwog  ysyove'  ^svxrivac  Ss  dnb  %u)QCov  nvbg  ev  im 
ogst  xfj  "fSrj  T^V  nQOGwvviiuav  sffx^xaaw.  Amphilochus  ap.  Athen.  2. 

25* 


388  Mandeln.     Walnusse.     Kastanien. 

p.  54 :  onov  de  ywexai,  ^a  xdgva  va  2(,va>mxa,  ravxa  devdga  exdhovv 
afJtwTa  (was  oben  Dioscorides  (Jioxa  nannte  —  beide  Formen  schwer 
deutbar  und  vielleicht  verdorben).  Strab.  12,  3,  12 :  rj  de 
xai  ayevdafivov  fyei  xal  dgoxagvov,  e%  wv  -tag  TQane&g 
Theophr.  h.  pi.  3,  15,  1:  rj  de  'HQaxhewTi-xr}  xaQva  -  folgt  die 
Beschreibung ,  die  auf  die  Haselnuss  passt.  Inschrift  bei  Boeckh, 
Staatshaushalt  2,  356:  IIsQMxag  Zygag  xal  apvyddhag  xal 'Hgaxhew- 
vixa  xdova  xal  xwvovg  xal  xaGtdvaia.  Macrob.  Sat.  3,  18,  7:  nux 
castanea  ....  vocatur  et  Heracleotiea.  Nam  vir  doctus  Oppius 
in  libro  quern  fecit  de  silvestribus  arboribus  sic  ait:  Heracleotiea 
haec  mix,  quam  quidam  castaneam  vacant.  Diocles  ap.  Athen.  2, 
p.  53:  ia  ds  'HQaxlewrixa  xahov/meva  xal  dwg  pdhavoi  Tgeysi, 
[lev  ov%  ofJLOiwg  rolg  a/tjivyddhoig,  e%£t,  de  %t,  xey%Qu)8sg. 

Niisse  also,  oder  Eicheln,  benannt  nach  Sardes  in  Lydien,  nach 
einer  Gegend  am  Idagebirge,  nach  Sinope  und  Heraklea,  den  beiden 
Hafenstadten  am  schwarzen  Meere,  und  bezogen  aus  Paphlagonien, 
der  Landschaft  an  demselben  Meere.  Ganz  gewohnlich  ist  aber  auch 
die  direkte  Benennung  pontische  Niisse,  meistens  aber  nicht 
ausschliesslich,  Mr  eine  grossere  Art  Haselniisse  gebraucht ,  so  wie 
persische  oder  konigliche,  weil  sie  aus  einer  Gegend  stammten, 
die  den  persischen  Konigen  unterworfen  war.  Plin.  15,  88:  In 
Asiam  Graeciamque  e  Ponto  venere  ideoque  Ponticae  nuces  vo- 
cantur.  Idem  87 :  Et  has  (juglandes)  e  Per  side  regibus  translatas 
indicia  sunt  Graeca  nomina;  optimum  quippe  genus  earum  Per- 
sicon  atque  basilic  on  vocant,  et  haec  fuere  prima  nomina.  Diosc. 
1,  179:  ra  de  novuxa,  a  eviot,  lercxoxaqva  xahovow.  Idem  1,  178: 
fiaa&hixa  xahovtfw.  Athen.  2.  p.  53:  "Ore,  TCOVTIXWV  xa- 
tv  xayvwv,  a  A,6mf*d  rweg  ovofjid^ovfft.,  [tvrjfjiovsvei, 
de  xal  Tcjua^dag  $v  ykvtfaaig  ACoo,  fidhavov  (pr^Gi 
'ib  TIOVTIXOV  xdgvov. 

Woher  aber  stammte  der  Name  Kastanie,  und  wann  taucht  er 
zuerst  auf?  Xenophon  kam  mit  den  Zehntausend  auch  zu  den  Mo- 
synoken,  einem  pontischen  Volke,  und  fand  bei  ihnen  viel  breite 
Niisse  aufgespeichert  --  sie  dienten  also  zur  Volksnahrung  — ,  die 
von  den  Spatern,  s.  Poll.  On.  1,  232,  fur  Kastanien  gehalten  worden 
sind,  Anab.  5,  4,  28:  xdgva  tie  Im  TWV  dvwyatwv  fp?  nokka  TO, 
TthaTea,  ovx  e'xovra  diayvrvv  ovdepCav  -  -  viel  wahrscheinlicher  aber 
eine  grosse  Art  corylus  waren,  wie  sie  jene  Gegenden  hervorbringen ; 
auf  jeden  Fall  aber  kennt  er  den  Namen  Kastanie  noch  nicht.  Der- 
selbe  wiirde  zuerst  bei  Theophrast  h.  pi.  4,  8,  11  erscheineii: 


Mandeln.     Walnilsse.     Kastanien.  389 

TO>  Kcufcava'ixqj  xaqvm,  wenn  die  Lesart  sicher  ware  und  die  vier 
Worte,  da  sie  dem  sonstigen  Gebrauch  des  Theophrast  widersprechen, 
nicht  ganz  wie  ein  spateres  Glossem  aussahen.  Erst  der  Dichter 
Nikander  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  spricht  deutlich  von  der 
Nuss,  die  das  Land  Kastanis  erzeugt,  Alexiph.  271 : 

dvg&sneog  xagvoto,  TO  Kaamvlg  ergsysv  ala. 

Aber  wo  lag  die  Gegend  Kastanis  ?  der  Scholiast  belehrt  uns :  nofag 
Oeaaaktag,  Q&W  TCC  xaardvia  dnb  r^g  KaacavCdog  pjs,  und  ahnlich 
driickt  sich  das  Etymologicum  M.  s.  v.  Katftavsa  aus.  In  der  That 
gab  es  an  der  thessalischen  Kiiste  am  Fuss  des  Pelion  in  der  Land- 
schaft  Magnesia  einen  kleinen  Hafen  oder  nach  Strabo  ein  Dorf, 
xwfjivj,  des  Namens  Kaattavalr],  KaaiavaCa  zuerst  bei  Herodot  7,  183 
und  188  erwahnt;  auch  sagt  Theophrast  h.  pi.  4,  5,  4,  es  wiichsen  in 
Magnesia  und  auf  Euboa,  welche  Insel  der  Landschaft  Magnesia 
gegeniiber  lag,  viel  Euboische  Niisse  d.  h.  Kastanien.  Von  diesem 
wenig  bekannten  Flecken  also  hatte  die  Kastanie  ihren  Namen?  oder 
suchte  man  in  der  Verlegenheit  nicht  vielmehr  nur  irgend  einen  geo- 
graphischen  Namen,  um  den  der  Frucht  damit  zu  erklaren?  Auch 
fiigt  der  Scholiast  noch  eine  zweite  Deutung  hinzu,  die  an  sich  viel 
grossere  Wahrscheinlichkeit  hatte:  rj  Katfravlg  TIG  fog  UOVTOV,  onov 
nfoovd&i  TO  xaatdvtov  -  -  wenn  sich  nur  sonst  von  einer  pontischen 
Stadt  oder  Gegend  dieses  Namens  eine  Spur  fande.  Oder  taucht 
hier  jenes  rathselhafte  KaGcafjunv  siidwestlich  von  Sinope  auf,  das 
wir  in  byzantinischer  Zeit  als  einen  bedeutenden  Ort  kennen  lernen, 
ohne  dass  die  Alten  seiner  erwahnten  (Ritter,  Erdkunde,  18,  414  ff.)? 
Jene  Inschrift  bei  Boeckh,  in  der  dieser  Gelehrte  keine  romischen 
Spuren  fand,  kann  wegen  des  darin  vorkommenden  Namens  xa<rrd- 
vaia  wenigstens  nicht  weit  von  der  romischen  Zeit  abliegen.  Dass 
auch  in  verschiedenen  orientalischen  Sprachen  die  Namen  glans 
regia,  Aibc,  fiQ^avog  oder  juglans  fiir  die  Kastanie  vorkommen  (Pott 
in  der  Zeitschr.  fiir  Kunde  des  Morgenl.  7,  110  if.),  wiirde  bedeutungs- 
voll  sein,  wenn  nicht  Benennungen  wie  bendak,  pandeJc  fiir  nux  Pon- 
tica,  arabisch  mitkon  fiir  malum  Medicum  bewiesen,  dass  auch  abend- 
landische  Fruchtnamen  den  Riickweg  in  den  Orient  fanden.  Nicht 
in  den  semitischen,  wohl  aber,  wie  wir  glauben,  in  iranischen  Idiomen, 
besonders  im  Altarmenischen ,  wiirden  Kenner  dieser  Sprachen  viel- 
leicht  den  Ursprung  und  eine  Erklarung  des  Namens  Kastanie  ent- 
decken  konnen.  —  In  Italien  nennt  Cato  gegen  die  Mitte  des  zweiten 
Jahrhunderts  vor  Chr.  weder  juglandes,  noch  Kastanien,  noch  Mandeln. 
An  einer  Stelle  aber,  8,  2,  giebt  er  die  Vorschrift:  nuces  calvas  avel- 


390  Mandeln.     "YValniisse.     Kastanien. 

lanas  praenestinas  et  graecas,  haec  facito  uti  serantur.  Hier  sind 
unter  nuces  avellanae  die  aus  Campanien  stammenden,  dorthin  von 
den  griechischen  Kustenstadten  verpflanzten  edlern  Haselniisse,  unsere 
Lamberts-  d.  h.  lombardischen  Niisse  zu  verstehen,  die  den  Griechen 
selbst  aus  dem  Pontus  zugekommen  waren;  aber  wie  sind  nuces 
calvae  und  graecae  zu  deuten  ?  Ernst  Meyer,  Geschichte  der  Botanik, 
1,  344,  vermuthet  in  der  nux  graeca  die  Kastanie,  befindet  sich  da- 
mit  aber  im  Widerspruch  mit  dem  Gebrauch  der  Spatern,  die  durch- 
gangig  unter  nux  graeca  die  Mandel  verstehen.  Bei  Columella  heisst 
der  Baum  amygdala,  die  Frucht  nux  graeca;  Plinius  15,  90  sagt 
ausdriicklich :  Jiaec  arbor  (der  Mandelbaum)  an  fuerit  in  Italia 
Catonis  aetate  dubitatur,  quoniam  graecas  nominatj  und  ebenso  in 
Macrob.  Sat.  3,  18,  8:  nux  graeca  haec  est  quae  et  amygdale  dicitur, 
sed  et  Thasia  eadem  nux  vocatur.  Testis  est  Cloatius  in  Ordina- 
torum  Graecorum  libro  quarto,  cum  sic  ait:  Nux  graeca  amygdale. 
1st  also  Catos  nux  graeca,  wie  nicht  zu  bezweifeln,  die  Mandel,  so 
hatte  man  bei  der  nux  calva  die  Wahl  zwischen  der  Walnuss  und 
der  Kastanie.  Vergleicht  man  die  vier  Sorten  Kastanien  bei  dem 
Scholiasten  zu  Nicandr.  Alex.  271:  TWV  ds  xaffxdvcov  TO  fjisv  2aQdiavbv, 
TO  tie  hoTUfJiov,  TO  tie  pahaxbv,  TO  ds  yvfivohonov,  —  so  konnte 
calvus  wohl  einerlei  sein  mit  yvnvokonog,  nacktschalig,  und  nux  calva 
folglich  die  Kastanie  bedeuten.  Einen  ahnlichen  unbestimmten 
Ausdruck,  mollusca  nux,  hatte  Plautus  gebraucht,  Macrob.  Sat.  3,  18,  9 : 
Plautus  in  Calceolo  sie  ejus  meminit: 

molluscam  nucetn 
Super  ejus  dixit  impendere  tegulas. 

Ecce  Plautus  nominat  quidem,  sed  quae  sit  nux  mollusca,  non 
exprimit.  Halt  man  diese  Bezeichnung  zu  dem  obigen  [iiahaxov  beim 
Scholiasten  des  Meander  und  zu  Vergils  castaneae  molles  (Eel.  1,  82; 
molles  =  weichschalig,  nicht,  wie  man  gewollt  hat,  wohlschmeckend), 
so  wird  man  nicht  anstehen,  auch  hier  den  das  Dach  beschattenden 
Kastanienbaum  vorauszusetzen.  Auf  jeden  Fall  kann  bei  dern  Mangel 
fester  Namen  an  eine  allgemeine  Kultur  dieser  Baume  in  Italien  zu 
Plautus'  und  Catos  Zeit  nicht  gedacht  werden.  Die  Walniisse  finden 
sich  unter  dem  Namen  juglandes  schon  mehrmals  bei  Varro  und 
einmal  bei  Cicero  -  -  da  wo  er  erzahlt,  der  Tyrann  Dionysius  der 
altere  habe  sich  von  seinen  Tochtern  den  Bart  mit  gliihenden  Nuss- 
schalen  abbrennen  lassen,  Tusc.  5,  20,  28  — ,  der  Kastanien  erwahnt 
zuerst  Vergil,  in  der  so  eben  angefuhrten  Stelle  und  Eel.  2,  52: 
Castaneaeque  nuces  mea  quas  amaryllis  amabat, 


Mandeln.     Walmisse.     Kastanien.  391 

der  amygdala  Ovid,  Art.  amat.  3,  183: 

Nee  glandes,  Amarylli,  iuae  nee  amygdala  desunt, 

die  amygdala  amara  und  dulcia  finden  sich  so  bezeichnet  zuerst  bei 
Scribonius  Largus  in  dessen  compositiones  medicamentorum  vor  der 
Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  nach  Chr.  Von  da  an  waren  die 
Baume  sowohl  als  die  Namen  in  Italien  so  eingeburgert  wie  noch 
heut  zu  Tage  die  nod,  mandorle,  castagne.  In  alien  Garten  stehen 
die  Mandelbaumchen  bei  mildem  Wetter  schon  im  Januar,  sonst 
aber  im  Februar  und  Marz,  ehe  noch  die  Blatter  hervorgekommen 
sind,  in  ihrem  schneeigen  Blutenschmuck  da,  die  Nussbaume  be- 
schatten  mit  ihrem  dichten  aromatischen  Laube  die  Wege  selbst  in 
Deutschland,  und  die  Kastanien  haben  in  Italien,  Spanien  und  einem 
Theile  Frankreichs  sogar  zu  wirklichen  Waldern  sich  vermehrt,  die 
je  nach  der  geographischen  Breite  in  hohern  oder  tiefern  Zonen  die 
Berge,  z.  B.  in  prachtvollen  Exemplaren  den  Kegel  des  Aetna,  um- 
giirten.  So  sehr  sind  die  Friichte  der  letzteren  zur  allgemeinen 
Volksnahrung  geworden,  dass  man  in  Frankreich  die  Tragheit  der 
Korsen  ihren  Kastanien  zugeschrieben  und  deshalb  den  Untergang 
dieser  Baume  gewiinscht  hat  —  wie  die  Banane  den  Tropenmenschen 
faul  macht.  In  der  That  —  besitzt  eine  korsische  Familie  nur  zwei 
Dutzend  Kastanienbaume ,  dazu  eine  Heerde  Ziegen,  die  das  ganze 
Jahr  hindurch  frei  weidet,  so  sind  alle  Bediirfnisse  gedeckt,  und  der 
Wunsch  des  Vaters  und  jedes  der  Sohne  geht  nur  noch  auf  Erwerb 
eines  Stimmchens,  um  damit  eine  —  Flinte  zu  kaufen.  Auch  im 
rauhen  italienischen  Apennin  lebt  der  Gebirgsbewohner,  da  wo  der 
Ackerbau  unmoglich  oder  unergiebig  geworden  ist ,  einen  grossen 
Theil  des  Jahres  von  Kastanien  und  Kastanienmehl  und  gerath  in 
grosse  Noth,  wenn  einmal  in  einem  ungiinstigen  Jahr  die  Ernte 
sparlich  ausfallt.  Ausser  den  Friichten  giebt  der  Kastanienbaum  in 
der  heissen  Zeit  auch  Schatten  und  Kiihlung  und  das  Holz  dient 
nicht  bloss  zur  Feuerung,  sondern  auch  zu  Werkzeugen  und  Gerathen 
jeder  Art.  So  gehort  dieser  Baum  zu  den  allerwichtigsten  Erwer- 
bungen  der  Kultur,  die  uns  das  Alterthum  hinterlassen  hat.  Auf 
die  Botaniker  pfleg.t  freilich  die  Kastanie  in  Siideuropa  den  Eindruck 
eines  dort  von  Urbeginn  einheimischen  Gewachses  zu  machen.  So 
lasst  z.  B.  Link,  der  ein  vorziiglicher  Kenner  des  europaischen  Siidens 
gewesen  sein  soil,  die  ersten  Menschengeschlechter  in  Europa,  noch 
vor  der  Epoche  des  Hirtenlebens,  von  dieser  Frucht  sich  hauptsach- 
lich  nahren  (die  Urwelt  und  das  Alterthum,  1,  355 — 361).  Allein 
dem  widerspricht  schon  der  Umstand,  dass  weder  die  Griechen  noch 


392  Mandeln.     Walnusse.     Kastanien. 

die  Romer  fur  den  Kastanienbaum  und  seine  Frucht  einen  indivi- 
duellen  Namen  haben.  Vielmehr  waren  Himmel  und  Bodeii  in  den 
Gebirgen  Slid-  und  zum  Theil  Mitteleuropas  fiir  diesen  Baum  so 
giinstig,  dass  er  sich  rasch  verbreitete,  der  Hand  des  Menschen  sich 
entzog  und  in  weiten  Strecken  zum  Waldbaume  wurde.  Der  Fall 
1st  durchaus  nicht  der  einzige  dieser  Art.  So  wurden  nach  der  Er- 
oberung  Teneriffas  durch  die  Spanier  am  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
Kastanien  auf  dieser  Insel  angepflanzt  und  »bilden  dort  jetzt  einen 
Wald,  der  fast  nur  durch  europaische  Blumen,  die  er  beschiitzt,  seinen 
europaischen  Ursprung  verrath«  (L.  v.  Buch,  Ueber  die  Flora  auf 
den  kanarischen  Inseln,  Abhandl.  der  Berliner  Akademie,  1816 — 1817, 
S.  351.)  Man  vergesse  nicht,  dass  seit  der  vorausgesetzten  Einfiihrung 
dieses  Baumes  zweitausend  Jahr  und  mehr  verflossen  sind.  Nach 
eben  so  langer  Zeit  wird  Amerika  in  noch  grosserem  Massstabe 
ahnliche  Erscheinungen  bieten.  Auch  wurden  die  Griechen,  wenn 
sie  in  ihrem  Lande  den  Kastanienbaum  vorgefunden  hatten,  seiner 
Frucht  gewiss  in  ihren  kulturgeschichtlichen  Sagen  erwahnen.  Wir 
horen  aber  immer  nur  von  den  Eicheln  der  dgvg,  der  Speiseeiche, 
und  die  ersten  Menschen,  wie  die  wilden  Arkader  in  ihren  Bergen 
und  Waldern,  werden  immer  nur  als  Eichelesser,  pahavrfCpdyoi,  be- 
zeichnet,  selbst  durch  Gottermund,  Orakel  bei  Herod.  1,  66: 

noK'kol  ev  'AQxadCr}  fiahavr](pdyoi  avSgeg  saaw. 

Wiirde  Hesiodus  in  der  schonen  Stelle  der  Werke  und  Tage,  wo  er  das 
Gedeihen  preist,  das  Friede  und  Recht  liber  die  Menschen  bringen,  232 : 

Ihnen  gewahrt  viel  Nahrung  die  Erd',  im  Gebirge  die  Eiche 
Tragt  hoch  oben  die  Eicheln  und  mehr  zur  Mitte  die  Bienen, 
Reichlich  beschwert  sich  das  Schaf  zur  Schur  mit  wolligem  Vliesse  - 

wiirde  er  die  Kastanien  vergessen  haben,  wenn  sie  dam  als  schon  in 
den  Bergen  wuchsen  und  ihre  siisse  Frucht  den  Menschen  spendeten? 
Wiirden  sich  dann  die  lateinischen  Dichter,  wenn  sie  das  goldene 
Zeitalter  schilderten,  nur  auf  Arbutusfriichte,  Erdbeeren,  Cornelkirschen, 
Brombeeren  und  Eicheln  beschranken,  z.  B.  Ov.  Met.  1,  103: 

Contentique  cibis  nullo  cogente  creatis 

Arbuteos  fetus  montanaque  fraga  legebant, 

Cornaque  et  in  duris  haerentia  mom  rubetis 

Et  quae  deciderant  patula  Jovis  arbore  glandes  — ? 

Dass  aber  die  Gegenden  siidlich  vom  Kaukasus  und  der  Nordrand 
von  Kleinasien  alle  Arten  Niisse  und  Kastanien  in  hochster  Fiille  und 
Vollkommenheit  hervorbringen ,  dariiber  sind  altere  wie  neuere  Rei- 
sende  einstimmig.  Kolenati  sah  in  Armenien  Haselnussbaume,  deren 


Mandeln.     Walniisse.     Kastanien.  393 

Stamm  zwei  bis  drei  Fuss  Durchmesser  hatte;  Wutzer,  Reise  in  den 
Orient,  III,  151,  traf  auf  dem  Wege  von  Nicaa  nach  Brussa  Platanen 
und  Kastanien,  deren  Grosse  ihn  in  Erstaunen  setzte:  »beide  Baume 
bilden  die  Riesen  der  Vegetation  Westasiens,  in  welcher  die  Platane 
den  ersten,  die  Kastanie  den  zweiten  Platz  einnimmt.  —  Es  war 
die  Zeit  der  Kastanienernte ,  weshalb  denn  zahlreiche  mit  Sacken 
beladene  Esel  umherstanden,  um  die  Friichte  aufzunehmen,  welche 
Manner  und  Knaben  von  den  hohen  Baumen  herabholten,  wahrend 
Frauen  sie  aufhoben  und  verpackten.  Die  gliihenden  Sonnenstrahlen 
bemuhten  sich  vergebens,  das  gewaltige  Laubdach  zu  durchdringen. « 
Von  diesen  Gegenden  kamen  die  Kastanien  auf  deni  Landwege  tiber 
Thrakien,  Makedonien  und  Thessalien  nach  Euboa,  nach  welcher 
Insel  sie  in  Athen  zu  Theophrasts  Zeit  euboische  Niisse  hiessen. 
Heut  zu  Tage  sind  die  griechischen  Kastanien  klein  und  meist  mit 
der  den  Kern  umgebenden  bittern  Schale  durch-  und  verwachsen  und 
daher  nicht  angenehm  zu  essen  (nach  Fiedler).  Die  besten  durch 
Kultur  veredelten  Kastanien  liefert  von  den  europaischen  Landern 
jetzt  das  siidliche  Frankreich81). 

Die  wilde  oder  sogenannte  Rosskastanie,  Aesculus  hippocastanumL., 
gehort  zu  den  Gewachsen,  deren  Verbreitung  Europa  den  Tiirken 
verdankt.  Der  schone,  schattige,  im  Friihling  unter  den  ersten  sich 
belaubende  Baum  kam  gegen  Ende  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
liber  Wien  aus  Konstantinopel  und  wurde  bald  in  Garten  und  auf 
offentlichen  Spaziergangen  beliebt  -  •  man  erinnere  sich  nur  der 
Kastanien  des  Tuileriengartens  und  unter  ihnen  des  beruhmten 
Napoleon-Baumes.  Die  aufrecht  stehende  stolz  prangende  Blute  ent- 
sprach,  wie  die  Tulpe,  dem  tiirkischen  Geschmack;  der  prosaische 
Name  'Rosskastanie  soil  von  der  tiirkischen  Gewohnheit  stammen, 
den  Husten  der  Pferde  mit  der  Frucht  des  Baumes  zu  curiren. 


*  Die  Man  del  (Prunus  Amygdalus  Stokes,  Amygdalus  cammunis  L.) 
wachst  sicher  wild  in  Afghanisten,  wo  sie  von  Atchison  gefunden  wurde, 
ferner  weiter  nordostlich  im  oberen  Zarafshanthal  und  im  Tschotkalgebirge, 
wo  sie  urn  1000—1300  m  zweifellos  wild  vorkommt  (Cap us  nach  Koppen 
a.  a.  O.  I.  240),  Nach  Medwedew  soil  der  Mandelbaum  auch  in  den  siid- 
lichen  und  ostlichen  Provinzen  Transkaukasiens  wild  wachsen.  Ferner  giebt 
ihn  Boissier  von  Aderbidshan,  Kurdistan  und  Mesopotamien  an.  Zu  be- 
merken  ist  noch,  dass  sowohl  die  bitteren,  wie  die  stissen  Mandeln  wild  ge- 
fundeii  wrerden. 

Die  Waliiuss  (Juglans  regia  L.)  kommt  sowohl  in  Asien  wie  in  Siid- 
europa  spontan  vor.  Ob  der  Baum  in  Nordchina  wild  ist,  kann  bezweifelt 


394  Mandeln.     Walnusse.     Kastanien. 

werden,  da  er  nach  Bretschneider  (On  the  study  and  value  of  Chinese 
botanical  works,  16)  dorthin  von  Tibet  eingefiihrt  sein  soil.  Sicher  wild  ist 
er  aber  im  nordwestlichen  Himalaya  und  in  Sikkim,  dann  in  Beludschistan 
und  im  ostlichen  Afghanistan,  wo  er  nach  Atchison  von  2200 — 2800  in  an- 
getroffen  wird,  sodann  im  westlichen  Tianshan  ziemlich  haufig  von  1000 — 1600  in 
in  Nordpersien,  Transkaukasien,  Armenien,  Kleinasien  und  auch  in  Griechen- 
land,  wo  er  zusammen  mit  der  Rosskastanie  in  Epirus  unzweifelhaft  wild  vor- 
kommt  (Th.  vonHeldreich  in  Verh.  d.  bot.  Ver.  d.  Prov.  Brandenburg 
XXI  (1889)  S.  147—150)  und  auch  im  Banat  (Heuffel  in  Verh.  d.  zool.  bot. 
Gesellsch.  in  Wien  1858  p.  194).  Die  Floristen  von  Italien  und  Spanien  hal- 
ten  die  Walnuss  nicht  fur  einheimisch,  doch  schein  ihr  Indigenat  auch  west- 
lich  der  Balkanhalbinsel  nicht  unwahrscheinlich ,  da  in  quaternaren  Tuffen 
der  Provence  sich  schon  Blattreste  finden,  welche  fur  Juglans  regia  gehalten 
werden.  Auch  existirte  vor  der  Glacialperiode  eine  nahe  verwandte  Art  der 
Juglans  regia,  die  Juglans  acuminata  A.  Braun  in  Sud-  und  Mitteleuropa,  so- 
wie  in  Gronland  und  auf  Sacchalin.  Friichte  der  Juglans  regia  werden  nach 
Buschan  in  dem  aus  der  Eisenzeit  stammenden  Pfahlbau  von  Fontanellato 
bei  Parma  sowie  in  mittelalterlichen  Stationen  Siidfrankreichs  gefunden.  — 

Wenn  auch  das  Areal  der  essbaren  Kastanie  (Castanea  vulgaris  Lain.) 
durch  die  Kultur  sehr  erweitert  worden  ist,  so  ist  doch  schon  die  urspriing- 
liche  Verbreitung  eine  sehr  ausgedehnte  gewesen.  In  der  Tertiarperiode  war 
die  Gattung  Castanea  von  Gronland  durch  ganz  Nordamerika  bis  Texas  und 
in  Europa  von  dem  Samlande  bis  zum  Mittelmeer,  ebenso  in  Japan  und 
Sacchalin  verbreitet.  Die  fossilen  Reste  stehen  theils  der  europaischen  Ca- 
stanea vulgaris,  theils  den  asiatischen  und  amerikanischen  Formen  nahe,  so 
dass  ein  gewisser  genetischer  Zusammenhang  zwischen  alien  unzweifelhaft 
ist.  DasVorkommen  der  Castanea  in  Stideuropa  ist  ein  derartiges, 
dass  selbst,  wenn  eine  Einwanderung  stattgef unden  hat,  dieselbe 
jedenfalls  in  vorhistorischer  Zeit  ohne  Zuthun  derMenschen 
vor  sich  ging.  Mit  Sicherheit  findet  sich  die  europaische  Form  der  Casta- 
nea vesca  (es  giebt  ausserdem  noch  eine  japanische  und  eine  amerikanische) 
im  westlichen  Transkaukasien,  meist  bis  zu  etwa  1000  m,  bisweilen  auch 
hoher  in  Gesellschaft  des  Weinstocks  und  der  Rothbuche,  sowie  der  Eichen, 
im  sudlichen  Kleinasien  scheint  sie  nicht  einheimisch  zu  sein,  dagegen  ist  sie 
in  der  montanen  und  subalpinen  Region  des  westlichen  und  nordlichen  Ana- 
toliens,  in  Thracien,  Macedonien  und  ganz  Griechenland  wild.  Wie  von 
Heldreich  hervorhebt,  hat  schon  Theophrast  (Hist,  plant.  III.  2.  3.  4. 
III.  3,  1)  darauf  hingewiesen,  dass  die  Kastanie  und  der  Nussbaum  in 
Griechenland  sowohl  im  kultivirten,  als  auch  im  wilden  Zustande  vorkommen 
und  namentlich  die  Gebirgsgegenden  lieben.  Die  Kastanie  ist  auf  der  Balkan- 
halbinsel auch  weiter  nordlich  bis  Croatien  verbreitet,  ja  selbst  in  Ungarn 
findet  sie  sich  noch  haufig  in  fast  wildem  Zustande.  Sodann  verlauft  die 
Nordgrenze  ihrer  spontanen  Verbreitung  tiber  Steiermark,  Karnthen,  Siidtirol, 
durch  die  Schweiz  langs  der  Rander  des  Jura  nach  der  Dauphine  und  den 
Sevennen.  Im  stid westlichen  Deutschland  und  in  den  Vogesen,  wo  die 
Kastanie  auch  grosse  Waldbestande  bildet,  ist  sie  sicher  ebenso  durch  die 
Kultur  verbreitet,  wie  in  Mahren  und  Bohmen.  Dagegen  ist  es  kaum  wahr- 
scheinlich,  dass  die  Kastanie  am  Siidabhang  der  Alpen,  in  den  Apenninen, 


Mandeln.     Walnusse.     Kastanien.  395 

in  Stidfrankreich  und  auf  der  iberischen  Halbinsel,  wo  sie  an  den  Gebirgs- 
hangen  ganz  charakteristische  ausgedehnte  Regionen  bildet,  eine  solche  Aus- 
dehnung  nur  in  Folge  der  Kultur  gewonnen  habe.  -  -  Die  Rosskastanie 
(Aesculus  Hippocastanum  L.)  ist  ein  in  den  Gebirgen  von  Nordgriechen- 
land,  Thessalien  undEpirus,  unterhalb  der  Tannenregion  um  1000 
bis  1300  m  wildwachsender  Bauni.  wie  Th.  von  Heldreich,  der  aus- 
gezeichnete  Kenner  der  Flora  Griechenlands.  in  Verb.  d.  bot.  :Ver.  d.  Prov. 
Brandenburg  XXI.  S.  139  — 147  nachgewiesen  hat.  Der  Baum  wird  nach 
seiner  Aussage  von  den  Gebirgsbewohnern  als  wilde  Kastanie  ('Aypta  Kaota- 
vYjd.)  der  zahmen  Kastanie  ("HfAspfj  Kaotaved)  gegeniibergestellt.  Wahrsch'einlich 
ist  der  Baum  von  bier  aus  durch  die  Ttirken  oder  durch  die  Byzantiner  nach 
Konstantinopel  gebracht  worden. 


**  Griech.  ^o^a.}^  kann  wohl  sicher  als  Lehnwort  gelten;  doch  ist 
seine  Quelle  noch  nicht-  nachgewiesen.  Keinesfalls  hat  das  Wort  etwas  mit 
hebr.  'em  gedolah  =  »grosse  Mutter «  =  Cybele  zu  thun,  aus  deren  Blut  der 
zuerst  aus  dem  Winterschlaf  erwachende  Mandelbaum  entstanden  sei,  wie 
Movers  I,  578,  586  und  nach  ihm  Hehn  (vgl.  Anm.  81)  glaubten.  Vgl.  Muss- 
Arnolt,  Semitic  words  in  Greek  and  Latin,  Transactions  of  the  American 
Philological  Association  XXIII,  S.  106  f.  Aus  &fAO"f8dXY]  ging  unter  volks- 
etymologischer  Anlehnung  an  mandere  und  amarus  das  lat.  amandula,  aman- 
dola  (zuerst  in  der  Medicina  Plinii,  vgl.  auch  die  Glossen  des  C.  Gl.  L.  bei 
G.  Goetz  Thesaurus  I,  58)  mit  seiner  romanischen  Nachkommenschaft 
hervor. 

Eingehender  ist  iiber  die  schwierige  Geschichte  der  Kastanie  und  des 
Walnussbaums  zu  handeln.  Zunachst  hat  sich  die  Vermuth ung  H.'s 
(oben  S.  389)  bestatigt,  nach  welcher  griech.  xaatdvaiov,  xdotavov  im  Armeni- 
nischen  wurzele.  Hier  hat  das  Wort  in  der  That  Lagarde  (Armen.  Stud.,  aus- 
ftihrlicher  Mittheilungen  III,  206.  ff.)  in  der  Gestalt  von  kask  Kastanie,  Jcas- 
keni  Kastanienbaum  (allerdings  ausserst  selten,  vgl.  Hiibschmann  Arm.  Gr.  I, 
166,  394)  nachgewiesen.  Im  Griechischen  begegnet  der  Ausdruck  zuerst  in 
dem  scheinbar  von  einem  Ortsnamen  abgeleiteten  xaotava'ixov  xdpoov  des  Theo- 
phrast  (oben  S.  389);  denn  ein  geniigender  Grund,  warum  diese  Lesart  un- 
sicher  sein  sollte,  ist  mir  nicht  bekannt.  Es  gab  also  im  IV.  Jahrhundert  in 
Griechenland  eine  armenische  Bezeichnung  der  Kastanie.  Sollte  der  hero- 
doteische  Ortsname  Kaaftavai-/] ,  was  sich  nicht  entscheiden  lasst,  mit  dem 
Baumnamen  zusammenhangen ,  so  wiirde  das  Wort  in  entsprechend  hohere 
Zeit  hmaufriicken.  Derselbe  Theophrast  kennt  aber  auch  einen  ein- 
heimischenNamen  der  Kastanie  Ato?  pdXavoc,  und  giebt  uns  tiber 
dieselbe  wichtige,  von  H.  tibersehene  Nachrichten,  auf  welche 
schon  oben  (vgl.  S.  394)  hingewiesen  ist.  Es  heisst  namlich  bei  Theo- 
phrast, Hist,  plant.  Ill,  2.  3  u.  4  und  III,  3,  1  nach  Sprengels  Uebersetzung: 
»Gedrangter  und  krummer  und  barter  werden  alle  diese  Theile  und  die  ganze 
Xatur,  so  dass  hierin  der  hauptsachlichste  Unterschied  der  wilden  nnd  zah- 
men Gewachse  liegt.  Daher  nennt  man  unter  den  angebauten  solche  wild, 
bei  denen  sich  dieses  zutragt  wie  bei  der  Fichte  und  Cypresse,  entweder 
tiberhaupt  oder  bloss  bei  den  mannlichen.  So  verhalt  es  sich  auch  mit 


396  Mandeln.     Walniisse.     Kastanien. 

dem  Nuss-  und  Kastanienbaum  (xapoa,  Aio?  pdXavoc).  Dann  lieben 
auch  die  wilden  Baume  die  bergigen  und  die  kalten  Platze  und  man  kann 
diese  Eigenschaft  benutzen,  um  die  Wildheit  der  Baume  und  iibrigen  Ge- 

wachse  daraus  zu  erkennen So  sind  folgendes  Berggewachse ,   die  in 

Ebenen    nicht  fortkommeii.     In  Macedonien    die  Tanne  u.  s.  w der 

Nussbaum,  die  Kastanie  (*apoa,  Ato?  pdXavoc),  die  Ulme  u.  s.  w.« 
Giebt  man  zu,  dass  Ato?  fidXavo<;  hier  die  Kastanie  bedeutet  (und  welcher 
Grund  ware  daran  zu  zweifeln?),  so  folgt,  dass  bereits  Theophrast  einen 
Unterschied  zwischen  wilden  und  zahmen  Kastanien  machte,  und  selbst 
wenn  man  die  ersteren  als  verwildert  deuten  wollte,  miisste  man  doch  die 
Bekanntschaft  der  Griecben  mit  der  Kastanie  in  weit  hohere  Zeit  hinauf- 
riicken,  als  von  H.  zugestanden  wird;  denn  es  musste  doch  eine  nicht  geringe 
Weile  vergangen  sein,  in  welcher  etwa  eingefiihrte  zahme  Kastanien  batten 
verwildern  konnen.  Ich  mochte  aber  die  Zweifel  an  dem  von  den  Natur- 
forschern  behaupteten  Indigenat  des  Baumes  in  Griechenland  (vgl.  auch  schon 
Grisebach  in  den  Getting.  Gel.  Anzeigen  vom  Jahre  1872)  tiberhaupt  fiir  un- 
berechtigt  halten,  da  die  sprachlichen  und  sonstigen  Thatsachen  wohl  in  Ein- 
klang  mit  demselben  zu  bringen  sind.  Und  zwar  stelle  ich  mir  den  sprach- 
lichen Entwickelungsgang  etwa  folgendermassen  vor:  Das  griech.  £dXavo<; 
(=  lat.  glans,  lit.  glle,  altsl.  ze\qdi,  armen.  ka\m)  hatte  in  der  nordlicheren 
Urheimat  der  Hellenen  nur  die  Eichel  bezeichnet.  In  dem  neuen  Vaterland 
aber,  in  Hellas,  wurde  das  alte  Wort  allmahlig  auf  eine  ganze  Keihe  ahn- 
licher  Friichte  anderer  Baume  tibertragen,  die  man  hier  zuerst  kennen  lernte, 
auf  Pattern,  Mandeln,  verschiedene  Arten  Niisse,  und  auf  Kastanien  (vgl.  die 
Stellen  bei  H.  Stephanus).  Warum  sollte  nun,  was  aus  spaterer  Zeit  sicher 
bezeugt  ist  (vgl.  auch  oben  S.  387),  nicht  schon  in  der  altesten  stattgefunden 
haben  und  Eichel  und  Kastanie  unter  dem  Namen  (3dXavoc  zusammengefasst 
worden  sein?  Ein  Bediirfniss  aber,  beide  Friichte  und  die  sie  tragenden 
Baume  von  einander  zu  unterscheiden,  mochte  fiir  den  griechischen  Volks- 
mund  um  so  weniger  vorliegen,  als  einerseits  eine  griechische  Eichenart 
(Quercus  aegilops  L.),  die  Knoppereiche ,  eine  essbare  und  noch  jetzt  vom 
Landvolk  gegessene  Eichel  hervorbrachte  (vgl.  Neumann-Partsch,  Physikalische 
Geographic  Griechenlands  S.  379  f .),  andererseits  die  wilden  griechischen 
Kastanien  keinen  besonderen  Wohlgeschmack  gehabt  zu  haben  scheinen,  wie 
denn  auch  noch  heute  »die  wild  genannten  Kastanien  Griechenlands  selten 
gegessen  werden;  desto  beriihmter  sind  dafiir  aber  die  kretischen  (KpYjuxa 
xdatavo)«  Fraas,  Synopsis  S.  247.  Dass  die  'Apxd8e<;  paXavYj-fdyot,  wie  Koch, 
Baume  und  Straucher  S.  46  behauptet,  Kastanienesser  gewesen  seien,  glaube 
auch  ich  nicht,  schon  weil  gerade  Arkadien  nicht  reich  an  Kastanien  ist 
(Neumann-Partsch,  a.  a.  O.  S.  382).  BdXavo?  bezeichnete  eben  bei  des, 
Eichel  und  Kastanie,  und  je  nach  den  Verhaltnissen  der  ein- 
zelnen  Landschaften  mochte  bald  diese  bald  jene  Bedeutung 
hervortreten.  Da  lenkte  sich  die  Aufmerksamkeit,  zunachst  nur  durch 
Handelsbeziehungen,  auf  die  besseren  und  reicheren  Friichte  der  pontischen 
Lander.  Das  armenische  Wort  v.a3tdvcttov  biirgerte  sich  ein  (dass  es  eine  ver- 
haltnissmassig  junge  Bezeichnung  war,  zeigt  auch  Athenaus  II,  p.  52  b :  xdpoa 
IxdXouv  ....  xat  Ta  vuv  y.aatdveia),  SapSiavat,  Ec^oixai  [BdXvot  und  ahnliches 
kamen  auf.  Jetzt  mochte  sich  auch  das  Bediirfniss  nach  einer  scharferen 


Mandeln.     Walniisse.     Kastanien.  397 

Bezeichnung  des  einheimischen  Baumes  regen,  und  aus  der  Collectivbezeich- 
nung  fidXavr,c.  hob  man  die  A  to?  j3dXavoc.  Kastanien  hervor.  Und  noch  ein  an- 
derer  Yersuch,  eine  deutlichere  einheimische  Benennung  der  nunmehr  auch 
angebauten  Kastanie  zu  gewinnen,  ist  hier  zu  verzeichen.  Er  betrifft  das 
griech.  cpYjyoc.  Dieses  Wort  hatte,  wie  lat.  fdgus  =  nhd.  buche  zeigt,  im  Ur- 
land  der  Griechen  die  Rothbuche  (Fagus  silvatica  L.)  bezeichnet.  In  Griechen- 
land  verschwindet  dieser  Baum,  je  mehr  man  vom  Pindus  in  der  Osthalfte 
Griechenlands,  also  der  eigentlichen  Tragerin  griechischer  Kultur,  stidwarts  vor- 
schreitet  (vgl.  Kiepert,  Lehrbuch  der  alten  Geographic  S.  236,  genauer  Neu- 
mann-Partsch,  a.  a.  0.  S.  383  ;  westlicher  kommt  der  Baum  noch  in  Aetolien 
vor,  vgl.  Heldreich  bei  Virchow  im  Corresp.-Bl.  d.  Anthrop.  Ges.  1893  S.  76). 
Das  Wort  war  also,  so  zu  sagen,  herrenlos  geworden,  und  nur  soviel  musste 
den  Griechen,  denen  die  wirkliche  oder  vermeintliche  Ableitung  von  tpcrfeiv 
lebendig  blieb,  klar  sein,  dass  es  eine  Cupulifere  mit  essbaren  Fruchten  be- 
zeichnete.  An  zwei  Stellen  der  griechischen  Literatur  nun  (vgl.  Koch,  Baume 
und  Strauche  S.  47).  die  nicht  allzuweit  auseinander  liegen,  scheint  es  in  der 
That,  als  ob  unter  yfjfo;  nichts  anderes  als  die  Kastanie  verstanden  werden 
konnte.  Die  eine  steht  in  Platos  Staat  (II,  p.  372).  Es  ist  von  der  Nahrung 
der  Burger  einer  neugegriindeten  Stadt  die  Rede.  Glaucon  wendet  ein,  dass 
die  Zukost  noch  iehle.  Socrates  zahlt  diese  und  den  Nachtisch  auf.  Es  wer- 
den Feigen,  Erbsen  und  Bohnen  genannt.  Dann  heisst  es:  jj.6pta  xal  vvtfobz, 
oTCoocooat  rcp6<;  TO  rcop  »Sie  werden  auch  Myrtenbeeren  und  cpYjfouc  am  Feuer 
rosten*.  Ist  anzunehmen,  dass  man  zu  Platons  Zeit  in  biirgerlichen  Kreisen 
Eicheln  zum  Nachtisch  am  Feuer  rostete?  Noch  iiberzeugender  scheint  die 
zweite  Stelle  im  Frieden  des  Aristophanes  (V.  1137).  Soldaten  kommen  nach 
Haus  und  singen:  »Ich  bin  froh,  dass  ich  den  Helm  los  bin  und  den  Kase 
und  die  Zwiebeln  -  -  wir  wiirden  sagen  die  Erbswurst  — ,  ich  mag  keine 
Schlachten,  ich  will  am  Feuer  mit  lieben  Freunden  das  dtirrste  Holz,  das  im 
Sommer  gefallt  ward,  verbrennen,  auf  den  Kohlen  Erbsen  kochen  und  rr,v 
cpvjYov  ipiTCopsocuv,  die  cpYftoc  rosten.«  Hier  ist  so  deutlich  von  einem  Gegensatz 
der  besseren  Friedens-  und  der  schmalen  Lagerkost  die  Rede,  dass  man  auch 
hier  kaum  an  gerostete  Eicheln  denken  kann.  Doch  kommt  <p*rjfoc  in  dem 
Sinne  von  Kastanie  nicht  auf,  vielleicht  dass  es  durch  die  neuen  Ausdrticke 
Awe  pdXavoc  und  xaotdvacov  wieder  verdraiigt  wurde. 

Was  die  Walnuss  anbelangt,  so  hangt  die  Entscheidung  tiber  ihr  Indi- 
genat  in  Hellas,  wie  auch  Neumann-Partsch  (a.  a.  0.  S.  386)  hervorheben,  fur 
den  Historiker  im  wesentlichen  davon  ab ,  ob  man  in  den  oben  angefiihrten 
Stellen  des  Theophrast  (III,  2,  3,  4;  III,  3,  1)  mit  Sicherheit  xapua,  von  der 
dasselbe  wie  von  der  Atoc  ^dXavoc;  ausgesagt  wird,  als  Walnuss  fassen  darf, 
oder  ob  es  mit  Koch  a.  a.  O.  S.  54  als  Bezeichnung  der  Haselnuss  zu  gelten 
hat.  Indessen  spricht  fur  die  erstere  Auffassung  einerseits  der  heutige  Sprach- 
gebrauch  (ngr.  xapoBYjd,  xapuSia  Walnussbaum,  im  Griechisch  der  Glossen  des 
C.  Gl.  L.  xapooSsvSpov,  vgl.  G.  Goetz  Theaurus  s.  v.  nucarius),  andererseits  der 
Umstand,  dass  Theophrast  fur  die  Haselnuss,  welche  III,  15,  1,  2  nach  Spren- 
gel,  Fraas,  wie  auch  nach  Hehn  (oben  S.  388)  unzweideutig  beschrieben  wird, 
die  Bezeichnung  'HpaxXeumxYj  xapoa  gebraucht,  wahrend  der  spatere  deut- 
lichere Name  fur  Walnuss  xdpoov  ^aoiXtxov  (vgl.  Blumner,  Maximaltarif  des  Dio- 
cletian S.  92)  war.  Nun  kann  ja  die  Benennung  Herakleotische  Nuss  fur  einen  in 


398  Der  Kirschbaum. 

Europa  einheimischen  Strauch  allerdings  wunderlich  aussehn.  Indessen  scheint 
es  nach  der  Schilderung,  welche  Fraas,  Synopsis  S.  247  von  der  Verbreitung 
der  Haselnuss  in  Griechenland  entwirft,  dass  dieselbe  gegen  Siiden  immer 
seltner  wird,  womit  der  Verlust  des  europaischen  Namens  derselben  (lat.  corylus, 
ir.  coll,  ahd.  hasal),  welchen  die  Griechen  erlitten,  zusammenhangen  konnte. 
Es  ware  also  moglich,  dass  die  Griechen  auf  ihre  seltenen  einheimischen 
Haselniisse  erst  wieder  durch  die  pontischen  Niisse  aufmerksam  gemacht  wurden 
und  erstere  nach  letzteren  benannten  (daher  'HpaxXeumv/r]  xapu'ck).  Auch  scheint 
in  dem  Hesychischen  apoa*  ta  -r]pa>iXfcumxa  xapoa  ein  einheimischer  Name  der 
Haselnuss  erhalten,  welcher  sich  einerseits  mit  dem  alb.  afs  Nuss,  Nussbaum 
(h  in  hairs  ohne  etymologische  Bedeutung),  andererseits  mit  altsl.  orkchu  u.  s.  w. 
Nuss  deckt  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  17).  —  Zum  Schluss  notiren  wir  eine  alba- 
nesisch-slavische  Bezeichnung  der  Haselnuss :  alb.  I'ai&i ,  altsl.  leska,  lit.  lazda, 
altpr.  laxde  (*laks-t  alb.  *l'ak&i;  vgl.  G.  Meyer  a.  a.  O.  S.  234)  und  machen 
auf  eine  pontisch-semitische  Entsprechung  in  der  Benennung  der  Ju- 
glans  regia  aufmerksam:  armen.  dngoiz,  osset.  dngoza,  georg.  nigozi,  hebr. 
'egdz  u.  s.  w.,  iiber  die  zuletzt  Hiibschmanw,  Z.  d.  D.  M.  G.  46  (1892)  S.  236 
und  Armen.  Gr.  I  S.  393  gehandelt  hat.  Da  der  Baum  nach  der  Ansicht 
der  Botaniker  in  den  semitischen  Landern  nicht  einheimisch  zu  sein  scheint 
(vgl.  oben  S.  394),  so  ist  der  Ausgangspunkt  dieser  Reihe  in  Kleinasien  oder 
in  persischen  Landen  zu  suchen.  Tomaschek,  Centralas.  stud.  II,  58  stellt 
den  Ptolemaischen  Ortsnamen  NiYoo£a  in  Atropatene  hierher.  —  Wir  haben 
uns  .im  Vorstehenden  im  wesentlichen  auf  die  Darstellung  der  Verhaltnisse 
der  Balkanhalbinsel  beschrankt,  weil  die,  italischen  fur  die  Frage  des  Indi- 
genats  der  Kastanie  und  der  Walnuss  in  Europa  uns  nicht  ausschlaggebend 
zu  sein  scheinen. 

Zu  der  Geschichte  der  hier  behandelten  Pflanzen  vgl.  noch  J.  Murr  Bei- 
trage  zur  Kenntniss  der  altclassischen  Botanik  im  39jten  Programm  des  k.  k. 
Staatsgymnasiums  in  Innsbruck  1888,  zu  der  der  Rosskastanie  noch  Lagarde, 
Mittheilungen  III,  213  f. 


Der  Kirschbaum. 

(Prunus  cerasus  Z/.) 

Dass  die  Kirschen,  die  Lust  der  Knaben  und  der  Vogel,  von 
dem  reichen  Lucullus,  dem  Sieger  liber  Mithridates ,  nach  Europa 
gebracht  worden,  das  weiss  auch  jeder  Knabe  aus  der  romischen 
Geschichte,  obgleich  ihm  vor  dem  vollen  Korbe  mit  den  siissen  rothen 
Beeren  die  Sache  so  gleichgiiltig  ist,  wie  dem  naschenden  Sperling 
auf  dem  Baum.  In  der  That  melden  von  Plinius  an  verschiedene 
Gewahrsmanner,  dass  nach  Zerstorung  der  Stadt  Cerasus,  die  an  der 
pontischen  Kiiste  zwischen  Sinope  und  Trapezunt  lag,  der  romische 
Feldherr,  L.  Lucullus,  aus  der  Umgegend  derselben  den  Kirschbaum 


Der  Kirschbaum.  399 

nach  Italien  verpflanzt  habe  —  jedenfalls  eine  kostbarere  und  langer 
dauernde  Kriegsbeute,  als  das  sechs  Fuss  hohe  goldene  Kolossalbild 
des  Mithridates  und  der  gemmenbesetzte  Schild  und  die  vielen  gol- 
denen  und  silbernen  Gefasse,  mit  denen  Lucullus  seinen  Triumph 
zierte.  Wo  Plinius  seine  Angabe  her  hat,  wissen  wir  nicht;  Plutarch 
im  Leben  des  Lucullus,  der  doch  eine  Menge  Einzelheiten  gesammelt 
hat,  schweigt  iiber  die  durch  seinen  Helden  geschehene  Einfuhrung 
einer  neuen  Obstgattung.  Indessen  stimmt  mit  der  Nachricht  des 
Erstern  gut  uberein,  dass  die  Kirsche  bei  Cato  ganz  fehlt,  bei  Varro 
nur  einmal  genannt  wird  und  bei  den  Spatern  haufig  ist.  Eine 
vollig  neue  Entdeckung  war  die  Frucht  freilich  auch  zu  Lucullus' 
Zeit  nicht.  Erstens  wird  bei  Athenaus  2,  p.  51  eine  Stelle  aus  den 
Schriften  des  Diphilus  von  Siphnus,  eines  Zeitgenossen  des  Konigs 
Lysimachus,  dessen  Reich  sich  auch  uber  Vorderasien  erstreckte, 
angefiihrt,  in  der  die  diatetischen  Eigenschaften  der  Kirschen,  xa 
xeQaGia,  erortert  werden,  mit  dem  Beifiigen,  die  rotheren  und  die 
milesischen  verdienten  den  Vorzug.  Zweitens  besass  auch  Italien 
einen  einheimischen  Verwandten  des  Baumes,  Prunus  avium  L.,  der 
bei  den  Alten  von  dem  Cornelkirschenbaum,  Cornus  mascula  L.,  nicht 
unterschieden  wird,  dessen  Friichte  aber  in  Europa  bisher  nicht  ver- 
edelt  waren  und  sich  dort  vielleicht  auch  nicht  veredeln  liessen. 
Daher  Servius  ad  Verg.  G.  2,  18  ganz  richtig  bernerkt:  hoc  autem 
etiam  ante  Lucullum  erat  in  Italia,  sed  durum,  et  cornum  appella- 
batur.  Diese  wilde  Siisskirsche,  zusammen  mit  der  KorneDenkirsche 
und  dem  Hartriegel,  wird  bei  Theophrast  h.  pi.  3,  12  unter  dem 
Namen  der  mannlichen  und  weiblichen  xgdvsia  beschrieben:  die 
mannliche  hat  sehr  hartes  Holz,  die  weibliche  weicheres ;  die  Bewohner 
des  troischen  Idagebirges  sagen  von  cler  weiblichen,  sie  trage  Frucht; 
diese  letztere  ist  essbar,  suss  und  duftend;  die  Macedonier  da- 
gegen  behaupten,  beide  Geschlechter  seien  fruchttragend ,  die  weib- 
liche Frucht  aber  nicht  essbar.  Solche  auf  kleinasiatischem  Boden 
am  Idagebirge  und  bei  Milet  zur  Zeit  des  Konigs  Lysimachus  bereits 
veredelte  Siisskirschen  mogen  auch  die  xegatfia  des  Diphilus  Siph- 
nius,  —  diejenigen  aber,  die  Lucullus  im  Reiche  Pontus  kennen  lernte 
und  mit  denen  er  Italien  beschenkte,  eine  edlere,  grossere,  saftreichere 
Art  Sauerkirsche  gewesen  sein.  Beide  Hauptarten  wurden,  nachdem 
diese  Frucht  einmal  bekannt  und  beliebt  geworden,  rasch  vermehrt, 
aus  Asien,  das  sich  bald  darauf  vollig  aufschloss,  vielfach  bezogen, 
auf  die  einheimischen  wilden  Baume  gepfropft  und  eine  Menge  Varie- 
taten,  darunter  die  allerkostlichsten  und  feinsten,  erzeugt.  Ein  be- 


400  ^er  Kirschbaum. 

sonderer  Vorzug  der  Kirsche  war  es,  dass  sie  so  frtihe,  schon  mitten 
im  Sommer,  reifte  und  in  der  heissen  Zeit  ihren  erfrischenden  Saft 
spendete,  wenn  die  iibrigen  Fruchte  noch  im  Riickstande  waren.  Als 
aus  dem  Pontus,  einer  Gegend  mit  harten  Wintern,  stammend  und 
in  gemeinern  Arten  sogar  im  siidlichen  Europa  einheimisch,  konnte 
dieser  Fruchtbaum  auch  durch  das  ganze  mittlere  Europa,  bis  in  den 
Norden  des  Welttheils  hinein,  weiter  wandern.  Wirklich  war  die" 
Kirsche  zu  Plinius'  Zeit,  hundert  zwanzig  Jahr,  nachdem  sie  zuerst 
in  Italien  erschienen,  schon  iiber  den  Ocean  nach  Britannien  gegangen 
(Plin.  15,  102);  sie  wuchs  an  den  Ufern  des  Rheins;  in  Belgien  gab 
man  der  nach  Lusitanien  benannten  Sorte  den  Vorzug,  in  welchem 
letzteren  Lande  sie  also  gleichfalls  vorkam  und  schon  eine  eigene 
Spielart  gebildet  hatte.  Ja,  in  den  Alpen  und  jenseits  der  Alpen 
in  den  ehemaligen  Barbarenlandern  tragt  der  Baum  aromatischere 
Fruchte  als  an  den  Gestaden  des  Mittelmeers,  wo  ihm  unter  Ein- 
wirkung  der  See  das  Klima  zu  gleichmassig  milde  1st,  Plin.  104: 
septentrione  frigidisque  gaudet.  Tyrol,  die  Schweiz,  der  Oberrhein 
sind  jetzt  ein  reicher  Kirschenbezirk,  in  welchem  es  dem  Baume  be- 
sonders  wohl  ist.  Wie  in  der  Schweiz  aus  dem  Ueberfluss  dieser 
Ernte  das  bekannte  Kirschwasser  destillirt  wird,  so  in  Dalmatien, 
Triest,  Venedig  aus  der  marasca  d.  h.  der  Sauerkirsche  der  mara- 
schino rosolio,  der  an  Feinheit  seine  ungarisch-serbische  Nachbarin, 
die  Pflaumen-Slivovica,  iibertrifft. 

Entsprechend  den  beiden  europaischen  Hauptarten  der  Kirsche, 
der  siissen  und  der  sauern,  gehen  durch  die  europaischen  Sprachen 
zwei  Hauptnamen  fur  diese  Frucht.  Das  lateinische  eerasus,  grie- 
chische  xsgaaog,  xsgaGcg,  ist,  wie  zuerst  Casaubonus  einsah,  nicht 
von  der  sinopischen  Kolonie  Kegacrovg  hergenommen,  sondern  die 
Stadt  vielmehr  nach  dem  Namen  des  dort  wachsenden  Baumes  be- 
nannt.  KSQCHJOC  scheint  nur  die  kleinasiatische  Form  fur  das  eigent- 
lich  griechische  xQavsta  (schon  homerisch),  lat.  cornus,  welche  Worter 
mit  xegag  und  cornu  genau  verwandt  sind  und  den  Baum  nach  der 
hornartigen  Harte  des  Holzes,  die  es  zu  Wurfspeeren  besonders  ge- 
eignet  machte,  bezeichnen.  Man  beachte  die  Schilderung  des  Theo- 
phrast,  h.  pi.  3,  12,  1:  »das  Holz  der  xQavsia  ist  ohne  Mark  und 
ganz  fest,  an  Dichtigkeit  und  Starke  dem  Home  ahnlich;  das  der 
weiblichen  xgdveia  aber  hat  ein  inneres  Mark  und  ist  weicher  und 
ausgehohlt  und  taugt  daher  nicht  zu  Speeren.«  Im  homerischen 
Hymnus  an  den  Hermes  460  erhalt  der  Speer  das  Pradikat  xQavetov, 
ja  rj  xgdvsia  hiess  spater  ohne  Weiteres  die  Lanze.  (Da  merk- 


Der  Kirschbaum.  4Q1 

wiirdiger  Weise  auch  im  Litauischen  ragotine  der  Speer  von  rdgas  Horn 
abgeleitet  1st,  so  muss  der  Speer  aus  dem  Hornbaum  oder  dem  Hartriegel 
eine  sehr  alte  europaische  Waffe  sein.  Auch  der  deutsche  Hornung,  lit. 
ragutis,  ist  nach  der  in  diesem  Monat  festgefrorenen  Erde  so  be- 
nannt).  Theophrast  kennt  auch  den  Namen  xsQaaog,  h.  pi.  3,  13; 
4,  15,  1;  9,  1,  2;  aber  aus  seiner  Beschreibung  geht  hervor,  dass 
er  einen  Waldbaum  memte,  dessen  Bast  zu  Stricken  verwendet,  dessen 
bohnengrosse  rothe  Friichte  mit  weichem  Kern  aber,  wie  es  scheint, 
nicht  essbar  waren.  Bei  den  Griechen  am  Pontus  hiess  die  edle 
Kirsche,  die  ja  gleichfalls  ein  Baum  mit  rothen  Friichten  war,  xegaGos, 
und  von  da  ging  der  Name  mit  dem  Baume  nach  Italien  iiber,  von 
Italien  ins  transalpinische  Europa.  Die  romanischen  Sprachen  bildeten 
ihr  Wort,  wie  gewohnlich,  aus  dem  Adjectiv  ceraseus  (die  Formen 
bei  Diez,  1,  129);  das  deutsche  Kirsche  ist  nicht  aus  dem  Romani- 
schen, sondern  unmittelbar  aus  dem  Lateinischen  genommen,  folglich 
zur  Zeit  der  Volkerwanderung  oder  bald  nachher;  das  slavische 
crjesnja  wurde  seit  der  Einwanderung  der  Slaven  in  das  Donaugebiet 
aus  dem  Deutschen  entlehnt  (wie  auch  das  aus  dem  deutschen 
Pluralzeichen  entstandene  n  lehrt  -  -  gleich  dem  deutschen  Feminium 
aus  dem  lat.  cerasa,  Wackernagel,  Umdeutschung ,  S.  42),  das 
magyarische  tseresznye  wieder  aus  dem  Slavischen;  das  byzantinische 
xegaaog  ging  in  das  Tiirkische,  Persische,  Kurdische  u.  s.  w.  iiber. 
—  Dunkler  ist  die  Herkunft  des  andern  durch  ganz  Europa  ver- 
breiteten  Namens  der  Kirsche,  besonders  der  sauren:  ital.  visciola, 
altfranz.  guisne,  jetzt  guigne,  span,  guinda;  deutsch  Weichsel,  ahd. 
wihsela-,  slav.  visnja,  visrii,  lit.  wyszn'e,  neugr.  pfaqvov,  pfawov  (auch 
(walachisch,  albanesich,  tiirkisch)  —  lauter  Formen  desselben  Wortes, 
ohne  regelmassige  Lautvertretung.  Liesse  sich  irgend  ein  Begriffs- 
zusammenhang  zwischen  den  Kirschen  und  den  Beeren  der  Mistel 
aufweisen,  oder  vielmehr,  —  da  ein  solcher  wohl  herzustellen  ware  — , 
versicherte  uns  irgend  ein  Factum,  dass  er  reell  geltend  geworden, 
so  ware  nicht  bloss  durch  das  griech.  i%6$  (mit  Digamma),  lat.  viscus, 
viscum,  eine  Erklarung  des  Wortes  gefunden,  sondern  auch  die 
naturgemasse  Herkunft  der  Frucht  aus  Italien  durch  den  Namen 
bestatigt.  Will  man  das  deutsche  Wort  an  die  Spitze  stellen,  wozu 
der  franzosische  und  spanische  Anlaut  gu  einladet,  so  ist  zunachst 
der  inlautende  Guttural  als  jiingeres  Element  zu  entfernen:  er  fand 
sich  vor  si,  wie  im  Flussnamen  Weichsel  (Vistula,  Visula,  slav.  Visla) 
ein,  wahrend  im  niederdeutschen  Wispelbaum  ( Vogelkirsche ,  Bremi- 
sches  Worterb.)  durch  Einfiigung  eines  p  ein  deutscher  Klang  her- 

Vict.  Hehn,  Kulturpflanzcn.     7.  Aufl.  26 


402  Der  Kirschbaum. 

vorgebracht  wurde82):  In  einem  Fragment  des  Komikers  Amphis 
wird  die  Frucht  der  xQavtta  oder  des  Cornelkirschenbaumes  peamhov 
genannt,  Mein.  fr.  com.  gr.  3,  318: 

6  ffvxdfuvog  ffvxdf.it'V,  oQ$g 
o  TiQlvog  dxvhovg,  6  xofiagog 
xgavsia  [jieffmha. 

Wir  wissen  nicht,  ob  dies  auf  eine  Spur  fiihren  kann. 


*  Prunus  Cerasus  L.  Der  Sauer-Kirschbaum  (Weichsel)  komint  wild- 
wachsend  wahrscheinlich  nur  in  Transkaukasien  vor,  findet  sich  aber  ver- 
wildert  in  manchen  Gegenden  Siid-  und  Mitteldeutschlands.  Nach  Grisebach 
soil  er  auch  in  der  Kastanienregion  des  bithynischen  Olymp  und  iiach  Carl 
Koch  in  den  Waldern  Anatoliens  vorkommen.  Der  Vogelkirschbaum  (Prunus 
avium  L.)  dagegen  hat  eine  viel  weitere  Verbreitung.  Er  findet  sich  wild  im 
sudlichen  Turkestan  bei  Schirabad,  im  nordlichen  Persien  in  den  Provinzen 
Ghilan  und  Siaret,  im  Talysch  und  auf  beiden  Seiten  des  Kaukasus  von  500 
bis  1600  m,  ferner  in  den  Waldern  der  pontischen  Gebirge  oberhalb  Cerasunt 
und  Trapezunt,  in  Gebirgswaldern  des  Peloponnes  und  Nordgriechenlands. 
Aber  auch  sonst  ist  er  in  Europa  sowohl  in  der  Ebene,  wie  in  den  Gebirgen 
derart  verbreitet,  dass  an  seinem  Indigenat  in  Europa  nicht  gut  gezweifelt 
werden  kann.  Er  fehlt  im  nordlichen  Europa  zwar  in  den  baltischeii  Pro- 
vinzen und  in  Ostpreussen,  bildet  aber  selbst  noch  in  Norwegen  grossere  Be- 
stande,  so  im  Kirchspiel  Urnes  im  Bergenstift.  Auch  hat  man  in  Torfmooren  von 
Bohuslan  Reste  der  Vogelkirsche  gefunden,  ebenso  Steinkerne  in  den  Pfahl- 
bauten  von  Robenhausen  in  der  Schweiz  (O.  Heer,  Die  Pflanzen  der  Pfahl- 
bauten  S.  26),  sogar  zwei  Formen,  wie  sie  auch  bei  unseren  jetzigen  Siiss- 
kirschen  sich  finden,  nur  etwas  kleiner.  Damit  ist  unwiderleglich  dar- 
gethan,  dass  die  Susskirsche  vor  den  historischen  Zeiten  in 
Europa  heimisch  war. 


**  Dass  v.ep-otaoc  als  eine  (kleinasiatische)  Nebenform  etymologisch  mit 
griech.  xpd-vsta,  lat.  cor-nu-s  zu  verbinden  sei,  wird  man  als  wahrscheinlich  be- 
trachten  dtirfen.  Auch  altpr.  Jcirno  Strauch,  lit.  kirna  Strauchband  und  der 
altlitauische  Name  des  Kirschengottes  Kirnis  (vgl.  Lasicius  De  diis  Samagitarum 
S.  47:  cerasos  arcis  alicuius  secundwm  locum  sitae  cur  at  etc.}  sind  hierher  zu 
stellen.  Dagegen  ist  griech.  xepac  =  scrt.  giras  Horn  wohl  fern  zu  halten,  da  die 
baltischen  Worter  sonst  im  Anlaut  lautgesetzlich  einen  Sibilanten  (=  scrt.  f) 
zeigen  miissten.  Auch  wird  man  das  Holz  des  Kirschbaums  kaum  als  horn- 
artig  bezeichnen  konnen  (vgl.  v.  Fischer -Benzon  Altd.  Gartenflora  S.  150). 
Die  nordkleinasiatischen  Formen,  armen.  keras,  kurd.  ghilas,  keras  (vgl.  Jaba- 
Justi  S.  374),  sind  wohl  als  Riickentlehnungen  aus  griech.  xspaoo?  aufzufassen 
vgl.  Htibschmann,  Armen.  Gr.  I,  356^  — .  Eine  nordeuropaische  Gleichung 


Der  Kirschbaum.  403 

• 

fur  Cornus  mascula  ist  russ.  derenu  u.  s.  w.  (Miklosich,  Et.  W.  S.  42)  =  ahd. 
tirnpauma,  nhd.  in  zahlreichen  Umgestaltungen,  wie  dernlein,  dierlein  etc. 
(Pritzel-Jessen  S.  111).  Alb.  &am  Kornelkirschenbaum  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  88). 
-  Fiir  die  Geschichte  des  deutschen  Wortes  Kirsche  von  Wichtigkeit  ist,  dass 
ahd.  Jdrsa  nicht  unmittelbar  aus  lat.  cerasum,  sondern  aus  einer  Zwischenform 
*ceresia  (ceresium,  xspdotov  C.  Gl.  L.  Ill,  358,  80)  hervorgegangen  ist,  die  auch 
den  romanischen  Wortern  zu  Grunde  liegt.  Kluge  (Et.  W.  6.  Aufl.)  setzt  die 
Entlehnung  des  Wortes  vor  das  7.  Jahrhundert,  da  anlautendes  c  noch  als  k 
erscheint.  Im  slavischen  altsl.  cr&sinja  ist  n  nicht  deutsches  Pluralzeichen, 
sondern  gehort  zum  Suffix  (*6resa-inja).  Alb.  Jc'ersi  aus  cerasium,  *cerasinum.  — 
Welche  Art  von  Kirschen  es  war,  die  Lucullus  in  Italien  einfiihrte,  ob,  wie 
von  H.  angenommen,  eine  Sauerkirsche ,  oder  wie  De  Candolle  (S.  260  der 
deutschen  Ausgabe),  Karl  Koch  (Baume  und  Straucher  S.  196  ff.)  und  Koppen 
(I,  281)  glauben,  eine  veredelte  Art  der  Siisskirsche,  ist  schwer  zu  entscheiden. 
Immerhin  dtirfte  letzteres,  wie  jetzt  auch  v.  Fischer -Benzon  a.  a.  O.  und 
G.  Buschan,  Vorgesch.  Botanik  S.  179  annehmen,  das  wahrscheinlichere  sein. 
Denn  einmal  war  nach  dem  obigen  eben  nur  Prunus  avium  L.,  die  Suss-  oder 
Vogelkirsche ,  deren  Kerne  ausser  in  der  Schweiz,  auch  in  neolithischen 
Stationen  Oesterreichs  und  Italiens  gefunden  worden  sind  (vgl.  G.  Buschan 
a.  a.  0.  S.  180),  in  vorhistorischer  Zeit  bei  den  mittel-  und  siideuropaischeii 
Volkern  wildwachsend  verbreitet,  so  dass  nur  fur  diese  Art  die  Vorbedingungen 
einer  schnellen  und  weiten  Verbreitung  durch  die  Kultur  gegeben  waren,  das 
andre  Mai  weist  aber  auch  die  Beschreibung  des  xepaao?  bei  Theophrast  (nach 
v.  Fischer-Benzon  S.  149)  und  die  Hervorhebung  des  Umstands  bei  Dioskorides 
I,  157  (nach  G.  Buschan  S.  179),  dass  der  pontische  xepaoia-Baum  Gummi 
ausschwitze,  mit  ziemlicher  Deutlichkeit  auf  die  Siisskirsche  hin.  Trat  die 
Sauerkirsche  in  Europa  etwa  erst  mit  der  Sippe  Weichsel  u.  s.  w.  auf? 
Als  die  Quelle  derselben  sieht  G.  Meyer,  Alb:  W.  S.  474  das  gr.  puaocvoc,  fern. 
^oac'.vcoa  cramoisi,  pourpre,  e'carlate  an,  dessen  urspriingliche  Bedeutung  ein  roth 
gefarbter  Seidenstoff  (£6000?  Seide)  gewesen  sei.  Die  Bezeichnung  ware  dann 
von  Byzanz  ausgegangen  und  westwarts  gewandert.  Hierzu  wiirde  die  Be- 
merkung  Th.  v.  Heldreichs,  Die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  69  stimmen: 
»Man  hat  mehrere  an  Farbe  und  Grosse  verschiedene  Spielarten  (der  ftoaotvYja); 
die  geschatzeste  ist  die  sogenannte  grosse  Weichsel  von  Kon- 
stantinopel  --  TO  itoXttixo  (36aoivo.  Freilich  mochte  v.  Fischer-Benzon 
S.  151  eine  sichere  Erwahnung  der  Sauerkirsche  schon  in  Vergils  Georgicis  II,  17 
finden : 

Pullulat  ab  radice  aliis  densissima  silva 

ut  cerasis  ulmisque, 

womit  die  der  Ulrae  und  Weichsel  eigenthiimlichen  Wurzelauslaufer  gemeint 
seien.  Nach  demselben  Gelehrten  tritt  eine  unzweideutige  Erwahnung  der 
Sauerkirsche  in  Deutschland  erst  bei  Albertus  Magnus  (12./13.  Jahrh.)  unter 
dem  Namen  amarena,  amarella  (unser  »Ammer«^  auf. 


26' 


404  Arbutus.     Medica.     Cytisus. 


Arbutus.     Medica.     Cytisus. 

Dem  heissen,  gebirgigen  Siiden  sind  die  blumenreichen  Wiesen 
des  Nordens  und  die  grunen  Matten  der  Hochalpen  versagt:  ihre 
Stelle  vertritt  die  immergriine  Str auch vegetation ,  die,  nachdem  der 
Wald  langst  der  Kultur  gewichen,  die  Vorberge,  die  felsigen  Kiisten, 
die  Rander  der  Schluchten  und  Wasserrinnen  bekleidet.  Von  einem 
der  schonsten  Baumchen  dieser  Region,  dem  Erdbeerbaum,  Arbutus 
Unedo  L.,  wissen  wir  nicht,  ob  er  immer  da  gewesen  oder  mit  den 
Menschen  von  Sudosten  her  eingewandert.  Mit  lorbeerartigen  Slattern, 
den  Erdbeeren  ahnlichen,  erst  griinen,  dann  allmahlig  gelb  und  roth 
sich  farbenden  Friichten,  die  er  wie  der  Citronenbaum  gleichzeitig 
mit  den  Bliiten  an  seinen  Zweigen  tragt,  mit  ewig  sich  erneuerndem 
Laube,  dessen  gleichmassiges  Schwinden  und  Spriessen  schon  Theo- 
phrast  h.  pi.  1,  9,  3  rich  tig  beobachtet  hat,  -  -  geht  der  Baum  liber 
das  mittlere  Italien  nicht  gern  nach  Norden  hinaus,  entwickelt  aber, 
wie  Juba  bei  Plinius  15,  99  iibertreibend  behauptet,  in  Arabien  einen 
Wuchs  von  50  Ellen.  Varro  indess  2,  1,  4  rechnet  die  Arbutusfrucht, 
wie  Eicheln,  Brombeeren  und  poma  (Aepfel  oder  Beeren),  zu  den 
Nahrungsmitteln  der  Urwelt,  also  zu  den  Friichten,  die  die  jungfrau- 
licbe  Erde  selbst  darbot:  qiiae  inviolata  ultro  ferret  terra,  und  die 
folglich  nicht  erst  die  Kultur  erzogen  und  verbreitet  hat.  Und  eben 
so  thut  Ovid  in  der  oben  S.  392  aus  dem  ersten  Buch  der  Metamor- 
phosen  angefiihrten  Stelle.  Jetzt  gilt  die  Frucht  sowohl  in  Griechen- 
land  als  in  Italien  fur  ungesund  und  betaubend,  und  man  iiberlasst 
sie  den  Vogeln,  fur  die  sie  den  gesuchtesten  Leckerbissen  bildet; 
dies  populare  Vorurtheil  theilten  schon  die  Spatern  unter  den  Alten, 
so  bereits  Dioscorides  1,  175.  Theophrast  (s.  unten)  nennt  sie  ohne 
Vorbehalt  essbar;  nach  Galen,  de  alim.  fac.  2,  38  pflegten  Landleute 
sie  zu  geniessen:  TO,  fUfjwt&tvJla  fad-Covm  (^vv^cog  ol  xara  lovg 
dygovg,  und  heut  zu  Tage  ist  sie  von  Nordlandern  oft  ohne  Schaden 
gegessen  worden  (z.  B.  Fetter,  Dalmatien,  Gotha  1857,  1,  S.  76: 
»ich  habe  mit  meiner  Familie  die  schonen  rothen  Beeren  des  Erd- 
beerbaumes  oft  genossen,  mit  Wein,  Zucker  und  Zimmt  zubereitet, 
wie  man  es  in  meiner  Heimath  mit  den  Erdbeeren  macht,  aber  keine 
betaubenden  Eigenschaften  wahrgenommen«).  —  Die  Verschiedenheit 
der  Benennung  bei  Griechen  und  Romern  erlaubt  ubrigens  den  Schluss, 
dass  in  dem  Lande,  wo  der  griechische  und  der  italische  Urstamm 
sich  trennten,  um  verschiedene  Wanderrichtungen  einzuschlagen,  der 


Arbutus.     Medica.     Cytisus.  405 

Erdbeerbaum  nicht  wuchs.  Das  lateinische  arbutus,  arbutum  schliesst 
sich  sichtlich  an  arbos,  drbustum  an;  das  griechische  xofiagog  erklart 
Benfey  durch  gewunden,  kriechend,  was  aber  zu  der  Natur  des 
Baumes  nicht  passt;  nach  Fick2  33  ware  es  ein  uralter  indoeuro- 
paischer  Pflanzenname.  Der  Name  der  Frucht  {jic^iaCxvXov  (mit  Va- 
rianten  der  Schreibart)  kommt  zuerst  bei  Aristophanes  vor,  Athen. 
2.  p.  50  (nach  Meinekes  Correctur): 

ev  rolg  OQZGW  J'  avrofWT   avralg  ra  pijwMR  syvem  TroMd, 

dann  auch  bei  Theophr.  h.  pi.  3,  16,  4:  fj  de  xofnagog,  f)  xo  [te- 
[tatxvhov  (feyovGa  TO  edwdiftov  —  nach  Benfey  1,  219  eine  Zusammen- 
setzung  von  fitfi-  mit  dxvhog  die  essbare  Eichel.  Wir  deuten  lieber 
Winterf  rucht  (jLiaifidffffw,  f.iacfjidxTrfg,  fioufiaxTiJQict),  Lucret.  5,  940: 

quae  nunc  hiberno  temp  ore  cernis 
Arbuta  puniceo  fieri  matura  color  e. 


Auch  Arbutus  andrachne  L.,  cwdgdyfari,  war  den  Alten  bekannt  — 
wohl  so  viel  als  der  Strauch,  der  eine  gute  Kohle,  avtyal;,  giebt. 

In  jenen  immergriinen  saltus  fand  die  Heerde  des  Ackerbauers 
zur  Noth  eine  geniigende  Nahrung;  da  dieselben  aber  nicht  iiberall 
nahe  lagen,  mussten  die  Alten  darauf  verfallen,  das  Laub  der  im 
Garten  gepflanzten  Baume  abzustreifen  und  neben  der  theuren  Korn- 
und  Mehlnahrung  zur  Fiitterung  der  Hausthiere  zu  verwenden.  Esel 
und  Ziegen  hatten,  so  zu  sagen,  Anleitung  dazu  gegeben;  der  Esel 
verzehrte  Alles,  was  abseits  wuchs,  es  mochte  noch  so  stachlicht, 
hart  und  klebrig  sein,  und  die  Ziege  ging  mit  Vorliebe  den  jungen 
Blattern  der  Straucher  und  Baumchen  nach.  So  wurden  die  Zweige, 
die  bei  Schneitelung  des  Oelbaumes  und  des  Weinstockes  abfielen, 
den  Thieren  vorgeworfen  und  im  Herbste  das  welke  Laub  gesammelt 
und  zum  Unterhalt  des  Viehs  benutzt.  Da  dies  nicht  ausreichte, 
so  erfolgte  der  weitere  Schritt,  die  Rander  der  Aecker  und  die 
Graben  und  Wege  einfach  und  doppelt  mit  Reihen  von  Baumen  zu 
bepflanzen,  die  zugleich  Holz  zur  Feuerung  und  zu  landlichen  Werk- 
zeugen  und  ihr  Laub  zur  Nahrung  des  Viehes  und  zur  Streu  ab- 
gaben.  So  fiihrte  die  siidliche  Form  des  Ackerbaues  zu  Laub- 
f  utter  ung  und  Forstgartnerei.  Schon  Cato  30  ertheilt  die  dem 
Ohr  des  nordischen  Landwirthes  seltsam  klingende  Vorschrift:  Gieb 
dem  Ochsen  Laub  von  Ulmen,  Pappeln,  Eichen  und  Feigenbaumen, 
so  lange  du  davon  hast;  den  Schafen  gieb  griines  Baumlaub,  so  Jange 
du  solches  hast  u.  s.  w.  ,  und  54,  2  wiederholt  er:  Hast  du  kein 
Heu,  so  gieb  dem  Ochsen  Eichen-  und  Epheublatter.  Auch  bei  den 


406  Arbutus.     Medica.     Cytisus. 

spatern  landwirthschaftlichen  Schriftstellern  wird  diese  Art  Futterung 
so  oft  erwahnt  und  vorausgesetzt ,  dass  sich  an  ihrer  Allgemeinheit 
nicht  zweifeln  lasst.  An  diesem  Punkte  sehen  wir  besonders  deutlich, 
wie  sehr  die  siidlich-antike  Bodenwirthschaft  von  der  neuern  in  nor- 
dischen  Breiten  sich  unterschied  und  noch  unterscheidet ;  die  letztere, 
die  grosseren  Raum  hat,  nimmt  die  Gaben  aus  der  Hand  der  Natur 
mehr  direkt  entgegen,  die  erste  verdankt  Alles  sich  selbst  und  lebt 
wie  in  einer  zweiten ,  selbstgeschaffenen  Welt ,  von  der  aus  gesehen 
die  rohe  Natur  in  unabsehbar  weiter  Ferne  liegt.  Auch  die  Alten 
aber  mussten  bemerken,  dass  nicht  jedes  Baumlaub  geeignet  war, 
den  Pflugstier  kraftig,  das  Schlachtvieh  fett,  die  Milchkuh  ergiebig 
zu  machen,  und  dies  gab  Anlass,  Futterpflanzen,  die  diesem  Zwecke 
besser  entsprachen,  aus  dem  Orient  einzufuhren.  Eine  solche  Er- 
werbung  waren  die  medica  oder  Luzerne  und  der  cytisus,  die  Cato 
beide  noch  nicht  kennt ,  Varro  aber  erwahnt  und  die  also  in  der 
Zwischenzeit  von  der  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr.  bis 
nach  der  Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  in  Italien  verbreitet  wurden. 
Die  (jL^Stx^i  Tioa  oder  fuydixtj,  lat.  medica,  Medicago  sativa  L.,  stammte, 
wie  der  Name  sagt,  aus  Medien,  aus  den  wohlbewasserten,  mit 
iippigern  Pflanzenwuchs  und  saftigen  Triften  gesegneten  Landschaften 
siidostlich  vom  Kaukasus,  vno  ralg  KaffTiioig  rrvhaig,  die  Strabo 
als  so  reizend  schildert  und  denen  er  ausdriicklich  die  gepriesene 
Staude  zuweist,  11,  13,  7:  xal  xr\v  pordvyv  Ss  TYJV  ndfaam  TQeyovaav 
xovg  iTTTiovg  ano  TOV  Tifeovd&w  evxav$a  Idiwg  Mydixyv  xa^ov/aev. 
Besonders  den  Pferden  sollte  ihr  Genuss  zutraglich  sein,  und  den 
Rosse  ziichtenden  und  das  Ross  verehrenden  Persern  wird  denn  auch 
ihre  Verbreitung  zugeschrieben ,  in  genauerer  Angabe  den  Kriegs- 
ziigen  des  Konigs  Darius,  Plin.  18,  144:  Medico,  externa  etiam  Graeciae 
est,  ut  a  Medis  advecta  per  bella  Persarum  quae  Darius  intulit. 
Eine  schone  Bestatigung  dieser  Nachrichten  giebt  der  Name  des 
Luzernerklees  bei  den  Persern  aspest,  wortlich  so  viel  als  Pferdefatter 
(Noldeke  in  ZDMG.  32,  408),  so  wie  die  hohe  Steuer,  die  der  sasa- 
nidische  Konig  Chosroes  I.  (Chosrau,  um  die  Mitte  des  6.  christ- 
lichen  Jahrhunderts)  auf  die  Kultur  dieser  Pflanze  legte  (Noldeke, 
Geschichte  der  Perser  und  Araber  zur  Zeit  der  Sasaniden,  aus  der 
arabischen  Chronik  des  Tabari  iibersetzt,  Leyden  1879,  S.  244  Anm.: 
»bei  der  fiskalischen  Behandlung  der  Luzerne  muss  man  sich  die 
ungeheure  Bedeutung  der  Pferdezucht  im  eigentlichen  Iran  ver- 
gegenwartigen«).  Unter  den  griechischen  Schriftstellern  erscheint  die 
Luzerne  zuerst  bei  Aristophanes  und  zwar  gleichfalls  als  Pferdefutter, 


Arbatvts.     Medica.     Cytisus.  407 


Eq.  606:  foSiov  tie  (ot  imioC]  rovg  TrayovQovg  dvrl  noiag 
Aristoteles  erwahnt  sie  wiederholt,  aber  in  Betreff  ihres  Nutzens  in 
ziemlich  abfalliger  Weise  :  zwar  sollte  sie  den  Bienen  zutraglich  sein, 
hist,  anini.  9,  40  :  (pvTsvfiv  ds  Gv^KpeQSi,  TTSQI  za  (ffjnifvri  ....  TIGCLV 
Mq&xtjv,  aber  ihr  erster  Schnitt  ist  untauglich,  8,  8:  v^g  de  Ttoag 
rrjg  Mydixrjg  f]  nQWTOxovQog  (pavhrj,  und  sie  tentzieht  den  Thieren 
die  Milch,  besonders  den  Wiederkauern  ,  3,  21:  irjg  ds  TQO(prtg  f) 
[lev  ofls'vvvcft,  TO  yd&a,  xal  pdKlGta,  rolg  f.irj()vxa£ovGiv.  In  Italien 
war  das  Urtheil  in  so  fern  ein  anderes,  als  wenigstens  die  Schafe 
durch  Fiitterung  mit  der  Medica  reicheren  Ertrag  an  Milch  geben 
sollten.  Varr.  2,  2,  19:  maxime  amicum  cytisum  et  medica,  nam  et 
pingues  facit  facillime  (oves)  et  genit  lac.  Im  folgenden  Jahrhundert 
ist  Columella  iiber  diese  Futterpflanze  des  Lobes  voll,  2,  10,  25: 
ex  Us  (pabulorum  generibus),  quae  placet,  eximia  est  herb  a  Medica. 
quod  cum  semel  seritur,  decem  annis  durat;  quod  per  annum  delude 
recte  quater,  interdum  etiam  sexies  demetitur;  quod  agrum  stercorat; 
quod  omne  emaciatum  armentum  ex  ea  pinguescit;  quod  aegrotanti 
pecori  remedium  est;  quod  jugerum  ejus  toto  anno  tribus  equis 
dbunde  sufficit.  Da  sie  also  perennirend  ist,  bis  zu  sechs  Mai  im 
Jahre  gemaht  werden  kann,  den  Acker  nicht  erschopft,  sondern  be- 
fruchtet,  das  gesunde  Vieh  fett  macht,  das  kranke  heilt  und  von  einem 
Morgen  Medica  drei  Pferde  das  ganze  Jahr  erhalten  werden  konneii 
-  wie  sollte  sie  nicht  eifrig  angebaut  worden  sein,  besonders  in  den 
verbrannten,  im  Sommer  wasserlosen  Gebirgsgegenden  ,  wo  noch  fur 
das  kletternde  Schaf,  nicht  aber  fur  das  Pferd  und  den  Ochsen  ge- 
niigende  frische  Nahrung  sich  fand.  Die  Staude,  die,  weil  sie  die 
Wurzeln  sehr  tief  treibt,  die  Trockenheit  nicht  scheut,  wird  auch  jetzt 
noch  in  Italien  angebaut,  doch  viel  seltener,  als  im  Alterthum;  die 
Namen,  die  ihr  ausser  medica  je  nach  den  Landschaften  gegeben 
werden,  erba  spagna,  fieno  d'Ungheria,  scheinen  auf  eine  aberrnalige 
Einfiihrung  in  neuerer  Zeit  zu  deuten.  Das  spanische  mielga  ist  nur 
eine  Entstellung  aus  medica,  das  gleichfalls  spanische  alfalfa  stammt 
aus  dem  Arabischen,  ist  aber  vielleicht  eine  andere  Pflanze.  Das 
franzosische  luzerne,  das  auch  in  die  deutsche  Sprache  iibergegangen 
ist,  proven§alische  lauzerdo  ist  etymologisch  dunkel,  denn  die  Her- 
kunft  aus  dem  Schweizer  Kanton  Lucern  oder  dem  piemontesischen 
Oertchen  und  Fliisschen  Luzerna  oder  Luserne  wird,  so  viel  wir 
wissen,  durch  kein  historisches  Zeugniss  belegt.  Der,  wie  es  scheint, 
von  Belgien  ausgegangene  Kleebau  mag  in  Nordeuropa  der  Medicago 
sativa  hinderlich  gewesen  sein.  --  Der  cytisus,  Medicago  arborea  L., 


408  Arbutus.     Medica.     Cytisus. 

1st  ein  Strauch,  dessen  Laub  als  den  Hansthieren  erwiinscht  und 
heilsam  von  Dichtern  und  technischen.  Schriftstellern  des  Alterthuros 
einstimmig  gepriesen  wird.  Wie  der  Maulbeerbaum  in  den  Seide- 
bezirken  und  der  Theestrauch  in  China,  ward  er  nur  seiner  Blatter 
wegen  gebaut  und  inusste  sich  gef alien  lassen,  derselben  in  regel- 
massigen  Fristen  grausani  beraubt  zu  werden.  Man  kopfte  ihn  und 
zog  ihn  niedrig  und  benutzte  also  vorzugsweise  den  immer  erneuten 
Stockausschlag.  Nicht  bloss  dem  eigentlichen  Vieh,  auch  den  Huhnern 
und  Bienen  war  er  zutraglich  und  die  specifische  Wirkung  auf  Ver- 
mehrung  der  Milch  so  augenfallig,  dass  selbst  saugenden  mensch- 
lichen  Miittern  ein  Decoct  aus  Cytisusblattern  mit  Wein  eingegeben 
und  das  Kind  dadurch  gestarkt  und  sein  Wuchs  befordert  wurde. 
Acht  Monat  lieferte  der  Baum  den  Thieren  grimes  Futter,  den  Rest 
des  Jahres  noch  gute  Nahrung  in  getrockneter  Gestalt.  Dabei  sollte 
diese  Kultur  nur  geringe  Kosten  machen,  die  Pflanze  selbst  mit  dem 
magersten  Boden  sich  begniigen  und  gegen  alle  Witterung  und  die 
Unbilden  excessiven  Klimas  unempfindlich  sein.  So  etwa  drucken 
sich  Columella  5,  12  und  Plinius  13,  130  ff.  aus,  wobei  der  letztere 
noch  hinzusetzt,  es  sei  um  so  mehr  zu  verwundern,  dass  der  Cytisus 
in  Italien  nicht  noch  haufiger  sei.  Zu  allererst  sollte  der  Strauch  auf 
der  Insel  Kythnos,  einer  der  Cykladen,  aufgetreten,  von  dort  auf  die 
ubrigen  Inseln,  dann  auf  das  griechische  Festland  und  nach  Italien 
iibergegangen  sein.  Ob  er  auch  nach  Kythnos  von  anderswo  ge- 
kommen,  dariiber  fehlte  die  Nachricht;  in  wie  friihe  Zeit  die  erste 
Benutzung  und  die  Verbreitung  fiel,  wird  nicht  gemeldet.  Das  Wort 
xvuffog  kommt  in  einer  der  pseudo-hippokrateischen  Schriften  (de 
victus  ratione  2,  54.  T.  Ill,  p.  447  Ermerins)  vor,  deren  Zeit  wir 
nicht  bestimmen  konnen,  dann  mit  Sicherheit  bei  den  komischeii 
Dichtern  Cratinns  (in  dem  Fragment,  das  die  Blumen,  die  zu  Kranzen 
dienen,  aufzahlt)  und  Eupolis  (in  dem  beruhmten  Ziegenchor).  Ari- 
stoteles  und  Theophrast  nennen  den  Cytisus,  ein  Athener  Amphi- 
lochus  hatte  liber  ihn  und  die  Medica  eine  eigene  Schrift  geschrieben 
(Plin.  18,  144  und  jetzt  auch  13,  130.  Schol.  Nic.  Ther.  617),  aber 
wann  er  lebte,  wissen  wir  nicht.  Wenn  auch  aus  Democritus  ein 
Ausspruch  uber  den  Cytisus  angefiihrt  wird,  so  fuhrt  dies  auf  kein 
hoheres  Alter,  denn  die  landwirthschaftlichen  Schriften,  die  unter 
dem  Namen  des  beruhmten  Philosophen  gingen,  waren  spatere  Fal- 
schungen.  Ob  nicht  die  Insel  Kythnos  durch  eine  Art  etymologischer 
Sage  zur  ersten  Heimat  dieses  Strauches  oder  seiner  Kultur  ge- 
worden  1st?  Das  griechische  xiniaog  (lateinisch  auch  als  Neutruni 


Arbutus.     Medica.     Cytisus.  409 

cytisum,  aus  dem  Accusativ  xvrcffog)  sieht  wie  ein  einheimisches 
Wort  aus  und  mag  init  xonvog  der  wilde  Oelbaum  und  lat.  cotinus, 
Rhus  cotinus  L.,  verwandt  seiri;  es  konnte  auch  aus  einer  der  Sprachen 
oder  Mundarten  Kleinasiens  stammen,  etwa  wie  xegaGog  im  Ver- 
haltniss  zu  xgdvsia  und  cornus.  In  der  neueren  Landwirthschaft 
spielt  der  Strauch,  so  viel  uns  bekannt  1st,  keine  Rolle  mehr,  bildet 
aber  eine  Zierpflanze  unserer  Garten.  In  den  Lobspriichen,  die  ihm 
die  Romer  ertheilten,  darin  dem  Vorgang  der  Griechen  folgend, 
driickt  sich  wohl  nur  die  Freude  an  dem  neuerfundenen  Futterbau 
iiberhaupt  und  dessen  iiberraschend  wohlthatigem  und  nachhaltigem 
Einfluss  auf  das  Gedeihen  der  ganzen  Wirthschaft  aus. 


*  Dass  Arbutus  Unedo  L.  im  Mittelmeergebiet  seine  ausgedehnte  Verbrei- 
tung  durch  die  Kultur  erhalten  haben  konnte,  wird  jeder  Botaniker,  der  diesen 
Strauch  oder  Baum  in  den  ursprunglichen  Macchien  Griechenlands,  Dalmatiens, 
Italiens,  Corsicas,  Spaniens  mit  anderen  immergriineii  Strauchern  vereinigt 
gesehen  hat,  als  vollig  unmoglich  zuriickweisen,  dagegen  ist  sein  Vorkommen 
bei  Killarney  in  Irland  wohl  auf  Einschleppung  zuriickzufuhren. 

Die  Luzerne,  Medica  (Medicago  saliva  L.)  ist  vom  siidwestlichen  Russ- 
land  durch  Asien  bis  zur  Mongolei,  bis  zum  Tibet  und  Vorderindien  als  ein- 
heimische  Pflanze  verbreitet,  wahrend  die  ihr  nahestehende  und  wohl  nur  als 
Varietat  anzusehende  M.  falcata  L.  von  Mittel-  und  Siideuropa  bis  zum  nord- 
lichen  Sibirien  und  Centralasien  heimisch  ist.  Ueber  Arabien  gelangte  Medicago 
saliva  als  Kulturpflanze  auch  nach  Aegypten.  Medicago  arbor ea  L.  (Cytisus) 
ist  im  Mittelmeergebiet  nicht  sehr  allgemein  verbreitet;  er  findet  sich  in 
Kleinasien  nur  um  Smyrna,  sodann  auf  der  Insel  Rhodes,  auf  den  kleinen 
Cykladen,  in  Griechenland  auf  dem  Lykabetos,  sodann  in  Unteritalien ;  in 
Spanieii  kommt  er  nur  verwildert  vor. 


Lat.  arbutus  hangt  vielleicht  nicht  mit  arbor  zusammen,  sondern 
gehort  zu  ahd.  eriberi  Erdbeere  (Frohde  in  Bezzenbergers  Beitr.  17),  das 
seinerseits  wahrscheinlich  keine  Zusammensetzung  mit  Erde,  sondern  mit 
alts,  erda  Bienenkraut,  Melisse  ist  (doch  vgl.  O.  Bohtlingk  I.  F.  VII,  272). 
Griech.  v-opiapoc,  xdjjiopoc,  xafxapoc,  ngr.  xoofxapYja  (xooxoojAapYp),  xou(j.apa  (vgl. 
G.  Meyer,  Et.  W.  S.  194),  wird  von  Fick,  Vergl.  W.  I4,  383  zu  ahd.  hemera 
Nieswurz,  altsl.  demerit  Gift,  cemerica  ,helleborus' ,  kleinruss.  center  ,nausea{ 
u.  s.  w.  (Miklosisch,  Et.  W.  S.  31)  gestellt,  so  dass  der  griechische  Name  des 
Erdbeerbaums  sich  vielleicht  auf  die  oben  angedeuteten  Wirkungen  der 
Pflanze  bezieht.  Griech.  fAtjjiauuXov  und  otvBpetyXY]  sind  dunkel.  Als  albanesi- 
schen  Nam  en  des  arbutus  nennt  Heldreich  a.  a.  O.  S.  39  mare&,  mars&}  nach 
G.  Meyer  a.  a.  O.  aus  xoofxaptd  entstanden.  Die  Friichte  heissen  kukumatse. 
-  Einen  zweiten  iranischen  Namen  der  Luzerne  (neben  pehl.  aspast,  pers. 
uspusl)  nennt  Tomaschek,  Centr.  St.  II,  61:  pers.  bedah,  Pamird.  bedd:  pi  fett 
sein.  Nach  ihm  wird  in  den  sinischen  Annalen  die  Luzerne,  als  ein  wichtiges 


410  Der  Oleander. 

Erzeugniss  central  -  asiatischer  Gegenden  bezeichnet.  Den  Nanien  Luzerne, 
Liiserne,  schwedische  Luzerne  kennenPritzel  und  Jessen  (Deutsche  Volksn.  d.  PfL 
S.  231  f.)  in  Earn  then,  Bern,  Graubiindten,  Wurttemberg,  Pommern;  da- 
neben  begegnen  Ausdriicke  wie  burgundisch  Gras,  ewiger  Klee,  Medisch 
Kraut,  Sichelklee  und  ahnliche.  -  -  Griech  xonao;  1st  dunkel.  —  Andere 
Futterkrauter  der  Alten,  wie  den  Bockshorn-Klee  (Trigonella  foenum  Graecum  L.), 
TY]Xt<;  oder  (3o6xspac,  die  Lupine  (Lupinus  hirsutus  und  angustifolius  L.), 
behandeln  Neumann-Partsch,  a.  a.  0.  S.  404  ff. 


Der  Oleander. 

(Nerium  Oleander  L.) 

Per  Oleander  oder  Lorbeerrosenbaum  schmiickt  jetzt  in  Griechen- 
land  und  Italien  nicht  bloss  die  Garten,  sondern  begleitet  auch  die 
Wege  und  die  trockenen  Betten  der  Fliisse  mit  seinen  rosenartigen, 
lieblich  duftenden  Bliiten  und  dem  fahlen  Glanze  seiner  langlichen 
immergriinen  Blatter.  Wie  so  manche  andere  Pflanze  clieser  jGegen- 
den  schwebt  er  mitten  inne  zwischen  dem  Kultur-  und  dem  wilden 
Stande  d.  h.  einmal  heriibergebracht,  wusste  er  sich  selbst  zu  helfen 
und  nahm  den  Schein  eines  freien  Naturkindes  an.  So  fand  ihn 
schon  Plinius;  auf  den  ersten  Blick  mochte  er  das  Baumchen  ftir 
eingeboren  in  Italien  halten,  aber  als  er  sich  auf  den  Namen  besann, 
der  ein  griechischer  ist,  rhododendron,  Rosenbaum,  oder  rhodo- 
daphne,  Rosenlorbeer ,  erkannte  er  wohl,  dass  er  einen  Fremdling 
zunachst  ans  Griechenland  vor  sich  hatte,  16,  79:  rhododendron^ 
ut  nomine  adparet,  a  Oraecis  venit;  alii  nerium  vocarunt,  alii 
rhododaphnen ,  sempiternum  fronde,  rosae  similitudine ,  caulilnis 
fruticosum;  jumentis  caprisque  et  ovibus  venemim  estj  idem  ho- 
mini  contra  serpentimn  venena  remedio.  Auch  der  Zeitgenosse  des 
Plinius,  der  Arzt  Dioscorides  kennt  und  beschreibt  den  Strauch  ge- 
nau,  der  als  giftig  zugleich  einen  wirksamen  Arzneistoff  und,  wie  der 
eigentliche  Lorbeer  und  vorziiglich  die  Raute,  ein  Heilmittel  gegen 
Schlangenbiss  abgab,  4,  82:  »vrlQ(,ov)  oder  yododdyvy,  oder  gododev- 
SQOV.  Ein  bekannter  Strauch,  der  langere  und  dickere  Blatter  hat, 
als  der  Mandelbaum«  —  (folgt  die  weitere  Beschreibung,  dann:) 
»er  wachst  in  Paradiesen  und  in  Ut'ergegenden  und  an  den  Fliissen, 
seine  Bliiten  und  Blatter  wirken  schadlich  auf  Hunde  und  Esel  und 
Maulthiere  und  die  meisten  Vierfiissler,  den  Menschen  aber  sind  sie, 
mit  Wein  getrunken,  heilsam  gegen  den  Biss  von  Thieren,  besonders 


Der  Oleander. 

wenn  man  Raute  hinzumengt;  kleinere  Thiere  aber,  wie  Ziegen  und 
Schafe,  sterben,  wenn  sie  einen  Aufguss  da  von  trinken.«  Dass  der 
Oleander  den  Thieren  verderblich  sei,  war  eine  allgemeine  Meinung, 
die  noch  jetzt  herrscht.  Palladius  1,  35,  9  erwahnt  selbst  eines 
Mittels  die  Mause  damit  zu  vertilgen,  indem  man  namlich  deren 
Gange  und  Locher  mit  Blattern  dieses  Baumes  verstopft,  und  die 
bei  Lucian  in  der  lacherlichen  Geschichte  vom  verwandelten  Esel,. 
der  hungrig  in  einen  Garten  bricht,  Asin.  17,  ausgedriickte  Furcht 
vor  den  dort  wachsenden  Oleandern  liegt  noch  dem  heut  zu  Tage 
in  Siiditalien  gebrauchlichen  Namen  amazza  Vasino,  Eselmorder,  als 
Volksmeinung  zu  Grunde.  In  der  romischen  Kaiserzeit  also  1st  der 
Rosenlorbeer  bei  den  Aerzten  und  im  gemeinen  Leben  so  haufig 
und  bekannt,  wie  noch  jetzt.  Sehen  wir  uns  bei  den  alteren  Grie- 
chen  um,  aus  deren  Sprache  die  Namen  desselben  stammen,  so- 
treffen  wir  nirgends  eine  Spur  von  dem  doch  so  auffalligen  Gewachse 
an.  In  Theophrasts  beiden  botanischen  Werken  findet  sich  in  der 
langen  Reihe  der  von  ihm  beobachteten  oder  auch  nur  voriiber- 
gehend  erwahnten  Pflanzen  keine,  die  auf  den  Oleander  passte, 
denn  der  auf  Lesbos  und  anderswo  wachsende ,  teVGLVVpos  genannte 
Baum  h.  pi.  3,  .18,  13,  der  zwar  auch  den  Schafen  und  Ziegen 
todtlich  ist,  aber  Bliiten  tragt  wie  das  weisse  Veilchen,  die  nach 
Mord  (pdvov,  riechen,  (was  Plinius  13,  118  iibersetzt:  pestem  de- 
nuntians),  ist  kein  anderer  als  Evonymus  latifolius,  der  Spindel- 
baum.  Eben  so  wenig  stossen  wir  bei  Aristoteles  oder  einem  Ko- 
miker  oder  sonst  einem  der  friiheren  Prosaiker  oder  Dichter  auf 
eine  dahin  zu  beziehende  Notiz.  Der  andere  griechische,  zuerst  bei 
Plinius  und  Dioscorides  auftretende  Name  VIJQIOV  konnte  uns  ver- 
fiihren,  der  Pflanze  dennoch  ein  hohes  Alterthum  in  Griechenland 
beizulegen;  schliesst  sich  derselbe  namlich  an  das  tragische  va'QO$, 
vrjQog  fliessend,  an  Nereus,  den  Wassergott,  und  die  Nereiden,  die 
Gottinnen  des  feuchten  Elements,  und  sagt  er  also  soviel  als  Wasser- 
pflanze  aus,  so  muss  er  jener  friihen  Periode  der  Sprachbildung  an- 
gehoren,  aus  der  diese  alterthiim lichen  Wort-  und  Fabelzeugen  in 
die  jiingere  Welt  herabgestiegen  waren.  Allein,  wenn  der  Oleander 
es  auch  liebt,  die  Rinnen  der  Bache  und  die  kiesigen  Schluchten, 
in  denen  sich  voriibergehend,  oft  nur  einige  Stunden  lang,  die  wil- 
den  Wasser  hinabstiirzen ,  von  beiden  Seiten  in  langen  bliihenden 
Reihen  zu  verfolgen,  so  ist  er  doch  keine  eigentliche  Wasserpflanze 
und  ersteigt  auch  die  Berge ;  und  sollte  die  liebliche  Blume  mit  ihrem 
Mandelduft,  wenn  sie  schon  so  friihe  Griechenlands  Landschaften  zierte, 


412  I>er  Oleander. 

oder  das  den  Ziegen  und  Eseln  todbringende  Laub  nirgends  in 
Literatur  und  Mythus  einen  Widerhall  gefunden  haben?  Von 
einem  spateren  Schriftsteller,  der  in  der  zweiten  Halfte  des  ersten 
•christlichen  Jahrhunderts  lebte,  und  alleiiei  Sagen,  personliche  Vor- 
falle  und  wunderbare  Ziige  sammelte,  dem  Ptolemaus  Chennus  aus 
Alexandrien  (auszugsweise  erhalten  in  des  Photius  Bibliothek),  er- 
fahren  wir,  eine  Rhododaphne  sei  auf  dem  Grabe  des  Amycus  ge- 
wachsen  und  wer  davon  genoss,  sei  zum  Faustkampf  angeregt  worden 
(p.  148  b.  Bekk.).  Es  ist  derselbe  Amycus  und  dasselbe  Grab,  von 
denen  schon  fruher  bei  dem  Lor  beer  die  Rede  gewesen.  Was  dort 
dem  Lorbeer  zugeschrieben  wurde,  die  Kraft  die  Sinne  zu  verwirren 
und  zu  Streit  zu  verftihren,  das  wird  hier  dem  Oleander  bei- 
gelegt ;  aber  wie  alt  ist  diese  Variante,  und  aus  welcher  triiben  Quelle 
mag  Ptolemaus  sie  abgeleitet  haben?  -  -  Bei  all  dem  ist  nicht  un- 
wahrscheinlich ,  dass  der  Baum  aus  Kleinasien  und  speziell  der 
Pontusgegend,  dem  Vaterland  der  Gifte,  und  Gegengifte  nach  Griechen- 
land  heriiberwanderte.  Dort  lebten  z.  B.  die  Sanni,  ein  Volk,  dessen 
Honig  betaubende  Kraft  hatte:  man  suchte  die  Ursache  davon  in 
den  Bliiten  der  Oleanderbiische  wovon  dort  alle  W alder  voll 
war  en,  Plin.  21,  23,  45:  aliud  genus  in  eodem  Ponti  situ,  gente 
Sannorum,  mellis  quod  ab  insania  quam  gignit  maenomenon  va- 
cant. Id  existumatur  contrahi  flore  rhododendri  quo  scatent  sil- 
vae;  gensque  ea,  cum  ceram  in  tributa  Romanis  praestent,  mel, 
quoniam  exitiale  est,  non  pendit88).  Noch  jetzt  wuchert  der  Oleander 
in  ganz  Kleinasien  an  den  Bachen  und  auf  den  Bergen;  mehr  nach 
Siiden,  in  dem  Gebiet  der  semitischen  Race,  tragt  er  bei  den  Ara- 
bern  den  sichtlich  aus  dem  griechischen  ddpvq  abgeleiteten  Namen 
difleh,  defle,  difna,  ist  also  nicht  vor  der  Bekanntschaft  mit  den 
Griechen  dort  eingefiihrt  worden. 

Nach  Allem  kann  der  Oleander  erst  in  der  Zeit  zwischen  Theo- 
phrast  und  etwa  den  letzten  Zeiten  der  romischen  Republik  nach 
Griechenland  gekommen  sein,  nach  Italien  entsprechend  spater.  Die 
alteste  literarische  Erwahnung  ware  die  in  dem  Vergilischen  Culex, 
v.  402: 

Laurus  item  Phoebi  surgens  decus;  Me  rhododaphne  - 

wenn  wir  sicher  sein  konnten,  dass  dieses  Gedicht  wirklich  ein 
Jugendwerk  dessen  ist,  dem  es  zugeschrieben  ward84).  Sehen  wir 
davon  ab,  so  erscheint  der  Name  zuerst  ein  Jahrhundert  spater  bei 
Scribonius  Largus,  wahrend  er  bei  Celsus  noch  fehlt;  bald  darauf 
ist  das  Gewachs,  wie  schon  bemerkt,  Jedermann  in  Italien  bekannt: 


Der  Oleander. 

zuerst  war  es  in  den  Garten  (Dioscorides :  ev  TiaQadstcroig)  der 
Zierde  wegen  angepflanzt  worden,  dann  verbreitete  es  sich  auch  im 
freien  Lande  um  so  schneller,  als  Ziege  und  Esel,  die  Feinde  aller 
jungen  Baumchen,  die  nichts  aufkommen  zu  lassen  pflegen,  es  ver- 
schonten,  und  von  da  an  leuchten  die  hellrothen  Oleanderrosen,  ver- 
mischt  mit  den  sanften  blauen  Bliiten  des  Vitex  Agnus,  wie  ge- 
wundene  rothliche  Bandstreifen  an  beiden  Ufern  der  vom  Gebirge 
herabkommenden  Wasserrinnen  Siideuropas.  Das  Volk  in  Italien 
aber  verwandelte  das  ihm  schwierige  griechische  Wort  rododendronr 
unter  Anlehnung  an  laurus ,  allmahlig  in  das  heutige  oleandro, 
leandro,  das  in  alien  Sprachen  und  auch  in  der  wissenschaftlichen 
Botanik  gilt;  nur  die  Neugriechen  sagen  gewohnlich  mxQoddcpvrj  oder 
bittrer  Lorbeer. 


*  Die  Gattung  Nerium,  deren  bekanntester  Vertreter  N.  Oleander  L.  ist,. 
existirte  in  Europa  schon  wahrend  der  jungeren  Kreideperiode  und  zwar  war 
sie  damals,  wie  auch  noch  wahrend  der  Tertiarperiode  in  Mitteleuropa  ebenso- 
wie  in  Siideuropa  anzutreffen.  Schon  in  der  jfingsten  Tertiarperiode  existirte 
eine  unserem  jetzigen  Oleander  verwandte  Pflanze  in  Siidfrankreich  (Mexi- 
mieux  und  Valentine).  Auf  Grund  dieser  Thatsache  ist  es  ganz  un- 
moglich,  dass  der  Oleander  erst  in  historischen  Zeiten  nach 
Europagelangtist,  nur  ist  seine  Nordgrenze  in  Folge  der  Glacialperiode  weiter 
nach  Siiden  verschoben  worden.  Wer  jemals  das  Glfick  gehabt  hat,  die  weit- 
hin  von  rothbliihenden  Oleanderbuschen  eingefassten  Gebirgsbache  der  Sierra 
Morena  in  Spanien  zu  sehen  oder  wer  in  den  Wtisten  Algiers  dichte  Oleander- 
biische  als  Wahrzeichen  eines  zeitweise  Wasser  fiihrenden  Oueds  leuchten 
sah,  wird  schwerlich  auf  den  Gedanken  kommen,  dass  dieser  Strauch  durch 
den  Menschen  in  jene  Gebiete  eingeschleppt  sei.  Er  ist  hier  ebenso  heimisch 
wie  in  Griechenland,  Kleinasien  und  Syrien. 


**  Auch  wenn  der  Oleander  keine  eigentliche  Wasserpflanze  ist,  so 
konnte  er  doch  nach  seiner  in  die  Augen  fallenden  Eigenschaft,  die  .Laufe 
der  Bache  zu  begleiten,  die  von  alien  Beobachtern  hervorgehoben  wird,  v-qpiov 
benannt  sein,  wenn  dies  namlich  zu  vvjpo?  gehort.  An  einer  volksthiimlicheii 
griechischen  Benennung  des  Oleanders  wtirde  es  also  nicht  fehlen.  Doch 
bleibt,  wenn  man  von  deni  Indigenat  der  Pflanze  im  ganz  en  Mittelmeer- 
gebiet  ausgeht,  die  Thatsache  bestehen,  die  dann  kaum  erklarbar  ware,  dass 
die  Alten  bis  auf  Plinius  und  Dioscorides  eine  so  charakteristische  Pflanze 
der  sudlichen  Landschaft  nicht  genannt  hatten. 

Sicher  ist  wohl,  dass  der  Oleander  nicht  aus  dem  pontischen  Gebirge 
nach  Griechenland  gekommen  ist,  da  nach  den  iiberzeugenden  Ausfiihrungen 
Kochs  (Baume  und  Strancher  S.  117  fF.),  der  den  Pontus  gerade  mit  Riick- 
sicht  auf  diese  Fragen  bereist  und  durchforscht  hat,  Nerium  Oleander  L.  wild 
hier  tiberhaupt  nicht  vorkomint.  Nach  ihm  stamme  nnsere  Pflanze  aus  dem 


414  Die  Pistazie. 

iberischen  Westen  und  sei  erst  im  15.  oder  16.  Jahrhundert  nach  Italien  und 
•Griechenland  gekommen.  Neumann-Partsch  (Physikalische  Geographic  S.  396) 
stimmen  ihm  in  ersterem  Punkte  zu,  halten  aber  an  der  Ideiititat  des 
v-rjpiov  des  Dioscorides  mit  unserem  Oleander  fest,  wahrend  Koch  in  ersterem 
Rhododendron  ponticum,  die  pontische  Alpenrose,  erkannt  hatte.  Nach 
Neumann-Partsch  ware  also  der  Oleander  ebenfalls  von  Spanien,  aber  vor 
Dioscorides  und  Plinius  in  Griechenland  eingewandert.  -  -  Als  auf  Kreta 
geltenden  Namen  des  Nerium  Oleander  nennt  Heldreich,  die  Nutzpflanzen. 
Oriechenlands  S.  31  ocpaxoc. 


Die   Pistazie. 

(Pistacia  vera  L.) 

Die  kostliche  Pistaziennuss,  die  auch  in  nordischen  Landern  den 
Zuckerbackern  und  Glaciers  zu  einem  ihrer  feinsten  Ingredienzen 
•dient,  wachst  auf  einem  kleinen  Baume  mit  gewiirzhaft  duftenden 
Blattern  aus  der  Familie  der  Terebinthaceen.  Sie  gleicht  an  Grosse 
«iner  Haselnuss,  ist  langlich-dreikantig  gestaltet  und  schliesst  einen 
griinen,  eng  anliegenden,  mandelartigen  Kern  ein.  Das  Vaterland 
•des  Baumes  ist  das  warmere  Mittelasien,  sein  Name  scheint  persisch80). 
Im  semitischen  Syrien  war  er,  wenn  die  Deutung  nicht  triigt,  frtihe 
zur  Zeit  der  Erzvater,  und  dann  wieder  ganz  spat,  als  im  Abend- 
lande  schon  die  romische  Republik  ins  Kaiserthum  umschlug,  wegen 
seiner  Friichte  hochgeschatzt.  Aber  da  die  alteren  Griechen  von 
Pistazien  nichts  wissen,  kann  der  Handel  dieselben  in  jener  friiheren 
Zeit  noch  nicht  den  europaischen  Kiisten  zugefiihrt  haben.  Erst 
nachdem  Alexander  der  Grosse  das  Herz  des  Welttheils  aufgeschlossen 
hatte ,  taucht  von  dorther  die  erste  Kunde  von  dem  Baume  und 
seinen  Niissen  auf,  die  die  Einen  der  Mandel,  die  Anderen  der  Pignole 
vergleichen,  und  erst  in  der  ersten  Halfte  des  ersten  Jahrhunderts 
nach  Chr.,  wird  uns  berichtet,  brachte  ein  Homer  die  Pflanze  selbst 
aus  Syrien  nach  Italien  hinuber  und  gleichzeitig  ein  anderer  nach 
Spauien. 

Als  die  Briider  Josephs,  von  der  Hungersnoth  gedrangt,  zum 
zweiten  Mai  nach  Aegypten  zogen,  nahmen  sie  kostbare  Geschenke 
mit,  den  Vezir  des  Pharao,  in  dem  sie  ihren  Bruder  nicht  vermuthe- 
ten,  damit  giinstig  zu  stimmen.  Unter  den  erlesenen  Landesfriichten, 
die  bei  dieser  Gelegenheit,  Genesis  43,  11,  aufgefiihrt  werden,  stehen 
neben  Mandeln  auch  latnim  d.  h.  nach  der  Uebersetzung  der  Septua- 
ginta,  der  Vulgata,  der  arabischen  und  syrischen:  Terebinthen- 


Die  Pistazie.  415 

be  ere  n;  da  diese  aber,  wenn  sie  auch  in  manchen  Gegenden  ge- 
gessen  werden,  doch  in  keinem  Falle  zu  den  Leckerbissen  gehorten, 
die  des  Mitnehmens  und  Darbringens  werth  gewesen  waren,  so  suchte 
zuerst  Bochart  Geogr.  sacra  II,  1,  10  den  Beweis  zu  fiihren,  es  seien 
vielmehr  Pistazien  gemeint.  Olaus  Celsius  im  Hierobotanicon  1,  24 
stimnite  ihm  bei  und  seitdem  scheint  die  Sache  ausgemacht  zu  sein. 
Ein  Urn  stand  aber  bleibt  dabei  bedenklich:  dass  namlich  seit  Jakobs 
und  Josephs  Zeiten  der  Baum  wie  verschollen  ist,  die  Griechen  ihn 
nicht  kennen  und  erst  Theophrast,  offenbar  in  Folge  von  Alexanders 
Ziigen,  nicht  von  Syrien,  sondern  von  Baktrien  her  von  dieser 
neuen  wunderbaren  Art  Terebinthus  durch  Horensagen  Kenntniss 
hat.  So  kann  man  sich  der  Vermuthung  nicht  erwehren,  ob  nicht 
erst  die  persische  oder  gar  erst  die  griechisch-syrische  Herrschaft 
den  Baum  in  die  Gegend  der  von  den  syrischen  Konigen  neu  ge- 
griindeten  Stadt  Beroea,  Berroea,  des  heutigen  Aleppo  (J.  Oppert, 
Expedition  scientif.  en  Mesopotamie,  1,  p.  39),  gebracht  habe.  Die 
Stelle  des  Theophrast  lautet,  h.  pi.  4,  4,  7:  »Man  sagt  aber,  dass 
es  eine  Terebinthe  gebe  oder  nach  Andern  einen  der  Terebinthe  ahn- 
lichen  Baum,  bei  dem  zwar  Blatt  und  Aeste  und  alles  Uebrige  tere- 
binthenartig  sei,  nur  die  Frucht  eine  andere,  denn  die  letztere 
gleiche  der  Mandel.  Diese  Terebinthe  komme  in  Baktrien  vor  und 
trage  Nusse  wie  die  Mandeln  und  diesen  an  Aussehen  ahnlich,  nur 
dass  die  Schale  nicht  rauh  sei,  an  Geschmack  aber  und  zum  Ge- 
nusse  weit  vorziiglicher  als  die  Mandeln,  daher  sie  auch  bei  den 
Eingeborenen  mehr  im  Gebrauch  seien «  (wiederholt  von  Plinius 
12,  25).  Die  Beschreibung  ist  richtig,  obgleich  sie  bloss  auf  einem 
(pad  tfsivai  ruht,  der  Name  aber  fehlt  noch.  Dieser  erscheint  erst 
bei  Nicander  im  folgenden  Jahrhundert,  aber  die  Pflanze  wachst  auch 
bei  diesem  Dichter  noch  am  indischen  Strome  des  Choaspes,  des 
Flusses  von  Susa,  Theriac.  890: 

Und  wie  viel  nur  dort  an  des  brausend  wilden  Choaspes 
Indischem  Strom  gleich  Mandeln  Pistazien  tragen  die  Aeste. 

Der  erste,  der  der  syrischen  Pistazien  erwahnt,  ist  dann,  wieder 
ein  Jahrhundert  spater,  der  Stoiker  und  Geschichtsschreiber  Posi- 
donius  aus  Apamea  in  Syrien,  also  ein  Kind  des  Landes  selbst,  bei 
Athen.  14.  p.  649:  »In  Arabien  und  Syrien  wachst  auch  die  Persea 
und  die  sogenannte  Pistazie  (TO  xahovfisvov  piardxiov,  also  ein  noch 
neuer  Name),  welche  eine  traubenformige  Frucht  tragt,  weissschalig 
und  lang,  ahnlich  den  Thranen  (rolg  daxgvois  so  auch  bei 

M tiller,  Fragm.   6;  die  friiheren  Herausgeber   haben   hier 


416  Die  Pistazie. 

oder  xctQvoig  verrnuthet),  diese  sitzen  wie  die  Weinbeeren  iiber  ein- 
ander ;  innerlich  sind  sie  griinlich  und  stehen  den  Pinienkernen  an 
Geschmack  zwar  nach,  haben  aber  schoneren  Duft.«  Die  Spatereii 
wissen  Alle,  dass  Syrien  und  namentlich  Aleppo  diese  Frucht  in 
hochster  Vollkommenheit  hervorbringt,  so  Dioscorides  1,  177 :  mGtdxia 
TO.  fJLSV  yswajfusva  sv  2vQL%,  OIIOLCI  GiQofittois,  €vtit6[Lia%a.  Plin. 
13,  51 :  Syria  —  peculiaris  hdbet  arbores:  in  nucum  genere  pistacia 
nota.  Galen,  de  simpl.  medic,  temperamentis  et  facult.  8,  21  (Tom. 
12  Kiihn.):  TuGidxcov .  sv  2vQiy  Tchelffrov  yevvarcu,  TOVTO  TO  cpvwv. 
Idem  de  aliment,  facult.  2,  30  (T.  6  Kuhn.):  neql  TUGraxiwv.  Fsv- 
vaiat  xal  xaia  r^v  [itydhrjv  'AfoxavSgeiav  (der  Baum  war  also  schon 
noch  Aegypten  verpflanzt),  Ttohv  Tiheuo  tfsv  BsQQoly  xr^g  SvQCaq. 
Nach  Europa  und  zwar  nach  Italien  versetzte  den  Baum  Vitellius, 
nach  Spanien  zu  derselben  Zeit  der  romische  Bitter  Flaccus  Pom- 
pejus,  Plin.  15,  91:  haec  autem  (pistacia)  idem  Vitellius  in  Italiam 
primus  intulit  simulque  in  Hispaniam  Flaccus  Pompejus  eques 
Romanus  qui  cum  eo  militabat',  L.  Vitellius,  der  nachher  Censor 
wurde,  war  zur  Zeit  des  Kaisers  Tiberius  Legat  in  Syrien  gewesen 
und  hatte  seine  Anwesenheit  in  jener  Provinz  dazu  benutzt,  mancher- 
lei  Gartenfriichte  von  dort  auf  sein  Landgut  bei  der  Stadt  Alba 
zu  versetzen  -  -  wie  Plinius  kurz  vorher  15,  83  berichtet  hatte.  Ob 
die  Pistazien  am  letztgenannten  Orte  gediehen,  wird  uns  nicht  ge- 
sagt;  da  aber  die  Stadt  Alba  nicht  weit  vom  Fuciner  See,  dem  vor 
Kurzem  abgeleiteten  lago  di  Celano,  also  mitten  im  rauhen  marsi- 
schen  Gebirge  liegt  (der  See  fror,  als  er  noch  bestand,  mitunter  zu) 
und  es  noch  heut  zu  Tage  der  Pistazie  in  Nord-  und  Mittelitalien 
zu  kalt  ist,  so  wird  wohl  auch  L.  Vitellius  an  diesem  Theil  seiner 
Pflanzung  wenig  Freude  gehabt  haben.  In  Calabrien  und  Sicilien 
liess  sich  der  Baum  eher  naturalisiren ;  dort  liefert  er  jetzt  Friichte 
zur  Ausfuhr,  die  indess  fur  nicht  so  gewiirzhaft  gelten,  wie  die 
orientalischen.  Da  die  Pistazie,  wie  alle  Terebinthaceen,  eine  dioci- 
sche  Pflanze  ist,  so  sichert  auch  bei  ihr,  wie  bei  der  Dattelpalme, 
die  Hand  des  Gartners  die  Befruchtung,  indem  er  die  Bliitenrispe 
des  mannlichen  Baumes  kiinstlich  mit  der  des  weiblichen  in  Be- 
rahrung  bringt.  Sehr  gewohnlich  ist  es,  den  gemeinen  Terpentin- 
baum  mit  einem  Pistazienreis  zu  veredeln.  Ob  die  sicilischen  Pista- 
zien iibrigens  aus  der  Zeit  des  L.  Vitellius  und  iiberhaupt  aus  der 
Romerzeit  oder  erst  aus  der  Epoche  der  arabischen  Herrschaft 
stammen,  konnte  fraglich  erscheinen,  zumal  da  der  sicilische  Name 
fastuca  dem  arabischen  gleicht ,  wenn  nicht  Palladius  in  seinen 


Der  Terpentinbaum.  417 

Biichern  de  re  rustica  wiederholt  iiber  Pflanzung  und  Kultur  der 
Pistazien  Unterricht  gabe.  Palladius  besass,  wie  er  selbst  berichtet, 
4,  10,  16,  Giiter  in  Sardinien,  und  auf  dieser  warm  en  Insel  konnte 
allerdings  der  zartliche  medisch-syrische  Baum  theilweise  seine  ur- 
spriingliche  Heimat  wiederfinden.  Ware  der  Orient  nicht  im  Garten- 
ban,  wie  in  allem  Uebrigen,  so  tief  in  Barbarei  versunken,  die 
Pistazienzucht  konnte  dort  unter  Volkern,  die  dem  Sorbetto  und 
alien  Sussigkeiten  leidenschaftlich  zugethan  sind,  fur  den  Pflanzer  ge- 
winnreich  werden.  Noch  immer  ist  der  Pistazienhain  von  Aleppo  weit 
und  breit  beruhmt;  von  Persien  berichtet  Polak  (Persien,  2,  S.  47): 
» Pistazien  ziehen  ausschliesslich  die  Bewohner  von  Kaswin  und 
Damgan  und  zwar  in  uniib  ertref  flic  her  Qualitat.«  Dort  also 
ist  auch  der  erste  Ausgangspunkt  des  Baumes  zu  suchen. 

Zu  den  Charakterpflanzen  der  Mittelmeerflora  gehoren  die  nahen 
und  entfernteren  Verwandten  der  Pistazie:  Pistaeia  Lentiscus, 
der  sog.  Mastixbaum,  der  mehr  in  Form  von  immergriinen  Ge- 
biischen  in  der  siiditalischen  Kiistenregion  haufig  ist,  dort  aber  keinen 
Mastix  und  aus  seinen  Beeren  auch  nur  ein  herbes,  hochstens  zum 
Brennen  dienliches  Oel  giebt;  Pistaeia  Terebinthus,  der  Ter- 
pentinbaum, der  in  Italien  oft  seine  Blatter  abwirft  und  nur  ganz 
im  Siiden  als  immergruner  Strauch  auftritt,  in  Europa  keinen  Ter- 
pentin  liefert,  auch  keine  essbaren  Beeren  tragt;  Rhus  Co  tin  us, 
der  Perriickenbaum  (warum-  er  so  heisst,  weiss  Jeder,  der  den 
Baum  nach  der  Bliite  und  die  einem  verwirrten  Haarschopf  ahnlichen 
Riickstande  derselben  gesehen  hat);  endlich  Rhus  Coriaria,  der 
eigentliche  Sumach,  dessen  Blatter  in  getrocknetem  und  gepudertem 
Zustand  den  vorziiglichsten  Gerbestoff  fur  feine  farbige  Lederarbeiten 
aus  Ziegenfellen  Mr  Saffian,  Corduan,  Maroquin  abgeben,  jetzt  in 
Sicilien  allgemein  angebaut  und  einer  der  wichtigsten  Exportartikel 
der  Insel. 

Ob  diese  Baume  oder  Straucher,  alle  balsamisch  immergrun, 
gerbstofflialtig,  der  Schmuck  sudlicher  Felsenufer,  von  Urbeginn  zu 
der  europaischen  Flora  gehort  haben  oder  gleich  der  Myrte  erst  an 
der  Hand  des  Menschen  von  Asien  eingewandert  und  dann  verwildert 
sind,  erscheint  zweifelhaft.  In  Europa  halten  sie  sich  an  dem  warmen 
siidlichen  Rande  des  Welttheils  und  wagen  sich  nicht  weit  nach 
Norden,  wie  doch  echt  italienische  Gewachse  zu  thun  pflegen;  sie 
erscheinen  in  Strauchgestalt,  wahrend  ihre  Briider  in  Asien  zu  statt- 
lichen  Baum  en  aufwachsen ;  sie  liefern  kein  balsamisches  Harz,  keine 
essbaren  Frlichte,  kein  duftendes  Oel,  oder  nur  in  dem  Masse,  als 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  27 


418  Der  Terpentinbaum. 

sie  sich  dem  warmeren  Asien  nahern;  zu  ihrer  Einfiihrung  konnten 
ihre  medicinischen  Krafte,  ihr  technischer  Nutzen,  der  aromatische 
Duft  und  Geschmack  ihres  Harzes  und  ihrer  Beeren,  endlich  auch 
religioser  Wahn  das  Motiv  abgeben.  Unter  ihnen  1st  der  Sumach 
technisch  am  wichtigsten,  die  Terebinthe  historisch  am  interessan- 
testen.  Der  Terpentinbaum  weist  uns  in  die  alteste  Zeit  nach 
Persien.  Die  Perser  sind  Terebinthenesser :  als  Astyages,  Konig  der 
Meder,  auf  dem  Throne  sitzend,  erblicken  musste,  wie  die  Seinigen 
von  den  Schaaren  des  Cyrus  geschlagen  wurden,  da  rief  er:  wehe ! 
wie  tapfer  sind  diese  terebinthenessenden  Perser!  Nicol.  Damasc. 
ed.  Miiller.  66,  59.  p.  404:  ol  fioi  rovg  TCQfjiiv&oyidyovg  IleQaag,  ola 
aQiGtsvovGi.  Ael.  V.  H.  3,  39,  die  Arkader  assen  Eicheln,  die  Perser 
aber  Terebinthen:  pahdvovg  *Aj>xd3ee  •  .  .  dslTtvov  sl%ov  .  .  .,  TSQfjitv- 
&ov  de  xal  xd^Sa^ov  HsQaat.  Unter  den  fiir  die  Tafel  der  persi- 
schen  Konige  taglich  zu  liefernden  Artikeln,  deren  Betrag  neben 
anderen  Gesetzen  auf  einer  ehernen  Saule  im  Palast  eingegraben 
stand,  findet  sich  auch  Terebinthenol,  Polyaen.  Strat.  4,  3,  32: 
Ihatov  dno  ZSQ^CV^OV  rcevre  ^a^sc,  das  also  auch  der  Konig  zur 
Speise  nicht  missen  wollte.  Die  Jugend  der  Perser  wurde  angehalten, 
im  freien  Felde  zu  leben  und  sich  von  Terebinthen,  Eicheln  und 
wilden  Birnen  zu  nahren,  Strab.  15,  3,  18:  xal  xaQTtolg  dygtois 
XgrjtfO-cu,  rsQjucv^w ,  dgvoftahdvoig,  a%gdSt,,  Terebinthen  wuchsen  auf 
dem  Paropamisus:  Als  Alexander  nach  Bactri ana  zog,  kam  er  durch 
eine  furchtbare  Bergwiiste,  sie  war  ganz  baumlos,  Terebinthengebiisch 
ausgenommen,  Strab.  15,  2,  10:  n^v  xsg^iCv^ov  &ajnvwdovg  ohCyrjt; 
(hier  Pistacia  vera  zu  verstehen,  wie  Sprengel  zu  Dioscorides  und 
nach  ihm  Ritter  wollen,  ist  kein  Grund).  Zu  Dioscorides'  Zeit  lie- 
ferte  der  Baum  vorzugsweise  in  der  Region,  die  den  Wohnplatz  der 
semitischen  Volker  bildet,  das  hochgeschatzte  Terpentinharz ,  1,  91: 
»das  Harz  dieses  Baumes  komrnt  aus  dem  petraischen  Arabien;  er 
wachst  aber  auch  in  Judaa  und  Syrien  und  Cypern  und  Libyen  und 
auf  den  Cycladen« ,  und  schon  friiher  hatte  Theophrast  die  hohen 
machtigen  Terebinthusbaume  der  Umgegend  von  Damascus  mit  dem 
niedrigen  Terebinthengebiisch  des  Idagebirges  und  Macedoniens  in 
Contrast  gesetzt,  h.  pi.  3,  15,  3:  »die  Terebinthe  ist  am  Idagebirge 
und  in  Macedonien  klein,  strauchartig,  gewunden,  bei  Damascus  in 
Syrien  aber  hoch,  zahlreich  und  stattlich:  dort  sagt  man,  ist  ein 
Berg  ganz  voll  von  Terebinthen,  neben  welchen  nichts  Anderes  wachst 
(dasselbe  bei  Plinius  13,  54).  Im  Alten  Testament  hat  der  Baum 
religiose  Bedeutung  und  zwar  um  so  mehr,  je  alter  die  Zeit  ist,  um 


Der  Terpentinbaum.  419 

die  es  sich  handelt.  Die  beerentragende  Terebinthe  ist,  wie  die 
eicheltragende  Eiche,  von  der  sie  nicht  immer  zu  unterscheiden  ist, 
der  Urbaurn ,  unter  dem  die  Erscheinung  des  Gottlieb  en  empfangen 
und  der  Altar  errichtet  und  das  Opfer  dargebracbt  wird.  Abraham 
erhob  seine  Hiitte  und  kam  und  wohnte  bei  den  Terebinthen  Mamre, 
die  zu  Hebron  sind,  und  baute  daselbst  dem  Herrn  einen  Altar 
(Genes.  13,  18).  Und  dort  ward  ihm  die  Erscheinung  des  Herren 
und  dessen  Verheissung  (Genes.  18).  Die  Statte,  wo  der  Baum  des 
Abraham  gestanden  hatte,  war  noch  lange  Jahrhunderte  geweiht:  die 
dortige  Terebinthe  sollte  so  alt  sein,  wie  die  Welt,  Joseph,  de  bell, 
jud.  4,  9,  7:  »man  zeigt  aber  sechs  Stadien  von  der  Stadt  eine  sehr 
grosse  Terebinthe,  die  seit  Erschaffung  der  Welt  dastehen  soll.« 
Euseb.  demonstrat.  evang.  5,  9:  »daher  wird  bis  auf  den  heutigen 
Tag  der  Ort  von  den  Umwohnern  als  ein  heiliger  verehrt  wegen  der 
daselbst  dem  Abraham  gewordenen  Erscheinung ,  und  auch  die 
Terebinthe  ist  noch  dort  zu  sehen.«  Auch  die  ferner  Wohnenden, 
Phdnizier  und  Araber,  kamen  dort  zusammen,  spendeten  Wein, 
schlachteten  Opferthiere,  schiitteten  Gaben  in  die  Quelle,  und  wie 
gewobnlich  war  mit  dem  religiosen  Dienst  Handel  und  Wandel, 
Waaren-  und  Marktverkehr  verbunden.  Wegen  des  Grauels  solcher 
Baum-  und  Quellvergotterung  befahl  Kaiser  Constantin  der  Grosse, 
auf  Andringen  seiner  Mutter,  der  heiligen  Helena,  den  Altar  zu  zer- 
trummern,  die  Bildsaulen  zu  verbrennen  und  eine  christliche  Kapelle 
an  die  Stelle  zu  setzen  (Sozomen.  h.  e.  2,  3).  Eine  andere  heilige 
Terebinthe  war  die  des  Jacob  zu  Sichem  (Genes.  35,  4),  unter  der 
zu  Josuas  Zeit  die  Bundeslade  stand  und  von  Josua  ein  steinerner 
Altar  errichtet  wurde  (Jos.  24,  26);  dort  versammelten  sich  noch  zur 
Zeit  der  Richter  alle  Manner  von  Sichem  und  machten  Abimelech 
zum  Konige  (Richter  9,  6).  Auch  zu  Gideon  kam  der  Engel  des 
Herrn  unter  einer  Terebinthe  zu  Ophra  und  Gideon  baute  daselbst 
einen  neuen  Altar,  nachdem  er  die  Aschera  der  Midianiter  umgehauen 
hatte  (Richter  6,  11  ff.).  Todte  wurden  unter  Terebinthen  begraben, 
Genes.  35,  8:  Da  starb  Debora,  der  Rebecca  Amme,  und  ward  be- 
graben unter  Beth  El,  unter  der  Eichen  (Terebinthe),  und  ward  ge- 
nennet  die  Klageiche.  In  spaterer  Zeit,  da  der  Jehovakultus  geistiger 
geworden  war,  ist  es  den  Propheten  besonders  anstossig,  dass  den 
kanaanitischen  Heiden  die  Baume,  darunter  die  Terebinthen,  heilig 
sind,  z.  B.  JIos.  4,  13:  Oben  auf  den  Bergen  opfern  sie  und  auf  den 
Hiigeln  rauchern  sie ,  unter  den  Eichen,  Pappeln  und  Terebinthen, 
denn  die  haben  feine  Schatten.  Ezech.  6,  13:  dass  ihr  erfahren 

97* 


420  Mastixbaum.     Perriickenbaum.     Sumach. 

sollet,  Ich  sei  der  Herr,  wenn  ihre  Erschlagenen  unter  ihren  Gotzen 
liegen  werden,  um  ihren  Altar  her,  obeu  auf  alien  Bergen,  und  unter 
alien  griinen  Baumen  und  unter  alien  dicken  Eichen  (Terebinthen). 
Gerade  diese  Verehrung  aber  inochte  friihzeitig  dazu  beigetragen  haben, 
dass  der  Baum  sich  an  die  Kiisten  Europas  verbreitete.  Lieferte  er 
indess  schon  in  Asien  nur  geringe  Mengen  des  kostbaren,  heilkraftigeii 
reinen  Terpentins,  so  biisste  er  in  Europa  mit  der  Hohe  des  Wuchses 
auch  die  Kraft,  diesen  auszuscheiden,  ganzlich  ein;  einige  griechische 
Inseln,  wie  Chios,  etwa  ausgenommen.  Was  man  schon  bei  den 
Romern  und  auch  jetzt  noch  unter  Terpentin  versteht,  wird  von 
Pinus  Picea  und  dem  Larchenbaum,  larix,  gevvonnen  und  komrnt 
dem  echten  Terpentin  naturlich  nicht  gleich.  Das  Geigenharz, 
Kolophonium  genannt,  trug  diesen  Namen  schon  im  Alterthum, 
Koko<f(Qvia  Tcfada,  weil  es,  wie  Dioscor.  1,  93  berichtet,  ehemals  aus 
dem  kleinasiatischen  Kolophon  bezogen  wurde. 

Der  Mastixbaum,  ff/tvog,  wird  unter  diesem  Namen  zuerst 
bei  Herodot  4,  177  genannt.  Das  Harz  des  Baumes,  H%0fCjFJ,  hatte 
seinen  Namen  von  der  Sitte,  es  zu  kauen  (juacfraCo)  kauen,  jicacmc£ 
Mund),  wie  aus  dem  Holze  auch  beliebte  Zahnstocher  gemacht  wurden. 
Die  Einwohner  der  Insel  Chios,  wo  viel  Mastix  gewonnen  wird,  kauen 
noch  jetzt  bestandig  dieses  Harz,  womit  sie  nicht  bloss  einen  an- 
genehmen  Athem  zu  gewinnen,  sondern  auch  ihrer  Gesundheit  zu 
dienen  glauben.  Es  gehort  dieser  Gebrauch,  wie  das  Betelkauen, 
mit  zu  dem  System  des  orientalischen  Miissiggangs,  kann  sich  indess 
neben  dem  amerikanischen,  in  der  ganzen  Welt  gemein  gewordenen 
Tahakrauchen  immer  noch  mit  Ehreii  sehen  lassen.  Der  lateinische 
Name  lentiscus,  eine  Ableitung  von  lentus,  ist  entweder  von  der  zahen, 
klebrigen  Beschaffenheit  des  Harzes  oder  von  der  Biegsamkeit  der 
Aeste,  die  als  Reitgerten  beliebt  sind,  hergenommen. 

Der  Perruckenbaum,  Rhus  Cotinus,  findet  sich  bei  Theophrast 
h.  pi.  3,  16,  6  unter  dem  Namen  xoxxvyea  (so  ist  der  Text  nach 
Plin.  13,  121  und  Hesych.  v.  xexoxxvyatpevqv  sicher  festzustellen)  er- 
wahnt.  Dass  dieser  Baum,  der  zum  Rothfarben  diente,  eins  ist  mit 
Rhus  Cotinus  L.,  geht  aus  dem  Zusatz  des  Theophrast  hervor:  Idiov 
SB  M%et,  TO  exTtotTinovdfjai,  TOV  XUQTIOV.  UaTinoq  ist  namlich  eben 
jenes  grosse  rothliche  Gefieder  der  Fruchtrispen,  von  dem  der  Baum 
seinen  deutschen  Namen  hat. 

Der  Sumach,  Rhus  Coriaria,  wird  unter  dem  Namen  §ovg  sehr 
friihzeitig,  namlich  schon  von  Solon,  also  am  Anfang  des  6.  Jahr- 
hunderts,  genannt,  Phot.  p.  491,  21:  §ovv  w  ydvfffia.  26/toov.  Die 


Der  Sumach.  421 

Beeren  bildeten  also  ein  Gewiirz,  'fjdvGfLta,  das  die  Speisen  schmack- 
haft  machte,  wie  Myrtenbeeren  oder  wie  jetzt  der  Pfeffer  und  die 
Citrone.  Dioscor.  1,  147:  §ovg  o  enl  TO,  oifja,  ov  svioi  SQV&QOV 
xahovfft,  xa^Ttog  stfn  Trjg  xa^ovfusvrjg  ^vQ^odsipcxr^q  ooog.  'Eyvtyog 
1st  ein  haufiger  Beiname  dieser  Frucht,  und  vielleicht  liegt  dieselbe 
Wurzel  dem  Namen  §ovg  zu  Grunde,  der  entweder  auf  griechischem 
Boden  oder  in  einer  verwandten  kleinasiatischen  Sprache  danach  ge- 
bildet  wurde.  Dann  wurde  der  Sinn  mit  dem  von  xoxxvysa  zu- 
sammentreffen,  wie  auch  beide  Baume  sich  nahe  stehen.  Schon  die 
Alten  brauchten  die  Blatter  des  Gewachses,  das  nach  seinem  Vater- 
lande  Syrien  bei  Celsus  und  Scribonius  Largus  rhus  syriacus  heisst, 
als  Gerberlohe;  dass  es  aber  in  Sicilien,  wo  es  jetzt  das  beste  Pro- 
dukt  giebt,  erst  seit  der  arabischen  oder  mittelgriechischen  Zeit  an- 
gebaut  wird,  verrath  der  Name  sommaco,  Sumach,  der  dem  arabischen 
sommdq  und  byzantinischen  aovpdxi  bei  Du  Cange  ganz  gleich  ist. 
Fur  die  Kultur  des  Sumach  sind  iibrigens  die  Inseln  Sardinien  und 
Sicilien ,  so  wie  manche  Provinzen  der  pyrenaischen  Halbinsel  wie 
geschaffen,  denn  gleich  dem  Opuntiencactus  zieht  er  steriles  Stein- 
geroll  und  diirren  Felsengrund  jedem  anderen  Boden  vor  und  findet 
darum  in  jener  Erdgegend  einen  fast  unbeschrankten  Verbreitungs- 
raum.  Aucb  hat  der  Anbau  seit  einem  Menschenalter  reissende 
Fortschritte  gemacht:  im  Jahre  1875  fiihrte  der  Hafen  Palermo  Su- 
mach zum  Werthe  von  rnehr  als  17  Millionen  Lire  aus  (nach  Theo- 
bald Fiscl.er,  Beitrage,  S.  124). 

Unter  dem  Raucherwerk  des  warmeren  Asiens,  den  ^-v^udjuaia 
und  aQi^iara,  wird  von  den  Alten  haufig  auch  des  Styraxharzes 
gedacht,  welches  die  Phonizier  zu  Herodots  Zeit  nach  Griechenland 
ausfiihrten,  Herod.  3,  107:  vijv  Gtvgaxa  .  .  .  vyv  lgc'EMqvaq  Qoivixeg 
Qdyovoi.  Vielleicht  aber  hatten  diesen  syrischen  Baum  die  Pho- 
nizier friihe  auch  um  ihre  europaischen  Niederlassungen  anzupflanzen 
gesucht.  Zwar  Theophrast,  da  wo  er  die  lange  Reihe  asiatischer 
aromatischer  Substanzen  auffiihrt,  darunter  auch  die  OIVQO%,  h.  pi. 
9,  7,  3:  olg  [ASV  ovv  fig  ia  aQw^iaia  /(JcovreM,  (T/fc^bv  rdde  lad 
xaaCa  xcvd^KofjLov  .  .  .  ffrvQet%,  IQI$  u.  s.  w.  fiigt  gleich  hinzu,  mit  Aus- 
nahme  der  Iris  gehore  nichts  davon  Europa  selbst  an:  Ix  yag  avifg 
EvQWTiTjg  ovdev  eanv  ^co  r^g  Igidog.  Aber  bei  der  bootischen  Stadt 
Haliartus,  in  einer  Landschaft,  an  die  sich  Ueberlieferungen  friiher 
phonizischer  Kultur  und  religiosen  Verkehrs  mit  der  Insel  Kreta 
kniipfen,  wuchsen  nicht  weit  von  der  Quelle  Ktaaovffa,  in  der  die 
Ammen  den  neugeborenen  Bacchus  abgewaschen  hatten,  Styraxbaume, 


422  Der  Sumach. 


Plut.  Lys.  28,  7:  ot  tie  Kgrjaiot,  arvQaxsg  ov  TTQOGVO 
und  die  Haliartier  bestatigten  dam  it,  dass  Rhadamanthys  bei  ihnen 
gewohnt  habe,  und  wussten  auch  sein  Grab  noch  aufzuzeigen.  Von 
Kreta  kam  auch  spater  noch  Styrax,  doch  wurde  dieser  natiirlich 
nicht  fiir  den  besten  gehalten,  Plin.  12,  25,  55:  styrax  laudatur  .  .  . 
ex  Pisidia,  Sidone,  CyprOj  Greta  minume  —  wenn  die  Lesart  richtig 
ist.  Die  Baumchen  von  Haliartus  lieferten  wohl  gar  keinen  Ertrag, 
aber  zu  Lanzenschaften  mochte  ihr  Holz  wohl  dienen.  Die  la- 
tinisirte  Form  storax  beweist  iibrigens,  dass  dies  bei  Opfern  beliebte 
Raucherwerk  friihe  nach  Italien  kam,  ganz  wie  wir  dies  aus  der 
lateinischen  Benennung  des  Quittenbaums  schlossen,  dem  den  Alien 
zufolge  der  Styraxbaum  ahnlich  sehen  sollte. 


*  Die  Pistazie,  der  Terpentin-,  Mastix-  und  Perriickenbaum, 
sowie  der  Sumach  gehoren  der  Familie  der  Anacardiaceae  an,  deren  Arten 
alle  durch  einen  mehr  oder  minder  grossen  Harzreichthum  ausgezeichnet  sind. 

Ueber  das  urspriingliche  Vorkommen  der  im  ganzen  Mittelmeergebiet 
kultivirten  echten  Pistazie  (Pistacia  vera  L.)  giebt  uns  K  op  pen  (Geo- 
graphische  Verbreitung  der  Holzgewachse  des  europaischen  Russlands  etc. 
S.  164  ff.)  ausfuhrlich  Aufschluss.  Am  Zarafshan,  auf  den  Bergen  im  Osten 
von  Pendshakend,  fast  unter  40°  n.  Br.  legte  der  Reisende  Al.  Lehmann 
1841  eine  Strecke  von  50  Werst  meist  durch  Pistaziengeholz  zurtick  und  neuer- 
dings  wurde  sie  dort  auch  von  Cap  us  als  wildwachsend  constatirt;  sie  findet 
sich  ferner  im  Tschotkalthal  und  im  nordostlichen  Winkel  Kokans  um 
1100 — 1200  m,  sodann  im  Gebirge  Bai'sson.  Haufig  kommt  sie  in  Hissar  vor, 
endlich  in  Baktrien  und  Syrien. 

Der  Mastix strauch  (Pistacia  Lentiscus  L.)  ist  als  Bestandtheil 
immergruner  Macchien  im  ganzen  Mediterrangebiet  von  Syrien 
und  Palastina  bis  nach  den  kanarischen  Inseln,  auch  in  Nord- 
afrika  sicher  endemisch.  Hierftir  ist  auch  der  Umstand  von  Be- 
deutung,  dass  in  Siidfrankreich  zwei  fossile  Formen,  P.  oligocenica  Marion 
und  P.  narbonensis  Marion,  gefunden  wurden,  welche  der  jetzt  lebeuden 
P.  Lentiscus  nahestehen. 

Der  Terpentinbaum  (Pistacia  Terebinthus  ~L,)  ist  ebenfalls  durch  das 
ganze  Mediterrangebiet  verbreitet,  er  entfernt  sich  mehr  von  den  Ktisten  als 
die  vorige  Art  und  wird  z.  B.  in  Tyrol  nordwarts  noch  bei  Bozen,  in  Frank- 
reich  bei  Capdenac  angetroffen.  An  das  Areal  dieser  Art  schliesst  sich  im 
Osten  dasjenige  der  naheverwandten  P.  Khinjuk  Stocks  an,  welche  in  den 
Steppengebieten  Vorderasiens  und  des  westlichen  Himalaya  auch  im  mittleren 
Aegypten,  ostlich  vom  Nil  in  der  Wtiste  vorkommt.  Andere  nahestehende 
Arten  sind  P.  mutica  Fisch.  et  Mey.,  im  ostlichen  Mediterrangebiet  von  Kon- 
stantinopel  und  Kleinasien  bis  Afghanistan,  sowie  P.  atlantica  Desf.  von  den 
Kanaren  durch  das  vordere  afrikanische  Mediterrangebiet  bis  Cypern.  End- 
lich wird  der  Endemismus  des  Terebinthentypus  im  sudlichen  Europa  durch 


Der  Sumach.  423 

das  Vorkommen    einer  der  P.  TereUnthus   nahestehenden    Art    (P.    miocenica 
Saporta)  im  Tertiar  Siidfrankreichs  dargethan. 

Der  Sumach  (Rhus  Coriaria  L.)  1st  nicht  bloss  im  ganzeii  Mittel- 
meergebiet,  sondern  auch  in  Makaronesien  heimisch. 


**  Wenn  hebr.  botnim  Pistazien  sind,  so  ist  die  Frucht  auf  semitischem 
Boden  sehr  alt,  da  das  Wort  sich  auch  irn  Assyrischen  (butnu)  findet;  vgl. 
E.  Schrader,  Monatsb.  d.  Ak.  d.  W.  zu  Berlin  1881  S.  419  und  F.  Delitzsch 
Assyr.  Handw.  S.  171.  Dass  botnim  so  zu  iibersetzen  sei,  vertritt  auch 
Wetzstein  in  den  Nachtragen  zu  Low's  Aram.  Pflanzennamen  S.  420:  » \Venn 
die  Terebinthe  im  Alten  Testament  'elah  heisst,  so  wird  b-t-n  in  der  Bibel- 
sprache  nicht  die  Terebinthe  oder  deren  Frucht  sein ,  sondern  gewiss  nur 
die  Pistazie,  und  wenn  die  Araber  botum  und  botm  jetzt  von  der  Terebinthe 
gebrauchen,  so  ist  das  eine  Uebertragung  von  Verwandtem  auf  Verwandtes. 
Und  warum  soil  die  Pistazie  kein  »Landesprodukt«  sein  (gegeniiber  Low 
a.  a.  0.  S.  69,),  wenn  sie  sich  noch  in  vorziiglicher  Qualitat  8  Std.  nordlich 
von  Damaskus  in  Malula  findet?  Noch  heute  sind  die  grossten  Pistazien 
eine  Lieblingsnascherei  der  vornehmen  Harems -Damen  in  Aegypten  und 
Syrien.  Dagegen  ist  die  Frucht  der  Terebinthe  nicht  essbar,  weil  niemand  den 
erbsengrosseii  harten  Kern  knacken  wird,  um  den  linsengrossen  Inhalt  her- 
auszuholen.  Die  Friichte  der  Terebinthe  sind  in  Palastina  werthlos;  nur  die 
armsten  Bauern  mahlen  sie  auf  der  Handmiihle,  um  Brennol  gratis  zu'haben.« 
Pas  griech.  niotdxiov  ist,  worauf  schon  die Unsicherheit  des  Anlauts  ('|;wTdxiov,  cpifcd- 
xtov,  ptotaxtov,  TUGidxtov,  lat.  psittatium,  ngr.  ^ittdxia,  vgl.  H.  Bliimner,  Maximal- 
tarif  d.  Diocletian  S.  94)  hinweist,  sicher  ein  Fremdwort,  und  zwar  wird  das 
Original  doch  wohl  (vgl.  Anrn.  85)  in  pers.  pista,  pistan  Pistazienwald  vorliegen 
(kurd.  fystiq,  arab.  ftistaq,  armen.  fstoul,  alb.  fsst'.k,  altsl.  pistiku  u.  s.  w.,  Miklo- 
sich,  Tiirk.  Elem.  S.  61). 

Viel  ungewisser  ist,  ob  das  griech.  Tspefkv&oc,  dessen  altere  Form  tip- 
fxivftoc,  TpEfxiftcx;  lautete  (vgl.  auch  das  kyprische  TpejAiftou;,  nach  der  Terebinthe 
benannt,  sowie  it.  trementina),  als  Fremdwort  zu  gelten  hat.  Jedenfalls  findet 
es  weder  im  Semitischen  noch  im  Iranischen  eine  Ankniipfung.  Das  Anm.  85 
genannte  kurd.  dariben  ist  dar-i-ben  zu  trennen,  vgl.  dar-i-zeitun  Oelbaum,  dar-i-fiki 
Feigenbaum  u.  s.  w.  (Jaba-Justi  S.  170),  so  dass  fur  den  Begriff  Terebinthe 
nur  die  Laute  ben,  bei  Lerch  benJc  iibrig  bleiben.  Geht  man  von  Tspjjuvtto?  als 
von  einer  echt  griechisch  Form  aus,  so  konnte  dieselbe  durch  das  anklingende 
und  suffixgleiche  ipspivO-o?  verstummelt  worden  sein,  zumal  die  Erbse  eine 
gewisse  Aehnlichkeit  mit  der  Frucht  der  Terebinthe  hat.  Neugr.  xoxxopetovja 
»Beerenharz«,  alb.  kokorets  i  trasz  die  Friichte  der  Terebinthe  (Heldreich 
a.  a.  O.  S.  59,  G.  Meyer  a.  a.  O.  S.  195).  Die  oligen  Friichte  auf  Chios 
xCtxooSa.  Ueber  die  Terebinth  en  bei  den  Israeliten  vgl.  Wetzstein  im  Vor- 
wort  zu  Kochs  Baumen  und  Strauchern,  sowie  Riehrn  im  Bibellexicon.  — 
Griech.  o'/ivo?,  alb.  Bkind.  Heldreich  60)  und  jAaotixf]  (daraus  kurd.  mstekki,  ngr. 
jxaait^i,  alb.  mastiJi),  sowie  lat.  lentiscus  sind  einheimische  Worter.  Wie  lat. 
hntiscus,  dessen  Zweige  als  Keitgerten  beliebt  waren,  mit  lat.  lentus  (oben 
S.  420)  zu  verbindeii  ist,  so  stellt  sich  vielleicht  jAaattxY]:  jj.aott£,  fidott? 
Peitsche  (vgl.  mein  Reallexikon  u.  Peitsche).  Ausfiihrlich  wird  die  Ge- 


424  Pfirsich.     Aprikose. 

winnung  des  Harzes  in  den  Mastixdorfern  von  Chios  —  ta 
von  Heldreich  S.  60  beschrieben.  Der  alb.  Name  der  Friichte  ist  kokorets  i 
ho\s.  Griech.  poo?  lasst  sich  mit  poooto?  aus  *poofr-to-?  braunroth  vereinigen. 
Man  hatte  von  einer  urspriinglichen  Deklination  *£oo(Ks,  *pooO--6?  auszugehn, 
die  in  Folge  des  Nominative  poo?  in  die  Annlogie  von  poo?  :  peu>  tiberging. 
Die  altere  Form  des  Genitivs  von  £00?  Sumach  war  aber  poo,  nicht  poo?  (vgl. 
Lobeck,  Phrynichus  S.  87).  Das  Lateinische  hat  neben  rhus,  rkois  die  popu- 
lare  Entstellung  ros ,  roris  (Keller,  Lat.  Volksetymologie  S.  61).  Bei  diesem 
Wort,  sowie  bei  lat.  terebinthus  aus  Tspsf^vfto?  wird  sich  die  Entlehnung  seitens 
der  Romer  aus  dem  technischen  Gebrauch  der  beiden  Pflanzen  erklaren,  den 
man  von  den  Griechen  lernte.  Im  Neugriechischen  heisst  der  Sumach  von 
seiner  Verwendung  in  der  Gerberei  ^opoYjdt  (  :  (36poa).  —  Bezeichnend  fiir  die 
Aehnlichkeit,  welche  man  zwischen  Styrax  und  Quittenbaum  fand  (oben 
S.  422),  ist  der  neugr.  Name  des  ersteren  4j  <3cypta  xo&umjd  (Heldreich  38). 


Pfirsich,  Aprikose. 

(Amygdalus  Persica  L.,  Prunus  Armeniaca  L.) 

Beide  Baunie  stammten,  wie  ihre  Namen  lehren,  aus  dem  inneren 
Asien,  noch  jenseits  des  Kirschenlandes,  und  wurden  im  ersten  Jahr- 
hundert  der  Kaiserherrschaft  in  Italien  bekannt.  "Weder  Cato,  Varro, 
Cicero  oder  sonst  ein  Schriftsteller  der  republikanischen  Zeit,  noch 
ein  Dichter  des  augusteischen  Alters  weiss  etwas  von  ihnen,  und 
eben  so  wenig  die  alteren  Griechen,  so  weit  sie  uns  erhalten  sind. 
Erst  als  sich  die  romische  Staatsmacht  seit  Mithridates'  Untergang 
theils  direkt,  theils  mittelbar  bis  zu  den  Thalern  Armeniens  und  an 
den  Siidrand  des  kaspischen  Meeres  erstreckte  und  zwischen  ihr  und 
dem  Partherreiche  die  Grenze  ungewiss  schwankte  und  die  Bezie- 
hungen  in  Krieg  und  Frieden  hin-  und  hergingen,  da  schlossen  sich 
allmahlig  auch  die  Naturschatze  dieser  fremdartigen,  fruchtreichen 
Gegenden  auf  und  wurden  theilweise  nach  Italien  hiniibergeleitet. 
Die  Citrone,  »die  schwer  ruht  als  ein  goldener  Ball«,  konnte,  ehe 
der  Baum  selbst  von  einem  Europaer  erblickt  war,  im  Abendland 
bewundert  werden  —  schneidet  sich  doch  jetzt  der  b'artige  Kaufmann 
in  Archangel,  der  nachste  Nachbar  des  ewigen  Polareises,  frische 
Citronenscheiben  in  seinen  chinesischen  Thee  — ;  nicht  so  die  weich- 
liche  Aprikose  und  der  schmelzende  Pfirsich,  denn,  nach  Plinius' 
Wort,  non  aliud  fugacius.  Indess,  gegen  die  Mitte  des  ersten  Jahr- 
hunderts  nach  Chr.  hatten  gewerbsame  Gartner  diese  Fruchtbaume 
in  Italien  angepflanzt  und  liessen  sich  die  ersten  gewonnenen  per- 


Pfirsich.     Aprikose.  425 

sischen  Aepfel  und  armenischen  Pflaumen  theuer  bezahlen.  S.  Plin.  15, 
cap.  11 — 13,  S.  10 — 13.  Dass  die  Namen  Anfangs  schwankten  und 
«rst  spater  constant  wurden,  war  bei  so  seltenen,  unbekannten,  aristo- 
kratischen  Friichten,  die  deni  Blick  und  der  Zunge  der  Menge  erst 
nach  und  nach  vertraut  wurden,  und  bei  dem  Mangel  an  sicherer 
naturwissenschaftlicher  Systematik  nicht  zu  verwundern;  doch  ist 
gerade  hier  die  Geschichte  der  Namen  zugleich  die  der  betreffenden 
Frucht  und  ausserdem  lehrreich  fur  die  Art,  wie  solche  Namen  iiber- 
haupt  im  Volksmunde  entstehen.  Anfangs  wusste  man  nur,  dass  der 
Pfirsich  und  auch  die  Aprikose  hinter  dem  im  engeren  Sinne  so  ge- 
nannten  Asien  ihre  Heimat  batten,  und  man  nannte  sie  demgemass 
persische  Friichte,  die  Aprikosen,  die  der  Pflaume  ahnlich  und  ver- 
wandt  sind,  auch  Friichte  aus  Armenien.  Der  Name  persisch  gab 
Verwechselungen  mit  der  agyptischeu  Persea,  wohl  auch  mit  dem 
medischen  Apfel  oder  der  Citrone,  und  die  Spateren  hatten  die  aber- 
glaubischen  oder  unrichtigen  Vorstellungen  zu  widerlegen,  die  durch 
solche  Irrung  veranlasst  waren.  Weiter  fanden  sich  Abarten  ein, 
deren  besondere  Eigenschaften  durch  sprechende  Beinamen  hervor- 
gehoben  wurden;  so  sagten  die  Obstziichter  von  der  feinsten  Art 
Pfirsiche  duracina,  weil  diese  eine  starkere  Haut  oder  ein  festeres 
Fleisch  hatten,  von  einer  andern  friihe  reifenden  Art  praecoqua, 
jpraecocia.  Letzterer  Name,  ein  auch  sonst  vielfach  angewandter, 
technischer  Gartnerausdruck ,  dessen  erster  Bestandtheil  dem  grie- 
chischen  rtQwt,  deutschen  friih,  genau  entspricht,  musste  aber  be- 
sonders  auf  den  Aprikosenbaum ,  der  nicht  bloss  gleich  der  Mandel 
zeitig  bliiht  und  also  TTQca'iav^g  ist,  sondern  auch  seine  Friichte  als 
TTQw'i'xaQTiog,  hdtif,  hdtiveau,  zeitig  reift,  Anwendung  finden  und  blieb 
zuletzt  als  Appellativum  vollig  auf  ihm  haften.  So  konnte  schon 
Dioscorides  1,  165  sagen:  TO,  Se  JLUXQOISQO,  xahouiueva  aQftwiaxa, 
Qwiiia'iGTl  de  nQaixoxia.  Von  den  Romern  aber  entlehnten  ferner 
•die  Griechen  die  so  in  Italien  fixirten  Namen  —  denn  im  Umschwung 
der  Zeiten  war  die  Bewegung  schon  eine  riicklaufige  geworden,  und 
orientalische  Naturprodukte  gingen  schon  von  Westen  nach  Griechen- 
land  —  und  theilten  sie  wieder  dem  Orient  mit,  der  das  damit  Be- 
zeichnete  urspriingiich  besessen  hatte,  aber  desselben  nicht  bewusst 
geworden  war.  Die  Pfirsiche,  deren  beste  Sorte,  wie  so  eben  be- 
merkt,  die  Hartlinge,  duracina,  gewesen  waren,  hiessen  jetzt  mittel- 
griechisch  und  neugriechisch  (wddxwa,  der  Baum  yodaxivia,  Qoda- 
xwsa,  nach  Salmasius'  wahrscheinlicher  Vermuthung  nichts  als  eine 
Umstellung  des  lat.  duracina,  dwgaxwd,  zu  welcher  in  dem  Anklang 


426  Pfirsich.     Aprikose. 

an  §6dov  die  Rose  eine  Verfiihrung  lag.  Praecoqua,  ngacxoxia  ver- 
wandelte  sich  in  mittelgriechischem  Munde  in  TIQSXVXXIOV  , 
xoxxia,  PSQSXSXXOV,  psQixcoxov,  (IsQvxoxxov,  pegtxovxa,  psg 
und  da  man  in  der  zweiten  Halfte  des  Wortes  das  griechische  xoxxog, 
Kern,  Beere,  oder  xcxxv%,  der  Kukuk,  zu  horen  glaubte,  auch  in 
xoxxoitirjAa,  /ufaov  xoxxvyog,  den  alten  Namen  der  Pflaume  (Lang- 
kavel,  Botanik  der  spateren  Griechen,  S.  5).  Aus  einer  dieser  ent- 
stellten  Formen  bildeten  die  Araber  dann  mit  dem  Artikel  ihr  al- 
barquq,  und  als  dies  sorbettoschliirfende,  nach  Erfrischung  schmach- 
tende  Volk  in  Spanien,  auf  den  Inseln  des  Mittelmeeres  und  in  Siid- 
italien  seine  Garten  anlegte  und  gleichzeitig  in  den  Hafen  seine 
Waaren  ausschiffte,  da  ging  auch  dieses  Wort  in  seiner  arabischen 
Form  in  den  Mund  der  Abendlander  zuriick  und  vollendete  so  seinen 
westostlichen  Kreislauf:  ital.  albercocco,  albicocco,  bacocco,  span,  al- 
baricoque,  daraus  franzos.  abricot,  aus  diesen  wieder  deutsch  Apri- 
kose u.  s.  w.  Auch  armeniacum  hat  sich  in  dem  jetzigen  ital.  tneliaca^ 
muliaca  erhalten,  wie  das  alte  persicum  in  den  heutigen  Formen 
persica,  pesca,  peche,  Pfirsich,  slavisch  je  nach  den  Mundarten  breskva, 
praskva,  broskvincij  magyar.  baraczk  u.  s.  w. 

Schon  zu  Plinius  und  Columellas  Zeit  war  eine  Art  Pfirsich 
der  gallische  genannt,  Plin.  15,  39:  nationum  habent  cognomen 
gallica  et  asiatica.  Colum.  10,  409: 

Quin  etiam  ejusdem  gentis  de  nomine  dicta 
Exiguo  properant  mitescere  Persica  malo. 
Tempestiva  madent,  quae  maxima  Gallia  donat; 
Frigoribus  pigro  veniunt  Asiatica  foetu. 

Da  es  auffallend  ist,  dass  schon  damals,  in  jener  Jugendzeit  der 
Frucht,  Gallien  eine  Abart  erzeugt  hatte,  so  konnte  man  an  Gallo- 
graecia  in  Kleinasien  denken;  doch  wurde  von  diesem  Lande  schwer- 
lich  kurzweg  gatticus,  vielmehr  galaticus,  gesagt.  Der  Pfirsich  ist 
eine  Frucht,  die  leicht  abandert,  und  war  also  in  der  Provence 
schon  eine  grosse  Art  Fruh-Pfirsich  erzeugt  worden,  die  in  Italien 
nach  dieser  Herkunft  benannt  wurde.  Jetzt  ist  die  Frucht  in  unzah- 
lige  Abarten  und  Spielarten  auseinandergegangen,  von  denen  wir  nur 
der  sog.  Nectarinen,  pescanoci,  erwahnen  wollen,  entstanden,  wie  die 
Alten  fabelten,  durch  Impfung  des  Pfirsichs  auf  den  Wamussbaum. 
Von  den  popularen  Aprikosennamen  ist  der  interessanteste  das  nea- 
politanische  crisuommolo,  dem  das  griechische  ^fffo^Aov,  goldener 
Apfel,  zu  Grunde  liegt.  Ghrysomela  war  nach  Plinius  urspriinglich 
Name  einer  Art  Quitten:  als  diese  Frucht  selten  und  die  Aprikose 


Pfirsich.     Aprikose.  427 

haufig  und  beliebt  wurde,  ging  die  poetische  BenennuDg  bei  den  phan- 
tasievollen  Neapolitanern  au£  die  letzte,  und  zwar  auf  die  sogenannte 
Mandelaprikose,  iiber. 


*  Der  Pfirsichbaum  (Prunus Persica  (L.)  Sieb.  et  Zucc.,  Amygdalus  Per- 
sica  L.)  hat  seine  Heimat  hochstwahrscheinlich  in  China,  wo  seit  den  altesten 
Zeiten  viele  Varietaten  kultivirt  werden  und  auch  eine  wildwachsende  Pflanze 
dieses  Typus  P.  Davidiana  (Carr.)  auf  den  Gebirgen  in  der  TJmgebung 
von  Peking,  sowie  in  den  Provinzen  Schensi  und  Kansu  vor- 
kommt.  Es  wird  aber  auch  von  Koyle  angegeben,  dass  der  Pfirsich  im 
siidlichen  Himalaya,  bei  Mussuri  wild  wachst.  Endlich  berichtet  Buhse, 
dass  der  Baum  in  der  persischen  Provinz  Ghilan  wild  vorkomme.  In  Trans- 
kaukasien  scheint  der  Baum  seit  langer  Zeit  verwildert  zu  sein,  wenn  er 
nicht  auch  dort  wirklich  einheimisch  ist  (vgl.  K  op  pen  a.  a.  0.  I.  S.  255).  In 
Aegypten  wurde  der  Pfirsich  sowie  die  Aprikose  in  der  griechisch-romischeii 
Periode  eingefuhrt  (Schweinfurth  in  Verb.  d.  Berlin,  anthropolog.  Ge- 
sellsch.  Sitzg.  vom  18.  Juli  1891).  Auch  ist  erwahnenswerth,  dass,  wie  Comes 
(Illustrazione  delle  piante  rappresentate  nei  dipinti  pompejani,  p.  14)  er- 
wahnt,  bildliche  Darstellungen  der  Pfirsiche  sich  auf  pompejanischen  Wand- 
gemalden  finden. 

Die  Aprikose  (Prunus  Armeniaca  L.)  ist  nicht  in  Armenien  heimisch,, 
wird  auch  dort  nur  selten  kultivirt;  ebenso  ist  sie  in  Transkaukasien  wahr- 
scheinlich  nicht  zu  Hause,  obgleich  sie  dort  haufiger  auch  ausserhalb  der 
Kultur  angetroffen  wird.  Dagegen  kommt  der  Baum  in  Turkestan 
wild  v or,  im  Gebiet  von  Wjernoje  und  im  transilischen  Alatau,  am  See 
Iskander-Kul,  in  Ferghana  in  den  Thalern  des  Pskem  und  Ablatun  urn  1300 
bis  2200  m  (Capus  nach  Koppen  a.  a.  O.  I  S.  259).  In  der  Songarei 
beobachtete  Przewalski  am  Juldus  ganze  Haine  wilder  Aprikosen;  ferner 
findet  sich  der  Baum  im  Himalaya,  in  der  siidlichen  Mand- 
schurei,  im  nordlichen  China  auf  den  Gebirgen  um  Peking,  in  der 
stidostlichen  Mongolei  und  in  Daurien  an  den  Flussen  Ingoda  und 
Schilka. 

**  Im  Jahre  128  v.  Chr.  wurden  in  Folge  der  langjahrigen  Entdeckungs- 
reise  eines  kiihnen  Generals  Tschang-kien  die  Lander  am  Oxus  und  Jaxartes 
den  Chinesen  bekannt.  Seit  dieser  Zeit  entspann  sich  zwischen  China  und 
dem  Volke  der  Ansi,  in  denen  man  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  die 
Farther  vermuthet,  ein  lebhafter  Handelsverkehr ,  der  das  ganze  erste  Jahr- 
hundert  v.  Chr.  andauerte.  Den  weiteren  Waarenaustausch  iibernahmen  die 
Kaufleute  der  Ansi,  die  ihr  eigenes  Land,  sowie  auch  die  angrenzenden 
Distrikte  Vorderasiens ,  Persien,  Syrien,  Mesopotamien  u.  s.  w.  mit  chinesi- 
schen  Giitern  versorgten  (vgl.  F.  Freiherr  von  Richthofen,  China  I,  Berlin  1877 
S.  448  ff.).  Vielleicht  darf  man  annehmen,  dass  unter  der  Gunst  dieser  Ver- 
haltnisse  das  Verbreitungsgebiet  beider  Baume,  namentlich  aber  das  der  Apri- 
kose sich  weiter  westwiirts  ausgedehnt  habe.  In  den  Pamirdialekten,  dem 
aussersten  Posten  idg.  Zunge  gegen  Hochasien,  heisst  die  Aprikose 


428  Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen. 

tsirdh  =  tibetisch  culi  (Tomaschek,  Centralas.  Stud.  II  S.  59).  —  Was  die 
europaischen  Namen  des  Pfirsichs  und  der  Aprikose  anbetrifft ,  so  aussert 
Wetzstein  in  Kochs  Baumen  und  Strauchern ,  Vorrede  S.  17  f .  iiber  das  lat. 
duracina  (arabisch  in  Damascus  duralcina,  in  Syrien  durdlc}  eine  von  der 
H.'schen  abweichende  Meinung:  »In  der  durch  die  Kostlichkeit  ihrer  Baum- 
friichte  und  Trauben  noch  heute  beriihmten  persischen  Provinz  Chuzistan 
(der  alten  Susiana),  deren  Westgrerize  der  vereinigte  Euphrat  und  Tigris  ist, 
liegt  erne  ehemals  bedeutende  Stadt  Durdk,  und  von  dieser  wird  die 
duracina  den  Namen  haben.  In  dieser  Annahme  bestarkt  mich  der 
TJmstand,  dass  die  Komer  auch  eine  uva  duracina  (doch  ebenso  auch  Kirschen 
dieses  Namens  Plin.  XV,  103)  batten,  die  gleichfalls  nach  jener  Stadt  benannt 
sein  wird,  denn  sie  ist  ohne  Zweifel  identisch  mit  der  oben  erwahnten,  durch 
die  Grosse  und  Harte  ihrer  Beeren  merkwiirdigen ,  im  Spatherbst  reifendeii 
Hihvdni-Traube,  welche  von  der  Stadt  Hilwdn  den  Namen  hat.  H.  liegt  aber 
ebenso  wie  Durdk  in  Chuzistdn.<i  Da  lat.  duracinus,  als  Ableitung  von  diirus, 
in  der  angenommenen  Bedeutung  »ausdauernd«  (»Hartling«)  ausser  in  der  An- 
wendung  auf  die  genannten  Frtiche  nicht  vorkommt  (vgl.  jetzt  auch  G.  Goetz 
Thes.  I,  369  s.  v.  Dnracinmri),  so  ist  diese  Erklarung  wohl  zu  beachten.  Zu 
lat.  persicmn  gehort  noch  alb.  pjesk-.  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  342).  —  Unser 
Aprikose  war  urspriinglich  niederdeutsch,  aus  den  Niederlanden  hervorgegangen. 
In  Oberdeutschland  galten  andere  Ausdrticke  wie  osterreichisch-bair.  marillc, 
schweiz.  barelleli,  barillen  u.  s.  w.,  die  man  bei  Pritzel  und  Jessen  S.  311  und 
bei  F.  Kluge,  Et.  "W.  zusammengestellt  und  besprochen  findet.  Den  Sudosten 
unseres  Erdtheils  (Bulgarisch,  Serbisch,  Albanesisch,  Rumanisch,  Griechisch) 
beherrschen  zwei  tiirkisch-persische  Ansdriicke  zerdeli  (parsi  zard-dlu  gelbe 
Pflaume,  kurd.  zerdale;  tiber  pers.  dlu  oben  S.  380^  undtiirk.  kajss(vg\.  Miklosich, 
Tiirk.  El.  S.  86  u.  188).  Vgl.  auch  H.  Blumner,  Der  Maximaltarif  Diocletians 
S.  95.  Asiatische  Namen  bei  Koppen  a.  a.  O.  I.  S.  256,  260. 


Blickt  man  auf  die  lange  Reihe  vori  fruchttragenden  Baumen 
zuriick,  mit  denen  Italien  zur  Zeit  seiner  hochsten  Macht  und  Blute 
sich  bereichert  hatte  -  edlere  Aepfel  und  Birnen,  Feigen  und 
Granaten,  Quitten  und  Mandeln,  Kirschen,  Pfirsiche,  Maulbeeren, 
Pflaumen,  Pistazien  u.  s.  w.  — ,  so  staunt  man  nicht  iiber  die  Aus- 
sage  Varros,  Italien  sei  ein  grosser  Obstgarten,  1,  2,  6:  non  arboribus 
consita  Italia  est,  ut  tota  pomarium  videatur?  und  die  Schilderung 
des  Lucretius:  5,  1376: 

ut  nunc  es»e  vides  vario  distincta  lepore 
omnia,  quae  pomis  intersita  dulcibus  ornant 
arbustisque  tenent  fdicibus  opsita  dream. 

Diese  Umwandlung  hatte  dieselbe  Zeit  gebraucht,  wie  die  Erhebung 
Roms  zum  Centrum  von  Italien  und  Italiens  zur  Herrscherin  der 
Welt.  Die  alteren  Griechen  kennen  die  Halbinsel  noch  als  ein  Land, 
das  im  Vergleich  mit  ihrem  eigenen  und  mit  dem  Orient  einen  nor- 


Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen.  .   .429 

dischen  primitiven  Charakter  trug  und  dessen  Produktion  hauptsachlich 
in  Getreide,  Holz,  Vieh  bestand.  Der  Komiker  Hermippus,  der  in 
der  ersten  Zeit  des  peloponnesischen  Krieges  dichtete,  weiss  unter  den 
Ausfuhrartikeln  Italiens  nur  Graupen  und  Ochsenrippen  zu  nennen, 
Athen.  1,  p.  27: 

ex  S'avT   *IiaMag  ypvdQOv  xal  nkevga  posia. 

Alcibiades  bei  Thucydides  6,  90,  da  wo  er  den  Lace  dam  oniern  die 
Vortheile  eines  Zuges  nach  Sicilien  und  Grossgriechenland  darstellt, 
beruft  sich  auf  den  Reichthurn  Italiens  an  Schiffsbauholz  und  Korn. 
Anderthalb  Jahrhunderte  spater  rechnet  Theophrast,  h.  pi.  4,  5,  5 
Italien  zu  den  wenigen  Landern,  wo  vavwqyvjaiijiog  vKr^,  d.  h.  Schiffs- 
bauholz, vorkomrne.  Als  Hiero  II.  von  Syrakus  sein  von  uns  wieder- 
holt  erwahntes  riesenhaftes  Getreide schiff  von  Stapel  gelassen  hatte, 
da  fand  sich  ein  Baum,  der  zum  Hauptmast  dienen  konnte,  nur  in 
Italien  im  brettischen  Gebirge,  Athen.  5,  p.  208  (also  im  Sila-Walde, 
der  aus  Laricio-Kiefern  besteht;  da  ein  Sauhirt  der  Auffinder  war, 
miissen  diese  auch  mit  Eichen  oder  Buchen  untermischt  gewesen 
sein:  der  Wald  wird  von  Dion.  Hal.  20  fr.  15  Kiessl.  ausfuhrlich  ge- 
schildert.)  Von  ungeheuren,  unwirthlicheii  Waldern  horen  wir  auch 
durch  die  romische  Ueberlieferung.  Den  ciminischen  Wald  bei  dem 
heutigen  Viterbo,  nordlich  von  der  romischen  Campagna,  im  Siiden 
des  etruskischen  Gebietes,  beschreibt  Livius  unter  dem  Jahr  308, 
also  nach  der  Zeit  Alexanders  des  Grossen,  als  so  schrecklich,  wie 
nur  die  von  den  Romern  spater  betretenen  Walder  Germaniens,  9,  36: 
silva  erat  Ciminia  magis  turn  invia  atque  horrenda,  quam  nuper 
fuere  German-id  saltus,  nulli  ad  earn  diem  ne  mercatorum  quidem 
adita.  Und  ahnliche  Farben  braucht  Florus  1,  12  (17):  Ciminius 
interim  saltus  in  medio,  ante  invius  plane  quasi  Caledonius  vel 
Hercynius,  adeo  turn  terrori  erat,  ut  senatus  consult  denuntiaretj 
ne  tantum  periculi  ingredi  auderet.  Als  der  Prator  C.  Manlius  zu 
Anfang  des  zweiten  punischen  Krieges  zum  Entsatze  des  von  den 
Bojern  bedrangten  Mutina  herbeiriickte ,  wurde  sein  Heer  in  den 
unwegsamen  Waldern  fast  aufgerieben,  Liv.  21,  25:  silvae  tune  circa 
viam  erant,  plerisque  incultis  u.  s.  w.  Noch  ubler  erging  es  dem 
Praetor  L.  Postumius  in  der  silva  Litana,  Liv.  23,  24,  von  dessen 
Heere  in  dem  genannten  Walde  fast  kein  Mann  iibrig  blieb.  An 
die  Stelle  solcher  Wildnisse  und  ihrer  Holz-  und  Pech-,  Jagd-  und 
Weideertrage  war  jetzt  eine  Waldung  orientalischer  Obstbaume,  an 
Stelle  der  Fleisch-  und  Breinahrung  der  Alten  der  orientalisch-siidliche 
(Icnuss  an  erfrischendem  Fruchtsaft  getreten.  Die  Vermittler  dieser 


430  Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen. 

Umwandlung  waren  grossen  Theils  selbst  Asiaten  d.  h.  Sclaven  und 
Freigelassene,  die  von  dorther  gebiirtig  waren,  Syrer,  Juden,  Phonizier, 
Cilicier.  Italien  wimmelte  von  ihnen,  lange  vor  Juvenal,  der  sich 
bildlich  beklagt,  es  sei  so  weit  gekommen,  dass  der  syrische  Orontes 
sich  in  den  Tiber  ergiesse,  3,  62: 

Jam  pridem  Syrus  in  Tiberim  defluxit  Orontes. 

Die  semitischen  Sclaven  waren  durch  Arbeitsamkeit,  Ausdauer  und 
leidende  Ergebung  Ideale  dieses  Standes  und  fiir  denselben  wie  ge- 
schaffen,  Cic.  de  prov.  consul.  5,  10:  Judaeis  et  Syris,  nationibus 
natis  servituti.  Schon  Plautus  kennt  sie  als  genus  patientissimum, 
Trinumm.  2,  4,  141: 

Turn  autem  Stirorum,  genus  quod  patientissumumst 
Hominum,  nemo  exstat  qui  ibi  sex  mensis  vixerit. 

Das  rauhe  Kriegsharidwerk  war  nicht  ihre  Sache;  von  den  Soldaten 
xies  Konigs  Antiochus  sagt  der  Legal  T.  Quinctius  bei  Liv.  35,  49: 
Syros  omnes  esse:  haud  pautto  mancipiorum  melius,  propter  servilia 
ingenia,  quam  militum  genus,  und  ganz  ebenso  driickt  sich  der  Con- 
sul M'.  Acilius  vor  der  Schlacht  mit  dem  Konig  aus:  hie  Syri  et 
Asiatici  Graeci  sunt,  levissima  genera  hominum  et  servituti  nata. 
Gartenkunst  aber  und  Freude  an  dem  stillen,  liebevollen  Geschaft 
der  Erziehung  und  Pflege  von  Pflanzen  war  ein  Erbtheil  des  ara- 
maischen  Stammes  von  Alters  her,  oder  vielmehr  das  Ergebniss  einer 
langen,  iiberalten  Kultur  und  des  Bodens,  auf  dem  diese  sich  ent- 
wickelt  hatte,  Plin.  20,  33:  Syria  in  liortis  operosissima  est:  indeqiie 
proverbium  Graecis:  Mult  a  Syrorum  olera.  Wenn  die  romischen 
Aristokraten  aus  jenen  ostlichen  Provihzen  nach  Ablauf  ihres  Jahres 
heimkehrten  und  manche  schone  Frucht,  die  dort  auf  ihre  Tafel  ge- 
kommen war,  nach  Italien  und  auf  ihre  Villen  zu  versetzen  wiinschten, 
da  boten  sich  ihnen  erfahrene  Gartner  in  Menge  dar,  die  beim  Transport 
und  der  Anpflanzung  behiilflich  waren  und  zur  Belohnung  die  Freiheit 
erhielten  oder  wenigstens  eine  milde  Behandlung  erfuhren.  Die  gleiche 
Geschicklichkeit  der  den  Syrern  benachbarten  und  stammverwandten 
Cilicier  war  in  Aller  Munde,  seitdem  Vergil  in  der  schonen,  viel- 
bewunderten  Episode  des  vierten  Buches  seiner  Georgica  den  Garten 
des  corycischen  Greises  bei  Tarent  und  die  von  ihm  auf  ganz  ste- 
rilem  Boden  erzielte  Fiille  des  Geniuses  und  der  Friichte  gepriesen 
hatte.  Wenn  einige  Grammatiker  den  Corycius  senex  des  Dichters 
so  verstehen  wollten,  dass  mit  diesem  Beinamen  eben  nur  die  Meister- 
schaft  oder  die  Art  und  Weise  des  Gartners,  nicht  seine  Herkunft, 
bezeichnet  werde,  so  setzt  die  Moglichkeit  dieser  Deutung  eben  einen 


Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen.  431 

auch  abgeseheii  von  Vergil  bestehenden  allgemeinen  Ruhm  cilicischer 
Gartenkunst  voraus. 

Die  syrischen  Sclaven  brachten  aber  neben  anderen  sinnlichen 
Verfiihrungsdiensten  des  Orients  auch  das  orientalische  Raffinement 
in  Behandlung  der  Thiere  und  Pfianzen  mit.  Wie  die  Entmannung, 
die  Circumcision  und  die  Bastarderzeugung,  war  dort  auch  die  Zu- 
stutzung  der  Baume  und  die  Vermischung  der  Fruchtarten  durch 
Impfen  und  Pfropfen  von  friihe  an  ublich.  Die  geflissentlich  er- 
zeugten  Monstrositaten ,  die  sorgfaltig  bewahrten  Naturspiele,  die 
Kiinsteleien  mit  der  Kraft  des  Wachsthums,  dies  Alles  war  freilich 
nur  derselbe  Trieb  in  seiner  Ausartung,  der  die  Olive  und  den  Dattel- 
baum  urspriinglich  fruchttragend  gemacht  und  die  Caprification  der 
Feige,  die  Fiillung  der  Rosen,  Violen  u.  s.  w.  erfunden  hatte.  In  den 
Garten  Italiens  —  von  Cato  an,  der  cap.  52  und  133  schon  lehrt, 
am  lebendigen  Baum  selbst  vermittelst  durchbrochener  erdegefiillter 
Topfe  oder  Korbe  kunstliche  Wurzeln  und  einen  neuen  Baum  zu  er- 
zeugen,  und  selbstzufrieden  hinzusetzt:  hoc  modo  quod  genus  vis 
propagabis,  und  eo  modo  quod  vis  genus  arborum  facere  poteris,  bis 
zu  dem  opus  topiarium  der  Spateren,  wo  durch  Bescheeren,  Be- 
kleidung  mit  Epheu  u.  s.  w.  die  Baume  in  Thiergestalten  u.  s.  w. 
verwandelt  wurden,  suchte  nicht  sowohl  das  reine  Naturgefiihl  Aus- 
druck,  als  sich  die  List  daran  iibte,  die  Natur,  die  ewig  schaffende, 
auf  fremden  wunderbaren  Wegen  zu  Formen  und  Zwecken  zu  ver- 
fiihren,  die  sie  nicht  gewollt  hatte.  Die  hohen  Baume  wurden  in 
Zwerggestalt,  die  zarten  Friichte  in  Riesengrosse  hervorgebracht,  und 
was  in  Wirklichkeit  sich  nicht  leisten  liess,  das  wurde  wenigstens  in 
dem  allgemeinen  Volksglauben ,  bei  praktischen  Gartnern,  wie  bei 
clenkenden  Naturbetrachtern ,  als  vollbracht  und  moglich  vorgestellt. 
Die  allmahlige  Steigerung  darin  liegt  in  der  Reihe  der  Schriftsteller 
iiber  diesen  Gegenstand  deutlich  vor.  Varro  1,  40,  5  meint  noch, 
Apfel-  und  Birnbaum  liessen  sich  gegenseitig  auf  einander  pfropfen, 
nicht  aber  ein  Birnenreis  auf  einen  Eichbaum.  Bei  Vergil  aber  tragt 
schon  der  Erdbeerbaum  Niisse,  die  Platane  Aepfel,  die  Kastanie 
Bucheckern,  die  Esche  Birnen  und  die  Ulme  Eicheln,  G.  2,  69: 

Inseritur  vero  et  nucis  arbutus  horrida  foetu; 
Et  steriles  platani  malos  gessere  valentis; 
Castaneae  fagus  ornusque  incanuit  albo 
Flore  piri  glandemque  sues  fregere  sub  ulmis. 

Columella  thut  erst  5,  11,  12  den  Ausspruch  die  Insition  sei  nur  bei 
ahnlicher  Rinde  beider  Baume  moglich,   dann  aber  tadelt   er  wieder 


432  Obstzucht,  Iinpfen  und  Pfropfen. 

die  Alten,  die  die  Moglichkeit  des  Gelingens  auf  gleichartige  Baume 
beschrankt  batten,  vielmehr  konne  jedes  beliebige  Reis  auf  jeden  be- 
liebigen  Baum  gebracht  werden  -  -  worauf  die  Beschreibung  eines 
Kunstgriffes  folgt,  aus.  einem  Feigenbaum  einen  Olivenzweig  hervor- 
wacbsen  zu  lassen.  Plinius  17,  120  will  einen  Baum  gesehen  haben, 
der  an  seinen  verschiedenen  Aesten  Niisse,  Oliven  (baeae),  Wein- 
trauben,  Birnen,  Feigen,  Granaten,  Aepfelsorten  zugleich  trug.  Bei 
Palladius  endlich,  der  seinen  Buchern  de  re  rustica  ein  eigenes  Ge- 
dicht  in  elegiscbem  Versmass  de  insitionibus  hinzufiigt,  und  in  der 
Sammlung  der  Geoponica  ist  kaum  ein  Baum,  von  dem  nicht  aus- 
gesagt  wiirde,  er  konnte  die  und  die  fremden  Friichte  zu  tragen  ge- 
zwungen  werden.  Plinius  ist  iiber  diese  Virtuositat,  die  Natur  zu 
irren  und  zu  missbraucben,  wie  iiber  einen  Frevel  erscbrocken  1, 
5,  57 :  pars  haec  vitae  jampridem  venit  ad  columen,  expertis  cuncta 

hominibus Nee  quiequam  amplius  excogitari  potest ;  nullum 

certe  pomum  novom  diu  jam  invenitur.  Neque  omnia  insita 
misceri  fas  est.  Plinius  war  zwar  nur  ein  Compilator,  der  bei  der 
Last  der  Geschafte  und  des  ungebeuren  Materials  nicht  immer  genau 
sein  konnte,  und  dessen  Ausdruck  manierirt  und  daher  oft  dunkel 
ist,  aber  es  bricht  doch  nicht  selten  bei  ihm  ein  grosser  Sinn  durch, 
und  im  gegenwartigen  Fall  das  tragische  Gefiihl,  eines  beschlossenen, 
nach  alien  Seiten  und  bis  auf  den  Grund  seines  Inhalts  erschopften 
Lebens.  Italien,  will  er  sagen,  hat  alle  Pflanzen  des  Erdkreises  in 
sich  versammelt  und  an  ihnen  mit  Aufwand  alles  Witzes  alle  Bil- 
dungs-  und  Triebkraft  der  Natur  versucht  -  -  was  steht  noch  bevor, 
was  kann  noch  kommen,  als  das  Nichts?  Und  es  kam  in  der 
That  das  tausendjahrige  Mittelalter,  und  in  Syrien  war  der  Mann 
schon  aufgestanden ,  dessen  Lehre  sich  wie  ein  fremder  todtender 
Stoff  durch  alle  Adern  der  griechisch-romischen  Welt  goss,  der  wahre 
ex  ossibus  ultor  nicht  bloss  fur  den  Brand  Karthagos,  der  syrischen 
Kolonie.  So  weit  die  alte  Religion  noch  hielt,  widersetzte  sie  sich 
auch  dem  Spiel  mit  der  organischen  Natur:  Baume,  die  zweierlei 
Aeste  trugen,  brachten  Irrung  in  den  Ritus  von  Beschworung  und 
Suhnung  der  Blitze ,  und  dieser  Scrupel  mag  Manchen  von  solchen 
Versuchen  abgeschreckt  haben.  In  demselben  Sinne  hatte  schon  das 
mosaische  Gesetz  verboten,  natiirlich  Geschiedenes  zu  paaren,  Ba- 
starde  zu  erzielen,  Kleider  zugleich  aus  Wolle  und  Lein  gewebt  zu 
tragen,  Ochsen  und  Esel  zusammen  vor  den  Pflug  zu  spannen  und 
den  Acker  mit  zweierlei  Saat  zu  besaen  (Levit.  19,  19).  In- 
dess,  diese  eifrige  Bemiihung  des  Pfropfens,  Impfens  und  Inoculirens, 


Obstzucht,  Impfen  und  Pfropfen.  433 

so  aberwitzig  sie  sein  mochte,  wenn  sie  iiber  die  Grenzen  des  Natiir- 
lichen  hinaus  wollte,  trug  doch  dazu  bei,  die  Mannichfaltigkeit  und 
Vollkommenheit  der  einst  fremden,  jetzt  eingebiirgerten  Friichte 
immer  weiter  zu  steigern.  Das  Obst,  die  urspriingliche,  des  Feuers 
nicht  bediirftige  Nahrung  des  Menschen,  der  nur  in  den  Himmels- 
strichen  sich  schon  entwickelt,  wo  die  Baumfriichte  gedeihen,  ver- 
edelte  und  verbreitete  sich  nicht  nur  durch  ganz  Italien,  und  wurde 
bis  auf  den  heutigen  Tag  auch  in  der  Familie  des  Armen  ein  noth- 
wendiger  Bestandtheil  des  taglichen  Mahles,  sondern  ging  hoch  iiber 
die  Alpen  in  das  mittlere  und  westliche  Europa  himiber,  wo  das 
Klima  bei  entsprechender  Einsicht  und  Thatigkeit  des  Kultur- 
menschen  diese  Zucht  noch  erlaubte,  ja  begiinstigte.  Frankreichs 
Boden  und  Himmel  erzeugt  jetzt  das  allerfeinste  Obst,  England  hat 
auch  in  diesem  Zweige  die  Kultur  aufs  hochste  getrieben,  und  dem 
Beispiel  beider  Lander  folgt  in  einiger  Entfernung  Deutschland  nach. 
Letzteres  Land  hielt  Tacitus  fur  schon  zu  kalt  zum  Obstbau,  ob- 
gleich  fur  Getreidebau  noch  geeignet,  Germ.  5:  terra  .  .  .  satis 
ferax,  frugiferarum  arborum  impatiens,  und  die  Einwohner  nahrten 
sich  von  wilden  Beeren,  frischem  Wildpret  und  saurer  Milch,  23:  cibi 
simplices;  agrestia  poma,  recens  fera  et  lac  concretum;  in  der  That 
tragt  der  Norden  Deutschlands  auch  heut  zu  Tage  in  offenen  Garten 
keine  italienischen  Feigen,  Mandeln  und  Pfirsiche.  In  dem  Donau- 
gebiet  befinden  sich  die  meisten  Arten  noch  sehr  wohl  und  die  Ein- 
fuhr  frischen  und  trockenen  Obstes  von  dort  (und  besonders  von 
Bohmen)  in  das  deutsche  Reich  betrug  schon  vor  einigen  Jahren 
gegen  300,000  Centner  zum  Werth  von  mindestens  9  Millionen  Mark. 
Je  weiter  nach  Nordosten  in  die  Region  des  excessiven  Klimas 
mit  harten  Wintern  und  Friihlingsfrosten,  desto  mehr  verkummert 
der  Fruchtbaum,  und  in  den  Dorfern  des  eigentlichen  Moskowien 
fallt  es  den  Bauern  nicht  ein,  einen  Baum  zu  pflanzen  oder  im 
Herbst  eine  frohliche  Aepfel-  oder  Birnenernte  halten  zu  wollen.  Das 
heutige  Europa  hat  die  Versuche  aufgegeben,  Niisse  auf  Eichen  zu 
pfropfen  und  dergleichen;  es  veredelt  auch  den  Wein  nicht  mehr 
durch  Impfen,  wie  doch  Cato  that;  es  operirt  durch  zweckmassige 
Wahl  und  Pflege  und  sucht  fur  den  jedesmaligen  Standort  die  ihm 
zusagende  Frucht.  Dass  die  Namen  der  mitteleuropaischen  Friichte 
aus  Italien  stammen,  haben  wir  bei  der  Besprechung  jeder  einzelnen 
ii'esehen;  dasselbe  tritt  grosstentheils  bei  den  Benennungen  der  Ver- 
edlungsmanipulation  ein.  Das  in  der  lex  Salica  vorkommende  inpotus 
fur  Pfropfreis,  das  franzos.  ente,  enter,  proven9alisch  entar,  ahd.  im~ 

Viet.  Hehn,  Kultnrpflanzen.     7.  Aufl.  28 


434  Obstzucht,  Iinpfen  und  Pfropfen. 

piton,  mhd.  impfeten,  ndl.  enten,  nhd.  inipfen,  gehen  alle  auf  das 
griechische  e'fuytviog,  sftcpvTevsw  zuruck;  fasst  man  das  Gebiet  ins 
Auge,  in  welchem  dieser  Ausdruck  herrscht  -  -  er  kommt  unter  den 
italienischen  Mundarten  in  der  von  Pieinont,  Parma,  Modena  vor, 
s.  Diez  — ,  so  wird  glaublich,  dass  die  damit  bezeichnete  Erfindung 
den  keltischen  Bewohnern  des  westlichen  Oberitaliens,  der  Rhone 
gegend  und  durch  cliese  den  Landschaften  am  Ober-  und  Unterrhein 
von  einer  griechischen  Seestadt  zugekommen  ist  —  wobei  Jedem  zu- 
nachst  Massilia  einfallen  muss.  Eine  griechische  Quelle  scheint  auch 
dem  franzoschen  greffe  Pfropfreis,  greffer  pfropfen,  zu  Grunde  zu 
liegen,  s.  Diez  unter  diesem  Wort.  Der  andere  deutsche  Ausdruck 
pfropfen,  Pfropfreis  fiihrt  dagegen  direkt  auf  Italien  und  ins 
Lateinische:  propago;  ein  dritter:  pelzen  stammt  vom  provengal. 
empeltar  welches  selbst  von  pellis,  der  Haut  d.  h.  der  Rinde  des 
Baumes  gebildet  ist.  Nicht  minder  interessant  aber  als  diese  leben- 
digen  Zeugen  des  Kultureinflusses  vom  klassischen  Stiden  her  ist  das  ein- 
heimische  Wort,  welches  Ulfilas  an  mehreren  Stellen  im  eilften  Kapitel 
des  Romerbriefes  fur  das  griechische  eyxsvTQi&iv  braucht:  intrisgan, 
intrusgjan.  Es  fehlt  in  alien  ubrigen  deutschen  Mundarten,  findet 
sich  aber  auf  slavischem  Gebiet  wieder  und  gehort  also  zu  der  Zahl 
merkwiirdiger  Eroberungen  der  ostgermanischen  Sprachen  aus  dem 
Slavischen.  Die  Bedeutung  war  s  pal  ten  und  mit  der  Proposition 
in:  einspalten,  in  einen  Spalt  senken.  Im  Slavischen,  wo  dieser 
Stamm  mannigfach  verzweigt  ist,  entwickelt  sich  aus  der  Vorstellung 
spalten,  platzen,  die  des  Krachens,  ferner  die  des  Blitzes  als  spalten- 
den  Donnerkeils:  nsl.  trtfsnoti,  russ.  tresnuti  findi,  rumpi,  russ. 
trescati  platzen,  trescina  Spalt,  altsl.  treska  sarmentum,  tresku  fulmen, 
tremati  percutere,  bulg.  tresk  Span,  croat.  triskati  einschlagen,  treskati 
strepitum  edere  u.  s.  w.  Litauisch  scheint  trukis  ein  Riss,  eine 
Spalte,  trukti  platzen  (mit  langem  Vocal,  Nesselmann  S.  118)  dasselbe 
Wort  zu  sein.  Ob  auch  das  griechische  TSQ%vog,  Tq£%vos  Ast,  Zweig 
dahin  gehort?  Den  namlichen  Bedeutungsiibergang  von  spalten  zu 
pfropfen  zeigt  ein  anderer  slavisch-litauischer  Stamm:  cepati,  cepiti 
finder e,  cdp  surculus  insertus,  cepina  segmentum,  lit.  czilpyti 
pfropfen,  cziepas  Pfropfling  u.  s.  w.  (Noch  andere  auf  die  Ver- 
edlung  der  Obstbaume  sich  beziehende,  grosstentheils  secundare  Be- 
nennungen ,  gesammelt  von  Pott  in  den  Beitragen  von  Kuhn  und 
Schleicher,  II,  S.  401  ff.) 


Agrumi.  435 

*  *  Neben  ahd.  impiton  sind  besonders  die  kiirzeren  Formen  ahd.  impfon, 
ags.  impian  zu  beachten,  die  auf  ein  erschlossenes  lat.  *impuare  =  griech.  ?jA<p6«> 
einpflanzen  zuriickzugehen  scheinen.  Andere  ftihren  indessen  die  ganze  Sippe 
auf  lat.  imputare  zuriick  mit  einer  ursprtinglichen  Bedeutung  »einschneiden«, 
dann  »ins  Kerbholz  schneiden«,  »auf  Rechnung  setzen«  (vgl.  l&t.putare,  amputare 
beschneiden,  it.potare,  span,  podar,  worausfrank.^ossew,  ndl.,  nhd.joofmpfropfen). 
Vgl.  Kluge,  Et.  W.6  und  Korting,  Lat.-rom.  W.  Franz,  greffe  (oben  S.  434) 
geht  zwar  auf  fpoKpiov^ropAtMfrt  zuriick,  hat  aber  die  Bedeutung  Pfropfreis  offen- 
bar  erst  innerhalb  des  Franzosischen  (von  der  griffelartigen  Gestalt  des  Reises) 
entwickelt.  —  Die  Ableitung  des  goth.  intrisgan,  intrusgjan  aus  dem  slavischen 
Stamm  tresk-  (Miklosich,  Et.  W.  S.  361)  durfte  kaum  aufrecht  zu  erhalten 
sein.  Von  lautlichen  Schwierigkeiten  abgesehn,  fehlt  im  Slavischen  dem 
Worte  jede  Beziehung  auf  die  Gartenbaukunst.  Miklosich  ordnet  seine  Be- 
deutungen  so:  »schallen,  schlagen,  bersten«.  Freilich  vermogen  wir  eine 
sichere  Erklarung  des  gothischen  Ausdrucks  nicht  zu  geben  (lit.  dreskiu  reissen, 
einreissen  ?  ?).  Slav,  cepati  etc.  vgl.  bei  Miklosich  unter  skep-. 


Agrumi. 


Der  Phantasie  des  Nordlanders,  der  sich,  wie  alle  hyperboreischen 
Volker  seit  mehr  als  zweitausend  Jahren,  nach  dem  schonen  Siiden 
sehnt,  schweben  vor  Allem  die  Hesperidenbaume  mit  den  goldenen 
Friichten  vor,  die  er  unter  seinem  Nebelhimmel  nur  in  Papier  ge- 
wickelt  aus  der  Hand  des  Schiffers  oder  des  Kaufmanns  erhalt.  Und 
in  der  That,  welcher  Gartenbaum  konnte  der  Orange  an  Schonheit 
und  Adel  den  Rang  streitig  machen!  Hoch  und  stattlich,  wo  das 
Klima  mild  und  der  Boden  iippig  genug  ist,  mit  glanzendem,  dunklem, 
immergrunem  Laube,  mit  lilienartig  duftenden  weissen  Bliiten,  die 
das  ganze  Jahr  hindurch  hervorbrechen ,  mit  erst  griinlichen,  dann 
allmahlig  golden  schimmernden  Friichten,  deren  Schale,  mit  fliichtigem 
Oel  gefiillt,  aromatisch  duftet,  deren  Geschmack  je  nach  den  Varie- 
taten  von  balsamischer  Bitterkeit  und  der  strengsten,  aber  feinsten 
Saure  bis  zum  siissesten  Nektar  aufsteigt,  mit  festem,  dichtem  Holze 
und  einer  Lebensdauer,  die  die  des  Menschen  bei  weitem  iibertrifft  — 
in  welchem  anderen  Baume  des  Siidens  ware  so  die  Kraft  der  Sonne 
und  der  sanfte  Hauch  der  Liifte  und  der  lichte  Glanz  des  Himmels 
zusammengefasst  und  vegetativ  dargestellt,  als  in  den  Aurantiaceen ! 
An  den  Citronenhain  in  der  Nahe  von  Poros  im  Peloponnes,  an  die 
Agrumi  von  Messina  am  Fusse  des  Aetna  und  dem  gegeniiberliegenden 
Reggio  in  Calabrien,  an  die  Garten  von  Sorrento  bei  Neapel  und  die 

28* 


436  Agrumi. 

zauberischen  Pomeranzenwalder  von  Mills  auf  der  Insel  Sardinien 
denkt  jeder  Reisende,  der  das  Gliick  gehabt,  sie  zu  sehen,  immerfort 
mit  Entziicken  zuriick.  Der  Agrurniwald  von  Poros  zieht  sich  etwa 
eine  Stunde  in  die  Lange  und  in  die  Breite  den  sanften  Abhang  des 
Gebirges  in  die  Ebene  hinab  und  gewahrt  von  seinem  erhohten 
Rande  zugleich  eine  herrliche  Aussicht  iiber  Land  und  Meer  und  die 
gethiirmten  Felsgipfel;  reicbe  Quellen,  die  aus  den  Bergen  kommen, 
bewassern  ihn  in  mannichfach  vertheilten  Rinnsalen;  die  Baume 
stehen  licht,  doch  so,  dass  sich  die  Zweige  gegenseitig  benihren;  die 
Zahl  der  Stamme  betragt  30,000  (nach  Ross,  Konigsreisen  II,  S.  7; 
bei  Fiedler,  Reise  I,  S.  282,  steht  2000,  wohl  durch  Druckfehler  statt 
20,000).  Ueber  die  Orangen  von  Milis  giebt  Alfred  Meissner,  Durch 
Sardinien,  S.  183  folgenden  kurzen,  aber  schonen  Bericht.  »Es  giebt 
der  Orangengarten  um  Milis  herum  iiber  dreihundert;  die  grossten 
gehoren  dem  Domkapitel  von  Oristano  und  dem  Marquis  von  Boyl 
an.  Ich  Hess  mich  zuerst  in  den  einen,  dann  in  den  andern  fuhren. 
Beides  sind  kleine  Walder,  einzig  aus  Pomeranzenbaumen  gebildet. 
In  der  freien  Natur  hat  der  Baum  seine  steife  Kugelform  verloren/ 
er  streckt  und  reckt  seine  Aeste  nach  alien  Seiten,  und  in  seiner 
Krone  leuchten  die  goldenen  Aepfel,  die  silbernen  Bliiten.  Man 
wandelt  unter  einem  ununterbrochenen ,  schattenden,  schimmernden 
Laubdach.  Eine  dicke  Schicht  herabgefallener  Orangebliiten  deckt 
den  Boden,  kleine  Bachlein  sind  an  den  machtigen  schwarzen  Wurzeln 
voriibergeleitet ,  ihr  Gemurmel  vereinigt  sich  mit  dem  Gesange  der 
Vogel,  die  in  den  Zweigen  wohnen.  Man  kann  in  diesem  Haine 
der  Hesperiden  frei  umhergehen,  die  Zweige  bei  Seite  biegen,  die 
dem  Wanderer  ihre  Bliiten  ins  Gesicht  schlagen,  und,  von  einem 
Duft  ohne  Gleichen  berauscht,  sich  in  den  Schatten  von  Orangen 
strecken,  die  so  machtig  wie  Waldbaume  sind.  —  Der  gesammte,  den 
verschiedenen  Besitzern  gehorige  Orangenwald  von  Milis  soil  500,000 
Baume  zahlen.  Er  giebt  in  einem  Durchschnittsjahre  zwolf  Millionen 
Stuck  solch  goldener  Aepfel  ab«  (nach  einem  Gewahrsmann  bei  La 
Marmora  60  Millionen,  wohl  iibertrieben).  »Im  Garten  des  erz- 
bischof lichen  Kapitels  ist  ein  Baum,  der  allein  jahrlich  iiber  5000 
Friichte  tragen  soil.  Mehrere  Baume  dort  sind,  wie  mir  der  Gartner, 
ein  Geistlicher,  sagte,  nachweisbar  iiber  sieben  Jahrhunderte  alt.  Der 
Urvater  von  alien  steht  im  Garten  des  Marchese  von  Boyl.  Er  ist  so 
stark,  dass  ein  Mann  ihn  mit  ausgebreiteten  Armen  nicht  umspannen 
kann;  seine  Krone  ist  majestatisch,  wie  die  einer  Eiche.  Der  Gang 
durch  den  Orangenwald  von  Milis  schien  mir  allein  schon  die  Reise 


Agrumi.  437 

nach  Sardinien  zu  lohnen.  In  einem  Pavilion  im  hochstgelegenen 
Garten  sitzend,  sah  ich  die  herrlichste  der  Campagnen  sich  meilen- 
weit  ausdehnen,  das  Abendroth  lien  dem  freundlichen  Bilde  eine 
zauberische  Beleuchtung. «  Aehnlich  ist  das  Urtheil  des  Freiherrn 
von  Maltzan,  der  die  Vega  von  Milis  ausfuhiiich  schildert  (Reise  auf 
der  Insel  Sardinien,  Leipzig  1869,  S.  246  ft2.).  Das  reizende  Puerto 
de  Soller  auf  der  Insel  Mallorca  soil  dem  sardinischen  Milis  an 
Schonheit  und  Fiille  dieser  Kultur  merit  nachstehen.  Dort  verbindet 
sie  sich  mit  dem  Terrassenbau  an  heissen  schuttreichen  Felswanden, 
liber  die  die  Winterbache  herabsturzen ;  wahrend  die  fast  senkrechten 
Bergzinnen  ringsum  gliihen,  hat  doch  die  Sonne  Raum,  in  das  Thal- 
becken  zu  dringen,  und  ein  Fliisschen  entsendet  seine  Wasserfaden  nach 
alien  Seiten  hin  durch  Rinnen  und  iiber  Aquaducte  in  die  Garten. 
Die  jahrliche  Ausfuhr  aus  dem  Hafen  von  Soller  betrug  nach  Pagen- 
stecher  (die  Insel  Mallorca,  Leipzig  1867,  S.  97  ff.)  iiber  50  Millionen 
ausserordentlich  siisser  Orangen,  die  damals  an  Bord  der  Schiffe  etwa 
eine  Million  Franken  werth  waren ;  nach  M.  Willkomm  (iiber  Siid- 
friichte,  in  der  Sammlung  wissenschaftlicher  Vortrage  von  Virchow 
und  Holtzendorff,  Heft  266  und  267,  Berlin  1877)  ware  der  Werth 
an  Ort  und  Stelle  gegen  4  Millionen  Franken.  Leider  hat  in  den 
letzten  Jahren  die  Gummikrankheit  unter  den  Orangen  von  Mallorca 
bedrohliche  Fortschritte  gemacht. 

Indess,  dies  Alles  sind  doch  nur  Oasen  in  dem  siidlichen  Europa, 
welches  weit  entfernt  ist,  ein  eigentliches  Orangenland  zu  sein.  Der 
Tourist  muss  schon  eigens  darauf  ausgehen,  wenn  er  an  einzelnen 
Punkten  dem  momentanen  Genuss  oder  der  magischen  Tauschung 
einer  freien  Hesperidenwaldung  sich  hingeben  will.  In  Griechenland 
wird  die  Agrumikultur  weder  in  nennenswerthem  Umfang  betrieben, 
noch  sind  die  gewonnenen  Siidfruchte  von  sonderlicher  Giite,  viel- 
mehr  bald  dickschalig  und  saftlos,  bald  sauer  oder  bitter  u.  s.  w. ;  in 
Oberitalien  sind  die  im  Sommer  so  reizenden  sogenanuten  giardini 
am  Westufer  des  Gardasees,  der  riviera  di  Salo,  doch  nur  an  Mauern 
gelehnt  und  werden  bei  Eintritt  der  rauhen  Jahreszeit  mit  einem 
Ziegeldach  und  bretternen  Seitenwanden  verwahrt;  durch  ganz  Obe,r- 
und  Mittelitalien  trifft  man  die  Limone  in  den  Garten  zwar  haufig, 
aber  immer  in  grossen  thonernen  Kiibeln;  auch  in  dem  warmen 
Sicilien  furchtet  der  Baum  die  Durre  des  Sommers  und  die  Sturme 
des  Winters  und  fehlt  darum  an  der  ganzen  West-  und  Siidkuste 
der  Insel,  mit  Ausnahme  weniger  begiinstigter  Flecke.  Und  wie  diese 
Naturarmuth  geeignet  ist,  den  erwartimgsvollen  Wanderer  zu  ent- 


438  Agrumi. 

tauschen,  so  auch  die  historische  Jugend  des  Baumes  in  Europa, 
der  den  Alten  in  ihrer  besten  Zeit  ganz  unbekannt,  in  der  spateren 
Zeit  nur  halb  bekannt  war.  Die  goldenen  Aepfel,  die  Herkules  dem 
Atlas  abnahm,  und  jene  anderen  aphrodisischen,  durch  welche  Ata- 
lante  im  Wettlauf  mit  ihrem  schonen  Freier  sich  aufhalten  liess, 
waren  keine  mala  citria ,  wie  die  Alten  spater  annahnien ,  noch 
weniger  Apfelsinen,  Avie  Neuere  ofter  getraumt  haben,  sondern  zur 
Zeit  der  Einfiihrung  dieser  orientalischen  Naturmythen  nur  als  wirk- 
liche,  wenn  auch  idealisirte  Aepfel,  Quitten  oder  Granaten  gedacht. 
Erst  als  Alexander  der  Grosse  durch  seine  Kriegsziige  und  die  Er- 
richtung  eines  griechischen  Reichs  im  Herzen  Asiens  den  Schleier 
gehoben  hatte,  der  das  Innere  dieses  Welttheils  deckte,  horten  die 
europaischen  Griechen  von  einem  Wunderbaum  mit  goldenen  Frtichten 
in  Persien  und  Medien.  Damals  schrieb  Theophrast  bei  Abfassung 
seiner  Pflanzengeschichte  die  beriihmte  Stelle  nieder,  in  der  er  von 
diesein  Baum  Nachricht  gab  und  die  ein  halbes  Jahrtausend  lang 
wiederholt,  nachgeahmt  und  als  Quelle  benutzt  wurde,  4,  4,  2 :  der 
Osten  und  Suden  besitzt  ihm  ganz  eigenthumliche  Thiere  und  Pflanzen, 
wie  Medien  und  Persien  neben  vielem  Andern  den  sogenannten  rnedi- 
schen  oder  persischen  Apfel,  ofov  TJ  TS  M^dia  yunga  xal  Ilsoalg 
TS  fyei  yrfolo)  xal  TO  jUrjAov  TO  ^dixov  ?)  TO  rteQ&xbv 
Er  hat  Blatter  wie  die  Andrachle  und  spitze  Stacheln;  der  Apfel 
wird  nicht  gegessen,  duftet  aber  schon,  wie  auch  die  Blatter;  unter 
Kleider  gelegt,  schiitzt  er  diese  gegen  Motten;  wenn  Jemand  Gift 
bekommen  hat,  giebt  er  ein  wirksames  Gegengift  ab;  wenn  man  ihn 
kocht  und  das  Fleisch,  TO  sawfov ,  in  den  Mund  ausdriickt  and 
hinunterschluckt ,  verbessert  er  den  Athem;  man  steckt  die  Kerne 
im  Fruhling  auf  wohlbearbeiteten  Gartenbeeten,  die  alle  vier  oder  fiinf 
Tage  gewassert  werden ;  sind  die  Pflanzen  herangewachsen,  so  werden 
sie  wieder  im  Fruhling  auf  einen  zarten,  feuchten,  nicht  allzuleichten 
Boden,  slg  yiDQCov  [lahaxov  xal  scpvdQov  xal  ov  May  ASTITOV,  ver- 
setzt;  der  Baum  tragt  das  ganze  Jahr  hindurch  und  prangt  gleich- 
zeitig  mit  Bliiten,  mit  unreifen  und  mit  reifen  Friichten  (dasselbe 
auch  de  c.  pi.  1,  11,  1  und  1,  18,  5);  von  den  Bliiten  sind  diejenigen, 
die  in  der  Mitte  eine  Art  Spindel,  rfiaxdnqv,  tragen,  fruchtbar,  die 
anderen  nicht  (dasselbe  auch  1,  13,  4);  man  zieht  den  Baum  auch 
in  durchlocherten  thonernen  Gefassen,  GrtslQSTat,  de  xal  elg  offcgaxa 
dictTSTQruieva ,  wie  die  Palmen;  dieser  Baum  wachst,  wie  gesagt,  in 
Persis  und  Medien,  negi  TY\V  HsQacSa  xal  ZT/V  Mydlav.  An  dieser 
sehr  sorgfaltigen ,  obgleich  aus  der  Feme  entworfeneri  Schilderung 


Agrumi.  439 

fallt  nur  auf,  class  die  Frucht  selbst  nach  Grosse,  Gestalt,  Farbe  und 
innerer  Beschaffenheit  nicht  naher  beschrieben  wird.  Waren  etwa 
medische  Aepfel  schon  nach  A  then  gekommen  und  den  Lesern  des 
Theophrast  nicht  unbekannt?  Wirklich  scheint  uns  ein  aufbehaltenes 
Fragment  des  der  sog.  mittleren  Komodie  angehorenden  Dichters 
Antiphanes  sich  dahin  deuten  zu  lassen,  Athen.  3,  p.  84  (nach  Mei- 
neke's  Redaction): 

xal  TTSol  fjLsv  otftov  y'  »jA^a>v  TO  xal  heysiv 
Ttgog  aTrhrjfftovg'  dMa  ravxl  Idpffavs 
e  id  prfia.  B.  xahd  ye.  A.  xahd  Sijr   co  Seofr 
yaQ  TO  GTieQina  TOVT*  d(pt,y[Ji8vov 
rag  *A&fpag  s<fd  naqa  TOV  pcuuleoog. 

'  *J5an&qt&ov  (p^rjv  ye.     A.  vrj  vrjv  <&u)(f(p6()ov 
TO.  %QVGa  fj,rjA,a  ravx    eivai.     B. 

fjiovov  eGTiv.     A.  oUyov  TO  xahov  Ian 

xal  ftfiiov. 

Die  Lebenszeit  des  Antiphanes  steht  nicht  ganz  fest:  nach  Suidas 
ware  er  im  Jahre  328  vor  Chr.  gestorben,  also  gerade  zur  Zeit  von 
Alexanders  Ziigen  in  Asien:  in  einem  andern  Fragment  des  Dichters 
wird  aber  der  Konig  Seleukos  erwahnt,  wonach  er  betrachtlich  langer 
gelebt  haben  miisste ;  doch  konnte  dies  letztere  Fragment  dem  jiingeren 
JIaupte  der  mittleren  Komodie ,  dem  Amphis ,  angehoren  und  dem 
Antiphanes  durch  Verwechslung  mit  diesem  zugeschrieben  worden 
sein.  Da  in  unserer  Stelle  die  Friichte,  TO  aneQ^a  TOVTO,  vom  Ba- 
Gifavg  gekommen  sind  und  zwar  neulich,  vewatC,  so  ist  der  letztere 
und  sein  Reich  also  als  noch  bestehend  gedacht;  da  ferner  wahrend 
Alexanders  Vordringen  ein  haufiger  Verkehr  zwischen  dem  Heere 
und  der  Heimat  stattfand,  Verstarkungen  und  Kriegsmaterial  von 
Europa  dorthin,  von  dort  Kranke  und  Beutestiicke  zuriick  nach  Europa 
gingen,  so  mogen  wahrend  dieser  Zeit  auch  persische  Aepfel  ihren 
Weg  nach  Athen  gefunden  haben,  so  gut  wie  noch  jetzt  Apfelsinen 
von  Sicilien  bis  in  die  Hauptstadt  von  Sibirien  dringen.  Selten  und 
neu  sind  sie  noch,  mit  Bewunderung  werden  sie  angeschaut,  mit  den 
Hesperidenapfeln  yerglichen;  der  Geber  besitzt  nur  drei,  denn,  sagt 
er,  das  Schone  ist  uberall  eben  so  rar  als  gesucht.  Aber  nach  Grun- 
dung  der  griechischen  Konigreiche  im  innern  Asien  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  die  Hesperidenfrucht  haufig  auf  dem  europaischen  Markt 
erschien ;  doch  essbar  war  sie  nicht,  und  so  wundervoll  ihr  Aeusseres 
schien,  so  abscheulich  der  Zunge  ihr  Saft.  Der  Glaube  an  ihre  von 
Theophrast  zuerst  verkiindigten  Eigenschaften ,  die  giftzerstorende, 


440  Agrumi. 

Ungeziefer  vertilgende  Kraft   und  die  Reinigung   des   Athems   wurde 
eine  auch  im  Abendlande  allgemein  herrschende   Phantasie.      Vergil 
iri  seiner  Schilderurig  des  Baumes  und  der  Frucht,  Georg.  2,   126: 
Media  fert  tristis  succos  tardumque  saporem 
Felicis  mail:  quo  non  praesentius  ullum, 
Pocula  si  quando  saevae  infecere  novercae  u.  s.  w. 

ist  ganz  von  Theophrast  abhangig,  dessen  Worte  er  nur  poetisch  um- 
setzt:  gliicklich  nennt  er  den  medischen  Apfel,  weil  er  den  guteri 
Machten  dient  und  den  Geschopfen  des  bosen  Gottes,  Gift,  Gewiirm, 
unreinem  Athem  entgegen  wirkt;  aber  sein  Saft  ist  tristis  d.  h. 
stechend,  (wie  Ennius  den  Saft  triste  genannt  hatte,  s.  o),  und 
sein  Geschmack  tardus  d.  h.  lange  haftend.  Dass  direkte  Versuche 
die  in  der  Frucht  liegende  antidotische  Lebenskraft  unwiderleglich 
bestatigen,  brachte  die  Natur  des  Wunderwahns  mit  sich,  dem,  wenn 
er  tief  gewurzelt  war,  die  Erfolge  niemals  gefehlt  haben  (Marc. 
9,  23:  »alle  ding  sind  muglich  dem  der  da  glaubet«).  So  wird  bei 
dem  fingirten  Gastmahl  des  Athenaus  3,  p.  84  nach  beglaubigten 
Aussagen  erzahlt,  dass  in  Aegypten  Verbrecher,  die  zufallig  von 
einer  solchen  Frucht  gekostet  hatten ,  wilden  Thieren  und  giftigen 
Schlangen  vorgeworfen  wurden  und  unversehrt  blieben:  dass  man 
darauf  von  zwei  Verbrechern  dem  einen  dies  Gegengift  auf  seinem 
letzten  Gange  mitgegeben,  dem  andern  nicht,  und  der  letztere  au£ 
der  Stelle  vom  Schlangenbiss  getodtet  worden,  der  erstere  ohne 
Schaden  davongekommen  sei;  dass  dieser  Versuch  dann  haufig  und 
immer  mit  demselben  Erfolge  wiederholt  worden  sei.  Als  die  Deipno- 
sophisten  des  Athenaus  dies  horten,  griff  en  sie  fleissig  nach  den 
aufgetischten  medischen  Aepfeln,  nicht  des  Geschmackes  wegen, 
durfen  wir  hinzusetzen ,  und  wohl  unter  Gesichterschneiden.  Die 
zweite  Eigenschaft  der  Frucht,  dass  sie  verderbliches  Ungeziefer  ab- 
wehrte,  gab  zu  dem  lateinischen  Namen  citrus,  malum  citreum 
u.  s.  w.  Veranlassung.  Das  griechische  xedgog,  mit  welchem  die 
duftenden  unzerstorbaren  Coniferen-Holzer,  Wachholderarten,  Cedern, 
Thuja  articulata  u.  s.  w.,  die  nicht  nur  selbst  den  Wurmern  wider  - 
standen,  sondern  auch  die  Kleider  vor  denselben  bewahrten,  bezeich- 
net  wurden,  —  dies  xedQog  war  in  Italien  durch  populare  Ent- 
stellung  zu  citrus  geworden  (wie  mala  cotonea  fur  xvdwvia,  Euretice 
fur  Eurydice,  taeda  fiir  dyda  und  manches  Andere).  Citrus  be- 
deutete  insbesondere  das  aus  Afrika  seit  alter  Zeit  eingefiihrte  Holz 
des  Lebensbaumes  Thuja  articulata,  aus  dessen  Masern  in  der  spa- 
teren  Epoche  des  Luxus  und  Reichthums  kostbare  Tischplatten  gefertigt 


Agrumi.  44  ^ 

wurden,  das  aber  mit  seinem  aromatischen  Dufte  auch  die  Motte, 
den  Erbfeind  der  wolletragenden  Volker  des  Alterthums,  von  den 
Kleiderkisten  fern  hielt,  Plin.  13,  86:  libros  citratos  fuisse;  prop- 
terea  arbitrarier  tineas  non  tetigisse.  Auf  diese  Sitte,  die  wollenen 
Tuniken  durch  Harz  oder  Splitter  der  Thuja  oder  siidlicher  Wach- 
holderspecies  vor  der  Zerstorung  zu  sichern,  bezieht  sich  vielleicht 
der  schon  von  Navius  in  seinem  Epos  vom  ersten  punischen  Kriege 
gebrauchte  Ausdruck  citrosa  vestis,  d.  h.  das  citrusduftende  Kleid 
(Macrob.  Sat.  3,  19,  4),  obgleich  Festus  p.  42  Muller  und  Isidorus 
darunter  ein  wie  die  Citrusmasern  geflammtes  verstanden  wissen 
wollen.  Da  nun  der  goldene  medische  Apfel  gleichfalls  und  zu  dem 
gleichen  Zweck  in  die  Kleiderladen  gelegt  wurde  —  und  diese  Sitte 
erhielt  sich,  wie  wir  aus  Athenaus  ersehen,  bis  zu  den  Zeiten  der 
Grossvater,  d.  h.  bis  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahrh.  nach  Chr.  — , 
auch  der  Duft  der  Schale  einigermassen  dem  des  Cederharzes  analog 
ist,  so  wurde  er  in  der  Vorstellung  des  Volkes  zur  Frucht  des 
Citrusbaumes  und  im  gemeinen  Leben  spater  auch  bei  den  Gebil- 
deten,  ja  bei  den  Griechen  danach  benannt.  Dioscorides  1,  166 
sagt  noch:  ^d  de  {uqdixa  feyopeva  r\  Tregaixa  xedgo^t^a,  Qw^atarl 
ds  xCrgia,  aber  Galenus  de  aliment,  facult  2,  37  lacht  schon  iiber 
diejenigen  seiner  Collegen,  die  aus  gelehrter  Affectation  sich  des  allge- 
mein  verstandlichen  xhgiov  enthalten  und  statt  dessen  xo  jtiydixdv 
jUi?Ao)>  sagen.  Der  Zeitgenosse  des  Galenus,  der  Afrikaner  Apulejus, 
der  eine  Schrift  de  arboribus  geschrieben  hatte,  tadelte  darin,  wie 
Servius  zu  der  oben  angefiihrten  Stelle  des  Vergil  berichtet,  die 
Gewohnheit,  den  Baum  mit  dem  medischen  Apfel  als  citrus  zu  be- 
zeichnen,  da  beide  ganz  verschieden  seien:  hanc  plerique  citrum 
volunt,  quod  negat  Apulejus  in  libris  quos  de  arboribus  scripsit  et 
docet  longe  aliud  esse  genus  arboris.  Aber  der  Name  war  in  der 
Sprache  des  Volkes  herrschend  geworden  und  konnte  in  einer  Zeit, 
deren  Signatur  gerade  die  Reaction  des  Popularen  gegen  die  Bildung 
war,  nicht  mehr  ausgerottet  werden. 

Seit  wann  aber  darf  man  annehmen,  dass  der  Baum  selbst  in 
Italien  gezogen  wurde,  und  welche  Art  des  Genus  citrus  war  es, 
welch  er  die  einst  in  Athen,  dann  in  Italien  und  nach  Juba  von 
Mauritanien  auch  in  Libyen  als  Hesperidenapfel  angeschaute  Frucht 
angehorte  ? 

Hatten  die  alteren  unter  den  griechischen  und  romischen  Schrift- 
stellern  den  Baum  schon  in  Europa  mit  Augen  gesehen,  sie  hatten 
sich  nicht  so  lange  ausschliesslich  an  die  Beschreibung  des  Theo- 


442  Agrumi. 

phrast  gehalten,  und  noch  viel  weniger  hatte  der  Name  citrus  fur 
ihn  aufkornmen  konnen.  Plinius  giebt  ganz  die  Schilderung  des 
Theophrast  wieder,  dann  setzt  er  hinzu  12,  16:  temptavere  gentes 
transferre  ad  sese  propter  remedi  praestantiam  fictilibus  in  vasis, 
dato  per  cavernas  radicibus  spiramento  .  .  .  .,  sed  nisi  apud 
Medos  et  in  Perside  nasci  noluit.  Also  Versuche  wareii  bereits 
geinacht  worden,  aber  wie  es  mit  ersten  Versuchen  oft  geht,  ver- 
gebliche  ;  man  hatte  Baumchen  in  thonernen  durchlocherten  Kiibeln 
reisen  lassen,  sie  waren  aber  ausserhalb  Mediens  und  Persiens  nicht 
fortgekommen ,  oder  batten  wenigstens  keine  Friichte  angesetzt, 
16,  135:  fastidit  .  .  .  nata  Assyria  mains  alibi  ferre.  Ohne  diese 
ausdriicklichen  Zeugnisse  konnte  eine  andere  Stelle  des  Plinius  fiir 
die  entgegengesetzte  Meinung  benutzt  werden,  13,  103:  alia  est 
arbor  eodem  nomine  (arbor  citri),  malum  ferens  execratum  aliguis 
odore  et  amaritudine,  aliis  expetitum,  domus  etiam  decorans,  nee 
dicenda  verbosius.  Hier  sind  die  drei  letzten  Worte  durch  die  schon 
friiher  von  dem  Autor  nach  Theophrast  gegebene  Beschreibung  mo- 
tivirt,  die  drei  vorhergehenden :  domus  etiam  decor  ans  erklaren 
sich  durch  die  im  Text  eben  beendigte  ausfuhrliche  Besprechung 
der  aus  dem  afrikanischen  Citrusholz  gearbeiteten  Prachttische.  In 
wie  fern  aber  schmiickte,  wie  jener  afrikanische  so  auch  dieser  me- 
dische  Baum  die  Hauser?  Stand  er  in  Kiibeln  unter  den  Sauleii 
der  Halle  und  war  er  also  doch,  der  obigen  Versicherung  zuwider> 
auch  ausserhalb  Mediens  lebensfahig?  Oder  zierte  er  die  Wohnungen 
der  Reichen  nur  durch  seine  Friichte,  die  etwa  als  xeifJitjJUa  auf 
Tischen  und  Gesimsen  prangten  und  die  Damonen  des  Verderbens 
als  felicia  mala  abhielten?  Ein  oder  anderthalb  Jahrhunderte  nach 
Plinius  wenigstens  muss  der  Baum  schon  ein  wirklicher  Schmuck  der 
Villen  und  Garten  wirklich  begiinstigter  Landschaften  gewesen  sein. 
Florentinus,  der  irn  ersten  Drittel  des  dritten  christlichen  Jahr- 
hunderts  gelebt  haben  wird  und  dessen  Werk  zwar  verloren  ge- 
gangen  ist,  aber  dem  Inhalte  nach  zum  grossen  Theil  in  der  Samm- 
lung  der  Geoponika  des  Cassianus  Bassus  sich  wiederfindet,  schildert 
10,  7  die  Kultur  der  xiTQeat,  ganz  nach  dem  Bild  der  heut  zu  Tage 
in  Oberitalien  z.  B.  in  den  giardini  des  Gardasees,  gebrauchlichen ; 
man  zieht  sie  an  der  Siidseite  von  West  nach  Ost  laufender  Mauern, 
bedeckt  sie  im  Winter  mit  Matten,  ipidftoig,  u.  s.  w.  Keiche  Leute, 
fiigt  Florentinus  hinzu,  die  Auf  wand  machen  konnen,  pfianzen  sie 
unter  Saulengangen,  die  der  Sonne  geoffnet  sind,  an  die  Mauer,  be- 
giessen  sie  reichlich,  lassen  die  Sonnenglut  auf  sie  wirken  und  be- 


Agrumi.  44$ 

decken  sie,  wenn  der  Winter  naht.  Also  doch  nur  Treibhauskultur. 
Bei  Palladius,  der  im  vlerten  oder  vielleicht  erst  im  fiinften  Jahr- 
hundert  lebte,  wachsen  Citronenbaume  auf  Sardinien  und  bei  Neapel, 
also  in  warm  en,  durch  Seeluft  gemilderten  Gegenden  auf  fettero 
reichlich  bewasserten  Boden,  Winter  und  Sommer  unter  freiem 
Himmel,  und  die  bisher  nur  traditionellen ,  halb  sagenhaften  Vor- 
stellungen  konnten  jetzt  an  der  Wirklichkeit  gemessen  und  berich- 
tigt  werden.  So  fand  sich  z.  B.  dass  der  Baum  wirklich,  wie  schon 
Theophrast  angegeben  hatte,  immerfort  Bliiten  und  Friichte  hervor- 
brachte,  continua  foecunditate,  4,  10,  16:  Asserit  Martialis  (Gargilius 
Martialis,  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts)  apud  Assyrios  pomis  hanc 
arborem  nunquam  (in  den  Handschriften  steht:  non)  carere:  quod  ego 
in  Sardinia  et  in  territorio  Neapolitano  in  fundis  meis  comperi  (quibus 
solum  et  coelum  tepidum  est  et  humor  exundans)  per  gradus  quosdam 
sibi  semper  poma  succedere^  cum  maturis  se  acerba  substituant,  acer- 
~borum  vero  aetatem  ftorentia  consequantur,  orb  em  quendam  continuae 
foecunditatis  sibi  ministrante  natura.  So  war  denn  im  Lauf  der 
ersten  christlichen  Jahrhunderte  der  immergriine  Baum,  der  die  gol- 
denen  Aepfel  trug,  wirklich  in  Italien  naturalisirt  worden,  erst  in 
Kiibeln  mit  zweifelhaftem  Erfolge,  dann  durch  Mauern  gegen  Norden, 
im  Winter  durch  Bedeckung  geschiitzt,  endlich  in  erlesenen  Para- 
diesen  auch  vollig  im  Freien,  und  damit  durch  ein  weiteres  Beispiel 
bewiesen,  dass  die  Kaiserjahrhunderte,  diese  Epoche  unrettbaren,  be- 
schleunigten  Verfalls,  doch  auch  in  manchen  Zweigen  menschlicheii 
Schaffens ,  die  weniger  den  Blick  auf  sich  zu  ziehen  pflegen,  wie  in 
Austauch  und  technischer  Verwerthung  der  Naturobjecte  der  ver- 
schiedensten  Lander,  eine  auf  warts  gerichtete  Entwickelung  zeigen. 
Fragen  wir,  welche  Art  der  Aurantiaceen  wir  uns  unter  dem  me- 
dischen  Apfel  und  der  arbor  citri  zu  denken  haben,  so  lasst  sich 
mit  Sicherheit  antworten:  die  Citronat-Citrone,  Citrus  medica  Cedra, 
und  zwar  aus  mehreren  Grunden.  Erstlich  heisst  diese  dickschalige, 
oft  kopfgrosse  Frucht,  mit  verhaltnissmassig  geringem  saurem,  bei 
einer  Abart  auch  susslichem  Fleische  oder  Safte,  noch  jetzt  in  Italien 
cedro ;  dann  findet  sich  in  der  persischen  Provinz  Gilan,  einem  Theil 
des  alten  Mediens,  der  Citronatbaum  noch  ganz  mit  dem  Habitus, 
den  Theophrast  beschreibt,  namentlich  mit  haufigen  scharfen  Stacheln 
bewaffnet  (s.  Gmelin  Reise  durch  Russland  zur  Untersuchung  der 
drei  Naturreiche,  Theil  3,  St.  Petersburg  1744,  S.  108,  wo  Theo- 
phrast nicht  genannt,  aber  die  Beschreibung  des  citrus  spinosus  vollig 
mit  dem  Bilde  zusammenfallt,  das  der  Griffel  des  alten  Meisters 


444  Agrumi. 

entworfen) ;  drittens  passen  die  gelegentlichen  Aeusserungen  der  Alien 
iiber  die  Gestalt,  Zusammensetzung  und  Essbarkeit  des  medischen 
Apfels  nur  auf  diese  Citrone ;  Dioscorides  nennt  sie  $nl pyxes,  langlich, 
und  gQQvudwfJisvov,  runzlich  (s.  die  Abbildung  bei  Gmelin);  die 
Frucht  wird  mit  Wein,  mit  Honig  eingekocht,  sie  ist  essbar  und  ist 
es  nicht;  sie  ist  so  gross,  dass  bei  Apicius  jede  einzelne  in  einem 
besonderen  Topf  eingemacht  wird,  1,  21:  in  vas  citrium  mitte, 
gypso  suspende  (wo  andere  eine  Art  Kiirbiss  verstehen  wollten) ;  wenn 
sie  noch  unreif  ist,  urngiebt  man  sie  mit  einer  thonernen  Hiille,  in 
die  sie  hineinwachst  und  deren  Gestalt  sie  annimmt;  das  Fleisch 
d.  h.  die  weisse,  dicke,  beinahe  den  ganzen  Raum  einnehmende  Schale 
wird  als  Hauptbestandtheil  mit  aufgezahlt,  xqv  oiov  adgxa  bei  Galen, 
de  alini.  fac.  2,  37  —  lauter  fur  die  Citrus  medica  Cedra  treffende 
Ziige;  endlich  tragen  alle  iibrigen  Arten  der  Hesperidenfrucht  Namen, 
die  jeden  Zweifel  iiber  das  spatere  Zeitalter,  in  welcbem  sie  einge- 
fiihrt  wurden,  ausschliessen.  Die  Limone  -  -  die  wir  deutsch  falsch- 
lich  Citrone  nennen  — ,  eine  kleinere ,  mehr  oder  minder  rundliche 
Frucht  mit  diinner  aromatischer  Schale  und  reichem  saurem  Saft 
heisst  so  nach  dem  arabischen  limun :  dies  stammt  aus  dem  Persischen; 
letzteres  entlehnte  das  Wort  aus  dem  Indischen  —  womit  Herkunft, 
Weg  und  Zeitpunkt  genugsam  angedeutet  sind.  Zur  Zeit  Karls  des 
Grossen  wuchs  an  den  Ufern  des  Comersees,  iiber  welchem  damals 
ein  Hauptweg  von  Italien  nach  Norden  in  das  Bisthum  Chur  und 
das  Rheinthal  fiihrte,  ausser  Oliven,  Granaten,  Lorbeer,  Myrten  auch 
der  persische  Apfel,  citreon  genaiint,  Paulus  Diaconus  in  laude  Larii 
laci  (Haupt,  Berichte  der  Kgl.  Sachsischen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften,  phil.-hist.  Klasse,  1850,  1,  6;  Diimmler,  Gedichte  aus  dem 
Hofkreise  Karls  des  Grossen,  in  der  Zeitschrift  far  deutsches  Alter- 
thum,  12,  1865,  S.  451;  neuerdings  auch  bei  Dahn,  Paulus  Dia- 
conus, p.  97)  15: 

Vincit  odore  suo  delatum  Per  side  malum; 
Citreon  has  omnes  vincit  odore  suo  — 

er  besiegt  sie  alle  mit  seinem  Duft  und  diese  Eigenschaft  wie  sein 
Name  kennzeichnet  ihn  als  dickschalige  Citrus  medica  Cedra.  Als 
zwei  Jahrhunderte  spater,  urn  das  Jahr  1000,  der  Fiirst  von  Salerno 
von  Arabern  in  seiner  Stadt  belagert  wurde  und  und  vierzig  zufallig 
aus  dem  heiligen  Lande  heimkehrende  Normannen  ihn  befreit 
hatten,  schickte  er  in  die  Normandie  Gesandte  und  mit  ihnen  pomd 
cedrina,  amigdalas  quoque  et  deauratas  nuces  —  um  die  Nor- 
mannen zu  bewegen,  in  ein  so  schones  Land  zu  kommen  und  es 


Agrumi.  445 

vertheidigen  zu  helfen  (Chronica  Montis  Cassiniensis  bei  Pertz  Scr. 
7  p.  642;  in  der  altfranzosischen  Uebersetzung  des  Amatus  von 
Montecassino  herausgegeben  von  Champollion-Figeac,  1,  19,  sind  die 
poma  cedrina  durch  citre  wiedergegeben).  Um  diese  Zeit  also  wachst 
auch  in  Unteritalien  immer  noch  die  Citronate  der  Alten.  Auch  als 
Jacobus  de  Vitriaco,  Bischof  von  Accon,  nachher  von  Tusculum  und 
Kardinal,  der  im  Jahre  1240  in  Rom  starb,  die  Naturwunder  des 
heiligen  Landes  beschrieb,  kann  der  Limonenbaum  noch  nicht  in 
Europa  gewesen  sein,  denn  er  fiihrt  ihn  ausdriicklich  unter  den  in 
Europa  fremden  palastinensischen  Pflanzen  auf,  Bongarsii  Acta  Dei 
per  Francos,  Hanoviae  1611,  p.  1099  (hist,  hierosolymit.  1,  cap.  85): 
sunt  praeterea  aliae  arbores  fructus  acidos  pontici  (mittellateinisch 
fur  austerus,  s.  Du  C.)  videlicet  saporis,  ex  se  procreanteSj  quos 
appellant  limones:  quorum  succo  in  aestate  cum  carnibus  et 
piscibus  libentissime  utuntur,  eo  quod  sit  frigidus  et  exsiccans 
palatum  et  provocans  appetitum.  Auch  die  Pompelmuse ,  franz. 
pamplemoitsse,  von  den  Italienern  porno  di  paradiso  oder  d'Adamo 
genannt,  fand  Jacobus  unter  dem  letzteren  Namen  in  Palastina: 
sunt  ibi  aliae  arbores  poma  pulcherrima  et  citrina  ex  se  produ- 
centes,  in  quibus  quasi  morsus  hominis  cum  dentibus  manifeste 
apparet  et  idcirco  poma  Adam  ab  omnibus  appellantur.  Es  sind 
dieselben  Friichte,  die  noch  jetzt  die  Juden  aller  Lander  nach  Levit. 
23,  40  zu  ihrem  Laubhiittenfest  brauchen  und  die  bloss  zu  diesem 
Zweck  in  mehreren  Gegenden  Italiens  gebaut  werden.  Die  Kreuz- 
fahrer  also  oder  Handelsleute  der  italienischen  Seestadte  oder  die 
Araber  bei  ihren  Kriegsziigen  und  Niederlassungen  auf  den  Inseln 
und  Kiisten  des  Mittellandischen  Meeres  brachten  die  Limonen  hin- 
iiber,  deren  intensive  Fruchtsaure  in  Europa  wie  im  Orient  eine 
beliebte  belebende  Beigabe  zu  vielen  Speisen  bildete,  unreines,  libel 
schmeckendes  Wasser  trinkbar  machte  und  mit  dem  zugleich  be- 
kannter  werdenden  Zucker  die  kostliche,  viel  begehrte  limonata  ab- 
gab.  Der  Epoche  der  Araber  verdankt  Europa  auch  die  Pome- 
ranze,  citrus  Aurantium  amarum,  ital.  arancio,  melarancio.  franz. 
orange.  Urspriinglich  war  auch  dieser  Baum  mit  der  gliihend  roth- 
goldenen,  bitter  aromatischen  Frucht  und  den  wundervoll  duftenden 
Bluten  aus  Indien,  seiner  Heimat ,  nach  Persien  gekommen ,  persisch 
ndreng,  von  dort  zu  den  Arabern,  arabisch  ndrang,  und  weiter  nach 
Europa,  byzantinisch  vsQavrfyov.  In  der  kleinen  Abhandlung,  die 
Silvestre  de  Sacy  der  Geschichte  der  Aurantiaceen  bei  den  Arabern 
widmet  (in  seiner  Ausgabe  der  Beschreibung  Aegyptens  von  Abd- 


446  Agrumi. 

Allatif,  Paris  1810,  p.  115),  findet  sich  aus  Makrisi  folgendcs  wich- 
tige  historische  Zeugniss  des  Masudi  angefiihrt:  Mahfizi  dit:  «Ma- 
-soudi  rapport e  dans  son  histoire  (statt  dessen  conjecturirt  de  '  Sacy 
mit  einer  ganz  leichten  Veranderung  des  arabischen  Wortes:  en 
parlant  de  I'orange),  que  le  citron  rond  (die  Pomeranze)  a  ete 
apporte  de  VInde  posterieurement  a  Van  300  de  Vhegire  (August 
912  der  christlichen  Aera);  qu'il  fut  d'abord  seme  dans  VOman. 
De  la,  ajoute-t-il,  il  fut  porte  a  Basra  en  Irak  et  en  Syrie,  et  il 
devint  tres  commun  dans  les  maisons  des  habitants  de  Tarse  et 
autres  villes  frontier es  de  la  Syrie,  a  Antioche,  sur  les  cotes  de 
Syrie,  dans  la  Palestine  et  en  Egypte.  On  ne  le  connaissait  point 
auparavant.  Mais  il  perdit  beaucoup  de  Vodeur  suave  et  de  la 
belle  couleur  qu'il  avail  dans  I'lnde,  parcequ'il  n'avait  plus  ni  le 
meme  climat,  ni  la  meme  terre,  ni  tout  ce  qui  est  particulier  a 
£e  pays,«  Bei  dem  weiteren  Uebergange  nach  Europa  musste  sie 
natiirlich  noch  mehr  von  dem  sussen  Dufte  und  der  schonen  Farbe 
verlieren,  die  der  Araber  schon  in  Westasien  an  ihr  vermisste.  In 
^inigen  italienischen  Mundarten  und  im  Spanischen  ist  das  an- 
lautende  n  des  arabischen  Wortes  noch  erhalten;  dem  franzosischen 
orange  gab  der  hineinspielende  Begriff  von  or,  aurum  seine  etwas 
abweichende  Form:  in  orange  liegt  schon  das  Goethe' sche  Gold- 
orange.  Schon  Jacobus  de  Vitriaco  hat  das  Wort  in  franzosischer 
Oestalt:  in  parvis  autem  arboribus  quaedam  crescunt  alia  poma 
eitrina,  minoris  quantitatis  frigida  et  acidi  seu  pontici  saporis, 
quae  poma  Orenges  ab  indigenis  nuncupantur.  Albertus  Magnus 
in  seinern  Buche  de  Vegetabilibus,  welches  kurzvor!256,  also  nicht 
sehr  lange  nach  lac.  de  Vitriaco  geschrieben  ist,  tadelt  6,  53  die- 
jenigen,  die  fur  die  cedrus  (den  Citronenbaum  der  Alten,  quae 
arbor  facit  poma  crocea  oblonga,  magna,  quae  fere  figuram 
praetendunt  cucumeris  et  habent  in  se  grana  acetosa)  den  Namen 
arangus  brauchen:  sed  tamen  arangus  pomum  habet  breve  et  ro- 
tundum  et  caro  ejus  est  mollis  u.  s.  w.  Nach  Amari,  storia  dei 
Musulmani  de  Sicilia,  vol.  2,  Firenze  1858,  p.  445  ware  die  in 
eiiiem  Diplorn  von  1094  (bei  Pirro,  Sicilia  Sacra,  p.  770)  vorkommende 
via  de  Arangeriis  in  der  Nahe  von  Patti  —  ein  Orangenweg,  also  der 
Name  und  die  Frucht  schon  vor  den  Kreuzziigen  durch  die  Araber 
auf  die  Insel  Sicilien  gekommen. 

Noch  weit  jiinger  ist  in  Europa  die  siisse  Pomeranze,  Citrus 
Aurantium  duke.  Auch  hier  liegt  in  der  deutschen  Benennung  Apfel- 
sine,  d.  h.  chinesischer  Apfel  und  in  der  italienischen  portogallo  die 


Agrumi.  447 

Geschichte  und  der  Weg  des  Baumes  ausgesprochen.  Erst  die  Portu- 
giesen  brachten  ihn  nach  Ausbreitung  ihrer  Schiffahrt  in  den.  Meeren 
des  ostlichen  Asien  aus  dem  siidlichen  China  nach  Europa,  angeblich 
im-Jahre  1548,  und  der  europaische  Urbaum  stand  noch  lange  zn 
Lissabon  im  Hause  des  Grafen  St.  Laurent.  Der  Jesuit  Le  Comte, 
der  lange  in  China  gelebt  hatte,  berichtet  dariiber  in  seinen  Nouveaux 
rnemoires  sur  1'etat  present  de  la  Chine,  2e  edition,  Paris  1679,  T.  1, 
p.  173:  On  les  nomme  en  France  Orange  de  la  Chine  parceque 
celles  que  nous  vimes  pour  la  premiere  fois  en  avaient  ete  apportees. 
Le  premier  et  unique  or  anger,  duquel  on  dit  qu'elles  sont  toutes 
venues,  se  conserve  encore  a  Lisbonne  dans  la  maison  du  Comte 
£.  Laurent  et  tfest  aux  Portugais  que  nous  sommes  redevables  d'un 
si  excellent  fruit.  Noch  Ferrarius  (Hesperides,  Romae  1646,  fol.) 
nennt  die  Apfelsine  aurantium  Olysiponense,  Orange  von  Lissabon, 
und  fiigt  p.  425  hinzu,  sie  sei  von  dort  nach  Rom  ad  Pios  et 
Barl)erinos  hortos  geschickt  worden.  Das  Letztere  ist  nur  ein 
Compliment  fur  den  Papst  Urban  VIII.  Barberini,  unter  dem  der  Jesuit 
Ferrari  sein  Werk  verf asste ;  die  Garten  der  Pier  konnen  aber  nur 
die  der  beiden  Papste  Pius  IV  und  Pius  V.  sein,  die  von  1555  bis  1572 
den  papstlichen  Stuhl  einnahmen.  Die  kostliche  Frucht  verschaffte 
dem  Baum  bald  Verbreitung  um  die  Kiisten  des  mittellandischen 
Meeres  bis  tief  nach  Westasien  hinein,  und  nicht  bloss  die  Italiener, 
auch  die  Neugriechen  sagen  TioQwyafad,  die  Albanesen  protolcale,  ja 
selbst  die  Kurden  portoghal  (Pott,  Zeitschr.  fiir  Kunde  des  Morgenl. 
7,  113),  wahrend  im  Norden  die  Russen,  die  Grenznachbarn  der 
Chinesen,  den  deutschen  Namen  Appelsin  angenommen  haben  - 
lauter  Anzeichen  der  vollbrachten  Umwalzung  im  Weltverkehr,  der 
nicht  mehr  wie  zur  Zeit  des  Hellenismus  und  der  romischen  Kaiser 
und  spater  der  islamitischen  Araber  quer  durch  Asien  von  Ost  nach 
West  ging,  sondern  seit  Vasco  de  Gama  die  umgekehrte  Richtung 
genommen  und  sich  den  Ocean  zum  Schauplatz  gemacht  hatte.  Auch 
nach  Amerika  brachten  Portugiesen  und  Spanier  den  Baum,  der  in 
den  tropischen  Gegenden  der  Neuen  Welt  wunderbar  gedieh.  Eine 
neue  Varietat,  die  sogenannten  Mandarinen,  Citrus  madurensis,  kleiner, 
siisser,  gewiirzhafter  als  die  Apfelsinen,  trat  im  19.  Jahrhundert  auf 
und  erwirbt  sich  mit  jedem  Jahr  ein  grosseres  Terrain;  nach  Sicilien 
sollen  die  Mandarinen  von  Malta  gekommen  sein.  Zu  Abweichungen 
ist  dies  ganze  Fruchtgeschlecht  iiberhaupt  sehr  geneigt,  und  Oert- 
lichkeit,  Impfung  und  Behandlung  haben  unzahlige  Spielarten  her- 
vorgebracht.  Solche  kiinstlich  zu  erzeugen,  war  sonst  der  Stolz  der 


448  Agrumi. 

Gartner,  als  von  den  Tuilerien  und  spater  von  Versailles  aus  neben 
Oper,  Ballet,  Vergoldung  und  Porzellan  auch  der  Besitz  weitlaufiger 
Orangerien  mit  kugelig  beschnittenen  Baumen  in  prachtvollen  Kiibeln 
und  Kasten,  die  im  Sommer  lange  Alleen  bildeten,  zum  kostbaren 
Erforderniss  aller  Hofhaltungen,  ja  der  Herrenhauser  des  reichs- 
unmittelbaren  Landadels  geworden  war.  Spater  verwandelten.  sich 
bei  steigender  Bildung  die  Orangerien  in  mehr  botanische  Treib- 
hauser,  und  als  der  asthetische  Humanismus  auch  den  mittleren 
Standen  den  dumpfen,  theologischen  Kerker  geoffnet  hatte,  da  zog 
der  junge  Sch warmer,  den  Hofgarten  und  ihren  Schneckengesimsen 
den  Riicken  kehrend  und  Mignon  nachsingend,  in  das  Land,  wo 
unter  azurnem  Himmel  die  Goldorange  in  dunklem  Laube  gluhte 
und  in  reiner  Form  die  dorische  Saule  aufstieg.  Doch  musste  er 
lange  wandern,  ehe  er  einen  Hesperidenhain  betrat,  und  auch  da 
war  Alles  in  prosaischer  Weise  auf  Ertrag,  Benutzung  und  Absatz 
berechnet;  die  Citronen  wurden  zerquetscht  und  der  abfliessende 
triibe  Saft  in  holzerne  Fasser  gegossen ;  die  Bliiten  wurden  unbarm- 
herzig  abgeschuttelt,  damit  aus  ihnen  kolnisches  Wasser,  eau  de  Co- 
logne, bereitet  werde;  der  Zuckerbacker  versott  die  Friichte  fiir  den 
Markt  von  London,  Hamburg,  Bergen  in  Norwegen  und  Archangel 
am  Eispol;  der  Destillateur  fabricirte  Bergamottol  aus  den  Schalen. 
Auch  Avar  damals,  als  Pastum  seine  Tempel  errichtete,  die  Tauro- 
rnenier  im  Theater  sassen  und  Pindar,  Aeschylus  und  Plato  von  den 
Herrschern  von  Syrakus  als  Gaste  aufgenommen  wurden,  weit  und 
breit  kein  bliihender  Citronenbaum  zu  sehen,  ja  jene  alten  Helden, 
Kiinstler  und  Denker  hatten  nie  von  einem  solchen  auch  nur  gehort. 
Erst  die  Villen,  in  denen  die  Humanisten  des  fiinfzehnten  Jahr- 
hunderts  und  die  Mitglieder  der  platonischen  Akademie  wandelten, 
waren  mit  Pomeranzen  geschmiickt,  und  siisse  Orangen  brachen 
erst  die  schwarzen  Vater  Jesuiten  aus  den  immergriinen  Zweigen  und 
iiberreichten  sie  den  lachelnden  Hofdamen  in  Puder  und  Reifrock 
zur  Erfrischung  fiir  die  schonen,  lechzenden,  geschminkten  Lippen86). 


*  Dass  die  heutzutage  dem  Mittelmeergebiet  einen  ganz  besonderen  Reiz 
verleihenden  und  den  Wohlstand  der  Bevolkerung  erheblich  erhohenden 
Agrumi  aus  Ostindien  staramen,  ist  allgemein  bekannt.  Es  sei  hier  nur  kurz 
auf  die  engere  Heimat  der  einzelnen  Arten  und  Varietaten  hingewiesen. 

Der  Citrone,  Citrus  medico,  Risso,  sind  auch  die  saure  Lirnone  und  die 
susse  Limone  als  Varietaten  zuzurechnen.  Wahrend  die  susse  Limone  nur 
in  den  Nilghiris  wildwachsend  angetroffen  wurde,  kommen  die  Hauptform 
und  die  saure  Limone  an  mehreren  Stellen  vor,  am  Fusse  des  Himalaya,  von 


Der  Johannisbrodbaum.  449 

Garwal  bis  Sikkim,  in  Ohittagong  und  Burma,  sowie  in  den  westlichen  Ghats 
und  den  Satpuragebirgen.  Die  Einfiihrung  der  Citrone  nach  Aegypten  erfolgte 
zur  romischen  Kaiserzeit,  die  der  Pomeranze  dagegen  in  der  Zeit  der  ara- 
bischen  Chalifen. 

Die  Pomeranze  und  die  Apfelsine  sind  Varietaten  derselben  Art, 
Citrus  AuranUum  L.  Die  herbschmeckende  Pomeranze  wurde  von  Sir  Joseph 
Hooker  im  Stiden  des  Himalaya,  von  Garwal  bis  Sikkim  und  Khasia  wild- 
wachsend  constatirt.  Dagegen  liegen  keine  zuverlassigen  Angaben  tiber  das 
spontane  Vorkommen  der  Apfelsine  oder  stissen  Orange  in  Indien  vor;  viel 
wahrscheinlicher  stammt  sie  aus  Cochinchina  und  dem  siidlichen  China,  da 
die  Chinesen  dieselbe  als  einheimisch  betrachten  und  auch  auf  den  Inseln  des 
indischen  Archipels  die  siisse  Orange  als  aus  China  stammend  angesehen 
wurde. 

Die  Mandarine  (Citrus  ndbilis  Loureiro)  ist  in  Cochinchina  und  wahr- 
scheinlich  in  den  angrenzenden  Provinzen  Chinas  heimisch. 

Die  Pumpelmus  (Citrus  decumana  L.)  wird  von  einzelnen  (Bonavia)  als 
im  malayischen  Archipel  entstandene  Varietat  der  Apfelsine  angesehen,  von 
andern  auf  C.  hystrix  DC.,  welche  auf  den  Inseln  des  indischen  Archipels  und 
auf  Timor  heimisch  zu  sein  scheint,  zuriickgefuhrt. 

Ausfiihrlicheres  iiber  die  Agrumi  findet  man  noch  bei  A.  De  Candolle, 
1'origine  des  plantes  cultivees,  p.  139—149. 


Der  Johannisbrodbaum. 

(Ceratonia  Siliqua  L.). 

Der  Johannisbrodbaum  ist  ein  immergriiner ,  nicht  sehr  hoher, 
aber  schattenreicher ,  machtig  ausgebreiteter  Baum,  der  am  liebsten 
in  der  Nahe  des  Meeres  die  heissen,  sonneerwarmten  Felsenwande, 
die  ihm  zum  Schutz  gegen  kalte  Nordwinde  dienen,  mit  seinen 
Wurzeln  umklammert.  Er  wachst  langsam,  tragt  erst  nach  zwanzig 
Jahren  und  dauert  Jahrhunderte  lang.  Seine  Friichte  -  -  braune, 
flache,  einen  Zoll  breite,  einen  halben,  ja  einen  ganzen  Fuss  lange, 
horn-  oder  sichelformig  gekriimmte  Schoten,  mit  glanzend  dunklen, 
bohnenartigen  Samen  und  sussem,  nahrhaftem  Fleisch,  das  sogenannte 
Johannisbrod  -  -  werden  von  Thieren  und  Menschen  gegessen  und 
bilden  einen  namhaften  Handelsartikel.  So  larige  sie  nicht  ganz 
reif  sind  und  ihre  braune  Farbe  noch  nicht  angenommen  haben, 
gelten  sie  fur  schadlich,  ja  giftig,  nachher  aber  nahren  sich  Schweine, 
Pferde  und  Esel  von  ihnen,  und  auch  der  Schweinehirt  und  der 
Eseltreiber  verschmaht  sie  nicht,  nachdem  er  sie  sich  vorher  gerostet 
oder  gebacken.  Soil  der  Baum  nicht  bloss  Schatten  gewahren,  son- 
vie  t.  Helm,  Kulturpflanzen.  7.  Anfl.  29 


450  Der  Johannisbrodbaum. 

dern  auch  reichlich  Friichte  tragen,  dann  muss  er  von  Zeit  zu  Zeit 
beschnitten  werden,  wie  der  Weinstock  und  der  Oelbaum.  Seine 
nordliche  Grenze  fallt  ungefahr  mit  der  der  Citronen  und  Orangen 
zusammen.  Das  Johannisbrod  wird  weit  im  Orient  verfiihrt  und 
fehlt  bis  tief  in  Russland  auf  keinem  Volksmarkt  unter  den  feil- 
gebotenen  Leckerbissen ;  auch  in  Oberitalien  sieht  man  es  im  Winter 
viel,  es  kostet  wenig,  und  besonders  die  Knaben  stopfen  es  sich  gern 
in  den  Mund.  Im  alten  Griechenland  wuchs  der  Baum  nicht,  aber 
die  siissen  Hornchen  kamen,  vom  Orient  eingefuhrt,  auf  den  Markt. 
Man  nannte  sie  agyptische  Feigen,  aber  missbrauchlich ,  denn  in 
Aegypten  war,  wie  Theophrast  mit  Nachdruck  versichert,  die  xegwvla 
gerade  nicht  zu  finden,  h.  pi.  4,  2,  4:  o  Ss  xagnog  sMoftog  uv 
rtvsg  alyvrtnov  GVXOV  dirjfiaQiqxoTsg'  ov  yCveiai,  yog  ohog 

ak,K  ev  2v$Ca  xal  sv  'Icovta  ds  xal  Tisql  Kvtdov  xal 
Es  war  also  ein  Gewachs  Syriens  und  loniens,  das  sich  bis 
Knidos  im  siidwestlichen  Kleinasien  und  bis  Rhodus  verbreitet  hatte. 
Im  Uebrigen  beschreibt  Theophrast  den  Baum  richtig  und  genau, 
aber  er  beschreibt  ihn  eben  und  zwar  ausfiihrlich,  zum  Beweise, 
dass  seine  Leser  selbst  ihn  nicht  kannten  und  taglich  beobachten 
konnten.  Auch  Strabo  kennt  ihn  nicht  in  Aegypten,  wohl  aber  in 
Aethiopien  oder  dem  Lande,  wo  Meroe  liegt,  17,  2,  2:  TrAfiora'fw  J6 
TWV  (pvrwv  o  is  (fowi^  xal  TI  TisQom  xal  gfcvog  xal  xsgaita.  Schon 
Theophrast  hatte  auf  eine  unfreundliche  Wirkung  der  Bliite  hin- 
gewiesen :  avdog  sxhevxov  e%ov  xal  u  fiaQviywg,  er  hatte  hinzusetzen 
konnen:  auch  der  unreifen  Schoten;  Galenus  dehnt  die  Schadlich- 
keit  auch  auf  die  reifen  Friichte  aus  und  meint,  es  ware  besser, 
sie  wiirden  aus  dem  Orient,  wo  sie  wachsen,  lieber  gar  nicht  nach 
Europa  gebracht,  de  aliment,  fac.  2,  33:  COOT'  afjiswov  yv  avm  iLirjde 
xofli&tf&cu  TiQog  fyiag  sx  TWV  dvamhixwv  ^co^tcov  sv  oig  yswavai. 
Das  eigentliche  Vaterland  des  Baumes  war  das  an  Fruchtbaumen  so 
gesegnete  Kanaan:  da  er  geimpft  werden  muss,  um  essbare  Friichte 
zu  spenden,  so  war  er  also  auch,  wie  Olive  und  Dattelpalme,  ein 
Produkt  menschlicher ,  insbesondere  semitischer  Kunst  und  Miihe. 
Einst,  wie  jetzt,  bildeten  die  siissen  Schoten  in  Palastina  eine  ge- 
meine  Speise.  Der  Taufer  Johannes  hatte  damit  in  der  Wiiste  sein 
Leben  gefristet,  und  noch  den  Reisenden  neuerer  Zeit  wurde  der 
angebliche  Baum  gezeigt,  der  den  Vorlaufer  des  Messias  mit  seinem 
Johannisbrod  genahrt  hatte.  In  der  Parabel  im  15.  Kapitel  des 
Lucas  begehrt  der  verlorene  Sohn,  der  zum  Huter  der  Schweine- 
heerde  herabgesunken  ist,  seinen  Hunger  mit  den  Hornchen,  ami 


Der  Johannisbrodbaum.  45] 

x€Q<tttwvt  die  die  Schweine  frassen,  zu  stillen,  aber  Niemand 
gab  sie  ihm.  Auch  der  Name  des  kleinen  Gold-  und  Diamanten- 
gewichts,  des  Karats,  der  von  den  Bohnen  der  Johannisbrodschote, 
xsgdua*  genommen  ist  (schon  bei  Isidor  cerates,  spater  von  den 
Arabern  adoptirt  und  durch  sie  den  Sprachen  aller  Lander  mit- 
getheilt,  —  wofiir  auch  siliqua  gesagt  ward),  beweist,  wie  verbreitet 
und  alltaglich  die  Frucht  im  griechischen  Orient  war.  Bei  den 
romischen  Schriftstellern  finden  wir  einige  Stellen,  die  auf  schon 
damals  versuchte  Anpflanzung  im  Abendlande  hindeuten.  Nach 
Columella  7,  9,  6  sollen  die  Schweine  im  Walde  ausser  von  anderen 
wildwachsenden  Friichten  auch  von  graecae  siliquae  sich  nahren.  Da 
zu  Columellas  Zeit  unmoglich  Johannisbrodbaume  einen  Bestandtheil 
europaischer  nemora  ausmachen  konnten,  so  mag  die  Notiz  aus 
irgend  einem  griechisch-orientalischen  Schriftsteller  iiber  Landwirth- 
schaft  stammen.  An  einer  anderen  Stelle  giebt  Columella  den  Rath, 
den  Baum  im  Herbst  zu  saen,  5,  10,  20:  siliquam  graecam  quam 
quidam  xegdnov  vacant  et  Persicum  ante  brumam  per  auctumnum 
serito.  Auch  dies  ist  wohl  nur  eine  aufgenommene  fremde  Wirth- 
schaftsregel ;  Plinius  wiederholt  sie  mit  denselben  Worten  (17,  136), 
entweder  aus  Columella  oder  aus  der  gemeinsamen  Quelle ;  im  Uebrigen 
nennt  er  die  Frucht  praedulces  siliquae  (15,  95)  oder  siliquae  syriacae 
(23,  151)  und  behandelt  sie  nicht  als  einheimische.  Syriacae  heissen 
die  Schoten  auch  bei  Scribonius  Largus  ein  Menschenalter  friiher; 
wo  sonst  siliquae  als  Speise  des  Armen  und  Geniigsamen  vorkommen, 
ist  kein  Grund,  etwas  Anderes  als  das  Nachste,  d.  h.  als  Bohnen  oder 
Erbsen  darunter  zu  verstehen.  Bei  Galenus  gegen  Ende  des  zweiten 
Jahrhunderts  ist,  wie  wir  soeben  gesehen  haben,  das  Johannisbrod 
durchaus  nur  Gegenstand  der  Einfuhr  aus  dem  Orient.  Palladius 
aber  in  den  letzten  Zeiten  des  Romerreichs  lehrt  ausfiihrlich  den 
Baum  fortpflanzen  und'  spricht  auch  von  seinen  eigenen  Erfahrungen 
dabei,  3,  25,  27:  siliqua  Februario  mense  seritur  et  Novembri  et 
semine  et  plantis:  amat  loca  maritime*,  calida,  sicca,  campestrica: 
tamen  ut  ego  expertus  sum,  in  locis  calidis  foecundior  fietj  si  ad- 
juvetur  humore:  potest  et  taleis  poni  u.  s.  w.  Da  diese  Stelle  in 
einigen  Handschriften  fehlt,  auch  der  fleissige  Benutzer  des  Palladius, 
Petrus  Crescentius,  iiber  den  Baum  schweigt,  so  bleibt  Zweifel,  ob 
wir  nicht  am  Ende  ein  nachmaliges  Einschiebsel  vor  uns  haben. 
Sollte  aber  auch  die  Naturalisation  des  Baumes  zur  Zeit  der  Romer 
begonnen  haben,  so  lehren  doch  die  arabischen  Namen:  ital.  carrobo, 
carruba,  span,  garrobo,  algarrobo,  portug.  alfarroba,  franzos.  caroubef 

29* 


452  Der  Johannisbrodbaum. 

carouge,  dass  erst  die  Araber  entweder  die  erloschene  Kultur  von 
Neuem  aufnahmen  oder  der  noch  vorhandenen  die  heutige  Ver- 
breitung  gaben.  In  der  siidlichen  Halfte  der  italienischen  Halbinsel 
sind  jetzt  die  Carroben  haufiger  und  die  Ernte  reichlicher,  als  der- 
jenige  Reisende  voraussetzt,  der  bloss  die  gewohnliche  Strasse  der 
Touristen  gewandert  ist  und  den  syrischen  Baum  etwa  nur  an  der 
Felsenstrasse  bei  Amain  gesehen  hat.  Sicilien,  die  arabische  Insel, 
erzeugt  und  verschifFt  viel  Johannisbrod ;  auch  auf  Sardinien  fehlen 
die  Ceratonien  nicht  und  man  pflanzt  sie  gern  in  Feldgegenden 
einzeln  zur  Mittagsrast;  die  reichsten  Baume  dieser  Art  aber  stehen 
am  apulischen  Gargano,  diesem  in  malerischer,  naturwissenschaftlicher, 
auch  botanischer  Hinsicht  so  merkwiirdigen,  aber  auch  so  selten  be- 
suchten,  inassigen,  isolirten,  zum  Meer  abstiirzenden  Kalkstein  -  Vor- 
gebirge.  Im  heutigen  Griechenland  finden  sich  Carrobenbaume  hin 
und  wieder  auf  dem  Festlande  und  auf  den  Inseln  zerstreut,  darunter 
einige  von  ehrwiirdigem  Alter,  wie  derjenige,  unter  dem  Fiedler, 
Reise,  1,  224,  auf  dem  skironischen  Wege  sein  Mittagsmahl  hielt  und 
dessen  Stamm  einige  Fuss  Durchmesser  hatte.  In  Kleinasien,  Syrien 
u.  s.  w.  geniesst  der  Baum  auch  religiose  Verehrung,  und  zwar  bei 
Muselmannern  wie  bei  Christen.  Er  ist  dem  heiligen  Georg  geweiht 
und  Kapellen  unter  oder  in  seinen  Zweigen  sind  gewohnlich.  Wie 
bei  alien  Kulturgewachsen  haben  sich  auch  bei  diesem  Varietaten 
gebildet,  die  sich  durch  grossere  oder  geringere  Siissigkeit  und  Halt- 
barkeit  und  durch  Form  und  Grosse  der  Schoten  unterscheiden.  Im 
Orient,  wo  die  Frucht  noch  mehr  Zucker  entwickeln  mag,  und  zu- 
weilen  auch  in  Europa  presst  man  aus  den  Schoten  auch  eine  Art 
Honig,  mit  dem  andere  Friichte  eingemacht  werden,  und  wirft  die 
Riickstande  den  Schweinen  vor.  Auch  das  harte  Holz  wird  geschatzt 
und  die  Rinde  dient  zum  Gerben. 


*  Der  Johannisbrodbaum  (Ceraionia  Siliqua  L.),  der  im  ganzen  Mittel- 
meergebiet,  namentlich  auch  in  ausgedehntem  Maasse  in  Spanien  cultivirt 
wird,  ist  im  ostlichen  Mediterrangebiet  heimisch.  Das  siidlichste 
spontane  Vorkommen  ist  in  Yemen,  wo  Deflers  den  Baum  in  Schluchten 
des  Saborgebirges  bei  Taez  um  1400  m  in  machtigen  Exemplaren  mit  Stammen 
von  1 — 2  m  Umfang  vorfand;  der  Baum  soil  in  der  ganzen  mittleren  Region 
der  Gebirge  verbreitet  sein.  Nachstdem  ist  Ceratonia  als  wahrscheinlich  wild- 
wachsend  constatirt  worden  in  Palastina  und  auf  Cypern,  im  siidlichen  und 
ostlichen  Anatolien,  auf  den  griechischen  Inseln  und  in  den  warmereri  Theilen 
Griechenlands.  Ferner  ist  er  gegenwartig  so  gut  wie  wild  in  Cyrenaika, 
Algier  und  Sicilien ;  in  Aegypten  kommt  er  nicht  vor  und  hat  wahrscheinlich 


Das  Kaninchen.  453 

auch  nie  daselbst  existirt.  Zu  bemerken  1st  noch,  dass  an  den  oligocenen  Ab- 
lagerungen  von  Aix  eine  fossile  Ceratonia  vetusta  Saporta,  aus  den  tertiaren 
Ablagerungen  von  Oeningen  eine  Ceratonia  emarginata  A.  Braun  beschrieben 
wurde.  Da  aber  von  diesen  Arten  nur  Fiederblattchen  bekannt  sind,  die 
allerdings  denen  des  Johannisbrodbaums  recht  ahnlich  sind,  so  1st  die  ehe- 
malige  Existenz  des  Baumes  im  westlichen  Mediterrangebiet  und  noch  weiter 
nordlich  nicht  ganz  zweifellos. 


*  In  Palastina,  wo  der  Johannisbrodbaum  auch  nach  H.  einheimisch  ist, 
1st  derselbe  aus  dem  alten  Testament  nicht  nachweisbar  (im  neuen  nur  Lucas 
15,  16),  ein  Beweis,  wie  vorsichtig  man  rnit  Schliissen  e  silentio  der  Denkmaler 
sein  muss.  So  sind  die  Nachrichten  des  Theophrast  iiberhaupt  die  altesten. 
Nach  ihm  (4,  2,  4)  beschrankt  sich  iibrigens  der  Ausdruck  xepowa  auf  die 
lonier,  wahrend  sonst  xepateia  gait. 

Bezuglich  des  Vorkommens  des  Johannisbrodbaums  in  Aegypten  gehen 
die  Meinungen  auseinander.  Vgl.  K.  Sprengel,  Theophrasts  Naturg.  II,  129; 
De  Candolle,  Der  Ursprung  der  Kulturpflanzen  S.  424;  Woenig,  Die  Pflanzen 
im  alten  Aegypten  S.  344;  Neumann-Partsch,  Die  physik.  Geogr.  Griechenlands 
S.  432. 

In  dem  Gleichniss  des  Lucas-Evangeliums  ubersetzt  Ulfilas  das  grie- 
chische  xspotTtov  mit  hailrn  (Jah  gairnida  sad  itan  haurne  ]>oei  matitedun  sveina). 
Im  Albanesischen  heisst  der  Baum  t8ot8obanuze\=  ttirk.  k'etsi  bujnuzu  »Ziegen- 
horn«;  vgl.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  449),  im  Neugriechischen  ^uXoxepaTed.  Dem 
arabischen  charrub  entspricht  aram.  chdruba  (Low,  Aram.  Pflanzennamen  S.  176). 


Das  Kaninchen. 

(Lepus  Cuniculus  L.) 

Von  Spanien  her  lernten  die  Romer  ein  dem  Hasen  vervvandtes 
Hausthier  kennen,  das  den  Griechen  im  Osten  des  Mittelmeeres  nicht 
zu  Gesicht  gekommen  war:  das  Kaninchen.  Es  war,  wie  das  Spart- 
gras  und  die  Korkeiche,  Spanien  eigenthumlich  und  eng  an  den 
iberischen  Volksstamm  gekniipft,  mit  dem  es  liber  Afrika  nach  dem 
westlichen  Euro-pa  gekommen  sein  mag.  Es  trug  bei  den  Romern 
den  Namen  cuniculus,  ein  Wort,  dessen  Stamm  moglicher  Weise  der 
iberischen  Zunge  angehort  und  nur  mit  lateinischer  Endung  versehen 
ist87).  Mit  demselben  Ausdruck  bezeichneten  die  Romer  schon  seit 
Cicero  und  Casar  auch  unterirdische  Gange,  und  es  war  Streit,  ob 
diese  nach  dem  Thier  oder  umgekehrt  das  Thier  nach  jenen  benannt 
sei;  die  Alten  entschieden  sich  meist  fiir  Letzteres,  aus  keinem  anderen 


454  I*as  Kaninchen. 

Grunde,  als  well  ihnen  die  Sache  und  also  auch  das  Wort  in  dieser 
Bedeutung  haufiger  aufstiess,  als  das  halb  unbekannte  Thierchen,  — 
wahrend  wir  die  erstere  Annahme  fiir  natiirlicher  halten,  wenn  auch 
die  romischen  Sapeurs  und  Mineurs  ihre  Kunst  nicht  gerade  den 
Kaninchen  abgelernt  haben,  wie  Martialis  meint,  13,  60: 

Gaudet  in  effossis  habitare  cuniculus  antris: 

Monstravit  tacitas  hostibus  ille  vias. 

In  der  Literatur  kommt  das  Kaninchen  zuerst  bei  Polybius  vor,  also 
um  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr. ,  in  der  nach  dem 
Lateinischen  gebildeten  Form  xzmxAog,  12,  3:  auf  Corsica  giebt  es 
keine  wilden  Thiere  7T^r(v  dAwTiexvov  xal  xwixhcvv  xal  ngofidimv 
ayQLwv  (Moufflons).  Bei  Athenaeus  9,  p.  400  lautet  die  von  Poly- 
bius gebrauchte  Form  xovvixlog,  dem  Lateinischen  nicht  gerade 
naher,  da  das  u  in  cuniculus  kurz  ist.  Auch  bei  dem  Geschichts- 
schreiber  und  Philosophen  Posidonius  von  Apamea  in  der  ersten 
Halfte  des  ersten  Jahrhunderts  vor  Chr.  kam  das  Wort  vor.  Catullus 
kennt  Spanien  als  ein  kaninchenreiches  Land  oder  als  ein  Land  reich 
an  Kaninchengangen  37,  18:  Tu  cuniculosae  Celtiberiae  fill  Egnati. 
Ausfiihrlicher  verbreiten  sich  darauf  liber  das  Thier,  seine  Ansiede- 
lung  und  Verbreitung  und  die  Art  es  zu  fangen,  Varro  3,  12,  6, 
Strabo  an  zwei  Stellen  des  dritten  Buches  2,  6  und  5,  2,  endlich  Pli- 
nius  8,  217  ff.  Die  Iberer  miissen  besondere  Liebhaber  dieser  Zucht 
und  des  Kaninchenfleisches  gewesen  sein:  sie  hatten  das  Thier  auch 
auf  die  spanisch-italischen  Inseln,  auf  denen  sie  vor  Alters  angesessen 
waren,  mit  libers  Meer  gebracht,  nicht  bloss  nach  Corsica,  wie  wir 
soeben  von  Polybius  gehort  haben,  sondern  auch  auf  die  balearischen 
Inseln.  Fiir  den  grossten  Leckerbissen  gait  bei  ihnen  der  noch  nicht 
geborene  Fotus  oder  das  noch  saugende  Thierchen,  welches  ganz 
und  gar,  ohne  ausgeweidet  zu  werden,  verzehrt  wurde ;  solche  noch 
erst  werdende  oder  eben  auf  die  Welt  gekommene  Kaninchen  hiessen 
laurices,  mit  einem  wohl  gleichfalls  iberischen  Namen.  Aber  die 
grosse  Fruchtbarkeit ,  die  dem  Hasengeschlecht  eigen  ist  —  ein 
Kaninchen  kann  sechs  bis  sieben  Mai  im  Jahre  vier  bis  zwolf  Junge 
werfen  und  beginnt  dieses  Geschaft  schon  einige  Monate  nach  der 
Geburt  -  -  machte  das  Thier  zu  einer  wahren  Landplage  auf  dem 
spanischen  Festlande  wie  auf  den  Inseln;  es  uberzog  mit  seinen 
Gangen  und  Hohlen  den  Kulturboden ,  nagte  die  Wurzeln .  und 
Sprossen  weg  und  untergrub  Baume,  ja  sogar  die  Wohnungen  der 
Menschen.  Nach  Strabo  sollten  die  Bewohner  der  rvfivrjafai  d.  h. 
Mallorcas  und  Minorcas  einst  zu  den  Romern  Abgesandte  geschickt 


Das  Kaninchen.  455 

haben  mit  der  Bitte,  ihnen  ein  anderes  Land  zum  Wohnplatz  anzu- 
weisen,  da  sie  sich  gegen  die  Menge  Kaninchen  nicht  mehr  halten 
konnten.  Als  gewiss  berichtet  Plinius,  sie  batten  den  Kaiser  Augustus 
um  militarische  Hilfe  angegangen,  da  sie  allein  mit  den  Thieren 
nicht  fertig  werden  konnten.  Und  nicht  bloss  durch  ganz  Spanien 
herrschte  diese  Noth,  sondern  erstreckte  sich  auch  bis  Massilia  - 
vielleicht  ein  Fingerzeig  mehr  fur  die  ethnographische  Stellung  der 
Liguren,  die  vor  der  Ankunft  der  Kelten  von  Norden  den  ganzen 
Kiistenstrich ,  an  dem  Marseille  liegt,  bewohnt  batten.  Die  Iberer 
batten  indess  in  einem  anderen  halb  wilden,  halb  domestizirten 
Thiere ,  das  sie  aus  Afrika  bezogen  batten ,  einen  wirksamen  Feind 
und  Vernichter  des  Kaninchens  und  bochst  eifrigen  Jagdgenossen 
kennen  und  anstellen  gelernt,  das  Frettchen,  eine  Art  Iltis,  lateiniscb 
viverra  (lit.  waiivaras,  das  Mannchen  vom  Iltis  und  Harder,  lit. 
wowere,  preuss.  vevare,  slav.  veverica,  das  Eichhorn),  span,  huron, 
ital.  furetto,  franzosisch  furet.  Es  kroch  in  die  Kaninchenhohle  und 
trieb  die  Bewohner  zum  Ausgang  hinaus,  wo  der  Jager  sie  auffing 
und  erlegte.  Die  Griechen  benannten  das  Frettchen  mit  dem  allge- 
meinen  Ausdruck  yahy,  dem  sie  zu  naherer  Bestimmung  das  Pradikat 
Taqrriaaia  hinzufugten.  Schon  Herodot  weiss  von  solchen  tartessi- 
schen  d.  h.  spanischen  Wieseln,  er  sagt:  4,  192  bei  naturhistorischer 
Beschreibung  der  Nordkiiste  von  Afrika,  es  lebten  dort  unter  Sil- 
pbiumsstauden  /aAeaj,  den  tartessischen  ganz  ahnlich  —  welche  letz- 
tere  also  im  fiinften  Jahrhundert  vor  Chr.  schon  in  Spanien  zur  Jagd 
iiblich  waren.  Dass  schon  zur  Zeit  der  Republik  Kaninchen 
auch  von  den  Rom  em  in  sogenannten  Leporarien  gebalten  wurden, 
sehen  wir  aus  Varro ;  an  der  Tafel  des  Athenaus  hat  einer  der  Spre- 
chenden  auf  der  Fahrt  von  Dicaarchia,  dem  heutigen  Pozzuoli,  nach 
Neapel  die  kleine  Insel  an  der  aussersten  Landspitze,  also  das  heu- 
tige  Nisida,  von  wenig  Menschen  und  viel  Kaninchen  bewohnt  gesehen 
(Athen.  1.  1.)  -  -  was  auch  noch  heut  zu  Tage  von  den  italienischen 
Inseln  im  Verhaltniss  zum  Festlande  gilt.  Immer  aber  ward  das 
Thierchen  bei  den  Romern  als  charakteristisches  Merkmal  des  Landes 
Spanien  betrachtet,  wir  sehen  dies  z.  B.  aus  Gold-  und  Silbermiinzen 
des  Kaisers  Hadrian,  wo  auf  dem  Revers  mit  der  Legende  Hispania 
vor  einer  liegenden  weiblichen  Figur,  die  einen  Olivenzweig  halt  und 
den  linken  Arm  auf  den  Felsen  Calpe  stiitzt,  ein  Kaninchen  abge- 
bildet  ist  (H.  Cohen,  Description  historique  des  .  .  ,  medailles  im- 
periales,  T.  2,  Paris  1859,  Adrien  n  °  270—276). 

Heut    zu   Tage    haben   sich   die   niedlichen,   so  eigenthiimlichen 


456  Die  Katze. 

Thierchen  mit  dem  wohlschmeckenden  Fleische  iiber  einen  grossen 
Theil  Europas  ausgebreitet,  sind  aber  besonders  in  Frankreich  und 
Belgien  unter  dem  Namen  lapin  (nach  Diez  f iir  clapin,  Volksausdruck : 
der  Ducker)  eine  haufige  und  beliebte  Speise.  Dies  muss  schon  zu 
der  Zeit,  die  Gregor  v.  Tours  beschreibt,  der  Fall  gewesen  sein,  denn 
5,  4  berichtet  er  von  Roccolenus:  erant  enim  dies  sanctae  Quadra- 
gesimae  in  qua  fetus  cuniculorum  (also  die  oben  genannten  laurices) 
saepe  comedit.  Bei  Petrus  Crescentius ,  dem  Zeitgenossen  Dantes, 
wohnt  das  Kaninchen  in  dem  zusammenhangenden  Strich  Landes 
von  Spanien  durch  die  Provence  bis  in  die  Lombardei,  9,  80:  quod  in 
Hispania  et  in  Provincia  et  in  partibus  Lombardiae,  sibi  cohaerenti- 
bus,  nascitur  —  also  immer  noch  auf  iberischem  Urboden.  Jetzt 
1st  es  nicht  bloss  dem  Provencalen,  sondern  auch  dem  Pariser  wohl- 
bekannt,  und  hat  nicht  bloss  die  Inseln  des  westlichen  Mittelmeers , 
sondern  auch  die  des  ostlichen  oder  griechischen  iiberzogen  und  mit 
seinen  Gangen  durchlochert.  In  Frankreich,  England  und  den  Nieder- 
landen  ist  es  zugleich  durch  Zuchtung  und  Kreuzung  wesentlich  ver- 
wandelt  und  veredelt  worden,  sowohl  was  Zartheit  des  Fleisches, 
Grosse,  Fruchtbarkeit,  Abhartung  gegen  das  Klima,  als  die  seiden- 
gleiche  Weichheit  des  Haares  betrifft88). 


Die  Katze. 

Der  Hund  ist  ein  uralter  Begleiter  des  Menschen,  ja  gewiss  das 
fruheste  und  erste  von  alien  Thieren,  die  der  Mensch  sich  zugesellt 
hat,  -  -  wer,  der  es  nicht  weiss,  sollte  glauben,  dass  die  lacherliche 
Feindin  des  Hundes,  die  Katze,  die  jetzt  fast  in  keinem  Hause  fehlt, 
so  weit  civilisirte  und  halbcivilisirte  Menschen  leben,  eine  ganz  junge 
Erwerbung  der  Kultur  ist?  Freilich  die  Bewohner  des  Nilthales 
miissen  wir  dabei  ausnehmen.  Dass  das  geheimnissvolle,  mit  seinem 
Thun  in  die  Nacht  der  Zeiten  hinabreichende,  ebenso  anziehende  als 
abstossende  Volk  der  Aegypter  die  Katzen  in  Menge  erzog,  sie 
heilig  hielt,  sie  nach  dem  Tode  einbalsamirte ,  melden  nicht  bloss 
die  Alten,  wie  Herodot  und  Diodor,  sondern  bestatigen  auch  die 
Denkmaler  und  Ueberreste  (man  sehe  z.  B.  den  Hymnus  auf  die 
Sonnenkatze  auf  einer  Stele,  iibersetzt  von  Brugsch  in  der  Zeitschrift 
der  DMG.  10,  683).  Diodor  1,  83  erzahlt  einen  Vorgang,  dessen 


Die  Katze.  457 

Augenzeuge  er  selber  war  und  der,  wie  er  hinzusetzt,  die  tiefe  reli- 
giose Scheu  der  Aegypter  vor  der  Heiligkeit  dieses  Thieres  offenbar 
machte.  Es  war  die  Zeit,  wo  die  grosste  Furcht  vor  Roms  Ueber- 
macht  herrschte  und  Alles  gethan  wurde,  um  den  einzelnen  Romern, 
die  sich  gerade  im  Lande  befanden,  zu  Willen  zu  sein  und  jeden 
Streit  mit  ihnen  zu  verhiiten.  Da  geschah  es,  dass  ein  Romer,  ohne 
••es  zu  wollen,  eine  Katze  todtete;  sogleich  rottete  sich  das  Volk  zu- 
sammen,  der  Aufstand  richtete  sich  gegen  das  Haus,  in  dem  die 
That  veriibt  war ;  keine  Bemiihung  des  Konigs  Ptolemaus  und  seiner 
Beamten,  keine  Furcht  vor  Rom  und  den  Romern  vermochte  das 
Leben  des  Verbrechers  zu  retten.  Die  gezahmte  Art  ,war  die  Felis 
maniculata  Ruepp.  (Dr.  Hartmann  in  der  Zeitschrift  fiir  agyptische 
Sprache  1864,  S.  11.)  Das  Verschlossene  und  Stumme,  daher 
Ahnungsreiche ,  das  nach  Hegel  alle  Thiere  haben,  ist  in  der  Katze 
und  deren  eigenthiimlichen,  gleichsam  mystischen  Sitten  und  Nei- 
gungen  besonders  fiihlbar.  Sie  hat  noch  jetzt  fiir  den,  der  sie  ge- 
wahren  lasst  und  sie  aufmerksam  beobachtet,  etwas  Aegyptisches, 
das  die  Vorliebe  der  Einen,  den  Widerwillen  der  Anderen  weckt. 
Dies  Thier  so  vollkommen  zu  zahmen  und  an  den  Menschen  zu  ge- 
wohnen  -  -  denn  die  Hauskatze  verwildert  nicht  und  kehrt  immer 
wieder  zum  Hause  zuriick  —  konnte  nur  dem  Aegypter  gelingen 
und  war  die  Arbeit  von  Jahrhunderten.  Nur  wenn  viele,  sehr  viele 
Generationen  des  Thieres  auf  dieselbe  behutsame ,  pflegende ,  liebe- 
volle  Art  behandelt  wurden  und  in  der  langen  Zeit  jede  Erfahrung 
•eines  verursachten  Schmerzes  oder  zugefiigten  Leides  aus  dem  Ge- 
dachtniss  der  scheuen  Creatur  ausgeloscht  war,  konnte  aus  der  wilden 
Katze,  deren  Geschlecht  von  alien  am  wenigsten  auf  Zahmung  an- 
gelegt  scheint,  unsere  jetzige  anschmiegende  Hauskatze  werden.  Re- 
ligioser  Aberglaube  hat  hier,  wie  so  oft,  das  Unglaubliche  geleistet 
und  auch  einmal  der  Kultur  gedient,  statt  sie  aufzuhalten.  Nach 
Fr.  Lenormant,  die  Anfange  der  Kultur,  1,  Jena  1875,  S.  242  f., 
kame  iibrigens  die  Katze  erst  seit  der  12.  Dynastie  auf  agyptischen 
Bildwerken  vor.  wenn  dies  rich  tig  ist,  dann  wurde  das  Verdienst 
der  ersten  Zahmung  den  Bewohnern  der  oberen  Nillander  gehoren 
und  Aegypten  das  begonnene  Werk  nur  fortgesetzt  haben.  Ein  Gliick 
war  es,  dass  die  Weiterverbreitung  der  agyptischen  Katze  noch  zur 
Zeit  des  romischen  Reiches,  ehe  das  ascetische  Christenthum  in  die 
Tiefe  drang,  und  vor  dem  Einbruch  des  islamitischen  Sturmes  statt 
land;  sonst  hatte  mit  der  Vernichtung  des  gesammten  alten  Aegyp- 
tens  und  der  Vertilgung  seiner  religiosen  Vorstellungen  und  Sitten 


458  Die  Katze. 

auch  die  dieses  Hausthieres  erfolgen  und  vielleicht  nicht  wieder 
gut  gemacht  werden  konnen.  1st  doch  manches  Thier,  das  einst 
dem  Menschen  diente,  diesem  Schicksal  verfallen,  so  vor  Allen  der 
afrikanische  Elephant,  der  Hannibals  Krieger  trug,  durch  Schnee  und 
Eis  iiber  die  Alpen  stieg  und  jetzt  nur  noch  in  den  Wildnissen 
des  innern  Afrika  von  grausamen  Jagern  erlegt  und  langsam  aus- 
gerottet  wird. 

Die'Griechen  und  Romer  litten  nicht  selten  unter  der  Plage 
ungeheurer  Vermehrung  der  Mause,  und  hin  und  wieder  werden  un& 
Geschichten  iiberliefert  von  wunderbarer  Rettung  einer  Gegend  vor 
den  Mausen  oder  von  geschehener  Auswanderung  wegen  Unmoglich- 
keit,  sich  dieser  Nagethierchen  zu  erwehren.  Als  Hausdiebin  kennt 
die  Maus  schon  die  voreuropaische  Sprache,  denn  dieser  Name, 
der  sich  in  Griechenland  und  Italien  und  an  der  Elbe  wie  am  Indus 
wiederfindet,  stammt  bekanntlich  von  einem  Verbum  mit  der  Be- 
deutung  stehlen.  Als  Feinde  der  Maus  —  und  sie  hat  deren  viele 
-  mussten  auch  friihzeitig  die  das  Haus  des  Menschen  umschleichen- 
den  Thiere,  das  Wiesel  mit  seinen  Unterarten 89),  Iltis,  Marder,  wilde 
Katze,  beobachtet  werden;  einige  davon  wurden  desshalb  gehegt  und 
nicht  verfolgt  und  traten  in  eine  Art  Gerneinschaft  mit  den  Menschen; 
Wiesel  und  Marder  lassen  sich  zahmen  und  ehe  die  Katze  einge- 
fuhrt  war,  geschah  dies  viel  haufiger  als  jetzt.  Doch  litt  unter  diesen 
Raubern  auch  wieder  das  Federvieh,  besonders  dessert  junge  Brut, 
und  man  suchte  sie  dann  wieder  abzuhalten  und  machte  ihnen  den 
Krieg.  Griechisch  lauteten  die  Namen  ycdsi?,  xug,  IxiCg,  gen. 
Ixildog,  alehovQog  oder  alhovQog,  lateinisch  mustela,  mustetta,  fdis 
oder  feles,  melis.  Genau  unterschieden  wurden  die  Thiere  nicht,  und 
auch  die  Benennungen  schwanken,  wie  im  Volksmunde,  so  auch  in 
der  Literatur.  An  keiner  Stelle  aber,  wo  wir  auf  einen  dieser  Namen 
stossen,  sind  wir  gezwungen,  ihn  auf  die  gezahmte  Hauskatze  zu 
deuten.  Besonders  das  Wiesel,  yaAei?,  mustela,  wird  als  Gegenstand 
der  Furcht  fur  die  Maus  und  ubermachtige  Feindin  mit  derselben 
so  zusammengenannt ,  wie  wir  Katze  und  Maus  in  Fabeln,  Redens- 
arten  und  Spielen  zu  verbinden  pflegen.  Zwei  Wesen,  sagt  die  Mau& 
am  Anfang  der  Batrachomyomachie  zum  Frosche,  fiirchte  ich  vor 
Allem  auf  der  ganzen  Erde,  den  Habicht,  xtgxog,  und  das  Wiesel, 
yaA«>7,  die  meinem  Geschlecht  viel  des  Leides  gebracht  haben,  dann 
auch  die  schmerzensreiche ,  verhangnissvolle ,  triigerische  Falle,  am 
am  meisten  aber  doch  das  Wiesel,  das  das  starkste  ist,  und  mir  selbst 
in  meine  Locher  spurend  nachkriecht.  In  den  Wespen  des  Aristo- 


Die  Katze.  459 

phanes  erwidert  auf  die  Aufforderung  des  Einen:  erzahle  mir  eiue 
Hausgeschichte,  der  Andere :  o,  darnit  kann  ich  dienen ;  also  es 
war  einmal  ein  Mausel  und  ein  Wiesel,  ovxw  TTOT  r\v  favg  xal  yahrj 
—  wie  man  bei  uns  den  Kindern  vortragt:  es  war  einmal  ein 
Katzchen  und  ein  Mauschen.  Auch  in  einem  Stiick  des  Plautu& 
hat  vor  den  Fiissen  des  Redenden  das  Wiesel  eine  Maus  gefangen^ 
Stich.  3,  460: 

spectatum  hoc  mihist: 
Mustella  murem  ut  abstulit  praeter  pedes. 

Die  agyptische  Hauskatze  wird  von  den  griechischen  Berichterstattem 
alkovQoc,  genannt ;  wo  das  Wort ,  das  iiberhaupt  nicht  haufig  vor- 
kommt,  auf  ein  griechisches  Thier  angewandt  wird,  hindert  nichts,. 
an  den  Harder  oder  die  Wildkatze  zu  denken.  In  der  Stelie  des  in 
Alexandrien  dichtenden  Kallimachus  in  Cerer.  Ill  konnte  auf  den 
ersten  Blick  die  Wahrscheinlichkeit  fiir  die  agyptische  Katze  sprechen  ^ 
Erysichthon  hat  im  Heisshunger  A  lies  im  Hause  verzehrt,  die  Kuh,. 
das  kriegerische  Ross, 

xal  Tav  attovQOv,  rav  gigs  fie  D-riQia  xixxd  — , 

wozu  der  Schol.  die  Erklarung  fiigt:  wv  idtwg  faycftevov  xdrrov. 
Aber  dass  die  kleinen  Thiere  die  aUovQog  fiirchten,  ist  noch  cha- 
rakteristischer  fiir  den  Hausmarder  als  fiir  die  zwar  auch  rauberische 
aber  doch  auch  schmeichlerische,  weichliche  Hauskatze,  der  also  der 
Dichter  wohl  ein  anderes  Epitheton  gegeben  hatte.  Aehnlich  steht 
es  niit  einem  Verse  der  gleichfalls  in  Alexandrien  spielenden  fiinf- 
zehnten  Idylle  des  Theokrit.  Dort  schildert  die  ungeduldige  Haus- 
frau  eine  saumige  Magd  mit  den  Worten: 

ndfav  at  yakecu  [tahaxaJs  XQfl&vu  xaSsvdecv; 

wolleii  die  Wiesel  wieder  weich  schlummern?  Hier  konnte  der 
Dichter,  da  wir  uns,  wie  gesagt,  in  Alexandrien  befinden,  in  der  That 
an  agyptische  Hauskatzen  gedacht  haben,  doch  werden  auch  zahme 
Wiesel  oder  Marder  ein  weiches  Lager  nicht  verschmaht  haben.  In 
einem  Fragment  des  komischen  Dichters  Anaxandrides  bei  Athen.  7 
p.  300  verhohnt  der  Redende  einen  Aegypter  wegen  der  agyptischen 
Sitten ,  die  er  nach  dem  Vorgange  Herodots  als  den  griechischen 
grade  entgegengesetzt  schildert:  wenn  du,  sagt  er  unter  Anderem, 
eine  Katze  leiden  siehst,  so  weinst  du,  ich  aber  schlage  sie  am  lieb- 
sten  todt  und  zieh  ihr  das  Fell  ab: 

Tbv  als^ovQov  xaxbv  S%OVT    eav 
g,  syw  &  ydMiu    anoxisivag 


460  Die  Katze. 

wo  der  Grieche  sein  griechisches,  jenero  agyptischen  entsprechendes 
Thier  im  Sinne  haben  konnte.  Das  lateinische  mustela  passt  genau 
auf  das  Wiesel,  aber  auch  felis  1st  nirgends  die  zahme  Katze,  sondern 
sei  es  der  Iltis  und  Harder,  oder  die  Wildkatze.  Die  landwirth- 
schaftlichen  Schriftsteller  Varro  und  Columella  lehren  die  Enten- 
hauser  und  Hasenparks  so  anlegen,  dass  keine  feles  und  meles  Ein- 
gang  finden  konnen  -  -  wobei  sie  unmoglich  an  Hauskatzen  gedacht 
haben  konnen.  Die  Art,  wie  Horaz  Sat.  2,  6,  79  die  bekannte  Fabel 
von  der  Land-  und  Stadtmaus  erzahlt,  beweist  augenscheinlich,  dass 
zu  des  Dichters  Zeit  in  den  Hausern  der  Hauptstadt  noch  keine 
Katzen  gehalten  wurden:  »Eine  Stadtmaus  machte  der  Feldmaus 
einen  Besuch  und  wurde  von  dieser  nach  Kraften  bewirthet,  mit 
Erbsen,  Haferkornern ,  wilden  Beeren  und  Stiickchen  Speck.  Der 
verwohnte  Gast  aber  verschmahte  die  gemeine  Kost  und  sprach: 
Was  nutzt  es  dir  hier  in  Feld  und  Wald  einsam  und  fern  von  den 
Menschen  zu  leben?  Komm,  folge  mir  in  die  Stadt,  da  giebt  es 
bessere  Bissen.  Beide  brachen  auf,  es  war  tiefe  Nacbt,  krochen 
durch  ein  Loch  der  Mauer  und  schlichen  in  das  stadtische  Haus. 
Da  standen  noch  die  Schiisseln  und  Korbe  vom  Gastmahl  des  vori- 
gen  Abends,  sie  liessen  sich's  schmecken  und  ruhten  auf  purpurnen 
Teppichen.  Da  plotzlich  —  sehen  sie  die  Katze  herbeischleichen 
und  retten  sich  kaum  aus  ausserster  Todesnoth  ?  Ganz  und  gar  nicht, 
sondern  die  Thiiren  offnen  sich  mit  Gerausch,  lautes  Hundegebell 
erschuttert  das  Haus,  beide  Mause  laufen  angstlich  hin  und  her  und 
furchten  sich  fast  zu  Tode.  Da  sagte  die  Feldmaus:  ich  danke 
schon  fur  dies  schwelgerische  Leben ;  da  gefallt  mir  mein  Loch  in 
der  Erde,  wo  ich  sicher  und  ungestort  bin,  mehr,  wenn  es  da 
auch  nur  Erbsen  zu  nagen  giebt. «  —  Hier  wtirde  ein  neuer  Fabel- 
dichter  statt  des  Motivs  der  Bedienten,  die  friihmorgens  zur  Reini- 
gung  des  Speisesaales  eintreten,  unfehlbar  der  Katze  ihre  Rolle  an- 
gewiesen  und  auch  von  den  bellenden  Hunden  nichts  erwahnt  haben. 
-  Bei  Plinius  findet  sich  einige  Bekanntschaft  mit  den  Eigenheiten 
der  Katze,  felis,  aber  als  zahme  Hausfreundin  der  Menschen  stellt 
auch  er  sie  nicht  dar,  10,  202:  Feles  quidem  quo  silentio,  quam 
levibus  vestigiis  obrepunt  avibus!  quam  occulte  speculator  in  mus- 
culos  exsiliunt!  excrcmenta  sua  effossa  obruunt  terra  intelligcntes 
odorem  ilium  indicem  sui  esse.  Richtige  Beobachtungen ,  die  aber 
an  der  europaischen  wilden  Katze  sich  ganz  ebenso  machen  liessen, 
wie  die  entsprechenden  am  Fuchs  und  anderen  Thieren  der  Walder 
und  Berge.  Ein  pompejanisches  Mosaikbild,  jetzt  im  Museo  nazionale 


Pie  Katze. 

in  Neapel,  zeigt  eine  Katze,  »die  eine  Wachtel  zerreisst«,  —  aber 
das  luchsartige,  etvvas  gestreifte  Fell,  sowie  der  Ausdruck  des  Kopfes 
deuten  mehr  auf  die  wilde  Katze,  wenn  auch  eine  ahnliche  Bildung 
bin  und  wieder  bei  der  jetzigen  Hauskatze  vorkommen  mag.  Auch 
die  bei  Mazois  II,  t.  55  abgebildete  Katze  ist  zwar  ein  katzenartiges- 
Tbier,  aber  unmoglich  eine  Hauskatze;  aucb  sagt  der  Herausgeber 
selbst:  un  chat  represent^  avec  assez  peu  de  naturel.  Bei  den  Auf  - 
grabungen  in  Pompeji  haben  sich  nirgends  die  Reste  einer  Katze  ge- 
zeigt,  s.  das  Ausland  1872,  n  °  7,  Zur  alteren  Geschichte  des  Vesuv, 
S.  167:  Pferde,  Hunde,  Ziegen  und  Haustbiere  wurden  verscbiittet 
und  ibre  Reste  sind  wieder  aufgefunden  worden;  »merkwurdiger 
Weise  waren  aber  alle  Katzen  scbon  bei  Zeiten  verscbwunden.«  Die 
Merkwiirdigkeit  hort  auf,  wenn  es  in  der  Stadt  eben  noch  kerne 
Katzen  gab.  Aucb  die  Thierchen  auf  friiben  tarentiniscben  und 
rbeginischen  Miinzen,  die  von  einigen  fur  Katzen  genommen  worden 
sind,  konnen  bei  ibrer  Kleinheit  und  Unbestimmtheit  auf  jede  andere 
Art  gedeutet  werden  —  wie  Jeder  zugeben  wird,  der  solche  Miinzen 
in  der  Hand  gebabt  bat.  -  Sehen  wir  uns  in  der  Literatur  der 
Fabel  um,  so  gewahrt  uns  diese  leider  keinen  sichern  chronologiscben 
Anhalt.  In  den  im  Volksmunde  in  alter  Zeit  lebenden  asopischen 
Fabeln,  so  weit  sie  uns  in  Brucbstiicken  und  Andeutungen  bei  den 
Schriftstellern  cler  klassischen  Zeit  erhalten  sind,  tritt  nirgends  die 
Katze  auf.  Bei  Babrios,  dessen  Zeitalter  streitig  ist,  erscheint  in  zwei 
Fabeln  der  alkovQog,  beide  Mai  deutlich  als  Marder,  der  dem  Hiihner- 
volk  nacbstellt:  in  Fabel  17  hangt  sicb  der  aUovQog  als  Sack  (wg 
Vvhaxog  rig,  als  Beutel  von  Marderfell)  am  Pflock  auf,  wird  aber 
vom  Habn  an  dem  noch  dran  sitzenden  Gebiss  erkannt,  in  Fabel 
121  ist  die  Henne  krank  und  der  alhovQog  schleicht  theilnehmend 
herbei,  worauf  jene  sagt:  geh  nur  fort,  das  ist  die  beste  Art, 
meinen  Tod  zu  verhiiten.  Als  Feindin  der  Maus  sieht  auch  Babrios 
das  Wiesel  an:  Fabel  32,  wo  das  Wiesel  in  eine  schone  Frau  ver- 
wandelt  wird  und  bei  der  Hochzeit  sich  durch  Verfolgung  einer 
Maus  verrath,  beweist  dies  unwidersprechlich  (wir  sagen  dagegen: 
die  Katze  lasst  das  Mausen  nicht),  ebenso  Fabel  31,  wo  die  Wiesel, 
yahal ,  und  die  Mause  Krieg  flihren.  In  den  Fabeln  des  Phadrus 
ist  das  Verhaltniss  ganz  dasselbe.  Auch  da  fiihren,  4,  6,  die  Mause 
und  die  Wiesel  Krieg  und  ein  vom  Menschen  gefangenes  Wiesel 
ruft,  1,  22,  aus:  schone  mich,  quae  tibi  molestis  muribus  purgo 
domum.  Aber  bei  Palladius,  als  die  Tage  des  westromischen  Reiches 
bereits  gezahlt  waren,  erkennen  wir  unsere  Hauskatze  unter  dem 


462  Vie  Katze. 

nur  fur  dies  neue  Hausthier  geltenden  Namen  catus,  der  seitdem 
Ton  Italien  aus,  wie  das  agyptische  Thier  selbst,  zu  alien  Volkern 
gewandert  1st,  nicht  bloss  zu  alien  europaischen ,  Basken ,  Finnen, 
Albanesen  und  Neugriechen  mit  eingeschlossen ,  sondern  auch  weit- 
hin  in  den  Orient  zu  Asiaten  des  verschiedensten  Stammes90).  Die 
Worte  des  Palladius  lauten  4,  9,  4:  Contra  talpas  prodest  catos  (in 
.anderen  Handschriften  cattos)  frequenter  habere  in  mediis  carduetis 
(Artischockengarten).  mustelas  hdbent  pleriqiie  mansuetas  (die  also 
damals  noch  haufiger  waren).  aliqui  foramina  earum  (oder  eorum) 
rubriea  et  succo  agrestis  cucumeris  impleverunt.  nonnulli  juxta  cu- 
bilia  talparum  plures  cavernas  aperiunt,  ut  illae  territae  fugiant 
solis  admissu.  plerique  laqueos  in  aditu  earum  (eorum)  setis  pen- 
dentibus  ponunt.  Unter  talpae  verstand  Palladius,  der  schon  roma- 
nische  Neigungen  zeigt,  an  dieser  Stelle,  wie  wir  glauben,  die  Maus, 
nicht  den  Maulwurf,  italienisch  topo  masc.  die  Maus  (aus  talpa); 
die  Variante  eorum  konnte  in  diesem  Falle  schon  von  dem  Ver- 
fasser  selbst  herriihren,  wie  ja  auch  Vergil  das  Wort  talpa  mann- 
lich  gebraucht  hatte.  Nach  Palladius  finden  wir  das  Wort  wieder 
bei  dem  griechisch  schreibenden  Kirchenhistoriker  Evagrius  Scho- 
lasticus,  4,  23 :  cflAovQov ,  J]v  xdirav  r/  tiwrfteia  hzysi.  Evagrius 
lebte  in  Epiphania  in  Colesyrien  und  fiihrte  seine  Geschichte  bis 
zum  Jahre  594  ;  gegen  das  Jahr  600  also  war  der  Ausdruck  xdrta 
in  Vorderasien  schon  ein  gewohnlicher.  Das  GwySeia  des  Evagrius 
driickt  im  aussersten  Westen  der  ungefahr  gleichzeitige  oder  nur 
wenig  spatere  Isidorus  durch  vulgus  aus,  12,  2,  38  :  htme  (murionem) 
vulgus  catum  a  captura  vocant.  Auch  sonst  kommt  das  Wort  in 
diesen  Zeiten  und  mit  jedem  Menschenalter  haufiger  vor,  s.  Ducange. 
Es  war  eine  in  Italien  gebildete  Volksbenennung :  das  Thierchen, 
das  Junge,  wie  man  fur  Gans  das  Vogelchen,  auca,  fiir  Schaf  la 
pecora  u.  s.  w.  sagte.  Wenigstens  ist  dies  immer  noch  die  wahr- 
scheinlichste  Herleitung.  Ob  aber  nicht  eine  besondere  Veranlassung 
vorlag,  dass  jetzt  gerade  ein  agyptisches  Thier,  an  das  die  Griechen 
und  Romer  bisher  nicht  gedacht  hatten,  in  den  Hausern  gewohnlicher 
wurde,  als  fruher?  Die  Geschichte  schweigt  davon,  doch  drangt  sich 
folgende  Vermuthung  auf.  Zur  Zeit  der  Volkerwanderung  iiberzog 
von  Asien  her  ein  bis  dahin  unbekanntes  gefrassiges  Nagethier,  die 
Ratte,  mus  rattus,  die  Keller,  Speicher  und  Wohnungen  der  euro- 
paischen Welt.  Der  Zeitpunkt  ihres  Erscheinens  und  die  Richtung 
ihres  Weges  ist  nicht  uberliefert,  aber  der  Name  Ratte  findet  sich 
-schon  in  friihen  althochdeutschen  Glossaren,  sowie  in  dem  angel- 


Die  Katze.  463 

sachsischen  des  Alfric  in  England  und  ist  also  bedeutend  alter,  als 
Albertus  Magnus,  bei  d.em  dies  Thier  von  Naturforschern  signalisirt 
worden  ist.  Zog  es  im  Gefolge  der  Volkerstrome  in  Europa  ein, 
•ward  es  im  Herzen  Asiens  durch  den  Aufbruch  turkischer  Volker,  z.  B. 
der  Hunnen,  mitbeunruhigt ?  Als  es  den  Osten  Europas  erreichte, 
miissen  die  Slaven  sich  bereits  in  Stamme  gesondert  haben,  denn 
sie  benennen  es  ungleich;  der  Pole  sagt  szczur  (gleich  ahd.  scero  die 
Schermaus,  der  Maulwurf,  also  wie  talpa  =  Maus),  der  Russe  Jcrysa, 
die  Donauslaven  wieder  anders.  Der  deutsche  Name  Ratte,  Ratz, 
ahd.  rato,  wird  ein  anlautendes  h  verloren  haben  und  mit  dem  alt- 
slavischen  Jcriitu,  russischen.  Jcrot,  der  Maulwurf,  lit.  kertus,  die  Spitz- 
maus,  identisch  seiu.  Altirisch  hiess  die  Ratte  frankische  Maus 
(Stokes,  ir.  gl.  248),  sie  war  den  Iren  also  vom  Frankenlande  zu- 
gekommen.  Eine  zweite,  noch  furchtbarere  Invasion  der  Art  hat 
Europa  seit  dem  ersten  Drittel  des  achtzehnten  Jahrhunderts  erlebt: 
da  erschien  die  grosse  Wanderratte,  Mus  decumanus,  an  der  unteren 
Wolga,  uberzog  mit  allmahligem,  oft  eigensinnigem  Vorriicken  eine 
Stadt  und  Gegend  nach  der  anderen,  verbreitete  sich  mit  Fluss-  und 
Seeschiffen  —  denn  sie  hat  eine  Vorliebe  fur  Wasserfahrten  —  und 
in  den  Revolutionskriegen  mit  den  Magazinen  der  osterreichischen 
und  russischen  Armeen  uber  Deutschland  und  den  Westen  Europas 
und  hat  seit  lange  nicht  bloss  von  Paris  und  London  Besitz  genommen 
(vielleicht  zu  Schiffe  direkt  von  Ostindien),  sondern  im  Wege  des 
Handels  auch  die  neue  Welt  jenseits  des  atlantischen  Oceans  erreicht, 
uberall  ihre  schwachere  Vorgangerin,  die  Hausratte  des  Mittelalters, 
ausrottend  (s.  v.  Middendorff,  Sibirische  Reise,  IV,  S.  887  if.).  Auch 
die  kleine,  niedliche,  naschhafte  Hausmaus  muss  einst  so  aus  dem 
siidlichen  Asien  zu  uns  herubergekommen  sein  -  -  fiel  ihre  Ankunft 
etwa  mit  dem  Einbruch  der  Indoeuropaer  zusammen?  Noch  andere 
Thiere,  die  dem  Alterthum  unbekannt  waren,  scheinen  mit  der  Volker- 
wanclerung  oder  mit  dem  Eindringen  von  Kultur  und  Strassen  in  den 
dunklen  Osten  Europas  in  den  Gesichtskreis  der  Kulturvolker  des 
Westens  getreten  zu  sein,  so  der  Dachs  und  der  Hamster.  Der 
Name  des  ersteren  verbreitete  sich  von  den  Germanen  her  iiber  das 
romanische  Gebiet,  dem  das  Thier  bis  dahin  fremd  gewesen  zu  sein 
scheint;  der  des  letzteren,  in  Italien  unbekannt,  in  Frankreich  roh 
aus  dem  Deutschen  heriibergenommen :  le  hamster,  von  den  Germanen 
einem  slavischen  Worte  nachgesprochen,  deutet  auf  einen  von  Osten 
gekommenen  Erdbewohner,  dem  die  Lichtung  der  Walder  durch  den 
Ackerbau  den  Weg  bahnte91). 


464  Die  Katze. 

Den  Germanen  kam  die  Katze  zu  einer  Zeit  zu,  wo  die  niythische 
Produktion,  wenn  auch  geschwacht,  doch  nicht  ganz  erloschen  war92). 
Die  Katze  wurde  das  Lieblingsthier  der  Freya,  der  Liebesgottin, 
vielleicht  in  Vertretung  des  Wiesels.  Grimm  DM2  634:  »der  Freya 
Wagen  war  mit  zwei  Katzen  bespannt.  Katze  und  Wiesel  galten 
fur  kluge,  zauberkundige  Thiere,  die  man  zu  schonen  Ursache  hat. « 
Im  spateren  Mittelalter  verwandeln  sich  Hexen  und  Zauberinnen  in 
.Katzen,  wozu  das  schleichende,  nachtwandlerische  Wesen,  das  dunkle 
Fell,  die  im  Finstern  unheimlich  gliihenden  Augen  des  Thieres  auch 
ohne  Erinnerung  an  das  Heidenthum  Anlass  geben  konnten.  Die 
markische  Sage  bei  Kuhn  n°  143  a  mag  statt  aller  ubrigen  der  Art 
dienen:  »Am  letzten  April  war  ein  Miillergesell  noch  spat  Abends 
in  einer  Miihle  beschaftigt,  da  kommt  eine  schwarze  Katze  zur  Miihle 
hinein;  er  versetzt  ihr  einen  Schlag  auf  den  Vorderfuss,  dass  sie 
schreiend  davonlauft.  Andern  Morgen,  als  er  in  das  Haus  des 
Miillers  kommt,  bemerkt  er,  dass  dessen  Frau  mit  gequetschtem  Arm 
im  Bett  liegt,  und  erfahrt,  dass  sie  das  seit  gestern  Abend  habe, 
Niemand  wisse  woher.  Da  hat  er  denn  gemerkt,  dass  die  Miiller- 
frau  eine  Hexe  war,  und  dass  sie  am  vorigen  Abend  als  Katze  zum 
Blocksberg  gewesen  sein  musse.«  Dass  auch  vornehme  Weiber  und 
Fiirstinnen  schon  im  eilften  Jahrhundert  Lieblingskatzen  im  Schoss 
hielten  und  mit  Leckerbissen  fiitterten,  beweist  das  Beispiel  der 
Gemahlin  des  Kaisers  Constantin  Monomachus  bei  Tzetzes,  ChiL 
5,  522: 

SxtJisQ  ya."hrp>  xamtxwv,  ya&rjv  TWV  JUVOXTOVOOV 
TI  Movoftdxov  av£vyog  ^,ua>v  tov  GI£<$YI<POQOV  u.  s.  w. 
Noch  jetzt  ist  das  Thier  im  europaischen  Osten  und  Siiden  und  bei 
Morgenlandern  beliebter,  als  bei  den  Volkern  germanischer  Abkunft, 
in  Russland  giebt  es  keinen  Kauf laden,  an  dessen  Schwelle  nicht 
eine  wohlgenahrte  Katze  im  Halbschlummer  blinzelnd  lage.  Auch 
in  Frankreich  ist  die  Katze  die  gern  gesehene  Freundin  des  Hauses 
und  der  Familien,  und  in  Italien  herrscht  eine  allgemeine  Vorliebe 
fiir  das  feine,  reinliche,  graziose  Thier.  »In  mancher  Kirche  von 
Venedig  bis  Rom,  erzahlt  Fridolin  Hoffmann  (Bilder  romischen 
Lebens,  Miinster  1871),  sah  ich  wohlgenahrte  Sakristei  -  Kater  auf 
den  Balustraden  der  Seitenaltare  oder  selbst  auf  der  Communionbank 
sitzen;  sogar  der  Gottesdienst  stort  die  Thiere  nicht  in  ihrer  Behag- 
lichkeit.  Ruhig  schreiten  sie  mitunter  hin,  wahrend  der  Klange  der 
Orgel,  iiber  den  vordern  hohen  Theil  der  Kniebanke,  und  die  Leute 
sind  sogar  so  artig,  ihre  Hande  mit  dem  Gebetbuch  zu  liiften,  urn 


Die  Katze.  455 

den  Spazierganger  ungehindert  vorbeizulassen.  Angesichts  solcher 
Bevorzugung  1st  es  also  nicht  zu  verwundern,  wenn  selbst  in  sehr 
anstandigen  Wirtbshausern  auf  einmal  eine  oder  zwei  Katzen  sich 
neben  uns  auf  einem  Sessel  oder  einer  gepolsterten  Bank  nieder- 
lassen,  bebabig  spinnen  oder  sich  niit  der  Schnauze  seitwarts  mag- 
netisch  reiben.  Wie  einzelne  Menscben  von  diesem  Thier  in  unbe- 
greif  licber  Weise  angezogen  werden,  dafiir  ist  der  Berner  Tagelohner 
Gottfried  Mind,  der  Katzen-Rafael,  ein  Beispiel.  Er  war  als  Knabe, 
wie  spater  als  Mann,  stumpf  fiir  Alles  und  fast  blodsinnig,  nur  das 
Leben  und  Treiben  der  Katzen  beobachtete  er  mit  Verstandniss 
und  Liebe  und  stellte  es  in  Aquarellbildern  meisterhaft  dar  (er 
starb  1814). 

*  Vor  mehreren  Jahren  ist  in  Bubastis,  pe-Bast  »dem  Ort  der  Bast«, 
der  katzenkopfigen  Gottin,  welcher  das  Thier  heilig  war,  ein  Katzenfriedhof 
von  ungeheurer  Ausdehnung  entdeckt  worden.  Hier  traten  auch  unzahlige 
Bronzestatuetten  von  Katzen  in  alien  moglichen  Stellungen  zu  Tage.  Des- 
gleichen  wurden  an  zahlreichen  anderen  Orten  Aegyptens  Ueberreste  der 
Katze,  die  in  Aegypten  theils  begraben,  theils  mumificirt  wurde,  aufgefunden 
(woriiber  A.  Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  283  ff.).  Vie  Skelette  dieser 
agyptischen  Katze  wurden  in  der  Berliner  Gesellschaft  fiir  Anthropologie, 
Ethnologic  und  Urgeschichte  (vgl.  Verh.  derselben  1889  S.  458  ff.  und  552  ff.) 
der  Gegenstand  einer  sehr  eingehenden  Discussion,  an  welcher  sich  R.  Virchow, 
R.  Hartmann,  A.  Nehring,  H.  Brugsch  und  W.  Schwarz  betheiligten.  Es 
waren  hier  also  der  Naturforscher  wie  der  Aegyptologe  und  der  Mythen- 
forscher  vertreten.  Zunachst  sei  aus  dem  Mittheilungen  H.  Brugsch's 
hervorgehoben,  dass  die  Katze  in  Aegypten  nicht  erst  unter  der  XII.  Dynastie 
(oben  S.  457)  erscheint,  sondern  bereits  in  den  »Inschriften  der  neu  geoffneten 
Pyramiden  aus  der  Zeit  der  V.  und  VI.  Dynastie  (angeblich  unter  der  Be- 
zeichnung  miu,  weiblich  miu-f)  vorkommt.«  R.  Virchow  'fasst  die  Haupt- 
ergebnisse  seiner  Untersuchungen  in  folgenden  vier  Satzen  zusammen:  1.  Von 
den  von  Herrn  Naville  (dem  Entdecker  jenes  Katzenfriedhofs  in  Bubastis) 
fiir  Herrn  Virchow  gesammelten  Knochen  aus  »Katzengrabern«  von  Bubastis 
gehort  die  grosse  Mehrzahl  zweifellos  Wildkatzen  und  Ichneumonen  an.  Da- 
gegen  ist  kein  einziger  Knochen  von  Fells  domestica  mit  Sicher- 
heit  constatirt  worden.  2.  Die  alten  Wandgemalde  lehren,  dass  ge- 
/ahmte  Wildkatzen  und  Ichneumonen  von  den  Aegyptern  als  Jagdthiere, 
ahnlich  wie  Lowen  und  Leoparden,  benutzt  wurden.  3.  Es  ist  ein  stren- 
ger  Unterschied  zwischen  bloss  gezahmten  und  wirklich  domes- 
ticirten  Thieren  zu  machen.  4.  Die  altagyptischen  Katze  n  waren 
gezahmte  Wildkatzen.  Fiir  die  Annahme  einer  wirklichen  Do- 
mestication derselben  fehlen  vorlaufig  die  Thatsachen.—  Virchow  be- 
streitet  demnach  auch  die  agyptische  Herkunft  unserer  Hauskatze,  die  vielleicht 
aus  Asien  oder  gar  aus  Europa  stamme,  und  glaubt  namentlich  durch  die 
Ergebnisse  seiner  Forschung  die  Thatsache  zu  erklaren,  dass  die  Hauskatze 

Viet.  Hohn,  Kulturpflanzcn.     7.  Aufl.  30 


466  Die  Katze. 

im  Abendland  so  spat  erscheint,  was  bei  der  engen  Verbindung  Aegyptens 
mit  dem  Abendlande  sonst  nicht  begreiflich  ware.  Sicher  ist  jedenfalls,  dass 
die  gezahmte  Wildkatze  in  dem  alten  Aegypten  als  Jagdgenosse  des  Menschen 
eine  sehr  bedeutende  Kolle  spielte.  Mehrere  Gemalde  aus  Theben  stellen 
die  Felis  pianiculata  auf  der  Gefliigeljagd  in  den  Papyrus-  und  Lotossumpfen 
des  Nils  dar  (vgl.  Hartmann  a.  a.  0.  S.  555),  und  es  ist  daher  ein  edit  agyp- 
tisches  Motiv,  wenn  auf  einer  Dolchklinge  aus  Mykenae  die  Katze  in  eben 
dieser  Eigenschaft,  von  Papyruspflanzen  umgeben  dargestellt  wird  (vgl.  Mittlg. 
des  Instituts  v.  Athen  VII.  T.  8).  Sollten  auf  den  Mtinzen  von  Taras  und 
Khegion  aus  dem  Ende  des  V.  Jahrh.  v.  Chr.  (vgl.  oben  S.  461  und  Imhoof- 
Keller  S.  7)  wirklich  Katzen  abgebildet  sein,  so  wurde  vielleicht  ebenfalls  an 
jene  Verwendung  des  Thieres  als  Jagdgenosse  des  Menschen  zu  denken  sein. 

Eine  gewisse  Vermittlung  zwischen  der  Anschauung  Virchow's  und  der 
oben  von  H.  vorgetragenen  stellen  die  Ausfiihrungen  A.  Nehr  ing's  dar 
(a.  a.  O.  S.  558  ff.).  Nach  ihm  stammen  die  jetzt  in  Europa  vorkommenden 
Hauskatzen  theils  aus  Asien,  theils  und  zwar  hauptsachlich  aus  Nordost- 
Afrika,  eben  von  der  Felis  maniculata  Riipp.  ab.  Diese  sei  nach  Europa  ein- 
gefiihrt  worden  und  habe  in  vielen  Gegenden,  namentlich  in  Deutschland 
Kreuzungen  mit  der  europaischen  Wildkatze  erlitten;  denn  es  sei  unrichtig 
(oben  S.  457),  dass  die  Hauskatze  nicht  verwildere,  im  Gegentheil  habe  die- 
selbe  eine  grosse  Neigung  zur  Ruckkehr  in  den  Naturzustand.  Daneben 
seien  in  Aegypten  noch  andere  grossere  und  starkere  Katzen-Species  ab- 
gerichtet  worden;  aber  eine  dauernde  Domestication  sei  nur  bei  der  Felis' 
maniculata  gelungen.  Hinsichtlich  der  Katzen  von  Bubastis,  deren  Alter  weit 
^uruckgehe,  giebt  er  die  Ansicht  Virchow's  zu.  Fur  die  spateren  Fundorte 
wie  Beni-Hassan  und  Siut  nimmt  er  jedoch  an,  dass  hier  die  Katze  in  einem 
mehr  oder  weniger  vorgeschrittenen  Zustand  der  Domestication  gelebt  habe. 
Auch  ist  nach  F.  Lenormant  Zoologie  historique.  Sur  les  animaux  employes 
par  les  anciens  Egyptiens  a  la  chasse  et  a  la  guerre  (Comptes  rendus  des 
sciences  T.  LXXI  S.  66)  auf  agyptischen  Bildwerken  bereits  der  hausliche 
Kampf  von  Katzen  mit  » Ratten «  (oder  sind  es  nicht  vielmehr  Mause?  sonst 
ware  in  Aegypten  die  Anwesenheit  der  Ratte  viel  frtiher  als  in  Europa  bezeugt) 
wiederholt  dargestellt. 

Um  das  spate  Auftreten  der  Hauskatze  in  Europa  zu  erklaren,  bliebe 
dann  nur  die  Berufung  auf  die  grosse  Heiligkeit  des  Thieres,  die  dem  Export 
im  Wege  stand,  tibrig. 

Ueber  das  erste  Erscheinen  der  Hauskatze  in  den  klassischen  Landern 
hat  K.  Sittl  in  Wolfflin's  Archiv  V.  133  ff.  gehandelt.  Er  mochte  sogar  in 
der  oben  S.  462  angefuhrten  Stelle  des  Palladius  noch  nicht  die  zahme 
Hauskatze  erblicken,  sondern  deutet  die  catti  vielmehr  auf  Frettchen,  die 
die  spanischen  Bauern  benutzt  hatten,  um  Maulwtirfe  (talpa)  auszugrabeii. 
Sicher  ist  jedenfalls,  dass  cattus,  catta  auf  romischem  Boden  auch  fiir  wilde 
katzenahnlichen  Thiere  gebraucht  wurde  (vgl.  Sittl  a.  a.  O.  S.  134).  In  den 
lateinischen  Glossen  (vgl.  G.  Goetz  Thesaurus  1, 190)  werden  diese  Worter  mit 
atXoupos,  alXoopic,  tyv£U|j.u>v,  einmal  auch  mit  ags.  merth  (Harder)  wiedergegeben. 
Bezeichnend  hierfiir  ist  auch  ein  neben  cattus  —  Katze  liegendes  zweites 
cattus  (vgl.  Du  Cange  II 2),  welches  ein  Kriegswerkzeug ,  eine  Art  von  Lauf- 
ganghutten  bezeichnete,  unter  derem  Schutze  man  sich  den  feindlichen  Mauern 


Die  Katze.  467 

naherte.  Diese  Kriegsinaschine  findet  sich  schon  bei  dem  Kriegsschriftsteller 
Vegetius,  der  auch  sonst  Barbarismen  zeigt  (burgus,  drungus),  erwahnt.  Es 
heisst  lib  IV,  cap.  15  nach  der  wahrscheinlichsten  Lesart:  vineas  dixerunt 
veteres,  quas  nunc  militari  barbaricoque  usu  cattos  vacant.  Dem  nach  batten 
diese  Laufganghiitten  schon  im  IV.  Jahrhundert  catti  gehiessen,  wobei  man 
natiirlich  auch  eher  an  ein  wildes  Thier  (vgl.  cuniculus  und  musculus),  als  an 
unsere  zahme  Hauskatze  denken  wird.  Die  erste  sichere  Spur  der  Hauskatze 
findet  Sittl  erst  in  der  Biographic  des  Papstes  Gregors  des  Grossen  von  dem 
Diacoii  Johannes  (urn  600):  Nihil  in  mundo  habebat  praeter  unam  cattam, 
quam  blandiens  crebro  quasi  cohabitatricem  in  suis  gremiis  refovtbat.  Von  nicht 
geringerer  Bedeutung  ist  aber  eine  zweite  ungefahr  derselben  Zeit  angehorige 
Stelle  aus  des  Euagrius  Historia  ecclesiae  VI  Cap.  23  (vgl.  oben  S.  462). 
Hier  wird  von  dem  Saulenheiligen  Symeon  folgendes  erzahlt:  avrj^O-fj  8£  xatoc 
TOV  xiova  s£  ama<;  TOiaaSe.  eti  cjuxpov  xojuS-/]  TYJV  YjXiv.iav  ayouv,  xoopiCcuv  TS  xai 
dXXojAevoi;  ava  TOC?  xoXcuva?  TOO  opoo<;  fttpttgtt,  xal  TrepiTO^wv  irdpSa)  TU>  &Y]pi(i>  TYJV 
£U>VY|V  rcepl  a6)(sva  (3dXXst,  xal  ex  £or?]po<;  ^ft,  TY]<;  cpuosco?  imXaO-ofxevov,  xal  dva  TO 
olxetov  ^ffltft  cppovTcatYjptov.  ortsp  ecupaxax;  6  TOUTOV  jxa^Teocuv  aOtoi;  erci  TOO  xiovoi;  SOTOX:, 
TI  av  EIYJ  TODTO.  6  8s  ecprj  aiXoupov  elvat,  YJV  xatTav  4]  oov^'Q-eta  Xeyst- 

-cv  Te/cfxfjpdjjievoc;  TTYjXixo?  eatai  TYJV  &pETY]v,  eicl  TOO  xiovo^  6tvYjYaY£V*  Der  fromme 
Knabe  fiihrte  also  den  Panther  wie  ein  zahmes  Hauskatzchen  an  einem 
Halsband  umher  und  bezeichnet  das  Thier  als  einen  aiXoopoc,  den  man  fur  ge- 
wohnlich  (vulgo)  xdrca  nenne,  woraus  wir  zugleich  lernen,  dass  der  letztere 
Ausdruck  mehr  in  den  unteren  Schichten  als  in  der  guten  Sprache  lebte. 

Wo  aber  ist  nun  der  Ausgangspunkt  des  Wortes  cattus  zu  suchen?  Die 
oben  S.  462  angefiihrte  Deutung  ist  nicht  annehmbar,  da  die  an  dieser  Stelle 
angenommene  Entstehung  von  cattus  aus  catulus  lautgeschichtlich  unmoglich 
ist.  Wohl  aber  diirfte  cattus,  catta  in  den  nordeuropaischen  Sprachen  wurzeln. 
Hier  ist  zunachst  ein  urkeltisches  *kattd,  *  katto-s  anzusetzen,  aus  dem  die 
historischen  Formen  altir.  cat,  cymr.  cath,  corn,  hat,  bret.  caz  durch  alte 
Lautwandlungen  hervorgegangen  sind,  und  auch  sonst  fehlt  es  nicht  an  An- 
zeichen  fur  das  uralte  Vorhandensein  dieses  Wortes  auf  keltischem  Boden 
(vgl.  Thurneysen  Kelto-Komanisches  S.  62,  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz 
S.  67).  Dieselbe  Sippe  kehrt,  wie  ahd.  kazza,  mhd.  katze,  mnd.,  mndl. 
altfries.  katte,  altn.  kottr,  schwed.  katt,  katta,  dan.  kat,  ags.  catte  (vgl.  Palander 
Althochdeutsche  Tiernamen  S.  52)  zeigen,  in  alien  germanischen  Mund- 
arten  mit  Ausnahme  des  Gothischen  wieder,  wo  es,  da  Katzen  in  der  Bibel  nicht 
vorkommen,  naturgemass  nicht  belegbar  ist.  Dazu  weisen  mittelengl.  chitte, 
nhd.  kitze,  nord.  ketlingr,  die  in  Ablautsverhaltniss  zu  chazza  zu  stehen  scheinen, 
und  die  uralte  ahd.  Maskulinbildung  chataro  (vgl.  F.  Kluge  in  Paul  und  Br. 
B.  XIV,  585)  sehr  alterthiimliche ,  kaum  auf  Entlehnung  hindeutende  Bil- 
dungen  auf. 

Dies  zusammengenommen  mit  den  obigen  Ausfuhrungen  iiber  cattus 
»Laufganghiitte«  (usu  barbarico)  macht  es  wahrscheinlich,  dass  cattus,  catta 
Katze  im  Lateinischen  ein  keltisch-germanisches  Lehnwort  ist,  das,  wie  der 
Name  des  Marders  (Bezzenbergers  B.  XV.  S.  130),  des  Dachses,  des  Bibers 
(biber)  —  vgl.  aus  friiherer  Zeit  ate,  urus,  vison  und  ferner  die  oben  S.  375 
besprochenen  Ausdrucke  der  Falkenjagd  —  auf  romanischen  Boden  iiberging 
und  hier  allmahlich  zur  deutlicheren  Ben,ennung  der  mehr  und  mehr  bekannt 

30* 


468  Die  Katze. 

werdenden  Hauskatze  benutzt  wurde.  Natiirlich  hatte  das  Wort  im  Norden 
von  Haus  aus  die  wilde  Katze  oder  ein  anderes  katzenartiges  Thier  benannt,. 
und  mit  Recht  hat  W.  Schwartz  (a.  a.  O.  S.  462)  darauf  hingewiesen,  dass 
die  oben  S.  464  genannten  mythologischen  Vorstellungen  der  Germanen  zu- 
nachst  an  einem  solehen  hafteten.  —  Vgl.  noch  B.  Placzek,  Wiesel  und  Katze 
(Sonderabdr.  a.  d.  XXVI.  B.  d.  Verb.  d.  naturf.  Vereins  in  Brtinn)  1888  und 
E.  Hahn  Die  Hausthiere  S.  237  ff. 

Was  das  ahd.  rato,  ratta,  mhd.  raize  betrifft,  das  aus  den  slavo-lit. 
Wortern  (oben  S.  463)  nicht  abgeleitet  werden  kann,  so  ist  eine  sichere  Er- 
klarung  noch  nicht  gefunden.  Nach  Ascoli  (vgl.  Palander  a.  a.  0.  S.  74)  ware 
von  den  romanischen  Formen  ital.  ratio  (nach  A.  aus  lat.  rapidus  schnell, 
flink),  span.  ptg.  rato,  frz.  rat  auszugehen,  so  dass  Wort  und  Thier  aus  Italien 
stammten.  Ueber  die  keltischen  Worter  bret.  raz ,  mtlir.  rata,  neuir.  gal. 
raddn  vgl.  Thurneysen,  Kelto-Rom.  S.  75.  In  den  romanischen  Sprachen 
begegnet  ausser  frz.  rat,  it.  ratio,  venetianisch  pantegdna,  friaul.  pantiane,  das 
Ascoli  als  Fettwanst,  O.  Keller,  Lat.  Volksetymologie  S.  318  als  »pontische 
Maus<  deutet. 

Ueber  das  Alter  des  Hamsters  in  Europa  besitzen  wir  jetzt  eine  be- 
sondere  Arbeit  A.  Nehrings:  Ueber  pleistocane  Hamster-Reste  aus  Mittei- 
und  Westeuropa  (Jahrbuch  d.  K.  K.  geol.  Reichsanstalt  1893,  43.  Band,. 
2.  Heft).  Hiernach  erstreckt  sich  das  heutige  Verbreitungsgebiet  des  ge- 
meinen  Hamsters  von  den  Vogesen  und  den  ostlichen  Theilen  Belgiens  durcb 
Deutschland,  Oesterreich  Ungarn,  das  mittlere  und  siidliche  Russland  bis  in 
das  siidliche  Westsibirien  hinein.  »In  Deutschland  liebt  der  gemeine  Hamster 
gewisse  Distrikte,  z.  B.  die  Provinz  Sachsen  und  die  angrenzenden  Theile  des- 
Herzogthums  Braunschweig,  soweit  sie  unbewaldet  sind.  In  anderen  Gegen- 
den  Deutschlands  kommt  er  nur  selten  vor,  wie  z.  B.  in  Oberschwaben,  in 
noch  anderen  z.  B.  in  Westfalen,  Provinz  Posen,  West-  und  Ostpreussen  fehlt 
er  vollstandig.  Die  iiordischen  Lander  Europas  (Danemark,  Skandinavien,. 
Nordrussland)  werden  von  dem  Hamster  nicht  bewohnt;  ebenso  fehlt  er  heut- 
zutage  westlich  und  sudwestlicb  von  der  oben  angegebenen  Grenze ,  also  in 
Holland,  dem  grossten  Theil  von  Belgien,  in  Frankreich.«  Auch  in  Siideuropa 
kommt  der  Hamster  nicht  vor.  Auf  seinem  heutigen  Verbreitungs- 
gebiet aber  ist  das  zu  den  sesshaft  lebenden  Nagern  gehorige 
Thier  nach  Ausweis  seiner  fossilen  Reste  schon  wahrend  der 
Quartar-  oder  Diluvial -Z  eit  heimisch  gewesen,  ja  es  hat  in  der 
Pleistocanzeit  eine  weitere  Verftreitung  nach  Westen  und  Siid- 
westen  (Frankreich,  Schweiz,  Oberitalien)  als  gegenwartig 
gehabt.  Die  Ansicht  Hehns  von  dem  sehr  spaten  Eindringen  des  Hamsters 
in  Europa  (oben  S.  463)  wird  daher  von  N.  als  unrichtig  zuruckgewiesen  und 
angenommen,  dass  der  gemeine  Hamster  schon  im  Laufe  der  jiingeren 
Pleistocanzeit  aus  Osteuropa  nach  Mittel-  und  Westeuropa  vorgedrungen  sei. 
Der  Einwurf,  dass  der  Hamster  wie  Frankreich,  so  auch  unser  Vaterland 
(etwa  wahrend  der  grossten  Ausbreitung  der  germanischen  Urwalder)  ganzlich 
verlassen  haben  und  erst  in  historischer  Zeit  aus  dem  Osten  zuriickgekehrt  sein 
kfaine,  wird  von  Nehring  (Tundren  u.  Steppen,  Berlin  1890  S.  201)  mit  Be- 
rufung  auf  zahlreiche  subfossile,  der  Zeit  des  germanischen  Urwalds  ange- 
horige  Hamsterreste  zuruckgewiesen. 


Der  Biiffel.  469 

Mit  den  angefuhrten  naturwissenschaftlichen  Thatsachen  stimmt  es  tiber- 
ein,  dass  ein  griechischer  und  lateinischer  Name  des  Hamsters  nicht  existirt, 
dass  die  Franzosen  das  Thier  marmotte  d'Allemagne  nennen,  und  dass  im  Alt- 
hochdeutschen,  Altpreussischen ,  Litauischen  und  Slavischen  eigene,  wenn 
auch  dunkle  Nainen  des  Thieres  vorhanden  sind.  Vgl.  dieselben  Anm.  91. 
Was  das  ahd.  hamastro,  hamistro  betrifft,  so  1st  zu  betonen,  dass  dasselbe  in 
der  alteren  Zeit  ausschliesslich  curculio,  Kornwurm  bedeutet  (vgl.  Graff, 
Ahd.  Sprchsch.  IV.).  Darf  man  hieraus  folgern,  dass  dies  die  alteste  und 
einzige  Bedeutung  von  ahd.  hamastro  war,  die  auf  den  Hamster  erst  iiber- 
tragen  wurde,  als  das  Thier  in  Folge  der  Ausrodung  der  Walder  und  der 
Zunahme  des  Ackerbaues  an  Bedeutung  gewann,  so  wurde  ein  Zusammen- 
hang  des  deutschen  Wortes  mit  den  slavischen  Wortern  (Anm.  91)  sehr  un- 
wahrscheinlich  sein. 

Auch  der  Dachs  existirte,  nach  einer  brieflichen  Mittheilung  A.  Neh- 
ring's,  in  Mittel-  und  Westeuropa  sohon  seit  der  altesten  Diluvialzeit.  Die 
Namen  des  Thieres  vgl.  Anm.  91. 


Der  Biiffel. 

In  Folge  der  Volkerwanderung  vermehrte  sich  auch  die  Familie 
der  Kinder,  dieses  Urthieres  der  aus  der  Wildheit  sich  erhebenden 
Menschen,  um  einen  aus  dem  fernen  Siiden  gekornmenen  Verwandten, 
den  schwarzen,  tiickisch  blickenden,  mit  machtiger  Zugkraft  begabten 
Biiffel.  Er  lebt  jetzt  in  den  feuchten,  heissen  Malaria -Ebenen 
Italiens,  in  deren  Schlamm  ihm  wohl  ist  und  deren  giftige  Diinste 
er  nicht  furchtet:  in  den  toskanischen  Maremmen,  in  den  Niederungen 
der  Tibermiindung,  in  den  pontinischen  Sumpfen,  bei  Pastum,  in  der 
Basilicata,  in  den  Landes  der  Gascogne,  in  manchen  Gegenden  Un. 
garns  u.  s.  w.  Gleich  ungeheuren  Schweinen  walzen  sich  die  pon- 
tinischen Biiffel  in  dem  baumhohen  Schilfe ,  beim  Geransch  des 
Wagens  stillhaltend  und  den  voriiberziehenden  Reisenden  dumm  an- 
stierend,  oder  stecken,  gesichert  vor  den  Stichen  der  Bremsen,  bis 
an  die  Nustern  im  Schlamme  der  Siimpfe.  Der  Biiffel  wird  benutzt 
wie  das  gemeine  Rind,  zieht  den  schweren  Pflug,  den  hochgethiirmten 
Erntewagen,  den  gewaltigen,  mit  Steinen  beladenen  zweiradrigen 
Karren,  liefert  Milch  und  sehr  geschatzten  Kase  (die  in  Neapel  so- 
genannten  muzzarelli)  und  nach  dem  Tode  das  grobe  Fell  zu  dem 
schwersten  derben  Leder.  Auch  im  Morgenlande  fand  Niebuhr  dies 
Thier  sehr  verbreitet,  Beschreibung  von  Arabien,  Kopenhagen  1772, 
S.  165:  »Den  Biiffelochsen  findet  man  in  den  Morgenlandern  fast  in 


470  Der  Buffel. 

alien  sumpfigen  Gegenden  und  bei  grossen  Fliissen  und  daselbst  ge- 
meiniglich  in  grosserer  Menge  als  das  gemeine  Hornvieh.  Die  Biiffel- 
kiihe  geben  mehr  Milch  und  die  Biiffelochsen  sind  zur  Arbeit 
wenigstens  eben  so  geschickt  als  die  gemeinen.  Ich  sah  Buffel  in 
Aegypten,  auf  der  Insel  Bombay,  bei  Surat,  am  Euphrat,  Tigris, 
Orontes,  zu  Scanderone  u.  s.  w.  Ich  erinnere  ruich  nicht,  sie  in 
Arabien  gefunden  zu  haben,  und  da  ist  fur  dieses  Thier  auch  zu 
wenig  Wasser.  Das  Fleisch  der  Biiffelochsen  schmeckte  mir  nicht  so 
gut  als  anderes  Ochsenfleisch.  Es  ist  barter  und  grobf  asriger. « 
Wahrend  der  unaufhaltsame  Kulturprocess  die  koniglichen  eigen- 
willigen,  wuthenden  Bewohner  der  europaischen  W  alder,  den  Ur  und 
den  Bison,  bis  auf  einen  geringen  Rest  vertilgt  hat,  brachte  das 
Volkergedrange  diesen  Fremdling  von  den  Grenzen  Ostindiens  bis 
an  die  Siidkiisten  Italiens.  Dort  in  Arachosien,  nach  dem  heutigen 
Kabul  zu,  kennt  Aristoteles  einen  wilden  Ochsen,  der  der  Be- 
schreibung  des  Meisters  nach  kein  anderer,  als  unser  heutiger  Buffel 
gewesen  ist,  anim.  2,  1  (II,  4):  ev  *Aga%(»Tai<; ,  OVTTSQ  xal  ol  floss 
ol  aygioi,  dcaysQovai,  J'  ol  ayQioi  TWV  fj/meQwv  oaov  neg  ol  vsg  ol 
ayQioe,  Ttgog  rovg  ypfyovg'  f,is^av£g  vs  ydg  slat,  xal  la%vQol  TW  sl'See, 
xal  emyQVTtoe, ,  xa  tie  xsgam  £%VTiit,d£ovza  s'xovfa  fiaMov.  Von  dort 
her  miissen  sich  in  den  folgenden  Jahrhunderten  die  Buffel  weiter  durch 
Asien  verbreitet  haben;  in  Italien  zeigten  sie  sich  zuerst  gegen  das 
Jahr  600  nach  Chr.  unter  der  Regierung  des  longobardischen  Konigs 
Agilulf,  Paul.  Diac.  4,  11:  tune  primum  caballi  silvatici  et  bubali  in 
Italiam  delati  Italiae  populis  miracula  fuerunt93).  Wir  miissen  dem 
longobardischen  Monche  f(ir  diese  Nachricht  dankbar  sein,  denn  wie 
selten  lassen  sich  die  Geschichtsschreiber,  die  mit  Kriegsziigen  und 
Thronstreitigkeiten  alle  Hande  voll  zu  thun  haben,  herab,  uns  einen 
kulturhistorischen  Brocken  zuzuwerfen,  —  batten  aber  doch  etwas 
nahere  Auskunft  gewiinscht.  Waren  diese  bubali  etwa  die  uri  und 
bisontes  der  europaischen  Walder?  Schwerlich,  denn  diese  mussten 
doch  schon  viel  und  oft  in  Italien  gesehen  word  en  sein  und  hatten 
weder  bei  Romern  noch  bei  Longobarden  Verwunderung  erregt. 
Wenn  es  aber  wirkliche  Buffel  waren,  —  woher  und  auf  welchem 
Wege  kamen  diese  Bewohner  warmer  Landstriche  in  das  ferae,  kalte 
Europa?  Zu  Schiffe  konnten  sie  nicht  -eingefiihrt  sein.  Da  sie  in 
Gesellschaft  wilder  Pferde  erschienen,  so  scheint  uns  wahrscheinlich, 
dass  sie  ein  Geschenk  des  Chans  der  Awaren  an  den  Longobarden- 
konig  waren ;  denn  dies  Nomadenvolk  tiirkischen  Stammes,  das  damals 
an  der  Donau  hauste  und  in  furchtbaren  Verheerungsziigen  das 


Per  Biiffel.  471 

romische  Reich  heimsuchte,  stand  mit  dem  longobardischen  Hofe  in 
freundlichen  Beziehungen.  Schickte  Konig  Agilulf  dem  Chan  der 
Awaren  Schiffsbaumeister,  die  ihm  die  Fahrzeuge  zur  Eroberung 
einer  Insel  in  Thrakien  stellten,  so  konnte  Jener  wohl  Produkte  aus 
dem  Herzen  Asiens  als  Gegengabe  bieten.  So  sind  die  schwarzen, 
nackten,  schwerwandelnden  Biiffel,  die  in  so  charakteristisch  asiatischer 
Weise  von  fluehtigen  Hirten  zu  Pferde  mit  der  langen  Pike  im  Steig- 
biigel  umkreist  und  in  Ordnung  gehalten  werden,  noch  lebendige 
Zeugen  jener  furchtbaren  Zeiten,  wo  die  unermessliche  ostliche  Land- 
masse,  mit  der  die  Halbinsel  Europa  ohne  andere  Schutzwehr  als 
die  Entfernung  zusammenhangt,  ihre  Horden  ausspie,  um  wo  moglich 
alle  Menschlichkeit ,  das  Werk  und  den  Gewinn  langer  veredelnder 
Arbeit,  bis  auf  die  Wurzel  zu  vertilgen.  Dass  die  ganzen  und  halben 
Nomaden,  die  sich  in  dem  schonen,  fruchtbaren,  einst  hochkultivirten 
Pannonien  wechselweise  lagerten  und  verdrangten,  neue  Rindvieh- 
racen  mitbrachten  und  vielleicht  vortheilhaftere ,  als  das  Alterthmn 
sie  aus  der  Ueberlieferung  der  Vorwelt  besass,  lag  in  der  Natur  der 
Dinge;  eben  so  dass  diese  auch  in  Italien  einwanderten  und  ihren 
Stamm  daselbst  behaupteten,  nachdem  die  Volkerwoge,  die  sie  herbei- 
getragen  hatte,  langst  abgeflossen  war.  Die  dreifache  Race  der  siid- 
russischen  Steppen,  einer  klassischen  Rindviehgegend,  ist  ein  Nieder- 
schlag  von  eben  so  viel  Nomaderi-Einbruchen.  Der  sogenannte 
ukrainische  oder  podolische  oder  ungarische  Ochs,  gross,  grauweiss, 
hochbeinig,  langgehornt,  reich  an  Talg  und  Fleisch,  das  Zugthier 
der  Lastwagen  und  Frachtf uhren ,  die  die  Steppe  oft  hunderte  von 
Wersten  weit  durchziehen,  findet  seinen  Verwandten  in  der  siidlich 
vom  Po  durch  Mittelitalien  herrschenden  grossen  weisslichen  Art 
mit  den  langen  von  einander  abstehenden  Hornern,  die  auch  nach 
Spanien  und  Algier  iibergegangen  ist.  Da  schon  Varro  sagt  2,  5,  10: 
albi  in  Italia  non  tarn  frequentes,  quam  qui  in  Thracia  ad  fis^ava 
%6A,7TOi>,  ubi  alio  color e  pauci,  so  konnte  dies  das  skythische  Vieh 
gewesen  sein,  gekommen  mit  den  iranischen  Weidevolkern  und  durch 
Gothen  oder  Longobarden  nach  Italien  verschlagen.  Eben  daher  wurde 
die  euboische  Race  stammen,  die  gleichfalls  weiss  war,  Ael.  h.  a. 
12,  36:  xal  Iv  Evflolg.  6s  01  posg  fovxol  TIXTOVTCU  (T/f^ov  TtdvTsg, 
i'v&sv  xot,  xal  dgyCpoiov  Sxdhovv  ol  noirpal  T^V  Evfiocctv,  denn  Euboa 
stand  friihe  mit  Thrakien  und  iiberhaupt  dem  Norden  in  Verbindung. 
Indess  ist  das  skythische  Vieh  bei  Herodot  xotov  und  bei  Hippo- 
krates  xsgeog  aisQ  und  gleicht  also  dem  kleinen  germanischen,  dem 
nach  Tacitus  die  Glorie  der  Stirne  fehlt.  Vielleicht  also  ist  der 


472  Der  Btiffel. 

zweite  siidrussische  Schlag,  das  kleinere,  rothe,  eigentliche  Steppenvieh, 
ein  Abkommling  jener  altskythischen  Heerden ,  wahrend  die  dritte 
Race,  das  sogenannte  kalmukische  Vieh,  wie  der  Name  sagt,  die 
tatarischen  oder  gar  erst  die  mongolischen  Horden  in  den  Westen 
begleitet  hat.  Im  Italien  des  Varro  war  die  gallische  (also  mit  den 
Galliern  eingezogene?)  Race  vorzuglich  zur  Feldarbeit  geeignet,  in 
dem  des  Plinius  gait  das  kleine ,  unansehnliche  Alpenvieh  fiir  das 
milchreichste,  8,  179 :  plurimum  lactis  Alpinis  quibus  minumum  cor- 
poris,  wie  auch  bei  Columella  6,  24,  5  die  Altinischen  Kiihe  im 
Veneterlande  humilis  staturae,  lactis  abundantes  waren.  Noch  zu  des 
Ostgothen  Theodorich  Zeit  war  das  tyrolische  Vieh  klein  aber  kraftig; 
als  die  Alemannen,  von  dem  Frankenkonig  Chlodwig  aufs  Haupt 
geschlagen,  auf  gothischem  Gebiet  Schutz  suchten  und  zum  Theil 
in  Italien  angesiedelt  werden  soil  ten,  da  waren  die  Rinder  der  Fliicht- 
linge  von  der  langen  eiligen  Wanderung  ermudet  und  konnten 
nicht  Aveiter,  und  der  Konig  befahl  den  norischen  Provincialen, 
die  grossen  alemannischen  Thiere  gegen  ihre  kleinen  einzutauschen, 
womit  beiden  Theilen  geholfen  sein  werde,  Cassiod.  Varr.  3,  50: 

Provincialibus  Noricis  Theodor.  R decrevimus,  ut  Alaman- 

norum  boves,  qui  videntur  pretiosiores  propter  corporis  granditatem, 
sed  itineris  longinquitate  defecti  sunt ,  commutari  vobiscum  liceat, 
minor es  quidem  membris,  sed  idoneos  ad  labor es:  ut  et  illorum 
profectio  sanioribus  animalibus  adjuvetur  et  vestri  agri  armentis 
grandioribus  instruantur.  Itaque  fit  ut  illi  acquirant  viribus 
robustos,  vos  forma  conspicuos.  Der  grosse  alemannische  Schlag 
konnte  von  den  gallisch-romischen  Ansiedlern  innerhalb  des  limes 
herriihren,  deren  Stadte  und  Hofe  die  Alemannen  erst  beraubt  und 
verheert  und  dann  in  Besitz  genommen  hatten.  Das  homlose  Vieh 
ist  jetzt  in  Deutschland  iiberall  durch  die  Kultur  ausgerottet,  findet 
sich  aber  noch  in  Skandinavien ,  von  wo  es  durch  den  Verkehr  des 
Mittelalters  auch  in  die  Gegenden  am  weissen  Meer  gekommen  ist. 
Das  alteste  europaische  Rind  mag  zur  Zeit  der  Romer  noch  in  dem 
ligurischen  erhalten  gewesen  sein,  welches  fiir  schwachlich  und 
elend  gait  (Varro  nennt  die  dortigen  Ochsen  nugatorii),  und  dessen 
Reste  wir  vielleicht  noch  aus  dem  Grunde  der  Pfahlbauten  ans  Licht 
schaffen.  In  den  Rindviehracen,  deren  Vertheilung  und  Ankunft  in 
Europa  ist  noch  viel  zu  untersuchen  und  vielleicht  zu  —  finden. 
Dass  unser  zahmer  Ochse  von  dem  Auerochsen  der  Urzeit  stammt, 
leidet  keinen  Zweifel,  aber  die  Zahmung  geschah  schwerlich  auf 
europaischem  Boden. 


Der  Hopfen.  473 

**  Ueber  das  Rind  der  Pfahlbauten  vgl.  Riltimeyer,  Die  Fauna  der 
Pfahlbauten  S.  130  ff.  Einen  Ueberblick  ttber  den  gegen  wartigen  Stand  der 
naturwissenschaftlichen,  den  Ursprung  der  Rindviehracen  betreffenden  Fragen 
•erhalt  man  durch  A.  Otto,  Zur  Geschichte  der  altesten  Hausthiere,  Breslau 
1890  S,  61  ff.  Ein  Anlass,  auf  diese  Dinge  hier  einzugehen,  liegt  nicht  vor. 
Von  historischem  Standpunkt  handelt  iiber  Auerochs,  Urusstier  und  Biiffel 
O.  Keller,  Thiere  des  klassischen  Alterthums,  Innsbruck  1887  S.  53 — 65. 


Der  Hopfen. 

(Humulus  Lupulus  L.) 

Der  grosse  Lin  no  behauptete  im  Jahre  1766  (in  einer  der  in 
die  Amoenitates  academicae  aufgenommenen  Dissertationen,  T.  7,  diss. 
148:  necessitas  historiae  naturalis  Rossiae,  §  11)  unter  anderen 
Kiichengewachsen ,  wie  Spinacea  oleracea,  Atriplex  hortensis,  Ar- 
temisia dracunculus  u.  s.  w. ,  sei  auch  der  Hopfen  zur  Zeit  der 
Volkerwanderung  hinten  weit  aus  Russland  in  das  eigentliche 
Europa  eingewandert :  ignotae  fuere  veteribus  et  introductae  seculis 
barbaris,  dmn  Gothi  nostrates  occupabant  Italiam,  qui  sine  dubio 
•secum  attulere  in  Italiam  plantas  suas  oleraceas  et  culinares  Dass 
•der  Hopfen  jetzt  an  Hecken  und  in  Waldern  wild  wachst,  ware 
keine  Instanz  gegen  diese  Vermuthung:  ein  soviel  angebautes  Ge- 
wachs,  vorausgesetzt ,  dass  Kliina  und  Boden  ihm  sonst  zusagten, 
konnte  als  Fluchtling  den  Weg  leicht  auch  in  solche  Gegenden 
linden,  wo  es  vorher  nie  von  Menschenhand  angepflanzt  worden. 
•Gewiss  sind  nur  folgende  drei  Satze:  1)  dass  die  Alten  nie  von  einer 
ahnlichen  Pflanze  gehort  batten,  deren  Bliiten  einen  angenehmen 
^usatz  zum  Biere  geben;  2)  dass  die  Denkmaler  des  friihesten 
Mittelalters,  in  denen  das  Bier  und  die  Produkte  siidlicher  Garten 
oft  genannt  werden,  nirgends  bei  solcher  Gelegenheit  des  spater  so 
unentbehrlicheii  Hopfens  Erwahnung  thun;  endlich  3)  dass  in  manchen 
Landern  Europas,.  wie  England  und  Schweden,  der  Gebrauch,  Hopfen 
zum  Biere  zu  thun,  erst  gegen  Ausgang  des  Mittelalters  oder  gar  erst 
im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  auftritt  und  allmahlig  allgemeiner  wird. 

In  der  lex  salica  und  in  den  Verordnungen  Karls  des  Grossen 
suchen  wir  vergeblich  nach  einer  Andeutung  dieser  Pflanze  und  ihres 
Anbaues;  eben  so  wenig  nennt  sie  kurz  vor  der  Mitte  des  9.  Jahr- 
hunderts der  Oberdeutsche  Walafridus  Strabo  in  seinem  hortulus. 


474  Der  Hopfen. 

Um  dieselbe  Zeit  aber  tauchen  aus  anderen  Gegenden  die  ersten 
Spuren  derselben  auf.  In  einem  Schenkungsbriefe  des  Konigs  Pipin, 
Vaters  Karls  des  Grossen,  vom  17.  Jahr  seiner  Regierung  an  die 
Abtei  St.  Denys  (bei  Doublet,  histoire  de  1'abbaye  de  S.  Denys, 
Paris  1625,  4°,  p.  699)  vergiebt  der  Konig  dem  Stifte  Humlonarias 
cum  integritate,  worin  man  das  mittellateinische  humlo  der  Hopfen 
finden  kann;  indess  ist  dies  dort  ein  Eigenname  neben  vielen  anderen, 
den  eine  Oertlichkeit  oder  ein  Besitzthum  fiihrt,  und  die  Lautahn- 
lichkeit  ist  vielleicht  nur  zufallig.  Aber  in  dem  Polyptychon  des 
Irmino,  Abtes  von  St.  Germains-des-Pres ,  das  in  den  ersten  Jahren 
des  9.  Jahrhunderts,  noch  vor  dem  Ableben  Karls  des  Grossen  auf- 
gesetzt  ist,  werden  haufig  Zinsabgaben  von  Hopfen  erwahnt,  der  in 
dem  Text  humolo,  humelo,  umlo,  zwei  Mai  auch  fumlo,  genannt  wird 
(s.  Guerard,  Polyptyque  de  1'abbe  Irminon,  Paris  1844,  4°,  1,  2,. 
p.  714).  Nur  wenige  Jahre  spater  werden  in  den  Statuten  des  Abtes- 
Adalhardus  von  Corvey  vom  Jahre  822  (bei  d'Achery,  Spicilegium> 
Paris  1723,  fol.,  T.  I!,  Statuta  antiqua  abbatiae  S.  Petri  Corbeiensis> 
lib.  1,  cap.  7,  p.  589)  die  Miiller  von  der  Arbeit  mit  Malz  und  Hopfen 
oder  von  der  Lieferung  des  letzteren  befreit:  et  ideo  nolumus  ut 
(molinarius)  ullum  dlium  servitium  nee  cum,  carro  nee  cum  caballo 
nee  manibus  operando  nee  arando  nee  seminando  nee  messes  vel 
prata  cottigendo  nee  braces  faciendo  nee  humlonem  nee  ligna  sol- 
vendo  nee  quidquam  ad  opus  dominicum  faciat.  In  den  Urkunden 
des  Stifts  Freisingen  (bei  Meichelbeck,  Historia  Frising.  I,  Pars  in- 
strumentaria)  kommen  schon  zur  Zeit  Ludwigs  des  Deutschen  in  der 
Mitte  und  der  zweiten  Halfte  des  9.  Jabrhunderts  nicht  selteii  Hopfen- 
garten,  humularia,  vor,  die  also  auch  in  jener  oberdeutschen  Gegend 
schon  Brauch  geworden  waren.  In  den  folgenden  Jahrhunderten  wird 
der  Hopfenbau  immer  allgemeiner  in  Deutschland,  und  je  weiter  in 
der  Zeit,  desto  haufiger  erscheint  die  Steuer  an  Hopfen  in  Zins- 
biichern  und  der  Hopfengarten  unter  den  Bestandtheilen  der  durch 
Kauf  oder  Schenkung  in  andere  Hand  iibergehenden  Grundstiicke. 
Die  Pflanze  ist  der  Aebtissin  Hildegard,  dem  Albertus  Magnus  be- 
kannt,  ihr  Anbau  so  verbreitet,  dass  er  dem  Sachsenspiegel,  Schwaben- 
spiegel  u.  s.  w.  Anlass  zu  ausdriicklichen  Rechtsbestimmungen  giebt. 
Auch  in  den  Gegenden  mit  slavischer  Bevolkerung,  Schlesien,  Bran- 
denburg, Mecklenburg,  ist  seit  der  Zeit,  wo  sie  uns  naher  bekannt 
werden,  die  Hopfenabgabe  ganz  gebrauchlich ,  wie  eine  fliichtige- 
Durchsicht  der  einschlagenden  Urkundenbiicher  lehrt.  Nach  Stenzel,. 
Geschichte  Schlesiens,  1,  301,  findet  sich  die  erste  Erwahnung,  dass 


Der  Hopfen.  475 

Hopfen  in  Schlesien  angebaut  wurde,  im  Jahre  1224.  In  Folge  der 
Beimischung  dieses  bitteren  Aromas  wurden  die  Biere  haltbarerr 
konnten  weit  verfahren  werden  und  bildeten  allmahlig  den  Gegen- 
stand  lebhafteri  Binnenhandels  zwischen  den  Braustatten  und  ent- 
legenen  Consumtionsbezirken.  Besonders  Flandern  und  Norddeutsch- 
land  enthielt  solche  wegen  des  Hopfenbieres  beruhmte  und  durch 
Bierhandel  sich  bereichernde  Stadte.  Unter  den  ersteren  ragte  z.  B, 
Gent  hervor,  dessen  biirgerliche  Bierbrauer,  die  beiden  Arteveldt, 
Vater  und  Sohn,  es  rait  Konigen  aufnahmen,  unter  den  letzteren 
z.  B.  Eimbeck;  der  baierische  Name  Bockbier,  eine  Verstiimmelung 
aus  Eimbeck-Bier,  erhaltnoch  das  Andenken  daran  (Schmeller,  1,  151  f., 
der  noch  von  einer  lacherlichen  Fortzeugung  des  Irrthums  berichtet: 
»als  Gegenstiick  zu  diesem  starker  stossenden  Bock  ging,  besonders 
aus  den  Brauhausern  der  Jesuiten,  die  etwas  sanftmuthigere  Gaiss- 
hervor.«)  Wie  spat  verbal  tnissmassig  der  Hopfen  aus  Deutschland 
in  die  Nachbarliinder  gekommen,  lehren  die  Belege  und  Ausfiihrungen 
bei  Beckmann,  Beytrage  5,  222,  nacb  England  z.  B.  nicht  vor  Hein- 
rich  VIII.  und  Eduard  VI.  Von  Alters  her  waren  andere  Zusatze 
iiblich  gewesen,  Eichenrinde,  Baumblatter,  bittere  Wurzeln,  wilde 
Krauter  mancherlei  Art,  in  Schweden  z.  B.  die  Schafgarbe,  Aehillea 
millefolium,  oder  die  Pflanze,  die  dort  Pors,  in  Deutschland  Porsch, 
Porst,  Post,  Ledum  palustre,  genarmt  wird.  Dass  schon  zu  Hecataus' 
Zeit  die  Paonier  in  Thrakien  eine  Art  Bier  mit  Zusatz  von  xovvfy 
brauten,  ist  bei  friiherer  Gelegenheit  bemerkt  worden  (S.  145);  aber 
was  die  Paonier  in  so  hohem  Alterthum  unter  cony 'Z a  verstanden  — 
fur  die  spatere  Zeit  deutet  man  diesen  Nam  en  als  Erigeron  viscosum, 
Inula  viscosa  oder  graveolens  u.  s.  w.  —  lasst  sich  natiirlich  nicht 
mehr  ausmachen. 

War  aber  die  Pflanze  wirklich  erst  durch  die  Volkerwanderung 
ins  westliche  Europa  gekommen,  und  wo  wurde  sie  zuerst  zur  Wurze 
des  Bieres  verwandt?  Da  die  Geschichte  uns  die  Antwort  versagt^ 
so  sind  wir  auch  diesmal  genothigt,  mit  Gegeniiberstellung  der  Namen 
in  den  verschiedenen  Sprachen  uns  zu  helfen.  Aber  auch  diese 
scheinen  uns  diesmal  nur  necken  und  in  die  Irre  fiihren  zu  wollen. 
Halbe  Uebereinstimmungen ,  mogliche  Uebergange  locken  zur  Ver- 
kniipfung  an;  Unsicherheit  gebietet,  dieselbe  wieder  fallen  zu  lassen; 
entschliesst  man  sich,  einen  Ausgangspunkt  zu  fixiren,  so  spinnt 
sich  von  daher  der  Faden  leidlich  fort,  aber  eben  so  wohl  liesse  sich 
auch  das  letzte  Glied  zum  ersten  machen  und  der  Wanderung  und 
Entwickelung  des  Wortes  die  umgekehrte  Richtung  geben. 


476  Der  Hopfen. 

Die  einfachste  Form,  die  man  desshalb  versucht  ist,  an  die 
Spitze  zu  stellen,  ist  das  niederdeutsche  und  niederlandische  hoppe, 
hop  der  Hopfen.  Es  kommt  schon  in  den  Glossen  des  Junius  bei 
Nyerup,  Symbolae  ad  lit.  teuton,  antiquior.,  vor,  die  von  Graff  ins 
achte  bis  neunte  Jahrhundert  gesetzt  werden:  hoppe  timalus  (ver- 
schrieben  oder  verlesen  statt  humalus?),  feldhoppe  bradigalo  (bryonia? 
wof  iir  merkwiirdiger  Weise  bei  Dioscor.  4,  182  ein  dakisches  TiQiadr^Xo). 
Dass  dies  hoppe,  wie  Weigand  im  Worterbuch  vermuthet,  selbst  erst 
aus  mittellat.  hupa  entstanden  sei,  hat  keine  Wahrscheinlichkeit ; 
hupa  findet  sich  nach  Du  Cange  nur  in  einer  Quelle,  die  selbst  dem 
Boden  der  Niederlande  angehort,  und  ist  schwerlich  mehr  als  Latini- 
sirung  des  deutschen  Wortes.  Eine  Etymologic  liesse  sich  in  dem 
Verbum  hiipfen,  hoppen,  finden;  aber  eine  von  Ast  zu  Ast  sprin- 
gende  Pflanze  stntt  einer  rankendeii  scheint  keine  naturliche  Vor- 
stellung  und  Benennung.  Doch  welches  auch  seine  Herkunft  sei,  aus 
diesem  hoppe  entstand  eine  Verkleinerungsform  mit  hinzutretendem  I, 
aus  der  sich  das  franzosische  houblon  fur  houbelon,  so  wie  das  mittel- 
lat. hubalus  (bei  Kleinmaryn,  Juvavia,  Diplomatischer  Anhang,  S.  309 ; 
duos  modios  hubali)  erklart.  Weiter  in  Italien,  wo  die  Pflanze  weder 
angebaut  noch  gebraucht  wurde,  verwuchs  der  fremde  Name  mit  dem 
Artlkel  zu  dem  italienischen  lupolo,  luppolo,  aus  welchem  Vulgarwort 
dann  im  spatern  Mittellatein  das  gerade  bei  italienischen  Schrift- 
stellern  auftretende  lupulus  der  Hopfen  entstand.  Bei  der  Abhangig- 
keit  der  mittelalterlichen  Botanik  von  der  gleichsam  mit  kanonischem 
Ansehen  bekleideten  griechisch-romischen  Literatur  suchte  man  nach 
einem  ahnlich  klingenden  Pflanzennamen  bei  den  Alten  und  fand  ihn 
auch  glucklich  bei  PJinius  21,  86:  secuntur  herbae  sponte  nascentes 
quibus  pleraeque  gentium  utuntur  in  eibis  ....  In  Italia  pau- 
cissimas  novimus,  fraga,  tamnum,  ruscum,  batim  marinam,  batim 
hortensiam,  guam  aliqui  asparagum  gallicum  vacant,  praeter  has 
pastinacam  pratensem,  lupum  salictarium,  eaque  verms  oblectamenta 
quam  cibos.  Also:  wildwachsende,  zur  Speise  dienende  Pflanzen  giebt 
«s  in  Italien  wenige,  darunter  auch  ein  im  Weidengebiisch  wachsender 
lupus;  doch  gewahren  sie  mehr  eine  Art  Naschwerk  oder  Delikatesse, 
als  eine  Nahrung.  Vielleicht  ist  dies  derselbe  lupus,  den  Martial 
9,  26,  6  erwahnt: 

Appetitur  posito  vilis  oliva  lupo  - 

d.  h.  wenn  uns  lupus  vorgesetzt  wird ,  verlangen  wir  nach  der  ge- 
meinen  Olive;  der  lupus  war  also  eine  nicht  geschatzte  Wiirze  der 
Tafel.  Dass  er  eine  rankende  Pflanze  gewesen,  -ist  nicht  gesagt,  und 


Der  Hopfen.  477 

wenn  der  Name  sich  nicht  zum  mittellateinischen  lupulus  halten 
liesse,  wiirde  Niemand  auf  den  Hopfen  gerathen  haben.  -  -  Bei  dem 
leichten  Uebergange  des  &,  p  in  m,  zumal  vor  folgendem  I,  ent- 
wickelte  sich  aber  aus  hupa,  hubalus,  hubelo  auch  ein  mittellateini- 
sches  humlo  humulus  und  dies  ist  seit  dem  Ende  des  achten  Jahr- 
hunderts  der  gewohnlichste  und  am  weitesten  verbreitete  Ausdruck, 
der  mit  dem  Hopfen  selbst  nach  Norden  und  Osten  wanderte.  Alt- 
nordisch  wurde  daraus  humall,  finnisch  und  estnisch  humala,  liumal, 
bei  alien  Slaven  chmeli,  chmeli,  magyarisch  Icomlo ,  neugriechisch 
%ov[ieh,  walachisch  hemeju  u.  s.  w.  So  wiirde  das  Wort  selbst  in 
seinen  Transformation  en.  auf  Ausgang  der  Sitte  vom  Niederrhein 
welsen ;  die  deutschen  Franken  oder  schon  die  keltischen  Belgier 
waren  die  Erfmder  des  bitteren  Trankes  und  Linnes  Hypothese  er- 
gabe  sich  als  grundlos. 

Wie  aber,  wenn  vielmehr  das  slavische  chmeli  das  Grundwort, 
der  Ahnherr  aller  iibrigen  Namen  ware?  konnte  es  nicht  in  slavi- 
scher  Lautbildung  (ch  fur  s)  das  griechische  apttaZ,  Gftlkog  sein, 
welches  zwar  nicht  unser  Hopfen,  aber  doch  eine  rankende  Pflanze 
ist  (bei  Theophrast  STraAAoxavAog  und  ftoTQvwdrjg,  von  Hesychius  er- 
klart:  xiTtosideg  (pvwv  shiffffoftevov'  EQTISC  de  del  rrgog  TO  vipos,  bei 
Diodor  20,  41  mit  dem  Epheu  zusammengestellt:  xinxp  xai  (ffiC^axt) 
und  zugleich  eine  rauhe  (o;at7a^  TQa%sZa  bei  Dioskorides)?  Be- 
ach tenswerth  ist  die  allgemeine  Bedeutung  Berauschung,  Trunken- 
heit,  und  in  den  abgeleiteten  Formen  sich  berauschen,  trinken 
u.  s.  w.,  die  das  Wort  bei  den  Slaven  hat.  Diese  Bedeutung  ist 
sehr  alt,  wie  aus  einer  merkwiirdigen  Stelle  des  Zonaras  vom  Jahre 
1120  hervorgeht  (in  den  not.  ad.  canon.  Apostol.  3  bei  Beveregius. 
Pand.  can.  t.  1.  p.  2).  GIXSQO,  de  ititi  rtav  TO  avsv  olvov  jasOr^v  sx- 
notovv,  old  slffcv  a  smrridsvovGiv  av&QWTtoi, ,  w<;  fayo/mevr]  %ov[,i£A,r], 
xal  otfa  o[i(og  Gxevd&viat,.  Hier  ist  also  humeli  ein  Trank,  der 
ohne  Weiri  Berauschung  bewirkt,  wie  dasselbe  slavische  Wort  auch 
heute  noch  auf  den  Branntwein  und  die  Wirkungen  desselben  ange- 
wandt  wird.  Auf  eine  noch  altere  Zeit,  als  die  des  Zonaras,  deutet 
eine  sprichwortliche  Formel  bei  dem  Chronisten  Nestor.  Als  Wla- 
dimir  im  Jahr  6493  (d.  h.  985  nach  Chr.)  gegen  die  Bolgaren  an 
der  Wolga,  welche  Stiefel  trugen,  gezogen  war  und  sie  besiegt  hatte, 
rieth  ihm  Dobrynja:  Lassen  wir  die  Stiefeltrager ,  von  denen  wir 
keinen  Tribut  erzwingen  werderi,  und  wenden  wir  uns  gegen  die 
Bastschuhtrager.  Da  machte  Wladimir  Frieden  mit  den  Bolgarenr 
den  diese  so  lange  zu  halten  versprachen,  »bis  der  Stein  beginnen 


478  Der  Hopfen. 

wird  oben  zu  schwinimen,  das  Hopfenblatt  aber  zu  Boden  zu  sinken.« 
Auch  in  den  russischen  Hochzeitsgebrauchen  hat  der  Hopfen  seine 
Stelle,  jetzt  wie  im  15.  Jahrhundert,  und  gewiss  noch  friiher:  als 
Helena,  die  Tochter  Iwans  III.  Wassiljewitsch,  in  Wilna  mit  dem 
Grossfiirsten  Alexander  von  Litauen  getraut  wurde,  flochten  ihr  die 
Bojarinnen  in  der  Kirche  zur  Mutter  Gottes  den  Haarzopf  los, 
setzten  ihr  die  Kika  (Kopfputz  in  Gestalt  einer  Elster)  aufs  Haupt 
und  uberschiitteten  sie  mit  Hopfen  (s.  Karamsin,  Band  6). 
Auch  hier  bedeutete  der  Hopfen  Berauschung,  Frohlichkeit ,  Fulle 
des  Guten.  Brachten  somit  die  Slaven  ihr  Gewachs  nach  Deutsch- 
land  und  wurde  der  slavische  Name  desselben  von  den  Deutschen 
•adoptirt,  so  ergab  sich  daraus  das  lateinische  humulus  und  in  wei- 
ierer  Umgestaltung  die  Formen  mit  6  und  p. 

Nach  einer  dritten  Ableitung  konnte  der  lupus  des  Plinius  und 
Martials  sein  I,  welches  als  Artikel  genommen  wurde,  in  Frankreich 
verloren  haben  und  dann  durch  Anlehnung  an  Hiipfen  (wie  ans 
upupa  durch  Volksetymologie  niederdeutsch  der  Hophop,  hoch- 
deutsch  der  Wiedehopf  entstand)  zu  hoppe  geworden  sein.  Schon 
Ducange  war  der  Meinung,  humulus  sei  eine  aus  lupulus  hervor- 
gegangene  jiingere  Form.  Zur  Bestatigung  liesse  sich  anfiihren,  das 
lupus,  eben  dieses  Namens  wegen,  eine  bittere  Pflanze  gewesen  sein 
muss,  wie  auch  lupinus,  die  Wolfsbohne,  nach  eben  dieser  Eigen- 
schaft  benannt  ist  und  schon  in  Aegypten  dem  Biere  zugesetzt 
wurde  (s.  die  Verse  des  Columella  auf  S.  144). 

Was  man  auch  fur  das  Wahrscheinlichste  halten  mag,  —  dass 
Hopfen,  humulus  und  chmeli  nur  Varietaten  desselben  Wortes  sind, 
^ntstariden  durch  Uebertragung  von  Mund  zu  Mund,  lasst  sich  nicht 
wohl  leugnen.  Das  Mittelalter  verbreitete  die  Pflanze  und  schuf 
damit  erst  das  eigentliche  neueuropaische  Bier,  welches  von  dem 
der  Urzeit,  das  aus  Stierhornern  getrunken  wurde,  sich  weit  unter- 
«cheidet.  Jetzt  sind  auf  dem  Kontinent  bekanntlich  Bohmen  und 
das  baierische  Franken,  ausserhalb  desselben  besonders  England, 
auch  jenseits  des  Oceans  Amerika  die  Lander,  wo  nicht  bloss  der 
meiste,  sondern  auch  der  feinste  Hopfen  erzeugt  wird;  der  Osten 
Europas,  von  wo  diese  nordische  Weinrebe  vielleicht  herstammt,  bringt 
nur  verhaltnissmassig  wenigen  und  diesen  von  groberer  Qualitat  hervor. 
Auch  hier  also  wiirde  sich  der  Fall  wiederholen,  dass  eine  Pflanze 
auf  neuem  Boden,  unter  menschlicher  Pflege  edlere  Eigenschaften 
-entwickelt,  die  ihr  im  wilden  Stande  und  in  ihrem  natiirlichen 
Vaterlande  abgehen94). 


Der  Hopfen.  479 

*  Der  Hopfen  (Humulus  Lupulus  L.)  1st  mit  Sicherheit  aus  tertiaren  Ab- 
lagerungen  nicht  bekannt;  es  sind  nur  Bracteen  eines  Fruchtstandes  mit 
kleiner  Frucht  im  Pliocan  von  Meximieux  gefunden  worden,  welche  Saporta 
unter  dem  Namen.  Humulus  palaeolupulus  beschrieben  hat;  doch  sind  diese 
•Gebilde  nicht  charakteristisch  genug,  um  jeden  Zweifel  auszuschliessen.  Der 
Hopfen  1st  aber  als  Bewohner  der  Gebiische  und  Walder  an  Flussufern  und 
durch  seine  ntisschenartige  Friichte  von  jeher  fur  die  Verbreitung  so  be- 
fahigt  gewesen,  dass  kein  Grund  vorliegt,  seine  Verbreitung  in  Europa  erst 
von  der  Einfuhrung  der  Kultur  her  zu  datiren.  Er  findet  sich  im  ganzen 
gemassigten  Asien  und  Europa  ebenso  wie  auch  in  Nordamerika;  er  fehlt 
jedoch  in  den  arktischen  Gebieteii,  so  in  Europa  im  nordlichen  Norwegen, 
Lappland  und  dem  nordlichen  Finnland,  iiber  65°  n.  Br.  geht  er  in  Europa 
nur  wenig  hinaus. 

**    Die    Namen    des    Hopfens    in    Europa    zerf alien    in    vier    Gruppen: 

1.  ahd.  hopfo,  ndl.  hoppe  zusammen  mit  dem  wohl   sicher  hieraus  entlehnten 
frz.    houblon   (vgl.    Korting,  Lat.-Koman.  W.).     Die    Herkunft    des    deutschen 
Wortes  ist  dunkel.     Hinsichtlich  der  von  Grimm   vorgeschlagenen  Ableitung 
aus  ahd.  hiufo,  ags.  heope  Dornstrauch  konnte  man    an    die  Ausdriicke  Dorn-, 
Bruch-,    Buschhopfen    erinnern,    die    Pritzel  -  Jessen    (a.    a.    0.)    tiberliefern. 

2.  Slavisch  chmeli  zusammen  mit  den  auf  S.  477  angefuhrten  Wortern,    mlat. 
humlo,  humulus  u.  s.  w.     Ein  Zusammenhang  zwischen  Gruppe  1  und  2  lasst 
sich    lautlich    nicht    erweisen.      Was    slav.  chmeli  betrifft,    auf  dessen    friihes 
Vorhandensein  auf  slavischem  Gebiet  die  Bedeutungsentwickelung  des  Wortes 
hinweist  (z.  B.  poln.  pochmiel  Rausch,   oben  S.  477),   so  sind  die  Akten  iiber 
seine  Herkunft  noch  nicht  geschlossen.     Die  Schwierigkeit  der  Entscheidung 
hangt  mit  unserer  noch  liickenhaften  Kenntniss  der  Geschichte  des  anlauten- 
den  ch,  h  zusammen,  tiber  die  zuletzt  G.  Meyer,    Sitzungsber.  d.  Kaiserl.  Ak. 
d.  W.  Wien.  Phil.-hist.  Kl.  1891  S.  45  ff.  ausfuhrlich  gehandelt  hat.     Ist  altsl. 
chmeli   mit  griech.  ojj.iXa|  zu  verbinden,  so  konnte,  wie  dies  auch  Benfey,  Go'tt. 
Gel.  Anz.  1875  S.  212 ff.  (Ueber  ein  Schriftchen  Der  Hopfen,  seine  Herkunft 
und  Benennung)  annimmt,  dieses  Verhaltniss  nur  so  erklart  werden,  dass  man 
ein  proethnisches  *smilo-  in  der  Bedeutung  »rankende  Pflanze«  ansetzt,  welches 
die  Slaven  auf  den  Hopfen,  die  Griechen  auf  Smilax  aspera  (genau  von  Theo- 
phrast  3,  18,  11  u.  12  beschrieben)    anwendeten.     Fur  slav.  chmeli  wiirde  so 
nur  folgen,  dass  es  ein  altes  und  echtslavisches  Wort  ist.     Im  iibrigen  haben 
beide  Pflanzen,  ausser  dass  sie,   wie  der  Wein,    die    Bohnen    und    zahlreiche 
andere  Pflanzen,  rankende  Gewachse  sind,  nichts  mit  einander  gemein.     Auch 
ist  fur  die  Lautverbindung  sin  bis  jetzt  der  Uebergang  in  slav.  chm  nicht  nach- 
gewiesen.     Vgl.  im  Gegentheil :  altsl.  smeja  s$  lache  =  scrt.  smayate  und  altsl. 
smykati  s%  kriechen  =  ahd.  smiegen  (Brugmann,  Grundriss  I,   440).     Eine   an- 
dere Ableitung  versucht  A.  Fick  in  der  vierten  Auflage  seines  Vergleichenden 
Worterbuchs  I,  401,   indem  er  slav.  chmett  aus  ahd.  uochumil,  uo-chumilo,  uo- 
qemilo    ,racetnus,  acinus'  (vgl.  auch  Anm.  27)  entlehnt  sein  lasst.     Doch  auch 
hier  widersetzen  sich  die  Laute,   da  slav.  ch  auf  dem   Wege  der  Entlehnung 
wohl  aus  germanischem  h,  nicht  aber  aus  ahd.  ch,  q  hervorgehen  kann.     Die 
geringste  Schwierigkeit  nach  dieser  Seite  macht  eine  dritte  zuerst  von  Toma- 
schek  (Z.  f.  6.  Gymn.  1875  S.  527)  gegebene  Erklarung,  der  aber  auch  Miklo- 


480  Der  Hopfen. 

sich,  Et.  W.  S.  87  beizustimmen  scheint.  Hiernach  1st  slav.  chmd'i  aus  ost- 
lichen,  finnischen  oder  tiirkischen  Sprachen  entlehnt.  Die  betreffenden  For- 
men  lauten  finn.  hiwnala,  estn.  kmnal,  umal,  wot.  umala,  liv.  umdl,  lapp.  hom- 
bel,  mordv.  komla,  cer.  humid,  ung.  komlo,  vog.  qumleh,  tat.  wmlak,  cuv.  jumld. 
Ein  Theil  derselben,  die  westfinnischen  Worter,  ist  allerdings  zweifellos  erst 
aus  dem  Nordgermanischen  iibernommen  (vgl.  Thomsen,  Ueber  den  Einfluss  der 
germ.  Sprachen  S.  136);  doch  gilt  dies  nicht  von  den  iibrigen,  deren  wech- 
selnder  Anlaut  /,  h,  k  sich  wohl  in  dem  slavischen  ch,  h  widerspiegeln  konnte, 
das  der  gewohnliche  Vertreter  ebenso  des  griechischen  />  wie  des  germani- 
schen  h  ist  (vgl.  G.  Meyer  a.  o.  a.  O.).  Wir  halten  es  also  nach  Lage  der 
Dinge  fiir  das  wahrscheinlichste,  dass  slav.  chmeli  ein  ostasiatisches  Wort  ist 
und  dann  von  slavischem  Boden  aus  ins  Nordgermanische ,  Mittellateinische, 
in  die  Sprachen  der  Balkanhalbinsel  u.  s.  w.  eingewandert  ist.  Es  wiirde 
hieraus  folgen,  dass,  wenn  nicht  der  Hopfen  selbst,  so  doch  seine  Kultur 
oder  die  Erfindung,  ihn  als  Wtirze  dem  Biere  beizusetzen,  die  gleichen  Wege 
gewandert  sind.  Ebenso  wie  die  auf  Pfahlen  angesiedelten  Paonier  (oben 
S.  145,  475),  konnte  irgend  ein  ostasiatisches  Volk  friihzeitig  darauf  verfallen 
sein,  eine  neue  Pflanze  ihrem  Rauschtrank  zuzusetzen.  —  3.  Merkwiirdig  ist, 
dass  mitten  in  diese  unter  2.  geschilderte  ungeheure  Sippe  das  Litauische  mit 
einer  besonderen  und  einheimischen  Benennung  des  Hopfens  eingestreut  ist: 
apivyriys,  apynidi,  offenbar  urspriinglich  nichts  anderes  als  Rankengewachs 
bedeutend.  Auch  als  nengriechische  Benennung  des  Humulus  Lupulus  L.,  der 
in  Gebirgsgegenden  wie  z.  B.  bei  Lebadia  und  Euboa,  in  Arkadien  und  am 
Malevo  wild  wachse,  giebt  Heldreich,  die  Nutzpflanzen  Griechenlands  S.  21 
nicht  das  oben  genannte  ^oojxsXt.  sondern  <5rfp'.6xX7]|jia  »wilde  Rebe«.  --4.  It. 
luppolo,  mlat.  lupulus,  das  von  dem  lat.  lupus  salictarius  (oben  S.  476)  zu 
trennen,  mir  ebenso  wie  Benfey  (a.  o.  a.  O.  S.  212)  gewaltsam  erscheint. 
Die  jungen  Hopfentriebe  werden,  wie  De  Candolle  S.  201  bemerkt,  ebenso 
oder  ahnlich  wie  der  Spargel,  der  an  derselben  Stelle  von  Plinius  genannt 
wird,  genossen. 

Ueberblickt  man  diese  vier  Punkte,  so  steht  nichts  der  Ansicht  im 
Wege,  welche  auch  von  De  Candolle  und  Grisebach  (bei  Benfey  a.  a.  O.) 
getheilt  wird,  dass  der  Hopfen  in  Europa  schoii  lange  bevor  er  in  Kultur  ge- 
nommen  wurde,  verbreitet  und  benannt  war  (lat.  lupus,  mlat.  lupulus,  lit. 
apwynys,  ahd.  hopfo}.  Ftir  die  Geschichte  seiner  Kultur  und  seiner  Be- 
nutzung  zum  Biere  sind  einerseits  die  Entlehnungdes  germanischen  Wortes  in& 
Romanische,  andererseits  die  oben  geschilderten  Geschicke  des  slavischen 
chmeli  yon  Wichtigkeit.  In  dieselbe  Richtung  wiese  es,  wenn  neuerdings  mit 
Recht  (vgl.  oben  S.  159)  ahd.  bior,  ags.  bcor,  altn.  bjorr  als  eine  Entlehnung 
aus  altsl.  pivo,  altpr.  piwis  Bier  aufgefasst  wird.  In  agls.  ealii  etc.  lage  dann 
der  altere  Ausdruck  fiir  das  ungehopfte,  in  beor  etc.  der  jiingere  fiir  das  ge- 
hopfte  Bier  vor.  —  Voii  neueren  Arbeiten  fiber  den  Hopfen  nennen  wir:  Ueber 
die  geographische  Verbreitung  des  Hopfens  im  Alterthum  1882  von  C.  O.  Cech 
und  Geschichtliches  iiber  den  Hopfen  von  Prof.  Dr.  R.  Braungart  in  Weihen- 
-stephan.  Sonderabdruck  aus  »Wochenschrift  fiir  Brauerei  1891,  Nr.  13  u.  14« 
Berlin  1891.  Vgl.  auch  Buschan  im  Ausland  1891,  31. 


Rtickblick.  481 

Wir  haben  im  Vorigen  die  Schwelle  des  Mittelalters  schon  iiber- 
schritten  und  es  ziemt  sich,  an  diesem  Wendepunkte  einige  allge- 
meine  Ruck-  und  Vorblicke  zu  thun. 

Das  Resultat  des  langen  Assimilationsprocesses ,  dessen  einzelne 
Moments  wir  uns  zu  vergegenwartigen  versucht  haben,  war  die 
Homogenitat  der  Bodenkultur  in  alien  Uferlandern  des  Mittelmeeres. 
Diese  Gleichartigkeit  stellte  sich  auch  ausserlich  in  der  Einheit  des 
romischen  Reiches  dar,  welches  in  seinem  wesentlichen  Bestande  eine 
Zusammenfassung  der  um  dies  innere  Seebecken  gelagerten  Land- 
schaften  war.  Der  gartenartige  Anbau  und  die  wichtigsten  Kultur- 
gewachse  dieses  Gebietes  waren  semitischer  Abkunft  und,  wie  das 
Christen thum,  von  deni  sudostlichen  Winkel  desselben  ausgegangen. 
Die  einst  barbarischen  Lander  Griechenland,  Italien,  Provence,  Spa- 
nien,  Waldgegenden  mit  groben  Rohprodukten,  stellten  jetzt  das  Bild 
einer  bliihenden,  in  mancher  Beziehung  auch  ausgearteten  Kultur  im 
Kleinen,  mit  Gartenmesser  und  Hacke,  Wasserleitungen  und  Cister- 
nen,  gegrabenen  Weihern,  berupften  Baumen  und  umgitterten  Vogel- 
hausern  dar  wie  in  Kanaan  und  Cilicien.  Das  Sommerlaub 

und  die  schwellenden  Umrisse  der  nordischen  Pflanzenwelt  waren 
der  starren  Zeichnung  einer  plastisch  regungslosen ,  immergrunen, 
dunkel  gefarbten  Vegetation  gewichen.  Cypressen,  Lorbeeren,  Pinien, 
Mj'rtenbusche ,  Granat-  und  Erdbeerbaumchen  u.  s.  w.  umstanden 
die  Gehofte  der  Menschen  oder  bekleideten  verwildert  die  Felsen 
und  Vorgebirge  der  Kiiste.  Griechenland  und  Italien  gingen  aus 
der  Hand  der  Geschichte  als  wesentlich  immergrune  Lander  her- 
vor,  ohne  Sommerregen,  mit  Bewasserung  als  erster  Bedingung 
des  Gedeihens  und  dringendster  Sorge  des  Pflanzers.  Sie  batten 
sich  im  Laufe  des  Alterthums  orientalisirt,  und  selbst  die  Dattel- 
palme  fehlte  nicht,  als  lebendige  Zeugin  dieser  merkwiirdigen  Meta- 
morphose. 

Indess,  neben  der  semitischen  Stromung  lauft  ein  anderer,  der 
Zeit  nach  spaterer  Kultureinfluss ,  von  den  Landern  im  Siiden  des 
Kaukasus  aus.  Wir  konnen  beide  integrirende  Bestandtheile  der 
Kulturflora  des  Mittelmeeres  als  den  syrischen  und  den  arme- 
nischen  unterscheiden  —  die  Namen  Syrien  und  Armenien  in 
weiterem  Sinne  genommen.  Die  armenischen  Baume,  fruchtreicher 
und  iippiger  als  die  Urvegetation  des  siidlichen  Europa,  ertragen 
doch  die  Winterkalte  leichter,  als  die  Abkommlinge  Syriens,  und 
sind  wir  iiber  die  Herkunft  einer  dieser  Pflanzen  im  Zweifel,  so 
brauchen  wir  nur  zuzusehen,  ob  sie  sich  strenge  sudlich  der  Alpen 

Viet.  Hchn,  Kulturpflanzen.     7.  Aiifl.  31 


482 


Ruckblick. 


und  etwa  der  Cevennen  halt  oder  jene  klimatische  Scheidewand, 
wenn  auch  in  sparlichen  und  verkummerten  Reprasentanten,  an  der 
Hand  der  Kultur  noch  iibersteigt.  Dass  die  Pinie  nicht  aus  Klein- 
asien  stammen  kann,  lehrt  uns  ihre  Abwesenheit  in  Deutschland, 
ja  in  Frankreich;  dass  der  Weinstock  den  siidkaspischen  Landern 
angehort,  aber  von  den  Syrern  uns  zugebracht  ist,  erkennen  wir  an 
der  Haltung  dieses  Rankengewachses  in  Europa:  nur  in  Siideuropa 
spendet  die  Rebe  reichlich  und  natiirlich,  breitet  sich  behaglich  aus, 
fiihrt,  so  zusagen  ein  sorgloses  Leben,  aber  sie  lasst  sich  noch  in 
Schlesien  ziehen,  sie  hat  sich  hie  und  da  in  deutsche  Walder  ver- 
irrt,  und  liefert  auf  ihr  zusagendem  Boden,  wie  in  der  Champagne, 
in  geschiitzten  Thalern,  wie  am  Rhein,  an  vulkanischen  Hugeln, 
wie  in  Ungarn,  mit  Beihiilfe  der  Kultur  noch  edle  Friichte.  Die 
Feige  ist  ein  semitischer  Baum,  vor  allem  aber  ist  es  die 
Olive,  die  Herrscherin  des  inneren  Meeres,  die  von  Byblus  und 
Gaza,  nicht  etwa  von  Cyzicus  und  Sinope  aus,  ihr  mittelgrosses, 
streng  begrenztes  Reich  gegriindet  hat.  Pontisch  und  kaspisch  da- 
gegen  im  eminenten  Sinne  sind  die  Nussbaume,  sowohl  die  eigent- 
lichen,  als  die  Kastanien.  Die  Letzteren  ersteigen  die  Gebirge 
der  hesperischen  Halbinseln  in  dichten  ausgebreiteten  Bestanden, 
ohne  den  frischen  Hauch  der  Hohe  zu  fiirchten,  und  haben  die 
Buchen  vor  sich  her  auf  die  obersten  Abhange  gedrangt, 
doch  auch  im  westlichen  Mitteldeutschland  begleitet  der  Wal- 
nussbaum  die  Wege  und  sammeln  sich  die  Kastanien  zu  be- 
scheidenen  Waldchen.  Mit  einsichtsvoller  Naturfreude  hat  Jo- 
sephus  diese  Gesellung  verschiedener  Baume  auS  ungleichen  kli- 
matischen  Zonen  in  der  mediterranen  Flora  geschildert,  zunachst 
mit  Bezug  auf  die  Gegend  um  den  See  Genezareth,  de  bell.  jud.  3, 
10,  8:  »Die  Traube  und  die  Feige,  die  Konige  unter  den  Friich- 
ten  reifen  dort  fast  ununterbrochen ;  neben  den  Feigen-  und  Oel- 
baumen,  denen  eine  sanftere  Luft  zusagt,  stehen  in  unermesslicher 
Fiille  die  Nussbaume,  die  die  winterlichsten  sind  (d.  h.  aus  dem 
Norden  stammen),  und  die  Dattelpalmen ,  die  heissesten,  die  sich 
von  der  Glut  nahren.  Und  es  ist,  als  hatte  die  Natur  ihren  Ehr- 
geiz  darein  gesetzt,  hier  die  Fruchtgewachse  streitender  Himmels- 
striche  mit  einander  wetteifern  zu  lassen.«  Etwas  Aehnliches  riihmt 
Columella  von  Italien:  nachdem  er  angefuhrt,  wie  auch  manche 
Duft-  und  Balsampflanzen  heisser  Lander  vermocht  worden,  in  Rom 
Laub  und  Blute  zu  tragen,  fahrt  er  fort,  3,  9,5:  his  tamen  exem- 
plis  nimirum  admonemur,  curae  mortalium  obsequentissimam  esse 


Riickblick.  483 

Italiam  quae  paene  totius  orbis  fruges  adhibito  studio  colonorum 
ferre  didicerit.  —  Dass  auch  manche  Gewachse,  die  im  Rucken  Ar- 
meniens  und  Syriens  im  heissen  Persien,  ja  urspriinglich  im  tropi- 
schen  Indien  lebten,  in  Siideuropa  naturalisirt  werden  konnten,  da- 
fur  gab  unter  manchem  Anderen  die  Orange  das  leuchtendste  Bei- 
spiel,  und  wie  aus  dem  Indus-  und  Gangeslande  etwa  sechshundert 
Jahre  vor  Chr.  Geburt  eins  der  niitzlichsten  Hausthiere,  der  Haus- 
hahn,  gekommen  war,  so  etwa  sechshundert  Jahre  nach  Chr.,  gleich- 
sam  zum  Beweise ,  dass  die  Bewegung  des  Austausches  noch  nicht 
vollig  ruhte,  der  arachosische  Ochse  oder  der  Buffel. 

Im  ersten  Jahrhundert  vor  Chr.  hatte  das  weite  Reich,  dessen 
Mittelpunkt  Italien  war,  d.  h.  das  geographische  Gebiet  der  antiken 
Kulturperiode,  seine  Vollendung  erreicht;  es  umfasste  als  ein  grosses 
orientalisches  Kolonialland  das  Mittelmeer  von  alien  Seiten.  Die 
Grenzprovinzen  am  Euphrat  nach  Osten,  an  Rhein  und  Donau  nach 
Norden  bildeten  zu  ausserst  liegende  schwankende  Erwerbungen,  mit 
anderem  Charakter,  Beiwerke,  schon  zu  weit  von  der  Binnensee  ent- 
fernt,  um  welche  die  klassische  Welt  gruppirt  war.  Innerhalb  dieser 
natiirlichen  Schranken  und  der  entsprechenden  festen  und  sproden 
Gestalt  der  Sitten  und  des  Lebens  aber  begann  diese  Kultur  in  sich 
selbst  zu  ersticken.  Wahrend  der  ersten  Jahrhunderte  der  christ- 
lichen  Aera  vollzieht  sich  sichtlich  ein  unaufhaltsamer  beschleunigter 
Process  des  Verfalls,  der,  wie  eine  rettungslose  Krankheit,  endlich 
zur  Auflosung  fiihrte.  Es  ist  leicht,  diese  auf  den  ersten  Blick 
rathselhafte  Erscheinung,  die  von  Aussen  keine  zwingenden  Griinde 
hatte,  mit  dem  Altern  und  dem  Tode  des  organischen  Individuums 
zu  vergleichen;  aber  da  Volker  und  Epochen  keine  Pflanzen  oder 
Thiere  sind,  so  sagt  das  beliebte  Bild  iiber  den  Vorgang  selbst  und 
die  dabei  wirkenden  reellen  Ursachen  unmittelbar  nichts  aus.  Viel- 
leicht  lagen  einige  der  letzteren  in  Folgendem. 

Ein  Grundfehler  und  der  eigentlich  schadhafte  Punkt  der  antiken 
Civilisation  war  die  unwirthschaftliche  Construction  der  Ge- 
sellschaft  und  des  Staates  und  die  damit  zusammeiihangende  Ab- 
wesenheit  realistisch  -  technischen  Sinnes  bei  den  Menschen. 
Wahrend  der  romischen  Kaiserzeit  wurde  die  Welt  immer  armer, 
daher  immer  muthloser  und  gedriickter.  Die  Steuern  stiegen  von 
Regierung  zu  Regierung,  warfen  aber  immer  nicht  das  Nothige  ab 
und  liessen  sich  immer  schwerer,  zuletzt  als  unerschwinglich  gar 
nicht  mehr  eintreiben.  Man  half  sich,  indem  man  sie  zu  moglichst 
hohem  Satze  Generalpachtern  in  die  Hand  gab:  welche  publicani 

31* 


484  Ruckblick. 

sich  dann  wieder  durch  erbarmungslose  Aussaugung  schadlos  hielten, 
wie  in  Frankreich  vor  der  Revolution.  In  den  Stadten  mussten 
einzelne  reiche,  mit  hervorragenden  Ehrenamtern  bekleidete  Burger 
fur  die  Gemeinde  haften  und  wurden  mit  ihrem  Vermogen  die  Beute 
des  Fiskus.  In  der  Noth  griffen  die  Kaiser  zu  Verschlechterung 
der  Miinze  —  das  Papiergeld  mit  Zwangskurs  war  noch  nicht  er- 
funden  — ,  was  nur  zur  Folge  hatte,  dass  alle  Preise  in  die  Hohe 
gingen  und  das  Leben  immer  theurer  wurde.  Letzteres  wurde  dann 
dem  Eigennutz  und  bosen  Willen  der  Verkaufer  und  Handler  zu- 
geschrieben  und  demgemass  z.  B.  vom  Kaiser  Diocletian  das  berlihmte 
Edict  erlassen,  nach  welchem  die  Maximalpreise  aller  Lebensmittel, 
Rohstoffe,  Arbeitslohne  und  gewohnlichen  Manufacte  von  Staatswegen 
normirt  waren,  ein  schlagendes  Beweisstiick  fiir  die  Rohheit  national - 
okonomischer  Begriffe  die  iibrigens  in  dern  sog.  Gesetz  des 

Maximum  von  1793  genau  sich  wiederholt.  Anders  als  auf  Symp- 
tome  zu  curiren,  vielmehr  den  gesteigerten  Anforderungen  des  Staates 
durch  Entfesselung  der  Produktion  und  freie  wirthschaftliche  Be- 
wegung  zu  begegnen,  fiel  Niemandem  ein.  Zwar  batten  die  Romer 
Strassen  und  Bracken  gebaut,  die  noch  jetzt  unsere  Bewunderung 
erregen ,  aber  diese  dienten  mehr  dem  Glanz  und  der  Grosse  der 
Weltherrscher  und  der  Leichtigkeit  militarischer  und  administrativer 
Verbindung,  als  den  Zwecken  des  Handels  und  Verkehrs.  Sie  waren 
durch  Binnenzolle  gesperrt,  und  diese  wieder  in  den  Handen  der 
Staatspachter,  mit  alien  Uebelstanden  und  vexatorischen  Praktiken 
dieses  Systems.  Ausfuhr-  und  Einfuhrverbote  an  den  Grenzen, 
widernatiirliche  Getreidegesetze  u.  s.  w.  hemmten  die  Circulation  der 
Giiter  und  also  die  Vermehrung  des  Kapitals  und  Reichthums.  Dazu 
kamen  die  Staats-  und  Regierungsmonopole ,  deren  Zahl  immer  zu- 
nahm,  und  die  kaiserlichen  Fabriken,  die  nur  scheinbar  vortbeilhaft 
arbeiteten.  Der  unersattlichen  Habgier  des  Soldatenstaates,  der,  von 
Anfang  an  militarisch  construirt,  sich  in  fast  immerwahrendem 
Kriegszustand  befand,  konnte  keine  Produktion  der  ackerbauenden 
und  fabricirenden  Bevolkerung  geniigen;  was  die  Abgaben  iibrig 
liessen,  wurde  durch  die  Einquartirung  und  die  Naturalverpflegung 
der  Truppen  verzehrt.  Die  Soldaten,  denen  schon  gegen  Ende  der 
Republik  gewaltsam  und  willkiirlich  Aecker  in  Italien  zugetheilt 
waren,  spielten  seitdem  die  grosse  Rolle.  Sie  waren  meist  unver- 
ehelicht,  verschwelgten  auf  grobe  Weise,  was  sie  im  Kriege  zusarnmen- 
gebracht,  waren  faul  zur  Arbeit  und  zu  Uebergriffen  geneigt95).  Bei 
dem  unentwickelten  Zustande  des  Finanz-  und  Rechnungswesens  und 


Riickblick.  485 

der  Unbekanntschaft  mit  den  natiirlichen  Gesetzen,  die  es  regeln, 
konnte  auch  der  Geldhandel  und  der  leichte  Umlauf  der  Kapitalien 
kein  Element  zunehmenden  Reichthums  bilden.  Der  Zinsfuss  stieg 
auf  eine  unerhorte  Hohe,  und  die  Verbote,  die  dem  Wucher  steuern 
sollten,  machten  das  Uebel  nur  schlimroer.  Wie  der  Zins  iiberhaupt 
im  Alterthuni  fur  verachtlich,  ja  fur  unerlaubt  gait,  so  blieb  auch 
das  Prinzip  der  Arbeitstheilung  unbegriffen.  Schon  Cato  und 
Varro  warnen  geradezu  vor  derselben:  der  Erstere  will,  der  Land- 
wirth  solle  moglichst  wenig  kaufen,  2,  5:  patrem  familias  v endacem, 
non  emacem  esse  oportet;  der  Andere  giebt  die  Vorschrift,  was  auf 
dem  Landgute  vom  Gesinde  selbst  gemacht  werden  konne,  solle 
nicht  von  auswarts  gekauft  werden,  1,  22,  1:  quae  nasci  in  fundo 
ac  fieri  a  domesticis  poterunt,  eorum  ne  quid  ematur.  Die  Arbeit 
zu  Hause  also  wurde  nicht  als  ausgegebenes  Geld  gerechnet;  auch 
unterhielten  die  grosseren  Wirthschaften  ihre  eigenen  Schmiede, 
Zimmerleute,  Schuster,  Botticher  u.  s.  w.  selbst,  wogegen  in  den 
Stadten  der  arbeitende  Burger-  und  Handwerkerstand  fehlte.  Kein 
Wunder,  dass  die  Technik  des  Handwerks  unvollkommen  blieb,  wel- 
€her  ohnehin  in  dem  Naturell  der  Alten  keine  verwandte  Richtung 
entgegenkam.  Die  natiirliche  Realitat  der  Dinge  unbefangen  beob- 
achten,  sich  ihrer  zweck-  und  werkmassig  bedienen,  sich  durch  sol- 
ches  Riistzeug  befreien,  ist  kein  antiker  Charakterzug.  Die  Alten 
lebten  im  Traume  religioser  Phantasie  in  idealem  Schein,  beherrscht 
vom  Hange  kiinstlerischer  Darstellung,  befangen  im  Zauber  des 
Schonen,  als  ein  adeliges  Geschlecht.  Sehen  wir  uns  in  den  pom- 
pejanischen  Resten  die  Gerathe,  die  Werkzenge  u.  s.  w.  an,  wie 
schon  und  edel  sind  sie  gezeichnet,  obgleich  vielleicht  von  Sklavenhand 
gearbeitet,  aber  auch  meistens  wie  kindlich !  Was  uns  daran  durch 
rationelle  Technik  erfreut,  war  nicht  Ergebniss  niichterner  Beob- 
achtung  und  verstandiger  Berechnung,  sondern  alte  Tradition,  bei  der 
es  blieb  und  die  als  solche  von  Menschenalter  zu  Menschenalter 
sinken  musste.  Und  mit  der  Technik  sank  auch  der  Geschmack, 
die  Grazie  und  Reinheit  der  Formen  und  der  Adel  des  Gedankeus. 
Denn  beide  sind .  nicht  absolut  getrennt :  was  die  Technik  gewinnt, 
kommt  auch  dem  Geiste  zu  Gute ;  jede  Erweiterung  ihrer  Schranken, 
die  der  erstern  gelingt,  gestattet  auch  dem  letztern  den  Flug  in  eine 
bisher  unbekannte  Welt.  Hatten  die  Alten  z.  B.  ihre  diirftigen 
musikalischen  Instrumente  mannigfacher  entwickeln  und  etwa  die 
Orgel  und  die  Geige  —  die  erst  mit  den  Arabern  auftrat  —  erfinden 
konnen,  es  ist  kein  Zweifel,  dass  auch  ihre  Musik  selbst  eine  neue 


486  Riickblick. 

Seele  gewonnen  hatte.  Wie  stationar  die  mechanischen  Kunste  bei 
den  Romern  blieben  und  wie  fern  ihnen  die  Natur  als  Object  ver- 
standiger  Forschung  lag,  lehrt  insbesondere  die  Geschichte  der  romi- 
schen  Seefahrt  mid  des  romischen  Ackerbaues.  Umfang  und 
Grenzen  des  grossen  Reiches  boten  Anlass  genug,  sich  auf  der  hohen 
See  zu  versuchen.  Die  Weltherrscher  waren  in  Besitz  der  iberischen,. 
lusitanischen  und  mauritanischen  Kiisten ,  aber  die  nahe  gelegenen 
canarischen  Inseln  musste  Plinius  nach  den  Aufzeichnungen  des 
Konigs  Juba  beschreiben:  romischen  Schiffern  oder  Handelsleuten 
war  68  nicht  eingef alien,  sich  so  weit  zu  wagen.  Die  Insel  Hibernia> 
an  der  vielleicht  schon  Pytheas  drei  Jahrhunderte  vor  Chr.  gelandet 
war,  blieb  den  Romern  wie  im  Halbnebel  zur  Seite  liegen;  sie  ver- 
barg  sich  hinter  dem  schwierigen  biscayischen  Meerbusen  und  dem 
stiirmischen ,  klippenreichen  irisch-englischen  Kanal.  Die  romischen 
Schiffe  waren  und  blieben  Ktistenf ahrer ,  die  mit  herannahendem 
Winter  die  Hafen  aufsuchten  und  die  umbrausten  Vorgebirge  fiirch- 
teten.  Winde,  Wellen  und  Jahreszeiten  wurden  mythisch  angeschaut: 
der  Schnabel  des  Schiffes  war  zierlich  und  kunstlerisch  geschnitzt> 
das  Schiff  selbst  aber  unvollkommen  konstruirt.  Vom  rothen  Meer 
ging  ein  alter  lebhafter  Handelsverkehr  nach  Indien,  und  Strabo  er- 
fuhr,  dass  aus  dem  dortigen  Hafen  Myos  Hormos  jahrlich  120  Schiffe 
nach  diesem  Lande  ausliefen:  aber  weder  das  indische  Zahlensystem,. 
iioch  die  Magnetnadel  gelangte  von  dort  in  den  romischen  Westen> 
der,  in  den  eigenen  engen  Kreis  gebannt,  gegen  das  Neue  un- 
empfindlich  war  und  vom  Orient  nicht,  wie  spater  in  der  Epoche 
der  Araber,  Bereicherung  und  Anregung  erfuhr.  Nach  Nordosten,  am 
Pontus  Euxinus,  stand  es  wie  am  rothen  Meer.  Die  Romer  be- 
sassen  eine  Anzahl  befestigter  Platze  an  den  Ufern  des  Pontus,  aber 
der  Handel,  der  iiber  jene  Gegenden  ging,  lag  in  den  Handen  der 
Asiaten  und  die  Geographic  des  kaspischen  Meeres  erfuhr  keinerlei 
Fortschritt.  Wie  ganz  anders  thatig  bewiesen  sich  dort  im  Mittelalter 
die  Genuesen,  Burger  einer  kleinen  Stadt,  denen  nicht,  wie  dem  civis 
romanus,  die  Furcht  und  das  Ansehen  des  romischen  Namens  schiitzend 
zur  Seite  stand.  Als  sie  sich  in  der  Krim  festgesetzt  hatten,  da  be- 
fuhren  sie  auch  mit  eigenen  Schiffen  das  kaspische  Meer  und  ihre 
Kaufleute  waren  zahlreich  in  Tauris  in  Persien  angesessen  —  und  so 
fand  sie  ein  anderer  Italiener,  der  Venetianer  Marco  Polo,  als  er  dort 
vorbeikam,  um  den  ganzen  ungeheuren  Welttheil  zu  durchziehen  und 
diesen  dann,  als  der  Herodot  des  Mittelalters ,  zu  beschreiben.  Zu 
dem  Einen  wie  zu  dem  Andern  fehlte  dem  Romer  der  ofTene  Sinn 


Rtickblick.  487 

fur  die  fremde  Welt:  wo  er  nicht  mehr  erobern  konnte  und  die  von 
ihm  geschaffenen  politischen,  sozialen,  rechtlichen  und  militarischen 
Formen  in  regelmassigen  Linien  wie  ein  festes  Mauerwerk  hinstellen 
konnte,  da  lockte  ihn  kein  Begehr,  da  war  die  Luft  nicht  mehr,  in 
der  er  athmete  und  lebte.  —  Der  romischen  Seefahrt  glich  der 
romische  Ackerbau;  auch  in  ihm  regte  sich  kein  Trieb  der  Ent- 
wickelung.  Die  Werkzeuge  waren  und  blieben  die  durch  Ueber- 
lieferung  gegebenen  unvollkommenen,  die  Methoden  die  hergebrachten, 
hocbstens  um  neue  eben  so  unwissenschaftliche  vermehrt,  die  ein 
Gemisch  von  bloss  praktischen,  wirklichen  oder  vermeintlichen  Er- 
fahrungen  und  aberglaubischer  Phantastik  darstellten.  Diingung  und 
Fruchtwechsel  waren  bekannt,  aber  nicht  nach  Gebiihr  gewiirdigt  und 
nicht  in  ihren  Consequenzen  entwickelt.  Der  Boden  versagte  zuletzt, 
Aecker  verwandelten  sich  in  Weidegrund,  Hungersnoth  war  haufig 
und  Getreidezufuhr  eine  Hauptsorge  der  Regierung;  Italien  trug 
durchschnittlich  nur  das  vierte  Korn  (Dureau  de  la  Malle,  Economie 
politique  des  Romains  II,  S.  121  ff.).  Der  eigentliche  Grund  des 
steigenden  Misserfolgs  lag  in  der  Hohe  der  Arbeitskosten,  diese  aber 
beruhten  in  dem  volkswirthschaftlich-technischen  Ungeschick  und  der 
Gleichgiiltigkeit  gegen  reelle  Naturkenntniss. 

Zu  den  Griinden,  die  den  Untergang  der  antiken  Gesellschaft 
herbeifiihrten ,  hat  man  sich  gewohnt,  vorzugsweise  die  Sklaverei 
zu  rechnen.  Gewiss  ist  diese  mit  der  hochsten  industriellen  Ent- 
wicklung  unvertraglich ,  aber  auf  manchen  Bildungsstufen  -  -  ganz 
abgesehen  von  der  Racenanlage  und  den  daher  ruhrenden  verwickel- 
ten  politischen  und  socialen  Problemen  —  ist  sie  ein  naturliches, 
unter  Umstanden  sogar  wohlthatiges  Institut.  Sie  bestand  auch  bei 
den  Barbaren,  die  dem  antiken  Leben  ein  Ende  machten,  sie  wahrte 
in  dem  germanisch-romanischen  Europa  ungeschwacht  fort  und  loste 
sich  dort  im  Fortgang  der  wirthschaftlichen  Kultur  durch  verschiedene 
Zwischenstufen  allmablig  und  natiirlich  von  selbst  auf.  In  Rom 
unterschied  sich  das  Sklaven-  und  Colonenwesen  in  den  meisten 
Beziehungen  nur  dem  Namen  nach  von  der  strengen  Gesindeordnung 
und  der  feudalen  Gutsverfassung  moderner  europaischer  Lander  bis 
vor  nicht  langer  Zeit.  Ja,  im  Sklavenstande  lag  oft  noch  ein  ge- 
schiitzter  Rest  des  Volksvermogens :  der  Sklave  konnte  wenigstens 
nicht  vom  Pfluge  weggerissen  und  in  das  Lager  der  Legionen  ge- 
schleppt  werden,  wahrend  die  freie  Bevolkerung  durch  Conscription 
decimirt  wurde  und  sich  nur  allmahlig  durch  die  haufigen  Frei- 
lassungen  erganzte.  Auch  in  Rom  hatte  sich,  wenn  im  Uebrigen 


488  Riickblick. 

die  Zeiten  nicht  so  trostlos  rucklaufig  gewesen  waren,  die  Sklaverei 
vor  dem  Wachsthum  der  wirthschaftlichen  und  politischen  Kraft  e 
nicht  auf  immer  halten  konnen. 

Ein  Ausdruck  dieses  allgemeinen  Elends  war  die  unaufhaltsame 
Verbreitung  der  neuen  visionaren  Religion  vom  Orient  her,  die  dem 
verzweifelnden  Geschlecht  einen  rettenden  Ausweg  in  das  Innere  des 
Gemiithes  zeigte.  Das  Christen thum,  indem  es  »das  Herz  im  Tiefsten 
loste«  und  alles  Wesentliche  in  das  Innere  verlegte,  untergrub  aber 
eben  dadurch  die  Grundlagen  selbst,  auf  denen  die  alte  Welt  ruhte. 
Der  Christ,  dem  die  Armen  die  Seligen  und  der  Tod  ein  Gewinn 
war,  blieb  kalt  gegen  Erwerb  und  Vermehrung  irdischer  Giiter:  sein 
Sinn  stand  in  einer  anderen,  durch  Entziickung  geschauten  Welt, 
und  er  sammelte  Schatze  im  Hiram  el.  Bekannt  ist,  dass  bei  dem 
allgemeinen  Sinken  geistiger  Produktion  doch  die  Jurisprudenz,  dieser 
Kern  und  Stamm  romischen  Wesens,  sich  nicht  bloss  erhielt,  sondern 
weiter  gedieh:  aber  in  der  zahlreichen  Reihe  auf  einander  folgender 
Juristen  ist  kaum  ein  Christ;  was  konnte  diesem  an  der  Ordnung 
der  Verhaltnisse  dieser  kurzen  Pilgerschaft  liegen?  nicht  um  Rechts- 
anspriiche  festzustellen,  sondern  am  Heile  der  Seele  zu  schaffen,  war 
ihm  dies  zeitliche  Dasein  gegeben.  Auch  die  Erkenntniss  der  Natur, 
ja  Wissenschaft  jeder  Art  Hess  ihn  gleichgiiltig ;  im  Glauben  besass 
er  alle  Wahrheit;  ohnehin  stand  der  Untergang  dieser  gegenwartigen 
Dinge  jeden  Tag  zu  erwarten.  Auch  im  romischen  Feldlager  befand 
sich  der  Bekenner  der  neuen  Religion  dem  Feinde  mit  ganz  anderen 
Gefiihlen.  gegeniiber,  als  der  echte  Romer  der  alten  Zeit:  der  Sieg 
brachte  ihm  keine  Freude,  und  Tod  und  Niederlage  befreite  ihn  von 
irdischer  Triibsal  oder  diente  ihm  zur  heilsamen  Priifung.  Sein 
wahrer  Feind  war  der  Heide  und  dessen  Schonheitssinn  und  Selbst- 
genugsamkeit.  So  verloren  Recht  und  Krieg,  die  Grundpfeiler  Roms, 
vor  dem  Hauch  des  neuen  christlichen  Geistes  ihren  Halt  und  ihre 
tragende  Kraft. 

Eine  andere,  langsam  wirkende  Zerstorung,  mit  der  durch  das 
Christenthum  in  der  Wurzel  identisch,  war  durch  das  Racengemisch, 
den  Eindrang  orientalischen  Blutes  in  die  Bevolkerung  des  Abend- 
landes  gegeben.  Das  romische  Reich  befasste  in  der  einen  und  all- 
gemeinen politischen  Form  einen  sehr  verschiedenartigen  Inhalt  von 
sehr  ungleichem  Kulturwerth.  Rom  war  ein  Pandamonium  theils 
unreifer  und  roher,  theils  durch  uralte  Tradition  verharteter,  tief  in 
Banden  liegender  Volksgeister.  So  unbeugsam  der  romische  Staat 
diese  dunk  ein  Naturkrafte  der  Norm  des  Verstandes  unterwarf,  so 


Neu-Europa.  489 

sicher  ging  er  allmahlig  an  deren  geheimer  Arbeit  zu  Grunde.  Der 
sich  beschleunigende  Verfall  war  nur  eine  Folge  der  Um  Ml  dung 
der  Race.  Eingeborene  Afrikas  und  Aegyptens,  Orientalen  jeder 
Art,  europaische  und  asiatische  Griechen,  spanische  IbereT,  Illyrier 
und  Thraker  iiberschwemmten  Italien,  kreuzten  sich  unter  einander, 
bemachtigten.  sich  der  Organe  des  Staates,  der  Erziehung,  der  Literatur, 
ja  bestiegen  nicht  selten  sogar  den  Thron  der  Imperatoren.  Schon 
seit  Ciceros  und  Casars  Zeit  fiillten  sich  alle  Stadte,  darunter  Rom 
selbst,  mit  Beschnittenen,  die  sich  unter  einander  verstanden  und,  so 
sinnlos,  so  allem  Menschlichen  abgekehrt,  ihre  Meinungen  den  Romern 
erschienen,  doch  in  der  Hartnackigkeit  ihrer  Anlage  unbemerkt  das 
allgemeine  Bewusstsein  umwandelten.  Die  jiidischen  Gemeinden 
waren  es,  die  dem  Christenthum  zunachst  die  Wege  bahnten  und 
{lessen  Keime  in  alien  Provinzen,  wie  in  den  entfernteren  Quartieren 
•der  Hauptstadt  ausstreuten.  Wer  behaupten  wolle,  nicht  die  Ger- 
manen,  sondern  die  Juden  hatten  das  romische  Reich  zerstort,  der 
wtirde  in  dieser  Schroffheit  der  Worte  zwar  zu  viel  sagen,  dennoch 
aber  der  Wahrheit  naher  kommen,  als  es  Unkundigen  scheinen 
mochte.  »0  ware  Judaa  nimmer,«  so  klagt  Rutilius  Numatianus  in 
seinem  Itinerarium,  »von  Pompejus  und  Titus  bezwungen  worden! 
Von  daher  kommt  jetzt  weit  und  breit  der  Stoff  der  Ansteckung 
und  die  einst  Besiegten  werfen  den  Siegern  das  Joch  iiber  den 
Nacken ! « 

Nach  einer  anderen,  helleren  Seite  hin  offneten  sich  die  Schranken 
der  antiken  Kultur  durch  den  Eintritt  Nordwest-  und  Mitteleuropas 
in  die  Geschichte  der  Menschheit.  Diesen  Durchbruch  bewirkte 
zuerst  der  grosse  Casar,  indem  er  Gallien  und  Belgien  eroberte  und 
Britannien  und  Germanien  betrat.  In  jenen  neuen  Gebieten  wehte 
schon  der  Athem  des  Oceans,  und  ungeheure  Walder  mit  riesigem 
Baumwuchs  beschatteten  clen  jungfraulichen,  noch  nicht  angebroche- 
nen  Boden.  Haufige  Nebel  und  Regen  erhielten  das  Land  auch  im 
Sommer  noch  feucht;  die  Baume  liessen  das  Laub  im  Herbste  fallen, 
im  Winter  gefroren  die  sumpfigen  Grunde  und  konnten  betreten 
werden.  Im  Gegensatz  zu  den  engen  Landschaften  der  durch  Gebirge 
getheilten  siideuropaischen  Halbinseln  und  der  gedrangten  Baumzucht 
des  Ostens  und  Siidens  streckten  sich  die  nordischen  Flachen  in 
ungeheurer  barbarischer  Weite  nach  alien  Seiten  fort,  und  das  Leben 
trug  das  Geprage  dieser  grosseren  Verbal tnisse ,  wie  im  Ocean  die 
Woge  breiter  ist,  als  im  geschlossenen  Meere.  Wo  der  Acker  gebaut 
wurde,  wie  in  gallischen  Landen,  da  wuchs  das  Korn  in  unabseh- 


490  Neu-Europa. 

baren  Auen,  daran  grenzte  iiberall  die  Waldregion,  die  Heimat  der 
grossen  Raub-  und  Jagdthiere,  je  weiter  ostlich  vom  Rhein,  desto 
seltener  durch  sporadische  Kulturflecke  unterbrochen.  Die  Civili- 
sation stand  in  den  Anfangen,  besonders  bei  Briten,  Belgen  und  Ger- 
rnanen;  sie  war  bei  den  Galliern  schon  weiter  vorgeriickt,  aber  im 
Vergleich  niit  Italien,  der  Erbin  Griechenlands  und  des  Orients,  immer 
noch  im  Stande  der  Kindheit.  Dennoch  hatte  die  mitteleuropaische 
oder  transalpinische  Technik  des  Lebens,  so  unentwickelt  sie  war,  vor 
der  griechisch-romischen  mancbe  Vortheile  voraus,  die  durcb  Klima, 
Vegetation,  Boden,  iiberhaupt  durch  den  ganz  anders  gearteten  nattiiv 
lichen  Ausgangspunkt  von  selbst  sich  ergaben.  Eine  ganze  Reihe 
von  Erfmdungen  liessen  sich  aufzahlen,  die  von  Gallien  den  Romern 
zukamen,  aber  von  diesen,  die  bereits  abgeschlossen  batten,  mehr 
notirt,  als  in  lebendigen  Gebrauch  verwandelt  wurden;  wir  fiihren 
beispielsweise  nur  an:  den  Raderpflug,  den  rheda  genannten  Wagen> 
die  Seife,  das  linnene  Hemd,  die  Mergeldiingung.  In  religiosen,  sitt- 
lichen  und  Rechtsbegriffen  fanden  die  Romer  bei  Briten  und  Ger- 
manen  ihre  eigene,  langst  vergessene  Jugendzeit  wieder:  sie,  die- 
Romer,  hatten  diesen  Urstand  in  langer  Stuf enfolge  -  zu  einem  ins 
Einzelne  ausgef iihrten ,  iiberall  von  f einem  Verstande  und  reicher 
Erfahrung  des  Menschenlebens  durchdrungenen,  fest  gestalteten  und 
mannigfach  vermittelten  Systeme  entwickelt;  aber  dieser  unschatz- 
bare  Kulturgewinn  war  conventlonell  erstarrt  und  ward  als  Fessel 
empfunden:  bei  den  Germanen  waltete  noch  das  unmittelbare,  rohe,. 
aber  frische  Naturgefiihl,  und  tiefdenkende  Romer,  wie  Tacitus,, 
sehnten  sich  nach  diesen  Anfangen  des  Lebens,  die  sie  mit  unver- 
kennbarer  Vorliebe  schildern  und  von  denen  sie  in  wohlthuender 
Tauschung  wie  von  Freiheit  angeweht  wurden.  Um  sich  dies  Ver- 
haltniss  des  alten  Kulturvolks  zu  den  nordischen  Waldbewohnern 
klar  zu  machen,  halte  man  etwa  die  lyrischen  und  epischen  Volks- 
lieder  der  Germanen  zu  den  Tragodien  des  Seneca:  die  ersteren  sind 
elementarer,  aber  von  dunkler  Poesie  durchweht,  die  anderen  gehoren 
einer  hoheren  Kunstgattung  an  (zu  der  das  ganze  Mittelalter  sich 
nicht  erheben  konnte),  tragen  das  Geprage  formaler  Bildung,  aber 
der  Geist  ist  entwichen :  dort  ein  Ueberschuss  der  Phantasie  und  des 
Gefiihls  iiber  die  Darstellung,  hier  frostige  Verwendung  fertiger,  einst 
beseelter,  jetzt  hohler  Formen.  In  einem  ahnlichen,  nur  noch  bar- 
teren,  oft  mit  staunender  Sympathie  wahrgenommenen  Gegensatze 
hatten  sich  Jahrhunderte  friiher  die  Griechen  zu  den  Pontusgegenden 
befunden,  die  so  arm  und  elend  und  doch  wieder  so  reich  warenr 


Neu-Europa.  491 

die  griechische  Schiffahrt  brachte  Wein  und  Oel  dahin,  das  Dop pel- 
symbol  der  antiken  Kultur,  und  was  sonst  civilisirtes  Leben 
zu  bieten  hat,  Strab.  11,  2,  3:  oaa  rrtg  r^Lisgov  diawrjg  oixeia, 
und  holte  von.  dort  Getreide,  Thierhaute,  Vieh,  Honig  und  Wachs,. 
gesalzene  Fische  und  —  kraftige  Menschenleiber  zum  Behufe  des 
Dienstes  und  der  Arbeit,  Polyb.  4,  38:  TO  rwv  elg  rag  dovkeiag 
ayoftevwv  owfjLaToov  TihrjSog  ol  xara  wv  Jlovrov  r^jLlv  ^6noL  TiaQa- 
dxsvd^ovac  SaifJiheGraTOV  xal  %Qrfit,{jiwmTOV  o^o^oyov/iisvwg.  Schon 
friihe  batten  die  Griecben  in  jenem  Norden  ein  Geschlecbt  der  ge- 
rechtesten  Manner  geschaut,  und  selbst  ein  weiser  Philosoph, 
Anacharsis,  der  weitgewanderte  Urheber  wohlthatiger  Erfindungen, 
batte  dort  seine  Heimat.  Griecben  batten  sich  im  Herzen  des- 
Skytbenlandes  niedergelassen,  wie  romische  Handler  in  der  Haupt- 
stadt  des  Maroboduus.  Doch  ging  aus  dem  Contact  der  Hellenen 
und  der  Ackerbauer  und  Nomaden  im  Norden  des  Pontus  keine  neue 
Scbopfung,  noch  viel  weniger  ein  neues  Zeitalter  bervor:  eine  Volker- 
welle  nach  der  anderen  spiilte  dort  das  unmittelbar  Vorhergegangene 
wieder  fort;  Tiirkenstamme  ritten  aus  den  Wildnissen  Asiens  hervor, 
Menschen  und  Saaten  niederstampt'end ;  Slaven  von  Norden  ergossen 
sicb  iiber  das  Donauland  bis  zum  adriatischen  Meer  und  tief  in  die 
griecbische  Halbinsel  hinein;  ihnen  folgend  drangte  sicb  nocb  ganz. 
zuletzt  ein  finnischer  Stamm  vom  Ural  her  mitten  zwischen  sie 
hinein  und  behauptete  das  scbone,  einst  von  gebildeten  Menschen. 
edler  Rasse  bewohnte,  jetzt  zur  Pferdeweide  gewordene  Pannonien. 
Anders  im  Westen.  Dort  bildeten  Italien,  Spanien,  Gallien,  die 
britischen  Inseln,  Germanien  nach  dem  politischen  Falle  Roms  immer 
noch  ein  innerlich  zusammengehaltenes  Ganze,  die  europaische  Volker- 
gemeinde,  deren  idealer  Mittelpunkt  die  ewige  Stadt  war.  Diesem 
Schauplatz  des  Mittelalters  lag  das  byz'antinische  Reich  im  Osten  so 
gegeniiber,  wie  einst  Asien  den  Griechen:  cultivirter  in  vieler  Be- 
ziehung,  aber  unfrei  und  tief  entartet,  von  Barbaren  umlagert.  In 
dem  Wechselverkehr  des  Nordens  und  Siidens  oder  der  Germanen 
und  Roms  besteht  der  Hauptinhalt  der  Geschichte  des  europaischen 
Mittelalters.  Von  Deutschland  waren  die  Schaaren  ausgegangen,  die 
den  stolzen  militarisch-administrativen  Bau  des  Imperatorenreiches 
in  Trummer  geschlagen  batten:  sie  wirkten  als  Befreier,  weil  sie 
Einzelleben  an  Stelle  der  wie  mit  ehernen  Klammern  festgefiigten 
Einheit  gesetzt  batten.  Umgekehrt  hatte  Deutschland  schon  vor  der 
Volkerwanderung  sich  der  Verfuhrungen  siidlicher  Kultur  nicht  er- 
wehren  konnen  und  erf  uhr  nun  Avahrend  des  Mittelalters  den  unauf- 


492  Neu-Europa. 

haltsamen  allrnahlig  alle  Adern  durchdringenden  Process  der  Ro- 
manisirung  an  sich:  seine  Walder  wurden  ausgerodet  (Carol! 
M.  Capit.  II.  de  813  §  19:  et  plantent  vineas,  faciant  pomaria,  et 
ubicunque  invenient  utiles  ullos  homines,  detur  illis  silva  ad  ex- 
tirpandum),  Ansiedelungen,  bald  auch  Stadte  gegriindet  und  die 
Sitten,  die  Regierungs-  und  Rechtsnormen,  die  das  Alterthum  er- 
funden  hatte,  auf  den  neuen  Boden  angewandt.  Ein  wichtiger  Mittel- 
punkt  der  bin-  und  hergehenden  Kulturbevvegung  war  Belgien.  Zur 
Zeit  Casars  wobnten  dort  noch  kriegerische ,  in  derber  Naturfriscbe 
verbliebene  Kelten ,  den  Germanen  ahnlich,  von  diesen  bedrangt, 
spater  mit  ihnen  sicb  miscbend:  den  Germanen  nachher  ein  Vorbild 
weitergeschrittener  Civilisation,  des  Ackerbaues,  der  Industrie,  der 
Freiheit,  den  alten  Rornerlanden  eine  Quelle  der  Jugend.  Belgien, 
Nordostfrankreicb  und  das  Rheinland  zu  beiden  Seiten  des  Stromes 
schienen  bestimmt,  ein  eigenes  Reicb  mit  individuellem  Geprage  zu 
werden,  ein  Zwischenglied  beider  Halften  Europas;  docb  vollzog  sich 
dieser  Ansatz  nicht,  und  jene  Gegend  blieb  ein  schwankender  Grenz- 
strich  bald  dem  einen,  bald  dem  andern  Theile  zufallend.  Flan- 
drische  Kolonisten  aber  waren  es,  die  in  Deutschland  die  hoheren 
Formen  des  Ackerbaues  lehrten;  von  Burgund  ging  die  Tuch-  und 
Leinwandweberei  aus ;  dort  (in  St.  Denys,  Rheims  u.  s.  w.)  ward  die 
gothiscbe  Architektur  erfunden  und  war  eine  dicbte  Saat  von  Stadten 
mit  Kathedralen,  eine  mach tiger  als  die  andere,  ausgestreut;  dort 
gingen  die  Fabeln  von  Reineke  Fucbs  um  und  erwachte  zuerst  die 
fanatisch-phantastische  Idee  der  Kreuzziige;  dort  batte  die  modernste 
Kunst,  die  Musik,  ihre  Geburtsstatte  und  wurde  die  Oelmalerei,  wenn 
nicht  erfunden,  so  doch  angewandt,  und  vervollkommnet.  Aber 
wahrend  Deutschland  mit  den  Mitteln  antiker  Kultur  erzogen  und 
gebildet  wurde,  erweiterte  es  seinerseits  den  Bezirk  Europas  durch 
nnermudlich  fortgesetzte  Kolonisation  nach  Osten  —  eine  der  grossten, 
nicht  genug  zu  beachtenden  Erscheinungen  des  Mittelalters.  Im 
Siiden  ging  diese  germanische  Expansion  von  dem  Stamme  der 
Baiern  aus,  dem  Laufe  der  Donau  nach ;  im  Nor  den  von  den  Sachsen, 
quer  iiber  die  Elbe,  die  Oder,  die  Weichsel,  bis  hoch  an  den  Kiisten 
der  Ostsee  hinauf;  in  jenen  deutsch  gewordenen  Landen  erhielten 
die  Nibelungen  wenigstens  ihre  letzte  Fassung  und  schwang  sich  die 
Pflanzstadt  Wien  zum  Kaisersitz  auf,  in  diesen  trat  Copernicus  auf 
und  wurden  nach  Jahrhunderten  Kant,  Winckelmann,  Fichte  und 
Humboldt  geboren;  und  wahrend  dadurch  im  Siiden  das  Reich  des 
heiligen  Stephan  in  den  Kreis  der  neueuropaischen  Civilisation  ge- 


Neu-Europa.  49  g 

zogen  wurde,  wurde  im  Norden    auch    das  weite  Gebiet  der  Piasten 
und  Jagellonen  dem  geistigen  Leben  des  Westens  geoffnet. 

Hatten  Germanen  das  westromische  Reich,  Tiirken  und  Slaven 
die  nordliche  Halfte  des  griechischen  Gebietes  iiberflutet,  so  brach 
seit  dem  7.  Jahrhundert,  um  den  Untergang  der  alten  Welt  voll- 
standig  zu  machen,  der  Arabersturm  iiber  Syrien  und  das  noch 
bliihende  Nordgestade  Afrikas  los.  In  der  ersten  Wuth  des  Islam 
war  die  Zerstorung  furchtbar  und  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch 
nicht  wieder  gut  gemacht  -  -  »keimt  ein  Glaube  neu,«  so  wird  die 
Arbeit  vieler  vergangener  Geschlechter  »wie  ein  boses  Unkraut  aus- 
gerauft«  — ,  aber  nachdem  der  erste  fanatische  Paroxysmus  ver- 
flogen,  vermehrten  die  Araber  das  aus  dem  Alterthum  vererbte 
Kulturkapital  durch  werthvolle  Beitrage:  den  Kompass,  die  soge- 
nannten  arabischen  Zahlen,  die  Anfange  der  Chemie  und  Pharmacie, 
der  Kaufmanns-  und  Hafenpraxis ,  manche  neue  Bodengewachse 
u.  s.  w.  Die  arabische  Kultur  selbst  verschwand  freilich  wie  eine 
Episode,  aber  das  von  ihr  Zugebrachte  wurde  im  Abendlande  weiter 
entwickelt  und  als  die  italienischen  Seestadte  aufbliihten  und  Banken 
und  Wechselgeschafte  einrichteten,  und  als  das  Schiesspulver  und 
das  Linnen  -  Papier  erfunden  waren  und  allgemeiner  angewendet 
wurden,  da  war  nach  langen  Jahrhunderten  der  Barbarei  und  des 
Aberglaubens  ein  Punkt  der  Umkehr  erreicht,  von  dem  an  das 
Leben  wieder  aufzusteigen  begann.  Hatten  schon  dia  Romer  die 
beiden  letztgenannten  Erfindungen  machen  konnen,  vielleicht  ware 
die  ungeheure  Unterbrechung  stetigen  Kulturganges,  die  wir  das 
Mittelalter  nennen,  vermieden  worden.  Vor  dem  Schiesspulver  waren 
vielleicht  die  Hunnen  in  ihre  Steppen  zuruckgeflohen  und  das  Papier 
hatte  moglicher  Weise  den  Untergang  der  griechisch-romischen 
Literatur  -  -  denn  was  wir  besitzen,  sind  nur  kummerliche  zerstreute 
Reste  —  verhiitet.  Im  fiinfzehnten  Jahrhundert  war  Italien  bereits 
wieder  so  erstarkt,  dass  der  Humanismus,  sowohl  der  literarische, 
als  der  sittliche  und  politische  da  ankniipfen  konnte,  wo  das  Alter- 
thum in  seiner  Erschopfung  den  Faden  hatte  fallen  lassen.  Die  Welt 
offnete  sich  dem  wieder  sehend  gewordenen  Auge ,  der  Mensch 
empfand  wieder  Freude  an  dem  Dasein  in  dieser  Natur  und  be- 
gann nach  Erkenntniss  ihrer  Gesetze  und  ihres  geheimnissvollen 
Innern  sich  zu  sehnen.  Mit  der  Magnetnadel  bewaffnet,  segelten 
kiihne  Schiffer  von  Lusitanien  und  Iberien  aus  nach  Amerika,  Ost- 
indien  und  China:  vor  den  Blicken  breitete  sich  in  tausendfacher 
Fiille  der  Naturwunder  die  neue  Welt  aus,  die  einst  Seneca  jenseits 


494  Neu-Europa. 

der  Meere  geahnt  hatte  —  denn  mehr  als  die  Ahnung  war  den 
Romern  nicht  beschieden.  Mathematik,  Physik,  Mechanik,  Astro- 
nomic, Anatomic,  Botanik  regten  sich  mit  jugendlichem  Eifer;  die 
Kirche  bewachte  sie  misstrauisch,  konnte  sic  aber  nicht  mehr  er- 
sticken;  mit  Hiilfe  von  Messer  und  Wage,  Schmelztiegel  und  Re- 
lorte,  Hebel  und  Pumpe,  Thermometer  und  Barometer,  Teleskop 
und  Mikroskop,  Pendel,  Logarithmen  und  Infinitesimalrechnung  be- 
reitete  sich  die  immer  vollere  und  umfassendere  Befreiung  der 
Menschheit  vor.  Was  die  moderne  Welt  von  der  alten  unterscheidet, 
1st  Naturwissenschaft,  Technik  und  Nation  alokonomie. 

Wenden  wir  uns  nach  diesen  allgemeinen  Betrachtungen  wieder 
zu  unserem  naheren  rl*hema,  so  lehrt  die  Namengebung  in  der  deut- 
schen  Sprache ,  dass  von  der  Epoche  der  Volkerwanderung  an  bis 
tief  in  die  mitleren  Zeiten  hinein  Alles,  was  der  deutsche  Garten 
trug  und  ein  grosser  Theil  der  Feldverrichtungen  aus  Italien  und 
Oallien  oder  Siidfrankreich  eingefiihrt  war.  So  weit  das  Klima  es 
•erlaubte,  wurde  durch  eine  fortgesetzte  Kulturwanderung  angeeignet, 
was  Italien  entweder  urspriiglich  besessen,  oder  selbst  in  friiheren 
Jahrhunderten  aus  Griechenland  und  Asien  bezogen  hatte.  Nicht 
bloss  die  Baumfriichte,  Birnen,  Pflaumen,  Kirschen,  Maulbeeren,  die 
Trauben  und  alle  Manipulationen  der  Kelterung  und  Weingewinnung, 
•dazu  auch  der  Keller  (cello),  die  Tonne  und  die  Kufe,  die  Flasche, 
-die  Kanne,  der  Becher,  der  Kelch,  der  Krug  (ein  keltisches  Wort, 
Zeuss2)  151.  778),  die  Kumme  (cucuma),  der  Kumpen,  Kumpf  (cym- 
bium),  der  Kessel  (catinus),  der  Tiegel  (tegula),  sondern  auch  Blumen, 
Oemiise,  Kiichen-  und  Apothekergewachse,  wie  Kohl  (eaulis),  Kabes, 
Kappes  (caputium),  Erbse  (ervum),  Wicke  (vicia),  Linse  (lens), 
Petersilie,  Zwiebel,  Kummel,  Beete  (slavisch  sveklu  entstellt  aus 
<fci~Uoi>),  Rettich  (den  die  Romer  selbst  erst  unter  den  ersten  Kaisern 
aus  Syrien  als  radix  Syria  bezogen  batten),  Meerrettich  (entstellt 
aus  armoracia),  Miinze  (mentha),  Koriander,  Kerbel,  Liebstockel 
(libisticum  statt  ligusticum),  Lavendel,  Melisse,  Polei  (pulegium), 
Fenchel,  Anis,  Karde,  Lattich  (lactuca),  Spargel  und  vieles  Andere, 
sind  lateinisch  benannt;  die  Sichel  ist  das  lateinische  secula,  Flegel 
-  flagellum,  Mergel  --  marga,  margila,  Speicher  --  spicarium; 
lateinisch  sind  Butter  und  Kase,  Pferd  und  Zelter,  die  Masse:  Meile, 
Centner,  Pfund,  Mutt  (modius),  Scheffel  (scaphum,  scapilus),  Seidel 
{situla}  u.  s.  w.  Wie  die  italienische  oder  gallische  Villa  mit  allem 
Zubehor,  den  Gewachsen,  Thieren  und  nothigen  Werkzeugen  und 
Arbeiten  auf  deutschen  Boden  versetzt  wurde,  davon  giebt  Karls  des 


Der  Reis.  495 

Grossen  capitular  e  de  villis  und  das  specimen  breviarii  rerum  fis- 
mlium  ein  deutliches  Bild.  In  Italien  selbst  hatte  sich  trotz  der 
Volkerwanderung  und  der  chaotischen  Auf  losung  die  Zahl  der  ange- 
bauten  Gewachse  und  der  gebrauchlichen  Hausthiere  in  Aligemeinen 
nicht  verringert:  so  zahe  ist  das  Privatleben,  und  so  unermiidlich 
geht  in  den  kleinen  Kreisen  desselben  der  Zerstorung  die  Heilung 
und  Wiederherstellung  zur  Seite.  In  den  tausend  Jahren  des  Mittel- 
alters  bis  zur  Entdeckung  Amerikas  ist  kein  gezahmtes  Thier  mehr 
zu  verzeichnen ;  es  blieb  bei  dem  alien  Bestande  trotz  der  Bewegungen 
im  inneren  Asien,  der  grossen  arabischen  Herrschaft  vom  Indus  bis 
zum  Tajo  und  der  Einbriiche  der  Tiirken  und  Mongolen.  Wohl 
aber  bereicherten  die  eben  genannten  Weltbegebenheiten  die  Kultur- 
flora  des  Westens  uni  einige  integrirende  Glieder ,  unter  denen  wir 
uns,  wie  billig,  zunachst  zu  den  Friichten  des  Ackers  wenden. 


**  Beziiglich  einiger  der  auf  S.  494  genannten,  fur  Entlehmmgen  aus 
dem  Lateinischen  angesehenen  Worter  dtirfte  jetzt  eine  andere  Anschauung 
herrschen:  Ueber  Tonne  vgl.  Anm.  34;  Krug,  wenn  es  ein  keltisches  Wort 
ist,  ist  dann  doch  nicht  »lateinisch  benannt« ;  statt  dessen  goth.  aurkeis  aus  lat. 
urceus;  Erbse  vgl.  oben  S.  218;  Linse  an  derselben  Stelle ;  Meerrettich  ist  wohl 
eher  eine  Uebersetzung  von  als  eine  Entlehnung  aus  lat.  armoracia  (vgl. 
naheres  in  meinem  Reallexicon  u.  Meerrettich  und  bei  R.  Much  in  der 
Z.  f.  d.  osterreich.  Gymn.  1896  S.  608). 


Der  Reis. 

(Oryza  sativa  L.) 

Der  Reis,  eine  Pflanze  fetter,  wasserreicher  Niederungen  in  tro- 
pischem  und  subtropischem  Klima,  wurde  von  Alters  her  in  Indien 
iiberall  gebaut.  Im  Miindungslande  des  Indus  musste  die  sumpfige 
Natur  des  Bodens  dieser  Art  Getreide  besonders  zusagen,  aber  auch 
auf  trockenen  und  hoher  gelegenen  Strecken  konnte  die  Aussaat  so 
geregelt  werden,  dass  die  zu  bestimmten  Zeiten  eintretenden  tropischen 
Regen  der  aufschiessenden  Frucht  zu  Hulfe  kamen.  Obgleich  an 
eigentlichen  Nahrungsstoffen  hinter  dem  Weizen  zunicksteheiid,  war 
und  ist  der  Reis  doch  mehr  als  dieser  die  allgemeine  Volksnahrung 
nicht  bloss  im  eigentlichen  Indien,  sondern  auch  bei  den  Bewohnern 
der  Halbinsel  jenseits  des  Ganges,  Siidchinas  und  der  Inseln  des  in- 
dischen  Meeres,  bis  im  aussersten  Osten  die  Sagopalme  an  die  Stelle 


496  De 

dieser  Grasart  tritt.  Reisfelder  fehlen  in  dem  bezeichneteii  Gebiet 
nur  da,  wo  im  rauheren  Gebirge  die  Warme  nicht  mehr  ausreicht 
oder  die  Monsunregen  ausbleiben  und  kiinstliche  Bewasserung  nicht 
moglich  1st.  Eine  eigentliche  Brodfrucht  ist  der  Reis  in  so  fern 
nicht,  als  er  selten  gemahlen  und  verbacken  wird;  er  bildet  als 
Lieblingsspeise  eine  kernige,  weiche,  aus  gequollenen  Kornern  be- 
stehende,  wohl  auch  mit  Fett  getrankte  Griitze,  die  die  alten  grie- 
chischen  Berichterstatter  mit  ihrem  Wort  %6vSgog,  Graupenbrei,  die 
Lateiner  mit  alica  bezeichneten.  Auch  die  Kunst  aus  Reis  ein  alkohol- 
haltiges  Getrank,  den  Arrac,  wie  aus  dem  Saft  des  Zuckerrohrs  den 
Rum,  zu  bereiten,  ist  eine  altindische,  denn  schon  die  Griechen  haben 
davon  gehort,  Strab.  15,  1,  53:  oivov  TS  yag  ov  ntveiv  (wvg  'lvdovg\ 
ahK  ev  SvaCatg  itiovov,  nCveiv  6'  an  ogvtyg  avil  xQiDcvwv  tivvutyev- 
Tag'  xal  aiTia  tie  TO  Tikeov  OQV&V  elvat,  Qocpr^T^v.  Aelian.  de  nat. 
anim.  13,  8:  vy  Ss  si?  7iofatuov  a&Jlovvu  (sheyavu)  olvog  ILISV,  ov 
nty  o  TWV  diiTiehaw  enel  TOV  jutsv  e%  oQv^g  %8iQOV(flfOVGi}  rbv  Jg 
ex  xahttfiov.  Freilich  darf  man  sich  darunter  noch  nicht  jenes  stark 
destillirte  Wasser  denken,  was  wir  heut  zu  Tage  Arrac  und  Rum 
nennen,  sondern  nach  den  Worten  der  Alten  eine  Art  Bier  oder 
Wein.  Der  Sanskritname  des  Reises  war  vrilii  (noch  nicht  im  Rig-, 
wohl  aber  im  Atharvaveda) ;  bei  Uebergang  in  die  iranischen  Sprachen 
musste  dies  Wort  den  Lautgesetzen  gemass  zu  brizi  werden;  aus 
dieser  altpersischen  Form  machten  die  Griechen  ihr  OQV&,  OQVL>OV, 
welches  letztere  Wort  dann  durch  Vermittelung  des  Lateinischen  der 
bei  alien  neueuropaischen  Volkern  vorhandenen  Benennung  zu 
Grunde  liegt. 

Die  erste  Bekanntschaft  mit  dem  Reis  machte  das  Abendland 
durch  die  Feldziige  Alexanders  des  Grossen,  obgleich  einzelne,  aller- 
dings  unbestimmte  Spuren  schon  auf  die  Mitte  des  fiinften  Jahr- 
hunderts  weisen.  Nach  einer  Notiz  des  Athenaus  namlich  hatte  So- 
phokles  in  seinem  Triptolemos  von  einem  OQivdyg  agmg  gesprochen, 
den  die  Spateren  entweder  als  Brod  aus  Reis  oder  aus  einem  in 
Aethiopien  einheimischen  sesamahnlichen  Korne  deuteten,  3.  p.  110: 
(T  aQwv  ^ivvirat,  2o(poxhrg  ev  TQinTolefJi.™ ,  r^xoi  TOV  $* 
yevoftevov  q  aria  TOV  £v  M&tOTiiq.  ytvopevov  (T7r^(a«Tog,  o 
iauv  o/jiocov  aqadjiqt.  Pollux,  6,  73  erklart  ungefahr  ebenso,  lasst 
aber  den  Reis  weg:  cog  oQivdrjv  TWO.  UQWV  AlSionsg  TOV  l§  OQW- 
diov  ytvofjievov  o  ecrte,  (meg/ua  ewxvoQiov ,  ofiiotov  arjaajLio).  Auch 
Hesychius  stellt  die  Aethiopier  an  die  Spitze:  o^Mi}?'  aowv  naga 
xal  (fTteQfJLU  naQanhrfiiov  Gr]GO[i(n,  OTISQ  sifjovrsg  MTOVV- 


Der  Reis.  497 

rat,,  uveg  de  OQV&V,  wahrend  Phrynichus  in  Bekk.  Anecd.  1.  p.  54 
ganz  kurz  sagt:  oQwda'  r\v  at  noM.ol  OQV&V  xahovGw.  Hatte  So- 
phokles  selbst  schoii  an  jener  Stelle  des  Triptolenius  den  ogM^g 
aQTog  mit  den  Aethiopern  in  Verbindung  gebracht,  so  konnte  er  an 
die  Aethiopen  Homers,  die  nach  Sonnenaufgang  hin  wohnen,  oder  an 
die  Al&ioneg  ol  ex  Trtg  'Arirjg  seines  Freundes  Herodot  d.  h.  eben 
an  die  Anwohner  des  unteren  Indus  und  der  angrenzenden  Kiiste 
gedacht  haben,  und  beide  Deutungen  wiirden  zusammenf alien.  Die 
Namensform  OQivSa,  ogCvdcov  stimmt  merkwiirdiger  Weise  in  der 
Nasalisirung ,  hinter  welcher  das  f  in  J  iiberging,  mit  dem  arme- 
nischen  brinz,  neupersischen  hiring,  birang  uberein.  Herodot  selbst, 
der  ja  auch  schon  von  der  auf  Baumen  wachsenden  Wolle  gehort 
hat,  erwahnt  einer  Abtheilung  der  Inder,  die  sich  von  einer  wild- 
wachsenden  Pflanze  nahre,  deren  Korner  von  der  Grosse  eines  Hirse- 
korns  in  einer  Hulse  steckten  und  mit  der  letzteren  gekocht  und  so 
gegessen  werden,  3,  100:  xal  avwlat,  stftl  otfov  xeyxgog  TO  (Jigya&og 
ev  xdhvxi,  avTOfJiaxov  ex  r^g  y^g  fHTOflWOV,  TO  GvMeyovTeg  avrfj 
xdkvxi,  f-'ipovaC  Te  xal  GtTSOVTai,.  Auch  dies  kann  als  Reis  gedeutet 
werden;  die  Fehler  der  Beschreibung ,  z.  B.  dass  der  Reis,  der  zu 
Herodots  Zeit  langst  eine  Kulturfrucht  war,  als  avTOfJiawv  bezeichnet 
wird,  erklaren  sich  durch  das  triibende  Medium  der  Feme,  durch 
welches  damals  noch  jenes  ausserste  Wunderland  geschaut  werden 
musste;  einen  Namen  der  Frucht  scheint  Herodot  nicht  erfahren  zu 
haben,  wogegen  sein  eipovot,  richtiger  1st,  als  das  Brod  des  Sophokles. 
Mit  der  Eroberung  Asiens  durch  die  Macedonier  trat,  wie  so  vieles 
Andere,  so  auch  der  indische  Reis  vollstandig  in  den  Gesichtskreis 
der  Griechen.  Gleich  Theophrast  beschreibt  die  Pflanze  und  ihren 
Gebrauch  genau,  h.  pi.  4,  4,  10:  fudfaoTa  tie  GTieCgovGi,  TO  xahov- 
f.ievov  OQV&V  e%  ov  TO  siprjfjia.  TOVTO  Se  ofioiov  TJJ  £et,y  xal 
TcuffS-ev  olov  xovdQog,  evnemov  de,  nyv  oifuv  rteyvxog  ojioiov 
algaig  xal  wv  nokvv  %QOVOV  ev  vdau,  ano^lrai  Se  ovx  elg  0Ta%vv, 
aJkK  olov  (fo^v  atGnsQ  6  xey%oog  xal  o  ehvjttog.  Noch  merkwiirdiger 
aber  ist  die  Nachricht  des  Aristobulus,  der  ein  Begleiter  Alexanders 
auf  dessen  Heerziigen  in  Asien  gewesen  war  und  in  hohem  Alter 
eine  Geschichte  des  grossen  Konigs,  verbunden  mit  einer  Natur- 
schilderung  der  durchzogenen  Lander  verfasste,  bei  Strab.  15,  1,  18: 
irjv  cf  oQv£dv  (fr^atv  6  'AQiGioftovhog  f-Gmvat,  ev  vdaTt 
d'  sivac  Tag  e%ovGag  avrrp'  vipog  de  TOV  (fvwv 

v  TS  xal  noki  XKQTIOV'  tyeQi&dtiat,  ds  Tisgl  dvcfcv  Jl^cddog  xal 
cog    Tag    £et,dg'    (pveaSat,  Se  xal  ev  Trj  BaxiQtavfj  xal  Ba- 

Vict.  Hchu,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  32 


498  Der  Reis. 


xal  Sovdidt,'  xal  y  xdiw  de  2vgta  (fvei.  Mtyilkoc  Se 
TisiQSff^ac  fjisv  TTQO  Twv  ojiifiQcuv  (fT^clv,  d^Sscag  dt  xal 
ano  rwv  xfoiGiwv  nou&fjisvrjv  vddrwv.  Hier  also  wird  nicht 
bloss  die  Kulturart  in  geschlossenen  ,  uberschwemmten.  Beeten  liber  - 
raschend  richtig  beschrieben,  sondern  schon  Bactriana  (also  die  Gegend 
am  oberen  Oxus)  ,  Babylonien  und  Susis  (also  schon  die  untern 
Euphrat-  und  Tigrislander,  semitisches  Gebiet)  als  reisbauend  dar- 
gestellt.  Bestatigt  wird  die  letztere  Angabe  durch  Diodor,  der  bei 
Erzahlung  der  Kampfe  zwischen  Eumenes  und  Seleukus  den  ersteren 
wegen  Getreidemangels  seine  Truppen  in  Susiana  mit  Reis,  Sesam 
und  Datteln  nahren  lasst,  mit  welchen  Produkten  die  genannte 
Gegend  ungemein  gesegnet  sei,  19,  13  :  Evfuevrjg  Ss  diafidg  rov  Tfygiv 
xal  TiaQayevofievog  slg  liv  2ovff(,avrjV,  elg  iQua  [isQiq  dislks  TTJ 
dia  Tffv  TOV  atwv  andvw.  smnoQevofisvog  Ss  irp>  y^wgav  xara 
v  Tiavrs&wg  sffTtdvi&v,  OQV&V  de  xal  GirJGaiLio'v  xal 
wig  fftQauwxaig  ,  daipihwg  e%ovGr]g  irt<;  %(DQas  tovg  xocovrovg 
xaQnovg.  Noch  unter  der  Perserherrschaft  und  wohl  in  Folge  der- 
selben  war  also  die  Reiskultur  vom  Indus  bis  zum  Oxus  und  Euphrat 
vorgedrungen  ,  und  von  dort  stammte  denn  auch  der  Name  OQV&. 
Die  Worte  :  xal  rt  xdrw  Ss  Svgia  cpvei  scheinen  ein  Zusatz  des  Strabo 
selbst  zu  sein,  zu  dessen  Zeit  also  auch  Niedersyrien  schon  in  den 
Kreis  dieser  Kultur  einzutreten  begann.  Wer  der  gleichfalls  an- 
gefiihrte  Megillus  war,  und  zu  welcher  Zeit  er  lebte,  wissen  wir 
zwar  nicht,  auch  ist  der  Text  des  Strabo  hier  verdorben,  aber  so 
viel  deutlich,  dass  auch  Megillus  von  der  Art,  den  Reis  zu  bauen, 
eine  richtige  Vorstellung  hatte.  Ein  dritter  Berichterstatter,  der  Zeit 
nach  dem  Theophrast  und  Aristobulus  nahe  stehend,  Megasthenes 
(er  war  Agent  des  Konigs  Seleukus  in  den  ostlichen  Landen,  gegen 
das  Jahr  300  vor  Chr.),  hat  auch  gesehen,  wie  der  Reis  an  indischeri 
Hofen  gegessen  wurde,  und  an  solchen  Mahlzeiten  ohne  Zweifel  selbst 
Theil  genommen:  jeder  der  Gaste  bekommt  einen  Tisch,  in  Form 
eines  Behalters  oder  Untersatzes;  dieser  tragt  eine  goldene  Schiissel; 
in  die  Schiissel  wird  gekochter  Reis,  in  Art  unseres  Graupenbreis, 
gethan  und  dann  mit  vielen  Zusatzen  indischer  Fabrikation  gemengt, 
Athen.  4.  p.  153:  MeYac&svrjg  (f  sv  TTJ  deinega  TWV  'Ivdixwv  Tolg 
Ivdoig  (prjacv  sv  T$  SsCnvq)  7iaQaTC$eG$at,  sxaeicp  iQarcsZav  ^av^r)v 
tf  elvai,  ofjiocav  ralg  ^v^qxatg  xal  Imri&eadiu  In  avrfj  iQvflllCov 
XQvaouv,  elg  o  tpfiafofy  avwvg  TIQWIOV  fusv  r^v  OQV&V  e(p$r]v,  wg  av 
tig  $lfjrj<feie  %6vfy<W  eneua  oipa  nohla  xs^^ovg^rifjLsva  ralg  'Ivdixalg 
Also  schon  ganz  der  uberall  im  jetzigen  Orient  ge- 


Der  Eeis.  499 

brauchliche,  je  nach  den  Gegenden  verschieden  bereitete  Pilav.  Seit 
der  Griindung  des  agyptisch-griechischen  Reiches  musste  ein  leb- 
hafter  Handel,  wie  mit  anderen  indischen  Erzeugnissen,  so  auch  mit 
Reis  uber  das  persische  und  rothe  Meer  zu  den  dortigen  Hafen  gehen. 
Fiir  die  romische  Zeit  sehen  wir  dies  aus  dem  Periplus  maris  rubri 
des  sog.  Arrian,  der  diesen  Artikel  mehr  als  einmal  unter  den  Pro- 
dukten  der  von  den  Schiffern  besuchten  Kiisten  auffuhrt,  z.  B.  14: 
de  Gvvifjdwg  xal  dnb  TOJV  saw  TOTIWV,  vrjg  'AQiaxr^  xal 
,  slg  TO.  avra  ra  rov  negav  IfLinoQia  ysvr]  ngoxwQovvxa 
GTib  TCOV  XOTIWV,  fflwg  xal  OQV&  u.  s.  w.  (Vergl.  auch  31,  37  und  41.) 
Der  Reis  diente  seitdem  den  griechisch-romischen  Aerzten  zu  einem 
schleimigen  Getrank  und  wird  als  dazu  bestimmt  bin  und  wieder 
angefiihrt;  dass  er  zur  Zeit  des  Horaz  noch  theuer  war  —  in  der 
That  musste  die  Feme,  aus  der  er  kam,  und  die  Leichtigkeit  des 
Verderbens,  der  er  ausgesetzt  war,  den  Preis  erhohen  —  erhellt  aus 
Sat.  2,  3,  155,  wo  einem  Geizhals  eine  solche  Reistisane  verschrieben 
wird  und  er  vor  dem  Preis  erschrickt: 

agedum,  sume  hoc  ptisanarium  oryzae. 
Quanti  emtae?    Parvo.     Quanti  erga?    Octussibus.    Eheu. 

Zu  einer  gewohnlichen  Speise  diente  der  Reis  noch  nicht,  —  bei 
Apicius  kommt  nur  einmal  der  sucus  oryzae  als  Ingredienz  vor,  2,  51 
ed.  Schuch.,  —  noch  viel  weniger  wurde  zur  Zeit  der  Alten  irgendwo 
im  Abendlande  der  Versuch  gemacht,  die  Pflanze  anzubauen. 

Das  letztgenannte  Verdienst  gebuhrt  den  spanischen  Arabern. 
Langst  seit  alter  Zeit  durch  den  indisch-athiopischen  Handel,  der 
-durch  ihre  Hande  ging,  mit  diesem  Getreide  bekannt  und  schon  an 
dessen  Genuss  gewohnt,  batten  die  Araber  nach  Eroberung  Aegyptens 
den  Reisbau  im  Nildelta,  dessen  natiirliche  Beschaffenheit  sich  trefFlich 
dazu  eignete,  und  in  den  Oasen  einheimisch  gemacht.  Bei  ihrem 
Bestreben,  die  neugewonnenen  Lander  nach  dem  Bilde  derer,  aus 
denen  sie  kamen,  einzurichten,  mussten  die  Mauren  auch  in  Spanien 
darauf  verfallen,  die  bewasserten  Niederungen  mit  dem  Lieblings- 
korne  zu  bestellen,  das  noch  jetzt  den  Orientalen  so  werth  ist.  Dazu 
boten  sich  ausser  den  Flussbecken  der  Guadiana  und  des  Guadal- 
quivir besonders  die  fetten  Marschgriinde  der  Provinz  Valencia,  und 
hier  gewannen  die  Araber,  ohnehin  Meister  in  der  Kunst  der  Be- 
wasserung  und  des  Kanalbaues,  bald  die  gewiinschten  Ernten,  deren 
Ueberfluss  der  Handel  sogar  den  Kiisten  des  europaischen  Auslandes 
zufiihrte.  Nach  der  allmahligen  Eroberung  der  maurischen  Konig- 
reiche  durch  die  Christen  gingen  die  arabischen  Reisfelder  in  die 

32* 


500  Der  Keis- 

Hand  der  letzteren  liber,  und  hierin  das  Werk  der  Unglaubigen  fort- 
zusetzen,  verbot  gliicklicher  Weise  die  Religion  iiicht.  Als  gegen 
Ende  des  fiinfzehnten  und  zu  Anfang  des  sechszehnten  Jahrhunderts, 
wo  die  Welt  wie  neu  werden  wollte  und  iiber  Alles,  was  aus  Afrika, 
Ostindien  und  Amerika  kam  oder  was  von  daher  berichtet  wurde, 
nicht  aus  deni  Staunen  fiel,  die  spanische  Macht  sich  in  Neapel,  dann 
in  Mailand  festsetzte,  indess  die  italienische  Seefahrt  nach  und  von 
der  Levante  noch  bliihte,  da  wurde  auch  der  Reisbau  entweder  direkt 
aus  Spanien  oder  nach  dem  Beispiel  der  Spanier  aus  Aegypten  nach 
Italien  verpflanzt,  zunachst  natiirlich  an  den  Punkten,  wo  Kanali- 
sation  und  Ueberschwemmung  von  alter  Zeit  her  gebrauchlich  war, 
im  Mailandischen  und  Venetianischen.  Es  schien  damit  fiir  den  Land- 
mann  eine  Quelle  des  Reichthurns  geoffnet,  und  Alles  warf  sich  mit 
Eifer  auf  die  neue  Kultur,  etwa  wie  zur  Zeit  des  amerikanischen 
Burgerkrieges  in  Siiditalien  auf  die  der  Baumwolle.  Wiesen  und 
Weizenfelder  wichen  weit  und  breit  den  Reisbeeten  und  vom  Miin- 
dungslande  der  Alpenfliisse,  des  Po,  der  Etsch  u.  s.  w. ,  von  den 
Niederungen  bei  Mantua,  Ravenna,  Ferrara  u.  s.  w.,  verbreitete  sich 
der  Reisbau,  der  in  der  That  eintraglicher  war,  als  die  gewohnliche 
Kornerfrucht,  auch  in  die  oberen  Gegenden,  in  die  Romagna,  nach 
Piemont  u.  s.  w.  Bald  aber  wurde  man  inne,  dass  dadurch  das  ganze 
Land  in  einen  kiinstlichen  Sumpf  verwandelt  wurde  und  Malaria  und 
Fieber  iiberhand  nahmen.  So  gross  nun  in  jenem  siidlichen  Lande 
die  Gewinnsucht  ist,  so  gross  auch  die  aus  vielfacher  Erfahrung  ge- 
schopfte  Furcht  vor  boser  Luft  und  den  Wirkungen  stehenden  Wassers. 
Es  begann  das  Gegenstreben  sammtlicher  Regierungen,  das  sich 
schon  seit  der  ersten  Halfte  des  sechszehnten  bis  in  das  laufende 
neunzehnte  Jahrhundert  in  einer  Reihe  von  Verboten  und  gesetz- 
lichen  Einschrankungen  kund  that.  Ueberall  wurde  eine  Entfernung 
von  so  und  so  viel  Meilen  festgesetzt,  innerhalb  welcher  die  Reis- 
f elder  sich  von  jeder  grosseren  und  kleineren  Stadt  abseits  halten 
mussten.  Dann  folgten  noch  strengere  Verordnungen ,  nach  denen 
nur  solche  Landereien  mit  Reis  bestellt  werden  sollten,  die  wegen 
ihrer  sumpfigen  Beschaffenheit  keines  anderen  Anbaues  fahig  waren, 
und  in  deren  Nahe  kein  bewohntes  Haus  lage  und  keine  befahrene 
Strasse  voriiberfuhre.  Eine  besondere  Aufsichtsbehorde,  ohne  deren 
Erlaubniss  kein  Reiskorn  gesteckt  werden  durfte,  wachte  iiber  Auf- 
rechterhaltung  der  gesetzlichen  Bestimmungen.  Obgleich  diese  im 
Interesse  der  offentlichen  Gesundheit  erlassenen  Beschrankungen  immer 
noch  in  Kraft  sind,  halt  sich  der  Reisbau  in  Venetien  und  der  Lorn- 


Der  Mais.  501 

bardei  doch  in  bliihendem  Stande  und  liefert  einen  bedeutenden  Ueber- 
schuss  zur  Ausfuhr.  Die  Kultur  selbst  erfordert  viel  Aufwand  von 
Arbeit  und  Sorge,-  sowohl  bei  der  ersten  Einricbtung  und  Bestellung 
der  wagerechten,  mit  Damni  und  Graben  umzogenen  Beete  und  der 
spateren  Zu-  und  Ablassung  des  Wassers,  als  bei  der  Ernte  und  dem 
Dreschen,  Stampfen,  Keinigen  des  Kornes;  zudem  wirkt  das  Wiihlen 
und  Waten  in  Schlamm  und  Wasser,  das  Jaten  u.  s.  w.  nicht  giinstig 
auf  die  Gesundbeit  der  Arbeiter  und  Arbeiterinnen  und  ihrer  Kinder. 
In  Suditalien,  wo  das  Klima  noch  warmer  und  die  Gefahr  noch 
grosser  ist,  war  die  Verfolgung  der  Obrigkeit  in  demselben  Masse 
lebhafter,  so  dass  dort  der  Reisbau,  so  wie  er  iiberhand  nehmen 
wollte,  immer  wieder  erstickt  wurde  und  jetzt  sich  auf  einzelne  un- 
bewohnte  Punkte  beschrankt.  Der  Ertrag  der  ganzen  Halbinsel  an 
Reis  wird  auf  mebr  als  2  Millionen  Hectoliter  im  Werth  von  etwa 
70  bis  100  Millionen  Lire  geschatzt.  In  Spanien  soil  diese  altarabische 
Kultur  sebr  gesunken  sein,  wohl  auch  in  Folge  sanitatspolizeilicher 
Verbote ;  aus  Siidfrankreich  ist  sie  verschwunden,  in  der  europaischen 
Tiirkei  sah  Busbequius  im  16.tJahrhundert  Reisfelder  bei  Philippopel, 
epist.  1  :  fuimus  Philippopoli,  vidimus  in  locis  palustribus  et  aquo- 
sis  orizam  instar  tritici  crescentem.  So  vorzuglich  iibrigens  die 
Qualitat  des  sudeuropaischen  Reises  im  Allgemeinen  ist,  so  wenig 
fall!  der  Handel  damit  ins  Gewicbt  gegen  die  Massen,  die  Ostindien, 
Java,  besonders  aber  Amerika  auf  den  Markt  bringen.  Wie  nam- 
lich  mit  dem  Zucker  und  Kaffee  und  der  Baumwolle  geschah,  so  auch 
mit  dem  Reis:  erst  die  Versetzung  in  die  neue  Welt  hat  ihn  zu 
einem  Weltprodukt  gemacht.  Die  siidlichen  Staaten  der  Union, 
Florida,  Mississippi,  Alabama,  Louisiana,  Georgien,  besonders  aber 
Siidcarolina  erzeugen  jetzt  Reis  fur  Millionen  an  Ausfuhr werth  und 
trotz  der  grossen  Entfernung  halten  die  Preise  die  Concurrenz  mit 
den  italienischen  aus.  Europa  war  fur  diese  Frucht  die  Haltestation, 
wohin  sie  die  Araber,  die  alten  Zwischenhandler  des  Ostens  und 
Westens  brachten,  und  von  wo  Andere  sie  weiter  nach  Neu-Indien 
jenseits  des  Oceans  schafften. 

Ein  noch  wichtigeres  Gegengeschenk  hat  iibrigens  Amerika  der 
alten  Welt  durch  seinen  Mais,  Zea  Mais  L.,  gemacht,  der  jetzt 
einen  grossen  Theil  von  Siideuropa  und  der  Levante  nahrt  und  bis 
nach  China  und  Japan  und  ins  tiefste  Herz  von  Afrika  zu  Neger- 
stammen,  die  nie  einen  Europaer  gesehen  haben,  gedrungen  ist. 
Schon  Columbus  fand  diese  Saatfrucht  in  Hispaniola  vor,  und  schon 
damals  wurde  sie  durch  ganz  Amerika  angebaut,  so  weit  nur  Ackerbau 


502  Der  Mohrhirse. 

herrschte  und  das  Klima  es  erlaubte.  Seit  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts  wurden  Korner  davon  in  spanischen  und  italienischen,  auch 
franzosischen ,  deutschen  und  englischen  Garten  gesteckt  und  die 
Pflanze  bald  auch  ini  Grossen  auf  Feldern  gezogen.  Die  Venetianer 
verbreiteten  sie  im  Orient ;  sie  siedelte  sich  unter  dem  Namen  Kukuruz 
in  der  Tiirkei,  den  Donaulandern,  Ungarn  an,  und  gab  auch  dort 
eine  Lieblingsspeise  ab  (z.  B.  als  Mamaliga  bei  den  Walachen,  zu 
welcher  der  Branntwein  aus  Zwetschen,  die  sog.  Tschuka,  nicht  fehlen 
darf) ;  nach  Deutschland  kam  sie  als  tiirkischer  Weizen  oder  Walsch- 
korn  aus  Italien.  »Unser  Germania,«  sagt  Hieronymus  Bock  (Tragus), 
New  Kreiiterbuch,  Strasburg  1539  fol.  2;  21  wird  bald  felix  Arabia 
heissen,  dieweil  wir  so  viel  fremder  Gewachs  von  Tag  zu  Tag  aus 
fremden  Landen  in  unsern  Grund  gewohnen,  unter  welchen  das  gross 
Welschkorn  nit  das  geringst  ist. «  In  Norditalien  ist  jetzt  die  Polenta 
d.  h.  der  Maisbrei  die  gewohnliche  Kost  des  Landmannes  und  der 
Maisbau  wetteifert  besonders  in  den  fruchtbaren  Flachen  des  nord- 
lichen  Theiles  der  Halbinsel  mit  der  Weizenkultur.  Liefert  die 
letztere  auch  ein  edleres  Korn  und  feineres  Mehl,  sowie  eine  gesun- 
dere  Nab  rung,  so  steht  sie  dem  ersteren  doch  an  Ergiebigkeit  nach 
und  hat  ihm  deshalb  Schritt  fur  Schritt  vom  besten  Boden  abtreten 
miissen 96). 


Leichter  als  den  Reis  muss  es  gewesen  sein,  den  Mohrhirse, 
Sorghum  vulgare  L.,  die  dhorra  und  dochn  der  Araber,  aus  Ost- 
indien  nach  Europa  zu  bringen,  denn  schon  kurz  vor  Plinius  war  er 
in  Italien  erschienen,  18,  55:  milium  intra  hos  deeem  annos  ex 
India  in  Italium  invectum  est,  nigrum  color  e,  amplum  granoy 
harundineum  culmo.  adoleseit  ad  pedes  altitudine  septem,  prae- 
grandibus  comis  (culmis):  jubas  (phobas)  vacant:  omnium  fru- 
gum  fertilissimum.  ex  uno  grano  sextari  terni  gignuntur.  seri 
debet  in  umidis.  Die  Beschreibung  ist  zutreffend  und  an  der  Iden- 
titat  nicht  zu  zweifeln;  auch  mit  der  Angabe,  dass  der  Sorgho  das 
fruchtbarste  aller  Korner  sei,  hat  es  seine  Richtigkeit.  Leider  steht 
der  Gehalt  bei  diesem  Getreide  nicht  im  Verhaltniss  zu  seiner  Er- 
giebigkeit und  da  es  sich  auch  durch  Farbe  und  Geschmack  nicht 
sehr  empfiehlt,  so  mag  der  Anbau  nachher  wieder  aufgegeben  wor- 
den  sein97).  Wenigstens  horen  wir  nach  Plinius  nichts  wieder  von 
der  Dhorra,  und  erst  die  Araber  verbreiteten  dies  in  den  Gegenden 
urn  das  rothe  Meer  bis  zu  den  Schwarzen  im  inneren  Afrika  ge- 


Der  Buchweizen.  503 

wohnliche  Saatkorn  zum  zweiten  Male  iiber  die  Lander  am  Mittel- 
meer.  Petrus  de  Crescentiis -(um  1300  nach  Chr.  oder  gleich  nach- 
her)  kennt  es  genau  unter  dem  Namen  miliea  (auch  heut  zu  Tage 
melga,  melica,  in  anderen  Gegenclen  saggina,  sorgo  genannt)  und 
beschreibt  die  Anwendung  desselben  als  Thierfutter,  in  Theuerungs- 
jahren  als  Beimischung  zu  anderem  Mehl,  zu  technischen  Zwecken 
u.  s.  w.  ganz  in  heutiger  Weise,  lib.  3  de  miliea  (der  Easier  Quart- 
ausgabe  von  1538):  Melegaria  competunt  ad  claudenda  tuguria  et 
vias  in  tempore  luti  sternendas  et  competunt  igni  et  clibanis  fa- 
ciendis,  cum  fuerint  exsiccata,  et  plantis  salicum  involvendis,  ne 
excorientur  a  bestiis  et  ne  sole  urantur  aestivo.  Semen  milicae 
bonus  cibus  et  porcis  est  bobus  et  equis  dari  potest  et  homines  eo 
tempore  neccessitatis  utuntur  et  cum  aliis  granis  et  pane  in  prac- 
cipue  rusticis.  Die  verschiedenen  Arten  und  Varitaten  dieser  Frucht 
kommen  auch  im  jetzigen  Italien  vor,  doch  ist  ihr  Anbau  iiberhaupt 
beschrankt:  sie  dient  griin  als  Futterkraut  oder  in  Kornergestalt  zur 
Schweinemast,  denn  den  Vogeln  ist  sie  schadlich,  oder  endlich  mit 
ihren  Rispen,  je  nach  der  Grosse,  zu  Biirsten  oder  Besen,  oder  end- 
lich mit  den  Halmen  zu  den  geflochtenen  Wanden  der  einfachen 
Bauernhutten.  Wie  der  Roggen  ein  zu  nordisches,  ist  der  Mohren- 
hirse  ein  zu  siidliches,  ein  Negerkorn,  und  beide,  ohnehin  wegen 
ihres  schwarzlichen  Mehles  verachtet,  streifen  nach  Italien  nur  hin- 
iiber,  zum  gegenseitigen  Erstaunen,  wo  sie  zusammentreffen. 


*  Der  Re  is  (Oryza  saliva)  ist  nach  Hooker  fil.  (Flora  of  British  India 
VII.  p  92)  wild  in  den  Siimpfen  von  Rajpootana,  Sikkim,  Bengalen,  Khasia, 
CentraMndien ,  den  Circars  und  Pegu.  Dieser  Reis  ahnelt  in  alien  wesent- 
lichen  Merkmalen  einer  haufig  kultivirten  begrannten  Varietat.  Nach  Lou- 
reiro  (Flora  cochinch.  I.  p.  267)  soil  er  auch  in  den  Siimpfen  Cochinchinas 
wild  wachsen,  auch  von  den  Chinesen,  bei  denen  der  Reis  schon  im  Jahre  2800 
vor  Christus  eine  verbreitete  Kulturpflanze  war,  wird  derselbe  als  eine  ein- 
heimische  Pflanze  angesehen.  Sodann  soil  er  auch  im  tropischen  Nord-Austra- 
lien  nach  F.  v.  Miiller  (Bentham  Flora  australiensis  VII.  p.  550)  wirklich 
wild  vorkommeii.  Oryza  punctata  Kotschy  aus  Kordofan  ist  kaum  von  0.  saliva 
verschieden,  dagegen  diirfte  eine  im  Gebiet  von  Bahr  el  Ghazal  von  Schweinfurth 
in  grossen  Bestanden  wildwachsend  gefundene  Reispflanze  eine  von  Oryza 
saliva  verschiedene  Art  darstellen. 

Der  Mais  (Zea  Mays  L.)  wird  schon  lange  als  eine  aus  Amerika  nach 
der  alten  Welt  eingefiihrte  Pflanze  angesehen ;  hierftir  sprechen  einerseits  die 
verwandtschaftlichen  Beziehungen  des  Maises  zu  einigen  anderen  amerikani- 
schen  Gattungen  (Euchlaena  und  Tripsanum),  anderseits  der  Umstand,  dass  in 
den  peruanischen  Grabern  von  Ancon  und  in  denen  von  Arizona  Mais  ge- 


504  Der  Buchweizen. 

funden  wurde.  Noch  war  aber  irgend  welches  spontanes  Vorkommen  von 
Mais  unbekannt.  Neuerdings  erst  1st  eine  wildwachsende  Maisart  in  Mexiko 
konstatirt  worden.  Zuerst  (1869)  von  Rozl  im  Staate  Guerero  beobachtet, 
wurde  sie  auch  im  siidlichen  Theil  von  Coyote  bei  Moro  Leon  nordlich  vom 
Cuitzco-See  gefunden.  Die  Pflanze  ist  von  den  in  Kultur  befindlichen  Formen 
verschieden  und  wird  daber  zunachst  als  eigene  Art  mit  dem  Namen  Zea 
canina  Watson  bezeichnet.  Doch  muss  sie  dem  Kulturmais  ziemlich  ahnlich 
sein,  da  die  Einwohner  des  mexikaniscben  Districtes  von  Moro  Leon  diesen 
Coyote-Mais  fur  die  Stammpflanze  der  Kultursorten  halten;  auch  ist  nicht 
ausgeschlossen,  dass  diese  Maispflanze  eine  verwilderte  Sorte  ist. 

Der  Mohrhirse  oder  der  Sorgho  Andropogon  sorghum  (L.)  Brotero  ist 
jetzt  in  alien  warmeren  Landern  angebaut  und  zwar  hauptsachlich  in  den 
Unterarten  saccharatus ,  eu-sorghum  und  cernuus  mit  zahlreichen  Varietaten. 
Die  besten  Kenner  der  Getreidearten,  Kornicke  und  E.  Hackel,  sind  der  An- 
sicht,  dass  alle  diese  Unterarten  und  Varietaten,  welche  in  der  Form  des 
Bliitenstandes,  sowie  in  Gestalt,  Grosse  nnd  Farbe  der  Friichte  auffallende 
Verschiedenheiten  zeigen,  von  dem  iiber  alle  warmeren  Theile  der  Erde  ver- 
breiteten  Andropogon  halepensis  (L.)  Brot.  (A.  arundinaceus  Scop.)  abstammen. 
(Man  vgl.  Koernicke  in  Koernicke  und  Werner,  Handbuch  des  Getreidebaus, 
I.  294  fF.  und  Hackel's  Abhandlung:  Die  kultivirten  Sorghum- Arten  und  ihre 
Abstammung  in  Engler's  Botanischen  Jahrb.  VII,  S.  115  ff.).  Wahrscheinlich 
hat  die  Kultur  ihren  Anfang  in  Afrika  genommen,  wo  die  Durrah  die  wich- 
tigste  Brotpflanze  ist,  und  vielleicht  auch  in  Ostindien. 


Der  Buchweizen. 

(Polygonmn  Fagopyrum  L.) 

Gleichsam  zum  Ersatz  fur  den  dem  Siiden  gewahrten  Mais  er- 
hielt  zu  derselben  Zeit,  oder  nur  ein  wenig  friiher  der  Norden  Europas 
aus  dern  Innern  Asiens  ein  der  civilisirten  Welt  bis  dahin  unbekanntes 
Korn,  den  Buchweizen.  Ihr  Vaterland  hat  diese  dikotyledone  Pflanze 
-  denn  sie  ist  keine  Grasart,  wie  die  ubrigen  Cerealien  —  in  Nord- 
china,  Siidsibirien  und  den  Steppen  Turkestans  und  muss  sich  mit 
den  Volkern,  die  aus  jenen  unermesslichen  Weiten  auf  brachen,  weiter 
nach  Westen  in  Bewegung  gesetzt  haben,  Wie  Piano  Carpini,  Ru- 
bruquis  und  vor  Allen  Marco  Polo  zum  ersten  Male,  seit  es  ein 
Europa  in  geschichtlichem  Sinne  gab,  den  Weg  zu  jenen  Einoden 
mit  Glutsommern  und  Eiswintern  und  den  barbarischen  Hofhaltungen 
schlitzaugiger  gelber  Menschen  sich  bahnten ,  so  kamen  in  umge- 
kehrter  Richtung  neben  dem  unsaglichen  Unheil,  das  jene  fiirchter- 
lichen  Racen  brachten,  auch  einzelne  Sitten,  Fertigkeiten ,  Pflanzen, 


Der  Buchweizen.  505 

die  fur  Bereicherung  gelten  konnten,  aus  Asien  erst  zu  den  ostlichen 
Grenzen  der  civilisirten  Volker,  dann  zu  diesen  selbst  in  langsamem 
Vorschreiten  hiniiber.  Marco  Polo  selbst,  4er  den  echten  Rhabarber 
in  dessen  Vaterlande  mit  Augen  sah,  und  iiber  diese  feme,  wunder- 
bare  Wurzel  berichtet,  schweigt  iiber  den  Buchweizen.  Aber  die 
ersten  botanischen  Schriftsteller  seit  dem  Beginn  des  sechzehnten 
Jajirhunderts  kennen  dies  Saatkorn  bereits  als  ein  seit  Menschen- 
gedenken  aus  der  Frenide  eingefiihrtes.  Job.  Ruellius,  dessen  Werk 
de  stirpium  natura  zuerst  1536  in  Paris  heranskam,  hat  p.  324  (der 
Easier  Ausgabe  1537  fol.)  die  Notiz:  hanc  (frugem)  quoniam  avo- 
rum  nostrorum  aetate  e  Graecia  vel  Asia  venerit,  turcicum  frumen- 
tum nominant,  und  gleich  darauf :  jam  agri  plerique  in  Gallia  hac 
fruge  rubent.  Noch  alter  ware  die  Aussage  des  jungeren  Champier 
in  seiner  Schrift  de  re  cibria  libari  XXII,  Jo.  Bruyerino  Campegio 
Lugdun.  authore,  Lugduni  1560.  8  °,  wenn  seine  Behauptung  in  der 
Widmung  an  den  Kanzler  Michel  1'Hopital,  er  habe  sein  Buch  annos 
abhinc  triginfa  plus  minusve,  also  um  das  Jahr  1530,  geschrieben, 
buchstablich  und  mit  Ausschluss  jedes  spateren  Zusatzes  zu  ver- 
stehen  ware.  Dort  heisst  es  lib.  5,  cap.  23,  p.  374:  serunt  prae- 
terea  gallici  rustici  frugem  aliam  non  ita  pridem  e  Graecia  Asiave 
aliovc  orbe  ad  nos  invectam  -  folgt  die  Beschreibung  des  Buch- 
weizens  und  dann:  vulgus  turcicum  frumentum  nominat.  Die 
Worte  stimmen  fast  wortlich  mit  denen  des  Ruellius  iiberein,  welcher 
letztere  das  Manuscript  des  Bruyerinus  Campegius  noch  vor  dem 
Druck  benutzt  haben  konnte.  Der  Ausdruck  avorum  nostrorum 
aetate  fiihrt  fiir  Frankreich  auf  das  Ende  des  15.  Jahrhunderts  und 
fur  Deutschland  entsprechend  friiher,  etwa  auf  die  Mitte  oder  die 
erste  Halfte  desselbeii.  Ueber  den  Weg  der  Einwanderung  erfahren 
wir  nichts  bestimmtes.  Die  Benennung  turcicum  frumentum,  statt 
deren  sich  friihe  die  andere :  ble  sarrazin,  grano  saraceno  einstellte, 
weist  nur  ganz  unbestimmt  auf  die  asiatische,  iiber  die  christliche 
Welt  hinausliegende  Heidenschaft  hin.  Daher  Leonhart  Fuchs,  de 
historia  stirpium,  Basileae  1542  fol.,  p.  824  ganz  richtig  sagt:  e  Crrae- 
cia autem  et  Asia  in  Germaniam  venit,  unde  turcicum  frumentum 
appellatum  est:  Asiam  enim  universam  hodie  immanissimus  Turca 
occupat.  Nord-  und  Siiddeutschland  nennen  dies  Korn  verschieden 
.und  haben  es  also  nicht  auf  gleichem  Wege  uberkommen.  Der 
niederdeutsche  Name  Buchweizen  ist,  wie  man  sieht,  an  Ort  und 
Stelle  gegeben  und  bezieht  sich  auf  die  Aehnlichkeit  der  Korner 
mit  den  Bucheckern;  das  niederlandische  boekiveyt  gin g  in  der  Form 


506  Der  Buchweizen. 

bouquette,  bucail  u.  s.  w.  in  das  benachbarte  nordostliche  Frank- 
reich  uber,  welches  schon  den  Buchweizen  aus  Brabant  bekommen 
hat.  Schon  die  plattdeutschen  Bibeln,  die  von  Coin  (nach  1470),  die 
Liibecker  von  1594  u.  s.  w.  setzen  Jes.  28,  25  boekivete  fur  das 
Wort,  welches  Luther  s  pater  mit  Spelt  ubertrug  und  die  vorluthe- 
rischen  hochdeutschen  Bibeln  rnit  Wicken  wiedergaben.  Die  alteste 
Erwahnung  des  norddeutschen  Buchweizens  fande  sich  nach  Pritzel 
(Sitzungsberichte  der  Gesellschaft  naturforschender  Freunde  zu  Berlin 
Mai  1866)  in  Originalregistern  des  mecklenburgischen  Amtes  Gade- 
busch  vom  Jahre  1436.  Der  andere,  in  Suddeutschland  iibliche  Aus- 
druck  Heidenkorn  (jetzt  durch  Umdeutung  gewohnlich  Heidekorn, 
als  ware  es  ein  auf  Heidegrund  wachsendes  Korn),  der  sich  schon  in 
Glossensammlungen  der  zweiten  Halfte  des  15.  Jahrhunderts  findet 
(so  bei  Diefenbach  glossar.  lat.  germ.  s.  v.  cicer,  im  Anzeiger  fur 
Kunde  deutscher  Vorzeit  6,  438  als  Verdeutschung  fur  medico,  u.  s.  w.),. 
sagt  dasselbe  aus,  was  czechisch  pohanka,  pohanina,  poln.  poganka, 
magyar.  pohdnka  -  -  ein  von  den  Heiden  gekommenes  Getreide;  da 
aber  andere  slavische  Sprachen  derselben  Weltgegend  auch  ajda, 
hajda,  hajdina  sagen,  welches  offenbar  ein  Lehnwort  aus  dem  Deut- 
schen  ist,  so  bleibt  Zweifel,  ob  nicht  das  czechische  pohanka  auch 
nur  ein  iibersetztes  Heidenkorn  ist.  Ein  dritter  deutscher  Name 
Taterkorn,  Tatelkorn  ist  soviel  als  frumentum  Tatar orum  und 
hat  sein  Analogon  im  czechischen  und  kleinrussischen  tatarka, 
magyar.  tatdrka,  finnischen  tattari,  estnischen  tatri.  Hierin  lage  ein 
deutlicher  Wink,  von  welchem  Volke  Osteuropa  diese  Frucht  be- 
zogen  hatte,  namlich  den  Tataren,  unter  welchem  Namen  sowohl 
die  Stamme  mongolischer  Race,  als  die  eigentlichen  Wolga-  und 
Krimtataren  verstanden  wurden;  aber  dass  die  Russen  diesen  Namen 
nicht  kennen,  muss  bedenklich  machen,  und  es  scheint  uns  daher 
wahrscheinlich ,  dass  damit  Zigeunerkorn  ausgedriickt  werden  sollte, 
da  diese  wandernden  Horden  den  Namen  Tatern  oder  das  Heiden- 
volk  fiihrten  und  zum  Theil  noch  fiihren  und  auf  ihren  Ziigen, 
mit  denen  sie  gerade  im  15.  Jahrhundert  das  westliche  Europa 
iiberfluteten,  diese  Saat  verbreiten  mochten  (s.  C.  Hopf,  die  Ein- 
wanderung  der  Zigeuner  in  Europa,  Gotha  1870).  Das  russische 
greta,  grecucha,  grecicha,  kleinruss.  hredka,  poln.  gryka,  lit.  plur. 
grikai,  auch  in  deutschen  Mundarten  GrucJcen  (walachisch  hrisk, 
magyar.  haricsha)  bedeutet  griechisches  Getreide  d.  h.  ein  von 
Siiden  gekommenes,  fremdes,  in  demselben  Sinne,  den  das  Beiwort 
walsch  bei  den  Deutschen  hatte.  Daneben  gilt  in  Russland,  in  den 


Der  Buchweizen.  507 

Gegenden  an  der  Unterwolga  ein  dikusa,  so  viel  als  wildes  Kornr 
d.  h.  entweder  wildwachsendes,  oder  von  den  Wilden,  den  jenseitigen 
Nomadenstammen  angebautes  oder  von  ihnen  bezogenes  Korn,  wofiir 
auch  das  tatarische  Wort  IcurluTc  gebraucht  wird.  Pallas  sah  auf 
seinen  Reisen  haufig,  wie  diese  Nomaden  bei  ihren  Mchtigen  Acker- 
bauversuchen  den  tatarischen  Buchweizen,  polygonum  tataricum,  theils 
anbauten,  theils  sich  seiner  als  eines  Unkrautes  nicht  erwehren 
konnten.  Nach  Linde  (in  seinem  Worterbuch  unter  grylca}  fande 
sich  Wort  und  Sache  in  polnischen  Inventarien  nicht  vor  der  Re- 
giervmg  des  Konigs  Sigismund  August,  also  nicht  vor  der  zweiteri 
Halfte  des  16.  Jahrhunderts.  Doch  mag  die  grylca  bis  dahin  nur 
seltener  gewesen  sein,  als  spater,  und  ihre  Erwahnung  nur  spar- 
licher.  Alles  in  Allem  genommen,  waren  es  die  Tiirken-  und  Mon- 
golenstamme ,  die  dies  neue  Korn  in  die  Gegend  des  schwarzen 
Meeres  brachten,  von  wo  es  dann  (wenn  man  die  Zigeuner  aus  dem 
Spiel  lassen  will)  der  Seehandel  iiber  Venedig  und  Antwerpen  weiter 
nach  Deutschland  und  Frankreich  und  beziehungsweise  nach  den 
Niederlanden  trug;  dass  es  von  den  Slaven  den  Deutschen  ubermittelt 
worderi,  da-fur  spricht,  wie  wir  gesehen  haben,  kein  sicheres  An- 
zeichen  in  der  Namengebung.  Es  empfahl  sich  durch  den  angenehmen 
Geschmack  und  die  kurze  Vegetationsperiode ,  letzteres  zugleich  eine 
Bestatigung  seiner  Herkunft  aus  dem  strengen  hochasiatischen  Himmels- 
strich.  Jetzt  ist  das  weite  Russland,  seiner  geographischen  und 
kulturhistorischen  Stellung  gemass,  ein  vorziigliches  Erzeugungsland 
dieser  Feldfrucht  und  die  aus  ihr  bereitete  Griitze,  die  sogenannte 
Jcasa,  die  aus  dem  Mehl  derselben  gebackenen  Vorfasten-Kuchen  u.  s.  w. 
eine  unentbehrliche,  nationale,  dem  Volke  nicht  wie  so  vieles  Andere 
aus  Europa  aufgedrangte  Kost  und  Sitte.  Auch  in  Norddeutsch- 
land,  z.  B.  in  Holstein,  hangt  der  gemeine  Mann  von  Alters  her 
an  seiner  Griitze  aus  Buchweizen ,  der  selbst  in  den  Niederlanden 
einen  wichtigen  landlichen  Artikel  bildet.  Im  Siiden  wird  das  Heide- 
korn  seltener  und  verschwindet  am  Mittelmeer  ganz ;  aber  in  den 
rauheren  osterreichischen  und  tyroler  Alpen,  wo  der  Mais  nicht  mehr 
tragt,  stosst  man  haufig  im  Herbst  nach  der  Ernte  auf  die  artig  aus- 
sehenden  Felder  mit  den  rothen  Stengeln  und  weissen  Bliiten  des 
Heidekorns.  Es  heisst  dort  Plent  (aus  polenta,  s.  Schopf,  Tirolisches 
Idiotikon)  und  das  Gericht  daraus  Sterz. 


*  Der  Buchweizen  (Fagopyrmn  escukntum  Moench)  findet  sich,  wieMaxi- 
mowicz  festgestellt  hat,  wildwachsend  an  den  Ufern  des  Amur,  in  Dahurien 


508  Araber. 

und  am  Baikalsee.  Eine  zweite,  gegen  Kalte  weniger  empfindliche  Art 
(Fagopyrum  tataricum  (L.)  Gartner)  wachst  in  der  Tartarei  und  in  Sibirien  bis 
nach  Dahurien;  aber  nicht  im  Amurland. 


Schon  im  Vorhergehenden  1st  bei  Besprechung  mancher  einzelnen 
asiatischen  Kulturpflanze ,  z.  B.  der  Citrone  und  Pomeranze,  der 
Dattelpalme,  des  Safrans,  des  Mohrhirse,  der  Ceratonia  Siliqua  u.  s.  w. 
bemerkt  worden,  dass,  wenn  ihre  erste  Einwanderung  aucb  schon  in 
die  Zeit  des  Alterthums  fiel,  sie  doch  erst  durch  die  Araber  ein 
bleibender  Besitz  der  Kusten  des  Mittelmeers  geworden  sind.  Die 
Araber  nahmen  das  Werk  des  Alterthums  kraftig  auf  und  gaben  der 
Bewegung  einen  neuen  machtigen  Impuls.  Es  war  eine  Zeit,  wo  das 
innere  Meer  ein  arabischer  See  heissen  konnte.  Zwar  Konstantinopel 
zu  erobern,  gelang  diesem  kriegerischen  Kulturvolke  nicht,  obgleich 
dies  vielleicht  nicht  zum  Schaden  der  versunkenen  Hauptstadt  ge- 
wesen  ware  und  auch  sich  an  der  Loire,  also  im  kalten  Mitteleuropa, 
festzusetzen ,  war  wider  die  Natur  und  konnte,  welches  auch  der  . 
Ausgang  der  gegen  Karl  Martell  gelieferten  Schlacht  war,  nicht  von 
Bestand  sein,  —  aber  in  Aegypten  und  ganz  Nordafrika,  in  Spanien, 
auf  Sardinian  und  den  Balearen,  in  Sicilien,  Kalabrien,  Apulien,  an 
den  Kiisten  der  Levante,  geboten  Araber,  bauten  den  Boden  und  be- 
luden  Schiffe,  und  an  glanzenden  Hofen  der  Kalifen  und  ihrer  Statt- 
halter  bliihten  in  einer  Epoche  allgemeiner  Barbarei  die  Kiinste  und 
humane  Sitte.  Ja,  der  Trieb,  die  Vegetation  Asiens  nach  Europa 
zu  versetzen,  wirkte  noch  tiefer  und  in  weiterem  Umfang,  als  jemals 
zur  Zeit  der  Romer,  deren  Macht  doch  auch  bis  ins  Innere  Asiens 
gereicht  hatte.  Durch  die  Araber  kamen  ostindische  Produkte,  von 
denen  das  spatere  Alterthum  nur  gehort,  oder  die  es  durch  den 
Handel  als  kostbare  Waare  empfangen  hatte,  lebend  und  leibhaftig 
an  das  Mittelmeer.  Zwar  den  Pfefferstrauch  zu  verpflanzen,  ging 
nicht  an,  und  vom  Kaffee  war  noch  nichts  zu  horen,  aber  die  Seiden- 
raupe  wurde  in  Spanien  und  Sicilien  angesiedelt,  und  maurische 
Seidenzeuge  aus  Palermo  dienten  dem  Herrn  der  Christen heit  zum 
prachtvollen  Kronungs-  und  Kaisergewand,  an  stillen  Wassern  rauschten 
Papyrusdickichte,  und  die  Baumwolle  und  das  Zuckerrohr  versuchten 
in  den  warmsten  Lagen  auf  europaischem  Boden  zu  gedeihen  - 
letzteres  ein  Ereigniss  von  unberechenbarer  Wichtigkeit.  Demi 
wenn  auch  der  Anbau  des  Zuckers  und  der  Baumwolle  in  Europa 
selbst  keinen  nennenswerthen  Umfang  gewinnen  konnte  -  -  erst  in 
Folge  der  amerikanischen  Krisis  stieg  der  Ertrag  der  letzteren  in 


Die  Tulpe.  509 

Siiditalien  auf  etwa  100,000  Ballen  — ,  so  ward  er  doch  Anlass  zu 
der  ungeheureii  Produktion  jener  ostindischen  Gewachse  in  West- 
indien,  zu  der  entsprechenden  Consumption  bei  alien  Volkern  der 
Erde  und  dem  beide  vermittelnden ,  die  Oceane  und  alle  Hafen  be- 
lebenden  Welthandel.  Wer  heut  zu  Tage  nach  einem  Besuche 
Pompejis  aus  dem  Thor  dieser  verschiitteten  Stadt  tritt,  an  deren 
Wanden  niichtig  gezeichnete  Landschaften  von  der  schon  damals 
gelungenen  Aneignung  so  mancher  subtropischen  Baume  Zeugniss 
geben,  der  kann  an  den  Baumwollfeldern,  die  sich  durch  die  Gegend 
hinziehen,  sich  vergegenwartigen ,  wie  die  Epoche  der  Mauren 
dem  Alterthum  in  dieser  Hinsicht  ebenburtig  ist.  Gleich  den 
Namen  zucchero  und  cotone,  belegen  dies  noch  andere  aus  dem 
Arabischen  stammende  oder  durch  das  Arabische  vermittelte  Be- 
zeichnungen,  z.  B.  melia  azedarach,  ein  tiber  alle  Gestade  des  Mittel- 
meeres  verbreiteter  Baum,  lazzeruolo,  der  Azerolenbaum,  mit  essbaren 
Fruchten,  gesmino,  gelsomino,  der  echte  Jasmin,  der  in  dem  genannten 
Bezirk  fast  schon  verwildert  ist,  u.  s.  w. 98). 


Als  die  Araber  zerfielen  und  allmahlich  unterlagen,  war  unter- 
dess  im  Zeitalter  der  Kreuzziige  der  Seehandel  der  italienischen 
Stadte  aufgebliiht :  Venedig  und  Genua  beherrschten  die  Markte  der 
Levante  und  unterwarfen  sich  Inseln  und  Territorien.  Auch  diese 
Verbindung  wandte  Europa  einen  Theil  des  Reichthums  jener  ge- 
segneten  morgenlandischen  Gebiete  zu,  und  selbst  als  die  Turken 
immer  weiter  erobernd  vordrangen,  schlug  auch  dies  der  Weltkultur 
zum  Gewinn  aus. 

Denn  die  Turken  waren  kein  bloss  zerstorendes  Volk,  wie  die 
Mongolen,  sondern  fiihrten  Europa  aus  der  Besonderheit  ihres  ur- 
spriinglichen  Heimatlandes  und  ihres  daran  gekniipften  Naturells 
manches  Neue,  Unerhorte  zu,  das  die  Scbranken  der  gewohnten 
Sitte  und  den  Kreis  der  Vorstellungen  erweiterte.  So  waren  sie 
Freunde  der  Baume,  besonders  der  Blum  en.  In  den  kurzen  hef- 
tigen  Sommern  Turkestans  erbliihen  auf  trockenen,  fast  ununter- 
brochen  von  dem  Licht  der  Sonne  getrofFenen  Heiden  zahlreiche, 
farbige,  stolze  Blumen,  und  diese  begehrte  der  Tiirke  auch  nach 
seiner  Wanderung  in  den  Siidwesten  in  seinen  Garten  zu  schauen 
und  gesellte  ihnen  aus  den  vielen  in  seiner  Hand  vereinigten  Lan- 
dem  noch  andere  bisher  unbekannte  hinzu.  So  wurde  Stambul  und 
das  Tiirkenreich  iiberhaupt  das  Bezugsland  fiir  eine  neue  prachtige 
Uartenflora,  die  auf  zwei  Hauptwegen,  iiber  Wien  uud  iiber  Venedig, 


510  We  Tulpe. 

in  Europa  einwanderte.  Die  beriihmteste  und  wegen  ihrer  weiteren 
Schicksale  merkwiirdigste  dieser  tiirkischen  Blumen  war  die  Tulpe, 
so  in  Italien  nach  dem  persischen  dulbend  oder  Turban  genannt, 
das  Staunen  und  die  Bewunderung  der  damals  noch  sehr  naiven 
Kinder  des  Westens.  Das  Wesentliche  der  Geschichte  dieses  stolz 
bliihenden,  leicht  Spielarten  bildenden  Zwiebelgewachses  hat  J.  Beck- 
mann  in  seinen  Beytragen  1,  233  if.  und  2,  548  ff.  mit  gewohnter 
Griindlichkeit  erzahlt.  Conrad  Gesner,  der  Linne  des  16.  Jahr- 
hunderts,  sah  die  erste  Tulpe  im  Jahr  1559  in  Augsburg  im  Garten 
eines  der  dortigen  Patricier ;  fur  das  Jahr  1565  sind  bluhende  Tul- 
pen  auch  im  Garten  der  reichen  Fugger  bezeugt.  Die  Saat  jener 
ersten  sollte  aus  Konstantinopel  oder,  wie  Andere  sagten,  aus  Kappa- 
docien  gekommen  sein;  nach  Clusius  war  KafFa  in  der  Krim  ihr 
Vaterland,  mit  anderen  Worten  die  krimischen  Tataren,  die  Stamm- 
genossen  der  Tiirken,  hatten  sie  mitgebracht  und  angepHanzt  und 
lieferten  die  Zwiebeln.  Wahrend  die  Italiener  eine  andere  Art  direkt 
bezogen  und  ihr,  wie  gesagt,  auch  deren  Namen  tulipano  gegeben 
hatten,  sollte  der  Kaiserliche  Gesandte  Busbeck,  der  sich  allerdings 
mit  dieser  Blume  viel  befasste,  die  erste  deutsche  Tulpe  nach  Prag 
gebracht  haben.  Aus  Wien  erhielt  sie  Nord- Europa,  namentlich 
England;  die  grossten  Liebhaber  aber  fand  die  Blume  an  den  unter- 
dess  frei  und  reich  gewordenen,  phantasielos  gebliebenen  Hollandern. 
In  Holland  erwachte  der  Wetteifer,  immer  neue,  seltene,  wunder- 
liche  Abarten  und  Farbenmischungen  zu  erzeugen  und  fiihrte  end- 
lich  in  der  ersten  Halfte  des  17.  Jahrhunderts  zu  dem  weltbekann- 
ten  Tulpenschwindel,  dem  Kauf  und  Verkauf  auf  Zeit  von  nie 
dagewesenen  Exemplaren,  mit  Entrichtung  bloss  der  Differenz  zwischen 
dem  vereinbarten  und  dem  am  Verfalltage  notirten  Preise,  einem 
»Windhandel«,  der  das  Vorspiel  bildete  zu  den  ein  Jahrhundert 
spater  zu  Paris  in  der  rue  Quincampoix  sich  abwickelnden  Scenen  und 
zu  dem  offen  und  versteckt  getriebeiien  Glucksspiel  unserer  Bb'rsen. 
Die  Geschichte  sagt  nicht,  ob  es  vielleicht  schon  damals  speculative 
Kinder  Israels  waren,  die  in  Amsterdam,  Harlem  und  Rotterdam  fur 
eine  Phantasie-Tulpe  den  Preis  eines  Hauses  oder  Landgutes  be- 
zahlten,  und  ob  sie  schliesslich  die  einzig  gewinnenden  waren,  indess 
alien  librigen  Spielern  der  ertraumte  Reichthum  in  der  Hand  zer- 
floss.  —  Andere  Blumen  und  Ziergewachse,  die  Europa  dem  Halbrnond 
verdankt,  sind  der  jetzt  allgemein  verbreitete,  lieblich  duftende 
Syringenstrauch ,  Syringa  vulgaris,  italienisch  und  spanisch  lilac, 
f ranzos.  lilas  -  -  ein  orientalischer  Name  — ,  durch  Busbequius  aus 


Die  Tulpe.  511 

Stambul  heriibergebracht ;  der  Hibiscus  syriacus  mit  den  pracht- 
vollen  rosenartigen  Bliiten;  die  aromatisch  duftende  orientalische 
Hyacinthe,  Hyacinthus  orientalis,  aus  Bagdad  und  Aleppo  nach 
Venedig  und  Italien  gebracht,  spater  die  Nebenbuhlerin  der  Tulpe 
auf  den  Blumenbeeten  der  Hollander  und,  wie  diese,  in  unzahligen 
Farben  und  Abarten  erzeugt;  die  Kaiserkrone,  Fritittaria  imperialis, 
eine  persische  Blume,  die  die  Europaer  in  den  Garten  Konstantinopels 
kennen  lernten;  die  Gartenranunkel ,  Ranunculus  asiaticus,  die 
Lieblingsblume  Mahomed  des  vierten,  die  dieser  in  alien  Formen  aus 
den  Provinzen  seines  weiten  Reiches  in  den  Garten  seiner  Haupt- 
stadt  versammelte,  und  die  dann  von  dort  nach  Italien  und  weiter 
nach  Deutschland  und  den  Niederlanden  wanderte.  Bei  der  einmal 
erwachten  Blumenlust  kamen  dann  zu  diesen  und  anderen  tiirkischen 
Blumen  noch  andere  aus  anderen  Gegenden,  so  die  schone  Balsamine, 
Impatiens  balsamina,  noch  jetzt  uberall  in  Italien  bliihend,  im 
16.  Jahrhundert  von  den  Portugiesen  aus  Ostindien  gebracht,  und  die 
in  Italien  selbstandig  aufgetretene  Nelke,  ital.  garofolo,  garofano, 
franzosisch  ceiUet,  das  Aeuglein,  genamit,  Dianthus  caryophylhis,  die 
Blume  der  italienischen  Renaissance  —  denu  in  der  Epoche  des 
Aufbliihens  der  Stadte  und  des  Handels  hatte  das  Auge  des  Men- 
schen  sie  in  dem  siidlichen  Italien  wild  gefunden  und  seine  Kunst 
und  Pflege  ihr  gesteigerten  wurzhaften  Duft,  Blatterfiille  und  alle 
Abstufungen  der  Farbe  abgelockt.  Noch  jetzt  ist  sie, 

Im  schonen  Kreis  der  Blatter  Drang, 
Und  Wohlgeruch  das  Leben  lang 
Und  alle  tausend  Farben  — , 

obgleich  von  den  Alten  nicht  beach tet,  der  besondere  Liebling  des 
Volkes  jenseits  der  Alpen.  —  Dass  aber  nicht  bloss  Blumen,  sondern 
auch  Baume  durch  die  Tiirken  uber  die  Welt  verbreitet  sind,  beweist 
der  von  uns  an  anderer  Stelle  bereits  erwahnte  schone  Kastanien- 
baum  mit  den  pyramidalen  Bliiten  und  dem  dichten  Schatten  schon 
im  Fruhling,  Aesculus  Hipp  o cast anum ,  aus  dem  Vaterlande  der 
Tiirken  stammend;  der  Kirschlorbeer,  in  der  zweiten  Halfte  des 
16.  Jahrhunderts  aus  Trapezunt,  wo  ihn  Pierre  Belon  zuerst  sah, 
durch  Clusius  nach  Wien  ubertragen;  endlich  die  reizende,  zarte, 
suss  duftende  Albizzia  Julibrissin,  deren  italienischer  landschaft- 
licher  Name  gaggia  di  Constantinopoli  verrath,  an  welchem  Punkte 
sie  zuerst  den  Boden  Europas  betreten  hat.  —  Von  dem  Buchweizen 
als  einem  tiirkisch-mongolischen,  aus  Hochasien  mitgebrachten  Korn 
ist  bereits  die  Rede  gewesen. 


512  Amerika. 

*  Die  Geschichte  derTulpen  hat.  nach  Hehn's  Tode  niehrere  Botaniker 
zu  eingehenden  Studien  angeregt,  so  namentlich  E.  Levier  (I  tulipani  di 
Firenze  ed  il  Darwinismo.  Eassegna  settimanale  Vol.  II  No.  17,  Komal878; 
L'origine  des  Tulipes  de  la  Savoie  et  de  1'Italie.  Archives  italiennes  de  bio- 
logie.  V.  Paris  1884;  Les  tulipes  de  1'Europe.  Bull.  soc.  sc.  nat.  de  Neuf- 
chatel  XII  (1884);  Neotulipes,  Paleotulipes,  in  Malpighia  VII,  Geneva  1894 
p.  404)  und  H.  Graf  Solms-Laubach  (Weizen  und  Tulpe  und  deren  Ge- 
schichte, Arthur  Felix,  Leipzig  1899).  Nach  diesen  Untersuchungen  steht  fest, 
dass  T.  Clusiana  1606  aus  Constantinopel  nach  Florenz  kam  und  von  hier 
aus  vielfach  in  Siidwest-Europa  verschleppt  [wurde.  Dagegen  war  T.  ocidus 
solis  St.  Amans  lange  nur  aus  Nordeuropa,  namentlich  aus  den  hollandischen 
Garten  bekannt  und  verbreitete  sich  im  vorigen  Jahrhundert  in  Frankreich 
und  Italien.  Wahrscheinlich  stammt  sie  von  Tulipa  Dammanniana  Host  im 
Pontus  ab.  Tulipa  saxatilis  Sieb.  von  Kreta  scheint  auch  schon  lange  in  den 
Garten  Westeuropas  und  Italiens  kultivirt  worden  zu  sein.  --  Ende  des  16. 
Jahrhunderts  fand  der  Kaiserliche  Gesandte  in  Constantinopel,  A.  de  Bus- 
beque,  die  Tulpen  in  Tiirkischen  Garten,  woselbst  wahrscheinlich  schon  starke 
Hybridisation  stattgefunden  hatte,  bereits  in  grosser  Mannigfaltigkeit  vor  und 
brachte  sie  nach  dem  Abendland,  wo  im  17.  Jahrhundert  sehr  rasch  zahllose 
neue  Formen  durch  Knospenvariation  entstanden.  Diese  werden  als  Tulipa 
Geseriana  L.  zusammengefasst.  Aus  den  verwilderten  Kulturpflanzen  sind  an 
einzelnen  Stellen  wie  bei  Florenz,  Bologna  und  St.  Jean  de  Maurienne,  durch 
extreme  Variabilitat  neue  Formen  entstanden,  welche  vegetativ  sich  vermehrend 
oft  Jahrzehnte  lang  constant  bleiben. 


Doch  was  bedeuten  cliese  verspateten  Ankommlinge  aus  dem 
Orient  gegen  den  ungeheuren  Umtausch,  der  mit  der  Entdeckung 
Amerikas  begann?  Amerika,  sagt  Kohl  sehr  schon  in  seiner  Ge- 
schichte der  Entdeckung  Amerikas,  Bremen  1861,  S.  412,  tauchte 
auf,  wie  ein  unserem  Planeten  angehangter  neuer  Stern.  Was  Amerikas 
Tropen  und  gemassigte  Zone  lieferten,  war  nicht  ein  Nachtrag,  von 
Phoniziern,  Kleinasiaten,  Griechen  und  Romern  nur  zufallig  versaumt, 
sondern  Gaben  und  Erzeugnisse  einer  ganz  neuen  Welt  —  und  es 
begann  die  zweite  grosse  Periode  der  Geschichte,  die  des  Verkehrs 
beider  Hemispharen,  da  die  erste  nur  die  Entwickelung  der  einen 
aus  sich  und  in  sich  gewesen  war.  Wir  stehen  noch  am  Anfang 
dieser  Epoche,  die  der  grosse  Genuese  eroffnet  hat,  und  Transplan- 
tation und  Acclimatisation  sind  bis  jetzt  nur  das  zufallige  Geleite 
des  Handels  und  der  Schiffahrt  gewesen.  Dennoch  fuhrt  schon  jetzt 
jeder  Spaziergang  durch  europaische  Parks  und  Garten,  jede  Fahrt 
auf  Landwegen  und  Eisenbahnen  an  amerikanischen  Gewachsen  vor- 
iiber:  die  Vitis  Labrusca,  der  sogenannte  wilde  Wein,  aus  Nord- 
amerika,  bekleidet  Siiulen  und  Wande,  rothgliihend  im  Herbste,  doeh 


Amerika.  513 

keinen  Traubensaft  spendend,  wie  die  morgenlandische  Schwester 
vom  Kaukasus  und  Demavend;  neben  ihr  klettert  mit  hochgelben 
Bliiten  die  peruanische  Kapuzinerkresse,  Tropaeolum  majus,  empor; 
die  Pyramidalpappel,  Populus  dilatata,  zieht  wie  ein  griiner  Saulen- 
gang  oder  paarweise  in  Procession  an  der  Heerstrasse  fort,  am  Mis- 
sissippi einheimisch ,  fur  uns  zunachst  aus  Italien  gekommen  und 
daher  lombardische  Pappel  genannt,  der  einzige  Baum,  der  in  unserem 
Norden  Gestalt  hat  und  daher  auch  von  den  Gemiithsschwarmern 
der  romantischen  Zeit  und  Schule  verachtet  und  verfolgt;  breiten, 
dichten  Schatten  wirft  die  amerikanische  Platane,  Platanus  occiden- 
talis',  Hecken  nordamerikanischer  Acacien,  Itobinia  Pseudacacia,  um- 
geben  die  offentlichen  Spaziergange,  in  denen  Pinus  Strobus,  die 
Weymouthskiefer,  Bignonia  Catalpa,  der  Tulpenbaum,  Liriodendron 
tulipiferum  jenseits  der  Alpen  die  jetzt  allverbreitete  heriiiche  Mag- 
nolie,  Magnolia  grandiflora,  die  aus  dem  tropischen  Amerika  stam- 
mende,  siissen  Veilchenduft  verbreitende  Acacia  Farnesiana,  der 
australische  Eucalyptus  globulus,  mit  dem  man  jetzt  die  romische 
Campagna  bepflanzen  will,  der  japanische  Ligusterbaum,  der  gleich- 
falls  japanische  schone  Mispelbaum  mit  den  duftenden  Bliiten  im 
Herbst  und  den  goldenen  Fruchtbiischeln  im  Friihling  (Eriobothrya 
japonica,  eine  jetzt  in  Siiditalien  und  Sicilien  wichtige  Kulturpflanze), 
der  zarte  Pfefferbaum,  Schinus  Molle,  der  prachtige  Korallenbaum, 
Erythrina  Corattodendron  u.  s.  w,  den  Eintretenden  empfangen. 
Fiir  den  Weizen  und  das  Rind  und  das  Pferd  -  -  Geschenke  von 
unschatzbarem  Werth  —  haben  wir  den  Truthahn,  den  Mais,  die 
Kartoft'el,  den  Opuntiencactus,  Opuntia  Ficus  indica,  zuriick- 
erhalten.  Was  die  Kartoffel  im  Norden  ist  —  auch  fiir  diese  Frucht 
1st,  wie  der  Name  lehrt,  Italien  das  Mittelland  gewesen  — ,  weiss 
Jeder,  weniger  dass  die  Opuntienfeige  fiir  die  Wiisteri  und  Felsen  des 
Mittelmeeres  fast  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie  jenes  Knollengewachs  fiir 
die  Heiden  des  Nordens.  An  alien  Kiisten  jenes  Siidens,  vom  Atlas 
und  der  Sierra  Morena  am  Aetna  vorbei  bis  zum  Taurus  und  Sinai, 
hat  diese  siidamerikanische ,  blaugraue,  stachlichte,  in  sonderbarer 
Vegetation  ein  fleischiges  Stengelglied  aus  dem  Ende  des  anderen 
hervortreibende  Pflanze  die  diirrsten,  unfruchtbarsten  Felswande  und 
Steingriinde  iiberzogen  und  sie  so  durch  die  Humusbildung  der  Kultur 
wiedergegeben.  Man  pflanzt  sie  auf  den  Lavafeldern  des  Aetna,  um 
diese  rascher  urbar  zu  machen;  ihre  Stacheln  hiiten  das  Feld,  von 
den  Blattern  nahrt  sich  das  Vieh,  und  die  saftigen  Friichte  bilden 
vier  Monate  gegen  den  Herbst  jeden  Jahres  die  Nahrung  und  Er- 

Vict.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  33 


514  Amerika. 

frischung  der  ganzen  Bevolkerung.  Neben  ihr  wuchert  ihre  Gefahrtin 
und  physiognomische  Verwandte,  die  Aloe,  Agave  amerieana,  mit  der 
riesengrossen  griinen  Blatterrosette  und  dem  aus  dieser  baum-  oder 
kandelaberartig  aufsteigenden  Bliitenschaft ;  beide  zusammen  haben 
den  Typus  der  mediterranen  Landschaft,  die  langst  vom  Orient  her 
ihr  strenges,  stilles  Kolorit  erhalten  hatte,  durch  ein  volhg  eiii- 
stimrnendes  Element  wesentlich  erganzt.  Die  KartofM  hat  sich  bei 
den  Siidlandern  nicht  beliebt  gemacht"),  wohl  aber  eine  andere, 
der  Kartoffel  nahe  verwandte,  urspriinglich  giftige  amerikanische 
Frucht,  die  Tom  ate,  auch  pomi  d'oro  genannt,  Solanum  Ly  coper  sicum, 
deren  gelbrother  sauerlicher  Saft  die  italienischen  Schiisseln  zu  farben 
pflegt  und  uberall  in  der  italienischen  Kiiche,  wo  es  nur  moglich  ist, 
angebracht  wird. 

Damit  dem  Bilde  des  Wechselverkehrs  mit  der  neuen  Welt  sein 
Schatten  nicht  fehle,  ist  auch  noch  des  Tabaks  zu  erwahnen.  Wie 
die  Europaer  nicht  bloss  die  wohlthatigen  Resultate  einer  dreitausend- 
jahrigen  Kultur  nach  dem  jungfraulichen  Lande  hiniiberleiteten,  sondern 
mit  ihren  SchifFen  im  Siiden  auch  Neger  und  Jesuiten,  im  Norden 
auch  die  Pocken  und  den  Branntwein  landeten,  so  verdanken  wir 
Amerika  nicht  nur  die  Kartoffel  und  die  edlen  Metalle  und  das  Bei- 
spiel  republikanischer  Freiheit:  es  hat  uns  auch  das  genannte  nar- 
kotische  Giftkraut  iiberliefert,  das  jetzt  ganz  unvertilglich  scheint. 
Dass  ein  barbarisoher  Gebrauch  der  Indianer,  den  Rauch  der  trockeneii 
Blatter  einer  betaubenden  Pflanze  durch  ein  Rohr  oder  eine  zusammen- 
gedrehte  Rolle  in  den  Mund  zu  leiten  und  dann  wieder  auszustosseii 
oder  dieselben  Blatter  in  gepulvertem  Zustande  in  die  Nase  zu  stopfen, 
von  'den  Rothhauten  zu  weissen,  gelben  und  schwarzen  Menschen 
auf  der  ganzen  Erde  hat  iibergehen  und  bei  alien  sich  so  tief  ein- 
wurzeln  konnen,  ist  eine  Thatsache,  die  viel  zu  denken  giebt.  Wie 
in  Europa  der  Arme,  der  Verbrecher  um  ein  Stiickchen  Geld  zu  — 
Tabak  bettelt,  so  gewinnt  der  Reisende  oder  Kaufmann  auch  den 
Neger  im  inneren  Afrika,  den  Samojeden,  Malaien  u.  s.  w.  durch 
nichts  so  leicht  als  durch  eine  Gabe  Tabak.  Tiirken,  Araber  und 
Perser  hauchen  den  Rauch  dieses  Krautes  stillsitzend  vor  sich  her, 
als  ein  Bild  ihres  eigenen  unniitzen,  apathischen,  traumerischen 
Lebens100).  Hunderte  von  Millionen  sind  seit  zwei  Jahrhunderten 
auf  diese  hassliche  Gewohnheit  verwandt  worden,  die  auf  gehauft  oder 
productiv  angelegt  alle  Volker  hatten  wohlhabend  machen  konnen, 
und  noch  jetzt  sind  viele  Tausende  von  Morgen  oder  Hectaren  des 
kostbaren  Erdbodens,  der  Weizen  oder  Wein  hatte  tragen  konnen, 


Sehluss.  515 

mil  dieser  Species  giftigen  Nachtschattens  bestellt.  Aehnlicher  Er- 
scheinungen  werden  die  kommenden  Jahrhunderte  vielleicht  noch  mehr 
bringen.  Denn  wie  die  Hellenen  als  ein  Adel  der  Menschheit  rings 
von  Barbaren  umgeben  lebten,  von  aberglaubischen  Aegyptern, 
knechtischen  Asiaten,  trunksuchtigen  Thrakern  u.  s.  w.,  so  auch  bisher 
die  Europaer,  umringt  von  farbigen,  untergeordneten  Rassen.  Der  die 
Erde  immer  dichter  umspannende  Verkehr  wird  den  weissen  Mann 
in  immer  nahere  Gemeinschaft  und  Beriihrung  mit  jenen  Massen 
bringen  und  diese  Kreuzung  vielleicht  die  Mutter  mancher  bestialischen 
Ausgeburt  werden.  Der  Veredelungsprocess  der  Menschheit  wird 
auch  dann  seinen  Fortgang  nehmen  und  auch  diese  ungeheure  Auf- 
gabe  wird  gelost  werden,  aber  in  wie  langen  Zeitraumen,  uber  welche 
barbarischen  Zwischenstufen,  unter  wie  viel  Opfern,  Riickfallen  und 
Triimmern ! 


Schluss, 

Die  vorstehenden  Skizzen  tragen  in  mehr  als  einer  Hinsicht, 
auch  abgesehen  von  den  Unterlassungsfehlern,  die  der  Verfasser  be- 
gangen  haben  wird,  und  deren  Folgen  er  auf  sich  nehmen  muss,  den 
Charakter  des  Fragmentarischen  und  der  Vereinzelung  an  sich.  Zu- 
nachst  ist  die  Bodenkultur,  die  Garten-  und  Hauswirthschaft  nur  der 
Theil  eines  Ganzen,  ein  blosser  Ausschnitt  aus  der  allseitig  sich  voll- 
ziehenden  Bildungsgeschichte  der  Menschheit.  Dennoch  spiegelt  sich 
auch  wieder  im  Einzelnen  das  Allgemeine,  und  wie  die  Kulturpflanzen 
von  Volk  zu  Volk,  von  Ost  nach  West,  von  Slid  nach  Nord  ge- 
wandert  sind,  so  in  derselben  Richtung  und  Zeit  auch  die  Freiheit 
und  Kultur  selbst  in  jeder  Gestalt.  Aus  Indien  und  Persien,  aus 
Syrien  und  Armenien  stammen  unsere  Feld-  und  Baumfriichte,  eben 
daher  auch  unsere  Marchen  und  Sagen,  unsere  religiosen  Systeme, 
alle  primitiven  Erfindungen  und  grundlegenden  technischen  Kiinste. 
Griechenland  und  Italien  fiihrten  uns  die  Nahr-  und  Nutzpflanzen  zu, 
mit  denen  wir  im  mittleren  und  nordlicheren  Europa  unsere  Wohn- 
statten  umgeben,  und  eben  diese  Lander  lehrten  uns  in  eben  dieser 
Reihenfolge  edlere  Sitte,  tieferes  Denken,  ideale  Kunst,  humane  Zwecke 
und  die  hoheren  Formen  politischer  und  socialer  Gemeinschaft.  Was 
die  Pflanzengeschichte  bezeugt,  wiirde  auch  von  der  Kulturgeschichte 
im  umfassenden  Sinne  nicht  anders  ausgesagt  werden.  Auch  die 

83* 


516  Schluss. 

letztere  1st  nur  eine  Geschichte  des  Verkehrs,  und  wie  der  einzelne 
Mensch  nur  in  der  Gesellschaft  seine  Bestimmung,  d.  h.  die  hochste 
Entwickelung  seiner  Anlagen  erreicht,  so  sind  auch  die  Volker  in 
demselben  Masse,  wie  sie  zur  Bildung  sich  erheben,  nur  Schiller  und 
Erben  anderer  umwohnender,  iiberlegener  Volker.  Die  grosste  Vater- 
landsliebe  zeigten  daher  zu  alien  Zeiten  diejenigen  nationalen  Fiihrer, 
die  nicht  die  heimische  Eigenart  am  hartnackigsten  festhielten,  sondern 
am  offensten  und  bereitwilligsten  auf  die  Lehren  der  Fremde  und 
den  friiher  und  anderswo  erreichten  Kulturgewinn  eingingen. 

Wie  die  Pflanzen  und  Hausthiere  von  Hand  zu  Hand  gingen, 
davon  enthalt  dieses  Buch  eine  Anzahl  monographischer  Umrisse ; 
eine  andere,  jene  erst  erganzende  Aufgabe  ware  es,  festzustellen, 
welche  seiner  eigenen  wilden  Pflanzen  das  Abendland  auf  die  gleiche 
Weise  zur  Kultur  erhoben  hat,  sei  es  direkt  oder  nach  dem  Vorbild 
des  Ostens  und  Siidens.  Einiges  davon  ist  im  Vorhergehenden  ge- 
legentlich  angedeutet  worden,  das  Uebrige  muss  einer  eigenen  Unter- 
suchung  iiberlassen  bleiben.  So  wachst  oder  wuchs  der  Kohl,  jetzt 
eines  der  niitzlichsten  und  verbreitetsten  Gemtise,  ohne  Zweifel  in 
Europa  wild;  wann  und  wo  aber  nng  man  an,  ihn  in  Garten  zu  ver- 
setzen,  ihn  umzubilden  und  immer  schtnackhafter  zu  machen,  und 
unzahlige  Varietaten,  eine  immer  zarter,  beliebter  und  von  dem  Grund- 
typus  entfernter,  als  die  andere,  zu  erziehen?  Manches  ist  dariiber 
in  einer  unermesslichen  Literatur  zerstreut;  Vieles  muss  dunkel  bleiben; 
Einiges  lehren  die  Namen,  wie  sie  noch  jetzt  gangbar  sind  oder  es 
friiher  waren.  Wo  der  Savoy er  und  Wirsing-Kohl  herstammt,  ist  in 
diesen  Beinamen  ausgesprochen ,  denn  auch  letzteres  ist  nichts  als 
das  oberitalienische  verza  d.  h.  griiner  Kohl;  dass  iiberhaupt  Italien 
uns  lehrte,  Kohl  zu  essen  unol  zu  pflanzen,  sagt  das  Wort  Kohl,  aus 
cauliSj  eben  so  Kabes,  slavisch  Jcapus,  Jcapusta,  aus  eaputium,  capuccio, 
unmittelbar  aus;  auch  der  Kohlrabi,  der  Raps  und  Riibsen  tragen 
lateinisch-italienische  Namen,  caulorapa,  caulus  rapi  und  rapicium 
und  sind  jungen  Datum  s  in  Deutschland;  der  zarte,  seltsam  gebildete 
Blumenkohl  stammt  aus  dem  Morgenlande  und  kam  iiber  Venedig 
und  Antwerpen  nach  Europa,  nach  Deutschland  erst  kurz  vor  Beginn 
des  dreissigjahrigen  Krieges;  das  Sauerkraut  mag  eine  tatarische, 
von  den  Slaven  adoptirte  Erfindung  sein,  die  sich  vom  Slavenlande 
weiter  nach  Nieder-  und  Oberdeutschland  verbreitete.  Wie  der  Kohl 
ist  auch  die  Artischocke  eine  in  Europa  einheimische ,  veredelte 
Distel;  europaisch  sind  auch  die  Rube  und  die  Mohre,  Daucus  Carota  L. 
Wenn  der  Apfelbaum  in  unseren  Waldern  urspriinglich  wild  wuchs, 


Schluss.  517 

so  sind  doch  die  edlen  Baume  unserer  Garten  nicht  gerade  Abkomm- 
linge  von  ihm,  sondern  stammen  von  Zweigen,  die  liber  die  Alpen 
gebracht  und  auf  den  einheimischen  Stamm  gepfropft  wurden  —  ein 
Gleichniss  fur  viele  ahnliche,  jetzt  verdunkelte  Besitztitel  auf  geistigem 
Gebiet101).  Im  Allgemeinen  hat  Europa  auch  von  dem,  was  es  von 
Natur  besass,  nur  Weniges  aus  eigenem  Impuls  aus  der  Wildniss 
gehoben  und  durch  Erziehung  nutzbar  geinacht;  es  musste  dazu  am 
Mittelmeer  aus  Asien,  in  seinen  mittleren  Gegenden  durch  den  Siiden 
angeregt  werden,  in  dem  alle  Quellen  unserer  Bildung  liegen. 

Jahrhunderte ,  ja  Jahrtausende  lang  haben  die  Kulturpflanzen 
unter  ktinstlichen  Bedingungen  mit  dem  Menschen  gelebt,  und  die 
Frage  liegt  nahe,  inwiefern  sie  dadurch  ihre  Natur  verandert  haben? 
Der  Mensch  sorgt  durch  einseitige  Wahl  und  berechnete  Pflege  fur 
Haufung  bestimmter  organischer  Richtungen  und  Ausweichungen ; 
daraus  gingen  Abarten  hervor,  aus  diesen  wieder  andere;  wenn  die 
Zwischenglieder  als  minder  kulturmassig  sich  verloren,  so  sind  wir 
verlegen,  in  dem  Gartengewachs  den  Wildling,  von  dem  es  stammt, 
wiederzuerkennen.  Dies  ist  ein  Thema,  das  die  Naturforscher  jetzt 
vielfach  beschaftigt,  bei  dessen  Behandlung  ihnen  aber  grossere  Be- 
kanntschaft  mit  der  Geschichte,  der  Literatur  und  Sprache  der  Alten, 
ihren  bildlichen  Denkmalern  u.  s.  w.  von  Nutzen  sein  wiirde.  Noch 
bedeutungsvoller  erscheint  dieselbe  Frage  in  ihrer  Anwendung  auf 
die  Hausthiere.  Doch  da  dieselbe  jetzt  seit  Darwin  bei  den  Natur- 
forschern  auf  der  Tagesordnung  steht,  so  beschranken  wir  uns  auf 
folgende  den  Zusarnmenhang  des  physiologischen  Problems  mit  der 
menschlichen  Geschichte  betreffende  Bemerkungen. 

Es  ist  eine,  wie  uns  diinkt,  unbestreitbare  Thatsache,  dass  nicht 
bloss  angeborene,  sondern  auch  individuell  erworbene  Charaktere  sich 
vererben,  mit  anderen  Worten,  dass  Schicksale  und  Erfahrungen 
friiherer  Generationeii  mit  den  jiingeren  als  feste  Naturanlage  wieder- 
geboren  werden.  Was  die  Vorfahren  erst  gelernt  batten,  oft  mit 
Widerwillen  und  unter  Strauben,  das  erscheint  in  den  Nachkommen 
als  gegebenes  Natur  ell;  was  dort  Resultat  war,  wird  hier  Ausgangs- 
punkt.  Und  je  lang  ere  Zeit  ein  Zustand  bei  den  Voreltern  durch 
die  Gewalt  der  Umstande  aufrecht  erhalten  worden,  desto  sicherer 
erscheint  er  als  Erwerb  der  Enkel.  Psychische  Regungen  bewirken 
leibliche  Veranderungen :  indem  die  letzteren  auf  die  Nachkommen- 
schaft  iibergehen,  rufen  sie  mit  Nothwendigkeit  auch  die  ersteren 
wieder  hervor,  die  dann  als  geistige  Richtung  und  Fertigkeit,  als 
Mitgift  der  Geburt,  unmittelbarer  Stamm charakter  vorgefunden  werden. 


518  Schluss. 

Was  wir  Geschichte  nennen,  1st  nichts  als  diese  langsame  leiblich- 
geistige  Umwandlung  der  jiingeren  Geschlechter  nach  den  Eindnicken, 
die  die  alteren  erfahren  haben,  —  ebenso  der  sogenannte  Zeitgeist 
iiichts  als  das  in  den  Kindern  bewusstlos  wirkende  Gemeingefiihl 
der  von  den  Vatern  und  Gross  vatern  erlebten  Schicksale.  Konnten 
wir  bei  plotzlich  eintretenden,  scheinbar  unvermittelten  neuen  Ge- 
schichtsepochen,  deren  Ideenreichthum  und  unerwarteter  Durchbruch 
uns  uberrascht,  die  stillen  Vorbereitungen  in  den  nachstvorhergehenden 
Geschlechtern  iibersehen,  alles  Wunderbare  wiirde  sich  verlieren.  Bei 
der  Langsamkeit  der  physiologischen  Metamorphose  1st  ein  Sprung 
nirgends  und  bei  keinem  Volke  je  moglich  gewesen.  Wird  eine  Rasse 
plotzlich  durch  eine  geschichtliche  Constellation  unter  eine  Civili- 
sation geworfen,  fiir  die  sie  durch  ihre  fruheren  Schicksale  nicht 
befahigt  ist,  dann  entsteht  ein  Chaos  von  Scheinkultur,  Ruckfallen, 
disparaten  Trieben,  barbarischem  Raffinement,  Rohheit  und  Siech- 
thum,  bis  nach  Jahrhunderten  eines  sturmischen  Processes  sich  end- 
lich  Alles  ins  Gleichgewicht  gesetzt  hat.  So  ging  es  z.  B.  den  Ger- 
manen  auf  romischem  Boden:  sie,  die  noch  kaum  die  Anfange  des 
Ackerbaues  sich  angeeignet  hatten,  sollten  in  ummauerten  Stadten 
wohnen,  der  Ordnung  eines  auf  verwickelte  Lebensverhaltnisse  und 
die  feinsten  Bediirfmsse  berechneten  Rechtes  sich  fiigen,  in  die  spitz- 
findigen  Distinctionen  der  durch  die  Kirchenvater  allseitig  abgesteckten 
Dogmatik  und  in  den  symbolischen,  altorientalischen  Pomp  des  Rituals 
sich  finden!  Hatten  sie  vorher  ein  Jahrtausend  lang  nur  an  kriege- 
rischen  Ziigen  Freude  gefunden  und  in  der  Stille  der  Walder  an 
einem  ganz  allgemeinen  und  daher  ganz  primitiven  Naturkultus,  der 
grausame  Opfer  nicht  ausschloss,  sich  geniigt,  so  war  wieder  ein 
Jahrtausend  eines  neuen  Lebens  nothig,  ehe  an  die  Stelle  der  Korper- 
beschaffenheit  jener  ersten  Periode  und  der  in  ihr  wurzelnden  Nei- 
gungen  neue  Nerven,  Muskelf asern ,  Gehirnfiebern ,  anders  gestaltete 
Blutkorperchen  und  darnit  auch  andere  Seelenregungen  traten.  Den 
Uebergang  vom  umherschweifenden  Jagdleben  zur  Zahmung  und 
Weide  der  Thiere,  ebenso  von  der  nomadischen  Freiheit  zur  An- 
sassigkeit  konnen  wir  uns  daher  nicht  langsam  und  schwierig  genug 
denken.  Die  Noth  musste  gross  sein,  ehe  der  Hirt  sich  entschloss, 
den  Weidegrund  aufzugraben,  Korner  hineinzustreuen,  deren  Wachs- 
thum  abzuwarten,  den  Ertrag  ein  Jahr  lang  aufzubewahren  und  so 
an  eine  bestimmte  Stelle  der  Welt  wie  ein  Knecht  und  ein  Gefan- 
gener  sich  zu  fesseln.  Fiel  der  Drang  der  Umstande  weg,  so  wandte 
er  sich  sicherlich  wie  ein  Befreiter  wieder  zum  Wanderleben,  der 


Schluss.  519 

inneren  Stimme  folgend.  Nicht  anders  empfand  auch  der  Jager  die 
Viehzucht  als  Knechtschaft.  Mit  Pfeil  und  Bogen ,  mit  dem  ge- 
scharften  Stein  am  Ende  des  holzernen  Speeres  durchstreifte  er  frei 
die  Walder,  und  die  Anfertigung  dieser  Waffen  war  seine  einzige 
Arbeit  und  Sorge.  War  es  ihm  gegluckt  einen  wilden  Stier  zu  er- 
legen,  dann  war  Tage  lang  ein  schwelgerisches  Freudenfest  fur  ihn. 
Diesen  selben  Stier  oder  die  Wildkuh  einzufangen,  aufzusparen,  an 
Nachfolge  zu  gewohnen,  das  Kalb  aufzuziehen,  die  Heerde  auf  der 
Weide  zu  bewachen ,  die  Kuh  zu  vermogen  sich  ruhig  melken  zu 
lassen  —  welch  eine  Reihe  umstandlicher,  einengender,  regelmassiger 
Verrichtungen !  Um  sie  zu  unternehmen,  musste  die  Jagd  ganz  un- 
ergiebig  geworden  und  nach  keiner  Seite  eine  Fluent  in  die  Weite 
moglich  sein.  Sowie  sich  eine  Zuflucht  offnete,  war  der  Rtickfall 
in  das  freie  Jagerleben  unausbleiblich 102).  Je  langer  aber  die  neue 
Lebensart  zwangsweise  aufrecht  erhalten  blieb,  desto  mehr  wnrde  sie 
Naturell:  in  den  Urenkeln  begann  der  alte  Trieb  nach  Freiheit  all- 
mahlich  zu  erloschen  und  Kulturempfindung  schlug  Wurzel.  —  Dass 
das  Alles  nicht  bloss  Phantasie  ist,  sondern  wirklich  so  verging  und 
noch  vorgeht,  lasst  sich  deutlich  an  den  Thieren  beobachten.  Auch 
bei  diesen  werden  Erfahrungen  der  Voreltern  zum  Instinkt  der  Nach- 
kommen.  Weidendes  Vieh  riihrt  die  Pflanzen  nicht  an ,  die  ihm 
todtlich  oder  schadlich  sind;  b.ringt  man  es  in  ein  entferntes  Land, 
in  einen  andern  Welttheil,  wo  unbekannte  Krauter  wachsen,  da  weiss 
es  nicht  zu  unterscheiden  und  siecht  oder  stirbt  an  dem  genossenen 
Gift.  Vogel  haben  eine  unmittelbare  Angst  vor  dem  sie  verfolgenden 
Raubvogel,  weil  friihere  Generationen  von  diesem  Feinde  bedrangt 
worden  und  ihm  in  einzelnen  Fallen  entgangen  sind.  Wo  der 
Mensch  auf  sie  Jagd  macht,  fiirchten  sie  den  Menschen  aufs 
Aeusserste;  wo  er  aus  irgend  einem  Grunde  sie  schont,  da  sind  sie 
zutraulich  und  dreist,  auch  ohne  individuelle  Erfahrung  und  ohne 
das  Beispiel  der  Eltern.  Hunde,  die  langere  Zeit  hindurch  von  irgend 
einem  Volke  zu  einer  bestimmten  Art  Jagd  gebraucht  worden,  werden 
mit  ausgesprochenern  Naturtriebe  gerade  fur  diese  Jagd  geboren; 
junge  Schaferhunde  deren  Vorfahren  Jahrhunderte  lang  zur  Be- 
wachung  der  Heerden  angehalten  worden,  bringen  eine  unverkenn- 
bare  Neigung  und  Geschicklichkeit  zum  Wachteramt  mit  zur  Welt. 
Wo  die  Ochsen  der  Landessitte  nach  nicht  zum  Ziehen  gebraucht 
werden,  da  halt  es  schwer,  den  jungen  Abkommling  ins  Joch  zu 
spannen;  umgekehrt,  wo  dies  schon  friiher  der  Fall  war.  Ebenso 
lassen  sich  Klihe,  deren  weibliche  Ascendenten  nicht  gemolken  worden, 


520  Schluss. 

nur  schwer  dazu  bewegen,  beim  Melken  stille  zu  halten.  Die  Haus- 
taube,  baben  wir  gesehen,  wurde  so  vollkommen  gezahmt,  well  sie 
Jabrhunderte  lang  ein  gebeiligter  Vogel  war,  den  Niemand  anriibrte ; 
der  Hausbahn,  well  er  bei  Persern,  britischen  Kelten,  Slaven,  Un- 
garn  u.  s.  w.  dem  Lichtgott  geweiht  und  unverletzlich  war;  die 
Katze,  weil  agyptischer  Aberglaube,  verbunden  mit  agyptischer  Ge- 
duld,  lange  Zeiten  hindurcb  das  scbeue  Raubthier  schonte  und 
pflegte.  Die  Summe  der  Erfahrungen  aller  einzelnen  Individuen 
wurde  endlicb  zur  veranderten  Natur.  Die  Anwendung  von  diesem 
Allem  auf  den  Menscben  ergiebt  sicb  von  'selbst.  Auch  bei  diesem 
1st  der  Humanisirungsprocess  ein  langsamer,  das  Werk  der  Zeit,  und 
auch  bier  ist  der  Erfolg  nur  sicber,  wenn  dieselben  giinstigen  Ein- 
flusse  hinreichend  lange  gewirkt  haben.  Tausend  Jabre  der  Knecht- 
schaft  bei  einem  Volke  sind  z.  B.  nicht  durcb  einen  einmaligen 
Emancipationsact  auszuloschen ,  eine  an  andere  Lebensbedingungen 
gekniipfte  Rasse  nicht  iiber  Nacht  durch  Erlass  europaischer  Gesetze 
zu  einem  Gliede  der  civilisirten  Familie  zu  macben.  Je  weiter  ur- 
spriinglich  der  Abstand,  um  so  langer  die  nothige  Reihe  von  Ge- 
schlechtern  und  die  stille  Arbeit  der  Urnwandlung  —  so  lang,  dass 
man  oft  an  der  Moglichkeit  der  Losung  der  Aufgabe  iiberhaupt  ver- 
zweifeln  mochte.  Den  code  Napoleon  bei  irgend  einer  barbarischen 
oder  balbbarbariscben  Rasse  einfubren,  den  Soldaten  europaische  Uni- 
formen  und  Exerciermeister  geben,  Gasrohren  legen,  eine  Eisenbahn 
durcb  das  Land  ziehen  und  beide  durcb  europaische  Angestellte  be- 
sorgen  lassen,  franzosisch  abgefasste  diplomatische  Noten  iiberreichen, 
die  von  einem  im  Hintergrunde  versteckten  europaischen  Sekretar 
geschrieben  worden:  dies  Alles  ist  so  leicht,  wie  jeder  andere  An- 
putz  durch  aussere  Farbe,  aber  nur  die  unreife,  abstrakte  Denkart 
der  Menge  wird  dies  fur  einen  grossen  Gewinn  halten.  Eher  konnte, 
da  das  stille  Wachsthum  von  innen  und  von  unten  dadurch  gestort 
wird,  nur  eine  ewige  Impotenz  die  Wirkung  sein. 

Wir  haben  gesehen,  wie  die  Flora  der  italischen  Halbinsel  im 
Laufe  der  Geschichte  immer  mehr  den  sudlichen  Charakter  an- 
genommen  hat.  Als  die  ersten  Griechen  in  Unteritalien  landeten, 
bestand  die  Waldung  noch  vorherrschend  aus  laubabwerfenden 
Baumen,  die  Buchen  reichten  tiefer  hinab,  als  jetzt,  wo  sie  auf  die 
hochsten  Gebirgsregionen  beschrankt  sind.  Jahrhunderte  spater  er- 
blickt  man  auf  den  Landschaften  an  den  Wanden  Pompejis  schon 
lauter  immergrune  Baume,  Laurus  nobilis,  den  Oelbaum,  die  Cy- 
presse,  den  Oleander;  in  den  letzten  Kaiserzeiten  und  im  Mittelalter 


Schluss.  521 

fiuden  sich  die  Limonen-  und  Pomeranzenbaume  ein,  seit  der  End- 
deckung  Amerikas  die  Magnolien ,  die  Agaven  und  die  indischen 
Feigen.  Es  kann  keine  Frage  sein,  dass  diese  Umwandlung  haupt- 
sachlich  durch  Menschenhand  geschehen  ist:  ob  aber  in  Landern, 
wo,  wie  in  den  siideuropaischen  Halbinseln  zwei  Vegetation stypen 
zusammenstossen ,  der  subtropische ,  immergriine ,  und  der  der  ge- 
massigten  Zone,  nicht  der  Zug  und  Trieb  der  Natur  selbst  das  Be- 
miihen  der  Menschen  unterstiitzte  ?  Ob  jene  mehr  siidlichen  Pflan- 
zen  mit  lederartigem  Blatt,  kraf  tiger  Rinde  und  mannichfacher  Be- 
waffnung  nicht  im  sogenannten  Kampf  urns  Dasein  durch  harteres 
Leben  den  Sieg  davontrugen,  d.  h.  allmahlich  bis  dahin  vordrangen, 
wo  erst  mit  dem  Apennin,  dann  mit  den  Alpen  der  jetzigen  medi- 
terranen  Flora  ein  Grenzwall  gesetzt  ist?  Auch  Deutschland,  Frank- 
reich,  England  haben  sich  zu  historischer  Zeit  bedeutend  im  siid- 
lichen Sinne  umgestaltet;  dass  aber  nordische  Kulturgewachse  um- 
gekehrt  iiber  die  Berge  gestiegen  waren  und  sich  liber  Nord-,  dann 
iiber  Siiditalien  ausgebreitet  hatten,  davon  erhalten  die  zwei  bis  drei 
Jahrtausende,  iiber  welche  unsere  geschichtliche  Kunde  reicht,  kein 
Zeugniss.  Ist  es  mit  dem  Menschen  nicht  ebenso,  und  siegt  nicht 
stets  der  dunkelhaarige  iiber  den  blonden?  Liegt  in  der  Natur  des 
letzteren  nicht  das  Streben,  sich  der  des  ersteren  anzunahern?  Von 
welcher  Complexion  das  Urvolk  der  Indogermanen  gewesen,  wissen 
wir  unmittelbar  nicht.  In  der  Epoche,  wo  wir  es  kennen 
lernen,  ist  es  langst  in  Zweige  gespalten,  deren  Haar-,  Haut-  und 
Augenfarbe  zwei  verschiedene  Typen  zeigt.  Asiaten ,  Griechen, 
Romer  sind  schwarz,  Kelten  und  Germanen  blondlockig,  blauaugig, 
hellfarbig;  die  ersteren  dabei  von  kiirzerer  Statur,  mit  lebhaften 
Gesten,  kundige,  kluge,  braune  Zwerge :  Kelten  und  Germanen  hoch- 
aufgeschossene,  rothwangige  Riesengestalten  mit  wallendem  Haar  (s. 
die  Belege  bei  Zeuss,  Die  Deutschen,  S.  49  ff.,  zu  denen  sich  noch 
die  Stelle  des  Amm.  Marcell.  15,  12  fiigen  lasst:  celsioris  staturae 
et  candidi  paene  Galli  sunt  omnes  et  rutili)  103).  Wie  noch  jetzt 
den  Siidlandern,  erschien  auch  dem  Griechen  das  blonde  Haar  als 
besonders  schon  und  edel  und  er  theilte  es  gern  den  Jiinglingen 
und  Frauen  seines  iclealen  Helden-  und  Gotterkreises  zu.  Nordlich 
von  Griechenland ,  in  Osteuropa,  dem  Schauplatz  friiher  Volker- 
mischung,  finden  wir  zwar  auch  die  helle  oder  rothliche  Haut-  und 
Haarfarbe  hin  und  wieder  hervorgehoben,  aber  lange  nicht  mit  sol- 
cher  Entschiedenheit ,  wie  im  Westen.  Zwar  die  Budinen  schildert 
Herodot  als  ein  Volk  ylavxov  z^  nav  iayvgux;  xal  TIVQOOV,  aber  sie 


522  Schluss. 

zeichneten  sich  eben  dadurch  vor  den  iibrigen  Stammen  aus.  Die 
Slaven  nennt  nachher  Procopius  i>7is()v$Qot,  weder  hell  noch  dun- 
kel ,  sondern  etwas  ins  Blonde  fallend ;  Ammianus  giebt  den  irani- 
schen  Alanen  massig  blondes  Haar  —  crinibus  mediocriter  flavis. 
Auch  das  Haar  der  Thraker  und  Skythen  unterschied  sich  von  clem 
griechischen  durch  eine  Abweichung  ins  Helle  und  so  erklart  sich, 
dass  sie  mitunter  ausdriicklich  als  weiss,  roth,  weichhaarig  bezeichnet 
werden ,  in  den  meisten  Fallen  aber  ihre  Gleichartigkeit  mit  den 
Griechen  stillschweigend  vorausgesetzt  wird.  Umgekehrt  gelten  die 
Aegypter  fiir  besonders  schwarz,  dabei  wollhaarig,  also  dem  Neger- 
typus  sich  nahernd  (sie  sind  bei  Herodot  fis^dy^Qosg  und  ov^orQ^g, 
bei  Aeschylus  avdgsg  fiehayxCfioig  yvioitii),  ebenso  die  Kolcher  (vor- 
semitische  Autochthonen,  bei  Pindar  xshcuvcoTteg}  -  -  so  dass  wir  uns 
die  Griechen  selbst  zwar  als  stidlich  braun,  doch  nicht  vom  tiefsten 
Schwarz  zu  denken  haben.  In  welchem  von  beiden  Typen  aber, 
dem  dunkeln  oder  hellen,  diirfen  wir  mit  grosserer  Wahrscheinlich- 
keit  das  Abbild  der  Urzeit  erkennen?  A  lies  spricht  dafiir  dass  die- 
jenigen  Stamme,  die  in  historischer  Isolirung  am  wenigsten  von  der 
urspriinglichen  Lebensweise  sich  entfernt  hatten,  namlich  die  nordi- 
schen,  auch  die  leiblichen  Stammeszeichen  am  treuesten  bewahrt 
hatten.  Wo  sie  seitdem  der  siidlichen  Natur  und  Lebensform  sich 
genahert  oder  mit  der  dunkleren  Rasse  sich  gemischt  haben,  da  hat 
allemal  die  letztere  die  Oberhand  gewonnen.  Die  Gallier  der  spa- 
teren  Romerzeit  sind  schon  weniger  blond  als  die  Germanen;  daher 
die  ersteren,  um  bei  Caligulas  Triumphzug  Germanen  darstellen  zu 
konnen,  sich  farben  miissen,  wahrend  doch  ihre  Stammverwandten 
auf  der  britischen  Insel,  die  Caledonier,  noch  so  rothhaarig  sind 
und  so  gestreckte  Glieder  besitzen,  dass  Tacitus  sie  desshalb  fiir 
Germanen  ansehen  will.  In  ganz  Gallien  ging  in  Contakt  mit  den 
Romern  der  nordische  Typus  in  den  italischen  iiber;  wer  erkennt 
in  den  nervigen,  sehnigen,  braunen,  gewandten,  kurzgewachsenen  Be- 
wohnern  des  heutigen  Frankreich  die  hohen,  grobknochigen  Albinos- 
Naturen  der  alten  Kelten,  die,  wie  Casar  bemerkt,  den  Romer  wegen 
seiner  Kleinheit  verachteten?  Siiddeutschland  oder  die  Landschaften 
langs  dem  Alpenabhang,  der  Donau,  dem  Oberrhein,  ja  dem  Main, 
u.  s.  w.  tragt  jetzt  mindestens  kastanienbraunes  Haar  und  ist  dem 
romanischen  Typus  verwandt;  in  Norddeutschland ,  an  der  Nord- 
und  Ostsee,  gleichen  bei  Weitem  nicht  alle  Inclividuen  mehr  dem 
von  den  Romern  gezeichneten  Bilde.  Goethe,  den  wir  uns  gern  als 
Archegeten  seines  Volkes  denken,  hatte  braune  Augen  und  braunes 


Schluss.  523 

Haar  und  auch  Wilhelm  Meister,  sein  Ebenbilrl,  war  nicht  blond 
(Buch  5,  Kapitel  6);  Dorothea,  Hermanns  Geliebte,  hatte  schwarze 
Augen  (6.  Gesang)  —  freilich  stammte  sie  von  der  Grenze  Frank- 
reichs.  Bei  Mischehen  z.  B.  zwischen  Juden  oder  Griechen  und 
Germanen  zeigt  sich  in  dem  Habitus  der  Nachkommenschaft  die 
grossere  Energie  der  stidlichen  Complexion,  die  geringere  Wider- 
standskraft  der  nordischen.  Kein  Wunder,  dass  von  den  Gothen, 
Longobarden  u.  s.  w.  in  Italien,  von  den  Franken,  Burgunden,  West- 
gothen  in  Frankreich  und  Spanien  so  wenig  in  der  ausseren  Er- 
scheinung  der  Menschen  mehr  zu  erblicken  1st.  Die  Walachen  sind 
als  Resultat  der  buntesten  nordsiidlichen  Mischung  em  sehr  dunkel- 
haariger,  braungefarbter  Menschenschlag.  Sei  es  nun  in  diesen,  wie 
in  vielen  anderen  von  uns  iibergangenen  Fallen  mehr  die  Nahrung, 
also  der  Stoffwechsel,  oder  die  gebildetere  Sitte  iiberhaupt  oder  end- 
lich  Vermischung,  was  diesen  Uebergang  der  Incarnation  bewirkt  hat, 
immer  ist  der  Process  jenem  anderen  analog,  durch  welchen  seit  den 
altesten  Zeiten  auf  dem  Wege  der  Natur,  hauptsachlich  und  un- 
bestreifcbar  aber  auf  dem  der  humanen  Kultur  die  Vegetationsformen 
des  Siidostens  in  den  Westen  und  Norden  vordrangen  und  dort  eine 
andere,  immergrune,  idealere  Landschaft  schufen  und  den  Gruppen 
und  Bildern  menschlicher  Ansiedelung  andere,  lichtvollere,  bestimm- 
tere,  reinere  Umrisse  gaben. 


ANMERKUNGEN*) 


i.  s.  i. 

B.  Seemann,  Narrative  of  the  voyage  of  H.  M.  S.  Herald  during  the  years 
1845—51  etc.  London  1853.  Vol.  II  p.  268  und  275.  —  Diese  wegen  ihres 
objectiven  Charakters  hochst  schatzenswerthe  Reise  ist  auch  ins  Deutsche 
iibersetzt  worden. 

2.    S.  15. 

Die  Eibe,  Taxus  baccata,  war  schon  im  Alterthum  als  giftig  gefiirchtet, 
darum  ein  damonischer,  den  Todesgottern  geweihter  Baum.  Als  Catuvolcus, 
ein  Konig  der  Eburonen,  an  seiner  Lage  verzweifelte,  nahm  er  sich  durch 
Taxusgift  das  Leben,  Caes.  de  b.  g.  6,  31,  2:  Catuvolcus,  rex  dimidiae  partis 
Eburonum  .  .  .  taxo,  cujus  magna  in  Grallia  Germaniaque  copia  est,  se  exanimavit. 
Wie  bei  den  Alten  wurde  auch  im  Mittelalter  die  Eibe  gern  auf  Leichenfeldern 
gepflanzt,  und  da  der  Baum  sich  zugleich  durch  eine  ausserordentlich  lange 
Lebensdauer  auszeichnet,  so  finden  sich  an  solchen  Orten  auch  jetzt  noch, 
besonders  in  England  und  Irland,  uralte  herrliche  Exemplare.  Er  war  nach 
Casars  soeben  angefiihrten  Worten  in  Mitteleuropa  iiberaus  haufig,  aber  die 
Schouheit  seines  Holzes,  die  es  den  Drechslern  und  Schnitzlern  so  werth 
machte,  wie  es  spater  das  des  Buchsbaums  war,  fuhrte  in  gauzen  Gegenden 
zu  seiner  Ausrottung.  Besonders  aber  zu  Bogen  verwandte  es  die  Urzeit, 
die  darin  Bescheid  wusste,  so  ausschliesslich ,  dass  z.  B.  das  altnordische  yr 
geradezu  arcus  bedetitet  (wie  [xeXtfj,  die  Esche,  bei  Homer  die  Lanze  ist)  und 
die  i/-Rune  die  Form  eines  Bogens  hat.  So  steht  auch  das  griechische  TO£OV 
*  der  Bogen  in  naher  Ver wand tsch aft  mit  dem  lat.  taxus  und  zvvar  in  der  Weise, 
dass  beide  Worter  zu  der  indog.  Wurzel  teks  kunstlich  verfertigen  gehoren, 
aus  der  auch  scrt.  takshan  der  Zimmermann,  griech.  tey.T<nv  der  Kiinstler,  altsl. 
tesati  hauen  u.  s.  w.  hervorgegangen  sind.  —  Das  erstgenannte  altn.  yr  etc. 
geht,  lautlich  noch  nicht  vOllig  aufgeklart,  durch  die  Reihe  der  Volker  von 
Westen  nach  Osten,  doch  so,  dass  die  Bedeutung  Eibe  in  der  letztgenannten 
Weltgegend  mit  dem  Gewachs  selbst  allmahlich  erlischt:  ir.  <?b,  kymr.  yw,  corn. 


*)  Berne rkung  des  He rausgebers:  Nicht  mehr  Haltbares  der  friiheren 
Auflagen  ist,  soweit  es  sich  nicht  auf  den  bisherigen  Gang  der  Untersuchung 
(S.  1  bis  523)  bezog,  gestrichen  oder  iiberarbeitet  worden.  Ueberarbeitete 
Stellen  sind  am  Rand  durch  Sternchen  („%)  bezeichnet,  Zusatze  des  Heraus- 
gebers  in  eckige  Klammern  ([  ])  eingeschlossen  worden. 


Anmerkungeu.  525 

hiven,  bret.  ivin,  ahd.  wa  (neben  ihd),  ags.  iv  (neben  eoh)  —  aus  dem  Germani- 
schen  stammen  mlat.  ivus,  franz.  if,  span.  u.  portug.  iva  — ,  altpreussisch  invis 
die  Elbe,  lit.  jiewa  der  Faulbaum,  lett.  eva,  slav.  iva  die  Weide.  Neben  altir. 
e'o  begegnet  noch  ibhar,  ibar,  jubdr,  welches  noch  heut  zu  Tage  taxus  tmd  arcus 
bedeutet  und  nach  Zeuss2  88  dem  Namen  der  oben  erwahnten  Eburonen  zu 
Grande  liegt.  Litauisch  heisst  der  Eibenbaum  eglius  oder  oglus,  welches  dem  ** 
slavischen  jelf  oder  jela  die  Tanne  gleich  ist.  Im  Heimathlande  der  Slaven 
zwischen  den  Quellen  des  Dniepr  und  der  Wolga  wuchs  der  Taxusbaum  nicht 
mehr  (wie  auch  die  Buche  nicht),  und  so  weichen  in  ihrer  Sprache  die  Namen 
iva  und  tisii,  lisa  u.  s.  w.  in  die  Bedeutung  salix  und  pinus  aus.  Doch  ftihrte 
friihzeitig  der  Handelsverkehr  Eibenholz,  daraus  gefertigte  Eimer,  Bogen  u.  s.  w. 
aus  den  Rheingegenden  an  die  Ostsee,  wo  der  Baum  seltener  wurde,  von  da 
zu  den  Aisten  und  Wenden,  wo  er  ganz  aufhorte.  —  Dass  iibrigens  neben 
dem  eibeneu  auch  der  hornerue  Bogen  ira  Gebrauch  war,  lehren  Zeugnisse 
des  friiheren  Alterthums  und  des  fernen  Ostens.  So  wendet  in  der  Odyssee 
Odysseus  seinen  Bogen  hin  und  her,  um  zu  sehen,  ob  ihm  in  der  langen 
Abwesenheit  die  Wurmer  nicht  das  Horn  durchbohrt  haben,  und  so  besitzt 
in  der  Ilias  der  Troer  Pandarus  einen  Bogen,  den  ihm  der  xspao£oo£  TEXTCOV 
aus  den  Hornern  eines  wilden  Steinbocks  verfertigt  hat.  Auch  die  Ungarn 
werden  uns  bei  ihrem  Erscheinen  im  Abendlande  als  mit  Hornbogen  bewaffnet 
geschildert;  auf  ihren  Rennern  sitzend  und  die  Zahne  bleckend,  sandten  sie 
von  diesen  Bogeu  ihre  sichern,  auch  vergifteten  Pfeile  ab.  Im  Nibelungen- 
liede  heisst  daher  einer  von  Etzels  Manuen  nicht  ohiie  Bedeutung  Hornboge. 
[Wie  griech.  TO£OV,  lat.  taxus  zu  W.  teks,  so  scheint  griech.  ofxiXo?,  jj.iXo<;  der 
Taxusbaum,  ojjuXf)  das  Schnitzmesser  etc.  zu  einer  Wurzel  smei  kiinstlich  ver- 
fertigen  zu  gehoren,  aus  der  unser  schmieden,  geschmeide  hervorgegangen  ist. 
Ngr.  ^fxepo  eXa™  Eibe  (Heldreich,  Nutzpflanzen  S.  14).  Gegenstande  aus  dem 
Holz  des  Baumes,  wie  Bogen,  Messer,  Kamme,  Fassungen  von  Feuersteinsagen 
u.  s.  w  wurden  schon  in  den  altesten  Pfahlbauten  der  Schweiz  und  Oester- 
reichs  gefunden.  —  Die  Ostgrenze  der  Eibe  wird  genau  von  Koppen,  Holz- 
gewachse  II,  S.  378  (Beitrage  z.  Kenntniss  des  russ.  Reiches,  3.  F.  VI) 
geschildert:  »Der  Eibenbaum  findet  sich  bei  uns  wildwachsend  nur  im 
aussersten  Westen  und  Suden.  Die  Grenzlinie  seiner  Verbreitung  verlauft 
von  den  Alands-Inseln  (etwa  unter  dem  60°  n.  Br.),  durch  den  westlichen  Theil 
Estlauds  und  Livlands,  steil  nach  Suden,  ferner  durch  das  Gouvernement 
Grodno,  Wolynien,  Podolien,  und  Bessarabien  (?).  Jenseits  der  Steppe  wachst 
er  in  den  Gebirgen  der  Krim  und  des  Kaukasus.«  Hierbei  ist  das  Vorhanden- 
sein  eines  gemeiusl.  Us?  Eibe  sehr  auffallend;  denn  von  einera  »Ausweichen 
der  Bedeutung«  (vgl.  oben)  kann  man  bei  diesem  Wort  nur  hinsichtlich  des 
serb.  Us  Larche  sprechen.  Vgl.  Miklosich,  Et.  W.  Dieses  slav.  tisu  lasst  sich 
iibrigens  seines  Vocales  wegen  nicht  mit  to&v-taxus  verbinden.  Vielleicht 
vereinigt  es  sich  mit  ahd.  dihs-ala,  wenn  man  die  Deichsel  als  aus  Eibenholz 
gefertigt  auffasst,  wie  etwa  das  Joch  des  homerischen  Wagens  uo^vos  aus 
Buchsbaum  ist.  —  Dass  die  Buche  in  dem  Urland  der  Slaven  nicht  vorkam, 
beweist  die  Entlehnung  des  deutschen  Wortes  in  das  Slavische  (buky).  Die  Finnen 
nennen  den  Baum  saksan  tammi,  deutsche  Eiche,  letzteres,  tammi,  wohl  ein  ein- 
heimisches  Wort  (mordv.  tumo).  —  Zu  eibe  in  der  Bedeutung  Bogen  vgl.  iioch 
schwab.  eip  Armbrust  und  friih  nhd.  Eibeuschiitze,  Kluge,  Et.  VV.  6.  Auflage.j 


526  Anmerkuugen. 

3.  S.  15. 

Bin  Bikl  dieser  friihesten  Wagen  geben  uns  noch  heut  zu  Tage  die 
Karren  der  Nogaier,  die  sogenanuten  Arba's.  Rader  und  Achse  drehen  sicli 
zusammen;  da  sie  me  mit  Fett  oder  Theer  geschmiert  werdeu,  so  bewegen 
sie  sich  mit  einem  widrigen,  weit  durch  die  Steppe  horbaren  Aechzen.  Die 
Nogaier  sind  stolz  auf  dies  Gekreische  und  sagen:  wir  sind  keine  Diebe,  man 
hort  uns  schon  von  Weitem  (J.  von  Blaramberg,  Erinnerungen,  I,  Berlin  1872, 
S.  101).  Aehnliche  Wagen,  denen  man  die  Herknuft  aus  altester  Zeit  ansieht, 
haben  sich  auch  soust  noch  erhalten.  Als  die  Oesterreicher  im  Herbst  1878 
in  Bosnien  einruckten,  schrieb  ein  Augenzeuge  von  dort:  »Kein  bosnischer 
Bauer  hat  einen  Wagen,  an  welchem  auch  nur  ein  Loth  Eisen  ist.  Rader, 
Achsen,  Nagel  —  Alles  von  Holz  Ein  Reif,  ein  Beschlag  sind  unbekannte 
Dinge;  ein  sechsspanniger,  bosnischer  Bauernwagen  macht  ein  Geschrei,  das 
einem  auf  eine  halbe  Meile  durch  Mark  und  Bein  geht.  Dass  man  ein 
Wagenrad  schmieren  kOnne,  darauf  ist  der  Bosniak  noch  nicht  verfallen.«  — 
Gewiss  glichen  die  Wagen  der  Cimbern  bei  Verona  im  Jahre  101  vor  Chr. 
den  jetzigen  bosnischen  auf  ein  Haar. 

4.  S.  15. 

Das  Scbaf  ist  ein  altes  Kulturthier,  aber  die  Kunst  es  zu  scheeren  war 
den  friihern  Menschengeschlechtern  unbekannt;  vielmehr  wurde  die  Wolle 
mit  den  Handen  abgerissen.  Noch  im  neunzehnten  Jahrhnndert  fand  C.  J.  Graba 
(Tagebuch,  gefuhrt  auf  einer  Reise  nach  Faro  im  Jahre  1828,  Hamburg  1830) 
auf  den  entlegenen  Faroern  diese  Sitte  in  Kraft:  nachdem  er  S.  200  ff.  das 
dabei  beobachtete  Verfahren  ausfiihrlich  beschrieben,  fiigt  er  hinzu:  »Dies 
sieht  grausamer  ans,  als  es  ist,  denn  nur  diejenige  Wolle,  welche  fast  von 
selbst  ausfallt,  wird  abgerissen,  die  ubrige  bleibt  sitzen  und  wird  vierzehn 
Tage  spater  genomrnen.«  In  Italieu  war  selbst  zu  Varros  und  Plinius  Zeit 
das  Ausrupfen  noch  nicht  ganz  abgekommen,  Plin.  8,  73:  oves  non  ubique  ton- 
dentur,  durat  quibusdam  in  locis  vellendi  mos;  nach  Varro  de  r.  r.  2,  11,  9 
liessen  diejenigen,  die  die  altere  Methode  beibehalten  hatten,  die 
Thiere  drei  Tage  lang  hungern,  damit  die  Wolle  sich  leichter  ablose.  .Ta 
Varro  weiss  sogar  nach  einem  offentlichen  Document  den  Zeitpunkt  anzugeben, 
wo  aus  Sicilien  die  ersten  Schafscheerer  (natiirlich  mit  den  nothigen  kunst- 
lichen  Scheeren)  nach  Italien  kamen,  2,  11,  10:  omnino  tonsores  in  Italia  primum 
venisse  ex  Sicilia  dicunt  post  R.  c.  a.  CCCCLIIII,  ut  scriptum  in  publico  Ardeae 
in  literis  exstat,  eosque  adduxisse  P.  Ticinium  Menam.  Sie  kamen  aus  Sicilien,  d.  h. 
die  Griechen  war  auch  hierin  die  Lehrer.  Ob  in  der  epischen  Zeit  das  Schaf  schon 
geschoren  oder  ihm  die  Wolle  noch  ausgerupft  wurde,  konnte  nach  der  einen 
homerischen  Stelle,  die  darauf  Bezug  nimmt,  fraglich  scheinen,  II.  12,  415: 
<!)<;  8'  8te  itoi|ry]v  jista  cpepst  TCOXOV  aposvo^  olo?, 


Also:  Hector  hob  den  schweren  Stein   so  leicht  auf,  wie  der  Schafer  —  ent- 
weder  das  geschorene  Vliess  oder  das  Biindel  ausgerupfter  Wolle.     Aber  das 
*  Wort  TCOXO?  spricht  fur  die  zweite  der  beiden  Deutungen;  denn  das  demselben 
zu  Grunde  liegende  Verbum  irexto,  ire^at,  InEx^  und  bei  Theokrit  5,  98: 
aXX'  ^Y^  ^?  x^a^vav  H-aXaxov  TCOXOV,  6Ttic6xa  TTS^CU 
TOCV  olv  tav  irsXXav,  KpatiSa  8u>pY|aojj.at  a6r6<;  — 


Aumerkungen.  527 

1st  der  specifische  Ausdruck  fiir  carpere  lanam  im  Gegensatz  zu  xe-.petv,  xapYjvat 
scheeren,  abschneiden.  (Neben  TTEXU)  das  sinn-,  aber  wohl  nicht  lautverwandte  necxcu 
bei  Hesiod.  Op.  ed.d.775:  01?  itefxetv.  In  der  Odyssee  18,  314  ruft  Odysseus  den  Mag- 
den  zu:  Gehet  ins  Haus  zu  Eurer  Herrin  und  unterhaltet  sie;  dreht  bei  ihr  sitzend 
die  Spindel  oder  zupfet  die  Wolle  mit  den  Handen:  YJ  stpia  rcebtste  /epaiv).  —  Dem  ** 
Rupfen  und  Zupfen  liegtzugleich  dasKammen  nahe  (Kev.rs.iv,pectere,pecteri),  welches 
mit  dem  Scbeeren  nichts  gemeiu  bat.  Diese  Urbedeutung  von  TCSXEIV  wird  aufs 
schonste  durch  das  identische  litauische  Verbum  peszti  (sz  =  Jc)  bestatigt,  welches 
noch  heut  zu  Tage  raufenj  rupfen  bezeichnet.  Nicht  anders  ist  slavisch  runo  das 
Vliess  aus  ruvati  rupfen  gebildet;  dass  auch  vellus  nach  vellere  so  benannt  sei, 
hielt  Varro,  der  mehrmals  darauf  zuriickkommt,  fiir  unzweifelhaft;  Neuere  * 
freilich  trennen  beide  Worter,  indem  sie  vellus  zu  goth.  vulla,  lit.  wilna  u.  s.  w.,  ** 
vellere  aber  zuin  gothischen  vilvan  rauben  (d.  h.  eigentlich  zerren)  stellen. 
Varro  de  1.  1.  5,  8  fiihrt  auch  die  Meinung  Einiger  an,  die  Velia,  der  Neben- 
hiigel  des  Palatin,  habe  diesen  Namen  von  der  Gewohnheit  der  palatinischen 
Hirteri  ihren  Schafen  an  jenem  Orte  die  Wolle  auszuraufen  —  woraus  wir 
wenigstens  ersehen,  dass  man  sich  jene  altesten  Schafer  nicht  mit  der  Scheere 
in  der  Hand  dachte.  —  Mit  der  Wolle  der  Schafe  ging  es,  wie  mit  dem 
menschlichen  Haar  zu  Zeiten  der  Trauer.  Dass  Verzweifelnde  es  sich  aus- 
r  a  u  ft  en,  war  bei  der  leidenschaftlichen  Geberdensprache  des  Siidens  und 
des  Alterthums  in  der  Natur  gegriindet  und  so  braucht  in  solchem  Falle 
Homer  das  Verbum  tiXXstv,  uXXeaftat,  welches  ein  eigentliches  Ausraufen  be- 
sagt;  dass  in  spaterer  Zeit,  wo  das  Haar  nicht  mehr  der  Stolz  des  Mannes 
war,  Trauernde  sich  das  Haupt  und  den  Bart  schoren,  war  bloss  ein  cou- 
ventionelles  Ze'ichen  und  so  erscheint  in  andern  Partien  des  Epos  und  in  der 
spatern  Dichtersprache  statt  jenes  Ausdrucks  der  andere:  xetpetv,  xsipeo8-at.  — 
Wie  frfihe  im  Orient  die  Sitte,  das  Schaf  zu  scheeren,  sich  einfand,  wissen 
wir  nicht  genau;  auf  jeden  Fall  geschah  dies  fuher,  als  in  Griechenland.  Da 
fichon  in  den  altesten  Theilen  der  Bibel  die  Abnahme  der  Wolle  als  ein  land- 
liches  Freudenfest  erscheint,  so  hat  dies  neuern  Auslegern  Anlass  gegeben, 
an  eine  gemeinsame,  zu  bestimmter  Frist  vorgenommene  Schur  zu  denken. 
Sehr  biindig  freilich  ist  dieser  Schluss  nicht.  Man  erwage  auch,  dass  die 
Schafherden  der  Patriarchen  nicht  ausschliesslich  oder  vorzugsweise  wegen 
des  Wollertrages  gelialten  wurden,  dass  das  Schaf  vielmehr  neben  der  Milch 
hauptsachlich  dazu  bestimmt  war,  geschlachtet  und  gegessen  zu  werden  und 
sein  Fell  zur  Kleidung  und  zum  Ruhelager  abzugeben. 

5.    S.  15. 

Siehe  des  Verfassers  Schrift:  Das  Salz.  Eine  kulturhistorische  Studie. 
Berlin  1873.  Reichhaltiger  ist  das  Buch  von  M.  J.  Schleiden:  Das  Salz.  Seine 
Geschichte,  seine  Symbolik  und  seine  Bedeutung  im  Menschenleben.  Eine 
monographische  Skizze.  Leipzig  1875,  das  den  Gegenstand  von  alien  Seiten 
7Ai  fassen  sucht. 

Wir  benutzen  diese  Gelegenheit  einige  kurze  Nachtrlige  zu  unserer  soeben 
genannten  Studie  zu  geben. 

Nach  einem  Aufsatz  von  R.  Ludwig  in  dem  Archiv  fiir  Hessische  Ge- 
schichte und  Alterthumskunde,  Band  XI,  Darmstadt  1867,  S.  46ff,  war  das 
Bad  Nauheim  zwischen  Frankfurt  und  Giessen  eine  altkeltische  Saline.  Man 


528  Anmerkungen. 

hat  dort  ausser  keltischen  Silbermiinzen  und  Broncegefassen  keltischen 
Ursprungs  auch  thonerne  Topfe  zum  Salzsieden  gefunden.  Welchem  keltischen 
Volke  gehorte  dies  Salzwerk  an?  Vielleicht  den  Bojern,  da  die  Helvetier  in 
ihrer  friihern  Zeit  moglicher  Weise  bis  an  den  Main  wohnten,  doch  diesen 
Fluss  schwerlich  iiberschritten  haben.  Oder  wurde  auch  hier  mitten  im  ger- 
manischen  Lande  ein  Siedwerk  von  Kelten  zwangsweise  oder  fur  Lohn  be- 
trieben?  —  Den  Namen  der  \AXaovot  bei  PtolemJius  aus  dem  keltischen  Jialoin 
zu  deuten,  wie  wir  S.  33  mit  Zeuss  getban  haben,  ist  desshalb  bedenklich, 
well  die  Verwandlung  des  s  in  h  in  friiherer  Zeit  nur  sporadisch  auftritt  und 
erst  gegen  Ende  der  romischen  Herrschaft  allgemein  wird.  Wohl  aber  konnte 
im  Namen  der  keltischen  Salassi,  die  in  den  hochsten  Alpen  sassen,  der  Be- 
griff  des  Salzes  stecken;  dann  wurde  auch,  was  Appian  Illyr.  17  von  ihnen 
erzahlt  (sie  hatten  sich  den  Komern  wegen  Mangels  an  Salz  ergeben  mttssen ; 
spater,  als  sie  wieder  abgefallen  waren,  hatten  sie  zum  Behuf  der  Vertheidi- 
gung  eine  Menge  Salz  in  ihren  Bergen  aufgespeichert),  eine  sagenhafte,  zu 
dern  Namen  in  irgend  einer  Beziehung  stehende  Motivirung  enthalten.  —  Was 
S.  49  tiber  den  Ursprung  des  Namens  Heilsbronn  vermuthet  worden,  wird 
durch  das  in  Zeitschr.  fiir  deutsches  Alterthum,  Neue  Folge,  Band  VI,  S.  153 ff. 
Angeftihrte  widerlegt.  —  Die  Saline  Salzungen  an  der  Werra  kommt  schon 
in  einem  Diplom  Karls  des  Grossen  vom  Jahr  775  vor  (bei  Wenck,  Hessische 
Landesgeschichte,  Band  3,  Urkundenbuch  Nr.  5):  ad  Salsunga  super  fluvium 
Uuisera  ....  ubi  patellas  ad  sale  facere  ponuntur.  —  Der  Fluss  Halys  ["AXo?, 
5'AXo<;),  den  zuerst  Herodot  nennt  und  der  nach  Strabo  12,  3,  12  nach  den 
Salzquellen  benannt  ist,  an  denen  er  voriiberfliesst,  hat  die  griechische  Form 
seines  Namens  von  den  hellenischen  Ansiedlern  an  der  pontischen  Kiiste. 
Da  aber  auch  im  Armenischen,  das  schon  nach  Europa  weist,  und  in  welchem 
s  im  Anlaut  vor  Vocalen  wie  im  Griechischen  schwindet,  aX  =  sal  begegnet, 
so  kann  der  Name  des  Flusses  auch  ein  phrygisch-armenischer  sein.  [Vgl. 
neuerdings  Bugge  in  Kuhns  Zeitschrift  32,  81.]  —  Harinc,  herinc  wird  von 
Mtillenhoff  auf  unmittelbar  treffende  Weise  aus  dem  Deutschen  als  Heerfisch, 
in  Schwarrnen  ankommender  Fisch  gedeutet  (V.  Rose  im  Hermes  VIII,  1874 
S.  226).  Damit  fallt  ein  Theil  der  Schwierigkeiten  weg,  es  bleibt  aber  das 
altn.  Slid,  lit.  silke,  slav.  seldi,  das  nur  Salzfisch  bedeuten  kann.  Auch  wie  das 
Problem  von  Saale  =  Salzfluss,  Hall  =  Salzwerk  anders  gelost  werden  soil, 
als  durch  Annahme  keltischer  Lautform  fiir  das  letztere,  sehen  wir  noch 
immer  nicht  ein.  [Einige  Richtigstellungen  hierzu  habe  ich  in  einem  Nach- 
wort  zu  dem  zweiten  unveranderten  Abdruck  der  Hehnschen  Schrift:  Das 
Salz  (Berlin  1901)  gegeben.  Von  diesen  kommen  die  folgenden  hier  in  Be- 
tracht:  1)  Ahd.  hdring,  ags.  hcering  konnen  wegen  der  Lange  ihres  Stamm- 
vokals  kaum  zu  goth.  harjis,  ahd.  heri  Heer  gehoren.  Wahrscheinlich  ist  von 
einem  gerrnanischen  Stamm  *h§ro-  =  scrt.  gdrd  =  bunt,  scheckig,  altsl.  seru 
graublau  auszugehen,  so  dass  der  Haring,  wie  andere  Fische  (vgl.  z.  B.  ahd. 
forhana  Forelle:  griech.  nepxvoc  bunt),  nach  seiner  Farbung  benannt  ware. 
2.  Altn.  sild  geht  auf  eine  Grundform  *silid-  oder  *sithl-  zuriick  und  kann  daher 
keinesfalls  mit  goth.  salt  Salz,  altn.  saltr  salzig  zusammenhangen  3)  Die  auf 
deutschem  Boden  begegnenden  Worter  hal,  halhus  etc.  werden  von  alien 
neueren  Etymologen  (Kluge,  Paul,  Heyne  u.  s.  w.)  nicht  aus  dem  Keltischen 
abgeleitet,  sondern  mit  unserm  nHalle"  =  porticus  identificiert.  Doch  diirfte 


Anmerkungen.  529 

diese  ganze  Frage  einer  erneuten  Erwiigung  werth  sein.  —  In  sachlicher  Be- 
ziehung  sei  noch  darauf  hingewiesen,  dass  auf  dern  diesjahrigen  (1901)  Anthro- 
pologenkongress  zu  Metz  gezeigt  wurde,  wie  in  prahistoriseher  Zeit  das  Salz 
auch  durch  Verfliichtiguug  der  Soole  raittelst  durch  Feuer  erwarmter  Steine 
gewonnen  wurde.  Solche  Steiue  sind  aasser  in  dem  Briquetagegebiet  bei  Metz 
auch  bei  Halle  a.  S.  gefunden  worden.J 

6.    S.  16. 

Diese  unterirdischen  Wohnungen  finden  sich  in  den  verschiedenen 
Gegenden:  es  sind  die  olxot  oitavtpoi  xai  xatacmot  der  Saken  bei  Aelian,  die 
von  Xenophon  beschriebenen  oMac  xaTcq-eiot  der  Armenier,  die  demersae  in 
humum  sedes  und  specus  aut  subfossa  der  Satarchen  bei  Mela,  die  defossi  specus 
der  Skythen,  die  subterranei  specus  der  Germanen,  die  gegen  die  Kalte  von 
oben  mit  Mist  bedeckt  wareu,  abd.  und  mhd.  tune,  woher  unser  Dung,  Diinger, 
screona  in  der  lex  Salica,  altfranzosisch  escregne  u.  s.  w.  (s.  Wackernagel  bei 
Binding,  Geschichte  des  burgundisch-romanischen  Konigreichs,  1,  S.  333,  der 
das  Wort  fur  deutsch  halt  und  mit  dem  ags.  scraf  antrum  zusammenstellt 
[neuere  den  ken  vielmehr  an  ahd.  seranna  Bank]).  Griechische  Ausdriicke  fur 
solche  Erdhohlen  sind  Y"TCY1»  fD7l(*Plov  (^ei  Hesychius  und  Suidas,  Aristoph. 
Equ.  790,  altslavisch  zupiste,  zupiliste  —  cumulus,  sepulcrum,  polnisch  zupa  = 
sails  fodind),  <pioXso<;,  T«  <pu>Xea  (auch  in  der  Form  fu^so?)*  tpu>YXYj,  wovon  der 
Volksname  der  Troglodyten  am  arabischen  Meerbusen  und  am  Kaukasus  u.  s.w. 
Allmahlig  hob  sich  das  Rasendach  und  die  Hohle  unter  dem  Hause  diente 
nur  noch  zur  Winterwohnuug  und  zum  Aufenthalt  der  Weiber.  Doch  hat  sich 
jene  alteste  Sitte  noch  hin  und  wieder  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten, 
und  der  Fremdling,  der  sich  einem'  solchen  Dorfe  nahert,  halt  die  kaum 
erhobenen  Dacher  fiir  natiirliche  Aufschiittungen  des  Bodens.  Wo  in  Russ- 
land  Erdarbeiten  vorgenommen  werden,  z.  B.  bei  Fuhrung  einer  Eisenbahn, 
da  ist  das  erste  der  Bau  solcher  Hohlen :  ein  trichterformiges  Loch,  Stufen  zur 
Seite,  dariiber  Baumstamme  mit  Rasen  belegt  und  die  Wohnung  ist  fertig. 
Die  walaehischen  Bauernhiitten,  die  sog.  bordeitz,  haben  einen  schrag  geueigten 
Eingang;  im  Innern  findet  sich  zuweilen,  doch  selten,  ein  Fenster,  das  mit 
einem  Stiick  Papier  verklebt  ist  und  nur  wenig  Licht  einlasst.  Gegen  Ende 
des  Herbstes  werden  alle  Ritzen  verstopft,  Thiiren  von  Flechtwerk  angebracht 
und  uuterirdische  Stalle  gegraben  (s.  dariiber  das  unterrichtende  Buch  von 
C.  Allard,  La  Bulgarie  orientale,  Paris  1864).  Der  Mangel  an  Liiftung  rnacht 
diese  troglodytischen  Behausungen  zu  einem  ganz  unertraglichen  Aufenthalt; 
die  dariri  herrschende  stinkende  und  erstickende  Atmosphare  treibt  selbst  die 
stumpfen  Bewohner  zuweilen  in  die  Winterkalte  hinaus.  Dazu  die  e£tsetzliche 
Flohnoth,  iiber  die  alle  Reisenden,  hier  wie  durch  ganz  Sibirien  klagen.  Die  Flohe 
zwingeii  buchstablich  auch  den  Eingeborenen ,  wenn  die  Jahreszeit  es  irgend 
erlaubt,  draussen  zu  schlafen,  die  Hauptursache  der  haufigen  Wechselfieber. 
Die  Insekten  besetzen  die  unterirdische  Wand  oft  so  dicht,  dass  diese  wie 
mit  einem  schwarzen  Schimmer  iiberzogen  erscheint.  In  den  primitiven 
Zeiten  und  mehr  nach  Norden  hin,  wo  die  Winter  lang  sind  (z.  B.  in  Scandi- 
navien,  ehe  die  siidliche  Kultur  bis  dahin  drang),  mussten  die  gleichen  Um- 
stande  in  demselben  oder  in  erhohtem  Masse  wirken,  und  wer  sich  die  Vor- 
zeit  vergegenwartigen  will,  wird  gut  thun,  diese  Zuge  des  Bildes  nicht  ausser 

Viet.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  34 


530  AnmerkuDgen. 

Acht  zu  lassen.  Und  hier  sei  es  uns  erlaubt,  noch  einer  andern  Wohlthat  der 
Kultur  zu  gedenken.  Die  sibirischen  Reisenden,  von  Pallas  und  Humboldt 
bis  auf  die  neuesten  herab,  sind  einstimmig  in  Schilderung  der  Qualen,  die 
ihnen  die  im  Sommer  die  Luft  erfiillenden  und  Menschen  und  Thiere  an- 
fallenden  Miicken,  Schnaken,  Ranker,  Stechfliegen,  Bremsen  u.  s.  w.  bereiteten 
(z.  B.  von  Middendorff,  Sibirische  Reise,  Band  4,  S.  830 ff.).  Sich  gegeu  diese 
Blutsauger  zu  vertheidigen,  ist  unmoglich;  es  giebt  nur  eiu  Mittel  gegen  sie: 
ihnen  den  Boden  der  Existenz  entzieheu,  d.  h.  Entsurapfung  uud  Entwaldung. 
Deutschland  war  vor  der  Romerzeit  in  dieser  Beziehung  sicher  dem  heutigen 
Sibirien  ganz  gleich  (Middendorff  a.  a.  O.:  »Es  kann  keinem  Zweifel  unter- 
liegen,  dass  unsere  Altvordern  auch  im  Kerne  Europas  denselben  Qualen  aus- 
gesetzt  gewesen  seien,  welche  den  Reisenden  in  alien  Urgegenden  so  unaus- 
stehlich  peinigen.«  »Den  Zweifler  daran,  ob  die  Kultur  der  Menschheit  wirk- 
lich  zuni  Vortheil  gereicbt  babe,  schicke  man  in  die  Urnatur  zu  den  Moskitos.« 
»Die  Moskitoplage  ist  offenbar  die  Hauptursache  der  Wanderungen  der  Renn- 
thiere  und  des  Rothwildes«).  Zwar  wird  die  Haut  der  alten  Deutscben  gegen 
Insektenstiche  innerhalb  und  ausserbalb  des  Hauses  viel  abgeharteter  gewesen 
sein  als  die  des  jetzigen  gebildeten  Europaers,  aber  wo  die  Haut  unempfind- 
lich  ist,  da  ist  es  auch  Geist  und  Seele.  [Sicherer  als  init  altsl.  &upa,  uber 
das  Miklosich,  Etym.  Worterbuch  S  413,  vergleicht  sich  forca,  das  neben  unter- 
irdischer  Wohnung  auch  Hiitte,  Geinach  bedeutet,  mit  altn.  kofi  Hiitte,  ags. 
cofa  Gemach,  mhd.  kobe  Stall,  unserem  kofen,  koben.] 

7.  S.  16. 

Dass  die  germanische  Sitte,  den  Schadel  des  erlegten  Feindes  zum  Trink- 
gefass  zu  machen,  nicht  etwa  von  den  skythischen  oder  spater  den  turkischen 
Nachbarn  im  Osten  stamme,  wird  durch  den  gleichen  Gebrauch  bei  den 
Kelten  in  friiher,  vorgermanischer  Zeit  bewiesen.  Die  Bojer  in  Oberitalien 
verfahren  so  mit  dem  Kopfe  des  gefallenen  romischen  Konsuls  Postumius' 
Liv.  23,  24:  purgato  inde  capite,  ut  mos  Us  est,  calvam  auro  caelavere  idque 
sacrum  vas  Us  erat,  quo  sollemnibus  libarent  poculumque  idem  sacerdoti  esset  ac 
templi  antistibus.  und  von  der  Vorzeit  der  keltischen  Scordisker  in  Illyrien 
braucht  Amm.  Marc.  27,  4  die  Worte:  humanum  sanguinem  in  ossibus  capitum 
cavis  bibentes  avidius. 

8.  S.  16. 

Der  Brauch,  Greise  aus  der  Welt  zu  schaffen,  herrschte  bei  Germanen 
<les  Festlandes  und  Scandinaviens,  bei  Wenden,  Litauern  und  —  Romern. 
s.  Grimm  RA.,  Cap.  4  am  Schluss  des  ersten  Bandes.  Auch  von  iranischen 
Volkern  wird  Aehnliches  berichtet,  so  von  den  Bactrern  (Strab.  11,  11,  3), 
von  den  Kaspiern  (11,  11,  8),  den  Massageten  (11,  8,  6)  u.  s.  w.  [Dasselbe 
gilt  von  dem  vedischen  Alterthum,  Zimmer,  Altind.  Leben  S.  328,  doch  vgl. 
dazu  0.  Bohtlingk  in  den  Berichten  der  phil.-hist.  Kl.  der  Kgl.  sachsischen 
Ges.  d.  W.  z.  Leipzig,  Sitzung  vom  15.  Dez.  1900.]  Das  Greisenalter,  Y^Pa?» 
ist  unertraglich  und  selbst  die  Go'tter  hassen  es,  hymn,  in  Yen.  247: 

o&XojJievov,  uajxaTYjpov,  o  is  OTDYEOOOI  •fteot  nsp. 

Der  Greis  selbst  wiinscht  sich  hinwreg  und  bittet  die  Seinigen  ihn  abzuthun. 
NaturvOlker  sind  nicht  sentimental,  wie  auch  heutige  Bauern  nicht,  und  der 


Anmerkungen.  531 

Tod  eines  Verwaudten,  der  Gedanke  des  eigenen  Todes  lasst  sie  gleichgiiltig. 
Was  Herodot  5,  4  von  dem  thrakischen  Volke  der  Trauser  erzahlt,  sie  beklagten 
das  Neugeborene,  da  ihrn  die  Leiden  des  Lebens  noch  bevorstiinden  ,  und 
priesen  den  Tod  als  Befreiung  von  denselben,  und  was  Theognis  v.  425  ff., 
sowie  Euripides  in  der  beriihmten  Stelle  aus  dem  Kresphontes  ausdriickte 
(Nauck,  Euripidis  fragmenta,  Lipsiae  1869,  no.  452): 

s^p-yjv  Y«p  "^IJJ-a?  ooXXofov  TTOIODJAEVOD? 

TOV  cpovTa  •8-pYjverv  ei$  6V  ep^stai  xav.a, 

TOV  8'au  ^avovta  xal  TCOVUW  iceTiaujj-evov 

^atpovtrx?  £5cpf][io5vTa£  IxitljiTtstv  BOJJLOUV  — 

—  dies  ist  im  Grunde  die  Anschauung  aller  Volker  auf  einer  gewissen  Ent- 
wickelungsstufe  der  erwachten  Reflexion.  Ein  Schritt  weiter  ist  es  dann,  sich 
mit  einem  bessern  Leben  jenseits  des  Todes  zu  trosten,  unter  Wegdenkung 
aller  Schranken  der  Endlichkeit,  wie  die  Geten  thaten,  die  Herodot  oi 
nennt. 


9.    S.  16. 

Die  Sitte  der  Menschenopfer  und  grausamer  Todtenbestattung  blickt  bei 
alien  indoeuropaischen  Stammen  unheimlieh  aus  dem  Dunkel  ihrer  Vorzeit 
hervor  und  schwindet  wie  jeder  religiose  Wahn  nur  allmahlig  je  nach  der 
erreichten  Stufe  der  Menschlichkeit  oder  der  Beriihrung  mit  gereifteren 
Volkern.  Was  die  Griechen  und  Roiner  betrifft,  so  beziehen  wir  uns  in  dieser 
Hinsicht  auf  die  reichhaltigen  Sammlungen  in  der  Schrift  von  E.  v.  Lasaulx: 
die  Stihnopfer  der  Griechen  und  Romer  (in  den  Studien  des  klassischen 
Alterthums,  Regensburg  1854,  4°,  S.  233  ff)  und  auf  Welcker,  Gr.  Gotterlehre, 
2,  S.  769  ff.  Auch  fiir  die  nordischen  Volker  liegen  zahlreicbe  Zeugnisse  vor, 
die,  je  weiter  von  Westen  nach  Nordosten,  in  immer  spatere  Zeit  hinabreichen. 
Als  Alexander  der  Grosse  gegen  die  Taulantier,  ein  illyrisches  Volk,  und  ihre 
Nachbaren  auriickte,  schlachteten  diese,  bevor  sie  die  Waffen  erhoben,  drei 
Knaben  und  ebenso  viel  Madchen  und  drei  schwarze  Widder  (Arrian.  1,  5,  11). 
Die  keltischen  Skordisker  opfern  die  gefangenen  Feinde  ihren  barbarischen 
Gottern,  Amm.  Marc.  27,  4:  Scordisci,  saevi  quondam  et  truces,  hostiis  captivorum 
Bdlonae  litanies  et  Marti  .  .  .  Eben  so  thun  die  Galater  in  Kleinasieu;  der 
Proconsul  Cn.  Manlius  sagt  in  seiner  Rede  im  Senat,  Liv.  38,  47,  die  um- 
wohnenden  Volker  seien  von  ihren  Verheerungsziigen  betroffen  worden,  quum 
vix  redimendi  captivos  copia  esset  et  mactatas  humanas  hostias  immolatosque  liberos 
suos  audirent.  Von  den  Galliern  im  eigentlichen  Gallien  berichtet  Casar  andert- 
halb  Jahrhunderte  spater,  de  b.  g.  6,  16:  Qui  sunt  affecti  gravioribus  morbis 
quique  in  proeliis  periculisque  versantur,  out  pro  victimis  homines  immolant  out 
se  immolaturos  vovent  administrisque  ad  ea  sacrificia  druidibus  utuntur,  quod, 
pro  vita  hominis  nisi  hominis  vita  reddatur,  non  posse  deorum  immortalium  numen 
placari  arbitrantur  publiceque  ejusdem  generis  habent  instituta  sacrificia,  und  Mela 
bestatigt  dies  mit  dem  Ausdruck  des  Schauders,  3,  2,  3:  gentes  superbae,  super- 
stitiosae,  aliquando  etiam  immanes  adeo,  ut  hominem  optimum  et  gratissimam 
Diis  victimam  caederent.  Denselben  rnordsiichtigen  Glauben  finden  wir  bei 
den  Germanen,  Tac.  Germ.  9:  Deorum  maxime  Mercurium  colunt,  cui  certis 
diebus  humanis  quoque  hostiis  litare  fas  habent:  39:  stato  tempore  in  silvam  .  .  . 
coeunt  cacsoque  publice  liomine  celebrant  barbari  ritus  horrenda  primordia.  Jord.  5: 

34* 


532  Aumerkungen. 

Quern  Martem  Gothi  semper  asperrima  placavere  cultura  (nam  victimae  ejus 
mortes  fuere  captorum),  opinantes ,  bellorum  praesulem  apte  humani  sanguinis 
effusione  placandum.  Procop.  de  b.  g.  2,  15:  TU>V  Be  lepeuov  ocpiot  to 

eattv,  ovitsp  5v  SoptdXco-tov  7roff]acavTO  rcpuvcov  TOOTOV  f&p  Ta>vApe'. 
a&tov  vojuCooai  jieYwcov  elvat  (ol  9ooXiTou).  Als  die  Romer  unter  Germanicus 
das  Schlachtfeld  betraten,  auf  dem  die  Legionen  des  Varus  von  den  Barbaren 
umzingelt  worden  waren,  da  lagen  noch  die  Glieder  der  Pferde  umher,  auf 
Baumstammen  staken  .deren  Ktfpfe,  in  den  nahen  Hainen  standen  noch  die 
Altare,  an  denen  die  Kriegstribunen  und  obersteu  Centurionen  geschlachtet 
worden;  einige  Ueberlebende  zeigten  die  Statten  der  Galgen,  an  denen  die 
Soldaten  aufgehangt,  die  Gruben,  in  denen  die  Leichname  verscharrt  worden 
waren  u.  s.  w.  (Tac.  Ann.  1,  61).  Nach  der  wiithenden  Schlacht  zwischen 
Chatten  und  Hermunduren,  von  der  bei  Tacitus  Ann.  13,  57  die  Rede  ist 
und  in  welcber  die  Ersteren  unterlagen,  wurde  alles  lebend  Ergriffene  nach 
den  Worten  des  Geschichtsscbreibers  der  Vernichtung  geweiht,  occisioni  dantur. 
Aus  dem  Zucken  der  Muskelfasern,  dem  Sprudeln  des  Blutes  im  Opferkessel, 
der  Lage  der  Eingeweide  wurde  sogleich  von  den  Wahrsagerinnen  das 
komraende  Schicksal  gedeutet.  So  bei  den  Cimbern,  Strab.  7,  2,  3:  »In  Be- 
gleitung  ihrer  Weiber  befanden  sich  heilige  Prophetinnen,  graubaarig,  weiss 
angethan,  in  linnenen  spangenbefestigten  Umwtirfen,  mit  ehernem  Gttrtel, 
barfiissig;  diese  ergriffen  mit  dem  Schwert  in  der  Hand  die  Gefangenen  im 
Lager,  fuhrten  sie  in  der  Opferverhiillung  zn  einem  grossen  etwa  zwanzig 
Ainphoren  fassenden  ehernen  Kessel,  stiegen  die  Stufen  binan,  die  zu  ihm 
hinauffiihrten,  und  schnitten  hinubergebeugt  jedem  Gefangenen  die  Kehle  ab: 
aus  dem  in  den  Kessel  hinabstromenden  Blute  weissagten  sie,  wahrend  Andere 
die  Leiber  aufschnitten  und  aus  den  Eingeweiden  den  Sieg  verkiindigten.« 
Auch  bei  den  Scandinaviern  waren  Menschenopfer  im  grossen  Stil  im  Scbwange. 
Die  Danen  feierten  alle  neun  Jahr,  wie  Thietmar  von  Merseburg  berichtet, 
in  ihrer  Hauptstadt  Lethra  ein  grosses  Opferfest,  bei  dem  neunnndneunzig 
Menschen  und  ebenso  viel  Pferde  geschlachtet  wurden ;  dies  thaten  sie,  wie 
Thietmar  erlautert,  um  sich  vor  den  Rachegottern  von  aller  Schuld  zu  reinigen : 
^utantes,  hos  eisdem  erga  inferos  servituros  et  commissa  crimina  apud  eosdem 
placaturos.  Dieselbe  Bedeutung  eines  stellvertretenden  Siihnopfers  hatte  wohl 
auch  das  ganz  ahnliche  grosse  Fest,  das  die  Schweden  nach  Adam  von 
Bremen  4,  27,  alle  neun  Jahre  in  Upsala  begingen:  dort  wurden  von  allem 
Mannlichen  neun  Kopfe  dargebracht,  die  Korper  aber  im  nahen  Hain  an 
Baumen  aufgehangt  und  der  Verwesung  iiberlassen  und  Menschen  und  Hunde 
hingen  dort  zusarnmen  —  das  Scholion  137  setzt  noch  berichtigend  oder 
erganzend  hinzu:'»neun  Tage  lang  opfern  sie  jeden  Tag  einen  Menschen 
nebst  anderen  Geschopfeu,  so  dass  es  in  neun  Tagen  72  Geschopfe  werden; 
dies  Opfer  findet  um  die  Fruhlingsnachtgleiche  statt.«  In  schweren  Landes- 
no'then  oder  zum  Ausdruck  besonderen  Dankes  wurden  den  Gottern  auch 
ausserordentlicher  Weise  Menschenleben  dargebracht,  wie  die  altnordische 
Sagengeschichte  lelirt  (Grimm  DM,  Kapitel  Gottesdienst).  Auf  der  gegeniiber- 
liegenden  Kiiste  der  Ostsee,  in  Estland,  d.  h.  bei  den  Preussen,  sah  es  nicht 
anders  aus,  Adam.  Br.  de  situ  Daniae  224:  Dracones  adorant  cum  volucribus, 
quibus  etiam  vivos  libant  homines,  quos  a  mercatoribus  emunt,  diligenter  omnino 
probalos,  ne  maculam  in  corpore  habeant.  —  Ebenso  allgemein,  wie  diese 


Anmerkungen.  533 

religiose  Sitte,  war  die  andere,  ihr  verwandte,  am  Scheiterhaufen  Verstorbeuer 
Frauen,  Knechte,  Gefangene,  Pferde  abzuschlachten.  Achilleus  im  23.  Buch 
der  Ilias  opfert  dem  Schatteu  des  Fatroklos  Posse,  Hunde  und  zwolf  junge 
Trojaner,  die  er  sich  selbst  zu  diesem  Zweck  lebend  gefangen  hat,  und  auf 
seinem  eigenen  Grabe  wird  spater  die  PolyxeDa  geopfert,  wie  in  der  'IXloo 
TCepot?  des  Arctinus  zu  lesen  stand.  Bei  den  Galliern  wurden  noch  kurz  vor 
Casars  Zeit  Knechte  und  Schiitzlinge,  die  dem  Herrn  besonders  lieb  gewesen 
wareu,  mit  ihm  verbrannt,  de  b.  g.  6|  19:  paulo  supra  hanc  memoriam  servi  et 
clientes,  quos  ab  Us  dilectos  esse  constdbat,  justis  funeribus  confectis  una  crema- 
bantur,  und  Verwandte  sprangen  auf  den  brennenden  Holzstoss,  urn  sich  mit 
dem  Todten  zu  vereinigen,  Mela  3,  2,  3:  olim  —  erant  qui  se  in  rogos  suorum, 
velut  una  victuri,  libenter  immitterent.  Bei  gewissen  Thrakern  drangten  sich 
die  Frauen  des  Verstorbenen  zu  der  Ehre,  an  seiner  Gruft  geschlachtet  zu 
werdeu  —  wie  Herodot  5,  5  erzahlt:  diejenige,  der  es  gelingt,  so  fur  die  ge- 
liebteste  erachtet  zu  werden,  wird  von  Allen  gepriesen  und  mit  dem  Manne 
begraben,  die  iibrigen  aber  bejammern  ihr  Loos  und  tragen  grosse  Schande. 
Dasselbe  in  noch  ausfiihrlicherer  Schilderung  berichtet  Mela  2,  2,  4  als  all- 
gemein  thrakische  Sitte.  Bei  den  Herulern  (und  also  wohl  auch  den  ihnen 
naher  verwandten  Nachbarvolkern  an  der  Ostsee)  erhangt  sich  die  Frau  am 
Grabe  ihres  Gatten  mit  einer  Schlinge:  die  dies  unterlassen  wollte,  wiirde 
sich  ewiger  Schmach  und  zugleich  dem  Basse  der  Verwandten  ihres  ver- 
storbenen  Maunes  aussetzen  (Procop.  de  b.  g.  2,  14).  Bekannt  sind  die  grau- 
samen  Begrabnisse  der  Sky  then  bei  Herodot  4,  71  und  72:  wenn  der  Konig 
gestorben  ist,  wird  eine  der  Beischlaferinnen  erdrosselt  und  mitbegraben, 
ebenso  der  Mundschenk  und  der  Koch,  und  der  Marschalk  und  der  Leib- 
koch  und  der  Bote  und  die  Pferde  u.  s.  w.,  urns  Jahr  aber  werden  ebenso 
ftinfzig  Diener,  die  der  Konig  aus  der  Zahl  seiner  Unterthanen  sich  gewahlt 
hatte  —  denn  gekaufte  giebt  es  bei  ihnen  nicht  — ,  erwiirgt  und  ebenso  fiinf- 
zig  der  schonsten  Pferde.  Auch  bei  den  Slaven  wird  die  Fran  mit  dem  ver- 
storbenen  Manne  verbrannt,  wie  der  h.  Bonifacius  und  spater  Thietmar  iiber- 
einstimmend  melden ,  Brief  des  Bonifacius  und  anderer  Biscbofe  an  den 
Konig  Aethilbald  von  Mercia  (zwischen  den  Jahren  744  uud  747,  bei  .TafFe, 
Monumenta  Moguntina  p.  172):  Winedi,  quod  est  foedissimum  et  deterrimum 
genus  hominum,  tarn  magno  zelo  matrimonii  amorem  mutuum  observant,  ut  mutter, 
viro  propio  rnortuo,  vivere  recuset.  Et  laudabilis  mutter  inter  illos  esse  judicatur, 
quiapropria  manu  sibi  mortem  intulit  et  in  una  strue  pariter  ardeat  cum  viro 
suo;  Thietmar  von  Merseburg  8,  2  von  den  Polen:  In  tempore  patris  sui  (d.  h. 
des  Vaters  von  Boles] a v  Chrabry),  cum  is  jam  gentilis  esset,  unaquaeque  mutter 
post  viri  exequias  sui  igne  cremati  decollata  subsequitur.  Auch  die  Preussen 
gaben  dem  Todten  Pferde,  Knechte  und  Magde,  Jagdhunde  u.  s.  w.  mit, 
Petrus  von  Dusburg.  3,  5  (Scriptores  rerum  prussicarum  I  p.  54):  unde  con- 
tingebat  quod  cum  nobilibus  mortuis  arma,  equi,  servi  et  ancillae,  vestes,  canes 
venatici  et  aves  rappaces  et  alia  quae  spectant  ad  militiam  urerentur,  und  sie 
miissen  bei  ihrer  Bekehrung  versprechen,  dass  -sie  bei  Todtenbestattungen 
in  Zukuuft  keine  Pferde  oder  Menschen  mehr  mitverbrennen  oder  mitbe- 
graben wollen,  Dreger  Cod.  Pomeran.  diplom.  no.  191,  vom  Jahre  1249, 
Friedensvergleich  zwischen  dem  deutschen  Orden  und  den  Preussen:  promise- 
runt  quod  ipsi  et  heredes  eorum  in  mortuis  comburendis  vel  subterrandis 


534  Aumerkuugen. 

cum  equis  sive  hominibus  vel  cum  armis  sen  vestibus  vel  quibuseumque  aliis 
preciosis  rebus  vel  etiam  in  aliis  quibuseumque  ritus  gentilium  de  cetero  non 
servabunt.  Aber  Gedimin,  der  Grossfiirst  des  mehr  ostlich  gelegenen  Litauen, 
wo  sich  das  Heidenthum  und  uberhaupt  die  europaische  Vorzeit  am  langsten 
erhielt,  wurde  noch  gegen  das  Jahr  1341,  also  zur  Zeit  Petrarcas  und  der  be- 
ginnenden  Renaissance,  folgendermasseri  bestattet  (Stryjkowski,  Kronika 
polska,  Ende  des  XL  Buches):  »Es  wurde  ein  Scheiterhaufe  von  Fichtenbolz 
errichtet  und  darauf  der  Leichnam  gelegt,  in  den  Kleidern,  die  der  Lebende 
am  meisten  geliebt  hatte,  mit  dem  Sabel,  dem  Speer,  dem  Koeher  und  Bogen. 
Dann  wurden  je  zwei  Falken  und  Jagdhunde,  ein  gesatteltes  lebendiges  Pferd 
und  der  getreueste  Lieblingsdiener  unter  Wehklagen  der  umstehenden  Krieger- 
schaar  mitverbrannt.  In  die  Flamme  wurden  Luchs-  und  Barenkrallen  ge- 
worfen,  sowie  ein  Theil  der  dem  Feinde  abgenommenen  Beute,  endlich  auch 
drei  gefangene  deutsche  Ritter  lebendig  verbrannt.  Nachdem  die  Flamme 
erloscheu  war,  wurde  die  Asche  und  das  Gebein  des  Fiirsten ,  des  Dieners, 
des  Pferdes,  der  Hunde  u  s.  w.  gesammelt  und  in  einern  Grabe  an  der  Stelle, 
wo  die  Fliisschen  Wilna  und  Wilia  zusammenfliessen ,  niedergelegt  und  mit 
Erde  bedeckt.«  Ueber  den  Leichenbrauch  der  scandinavischen  Germanen  be- 
lehrt  uns  die  Edda  im  dritten  Lied  von  Sigurd  dera  Fafnirstodter:  Brunhild 
giebt  sich  nach  Sigurds  Ermordung  selbst  den  Tod  und  ordnet  sterbend  an 
(nach  Simrocks  Uebersetzung) : 

Dem  Hunengebieter 

Breunt  zur  Seite 

Meine  Knechte  mit  kostbaren 

Ketten  geschmuckt: 

Zwei  zu  Haupten 

Und  zu  den  Fiissen, 

Dazu  zwei  Hunde 

Und  der  Habichte  zwei. 

Also  ist  Alles 

Eben  vertheilt. 
Dies  war  das  Todtengefolge  fur  Sigurd,  fiir  sich  selbst  verlangt  sie: 

Ihm  folgen  mit  mir 

Der  Magde  fiinf,  ,    . 

Dazu  acht  Knechte 

Edeln  Geschlechts, 

Meine  Milchbriider 

Mit  mir  erwachsen, 

Die  seinem  Kinde 

Budli  geschenkt. 

Wie  es  die  Ost-Scandinavier  hielten,  die  unter  dem  Namen  Russen  den  Osten 
Europas  als  Krieger,  Rauber  und  Herrscher  durchzogen  uud  unterwarfeo,  er- 
sehen  wir  aus  zwei  Meldungen,  die  eine  eines  Byzantiners,  die  andere  eines 
Arabers,  beide  um  so  wichtiger,  als  sie  dem  zehnten  Jahrhundert  angehoren, 
bis  wohin  unsere  iibrigen  Quellen  nicht  reichen.  Leo  Diac.  ed.  Hase  9,  6 
p.  92:  Die  Russen  unter  Swietoslav  in  Dorostolum  eingeschlossen,  liefern  den 
Griechen  auf  dem  Felde  vor  den  Mauern  haufige  Gefechte.  Einst,  als  wieder 
ein  solcher  Kampf  stattgefunden  hat,  in  welchem  Ikmor,  der  zweite  im  Range 


Anmerkungen.  535 

nach  Swietoslav,  getodtet  worden,  sammeln  die  Barbaren  Nachts  bei  Vollmond 
die  Leichname  und  verbrennen  sie  auf  Scheiterhaufen,  wahrend  auf  denselben 
zugleich  nach  vaterlicher  Sitte  (xaia  tov  rcdtpiov  VOJJLOV)  die  meisten  der  Kriegs- 
gefangenen,  Manner  und  Weiber,  geschlachtet  werden.  Sie  bringen  dazu  auch 
Todtenopfer  (evaytofxoo?),  indera  sie  auf  der  Donau  Sauglinge  und  Hahne  er- 
wiirgen  und  sie  dann  im  Strom  versenken.  Noch  ausfiihrlicher  ist  die  Be- 
schreibung,  die  der  Araber  Ibn-Foszlan  bei  Frahn  S.  13  ff.  von  einem  russischen 
Leichenbegangniss  giebt,  dem  er  im  Jahre  921  oder  922  als  Augenzeuge  bei- 
\vohnte.  Ein  Hauptliug  war  gestorben  und  eins  seiner  Madchen,  das  sich 
meldete,  starb  mit  ihm.  Der  Todte  ward  auf  dem  Schiff  in  halbsitzender 
Stellung  auf  einem  Ruhebett  niedergelegt,  ein  Hund  in  zwei  Theile  zerschnitten 
und  ins  Schiff  geworfen,  alle  Waffen  des  Todten  ihm  beigegeben,  zwei  Pferde 
/erhauen  und  die  Stiicke  ins  Schiff  geworfen,  eben  so  zwei  Ochsen  u.  s.  w. 
Wahrend  das  Madchen  von  den  Mannern  mit  einem  Strick  erdrosselt  wurde, 
staoh  ihr  gleichzeitig  ein  altes  Weib,  das  sie  den  Todesengel  nennen,  mit 
einem  Messer  ins  Herz,  drauf  warden  beide  Leichname  mit  den  Beigaben 
verbrannt.  Wahrend  des  Abschlachtens  rnachten  die  Manner  mit  ihren 
Schilden  ein  Getose,  um  das  Todesgeschrei  des  Madchens  zu  iibertonen, 
welches  andere  Madchen  in  ahnliohern  Falle  hatte  abgeneigt  machen  konnen, 
sich  mit  ihrem  Herrn  wiederzuvereinigen.  Vor  dem  Tode  hatte  sie  ihre  beiden 
Armbander  abgezogen  und  sie  dem  Todesengel  gegeben  (der  Araber  nennt 
dies  alte  Weib  einen  »Teufel  mit  flnstrem,  grimmigen  Blick«,  s.  oben  die 
grauhaarigen  Prophetinnen  der  Cimbern),  eben  so  ihre  beiden  Beinringe  und 
sie  zwei  ihr  dienenden  Madchen,  den  Tochtern  der  alten  Morderin,  gereicht 
u.  s.  w.  Wir  iibergehen  die  iibrigeii  Einzelheiten,  die  diesen  Bericht  zu  einem 
der  kostbarsten  Denkmale  des  friihen  nordischen  Alterthums  machen.  J.  Grimm 
freilich  (in  seiner  Schrift  iiber  Leichenverbrennung)  geht  widerwillig  an  dieser 
Erzahlung  vorbei,  die  ihm  seine  Kreise  stort:  der  Schopfer  der  deutschen 
Alterthumskunde  war  trotz  Allem  ein  Zogling  der  romantischen  Zeit  und  sein 
Absehen,  im  Gegensatz  zum  achtzehnten  Jahrhundert,  hauptsachlich  darauf 
gerichtet,  in  der  nationalen  Vorzeit  die  Ziige  tiefen  Sinnes  aufzudecken.  — 
Die  obigen  Belegstellen  liessen  sich  noch  vermehren,  doch  reichen  die  gege- 
benen  hin,  die  Allgemeinheit  dieser  Sitte  und  ihr  hohes  Alterthum  zu  be- 
weisen.  Wenn  wir  heut  zu  Tage  die  Stein-  oder  Erdgrufte  der  europaischen 
Urzeit  aufwiihlen  und  ihren  Moder  auseinanderschiitten,  so  pflegen  wir  nicht 
daran  zu  denken,  wie  viel  Grauel,  wie  viel  Angst  und  Entsetzen  vergangener 
Tage  hier  an  jedem  Staubchen  haften !  Nichts  aber  fuhrt  tiefer  ein  in  die 
Gemiithsart  jener  friihen  Menschengeschlechter  und  die  finstre  Gefangenschaft 
ihres  Geistes,  als  das  Bild  dieser  Frauen,  die  wetteifernd  sich  zum  Feuertode 
drangen  mils  sen,  der  Diener,  die  zu  Dutzenden  dem  Herrn  mitgegeben,  der 
zappelnden  Gefangenen,  die  im  diistern  Walde  oder  iiber  dem  grossen  Kessel 
geschlachtet  werden.  In  Gallien  war  der  Mord  bei  Leichenbegangnissen 
schon  vor  der  Ankunft  der  Romer  ausser  Uebung  gekoramen  —  durch  die 
Macht  zunehmender  Bildung  — ,  aber  die  religiosen  Menschenopfer  mussten 
erst  durch  strenge  Verbote  der  romischen  Kaiser  ausgerottet  werden,  Suet. 
Claud.  25:  Druidarum  religionem  apud  Gallos  dirae  immanitatis  ....  penitus 
abolevit.  In  fesselnder  Weise  malt  uns  Tacitus  die  Scene  bei  Eroberung  der 
Insel  Mona  an  der  britannischen  Kiiste  (des  heutigen  Anglesea),  in  deren 


536  Anmerkimgen. 

heiligem  Hain  die  Gefangenen  bluteten,  ganz  wie  iin  Heiligthum  der  Nerthus 
oder  im  Teutoburger-Walde  nach  der  Varus-Scblacht:  das  Ufer  war  mit  einer 
bewaffneten  Menge  dicht  besetzt,  weibliche  Furien,  in  die  Farbe  des  Todes 
gekleidet,  rait  fliegendem  Haar,  schwangen  bin-  und  herstreifend  die  Fackel 
in  den  Handen,  die  Druiden  heulten  mit  erbobenen  Armen  zum  Himmel  auf 

—  Alles  vergebens,   die  Romer  erzwangen  die  Landung  und  fallten  die  ge- 
weihten     Baume,      die     Zeugen     blutiger     Mysterien      seit     Jabrhunderten, 
Ann.  14,  30:  excisique  luci,  saevis  superstitionibus  sacri,  nam  cruore  captivo  adolere 
aras  et  hominum  fibris  consulere  deos  fas  habebant.     Dass  die  blutigen  Begrab- 
nisse  in  Gallien  von  selbst  abkamen ,  die  religiosen  Menschenopfer  aber  nur 
der  Gewalt  wichen,   beweist,  wie  viel  leichter  das  populare  Herkomraen  bei 
steigendem  Licbte    sich    auf  lost,    als    der  Wahnwitz  der  durch  einen  festen 
Priesterstand    bewachten    Glaubenssatzung.      Bei    den    Germanen,    Litauern, 
Wenden  war  es  erst  das  Christenthum,   das  der  letztern  ein   Ende  machte: 
wenn  man  sich  bisweilen  versucht  fiihlt,  den   plOtzlichen  Abbruch   der  orga- 
nischen  Entwickelungnaturfrischer  Volker  durch  dieBekehrung  zum  semitischen 
Christenthum  zu  bedauern,  so  darf  man  sich  nur  solcher  Ziige  des  heidnischen 
Lebens  erinneru,  um  sich  mit  dessen  unvermitteltem  Untergang  zu  versohnen. 

—  Wir  fugen  noch  hinzu,  dass  auch  jedes  erste  Beginnen,  jede  Unternehrnung 
und  Grfindung  Menschenblut  verlangte,   als  Biirgschaft  des  Erfolgs   oder  der 
Dauer,  ebenso  jedes  Geheimniss,   denn   imr  der  Tod    ist  vollig  stumm.     Als 
die  Sachsen  sich  gezwungen- sahen,  die  Westkiiste  Galliens  zu  verlassen  und 
nach  Hanse  zu  schiffen ,  da  wurde  der  Sitte  gemass  jeder  zehnte  Gefangene 
grausam  umgebracht  und  dann  erst  der  Anker  gelichtet,  Sidon.  Apoll.  Ep.  8,  6: 
mos  est  remeaturis  decimum  quemque  captorum  per  aequales  et  cruciarias  poenas, 
plus  ob  hoc  tristi  quod  superstitioso  ritu,  necare.    Die  schon  zum  Christenthum 
bekehrten  Franken  machten  unter  ihrem  Konig  Theudebert  einen  Zug  nach 
Italien,*um  das  Gothenreich  unter  Witigis  zu  bekriegen:   im  Begriff,   den  Po 
bei  Pavia   zu  iiberschreiten    und    also    den   eigentlichen   Krieg  zu  beginnen, 
opferten    sie    die    dort   vorgefundenen    Kinder    und    Weiber    der   Gothen   und 
warfen    die    Leichname    in    den    Strom    —    als    Erstlingsspenden    der  Unter- 
nehmung,  Procop.  de  bell.  goth.  2,  25:  itaiod?  ts  xai  Y"vatxa<;  t<i>v  FotO-tov,  oD^ep 
ivTauO-a  supov,  Ispsudv  TS  xal  a6tu)v  ta  otofxata   §c  tiv   uotajjiov  ay.poOwa  TOO  TroXsjiou 
eppiTitouv.    Bei  Aufbau  von  Vesten  und  Brticken  wird  ein  Lebendiges  vermauert 
(Grimm    DM.2    S.    1095 ff.),    bei    Anlage    von    Stadten    durch    einen    niederge- 
metzelten    oder  lebendig  vergrabenen   Menschen  dem    Boden  Festigkeit  und 
Sicherheit  gegeben.    Als  z.  B.  Seleucus  Mcator  die  Stadt  Autiochia  am  Orontes 
griindete,  da  wurde  grade  in  der  Mitte  der  Anlage  und  des  Flusses  durch  den 
Oberpriester  eine  Jnngfrau,  xopY)  Ttap^evos,  geschlachtet  und  diese  als  das  Gliick 
der  Stadt   angeseheu   (Job.  Malalas  8  p.  256  ed.  Oxon.).     So  wurde  an  der 
Statte,  wo    Moskau    1147    angelegt    werden    sollte,    der    Besitzer    des    Ortes, 
Kutschko,  in  einem  Teich  ersauft,    ebenso  Krakau    (nach    der  Ursprungsage 
bei  Kadlubek)  auf  dem  Felsen  des  von  den   beiden  So'hnen   des   Krakus  ge- 
todteten   Drachen  gegriindet,   nachdem   der  jiingere  Bruder  den   alter n 
umgebracht,  wie    Romulus    den    Remus    u.    s.  w.     Wo    Scbatze    niedergelegt 
werden,  wo  im  Allerheiligsten  eine  Handlung  vorgeht,.  von   der  Niemand  be- 
richten  darf,  da  miissen  die  dienenden  Arbeiter  sterben.    Der  Wagen  und  die 
Kleider  und  das  Bild    der  Nerthus,   der   Mutter   Erde,  wurde  in  einem   ver- 


Anmerkungen.  i          537 

borgenen  See  gewaschen  und  drauf  die  Knechte,  die  dabei  behiilflich  gewesen, 
in  eben  dem  See  ersauft.  Als  Konig  Alarich  in  Unteritalien  plotzlich  gestorben 
war,  leiteten  seine  Gothen  einen  Fluss  ab,  begruben  den  Todten  in  den  Boden 
und  liessen  das  Wasser  wieder  driiber  stromen;  damit  aber  Niemand  die 
Statte  wieder  auffinde,  wurden  die  dabei  gebraucbten  Gefangenen  uingebracht, 
Jord.  29:  collecto  captivorum  agmine  sepulturae  locum  effodiunt  .  .  .  ne  a  quoquam 
quandoque  locus  cognosceretur  fossores  omnes  inter  emerunt.  Lange  vorher  hatte 
Decebalus,  der  Konig  der  Daker,  seine  Schatze  in  ganz  ahnlicher  Weise  vor 
dem  Kaiser  Trajan  zu  hiiten  gesucht,  wie  Cassius  Dio  68,  14  erzahlt:  er  grub 
den  Fluss  Sargetias,  der  an  seiner  Konigsburg  voriiberfloss,  ab,  versenkte  sein 
Gold  und  Silber  in  den  Boden  und  leitete  dann  den  Fluss  Avieder  driiber, 
verbarg  auch  seine  pracbtigen  Gewander,  die  von  der  Feuchtigkeit  batten 
leiden  konnen,  in  einer  Hohle  und  Hess  dann  die  Kriegsgefangenen,  von 
denen  beide  Arbeiten  ausgefiihrt  waren,  to'dten,  damit  Keiner  davon  etwas 
verrathen  konne.  Es  half  ihm  freilich  nicbts,  denn,  wie  Dio  weiter  berichtet, 
wurde  der  Vertraute  des  Konigs,  Bikilis,  von  den  Romern  gefangen  und 
brachte  das  Geschebene  an  den  Tag.  Den  Inhalt  der  Schatzhauser  in  Kriegs- 
nothen  vor  dem  Feinde  zu  bergen,  war  iiberhaupt  bei  alien  alten  Volkern  die 
ewige  Sorge  und  gewiss  verdanken  wir  diesem  Umstand  manchen  antiquarischen 
Fund,  den  wir  gemacbt  haben  oder  in  Zukunft  nocb  machen  werden. 

Wir  haben  uns  bei  allem  Obigen  auf  die  indoeuropaischen  Volker  be- 
schrankt;  dass  die  geschilderte  Sitte  aber  auch  tiber  den  Kreis  derselben  hin- 
ausgeht,  lehrt  z.  B.  folgende  Stelle  des  Livius,  Epit.  49:  exstant  ires  orationes 
ejus  (Servii  Sulpicii  G-albae)  —  una  in  qua  Lusitanos  propter  sese  castra  habentes 
caesos  fatetur,  quod  compertum  habuerit,  equo  atque  homine  suo  ritu  immolatis, 
per  speciem  pads  adoriri  exercitum  suum  in  ammo  Htibuisse.  Also  auch  die 
Lusitaner,  ein  iberisches  Volk,  opferten  bei  Beginn  einer  kriegerischen  Unter- 
nehmung  einen  Menschen  und  ein  Pferd! 

.  Um  dies  diistere  Kapitel  mit  einem  heiteren  Zuge  zu  beschliessen,  wollen 
wir  noch  an  einen  Vorgang  aus  der  jiingsten  Geschichte  erinnern.  Als  Fried- 
rich  Wilhelm,  der  letzte  Kurfiirst  vou  Hessen,  gestorben  war  (in  Prag,  Januar 
1874),  zogen  die  acht  isabellfarbigen  Pferde,  die  er  so  sehr  geliebt  hatte,  den 
Leichenwagen,  sowohl  in  Prag,  als  spiiter  bei  der  Bestattung  in  Kassel  — 
und  sollten,  einer  Zeitungsnachricht  zufolge,  uach  diesem  letzten  Dienst  er- 
schossen,  also  ihm  in  die  himmlischen  Gefilde  mitgegeben  werden,  wie  auch 
den  Konigen  der  Skythen  ihre  Pferde  nachgeschickt  wurden. 

10.    S.  10. 

Unter  den  zahlreichen  Belegen  fur  das  Looswerfen  der  alten  Volker 
wollen  wir  hier  nur  des  ergreifenden  Vorfalls  erwahnen,  von  dem  Casar  de 
b.  g.  gegen  Ende  des  ersten  Buches  berichtet.  Casar  hatte  zwei  Abgesandte 
in  das  Lager  des  Ariovistus  geschickt,  um  dessen  Vorschlage  engegenzunehmen, 
den  ihm  nahe  befreundeten  Cajus  Valerius  Procillus,  eineu  durch  Tugend 
und  Bildung  ausgezeichneten  jungen  Mann,  der  zugleich  der  gallischen 
Sprache  kundig  war,  und  den  M.  Metius,  der  mit  Ariovistus  auf  dem  Fusse 
der  Gastfreundschaft  stand.  Kaum  aber  hatte  Ariovistus  die  beiden  Romer 
erblickt,  als  er  laut  ausrief:  Ihr  seid  Spione,  ihnen  das  Wort  abschnitt  und 
sie  in  Ketten  werfen  liess.  Es  folgte  die  Schlacnt,  die  mit  der  Flucht  der 


538  Anmerkungen. 

Germanen  endigte;  bei  der  Verfolgung  stiess  Casar  selbst  auf  den  dreifacb 
gefesselteu  Valerius  Procillus  und  entriss  ihn  den  Handen  der  ihn  mit- 
schleppenden  Wachter.  Der  Befreite  erzahlte,  wie  nur  der  Zufall  ihn  gerettet 
habe:  dreimal  sei  vor  seinen  Augen  das  Loos  daruber  geworfen  worden,  ob 
er  sogleich  zu  verbrennen  oder  fur  spatere  Gelegenheit  aufzusparen  sei ;  drei- 
mal sei  ihm  das  Loos  giinstig  gewesen  und  so  sei  er  noch  am  Leben.  Casar 
war,  wie  er  selbst  sagt,  tiber  den  ebeu  errungenen  Sieg  nicht  hoher  erfreut, 
als  tiber  diese  Kettung,  und  der  erstere  ware  ihm  verdustert  worden,  wenn 
sein  theurer  Freund  unter  den  Handen  der  Barbaren  geblieben  ware.  Aucb 
M.  Metius  ward  aufgefunden  und  Casar  wieder  zugefiihrt. 

11.    S.  17. 

II6u<;  und  populus  gehen  auf  den  Begriff  Ftille,  Menge  zuriick,  fhiuda 
(woher  unser  deutsch,  Deutschland),  auch  in  den  italischen  Sprachen  und 
im  Keltischen  und  Litauischen  lebendig,  ist  aus  der  Wurzel  tu  =  crescere, 
tumere  erwachsen,  das  deutsche  Leute,  slav.  ljudu  populus,  altpreussisch  ludis- 
der  Herr,  der  Wirth,  der  Mensch,  lettisch  laudis  Leute,  Volk  hat  seinen  Boden 
in  dem  noch  vorhandenen  gothischen  Verbum  liudan  =  pullulare,  das  slavische 
narodu  genus,  populus,  homines,  mundus  in  roditi  generare,  par  ere  u.  s.  \v.  Wir 
lassen  uns  hier  auf  dies  reiche  Theiua,  das  uns  zu  weit  fuhren  wtirde,  nicht 
ein,  und  wollen  nur  des  altberuhmten  Namens  der  Goth  en  gedenken,  aus 
dem  der  Naturgeist  der  altesten  Zeiteu  vernehmlich  spricht.  Denn  dass  dieser 
Name  aus  dem  Verbum  giutan,  giessen,  griech.  ^luj,  lat.  fundo  zu  erklaren  ist, 
leidet  keinen  Zweifel.  Die  Gothen  sind  effusi,  profusi,  wie  die  Menschen  tiber- 
haupt,  wie  die  Blatter  des  Waldes,  die  der  Wind  herabstreut  und  der  Frtih- 
ling  hervortreibt,  wie  das  Gewimmel  der  Fische  und  die  Keime  des  Lebens. 
liberal!.  Jes.  Sir.  14,  19:  »Gleichwie  die  griinen  Blatter  auf  einern  schonen 
Baum  etliche  wieder  wachsen,  also  gehets  mit  den  Leuten  auch,  etliche  sterbeu,. 
etliche  werden  geboren.«  Homer  II.  6,  146: 

So  wie  der  Blatter  Geschlecht,  so  sind  die  Geschtechter  der  Menschen. 
Blatter  ja  schtittet  (x^i)  zur  Erde  der  Sturm  jetzt,  andere  sprosseri 
Neu  im  grunenden  Wald  und  wieder  gebiert  sich  der  Friihling: 
Also  der  Meuschen  Geschlecht,   dies  treibt  und  das  andere  verschwindet. 
Sollte   ich  mit  dir,    sagt   Apollo  II.   21,  462ff.  zu  dem   Erderschiitterer,    der 
armen  Sterblichen  wegen  kampfen,  die  den  Blattern  gleichen  und  bald  bliihen, 
bald  vergehen? 

Die  Kikonen  zogen  heran,  wie  Blatter,  Od.  9,  51 : 

Zahllos  kamen  sie  nun,  wie  Blatter  und  Bliiten  im  Fruhling, 
ebenso  die  Achaer,  wie  Blatter  oder  Sandkorner,  II.  2,  800: 

Denn  wie  die  Blatter  des  Waldes,  wie  Sand  an  des  Meeres  Gestaden 
Ziehn  sie  daher  in  der  Ebene. 
Homer  sagt  cpuUwv  7601?,  Hesiod.  Op.  et  d.  421: 

oXf],  cpuXXa  B'spaCe  X^st» 
und  Pindar  von  der  Saat,  Pyth.  4,  42: 

ev  taS'  atpO-ttov  vdou)  v.i-^ota.1  AttS6a? 
sOpuXopou  aitepfxa  Ttplv  oSpa?. 

Dasselbe  Verbum  bei  Homer  vom  Gedrange  der  Menschen  und  Thiere,  so 
II.  5,  141  von  den  Schafen,  die  fliehend  sich  drangen  (xl/ovtai),  II.  16,  259 


Anmerkungen. 

von  den  Myrmidonen,  die  unter  Patroklus'  Fiihrung  wie  em  Wespenschwarm 
sich  ergiessen  (i&ysovto'),  II.  2,  465  von  dem  achaischen  Volk,  das  auf  die 
Ebene  um  den  Scamander  heranriickt  (rcpo^e'ovTo),  II.  15,  360  von  den  Troern, 
die  zum  Karapfe  herbeistromen  (itpo^eovto),  II.  19,  222  von  der  Fiille  der 
Halrne,  die  das  Erz  in  der  Schlacht  niederstreut  (s/soev),  Od.  22,  387  von  den 
Fischen,  die  schnappend  am  Gestade  iibereinander  wimmeln  (xe^uvtai)  u.  s.  w. 
Bei  Aristoteles  Hist.  an.  5,  9,  32  sind  x°TOt  fy^£S  Zugfische,  die  sich  sch war- 
mend  drangen  und  mit  Netzen  gefangen  werden;  Hesychius  hat  ein  redupli- 
cirtes  xox_u  mit  der  Bedeutung  viel,  reichlich,  der  Scholiast  zu  Theokrit  2,  107 
ein  sonst  unbekanntes  Substantiv  v-ojo^  =  reichliche  Stromung.  Noch  naher 
zum  lateinischen  oder  gothischen  Worte  stehen  xoxo8eu>  reichlich  fliessen  (bei 
Theokrit),  yoo-riv  reichlich,  haufenweise,  yu^a-t^io,  x°^a^°?>  %Q&o3todt  yu$a.'.6<u, 
Xo8aiorf)<;  —  Alles  vom  Volksmassigen,  daher  Gemeinen  und  Gewohnlichen. 
Dass  anch  lat.  fundo  von  der  zeugenden  Kraft  der  Erde  gebraucht  wirdt 
lehren  Stellen,  wie  Lucret.  5,  917: 

tempore  quo  primum  tellus  animalia  fudit, 

Cic.  terra  fruges  fundit,  Verg.  fundit  victum  tellus,  fundit  humus  flores  u.  s.  w. 
Grade  so  heisst  altnordisch  gjota  parere,  proceare,  got  oder  goto,  fetura  pisciumf 
wahrend  die  Bedeutung  giessen  in  dieser  Mundart  fast  erloschen  ist.  So  sind 
die  Gothen  des  Festlandes,  die  Gutos  oder  Gutans,  und  die  scandinavischen 
Gautar  und  Gotar  uichts  als  die  Ergossenen,  d.  h.  die  Erzeugten,  die  aus- 
dem  Schosse  der  Erde  Geborenen,  die  Fiille  der  Lebendigen  (wie  die  Welt 
gothisch  manaseths,  d.  h.  Menscheusaat  heisst),  ein  Name  der  viel  alterthiim- 
licher  ist  als  die  stolzen  Composita,  mit  denen  sich  keltische,  auch  germanische 
Volker  in  jiingerer  historischer  Zeit  schmiickten.  In  der  litauisch-slavischen 
Sprache  ist  giutan  spurlos  verloren  und  wird  durch  slav.  lijati,  liti  funderef 
lit.  lieti  fundere,  lietas  fusus,  lyii  pluere,  lytus  oder  lietus  pluvia  ersetzt.  Es 
liegt  nahe,  den  Namen  Litauens  und  der  Litauer:  Lietuwa,  Lieluwis  aus  diesem 
Wortstamm  zu  deuten,  wie  den  der  Gothen,  ihrer  Nachbarn  und  Kulturver- 
waudten,  aus  giutan.  [Alle  Deutungsversuche  des  Gothennamens  finden  sich 
gesammelt  und  besprochen  in  der  Schrift  A.  Erdmanns,  Om  folknamnen  Gotar 
och  Goter.  Ant.  tidskr.  f.  Sverige  11,  4.]. 

12.  S.  17. 

[Die  im  Text  vorgetragene  Dentung  des  Volkeruamens  Britten  (Bpettavoi) 
ist  unsicher,  da  cymr.  kreifh,  spater  brith  bunt,  gefleckt  dem  altirischen 
mrecht,  brecht  entspricht,  was  auf  urspriingliches  v.t,  nicht  TT  irn  Inlaut  weist. 
Picti  (Pictones,  Pictavi)  begegnet  nur  in  lateinischen  Quellen.  Im  keltischen 
Sprachschatz  liesse  sich  ir.  cicht  ,a  carver  or  engraver'  vergleichen;  s.  Windisch, 
Ersch  und  Gruber,  Artikel  Kelten  p.  140,  136] 

13.  S.  17. 

Benfey  meinte  [mit  Riicksicht  auf  die  Gleichung  scrt.  sahasra,  zend. 
hazanra,  griech.  xsXXioi,  X^to']»  (^e  tlbrigen  europaischen  Volker  hatten  auf 
der  Wanderung,  wie  iiberhaupt  ihre  alte  Kultur,  so  auch  ihre  gemeinsame 
Bezeichnung  der  Zahl  tausend  eingebiisst  und  sie  sich  nachmals  wieder  neu 
schaffen  miissen.  Dies  ist  aber  wider  die  Natur  der  menschlichen  Seele. 
Ein  Volk,  das  in  netie  Sitze  riickt,  kaun  mancherlei  Naturobjecte  der  friiheren 


540  Anmerkungen. 

Heimat  aus  dem  Gedachtniss  verlieren,  hat  es  aber  einmal  die  Fahigkeit  ge- 
wonnen,  den  Begriff  tausend  zu  denken,  so  kann  es  von  dieser  Stufe  psychi- 
scher  Entwickelurig  auf  keine  Weise  wieder  zurucktreten.  Die  Vorstellung 
einer  Vielheit  \vie  tausend  fa"  lit  dem  Naturmenschen  iiberhaupt  gar  nicht  so 
leicht,  wie  man  jetzt  wohl  glaubt,  und  dass  die  einwandernden  Indoeuropaer 
sich  dieselbe  noch  nicht  zu  bilden  wussten,  ist  gar  nicht  so  wunderbar.  Die 
Finnen  lernten  erst -von  den  Slaven  hundert  denken  und  sagen ,  und  zehn- 
tausend  nennt  der  gemeine  Russe  noch  jetzt  tma,  d.  h.  Dunkelheit.  [Immer- 
hin  bleibt  bei  der  Auffassung  Hehns  die  oben  genannte  gracoarische  Gleichung, 
die  natiirlich  nicht  uuf  Entlehnung  beruhen  kann,  zu  erklaren  iibrig.] 

14.    S.  51. 

Seit  unser  das  Pferd  behandelnder  Abschnitt  geschrieben  wurde,  sind 
zwei  fiir  dies  Thema  wichtige  Schriften  erschienen,  dereu  Inhalt  mit  unserer 
Ausfiihrung  im  Allgemeinen  nicht  im  Widerspruch  steht,  vielmehr  von  einem 
Nachbargebiete  aus,  dem  dar  Archaologie,  manche  Bestatigung  bietet.  Wir 
meinen  die  von  L.  Stephani  publicirte  Silbervase  von  Nicopol,  die  der  Her. 
ausgeber  in  das  4.  Jahrhundert  vor  Chr.,  also  in  die  beste  Zeit  der  griechischen 
Kunst  setzt,  und  die  von  Wl.  StassofF  beschriebene  Grabkammer  von  Kertsch 
(Chambre  se"pulcrale  avec  fresques  de"couverte  en  1872  pres  de  Kertsch, 
St.  Petersbourg  1875.  gr.  4°).  Da  der  scharfsinnige  und  belesene  Verfasser 
der  letztern  Schrift  sich  zugleich  wahrend  seiner  Arbeit  der  Unterstiitzung 
des  beriihmten  Reisenden  und  Hippologen  A.  v.  Middendorff  zu  erfreuen 
hatte,  auch  auf  die  Vase  von  Nicopol  gebiihrend  Bezug  nimmt,  so  glauben 
wir  uns  den  Dank  des  Lesers  zu  verdienen,  wenn  wir  hier  einen  gedrangten 
Auszug  dessen  geben,  was  sich  den  genannten  beiden  Forschern  fiir  die  Ge- 
schichte  des  Pferdes  auf  archaologischem  Wege  ergeben  hat.  Wir  fiigen 
unsererseits  kurze  Bemerkungeu  in  Klammern  hinzu  und  venveisen  im 
Uebrigen  auf  das  Werk  selbst. 

Die  Denkmaler  des  orientalischen  und  klassischen  Alterthums  zeigen 
uns  drei  Typen  von  Pferden:  das  Steppenpferd,  das  Halbzugpferd  (rnehr  zum 
Ziehen  als  zum  Reiten  geeignet,  demi-cheval  de  trait)  und  das  Reitpferd 
(cheval  de  selle).  Auf  der  Vase  von  Nicopol  sind  die  beiden  ersten  dieser 
Typen  getreu  dargestellt:  das  Pferd  des  Hiiters  der  Heefde  ist  ein  gesatteltes 
reines  Steppenpferd  und  den  jetzigen  kalmukischen  Pferden  ahnlich:  die 
Pferde  der  Heerde  selbst  gehoren  nicht  mehr  der  Urrace  der  Steppe  an, 
sondern  sind  schon  mehr  Zug-  als  Sattelpferde  und  weisen  auf  fruchtbare 
Niederungen  als  ihre  Heimat  bin.  Sie  sind  den  assyrischen  Pferden  an  den 
Wanden  von  Khorsabad  verwandt:  das  assyrische  Pferd  ist  auch  ein  halbes 
Zugpferd,  das  auf  Gegenden  von  noch  reicherem  Graswuchs  deutet.  (Dass 
das  skythische  veredeite  Pferd  von  dem  assyrischen  abzuleiten  sei,  scheint 
uns  nicht  annehmbar:  ihre  Aehnlichkeit  erklart  sich  wohl  durch  die  gleiche 
Herkunft  aus  Medien  )  Ein  alterer  assyrischer  Schlag,  den  wir  aus  den  nini- 
vitischen  Abbildungen  kennen  lernen,  nahert  sich  dem  griechischen  archiiischen 
Pferde  auf  Vasenbildern.  Letzteres  wird  so  beschrieben :  sehr  feine  Beine, 
starkes  Kreuz,  langer  runder  Hals;  Uebergang  des  Halses  zur  Brust  hirsch- 
artig,  das  Haar  des  Schweifes,  der  Mahne,  der  Stirn  kurz,  der  Schweif  ab- 
stehend.  Dieselben  Merkmale  finden  sich  bei  dem  agyptischen  Pferde  und 


Anmerkungen.  541 

das  griechische  liat  sieh  unter  agyptischera  Einfluss  gebildet  (historisch  kaum 
moglich;  beide  werden  in-nicht  sebr  verschiedener  Zeit  aus  derselben  Gegend, 
d.  h.  ans  Vorderasien  heriibergekommen  sein).  —  Den  genannten  zwei  Typen 
steht  der  dritte  Schlag  gegeniiber,  das  reine  Reitpferd  auf  den  Denkmalern 
der  Sasaniden  und  den  romischen,  z.  B.  den  Basreliefs  der  Trajanssaule.  Es 
ist  nicht  hoch  von  Wuchs,  bat  einen  kiirzern  Leib  und  niedrige  Beine,  ist 
kraftig,  muskulos,  sehr  breit,  mit  nicht  langem  Halse;  es  muss  sicb  aus  dem 
arabischen  entwickelt  baben;  sein  Vorfahr  zeigt  sich  auf  den  Bildwerken  von 
Persepolis;  von  diesem  oder  seinen  Blutsverwandten  bat  das  sasanidische  und 
das  romische  Pferd  seine  Gedrungenheit  und  die  edle  Bildung  des  Hauptes. 
(Als  das  persiscbe,  dann  das  macedonisch-griechische,  endlich  das  romische 
Weltreicb  einen  allgemeinen  Verkehr  und  Austausch  moglich  gemacht  batten, 
verbreitete  sich  ein  immer  schonerer  Pferdeschlag  in  immer  weiteren  Kreisen, 
vom  Euphrat  bis  zum  Tiber  und  vom  Tigris  bis  zurn  Nil.  Daber  die  Gleich- 
artigkeit  der  Race  auf  spateren  Darstellungen  des  iranischen  Ostens  und  des 
europaischen  Westens.  Dieselben  Zeiten  und  Umstande  sind  es  aucb,  die  das 
arabische  Pferd  geschaffen  haben,  welches  seitdem  das  edelste  wurde,  wie  es 
friiher  das  medischegewesen  war.)  Auf  den  Fresken  der  Grabkammer  zu  Kertsch, 
die  dem  Zeitraum  zwischen  dem  Anfang  des  2.  und  dem  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts  nach  Chr.  anzugehoren  scheinen  und  denen  alles  Griechische  oder 
Romische  fehlt,  finden  wir  die  Bewohner  von  Panticapaeum  im  Besitz  des 
edleren  arabischen  Pferdes,  nur  das  Thier  auf  Tafel  6  gleicbt  einigermassen 
dem  primitiven  Scblag  der  Steppe;  zugleich  zeigt  alles  Beiwerk,  Schmuck, 
Waffen ,  Gerathe,  Tracht,  iranischen  Charakter  —  ein  schoner  Beweis 
mehr  fiir  den  Satz,  dass  wir  uns  die  Urbevolkerung  an  den  Kiisten  des 
scbwarzen  und  asowscben  Meeres,  unter  der  die  Griechen  sich  ansiedelten, 
als  iranischen  Blutes  zu  denken  haben,  das  erst  spater  dem  tiirkischen  wich 
oder  sich  mit  ihm  mischte. 

Bei  all  dem  ist  natiirlich  vorausgesetzt,  dass  die  Urheber  der  Zeich- 
nungen  und  Reliefs,  die  wir  miteinander  vergleichen,  naturalistisch  verfuhren 
und  den  ihnen  in  der  Natur  vorliegenden  Gegenstand  wirklich  in  seiner 
Lebendigkeit  erfassten  oder  erfassen  wollten.  Wie  aber,  wenn  sie  in  einer 
religios  und  kiinstlerisch  gebundenen  Epoche  nur  den  starren  Ausdrucks- 
formen  eines  gegebenen  Stiles  folgten?  Oder  in  einer  freieren  dem  Gesetze 
idealer  Schonheit,  wie  es  ihnen  vorschwebte?  Die  Menschen  auf  den  altesten 
griechischen  Bildern  sehen  wie  die  Aegypter  aus  —  sollen  wir  daraus 
schliessen,  dass  die  Natur  den  alten  Griechen  agyptische  Gesichter  gegeben 
hatte  oder  gar,  dass  die  Griechen  von  den  Aegyptern  abstammteu?  Man  sieht, 
auch  die  Kunstgeschichte  hat  hier  ein  Wort  mitzusprechen,  aber  nur  um  die 
Untersucbung  nach  Daten  der  uns  erhaltenen  Abbildungen  nocb  unsicherer 
und  verwickelter  zu  machen. 

So  viel  iiber  das  genannte  Werk.  Im  Uebrigen  kann  es  dem  Verfasser 
nicbt  einfallen,  durch  seine  mehr  historieche  Darstelluug  den  Gegenstand  fiir 
erschopft  oder  alle  einschlagenden  Fragen  fiir  erledigt  zu  halten.  Doch  glaubt 
er  die  hauptsachlichen  Gesichtsptinkte  geltend  gemacht,  die  wichtigsten  Zeu§- 
nisse  vorgelegt  und  letztere  nach  erstereii  geordnet  zu  haben.  Manches  an 
sich  Interessante,  wie  die  Castration,  die  von  osteuropaischen  Volkern,  den 
Skytben,  Sarmaten  u.  s.  w.  ausging,  Strab,  7,  4,  8,  oder  der  Hufbescblag,  der 


.542  Amnerkungen. 

dem  Alterthum  unbekannt,  erst  bei  den  Byzantinern  seit  dem  9.  Jahrhundert 
sicher  bezeugt  ist,  Beckmann,  Beytrage  3,  122  —  wurde  ubergangen,  weil  es 
fur  die  Urgeschichte  nicht  von  Belang  schien. 

15.    S.  56. 

Die  Wort-form  [TsXaoYoi  selbst  ist  noch  nicht  befriedigend  erklart,  aber 
der  Sinn  scheint  der  im  Text  angegebene.  Strab.  7,  Exc.  1.  und  2.:  <paoi  Ss 
nal  xaia  TYJV  -:uiv  MoXorcuiv  xai  OeoTipunuiv  y\&vra.v  the,  YPa^a?  rceXtas  zaXEioftoa 
yal  TOUC  Y£'p°VTa(S  rceXioo?.  Dasselbe  gleich  darauf  mit  dem  Zusatz:  xaftdrcep  xai 
rcapa  MaxeSoai  ueXtYova?'  Y°^v  KaXooatv  ixelvot  TOO?  iv  Ttfxouc,  xa&a  itapa  Aaxcoot 
y.al  MaaoaXtwtai?  TOD?  Y^Pov<ca?-  Dazu  albanesisch  plak  =  senex,  vetus.  Bei 
Aeschylus  nennt  sich  Pelasgus  selbst  den  Sohn  des  erdgeborenen  Palachthon, 
Suppl.  250: 

Too 


Bei  Homer  Sioi  DsXaaYot  =  die  altehrwiirdigen.  [Vgl.  noch  Hesych: 
Kuiot  xal  'HrestpdiTat  TOU?  Y^povtaC  xa^  T«?  Ttpso^UTtSai;  und  rceXXa?*  upeapotYji;.  Um- 
gekehrt  freilich  erklart  Holm,  Griech.  Gesch.  I,  71  die  Vorstellung  der  Griechen 
von  den  Pelasgern  als  altester  Menschen  aus  der  volksthiimlichen  Peutung 
der  IJeXaoYot  aus  udXai,  TCeXeios  erst  hervorgegangen.  Nach  J.  Baunack  Studia 
Nicolaitana  S.  51  waren  die  flsXaoYoi  aus  *nsXaot-Yot:  TteXa,  cpeXa  Fels  die  »Berg- 
geborenen«(?).  Vgl.  iiber  die  Pelasgerfrage  zu  der  oben  S.  65  aug.  Lit. 
noch  E.  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums  II  §  36  (Forschungen  I):  »Aber 
in  Wirklichkeit  hat  das  Urvolk  der  Pelasger  niemals  existirt;  leibhafte  Pelas- 
ger  hat  es  nur  in  Thessalien  gegeben,  in  der  fruchtbaren  Peneiosebene,  die 
bis  in  die  spateste  Zeit  ihren  Namen  bewahrt  hat,  und  nicht  der  mindeste 
Grund  liegt  vor,  diese  Pelasger  fur  etwas  anderes  zu  halten  als  fur  einen 
griechischen  Volksstamm.«] 

16.    S.  56. 

Neuere  Philologen  (z.  B.  Deimling,  Die  Leleger,  Leipzig  1862)  halten 
die  lelegischen  Volker  und  Volkchen  fur  friihe  Einwanderer  aus  Kleinasien: 
dann  durften  sie  aber  nicht  fur  Griechen  und  nahe  Verwandte  der  Pelasger- 
Hellenen  ausgegeben  werden.  Wenn  sie  dies  aber  nach  Religion  und  Sprache 
doch  waren,  so  konnen  sie  keinen  anderen  Ansgangspunkt  gehabt  haben,  als 
die  europaischen  Indogermanen  iiberhaupt  und  die  Gracoitaler  insbesondere. 
Kleinasien  war  im  Norden  von  westlichen  Auslaufern  des  grossen  iranischen 
Stammes,  die  schon  den  Uebergang  nach  Europa  bildeten,  den  Armeniern 
und  den  diesen  nach  dem  ausdriicklichen  Zeugniss  des  Eudoxus  und  des 
Strabo  sprach-  und  stammverwandten  Phrygern  [vgl.  Anm.  17],  im  Sudosten 
von  Zweigen  der  semitischen  Familie,  in  der  Mitte  von  Bluts-  und  Kultur- 
mifechliugen  beider  besetzt.  Von  der  Donau  herabdringende  Thraker  mogen 
friiher  tiber  den  Hellespont  und  an  die  Siidkuste  der  Propontis,  Pelasger  und 
Leleger  auf  einer  der  zahlreich  hiniiberfuhrenden  Insel-Briicken  an  den  Rand 
des  gegeniiberliegenden  Continents  gelangt  sein.  Sie  wurden  dann  im  Norden 
von  lydischen  und  phrygischen  Elementen  durchsetzt,  im  Suden  von  den  Semiten 
versclilungen  oder  beherrscht.  Umgekehrt  gingen  auch  Karer  —  ein  Volk, 
das  sich  zu  Herodots  Zeit  fiir  autochthon  in  Kleinasien  hielt  —  auf  die  Inseln 


Anmerkungen.  543 

hinuber,  wo  sie  die  Leleger  zu  Sclaven  machten,  und  betraten  bin  und  wieder 
Punkte  des  Festlandes,  z.  B.  Epidaurus.  In  derselben  ost-westlicben  Richtung 
setzten  aucb  phrygiscbe  Staiume  nach  Thrakien  hinliber  und  brachten  orien- 
taliscbe  Kultur,  so  weit  sie  ihnen  damals  zugekommeii  war,  nach  Europa  mit. 
Herodot  erwahnt  einmal  (7,  20)  ira  Vorbeigehen  eines  grossen  vor  der  troischen 
Zeit  erfolgten  Zuges  der  Myser  und  Teukrer  tiber  den  Bosporus,  wobei  sie 
alle  Thraker  sollten  unterworfen  haben  und  bis  an  den  adriatischen  Meer- 
busen  und  nach  Stiden  bis  an  den  Fluss  Peneus  vorgedrungen  sein,  und  ein 
neuerer  Gelehrter  (Giseke,  Thrakisch-pelasgiscbe  Stamme  der  Balkanhalbinsel, 
Leipzig  1858)  hat  auf  diese  Nachricht  ein  ganzes  Buch  gebaut  und  einen 
grossen  Theil  der  griechischen  Urgeschichte  darnach  construirt.  Pie  beiden 
Meerengen,  die  die  Propontis  einschliessen,  mogen  ofter  Zeugen  soldier  Ziige 
und  Gegenzuge  gewesen  sein;  auch  die  Paoner  am  Strymon  mogen  der  Rest 
«ines  solchen  sein,  obgleich  die  Angabe  der  beiden  paonischen  Manner  bei 
Herodot  (5,  12.  13),  sie  seien  Abkommlinge  der  troischen  Teukrer,  vielleicht 
nur  ein  Nachklang  aus  der  Ilias  ist,  in  der  die  Paoner  Bundesgenossen  der 
Troer  sind,  und  obgleich  die  Sitten  des  paonischen  Madchens  'dem  Darius 
gerade  als  ganz  unasiatisch  auffallen ;  aber  die  grosse  Wanderung,  die  Griechenland 
und  Italien  ihre  gleichartige  Bevolkerung  gab,  und  die  weiterhin  auch  die 
Kelten,  uud  mehr  uach  Norden  auch  (lie  Germaneu,  Litauer  und  Slaven  in 
sich  begreift,  geschah  gewiss  nicht  von  Kleinasien  aus.  [Ueber  die  Leleger- 
frage  vgl.  jetzt  auch  E.  Meyer,  Geschichte  d.  Alterthums  II  §  38.] 

17.    S.  57. 

So  dankbar  wir  dem  verstorbenen  v.  Hahn  fur  seine  Mittheilungen  aus 
dem  Gebiet  der  albanesischen  Sprache  und  Sitte  sein  miissen,  so  wenig  an- 
nehmbar  sirid  die  urgeschichtlichen  Speculationen ,  die  er  hinzufiigt.  —  Der 
Versuch,  die  altlykischen  Inschriften  aus  dem.  heutigen  Albanesischen  zu  er- 
klaren  und  dies  letztere  Idiom  zu  einern  speciell  iranischen  zu  stempeln 
(O.  Bl.au  in  der  Zeitschrift  der  DMG.  XVII,  649),  ist  mit  zu  diirftigen  Mitteln 
unternommen,  als  dass  er  nicht  ganzlich  hatte  scheitern  sollen.  Man  darf 
sich  daher  verwundern,  wenn  Justi  (in  der  Vorrede  zu  seinein  Handbuch  der 
Zendsprache  S.  X)  geneigt  ist,  auf  eine  so  luftige  Hypothese  einzugehen  und 
das  Albanesische  »fiir  einen  Auslaufer  der  arischen  Sprachen  und  speciell 
fur  einen  Nachkommen  des  Lykischen«  gelten  zu  lassen. 

Dass  die  Thraker  rein  und  geradezu  ein  iranischer  Stamm  gewesen,  wie 
P.  de  Lagarde,  Gesammelte  Abhandlungen,  S.  281,  und  nach  ihm  Roesler 
(Dacier  und  Romanen  in  den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie,  1866, 
S.  81)  zu  behaupten  Anstalt  machen,  —  diese  Meinung  hat  bis  jetzt  noch 
nichts  fur  sich.  Die  einzige  thrakische  Glosse,  die  unverkennbar  iranisches 
Geprage  hat,  ist  der  Name  des  angeblich  thrakischen  Stammes  der  Saraparai 
oder  Kopfabschneider  bei  Strabo  11,  14,  14,  aber  dieses  wilde  Volk  wohnte 
tief  in  Asien,  tiber  Armenien,  in  der  Nahe  der  Guranier  und  Meder,  und 
fdhrte  diesen  Beinamen  dort.  Man  sehe  sich  nur  die  Worte  des  Strabo  an: 
cpaal  5e  (also  nur:  man  sagt)  xai  0pqcxdiv  nva?,  TOD?  TCpooaYopeuofxevoos  (bei  den 
urnwohnenden  Vtilkern?)  Sapandpa?,  olov  xecpaXoTojxooc,  olxvjoai  oitlp  rfc  'Apjjievtac, 
ItX'TjO^ov  FoupavtcDV  xoi  M'fjSwv,  •O'YjpiouSsn;  avO-pcuiroui;  xa!  ftTCei^elc,  opetvooi;,  ireptaxo^oaTai; 
TE  xat  ^Tioxs'faXiatac.  Wenn  das  thrakische  £pt'C«  wirklich  mit  vnhi  Reis 


544  Anmerkungen. 

zusammenhangt,  so  ist  PS  em  Fremdwort,  das  den  weiten  Weg  von  Indien 
iiber  Iran  und  Kleinasien  zu  den  Thrakern  zuriickgelegt  bat,  und  beweist 
also  gar  nichts.  Der  thrakische  Damon  Zalmoxis,  Zamolxis,  berichtet  Por- 
phyrius  im  Leben  des  Pythagoras,  sei  deshalb  so  genannt  worden,  well  iiber 
ihn  gleich  nach  der  Geburt  ein  Bareufell  geworfen  wordeu:  rr,v  Y«P  Sopav 
Bpaxss  CaXfxov  xaXoootv.  Soil  hier  oX£t?  Bar  bedeuten,  so  vviirde  dies  zwar  rait 
arischen,  aber  nicht  weniger  mit  europaischen  Wortern  zusamrnenstimmen: 
gr.  apxToc,  lat.  ursus  fur  urctus.  Ziehen  wir  das  JJL  zur  zweiten  Halfte  binzu: 
fAo£ic,  so  bietet  sicb  das  litauische  meszka,  slav.  mecika,  der  Bar  Da  man 
aber  Fellbar  fiir  Barenfell  Dicht  sagen  kann,  so  will  P.  de  Lagarde  CaX-fxoqts 
als  das  braune  Fell  deuten:  allein  auch  dabei  ergiebt  sich  nichts  specifisch 
Iranisches:  JAO^CC;  hatte  auf  europaisohem  Boden  sein  Analogon  im  slavischen 
inechu,  das  Fell,  und  die  Slaven  sind  keine  Iranier,  £aX  ist  gleichfalls  in  Europa 
ganz  gewohnlich,  z.  B.  lit.  ialias  griin,  ielti  griinen,  zole  Gras,  slav.  zelije  Kraut, 
zelenu  griin  u.  s.  w.  Aber  die  gauze  Deutung  braunes  Fell  leidet  an  zwei 
weseutlichen  Fehlern:  erstens  kann  kein  Gott  oder  Mensch  einfach  Fell  ge- 
nannt werden,  und  nur  das  ist  wahrscheinlich  und  im  Sinne  der  nordischen 
Volker,  dass  die  Thraker  ihren  Gott  in  Barengestalt  oder  in  ein  Bareufell 
gehiillt  sich  dachten  und  demgemass  benannten;  zwei  tens  heisst  das 
Wort,  wrelches  den  ersten  Theil  des  Compositums  bilden  soil,  nie  braun  oder 
gelbschwarzlich,  sondern  immer  griin,  griingelblich  und  passt  daher  nicht  zur 
Barenhaut.  Aus  Zamolxis  ist  also  fiir  den  Iranismus  der  Thraker  nichts  zu 
gewinnen,  und  Porphyrius  hat  entwedef,  wie  die  Alten  seit  Herodot  gewohut 
waren,  sein  CaXfj.6?  fiir  Fell  aus  dem  Namen  des  Zalmoxis  selbst  gebildet,  oder 
CaXfxos  entspricht,  wenn  die  Angabe  richtig  ist,  etwa  dem  'griechischen  x^H^S 
(wie  Fick  vermuthet  hat),  in  welchem  letzteren  Fall  die  zweite  Halte  des 
Wortes  etwa  dem  lat.  pelle  amictus  oder  pellitus  Aehnliches  aussagen  muss. 
-  Im  Gegentheil  sind  die  Beziehungen  der  Thraker  und  der  ihnen  nahe  ver- 
waudten  Daken  und  Geten  —  sie  sprachen  alle  eine  und  dieselbe  Sprache, 
wie  Strabo  ausdriicklich  bezeugt  —  zu  den  Volkern  des  Nordens  rnannigfache. 
Grirnm  hat  bei  Verfolgung  seiner  ungliicklichen  Hypothese  manche  verwandte 
Ziige  zwischen  Geten  und  Germanen  aufgewiesen;  dass  zwischen  getischer 
und  slavischer  Zunge  Analogien  wya)ten,  hat  Miillenhoflf  (Artikel  Geten  in 
der  Encyclopadie  von  Ersch  und  Gruber)  scharfsinnig  erkannt.  —  Je  langer 
und  aufmerksamer  man  Thraker  und  Illyrier  anblickt,  desto  mehr  befestigt 
sich  die  Ueberzeugung,  dass  dieser  Doppelstamm,  dessen  eine  Halfte  Herodot 
fiir  das  zahlreichste  Volk  nach  den  Indern  hielt,  wie  geographisch  so  auch 
ethnologisch,  religiOs  und  sprachlich  eine  Centralstellung  einnahm,  von  der 
aus  nicht  bloss  zu  den  Iraniern,  sondern  nach  Nord  und  Siid,  West  und  Ost 
des  Welttheils  verbindende  Adern  ausliefen. 

[Jetzt  sind  wir,  fast  ausschliesslich  durch  das  Verdienst  G.  Meyers  (vgl. 
namentlich  Bezzenbergers  Beitrage  VIII,  S.  185 — 195,  Essays  und  Studien  I, 
3,  Etymologisches  Worterbuch  des  Albauesischen  1891  und  Lautlehre  der 
i-.lg.  Bestandtheile  d.  Albanesischen,  Sitzungsb.  d.  Kais.  Ak.  d.  W.  125.  Band, 
Jahrgang  1891)  iiber  die  Stellung  des  Albanesischen  im  Kreise  der  idg. 
Sprachen  besser  aufgeklart.  Dasselbe  bildet  einen  selbstandigen  Zweig  inner- 
halb  der  europaischen  Gruppe  der  idg.  Sprachen.  Es  hat,  vielleicht  mit  einer 
Ausnahme,  der  doppelten  Vertretung  von  anlautendem  s  vor  Vocalen  durch  s  (s) 


Anmerkungen.  545 

und  h  (eft),  die  es  aber  in  Europa  auch  mit  dem  Slavischen  theilen  wiirde 
(vgl.  Sitzungsberichte  S.  56),  keine  naheren  Beziehungen  zu  seiner  Nachbarin, 
dem  Griechischen,  sondern  lehnt  sich  in  der  Behandlung  der  aspirirten 
Medien  (idg.  ght  griech.  x  =  alb.  g)  sowie  in  der  Verwandlung  des  idg.  o  in  a 
an  die  nordeuropaischen  Sprachen  iiberhaupt,  und  in  der  Behandlung  der 
Gutturalreihen  (palatales  k  =  griech.  v.  =  alb.  s)  an  das  Lituslavische  im 
besondern  >n.  Auch  der  Wortschatz  des  Albanesischen  scheint  besonders 
haufig  Beruhrungen  mit  den  nordeuropaischen  Sprachen  zu  zeigen. 

Dass  die  Albanesen  wirklich  Illyrier  waren,  diirfte  aus  einer  Reihe  von 
Orts-  und  Volkernainen  hervorgehen,  die  aus  dem  Albanesischen  deutbar  sind. 
Schon  V.  Hehn  hatte  auf  alb.  mal>  der  Berg  und  di  zwei  hingewiesen,  die 
bereits  Niebuhr  (Vortrage  iiber  alte  Lander-  und  Volkerkunde  Berlin  1851, 
S.  305)  mit  dem  Namen  der  alt-illyrischen  Stadt  Dimallum,  die  auf  einem 
zweigipfligen  Berge  lag,  verglichen  hatte.  Vielleicht  geho"rt  zu  alb.  mal1  auch 
rum.  mal  Ufer,  Ktiste  und  die  Daria  maluensis  =  Dacia  ripensis,  aus  den 
uordeuropaischen  Sprachen  lett.  mala  Rand,  Ufer  und  irisch  mala  ,supercilium' 
(G.  Meyer,  Et.  W.  S.  257).  Der  Landschaftsname  Delmatia,  Dalmatia  mit  der 
Hauptstadt  Delminium  ist  wahrscheinlich  von  alb.  del'me,  del'e  Schaf  abgeleitet, 
und  der  Volkername  Dardaner  diirfte  um  so  eher  Beziehung  zu  alb.  darfe 
Birnbaum  haben,  wenn,  was  freilich  zweifelhaft  ist,  die  'A^aioi  und  die 
Ingvaeones  mit  Recht  von  ^XP"^  *YX0S»  °YXv>r3  ==  dar^B  abgeleitet  werden 
(G.  Meyer,  Et.  W.  S.  63,  61,  Johansson,  Bezzenb.  Beitr.  18,  28).  In  Istrien 
gab  es  nach  Strabo  S.  314  eine  Sumpfgegend,  die  Aooyeov  hiess.  Diese  Be- 
zeichnung  erklart  sich  aus  alb.  ligats  Lache,  Pfiitze,  das  mit  dem  lat.  Suffix 
dtum  aus  einem  alt-illyrischen  *luga  abgeleitet  ist  =  lit.  Hugos  Morast,  altsl. 
luza  Sumpf  (G.  Meyer,  Idg.  Forschungen  I,  323).  Der  Stadtname  Tergeste 
Triest  wird  von  demselben  Forscher  ansprechend  aus  einem  illyrischen  *terga 
Markt  —  altsl.  trugu  Markt  (vgl.  Torgau  abgeleitet)  u.  s.  w. 

Auch  zwei  vereinzelte  venetische  und  messapische  Worter  lassen  sich 
aus  dem  Albanesischen  erklaren :  so  das  von  Columella  uberlieferte  ceva  Kuh 
aus  alb.  Jed,  Jca-u,  altsl.  Jcrava,  lit.  Mnve  Kuh  und  messap.  Ppevttov  (davon 
Brundisium)  aus  alb.  Stamm  brin-  Horn,  briyii,  briu  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  164 
und  48).  Bereits  V.  Hehn  hatte  richtig  beobachtet:  »Das  albanesische  I'ops, 
I'opa  die  Kuh  geht  in  den  Alpen  weit  nach  Westen,  durch  die  Schweiz  bis 
in  die  romanischen  Dialekte  am  Genfersee  (Bridel,  Glossaire  du  patois  de  la 
Suisse  romande  Lausanne  1866,  p.  266)  —  war  es  ein  venetisches  Wort,  das 
die  erobernden  Kelten  bei  den  Alpenbewohnern  vorfanden  und  das  sich,  wie 
es  mit  Namen  menschlicher  Urbeschaftigung,  zumal  im  Hochgebirge,  zu  ge- 
schehen  pflegt,  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhielt?« 

Ein  ganz  ahnliches  Wort  ist  alb.  mes,  best,  mszi,  mannliches  Fiillen  von 
Pferd  und  Esel,  das  im  Rumanischen,  Grodnerischen,  Italienischen,  Sardini- 
schen,  Trientinischen ,  ja  im  Bairischen  und  Rheinlandischen  wiederkehrt. 
Es  geht  auf  ein  illyrisches  *manza-  zuriick,  das  dem  Beinamen  des  Jupiter 
bei  den  messapischen  Sallentinern,  Menzana,  zu  Grunde  liegt,  dem  ein  Pferd 
geopfert  wurde  (G.  Meyer,  Et.  W.  S.  276).  S.  auch  S.  53. 

Eine  starke  Verbreitung  der  Veneter  gegen  Westen  nimmt  auch  Pauli 
in  seinem  Buche:  Die  Veneter  und  ihre  Schriftdenkmaler  Leipzig  1891  an. 
Dieser  sammelt  in  demselben  die  auf  dem  Gebiete  der  Veneter  gefundenen 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  35 


546  Anmerkungen. 

Inschriften  und  sucht  sie  scharfsinnig  zu  deuten.  1st  freilich  diese  Deutung 
richtig,  bedeutet  z.  B.  eyo  =  lat.  ego,  altsl.  azu  ich  oder  -ynos  =  lat.  genus, 
so  kOnnte  das  Venetische  dieser  Denkmaler  mit  dem  Albanesiscben,  nach  dem 
oben  iiber  die  Gutturalverhaltnisse  dieser  Sprache  bemerkten,  kaum  demselben 
Sprachstamm  angehoren  (vgl.  G.  Meyer  in  d.  Berliner  Philol.  Wochenschrift 
vom  27.  Februar  und  5.  Marz  1892  und  R.  Thurneysen  in  der  Wochenschrift 
f.  klass.  Phil,  vom  16.  Marz  1892). 

Leider  gestatten  die  iiberaus  dtirftigen  Reste  des  Thrakischen,  die  von 
Lagarde,  Ges.  Abhandlungen,  S.  278 ff.  und  spater  von  W.  Tomaschek  in 
den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  (B.  130)  zusammengestellt  und  von 
A.  Fick,  Spracheinheit  S.  278 ff.,  von  W.  Tomaschek  a.  a.  O.,  von  G.  Meyer 
in  Bezzenbergers  B.  XX,  116ff.  und  von  andern  untersucht  worden  sind,  nicht, 
iiber  die  Stellung  dieser  Sprachen  ein  so  sicheres  Urtheil  wie  tiber  die  des 
Albanesischen  abzugeben.  Dass  das  Thrakische  keine  arische  Sprache  war, 
zeigt  das  in  ihni  reichlich  entwickelte  e  und  1.  Idg.  o  scheint,  wie  im  Ger- 
manischen  und  Litauischen,  zu  a  geworden  zu  sein,  worauf  die  Ortsnamen 
auf  -para  (itopo;),  -dama  (§6jxo?)  hindeuten  (anders  Kretschmer  a.  u.  a.  0.  S.  220). 
Dass  das  a  in  diesen  Wortern  den  arischen  Charakter  des  Thrakischen  be- 
weise,  nimmt  Carl  Pauli,  Altit.  Forschungen  II,  1,  23  mit  Unrecht  an.  Die 
idg.  aspirirten  Mediae  sind  zu  Mediae  herabgesunken  (vgl.  das  thrakisch- 
phrygische  ^putov  Bier  gegeniiber  lat.  defrutum;  ir.  bruthe  Briihe).  Wie  diese 
Eigenschaft  scheint  es  auch  die  Verwandlung  der  palatalen  Gutturalreihe  in 
Zischlaute  mit  dem  Lituslavischen  und  Albanesischen  zu  theilen,  vgl.  oben 
x^ajxus,  ferner  C&ac  Wein :  griech.  x^t(?>  feipu  Wildschur  (zu  den  Ceipal 
der  Thraker  bei  Herodot  VII,  75  vgl.  die  Sitte  der  Germanen :  eligunt 
feras  et  detracta  velamina  spargunt  maculis  pellibusque  beluarum  Tac.  Germ.  17), 
das  ich  zu  altsl.  zveri  Wild  stellen  mochte,  -dizos :  tel/os,  zend.  dafaa-,  Cetpoaa 
Topf :  ^otpa.  Leider  fehlt  ein  sicheres  Beispiel  fur  die  Tenuis.  Auf  der  einen 
Seite  hat  Fick  thrak.  XYJ|JIO«;  Hiilsenfrucht  mit  scrt.  garni  eine  Bohnenart  ver- 
glichen,  auf  der  anderen  heissen  im  Thrakischen  die  Trunkenen  oavdrcat,  ein 
Wort,  dessen  erster  Bestandtheil  im  indischen  gana  Hanf  (aus  Hanfsamen 
gemachtes  Getrank),  osset.  sanna,  san  Wein  zu  stecken  scheint.  Da  aber  auch 
im  Scythischen  oavdimv  vorkommt,  so  wird  das  Wort  ein  iranisches  Lehnwort 
sein,  wie  es  deren  ira  Thrakischen  offenbar  mehrere  gab.  Vgl.  das  oben  ge- 
nannte  oapourdpac,  wahrend  thrak,  &Yo6poo<;  =  Icp^^ou?  nicht  mit  A.  Fick  zu  alt- 
iran.  aghru  unvermahlt  zu  stellen  ist,  sondern  nichts  als  das  mittel-  und  neu- 
griech.  acopo?  sein  diirfte.  Nordische  Lauterscheinung  zeigt  wiederum  Stpufxtov, 
nhd.  strom,  altsl.  o-strovu  Insel,  Wurzel  srev.  —  Ueber  Zarnolxis,  die  Geten 
und  Daker  vgl.  jetzt  auch  Miillenhoffs  Deutsche  Alterthumskunde  III,  S.  125 ff., 
wo  die  oben  genannte  Abhandlung  aus  Ersch  und  Grubers  Encyklopadie  mit 
einer  Reihe  von  Verbesserungen  abgedruckt  ist. 

Wenden  wir  uns  hinuber  nach  Kleinasien,  so  hielt  Hehn  den  Norden 
desselben  »von  Auslaufern  des  grossen  iranischen  Stammes«  besetzt,  »die 
schon  den  Uebergang  nach  Europa  bildeten«  (vgl.  Anm.  16  und  sonst).  Jetzt 
wissen  wir,  vor  allem  durch  die  Untersuchungen  H.  Hubschmanns  (Kuhns 
Zeitschrift  23,  Armenische  Studien  I,  1883  u.  s.  w.),  dass  sicherlich  das  Arme- 
nische,  trotz  seines  Reichthums  an  iranischem  Lehngut,  seinem  Lautcharakter 
nach  (reiche  Entwicklung  des  e,  o,  I)  zu  der  europaischen  Abtheilung  des 


Anmerkungen.  547 

idg.  Sprachstammes  gehort,  und  innerhalb  derselben  durch  die  Behandlung 
der  Gutturale  sich  wiederum  am  engsten  dem  Slavolettischen  auschliesst. 
Auch  der  Wortschatz  zeigt  in  seinen  ursprtinglichen  Bestandtheilen  euro- 
paischen  Charakter  (ok  Salz,  aror  Pflug,  mekr  Honig,  jukn  Fisch).  In 
gleicher  Stellung  scheint  sich  das  Phrygische  zu  befinden  (Hiibschmann  a.  a.  0.), 
namentlich  wenn  die  Deutungen  C&*«*  Gemiise  (altsl.  zdije  ,olera'),  Ceopia 
Quelle  (griech.  xe5fxa)>  °¥ou  (=  tooTtp)  =  altsl.  semu,  goth.  himma  (Fick, 
Bezzenbergers  Beitr.  14,  50)  richtig  sind.  Ueber  Karer  (Georg  Meyer,  Bezzenb. 
Beitr.  10),  Lyder,  Mysier,  Lycier  sind  die  Akten  noch  nicht  geschlossen.  Bei 
der  Diirftigkeit  der  Glossen  und  den  Schwierigkeiten ,  welche  die  wenigen 
Inscbriften,  sowie  die  Orts-  und  Personennamenforschung  bieten,  ist  auf  sichere 
Ergebnisse  auch  kaum  zu  hoffen.  Oefters  scheint  bei  den  Ortsnamen  die 
echte  Gestalt  neben  einer  iranisirten  zu  bestehen,  wie  dies  kurzlich  G.  Meyer 
(Idg.  Forsch.  I,  327—29)  an  zwei  Fallen,  SapSet?  und  "Aarcev&o?  wahrscheinlich 
zu  machen  versucht  hat.  E.  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums  I,  S.  299 ff. 
fasst,  im  wesentlichen  auf  die  Nachrichten  der  Alten  gestutzt,  alle  Westklein- 
asiaten  zu  einer  Einheit  zusammen.  Nimmt  man  dazu  die  antike  Ueberliefe- 
rung,  dass  die  Phryger,  der  Hanptstamm  der  Westkleinasiaten,  aus  Thrakien 
eingewandert,  und  von  den  Phrygern  wieder  die  Armenier  abzuleiten  seien, 
und  vergleicht  man  oben  die  sprachlichen  Bemerkungen  fiber  das  Thrakische 
und  Illyrische,  so  wird  man  bei  dem  gegenwartigen  Zustand  unseres  Wissens 
immerhin  als  das  wahrscheinlichste  annehmen  ko'nnen,  dass  die  Armenier 
und  Westkleinasiaten  zusammen  mit  den  Illyro-Thrakern  eine  zusammen- 
gehorige  Gruppe  der  europaischen  Abtheilung  des  idg.  Sprachstamms  bilden 
und  in  derselben  am  nachsten  zu  den  Litu-Slaven  gehoren.  Eine  Beriihrung 
dieser  Gruppe  mit  Iraniern  fand  an  einer  doppelten  Stelle  statt:  einraal  nord- 
lich  des  Pontus  durch  Thraker  und  Skythen,  das  andre  Mai  siidlich  des 
Schwarzen  Meeres  durch  die  Armenier,  die  freilich,  ursprunglich  nur  in  dem 
Quellgebiet  des  Euphrat  und  Tigris  bis  an  die  Halysquellen  ansassig,  in  der 
altesten  Zeit  von  iranischen  Landen  durch  das  weder  indogermanische  noch 
semitische  Volk  der  'AXapo&toi  (assyr.  Urartu}  getrennt  gewesen  zu  sein 
scheinen  (E.  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums  I,  §  247 f.). 

Im  Grossen  und  Ganzen  stimmt  mit  dieser  Darstellung  auch  P.  Kretsch- 
mer  iiberein,  der  in  seiner  Einleitung  in  die  griechische  Sprache  (1896)  zuletzt 
die  nordbalkanischen  und  kleinasiatischen  Volkerverhaltnisse  ausftihrlich  be- 
handelt  hat,  nur  class  er  den  in  Betracht  kommenden  Sprachen  mehr  geogra- 
phische  Mittelstellungen  zwischen  Ost  und  West,  Nord  und  Slid  anweisen 
mb'chte,  eine  Auffassung,  fur  deren  Begrtindung  freilich  das  zu  Gebote 
stehende  Material  kaum  hinreicht.  So  zeige  das  Thrakisch- Phrygische,  das 
er  als  eine  Einheit  zusammenfasst,  partielle  Uebereinstimmungen  im  Norden 
mit  dem  Iranischen  (Skythischen),  im  Westen  mit  dem  Illyrischen,  im  Stiden 
mit  dem  Griechischen.  Das  Illyrisch-Albanesische  hange  einerseits  mit  dem 
I.ituslavischen,  andererseits  aber  auch  durch  das  Messapische  mit  dem  Nord- 
griechischen  und  Italisch-Keltischen  zusammen.  In  dem  Venetischen  er- 
blickt  er  einen  illyrischen,  aber  vom  Albanesischen  und  Messapischen,  nament- 
lich auf  lautlichem  Gebiet,  stark  abweichenden  Dialekt.  Unter  den  kleinasia- 
tischen Sprachen  erkennt  er  nur  den  Phrygern  (nebst  Armeniern)  indo- 
germanische Abkunft  zu.  Die  iibrigen  Kleinasiaten  bilden  in  2  Gruppen,  einer 

35* 


548  Anmerkungen. 

westlichen  (Karer,  Lyder,  Myser)  und  einer  ostlichen  (Lykier,  Pisider,  Isaurer, 
Lykaonier,  Kilikier  und  Kappadokier)  eine  unter  sich  zusamraenhangende 
nichtindogerinanische  Volkerschicht ,  die  einstmals  auch  iiber  die  griechische 
Inselwelt  verbreitet  gewesen  sei.] 

18.    S.  59. 

Wir  haben  im  Texte  bei  einer  Materie,  die  iiberhaupt  nur  schwankende 
Vermuthungen  gestattet,  und  bei  der  sich  nur  nach  dein  allgemeinen  Eindruck 
urtheilen  lasst,  den  der  Eine  so,  der  Andere  anders  ernpfangt,  eine  Art  Acker- 
bau  vor  dem  Ende  der  Wanderungen  zugestanden,  neigen  uns  aber  personlich 
mehr  der  entgegengesetzten  Ansicht  zu  Die  gewohnliche  Annahme  ist,  dass 
zwar  das  indoeuropaische  Urvolk  noch  nicht  ackerbauend  gewesen  sei  —  da 
die  entsprechenden  Ausdriicke  im  Sanscrit  nicht  mit  Sicherheit  aufgewiesen 
werden  kcmnen  — ,  dass  aber  Benennungen  wie  arare,  molere  u.  s.  w.,  die  bei 
europaischen  Gliedern  desselben  sich  wiederfinden ,  die  Existenz  eines  acker- 
bauenden  europaischen  Muttervolkes  beweisen.  Dabei  ist  zuvorderst  zu  be- 
merken,  dass  diejenigen,  die  dies  behaupten  und  zugleich  fiber  die  friihere 
oder  spatere  Abtrennung  des  einen  und  des  andern  Volkerzweiges  von  dem 
gemeinsamen  Ausgangspunkte ,  z.  B.  des  keltischen  oder  des  slavodeutschen 
u.  s.  w.,  Betrachtungen  anstellen  und  dariiber  Stammbaume  aufnehmen,  sich 
einer  offenbaren  Inconsequenz  schuldig  machen.  Denn  sind  nicht  alle  euro- 
paischen Stamme  als  ein  ungetrenntes  Ganzes  und  zu  gleicher  Zeit  in  Europa 
eingewandert,  so  kann  auch  apotpov,  slavisch  radio  u.  s.  w.  nur  entweder  von 
dem  einen  zum  andern  iibergegangen ,  oder  von  den  einzelnen,  vielleicht  in 
sehr  verschiedener  Zeit,  analog  gebildet  worden  sein.  Man  bedenke,  dass  in 
jener  friihen  Epoche  die  Sprachen  sich  noch  sehr  nahe  standen  und  dass, 
wenn  eine  Technik,  ein  Werkzeug  u.  s.  w.  von  dem  Nachbarvolke  ubernommen 
wurde,  der  Name,  den  es  bei  diesem  hatte,  leicht  und  schnell  in  die  Lautart 
der  eigenen  Sprache  tibertragen  werden  konnte.  Wenn  z.  B.  ein  Verbum 
molere  in  der  Bedeutung  zerreiben,  zersttickeln,  ein  anderes  serere  in  der 
Bedeutung  streuen  in  alien  Sprachen  der  bisherigen  Hirtenstamme  bestand 
und  der  eine  von  dem  andern  allmahlig  die  Kunst  des  Saens  und  des 
Mahlens  lernte,  so  musste  er  auch  von  den  verschiedenen  Wortstammen  ahn- 
licher,  allgemeinerer  Bedeutung  gerade  denjenigen  fur  die  neue  Verrichtung 
individuell  fixiren,  mit  dem  der  lehrende  Theil  dieselbe  hezeichnete.  Die 
Gleichheit  der  Ausdriicke  beweist  also  nur,  dass  z.  B.  die  Kenntniss  des 
Pfluges  innerhalb  der  indoeuropaischen  Familie  in  Europa  von  Glied  zu  Glied 
sich  weiter  verbreitet  hat,  und  dass  nicht  etwa  der  eine  Theil  sie  siidostlich 
aus  Asien,  durch  Vermittelung  der  Semiten  aus  Aegypten,  der  andere  siid- 
westlich  von  den  Iberern  an  den  Pyrenaen  und  am  Khonefluss,  ein  dritter 
von  eiuem  dritten  unbekannten  Urvolke  u.  s.  w.  erhalten  hat.  Auch  die  Zu- 
satze,  mit  denen  A.  Fick  (die  ehemalige  Spracheinheit  der  Indogermanen 
Europas,  S.  289 ff.)  die  hergebrachten  Beweismittel  zu  vermehren  versucht 
hat,  kftnnen  dies  Verhaltniss  nicht  andern.  Wer  mit  den  alten  Wortern  neue 
Kulturbegriffe  verbindet,  wird  freilich  in  der  Zeit  der  friihesten  Anfange  ohne 
Miihe  unser  heutiges  Leben  wiederfinden.  Was  soil  aber  z.  B.  lira  die  Furche 
beweisen?  Dies  Wort  bedeutet  in  den  germanischen  Sprachen  Geleise,  Spur 
und  dies  war  offenbar  der  eigentliche  und  ursprungliche  Sinn  desselben,  — 


Anmerkungen.  549 

der  noch  im  lateinischen  delirare,  von  der  Spur  abirren,  durchblickt.  Nach 
dem  Uebergang  zum  Ackerbau,  vielleicht  in  sehr  verschiedener  Zeit,  ver- 
wandten  die  Litauer  und  die  Slaven  das  vorhandene  Wort  zur  Bezeichnung 
des  Ackerbeetes,  die  Lateiner  zu  der  der  Furche,  wahrend  die  Deutschen  bei 
der  Bedeutnng  Spur  verblieben.  Noch  weniger  wollen  Worter  wie  culmus, 
stipula,  pinsere  u.  s.  w.  sagen.  Der  Halm  braucht  ja  nicht  gerade  Getreide- 
halm  bedeutet  zu  haben,  das  slav.  st\blo  heisst  Stengel  und  hat  viel  Ver- 
wandte,  das  deutsche  Stoppel  ist  eine  spate  Entlehnung  aus  dem  Mittellatein; 
pinsere  hatte  den  Sinn  von  zerstampfen  iiberhaupt:  als  das  Korn  nicht  mehr 
nach  uraltester  Sitte  unmittelbar  aus  der  gerosteten  Aehre  gegessen,  sondern 
vorher  durch  Stampfen  aus  der  Umhiillung  befreit  und  zu  einer  Art  Grtitze 
oder  rohen  Mehles  verkleinert  wurde,  da  bot  sich  das  vorhandene  Verbum 
von  selbst  zur  Benennung  dieser  Verrichtung  oder  wanderte  mit  der  letztern 
von  Gegend  zu  Gegend.  Noch  in  historischer  Zeit  hatten  sich  die  nordeuro* 
paischen  Volker  kaum  die  nothdiirftigen  Anfange  des  Ackerbaues  angeeignet. 
Die  Kelten  im  Innern  der  britischen  und  irischen  Insel,  wie  sie  Strabo, 
Tacitus,  Oassius  Dio  u.  s.  w.  uns  schildern,  oder  die  Wenden  des  Tacitus,  die 
die  Walder  Osteuropas  latrociniis  pererrant,  als  fleissige  Feldbauer  uns  zu 
denken,  ist  unmoglich.  Von  dem  alten  Germanien  sagt  Fick  S.  289:  »es  muss 
ein  wohlbebautes  Land  gewesen  sein  —  denn  ohne  intensive  Bodenbestellung 
hatte  Deutschland  gar  nicht  diese  gewaltigen  Volkermassen  entsenden  konnen, 
die  das  romische  Reich  in  Triimmer  schlugen.«  Dass  dieser  oft  gehorte 
Satz  falsch  ist,  hat  Roscher  in  seiner  von  uns  in  Anmerkung  28  angefuhrten 
Schrift  unwiderleglich  dargethan.  Gerade  der  umgekehrte  Schluss  ist  richtig: 
je  hoher  die  Lebensform,  die  ein  Volk  erreicht  hat,  desto  geringer  der 
Prozentsatz,  den  es  zu  kriegerischen  Ztigen  verwendet;  bei  noch  unstaten 
Volkern  wandert  und  kampft  jeder  erwachsene  Mann.  Hatten  die  Deutschen 
emsig  den  Boden  bestellt,  dann  waren  sie  iiberhaupt  nicht  ausgezogen,  das 
romische  Reich  in  Triimmer  zu  schlagen,  vielmehr  wurde  ihr  Land,  wie 
Gallien,  romische  Provinz  geworden  sein  [vgl.  hierzu  oben  p.  63f.j. 

Wir  fiigen  im  Folgenden  einige  zerstreute  Beitrage  zu  der  alten  Acker- 
bau-Sprache  hinzu,  welche  letztere,  vollstandig  und  vor  Allern  kritisch  aufge- 
stellt,  eine  nicht  zu  verachtende  Erganzung  zu  den  Untersuchungen  der 
Naturforscher  iiber  Herkunft  und  Vaterland  der  Getreidearten  u.  s.  w. 
abgeben  wurde. 

Gothisch  hvaiteis  der  Weizen  ist  das  weisse  Korn,  also  wie  aus  dem 
Pradikat  hervorgeht,  eine  spatere  Art,  deren  Name  die  Kenntniss  eines 
schwarzeren  Getreides  voraussetzt.  Der  Weizeu  geht  nicht  so  hoch  in  den 
Norden  hinauf,  wie  andere  Cerealien,  und  ist  in  Mitteleuropa  erst  spat 
erschienen  und  daselbst  erst  allmahlig  acclimatisirt  worden.  Das  litauische 
kwietys,  plur.  kune&tiai,  preuss.  gaydis  findet  sich  nicht  bei  den  Slaven,  ist  also 
aufgenommen  worden,  als  beide  Zweige  sich  bereits  von  einander  getrennt 
hatten.  Da  nun  auch  in  keltischen  Sprachen  weiss  und  Weizen  aufdieselbe 
Wurzel  zuruckgehen  (bretouisch  givenn  weiss,  giviniz  Weizen  u.  s.  w.  aus  alt- 
gallischem  vindos  =  weiss  z.  B.  im  Namen  Vindobona,  welchem  wieder  wind 
zu  Grunde  liegt),  so  folgt,  dass  dies  Getreide  seinen  Weg  von  Gallien  zu  den 
Deutschen,  von  diesen  zu  den  Litauern  (Aestyern)  nahm  [doch  s.  u.].  —  Das 
griechische  aXcpi,  aXcptiov,  Gerstengraupen,  wortlich  gleichfalls  so  viel  als  weisses 


550  Anmerkungen. 

Korn,  mag  seinen  Namen  von  einer  neuen,  ein  reineres  Produkt  ergebenden 
Art  des  Schrotens  bekommen  haben.  —  Griechisch  nopo's  Weizen,  schon 
homerisch,  findet  sich  im  altslaviscben  pyro,  Weizen,  Erbsen,  Linsen  und  im 
litauischen  purai,  Winterweizen  (dialectisch)  wieder.  Die  erste  und  alteste 
Bedeutung  ist  in  den  nordischen  Sprachen  erhalten:  russiscb  pyrei,  czechisch 
pyr  u.  s.  w.  Quecke,  preussisch  pure  Trespe,  angelsachsisch  fyrs  lolium,  ruscus, 
engl.  furz,  furze.  Es  war  also  die  Benennung  fur  eine  Grasart,  die  spater 
auf  den  Weizen  und  andere  Korner  angewandt  wurde.  Die  Thraker  und  die 
SxoO-ai  YswpTOi  mogen  den  von  ihnen  gebauten  und  in  unterirdischen  Gruben 
auf  bewahrten  Weizen  so  genannt  haben.  —  Das  slavische  »ito  Getreide  ist  eine 
klare  Bildung  von  zi-ti  leben  (mit  unterdriicktem  v);  das  schon  homerische  alio? 
ware  damit  nur  zu  vereinigen,  wenn  es  ein  Fremdwort  vom  mysisch-thrakischen 
Norden  ware,  was  gar  nicbt  unmoglich  ist. 

Ist  der  Weizen  ein  stidliches  Korn,  so  ist  umgekehrt  der  Haber  ein 
no'rdliches.  Bei  den  Alten  gait  er  fur  ein  Unkraut,  das  sich  unter  das 
Korn  mischte  oder  in  welches  das  Korn  sich  verwandelte,  in  beiden  Fallen 
den  Ertrag  mindernd  oder  aufhebend.  Theophr.  h.  pi.  8,  9,  2:  6  §'  at-fiXco^ 
xai  6  pp6}Ao<;,  aiarcep  afp5  atia  xal  <3cvY)fxepa.  Cat.  de  re  rust.  37,  5:  Frumenta 
face  bis  sarias  runcesque  avenamque  destringas.  Cic.  de  fin.  5,  30,  9: 
ne  seges  quidem  igitur  spicis  uberibus  et  crebris,  si  avenam  uspiam  videris. 
Verg.  Georg.  1,  154: 

Infelix  lolium  et  steriles  dominantur  avenae. 
Ovid.  Fast.  1,  691: 

Et  careant  loliis  oculos  vitiantibus  agri 

Nee  sterilis  culto  surgat  avena  loco. 

Plin.  18,  149:  Primum  omnium  frumenti  vitium  avena  est:  et  hordeum  in  earn 
degenerat.  Indess  lernte  man  spater  von  der  avena  fatua  auch  eine  frucht- 
tragende  Art  Haber  unterscheiden.  Plinius  a.  a.  O.  meint,  wie  das  edle  Korn 
sich  in  Haber  verwandele,  so  gehe  dieser  auch  in  eine  Art  Getreide  iiber, 
frumenti  instar,  und  fiigt  hinzu,  die  Gerrnanen  saeten  sogar  Haber  und  lebten 
ausschliesslich  von  dieser  Art  Muss  oder  Griitze:  quippe  quum  Germaniae 
populi  serant  earn  neque  alia  pulte  vivant.  Dasselbe  wird  noch  im  Mittelalter 
von  den  britischen  Kelten  gemeldet,  Girald.  Carnbr.  descr.  40:  totus  prope- 
modum  populus  armentis  pascitur  et  avenis,  lacte,  caseo  etlutyro;  carne  plenius, 
pane  parcius  vesci  solet.  Noch  jetzt  nahrt  sich  der  Schotte  von  seinern  Haber- 
muss  und  geschmalzter  Haberbrei  ist  eiu  Lieblingsgericht  schwabischer  und 
alemannischer  Bauern.  Auch  die  spateren  Griechen  kannten  den  Haber 
wenigstens  als  Viehfutter :  Galen.de  alimentorum  facultatibus  1,  14:  in  Asien, 
besonders  in  Mysien  ist  der  Haber  sehr  haufig:  xpocp]  8s  eotiv  oiroCoYtouv,  o5x 
CcvftpoHttov,  el  }XY]  TCOTS  apa  XIJAWTTOVCEC  lo^aiax;  ^vaYHao^slev  1%  106100  TOD  aTrspfxatoi; 
apTOTrotsw'8'ai.  Was  die  Namen  dieser  Frucht  betrifft,  so  hat  Grimm  (Gesch. 
d.  d.  Spr.  66)  die  schone  Entdeckung  gemacht,  dass  sie  zwar  alle  verschieden, 
aber  alle  vom  Schaf  oder  Bock  hergenommen  sind,  »sei  es,  fiigt  er  hinzu, 
dass  das  Thier  dem  Haber  (vielleicht  einem  ahnlichen  Unkraut)  nachstellt 
oder  vormals  damit  gefiittert  wurde. «  Das  letztere  aber  ist  unrichtig  und 
der  Grund  liegt  wo  anders.  Im  Gegensatz  zu  fieus,  dem  fruchttragenden 
Feigenbaum,  ist  caprificus,  der  Bocksfeigenbaum ,  der  wilde,  unfruchtbare, 
welchen  letztern  die  Messenier  Tpdfos  Bock  nannten  (nach  Pausanias  4,  20,  1). 


Anmerkungen.  551 

wurde  von  Weinstocken  gebraucht,  wenn  sie  keine  Frucht  trugen, 
Suid.  s.  v.:  xal  TpaY&v  <paai  TOO?  ^jxirsXcuc,  oiav  |x*r]  xapitov  cpepcoa'.v.  Theophrast 
leitet  diese  Unfruchtbarkeit  von  zu  tippigem  Wachsthum  ab,  de  caus.  pi.  5,  9, 10: 
e£  6rceppoXY]£  8s  xal  to  tpafav  t^S  ftfXTOXoo,  xal  8001?  aXXoi?  axaprcslv  aujj.paivet  8ta 
ffyv  e&f&acrceiav.  Dahin  gehort  auch  capreolus  der  Eebschoss,  italienisch  capriuolo, 
sowie  das  veraltete  hirquitallus ,  hirquitallire  (gleichsam  einen  geilen  Bocks- 
zweig  treiben,  spater  nur  von  Knaben  gesagt,  die,  in  die  Pubertat  tretend, 
ihre  Stimme  verandern).  Wenn  ein  Weizenfeld,  sagt  Theophrast  h.  pi.  8,  7,  5, 
ganz  nieder-  und  zusammengetreten  ist,  z.  B.  durch  den  Marsch  eines  dariiber 
weggegangenen  Heeres,  so  wachsen  irn  nachsten  Jahre  nur  kleine  Aehren  und 
solche,  die  man  apvs?,  Laminer,  Widder,  nennt  (d.  h.  unfruchtbare ,  ver- 
ktimmerte).  Den  schon  von  Grimm  angefuhrten  griechischen  Pflanzennamen 
al-fiXta'}' Schwindelhaber,  atywcopoc  (bei  Theokrit  mit  kurzem  v,  dennoch  offen- 
bar  von  rcopo<;  Weizen,  nicht  von  rcop)  und  {3p6fxo<;  Haber  (welches  sich  mit 
^pdijjLoc  Bocksgeruch,  ^pcujxcuSYjc,  ppojAcuSf]?,  bockig  riechend,  bertihrt,  obgleich 
spater  die  Grammatiker  beide  Worter  auf  die  angegebene  Art  durch  kurzen 
und  langen  Vocal  unterscheiden  wollten)  lasst  sich  noch  xoXwov^a  aHf6$  (fur 
cucurbita  silvatica  bei  Dioscor.  4.  175)  und  alpa  Lolch,  i£oapooaOm  sich  in  Lolch 
verwandeln  (verglichen  mit  lat.  aries,  lit.  eras}  hinzufiigen.  Aus  all  dem  geht 
hervor,  dass,  wenn  der  Haber  das  Bockskraut  genannt  wurde,  er  damit  als 
das  nichtige  und  leere,  als  das  getreideahnliche  Unkraut  bezeichnet  wurde; 
die  Benennung  setzt  die  Bekanntschaft  mit  der  Kornfrucht  schon  voraus,  und 
obgleich  die  Species  erst  irn  Norden  zur  Menschennahrung  diente,  so  muss 
sie  mitsammt  ihrem  Namen  doch  von  Siiden,  vielleicht  tiber  Thrakien,  ge- 
kommen  sein. 

Der  Eoggen,  der  die  Nordgrenze  der  beiden  klassischen  Lander  nur 
streift,  gait  bei  den  spateren  Romern,  als  sie  ihn  kennen  gelernt  hatten,  fur 
ein  hasslich  schwarzes,  unschmackhaftes  und  unverdauliches  Korn.  Noch 
jetzt  ist  er  den  romanischen  Nationen  verhasst,  und  Goethe  bemerkt  mit 
Recht  (Campagne  in  Frankreich,  24.  Sept.  1782):  » Weiss  und  schwarz  Brot 
ist  eigentlich  das  Schibolet,  das  Feldgeschrei  zwischen  Deutschen  und  Fran- 
zosen.«  Wo  die  Madchen  schwarz  sind,  da  ist  das  Brot  weiss,  und  umgekehrt: 

Soldatentrost. 

Nein  hier  hat  es  keine  Noth, 

Schwarze  Madchen,  weisses  Brot. 

Morgen  in  ein  ander  Stadchen, 

Schwarzes  Brot  und  weisse  Madchen.     (Goethe.) 

Unter  frumentum,  Getreide,  versteht  der  Romane  vorzugsweise  Weizen  (for- 
mento,  froment),  unter  Korn  der  Norddeutsche  vorzugsweise  Roggen,  wie  der 
Schwede  Gerste.  Indess  in  den  Alpen,  also  in  einer  kalten  Gegend,  bauten 
die  Tauriner,  ein  ligurischer  Volkszweig,  Roggen,  den  sie  asia  nannten 
(Plin.  18,  141);  lateinisch  finden  wir  zuerst  bei  Plinius  den  Namen  secale, 
im  ed.  Diocl.  sicale  (etwa  so  viel  als  Sichelkorn  ?),  der  jetzt  durch  die 
romanischen  Sprachen,  das  Walachische  mit  eingeschlossen,  hindurchgeht 
und  auch  in  keltische  Sprachen,  ins  Albanesische  und  Neugriechische  vor- 
gedrungen  ist  (alban.  thekere,  walach.  secdre,  neugr.  otxaXt),  mit  auffallendem 
Zuriickweichen  des  Accents  auf  die  erste  Silbe:  ital.  segola,  segala,  franz.  seigk 
u.  s.  w.  Dies  war  der  Name  innerhalb  der  Grenzen  des  romischen  Kaiser- 


552  Amnerkuugen. 

reichs;  bei  den  hyperboreischen  Volkern,  in  der  eigentlichen  Roggengegend, 
finden  wir  eine  andere  weitverbreitete  Benennung:  ahd.  rocco,  altn.  rugr, 
ags.  ryge,  preuss.  rugis,  lit.  rugys  (Plur.  rugiai,  russ.  roz,  czech.  rez  u.  s.  w., 
magyar.  rosz\  bei  den  Westfinnen  dasselbe  Wort  mit  dem  alterthiimlicheren 
g,  k,  bei  den  Ostfinnen,  Tataren  u.  s.  w.  mit  der  slavischen  Assibilation. 
Die  letztere  Erscheinung,  wie  andererseits  die  Uebereinstimmung  zwischen 
Germanen,  Litauern  und  baltischen  Finnen  beruht  auf  Entlehnung  und 
Wanderung  des  Wortes,  welchem  Volke  aber  gehort  es  urspriinglich  an? 
Benfey  (Griech.  Wurzellexicon,  2,  125)  meinte,  Koggen  sei  Rothkorn  und  vom 
Slavenland  zu  den  Deutschen  gekommen;  allein  die  Worter,  die  roth,  rosten 
u.  s.  w.  bedeuten,  haben  im  Slavischen  ein  wurzelhaftes  d,  aus  welchem, 
nicht  aus  g,  das  mit  dem  Schein  der  Aehnlichkeit  tauschende  z  entstanden 
ist.  Das  vereinzelte  cambrische  rhygen,  rkyg  Roggen  mag,  wie  die  lautliche 
Uebereinstimmung  lehrt,  aus  dem  Angelsachsischen  stammen,  das  ebenso  ver- 
einzelte f ranzosisch  -  mundartliche  riguet  (in  der  Dauphine" ,  s.  de  Belloguet, 
ethnogenie  gauloise,  1,  p.  148)  durch  die  Volkerwanderung  dahin  versprengt 
worden  sein.  Eine  andere  bedeutsame  Namensform  aber  iiberliefert  uns 
Galenus  de  aliin.  facult  1,  13  (VI.  p.  514  Kiihn)  aus  Makedonien  und  Tkrakien. 
Er  fand  dort  eine  Art  Korn,  die  ein  tibelriechendes  schwarzes  Mehl  gab, 
offenbar  Roggen,  von  den  Eingeborenen  angebaut  und  mit  dem  einheimischen 
Wort  (3ptC«  benannt.  Das  C  der  zweiten  Silbe  ist  leicht  als  ein  palatales  g 
zu  erkennen,  das  in  dieser  Verwandlung  bei  den  Slaven  wiederkehrt  und  bei 
den  Skythen,  einem  iranischen  Stamme,  wohl  auch  vorauszusetzen  ist.  Ist 
nun  das  v  vor  dem  r  weiter  nach  Norden  verloren  gegangen  —  eine  haufige 
Erscheinung  --  und  dtirfen  wir  zur  Erklarung  des  Wortes  nach  Wurzeln 
suchen,  die  mit  vr  anlauten?  Oder  ist  (3pi£a  eins  mit  dem  griechischen  b'poCa 
Reis,  welches  die  Griechen  durch  persische  Vermittelung  aus  Indien  (sanscr. 
vrihi)  erhielten?  Aber  welchem  Volke  gehorte  dann  die  Verdunkelung  des 
Vocals  zu  dem  tiefern  u  und  die  Verwandlung  des  h  in  g  mit  ganz  ver- 
schiedener  Lautverschiebung  an,  da  doch  die  Germauen  nordwestlich  und 
westlich  von  Thrakern,  Skythen  und  Slaven  wohnten  und  also  in  der  Reihe 
der  Empfanger  die  letzten  waren?  Oder  sollen  wir  annehmen,  dass  sie  das 
Wort  schon  zu  einer  Zeit  erhielten,  wo  bei  jenen  vermittelnden  Volkern  die 
Assibiliruug  der  Kehllaute  noch  nicht  eingetreten  war?  —  De  Candolle, 
Geographic  botanique,  p.  938  halt  die  Gegend  zwischen  den  Alpen  und  dem 
schwarzen  Meer,  also  das  Gebiet  des  heutigen  osterreichischen  Kaiserstaates, 
fur  die  Heimat  des  Roggens,  freilich  aus  Griinden,  die  nicht  sehr  schwer 
wiegen.  Ueber  die  Herkunft  der  Getreidearten  iiberhaupt  verweisen  wir  auf 
Humboldt,  Ansichten  der  Natur,  3.  Ausgabe,  Stuttgart  1871,  I,  S.  206 ff.:  mehr 
als  dort  enthalten  ist,  lasst  sich  tiber  diesen  Gegenstand  vorlaufig  nicht  sagen. 
[Zu  den  im  bisherigen  genannten  europaischen  Namen  der  vier  Getreide- 
arten fugen  wir  zunachst  einige  Berichtigungen  und  Erganzungen  hinzu: 
Weizen.  Die  oben  S.  549  genannten  Ausdriicke  fur  diese  Getreideart  stimmen 
zwar  in  sofern  tiberein,  dass  sie  dieselbe  als  die  »weisse«  bezeichnen  (goth. 
hvaiteis,  woraus  das  litauische  Wort  entlehnt  ist:  hveits,  bret.  gwiniz:  gwenn, 
altpr.  gaydis-.  gaylis,  lit.  gai-drus,  vgl.  auch  alb.  bard  Weizen  und  weiss), 
hangen  aber  nicht  etymologisch  unter  einander  zusammen ;  an  goth.  hveits  = 
scrt.  evStas  mochte  G.  Meyer  (Sitzungsberichte  S.  51)  auch  das  griech.  otto? 


Amnerkungen.  553 

ankniipfen,  unter  der  Annahme,  dass  oltoc,  das  mit  slav.  zito  naturlich  nichts 
zu  thun  hat,  dennoch  wie  H.  oben  S.  550  vermuthete,  ein  Fremdwort  aus 
dem  Norden,  vielleicht  aus  dem  Illyrischen  sei;  altir.  tuirend,  von  Bugge  in 
Kuhns  Z.  32,  45  nach  Pictet  mit  arm.  corean  verglichen;  griech.  ifxaXia,  ifxaXic: 
lat.  simila,  similago;  Yav8o|xf]v  (Hesych),  entlehnt  aus  npers.  gendum,  Pamird. 
ghidim  (vgl.  P.  Horn  Grundriss  d.  np.  Et.  S.  209);  Spelt:  griech.  oXopa:  scrt. 
urvard  Saatfeld;  lat.  ador:  goth.  atisk  Saatfeld;  ahd.  spelza,  niederd.  spelt,  wenn 
nicht  aus  dem  Eomanischen  entlehnt:  lat.  pollen  feines  Mehl  aus  *spold-en 
(vgl.  auch  rcoXToc,  polenta,  puls);  griech.  aXewra,  aXeopov:  aXsco,  lat.  triticum:  tero, 
altsl.  piseno:  scrt.  pish  zerreiben,  alle  drei  =  »Mahlfrucht«;  Gerste:  alb. 
el-p-bi  =  griech.  aXcpi.  Was  den  Hafer  betrifft,  so  giebt  es  eine  anscheinend 
iiber  die  historische  Zeit  hinausweisende  Gleichung  lat.  avena,  altsl.  ov'isii,  lit. 
aiviz'a  (preuss.  vyse,  ivisge),  die  Fick  zu  scrt.  avasa  Nahrung  stellt(?).  Die 
Griinm'sche  Annahme,  dass  alle  Bezeichnungen  des  Hafers  mit  Wortern  fur 
Bock  oder  Schaf  zusarnmenhingen ,  bedarf  in  jedem  Falle  einer  starken  Ein- 
schrankung.  Das  ahd.  habaro  hat  wegen  der  altschwedischen  Nebenform  hagre 
und  aus  anderen  Griinden  (Kluge  Et.  W.6)  nichts  mit  altn.  hafr  =  xarcpoc, 
caper  zu  thun.  Daraus  folgt,  dass  auch  das  finuische  aus  hagre  entlehnte 
Jcahra  und  das  aus  hafr  entlehnte  westf.  kauris  (Thomsen,  Ueber  den  Einfluss 
der  germ.  Sprachen  auf  die  finnisch-lappischen  S.  138,  140)  von  einander  zu 
trennen  sind.  Das  gemeinkeltische  ir.  coirce,  welsch  ceirch  Hafer  ist  kaum 
mit  ir.  cdera,  cderach  zu  verbinden,  sondern  eher  mit  der  germanischen  Be- 
zeichnung  des  Hafers  (vgl.  auch  Zupitza  Gutturale  S.  32)  zu  vergleichen,  und 
aus  dem  spaten  (Bpu>jj.o<;  Gestank  (Lobeck  Phrynichus  156)  ein  Wort  fur  Bock 
zu  folgern,  scheint  mir  auch  nicht  anzugehen.  Jedenfalls  konnte  man,  wenn 
man  sich  an  die  Quantitat  der  Vocale  (o  :  <o)  einmal  nicht  sto'sst,  fur  (3pojji.o? 
Hafer  ebensowohl  an  horn.  Ppu»[AY)  Speise,  £opa,  ptpp-cuav-io  etc.  denken.  So 
bleiben  als  sichere  Beispiele  der  Ableitung  der  Benennungen  des  Hafers  vom 
Bock  lediglich  die  Zusammensetzungen  mit  ou'4  ubrig,  die  eben  den  Schwindel- 
haber  im  Gegensatz  zu  dem  Fruchthaber  benennen.  Auch  fur  alpa  Unkraut 
im  Weizen,  Lolch  (vgl.  scrt.  erakd  eine  Grasart)  ist  an  Zusammenhang  mit 
lat.  aries  kaum  zu  denken.  —  Hinsichtlich  der  Kultur  des  Hafers  ist  Kor- 
nicke  in  seinem  Buch :  Die  Arten  und  Varietaten  des  Getreides  (Handbuch 
des  Getreidebaues  von  Fr.  Kornicke  uud  H.  Werner  I  Bonn  1885)  im  Gegen- 
satz zu  Hehn  und  C.  Haussknecht  (Mittlg.  d.  geogr.  Gesellschaft  in  Jena  3 
(1884)  S.  233),  der  den  Saathafer  erst  durch  die  Romer  aus  Deutschland  nach 
Sudeuropa  gekommen  sein  lasst,  der  Meinung,  dass  der  Hafer  irn  Siiden  schon 
vor  Theophrast  angebaut  wurde.  Von  Interesse  ist  in  dieser  Beziehung  ein 
Rezept  des  griechischen  Arztes  Dieuches  aus  dem  IV.  vorchristlichen  Jahr. 
hundert  iiber  die  Herstellung  |der  Polenta  (aXcpttov),  in  welchem  der  ^pojxo<; 
scheinbar  auf  vollig  gleiche  Stufe  mit  der  xpi&Yj  gestellt  wird,  so  dass  an 
Wildhafer  kaum  zu  denken  ist:  five/cat  8e  aXcpttov  xal  <5t^6  too  Ppojjtoo 
§e  auv  T(p  ^X^P^  TC^Vt  &TCOTTf]aoeta'l  IB  xal  Tpt^eTac  veal  Ipuxetai  xad-anep  xai  TO 
aXcpttov  .  TOUTO  TO  aXcpcTov  xpeuTov  v,ai  acpoacuTspov  EOTC  TOO  xpiiKvoo  (XXI.  veter.  et 
clar.  medic.  Grate,  loria  opuscula.  ed.  F.  de  Matihaei  Mosquae  1808  p.  39) 
Neugriechisch  heisst  der  Hafer  £po>frr],  auf  Kreta  Tat  (Heldreich,  Nutzpflanzen 
S.  4),  alb.  tsr&sre,  was  G.  Meyer  Et.  W.  S.  430  aus  lat.  *trimensanum  von- 
trimense  erklart. 


554  Anmerkungeru 

Die  nordeuropaische  Benennung  des  Roggens  1st  eine  Entlelmung  aus 
dem  thrakischen  (3pc£a,  das  aus  einer  Grundform  wie  *vrugjd  (vgl.  G.  Meyer 
in  Bezzenbergers  Beitragen  XX,  121  und  H.  Hirt  in  den  Beitragen  z.  Gesch. 
d.  d.  Spr.  und  Lit.  XXII,  235)  entstanden  ist.  Neben  lat.  secede,  sicale  (Grund- 
form der  romauischen  Sprachen :  sfoale)  begegnet  im  Edictum  Diocletianum  noch 
der  Ausdruck  centenum,  dessen  Erklarung  man  bei  H.  Bliimner  a.  a.  0.  S.  63 
nachsehen  moge. 

Ueber  die  Herkunft  der  Getreidearten  wissen  wir  heute  kaum  mehr 
als  zu  Humboldts  Zeit.  Kornicke,  der  letzte,  der  sich  mit  dieser  Frage  ein- 
gehender  beschaftigt  hat,  aussert  sich  hieriiber  in  dem  schon  genannten  Buch 
S.  19,  wie  folgt:  »Der  Anbau  der  Getreide  ist  weit  alter,  als  unsere  historischen 
Nachrichten  und  Denkmaler  reichen.  Schon  damals  war  ihre  erste  Kultur 
der  Sage  verfallen,  und  wo  wir  Keste  derselben  finden,  wie  bei  den  agyptischen 
Mumien,  da  sind  es  schon  hochgebildete  Kulturformen.« 

»Das  Vaterland  der  einzelnen  Arten  lasst  sich  nicht  sicher  feststellen, 
auch  da  nicht,  wo  wir  die  Stammform  kennen,  da  diese  jetzt  meist  weit  ver- 
breitet  ist.  Am  engsten  lasst  sich  der  Kreis  fur  die  Gerste  begrenzen,  wenn 
wir  aus  der  heutigen  Verbreitung  der  wilden  Pflanze  einen  Schluss  ziehen 
diirfen«  ....  »Als  muthmassliche  Heimath  halte  ich:  Vorderasien  fiir  die 
Gerste,  das  Einkorn  (und  den  Weizen?  —  vgl.  iiber  Kornicke's  Ansicht  auch 
Ascherson  im  Archiv  f.  Anthrop.  XIX  S.  134  — );  Centralasien  fiir  den  Roggen 
und  Hafer;  Siidasien  fiir  die  Kispen-  und  Kolbenhirse;  Afrika  fur  die  Mohr 
hirse,  den  Reis  .  .  .  .« 

Am  weitesten  in  die  Urgeschichte  Europas  gehen  nach  Ausweis  der 
Funde  Weizen  und  Gerste  zuriick,  die  beide,  also  auch  der  Weizen,  schon  in 
den  Ueberresten  der  jiingeren  Steinzeit  des  hohen  Nordens  auftreten,  wahrend 
Hafer  und  Roggen,  und  zwar  sehr  vereinzelt,  erst  mit  der  Bronce  erscheinen. 
Die  beiden  letzteren  Getreidearten  sind  auch  dem  agyptisch  semitischen 
Kulturkreis  fremd.] 

Der  alte  Name  fiir  den  primitiven  Hakenpflug,  der  aus  einem  spitzeri, 
gekriimmten  Stuck  Holz  bestand,  ist  litauisch  szdka  Ast,  Zinke,  Zacke,  Ende 
am  Hirschgeweih,  dem  das  gothische  hoha  Pflug,  ahd.  huohili  (vgl.  auch  scrt. 
gakhd  Ast)  entspricht.  Hierher  (vgl.  scrt.  Qanku  Pfahl)  auch  ir.  cecht  Pflug. 
Das  altsl.  soha  Kniittel,  Sechisch  socha  Gabelstange,  poln.  socha  Pflugsech, 
klrussisch  pososcyna  Grundsteuer  nach  der  Zahl  der  Pfliige  (Miklosich  Et.  W. 
S.  313)  lasst  sich  damit  nicht  vereinigen.  Es  wird  zu  scrt.  $as  schneiden, 
gdsa  Schneide,  Schlachtmesser  gehoren,  wie  ahd.  seh  Pflug  und  alb.  Sat  Karst 
(G.  Meyer  Et.  W.  S.  400)  sich  zu  secare  stellen.  Dass  auch  das  griech.  fo^c, 
mit  dem  sich  vielleicht  lat.  buris,  Mra  vermitteln  lasst,  zu  allererst  weiter 
nichts  als  ein  gekriimmtes  Stiick  Holz  bedeutete,  lehren  die  verwandten 
Worter  T<5c  -pla  die  Knie,  spater  Glieder  iiberhaupt,  YUC^  verkrtimmt,  701003 
lahmeii,  fbalov  Kriimmung,  ' Apy^urpu;  der  auf  beiden  Fiissen  hinkende  oder 
verkriimmte  Hephaistos  (nicht  richtig  gedeutet  bei  Welcker  Gr.  Gotterl.  1, 
633)  u.  s.  w.  In  eine  ganz  andere  Bedeutungssphare  weist  franz.  soc  Pflug- 
schar,  entlehnt  aus  dem  Keltischen:  altir.  socc,  neuir.  gal.  soc,  cymr.  swell, 
corn,  soch,  bret.  sou'ch,  so'ch  Pflugschar  und  —  Schweinsschnauze  (Thurneysen 
Kelto-romanisches  S.  112).  Wir  haben  es  also  mit  einer  metaphorischen  Be- 
zeichnung  zu  thun,  wie  sie  ahnlich  im  indischen  vrka  Wolf  und  Pflug  und  in 


Anmerkungen.  555 

den   Benennungen    des   leichten  Pflugs  wie  Schweinsnase    und  pigs  nose  im 
Deutschen  und  Englischen  vorliegt  (vgl.  J.  Grimm,  Gesch.  d.  d.  Spr.  I,  58).** 

Zu  dem  slavisch-deutschen  Kulturkreise  gehoren  goth.  hlaifs  das  Brot 
und  quairnus  die  Mtihle,  der  Mtihlstein.  Hlaifs,  hlaibs  (in  alien  deutschen 
Mundarten),  litauisch  klepas,  lettisch  klaips,  slavisch  chlebu  (in  alien  slavischen 
Sprachen),  ist  dasselbe  mit  latein.  libum  (»unzweifelhaft«  statt  clibum,  Corssen 
Kritische  Nachtrage  zur  lateinischen  Formenlehre  S.  36)  und  griech.  *Xt(3avov, 
xpfjBavov.  Dass  das  Wort  und  also  die  Kunst  des  Brotbackens,  die  iiberall 
eine  spate  ist,  von  den  Deutschen  zu  den  Slaven  gekornrnen  ist,  beweist  der 
in  germanischer  Weise  verschobene  Anlaut;  die  Litauer,  denen  die  Kehl- 
aspirata  fehlt,  setzten,  wie  in  ahnlichen  Fallen,  die  entsprechende  Tennis  da- 
fur.  Die  Urbedeutung  war  die  eines  im  Ofen  in  ruudlicher  Form  aus  Teig 
gebackenen  Brotkuchens,  im  Gegensatz  zu  dem  alteren  durch  Kochen  ge- 
bildeten  Brei  oder  der  Griitze.  In  Griechenland  war  das  Wort  sehr  alt,  denn 
schon  Alkman  brauchte  xpi(3av(oto<;,  xp$dvY],  xpi'(3avov  ftir  itXaxoo?  (Fragin.  22 
Bergk.  mit  den  dazu  angefiihrten  Worten  des  Athenaus),  mag  aber  auch  dahin 
aus  Kleinasien  eingewandert  sein  (Alkman  war  selbst  in  Sardes  geboren). 
Von  Griechenland  oder  Italien  pflanzte  es  sich  durch  Vermittelung  der 
dazwischenliegenden  Volker  zu  den  Deutschen  fort,  die  es  weiter  den  Litauern 
und  Slaven  iibergaben.  Libum  halten  wir  fur  entlehnt  aus  dem  Griechischen, 
wie  puls  (rcoXtoc,  schon  bei  Alkman),  massa  (fxaCa),  placenta  (TcXaxoovta)  u.  s.  w. 
Dass  man  spater  sagte,  ein  Laib  Brot,  altn.  ost-hleifr  ein  Brot  Kase,  war  der 
haufige  Begriffs-Uebergang,  wie  im  Italienischen  und  Franzosischen  pane  di 
zucchero,  pain  de  sucre,  in  Salinen  ein  Brot  Salz  u.  s.  w.  Wie  hlaifs  nach  dem 
Ofen,  war  das  weitgewanderte  ital.  focacda,  das  schon  Isidor  kennt  und  welches 
alt-  und  mittelhochdeutsch,  serbisch,  bulgarisch,  russisch,  magyarisch,  walachisch, 
turkisch,  neugriechisch  wiederkehrt,  nach  dem  focus  benannt,  d.  h.  ein  in  der 
heissen  Asche  des  Heerdes  gar  gebackener  Brotkuchen  (s.  Diez,  Worterb  s.  v., 
und  Miklosich,  Fremdworter  S.  118).  In  dem  deutschen  Brot  liegt,  wie  wir 
glauben,  der  Begriff  des  gesauerten  Brotes,  des  apto<;  COMITY]?,  wie  es  bei  dem 
Gastmahl,  das  der  thrakische  Konig  Seuthes  dem  Xenophon  gab  (Anab.  7,  3), 
mit  dem  Fleische  zussmmengeheftet,  den  Gasten  vorgesetzt  wurde.  [Indessen 
lasst  sich  die  von  H.  angenommene,  auf  seiner  Gesammtanschauung  von  dem 
Ursprung  des  Ackerbaus  beruhende  Entlehnungsreihe  v.\{$wo<;- libum -hlaifs 
nicht  aufrecht  erhalten.  Kpi^avoc,  xXl(iavo<;  der  Ofen,  in  dem  Gerste  gerostet 
wird ,  und  das  darin  bereitete  Geback  ist  von  libum  zu  trennen  und  gehort 
offenbar  zu  v.ptjxvo*;  •  4]  xpttK]  (Hesych)  aus  *xpi^vo<;.  Wenn  libum  und  hlaifs 
etwas  mit  einander  zu  thun  haben,  so  kaun  das  Verhaltniss  nur  auf  Urver- 
wandtschaft  beruhen,  woriiber  Naheres  in  meinem  Reallexicon  u.  Brot. 
Uebrigens  giebt  es  alte  europaische  Gleichungen  fiir  den  Begriff  des  Backens: 
griech.  ip-co-xono?  brotbackend  =  lit.  kepu,  Jcdpti  backen  und  griech.  cpco-fto  = 
ags.  bacan,  so  dass  das  Vorhandensein  primitiver,  zwiebackartiger  Brote,  wie 
sie  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  gefunden  worden  sind,  innerhalb  der  ureuro- 
paischen  Kultur  wohl  denkbar  ware.  Solche  vorhistorischen  Brote  mGssen 
wir  uns  in  jedem  Falle  noch  ohne  Sauerteig  vorstellen,  dessen  Bekanntschaft 
in  Europa  eine  verhaltnissmassig  spate  ist.  Wahrscheinlich  war  sie  sogar 
dem  homerischen  Zeitalter  noch  fremd.  Die  germaiiischen  Sprachen  zerfallen 
in  der  Benennung  des  Sauerteigs  in  zwei  Gruppen :  goth.  beist  und  ahd.  deismo, 


556  Anmerkungen. 

ags.  dhoesma.  Vgl.  naheres  bei  0.  Benndorf  Altgriechisches  Brot,  in  Eraiios 
Vindobonensis.]  —  Quairnus  die  Haudmiihle  (in  alien  deutschen  Sprachen), 
lit.  glrna  der  Miihlstein,  Plur.  glrnos  die  Miihle,  slav.  zrunuvu  (in  alien 
slavischen  Sprachen),  auch  altirisch  broon,  broo,  bro  (wo  b  fur  g)  [armen. 
erkan  =  scrt.  grdvan  Pressstein  des  Somas;  die  Wurzel  wahrscheinlich  in 
scrt.  guru,  lat.  in-gruo,  lit.  griuwu  erhalten].  Jene  ursprtingliche  Handmuhle 
zu  drehen,  war,  wie  die  Fuhrung  des  Hakens,  die  schwere  Arbeit  der  Sclaven, 

*  an  denen  es  den  rohen  kriegsgierigen  Hirtenvolkern  nie  gefehlt  haben  kann : 
auch  fiir  diesen  Frohndienst  giebt  es  ein,  wenigstens  seiner  Stammsilbe  (slav. 

**  rob,  rob  Knecht)  nach  gemeinsames  deutsch-slavisches  Wort:  goth.  arbaiths, 
slav.  rabota  [eigentl.  also  TCOVO?  SooXorcpeirf)?  Herod.  I,  126].  Knechte  und  Magde, 
indem  sie  sitzend  den  oberen  Stein  der  Mtihle  drehten,  sangen  dazu  Mahl- 
lieder:  die  uralte  Sitte,  bei  jeder  Arbeit,  die  dies  erlaubt,  zu  singen,  herrscht 
bis  auf  den  heutigen  Tag  bei  Russen,  Beduinen  u.  s.  w.  Die  jetzigen  Be- 
nennungen  Miihle,  Miiller,  sind  ira  Deutschen,  wie  in  den  iibrigen  europaischen 
Sprachen,  nicht  von  dem  einheimischen  Verbum  tnalan  u.  s.  w.  abgeleitet, 
sondern  aus  dem  Lateinischen  erborgt  und  verbreiteten  sich  mit  den  Wasser- 
miihlen  und  iiberhaupt  den  verbesserten  mechanischen  Einrichtungen  zur 
Zerreibung  und  Reinigung  des  Getreides  von  Italien  iiber  Europa.  Das  Mehl, 
wie  es  die  Handmuhle  der  altesten  Zeit  lieferte,  war  unrein  und  rnit  Erde 
gemischt  und  knisterte  zwischen  den  Zahnen :  so  findet  es  der  Europaer  noch 
jetzt  bei  den  entfernten  Barbaren  in  abgelegenen  Gegenden. 

Der  eigentliche  Pflug  —  mehrfach  gegliedert,  mit  eiserner  Schar,  in 
noch  weiterer  Entwickelung  mit  Radern  —  ward  erst  ein  Bediirfniss,  als  ini 
Laufe  der  Jahrhunderte  der  Boden  freier  von  Wurzeln  und  Steinen  ward  und 
der  Ackerbau  seinen  nomadischen,  accessorischen  Charakter  verlor.  Aus 
dieser  Zeit,  wo  die  nordostlichen  Volker  aus  ihren  Waldern  und  von  ihren 
Weideplatzen  nach  Siidwesten  theils  vorgedrungen  waren,  theils  von  dorther 
Bildungselemente  aller  Art  empfingen,  stammt  der  germanisch-slavische  Aus- 
druck  Pflug,  slav.  plugu.  Die  Geschichte  dieses  Wortes  lasst  sich  ziemlich 
iibersehen.  Bei  Plinius  18,  172  findet  sich  die  Nachricht:  id  non  pridem 
inventum  in  Raetia  Galliae,  ut  duas  adderent,  tali  rotulas,  quod  genus  vacant 
plaumorati.  Unter  den  Bewohnern  des  zu  Gallien  gehorenden  Rhatiens 
werden  wir  subalpine  Ackerbauer  urspriinglich  keltischen  Stamrnes  verstehen, 
in  der  gegebenen  Benennung  aber,  obgleich  die  Lesart  nicht  sicher  [Baist  in 
Wolfflins  Archiv  III,  285  liest  ansprechend  fiir  plaumorati  ploum  Raeti]  und 
die  Wortform  dunkel  ist,  die  alteste  Erwahnung  des  spateren  Pfiuges  finden 
diirfen.  Die  Angelsachsen,  die  im  5.  Jahrhundert  nach  Britannien  iibersetzten, 
hatten  das  Wort  noch  nicht,  welches  erst  im  11.  Jahrhundert  auf  ihrer  Insel 
sich  einstellt.  Aber  in  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  steht  bereits  im  longo- 
bardischen  Gesetz,  ed.  Roth.  288  (293):  de  plowm.  Si  quis  plovum  (plobum) 
aut  aratrum  u.  s.  w.  Aus  Deutschland  kam  das  Wort  dann  zu  den  Slaven, 
als  auch  diese  —  wie  immer  hinter  und  nach  den  Germanen  —  den  hoheren 
Formen  des  Ackerbaues  sich  zuwandten.  In  jetziger  Zeit  finden  wir  bei  den 
Kleinrussen  den  Pflug,  bei  den  Grossrussen  noch  den  Haken  im  Gebrauch. 
Wie  zahe  aber  Naturvolker  sind,  deren  Sittlichkeit  in  Ueberlieferung,  deren 
ganzes  Denken  in  religiosem  Aberglauben  besteht,  und  wie  schwer  es  halt, 
sie  auch  nur  urn  eine  Kultursttife  aufwarts  zu  heben,  lehrt  z.  B.  folgende 


Anmerkungen.  557 

^Nachricht  bei  Herberstein,  Rerum  moscoviticaruin  commentarii,  de  Lithuania: 
»die  Litauer  bearbeiten  ihr  Land,  obgleich  dies  nicht  sandig  ist,  sondern  ein 
fettes  Erdreich  hat,  nur  mit  holzernen,  nicht  mit  eisernen  Pfliigen.  Wenn 
sie  zum  Ackern  aufs  Feld  gehen,  pflegen  sie  mehrere  Pflugho'lzer  mitzunehmen, 
darait,  wenn  das  eine  zerbricht,  das  andere  gleich  zur  Hand  sei  (denselben 
Rath  giebt  der  alte  Hesiodus:  et  x;  etepov  f'  ££aic,  iispdv  x5  km  pouol  pocXoio). 
Einer  von  den  tiber  die  Provinz  gesetzten  Statthaltern  wollte  ihnen  eine 
bessere  Methode  beibringen  und  liess  eine  grosse  Menge  eiserner  Pfliige 
kommen.  Da  aber  in  den  nachsten  Jahren  die  Ernte  nicht  einschlug, 
schrieben  sie  dies  den  eisernen  Werkzeugen  zu,  ein  Aufruhr  stand  zu  be- 
fiirchten  und  der  Statthalter  sah  sich  genothigt,  seine  Pfliige  zuriickzuziehen 
und  die  alte  rohe  Art  der  Feldbestellung  wieder  zu  gestatten.«  [Das  rhatische 
Wort  lebt  vielleicht  in  dem  pib  oberitalienischer  Mundarten  fort.  Die  slavische 
Wortform  findet  sich  noch  im  Albanesischen  pl'uar  und  pl'ug,  sowie  im  Ruma- 
nischen  plugu.  Wie  freilich  mit  jenem  rhatisch-keltischen  ploum  germ,  pflug 
lautlich  zusammenhangen  sollte,  sieht  man  nicht  ein.  Eine  Ableitung  des 
germanischen  Wortes  versucht  Fick,  Vgl.  W.4  I,  S.  412,  indem  er  altn.  plogr: 
griech.  yXuiaoa,  yXotyec,  fXw^lvtj  stellt.] 

In  der  Sprache  der  Griechen  und  Romer  herrscht  in  den  Getreidenamen 
grosse  gegenseitige  Verschiedenheit.  Man  vergleiche  alto?,  itopo?,  C^a,  Ticpv], 
r>Xopa,  aXcptta,  aXeiata,  /tSpa,  ^ovSpoc,  %ptjj.vov,  Tutopa,  xa^pD?  u.  s.  w.  mit  triticum, 
ador  (Adj.  adoreus  fttr  adoseus),  far  (Gen.  f arris  fur  faresis,  farina  fur  farrina, 
farrago),  panicum,  siligo,  pollen,  alica,  acus  (Gen.  aceris  fur  acesis),  palea,  furfur 
u.  s.  w.  Ebenso  in  den  Werkzeugen  und  Verrichtungen,  z.  B.  die  Theile  des 
Pfluges:  iacojtato?,  e^lrXf],  "p^Si  8wt<;,  I'Xojxa  verglichen  mit  temo,  stiva,  bura, 
vomer;  oder  Xtxjxo?,  XIXJXYJTYJP,  wtoov  Worfschaufel  (beide  homerisch),  Xiicvov  Ge* 
treideschwinge  (Hymn,  in  Merc.  21,  63  in  der  Bedeutung  Wiege),  &XUJYJ 
(horaerisch),  5Xfxo?  Morser  zum  Zerstampfen  der  Korner,  unepo?  Stossel  (beide 
Hesiod.  Op.  et  d.  423: 

oXfXOV    fiSV    TptTCoSfjV    TttJJLVSlV,    OTCEpOV    8s    TplTCYj)(Dv) 

und  dagegen  vannus,  evallere,  area,  pila,  pilum  u.  s.  w.  Die  lateinischen  Aus- 
driicke  sarire  oder  sarrire,  runcare,  strigare,  lira,  porca,  elix,  collidae,  meter e, 
messis,  rallum,  rastrum,  ligo,  ocea,  irpex,  crates  u.  s.  w.  fehlen  im  Griechischen 
entweder  ganz  oder  in  dieser  speciellen  Form  und  Bedeutung.  Latein-isch 
sarpere,  sarmentum  stimmt  zum  griechischen  Spreirj  (auch  zum  slavischen  srSpu\ 
deutet  aber  auf  ein  Werkzeug,  das  tiber  die  Ackerbauzeit  hinausliegen  kann ; 
wie  sich  asfuSaXi?  und  simila,  similago  zu  einander  verhalten,  ist  dunkel; 
Tmooeiv  mag  gleich  pinsere  sein,  beweist  aber  wenig;  dass  apxo?  und  panis 
(in  alterer  Form  pane}  iiicht  tibereinstimmen,  ist  bei  einer  so  spaten  Er- 
findung  nicht  zu  verwundern  [vgl.  hierzu  oben  S.  63].  Aus  dem  Ackermass 
die  urspriingliche  Identitat  gracoitalischer  Bodenkultur  deduciren  zu  wollen, 
scheint  tins  vergeblich.  Zwar  wird  angegeben,  der  vorsus  der  Osker  und 
Umbrer,  von  100  Fuss  im  Quadrat,  entspreche  dem  griechischen  Plethron 
(Mommsen,  die  unterital.  Dialekte  S.  260 f.),  allein  das  griechische  Plethron 
war,  wie  der  Fuss  und  das  Stadion,  babylonischer  Herkunft,  und  die  urspriing- 
liche Lange  des  oskisch-umbrischen  vorsus  kennen  wir  nicht.  Soil  sie  mit 
der  des  griechischen  Plethron  identisch  gewesen  sein,  so  kann  dies  Mass  nur 
von  den  Griechen  oder  aus  derselbeu  orientalischen  Quelle  stammen.  Soil 


558  Anmerkungen. 

die  Uebereinstimmung  aber  nur  in  der  gleicben  Eintbeilung  in  100  Fuss 
bestehen,  so  ist  klar,  dass  dieselbe  bei  Volkern,  in  deren  Sprachen  das  Deci- 
malsystem  herrscht,  gar  nichts  sagen  will.  Auch  das  galliscbe  candetum  war, 
wie  scbon  der  Name  lehrt,  nach  der  Zahl  hundert  gemessen.  Yiel  bedeut- 
samer  ist  die  Differenz  der  romischen  Bodeneintheilung  von  der  griechischen. 
Der  romische  actus  betragt  120  Fuss,  die  amua  120  Fuss  im  Quadrat  (Varro 
de  r.  r.  1,  10,  2),  eine  Messung  nach  dem  Duodecimalsystem,  die  eben  so 
etruskiscb  und  vielleicht  auch  iberisch,  war.  Aucb  auf  den  Tafeln  von 
Heraklea  am  Siris  enthalt  das  dort  gebrauchliche  Landmass,  der  oxolvo?,  30 
a  zu  *  Fuss,  also  120  Fuss  (Corp.  Inscr.  Ill  n°  5774.  5775). 


19*   S.  59. 

Wenn  fxsXiw],  miliutn  Honigfrucht  ausdriickte  (Plin.  22,  131:  Panicum 
Diodes  medicus  mel  frugum  appellavit},  so  ware  damit  gesagt:  siisse  Frucbt 
der  Aehren,  milde  Pflanzennahrung  iiberhaupt  im  Gegensatz  zur  blutigen 
Fleiscbnahrung  des  Nomaden.  Man  erinnere  sicb  der  bomerischen  Ausdrucke: 
OITOO  TS  Y^u*eP0^°?  o'-toio  fxsXicppovo?,  fxsXfrjSea  oder  [xeXi'f  pova  rcopov,  Xunolo  jj.eXtif]8£a  xaprcov, 
Tpcuyecv  aYpcocmv  fxsXir^sa.  Dann  aber  miisste  das  lit.  malnos  ein  Lehnwort 
sein,  da  diese  Sprache  nicht  zu  dem  Kreise  derjenigen  geho'rt,  die  den  Honig 
mit  den  Formen  auf  I  bezeichnen.  Hirse  —  wir  unterscheiden  im  Folgenden 
milium  nicht  von  panicum  oder  xs-fxpo?  von  eXufxo?  —  ist  die  Speise  der 
iberischen  Volker  im  aussersten  Westen  und  der  Kelten.  In  Aquitanien  — 
dem  von  Iberern  bewohnten  Lande  zwiscben  Pyrenaen  und  Garonne  — 
wachst,  wie  Strabo  4,  2,  1  versichert,  fast  nur  Hirse.  Plin.  18,  101:  Panico 
et  Galliae  quidem,  praecipue  Aquitania  utitur.  Sed  et  Cireumpadana  Italia 
addita  fdba  sine  qua  nihil  conficiunt.  Pytheas  (bei  Strab.  4,  5,  5)  fand,  dass 
die  Volker  der  von  ihm  besuchten  (keltischen)  Kuste  sich  von  Hirse,  von 
anderen  Gemtisen  (Xaxavot?,  Bohnen?)  und  Wurzeln  (Ruben?)  nahrten.  Als 
Casar  Massilia  belagerte,  fristeten  die  Einwohner  ihr  Leben  mit  altem  Hirse 
und  verdorbener  Gerste,  die  seit  lange  in  den  Stadtmagazinen  aufbewahrt 
waren,  de  bello  civ.  2,  22:  panico  enim  vetere  atque  ordeo  corrupto  omnes 
alebantur,  quod  ad  hujusmodi  casus  antiquitus  paratum  in  publicum  contulerant. 
Von  dem  gallischen  Italien  berichtet  Polybins,  der  es  mit  eigenen  Augen  ge- 
seben  hatte,  dass  dort  ein  iiberschwenglicher  Reicbthum  an  beiden  Arten 
Hirse  sei,  2,  15,  2:  'EXofxou  ^e  H-'ty'  %at  ^YXP00  teXecu?  oicep^aXXouoa  Sa^tXsta 
YtYv£Tat  nap'  aotoi?,  eben  so  Strabo,  es  sei  als  wohl  bewassert  reich  an  Hirse 
und  konne,  da  diese  Frucht  nie  versage,  auch  nie  Hunger  leiden,  5,  1,  12: 
EOTC  81  %al  xeYXPocP°P°?  Stacpepovta)?  8ta  r/]v  suuSptav'  TOOTO  8e  XIJJLOD  jxeftOTov  IOTIV 
8.V.OS'  Trpo?  Snavta?  f^P  xatpoi)?  aspcov  avTe'xei  %al  o58snoT5  entXeiTietv  Suvatat,  >tSv  TOD 
aXXoo  oitoo  ikvfivat.  OTCOCVK;,  und  noch  ganz  spat,  in  den  letzten  Zeiten  des 
gothiychen  Reichs  in  Italien,  ergeht  bei  einer  Hungersnoth  der  Befehl,  aus 
den  Magazinen  von  Ticinum  und  Dertona  Panicum  fur  einen  geringen  Preis 
unter  das  Volk  auszutheilen  (Cassiod.  Var.  12,  27).  Weiter  im  Osten  saten 
die  Alazonen,  ein  skythisches  Volk  am  Hypanis,  Weizen,  Zwiebeln,  Knoblauch, 
Bohnen  und  Hirse  (Herod.  4,  17).  In  Thrakien  marschirten  die  mit 
Xenophon  zuriickgekehrten  Zehntausend  langs  dem  Pontus  nach  Salmydessus 
durch  das  Gebiet^der  Hirseesser,  MeXtvocpotYot,  und  enthielten  zu  Demosthenes' 
Zeit  die  unterirdischen  Granarien  Hirse  und  6'Xopa  (Demosth.  de  Chersoneso 


Anmerkungen.  559 

p.  100  ex.  Phil.  4,  16).  Plin.  18,  100  erklart  Hirsebrei  ftir  die  Hauptnahrung 
der  Sarmaten :  Sarmaiarum  quoque  gentes  hoc  maxume  pulte  aluntur,  und 
Panicura  fur  die  Lieblingsspeise  der  pontischen  Volker,  101:  Ponticae  gentes 
nullum  panico  praeferunt  cibum.  Die  Maoten  und  Sarinaten  nahren  sich  von 
Hirse,  wie  die  Athener  von  Feigen  und  Andere  von  Anderem,  Ael.  V.  H.  3,39: 
'ApxdSs?,  'Apyeloi  85  arctooc,  'AO-Yjvacoi  8e  aoxa,  Tipivfhoi  8e  a)(pa8a<;  Seirtvov 
,  'IvSol  xaXd|j.ooc,  Kapfxavol  (potVtKOC,  xey^pov  ^  Maicotai  xai  SaopojiaTou, 
1  xal  v.dpBajjLov  Oepoat.  In  Pannonien  war  nach  Cassius  Dio  49,  36, 
der  selbst  dort  gewesen  war,  Hirse  und  Gerste  die  Volksnahrung,  und  Priscus 
wurde  auf  der  Gesandtsehaftsreise  zu  Attila  ausschliesslich  mit  dieser  Frucht 
bewirthet  (Miiller,  Fragm.  4.  p.  83).  Die  Japoden,  ein  keltisch-illyrisches 
Mischvolk  auf  dem  Gebirge  der  illyrischen  Ktiste,  lebten  von  Spelt  und  Hirse, 
Strab.  7,  5,  4:  £eia  xal  xsyxp^  ™  rcoXXa  tpecpofxevov.  Bei  den  klassischen  Volkern 
trat  der  Hirse,  wenn  sie  ihn  etwa  vor  der  Trennung  in  Pannonien  und 
Illyrien  gekannt  batten,  vor  andern  Cerealien  in  den  Hintergrund,  nur  die 
Lacedamonier,  conservativ  in  Allem,  werdeu  als  Hirsebrei-Esser  genannt 
(Hesycb.  eXojjios'  onlpfxa  o  styovte?  ol  Adxtove?  ioO-iooocv).  Germanen,  Litauer  und 
Slaven  wohnten  schon  zu  nOrdlich,  als  dass  ursprtinglicber  Hirsebau  bei  ihnen 
vorauszusetzen  ware.  Audi  benennen  sie  die  Frucht  ganz  verschieden,  ahd. 
hirsi,  slav.  proso,  lit.  sdros  plur.  von  sora  Hirsekorn.  Als  die  Slaven  in  die 
Donaugegend  riickten,  wurde  auch  der  Hirse  bei  ihnen  ein  beliebtes  Korn, 
was  er  bei  den  Germanen  nie  gewesen  ist;  im  heutigen  Oberitalien  ist  er 
durch  den  Reis  und  den  Mais  aus  seinen  alten  Rechten  verdrangt  worden.  — 
Dass  die  Bohne  (lat.  fdba,  slav.  6o&u,  preuss.  &a6o,  lit.  pupa,  altirisch  seib,  wo 
s  fiir  f,  kambrisch  ffa  fiir  fab;  iiber  das  deutsche  Bohne  s.  Grimm  im  Worter- 
buch)  sich  zurn  Hirse  gesellt,  geht  aus  den  eben  angefiihrten  Stellen  hervor; 
in  Betreff  der  Riibe  (gr.  pdTcu?,  lat.  rapa,  rapum,  altn.  rofa,  slav.  rlpa,  lit.  rope] 
fiigen  wir  noch  die  Nachricht  des  Plinius  18,  127  hinzu:  A  vino  atque  messe 
tertius  hie  (die  Riibe)  Transpadanis  fructus.  Das  hohe  Alter  der  Bohne,  and 
zwar  der  Ackerbohne,  Vicia  Fdba  L.,  die  unter  dem  Namen  xoafio?  (welches 
sich  zu  der  Nebenform  icuavo?,  TOajj.o<;  verhalt,  wie  das  altlateinische,  sabinische 
und  faliskische  Jidba  zu  fdba,  Mommsen,  Unterit.  Dial.  S.  358 f.)  schon  in  der 
Ilias  (13,  589)  erwahut  wird,  liesse  sich  noch  aus  manchen  Anzeichen,  z.  B. 
der  Rolle,  die  sie  in  den  Sacralalterthumern  spielt,  wahrscheinlich  macheu 
(Pfund,  de  antiquissima  apud  Italos  fabae  cultura  ac  religione,  Berol.  1845); 
dass  sie  aber  dennoch  jiinger  ist,  als  die  geniigsame,  in  der  Asche  verbrannter 
Waldung  besonders  gedeihende  Riibe,  scheint  aus  der  Sprache  der  Westfinnen 
hervorzugehen,  in  der  die  Bohne  (fiunisch  papu,  estnisch  uliba\  wie  fast  alle 
Kulturobjecte,  indoeuropaisch  benannt  ist,  die  Rube  aber  ihren  eigenen  Aus- 
druck  hat  (finn.  nauris,  estn.  naris,  nairis,  weps.  und  karelisch  nagris) 
[Rich tiger  als  die  Deutung  »Honigfrucht«  scheint  fiir  fxsXtvr]  die  Ableitung  von 
molere,  »Mahlfrucht«  zu  sein,  bei  welcher  auch  die  litauische  Form  (malnos: 
mdlti)  ihre  Erklarung  findet.  Ebenso  weisen  andere  Benennungen  des  Hirse 
anf  die  uralte  Bedeutung  dieser  Getreideart  als  Kulturpflanze  bin :  lit.  s6ra : 
seti  saen,  lat.  panieum  (woher  mhd.  pfenich,  altndd.  peniJc):  panis,  pasci,  wie 
denn  thatsachlich  nach  Columella  und  Plinius  in  Italien  aus  Hirse  auch  Brot 
gebacken  wurde,  ahd.  hirsi,  hirso:  griech.  xopsaoai  sattigen,  lat.  sili-cernium 
Totenmahl  u.  a  (vgl.  Vf.  Sprachvergleichung  u.  Urgeschichte 2  S.  424  Anm. 


560  Anmerkungen. 

Reallexicon  S.  374,  H.  Osthoff  Etyra.  Parerga  S.  65).  Das  dunkle  slav.  proso 
kehrt  im  prenss.  prassan  wieder.  Griech.  x^XP0?  Hirse  gehort  zu 
Gerste,  wie  auch  np.  zurd  eine  Art  Hirse  wahrscheinlich  sich  mit 
hordeum  verbindet  (vgl.  P.  Horn  Grundriss  der  np.  Etymologie  S.  146).  In 
den  Pamirdialekten  begegnet  der  Ausdruck  pinjddnd  Fiinfkorn  =  Hirse 
(ebend.  S.  118).  Scrt.  durvd  Hirse:  lit.  dirwa  Furche;  eine  Art  Weizen  ist 
mittelnd.  tenve,  tanve.  In  Deutschland  wird  Hirsenbau  schon  im  Capitulare 
Caroli  Magni  de  villis  imp.  44  und  62  erwahnt.  Namentlich  in  Suddeutschland 
und  Oesterreich  wird  die  Frucht  schlechtweg  Brei  (Braun,  Breien,  Brey,  Breyn, 
Brein),  auch  wohl  Grtitze  genannt.  Mit  Weizen  und  Gerste  geht  der  Hirse 
(Panicum  miliaceum  und  italicum)  im  Siiden  wie  im  Norden  bis  in  die  jiingere 
Steinzeit  zuriick,  ist  aber  im  Gegensatz  zu  jenen  Getreidearten,  wie  es  scheint, 
dem  agyptisch-semitischen  Kulturkreis  fremd  (vgl.  Woenig,  Die  Pflanzen  im 
alten  Aegypten  S.  174).  —  In  der  Heine  fdba-bobu  etc.  sind  die  angefiihrten 
keltischen  Worter  Entlehnung  aus  dem  Lateinischen.  Unser  Bohne  lasst 
sich  bis  jetzt  mit  fdba  nicht  vermitteln.  Naheres  fiber  die  Hiilsenfruchte 
siehe  oben  S.  218f.  In  den  angefiihrten  idg.  Benennungen  der  Rube  macht 
namentlich  der  Vocalismus  des  slavischen  repa  Schwierigkeit.  G.  Meyer 
(Et.  W.  S.  363)  halt  eine  Entlehnung  des  slavischen  Wortes  aus  dem  Latei- 
nischen durch  Vermittlnng  des  albanesischen  reps  nicht  fur  unmoglich.  Das 
griech.  pcb:o<;  tritt  erst  bei  Athenaus  auf.  Fruher  bezeugte  Angeho'rige  der 
Sippe  rapum  sind  pV-pavo?,  auch  pscpavoc,  porfavu;  (Grdf.  raph-\  die  aber  andere 
Brassica-Arten  bezeichnen,  wie  der  eigentliche  Rtibenbau  dem  griechischen 
Alterthum  iiberhaupt  fremd  gewesen  zu  sein  scheint.  Mit  p"acpavo<;  vergleicht 
Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  19  cymr.  erfin  napus,  bret.  iruinenn  navet 
^arbino-}.  Unser  Runkel,  Runkelriibe,  freilich  erst  neuhochdeutsch  bezeugt, 
konnte  aus  hrunkel  entstanden  sein  und  dann  dem  griech.  xpajx^Y]  (lat.  crambe) 
Kohl  rube  entsprechen.] 

20.   S.  62. 

Die  Topferscheibe  sollte  vom  Skythen  Anacharsis,  nach  Theophrast 
von  dem  Korinthier  Hyperbios  erfunden  worden  sein  (Schol.  zu  Pind.  Ol.  13,  27); 
Da  nun  Korinth  ein  Hauptsitz  phonizischer  Kultur  war,  so  konnte  in  dem 
Letzteren  ein  Wink  fiber  die  Herkunft  dieser  Kunst  bei  den  Griechen  liegen 
aber  die  Angabe  hat,  wie  fast  Alles  in  den  Schriften  rcepl  eupYj[xaTu>v,  geringen 
historischen  Werth.  Der  Tyrann  Kritias  preist  den  xspafxo?,  den  Sohn  der 
Scheibe,  der  Erde  und  des  Ofens,  als  Erfinder  seiner  Vaterstadt,  Athen, 
Fragm.  1,  12  Bergk,: 

•civ  8s  tpo^oo  yctirfc  TS  xa^vou  t5  ev/fovov  eSpev, 

xXetvoTatov  xepajjiov,  xp-fjatjxov  O?XOVOJJLOV, 

4]  to  xaXov  Mapa^-aivt  xataorrjoaaa  Tpouaiov. 

Auch  gab  es  einen  attischen  Demos  Kepafiet?,  dessen  Angeho'rige  dem  Heros 
Keramos  Opfer  brachten.  Da  ein  im  Topferofen  gebranntes  und  ein  unge- 
branntes,  ein  aus  freier  Hand  gearbeitetes  und  ein  gedrehtes  Thongefass  sich 
auf  den  ersten  Blick  unterscheiden ,  so  mtissen  wir  uns  iiber  diesen  Punkt 
auf  die  Forschung  der  Aufgrabungsarchaologen  beziehen.  [Diesen  zufolge  tritt 
der  Topferofen  und  die  Topferscheibe  im  Norden  Europas  erst  in  der  alt- 
gallischen,  vorrdmischen  La-Tene-Periode  auf,  vgl.  meiu  Reallexikon  S.  868.] 


Aiimerkungen.  561 

Fur  das  We  ben  scheint  es  alte  Sprachzeugnisse  zu  geben,  die  auf  eine 
Ausiibung  dieser  Kunst  vor  der  Volkertrennung  nnd  den  Wanderziigen  deuten 
wtirden:  griech.  6<paivu),  deutsch  weben,  lat.  lexer  e,  slav.  tukati  u.  s.  w. 
Wussten  wir  nur  gewiss,  dass  diese  Worter  in  der  Urzeit  nicht  auf  das 
kunstreiche  Stricken,  Flechten  und  Nahen,  sondern  auf  das  Drehen  des 
Fadens  an  der  Spindel  und  auf  das  eigentliche  Weben  am  Webstuhl  gingen! 
Beim  Flechten  von  Matten  aus  Lindenbast  mit  Lang-  und  Querstreifen,  einer 
beinernen  Nadel,  an  die  das  Band  befestigt  war,  oder  einem  Rohrknochen, 
durch  den  es  lief  u.  s.  w.,  konnten  sich  Ausdrucke  ergeben,  die  auf  das  spatere 
Aufzug,  Einschlag  u.  s.  w.  leicht  Anwendung  fanden.  Noch  heut  zu  Tage  wird 
bei  conservativen  Volkchen  in  abgelegenen  Winkeln  Europas  das  Weben  in 
Weise  dieses  urspriinglicben  Strickens  oder  Flechtens  betrieben.  So  fand  es 
C.  J.  Graba  im  Jahre  1828  bei  den  Bewohnern  der  Faroer  und  neuerdings 
Franz  Maurer  bei  den  Bosniaken,  Reise  durch  Bosnien,  S.  266:  »Man  webt 
ohne  Schiffchen  aus  freier  Hand,  indem  der  Einschlagsfaden  mittelst  einer 
langen  holzernen  Nadel  (nach  Art  der  Netzstricknadeln)  durch  die  parallel 
aufgespannten  Haltefaden  (das  sog.  Geschirr)  hindurchgefiihrt  und  dann  mit 
eiuem  durchgezogenen  Stocke  festgedrtickt  wird.«  Wer  dem  Urvolke  die 
Kenntniss  der  Weberei  zuschreibt,  sollte  nicht  vergessen,  dass  diese  Kunst- 
fertigkeit  von  sehr  rohen  Anfangen  durch  viele  Stufen  bis  zur  Vollendung  in 
historischer  Zeit  sich  entwickelt  hat.  Wie  leicht  schiebt  sich  der  Phantasie 
des  Sprachvergleichers  ein  jetziger  Webstuhl,  ein  hindurchfliegendes  Schiff- 
chen u.  s.  w.  unter!  Im  Uebrigen  sirid  im  Griechischen  und  Lateinischen 
die  Worter,  mit  denen  Spindel  und  Webstuhl  und  die  Verrichtungen  damit 
bezeichnet  werden,  sehr  ungleich.  Auf  der  einen  Seite:  atpaxto?, 
),  YJTpiov,  xavcov,  JJLITO?  (Horn.  II.  23,  760: 

a><;  OTS  TI?  te  Yovalx°£  eiiCiovoio 
Tt  xavobv,  OVT'  so  jxaXa  X2?3'1  tavooaij, 
irrjviov  £|sXxoooa  Ttapex  futov,  &.yyo&i  8'  Ta^et 


v.spxic,  xpexeiv  (bei  Sappho  Fr.  90  Brgk.  :  xpeVrjv  TOV  Totov),  xpo%Y],  Accusativ  xpoxa 
(Hes.  Op.  et  d.  538: 

OTYJJXOVI  8'  ev  TCaopu)  KoXXyjv  xpdxa  fx*r]p6aaa'8'ai), 

tatoc,  atr^tov  (lat.  stamen  vermuthlich  dorisches  Lehnwort),  ortdd-Yj  (lat.  spatha 
ein  spates  Lehnwort),  iv-ciov  (bei  Aristophanes),  o.^bd'sq  (Gewichtssteine)  ;  auf 
der  andern:  colus,  fusus,  filum,  glomus,  jugum,  radius,  tela,  trama,  lieium  u.  s.  w. 
Die  slavische  Webersprache  hat  manches  Bemerkenswerthe:  Jcrosno  Webstuhl, 
Gewebe  (gleich  dem  griechischen  xpsxecv,  xpoxYj,  mit  der  slavischen  Verwand- 
lung  des  k  in  s),  qtuku  Einschlag  (=  al  banes,  indi  und  griech.  ^cvitov,  wie  das 
vorige  vermuthlich  entlehnt),  niti  Faden  (gehort  zu  veou,  vYjO-cu  u.  s.  w.),  navo'i 
liciatorium,  pr$sti  nere,  pr$deno  tela,  pr$slica  fusus,  pr$divo  filum,  vratilo,  vreteno 
(ganz  wie  lat.  vertieillus),  brudo,  russ.  berdo,  siidslav.  brdo  pecten  textorius, 
lieium  u.  s.  w.  Dass  diese  Ausdrucke  nicht  sehr  alt  sein  konnen,  beweist 
ihre  Abwesenheit  im  Litauischen,  welches  selbstandige  Benennungen  hat: 
udis  das  Gewebe,  dusti  weben,  szeiiva  das  Weberschiffchen,  gija  Weberfaden, 
Masche  (nytis  bedeutet  den  Schaft  am  Webstuhl),  stakles  der  Webstuhl  (ein 
Plurale  t.,  slav.  stanu),  iverpti  spinnen,  warpste,  Spule,  Spindel,  drobe  die  Lein- 
wand  u.  s.  w.  Das  altslav.  kqdeli  ist  vielleicht  nur  eine  Entstellung  des  deut- 
Vict.  Hehn,  Kulturpflanzen.  7.  Aufl.  36 


562  Anmerkungen. 

schen  Kunkel,  welches  selbst  wieder  auf  das  lateinische  coins  zuriickgeht. 
Man  sieht  an  Allem,  dass  wir  uns  hier  auf  einem  jiingeren  Boden  befinden. 
[Indessen  lasst  sich  slav.  krosno  in  seinem  Verhaltniss  zu  griech.  xpoxrj  nicht 
als  Entlehnung  aus  letzterem  auffassen,  und  slav.  a-tuku  (itukati  weben)  hat 
nichts  mit  alb.  indi,  griech.  <3cvdov  zu  thun.  Die  beiden  letztgenannten  Worter 
bilden  vielmehr  zusammen  mit  alb.  ent  weben,  griech.  atiofxat,  S-.aCojjiou,  scrt. 
atka  gewobenes  Gewand,  iran.  adhka  eine  neue  wichtige  Gleichung  fur  den 
urzeitlichen  Begriff  des  Webens  (vgl.  jetzt  auch  G.  Meyer  Berliner  Phil.  W.  1891 
S.  517  No.  18).  Lit.  dusti,  udis  hat  seine  Entsprechung  im  russ.  dial,  uslo 
Gewebe  (Miklosich  Et.  W.  S.  372),  und  die  slavischen  Worter  brudo,  berdo  etc. 
scheinen  ihr  Grundverbum  in  cpapaf  &<pouveiv  (Hesych)  zu  finden.  —  Immerhin 
wird  man  mit  Rucksicht  auf  Reihen  wie  ocpouvoj  —  ahd.  iveban  und  scrt.  vd, 
vdyati,  dessen  Sippe,  zu  der  auch  das  oben  genannte  navo'i  geho'rt,  Sprachver- 
gleichung  und  Urgeschichte,  2.  Aufl.  S.  477,  Reallexikon  S.  938  zusammen- 
gestellt  ist,  sagen  diirfen,  dass  schon  in  der  Urzeit  die  Weberei  der  Indo- 
germanen  soweit  entwickelt  gewesen  sein  muss,  dass  eine  Differenzirung  ihrer 
Benennung  von  derjenigen  der  verwandten  Kunst  des  Flechtens  (scrt.  pragna 
Geflecht,  griech.  uXsxcu,  lat.  plecto,  ahd.  flihtu,  altsl.  plesti)  nothig  war.  Dass 
diese  Entwicklung  in  der  Erfindung  eines  wenn  auch  primitiven  Webstuhls 
bestand,  wird  man  glaublich  finden,  auch  wenn  man  auf  die  iibereinstimmenden 
Bildungen  aus  der  Wurzel  sthd:  scrt.  sihavi  Weber,  griech.  ioto?  Webstuhl, 
t3TY|fiu>v  Aufzug,  lat.  stamen  (das  nicht  entlehnt  zu  sein  braucht),  lit.  stakles, 
slav.  stani  kein  sonderliches  Gewicht  legt.  Anders  tiber  altsl.  kqdeli  urtheilt 
Miklosich  Et.  W.  S.  127.] 

21.    S.  62. 

Dass  Griechen  und  Lateiner  und  respective  Litauer  und  Slaven  das  Gold 
unter  sich  abweichend  benennen,  ist  ein  zwingender  Beweis  fur  die  spate 
Erscheinung  dieses  Metalles  in  Europa.  Das  lateinische  aurum  Gold,  aurora 
Morgenrote  u.  s.  w.  lautete  urspriinglich  ausum,  ausosa;  der  etruskische 
Sonnengott  Usil  lasst  vermuthen,  dass  auch  die  Etrusker  das  Gold  ahnlich, 
wie  die  Latiner,  benannten;  denselben  Namen  finden  wir  am  entgegengesetzten 
Ende  Europas,  preussisch  ausis,  litauisch  duksas  (mit  der  im  Litauischen 
haufigen  Verstarkung  durch  k  vor  «);  wie  anders  gelangte  der  italische  Name 
an  das  hochnordische  Meer,  als  auf  dem  Wege  des  Bernsteinhandels,  der  auf 
der  heiligen  Strasse  der  Etrusker,  von  den  Heliaden  und  dem  Eridanus  im 
innern  Winkel  des  adriatischen  Busens  zu  den  Haffen  und  Nehrungen 
Preussens  ging?  Die  Letten  brauchen  statt  dessen  das  slavische  Wort  selts; 
sie  wohnten  also  schon  damals  abseits,  wo  sich  kein  Bernstein  mehr  fand 
und  wohin  die  italischen  Einfltisse  nicht  reichten.  Spater  als  die  Preussen 
habet  die  Kelten  das  Gold  von  Italien  her  empfangen,  namlich  zu  einer  Zeit, 
wo  im  Wort  aurum  das  s  schon  in  r  iibergegangen  war;  altirisch  or,  in  den 
jiingeren  Dialekten  our,  eur,  owr,  —  so  grosse  Freude  dieser  Volksstamm 
auch  spater  an  dem  glanzenden  Goldschmucke  hatte.  Slaven  und  Germanen 
haben  ein  gemeinsames  Wort:  goth.  gulth,  slav.  zlalo,  welches  spater  Herkunft 
ist,  da  es  den  Litauern  fehlt,  und  nicht  nach  Italien,  sondern  nach  Sudosten 
in  die  iranische  Welt  weist.  Das  griechische  XPUO°?»  ^ass  81C^  diesen  Formen 
allerdings  anreihen  lasst,  wurde  von  Pott  schon  vor  langer  als  eiuem 


Anmerkimgen.  563 

Menschenalter  fiir  entlehnt  aus  dem  Phonizischen  erklart  und  auch  Renan  ist 
dieser  Ansicbt,  zu  Max  Mutters  Mythologie  comparee  p.  36:  »^po3o<;  me  paratt 
le  semitique  kharous,  qui  aurait  passe  en  Grece  par  le  commerce  des  Pheniciens, 
•comme  le  mot  jAstaXXov.«  In  der  That  haben  neuere  Inschriftenfunde  [Siehe 
A.  Bloch.  Neue  Beitr.  z.  e.  Glossar  d.  phonizischen  Inschriften]  gelehrt,  dass 
das  im  Hebraischen  nur  poetische  charus  bei  den  Phoniziern  der  gewohnliche 
Ausdruck  fiir  Gold  war.  Das  Gold  bahnte  sich  erst  allmahlig  den  Weg  in 
die  Wildnisse  Europas  und  des  turanischen  Asiens,  worauf  dann  die  erwachte 
Oier  darauf  fiihrte,  auch  den  heimischen  Boden  nach  dem  verborgenen 
Schatze  umzuwiihlen  und  auszuwaschen.  Die  westlichen  Finnen  benennen 
das  Gold  mit  dem  deutschen  Worte;  die  Wolga-  und  Uralstamrae,  darunter 
auch  die  Magyaren,  brauchen  lauter  iranische  (massagetische ,  Herod.  1,  215) 
Namen,  so  Jung  und  triigerisch  ist  die  Sage  von  dem  Sitze  des  Goldes  in 
jen em  hoi  i  en  Nordosten.  - 

Auch  bei  dem  Silber  scheiden  sich  die  europaischea  Volker  nach 
Grnppen:  Germanen,  Litauer  und  Slaven  haben  einen  Ausdruck  dafiir, 
"Griechen  und  Romer  einen  andern,  welcher  letztere  ganz  wie  ein  Nachhall 
aus  Asien  klingt,  wahrend  jener  erstere  (goth.  silubr,  slav.  srebro,  preuss. 
siraplis)  lebhaft  an  das  homerische  5AX6£f]  am  Poatus  (fiir  eAX6^vj  uud  dies 
fiir  SaXo^Y]?),  od-ev  <5tpppoo  eau  YevefrXiri,  erinnert.  Seltsam  ist  es,  dass  die 
Syrer  und  dann  die  Perser  ihre  alten  Namen  des  Silbers  ganz  oder  theilweise 
aufgaben  uud  dafiir  das  griechische  aof]uo<;  (ungemiinzt)  in  der  Form  sdm,  sim 
anuahmen.  [Entgegen  der  Annahme  Hehns,  dass  das  Gold  der  idg.  Urzeit 
uubekannt  gewesen  sei,  hat  zuerst  Fick  die  Gleichung  scrt.  hdtaJca  =  goth. 
gulth,  slav.  zlato  aufgestellt.  Doch  halteu  -wir  das  indische  Wort,  welches  nach 
dem  Petersburger  Worterbuch  zunachst  Volk  und  Land  Hdtaka  und  dann  erst 
Gold  vom  Lande  H.  bezeichnete,  fiir  ungeeignet  zu  etymologischen  Zwecken. 
Das  slavisch-germanische  Wort  weist  zwar  insofern  »in  die  iranische  Welt«, 
als  es  von  derselben  Wurzel  wie  iran.  zaranya,  scrt.  hiranya,  auch  vielleicht 
phrygisch  y\oup6<;  gebildet  ist;  doch  sieht  man  nicht,  wie  das  iranische 
Wort  auf  die  Entstehung  des  slavisch-germanischen  von  Einfluss  hatte 
seiu  konnen.  Die  Entlehnung  des  italischen  ausom  (so  auch  Kretschrner 
Einleitung  S.  150)  in  das  Litauische  (duksas)  wiirde  wesentlich  an  Wahrschein- 
lichkeit  gewinuen,  wenn  es  gelange  anders  als  nur  rnit  Berufung  auf  etr.  Usil 
nachzuweisen,  dass  die  Etrusker  ahnlich  wie  die  Italer  das  Gold  benannt 
hatten;  denn  die  Romer  selbst  kamen  mit  dem  samlandischen  Bernstein  erst 
durch  die  bekannte  Reise  des  romischen  Ritters  unter  Nero  (Plin.  hist.  nat. 
37,  3,  45)  in  direkte  Beriihrung.  In  dieser  Zeit  lautete  aber  das  Wort  natiir- 
lich  nirgends  mehr  ausum.  Doch  ist  das  etrurische  Wort  fiir  Gold  noch  un- 
bekannt.  Deecke  (brieflich)  verweist  auf  etr.  Eigeunamen  wie  auslu,  auzrenas, 
W.  Tomaschek  (Litbl.  f.  or.  Phil.  I,  126)  mochte  an  illyro-venetische  Ortsnamen 
wie  Ausuco,  Ausancala  ankniipfen.  Uebrigens  siud  Goldfunde  in  Ostpreussen 
sehr  spat  und  sehr  selten  (vgl.  Bezzenberger ,  Deutsche  Litteraturz.  1892 
S.  1488).  —  Fiir  das  Silber  scheint  es  eine  idg.  Gleichung:  scrt.  rajata,  zend. 
erezata,  armen.  arcath,  lat.  argentum,  altir.  argat  zu  geben.  Da  aber  das  indische 
Wort  in  der  altesten  Zeit  noch  einfach  weisslich  bedeutete,  so  ist  es  sehr 
wohl  moglich,  dass  dies  iiberhaupt  die  Bedeutung  der  indog.  Sippe  war.  Die 
Eenenuung  des  silberreichen  Armenien  konnte  dann  massgebend  fiir  die  Aus- 

36* 


Anmerkungen. 

\vahl  gerade  dieses  Stamraes  bei  Indern  und  Irauiern,  das  lateinische  Wort 
vorbildlich  fiir  die  Kelten  (vgl.  jetzt  auch  R.  Much  Z.  f.  deutsches  Alter- 
thum  42  S.  164)  sein.  Die  Albanesen  haben  sowohl  ihr  Wort  fiir  Gold  (ar) 
\vie  das  fiir  Silber  (argant]  aus  detn  Lateinischen.  Leider  dunkel  1st  thrakisch 
p'.a  (Hesych)]. 


22.    S.  62. 

Da  die  Kermtniss  des  Metalles  in  den  Combinationen  iiber  die  soge- 
nannten  Pfahlbauten  einen  hauptsachlichen  Eintheilungsgrund  abzugeben 
pflegt,  so  benutzen  wir  den  gegebenen  Anlass,  um  dieser  Reste  alten  Menschen- 
daseins,  auf  die  wir  noch  bin  und  wieder  werden  zuriickkommen  miissen,  in 
einigen  Worten  zu  gedenken.  Da  ist  nun  zuvorderst  zu  sagen,  dass  es  nicht 
gut  tbut,  die  Urgeschichte  der  europaischen  Menschheit  nach  isolirten  Ge- 
sichtspunkten  ergriinden  zu  wollen:  haltlose  Phantasien  sind  die  Folge.  Aber 
die  Graberforscher  mit  ihren  drei  Zeitaltern  wussten  oft  wenig  von  alter 
Ethnographic  und  iiberlieferter  Geschichte;  den  reinen  Ethnologen  mit  ihren. 
Menschenracen  fehlte  das  Licht  der  cornparaliven  Sprachforschung;  Sprach- 
vergleicher  haben  nicht  immer  die  Thatsachen  und  Moglichkeiten  der  Kultur- 
geschichte  in  Rechnung  gezogen;  theologisirende  Urhistoriker  geben  sich  nicht 
die  Miihe  oder  konuten  sich  nicht  entschliessen,  das  Gewicht  der  Urkunden, 
auf  deren  Text  sie  sich  bezogen,  vorher  historisch-kritisch  festzustellen.  Was 
nun  die  Wohnungen  auf  Pfahlen  in  Seen  und  Siiinpfeu  betrifft,  so  ist  es  nicht 
wahr,  dass  die  Geschichte  ganzlich  iiber  sie  schweigt.  Hippokrates  de  aere, 
locis  etc.  22.  p.  268  Ermerins  berichtet  von  den  Kolchiern,  sie  hatten  ihre 
Wohnungen  von  Holz  und  Rohr  mitten  in  den  Wassern  errichtet:  td  te 
olx-f]|jiaTa  |6Xiva  xai  TtaXotjjtiva  ev  TOIOI  58aat  jjiEjj.Y])(avr]jj.eva.  Diese  Kolchier  sind 
das  von  Andern  Moauvotxot  genannte  Volk,  das  eben  nach  seinen  holzernen 
Thiirmen  (pLoouvot,  JJLOOUVSC,  auch  mit  doppeltem  o)  so  geheissen  war.  Freilich, 
welcher  Volkerfamilie  die  Kolchier  angehorten,  ist  ungewiss.  Dass  aber  auch 
indoeuropaischen  Stammen  diese  Bauart  nicht  fremd  war,  lehrt  der  merk- 
wiirdige  Bericht  des  Herodot  5,  16  iiber  das  Volk  der  Paoner  in  Thrakien, 
eine  Stelle,  die  der  Welt  mehr  als  zweitausend  Jahre  vorlag,  ehe  bei  Meilen 
im  Ziirchersee  zum  allgemeinen  ungeheuren  Staunen  alte  Pfahle  nebst  eiuer 
»Kulturschicht«  entdeckt  wurden.  Die  Paoner,  erzahlt  der  Vater  der  Ge- 
schichte, wohnen  auf  Pfahlen  im  See  Prasias;  wer  eine  Frau  uimint  —  und 
sie  verheirathen  sich  mit  mehr  als  einer  —  ,  hat  drei  Pfahle  einzurammen, 
zu  denen  ein  naher  Bergwald  das  Material  liefert;  die  Pfahle  tragen  ein  Ver- 
deck;  auf  diesem  hat  Jeder  seine  Hiitte  (xaXu^f)),  Fallthiiren  6'ffnen  sich  gegen 
den  See,  eine  schmale  Briicke  fiihrt  zum  Lande;  die  kleinen  Kinder  werden 
am  Fusse  angebunden,  um  nicht  ins  Wasser  zu  fallen;  Pferde  und  Hausthiere 
werden  mit  Fischen  gefiittert,  denn  der  See  ist  so  fischreich,  dass  man  durch 
die  Fallthiir  nur  einen  Eimer  herabzulassen  braucht,  um  ihn  mit  Fischen 
gefullt  wieder  heraufzuziehen  (oflfenbar  wegen  der  reichlichen  Nahrung,  die 
die  Abfalle  gewahrten).  Da  die  Thraker  auch  sonst  in  ihren  Sitten  sich  viel- 
fach  zum  Norden  stellen,  w  arum  soil  ten  nicht  um  dieselbe  Zeit  auch  die  Seen 
im  innern  Europa  auf  ahnliche  Weise  bewohnt  worden  sein?  um  so  mehr,  da 
zu  einer  Zeit,  wo  Europa  fast  nur  ein  grosser  Wald  war,  Fliisse  und  Seen 
natiirliche  Wege  und  Haltepunkte  abgaben,  solche  Wasserbauten  mit  leicht 


Anmerkungen.  565 

abgebrochenem  Zugang  aber  den  damaligen  Menschen  dieselbe  Sicherheit 
gewahrten,  wie  den  heutigeu  etwa  die  Festungen  Mantua  und  Comorn.  Ge- 
wiss  waren  die  sehr  alten  Stadte  Spina  und  Atria  im  Miindungsiande  des  Po, 
sowie  die  Wohnstatten  der  Veneter,  die  mitten  in  Sumpfen  und  Wassern  sich 
erhoben  (Strab.  5,  1,  5:  TU>V  8e  TioXscuv  ai  JJLSV  vrjai£oooi,  ai  8'  ex  |j.spoo<;  xXo£ovtat), 
in  ahnlicher  Weise  auf  Pfahlen  erbaut.  Ein  Bild  davon  giebt  uns  Ravenna 
in  vollig  heller  historischer  Zeit.  Ravenna  war  ganz  von  Holz  gebaut  und 
von  Wasser  durchstromt,  und  der  Verkehr  in  der  Stadt  geschah  durch 
Briickeniibergange  und  Gondeln  (Strab.  1.  1.  6:  ^O\OKOL^^  o/oq  xal  Bidppotoc, 
*fstf>6pat<;  xal  Tropfyjistoti;  68eoojxivY]);  alle  Gebaude  aber  rubten  auf  Pfahlwerk 
(Vitruv.  2,  9,  11:  est  autem  maxime  id  considerare  Ravennae,  quod  ibi  omnia 
opera  et  publica  et  privata  sub  fundamentis  ejus  generis  habent  palos  —  namlich 
von  Erlenholz,  welches  unter  der  Erde  von  unverganglicher  Dauer  war:  die 
Gebaude  selbst  bestanden  a  us  Larchenholz,  das  den  Po  hinabkaru  und  dem 
Feuer  Wider-stand  leisten  sollte).  Wie  Ravenna  war  auch  Altinum  niohts  als 
ein  veredeltes  Pfahldorf,  und  dieselbe  Kunst  und  Sitte  ist  es,  die  spater  in 
den  Lagunen  an  der  Brentamiindung  erst  kleine  Ansiedelungen,  dann  das 
prachtige  Venedig  entstehen  liess.  Casar  fand  das  Ufer  der  Themse  mit 
spitzen  Pfahlen  verwahrt  und  Pfahle  eben  der  Art  im  Flusse  steekend  und 
von  Wasser  bedeckt  (de  b.  g.  5,  18:  ejusdemque  generis  sub  aqua  defixae  sudes 
flumine  tegebantur}.  Dass  nun  unter  den  Resten  dieser  den  verschiedensten 
Punkten  des  indoeuropaischen  Gebietes  angehorenden  Bauten  sich  auch  solche 
finden,  die  nur  steinerne  Werkzeuge  enthalten,  ist  nicht  zu  verwundern.  Die 
einwandernden  Hirten  kannten  das  Metall  (in  Gestalt  des  Kupfers),  wie  die 
Gleichung  sauskr.  ayas,  zend.  ayarih^  lat.  aes,  goth.  aiz,  altirisch  larn  fiir  isarn 
beweist,  aber  dass  sie  es  nicht  zu  Werkzeugen  verarbeiteten ,  sondern  sich 
der  Steinwaffen  bedienten,  kann  nicht  zweifelhaft  sein  und  wird  unter  vielern 
Anderen  durch  Worter  wie  hamar  und  sahs  (Grimm  DM2  165)  bestatigt.  Je 
nach  ihrer  Stellung  in  der  Volkerreihe  erhielten  darauf  die  einzelnen  Starame 
friiher  oder  spater  von  Siiden  her  bronzene,  d.  h.  durch  Mischung  von  Kupfer 
und  Zinn  gehartete  Messer  und  Schwerter,  aber  dass  diese  Umwandlung 
plotzlich  geschehen  sei,  ware  eine  aller  Erfahrung  und  der  Natur  wider- 
sprechende  Annahme.  Es  danerte  gewiss  Jahrhunderte  lang,  ehe  in  Krieg 
und  Jagd,  bei  Fallung  und  Spaltung  der  Baumstamme,  beim  Schlachten  der 
Thiere  u.  s.  w.  die  steinerne  Axt  der  Concurrenz  des  bronzenen  Messers  wich 
und  endlich  ganz  ausser  Gebrauch  kam.  Gewohnheit,  ererbte  Fertigkeit  und 
Uebung,  das  Beispiel  der  Vorfahren,  Mythus  und  religioser  Aberglaube,  die 
naturliche  Stumpfheit  entlegener  Naturvolker,  dies  Alles  entschied  fur  das 
Stein-  und  Beingerath,  und  die  einzelnen  broncenen  Schwerter,  die  in  das 
innere  Land  drangen,  werden  lange  Zeit  nichts  als  Schmuck  und  Spielzeug 
der  Hauptlinge  gewesen  sein.  Als  Casar  in  Britannien  landete,  fand  er 
eherne  oder  eiserne  Gewichtsstangen  statt  Geldes  in  Gebrauch  (5,  12:  utuntur 
aut  aere  aul  taleis  ferreis  ad  cerium  pondus  examinatis  pro  nummo\  also  eine 
fiir  das  gallische  Festland,  das  langst  schon  Miinzen  pragte,  voriibergegangeue 
Epoche  in  Kraft;  die  Insel,  reich  an  Metallen,  auch  an  Zinu,  erhielt  dennoch 
ihr  Erz  nur  durch  Einfuhr  (aere  utuntur  importato},  und  die  Stamrae  irn 
Innern,  die  meistens  keinen  Ackerbau  trieben,  von  Fleisch  und  Milch  sich 
nahrten  und  mit  Fellen  bekleidet  waren,  werden  vom  Metall  wohl  noch  gar 


566  Anmerkungen. 

keinen  Gebrauch  gemacht  haben.  Im  germanischen  und  slavischen  Norden 
reicht  das  Steinalter  bis  tief  in  die  eigentlich  historische  Zeit  hinein,  ja  bervihrt 
sich  in  einzelneu  Fallen  sogar  mit  der  Epoche  des  Schiesspulvers.  Nach  all 
dem  scheint  die  Vermuthung  nicht  zu  gewagt,  dass  die  Bewohner  auch  der- 
jenigen  Schweizer  Pfahlbauten,  die  bisher  nur  Steingerath,  dabei  aber  Be- 
schaftigung  mit  Ackerbau  ergeben  haben,  keltischen  und  speciell  helvetischen 
Stammes,  die  der  Pfahldorfer  in  der  Emilia  Umbrer,  entweder  selbstaudige- 
oder  von  Etruskern  unterjochte,  die  der  mecklenburgischen  Seebauten  Gothen 
u.  s.  w.  gewesen  seien.  Das  einzige  Neue,  das  die  Aufdeckuug  der  Pfahl- 
dOrfer  geliefert  hat,  d.  h.  der  einzige  Um stand,.,  den  die  bisherige  Geschichte 
allein  vielleicht  nicht  mit  solcher  Bestimmtheit  hatte  constatiren  konnen,  ist 
die  Prioritat  des  Ackerbaues  vor  den  Metallen  und  zwar  eines  schon  vorge- 
schrittenen  Ackerbaues  mit  mehreren  Varietaten  Gerste  und  Weizen,  zierlich 
in  Biindel  gebundenem  geernteten  Flachs,  Baumfriichten  u.  s.  w.  Wenn  hier 
keine  Beobachtungsfehler  vorliegen  und  weun  nicht  etwa  spatere  Funde  das- 
bisherige  Resultat  wieder  umwerfen,  so  ware  damit  erwiesen,  dass  die 
Metallurgie  der  Kulturwelt  des  Mittelmeers  erst  sehr  spat  in  die  Gegend  des-' 
Bodensees  gedrungen  ist,  jedenfalls  spater  als  die  feste  Ansassigkeit  und  der 
Korn-  und  Flachsbau.  Eine  bedeutungsvolle  Sage  bei  Plinius  12,  5  scheint 
ausdriicken  zu  .wollen,  die  Schmiedekunst  sei  den  Galliern  aus  Italien  zuge- 
kommen  und  zwar  gleichzeitig  mit  der  Kenntniss  des  Weines  und  Oeles  oder 
nicht  lange  vor  dem  grossen  Bellovesus-  und  Sigovesuszuge:  ein  helvetischer 
Burger  Helico  (offenbar  ein  Reprasentativname)  hielt  sich  der  Schmiedekunst 
wegen  —  fabrilem  ob  artem  —  in  Rom  auf  und  brachte  von  dort  eine  ge- 
trocknete  Feige  und  Weintraube,  sowie  eine  Quantitat  besten  Weines  und 
Oeles  in  die  Heimat  mit,  und  dies  bewrog  die  Gallier,  die  Alpen  zu  iibersteigeii 
und  in  Italien  einzubrechen.  Da  dieser  Einbruch  gegen  das  Jahr  400  vor 
Chr.  erfolgte  (Zeuss,  Die  Deutschen  S.  165;  Contzen,  Die  Wanderungen  der 
Kelten  S.  102 ff.;  der  fruheren  Datirung  des  Livius,  dem  Otfr.  Mtiller  und 
M.  Duncker,  Origines  germanicae  p.  14  ff.,  Glauben  schenken  wollten,  steht 
als  entscheidende  Instanz  Herodot  ent gegen,  der  noch  von  keinen  Kelten  in 
Italien  weiss),  so  wiirde  die  Einfuhr  italischen  Metallwerks  in  das  voraus- 
geheude  Jahrhundert  fallen,  seit  etwa  hundert  Jahren  nach  der  Griindung 
Massilias;  die  kornbauende  Steinzeit  lage  dariiber  hinaus.  Wir  wissen  nicht, 
was  sich  historisch  und  kulturgeschichtlich  dagegen  einwenden  liesse.  Die 
Kelten  wurden  iibrigens,  als  sie  nach  ihrem  grossen  kriegerischen  Wander- 
znge  nach  Osten  feste  Wohnsitze  langs  den  Alpen  gewonnen  hatten,  Meister 
in  der  Metallarbeit;  sie  waren  die  schmiedenden  Zwerge,  die  die  Germanen 
und  den  ganzen  Norden  mit  Schwertern,  Kesseln  u.  s.  w.  versorgten.  Das 
norische  Eisen  wurde  beriihmt  uud  es  ist  nicht  auffallend,  wenn  deutsche 
Worter,  wie  Eisen  (goth.  eisarn  mit  dem  keltischen  Suffix  arna,  s.  Schleicher 
in  Hildebrauds  Jahrbuchern  1,  S.  410)  oder  Beil  (altirisch  biail,  altcornisch 
bahell,  Zeuss2  p.  1061)  oder  ahd.  g8r  der  Speer,  folglich  gothisch  gais  (die 
keltischen  FatoaTot  =  Speertrager,  Zeuss8  53)  oder  Briinne  (gothisch  brunjo, 
slav.  brunja,  ans  altirisch  bruinne  =  Brust,  Bauch,  Zeuss2  1058,  bru,  Gen. 
bronn,  Stokes  ir.  gl.  no  647  [doch  vgl.  jetzt  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  184,  186], 
wie  Panzer,  ital.  panciera,  auspantex  Wanst)  der  Entlehnung  aus  dem  Keltischen 
verdachtig  sind.  Nichts  wandert  so  leicht,  wie  Waffen  und  Waffennamen. 


Anmerkungen.  567 

[Nach  Ansicht  der  Prahistoriker  1st  fiir  die  steinzeitliche  Schicht  der 
Schweizer  Pfahlbauten  ein  wesentlich  hoheres  Alter  anzusetzen,  als  von  Hehn 
vorausgesetzt  wird.  Auch  der  indogermanische  Charakter  ihrer  altesten  Be- 
wohner  steht  noch  nicht  fest,  doch  ist  er  nicht  unwahrscheinlich,  da  die  in  den 
altesten  Pfahlbauten  hervortretende  Kultur  sich  im  wesentlichen  in  der  oben 
im  Text  S.  63  naher  bezeichneten  ureuropaischen  Kulturperiode  wiederfindet. 
Auf  der  damals  erreichten  Stufe  der  Gesittung  blieben  naturgemass  die 
Volker  diesseits  der  Alpen  Jahrhnnderte  stehen,  als  bereits  langst  Griechen 
und  Italer  in  den  Bannkreis  des  Orients  getreten  waren.  Weniger  wahr- 
scheinlich  diirfte  es  sein,  keltische  Indogermanen  als  lusassen  der  Schweizer 
Pfahlbauten  wie  der  Stationen  von  Mosseedorf,  Wangen,  Wauwyl  zu  betrachten, 
da  nach  den  Forschungen  K.  Miillenhoffs  im  I.  und  II.  Band  der  deutschen 
Alterthuraskunde  die  Kelten  ihre  Sitze  am  Mittelrhein  in  siidlicher  und  siid- 
ostlicher  Richtung  zu  spat  fiir  diese  Annahrne  verliessen.  In  Sonderheit  sind 
die  Helvetier,  wie  auch  Kaspar  Zeuss,  Die  Deutschen  und  die  Nachbarstamme 
S.  171,  222  annimmt,  wahrscheinlich  erst  vom  rechten  Rheinufer  in  die 
Schweiz  eingewandert  (Tacitus  Germ.  28).  Hingegen  hat  die  Annahme,  dass  die 
Pfahlbauten  der  Emilia  von  Italikern  bewohnt  gewesen  seien,  durch  W.  Helbigs 
Buch,  Die  Italiker  in  der  Poebne  1879  eine  erwiinschte  Bestatigung  erhalten. 

Die  angefiihrten  keltisch-germanischen  Entsprechungen  gehen  in  so  friihe 
Zeit  zuriick,  dass  deutliche  Kriterien  fiir  die  Annahme  der  Eutlehnung  fast 
ganz  fehlen.  Ahd.  bihal,  altn.  Hilda  ist  von  altir.  bidil  Beil  wahrscheinlich  zu 
trennen.  Vgl.  im  iibrigen  H.  d'Arbois  de  Jubainville,  Les  t^moignages  lin- 
guistiques  de  la  civilisation  commune  aux  Celtes  et  aux  Germain  s  (Revue 
Archeologique  3.  Se"rie  XVII,  1891).  Das  im  Text  genannte  ^aXxo?  hat  seine 
Entsprechungen  im  lit.  geleZls,  altpr.  gelso,  altslav.  ielezo  Eisen  ,  wahrend  fiir 
piitaXXov  eine  sichere  Erklarung  noch  aussteht.  Ausfiihrliches  iiber  die  idg. 
Nutz-  wie  Edelmetalle  siehe  Sprachvergleichung  und  Urgeschichte  2.  Aufl. 
Abh.  Ill  uud  mein  Reallexikon  passim.] 

23.  S.  66. 

Auch  in  der  schoneu  Stelle  des  Euripides  Bacch.  274  ff.  werden  die 
Gaben  der  Demeter  und  des  Bacchus  oder  Brot  und  Wein  als  die  ersten 
Giiter  des  Menschengeschlechts  gepriesen. 

24.  S.  67. 

Auf  die  Stelle  II.  7,  467  ff.,  wo  Euneos,  d.  h.  der  Wohlschiffende,  dei 
Sohn  des  lason,  von  der  thrakischen  Insel  Lemnos  zum  achaischen  Lager 
weinbeladene  Schiffe  sendet  ,  die  Erz  und  Eisen  ,  Felle,  Ochsen  und  Sclaven 
gegen  den  olvo?  eintauschen,  wahrend  die  beiden  Atriden  abgesondert  tausend 
Mass  jji&o  erhalten  —  auf  diese  Stelle  ist  wenig  zu  bauen,  da  sie  den  jiingern 
Ursprung  an  der  Stirn  tragt.  Das  Wort  avSpdito8ov  geho'rt  der  attischen  Prosa 
an,  Euueos,  der  lasonide,  stammt  aus  II.  23,  747  u.  s.  w.  Der  Unterschied 
zwischen  oivo?  und  jne^D  ist  also  gleichfalls  nichtig. 


25.    S.  68. 

Maron  selbst  ist  nichts  als  eine  mythische  Personification  der  kikonischen 
Stadt    Isrnaros,  welche    mit  Wegfall   des   o  vor   y.    und  erweiterndem   Suffixe 


568  Aumerkungen. 

auch  Maroneia  hiess,  wahrend  ein  nahe  gelegener  See  den  Namen  Ismaris 
trug  (Herod.  7,  109).  Der  Sohn  des  thrakischen  Euraolpus  —  culturam  vitium 
et  arborum  (invenit)  Eumolpus  Afheniensis,  Plin.  7,  199  —  hiess  Ismarus  oder 
Immaradus  mit  assiinilirtem  Anlaut  und  genealogischem  Suffixe.  Die  Reihe 
Ismaros,  Ismaris,  Immaradus,  Maron,  Maroneia  enthalt  interessante  Winke 
fur  thrakische  und  speciell  kikonische  Lautverhaltnisse  und  Gesetze  der 
Wortbildung. 

26.  S.  69. 

So  deuten  wir  pooitX*}]£  hier,  nicht  als  Stachelstab  zum  Antreiben  der 
Ochsen.  Das  Beil,  die  uralte  Waffe,  die  aus  der  steinernen  Axt  stammt  und 
noch  deren  Form  zeigt,  dient  in  Kriegsscenen  immer  als  Attribut  der  Barbaren 
(Annali  dell'  instituto  arch.  1863  p.  339,  340).  Bei  Homer  ist  es  als  Waffe 
selten;  im  15.  Buch  der  Ilias  bekiimpfen  sich  Troer  und  Achaer  freilich  auch 

o£e'ci  Sr,  rceXexaoat  xai  dc^ivigoi  (v.  711), 

aber  unmittelbar  am  Schiffe,  das  Hector  schon  fasst  und  anzuziinden  hofft, 
also  Leib  an  Leib,  wie  auf  Zimmerholz  und  Opferthiere  auf  einander  zuhauend. 
Einmal  fiihrt  anch  der  Trojaner  Pisander  einen  Streich  mit  der  a£tvr)  gegen 
Menelaus,  wird  aber  von  diesem  mit  dem  Schwert  getodtet  (II.  13,  611). 

27.  S.  69. 

Es  ist  nicht  allzukiihn,  Semele  als  thrakisches  Wort  in  der  Bedeutung 
Erde,  Erdgottiu  zu  fassen.  Der  Stamm,  zu  dem  griech.  xaIAa^  u-  8-  w->  ^a^« 
humus  u.  s.  w.  gehort,  erscheint  zendisch,  litauisch  und  slavisch  mit  assibilirtem 
Anlaut.  Ebenso  finden  wir  das  thrakische  und  phrygische  Sabos,  Sabazios, 
die  macedonischen  Soiodoai  bei  Hesychius  u.  s.  w.  in  dem  Beinamen  des 
Dionysos  Tf]<;  oder  Teoc,  der  Feuchte,  feuchtbringende,  dessen  Ammen  auch 
die  Hyaden  sind,  wieder.  Es  giebt  einen  Sabazios  Hyes,  und  auch  die  Semele 
ward  von  Pherecydes  Hye  genannt.  Sabos  und  'TYJ?  stirnmen  buchstablich 
iiberein.  [Zu  Semele  »Erdgottin«  stellt  P.  Kretschmer,  Aus  der  Anomia  Berlin 
1890  S.  17 ff.  auch  phryg.  C^sXev  ,(B<ippapov  &v8paTtoSov'  (inschr.  zemelo}\  vgl.  dazu 
G.  Meyer,  Sitzungsberichte  S.  21.  —  Eine  andere  Ableitung  ftir  SejjiXfj  (ZsjxeXa) 
empfiehlt  Fick,  Vergl.  W.4  I.  S.  402,  indeni  er  ahd.  uo-chumil  ,racemus,  acinus' 
vergleicht(P).  Die  Gleichstellung  von  Sabos  und  T-/]?  scheint  uns  wenig  glaublich. 
Wir  denken  fur  letzteres  an  den  oben  S.  93  genannten  Namen  des  wilden 
Weins  ut-rjc,  vgl.  66?  und  6to<;,  tiber  Sabazios  vgl.  Kretschmer  Einleituug  S.  195 
und  mein  Reallexikon  S.  89.] 

28.  S.  70. 

Ebendahin  wurde  der  pipXtvo?  olvo?  bei  Hesiod.  Op.  et  d.  589,  fiihren, 
insofern  er  bald  von  Thrakien,  bald  von  Naxos  abgeleitet  wird,  Steph.  Byz.: 
X"*Pa  @pa^?'  &TCO  tauTY)?  6  BtpXtvo?  olvo?.  oi  8s  arco  BtpXta?  flcfiireXou, 
85  6  A-qXio?  TOV  Na^iov  <pirjoiv,  eimS-^  Nd^ou  TCotajj.6?  Bt^Xoc.  Stammt  der 
Name  von  der  phonizischen  Stadt  Byblus  (phonizisch  Gybl  d.  h.  Hohe, 
althebr.  Gobel,  die  Stadt  der  Gibliter),  wie  in  dem  Verse  des  Archestratus 
bei  A  then.  1,  p.  28  angedeutet  ist: 

Tov  8'  Gcrco  <l>oivty,Yj£  Ipac,  TOV  pu^Xtvov,  alvto, 
so  sind  die  Varianten  ^o^Xivo?  und  pipXtvo?  gleich  richtig,  da  der  phouizische 


AnmerkuDgen.  569 

Yokal  auf  die  eine  und  die  andere  Art  wiedergegeben  werden  kann;  nicht 
weit  liegt  auch  die  nasalirte  Form  ^ifApXivo?  (bei  Hesychius)  ab.  Merkwiirdig 
1st,  dass  dieser  Wein  uns  spater  auf  sicilischem  und  unteritalischem  Boden 
begegnet:  er  kam  bei  Epicharmus  vor,  Theokrit  erwahnt  seiner  (14,  15),  der 
Geschichtsschreiber  Hippys  von  Rhegium  erzahlte,  er  sei  von  Italien  nach 
Syrakus  verpflanzt  worden  (Athen.  1,  p.  31);  endlich  findet  er  sich  auf  der 
ersten  der  beiden  herakleotiscben  Tafeln,  wenn  die  dort  vorkommenden  Aus- 
driicke  a  j3o(3Xia  und  tav  (3o|BXtvav  jj-ao^aXav  von  Mazochi,  dem  Herausgeber  und 
Erklarer  der  Inschrift,  richtig  als  »biblische  Weinpflanzung«  gedeutet  sind 
(das  C.  I.  III.  no.  5774  und  5775  stimmt  ihm  bei:  recte  videtur  Mazochius  a 
vitis  genere  ex  ByUo  Phoenicia  repetendo  derivare,  unde  etiam  (WpXivo?  olvo;). 
Dass  diese  Benennung  indess  in  ein  so  hohes,  langst  verschollenes  Alterthum 
hinaufgehe  und  eine  Erinnerung  an  die  Kolonien  der  Byblier  enthalte,  die  die 
friihesten  aller  phouizischen  waren,  koramt  uns  nicht  wahrscheinlich  vor. 
Weniger  phantastisch  mo'chte  es  sein,  an  den  Byblusstoff  zu  denke.n,  da  Homer 
•dasselbe  Adjectiv  popXivo?  kennt;  er  legt  es  Od.  21,  391  einem  Schiffsseil  bei, 
welches  also  aus  Papyrus-Bast  gedreht  war.  Es  fragt  sich  nur,  wie  eine  Art 
Wein  danach  heissen  konnte.  Wurden  die  Beeren  auf  Byblus  Matten  gedorrt 
und  dann  erst  gekeltert,  so  dass  sie  eine  Art  Strohwein,  vinum  passum,  gaben? 
Oder  rankten  sich  die  Reben  an  Byblus-Stricken  fort,  wie  zu  Varros  Zeit  in 
der  Gegend  von  Brundisium  in  Italien?  Auf  Letzteres  wurden  die  Worte  des 
Hippys  von  Rhegium  fiihren,  Athen.  1,  p.  31:  'lima?  (so  heisst  er  an  dieser 
Stelle)  §£  6  (Prfli\>oz  TYJV  eiXeov  xaXoojjivfjv  ajjiTCsXov  Bi(3Xtav  cprjol  xaXela&ac.  Oder 
wurden  sie  mit  Byblus-Bandern  an  die  Stutzen  angebunden,  so  dass  die 
Trauben  sich  freier  entwickeln  konnten?  —  Grotefend  in  den  Annali  dell' 
iust.  VII  p.  275  und  nach  ihm  Gottling  zu  der  o.  a.  Stelle  des  Hesiod  leiteten 
auch  den  etruskischen  Namen  des  Bacchus  Fufluns  von  p6(3Xtvo<;  ab ;  Corssen, 
Sprache  der  Etrusker  1,  314  lehnt  diese  Zusammenstellnng  ab,  da  griechischem 
und  lateinischem  b  im  Anlaut  p,  niemals  f  entspreche.  —  Welche  Bewandtuiss 
es  mit  dem  von  Homer  an  zwei  Stellen  (II.  11,  638.  Od.  10,  235)  genannten, 
«um  Weinbrei  oder  Mischtrank  dienenden  pramneischen  Wein  eigentlich 
hatte,  und  ob  dieser  Name  eine  Art  Rebe  oder  Bereitungsart  oder  eine  Gegend 
und  welche  bezeichne,  wussten  die  spateren  Erklarer  offenbar  ebenso  wenig, 
als  was  der  (3ifJXivos  olvo?  eigentlich  sei,  obgleich  es  an  Vermuthungen  und 
Behauptungen  nicht  fehlte  (s.  besonders  Atheu.  1,  p  30)  und  der  pramneische 
oder  pramnische  Wein  auch  in  der  nachhomerischen  Zeit  hin  und  wieder 
erwahnt  wird,  z.  B.  von  dem  Komiker  Ephippus: 

cpiXcu  "p  np'ijJ.viov  o'.vov  Xsopiov 

(Athen.  1,  p.  28).  Erinnert  man  sich  des  thrakischen  oder  eigentlich  paonischen 
aus  Hirse  rait  Zusatz  von  xov6C*f]  gebrauten  Mischtraukes  rcapapiYj,  dessen 
Hecataus  Erwahnung  that,  so  wird  man  von  der  Vermuthung  beschlichen, 
das  Adjectiv  pramneisch  stelle  nur  eKe  andere  Form  desselben  thrakischen 
oder  phrygischen  Wortes  dar.  [?  —  Ueber  griech.  BopXo?,  (36pXo<;  =  phon. 
Gubel,  assyr.  Gubla  siehe  jetzt  Muss-Aruolt,  Transactions  XXIII.  S.  125.] 

29.    S.  71. 

Gehorte  olvoc,  vinum,  wie  zuerst  Pott  aufgestellt  hat,  in  eine  Reihe  mit 
viere,   vitis,  vitex,  vwien,  vitta,  lisa,  tto?  u.  s.  w.,  so  hatten   die  Griechen  und 


570  Anmerkungen. 

Lateiner  aus  einer  einheiiriischen  Wurzel,  die  winden,  ranken  bedeutete, 
vermittelst  eines  participialen  n  ihre  Benennung  des  Weines  gebildet.  Allein 
da  1.  das  Getrank  sowohl  durch  die  mannigfache  teclmische  Procedur,  deren 
Ergebniss  es  ist,  als  durch  Wirkung  und  Eigenschaften  zu  weit  von  der 
Pflanze  absteht,  um  nacb  deren  rankender  Natur  benannt  zu  werden;  2.  bei 
Uebertragung  dieser  Kultur  von  Volk  zu  Volk  zuerst  das  fertige  Produkt  ein- 
gefiilirt  und  mit  dem  freraden  Namen  benannt,  nacbher  erst  der  Anbau  selbst 
gelehrt  wird  —  \vo  sich  dann  leicht  jiingere  Worter  wie  OIVYJ,  olvdc,  oivapov 
u.  s.  w.  ergeben;  3.  die  nahe  Uebereinstimmung  des  semitischen  Wortes  nur 
durch  Entlehnung  von  Seiten  der  Griechen,  die  mit  der  Sache  auch  den  Namen 
empfingen,  ihre  Erkliirung  findet;  —  so  wird  mehr  als  wahrscheinlich,  das& 
vinum  nur  zufallig  an  vitis  anklingt,  jenes  ein  Fremdwort,  dieses  ein  ein- 
heimisches  mit  der  Bedeutung:  »biegsamesGewachs«  ist  (s.  unten  Anmerkung52)^ 
Auch  die  Gerinanen  entlehnten  das  Wort  Wein,  benannten  aber  die  Rebe 
deutsch  (ahd.  repd).  —  Curtius  no.  594  sagt:  »Warum  die  Frucht  der  Ranke 
nicht  selbst  ursprunglich  Ranke  genannt  sein  sollte,  ist  nicht  abzusehen. 
Das  litauische  Wort  bietet  die  schlagendste  Analogie«  (namlich  apwynys 
Hopfenranke,  Plur.  apwyniai  Hopfen).  Schlagend  ware  die  Analogic,  wenn  in 
irgend  einer  Sprache  das  Bier  nach  der  stachlichten  Natur  der  Aehre  be- 
nannt ware:  so  aber  ist  jener  litauische  Bedeutungsiibergang  ungefahr  der- 
selbe  wie  in  awi£a,  Haberkorn,  Plur.  aiviios  Haber  und  wie  in  hundert  ahn- 
lichen  Fallen.  Man  erwage  nur,  dass  vinum  ja  nicht  von  vitis  abgeleitet  ist,. 
wo  die  Sache  denkbar  ware,  sondern  unmittelbar  aus  einer  Wurzel  mit  der 
Bedeutung  f  lech  ten,  biegsam  sein  stammen  soil  —  denn  der  BegrifF 
ranken  ist  nur  untergeschoben ,  um  die  beliebte  Etymologie  scheinbar  zu 
machen,  und  wird  schon  durch  das  griechische  kla,  die  Weide,  ein  zahes,  zu 
Flechtwerk  dienendes  Holz,  widerlegt  [vgl.  hierzu  oben  S.  93  f.]. 

Auch  Mommsen  halt  unter  Anlehnung  an  eine  angebliche  sanskritische 
Verwandtschaft  fur  wahrscheinlich,  dass  das  in  Italien  eiuziehende  Urvolk 
den  Weinstock  schon  mitgebracht  habe  (an  mehreren  Stellen  seiner  Romischen 
Geschichte,  besonders  1,  173  f.  der  zweiten  Auflage).  Allein,  da  der  Weinbau 
den  hochsten  Grad  von  Ansassigkeit  voraussetzt,  so  ist  er  mit  den  Sitten 
einer  wandernden  Horde  nicht  vereinbar.  Volkerwanderungen  in  Masse  sind 
auf  der  Stufe  kriegerischen  Hirtenlebens  natiirlich,  bei  ausgebildetern  Acker- 
bau  mit  Bodeneigenthum  und  festen  Hausern  nur  unter  ganz  besonderen 
Umstanden  und  in  hochst  seltenen  Fallen  mOglich,  bei  Baumzucht  und 
Weinbau  ganz  undenkbar.  Man  sehe  die  Briten  oder  die  Germanen  des- 
Gasar,  ihre  Rindviehzucht,  ihren  beginnenden,  halb  nomadischen  Ackerbaur 
ihre  aus  Milch  und  Fleisch  bestehende  Nahning,  ihre  Bekleidung  mit  Fellen 
u.  s.  w.  Glaubt  man,  sie  batten  Weinbau  treiben  konnen,  der  so  viel  Sorge 
fiir  die  Zukunft,  so  viel  Vermittelungen  der  Kultur  in  sich  schliesst?  Sier 
die  wahrscheinlich  nur  Sommerkoru  bauten,  da  die  Wintersaat  schon  einen 
zu  feinen  Plan  und  eine  zu  weite  Berechnung  voraussetzt  (Roscher,  Ansichten 
der  Volkswirthschaft,  Leipzig  und  Heidelberg  1861:  Ueber  die  Landwirthschaft 
der  altesten  Deutschen,  S.  75  flf.  —  v.  Sybel,  Kleine  historische  Schriften  1863r 
S.  35  ff.),  sie  batten  sich  mit  Rebstocklingen  befassen  koniien,  die  erst  nach 
Jahren  die  ersten  Beeren  tragen  ?  Nun  stand  aber  das  in  Italien  einbrechende 
Wandervolk  gewiss  auf  keiner  hoheren  Lebensstufe,  als  die  Germanen  der 


Anmerkungen.  571 

altesten  Geschichte,  eher  auf  einer  niedrigereri  ;  sie  kamen  mit  Rindern, 
Schweinen  und  steinernen  Aexten,  aber  sicherlich  nicht  mit  dem  Weinstock. 
Der  Unterschied  in  der  Entwickelung  der  grossen  Volkergruppen  Europas 
besteht  nur  in  dem  friiheren  oder  spateren  Eintreten  in  bestimmte  Phasen 
der  Kultnr:  die  Griechen  wurden  vom  Orient  aus  angeregt,  die  Italer  von  den 
Griechen;  die  Kelten  wandten  sich  zum  Acker-,  Stadte-,  Wege-  und  Briicken- 
bau  urn  Jahrhunderte  spater,  als  die  graeco-italischen  Stamme,  von  denen  sie 
mancherlei  lernten;  wieder  um  Jahrhunderte  spater  die  Germanen,  die  unter- 
dess  die  civilisirende  Einwirkung  der  Kelten  erfahren  hatten;  noch  spater  im 
Riicken  der  Germanen  die  Slaven  unter  fortwahrendem  Bildungseinfluss  des 
germanischen  Westens.  Der  Unterschied  des  Naturells  und  des  Klirnas  ver- 
steht  sich  hierbei  von  selbst,  aber  gerade  das  Klima  gebietet  ein  allmahliges 
Aufsteigen  des  Weinstocks  von  Sudosten  und  verbietet  die  Herabkunft  desselben 
von  jenseit  der  Alpeu.  Dass  vom  Gesichtspunkt  romischer  Quellen  und 
Traditionen  der  Weinbau  in  Italien  als  sehr  alt  erscheint,  geben  wir  zu,  nur 
fragt  sich,  wie  alt?  Die  Zeit  griechischer  Einwirkuug  ist  fur  die  Feststellung 
des  romischen  Rituals  und  uberhaupt  fiir  Italien  —  von  Rom  aus  gesehen  - 
immer  noch  eine  sehr  alte,  eine  Urzeit.  Wenn  z.  B.  der  Stammgott  der 
Sabiner,  Sancus,  als  Winzer,  vitisator,  mit  der  gebogenen  Sichel  gedacht 
wurde,  so  wollten  dieselben  Sabiner  doch  auch  von  Sabus  dem  Lacedamonier 
abstammen  ! 

30.    8.  73. 

Der  griechische  Ausdruck  xajj.'/|  (schon  bei  Homer  und  Hesiod)  bedeutete 
nur  die  leichte,  rohrartige  Ruthe  oder  Stange,  an  die  die  Reben  sich  klammerten 
oder  die  von  Baum  zu  Baum  gezogen  wurde:  der  Weinberg  auf  dem  Schilde 
des  Herakles  bei  Hesiod  (v.  897)  schwiugt  sich  mit  Blattern  und  xajxaxec  hin 
und  her: 


t  v.a 
und  das  sarfjxst  in  dem  entsprechenden  Verse  der  Ilias  18,  563: 


will  wohl  nur  sagen,  dass  Rohrstiitzen  in  durchlaufenden  Reihen  eingesteckt 
waren  und  die  Reben  hi  el  ten.  Auch  die  jiingere  Benennung  x"Pa£  (wovon 
nach  Diez  das  franzosiche  e'chalas),  eigentlich  ein  zugespitzter  Steckling,  wird 
ursprunglich  im  Sinne  von  Rohr  oder  Ruthe  gebraucht:  die  ^dpaxec  z.  B., 
die  die  fiinf  reichen  Corcyraer  bei  Thucydides  3,  70  aus  dem  Hain  des  Zeus 
und  des  Alkinoos  geschnitten  haben  sollten,  konnen  nur  Ruthen  gewesen 
sein,  da  die  Schuldigen  fiir  jedes  Stuck  einen  Stater  bezahlen  sollten  und  die 
Strafe  ubermassig  hart  schien,  aus  einem  geweihten  Hain  aber  nicht  viele 
Pfahle  unbemerkt  gehauen  werden  konnten.  Der  eigeutlich  griechische  Aus- 
druck fiir  Weinpfahl  ware  rcr^o?  oder  Tcy486v  (entsprechend  dem  lateinischen 
pedare  vineam,  pedamentum,  pedum  der  Hirtenstab  u.  s.  w.,  nur  mit  gesteigertem 
Wurzelvocal,  buchstablich  =  goth.  fotus\  aber  dies  Wort  kam  zu  keiner  Ent- 
wickelung:  es  erscheint  bei  Homer  in  der  Bedeutung  Fussende  des  Ruders; 
in  der  Stelle  II.  5,  838,  wo  von  der  buchenen  Wagenachse  die  Rede  ist,  gab 
es  eine  alte  Lesart  nrjStvo?  statt  cp-f]Ycv°S  (8-  Eustath.  zu  der  Stelle)  und  bei 
Theophrast  h.  pi.  5,  7,  B  hat  Schneider  nach  Handschriften  irrjSo?  fur  den 
Baum,  der  zu  Wagenachsen  und  Pflugbaumen  dient,  wiederhergestellt 


572  Anmerkungen. 

(s.  Schneid.  zu  Theophr.  h.  pi.  4,  1,  3).  —  Sind  die  Oenotrer  von  den  Wein- 
pfahlen  benannt,  so  ftthrt  der  Name  der  in  Italien  altesten  Traube,  der  vitis 
Aminaea  oder  Aminea,  seltsamer  Weise  zu  den  Peucetiern,  dem  Brudervolk 
der  Oenotrer.  Philargyr.  ad  Verg.  G.  2,  97:  Aristoteles  in  Politiis  scribit 
Amineos  Thessalios  fuisse,  qui  suae  regionis  vites  in  Italiam  transtulerint,  atque 
illis  inde  nomen  impositum.  Dazu  die  Glosse  des  Hesyclrius:  4]  yap  neoxstUx 
'Ajxtvaia  XeYstQ".  Auch  nach  Macrobius  Sat.  3,  20,  7  war  die  amineische 
Traube  nach  einer  Gegend  benannt:  Aminea,  scilicet  e  regione,  nam  Atninei 
fuerunt  ubi  nunc  Falernum  est.  Galenus  verlegt  an  zwei  Stellen  seiner  Schriften 
den  amineischen  Wein,  den  er  wasserig,  68aTo>8if]?,  und  leicht,  XSTCTO'C,  nennt, 
in  die  Umgegeud  Neapels,  de  ruethodo  medendi  12,  4:  5  te  NeairoXinrjs  b 
'A[j.tvacoc,  sv  TOI?  TCspl  NsarcoXiv  ^wpioi<;  Y£V^H-evo?>  de  antid.  1,  3:  8  TS  ev  NsarcoXsi 
xata  too?  &TCOx^|jivoo<;  aorjj  X6<pooc,  'Afuvaiot;  JJLSV  ovofxaCofxevoc  *.  T.  X.  Danach 
besserte  Voss  in  der  soeben  angefuhrten  Stelle  des  Macrobius  Salernum  statt 
Falernum  (worin  ihm  Val.  Rose,  Aristot.  pseudepigr.  p.  467  beizustimmen 
scheint)  und  verstand  unter  dem  Peucetien  des  Hesychius  das  Land  der 
Picentiner  sudostlich  von  Neapel.  Allein  die  amineische  Traube  war  gerade 
in  dem  eigentlicheu  Carnpanien  recht  zu  Hause.  Wenn  Varro  die  vitis  Aminea 
auch  Scantiana  nennt  (de  r.  r.  1,  58,  Plin.  14,  47),  so  ist  dies  Wort  doch  von 
der  silva  Scantia  abgeleitet,  die  eben  in  Campanien  lag.  In  alter  wie  in  neuer 
Zeit  wurde  die  Rebe  in  Campanien  hoch  an  Baumen  gezogen,  und  eine  vitis 
arbustiva  war  gerade  die  amineische.  Letzteres  geht  aus  den  Beschreibungen 
bei  Columella  3,  2,  8 — 14  und  Plinius  14,  21  ff.  und  aus  den  Vorschriften  der 
Geoponica  4,  1,  3.  5,  17,  2.  5,  27,  2  deutlich  genug  hervor.  So  konnte  die 
amineische  Traube  der  Gegend,  in  der  zu  Galenus'  Zeit  der  amineische  Wein 
wuchs,  ursprtinglich  angehoren.  Die  Peucetier  freilich,  das  Fichtenvolk, 
dachte  man  sich  spater  anderswo,  allein  dieser  Name  ist  ein  Appellativum, 
mit  dem  der  Begriff  von  Wald  und  Baumen  verkniipft  wurde,  und  an  Waldern 
fehlte  es  Campanien  auch  zu  Ciceros  Zeit  nicht,  wie  ausser  der  soeben 
erwahnten  Scantia  die  silva  Gallinaria  am  Fluss  Volturnus  beweist,  ein  iioch 
jetzt  vorhaudener,  aus  Fichten  bestehender  Wald.  Die  thessalische  Herkunft 
besagt  wohl  weiter  nichts,  als  dass  diese  Traube  in  die  alteste  Zeit  der 
griechischen  Ansiedelung  hinaufging.  —  Liest  man  bei  Hesychius  [xop-pov 
?looc;  ajxTCsAou  und  erinnert  sich  der  von  Cato  Murgentinum  genannten  Rebenart, 
so  treten  auch  die  Morgeten  zum  Weinbau  in  Beziehung.  In  den  zahlreichen 
Benennungen  fur  Traubensorten  steckt  tiberhaupt  noch  manches  Alterthum. 
Dem  Namen  der  visula  z.  B.  liegt  wohl  das  griechiche  oloo;,  oboe,  oloov,  olaua 
(das  Adjectiv  olouivo?  schon  homerisch)  zu  Grunde,  franzOsisch  osier,  bretonisch 
oazil.  Sollte  die  spionia  oder  spinea,  die  an  den  Pomundungen  heimisch  war, 
auf  das  griechische  t|;tvo|j.ai,  '}tva<;  zuriickzufuhren  sein,  da  an  die  altberuhmte 
Stadt  Spina  zu  denken  allzukiihu  ware?  —  Merwiirdig  ist,  wie  die  Ver- 
schiedenheit  in  Anpflanzung  und  Erziehung  der  Reben  je  nach  der  Landschaft 
vom  fruhen  Alterthum  bis  auf  den  heutigen  Tag  sich  erhalten  hat.  Die  Pro- 
vence zieht  ihren  Wein  noch  jetzt,  wie  die  Phokaer  es  gewohnt  waren;  die 
ahnliche  catalonische  Methode  stammt  von  den  messaliotischen  Pflanzstadten ; 
in  Toskana  und  in  der  Carapagne  von  Neapel,  vom  Volturno  siidlich,  wachst 
der  Wein  an  hohen  Ulrnen  und  Pappeln  empor,  in  der  Lombardei  schlingt 
er  sich  an  Massholderbaumchen  (opulus  gleich  populus  in  keltischer  Aus 


Anmerkungen.  573 

sprache  [?],  rait  unterdrucktem  anlautenden  p,  wie  athir  =  pater.  iasg=piscis 
u.  s.  w.)  in  Guirlanden  (rumpi,  traduces)  fort,  in  den  Alpenthalern  bildet  er 
weite,  saulengetragene  Lauben  —  Alles  wie  zur  Zeit  des  Varro,  Plinius  und 
Columella.  Den  Weinbau  in  der  baumlosen  Levante  schildern  Unger  und 
Kotschy,  Die  lusel  Cypern,  S.  449:  »Auch  ohne  Stiitze  muss  der  Reben- 
scbossling  sein  Leben  fristen,  seine  Trauben  tragen  und  sie  zur  Reife  bringen, 
denn  woher  sollte  das  Holz  zu  den  Stiitzen  genomraen  werden,  die  ihni  wie 
in  unseren  Weingarten  die  Last  der  Fruchtschwere  erleichterten?  Dazu  ist 
weder  auf  den  ionischen  Inseln,  weder  in  ganz  Griechenland,  in  Syrien  und 
Palastina,  noch  hier  auf  der  Insel  (Cypern)  das  Material  vorhanden.  Wer 
den  Orient  bereiset,  gewohnt  sich,  dort  wo  der  Weinstock  nicht  seinem  natiir- 
lichen  Triebe  folgen  und  in  den  Wipfeln  der  Baume  griinen  und  hausen 
kann,  ihn  als  eine  planta  humifusa  in  grosster  Submission  und  Sclaverei  zu 
betrachten.« 

31.  S.  79. 

Etwas  ganz  ahnliches  erlebte  Portugal  noch  in  der  zweiten  Halfte  des 
18.  Jahrhunderts.  Das  in  den  tiefsten  wirthschaftlichen  Verfall  gerathene 
Land  fand  eine  Quelle  des  Erwerbs  nur  noch  in  der  Weinproduction,  die  sich 
nun  durch  das  ganze  Land,  auf  giinstigem  und  ungiinstigem  Boden,  an  Stelle 
des  Ackerbaues  gesetzt  hatte.  Der  Minister  Pombal  befahl,  in  ganzen 
Districten,  namentlich  im  Thai  des  Tajo,  die  Weinstocke  auszureissen  und 
das  Land  mit  Getreide  zu  besaen.  Der  Befehl  wurde  ausgefuhrt,  denn  der 
gewaltsame  Reformator  duldete  keinen  Widerspruch. 

32.  S.  70. 

[Lat.  posca  ist  einheimisch  in  Italieu  und  gehort  zu  po-t-are  wie  esca  zu 
edere.  Bedeutung:  Getrank.] 

38.    S.  81. 

Von  einem  sonderbaren  Vorlaufer  des  Islam  bei  den  Geten  erzahlt 
Strabo  7,  3,  11.  Das  Volk  war  wie  die  Skythen  und  Thraker  und  nachher  die 
Slaven  wegen  seiner  Trunksucht  beruchtigt,  die  jeden  politischen  und  kriege- 
rischen  Aufschwung  desselben  hemmte.  Da  trat  unter  ihnen  nicht  lange  vor 
Strabos  Zeit  (oder  wie  Jordanis  11  nach  Dio  Chrysostomus  berichtet:  zur 
Zeit  von  Sullas  Dictatur)  ein  Zauberer,  Namens  Decaeneus,  auf,  der  viel  in 
Aegypten  gewandert  war  und  dort  die  Kunst  der  Weissagung  gelernt  hatte, 
und  gewann  ausserordentlichen  Einfluss  auf  seine  Volksgenossen.  Sie  ge- 
horchten  ihm  so  blind,  dass  sie  auf  semen  Rath  alle  Weinstocke  im  Lande 
ausrotteten  und  fortan  ohne  Wein  lebten.  Dies  traf  mit  der  Herrschaft  des 
Konigs  Boerebista  zusarnmen,  der  den  gleichen  Zweck,  das  Volk  mannhaft 
zu  machen,  verfolgte  und  in  der  That,  nach  alien  Seiten  siegreich,  ein  mach- 
tiges  getisches  Reich  griindete,  bis  Parteiungen  gegen  ihn  ausbrachen  und 
die  getische  Macht  wieder  zerfiel.  Ob  die  Tugend  der  Enthaltsamkeit  sich 
lauger  erhielt  und  ob  Decaeneus,  wie  spater  Muhamed,  als  Ersatz  ftir  den 
verbotenen  Wein  die  getische  Vielweiberei  bestehen  liess  oder  gar  begiinstigte 
—  wird  nicht  gemeldet.  Thraker,  Geten  und  Daken  waren  ein  Stamm  von 


574  Amnerkungen. 

ungeziigelter  Sinnlichkeit,  welcher  letzteren  dann  wieder  (worauf  Miillenhoff 
aufmerksam  macht,  Artikel  Geten  in  der  Encyclopiidie)  von  Zeit  zu  Zeit  eine 
ascetische  Reaktion,  die  durch  Geisterglauben  genahrt  wurde,  gegeniibertrat. 

34.    S.  73. 

Das  provencalisch  franztfsische  Wort  tona,  tonne,  das  sich  auch  walachisch 
wiederfindet  und  in  alle  keltischen  nnd  germanischen  Sprachen  iibergegaugen 
1st,  aber  charakteristischer  Weise  im  Italienischen  fehlt,  muss  aus  einer  der 
Alpensprachen  stammen,  dem  Ligurischen  oder  Rhatischen.  Lateinisch  und 
italieniscb  giebt  es  ein  Wort  rait  anderern  Wurzelvocal:  Una,  Weinkubel. 
Nach  Strabo  waren  im  cisalpinischen  Gallien  ausser  Pechsiedereien  (in  den 
Vorbergen  der  Alpen)  auch  ungeheure  holzerne  Fasser,  gross  wie  Hauser  znr 
Aufnahme  des  Weines  ira  Gebrauch,  5,  1,  12:  to  S'  oivoo  raX-r^o?  pif]v6ooo'.v  ol 
108-01  •  ol  £6Xtvoi  fcip  jjiftCoix;  &"«*>v  s!ot.  Auch  die  Illyrier  luden  nach  demselben 
5,  1,  8  den  Wein,  den  sie  aus  Aquileja  bezogen,  in  holzernen  Fassern,  erd 
£uXivwv  m&tov,  auf  ihre  Wagen.  —  Mit  den  Holzgefassen  trat  noch  ein  anderes 
weit  verbreitetes  Wort  auf:  Daube,  Dauge,  welches  durch  alle  romanischen 
nnd  slavischen  Sprachen  geht  und  auch  im  Magyarischen,  Albanesischen, 
Walachischen  und  Neugriechischen  nicht  fehlt.  Diez  fiihrt  alle  vorhandenen 
Formen  desselben  auf  ein  der  sinkenden  Latinitat  angehorendes  doga  zuriick, 
welches  selbst  wieder  aus  dem  griechischen  SO^YJ  entstanden  ware.  Das  Wort 
ist  in  das  Germanische  nur  vereinzelt  gedrungen,  wuchert  aber  in  den  slavi- 
schen Sprachen  in  Form  und  Sinn  tippig,  wird  z.  B.  auf  den  Regenbogen  am 
Himmel  angewandt  (Miklosioh,  die  Fremdworter  in  den  slav.  Spr.,  S.  83)  und 
erhalt  daher  als  abgeleitetes  Adjectiv  sogar  die  Bedeutung  bunt.  Der  Ver- 
breitungsbezirk  des  Wortes  ist  das  waldreiche  Douauland,  und  dort  war  auch 
die  Sache  einheimisch  —  wobei  es  immer  moglich  ist,  dass  ein  griechisch- 
lateinischer  Ausdruck,  der  vielleicht  in  der  technischen  und  Handelssprache 
von  Aquileja  iiblich  war,  zu  Gruude  liegt.  Noch  jetzt  kommt  das  Holz  zu 
den  Fassern,  die  der  Orient  gebraucht,  grosstentheils  aus  Ungarn,  und  auch 
die  Reifen  dazu,  aus  Corylus  pontica,  werden  iiber  Konstantinopel  eingefuhrt. 
[Im  Slavischen  vermischte  sich  uach  Miklosisch,  Et.  W.  S.  48  mit  den  aus 
doga  entlehnten  Wortern  ein  damit  unverwandtes  dqga  ,arcus'.]  —  Ein  dritter, 
in  dem  holzreichen,  neuro'mischen  Bezirk  vielgebrauchter  und  begrifflich  sich 
nach  alien  Seiten  weit  verzweigender  Ausdruck  ist  cupa,  ein  urspriinglich 
griechisches  Wort  (XUTCY)).  Als  Maximinus  im  Jahr  238  Aquileja  belagern  wollte, 
rnit  seinem  Heere  aber  einen  reissenden,  angeschwollenen  Strom  nicht  iiber- 
schreiten  konnte,  da  kam  ihm  der  ausgebreitete  Weinhandel  und  Weinertrag 
Aquilejas  zu  Statten:  er  fand  auf  dem  Lande  eine  Menge  grosser,  leerer, 
holzerner  Weinkufen,  aus  denen  er  sich  eine  Brucke  baute,  Herodian.  8,  4,  9: 
6rce[}tt/.6v  Ttve?  TU>V  te^vtxuiv,  TroXXa  elvat  xsva  olvexpopa  oxsov]  icsptcpepoo?  4uXou 
Iv  tote;  IpYjfxot^  &YP°*?>  ot?  i^puivto  jji.lv  Tipotepov  ol  xatoixouvTe^  el?  Djrrjpssiav  §aota>v 
xal  TtapairefXTCetv  tov  oivov  aocpaXux;  TO!?  8eo|j.evot<;.  Jul.  Capitolinus,  der  dasselbe 
berichtet,  giebt  diesen  ungeheuren  Tonnen  den  Namen  cupa,  Maximin.  22: 
ponte  itaque  cupis  facto  Maximinus  fluvium  transivit  et  de  proximo  Aquilejam 
obsidere  coepit.  Auch  die  Massilier  mussen  solche  besessen  haben,  denn  als 
Ciisar  ihre  Stadt  belagerte,  walzten  sie  dieselben,  rnit  brennendem  Theer  und 
Pech  gefttllt,  von  der  Mauer  auf  das  feindliche  Schauzwerk  herab,  de  b. 


Anmerkungen.  575 

«iv.  2,  11:  cupas  taeda  ac  pice  refertas  incendunt  easque  de  muro  in  musculum 
devolvunt,  wie  schon  friiher  die  Bewohner  von  Uxellodunum  in  dem  wein- 
reichen  Aquitanien  in  gleichem  Fall  gethan  batten,  de  b.  gall.  8,  42:  cupas 
•sevo,  pice,  scandulis  complent;  eas  ardentes  in  opera  provolvunt.  Von  -der  Insel 
bei  Salona,  auf  der  der  Dichter  Lucanus  die  Casarianer  belagert  werden  lasst, 
suchten  diese  bei  Nacht  auf  Flossen,  die  sie  aus  leeren  Weinkufen  gemacht 
hatten,  zum  illyrischen  Festlande  zu  entkommen,  4,  420: 

Namque  ratem  vacuae  sustentant  undique  cupae, 

•deren  es  also  in  dem  weinbauenden  Lande,  dessen  Gebirge  noch  mit  Wald 
bestanden  waren,  wohl  geben  musste.  Der  Handworker,  der  dem  Winzer  und 
Kaufmann  solche  cupae  machte,  war  der  cuparius,  wie  wir  z.  B.  aus  einer 
Trierer  Inschrift  sehen,  bei  Orelli  no.  4176:  cuparius  et  saccarius  (der  zugleich 
Sacke  verfertigte,  also  fiir  den  Fruchtbandel  uberhaupt  arbeitete).  Bei  den 
Barbaren  diente  die  cupa  aucb  zur  Aufnahrae  des  Bieres;  dass  in  ihr  auch 
Korn  und  Mehl  verladen  wurde,  sehen  wir  aus  verscbiedenen  Stellen  der 
romischen  Rechtsbiicher.  Was  aus  dem  Worte  im  Mittelalter  und  in  den 
neuromischen  Sprachen  geworden  ist,  davon  giebt  der  Artikel  coppa  bei  Diez 
•em  wenn  auch  verkiirztes  Bild:  das  urspriingliche  Kufe  und  Kiibel  nahm  die 
Bedeutung  von  Becher  und  Schale,  Kopf  und  Biischel,  Berggipfel  und  gewolbte 
Kuppel  an.  Im  Deutschen  stammt  nicht  bloss  das  eben  genannte  Kiibel  und 
Kuppel  daher,  sondern  auch  Kopf,  denn  nach  uralter  Art  sind  Schale  und 
Haupt  oder  Schadel  gleichbenannt,  und  der  Name  der  Gefasse  geht  auf  Schiff 
und  Kahn,  Haus  und  Sarg  tiber.  —  Das  dem  lateinischen  cupa,  cuppa  eut- 
sprechende  griechische  POUT-.C,  £oouov,  £6u<;,  (3ouvf]  hat  eine  gleich  mannigfache 
Anwendung  und  weite  Verbreitung  durch  ganz  Neueuropa  gefunden  und 
klingt  noch  heute  in  Biitte,  Bottcher,  Bouteille,  franz.  botte  der  Stiefel  u.  s.  w. 
tiiglich  an  unser  Ohr.  —  Unser  Ohm,  friiher  Ahm  ist  das  entlehnte  grie- 
chische afXY],  lat.  hama,  unser  Seidel  das  lat.  situla,  unser  Flasche  wohl  in 
letzter  Instauz  das  lat.  vasculum,  welches,  wie  man  sieht,  jetzt  meistens  ein 
Glasgefass  bedeutet.  Auch  das  Glas  ist,  wie  das  Holz,  ein  erst  im  Norden 
und  in  nachromischer  Zeit  zu  allgemeiner  und  taglicher  Anwendung  ge- 
kommener  Stoff;  aus  dem  holzernen  Fass  zapfen  wir  den  Wein  in  glaserne 
Flaschen,  die  wir  mit  dem  Korkstopsel  schliessen.  Erstere,  die  Flaschen, 
43ind  schwerlich  alter,  als  das  fiinfzehnte  Jahrhundert  (Beckmann,  Beytrage,  II, 
S.  485 ff.);  die  Kunst,  die  enge  Oeffnung  eines  Gefasses  mit  der  elastischen 
Rinde  der  Korkeiche  zu  verschliessen ,  geht  gleichfalls  in  kein  hohes  Alter- 
thum  hinauf,  und  allgemein  geworden  ist  sie  erst  seit  den  letzten  Jahr- 
hunderten  und  zwar  sehr  langsam.  Die  Korkeiche,  Quercus  Suber,  ist  in 
Griechenland  jetzt  vielleicht  gar  nicht  mehr  vorhanden,  im  Alterthum  war  sie 
-dort  selten;  sie  ist  ein  Baum  des  siidwestlichen  Europa  und  des  gegeniiber- 
liegenden  Afrika.  Unter  den  Eichenarten  des  Theophrast  lasst  sie  sich  nicht 
mit  Sicherheit  constatiren;  den  Baum,  der  geschalt  wird  und  nach  Verlust 
der  Rinde  nur  noch  besser  gedeiht,  versetzt  er  nach  Tyrrhenien,  also  in  das 
Land  nach  Westen,  giebt  aber  zugleich  an,  er  verliere  im  Winter  sein 
Laub,  was  geeignet  ist,  uns  wieder  irre  zu  machen  (H.  pi.  3,  17,  1).  Pau- 
sanias  8,  12,  1  fiihrt  uuter  den  Eichen  Arkadiens  eine  an,  deren  Rinde  so 
locker  und  leicht  ist,  dass  man  sie  als  Ankerzeichen  und  an  Fischernetzen 
auf  dem  Meere  schwimmen  lasst,  —  also  offenbar  die  Korkeiche,  aber  man 


576  Anmerkungen. 

hort  es  seiuen  Worten  an,  dass  er  damit  eine  Naturmerkwiirdigkeit  des 
Landes  beschreibt,  die  semen  Lesern  neu  1st  und  die  anderswo  nicht  vor- 
kommt.  Die  Romer  batten  einen  Individualnamen  fur  die  Korkeiche:  suber 
und  unterschieden  sie  unter  diesem  genau  von  den  iibrigen  Baumen  des 
Waldes.  Die  Rinde  kommt  schon  in  der  Sage  von  Caroillus  vor.  Camillus. 
soil  zum  Dictator  ernannt  werden,  aber  dazu  gehdrt  ein  Beschluss  des  von 
den  Galliern  im  Kapitol  eingeschlossenen  Senates.  Ein  Jtingling,  Nainens 
Pontius  Coininius,  iibernimmt  es,  die  Botschaft  auszurichten.  Da  die  Briicke 
iiber  den  Tiber  von  den  Feinden  bewacht  1st,  scbwimnit  er  Nachts,  von 
Stucken  Kork  unterstiitzt,  iiber  den  Fluss,  Plut.  Cam.  25,  3:  tot?  <peXXoi<;  ecpel? 
TO  au>}ia  xod  ooveicixoucp i'Ciov  TU>  TCspatooaftai  itpo?  TYJV  rcoX-.v  e^e^vj.  Die  Sitte,  Gefasse 
mit  verharztem  Kork  zu  verschliessen,  staminte,  wie  es  scheint,  von  den 
Galliern,  Colum.  12,  23:  corticata  pix  qua  utuntur  ad  condituras  Allobroges* 
Cato  120  giebt  die  Vorschrift:  mustum  si  voles  totum  annum  habere,  in  am- 
phoram  mustum  indito  et  corticem  oppicato,  demittito  in  piscinam;  es  soil  also,  um 
den  Most  das  ganze  Jahr  hindurch  frisch  zu  erhalten,  die  Oeffnung  der  Amphora 
mit  Kork  und  Pecli  verschlossen  und  das  Gefass  darauf  im  Grunde  des 
Wassers  aufbewabrt  werden.  Aehnlich  ist  bei  Horaz  die  weinhaltende  Am- 
pbora  mit  einem  cortex  adstrictus  pice  verwahrt,  Od.  3,  8,  9 : 

hie  dies  anno  redeunte  festus 

corticem  adstrictum  pice  demovebit 

amphorae  fumum  bibere  institutae 

consult  Tullo. 

Deutlicher  spricht  Plinius  iiber  Gebrauch  und  Nutzen  der  Rinde  des  Kork- 
baumes  16,  34:  usus  ejus  (suberis)  ancoralibus  maxume  navium  (zu  Bojen,  zu 
denen  jetzt  meist  leichtes  Holz '  genommen  wird)  piscantiumque  tragulis  (zu 
Flossen  der  Fischernetze,  zu  denen  jetzt  leichte  Holztafelchen  dienen)  et  cadorum 
opturamentis  (zu  Verspundung  der  Fasser),  praeterea  in  hiberno  feminarum 
calciatu  (zu  Pantoffelsohlen,  wie  noch  jetzt).  Bei  all  dem  war  die  Verkorkung 
bei  den  Romern  nur  selten:  das  Gewohnliche  ist  die  Verschliessung  durch 
Pech,  Gyps,  Wachs  u.  s.  w. ;  dariiber  gegossenes  Oel  bewabrte,  wie  noch  jetzt 
haufig  in  Italien,  den  Wein  vor  Beruhrung  mit  der  Luft;  auch  eignete  sich 
die  Form  der  thonernen  Kriige,  ihr  grosserer  Umfang  und  ihre  weitere 
Oeffnung  nicht  zum  Verschluss  durch  Korkrinde.  Das  Verhaltniss  blieb  das 
Mittelalter  hindurch  ungefahr  dasselbe.  Fasser  wurden  durch  Holzpflocke 
verspundet;  kleinere  Thon-,  Blech-  oder  Holzbehalter,  die  man  sich  auf  der 
Jagd,  zu  Pferde  u.  s.  w.  umhing,  silberne  und  goldene  Flaschen  der  Vornehmen 
wurden  mit  Zapfen  desselben  Materials  verstopft  oder  zugeschraubt  oder  aucb 
mit  Wachs  verschmiert  u.  s.  w.  Erst  das  Aufkommen  enghalsiger,  sehr  wohl- 
feiler  Glasflaschen,  der  sich  ausbreitende  Handel  und  die  Versendung  brachte 
in  neuerer  Zeit  den  Kork  (von  cortex,  zunachst  wohl  vom  spanischen  corcha, 
franzosich  liege  d.  h.  der  leichte  Stoff  von  levis)  in  allgemeinen  Gebrauch  — 
der  uns  jetzt  besonders  bei  edleren  Weinen  so  unentbehrlich  scheint. 

85.   8.  96. 

An  einem  anderen,  ungefahr  gleichzeitigen  Feste,  den  Thargelien,  waren 
die  beiden  <papjj.a>coi,  die  als  Siihnopfer  zum  Tode  gefiihrt  wurden,  der  eine 
mit  weissen,  der  andere  mit  schwarzen  Feigen  behangen  und  wurden  mit 


Anmerkungen.  577 

Feigenruthen    gegeisselt  (A.   Mommsen,  Heortologie,  S.  417  ff).     Es  war  ein 
altionisches  Test,  aber  welchen  Sinn  hier  die  Feige  hatte,  ist  ungewiss. 


Die  Ficus  Ruminalis,  so  genannt  von  dem  Jupiter  Ruminus  und  der 
Diva  Rumina,  deren  Namen  wiederum  von  der  rutna  =  mamma  herstamraten, 
also  Fruchtbarkeit  und  Zeugung  symbolisiren,  s.  Preller,  Rom.  Mythol.  S.  368, 
Corssen,  Kritische  Beitrage  S.  429.  —  Demselben  Vorstellungskreise  gehort 
der  Brauch  an,  die  Bilder  des  Priapus  aus  Feigenholz  zu  machen.  Wie 
Feigenbaum  und  Schwein  als  Bilder  iiberschwanglicher  Zeugung  gleiche 
Geltung  haben,  lehrt  die  Variante  einer  alten  Sage  bei  Strabo  (Hesiod.  Fragm. 
CLXIX.  Gottling.):  Hesiodus  erzahlte,  Kalchas  habe  in  Kolophon  den  Mopsus, 
den  Enkel  des  Tiresias,  gefragt,  wie  viel  Friichte  der  vor  ihnen  steliende 
Feigenbaum  trage;  als  Mopsus  die  Zahl  und  das  Mass  richtig  angab,  starb 
Kalchas  in  dem  schmerzlichen  Gefiihl,  einen  iiberlegenen  Seher  gefunden  zu 
haben.  Dieselbe  Geschichte  berichtete  Pherecydes,  nur  betraf  nach  diesern 
die  Frage  nicht  die  Menge  der  Friichte  eines  Feigenbaumes,  sondern  die  Zahl 
der  Ferkel,  die  eine  daliegende  trachtige  Sau  werfen  wiirde.  Demgemass  hat 
man  aoxov  und  au<;,  sus,  von  derselben  hypothetischen  Wurzel  su  (generare) 
ableiten  und  in  ficus  eine  analoge  Bildung  von  fieri,  cpostv  finden  wollen.  Dieser 
Etymologie  ist  aber  schon  deshalb  nicht  zu  trauen,  weil  die  Zeit  der  Ein- 
fiihrung  der  Feige  bei  Griechen  und  ROmern  eine  zu  spate  ist,  um  solche 
primitive  Wortbildungen  zu  gestatten.  Benfey  1,  442  vermuthet  Entlehnung 
des  griechischen  Wortes  aus  dem  Orient  und  beruft  sich  dafiir  auf  ooxapicvo?. 
Dass  nach  dem  o  ein  Digamma  stand,  aus  dem  der  Vokal  o  hervorging,  lehrt 
die  italische  Wortform  :  ficus  wurde  aus  ojnxov,  wie  fides  aus  ocpt&e?  und  wie 
fattere  ay  dXXeiv,  fungus  gleich  ocpoyYo?  u.  s.  w.  ist.  Da  die  Thebaner  TOXO.  fur 
ooxa  sagten  und  der  syrakusische  Stadttheil  SOX-YJ  auch  Tox-r)  geheissen  zu 
haben  scheint,  woraus  durch  Missverstand  das  spatere  Tox?)  im  Sinne  von 
Fortuna  entstand,  so  halt  Ahrens  (de  dial,  dorica  p.  64)  T/^XOV  fur  die  Urform. 
Oder  gaben  die  Griechen  den  anlautenden  fremden  Consonanten  bald  mit  s, 
bald  mit  t  wieder,  wie  Sor,  Sar  und  Tyrus?  Dass  im  Norden  der  griechischen 
Halbinsel  auch  bei  dem  verwandten  oixoa  (fiir  aox6a,  ouxta?)  der  Anlaut  als  T 
gesprochen  wurde,  ist  aus  dem  slavischen  tykva  der  Kiirbiss  zu  schliessen, 
der  den  Slaven  doch  aus  den  Donaugegenden  zukam.  Die  gothische  Be- 
nennung  fiir  Feige:  smakka,  nach  welcher  Kuhn,  Zeitsch.  4,  17,  auch  fiir  die 
Griechen  eine  Urform  sfakva  annimmt,  ist  wohl  nur  eine  Umbildung  in 
gothischem  Munde,  da  das  lange  5  nicht  in  den  gothischen  Vocalismus  passte  — 
wenn  die  Urnformung  nicht  schon  in  der  Sprache  der  den  Namen  vermittelnden 
Nordstamme  der  Balkanhalbinsel  vorgenommen  war.  M  fur  (3  zu  sagen,  war 
barbarische  Sitte,  Steph.  Byz.  'A^dvTt?.  TO  'Apavtta  ftfjXoxov,  oTtsp  xata 
v  TpOTcvjv  TOO  ^  e?$  jx  'AjxavTt'o  iXe^v]  Trapa  'AvTiyovtw  §v  MaxeSovtx1^ 
So  wechselte  'Afjio8a>v  (Stadt  der  Paoner  schon  bei  Homer)  mit 
,  Albanien  lautet  bei  Ptolemaus  vielleicht  'AXjxYjvv),  der  Fluss  BOYYPO? 
bei  Herodot  heisst  hernach  Margus,  heut  zu  Tage  Morawa,  Bellerophontes 
wird  in  Italien  zu  Melerpanta  u.  s.  w.  Auch  p  und  v  werden  zu  m  :  drcaXo? 
hiess  macedonisch  dfiaXoc,  der  Fluss  Tilaventum  ist  der  heutige  Tagliamento 
u.  s.  w.  So  konnte  das  urspriingliche  Digamma  in  ooxov  den  Gothen,  als  sie 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  Aufl.  37 


578  Anmerkungen. 

an  die  Donau  gezogen  waren,  in  Gestalt  eines  in  mit  dem  Hiilfsvokal  a  ent- 
gegenklingen.  Die  hinter  den  Gothen  wohnenden  Wenden  konnten  die 
Feige,  nattirlich  in  getrockneter  Gestalt,  nur  durch  Verrnittelung  der  ersteren 
erhalten.  und  der  slavische  Name  (altslavisch  smokuVi,  smoky,  smokvd)  1st  folglich 
dem  gothischen  nachgesprochen,  zu  einer  Zeit,  wo  die  Assimilation  von  kv  zu  kk 
tioch  nicht  erfolgt  war.  Wir  bemerken  noch,  dass  der  wilde  Feigenbaum, 
ip'.veoc,  von  dem  aber  die  Kulturfeige  nicht  abgeleitet  werden  kann,  schon  bei 
Homer  vorkommt.  |Vgl.  hierzu  oben  S.  97—102.] 


37.  S.  112. 

Die  griechischen  Benennungen  eXoua,  IXa'.ov  sind  in  romischem  Munde 
oliva,  oleum  geworden  (s.  Fleckeisen  in  den  Neuen  Jahrb.  fur  Phil,  und  Padag. 
1866.  1),  und  die  letzteren  Namen  finden  sich  dann  weiter  in  alien  europaischen 
Sprachen,  unter  verschiedenen  Formen,  die  Diefenbach,  Goth.  W.  1,  36  f., 
gesaminelt  hat.  [Ueber  die  Entlehnung  des  lat.  oliva  und  oleum  aus  IXou^a, 
vgl.  zuletzt  Kretschmer  Einleitung  S.  112  ff.  Hinsichtlich  des  goth. 
Oel,  aUvdbagms  Oelbaum  nimmt  man  nach  R.  Muchs  (Deutsche  Starnm- 
sitze  S.  34)  Vorgang  an,  dass  es  durch  keltische  Vermittlung  aus  olwa  (*ol§va) 
^ntlehnt  sei.  Die  slavischen  Benennungen  des  Oels  stammen  theils  aus  dem 
<jriechischen  (altsl.  jelej),  theils  aus  dem  Deutschen.  Eine  hiiunge  Bezeichnung 
1st  auch  maslo,  eigentl.  Salbe,  auch  maslica  Oelbaum.  Russ.  oliva  etc.  ist 
italienisch.] 

38.  S.  115. 

A.  de  la  Marmora,  Itineraire  de  1'ile  de  Sardaigne,  Turin  1860,  2,  p.  353 
«agt  von  dem  sardinischen  Oelbaum:  »0n  s' exprimerait  mal,  a  mon  avis,  si  I' on 
voulait  parler  de  V introduction  qu'on  y  aurait  faite  de  cette  plante  puisque  ce 
pays  est  visiblement  sa  patrie  naturelle.«  Diese  Bemerkung  des  trefflichen 
Naturforschers  ist  zwar  historisch  unrichtig  fvgl.  hierzu  oben  S.  117],  beweist 
aber,  wie  tippig  der  Baum  in  dem  neugewonnenen  europaischen  Kulturbezirke 
gedeiht.  Auch  auf  Corsica  stehen  jetzt  herrliche  Olivengruppen,  und  doch 
batten  die  Ro'mer  Milhe,  den  Baum  dahin  zu  verpflanzen,  ja  wenn  wir 
Senecas  Rhetorik  glauben  wollen,  fehlte  zur  Zeit  dieses  Schriftstellers  der 
Oelbaum  noch  ganzlich  auf  der  wilden  Insel,  Epigr.  super  exilio  2,  3,  4: 

Non  poma  auctumnus,  segetes  non  educat  aestas, 

Canaque  Palladio  munere  bruma  caret. 

Selbst  auf  Sardinien  sah  sich  die  Regierung  veranlasst,  demjenigen  den 
Adelstitel  zu  versprechen,  der  eine  Anzahl  Oelbaume  erzogen  haben  wiirde, 
wie  auch  die  Venetianer  auf  ihren  griechischen  Besitzungen  durch  Belohnungen 
zum  Oelbau  aufmuntern  mussten.  Der  wilde  Oelbaum,  sagt  La  Marmora  an 
«iner  andern  Stelle  (Voyage  en  Sardaigne,  6d.  2,  1,  164),  bedeckt  uugeheure 
Strecken  in  der  Hiigelregion  der  Insel  Sardinien  und  erwartet  nur  die  Hand 
des  Impfers,  um  herrliche  Fruchte  zu  tragen.  Ist  der  Baum  hier,  mo'chten 
wir  fragen,  wirklich  wild  oder  nur  —  verwildert?  Nach  drittehalb  Jahr- 
tausenden  und  dem  unsaglichen  Kriegselend,  mit  dem  sie  angefiillt  sind,  ist 
die  letztere  Annahme  gewiss  nicht  zu  gewagt. 


Anmerkungen.  579 

39.  S.  130. 

Bei  den  Arabern  in  Afrika  bleibt  bei  Verwiistungsziigen  in  Feindesland 
•die  Dattelpalrne  verschont.  G.  Rohlfs,  Afrikanische  Reisen,  Aufl.  2,  Bremen 
1869,  S.  70:  »die  Felder  waren  verwiistet,  die  Wasserleitungen  zerstort,  die 
Ksors  (Dorfer)  iiberall  von  aussen  stark  verbarricadirt,  die  Obstbaume  urnge- 
hauen,  nur  die  Palme,  die  immer  respectirt  wird,  erhob  traurig  ihr  Haupt 
iiber  diese  oden  Felder,  wo  die  Menschen  seit  zwei  Monaten  um  nichts  sich 
taglicb  erwtirgten.«  S.  186:  »Palmen  abschneiden  gilt  unter  den  Muselmauen 
fiir  eins  der  grossten  Verbrechen.  Als  er  (der  Hadj  Abd-el  Kader)  mir  seine 
Heldenthaten  erzahlte,  fragte  er  mich:  Hatte  ich  Recht,  meinen  Feinden  die 
Palmenbaume  umzuhauen?  Ich  erwiderte  ihni:  Nein,  denn  hier  in  der  Wiiste 
ist  die  Palme  der  einzige  Unterhalt  der  Menschen.  Diese  Antwort  freute  ihn, 
er  sagte,  bisher  batten  ihm  Alle,  selbst  die  Tholba  gesagt,  dass  er  Recht 
habe,  obgleich  eine  innere  Stimme  ihm  zurufe,  dass  er  ein  grosses  Unrecht 
begangen  habe.« 

40.  S.  181. 

Das  griechische  ovo?,  lat.  asinus,  leiten  wir  in  it  Benfey  aus  einer 
semitischen  Benennung  ab,  der  im  Hebraischen  athon,  die  Eselin,  entspricht, 
wobei  im  griechischen  Wort  der  aus  dem  Dental  entstandene  Sibilant  als 
vor  dem  n  ausgefallen  angenommen  wird  (vgl.  hierzu  oben  S.  135].  Aus  dem 
Lateinischen  stammeri  dann  weiter  das  gothische  asilus,  litauische  asilas,  und 
slavische  os"<lu.  Herodot  berichtet  ausdriicklich ,  in  Skythien  gebe  es  weder 
Esel  noch  Maulthiere,  und  zwar  weil  das  Land  fur  diese  Thiere  zu  kalt  sei 
(4,  129:  Sta  toe  ^ityea),  Und  fugt  hinzu,  die  skythische  Reiterei  sei  durch  die 
Stimme  der  Esel  in  Darius'  Heer  wiederholt  zur  Umkehr  genothigt  worden. 
Aristoteles  bestatigt  dies,  rnit  dem  Zusatz,  auch  bei  den  Kelten  fiber  Iberien 
sei  es  fiir  den  Esel  schon  zu  kalt:  de  animal,  generat.  2,  8:  8t6rcep  ev  tot? 
-/sifxepivol?  o5  "QiXsi  Yiveafrai  Torcoi?  8ta  to  SoaptYOV  elvat  TYJV  cpua^v,  oiov  uspl  Exofta? 
xai  TYJV  ojxopov  ^wpav,  o58e  irspi  KsXtou?  too?  oirsp  TYJ?  'IpYjpia?  '  J^XP1^  T^P  xa'1  a"TYl 
4]  ^a>pa.  Ebenso  hist.  anim.  8,  25 :  SoopiYOTatov  S'  lotl  TOW  TOIOOTU>V  Ct})(uv '  ^ 
xai  uspl  Ilovtov  xal  TYJV  Sxovhxvjv  06  Y'VOVTal  °vot-  Nicht  anders  Strabo  7,  4,  18: 
ovou?  TS  Y"P  °^  ^ps^ouoi  (Suopq-ov  Y«p  ^o  C^ov),  und  Plinius  8,  167:  ipsum  animal 
(asinus)  frigoris  maxume  impatiens,  ideo  non  generatur  in  Ponto.  Da  der  Esel 
nicht  sowohl  ein  Heerden-  als  ein  Hausthier  ist  und  sein  Geschaft  haupt- 
sachlich  darin  besteht,  in  den  begrenzten  Raumen  fester  menschlicher  An- 
siedelung  Lasten  hin  und  her  zu  tragen  (daher  italienisch  somaro  der  Esel, 
d.  i.  Lastthier,  neugriechisch  Y°M-apt  Von  -(o^oc,  Last,  Fracht),  so  kann  er  an 
den  altesten  Wanderziigen  indoeuropaischer  Hirtenstamme  iiberhaupt  nicht 
Theil  genommen  haben.  Zu  den  Litauern  wird  das  Wort  von  benachbarten 
deutschen  Stammen  gekommen  sein,  vielleicht  schon  friihe,  z.  B.  zur  Zeit  des 
Gothenkonigs  Ermanarich,  denn  wie  die  Hausirer  aus  Siiden,  zogen  auch 
Lustigmacher  mit  Eseln  und  darauf  sitzenden  Affen  in  den  Barbarenlandern 
umber;  auch  die  ersten  christlichen  Sendboten  konnten  die  Kunde  des  Thieres 
verbreiten,  denn  der  Esel  fand  sich  in  den  Erzahlungen  der  Bibel  haufig  und 
war  vielleicht  auf  rohen  Bildern  der  heiligen  Geschichte  zu  sehen.  Auch  das 
slavische  Wort  ist  gothischen  Ursprungs.  Das  gothische  asilus  selbst  aber 
stammt  unmittelbar  aus  dem  Lateinischen,  nicht  aus  asellus,  welche  Form  in 

37* 


Anmerkungen. 

den  rornanischen  Sprachen  fehlt  und  also  nicht  popular  war,  auch  wider- 
sprechend  accentuirt  ist,  sondern  aus  asinus  mit  der  gewohnlichen  Verwand- 
lung  des  n  in  das  der  deutscheu  Zunge  gelaufigere  1.  Gauz  ebenso  wurde 
aus  lat.  catinus  das  goth.  kaiils,  slav.  kotlu,  aus  lagena  ahd.  lagella,  mhd.  lagel 
Fasschen,  aus  organum  Orgel,  aus  cuminum  ahd.  chumil  Kiimmel.  Von  dem 
keltischen  assal  [altir.  assan,  woraus  ags.  assa,  engl.  ass]  urtheilt  auch  Stokes 
(Irish  glosses  296),  es  konne  nach  den  Lautgesetzen  kein  einheimisches  Wort 
sein,  sondern  mtisse  aus  dera  Lateinischen  stammen ;  an  einer  spateren  Stelle 
(S.  159)  fiigt  er  hinzu,  auch  ovo<;  und  asinus  scheinen  nicht  indoeuropaischer, 
sondern  orientalischer  Herkunft.  —  In  den  sog.  Terramara-Lagern  von  Parma,, 
die  der  Broncezeit  angehoren,  wurden  nur  in  den  oberen  Lagen  und  zwar 
nur  zweifelhafte  Knochen  vom  Esel  angetroffen  (Mittheilungen  der  Anti- 
quarischen  Gesellsch.  in  Zurich,  Band  XIV,  S.  136).  Der  Esel  erschien  also 
in  jener  Gegend  Italiens  spater  als  die  Bronce.  [Vgl.  jetzt  W.  Helbig,  Die 
Italiker  in  der  Poebene  S.  15,  der  die  Frage,  ob  der  Esel  zu  den  Hausthieren. 
der  Pfahldorfler  der  Emilia  gehorte,  als  eine  unerledigte  betrachtet.  In  den 
Schweizer  Pfahlbauten  sind,  bis  auf  einen  ganz  vereinzelten  Fund  (vgl.  Keller,. 
Berichte  VII,  56),  keine  Ueberreste  des  Esels  zu  Tage  gekommen.] 

41.  S.  133. 

Das  homerische  4]}u6v<uv  ^fpoTspacuv  kann  nur  bedeuten:  auf  der  Weider 
in  freien  Heerden  aufgewachsen,  noch  ungezahmt.  Solche  junge  Thiere  kamen 
von  den  Eneteru  und  wurden  dann  von  dem  Empfanger  gebandigt  und  abge- 
richtet,  gauz  wie  solches  mit  den  Pferden  geschah.  Neuere  Erklarer  de& 
Homer  halten  das  Maulthier,  diesen  Bastard  von  Pferd  und  Esel,  fur  ein 
naturliches  wildlebendes  Thiergeschlecht  oder  erinnern  an  den  equus hemionus 
der  Zoologen,  den  Dschiggetai  in  den  Wildnissen  Asiens,  welcher  letztere  dann 
ohne  Zweifel  fur  den  zoologischen  Garten  der  Trojaner  bestimmt  war!  — 
Aber  die  Onager,  die  Liudprand  auf  seiner  Gesandschaftsreise  im  Jahre  968 
in  einem  Bnihl  in  Konstantinopel  sah,  konnten  wirklich  Dschiggetais  gewesen 
sein.  Leider  hatte  Liudprand  nicht  Interesse  fur  die  Sache  genug,  um  uns 
diese  wilden  Esel  genauer  zu  beschreiben  und  sich  beirn  Wachter  zu  erkundigen,. 
von  wo  sie  bezogen  waren. 

42.  S.  134. 

Das  lat.  mulus  wird  mit  Wahrscheinlichkeit  von  dem  griechischen  }xu^o?r 
Zucht-  oder  Springesel  abgeleitet,  wobei  der  Ausfall  des  x  sich  in  der  Lange 
des  Vocals  reflectirt.  Mox^o?  war  nach  Hesychius  ein  phokaisches  Wort  und 
die  Phokaer  sind  ja  die  Seefahrer  und  Colonisatoren  des  Westens.  —  Das 
albanesische  (auch  walachische)  mu$k,  das  slavische  misku,  mtzgu,  mlSt^  welches 
sich  von  mesiti,  meSati  mischen  nicht  ableiten  lasst,  muss  auf  (xux^?  zuriick- 
gehen;  es  fehlt  im  Polnischen  und  Litauischen  und  wird  eine  thrakische 
Wortform  sein  [vgl.  hierzu  oben  S.  136].  Die  heutigen  Russen  haben  ihre 
beiden  Ausdrticke  fur  Maulthier:  ischdk  und  loschdk,  ebenso  wie  ihr  Wort  fur 
Pferd,  von  den  Tartaren  genommen.  Ware  uns  die  Sprache  des  grossen 
thrakisch-illyrischen  Volksstammes  erhalten,  der  gewiss  schon  in  sehr  alter 
Zeit  eine  Menge  Kulturbegriffe  nach  Norden  hin  vermittelte,  wir  wurden  in  der 
Urgeschichte  Europas  bei  Weitem  klarer  sehen.  Manches,  was  uns  jetzt  mit 


Anmerkungen.  531 

dem  Schein  der  Urverwandtschaft  tauscht,  wiirde  sich  dann,  wie  wir  glauben, 
als  Kulturwanderung  erweisen.  —  Das  lateinische  hinnus  fur  den  Abkomraling 
von  Hengst  und  Eselin  (Varro  de  r.  r.  2,  8,  1 :  ex  equa  enim  et  asino  fit  mulus, 
contra  ex  equo  et  asina  hinnus}  ist  gleichfalls  griechischen  Ursprungs:  two?, 
two?,  fivvo?.  Wenn  das  f  hier  einem  alten  Digamma  entspricht,  so  ist  die 
Einwanderung  des  Wortes  nach  Italien  in  eine  verhaltnissmassig  spate  Zeit 
;zu  setzen,  was  auch  ohnehin  der  Natur  der  Sache  nach  —  da  diese  Art 
Paarung  weniger  gebrauchlich  war  —  wahrscheinlich  ist.  —  [Neben  mulus 
begegnet  im  Spatlateinischen  burdo,  burdus  fur  hinnus  (Du  Cange:  burdonem 
produdt  equus  coniunctus  asellae,  procreat  et  mulum  iunctus  asellus  equae),  das 
in  die  germanischen  (ahd.  burdihhm,  mnd.  burdon,  mndl.  bord-esel}  und  in  die 
romanischen  Sprachen,  hier  theils  in  der  Bedeutung  Bastard,  theils  in  der 
von  Pilgerstab  (vgl.  span,  muleta  Maulthier  und  Kriickenstock)  iibergegangen 
ist.  Zu  trennen  ist  dieses  burdus  von  burrus,  burricus,  das  als  vulgare  Be- 
zeichnung  fiir  mannus  kleines  Pferd  angefiihrt  wird  (vgl.  Wolfflins  Archiv  VII, 
318  f.  uud  G.  Goetz  Thes.  I,  157).  Doch  bezeichnet  burricus  in  den  scheinbar 
verwandten  romanischen :  it.  bricco  (vgl.  (3ptxov  •  ovov  Kopyjvatot,  Hesych.),  span. 
borrico  etc.  den  Esel.  Vgl.  noch  das  merkwiirdige  altpr.  iveloblundis  fiir  Maul- 
thier (russ.  vettbqdu  =  Kamel)  und  das  dunkle  ahd.  durmer  ,burdo  ex  equo  et 
asina1  (Palander  Ahd.  Thiernamen  S.  99).  —  Meister  in  Kuhns  Zeitschrift  32, 
143  ff.  trennt  two?  von  fu>vo?i  das  nur  kruppelhaft  kleine  Maulthiere  be- 
zeichnet habe.J 

48.    S.  134. 

Das  griechische  at£,  alp?  Ziege  findet  sich  im  Sanskrit  und  im  Litauischen 
wieder  [scrt.  aja-s  •=  lit.  o&ys,  griech.  at£  =  armen.  aits]  und  geht  also  in  die 
Zeit  vor  der  Volkerwanderung  hinauf.  Daraus  folgt  iibrigens  noch  nicht  ohne 
Weiteres,  dass  das  Urvolk  die  Ziege  schon  als  Hausthier  besessen  habe;  es 
konnte  irgend  ein  springendes  Jagdthier  mit  einem  Namen  benenrien,  der 
spater  bei  Bekanntwerden  mit  der  zahmen  Ziege  auf  diese  tiberging  —  eine 
Moglichkeit,  deren  sich  diejenigen,  die  so  sicher  aus  dem  Vorhandensein  ge- 
wisser  gemeinsamer  Worter  auf  den  Kulturstand  des  primitiven  Stammvolkes 
schliessen,  in  ahnlichen  Fallen  haufiger  erinnern  sollten.  Movers,  ganz  andern 
Spuren  und  Combinationen  folgend,  sucht  die  Herkunft  der  Ziege  aus  dem 
gebirgigen  Theil  des  nQrdlichen  Afrika  zu  erweisen  (II,  1,  S.  366  ff.).  Die 
Alten  erwahnen  hin  und  wieder  wilder  Ziegen  in  Griechenland  und  Italien. 
Allein  Ziegen  verwildern  leicht  und  vermehren  sich  dann  schnell.  Auf  der 
Insel  Cerigo  waren  im  siebzehnten  Jahrhundert  alle  Einwohner  von  den 
Tiirken  ermordet  oder  weggeschleppt  und  die  Wohnungen  niedergebrannt 
worden.  Nur  einige  Ziegen  waren  entflohen.  Funfzehn  Jahre  spater  hatten 
sich  diese  zu  vielen  Tausenden  vermehrt,  waren  aber  so  wild  wie  Gemsen 
geworden  (Beckniann,  Literatur  der  alteren  Reisebeschreibungen,  1,  547).  La 
Marmora  hatte  viel  von  den  wilden  Ziegen  auf  der  kleinen  Insel  Tavolara 
bei  Sardinien  gehort,  die  nichts  als  ein  ungeheurer  Block  von  kohlensaurem 
Kalk  ist.  Nachdern  [er  nicht  ohne  Miihe  und  Gefahr  einige  dieser  Thiere 
^rlegt,  ergab  die  Untersuchuug,  dass  die  wilden  Ziegen  nichts  als  —  verwilderte 
zahme  waren  (Voyage  en  Sardaigne,  Ausg.  2,  I,  171).  Gewiss  aber  ist,  dass 
die  Ziege  in  den  Felsenlabyrinthen  der  griechischen  Inseln,  Siciliens,  Sardiniens, 


582  Anmerkuugen. 

Calabriens,  sowie  in  Palastina  uud  am  Atlas  sich  heimischer  fiihlt,  reich- 
lichere  Milch  giebt  und  einen  stattlicheren  Wuchs  erreicht,  als  in  den  neb- 
ligen,  gras-  und  waldreichen  Niederungen ,  auf  denen  in  der  Urzeit  die  ger- 
manischen  und  lituslavischen  Stamme  ihre  Kinder  weideten. 

44.  S.  135. 

Der  Siidosten  von  Europa,  die  Abhange  der  Karpathen  und  die  sich 
anschliessenden  Ebenen  waren  von  Urbeginn  eine  grosse  Linden  waldung,  di& 
noch  in  historischer  Zeit  einen  unermesslichen  Honigertrag  lieferte  und  in 
der  die  unterdess  eingertickten  Slaven  hausten  und  schmausten.  Bei  steigender 
Kultur  des  Bodens  hatte  jeder  Zeidler  sein  bestimmtes  Kevier  im  Walde,  und 
die  Honigbaume  wurden  gezeichnet.  Ganz  spat  erst  fanden  sich  von  Siideii 
und  Westen  her  Bienenstocke,  alvei,  alvearia  (rnittellat.  apile,  lit.  aivilys,  slav. 
ulei,  bei  Hesychius  &TCsXXai  •  ovptoi)  bei  den  Hausern  und  in  den  Garten  ein,. 
indess  gleichzeitig  der  Wald  iramer  weiter  riickte.  In  Litauen  und  Russland 
aber  blieb  das  Honigsammeln  in  den  Waldern  noch  bis  in  spate  Zeiten  iiber- 
wiegend.  Strahlenberg,  der  nord-  und  ostliche  Theil  von  Europa  und  Asia,. 
Stockholm  1730,  4°,  S.  333:  »In  Litauen  und  in  Russland  an  vielen  Orten 
heget  und  halt  man  Bienen  uicht  haufig  in  Korben,  noch  in  aus-  und  abge- 
hauenen  Klotzen  oder  Stocken  bei  den  Hausern,  sondern  in  den  Waldern,  an 
den  hochsten  und  geradesten  Tannenbaumen,  nahe  bei  deren  Spitzen«  u.  s  w.r 
worauf  noch  erzahlt  wird,  die  Dorptischen  Bauern  (in  Lief  land)  batten  in 
alter  Zeit  mit  Pleskauischen  Burgern  einen  Contrakt  gemacht,  »dass  sie  in 
den  Pleskauischen  Waldern  ihre  Bienenstocke  halten  konnten«  —  »nachdem 
aber  diese  Walder  ruiniret  und  ausgehanen  worden,  hat  solches  aufgehoret.<c 
Diese  Waldbienenzucht  war  das  Geschaft  des  Zeidlers  oder  Beutners  (russ.. 
bortnik,  poln.  bartnik]  Beute  =  Bienenkorb)  und  hatte  sich  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  von  Gallien,  wo  sie  einst  auch  gebliiht  haben  muss,  nach  Ger- 
manien,  wo  die  Bienen  zur  Mark  gehorten  und  die  Rechtsbiicher  iiber  die 
Zeidelweide  Bestimmungen  treffen,  und  weiter  nach  Nordosteuropa,  wo  si& 
sich  am  langsten  hielt,  zuriickgezogen.  [Interessante  Angaben  iiber  die  alteste 
Verbreitung  der  Honigbiene  und  die  allmahlige  Ausdehnung  der  Bienenzucht 
s.  bei  F.  Th.  Koppen,  Ein  neuer  thier  geographischer  Beitrag  zur  Frage  iiber 
die  Urheimat  der  Indoeuropaer  und  Ugrofinuen  im  Ausland  1890  No.  51.] 

45.  S.  141. 

Wir  konnten  irn  Text  das  Thema  von  der  Baukunst  naturlich  nur  fliichtig 
bertihren,  obgleicli  es  bei  eingehender  Behandlung  die  fruchtbarsten  Gesichts- 
punkte  eroffnen  wiirde.  [Einen  solchen  erblickte  Hehn  in  der  Annahme 
starker  iranischer  Beeinflussung  Osteuropas  und  Deutschlands.  Er  sagt: 
»Die  iranischen  Stamme  auf  europaischem  Boden  haben  in  Kultur  und 
Religion  grosseren  Eiufluss  geiibt  und  in  den  Sprachen  mehr  Spuren  hinter- 
lassen,  als  bisher  beachtet  worden  ist.  Da  nach  Tacitus  die  Slaven  viel  von 
den  Sitten  der  Sarmaten  angenommen  und  z.  B.  ihren  alten  Namen  Gottes 
niit  dem  iranischen  vertauscht  hatten,  wie  hatten  die  Germanen  sich  dieser 
Einwirkung,  die  ihnen  auf  mehr  als  einem  Wege  zukommen  konnte,  entziehen 
solleu?  Nicht  alle^Skythen  waren  ein  nomadisches  Wagenvolk ;  einzelne  ihrer 
Abtheilungen,  die  ^xoO-at  (Scpot^pei;  und  ystopyoi,  bauten  den  Boden  und  betrieben 


Anmerkungen.  585 

Getreidehandel.  Die  friih  gegriindeten  Kolonien  am  Pontus  mussten  so  bildend! 
und  erziehend  auf  sie  wirken,  wie  Massilia  auf  die  Kelten,  und  dass  die 
Landsleute  des  Anacharsis  wenigstens  ein  entwickeltes  Gottersystem  besassenr 
geht  aus  Herodots  Angaben  klar  genug  hervor.  Spater  waren  Quaden  uud: 
Jazygen,  Gothen  und  Alanen  Waffenbriider  und  werden  oft  zusammen  genannt, 
Amm.  Marc.  17,  12:  permistos  Sarmatas  et  Quados,  vicinitate  et  similitudine 
morum  armaturaeque  Concordes.  Auch  der  SuevenkOnig  Vannius,  der  30  Jahr 
unter  romischem  Schutz  regierte,  hatte  eine  sarmatische  und  jazygische 
Reiterei.«  Indessen  sind  die  sprachlichen  Belege,  welche  Hehn  fiir  diese 
Ansicht  anfuhrte,  die  Annabme,  germ.  Ms  sei  aus  einer  iranischen  Sprache 
entlebnt  (kurd.  hfaus,  haouch,  Lerch,  Forschungen  S.  88  und  Jaba-Justi  S.  146)r 
ebensowenig  wie  der  Versuch,  goth.  guth,  bei  dem  H.  wohl  an  np.  yuda  Gott 
dachte  (vgl.  P.  Horn  a.  a.  O.  S.  104),  aus  dem  Iranischen  zu  erklaren,  haltbar.} 

46.  S.  146. 

Mebuhr,  Beschreibung  von  Arabien,  Kopenhagen  1772,  4°,  S.  57:  »Man 
hat  ein  weisses  und  dickes  Getrank,  Busa,  welches  aus  Mehl  zubereitet 
wird  ...  In  Armenien  ist  es  ein  allgemein  bekannter  Trank.  Daselbst  wird 
es  in  grossen  To'pfen  in  der  Erde  aufbehalten  und  gemeiniglich 
aus  denselben  vermittelst  eines  Eohres  getrunken.«  Dazu  in  der 
Anmerkung:  »das  Busa  scheint  einige  Aehnlichkeit  mit  dem  Tranke  zu 
haben,  welchen  die  Russen  Kisli-Schti  oder  mit  dem,  welchen  sie  Kwass 
neunen. «  Letztere  sind  aber  nicht  berauschend,  wie  der  Trank  des  Xenophon  war. 

47.  S.  155. 

Das  herodoteische  OOVEOOQJ.  findet  sich  noch  heute  im  Innern  Kleinasiens 
wieder.  Ein  rohrartig  ausgehohlter  Baumstamm  ist  an  beiden  Enden  mit 
einem  Brett  verschlossen  und  hat  oben  ein  Loch.  Das  Gefass  hangt  an  zwei 
Stricken  und  wird  wie  eine  Schaukel  von  einem  jungen  Madchen  hin  und 
her  geschwungen,  bis  die  Butter  sich  abgesetzt  hat.  S.  die  Abbildung  bei 
Van  Lennep,  Travels  in  little-known  parts  of  Asia  minor,  London  1870,  1,  p.  131.. 

48.  S.  168. 

Wenn  die  Behauptung  Partheys  (in  seiner  Ausgabe  von  Plut.  de  Iside^ 
et  Os.  S.  158)  richtig  ist  [nach  Wiedemann,  Herodots  II.  Buch  S.  358  ware 
sie  es  nicht],  dass  bei  den  alleraltesten  Mumien  noch  Hiillen  von  Schafwollen* 
angewendet  sind  und  erst  von  der  12.  Dynastie  an  leinene  Binden  sich  finden,. 
die  von  da  an  im  allgemeinen  Gebrauch  blieben,  so  ist  auch  in  Aegypten  der 
Flachsbau  erst  eine  verhaltnissmassig  jiingere  Kulturerwerbung.  Wir  wiirden 
dies  auch  ohne  directes  historisches  Zeugniss  annehmen  mtissen,  denn 
Aegypten  war  bei  der  ersten  Besitzergreifung  gewiss  ein  Weideland,  ein 
Land  der  vojxot,  wozu  es  die  Natar  gemacht  hatte;  nur  das  ist  bemerkens- 
werth,  dass  dauach  die  Sitte  der  Einbalsamirung,  die  Entwickelung  hoherer 
politischer  Ordnung  u.  s.  w.  der  Bekanntschaft  mit  der  Leinpflanze  voraus- 
ging.  —  Auch  in  einem  altchaldaischen  Grabe  —  also  aus  einer  Zeit,  die 
dem  Reiche  Babylon  vorausgegangen  sein  soil  —  wurden  angeblich  Stiicke 
Leinwand  gefuuden,  Journal  of  the  R.  Asiatic  Society,  t  XV.  p.  271:  ^Pieces 


584  Amnerkuugen. 

of  linen  are  observed  about  the  bones,  and  the  whole  skeleton  seems  to  have  been 
bound  with  a  species  of  thong. «  Aber  war  es  wirklich  Leinwand  und  nicht 
vielmehr  Geflecht  aus  irgend  einer  bastartigen  Pflanze?  [vgl.  hierzu  oben  S.  184ff.]. 

49.  S.  164. 

Die  Zahl  der  Faden  360  entsprach  offenbar  der  Zahl  der  Tage  des 
altesten  Jahres  (Peter  von  Bohlen,  Das  alte  Iiidien,  2,  S.  270).  Der  Aegypter 
war  so  tief  in  Symbolik  befangen,  dass  nichts  fiir  ihn  ausserhalb  der  Religion 
lag,  dass  er  das  Realste,  was  es  geben  kann,  die  nach  ausseren  Verstandes- 
zwecken  verfahrende  Technik  des  Handwerks,  durch  Mystik  heiligte  und  an 
den  Himmel  knupfte.  Was  politische  und  wissenschaftliche  Romantiker  des 
neuuzehnten  Jahrhunderts  gesucht  und  als  Forderung  aufgestellt  haben, 
christlicher  Staat,  christliche  Volkswirthschaft,  christliche  Astronomie  u.  s.  w., 
war  im  alten  Aegypten  wirklich  eininal  vorhanden.  Goethe,  Farbenlehre,  Zur 
Geschichte  der  Urzeit:  »Stationare  Volker  behandeln  ihre  Technik  mit 
Religion. «  Interessant  aber  ist,  dass  in  dem  Bericht  des  Plinius,  funfhundert 
Jahre  nach  Herodot,  statt  der  Zahl  360  schon  365  erscheint,  eine  still- 
schweigende  Verbesserung  der  Sage,  durch  welche  zugleich  die  obige  Deutung 
bestatigt  wird.  Audi  die  beiden  agyptischen  Maasse,  die  den  Namen  hinn 
und  Jciti  fiihrten,  wurden  in  je  360  Theile  zerlegt  (Lepsius  in  der  Zeitschrift 
fiir  agyptische  Sprache,  1865,  S.  109),  —  eine  mystisch-religiose  Einrichtung, 
da  fiir  die  Praxis  die  Unterabtheilungen  zu  klein  waren.  —  Die  Webekunst, 
bei  welcher  zwei  entgegengesetzte  Richtungen  ein  aus  ihrer  Durchdringung 
entstehendes  Drittes  erzeugen,  bot  iibrigeus  der  mythischen  Phantasie  der 
altesten  Zeiten  von  selbst  das  Bild  zwei'er  Naturpotenzen,  einer  empfangenden 
uud  einer  zeugenden,  und  ihrer  fruchtbaren  Vermischung. 

50.  S.  165. 

Ware  die  kolchische  Leinwand  iiber  die  lydische  Hauptstadt  Sardis  ge- 
kommen,  so  hatte  das  Adjectiv  vielmehr  SapSi-^vov,  SapSrqvixov  lauten  miissen. 
Da  Herodot  sagt,  die  Kolchier  und  Aegypter  webten  auf  dieselbe  Art,  xata 
Tafrcd,  —  gab  es  vielleicht  auch  in  Kolchis  ein  Gewebe,  dessen  Faden  aus 
360  noch  feineren  bestanden,  und  hiess  ein  solches  sardonisch  nach  dem 
lydischen  und  gaiiz  allgemein  iranischen  Worte  oapSi?,  das  Jahr?  —  Wie 
Herodot  bringt  auch  ein  neuerer  Naturforscher  den  agyptischen  und  kolchischen 
Flachs  in  Verbindung.  linger,  Botanische  Streifziige  auf  dem  Gebiet  der 
Kulturgeschichte,  Wiener  Sitzungsberichte,  Band  38,  S.  130:  »Die  Leinpflanze 
ist  nicht  in  Aegypten  einheimisch,  sondern  daselbst  eingefiihrt  und  zwar,  nach 
der  Natur  der  Pflanze  zu  urtheilen,  aus  viel  nordlicher  gelegenen  Landern, 
wahrscheinlich  aus  Kolchis.«  Aber  letzteres  doch  gewiss  nicht  direct,  sondern 
iiber  Babylonien. 

51.  S.  166. 

Ritter,  Ueber  die  geographische  Verbreitung  der  Bauniwolle  u.  s.  w.  (in 
den  Abhandl.  der  Akad.  der  Wissensch.  zu  Berlin  aus  clern  Jahre  1851), 
deutet  S.  336 ff.  die  &0-6va:,  od-ovta  als  baumwollene  Stoffe,  aber  ohne  einen 
haltbaren  Grund  anzufiihren  und  bloss  auf  eine  verfehlte  Etyraologie  gestiitzt. 
Nach  H.  Brandes,  Ueber  die  antiken  Namen  und  die  geographische  Verbreitung 


Anmerkungen.  585 

der  Baumwolle  im  Alterthuin,  S.  106,  bezieht  sich  der  Ausdruck  60-ovv)  »nicht 
sowohl  auf  einen  bestimmten  Stoff,  als  vielmehr  auf  bestimmte  Arten  oder 
Formen  von  Geweben,  welche  als  Kleidungsstiick  dienen  konnten.«  Mit 
anderen  Worten  also:  die  oftdvca  konnen  bei  Homer  sehr  wo  hi  Leingewander 
sein,  auch  wenn  spate  Schriftsteller  unverkennbar  baumwollene  darunter  ver- 
stehen.  [Vgl.  hieriiber  wie  tiber  die  Baumwolle  im  Alterthum  iiberhaupt 
O.  Schrader,  Handel sgeschichte  und  Waarenkunde  I,  186  ff.] 

52.    S.  176. 

Wie  die  europaische  Urwelt  in  der  Waldepoche  sich  Stricke  schaffte, 
davon  giebt  nns  eine  Stelle  der  Odyssee  10,  156  ff.  ein  anschauliches  Bild. 
Odysseus  hat  auf  der  Insel  der  Circe  einen  Hirsch  erlegt,  ein  ungewohnlich 
grosses  Thier,  und  es  handelt  sich  darum,  die  Beute  zu  den  Gefahrten  am 
Meeresstrande  zu  schaffen.  Er  rafft  Gezweig  und  Rutheu,  pourcdc;  TS  X6foo<;  TE, 
zusammen,  flicht  daraus  einen  klafterlangen,  von  beiden  Enden  wohlgedrehten 
Strick,  itelajj.a  loaTpecpe?  ^jxcpoTepcuO-ev,  bindet  dem  Thier  damit  die  Fusse  zu- 
samrnen,  hangt  es  sich  um  den  Nacken  und  tragt  es  so  hinab  zum  schwarzen 
Schiffe.  Damit  vergleiche  man  folgendes  Wort  bei  Nesselmann,  Worterbuch 
der  litauischen  Sprache,  S.  180:  Jcardelus  oder  kardelis  ein  starkes  Tau  zum 
Anbinden  der  Holzflosse  und  Wittinnen  (Art  Flussfahrzeuge),  meist  von 
Bast  oder  Reisern  geflochten:  das  Ankertau  auf  grosseren  Schiffen;  die 
Drittstange  am  Wagen,  eine  junge  mit  einer  geflochtenen  Oese  ver- 
sehene  Birke  oder  auch  ein  Strick,  woran  das  dritte  Pferd  gespannt 
wird.  Was  in  dem  unentwickelten  Litauen  noch  heute  Branch  ist,  das  iibten 
auch  die  Germanen  in  einem  friiheren  Zeitalter.  Grimm,  RA.  683:  »das 
einfache  Alterthum  drehte  statt  der  hanfenen  Seile  Zweige  von  frischem, 
zahem  Holz«,  ahd.  wit,  mhd.  wide,  lancwit,  widen  binden,  nhd.  Wiede,  Lang- 
wiede,  auch  in  den  iibrigen  deutschen  Sprachen,  sowie  in  den  keltischen  und 
slavischen,  sich  wiederfindend  (die  verschiedenen  Formen  bei  Diefenbach, 
O.  W.  1,  146).  Die  Wiede  diente  zum  Zusammenbinden  der  Dacher  und  der 
Flosse,  am  Wagen  und  Joche,  zur  Koppelting  der  Thiere,  zur  Geisselung 
und  als  Seil  beim  Aufhangen  der  Verbrecher  u.  s.  w.  In  jeder  Hinsicht  ent- 
tsprechend  ist  das  lateinische  vitis.  Dieses  Wort  bedeutet  nicht  etwa  die  sich 
um  einen  Baum  oder  Stock  rankende  Pflanze,  sondern,  wie  vitex,  vimen  und 
das  griechische  lisa,  ein  biegsames,  dem  Menschen  zum  Winden,  Binden  und 
Flechten  dienliches  Gewachs.  Virgil  sagt  lentae  vitis  wie  lenta  salix.  Wie  der 
Sclave  und  Uebelthater  mit  der  geflochtenen  Wiede  geschlagen  wird,  ja  das 
mhd.  Verbum  widen  geradezu  schlagen  bedeutet,  so  bildet  bei  den  Romern 
die  vitis  in  der  Hand  des  Centurionen  das  Werkzeug  der  Zuchtigung  fur  un- 
gehorsame  Soldaten,  z.  B.  Liv.  Epit.  57:  quern  militem  extra  ordinem  depre- 
hendit,  si  Romanus  esset,  vitibus,  si  extraneus,  fusiibus  ceddit.  Ein  der  Rebe 
ahnliches  Rankengewachs,  die  Bryonie,  lat.  vitis  alba,  dessen  Name  wahr- 
scheinlich  auf  den  Weinstock  uberging,  wird  von  Ovid  ausdriicklich  mit  der 
WTeide  zusammengestellt,  Met.  13,  800: 

Lentior  et  salicis  virgis  et  vitibus  albis  - 

und  diente  wie  Ginster  und  Binse  zum  Korbflechten,  Serv.  ad  V.  G.  1,  165: 
quoniam  de  genistis  vel  junco  vel  alba  vite  solent  fieri.  Man  vergleiche  auch  altn. 
$neis  Zweig,  mhd.  sneise  Schnur. 


586  Anmerkungen. 

* 

Ein  Schritt  weiter  war  es,  wenn  der  Bast  der  Baume,  ein  noch  weiterer, 
wenn  die  Fasern  der  Ness  el  zu  Seilen,  Zaumen,  Gtirteln,  Zeugen,  Kleidern,. 
Schildeu  u.  s.  w.  verarbeitet  wurden.  Die  Massageten  kleiden  sich  in  Bastr 
Strab.  11,  8,  7:  &|j.iTCXOVTtxt  8s- (ol  Maoooqitat)  TOU?  TOW  8lv8pu>v  <pXoioo?,  und  ebenso- 
die  Gerraanen,  Mela  3,  3,  2:  viri  sagis  velantur,  aut  libris  arborum,  quamvis 
saeva  hieme,  und  tragen  Schilde  von  roher  Baumrinde,  Val.  Flacc.  6,  97  (von 
den  Bastarnen): 

quos,  duce  Teutogono,  crudi  mora  corticis  armat. 

Zu  solchem  Bastgeflecht  diente  besonders  die  Linde,  die  auch  in  alien 
Sprachen  nach  dieser  Eigenschaft  benannt  ist.  Das  griechische  cptXopa  heisst 
Linde  und  Bast  und  ist  sicher  mit  cpXoio?  Rinde  und  cpeXXo?  Kork  verwandt. 
Theophr.  h.  pi.  5,  7,  5:  zyzi  8s  M-  (•*]  cpiXopa)  TOV  cpXo:6v  ^pYjacjxov  Tcpo?  TE  ta 
oyoivia  xal  7ipo<;  TOCC;  xbtac.  Also  noch  Theophrast  kennt  den  Gebrauch  des- 
Lindenbastes  zu  Stricken  und  zu  Kisten.  In  der  grossen  Lindenregion 
Europas,  in  Weiss-  und  Kleinrussland  und  den  an  die  Karpathen  sich 
lehnenden  Landschaften  ist  die  Lindenrinde  noch  heut  zu  Tage  in  lebendiger 
Anwendung  und  dient  je  nach  dern  Alter  des  Baumes  zu  Wagenkorben  und 
Flusskahnen,  zu  Matter,  Stricken,  Schuhen,  Sacken,  Sieben  u.  s.  w  Man  be- 
rechnet  die  Zahl  der  hier  und  in  dem  waldreichen  russischen  Nordosten,  in 
Wiatka  u.  s.  w.,  zum  Behuf  der  Schalung  jahrlich  gefallten  Baume  auf  etwa 
eine  Million;  der  Bast  wird  in  Wasser  geweicht  und  das  Material  ist  fertig. 
Ahd.  linta,  ags.  und  altn.  Und  die  Linde,  altn.  lindi  der  Giirtel;  das  Lind  in 
deutschen  Mundarten  so  viel  als  Bast,  Lindschleisser  in  der  alteren  Sprache 
gleich  Seiler  (Grimm  RA,  S.  261  und  520).  Von  dem  deutschen  Lind  kann 
das  lateinische  linteum  nicht  getrennt  werden;  nach  Wackernagel  wiirde  auch 
das  romanische  barca  die  Barke  aus  dem  niederdeutschen  Borke,  altn.  borkr 
abzuleiten  sein,  doch  scheint  das  griechische  ^api?,  welches  vielleicht  aus 
Aegypten  stammt  [aegypt.  bari-t],  das  messapische  ,Sapi?  und  lateinisch  baris 
grosseren  Anspruch  zu  haben.  Das  homerische  nur  im  Dativ  und  Accusativ 
vorkommende  Xtrl,  Xlta  (also  fiir  Xtvtt,  Xivia)  ziehen  wir  mit  Pott  gleichfalls 
hierher:  es  bedeutet  ein  groberes  Tuch,  urspriinglich  wohl  eine  Matte  au& 
Lindenbast:  der  weggestellte  Wagen  wird  damit  bedeckt,  es  wird  auf  den 
Sessel  gebreitet  und  dariiber  die  schb'ne  purpurne  Sitzdecke,  der  Leichnam 
des  Patroklus  wird  damit  verhiillt  und  dariiber  das  weisse  Leichentuch  ge- 
worfen.  Ob  wir  uns  dabei  im  Sinne  der  Sanger  uoch  eine  wirkliche  Bast- 
matte  oder  schon  ein  grobes  Leinenzeug  zu  denken  haben,  bleibt  ungewiss. 
Lateinisch  tilia  Linde,  tiliae  Bast,  franzosisch  teiller  Hanf  brechen,  italienisch 
tiglio  Hanfrinde.  Dem  slavischen  lipa,  litauischen  lepa  die  Linde  entspricht 
gr.  Xeiceiv  schalen,  XSTTTO?  zart  (durchgangig  von  Zeugen  aus  Flachs  gebraucht,. 
XSTITOC  ocpaofxata  =  linnene  Gewebe),  lit.  lupti  schalen,  ahd.  louft,  loft  Baum- 
rinde. Ebenso  gehort  lat.  lieium  ohne  Zweifel  in  dieselbe  Reihe  mit  lit.  lunkas, 
russ.  poln.  czech.  lyko  der  Bast.  Wie  lat.  liber  beweist,  war  Bast  auch  das 
alteste  Schreibmaterial.  Ulp.  Dig.  32,  52:  Librorum  appdlaiione  continentur 
omnia  volumina,  sive  in  charta,  sive  in  membrana  sint,  sive  in  quavis  alia  materia: 
sed  et  si  in  philyra  aut  in  tilia,  ut  nonnulli  conficiunt,  aut  in  quo  olio  corio, 
idem  erit  dicendum.  Mit  Anbruch  der  historischen  Zeit  ist  dieser  viel- 
gebrauchte  Stoff  tiberall  im  Verschwinden,  aber  manche  Benennungen,  die 


Anmerkimgen.  587 

ihm  gegolten  batten,  gingen  auf  die  neuen  Pflanzen  iiber,  die  an  seine  Stelle 
traten  [vgl.  hierzu  oben  S.  185 ff.]. 

Schon  dem  Flachse  naher  stehen  die  Gewebe  aus  den  Fasern  der  ge- 
meinen  wildwachsenden  Nessel.  Sie  sind  bei  den  Halbnomaden  an  der 
Grenze  Asiens  und  Europas,  einev  Gegend,  die  bei  dem  stufenmassigen 
Zuriickweichen  der  alteren  Kulturepochen  nach  Osten  uns  oft  in  tiber- 
raschender  Weise  die  Gestalt  Ureuropas  vor  Augen  stellt,  noch  heut  zu  Tage 
ganz  gewohnlich.  Die  Weiber  der  Baschkiren,  der  Koibalen,  der  Sagai- 
Tataren  u.  s.  w.  verarbeiten  die  urtica  dioeca  nicht  bloss  zu  Netzen  und 
Garnen,  sondern  auch  zu  einer  Art  Leinwand,  s.  Storch,  Tableau  historique 
et  statistique  de  1'empire  de  Russie,  1801,  II.  249.  Von  den  Baschkiren  be- 
richtet  Pallas,  Reise  durch  verschiedene  Provinzen  des  russischen  Reichs,. 
St.  Petersburg  1801,  I.  S.  448:  »Ihr  grobes  Leinenzeug  zur  Kleidung  verfertigen 

sie  grossentheils  selbst,  indem  sie auch  von  der  geineinen  grossen  Nessel 

Garn  spinnen.  Diese  Nessel  wachst  in  dem  fetten  Erdreich  bei  den  Wohnungen 
haufig  und  wird  wie  der  Hanf  im  Herbst  ausgerauft,  getrocknet,  danach  etwas 
eingewassert,  der  Bast  am  meisten  mit  den  Handen  durch  das  Brechen  der 
Stengel  abgezogen  und  zuletzt  in  holzernen  Morsern  gestampft,  bis  nichts  als- 
das  Werg  iibrig  bleibt.«  Ein  Handelsbetrug,  der  in  Turkestan  oft  vorkommtv 
besteht  darin,  dass  Nesselfaden  mit  der  Seide  verwebt  werden  und  das  Zeng 
als  reiner  Damast  verkauft  wird.  Nestor  erzahlt  an  einer  merkwiirdigen 
Stelle,  Oleg  habe,  von  Konstantinopel  wegschiffend,  den  Schiffen  der  Russen 
Segel  aus  powoloka,  denen  der  Slaven  Segel  aus  Nesseln,  kropiva,  gegeben,. 
Schlozer,  Nestor,  III,  S.  295  f.  (Das  erste  Wort  erklart  Krug,  Zur  Mtinzkunde 
Russlands,  St.  Petersburg  1805,  S.  109  ff.  als  verderbt  aus  »babylonisches 
Zeug«,  d.  h.  Seide,  vielleicht  waren  die  Segel  von  Nesseln  linnene  mit  Bei- 
behaltung  des  alterthiimlichen  Ausdrucks,  nur  feinere,  denn  die- Slaven  be- 
klagen  sich,  dass  sie  ihre  gewohnlichen  groben  nicht  bekommen  haben,  die 
die  dem  Sturme  besser  Widerstand  geleistet  batten.)  Dass  auch  die  Germanen 
Netze  aus  Nesselgarn  strickten,  lehrt  die  etymologische  Verwandtschaft  dieser 
beiden  Worter,  goth.  nati,  ags.  net  das  Netz,  ags.  netele  die  Nessel  n.  s.  w.; 
auch  die  Nessel,  preuss.  noatis,  lit.  notere,  lett.  ndtra,  altirisch  nenaid  (redu- 
plicirt,  Corrnac  p.  126),  scheint  vom  Nahen  so  benannt.  Noch  Albertus  M. 
kennt  den  Gebrauch  der  urtica  zu  Geweben,  de  vegetabilibus  ed.  Jessen  6,  462: 
duas  autem  habet  pelles  (urtica),  interiorem  et  exteriorem :  et  illae  sunt,  ex  quibus 
est  operatio,  sicut  ex  lino  et  candbo.  Und  gleich  darauf:  sed  pannus  urticae  pru- 
ritum  excitat,  quod  non  facit  lini  vel  canabi.  Auch  das  Chinagras,  das  wir 
jetzt  aus  Indien,  Java,  China  beziehen,  ist  iiichts  als  die  Brennnessel  oder  eine 
Varietat  derselben  und  liefert  Stoffe,  die  der  Baumwolle  in  jeder  Beziehuug 
iiberlegen  sind. 

Als  der  Flachs-  den  europiiischen  Volkern  zukam,  da  war  es  natiirlichr 
dass  die  vorhandenen  Nameii  des  Bastes  und  der  Nessel  und  der  aus  ihnen 
gearbeiteten  Produkte  auf  die  neue  Gespinnstpnanze  iibergingen.  So  erhielt 
das  lateinische  linteum  den  Sinn  von  Leinwand,  wahrend  im  Deutschen  Lind 
die  Bedeutung  Bast  und  Linde  die  des  basttragenden  Baumes  bewahrte. 
Ein  keltisches  Wort  fur  Nessel  ist  kymbrisch  dynat,  danad,  welches  altkornisch 
linliaden,  armorisch  linad,  lenad,  linaden  lautet  (Zeuss2  1076).  Das  Primitiv 


588  Anrnerkungen. 

davon  scheint  in  dera  bei  Dioscorides  anfbewahrten  dakischen  ouv  =  v.vtSYj, 
urtlca  (Diefenbach  0.  E.  S.  329)  und  mit  demselben  Wechsel  von  d  und  1, 
wie  bei  dynad  und  linad,  in  dem  griechischen  X-.vov  vorzuliegen.  1st  die  letztere 
Verrnuthung  gegriindet,  so  wiirden  die  Griechen,  als  ihnen  in  vorhomerischer 
Zeit  der  Flachs  und  die  Leinwand  von  Asien  her  zugetragen  wtirde,  ihre  Be- 
zeichnung  der  Nessel  und  des  Nesselgeflechts  auf  das  ahnliche,  wenn  auch 
vollkornnmere  Gespinnst  aus  Flachs  angewandt  haben.  Der  urspriingliche 
kurze  Vocal  wurde  init  der  Zeit  und  in  einigen  Landschaften  lang:  Xlvov  (der 
umgekehrte  Vorgang  ware  nach  den  sonst  beobachteten  Gesetzen  spraehlicher 
Entwickelung  minder  wahrscheinlich),  und  so  lautet  das  Wort  bei  Aristo- 
phanes Pac.  1178  und  beim  Komiker  Antiphanes  (Athen.  10,  p.  455)  —  welch 
letztere  Stelle  Meineke  init  Unrecht  durch  Conjectur  andert.  In  dieser  jiin- 
geren  Gestalt  finden  wir  das  Wort  in  Italien  wieder:  llnum\  von  da  kam  es 
211  den  transalpinischen  Vo'lkern,  goth.  lein  u.  s.  w.  —  Die  deutsche  Sprache 
hat  noch  zwei  Ausdrucke  fiir  die  Pflanze  selbst,  beide  sichtlich  vom  Flechten 
und  Weben  entnommen  und  mit  Wortern  der  Bedeutung  Haar  sich  bertihrend: 
ahd.  flahs  und  haru,  gen.  haraives  (ersteres  hat  im  litauischen  pldukas  und 
slavischen  vlastt  den  Begriff  Haar,  im  lit.  plduszas  den  von  feinem  Bast; 
fahs  das  Haar,  die  Nebenform  von  flahs,  ist  eiris  und  dasselbe  rnit  dem  griech. 
TCEXOC,  raaxoc,  welches  letztere  Wort  der  Scholiast  zu  Nic.  Ther.  549  erklart: 
Tteoxo?  8s  tov  cpXoiov  TYJS  ^otdv-rjc,  also  Bast,  TCSXOJ  kammen,  lat.  pecto;  haru,  altn. 
hor,  der  Lein,  halten  wir  fur  identisch  mit  dem  slav.  kropiva,  die  Nessel, 
und  dem  alban.  &srp  =  Hanf)  [vgl.  hierzu  oben  S.  185 ff.]. 

Unter  den  aus  Schweizer  Seen  aufgefischten  Gegenstanden  haben  sich 
auch  Bundel  geernteten  Flachses,  Stiicken  linnenen  Zeuges,  aus  Flachs  ge- 
flochtene  Matten  u.  s.  w.  gefunden.  Da  namhafte  Naturforscher  in  den  ge- 
nannten  Ueberresten  wirklich  die  Fasern  des  Flachses  erkannt  haben,  so 
•diirfen  wir  an  der  Thatsache  nicht  zweifeln,  obgleich  bei  Garrigou  et  Filhol, 
Age  de  la  pierre  polie,  Paris  et  Toulouse  s.  a.,  4°,  p.  51  es  vorsichtiger  Weise 
nur  heisst:  le  lin  leur  e'tait  probablement  connu,  a  moins  qu'  une  autre  plante  a 
Scarce  filamenteuse  (die  grosse  Nessel?)  ait  pu  leur  fournir  de  quoi  faire  des 
vStements.  Der  Flachs  war  iibrigens  nicht  unser  jetzt  gebrauchlicher,  sondern 
eine  besondere  Varietat.  O.  Heer  in  den  Mittheilungen  der  antiquarischen 
Gesellschaft  in  Ziirich  15,  312:  »Der  Pfahlbauteulein  ist  nicht  der  gemeine 
Flachs.  Der  schmalblattrige  Flachs,  Linum  angusiifolium  Huds.,  der  in  den 
Mittelmeerlandern  von  Griechenland  und  Dalmatien  weg  bis  zu  den  Pyrenaen 
zu  Hause  ist,  darf  als  die  Mutterpflanze  des  kultivirten  Pfahlbautenleins  be- 
zeichnet  werden.  Dass  die  Pfahlbautenleute  ihren  Flachssamen  aus  dem  stid- 
lichen  Europa  bezogen,  beweist  das  kretische  Leimkraut«  —  welches  letztere 
sich  namlich  als  Unkraut  unter  den  Flachsresten  findet.  Danach  also  war 
der  Schweizer  Flachsbau  erst  von  dem  italischen  abgeleitet  [vgl.  hierzu  oben 
S.  184—185].  Je  ausgebildeter  wir  uns  iiberhaupt  den  Acker-  und  Obstbau 
bei  den  Bewohnern  dieser  Wasserbauten  denken,  desto  tiefer  in  der  Zeit 
mussen  wir  sie  herabriicken.  Man  erwage  wohl,  dass  die  aus  dem  Grunde 
der  Seen  heraufgeholten  Gegenstande,  so  interessant  ihr  Anblick  sein  mag, 
doch  unmittelbar  chronologisch  nichts  aussagen  uud  dass  Alles,  was  iiber  die 
Epoche  dieser  Kultur  vermuthet  worden  ist,  nicht  der  Betrachtung  ihrer 
Beste,  sondern  anderweitigen  oft  sehr  luftigen  Erwagungen  und  Voraussetzungen 


Anmerkuugen.  5891 

entnornmen  ist.  Wenn  es  das  Gliick  so  fiigte,  dass  sich  mitten  in  einern 
dieser  Flachsbiindel  ein  massaliotisches  Geldstiick  eingeschlossen  fande,  oder 
wenn  eine  giitige  Fee  uns  einige  wenige  Worter  der  Sprache  dieser  Pfahlbauer, 
z.  B.  die  Namen,  mit  denen  sie  den  Flachs,  den  Weizen,  den  Pflug  u.  s,  w. 
bezeichneten,  vertrauen  wollte  —  welch  ein  heller  Lichtstrahl  fiele  plotzlich 
in  diese  dunkle  Welt!  Wir  wiirden  uns  nicht  wundern,  wenn  sich  dann  er- 
gabe,  dass  diese  rathselhafteu  Urmenschen  mit  den  steinernen  Werkzeugen 
in  der  Hand  Niemand  anders  als  die  Vater  der  uns  seit  Casar  wohlbekannten 
Helvetier  waren  und  dass  die  hohere  Kultur,  deren  Spur  wir  bei  ihnen  finden,. 
von  den  Ufern  des  mittellandischen  Meeres  stammte. 

53.  S.  188. 

Movers,  Phonizier,  2,  3,  157  behauptet  ganz  grundlos:  »Hanf  zu  Schiffs- 
seilen  und  Segel  wurde  in  der  ausgezeichnetsten  Giite  in  Phonizien  gezogen.« 
Das  konnte  hochstens  von  der  Romerzeit  wahr  sein,  wo  auch  der  Hanf  der 
karischen  Stadt  Alabanda  im  hochsten  Rufe  stand.  —  Der  an  einer  einzigen 
Stelle  im  Homer  vorkommende  Ausdruck  aTtdpta  ftir  Schiffstaue,  II.  2,  135: 

xal  SY]  Soopa  aeav]7i8  vsdiv  xal  aicdpta  XeXovTou  — 

lasst  iiber  den  StofF,  aus  dem  sie  gefertigt  M?aren,  im  Dunklen.  Vergleicht 
man  indess  das  verwandte  Wort  orcopic,  lat.  sporta  der  Korb,  so  wird  glaublichv 
dass  auch  oicdpTov  aus  einer  Binsen-  oder  Ginsterart  gedreht  war.  Aber  die 
airdpta  TCov.va  £OTpajj.|j.sva  an  den  Leinwand-Harnischen  der  Chalyber  bei  Xeuo- 
phon  Anab.  4,  7,  15  mo'gen  hilnfenen  Stoffes  gewesen  sein,  da  die  Chalyber 
demjenigen  Landstrich  und  Volksstamme  nahe  wohnten,  wo  der  Hanf  zuerst 
auftritt. 

54.  S.  189. 

Neben  dem  allgemein  europaischen  Ausdruck  haben  die  Slaven  ein 
eigenthiimliches  Wort  fiir  Hanf:  russisch  penka,  poln.  pienka,  czechisch  penek^ 
penka.  Sie  konnen  dies,  wie  so  vieles  Andere,  von  den  Skythen  oder  Sar- 
maten  entlehnt  haben,  denn  neupersisch  und  afghanisch  beng,  bang  und  schon 
vedisch  lihanga  der  Hanf,  zendisch  banha  Trunkenheit,  Banga  Name  des  Daeva 
der  Trunkenheit  ,  s.  Justi,  Handbuch,  S.  209  [vgl.  P.  Horn,  Grundriss  d.  np. 
Etym.  S.  53].  Ein  zweiter  slavischer  Ausdruck  poskonl  (so  auch  russisch  und 
czechisch)  stellt  sich  zu  ahd.  fdhs,  gr.  TCSOV-OC,  das  polnische  ploskon  zu  ahd.. 
flahs  —  ein  merkwiirdiger  Parallelismus  beider  Sprachgruppen.  [Als  altere 
Form  der  slavischen  Worter  sieht  Miklosich,  Et.  W.  S.  260  posk-  an,  das  rait 
adh.  fdhs,  vgl.  oben  S.  186,  kaum  zu  verbinden  ist.  Litauische  Lehnworter 
aus  plosk-  siehe  bei  A.  Bruckner,  Die  slav.  Fremdw.  im  Lit.  S.  119.]  —  Bischof 
Otto  von  Barnberg  fand  bei  den  heidnischen  Slaven  in  Pommern  viel  cana- 
pum,  s.  Herbordi  vita  Ottonis  bei  Pertz,  Scr.  20  p.  745. 

55.  S.  196. 

Wie  die  Lokrer  mit  den  Siculern,  sollte  der  attische  Feldherr  Hagnon 
mit  den  Barbaren  am  Strymon  verfahren  sein :  er  leistete  ihnen  den  Eid,  drei 
Tage  nichts  unternehmen  zu  wollen,  warf  aber  beiNacht  seine  Befestigungen 
auf  und  grundete  so  Amphipolis  (Polyan.  6,  53).  Als  die  Perser  Barke  in  Afrika 
vergeblich  belagerten,  schwuren  sie  den  Barkaern  zu,  gegen  einen  zu  zahlenden 


.590  Anmerkungen. 

Tribut  die  Belagerung  aufheben  zu  wollen.  Dies  Versprechen  sollte  so  laDge 
gelten,  als  die  Erde,  auf  der  sie  stiinden,  unter  ihren  Fiissen  halten  werde. 
Der  Boden  war  aber  kiinstlich  unterhohlt,  die  Erde  sank  zusammen  und  die 
Stadt  wurde  iiberfallen  und  eingenommen  (Herod.  4,  201).  Durch  buchstabliche 
Auslegung  erwarb  sich  auch  Dido  den  Boden  zur  Grundung  von  Karthago. 
Bei  detn  Monch  von  Corvey,  Widukind,  landet  der  Stamm  der  Sachsen  zuerst 
in  Hadeln.  Einer  ihrer  Jiinglinge  kauft  den  Thiiringern  fur  viel  Gold  einen 
Haufen  Erde  ab  und  wird  als  Betrogener  ausgelacht.  Hinterher  aber  bestreut 
er  weit  und  breit  das  Land  mit  dem  erkauften  Staube  und  so  gehort  der 
Grund  und  Boden  den  Sachsen.  Dieser  Anspruch  wird  dann  durch  eine 
blutige  Schlacht  und  die  Niederlage  der  Thuringer  bekraftigt.  Auf  ahnliche 
Art  kam  die  Wartburg  in  den  Besitz  des  Landgrafen  von  Thuringen.  Zwolf 
Ritter,  im  Burgh  of  stehend,  schwuren  bei  ihren  Schwertern,  dass  sie  auf 
landgraflichem  Boden  stiinden:  sie  selbst  aber  hatten  vorher  thiiringische 
Erde  in  den  Burghof  geschafft.  —  Bei  Naturvolkern  mit  noch  unentwickeltem 
sittlichen  Gefiihl  wird  die  List  bewundert,  wie  die  Tapferkeit.  Der  Eid  wird 
gefiirchtet,  aber  nur  als  Forrael,  und  so  1st  auch  das  Eecht  noch  uuabtrenn- 
bar  voin  Symbol.  Noch  jetzt  machen  ungebildete  Menschen  den  Eid  un- 
wirksam,  indem  sie  eine  Art  Gegenzauber  anwenden,  z.  B.  wahrend  sie  die 
rechte  Hand  zum  Schwur  erheben,  die  drei  Finger  der  linken  hinter  dem 
Riicken  nach  unten  ausstrecken  u.  s.  w. 

56.    S.  225. 

Laurus  abgeleitet  von  luo,  lavo.  Derselben  Herkunft  ist  Lavinia,  Lavi- 
nium,  die  angeblich  mit  Lorbeer  umpflanzte  Siihnstadt  Laurentum  u.  s.  w.  s. 
Schwegler,  Romische  Geschichte,  1,  S.  319  f.  Diese  Herleitung  wiirde  noch 
sicherer  sein,  wenn  wir  mit  Benfey  das  griechische  SdcpvYj  mit  8scpo>,  8e<Mu>,  8s^o> 
in  der  ursprunglichen  Bedeutung  benetzen,  anfeuchten  in  Verbindung  bringen 
diirften.  Aber  storend  ist  das  thessalische  §a6^va  in  dem  zusammengesetzten 
Worte  (Stpxi-Saux'^a^opstaa?  bei  Boeckh  C.  I.  no.  1766,  sowie  das  jetzt  bei 
Nicander  an  zwei  Stellen  (Ther.  94  und  Alexiph.  199)  wiederhergestellte  Sau^vo? 
fur  Lorbeer.  Andere  haben  das  Wort  daher  von  einer  Wurzel  mit  der  Be- 
deutung brennen  ableiten  wollen  (Legerlotz  in  Kuhn's  Zeitschr.  7,  293),  wo 
denn  der  Lorbeer  immer  noch  als  lustrirender,  nur  nicht  als  durch  Spiilen, 
sondern  durch  aromatische  Raucherung  reinigender  Baum  benannt  ware 
(Paul.  Epit.  ed.  O.  Miiller,  p.  117:  itaque  eandem  laurum  omnibus  suffitionibus 
udhiberi  solitum  erat.)  Stande  danach  das  I  im  lateinischen  laurus  flir  d,  wie 
in  anderen  bekannten  Fallen?  Die  Pergaer  in  Kleinasien  sagten  Xacpv-rj 
fiir  SacpvYj  nach  Hesychius.  Derselbe  hat  ein  Wort,  welches  wegen  der  Ab- 
leitung  mit  r  nahe  an  das  lateinische  heranreicht:  Soapeia1  4j  Iv  TOI?  TejjLTreot 
Sdcpvfj.  —  Wenn  das  griechische  aus  einer  asiatischen  Sprache  stammt,  dann 
ist  naturlich  alle  Bemtihung  um  etymologische  Erklarung  aus  dem  Griechi- 
schen  vergeblich.  —  Auch  jxupto?  (fxupoivv),  jxoppivifj,  fxopivfj)  ist,  weil  von  fxupov, 
fxuppa,  ojxupva  nicht  zu  trennen,  ein  orientalisches  Wort.  In  der  altesten  Zeit 
wurden  die  Straucher,  deren  Blatter  und  ausschwitzendes  Harz  zu  Wohlgeruch 
dienten,  nicht  genau  unterschieden.  Zu  den  im  Texte  angefiihrten  Stellen  ist 
noch  Serv.  ad.  V.  A.  3,  23  zu  fiigen,  wo  Myrene,  ein  schones  Madchen, 
Priesterin  der  Venus,  weil  sie  einen  Jungling  heiraten  will,  von  der  Gottin 


Anmerkungen.  591 

in  eine  myrtus  verwandelt  wird.  Dass  im  Namen  der  Myrrha,  der  Tochter 
des  Cinyras,  der  Begriff  Trauer  steckte,  wie  Movers  1,  243  wollte,  1st  nach 
•dem  Obigen  nicht  glaublich  [vgl.  hierzu  oben  S.  235]. 

57.  S.  227. 

Schneider  zu  der  ang.  Stelle  des  Theophiast  bemerkt:  is  (Plinius}  igiiur 
<mi  plura  in  suo  libro  scripta  legit,  aut  aliunde  inseruit  Mithridatis  nomen. 
Aber  den  Namen  des  Mithridates  konnte  Plinius  doch  nicht  in  seinem  Exem- 
plar des  Theophrast  finden,  der  zweihundert  Jahr  vor  Mithridates  lebte. 
Beispiel  gelehrter  Zerstreutheit ! 

58.  S.  231. 

Sollte  nicht  umgekehrt  der  griechische  Name  TCU^O?  erst  von  den  Pro- 
dukten  der  feineren  Holzteehnik  und  der  Kunstschreinerei  auf  den  Baum 
tibergegangen  sein?  Dass  das  Wort  zu  rctuaow  gehort,  dariiber  kann  kem 
Zweifel  sein;  der  zu  Grunde  liegende  Begriff  kann  aber  nicht  biegsam  sein,  wie 
Benfey  im  Wurzelworterbuch  vermuthet,  denn  der  Buchsbaum  zeigt  gerade 
•die  entgegengesetzte  Eigenschaft,  ebenso  wenig  der  des  krausen,  krummen 
Strauches,  wie  Grimm  wollte,  denn  Trroaocu  sagt  gerade  das  Gegentheil  aus: 
falten,  schichten,  ftigen,  zurechtlegen,  aus  Tafeln  zusammensetzen.  Schon 
Homer  hat  TTTD^S?  fiir  die  Lagen  des  Schildes,  sv  Tuvaxc  UTOXTUJ  fiir  die  Doppel- 
tafel,  auf  deren  innerer  Flaehe  Zeichen  eingegraben  waren,  Pindar  OJJLVWV 
TCTo^aic  fiir  die  wie  bei  kunstreichen  Gefassen  in  einander  greifenden  Fugen 
•der  Gesange  u.  s.  w.  Hat  der  Baum  von  solchen  aus  seinem  Holz  gefugten 
Kisten  und  Tafeln  den  Namen,  so  folgt,  dass  der  Handel  diese,  sowie  vielleicht 
Blocke  des  rohen  Materials,  den  Griechen  zufuhrte,  ehe  der  Baum  selbst 
ihnen  zu  Gesicht  gekommen  war,  —  eine  Bestatigung  der  im  Text  geausserten 
Ansicht.  —  Der  Name  KuToupo?,  Kotwpov  konnte  griechisch,  nicht  barbarisch 
sein,  wenn  namlich  darin  in  aolischer  Form  das  sehr  alte  Wort  steckt,  welches 
3,1s  vumvoc;  bei  den  spateren  Griechen  den  Oleaster,  bei  den  Lateinern  als  cotinus 
irgend  einen  Strauch  in  den  Apenninen  bedeutete,  bei  den  Sinopeern  aber 
vielleicht  den  auf  dem  Gebirge  wachsenden  buxus  bezeichnete  [vgl.  hierzu 
oben  S.  235  f.J. 

59.  S.  237. 

Benfey,  2,  372.  Das  m  des  semitischen  rimman  ging  »durch  eine  sehr 
natiirliche  Umwandlung«  in  das  griechische  Digamma  iiber.  Hesychius  kennt 
noch  fiir  eine  Sorte  grosser  Granatapfel  den  Namen  ptjx^at.  (Wenn  freilich, 
was  er  hinzusetzt,  das  Wort  laute  besser  ^pt^ai,  und  die  vorausgehende  Glosse: 
it|x^pa'.-  £oiai.  AloXsc?  sicher  ware,  so  wiirden  andere  Vermuthungen  Platz 
greifen.)  Dasselbe  semitische  Wort  steckt  vielleicht  [?]  im  ersten  Theil  von 
opo^ax^o?  (Schol.  ad.  Nic.  Ther.  869:  Xrfeioa  8e  ojjioitoi;  YJ  ^avS-Yjotc  TWV  potaiv 
oder  opo{3obi)(Yj  (Hesych.  opo^avc^i]'  ^otavv]  Tt<;.  ol  §s  TY]?  pota?  toui; 
08?  evict  xDttvoo?).  Kunvo?  gilt  auch  fiir  die  Bliite,  aus  der  sich  die 
Frucht  entwickelt,  Schol.  ad.  Nic.  Alex.  610:  xonvov  cpaot  TO  avd-oc  !•?) 
«irsp  a5^^ev  poia  Ytvstat.  Zu  den  Versen  des  Nicander,  Alex.  489: 
Ppoxoi  S'  aXXots  xaprcov  aXt?  cpoivcuBsa  oiSYjc; 
Kp-qatSoc,  o?va)TC7]C  TS  v.al  4jv  ITpofjisvetov  licooot  — 


592  Anmerktiugen. 

bemerkt  der  Scholiast:  olvcojtY]?*  e!§o?  £ota<;  v.al  olvaSo?.  xal  upojjivsiov  5'  e!So?  poiac, 
u)v6jj.aas  8'  aotvjv  &TCO  Ttvo?  [Ipopivoo  KpYjtoc;.  Bei  ai^Sf]  erinnert  Pott  EF.2  4,  81  an 
das  persische  s§b=pomum,  malum.  Von  dem  Namen  der  Bliite  ffoXaoauov 
(wohl  auch  ein  orientaliches  Fremdwort,  s.  Low.  Aramaische  Pflanzennamen^ 
S.  364)  stammt  bekanutlich  das  italienische  balaustro,  balaustrata  u.  s.  w.  und 
also  auch  unser  Balustrade  [vgl.  hierzu  oben  S.  243 f]. 

60.  S.  242. 

Fiedler  (Reise,  1,  625)  erzahlt:  »Als  Konig  Otto  1834  an  den  Thermo- 
pylen  war,  brachte  ein  altes  Mtitterchen  einen  stattlichen  Granatapfel  und 
wiinschte  dem  Konig  so  viel  gluckliche  Jahre,  als  Kerne  sich  darin  befanden.« 
Dies  erinnert  an  Herodot  4,  143:  Als  Darius  einen  Granatapfel  offnete  und 
gefragt  wurde,  von  welchem  Ding  er  eine  so  grosse  Anzahl  wtinsche,  als  Kerne 
in  der  Frucht  waren,  erwiderte  er,  so  viel  Getreue,  die  dem  Megabazus  glichen^ 
und  das  werde  er  noch  hoher  schatzen,  als  Griechenland  unterworfen  zu  seheu. 
Dieselbe  Geschichte  erzahlt  Plutarch  (Regum  et  Imp.  apophthegm,  in.),  aber 
mit  Bezug  auf  Zopyrus. 

61.  S.  260. 

Solche  xptva  werden  auch  die  Lilien  sein,  die  man  auf  assyrischen  Bas- 
reliefs  gefunden  haben  will  (G.  Rawlinson,  the  five  great  monarchies,  1,  440), 
sowie  diejenigen,  nach  deren  Bilde  die  Saulenkuliufe  des  salomonischen  Tempels 
gearbeitet  waren.  Auch  die  xptva,  die  Phidias  auf  dem  Mantel  des  olympischen 
Zeus  angebracht  hatte  (nach  Pausan.  5,  11,  1  —  wenn  es  mit  dem  Text  seine 
Richtigkeit  hat),  sind  nicht  als  lilia  Candida,  sondern  als  stilisirte,  allgemeine 
Blumenformen  zu  denken.  Die  agyptischen,  rosenahnlichen,  im  Flusse 
wachsenden  xptvsa  werden  als  Nymphaea  Nelumbo  L.  gedeutet. 

62.  S.  250. 

Ueber  £o8ov,  ^poSov  und  die  identischen  Worter  im  Armenischen,  Kur- 
dischen  u.  s.  w.  siehe  die  Citate  bei  Pott  EF.a  2,  817.  Das  armenische  vard 
fiihrt  nach  Spiegel  (Beitrage  1,  317)  auf  ein  altpersisches  vdreda,  aus  dem,  mit 
Verlust  des  schliessenden  d,  auf  regelmassige  Weise  das  heutige,  schon  im 
Huzvaresch  vorkommende  gul,  die  Rose,  entstand.  Auch  Spiegel  bestreitet 
die  semitische  Herkunft  des  Wortes.  Fiir  unzweifelhaft  persisch  muss 
Xeiptov  =  persisch  laleh  die  Lilie  (Benfey  2,  137)  gelten  [vgl.  hierzu  oben 
S.  258 f.].  Susa,  die  Winterresidenz  der  persischen  Konige,  sollte  von  dem  Lilien- 
reichthum  der  Gegend  den  Namen  haben,  denn  persisch  oooaov  =  griechisch  xptvov. 

63.  S.  251. 

Rosa  nach  Pott  aus  poBea,  Rosenstrauch,  wie  die  italische  Volkssprache 
Clausus  aus  Claudius  u.  s.  w.  machte.  Nur  mochten  wir  statt  des  Substan- 
tivums  po^ea,  wo  zugleich  ein  Begriflfsiibergang  vorausgesetzt  wird,  lieber  da& 
Adjectiv  poSea,  £o8ta  zn  Grunde  legen.  Die  Rose  heisst  seit  alter  Zeit  poSsa 
xaXo^,  schon  im  Hymnus  an  die  Demeter;  xdXo£  namlich  zum  Unterschied 
der  edlen  gefiillten  Rose  von  der  wilden.  Dies  war  so  gewcVhnlich,  dass  auch 
v.aXo£  allein  schon  ftir  Rose  gait,  daher  7taXoxum<;  N6fx<fY)  und  xoopf),  die  Nymphe 
oder  das  Madchen  mit  den  Rosenwangen.  Umgekehrt  aber  liess  auch  wohl 


Anmerkungen.  593 

die  Volkssprache  das  Substantiv  weg  und  sagte  bloss  vj  £o&ea  =  rosa  [vgl.  hierzu 
oben  S.  258].  —  Die  Macedonier  batten  nach  Hesychius  ein  eigenes  Wort  fiir 
Rose:  a(3afva*  poSa;  Macedonien  war  ja  fur  den  europaischen  Welttheil  auch 
das  Vaterland  dieser  Kulturpnanze.  —  Bei  Zeuss2  p.  1076  findet  sich  fur  rosa 
ein  altkorniscbes  Wort  breilu  (kambrisch  &m7a,  breilw),  dessen  Deutung  und 
Verwerthung  fiir  die  Kulturgeschichte  wir  genaueren  Kennern  dieser  Sprache 
iiberlassen  miissen.  Ebenso  dunkel  ist  p.  163  die  kambrische  Glosse:  jfuon 
(rosae).  —  Lilium  statt  lirium  ging  aus  dem  Streben  nach  Assimilation  hervor; 
die  neulateinischen  Sprachen  fiihlten  hier  umgekehrt  das  Bediirfniss  nach 
Dissimilation  und  sagten  giglio,  lirio  u.  s.  w.  Das  spanische  und  das  portu- 
giesische  azucena  fiir  weisse  Lilie  stammt  aus  dem  Arabischen  und  ist  also 
urspriinglich  eins  mit  dem  alttestamentlichen  susan,  Susannah,  und  dem  Worte, 
das  nach  Stephanus  von  Byzanz  dem  Namen  der  persischen  Hauptstadt  Susa 
zu  Grunde  liegt.  Die  Araber  waren  Garten-  und  Blumenfreunde.  Die  Neu- 
griechen  haben  das  Wort  aufgegeben  und  sagen:  die  dreissigblattrige, 
Tp-.avT-xcpoXXea  (Fraas,  Synopsis,  p.  76,  ahnlich  schon  die  spateren  Griechen,  s. 
Langkavel,  Botanik  der  sp.  Gr.,  S.  7),  welches  Wort  auch  ins  Albanesische 
uberging ;  die  Lilie,  xpivoc,  fiihrt  ungefahr  den  alten  Namen,  dessen  sich  auch 
die  Walachen  bedienen  und  den  die  altslavische  Kirchensprache  gleichfalls 
adoptirte. 

64.  S.  256. 

Vergl.  das  ausfiihrliche  Werk:  M.  J.  Schleiden,  Die  Rose.  Geschichte 
und  Symbolik  in  ethnographischer  und  kulturhistorischer  Beziehung.  Leip- 
zig 1873,  8°. 

65.  S.  267. 

Spater  haben  Hartmann  in  der  Zeitschrift  fiir  agyptische  Sprache  1864 
S.  21  und  Ebers,  Aegyten  und  die  Biicher  Mose's,  1,  S.  267  vermuthet,  es 
konnte  wohl  aus  irgend  einem  uns  unbekannten  Grunde  den  agyptischen 
Malern  verboten  gewesen  sein,  Kameele  abzubilden,  —  aber  wenn  das  Kameel 
in  Aegypten  vorhanden  gewesen  ware,  dann  hatte  es  nicht  in  gauz  Nordafrika 
bis  auf  die  Romerzeit  gefehlt,  s.  Barth,  WTanderungen,  S.  3 — 7.  Auch  die 
Huhner,  auf  die  sich  Ebers  beruft,  sind  ein  spat  eingefiihrtes  Kulturthier, 
s.  unten  den  Abschnitt  vom  Haushahn.  Auf  die  Dromedarknochen ,  die  bei 
Bohrungen  im  agyptischen  Boden  neben  anderen  Thierresten  augeblich 
gefunden  worden  sind,  ist  als  auf  ein  viel  zu  vages  und  tausend  Mdglich- 
keiten  unterliegendes  Argument  vorlaufig  noch  nichts  zu  bauen.  So  bleibt 
es  dabei,  dass  zu  der  angenommenen  Zeit  der  Pharao  dem  Abraham  noch 
keine  Kameele  geschenkt  haben  kann,  wahrscheinlich  aus  anderen  Griinden 
auch  keine  Esel,  wahrend  das  Pferd,  das  zwar  in  Aegyten  erst  eingefiihrt  ist, 
aber  in  einer  Zeit,  die  den  jiidischen  Erinnerungen  und  Aufzeichnungen  lange 
vorausging,  unter  den  Geschenken  uicht  fehlen  durfte  [vgl.  hierzu  oben  S.  279]. 

66.  S.  268. 

Movers,  Phonizier,  Th.  II  zu  Anfang,  ist  der  umgekehrten  Meinung  und 
leitet  den  griechischen  Namen  des  Landes,  4]  <I>oivntYj,  von  <potvt£  Dattelpalme 
ab,  da  Phonizien,  Palastina,  Idumaa  und  Syrien  bei  den  Alten  fiir  palmen- 

Vict.  Helm,  Kulturpflanzen.     7.  Anfl.  3g 


594  Anmerkungen. 

reiche  Lander  galten.  Allein,  was  wird  dann  aus  <poivi£  Scharlach,  welches 
Wort  doch  offenbar  denselben  Ursprung  hat?  Gesenius,  der  geneigt  war, 
<poivi£  Purpur  zum  Ausgangspunkt  zu  nehraen  (Monum.  phoen.  p.  338),  konnte 
doch  wenigstens  eine  leidliche  griechische  Etymologic  (<pov»i,  <po'.vo$  u.  s.  w.)  fiir 
sich  geltend  rnachen.  Wie  aber  soil  c?otvi£  Palme  aus  dem  Griechischen  sich 
erklaren  lassen?  Dazu  kommt  der  entscheidende  Grund,  dass  Homer  die 
Phonizier  langst  als  ein  die  Meere  befahrendes,  Handel  und  Seeraub  treibendes 
Volk  kennt  —  man  erinnere  sich  nur  der  Lebensgeschichte  des  gottlichen 
Sauhirten  Eurnaus  — ,  von  der  Bewunderung  der  Palme  auf  Delos  aber  noch 
erfiillt  ist.  [Griech.  Ooiv:^  entspricht  nebst  lat.  Poenus  wahrscheinlich  dem 
agyptischen  Fenchu,  das  sich  aber  im  Semitischen  nicht  nachweisen  lasst. 
Das  Land  heisst  agyptisch  Kaft,  Keftu.  Vgl.  jetzt  ausfiihrlich  iiber  <J>oivi£- 
Poenus  E.  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums  II,  §  92.] 

67.  S.  269. 

Plin.  16,  240:  Palma  Deli  ah  ejusdem  dei  (Apollinis)  aetate  conspicitur. 
Also  die  delische  Palme  stand  noch  zu  Plinius  Zeit:  da  nun  die  natiirliche 
Lebensdauer  der  Dattelpalme  nicht  so  weit  reicht  und  seit  Odysseus  Zeiten 
mehr  als  ein  neues  Exemplar  das  alte  hat  ersetzen  miissen,  so  mag  uns  dies 
in  andern  Fallen,  wo  lange  dauernde  Baume  gleichfalls  von  der  mythischen 
und  heroischeu  Epoche  abgeleitet  werden,  vorsichtig  machen. 

68.  S.  274. 

Gesenius  im  Thesaur.  S.  345  findet  im  griechisch-lateinischen  Palmyra 
eine  Wiedergabe  halb  nach  dem  Sinne,  halb  nach  dem  Klange,  ohne  eine 
solche  Halbirung  durch  irgend  einen  Grund  wahrscheinlich  machen  zu  konnen. 
Die  Homer  werden  bei  Eroberung  Asiens  den  Namen  doch  schon  vorgefunden 
haben,  die  Griechen  des  Seleucidenreiches  aber  konnten  bei  einer  Ueber- 
setzung  sich  nicht  des  lateinischen  palma  bedienen.  Movers  2,  3,  S.  253  sagt: 
»den  Namen  Palmyra  halte  ich  fiir  eine  Corruption  von  Tadmor.«  Da 
aber  ganz  dieselbe  Corruption  bei  dem  altlateinischen  Worte  palma  eintrat, 
so  wird  dieselbe  wohl  einen  andern  Namen  bekoramen  miissen  Der  Ueber- 
gang  des  d  oder  t  in  I  vor  einem  m  liegt  ubrigens  nahe,  vergl.  z.  B.  xadfiia, 
xa&fieia  mit  dem  romanischen  calamine,  giallamina,  deutsch  Galmei,  oder 
Patraos,  jetzt  Palmosa,  oder  arab.  pers.  elmds,  russ.  alma*,  der  Diamant,  aus 
GcSdnac,  oder  den  Flussnamen'zendisch  HaStumant,  griechisch  Eiymandros,  rait 
dem  heutigen  Hilmend  u.  s.  w.  [vgl.  hierzu  oben  S.  280  f.]. 

69.  S.  274. 

Dies  oiraSt£  orcdSixos  —  beide  Vokale  sind  lang  —  ist  insofern  ein  merk- 
wurdiges  Wort,  als  es  ganz  in  die  Bedeutungen  von  906/1$  eintritt.  Es  be- 
zeichnet  den  Palmenzweig  angeblich  mit  der  daran  hangenden  Frucht,  dann 
die  rothe,  rothbraune]  Farbe,  endlich  auch  ein  musikaltsches  Instrument. 
Gellius  2,  26  erklart  das  Wort  fiir  ein  dorisches:  spadica  enim  Dorici  vacant 
avulsum  ex  palma  termitem  cum  fructu  —  also  nicht  die  mannliche  Blutenrispe, 
die  ojtdftf],  eher  die  Datteltraube ;  nach  Plutarch.  Symp.  8,  4,  3  bedeutete  es 
den  Palmenzweig,  d.  h,  das  Blatt,  mit  dem  der  Sieger  gekront  wird: 
8oxu>  JAOI  jxvY)|Aoveuetv  Iv  TOC?  'Attixoi?  &VSYVU>XW?  evaYXQ?,  oil  Tipuito?  Iv  A-fjXci) 


Anmerkungen.  595 

&Y&va  Ttotuiv  iresoitaoe  xXaSov  TOO  ispoo  cpo^vtxo?'  YJ  xal  aitd8i£  u>vofAaa$"/).  Eine 
kiirzere  Form  erscheint  bei  Hesychius:  orca*  to  tpotov  TOO  cpoivixo?.  Unter  den 
Lateinern  braucht  das  Wort  Vergil  von  der  braunen  Farbe  der  Pferde,  die 
sonst  mit  badius,  ital.  60/0,  franz.  &ow  bezeichnet  wird,  Georg.  3,  82: 

honesti 

Spadices  glaudque:  color  deterrimus  albi. 

Die  Alten  leiteten  es  von  arcdco  ab,  wie  die  obigen  Stellen  des  Gellius  und 
Plutarch  lehren;  es  kann  aber  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  es  ein  Lehnwort 
aus  dem  Semitischen  ist.  [Doch  liegt  ein  Anhalt  fur  diese  Anschauung  Hehns 
unseres  Wissens  nicht  vor.]  Eine  spatere  Benennung  fiir  Palmzweig:  {Sat?, 
[Satov,  die  im  Neuen  Testament  gebraucht  ist,  stammt  aus  Aegypten:  alt- 
agyptisch  bd,  koptisch  p-rjt,  s.  Cha.mpollion,  gramm.  e*gypt.  1,  p.  59.  Benfey  2, 
369.  [Wiedemann.  Samral.  ag.  W.  bau\  vgl.  auch  oben  S.  281].  Der  eigent- 
liche  lateinische  Ausdruck  ist  das  schon  oben  bei  Gellius  vorgekommene 
termes,  wie  die  Stelle  Ammian.  Marcell.  24,  3,  12  lehrt:  et  quaqua  incesserit 
quisquam,  termites  et  spadica  cernit  adsidua,  quorum  ex  fructu  mellis  et  vim 
conficitur  abundantia.  Es  wird  vom  griechischen  tspjxa  [=  termo,  terminus] 
abgeleitet  sein  und  den  als  Siegespreis  am  Ziel  aufgesteckten  Zweig  be- 
deutet  haben. 

70.  S.  282. 

Cypern,  die  alte  Station  der  Seefahrer,  erhielt  den  Namen  von  den 
Cypressen,  die  dem  nahenden  Schiffer  von  fern  winkten,  oder  deren  Holz 
von  hier  ausgefuhrt  ward.  Bekannt  ist,  wie  auch  sonst  Inseln  nach  Baumen 
benannt  sind,  z.  B.  die  Pityusen  bei  Spanien  von  der  Fichte,  TCITOC,  oder 
Madeira  vom  Bauholz,  a  materie  [vgl.  hierzu  oben  S.  288].  —  Bitter,  der  am 
Anfang  seiner  schonen  Monographic  annimmt,  die  Cypresse  habe  in  Afghanistan 
ihre  wahre  Heimat,  und  von  hier  aus  sei  sie  mit  dem  alten  Glauben  ur- 
spriinglich  ausgegangen,  ist  spater  doch  wieder  geneigt,  den  Baum  auch  in 
Phonizien,  in  Kanaan,  ja  auf  den  agaischen  Inseln  fiir  einheimisch  zu  halten 
(S.  577).  Wurde  aber  dann  wohl  die  Einbtirgerung  in  dem  verwandten  Klima 
Stiditaliens  (s.  weiter  unten  im  Text;  so  schwierig  gewesen  sein,  und  wtirde 
dort  der  Baum  an  Wuchs  und  Kraft  so  merklich  zurtickstehen?  Letztere 
Erscheinung  erklart  ^ich  leicht,  wenn  wir  eine  lange,  von  Afghanistan  aus- 
gehende,  allmahlig  abnehmende  Beihe  voraussetzen,  deren  letztes  Glied  nach 
Nordwesten  das  Apenninenland  ist.  Auch  dass  die  Insel  Kreta  in  die  urspriing- 
liche  Verbreitungssphare  eines  Baunies,  der  in  Griechenland  selbst  fehlte,  ein- 
geschlossen  gewesen  sei,  ist  bei  der  Aehnlichkeit  der  Naturbedingungen  hier  und 
dort  nicht  glaublich.  Die  Cypressen  auf  dem  Libanon  mogen  imponirend 
gewesen  sein,  da  sie  sich  aber  mit  den  Biesen  im  "Westgebiet  des  Indus  nicht 
messen  konnten,  so  erscheinen  sie  doch  nur  als  secundar  und  von  diesen 
abgeleitet  [vgl.  hierzu  oben  S.  288—289]. 

71.  S.  285. 

Auch  sonst  sind  die  Ursprungssagen  von  Psophis  (bei  Pausan.  1.  1.  und 
Steph.  Byz.  s.  vv.  O^eia  und  ^Fuxpi;)  bedeutungsvoll.  Die  berichtete  Ver- 
anderung  des  Namens  deutet,  wie  bei  Kyparissia  in  Phocis,  auf  den  Eintritt 
einer  neuen  Kulturepoche :  der  Ort,  der  friiher  <!>%£«*,  $irrfta,  d.  h.  Eichen- 

38* 


596  Anmerkungen. 

oder  Buchenstadt  hiess,  und  wo  Alphesiboia,  d.  h.  die  Rinderbringende  oder 
Rindernahrende  waltete,  wurde  beim  Uebergang  zu  veredelter  Baumzucht 
Psophis  genannt;  Psophis  aber  war  die  Tochter  des  sikanischen  Ko'nigs  Eryx 
und  gebar  von  Herakles,  dern  wandernden  Vollbringer  von  Kulturwerken, 
den  Echephron  und  Promachus.  Auch  hier,  wie  in  der  Sage  von  Meleager, 
tritt  das  einbrechende  Waldleben  in  Gestalt  des  die  Garten  verwiistenden 
Ebers  auf,  der  von  Herakles  bezwungen  wird.  Das  Halsband  und  der  Peplos 
der  Harmonia  (Movers,  1,  509  ff.),  die  Psophis  als  Tochter  des  Eryx,  die  Ver- 
ehrung  der  Aphrodite  Erycina  bei  den  Psophidiern,  endlich  die  Cypressen 
oder  Jungfrauen  am  Grabe  des  Alcmaon  deuten  unverkennbar  auf  phonizischen 
Einfluss.  Auf  welchem  Wege  dieser  gekommen  war,  lehrt  die  Verkntipfaug 
rait  Akarnanien  (in  dieser  Landschaft  lag  ein  anderes  Psophis;  nach  Akar- 
nanien  zog  Alcmaon,  gab  dern  Lande  den  Namen  und  kehrte  von  daher 
wieder)  und  mit  Zakynthos  (wo  die  Burg  Psophis  hiess  und  von  dem  Pso- 
phidier  Zakynthos,  dem  Sohne  des  Dardanos,  gegriindet  sein  sollte),  also  mit 
den  Sitzen  der  Teleboer  und  Taphier,  beide  vom  Leleger  stain  me,  die  wie  es 
scheint,  zuerst  von  Griechenland  aus  uach  Sicilien  schifften.  Zum  Bergbau 
musste  der  Ort  Psophis  friihe  einladen,  zufolge  der  eigenthumlichen  Lage  des 
Berges,  die  von  Polybius  4,  70  genau  beschrieben  wird.  E.  Curtius  (Pelo- 
ponn.  1,  400)  vermuthet,  eine  Verwandlungssage  habe  sich  an  die  psophidischen 
Cypressen  angeschlossen.  Dass  in  der  Cypresse  eine  weibliche  Gottheit  wohnt, 
und  dass  umgekehrt  die  Jungfrau  mit  der  Cypresse  verglichen  wird,  ist 
religiose  und  Dichtersitte  im  Orient  von  der  altesten  bis  auf  die  gegenwartige 
Zeit,  Goethe  im  Westo'stlichen  Divan: 

Verzeihe,  Meister,  wie  Du  weisst, 

Dass  ich  mich  oft  vergesse, 

Wenn  sie  das  Auge  nach  sich  reisst, 

Die  wandelnde  Cypresse.  — 

An  der  Cypresse  reinstem,  jungem  Streben, 

Allschongewachsne,  gleich  erkenn'  ich  Dich.  — 

Ueber  die  Cypresse  als  mystisches  Attribut  handelt  vom  kunstarchaologischen 
Gesichtspunkt  in  Weise  Creuzers  die  Schrift  von  Lajard:  Hecherches  sur  le 
culte  du  cypres  pyramidal  ches  Us  peuples  civilises  de  Vaniiquite,  Paris  1854, 
in  4°.  Die  bei  den  Alten  zerstreuten  Ziige  des  Mythus  Vom  Kyparissos,  dem 
Liebling  des  Apollo,  fasste  zur  Erlauterung  eines  pompejanischen  Gemaldes 
Avellino  zusarnmen:  il  miio  di  Ciparisso,  Napoli  1841,  4°. 

72.    S.  286. 

Wir  kOnnen  es  uns  nicht  versagen,  zu  dem  Ausdruck  des  Plinius:  dotem 
filiae  antiqui  plantaria  appellabant  folgende  Stellen  aus  Hebels  Schatzkastlein 
herzusetzen:  »Wenn  ich  die  Wahl  hatte,  ein  eigenes  Kiihlein  oder  ein  eigener 
Kirschbaum  oder  Nussbaum,  lieber  ein  Baum.«  —  »So  ein  Baurn  frisst  keinen 
Klee  und  keinen  Haber.  Nein  er  trinkt  still  wie  ein  Mutterkind  den  nahrenden 
Saft  der  Erde  und  saugt  reines  warmes  Leben  aus  dem  Sonnenschein  und 
frisches  aus  der  Luft  und  schtittelt  die  Haare  im  Sturm.  Auch  konnte  mir 
das  Kiihlein  zeitlich  sterben.  Aber  so  ein  Baum  wartet  auf  Kind  und  Kindes- 
kinder  mit  seinen  Bliiten,  mit  seinen  Vogelnestern  und  mit  seinem  Segen.« 
-  »Wenn  ich  mir  einmal  so  viel  erworben  habe,  dass  ich  mir  ein  eigenes 


Anmerkungen.  597 

Gutlein  kaufen  und  rueiuer  Frau  Schwiegerm  utter  ihre  Tochter  heiraten  kann 
und  der  liebe  Gott  bescheert  rnir  Nachwuchs,  so  setze  ich  jedein  meiner 
Kinder  ein  eigenes  Baumlein  und  das  Baumlein  muss  heissen  wie  das  Kind, 
Ludwig,  Johannes,  Henriette,  und  ist  sein  erstes  eigenes  Kapital  und  Ver- 
mogen,  und  ich  sehe  zu,  wie  sie  miteinander  wachsen  und  gedeihen  und 
immer  schOner  werden  und  wie  nach  wenig  Jahren  das  Biiblein  selber  auf 
sein  Kapital  klettert  und  die  Zinsen  einzieht.«  —  Bei  den  Arabern  in 
Spanien  herrschte  die  Sitte,  bei  Geburt  eines  Kindes  ein  sog.  Silo  in  den 
Boden  auszugraben,  mit  Getreide  zu  ftillen  und  dann  luftdicht  zu  bedecken. 
Das  Korn  hielt  sich  viele  Jahre  in  diesem  unterirdischen  Behalter  und  bildete 
des  Kindes  Eigenthum,  wenn  dieses  erwachsen  war,  s.  Murphy,  the  history 
of  the  mahometan  empire  in  Spain,  p.  262  —  der  sich  dafiir  auf  Jacob's  travels 
in  the  south  of  Spain  beruft.  Derselbe,  nur  wie  billig  barbarisirte,  Brauch 
gait  bei  den  Kleinrussen  am  Dniepr:  bei  Geburt  einer  Tochter  wurde  ein 
Fasschen  Branntwein  in  die  Erde  vergraben,  dann  bei  der  Hochzeit  des 
Madchens  hervorgeholt  und  von  den  Gasten  mit  Jubel  geleert  —  wobei  natiir- 
lich  dafur  gesorgt  war,  dass  noch  andere  und  wieder  andere  mit  jungerem 
Inhalt  gefiillte  Eimer  oder  Fasser  die  begeisterte  Wuth  unterhielten. 

7B.    S.  295. 

Russisch  Uen,  poln.  klon,  Czech.  Men,  lit.  ktiwas  der  Ahorn;  altn.  hlynr, 
hlinr  (Schmeller  2,  465),  mhd.  liriboum,  Umboum,  nhd.  die  Lehne;  altkornisch 
kelin,  cambr.  kelyn,  armor.  Men,  kelennen  (Zeuss8  p.  1077);  mlat.  clenus.  Zu 
diesem  nordischen  Wort  halte  man  die  Stelle  des  Theophrast  h.  pi.  3,  11,  1: 
iv  JJLEV  §Y]  (ye'vo?)  tcp  xoivip  TtpooaYOpeuouoi  o<pe'v3a}j.vov ,  i'tspov  %k  Cofiav,  Tp£TOV  §x 
xXivotpo^ov,  to;  ol  Ttspl  St^ipa.  Dies  war  der  Name  bei  dem  Landvolk  um 
Stagira,  wie  Theophrast  wohl  aus  dem  Munde  seines  Lehrers  wusste:  vielleicht 
drflckte  die  zweite  Halfte  des  Wortes,  nach  dem  Anlaut  ip  zu  schliessen,  den 
Begriff  Baum  aus.  Ein  anderes  macedonisches  Wort  -(Xetvov,  -(llvov  (oder 
"fXscvcx;?),  Theophr.  3,  3,  1:  o^svSajivoc,  YJV  Iv  jxlv  tu>  opet  rcscpuxoiav  ^(av  xaXooatv, 
ev  §£  ttj)  TtsS'.u)  YXscvov,  3,  11,  2:  xaXouot  S'  a5tY]V  evtot  ^\sl\iov,  06  ocpsv^apivov,  muss 
mit  den  obigen  Ausdriicken  verwandt  sein.  [Vgl.  jetzt  auch  G.  Meyer,  Idg. 
F.  I,  325].  —  Das  lateinische  acer,  aceris  (fur  acesis)  scheint  eins  mit  av.aoTo<;- 
•/]  ocpEvSapivo?  bei  Hesychius.  Bekannt  ist,  dass  unser  Ahorn  (o  wegen  des  An- 
klangs  an  Horn)  aus  dem  Lateinischen  acer  oder  eigentlich  aus  dem  Adjectiv 
acernus  gebildet  ist;  aus  dem  Deutschen  stamrnt  wieder  das  slavische  javor. 
[Vgl.  tiber  diese  Worter  jetzt  H.  Osthoff  Etymologische  Parerga  I,  S.  181  ff. 
Auch  nach  ihm  hangt  ahd.  ahorn  —  natiirlich  durch  Urverwandschaft  —  zu- 
na'chst  mit  lat.  acernus  zusamraen.  Das  r  am  lat.  acer  aber  sei  urspriinglich 
und  ginge  also  nicht  auf  s  (*aces-is)  zurtick,  wie  auch  griech.  axaoro?  aus 
*axap-a-:o?  hervorgegangen  sei.  Den  Zusammenhang  von  ahd.  ahorn ,  lat.  acer, 
griech.  axaato?  mit  acies,  acus  u.  s.  w.  (s.  u.)  halt  er  aus  lautlichen  Griinden 
fiir  nicht  wahrscheinlich.]  —  Ein  echt  slavisches  Wort  repina  fQr  Ahorn  (auch 
albanesisch)  ist  von  rlpij  der  Stachel  gebildet,  wie  lat.  acer  und  griech.  o£6a 
von  der  Wurzel  ak  scharf  sein  (W.  Tomaschek  in  der  Zeitschr.  f.  d.  6'sterr. 
Gymn.  1875.  S.  529). 


598  Anmerkungen 

74.  S.  304. 

Oder  bestand  nur  die  Zunge  an  der  Wage  aus  einem  Stiick  Rohr?  oder 
war  das  Mess  en  mit  dem  Rohr  das  Erste,  und  wurde  der  Name  des  Rohres 
in  der  Bedeutung  Norm  erst  von  daher  auf  die  Wage  ubertragen?  —  [Eine 
urverwandte  Benennung  des  Schilfes  und  Rohres  liegt  in  altsl.  trus-ti  —  lit. 
truszis  vor,  die  aber  mit  griech.  Tpotavv],  lat.  trutina,  wie  H.  glaubte,  kaum 
zusammenhangen.] 

75.  S.  844. 

Wir  fiigen  hier  zur  genaueren  Ausfiihrung  des  im  Text  Gesagten  noch 
einige  sprachliche  Bemerkungen  an,  wie  sie  uns  gelegentlich  sich  ergaben. 

Fr.  Beckmann  will  in  einer  gelehrten  Abhandlung  tiber  »Ursprung  und 
Bedeutung  des  Bernsteinnamens  Elektron«  (in  der  Zeitschr.  fur  die  Geschichte 
und  Alterthumskunde  Ermlands,  I,  Mainz  1860,  S.  201  ff.  und  633  ff.)  sowohl 
den  -/jXextcup  Tirepuov  als  das  YJXextpov  und  den  aXextputuv  von  &Xsxw,  a\s^'»  ab- 
leiten,  so  dass  alien  diesen  Benennungen  der  Begriff  des  Abwehrens  zu 
Grunde  lage.  Ob  nun  mit  der  Bezeichnung  ^Xextiop  der  Gott  urspriinglieh 
als  strahlend  oder  als  abwehrend  (etwa  wie  'ArcsXXwv)  gedacht  worden,  ist  fiir 
unseren  Zweck  gleichgiiltig,  der  Bern  stein  name  aber  wurde  sicher  erst  nach 
dem  des  Sonnengottes  gebildet.  Dass  in  spateren  Zeiten  das  Elektron  auch 
als  phantastisches  Heilmittel  und  wunderkraftiger  Talisman  gebraucht  wurde, 
will  gar  nichts  sagen,  denn  dasselbe  geschah  mit  tausend  andern  Natur- 
objecten  und  namentlich  mit  alien  Edelsteinen.  Ebenso  wenig  hatte  die 
gemma  alectoria  eine  behutende  oder  abwehrende  Kraft:  sie  half  den  Athleten 
nur  desshalb,  weil  sie  angeblich  im  Magen  des  Halmes  sich  fand  und  dieser 
ein  streitbares  Thier,  SXextpoouv  jAdj(ifjio<;,  ist. 

Das  lateinische  gallus,  gallina  stellen  Pott  und  Leo  Meyer  mit  dem 
griechischen  orp(iXXu>,  a^c\o<;  zusammen,  welches  dunkle  Wort  im  Griechischen 
selbst  nur  als  Rest  einer  verschollenen  Wurzel  erscheint.  Dass  noch  um  das 
Jahr  500  vor  Chr.  in  Italien  aus  einem  dort  sonst  nicht  erhorten  Verbum 
der  Art  kurzweg  das  Wort  gallus  gebildet  worden,  ist  schwer  zu  glauben. 
Wahrscheinlicher  hat  daher  Curtius  vermuthet,  gallus  sei  eine  Assimilation 
von  gar-lus  aus  garrio,  p)po«>.  Allein  auch  gar-lus  ware  eine  zu  alterthiimliche 
Bildung,  da  die  Wurzel  hier  ohne  das  ihr  langst  angewachsene  Suffix,  wie  in 
garrulus,  erschiene.  Dazu  kommt,  dass  garrire  nie  von  der  Stimme  des 
Hahnes  gebraucht  wird,  wie  auch  im  Griechischen  ftip&iv  nicht.  Vergleicht 
man  das  lateinische  galla,  der  Gallapfel  mit  dem  gleichbedeutenden  griechi- 
schen XYJXIS,  so  kann  man  sich  der  Vermuthung  nicht  erwehren,  auch  in  gallus 
stecke  ein  assimilirter  Guttural,  und  der  Vogel  sei  onomatopoetisch  als  der 
gackernde  so  benannt  worden.  Hesych.  xaxa  •  xaxt'a  Y)  opveov.  [Indessen 
wiirde  man  bei  einer  Grundform  gac-lus  die  Bewahrung  des  inlautenden  c  er- 
warten.  Vgl.  oben  S.  136.  O.  Keller  (Lat.  Volksetymologie  S.  51)  und 
F.  Marx  in  der  Beilage  zur  Allgem.  Z.  1897  Nr.  162,  163  S.  16  vermuthen 
volksthumliche  Vermengung  mit  Gallus  Gallier,  vgl.  Welscher,  Indian;  doch 
fehlt  fiir  die  Annahme  einer  Einfiihrung  des  Haushuhns  aus  Gallien  jeder 
Auhalt.  Die  Curtius'sche  Deutung  diirfte  daher,  unter  der  Annahme,  dass 
gallus  ursprtiuglich  einen  anderen  Vogel  als  den  Haushahn  bedeutete,  immer 


Anraerkungen.  599 

noch  die  wahrscheinlichere  sein,  wenn  man  vielleicht  auch  eher  an  ags.  ceallian, 
engl.  call  (haufig  von  Vogelstirnmen ,  auch  vom  Hahneuschrei  gebraucht), 
altsl.  glagolati  denken  wird.  Die  Namen  des  Rabens  und  der  Dohle  alb.  gal's, 
altsl.  galica,  russ.  galka  haben  iibrigens  mit  letzterem  Zeitwort  wohl  nichts 
zu  thun,  sondern  gehoren  zu  serb.  galiti  se  schwarz  werden  etc.  (Miklosicb, 
Et.  W.  S.  60,  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  118).] 

Das  deutsche  hana  wird  allgemein  mit  dem  lateinischen  canere  ver- 
glicben,  welches  Verbum  gerade  vom  Krahen  des  Hahnes  gilt  (gallicinium, 
canorum  animal  gallus  gallinaceus).  Dasselbe  Verbum  ist  auch  im  Altkeltischen 
vorhanden  und  zwar,  wie  das  lateinische,  als  reduplicirendes.  Im  Griechischen 
findet  sich  derselbe  Wortstamm  in  erweiterter  Gestalt:  xava^-rj,  xavdCu>, 
im  schon  angefiihrten  Verse  des  Cratinus  auch  vom  Hahn  gebraucht: 
6X?tyu>vo<;  &Xsxtcop.  Bedenklich  ist  nur,  dass  von  dem  hierbei  vorauszusetzenden 
Verbum  hanan  sich  weder  im  Germanischen ,  noch  im  Litauischen  und 
Slavischen  irgend  eine  Spur  findet,  ferner,  dass  das  alteste  und  echteste 
deutsche  Wort  fur  den  Hahnengesang  hruk,  hruJcjan  lautet,  noch  bei  Goethe, 
Adler  und  Taube,  vom  Girren  der  Tauben: 

Da  kommt 

Dahergerauscht  ein  Taubenpaar 
Und  ruckt  einander  an. 

Danach  bleibt  der  Zweifel,  ob  nicht  das  deutsche  hana  irgend  ein  entlehnter 
siidlicher  Name  ist.  Wenn  irgendwo  ein  Wort  im  Gange  war,  wie  das  in  der 
Glosse  des  Hesyehius  steckende:  Y]i%av&;'  6  ^XexTpoouv  (von  Gerland  als  Friih- 
sanger  erklart,  Pott  EF.2  4,  283),  so  wiirde  das  deutsche  nicht  so  auffallend 
einsam  dastehen  [vgl.  hierzu  oben  S.  335]. 

Zu  dem  armorischen,  nordfranzosischen ,  angelsachsischen  coq,  coco, 
liunischen  und  estnischen  kukko,  Jcuk  stellen  wir  das  zur  Bezeichnung  der 
jungen  Brut  dienende  nordgermanische  Wort,  altn.  kyhlmger,  ags.  cicen,  cycen, 
haufig  im  Niederdeutschen,  von  wo  es  in  der  Form  Kuchlein  auch  ins  Neu- 
hochdeutsche  gedrungen  ist.  Dasselbe  Wort  aber  erscheint  wiederum  im 
alten  Griechenland  als  der  eigentlich  populare  Ausdruck  fiir  das  Singen  und 
Krahen  des  Hahnes.  Sophokles  nannte  den  Hahn  xoxxo(36a<;  b'pvts  (Fr.  718 
Nauck.),  bei  Aristophanes,  Cratinus  (Meineke  2,  1,  186:  xovouSCstv  tov  aXextpoov' 
o5x  ^vl^ovTat)  und  Theokrit,  volksmassigen  Dichtern,  ist  xoxxoCw,  xox*6o8u>  die 
ungezwungeue  Bezeichnung  fur  den  Hahnenschrei,  deren  sich  auch  die  Redner 
Hyperides  und  Demosthenes  bedienten  (Poll.  5,  89).  Das  oberdeutsche  Gockel- 
hahn  u.  s.  w.  mag  aus  dern  Franzdsischen  stammen. 

Ueber  einen  ganz  anderen  Landstrich,  namlich  die  weite  slavisch-byzan- 
tinische  Welt,  ist  ein  ahnlicher,  aber  nicht  identischer  Name  verbreitet:  slav. 
Jcohotu  gallus,  koJcoSa,  koks"i  gallina,  walachisch  coeds,  magyarisch  kalcas,  albane- 
sisch  Jeokos,  neugr.  XOV.OTO;.  Das  Sanskritwort  JeukJcuta  gallus  liegt  raumlich 
und  zeitlich  zu  entfernt,  um  damit  in  Verbindung  gebracht  zu  werden  [vgl. 
hierzu  oben  S.  335]. 

Nur  bei  einem  Theil  der  slavischen  Volker,  die  sprachlich  auch  sonst 
eine  besondere  Gruppe  bildet,  findet  sich  in  altsl.  pietlu,  serbisch  pijetao, 
croatisch  petelin,  russisch  (mit  anderem  Suffix)  pietuch.  Dem  Sinne  nach 
iibereinstimmend  litauisch  gaidys  (der  Sanger,  von  giedoii  singen),  und  das 


600  Anmerkungen. 

albanesische  JcendJs  (vom  Verbum  kmdfa  singen,  welches  vermuthlich  das  ent- 
lehnte  lat.  cantor e  1st). 

Einen  keltischen  Namen  des  Hahnes  neben  cere  bietet  das  kornische 
Vocabularium  bei  Zeuss2  p.  1074:  chelioc,  colyek,  altirisch  coileach.  Zeuss  deutet 
es  zweifelnd  als  salax,  p.  849  und  816.  Das  bei  Marcellus  Erapiricus 
(E.  Meyer,  Geschichte  der  Botanik,  II,  S.  312)  vorkommende  calocatanos  = 
Papaver  silvestre  fande  hier  seine  erwiinsclite  Erklarung  (Hahnenblume,  wie 
eoquelicot  s.  Diez  s.  v.:  nach  v.  Martens,  Italien,  2,  40,  hiessen  die  purpur- 
violetten  Blumen  der  Campanula  Speculum  L.  in  der  Gegend  von  Verona 
cantagaletti  oder  cuchetti).  [Jaba-Justi  S.  339  verweisen  auf  kurd.  kelebab, 
kelley-shir,  qulu  ,cog',  Stokes  Urkeltischer  Sprachschatz  S.  73  verweist  auf  griech. 
*aXeu>,  lat.  calare.] 

Auch  an  dunklen,  ganz  vereinzelten  Benennungen  fehlt  es  auf  euro 
paischem  Boden  nicht:  so  das  altkambrische,  kornische  und  bretonische  iar, 
yar  die  Henne  [ir.  eirin  Huhnchen]  und  fur  den  gleichen  Begriff  das  litauisohe 
wiszia,  lettische  ivista.  Altpreussisch  hiess  der  Hahn  gertis,  die  Henne  gerto, 
der  Habicht  gertoanax.  [Desgleichen  in  Asien:  pers.  makian,  Pamird.  makian, 
bei  den  Finnen  mordv.  saras]  osset.  vasdg  ist  wohl  der  Schreier:  scrt.  vd$ 
krachzen,  osset.  vas  vom  Hahne  gesagt.  Vgl.  Tomascbek,  Centralas.  Stud.  II, 
S.  38,  Hubschmann,  Etym.  u.  Lautl.  d.  osset.  Spr.  S.  31.] 

Sicher  sind  viele  der  obigen  Ausdriicke  nur  Onomatopoien.  Die  Erklarung 
durch  unabhangig  von  einander  entstandene  Klangnachahniungen  reicht  indess 
allein  nicht  aus.  Sie  widerlegt  sich.  durch  den  Umstand,  dass  jene  Bezeichnungeu 
offenbar  reihen-  und  zonenweise  auftreten,  und  durch  ihre  zu  nahe  Ueberein- 
stimmung.  WSren  sie  nicht  gewandert,  sondern  auf  jedem  Boden  von  selbst 
entstanden,  so  wtirde  sich  eine  viel  grossere  individuelle  Mannichfaltigkeit 
zeigen,  denn  jedes  Volk  hort  anders  und  liebt  andere  Lautcombinationeu. 
Nichts  spricht  dagegen  ein  Nachbar  dem  andern  leichter  nach,  als  Onomato- 
poien, Interjectionen,  Ausbruche  des  Affects,  emphatische  und  elementare 
Ausdrticke  aller  Art.  Und  wenn  der  herumziehende  Handelsmann  oder  Arzt 
—  diese  beiden  Hauptmissionare  der  Kultur  unter  feindlichen  Barbaren  — 
und  der  gefangene  Sclave  oder  das  geraubte  Madchen  den  Hahn  in  ihrer 
Muttersprache  z.  B.  als  Sanger  zu  bezeichnen  gewohnt  waren,  so  werden  sie 
ihn  den  Barbaren  in  deren  Sprache,  wenn  sie  diese  radebrechen  gelernt 
hatten,  wohl  auch  nicht  anders  benannt  und  gedeutet  haben.  So  hat  sich 
das  griechische  xXa>Ceiv.  lat.  glocire,  glocidare  (Columella  5,  4:  glocientibus:  sic 
enim  appellant  rustici  aves  eas  quae  volunt  incubare)  wohl  auch  nicht  ohne  Hiilfe 
von  Entlehnuug  so  weit  durch  alle  europaischen  Sprachen,  auch  durch  die 
slavischen,  verbreitet. 

76.  S.  347. 

In  dem  spat  auftauchenden  nepioTepd  die  zahme  Taube  fand  Benfey  2, 
106  eine  Superlativ-  und  Cornperativbildung  von  pri  lieben,  so  dass  es  »sehr 
verliebt«  bedeutete.  Wir  ziehen  vor,  an  slav.  pero  penna,  prati,  pariti  volare, 
zendisch  parena,  perena  Feder,  Fltigel ,  neupers.  par,  kurdisch  per,  ahd.  farn 
oder  farm,  ags.  fearn  (Farnkraut,  d.  h.  das  gefiederte;  litauisch  und  slavisch 
reduplicirt:  lit.  papdrtis,  poln.  paproc,  russ.  paporot;  altgallisch  ratis,  nach 
keltischer  Art  fur  pratis,  altirisch  rath,  raifh,  altcornisch  reden,  cambr.  rhedyn] 


Anmerkungen.  601 

zu  denken.  —  Das  slavische  golqbi  hat  ein  zu  genau  lateinisches  Aussehen, 
als  dass  es  nicht  aus  der  Sprache  der  Weltherrscher  und  des  Christenthums 
enlehnt  ware,  zumal  da  im  litauischen  gulbe  der  Schwan  die  Form  und  Be- 
deutung  vorliegt,  in  der  allein  das  Wort  in  diesem  Osten  ursprunglich  sein 
konnte.  Die  Erweichung  des  c  zu  g,  auch  sonst  nicht  unerhort,  hat  kein 
Gewicht  gegen  die  kultur-historischen  Griinde,  die  ftir  die  Entlehnung  sprechen 
[vgl.  obeu  S.  348],  —  Das  Litauische  weist  noch  zwei  Taubennamen  auf,  beide, 
wie  es  scheint,  von  nur  lokalem  Gebrauch:  karwelis  und  balandis.  Ich  weiss 
nicht,  ob  letzteres  zum  ossetischen  baldn  (nach  dem  andern  Dialekt  balon, 
baluon  [oben  S.  348])  gehalten  werden  darf;  es  ist  auch  ins  Livische  tiber- 
gegangen  (Wiedemann  im  Bulletin  der  Petersburger  Akademie,  1859,  S.  694), 
wahrend  das  Lettische  und  das  Estnische  ihre  Benennungen  der  zahmen 
Taube  aus  dem  Germanischen  genommen  haben,  —  Litauer  und  Slaven  be- 
nennen  den  Auerhahn  nach  der  Taubheit:  lit.  Icuriinys  taub  und  Auerhahn, 
si.  gluchu  surdus,  russ.  glucharj,  poln.  gluszec,  slov.  hluchan  u.  s.  w.  der  Auer- 
hahn. Da  dieser  Vogel  aber  in  der  Pfalz  wirklich  wie  taub  zu  sein  pflegt, 
so  ist  das  Verhaltniss  von  taub  zu  Taube  ein  anderes.  [Griech.  cpdij/,  das 
Hehn  mit  Pott  aus  cpepo^ai  erklaren  wollte,  und  'fdboa  sind  dunkel.  Da  die 
Taube  die  uralte  Bringerin  des  Todes  ist,  und  die  cpatta  (iiicht  die  nepwtepd) 
der  furchtbaren  Persephone,  der  Beherrscherin  des  Hades  geweiht  ist  (vgl. 
Lorentz  a.  o.  a.  O.  S.  32),  so  konnte  man  daran  denken  ,  <pdaocc  (:  cpovo?,  l-rce- 
cpv-ov)  als  die  »todtende«  zu  deuten.  Aus  cpdoaa  entlehnt  ist  das  altrussische 
fasa  (Miklosich,  Fremdw.  in  den  slav.  Sprachen  S.  87),  wahrend  die  Beziehungen 
zu  mittelgr.  cpapjTe  TO  atjxa  TYJ?  cpdao-rjc,  mlat.  facha,  facheta,  fdkecha,  pers.  (arab.) 
fdkht  (s.  Pott  in  Lassens  Z.  IV,  28)  nicht  deutlich  sind.  —  Eine  interessante 
Reihe  geht  von  scrt.  kapota  aus.  Dieses  Wort  ward  in  den  iranischen 
Sprachen  urn  ein  r-Suffix  erweitert:  pers.  kdbutar;  dann  trat  Verlust  des  in- 
lautenden  p  ein:  pers.  kautar,  afgh.  kewter  und  koutery,  kurd.kotir  etc.  (Pott 
in  Lassens  Z.  IV,  20,  Tomaschek,  Centralas.  Stud.  II,  39,  Jaba-Justi  S.  345, 
P.  Horn,  Grundriss  d.  np.  Et.  S.  187).  Zu  diesen  Formen  tritt  dann  in  Europa 
das  altpr.  keutaris  Ringeltaube.  Altcorn.  cudon  wage  ich  zunachst  nicht  hier- 
her  zu  stellen.  Altir.  chiad-cholum  bei  Zeuss2  1074  ist  ein  Irrthum:  in  der 
Handschrift  steht  fiad-cholum  wilde  Taube  (Paul  u.  Braunes  Bd.  XV,  548). 
Altpr.  poalis  erinnert,  wie  schon  H.  hervorhob,  an  rceXeta.  —  Goth,  dhaks 
Tceptatspd  (vgl.  acfalla  =  dhacfalla  Taubenfalle  in  der  Lex  Salica)  ist  noch 
dunkel  (vgl.  Uhlenbeck  Et.  W.  d.  gotischen  Sprache  und  u.  S.  602)  ;  doch  kehrt 
das  Suffix  auch  sonst  in  germ.  Vogelnamen  wieder:  ahd.  "hdbuh,  nhd.  Jcranich, 
lerche.  —  Verhaltnissmassig  selten  sind  bei  den  Namen  der  Taube  onomato- 
poetische  Bildungen  wie  in  alb.  vito  (neben  pelister  etc.),  den  romanischen 
piccione  etc.,  lat.  turtur,  griech.  tpyYcuv,  hebr.  tor.] 


77.  S.  351. 

Wenn  der  Aristoteliker  Clytus  in  seiner  Schrift  iiber  Milet  (bei  Athen. 
12  p.  540)  von  Polykrates  erzahlte,  derselbe  habe  die  Producte  aller  Lander 
auf  Samos  zusammengebracht:  6tt6  tpocp-r]<;  ta  uavta^oS-sv  aovdcYsw  xuva<;  jxev  e| 
'HTcsipou,  alY«<;  8s  iv.  Sv,6poo,  Ix  Ss  MiX-fj-coo  Ttpo^aTa,  6;  8e  Iv.  StxeXtac,  so  sieht  man, 
dass  der  Tyrann  sich  die  Verbesserung  der  landwirthschaftlichen  Thierracen  an 
gelegen  sein  liess,  was  ihm  dann  als  tpocptj  verdacht  wurde,  aber  fur  den  Pfau 
ist  aus  dieser  Nachricht  nichts  zu  schliessen.  Dieser  kann  namlich  aus  einem 


602  Amnerkungen. 

eutgegengesetzten  Grunde  nicht  erwahnt  sein,  entweder  well  er  bereits  auf 
der  Insel  sich  vorfand,  oder  well  er  dem  Polykrates  und  den  Samiern  noch 
unbekannt  war;  auch  ist  er  ein  blosses  Luxusthier,  das  wobl  zu  der  tpixpYj,  nicht 
aber  in  den  Zusammenhang  der  okonomischen  Bemiibungen  desTyrannen  passte. 

78.  S.  352. 

Da  Antipbon  im  J.  411  bingerichtet  wurde,  so  wiirden  freilich  die  dreissig 
und  mebr  Jahre  auf  ein  friiheres  Datum  der  Bekanntschaft  Atbens  mit  den 
Pfauen  ftihren,  als  das  von  uns  vermuthungsweise  augenommene  Jahr  440. 
Aber  die  Rede  tiber  die  Pfauen  ruhrte  schwerlich  von  Antiphon  her  und 
wurde  wohl  erst  nach  dessen  Tode,  wenn  auch  nicht  lange  nacbher,  verfasst. 

79.  S.  374. 

Ein  iiberaus  weit  durch  Europa  verbreiteter  Name  eines  Jagdvogels  geht 
von  lat.  accipiter  Habicht  aus.  Dieses  Wort,  das  entweder  so  viel  als  »der 
scbnell  fliegende«  (vgl.  u>xo-7tsrr]<;  vom  ?pvj£  bei  Hesiod  und  oben  iin  Text 
S.  374  &£owcepiov,  schon  LXX  Habicht),  oder  (vgl.  Holthausen  Indog.  Forsch.  V, 
274)  soviel  als  der  »Taubensto"sser«  (*aci-piter,  *aco-:  got.  ahdks,  -piter:  lat. 
pelere)  bedeutet,  wurde  dann  volksetymologisch  von  aceipere  abgeleitet  und 
desshalb  aucb  in  der  Form  acceptor  (schon  Lucilius,  vgl.  O.  Keller,  Lat.  Volks- 
etymologie  S.  50)  gebraucht.  Vgl.  die  altesten  Belege  fur  accipiter  als  Jagd- 
vogel  zusammengestellt  im  Archiv  f.  lat.  Lexicographic  IV,  141  u.  324.  Eine 
sehr  schwierige  Frage  ist,  ob  die  romanischen  span,  azor,  prov.  austor,  frz. 
autour,  it.  astore  nur  aus  acceptor,  beztiglich  aus  einem  noch  weiter  ver- 
stiimmelten  *auceptor  (auceps)  abstammen,  oder  ob  und  in  wie  weit  an  ihrer 
Bildung  auch  das  zuerst  von  Firmicus  Maternus  iiberlieferte  astur  Sperber 
(auch  inschriftlich  aus  Augsburg  als  Gladiatorenname  neben  Palurnbus  Astir; 
vgl.  0.  Keller  a.  a.  0.  S.  314)  betheiligt  ist.  Vgl.  tiber  diese  Worter  neuer- 
dings  G.  Korting,  Lat.-rom.  W.  No.  866,  G.  Paris,  Romania  XII,  G.  Baist, 
Z.  f.  frz.  Spr.  u.  Lit.  XIII,  184  S.  Ein  Zusammenhang  zwischen  diesem  astur 
und  griech.  aatspta-,  bei  Aristoteles  gestirnt,  gefleckt,  ein  Beiname  des  lepa£, 
auch  selbstandig  als  Benennung  einer  Art  Raubvogel  gebraucht,  ist  kaum  an- 
zunehmen.  Jenes  accipiter  kehrt  aber  auch  im  Sud-Osten  Europas  wieder. 
Aus  demselben  ist  alb.  k'ift  Sperber,  Huhnergeier  entlehnt;  ferner  stammt  aus 
lat.  *accipitarius  ngr.  ^^ptipt,  4s'f tlpi  epervier,  autour,  und  daraus  wieder  alb.  ksifte'r 
Habicht.  Vgl.  weiteres  bei  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  226.  Hingegen  haben  nichts 
rnit  accipiter  die  altsl.  jastr<>bu  Habicht,  nsl.  astreb,  poln.  jastrzqbi  u.  s.  w.  zu 
thun,  die  Miklosich,  Et.  W.  S.  101  zu  slovakisch  jastriti  scharf  sehen  stellt.  - 
Ein  haufiges  mlat.  Wort  ist  capus.  Die  alteste  Erwahnung  bei  Servius  ad. 
lib.  X  Aeneid.  lautet:  Campaniam  a  Tustis  conditam,  visa  falconis  augurio, 
qua  Tusca  lingua  Capys  dicitur,  unde  est  nominata  Campania.  Dass  dieses 
capus  irgendwie  mit  dem  ahd.  habuh  zusammenhangt,  ist  sehr  wahrscheinlich ; 
doch  sind  die  Beziehungen  nicht  klar.  Neuerdings  (vgl.  Uhlenbeck  Beitrage 
XXI,  18)  hat  man  habuh  als  »Huhnertoter«  (*kapo-ghno,  *kapo-  Huhn  in  scrt. 
kapinjala  Haselhuhn,  vgl.  brahma-ghna  Brahmanentoter)  zu  deuten  versucht. 
Ueber  das  spanische  vielleicht  aus  capus  erwachsene  gavilan  Sperber  siehe 
Diez  iin  Worterbuch  u.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  406.  Ueber  falco,  girfako,  wio. 
*  Ispai  und  sacer  vgl  oben  S.  375  f. 


Anmerkungen.  (503 

Der  litanische  und  lettische  Name  wannagas,  wannags  fur  Habicht  1st 
offenbar  dem  Germanischen  erborgt:  es  1st  em  heiliger  Raubvogel,  »dem 
Wan n en  an  die  Hauser  ausgehiingt  worden,  dass  er  in  ihnen  niste«  (Grimm 
S.  50),  wannoweho,  ivannunwechel,  lateinisch  tinunculus  von  Una  Gefass.  Wanne 
ist  das  entlehnte  lateiuische  vannus:  Wort  und  Sitte  stammen  ans  Italien. 
[?  vgl.  mein  Reallexikon  S.  212].  —  In  den  im  Text  angefiihrten  Buche  von 
Layard  finden  sich  S.  366  ff.  neben  ausfiihrlichen  und  sehr  interessanten 
Nachrichten  fiber  die  Falkenjagd  im  heutigen  Orient  auch  eine  Anzahl  dort 
gebrauchlicher  Nainen  fiir  Arten  und  Spielarten  dee  Vogels.  Darunter  ist 
tschark  wohl  das  griechische  xtpxoc,  slav.  krecet.  Dieser  tschark,  der  gewohn- 
liche  Falke  der  Beduinen,  »greift  seine  Beute  immer  auf  dem  Boden  an, 
ausser  dem  Adler,  auf  den  man  ihn  auch  in  der  Luft  stossen  lasst.  Er  geht 
hauptsachlich  auf  Gazellen  und  Trappen,  aber  auch  auf  Hasen  und  anderes  Wild.« 
Also  Hasenjagd  mit  Falken,  wie  bei  Ktesias;  bei  der  Gazellenjagd  pflegen  Wind- 
hund  und  Falke  zusamnieuzuwirken.  [Indessen  ist  das  hier  genannte  tschark 
sicher  orientalischen  Ursprungs,  vgl.  oben  8.  374  und  hat  nichts  mit  griech. 
xipxo?,  slav.  Jcrecet  weisser  Edelfalke  zu  thun,  die  beide  wohl  zu  der  schall- 
nachahmenden  Wurzel  krek,  krik  (vgl.  oben  S.  335  kerk}  gehoren.  —  Zu  den 
oben  S.  376  genannten  altarab.  saqr  Sakerfalke  ware  noch  auf  np.  sekere, 
iskere,  pehl  sakra  Jagdhabicht  zu  verweisen  gewesen,  die  aber  von  P.  Horn, 
Grdz.  d.  np.  Et.  S.  174  aus  dem  Iranischen  selbst  erklart  werden.  Oder  ist 
hier  die  Quelle  des  Wortes  zu  suchen?] 

80.  S.  386. 

Fraas  in  seiner  Synopsis  florae  classicae  behauptet  mit  Unrecht,  die 
Alien  hatten  den  weissen  Maulbeerbaum  schon  gekannt.  Aeschylus  spricht 
nur  von  weissen,  rothlichen  und  dunkelrothen  Beeren,  die  in  verschiedenen 
Stadien  der  Reife  zu  derselben  Zeit,  tatkou  XP^VOU»  am  Baume  hangen;  Ovid 
erklart  in  seiner  Verwandlungsfabel  nur  den  Ursprung  der  rothen  Farbe,  wie 
er  z.  B.  auch  das  schwarze  Gefieder  des  Raben  durch  Metamorphose  aus  dem 
fruheren  weissen  entstehen  lasst;  die  Geoponica  10,  69  lehren  nur,  wie 
man  durch  Pfropfen  auf  eine  Xeuxiq,  d.  h.  eine  Weisspappel,  den  Maulbeeren 
eine  weisse  Farbe  geben  konne,  ein  Kunststuck  neben  hundert  anderen  ahn- 
lichen,  von  denen  diese  Saramlung  voll  ist.  —  Das  ganze  Mittelalter  hindurch 
ist  von  Morus  alba  in  Europa  keine  sichere  Spur  zu  finden,  s.  Ritter,  Erd- 
kunde  17,  495,  der  sich  vergeblich  nach  einer  solchen  bemiiht  hat.  Auch  bei 
Albertus  M.  de  Vegetabilibus  6,  143  wird  nur  Morus  nigra  beschrieben,  nicht 
Morus  alba  —  wie  der  neueste  Herausgeber  annimmt. 

81.  S.  393. 

Wenn  corylus,  corulus  in  lateinischer  Weise  aus  cosilus  entstanden  und 
also  gleich  ahd.  hasal  und  dem  von  Zeuss2  p.  1077  erschlossenen  altgallischen 
cosl  ist,  so  konnte  xaatavov  dasselbe  Wort  in  einer  pontischen  Sprache  sein, 
nnr  mit  anderem  Suffix.  Das  albanesische  afs  Nuss,  Nussbaum  eriimert  an 
die  Glossen  des  Hesychius:  apua'  ta  -/jpaxXecuttxa  xdpoa  und  a5apa'  ta  novtixa 
xdpua  [vgl.  hierzu  oben  S.  398].  Ueber  die  romanischen  Ausdriicke,  ital.  mar- 
ronne,  franz.  marron  weiss  auch  Diez  nichts  Sicheres.  —  Nach  Movers  I,  578, 
586  ware  ^lAofSaXYj  der  semitische  Name  der  phrygischen  Cybele  und  bedeutete 


(504  Anmerkungen. 

grosse  Mutter;  in  der  That  war  der  wachsame,  d.  h.  friihbliihende,  zuerst 
aus  dem  Wittterschlafe  erwachende  Mandelbauro  aus  dem  Blut  der  Gotter- 
mutter  entstanden  [vgl.  hierzu  oben  S.  395].  Auf  eiue  einheimisch  griechische 
Ableitung  aber  fiihrt  das  lakouische  jiuvtfjpo? ,  fxotkvjpo?  =  Nuss,  Mandel, 
welches  mit  dem  seltenen  lateinischen  nuceres,  nucerum  (gen.  pi.,  Coelius  bei 
Charis.  1,  40)  identisch  zu  sein  scheint  [?].  Halten  wir  fxuoaou,  (Jto^a,  lat.  mucus 
dazu,  so  war  die  Bedeutung  wohl  weiche,  schleimige  Frucht,  wie  auch  eine 
Art  Pflaume  myxa,  myxum  hiess. 

82.    S.  402. 

Die  Mistel,  ahd.  masc.  mistil,  war  in  der  Druidenreligion  eine  hochheilige 
Pflanze  und  die  doch  nur  geringen  Spuren  einer  gleichen  Anschauung  im 
germanischen  Mythus  werden  wohl  nur  ein  Reflex  aus  dem  Keltenlande  sein, 
zumal  da  der  slavische  Volksglaube  die  Mistel  ganz  unbeachtet  lasst.  —  Eine 
andere  von  den  Druiden  zu  aberglaubischer  Heiluug  gebrauchte  Pflanze  hiess 
samolus  (Diefenbach  0.  E.  416);  denken  wir  uns  dieses  Wort  nachmals  seines 
anlautenden  s  entkleidet  (durch  Uebergang  iu  h),  so  stimmt  es  zu  dem 
litauisch-slavischen  Namen  der  Mistel,  lit.  amalis,  emalas,  lett.  atnuls,  preuss. 
emelno.  slav.  omela.  —  Franz,  griotte,  Sauerkirsche,  lautet  italienisch  agriotta 
und  ist  folglich  von  acer  abgeleitet;  merise  Vogelkirsche  scheint,  wie  ital. 
amarina,  amarasca,  marasca,  auf  amarus  zuriickzugeheu.  —  Magyarisch  heisst 
die  saure  Kirsche  medgy,  der  Kirschbanm  medgyfa.  Woher  dies? 

88.   S.  412. 

Neuere  haben  in  diesem  Rhododendron  des  Plinius  eine  unserer  Rho- 
dodendronarten,  wie  zuerst  Tournefort,  oder  Azalea  pontica  finden  wollen  (s. 
E.  Meyer,  Botanische  Erlauterungen  zu  Strabo's  Geographic,  S.  52  ff.  und 
Langkavel,  Botanik  der  spateren  Griechen,  S.  65).  Man  mag  nun  in  Wirk- 
lichkeit  die  schadliche  Wirkung  des  pontischen  Honigs  ableiten  von  welcher 
Pflanze  man  wolle,  —  die  Alten  verstanden  unter  Rhododendron  immer  Nerium 
oleander  und  man  darf  ihnen  kein  anderes  Gewachs  unterschieben,  von  dem 
sie  nicht  reden  wollten  oder  konnten  [vgl.  hierzu  oben  S.  413  f.J 

84.    S.  412. 

Mit  dem  neuesten  Herausgeber,  0.  Ribbeck,   an   die  Authenticity  t  des 
Culex  zu  glauben,  hindert  uns  der  Charakter  des  Gedichts,   der  viel  mehr 
aberwitzige  Ueberreife,  als  jugendliche  Unreife  ausspricht.     Gleich  die  Anfangs- 
verse  konnen  nur  von  Einem  geschrieben  sein,  der  bereits  die  Georgica  und 
und  die  Aeneis,  oder  wenigstens  die  Eclogen  vor  Augen  hatte: 
posterius  graviore  sono  tibi  musa  loquetur 
nostra,  dabunt  quom  maturos  mihi  tempora  fructus, 
ut  tibi  digna  tuo  poliantur  carmina  sensu, 

und  erinnern  an  die  Rede  Friedrichs  des  Grossen  an  seine  Generale  bei  Be- 
ginn  des  siebenjahrigen  Krieges:  Jetzt  eroffnen  wir  den  siebenjahrigen  Krieg! 
Schon  das  Wort  rhododaphne  ist  verdachtig;  hatte  der  junge  Vergil  es  gekannt, 
dann  wurden  wir  es  wohl  auch  bei  den  Spatern,  z.  B.  bei  Ovid,  lesen,  zumal 
es  so  schon  in  den  Hexameter  ging. 


Anmerkungen.  605 

85.  S.  414. 

So  urtheilt  Benfey,  2/79,  der  luoidxY],  icwtaxtov  als  m-ehlreich  erklart. 
Nach  der  Glosse  des  Hesychius:  j}tata£'  6  (3aotXeo<;  rcapa  Tlspaa:?  wollten  Friihere 
in  dem  Wort  so  viel  als  regiae  nuces  sehen,  wie  man  xdpoa  {BaaiXcxdi  fur  eine 
Art  Niisse  oder  Walniisse  sagte  (persisch  pe'shddd,  pehlewi  peshddtj  Pischdadier, 
zendisch  paradhdta).  Der  Anlaut  wechselt  iibrigens  zwischen  -r,  <p,  p,  ja  <L; 
nach  Stepb.  Byz.  lag  am  Tigris  eine  Stadt  ^rcax-fi,  genannt  nach  den  dort 
wachsenden  Pistazien.  —  Auch  T^pl^tvftoc,  tsppivftoc  1st  wohl  ein  persisches  Worf, 
worauf  auch  der  Wechsel  zwischen  (3  und  JJL  fuhrt,  der  bei  persischen  Namen 
im  Griechischen  einzutreten  pflegt.  S.  Pott,  Kurdische  Studien,  in  Lassens 
Zeitschr.  6,  S.  63  f.  Das  dort  angefiihrte  kurdische  dariben  kann  doch  schwer- 
licb,  da  es  sich  um  einen  in  Kurdistan  einheimischen  machtigen  Waldbaum 
handelt,  aus  dem  Griechischen  entlehnt  sein.  Polak,  Persien,  2,  155:  »Kur- 
distan  besitzt  neben  zahlreichen  Terebinthaceen,  welche  das  bekannte  Sakkes- 
harz  liefern,  grosse  Eichenwalder.«  [Vgl.  hierzu  oben  S.  423  f.]. 

86.  S.  418. 

Die  Orangenkultur  ist  fiir  das  jetzige  Italien  ein  wichtiger  Productions- 
zweig  geworden.  Nach  einem  Vortrag  von  Langejibach  in  der  Berliner  Ge- 
sellschaft  fiir  Erdkunde,  gehalten  am  2.  November  1872,  fiihrte  Palermo  im 
Jahre  1864  22  Millionen  Kilogr.  Siidfruchte  aus,  im  Jahre  1867  schon  37  Mill., 
jetzt  gegen  60  Millionen.  Bei  Palermo  bringt  eine  Hectare  Agrumi  3600  Franken 
Bruttoertrag.  Die  Ausfuhr  geht  zu  zwei  Dritteln  nach  den  Vereinigten  Staaten. 

87.  S.  453. 

Aelian,  freilich  kein  besonderer  Gewahrsmann,  erklart  das  Wort  direct 
fiir  ein  iberisches,  N.  A.  13,  15:  xovixXo<;  ovojjia  aotur  oox  elju  81  TioiTjrty;  ovojxdttov, 
o&ev  xal  ev  rjj8e  i~fl  aDYYP01^  ^oXdttu)  T*/JV  liroovujxiav  TYJV  s£  &p^Yj<;,  ^viisp  ouvyl|3ir]pe<; 
o:  'Ecrtlpioi  s^svi'5  ol,  uap5  ol;  xal  ybttwt  te  xal  &3tt  7rd|i.n:oXo^.  —  Der  iberische 
Volksstamm,  seine  Zweige  und  deren  Ausbreitung,  seine  Sprache  in  ihren 
altesten  Resten  und  ihrem  heutigen  jiingeren  Bestande,  erwarten  noch  immer 
ihren  Kaspar  Zeuss,  der  sie,  wie  dieser  die  Urspriinge  der  mitteleuropaischen 
Volker  und  die  Sprache  der  Kelten,  mit  den  Mitteln  und  der  Methode  der 
modernen  Wissenschaft  aus  dem  Dunkel,  das  sie  bedeckt,  emporhobe.  Aber 
die  baskische  Sprache  ist  seit  W.  Humboldt  in  den  Handen  franzosischer  und 
spanischer  oder  einheimischer  Dilettanten  geblieben;  in  Deutschland,  wo  die 
formale  Ausriistung  eher  zu  erwarten  ware,  hat  nur  die  germanische  Ur- 
geschichte  seit  Zeuss  iippig  gewuchert,  ohne  dass  mit  wenigen  Ausnahmen 
die  Grenzen,  die  dieser  grosse  Forscher  vor  mehr  als  vierzig  Jahren  sicher 
umschrieben  hatte,  verruckt  oder  umgeworfen  waren.  Aus  der  Flut  ent- 
gegengesetzter  Hypothesen  und  Berichtigungen  haben  sich  »die  Deutschen 
und  die  Nachbarstamrne«  immer  wieder  hergestellt  —  unter  anderen  Beispielen 
nur  eins :  wo  sind  die  Skythen  mongolischen  Stammes  geblieben  und  sind  sie 
nicht  wieder  Iranier  geworden,  wie  Zeuss  mit  wenigen  Meisterstrichen  fest- 
setzte?  Der  orphische  Vers,  den  Stokes  auf  die  keltische  Gramraatik  anwandte: 

Zso?  ^px^lj  Zeus  }J.eo3a,  Aio?  85  ex  ^divia  Tc'ioxTat 

—  gilt  auch  fiir  jenes  ethnographische  Werk,  das  im  Hintergrunde  blieb,  indess 
die  nebenbuhlerische  »Geschichte  der  deutschen  Sprache"   mehrere  Auflagen 


Anmerkungen. 

erlebte  und  ihrem  Inhalt  nach  in  populare  Handbiicher  tiberging  —  kein  gutes 
Zeichen!  Ware  — .  dies  war  es,  was  wir  sagen  wollten  —  von  jener  viel- 
geschaftigen  meist  vergeblichen  Bemiihung  etwas  mehr  den  Iberern  oder 
Albanesen  [vgl.  oben  S.  544  f.]  zu  Theil  geworden,  einem  Gebiet,  wo  die  iiber- 
einanderliegenden ,  halbvergrabenen  Ruinen  die  reichsten  Entdeckungen  ver- 
sprechen ! 

88.    S.  458. 

Was  die  Zoologie  nach  dem  heutigen  Stande  der  Forschung  tiber  die 
ursprungliche  Verbreitung  des  Lepus  Cuniculus  zu  sagen  weiss,  findet  sich  in 
gelehrter  Vollstandigkeit  in  der  Monographie  von  J.  F.  Brandt :  Untersuchungen 
iiber  das  Kaninchen  u  s.  w.  (Melanges  biologiques  der  Petersburger  Akad.  der 
Wissensch.  T.  9.  1875).  Da  die  Kaninchen  leicht  verwildern  und  dann  den 
ursprunglich  wilden  so  ahnlich  werden,  dass  sich  zwischen  beiden  kein  Unter- 
schied  entdecken  lasst  (S.  481),  so  ist  es  nnmoglich,  aus  ihrer  jetzigen  Ver- 
breitung irgend  welche  Schlusse  zu  ziehen.  Zwar  finden  sich  in  Westeuropa 
von  Portugal  bis  England  und  Deutschland  angebliche  oder  wirkliche  fossile 
Reste  des  Kaninchens,  die  aus  der  Diluvialzeit  stammen  — ,  doch  das  ist 
lange  her  und  die  zunehmende  Erkaltung  des  Nordens  brachte  dem  gegen 
niedere  Teraperaturen  empfindlichen  Thierchen  inzwischen  den  Untergang. 
In  der  historischen  Zeit  kann  es  in  Griechenland  und  Italien  im  wilden  Zu- 
stand  nicht  gelebt  haben,  da  sonst  die  Griechen  und  Ro'mer  dariiber  nicht 
geschwiegen  hatten;  dagegen  erscheint  es  iiberall  in  iberischen  Landen  und 
eng  an  die  iberische  Race  gebunden.  [A.  Nehring  aussert  sich  (brief lich) 
iiber  das  alteste  Verbreitungsgebiet  des  Kaninchens,  wie  folgt:  »Das  Kaninchen 
hat  seine  eigentliche  Heimat  in  den  westlichen  Mittelmeerlandern,  namentlich 
in  Spanien  und  Portugal,  sowie,  nach  fossilen  Resten  zu  schliessen,  auch 
wohl  in  Italien,  Frankreich  und  Sudengland.  Aus  Deutschland  sind  mir  keiue 
sicher  bestimmten  fossilen  Kaninchen-Reste  bekannt;  nach  Deutschland 
scheint  das  Kaninchen  erst  in  der  historischen  Zeit  durch  den  Menschen  ge- 
bracht  zu  sein.«] 

Von  dera  Tyrannen  Anaxilas  von  Rhegion,  der  sich  auch  der  Stadt 
Zankle  (seitdem  Messaua  genannt)  bemachtigte,  wird  berichtet,  er  habe  die 
Hasen  in  Sicilien  einheimisch  gemacht  und  desshalb  einen  Hasen  auf  seine 
Munzeii  gesetzt.  Fehlte  dies  Thier  bis  dahin  auf  der  Insel?  Man  konnte  an 
Kaninchen  denken,  die  der  Tyrann  etwa  bei  Messina  angesiedelt  hatte,  aber 
die  Miinzen  zeigen  deutlich  einen  in  volleni  Lauf  begrifienen  Hasen. 

Noch  ein  griechischer  Name  des  Kaninchens  Xe(3v)pi<;,  den  Strabo  auf 
keine  Localitat  beschrankt  (tu>v  Yeu>p6x">v  tafiSsaw  o5?  evict  Xeph]p(8a<;  jipoaaYopeoooot), 
wird  von  Erotianus  nach  dem  Grarninatiker  Polemarchus  ftir  massaliotisch 
erklart:  o  cPu>}xaioi  jiev  xouvixXov  xaXooa:,  MaaoaXidaTat  81  Xe^YjpiSa.  Wenn  es 
wirklich  ein  altgriechisches  Wort  Xinopt?,  der  Hase  gab,  so  konnte  daraus  bei 
den  an  der  spanischen  und  provencalischen  Kiiste  seit  friiher  Zeit  angesiedelten 
Griechen  mit  erweichtem  Labial  ein  Xs^-qpt?  erwachsen,  wie  Xe^vjpi?  in  der 
anderen  Bedeutung  Hiilse,  Balg  mit  Xeiceiv  schalen,  Xono?  Schale,  Balg  ver- 
wandt  ist.  Liegt  aber  nur  das  lateinische  lepus  zu  Gruude,  so  hatten  wir 
hier  eins  der  Worter,  wie  sie  in  der  sicilisch-italiotischen  Kolonialsprache 
vorkameu,  namlich  einen  gracisirten  lateinischen  Ausdruck,  dessen  Form  durch 


Anmerkungen.  607 

jenes  andere  \s$f\pi<;  Balg  bestimmt  wurde,  der  aber  dann  nicht  ausschliesslicli 
massaliotisch  sein  wiirde.  —  Dass  laurix,  welches  in  den  romanischen  Sprachen 
[doch  vgl.  ptg.  loura  Kaninchenhohle]  und  im  Mittellatein  verschwunden  1st, 
in  althochdeutschen  Glosseu  sich  wiederfindet:  lorichi,  lorichin  in  der  Be- 
deutung  cuniculus,  —  ist  merkwiirdig  genug.  Wenn  iibrigens  laurix  nichts 
als  andere  Form  oder  Aussprache  von  Xef3iqpic  ware  —  Raum  fur  diese  Ver- 
muthung  fande  sich  genug  in  dem  Gebiet  der  uns  unbekannten  Mundarten 
zwiscben  Gades  und  Massilia  — ,  dann  miisste  entweder  aucb  laurix  griechisch- 
romisch  oder  auch  Xep^pi?  ein  iberisches  Wort  sein.  —  Einen  hiibschen  Bei- 
trag  zur  Volksetymologie  liefert  die  litauisch-slavische  Entstelluug  von  cuni- 
culus: lit.  kralikas,  russ.  korolek,  krolik,  poln.  krolik  u.  s.  w.,  d.  h.  kleiner  Konig. 
Der  grosse  Karl  hat  es  sich  wohl  nicht  traumen  lassen,  dass  sein  Name  einst 
jenseits  der  Oder  zur  Bezeichnung  des  Kaninchens  dienen  wiirde!  Vielleicht 
sind  diese  Ausdriicke  aber  nur  Uebersetzungen  des  irn  altern  Deutsch  ge- 
brauchlichen  kuniglein,  mhd.  kunolt,  s.  Pott,  Doppelung,  S,  82  f.,  Formen,  die 
gleichfalls  der  Volksetyraologie  ihr  Dasein  verdanken  [Sic.  Xenopt?,  Xep-qpi's 
ist  wohl  sicher  das  lat.  lepus,  dessen  Deutuug  Bugge  in  Bezzenb.  B.  XIV.  67 
versucht.  Laurix  mochte  Tomaschek,  Z.  f.  ostr.  Gymn.  1875  mit  dem  im 
Canton  Tessin  gebrauchlichen  legorra  Alpenhase  vermitteln.  Engl.  rabbit  ist 
dunkel  (vgl.  Kluge-Lutz  English  Etymology);  das  im  Text  S.  456  genannte 
lapin  mo'chte  Grober  (vgl.  Korting,  Lat.-rom.  W.)  aus  dem  Germanischen  als 
Thier  mit  Lappenohren  deuten.  Lit.  triuszkis  Kaninchen  stellt  Miklosich  Et. 
W.  S.  363  zu  russ.  trusii  Feigling,  Base,  Kaninchen.  Vgl.  noch  altfr.  conil 
und  ngriech.  xoovsXt,  v.oovd8c,  alb.  kunavje  Kaninchen. 

89.   S.  458. 

»Als  Alkmene,  so  erzahlt  Antonius  Liberalis  29,  den  Herakles  nicht  ge- 
baren  konnte,  weil  die  Moiren  und  Eileithyia  die  Geburt  hinderten,  iiber- 
listete  die  Galinthias  (bei  Ovid.  Met.  9,  306  ff.  heisst  sie  Galanthis)  die 
Gottinnen,  so  dass  die  Geburt  erfolgeu  konnte,  und  wurde  von  diesen  zur 
Strafe  in  ein  Wiesel,  faX-?),  verwandelt.  Aber  Hekate  empfand  Mitleid  mit 
ihr  und  machte  sie  zu  ihrer  heiligen  Dienerin.  Und  als  Herakles  erwachsen 
war,  gedachte  er  ihrer  Hiilfeleistung  und  errichtete  ihr  neben  dem  Hause  ein 
Heiligthum  uud  brachte  ihr  Opfer.  Diesen  Brauch  beobachten  die  Thebaner 
noch  bis  heute  und  bringen  vor  dem  Feste  des  Herakles  zuerst  der  Galin- 
thias Opfer.«  Bei  Aelian  N.  A.  15,  11  heisst  es  dagegen:  »das  Wiesel,  habe 
ich  gehort,  war  einst  ein  Mensch,  tibte  Zauberei  und  Vergiftung  und  war 
ziigellos  in  unerlaubter  Liebe;  der  Zorn  der  GOttin  Hekate  verwandelte  sie  in 
dieses  bo'se  Thier.  Also  habe  ich  erzahlen  horen«.  In  umgekehrter  Wen- 
dung  wird  in  der  Fabel  32  des  Babrius  das  Wiesel  von  der  Aphrodite  in  ein 
schones  Madchen  verwandelt,  verrath  sich  aber  am  Hochzeitstage  als  das, 
was  sie  wirklich  ist,  —  ein  Wiesel.  Eine  Anspielung  darauf  kam  schon  beim 
Komiker  Strattis  vor,  der  von  01.  92  bis  nach  01.  99  Stiicke  auffuhrte  (Meineke 
Fr.  com.  gr  2,  2.  790). 

Diese  Verwandlungssage  ist  weit  gewandert  und  klingt  in  den  Namen  wieder, 
die  das  Wiesel  in  vielen  europaischen  Sprachen  tragt.  Es  heisst  das  Jungferchen, 
ital.  donnola,  neugr.  vofxcptka,  Schonthiertein,  Schondinglein,  danisch  den  kjonne 
(=  pulchra),  altenglisch  fairy,  spanisch  comadreja  Gevatterin  (=  commatercula), 


608  Anmerkungen. 

baskisch  andereigerra  (andrea  =  Frau),  albanesisch  »des  Bruders  Frau«,  slav. 
nevestuka  die  Braut  oder  das  Madchen  u.  s.  w.  Die  Namen  in  vielen  italie- 
nischen  Mundarten  gehen  auf  das  lateinisehe  bellula  zuriick  (Flechia  im  Ar- 
chivio  glottogolico  italiano  II.  p.  47  ff.).  Keltische  Worter  sind  ness  (Zeuss2  49) 
und  eds  (St.  ir.  gl.  259).  Kornisch-bretonische  Benennungen  bei  Zeuss2  1075 
scheinen  die  Begriffe  frohlich,  geschwind  zu  enthalten.  Dunkle  Namen  sind 
portugiesisch  iourao,  spanisch  garduna,  litauisch  teberiksztis  (mehr  das  braune 
Wiesel),  szarmonys,  szermonys  (mehr  das  weisse,  identisch  mit  dem  deutschen 
Hermelin  aus  Harm  [vgl.  noch  rhatororn.  karmuin]),  altpreussisch  mosuco 
(deutsch  Mosch,  Mtisch),  albanesisch  bukljeza.  Sie  mogen  euphemistische  Um- 
schreibungen  enthalten,  denn  das  Wiesel  wird  wegen  seiner  Beweglichkeit 
und  seines  unterirdischen  Thuns  als  damonisches  Wesen  empfunden,  ein 
solches  aber  darf  nicht  genannt  werden,  sonst  ist  es  da.  Auch  mustela,  die 
Mausfangerin,  ist  aus  euphemistischer  Ausweichung  zu  erklaren.  Lateinisch 
felis  erscheint  in  dem  kymrischen  bele  der  Marder,  woraus  franzosisch  belette 
das  Wiesel  (s.  Diez  unter  diesem  Wort  und  Diefenbach  0.  E.  p.  259),  deutsch 
Bille,  Bilchmaus,  ahd.  pilih,  litauisch  pele,  altpreussisch  peles  die  Maus,  slav. 
pluchu  glis  u.  s.  w.  [Da  aber  felis  auf  ein  urspriingliches  faeles  hinweist  (vgl. 
Bezzenbergers  B.  XV,  129),  so  wird  es  von  cymr.  bele  zu  trennen  sein.  Das 
letztere  Wort  wird  entweder  mit  griech.  ^oik^  oder  mit  ahd.  pilih,  pilch,  nihd. 
bilch  verbunden,  so  zuletzt  von  H.  Osthoff  Etym.  Parerga  I,  S.  185.  Doch 
iibersieht  Osthoff,  dass  die  deutschen  Wo'rter  von  Palander  Ahd.  Thiernamen 
S.  60  aus  guten  Grimden  als  Entlehnungen  aus  altsl.  pluchu  angesehen  werden. 
Uebrigens  konnte  man  fur  griech.  yaXv],  falls  es  von  cymr.  bele  abgesondert 
werden  muss,  auch  an  Beziehungen  zu  griech.  ydXux;,  YaXowg  Mannes  Schwe- 
ster,  lat.  glos,  phryg.  y^apo?,  altsl.  zluva  denken.  Bretonisch  Jcaerell  geho'rt  zu 
kaer  schon,  alb.  bukljeza  (bukl'ezs)  wird  zu  alb.  bukur  schon  gestellt;  doch  vgl. 
G.  Meyer,  Et.  W.  S.  51,  wo  auch  tiber  die  romanischen  Bezeichnungen  ge- 
sprochen  wird.  —  Wie  auch  zigeun.  borf  Braut  und  Marder  bedeutet,  wie  ung. 
menyet  zu  meny  Schwiegertochter  gehort,  so  liegt  es  nahe,  ahd.  mard-ar,  ags. 
meard,  altn.  mordhr  (vgl.  Bezzenb.  B.  XV,  130):  lit.  martl  Braut,  Schwieger- 
tochter und  altpr.  mosuco  zu  altpr.  moazo  der  Mutter  Schwester,  lit.  mosza 
des  Mannes  Schwester  zu  stellen.  —  Im  Altsl.  heisst  der  Marder  kuna,  Jcunica  = 
lit.  kiaune  (griech.  xaovax-rj?  ein  Handelswort).  —  Slav,  lasa,  lasica  Wiesel  hat 
wohl  mit  laskati  schmeicheln  und  russ.  lastocka  Schwalbe  (Miklosjch  Et.  W.) 
nichts  zu  thun.  Vgl.  weiteres  in  meinem  Reallexicon  S.  954  ff.] 

90.   S.  462. 

Fr.  Mttller  in  den  Sitzungsber.  der  philosophisch-hist.  Klasse  der  Wiener 
Acad.,  Bd.  42,  1863.  S.  250  deutet  das  zendische,  im  Vendidad  oft  vor- 
kommende  gadhwa  mit  Katze,  und  Spiegel  in  Kuhns  Zeitschrift  13,  369 
stimmt  ihm  bei.  Dagegen  ist  von  Justi  eingewandt  wordeu,  dass  die  Huzva- 
resch-Uebersetzung  gadhioa  mit  Hund  wiedergiebt  und  dass  die  Katze  erst  im 
Mittelalter  in  Asien  erschienen  ist.  In  der  That  kamen  sammtliche  asiatische 
Namen  des  Thiers,  sowohl  in  den  semitischen  Sprachen,  als  im  Armenischen 
Ossetischen,  Persischen,  Tiirkischen  u.  s.  w.  in  letzter  Instanz  aus  dem  byzan- 
tinischen  Griechisch,  welches  selbst  wieder  den  seinigen  dem  Lateinischen 
entnommeu  hat.  Dass  catus  in  alien  romanischen  Sprachen  vorhanden  ist 


Anmerkungen.  609 

und  nur  im  Walachischen  fehlt  [doch  rum.  catusa?  vgl.  G.  Meyer  I.  F.  VI,  117] 
1st  bedeutsam  fiir  die  Chronologic  des  Wortes :  es  trat  auf,  als  Dacien  bereits 
eine  Beute  der  Barbaren  geworden  und  die  dortige  lateinische  Sprache  isolirt 
war.  Ueber  andere  ziemlich  weit  verbreitete  Formen,  ital.  micio,  deutsch 
Mieze,  slavisch  macka  u.  s.  w.  s.  Diez,  Weigand  und  Miklosich  unter  diesen 
Western.  Wie  in  Miezchen  kleine  Marie,  im  bohmischen  macek  kleiner 
Matthias  steckt,  so  heisst  in  Russland  die  Katze  waska  d.  h.  kleiner  Basilius 
oder  mischka,  d.  h.  Michelchen.  (S.  auch  Albert  Ho'fer,  Deutsche  Namen  des 
Katers,  in  der  Germania  2,  168  und  iiber  den  bei  Germanen  und  Kelten  weit- 
verbreiteten  Namen  Buse,  Bise  Grimni  im  Worterbuch).  [Auch  im  Osten 
und  Sudosten  Europas:  z.  B.  lit.  puiii  und  alb.  piso;  ebenso  in  iranischen 
Sprachen:  np.  puSek,  kurd.  piSih,  afgh.  pi$o,  Pamird.  piS  etc.  (vgl.  P.  Horn, 
Grundriss  d.  np.  Etym.  S.  72).  Nach  Tomaschek  freilich  gehoren  diese  Worter 
zu  scrt.  puccha  Schwanz  (Centralas.  Stud.  II,  762),  wie  arab.  Sundrd,  aram. 
hmnara  aus  griech.  oaivoopoc  Schwanzwedler.  Vgl.  auch  G.  Meyer,  Et.  W. 
S.  339  und  Hommel,  Namen  der  Saugetiere  S.  314.  —  Die  Verbreitung  des 
Wortes  cattus  begreift  in  sich  auch  fast  alle  finnischen  Sprachen  (Ahlqvist, 
Kulturw.  S.  22),  erlischt  aber  in  den  turkotatarischen  Idiomen,  wo  nur  turk. 
Jcedi.  In  Indien  heisst  die  Katze  scrt.  mdrjdra  und  viddla.  Sie  tritt  dort  als 
Mausefangerin  sehr  spat  auf.  Vgl.  M.  Miiller,  Indien  S.  227-234.  Merk- 
wiirdig  ist  das  'kadis  der  Nuba-Sprache  auf  dem  Gebiet  des  alten  Aethiopien 
(Lepsius  Nubische  Gr.,  S.  337).  Ebenda  heisst  in  anderen  Dialekten  die  Katze 
sab,  womit  Brugsch  den  Namen  des  athiopischen'  Konigs  Sabako  verbindet.] 

91.    S.  463. 

Wir  folgen  hier  der  gewohnlichen  Annahme,  wonach  tasso,  taxo,  iaxus 
aus  dem  Deutschen  ins  Romanische  und  Mittellatein  gekommen  ist.  Grimm 
leitete  das  Wort  Dachs  schon  in  der  Grainrnatik  2,  40  vom  mhd.  Verbum 
dehsen  den  Flachs  schwingen,  linum  verier e,  eircumagere,  ab.  —  Die  Wurzel 
ist  idg.  teks  (oben  S.  524);  der  Dachs  ware  demnach  der  Baumeister,  der 
Kiinstler.  Bei  Aristoteles  de  gener.  anim.  3,  6  begegnet  Tpo^oc,  in  welchem 
Wort  vielleicht  nicht  sowohl  einfach  der  Laufer,  als  der  Dreher,  der  Laufer 
in  die  Runde  zu  liegen  scheint  (vgl.  tpoxos  das  Rad,  die  Topferscheibe,  und 
der  Laufer  in  der  Miihle,  bei  den  Seilern  u.  s.  w.). 

Indess  bleiben  Zweifel,  ob^nicht  das  Wort  Dachs  vielmehr  keltisch  und 
das  Thier  schon  bei  den  Volkern  dieses  Narnens  popular  war.  Das  Dachsfett, 
dem  ein  alter  Volksaberglaube  besondere  Wirkung  zuschreibt,  wird  schon  bei 
Serenus  Sammonicus  gepriesen: 

nee  spernendus  adeps,  dederit  quern  bestia  meles> 

wo  meles  doch  nur  Dachs  sein  kann.  Marcellns  Empiricus  verschreibt  gleich- 
falls  eine  Dosis  Dachsfett,  adipis  taxoninae:  also  schon  im  vierten  Jahrhundert 
mtisste  das  deutsche  Wort  ins  Latein  gedrungen  sein.  Noch  weiter  zurtick, 
etwa  100  Jahr  vor  Chr.,  weist  das  Citat  aus  Afranius  bei  Isidor.  20,  2:  Taxea 
lardum  est  gallice  dictum-,  unde  et  Afranius  in  Rosa:  Gallum  sagatum  pingui 
pastum  taxea.  Also  mit  Dachsfett  genahrt? 

Nicht  weiter^  fahren  andere  Namen  des  Thieres.  Die  Englander  sagen 
badger  d.  h.  Komhandler,  die  Franzosen  ebenso  Uaireau,  d.  h.  Uadarius,  die 
Italiener  grajo  (vielleicht  =  agrarius\  die  Skandinaven  und  Niederlander  grSv- 

Vict.  Hehn,  Kulturpflanzen.     7.  A^ifl.  39 


610  Anmerkungen. 

ling,  grevinc,  d.  h.  Graber,  —  lauter  Euphemismen.  Das  danisch-schwedische 
brock  lautet  auch  englisch  so  und  kambrisch  und  kornisch  broch;  wenn  dies 
Entlehnung  1st,  lief  das  Wort  auf  dem  bezeichneten  Parallelkreis  von  Ost  nach 
West,  d.  h.  von  Skandinavien  nach  Britannien,  etwa  niit  den  Danenzugen, 
oder  in  umgekehrter  Richtung  von  den  alten  Briten  zn  den  Nordgermanen? 
-  Das  russische  barsuk,  poln.  borsuk  scheint  persischen  oder  tiirkischen  Ur- 
sprungs,  wie  auch  bars  der  Leopard  ein  asiatisches  Wort  ist ;  mit  dem  letztern 
fallt  das  magyarische  borz  der  Dachs  zusammen.  Das  slav.  javzii  und  die 
litauischen  Worter:  altpreuss.  wobsdus,  lit.  obszrus,  lett.  apsis  sind  dunkel,  ob* 
gleich  gewiss  einst  bedeutsam.  [Die  Sippe  brock  etc.  scheint  im  Keltischen  zu 
wurzeln:  ir.  brocc  etc.  bedeutet  »der  Spitze» ;  vgl.  Thurneysen,  Kelto-romanisches 
S.  50  und  altgallische  Ortsnamen  wie  Brocomago,  Broccomaza  =  altndd.  Thdhs- 
Mm:  dachs.  —  Slav,  jazvu  gehort  zu  jazva  Hohle,  lit.  obszrus  aber  ist  von  W. 
ger,  altsl.  zirq  »vorare«  abzuleiten  (vgl.  Miklosich,  S.  102  u.  63).  —  Alb.  vje'Ztitz 
Dachs  oder  Hamster  vielleicht:  vi&-  stehlen  (doch  vgl.  G.  Meyer,  Et.  W.  S.  474.)] 
Unverkennbar  ist  die  spate  Einwanderung  des  Hamsters  von  Osten. 
Er  fehlt  noch  in  vielen  Theilen  Dentschlands,  ist  aber  in  den  kornbauenden 
Landern  Osteuropas  haufig.  Das  russische  chomjak,  poln.  chomik,  und  noch 
naher  das  bei  Miklosich  verzeichnete  chomestaru  animal  quoddam  gaben  dem 
deutschen  Hamster,  ahd.  hamastro,  hamistro  Entstehung.  Auch  das  russische 
karbysch  Hamster  weist  den  Lauten  nach  auf  eine  tataiische  Quelle.  Alt- 
preussisch  duikis,  lit.  balesas  [riebst  staras  und  szalciias],  beide  unverstandlich 
[vgl.  hierzu  oben  S.  469  f.]. 

92.  S.  464. 

Dasselbe  gilt  von  der  sprachlichen  Produktion:  die  Sprache  benutzte  den 
Abstand  der  hochdeutschen  und  niederdeutschen  Lautstufe,  um  zwischen  Katze 
und  Kater  zu  unterscheiden,  und  ftigte  mit  einer  Art  Ablaut  hinzu :  die  Katze 
kiezt,  hat  gekiezt,  d.  h.  hat  Junge  geworfen. 

93.  S.  470. 

Das  griechische  poupaXc?,  £ou£aXos  ist  unzweifelhaft  so  viel  als  Reh,  An- 
tilope,  Gazelle,  nicht  ein  Thier  aus  dem  Geschlecht  der  Rinder.  Schon  bei 
Aeschylus  Fr.  322  Nauck.: 

Xeovto^opTav  (io6|3aXiv  vsaitspov, 

die  dem  Lowen  zum  Frasse  dienende  junge  Antilope.  Denjenigen  Thieren, 
sagt  Aristoteles  de  part.  anim.  3,  2,  denen  das  Horngeweih  zum  Schutze 
nichts  hilft,  gab  die  Natur  ein  anderes  Rettungsmittel,  die  Schnelligkeit,  — 
so  den  Hirschen,  den  Antilopen,  poupdXot?,  und  Rehen,  Sopxdoi,  welche  letztere 
sich  zwar  zuweilen  mit  den  Hornern  zur  Wehr  setzen,  vor  den  starken  Raub- 
thieren  sich  aber  schleunigst  auf  die  Flucht  begeben.  Besonders  in  Afrika 
sind  diese  Thiere  heimisch.  Dort  leben  nach  Herod ot  4,  192  ^ap^oi  xai 
CopxaSs?  xal  poo^dXte?  xal  ovoi,  und  Polybius  12,  3,  5  setzt  hinzu:  wer  hat  uns 
nicht  von  den  grossen  Katzen  Afrikas  und  der  Schonheit  der  Antilopen, 
£oo£dXu>v  xdXXo?,  und  der  Grfisse  der  Strausse,  otpooO-wv  {XSY^Y),  berichtet?  In 
Italien  begann  das  Volk  mit  diesem  griechischen  Wort  die  Auerochsen  und 
Wisente  der  germanischen  Walder  zu  bezeichnen,  die  mit  dem  fluchtigen 
Rehe  nichts  gemein  haben,  Mart.  Epigr.  23,  4: 

illi  cessit  atrox  bubalus  atque  bison. 


Aumerkungen. 

Plinius  tadelt  dies  als  Missbrauch,  indem  er  bemerkt,  die  bubali  seien  viel- 
mehr  afrikanische  Thiere,  raehr  dem  Kalbe  und  Hirsche  ahnlich,  8,  38:  quibus 
(uris)  inperitum  volgus  bubalorum  nomen  inponit,  cum  id  gignat  Africa  vituli 
potius  cervique  quadam  similitudine.  Die  Verwechselung,  die  wohl  durch  den 
Anklang  an  bos,  bovis  in  der  ersten  Halfte  des  Wortes  entstanden  war,  erhielt 
sich  trotz  Plinius  in  den  folgenden  Jahrhunderten,  wie  wir  aus  Stellen  spaterer 
Schriftsteller  ersehen,  und  als  unter  den  Longobarden  die  Buffel  in  Italien 
erschienen,  war  der  Name  ganz  fertig.  Die  Geschichte  des  Wortes  wiirde  auf 
diese  Weise  ganz  natiirlich  verlaufen,  wenn  die  slavischen  Sprachen  nicht 
storend  eintraten  und  uns  irren  mochten:  slav.  byvolu,  russisch  bujvol,  der 
Auerochs,  polnisch  bawol,  bulgarisch  bivol,  magyarisch  bival,  alban.  buat,  gr. 
poDpaXo?.  »Dass  diese  Worter  zusammengehoren ,  ist  nicht  zu  bezweifeln:  ob 
aber  und  wo  Entlehnung  stattgefunden,  mochte  schwer  zu  bestimmen  sein« 
(Miklosich  [der  aber  im  Et.  W.  S.  27  ebenfalls  von  (3o6(3aXos  ausgeht]).  Aller- 
dings  mussten  die  Slaven  in  der  Urzeit  beide  Arten  wilder  Stiere  in  ihren 
Waldern  kennen  und  benennen,  aber  als  sie  in  die  Donaulander  ruckten, 
waren  dort  die  Auerochsen  doch  wohl  schon  selten  und  wurden  es  im  Laufe 
des  Mittelalters  dort  und  in  der  Urheimat  des  Stammes  immer  mehr.  Sie 
vergassen  den  alten  Namen  und  nahmen  spater  den  griechisch-lateinischen 
an,  etwa  wie  bei  den  Germanen  der  Elch  ganz  verschollen  war  und  spater 
durch  das  slavisch-litauische  El  en  wieder  ersetzt  wurde.  Bei  der  Gestaltung 
des  Wortes  wirkte  der  Anklang  an  volu  Stier  wahrscheinlich  mit.  (Noch 
andere  Nainen  und  Zusammenstellungen  bei  Pott  E.  F.2,  II,  1,  808 f.).  —  Wir 
fiigen  noch  hinzu,  dass  diejenigen,  die  geneigt  sein  mochten,  in  den  Worten 
des  Paulus  Diaconus  wegen  der  Erwahnung  der  -equi  silvatici  auch  die  bubali 
als  nordeuropaische  Auerochsen  zu  fassen,  die  Einfuhrung  der  Buffel  in 
Italien  bis  auf  die  Zeit  der  Araber  oder  der  Kreuzziige  herabriicken  miisseu. 
Letzteres  nahm  auch  Humboldt  an,  Kosmos  2,  191:  »von  dem  indischen 
Biiffel,  welcher  letzte  erst  zur  Zeit  der  Kreuzzuge  in  Europa  eingefuhrt  wurde. « 
Link  lasst  den  Buffel  mit  den  Horden  des  Attila  kommen. 

94.  S.  478. 

In  Niirnberg  erscheint  schon  seit  Jahren  eine  »Allgemeine  Hopfenzeitung« 
in  4°.  Dieses  ohne  Zweifel  sehr  interessante  Blatt  ist  uns  leider  me  zu  Ge- 
sicht  gekommen.  Gewiss  enthalt  es  liber  die  im  Text  behandelten  schwierigen 
Fragen  vollstandige  Aufklarung  —  da  doch  nicht  anzunehmen  ist,  dass  die 
Verfasser  bloss  auf  die  vortheilhafteste  Production  und  den  Preis  an  den  ver- 
schiedenen  Markten  geachtet  und  nicht  danach  gefragt  haben  werden,  woher 
das  Kraut,  das  ihnen  Nahrung  und  Beschaftigung  giebt,  urspriinglich  stammt, 
von  wem  es  benannt  ist  und  wer  es  zuerst  dem  Bier  beigemischt  hat. 

95.  S.  4S4. 

Sprechend  fur  die  Haltung  des  Soldatenstandes  in  dem  romischen  Kaiser- 
staat  ist  folgende  kleine  Scene  aus  den  Metamorphosen  des  Apulejus  (gegen 
Ende  des  9.  Buches).  Ein  hortulanus  geht  mit  seinem  unbeladenen  Esel  die 
Strasse  entlang  nach  Hause.  Da  kommt  ein  baumstarker  Soldat,  miles  e  legione, 
ihm  entgegen  und  fragt  mit  herrischem  Ton,  wohin  er  den  Esel  fiihre?  Der 
Bauer,  des  Lateinischen  unkundig  (denn  wir  befinden  uns  in  griechischen 

39* 


Anmerkungen, 

Land  en),  erwidert  nichts,  sondern  geht  ruhig  seines  Weges  weiter.  Ueber  dies 
Still schweigen  ergrimmt,  schwingt  der  Soldat  die  vitis,  die  er  in  der  Hand 
fuhrt,  uber  den  Riickeu  des  Esels  und  seines  Herrn.  Da  entschuldigt  sich 
der  Bauer  flehentlich,  er  habe  wegen  Unkeiintniss  der  Sprache  nicht  ver- 
standen,  was  der  gestrenge  Herr  gesagt  habe.  Darauf  spricht  der  Soldat 
griechisch:  wohin  bringst  du  diesen  Esel?  Jener  entgegnet:  in  das  nachste 
Dorf.  Ich  aber,  versetzt  der  Soldat,  habe  den  Esel  fur  mich  nothig;  er  soil 
das  Gepack  unseres  Kommandanten,  praesidis  nostri,  aus  dem  Kastell  her- 
schaffen  helfen.  Darauf  ergreift  er  den  Ziigel  des  Thieres,  urn  dasselbe  ab 
zufiihren.  Alle  Bitten  helfen  nichts,  der  Soldat  kehrt  im  Gegentheil  seine 
vitis  um,  um  dem  Bauern  mit  dem  dicken  und  knotigeu  Ende  den  Schadel 
zu  spalten.  Drauf  wird  weiter  erzahlt,  wie  der  Bauer,  zur  Verzweiflung  ge- 
bracht,  sich  ermannt,  den  Soldaten  durchpriigelt,  ihm  die  spaiha  abnimmt, 
ihn  braun  und  blau  geschlagen  liegen  lasst  und  sich  nach  vollbrachter  That 
voll  Angst  im  Dorfe  bei  einem  Freunde  versteckt.  Andere  Soldaten  aber 
sind  ihrem  halbtodten  Kameraden  zu  Hiilfe  gekommen,  die  Obrigkeit  wird 
auf  die  Beine  gebracht,  der  Versteck  des  Thaters  eutdeckt  und  dieser  in  den 
publicus  career  geworfen,  um  dort  seine  Hinrichtung  zu  erwarten  —  Ro~mischer 
»Militarismus«,  an  den  .der  angebliche  uorddeutsche  nochlange  nicht  heranreicht ! 

96.  S.  502. 

Die  Benennung  tiirkischer  Weizen  und  die  weite  Verbreitung  des  Mais 
nicht  bloss  in  der  Levante,  sondern  auch  in  Ostasien  und  im  innern  Afrika 
haben  schon  ofter  die  ketzerische  Behauptuug  hervorgerufen ,  dieses  Korn 
stamme  gar  nicht  aus  Amerika,  sondern  sei  ein  alter  Besitz  der  6'stlichen 
Erdhalfte.  Fraas  in  der  synopsis  florae  class,  fuhrt  allerlei  unzureichende 
Griinde  dafiir  an;  die  gleiche  Ansicht  von  Bonafous  widerlegt  Alph.  De  Can- 
dolle  in  der  geographic  botanique  S.  943  ff.  ausfiihrlich  mit  siegreicher  Argu- 
mentation. Tiirkisch  bedeutete  am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  nur  iiber- 
haupt  fremdlandisch  oder  fiber  Meer  gekommen:  die  geographischen  Begriffe 
waren  zu  jener  Zeit  noch  zu  unbestimmt,  um  West-  und  Ostindien  und  von 
beiden  das  Land  der  Tiirken  genau  zu  unterscheiden.  Noch  jetzt  heisst  der 
doch  gewiss  aus  Araerika  stammende  Truthahn  bei  den  Englandern  turkey-cok, 
wie  der  Mais  turkey-corn,  bei  den  Deutschen  kalkutischer  Hahn,  als  ware  er 
aus  Kalekut  zu  uns  gebracht  worden,  wahrend  ihn  die  Tiirken  agyptisches 
Huhn  nennen  (Pott,  Beitrage,  6,  323). 

97.  S.  502. 

Wenn  es  wahr  ist,  dass  in  einer  altagyptischeu  Abbildung  Holcus  Sorgum 
erkennbar  ist  (A.  Tbaer,  die  alt-agyptische  Landwirtschaft,  Berlin  1881,  S.  19) 
und  KoTner  davon  in  Mumiengrabern  gefunden  sind,  dann  hatte  sich  diese 
Frucht  im  Laufe  der  Zeiten  aus  Aegypten  in  die  obern  Nilgegenden  zurtick- 
gezogen.  Denn  der  arabische  Arzt  aus  Bagdad,  Abd-Allatif,  der  im  Jahre 
1161  geboren  war  und  dessen  Beschreibung  Aegypteiis  S.  de  Sacy  heraus- 
gegeben  hat,  sagt  S.  32  ausdriicklich,  beide  Arten  Mohrhirse  fehlten  in 
Aegypten,  mit  Ausnahme  der  oberen  Gegenden  des  Said,  wo  besonders  der 
dochn  angebaut  werde.  Und,  was  noch  auffallender  ist,  selbst  Prosper  Alpinus 
fand  dort  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  kein  anderes  Brod  als  Weizen- 


Anmerkungen.  613 

brod:  ibi  enim  nulla  alia  panis  genera  cognoscuntur  gaum  ex  tritico  parata. 
Auch  ware  es  zu  Plinius'  Zeit,  wenn  sich  Sorgum  in  Aegypten  fand,  nicht 
nothig  gewesen,  nach  Indien  zuruckzugreifen.  Da  aber  unter  der  Herrschaft 
der  Romer  der  Verkehr  der  Hafen  am  rothen  Meer  rnit  Indien  nicht  unbe- 
deutend  war,  so  konnte  ein  aus  Oberagypten  stammendes  Korn  irrthiimlich 
als  ein  iiber  Aegypten  aus  Indien  emgefiihrtes  angesehen  werden.  [Letztere 
Annahme  scheint  die  richtige  zu  sein,  da  sich  das  Vorkommen  der  Mohrhirse 
im  alten  Aegypten  bestatigt.  Vgl.  dariiber  Wonig,  Die  Pflanzen  im  alteii 
Aegypten.  Die  Geschichte  des  Mohrhirse  ist  neuerdings  behandelt  im  Hand- 
buch  des  Getreidebaues  von  Kornicke  u.  Werner  I,  S.  300  ff.] 

98.  S.  509. 

0.  Hartwig  in  seinen  schonen  Kultur-  und  Geschichtsbildern  aus  Sicilien 
behauptet  mit  Bezug  auf  die  arabische  Kultur  in  Sicilieu,  wo  neue  Gewachse 
eingefuhrt  werden,  musse  der  Ertrag  nothwendig  steigen.  Ware  dieser  Satz 
ganz  wahr,  so  wiirde  er  fur  die  Gesamrnt-Kulturgeschichte  von  hochster  Be- 
deutung  sein.  Aber  er  unterliegt  vielfachen  Einschrankungen.  Einwanderer 
konnen  die  Gewachse  mitbringen,  fur  die  sie  eine  Vorliebe  haben  und  die  in 
der  Heimat  vielleicht  die  vortheilhaftesten  waren:  sie  setzen  die  gewohnte 
Kultur  traditionell  fort.  Eine  Kultur  kann  momentan  und  unter  gunstigen 
Umstanden  Vortheil  bringen  und  wird  dann  aus  Tragheit  beibehalten,  auch 
wenn  die  Conjuncturen,  unter  denen  die  Einfuhrung  gescbah,  langst  voriiber 
sind.  Auch  die  Gewerbe-  und  Handelsgesetzgebung,  die  Art  und  das  Mass 
der  Besteuerung,  Regierungsacte  aller  Art  geben  dera  Landbau  Richtungen,  die 
mit  dein  natiirlichen  Beruf  des  Bodens  nicht  immer  im  Einklang  sind.  Man 
sieht,  die  Rechnung  muss  in  jedem  einzelnen  Fall  immer  besonders  gemacht 
werden. 

99.  S.  514. 

Als  Arthur  Young  Frankreich  bereiste,  kurz  vor  der  Revolution,  war  die 
Kartoffel  eiue  dort  fast  uoch  unbekannte  Frucht  und  unter  hundert  Bauern 
batten  sich,  wie  er  sagt,  gewiss  neunundneunzig  geweigert,  sie  auch  nur  in 
den  Mund  zu  nehmen. 

100.  S.  514. 

Moltke  in  seinen  Reisebriefen  aus  der  Ttirkei  macht  die  feine  Bemerkung, 
die  Tabakspfeife  sei  der  Zauberstab  gewesen,  der  die  Tiirken  aus  einer  der 
turbulentesten  Nationen  zu  einer  der  ruhigsten  gemacht  habe.  Unnatur  ist  aller- 
dings  die  erste  grobe  Form,  unter  der  sich  der  Mensch  dem  blinden  Triebe 
entzieht,  und  so  konnen  wir  alle  Abscheulichkeiten,  die  wilde  Volker  gegeii 
ihren  Korper  veriiben,  hochschatzen  und  als  eine  Reguug  der  Freiheit  be- 
griissen.  Opium,  Tabak,  Branntwein  Hanf,  Fliegenpilz  u.  s.  w.  brechen  die 
Wildheit,  aber  ersetzen  sie  durch  Stumpfheit,  Wenn  Moltke's  Beobachtung 
richtig  ist,  dann  werden  auch  unsere  Socialdemokraten  nachstens  zahru  werden, 
denn  man  sieht  sie  selten  anders,  als  mit  dem  Cigarren-Stumpf  im  Munde. 

101.  S.  517. 

Auch  Link,  Urwelt  1,  428,  war  der  Meinung,  der  Apfelbaum  unserer 
Garten  stamme  nicht  von  dem  europaischen  wilden  ab.  Der  Name  des 
Apfelbaumes  hat  darin  besonderes  Interesse,  dass  er  bei  Kelten,  Germanen, 


614  Anmerkungen. 

Litauern  und  Slaven  derselbe  1st  und  also  einen  naheren  Zusammenhang  des 
aussersten  westlichen  Gliedes,  des  keltischen,  mit  dem  germano-slavischen, 
als  mit  dem  italischen  Starnme,  mit  beweisen  hilft:  altkeltisch  dball  (wo 
all  ableitendes  Element  ist),  angelsachsisch  tippel,  altn.  epli  (apaldr,  Apfelbaum), 
ahd.  aphul,  lit.  obulas,  altpreussisch  woble,  der  Apfel,  lit.  dbulys,  altpr.  wdbalne 
der  Apfelbaum,  altslavisch  jdbluko,  dbliko  der  Apfel,  jdblani,  ablaut,  der  Apfel- 
baum. Wenn  die  in  Mitteleuropa  von  Osten  her  einbrechenden  indogerma- 
nischen  Schwarme,  deren  Vortrab  die  nachmaligen  keltischen  Volker  bildeten, 
den  Baum  in  den  neu  erkampften  Landstrichen  vorfanden  und  ihre  rohe  Zunge 
an  dessen  sauren  zusammenziehenden  Friichten  Gefallen  fand,  so  konnte  es 
leicht  geschehen,  dass  sie  den  Namen  von  dem  Jager-  und  Fischervolke  an- 
nahmen,  das  ihnen  zuerst  auf  europaischem  Boden  entgegentrat,  —  den  Finnen. 
Den  Namen  der  Frucht  bei  diesen  kennen  wir  naturlich  nur  in  seiner  jiingsten 
Gestalt  und  wissen  nicht,  welche  Veranderungen  er  seitdem  erfahren  hat: 
estnisch  ubin,  uvin  oder  in  dem  anderen  Dialekt  aun,  oun,  livisch  umars, 
finnisch  omena,  magyarisch  alma  (ebenso  ttirkisch).  Wenn  erst  das  Studium 
der  finnischen  Idiome  so  weit  gediehen  ist,  dass  aus  Vergleichung  der  ver- 
schiedenen  Zweige  dieses  Sprachstammes  feste  Lautgesetze  sich  ergeben,  nach 
welchen  auf  die  Urform  eines  gegebenen  Wortes  geschlossen  werden  kann, 
dann  wird  sich  auch  entscheiden  lassen,  ob  die  in  den  obigen  Narnensformen 
enthaltenen  Anklange  nur  zufallig  sind  oder  einen  wirklichen  Zusammen- 
hang beurkunden.  Griechisch  und  lateinisch  hat  der  Apfel  eigentlich  keinen 
individuellen  Namen,  denn  griech.  jxaXov,  lat.  tnalum  bedeutete  die  grossere 
Baumfrucht  iiberhaupt  und  fixirte  sich  erst  allmahlig  ftir  den  Apfel ;  ebenso 
das  lateinische  pomum;  auch  hat  malum  den  Schein  eines  Lehnwortes  aus 
dem  Griechischen.  —  Der  in  den  siidlichen  Halbinseln  einheimische  wilde 
Birnbaum  —  die  Arkader  sollten  wie  von  Eicheln  so  auch  von  Birnen  sich 
genahrt  haben  —  hiess  a/P^S  ^X£P^°?>  der  kultivirte  OYXVY)  (schon  bei  Homer) 
und  xo^xvY]  (nach  Hesychius),  auch  arcwx;,  die  Frucht  aiuov;  aus  der  Verglei- 
chung des  letzteren  mit  dem  lateinischen  pirus,  pirum  erhellt,  dass  im  griechi- 
schen  Wort  ein  o  ausgefallen  (etwa  wie  16$  das  Gift  lateiiiisch  virus  lautet) 
und  das  a  nur  ein  Vorschlag  ist,  wie  ihn  das  Griechische  liebt.  Das  latei- 
nische WTort  ging  zu  den  Kelten  und  Germanen  tiber,  zum  Beweise,  dass  in 
der  Heimat  beider  Volker  der  Birnbaum  urspriinglich  nicht  wuchs.  Litauer 
und  Slaven  aber  haben  fiir  die  Birne  ihren  eigenen  Ausdruck:  lit.  Jcridusze, 
altpr.  crausios,  slav.  gruSa,  chruSa.  Da  nicht  anzunehmen  ist,  dass  die  Slaven 
einen  Baum  sollten  gekannt  und  benannt  haben,  der  in  den  milderen  Wohn- 
strichen  der  Kelten  und  Germanen  fehite,  so  muss  dies  grusa  ein  Lehnwort 
sein  —  aber  woher?  vermuthlich  aus  einer  der  pontischen  oder  kaspischen 
Sprachen,denn  mit  <*XP"?>  ^XP^0?  kann  es  doch  nicht  zusammengestellt  werden? 
Auch  die  Albanesen  haben  ein  eigenes  Wort  fiir  die  Birne:  darfe.  —  Im 
heutigen  Europa  ist  Nordfrankreich,  besonders  die  Normandie,  das  eigentliche 
Apfel-  und  Birnenland,  das  nicht  bloss  die  meisten,  sondern  auch  die  feinsten 
dieser  Fruchte  tragt  und  wo  der  aus  ihnen  bereitete  Cider  (cidre,  ital.  sidro, 
tidro  aus  sicera,  otxepa,  welches  selbst  wieder  ein  altsemitisches  Wort  ist)  den 
Wein  als  allgemeines  Volksgetrank  vertritt.  Weiter  nach  Siiden,  von  wo  sie 
doch  stammen,  ist  es  diesen  Obstbaumen  weniger  wohl,  —  eine  keineswegs 
vereinzelte,  aber  daruin  nicht  minder  merkwtirdige  Erscheinung. 


Anmerkungen.  015 

[Herr  Prof.  Engler  aussert  sich  uber  die  beiden  Baume  folgender- 
massen:  »Von  dem  Apfelbaum  finden  sich  schon  Samen  in  den  Pfahlbauten 
der  Schweiz.  Doch  ist  unser  Kulturapfel  (P.  Mains  L.)  nicht  aus  einer  Art 
entstanden,  sondern  aus  einigen:  der  im  Kaukasus  und  dem  siidlichen  Altai 
vorkommenden  P.pumila  Mill.,  der  ebenfalls  im  Orient  heimischenP.  dasyphylla 
Borkh.  und  der  in  Sibirien  heimischen  P.prunifolia  Willd.,  von  welcher  nament- 
lich  der  Astrachaner  Apfel  hergeleitet  wird.  Der  in  Mitteleuropa  verbreitete 
Holzapfel,  P.  sylvestris  Mill,  ist  an  der  Entwickelung  des  Kulturapfels  nur  wenig 
betheiligt.  Auch  die  Kulturbirnen  stammen  von  verschiedenen  Arten  ab,  von 
P.  Achras  Eichn.  in  Centralasien ,  P.  Persiea  Pers.  in  Syrien  und  Persien, 
P.  cordata  Desv.  und  P.  elaeagrifolia  Pall,  im  Orient.  (Vgl.  Focke  in  Engler 
und  Prantl,  Natiirliche  Pflanzenfamilien,  III.  3.  S.  22— 24.)« 

Die  nordeuropaischen  Namen  des  Apfelbaumes  stammen  nicht  aus  dem 
Finnischen,  sondern  gehen  wahrscheinlich  auf  den  Namen  der  von  Vergil  als 
apfelreich  gepriesenen  Stadt  Abella  in  Campanien  zuriick  (vgl.  Verg.  Aen.  VII, 
740:  et  quos  maliferae  despectant  moenia  Abellae).  Die  Bezeichnuug  (malum) 
AMlanum  ware  zunachst  ins  Keltische  (ir.  dball,  uball,  ubull;  vgl.  schon  bei 
Stokes  Irish  Gl.  555  aus  Cormacs  Glossary,  Book  of  Leinster:  Aball,  now, 
from  a  town  of  Italy  called  Abellum,  i.  e.  it  is  thence  that  the  seed  of  the 
apples  was  brought  formerly«)  und  von  hier  noch  vor  der  ersten  Lautver- 
schiebung  ins  Germanische,  dann  weiter  ins  Litauische  (lit.  obulas)  und  Slavi- 
sche  (altsl.  jdbluko}  gedrungen.  Diese  Ansicht  fand  unter  anderen  die  brief  - 
liche  Zustimmung  V.  Hehns.  Anderer  Meinung  ist  A.  Fick,  welcher  Vergl. 
W.  I4,  349  das  irische  und  germanische  Wort  fiir  urverwandt  ansieht  und 
das  litu-slavische  Wort  fiir  entlehnt  aus  dem  Keltischen  betrachtet  »Die  Be- 
ruhrung  der  Kelten  und  Slavoletten  fand  an  der  unteren  Donau  statt«.  Noch 
anders  urtheilt  R.  Much  Z.  f.  osterr.  Gymn.  1896  S.  608,  der  zwar  eineii 
Zusammenhang  zwischen  Abella  und  den  nordeuropaischen  Apfelnamen  an- 
erkennt,  aber  den  Ort  von  der  Frucht,  nicht  die  Frucht  nach  dem  Ort  be- 
nannt  sein  lasst.  —  Die  Formen  der  romanischen  Sprachen  it.  melo,  rum.  mer, 
rat.  meil,  wall,  meleie  weisen  auf  ein  volksthiimliches  lat.  mtlum  (auch  =  alb. 
mots),  das  man  doch  nur  als  Lehnwort  aus  ion.  jj/rjXov  auffassen  kann. 
Hieraus  ergiebt  sich  wenigstens  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit,  dass  auch 
lat.  malum  =  dor.  jjiaXov  auf  Entlehnung  beruhe.  —  Im  Orient  muss  die  Kultur 
des  Apfelbaums  sehr  alt  sein.  Das  Aegyptische  und  die  westsemitischen 
Sprachen  (hebr.  tappuah,  agypt.  d/ph.)  einerseits,  sowie  das  Syrische  und 
Armenische  (syr.  hazzura,  armen.  xnjor)  andererseits  haben  einen  gemeinsamen 
Namen  des  Apfelbaums.  Vgl.  dariiber  F.  Hommel,  Aufsatze  und  Abh. 
Miinchen  1892,  S.  167.  Nach  Hubschmann  starnmt  das  syrische  Wort  aus 
dem  Armenischen  (Armen.  Gr.  I  S.  305).  —  Sollte  nicht  auch  das  griech. 
fxf|Xov  zunachst  der  Apfel  gewesen  und  erst  dann  auf  andere  grossere  Baum- 
fruchte  iibertragen  worden  sein?  Jedenfalls  konnen  unter  den  jjiYjXeat,  jAYjXa, 
die  Od.  VII,  115fF.  und  XI,  589ff.  ohne  weiteren  Zusatz  neben  oyxvat, 
poiat,  ooxat,  IXaiou  genannt  werden,  doch  nur  Apfelbaume  verstanden  werden. 
—  WTas  die  Birne  betrifft,  so  steht  griech.  oyxVYl  edler  Birnbaum  in  Ablauts- 
verhaltniss  zu  a^-pac,  «)(_-epSo<;  wilder  Birnbaum.  Als  Mittelstufe  wurde  sich 
*engh-  ergeben,  das  zu  ursl.  *v$zu  Ulme  (poln.  wiqz  Riister,  serb.  vjaz  Ulme; 
vgl.  alb.  w9-5  t»8i  Ulme)  stimmen  wtirde.  Starker  Bedeutungswechsel  bei 


Anmerkungen. 

Ban  men  1st  nicht  auffallend.  —  Falls  das  lat.  pirus  an  griech.  QHCIOC  (&-TCIO-O?) 
anzukmipfen  1st,  kann  das  Verhaltniss  nur  auf  Urverwandtschaft  beruhn,  da 
es  griechische  Dialekte  mit  erhaltenem  inter -vocalischem  o,  aus  denen  pirus 
hatte  entlehnt  sein  konnen,  nicht  giebt.  Im  Albanesischen  heisst  der  wilde 
Birnbaum  gofitss  (nach  G.  Meyer  aus  dem  Slavischen  gorinica:  goru  Berg),  der 
edle  darts,  vgl.  darbdn  Bauer  —  Birnenzuchter  und  oben  S.  545.  Auf  das 
Indigenat  des  Baumes  nicht  nur  im  siidlichen  Europa  weist  auch  der  Umstand 
hin,  dass  in  den  Schweizer  Pfahlbauten  neben  Aepfeln  wilde  Birnen  gefunden 
wurden.  Noch  heute  verstehen  slavische  Volker  aus  den  Fruchten  des  wilden 
Birnbaums  ein  angenehmes  Getrank  zu  bereiten. 

Hinsichtlich  der  Kultur  des  Birnbaums  ist  der  Norden  Europas  vom 
Suden  und  Siidosten  her  beeinflusst  worden:  lat.  pirus,  das  auch  in  den 
keltischen  Sprachen  erscheint,  ist  —  aber  nicht  vor  dem  neunten  Jahrhundert 
—  in  die  germanischen  Sprachen  entlehnt  worden  (ags.  peru,  ahd.  bira  etc.; 
vgl.  noch  goth.  bairabagms ,  das  aber  Maulbeerbaum  bedeutet.)  Lit.  gruszia, 
kridusze  aber,  preuss.  Jcrausy,  altsl.  grusa  scheinen  aus  kurd.  korfehi,  kureshi 
(vgl.  Jaba-Justi  S.  331)  entlehnt  zu  sein.] 

102.   S.  519. 

Der  Jager,  schweigsain  und  scheu  (»Im  Felde  schleich  ich  still  und  wild«), 
gleicht  noch  dem  Raubthier.  Thierzucht  aber  ist  schon  voll  Menschlichkeit: 
man  sehe  z.  B.  das  Bild  von  Heinrich  Burkel  in  der  Neuen  Pinakothek  in 
Miinchen:  Schafheerde  in  der  romischen  Campagna.  Der  Hirt  geht  vor  an, 
die  Heerde  folgt;  er  halt  ein  neugebornes  Lamm  behutsam  in  den  Armen, 
noch  andere  tragt  das  Pferd  in  gleichschwebenden  Korben ;  die  Mutter  gehen 
zu  beiden  Seiten  und  blQken  hinan.  Wie  human  und  idyllisch ! 

108.   S.  521. 

Neben  der  Farbe  gelten  auch  die  oculi  truces,  die  torvitas  luminum,  die 
XapoiroTY]?  T(bv  ojjLfxdta>v  fiir  ein  Merkmal  der  germanischen  und  anderen  Bar- 
baren  des  Nordens.  Erst  die  Kultur,  die  das  innere  Leben  weckt,  beseelt 
auch  das  Auge,  das  bei  den  Wald-  und  Steppenbewohnern  noch  den  eigen- 
thiimlich  frischen  Blick  des  Jagdthieres  oder  den  scharfen  des  Raubvogels 
hat.  Vamb<§ry,  Globus  1870,  S.  29  vom  Kurden:  »Besonders  sind  es  seine 
Augen,  diese  ewig  funkelnden,  auf  Unheil  oder  Trug  sinnenden  Lichter,  (lurch 
welche  er  unter  hunderten  von  Asiaten  erkennbar  wird.  Es  ist  merkwurdig, 
dass  sowohl  der  Beduine,  wie  der  Turkmene  durch  diese  Kennzeichen  unter 
seinen  ansassigen  Stammesgenossen  ebenso  auffallt.  Ist  es  der  unuberwind- 
liche  Hass  gegen  vier  Wande  oder  der  grenzenlose  Horizont,  oder  das  Leben 
im  Freien,  welche  diesen  Glanz  in  die  Augen  der  Nomaden  hineinzaubern?« 


Anhang. 
Vorrede  zur  zweiten  Auflage. 

Der  Verfasser  gegenwartiger  Schrift  schmeichelte  sich  mit  der 
Hoffnung,  ein  Buch  geschrieben  zu  haben,  das  indem  es  dem  Ge- 
lehrten  genug  that,  doch  zugleich  lesbar  und  verstandlich  ware, 
—  etwa  wie  iiber  der  Thur  franzosischer  Wirthshauser  steht:  id  on 
loge  a  pied  et  a  cheval.  Doch  das  mag  in  Frankreich  angehen, 
bei  uns  1st  das  Unternehmen  gefahrlich.  Der  Fachmann  zuckt  die 
Achseln  und  ruft  mitleidig:  ein  elegantes  Buch  —  und  man  weiss, 
was  er  darunter  versteht;  der  sogenannte  Gebildete  sagt:  ganz  inter- 
essant,  nur  Schade,  dass  so  viel  Griechisch  drin  ist  —  vom  Latein 
ist  nicht  die  Rede,  denn  das  wird  ja  auch  auf  Realschulen  gelehrt 
und  wer  thut  nicht  so,  als  ob  es  ihm  gelaufig  ware?  Nun  konnte 
es  bei  dieser  zweiten  Auflage  nicht  meine  Absicht  sein,  dem  Erstern 
zu  Gef alien  mein  Buch  kiinstlich  ins  Ungeniessbare  umzuarbeiten ; 
auch  ist  ja  der  deutsche  Buchermarkt  mit  dieser  Waare  hinreichend 
versehen;  wohl  aber  liess  sich  zum  Behufe  leichterer  Aufnahme  von 
Seiten  derer,  die  so  ungliicklich  sind,  ohne  Griechisch  aufgewachsen 
zu  sein,  manches  Citat  deutsch  wiedergeben  oder  ganz  unterdriicken. 
Dies  that  ich  zwar  mit  Widerstreben  und  je  nach  der  Stimmung  in 
ungleichem  Ma  ass,  und  fiirchte  dadurch,  was  ich  an  Gunst  von  der 
einen  Seite  gewonnen,  von  der  andern  verloren  zu  haben.  Hat  es 
doch  ein  wohlwollender  Beurtheiler  meinem  Buche  nachgeruhmt,  dass 
es  eine  Sammlung  einschlagender ,  authentischer  Stellen  der  alten 
Schriftsteller  ihrem  Wortlaut  nach  enthalte  —  auf  diesen  Vorzug 
muss  ich  nun  zum  Theil  verzichten. 

Schlimmer  aber,  als  der  Widerstreit  der  Form,  ist  bei  dem  ge- 
wahlten  Gegenstande  der  der  historisch  -  kritischen  und  der  natur- 
wissenschaftlichen  Methode  und  des  aus  dieser  sich  ergebenden 
Inhalts.  Die  Naturwissenschaft  fuhlt  sich  als  Herrin  der  Zeit  und 
wie  sie  sich  die  Philosophic  jetzt  selbst  besorgt  und  nach  schimpf- 
licher  Entlassung  der  speculativen  Metaphysik  mit  ganz  leichten 


618  Anhang. 

Verstandesabstractionen,  insbesondere  der  Kategorie  der  Causalitat  - 
in  deren  Wesen  es  liegt,  nie  zum  Ziele  zu  fiibren  — ,  ihr  Bediirfniss 
deckt,  so  hat  sie  auch  die  Deutung  der  Vorzeit  in  eigene  Hand  ge- 
nommen  und  sieht  das  Thun  des  Historikers  als  Verirrung,  ja  als 
Em  griff  in  ihre  Rechte  an.  Indess,  noch  ist  die  Zeit  nicbt  gekommen, 
so  nahe  sie  sein  mag,  wo  es  nur  noch  Realgymnasien  geben  wird, 
wo  alle  Scholastik  und  Idealitat  abgethan  sein  wird  und  wir  Alle 
werden  Arnerikaner  geworden  sein.  So  sei  es,  ehe  es  zu  spat  wird, 
an  dieser  Stelle  dem  Verfasser  gestattet,  sich  und  sein  Gebiet  gegen 
einige  Urtheilsspriiche  beriihrater  Naturforscher  mit  gebuhrender  Be- 
scheidenheit  zu  verwahren. 

Herr  Professor  Grisebach ,  der  in  den  Gottinger  Gelehrten  An- 
zeigen,  1872,  Stiick  45,  zu  meinem  Buche  einige  kritische  Bemer- 
kungen  macht,  will  zwar,  wie  er  sagt,  den  Werth  historischer  und 
sprachlicher  Forschungen  nicht  bestreiten,  in  der  That  aber  schlagt 
er  ihn  sehr  gering  an.  Den  jetzt  in  Siideuropa  vorhandenen  Kastanien- 
waldern  gegeniiber  findet  er  z.  B.  die  historischen  Griinde,  die  fur 
Einfiihrung  des  Kastanienbaumes  sprechen,  ,,schwachu;  wenn  also 
die  Alten  bis  nahe  an  das  Augusteische  Zeitalter  hinan  fiir  diesen 
Baum  keinen  Namen  haben  und  seine  Friichte,  die  doch  jedem  Dorf- 
kinde  hatten  bekannt  sein  miissen,  rait  Walniissen  und  Mandeln 
verwechseln,  auch  ihm  ausdriicklich  kleinasiatischen  Ursprung  zu- 
sprechen,  —  so  scheint  ihm  dies  von  keinem  Gewicht  im  Hinblick 
auf  die  heutige  Verbreitung  der  Kastanie.  Ich  habe  umgekehrt  dar- 
aus  den  Schluss  gezogen:  da  die  Kastanie  damals  dem  Volke 
noch  fremcl  war,  so  kann  sie  erst  wahrend  der  inzwischen  ver- 
flossenen  Zeit  gekommen  sein.  Herr  Professor  Grisebach  meint,  da 
die  grosse  Citrone  fiir  die  Frucht  des  Cederbaumes  gehalten  und  da- 
nach  benannt  worden  sei,  so  sei  auf  solche  Beweise  aus  Namen  iiber- 
haupt  wenig  zu  geben.  Auch  hier  folgere  ich  umgekehrt:  diese  Ver- 
wechselung  beweist,  dass  der  Citronenbaum  damals  noch  nicht  in 
Italien  sein  konnte;  bei  einem  einheimischen  Gewachs  ware  sie  un- 
moglich.  Herr  Professor  Grisebach  wirft  mir  einen  Widerspruch  in 
meinen  eigenen  Ansichten  vor,  indem  ich  zuerst  das  Klima  der 
Lander  am  Mittelmeer  als  Folge  ihrer  Lage  aufgefasst,  dann  aber 
die  immergrune  Vegetation  derselben  als  ein.  Werk  der  Kultur  dar- 
gestellt  habe.  Allein,  an  jener  ersten  Stelle  in  der  Einleitung  warnte 
ich  nur,  wie  die  Worte  besagen,  vor  einer  Ueberschatzung  des  Ein- 
flusses  der  Walder;  an  derandern  entnahm  ich  allem  Vorhergehenden 
das  Resultat,  dass  aus  einem  iiber  und  iiber  waldbedeckten  Lande 


Anhang.  619 

an  der  Hand  des  Menschen  ein  mil  orientalischen  Kulturgewachsen 
iiber  und  iiber  bepflanztes  hervorgegangen  sei.  Dass  Italien  noch 
zur  Zeit  der  Griechen  und  der  romischen  Erinnerang  dichte,  dunkle 
Walder  von  ungeheurem  Umfa,ng  besass,  erhellt  aus  den  auf  Seite 
428  und  429  angefiihrten  Stellen;  dass  diese  Walder  spater  durch 
eine  allgemeine  Gartenkultur  verdrangt  waren,  1st  gleichfalls  unzweif el- 
haft.  Nun  ware  es  gewiss  einseitig,  den  Einfluss  dieser  Beschattung 
des  Bodens,  der  Verdunstung  und  Ausstrahlung  zu  leugnen  (s.  dariiber 
die  klassische  Stelle  bei  Humboldt ,  Central-Asien  ,2,1 30).  Sicher  waren 
die  Sommerregen  damals,  wenn  auch  eine  Ausnahme,  doch  eine 
haufigere;  sicher  fand  das  einwandernde  Hirtenvolk  fur  seine  Kinder 
innerhalb  der  Waldregion  zahlreichere  und  saftigere  Wiesen  vor,  als 
spater  den  Romern,  die  ihre  Thiere  mit  dem  Laub  der  Baume 
fiittern  mussten,  zu  Gebote  standen.  Da  Italien  nach  Varros  Aus- 
spruch  ein  grosser  Baumgarten  geworden  war  und  die  Pflanzungen 
vorzugsweise  aus  immergrunen  Gewachsen  bestanden  —  *worunter  z.  B. 
das  allerwichtigste,  die  Olive,  von  Herrn  Professor  Grisebach  selbst 
aus  dem  Orient  abgeleitet  wird  — ,  so  wa,r  es  nicht  zuviel  gesagt, 
wenn  ich  behauptete,  Griechenland  und  Italien  seien  erst  im  Laufe 
der  Geschichte  wesentlich  hnmergrime  Lander  geworden.  ,,Die 
Myrtengebtische ,  fahrt  der  Herr  Kritiker  fort,  auf  den  unbebauten 
Inseln  Dalmatiens,  der  Lorbeer  bei  Algesiras  in  Andalusien,  die  Ver- 
breitung  des  Oleanders  in  der  nordafrikanischen  Kiistenlandschaft 
sind  sprechende  Beweise  fiir  Wanderungen,  die,  von  jeder  mensch- 
lichen  Ansiedelung  unabhangig,  dem  selbstandigen  Walten  der  Natur 
angehoren."  Allein  die  jetzt  unbebauten  dalmatinischen  Inseln  waren 
in  einer  fiir  diese  Gegenden  gliicklicheren  Zeit  Landeplatze  der  Fischer 
und  Schiffer  mit  aphrodisischen  Heiligthiimern ,  neben  denen  die 
Myrte  nicht  fehlen  durfte,  Andalusien  war  Jahrhunderte  lang  romisch 
und  ebenso  Nordafrika,  dessen  Garten  sogar  noch  zu  vandaliseher 
Zeit  gepriesen  wurden.  Wo  ist  am  Ufersaum  des  Mittelmeeres  un- 
beriihrte  Wildniss,  wo  fehlt  die  Nachlassenschaft  von  zwei  oder 
drei  Jahrtausenden  menschlichen  Schaffens?  Die  siideuropaischen 
niacchie  sind  Reste  einer  Ian  gen  und  alten  Kultur,  gleichsam  vegetative 
Ruinenf elder ,  die  in  ihrem  jetzigen  Stande  zu  erhalten  die  Hirten 
und  ihre  Ziegen  sich  angelegen  sein  lassen.  Im  einzelnen  hatte  ich 
noch  manche  Behauptung  des  Herrn  Kritikers  abzulehnen.  So  kann 
der  Pinienwald  von  Ravenna  nicht  ,,ursprunglich"  sein,  denn  er  be- 
deckt  einen  Boden,  der  zu  Prokopius'  Zeit  noch  Meer  war  u.  s.  w. 
Ware  iibrigens  zu  der  Zeit,  wo  ich  mit  meinem  Buch  hervortrat, 


620  Anhang. 

Professor  Grisebachs  „  Vegetation  der  Erde"  schon  geschrieben  ge- 
wesen,  so  hatte  vielleicht  manche  meiner  Ansichten  eine  bestimintere 
oder  eine  minder  bestimmte  Fassung  erhalten.  Ich  habe  dies  jetzt 
nachzuholen  gesucht  —  so  weit  mir  dies  moglich  war.  Denn,  um 
dies  auch  meinerseits  zu  gestehen,  die  entsprechenden  Partien 
unserer  Untersuchungen  gehen  schwer  mit  einander.  Er  leitet 
die  Flora  des  Mittelmeeres  rein  aus  den  meteorologischen  Pro- 
cessen  ab,  und  wie  sie  heute  beschaffen  ist,  so  war  sie,  ehe  der 
Fuss  eines  Menschen  jenen  Boden  betrat,  -  -  das  immer  gleiche  Pro- 
dukt  unwandelbarer  geographisch4dimatischer  Verhaltnisse ;  ich  finde 
grosse  Veranderungen  kulturhistorisch  bezeugt  und  auf  diese  die 
Aufmerksamkeit  zu  lenken,  war  die  Absicht  meines  Buches.  Die 
Ausspriiche  der  Alten  wiirdigt  der  Naturforscher  kaum  eines  Blickes ; 
die  Schliisse  aus  der  Sprache,  aus  Namen  und  Sagen  halt  er,  wenn 
er  auch  hoflich  genug  ist,  es  nicht  herauszusagen,  fur  Hirngespinste, 
es  musste  denn  sein,  dass  sie  rnit  den  Satzen  des  Naturforschers  uber- 
einstimmen,  in  welchem  Falle  sie  eine  angenehme  gelehrte  Verzierung 
abgeben.  Er  beruft  sich  auf  Karl  Ritter  und  Alph.  De  Candolle, 
die  schon  vor  mir  den  Weg  linguistischer  Untersuchung  zuweilen 
mit  Erfolg  betreten  hatten.  Wir  konnen  Ritter  allenfalls  gelten 
lassen,  obgleich  die  Sprachforschung  nicht  gerade  die  starke  Seite 
des  grossen  Geographen  war,  aber  was  De  Candolle  darin  versucht 
hat,  ist  als  ganzlich  unkritisch  auch  ganzlich  werthlos.  Benennungen 
in  ihrer  alteren  und  ihrer  jiingsten  Gestalt,  mit  entstellenden  Druck- 
fehlern,  ohne  Riicksichtauf  Geschichte  und  Verwandtschaft  der  Sprachen 
und  auf  die  in  ihnen  geltenden  Lautgesetze  aus  Worterbiichern  zu- 
sammenraffen  und  nach  blossen  ausseren  Gleichklangen  gegeneinander 
halten  und  gruppiren,  ist  ein  so  thorichtes  Beginnen,  dass  die 
Botaniker  je  eher  je  lieber  diese  Koketterie  mit  einer  ihnen  vollig 
unzuganglichen  Argumentations weise  aufgeben  sollten. 

Ein  anderer  Professor,  Herr  0.  Heer  in  Zurich,  hat  in  einem 
eigenen  Aufsatz:  ,,Ueber  den  Flachs  und  die  Flachskultur  im  Alter- 
thum"  (Neujahrsblatt,  herausgegeben  von  der  Naturforschenden  Gesell- 
schaft  auf  das  Jahr  1872)  das  bezugliche  Kapitel  meines  Werkes 
mit  andern,  zuweilen  auch  mit  denselben  Worten  wiedergegeben  —  wobei 
ich  dem  Naturforscher  manche  historische  und  philologische  Irrthiimer 
nicht  zu  hoch  anrechnen  will.  Er  hat  mich  stillschweigend  aus- 
geschrieben  und  benutzt  gleichwohl  die  Gelegenheit,  auf  mich  un- 
freundliche  Seitenblicke  zu  werfen.  Es  hat  ihn  verdrossen,  dass  ich 
mich  iiber  die  Pfahlbauten  mit  so  massiger  Begeisterung  auslasse,  - 


Anhang. 

1st  denn  die  Schweiz  an  Merkwiirdigkeiten  so  arm,  dass  sie  noting 
hatte,  so  geizig  zu  sein?  Ich  hatte  vermuthet,  die  Bewohner  der 
genannten  Sumpf-  und  Wasserbauten  mochten  wohl  helvetische  Kelten 
gewesen  sein:  ,,dass  diese  Ansicht  unrichtig  ist,  erwidert  er,  beweist 
der  ganze  Zustand  der  damaligen  Kultur."  Das  eben  ist's,  was  ich 
leugne :  der  ganze  Zustand  beweist  dies  keineswegs.  Die  Indoeuropaer 
standen  bei  ihrer  Einwanderung  in  Europa  auf  einer  viel  niedrigern 
Kulturstufe,  als  diejenige  ist,  die  wir  aus  den  Resten  der  Pfahlbauten 
erschliessen ;  bis  zu  den  letztern  ist  schon  ein  bedeutender  Fortschritt, 
bewirkt,  wie  ich  glaube,  durch  Einniisse  aus  dem  Suden.  Herr 
Professor  Heer  scheint  sich  unter  Helvetiern  nur  die  des  Casar  oder 
der  ersten  romischen  Kaiser  denken  zu  konnen:  ich  meine,  wie  sich 
von  selbst  versteht,  nur  deren  Vorfahren,  die  noch  kein  Gerath  aus 
Metall  von  Italien  her  kennen  und  brauchen  gelernt  hatten.  Viel 
angenehmer,  als  die  Sache  rationell  anzusehen,  ist  es  natiirlich,  sich 
in  ungemessener  Urzeit  ein  mystisches  Kulturvolk  im  Herzen  Europas 
zu  traumen  und  Geschichte  und  Geologie,  historische  Chronologic 
und  Palaontologie  in  triibem  Nebel  durcheinander  fliessen  zu  lassen. 
Letzteres  thut  Herr  Professor  Heer  auch  andern  Ausfuhrungen  meines 
Buches  gegeniiber:  Myrten-,  Lorbeer-  und  Mastixblatter,  behauptet  er, 
seien  schon  in  den  altesten  Tuffen  am  Fuss  des  Aetna  entdeckt 
worden.  Auch  Andere  haben  gesagt,  in  den  Schichten  der  Provence 
liege,  ich  weiss  nicht  mehr,  ob  der  Feigen-  oder  der  Olivenbaum, 
noch  Andere  haben  sogar  Knochen  des  Haushuhns  in  der  Tertiar- 
oder  Quaternarzeit  Europas  nachgewiesen  (der  zoologische  Garten, 
1874,  S.  28).  Wenn  dies  keine  Tauschungen,  sondern  Thatsachen 
sind,  so  habe  ich  wenigstens  keinen  Beruf  sie  zu  deuten.  Ich  habe 
Italien  genommen,  wie  es  war,  als  in  historischer  Zeit  sich  hier  die 
erste  hohere  Kultur  entwickelte ;  welche  Pflanzen  es  in  einer  fruhern 
Erd-Epoche  trug,  ist  mir  gleichgiiltig.  Wenn  im  Boden  Gronlands 
eine  siidliche  Vegetation  begraben  liegt,  so  thut  dies  dem  Factum 
keinen  Abbruch,  dass  erst  die  danischen  Kolonisten  manches  mit- 
gebrachte  armliche  Kiichengewachs  mit  ausserster  Miihe  dort  haben 
erziehen  mussen.  .  Erst  also  hatte  Herr  Professor  Heer  aufzeigen 
miissen,  dass  von  den  altesten  Tuffen  des  Aetna  oder  den  diluvialen 
Travertinen  Toskanas  in  der  That  ein  ununterbrochener  vegetativer 
Zusammenhang  bis  auf  die  Zeit  geht,  wo  die  geschichtlichen  Zeug- 
nisse  beginnen.  Kann  er  diesen  Nachweis  fiihren,  so  will  ich  gern 
einraumen,  dass  mich  meine  historischen  Mittel  an  diesem  Punkte 
falsch  berathen  haben. 


622  Anhang. 

Langst  batten  Anthropologen  und  Ethnologen  die  Lehre  von  der 
Einwanderang  der  indoeuropaischen  Volker  aus  Asien  und  ihrer  ur- 
spriinglichen  Einheit  als  ein  Joch  empfunden,  das  sie  bei  ihren 
Operationen  mit  Menschenracen,  Lang-  und  Kurzschadeln,  Stein-  und 
Bronzealter  u.  s.  w.  in  der  freien  Bewegung  hinderte.  Da  geschah 
es,  dass  in  England,  dem  Lande  der  Sonderbarkeiten,  ein  origineller 
Kopf  es  sich  einfallen  Hess,  den  Ursitz  der  Indogermanen  vielmehr 
nacb  Europa  zu  verlegen;  ein  Gottinger  Professor  eignete  sich  aus 
irgend  einer  Grille  den  Fund  an ;  ein  geistreicher  Dilettant  in  Frank- 
furt stellte  die  Wiege  des  arischen  Stammes  an  den  Fuss  des  Taunus 
und  malte  die  Scenerie  weiter  aus.  Danacb  also  hat  Asien,  der 
ungeheure  Welttheil,  die  officina  gentium,  einen  grossen  Theil  seiner 
Bevolkerung  von  einem  seiner  vorgestreckten  Glieder,  einer  kleinen, 
an  Naturgaben  armen,  in  den  Ocean  hinausreichenden  Halbinsel  er- 
halten!  Alle  iibrigen  Wanderungen,  deren  die  Geschichte  gedenkt, 
gingen  von  Ost  nach  West  und  brachten  neue  Lebensformen ,  auch 
wohl  Zerstorung  ins  Abendland,  nur  diese  alteste  und  grosste  ging 
in  umgekehrter  Richtung  und  uberschwemmte  Steppen  und  Wlisten, 
Gebirge  und  Sonnenlander  in  unermesslicher  Erstreckung!  Und  die 
Statte  der  ersten  Urspriinge,  zu  der  uns  wie  in  die  Kinderzeit  unseres 
Geschlechts  dunkle  Erinnerungen  zuriickfuhren,  die  Statte  der  friihesten 
sich  regenden  Fertigkeiten  und  noch  unsicheren  Schritte,  wo,  wie 
wir  ahnen,  Arier  und  Semi  ten  neben  einander  wohnten,  ja  vielleicht 
gar  eins  waren,  -  -  sie  lag  nicht  etwa  im  Quellgebiet  des  Oxus,  am 
asiatischen  Taurus  oder  indischen  Kaukasus,  sondern  in  den  sumpfigen, 
spur-  und  weglosen,  nur  von  den  Fahrten  der  Elene  und  Auerochsen 
durchbrochenen  Waldern  Germaniens!  Auch  die  alteste  Form  der 
Sprache  diirften  wir  nicht  mehr  in  den  Denkmalern  Bactriens  und 
Indiens  suchen  -  -  da  ja  die  Volker  dorthin  erst  durch  eine  lange, 
zerriittende  Wanderung  gelangt  waren  — ,  sie  klange  uns  vielmehr 
aus  dem  Munde  der  Kelten  und  Germanen  entgegen,  die  unbewegt 
und  regungslos  auf  dem  Boden  ihrer  Entstehung  verharrten!  Und 
worauf  stiitzt  sich  dieser  ungeheuerliche  Gedanke?  Auf  einige  ab- 
gerispene,  leicht  gewogene  Observationen ,  von  denen  keine  einzige 
einer  nahern  Untersuchung  Stand  halt.  Dass  nun  die  grosse,  laut 
verkiindigte  Entdeckung  in  den  Reihen  der  Naturforscher  bereit- 
willigen  Glauben  fand,  kann  nicht  iiberraschen.  Eine  ethnologische 
Zeitschrift  hat  meinem  Buche  in  hochmuthigem  Ton  den  Vorwurf 
gemacht,  es  wiederhole  noch  immer  das  alte  Marchen  von  der 
arischen  Wanderung.  Also  nicht  bloss  die  Richtung  der  Wanderung 


Anhang.  623 

1st  eine  andere  geworden,  es  hat  ganz  und  gar  keine  Wanderung 
gegeben;  ja,  wie  nicht  undeutlich  zu  verstehen  gegeben  wird,  die 
arische  Verwandtschaft  iiberhaupt  und  die  ganze  Sprachvergleichung 
ist  ein  Trugbild ,  um  das  der  Ethnologe  am  besten  tbut  sich  nicht 
mehr  zu  kiimmern.  Dies  Alles  ist,  wie  gesagt,  nicht  zu  verwundern; 
dass  sich  aber  auch  Sprachforscher  gefunden  haben,  die  ihre  Zu- 
stimmung  nicht  verweigerten ,  erklare  ich  mir  in  Goethes  Weise: 
,,sollte  aber  eben  hieraus  nicht  hervorgehen,  dass  wir  den  Kreis 
schon  durchlaut'en  haben,  indem  uns  die  Wahrheit  anwidert,  der 
Irrthum  aber  willkommen  erscheint?"  Mit  andern  Worten:  im  Grunde 
ist  es  nur  die  Neuheit,  die  hier  als  Anziehung  wirkt:  alter  Wein 
und  die  Bliite  der  jiingern  Lieder  wird  gepriesen,  sagt  Pindar,  und 
ahnlich  schon  Vater  Homer: 

Denn  so  ists  bei  den  Menschen:  am  meisten  immer  gef alien 
Solche  Gesange  dem  Horer,  die  als  die  neusten  erscheinen. 

Der  Verfasser  hat  dieser  zweiten  Auflage  die  fruheste  Geschichte 
eines  der  wichtigsten  gezahmten  Thiere,  des  Pferdes,  eingefiigt.  Die 
dort  aufgestellte  Ansicht,  das  Pferd  habe  sich  erst  nach  dem  Auszug 
der  Indoeuropaer  zuerst  von  den  Turken  zu  den  Turaniern  (d.  h. 
den  nomadischen  Iraniern),  dann  von  diesen  an  den  Euphrat  und 
weiter  an  den  Nil  und,  nach  anderer  Richtung  zu  den  europaischen 
Gliedern  des  grossen  Stammes  verbreitet,  in  deren  Behandlung  des 
Thieres  noch  die  iranische  Herkunft  durchblicke,  —  diese  Ansicht 
wird  vielleicht  weder  den  Beif all  der  Zoologen  noch  den  der  Alter- 
thumsforscher  finden.  Je  alter  eine  Erwerbung  der  Kultur  ist,  um 
so  schwieriger  ist  es,  Ort  und  Stunde  ihrer  Geburt  zu  ermitteln  und 
ihre  ersten  Lebenswege  zu  verfolgen.  Wenigstens  enthalt  die  in  Rede 
stehende  Monographic  eine  Anzahl  beglaubigter  historischer  Aussagen, 
die  dem,  der  diese  Untersuchung  wieder  aufnehmen  will,  zu  Statten 
kommen  werden. 

Im  Uebrigen  hat  der  Verfasser  sein  Buch  nach  den  Einsichten, 
die  er  seit  dem  Erscheinen  der  eisten  Ausgabe  gewonnen,  verbessert 
und  erganzt,  und  wiinscht  ihm  in  dieser  zweiten  Gestalt  so  viel 
Freunde,  als  es  sich  in  seiner  ersten  wider  sein  Erwarten  erworben 
hat,  Zum  Schlusse  aber  und  ehe  er  die  Feder  niederlegt,  sei  es  ihm 
noch  erlaubt,  auf  eine  interessante  Stelle  des  Livius  hinzuweisen, 
wonach  Pflanze.  Thier  und  Mensch  bei  Versetzung  unter  einen  andern 
Himmel  ausarten,  38,  17:  ,,bei  Pflanzen  und  Thieren  ist  die  den 
Artcharakter  aufrecht  haltende  Vererbung  ohnmachtig  gegen  die  durch 
Boden  und  Klima  bewirkten  Veranderungen  "  (in  frugibus pecudibusque 


624 


Anhang. 


non  tantum  semina  ad  servandam  indolem  valent,  quantum  terrae 
proprietas  coelique,  sub  quo  aluntur,  mutant).  Und  welter:  ,,Alles 
entwickelt  sich  vollkommener  an  dem  Orte  seines  Ursprungs;  bei 
Versetzung  auf  einen  fremden  Boden  verwandelt  es  seine  Natur  nach 
den  Stoffen,  die  es  aus  diesem  aufnimmt"  (generosius  in  sua  quic- 
quid  sede  gignitur;  insitum  alienae  terrae  in  id  quo  alitur  natura 
vertente  se  degenerat).  Eine  wie  lange  Glosse  Hesse  sich  an  diese 
Worte  kniipfen!  Arzneipflanzen  freilich  pflegen  in  ihrem  Vaterlande 
am  kraftigsten  zu  sein,  aber  auch  manche  unserer  Obstbaume  ge- 
deihen  im  mittlern  Europa  vielleicht  nur  desshalb  am  besten,  weil 
die  Veredelung  der  Frucht,  auf  die  es  uns  Menschen  allein  ankommt, 
doch  nur  eine  Krankheit  des  ganzen  Baumes  ist.  Die  Beispiele  aus 
der  Menschen  welt,  die  der  romische  Geschichtschreiber  noch  welter 
anfiihrt,  gehoren  in  das  reiche  Kapitel  von  dem  Einfluss  veranderter 
Umgebung  auf  Charakter  und  Sitte  der  Eingewanderten. 


Berlin,  im  Marz  1874. 


Der  Verfasser, 


WORTREGISTER. 


(Die  Buchstabenfolge  1st  die  des  lateinischen  Alphabets;  ch  =  x  steht  hinter  c, 

t h  =  ft  hinter  *.) 


A. 

maced.  593. 
aball,    uball,   ubull  ir.  613 

bis  615. 

'A(3dvTic,  'Afxavtia   577. 
abattichim   (abattiMm)   hebr. 

311,  319. 

Abella  malifera  615. 
abluko ,      ablam,      jablvko, 

jablani  slav.   614,  615. 
abricot  frz.  426. 
'ApoSwv,  'Ap.o8u>v  577. 
accipere  602. 
accipiter,  acceptor  602. 
acer  597,   604. 
acernus  597 
acetum  79. 
actes  597. 
ricnua  558. 
acfus  558. 

557,  597. 

scrt.,    afpa  altp.    36, 
53. 

545. 

j  altsl.   205. 
,   cr/epSo?    545,    614, 
615. 

a^aena  ostiran.  348. 
a^fjsinak  osset.  348. 
&8d[JLa<;  594. 
adaschim  hebr.  211. 
adolere  121. 
arfor,  adoreus  553,  557. 

Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen 


36. 


36. 


aes  565. 

Aetoler  56. 

Africae  aves,  gallinae  Afri- 

canae,  Afra  avis  360. 
Agathyrsen  17. 
ager  59. 
offer  arbustusj   ager   arvus, 

ager  pascuns  125. 
315. 

598. 


byz.,  ngriech.  315,   320, 
321. 

aghru  iran.   546. 
196. 
561. 

thrak.  546. 
=  awpoc  byz.  320. 
ngriech.  210. 
ngriech.  480. 
Agrios  67. 
agriotta  it.   604. 
agrius,  agre   190. 
59. 

)(xi6v(ov  580. 
Agurke  316. 
ahaks   (acfalla)   goth.    375, 

601,  602. 
ahorn  ahd.  597. 
ajdaj  hajda,    hajdina  slav. 

506. 

a/a  scrt.   581. 
7.  Aufl. 


134. 

551. 

551. 

aTXoopoc,  alsXoopo?  458  bis 
460. 

aljiaota  126. 

a?6Xoi  Tco§a<;  36. 

aloXorccuXot  $poY£?  40. 

a!pa,  l4-atpo5o^at  551,  553. 

aTaaxo?   223. 

ati5  armen.  581. 

aiva  slav.  246. 

a!£  553,  581. 

af«  goth.  565. 

8cxdu.a<;  36. 

Akarnanen  56. 

597. 
goth.   79 

aketi  lit.   63. 

dxpoocpaXeic  50. 

akrs  goth.   59. 

&%tea,  OCXTYJ   15. 

aX  armen.  528,  547. 

dlan  ags.   121. 

Alanen  11,   12,  44,  522. 

'AXotpoSioi  121,  547. 

akauni  armen.  348. 

'AXauvoi  528. 

a/6a  sacerdotalis  165. 

Albanesen  13,  57,  544  ff. 

Albanien,  'AXjAYjvri  577. 

albarquq   arab.,   albaricoque 
span.,     albercocco,     albi- 
cocco,  bacocco  it.  426. 
40 


626 


Wortregister. 


Albizzia  Julibrissin   511. 
albus,  4X<po'c  344,  348. 
alces  467. 

Ale,  ale  150,   152,   159. 
Ale,  Ahlbaum,  Ahlkirschen 

380. 

alectoria  gemma  324,  598. 
&Xetata,  aXeopov  553,  557. 
aXeiaov  159. 


334,  598. 
aXexTwp,     aXextpoujv    325, 

326,  334,  358,  361,  598. 
'AXextcup,   'AXexTpucov  323, 

325,  334. 
aXextoptc  326,   334. 

326,  334. 
63,   553. 
Aleuaden  60. 

alev,  alevabagms  goth.  578. 
alfdfa  span.  407. 
SXcpt,  aXcpi<cov549,  553,  557. 
alica  496,  557. 
alipedes  36. 

alium,  allium   196,   205. 
ullcaravia  arab.  208. 
Allermannsharnisch     195, 

202. 

alma  magy.  614. 
russ.  594. 

326. 
Aloe,  Agave  americana  2, 

514. 

&Xu>Y]  557. 
alpiz  ahd.,    a(/e*  ags.,    dlft 

altn.  344. 
fl/u  pers.,   alou   kurd.  380, 

428. 

'AXop-q   563. 
"AXoc,  "AXoc  528. 
alus  lit.   151,  159. 
alvei,  alvearia  582. 
am  agypt.  279. 
amalisj    emalas    lit.,    o/nwZs 

lett.,  emelno  preuss.  604. 
<3t|j.aX6c  maced.  561. 
4jidjia£o<:  73. 
amandula,  amandola  395. 


ap.au>,  afx-rjTOC  63. 
amarenaj  amareUa  403. 
amarina,  amarasca  it.  604. 
amarus  395,  604. 
£fia£a  134. 

dfxa|ocpopir]tot  olxot  137. 
amazza  Vasino  it.   411. 
ajAf]   128,  575. 

-  554. 

48. 

afJLjJ.1  209. 
amputare  435. 
ajxtota  388. 

91,  92,   124. 

amygdala    387, 
390,   391,  395,  603. 
amurca   113. 
73. 
-:  73. 
anas  364. 
anchunsmero,  ancsmero  ahd. 

158. 

andereigerra ,    andrea    bask. 
608. 

405,  409. 

567. 
Angeln  45. 
dng6z'd  osset.  398. 
anguria  it.  316. 
an/ana,  a/ya  scrt.   160. 
Anis  494. 
Anke  157. 
anser  368. 

135. 

w^t  sumerisch  135. 
561,   562. 
dntis  lit.   364. 
avd-pa^  405. 

anut   ahd.,    enerf   ags.,    ond 
altn.  364. 
577. 
582. 
uv  598. 
134. 

Apfelbaum  614  ff. 
Apfelsine  447. 
aphul  ahd.,  appel  ags.,  epZi 
apaldr  altn.   614. 


a/n'/e  mlat.   582. 

;,  aTCiov  614,  616. 
c  50. 
Aprikose  426. 
apsis  lett.  610.   . 
apwynys,  apyna  i  lit.  480,57  0. 
aguicelos  299. 
dr  alb.  564. 
Araber  27,  28,  508  ff. 
apaxoc,  apaj(oc  215,  219. 
amnc/o,  arangus  it.   445. 
arare  59,  548. 
arau;»  ahd.  213,  218,  219. 
arbaiths  goth.  556. 
Arbusen;  or6«2  slav.  317. 
arbos,  arbustum  405,   409. 
arbutus^  arbutum  405,  409. 
arcaM  armen.  563. 
arculum,  inarculum  240. 
afs  alb.  398,  603. 
area  557. 
argant  alb.   564. 
ar#a«  altir.  563. 
argentum  563. 
Argos  60. 
arjan  goth.   59. 
dries  551,   553. 
Arim aspen  55. 
Aristaeus   111. 
apxtoc  544. 
dcpjxsviaxa,  armeniaca,  arme- 

niacum  malum  425  f. 
Armenien,     Armenier     32, 

546  ff. 

armentum  64. 
armoracia  494,  495. 
armud  slav.   246. 
apvec  551. 
<5cpd(o,    ftpoov    59,    63,    123, 

128. 

arur  armen.   547. 
apotpov   59,  63,  548. 
apotpov  &OT6YUOV,  KYJXTOV  59. 
apoopa  59,   123. 
arp  agypt.  91. 
«>  375. 
375,   557. 
drti  lit.  59. 


Wortregister. 


627 


Artischoke  516. 

ticptoxoTCOC   555. 

apto?  557. 

apto?  CojAttY]<;  555. 

apoa,  aoapd  398,   603. 

•arundo  306. 

arvum  59. 

ao£eotoc  b)z.   141. 

Aschlauch,  Eschlauch  193, 

205. 

Asebi  288. 
asellus  579. 
a3Y]jj.o<;  563. 
-asforo,  asfiori  it.  265. 
cma  taurin.   551. 
5st7as  lit.   579. 
asilus  goth.   562,  563. 
-asinus  132,   135,  136,   579, 

580. 

Aspar  alan.  317. 
yAoitev8o<;  547. 
aspest  np.,  aspast  pehl.  406, 

409. 

<*ssa  ags  ,  ass  engl.  580. 
assan  altir.   580. 
Assyrer  30. 
Assyria  mains  442. 
eXaia  109. 

371,  602. 
^&-<t>  602. 
as/Mr  602. 
aszwa   lit.,   asvinan   preuss. 

36. 

«/  turko-tat  55. 
all  scrt.  364. 
«<A/r  ir.   573. 
atisk  goth.  553. 
«/&a  scrt.,  adhka  iran.  562. 
«fon,  athon  hebr.  135,  579. 
aTpaxto?  561. 
attojiac,  SiaCofxai  562. 
«j<ufcu  slav.  561,   562. 
aty,  qt$,  qtica,  qtuka  altsl. 

364. 

aube  frz.   165. 
<tuca  it.  462. 
auceps  602. 
•auclan,  aucte  preuss.   157. 


auhsa  goth.  200. 
duksas  lit.  562,   563. 
aurantlum  Olisiponense  447 
ailrkeis  golh.  495. 
aurum,  aurora  446,   562. 
awsfs  preuss.   562. 
auslu,  auzrenas  etrur.  563. 
auspicia  ex   avibus,   ex  tri- 

pudiis  327. 
a'MS<i  lit.   561,   562. 
Ausuco,    Ausancala    illyro- 

venet.  563. 
Avar  en  12. 
avasa   scrt.   553. 
avellanae  nuces  390. 
ave.ua   553. 
awilys  lit.   582. 
awi£a,  atvizos  lit.  553,  570. 
&4iviQ  568. 

ayas  scrt.,  ayanh  iran.  565. 
ozor    span.,     austor    prov., 

autour  frz.,  astore  it.  602. 
azafran  span.  265. 
a.su  altsl.  546. 
azucena  span  ,  portug.  593. 

B. 

6a,    6aw    agypt.,    ^YJT   kopt. 

595. 

6a6o  preuss.  559. 
bacan  ags.   555. 
badger  engl.   609. 
badius\  bijo  it.,  baifrz.  595. 
^aSpoa  378'. 
baira-bagms  goth.  386,  616. 


ta  paia,  sopi-y]  tuiv 

ngriech.  281,   295. 
balandis   lit  ,   baldn,    balon, 

baluon  osset.  348,  601. 
396,  397. 

5Apxd8e<;  392. 
bdlas  syr.  244. 
^aXaooTtov;  balaustro,  balau- 

slrata  it.,  Balustrade  244, 

592. 

balesas  lit.   610. 
Balkh  12. 


Balsamine  511. 

bdhi  lit.   348. 

baner  ,     6a  unirit ,     6a  untf, 

6ai/ne  agypt.   279. 
banha,  Baiiga  zend.   589. 
banja  poln.  318. 
baraczk  magy.  426. 
6arc<7,  Borke ;  6orA;raltn.  586. 
barelleli,    barillen    schweiz. 

428. 

^aptc,  baris  586. 
barit  agypt.  586. 
barizeins  goth.   63. 
barrus  353. 
6ar«,    barsuk   russ.,    borsuk 

poln.,  6or2  magyar.  610. 
6ar8-  alb.   552. 
£>aoiuxa    xdcpoa,     basilicon 

388,  397,  605. 
bassal,  bussal  agypt.  204. 
Bastarnen  47. 
bat  npers.  368. 
Bataver  46. 

pdroc,  pcma  383,  386. 
battich  arab.  319. 
6afts  alb.   218,   219. 
bebrus    lit.,    preuss.,    6e6rw 

slav.   15. 
Becher  494. 
b&dah   pers.,   bedd  Pamird. 

409 

Beete  494. 
beh   kurd.,    bd  pehl.,    bihir 

buchar.,  beh  pers.  247. 
Beil  567. 
pecpay.e?  376. 
beist  goth.   555. 
^•ypta   73. 
belche  mhd.  375. 
bele  kymr.,  belette  frz.  608. 
Bellerophontes,  Melerpanta 

577. 

bellula   608. 

belokamennaja  slav.   141. 
6en,  benk  kurd.  414. 
bendak,  pandek  orient.  389. 
beng,  bang  npers  ,  afgh.  589. 
bed  ags.,  bygg  altn.    159. 
40* 


628 


Wortregister. 


herds   hebr.,    berdtd,   berotd 

arara,  brot  arab.,  burdsu 

assyr.  288,  289. 
B^pooO-  289. 
berser  altfrz.  369. 
Besser  67. 
Beute  582. 
bezalim  (blsdlim}  hebr.  192, 

204. 

bhanga  scrt.  589. 
biail  altir.,    bahell  altkorn. 

566,  567. 
bianchi  it.   97. 
biber  467. 
biber,  Bibrax,  Bibracte  alt- 

kelt.   15 

bibere  150,   159. 
ptpXivoc      otvo?      (p6pXtvo<;, 

ptfipXivos)   568,  569. 
bibur  ahd.,  6z'6er  mhd.,  beofor 

ags.,  ii'r  altn.  15. 
bidens  128. 
Bier;    6ior  ahd.,   betfr  ags., 

6/drr  altn.  150,  159,  480. 
Bignonia  Catalpa  513. 
bihal  ahd.   567. 
PIXOC,  pixtov  216,  220. 
bilda  altn.  567. 
Bille,  Bilchmaus  bilih,  bilich 

ahd.  159,  608. 
birinff,  birang  pers.  497. 
Birne  6Uf. 
Birsch,  birschen  369. 
{Ji'oir)vov,  pfoivov,  ngriech.40 1 . 
biset,  6w  frz.  342. 
pio-ca£  605. 
fct'ya/  magy.   591. 
blaireau  frz.   609. 
6o6ru,  bebru,  blbru  slav.  15. 
6o6u  slav.  218  —  220,  559, 

560. 

poeo?  167. 
BoYfpoc,   Margus,  Morawa 

577. 

boffu  slav.  44. 
Bohne  55,  560. 
boisseau  frz.  231. 
6«le,  6oiter  frz.  231. 


196,  201,  205. 
BoXp-q  196. 

boles  schigmim  hebr.   101. 
Bolle  200. 
Bordeauxwein  78. 
bordeitz  wal.  529. 
bori  zig.   608. 
bortnik  russ.,   bartnik   poln. 

582. 

6os  64,   611. 
pooxaSe?  345. 
bo8t  alb.  236. 
6os/an  alb.,  ptTtooTavia  ogr., 

bos: an  tiirk.  320. 
po'Tpu?  91,   92. 
botnim,  batnim  hebr.,  butnu 

assyr.,  botum,   botm  arab. 

414,  423. 
Bottcher  575. 
botte  frz.   575. 
poupaXoc,  poupaXi?,  bubalus 

470,   610,  611. 
Pouxspa?  410. 
POOTCXY^  69,   568. 
bouquette  frz.  505. 
POD?  64 

boussole  frz.   231. 
bouteille  frz.   575. 

,  POUTIOV,  POTIC,  POTIVVJ 

575. 

,  butyrum  155,  160. 
39. 
PpapoXov,     ppapoXo?     377, 

378,  380. 
brace,  bracisa,   bracii   149, 

152,   159,  186. 
Braciaca  Mars  159. 
bradigalo  466. 
braga,    braha,    braja   slav., 

broga  lit.    152. 
brahmaghna  scrt.   602. 
braSino  altsl.  63. 
bratus  289. 
PpaS-o  289. 
Brauen;   briuwan  ahd.   151, 

159. 
Braun,  Breien,  Brey,  Breyn, 

Brein  sudd.  u.  osterr.  560. 


breilu  altkorn.,  breila,  breiha 

kambr.   593. 

breith,  brith  kymr.  17,   539. 
ppivttov  messap.   545. 
breskva,  praskva  ,  broskvina 

Slav.  426. 
Bpsrtavoi  539. 
brico  it.,  Ppuov  Hes.,  borrico 

span.   581. 
6ricnz,  6rzM  alb.  545. 
6n'n.s  armen.  497. 
Britten,  Briten  17. 
Ppt'Ca  thrak.,  ngriech.  543, 

552,  554. 
brocc  ir.,  brock  kambr.-korn.  ; 

brock  dan.-schwed.,  engl. 

610. 
Brocomago,      Broccomaza 

gall.  610. 

],  Popa,  Ptppouaxaj  553. 

ngriech.   553. 
Ppojxo?  551,  553. 
Ppuifxo?,  Ppcojj.a)8-r]<;,  Ppojjia»- 

&qS  551,  553. 
feroon,  6r<^o,  6rtf  altir.   556. 
Brot  555. 

a  ngriech.  210, 
altsl.,  berdo  russ.,  6ro?o 

sudsl.   561,  562. 
bruinne,  bru.  bronn  altir.  566. 
brunjo   goth.,    brunja   slav-, 

Briinne  566. 
Brundisium  545. 
bruoh.  ahd.    186. 
Pputov    thrak.-  phryg.    145, 

151,   159,  546. 
bruthe  ir.   546. 
bruwele  lit.   151. 
bruxula  span.  231. 
bsa  kauk.   236. 
bual  alb.   611. 


167,  309,   569. 

568. 
bucail  frz.   505. 
Buche  397. 
Buchweizen  ;  boekwyt  niederL 

505. 


Wortregister. 


629 


Budinen  521. 

buhsa,  puhsa  ahd.   231. 

luisson  frz.,  luscione  it.  231. 

bukljeza  (btikVezs)  608. 

buJcur  alb.  608. 

buky  slav.  525. 

bnlbus  205. 

Bulgaren   1 2. 

lullace  engl.   378,  380. 

bura,  buris  554,   557. 

Bura  309. 

burdo ,     burdus;     burdihhm 

ahd.,  burdon  rand.,  fcord- 

esel  mndl.   581.- 
Burgunderwein  77. 
burgus  467. 
burruSj  burricus  581. 
J3'jpoa,  £k>paY]d  ngrieeh.  424. 
Base,  Bise  609. 
bushel  engl.   231. 
(B6a30<;,  pasaivoc;,    puaoivetd 

170,   187,  403. 
buxte  frz.,  6«s*o  it.   231. 
busu  assyr.  375. 
Butte  575. 
Butter  494. 
biitze  mhd.   140 
Buxentum  230. 
btixus,  buxum  227,  228,  235, 

236. 

bus  hebr.  167. 
byvolu    altsl.,    bujvol    russ., 

bawol  poln ,    ta'tW   bulg. 

611. 

C. 

taballus  53. 

ca6o  53. 

Caecuber  82. 

caelia,  cerea\45,  148,  152. 

caepa  capitata   193. 

caera,  caerach  ir.   553, 

cailech    ir.,    ceiliog    kymr, 

chelioc  korn.  335,  600. 
cmnnen  ir.,  cenin  kyrar.  205. 
$dkhd,  fanku  scrt.   554. 
falamajo,     calaniita,    cala- 

mistro  it.  303. 


cilamine,  giallamina  594. 

calare  600. 

Caledonier  46. 

calocatanos   600. 

calvae  nuces  390. 

m/x  140,   141. 

cnman  armen.   208. 

fami  scrt.  546. 

caminata   141. 

camisin  173,   176,   186. 

camisia  clizana  178. 

camnet  altpr.  53. 

Cfimum   160. 

fana  scrt.   190,  546. 

canape  it.,  canapa  rum.  190. 

candetum  gall.   558. 

canere  599. 

can  HI,  cana,  canalis  304  bis 

306. 
cannabis,   cannibus  188  bis 

190. 

Cannae  309. 
Canon  306. 

cantagaletti,  cuchettt  it.  600. 
cantare  600. 
coper  553. 

capreolus',    caprinlo  it.  551. 
caprificus  550. 
capuccio  it.   516. 
mlat.   602. 
195,  205. 
capvtium  494,   516. 
fam  528. 
caracallae   176. 
carbasus  174. 
carrfo   71. 
carro&o,  carruba  it ,  caroute, 

carouge  frz.  451. 
caryota,  caryotis  273,   274. 
fas  faso  scrt.   554. 
castagne  it.   391. 
castaneae  nuces  387  ff. 
ca£  ir.,  ca/A  kymr.,  caz  bret. 

467. 

catinus  494,   580. 
catulus  467. 

««*  462,  466,  467, 

608,  609. 


catusa  rum.   609. 
COM/W  494,   516. 
ceallian  ags.,  ca//  engl.  599. 
cece  it.   212. 
ir.  554. 

russ.  212. 
ceaWc  altengl.  210. 
cedro  it.   443. 
ce  faff  Hone  it.   272. 
cegla,  cz'A/apoln.,  bohm.141. 
ce//a  494. 
demeri,  Kemerica  altsl.,  Semer 

klruss.  409. 
centenum  554. 
Centner  494. 

ce/ja,  cepe,  caepa  195,  205. 
cepati,    cepiti,    cep,    cepina 

Slav.  434,  435. 
cepulla  200. 
cerasus,    ceraseus    400    bis 

404. 
cere,    cerc-dae    altir.    331, 

600. 

cercitis   112 
teremsa,  teremica,  deremtka 

russ.   195. 
cereolum  377. 
derC,  fsfmA  Pamird.  427. 
cervesia,   cervisia   149,   160. 
&-saft'  slav.   202. 
tesuniik,  tesrilci  slav.  202. 
ceM^,   cedw,    fecWu;  kymr. 

210. 

ceya   venet.  545. 
cj'cen   (^y^en)  ags.   599. 
a'cer;  Richer  212,  215,  218, 

219,   220. 
ciconia  335. 
ci'cfa  ir.  539. 
Cider;  cj'dre  frz.,  czWr<?,  stWro 

it.  614. 

fikht  scrt.  350. 
cipe  ags.  205. 
cipolla  it.   200. 
fi'ras  scrt.  402. 
cirbhata,    cirbhati,     cirbhitd 

scrt.  319. 
citriuolo  it.,  citrouille  frz.  315. 


630 


Wortregister. 


citrulus  320. 

citrus,  malum  citreum,  citrosa 

vestis,  citratus  438,  440, 

445. 

cive,  civette  frz.  202. 
dale  frz.   140. 
claratuni)  claretitm,  cldrtt  82. 
Clausus,  Claudius  592. 
cleda  proven^.   140. 
clenus  mlat.  597. 
cletd  kelt.,  cleta  mlat.  140. 
cliath  ir.,  cluit  kymbr.  140. 
clufe  ags.,  clove  engl.  205. 
-dun  136. 
coclea   136. 
Codes  136. 
cocomero  it.  316. 
coeds'  wal.  599. 
coczka  poln  ,  totovice  Czech. 

212. 

coe?-,  godappel  altengl.  247. 
coerin  ags.   159. 
coiYce  ir.,  ceirch,  kymr  553. 
co//  ir.  398. 
colliciae  557. 
coZum  altir.,  colom  kyrar.'u. 

altkorn.  koulm  bret.  346. 
columla,  columbus  344,  348, 

380. 

coins  561,  562. 
comadreja  span.  607. 
corn'/  altfrz.  607. 
coppa  it.   559. 
coy   frz.,    core   armor.    330, 

599. 

coguelicot  frz.  600. 
coriis,  corbita,  corbitare  315. 
corcAa  span.  576. 
corean  armen.  553. 
cornu  400. 

cornus  400,   402,  409. 
coronopus  247. 
cortex  576. 
corvus  335. 

corylus,  corulus  398,  603. 
cotana,  coctana  100,  247. 
cotognata  it.,  cotignac  frz. 

246. 


cotone  it.   509. 

cotonea  mala  240,  246,  247. 

cottana,  cozzana,  chutina&hd. 

247. 

covinus,  covinnus  49. 
cracca  vicia  216. 
crates  557. 
creamh  ir.   195. 
tremiga  slav.   141. 
critic  frz.  378. 
£rje$nja,  crsinja  altsl.   401, 

403. 

crisuommolo  it.  426. 
crocire,  croci'are  331. 
Cromlech  140. 
crow  engl.  335. 
crudarium   164. 
driiniftje,  frunu  altsl.  386. 
cuccuzza  it.  315. 
cucuma  494. 
cucumis  314  bis  321. 
cucurbita  315,  319. 
cucfon  korn.j^^wiAan  kambr. 

601. 

culcitae    176. 
CM#  tubet.  427. 
cultnus  549. 

cuZM/re,ags.,  cw/yerengl  348. 
cumera,  cumerum  315. 
cuminum  206,  580. 
cuniculus,  xovwXo?,   xouvix- 

Xo<;,    xovixXo?   453,    454, 

467,   605. 
cw/>a,  xuTCf],    cuparius   574, 

575. 

cupressus,  c.  Tarentina  286. 
cupresseta  287. 
cy#a  scrt.  552. 
cymbinum  494. 
Cypern  595. 
cz^pyti,    cz'idpas   lit.    434, 

435. 


Ch. 

216. 

94,  546. 


140. 


41. 


62,  567. 
280. 
568. 

271. 
73. 

channel  engl.  306. 
chanoine,     chanoinesse 

306. 

Chanteclers  323. 
X«pa?  511. 
Xapfxo?  111. 
charpuz  tat.  317. 
charrub  arab., 
453.     ..  ;; 
chdruz  hebr.  563. 
chataro,  chazza  ahd.  467. 
Chaussee  141. 

hebr.  192,  196. 

219. 
539. 

cheminata  ahd.   141. 
X^v  368. 
chgneau  frz.  306. 
X£">   538  f. 
ferbuz  npers.  320. 
547. 

frz.,  mengl.  212,  219. 
rhichhira  ahd.  219. 
X^pa    557. 
XtXiot  539. 
chi/our  kurd.  380. 
Chinagras   183,  587. 
Xttcuv,  xtO-cov  61,   164,    170. 
XXajJiui;  544,   546. 
chfebu  slav.   555. 
chmett,  chmell  slav.  477   bis 

480. 

xnjor  armen.  6 1 5. 
-Xnos  venet.  546. 
chomjak  russ.,  chomifc  poln. 

610. 

choniestaru  slav.   610. 
496,   557. 
ngriech., 
slav.  477,  480. 
Chorasmier  34. 

245. 
426. 


VVortregister. 


631 


63,  562. 
X"da  npers.  583. 


539. 

chumil  ahd.   580. 
XMTW^ZCUV.,  jjomlak  tat.,  <?wwz- 

/eA  wog.,  komld  ung.  480. 
XojJ-oviKa  TOC  ngriech.,  yimiko 

alb.  321. 

chuo-smero  ahd.   160. 
churn,  churuh,  churiis  npers. 

330. 

X?nol  txftosc  539. 
546. 


D. 

dactylus  274,  281. 
Dachs  463,   610. 
8a8a  440. 
daeza  iran.   546. 

235,   236,  412,  590. 
jJLatvojxevY]   226. 
dqga  slav.   574. 
daghwa  kauk.   335. 
Daher,  Daer  34,  48. 
Daken   17,  56. 
SdxToXo<;  274,   281. 
-dama  thrak.   546. 
§d|JiaXi<;,  SajidXY]   64. 
8a|iaoxY]v6v  378. 
Damasci  377. 
Damhirsch   205. 
damsin,    damson  engl.  378. 
daprdnu,  duprdnu&asyr.  235. 
darSan  alb.   616. 
Dardaner  545. 
darBe    alb.    545,   614,   616. 
dariben,  darizeitun,   darifiki 

kurd.  423,   605. 
dqti,  dunati  altsl.  318,  320. 
da«e  fivs.,    dattero   it, 

span.  274. 
Daube,  Dauge   574. 
daubs  goth.   342. 


cpopstoai;     235,   590. 
590. 


defrutum  159.  546. 
dehsen  inhd.  609. 
Astvf],  AIVYJ  42. 
deismo  ahd. ,    dhoesma  ags. 

555,  556. 
deivas  preuss.  16. 
delirare  549. 
Delmatia,    Dalmatia,    Del- 

minium  545. 
del'me,  del'e  alb.   545. 

derenii  russ.   403. 
dess  ir.  200. 
deus  16. 

deutsch,    Deutschland    538 
dexter  200. 

dhorra,  dochn  arab.  502. 
dz  alb.  545. 
diSwas  lit.   16. 
di/fefl,  de/?e,  difna  arab.  41 2. 
dthsala  ahd.  525. 
dik  kurd.  330. 
StxeXXa    1 28. 
dikuSa  russ.    507. 
Stjjidxai  47. 
Dimallum  545. 
dimkas  lit.   197. 
Ato?  pdXavo?  387  bis  397. 
digldj  daqual&r&m.  280,  281. 
dz'ma  lit.  560. 
-dizos  thrak.   546. 
dog  a,  §OXY]  574. 
do^dn  kurd.  374. 
Dolmen  14.0. 
86X1x0?  219. 
domenica  de  rosa  255. 
Sojxoi;  546. 
donnola  it.  607. 
86po  269. 
dpA  agypt.    615. 
dragios  preuss.   159. 
draigen,  draighin  ir, 
kymr.  380. 
altn.   159. 
•ov  127. 

dreskiu  lit.    435. 
dr&e  lit.   561. 
drungus  467 


druppa   112 
8po?  392. 
Suapsta  235,  590. 

,  dub,  Dubis  altir.  342. 
goth.,  dufe  ags.,  d<^a 

altn.   342. 
dud  tiirk.,    duds  alb.,    dud 

rum.,    TOUT   xal  Tia   386. 
dulb,  dulbar  npers.    293. 
dulbend  npers.  510. 
86v  dak.   185,  588. 
Dung,  Diinger  529. 
Durak  428. 
duracina,    Scupaxtvd  ;     dura- 

kina,  durdk  arab.  425,  428. 
durmer  ahd.  581. 
durus  428. 
diirvd  scrt.   560. 
dutkis  preuss.  610. 
dymki  klruss.   205. 
dyinii-  altsl.   205. 
dynat,  danadkymr.  185,587, 

588. 
dynja  altsl.  318,  320. 

E. 

ea/M,   ea/oci  ags.    159,  480. 
earfe,  earfan  ags.   213. 
eds  altir.  608. 
eiwr  353. 
Eburonen   624. 
eczet  magy.   79. 
ech  altir.  36. 
echalas  frz.   571. 
echalotte  frz.   193. 
s/STXY]   557. 
e^o  venet.  546. 
edere   573. 

338. 


9S. 


ahd.   63. 

Xo?  272. 

434. 
Iglius,  oglus  lit. 
e^o   546. 
'effdz  hebr.  398. 
ehuscalc  alts.  36, 


632 


Wortregister. 


Elbe,  Eibschutze  :  eip  schwab. 

14,  525. 

o?  335,  599. 

113. 
eipYio  127. 
eirin  ir.  600. 
Eisen;   eisarn  goth.   566. 
SxatovidcpoXXa  251. 
ekid  alts.  79. 
•?)Xa  360,  377,  378. 
elah  hebr.  423. 
iXaia,    IXafo],    eXaiov    106, 

109,   119,  120,  121,  124, 

235,  578. 
IXatocpoto?  107. 
4]Xaxdtif)  561. 
iXarrj  186,  296,  297. 
Elch,  Elen  611. 
*/]XexT(op  'TTiEptouv,  YjXextpov, 

'HXextpa,  'HXexipocov  325, 

334,  598. 
'EXeofrepto?  73. 
eXcpoc,  e'Xrcoc  156. 
elix  557. 


169. 

elmds  arab.,  pers.   594. 
i  alb.  553. 

557. 
sXujxo?  558. 
*em  gedolah  hebr.  395. 
iacpocu  435. 

efjupotoc,  Ijxcpoteuw  434. 
YjjJLiovoi;  133,   135. 
empeltar  proven9-  434. 
evSevSpo?   125. 
endrina  span.  378. 
Eneter  57,  133 
dngoiz  armen.,  anaozd  osset, 

nigozi  georg.,  ^egoz  hcbr. 

398. 

ent  alb.  562. 
«nter,  ente  frz.,  en/ar  proven9-, 

enten  niederl.  433. 
4o  altir.   524,  525. 
eoh  ags.  36. 

«p,  £^cna  gallisch    36,  52. 
17. 


Ephyra  60. 
ITCITOVO?  167. 
Epopeus  110. 
sito^o?  79. 
equus  36,  51,   53. 
scrt.  553. 

Y]    xapua     388, 

397,  398. 
eras  lit.   551. 
erba  spagna  it.  407. 
Erbse  494. 
erda  alts.  409. 
Erdrauch  197. 
Ips^vO-o?  212—219,  423. 
erezata  zend.   563. 
er^n    kymr.,    iruinenn    bret. 

560. 

Erigone  67. 
epivso?  100,  578. 
erkan  arraen.  556. 
s'pxo?,     ipxo?     CcXcuYjC     126, 

128. 

erman,  herman  kurd.   244. 
epvatc?    73. 

agypt.  91. 
t  ahd.  409. 

243. 

i,  ervilia  213,  218,  494. 
eS  armen.   135. 
e£ek,  esik  turko-tat.   135. 
esca  573. 
escregne  frz.   529. 
Esche   14. 
ess  ir.  [?]   200.  : 
essedn,  essedum  49. 
Essig;  ezih  ahd.,  cA;id  alts., 

ocec?  ags.  79. 
Esten  44. 
I'TVO?  219. 
T|tpiov  531. 
Etrasker  58. 
Etymandros  594. 
Eu^oixal  ^dcXavoi  396. 
Eucalyptus  513. 

S'JtTCICOS    40. 

Euneos  567. 
411. 
40. 


Euretice  440. 
eva  lett.  525. 
evallere  557. 
ezir  kurd.  102. 

F. 

faba  218,   219,  559,  560. 
<pdxY)ts  mgriech.,  facha,  fa- 

chela,  fakecha  mlat.  601. 
fagus  397. 

fahs  ahd.   186,  588.  589 
fairy  altengl.   607. 

,  cpaxo?  212,  218,  219. 
npers.  601. 
'j    falcone    it.,    faucon 

frz.  375. 
FaZco  375. 
falconetto  it.  373. 
falcho  ahd.,  /a/&e  altn.  375, 

602. 

Falerner  82. 
Falernus  ager  94. 
fal'kue,  fekua  alb.   375. 
Fallen  375. 
/atfere  577. 
/a/o  ahd.  375. 
cpaXo?  348. 
fnlx  375. 
?pa^  338,  661. 
/ar,  farina,  farrago,  farreusy 

farsio  63,   557. 
cpapou  562. 
/ara«  athiop.  53. 
(papaaxoi    576. 
/arn,  farm  ahd.,  /earn  ags.r 

Farnkraut  600. 
cpapo?  167,   179,   187. 
fasa  altruss.   601. 
cpaoiavoc,     cpaoiavixo?    361, 

362. 

cpaoioXo?   219. 
cpaoxetat,  cpaoxtvia  176. 
cpdaoa,  cpaaoo-f6vo<;  338,  601. 
fastuca  sicil.   416. 
601. 

^vjYta  577. 
397. 
felis,  feles  458,  460,   608. 


Wortregister. 


633 


o?,  cpXotoc  586. 
Fenchel  494. 
Fenchu  agypt.  594. 
fenestra,  Fenster  141. 
jerte  arab.  53. 
Jfa  kambr.  559. 
ffuon  kambr.  593. 
Jiad-cholum  altir.   601. 
Jiber   15. 
ficas    100,    101,    102,    281, 

550. 

Jicus  duplex,  bifera,  Rumina- 
lis;  cauneae,  caricae  f.  96, 
97. 

Jides  577. 

Jieno  d'Ungheria  it.  407. 
fieri  577. 

Jiga  ahd.   102,  247. 
cpiXoaoxos  96. 
Jilum  561. 
cpiXopa  586. 
Filz  15. 

Fimrael,  femella  189. 
fin  altir.  90,   94. 
Finnen   18. 
fistula  303. 
j?ttfa*  ahd.  302. 
Flachs  (neuseeland.)   183. 
Jlahs  ahd.   186,  588,   589. 
Flasche  494,  575. 
Flegel,  flagellum.  494. 
flihtu  ahd.  562. 
Jiins  ahd.  218. 
cpXuiaxa,  (pXaoxi,  ngriech. 

320. 

Jbcaccia  it.   555. 
/ocu*  555. 
fodere   128. 
555. 
,  Oow'xYj  593. 

cpoivix'.ov;  <poivtxY]d 
ngriech.  214,  268,  275, 
280,  281,  293,  294. 

kopt.   187. 
Jokka  arab.   144. 


529. 
folium   106. 


folt-chiap  altir.  205. 

<povoc,  ercscpvov,  cpovf],  cp 

594,   601. 
forhana  ahd.   528. 
/orcto   64. 
formento  it.   551. 

'fcuooouv   187. 
Jotus  goth.   571. 

cpooxac   144. 

Frankische  Maus  463. 
/rafA  zend.  293. 
Jroment  frz.   551. 

Fruh  425. 

frumentum   551. 
ftua-oi  alb.   247. 
/u/o  goth.   52. 
fullones  182. 
fumaria  197. 
/unrfo  538,  539. 
fungus  577. 

cpDU>,    cpoXtY],    cpoX- 

cpotov,   cp6aic,   «p5jj.a    106, 
119,  577. 

furetlo  it.,  /wre<  frz.  455. 
/wr/wr  557. 
fusus  581. 

cputeoou,  cputaXia   123. 
fyrs  ags.,  /t/ra,  /urze  engl. 
550. 

fysliq  kurd.,  fustaq  arab , 
fsloul  armen.,  fsst'zk  alb. 
423. 

G. 

<7ad  hebr.  207. 
gadhwa  zend.   608. 
yaggia  di  Costantinopoli  it. 

511. 

^aidjw  lit.  599. 
FatoaTOt  566. 
galaga  arab.  205. 
alb.  599. 
455,  458,   608. 
galgo  span.  369. 
galica,  galka  slav.   599. 
^ato'  sg  serb.  599. 
^oZ/  altir.  344. 
galla  598. 


gallicus  canis  369. 
Gallier  47. 

Gallinaria  silva   572. 
gallus,   gaUina,  gallicinium^ 

gallinaceus    579,    598, 

599. 

GaZ/us  598. 
Galmei  594. 

s  608. 
553. 
Y«voc  thrak.  93. 
ganta;     gante    frz.,     ganta 

proven  9.,  gante  westf.  366, 

368. 

ganzo  ahd.   366. 
yarduna  span.  608. 
gdrledc   ags.,   garHck  engl., 

geirlaukr    altn.,    gairleog 

altir.   202. 

garofolo,  garofano  it.   511. 
garriOj  garrulus   598. 
yarroboj     algarrobo     span., 

alfarroba  port.   451. 
#a«r  slav.  368. 
Gaspar  317,  320. 
gavilan  span.  602. 
#a#d<s  altpr.  549,  552. 
gay  Us    altpr.,    gaidriis    lit. 

542. 

•faz  asset.  368. 
gdunje  slav.  247. 
YY]   197. 

109. 

,  4lt^"'l»  itecp  uteu- 
124. 

ahd.   205. 
ge'd  ir.,   gwydd  kymr.  364, 

368. 

Geier  375. 
geirfalki  altn.  375. 
g&8  altir.  368. 
YeXapoc  phryg.  608. 
geleils  lit.,  ^e/so  preuss.  567. 


205. 


Gelonen  17. 
gelso  it.   385. 


219. 


634 


Wortregister. 


gendum     npers.  ,    ghidim 

Pamird.  553. 
genus   546. 
ger  ahd.  566. 
gerjalco  it.,  gerifalte  span., 

girjalc  proven?.,    gerfaut 

frz.  375,  602. 
gersta  ahd.  59. 
gertis,    gerto,    gertoanax 

preuss.  600. 
•p)p6u>  598. 

gesmino,  gelsomino  it.  509. 
Geten  56. 


196. 
yhiles,    keras    kurd.,    keras 

armen.  402. 
ffjak  (g'ak}  alb.   158 
gjalpe  (g'alpz)  alb.   158. 
gjaschte  (g^sts)  alb.  158. 
gieddti  lit.   599. 
Gier,  gierig  375. 
giglio  it.  593. 
gigrann  ir.  368. 
gija  lit.   561. 
glle  lit.  396. 
0rin  sumero-akk.  307. 
g*ini  lazisch   91. 
gini  arraen.  91  —  93. 
gjdta,  got,  goto.  altn.   539. 
glrna,  girnos  lit.   556. 
git,  gith  207. 
giutan  goth.   538,  539. 
glagolati  altsl.   599. 
glans  regia,  glans  389,  396. 
YXelvov,  -fXlvov  597. 
glocire,  glocidare  600. 
glomus  561. 
YXuiooa,    Y^X51:*    Y^^X^5- 

557. 

YXoopoc,  Y^oopea  phryg.  563. 
gluchu  altsl.,  glucharj  russ., 

gluszec      poln.,      hluchan 

sloven.  601. 
Gockelhahn  599. 
#o/er  hebr.   285,  288. 
^o/H*  hebr.   288. 
YoiS  207,  208. 


golqbi  Slav.  339,   346,  348, 

601. 
golimbanprQ\iss.,/tolub  klruss. 

348. 

YOJXOC,  Y0^"?1  ngriech.  579. 
goritss  alb.  616. 
slav.  616. 
altir.  364,  368. 
Gothen  (Gutos  Gutans)<Gau- 

tar,  Gotar  12,  538,   539. 
Gothen  (skandinavische)  45. 
graculus  331. 
grachu   altsl.,   goroch   russ., 

groch  poln.,  hrdch  czech., 

grah,    grahor,    grahorica 

slov.,YP«X°^  ngriech.  215, 

216,  218. 
gradu  slav.  216. 
graeca  nux  390. 
Ypa'fiov,  graphium  435. 
Fpouxot,  Graeci  55. 
^rq/o  it.   609. 
Granada  242. 
granato  it.  242. 
granatum  malum  240  ff. 
grano  saraceno   505. 
granum  63. 
grdvan  scrt.  556. 
gravling,     greving     skand., 

niederl.  609,  610. 
grdhra  scrt.  375. 

a  ,     grecucha  ,    grecicha 

russ.,  hrecka  klruss.  506. 

«»  greffer  frz.  434. 
^rzAraz  lit.  506. 
griotte  frz.   604. 
^ro£s  alb.  216,  218. 
grozdu  altsl.  90. 
Grucken  506. 

grusa,  chrusa  slav.  614,  616. 
gruszia  lit.    616. 
Grutze  560. 

poln.  506. 
554,   557. 


554. 

guisne,   guigne    frz  ,   guinda 
span.  410. 


npers.   258,  592. 

lit.   344,  348,  601. 
gulth  goth.  562,   563. 
Yujrr),  Y^TCaptov  529,  530. 
Gurke  316,  320. 
guru   scrt.,   ingruo;    griuivlt 

lit.   556. 
guth  goth.   583. 
^M2,  gaz,  waz,  us  sum.  368. 
gwenn,    gwiniz    bret.     549, 

552 

g'wino  georg.  90. 
Gybl,  Gubel  phonic.,  Gobel 

hebr.,   Guft/a  assyr.  568, 

569. 
gyrus,  gyrare  mlat.  375. 

H. 

haba  sabin.  559. 
habaro  ahd.  553. 
Habicht;  hapuh,  habuh  ahd.,. 

haukr   altn.,   heafoc   ags. 

370,  375,  601,  602. 
Hadad-Rimmon  237. 
Haetumant  594. 
hafela,     heafola    ags.     195V 

205. 

hafr  altn.   553. 
hagre  altschwed.   553. 
halare,  anhelare  205. 
Halja  goth.  38. 
halka,  alka  iran.  325,  334,. 

335. 

Hall,  hat,  halhus  528 
Halle  528. 
haloin  kelt.  528. 
harna   575. 
hamar  ahd.  565. 
hamidi  ahd.   186. 
Hamster;  hamaslro,  hamis/ro- 

ahd.  469,  610. 
hamster  frz.  463. 
//ana  goth.,  ^ano  ahd.,  Aona 

ags.,  ^ant  altn.  329,  330, 

335,   599. 
hanaf&hd.,hanep  Ags^ 

altn.  189,  190. 
hanhi  finn.  368. 


Wortregister. 


63^ 


hansa,  hansi  scrt.  365,  368. 
harbuz,  garbuz,  arbuz,  karpus 

poln.  320. 
hardi  alb.   91. 
haricska  magy.  506. 
harjis  goth.,  heri  ahd.  528 
harinc,  herinc,  hdring  ahd., 

hcering  ags.   528. 
Hartriegel  14. 
haru   ahd.,    hdr   altn.    186, 

588. 

hasal  ahd.  398,   603. 
hataka  scrt.   563. 
Hataka  563. 
haubith   goth.,    hfafod  ags., 

haujuth,  hofud  altn.  195, 

205. 

haurn  goth.  453. 
JiauS,  haoiich  kurd.  583. 
Aau  armen.  357. 
hazanra  zend.   539. 
hazzura  syr.   615. 
htbauc  altkymr.  370,  374. 
hebo,  hepo  finn.,  hebu,  hobu, 

hobune  estn.  53. 
Heidenkorn,  Heidekorn  506. 
/iefo  agypt.    159. 
heleco,     helk,    alkuz    kauk. 

335. 

Helico  550. 
Hellenen   51. 
herneju  wal.  477. 
hemera  ahd.   409. 
Heneter  53. 
henna  ahd.    330. 
Hermelin  608. 
Hibiscus  syriacus  511. 
Hilmend  594. 
Hilwan   428. 
himma  goth.  547. 
hindevdne  npers.  317. 
hinn  agypt.   584. 
hinnus  581. 
Hippobotos  32. 
hiranya  scrt.   563. 
Mrs  alb.   160. 
hirnibolla  ahd.  205. 
hirquitallus,hirquitallire55 1 . 


hirri  ahd.  559. 

At'u/b  ahd.,  h£ope  ags.  479. 

Atven  korn.,  ivin  bret.  524, 

525. 

Afa{/«  goth.   555. 
Meithra  goth.   140. 
hlynr,  hlinr  altn.   597. 
Aoe*    korn.,    hwyad    kambr. 

364,  368. 
hoha    goth.,     huohili     ahd. 

554. 

Holunder  14. 
Honig  154. 
hop  jo    ahd.,    hoppe   niedd., 

hop     niederl. ,     feldhoppe 

476,  478—480. 
Hophop  478. 
hordeum  59,   560. 
Hornung  401. 
houblon  frz.  476,  479. 
hrains  goth.  259. 

hramsa  ags.,  ramsen,  ramson, 

buckrams  engl.   195. 
hrisk  wal.   506. 
hrokr    altn.,    hroc    altengl  , 

hruoh  ahd.   335. 
hruk,    hrukjan     goth.    331, 

335,   599. 
hubalus  mlat.  476. 
Aw§sre  alb.  204. 
humall  altn.,  humala,  humal 

finn.,  estn.  477,  480. 
humid   cer.,    komld   mordv., 

hombel    lapp.,    «wzaZ    lir., 

umala  wotj.  480. 
humlo,  fiumolo,  humulus,  hu- 

melo,    umlo,   Jumlo    474, 

477,  478,  479. 
humus  568. 
Hunnen  12. 
huon  ahd.  330. 
Awpa  mlat.  476. 
huron  span.  455. 
hus  ahd.    583. 

hvairban  goth.,  hverfa  altn. 

315. 

hvaiteis  goth.   549,  552. 
goth   552. 


hverfette  ags.  319. 
Hyksos  26. 

J. 

jagoda,jagodicije  altsl.  386. 
jajin,jain  hebr.  70,  91,  92. 
Japygen  57. 
tar,  ^ar  kambr.,  korn.,  bret. 

600. 

'lap§avo?  92. 
jarden  hebr.  92. 
*arn  altir.  565. 
iasg  ir.   573. 
jastrqbii  altsl.,  jastreb  nsl.r. 

jastrzqbu  poln.   602. 
jastriti  Slovak.   602. 
Jatnana  mat  assyr.   288. 
javor  slav.  597. 
jawds,  jawai,  jawiend    lit 

58. 

Jaxartes  34. 
jazva  slav.  610. 
jazvv.  slav.   610. 
Jazygen  1 1 . 
ipvjva  93. 

Iberer  18,  48,  140. 
ibhar,  ibar,  jubar  altir.  525-- 
,;We/  slav.  578. 
jelt,  jela  slav.   525. 
le'pafc  370,  374,  376. 
tspo?  376. 
jeY,     <fec/e,    JiV'eni    armen.- 

120. 

jiewd  lit.   525. 
!XTI?,  xti?  458. 
Illyrier  56,  57,   545. 
IfiaXta,  l|xaXi?  553. 
zwzft  altir.   157. 
Immaradus   568. 
impfen ;  impjon,  impiton  ahd., 

impfetenmhd  ,z/wptanags.,. 

433—435. 
imputare,   pulare,    amputare 

435. 

Indian  598. 
indi  alb.  561,   562. 
indzaru  russ.   102. 
Ingvaeones  545. 


636 


Wortregister. 


tvvoc,  two?,  ytwo?  581. 

inpotus  433. 

\nrhamia,    \nhmn,    't'nim'w 

agypt.  244. 
intiisgan ,    intrusgjan   goth. 

434,  435. 
intschir  buch.,   {nf5ir  afgh. 

102. 

?nu  assyr.  91. 
I'nzns  preuss.   525. 


257. 

ior  altn.  36. 
to;  614. 

155. 

a  40. 


40. 


iitn6&ajj.oi 

bcaoxopootat  Ilaiovec  40. 
OpYjtxioi  43. 
airo  48. 
tirrccuv  xsvtops?  40,  41. 

43. 

,  ''xxo?  36. 
37. 
t  34. 
43. 
557. 

ischak  russ.   580. 
!ox«£  95. 
ishira  scrt.  376. 
Ismarischer  Wein  67. 
Ismaros,  Ismaris  567  f. 
issur  hurri  assyr.  375. 
laTo^oeu?  557. 
ioto?  561,  562. 
istiiba,  izba  altsl.   141. 
iTs'a,^?  15,  569,  570,  585. 
itrlaukr  altn.  202. 
iuglans  387  —  390. 
iuffum  561. 
Jwfcn  armen.  547. 
ew/  armen.   121. 
iumentum  52,   64. 
Jungferchen  (Wiesel)  607. 
Jute  183. 

iya,   iha  ahd.,    «y,   eo/i  ags. 
525. 


iva  slav.   525. 

ivus  mlat.,  if  frz ,  z'ya  span., 

portug.  525. 
U6?  401. 
izvisil  slav.   141. 

H. 

A:a,  kau  alb.   545. 
xa^dtXXf]?  53. 
Kabes,  Kappes  494,    516. 
kabud  npers.  348. 
kabutar,  kautar  npers.,  kew- 

ter,    koutery   afgh.,    kotir 

kurd.  601. 
Kabylen  131. 

xa^XY]^  xo'^Xa^  216,  218. 
xd/po?  557,  558,   560. 
kqdlli  slav.  561,   562. 
kadis  Nuba-Spr.  609. 
^jxsia   594. 
62. 

kaerell,  Jcaer  bret.  608. 
Kaft,  Keftu  agypt.   594. 
kahrkdpa  zend.  331. 
xaipooetov,  xottpooooecuv  167, 

185. 

fca/ss  tiirk.  428. 
xdxa  598. 
kakas  magy.   599. 
kakra  finn.   553. 

a5Xf]Tcx6<;   305. 
kurd.  320. 
xaXsco   600. 

kalja,  Jcalli  finn-estn.    155. 
ka\in  armen.  396. 
kdlinda  scrt.  320. 
xdXt^oi;  maced.  94. 
Kalk  141. 

Kalkutischer  Hahn  612. 
KaXXia?  334. 
KaXXtxapjro?   111. 
Kalmuk  -  Targuten ,    Kal- 

muken  18. 
141. 

dXo£  248,  592. 
kalupa  lit.   141. 
kamara,   komara  altsl.   141. 
571. 


kamina  altsl.,  komnata  russ., 

poln.   141. 
kammonhebr.,  kamdna  aram., 

y^afxav  pun.,  kamdnu  assyr. 

206,   208. 

xdtjxov,  camum  146,   147. 
kana  finn.  330,  335. 
xava)(Y],   xavcxCw,    xova^oc, 

xava^uiv  599. 
kanap*,  kanep  armen.,  kanab 

npers.   190. 
Kdvat  306. 
kanapis  lit.,  konapios  preuss. 

190. 

xdvaatpov,  xdvtotpov  304. 
kdncana  scrt.   266. 
Kaneel  306. 

xdveov,  xdvstov,  xavo>v  304. 
,  kzrp  alb.   190. 
liv.,  kanep  estn.  190. 

190. 

xdvY]  190,304,307. 
Kanne,  Kannengiesser  306, 

494. 

xavow  561. 
Kanone  306. 
Kanonisches  Recht  306. 
kafit/  moksa-mordv. ,   ka/it 

ersa-mordv.   190. 
kaneh  hebr.   190,  306. 
kapdla  scrt.   205. 

126. 

195,   205. 
kapinjala  scrt.  602. 
xatrvtoi;   197. 
kapota  scrt.,  kaputar  npers. 

348,   601. 
xdrcpo?   553. 

kapus,  kapusta  slav.  516. 
XOCTCO?  205. 
Kapuzinerkresse  513. 
karagu,  kergu  tiirk.  374. 
kardnu  assyr.   91. 
karbe,  karve  mhd  ,   caraway 

engl.   208. 
karbysch  russ.   610. 
Karde  494. 
kardelus,  kardelis  lit.   585. 


Wortregister. 


637 


258. 
Karer  60,  293. 
karkom      hebr. ,       karkuina 

assyr.  (?)  261,  266. 
karkti,  karkaii,  krokati  lit  , 

Slav.   331. 
Karmanicn  31. 
karmu  assjr.  90. 
karn.uin  rhato-rom.   608. 
xdpoivov  91. 
xotpov,  careum  208. 
xapJiooCia  ngriech.,  karpuz, 

charbuz   tiirk.    317,    320, 

321. 

karszulis  lit.   348. 
xdprr]   64. 
xap6a  396,   397. 
y.apo§f)d,    xapoSta   ngriech. 

397. 

xapooosv§pov  397. 
xapoioioc,  xapuam?  274. 
kdrw6  lit.  545. 
karwelis  lit.   601. 
kaSa  rass.   507. 
Rase  494. 

kask,  kasktni  armen.   395. 
Kaspar  317. 
xdooojjia   14. 
Kaatafxcuv  389. 
Kastanienbaum      (Aesculus 

Hippocastanum)  393,398. 
xdotavov,  xaotdviov,  xaatd- 

vatov  389,  395—397, 603. 
Kaotavic,  Kaotavla,  Kaofta- 

vaiYj,  Kaoravaia,  Kaata- 

va'ixov  xdpoov    389,  395. 
fcafrYs  goth.,  Aro£/w  slav.  580. 
xdtta  462,  467. 
xaovdxv]<;  608. 
kauris  westfinn.   553. 
kaurn  goth.   63. 
kavkt  alb.   320. 
kavun,  kabun  turko-tat.  320. 
kawkassajapafmaruss.  233. 
kawon  poln.  318. 
^az  turko-tat.  368. 
kazza    ahd.,     A;of.2e    mhd., 

kalte  mnd.,  mndl.  altfries., 


kottr    altn.,     Ara< 

schwed.,   catte  ags.    467. 
keekers,  licut-kekers  preuss. 

212,   215,  218. 
kedi  turk.   609. 
xe§pojJLV)Xa  441. 
xs§poc,  cedrus  440. 
xscpaX-fj   195,  205. 

£Cf>aXa>T6v  195. 
215,  218,  558,560. 
xsipstv  527. 
XY]xt<:  598. 
Kelch  494. 
kelebab ,     kelley  -  shir ,    <yWw 

kard.   600. 

kelikn  goth.,  celicnon  gall.  141. 
kelin  altkorn.,  kelyn  kambr., 

kelen^kelennen  armor.  597. 
Keller  494. 
kemendte  mhd.    141. 
xYj}xo<;  thrak.  546. 
tendte,  ksnd<M  alb.   600. 
kefie,  kite  cerem.   190. 
kenevir  bulg.,  kender  magy. 

190. 

xivtpov  60. 
k'eps  alb.  205. 

,  xarcoi;   205. 
fcepfi   lit.  555. 
xepdfua  141. 
xipajxoc,  Kepajxe!*;  560. 
xepac   400,  402. 
xlpaoo*;,    xepdota,    xepaaoc 

399—403,  409. 
Kepaaooc  400. 
xepaxia,    xep«Tta,   xepateia, 

xepcuvia,  cerates 450— 453. 
Kerbel  494. 
Kep8a>  334. 
xepxi'c,  xpsxetv,  xpoxv),  xpoxa 

561,   562. 
|  xepxoc  331. 

kermusze  lit.  195. 
I  terp  alb.  186,  588. 
|  k'erii  alb.  403. 
kertus  lit.  463. 
i  Kessel  494. 
k'etsi  bujnuzu  tiirk.  453. 


keutaris  altpr.   601. 
lit.   608. 
osset.  331. 
Kicher  212,  215. 
xt§aXov   196. 
kiddik,  kidk,  koddik  nordd. 

210. 

Kiezen  610. 
k'ift  alb.   602. 
xixc,  xtxt  209. 
Kikonen  48. 

kindtir,  kendir,  kandyr  turko- 
tat.   190. 

kjonne  den  danisch  607. 
Kirgisen  18,  21. 
xtpxoc  603. 
Kirnis  lit.  402. 
kirno  altpr.,  kirna  lit.  402. 
Kirsche ; kirsa  ahd.  401 , 403. 
Kirschlorbeer  511. 
kischuim,  kissuim   (qis§uim) 

hebr.  311,  319. 
kiti  agypt.   584. 
Kitim  hebr.  288. 
kitonet,  ketontt  hebr.  164. 
xtTpdY'fuXov  315. 
xttptov,  xitps'ai   441. 
Kitze;  chitte  mittelengl.,  ket- 

lingr  altn.  467. 
klak  altsl.  u.  serb.   141. 
k len  russ.,   klon  poln.,   klen 

czech.  597. 

klepas  lit.,  klaips  lett.  555. 
Ultl  altsl. ,  kUtis  lit.  140. 
klewas  lit.   597. 
xXtpavov,  xpi^avov,  xp'.pdvf), 

xpi^avcutoc  555. 
Klieben,  Klauben  202. 
xXtvotpo^ov  597 
xXco^co  561. 
xXo>Cstv   600. 
xXoTOTTOoXoc  40. 
kmin  poln.,  tmin  russ.  206. 
Knaster  306. 
XVYJXOC  xvif]x&c  265,  266. 
Knoblauch ;  chlopolouh,  chlo- 

volouhj    chlobolouh    ahd. 

202,   205. 


638 


"Wortregister. 


kobyla  slav.  53. 

6c,    xo^oSsto,  xoyo  539. 
247. 
v  245. 
Jcofi  altn.,   co/a  ags.,  Kobe, 

Kofen,  Koben  530. 
xoYX^l  614. 
kogut,  kohut  slav.  330. 
Kohl;    cAdZ  ahd.  494,  516. 
Kohlrabi  516. 
xoitapiat.  ocvSove?  176. 
xoxxojJiYjXa,  jAYjX 

426 
xoxxcov,    xoxxaXoc, 

298,  380. 

xoxxopetaYjd  ngriech.  423. 
xoxxu^oai;,  xoxxoCco  599. 
xoxxt>Yea  420,  421. 
xoxx6|j.Y]Xov  377,  378,  380. 
xoxxo£  426. 
kokomare  alb.   320. 
kokor&Si  ho\s1  k.  i  trasz  alb. 

423,  424. 
•kokdS  alb.  599. 
XOXOTOC     ngriech. ,     kokotu, 
kokosa,  kokosi  slav.   599. 
koliba,  kolibu  altsl.  141. 
KoXocpuwa  rciooa  420. 
KoXoxaaia  'A&fjva  312. 
xoXoxojjia  320. 
xoXoxovfta,   xoXoxuvTY)  312, 

313,   320. 
xoXoxoO-fjd ,      xoXoxuO-i 

ngriech.  321. 

oXofx^a,   xoXojx- 
344. 
oi;  312. 
xojxapoc,   xdjjiopoc,  xdjiapo^ 

405,  409. 
komld  magy.  480. 
x6jj,(xi  209. 
kdmorii       altruss.,       komon 

czech.   53. 
kont  slav.  53. 
konoplja  altsl.   190. 
xuivo?  297,  298. 
xov6C^   145,  475,   569. 
Kopf  575. 


Korallenbaum  513. 
koreshi,  kureahi    kurd.  616. 
xopsooat  559. 
Koriander  494. 
xoptavvov  207. 
Korinthen  81. 
Kork  575. 
kork    Pamird.,    cirk    afgh., 

kurk,  kerge  kurd.  335. 
xop^xa,  xoupjju  147,   148. 
korombWt  alb.  380, 
v.opofXfjXYjd  ngriech.   380. 
koros  kurd.  335. 
xopDfx^o^  344. 
xopDcp-fj  315. 
Kcupuxo?   261. 
kostt  slav.  317,  320. 
xotcvoc,    cotintts    109,    409, 

581. 

apfp.    ngriech.  298, 

303. 


xot5jj.apa  ngriech.  409. 
xoovsXi,     xoovdoi    ngriech., 

kunavje  alb.   607. 
xoojta  ngriech.  320. 
xoop|j.aSf]a  ngriech.  281. 
kraguj   altsl.,    kargo    bulg., 

kragulj     nslov  ,     kraguj 

russ.  374. 

Krahe,  Krahen  335. 
kraka  altn.  331. 
kralikas  lit.,  korolek,  krolik 

russ.,  krolik  poln.   607. 
xpdjjL^Y],  crambe  560. 
xpdvsia,  xpavnov  399,  400, 

402,  409. 
Kranich  375,  601. 
krastavi,     krastavicl     slav. 

318. 
kratsavets  alb.  321. 


krava  altsl.   545. 
xpdCou,  xpcoCco  331,  335. 
kretet  slav.   603. 
KpYjt'.xa  xdarava  396. 
kridusze  lit.,  crausios  preuss. 
614,  616. 


krichaytos  preuss.  378. 

Krieche;  chriah,  chrichboum 
ahd.,  kriech  mhd.,  krike, 
kreke  mnd. ,  krikon 
schwed.,  krichele,  kricheln, 
krekf.nbaum  nhd.  378, 
380. 

xptjxvoi;  555. 

xptjAvov  557. 

xptvov,  xptvoc  249,  259,  592, 
593 

xpwc   218. 

xptO-Y|   59,   560. 

y.oi'O'ivor;  olvoi;   145. 

tfrk'um      armcn.,      karkum 
npers.  266. 

XpOXOTTSTlXo?    261. 

xpoxoc,     crocus     260,     261, 

266. 

xpoxcoto':  260. 
KpojjLUouv,  KpejJiooav,  xpojXDOv 

194,   201,    204. 
kropiva  slav.  186,  587,  588. 
krosna  slav.  561,   562. 
xpo>Cstv  331. 
Krug  494. 
krsna  scrt.  348. 
krulu  altsl.,  krot  russ.  463. 
krysa  russ.  463. 
alb.  602. 
7t6ap.oc,,  iruavoc  219, 

559. 

Kuban  317. 
Kubel  575. 
Kuchlein  599. 
xu8u>vYja  Y]   a^P'-01   ngriech. 

424. 
KoScoviov  jXY]Xov,  KuScuvia: 

|j.Y]Xi§£<;   245,   247. 
440. 

t    246. 

;u)   219,  320. 
Kufe   494. 
xucpt   209. 

kukko,  kuk  finn.,  estn.  330. 
kukkuta  (kukkuti)  scrt.  599. 
kukumatst?  alb.  409. 
kukunare  alb.  303. 


Wort  register. 


639 


tViCa  315,  320. 
Kukuruz  502. 
•kulumbri  alb.  380. 
Jcumbuh  alb.  380. 
kume,  kumelys  lit.   53. 
xojuvov  203,   205. 
Kumme,    Kumpen,   Kumpf 

494. 
Kiimmel;  chumil  ahd.,  cumi- 

num   206,   208,  494. 
kuna,  kunica  altsl.  608. 
Kiiniglein;  kiinolt  mhd.  607. 
kunku\  kungul  alb.  321. 
kunkuma  scrt.  266. 
Kunkel  561,  562. 
xoicdpioooc,  'A^-Yjva  Koica- 

piooia  284,  285,   288. 
Kuppel  575. 
Korcpo^  288. 
xop£i-  315. 
Kiirbiss  318. 
kurek     wotj.,     kurok    syrj. 

335. 

kurluk  tat.   507. 
kurrat  avab.,  fjourath  armen. 

204. 

kurtinys  lit.   601. 
kuru,  kura  slav.  330. 
y.OTivo?  591. 
XDUOOC,  cytisus  405,  407  bis 

410. 

Kotajpoc,  KuTcopov  591. 
•kvrghti  kurd.  374. 
kwietys,  kwietz/iat    lit.  549. 
kyklingr  altn.  599. 

L.. 

lacerna,  lacinia   186. 

laxde  altpr.  398. 

Xdcpvv]   590. 

lagella    ahd.,    %reZ    mhd., 

lagena  580. 
Z'atftf  alb.  398. 
/azr,   Idrach  ir.   52. 
ZaZa,  /a/e/i  npers.  259,  592. 
/a/) in  frz.  456. 
Larisa,  Larissa  60. 
larix   420. 


/a^a,  lasica  slav.    608. 
laserpitium   191. 
laskati  slav.   608. 
lastocka  slav.   608. 
Latiner  58. 
Lattich,  lactuca  494. 

215,   218. 
lett.   538. 
altn.,    Zeac  ags.,    louh 

ahd.   200,  205. 
Zaun'o?  454,  607. 
laurus   235,   413,   590. 
laurus  insana  226. 
Lavendel  494. 
Lavina,  Lavinium,   Lauren- 
turn  590. 

lavo,  luo  235,   590. 
lazda  lit.  398. 
lazzeruolo  it.   509. 
lebedi    slav.  344. 
606,  607. 
;  219. 
Ugate  alb.  545. 
legorra  tessin.  607. 
legumen  219. 
Lehne  597. 
lein  goth.   588. 
Leine  186. 
Xslo?   187. 
Xeipiov  249,  250,  258,  259, 

592.     • 
Xecpo?  259. 
leithus  goth.,    fid  ahd.,    lid 

ags.   151,   159. 
lekeis,  leikeis  goth.,    lekari 

slav.,  liaig  altir.    17. 
Xev.tpov  326. 
Leleger  56. 

toie,  ^/zerf,  /enrt  ir.   186. 
lenis  212. 
/en.?,  lendis   212. 
/ens,    fenti*   212,  218,  494. 
lenszis  lit.,  f$sta,  leca,  leSta, 

leca   slav.,    /encse   magy. 

212,  218. 
lenta  lit.    186. 
/en^ws  212,  420,  423. 
lentiscus  420,  423. 


Xineiv,  XSTCTOC,  Xereta  6cp«3- 
jxata  186,  586,  606. 

Xeicopi?  606,  607. 

lepus  606. 

Lerche  375,  601. 

teska  altsl.  398. 

Xsuxea,  Xeuxata    164. 

Xeox-yjvoct  387. 

Lewcomca,  Lingonica   176. 

XsoxoTCwXo?  42. 

Leute  538. 

few  576. 

/caw*  lett.  220. 

/i,  7»»a  scrt.   186,   187. 

/i&er   586. 

Liber,  Libera  72. 

libisticum  494. 

libum  555. 

Tjiburnicum  oleum   115. 

Libycae  volucres   360. 

Lidnian'i,  Licinia  oliva  114. 

/t'ciwn  186,   561,  586. 

Liebstockel  494. 

/%e  frz.  576. 

/tef/,  lietas,  lyti,  lytus,  lietus 
lit.  539. 

Lietuwa,   Lieluwis    lit.   539. 

ligo  128,   557. 

Liguses,  Ligyer,  Ligurer  58. 

Liguses  asperi  57. 

Ligusterbaum   513. 

lijaii,  liti  slav.   539. 

XtXJJLOC,    XtXfXYjtYjp     557. 

Xixvov  557. 

lilac    span. ,    it. ,    lilas    frz. 

510. 

lilium   251,   593. 
limes  decumanus   1 1 . 
Limone;    limun  arab.,  limo- 

nata  it.  444. 
lin  ir.,  llin  kymr.,  lin  korn.- 

bret.  186. 
lin  ir.   186. 
Vinar&t  alb.  210. 
Unas  lit.,  linu  slav.   186. 
linboum,  limboum  mhd.  597. 
/t'rcc?  altir.,  /inn,  lionn,  lean, 

l/yn  kelt.   151,   159. 


640 


Wortregister. 


Lind,   Lindschleisser;    linta 

ahd.,  lind&gs.,  altn.  186, 

586,  587. 
lindi  altn.  586. 
line  ags.,  Una  altn.,  Una  ahd. 

186. 

Xtveoc,  Xivaia  186. 
linhaden     altkorn. ,      linad, 

lenad,  linaden  armor.  587. 
Xivov    167,    168,    185,   186, 

588. 

Xtvothopv]£   168. 
Linse;  linsi  ahd.,  linse  mhd. 

212,  218,  485,  494. 
linteae  vestes  172. 
linteata  hgio   172. 
lintei  libri  170,   182. 
linter  186. 

linteum   185,   186,  586. 
linteus  thorax  170. 
linum    170,   185,   186,  588. 
lipa  slav.,  lepa  lit.  186,  586. 
/zVa  548,  557. 
lirio  rom.  593. 
Xtotpov   128. 
XiTat  17. 
Litauen  539. 
Xm,  Xfta  185,  186,  586. 
liudan    goth. ,     ljudu    slav., 

Ivdis  preuss.  538. 
Hugos  lit.   545. 
lividus  380. 
//t'aw  kymr.,  lien  korn.-bret. 

186. 
lobia  kurd.,    loubiaj  armen. 

219. 

Xopoi  219. 

logoro  it.,     leurre    frz.  375. 
(dia)  loit  ir.   186. 
Lokrer  56. 
Aoxpuiv  ouvO'Yjfi.a  56. 

J'op£»  l'°Pa  alb-  545. 

387. 
606. 

lorichi,  lorichin  ahd.  607. 
loschak  slav.  580. 
Xtwtoc  259. 
/ou/<,  /q/f  ahd.   186,  586. 


545. 
/oura  ptg.   607. 
ioza  slav.  93. 
/W&M  altsl.,   stidsl.,    lubenica 

serb.  318,  320. 
lubu  slav.  318. 
/u£an  goth.  200. 
luku  slav.,  /Hfcaz  lit.  200. 
lunkas  lit.,  /#&o  russ.,  poln. 

186,  586. 
luoder  mhd.  375. 
Lupine  410. 
lupinus  478. 
lupti  lit.    186,  586. 
lupulus  mlat.,  lupolo,  luppolo 

it.  476,  478,  480. 
lupus  salictarius    476,  478, 

480. 
/us  altir.,  llysiau  kymr.,  les 

korn.  200. 
Aooioc;  73. 
lutertranc  lit.  82. 
/M«a  altsl.  545. 
Luzerne,    Luserne,    schwe- 

dische    Luzerne  ;     luzerne 

frz.,    lamer  do  prov.  407. 
Luzerna,   Luserne,    Lucern 

407. 
Lykier  11. 


a,  macek  slav.   609. 
mac/  ahd.   63. 
Madeira  595. 
madhu  scrt.   91. 
^aSpoa  377,  378,  380. 
Magnolie  513. 
mai  pers.,  mei  kurd.  91. 
majan  ahd.   63. 


jj-ootr/jpia  405. 
Maira  67. 
Makedonen  56, 
|j.dxsXXa  128. 
mdkian  npers  ,    makian  Pa- 

mird.  600. 

maf  alb.,  mal  rum.  545. 
ir.,  lett.  545. 


malan    goth.,     meljq    slav.r 

mdlti  lit.,  wze/  alb.,  molere 

63,   548,   556,   559. 
malina   378. 
wallas  finn.    159. 
raa/nos  lit.   59,   558,   559. 
jAaXocpo'poc   125. 
fAaXov,    jJ.7]Xov,   malum    204, 

240,  314,   614,   615. 
maluensis  Dacia  543. 
Malz    151,   159. 
Mamaliga  502. 
jj.ajj.aiic  73. 

mami,  mamir  kurd.  335. 
mamuli  kank.  335. 
w?a»,  mand  alb.  386. 
manaseths  goth.   539. 
mandere  395. 
mando  bask.    53. 
mandorla  it.  391. 
mannus   53,  581. 
fxavcsia,  mantia  dak.  386. 
mantelia,     mantela,    mantele 

173. 

marasca  it.,  merise  frz,  604. 
marascino  rosolio    400. 
marcisia  149. 
mardar    ahd.,    meard  ags.r 

mdrdhr  altn.   608. 
mare^e,  marefe   alb.   409. 
margh  osset.  328. 
fxapYOt   36. 
mdrjdra  scrt.   609. 
marille  ostr.-bair.  428. 
marka  gall.,  ???arc  ir.,  maraha, 

meriha  ahd.   52,   149. 
Markte  140. 
Marmelade  246. 
marmotte    d'Allemagne     frz. 

469. 

Maron,  Maroneia  567,  568. 
marrone  it.,  marron  frz.  603.. 
wzartz  lit.   608. 
Maschel,  masculus  189. 
wzas/o,    maslica    slav.     158, 

578. 

massa  555. 
Massageten  11,  12,  34. 


Wortregister. 


641 


Massiker  82. 
jjLC/.-3Ta^,  |Aa3ta£u>  420. 
jj.(/.3ti|,  fxaatcc  423. 
fxaoTtyY)  420,  423. 
fxaott^o^cupa  ngriech.    423. 
mstekki     Kurd.,     jxaanxi 

ngriech.,  mastih  alb.  423. 
Mauer  140. 
Maulthier  205. 
jAtt£a  555. 
mazare  rum.  220. 
mec"ka  slav.   544. 
wiecAu  slav.   544. 
Meder,  Medien  31,  32. 
medgy,  medgyfa  magy.  604. 
jAYjStxY]  uoa,  medica  406  f. 
jj.Yj8iv.6v  jJiaXov  441. 
jj.Yj5tv.6r  opvi?,    MY^OC  325, 

353. 
jjiBo?:;  medu,  medari,  medv*i- 

nica  slav.   153. 
mediis,  midus  lit.    153. 
Meerrettig  494. 
Meyap^v  odxpoa    195 
Meile  494. 
melagrano  it.   242. 
melanthium,  melaspermonWl , 
melarancio  it.   445. 
Melas,    Melantheus,  Melan- 

thios  67. 
peXeaYpfc    328,    359,    360, 

361. 

Melek  Taus  358. 
melga,  melica  it.   503. 
JxeXt   160. 

mdia  azedarach  it.  509. 
meliaca,  muliaca  it.  426. 
tuelicae  gallinae   328. 
jxeXifj  524. 
melimela  246. 
jj.eXtvYj   59,   558,  559. 
MEXivcxpafot  558. 
metis,  meles  458,  460,  609. 
Melisse  494. 
MeXttYj  66. 
jxeXmov  153. 
melo ,     melopepones ,     fXYjXo- 

Tienwv  313,  314,  319. 
Viet.  Hehn,  Kulturpflanzen 


melo  it.,  mer  rum.,  wietV  rat., 

meleie  wal.  615. 
jjLTjXofxsXt  246. 
Melone  318. 
weXr  armen.  547. 
membrillo    span. ,      marmelo 

portug.  246. 
Msfxvwv  334. 
menyet,  meny  magy.   608. 
Menzana   545. 
mercatus    140. 
meregha  zend.,  murgh  npers. 

328. 
merenn  ir.,  merwydden  kymr. 

386. 

Mergel,  marga  494. 
/«£.v  alb.  53,  545. 
mesiti,  meSati  slav.  580. 
fxe'oiuXov  402. 
Messapier  53. 
meszka  lit.   544. 
fxetaXXov  62,  567. 
metere,  messis  557. 

[AETOp^lOV     127. 

Meth;  jxs^o   135,  153. 

mi  do  it.  609. 

mid  altir.,  merfaltkambr.153. 

miel  alb.   63. 

mielga  span.   399. 

Micze  609. 

milica  mlat.   503. 

TOi/ttA  goth.  154,  160. 

mi  Hum  59,  558. 

|JUjj.aixoXov  405,  409. 

Minyer  56. 

mir  serb.,  kroat.  141. 

Mirabelle;  mirabella  it.  378. 

mischka  russ.    609. 

Mispelbaum,  -japanischer 

513. 

Mistel;  mistil  ahd.  604. 
mitkon  arab.   389. 
jxito?  561. 

WJIM,  WZI'M^  agypt.  465. 
m\zgu,    iinsku,    mfitQ    slav. 

136,   580. 
mladina  Czech.,  molodi  russ., 

mladu  altsl.   159. 
7.  Aufl. 


slav.,      piwa-maltan 

preuss.   159. 

moazo  altpr.,  nufoea  lit.  608. 
modru  altsl.  380. 
modith  alb.  220. 
Mohn  312. 
Mohre  516. 
moh  alb.  615. 
mollusca  nux  390. 
fxdiXo   199,  200. 
Mongolen  12,  20. 
mor,    wort,    moreni    armen. 

386. 
mor    hebr. ,    murrdh    aram. 

160. 
jxopa,    jJ-ttipa,    fxopsa,   mora, 

morus,  morum  383 — 386. 
moras  mhd.  82. 
fxopYtov  572. 
pioptai  109. 

Mortel,  mortarium  141. 
Mosch,  Musch   608. 
moschetto  it.  373. 
fxooxoc  63. 
mostarda  it.,    moutarde  frz. 

209. 
mosiico  preuss.    608. 

,  JJLOOUVOI,  Moot'voixot 

562. 
388. 

205. 
armen.,    wtwrd  npers. 

235. 

mrecht,  brecht  altir.   539. 
rurishk  kurd.  322. 
wmc  scrt.   136. 
mucus  604. 
JJLUX^  136>  580. 
Muhle,  Muller  556. 

|JLOUXY]pOC    604. 

136. 
63. 

span.  581. 
mulsum   135. 
///«/(«   134,   136,  580. 
Munze,  menlha   494. 
rwur  poln.   141. 
mur  altir.  140. 
41 


642 


Wortregister. 


Murgentinum  572. 

fxopixf]  235. 

jAOpov,  fxoppa,  ojxi'pva    158, 

160,  235,   590. 
Myrrha  591. 
Mupotvoc,  Mopto«Wov    236. 

JX/'pTOC,       |Al'pTOV,       fXOpatVY], 

jioppiVY],  [AopivY],  Myrene, 

235,  236,  590. 
wiurfws  235. 
muscoiu  rum.   136. 
musculus   467- 
Musin   19. 

mtf&  alb.   136,  580. 
Moaot,  Myser  68,  136. 
muss  friaul.,    musso   venez. 

136. 

jxoooo),  |x6|a  604. 
mustela,  mustella  449,  458, 

608. 

mustum  209. 
musukkan  sum.-akkad.   etc. 

280. 

Mutt,  modius  494. 
JXDTTOI;  136. 
muzzarelli  it.  469. 
,  wyxum  604. 


N. 

Nabataer  29. 

noon's  weps.,  karel.  559. 

Nahen  587. 

vaTO,    vaimov,    napus    208, 

209. 
war  npers.,  enar  kurd.,  nurn 

armen.  244. 
nareng1  npers.,  waran^'arab., 

vepivtCtov  byzant.  445. 
narodu  slav.    538. 
vapoc,  vrjpo?,   vYjptov    411, 

413,  414. 
nati  goth.,    net,  netele  ags. 

587. 

nutra  lett.   587. 
Naukratische  Kranze  221  f. 
nauris  finn.,    nan's,    nairis 

estn.  559. 

slav.   561,  562. 


Nelke  511. 

nenaid  altir.   185,  587. 

veio,  VYJ^-O)  561. 

wen'  it.  97. 

vepovtoXoxoO-Yja  ngriech.  320. 

Nesaion,     Nesaea,     NYJOO?, 

Nisaea,   Nisiaea,   Nioatot, 

Nioo?  33. 
wess  kelt.  608. 
vvjooa  364. 
neveslulca  slav.  608. 
Nt'yooCa  398. 

mH  slav.  561. 

noatis  preass.  587. 

noc  armen.,    no/,   nal,   wo5 

npers.  289. 
noci  it.  391. 
notere  lit.   587. 
nuceres,  nucerum  604. 
nucleus   136. 
vojjuptTa  ngriech.  607. 
Numidicae  aves  360. 
Numidicae  guttatae  360. 
Nuragen  140. 
nux  castanea,  graeca,  nuces 

calvae,   Thasia  387  ff. 
nytis  lit.   561. 

O. 

oazil  bret.   572. 

Mulcts,  obulys  lit.  614,  615. 

obssarus  lit.  610. 

occare;  ocet  altkorn., 

63,   557. 
ocec?  ags.,  ocltu  altsl.,    oce< 
rum.,  ocat  serb.  79. 
Z  303. 
215. 

frz.  511. 
Oenotrer  572. 
ocpvic  63. 

545»  614,  615. 

^<;reA;poln.  316. 
Ohm,  Ahm  575. 
oignon  frz.  202. 
olxETi?  338. 
oivdt?  338. 
olvac,  oivapov  570. 


Oineus  66. 

OivwvY]  ,     OtvoYj  ,     Olvtcx^at, 

Otvouaaou,  Olvecuv  66. 
Otvcuitei;  68. 
olvcuTCY]  592. 
o'voc,  otvYj,  ^olvoc   70,  71, 

91  —  94 
Oivoutpia,  Olvcotpot, 

73. 

Oinotropoi  337. 
otooc,    olao?,    oiaov, 

olautvoc  572. 


36,   602, 

61  altn.   151,   159. 
oleandro,   leandro  it.  413. 
oleastella   114. 
o/ewm    112,   150,   159,   578. 
oleum  Liburnicum   115. 
o/tva  112,  235,  578. 
oliva  russ.   578. 
oliva  felix,  vivax   109,  110. 
oliva     Liciniana,      Licinia^. 

SaUentina,  Sergio,  114. 
oXjAO?  557. 
O^M,  olovina  altsl.,   o/  neusL 

olovin  rum.   152,   159 
oXovftoc,  oXovO-o?  101. 
oXopa  553,   557,  558. 
olut  finn.   159. 
owe/a  slav.   604. 
omena  finn.,  umars  liv.  614. 
o)}x6Xtvov   164. 
onager  21. 

ovoc  135,   136,   579,   580. 
onus  136. 

onychinum  377,  378. 
opulus  572. 

Opuntiencactns  2,  513. 
rfr  altir.   562. 
or  frz.  446. 
orange  frz.   445,^446. 
orarium   173. 
orchis   112. 

cpotuiv  op)(aTOi    127. 

558. 

altsl.   398. 
Orestheus   66. 


Wortregister. 


643 


133,  134. 
Orgel,  organum  580. 


tv8a,  opiv- 
v  496,  497. 

73. 

^oc,    opo^ax)(Y]  591. 
opopo?  213,  218. 
Opoxapoov  388. 
oraz  serb.  335. 
Oppo'c,  fcpo?   155,   160. 
<irt    armen.  91. 
orthampelos   73. 
opoCa,  opoCov  496,  552. 
osier  frz.   572. 
osTto  Slav.  579. 
Osmanen    13. 
vspn,  osbn  armen.  219. 
osrcpta  219. 
ootlov   317,  320. 
ost-hleifr  altn.  555. 
^otpaxfc  298. 
oslrovu  slav.   546. 
oftovf],    60-ovta     164,    166, 

584,   585. 
ovalio   113. 

altsl.   553. 

S  so. 

597. 
oxygala   157. 
80. 
378. 

v  374,  602. 
Ozolae  194. 
oz'ys  lit.   581. 

P. 

rca)(D<;  155. 

payyim  phonic,  paggd  syr., 


paksha  scrt.   186. 

palar$  alb.    348. 

paled  557. 

^o/i   73. 

pallacaj  pallacana   197. 

pallidus  342. 

Palm,  Palmenberg  236. 


272,  274,  275,   280, 

281,  353,   357,   594. 
palmare,  tunica  palmata  272. 
Palmaria,  Palmarola  272. 
palmes  272. 

paVmowoje  derewo  russ.  236. 
palmula   275^ 

Palmyra,  Palmira  274,  280. 
palumbuSj  palumbes,  palumba 

342,  344,  348,  380. 
Palumbus  602. 
pamplemousse  frz.  445. 
panciera  it ,  Panzer,  pantex 

566. 
pane    c?z   zucchero    it.,    /?azn 

de  swc/"e  frz.  555. 
panicum  557 — 559. 
panis,  pane  557,   559. 
Pannonier  56. 
TravoTcXia  169. 
panteffdna    venet. ,    ponliane 

friaul.  468. 
popdrtis  lit.,    paproc  poln., 

paporot  russ.  600. 
Paphlagonier  133. 
Pappel,  lombardische  513. 
icaieicta  ngriech.  368. 

420. 

finn.   559. 
c  309. 
thrak.  546. 

46. 

145,  569. 
paras  hebr.   53. 
paradhdta     zend.,     ptehddd 
npers.,  ptshddt  pehl.  605. 
parena,    perena  zend.,    par 

npers.,  ptr  kurd.  600. 
Tiaptdc  73. 
parus  russ.   179. 
pusci  559. 

pascha  rosata,  rosarum,  pas- 
qua  rosa,  rvgiada  it.   255. 
TCaaaaXo?  73. 
pasteyue  frz.  316. 
pa*e  alb.,  p«^a  bulg.  368. 
pater    573. 
Patmos,  Palmosa  594. 


pato,  pata  span.  368. 

paupulare  357. 

/?rtUMS,  pauo  274,  353,  357. 

Pavus,  Pavo  354. 

pecora  it.  462. 

peche  frz.  426. 


571. 


pedamenlum,  pedum 


yp^ov  200. 
iteixeiv  527. 
peikabagms  goth.  214,  281. 


526,  588. 

Tie'xo?,  TCSOXO?  588,  589. 
rcexTcfv,  pectere,  pecten  527, 

588. 

rcs'Xa,  cpeXa   542. 
Pelasger  56,  542. 
pel's  alb.  52. 

pele  lit.,  peZes  preuss.   608. 
eXEidtBsc  235,  338, 

342,  348,   601. 


542. 

pelister  alb.   601. 
peZ/es  434. 
UcXo?,  TtsXios,  iceXXo?, 

342,  348. 
pslum  alb.  348. 
Pelzen  433. 
penelopae  359. 

penka  russ.,    pienka    poln., 

penek,  penka  Czech.  589. 
pepano,  be'bano  ahd.,   beben, 

pfeben  mhd.  320. 
TceTTtov,  pepo;  usjtovi,  rcercovia 

ngriech.  313,   316,   319, 

320. 

perethu  zend.  293. 
TCepiaiepd,    weptotspo?    338, 

343,  600. 

Ttsptotepal  Xeoxai  343. 
itspiorepscov,      neptatepotpo- 

cpelov  345. 
rcepxvoc  528. 

pero,  praft,  pariti  slav.   600. 
persica;  pesca  it.   426. 
41* 


644 


Wortregister. 


persicum  malum  426. 

Ilepotxa  xdpoa  388. 

peru  ags.,  lira  ahd.  616. 

pescanoci  it.  426. 

peska  lit.   215. 

pelt  agypt.   187. 

pesuku    altsl.,    pesok    russ., 

piasek  poln.  215. 
^*a£f  lit.  527. 
rcetdXa  64. 
peter e  602. 
Peter silie  494. 
Petitpas  356. 
petlu   altsl.,    pijetao    serb., 

petelin  Croat.    599. 
TCetpirr)<;  byzant.  374. 
petuch  russ.   581. 
pethemo,  pfedamo  ahd.,  p/e- 

c?e/n  mhd.  320. 
Peucetiner,  Picentiner   572. 
TteoxT]  235,  296,  297,  302. 
pfaewtn,  pfawm  huot  mhd. 

356. 

Pfebe  318. 
Pfefferbaum  513. 
Pfeiler,  pilariwn  141. 
pfenich  mhd.,  penile  altniedd. 

559. 

Pferd  494. 
Pfirsich  426. 

Pflug;  pUgr  altn.   556,  557. 
pforro  ahd.,  porr  ags.,  pof 

alb.   205. 

Pforte,  porta   141. 
Pfosten,  postis  141. 
Pfropfen,  Pfropfreis,  propago 

433. 

Pfund  494. 
phaselus,  faseolus,  phasiolus 

219. 

phe'Set  hebr.,  cpotot  pun.  187. 
phisel,  phiesel  mhd.,  pisalis, 

pisale  141. 
Phonicier  61,  70. 
phriima,  pflumo  ahd.,  plume 

ags.  381. 
Phryger  11. 
Phytios  66. 


piccione  rom.  601. 

Picea  sativa  299. 

Picti,  Pictones,  Pictavi    17, 

539- 

pfeper  alb.  320. 
pjeite  alb.   428. 
pietlu  slav.  330. 
pigs  nose  engl.   555. 
piffva  russ.    102,  246,  247. 
Tttxeptov  155. 
7tjxpo8d<pvf]  ngriech.  413. 
pila,  pilum  557. 
piYt'A  ahd.,  bitch  mhd.    608. 
TtlXoc,  pilleus,  pi/eus   15. 
j»ma  scrt.  302. 
pinguis   155. 
pinj-dand  Pamird.   560. 
rctvco,  potus^potare  152,  159, 

573. 

rctvov  Tclvo?   151,   152. 
pinsere,  pisere,  pisum    214, 

215,  218,  549,  557. 
pinus  302. 
/?zd  oberit.  557. 
I  pioche  frz.   128. 
pipar  ahd.   15. 
pw-e,  pi  alb.    152. 
pirw  slav.    152^ 
pirus,  pirum  386,  614,  616 
pis  ags.   190. 
jD*'£,  puS  syrj.,  wotj.   190. 
piscis  573. 
pwA  scrt.  553. 
piSeno  altsl.   553.  i 
pzso  alb.    609. 

,  ittoo?,  retoov  214,  218. 

«,  piston  npers.  423. 
Tuotcmov, 


xia    ngriech.  ,    psittacium 

423,   605. 
pistiku  altsl.  423. 
p^  Pamird.  302. 
pitadrV)  pi.ta-da.ru,  pitu-ddru 

scrt.  302. 
iriTDt?  298. 
pituita  302. 
557. 


296,    297,  302,   595. 
Pityusen  595. 
pivo,  piti  slav.,  piwis  altpr. 

151,   152,  159,  480. 
piwamaltan  altpr.   159. 
pk,  pg  hieroglyph.  187. 
TcXaxooc,  placenta  555. 
Platane  (amerikanische)  29  5r 

513. 
TiXdctavoc,  TCXatdviaTO?,  pla- 

tanus  293,   296. 
ptaiino  slav.    186. 
itXatos   293,   296. 
pldvkas  lit.   186,  588. 
plaumorati     (ploum     Rueti) 

556. 

plauszas  lit.   186,   588. 
TrXIxu),  plecto  562. 
Plent,  polenta  507. 
;>ZevZi  altsl.   562. 
Plethron  558. 

TCXYj£lTt7lOC    40. 

pljak  (pl'ak)  alb.  542. 

icXtv^o?   141,   218. 

plinuta    altsl.,    plita    russ., 

plyta  poln.,  plyta  lit.  141. 
ploskon  poln.   589. 
pl'uar,  pl'ug  alb.   557. 
p/wcM  slav.   159,  608. 
plvgu  slav.,  plug  arum.  556. 
p/flrti  slav.   15. 
poalis  preuss.  601. 
pochmiel  poln.   479. 
TtoScoxssc  36. 
poduSwa  slav.   14. 
Poenus  594. 
poganka     poln.,      pohanka^ 

pohanina  czech.,  pohdnka 

magy.  506. 
TCOXO?  526. 
Polei,  pulegium  494. 
polenta  553. 
TtoXt?  17,  538. 
pollen  553,  557. 
itoXto?  553,  555. 
7to>Xo<;  52. 

pomata  it.,    Pommade   158. 
Pomeranze  445. 


Wortregister. 


645 


Porno  di  Paradiso,  (fAdamo 

445. 

Pompelmuse  445. 
pomum   194,  203,  614. 
TTovtixov    xdpoov,    Ponticae 

nuces  388. 
populus  17. 
populus   538. 
jiorca    557. 
Tropo?  546. 
porrum   196,   205. 
TtopTt?   64. 
portogallo    it. ,     rcopTOyaXed 

ngriech.,    protokale    alb., 

portoghal  kurd.  446,  447. 
porumb€  rum.   380. 
posca  80,  573. 
poskorii  slav.  589. 
poforeit.,  podar  span.,  possen 

frank.  ,potenniedd.,  nieder- 

land.  435. 

uoupveXfjd  ngriech.  380. 
povololca  russ.   587. 
pra$na  scrt.  562. 
praecoqua,praecocia,Kpa.iY.b- 

xta   425,  426. 
Ttpajjivtoi;  otvoc  569. 
IJpaaiai  196. 
Ttpdoov,    Tipaatd     196,    204, 

205. 

prosit,  prazu  slav.   196. 
pr$deno ,    prqdivo ,    prgslica, 

prqsti  slav.  561. 
Preussen  44. 
pri  scrt.  600. 
TrptaSvjXa  dak.  476. 
TCpcot  425. 
-pOjJievEtov  592. 
rrpoaxecpdXoua  176. 
proso  slav.,  prossan  preuss. 

559,   560. 

;rpoo}xvov  377,  381. 
prunus  376,  377,  381. 
prugnolait.,  prunellefrz.  378. 
Pruzzi  44. 

^ivofxai  572. 
]  605. 
595,  596. 


169. 
557. 

TCTDOV    557. 

TCTOOOto,  7tTOX£«;,  TTtUXTO?  235, 

591. 

puccha  scrt.   609. 
lit.  609. 

235. 
pullus  342. 
pM/s  553,  555. 
Punicum    malum     (cpotvtxouv 

fxaXov)  240,  241,  244. 
pupa  lit.   220,  559. 
rcup  551. 
purae  lit.    550. 
298. 

550,   551,  557 
puSek    npers.,   piclk   kurd., 

p^oafgh.,jt>i*Pamird.  609. 
puSika,  puSka,  putskari  slav., 

puska  magy.  231. 
puszis  lit.  302. 
puteus  140. 
TCU^O?,    TCD^tvo?    225,     228, 

235,   236,   591. 
7to£ivoi  atpaxrot  236. 
Iluloo?  230. 
puzza     ahd. ,     fewtee    mhd., 

Pfutze  140. 
pyro  altsl.,  pyrei  russ.,  pyr 

czech.,  pure  preuss.  550. 


qanu  bab.-assyr.  190,   307. 
qaton  hebr.   100 
quairnus  goth.   555,  556. 

R. 

raft,  ro6,   rabota   slav.    556. 
ra66z<  engl.  607. 
radius  561. 

'a  494. 

258. 

radastai  lit.  258. 
raaVo  slav.  548. 
ragas,  ragutis,   ragdtine  lit. 

401. 
rajata  scrt.  563. 


rallum  557. 

Barasel,  Rams;  ramsen,  ram- 
son  engl.  195. 
Ranunkel  511. 
ropor,  rapum  559,  560. 
rapidus   468. 
pditD?,     pacpavo?,     pecpavo?, 

pacpavic,  ^acpdvvj  559, 560. 
Raps,  caulus  rapt  516. 
rastrum  557. 
rai  frz.,  ra«o  it.  468. 
rdtas  lit.   218. 
ralis  gall.,  ro*#,  raifA  altir., 

reden     altkorn. ,      rhedyn 

kambr.  600. 
Ratte,  Ratz;  rato,  ratta  ahd. 

468. 

ratha  scrt.   218. 
raz  bret. ,  rata  mir. ,  raddn 

nir.  468 

Rebe;repa,re6«ahd.90,  570. 
re/r  altn.,  rdf  schwed.,  rdv 

dan.  362 

Reine-Claude  378. 
Reinhart;    renard  frz.    334. 
renso  it.   175. 
^80>  243,  424. 
repa  slav.  560. 
reps  alb.  560. 
reptna,  »*€p(/  slav.  597. 
pfjps,  pfjpt  kopt.  259. 
Rettich,  radix  494. 
revitovo  zrino  slav.   214. 
rAeda  490. 
rhododuphne,     rhododendron 

410,  604. 
r//u*,  rhois  424. 
rhygen,  rhyg  kambr.  552. 
ridicae  73. 
riguet  frz.  552. 
£i>£oci  591. 
rimmon  hebr.,  rumwdn  arab.r 

rumdn  amh.  243,  591. 
Rimmon  237. 
£tC«  258. 
Robinia  513. 
rocco  ahd.,  ru^r  altn.,  ryg& 

ags.   552. 


646 


Wortregister. 


£o8dxtva,    poSav.ivtd,   poSa- 

xivsa  ngriech.  425. 
ToSeia  ToSoirrj  248. 
rocfr'tf  slav.  538. 

410. 


243, 

250,  258,  426,  592,  593. 
rq/a  altn.   559. 
£otd,  £od  237,  238. 
potSia,  £o'i8Y]d  ngriech.  244. 
roma,   romeira  portug.,    ro- 

mano  it.,  romaine  frz.  241, 

242. 

rope  lit.  559. 
ros,  roris  424. 
rosa  251,  258,  592,  593 
roiaria,  rosalia  255. 
Rossj  (Flass)  24. 
420,  424. 

424. 
rosz  magy.  552. 
rota  218. 

ro<;  rotes  apholes  ahd.  243. 
roz  rass.,  rez  Czech.  552. 
Rube  59,  516,  560. 
Riibsen,  rapicium  516. 
£68ta  243. 

p68-/)v,  puoo'v  243,  244. 
ruffis  preuss.,  rugys,  rugial 

lit.  552. 
ruma,  ficus  Ruminalis,  Ru- 

minus,  Rumina  577. 
rumpi  573. 
runcare  557. 

Runkel,  Runkelrube  560. 
runo  slav.  527. 
rtdP  alb.  91. 
rusalija     slav.  ,     pooodXia 

byzant.   255,  256. 
Rassalken  255f. 
ruvali  slav.  527. 


Saale  528. 
sab  Naba-Spr.  609. 
«a6o/a,  sabajum   146. 
Sabellische  S  tarn  me  58. 


Sabos ,    Sabazios , 

568. 

Sabus  571. 
sacer  376. 
sacer  mlat.,  sagro  it.,  sacre 

frz.,  span.,  *acfcers  mhd. 

376. 
Saflor;  safflow,  zaffer  engl. 

265. 

sag  armen.  368. 
saggina  it.  503. 
sagro  it.  373. 
saffurn,  sagulum  178,  179. 
sahasra  scrt.  539. 

arab. -pers.,   ^atn  Pa- 

mird.,  ^zn  kurd.  374. 

565. 
oaivoupog  609. 
Saken  11,  34. 
oexxxoc  62. 
saksan     tammi    finn.,    iuwo 

mordv.  525. 
sa/  528. 
Salassi  528. 
Salbe  158. 
Sallentina  114. 
saZ<  goth.,    sa^r  altn.  528. 
samo  ahd.,  sewig  altsl.,  semen 

preuss.,    semu  lit.,  semen 

63. 

samolus  604. 
san,   sanna  asset.    91,  190, 

546. 
oavarcat,    aavocTmv    thrak.- 

skyth.  546. 
Sancus  571. 
sanguis  158. 
«a/?pe  frz.   128. 
saqr  arab.  376,  603. 
sdra  scrt.   160. 
Saracenen  29. 
saraceno  grano,  ble~  sarrazin 

rom.  505. 

laparcdpat  543,  546. 
saras  mordv.  600. 
SdpSet<;  547. 

SapStaval  pdXavoc  387,  396. 
584. 


EapSovotov  Xtvov  165. 
odpt?  awapov  209. 
sarimsak  turko-tat.  205. 
sarirej  sarrire  557. 
Sarmaten  17,  44,  45. 
saroy  [?]  armen.  289. 
sarpere,  sarmentum  557. 
sarpis  scrt.   156,   158. 
*«rynpers.,  sarw  pehl.,  selbi, 

selvi  kurd.  289. 
Sarvistan,  Selvistan  289. 
sarytii    russ.,    sareta   nord- 

turk.  374. 
sassajuolo  it.  345. 
*at  alb.  554. 
Satren  67. 
Saiir  goth.  205. 
scalogno  it.   193. 
Scantiana  vitis,  Scantia  silva 

572. 

scero  ahd.  463. 
scraf  ags.   529. 
scranna  ahd.   529. 
screona  mlat.  529. 
Schalotte  193. 
Scheffel,    scaphum,  scapilus 

494. 
schikmim,     schikmot     hebr. 

382. 

oxlvo?   106,  420,  423. 
Schlehe;    sleha   ahd.,   s/eAe 

mhd.  378,  380. 
Schmeer;    smero   ahd.  158, 

160. 

Schmerl  375. 

Schmieden,Geschmeide  525 
Schmutz  158. 
o^olvoc  558. 
Schonthierlein,    Schonding- 

lein  607. 

Schweinsnase  555. 
seb  npers.,   siw   kurd.    244, 

592. 

sebocc  altir.  369,  370,  374. 
seca/«,   sicale;    secdre   rum. 

551,  554. 
secare  554. 
Segs  alb.  244. 


Wortregister. 


647 


Segel;  segel  ags.,  seyl  altn. 

179,  188. 
segolo,  segala  it.,  seigle  frz. 

551. 

segusius  canis  369. 
seA  ahd.  554. 
sei'6  altir.  559. 
Seidel;  situla  494,  575. 
o-fjxaXi,  otxXt  ngriech.  551, 

554. 
£ekere,  i§kere  npers.,    Sakra 

pehl.   603. 
osxooa  100,  319. 
seldi  slav.  528. 
selku,  §elkovica   altsl.  386. 
.veto*  lett.  562. 
se/vz'alb.,  se/w'  ttirk.,  selvija 

bulg.,oeX(:i[vi  ngriech.  289. 
sem,  sim  npers.  583. 
Semben  44. 
Semele,  Se|A£Xfj  568. 
oejuSaXi?  557. 
Semiten  56. 

341. 
phryg.,    semu    altsl. 

547. 

stol,  sdol,  sedl  altir.  179. 
serere  548. 
sent  altsl.   528. 
serum   160. 
seschen  agypt.  259. 
tti  hebr.,  s$,  stn  6Y  agypt.  187. 
oeoeXts  209. 
sess  ir.  200. 
sell  lit.  559. 
oeoiXov  494. 
sex  158,  200. 
o-fdxa  ngriech.  414. 
ocpdXXstv  577. 
577. 

577. 

shidchi  agypt.  244. 
otpfoq  244,   592. 
sicera,  otxepa  614. 
jSicyon     olifera ,      Sicyonias 

baccas   110. 
•Sichel,  seca/e  494. 
fltfrq  237,   238,  244. 


,      StSouoaa, 
238. 

Siegwurz  195,   202. 
Sigynnen  35,  54. 
atxo?,  otxua,    oixoo?,  osxoa, 

oexoslOO,  312,  316,318, 

319,  577. 

sild  altn.,  silU  lit.   528. 
otXt  209. 
silicernium  559. 
si%o  557. 

siliyua  graeca^  syriaca  451. 
Silo  slav.   14. 
Silphion  112. 
silubr  goth.  563. 
oifA^Xot  135. 
simila,  similago  553,  557. 


sinapis  ,      sinape      sinapi 

208,  209. 
otv8a>v  187. 

Stvamxa  xdpua  td   388. 
sinteins  goth.  151,  214. 
&/?£/&  serb.   244. 
siramarg  armen.   357. 
siraplis  preuss.   563. 
«V*  armen.   258. 
otaapov  209. 
sisern  armen.  218. 
sisu  assyr.   53. 
oitoc  550,  552,  553,  557. 
siula  ahd.   14. 
siwdk,  siwy  slav.   342. 
sizer,  sezer  nordit.   215. 
sizjak,  sizyi  russ.  342. 
oxajxcuvta  208. 
oxdictstv,  oxarcavY]  128. 
skar^du  altsl.   196. 
oxdpxYj  thrak.  564. 
skatts  goth.,  skotu  slav.  52. 
OXYJVYJ  des  Orestes  222. 
oxiXXa  196. 
Skind  alb.  423. 
oxopoSov,  oxop^ov  196,  204. 
slad  slav.   159. 
*7awa  slav.  216. 
slanutuku  slav.  216,  220. 
Slaven  43. 


slivovica    slav.,     sliv 

neusl.  378,  379,  380. 
§lor  arraen.  380. 
slywa  lit.  380. 
smairthra  goth.   160. 
smakka,  smakkabafftns  goth. 

102,  577. 
smayate  scrt.  479. 
smejq  $$  altsl.  479. 
ajrf]Vf)  135. 
smerlo  it.,   esmirle  proven9-, 

smeriglione  it.  375. 
smiegen  ahd.  479. 

ofxiXo?  477,479, 525. 
ajxiXfj  525. 
lit.   215. 
a|uvu?,  ojxivuf)  128. 
smoky,  smokuvi,  smokva  slav. 

102,  578. 
smoku  altsl.    102. 
swoV,    smdrja  schwed.    158. 
smykati  s$  altsl.  479. 

235. 

alln.,  sneise  mhd.  585. 
soc  frz.    554. 
socc  altir.,  «oc  neuir.,  swch 

kymr.,  socA  korn.,  *owM, 

*o<fA  bret.   554. 
sotivo,    sobevica,  soczewica, 

soczka,  sofovice  slav.  212, 

219. 

sogan  tarko-tat.  205. 
so  ha    altsl.,     socha     czech., 

pososcyna  kleinruss.   554. 
sokolu  slav.,  sakzlas  lit.  376. 
soku  altsl.   220. 
Seller,  solarium   141. 
somaro  it.   579. 
sommaco  it.,   sommdq  arab  , 

ooujx'xxi  byzant.  421. 
sonkur  npers.  374. 
Sonnenblume  317. 
nor  a,   sdros  lit.    559. 
sorgo  it.  503. 
soSanndh   (susan,    susannah) 

hebr.,  SoSaneld  syr.,  sausan, 

susan  arab.,  SuSun  armen., 

susan  pers.  249,  259,  593. 


648 


Wortregister. 


kopt.  259. 
sosonu  altsl.    259. 
oooxXou ,       ooox(X 

280. 

Souoa  259,  592. 
ooooov  592. 
orcdStS,      aita      274,      594, 

595. 

arcaco  595. 
sparawari   ahd. ,    sparaviere 

it.,  fyervier  frz.  375. 
Spargel  494. 
oirdptov  589. 
orcdthr],  spatha  561. 
Speicher,  spicarium  494. 
spelza   ahd.,    speft    niederd. 

555. 

Spindel  61. 
spionia,  spinea  573. 
.s/>or<«  589. 
OTtopt?  589. 
srebro  slav.  563. 
srupu  slav.   557. 
CTa<poX*rj  91. 
**5&tes  lit.   561,  562. 
stanu  slav.  561,  562. 
staros  lit.  610. 
oteXex0?  66. 

orf]jjuov,  stawen  561,  562. 
Sterz  507. 
ottpt   209. 

slav.  549. 

209. 

tenacissimn   164. 
stipula  549. 
sftva  557. 
Stoppel    549. 
Storch  375. 
stramenta   176. 
Strasse,  vt'a  s/rato  140. 
strigare  557. 
atpo^tXo?  298. 
Strom  546. 
otpou&ta  247. 
StpujxcDV  546. 
strutheum  malum  246. 
Stabe;   stufa    stuffa,    stuba 

it.  141. 


stuot  ahd.,  sloe?  ags->   altn., 

stodas  lit,  sfarfo  slav.  24, 

52. 

stupea  messis   171. 
ot'jpa^,  storax  421,  422. 
sthavi  scrt.   562. 
stt&er  576. 
subsericus  187. 
subula  14. 
SMCUS  380. 
sudarium   173. 
st/efes   73. 
suere,  sutor  14. 
ooyxotjpiov  byzant.  374. 

ooxojxopoc,  ouxo- 
a  382  bis  385,  577. 
ngriech.  385, 
,  T6Xv]  577. 
ouxtvo?  &v-f]p  97. 
ooxov,  TUXOV,  aox-rj  100,  101, 

124%  312,  319,  577. 
sum  hebr ,   <wn  arab.,  oooji 

pun.,  5Mwiu  [?]  assyr.  192, 

204. 

summatu  assyr.  348. 
Sundrd  arab.,  Sunndrd  arara. 

609. 

supparus  173,  187. 
surdu,   surda    assyr.,    sum. 

375. 
suri  73. 

surio,  surro  ahd.   202,  205. 
§urman  sumer.-akkad  ,  Swr- 

menu  assyr.,  §urbind  syr. 

288. 

ou?,  sus  577. 

sus  hebr.,    susjd  aram.  53. 
susina  it.  378,  380. 
swatan,    swete    ags. ,    sicats 

schott.   159. 
Svatovit  44. 
sveklu  slav.  494. 
swogunas  lit.   202,  205. 
szaka  lit.  554. 
szannonys ,      szermonys     lit. 

608. 

szczitr  poln.  463 
szeiwa  lit.   561. 


Syringe  510. 
syrit  altsl.   160. 
szalc&ias  lit.  610. 

T. 

',  iaor  fin.-estn.   152. 

40. 

Tadmor  274,  280,  353. 
taeda   440. 
tdt  ngriech.  553. 
taivas    finn.,    taevas    estn.r 

<oyas  liv.   16. 
tahshan  scrt.   524. 
ta/Ja,  io/a   197. 
to/yoa   462. 
idmar,    tamar ,    fower  hebr. 

269,  274,  281. 
Tanais  34. 
Taouc,  tau><;   274,  350,  357^ 

358. 

taphphuah  hebr.  615. 
far  perm.,  lur  wotjak.  364^ 
Tarantas  317. 
Tarpan  52. 
TaptY]03ia  Y«XY]  455. 
tatarka    czech.,    kleinruss., 

tatdrkam&gy,,  tattari&nn.y. 

tatri  estn.   506. 
Taterkorn,    Tatelkorn   506. 
Taube,  taub   601. 
taopoi;,  taurus  64. 
tava'fc   ostjak.,    tavok,    tauq 

turko-tat.    335. 
taxo,   taxus,   tasso,   taxeusy. 

taxonicus  609. 
taxus  524,   525. 
tedzrev  npers.   362. 
tegula  141,  494. 
teiller    frz.,    tiglio    it.    186r 

586. 
TEtx°?  546. 

T£XT(UV    524. 

<c^a  561 

TYjXt?    410. 

temetum  93. 
557. 
kurd.   358. 

434. 


Wortregister. 


649 


tlpjitvO-o?,  Tpejju- 
0-oc,  terebinthus  418,  423, 
424,  605. 

T?psjivov   141. 

Tergeste,  Triest  545. 

tlpjJLa  595. 

termes,  termo,  terminus  595. 

termites   274. 

tero  553. 

terSsre  alb.    553. 

terwe,  tarwe  mittelndd.  560. 

terzeruolo  it.  373. 

tesati  altsL  524. 

Tstapoi,    tatupat   362,   363, 
364. 

opov  315,  316,  321 


Scov,  tetpatov,  tetrao  363. 

tetrevi,  teterevt,  felrja,  teter$ 
altsl.,  teterev,  teterja  russ., 
cietrzew  poln.,  tepefy 
Czech.,  teterwa,  fytaras 
lit.,  tatanois  preuss., 
tettera,  tetteris  lett.  362. 

feJn  finn.,  tedder  estn.  364. 

*X'-<  agypt.   120. 

Teukrer  68. 

texere  561. 

//AWerschwed.,  tuir  dan.  356. 

ft'ftt'a  303. 

tibialia  vel  coxalia  Una  178. 

Tiegel,  iegula   141,  494 

Ti'fYj  557. 

/?'&,  ty«&  magy.,  cfo'&  kurd. 
330. 

Tilaventum  ,  Tagliamento 
577. 

iilia  186,  586. 

TiXXetv,  tiXXeoS-at  527. 

tina  574,  603. 

tinunculus,  tina  603. 

ft'ntw  225. 

tirnpauma  ahd.  ,  dernlein, 
dierlein  403. 

tisii,  tisa,  tis  slav.  525. 

tittiri  scrt.  363. 

<?'«u  assyr.  101. 

tma  russ.   540. 


togei  tamul.  350. 

Tomate  514 

tomenta   176. 

<ona  proven9.,  ion/ie  frz., 
Tonne  494,  574. 

Topferscheibe  560. 

topiarii   230. 

<o^o  it.   462. 

tor  hebr.    601. 

fowrao  portug.  608. 

TO£OV  524,   525. 

Tpa^o?  57,  65. 

traduces   573. 

rpayoc,  Tpa^av  550,  551. 

trama   561. 

trangul  alb.   321. 

transvectio  equilwn   113. 

trapetum,  trapetus  111,  112. 

trementina  it.  423. 

423. 
altsl.  141. 

treSnoti  nslov.,  tresnuti  russ., 
trestati,  trestina  rass., 
treska,  tresku,  tresnqti 
altsl ,  *res&  bulg.,  triska'i, 
treskati  croat.  434. 

tpiavtacpoXXsa  ngriech.  593. 

Triglav  44. 

tr intense  553. 

fripudium  solistimum  327. 

friticum   553,   557. 

triiiszkis  lit.    607. 

troclea   136. 

po/6(  62,  609. 
Troglodyten  529. 
ahd.  90. 
v,  tpuCto  338,   601. 

trugti,  altsl.  545. 

frti&ur,  /ri/A;^'  lit.  434. 

tr^stt  altsl.   598. 

/rz^stt  rass.  607. 

fruszfe  lit.   598. 

Tputavrj,  trulina  598. 

trzemcha,  trzemucha  poln. 
195. 

tschnkir  tttrk.  376. 

tschark,  fargh  npers.,  tsdrgh, 
.  374, 583,603. 


tschindr,  tschandl  pers.  293. 

Tschaka   502. 

tseresznye  magy.  401. 

tSotSobanuze  alb.  453. 

tughan  turk.  374. 

tuir  end  altir.  553. 

tiiirinqm  zend.  160. 

/ti&atf  Slav.   561,  562. 

tukkijim  hebr.  349. 

TOXOV  100,  101,  577. 

rt*to  scrt.  386. 

toXat   176. 

Tulpe,  tuUpano  it.  510. 

Tulpenbaum  513. 

turner e  538. 

tunica  60. 

June  ahd.  529. 

turcium,  turcicum  frumentum 

505. 

Tiirken  12,  18,  50,  509. 
turkey  cock,  turkey -corn  engl. 

612. 

Turkmenen  20. 
top6<;  160. 
turris,  Thnrm    141. 
turtur  601. 
Tusker  73. 
fuz  armen.    101. 
tyky,  tykva  altsl.  100,  318, 

319,  577. 

Tyrus,  Sor,  Sar  577. 
fzeni  armen.   102. 

ngriech.   423. 
byzant.  374. 

til,  ft. 

Thahshem  altndd.  610. 

114. 

alb    403. 
alb.   551. 

40. 
410. 
Thesproten  56. 
thidurr ,  thidr,   thidhr   altn» 

362,  363. 

•8-tefs,  J?£ra  alb.  218. 
tAfudci  goth.   17,    538. 
Thogarma  133. 


650 


Wortregister. 


@paxe?17,43,56,57,67,543. 
ftofAO?  205. 
•8-6a>   197. 

U. 

ubba  estn.  559. 
w&in,  uviri)  awn,  ounestn.  614. 
udis  lit.   561. 
Tf]?,  TEOC,  /7ye  568. 
6cpalvu>  561,  562. 
ug6  lit.  91. 
6to<;,  6ff],  6wv,  otrjv  73,  93, 

568. 

616?,  66?  568. 
vksus  russ.,  ukuosas  lit.  80. 
wZez  slav.  582. 
ulpicum   196. 

umdrs  liv.,  omena  finn.   614. 
Umbrer  58. 
ungere,  unguere   157. 
wmo  202,  205. 
«r»MS  205. 
Svvic  557. 
uochumil,    uochunrilo,     uoqe- 

milo  ahd.  479,  568. 
317. 

108. 
oicepo?  557. 
upupa  478. 
Uranos   16. 
Urartu  547. 
urceus  495. 
wrsws  544. 
urus  467. 
wrvara  scrt.  553. 
*7«7  etr.  562,  563. 
uslo  russ.   562. 

pers.  406,  409. 
73. 

ttf&a  russ.,   w/fa   serb.  364. 
uva  91. 
wz/V/rtturko-tat.,  udsiimmong. 

91. 

V.  W. 

va  scrt.,  vayati  562. 
vaf  scrt.,  vas  osset.  600. 
vacca  64. 


Wadmal   181. 

waganso       ahd.,        wagnis 

preuss.  63. 

wain  athiop.,  arab.   70,  91. 
vaj  magy.,  wuoj  lapp.,  woi 

finn.-estn.  157,  160. 
waiwaras,    wowere  lit.,    ve- 

vare  preuss  ,  veverica  slav. 

455. 

van  go,   128. 

ivannags,  wannagas  lit.  603. 
wannoweho,      wannunwechel 

ahd.;  Wanne  603. 
vannus  557,    603. 
varannio  regis   38. 
vard,  vardeni  arinen.,  ward 

arab.,  varddh  aram.,  vert 

kopt.   258,   592. 
varedd  zend.  258. 
vans  mhd.   53. 
Warnen  45. 
Varunas  16. 
warstas  lit.  63. 
vasdg  osset.  600. 
vascuium   575. 
waska  russ.  609. 
Weben;z/;e6anahd.561,562. 
Webstuhl  61. 
Weichsel  401. 
Weide  93. 
Weiler  140. 
vein  goth.  90,  94. 
Wein  wilder,  Vitis  Labrusca 

512. 

Velia  527. 
velibqdu   russ.,    weloblundis 

altpr.  581. 
vellus,  vellere  527. 
Welscher  598. 
vent  alb.  91,  92-94. 
Veneter  51. 

werpti,  warpstg  lit.  561. 
verticillus  561. 
vertragus  canis  369. 
ue?-2:a  it.   516. 
Weymouthskiefer  513. 
via  calcata  141. 

poln.,  v/a«  serb.  615. 


vicia  216,  220,  494. 

Wicke:  wiU  lit.  216,  494. 

viddla  scrt.   609. 

We,  wio  ahd.  376. 

w'eB  alb.    610. 

Wiede,  Langwiede  585. 

Wiedehopf  478. 


alb.   610. 
vieo,  vitis,  vimen,  vitez,  vilta 

90,   93,   569,  570,  585. 
wtho  ahd.  376. 
wihsalanM.,  Weichsel  401. 
villas,  [?],  villare  mlat.  140. 
vilvan  goth.  527. 
uzna      Laticina,      Gazitina, 

Gazetic-Ji)  Gazeta  84. 
t'ina  Raetica  75. 
vinaigre  frz.,   vinegar  engl. 

79. 

vinalia  rustica,  prior  a,  72. 
Windhund  369. 
Vindobona  549. 
m'no  slav.   90,  94. 
vinum  lat.,  yini«umbr.,volsk., 

7ttntA;u5  osk.,  umw  falisk. 

71,  90,  93,  94,  569,570. 
vinum  moratum   82. 
passum  569. 
-.*•      Praetutianum   74. 

Pucinum  74. 
Wintspiel  205. 
vto/o  257. 
virga  lanata   113. 
viridarii  230. 
virus  614. 
visciola  it.  401. 
viscu's,  viscum  401. 
visnja,    vi§rii    slav.,    wyszne 

lit.  401. 
n'.son  467- 
Vistula,  Visula;  Vi*/a  slav. 

401. 

visula  572. 

wi's.2^  lit  ,    oHsta  lett.  600. 
?i7/<  ahd.,  wide,  widen,  lane- 

wit  mhd.   585. 
witesa    ahd.,     Wistkummel 

208. 


Wortregister. 


651 


vitis  alba  585. 

-  Aminaea,  Aminea  572. 

-  Allobrogica,    Biturica, 

Biturigiaca,  helvena- 
cia,  elvenaca,  helven- 
naca  78. 
spionia   74. 

vito  alb.   601. 

vitulus  64. 

vib,  vfii  alb.   615. 

viverra  455. 

vlasu  slav.   186,   588. 

wobsdus  lit.   610. 

woble,  wobalne  preuss.  614. 

woid-ma  finn.-estn.,  wuoitet, 
wuoitas  lapp.,  woitoa, 
ivuoitelee  finn.  157. 

volu  slav.   611. 

vomer  557. 

vomis  63. 

vorsus   63,  557. 

vratilo,  vreteno  slav.  561. 

vrihi  scrt.  496,  543. 

vrka  scrt.  554. 

urwus  alb.,  (Bpoo(3a  ngriech. 
210. 

uwZ/a  goth.,  wilna  lit.   527. 

w$rcas  lit.  90,  94. 

vyse,  wns^e  preuss.  553. 

X. 

^wpte'pi,  £ecptepi  ngriech.  602. 
,  4t[J.ppai   244,   591. 


|ivopo8a  ngriech.  244. 
£oXoxspaTY]d  ngriech.  453. 
3. 


Y. 

,  yavasa  scrt.   59. 

^  ynne-leac  ags.  205. 
£r  altn.    524. 
yw  kyrar.  524. 

Z. 
zajferano  it.,  azafran  arab. 

265. 
zaffrone  it.    265. 

tiirk.,  C^Y*VO?  byzant. 
374. 

aVfti,  «'o/e  lit.   544. 
544,   546. 
Zamolxis,  Zalmoxis  544. 
zappa  it.,  sappe  frz.   128. 
zaranya  zend.   563. 
zarddlu  parsi.,  zerdale  kurd., 

z€rdtli  turk.-pers.  428. 
z'ebenksztls  lit.  608. 
z'eglys     lit.,     ^a^'eZ     poln. 

179. 

Ceta  58,  557. 
Zeiber  tyrol.  ,    cibara   slov. 

378. 
Zeidler  582. 

apoupa   58. 
al  uotxiXai  546 


Druckfehler. 


altsl.  396. 
altsl.  567. 
zelije,  zelenu  slav.    547. 
CeXxta  547. 
Zelter  494. 

CefxsXev,  zemelo  phryg.  568. 
Ceto   159. 

zerdeli  bulg.,  serb.  428. 
Cstpata  thrak.  546. 
Ceojj.a  phryg.  547. 
Ziegel  141. 
Zieser  215. 

thrak.  94,   546. 
lit.    219,  220. 
Zirq,  altsl.  610. 
^ffto,  ziti  slav.    550,  553. 
zZaio  slav.  562,   563. 
zluva  slav.   608. 
CooYiovep  64. 
zrwno  altsl.  63. 
Zriinuvu  slav.  556. 
zucchero  it.  509. 
Cuyaiva  64. 
ZupiSte,  zupiliSte  altsl.,  ^wpa 

poln.   529,  530. 
zurd  npers.  560. 

uftos,   zythum   143, 

144,   159,   160. 

altsl.  546. 
Zwetsche  378. 
Zwiebel  494. 


S.    32,  Z.     9  v.  o.  lies  aptOTO?. 
S.     53,  Z.  18  v.  u.     „     alb.  mss. 
S.  235,  Z.  22  v.  u.      „     TIUXVO?. 
S.  266,  Z.     3  v.  o.      „     XVYJXO?. 
S.  288,  Z.  20  v.  u.     „     hebr.  beroS. 
S.  319,  Z.  12  v.  o.     „     scrt.  cirbhata,  ctrbhati,  cirbhita, 
S.  368,  Z.  19  v.  o.     „    cymr.  gwydd;  Z.  22  v.  o.  slav.  j 
S.  396,  Z.     2  v.  u.     „     ^dcXavot. 
S.  525,  Z.     1   v.  o.     „     ags.  w. 
S.  552,  Z.     3  v.  u.     „     alb.  barb. 
S.  571,  Z.  15  v.  u.     „    franzosische. 

cirbhit 

Verlag  von  Geforuder  Borntraeger  in  Berlin 
SW  46  Dessauerstrasse  29 


Werke  von  Victor  Hehn  = 

Italian.    Ansichten  und  Streiflichter.    Siebente,  sorg- 

faltig  durchgesehene  Auflage  mit  Lebensnachrichten  iiber 
den  Verfasser.     Elegant  gebunden  7  Mark. 

,,Das  bedeutendste  Buck,  das  uns  der  diesjahrige  Buchermarkt  iiber 
Italien  gebracht  hat,  ein  Buck,  das  ganz  die  stark  subjektive,  geistreiche,  so 
schroffe  und  dodh  ivieder  so  zarte,  so  rucksichtslos  wahre  und  dock  dabei 
30  human  abwagende,  vornehme  Art  Hehns  atmet.  Der  Herausgeber  hat 
ivohl  Recht,  wenn  er  sagt,  es  sei  das  Tiefste,  Freieste,  Originellste,  in  die 
dem  Irihalt  venvandteste  Form  Gegossene,  ivas  seit  Goethe  iiber  Italien 
gesagt  w  or  den  sei." 

Das  Salz.     Eine  kulturhistorische  Studie.     Zweite 

Auflage  mit  einem  Nachwort  von  Prof.  Dr.  0.  Schrader. 
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der  Wirklichkeit,  Kuhnheit  und  Besonnenheit  bei  sprachgeschichtlichen 
Combinationen  im  richtigen  Gleichgeivicht,  Geist  in  der  Auslegung,  Geschmack 
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iiber  Goethe,  die  ein  inner  es  Band  verbindet.  Es  sind  gleichsam  Bau- 
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Weltanschauung. 

Sicherlich  hat  unter  den  bedeutenden  Schriftstellern  des  letzten  Halb- 
jahrhunderts  Iceiner  die  sprachliche  Erbschaft  unserer  Uassischen  Litteratur- 
epoche  so  treu  gepflegt,  mit  so  vornehmem  Stilgefiihl,  mit  so  viel  Sorgfalt 
und  so  wenig  Ziererei,  so  streng  und  lebensvoll  zugleich  die  deutsche  Prosa 
gehandhabt  ivie  gerade  Victor  Hehn. 


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