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Kunstgeschichtliche
CHARAKTERBILDER
AUS
ÖSTERREICH-UNGARN.
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ERZHERZOG THANZ JOSEPH
KUNSTGESCHICHTLICHE
CHARAKTERBILDER
AUS
ÖSTERREICH-UNGARN.
UNTER MITWIRKUNG VON
MORIZ HOERNES, ROBERT RITTER von SCHNEIDER,
JOSEF STRZYGOWSKI, JOSEF NEÜWIRTH, HEINRICH ZIMMERMANN,
ALFRED NOSSIG
HERAUSGEGEBEN VON
ALBERT rXG.
MIT 102 ORIGINAI^ZEICHNÜNGEN (2 RADIERUNGEN, 3 HEUOGRAVÜREN
UND 97 TEXTABBILDUNGEN).
PRAG. WIEN. LEIPZIG.
F. TEMPSKY. F. TEMPSKY. G. FREYTAG.
1893.
Druck von Gebrüder Stiepel in Reichenberg.
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VORWORT.
as vorliegende Buch hat die Aufgabe, den Leser auf
das noch wenig geschilderte Gebiet der kunstgeschicht-
liehen Entwicklung in Österreich-Ungarn zu geleiten.
Das hier Gebotene soll eine Leetüre sein, durch welche
sich ein ziemlich reiches Gesammtbild vom Werdegang der bildenden
Künste auf dem Boden unseres Heimatlandes eröffnet, angefangen
von jenen frühesten Epochen, in welchen hier die ersten Spuren
künstlerischen Schaffens bei einem unbekannten Menschen-
geschlechte begegnen, eine Culturthätigkeit primitiver Art, von der
ims heute nur Funde im Schlamme unserer Seen Kunde über-
liefern. Die Schilderung tritt dann in das klarere Licht des ge-
schichtlichen Zeitalters ein und berichtet von der Herrlichkeit
römischer Architektur im Süden Österreichs, erzählt von der wach-
senden Cultur des Christenthums, durchschreitet die weiten Zeit-
räume des Mittelalters, der Renaissance-, Barock- und Rococozeit
und schließt mit einem Bilde des mächtigen Aufschwunges der Kunst
unserer Tage, in welchen Osterreich, besonders auf dem Gebiete der
Architektur, unter dem kunstfreundlichen Mäcenatenthume unseres
erhabenen Monarchen eine der ersten Stellen unter denjenigen
Ländern eingenommen hat, welche sich großer kunstgeschichtlicher
Bedeutung rühmen können.
Dieses Buch soll jedermann, besonders aber der reiferen
studierenden Jugend, in die Hände gegeben werden, um den all-
gemeinen Unterricht nach einer Seite hin zu ergänzen, welche in
der Schule nicht eingehend genug berührt werden kann. Jedoch
unsere Schrift will kein eigentliches Lehrbuch sein und möge daher
"yi . Vorwort.
auch von diesem Gesichtspunkte beurtheilt werden. Es ist nicht
eine Kunstgeschichte Österreich-Ungarns, auch nicht ein Katechismus
dieser Doctrin ; sein Inhalt will den Gegenstand nicht erschöpfen
und lückenlos dem Studium entgegenbringen, sondern es sollen in
diesen Blättern, wie schon der Titel ,, Charakterbilder** andeutet,
bloß einzelne besonders hervorragende und interessante oder gerade
für Österreich-Ungarn bezeichnende Erscheinungen des Kunstlebens
aus der langen Reihe der Jahrhunderte herausgegriffen und abge-
schlossen geschildert werden. Der Zweck des Unternehmens ist
daher derjenige, in einzelnen Charakteristiken zu zeigen, zu welch
hoher Bedeutung die Entwicklung der Dinge auf dem Felde des
künstlerischen Culturlebens in unserem Vaterlande gediehen, welche
hervorragende Rolle in dieser Beziehung Österreich - Ungarn in
der Geschichte des Geisteslebens für die gesammte Welt einnimmt
und, speciell für den Sohn dieses Landes, welch herrliche Scliätze
dieser Art, vielfach noch allzuwenig bekannt und beachtet, ihm
, die eigene Heimat darbietet. In diesen Grenzen gehalten, soll das
Buch belehren und vorzugsweise anregen, um den ersten Boden
für ein eingehenderes Studium vaterländischer Kunstgeschichte bei
einer größeren Anzahl von Gebildeten zu bereiten, als solche sich
bisher diesem Gegenstande zugewendet haben.
Der Fachmann wird, wie wir hoflFen, gewahr werden, dass
unsere Schilderungen überall auf dem Höhepunkte der gegen-
wärtigen wissenschaftlichen Forschung stehen ; er möge aber bei
seinem Urtheil immer den populären Charakter der Schrift im
Auge behalten, welche in ihrer Art zum erstenmale mit diesem
Gegenstande sich an einen größeren Leserkreis wendet, bei welchem
keine fachliche Vorbildung vorausgesetzt ist.
Auf die illustrative Ausstattung wurde in dem Sinne besonders
Gewicht gelegt, als bei der reichen Fülle der Abbildungen durchaus
nur originale Aufnahmen zur Verwendung kamen. Das Verzeichnis
der Illustrationen und ihrer Urheber bezeugt, dass einerseits Kräfte
ersten Ranges wie Unger, H. Charlemont, .Niemann, Bernt, Pessler,
Michalek, Joh. Deininger, Ohmann, Fahmbauer etc. zur Mitwirkung
gelangten, andererseits aber vorzüglichen jungen Künstlern hier
Vorwort YII
eine Arena eröffnet wurde, um sich, größtentheils zum erstenmale,
an einer vornehmen und würdigen Aufgabe zu betheiligen,
Se. k. u. k. Apostolische Majestät, unser Allergnädigster Kaiser,
haben huldvollst geruht zu gestatten, dass Allerhöchst Dessen
Knabenbildnis nach der Miniatur von M. Daffinger dem Werke in
Reproduction beigegeben werde. Se. kais. und kön. Hoheit der
Durchlauchtigste Herr Erzherzog Karl Ludwig genehmigte die
Wiedergabe des Waldmüller' sehen Gemäldes ,,Däs neue Leben**.
Ihre Durchlaucht Frau Marie Fürstin zu Hohenlohe-Schillings-
fürst überließ die Schwind' sehe Handzeichnung aus dem Cyklus der
barmherzigen Werke der heil. Elisabeth zur Nachbildung.
Wir unterlassen es, über die Wahl der Autoren, welchen die
Darstellung der einzelnen Charakterbilder übertragen wurde, ein-
gehend zu berichten, und begnügen uns zu bemerken, dass ihre
Namen durch wissenschaftliche, sowie populäre Leistungen bereits
allgemein bekannt sind. — Möge das von patriotischer Gesinnung
getragene, sorgfaltig geschaffene Werk für die äithetische Bildung
unseres Volkes und zur Belebung seines reichlich vorhandenen
Kunstsinnes erfreuliche Früchte zeitigen !
INHALTS -VERZEICHNIS,
Seite
DIE URZEIT. Das Erwachen des Kunstsinnes in der Urzeit. Die Cultiir in
den Pfahldörfern der Ostalpen. Die Herrschaft des „Hallstätter** Stiles.
Von Moriz Hoernes.
Die Urzeit 3
DREI RÖMISCHE STÄDTE (Aquileja, Pola, Salona). Von Robert Ritter
von Schneider.
Drei römische Städte 21
1 21
II 31
III 38
DAS FRÜHE UND DAS HOHE MITTELALTER. Von Josef Strzygowski.
Das frühe und das hohe Mittelalter 53
1. Das Christenthum 53
2. Die Völkerwanderung 62
3. Die deutsch-romanische Kunst 71
DAS SPXTE MITTELALTER. Von Josef Neu wir th.
St. Stephan in Wien und St, Veit in Prag 93
Karlstein in Böhmen und Runkelstein in Tirol, zwei Burgen. . iio
Der St. Wolfganger Altar von Michael Pacher 123
Die Kunstblüte Ungarns unter Mathias Corvinus 129
Krakau zur Zeit des Mittelalters, ein Städtebild 141
DIE RENAISSANCE. Von Heinrich Zimmermann.
Kaiser Maximilian I. und sein Kunstschaffen, Das Maxgrab zu
Innsbruck 165
Erzherzog Ferdinand von Tirol und seine Sammlung im Schloss
Ambras 194
Kaiser Rudolf II. und die Prager Kunstkammer 210
Geschichte der kaiserlichen Kunstsammlungen bis zum Tode
Kaiser Ferdinands II. — Die Sammlung des Erzherzogs
Leopold Wilhelm 230
DIE BAROCKE. Von Albert Ilg.
Die Barocke 259
DIE ROCOCOZEIT. Von Albert Ilg.
Die Rococozeit 309
X
Inhalts- Verzeichnis.
Seite
DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT. Von AlfredNossig.
I. Die Kunst unter den Kaisern Franz I. und Ferdinand I. . . 327
1. Die classische Schule 327
2. Die kämpfende Romantik 341
3. Das Wiener Sittenbild 348
4. Der Vorfrühling der modernen Monumentalkunst . . . 358
II. Die Kunst unter Kaiser Franz Josef 1 361
1. Die siegreiche Romantik 361
2. Die Wiener Kunst seit der Stadterweiterung ..... 366
3. Die Kunstentwicklung in den österreichischen Ländern 392
4. Die Kunstentwicklung in Ungarn 397
vSCHLUSSWORT : Von Albert Ilg 400
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN.
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Seite
Abb. I. Gräberfunde von Hallstatt, gez. von J. G. Fahr nbaner .... 3
„ 2. Bruchstücke verzierter Werkzeuge aus Thierknochen, (diluvial),
gez. von J. G. Fahrnbauer 5
„ 3. Ein Pfahldorf in den Ostalpen, gez. von J, G. Fahrnbauer ... 8
„ 4. Thongefaße aus dem Laibacher Moor, (jüngere Steinzeit), gez. von
J. G. Fahrnbauer 9
5. Schmuck aus den Pfahlbauten von Peschiera, (Bronzezeit), gez.
von J. G. Fahrnbauer 12
6. Keltische Bronzefiguren, gez. von J. G. Fahrnbauer 18
7. Das Amphitheater in Pola, gez. von H. Charlemont 21
8. Mithras, gez. von H. Charlemont 29
9. Tempel zu Pola, gez. von H. Charlemont 33
10. Aus dem Palaste von Spalato, gez. von H. Charlemont .... 39
ir. Vom Theater des Marcellus in Rom (nach Viollet-le-Duc) ... 43
12. Wasserleitung des Hadrian zu Athen (nach Stuart und Revett) . 44
13. Portal des Vestibüles in Spalato 44
14. Vom Peristyle in Spalato 45
15. Krates der Kyniker, Bronze-Statuette, gez. von H. Charlemont . 50
16. Ausgrabungen von Salona: Die Basilika, gez. von G. Niemann 55
17. Innenansicht und Details der Basilika zu Parenzo, gez. von J. Pfeiffer 60
18. Steinreliefs des 8. und 9. Jahrhunderts aus Dalmatien und Istrien 66
19. Karolingische Initiale, gez. von J. Pfeiffer 70
20. Krypta des Domes zu Gurk, gez. von J. Pfeiffer 75
21. Glasfenster im Kreuzgange des Klosters Heiligenkreuz, gez. von
J. Pfeiffer 80
22. Die Kirche von S. Jäk in Ungarn, gez. von J. Pfeiffer .... 82
23. Die Apsis der Kirche zu Schöngrabern und ihre Sculpturen, gez.
von J. Pfeiffer 84
24. Mittelbild der Malereien im Nonnenchore des Domes zu Gurk
gez. von J. Pfeiffer 85
25. Bronzener Letichterfuss im Dome zu Prag, gez. von J. G. Fahrnbauer 86
26. Büste des Meisters Pilgram an der Kanzel des Wiener Stephans-
domes, gez. von J. Pfeiffer 93
27. Nordöstliche Ansicht von St. Stephan in Wien, gez. von G. Niemann 94
28. Die Kanzel im Wiener Stephansdome, gez. von J. Pfeiffer ... 98
29. Südseite des Prager Veitsdomes, gez. von G. Niemann .... loi
30. Büste Karls IV. auf der Triforiumsgallerie des Prager Domes,
gez. von E. Wenzel 106
n
XII
Seite
Abb. 31, Büste der Gemahlin Karls IV. auf der Triforiumsgallerie des
Prager Domes gez. von E. Wenzel 107
„ 32, Inneres der Kreuzkapelle in Karlstein, gez. von G. Niemann . . 113
„ 33. Das Ballspiel. Wandgemälde im Neidhardsaale der Burg Runkel-
stein, gez. von T. Grubhofer 120
„ 34. Der St. Wolfganger Altar, gez. von T, Grubhofer 123
„ 35. Mathias Corvinus. Nach dem Marmorrelief der kunsthist. Samm-
lungen in Wien, gez. von J. PfeiflFer 129
„ 36. Titelblatt der lateinischen Philostrat-Übersetzung von Antonio Bon-
fini (Wien, Hofbibliothek), Miniatur in der Manier des Attavante
degli Attavanti, gez. von J. G. Fahrnbauer 136
„ 37. Pokal in Wiener-Neustadt, gez. von J. G. Fahrnbauer 139
„ 38. Inneres der Jagellonen-Kapelle in Krakau, gez. von Drjak . . . 147
„ 39. Mittelschrein des Hochaltars von V. Stoss in der Marienkirche zu
Krakau, gez. von G. Niemann 149
„ 40. Die Tuchhalle in Krakau, gez. von G. Niemann 152
„ 41. Das Florianithor in Krakau, gez. von G. Niemann 156
„ 42. Portrait Kaiser Maximilians I., von Ambrogio de Predis in den
kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses, gez. von
E. Wenzel 168
„ 43. Die Lauerpfeife. Geschützmodell in der WafFensammlung des
A. H. Kaiserhauses, gez. von J. Pfeiffer 172
„ 44. Jugendspiele Maximilians. Holzschnitt Hans Burgkmayrs im
Weisskunig 177
„ 45. Grabdenkmal Kaiser Maximilians I. in der Franziskanerhofkirche
zu Innsbruck, gez. von J. Pfeiffer 183
„ 46. Das Belvedere in Prag, gez. von G. Niemann 195
„ 47. Brunnen im Garten des Belvederes in Prag, gez. von F. Ohmanu 203
, 48. Römerschlacht, Cedernholzrelief von Alexander Colin (?) in den
kunsthistorischen Sammlungen des A. H. Kaiserhauses, gez.
von J. Pfeiffer 205
„ 49. Erzherzog Ferdinands mailändische Rüstung in der Waffen-
sammlung des A. H. Kaiserhauses, gez. von A. Kaiser .... 207
„ 50. Standuhr aus Bergkrystall von Jobst Burgi in den kunsthistorischen
Sammlungen des A. H. Kaiserhauses, gez. von J. G. Fahrnbauer 213
„ 51. Bronzebüste Rudolfs II. von Adrian de Fries in den kunsthistorischen
Sammlungen des A. H. Kaiserhauses, gez. von G. Kemp . . . 217
„ 52. Vermählung der Heil. Katharina, von Mathäus Gundelach in der
Gemäldesammlung des A. H. Kaiserhauses, gez. von E. Schroth 219
V 53« Carmeliterkirche in Wien, gez. von G. Niemann 263
„ 54. Inneres des Domes in Salzburg, von S. Solari, gez. von J. Grienberger 274
„ 55. Peterskirche in Krakau, gez. von J. Pfeiffer 274
„ 56. Theater von Andrea dal Pozzo , . . . 276
„ 57. Landhaus in Innsbruck von Gumpp, gez. von Johann Deininger . 281
„ 58. Schiff der Stiftskirche in Molk, von Jakob Prandauer, gez. von
J. Pfeiffer 281
59. Palais des Prinzen Eugen, gez. von J. Pfeiffer 287
„ 60. Hofburg in Wien, gez. von J. Pfeiffer 286
n
XIII
Seite
Abb. 6i. Belvedere im lyiechtenstein-Park, gez. von G. Niemann .... 2S8
k n 62. Nicolauskirche auf der Kleinseite in Prag, gez. von G. Niemann 291
„ 63. Leopold I., Elfenbeinplastik von M. Steindl, gez. von J. Pfeiffer 294
„ 64. Pietä von G. R. Donner im Dome zu Gurk, gez. von E. Wenzel 296
„ 65. Prinz Eugen» Marmorgruppe von B. Permoser, gez. von J. Köpf 298
„ 66. Plafond von Carlo Carlone im Wiener Belvedere, gez. von M. Henriksen 299
„ 67. Saal im Stifte St. Florian, gez. von J. Pfeiflfer 302
„ 68. Gitter von Schmiedeeisen, Dominicanerkirche in Wien, gez. von
A. Kaiser 308
„ 69. Stuccatur im Palais Liechtenstein in Wien, gez. von A. Kaiser 308
^ 70. Die Gloriette in Schönbrunn, von Ferd. von Hohenberg, gez.
von G. Niemann 315
„ 71. Salon im Kaiserl. Schlosse Hetzendorf, gez. von J. Pfeiffer . . 316
„ 72. Diana von J. Hagenauer, gez. von ly. Michalek 319
^ 73. Sarkophag Kaiser Karls VI. von B. Moll, gez. von J. G. Fahrnbauer 321
„ 74. Bett Maria Theresias, gez. von J. G. Fahrnbauer 326
„ 75. Karyatiden-Portal von F. Zauner, gez. von E. Wenzel .... 335
„ 76. Apoll mit den Musen, Theater Vorhang, gemalt von Josef Abel nach
H. Füger, gez. von L. Michalek 338
77. Heil. Elisabeth, von M. v. Schwind, gez. von E. Pessler . . . 347
78. Die Lautenspielerin, von Fr. Amerling, gez. von J, Pfeiffer . . 346
„ 79. Das Erwachen zum neuen Leben, von F. Waldmüller, gez. von
J. Köpf 353
„ 80. Die kaiserliche Familie, von P. Feudi, gez. -von A. Juppe . . . 354
„ 81. Gott Vater, Zeichnung von J. Führich 363
„ 82. St. Georg. Bronzegruppe von A. Fernkorn im Pal. Montenuovo
in Wien, gez. von E. Wenzel 365
„ 83. Büste des Historienmalers Karl Rahl, von Hans Gasser, gez. von
L. Michalek 367
„ 84. Das kais. Stiftungshans in Wien, von Freih. von Schmidt, gez.
von G. Niemann 370
„ 85. Hof des Osterr. Museums in Wien, von H. von Ferstel, gez. von
R. Bernt 369
„ 86. Palais Erzherzog Wilhelm in Wien, von Th. Hansen, gez. von
G. Niemann 373
„ 87. Die k. k. Hofmuseen in Wien, von K. von Hasenauer, gez. von
R. Bernt 375
„ 88. Sarkophag-Relief, von K. Kundmann, gez. von E. Wenzel . . . 377
„ 89. Prometheus, Relief von A. Scharff, gez. von W. Schulmeister. . 381
„ 90. Makarts Atelier, gez. von J. Köpf 384
„ 91. Laudon, von L'Allemand, gez. von C. Scharlach 386
92. Der Strassenkampf, von PettenkoflFen, gez. von J. Köpf .... 387
93. Aus Matejkos Reichstag zu Warschau, gez. von C. Schuster . . 393
„ 94. Genrebild von Brozik, gez. von C. Schuster 395
„ 95. Graf Andrassy, Portrait von B^nczur, gez. von G. Kemp. . . . 397
„ 96. Mozarts Tod, von M. Munckäcsy, gez. von A. Juppe 398
„ 97. Modernes Wohnhaus im Barockstil, gez. von R. Bernt .... 405
Die Originale von Abb. 78, 81 und 92 sind im Besitze der k. k. Akademie
der bild. Künste in Wien und wurden mit Erlaubnis des Institutes hier veröffentlicht.
n
XIV
Tafeln :
Seite
Tafel I. : Der Palast des Diocletian in Spalato, gez. von H. Charlemont
Rad. von W. Unger 41
Tafel II. : Der spanische Saal in Ambras. Heliogravüre. Gez. von
T. Grubhofer 198
Tafel III. : Erzherzog Leopold in seiner Gemäldesamralnng. Gemälde von
D. Teniers d. J. Heliogravüre 252
Tafel IV. : Maria Theresia -Denkmal in Wien, von C. Zumbusch. Heliogravüre. 378
Tafel V. : (Titelbild) Erzherzog Franz Josef, Miniatur von M. Daffinger.
Rad. von W. Unger I
DIE URZEIT.
DAS ERWACHEN DES KUNSTSINNES IN DER URZEIT.
DIE CULTUR IN DEN PFAHLDÖRFERN DER OSTALPEN.
DIE HERRSCHAFT DES „HALLSTÄTTER" STILES.
Von
D5j; MORIZ HOERNES.
KuustKC'Chichtl. Charakterbilder aus Ögterreich-Ungam.
JJie ältesten Anfänge der Kunst verlieren sich in das Dunkel
der Urzeit. Dieselben tiefen Schatten, welche den Ursprung des
Menschengeschlechtes selbst bedecken, fallen auch auf die ersten
Regungen seines Kunstsinnes. In dämnierhaften Erscheinungen
begleiten sie die ersten Spuren seines Auftretens auch in unserer
Heimat und bezeugen mit leiser Stimme, dass das Hinausstreben
über die Schranken der einfach zweckmäßigen Form, das Mit-
spielen eines ästhetischen Wohlgefallens an den Erzeugnissen seiner
Hände zu den Wiegengeschenken gehört, welche die Natur dem
Menschen als unvergängliche Kennzeichen seiner Eigenart auf den
Weg mitgegeben hat.
Freilich, von Schöpfungen, wie sie später unter glücklicheren
Sternen die ragenden Zierden und Wahrzeichen der Städte und
Landschaften, die Denkmäler kunstsinniger Fürsten und den Stolz
erleuchteter Nationen bilden, ist in der Urzeit nicht die Rede.
Das ungestörte Leben wilder und halbwilder Völkerschaften, welches
heute selbst in den entlegeneren Gebieten des Erdenrundes schon
dem Erlöschen nahe ist, bietet uns in der Gegenwart noch manche
Analogie zu den primitiven Zuständen, unter welchen die ältesten
Bewohner des heutigen Länderkreises von Österreich-Ungarn dahin-
A Moriz Hoernes
lebten. Ein ungeheurer Abstand trennt die Höhen der modernen
Cultur von den Lebensformen der Urzeit, und doch sind auch in
dem Profil der letzteren, wie auf dem Meeresgrunde, Höhen und
Tiefen wahrzunehmen, und die Culturgeschichte muss zu den
prähistorischen Zeiten hinabsteigen, um die historischen Denkmäler
nicht nur nach ihrem vollen Werte zu würdigen, sondern auch in
ihren Vorläufern, d. h. in ihren ersten Keimen, zu ergründen.
Während die geschichtlichen Perioden in jeder Hinsicht durch
einen raschen Wechsel der Erscheinungen charakterisiert sind,
kennzeichnet sich das prähistorische Culturleben durch ein lang
andauerndes Verharren auf einigen wenigen, mühsam errungenen
Entwickelungsstufen. Dort ist eine bunte, anziehende Gestalten-
fülle in verhältnismäßig kurze Zeiträume zusammengedrängt. Hier
sind die Perioden anfangs, entsprechend der Stellung des Menschen,
der sich noch nicht hoch genug über die anderen Lebewesen empor-
geschwungen hat, von unermesslicher Ausdehnung; später, in dem
Maße, als sich seine Kräfte entfalten und als wir uns dem Beginn
der Geschichte nähern, ziehen sie sich immer mehr zusammen; und
unmerklich, so dass man nicht sagen kann, wo die Vorgeschichte
aufliört und die Geschichte anfangt, gehen sie in die Perioden der
letzteren über. Es macht den Eindruck, als ob wir aus einer öden,
nur durch kümmerliche Gestaltungen schwach belebten Steppe nach
und nach in eine blühende Landschaft einträten.
In Niederösterreich, in Böhmen, Mähren und Galizien ist
durch zahlreiche Funde im Löss, in Höhlen und Felsenspalten die
Gleichzeitigkeit des Menschen mit den ausgestorbenen oder ausge-
wanderten Thiergattungen der Diluvialzeit festgestellt. Aus diesen
Ländern besitzen wir Kunde von der Existenz unseres Geschlechtes
in dem Rahmen eines längst verschollenen Weltbildes von äonen-
langer Dauer, in welchem die Natur den Menschen fast noch
erdrückte. Aber schon hier, in der sogenannten ,, älteren Stein-
zeit** oder paläolithischen Periode, wo der unstete, thierisch-wilde
Jäger der Urzeit den Stein zum Gebrauche nur roh zuzuschlagen,
nicht einmal durch Glättung zu schärfen wusste, kein Thongeschirr
besaß und nur vorübergehend unter Höhlen oder Lehmwänden
Zuflucht vor der Unbill des Wetters suchte, finden wir die ersten
Spuren des Ornaments auf Mammut- oder Renthier - Knochen.
Wechselnde Strichlagen sind mit einem scharfen Feuersteinsplitter
— denn ein anderes Instrument besaß der Unnenscli zu solcher
Arbeit nicht — auf der glatten Fläche eingegraben, und unzwei-
deutig zeigt sich in diesen schüchternen Versuchen das Bestreben,
den leeren Raum, welchen das Auge ungern erträgt, durch eine
geordnete Fülle von Details zu beleben. Welcher Art diese Einzel-
heiten sind, das hängt von der Technik ab, durch welche der er-
wähnte leere Raum geschaffen wird. Bei der Schnitzarbeit sind
es natürlich eingeschnittene gerade Linien (Abb. 2), bei der Ver-
zierung von Thongefäßen rundliche Eindrücke oder Furchen in
vielfaltiger Wendung und Durchkreuzung, wie sie das Material
Abb. 3, Bnichstüclce verzieiter Werkzeuge aus Thierknocheti, (diluvial).
gestattet und die zur Bewältigung desselben dienenden Werkzeuge
(manchmal nur die Fingerspitzen) leicht hervorbringen. Farbige
Verzierung wird im Norden verhältnismäßig selten angebracht.
Über diese primitive Kunststufe ist die Urzeit eigentlich nicht
hinausgekommen; nur hat sie sich derselben allgemach in ihrer
ganzen Breite bemächtigt.*)
*) Die Echtheit einer großen Zahl von Bei nac haitiereien, welche mit über-
rascheader Schärfe der Naturbeobachtung thierische und menschliche Gestalten
meist in flachem Relief oder eingegrabener Umrisszeichnnng, seltener in Ruud-
figuren, wiedergeben, bildet noch eine Streitfrage der Wissenschaft. Derlei Vber-
reste stammen zumeist aus franzosischen Knochen höhlen. Wenn diese frappanten
XuQemngen eines früh entwickelten, a atu rali st i sehen Kunstsinnes und Knnst-
vermögens wirklich der Urzeit angehören, so sind sie jedenfalls unfruchtbar ge-
blieben und haben in den Folgeperioden der Vorgeschichte keine Fortsetzling
erlebt.
5 Moriz Hoernes
Es bedeutete einen ungeheuren Fortschritt in der Cultur der
europäischen Menschheit, als sie nach dem Ablaufe der Diluvial-
zeit den Stein zu glätten und zu schleifen, Thongefäße zu formen
und zu brennen lernte. Anfangs noch als Jäger und Fischer in
Höhlen wohnend, wie es die ältesten neolithischen Reste gleich-
mäßig für Mähren wie für das adriatische Küstenland bezeugen,
gab der vorgeschichtliche Bewohner Österreichs dieses ärmliche
Leben allmählich auf und bequemte sich, vielleicht unter dem Ein-
fluss einer von Asien her zugewanderten, höher civilisierten Be-
völkerung, zixm Halten von Hausthieren, zum Ackerbau und damit
zu festen Wohnsitzen. Er lernte spinnen, weben und Brot backen,
an geeigneten Stellen auch Kupfer gewinnen, das erste Metall,
welches der Mensch der Natur abrang, um es zu Schmuck und
Werkzeugen zu verarbeiten. So schwang er sich auf eine breite
und gedeihliche Bahn, die seine Nachkommen auf dem flachen
Lande, wenn auch unter vielfach geänderten und gebesserten Lebens-
bedingungen, noch heute nicht verlassen haben. Der Boden Öster-
reich-Ungarns ist voll von Resten zahlloser Ansiedlungen aus dieser
Zeit. Und nicht nur der feste Boden. Denn in diese Periode,
welche man die neolithische oder jüngere Steinzeit nennt, fällt
eine der eigenthümlichsten Erscheinungen der europäischen Urzeit,
die Entstehung und Blüte der Pfahlbauten. Diese merkwürdigen
Dorfschaften, auf Pfahlrosten in Seen und Sümpfen des Alpen-
und des Flachlandes oder auch in sanftströmenden Flüssen errich-
tet, allmählich durch Zubauten erweitert, später unter dem Druck
feindlicher Einfalle verlassen oder durch Feuer zerstört und auf-
gegeben, sind zuerst 1854 in der Schweiz entdeckt und alsbald in
einem weiten Bogen durch ganz Europa vom ägäischen bis zum
atlantischen Meere nachgewiesen worden. Sie reichen weit nach
Norddeutschland hinauf und bis Oberitalien hinab; das Herz ihres
Verbreitungsgebietes ist die Alpenzone, und in hervorragender Zahl
und Bedeutung sind sie auch bei uns, in deiji österreichischen
Alpenländern, namentlich im Salzkammergute, dann in Krain und
Kärnten von der Baggerschaufel wieder aufgefunden worden.
Die österreichischen Pfahlbauten sind dadurch von jenen der
benachbarten Schweiz unterschieden, dass sie ausschließlich der
reinen Steinzeit angehören, während jene theilweise in die Bronze-
periode hineinreichen. !Mit dem spärlichen Auftreten des Kupfers,
Die Urzeit. n
das noch lange nicht die Rolle der später zur Herrschaft gelangen-
den Legierung aus Kupfer und Zinn, das ist der Bronze, spielt,
brechen die österreichischen Pfahlbauten ab. Um diese Zeit müssen
sich die Bewohner aus den Seedörfem auf das feste Land gezogen
haben, wo sie mit größerem Vertrauen als bisher und alsbald im
Besitze harter, schneidiger Metallwerkzeuge den Wald ausrodeten
und in trockenen Grund die Stützen ihrer Hüttendächer einsenkten.
Aber was bewog die Erbauer der Pfahlbauten zu dem schwie-
rigen Werk, sich entfernt vom Ufer über dem glänzenden Wasser-
spiegel der Seen ihr Heim zu errichten ? Diese Frage beantworten
wir durch einen Blick auf das düstre Bild, welches die Urzeit
unserer Heimat zur Pfahlbauperiode gewährt. Das Antlitz, das die
Natur damals ihrem jüngsten Kinde zeigte, zwang dieses zu einer
nach unseren Begriflfen widernatürlichen Art der Siedelung.
Rund um die Seen her breitete sich die Wildnis unwirtlicher,
fast undurchdringlicher Wald- und Bergregionen. Wo der nackte
Fels nicht steil zum Wasser abfiel, da senkte sich der finstere Ur-
wald mit seinem unabsehbaren, nie gelichteten Wipfelmeer bis ans
Ufer herab, oder dieses dehnte sich mit breitem Sumpfgürtel
zwischen Wald und See und wehrte den Zugang vom Festland
zur Wasserfläche. Ebener, trockener, sonniger Boden zur Errichtung
menschlicher Wohnungen war weit und breit nicht zu finden.
Dagegen lockte der schimmernde, freundliche Seespiegel mit Macht
hinaus, über dem feuchten Elemente zu wohnen. Die seichten
Stellen unfern des Ufers, in ruhigen, vor dem Wellenschlag ge-
schützten Buchten, von welchen benachbarte Höhen auch den Anfall
rauher Luftströmungen abhielten, boten einen trefflichen Baugrund.
In den Schlamm und den sandigen Letten der Seetiefe wurden die
mit Steinbeilen behauenen und zugespitzten Pfahle reihenweise
eingetrieben, darüber Querbalken gelegt und aus Planken- oder
Rundholzlagen eine Plattform hergestellt. Darüber erhoben sich
die runden oder viereckigen Wohnhütten mit ihren hohen, Stroh-
dächern und ihren wetterfesten Wänden aus lehmverkleidetem
Flechtwerk. Treppen und Fallthüren stellten an beliebigen Orten
die Verbindung mit dem Wasser, lange Stege oder Brücken die-
jenige mit dem Festland her. Der ,,Einbaum'*, ein Kahn aus
einem ausgehöhlten Baumstamme bestehend, führte den See-
ansiedler rasch und bequem an jeden Uferplatz, den er erreichen
3 Moriz Hoernes
wollte, oder zu nahen und ferneren Seedörfern. Denn selten stand
ein Pfahlbau allein in einem See ; in der Regel waren alle günstigen
Punkte im Umfange desselben zur Anlage solcher Niederlassungen
benützt, und sicher standen dieselben untereinander geradeso in
freundschaftlichem Verkehr wie heute die Bewohner eines und
desselben Alpenthales.
Den größten Vortheil boten die Seedörfer ihren Bewohnern
als Fischern und Jägern. Es sind sehr fischreiche Gewässer, in
welchen die Reste der Pfahlbauten gefunden werden ; und einst
war dieser Reichthum gewiss noch größer, zumal um die Seedörfer,
wo soviele Abfalle ins Wasser geworfen wurden, welche die Fische
anlockten, nährten und ihrer Vermehrung zuträglich waren. Aber
auch das Wild kommt zum Wasser herab, um sich zu tränken
oder im Schlamme zu wälzen. Da war es leicht, mit dem Netz
oder mit Pfeil und Bogen stattliche Beute zu gewinnen. Die Jagd-
trophäen der sehnigen Männer, welche einst den Pfahlbau bei
Brunndorf im Laibacher Moore bewohnten, setzen uns noch heute
in Erstaunen. Der gewaltige Edelhirsch und das Reh, Bär und
Wisent, Urochs und Elk, Wildschwein und Biber, Dachs und
Wolf erlagen den wohlgezielten Schüssen und den wuchtigen Hie-
ben der steinbewehrten Nimrode. Das Fleisch dieser und anderer
Thiere wurde gegessen, die Knochen zu Werkzeugen verarbeitet,
die Zähne durchbohrt und als Schmuck getragen. Mit denselben
WaiBFen, welche dem Gethier des Waldes so furchtbar wurden, —
schweren Steinhämmem, scharfen kleinen Beilen, die in Hirsch-
horn gefasst und so in einen Holzstiel gefügt waren, Lanzen und
Pfeilen mit Feuersteinspitzen, — konnten sich die Pfahlbauern auch
feindlicher Einfalle erwehren. Aber den besten Schutz gegen
Feindesgefahr bot ihnen die Lage ihrer Ansiedlungen, wahrer
Wasserburgen und Seefestungen, die man auch im Winter, wenn
die Seen zufroren, leicht durch OflFenhalten eines breiten Grabens
gegen das Land hin sichern konnte.
Die Gewohnheiten der Jagd und des Fischfanges knüpfen den
Pfahldörfler an die älteren Perioden der Urzeit; mit jüngeren Cul-
turstufen verbinden ihn die fortschrittlichen Künste der Domesti-
cation und des Feldbaues. Als Hausthiere besaß er das Rind,
Schaf, Ziege und Schwein, seltener das Pferd und den Esel, allein
merkwürdiger Weise auch schon den Hund, der als treuer Beglei-
ter des Menschen auf der Jagd, wie auf der Weide, sich gerade so
nützlich zu machen wusste wie heute. Auf dem Festland hatten
die Seeansiedler nicht nur ihre Weideplätze und Pferche, sondern
auch Ackerfluren. Hier bauten sie, wie die zahlreichen Reste von
Feldfrucht in den Culturschichten der Seedörfer beweisen, ver-
schiedene Gattungen von Weizen und Gerste, Hirse, Flachs,
Mohn und einige Gemüse, als Möhre, Erbse, Linse. Die Getreide-
arten weisen auf eine südliche oder östliche Herkunft dieser Boden-
cultur hin. Das Brot wurde in Fladen aus wenig zermalmten
Weizen- oder Hirsekörnern bereitet und in der heißen Asche ge-
backen. Die Mahlsteine sind einfache, längliche Platten, auf
Abb. 4. ThongefäSe aus dem Laibacher Moor, (jüngere Steinzeit).
welchen die Brotfrucht mittels eines kleineren Handsteines zer-
rieben wurde. Aus Lindenbast fertigte man Stricke und kunst-
volle Matten, aus gesponnenem Flachs mittels eines ebenso ein-
fachen als sinnreichen, senkrecht stehenden Webstuhles Leinwand.
Die Reste der letzteren erregten bei der Wiederauffindung anfangs
ungläubiges Staunen, da man sich schwer überzeugen ließ, dass
diese gemusterten Stoffe aus derselben Zeit und von denselben
Händen herrühren sollten wie die unförmlichen Geräthe und
Werkzeuge aus geglätteten Steinen und Knochen.
Bei diesem allgemeinen Stande der Cultur wird es uns nicht
Wundernehmen, auch die Lust und den Geschmack an Verzie-
lO Moria Hoernes
rungen unter den Pfahlbaubewohnern bis zu einem gewissen Grade
entwickelt zu finden. Zumal an den Thongefaßen, deren Formen
selbst noch sehr einfach sind, äußert sich die bescheidene Neigung
zur Flächendecoration mit parallelen und gekreuzten Linien; es
entrollt sich eine wenig umfangreiche Musterkarte von geometri-
schen Motiven , der man noch kaum den Ehrennamen eines
Ornamentstiles beilegen kann. (Die verzierten Thongefaße der
Abbildung 4 stammen aus dem Pfahlbau im Laibacher Moore.)
Die Verzierungen sind stets mit einem Spatel in den weichen
Thon eingerissen; eine Farbenwirkung ist nur manchmal durch
Ausfüllung der vertieften Linien mit einer weißen Masse erzielt
worden. Der Fund einer menschenähnlichen Thonfigur (wahr-
scheinlich eines Idoles) in dem Laibacher Pfahlbau bildet eine
ziemlich vereinzelte Ausnahme.
Am reichhaltigsten an Pfahlbaufunden hat sich bisher in
Osterreich der Attersee erwiesen. Sechs Pfahldörfer sind einst
in diesem Becken gestanden ; es sind die Stationen bei Seewalchen,
Aufham, Weyeregg, Puschacher, Kammer und beim Orte Atter-
see. Kaum minder ergiebig war der nahe Mondsee. Bei Gmun-
den lag ein Pfahlbau im Traunsee. Auch der österreichische Theil
des Bodensees hat, wie die Uferpartien der übrigen angrenzenden
Staaten, Überreste von Seedörfem der Steinzeit bewahrt. Der
Pfahlbau bei Brunndorf im Laibacher Moore, das einst ein See-
becken war, wetteifert an Fundreichthum mit den Stationen des
Salzkammergutes. In Ungarn sind aus dem Neusiedlersee Pfahl-
bausachen der Steinzeit gehoben worden. An zahlreichen anderen
Plätzen, wo verwandte Überreste zwischen Pfählen in trockenem
Boden erhalten geblieben sind, ist man im Zweifel, ob es sich da
um echte Wasserdörfer oder sogenannte ,,Terramaren*', d. i. Pfahl-
bauten auf festem Lande handelt. Diese letzteren sind eine in
Italien, aber auch in Böhmen und Ungarn häufig beobachtete Er-
scheinung und fallen überwiegend in die Bronzezeit. Welchem
Volk oder welchen Völkern die Pfahlbauten angehören, ist eine
noch ungelöste Frage. Nur für die Apenninhalbinsel glaubt man
gefunden zu haben, dass es die später unter dem Namen der
Italiker bekannten Stämme waren, welche, von den Alpenländem
herabsteigend und von dorther an Pfahldörfer gewöhnt, zuerst in
Oberitalien auf trockenem Boden solche Bauten errichtet haben.
Die Urzeit. II
Von einer vollständigen Statistik und Topographie der Pfahlbauten
in Österreich-Ungarn sind wir höute noch weit entfernt. Nach
verschiedenen Anzeichen, wozu auch die Schilderung eines thra-
kischen Seedorfes bei Herodot gehört, haben wir es mit einer
Cultur zu thun, welche von Osten her sich in Europa eingebür-
gert, hier einen breiten Raum eingenommen und namentlich auch
in der Urgeschichte unserer Heimat eine sehr wichtige Rolle ge-
spielt hat.
Auf die Periode der Pfahlbauten und der neolithischen Land-
ansiedlungen folgt in der Vorgeschichte Österreich-Ungarns die
Herrschaft der reinen, d. h. eisenfreien Bronzecultur. Darunter
versteht man einen Zeitraum, in welchem der Mensch außer den
Werkzeugen und Geräthen aus Stein, Hörn und Knochen auch
noch solche aus einer Legierung von 90 Theilen Kupfer und
10 Theilen Zinn besaß. Durch das Hinzutreten dieses goldglän-
zenden, geschmeidigen Metalles, das sich leicht gießen, hämmern
und schleifen ließ, erfuhr der prähistorische Bewohner Europas
eine gewaltige Unterstützung in seinem harten Daseinskampfe.
Woher ihm dieser kräftige Verbündete kam, ist ein Räthsel, wie
überhaupt das Auftreten der Bronze vor dem Eisen. Räthselhaft
ist in diesem Zeiträume auch die Ausbildung eines Stiles, der in
so verschieden situierten und theilweise so entlegenen Gebieten
wie Skandinavien und Ungarn ähnliche, wundersam gefestigte und
entwickelte Formen und Ornamente zeigt. Im ganzen mittleren
und nördlichen Europa hat der Stil der reinen Bronzezeit eine Blüte
erlebt, die wir mit Staunen unmittelbar auf eine noch halb rohe
und kindliche Culturstufe folgen sehen. Wieder müssen wir, wie
bei der überraschenden Erscheinung der Pfahlbauten, Einflüsse
aus Gebieten annehmen, welche klimatisch für eine frühe Ent-
wicklung der Civilisation günstiger gelegen waren, und solche
Länder haben wir im Südosten unseres Continents, in der alten
Culturzone Vorderasiens zu suchen. Aber jedenfalls hat sich die
reine Bronzecultur in Europa unter den Händen derer, die sie hier
aufnahmen und trugen, ganz eigenthümlich entwickelt. Einen be-
sonderen, zu reicher Ausgestaltung führenden Weg hat sie in Un-
garn eingeschlagen. Böhmen, Mähren und Niederösterreich neh-
men eine auch ihrer geographischen Lage entsprechende Mittel-
stellung zwischen dem mittleren Donaugebiete und Nordeuropa
ein. Ein paar Tj'pen der Bronzezeit zeigt Abb. 5. In den Alpen-
ländem Österreichs sind bisher noch keine Funde aus der reinen
Bronzezeit gemacht worden. Dagegen ist hier eine Culturstufe zu
großartiger Ausbildung gediehen , welche man als die jüngste
Phase der Bronzeperiode oder richtiger als erste Eisenzeit be-
zeichnet. Das ist die nach dem berühmten Gräberfundort an dem
oberösterreichischen Bergsee so genannte Cultur der Hallstatt-
Periode, ein merkwürdiges Product vorgeschichtlichen Handels-
und KunstfleiSes, eine glänzende Frucht halbdunkler Kräfte und
Abb. 5. Schmuck aua den Ffithlbauten von Pesctaiera, <
Beziehungen, die sich wie ein rosiges Morgenlicht über dem Wust
und dem Düster unserer heimischen Alpenthäler erhebt. Wie
geschah es, dass — wohl ungeffihr um dieselbe Zeit, welche für
Ungarn und Nordeuropa durch die Herrschaft des reinen Bronze-
stils charakterisiert ist — in den Alpenlandem zugleich mit dem
ersten Gebrauch des Eisens neben der Bronze diese neue Cultur
sich Bahn brach und zur Herrschaft kam?
Sie rückt uns ja Lebensformen vor das Auge, welche theil-
weise an den asiatischen Orient gemahnen, theilweise an italienische
Funde erinnern und im großen und ganzen dem Bilde nicht un-
ähnlich sind, welches Homer in seinen unsterblichen Gesängen
von der vorgeschichtlichen Cultur des östlichen Mittelmeerbeckens
entrollt. Werden wir je auf diese Frage volle, genügende Ant-
Die Urzeit. j-j
wort erhalten? Wir müssen uns hier bescheiden, Thatsachen ins
Auge zu fassen, und werden dabei von dem Fundorte im Salz-
kammergut ausgehen, dessen Besitz allein hinreichen würde, Öster-
reich zum Rang eines classischen Landes für die europäische Ur-
geschichtsforschung zu erheben.
Die Existenz einer reichen und blühenden Colonie in dem
abgelegenen Hochthale am Fuße des Salzberges bei Hallstatt er-
scheint auf den ersten Blick als ein Räthsel, wie die Pfahlbauten
in den nahen Seebecken desselben Ländchens. Aber der Salz-
reichthum des Gebirges löst dieses Räthsel; er war eine unerschöpf-
liche Quelle des Wohlstandes für die Ansiedler und erschloss ihnen
Handelsbeziehungen, die bis zur Adria hinab- und bis zur Ostsee
hinaufreichten. Hoch über dem pittoresken, von steilen Berg-
wänden eingeschlossenen Hallstätter See, in der Weltabgeschieden-
heit ihres lieblichen Alpenthales erfreute sich die fleißige Bevöl-
kerung dieses Bergwerksortes an den edlen und mannigfachen
Formen glänzenden Hausrathes, kunstvollen Körperschmuckes und
prunkhafter Waffen. In ihren, Blockhäusern ähnlichen Wohnungen
flimmerte das getriebene Erz im Widerschein des Herdfeuers, wie
bei dem von Homer gepriesenen Alkinoos; da leuchtete der nor-
dische Bernstein in rosiger Glut und in seinem matten Glanz das
orientalische Elfenbein. In feinverzierten Bronzescheiden schlum-
merten die langen, breiten Eisenschwerter, deren Knäufe nicht
selten mit Gold oder anderen edlen Stoffen geschmückt waren.
In zahlreichen Kettchen fiel das Brustgehänge dieser schmuck-
liebenden Leute von der Kleidspange am Halse herab bis zu
dem breiten, metallbeschlagenen Gürtel, in dem sie den Dolch
stecken hatten. Einfache schwere oder feine gewundene Ringe
umspannten ihre Hand- und Fußgelenke. Zahlreiche, verschie-
den gestaltete Hefteln und Nadeln hielten ihr langes Gewand,
ihren reichen Haarputz zusammen. Einige dieser Schmuck- und
Waffenformen zeigt die Titelvignette (Abb. i) dieses Abschnittes.
Ihr Thongeschirr war von edlen Formen und mit Vorliebe roth und
schwarz in einfachen Mustern bemalt; ihr Erzgeräth zeigt in häu-
figer Wiederkehr Reihen von Menschen-, Pferde- oder Vogelfiguren,
auch gravierte oder getriebene Ornamente, seltener plastische Auf-
sätze und Verzierungen in Gestalt verschiedener Thiere oder un-
vollkommener menschlicher Körper. Ein Gefäßdeckel ist in höchst
JA Moriz Hoemea
Stilvoller Weise rundum mit getriebenen schreitenden Thierfiguren
geschmückt und darf wegen des orientalisierenden Stiles der Dar-
stellung wohl als Importstück angesehen werden.
Von einem ,,Hallstätter Stile'* zu sprechen, ist gewagt, da
die Einzelheiten des Gesammtbildes, welches dieser Fundort ge-
währt, sicher aus verschiedenen Quellen zusammengeflossen und
nicht zu irgendwelcher künstlerischen Einheit verschmolzen sind.
In keinem Falle ist der Ausdruck so zu verstehen, als ob der prä-
historische Bergwerksort auf dem Salzberge irgendwie als Aus-
gangspunkt dieser Cultur oder als wichtigstes Centrum ihrer Ver-
breitung zu gelten hätte. Aber andererseits begegnen wir im Um-
kreise der österreichisch-ungarischen Monarchie und weit darüber
hinaus im Süden und Westen diesem Gemenge verschiedenartiger
Einflüsse so häufig, dass es als typisch für eine hochbedeutsame
urgeschichtliche Periode betrachtet werden darf, welche für Mittel-
europa wahrscheinlich mit dem Einbrüche der Kelten um 400 vor
Christo abschließt.
Versucht man die Hallstatt-Cultur in einigen wichtigen Ele-
menten schärfer zu charakterisieren, so findet man sie im Gegen-
sätze zu älteren und jüngeren Epochen der Urgeschichte- ausge-
zeichnet durch eine friedliche Entwicklung des Völkerverkehrs in
weiten Gebieten Mitteleuropas. Handel und Industrie haben die-
sem Zeitraum ihre unverkennbaren Merkmale aufgeprägt. Noch
sind die Wege nicht genau ermittelt, auf welchen der Import
und die Beeinflussung durch ausländische Vorbilder erfolgte.
Noch scheidet man nicht mit genügender Schärfe das einge-
führte fremde Erzeugnis und die Producte einheimischen Gewerb-
fleißes. Aber soviel steht fest, dass diese vorkeltischen Bewohner
Österreich-Ungarns (zum Theile vielleicht den illyrischen Völkern
der westlichen Balkanländer und des östlichen Oberitalien ver-
wandt) nicht bloß fremde Fabrikate einführten, dass sie von den
Trägern höherer Culturen auch zu lernen wussten und das Er-
lernte mit Freiheit und Geschicklichkeit zu eigenem Gute um-
wandelten. Insbesondere besaßen sie eine technisch vollendete
Erzindustrie, welche sich zumal hervorthat in dem Aushämmern
der Bronze zu papierdünnen Blechen und feinen Drähten, woraus
die Haupttypen ihrer Gefäße und Schmucksachen hergestellt
wurden.
Die Urzeit
15
Zu Waffen und Werkzeugen wird mit Vorliebe Eisen ver-
wendet; doch füllt dieses Metall noch lange nicht den Rahmen,
der ihm in dem Haushalt späterer Perioden eingeräumt wird; und
Messer, Schwerter, Beile, Feilen u. dgl. bestehn noch häufig aus
Bronze. Einem unbefangenen Auge muss es auch auflFallen, dass
bei solcher Fertigkeit im Schmieden, Gießen, Schnitzen, Einlegen
u. s. w. die Thongefaße noch immer wie in der ältesten Zeit aus
freier Hand ohne Anwendung der Töpferscheibe geformt werden.
So geht vielfach in dieser eigenthümlichen Mischcultur altererbte
Simplicität neben vorgeschrittener Kunstfertigkeit einher.
Zu den merkwürdigsten Urkunden, welchen wir einen nähe-
ren Einblick in die Lebensformen des Hallstätter Culturkreises
verdanken, gehören einige Funde von Bronzesachen — Gefäße,
Gefaßfragmente und ein Gürtelblech — welche mit figuralen
Scenen geschmückt sind. Eines dieser Stücke ist die berühmte
Situla von Watsch. Wir wollen nicht entscheiden, wo man die
auf derselben dargestellten Gruppen localisieren darf, ob an dem
Fundorte selbst, ob überhaupt in der Alpenzone oder, was mehr .
Wahrscheinlichkeit hat, in Oberitalien, wo derlei Funde noch
häufiger gemacht worden sind. Aber gewiss erkennt man hinter
der barbarisch rohen Zeichnung dieser Figuren nicht nur einen
. ausgebildeten künstlerischen Stil, der die Vorlage zu solchen Wer-
ken hergegeben hat, sondern auch ein Leben, das aus höheren
fremden und primitiven einheimischen Elementen ebenso gemischt
war, wie sich uns das Gesammtbild der Hallstatt-Cultur auch sonst
gezeigt hat. Wir sehen einen Zug von Gespannen und Reitern,
ein Gastmahl, einen Wettkampf um ausgesetzte Preise, ganz unten
eme Zone von ruhig schreitenden Thierfiguren. Ahnliches kehrt
anderwärts in diesen seltsamen Bildwerken wieder; die Zahl der
geläufigen und beliebten Darstellungen muss keine sehr große ge-
wesen sein. Auf dem Gürtelblech von Watsch erkennt man Reiter
und Krieger zu Fuß im Kampf mit Wurfspießen und Beilen;
letztere Waflfen, sowie die Helme der Krieger, gleichen völlig den
Originalen, welche man in Gräbern der Alpengegenden gefunden
hat. Solche charakteristische Einzelheiten, für welche auch ein
berühmtes, in Bologna gefundenes Brönzegefäß als Quelle dient,
bezeugen, dass wir uns den Ursprungsort dieser Arbeiten doch
nicht allzu weit von den Fundorten derselben entfernt denken dürfen.
j5 Moriz Hoernes
An Massenfunden aus der Hallstatt-Periode, gewöhnlich
Todtenbeigaben in Grabhügeln oder ausgedehnten Flachgräber-
feldern, ist unsere Heimat überreich. Wir nennen nur einige der
wichtigsten und ergiebigsten Fundplätze und Fundgebiete; es sind
dies: Watsch, St. Margarethen, RoviSöe, St. Michael und Podsemel
in Krain, Sta. Lucia und Karfreit im Küstenlande, Frögg in Kärn-
ten, die Gegend von Wies und Maria-Rast in Steiermark, Gemein-
lebarn in Niederösterreich mit seinen interessanten, in runder
Plastik verzierten Thongefäßen, die By6isk&la-Höhle in Mähren,
die Umgebung von Pilsen in Böhmen. Im engsten Zusammen-
hang steht das österreichische Herrschgebiet der Hallstatt-Cultur
im Süden mit Oberitalien, im Westen mit Süddeutschland. Neuer-
dings hat sich auch im Nordwesten der Balkanhalbinsel (Bosnien-
Hercegovina) ein ausgedehnter Fundbezirk nahverwandter Alter-
thümer erschlossen.
Um das Jahr 400 v. Chr. trat eine große Umwälzung in
Mitteleuropa ein. Auch der Süden des Continents wurde davon
betroffen. Rom sank in Asche und erkaufte den Frieden mit Gold
von dem Schwerte des Brennus. Oberitalien wurde gallisch, und
auch am Rhein wie an der Donau erschienen Erobererscharen,
welche den alten Zuständen ein Ende machten und eine neue
Ordnung der Dinge an ihre Stelle setzten. Bis nach Asien hinüber
pflanzte sich die Bewegung fort; überall traten kühne Kriegerhau-
fen an die Spitze der einheimischen Bevölkerung und gaben den
Ländern die Namen ihrer Stämme. Als dem Hin- und Herfluten
der Abenteurerzüge ein Ziel gesetzt und wieder Ruhe eingetreten
war, bot Mitteleuropa, und so auch Österreich-Ungarn, ein anderes
Bild. Die Hallstatt-Cultur 'gehörte bis auf wenige Erscheinungen,
die sich ungestört erhielten, der Vergangenheit an. Eine neue
Form der Civilisation war eingekehrt. Sie ist die unmittelbare
Vorläuferin der römischen Provinzialcultur in den Alpen- und
Donauländem und die erste Entwicklungsstufe, in welcher das
Eisen als Nutzmetall zur vollen Herrschaft gelangt ist. Eine voll
entwickelte Eisenzeit also, die man nach einem ausgezeichneten
schweizerischen Fundort La T^ne-Periode nennt, folgt auf die
Die Urzeit.
17
Herrschaft der Hallstatt-Cultur. Sie gibt dem Bilde unserer Hei-
mat in den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt jenes Ge-
präge, unter dem es die Römer bei ihrem Vordringen über die
Alpen bis an die Donaugrenze kennen lernten. Als die Träger
dieser Cultur sind jene keltischen Stämme anzusehen, deren Namen
römische und griechische Geographen und Historiker uns bewahrt
haben. Mehr als die Namen und Endschicksale jener Stämme,
mehr als die alten Schriftsteller von ihnen mitzutheilen wissen,
erfahren wir aus ihren Gräbern und verschollenen Ansiedlungen,
welche zahlreich von Böhmen, der alten Bojerheimat, bis zur Küste
der Adria herab, bis zu den Camem und Tauriskern, nach langem
Schlummer durch die Arbeit des Spatens wieder aufgedeckt wor-
den sind.
Bei ihnen finden wir schon Beispiele einer höheren Kunst-
übung (s. Abb. 6).
So wissen wir heute, dass es nicht mehr großer Verän-
derungen bedurfte, um jenes Culturbild zu schaffen, das unser
Vaterland unter der Römerherrschaft zeigt. Diese Hinterlassen-
schaft, wie wenig wir auch noch über den Ursprung ihrer Ele-
mente aufgeklärt sind, gereicht den keltischen, der germanischen
Nation naheverwandten Völkerschaften zur unvergänglichen Ehre.
Nachdem die Kelten der römischen Provinzialcultur so den Boden
bereitet hatten, erlagen sie dem Schwerte der Welteroberer. In
den nächsten Jahrhunderten drang römischer Einfluss, dem
keltischen auf dem Fuße folgend, weit hinauf nach dem Norden
unseres Erdtheils. Eine völlig neue, wieder von Osten aus-
gehende Erscheinung bringt erst die Völkerwanderungszeit mit
dem sogenannten merovingischen Stile durch ganz Mitteleuropa
zur Herrschaft. Dies ist ein vielleicht unter dem Einfluss der
Griechenstädte am Pontus entstandener, halbbarbarischer Stil,
der uns besonders auf ungarländischem Boden reichliche und
kostbare Überreste hinterlassen hat, und der wahrscheinlich
durch die Gothen auf ihren Wanderungen nach dem Westen ver-
breitet wurde. Unter den einheimischen Denkmälern dieses Stiles
genießt namentlich der als ,, Schatz des Attila** bekannte und
berühmte Fund von Nagy-Szent-Miklos mit seinen zahlreichen,
üppig und eigenartig verzierten Goldgefaßen verdiente Aus-
zeichnung.
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ung^am. 2
l8 Morii Hoernea
Aber die Thaten und die Cultur der germanischen Stämme,
welche der römischen Weltherrschaft ein Ende bereiteten, sind —
ob auch noch vielfach dunkel und von dem zweifelhaften Lichte
abhängig, das Funde und Ausgrabungen über sie verbreiten —
doch bereits von dem Morgenroth der Geschichte beschienen, so
dass wir sie der Urzeit nicht mehr zurechnen dürfen. Wir be-
gnügen uns, darauf hinzuweisen, dass an der Scheide zwischen
Alterthum und Mittelalter in unserer Heimat eine Kunstrichtung
sich einbürgerte, welche mit der antiken Tradition scheinbar völlig
gebrochen hatte, und welche doch in ihrem Kern die entfernten
Nachklänge uralter, classischer und orientalischer Einwirkungen
nicht verleugnen konnte.
Abb. 6. Keltische BronzeEgureu.
DREI RÖMISCHE STÄDTE
(AQUILEJA, POLA, SALONA).
Von
D^ Robert von Schneider.
Abb. 7. Das Amptiitf
DREI ROMISCHE STÄDTE.
I.
Die beiden Meere, welche die Küsten der italienischen Halb-
insel bespülen, treten nicht gleichzeitig in die Machtsphäre der
antiken Civilisation. Weit und offen, mit wenigen aber trefflichen
Häfen ausgestattet, dabei klippenfrei und im ganzen von ver-
derblichen Stürmen verschont, ward das westliche, das tyrrhenische
Meer seit Alters von tuskischen und ligurischen, von punischen
und griechischen Schiffen befahren. Schon 6c» vor Chr. gründeten
die Phokäer an den Mündungen des Rhone Masstlia, das mit sei-
nen zahlreichen Faktoreien an den Küsten und im Innern Galliens
und Iberiens den Handel nach dem Norden und Westen Europas
beherrschte. Das östliche Meer, das jonische, wie es in den älteren
Zeiten hieß, blieb dagegen den Griechen trotz seiner geringeren
Entfernung vom Mutterlande wenigstens in seinem nördlichen Theile
noch lange verschlossen. Zwar wagten die Phokäer, auch hier als
die ersten schon, im achten Jahrhunderte auf ihren schlanken, wohl-
bewährten Fünfzigruderern die akrokeraunischen Berge zu umsegein,
22 Robert von Schneider
aber ihren Unternehmungen war in diesen durch Sturmwinde imd die
seeräuberischen Anwohner unwirtlichen Gewässern der bleibende
Erfolg versagt. An ihre Stelle traten Korinth und das von Korinth
aus (734) colonisierte Kerkyra (Corfu). Verworrene Erinnerungen
an kühne Fahrten nach dem Norden verwoben sich in die korin-
thische Fassung der Argonautensage, der zufolge Jason aus
Kolchis auf dem Ister (Donau) und dem adriatischen Meere in
seine Heimat zurückgekehrt sein sollte. Im letzten Viertel des
siebenten Jahrhunderts gründete Kerkyra nördlich von den Akro-
keraunien ApoUonia und Epidamnos, das spätere Dyrrhachium.
Beide Städte versorgten mit den Producten ihrer Hinterländer :
Holz, Metall, aus illyrischen Kräutern bereiteten Salben, Schlacht-
vieh, und Sclaven den Markt von Korinth. Gleichwohl galt
noch im vierten Jahrhunderte vor Chr. die Schiflfahrt auf diesem
Meere für gefährlich, obgleich reichlich lohnend. Um diese
Zeit nahm Syrakus, das seit dem Scheitern der athenischen
Expedition im peloponnesischen Kriege mächtig aufblühte, in
seinem Handel nach dem Westen aber durch die Karthager gehemmt
wurde, das vom hellenischen Mutterlande verlassene Colonisations-
werk mit frischer Energie wieder auf. Der thatkräftige Tyrann
Dionysios I. sandte Colonisten nach Ankon, Numana und Adria
an der italischen, nach Lissos (Alessio) an der illyrischen Küst^.
Unter seinem Schutze besiedelten parische Flüchtlinge die Inseln
Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), von welchen aus Zweignieder-
lassungen nach dem schwarzen Kerkyra (Curzola) und dem Fest-
lande (Tragurium - Trau, Epetium - Stobrez, Epitaurum - Ragusa
vecchia) entsendet wurden. Dem raschen Aufblühen dieser grie-
chischen Pflanzstätten folgte aber schnell eine Zeit mühseligen
Standhaltens in schwieriger Lage. Im dritten Jahrhunderte wuchs
die Macht der einheimischen Fürsten in bedrohlichem Maße.
Schon um 300 besetzte der Dardanerkönig Monunios Dyrrhachium.
Unumschränkt herrschten die Piraten auf dem Meere. Sie brand-
schatzten Epirus, belagerten Corfu und dehnten ihre Raubzüge
bis nach dem Peleponnese aus. In seinem Verkehre mit Groß-
griechenland und Sicilien auf das empfindlichste getroflfen, stand
das zwieträchtige Hellas ihrem Treiben ohnmächtig gegenüber,
und Hilfe war einzig von dem nach dem ersten punischen Kriege
zur Weltmacht herangereiften Rom zu erwarten, das, gerufen von
Drei römische Städte.
23
den hartbedrängten Issäern, in einem einzigen Feldzuge die Macht
der Corsarenkönigin Teuta (229) vernichtete, und hiemit seine
Herrschaft im adriatischen Meere begründete.
So vieler Unternehmungen und Kämpfe bedurfte es, um den
großen Handelsweg nach dem Norden freizulegen. Der kind-
liche Zustand der antiken Schiffahrt wies sie so gut wie die mittel-
alterliche von der hafenarmen Küste Italiens an die buchtenreiche
Dalmatiens, welche überdies Schiffsbauholz in reicher Fülle ge-
währte, und wie Venedigs Handelsmacht ohne die Herrschaft über
diese Gestade undenkbar gewesen wäre, so war ihr Besitz auch
die Voraussetzung, dass Venedigs Mutterstadt in mehr als einem
Sinne, dass Aquileja entstehen konnte. Aber noch ein halbes
Jahrhundert musste verstreichen, ehe die Schiffahrt im adriatischen
Meere diese ihre ,, Kopfstation** erhielt. Zwar hatte Rom nur
wenige Jahre nach dem Siege über die lUyrier auch die Kelten der
Poebene endgiltig unterworfen und die Grenzen Italiens bis an
seine natürliche Schutzmauer, die Alpen, verlegt (222). Ein Jahr
später stellte der istrische Feldzug die Verbindung mit lUyrien zu
Lande her und vertrieb die adriatischen Piraten aus ihren letzten
Schlupfwinkeln. Doch erst die wiederholten Einfälle keltischer
Horden und noch mehr die Sorge, König Philippos von Make-
donien möchte, Hannibals Beispiel nachahmend, in Italien von
Norden her einbrechen, gaben 181 vor Chr. zur Gründung der
Stadt Aquileja den Anlass. Als Bollwerk an die äußersten Grenzen
des Landes gesetzt, hatte sie zunächst einen ausschließlich strate-
gischen Zweck zu erfüllen. Dessenungeachtet haben die Vortheile
des Platzes einen lebhaften Handelsverkehr mit den Barbaren
innerhalb ihrer Mauern hervorgerufen. Doch mussten erst die
Alpen- und Donauländer unterworfen und die Reichsgrenzen an
die Ufer des gewaltigen Stromes hinausgeschoben sein, ehe für
Aquileja die Bedingungen vorhanden waren, eine der bevölkertsten
Städte des späteren Alterthums, der Brennpunkt antiker Civili-
sation für das ganze weite Gebiet Noricums und Pannoniens und
darüber hinaus und jenes große Emporium zu werden, wozu es
wohl kaum die politische Voraussicht seiner Gründer, um so mehr
aber die Natur seiner Lage vorherbestimmt hat. Mit der Paci-
ficierung des Weltreiches, die sich an den Namen des Kaisers
Augustus knüpft, hebt Aquilejas Blütezeit an und währt fast
24
Robert von Schneider
ununterbrochen, bis es von den Hunnen 452 nach Chr. zer-
stört wird.
In den ,, Vögeln*' des Aristophanes drängt sich zum Bau der
Wolkenstadt in der Schar dienstbeflissener Charlatane auch ein
Landmesser heran. Er schickt sich an, die Hantierungen mit seinen
Instrumenten zu explicieren, und wie er die neue Stadt mit dem
Markt in der Mitte und den sternartig von ihm auslaufenden
Straßen anlegen wolle, bis er gleich seinen Vorgängern, dem Ge-
legenheitsdichterling und dem wandernden Bettelpropheten, mit
Spott und Prügel hinweggejagt wird. Das himmlische Jerusalem,
das der heilige Johannes im siebenten Gesichte seiner Apokalypse
erblickt, wird von einem Engel mit goldnem Rohre ausgemessen.
Es ist im Quadrat gebaut, von hohen Mauern eingefasst, mit drei
Thoren an jeder Seite. Kaum lassen sich in einem Athem grund-
verschiedenere Dinge nennen als jene attische Komödie, das genialste
Werk eines der freiesten Geister des Alterthums, und das schwer-
müthige Buch des einsamen Sehers von Patmos. Desungeachtet
haben beide. Dichter und Apostel, in ihre Phantasmagorien
durchaus der Wirklichkeit entnommene Züge verflochten. Mit ihren
Namen ist auch ungefähr Beginn und Ende der Periode der
Städtegründungen nach bewusstem einheitlichen Plane im Bereiche
der alten Welt gekennzeichnet. Schon zur Zeit des Perikles hatte
der Milesier Hippodamos für die künstliche Anlage einer Stadt ein
festes System aufgestellt, nach dem der Piräus, Thurioi und
Rhodos erbaut wurden. Aber erst in der Diadochenzeit gelangte
der Städtebau, sowohl was Zweckmäßigkeit als Schönheit angeht,
zu allseitiger Ausbildung, und nie zuvor und nie nachher, auch
nicht im Zeitalter der Renaissance, sind der Kunst so umfassende
Aufgaben gestellt worden wie damals. Bei dem eingehenden
Studium, das man den jeweiligen Bedürfnissen und natürlichen
Verhältnissen des Ortes widmete, und dem sorgsamen Bedachte,
den man, wie der theaterförmige Aufbau mancher Hafenstädte
zeigt, auf ihr malerisch effectvoUes Gesammtbild genommen hatte,
erwuchsen die hellenistischen Städte in individueller Mannig-
faltigkeit hart nebeneinander. Nur ausnahmsweise, wenn sich zur
Stadtanlage eine Ebene wie bei Nikäa in Bithynien darbot,
mochte man auch die Regelmäßigkeit eines abstracten Schemas in
allen ihren Consequenzen durchführen. Der römische Typus, den
Drei römische Städte.
25
der heilige Johannes in der angeführten Stelle vor Augen hatte, ergab
sich dagegen als nothwendige Folge eines althergebrachten, von den
Etruskem übernommenen religiösen Ritus, der, ganz entsprechend
dem für den Tempelbau geltenden, wie beim Vermessen des Landes
oder des Standlagers der Legionen bei der Anlage einer Stadt
beobachtet wurde und den hiefiir geeigneten Platz als geheiligten
Raum aus seiner Umgebung schied. Den quadratischen Umfang
der Stadt bestimmte der Gründer mit dem Pfluge. Die gezogene
Furche deutete den Graben, die nach links aufgeworfene Scholle
den Lauf der Mauer an. An der Stelle eines Stadtthores ward
die Pflugschar einen Augenblick lang empor und darüber hinweg-
gehoben. Innerhalb des umschriebenen Gebietes bezeichneten
zwei rechtwinklig sich schneidende Linien, der von Norden
nach Süden gezogene Cardo und der von Westen nach Osten
laufende Decumanus, die zwei Hauptstraßen. Sie zerlegten die
Stadt in vier Quartiere; wo sie sich kreuzten, kam der Markt, das
Forum zu liegen; die übrigen Gassen liefen ihnen parallel. Die besten
Beispiele einer solchen regelmäßigen Anlage sind zwei in den letzten
Jahren aufgedeckte Städte, die etruskische Colonie von Marzabotto
bei 3ologna und die romische von Thamugadi (Timgad) in Afrika.
Ohne Zweifel verräth die Befestigung eines Ortes bloß mit einem
Graben und einer thurmlosen Mauer wenig fortificatorische Kunst.
Jede mittelalterliche Wasserburg mochte darin eine römische Stadt
überbieten. Treu den Standlagern der Legionen nachgebildet, war
eine solche nur als Quartier der Colonisten, als deren Schutz gegen
Überrumpelung gedacht Sie sollte der Stützpunkt für kriegerische
Unternehmungen, jedoch keine Festung für einen langen Verthei-
digungskrieg sein. Der Römer dachte sich nur in der Offensive.
Und in dem kahlen Schema seiner Colonien prägt sich in der
That das stolze Bewusstsein seiner Kraft in gleichem Maße aus,
wie die Armut an Phantasie seines in rituelle und militärische
Vorschriften gebannten Geistes. Selbstverständlich erlitt die Norm
nicht selten bei der Ausführung einige Einbuße. Aber auch heute
noch lassen manche italienische Städte in ihrem ältesten Kerne
die oben angegebenen Grundzüge erkennen, wie denn beispiels-
weise das dem äußeren Anscheine nach so moderne Turin seine
schnurgerade laufenden Straßenzüge keineswegs späteren Correc-
tionen, sondern der ursprünglichen römischen Anlage verdankt.
20 Robert von Schneider
welche sich hier, da alle Häuser Keller hatten und so für alle
Zukunft gleichsam an ihrer Stelle festgehalten wurden, um so
unveränderter bewahren konnte.
In dieser Art war auch das antike Aquileja erbaut. Wie
das beschriebene Schema, für eine ebene Fläche ersonnen, um
stricte eingehalten zu werden, eine solche voraussetzt, so. konnten
hier in der Niederung des Isonzodeltas dem genauen Befolgen der
Norm keine erheblichen Schwierigkeiten entgegenstehen. Neuere
Ausgrabungen haben den Lauf der Mauern bloßgelegt und den
Umfang der Stadt festgestellt. Sie lassen erkennen, wie die
ursprünglich quadratische Colonie in Augusteischer Zeit nach
Nordwesten um mehr als das doppelte erweitert wurde, so dass sie
die Form eines langgestreckten Rechteckes erhielt. Die doppelten
Stadtmauern waren aus quaderförmigen dicken Ziegeln durchaus
auf das sorgfaltigte erbaut, die ihr vorgelegten Thürme dagegen
aus schnell aufgerafftem Materiale, Bruchsteinen und rauchge-
schwärztem Bauschutt, eiligst aufgemauert worden. Ungleich in
ihren Grundrissen und in ungleichen Abständen von einander erheben
sie sich ohne Fundamentierung zuweilen unmittelbar über das ältere
Pflaster des Mauergrabens. Den Anlass ihrer Erbauung erfahren wir
vom Geschichtsschreiber Herodian. Als nämlich der von den
Legionen auf den Kaiserthron erhobene Maximinus der Thraker
gegen die vom Senate gewählten Kaiser nach Italien zog, hatte
Aquileja den ersten Anprall seiner Heeresmacht zu bestehen (238 n.
Chr). Die Befestigungen waren in der langen Friedenszeit verfallen
und mussten nun schnell in Stand gesetzt und mit jenen Thürmen
verstärkt werden. Muthig trotzten die Aquilejenser der Übermacht
des Gegners und schlugen dessen fast tägliche Angriffe siegreich
zurück, bis die feindlichen Soldaten, der langen^ Belagerung müde
und durch die unzeitgemäße Strenge ihres Herrn gereizt, seinem
Leben ein gewaltsames Ende machten und sich freiwillig den Gegen-
kaisern unterwarfen. Außerhalb der demnach in früheren Zeiten
thurmlosen Mauern dehnten sich die weiten Vorstädte aus, welche
damals in Flammen aufgiengen, später aber wieder aufgebaut
wurden. Längs der Landstraßen, die hier sternartig aus der
Apenninen- und Balkanhalbinsel zusammenliefen, um sich nordwärts
in die Alpenländer zu verzweigen, standen die Grabmonumente
der Aquilejenser, wie zahlreiche Funde beweisen, in langen Reihen
Drei römische Städte.
27
nebeneinander. Fügen wir noch hinzu, wie die nächste Umgebung
Aquilejas, von einem Netze unzähliger Wasserläufe durchzogen,
Herodians Schilderung zufolge ein blühender Garten war, in
dem die Weinrebe in dichten Kränzen von den Obstbäumen
hieng, so gewinnen wir aus allen diesen Zügen ein hinlänglich
anschauliches Bild der ihrer Gesundheit wegen gerühmten Land-
schaft, die an üppiger Fruchtbarkeit der heutigen lombardischen
Ebene nicht nachstehen mochte, und der ummauerten Stadt, die
sich inmitten derselben erhob.
Leider fehlen uns die Nachrichten der Schriftsteller in glei-
chem Maße wie die Funde, sobald wir nähere Auskunft über das
Innere Aquilejas begehren. Ein jahrhundertlanges Durchwühlen
des Bodens, der Baumateriale in reicher Fülle gewährte, hat die
Häuser der antiken Stadt bis in ihre Fundamente zerstört. Bisher
ist kein größerer Gebäudecomplex auch nur in seinen Grund-
mauern aufgedeckt worden. Kaum dass ab und zu das Pflaster
der geraden Gassen mit tiefen Geleisen für die Fuhrwerke zum
Vorschein gekommen ist. Die höchste Stelle innerhalb des Weich-
bilds der Stadt, dort wo die Domkirche der Patriarchen sich erhebt,
nahm das Capitol ein. In seiner Nähe lag das Forum mit den
Stand- und Reiterbildem der Kaiser, um das Gemeinwohl verdienter
Bürger und vor allen der Gründer der ursprünglichen Colonie;
nicht weit davon der Viehmarkt, das Forum pecuarium. Was sonst
über die Lage des kaiserlichen Palastes, der Münze und anderer
öflFentlicher Bauten behauptet wurde, entbehrt der Begründung.
Der Mangel genauerer Kenntnisse über Aquileja ist um
so mehr zu bedauern, als diese Stadt oflfenbar auf die Gestalt aller
übrigen römischen Städte im östlichen Alpen- und Donaugebiete
von entscheidendem Einflüsse war, wie auch für das Verständnis
unserer provinziellen Funde nach ihrer kunsthistorischen Seite hin
von hier aus der Ausgang zu nehmen wäre. Bekanntlich hatten in
den glänzenden Residenzen der Nachfolger Alexanders des Großen
auf dem Boden der alten orientalischen Staaten das Entfalten äuße-
rer Pracht und der Reichthum der verfügbaren Mittel eine Ent-
wicklung der bildenden Künste gezeitigt, welche in ihren Tendenzen
mit der letzten, gewöhnlich als ,, Barocke** bezeichneten Richtung
der Renaissance eine unverkennbare Ähnlichkeit aufweist. Die
Freude an virtuoser Beherrschung alles Technischen, das Verlangen
28 Robert von Schneider
nach üppigem Sinnenreize und malerischem Effecte bestimmte
das künstlerische Schaffen. Nicht selten ward es durch das Stre-
ben, alles Frühere zu überbieten, verleitet, jener edlen Einfalt, aus
der die stille Anmuth und Größe der altgriechischen Kunst hervor-
gewachsen ist, abtrünnig zu werden. So schien zuweilen die Archi-
tektur der geraden Bautheile des hellenischen Tempels überdrüssig
geworden zu sein, und damals zum erstenmale versuchte sie durch
Schwingung der horizontalen und verticalen Linien und das concave
Ausschweifen ganzer Fagaden neue Wirkungen zu erzielen. Dem
Übermaße folgte die Reaction. Sie gieng von Rom aus und äußerte
sich parallel auch auf anderen Gebieten des geistigen Lebens. Wie
Cicero den Schwulst und den Prunk der asianischen Rhetorik be-
kämpfte, wie Horaz in seinen Liedern die Töne des Archilochos und
Alkäus von neuem anstimmte, so wenden sich der Bildhauer Pasiteles
und seine Schüler zu den Vorbildern des peloponnesischen Erzgießers
Polykleitos zurück, und auch die Baukunst der ersten Kaiserzeit
befleißigt sich reinerer und strengerer Formen. Gewiss war der
Einfluss der Capitale maßgebend, aber ehe er noch in alle Winkel
und Ecken des weiten Reiches vorzudringen vermochte, erlahmte
die neue Richtung in Rom selbst. Namentlich in den hellenisti-
schen Gebieten, seiner Heimat, herrschte der antike ,, Barockstil*'
fort. Ungebrochen waltet er noch in den großartigen Ruinen der
Wüstenstädte Balbek und Petra, und trügen nicht deutliche Anzeichen,
so machten sich seine Traditionen, wenngleich in localer Entartung
und Verflachung, wohl unter dem Einflüsse einer handeltreibenden
Bevölkerung, die in ihren materiellen Interessen aufgieng und
den geistigen Bewegimgen jener Tage im ganzen fernestand, auch
in Aquileja geltend. Von. diesem Gesichtspunkte aus sind von
besonderem Interesse zwei Säulenstümpfe von einem Tempelchen,
das der Vergrößerung der Stadt durch Augustus zum Opfer
fiel. Die überkommene Form des jonischen Capitäls ist an
ihnen in freier Willkür behandelt, indem zwischen Schaft und
Knauf gewissermaßen ein Halsstück, ein glattes, von Perlenschnüren
eingefasstes Band, eingeschaltet ist. Das lehrreichste Beispiel die-
ser Stilrichtung bietet aber das Familiengrab der Gens Curia. Der
luftige Bau erhob sich auf cylindrischem Untersatze ; drei Säulen
oder Pfeiler (sie allein fehlen, während alle übrigen Werkstücke
vorgefunden wurden) trugen das aus Quadern zusammengesetzte
Drei iSmische Städte.
29
Dach, das die Form einer abgekanteten dreiseitigen Pyramide
hat und gleich dem Grabe der Secundiner zu Igel (Trier) in einem
korinthischen Capitale seinen Abschluss findet. Unter diesem Bal-
dachine standen die Statuen der Familienhäupter, Hier ist die Gerade
geflissentlich vermieden. Das Gebälke wie die aufsteigenden Linien
der Dachschräge zeigen jene charakteristischen geschweiften Profile,
von denen wir gesprochen haben. Den paläographischeii Eigen-
thümlichkeiten seiner Inschriften zufolge war das Grabmal im
ersten nachchristlichen Jahrhunderte errichtet worden und wider-
Abb. 8. Mithras.
legt für sich die Ansicht derer, welche diesen Stil als äußerste
Entartung der Kunst, wie sie zu sagen pflegen, in den spätesten
Zeiten des Alterthumes entstanden glauben. Dass dieses Bauwerk
in Aquileja nicht vereinzelt war, beweisen ganz ähnliche Bruch-
stücke anderer Monumente, und geradezu typisch für das Gebiet
dieser Stadt, sowie für ganz Noricum und Pannonien sind die pyra-
midenförmigen Aufsätze mit concaven Seitenflächen verschie-
denster Größe, deren man sich zur Bedeckung der als Altäre
gestalteten Ossuarien bediente. Auch die Bildhauerei, sobald sie
sich über die Dutzendarbeit des Alltagsgebrauches erhob, wandelte
30
Robert von Schneider
auf gleichen Wegen. Es bezeuge dies die oben abgebildete
Darstellung des persischen Sonnengottes Mithras, einer der
jüngsten Funde auf dem Boden Aquilejas. (Abb. 8.) In den Dienst
eines kleinlichen Geschmackes stellt sich hier ein verblüffendes
Geschick im Technischen. Die Figürchen sind vollkommen rund
aus dem Blocke herausgemeißelt und nur durch kleine ver-
borgene Stege mit dem Hintergrunde verbunden. Das merkwür-
dige Bildwerk gehört bereits dem zweiten Jahrhunderte nach Chr.
an und ist zugleich ein Denkmal einer vor dem Siege des Christen-
thums weitverbreiteten Religion, welche im Bereiche der römischen
Monarchie namentlich auch unter den Soldaten zahlreiche Anhänger
zählte. Sie hatte deshalb viel von kriegerischem Wesen, ander-
seits auch manches Gemeinsame mit dem Christenthume, wie Taufe
und Abendmahl, asketische Übungen und den Glauben an ein Jen-
seits. Die höchste ihrer Weihen war das Stieropfer, in dessen
Symbolik wir keine Einsicht haben. Wir sehen es auf dem Bilde
vom .Gotte selbst in einer Höhle vollziehen. In persischer Tracht
stürzt er sich auf das Thier und stößt in dessen Brust den Dolch.
Hund und Schlange lecken das der Wunde entfließende Blut.
Andere Thiere, wie Scorpion und Rabe, vermehren das allegorische
Beiwerk, während die Jünglinge mit den Fackeln rechts und links,
Helios und Selene in den oberen Ecken den Auf- und Niedergang
der Sonne, Tag und Nacht, bedeuten.
Überaus ergiebig ist der Boden Aquilejas an Überresten indu-
strieller Erzeugnisse. Mehr als die Kunst blühte hier das Hand-
werk; denn auch das hat Aquileja mit dem mittelalterlichen
Venedig gemeinsam, dass es die Producte seiner Hinterländer
nicht als rohes Materiale sondern verarbeitet auf den Markt brachte.
So zog es seinen Gewinn zugleich aus dem Handel und der In-
dustrie. Hier wurden aus norischem Eisen Waffen geschmiedet,
aus dem Golde und dem Silber der Alpen Schmuck und künst-
liche Gefäße geformt. Vielleicht gieng aus einer Werkstätte Aqui-
lejas die dort gefundene, im kunsthistorischen Museum zu Wien
aufbewahrte silberne Votivschale hervor, deren reiche und schöne
Darstellung einen Kaiser oder Prinzen julischen Geschlechtes als
Förderer des Ackerbaues verherrlicht. Berühmt waren die Wollen-
zeuge Aquilejas. Seine Ziegelbrennereien und Töpfereien ver-
sorgten ein weites Gebiet. Massenhafte Funde von Gläsern aller
Drei römische Städte. nj
Art beweisen den uralten Betrieb dieser Industrie in den Lagunen.
Unzweifelhaft wurden in Aquileja die zahllosen, vertieft geschnit-
tenen Steine erzeugt, die allerorten in den Donauländern und an
den östlichen Küsten des adriatischen Meeres zum Vorschein
kommen. Man fasste sie in Ringe, schmückte mit ihnen Gefäße
und Waffen und trug sie an Gewändern und selbst an den Schuhen.
Vor allem charakteristisch sind für Aquileja die vielen Nippes aus
Bergkrystall und Bernstein, die man in die Gräber als Liebesgaben
zu legen pflegte: Löffelchen und Spateln, Büchschen und Fläschchen,
Perlenschnüre und Ringe, Früchte, Muscheln, menschliche Figuren
und Thiere. An keinem anderen Orte der antiken Welt sind der-
gleichen in solcher Menge gefunden worden. Der Bergkrystall
kam von den Alpen, der Bernstein aus den baltischen Ländern.
Über Friaul und die Poebene fand er als Tauschartikel schon im
heroischen Zeitalter seinen Weg zu den classischen Völkern.
Lange den kostbarsten Edelsteinen gleich geschätzt, wandte sich
ihm der feinere Geschmack späterer Zeiten ab, bis sich die Mode
der Kaiserzeit wie alles Kostbaren und Seltsamen auch seiner
von neuem bemächtigte. Damals war er ein wichtiger Handels-
artikel Aquilejas und wurde hier zu kleinen Kunstgegen-
ständen verarbeitet.
II.
Bieten die Funde Aquilejas dem Alterthumsforscher, der auch
den kleinen Zügen antiken Lebens nachspürt, viel des Lehrreichen
dar, so wird doch dort nichts oder nur wenig finden, wer nach
dem Eindrucke der großen monumentalen Bauwerke der Römer
verlangt. An manchen Orten dagegen, die sich an Bedeutung mit
Aquileja nicht entfernt messen konnten, stehen noch stattliche Ruinen
aufrecht. So in Triest (Tergeste) die Trümmer eines in den Glocken-
thurm der Kathedrale verbauten Tempels und auf dem Wege, der von
S. Giusto hinab zum Hafen führt, ein römisches Thor. Einen
ähnlichen Thorbogen besitzt Fiume (Tersatica). Die Fundamente
zweier Tempel liegen zu Parenzo (Parentium) offen zu Tage.
Säulen und Architravblöcke bezeugen für das antike Zara (Jader)
das einstige Vorhandensein prächtiger Bauten, wie denn dort auch
32
Robert von Schneider
der Bogen, der zu dem mit einem Aufwände von 600.000
Sesterzien errichteten Hafenplatze (emporium) führte, noch erhalten
ist Zwei luftige Bögen bei Kistagne in Dalmatien bezeichnen die
Lage des alten Bumum. Aber keine dieser istrischen und dalma-
tinischen Städte hat so bedeutende Reste ihrer classischen Ver-
gangenheit bewahrt wie Pola und Salona. Hier verkündigen
mächtige Monumente die Größe und den Reichthum des römi-
schen Weltreiches, und was in Aquileja nicht einmal in seinen
Grundmauern nachzuweisen ist: Tempel und Palast, Triumph thor
und. Amphitheater können wir in diesen Orten, wenn auch im
Laufe der Zeiten entstellt und geschädigt, noch in der ganzen
Majestät seines Aufbaus bewundern.
Für den späteren mercantilen Aufschwung Aquilejas war
innerhalb des Lagunengebietes seine Lage gleichgiltig gewesen.
Der Handel forderte nur eine Kopfstation am Nordende des
Meeres in der großen Niederung, die dem Verkehre nach allen
Seiten bequeme Wege nach den Hinterländern bot, folgte aber
im übrigen willig dem Winke der politischen Macht So konnte
in den mittleren und neueren Zeiten an Aquilejas Stelle Venedig
treten und in unserem Jahrhunderte, dessen Transportmittel
ganz andere geworden sind, sogar das außerhalb der Lagunen
liegende Triest. Pola und Salona dagegen, beide im innersten
Winkel von Meeresbuchten, die der Schiffahrt die besten Anker-
plätze gewähren, sind naturgemäß an eben der Stelle, die sie
noch heute innehaben, dem Boden entwachsen. Vorhanden, seit
Menschen überhaupt sich auf die See gewagt und angesiedelt
haben, reichen ihre Anfange in viel frühere Zeiten als die Aqui-
lejas zurück. Als Aquileja blühte, nur zwei der wichtigsten
Stationen auf der Handelsstraße, die zu dem großen Weltmarkte
führte, haben beide es überdauert und sind niemals so tief
gesunken, dass sie sich nicht wieder aus ihrem Verfalle hätten
erheben können. Pola zieht erst in unseren Tagen alle Vortheile
aus seinem unvergleichlichen Hafen, den die primitive Schiffahrt
der Alten voll auszunützen gar nicht im Stande war. Und indem
sich in der Bedrängnis der Völkerwanderung Salonas Bewohner
in die leeren Räume des Palastes flüchteten, den sich der am
höchsten gestiegene Sohn des Landes in der Nähe seiner Vater-
stadt erbaut hat, lebt es zwar nicht in dem Dorfe, das bis heute
Drei römische Städte.
33
seinen Platz ein-
nimmt und seinen
Namen führt, son-
dern, durch den
Wechsel seines
Standes in seiner
historischen Iden-
tität nicht beein-
trächtigt, in Spa-
lato ununterbro-
chen fort.
Der natürliche
Ursprung dieser
Städte gibt sich
in ihrer Anlage zu
erkennen. Beide
haben nitjhts von
der abgezirkel-
ten Regelmäßig-
keit Aquilejas an
sich. Als jedoch
Kaiser Augustus **''■ » ^'""p" '" '^"'■
nach der Ein-
nahme von Pola, das seinen Gegnern ergeben war, hier eine
römische Colonie gründete, die er nach seinem Oheim Pietas Julia
nannte, musste die alte an den Berghügel gelehnte Ansiedlung
dem festgesetzten Schema so viel als möglich angepasst werden.
Man begann am Fuße des Hügels Terrain anzuschütten, Pfähle
einzuschlagen und Töpfe zu versenken, um auf so dem Meere
abgewonnenem Boden das Forum der neuen Colonie zu errichten.
Von rechteckiger Gestalt, annähernd doppelt so lang als
breit, hat sich seine Grundform von dem alten auf den
heutigen Hauptplatz Polas übertragen, indem der letztere genau
die Stelle des ersteren einnimmt und sich nur durch das Vorrücken
der' südlichen Häuserreihe in die Area des alten Forums nicht
unbeträchtlich verkleinerte. An der westlichen Schmalseite des
Platzes stieg man auf Stufen zu zwei Tempeln hinan. Der eine
ist noch vollständig erhalten und war nach der Inschrift auf
34
Robert von Schneider
seinem Epistyle der Göttin Roma und dem Kaiser Augustus
geweiht. Vom andern dagegen fiel der vordere Theil dem Bau des
Municipalpalastes zum Opfer und blieb nur die Rückseite stehen.
Beide Gebäude waren einander im wesentlichen gleich. Ganz
ähnlich stand auch der einen dem Meere zunächst gelegenen Schmal-
seite des Forums von Parenzo (,,Marafor*' wie es heute heißt) ein
Tempelpaar. Der Tempel zu Pola (Abb. 9) ist in der den römischen
und tuskischen Heiligthümern typischen Weise mit einer weiten
Vorhalle, dem Pronaos, versehen, der, vier Säulen korinthischer
Ordnung in der ,Fronte, zwei in der Tiefe zählend, an Größe dem
verschlossenen Räume, der Cella, fast gleichkommt. Die vier
Ecken der letzteren sind von Pilastern flankiert. Die Säulen
blieben glatt, die Pilaster wurden canneli^rt, wie es auch Bru-
nellesco, der große Meister der Frührenaissance, zu halten pflegte,
von dem Gefühle geleitet, dass die ebene Fläche des Pfeilers
dieses Schmuckes weniger entbehren durfte als der durch Licht
und Schatten belebte cylindrische Schaft der Säule. Schön ge-
arbeitetes Ranken- und Blätterwerk ziert das Gebälke des Tempels.
Sein Giebelfeld war einst mit einem jetzt verschwundenen bron-
zenen Ornamente gefüllt. Die drei anderen Seiten des Platzes
nahmen, wie gewöhnlich an den Foren der Provinzialstädte, ofiFene
Hallen ein;
. . . innumeris spatia interstincta columnis
singt Statins von dem Forum seiner Vaterstadt Neapel. In ihnen
spielte sich das politische Leben des Gemeinwesens und sein
Handelsverkehr ab, wie es denn, ehe die Stadt das Amphitheater
hatte, auch der Schauplatz der öffentlichen Feste war. Von den
Statuen, welche heute in der Cella des Tempels aufbewahrt
werden, schmückte wohl manche ehedem den Platz.
Der Tempel muss nach 2 vor Chr. erbaut worden sein, denn
erst von diesem Jahre an konnte Augustus wie hier in der In-
schrift ,,pater patriae'* genannt werden, aber noch vor 14 nach Chr.,
dem Todesjahre des Imperators. In etwas frühere Zeiten fallt der
Bau des Triumphbogens, der sich im Süden von Pola erhebt.
Eine Frau, Salvia Postumia, hat ihn aus eigenen Mitteln zu Ehren
ihres Gemahles Lucius Sergius errichtet, eines Militärtribunen der
nach der Schlacht von Actium (30 v. Chr. ) aufgelösten 29. Legion,
sowie zum Andenken an seinen Vater, der denselben Namen wie
Drei römische Städte.
35
der Sohn trug, und an seinen Oheim Gnaeus Sergius. Vier
Säulen rechts und links paarweise auf gemeinsamem Fußgestelle
und mit gemeinsamem Gebälke schließen den weiten Bogen ein
und tragen die hohe Attika, die in den längst zerstörten Statuen
der drei genannten Männer ihren bekrönenden Abschluss. fand.
Mag der strenge Vitruvianer immerhin die Proportionen dieses
Thores tadeln, insbesondere dass Attika und Gebälke zusammen
nicht, wie die Vorschrift will, dem Viertel, sondern nur dem
Fünftel der Säulenhöhe entsprechen, wer von diesem Regelzwange
absieht, wird sich hiedurch in der Freude an der eleganten Er-
scheinung des Bauwerkes wie an dem Reichthum und der Anmuth
seiner Ornamente nicht beirren lassen. Schöne Cassetten schmücken
die Bogenwölbung , Waffentrophäen, Stierschädel, Eroten und
Blumengewinde, Siegesgöttinnen auf Kampfwagen den Fries,
Victorien mit Posaunen und Kränzen die Zwickel über dem
Bogen, anmuthig verschlungene, aus einer Akanthusstaude hervor-
sprießende Weinranken die Wände des Thorweges. Eine ähnliche
glückliche Erfindungsgabe, die sich besonders in den vegetabi-
lischen Zierformen bewährt, waltet auch an dem nur um weniges
älteren Triumphbogen von St. Remy in der Provence. Selbst-
verständlich steht das Thor von Pola, wie es doch nur ein Ehren-
denkmal von Privatpersonen ist, an Größe und Pracht hinter den
Triumphbogen der Cäsaren in Rom und in den Provinzen zurück:
es ist nur wenig mehr als ii Meter hoch, kaum 9 Meter lang.
Am Meere, schon außerhalb der Thore der einstigen römischen
Colonie, mit seinem goldig gebräunten Mauerwerke weit in die
See hinausschimmernd und den Ankömmling von ferne begrüßend,
ragt das Amphitheater empor, seit jeher Polas berühmtester Über-
rest aus dem Alterthume. (Abb. 7.) Zahlreich sind über die Länder
des alten römischen Weltreiches die Ruinen ähnlicher Bauten ver-
breitet: aber unter den am besten bis auf unsere Zeit erhaltenen
verdient die Arena von Pola als eine der ersten genannt zu werden.
Ist der Säulentempel das charakteristische Wahrzeichen der helle-
nischen, die gothische Kathedrale das der mittelalterlichen Städte,
so misst sich Wohlstand und Größe der römischen Städte der
Kaiserzeit an jenen steinernen Kolossen, welche die Weltbeherrscher
im Genüsse ihrer unbestrittenen Macht den blutigen Schauspielen
der Gladiatoren- und Thierkämpfe errichteten. Aber wie die
3*
36
Robert von Schneider
Fechterspiele keineswegs national römischen Ursprunges sind,
sondern aus Etrurien oder Campanien nach Rom gelangten, so
ist auch die Bauform der Amphitheater nicht von den Römern
geschaflFen worden. Trügt nicht alles, so war es auf halbgriechi-
schem Gebiete, in Unteritalien, dass man verhältnismäßig spät,
im ersten vorchristlichen Jahrhunderte, das vergängliche Holz-
gerüste durch ein bleibendes Werk in Stein ersetzte, und es wäre
wieder hellenischem Erfindungsgeiste überlassen gewesen, die
ersten entscheidenden Versuche zu wagen. In dem 70 v. Chr.
erbauten Amphitheater in Pompeji zeigt sich das Schema noch
auf unfertiger Stufe; man ist der Constructionen nicht durchaus
sicher, und vieles war noch zu finden und zu erproben. Völlig
ausgestaltet tritt uns der Baugedanke in Rom selbst entgegen,
in dem Amphitheater, das Vespasian begann und Titus voll-
endete, das als InbegriflF des Riesenhaften die Welt unter dem
Namen des Colosseums kennt. Wie im Wetteifer mit einander
erbauten die Provinzen nach diesem Modelle die gewaltigen Stein-
kessel, die wir zu Verona und Capua, zu Arles, Nlmes und Pola
bestaunen, bewundernswert in ihren großartigen Massen an sich
wie durch das technische Vermögen, das diese Massen organisch
gliedernd in unübertrefflicher Weise einem einheitlichen Zwecke
zu unterwerfen verstand. Die ovale Form gehörte schon dem
primitiven Holzgerüste an, denn das aus einer Folge von Kämpfen
bestehende Schauspiel erheischte einen der Länge nach sich aus-
dehnenden Platz. So war es nicht ein Punkt, sondern eine Linie,
die der ganzen Anlage zugrunde gelegt werden musste. Mit
dem Übertragen des elliptischen Grundrisses in Stein entstanden
aber erst alle Probleme, die im Colosseum wie in dessen Nach-
bildungen so glänzend gelöst wurden, Monumenten, die nach dem
Ausspruche eines berühmten Architekten, VioUet-le-Duc, in ihren
zahllosen und mannigfaltigen Gliederungen keinen einzigen todten
Punkt aufweisen, in denen alles und jedes zur Erfüllung eines
Baugedankens beiträgt und bei der strengsten Ökonomie zugleich
für die Ewigkeit gemacht erscheint. Das Amphitheater von Pola
lässt freilich in seinem jetzigen Zustande die künstlerischen und tech-
nischen Eigenschaften eines solchen Bauwerkes nur mehr einseitig
erkennen, denn die ganze Cavea mit ihren Sitzen, Treppen und
Corridoren ist im Laufe der Jahrhunderte, in denen es als Steinbruch
Drei römische Städte.
37
gedient hat, verschwunden und der leere Mantel allein geblieben.
Zwar waren nur die unteren" Sitzreihen aus Stein, die oberen aber
aus Holz errichtet, denn schwerlich hätte sonst der Kern so sauber
aus der Schale gelöst werden können, wenn der Außenbau einst durch
steinerne Constructionen mit dem Innern verbunden gewesen wäre.
Allenthalben in der Umfassungsmauer sieht man auch noch die Löcher,
in denen die hölzernen Querbalken eingefügt waren. Vortrefflich
in allen seinen Theilen ist der aus drei Stockwerken bestehende
Mantel erhalten. Da das Gebäude an der vom Meere abgekehrten
Seite an einen Hügel sich lehnt, läuft das unterste Geschoss am
Abhänge blind, so dass an dieser Stelle ein gutes Stück des Auf-
baues und des Unterbaues erspart werden konnte. Eine besondere
Eigenthümlichkeit des Amphitheaters von Pola sind die rechts und
links an den Haupteingängen paarweise angebrachten thurmartigen
Vorbauten, die Treppen eingeschlossen haben. An dem obersten
Geschosse sieht man noch die durchlöcherten Kragsteine für die
Stangen, welche das über den ungeheuren Raum gespannte Zeltdach
(velarium) trugen. Die geringe Ausführung vieler nur ganz aus
dem Groben herausgearbeiteten Einzelheiten und manches, was
gutem Geschmacke zuwiderläuft, wie das Fehlen der Pilasterfüße
und das Verwenden von Pilastercapitälen an Stelle von Con-
solen, kann dem mächtigen Eindrucke und dem malerischen
Reize des Ganzen keinen Eintrag thun. Verglichen mit dem
Colosseum in Rom, das in vier Stockwerken übereinander
in je achtzig Arcaden sich öffnet, hat das Amphitheater von Pola
um ein Stockwerk weniger und nur zweiundsiebenzig Bogen im
Umkreis. Man berechnet, dass es 20 — 25.000 Zuschauern Platz
bot (das Colosseum für 87.000), eine Anzahl, die nicht allzu groß
erscheint, wenn man erwägt, dass zu den Fechterspielen die Be-
wohner der ganzen Landschaft von weit und breit sich einzu-
finden pflegten.
Neben dem Amphitheater besaß Pola bis in das 17. Jahr-
hundert am Monte Zarro ein wohlerhaltenes Theater für die
'scenischen Spiele. Die Nähe des venezianischen Castelles wurde
diesem Gebäude gefährlich : man bediente sich seines Materiales
für die Festungswerke und schleppte seine schönen Säulen nach
Venedig, wo sie Longhena für den Prachtbau von Santa Maria della
Salute verwendete. Die letzten Überreste wurden erst vor
38
Robert von Schneider
etwa zwanzig Jahren hinweggeräumt. Auch die Stadtmauern Polas,
welche zum Theile noch aus dem Alterthume herrührten, sind
erst in unserem Jahrhunderte niedergerissen worden. Heute stehen
davon nur zwei Thore : eines mit der Büste und Keule des Her-
cules, des Schutzgottes der römischen Colonie, in Relief auf den
Schlussstein seines Bogens gehauen, und in der Nähe des Amphi-
theaters ein anderes Thor mit zwei Bogengängen, die Porta Gemina,
das ähnlich wie die Porta Maggiore oder die Aqua Marcia in Rom
zugleich als Aquäduct verwendet worden war.
Das sind die Bauten, welche das stattliche Erbe Polas aus dem
Alterthume bilden und aus dieser Stadt gleichsam ein Museum
antiker Architektur gemacht haben. Leider erfreuen auch in unseren
Tagen diese unvergleichlichen Reste sich nicht der Sorgfalt, die
ihr Wert in vollem Maße verdienen würde.
IIL
Lernten wir in Pola an einer Reihe charakteristischer Bei-
spiele die typischen Formen von Bauwerken kennen, wie solche
fast jede große Stadt des römischen Kaiserreiches aufzuweisen hatte,
so eröffnen sich uns neue Blicke in das architektonische Schaffen
des classischen Alterthums, wenn wir den dritten Ort, dessen Be-
such wir uns vorgenommen haben, wenn wir Salona betreten.
Zwar was die Ausgrabungen von dem uralten Vororte Dalma-
tiens an das Tageslicht gefördert haben, sind vor allem Gebäude,
die für den christlichen Cultus bestimmt waren, und deren Be-
trachtung außerhalb des Rahmens dieses Aufsatzes fällt. Nur der
Mauerring, der die langgestreckte Niederlassung umgürtete,
nimmt auch unser Interesse in Anspruch. Gelegen in der frucht-
barsten Landschaft Dalmatiens, an einem rings von Bergen um-
schlossenen Golfe, der ganze Flotten bergen konnte, ward die Stadt
hart an der Küste gegründet und stieg erst in allmählicher Erwei-
terung den sich sanft zum Ufer abdachenden Berg hinauf. In späterer
Zeit umschloss sowohl die tiefer liegende Altstadt wie die höher
gelegene Neustadt eine gemeinsame Mauer mit achtundachtzig
Thürmen und drei Thoren, aber auch nach dieser Vereinigung
blieb die erstere durch ihre östliche Mauer, die man nicht nieder-
Drei römische Städte. 39
riss, von der letz-
teren geschieden,
und man betrat
sie von dieser
Seite wie vor-
alters durch ein
von zwei Thür-
men flankiertes
Stadtthor. Am
äußersten Ende
der Mauer, wie in
Pompeji sich da-
ranlehnend und
sie verstärkend,
lag das Amphi-
theater, das in sei-
nem Grundrisse
und einigen Thei-
len seines Auf-
baus noch deut-
lich zu erkennen
ist. Auch Reste
eines Theaters
sind erhalten.
Beide , Amphi-
theater und Thea-
ter , waren be-
trächtlich kleiner
als die entspre- Abb. 10. Ans dem Palaate von Spalato.
chenden Bau-
werke in Pola.
Aus dieser Stadt gieng der Mann hervor, der wie kein andrer
Dalmatiner die höchste Stufe irdischer Herrlichkeit erklimmen
sollte. Von dunkler Herkunft, durch eigene Tüchtigkeit sich
emporringend, zugleich Feldherr und Staatsmann, war Diocletian
der größte und letzte jener heroischen Imperatoren, die mit über-
menschlicher Anstrengung den Sturz des römischen Weltreiches
aufzuhalten sich erkühnen durften, in der Geschichte der abend-
40
Robert von Schneider
ländischen Menschheit einer der ragenden Marksteine, die Perioden
scheiden, und einer der Gewaltigen, die ganzen Zeitaltern ihr Ge-
präge aufdrückten. Es kann an dieser Stelle auch nicht andeutungs-
weise von seinen Thaten im Kriege und im Frieden gesprochen
werden, von seinen einschneidenden Reformen auf fast allen Ge-
bieten der Staatsverwaltung, von seinem Systeme der Mitregenten-
schaft und der Successionen. Nüchternen Verstandes war Diocletian
prachtliebend nur aus Politik, folgte aber einem inneren Antriebe
in seiner Baulust Keiner seiner Vorgänger auf dem Cäsarenthrone,
weder Augustus noch Traianus oder Hadrianus, hat eine groß-
artigere Baugesinnung bethätigt als er. Überall innerhalb der
Grenzen seines ungeheuren Reiches erhoben sich auf sein Geheiß
monumentale Bauten : im ägyptischen Alexandria, in Antiochia
und Palmyra, in Mailand und Karthago. Seine Thermen in Rom
übertrafen an Größe und Pracht selbst die Caracallas. An der Pro-
pontis schuf sein Machtwort eine neue Residenz: Nikomedia, die
Vorläuferin Constantinopels. Seine weit ausgedehnte, fast fieber-
hafte Bauthätigkeit stand im Dienste des Staates. ' Nur in der
Nähe seines Geburtsortes, an einem von der Bucht von Salona
durch ein Vorgebirge getrennten Golfe erbaute Diocletian sich
selbst einen Wohnsitz, der ihn mit seinem Gefolge nach seiner
Thronentsagung aufnehmen sollte, und innerhalb dessen Mauern
die heutige Stadt Spalato entstand. Dieser Palast hatte aus-
•
schließlich dem persönlichen Bedürfnisse des Kaisers zu dienen.
Er ist deshalb die individuelle Schöpfung seines Bauherrn. Wenn
auch nach dem überlieferten Schema eines Lagers angelegt, stellt
er sich ungleich den Bauwerken von Pola, die bloß Abwandlungen
bereits festgesetzter Typen sind, als eine neue Grundform dar, die,
wie es scheint, wenigstens eine Zeit lang für fürstliche Residenzen
maßgebend geworden ist.
Der Palast von Spalato erscheint nach außen als ein von
Mauern rings umschlossener, nicht ganz regelmäßiger Geviert-
raum (175X215 Meter lang) mit vier Thürmen an den Ecken.
Inmitten der drei dem Lande zugekehrten Seiten führt je ein
von zwei achteckigen Thürmen beschütztes Thor in das Innere
des Schlosses. In den Räumen zwischen den Thoren und den
Eckthürmen ist je ein Thurm angebracht. So beleben im ganzen
sechzehn Thürme die Monotonie der drei Fa^aden. Längs der süd-
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Drei römische Städte.
41
^
liehen der See zugewandten Fronte zog sich eine oflFene Bogenhalle
auf einem hohen Unterbau hin (Taf. I). Mächtige Substructionen '
waren g6gen das Meer hin nöthig, um das abfallende Terrain aus-
zugleichen und eine ebene Fläche für das Innere des Palastes zu
gewinnen, das genau nach den Principien des Feldlagers oder der
Colonie durch zwei von Thor zu Thor führende, im Mittel-
punkte des Vierecks sich kreuzende Straßen in vier gleiche Theile
zerlegt wurde. Betrat man das Schloss, von Salona kommend,
durch sein nördliches mit Zwerggallerien und Nischen geschmücktes
Hauptthor, die sogenannte Porta Aurea, so hatte man zunächst zu
beiden Seiten die jetzt völlig zerstörten Quartiere der Leibwachen
und des Gefolges und gelangte schnurgerade zu den Wohnräumen
des Kaisers. Jenseits der Kreuzungsstelle der Straßen führte
der Weg in das Peristyl, um im Vestibüle der kaiserlichen Ge-
mächer zu enden. Je mehr man sich den letzteren näherte,
um so mehr entfaltete sich in berechneter Steigerung die äußere
Pracht der tektonischen und ornamentalen Formen. War die
Straße in ihrer nördlichen Hälfte vermuthlich nur von ein-
fachen Arcaden eingesäumt, so öffnen sich im Peiristyle jederseits
sieben luftige Bogen, getragen von korinthischen Säulen, deren
Schäfte aus je einem Stück CipoUino oder rosafarbigen Granites
gehauen sind. Wir stehen hier auf dem heutigen Domplatze.
Vor uns, an der südlichen Schmalseite, erhebt sich das dreithorige
und giebelbekrönte Portal des in Ruinen liegenden Vestibüls.
Rechts und links boten sich durch die jetzt verbauten, einst bis
zur halben Höhe mit einem steinernen Geländer geschlossenen Ar-
caden malerische Perspectiven in zwei Höfe dar, deren Mitte je ein
Tempel einnimmt. Beide, später deqi christlichen Cultus geweiht,
sind noch gut erhalten. Der Tempel im Hofe rechts hat die
Form eines Prostylos ; doch ist seine Vorhalle zerstört. Sein mit
pflanzlichen Zierformen bedeckter Thürstock ist das decorätive
Prachtstück des ganzen Palastes. Der Tempel im Hofe links ist
von centraler Anlage. Eine Treppe von zweiundzwanzig Stufen
führt auf die Plattform des hohen Sockels, auf dem inmitten
einer mit geradem Gebälke gedeckten, mit Statuen bekrönten
Säulenhalle das achteckige Gebäude emporragt. An seiner gegen
das Peristyl gekehrten Seite befand sich ursprünglich die Vorhalle,
welche dem Bau des prächtigen mittelalterlichen Glockenthurjnes
42
Robert von Schneider
weichen musste. Das kreisrunde Innere dieses Tempels (13 '5 Meter im
Durchmesser bei 21*5 Meter Höhe) ist in acht Segmente mit ab-
wechselnd halbkreisförmigen und viereckigen Nischen getheilt. Zwi-
schen den Nischen sind Säulen korinthischer Ordnung aus Granit,
Porphyr und Verde antico in zwei Geschossen übereinander an-
gebracht Das Gebälke der unteren Säulenreihe schmückt ein
Fries, auf dem jagende und spielende Eroten in halberhobener
Arbeit dargestellt sind. Ein halbkreisförmiges Fenster über
der Thüre lässt nicht allzu reichliches Licht in den mit einer
Kuppel gedeckten Raum. Gleichfalls als Kuppel gewölbt war
das nur um weniges kleinere, jetzt eingestürzte Vestibül (12
Meter im Durchmesser bei 17 Meter Höhe); seine Mauern, einst mit
Marmor verkleidet, lassen noch vier Nischen erkennen, in denen
Statuen standen. Rechts und links von diesem die beiden südlichen
Quartiere vereinigenden Saale breitete sich die kaiserliche Woh-
nung aus; doch ist aus deren geringen Überresten kein Ein-
blick in ihre Anordnung zu gewinnen. Ihren Abschluss fand die
großartige Anlage in der schon erwähnten, die ganze Südseite
entlang laufenden Wandelbahn (Cryp'toporticus), durch deren offene
Hallen ein prachtvoller Anblick des Golfes und der Inselwelt sich
aufthat. Seine Mauern unmittelbar in das Meer senkend und vom
Hintergrunde mächtiger, schöngezeichneter Berge sich wirksam
abhebend ist der Diocletianische Palast in der Herrlichkeit seiner
Lage nur mit den Sultanpalästen am Bosporus vergleichbar oder
mit der Villa, die Andrea Doria am Hafen Genuas sich baute,
oder mit dem Palaste Donna Annas an der lachenden Bucht von
Neapel.
Fügen wir noch hinzu, dass eine zum Theil über Arcaden
geführte Leitung, die heute wieder in Stand gesetzt wurde, den
Palast mit dem gebirgsfrischen Wasser des Flüsschens Jader ver-
sorgte, so hätten wir in raschem Überblicke die wesentlichsten Theile
des großen Bauwerkes genannt. Keine Frage, dass es nicht das
malerisch phantastische Bild mittelalterlicher Feudalburgen bot
Wenig gegliedert in der Verticalen, ragten auch über den oberen
horizontalen Abschluss seiner langgestreckten Fa^aden nur die vier
Eckthürme hinaus. So wirkte der Palast von außen mehr durch
die Masse seiner Erscheinung und behielt, die freundlicheren Reize
eines Hauses im Inneren sammelnd, diese seinen Bewohnern vor.
Drei römische Städte.
43
Der Bau sollte nicht als wirkliche Festung dienen, sondern nur
der Laune des Herrschers nach eine solche zu sein scheinen, wie
auch Marius, Pompeius und Cäsar ihre \'illen in Bajä nach Art
von Castellen errichteten. Soldat von Haus aus und von rein
militärischer Erziehung, in der Diocletian sich auch in seinen Staats-
actionen zuweilen befangen
zeigt, entnahm er den Bau-
gedanken zu seinein Schlosse
dem Gesichtskreise seines
Standes. Ob er wie in Spa-
lato seine Residenz in Niko-
media nach gleichem Schema
bauen ließ, vennögen wir
nicht mehr zu bestimmen.
Aber jedenfalls scheint von
ihm das Vorbild für den
Kaiserpalast Constantins des
Großen in Byzanz und für
die Burgen Theodorichs zu
Verona , Pavia , Ravenna
und Terracina geschaffen
worden zu sein. Eine An-
sicht, die ein Mosaikbild der
Kirche S. Apollinare nuovo
in Ravenna von dem dortigen
Palaste des Ostgothenkönigs
gibt, zeigt uns eine dem
Peristyle von Spalato nahe
verwandte Hofanlage : das-
selbe giebelbekrönte Portal
im Hintergrunde, die glei-
chen Hallen zu dessen Seiten.
Hier hängen zwischen den Bögen Blumengewinde, zwischen den
Säulen schwere Vorhänge, und nicht anders mochte das Peristyl
in Spalato, als der Palast noch bewohnt war, ausgestattet und ge-
schmückt gewesen sein.
Noch bedeutsamer als durch den Einfluss, den das Haus Diocle-
tians auf die Anlage von Fürstenwohnungen in den nächst folgenden
Abb. 13. Wasserleitung des Hadrian zu Athen (nach Stuart und Revett).
Zeiten genommen hat, ist es durch neue, soviel wir sehen an ihm zuerst
angewandte Constructionsformen geworden, die auf die ganze spätere
Baukunst umgestaltend eingewirkt haben. Nach den bis dahin gel-
tenden Gesetzen und Traditionen der classischen Architektur hatten
Säulen stets nur ein gerades Gebälke zu tragen, während die Bogen,
Abb. 13. Portal des Vestibüle« in Spalato.
Drei römische Städte, * c
die man in ihre Intercolumnien stellte, auf eigene Pfeiler zu ruhen
kamen (Abb. ii). So griffen gewissermaßen zwei Constructionen
in einander und liefen parallel nebeneinander, ein Verfahren,
dem gegenüber sich das neue, an Diocletianischeti Bauten befolgte,
das die Säule zum Träger des Bogens macht, wie eine Abbreviatur
verhält. Im Peristyle zu Spalato (Abb. 14) sowie an den Blendarcaden
über dem Eingange der Porta Aurea sind zum erstenmale in einer
langen Reihe Bogen unmittelbar auf Säulen gesetzt, und eine
Abb. 14. Vom Feristyle in Spalato.
gleiche Arcadenreihe befand sich nach dem Zeugnisse des spani-
schen Architekten Sebastian Oya an der Südwestseite der um 305
vollendeten Thermen des Diocletian in Rom. Dieselbe Anordnung
treffen wir wiederholt am Bogen des Galerius zu Saloniki. Frühere
Beispiele dieses Systems sind nicht bekannt; aber es lässt sich eine
andere Form weit zurückverfolgen, welche diese Construction vor-
bereitete und aus der sie sich wie von selbst entwickeln musste.
Dreimal sehen wir innerhalb des Palastes von Spalato, wie das auf
zwei Säulenpaaren liegende Gebalke über dem rechten und
linken Intercolumnium gerade verläuft, als halbkreisförmiger
_J
46
Robert von Schneider
Bogen aber das mittlere Intervall überbrückt und in den drei-
eckigen Giebel einschneidet: am Portale des Vestibüls (Abb. 13),
an drei Fenstern der Südfronte, von denen eines in der Mitte, die
zwei andern an den Enden der Fa^ade angebracht sind, und, wie
aus dem Zuschnitte und den Bruchflächen der Steine über der
Thüre des Octogons deutlich erkennbar ist, auch an dessen Vor-
halle, die dem Bau des Glockenthurmes zum Opfer fiel. Äußere Um-
stände mochten es zunächst veranlasst haben, die Säulen in der
Mitte eines Gebäudes vor seiner Thüre weiter auseinander zu
rücken. Hiedurch steigerte sich für das gerade Gebälke die Ge-
fahr des Einstürzens, und so scheint ein technisches Bedürfnis zur
Verbindung der Horizontalen mit den Bogen geführt zu haben,
wie sie in der Architektur des späteren Alterthums herrschend
war. Wir sehen sie an einem monumentalen Überreste zu Da-
maskus, an dem Purgatorium im Isistempel zu Pompei, der unter
Nero, an dem Prätorium der syrischen Stadt Phaena, das unter
Marc Aurel errichtet wurde, sowie an dem von Antoninus Pius
begonnenen Tempel des Sonnengottes zu Balbek. Münzbilder be-
zeugen sie für die Tabernakel der Astarte zu Byblos und der Hera
zu Samos, und mehreren Medaillen des Kaisers Claudius entnehmen
wir, dass man sie an Gebäuden in Nikäa schon im ersten Jahr-
hunderte nach Christus angewandt hat. Ihr erstes Auftreten
dürfte sogar noch in vorchristliche Zeiten zurückreichen. Nur
dass an älteren Bauten wie auch noch am Aquäducte Kaiser
Hadrians in Athen (Abb. 12) oder an einem korinthischen Tempel
und dem Grabe der Mamastis (Mitte des 2. Jahrhunderts) zu
Termessos in Pisidien der Bogen in geschmackvollerer Weise
als selbständiges Bauglied auf die rechts und links über die
Säulen gelegten Architrave gesetzt wurde und nicht wie im
Diocletianischen Palaste und sonst zumeist durch einfaches Um-
biegen des Gebälkes gewonnen erscheint. Das schon genannte
Prätorium von Phaöna zeigt in seinem Innenraume vier Bögen
von Säule zu Säule steigend, doch sind sie nicht in eine Flucht
wie in Spalato, sondern in ein Quadrat gestellt So sehen wir
schon seit Jahrhunderten die Säule als Träger der Archivolte ver-
wendet, und es entsprang offenbar dem griechischen Geiste, der bis
in die spätesten Zeiten nicht müde wurde, neue Probleme aufzu-
werfen und zu lösen, der glückliche Gedanke, das alte complicierte
Drei römische Städte.
47
System, das wir vorne beschrieben haben, durch dieses neue zu
ersetzen, das, ersonnen noch in den letzten Jahren des welt-
gebietenden Heidenthums, als wertvolles Vermächtnis in die Bau-
kunst aller folgenden Zeiten übergieng. Es drückte der altchrist-
lichen Basilika das charakteristische Merkmal auf, und in Fort-
bildung des bei der Porta Aurea angewandten Principes herrscht
es vollentwickelt an den mittelalterlichen Kirchenfa^aden Italiens.
Es dringt als wesentliches Element in die saracenische Baukunst
und wird durch die Technik des Gewölbes mit dem romanischen
und gothischen Stile untrennbar verbunden. Trotz des Tadels der
Theoretiker, dass hiedurch die Function der Säule gelockert und
aufgehoben wird, hält die italienische Renaissance daran fest; und
ist auch mit dem Studium der Antike die alte Trennung von Säule
und Bogen wieder zu ihrem Rechte gelangt, wenn feierliche Pracht
und Würde ihren Ausdruck erheischen, so behauptete sich daneben
doch auch durch alle Zeiten die luftige, von Säule zu Säule
springende Archivolte, sobald es galt, leichte Anmuth und Grazie
in tektonische Formen zu kleiden.
Die Werkmeister von Spalato sind aus dem griechischen Osten
gekommen, und vermuthlich waren es dieselben, die dem Kaiser
seine neue Residenzstadt Nikomedia an der Propontis erbaut haben.
Anlage und Disposition des Palastes gehören allerdings, wie aus dem
Gesagten hervorgeht, dem römischen Vorstellungskreise an, grie-
chisch aber ist die constructive und decorative Ausgestaltung des
ganzen Bauwerkes. Aus griechischen Buchstabenformen setzen sich
auch die Steinmetzzeichen zusammen, so viele ihrer bisher an den
Bausteinen gefunden wurden. Dem kosmopolitischen Charakter der
Cäsarenherrschaft gemäß steht hier griechischer Geist im Dienste
einer römischen Idee. Von nicht geringem Interesse ist es zu beob-
achten, wie für den Palast neben den Kalkstein -Quadern aus den
Brüchen der Insel Brazza und von Trau vielfach Backstein ver-
wendet wurde. Während aber die alte Technik des Steinbaus
sichtlich dem Verfalle entgegengeht, gehen aus der Anwendung
des Ziegels neue Constructionen hervor. Die Normen, welche die
classische Architektur bisher beherrschten, scheinen allenthalben
gelockert. Schwer entstellt wird das Gebälke durch das Miss-
verhältnis des Architraves, der auf Kosten des wie unter einer
Last zusammengepressten, rund ausgebauchten Frieses und des
48
Robert von Schneider
völlig verkümmerten Kranzgesimses übermäßig angewachsen ist.
Die Säulen stehen auf würfelförmigen Piedestalen, wodurch die oft
schon ursprünglich überschlanken Schäfte sich dem Auge noch
schmächtiger darbieten. Selten besteht das Einzelne eine strenge
Prüfung. Manches Flüchtige, Fehlerhafte und Geschmacklose wird
aus der Hast zu erklären sein, mit der das kolossale Gebäude in
überaus kurzer Zeit ausgeführt werden musste. Denn schwerlich ist
Diocletian gleich im Beginne seiner Herrschaft daran gegangen,
sich ein Asyl für sein Alter zu bereiten, gewiss aber stand sein
Schloss fertig zu seiner Aufnahme bereit, als er 305 n. Chr. frei-
willig dem Throne entsagte, um sich von Krankheit gebeugt in
die Einsamkeit seiner Heimat zurückzuziehen. Es bleiben somit
kaum mehr als ein Dutzend Jahre für ein Werk, dessen Voll-
endung eine staunenswerte Organisation der Arbeit und die Frohnde
von l5ausenden voraussetzt Noch tönen uns die Klagen der durch
die Erbauung Nikomedias Bedrückten in der Diocletian so feind-
seligen Schrift des Lactantius über das Ende der Christenverfolger
entgegen, und es ist wenig glaublich, dass die Landsleute des Kaisers
mehr geschont wurden als die Bewohner Bithyniens. Bei der
Eile, mit der man baute, nahm man das Material, wo man es
fand. Säulen wurden älteren Bauten entrissen und ihrer neuen
Bestimmung nothdürftig angepasst, indem man ihre Schäfte will-
kürlich kürzte, ohne Rücksicht auf ihren Umfang mit Capitälen
versah, die für sie bald zu klein, bald zu groß waren, und sich
wenig an die Verschiedenartigkeit dieser schnell zusammengerafiFten
Stücke stieß. Man hatte nicht Zeit, das stellenweise überwuchernde
Ornament liebevoll und sorgfältig auszuführen, aber in bewunderns-
werter Virtuosität würde es mit dem Bohrer auf die Massen- und
Femwirkung hin bearbeitet. Es zeigt schon durchaus byzantini-
sches Gepräge. Die Hast nöthigte, die alten monumentalen Con-
structionen aufzugeben, und man ersann neue, leichtere, schneller
zum Ziele führende Methoden, bei denen man sich häufig des
Backsteines bediente. Aus diesem Materiale baute man das Ge-
wölbe des achteckigen Tempels, indem man die Ziegel in der
unteren Hälfte der Kuppel in schuppenartig übereinander gestellte
Stichbögen, in der oberen Hälfte in concentrische Ringe anordnete.
Dasselbe Verfahren ward in der byzantinischen Kunst öfter ange-
wendet, z. B. an der Grabeskirche des heil. Demetrius zu Saloniki.
Drei römische Städte.
49
So regen sich überall neue fruchtbare Keime und brechen
hervor inmitten des Verfalles des Alten. Es lässt sich nicht
leugnen, dass ein abgestumpfter Formensinn vielfach im Palaste
zu Spalato mit dem Überkommenen willkürlich geschaltet hat,
während das Neue noch unfertig und nicht zur harmonischen
Ausbildung gelangt ist Aber gerade weil hier weit mehr als in
irgend einem andern Werke, als etwa in den Thermen Diocletians zu
Rom, die viel fester im Boden der alten Traditionen wurzeln, zwei
Richtungen, die der Vergangenheit und der Zukunft, zusammen-
treflFen und in einander übergehen, ist dieses Gebäude von einziger
Bedeutung in der Geschichte der Baukunst. Wie sich die alt-
christliche Basilika im Peristyle zu Spalato unverkennbar an-
kündigt, so scheint auch der octagonale Tempel in einer Ent-
wickelungsreihe mit den Rundkirchen der nächsten Jahrhunderte
verkettet, mit S. Vitale in Ravenna, mit Hagia Sofia in Constanti-
nopel und dem Dome von Aachen. Wir sehen im Diocletianischen
Palaste die Architektur der classischen Völker in ihrem letzten
Stadium, unmittelbar bevor das siegreiche Christenthum von dem
Schatze ihrer Erfahrungen und Erfindungen, von dem Vorrathe
ihrer Constructionen und Zierformen Besitz ergriffen hat. In ihm
beginnt sich die Antike in den Byzantinismus umzusetzen. An
der Grenze zweier Perioden stehend, ist der Palast von Spalato ein
Denkmal dieses inneren geistigen Processes und zugleich seines
Bauherrn geworden, symbolisch das tragische Schicksal des großen
Herrschers wiederspiegelnd, dessen Reformen und Ideen die
Siegesbeute derer wurden, die er so hartnäckig wie vergeblich
bekämpft hat. <
Als Schlussvignette (Abb. 15) ist ein Bronzefigürchen abgebildet,
das in Aquileja gefunden wurde und im kunsthistorischen Museum
in Wien aufbewahrt wird. Es stellt einen Philosophen der kyni-
schen Schule, Krates aus Theben (gestorben kurz vor 270 v. Chr.)
dar, vom Alter gebeugt, auf einen Stock gestützt, im Handwerks-
rocke, mit einem Mantel aus grobem Stoffe und dem Brotsacke an
der Seite, dem Abzeichen der Secte, das er in seinen Gedichten
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 4
oft besungen hat In dieser Tracht wandelten er und seine Ge-
sinnungsgenossen, gewissermaßen die Derwische und Bettelmönche
des Alterthums, lehrend und scheltend auf den Märkten und in
den Straßen der Städte, verspottet vom Volke, aber doch auch
geachtet und ihrer scharfen Zunge wegen gefürchtet. Unsere
Statuette war als Schmuck an einem Bücherkistcheu angebracht.
Abb. 15. Kmtes der Kyniker, Bronze -Statuette.
DAS FRÜHE UND DAS HOHE
MITTELALTER.
Von
Professor D^ Josef Strzygowski.
DAS FRÜHE UND DAS HOHE MITTELALTER.
I. Das Christenthum.
Mithrasdienst und Christenthum drangen ungefähr gleichzeitig
von Asien her nach dem Westen vor. Beide wurden von den
Soldaten in die entferntesten Provinzen getragen, beide nahmen
im Laufe der Jahrhunderte an Ausdehnung mächtig zu. Schließ-
lich suchten die höchsten Kreise durch demonstrative Begünstigung
des gerade in den Donauländern weit verbreiteten Mithrasdienstes
den Fortschritten des Christenthums Einhalt zu thun. Der Kampf
entschied sich in Rom, und im Jahre 378 wurde der Mithrasdienst
verboten, seine Heiligthümer zerstört So siegte die Religion der
Selbstverleugnung und Nächstenliebe. Erst seit jener Zeit können
die damals römischen Gebiete unserer Monarchie bis an die Donau
für christlich gelten.
In Dalmatien hat schon Titus, einer der Schüler des Paulus,
das Christenthum gepredigt, Salona besaß schon um die Wende
des ersten Jahrhunderts einen Bischof Im Norden waren Aquileja
und Sirmium mit der Zeit christliche Centren geworden. Gelegent-
lich der Diocletianischen Christenverfolgung fällt es wie ein greller
Blitz auf die sonst im Dunkel liegenden nördlichen Provinzen, so
dass wir sehen können, wie weit das Christenthum damals vorge-
drungen war: in Lorch starben vierzig Christen, zu denen sich
noch der hl. Florianus gesellt, den Märtyrertod, in Pettau der
Bischof Victorinus, ein Schriftsteller groß von Ideen, ungefüge
im Ausdruck, wie ihn der hl. Hieronymus nennt, der, selbst in
Stridon geboren, der Landespatron von Dalmatien wurde. Als
CA Josef Strzygoweki
dann das Christenthum durch die Erhebung zur Staatsreligion
immer mehr erstarkte, entstanden neue Bischofssitze, und es wurden
Kirchen erbaut zumeist wohl aus Holz, nur in größeren Orten von
Stein. In Sirmium allein werden im Leben des hl. Demetrius
zwei nahe an einander liegende Kirchen des hl. Demetrius selbst
und der hl. Anastasia genannt, ebendort, im heutigen Mitrovitz,
fand man Reste einer alten Kirche, die nach den dabei gefundenen
Grabinschriften dem Märtyrer Synerotus geweiht gewesen sein
muss. Man schenkte ihr bisher ebensowenig wie den anderen
Monumenten dieser Gegenden besondere Beachtung. Wir müssen
daher nach Dalmatien und Istrien gehen, um eine Vorstellung
von dem ältesten christlichen Kirchenbaue zu gewinnen.
X)as neue christliche Gotteshaus ist nicht mehr wie der
antike Tempel ein Raum zur Aufstellung des Cultbildes, auf
welches die Opfernden durch das geöflFnete Portal blickten, sondern
ein Versammlungsort der Gläubigen selbst. Die christliche Kunst
übernahm daher nicht den antiken Tempel, sondern wählte nach
dem Vorbilde der bei den Alten gebräuchlichen öffentlichen und
Privat-Gebäude, in denen Menschen zusammenzuströmen pflegten,
eine neue Form, die Basilika, welche neben einem zweiten, dem
Kuppelsystem, bis auf den heutigen Tag typisch für unser Gottes-
haus geblieben ist. Die christliche Basilika besteht aus einem
rechteckigen Räume, welcher in der Längsrichtung durch Säulen-
reihen in zwei schmälere seitliche und ein breiteres Mittelschiff
zerlegt wird, das im Osten mit einem halbrunden oder mehrseitigen
Ausbaue, der Apsis, schließt und von Westen her durch Thüren
zugänglich ist. Dieser Raum erhält sein Licht durch Fenster,
welche in die über die Seitenschiffe ragenden Mauern des Mittel-
schiffes gebrochen sind. Die Dächer werden flach oder im Giebel,
immer aber aus Holz hergestellt Dieses Grundschema steht nicht
gleich fertig da: es bildet sich in den ersten Jahrhunderten aus
und wird erst zur Zeit Constantins voll entwickelt. Vorher treffen
sich die Christen zumeist in Privathäusem, in den Betkapellen
der Begräbnisplätze und in den Katakomben.
Wir können die allmähliche Entwicklung dieser Formen recht
gut in den Ausgrabungen beobachten, welche nördlich von der
Stadtmauer Salonas bei Spalato an einem vom Volke Manastirine
genannten Orte gemacht wurden. Dort sieht man mehrere vier-
Das frühe und das hohe Mittelalter.
55
eckige, an einer Seite mit einem Halbrund schließende Kapellen,
die durch drei in ihnen gefundene Inschriften mit den Namen
der hl. Anastasius (f 308), Anicius und Eusebius (f 360) als
Mausoleen salonitanischer Märtyrer bezeichnet werden. Sie um-
standen einen viereckigen Raum, auf dem sich im zweiten Jahr-
hundert eine der vornehmsten Familien der Stadt, die Domitier,
innerhalb der umgebenden Wirtschaftsgebäude ihre Grabstätte er-
richtet hatte. Noch am Beginne des vierten Jahrhunderts ist das
Grundstück eine private Begräbnisstätte, um diese Zeit scheint es
durch Schenkung der Besitzerin, Asklepia, an die christliche
Gemeinde übergegangen zu sein. Nach dem Jahre 431 wurde
inmitten dieses Begräbnisplatzes eine Kirche gebaut u. zw. so, dass
der Altar über den Gräbern dreier Bischöfe Domnio, Esychius
und Valerius und dreier Märtyrer Septimius, Victuricus und
Hermogenes zu stehen kam. Ferner hat man, um die Heiligkeit
des Altarraumes zu erhöhen, noch die Sarkophage der drei ältesten
Märtyrer, darunter den des hl. Gaianus (f 299), aus den Kapellen
hierher gebracht. In Abbildung 16 sieht man in dem vertieften
Boden des Vordergrundes den Raum unter dem Altar mit den
Sarkophagen. Dahinter eine quer laufende Mauer, in der zwischen
zwei Säulen drei, d. h. sichtbar nur zwei Thüren angebracht sind,
welche in die drei Schiffe des Langhauses führen. Im Hintergrunde
stehen noch einige Säulen der beiden die Schiffe trennenden Reihen
aufrecht. Die Schäfte und Capitäle derselben waren, wie das
damals allgemein Brauch ist, antiken Bauten entnommen und das
Mauerwerk roh aus Bruchsteinen errichtet worden. Die Basilika
wurde am Anfange des 6. Jahrhunderts restauriert, aber schon 639
durch die vordringenden Slaven zerstört Die Gebeine der Märtyrer
ließ Papst Johann IV. nach Rom bringen und in einer Neben-
kapelle der Laterans-Basilika beisetzen, in deren Mosaiken man
daher heute noch erstaunt die stattliche Reihe der dalmatinischen
Märtyrer dargestellt sieht.
In Salona wurden auch einige gute Beispiele altchristlicher
Bildhauerei gefunden. Die meisten Sarkophage zwar sind, wie die
in Abbildung 16 sichtbaren, glatt gearbeitet. Einer aber, der
der Asklepia, zeigt zweimal die Darstellung des darin bestatteten
Ehepaares, einmal ruhend auf dem Deckel, das anderemal stehend
von seinen Sippen umgeben an der Längsseite, wo zwischen ihnen
cg Josef Strzygowski
in der Mittelnische Christus in der die Erlösung symbolisierenden
Gestalt des guten Hirten, der sein Lamm auf den Schultern trägt, er-
scheint Ein zweiter Sarkophag, heute in der Franciscanerkirche
zu Spalato, zeigt auf der Vorderseite den Durchzug durchs rothe
Meer: links Pharao aus der Stadt ziehend und der Vortrab seines
Heeres bereits mit den Wellen kämpfend, rechts Moses und die
Israeliten mit Weib und Kind, die ganze Darstellung wieder auf
die Erlösung anspielend. Diese beiden auf unserem Boden seltenen
Stücke altchristlicher Sculptur, sowie einige Fragmente in Aquileja,
sind vortrefflich in der Art der in Rom entstandenen Sarkophage
gearbeitet Wir erinnern uns ihnen gegenüber jener christlichen
Steinmetzen, die im J. 294 in den kaiserlichen Steinbrüchen bei
Sirmium den Märtyrertod erlitten, weil sie sich weigerten, eine
Statue des Gottes Asklepios auszuführen.
In Pannonien ist ein sehr interessantes Beispiel der Malerei
dieser ältesten christlichen Zeit erhalten, leider in einem Zustande,
der den sicheren Untergang dieses wertvollen Denkmales in sich
schließt Es ist das eine im J. 1780 neben der Südostecke des
Domes zu Fünfkirchen, dem alten Sopianae, im Boden entdeckte
kleine, viereckige Kammer, in deren Nähe man 13 Gräber fand,
von denen eines mit dem Monogramm Christi geschmückt war.
Dieses erlösende Zeichen erscheint auch im Centrum der Malereien
der Grabkammer selbst an dem die Decke bildenden Tonnenge-
wölbe. Es wird von vier Medaillons mit den Brustbildern wahr-
scheinlich der hier Beigesetzten umgeben, zwischen denen Blumen-
bouquets, von Pfauen und Tauben flankiert, auf einem von Blumen-
ranken ausgefüllten Grunde gemalt sind. Daran schließen sich
an den Längswänden zu Gebeten um Erlösung anregende Scenen
des alten und neuen Testamentes, von denen die Anbetung
der Magier, Noah in der Arche und die Geschichte des Jonas
noch halbwegs erkennbar sind. Sie zeigen in Composition und
Farbe durchaus den Anschluss an die Malereien der Katakomben.
In dem Rundbogen an der dem Eingange gegenüber liegenden
Wand sieht man Petrus und Paulus, die mit einer Hand auf das
über ihnen angebrachte Monogramm Christi deuten, ähnlich wie
in dem Grabmale der im J. 450 verstorbenen Galla Placidia, der
Mutter des Kaisers Valentinian HL, in Ravenna, dessen Mosaiken-
schmuck auch in anderer Beziehung eine interessante Analogie fiir
Das frühe und das hohe Mittelalter.
57
die Gemälde unserer Grabkammer, die danach wohl auch dem
5. Jahrhundert angehören dürften, darbietet.
Inzwischen hatte sich im fernen Osten ein neues Cultur-
centrum gebildet, dessen Einflusssphäre sich allmählich bis nach den
Küsten des adriatischen Meeres ausdehnte. Constantin der Große
hatte, das Bedürfnis fühlend, sich von den römischen Parteien zu
befreien und den Feinden der nördlichen und östlichen Reichs-
grenzen näher zu sein, am goldenen Hom eine neue Residenz,
Constantinopel, auf dem Boden des alten Byzanz erbaut und im
J. 330 geweiht. Aus allen Gebieten des weiten Reiches strömten,
durch die versprochenen Begünstigungen des Kaisers angelockt,
Künstler nach dem Bosporus : Italier , Griechen , Ägypter ,
Syrer und Kleinasiaten brachten die Kunsttraditionen ihrer
Heimat mit und traten zu gemeinsamem Wirken zusammen. Mit
den Jahren entwickelte sich unter dem Zeichen des hier viel
energischer und zielbewusster als in Italien auftretenden Christen-
thums und nicht ohne Einfluss des nahen Orients eine neue eigen-
artige Kunst, die byzantinische. Sie tritt das Erbe der Antike an
und führt deren Traditionen, die noch einer hohen Entwicklung,
vor allem im Kuppelbau fähig waren, zum Abschluss. Schon
zur Zeit der beiden Theodosius lassen sich in der Architektur
Züge nachweisen, die den Osten streng von gleichzeitigen Denk-
mälern Italiens scheiden. Zwar bedient sich auch die byzantinische
Kunst im Kirchenbaue zunächst der Basilika, doch stattet sie die-
selbe mit Gallerien über den Seitenschiffen, drei, außen dreiseitigen
Apsiden u. A. aus. Das Innere wird auf das prächtigste aus-
geschmückt: das Paviment mit Steinmosaik, die Wände bis an
die Gesimse mit buntfarbigen Marmorplatten, die oberen Theile
mit mosaicierten Darstellungen. Besonders prächtig durchgebildet
werden die Details der Architektur: die Säulencapitäle , die
reich verzierten Gebälke und Bogen, femer die Marmorschranken,
Kanzeln, Altäre und deren Überbauten. Diese Marmortheile wurden
zumeist in den nahen Steinbrüchen der Prokonnesos im Marmara-
meere gearbeitet. Im 6. Jahrhundert unter dem großen Justinian
rg Josef Strzygowski
erreicht diese Kunst ihre erste und bedeutendste Blüte. Klein-
asiatische Baumeister bringen das Kuppelsystem, die zweite Grund-
form unserer Kirchen neben der Basilika, zur Vollendung und
schafiFen in der Sophienkirche einen Centralbau, der an im-
posanter Raumentfaltung und geschmackvoller Pracht der Innen-
ausstattung das bisher UnübertroflFene leistet. Damit hatte auch die
antike Technik ihren Kreislauf vollendet. Was die Kunst unter der
Ägide der griechischen Götter auf das Äußere des Tempels ver-
wendet hatte, das verlegte sie nun in das Innere, gleichwie der
neue Glaube die Einkehr in das Innere verlangte.
Unter Justinian erreicht die byzantinische Kunst die Küsten
des adriatischen Meeres. Ravenna mit der prächtigen Kuppel-
kirche von S. Vitale und mehreren Basiliken wird ihr Centrum.
Von dort aus betritt sie auch die Küstenstriche unserer Monarchie.
In Salona entsteht damals das Baptisterium, in Pola wird im
J. 546 die vom Erzbischof Maximian von Ravenna ausgestattete
Kirche S. Maria Formosa geweiht, in Parenzo baut Bischof
Euphrasius die Basilika des hl. Maurus wieder auf, in Grado
restauriert der Erzbischof von Aquileja Elias (571— 86) die schon im
J. 456 erbaute Kirche der hl. Euphemia, um dieselbe Zeit etwa
entsteht dort auch die Kirche S. Maria delle Grazie, und in Triest
endlich baut der Bischof Frugifer um 550 an einer Kirche auf
dem Stadtberge. Außer diesen mehr oder weniger erhaltenen
Kirchen werden noch eine ganze Reihe anderer in Schriftquellen
erwähnt. Wir wenden uns dem besterhaltenen dieser Baue, der
Basilika in Parenzo, zu, die zugleich wieder Gelegenheit gibt, die
allmähliche Entwicklung des Kirchenbaues zu verfolgen.
Am Ansätze der Landzunge, auf der sich das Städtchen
Parenzo malerisch hinstreckt, liegt am Rande der Meeresbucht der
Dom. Bis vor wenigen Jahren ahnte niemand, dass die heute
noch stehende altehrwürdige Basilika nur der jüngste von drei
Kirchenbauen sei, die sich in altchristlicher Zeit an dieser Stelle
folgten. Pietätvolle Hände haben in den letzten Jahren in dem
Garten neben der Basilika in einer Tiefe von etwa 5 Metern einen
Mosaikfußboden freigelegt, der einen rechteckigen Raum ohne
Apsis bedeckt. Im Osten fand man Spuren von vier einen Altar
umgebenden Säulen, neben denen in Mosaik der Fisch erscheint.
Sein griechischer Name enthielt, nur dem Christen verständlich.
Das frühe und das hohe Mittelalter.
59
ein Glaubensbekenntnis, indem man die einzelnen Buchstaben als
Abkürzungen der Worte , Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser**
deutete. Die Mosaiken wurden, wie Inschriften melden, von Piscinus
und Pascasia, einem Schullehrer Clamosus und anderen gestiftet. Sie
sind mit den bis unter die heutige Kirche reichenden Umfassungs-
mauern die Reste eines vorconstantinischen Betraumes, wie
ihn wahrscheinlich ein reicher Christ in seinem Privathaus an-
gelegt hatte.
Ähnlich wie in Salona um eine Familiengrabstätte außerhalb
der Stadt, so concentrierte sich hier in Parenzo um diese Privat-
kapelle in der Stadt bald das christliche Leben. Denn neben der
primitiven Kapelle entdeckte man um ungefähr i Meter höher als
ihr Paviment und um 85 cm tiefer als der Boden der heutigen
Kirche den Mosaikfußboden einer zweiten Kirche, die im Grundriss
fast genau zusammenfiel mit der heutigen: sie war also eine Basilika,
doch noch mit halbrunder Apsis. Reste ihrer Säulen und Capitäle,
in roh zugehauenen, noch antiken Formen, haben sich, zum Theil
verbaut in die Grundmauern der dritten Kirche erhalten. Diese
Basilika dürfte in Constantins Zeit erbaut worden sein, als die
kleine Kapelle nicht mehr ausreichte. Wie in Salona, so heiligte
man auch hier den Altarraum durch Übertragung heiliger Gebeine,
hier des hl. Maurus, der bis dahin an einem Ort außerhalb der
Stadt geruht hatte.
Zwei Jahrhunderte später war diese Kirche einer Ruine gleich,
weshalb der vorsorgliche Bischof Euphrasius sie abtragen und auf
ihren Fundamenten einen Neubau errichten ließ. Das ist die
byzantinische Kirche, welche heute noch steht, und deren Innen-
ansicht Abbildung 17. zeigt. Wir sehen zu beiden Seiten die
Säulenreihen, welche auf die Apsis hinführen. Auch die Seiten-
schiffe schließen mit Apsiden. Vor die Eingangsseite legen sich
die charakteristischen Vorräume der ältesten christlichen Kirchen:
ein von Arcaden umrahmter Vorhof, das Atrium, in dessen Mitte
ursprünglich das Weihwasserbecken stand, den Aufenthaltsort
für diejenigen bildend, welche noch nicht Zutritt zur Kirche
selbst hatten. An der Westseite des Hofes steht das achtseitige
Baptisterium mit dem durch Stufen zugänglichen Taufbecken, in
dem die Neophyten nach altem Ritus durch Untertauchen getauft
wurden. In der Kirche selbst hat man neuerdings auch die alte
5o Josef Strzygowski
Einriclitung des Presbyteriums gefunden: es trat als eine halbrunde
Terrasse vor den Altar in das MittelschiflF vor.
Prächtig und durchaus im byzantinischen Stile gehalten ist
die decorative Ausstattung der Basilika. Beim Eintritte fesseln zu-
nächst die ungemein reich ornamentierten Capitäle, die die-
selben Formen zeigen, welche die Baumeister Justinians in S. Vitale
in Ravenna, in der Sophienkirche zu .Constantinopel u. a. O. ver-
wendet haben. Die große Übereinstimmung erklärt sich daraus,
dass auch sie in den Steinbrüchen der Prokonnesos gearbeitet sind,
wie die an den Säulenschäften angebrachten Steinmetzzeichen
beweisen, die mit einigen in Ravenna und Constantinopel vor-
kommenden übereinstimmen. Mit Vergnügen bleibt unser Blick
an dem durchbrochenen Blatt- und Flechtwerke haften, welches
die knappen Trichter- und die losen Korbcapitäle umschließt,
über denen ein einfaches, mit dem Monogramm des Erbauers
geschmücktes Steinpolster aufliegt. Dieser Kämpfer soll den ver-
bindenden Bogen, in denen auf der linken Seite noch die reiche
Stuckdecoration erhalten ist, ein sicheres Auflager bieten.
Die Oberwand des Mittelschiffes war ursprünglich jedenfalls
mit Malereien oder Mosaiken, die Seitenschiffwände mit Marmor-
platten geschmückt. Erhalten ist diese Wanddecoration nur in
der Apsis, hier allerdings in einem Reichthum und einer Farben-
pracht, die nicht ihresgleichen hat. Unten laufen an der Wand
die Sitze der Geistlichkeit hin mit dem Bischofsstuhl in der Mitte,
über dem ein auf einer Halbkugel stehendes Kreuz aus Goldmosaik
zwischen zwei brennenden Leuchtern erscheint. Daran reihen
sich, wie man in Abbildung 17 sehen kann, auf jeder Seite acht
oblonge Tafeln, die in weißem, grauem, gelbem libyschem, grünem
griechischem Marmor und rothem Porphyr aus Ägypten, femer in
dunkel- und hellblauem, grünem und schwarzem Glasfluss geome-
trische Muster bilden, deren Umrisse aus weißem Kalkstein gebildet
sind. Einen besonderen Glanz verleihen dieser farbenprächtigen
Marmorintarsia große, an verschiedenen Stellen angebrachte Schalen
der Perlmuschel, welche in ihrem matten Silberglanze wie Edel-
steine auf farbigem Grunde erstrahlen. Vereinzelt finden sich auch
Rosetten, feingliedrige Vasen und mit dem Monogramm des
Euphrasius versehene Arcaden eingelegt. Darüber läuft ein
horizontales Intarsiaband und ein antikisierendes Stuckgesimse hin.
Innenansicht und Details der IlasiUka d
Das frühe und das hohe Mittelalter. gj
Das Ganze macht hier am weltentlegenen Meeresstrande einen
märchenhaften Eindruck, der sich dem Reisenden unauslöschlich
einprägt.
Über dem Gesimse beginnt die zweite Art der Wanddecoration,
das Mosaik aus Glaswürfeln. In dem Halbrund der Apsiswölbung
sieht man, wie in allen byzantinischen und heute noch in griechisch-
orthodoxen Kirchen, die Muttergottes thronend nach dem berühmten
Vorbilde derjenigen in den Blachernen bei Constantinopel, neben
ihr wie Leibwachen zwei Engel, dann einzelne Heilige und den
hl. Maurus, unter dessen Schutz der Stifter Bischof Euphrasius
mit dem Kirchenmodell und ein Archidiacon Claudius mit seinem
Sohne Euphrasius erscheinen. Nach unten hin schließen sich an
dieses Ceremonialbild die Darstellungen einzelner Heiligen, dann
die Verkündigung und Heimsuchung, nach oben zu zehn Medaillons
mit weiblichen Heiligen und auf dem sogenannten Triumphbogen
nach dem Mittelschiff zu Christus und die zwölf Apostel, die
erst neuerdings unter der Tünche entdeckt wurden. Auch die
Seitenapsiden sind mit Mosaiken geschmückt, ebenso die Außen-
giebel des Mittelschiflfes, in denen man im Osten noch die Ver-
klärung, im Westen Christus in der Glorie erkennen kann. Denkt
man sich den Schmuck des Innern vervollständigt durch den
leider in seinen Resten im J. 1880 weggeschafften, aus rothen,
weißen und schwarzen Steinchen in geometrischen Mustern und
Bandverschlingungen mosaicierten Fußboden, so kann man sich
vorstellen, wie sehr der andächtig Eintretende von dieser im
matten Oberlichte schimmernden Pracht der Mosaiken und Marmor-
wände gefangen genommen werden musste, die, sich flächenhaft
ohne Vorsprünge den Wänden anschließend, den Innenraum nicht
verengen, ihn vielmehr in ein geheimnisvoll farbiges Dunkel zu-
rücktreten lassen.
In dieser Art sind an der Küste des adriatischen Meeres
gewiss zahlreiche Kirchen entstanden, von denen allein die oben
aufgezählten ein kümmerliches Dasein, zum Theil sogar nur
noch in einzelnen spärlichen Resten fristen. Viele von ihnen
werden schon in den Stürmen der Völkerwanderung vernichtet
worden sein.
62 Josef Strzygowski
2. Die Völkerwanderung:
Zu derselben Zeit, in der das Christenthum vom Osten aus
seinen Siegeslauf durch die römische Welt antritt, steigt am nörd-
lichen und nordöstlichen Horizont des Reiches eine Wetterwolke
auf, die Jahrhunderte lang drohend über den Grenzen schwebt,
bis sie sich im 5. Jahrhundert furchtbar entladet und die west-
liche Hälfte des inzwischen getheilten römischen Reiches in
Trümmer legt. Es waren die Hunnen, welche Bewegung in die
starren Völkermassen zwischen der Ostsee und dem schwarzen
Meere brachten. Von Osten her in Europa einbrechend, trieben
sie germanische und sarmatische Stämme vor sich her, die dann
um 380 in Pannonien eindrangen. Im J. 396 klagt der hl. Hiero-
nymus, dass Dalmatien und ganz Pannonien von Gothen, Sarmaten,
Quaden, Alanen, Hunnen, Vandalen und Markomannen verheert,
unterjocht und geplündert würden. Das heutige Ungarn ist der
Herd des Ungewitters geworden, von dort aus stürzten die Wogen
über alle Theile der damaligen civilisierten Welt hinweg. Das
Kanaan dieser Völker war Italien, dahin zogen sie nach einander
durch Natur und Reichthümer verlockt. Zuerst Alarich mit seinen
Westgothen, die schließlich in Gallien und Spanien eine neue
Heimat fanden. Dann die Hunnen selbst unter Attila, nach dessen
Tode im J. 453 sich die Gothen im Westen, die Gepiden im Osten
zu Herren des I^andes um Theiß und Donau machten. Auch in
Noricum tritt das romanische Element immer mehr zurück. Der
hl. Severin wirkt dort zwar noch aufopfernd für die Erhaltung
der alten Cultur; nach seinem Tode aber, im J. 482, geht das Land
für immer an die Barbaren verloren. Inzwischen hatten die Ost-
gothen im J. 474 über Mösien den Zug nach Italien angetreten,
wo sie, glücklicher als ihre Stammesbrüder, unter dem großen
Theodorich ein Königreich begründen. In das um die Mitte des
6. Jahrhunderts verödete Pannonien zogen die Longobarden. Doch
auch sie folgten bald dem allgemeinen Strome der Zeit und über-
schritten im J. 568 die Alpen. Die zurückbleibenden Gepiden
aber wurden eine Beute der wilden Avaren, die nun bis auf Karl
den Großen der Schrecken Mitteleuropas waren. Und auch nach
ihrer Vernichtung, als die Cultur Karls des Großen alle Gebiete
unserer Monarchie veredelnd durchdrang, wurden die Länder bis
Das frühe und das hohe Mittelalter.
63
an die Enns nochmals die Beute eines wilden Volksstammes, der
Ungarn. Erst nachdem diese durch das Christenthum für die
Civilisation gewonnen waren, beginnt in unserer Monarchie jene
ununterbrochene Culturarbeit, die bis auf den heutigen Tag währt.
Unter den sich folgenden germanischen Völkerstämmen nahmen
die Gothen die relativ höchste Culturstufe ein. Sie waren arianische
Christen und hatten eine eigene Schriftsprache, in die ihnen Ulfilas
die Bibel übersetzt hatte. Schon in ihrer Heimat am Pontus traten
sie das Erbe der mixhellenischen Cultur an, welche in der griechi-
schen Handelscolonie am schwarzen Meere mit den Hauptstädten
Olbia und Pantikapaion blühte. Von dorther wurden ihnen die
ersten Culturkeime zugetragen und die Entwicklung einer eigen-
artigen Kunstübung angeregt. Schon vor dem Eindringen in Pan-
nonien hatten sie daher wohl einen Stil ausgebildet, der sich als ein
Gemisch eigenen Geschmackes mit antiken und orientalischen Ele-
menten darstellt. Am charakteristischsten tritt uns dieser Misch-
stil entgegen an dem Schatze, der 1799 in Nagy-Szent-Mikl6s in
Ungarn gefunden wurde und im Volksmund als der Schatz des
Attila bekannt ist. Es sind 23 Stück Goldgefäße im Gesammt-
gewichte von 1678^ Ducaten, die sich heute im kunsthistorischen
Hofmuseum in Wien befinden, alle reich mit Ornamenten und
Figuren geschmückt Zum Theil für zwei Zupane Buela und Butaul
gearbeitet, mag dieser Schatz auf die Hunnen und Gepiden über-
gegangen sein und einem ihrer letzten Fürsten gehört haben, in
dessen Kurgangrabe er bis auf unsere Tage verwahrt blieb.
Den Gothen, wie den Longobarden und Gepiden eigen ist
eine Art von Goldschmiedearbeiten, die sich auf dem ganzen von
diesen Völkern durchzogenen Gebiete haben nachweisen lassen:
in Russland, in Petreosa in Rumänien, in Ravenna, Monza, Civi-
dale u. a. O. in Italien, im Grabe des Frankenkönigs Childerich
(t 481) in Toumay, an den goldenen Kronen aus Guarrazar in
Spanien aus der Zeit des Reccesvinthus (f 672) etc. Die auffallendste
Eigenthümlichkeit dieser Schatzfunde ist die häufige Anwendung
von Glasstücken und Granaten, die bald emailartig in vertieften
Zellen, bald in erhabener Fassung angebracht sind. Dieser verroterie
cloisonn^e gehören die Hauptstücke des Schatzes von Szildgy-
Somlyö in Ungarn an, der aus 24 größeren Stücken, darunter
besonders prächtigen Goldfibeln und Trinkschalen, besteht und
ßA Josef Strzygowski
sich heute im Nationalmuseum zu Budapest befindet. Wie hoch,
geschätzt germanische Goldarbeiter schon im 5. Jahrh. waren,
beweist eine Stelle im Leben des hl. Severin, wonach die Königin
der Rugier, Gisa, zwei solche Handwerker gefangen hielt, damit
sie ihr Schmuck fertigten. Dieselben befreiten sich nur dadurch
von der unausgesetzten anstrengenden Arbeit, dass sie den Sohn
der Königin in ihre Gewalt zu bringen wussten und mit dessen
Tode drohten.
Außer diesen zufallig gemachten Schatzfunden aus der Zeit
der Wanderung der germanischen Stämme haben wir eine ungemein
große Menge von Schmucksachen aus Silber und Bronze erhalten,
die aus Gräberfunden stammen und mit sehr reichen, verschieden-
artigen Ornamenten, wie Netzwerk, Zickzack, Rauten, Gitter- und
Flechtwerk, abwechselnd mit phantastischen Thiergestalten bedeckt
sind. Wir wollen aus dieser Menge von Motiven nur ein einziges
herausgreifen und es in seiner Ausbreitung und der Art, wie es in
der weiteren Kunstentwicklung fortlebte, verfolgen. Es 'sind dies
jene bandartigen Verschlingungen, die sowohl zu Streifen- wie
Flächenornamenten verwendet wurden und ihre reichste Ausbildung
in den Miniaturen irischer, angelsächsischer, fränkischer und longo-
bardischer Handschriften erhalten haben. Dieses Ornament findet
sich bereits in heidnischer Zeit in alemannischen Grabhügelfunden,
und schon die hl. Bonifacius und Bernhard bezeichnen es als
unchristlich und für Gotteshäuser unpassend. ,, Trotzdem blieb es
im Volke, unberührt von dem Wechsel der höheren Kunstent-
wicklung, festgewurzelt, ein Beweis seines nationalen und uralten
Ursprunges. ** Eine Eigen thümlichkeit dieser verschlungenen Bänder,
soweit sie plastisch verwendet werden, ist, dass sie nicht glatt,
sondern bald mit Reihen von Punkten, zumeist aber in zwei oder
drei Streifen nebeneinander verlaufen. Wir finden so ausgestattete
Schmuckgegenstände in den Gebieten unserer Monarchie ebensogut
wie in Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, England
und Skandinavien, wo dieses Ornament sich bis heute an norwegi-
schen Holzkirchen erhalten hat. In dieser Weise verziert werden
wir uns auch den wahrscheinlich von den unte^v^'orfenen Gothen
erbauten Palast des Attila zu denken haben, wie ihn der byzan-
tinische Gesandte Priscus im J. 448 in Oberungarn zwischen Donau
und Theiß sah : aus genau in einander gefügten und mit Schnitzwerk
Das frühe und das hohe Mittelalter. ßz
versehenen Brettern und Balken bestehend. Das angelsächsische
Beowulfslied nennt wahrscheinlich diese BandomamenteWurmbilder.
Nun ist ja nichts natürlicher, als dass die germanischen Völker
da, wo sie mit einer hochentwickelten Steinarchitektur in Berührung
kamen und durch dieselbe selbst zum Steinbau angeregt wurden,
ihr nationales Ornament auf denselben übertrugen. Es zeigt sich
das in einigen Motiven schon recht deutlich an dem Grabmale des
Theodorich in Ravenna. Diesem vereinzelten Falle aus gothischer
Zeit folgt in Italien eine ganze große Periode, die mit dem Verfalle
der Kunst nach der longobardischen Eroberung im J. 568 beginnt,
im 8. und 9. Jahrh. ihre Blüte hat und erst im 11. Jahrh. neue
Formen annimmt. Diese Zeit ist blind für die antike Kunsttradition
und unterwirft fast ganz Italien dem barbarischen Geschmacke der
Germanen. Es ist ein schwerer, nur durch die Unkenntnis der
byzantinischen Kunst erklärbarer Irrthum, wenn man das Auftreten
dieses Ornamentes mit dem byzantinischen Einfluss in Verbindung
bringen wollte. Dringt doch das in drei gleich breiten Streifen
verschlungene Bandornament selbst erst durch die Germanen bezw.
die darin von ihnen abhängigen Slaven in Griechenland ein.
Es wird uns daher nicht überraschen, wenn wir auch die
österreichischen Küsten des adriatischen Meeres, die, wie wir gesehen
haben, in frühchristlicher Zeit in der Steinarchitektur hoch ent-
wickelt waren, überschwemmt finden von Bruchstücken einer Stein-
ornamentik im germanischen Geschmack. Das älteste, bisher un-
beachtet gebliebene Beispiel sind die Reste eines Baptisteriums,
die heute in der Südwand des Domes zu Cittanova in Istrien ver-
mauert sind. Es sind dies fünf theilweise fragmentierte Arcaden-
aufsätze, aufdenen eine Inschrift meldet, dass Bischof Mauricius, der
in einem zwischen 776 — 780 geschriebenen Briefe des Papstes Had-
rian an Karl d. Gr. genannt wird, das Baptisterium mit wertvollem
Marmor geschmückt und demüthigen Herzens dem hl. Johannes ge-
widmet habe. In Abbildimg 18 aj sieht man eines dieser Fragmente:
in der Verwendung des Zahnschnittes zeigt sich noch der Zusam-
menhang mit der Antike, in dem Blattwerke dagegen schon die
Umbildung im germanischen Geschmack, der sich in der Taube,
besonders aber in den sonst hier angebrachten plumpen Figuren
des Einhorns, Löwen, Hirsches und Pfaues rückhaltlos ausspricht.
Dieses Baptisterium war so wie dasjenige in Cividale achteckig
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 5
66 Josef Strayyowski
mit einem Immersionsbecken, wie in Salona und Parenzo, in der
Mitte. Es wurde 1776 vom Bischof Stratico zerstört Spärliche Reste
eines gleichen Baues, wahrscheinlich aus der Zeit um 857 stam-
mend, haben sich in Pola erhalten (Abb. iSö). Ein drittes datiertes
Abb, 18. SteiureliefB des 8. und 9. JahrbQOderts ans Dalmatien und Istrien.
Beispiel dieser Ornamentgattung findet sich in der Sacristei des, im
J. 709 gegründeten Domes zu Cattaro (Abb. i8 c). Es ist ebenfalls
ein Arcadenaufsatz, auf dem ein Bischof Andreas genannt wird.
Diese beiden letzteren Sculpturen zeigen den germanischen Stil
voll entwickelt: das mehrfach gestreifte Band ist in allen mög-
Das frühe und das hohe Mittelalter.
67
liehen geoinetrisclien Variationen durcheinander geschlungen, die
Arbeit flau und nur wenig erhaben. In Aquileja, Grado, Triest,
Parenzo, Arbe, Novigrad, Zara, Spalato, Ragusa u. a. O. finden
wir eine Fülle ähnlicher Fragmente, die von Baptisterien, Ciborien,
Kanzeln, Chorschranken und ähnlichem Kirchenschmuck herrühren.
Besonders hervorgehoben zu werden verdienen ein vollständig er-
haltenes Altarciborium im Dom auf der Insel Arbe und zwei Relief-
tafeln mit Darstellungen aus dem Leben Christi, heute in S. Donato
in Zara. Ich bilde eine derselben (Abb. 18 unten) tl^eilweise ab, um
daran zu zeigen, wie die Künstler jener Zeit die menschliche
Gestalt zur Darstellung brachten. Wir sehen die Bildfläche durch
Arcaden gegliedert, welche in roher Weise durch dreifach gestreifte
Bänder gebildet werden. In der ersten Arcade links umarmen sich
Maria und Elisabeth, dann folgt, zwei Arcaden einnehmend, die
Geburt Christi. Maria liegt neben der Krippe und streckt die Hand
nach unten aus, wo man Christus aus einer Vase ragen sieht, neben
der rechts die Amme steht, während links ein Engel das Tuch
zum Abtrocknen bereit hält. In der vierten Arcade sind drei
Hirten dargestellt, welche mit verwunderten Geberden nach links
und oben weisen. Die Composition dieser Scenen ist der byzan-
tinischen Kunst entnommen, welche in diesen Zeiten des größten
Verfalles der abendländischen Cultur überall ihre streng durch-
gebildeten Typen anbringt. Technisch dagegen ist das Relief so
drastisch im germanischen Geschmack ausgeführt, man erkennt so
deutlich, wie der Steinmetz die von der fast ausschließlichen Aus-
führung des Ornamentes her gewohnte Manier auch auf die Figuren-
bildung angewendet hat, dass nur noch die irischen Miniaturen-
maler darin weiter gehen konnten.
Es ist begreiflich, dass dieser Kunstgeschmack, von den I<ongo-
barden über ganz Italien verbreitet, im Laufe der Zeit, wahrscheinlich
schon um 800 Gemeingut aller damals von Byzanz unabhängigen
Länder war und auch bei Nichtgermanen Eingang gefunden hatte.
Wenn wir daher gefragt würden, ob die im dalmatinischen Binnen-
lande herrschenden Kroaten sich der byzantinischen oder der ger-
manischen Kunstweise anschlössen, so wäre die Entscheidung sehr
einfach, da ja die Kroaten nicht zur griechischen, sondern zur
römischen Kirche gehörten, daher ihre Baumeister entweder von
Italien holten oder sie, falls dieselben Einheimische waren, nach
58 Josef Strzygowski
dem damaligen Stile der römischen Kirche arbeiten ließen. Und
das ist in der That so. Die seit dem J. 1886 in der Nähe von
Knin gemachten Funde, in deren Inschriften die Namen kroatischer
Fürsten vorkommen, und das Denkmal Branimirs vom J. 888 aus
Muö, jetzt im Museum zu Agram, schließen sich durchaus an die
germanische Decorationsweise mit den dreistreifigen Bandverschlin-
gungen an. Dieses Ornament lässt sich über Sissek bis hinauf
nach Fünf kirchen verfolgen.
Ähnliche durch die politischen Verhältnisse erklärbare Be-
obachtungen können wir auch dem bedeutendsten erhaltenen Bau-
werke dieser Zeit in Dalmatien, der Kirche S. Donato in Zara,
gegenüber machen. Sie ist ein massiver Kuppelbau, bei dem der
runde Mittelraum von zwei ebenso kreisrunden gewölbten Geschossen
umschlossen wird, die auffallender Weise auch über die drei im
Osten angebrachten Apsiden weggehen. Die Entstehung dieses
merkwürdigen Gebäudes lässt sich im Zusammenhange mit einer
Strömung erklären, die durch Karl d. Gr. im Anschluss an die
altbyzantinische Kuppelkirche S. Vitale in Ravenna im Franken-
reiche aufkommt. Da aber Zara die Hauptstadt des byzantinischen
Theiles von Dalmatien war, so würden wir einen Zusammenhang
mit den Bauformen Karls d. Gr. nicht erklären können, wenn nicht
bekannt wäre, dass Zara mit den andern byzantinischen Städten
im J. 805 fränkisch werden wollte. Deshalb war der Bischof Donatus
von Zara, wahrscheinlich der Erbauer der Kirche, bei Karl d. Gr.
in Diedenhofen. Er mag die damals gerade vollendete Palastkapelle
in Aachen gesehen und nach ihrem Muster in wesentlich verein-
fachter Form S. Donato erbaut haben. Sein Baumeister gieng dabei
recht leichtfertig vor, indem er die Kirche ohne Fundamentierung
auf das Pflaster eines antiken Tempelvorhofes setzte und die Mauern
in ihren unteren Theilen in der unglaublich naivesten Weise aus
antiken Architektur-Fragmenten regellos aufführte.
Wenden wir uns nun wieder dem Norden, Pannonien, Noricum
und den westlichen Theilen Österreichs zu, so hat sich dort inzwischen
ein neues Culturcentrum gebildet. Um das J. 700 zieht der Bischof
Rupert von Worms, nachdem er den Baiernherzog Theodo in Regens-
burg getauft hat, die Donau hinab, in das Land der Avaren, bis
nach Unterpannonien. Auf der Suche nach einem passenden Platze
für einen Kirchensitz, hört er von einem Ort an der Salza,
Das frühe und das hohe Mittelalter.
69
mit altem Namen Juvavum genannt, wo in alten Zeiten viele
Gebäude wunderbar errichtet gewesen, jetzt aber fast zerfallen und
von Wäldern bedeckt seien. Hier gründet er im Thale Kloster
und Kirche des hl. Peter und auf dem Nonnberge ein Frauen-
kloster und eine Kirche der Maria. So wurde Salzburg für Öster-
reich, das damals von heidnischen Avaren und Slaven überschwemmt
war, der Ausgangspunkt der zum zweitenmale vordringenden christ-
lichen Cultur. Im J. 739 durch den hl. Bonifacius zum Bischofssitz
erhoben, richtet es seine Mission zunächst auf das slavische Karan-
tanien, wo im Anschluss an antike Culturstätten Kirchen entstehen:
Maria Saal im Herzen Kärntens, in der Stadt Tiburnia bei Spital an
der Drau, im oberen Murthale bei Knittelfeld und sehr vielen anderen
Orten. Doch gewann das Christenthum dort erst festen Boden nach
der Eroberung des Landes durch Tassilo im J. 772 und durch
Gründung der Klöster Innichen im Pusterthale 769 im Süden und
Kremsmünster 777 im Norden. Dieses ehrwürdige Stift besitzt
heute noch Geschenke des Herzogs Tassilo, so den berühmten
Kelch mit der Darstellung Christi, der Evangelisten und von vier
Heiligen in ähnlich roher Art wie auf dem Relief in Zara. Die
Ornamentik ist germanisch, wobei besonders irische Motive stark
hervortreten, was nicht wundernimmt, weil .der zweite Bischof
Virgilius, der der Salzburger Kirche 22 Jahre lang als Abt vor-
stand, selbst aus Irland stammte und' irische Mönche damals
durch Bücherillustration und Goldschmiedearbeiten ihren Stil
über das ganze Frankenreich verbreitet hatten.
Der Wirkungskreis Salzburgs, dem schon im J. 788 dreiund-
sechzig Pfarrkirchen angehörten, dehnte sich bald noch weiter aus,
als Karl d. Gr. den Vernichtungskrieg gegen die Avaren eröffnete
und Herzog Erich von Friaul im J. 796 ihren riesigen, mehrere
Meilen im Durchmesser haltenden Hauptring in den Puszten
zwischen der Donau und Theiß im Sturm nahm. Karl d. Gr.
kam, nachdem er vorher 798 Salzburg zum Erzbisthum erhoben
hatte, im J. 803 selbst dahin und bestätigte die Ausdehnung der
Kirchenprovinz über ganzUnterpannonien zwischen Raab und Drau.
Oberpannonien und die Ostmark fielen an Passau, das seit 798 SufF-
ragan Salzburgs war. Geistliche und Laien waren damals in öster-
reichischen Landen eifrig an der Arbeit, ,, fröhlich grünte christ-
liches Leben an der breitströmenden Donau wie in den Bergthälern
^°
Josef Stnygowski
Karantaniens und an den waldumschlossenen Ufern des Platten-
sees. Gerade hier war eine Culturstätte erwachsen, wie weder vor-
her noch nachher eine in dieser Gegend bestand; war doch Mosa-
burg als Sitz eines Salzburger Erzpriesters das kirchliche Centrum
des ganzen Fürstenthums Unterpannonien. " Kirchen- und Kloster-
gebäude wuchsen allerorten aus dem Boden. Von ihnen hat sich
leider kein Rest erhalten. Dagegen besitzt Osterreich zwei der
bedeutendsten Beispiele karolingischer Buchmalerei:
ein Evangeliar, welches angeblich auf Karls des
Großen Knien lag, als man seine Grabkapelle in
Aachen öffnete, und in den Evangelisten und im or-
namentalen Schmucke das Beste leistet, was uns von
Darstellungen der damaligen Zeit erhalten ist Neben-
stehende Abbildung (19) zeigt den Buchstaben I am
Anfange des Marcus-Evangeliums. Wir erkennen m
den einfachen Flechtmotiven das altgermanische
Stammesornament wieder. Während diese Hand-
schrift wahrscheinlich in der Schola palatina am
Hofe Karls d. Gr. selbst entstanden ist, konnte der
sogenannte Codex Millenarius der Stiftsbibliothek in
Kremsmünster um 800 in der Schreibstube eines
österreichischen Klosters, vielleicht in Kremsmünster
selbst, geschrieben sein.
So wurden durch Karls d. Gr. Culturbestrebun-
gen und Salzburgs Bemühungen auch in Osterreich
lebensvolle Keime für eine gedeihliche Entwicklung
der Kunst gelegt. Diese trat nicht ein. Um die
Mitte des 9. Jahrh. bricht das wilde Reitervolk der
Ungarn aus seinen Wohnsitzen zwischen Don und
Abb. 19. Dniepr auf, zieht im J. 895 in die Avarenwüste
zwischen Donau und Theiß und unternimmt von dort aus Raub-
züge nach dem Westen, die alles Cul tu rieben Österreichs ver-
nichten. Erst als die Ungarn 955 von Otto I. auf dem Lechfelde
endgiltig zurückgeschlagen wurden und sich auf ihr Land zurück-
zogen, beginnt die Culturarbeit von neuem, diesmal mit dauerndem
Erfolge.
Das frühe und das hohe Mittelalter. ^j
3. Die deutsch-romanische Kunst.
Um das Jahr 1000 etwa, in welchem Stephan d. Hl. von Un-
garn die Königskrone aus der Hand des Papstes erhält, hat die
österreichisch-ungarische Ländergruppe jenes Gefüge angenommen,
das sie heute noch besitzt, das Christenthum ist zur allgemeinen
Herrschaft gelangt, und eine neue, dritte Culturperiode, die keine
gewaltsame Unterbrechung mehr erfahrt, beginnt. Mit der Unter-
werfung Ungarns unter den römischen Stuhl ist zugleich die Ent-
scheidung darüber gefallen, ob byzantinische oder deutsche Cultur
im Lande einander gegenüber stehen sollten. Von nun ab ist
die österreichisch-ungarische Ländergruppe ein integrierender Theil
der deutschen Cultur, sie macht bis auf die Gebiete südlich der
Alpen in der Kunst alle Entwicklungsphasen Deutschlands mit.
In der frühen Zeit, mit der wir uns in diesem Capitel beschäftigen,
ist sie der empfangende Theil, später, zur Zeit der hohen Blüte
unter Karl IV., greift sie selbstthätig in die Entwicklung ein.
Im IG. Jahrh. tritt in Deutschland unter der kräftigen Führung
der sächsischen Kaiser eine engere Verbindung der einzelnen
Stämme ein, und es entwickelt sich allmählich das Gefühl der Zu-
sammengehörigkeit, welches in der Übertragung der Kaiserwürde
an das heilige römische Reich deutscher Nation seinen äußeren
Stempel erhält. Die Kunst bleibt nicht lange zurück. Im Beginne
des II. Jahrh. nehmen die Formen einen mehr einheitlichen Cha-
rakter an, und es entwickelt sich ein Stil, den wir gewöhnlich als
den romanischen bezeichnen, weil er, im Gegensatze zum folgenden
gothischen, noch in mehr oder weniger engem Anschluss an die in
den einzelnen Landestheilen vorhandenen Reste antik-römischer
Kunst entsteht. Unsere Monarchie folgt naturgemäß jenen Ländern,
die ihr die Cultur überhaupt übermittelten, d. i. den benachbarten
sächsischen, schwäbischen und bairischen Gegenden; doch wird der
Zusammenhang im einzelnen Fall nicht so sehr durch die be-
nachbarte Lage, als durch die kirchlichen Beziehungen bestimmt.
Bevor wir an der Hand der bedeutendsten Bauten ein Bild des
Verlaufes der romanischen Kunstperiode auf dem Boden unserer Mo-
narchie zu gewinnen suchen, wollen wir uns mit ein paar Worten das
Wesen des romanischen Stiles vergegenwärtigen. Die romanische
Kirche ist eine Basilika, die sich von der altchristlichen dadurch
y2 Josef Strzygowski
unterscheidet, dass ihr selten das QuerschifF fehlt und zwischen das-
selbe und die Apsis ein quadratischer Raum eingeschoben wird, so
dass der ursprünglich T- förmige Grundriss T- förmig wird. Die öst-
lichen Theile ruhen auf einem gewölbten Unterbaue, der Krypta, in
welcher die Gebeine des Localheiligen bestattet werden. Die West-
seite der Basilika wird dadurch, dass der Vorhof und die Vorhalle
wegfallen, freigelegt, wodurch die Fagade zur architektonischen Ent-
wicklung gelangt; ihr Hauptschmuck werden nun die Thürme und
das in Abstufungen sich verengende Portal, Im Innern kommen
neben den Säulen auch Pfeiler zur Anwendung: man bricht mit dem
antiken Gesetze, dass die Glieder einer Reihe untereinander gleich
sein müssen, und führt dafür häufig den rhythmischen Wechsel
zwischen Säule und Pfeiler ein, wobei die eine Seite stets der
Spiegel der andern sein muss. Die Säule wird kürzer und stärker,
die steilere Basis durch zwischen der viereckigen Unterlage und
dem Wulst vennittelnde Blättchen bereichert, und das Capital
nimmt oft die Form eines Würfels an, in den von unten eine Halb-
kugel einschneidet. Das Ornament dieser Bauten ist ein Gemisch
antiker und germanischer Formen, am häufigsten findet sich die
friesartige Aneinanderreihung von Rundbogen. Im allgemeinen
lässt sich sagen, dass der Reichthum des Ornamentes im umge-
kehrten Verhältnisse zur soliden organischen Ausbildung der Archi-
tektur steht. — Dies ungefähr die wesentlichsten Eigenthümlichkei-
ten des romanischen Stiles. In der früheren Zeit bleibt man bei der
Holzdecke, später wird die Wölbung eingeführt, womit Hand in
Hand strengere Gesetze für die Raumvertheilung auftreten.
Auch in dieser Zeit steht Salzburg an der Spitze. Wir haben
von der Gründung des Klosters auf dem Nonnberge durch den
hl. Rupert gehört. Bis zum J. 1009 wissen wir nichts von seinen
Schicksalen. In diesem Jahre weiht man eine neue Kirche, mit
deren Bau nach der Legende Kaiser Heinrich IL in ursächlichem
Zusammenhange steht. Im Laufe des 11. Jahrhunderts wird dann
allmählich das ganze Kloster neugebaut. Erhalten ist davon nur
der ehrwürdige Klosterhof, die älteste auf uns gekommene der-
artige Anlage in Deutschland überhaupt. Keine Spur jener freien,
luftigen Bogengänge der späteren Zeit, die sich in offenen Arcaden
nach einem in frischem Grün prangenden Mittelviereck öffnen:
massive Mauern umschließen den Gang auch nach der Innenseite zu.
Das frühe und das hohe Mittelalter.
73
und nur kleine rundbogige, von kurzen Säulen flankierte Öffnungen
lassen das Licht einfallen, gestatten jedoch dem Wandelnden wegen
ihrer hohen Lage keinen Blick ins Freie. Streng und düster ist
auch die Ausstattung im Innern des Ganges, der aus Kreuzgewölbe-
Vierecken besteht, die wie die Fenster von Säulen umrahmt werden,
an denen man in sehr alterthümlicher Weise statt der Basis einWürfel-
capitäl verwendet sieht. Hier ist alles noch schwer und lastend,
wie wir es in den ersten Entwicklungsstadien jeder Kunst finden.
Wie hervorragend Salzburg im ii. Jahrh. mit seinen massiven
Steinbauten dagestanden haben dürfte, beweist eine Notiz, wonach
der im J. 1065 in Passau als Bischof einziehende Sachse Altmann
fast alle Kirchen der Ostmark noch in Holz gebaut findet. Die
erhaltenen Denkmale mehren sich erst mit dem 12. Jahrh., in
welchem eine regere Bauthätigkeit beginnt. Die Kirchen dieser Zeit
zeigen deutlich den Anschluss an sächsische Muster. Erklärlich
wird das, wenn wir erfahren, dass damals Augustiner Chorherren
aus Sachsen und Schwaben zur Regeneration der Klöster berufen
wurden und dass insbesondere der Erzbischof Konrad I. (1106 — 1147)
von Salzburg, der, mit seinem Capitel und dem Kaiser zerfallen,
eine Zeitlang in Sachsen im Exil gelebt hatte, von dorther nach
der Rückkehr in seine Diöcese im J. 1121 Augustiner Chorherren
eingeführt habe, welche die Baugewohnheiten ihrer Heimat mit
sich brachten. Diese in Sachsen öfter anzutreffenden Eigenthüm-
lichkeiten sind kurz folgende: das Querschiff ragt nicht oder nur
wenig über die Seitenschiffwände heraus, alle drei Schiffe schließen
an der Ostseite mit Apsiden, die Westseite erhält durch zwei das
Portal flankierende Thürme eine symmetrische Fa^ade, und im
Innern folgen sich zumeist rhythmisch ein Pfeiler und zwei. Säulen.
Einige dieser Merkmale finden wir an der einst vom hl. Rupert
gegründeten und nach einem Brande im J. 11 27 neuerrichteten
Peterskirche in Salzburg, die leider im Laufe der Jahrhunderte
weitgehende Veränderungen erfahren hat. Sicher ist, dass das
Querschiff nur wenig über die Seitenschiffe herausragte und je zwei
Säulen mit einem Pfeiler wechselten. — Am reinsten spiegelt das
sächsische Schema die 1163 geweihte Kirche des Stiftes Sekkau in
Steiennark wieder. Sie wurde von jenen Augustiner Chorherren
erbaut, die Erzbischof Konrad aus Sachsen, wahrscheinlich aus
Hammersleben berufen hatte. Wir steigen über neun Stufen in die
nA Josef Strzygowski
feierlich ernste Vorhalle, das sogenannte Paradies herab und stehen
dann vor dem in acht Abstufungen profilierten Portale, dessen
Säulen und Pfeiler ein einfach ornamentiertes Gesims verbindet,
in dessen Höhe um die Wände der Halle ein Rundbogenfries hin-
läuft. Durch eine Thür mit alten gothischen Holzschnitzereien
betritt man das Innere, welches durch klare Gliederung und ein-
fachen Schmuck anzieht. Auf den zu je zweien mit einem Pfeiler
wechselnden Säulen sitzen nur mit einer Rosette geschmückte
Würfelcapitäle, die eine Deckplatte mit dem in diesen Gegenden
so häufig vorkommenden Würfelfriese tragen. Besonders fallt ins
Auge, dass jeder Arcadenbogen von profilierten Bändern viereckig
umrahmt wird, indem von einem horizontal hinlaufenden Bande
nach jeder Säule ein verticaler Streifen herabgeht. Diese einfache
Belebung der Wandfläche findet sich in mehreren sächsischen
Kirchen, so in St. Godehard zu Hildesheim, in Paulinzelle, Bürgelin
und charakteristisch auch in Hammersleben wieder. Das außen
nicht vortretende Querschifi* ist durch große kreuzförmige Pfeiler,
welche den Arcadenfries durchbrechen, vom Langhause getrennt,
durch drei Stufen erhöht und hat schwächere Säulen als das
Langhaus. Die Krypta fehlt. Das Äußere ist sehr einfach ge-
halten: ein Rundbogenfries läuft unterhalb des Daches hin, wel-
ches ursprünglich aus Holz bestand, später durch eine Wölbung
ersetzt wurde.
Die sächsischen Traditionen treten auch am Dome zu Gurk
in Kärnten, wo statt des rhythmischen Stützenwechsels der durch-
gehende Pfeiler gesetzt ist, und in S. Paul im Lavantthale hervor,
wo dazu noch kommt, dass das QuerschiiF breiter als das Lang-
haus ist. Wegen seiner Krypta und der geschmackvollen Decoration
berühmt ist der Dom zu Gurk. Die Krypta, in welche uns Ab-
bildung 20 einen Blick thun lässt, dürfte im J. 1174, wo nach der
Haustradition die Gebeine der hl. Hemma in sie gebracht wurden,
fertig gewesen sein. Die Decke wird von sechs massiven Pfeilern
und genau 100 Säulen getragen. Dass diese Zahl wie in der
Sophienkirche zu Constantinopel beabsichtigt war, beweist der
Zusatz von je zwei Säulenpaaren statt je einer Säule vor der
Altarnische, welche die constructiv noth wendigen 98 Säulen zu
100 ergänzen. Sie alle zeigen das einfache romanische Schema
mit dem glatten Würfelcapitäl. Man tritt in diesen unterirdischen
Das früh« und das hohe Mittelalter.
Raum wie in eine der byzan-
tinischen Cisternen von Con-
stantinopel oder in eine der
Krypten einiger unteritali-
scher Kirchen, in denen die
Cisternenform nachgeahmt
scheint Die wechselnden
Durchblicke und das Düster
der spärlichen Beleuchtung
rufen diese Erinnerung her-
vor, nur sind die Höhenver-
hältnisse hier in Gurk ge-
drückter und der Durchblick
durch die massiven Pfeiler
etwas gestört. Nicht minder
interessant ist die Aus-
schmückung der Oberkirche,
Die Portalvorhalle und die
Capitäle der Säulen im In-
nern sind denen in Sekkau
ähnlich , nur reicher orna-
mentiert. Die Arcadenum-
rahmung fehlt. Besonders
geschmackvoll ausgestattet
ist die über dem Paradies -^''*'' '"■ •''^p'" '^''' °°'"" ^" *^"''-
im ersten Stock liegende Empore, welche sich nach dem Mittel-
schiff zu in drei , durch Doppelsäulchen getrennten Bogenstel-
lungen Öffnet. Am ^.Äußern , das schon durch die gleichmäßig
bräunliche Farbe des verwendeten Quadermateriales anzieht,
laufen an der Südseite Rundbogenfriese und romanische Streifen-
Ornamente hin. Die drei Apsiden werden durch Säulchen in drei
bezw. fünf Blindarcaden gegliedert, über denen an der reicher
verzierten Hauptapsis ein Rundbogenfries, ein Rautenband und
jener Würfelfries hinlaufen, den wir schon an den Capitälen von
Sekkati erwähnten, und der auch an St. Paul im Lavantthale und
anderen Bauten dieser Zeit vorkommt. Das Fenster der Haupt-
apsis ist noch besonders von Säulchen umrahmt und über ihm ein
Relief eingesetzt, welches einen Löwen darstellt, der einen Raub-
y5 Josef Strzjgowski
vogel in den Krallen hält. Von ganz besonderem Interesse ist die
Ausschmückung der an der Südseite freiliegenden Wand des rechten
Querschiffes: den Giebel entlang läuft ein stufenförmig ansteigender
Rundbogenfries, innerhalb dessen zu den Seiten der beiden schmalen
und hohen Fenster dünne Säulchen aufsteigen, von denen die seit-
lichen mit Capitälknäufen an den Stufenfries anschließen, während
auf dem mittleren ein Ring aufsitzt Wenn irgendwo den Details
des romanischen Stiles gegenüber, so findet man sich hier einer
bis jetzt noch nicht genügfend erklärten, merkwürdigen Überein-
stimmung mit den prachtvollen Steinkirchen des fernen Armeniens
gegenüber: dort sehen wir schon an den in der Blütezeit des Reiches
vor der Eroberung der Hauptstadt Ani durch die Seldschucken im
J. 1064 entstandenen Kirchen ähnliche Stufenfriese und Säulchen
mit Knauf-Capitälen zur Gliederung der Giebelwände verwendet.
Die angeführten Bauten der Salzburger Diöcese waren alle
ursprünglich mit Holz gedeckt. Der älteste bedeutendere roma-
nische Gewölbebau findet sich in Niederösterreich. Dort entwickelt
sich in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. seit Sicherung der Grenze
gegen die Ungarn durch Anlegung der Festung Hainburg im
J. 1050 und Erbauung der Burg auf dem Kahlenberge bei Wien
unter dem Schutze der Babenberger ein blühendes Leben, das die
Gründung mehrerer großen Klöster zur Folge hatte. Schon der
obenerwähnte Bischof von Passau, Altmann, hatte 1072 — 1083 Gött-
weih gegründet, 1089 Melk und andere Klöster restauriert. Mark-
graf Leopold in. der Heilige folgt ihm darin mit der Stiftung
von Klostemeuburg 11 14 und Heiligenkreuz 1135, welches er den
Cisterciensern übergibt. Dieser Mönchsorden, 11 19 officiell consti-
tuiert, machte sich im Gegensatz zu den Bestrebungen Gregors VH.
und der Cluniacenser durch die Enthaltung von aller Politik, durch
völligen Verzicht auf den Laienverkehr zu Gunsten der Pfarrgeist-
lichkeit und insbesondere durch die eifrige Pflege des Landbaues
schnell beliebt. In Österreich-Ungarn fanden die Cistercienser als
Colonisten überall Aufnahme. Heiligenkreuz wurde ihr Centrum.
Durch die Babenberger, welche hier ihre Grabstätte fanden, ge-
fördert, konnten Kloster und Kirche im J. 1187 eingeweiht werden.
In dieser Zeit war von der Kirche jedenfalls Langhaus und Quer-
schiff" fertig, der heutige Chor kam erst später in prächtiger Gothik
dazu. Es entspricht der Vorliebe der Cistercienser fiir den Gewölbe-
Das frühe tind das hohe Mittelalter.
77
bau, dass die Kirche eine gewölbte Basilika des sog. gebundenen
romanischen Systems vorstellt, eine Bezeichnung, die sich daraus
erklärt, dass mit der Verwendung des rundbogigen Kreuzgewölbes
nothwendig ein Rhythmus in die, so lange die Holzdecke verwendet
wurde, zwanglose Baugliederung kommen musste. So wurde das
Vierungsquadrat, welches da entstand, wo sich das Längs- und
QuerschiflF schnitten, je einmal im Chor und in jedem der Kreuz-
arme, im Mittelschiff dagegen, je nach der Länge desselben, mehr-
mals wiederholt. Damit war aber auch die Breite der Seitenschiffe
gegeben, weil für sie zur Erzielung einer regelmäßigen Quadrat-
folge die halbe Breite des Mittelschiffes genommen werden musste.
Die Ausstattung des Innern ist in Heiligenkreuz, den Principien
des Cistercienser-Ordens entsprechend, im romanischen Theile höchst
einfach. Die Fagade, welche in der Art der Querschiffront zu Gurk
behandelt ist, zeigt eine auffallende Verschiedenheit in der Ornamen-
tik der rechten und linken Seite. Das Portal ist bereits spilzbogig.
Ungefähr gleichzeitig mit Heiligenkreuz und Klostemeuburg,
in dem nur Theile des Kreuzganges aus der romanischen Zeit
erhalten sind, entstanden in Niederösterreich, von Edlen des Landes
gestiftet, noch eine Reihe anderer Klöster, darunter, durch Cister-
cienser von Heiligenkreuz bewohnt, im J. 1138 die Abtei Zwettl,
welche im J. 11 59 fertig dastand. Doch hat sich auch in ihr nur der
Klosterhof erhalten. Dagegen hat die dritte große Cistercienser-
abtei Niederösterreichs Lilienfeld ihre Kirche in der ursprünglichen
Gestalt bewahrt. Diese aber gehört einer neuen Richtung des
romanischen Stiles an, auf die wir gleich übergehen werden.
In Böhmen, wo das im J. 973 zum Bisthum erhobene Prag
die Führung hatte, bleibt die Kunst dieser Zeit weit hinter den
angeführten Bauten der Salzburger und Passauer Diöcesen zurück.
Über 100 Reste romanischer Architektur haben sich dort trotz der
Zerstörungswuth der Husiten erhalten. Doch sind sie fast alle
sowohl den Dimensionen wie der Bautechnik nach von unter-
geordneter Bedeutung und durchaus abhängig von Deutschland.
Bezeichnend dafür ist das Resultat eingehender Untersuchungen
der Klosterkirchen: ,, Während die Benedictiner sowohl durch Cluny
und Hirsau verbreitete Anlagen als auch den Typus älterer Ordens-
kirchen bewahrten und von Schwaben und der Rheingegend beein-
fiusst erscheinen, hielten die Prämonstratenser sich an den von dem
-^3 Josef Strzygowski
zweiten Mittelpunkte ihres Ordens ausgehenden Typus, die Magde-
burger Liebfrauenkirche, und die Cistercienser an den in Deutsch-
land so beliebten Grundriss von Fontenay. *' Die größte Kirche
dieser Zeit in Böhmen ist die in der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts erbaute Stiftskirche zu Kladrau. Es ist bezeichnend, dass
die Erbauer keine Eingeborenen, sondern Mönche des schwäbischen
Stiftes Zwiefalten waren, die schon von Vladislav I. berufen wurden.
Dafür besitzt Böhmen einen Bau,* der uns mit einemmale aus
der zurückgebliebenen Kunstübung der Provinz auf die Höhe der
damaligen Leistungsfähigkeit hebt Es ist dies die Kapelle der
Hohenstaufenburg zu Eger, die von Friedrich Barbarossa begonnen,
im Jahre 1213 unter Friedrich II. vollendet gewesen sein muss.
Innerhalb der eng anschließenden Palastbauten gelegen, ist das
Äußere so einfach wie möglich gehalten: vier gleichmäßig auf-
ragende Mauern, durch Lisenen, d. h. vertical aufsteigende Mauer-
streifen, in rechteckige Felder gegliedert. Im Innern zeigt die
Kapelle die Grundform der romanischen Burgkapellen, wie dieselben
in Deutschland zahlreich vorkommen: ,,In zwei Geschossen über-
einander zerlegen vier Stützen einen rechteckigen Raum (mit einer
Apside im Osten) in neun Joche, die mit Kreuzgewölben überdeckt
sind. Das mittlere Joch des unteren Raumes ist deckenlos und
stellt so die Verbindung zwischen beiden Geschossen her.** Die
Burgkapelle in Eger ist der älteste Bau dieser Art. Das Unter-
geschoss ist noch streng romanisch von massiven Formen mit
gedrungenen Säulen, verschiedenartig ornamentierten Würfelcapi-
tälen und rundbogigen Gewölben. Mittelst einer Treppe gelangt
man in das Obergeschoss und steht plötzlich überrascht in einer
neuen Formenwelt : durch Verjüngung der Mauern, schlanke
Verhältnisse und volle Beleuchtung ist hier eine im Verhältnis
zum Untergeschoss ungemein weiträumige Architektur geschaflFen,
Wir befinden uns in der vom Palast aus durch eine Thür zugäng-
lichen Kapelle für die kaiserliche Familie und deren Hofstaat Die
schlanken Säulen, Fenster und Thürwände sind aus weißem, fein
poliertem Marmor hergestellt, von den Säulen sind zwei achteckig
mit Figuren-, zwei rund mit Laubcapitälen, eine fünfte, besonders
zierliche Säule mit gemustertem Schaft befindet sich in der Apsis.
Blicken wir zur Decke des Obergeschosses auf, so entdecken
wir hier eine epochemachende Neuerung: bisher kannten wir nur
Das frühe und das hohe Mittelalter.
79
rundbogige Gewölbe, hier sind die Gewölbe mit eineinmale spitz-
bogig. Damit ist der erste Schritt zur Gothik gethan. Bis sich aber
dieses neue Bausystem voll entwickelt, macht der romanische Stil
verschiedene Wandlungen durch. Diese Entwicklungsphase der
Kunst nennt man den Ubergangsstil. Er hält seinen Einzug in
Osterreich allgemein erst im 13. Jahrhundert. Hier in Eger ist sein
frühes Auftreten erklärlich, wenn wir annehmen, dass der kaiserliche
Baumeister den Spitzbogen direct aus Frankreich, wo er zuerst
angewendet wurde, als etwas Neues importierte.
Der Spitzbogen brachte die Lösung eines peinlichen Zwanges,
der darin lag, dass man ein rundbogiges Gewölbe nur über einem
Quadrat errichten konnte. Aus dem Spitzbogen heraus aber lässt
sich jedes beliebige Rechteck mit einem Kreuzgewölbe überdecken.
Zugleich fand man, dass ein Gewölbe nicht durchgehender Mauer-
stützen bedürfe, sondern nur in den Ecken des Viereckes, über
dem es errichtet war, kräftig unterbaut werden müsse. Man ver-
stärkte daher die Eckstützen durch Strebepfeiler und Bögen und
durchbrach die dazwischen liegende Wand durch große Fenster.
Damit Hand in Hand gieng eine reichere Gliederung der Pfeiler,
die Einführung neuer, kelchartiger Capitälformen mit naturali-
stischem Blätterschmuck, insbesondere des Knospencapitäls, die
Auflösung der halbrunden Apsis in eine polygonale, durch Kappen
überwölbte, die Weglassung der Krypta — kurz die Einführung
aller jener Elemente, die bei consequenter Weiterbildung auf den
gothischen Stil hinführen mussten.
Es sind wohl die Cistercienser gewesen, welche den Uber-
gangsstil aus ihrer französischen Heimat mit nach Österreich
brachten. Gleich die älteste in diesem Stil erhaltene Kloster-
kirche ist von ihnen erbaut: Lilienfeld, eine Stiftung des Baben-
bergers Leopold, der den Bau 1202 begann. Im J. 1220 fand
gleichzeitig mit der Beisetzung des Herzogs die Einweihung statt
Das Langhaus besteht aus französischen Jochen d. h. spitzbogigen
Gewölben, wo dem rechteckigen MittelschiflFjoch ein ebenso breites
Seitenschiffjoch entspricht. Dieselbe Anordnung setzt sich auch
in den Querschiffen und im Chore fort, der ursprünglich polygonal
projectiert, dann aber mit dem von den Cisterciensern mit Vorliebe
verwendeten doppelten, viereckigen Umgang umschlossen wurde.
Die Fenster desselben sind noch rundbogig. Die Kirche ist bis
8o Josef Strzygowski
auf die am Äußern angebrachten Rundbogenfriese t)hne ornamen-
talen Schmuck, die Fagade erst im 17. Jahrhundert zugebaut
Um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstehen in Mähren zwei
bedeutende Kirchen im Übergangsstile, die Stiftskirchen zu Trebitsch
und Tischnowitz. Die Kirche zu Trebitsch ist von besonderem
Interesse, weil ihr Grundriss sich noch eng an das sächsische
Schema romanischer Kirchen anschließt, das Gewölbe des Mittel-
schiffes je zwei Jochen in den Seitenschiffen entspricht und
noch eine Krypta vorhanden ist. Trotzdem sind die Gewölbe
spitzbogig. Daneben finden sich rundbogige Portale und Fenster.
Die Kirche zu Tischnowitz dagegen zeigt im Grundplane die
vollendet klare Gliederung des Ubergangsstiles, nur ist sie im
Aufbaue merkwürdig gedrückt, indem z. B. das Mittelschijßf fast
noch einmal so breit als hoch ist. Ähnlich das Hauptportal,
dessen Spitzbogen sich nur wenig über den Halbkreis erhebt.
Die überaus zierliche Ornamentik ist ganz frühgothisch , am
Portal stehen bereits, wie an gothischen Bauwerken, zwischen den
Säulen die Einzelfiguren der Apostel.
Auch die Kirche in Tischnowitz gehört zu einem Cister-
cienserkloster. Wie in Heiligenkreuz, Zwettl und Lilienfeld steht
sie an der Nordseite des Kreuzganges, auf dessen Ausschmückung
besonders in den drei niederösterreichischen Klöstern großes
Gewicht gelegt wurde. Dreitheilige Säulenarcaden, für die in
Heiligenkreuz 390, in Lilienfeld 4CX3 Säulen verwendet wurden,
umschließen den viereckigen, in erfrischendem Grün prangenden
Innenhof. Die Decke wird von Kreuzgewölben gebildet, Boden
und Wände sind mit Grabplatten bedeckt. An der Südseite ist
an den Kreuzgang in den Hof herein ein achtseitiges Brunnenhaus
gebaut, welches ursprünglich als Waschhaus diente und heute
den Wandelnden durch das gleichmäßige Plätschern des Wassers
labt. An der Ostseite endlich befindet sich das Capitelhaus,
ein viereckiger, säulengetragener Saal mit einem Altar und den
Gräbern der Stifter. Alle diese Räume erhielten, soweit sie
geschlossen waren, ihr Licht durch farbige Glasfenster, von denen
ausgezeichnete Reste in Heiligenkreuz und Klosterneuburg erhalten
sind. Nebenstehende Abbildung 21 zeigt ein Fenster aus Heiligen-
kreuz, welches nur ornamentalen Schmuck aufweist. Im allge-
meinen aber herrschen figürliche Compositionen vor: in Heiligen-
r-Wto •• Jf
Das frühe und das hohe Mittelalter. gj
kreuz sind die Bilder von acht Babenbergern des 1 2. Jahrh. erhalten,
in Klosterneuburg Reste einer in drei Parallelen dargestellten Bibel,
die wahrscheinlich in der Zeit ungefähr von 1279— 1335 von den
Glasmalern Fridrich, dessen Sohn Walther und dem Meister Eber-
hard ausgeführt wurden.
In Ungarn hat sich von den Bauten Stephans des Heiligen
nichts Nennenswertes erhalten. Und auch aus der folgenden
Periode sind nur wenige Reste vorhanden, weil gerade die Kirchen
und Klöster am meisten unter den Einfallen der Mongolen in den
Jahren 1241 — 42 und später unter den Türken schwer gelitten
haben. Den Raumverhältnissen nach ist der bedeutendste Bau
dieser Zeit die neuerdings so prächtig wieder aufgebaute Kathedrale
von Fünfkirchen, die in ihren Fundamenten mit der Krypta und
dem Unterbau der vier Thürme wohl noch dem 11. Jahrhundert
angehört. Wie allen ungarischen Kirchen dieser Zeit, mit Aus-
nahme derjenigen zu Ocsa bei Pest, fehlt ihr das QuerschiflF.
Darin und in der Anbringung dreier Apsiden im Osten zeigt sich
der Anschluss an die Kunst in Osterreich. Wahrscheinlich waren
es deutsche Einwanderer, die diese und die übrigen romanischen
Bauten Ungarns, unter denen die Kirche in L^beny die provinziellen
Eigenthümlichkeiten am besten erhalten zeigt, errichteten. Nach
dem Mongoleneinfalle weilte der französische Architekt Villard
de Honnecourt dort, doch haben nicht erst durch ihn gothische
Motive Eingang gefunden, sondern schon vor den Mongolenstürmen
durch die Cistercienser, die in einem Falle aus Heiligenkreuz, in
andern Fällen direct aus Frankreich gekommen waren. Als die
best erhaltene Kirche des Übergangsstiles gilt neben den frühesten
Bauten dieses Stiles in der östlichen Reichshälfte, der Kirche zu
Topuszko in Kroatien und der Abteikirche am Martinsberge, die-
jenige von St. Jäk, von der die nebenstehende Abbildung 22
eine Ansicht von Nordwesten her zeigt. Der besondere Wert der
dreischiffigen, in drei Apsiden ohne QuerschifF endenden Kirche
liegt in der reichen Decoration der Außenseite. Wie in Heiligen-
kreuz sind auch hier die Seitenfa^aden durch Pilasterstellungen mit
abschließendem Rundbogenfries gegliedert. Die Westfa^ade ist die
bekannte sächsisch-österreichische: zwei in vier Stockwerke ge-
gliederte und mit Doppelfenstern, Rosen und Rundbogenfriesen
geschmückte Thürme zu Seiten des Mittelportals, das besonders
KunstgesGhichtl. Charakterbilder aus Österreich-Uugarn. 6
Joaef Strzygowäki
reich im Übergangsstil ausgestattet ist. Wie in Horpäcz und
Leyden sind die Säulen der schrägen Innen Wandungen reich mit
Abb. M. Die Kirche von St. Jfik in Ungarn.
Ornamenten geschmückt, die hier in einzelnen Motiven Ähnlich-
keit mit dem gleich zu erwähnenden Riesenthore von SL Stephan
Das frühe und das hohe Mittelalter.
83
in Wien zeigen. Darüber steigen den Giebel entlang elf mit dem
Kleeblattbogen gekrönte Nischen auf, in welchen Christus und zehn
Apostel stehen, denen sich die beiden fehlenden an der Kirchen-
wand in Nischen anschließen. Neben der Kirche sieht man eine
alte massive Rundkapelle. Wir finden solche Bauten in allen
Gebieten Österreichs nördlich der Alpen. Sie dienten zumeist
als Todtenkapellen, haben daher Grüfte und führen den Namen
Kamer. Der Construction nach besonders interessant ist eine solche
Rundkapelle in Bfevnow in Böhmen, decorativ reich ausgestattet
sind einige dieser Bauten in Niederösterreich.
Über Ungarn gieng der romanische Stil weiter nach Sieben-
bürgen, wo die Kirchen in Michelsberg und Karlsburg zeigen, auf
wie bescheidener Stufe die Architektur hier stehen blieb, und weiter
nach Dalmatien, wo man in Zara und besonders am Dom zu Trau
romanische Grundriss- und Capitälbildungen nachweisen kann, die
in der Zeit des ungarischen Einflusses in diesen Gegenden entstan-
den sind. Im übrigen aber schließt sich Dalmatien und Istrien
in dieser Zeit durchaus an die Traditionen des italischen Kunst-
kreises an, wofür Hauptbelege der in vier Stockwerken über der
Vorhalle des Juppiter-Tempels aufsteigende Campanile zu Spalato,
das Portal des Domes zu Trau, der Dom zu Zara mit der reichen
Fagade, an der vier Säulengallerien zwei Fensterrosen umschließen,
und der Dom zu Aquileja sind, denen sich auf südtirolischem
Boden noch der Dom zu Trient anschließt. Es ist von besonderem
Interesse, an den Domen von Trau und Trient die Vermischung
deutscher Raumvertheilung mil italischer Ausschmückung zu
beobachten, welch letztere sich insbesondere in der Art der Portal-
bildungen zeigt. Das Portal des Domes zu Trau, wohl das reichste
auf österreichischem Boden überhaupt, wird von zwei Säulen
zwischen zwei vorspringenden Ecken gebildet und nach vorn durch
die auf Löwen stehenden Gestalten von Adam und Eva abge-
schlossen. Von dem übrigen reichen Sculpturenschmuck sei nur
die Darstellung einer Geburt Christi des Meisters Raduanus vom
J. 1240, Reste eines Monatscyklus und acht die Pilaster tragende
Gestalten erwähnt, deren Costüm locale Motive zeigt. Die Neben-
portale des Domes zu Trient haben, wie die im Äußern ange-
brachten Säulengallerien, echt lombardische Bildung, indem vor
das Portal Vorbauten gelegt sind, deren vorderste Säulen auf
6*
84 Josef Strzygowski
Löwen ruhen. Der Einfluss dieser lombardischen bezw. italischen
Sitte lässt sich über Trient hinaus, auch in den Portalen der
Stiftskirche zu Innichen (Stadtseite), von S. Zeno in Reichenhall,
an der Franciscanerkirche und ehemals auch am Dome zu Salz-
burg u. a. O. nachweisen. Die bedeutendste Portalanlage der
nördlichen Kronländer ist das mit Ornamenten im Geschmacke der
Schotten von St. Jakob zu Regensburg ausgestattete Riesenthor
von St. Stephan in Wien, welches, nach 1258 entstanden und
1276 schon zum erstenmale, später aber wiederholt restauriert,
wieder Vorbild für andere Portale Österreichs, so z. B. für die
Stiftskirche zu Wiener Neustadt, die Dreikönigskapelle in TuUn
u. a. O. geworden ist.
Eine Vorstellung von der Eigenart der Anbringung und des
Inhaltes der romanischen Bildhauerarbeiten mag Abbildung 23
der zwischen etwa 12 10 — 1230 entstandenen Apsis der Kirche zu
Schöngrabern in Niederösterreich geben. Wir sehen das Halbrund
der Apsis wie gewöhnlich durch Säulen gegliedert und oben mit
einem Rundbogenfries abschließen. Ein horizontales Gesims
theilt dann die Flächen nochmals. In den oberen Streifen sind in
der Mitte hohe Fenster gebrochen, zu ihren Seiten oben rechts
je eine Säule und wie auch auf der linken Seite Sculpturenschmuck
ohne Umrahmung in die Wand eingelassen. Im unteren Feld
ist unter jedem Fenster eine größere figürliche Darstellung an-
gebracht. Wir wollen die mittlere, welche in Abbildung 23
unten vergrößert wiedergegeben ist, näher ansehen. Da thront
in der Mitte eine in ein langes Gewand gehüllte Gestalt, welche
die rechte Hand segnend erhebt und in der linken ein Scepter
hält. Beiderseits knien Männer, der rechts hält ein Garbenbündel,
der links ein Lamm: es sind Kain und Abel, welche Gott ihr
Opfer darbringen. Neben Kain sieht man links noch eine Gestalt,
welche ihn am Ohre fasst, das personificierte Böse, welches ihm
mit Einflüsterungen naht. Unter dem Throne liegt ein schuppiger
Drache, der Menschen im Rachen und in den Krallen hält:
er ist ebenso wie der Löwe, der Bär u. a. Raubthiere das
Symbol des Bösen, hier der Hölle. In ähnlicher Weise stellen
die andern Sculpturen den Kampf des Guten und Bösen dar,
indem sie mit dem Sündenfall beginnen und mit der Seelen-
wägung enden.
I. 2j. Die Apsis der Kirclii; iu bcbOiigiabeni uiid ihre SculpUir
Abb. Z4. Mittelbild der Malereien im Nonnencliore des Domes zu Gurk.
Das frühe und das hohe Mittelalter.
85
Beispiele solchen figürlichen Sculpturenschmuckes sind nicht
zu häufig. Öfter kommen rein ornamentale Motive vor. In beiden
Richtungen verdienen besonderer Erwähnung die zum großen
Theil erst beim Umbau des Domes zu Fünfkirchen zu Seiten des
Laienaltares aufgefundenen Sculpturen. Die figürlichen stellen
Christus in der Glorie, Propheten und biblische Vorgänge dar
und schmückten die Zugänge zur Krypta. Die rein ornamentalen
Sculpturen bildeten den Schmuck des Laienaltares selbst. Sie
sind von hohem kunstgeschichtlichem Interesse, weil wir neben
wenigen Stücken, welche die mehrstreifigen Bandverschlingungen
in altgermanischer Roheit zeigen, der Hauptmasse nach Band-
ornamente von einer Feinheit der Motive und der Ausführung
finden, wie sie sich schon im 10. Jahrhundert auf dem Gebiete der
byzantinischen Kunst nachweisen lassen.
Die Innenräume der romanischen Kirchen hat man mit
Malereien geschmückt und zwar die Architekturtheile mit farbigen
Ornamenten, die Wandflächen mit Bildern der Bibel, wobei man
gern Parallelen aus dem alten und neuen Testament einander
gegenüberstellte, abwechselnd mit Heiligenlegenden und den Ge-
stalten einzelner Heiligen in architektonischen Umrahmungen.
Erhalten haben sich aus der älteren romanischen Zeit nur wenige
Beispiele, so in der Krypta des Domes zu Aquileja Scenen aus
dem Leben der Localheiligen, in der Vorhalle der Kirche auf
dein Nonnberge in Salzburg die Brustbilder heiliger Bischöfe und
Fürsten, ferner Reste in der Stiftskirche zu Lambach und in der
Jakobskirche zu Tramin. Das interessanteste Beispiel der Zeit des
Ubergangsstiles sind die Malereien im Nonnenchore d. h. in der
oben erwähnten Empore über der Vorhalle des Domes zu Gurk,
welche die Herrlichkeiten und den Preis des künftigen Lebens in den
Darstellungen des irdischen Paradieses und des himmlischen Jeru-
salem zeigen sollen. Das Centrum des ganzen Bildercyklus bildet
die an die Ostwand gemalte Darstellung der thronenden Mutter-
gottes, wie sie Abbildung 24 wiedergibt. Wir sehen Maria, durch
die Krone als Himmelskönigin bezeichnet, auf einem reichen
Throne sitzen und das in ihrem Schöße stehende Christuskind
liebkosen. Zu Seiten des Thrones stehen, denselben stützend,
zwei Tugenden, Liebe und Keuschheit, und unten zwei mit
Nimben ausgezeichnete Löwen, denen sich nach außen zehn andere
gg Joaer Sli^gowski
anschließen: es sind die zwölf Apostel, die Fundamente und die
Stärke des Glaubens. Das ganze Bild ist von einer Arcade um-
schlossen, die oben mit einem Rundbogen verziert ist, aus dem
auf Maria zu sieben Tauben, die sieben Gaben des hl. Geistes,
fliegen. Wir sehen also, wie auch hier jede figürliche Beigabe
ihren symbolischen Sinn hat
Abb. 15. Bronzener LeuchterfuS im Dome xu Prag.
Reich ausgeschmückt mit derartigem symbolischen Bildwerk
waren auch die Geräthschaften, welche den Kirchen aus frommen
Stiftungen zuflössen: die Altäre selbst, mit den sie überdeckenden
Ciborien, die Schranken des Presbyteriums und die Kanzeln, von
denen noch da und dort Reste erhalten sind. Dazu die reichen
Paramente, Altaraufsätze, Kelche, Reliquien, Leuchter u. dgl.
mehr. Einen BegriflF von dem Reichthura des an diesen Geräthen
angebrachten Schmuckes mag der in Abbildung 25 dargestellte
bronzene Leuchterfuß des Domes zu Prag geben. Der Stamm
Das frühe und das hohe Mittelalter. 3?
wird von drei Füßen getragen, welche aus Drachenleibern gebildet
sind, die mit Kopf und Klauen am Boden aufstehen. Auf jedem
Drachen sitzt ein nackter Mann, der von vorn durch ein Ungethüm
bedroht wird und hinter sich einen Löwen hat, dessen Rachen er
mit der Hand fasst. Zwischen den Leuchterfüßen sitzt vor den,
den Mittelstamm umrankenden Blättern je eine reich gekleidete
Gestalt, welche in den Händen Zweige hält oder wie in dem ab-
gebildeten Felde die Hände ausbreitet, während die Füße in dem
Maule zweier Ungeheuer aufstehen. Auch hier mag der Kampf
des Lichtes mit der Finsternis, des Guten mit dem Bösen dar-
gestellt sein in den nackten, der Sieg dagegen in den schönen
bekleideten Gestalten der Mitte. Eine der prachtvollsten Leistungen
romanischer Kunst besitzt das Stift Klosterneuburg in dem berühmten
Altaraufsatze, welchen zum Theil ein französischer Meister, Nikolaus
von Verdun, im J. 1181 gearbeitet hat. Er besteht aus 51 Email-
tafeln, welche in drei Parallelen Scenen der Bibel darstellen, die das
Muster für andere derartige Cyklen Österreichs z. B. die Glas-
malereien in Klosterneuburg selbst und die Holzthüren des Gurker
Domes geworden sind. Von Bücherillustrationen sind das Evan-
geliar Heinrichs IV. in Krakau, das Wyschehrader Evangeliar in
Prag und ein prächtiges Antiphonar im Stifte St Peter zu Salz-
burg zu nennen.
Es erübrigt uns nun noch, eineii Blick zu werfen auf die
Profanarchitektur dieser Zeit. Die romanische Burg, auf hohen,
möglichst unzugänglichen Felsen erbaut, war von einer oder mehre-
ren Ringmauern umgeben, vor denen sich Wassergräben und Palli-
sadenwerk hinzogen. Die Mauern schlössen nach oben zu auf der
Innenseite mit einem Rundgange, der Burgwehr, ab, nach außen
mit Zinnen. Im Kriege versammelten sich hier die Kämpfenden,
im Frieden, die schaulustigen Damen, wenn es ein Turnier oder
sonst ein Schauspiel im Freien zu sehen gab. Ein Thor mit Zug-
brücke und Fallgitter und Thürme unterbrachen die Mauerflucht.
Innerhalb des Befestigungsringes lagen drei getrennte Gebäude:
der große Saal (palas), das Haus, welches die Wohn-, Schlaf- und
Arbeitszimmer für den Besitzer, seine Gemahlin und das Gesinde
enthielt (Kemenate), und der große Befestigungsthurm (Donjon,
später Bergfried genannt). Dazu kam die Burgkapelle, welche
bald, wie in Eger, ein selbständiger Bau, bald in einem der andern
88 Josef Strzygowski
Gebäude untergebracht war, und die nöthigen Wirtschaftsräume.
Der Palas war der Repräsentationsraum der Burg, auf ihn häufte
man allen Schmuck, den der Reichthum des Burgherrn aufbringen
konnte. Die Holzdecke war mit buntfarbigen Ornamenten ge-
schmückt, die Wände von rundbogigen, durch Säulen getheilten
Fenstern durchbrochen, neben denen in Erkern Sitze angebracht
waren. Zwischen den Fenstern hiengen an hölzernen Rahmen
kostbare Teppiche, welche die Wände unten zieren sollten. Dieser
,,Umbhang** wurde von der Burgfrau gearbeitet, die oft die Thaten
des Gatten darauf zur Darstellung brachte. Die Mitte des Saales
wurde je nach der abzuhaltenden Festlichkeit eingerichtet, die
Gäste auf der zu dem Saale führenden Freitreppe empfangen.
Unter dem Saale, im Erdgeschoss, befanden sich Küche, Keller
und Schlafräume für die Dienerschaft. Neben dem Palas ist es
der Thurm, welcher wesentlich zur Burg gehört, ihr Wahrzeichen
ist. Er hat in romanischer Zeit zumeist viereckige Form. Der
Eingang befand sich in beträchtlicher Höhe, damit er im Falle
der Gefahr nicht zu leicht zugänglich wäre. Den untersten Theil
nahmen Verliese für Gefangene ein, dann folgten die Wohnräume,
endlich zu oberst die Stube des Thurmwächters. Alle diese Bau-
lichkeiten werden in den altdeutschen Dichtungen wiederholt er-
wähnt, im Palas war es, wo Walther von der Vogelweide auf den
Burgen der Babenberger seine Lieder vortrug.
In allen Theilen Österreich-Ungarns sind Burgen zum Theil
von sehr hohem Alter erhalten. Auf dem Basteifelsen zu Eger
steht die Burg Friedrich Barbarossas, von der noch neben den
Resten des Palas der uralte, aus Lavablöcken erbaute Thurm und
die oben besprochene Kapelle erhalten sind. Den besten Überblick
über eine romanische Burg und die am Fuße derselben liegende
Stadtbefestigung erhalten wir in Friesach in Kärnthen. Die Anlage
der heutigen Stadtmauer, welche wie die zu Constantinopel aus
dem Wassergraben, der niedrigen Vor- und der hohen Hauptmauer
besteht, geht in ihrer Anlage zurück auf das J. 1134 und Konrad I.,
denselben Erzbischof von Salzburg, der die sächsischen Baugewohn-
heiten im Kirchenbau einführte. Auf dem Petersberge daselbst
stehen noch die Umfassungsmauern des mächtigen Donjon' s der
Burg mit einer frühromanischen, mit Malereien geschmückten
Kapelle im mittleren Stockwerk und darüber der Kemenate des
Das frühe und das hohe Mittelalter.
89
Besitzers; daneben Reste des Palas und anderer jüngerer Bauten.
Hier in Friesach veranstaltete im J. 1217 Leopold der Glorreiche von
Osterreich das große Turnier, an dem 10 geistliche Fürsten und 600
Ritter theilnahmen, und das Ulrich von Liechtenstein beschrieben hat.
Im 12. Jahrhundert wird auch Wien neu befestigt. Durch
die Anlage der Hainburg, bewacht von den Babenberger Burgen
in Mödling und am Kahlenberge, war das Wiener Becken in der
zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts vor den Raubeinfällen der
Ungarn sichergestellt worden. In der ersten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts schon werden die meisten der Orte genannt, die 1891 mit
Wien vereinigt wurden, und Wien selbst zur Residenz der 11 56
zu Herzögen erhobenen Babenberger gemacht. Ihre Stadtburg
befand sich am Hof, dem Herzogenhof, auf dem die Turniere ab-
gehalten wurden. Wien dehnte sich damals im Viereck aus vom
tiefen Graben bis zur Rothenthurmstraße und vom Donaucanal
bis zum Graben, der seinen Namen ja daher hat, weil er
damals Stadtgraben war. Das Kärnthner Thor befand sich am
Stock - im - Eisen platz, imd die Stephanskirche, welche 1147 ^^^^
Bischof Reginbert von Passau geweiht wurde, lag außerhalb der
Stadt im Viertel der fremden Kaufleute, die sich um die Wollzeile
gruppierten. Auf der andern Seite war beim Heidenschuss ein
Thor, dem gegenüber auf einer Anhöhe seit 1158 das von irischen
Mönchen von St. Jakob in Regensburg zur Aufnahme der Kreuz-
fahrer gegründete Schottenkloster sich erhob. In der Stadt
selbst werden die Kirchen des hl. Rupert, dessen Jünger in nach-
römischer Zeit von Salzburg aus das Christenthum hierhergebracht
haben sollen, S. Peter, S. Pankraz am Hof und S. Maria am
Gestade genannt. Als sich die Stadt unter den Babenbergern
blühend entwickelte, wurde die Burg an ihre heutige Stelle ver-
legt und die Stadt bis zur Herrengasse und Himmelpfortgasse
erweitert. Damals entstand auch ein neues Thor, neben welchem
die Kirche des hl. Michael als des Schützers am Eingange, wie
in Salzburg und in byzantinischen Kirchen erbaut wurde. Man
erkennt diese Punkte in der heutigen Stadt noch deutlich am
Zusammenlaufe der Straßen. Und noch ein zweitesmal, wie in
unseren Tagen, wurden die Mauern der Stadt im 13. Jahrhundert
herausgeschoben, so dass Wien damals den Umfang annahm, der
bis 1858 von den Basteien umschlossen war.
DAS SPÄTE MITTELALTER.
Von
Professor D^- Josef Neuwirth.
ST. STEPHAN IN WIEN UND ST. VEIT IN PRAG.
angsam begann von Frankreich aus die Gothik
ihren Siegeszug über das südwestliche Deutsch-
land hin gegen Osten; ihr schrittweises Vor-
wärtsdringen ließ den Wellenschlag der neuen
Kunstweise erst verhältnismäßig spät die
Gebiete unseres Kaiserstaates bespülen. Denn
sie hatte bereits die Zeit ihrer vollsten Blüte
Abb. 26. Büste des Meisters erreicht, als man ihr in der Auflführung groß-
piigram an der Kan2ei des artiger Kircheubautcn hier huldigte und Ge-
wiener Stephansdomes, iggenheit zur wirkungsvollsten Verwendung
ihrer herrlichen Mittel bot. Der Natur der gothischen Kunstent-
wicklung entsprechend äußerten sich im österreichischen Gebiete
manchmal wie in Böhmen unmittelbar französische, vorwiegend aber
deutsche Einflüsse, was sofort ein Blick auf zwei der bedeutendsten
gothischen Kirchenbauten, auf St Veit in Prag und St. Stephan in
Wien, lehrt. Dass aber die Bauthätigkeit der österreichischen
Länder lebendigen Antheil hatte an der organischen Ausgestaltung
des Bauwesens im ganzen deutschen Reiche, in welcher das der
kirchlichen Schule entwachsene Laienthum Genossenschaften zu
gründen, die Elemente des Baubetriebes zunftmäßig zu bewahren
und zu lehren anfieng, fand eine allseitig anerkannte Bestätigung
in der Thatsache, dass die 1459 behufs Regelung des Bauhütten-
wesens in Regensburg tagenden deutschen Steinmetzen Wien als
einen der vier Vororte in Hüttenangelegenheiten bestimmten. Das
war das beste Zeugnis für den in der Wiener Bauhütte herrschenden
Geist, als dessen großartigste baukünstlerische Verkörperung der
Dom zu St. Stephan in Wien betrachtet werden muss.
Derselbe stellt sich in seinem heutigen Zustande nicht als ein
abgeschlossenes Werk einer einzigen Stilepoche dar, sondern lässt
QA Josef Neuwirth
sogar drei Stilentwicklungsformen an seinem gewaltigen Aufbau
theilhaben, in welchem die Dreiheit zu einer bewundernswerten
Einheit vereinigt erscheint und gewissermaßen die Einheit des
dreipersönlichen Gottes, für dessen würdige Verehrung der fromme
Sinn verschiedener Jahrhunderte den herrlichen Dom erstehen ließ,
gleichsam mit der stummen Sprache der Steine zu dem ehrfurchts-
vollen Beschauer redet.
Die ältesten Theile des Baues, nämlich das bekannte Riesen-
thor nebst der Westfagade bis zu dem Gesimse über den Rund-
fenstern, gehören der letzten Periode des romanischen Stiles an
und stammen aus dem Anfange des 13. Jahrhundertes. Nach dem
Brande von 1258 erfuhr die dreischiffige, mit überhöhtem MittelschiflFe
ausgestattete Anlage eine durchgreifende Veränderung, da die drei
Apsiden des ursprünglichen Abschlusses einem stark ausladenden
Querhause mit polygonal schließendem, ziemlich weit ausgedehntem
Mittelchore weichen mussten, während an der Westfagade von dem
genannten Simse an die achteckig in vier Stockwerken ansteigenden
Heidenthürme aufgeführt und die Mittelschiffswölbungen durch
Einziehung spitzbogiger Kreuzgewölbe erhöht wurden. 1276 traf
ein neues Brandunglück das wieder hergestellte Gotteshaus, dessen
Wölbungen so schwere Beschädigungen erlitten, dass man den
Neubau des Chores bald in Angriff nahm und unter Albrecht dem
Weisen im Jahre 1340 vollendet hatte. 1359 legte Rudolf IV. den
Grundstein zum weiteren Ausbaue, der mit der Inangriffnahme des
mächtigen Südthurmes begann und nach und nach die einzelnen
Theile des noch für den Gottesdienst verwendeten Langhauses
umfasste, aber gegen das Ende des 15. und in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhundertes verhältnismäßig so geringe Förderung erfuhr,
dass der nördliche Thurm, an dessen Aufführung man nach der
1446 erfolgten Einwölbung des Langhauses 1450 schritt, nur halb
vollendet wurde (Abb. 27). Denn 1562 gab man den Gedanken an
den Ausbau dieses Theiles auf, welchen man in der noch heute
erhaltenen Form abschloss.
Haben auch die folgenden Jahrhunderte dem ehrwürdigen Baue
manche Veränderung zugefügt, so ist doch der Hauptbestand des-
selben noch unversehrt erhalten und durch die geniale Restauration
des Dombaumeisters Friedrich Freiherrn von Schmidt, der nach
dem Hofbaurathe Sprenger und dem Dombaumeister Leopold Ernst
Das späte Mittelalter. nc
die Wiederlierstellungsarbeiten von 1862 an leitete, den Südthurm
1864 abschloss und nach der Vollendung des Äußern seine ganze
fachmännische Sorgfalt dem Inneren widmete, unserem Zeitalter
gewissermaßen in neuer Schönheit erstanden.
Die an der AuflFührung des Domes betheiligten Meister sind
erst seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhundertes bekannt. Nächst
dem aus Klostemeuburg berufenen Meister Wencla, der auf die
Anlage und Leitung des Baues den meisten Einfluss gehabt und
bis 1404 der Baufiihrung vorgestanden haben soll, erlangten der
1433 den Südthurm vollendende Hans von Prachatitz und Hans
Puchsbaum, der 1446 das Langhaus einwölbte, die größte Bedeu-
tung für die Ausführung des Werkes, an welchem auch Ulrich
Helbling, Heinrich Kumpf, Christoph Hörn, Lorenz Spenyng, Lien-
hart Steinhauer und Georg Khlaig von Erfurt, Seyfrid Künig von
Constanz, Anton Pilgram u. a. arbeiteten.
Die ältesten Partien des Stephansdomes deuten auf Beziehungen
zu Regensburg; denn die Anordnung des Riesenthores, dessen
Leibungen mit einem ähnlichen Säulenreichthume wie in St. Em-
meram in Regensburg ausgestattet sind, zeigt besonders in den
Rhomben- und Zickzackverzierungen, in den mystischen Thier-
und Menschengestalten Anklänge sowohl an St. Emmeram, als
auch an St. Jakob, welches als Mutterhaus des Wiener Schotten-
klosters Einfluss auf die Bauthätigkeit Wiens genommen hat. Steht
St. Stephan schon mit diesem Detail, dessen reiche Ausschmückung,
wie ein Blick auf die Bauten zu Münchengrätz in Böhmen, Tre-
bitsch in Mähren, St. Jäk in Ungarn, Wiener-Neustadt u. dgl.
lehrt, in Österreich-Ungarn nicht ungewöhnlich war, auf dem Boden
der süddeutschen und besonders der Regensburger Überlieferung,
so hat es gar nichts Auffallendes, dass auch die Zweitälteste Partie
das besonders in Süddeutschland verbreitete System der drei-
chörigen Anlage berücksichtigt. Denn wie der 1275 begonnene
Regensburger Domchor an der einfachen deutschen Chorbildung
festhielt und die mittlere der drei aus dem Achteck schließenden
Chorkapellen um ein Gewölbejoch vorspringen ließ, so musste
jener Meister, welcher nicht viel später mit, dem Chorbaue von
St. Stephan in Wien betraut wurde, auf dessen Grundrissdisposition
maßgebenden Einfluss gewann und die dem Regensburger Dom-
chorschlusse entsprechende Anordnung wählte, in dem für Regens-
q5 Josef Neuwirth
bürg maßgebenden Ideenkreise seine Ausbildung empfangen haben.
Die drei nahezu gleich hohen Schiflfe des mächtigen Hallenbaues,
dessen einfache Kreuzgewölbe ansprechend gegliederte, schlanke
Pfeiler tragen, erhalten durch hohe viertheilige Fenster hinreichend
Licht. Es war gewiss keine kleine Aufgabe, diesen ernsten und
würdigen Chor, dessen Anlage von den Verhältnissen des älteren
Baues abhängig blieb, mit der Westfa^ade in eine gewisse harmo-
nische Verbindung zu bringen; denn die Berücksichtigung des
Chores und der Westfagade band dem Meister des Langhauses die
Hände, der die Kreuzform des Gotteshauses nicht durch Einschal-
tung eines Querhauses betonte, sondern nur durch zwei in die Axe
desselben gestellte Thürme andeutete. Da die Breitendimensionen
gegeben waren, so konnte nur darin eine gewisse Freiheit bethätigt
werden, dass durch Vergrößerung der Pfeilerabstände die Seiten-
schiflFsjoche des Langhauses quadratisch wurden und statt der im
Verhältnisse zum Chore erforderlichen 6 Pfeilerpaare nur 4 auf-
gestellt zu werden brauchten. Damit verband sich die Anordnimg
zweier Fenster in jedem Gewölbejoche, wodurch die Außenwand
in Pfeiler aufgelöst und der Druck der reichen Netzwölbung allein
auf die wirkungsvoll gegliederten und prächtig belebten Strebe-
pfeiler übertragen wurde. Diese reiche Fenstereinstellung erhöhte
wie der edle Zug in den reichen Formen der vollständig in freies
Maßwerk aufgelösten prächtigen Langhausgiebel die malerische
Wirkung des Außenbaues. Nicht minder reich wurden die beiden
im Erdgeschosse der Thürme eingestellten Vorhallen und die zwei
SeitenschiflFsportale des Langhauses ausgestattet; ihr plastischer
Schmuck hielt sich in allen Einzelheiten auf gleicher Höhe.
Die Reinheit der Hallenanlage, welche in der nicht viel früher
begonnenen Kirche des Cistercienserstiftes in Zwettl all ihren
charakteristischen Reiz bewahrt hatte, ist auch hier in höchst
gelungener Weise zur Geltung gekommen. Ihre Anwendung bei
so bedeutenden Kirchenbauten auf österreichischem Gebiete lässt
es begreiflich erscheinen, dass sie hier sich rasch ein gewisses
Heimatsrecht erwarb. Mag auch die Verbindung der beiden
Thürme mit dem Kirchengebäude nur eine lockere sein, indem
dieselben sich nicht so sehr organisch aus letzterem, sondern mehr
selbständig neben letzterem entwickelten, so bleibt doch der voll-
endete Südthurm eine nahezu unvergleichliche Meisterleistung des
Das späte Mittelalter. q*^
gothischen Thurmbaues; die Tendenz pyramidaler Zuspitzung ist
nur in äußerst wenigen Fällen wieder so entschieden und gleich-
mäßig durchgeführt und in der glänzenden Durchbildung des
Aufbaues gleich glücklich, wirkungsvoll und abwechslungsreich
zum Ausdrucke gekommen. Wie die Thürme des Regensburger
oder des Kölner Domes, die Thurmpyramiden zu Freiburg i. B.
oder Ulm die Umrisse des jeweiligen Stadtbildes beherrschen und
zu den charakteristischen Eigenthümlichkeiten desselben gehören,
so blickt auch der Thurm des Wiener St. Stephansdomes, eines
der volksthümlichsten Baudenkmale unseres ganzen Kaiserstaates,
wie ein idealem Ziele zustrebender Gebieter auf das Häusermeer
der Kaiserstadt an der Donau, das ihm gleichsam in stummer
Huldigung zu Füßen liegt Seiner gedenkt selbst der schlichte,
nur vom Hörensagen damit bekannte Handwerker oder Landmann
mit bewundernder, im Banne des Gewaltigen stehender Scheu und
zugleich mit dem überquellenden Gefühle vaterländischen Stolzes.
Gewiss unterstützt diese Wirkung besonders auch die Thatsache,
dass an kein zweites Bauwerk Wiens, das ja an bewundernswerten
Schöpfungen der Architektur reich ist, so viele Erinnerungen an
bedeutende weltgeschichtliche Ereignisse sich knüpfen und z. B.
weit über die Grenzen unseres Vaterlandes die Erinnerung aller
Gebildeten an diesem Wahrzeichen der Christenheit wie an einem
Felsen im Meere die zweimal vom Osten verheerend anstürmende
Flut der Türkenbedrängnis zerschellen lässt.
Das malerisch Wirkungsvolle des Wiener Stephansdomes,
dessen Aufbau nicht an die beschränkten Grenzen eines bestimmten
Schemas gebunden erscheint, beruht insbesondere darin, dass die
verschiedenen Meister mit ebenso viel Glück als künstlerisch fein-
fühligem Verständnisse dem bereits Ausgeführten und Geplanten sich
anzupassen und ihre eigenen Entwürfe unterzuordnen verstanden.
Dadurch wurde bei aller Verschiedenheit der Anschauungen ein har-
monisches Ganze erreicht, in dem der ausklingende Romanismus,
reiche und späte Gothik gleich beachtenswert bleiben; der deutsche
Hallenbau weist mit Nachdruck auf die Eigenart der künstlerischen
Anschauungen hin, unter deren maßgebendem Einflüsse die Aufiuh-
rung des großartigsten österreichischen Baues stand. Haben doch
an demselben außer heimischen Arbeitern, die aus Melk, Pulkau,
Krems, Kremsmünster, Liesing kamen, besonders die aus deutschen
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 7
Abb. 3$. Die Kanzel im Wiener Stephansdotne.
Das späte Mittelalter.
99
schmücken die Pfeiler des Langhauses; unter den schönen Grab-
denkmälern ist neben der erwähnenswerten Tumba Rudolfs des Stifters
und dem einst auf den Dichter Neidhart von Reuenthal bezogenen
Baldachingrabe die bedeutendste Leistung das großartige, in
rotheni Marmor ausgeführte Grabmal Kaiser Friedrichs III. , dessen
Herstellung dem 1467 berufenen Nikolaus Lerch von Leyden über-
tragen, aber erst 1513 von Michael Dichter vollendet wurde. Das
groß angelegte und reich ausgestattete Werk bietet außer der indi-
viduell durchgebildeten Porträtgestalt des Kaisers an den Seiten des
Sarkophages und des Unterbaues zahlreiche Reliefs und Heiligen-
statuetten, deren verschiedenwertige Ausführung auf Antheilnahme
von Gesellen hindeutet. Hochachtbare Leistungen der Holzschnitzerei
lieferte Meister Veit RoUinger in den schönen Chorstühlen des
Presbyteriums, die auf Bekanntschaft mit den großen Arbeiten
des berühmten Ulmer Schnitzers Syrlin hindeuten, während Meister
Heinrich von Wien die Apostelgestalten des 1481 vollendeten Tauf-
steines in einer mehr einheimischen, aber theilweise von Nikolaus
Lerchs Kunst berührten Vortragsweise herausarbeitete. Geradezu
köstlich in seiner Art ist der Auf bau der 1512 vollendeten Kanzel
(Abb. 28), deren Brüstung die auch sonst bei Kanzelbrüstungen wieder-
holt eingestellten, hier außerordentlich lebendig und ausdrucksvoll
behandelten Kirchenväterbüsten schmücken, indes den prächtig
aus Holz gearbeiteten Schalldeckel die Darstellung der 7 Sacra-
mente zieren; gewisse Anklänge an niederländisch-französische
Arbeiten haben gerade in Wien für diese Zeit durchaus nichts
Auffallendes.
Leicht und ansprechend hat Meister Anton Pilgram von
Brunn die herrliche Kanzel angeordnet, unter deren Treppe er
an dem Pfeiler seine eigene, höchst charakteristisch gearbeitete
Büste (Abb. 26) einstellte. Noch mehr Lebenswahrheit und
treffliche Individualisierung als bei letzterer sind bei der Büste des
Baumeisters Jörg Oechsel, die den Orgelfuß im nördlichen Seiten-
schiffe schmückt, zur Geltung gekommen. Beide Büsten vermitteln
in höchst gelungener und anziehender Weise die Vorstellung von
der persönlichen Eigenart zweier um den Stephansdom ver-
dienten Meister.
Gegenüber dem Reichthume gothischer Sculpturen müssen
die im Wiener Stephansdome erhaltenen Überreste der gleichzeitigen
jQQ Josef Neuwirth
Malerei, von denen die Reste des Martinsaltares, die Madonna des
sogenannten Speisaltares und Glasmalereien besondere Beachtung
verdienen, immerhin spärlich genannt werden; in ihnen kommt
freilich auch nicht im entferntesten künstlerische Originalität in
solcher Weise wie z. B. bei dem Friedrichsgrabmale oder der
Kanzel zum Ausdrucke.
Es ist selbstverständlich, dass die Ausführung des großartigen
Baues, welche verschiedene Generationen mit frommer Opferfreudig-
keit forderten und theilnahmsvoU verfolgten, der verklärende Hauch
der Sage umspann und auch St. Stephan in Wien zu den Bau-
meistersagen des deutschen Mittelalters sein Scherflein beisteuerte.
Durch die an Hans Puchsbaum und Meister Pilgram anknüpfenden
Sagen klingt der Zug der Zeit, welche sich noch nicht zum vollen
Bewusstsein der Macht des Genius aufgeschwungen hatte und die
Vollendung ungewöhnlicher Werke zunächst der Einwirkung über-
natürlicher Mächte zurechnen zu dürfen vermeinte.
Inwieweit diese Auffassung vielleicht aus der vom Schleier
des Geheimnisvollen verhüllten Organisation der Bauhütten sich
entwickelte, deren Mitglieder Laien gegenüber im Bannkreise hoch-
gehaltener Zunftüberlieferungen standen, ist heute noch nicht mit
Sicherheit zu entscheiden, da die Nachrichten über das deutsche
Bauhüttenwesen und seine Vororte, zu denen Wien zählte, noch
kritischer Prüfung bedürfen. Aber lauter als die immerhin kargen
Angaben über die Bauführung des Stephansdomes reden die Steine
des herrlichen Gotteshauses, dass Wien sich seiner führenden
Stellung im Hüttenverbande des deutschen Reiches stets würdig
erwiesen hat.
Ein fast ebenso inhaltsreiches und glänzendes Capitel in der
Geschichte der gothischen Baukunst füllt die Bauthätigkeit Böhmens
unter den Luxemburgern. Unter König Johann fasste die franzö-
sische Richtung im Lande festeren Boden, da der Prager Bischof
Johann IV. für die Inangriffnahme der Raudnitzer Elbebrücke und
zur Unterweisung einheimischer Werkleute den Meister Wilhelm
mit drei Genossen von Avignon berief, Markgraf Karl von Mähren
als Böhmens Statthalter die Hradschiner Königsburg nach Art des
alten Louvre offenbar durch französische Architekten ausfuhren
und König Johann nicht nur gleichzeitig in Prag viel im ,, franzö-
sischen Stile** bauen ließ, sondern auch die Ausführung des neuen
Abb. jy. Südseile des l'tagur Veilsdomes.
Das späte Mittelalter. jOX
Dombaues dem in Avignon aufgenommenen Mathias von Arras
übertrug. Während der Regierung Karls IV. und Wenzels IV.
brach sich die der französischen Gothik so nahestehende, jedoch
in einer deutschem Fühlen mehr zusagenden Weise weiter ent-
wickelte Richtung der Kölner Schule breite Bahn. Wohin man
blickt, überall reiche, umfassende Bauthätigkeit! In der Landes-
hauptstadt und ihrer unmittelbaren Umgebung erstanden die Klöster
der Karthäuser, Karmeliter, Serviten, der Benedictiner zu Emaus
und St. Ambros, der Augustinerchorherren in Karlshof, der Nonnen
zu St. Katharina, die Collegiat-Kirche St. Apollinar, die Teyn-
kirche, die Stephans-, Michaels-, Heinrichs-, Egidius- und Jakobs-
kirche, die großartige Karlsbrücke und die über den Rücken des
Laurenziberges sich hinziehende Hungermauer. Auf dem Lande
blieb man hinter Prag nicht zurück; König, Adel, Geistlichkeit
und Bürgerthum wetteiferten gleichsam in der AuflEuhrung prächtiger
Bauten. Hochragende, theils noch erhaltene, meist aber verfallene
Burgen, wie Karlstein, Schreckenstein, Maidstein, strebten ebenso
stolz wie die großen Pfarrkirchen der wohlhabenden Städte Kutten-
berg, Kolin, Königgrätz, Nimburg, Pilsen oder Prachatitz gegen
Himmel, die Klosteranlagen der Cistercienser in Hohenfurt, König-
saal und Skalitz, der Augustinerchorherren in Raudnitz, Wittingau,
Jaromöi* und Rokytzan, der Minoriten in Eger, Krummau und
Neuhaus giengen gleich vielen anderen der Vollendung entgegen.
Die prächtigen Erker des Altstädter Rathhauses und des Carolinums
in Prag, die Reste verschiedener Befestigungsanlagen und Nach-
richten über Bürgerhäuser vermitteln eine klare Vorstellung von
dem Antheile, welchen die Kunst an der Ausschmückung des
Profanbaues hatte.
Die großartigste Bauleistung der Luxemburgerzeit bleibt der
St. Veitsdom in Prag (Abb. 29), zu welchem am 21. November 1344
noch König Johann den Grundstein legte. Die Vollendung des
Chores erfolgte erst 1385 unter Wenzel IV., während dessen Re-
gierung 1392 der Bau des Langhauses in AngriflF genommen wurde.
Seit den Husitenkriegen ruhte die Fortführung des Werkes, dessen
Fertigstellung erst Wladislaw IL, welcher durch seinen Baumeister
Benedict Rieth das spätgothische Oratorium einbauen ließ, wieder
seit 1509 ins Auge fasste; doch trat bald abermals neuer Stillstand
ein. Es war wenigstens ein Glück, dass die verschiedenen Repara-
JQ2 Josef Neuwirth
turen, die namentlich nach dem Hradschiner Brande von 1541 und
nach der Verwüstung des Domes durch die Calvinisten im Jahre
1619 nöthig geworden waren, rasch ausgeführt wurden. Der Ge-
danke, den Dom zu vollenden, tauchte unter Leopold I. wieder
auf, welcher am 3. September 1673 eigenhändig den Grundstein
zum Ausbaue legte. Da aber die Türkenkriege alle verfügbaren
Geldmittel zu verschlingen begannen, so gerieth das rasch empor-
steigende Werk neuerdings ins Stocken und wurde bald ganz ein-
gestellt. Ebenso wenig als diese Versuche führte die Ausarbeitung von
Plänen, die der Prager Erzbischof Ferdinand Graf von Kuenburg für
den Weiterbau des Domes entwerfen ließ, zur Vollendung des Werkes.
Die Erfolglosigkeit aller dem Domausbaue geltenden Bestrebungen
bewahrte den großartigsten Kirchenbau Böhmens vor dem Geschicke,
im Geiste anderer Stilideen, neben welchen das Verständnis der
Gothik keinen Platz mehr hatte, fortgeführt zu werden. So ist
es als ein Glück zu bezeichnen, dass der Ausbau des Prager Domes
erst unserem Jahrhunderte vorbehalten blieb, in welchem das
Interesse für den gothischen Stil gerade in Osterreich durch die
Schöpfungen hochbegabter Meister neuerlich belebt wurde, und
unter der fachmännisch tüchtigen und äußerst gewissenhaften
Leitung des Dombaumeisters Jos. Mocker rüstig vorwärts schreitet.
Was an dem Prager Dome fertiggestellt und für gottesdienst-
liche Zwecke in Verwendung ist, wurde nahezu ausschließlich
zwischen 1344 bis 1419 aufge;führt. Es ist das Werk der Dombau-
meister Mathias von Arras (1344 — 1352), Peter Parlers von Gmünd
(bis 1397), seines Sohnes Johann (bis 1406) und des 1418 genannten
Steinmetzen Peter. Die beiden ersteren haben für den Dombau
die größte Bedeutung; denn von Meister Mathias stammt der den
Charakter der Anlage bestimmende Plan, indes Peter Parier den
Bau mehr als 40 Jahre geleitet hat und auch sein Sohn das Werk
offenbar in seinem Sinne fortführte. Der Antheil der beiden ersten
Dombaumeister lässt sich dem entsprechend auch mit ziemlicher
Sicherheit abgrenzen.
Dem Geiste der französischen Gothik, in welchem Mathias
von Arras herangewachsen war, entstammt der Gedanke einer fünf-
schiffigen Anlage mit mäßig ausladendem Querhause und einem
aus fünf Zehneckseiten gezogenen Chorschlusse, den ein Kranz
fünf radianter Kapellen umgibt. Der Chor bis zur unteren Gallerie,
Das späte Mittelalter. jO'Z
der in allen Fenstern die gleichen Maßwerksmotive bietende,
niedrige Kapellenkranz ist vom Meister Mathias erbaut, welcher
die Chorumgangspfeiler streng und einfach gliedert, plastischen
Schmuck und malerische Reize meidet, die Profile etwas ängstlich
zeichnet und in einer gewissen, selbst des kräftigen Wechsels von
Licht und Schatten sich begebenden Nüchternheit zumeist nur
das Nothwendige und Regelmäßige berücksichtigt.
Wie anders der zweite Dombaumeister, der aus Gmünd in
Schwaben berufene Peter Parier! In seiner Art steckt rasch pul-
sierendes Leben, Erfindungsgabe, Virtuosität des Vortrages, Viel-
seitigkeit und Kühnheit; mit vollen Händen streut er aus dem
überreichen Schatze seiner Begabung. Seine Neigung für die Be-
tonung schlanker Verhältnisse tritt klar in dem hoch aufsteigenden
Chore über dem breit hingelagerten Kapellenkranze zutage; ein
Wald von Strebepfeilern mit dünnen Fialen baut sich um denselben
auf. Doppelte Strebebogen schlagen sich zum Chorraume hinüber,
welchem durch die sechstheiligen großen Oberlichter mit reichem
Maßwerke eine wundersame Lichtfülle zuströmt, zierliche Spitz-
giebel und fein durchbrochene, mit Fialen geschmückte Gallerien,
originelle Wasserspeier und gut gearbeitete Steindecoration lassen
es fast vergessen, dass nicht überall Einheit und Reinheit gewahrt
und bereits der langgezogenen Fischblase des spätgothischen Maß-
werkes das Wort gegönnt ist.
Aber Peter Parier bewährte im Oberbaue von St. Veit nicht
nur seine ungemeine Kühnheit der Construction, sondern auch in
der Ausstattung des Äußern und des Innern seine Meisterschaft
auf plastischem Gebiete. Von seiner Hand stammen das für die
Wenzelskapelle fein gearbeitete Standbild des heil. Wenzel, die
Grabdenkmale Pf*emysl Ottokars I. und IL, einige der Heiligen-
büsten, die am Chorschlusse außen als Tragsteine angeordnet sind,
und mehrere der Porträtbüsten auf der Triforiumsgallerie. Die zu-
letzt erwähnten Büsten, ausgezeichnet durch nati^rtreue, individuelle
Behandlung, meist lebenswahr und frei von schablonenmäßiger Auf-
fassung, sind die originellste Porträtsammlung der Gothik, welche
die Züge der für die Dombauförderung wichtigsten Personen des
Herrscherhauses, der drei ersten Erzbischöfe, der fünf Dombau-
inspectoren und der zwei ersten Dombaumeister der Nachwelt über-
lieferte. Erwägt man, dass Peter Parier auch das vernichtete Chor-
J04. Josef Neuwirth
gestühl des Domes anfertigte und die Herstellung anderer plasti-
scher Arbeiten, wie der Tumbendeckel für die Herzogsgräber über-
wachte, so ergibt sich die Gewissheit, dass dem überwältigenden
Eindrucke des Prager Domes der Stempel seines Genius in allen
Theilen aufgedrückt war.
Zur plastischen Ausstattung gesellte sich auch reicher male-
rischer Schmuck, dessen spärliche Überreste sich an einigen Kapellen-
wänden erhielten. Deutlich erkennbar sind nur die unteren Wand-
malereien der Wenzelskapelle, auf fein gemustertem Goldgrunde,
in welchen 1372 bis 1373 geschliffene Halbedelsteine eingesetzt
wurden, wahrscheinlich durch den vom Dombauamte beschäftigten
Meister Oswald ausgeführt; sie behandeln die Leidensgeschichte
Christi. Venetianische Mosaikarbeiter vollendeten 1 37 1 über dem drei-
theiligen Südportale die jetzt abgenommene große Mosaikdarstellung
des jüngsten Gerichtes, bei welchem gleichsam als Fürbitter die
sechs Landespatrone Böhmens erscheinen, ein von den Zeitgenossen
vielfach bewundertes Werk.
Auch die Kleinkunst hatte einen bedeutenden Antheil an der
Ausschmückung des Veitsdomes. Die Thüre zur Wenzelskapelle
und jene für das Sacramentshäuschen in derselben lassen noch heute
den feinen Geschmack der Schmiedearbeit bewundern, und der trotz
zahlreicher Unfälle immerhin sehr bedeutende Reichthum des Dom-
schatzes an Reliquiarien aller Art und kostbaren Kirchenausstattungs-
gegenständen vermittelt einen zuverlässigen Rückschluss auf die
Opferwilligkeit der Gläubigen aller Bevölkerungsschichten, die das
Kostbarste zur Ehre des Höchsten opferten. Viele dieser Stücke
sind einheimische Werke, von den Mitgliedern des Herrscherhauses
gespendet und durch die damals zahlreichen, bereits in festorgani-
siertem Zunftverbande lebenden Goldschmiede Prags gearbeitet
Eines derselben erweist sich nach dem Werkzeichen, das sich auf
dem Schmelzgrunde des Monstranzfußes befindet, als eine Schenkung
des Dombaumeisters Peter Parier und zeigt in höchst interessanter
Weise die Wechselbeziehungen zwischen Architektur und Gold-
schmiedekunst, welch letztere gern die schönsten und wirksamsten
Motive jener für ihre Schöpfungen verwendete. Gerade diese That-
sache beleuchtet aufs deutlichste den weitgehenden Einfluss, welchen
die Anschauungen des nahezu ein halbes Jahrhundert in Böhmen
hervorragend thätigen zweiten Dombaumeisters auf das Kunstleben
Das späte Mittelalter. jor
des Landes gewannen; in ihrem Banne standen Architektur, Plastik
und Goldschmiedekunst und zollten in der Eigenart ihrer Entwick-
lung dem Genius des deutschen Künstlers reichlich den Tribut
dankbarer Zusammengehörigkeit.
Die AuflEiihrung eines so großartigen Domes und die voll-
endet künstlerische Ausstattung desselben nach jeder Richtung war
insbesondere durch die vortreffliche Regelung des ganzen Baubetriebes
ermöglicht, über welchen die erhaltenen Dombaurechnungen aus
den Jahren 1372 bis 1378 die zuverlässigsten Aufschlüsse geben,
so dass man eine vollständig klare Vorstellung von der Bauführung
eines großen mittelalterlichen Domes erhält. Administration und
technische Leitung waren vollständig getrennt.
Die erstere besorgte das Dombauamt, für welches der Bauherr
— nämlich der Erzbischof mit dem Capitel — aus der Domgeistlich-
keit einen Bauinspector und einen Bauschreiber ernannte. Als
Bauinspectoren waren bis zu dem Husitensturme Busco, Nikolaus
von Holubecz, Benesch von Weitmil, Andreas Kotlik, Jaklinus
und Wenzel von Radecz thätig. Sie nahmen die Geldsummen in
Empfang, welche Ablässe, Vermächtnisse, Strafgelder der Geist-
lichen und Laien, sowie eigens veranstaltete, besonders von der
Geistlichkeit geförderte Sammlungen dem Dombaufonde zuführten,
bezahlten davon alle beim Dombaue beschäftigten Arbeiter und
sorgten für die Beistellung aller Materialien und Geräthe, wobei
ihnen als Rechnungsführer und Stellvertreter der Bauschreiber,
als untergeordnete Aufsichtsorgane der Hüttenaufseher und Hütten-
knecht zur Seite standen. Die genaue Buchung aller Posten und
die in der Bestallungsformel der Dombauinspectoren betonte Pflicht
der Rechnungslegung vor dem Bauherrn zeugt von der strammen
Organisation des Dombauamtes, das für die technische Leitung des
Werkes vertragsmäßig einen geeigneten Architekten bestellte.
Derselbe stand an der Spitze der Dombauhütte, die ungefähr
an der Stelle der heutigen errichtet und für die Winterarbeit auch
mit einem heizbaren Räume versehen war. Den Dombaumeister,
der gleichzeitig auch andere Bauten leitete, vertrat der vertrags-
mäßig aufgenommene Parlier; unter seiner Aufsicht arbeiteten die
Steinmetzen, welche aus allen Gegenden Deutschlands, aus Oster-
reich, Polen und Ungarn zuwanderten und nur zum geringen
Theile aus Böhmen selbst stammten. Dieser Umstand verbürgt im
I06 Josef Neuwirth
Vereine mit der Thatsache, dass der den meisten EinHuss übende
Meister deutscher Herkunft war und in deutschen Bauhütten seine
Ausbildung und frühere Beschäftigung gefunden hatte, das ent-
schiedene Vorwalten der deutschen Gothik, wie sie die Kölner Hütte
aus französischen Vorbildern selbständig weiter entwickelt hatte.
Die Bezahlung der Steinmetzen, deren Zahl meist zwischen lo und
Abb. 30. Büste Karls IV. auf der Trifolium sgallerie des Prager Domes.
20 schwankte, manchmal aber noch höher stieg, erfolgte nach der
genau auf den Zoll abgemessenen Arbeit der einzelnen Werkstücke,
für welche wie in Wien feste Lohnsätze aufgestellt waren, so dass
eigentlich jeder Arbeiter selbst mit dem Maßstabe des eigenen
Fleißes die Höhe seines Einkommens regelte; nur für den Dom-
baumeister war der Wochenlohn mit 56, für den Parlier im Sommer
Das späte Mittelalter. 107
mit 20 und im Winter mit 16 Groschen vertragsmäßig festgesetzt,
während der zuletzt Genannte in Wien 1404 wöchentlicli 16 Gr.
2 Pfnn., 1430 aber schon 1 Pfund 23 Pfnn, bezog.
Abb. 31. BGate der Gemahlin Karls IV. auf der TriforinmsKallerie des Prager Domes.
Sollte das Werk gedeihen, so mussten das Dombauamt und
die technischen Leiter des Baues auch Hand in Hand gehen; das
scheint thatsächlich zumeist der Fall gewesen zu sein. Welch
bemerkenswerte Anerkennung des ersprießlichen Zusammenwirkens
beider liegt darin, dass auf der Triforiumsgallerie, für deren Aus-
schmückung der dankbare Bauherr die Porträtbüsten aller für die
Io8 Josef Neuwirth
Förderung des Dombaues wichtigen Personen bestimmte, neben
den Mitgliedern des Herrschergeschlechtes (Abb. 30 u. 31) und den
Erzbischöfen die Dombauinspectoren außer Jaklinus und die beiden
ersten Dombaumeister als in gleicher Weise des Gedenkens der
Nachwelt wert hingestellt wurden! Der bedeutungsvollen Thätig-
keit der administrativen und technischen Leiter des Dombaues
konnte kein schöneres Zeugnis ausgestellt werden, das gleichzeitig
feinsinnig die Macht des Genius in dem Künstler ehrte und jener
weltlicher und geistlicher Fürsten gewissermaßen gleichstellte, da
die Baumeisterbüsten nicht wie anderwärts an untergeordneten
Orten gleichsam eingeschmuggelt, sondern an hervorragender Stelle
als den Großen der Erde vollständig gleichberechtigt bezeichnet
wurden. Das bezeugt mit der Thatsache, dass Karl IV. seine
eigenen Hofmaler, Hofgoldschmiede und Steinschleifer, sowie
Wenzel IV. seine besonderen Maler, Illuminatoren, Baumeister
u. a. bestellte, die unter den Luxemburgern in Böhmen sich stetig
mehr entwickelnde Bedeutung der Künstlerindividualität, die man
durch Ehrenauszeichnungen und materielle Begünstigungen der
verdienten Anerkennung zu versichern suchte.
Nur so vortreffliche allgemeine Verhältnisse der Bauführung
und ein so zielbewusstes Zusammenwirken aller betheiligten Kräfte
ermöglichten die Herstellung des großartigen Dombaues, dessen
Erhaltung und Denkmale stets die Fürsten unseres Allerhöchsten
Herrscherhauses interessierten. Ferdinand L, der 1535 dem Dombaue
bestimmte Einnahmen zuwies, ließ durch Bonifaz Wohlgemuth
und Hans Tirol die Herstellung des Domes nach dem Brande von
1541 durchführen und eine kostbare Orgel aufstellen; ebenso sorgte
Rudolf II., unter welchem das von dem berühmten Alexander
Colin gearbeitete Grabmal Ferdinands I., seiner Gemahlin Anna
und Maximilians II. aufgestellt wurde, Ferdinand II. und die große
Kaiserin Maria Theresia hochherzig für die Behebung der Beschädi-
gimgen und die Instandhaltung des Domes, dessen Ausbau unter
persönlicher Theilnahme Leopolds I. in Angriff genommen wurde.
Die oberen Bilder der Wenzelskapelle, welche die Legende des
heil. Wenzel behandel«, aber später vollständig überarbeitet wurden,
interessierten den kunstsinnigen Erzherzog Ferdinand von Tirol
derart, dass der mit seiner Unterstützung ausgebildete Mathias
Hutsky von Pürglitz die in den kunstgeschichtlichen Sammlungen
Das späte Mittelalter. jOQ
des Allerhöchsten Kaiserhauses heute noch aufbewahrten Copien
anfertigte. Und wie der Beginn des Prager Dombaues unter dem
Stern eines kunstsinnigen Herrschers stand, der das von der Geist-
lichkeit so verständnisvoll betriebene Werk in hochherziger Frei-
gebigkeit förderte, so geht unter einer dem Kunstschaffen unseres
Vaterlandes nicht minder freundlichen Regierung der großartige
Bau nach Jahrhunderte langer Unterbrechung seiner Vollendung
allmählich entgegen.
KARI.STEIN IN BÖHMEN UND RUNKELSTEIN
IN TIROL, ZWEI BURGEN.
Kein weltlicher Fürst des 14. Jahrhundertes kann sich in
hochsinniger Förderung der Kunst mit Karl IV. messen. Zeigte
sich dieselbe auch an verschiedenen Orten iseines weiten Reiches,
zu Ingelheim oder Nürnberg nicht minder als zu Breslau oder
Tangermünde, in bemerkenswerter Weise, so erstreckte sie sich
doch in keinem anderen Lande derart wie in Böhmen auf alle
Gebiete des Kunstschaffens, denselben mit der Berufung und Be-
schäftigung auswärtiger Meister neue, befruchtende Ideen zuführend.
Fremde Baumeister und Steinmetzen, Erzgießer, Maler, Mosaik-
arbeiter und Goldschmiede kamen ins Land und fanden bei der Er-
bauung und Ausstattung der Kirchen, Klöster, der Burgen und
Bürgerhäuser reichlich lohnende Arbeit, wodurch das Sesshaftwerden
der Fremden und die fortschreitende Organisation der für die Kunst-
pflege wichtigen Zünfte nicht wenig gefördert wurde. Diese beiden
Umstände mussten im Vereine mit der für das Land so ruhigen
Regierung die Herausbildung bestimmter, das Kunstschaffen im
allgemeinen beeinflussender Anschauungen ermöglichen, deren Be-
rücksichtigung bei Bauten, Bildwerken und Arbeiten der Klein-
kunst heute noch die einzelnen Denkmale als dem Ideenkreise
der Kunstübung Böhmens unter Karl dem IV. zugehörig bezeichnen
lässt ; die Kunst dieses Landes hat während der genannten Epoche
hervorragende Bedeutung für die Kunstgeschichte im allgemeinen.
Kein Wunder, dass an den Namen des Herrschers, unter
welchem ein goldenes Zeitalter der Kunst für Böhmen hereinbrach,
hochbedeutende, noch bestehende Baudenkmale ganz eigener Art
anknüpfen ! Karlshof mit seiner einzig dastehenden Kuppel über
dem Achteck des Kirchenhauses, die vielbewunderte Karlsbrücke,
welche theilweise der Überschwemmungskatastrophe des Septembers
1890 zum Opfer fiel, und die eben dem Abschlüsse einer voll-
Das späte Mittelalter. XII
kommen sachverständigen Restauration nahe Burg Karlstein be-
leben schon mit dem bloßen Namen selbst in weiten Schichten
des Volkes das gesegnete Andenken des kunstsinnigen Fürsten.
Am lo. Juni 1348 ließ derselbe durch den Prager Erzbischof
Ernest von Pardubitz auf einem mächtigen Felsen in einer male-
rischen Seitenschlucht des Beraunthales den Grundstein zu einer
Burg legen, welche nach der am Tage der Einweihung des Baues
(27. März 1357) getroflFenen Verfügung zur Erhöhung der Erinnerung
an den königlichen Erbauer nach seinem Namen Karlstein benannt
werden sollte. Zugleich wurde die Burg zur Aufbewahrungsstätte
der deutschen Reichskleinodien, wertvoller Reliquien und der
wichtigsten Urkunden sowie zur Wohnung des Kaisers ausersehen,
wenn derselbe einsam und zurückgezogen vom Welttreiben sich
dem Gebete und frommen Andachtsübungen hingeben wollte.
Die ausgedehnte Anlage zerfallt in vier selbständige Theile.
Durch das Thor des Vorwerkes gelangt man zur Vorburg, deren
Gebäude der Burggraf und die Lehnritter benutzten, wodurch
manche Änderung des Innern erfolgte ; durch einen gedeckten
Gang stehn dieselben mit dem malerischen Brunnenthurme auf
dem Westvorsprunge des Burgberges in Verbindung. Der östlich
von der Vorburg liegende Palas, dessen beide Untergeschosse zu
Stallimgen,'Vorrathsräumen und Dienerwohnungen benutzt wurden,
enthält über der Nikolauskapelle die im vierten und fünften Ge-
schosse befindlichen kaiserlichen Wohnräume, deren Verbindungs-
treppe in dem östlich angelehnten, auch die Altarräume der Nikolaus-
und der Privatkapelle des Kaisers enthaltenden Halbthurme ein-
geordnet ist. Von dem kaiserlichen Schlafgemache aus war das
an den Palas anstoßende Wohnhaus der vier Canonici zugänglich;
vom Palas führte eine jetzt erneuerte Verbindungsbrücke in die
höher liegende CoUegiatkirche, deren Erdgeschoss Gefängnisräume
enthielt, so dass der über der Dechantswohnung liegende Kirchen-
raum erst im zweiten Stocke angeordnet ist. In der Mauerdicke
der südlichen Kirchenwand ist die Katharinakapelle ausgespart.
Wie Vorburg, Palas und CoUegiatkirche eine durch Befesti-
gungswerke geschützte, selbständige Anlage bilden, so ist auch
der auf dem Gipfel des Burgfelsens mächtig ansteigende Haupt-
thurm durch eine mit fünf Wachhäusern besetzte Mauer befestigt.
Im dritten Thurmgeschosse liegt die berühmte Kreuzkapelle, zu
112 Josef Neuwirth
welcher das südlich vorgebaute Treppenhaus emporführt, indes
die beiden unteren Geschosse nur schmucklose, mit Kreuzgewölben
versehene Gemächer enthalten und die zwei obersten Geschosse
durch eine wie bei der Collegiatkirche im Mauerkörper eingelassene
Treppe zugänglich werden.
Diese gedrängte Angabe der wichtigsten Bestandtheile der
ausgedehnten Burganlage und ihrer Anordnung zeigt, da die
Burgen durchschnittlich meist eine Kapelle und nur ausnahms-
weise wie in Eger eine Doppelkapelle hatten, sofort auf eine ganz
besondere Bestimmung des Baues, welcher außer der im Palas
liegenden Privatkapelle des Kaisers noch drei Kapellen und eine
selbständige Collegiatkirche umfasste und auch zur Aufbewahrung
von Reliquien dienen sollte. Das verleiht der befestigten Burg
einen stark betonten kirchlichen Zweck und macht dieselbe zugleich
zu einer geheiligten Stätte. Diese Absonderlichkeit der Anlage
und Verwendung lässt auch auf ein bestimmtes Vorbild schließen,
in welchem mit der durch Befestigungswerke geschützten Residenz
sich eine ausgesprochen kirchliche Bestimmung verband. Das war
bei der Papstburg in Avignon der Fall, welche Karl IV. bei seinen
Besuchen am päpstlichen Hofe kennen gelernt hatte und als mäch-
tigster weltlicher Herrscher der Christenheit in seinem Erblande
nachzubilden befahl. Zur Ausführung des Werkes konnte kein
erfahrenerer Meister gefunden werden als der von Avignon berufene
erste Prager Dombaumeister Mathias von Arras, der ja den Muster-
bau genau kannte und wahrscheinlich sogar selbst bei der Voll-
endung desselben beschäftigt gewesen war ; nach seinem Tode führte
den Karlsteiner Bau ein nicht näher bekannter Architekt, jedoch
sicher nicht Peter Parier zuende.
Ist auch die Anlage der verschiedenen Gebäude die ursprüng-
liche, so hat sich doch nur in wenigen Räumen die kunstgeschicht-
lich hochinteressante Anordnung und Ausstattung erhalten. Wich-
tiger als die cassettierten Holztäfelungen und die Reste des glasierten
Fliesenbelages im Palas, dessen kaiserliche Privatkapelle stark
beschädigte und nur theilweise genauer kenntliche Wandmalereien
bietet, sind die Räume der Collegiatkirche und der Katharinakapelle.
Die Wände der ersteren zieren später theilweise übermalte und
nicht mehr ganz zusammenhängend erhaltene Darstellungen aus
der Apokalypse, die tief durchdachte Composition der unbefleckten
Das späte Mittelalter.
113
Jungfrau und die Porträts Karls IV., seiner Gemahlin Bianca und
Wenzels IV. ; die Darstellungen des Kaisers, dessen Hand^ noch
heute der Volksmund mit Unrecht die Anfertigung der lange
hier aufgestellten Marienstatue französischer Herkunft zuschreibt,
haben auf Reliquienverehrung und Andachtsübung Bezug. Außer
dem einfachen, sauber gearbeiteten Sacramentshäuschen und den
Wandmalereiresten aus dem Marienleben in den Fensternischen
hat sich nichts aus dem 14. Jahrhunderte erhalten.
Wundersam prächtig ist die Ausstattung der in der Südwand
der Collegiatkirche ausgesparten Katharinakapelle, deren Wände
auf vergoldetem Gipsgrunde mit ausgesucht schönen Edelsteinen
belegt sind. Die Rippen der beiden Gewölbejoche, deren Kappen
auf blauem Grunde goldene Kreuze und Sterne zeigen, sind ver-
goldet, die Schlussteine mit Edelsteinrosetten geziert; in einem
der beiden schmalen Spitzbogenfenster, welchen gegenüber in die
Zierbogen eines mäßig vortretenden Gesimses die Köpfe der
Landespatrone eingemalt sind, erstrahlt als Rest der alten Glas-
malereien eine figurenreiche Kreuzigung Christi in tief leuchtender
Schönheit der ursprünglichen Farben. Dieselbe Darstellung ziert
die Vorderseite des gemauerten Altartisches, an dessen Epistelseite
die Gestalt der Kapellenpatronin begegnet, indes in der Altamische
zwischen Petrus und Paulus vor Maria mit dem Kinde Karl IV.
und eine seiner Gemahlinnen knien. Diese beiden Gestalten
halten auch in dem Bogenfelde über dem Eingange die für die
Kapelle bestimmte Kreuzpartikel.
Das zur Kreuzkapelle emporführende Treppenhaus bietet
kürzlich erneuerte Scenen aus dem Leben der heil. Ludmila und
des heil. Wenzel und leitete so gleichsam zu der Pracht der
Kreuzkapelle (Abb. 32) hinüber; ihre beiden Kreuzgewölbe sind
mit vergoldeten Rippen und Gurten geziert, während man die
Wände ziemlich hoch mit Edelsteinen auf Goldgrund belegte und
der blaue Grund der Gewölbekappen mit Sonne, Mond und
Sternen belebt wurde. 133 verschiedene Tafelbilder, die gleich-
mäßig vertheilt vom Edelsteinbelage bis zur Wölbung sich hinauf-
zog^en, Wandmalereien in den Fensternischen, kunstvoll gearbeitete
Schreine, in welchen die Urkunden und Kostbarkeiten verwahrt
wurden, schmückten das Innere der Kapelle, an deren Wänden
hin bei Festgottesdiensten 1330 Kerzen aufgesteckt wurden, so
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 8
1JA Josef Neuwirth
dass gewiss der Eindruck geradezu märchenhafter Pracht erreicht
war. Den Kapellenraum theilt ein vorzüglich gearbeitetes Gitter,
das vergoldet und mit herabhängenden Edelsteinen verziert war,
in zwei Hälften ; dasselbe gehört nächst der Thüre der Katharina-
kapelle, deren Rauten auf Goldgrund den schwarzen Adler und
auf rothem Grunde den weißen böhmischen Löwen in getriebener
Arbeit zeigen und geschmackvoll ornamentierte Bänder besitzen,
zu den besten Schmiedearbeiten der karolinischen Epoche. Vier
vergoldete Krystallatemen in Form einer abgestutzten Pyramide,
von welchen sich eine erhalten hat, Glasmalereien und Kreuze,
aus Edelsteinen in vergoldeter Bleifassung als Fensterschmuck
eingesetzt, vervollständigten die reiche Ausstattung des eigenartigen
Raumes. Nicht minder beachtenswert als die Tafel- und Wand-
malereien ist das Altarwerk, welches Thomas von Modena ange-
fertigt hat ; dasselbe bietet außer sehr fein gearbeiteten Engels-
und Heiligenfiguren den Schmerzensmann und Maria mit dem
Kinde und stimmt in dem Kunstcharakter zu dem aus Karlstein
nach Wien geschafften Altarwerke der mit dem Kinde zwischen
Palmatius und Wenzel thronenden Madonna.
Karlstein hat demnach ganz besondere Bedeutung für die
Geschichte der Malerei in Böhmen, wo sich in der vielgenannten
,, Prager Schule** zum erstenmale die 1348 vollzogene Organisation
einer Zunft, der Prager Malerzeche, feststellen lässt; italienische
und deutsche Einflüsse waren neben der einheimischen Über-
lieferung für den Charakter ihrer Werke bestimmend. Der eben-
genannte Italiener Thomas von Modena, ein Vertreter der Richtung
Giottos, hat wahrscheinlich gar nicht in Böhmen selbst gemalt,
wenn auch andere Italiener sicher bei dem Mosaik am Dome und
offenbar auch bei einem Theile der Emauser Kreuzgangsbilder in
Prag beschäftigt waren. Nur vorübergehend, aber durch eine
Reihe von Jahren arbeitete im Lande der kaiserliche Hofmaler
Nikolaus Wurmser von Straßburg, der, weil er vor 1357 in Saaz
heiratete, offienbar auch in Landstädten thätig gewesen war, die
Kunstanschauungen anderer Maler in denselben beeinflusste, aber
nach Vollendung der Arbeiten in Karlstein nach Straßburg, dessen
Bürger er auch als Hofmaler blieb, zurückkehrte. Die Wand-
malereien an den Langseiten der CoUegiatkirche und die ihnen
verwandten Darstellungen aus der Ludmila- und Wenzelslegende
Das späte Mittelalter. jjc
im Treppenhause des Hauptthurmes zeigen die meiste Verwandt-
schaft zu der rheinischen Malerei des 14. Jahrhundertes ; sie dürfen
zunächst auf den 1359 und 1360 in MoHn bei Karlstein ansässigen
Nikolaus Wurmser bezogen werden. Die Hauptdarstellung der
Katharinakapelle durchdringen italienische Züge, während die
Porträts Karls IV., seiner Gemahlinnen und Wenzels IV. in der
CoUegiatkirche und über der Thür der Katharinakapelle einer
dritten Hand angehören, welche offenbar auch die Tafelbilder der
verschiedenen Heiligen für die Kreuzkapelle anfertigte. Letztere
stammen sicher von dem kaiserlichen Hofmaler Theodorich, der
1359 auf dem Hradschin in Prag wohnte und 1367 wegen der für
die königliche Kapelle in Karlstein ausgeführten kunstreichen
Gemälde Begünstigungen für seinen Hof in MoHn erhielt. Da
dieser Besitz erst nach dem Weggange Nikolaus Wurmsers an
Theodorich fiel, so vollendete ersterer nach 1360 und vor 1367
seine Arbeiten, worauf Theodorich die Aufstellung der Tafelbilder
begann.
In denselben verdichtet sich das Charakteristische der ,, Prager
Schule*', deren ernste und würdevolle Gestalten breitschultrig und
gedrungen, energisch und mit dem herben Zuge feierlicher Strenge
herausgearbeitet sind. Etwas klobige Nasen mit breitem Rücken,
stark betonte Backenknochen, ausdrucksvolle, große Augen unter
meist treflflich modellierter Stirne, herabgezogene Mundwinkel,
aufgeworfene Lippen vereinigen sich zu einer bedeutenden Wirkung
der von einem starken Zuge realistischer Auffassung durchdrungenen
Köpfe. Derselbe begegnet in den wiederholt trefflich gebildeten
Händen mit den entsprechend betonten Adern, Sehnen und manch-
mal klobig zulaufenden Fingern. Auch die weiblichen Gestalten
zeigen eine mehr kräftige als idealzarte Formengebung. Graue
Schatten, die auch ans Grünliche streifen, heben im Fleischtone
wirkungsvoll die Modellierung ; die Faltengebung der meist ruhig
fallenden Gewänder, in denen gebrochene Töne herrschen, ist nicht
überladen, oft rundlich und voll, so dass die Körperformen an-
sprechend zur Geltung kommen. Gegen Theodorich bildet Wurmser
die Gestalten schlanker, die Köpfe feiner im Geiste der besseren
oberdeutschen Arbeiten. Die Richtungen beider Meister, denen
einerseits das Votivbild des Erzbischofes Johann 06ko von Wlaschim
im Prager Rudolphintmi und die Tafelbilder zu Mühlhausen a. N. ,
8*
jjg Josef Neuwirth
andererseits zahlreiche Marienbilder im Typus der bekannten
schönen Madonna von Hohenfurt angehören, bestimmten Böhmens
Mal weise im 14. Jahrhunderte ; in sie flössen, wie Johannes Galliens
als Mitglied der Prager Malerzeche und Bilderhandschriften fest-
stellen lassen, auch französische Anschauungen, welche jedoch
gleich den auf dem Hohenfurter Tafelbildercyklus begegnenden
italienischen nicht den Grundton der Auffassung angaben, sondern
nur gewisse Färbungen desselben herbeiführten. Welches Element
für die Herausbildung der einheimischen Richtung Theodorichs
maßgebend war, lehren die deutschen Inschriften auf den 1338
gearbeiteten Darstellungen aus der Georgslegende im Schlosse zu
Neuhaus, die deutsche Abfassung der ältesten Satzungen für die
Prager Malerzeche und die Bestätigung verschiedener für dieselbe
wichtiger Privilegien in deutscher Sprache. Es erscheint geradezu
natürlich, dass unter jenem deutschen Kaiser, der am französischen
Königshofe seine Ausbildung erhalten hatte und zu großen Geistes-
heroen Italiens wie Petrarca in freundlichen Beziehungen stand,
die eigenthümliche Entwicklung der einheimischen Malweise in
Böhmen vorwiegend der deutschen nahe blieb, obzwar ihr gleich-
zeitig Meister und Muster der französischen und italienischep Kunst
bekannt wurden. Für die Würdigung ihrer monumentalen Lei-
stungen ist kein anderer Ort von ähnlicher Bedeutung als Karlstein,
um dessen stilgerechte, noch nicht abgeschlossene Restauration sich
der geniale Wiederbeleber der Gothik in Österreich, Dombaumeister
Fried. Freiherr v. Schmidt in Wien, und der umsichtige Prager
Dombaumeister Jos.* Mocker hohe Verdienste erwarben.
Kaum ein Menschenalter später als die Vollendung des Karls-
teiner Gemäldeschmuckes fällt die Ausführung der berühmten Wand-
malereien des Schlosses Runkelstein bei Bozen in Tirol, das auf
einem steil abfallenden Porphyrfelsen über dem Talferbache ansteigt
und den Eingang des Samthaies beherrscht. Die durch die Edlen
von Wanga nach 1237 erbaute Burg, deren Besitzer im Lehens-
verhältnisse zu den Bischöfen von Trient standen, gelangte 1391
durch Verkauf an Nikolaus und Franz Vintler. Der Erstgenannte
ließ 1396 die Burg neu herstellen, die Schlosskapelle, zwei Thürme
und Vorwerke aufiiihren. Unter ihm herrschte in Runkelstein ein
reges Interesse für die in reichhaltiger Bücherei sich mehrenden
mittelhochdeutschen Dichtungen, deren die ritterliche Gesellschaft
Das späte Mittelalter. jjy
immer noch interessierende Stoffe gleichzeitig in den verschiedenen
Wandmalereien ihren künstlerischen Wiederhall fanden. Runkel-
stein behält durch dieselben für die Geschichte der bildenden Kunst
vielleicht einen höheren Wert als durch Hans Vintlers ,, Blumen
der Tugend** oder durch die von Hans Sendlinger geschriebene
Reimchronik für die Geschichte der Literatur, was merkwürdiger-
weise zum Theile gerade darauf beruht, dass Malerei und Poesie
am Ausgange des Mittelalters nirgend anderswo wieder in so aus-
gedehnter Weise in innigste Beziehung zueinander traten. In der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhundertes fiel Runkelstein an die Tiroler
Landesfürsten. Einem schönen Charakterzuge des in Tirol hoch-
gefeierten Kaisers Max I., des ,, letzten Ritters**, der selbst eine so
ausgesprochene Vorliebe für die mittelhochdeutsche Heldensage
und Dichtung besaß, entspricht die aus derselben geradezu er-
klärliche Thatsache, dass ihm daran lag ,,das Sloss Runckelstain
mit dem gemel lassen zu vernewen von wegen der guten alten
Jstory und dieselben Jstory in schrift zuwegen bringen**. Im
Besitze der Ritter von Brandis und später der Grafen von Lichten-
stein trat Runkelstein von 1531 an wieder in den Lehensverband
des Hochstiftes Trient, dessen Fürstbischof es unter Maria Theresia
als Mensalgut zugewiesen erhielt. Keiner dieser Besitzer hat für
die Erhaltung der mit der Zeit schadhaft gewordenen Wand-
malereien etwas gethan, so dass man bereits den völligen Verlust
derselben zu befürchten begann. Die bange Besorgnis schwand
erst, als Se. Majestät unser allergnädigster Kaiser Franz Josef I.
Runkelstein als Privateigenthum erwarb und in hochsinnigstem
Interesse für die Erhaltung eines der interessantesten österreichi-
schen Kunstdenkmale die Instandhaltung der Burg und ihres Bild-
schmuckes durch künstlerisch erfahrene und bewährte Fachmänner
anordnete.
Als Burganlage bietet Runkelstein nichts besonders Hervor-
ragendes. Ostlich von dem an der Südseite der Burg angeordneten
Spitzbogenportale liegt neben den ehemaligen Kaisersälen die kleine
Kapelle, im westlichen Flügel über dem im zweiten Geschosse
befindlichen Badezimmer der sogenannte Neidharts- und der Waffen-
saal. Der nördliche Flügel bildet eine gegen den ziemlich be-
schränkten Hof offene Halle, über welcher die mit den Garel- und
Tristanscenen ausgestatteten Gemächer und der Rittersaal sich
Ij8 Josef Neuwirth
befinden. Von der Rückwand der gleichfalls nach dem Hofe
ofienen Gallerie, auf welcher man zu den drei eben erwähnten
Räumen gelangt, grüßen den Besucher die mächtigsten Gestalten
der deutschen Heldensage und Dichtung.
Runkelstein hat wie Karlstein für die Geschichte der Malerei
eine hervorragende Bedeutung, mögen auch die Grundlagen und
die Behandlungsweise der Darstellungen recht verschieden sein.
War mit dem kirchlichen Charakter Karlsteins naturgemäß die
Berücksichtigung kirchlicher StoflFe geboten, so musste für die
bilderreiche Ausstattung einer Burg, an deren Pforte die frisch
pulsierende Lebensfreude der Zeit nicht vergebens klopfte und
Einlass begehrte, sich von selbst ein dem ritterlichen Denken und
Fühlen näher stehender Stoflfkreis einstellen. Denn die ritterliche
Gesellschaft eines Jahrhundertes, in welchem kirchliche Würden-
träger, wie der Leitomischler und später Olmützer Bischof Johann
von Neumarkt, die deutsche Heldensage treflFlich beherrschten und
z. B. Margareta Maultasch mit Kriemhilde verglichen, ja, selbst
Herrschern wie Wenzel IV. Dietrich von Bern noch wohlbekannt
war, hatte das Interesse an den volksthümlichen Sagenkreisen und
den darauf aufgebauten Dichtungen, an den hervorragendsten Per-
sönlichkeiten derselben nicht verloren und wollte sich an Dar-
stellungen dieser Stoffe in den Wohnräumen der Burgen ergötzen.
So mussten die Malereien Karlsteins und Runkelsteins grundver-
schieden werden. Wie dort die mächtigsten Streiter der Kirche,
Apostel, Evangelisten, heilige Fürsten, Kirchenlehrer, Märtyrer
und Bekenner, die heil. Ritter, Darstellungen aus der Wenzels-
und Ludmilalegende, der Apokalypse und dem Marienleben sich
für die Kapellen- und Kirchenausstattung einstellten, so wurden
hier die bekanntesten Vertreter des Helden- und Ritterthumes,
die noch lebhaftes Interesse erregenden Dichtungen ,,Garel vom
blühenden Thal** sowie ,, Tristan und Isolde** nebst ,,Wigalois**
zur Ausschmückung der Burggemächer herangezogen. War in
Karlstein der Darstellung einer Gefühlsäußerung der Zeitgenossen
nur in der Form frommer Verehrung das Wort gestattet, so flutete
auf die Wände des Runkelsteiner Neidhartsaales und Badezimmers
der heitere Genuss der Zeit in mannigfachen Äußerungen des
Spieles und des Vergnügens. So gewinnen die Malereien Karls-
teins und Runkelsteins einen ähnlichen und doch wieder ver-
Das späte Mittelalter. X XQ
schiedenen Wert ; dort erstehen sie auf dem Boden religiöser Ver-
ehrung, der sich ein Zug des Mystischen beigesellt, hier auf dem
ritterlich lebensfrohen Genießens, das an den durch Sage und
Poesie verklärten Gestalten auch ein gewisses literaturgeschicht-
liches Interesse bekundet und sich mehr an verständnisvoll dem
Leben abgelauschten Darbietungen als an den gleichsam nur
schüchtern sich einmal vorwagenden Halbfiguren alttestamentlicher
Frauen und Helden ergötzt
Die Runkelsteiner Wandmalereien zeigen folgende Anordnung.
Schon vom Burghofe gewahrt man in der oflFenen Halle des ersten
Stockwerkes im nördlichen Burgflügel folgende Gruppen : Hektor,
Alexander den Großen und Cäsar als die größten Helden des
Heidenthums ; Josua, David und Judas den Makkabäer als Helden-
vertreter des Judenthums ; Artus, Karl den Großen und Gottfried
von Bouillon als die größten christlichen Könige ; Parcival, Gawein
und Iwein als die treflFlichsten Ritter ; Wilhelm von Osterreich und
Aglei, Tristan und Isolde, Wilhelm von Orleans und Amelei als
die bekanntesten Liebespaare ; Dietrich von Bern mit Sachs, Sieg-
fried mit Balmung und Dietleib von Steier mit Weisung als Eigen-
thümer der berühmtesten Schwerter ; Asparan, Ötnit und Struthan
als die gewaltigsten Riesen ; Hilde, Vodelgart und Frau Rachin
oder Rutze als die drei mächtigsten Weiber und schließlich Artus,
Gawein und Iwein zu Pferde. Das an diese Halle stoßende Ge-
mach bietet Darstellungen aus Pleiers ,,Garel vom blühenden
Thal'', unterhalb welcher Brustbilder alttestamentlicher Helden
und Frauen angeordnet erscheinen. Der nächstfolgende Raum ist
mit den vortrefflich gearbeiteten Scenen aus der Geschichte des
gefeiertesten mittelalterlichen Liebespaares Tristan und Isolde, die
untere Halle mit verschiedenen Bildern, deren Motive der Wigalois-
dichtung entlehnt wurden, reich und anziehend ausgeschmückt.
Steht die Wahl dieser Darstellungen auf dem Boden der in höfischen
Kreisen fortlebenden Überlieferung, welche die Lieblingsgestalten
der Glanzzeit des Ritterthums ganz besonders der Verewigung
durch den Pinsel wert erachtete, so verweisen die Bilder des Neid-
hartsaales, welche die ritterliche Gesellschaft bei Ballspiel, Tanz,
Jagd und Turnier zeigen, auf die damals üblichen Vergnügungen,
deren künstlerische Wiedergabe in Einzelheiten eine das Wesent-
liche richtig herausgreifende Beobachtungsgabe verräth ; sie sprudeln
J20 Josef Neuwirth
aus dem Born des anziehenden und abwechselungsreichen Genuss-
lebens der Zeit frisch und anmuthend, ja wahrhaft herzerquickend
hervor. Das ist auch der Fall bei der vortreflflich erhaltenen Aus-
stattung des Badezimmers, über dessen Eingange das von zwei
Knappen gehaltene Wappen Vintlers begegnet ; die Einstellung
desselben hier und an anderen Orten verbürgt, dass Nikolaus
Vintler die Wandmalereien ausführen ließ. Die bildliche Aus-
schmückung bleibt mit der Bestimmung des Raumes, dessen
Wände ein mit Wappenthieren geziertes Teppichmuster belebt, im
innigsten Zusammenhange. Die untere der beiden Friesabtheilungen
zeigt an der Westwand nackte Gestalten, die sich eben anschicken,
in verschiedener Stellung ins Bad zu steigen, während die aus
rundbogiger Halle tretenden und gegen eine Wehrstange sich
lehnenden Zuschauer männlichen und weiblichen Geschlechtes an
der nördlichen und südlichen Wand, welche Darstellungen verschie-
dener, auch fremdländischer Thiere schmücken, aufmerksam dem Vor-
gange folgen. An demselben haben die in die Vierpässe der oberen
Friesabtheilung eingeordneten männlichen und weiblichen Gestalten
in kniender, sitzender und stehender Stellung ebenso wenig Antheil
als der Falkenträger und die gekrönte Frau der Fensterwand.
Die an der Außenseite der unteren Hofhalle auf grünem Grunde
in schwarzen Umrissen ausgeführten Kaiserdarstellungen entstanden
gleich den Personificationen der freien Künste in der genannten
Halle erst im i6. Jahrhunderte, vielleicht als Kaiser Maximilian I.,
auf dessen Anordnung die ersteren zurückgeführt werden könnten,
den Brixener Maler Friedrich Lebenbacher mit der Restauration
der Runkelsteiner Bilder betraute.
Rücksichtlich der Technik gewähren namentlich die Scenen
des Neidhartsaales, wie die beigegebene Abbildung des Ballspieles
(Abb. 33) zeigt, nebst jenen des Badezimmers die besten Aufschlüsse.
Die gleichmäßig mit Farbe angelegten schwarzen Umrisse heben sich
zwar kräftig von dem Teppichuntergrunde, entbehren aber, weil
eine der Modellierung dienliche Abstufung der Töne fehlt und nur
rothe oder schwarze Pinselstriche die Faltenlage kennzeichnen, jeder
plastischen Wirkung. Die unter Maximilian I. restaurierten Wigalois-
scenen stehen in schwarzen Umrissen auf grünem Grunde und be-
wahren stellenweise den ursprünglichen Charakter mehr als die
Tristanbilder, die meisterlich in einfarbiger Malerei grün mit weiß
F
Das späte Mittelalter. 121
aufgesetzten Ivichtem gearbeitet sind und neben den alten Figuren-
typen die individuell und wirksam modellierende Behandlung einer
späteren Hand zeigen. Technik und Formen der Gareldarstellun-
gen bieten so nahe Beziehungen zu der bildlichen Ausstattung
mittelhochdeutscher Dichterhandschriften, dass damit interessante
Anhaltspunkte für den Ursprung der Wandmalereien sich ergeben.
Da der Maler der Runkelsteiner Bilder, dessen Name leider
unbekannt ist, in den mittelhochdeutschen Dichtungen kaum derart
bewandert war, um die dem höfischen Fühlen besonders zusagenden
Scenen derselben zweckentsprechend wählen zu können, so liegt
die Vermuthung nahe, dass Niklas Vintler, der lebhaftes Interesse
und genaue Kenntnis mittelhochdeutscher Epen besaß, die Aus-
wahl selbst traf, die Reihenfolge bestimmte und, wo der StoflF dem
Künstler femer lag, in den Miniaturen der von ihm erworbenen
Handschriften geeignete Muster zur Verfügung stellte. Diese Um-
stände erklären vollauf die eigenthümlichen Beziehungen des
Garelcyklus zur Buchmalerei. Von denselben kann mit um so
größerem Rechte für die anderen mit Dichtungen zusammen-
hängenden Bilderfolgen gleichfalls auf eine ähnliche Quelle ge-
schlossen werden, da die auch anderwärts begegnende Darstellung
der neun guten Helden des Heiden-, Juden- und Christenthums
auf die Benutzung herrschender Typen verweist und diese letzteren
damit sowohl für die anderen Gruppen als auch für die Tristan-
und Wigaloisfolge wahrscheinlich macht, zudem ja für Bilderhand-
schriften desselben Werkes wie beim ,,Wälschen Gaste** die Ab-
hängigkeit der Zahl und Reihenfolge der bildlichen Darstellungen
von einem gemeinsamen Urbilde erwiesen ist. Entspricht das
angedeutete Verhältnis thatsächlich der Stellung des Malers zum
Stoffe, so setzt es seine Leistungsfähigkeit durchaus nicht herab,
da dieselbe in den frischen Scenen des Neidhartsaales, dessen 1888
bei der Restauration zutage getretenen Überreste der Bärenjagd,
Sauhatz und des Fischfanges auch von hohem Interesse für das
Leben der Entstehungszeit bleiben, und in den Malereien des
Badezimmers sich frei entfaltet und mit scharf beobachtendem
Auge dem Leben künstlerisch wirksame Motive zu entlehnen ver-
steht. Und wie die Stoffe der meisten Darstellungen aus dem
Boden deutscher Dichtung und dem Leben der für dieselbe noch
interessierten ritterlichen Gesellschaft hervorsprießen, so entspricht
J22 Josef Neuwirth
auch die Art der Behandlung ganz dem Wesen deutscher Kunst
und ist frei von den damals schon in Südtirol vordringenden
italienischen Einflüssen.
Karlstein und Runkelstein markieren im Norden und Süden
unseres Kaiserstaates zwei für die Geschichte der Malerei und der
heimischen Denkmälerkunde gleich wichtige Stätten. Dort stand
der Pinsel im Dienste der Religion, hier in dem der Poesie und
der Darstellung der Lebensfreude; seinen nach diesen Gesichts-
punkten in ihrem Wesen völlig verschiedenen Schöpftingen hat
die Macht künstlerisch bedeutsamer Persönlichkeiten ihr hoch-
interessantes Gepräge aufgedrückt, in welchem bereits einer für
das 14. Jahrhundert sehr beachtenswerten Beobachtung der Natur
ein Plätzchen gegönnt ist
-^^^^»^
Abb. 34. Der St. Wolfgangcr Altar.
DER ST. WOLFGANGER ALTAR VON MICHAEL
FÄCHER.
Wahrhaft gottbegnadet sind jene Stätten zu nennen, an welche
nicht nur hohe und seltene Reize der Natur, sondern auch herr-
liche Schöpfungen der Poesie und der bildenden Kunst das Interesse
der Menschheit knüpfen. Nur wenige Orte unseres Kaiserstaates
können in dieser Hinsicht mit St Wolfgang in Oberösterreich
wetteifern; die malerische Lage desselben an dem gleichnamigen
See in der Nachbarschaft des senkrecht gegen den Wasserspiegel
abfallenden Falkensteines mit seinem bekannten siebenfachen Echo
lockt den Einheimischen wie den Fremden, der Sang eines der
volksthümlichsten Dichter unseres Jahrhundertes, des nur zu frühe
heimgegangenen J. Victor ScheflFel, lenkt die Aufmerksamkeit nach
jener wundersamen Stätte, von deren Echo die ,, Bergpsalmen** in
tausend und tausend Herzen nachklingen, und an einem der
populärsten Werke spätmittelalterlicher Kunst, dem weithin be-
kannten St. Wolfganger Altare, erhebt sich noch heute wie vor
Jahrhunderten die gläubige Frömmigkeit des schlichten Land-
mannes wie die Bewunderung feinfühliger Kunstkenner.
Der genannte Altar ist ein Flügelaltar (Abb. 34), über dessen
mit Bildschmuck ausgestatteter Staffel der verschließbare, die
geschnitzte Hauptdarstellung enthaltende Schrein sich befindet;
doppelte, auf beiden Seiten bemalte Flügelthüren ermöglichen einen
raschen Wechsel der bilderreichen Ausstattung. Ein prächtig ge-
schnitzter Aufsatz, dessen luftig aufgebaute Spitzthürmchen mit
verschiedenen Figuren geziert sind, krönt das Ganze. Zu beiden
Seiten des Altarschreines erscheinen, wenn beide Flügelpaare ge-
schlossen sind, auf laubgeschmückten Consolen die Gestalten der
ritterlichen Hüter St Georg und St Florian gleichsam als treue
Wächter des großartigen Werkes, das in herrlichen Verhältnissen
bis zur Wölbung des Chores ansteigt.
124 Josef Neuwirth
Der Altarschrein enthält als Hauptdarstellung die in Holz
geschnitzte Krönung Maria. In dem Himmelsdome, den der Meister
durch eine schöne gothische Halle als Schauplatz der Handlung
andeutet und niederschwebende köstliche Engel in geschäftiger
Thätigkeit beleben, empfangt die in holdseliger Anmuth kniende
heil. Jungfrau den Segen des Herrn, der in würdevoller Majestät
thronend Hoheit und Milde in sich vereinigt. Neben den zierlich
durchbrochenen Pfeilern, welche die Scene begrenzen, stehen in
den Seitennischen die prächtigen Gestalten des heiligen Wolfgang
und Benedict in vollem Ornate, ebenso lebendig erfasst und durch-
gebildet wie die an den Seiten des Schreines gestellten ritterlichen
Hüter, über welchen die ansprechenden Figuren der heil. Margareta
und der heil. Katharina angeordnet sind. Die AltarstaflFel ziert
eine Anbetung der Könige, liebenswürdig und voll naiver Einfach-
heit. In dem zierlichen, hohen Aufbaue über dem Schreine er-
scheint unterhalb des zwischen zwei anbetenden Engeln thronenden
Gott Vaters Christus am Kreuze zwischen Maria und Johannes ;
in die äußeren Spitzthürmchen sind unter den Gestalten der
Heiligen Scholastica und Ottilie der himmlische Rächer und
Seelenwäger Michael und Johannes der Täufer eingestellt.
Die Doppelflügel und die Rückwand des Schreines sind gleich
den Flügeln der AltarstafFel mit Gemälden geziert.
Die geschlossenen Flügel der Staffel zeigen außen die vier
großen Kirchenlehrer Hieronymus, Ambrosius, Augustinus und
Chrysostomus, die Innenseiten derselben die reizenden Idylle der
Heimsuchung Mariens und der Flucht nach Ägypten. Sind alle
Flügel des Schreines geschlossen, so gewahrt man auf den Außen-
seiten der Außenflügel vier Darstellungen aus der Legende des
heil. Wolfgangs, der Almosen austheilend, predigend, Kranke
heilend und die Kapelle am Falkenstein erbauend vorgeführt ist
Die Innenseiten der geöffneten Außen- und die Außenseiten der
geschlossenen Innenflügel bieten acht Scenen aus Christi Leben,
nämlich die Taufe, Versuchung durch den Satan, Hochzeit zu
Kanaan, Speisung der Fünftausend, Steinigung im Tempel, Ver-
treibung der Verkäufer und Wechsler aus dem Tempel, die Ehe-
brecherin vor Christus und die Auferweckung des Lazarus. Die
Gemälde auf den Innenseiten der inneren Flügel — Geburt Christi,
Beschneidung, Darstellung im Tempel und Tod Mariens — leiten
Das späte Mittelalter.
125
stoflFlich zu der Hauptdarstellung des. ganzen Altarwerkes hinüber.
Die Rückseite des Schreines bietet außer dem Riesen Christophorus
die Heiligen Othmar, Erasmus, Franciscus, Ulrich, Hubert, Clara,
Egidius und Elisabeth, jene der StaflFel die vier Evangelisten.
An dem geschilderten Meisterwerke, welches die geistvolle,
gegenseitige Durchdringung spätmittelalterlicher Plastik und Malerei
wiederspiegelt und auch von dem Flügelschlage fremdländischer,
eine neue Kunstepoche heraufifiihrender Ideen nicht unberührt ge-
blieben ist, finden sich zuverlässige Anhaltspunkte für die Zeit der
Entstehung und die Feststellung des Meisters. Die Rückseite des
Schreines zeigt neben der heil. Elisabeth die Jahreszahl 1479, ii^^^s
auf dem äußeren Flügelrahmen die Inschrift erscheint : Benedictus
abbas in mannsee hoc opus fieri fecit ac complevit per magistrum
Michaelem Fächer de Prawnegk anno domini m^ cccc*^. 1 XXXI®.
Abt Benedict Eck der altehrwürdigen, auch für die Geschichte
der althochdeutschen Literatur wichtigen Benedictinerabtei Mond-
see, deren Filiale St. Wolfgang war, hatte wahrscheinlich nach der
Weihe des neuerrichteten Chores 1477 die Anfertigung des Altar-
werkes dem Bildschnitzer und Maler Michael Fächer von Bruneck
übertragen, der unter Zuhilfenahme von Gesellen 1479 den Schrein
bereits fertig gestellt hatte und 1481 den ganzen großartigen Auf-
trag vollendete.
Der Genannte ist nicht nur einer der bedeutendsten Meister
der österreichischen Lande, sondern auch einer der größten
deutschen Künstler des 15. Jahrhundertes. Zwischen 1430 bis
1440 geboren, hatte er seine Werkstätte in Bruneck, wo er vor
1467 schon das Bürgerrecht erworben und 1469, 1472, 1475, 1492
und 1496 mehrmals genannt ist, während die Erwähnung von
,michel pachers erben' im Jahre 1498 neben einer noch im Juli
dem Meister selbst zu Salzburg geleisteten Bezahlung den Eintritt
seines Todes im Spätsommer oder Frühherbste 1498 verbürgt.
Michael Fächer war, als er den Auftrag für St. Wolfgang
erhielt, bereits ein weithin bekannter Meister, der am Montage
nach Urbani 147 1 die Herstellung eines genau beschriebenen,
nach den Maßen des Altares in der Bozener Pfarrkirche auszu-
führenden Altarwerkes für die Pfarrkirche in Gries übernahm ; die
Arbeit sollte in vier Jahren vollendet sein und Fächer dafür die
Barzahlung von 350 Mark Ferner zufallen. Früher schon hatte er
120 Josef Neuwirth
die Tafel für die Uttenheimer Kirche und Mitterolang im Puster-
thale gemalt, weshalb es nur natürlich war, dass der in seiner
Heimat geschätzte Meister, welchem auch die Ausführung der
1482 durch Überschwemmung zerstörten Gemälde des Welsberger
Bildstockes und des Brunecker Crucifixes zufiel, nach der Voll-
endung des St. Wolfganger Altares in Bozen für die Herstellung
eines Michaelaltares der dortigen Marienkirche gewonnen wurde.
1484 übernahm Michael Fächer ein großartiges Altarwerk für die
Salzburger Pfarrkirche, das er bis auf ,den sarch* (AltarstaflFel)
vollendete ; die Leistung, von der bloß eine Maria mit dem Kinde
sich erhielt, kann nur nach der dem Künstler zufallenden Ent-
lohnung, welche die bedeutende Summe von 3300 rhein. Gulden
betrug, als eine zweifellos sehr bedeutende betrachtet werden.
Es liegt auf der Hand, dass ein so vielfach beschäftigter
Meister so umfangreiche Arbeiten wie die Altäre in Gries, St.
Wolfgang und Salzburg nicht in allen Theilen selbst ausführte,
sondern die eigenhändige Thätigkeit auf die Anfertigung des Ent-
Wurfes und der Hauptpartien beschränkte und das Übrige den
unter seiner Anleitung arbeitenden Gesellen überließ ; als solche
waren in Michael Pachers Werkstätte außer anderen auch des
Künstlers Brüder Hans und Friedrich thätig.
Dies Verhältnis ist auch bei dem St. Wolfganger Altare mit
Sicherheit nachweisbar. Michael Pachers unbestreitbares Eigen-
thum ist der groß angelegte, luftige und geschmackvolle Aufbau,
der im Vergleiche zum Grieser Altare die fortschreitende Läute-
rung der Kunstanschauungen und der Genialität des Meisters
feststellen lässt, das herrliche Schnitzwerk und die Innenbilder
der Innenflügel, welche die Hauptdarstellung ergänzend wie bei
anderen Flügelaltären mit größter Sorgfalt ausgeführt sind ; seine
Auffassung adelt die bei geöflGneten Außenflügeln sichtbaren Dar-
stellungen, die größtentheils von seiner Hand stammen, indes die
Bemalung der Außenseiten des geschlossenen Schreines sicher von
zwei verschieden tüchtigen Gesellen herrührt. Dieselben waren
auch bei dem Figurenschmucke des Aufsatzes betheiligt
Wie bei den anderen Arbeiten so ist Michael Pachers Künst-
lerschaft auch bei dem St. Wolfganger Altare von zwei ver-
schiedenen Standpunkten, nämlich von dem der Plastik und
von dem der Malerei, zu würdigen. Gegenüber gleichzeitigen
Das späte Mittelalter. J27
Schöpfungen der fränkischen Kunst zeigt der Meister einen großen
und freien Zug des Aufbaues, gesunden, von Geschmack fein ge-
milderten Naturalismus, Tiefe und Reinheit der Empfindung, der
sich in der AltarstaflFelscene herzinnige Naivität beigesellt ; ja, die
großartig geworfenen, überreichen Falten, unter welchen die
Haltung der Gestalten mit feiner Beobachtung herausgearbeitet
ist, heben die malerisch prächtige Wirkung des Werkes. Pachers
malerischer Naturalismus hält die plastische Erscheinung der Dinge
fest, in deren naturgetreuer Wiedergabe die große Einfachheit
der Italiener sich zum Worte meldet Die Absicht auf das Male-
rische, die Erzielung wirkungsvoller Gegensätze von Licht und
Schatten bestimmt die Anordnung seiner Freifiguren, den trefflichen
Faltenwurf und die Zierlichkeit des architektonischen Beiwerkes.
Es scheint nur eine naturgemäße Ergänzung der genialen
Künstlernatur zu sein, dass der St. Wolfganger Altar den Maler
Michael Fächer auf keiner geringeren Höhe als den Schnitzer zeigt.
Die architektonische Umgebung seiner meisten Scenen sind vortreff-
lich durchgeführte Verkürzungen, wie sie der Schule von Padua
geläufig waren, bezeugen seine hervorragende Kenntnis der Per-
spective, die er wohl Italien dankt; denn mehrere mantegneske Züge
und Anklänge an Oberitalien sprechen für unmittelbare Beziehungen
Pachers zur Kunst des Südens. Doch haben dieselben die deutschen
Grundtöne seines Wesens und Fühlens ebenso wenig wie bei
Dürer zu ändern vermocht. Meisterhaft ist die Charakteristik der
Köpfe, während Oberkörper und Arme manchmal dürftig und
hager bleiben ; hoher Reiz, bestrickende Anmuth, Unschuld und
zarte Empfindung begründen das Anziehende seiner einem keines-
wegs hohen Schönheitsideale zustrebenden Frauengestalten. Die
treffliche Modellierung und die Behandlung des Faltenwurfes hält
alle Vorzüge der Schnitzarbeiten fest, deren klare und einfache
Conception auch in den Bildern vorherrscht Die Feinsinnigkeit des
Meisters, der ein hochentwickeltes Farbengefuhl besaß und seine
Kenntnisse der Perspective die feine Luftabtönung seiner land-
schaftlichen Hintergründe bestimmen ließ, wusste auch den Reiz
der heimatlichen Hochgebirgsnatur seiner Kunst dienstbar zu
machen, ein Zug, der ebenso hohe künstlerische Selbständigkeit
wie die vom echten Genie wahrgenommene Heranziehung neuer,
die Kunst fördernder und erhebender Mittel bekundet.
1 28 Josef Neuwirth
So verweist die Sprache des St. Wolfganger Altares den
großen Tiroler Künstler Michael Fächer, der wahrscheinlich in
der Heimat die bestimmende Ausbildung genossen, aber auch in
Bayern und Oberitalien sich umgethan hatte, unter die ersten
deutschen Meister des 15. Jahrhunderts ; weder in Tirol noch
anderswo in den deutsch-österreichischen Gebieten können mit ihm
gleichzeitige Maler und Bildschnitzer um den Ruhm der höheren
Künstlerschaft ringen. Er steht so hoch über seinen Zeitgenossen,
dass selbst die unter seiner Leitung arbeitenden Maler wie Friedrich
Fächer in dem 1483 für die Brixener Spitalkirche vollendeten
Altare nur die äußeren Mittel seiner Kunst ohne die feinfühlige
Vertiefung und Abklärung verwenden lernten und nur wenige
Begabtere wie die Meister der Augsburger Kirchenväter und der
Tratzberger Apostelfürsten in den von ihm zuerst beschrittenen
Bahnen blieben.
Lässt sich auch ein bestimmter Zusammenhang des St. Wolf-
ganger Altares mit den bekannten und zum Theile späteren
Flügelaltären in Käfermarkt, Fesenbach, Rauchenedt, Waldburg,
Gampern und Hallstadt sowie mit den Adelwanger Bildern und
den Altarflügeln in Wartberg an der Krems nicht nachweisen, so
ergibt sich doch aus ihrem Vorhandensein, dass man allerwärts in
Oberösterreich, einem allgemein herrschenden Zuge folgend, künst-
lerisch tüchtigen Meistern die Aufstellung bald mehr bald minder
großartiger Altarwerke übertrug, deren zweifellos bedeutendstes
in tadellosem Zustande sich in St. Wolfgang erhielt und zeugt
von der hohen Meisterschaft des berühmten Malers und Bild-
schnitzers Michael Fächer von Bruneck,
DIE KUNSTBLUTE UNGARNS UNTER MATHIAS
CORVINUS.
ige Regierung des
IS Corvinus gehört
Perioden der unga-
ein hervorragendes
Feldhermtalent,
das sich in der
Besiegung zahl-
reicher ^Gegner
oft und rühm-
lichst bewährte,
hob das Ansehen
des lindes nach
außen und fe-
stigte die Stel-
lung desselben
zu anderen Staa-
ten, indes die
gesetzliche Ord-
nung die innere
Wohlfahrt för-
derte, eine ge-
rechte Verthei-
lung sowie ehr-
licheEinhebung
undVerwendung
der Abgaben die
freudige Hinge-
bung der XU immer größerem Wohlstande gelangenden Bevölkerung
rege erhielten. Verschlangen auch die langwierigen Kriege be-
Abb. 35. Mathias Corvinus. Nach dem Manuonelief der
kunsthist Sammlungen in Wien.
j oQ Josef Neuwirth
deutende Summen, so blieb doch im Lande noch eine solche Fülle
des Reichthumes zurück, dass die königliche Hofhaltung in Ofen
eine vorher nie gesehene Pracht entfalten und mit ihr und durch
sie eine Blütezeit des KunstschaflFens in Ungarn heranbrechen konnte,
durch welche des Königs Name nicht minder als durch seine Kriegs-
thaten in der Erinnerung kommender Geschlechter fortleben wird.
Denn mit der Regierung des von humanistischen Anschauungen
getragenen Königes gewann in Ungarn die von der Wiederbele-
bung der Antike bestimmte Kunstrichtung Italiens früher und in
größerem Umfange als irgend anderswo in Europa maßgebenden
Einfluss auf die Kunstthätigkeit des Landes.
Da es aber in der Entwicklung der Kunstzustände eines
Landes kein sprunghaftes Vorwärtsdringen, sondern nur ein natur-
gemäß organisches Fortschreiten gibt, bei welchem ein Glied der
Kette lückenlos sich an die anderen reiht, so muss auch der Blüte
der Kunst in Ungarn unter Mathias Corvinus eine Zeit der Vor-
bereitung vorangegangen sein, welche den Boden für das rasche
Aufnehmen und herrliche Gedeihen der neuen Anschauungen be-
fruchtete.
Die Weihgeschenke, mit welchen König Ludwig der Große
1360 das Aachener Münster bedacht hatte, tragen noch den Stempel
deutscher Kunstübung, die bis zum Aussterben des Königshauses
Anjou die Kunstthätigkeit Ungarns zumeist beeinflusst hatte. Allein
schon nahezu ein Menschenalter vor dem Regierungsantritte des
Mathias Corvinus setzte die neue Richtung der großen italienischen
Kunst mit einem ihrer berühmtesten Pfadfinder in Ungarn ein.
1425 berief der Obergespan des Temeser Comitates, Graf
Pippo von Ozora, der dem Florentiner Hause der Bondelmonte
entstammte und unter König Sigismund in Ungarn zu hohen
Ehren und großem Reichthume gelangt war, den 1423 in die
Florentiner Apotheker- und Malergilde eingetretenen Maler
Masolino., damit derselbe in Stuhlweißenburg und Ozora die
Wohnstätten und Kapellen des Grafen mit Fresken schmücke.
Die von dem Künstler prächtig ausgestattete Grabkapelle Pippos
bewunderte schon 1426 der im Auftrage der Florentiner Commune
zu König Sigismund reisende Rinaldo Albizzi nicht minder als in
Ozora das herrliche Castell und mehrere neuerbaute, reich aus-
gestattete Kirchen, für deren Auffuhrung gleichfalls Italiener heran-
Das späte Mittelalter. I«5I
gezogen wurden. Denn zwischen 1410 und 1440 kamen mehrfach
Künstler und Handwerker von Florenz nach Ungarn, theils vom
Obergespan Pippo von Ozora mit Aufträgen bedacht, theils auch
in die Dienste des Königes Sigismund tretend. Nebst Masolino
begegnet in urkundlichen Nachweisen Legnajuolo Grasso, richtiger
Manetto Ammanatini, den ein junger Baumeister von Florenz, wo
er zur Ausführung größerer Bauwerke in Ungarn geeignete Bau-
leiter suchte, mit sich in das Land des heil. Stephan führte.
Mehr als die Sculpturen, Glas- und Wandmalereien in Johann
Hunyadis heute noch zum Theile erhaltener Vajda-Hunyader Burg
bestätigen das Fortleben des italienischen Einflusses auf Ungarns
KunstschaflFen aridere wichtige Thatsachen. Die Arbeiten der
Italiener für Pippo von Ozora und König Sigismund mussten die
Aufmerksamkeit weiter Kreise des Landes auf die künstlerische
Überlegenheit der fremden Meister hingelenkt haben, die man
gegen die Mitte des 15. Jahrhundertes zur Herstellung großartiger,
allgemeinem Gebrauche dienender Bauten berief Denn um 1458,
also gerade da Mathias Corvinus die Zügel der Regierung ergriff,
vollendete Aristotele Fioravanti zwei prächtige Brücken über die
Donau, welche so großen Beifall und viel Bewunderung fanden,
dass ihm bald andere bedeutende Aufträge zugewendet wurden.
Die Berufung italienischer Meister nach Ungarn und den
wachsenden Beifall an ihren Schöpfungen in den Kreisen des Adels
und der hohen Geistlichkeit förderte besonders auch der Umstand,
dass ungarische Humanisten, welche der Renaissancekunst den
Weg zur Verbreitung ebneten, in Italien studierten. In Ferrara,
wohin der Ruhm des alten Guarino die Wissensdurstigen zog, be-
schäftigten sich von 1447 bis 1454 Janus Pannonius, um 1455
Georg Augustinus und Elias Czepes, um 1467 Ladislaus Ger^b
von Vingdrt, Nikolaus Per^nyi und der spätere Bischof von
Syrmien Sigismund Paloczi mit dem Studium der classischen
Sprachen. Hieher gieng auch auf den Rath des Johannes
Vitte, der als Erzieher des Mathias Corvinus die geniale
Auffassung des feurigen Jünglinges mit den Idealen der Antike
belebte, jener Humanist Petrus Garäzda, welcher sich dann
nach Padua und Florenz wandte, wo er mit den Humanisten
des Medicäerhofes Poggio, Donato Acciaiuoli, Argyropulos, Philel-
phus, Marsilius Ficinus u. a. verkehrte. Die Florentiner Huma-
9*
132
Josef Neuwirth
nisten empfiengen aber die wis3begierigen Ungarn, wie sie dies
namentlich dem Janus Panonius und dem späteren Erzbischofe von
Kalocsa, Georg Polycarpus, bewiesen hatten, nicht nur aufs liebens-
würdigste, sondern erhielten auch die freundschaftlichen Beziehungen
zu den ungarischen Prälaten aufrecht, wenn dieselben bereits wieder
in die Heimat zurückgekehrt waren. Da die in Italien sich aus-
bildenden Ungarn die Leistungen einer neuen Kunst aus eigener
Anschauung und manchen der Meister wohl persönlich kennen
lernten, so boten sich von selbst die Fäden dar, mit welchen die
Kunstthätigkeit Ungarns den Meistern der italienischen Früh-
renaissance verknüpft werden konnte.
Es war geradezu eine Fügung des Himmels, dass die Er-
ziehung des großen Ungarnköniges Mathias Corvinus in die Hände
des berühmten ungarischen Humanisten Johannes Vit^z gelegt war.
Derselbe war nicht nur ein begeisterter Verehrer classischer Schrift-
steller, welche er seinem Zöglinge durch die Leetüre Vergils,
Xenophons, des Curtius, Frontinus, Vegetius, Plutarch, Apulejus
u. a. näher rückte, sondern auch ein Förderer der Kunst, von
welchem unzweifelhaft manche Anregung des Kunstinteresses
anderer Personen ausgieng. Hat doch Mathias Corvinus gewisser-
maßen nur in großem Maßstabe ausgeführt, was ihm die Förderung
der Kunst durch den Graner Erzbischof als erstrebenswertes Ziel
gleichsam vorgezeichnet hatte. Denn Johann Vit^z legte in Gran
eine reiche Bibliothek an, welche außer den Werken der griechi-
schen und lateinischen Schriftsteller kostbar geschmückte Hand-
schriften enthielt, und stattete seine Residenz mit prächtigen Sälen,
marmornen Säulengängen, römischen Bädern, Teichen, Thürmen,
Statuen u. dgl. aus. Die Macht des Beispieles dieses hochgestellten
Kirchenfürsten beeinflusste gewiss Ungarns Bischöfe und Prälaten,
die größtentheils gleiche Bildung wie Johannes Vit^z genossen
hatten und, wie König Mathias selbst Roborella gegenüber nach-
drücklichst herv^orhob, für ihre Bibliotheken, Schulen, Meister,
Paläste und Gotteshäuser sehr bedeutende Summen verausgabten.
Wie Johann Vit^z für die unter seiner Mitwirkung gegründete
Pressburger Universität auch italienische Lehrkräfte zu erwerben
trachtete, so hat er ebenfalls für seine Bauten die schon durch
frühere Leistungen in Ungarn bekannt gewordenen italienischen
Meister herangezogen. War es dann zu verwundern, dass sein
Das späte Mittelalter.
133
Zögling, als er zur Herrschaft gelangt war und als Förderer der
Wissenschaft und Kunst auftrat, in denselben Bahnen wandelte?
Die zweite Heirat desselben mit der humanistisch gebildeten
Beatrice von Neapel, durch deren Vermittelung Baumeister, Maler,
Bildhauer, Steinschneider, Tonkünstler und Sängerinnen aus Italien
nach Ungarn berufen wurden, musste der Pflege italienischer
Kunstanschauungen im Lande nur förderlich werden, da Mathias
Corvinus gerade auf die Wünsche seiner Gemahlin, der er prächtige
Speisesäle und kostbar ausgestattete Wohnräume herrichten ließ,
liebevoll Rücksicht nahm. Die Wertschätzung, welche der Hof
den fremden Gelehrten und Künstlern zollte, erregte zwar anfangs
den Neid mancher inländischer Gegner der neuen Richtung, welche
über die Vergeudung der trotz kostspieliger Kriege erübrigten
Summen klagten. Als aber Mathias Corvinus sich dadurch nicht
von seinem Vorgehn abbringen ließ, machten die rasch nach
einander erstehenden Neuschöpfungen die Stimmen der Tadler
verstummen und fanden bald eifrige Nachahmung.
Das bedeutendste Werk derselben war offenbar der auf An-
regung der Königin Beatrice begonnene Neubau der Ofener Residenz,
für deren Ausführung Sigismund einst französische Meister berufen
hatte. Mathias Corvinus ließ an Stelle des theils noch unfertigen,
theils bereits wieder veralteten Schlossbaues eine prächtige Burg
mit stattlichen Mauern, Thürmen und Höfen ausführen ; für die
Schilderung ihrer Pracht und der reichen Ausstattung kann der
Hofgeschichtsschreiber Ant. Bonfini nicht Worte genug finden.
Säle, Thüren und Gänge zierten bewundernswerte Meisterwerke
italienischer Plastik und Malerei, kostbare Holzschnitzereien, zum
Theile wohl von Pellegrino di Terma gearbeitet, hoben die Bücher-
schränke der berühmten Bibliothek, und die reichvergoldete Decken-
täfelung mehrerer Säle und Zimmer fand nach der Versicherung
des späteren Graner Erzbisch ofes Nikolaus Oläh nur im Pariser
Parlamentsgebäude ihresgleichen. Den Eingang am heutigen
Georgsplatze schmückte eine Herculesstatue und den freien Platz
vor dem Schlosse das Standbild des Königes Sigismund, während
der Schlosshof selbst durch einen Apollo, eine Diana und eine
Minerva über einem herrlichen Wasserbassin sowie durch die
Bronzestatuen der drei Hunyadi — nämlich Johannes und seiner
Söhne Ladislaus und Mathias — geziert war. In den weiten
I 'iA Josef Neuwirth
Räumen des Schlosses waren wie in den Höfen und Gängen zahl-
reiche Kunstwerke untergebracht, die zum Theile Geschenke der
Fürsten von Florenz und Ferrara waren ; hier befanden sich die
Sculpturen und Gemälde, welche Mathias Corvinus in Italien ge-
kauft oder bestellt hatte. Vielleicht einer der größten Schätze
der an Kunstschöpfungen so reichen Königsburg war die hoch-
berühmte Bibliothek, deren Handschriften in reich mit Silber oder
Gold gezierten Sammteinbänden aufbewahrt wurden und prächtig
mit kunstvollen Miniaturen ausgestattet waren.
Es würde nahezu befremden, wenn der König, welcher nicht
nur wertvolle alte Handschriften aufkaufen ließ, sondern auch in
Florenz 4, in Ofen sogar 30 Schreiber mit bedeutenden Kosten
beim Abschreiben lateinischer und griechischer Texte beschäftigte,
für die Unterbringung dieser Schätze nicht wirklich königlich
gesorgt hätte. Die nach Classen geordneten Werke befanden sich
auf kunstvoll geschnitzten, mit Gold geschmückten Gestellen und
wurden durch goldgestickte Seidenvorhänge vor Staub geschützt.
Ein von zwei Engeln getragener Globus zierte das Hauptgemach,
dessen beide Fenster mit kostbaren Glasmalereien ausgestattet
waren. Auf dem zwischen denselben an der Längswand auf-
gestellten Ruhebette, das golddurchwirkte herrliche Teppiche be-
deckten, pflegte Mathias in ruhigen, friedlichen Tagen sich an dem
Geiste seiner Lieblingsschriftsteller zu erheben. 50.000 Bände
verschiedenartiger Handschriften und Druckwerke sollen bei des
Königs Tode den Bestand der herrlichen Bibliothek gebildet haben,
deren erste Einrichtung dem berühmten Johannes Regiomontanus
übertragen wurde, nach dessen Verzichtleistung drei Italiener und
schließlich Felix Ragusanus rasch nacheinander als Bibliothekare
fungierten. Erwägt man, dass für ein Brevier 500, für ein zweites
und eine Bibel 1500 Goldgulden gezahlt wurden, so erhält man
wenigstens Anhaltspunkte für die Beurtheilung der Höhe der zu
BücheranschaflFungen verausgabten Summen.
An der Aufiuhrung und Ausstattung der Ofener Königsburg
waren in erster Linie italienische Meister betheiligt. Vielleicht
leitete einige Zeit hindurch den Bau der schon genannte Aristotele
Fioravanti, dem 1468 der Statthalter von Bologna erlaubte, aber-
mals nach Ungarn zu ziehen und dort die Festungen und Ver-
theidigungswerke gegen die Türken in Stand zu setzen. 1479
Das späte Mittelalter.
135
Übernahm der Florentiner Chimenti Camicia große Bauten in
Ungarn, für welche er fünf Baumeister in Florenz anwarb ; bei
der Ausführung der Paläste, Gärten, Springbrunnen, Kirchen,
Festungen und anderer bedeutender Gebäude, die er auf Befehl
des Königes erbaute oder ausschmückte, standen ihm Baccio und
Francesco Cellini, die Oheime des berühmten Benvenuto Cellini,
zur Seite. Durch die bei den Bauten des Mathias Corvinus be-
schäftigten Dalmatiner Baumeister Jakob und Johann von Trau,
deren Heranbildung von italienischen Anschauungen beeinflusst
war, erhielt die Richtung der italienischen Frührenaissance eine
nachhaltige Verstärkung.
Einen Theilder plastischen Arbeiten besorgte der bekannte
Benedetto da Majano, der für König Mathias zwei herrliche Schränke
mit eingelegter Arbeit ausführte und darauf Aufträge für kostbare
Marmorsculpturen erhielt, deren Vollendung den Beifall aller
Kunstverständigen erntete. Dem Steinmetzen Bertocco in Carrara
übertrug Alexander Formoser als Geschäftsträger des Königes die
Herstellung eines marmornen Brunnenbassins, für welches der
Bildhauer und Erzgießer Andrea del Verrocchio den figuralen
Theil arbeitete ; diesem Meister hatte Mathias Corvinus auch die
Herstellung von Büsten übertragen, die oflFenbar für die geplante
Porträtgallerie der hervorragendsten Heerführer und Staatsmänner
bestimmt waren. Die heute in den kunstgeschichtlichen Samm-
lungen des Allerhöchsten Kaiserhauses zu Wien aufbewahrten Mar-
morreliefs des Königes (Abb. 35) und seiner Gemahlin Beatrice durch-
dringt die geistreiche und feinsinnige Auffassung italienischer Kunst;
dieselbe vermittelte darin der Nachwelt eine bewundernswerte Vor-
stellung der geistigen Macht des kunstliebenden Herrscherpaares,
dessen Bildnisse die Buchmaler nur vereinzelt nach Gedenkmünzen
mehr individuell, sonst aber durchaus bald realistisch, bald ideal
frei behandelt haben.
Wie Architekten und Bildhauer italienischer Herkunft so
arbeiteten auch italienische Maler für Mathias Corvinus, dem z. B.
Filippino Lippi noch in seinem Testamente 1488 mehrere in seinem
Auftrage gemalte Heiligenbilder auszufolgen befahl, während
Mantegnas berühmter Pinsel für die Festhaltung der königlichen
Züge herangezogen wurde. Italienische Kalligraphen und Buch-
maler, wie der in einem Briefe des Königs 147 1 ausdrücklich als
I -30 Josef Neuwirth
sein jjMiniator** genannte Blandins, Antonio Sinibaldi, Pietro
Cennini, Sebastiano Salvini, Martinus Faventius, Filippo Valori,
Johannes Franciscus de S. Geminiano, Martinus Antonius und
Franciscus, Priester in Florenz, Marcus Cinicus, Sigismundus de
Sigismundis, arbeiteten an der künstlerischen Ausstattung der
Handschriften der Corvina, die oft auch einen gelegenheitsmäßigen
actuellen Charakter gewann. Der Verherrlichung der Kriegsthaten
des Königs, welche die Humanisten mit begeisterten Worten priesen,
huldigte auch die Buchmalerei, deren Motive mit Trophäen, Kriegs-
emblemen, lorbeer- und eichenlaubbekränzten Bildnissen, Schlachten-
und Triumphdarstellungen verbunden wurden. Die Palme errang
auf diesem Gebiete neben Francesco Antonio de Chierico und dem
unbekannten Miniator des Münchener ,Beda venerabilis*, des Pariser
,Cassianus* oder des Venediger ,Averulinus* der Florentiner Atta-
vante degli Attavanti, dessen Auffassung und Behandlung an
Sandro Botticelli oder Filippino Lippi anklingen. Wie sehr dem
Könige, der besonders in den letzten fünf Regierungsjahren durch
Italiener Handschriften mit prächtigen Malereien ausstatten ließ,
die Art des zuletzt genannten Buchmalers zusagte, beweist die
Thatsache, dass die 21 sicher nachgewiesenen Attavantes-Hand-
schriften gerade den fünften Theil aller aus der berühmten Corvina
überhaupt erhaltenen Handschriften bilden. Die künstlerisch
wertvollsten Darstellungen bietet das 1485 bis 1487 entstandene
,, Brüsseler Missale**, dessen Kunstweise auch die ganz in Atta-
vantes Manier ausgeführten Titelblätter und Prachteinfassungen
des Wiener Philostratus durchdringt. (Abb. 36.)
Auch für die Anfertigung kostbarer Goldschmiedearbeiten
zog Mathias Corvinus Italiener heran, was vor allen Dingen das
berühmte Reliquienkreuz des Graner Domschatzes bestätigt, das
1469 wahrscheinlich von dem Florentiner Meister PoUajuolo und
gewiss im Auftrage des Königes Mathias angefertigt wurde.
Erwägt man, dass es an dem prunkvollen Hofe zu Ofen nicht
an Schauspielern fehlte und italienische Humanisten, wie Bart
Fonzio, Angelo Poliziano, Filippo Valori, Francesco Bandini,
Antonio Bonfini und der als Erzieher des Königssohnes bestellte
Taddeo Ugoletti, besonders aus Florenz nach Ungarn zogen und
hier freundliche Aufnahme fanden, so erscheinen in der ungarischen
Hauptstadt vom Regierungsantritte bis zum Tode des Mathias
Abb. 36. Titelblatt der lateinischen Philostrat- Übe rsetiui
Hofbibliothek Nr, 25). Miniatur in der Manier des /
Das späte Mittelalter. I 0*7
Corvinus wie in einem Brennpunkte alle jene Strahlen vereinigt,
welche an den Höfen der italienischen Fürsten Bildung und Kunst-
pflege erwärmend belebten.
Dass das Kunstleben am ungarischen Königshofe auch seine
Rückwirkung auf die Kunstthätigkeit des Landes äußerte, ist
selbstverständlich. Vor dem Brande im Jahre 1526 war Ofen nach
dem Zeugnisse mehrerer Schriftsteller eine durch die großen, vor-
wiegend ,,im italienischen Stile erbauten Paläste der Kaufleute
und Magnaten ausgezeichnete Stadt*', für deren Bauten die mit
der Königin Beatrice ins Land kommenden Italiener stammver-
wandte Arbeiter heranzogen. Hinter den Bürgern blieben die
Kirchenfürsten nicht zurück. Von Andrea Ferucci, der für Mathias
Corvinus einen prächtigen Marmorbrunnen arbeitete, ließ der
Cardinal Bakäcs d'Erdöd die schönen Marmordetails des Altares
der Bakäcs-Kapelle im Graner Dome ausführen, welche 1543 bis
auf eine herrliche Figur der heil. Jungfrau von den Türken ver-
nichtet wurden. Für einige der schönen Schnitzereien in den
oberungarischen Kirchen ist die Einflussnahme der italienischen
Meister im Zeitalter des Mathias Corvinus zweifellos. Wie dieser,
so ließ sich Janus Pannonius, als er in Padua weilte, von Mantegna
malen ; Johann Vit^z übertrug den Bildschmuck des im Graner
Domschatze befindlichen Pontificales einem auch für den König
arbeitenden Miniator. Das vielleicht von Attavante gezierte, in
Paris befindliche Brevier des Graner Kirchenfürsten oder das
Brevier des Stuhlweißenburger Propstes Dominicus Kälmänczay
in der Lambacher Bibliothek, dessen Miniaturen der Mailänder
Francesco de Castello ausführte, beweisen die Heranziehung italieni-
scher Miniatoren für Prachthandschriften der ungarischen Geist-
lichkeit, die, wie das Graner Graduale des Cardinales Bakäcs be-
stätigt, auch nach dem Tode des Königes italienische Buchmaler
mit Aufträgen bedachte.
Der italienische Einfluss auf Ungarns Kunstleben unter Mathias
Corvinus lag somit vollständig im Zuge der Zeit, in welcher
deutsche Einwirkungen sich mehr auf Kaschau, Leutschau, Bartfeld
und die Zipser Städte beschränkten, sowie in Hermannstadt,
Kronstadt und auf dem Siebenbürger Königsboden vorhielten.
Die italienische Frührenaissance, deren Schöpfungen in den Türken-
und Religionskriegen fast vollständig vernichtet wurden, da nur
I oQ Josef Neuwirth
an dem Domportale von Gyula-Feh^rvär, an einigen Grabdenkmalen,
an einem Fünfkirchener Altare und in den Sculpturen der Graner
Bakacs-Kapelle sich nennenswerte Überreste erhielten, gab zwar
am königlichen Hofe den Ton an, verdrängte aber selbst in Bau-
werken, die von Mathias Corvinus gefördert wurden, nicht ganz
die früher geübte Kunstweise. Denn auf dem Boden der Gothik
blieb die Erhöhung des Thurmes der Pfarrkirche in Ofen, der
Chor des Pressburger Domes, Thurm, Tabernakel und Todten-
leuchte in Kaschau, Werke, welche die Anbringung des corvini-
schen Wappens in die Zeit des großen Königes verweist. Ja, die
Stuhlweißenburger Grabkapelle desselben erinnert mit dem
wappengeschmückten, hängenden .Schlussteine , der einst diese
polygonale Anlage geziert haben soll, an die auch anderwärts
z. B. im Wladislawischen Oratorium des Prager Domes beobachtete
Gepflogenheit
Dass außer Felix Ragusanus und Abt Madocsa einheimische
Arbeiter an verschiedenen Orten des Landes für das Schreiben und
Illuminieren der Handschriften herangezogen wurden, steht nach
den interessanten Einzeichnungen in Werken der Bibliothek der
Bartfelder Egidiuskirche außer Zweifel. Die Beschäftigung deut-
scher Buchmaler für den König verbürgt das 1469 in Wien ver-
fertigte Missale der Wiener Jesuitenbibliothek. Auch in Gold-
schmiedearbeiten, welche — wie der Kelch des Dionysius Sz6chy
oder vielleicht auch der mit der Inschrift ,,Libertati Mathiae**
versehene Kelch im Graner Domschatze — der Zeit des Mathias
Corvinus angehören, lebten die Kunstanschauungen der inländischen
Goldschmiede weiter, die sich in drei verschiedene Schulen —
eine östliche, eine westliche, durch Zuwanderung von Wien,
Nürnberg und Augsburg weiter gebildete und eine in der Zips,
Trencs^n, Eperjes und Kassa thätige — sonderten. Beziehungen
zu den zwei letztgenannten bieten die an oberungarische Motive
erinnernden Blattformen und die eleganten, sonst bei Arbeiten der
Pressburger Schule wie dem schönen Telegdy' sehen Kelche be-
gegnenden Blumen des berühmten Wiener-Neustädter Pokales, der
ein Geschenk des Königes an diese Stadt sein soll und mit seinem
emailgeschmückten Blumenwerke und den frei gearbeiteten Blatt-
verzierungen zu den geschmackvollsten Arbeiten des 15. Jahr-
hundertes zählt. Seine Anfertigung geht wahrscheinlich auf einen
Das späte Mittelalter. j<^q
Befehl Friedrichs III. zurück, auf welchen außer dem bekannten
AEIOV und dem Doppelaar das FI (Fridericus Imperator) deutet;
nach der Jahreszahl 1462 wäre wohl an einen Versöhnungspokal
zu denken. (Abb. 37.)
Von Deutschen abhängig blieb Ungarn in der Einführung
eines der wichtigsten Förderungsmittel der Bildung, nämlich der
Buchdruckerkunst. 1473 erschien Thuröczys bekannte Chronik in
Ofen bei Andreas Hess, welcher sich auf Veranlassung des mit
dem Könige verwandten Altofener Propstes Ladislaus Ger^b in
Ungarns Hauptstadt niedergelassen und mit Unterstützung des-
selben die Drucklegung vollendet hatte. Die Graner Missalia
wurden 1484 bei Anton Koburger und 1490 bei Georg Stüchs von
Sulzpach zu Nürnberg, i486 und 1495 auch in Venedig bei
Erhard Radtoldt und Johann Emerich de Spira sowie 1491 von
Konrad Stahel und Matthäus Preinlein in Brunn gedruckt. Erhard
Radtoldt beendigte 1488 in Augsburg den Druck der Chronik
Thuröczys. Wie die ältesten für Ungarn wichtigen Druckwerke
vorwiegend von Deutschen hergestellt waren, so nahmen letztere
auch den Verlag und Verkauf der Bücher in Ungarn zuerst in
die Hand. Der beim Könige Mathias in hoher Gunst stehende,
1484 in Ofen begegnende Theobald Feger stammte aus Kirchheim
in Württemberg, und sein Concurrent Georg Ruem war von
Benedict Cornis, Bischof von Drivastum, 1489 oder 1490, sicher
aber noch bei Lebzeiten des Königes Mathias aus Deutschland
berufen. Die Fabel, dass der König, durch die herrliche
Ausstattung der für ihn von Italienern hergestellten Hand-
schriften verwöhnt, sich mit den Erzeugnissen des Buch-
druckes nicht befreunden konnte, widerlegen unbestreitbar die
vier der Corvina entstammenden Incunabeln. Doch kamen ge-
wiss auch Druckwerke aus Italien nach Ungarn, da ja Mathias
selbst am 13. September 1471 auf den zu Rom gedruckten, in
seinen Händen befindlichen Silius hinwies und auf Befehl des
Königes Taddeo Ugoletti für die Corvina und die Pressburger
Universität Bücher in Italien sammelte, wo ungarische Drucker
wie Thomas Siebenbürger, Andreas Corvus von Kronstadt, Peter
von Bartfeld, der Augustiner Simon von Ungarn arbeiteten. Diese
Verhältnisse vermittelten Ungarn selbstverständlich die Kenntnis
der Werke der vervielfältigenden Kunst, des Holzschnittes und
jAQ Josef Neuwirth
des Kupferstiches, von Deutschland und Italien her, wie die
Mathiasdarstellungen der Brünner und Augsburger Thuröczy-
Ausgaben von 1488 und das Beatrix-Bildnis des 1493 in Ferrara
gedruckten Werkes ,,De claris et scelestis mulieribus** von Phil.
Bergomensis erweisen.
Auf allen mit der Kunstpflege irgendwie zusammenhängenden
Gebieten zeigten König Mathias und seine Zeitgenossen insbesondere
wdrkthätige Förderung der neuen Ideen, die eine großartige Um-
gestaltung des Kunstschaffens herbeiführten ; Ungarn eilte seinen
Nachbarn darin gleichsam zielbewusst voran. Die Ausgestaltung
der Bestrebungen des Königs, Ungarn eine höhere Weltstellung
zu erringen, hinderte sein verhältnismäßig früher Tod und die
bald darauf losbrechende Verheerung der Türkenkriege, welche
die Kunstwerke des Landes vielfach zerstörten. Wie aber die
Überreste der berühmten Corvina — 125 Handschriften — in 40
europäischen Bibliotheken verstreut sind und den Kunstsinnigen
aller Nationen und Zeiten von den edlen Bestrebungen des großen
Ungarnköniges erzählen, so werden auch alle Geschichtsfreunde
der Gegenwart und Zukunft verehrungsvoll bei dem Namen
,, Mathias Corvinus** verweilen, an den die Erinnerung eines goldenen
Zeitalters der Kunst in Ungarn unauflöslich geknüpft ist.
- 'v^4[^
KRAKAU ZUR ZEIT DES MITTELALTERS,
EIN STÄDTEBILD.
Nicht urkundliche Belege und Nachrichten der Geschichts-
schreiber allein, sondern auch die Bauwerke einer Stadt, die
Eigenthümlichkeit ihrer Gesammtanlage, die Überreste der Kirchen-
und Profanarchitektur bestimmen wesentliche Züge in dem Ge-
schichtsbilde mittelalterlicher Städte. Was Kriegsnoth, Elementar-
unfälle und den Wechsel des Zeitgeschmackes in den verschiedenen
Jahrhunderten überdauert hat, ergänzt oft in dankenswertester
Weise die manchmal dürftigen und unklaren Aufzeichnungen über
die Herstellung interessanter Kunstdenkmale entschwundener Zeiten
und vermittelt die zuverlässigsten Anhaltspunkte für die Feststel-
lung der Natur jener Anschauungen, welche das Kunstschaffen
der einzelnen Städte in den verschiedenen Perioden beeinflussten.
Nur wenige Städte unseres an alten Kunstschätzen so reichen
Kaiserstaates besitzen eine ähnliche Fülle zum Theil sehr wohl
erhaltener Denkmale des Mittelalters wie Krakau, die alte
Krönungsstadt der polnischen Könige, welche bis 1609 daselbst
auch residierten. Dadurch stand Krakau Jahrhunderte lang nicht
nur als Mittelpunkt des Staatslebens, sondern auch als Hauptstätte
aller Bestrebungen, welche die Cultur- und Kunstverhältnisse
Polens beherrschten, im Vordergrunde. Manchen der Stadt-
physiognomie während des Mittelalters eingeprägten Zug haben
selbst spätere Jahrhunderte nicht aus dem Antlitze der verlassenen
Königswitwe verwischen können ; noch sind ihr kostbare Schmuck-
stücke aus der Zeit ihres Glanzes-genug geblieben, um ein ziemlich
klares, in vielen Details höchst anziehendes Bild des bis zum
Schlüsse des Mittelalters in der polnischen Residenz herrschenden
Lebens zu vermitteln, welchem die mannigfachen Beziehungen
der für den Handel mit anderen Ländern sehr günstig gelegenen
Stadt stets neue Anregungen zuführten.
j^2 Josef Neuwirth
Das Abhängigkeitsverhältnis Krakaus von Böhmen befruchtete,
da Krakau bis ins ii. Jahrhundert der Diöcese Prag angehörte,
unstreitig das KunstschafiFen des frühen Mittelalters, was deutlich
daraus erhellt, dass gerade die Domkirche auf dem Wawel dem heil.
Wenzel gewidmet ist, dessen Gestalt gleich der des heil. Stanislaus
auch schon in dem ältesten Stadtsiegel und Stadtwappen begegnet
Darin klingt gewissermaßen die dankbare Erinnerung aus für das
segensreiche Eingreifen des Prager Bischofes Adalbert, das auch
die Kunstthätigkeit Krakaus beeinflusste.
Seit dem Brande von 1025 mehren sich die Nachrichten
über Kirchenbauten, da ja Krakau im 11. Jahrhunderte zum Bis-
thume erhoben und Gnesen einverleibt wurde. Unter denselben
waren vielleicht die Egidius-, die Dom- und die Maria-Schneekirche
als Gründungen König lyadislaus' am bedeutendsten. Die Feuers-
brunst von II 25 zerstörte nebst anderen Gotteshäusern den erst
1120 geweihten Dom, dessen Neubau 1126 begonnen und 1193
neuerlich geweiht wurde. Aus dieser Periode stammt die unter
dem lyanghause befindliche Krypta, deren rippenlose Kreuzgewölbe
auf vier kurzen Säulen mit schmucklosen Würfelcapitälen rul;ien ;
sie ist nächst der mit zwei Thürmen flankierten Fa9ade der
Andreaskirche der beachtenswerteste Rest des Romanismus. Gegen
die Mitte des 12. Jahrhundertes gewann der Steinbau, angeblich
durch die Bemühungen des Peter Wlast, dem die Auflfuhrung von
70 Kirchen zugeschrieben wurde, an Verbreitung.
Das 13. Jahrhundert war dem Kirchenbau in noch höherem
Grade förderlich. Außer der Florianikirche am Kleparz, der 1226
begonnenen Marienkirche und der Cistercienserkirche Mogila bei
Krakau erstanden die Ordensniederlassungen der 1222 eingeführten
Dominicaner und der 1237 auftretenden Franciscaner, während der
1230 durch Feuer beschädigte Dom 1247 ^^^^ Bleideckung und
1250 einen neuen Fliesenbelag erhielt. Stadt und Burg, die 1298
mit starken Befestigungsmauern umgeben wurden, fielen 1306 einer
furchtbaren Feuersbrunst zum Opfer. Die Bauformen des 13. Jahr-
hundertes erhielten sich nur an dem mit einem Bogenfriese aus-
gestatteten Giebel des nördlichen Querhauses der Franciscaner-
kirche und in der Dominicanerkirche. Diese ist insbesondere in
technischer Beziehung als ein früher Ziegelbau von Bedeutung,
besitzt ein trefflich gearbeitetes Portal und ein geradlinig ab-
Das späte Mittelalter. ja'^
schließendes Presby teriiim , dessen Ausdehnung fast dem Lang-
hause mit den niedrigen Seitenschiflfen gleichkommt. Die Anlage
des 13. Jahrhundertes ist auch noch erkennbar an der alten Synagoge
in Kasimir, deren sechs Kreuzgewölbejoche auf zwei schlanken
Pfeilern ruhen ; die Leibungen der in jedem Schildbogen ein-
gestellten, rundbogig schließenden Fenster sind ziemlich ab-
geschrägt.
Krakaus Bedeutung stieg wesentlich, als es 1320 vom Könige
Wladislaw IV., der Polen durch die Vereinigung von Groß- und
Kleinpolen zu bedeutender Machtstellung brachte, zur Krönungs-
stadt erhoben und damit von selbst Mittelpunkt des Königsthumes
wurde. Das brachte es zunächst mit sich, dass der 1306 arg be-
schädigte Dom, in welchem die jeweilige Krönung stattfinden
sollte, in würdiger Weise wieder aufgebaut wurde ; die Vollendung
des Neubaues, der 1364 geweiht wurde, zog sich fast bis ans Ende
der Regierung Kasimirs des Großen hin, der nicht nur Polens
Besitz durch Galizien, Podolien und die Lehensherrschaft über
Masovien erweiterte, sondern auch durch weise Gesetzgebung die
Verhältnisse des Landes regelte.
Im Sonnenscheine der Bestrebungen dieses Herrschers, welcher
seinen Unterthanen auch durch Begründung einer Universität die
Schätze abendländischer Bildung vermitteln wollte, brach für
Krakau ein goldenes Zeitalter an. Dem Zeitgeiste entsprechend
zeigten sich die daraus für die Kunstthätigkeit erfließenden Ein-
wirkungen, wie fast gleichzeitig in Prag, besonders auf dem Gebiete
des Kirchenbaues. Zunächst ließ Kasimir die Wölbung des Domes,
bei welchem er die Mariä-Himmelfahrt-Kapelle gründete, malen
und mit goldenen Sternen zieren und in der Stadt Kasimir 1342
den Bau der Katharinen-, 1347 den der Frohnleichnamskirche be-
ginnen. In diesem Jahre wurde die Georgskirche auf dem Wawel
und 1355 die Michaelskirche, ein neuer Ziegelbau, geweiht ; neben
der Dominicanerkirche ließ der König, der in der Stadt mehrere
Kapellen gründete und den Neubau der Skalkakirche förderte, die
Marienkapelle errichten. Von großer Bedeutung war für Krakaus
Entwicklung auch das Aufblühen neuer, selbständiger Gemein-
wesen in unmittelbarer Nähe ; denn Kasimir erhob die um die
Florianikirche entstandene Niederlassung zur Stadt Kleparz und
verlieh ihr wie dem zur Stadt Kasimir erhobenen Dorfe Bawol das
jAA Josef Neuwirth
Recht selbständiger Verwaltung. Kunstschaffen und Wohlstand
eines Landes giengen stets Hand in Hand ; der ausgebreitete Handel
Krakaus machte den Bürgerstand reich, welcher nun auch Wert
darauf zu legen begann, seine Wohnungen behaglich und dem
Zeitgeschmacke entsprechend einzurichten. Dem wachsenden Ver-
kehre trug die Erbauung der mächtigen Tuchhalle auf dem Markt-
platze der Stadt Rechnung, während neben der Laurenzikirche in
Kasimir seit 1362 die Gebäude fiir die 1364 gegründete Universität
erstanden, welche 1400 nach Krakau selbst verlegt wurde. Die
auf solche Weise steigende Bedeutung Krakaus förderte auch
die Kunst- und Gewerbethätigkeit, die nach Kasimirs Tode (1370)
nicht unterbrochen wurde, sondern fortblühte. Denn ihr kam
nicht wenig zustatten, dass Kasimirs Schwester Elisabeth an Stelle
ihres Sohnes, des Ungarnköniges Ludwig des Großen, die Re-
gierung Polens übernahm und eine glänzende Hofhaltung in
Krakau entfaltete. Die unvollendet gebliebenen Bauten wurden
weiter geführt und, wie der dem Dome von der Königin Elisabeth
geschenkte Reliquienschrein des heil. Stanislaus bezeugt, den ein-
heimischen Meistern lohnende Aufträge zugewendet. Die nach
dem Tode Ludwigs des Großen eintretenden Verwickelungen
hatten für Krakau keine geradezu nachtheiligen Folgen, da bald
geordnete Verhältnisse wieder platzgriffen, als die von den Polen
zur Thronerbin ausersehene, jüngere Prinzessin Hedwig dem das
Christenthum annehmenden Großfürsten von Lithauen Jagello,
der den Taufnamen Wladislaw erhielt, die Hand reichte. König
Wladislaw Jagello vergrößerte nicht nur durch Hinzufügung seines
Stammlandes den Besitz Polens, sondern hob dessen Bedeutung
auch durch eine im Geiste Kasimirs des Großen gehaltene Re-
gierung, welche vor allem der Krönungs- und Residenzstadt Krakau
günstig war. Hier wurde die 1391 erneuerte Kreuzkirche slawischen
Benedictinern, 1395 das vom Könige gestiftete Kloster den Kar-
melitern und die 1405 vollendete Frohnleichnamskirche in Kasimir
den Augustinerchorherm übergeben, ein Universitätsgebäude für
die in die Stadt selbst übertragene Hochschule errichtet und 1400
die Maria-Magdalenakirche gegründet.
Für die Kunstgeschichte Krakaus gewinnt erst die zweite
Hälfte des 15. Jahrhundertes wieder höheres Interesse, da die
Brände von 1454, 1455, 1463, 1473, 1475, 1476, 1492 und 1494
Das späte Mittelalter. jac
nicht nur zahlreiche Bürgerhäuser einäscherten, sondern auch her-
vorragende öflFentliche Bauten erheblich beschädigten; in die Re-
gierungszeit Kasimirs IV. fällt die Ausfuhrung prächtiger, zum
Theile heute noch erhaltener Arbeiten und die Instandsetzung der
hart mitgenommenen Baudenkmale. Während derselben scheint
der Verkehr mit dem für das Kunstleben Deutschlands so wichtigen
und damals gerade seiner Blüte energisch zuschreitenden Nürnberg
nicht minder rege gewesen zu sein als unter Sigismund I. , welcher
1506 auf den Thron Polens gelangte. An seinen Namen ist für
Krakau eine neue Glanzperiode der Kunst auf dem Boden neuer
Ideen geknüpft, die der mit dem Mittelalter absterbenden Gothik
den Rücken kehren und die Kunstthätigkeit der polnischen Krö-
nungsstadt an der großen Wiedergeburt des Kunstlebens in Italien
und Deutschland theilnehmen lassen. Dieselben fassten in Polen
zuerst durch Beziehungen zum italienischen Humanismus Wurzel,
da der 1470 nach Polen gekommene und als Erzieher der könig-
lichen Prinzen bestellte Filippo Buonacorsi maßgebenden Einfluss
auf die dem Kunstschaffen so freundlichen Anschauungen Sigis-
munds gewann, welchen die Heirat mit Barbara Zapolia, der
Schwester des Ungarnköniges, in Verbindung mit einem von
italienischer Renaissance beherrschten I^ande brachte. Außerdem
musste die zweite Vermählung Sigismunds mit Bona Sforza, der
Tochter des Mailänder Herzoges Gian Galeazzo, die einem kunst-
liebenden Hause entstammte und mit italienischen Gelehrten,
Dichtem und Künstlern in regstem Verkehre blieb, der Berufung
italienischer Meister und der Verbreitung ihrer Anschauungen un-
gemein förderlich werden.
Die großen Baudenkmale Krakaus, welche dem späten Mittel-
alter angehören, entstammen verschiedenen Bauperioden. So er-
weist sich der Dom auf dem Wawel, der ein dreischiffiges Langhaus,
einschiffiges Querhaus und dreischiffigen, geradlinig schließenden
Chor mit Chorumgang und Kapellen besitzt, weder als ein einheit-
liches noch als ein künstlerisch hochbedeutsames Object, behält
aber trotz zahlreicher Anomalien viel Anziehendes. Mit Benutzung
älterer Bautheile wie der romanischen Krypta wurde er vorwiegend
im 14. Jahrhunderte ausgeführt, aber im 15. durch verschiedene
Zubauten wie die Sacristei und den nördlichen Thurm, die Kreuz-
kapelle u. dgl. erweitert. Erwägt man, dass in dem Krakauer
■
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. lO
1^6 Josef Neuwirth
Dome um die Mitte des 15. Jahrhundertes sich 56 Altäre, prächtige
Chorstühle, Bischofsthron, Kanzel, lycttner und Orgel befanden.
Wände und Fenster im Glänze des Goldes und der Farben er-
strahlten, die königliche Kapelle unter Wladislaw Jagello ,graeco
more* gemalt war, der Kirchenschatz einen seltenen Reichthum
kostbarer Geräthe und Gewänder besaß, so muss man wohl zu-
gestehen, dass die Krönungskirche der polnischen Könige in ihrer
Ausstattung anderen großen Domen zweifellos gleichkam und sich
ihrer hohen Bestimmung durchaus würdig zeigte. Welch ver-
schiedene Kunstrichtungen sich auf dem Krakauer Boden begegneten
und an der Ausschmückung des Domes und seiner Zubauten theil-
nahmen, lehrt ein Blick auf die von Kasimir IV. und seiner
Gemahlin Elisabeth von Osterreich gestiftete Kreuzkapelle. Die
noch erhaltenen Wandmalereien stammen von der Hand slawischer
Künstler, vielleicht griechisch-russischer Maler, die schon 1393
Wladislaw Jagello zur Ausschmückung der Kreuzkirche berief
und wahrscheinlich auch im Dome beschäftigte ; den Charakter
der Nürnberger Werke zeigen der 1467 vollendete Dreifaltigkeits-
altar und der Altar der schmerzhaften Jungfrau Maria, gothische
Flügelaltäre von ziemlichem Werte, sowie der noch gothische An-
ordnung festhaltende Marmorsarkophag des Königs Kasimir IV.,
dessen Ausführung dem 1477 nach Krakau zugewanderten Nürn-
berger Veit Stoss übertragen wurde. Mag an derselben auch der
Passauer Jörg Hueber, dessen Name sich an einem der Capitäle
befindet, Antheil genommen haben, so bleibt doch die Durch-
bildung und der Aufbau des Werkes Eigenthum des Nürnberger
Meisters.
Unter den Zubauten des Krakauer Domes aus späterer Zeit
ist die sogenannte Jagellonenkapelle (Abb. 38) die künstlerisch
bedeutendste lycistung, eine frühe, aber voll erschlossene Blüte
der edelsten Renaissance. Sigismund I. ließ 1519 an Stelle der
von Kasimir dem Großen gegründeten Mariähimmelfahrtskapelle
für sich und seine Familie eine Grabkapelle durch den Florentiner
Bartolomeo Berecci beginnen, dessen Plane er schon 1517 in Wilna
seine Zustimmung ertheilt hatte ; 1520 war der Bau vollendet.
Auf dem an die Südseite des Domes anschließenden quadratischen
Unterbaue erhebt sich über vermittelnden Zwickeln ein außen
achteckiger, innen runder Tambour, dessen Seitenflächen acht
Das spate Mittelalter.
Rundfenster durchbrechen ; auf demselben ruht die mit Kupfer
überzogene, geschuppte und vergoldete Knppel, über welcher die
mit einer Krone gezierte Laterne leicht ansteigt. In den Wänden
der Kapelle, welche Pilaster gliedern, sind Nischen für Sarkophage
und Statuen angeordnet und sogenannte Grottesken als Schmuck
j^g Jo8ef Neuwirth
der Pilaster, Zwischenfelder und Wappenschilde zwischen den
Zwickeln verwendet; feine Cassettierung ziert die Kuppel und
Pilastereinstellung die lyaterne. Die decorativen Details, welche
mit größter Sorgfalt in Sandstein ausgeführt und von hoher
plastischer Wirkung sind, führte Johann Cini aus Siena mit
mehreren dazu eigens berufenen Landsleuten aus und verwendete
dabei geschickt Motive, die an dem Altare von Fontegiusta des
Lorenzo di Mariano wieder begegnen. Mit den Silberreliefs des
Flügelaltares von Melchior Bayr, Peter Flötner und Pankraz
Labenwolf erhielt auch die deutsche Renaissance Antheil an der
Ausschmückung des herrlichen Baues, den die Inschrift der
Außenseite mit Stolz als ,Saxaque Phidiaco sculpta magisterio*
bezeichnet.
Nächst dem Dome, welcher vor allem den Königen Polens
seine Auffuhrung und Ausstattung zu danken hat, bleibt die im
Mittelpunkte Krakaus, auf dem Ringe liegende Marienkirche be-
achtenswert, deren Aufbau besonders die Bürger förderten, wenn
auch die Tradition den Bischof Iwo Odrow^Ä als Gründer und den
Schatzmeister Kasimirs des Großen Nikolaus Wierzynek als Bau-
herrn eines neuen, von Meister Werner 1359 vollendeten Chores
feiert. Die Fundamente der dreischiffigen, mit niedrigen Abseiten
ausgestatteten Anlage, in deren langgestrecktes Presbyterium der
Meister Czipser von Kasimir nach dem Einstürze der Wölbung
1442 ein neues Sterngewölbe einzog, stammen noch aus dem
13. Jahrhunderte, als Bischof Iwo von der den Dominicanern ein-
geräumten Dreifaltigkeitskirche die Pfarrei Krakaus hieher über-
trug. In ihrer heutigen Ausstattung verweist die Marienkirche
besonders auf eine Bauführung des 15. Jahrhundertes, dem auch
das Taufbecken und die 1435 von Johann Freden tal gegossene
Glocke entstammt, während die drei Glasmalereien der Chorschluss-
fenster dem 14. Jahrhunderte angehören. Für die Geschichte der
deutschen Plastik, als deren Schöpfungen die Grabplatten für
Peter Salomon und Peter Kmita, die noch treff'lichere des Filippo
Buonacorsi und das im Dome aufgestellte Grabmal des 1503 ver-
storbenen Cardinais Friedrich mit ihren offenkundigen Beziehungen
zu der berühmten Nürnberger Gießerei des Peter Vischer von höch-
stem Werte bleiben, ist der in der Krakauer Marienkirche erhaltene
Flügelaltar des Veit Stoss von ganz hervorragendem Interesse.
Das späte Mittelalter. I^^n
Der Altarschrein (Abb. 39) enthält den Tod Maria, zu welchem
die Reliefdarstellungen der geöfiheten Flügel — Verkündigung, Geburt
Christi, Anbetung der Könige, Auferstehung und Himmelfahrt
Christi, Ausgießung des heil. Geistes — und die in der Staffel
treflflich behandelte Wurzel Jesse hinüberleiten, während die dem
luftig durchbrochenen Giebelaufbaue verbundene Krönung Maria
durch Gott Vater und Sohn zwischen den heil. Bischöfen Adalbert
und Stanislaus den naturgemäßen Abschluss bildet Die Außen-
seiten der geschlossenen Flügel zeigen 12 Scenen aus dem lieben
Christi.
Das Altarwerk, dessen lebendig durchgearbeitete, aber vor
übertriebener Bewegung nicht ganz abgerundete Compositionen zwar
naturalistische Charakterisierung der einzelnen Köpfe und reiche,
wegen der unruhigen Falten nur unklar entwickelte Gewandung
bieten, ist eine Stiftung der Krakauer Bürgerschaft und von 1477
bis 1489 um 2888 Gulden von dem nach Krakau eingewanderten
Nürnberger Veit Stoss ausgeführt worden. Die Anerkennung,
welche dem Meister für die ,, seinen Namen dem ewigen Andenken
der Nachweif überliefernde Arbeit zutheil wurde, vermittelte dem
Künstler neue Aufträge, wie den Stanislausaltar der Marienkirche,
von welchem nur die beiden Flügel mit den 6 Reliefs aus dem
Leben des Heiligen erhalten sind, das Grabmal Kasimirs IV., die
im Dome zu Gnesen aufgestellte Grabplatte für den 1493 gestorbenen
Erzbischof Olesnicki und die Ausführung von 147 Stühlen für die
Marienkirche, welche noch 1495 den Meister beschäftigte. Das
beweist, dass fremde bewährte Künstler in Polens Krönungsstadt
durch Jahrzehnte lohnende Arbeit und damit Einfluss auf das
Kunstleben gewannen. Denn erst 1496 kehrte Veit Stoss in seine
Vaterstadt zurück, wo er als ,, unruhig hey loser Bürger*' bald be-
rüchtigt und wegen Urkundenfälschung in einer Schuldsache mit
Durchbohrung beider Backen mittels glühender Eisen gebrandmarkt
wurde. Mag auch der als Mensch durchaus nicht achtenswerte,
streitsüchtige und wortbrüchige Meister keineswegs unsere
Sympathien haben, so zählt doch seine Künstlerpersönlichkeit,
von deren Leistungen wohl der 1518 von Anton Tucher gestiftete
,, englische Gruß** im Chore der Nürnberger Lorenzkirche am
bekanntesten geworden ist, zu den hervorragendsten Vertretern
Nürnberger Schnitzkunst. In. Krakau zeigte sich Veit Stoss
I CQ Josef Neuwirth
offenbar nur von der guten Seite, wofür sein fast aojähriger Auf-
enthalt, seine wiederholte Wahl zum Zunftvorstande und die sich
mehrenden Aufträge sprechen, und brachte Nürnberger Art im
fernen Osten zu hohen Ehren.
Kein Wunder, dass man für die Ausstattung der Marienkirche,
an der Nürnberg mit Arbeiten der Vischer' sehen Gießerei und
des kunstfertigen Veit Stoss betheiligt war, auch Nürnberger
Maler heranzog. Die Schatzkammer der erwähnten Kirche bekam
auf den Thüren der Schränke acht Darstellungen aus der Legende
der heil. Katharina, welche 1514 bis 1515 entstanden, nämlich
Katharina vor Maria kniend, mit den Philosophen disputierend,
in den Kerker geworfen, vom Tode durchs Rad gerettet, die Ent-
hauptung der Königin, Anstalten zur Enthauptung Katharinas,
Ausstellung ihrer Leiche und Übertragung derselben zum Himmel;
dieselben sind nach der erhaltenen Inschrift von dem Gehilfen
und Freunde Albrecht Dürers, von Hans Sues von Kulmbach,
gemalt, von dessen Hand auch in der Johanneskapelle der Floriani-
kirche das Abendmahl, Johannes den Kelch segnend, Johannes auf
Patmos und im Kessel mit siedendem Öle sowie in der städtischen
Gallerie der Tuchhalle der Tod Johannes des Evangelisten von
15 16 stammen. Hans von Kulmbach, der in diesen Werken Ab-
hängigkeit von dem Stile, der Compositionsanordnung und Durch-
bildung Dürers zeigt, aber in den Formen auch über diesen
hinausgeht, zog 1514 nach Krakau, wo er bis 1517 blieb. Seine
die Eigenart des größten Nürnberger Malers vermittelnde Auf-
fassung . und Darstellungsweise fand offenbar in Krakau solche
Anerkennung und solchen Beifall, dass Albrecht Dürers Bruder
und Schüler Hans Dürer sich zu einer Reise nach Polen angeregt
fühlen mochte, wo er von 1529 bis 1538 als Hofmaler Sigismunds 1.
thätig war. Wie diese Stellung so weisen auch die Passionsscenen
der vorderen Sacristei der Marienkirche und die Apostelmartyrien
der Katharinenkirche in Kasimir auf den Umfang des Einflusses
hin, den Hans von Kulmbach, Sebald Singer von Nürnberg und
Hans Dürer und durch sie die neue Bahnen wandelnde Nürn-
berger Richtung der deutschen Kunst auf die Krakauer Maler
gewannen. Die Heranziehung Nürnberger Schnitzer und Maler
für die Ausschmückung der Marienkirche, für welche in erster
Reihe das Bürgerthum sorgte, ergab sich zunächst wohl aus dem
Das späte Mittelalter. jrj
regen Handelsverkehre, der zwischen Krakau und der deutschen
Reichsstadt unterhalten wurde und außer der Förderung
materieller Interessen auch manch nachhaltige geistige Anregung
vermittelte.
Unter den übrigen Krakauer Kirchen verdienen außer der
schon erwähnten Dominicanerkirche, die 1408 eine neue Chor-
wölbung erhielt und nach dem Brande von 1463 ziemlich bedeutende
Veränderungen erfuhr, die Kreuzanlage der Franciscanerkirche,
deren Portal und Langhaus erst nach dem Zusammensturze des
Thurmes im Jahre 1465 und nach der 1476 durch Blitzstrahl ver-
ursachten Feuersbrunst überarbeitet wurden, die spätgothische
Vorhalle der Barbarakirche, die Kreuzkirche und die Katharinen-
kirche in Kasimir besondere Erwähnung. Sie haben das Charak-
teristische ihrer mittelalterlichen Hauptbauperioden bewahrt,
während der Geschmack späterer Kunstanschauungen andere
Gotteshäuser, wie die bei den Bränden des 15. Jahrhundertes hart
betroffene Peters- oder Marcuskirche, im Sinne seiner Zeit umge-
staltete, und gehören der Spätgothik an, da selbst die unter
Kasimir dem Großen begonnene Katharinenkirche infolge des bei
einem Erdbeben 1443 eingetretenen Gewölbeeinsturzes erst 1505
vollendet wurde. Die dreischiffige Anlage mit langgestrecktem
Presbyterium und niedrigen Abseiten hält im Innern Aufbaue
den Typus der Marien- und Dominicanerkirche fest und besitzt
an der Südseite eine reich ausgestattete Vorhalle, deren inneres
Portal auch sonst an Krakauer Bauten begegnende Motive ver-
wertet ; dies deutet darauf hin, dass man sich lange an eingebürgerte
Formen hielt und gern naheliegende Muster verwendete. Die
Kreuzkirche, in deren quadratischem Langhause sich von dem in
der Mitte stehenden Pfeiler die Rippen des Stemgewölbes ent-
wickeln, bietet mit dem geradlinigen Chorschlusse und der Thurm-
anlage an der Westseite das Vorbild einer kleinen Stadtkirche am
Anfange des 16. Jahrhundertes.
Die Krakauer Kirchen sind auch in technischer Beziehung
sehr beachtenswert. Im Gegensatze zu dem ganz aus Hausteinen
ausgeführten Dome sind bei den übrigen Bauten Ziegel verwendet,
während vortretende Details wie die Gesimse oder die alten Strebe-
pfeiler der Dominicanerkirche gleichfalls aus Stein hergestellt
wurden. Die Natur dieses Materiales schränkte an den Krakauer
1 cg Josef Neuwirth
Bauten den reichen plastischen Schmuck bedeutend ein und verlieh
ihnen einen Zug des Einfachen, der nicht selten an das trocken
Strenge streifte. Die einzelnen Denkmale hängen auch durch
gewisse Schuleigenthüinlichkeiten zusammen. So schließen sich
die oben erwähnten größeren Kirchen an den Dom in der eigen-
thümlichen Bildung des Pfeileransatzes gegen das Seitenschiff an,
mit welcher die wiederholten Einstürze der mangelhaft construierten
Gewölbe der Dominicaner- und Katharinenkirche in Beziehung zu
bringen sind ; dasselbe Verhältnis zeigt sich in der Maskierung der
im Ansätze des Seitenschiffdaches an das Mittelschiff entstehenden
e Tuchhalle in Krakau.
hohen Wand durch Herabführung der Fensternische und der Maß-
werkstäbe bis zum Arcadensimse. Eine gewisse Hinneigung zum
geradlinigen Chorschlusse, der bei der Dominicanerkirche , dem
Dome und der Kreuzkirche entschieden betont ist, verräth Be-
ziehungen zu der Bauweise des deutschen Ordenslandes, die auch
in der Gliederung, Wölbung, im innem Aufbaue, in den Ver-
hältnissen u. dgl. zutage treten; sie finden in der mannigfachen
Berührung Polens mit diesem Gebiete wohl ihre beste Erklärung
nnd haben zweifellos auch die an den norddeutschen Backsteinbau
erinnernde Krakauer Giebelbildung begünstigt. Der Thurmbau
Das späte Mittelalter.
153
ist nur beim Dome und bei der Marienkirche eigenartig entwickelt
und zeigt hier hölzerne, ringsum mit Thürmchen besetzte Helme,
die in mancher Hinsicht an eine auch in Prag mehrfach begegnende
Anordnung erinnern ; sonst begnügte man sich in Krakau vor-
wiegend mit kleinen Thürmen und Dachreitern.
Nicht minder interessant als für den Kirchenbau sind Krakaus
Baudenkmale auch für den Profanbau. Allerdings ist der schönste
und bedeutendste Theil des Schlosses, neben welchem die Über-
reste der theilweise im 14. und im 15. Jahrhunderte ausgeführten
Partien ganz zurücktreten, ein Werk des 15 16 in Krakau ver-
storbenen Florentiners Francesco Lori; an einigen Thür- und
Fenstereinfassungen des Sigismundbaues haben Gothik und Re-
naissance ein eigenthümliches Compromiss geschlossen, in welchem
neue Anschauungen den alten noch ein schüchternes Wort ge-
statten. Von dem alten Rathhause, das erst im 19. Jahrhunderte
abgetragen wurde, erhielt sich nur der aus Quadern errichtete,
mit einem hübschen Erker ausgestattete Thurm, der dem 15. Jahr-
hunderte entstammt. Aber in dem CoUegium Jagellonicum, dem
Universitätsgebäude, und in der weithin bekannten Tuchhalle be-
sitzt die polnische Krönungsstadt Werke der Profanbaukunst,
welche nur in wenigen Städten ihresgleichen finden.
Wladislaw Jagello hatte im Jahre 1400 die 1364 in Kasimir
errichtete Universität in ein neues Gebäude der Stadt selbst über-
tragen, neben welchem im Laufe des 15. Jahrhundertes noch drei
andere Collegien entstanden ; dasselbe ist heute in seinem Haupt-
bestande noch in jener Beschaffenheit erhalten, welche ihm die
nach dem Brande von 1492 sofort auf Anregung des Bischofes
Friedrich eingeleiteten Wiederherstellungsarbeiten verliehen. Der
von den vier Gebäudeflügeln umschlossene Hof hat mit seinen
niedrigen, im Zellengewölbe geschlossenen Säulengängen, mit den
gothische und Renaissancemotive verwendenden Thür- und Fenster-
einfassungen viel Malerisches an sich.
War das Universitätsgebäude gleichsam der Brennpunkt des
wissenschaftlichen Lebens in Krakau und Polen, so concentrierten
sich die materiellen Bestrebungen der Bürger in einem anderen
bedeutenden Profanbaue Krakaus, in der gewaltigen Tuchhalle
(Abb. 40), welche von einem glänzenden Abschnitte der Handels-
geschichte Polens zeugt. Wie großartig muss der Handelsverkehr
j CA Josef Neuwirth
gewesen sein, welcher in der Auflfuhrung dieses ausgedehnten,
mächtigen Bauwerkes seinen monumentalen Ausdruck fand ! Lässt
sich auch die Anlage einer ,,camera, ubi panni venduntur**, bis in
die Tage Boleslaws des Schamhaften zurückverfolgen, so führte
doch erst der bedeutende Aufschwung des Handels unter Kasimir
dem Großen dazu, dass dieser Fürst 1358 eine 180 polnische
Ellen lange und 18 polnische Ellen breite Tuchhalle, deren Um-
fassungsmauern in einiger Entfernung vom Erdboden mit Fenstern
durchbrochen waren, erbauen ließ. Neben derselben erstanden
auf Anregung der Königin Hedwig 1399 die sogenannten reichen
Krambuden. 1557 vernichtete eine Feuersbrunst den fast zwei
Jahrhunderte alten Bau, der jedoch rasch wieder in brauchbaren
Zustand versetzt wurde, wobei der um 1530 nach Polen gekommene
Gian Maria Padovano, genannt il Mosca, ein Schüler des Agostino
Zoppo, in hervorragender Weise thätig war. Giebel und Dach-
aufbau des später mehrfach durch Anbauten veränderten Gebäudes
deuten darauf hin, dass vorwiegend das Dach gelitten hatte, indes
der Grundstock des Gebäudes noch das Mauerwerk des 14. Jahr-
hundertes besitzt. Dieser Zeit gehören wahrscheinlich auch die
Strebepfeiler an, den Längsmauem und sicher die beiden gothischen
Thorbogen an, durch welche man die Halle betritt, während die
Seiteneingänge und die an beiden Stirnseiten zum Obergeschosse
emporfiihrenden Freitreppen erst bei der Wiederinstandsetzung des
Baues angeordnet wurden ; in einigen der an die lange Halle an-
stoßenden Räume haben sich kunstvolle Wölbungen mit schöner
Rippenführung erhalten. Obwohl Backsteinbau, zeugt die Tuch-
halle, deren Mittelraum auf jeder Längsseite 18 nach dem Innern
sich öfihende Kramstände begrenzen, trotz mancher Beschädigungen
von einer höchst achtenswerten Solidität der Technik und verbürgt
gerade durch ihre Lage mitten auf dem großen Ringe, dass man
in richtiger Erkenntnis des Zweckes den allgemeinen Bedürfnissen
geltenden Bau an jener Stelle, welcher alle Adern des städtischen
Verkehres das frisch pulsierende Blut reger Gewerbsthätigkeit
gleichsam zum Stoffwechsel in Form des Kaufes und Verkaufes
zuführten, in entsprechender Ausdehnung errichtete. Das Ver-
hältnis der Tuchhalle zu den Gebäudereihen des großen Ringes
weist überdies darauf hin, dass die Anlage dieses Platzes, der ihn
umgebenden und auf ihm errichteten Gebäude genau erwogen und
Das späte Mittelalter.
155
auch im Zusammenhange mit den übrigen Gassen von großer
Regelmäßigkeit war, die freie und leichte Bewegung ermöglichte.
Die ungestörte Förderung der geistigen und materiellen Inter-
essen Krakaus war gegen feindliche AngriflFe durch ausgedehnte
Befestigungswerke geschützt; eine doppelte Ringmauer mit ge-
mauertem Graben umzog die Stadt, die durch sieben Thore mit
größeren Thürmen zugänglich war und von 31 kleineren, in die
Mauer eingetheilten Thürmen in ganzem Umfange gleichmäßig
vertheidigt werden konnte. Letztere wurden verschiedenen Zünften
zugetheilt und waren unten viereckig aus Bruchsteinen, oben nach
außen halbrund aus Ziegeln erbaut, welche manchmal durch die
Kopfglasur der ins Mauerwerk eingreifenden Binder eine hübsch
gezeichnete, musivische Ausschmückung des Äußeren ermöglichten.
Wie gewaltig die Vertheidigungsmaßregeln für die Hauptzugänge
waren, zeigt das wohl erhaltene Florianithor, durch welches die
Könige zur Krönung oder als Sieger einzogen.
Dieses bedeutende Vertheidigungswerk (Abb. 41) zerfallt in
den vor der äußeren Stadtmauer errichteten Vorbau und den
massiven, viereckigen Thorthurm, welcher durch einen geschützten
Verbindungsgang mit ersterem in Zusamenhang gebracht wurde.
Mittels einer Zugbrücke gelangte man über den nun verschütteten,
sehr tiefen Graben durch das rundbogig umrahmte Portal in den
Hof des etwas mehr als halbrunden Vorbaues, den gegen die Stadt
zu schräg gestellte, zur Stadtmauer fast parallele Mauern und der
rechteckige kleine Corridor zu dem Verbindungsgange abschlössen.
Sieben kleine, gemauerte Thürmchen, die abwechselnd rund und
achteckig, sowie mit schlanken Spitzen geziert sind, erhöhen das
Malerische der dritten Schießschartengallerie, die auf großen
Consolen nach außen vorgebaut ist und, da die von Console zu
Console gespannten Bogen abwechselnd halb als Pechnasen ge-
öfihet sind, auch das Herabgießen des siedenden . Peches oder
Wassers auf die den Graben überschreitenden Angreifer ermög-
lichte. Der ersten Schießschartenreihe entspricht im Innern des
Hofes eine abwechselnd als schwache Blenden und tiefe Nischen
in die Mauer eingefügte Arcadenstellung, über welcher die zweite
Schießschartenreihe angeordnet ist und nach innen eine auf Con-
solen ruhende, vom mit einer undurchbrochenen Steinbrüstung
versehene Gallerie vortritt, während unter den Hofarcaden von
icg. Josef Neuwirth
einem gewölbten Gange aus sich Schießscharten nach dem Stadt-
graben öffneten. In diesem Hofe der Barbakane, dessen Gallerie
Platz für zahlreiche Zuschauer bot, begrüßten die Vertreter der
Stadt den König, der erst nach dem Passieren des mit der inneren
Stadtmaner verbundenen Thorthurnies die Stadt selbst betrat
Fallgitter nnd schwere Thorflügel sperrten hier in Kriegszeiten
den Zugang. Der oben an der innern Stadtmauer einst ringshernm-
führende, von den Thürmen zugängliche Gang bildete um den
Florianithorthurm gegen die Stadt zu eine Art Balkon.
Abb. 41. Das Plorianithor in Krakaii.
Der in trefflichstem Backsteine ausgeführte Thorbau, für
dessen Consolen und Portal Hausteine verwendet wurden, ist
1498 unter dem Könige Johann Albrecht vollendet ; nur an dem
Thorthurme scheint auch eine spätere Zeit Antheil zu haben.
Der Zweck eines Fest- und eines Festungsbaues kam bei dem
Florianithore in überraschend glücklicher Weise zum Ausdrucke ;
von dem, was Krakau, seine von gewaltiger Mauer nnd starken
Vertheidigungsthürmen umgebene Königsburg sowie Kasimir an
Das spate Mittelalten jr^
Schutzanlagen besaßen, ist in dem genannten Bauwerke ein
ebenso instructiver als charakteristischer Überrest späteren Ge-
schlechtern erhalten geblieben.
Dass ein Bürgerstand, welcher das CoUegium Jagellonicum
und die Tuchhalle erstehen sah, bei seinem wachsenden Wohl-
stande auch seine Wohnhäuser mit manch anziehendem Zauber
der Kunst zu beleben strebte und wusste, ist nahezu selbstver-
ständlich. Doch sind die Spuren des Mittelalters fast gänzlich
aus den Zügen der Krakauer Bürgerhäuser geschwunden; einige
gewölbte Erdgeschosse, spitzbogig oder mit geradem Sturz
schließende Thüreinfassungen, an denen vereinzelt reichere Pro-
filierungen angebracht sind, haben die Geschmackswandlungen
anderer Stilepochen überdauert und berichten gleichsam mit
schüchtern verhaltenem Stammeln von der Blütezeit Krakaus, in
welcher der Gothik auch auf dem Gebiete des Profanbaues aus-
gedehnter Raum zu prächtiger. Bethätigung gegönnt war.
Auf die hohe Stufe der Vollkommenheit, welche das Kunst-
gewerbe erreichte, lassen Arbeiten verschiedener Zweige schließen.
Die Miniaturen der Handschriften in der Dom- und Universitäts-
bibliothek weisen auf eine ebenso hohe Stufe der Buchmalerei,
wie die verschiedenen Perioden entstammenden drei Universitäts-
scepter, Reliquiarien, Kelche und Kreuze im Domschatze, in der
Marienkirche und anderen Krakauer Gotteshäusern einen oft fein
entwickelten Geschmack und zugleich Beziehungen zu den Gold-
schmiedearbeiten des deutschen Westens verbürgen. Das mit
Perlen gestickte Rationale, dessen Anfertigung der Königin Hedwig
zugeschrieben wird, eine gothische Mitra des 15. Jahrhundertes
und die von P. Kmita dem Dome geschenkte Casula, deren Rück-
seite in schöner Reliefstickerei Scenen aus der Legende des heil.
Stänislaus zieren, stellen der Krakauer Stickerei ein schönes
Zeugnis beachtenswerter Kunstfertigkeit aus.
Auf die Einführung und Entwicklung der vervielfältigenden
Künste, die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundertes auf das
Krakauer Gebiet eindrangen, gewann Deutschland maßgebenden
Einfluss. Bei Peter SchöfFer, dem Genossen des berühmten Er-
finders der Buchdruckerkunst, wurde 1487 das Krakauer Missale
in Mainz gedruckt; den 1491 in Krakau selbst vollendeten Druck
der slawischen Ausgabe von Joh. Damasceni Octoechos (Osmog-
I cg Josef Neuwirth
lasnik) besorgte der aus Deutschland und aus fränkischem Ge-
schlechte stammende Krakauer Bürger Schweipolt Fiol. Das
wachsende Interesse für den Buchvertrieb bestätigt die 1491 erfolgte
Bürgerrechtserwerbung des Buchhändlers Johann Haller von Rothen-
burg a. d. Tauber, für welchen Georg Stüchs aus Nürnberg, Wolf-
gang Steckel in Leipzig und Caspar Hochfelder druckten. Die
von ihm 1503 errichtete Druckerei leiteten nach Hochfelder der
in Venedig gebildete Sebastian Hyber, Wolfgang Lern und Florian
Ungler, die 1510 zu Prandnik gekaufte Papiermühle Joh. Ciser
von Reutlingen. Bei Scharfenberger erschien 1556 das mit Holz-
schnitten ausgestattete neue Testament und 1561 die Bibel mit
den Holzschnitten der Lutherischen Bibelübersetzung, deren Holz-
stöcke Nik. Scharfenberger von Luft in Wittenberg erworben
hatte ; ebenso benutzte man Stöcke von Jost Amman , Hans
Schäufelein, Burgkmair, Hans Springinklee und anderer deutscher
Meister, die heute noch in der Krakauer Universitätsbibliothek
erhalten sind. Diese Thatsache und die noch in der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhundertes erfolgte Berufung des Breslauer Holz-
schneiders Brückner für die Lazarsche Druckerei lassen vermuthen,
dass man über keine einheimischen Meister von entsprechender
Ausbildung und künstlerischer Bedeutung verfugte.
Eine so umfassende Kunstthätigkeit auf kirchlichem und
profanem Gebiete war nur dadurch ermöglicht, dass das gesammte
Zunftleben Krakaus sich in festen Bahnen bewegte. Die dafür
maßgebenden Satzungen sind in dem sogenannten Codex picturatus
der k. k. Jagellonischen Bibliothek erhalten, welchen 1505 der
Stadtkanzler Balthasar Behem anlegte. Weitaus zum größten
Theile in deutscher Sprache abgefasst, zeigen sie schon durch
letztere auf die Anschauungen hin, welche das Kunstschaffen der
polnischen Krönungsstadt Ausschlag gebend bestimmten. Was
aber die Zunftordnung der Goldschmiede 1475 und 1489, der
Maler, Bildschnitzer und Glaser 1490 und 1497, der Maurer und
Steinmetzen 1512, der Rothgießer, Kannegießer, Gürtler und
Messingschläger schon um 141 2 festsetzte, codificierte nur einen
schon früher herrschenden Brauch und gieng auf noch ältere
Quellen zurück. Für die Ausbildung und Thätigkeit der genannten,
dem Kunstbetriebe besonders nahe stehenden Zunftgenossen bleiben
folgende Punkte zumeist beachtenswert.
Das späte Mittelalter.
159
Die Lehrzeit der Malerlehrlinge, welche eheliche Geburt
nachweisen mussten, war mit 4, später mit 6 Jahren bemessen,
während die Maurer 3, nöthigenfalls auch 4 Jahre verlangten.
Entlief ein Malerlehrling dem Meister, so durfte ihn kein anderer
Zunftmeister in die Lehre nehmen; kehrte er zu dem ersten zurück,
so galt er mit Verlust der bereits überstandenen Lehrzeit als neu
aufgenommen und hatte, falls der Meister starb, bei dessen Witwe,
die demnach zur Fortführung der Werkstätte berechtigt war, aus-
zulernen. Wie sehr man gerade bei der Malerzunft darauf hielt,
dass ihre Angehörigen auch die Leistungen auswärtiger Meister
kennen lernten und durch Zuführung neuer Ideen das Kunstleben
befruchteten, beweist die Anordnung, dass die Malergesellen wie
die Goldschläger zwei Jahre ,,yn andern laut** wandern sollten.
Den regelrechten Betrieb der Arbeit sicherten genaue Be-
stimmungen. Kein Maurermeister durfte einen Gesellen auf-
nehmen, ehe letzterer allen früheren Verpflichtungen gegen einen
anderen Meister nachgekommen war. Dies galt auch bei den
Malern, welche das ,, Blaumachen** der Gesellen mit Lohnabzug
bestraften und auch den Meister, falls er bei diesem Anlasse den
Schuldigen die volle Wochenlöhnung zukommen ließ, zu einer
Strafsumme verhielten ; ja, die Stadt selbst setzte schon 1390 für
alle am Montage oder an anderen Wochentagen feiernden Gesellen
eine Geldstrafe fest.
Die Erwerbung des Meisterrechtes, nach welcher der Betrieb
des Gewerbes erst erfolgen konnte, war an die vorhergehende Er-
langung des Bürgerrechtes, an den Nachweis der Herkunft, guten
Rufes und ordnungsmäßiger Erlernung des Handwerkes sowie an
die zufriedenstellende Anfertigung bestimmter Meisterstücke ge-
bunden.
Die Maler hatten eine Maria mit dem Kinde, ein Crucifix
und einen heil. Georg zu Pferde vorzulegen ; die Goldschmiede,
welche schon ein Jahr in Krakau gearbeitet haben niussten, sollten
einen Silberbecher, ein Siegel mit gestochener Schrift und Wappen
und einen in Gold gefassten Stein zur Prüfung unterbreiten. Von
den Gürtlern verlangte man einen eisernen Senkstempel, eine
Gürtelschnalle und eine Mantelschließe, von den Kannegießern
eine gute Form und eine gute Kanne in Zinn oder Hartwerk, von
den Rothgießern eine richtig zeigende Wage mit Gewicht und
j6q Josef Neuwirth
«
ein Paar Sporen, von den Beckenschlägern ein Becken oder einen
Kessel; nur die zur Malerzunft gehörenden Goldschläger waren
vom Meisterstücke befreit, welches ,,für sie auch in den Ländern
der deutschen Krone nicht üblich wäre**. Dieser Hinweis stellt
fest, wo man die Muster für Zunftfragen suchte und entlehnte.
Die ehrliche Ausübung des Gewerbes wurde von der Zunft
überwacht ; von den Zinngießem wurde die übliche Legierung,
die Anbringung des Stadt- und Meisterzeichens, von dem Gold-
schmiede die vorgeschriebene Vollgewichtigkeit der Arbeit ge-
fordert, deren viermalige Nichtbeachtung die Anzeige an den
Stadtrath und die Schließung der Werkstätte nach sich zog. Die
Glasmaler durften nur verglasbare Farben gebrauchen, die
Maler nicht mit lohrothem Leder Sättel, Rossköpfe, Schilde,
Brustleder u. s. w. überziehen. Bevor vom Stadtrathe nicht die
Baulinie bewilligt war, sollten die Maurer nicht bauen, die weder
Baumaterial verschleppen noch vom Bauherrn die Beistellung der
Werkzeuge verlangen durften.
Wie die Lehrzeit, so war auch die Zahl der einem Meister
gestatteten Lehrlinge bestimmt, deren ein Goldschmied, Maler oder
Maurer je zwei halten konnte. Zunftgenossen, Arbeitsnehmer oder
Arbeitsgeber abwendig zu machen, war verboten.
Durch Schutzmaßregeln suchte man das Gedeihen des ein-
heimischen Gewerbes gegen die Bevorzugung fremdländischer
Arbeit zu sichern. Brachte ein fremder Maler Arbeiten auf Holz,
Leinwand oder Papier, deren Verkauf nur auf dem Jahrmarkte
gestattet war, außerhalb desselben zur Veräußerung, so konnten
die Krakauer Zechmeister mit den Rathsdienem dagegen ein-
schreiten ; denn fremde Maler durften außerhalb des Jahrmarktes
nur kleine Bilder auf Papier — wohl meist Holzschnitte und
Kupferstiche — verkaufen ,,das dem hantwerk nicht schedlich
were**. Die Erlassung dieser Verordnung erfloss zweifellos aus
der Benachtheiligung Krakauer Maler durch fremde Meister, die
übrigens auch durch den Verkauf der erwähnten Kleinware Ein-
fluss auf die Angehörigen der Krakauer Malerinnung gewinnen
mussten ; welche Anschauungen bis zum Eindringen der Re-
naissancekunst für dieselbe mageßbend waren, zeigt die Thätigkeit
des Veit Stoss, des Hans von Kulmbach und des Hofmalers Hans
Dürer, da dieselbe nahe Berührungen mit der Nürnberger Schule
Das späte Mittelalter. jgj
verbürgt. Maler, die außerhalb der Zeche in geistlichen oder
weltlichen Diensten standen, hatten von der Zunft keine Förde-
rung zu erwarten, da ihnen sogar Goldschläger weder Gold noch
Silber verkaufen durften. Man wollte sie dadurch oflfenbar, wenn
sie länger in Krakau zu arbeiten beabsichtigten, zum Anschlüsse
an die Zeche bestimmen, wie man ja die Berufung ausgezeichneter
Baumeister und Steinmetzen Bürgern und Adeligen gestattete,
aber die Übernahme weiterer Arbeiten vom Eintritte in die Zunft
abhängig machte. Das musste in künstlerisch regsamen Epochen
der Verbreitung der durch die Fremden vermittelten Ideen in
Krakau und Polen wesentlich Vorschub leisten, weil es innigere
Berührung zwischen Einheimischen und Zugewanderten herbei-
führte.
Für den Baubetrieb wahrte sich die Stadtverwaltung die Fest-
setzung bestimmter, einen regelmäßigen Fortgang der Arbeit
sichernder Anordnungen, die insbesondere auch den Interessen
der Bauherren zustatten kamen. Die Arbeit wurde in Accord
oder Taglohn vergeben, welch letzterer für den Meister im
Sommer 5, im Winter 4 Groschen, für die Maurer und Stein-
metzengehilfen 3, beziehungsweise 2 Groschen betragen sollte ; die
Sommerbauperiode wurde in Krakau von Ostern bis Michaelis ge-
rechnet. Kein Meister durfte gleichzeitig mehrere Aufträge über-
nehmen, weil er bei Theilung seiner Thätigkeit die Ausführung
nicht überall gleichmäßig überwachen könnte. In der genauen
Bestimmung der täglichen Arbeitszeit und der Abgrenzung der in
derselben stattfindenden Ruhepausen zeigte die Krakauer Stadt-
vertretung und die Maurerinnung eine den modernen Ideen ent-
sprechende, übrigens auch anderwärts nachweisbare Anschauung.
Die Bauordnung von 1367 regelte eingehend Einzelheiten des
Profanbaues, und die Maurerstatuten von 1512, in denen aus-
drücklich auf die alte Gewohnheit verwiesen wurde, berück-
sichtigten besonders die Behandlung strikelustiger Gesellen.
Die verschiedenen Satzungen des Codex picturatus, welche
zum Theil schon aus dem 14. Jahrhunderte stammen und alle
bürgerlichen Gewerbe gleich eingehend berücksichtigen, ergaben
sich naturgemäß aus der fortschreitenden Organisation des städti-
schen Lebens, dessen Obrigkeiten sie gut hießen und ihre Befolgung
überwachten. Das Zusammengehn der Zunftvertreter mit den
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. II
J
.162 Jösef Neuwirth.
Rathmännern stellte in Krakau schon frühe die mit dem Leben
gewisser Zünfte eng verbundene Kunstthätigkeit auf einen frucht-
baren Boden, von dessen Bebauung fremde Meister nicht engherzig
ausgeschlossen waren. So hat Krakau mit seinen ausführlichen
Zunftordnungen eine besondere Bedeutung nicht nur für die Ge-
werbegeschichte des ausgehenden Mittelalters überhaupt, sondern
auch insbesondere für den Nachweis der zunftmäßig geregelten
Kunstthätigkeit innerhalb Österreich - Ungarns ; denn nicht viele
Orte bieten ein gleich wichtiges, umfangreiches und so wohl er-
haltenes Material für den Zusammenhang der Kunstgeschichte mit
dem Stadt- und Zunftleben und besitzen eine ebenso stattliche Anzahl
sowohl charakteristischer als auch künstlerisch bedeutsamer Denk-
male kirchlicher und profaner Kunst des späten Mittelalters.
Durch sie bleibt Krakau ein wichtiger und interessanter Punkt an
der Peripherie des großen Kreises deutscher Kunst.
<^^m^^^
DIE RENAISSANCE.
Von
D^ Heinrich Zimmermann.
11^
KAISER MAXIMILIAN I. und sein KUNSTSCHAFFEN.
DAS MAXGRAB ZU INNSBRUCK.
Kaiser Maximilian I. hat nicht allein wirklich Hervorragendes
geschaflFen, sondern noch weit Größeres und Herrlicheres geplant,
zu dessen Ausführung jedoch weder die ihm zu Gebote stehenden
Mittel noch die ihm gegönnte Lebensdauer ausreichten. Die
ersten künstlerischen Anregungen empfieng sein universeller Geist
bereits im Vaterhause, und dieselben fanden reiche Nahrung durch
seinen Aufenthalt am Hofe des prachtliebenden Herzogs Karl des
Kühnen von Burgund und in den Niederlanden, deren großartige
Bauten auf ihn einen mächtigen Eindruck machten.
Zur Ausführung glänzender Monumentalbauten freilich fehlte
es ihm vor allem an Geld. Auch hätte er sich an ihrem Anblick
wohl nur wenig erfreuen können, da ihn kriegerische und politische
Ereignisse aller Art zu fast fortwährendem Wechsel des Aufent-
haltsortes zwangen. So beschränkt sich denn seine profane Bau-
thätigkeit zumeist auf Arbeiten, welche rein militärischen Zwecken
dienten, und weit seltener hören wir von solchen, welche bestimmt
waren, die Wohnlichkeit schon vorhandener Burgen und Schlösser
zu erhöhen oder denselben durch Wandmalereien, gemalte Glas-
fenster und Täfelungen einen anmuthigen Schmuck zu verleihen.
Daneben musste ihn schon sein tiefreligiöser Sinn dazu bestimmen,
den Bau von Kirchen und Klöstern nach Thunlichkeit zu fördern
oder wenigstens zur Einrichtung und künstlerischen Ausschmückung
derselben beizutragen. So widmete der Kaiser im Jahre 1510 für
die neuerbaute Pfarrkirche zu Laufenburg ein Glasfenster mit den
Wappen von ,, Osterich und Habspurg und des heiligen Herren
sant Johannsen Leben'' und wies vier Jahre später dem Stadtrath
von Nürnberg zur Erneuerung eines von den früheren römischen
Kaisem und Königen gestifteten Glasfensters in der St. Sebaldus-
kirche zweihundert Gulden an. Eine Stiftung ganz besonderer
jgg H. Zimmermann
Art war der Marienkapelle in der Pfarrkirche zu Hall in Tirol
zugedacht, indem Maximilian für dieselbe sein in Erz gegossenes
Portraitstandbild , kniend , im Harnisch dargestellt , bestimmte.
Andere Kirchen und Kapellen wurden mit Kelchen und Glocken,
silbernen Leuchtern, Altarbildern oder mit kostbaren Gewändern
und Paramenten beschenkt. Auf den letzteren war nicht selten
der Reichsadler und andere. Wappen in Gold, farbiger Seide und
Perlen gestickt, eine Technik, die nicht allein von der Kaiserin
und den Damen des Hofes selbst eifrig geübt wurde, sondern auch
das blühende Kunsthandwerk der Seidensticker vielfach beschäf-
tigte. Als ihr Hauptvertreter am Hofe des Kaisers erscheint
Meister Leophard Strassburger, der von 1490 bis zu seinem im
Jahre 15 17 erfolgten Tode in Maximilians Diensten stand, und
dessen kunstvolle Nadel sich auch an figürliche Darstellungen der
Madonna und anderer Heiligen heranwagte. Seit 1500 fungierte
er neben andern gleichzeitig als kaiserlicher Tapissier mit einem
Jahresgehalt von 50 Gulden und hatte als solcher die Obliegenheit,
die in seines Herrn Besitze befindliche ,,Tapisserei** aufzubewahren
und in gutem Stande zu erhalten. Sie bestand aus kostbaren
Teppichen und gobelinartigen Geweben, die häufig bei feierlichen
Gelegenheiten zur Decoration der Gemächer verwendet wurden,
und deren Maximilan in Wiener-Neustadt, Innsbruck, Augsburg und
den Niederlanden eine stattliche Menge besaß. Italien und die
burgundischen Lande waren ihre Haupterzeugungsstätten. So er-
warb Maximilian bei Peter Porro in Mailand ,,costliche Tuecher
von Gold und Seide'' und ,, schone samatin Tuecher, mit Golt
gewurchf (gewirkt), darunter blaue Tapeten zur Behängung eines
ganzen Saales mit der in Gold eingewebten, dem Mailänder Wappen
angehörigen Schlange, während ein anderes ,, köstlich Stuckh Tap-
pisserei'* die Thaten Alexanders und die burgundische Gesellschaft
zeigte. Im Jahre 1517 kaufte der Kaiser beim Tapissier Peter
Pfannenmacher in Brüssel um 1000 Gulden eine prächtige Tapete
mit der Darstellung des Leidens Christi auf Goldgrund und be-
stellte bei demselben vier weitere Stücke, 132 Ellen lang, mit der
Geschichte von David und Bethsabe um den Preis von ungefähr
500 Currentgulden.
Wie lange vor und nach seiner Regierung, so steht auch unter
Maximilian das Handwerk der Goldschmiede in voller Blüte. War
Die Renaissance.
167
es doch damals allgemein üblich, sich bei verschiedenen Anlässen
mit den kostbaren Erzeugnissen dieser edlen Kunst zu beschenken.
Derartige Gelegenheiten ergaben sich für die kaiserliche Casse nur
allzu häufig. Said war es der Gesandte einer auswärtigen Macht,
bald eine gastfreundliche Reichsstadt, ein befreundeter Fürst oder
ein getreuer Diener, der mit einem Trinkgeschirre, einem Ring,
einer goldenen Gnadenkette u. dgl. m. von höherem oder ge-
ringerem Werte je nach Rang und Stellung des Ausgezeichneten
oder der Größe der geleisteten Dienste vom Kaiser beschenkt
wurde. Den sich hiedurch ergebenden Bedarf deckt Maximilian
theils durch Ankauf von Privaten oder von großen Kaufleuten
und Juwelieren, wie Philipp Adler, Benedikt Katzenloher und
den Fuggem in Augsburg oder dem Juwelier und Goldschmied
Matthäus Jorian in Nürnberg, theils durch directe Bestellung bei
zahlreichen Goldschmieden des In- und Auslandes ; als solche
werden uns Ulrich Möringer zu Innsbruck, Jörg Oeber, Münz-
meister zu Ysni, Peter Schröter zu Hall, Hans Uli und Nikolaus
Burkhart urkundlich genannt Wiederholt bezieht Maximilian
Kleinodien, prächtig gefasste Edelsteine, Perlen und Ringe von
Lienhard Löble zu Landshut und den in Venedig sesshaften deut-
schen Goldschmieden Christoph Schneider und Konrad Harbl.
Manche dieser Kleinode, nicht selten auch bestimmt, auf dem
Hute getragen zu werden, sehen wir bis zu 15.OCX) Gulden be-
wertet, zumal sie auch häufig in verschiedenen Farben emailliert
wurden. Letztere Kunst übte unter andern der Goldschmied
Michael Beck in Ulm, der versichert, Daumenringe mit Wappen-
steinen, und zwar die Wappen in den betreflFenden Farben, für
Fürsten, Prälaten und Ritter anfertigen zu können.
• Überhaupt waren alle diejenigen, die Maximilian als Siegel-
und Münzeisenschneider beschäftigte, gelernte Goldschmiede. So
Hans von Reutlingen und Benedikt Burkhart, von welch
letzterem uns aus der Zeit vor und während seiner Thätigkeit als
Graveur auch einige Goldschmiedearbeiten überliefert sind. Er
arbeitete acht Jahre lang für den Kaiser, der jedoch gleich an dem
ersten von ihm hergestellten Münzstempel manches auszusetzen
fand und ihn nach einer fruchtlosen Verwarnung 1508 wieder
entließ. Sein Unfleiß und die Mangelhaftigkeit seiner Leistungen
scheinen Maximilian bewogen zu haben, schon im Jahre 1506 den
MantuanerGianmarco Cavalli an seine Münze nach Hall, seit
1478 die bedeutendste seiner Grblande, zu berufen und durch
Abb. 41.
ihn neben verschiedenen Münzeisen auch Stempel für Medaillen
herstellen zu lassen, die auf dem Avers sein und seiner Gemahlin
Brustbild, beide nach den von Ambrogio de Predis gemalten
Die Renaissance.
169
Portraits, (Abb. 42) auf dem Revers das Bild der heiligen Jungfrau mit
dem Kinde trugen. Allein Cavalli kehrte nach kurzem wieder in seine
Heimat zurück, und so musste der Kaiser auf anderweitigen Ersatz
Burkharts denken, der sich alsbald in Ulrich Ursenthaler
fand. Dieser äußerst tüchtige Künstler, der seit 151 2 auch das
Amt eines Münzwardeins bekleidete, hatte sich bald vollkommen
unentbehrlich gemacht und ist auch der Meister der Gedenkmünzen
auf die Beisetzung Kaisers Friedrich III. sowie auf die denkwürdige
im Jahre 1515 zu Wien erfolgte Zusammenkunft Maximilians mit
den Königen von Polen und Böhmen, welche die Vereinigung
Ungarns und Böhmens mit der habsburgischen Monarchie anbahnte.
Ursenthaler war nach des Kaisers Tode noch über vierzig Jahre
im Dienste seiner Nachfolger thätig und starb hochbetagt erst im
Jahre 1561.
Auf eine besonders hohe Stufe hob Maximilian das Kunst-
handwerk der Plattnerei und Hamischschlägerei. Dem eifrigen
Tumierer und in zahlreiche Kriege verwickelten Fürsten musste
es schon aus rein praktischen Gründen besonders wichtig erscheinen,
die von ihm und seinen Truppen verwendeten Schutz- und Trutz-
wafiFen möglichst zu vervollkommnen und sich alle jene Ver-
besserungen zunutze zu machen, die er in aller Herren Ländern
kennen zu lernen so vielfach Gelegenheit hatte. Obenan stand in
dieser Hinsicht Mailand, von wo er die Waflfenschmiede Gabriel
undFrancesco Merate nach Arbois in Burgund berief, und Nürn-
berg, neben welchem seit dem Ende des XV. Jahrhunderts wie in
so manchen Fächern der Kunstthätigkeit so auch im Plattnerwesen
allgemach Augsburg heranwuchs. Dort wirkten Lorenz Helm-
schmied unddessen Sohn Kolomann, der im Jahre 1516 für den
Kaiser nach Zeichnungen Dürers einen silbernen Harnisch schlug.
Daneben gibt sich wie schon unter Erzherzog Siegmund ebenso
bei Maximilian deutlich das Bestreben kund, dieses Kunsthand-
werk auch im Inlande zu heben, und dies gelang in so hohem
Maße, dass namentlich die Innsbrucker Plattnerei im Stande war,
mit allen andern Werkstätten zu rivalisieren und nicht allein den
Kaiser selbst und viele seiner Getreuen, sondern auch zahlreiche
auswärtige Fürsten mit ihren Erzeugnissen zu versorgen. Das
Hauptverdienst hieran gebürt dem Innsbrucker Plattner Konrad
Seusenhofer, der Maximilian durch mehr als anderthalb Jahrzehnte
170
H. Zimmermann
als Harnischmeister eifrig diente und trotz mancher Hindernisse,
welche ihm die auf Sparsamkeit bedachten Finanzbehörden des-
selben bereiteten, einzig und allein darauf bedacht war, durch
seine Arbeiten sich und * seinem hohen Auftraggeber Ehre zu
machen und ihn vor ,, Schaden, Schimpf und Spott/* zu bewahren.
Unter seiner unmittelbaren Leitung erfolgte der Bau und die fort-
währende Erweiterung der Hofplattnerei sammt Rüstkammer und
Hammerschmiede zu Mühlau, für welche nicht allein jährlich locx)
Gulden bewilligt, sondern bei dem Mangel tüchtiger einheimischer
Kräfte auch niederländische Plattnergesellen angeworben wurden.
Da Seusenhofer bei der großen Fülle der ihm übertragenen Ar-
beiten mit den ständig zugewiesenen sechs Plattnern, vier Harnisch-
polierem und zwei Lehrjungen nicht das Auslangen fand, so wurde
ihm längere Zeit gegen besondere Entlohnung auch die Haltung
außerordentlicher Gehilfen zugestanden, und, sooft er sich ,,mit
seinem Herzeleid und zacherenden Augen** um Hilfe an den Kaiser
wandte, ffihd er bei diesem geneigtes Gehör und sicheren Rück-
halt. Und dies gilt nicht allein in finanziellen, sondern auch in
technischen Fragen. So sendet ihm Maximilian einmal Hosen
und Wams des Sohnes des Kurfürsten Joachim von Brandenburg
mit dem Auftrage, den darnach anzufertigenden Harnisch durch
Anbringung von Schrauben so einzurichten, dass er dem Träger
drei Jahre lang passe, wie er ihn dies mündlich gelehrt habe. In
der That sind manche Verbesserungen im Plattnerwesen auf des
Kaisers eigene Erfindung zurückzuführen, wie es denn auch im
Weißkunig heißt, dass er die angeblich von der Tiroler Plattner-
familie Treitz erfundene und ihm durch den Hamischmeister Caspar
Riederer überlieferte Kunst, das Hamischblech so zu härten, dass
es gegen Bogenschüsse vollkommen schützte, weiter ausgebildet
habe, und die von ihm zuerst angewendete Riefelung, das ist
Cannelierung der Rüstungen, um deren Gewicht zu vermindern,
ohne ihrer Festigkeit Eintrag zu thun, es berechtigt erscheinen
lässt, derartige Stücke als Maximiliansharnische zu bezeichnen.
Diese Verbesserungen machen es erklärlich, dass wiederholt von
Harnischen und Helmen ,,des neuen Forms** — letztere durch
ihre Verbindung mit dem Harnischkragen zum sogenannten Umlauf
charakteristisch — die Rede ist und dass man auch im Auslande be-
strebt war, mit Erlaubnis des Kaisers die sonst geheim gehaltenen
Die Renaissance. jyj
Kunstgriflfe und Eigenthümlichkeiten der Harnische desselben
kennen zu lernen.
Wie in der Plattnerei, so war auch in der Geschützgießerei
Innsbruck unter Maximilian der Vorort. Dort arbeiteten für ihn
zahlreiche Büchsengießer unter der Oberaufsicht des sogenannten
Hauszeugmeisters, der jedoch hauptsächlich die administrativen
Geschäfte zu führen hatte. Die eigentliche technische Leitung
blieb dem Kaiser selbst vorbehalten, auf dessen persönliche Ini-
tiative jene Vervollkommnung des Geschützwesens zurückzuführen
ist, welche die Artillerie- erst zur kriegstüchtigen Waffe werden
ließ. Er liebte aber auch seine Kanonen mit einer gewissen
humoristischen Zärtlichkeit, die sich unter anderm in den Namen
offenbart, mit denen er sie belegte. Dem tapfersten Kriegsmann
seiner Zeit mochte der Donner seiner Geschütze wie das liebliche
Gezwitscher der Vögel klingen, deren kühner Flug in den durch
die lyuft sausenden Geschossen eine weitere Parallele fand. So
mussten zahlreiche Raub- und Singvögel, daneben freilich auch
andere Thiere ihre Namen leihen. Während andere Benennungen,
die zum Theile einem Verzeichnisse berühmter Frauennamen ent-
nommen sind, welches Konrad Peutinger Maximilian auf seinen
Wunsch im Jahre 1516 lieferte, beweisen, wie sehr sich der Kaiser
als echter Sohn der Renaissance für alte Mythologie und Geschichte
interessierte, weisen wieder andere auf den Ort der Entstehung
oder den Erzeuger seiner Kanonen.
Alle diese Namen finden ihre zuweilen allerdings etwas weit
hergeholte Deutung in den nicht besonders glatten Versen der
,, Zeugbücher'*, in die Maximilian sein gesammtes Geschützmaterial
zeichnen und malen ließ.
Dort heißt es z. B. von den Singerinnen :
,,Wir singen erschrokhen Gesang,
,,Das oft von unser Noten Klang
,,Schloss und Stet niderfallen gar.
,,Huet dich, glaub' s und nit erfar. **
Solche erklärende Inschriften trugen nicht selten auch die
Geschütze selbst, wie die hier (Abb. 43) abgebildete Lauerpfeife,
deren Verse also lauten :
172 ^
„Ich sihe und laur
„Als der Hagl und Scliaur
„Und hais darumb die Lauerpfeif,
,,Nimb hinweg, was ich ergreif."
Ein Blick auf dieses zierlich ornamentierte Feuerrohr oder in
die erwähnten Zeugbücher zeigt, wie des Kaisers hoher Kunstsinn
auch der nüchtern rauhen Kriegswaffe die künstlerische Seite ab-
zugewinnen wusste und sie durch darauf gemalte oder gegossene
Wappen, Thier- und Pflanzenforinen und sonstigen bildnerischen
Schmuck zum Kunstproduct umgestaltete, das ,,seer lieblich an-
zusehen" war.
Abb. 43. Die lauerpfeife.
GeBChütiraodcll in der Waffenaammlung des A
H. Kaiserhauses.
Auch die Bildnerei in Stein, Holz und Kr\stall fand in
Maximilian einen eifrigen Förderer. Besonders bezeichnend ist in
dieser Beziehung sein Verhältnis zu dem berühmten Nürnberger
Bildhauer Veit Stoss, der ihm seine Rehabilitierung von dem
Makel der Ehrlosigkeit verdankte, welcher ihm infolge einer Ur-
kundenfälschung anhaftete. Des Kaisers Rechnungsbücher geben
uns Kunde von Steinreliefs, Schachspielen aus ,, edlem Gestain"
und holzgeschnitzten Bildnismedaillen, die er von verschiedeiien
Meistern anfertigen ließ.
Die Renaissance.
173
Zumeist denselben Aufzeichnungen verdanken wir die Kenntnis
der Namen von Schreibkünstlem, Miniatoren und Malern, deren
Werke noch heute jedes Kennerauge erfreuen. Damach ist bei-
spielsweise das bekannte Helden- oder Riesenbuch der früheren
Ambrasersammlung von Maximilians Kanzleischreiber Hans Ried
geschrieben, der zum Lohne für seine Dienste die Stelle eines
Zöllners am Eisack erhielt. Jacob Barbari, jener eigenartige
Vermittler deutscher Gefühlsweise und italienisch-antikisierender
Formengebung, der eine Zeit lang selbst Dürer beeinflusste, stand
von 1500 bis 1504 mit einem Jahresgehalte von 100 Gulden als
lUuminist und ,,Contrafeter** in des Kaisers Diensten, um dann
in diejenigen seiner Tochter Margareta überzutreten, in denen
er bis zu seinem um 1516 erfolgten Tode verblieb. Zwischen i486
und 1489 schmückte ein niederländischer Maler, vielleicht Pieter
Beckaert, ein Gebetbuch Maximilians mit hübschen Miniaturen
und im Jahre i5i5AlbrechtDürer dessen von Hans Schönsperger
in Augsburg in prächtigen Lettern gedrucktes Diurnale im Verein
mit andern Künstlern ersten Ranges mit graziösen Federzeich-
nungen, in denen Ernst und Scherz, Heiliges und Profanes in
bunter Reihe wechseln. Unter den zahlreichen Tiroler Meistern
erwies sich der Maler und Baumeister Georg Kölderer als besonders
vielseitig und verwendbar. Seine Specialität bildete die Anferti-
gung von Karten und Plänen zu administrativen und militärischen
Zwecken, und so ist es zu verstehen, wenn im Weißkunig Maxi-
milians eigene Beschäftigung mit der Malerei mit seiner kriegeri-
schen Thätigkeit in Zusammenhang gebrächt wird. Wir sehen
aber Kölderer auch mit der Restaurierung der Fresken in Runkel-
stein beauftragt, und daneben liefert er Malereien und Vergoldungen
von Wappen und Helmzierden, Fahnenblätter und Jagdbücher,
Entwürfe zu des Kaisers noch zu besprechendem Triumphzug,
plastische Modelle zu verschiedenen Gebäuden, Zeichnungen
für Geschütze und Siegel, Fassungen von Geweihen, Wand- und
Schriftenmalereien, ja auch ganz gewöhnliche Anstreicherar-
beiten. So sonderbar dies nach heutigen Begriffen scheinen
mag, so wird es uns doch an seinem Können nicht irre machen,
wenn wir erwägen, dass auch der bekannte Hans Burgkmayr
für Wappenmalereien zum Leichenbegängnis des Grafen Leonhard
von Görz zehn Gulden ausgezahlt erhielt und dass er gleich
174
H. Zimmermann
Dürer dem Kaiser ,,mit Malung der Harnasch dergleichen dem
Etzen zu Hilf und Furstand der Plattner*' gedient hat. Machte
ja doch auch der Mailänder Ambrogio de Predis, von
dessen Hand wir, wie bereits erwähnt, die wohlgetrofFenen Portraits
Maximilians und seiner zweiten Gemahlin Bianca Maria besitzen,
Entwürfe* für die Uniform der kaiserlichen Hatschiere. Bekannter
als das eben Genannte sind die Bildnisse unseres Helden von
ff
Bernhard Strigel, Maler zu Memmingen, dem im Jahre 1507
zwanzig Gulden ausgezahlt wurden, und von AlbrechtDürer, der
sich der besondern Gunst des Kaisers erfreute. Dieser befürwortete
schon 1512 beim Rath von Nürnberg Dürers Befreiung von der
Stadtsteuer und wies ihm mit Decret vom 6. September 1515 einen
Jahresgehalt von 100 Gulden an, den jener nach des Kaisers Tode
mit Genehmigung Kaiser Karls V. fortbezog. In eben diesem
Jahre 151 5 entstand im Auftrag Maximilians sein Holzschnitt von
anfangs sechs österreichischen Heiligen, zu denen bei einer zweiten
Ausgabe von 15 17 auf einem besondern Holzstock noch zwei
weitere hinzugefügt wurden. Dürer war es auch, der einen großen
Theil der Zeichnungen für des Kaisers prächtige Holzschnittwerke
lieferte, deren Herausgabe diesem besonders am Herzen lag.
Neben seiner Vorliebe für bildende Kunst machen sich näm-
lich bei Maximilian noch zwei Geistesrichtungen besonders deutlich
geltend. Die eine ist ein reger historischer Sinn, der sich wie in
dem Interesse für alte Handschriften und Chroniken, so auch in
der Sammlung alter Münzen und Antiquitäten, endlich in der
Unterstützung oflFenbart, welche er dem gelehrten Augsburger Dr.
Konrad Peutinger, dessen persönliche Anlagen und Studien mit
den Lieblingsneigungen des Kaisers innig zusammentrafen, nicht
allein bei seinen kartographischen Arbeiten — er wies ihm zur
Malung einiger Karten der Türkei im Jahre 1500 zwanzig Gulden
an — sondern auch bei Herausgabe der gesammelten römischen
Inschriften Augsburgs durch Zusendung antiker Münzen und
Copien von Steininschriften aus allen Theilen des Reiches ange-
deihen ließ. Hiezu kommt bei Maximilian ein im edelsten Sinne
des Wortes persönliches Moment. Ihm ist die Geschichtsschreibung
und bildende Kunst ein willkommenes Mittel zur Verheirlichung
seiner Person, seiner Familie, seines Geschlechtes, seiner Herrschaft
und Machtstellung in der Gegenwart und Zukunft. Dieses dem
Die Renaissance.
175
Humanismus und der Renaissance eigene Streben nach naiver
Selbstverherrlichung theilt er mit allen seinen Zeitgenossen. Wenn
er zur Erreichung desselben Zweckes nicht wie die gleichzeitigen
Päpste und italienischen Fürsten große Freskencyklen schuf,
sondern den Holzschnitt ausersah, so findet dies seine natürliche
Erklärung in dem Umstände, dass gerade dieser den Intentionen
des Kaisers in erhöhtem Maße entsprach. Ein Gemälde in einer
Kirche, in einem Palaste wäre nur von wenigen gesehen worden;
jener dagegen konnte durch den Handel in der ganzen civilisierten
Welt Verbreitung finden und Tausenden das Andenken an den
Kaiser und seine Thaten ins Gedächtnis zurückrufen. So entstand
der große Cyklus von illustrierten Prachtwerken, welcher bestimmt
war, den Zeitgenossen imd der Nachwelt die glorreiche Geschichte
Maximilians und seines Hauses in Wort und Bild vorzuführen und,
wie er selbst sagt, nicht allein mit dem Munde, sondern auch mit
den Augen gelesen zu werden, ,, gleichermaßen die Chroniken ge-
schriben und figurirt werden, wie ich dann solches aus andern
meinen vordem Chronikisten gesehen hab. ''
Die Texte dieser Werke, welche bei den meisten derselben
als Hauptsache oder doch als gleichwertig mit den Abbildungen
gelten und nur beim Triumph und der Ehrenpforte bloß die un-
umgänglich nöthige Einleitung und Erklärung der Bildwerke bilden
sollten, sind, abgesehen von dem persönlichen Antheil des Kaisers,
fast in allen Fällen das Werk gelehrter oder doch nach damaligen
Begriflfen hochgebildeter Männer aus der Umgebung Maximilians,
die ihm als Secretäre oder Historiographen dienten. So haben
das Programm und die erklärenden Verse auf den Inschrifttafeln der
Ehrenpforte, die 1512 — 1517 entstanden, den nach seines Collegen
Konrad Celtes Tode zum kaiserlichen Hofhistoriographen er-
nannten Wiener Universitätsprofessor Dr. Johann Stabius aus
Steyer in Oberösterreich zum Verfasser. Er stand auch dem Pro-
gramm zum Triumphzuge, das der kaiserliche Geheimschreiber
Marx Treitzsauerwein seiner eigenen Aussage zufolge im Jahre
1512 nach Maximilians persönlichen Angaben niederschrieb, nicht
vollkommen ferne. In die sich anlässlich der Forschungen über
die kaiserliche Genealogie entspinnende wissenschaftliche Polemik
griff Stabius gleichfalls schneidig ein, scheint aber schließlich
gegen den Freiburger Professor Dr. Jakob Mennel, der sich schon
176
H. Zimmermann
seit 1505 damit beschäftigte, den kürzeren gezogen zu haben.
Wenigstens acceptierte der Kaiser den von letzterem aufgestellten
Stammbaum, welcher mit Zuhilfenahme der Franke^, speciell der
Merovinger, und Römer die directe Abstammung der Habsburger
von Hektor von Troja, später sogar bis Noe hinauf und deren
Verwandtschaft mit sämmtlichen königlichen und Fürstenhäusern
nachweisen sollte. Derselbe Dr. Mennel und nicht, wie man lange
irrthümlich annahm, der bekannte Dichter des NarrenschiflFes Dr.
Sebastian Brandt ist der Verfasser dreier Entwürfe des Werkes
über die Heiligen aus der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft des
Kaisers, deren mittlerer, vom 9. August 1514 datierte, die Grund-
lage für die Holzschnittfolge von 120 Heiligen bildet und nebst
deren Legenden auch ihre Stammbäume zum Nachweise des Zu-
sammenhangs derselben mit dem Hause Habsburg und den mit
diesem im weitesten Sinne verwandten und verschwägerten Ge-
schlechtern enthält.
Von den drei das Leben des Kaisers selbst behandelnden
Werken sollte der F r e i d a 1 die ritterliche Minnefahrt Maximilians
— denn alle drei Namen sind nur verschiedene Bezeichnungen für
seine eigene Person — um Maria von Burgund, der Theuerdank
die Brautfahrt, der Weißkunig, sogenannt nach dem weißen oder
blanken Harnisch, in welchem er mit Vorliebe focht, das gesammte
übrige Leben des Kaisers zum Gegenstande haben. Zu diesem
Zwecke begann Maximilian schon um das Jahr 1500, sobald er Zeit
und Muße dazu fand, verschiedenen Schreibern Abschnitte aus seinem
Leben in die Feder zu dictieren, die dann sauber abgeschrieben,
vielfach corrigiert und in eine gewisse Ordnung gebracht, in dem
von Marx Treitzsauerwein 15 14 vollendeten Weißkunig Aufnahme
fanden. Dieser stellt sich in seiner jetzigen Form als ein histori-
scher Roman dar, bestimmt, den Enkeln Karl V. und Ferdinand I.
in ihrem Großvater das Vorbild eines tapfem, selbst in Wider-
wärtigkeiten stets standhaften Fürsten zur Nacheiferung vor Augen
zu stellen, und erzählt uns in dichterischer Ausschmückung die
Geschichte Maximilians, wie er wollte, dass sie von seinen Zeit-
genossen geglaubt werde. Dagegen bildet das heutige Manuscript
des Freidal, dessen Plan nicht über das Jahr 151 1 hinaufreicht,
nichts anderes als den von einem Unbekannten ziemlich schablonen-
haft angelegten Rahmen, in welchem Maximilian selbst seine an
177
64 Tumierhöfen gehaltenen Rennen, Stechen, Kämpfe und
Mummereien dem poetischen Sinne des Ganzen entsprechend ein-
ordnen wollte, wozu es aber leider nicht kam, indem er nur die
Einleitimg und den Schluss seiner bessernden Durchsicht unterzog.
Das Gedicht des Theiierdank endlich — der Name wurde deshalb
gewählt, weil Maximilian von Jugend auf alle seine Gedanken
nach ,,theuerlichen" Sachen richtete, — schildert uns seine Braut-
KunstgMchJchtl. Charakterbilder niis ÜsterreicIi-UnKarn. 13
178
H. Zimmertnann
fahrt zur Königin Ehrenreich (Maria von Burgund), wobei er von
seinem Ehrenhold, d. i. von seinem guten Rufe begleitet wird
und mit drei bösen Hauptleuten zu kämpfen hat, mit Fürwittich,
dem Repräsentanten jugendlichen Vorwitzes und Übermuthes, mit
Unfallo als Personification aller Unfälle und Gefahren und mit
Neidelhart als Vertreter des Neides imd Hasses der Widersacher,
welchem kein vom Glücke Begünstigter entgehen kann. Es geht
in seiner ersten Anlage auf einen Entwurf Siegmunds von Dietrich-
stein zurück, der vom Kaiser selbst gebessert, von Treitzsauerwein
redigiert und in Capitel getheilt, schließlich von Melchior Pfinzing
druckfertig gemacht wurde.
Alle diese wenn auch poetisch ausgeschmückten so doch auf
streng historischer Grundlage ruhenden Werke finden ihre ideelle
figurale Vereinigung in der Ehrenpforte und im Triumphzuge.
Erstere, nach dem phantasievollen Entwürfe Dürers aufgebaut,
stellt sich als eine an antike Motive anklingende mächtige Triumph-
pforte mit drei gewaltigen Thoröflfnungen, der ,^ Porten der Ehre
und Macht, des Lobes und des Adels*' dar, die in ihrer Mitte den
Kaiser mit seiner gesammten Ascendenz und Descendenz, seine
Vorgänger in der Kaiserwürde und Herrschaft über Italien, seine
Staatsactionen und Scenen aus seinem Privatleben, endlich alle
mit dem Hause Habsburg verwandten Fürsten zeigt. Dazu kommt
ein reiches Ornament mit mythologischen und symbolischen Figuren,
Menschen- und Thierformen und vielgestaltigem Ranken- und Blatt-
werk, so recht ein Gemengsei mittelalterlicher Symbolik und
renaissancemäßiger Formenzier. In gleicher Weise bildet der
Triumphzug mit seinen Herolden, Musikern, Schalksnarren und
Tumierem, seinen Jagd- und Kriegsgruppen, dem Kaiser selbst
mit seinem Gefolge der Reichsedlen und Hofämter, seinen Schätzen,
Bannern und Gefangenen u. s. w. eine glänzende Allegorie des
Lebens und Wirkens Maximilians.
Was die Holzschnitte selbst betriflft, so sind zwei Thätigkeiten
strenge zu unterscheiden : die Anfertigung der Zeichnung einerseits
und die Ausführung dieser Zeichnung im Holzschnitt andrerseits.
Können wir letztere als Product einer zumeist doch nur manuellen
Fertigkeit gut geschulter höherer Handwerker betrachten, so be-
gegnen wir in der Reihe der Zeichner die hervorragendsten deut-
schen Künstler der damaligen Zeit. An ihrer Spitze schreitet der
Die Renaissance.
179
Altmeister Albrecht Dürer, der nicht nur den ganzen Entwurf zur
Ehrenpforte, sondern unzweifelhaft auch die Zeichnungen zu den
wichtigsten und schwierigsten Partien derselben lieferte, während
er sich für die Anfertigung der übrigen der Hilfe seines Bruders
Hans und eines andern Nürnberger Meisters Wolf Traut bediente.
Die kolossale Arbeit, welche nicht weniger als 90 Holzstöcke
größeren und kleineren Formates umfasste, ward in der verhältnis-
mäßig kurzen Zeit von 1512 bis 1515 vollendet Kaum war dies
geschehen, als der Meister im Auftrage Maximilians zur Aus-
fiihrung des großen Triumphes schritt, von dem 24 Blätter ent-
weder von Dürer selbst gezeichnet oder doch wesentlich von ihm
beeinflusst sind, während mehrere seiner hiefür in Aussicht ge-
nommenen Entwürfe, wie diejenigen zu dem kleinen und großen
Triumphwagen und sechs prächtige Reiterskizzen in die Holz-
schnittfolge nicht aufgenommen wurden. Sechsundsechzig Blätter
des Triumphes rühren von dem zweiten großen deutschen Holz-
schnittzeichner Hans Burgkmayr her, der dieselben zwischen 15 16
und 1518 arbeitete und theils vorher theils gleichzeitig eine große
Anzahl Entwürfe für andere Werke des Kaisers lieferte. Von
diesen sind die 77 Zeichnungen der ,,zotteten Mendel*' für die
Genealogie, sogenannt nach dem zottigen, ans Barock-Phantastische
streifenden Costüme, durch das man die Repräsentanten einer ent-
fernten mythischen Zeit dieser entsprechend zu gestalten suchte,
mit ihren mannigfaltig variierten Stellungen und Gesichtstypen
ebensoviele cl^sische Zeugen für Burgkmayrs üppig sprudelnde
Phantasie, während seine 13 Zeichnungen für den Theuerdank und
123 für den Weißkunig (Abb. 44) als die künstlerisch bedeutendsten
dieser Publicationen zu bezeichnen sind und auch die wenigen uns
erhaltenen Holzschnitte zum Freidal in ihrer Composition auf ihn
hinweisen. Gleich fruchtbar, wenn auch an künstlerischer Voll-
endung bei weitem nicht an Burgkmayr hinanreichend und nament-
lich durch eine große Ungleichmäßigkeit in seinen Arbeiten
charakteristisch ist der Augsburger Meister Leonhard Beck, der
die 123 habsburgischen Heiligen, 77 Blätter für den Theuerdank
und 126 für den Weißkunig zeichnete. Weit weniger steuerte
Hans Schäufelein für die kaiserlichen Werke bei, zumal da dessen
Thätigkeit für dieselben nach seiner Übersiedlung von Augsburg
nach Nördlingen im Jahre 1515 vollständig aufhörte. Einige
12^
j3o ^* Zimmermann
wenige Zeichnungen rühren von Hans Springinklee und verschie-
denen bisher unbekannten Künstlern her.
Unter den Formschneidem, von denen uns eine ganze Reihe
von Namen auf der Rückseite der noch heute erhaltenen Holz-
stöcke überliefert ist, sind die bedeutendsten Hieronymus Andrä
in Nürnberg, der mit einigen Gehilfen die ganze Ehrenpforte
schnitt, und Jobst de Negker, der im Jahre 1510 durch Pen tinger
nach Augsburg berufen wurde und dort nach und nach eine
größere Werkstätte einrichtete, aus der die meisten Holzstöcke
für des Kaisers Publicationen hervorgiengen. Beide verstanden es
vortrefflich, die Arbeiten ihrer Gesellen mit den eigenen zu ,, egali-
sieren** und so die Unterschiede derselben möglichst unkenntlich
zu machen. Da ein Holzschneider jährlich 100 Gulden erhielt
und durchschnittlich 2 Stöcke monatlich, also 24 jährlich fertig
machen konnte, so kam der Schnitt eines Stockes auf ungefähr
4 fl. 16 kr., mithin die 118 Holzschnitte des Theuerdank auf über
450 fl. und mit Hinzurechnung der Honorare für die Zeichner
und der Preise für Holz, Tischlerarbeit, Druck und Papier gewiss
nicht unter 1000 Gulden zu stehen, eine für die damalige Zeit
ziemlich bedeutende Summe. Hiebei sind noch gar nicht jene
Correcturen an den fertigen Holzstöcken in Beträcht gezogen, welche
dadurch nothwendig wurden, dass entweder der Holzschneider die
ihm vorgelegte flüchtige Zeichnung zuweilen missverstand oder dass
noch nach Vollendung der Holzstöcke durchgreifende textliche
Änderungen vorgenommen wurden, wie dies namentlich beim
Theuerdank der Fall war, wo einzelne Stücke der fertigen Holz-
stöcke herausgeschnitten und durch neu eingefügte ersetzt werden
mussten, und mit denen man keineswegs kargte, wenn es sich darum
handelte, die Darstellungen den Intentionen des Kaisers ent-
sprechender zu gestalten.
Maximilian gab ja nicht allein Idee und Inhalt seiner Werke
an, er bestimmte auch die Reihenfolge der Capitel, ertheilte genaue
Befehle über die Anzahl der Illustrationen und das in ihnen Dar-
zustellende, ließ sich von Text und Bildern Proben vorlegen, un-
ermüdlich bessernd, corrigierend und belehrend. Er bemüht sich,
den Verfassern alles nöthige Material herbeizuschaffen, gibt ihnen
Empfehlungen an alle Welt, um ihnen die Benützung von Archiven
und Bibliotheken zu eröffnen. Ihre zu diesem Behufe unter-
Die Renaissance. l8i
nominenen Reisen finden seinerseits auch materielle Unterstützung.
Für die sein Leben und Wirken schildernden Werke stellt er seine
eigenhändigen Aufzeichnungen und seine Dictate zur Verfügung.
Wo ihm Zweifel an der Richtigkeit der Aufstellungen seiner Mit-
arbeiter aufsteigen, dringt er strenge auf rücksichtslose Erforschung
der Wahrheit ; wo jene Zweifel haben, sucht er sie selbst aufzu-
klären oder durch andere aufklären zu lassen.
Wie sehr Maximilian seine Werke theuer waren, beweist wohl
nichts besser als der Umstand, dass er, in Wels von schwerer Krank-
heit aufs Sterbelager geworfen, Dr. Mennel zu sich berief, der ihm in
schlaflosen Nächten einzelne Abschnitte aus der Geschichte seines
Geschlechtes vorlesen musste, und dass er noch in seinem letzten
Willen seine Bücher und Chroniken der Obhut und sorgfältigen
Aufbewahrung seiner Nachfolger ganz besonders empfahl.
Andere eingehende Bestimmungen dieses Testamentes betreflfe'n
die Vollendung seines prächtigen Grabmales. Steht dieses Monu-
ment, dessen Ausführung schon früh noch zu Lebzeiten Maximilians
begonnen wurde, gleich seinen Prachtpublicationen unzweifelhaft
im innigsten Zusammenhange mit seinem Wunsche, sich bei Zeit-
genossen und Nachkommen ein großes Andenken zu sichern, so
war Maximilian doch uneigennützig genug, dieses Streben auch
auf seine erlauchten Vorfahren, seinen Vater, seine Gemahlinnen
und so manchen seiner Getreuen auszudehnen. So lud er schon
mit Schreiben vom 3. Februar 1491 seinen Oheim Erzherzog Sieg-
mund von Tirol ein, gleich ihm selbst und seinem Vater zur
Herstellung eines silbernen Sarges für den 1484 canonisierten
frommen Markgrafen Leopold von Osterreich beizutragen, welche
Einladung Kaiser Friedrich III. am Gedenktage dieses Heiligen
(15. November) desselben Jahres wiederholte. Im Jahre 1506 wies
Maximilian zu diesem Zwecke 200 Mark Silbers an und ließ * im
gleichen Jahre einen Knochen der rechten Hand Leopolds in ein
silbernes Bild fassen, das er dem Marienkloster zu Hall in Tirol
schenkte. Seinem Vicedom in Niederösterreich befahl er 15 10,
das im Karthäuserkloster Mauerbach bei Wien befindliche Grab
Friedrichs des Schönen öffneu, dessen Gebeine vor dem Altar der
Kirche begraben und darüber eine Erztafel mit der früheren Grab-
inschrift gießen zu lassen. Für Leonhard, den letzten Grafen von
Görz, dessen Besitzungen er im Jahre 1500 erbte, bestellte Maximilian
x82 ^' Zimmermann
schon 1506 bei dem Innsbrucker Steinmetzen Christoph Geiger, indem
er ihm hiefür täglich 18 Kreuzer für seine Person und 12 Kreuzer
für einen Gesellen anwies, einen prächtigen Grabstein aus rothem
Marmor, der nebst demjenigen einer Gräfin von Wolkenstein von
der Hand desselben Meisters noch heute die Lienzer Pfarrkirche
ziert. Einfachere Grabsteine mit Wappenschild und Helm wurden
auf des Kaisers Kosten im Jahre 15 14 für das Grab Caspar I^ech-
thalers in Rottenmann und 1516 für Hieronymus von Heudorf an-
gefertigt. Im Jahre 1514 schloss Maximilian einen Präliminarver-
trag mit Hans Valkenauer, dem Meister des schönen Grabmales
Erzbischofs Leonhard von Keutschach auf der Festung Hohensalz-
burg, wegen Errichtung eines großen Kaisergrabes aus rothem
Salzburger Marmor im Dome zu Speier; zwölf 14 Schuh hohe,
nach oben sich verjüngende Säulen sollten die durchbrochen ge-
arbeitete Kaiserkrone von 24 Schuh in der Runde und 7 Fuß
Höhe tragen, an den Säulen die Standbilder von Kaisern, Königen
und deren Gemahlinnen angebracht werden. Dieses Monument
scheint jedoch, wohl infolge des Widerstandes des Speirer Dom-
capitels, ebensowenig zustande gekommen zu sein als das Grabmal
für Maximilians zweite Gemahlin Bianca Maria, für dessen Her-
stellung er im Jahre 151 7 den obgenannten Christoph Geiger in
Aussicht nahm und zu diesem Zwecke aus Tirol nach Wels berief.
Dagegen ist das in seinem Auftrage von Jan de Backer ausgeführte
und im Jahre 15 10 vom Schlosser Gilles de Vloghe mit einem
prächtigen Eisengitter umgebene Grabdenkmal seiner ersten Ge-
mahlin Maria, ein mit Engelsstatuen, Wappen u. s. w. geschmückter
Sarkophag mit. der darauf ruhenden Gestalt der schönen Fürstin
aus vergoldetem Erz, in der Liebfrauenkirche zu Brügge noch
heute erhalten. Dasselbe gilt von dem bekannten Friedrichsgrabe
unserer Stephanskirche, das Maximilian wenn nicht seine Ent-
stehung so doch seine Vollendung verdankt. Schon im Jahre
1500 befiehlt er den Gesellen, emsig und fleißig daran zu arbeiten,
und 1503 drängt er Meister Michael Tichter wegen Vollendung
desselben, verpflichtet ihn vertragsmäßig, ,, damit das furderlich aus-
gemacht werde**, und ermächtigt den Vicedom zu Wien, zu diesem
Zwecke mehr Gesellen aufzunehmen. Vier Jahre später sandte er
seinen Bildhauer zu Rotweil zur Besichtigung der Grabarbeiten
nach Wien und sicherte Tichter im Jahre 15 10 nach Vollendung
Die RcDalsaaiice.
'83
Abb, 45. Grabdenkmal Kaiser Maximilians 1. in der Franciacanerhoflciiclie zu Innsbruck,
des Denkmals gegen die Aufgabe, dasselbe stets in gutem Stande
zu erhalten, einen Jahresgehalt von 50 Gulden zu. Endlich kann
er im Jahre 1513 eine allgemeine Einladung zur Einweihung des
Monumentes ergehen lassen, ,, damit unser Nachkumen durch sölh
184 ^- Zimmermann
Gedechtnus die Gutigkait unsers Gemüts, so wir aus götlicher
Leer und Anweisung natturlicher Naigung gegen seiner Lieb ge-
tragen, aus dem auch clar spurten und merkhten, das wir darumb
solche ansehenliche Begrebnus, meniglich dabei seiner Lieb zu
gedenkhen, derselben zu künftigen Zeiten nimmer zu vergessen,
erheben lassen. ' ' Trotzdem war das Grabmal damals noch keines-
wegs fertig. Eine Abrechnung von 151 7 gibt die Kosten für das-
selbe in der Zeit von 22 Jahren, also seit 1495, mit 11.805 Gulden
an ; im gleichen Jahre werden für dasselbe zwei vergoldete Erztafeln
fertig und im folgenden wird dafür bei dem Amtmann zu Eisenerz
ein schmiedeeisernes Gitter bestellt, nachdem das vier Jahre früher
zu diesem Zwecke bestimmte Kupfer zum Guss von Geschützen
verwendet worden war. Ja selbst 1522 ist noch nicht alles voll-
endet und das Gitter noch nicht aufgestellt, so dass Maximilian
die Fertigstellung dieses Grabmales ebensowenig erlebte wie die
seines eigenen.
Was das letztere (Abb. 45) betrifft, so hat der Kaiser den Ge-
danken, sich ein seiner würdiges Grabdenkmal zu errichten, wohl
schon frühzeitig gefasst und war ihm bei Feststellung der Einzelheiten
des ohne Zweifel von ihm selbst ausgedachten Planes sein Berather
in geschichtlichen und genealogischen Dingen Dr. Konrad Peutinger
in Augsburg behilflich. Darnach sollten den großen Sarkophag
aus Erz vierundzwanzig den ,,Hauptstücken** der Ehrenpforte ent-
sprechende, gleichfalls aus Erz gegossene Reliefs schmücken und
derselbe von der knienden lebensgroßen Portraitstatue des Kaisers
gekrönt werden. Das Grab sollten an allen vier Seiten vierzig
große Erzbilder, darstellend die hervorragendsten Persönlichkeiten
des habsburgischen und der mit diesem im weitesten Sinne ver-
wandten und verschwägerten Geschlechter mit Einschluss der
Merovinger, wie Chlodwig, St. Leopold, St. Stephan von Ungarn
und seine Gemahlin Gisela, Gottfried von Bouillon, und Ottokar
von Steyer, dann Julius Cäsar als erster römischer Kaiser, Karl
der Große als die erhabenste Gestalt des Mittelalters, endlich
Theodorich und Arthur als die beiden gefeiertsten Vertreter von
Ritterthum und Heldenkraft umstehen, daneben noch 100 kleinere
Erzstatuen der österreichischen Heiligen und 32 Büsten, das Ganze
in die einheitliche Pracht des Goldes gekleidet, zur Aufstellung
gelangen.
Die Renaissance.
185
Zur Herstellung der ersten Entwürfe setzte sich Maximilian
mit dem Münchener Maler Egydius (Gilg) Sesselschreiber ins Ein-
vernehmen, den er mit Vertrag vom 7. März 1502 in seine Dienste
nahm und nicht allein mit der Anfertigung der Zeichnungen,
sondern auch mit der Modellierung und dem Gusse der Statuen,
deren Vollendung zuerst in Aussicht genommen wurde, betraute.
Diese Wahl war leider keine glückliche zu nennen. Denn
Sesselschreiber, der 1508 dauernd nach Innsbruck übersiedelte,
erwies sich in der Folge zwar als phantasievoller Künstler, zeigte
aber weit mehr Neigung zu behaglichem Leben als zu ernster
Arbeit Im Jahre 1509 hatte er es noch zum Gusse keines einzigen
Bildes bringen können, so dass der Kaiser bereits daran dachte,
ihm die Arbeit wieder abzunehmen. Allein obwohl Meister Gilg
Maximilians Befehl, den Guss so zu beschleunigen, dass er bei
seinem demnächstigen ,, Durchreiten** durch Innsbruck wenigstens
eine fertige Statue zu sehen bekomme, trotz der anerkannten
Tüchtigkeit des mit der eigentlichen Gussarbeit beauftragten Inns-
brucker Gießers Peter Leiminger nicht erfüllte, wusste er den
Kaiser doch dazu zu bewegen, ihm nicht allein eine eigene
Wohnung und Werkstätte in dem romantisch gelegenen Mühlau
bei Innsbruck, sondern auch das nöthige Geld für Bildhauer,
Bossierer^ Gießer und alles erforderliche Material anzuweisen und
im Jahre 1510 für die ,, Grabarbeit*' fortan jährlich loöo fl. auszu-
werfen. Dies war jedoch für den Fortgang der Arbeiten von
kaum nennenswertem Erfolge begleitet. Sesselschreiber fand viel-
mehr fortwährend Grund zu neuen Klagen : bald wünschte er
Adaptierungen und Verbesserungen in seiner Wohnung und Werk-
stätte, bald brauchte er eine größere Anzahl von Gehilfen, und
nie fand er mit den ihm zu Gebote stehenden Geldmitteln das
Auskommen. Die Innsbrucker Regierung erfüllte, von Maximilian
wiederholt damit beauftragt, so weit als irgend möglich, alle seine
Wünsche. Alles umsonst ! Im Jahre 1513 hatte er bereits 3360
Gulden verbraucht und dafür kaum eine Statue vollendet. Auch
der in diesem Jahre mit Sesselschreiber abgeschlossene Contract,
wornach er für jeden Centner vergossenen Metalls 28 Gulden er-
halten sollte, erfüllte nicht den angestrebten Zweck, ihn zu erhöhter
Thätigkeit anzuspornen, sondern führte nur dazu, dass der schlaue
Mann, um ein hohes Gewicht zu erzielen, die Statuen möglichst
j[g5 H. Zimmermann
dick im Gusse hielt, ja, wie Sachverständige behaupteten, der
Metallegierung einfach Eisen beimengte. Offenbar, um sich auf
recht lange Zeit hinaus Arbeit zu sichern, fieng Sesselschreiber
immer wieder neue Statuen an, ohne die früher begonnenen vorher
fertig zu machen. Trotzdem schenkte man seinen Versicherungen,
dass er sich ,,hart schämen'* müsste, wenn die Arbeit nicht
,, nützlich und rein** gemacht würde und er vor dem Kaiser und
der Innsbrutker Regierung als ,, Betrüger** dastände, neuerdings
Glauben und unterstützte ihn nicht allein durch neue Geldan-
weisungen, sondern auch durch Überlassung einer eigenen Schmelz-
hütte in Mühlau und durch Vermittlung in einem Privatprocesse,
in den ihn sein Jähzorn verwickelt hatte. Wieder vergiengen drei
Jahre, während welcher Zeit er häufig Innsbruck verließ, um
entweder vom guten Kaiser selbst neue Zugeständnisse zu erlangen
oder aber allerorten Geld für seine Privatbedürfnisse aufzutreiben.
Mitte 1516 waren erst fünf Bilder gegossen, selbst an diesen fehlte
noch mancherlei, ifnd Meister Gilg war wieder einmal ohne Er-
laubnis der Regierung von Innsbruck fortgeritten, man wusste
nicht, wohin. Und als sich nun auch sein Sohn und Schwieger-
sohn in ihren Versprechungen unzuverlässig erwiesen, da riss
Maximilian endlich die Geduld, und er befahl, den säumigen
Meister auszukundschaften und zu verhaften. In Augsburg auf-
gegriflFen, ward er nach Innsbruck zurückgebracht und daselbst
im sogenannten Kräuterthurm, der alten Innsbrucker Herberge für
Inquisiten und Verurtheilte, in sicheren Gewahrsam genommen.
Das scheint denn doch einigermaßen gewirkt zu haben, Vater,
Sohn und Schwiegersohn gelobten, bis Weihnachten 1516 zwölf
Bilder fertigstellen zu wollen, wogegen Gilg aus der Haft entlassen
und nur im Dorfe Natters interniert wurde. Kaum aber waren
die zwölf Statuen bis auf einige Ciselierungsarbeiten iui Frühjahr
1517 vollendet, als Sesselschreiber wieder 200 Gulden verlangte
und, da ihm diese Summe vor Abwägung der Bilder verweigert
wurde, eiligst sein Pferd sattelte, angeblich, um eine fromme Wall-
fahrt zu unternehmen, thatsächlich aber, um von Maximilian, der
damals in den Niederlanden weilte, einen Stundungsauftrag für
seine Gläubiger, eine neue Bestellung und die Anweisung auf das
hiezu nöthige Metall und Geld zu erwirken. Abermals blieb diese
uns heute unerklärliche Langmuth erfolglos, und so entschloss sich
Die Renaissance.
187
denn der Kaiser endlich im Jahre 1518, die Familie Sesselschreiber
endgiltig aus seinem Dienste zu entlassen. Von den elf durch sie
hergestellten großen Statuen mussten drei als völlig misslungen
wieder eingeschmolzen werden, und auch die letzte Vollendung
der übrigen gab noch mancherlei zu schaflFen. Das einzige Ver-
dienst Sesselschreibers bleibt also die Zeichnung des Gesammt-
entwurfes des Grabmales, freilich nach den genauen Anweisungen
des Kaisers und Dr. Peutingers, und der Skizzen für die großen
Erzfiguren, deren 30 uns noch heute erhalten sind. Allein auch
diese erfüllten trotz detaillierter Ausführung im Beiwerk und Orna-
ment, das eine reizvolle Vereinigung von Elementen der Gothik
und Renaissance aufweist, infolge ihrer rein auf den malerischen
Effect und nicht von vorneherein auf den Erzguss berechneten
Formen und Stellungen niemals so recht eigentlich ihren Zweck
und mussten schon um der angestrebten Portraitähnlichkeit und
Treue des Costümes mancher Figuren willen, wie die heutigen
Statuen beweisen, theils ganz bei Seite gelassen, theils mehr oder
weniger einschneidenden Änderungen unterzogen werden.
Maximilians . Entschluss, die Sesselschreiber zu entlassen,
wird ohne Zweifel wesentlich durch den Umstand gefördert worden
sein, dass sich eben damals in Stephan Godel ein entsprechender
Ersatz gefunden hatte. Dieser war im Jahre 1508, also gleichzeitig
mit Sesselschreibier, nach Innsbruck berufen worden, und zwar aus
Nürnberg, wo er bis dahin als Rothschmied thätig war. Gegen
einen Jahresgehalt von 32 Gulden imd Überlassung einer Schmelz-
hütte in Mühlau musste er sich verpflichten, vor allen andern für
den Kaiser zu arbeiten und durch Heranbildung einheimischer
Kräfte die Erzgießerei auf Tiroler Boden zu verpflanzen. Neben
verschiedenen minder wichtigen und kunstvollen Arbeiten wurde
ihm die Anfertigung der für das Grabmal bestimmten hundert
kleineren Erzbilder nach Zeichnungen Jörg Kölderers übertragen,
welcher Aufgabe der friedsame Rothschmied, ohne je mit Maxi-
milians Behörden in Conflict zu kommen, in geräuschlos beschei-
dener Weise oblag. So war es ihm gelungen, bis zum Jahre 1518
nicht allein 19 kleine, sondern auch im engsten Anschlüsse an
Sesselschreibers Zeichnung ein großes Erzbild, dasjenige des
Albrecht, später Rudolf genannten Grafen von Habsburg, zu voll-
enden. Letzteres erfreute sich des besonderen Beifalls des Kaisers
x88 ^' Zimmennann
und der von ihm ernannten Collaudierungscommission, umsomehr
da sich der Preis nur auf 392 Gulden, also ungefähr nur den
zehnten Theil dessen belief, was das erste von Sesselschreiber ge-
machte Bild gekostet hatte. Godel erhielt darnach den Auftrag,
nicht allein im Gusse der kleinen Erzstatuen fortzufahren," sondern
auch andere große zu gießen, deren nächste diejenige Herzog
Leopolds III. ist. Das hiezu erforderliche Erz erhielt er von
Hans Neuburger, Bildhauer zu Landshut. Wohl infolge des ge-
ringen Fortschrittes der Gussarbeiten in Innsbruck hatte sich
nämlich Maximilian im Jahre 1514 bestimmt gesehen, auch den
genannten Landshuter Meister für seine Grabarbeit heranzuziehen,
der jedoch, wie sich Godel später einmal ausdrückt, mit seiner
Leistung ,,nit gevellig gewest** und daher das ihm gelieferte Erz
wieder zurückstellen musste. Unrichtig ist es dagegen, wenn Godel
das Gleiche von Bildhauern in Augsburg und Nürnberg behauptet.
Denn ist auch der Verbleib der 32 für das Grabmal in Aussicht
genommenen Erzbüsten (Brustbilder) heute nicht mehr nachweis-
bar, so ist es doch urkundlich sicher gestellt, dass dieselben unter
unmittelbarer Aufsicht Peutingers in Augsburg von dem dortigen
Gießer Lorenz Sartor, für den der Kaiser eine eigene Gießhütte
errichten lassen wollte, verfertigt worden sind. Und was Nürnberg
betrifft, von wo Maximilian trotz der Reclamationen des Rathes
der Stadt schon 1504 vier Gießer nach Innsbruck zog und von
wo er auch die zum Erzgusse nöthigen Tiegel bezog, zu denen
der im nahen Heroldsberg gegrabene Lehm ein unvergleichlich
gutes Material lieferte, so ist es allerdings wahr, dass im Jahre
1506 des Kaisers Plan, den geschicktesten und erfahrensten Roth-
schmied der Stadt, unter dem wohl kein anderer als der berühmte
Peter Vischer zu verstehen ist, mit mehreren Gesellen für Inns-
bruck zu gewinnen, um so in dem nahen Mühlau ,,die Roth-
schmiederei aufzurichten und in Gang zu bringen,** warscheinlich
an dem Widerstand des letzteren scheiterte ; dafür weisen aber
alle uns überlieferten Nachrichten darauf hin, dass zwei der
schönsten Grabbilder, die Statuen Arthurs und Theodorichs, von
denen erstere schon durch ihre etwas theatralische Pose gegen
alle übrigen deutlich absticht, im Jahre 15 13 von Peter Vischer
um den Preis von 1000 Gulden gegossen worden sind. Es mag
angesichts der kleinen dafür verausgabten Summe von nur 25 Gulden
Die Renaissance.
189
fraglich bleiben, ob auch das im Jahre 1516 von Christoph' Jädel
in Nürnberg gegossene Erzbild für das Grabmal Maximilians be-
stimmt war; gewiss aber ist, dass, als der Kaiser im Jahre 1517
angesichts der Lässigkeit Sesselschreibers schon daran zu zweifeln
begann, die Vollendung seines Grabdenkmales noch zu erleben
oder, wie er sich ausdrückte, ,, vollends begraben zu werden,''
neuerdings Verhandlungen mit Peter Vischer angeknüpft wurden,
die nur deshalb resultatlos blieben, weil der Kaiser keine hin-
reichenden finanziellen Garantien zu bieten vermochte.
Die weitere Geschichte des Grabmales nach dem Tode Maxi-
milians ist folgende. Nachdem infolge des Regierungswechsels
ein kurzer Stillstand und ein langsameres Tempo in den Grabarbeiten
eingetreten war, gelang es dem wackeren Meister Godel dank
der thatkräftigen Unterstützung Ferdinands I., zu dessen persön-
lichem Interesse für künstlerische Schöpfungen noch die große
Pietät gegen seinen erlauchten Großvater trat, in dem verhältnis-
mäßig kurzen Zeitraum von dreizehn Jahren (1520 — 1533) trotz
der knappen Geldverhältnisse, die ihn zuweilen in eine schiefe
Stellung zu seinen Gehilfen, namentlich zu seinem Bildschnitzer
Leonhard Magt brachten, und trotz einer schweren Krankheit, die
den Meister ein halbes Jahr hindurch arbeitsunfähig machte, nicht
allein vier weitere kleine Grabbilder, sondern auch nach den von
Kölderer corrigierten Zeichnungen Sesselschreibers fünfzehn große
Statuen herzustellen, so dass bis zu dem letztgenannten Jahre
dreißig derselben vollendet waren. In der Zwischenzeit dachte
König Ferdinand bereits daran, auch den Sarkophag machen zu
lassen, und beauftragte den vieljährigen Beirath des Unternehmens
Jörg Kölderer nicht bloß mit der Anfertigung der hiezu nöthigen
Visierung, sondern auch mit der Ausfindigmachung des für die
Aufstellung des Grabmales geeignetsten Platzes, zu welchem
Zwecke Kölderer im Spätsommer 1528 verschiedene Kirchen in
Wien und Wiener-Neustadt eingehend besichtigte und sich schließ-
lich für die Burgkapelle in der zweitgenannten Stadt entschied.
Da brachte das Ableben Godels, dieses trefflichen Gießers, dessen
Hauptcharakterzug emsige Arbeitsamkeit und große Bescheidenheit
bildet, im Jahre 1533 und dasjenige seines Vetters Bernhard Godel, den
man als seinen Nachfolger in Aussicht genommen hatte, endlich
der im Sommer 1540 erfolgte Tod des braven Kölderer das ganze
igo
H. Zimmermann
Unternehmen ins Stocken, und die politischen Wirren jener Tage
hätten dasselbe wohl ganz in Vergessenheit gerathen lassen, wenn
nicht Maximilians Testamentvollstrecker, der greise Ritter Wilhelm
Schürf, die Weiterführung der Arbeiten und damit die Erfüllung
von Maximilians letztem Willen bei dessen beiden Enkeln urgiert
hätte. So ward im Jahre 1548 der Augsburger Maler Christoph
Amberger mit der Herstellung der noch fehlenden zehn, bezie-
hungsweise nach Ausscheidung der beiden Statuen Ottokars und
Julius Cäsars durch Kaiser Karl V., acht Entwürfe betraut und
der Innsbrucker Büchsengießer Gregor Löffler, ein Sohn des alten
Peter Löffler oder Leiminger, der gleich seinem Vater schon
für Kaiser Maximilian gearbeitet hatte, für die Gussarbeit ge-
wonnen. Die von Gregor Löffler mit Hilfe des Modelleurs Veit Arn-
berger im Frühling 1549 vollendete Figur Chlodwigs, in Zeichnung
und Ausführung eine der schönsten des ganzen Grabmales, ist zugleich
die letzte selbständige Statue, die für dasselbe geschaffen wurde.
Auch bezüglich desKenotaphs wich man von dem ursprüng-
lichen Plane mehrfach ab. Nicht allein dass man sich für die
Reliefdarstellungen nicht einfach an die vierundzwanzig Haupt-
stücke der Ehrenpforte hielt, sondern dieselben nach einem neuen
Programm ausführen ließ, das der Reichsvicekanzler Dr. Seid auf
Grund eingehender Studien des Lebens und der Geschichte Maxi-
milians entwarf; man beschloss auch nach dem Ergebnisse einer
commissionellen Berathung des Hofbaumeisters Hermes Schallautzer
mit den in kaiserlichen Diensten stehenden Künstlern Pietro Fera-
bosco, Jacopo Strada und Natale Veneziano, sowohl die genannten
Reliefs als auch den größten Theil des ganzen Sarkophages nicht
aus Erz, sondern aus verschiedenfarbigem Marmor herzustellen,
während ersteres nur für die krönende Figur des Stifters, die vier
Cardinaltugenden, für vier Adler mit kaiserlichen Wappen und
zehn Putten, endlich das Trophäenornament an der zweiten Stufe
des Unterbaues beibehalten wurde.
Daraufhin schloss die Innsbrucker Regierung, wohl auf Em-
pfehlung des mit der Anfertigung der Zeichnungen zu den Reliefs
betrauten, in Prag ansässigen Malers Florian Abel, am 28. April
1561 mit den hiezu aus Köln berufenen Brüdern desselben, Bern-
hard und Arnold, einen Coutract, nach welchem ihnen die Her-
stellung des Kenotaphs und der unmittelbar dazu gehörigen Erz-
Die Renaissance. jnj
bildet, deren Guss Gregor Löffler besorgen sollte, sowie die Be-
schaflFung der verschiedenen Marmorarten auf kaiserliche Kosten
und die Versetzung des Grabmales übertragen wurde. Wieder
eine höchst unglückliche Wahl ! Denn abgesehen von der Er-
werbimg des Mannors, von dem der rothe aus Salzburg, der
weiße aus Carrara, der schwarze nach verschiedenen Versuchen,
denselben aus Italien oder den Niederlanden zu erhalten, endlich
aus einem Bruche bei Trient herbeigeschaflfl wurde, beschränkte
sich die Leistung der beiden Brüder Bernhard und Arnold Abel
innerhalb dreier Jahre, trotzdem sie über 3000 Gulden erhalten
hatten, auf nur drei Reliefs, von denen zwei noch dazu nur theil-
weise ihr Werk sind. Der Grund lag in ihrem liederlichen, wein-
seligen Leben, das sie nicht allein zur Arbeit unfähig machte,
sondern auch Bernhard anfangs October 1563 imd ein halbes Jahr
später seinen Bruder Arnold dahinraffte.
Das Hauptverdienst des letzteren liegt in der Berufung des Bild^
hauers Alexander Colin aus Mecheln, der Ende 1562 nach Innsbruck
kam und daselbst mit Hilfe einiger niederländischer Gesellen
trotz mannigfacher Hindernisse, wie einer ansteckenden Krankheit,
welche die letzteren fast zur Flucht veranlasst hätte, dann trotz des
Todes Florian Abels (Mai 1565), der die Zeichnung der beiden
letzten Entwürfe durch dessen Schwager Paul Neupauer zu Prag
nothwendig machte, und obwohl es nicht an Versuchen fehlte,
ihm seine Gehilfen abspenstig zu machen, bis zum Schlüsse des
Jahres 1565 alle vierundzwanzig Reliefbilder in vollendeter Weise
ausführte. Er erhielt für jedes derselben, das er in der unglaublich
kurzen Zeit von sechs Wochen in Wachs modellierte und in
Marmor übertrug, 200 Gulden ausbezahlt. Im October 1568 kamen
dann auch die 24 schwarzen Marmortäfelchen mit den erklärenden
Goldinschriften zu den Reliefs, mit deren Herstellung der kaiser-
liche Secretär Georg Bocskay beauftragt worden war, nach Inns-
bruck.
In der Zwischenzeit beschäftigte Colin die Modellierung der
für das Grabmal bestimmten verschiedenen Bestandtheile und
Figuren aus Erz, welche jedoch insofern eine Vereinfachung er-
fuhren, als man nur das Ornament für die zweite Stufe des Auf-
baues und die vier Cardinaltugenden auszuführen beschloss, alles
andere aber wegließ. Da der Innsbrucker Gießer Hans Christoph,
192
H. Zimmermann
Sohn des Gregor Löff ler, nur das erstere goss, sich aber den Guss
der letzteren nicht zu übernehmen getraute, wurde zu diesem
Behufe im Jahre 1570 der Bildgießer Hans Lendenstreich aus
München berufen, der die ihm gewordene Aufgabe im Laufe des
genannten Jahres zur vollsten Zufriedenheit löste, während sich
mit ihm und Colin angeknüpfte Verhandlungen wegen des Gusses
der noch fehlenden sechs großen Erzstatuen infolge seiner über-
triebenen Forderungen wieder zerschlugen. Die im Frühjahr 1571
erfolgte Entlassung Lendenstreichs machte für das kniende Bild
Maximilians, welches das ganze Grabmal krönen sollte, die Ge-
winnung eines andern Gießers nothwendig, der mehr als 10 Jahre
später in der Person des Sicilianers Lodovico de Duca auftritt.
Nach Beilegung mancher Differenzen wurde mit ihm am 15. Januar
1583 ein Vertrag perfect, dem gemäß er dann auch die von Colin
modellierte Statue innerhalb eines Jahres in Erzguss vollendete.
Längere Zeit erforderte noch die in Innsbruck vorgenommene
Vergoldung des Grabgitters, das schon lange vorher nach einer
Zeichnung des Innsbrucker Malers Paul Trabel von dem Hof-
schlosser Georg Schmiedhamer in Prag aus steirischem Eisen ge-
fertigt und von dort über Linz an seinen Bestimmungsort gebracht
worden war.
Als Aufstellungsort des Grabmales war von Ferdinand I.
schon 1549 die hl. Kreuzkirche in Innsbruck in Aussicht ge-
nommen, deren Grundstein im Jahre 1553 gelegt und deren Bau
durch ihn so gefördert wurde, dass bereits zehn Jahre später, am
24. Februar 1563 ihre Einweihung vorgenommen werden konnte.
Alsbald wurden die großen Erzbilder aus der Gießhütte zu
Mühlau dahin übertragen und in der Zeit von 1567 bis 1572 auch
die Versetzung des Kenotaphs in derselben durch den welschen
Steinmetzen Geronimo de Longhi beendigt.
Da jedoch die Übertragung der Gebeine Kaiser Maximilians I.
von Wiener-Neustadt in die neue Gruft trotz des diesbezüglichen
ausdrücklichen Wunsches Kaiser Ferdinands I. und trotz der
eifrigen Bemühungen seines gleichnamigen Sohnes nicht erfolgte,
so hat das Grabmal seinen eigentlichen Zweck bis heute nicht
erfüllt. Wohl aber ist es geeignet, nach dem Wunsche seines
erlauchten Stifters das Andenken an ihn für alle Zeiten wach zu
erhalten, und charakterisiert in seinem Übergang von der Gothik
Die Renaissance.
193
zur schönsten Renaissance dessen culturelle Stellung wie vielleicht
kein zweites seiner Werke. Man hat Maximilian mit Vorliebe als
die Abendröthe des Mittelalters bezeichnet. Will man persönliche
Tapferkeit und edlen, echt ritterlichen Sinn vorzugsweise für mittel-
alterliche Fürsten in Anspruch nehmen, so mag dies gerechtfertigt
erscheinen. Allein ebenso wie unter seiner Regierung das Mittel-
alter ganz unvermerkt in die Neuzeit übergeht, so verschmilzt
auch jene Abendröthe, ohne durch finstere Nacht unterbrochen
zu sein, mit dem Morgengrauen einer neuen Zeit, und aus diesem
erhebt sich leuchtend Max, ,,der blanke Kunig*', als das glänzende,
belebende und reich befruchtende Tagesgestirn deutscher Renais-
sancekunst.
•^xgo^*.
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 13
ERZHERZOG FERDINAND VON TIROL UND SEINE
SAMMLUNG IN SCHLOSS AMBRAS.
Der romanhafte Schimmer, mit dem man lange Zeit hindurch
die im übrigen wahrhaft glückliche Ehe des Erzherzogs Ferdinand
von Tirol mit der Augsburger Patriciertochter Philippine Welser
zu umkleiden geneigt war, entspricht ebensowenig den durch
moderne Forschung dargelegten thatsächlichen Verhältnissen als
die Annahme, dass man in jenem erlauchten Fürsten neben seinem
Urgroßvater Kaiser Maximilian I., dem letzten Ritter, noch einen
allerletzten Ritter zu erblicken habe. Erzherzog Ferdinand fußt
vielmehr in allen seinen Neigungen und Bestrebungen ganz und
gar auf dem Boden der Renaissance und des mit derselben enge
verbundenen Humanismus. Bedürfte dies einer besonderen Er-
klärung, so ergibt sich diese fast von selbst aus den damals in
Österreich herrschenden künstlerischen Grundsätzen, Während
unter Kaiser Maximilian I. die Thätigkeit italienischer Künstler
auf österreichischem Gebiete nur ganz vereinzelt und vorüber-
gehend begegnet, schlägt dies unter dessen Nachfolger Kaiser
Ferdinand I. ins gerade Gegentheil um. Zunächst zur Errichtung
und Wiederherstellung von Festungsbauten gegen die immer hef-
tiger andrängende Türkenmacht werden zahlreiche Italiener, nament-
lich Comasken und IvUganesen, ins Land berufen, die in kürzester
Zeit die gesammte kirchliche und profane Architektur in ihre Hände
bekommen und den Werken derselben den unverkennbaren Stempel
ihrer Stilrichtung aufdrücken. So kommt es, dass sich die Re-
naissancebauten Österreichs weit enger an diejenigen Italiens,
speciell Oberitaliens und Venedigs, anschließen, als dies im deut-
schen Reiche der Fall ist, wo die Entwicklung des neuen Stiles
eine mehr selbständige Richtung nahm. Im südlichen Theile der
Monarchie macht sich zudem der mächtige Einfluss des nahen
Venedig geltend, wofür das prächtige von Graf Johann von Orten-
Die Renaissance.
195
bürg erbaute Porzia*sche Schloss Spital in Kärnten ein schönes
Beispiel bietet In der Zeit von 1555 — 1563 erbaut der Luganese
Domenico delP AUio das ständische Landhaus in Graz, und um
dieselbe Zeit entsteht der graziöse Arcadenhof von Schloss Schala-
burg bei Molk und die schönen Renaissanceportale des kaiserlichen
Zeughauses zu Wiener-Neustadt und des Schweizerhoftractes in der
Wiener Hofburg, beide nachweislich von Italienern erbaut und
ausgeschmückt, endlich die Perle italienischer Renaissancekunst
auf deutschem Boden, das Belvedere zu Prag (vgl. Abb. 46), an
dessen Vollendung auch Erzherzog Ferdinand seinen Antheil hat.
Schon in seiner Studienzeit mit architektonischen Entwürfen
beschäftigt und noch nicht zwanzig Jahre alt von seinem Vater
mit der Statthalterschaft in Böhmen betraut, fiel ihm auch die
Aufgabe zu, die Aufsicht über die Bauten am Prager Schloss,
welche Ferdinand I. theils zur Reconstruction der durch den
Brand von 1541 verursachten Schäden, theils neu auffuhren ließ,
zu übernehmen. Diese Aufgabe war keine eben besonders leichte.
Abgesehen von dem damals fast selbstverständlichen Umstand, dass
es häufig an den nöthigen Fonds mangelte und weder der Erzherzog
noch die böhmische Kammer sich Rath wussten, woher das nöthige
Geld nehmen, waren die Bauarbeiten äußerst umfassend und ver-
schiedenartig. Sie betrafen den großen Saal, das von Ferdinand I.
im Jahre 1536 begonnene Belvedere, die Restaurierung der St.
Veitskirche und zahlreiche andere kleinere Objecte. Hiezu kam
1559 die Einwölbung der Landrechtsstube, die Herstellung der
großen Orgel im Dome und 1563 des prachtvollen Schlossbrunnens.
Schon vier Jahre nach des Erzherzogs Ankunft in Prag schied der
bewährte italienische Architekt Paolo della Stella aus dem Leben
und übernahm für kürzere Zeit der deutsche Baumeister Hans
Tirol die Oberleitung. Dessen Unzuverlässigkeit und seine Eifer-
süchteleien mit den ihm beigegebenen welschen Architekten
Andreas de Austales und Johann Campion sowie dem im Jahre
1554 nach Prag berufenen deutschen Meister Bonifacius Wolmuth
machten die Stellung des Erzherzogs dem zwiespältigen Künstler-
völkchen gegenüber zu einer umso schwierigeren. Wie strenge er
selbst dieselbe auffasste, beweist am besten der Umstand, dass er
sich sogar auf seinem Zuge nach Ungarn (1556) über den Fort-
gang der Bauarbeiten ins Feldlager berichten ließ und nicht nur
13*
196
H. Zimmermann
Überall, wo irgend möglich, strenge Controle übte, sondern auch
selbständige Anträge an den Kaiser stellte, der dann zumeist auf
die Vorschläge seines erprobten jugendlichen Rathgebers eingieng
und sich bei seinen diesbezüglichen Anordnungen wie auf die
Berichte der Baumeister so auch auf des Erzherzogs ,, hierüber
gegebnes rätlich Guetbedünkhen*' beruft.
Was Wunder, wenn wir Erzherzog Ferdinand, der bei den
Bauten seines Vaters dessen Intentionen so gut zu verwirklichen
verstand, einmal selbst am Reissbrett arbeiten und den Plan für
einen Bau entwerfen sehen, welcher sich durch die originelle
Lösung der durch den Baugrund gebotenen Schwierigkeiten be-
sonders auszeichnet. Es ist dies das sogenannte Sternschloss im
Thiergarten zu Prag, zu welchem Ferdinand nicht allein am
27. Juni 1555 den Grundstein legte, sondern auch den Plan ersann
und selbst zeichnete, und das er wegen seines einen sechsstrahligen
Stern bildenden Grundrisses und des die thurmartige Dachspitze
zierenden Emblems ,,zum goldenen Stern*' benannte. Im Gegen-
satz zu dem völlig schmucklosen Äußeren beansprucht das Innere,
welches in drei Geschosse zerfallt, und von letzteren namentlich
das mittlere, ebenso durch seine geistvolle Eintheilung wie durch
seine reiche Decoration unsere volle Aufmerksamkeit. Das zwölf-
seitige, kuppelartig gewölbte Mittelgemach, das sein Licht nur
durch die an den einspringenden Winkeln des Sternes angebrachten
Fenster der sechs von demselben ausgehenden Corridore empfangt,
umstehen sechs rautenförmige Räume, in deren Außenseiten je
zwei Fenster gebrochen sind, während die an den Innenseiten in
die genannten Corridore mündenden je zwei Thüren einen regel-
mäßigen Umgang durch alle sechs Strahlen bilden. Die theils
gewölbten theils flachen Plafonds bedecken in stets wechselnder
und überraschend combinierter Feldereintheilung flache omamen-
tale und figürliche Stuccoreliefs, die ebensowohl durch ihre virtuose
Technik wie durch ihre zum Theile der alten Geschichte und Mytho-
logie entnommenen Sujets deutlich auf italienische Meister hinweisen.
Als solche sind uns urkundlich die bereits genannten Andreas von
Austales und Johann Campion bezeugt. Das Schloss hat mannigfache
Schicksale erfahren, wurde eine Zeit lang als Pulvermagazin be-
nützt, und erst die sonst so unheilvolle preussische Invasion des Jahres
1866 hat dessen Rückgabe an seine frühere Bestimmung angebahnt.
Die Renaissance.
197
Nicht so gut ergieng es einem andern Bauwerk, welches
ebenfalls dem Erzherzog seine Entstehung verdankt, dem zwei-
stöckigen, mit einem vorspringenden Treppenhaus und vier runden
Eckthürmen versehenen Ivustschlosse im Thiergarten zu Innsbruck,
das sein Architekt Giovanni Luchese im Jahre 1571 vollendete
und das er künstlerisch ausschmücken ließ. Auch dieses Gebäude
hat wiederholt rein militärischen Zwecken gedient und wurde
schließlich sammt der ganzen Thiergartenarea an den Meist-
bietenden verkauft.
Dagegen legen zahlreiche andere Gebäude Tirols von der
Fortdauer der regen Baulust des Erzherzogs Zeugenschaft ab.
Die Burg zu Innsbruck war nach dem verheerenden Brande von
1534 allerdings schon durch Kaiser Ferdinand I. zum größten
Theile wieder hergestellt worden. Immerhin aber gab es auch
für den Erzherzog noch mancherlei zu thun. 1565 ließ er durch
seinen Meister Luchese den großen Saal so zurichten, ,,wie es in
Italia gebreuchig*', und als nach dem Tode Philippine Welsers
(1580) Ambras den Charakter einer dauernden Residenz mehr und
mehr einbüßte, erwuchs der anfangs nur als provisorisch in Aus-
sicht genommene Bau des Gartenpalastes Ruhelust in Innsbruck
zu höherer Bedeutung und größerem Umfang, umsomehr als sich
die zweite Gemahlin Ferdinands, die Mantuanerin Anna Katharina,
in den weiten, düsteren Räumen der Burg ebenso wenig wohl
fühlte als er selbst. Ein Löwenhaus mit einem Thierzwinger, ein
Fasanen-, ein Ballspiel- und ein böhmisches Haus zur Abhaltung
von Feuerwerken dienten den im Renaissancezeitalter allgemein
üblichen Vergnügungen. Einzelne Landschlösser wurden als mit
allem Comfort und weidmännischer Zier ausgestattete Jagdhäuser
eingerichtet, die alte Stammburg Tirol bei Mferan u. a. sorgfältig
restauriert. Umfassende Neubauten endlich machte die Erweiterung
von Ferdinands Lieblingssitze Ambras nöthig, dessen Räumlich-
keiten sich schon im Jahre 1564, als der Erzherzog das Schloss
seiner Gemahlin überließ, als für den Hofstaat unzulänglich er-
wiesen, so dass durch die zu diesem Zwecke aus Prag gesendeten
beiden welschen Baumeister Albrecht und Giovanni Luchese ein
drittes Stockwerk aufgesetzt werden musste. Um eintn bis dahin
in dem eng gebauten Schlosse gänzlich fehlenden Repräsentations-
raum zu schaffen, wurde 1570 der Bau des sogenannten ,, spanischen
^
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igS
H. Zimmermann
Saales'* begonnen und (Tafel II) über ein Jahrzehent später zur Auf-
nahme der immer mehr anwachsenden, früher in der Innsbrucker
Burg aufbewahrten erzherzoglichen Sammlungen die weitläufigen
Saalbauten des Unterschlosses errichtet Älteren Datums sind
die mit Paradiesen, Labyrinthen, Grotten, künstlichen Quellen
imd Springbrunnen, in üppigem lebenden Grün halb versteck-
ten zahllosen Statuetten und Pavillons ausgestatteten prächtigen
Gartenanlagen,, deren Entwurf und Durchführung eine Lieblings-
beschäftigung des Erzherzogs bildete, und in die man einst
aus dem Schlosshofe durch ein Renaissanceportal gelangte. Unter
den zahlreichen kirchlichen Bauten des Erzherzogs verdient be-
sondere Erwähnung die ,, silberne** Kapelle, welche dem reichen
Silberschmuck des Altars ihren Namen dankt ; sie wurde als
Ruhestätte Ferdinands und seiner Familie, anstoßend an die
Franciscanerkirche zu Innsbruck, nach den Plänen des italieni-
schen Architekten Giulio Fontana in der Zeit von 1577 bis 1587
erbaut und mit italienischen Renaissanceornamenten geziert.
' All diese Gebäude erhielten nun innen und außen einen
reichen malerischen und bildnerischen Schmuck. So gesellten
sich zu der die Außenwände von Ambras zierenden Quaderimi-
tation in Sgrafittotechnik, deren Erscheinung man am spanischen
Saale durch discrete Betonung der bunten Elemente zur Wirkung
einer Grisaille zu steigern versuchte, an der Gartenfagade eine
Pilasterdecoration zwischen den Fenstern mit herabhangenden
Teppichen und an den Wänden des oblongen Schlosshofes grau
in grau al fresco gemalte allegorische Darstellungen der Tugend,
des Reichthums, der Künste und Wissenschaften, Triumphzüge und
biblische Scenen, Götter- und Heldengestalten, am Eingang zwei
Wächter im Landsknechtcostüm der Zeit mit den Bannern von
Osterreich und Tirol und das erzherzogliche Wappen.
Noch reicher war die Innendecoration gehalten, durch die
sich namentlich der spanische Saal auszeichnet, von welchem
Tafel II eine Ansicht zeigt. Als Urheber des malerischen Theiles
derselben nennt sich, was das Ornamentale betrifft, der nieder-
ländische Meister Denis van Hallart, der Erzherzog Ferdinand
auch sonst viele Gemälde lieferte, und dessen al fresco gemalte
Grotesken sich in der Composition an große italienische Vorbilder
anlehnen. Der Maler der a tempera ausgeführten Bilder tirolischer
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Die Renaissance. jqq
Fürsten von Albrecht I. bis auf Erzherzog Ferdinand, welche den
Saal im Sinne einer Ahnengallerie zu einer Art Ehrenhalle für
sein erhabenes Haus und das Land Tirol gestalten sollten, ist an-
geblich Pietro Rosa von Brescia, ein Schüler Tizians und Hof-
maler des Erzherzogs. In den Stuccoschildem des Frieses über
den Bildern sind auf die Dargestellten bezügliche Embleme an-
gebracht, so bei Siegmund dem Münzreichen ein Kessel mit Gold-
münzen, bei Karl V. die Säulen des Hercules u. s. w. Die Felder
des Wandsockels enthalten auf der Fensterseite Scenen aus Roms
Königsgeschichte, auf der andern Seite die Thaten des Hercules.
Der Fries war zudem mit Gehörn von Hirschen, Auerochsen,
Steinböcken, Ren- und Elenthieren ausgestattet, zu dessen Fassung
der Bildhauer Andre de Cliever eigens aus Brüssel berufen wurde,
und das darauf hindeutet, dass der Saal auch als Versammlungs-
local für die Theilnehmer der in der Umgebung von Ambras
häufig stattfindenden Jagdvergnügungen des Hofes zu dienen hatte.
Die Decke des großen Speisesaales ward in den Jahren 1583
und 1584 von Battista Fontana in Ol auf Holz in originellster
Weise ausgeschmückt. Hier zeigen sich in drei Hauptfeldern und
vier Zwickelbildem die sieben großen Planeten als kolossale
Göttergestalten, die vier Elemente in lagernder Stellung, welche
deutlich den Einfluss venezianischer Meister auf unsern Künstler
verrathen, und der Kreis des Zodiacus mit der . Djirstellung der
Sternbilder, nach dem naiven Geschmack der Zeit ins Figürliche
übersetzt, so der Wagen als Tiroler Fuhrmann mit der Peitsche,
die Locke der Berenike als Frauenhaarzopf u. a. m. Derselbe
Fontana zierte im Jahre 1580 die sechseckigen Kappenfelder an
der Decke der silbernen Kapelle mit Scenen aus dem Leben Jesu und
aus der Apostelgeschichte und vollendete im gleichen Jahre auch
drei Altäre für die neue Kapelle in Schloss Günzburg und eine
Altartafel für Matrei, vier Jahre früher eine solche für die Kirche
in Seefeld. Ein andrer italienischer Künstler, Domenico de Pozzo,
malte schon 1564 nach von Erzherzog Ferdinand noch in Prag
geprüften und acceptierten Entwürfen 35 große Historienbilder
von Schlachten der Kaiser Maximilian I. und Karl V. nebst
,,Fantaseien'* und Vergoldungen für die Burg zu Innsbruck.
Sehen wir also als Architekten und Maler auch hier fast aus*
schließlich Welsche thätig, so behaupten doch die Deutschen das
200 ^* Zimniermann
Feld auf dem Gebiete der Glasmalerei und der kostbaren Intarsia-
arbeit.
Schon 1571 fertigte der Münchener Glasmaler Hans Heben-
streit zwei gemalte Fenster mit Erzherzog Ferdinands Wappen,
der es liebte, Städte und Gotteshäuser mit solchen zu beschenken,
und zu diesem Zwecke zahlreiche Glasmaler wie Meister Federlin,
Christoph Braun u. a. vielfach beschäftigte. So setzte er denn
auch die schon von Ferdinand I. begonnene. Ausschmückung der
Innsbrucker Hofkirche mit Glasgemälden eifrig fort und bestimmte
im Jahre 1575 nach dem durch seinen Hofbaumeister Luchese ein-
geholten Gutachten der tirolischen Kammerräthe für die drei großen
Chorfenster die drei Kirchenpatrone: das heilige Kreuz, Unsere Liebe
Frau und St. Johannes den Täufer sammt den Portraits Karls V. und
Ferdinands I. mit ihren Gemahlinnen und Patronen, endlich für
die übrigen Fenster die Ausschmückung mit zwanzig Wappen der
österreichischen und spanischen Erblande. Die Arbeit wurde
dem Glasmaler Thomas Neidhart in Feldkirch übertragen, der
jedoch trotz wiederholten Drängens erst 1582 damit zustande
kam, da ihm, wie er versicherte, mehrmals einzelne Stücke beim
Schmelzen im Feuer zerbrochen waren. Er vollendete im gleichen
Jahre vier Glasgemälde mit fürstlichen Wappen für die silberne
Kapelle, nachdem er bereits früher solche für die neuerbaute
Kapelle in Seefeld geliefert hatte.
Die Seitenwände des Langhauses der Stiftskirche wurden mit
prachtvollen Gobelins behängt, auf welchen Darstellungen aus dem
Leben Christi kunstvoll eingewirkt waren. Einen besondem
Schmuck erhielt dieselbe durch den sogenannten Fürstenchor,
jenes im Renaissancestile ausgeführte Oratorium, das Erzherzog
Ferdinand für sich und seine Familie an der Evangelienseite des
Chors der Orgel gegenüber errichten ließ. Außen durch feine
architektonische Details ausgezeichnet, zeigt es in seinem Innern
Intarsien, die als ein Meisterstück der alten Kunsttischlerei be-
zeichnet werden müssen. Dies gilt in gleicher Weise von dem
älteren Theile, den in den Jahren 1567 und 1568 der Ravensburger
Tischler Hans Waldner mit all seinen Blumen-, Früchten-,
Schnecken-, Fratzen- und andern Renaissanceornamenten nach
eigener Zeichnung verfertigte, wie von der bald darauf durch den
Innsbrucker Tischler Konrad Gottlieb hergestellten, noch reicher
Die Renaissance. 20I
intarsiierten Verlängerung desselben gegen das Langhaus. Das
Monogramm des letzteren C. G. zeigt auch eine der mit kost-
baren Holzarten eingelegten herrlichen Intarsiathüren des spani-
schen Saales in Schloss Ambras, die nebst den fast in allen Räumen
des Schlosses begegnenden reich cassettierten Plafonds und mit
prächtigen Intarsien gezierten Holzvertäfelungen den harmonisch
künstlerischen Eindruck des Ganzen wesentlich erhöhen.
Neben diesen mehr oder weniger mit seiner Bauthätigkeit im
Zusammenhang stehenden Arbeiten stellt der Erzherzog den sich
in seiner Residenz in großer Zahl sammelnden Künstlern auch
selbständige Aufgaben. Sein Hof zeigt in dieser Beziehung ein
internationales Bild. War ja doch Innsbruck schon seiner Lage
nach geeignet, italienische und nordische Kunst in nächste Be-
rührung zu bringen. Deutsche, niederländische und italienische
Portrait-, Historien- und Miniaturmaler, Bildhauer und Wachs-
bossierer, Goldschmiede und Medailleure treten neben einander auf
und eifern in friedlichem Wettstreite, den Intentionen ihres fürst-
lichen Gönners zu genügen. Charakteristisch sind in dieser Hin-
sicht seine Beziehungen zu drei Künstlern, deren Namen in der
Kunstgeschichte einen guten Klang haben, — Beziehungen, welche
theilweise schon in die Zeit seines Prager Aufenthaltes zurück-
reichen. Es sind dies der Deutsche Wenzel Jamnitzer, der Italiener
Francesco Terzio und der Niederländer Alexander Colin.
Die Bekanntschaft des berühmten Nürnberger Goldschmiedes
Wenzel Jamnitzer machte Ferdinand auf der Rückkehr von seinem
Türkenzuge im Jahre 1556 zu Wien, wohin derselbe von Kaiser
Maximilian II. ,, etlicher Arbeit halben*' berufen worden war. Der
Erzherzog bestellte bei ihm eine silberne Credenz, deren Aufsatz
das Paradies mit der Erschaffung des ersten Menschenpaares dar-
stellen sollte. Diese Idee gieng von Ferdinand selbst aus und
scheint durch eine Jugenderinnerung wachgerufen worden zu sein.
Die alte Residenz zu Innsbruck, in welcher er mehrere Jahre
seiner Kindheit verlebte, zählte zu ihren Sehenswürdigkeiten den
sogenannten Paradeissaal mit diesbezüglichen bildlichen Darstel-
lungen. Das Paradies, welches Jamnitzer anfertigen sollte, dachte
sich der Erzherzog als eine gebirgige Landschaft mit Bäumen und
Sträuchern, Kräutern und Blumen, durch Thierchen aller Art be-
lebt, während die Flüsse durch ein im Unterbau angebrachtes
202
H. Zimmermann
Wasserwerk gespeist werden sollten. In dem von Jacopo Strada
ans Mantua gemachten Detailentwurf war auch die Verwendung
kostbarer Halbedelsteine, wie Achat, Cameol, Smaragdschale,
Sardonyx u. s. w. dafür in Aussicht genommen. Sehr zeitraubend
war die Herstellung der ,, kleinen Tierlein*' mit ihren ,,so gar
diren und schwachen Beinlein**, jener bewunderungswürdig feinen
Silbernaturabgüsse von Eidechsen, Fröschen, Käfern u. a., welche
ein besonderes Kennzeichen der Nürnberger Goldschmiedschule
des XVI. und XVII. Jahrhunderts bilden. Da sich der Ausführung
des Werkes auch sonst Schwierigkeiten entgegenstellten, das hiezu
erforderliche Silber aus Joachimsthal immer wieder ausblieb, viel-
leicht auch, weil Jamnitzer, wie Erzherzog Ferdinands Kammer-
diener Griesbeck einmal bemerkte, ,,wol ein guter Arbeiter, der
sauber kunstlich Ding macht, aber sehr langsam und schwer von
ime zu bringen** war, ist dessen Vollendung ebenso zweifelhaft
wie diejenige der vom Erzherzog nach übersendeter Zeichnung bei
demselben Meister bestellten vier Evangelisten, welche in Kupfer
hohl gegossen und vergoldet werden sollten. Bezeichnend jedoch
für die große Wertschätzung, deren sich der Erzherzog schon
damals in Künstlerkreisen erfreute, ist ein an ihn gerichtetes
Schreiben Jamnitzers, womit ihm der Meister als ,, besonderen
Liebhaber der freien Künste** ein Exemplar seines von ihm selbst
besonders hoch angeschlagenen Werkes über die Perspective über-
sandte.
Der Bergamaske Terzio, seit 1551 als Hofmaler in Ferdinands
Diensten, portraitierte dreimal dessen Mutter, Königin Anna, dann
seinen Bruder Kaiser Maximilian II. , dessen Gemahlin und Kinder,
malte drei Tafelbilder für die Schlosskapelle zu Linz und später
die Flügel der neuen Orgel im Dome zu Prag. Für das von dem
kaiserlichen Herold Johann von Francolin dem Erzherzog in zwei
Exemplaren gewidmete Buch mit schönen Darstellungen des von
Ferdinand und andern Mitgliedern des kaiserlichen Hauses im
Frühjahre 1561 zu Wien gehaltenen Turniers liefert auch Terzio
zwei Blätter, die einzigen Abbildungen von Interieurs der alten
Wiener Burg, welche aus dieser Zeit auf uns gekommen sind.
Die bedeutendste Leistung des Künstlers ist sein von Gasparo
Ucello gestochenes Prachtwerk der Imagines domus Austriacae,
österreichischer Fürstenbilder, an dem er, angeregt durch den
Brunnen im Garten ik-s Belvcderes zu Prag.
Die Renaissance.
203
Anblick der großen, theilweise auch in sein Werk herübergenom-
menen Erzstatuen am Maxgrabe zu Innsbruck, mit seines Herrn
Unterstützung von 1558 bis 1573 arbeitete, und dessen zweiten Theil
er dem Erzherzog gewidmet hat. Von ihm rührt auch der Ent-
wurf zu der hier abgebildeten schönen Fontäne vor der Seitenfront
des Belvederes zu Prag (Abb. 47), die von dem Prager Gießer
Thomas Jarusch in Erzguss ausgeführt wurde. Rhythmisch bewegter
Aufbau, edle Gliederung und reiche Omamentierung stempeln
dieses Werk zu einem der edelsten Renaissancebrunnen nördlich
der Alpen.
Die in Aussicht genommene Herstellung eines andern Brun-
nens brachte Erzherzog Ferdinand zuerst in Berührung mit dem Bild-
hauer Alexander Colin, der sich durch seine Reliefarbeiten für das
Grabmal Maximilians I. zu Innsbruck eben damals trefflich bewährt
hatte. Der Erzherzog billigte nämlich den ihm von der Tiroler
Regierung gemachten Vorschlag, diesen Brunnen, zu welchem er
die Zeichnung aus Prag gesendet hatte, und dessen Aufsatz ein
Actäon krönen sollte, von Colin modellieren zu lassen, und zwar
mit allen ,, Knorren und Büggeln", d. i. ohne die beantragte Ver-
einfachung der reichen Renaissanceomamentierung, da der Brunnen
,,auch sonst zimblich viel gestehen wirdef und er es daher ,,an
diesem Wenigen auch nicht erwinden lassen'* wolle, — eine
Äußerung, welche beweist, wie wenig er sich bei künstlerischen
Unternehmungen finanzielle Bedenken zu Herzen nahm. Alsbald
suchte er sich denn auch dieser bedeutenden künstlerischen Kraft
dauernd zu versichern und stellte am 9. Juli 1566 trotz der Ein-
wendungen der tirolischen Kammer Colin einen Dienstbrief aus,
I in welchem diesem ein Jahresgehalt von 150 Gulden, freie Wohnung
j und Beheizung sowie reichliche Beschäftigung mit Arbeiten und
I besondere Entlohnung ,,nach Gelegenheit eines jeden ausbereiteten
Stückes** versprochen wurde. In der That fehlte es Colin nicht
I an zahlreichen Aufträgen von Seite des Erzherzogs. Sowie Fer-
dinand nämlich die endliche Vollendung des Maxgrabes gleich
■
seinem Vater und Bruder als eine Ehrenschuld betrachtete, bei
der brüderlichen Theilung allein die Bestreitung der Kosten der-
selben auf sich nahm und es trotz mancher Schwierigkeiten glück-
lich zu Ende führte, ebenso fasste er mit seinem Bruder Maxi-
milian II. im Sinne der Testaments- und Codicillsbestimmungen
204
H. Zimmermann
Ferdinands I. gleich nach dessen Tode die Errichtung eines Mar-
morgrabmales für seine Eltern ins Auge. Zu diesem Behufe wurde
nach einigen vergeblichen Versuchen, anderwärts einen geeigneten
Bildhauer zur Herstellung des Modells zu finden, im Frühjahre
1566 Colin nach Prag berufen. Dieser beschäftigte sich dort als-
bald mit dem Entwürfe und machte ein Modell, das auch die
Billigung des Kaisers fand. Mit Hilfe einiger Gesellen, die Colin
auf einer zu diesem Zwecke unternommenen Reise in den Nieder-
landen angeworben hatte, vollendete er das Grabmal in der Zeit
von acht Jahren zu Innsbruck, worauf es auf dem Inn von Hall
weg zu Schiffe nach Linz gebracht und dort bis zum Eintritt des
Winters aufbewahrt wurde, um dann mittelst Schlitten nach Prag
befördert und im dortigen Dome aufgestellt zu werden. Später
musste sich Colin dazu bequemen, den ursprünglich allein auf
dem Sarkophagdeckel ruhenden Figuren Kaiser Ferdinands I.
und seiner Gemahlin Anna noch diejenige des inzwischen ver-
storbenen und gleichfalls in Prag begrabenen Kaisers Maximilian II.
hinzuzufügen und an den Seitenwänden die Bilder älterer böhmi-
scher Könige anzubringen, wodurch die Harmonie seiner ursprüng-
lichen Composition einigermaßen beeinträchtigt wurde. Noch
während er an diesem Grabmale arbeitete, war er von Kaiser
Maximilian IL mit der Herstellung mehrerer Brunnen für dessen
Lustschloss Fasangarten bei Wien betraut worden. Erregte die
zur vollen Zufriedenheit des Kaisers ausgefallene künstlerische
Lösung dieser Aufgabe in jenem den Wunsch, den Meister ganz
in seine Dienste hinüberzuziehen, so bot dies andrerseits der stets
auf Ersparungen bedachten tirolischen Kammer den erwünschten
Anlass zu dem Antrage an Erzherzog Ferdinand, Colins ständige
Bestallung zu kündigen. Allein Ferdinand wies beide Ansinnen
mit dem Bemerken ab, dass ihm Colin unentbehrlich sei, da das
Grabmal Maximilians I. noch der Vollendung harre und er den
Meister auch sonst täglich zu ,, anderer genöthiger Arbeit*' brauche.
Bald nach dem am 24. April 1580 erfolgten Tode der Philippine
Welser beauftragte er Colin, für dieselbe in einer Nische der silbernen
Kapelle zu Innsbruck ein prächtiges Marmorgrab zu errichten, das,
schon im folgenden Jahre in schönem italienischen Renaissancestile
vollendet, alle Vorzüge des Meisters erkennen lässt. Dasselbe gilt
von dem in der gleichen Kapelle befindlichen Grabmale des Erz-
Die Renaissance. 2O5
herzog;s selbst, das Colin acht Jahre später auf äesseti Wunsch
in Angriff nahm, und an welchem vielleicht nur das an der mittleren
Nischenwand angebrachte, in leuchtenden Farben ausgeführte Stein-
mosaik des erzherzoglichen Wappens nicht von Colins Hand, son-
dern Florentiner Arbeit ist. Beide Grabmäler zeigen viele Ana-
logien in der Anlage ; beide überliefern uns die lebensgroße por-
traitähnliche Gestalt der hier Bestatteten, die Welserin im einfachen
Todtenkleide, den Erzherzog in der Kriegsrüstung-und dem Fürsten-
Abb. 4S. Römerschlacht. CcdernholzreUef von Aleiander Colin (?) in den knnst-
historischen Samrotungen des A. H, Kaiseihauses,
mantel auf das kostbare, aber kalte Lager gebettet. Während der
Ausführung seines eigenen Grabmales, für das Colin 2240 Gulden
gefordert hatte, kam der Erzherzog, wie uns des ersteren Sohn
Abraham berichtet, oft in die Werkstatte des Meisters, mit welchem
er alle Einzelheiten besprach, und dem er bei der Arbeit zusah. Er
wollte das Monument offenbar noch bei seinen Lebzeiten vollendet
sehen und drängte daher Colin so sehr, dass dieser ,,früh und
spat, Tag und Nacht daran arbeiten mnsste". Besondere Auf-
merksamkeit widmete er der Anfertigung seines Bildnisses, das,
als das erste ihm nicht genügte, Colin ein zweitesmal macheu
mxisste. Abgesehen von seinen Reliefen am Maxgrabe und den
2o6 ^> Zimtnermann
genannten sowie vielen andern im erzherzoglichen und in privatem
Auftrage ausgeführten Grabmalen und Epitaphien, endlich ab-
gesehen von seinen schon vor seiner Ankunft in Innsbruck ent-
standenen Bau- und Bildhauerarbeiten am Heidelberger Schlosse,
bethätigte Colin sich auch als Wachsbossierer, Stuccateur und
Zeichner von Vorlagen für Kleinkünstler. Von drei wohl mit
Recht ihm zugeschriebenen Holzreliefs der kaiserlichen Sammlung
stellen zwei, darunter das hier (Abb. 48) wiedergegebene, antike
Schlachtscenen, das dritte einen Raub der Sabinerinnen dar. Ver-
räth schon die Wahl dieser StoflFe den echten Renaissancekünstler,
so beweisen viele seiner Figuren eine gute Kenntnis griechischer und
römischer Sculpturen, seine architektonischen und decorativen Motive
aber den überwiegenden Einfluss italienischer Kunstweise. Ob er nun
nach von ihm selbst erfundenen oder fremden Entwürfen modelliert,
so zeigen alle seine Arbeiten eine bis in die kleinsten Einzelheiten
sorgfaltige Ausführung und geradezu bewunderungswürdige Technik.
Er hatte es wohl nie zu bereuen, seinem hohen Gönner den Vorzug
vor ,, andern Potentaten und Herren** eingeräumt zu haben. Denn
jener nahm sich seiner überall, einmal sogar bei dem Rathe der
Stadt Antwerpen, wärmstens an, bestallte seinen Landsmann und
Schwager Roman Vleeschhouwer als erzherzoglichen Hofmaler und
setzte dessen Witwe und fünf kleinen Kindern einen entsprechenden
Gnadengehalt aus, wie er denn allenthalben bemüht war, ihm ge-
leistete Dienste in fürstlicher Weise zu lohnen. Was Wunder,
wenn sich unter solchen Umständen an seinem Hofe ein reiches
Leben und Schaflfen von Malern, Bildhauern und Meistern ver-
wandter Künste entfaltete, von denen sich viele in Innsbruck
niederließen und dort eine förmliche Zunft mit festen Ordnungen
und Statuten bildeten.
Ebenso wie der Beginn der kunstfördernden, lässt sich auch
derjenige der Sammlerthätigkeit Erzherzog Ferdinands bereits in
die Zeit seines Prager Aufenthaltes zurückverfolgen. Zweierlei
Arten von Kunstgegenständen wendet er schon damals seine be-
sondere Vorliebe zu : schönen Harnischen und Rüstungen einerseits,
historischen, namentlich Familienportraits andrerseits. Schon im
Jahre 1550 stellte er seinem Vater, der ihm einen Plattner für
seine Hamischkammer nur unter der Bedingung bewilligt hatte,
dass dieser auch Trabantendienste versehe, vor, dass er ,,viel
Abb. 4g. Erzbercog Ferdinands mailändische Rüstung in der Waffen Sammlung des
Die Renaissance.
207
schöne Harnisch und Zeug'* habe, so dass ein Mann beide Dienste
nicht wohl verrichten könne. Im folgenden Jahre wurde mit der
Begründung, dass er sich in allerlei Kurzweil, als Rennen, Stechen
Turnieren übe, wodurch seine Rüstungen schadhaft würden, mit
Genehmigung Ferdinands I. für den Erzherzog und seine Diener-
schaft eine eigene Plattnerwerkstätte auf dem Hradschin errichtet,
für die er Augsburger und Nürnberger Gesellen zu gewinnen
trachtete. Die Anlegung von Kunst- und Rüstkammern, wo alles
paradierte, was Zufall oder Absicht ihren Besitzern an Curiositäten
und Kostbarkeiten in die Hände spielte, war eine der großen
Passionen der Renaissance. Den Grundstock derjenigen Erzherzog
Ferdinands bildeten zunächst seine eigenen Rüstungen, die er theils
von seinem Vater ererbte, theils aus Nürnberg, Augsburg, Inns-
bruck u. s. w. bezog oder wie die hier (Abb. 49) abgebildete so-
genannte ,,mailändische Rüstung** im Jahre 1560 von Giovanni
Battista Serabaglio in Mailand kaufte. Zu Ende der siebziger
Jahre beginnt dann der Erzherzog die Rüstungen berühmter
Kriegshelden systematisch zu sammeln und lässt nach dem Tode
seiner ersten Gemahlin seine CoUection von WaflFen oder, wie er
sie nannte, seine ,, ehrliche Gesellschaft** nach und nach in Ambras
aufstellen. Für die Aufnahme eines Harnisches in sein Arma-
men tarium, das er zu einer Art Walhalla des Kriegsruhmes und
militärischer Leistungen zu gestalten trachtete, war ebensowenig
die Schönheit des einzelnen Stückes als die politische und sei es
auch dem Hause Habsburg feindliche Gesinnung seines früheren
Trägers maßgebend, sondern einzig und allein die historischen
Erinnerungen, welche sich an denselben knüpften. Da war auch
die einfachste unansehnlichste Rüstung willkommen, wenn sie an
ein wichtiges geschichtliches Ereignis gemahnte. Der Muselmann
wie der Christ, der Franzose, Deutsche und Italiener nimmt hier
die Ehrenstelle ein, die ihm seine Heldenhaftigkeit oder besondere
kriegerische Tüchtigkeit anweisen. Verhältnismäßig leicht ge-
langte Ferdinand in den Besitz solcher Waflfenstücke der Ange-
hörigen seines Hauses, wie Maximilians I., Ferdinands I., Maxi-
milians II. und selbst Karls V. und Philipps II. Für die Erlangung
von Rüstungen deutscher und italienischer Fürsten eröffnete sein
unermüdlicher Helfer bei Zusammenstellung dieser Sammlung,
Jacob Schrenkh von Notzingen, einen ausgebreiteten Briefwechsel
2o8 ^* Zimmermann
und waren seine eigenen und des Kaisers Gesandte allenthalben
thätig. Neben den WaiBfen suchte er auch die Portraits, Stamm-
bäume und biographischen Daten ihrer ehemaligen Besitzer zu
erhalten. Um nämlich auch solchen, welche nicht in der Lage
waren, die Sammlung selbst zu besichtigen, die Beschäftigung mit
derselben zu ermöglichen, wurde die Herausgabe eines Werkes
beschlossen, in welchem alle Persönlichkeiten, deren Rüstungen
und WaflFen Ambras aufnahm, nach dem Leben in Kupfer gestochen
und auch ihre Lebensbeschreibungen der Öffentlichkeit übergeben
werden sollten. Battista Fontana entwarf die Zeichnungen, Domi-
nicus Custos fertigte die Kupferstiche, Schrenkh schrieb dazu die
Biographien. Freilich konnte das schon 1582 begonnene Werk
erst sechs Jahre nach des Erzherzogs Tode bei Johann Agricola
in Innsbruck erscheinen.
Neben den Bildnissen der früheren Besitzer seiner Rüstungen
sammelte Ferdinand vorzüglich diejenigen der Mitglieder seiner
Familie, der Ahnen verwandter und befreundeter Fürstenhäuser
und anderer berühmter Zeitgenossen. Daneben wurde eine Schön-
heiten-Gallerie angelegt, für die z. B. sein ehemaliger Hofmaler
Terzio noch 1573 ^^ Rom malen sollte, in der aber auch deutsche
Vertreterinnen nicht fehlten. Auch religiöse und Historienbilder
weist des Erzherzogs Verlassenschaftsinventar auf, wie denn Hans
Jakob Fugger für ihn drei alte Flügelaltäre erwarb. Um die
Sammlung antiker Münzen und Statuen machte sich namentlich
Schrenkh verdient. Wo zufallig ein Fund gemacht, alte Erbstücke
veräußert wurden, war er zur Hand, machte für seinen Herrn ein
Angebot und kehrte meist mit reicher Ausbeute nach Ambras
zurück.
Wie glänzend auch die Renaissance in des Erzherzogs Samm-
lung vertreten war, beweisen neben zahlreichen Objecten aus Edel-
metall, Halbedelsteinen, Bergkrystall, Uhren, Gläsern und Majoliken,
Bijouterien, kostbaren alten Möbeln u. a. drei gleich jenen aus
derselben stammende und heute in den kaiserlichen Kunstsamm-
lungen aufbewahrte Stücke : Benvenuto Cellinis Salzfass, ein
goldener Pokal und eine Sardonyxkanne, welche König Karl IX.
von Frankreich aus Anlass seiner Vermählung mit der Erzherzogin
Elisabeth, Ferdinands Nichte, dem letzteren zum Geschenk machte.
Deutsche, niederländische, französische und italienische, ja auch
Die Renaissance. 20Q
orientalische Künstler und Kunsthandwerker waren in des Erz-
herzogs Kunstkammer in gleicher Weise durch Prachtstücke ihrer
Erzeugung repräsentiert. Dass in derselben auch allerlei Curio-
sitäten und Abnormitäten, metallurgische und alchymistische
Spielereien Aufnahme fanden, liegt in der Richtung der damaligen
Zeit, wie sie in weit höherem Maße bei Rudolf II. zu Tage tritt.
Durch Schenkungen und Kauf gelangte Ferdinand in den Besitz
einer wertvollen Bibliothek, welche nicht allein Handschriften
antiker Autoren, sondern auch Otfrieds Christ, einen Parcival, das
bekannte Heldenbuch, medicinische, astronomische, mathematische,
juridische und historische Werke in ansehnlicher Zahl enthielt.
All dies war in theilweise noch heute erhaltenen schönen
Zirbelholzschränken oder freistehend in zwei großen Sälen des
Unterschlosses, dem im Winkel daranstoßenden Tracte mit einer
Holzgallerie und dem gegenüberliegenden Parterregebäude von
Ambras aufgestellt und sollte nach dem testamentarischen Willen
des Stifters ,,in gueten Wirden ohne Schmelerung sauber und
fleissig zusammengehalten, wol verwahrt, gemehrt und gepessert
werden.*'
Erzherzog Ferdinand starb am 24. Januar 1595. Die Mitwelt
feierte ihn als einen der tapfersten Kriegshelden jener Periode. Der
unaufhaltsame Gang der Zeit hat auch noch reichere militärische
Lorbeeren als die seinen verwelken und der Vergessenheit an-
heimfallen gemacht. Ein weit schöneres und dauerhafteres An-
denken hat sich der Erzherzog durch die Gründung seiner präch-
tigen Sammlung gesichert, und durch sie wie durch seine eifrige
Pflege und Unterstützung von Kunst und Wissenschaft — diese
edelsten Werke des Friedens — geht ein Spruch in Erfüllung,
den wir auf einem Prunkschilde seiner Sammlung neben dem
Bilde der Friedensgöttin lesen : Ilgdg rd äözQa öta vavra — Auf
diesem Wege zur Unsterblichkeit !
Kunst^reschichtl. Charakterbilder aus Osterreich-Üngani. 14
KAISER RUDOLF II. UND DIE PRAGER KUNST-
KAMMER.
Das Herrscherbild Kaiser Rudolfs II. umschweben die Schat-
ten finsterer Melancholie, die seinen Geist gegen das Ende seines
Lebens immer düsterer umnachtete, und in welche nur eine hervor-
ragende Kunstliebe, die sich nach und nach zur wahren Leiden-
schaft steigerte, ihre glänzenden Strahlen wirft. Einer richtigen
dichterischen Intuition folgend hat Franz Grillparzer das ganze
Wesen Rudolfs erfasst, wenn er ihn uns gleich bei seinem ersten
Auftreten im ,, Bruderzwist** als Kunstmäcen vorführt, der die
auf die dringendsten staatlichen Entscheidungen harrenden Poli-
tiker ohneweiteres abweist, um sich ohne Rücksicht auf jene
und die eventuellen schlimmen Folgen ihrer Nichterledigung ganz
dem Verkehr mit Malern und Bildhauern, der Begutachtung ihrer
Werke, somit rein künstlerischen Interessen ungestört widmen zu
können. Aus den Schwierigkeiten und Wirrnissen der Politik,
die einen ganzen Mann erfordert hätte und sich durch des Kaisers
Abneigung gegen staatliche Thätigkeit immer trostloser gestaltete,
flüchtete er gerne in das heitere Gebiet der Musen, zu seinen ge-
malten und gemeißelten Lieblingen, die ihm den reinsten und
ungetrübtesten Genuss boten, welchem er sich um so lieber und
eifriger hingab, je schwerer die Bürde der Herrscherpflicht auf
seine schwachen Schultern drückte. Sein Mäcenatenthum gieng
von wesentlich anderen Gesichtspunkten aus als dasjenige Kaiser
Maximilians I., der sich Kunst und Künstler wesentlich zu dem
Zwecke dienstbar zu machen suchte, um durch sie seine und
seines Hauses Größe der Nachwelt zu überliefern, oder des Erz-
herzogs Ferdinand von Tirol, den bei Anlegung seiner Sammlung
neben rein künstlerischem vor allem ein historisches Interesse
leitete. An die Stelle des letzteren tritt bei Rudolf II. ein vor-
wiegend antiquarisches, das sich dem einzelnen Gegenstande in
um so höherem Grade zuwendet, je mehr sich derselbe als etwas
Die Renaissance.
211
Außergewöhnliches, als ein Curiosum repräsentiert. Wann und
wo er aber von solchen Kunde erhält, ist ihm keine Mühe zu
groß, keine Summe zu hoch, um in deren Besitz zu gelangen.
Nur so wird es begreiflich, dass es Rudolf gelang, den verhältnis-
mäßig geringen Kunstbesitz, den er vom Vater überkommen
hatte, zu jener überreichen Sammlung auszugestalten, welche die
unbegrenzte Bewunderung der wenigen Zeitgenossen erregte,
die sie zu besichtigen Erlaubnis erhalten hatten. Als der
älteste von sechs Söhnen Maximilian II. in der Kaiserwürde
nachfolgend, musste er das väterliche Erbe, abgesehen von den
Hauskleinodien und Kroninsignien, denen er die prächtige Haus-
krone, dieses Meisterstück deutscher Goldschmiedekunst, und den
Reichsapfel, sein Bruder Mathias das Scepter hinzufügte, dann
außer den alten Münzen und nicht wohl zu theilenden Kunst-
objecten mit seinen Brüdern gleich theilen.
Neben diesem Erbe übernahm er aber auch eine Reihe von
Künstlern und Kunsthandwerkern, die er in womöglich noch
höherem Maße als sein Vater für den Hof beschäftigte, so unter
anderen den Hofmaler Giuseppe Arcimboldo aus Mailand.
Von dessen vier noch jetzt in der kaiserlichen Gallerie befindlichen
stillebenartigen Bildern ist z. B. der Sommer durch ein aus Obst
und Korbgeflecht zusammengesetztes Brustbild dargestellt, auf dem
eine Zwiebel die Stirne, eine Gurke die Nase, ein Maiskolben das
Ohr, eine Kirsche das Auge, ein Pfirsich die Wange und eine
Melone das Hinterhaupt bildet. Derartige unserm modernen Ge-
schmacke wenig entsprechende Spielereien müssen bei Rudolf II.
sehr beliebt gewesen sein, da er nicht weniger als elf solcher Bilder
besaß und Arcimboldo erst 1587, offenbar auf dessen eigenen
Wunsch, mit einer Abfertigung von 1500 Gulden entließ.
Dagegen stand der Medailleur und Wachsbossierer oder, wie er
officiell hieß, ,,Conterfecter*' Antonio Abondio der Jüngere,
ein Sohn des gleichnamigen Bildhauers, bis zu seinem im Jahre
1591 erfolgten Tode in des Kaisers Diensten, in denen seit 1606
in gleicher Eigenschaft auch sein Sohn Alessandro thätig war.
Von letzterem besitzt die kaiserliche Sammlung noch heute eine
Reihe von Bildnismedaillen, die sich durch Schönheit und Voll-
endung der Modellierung, Zartheit der Ausführung und Wahrheit
der Auffassung in gleicher Weise auszeichnen.
14^
212
H. Zimmennann
Auch der Hofuhrniacher Kaiser Maximilians II. Gerhard
Enmoser ward von Rudolf IL ,,confirmiert*', d. i. im Dienste
behalten. Er verfertigte im Jahre 1577 eine große astronomische
Spiegeluhr für 500 Thaler, später eine große astronomische Uhr
mit einem beweglichen Globus für 900 Gulden und starb erst im
November 1584.
Künstliche und künstlerisch ausgestattete Uhren bildeten
ja eine besondere Liebhaberei Rudolfs, was mit seiner Vorliebe
für Astronomie und Astrologie im innigen Zusammenhange steht.
So begegnen wir denn in seiner Umgebung einer ganzen Reihe
von ständig angestellten Uhrmachern, wie Martin de Bell-
campo (bis 1596), Christoph Marggraf (1587), Martin
Schmidt (1609) ^- ^' ^m ^^^ sehen neben diesen auch die be-
rühmtesten auswärtigen Mathematiker, Automatenmacher und
Mechaniker vollauf für den Kaiser beschäftigt. Da ist zunächst
Georg Roll in Ausgburg, der für Uhrwerke und Globen wieder-
holt ansehnliche Zahlungen erhält, und von dem u. a. der in den
kaiserlichen Sammlungen aufbewahrte, durch Uhrwerke in Be-
wegung gesetzte, complicierte Erd- und Himmelsglobus herrührt,
der nicht nur die jedesmalige Himmelsconstellation, sondern auch den
Stand von Sonne und Mond und des letzteren Phasen angibt, so
dass er zur Lösung aller davon abhängigen astronomischen Auf-
gaben verwendet werden kann. Ahnlich wird wohl das Planetarium
beschaJBfen gewesen sein, welches Rudolf im Jahre 1583 bei Jakob
Kuno, Mathematiker zu Frankfurt a. d. Oder, um 2000 Kronen
bestellte, und von dem er ausdrücklich wünschte, dass es nur gut
gehen und nicht auf die äußere Ausstattung mehr Gewicht als
auf die innere Güte gelegt werden solle. Dass jedoch der Kaiser
unter Umständen auch der prächtigen äußeren Ausstattung von
Uhren nicht abhold war, beweist eine für ihn angefertigte silberne
Standuhr mit reichen Emailverzierungen von dem Augsburger
Goldschmied David Attemstätter. Ein anderes Automaten-
werk der kaiserlichen Sammlung in Form einer selbstbeweglichen
Schildkröte ist wohl identisch mit dem Werke des Augsburger
LThrmachers Hans Fronmüller, das dieser nach den Hof-
zahlamtsrechnungen im Jahre 1604 an den Kaiser verkaufte. Der
Hofuhrmacher des Landgrafen von Hessen, Jobst Burgi, ein
Zeitgenosse und Freund Kepplers, der Erfinder des Proportional-
213
zirkeis und iiiuthmaßlich auch der Logarithmen und des Pendels
als Regulators der Uhren, fand wiederholt Gelegenheit, dem Kaiser
im eigenen nnd seines Herrn Namen kostbare Uhrwerke und In-
strumente zum Geschenke zu machen; nach jahrelangen Be-
mühungen gelang es Rudolf, den Landgrafen dazu zu vermögen,
Abb. 50. Staadnbt aus Bergkr^
dass er die Erlaubnis zum Übertritt Burgis in kaiserliche Dienste
gab, worauf am 15. Mai 1605 dessen Anstellung als kaiserlicher
Kammeruhrmacher erfolgte. Zwei prächtige, in den kaiserlichen
Sammlungen befindliche Uhren, die eine in Achat, die andere,
hier (Abb. 50) abgebildete, in Bergkrystall montiert, sind sein Werk,
214
H. Zimmermann
eine dritte, ähnliche von 1606 dasjenige seines Schülers Michael
Schneeberger in Prag.
Eine besondere Liebhaberei jener Zeit, der auch der Kaiser
huldigte, waren künstliche Springbrunnen und Wasserwerke.
Zum Gusse eines solchen für das kaiserliche Lustschloss Fasan-
garten, das heutige Neugebäude an der Wien-Schwechaterstraße,
dessen Bau von Maximilian II. begonnen, von seinem Sohne fort-
gesetzt wurde, reiste der ,, Wasserkünstler** des Kurfürsten von
Sachsen EliasH netter im Auftrage des Kaisers 1582 nach Wien,
von wo er erst 1601 wieder in seine Heimat Nürnberg entlassen wurde.
Zahllos waren die Goldschmiede, welche entweder als Kam-
mergoldschmiede dauernd verwendet oder durch ausgedehnte Be-
stellungen zur Vennehrung der Kunstschätze des Kaisers heran-
gezogen wurden. Unter letzteren ist an erster Stelle der berühmte
Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer und dessen Sohn
Abraham zu nennen; ein von ersterem gefertigter kolossaler, mit
Automatenwerk und Springbrunnen versehener Tafelaufsatz in
Form einer Kaiserkrone, damals als ,, Lustbrunnen** bezeichnet,
bildete eine Zierde der Rudolfinischen Kunstkammer. Zwei andere
Nürnberger Goldschmiede: Georg Lencker und Paul Buckl
lieferten aus je einer Schüssel und einer Kanne bestehende Garni-
turen, die eine getrieben, die andere mit Perlmutter belegt;
namentlich diese muss sehr kostbar gewesen sein, da Buckl dafür
nicht weniger als 1990 Gulden erhielt. Für einen von Abraham
Lotter in Augsburg gemachten Schreibtisch mit Gold- und
Silberarbeit wurden iioo Gulden, ein fast gleich hoher Preis für
einen anderen Schreibtisch dem kaiserlichen Büchsenschäfter
Bernhard Elsässer ausbezahlt. Von dem Können des renom-
mierten Augsburger Goldschmiedes Anton Schweinberger,
der 1587 — 1603 auch als Kammergoldschmied fungierte, zeugt eine
prächtige Cocosnusskanne in Silberfassung in kaiserlichem Besitze.
Daneben gab es nach wie vor fortwährend Bedarf an Silbergeschirr
zum Gebrauche des Hofes, silbervergoldeten Bechern und Ketten zu
Geschenken für des Kaisers Getreue bei Hochzeiten, Taufen etc. oder
für Gesandte fremder Fürsten, zumal wenn diese durch Schenkungen
zur Vermehrung der Kunstkammer beitrugen, so dass auch die
Prager Goldschmiedecolonie, deren Arbeiten zumeist durch die ein-
Die Renaissance. 21 c
gestrichenen flachen Granaten leicht kenntlich sind, vollauf zu thun
hatte, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden.
Mussten sie ja doch auch die Montierungen der Erzeugnisse
eines anderen Zweiges der Kunstindustrie liefern, der bei Rudolf
in hohem Ansehen stand und ihm sein Heimischwerden im In-
lande, speciell in Böhmen verdankt. Es ist dies der Edelstein-
schnitt und die damit verwandte Bergkrystallschleiferei. Denn
nicht allein dass der Kaiser ungefasste Edelsteine in unglaublicher
Menge sammelte und horrende Summen dafür ausgab, er be-
schäftigte auch zahlreiche Stein- und Krystallschneider, welche
jenes kostbare Material verarbeiteten. Rudolfs erste Meister im
SchliflF des damals zumeist aus den Vorlanden bezogenen Krystalls
stammten aus Italien, wo dieses Fach, vereint mit der wieder-
belebten Edelsteinplastik, seit einem Jahrhundert blühte. Schon 1588
wird Ottavio Miseroni, dessen Familie aus Mailand stammte
und dessen Brüder Gasparo und Girolamo in Florenz für Herzog
Cosimo arbeiteten, mit einem Monatsgehalt von 15 Gulden als
Edelsteinschneider in Prag angestellt, wo er noch im Jahre 1607
thätig war. Zehn Jahre später (1598) wurde auch sein Bruder
Ambrogio und 1605 ein dritter Miseroni, Alessandro, in
gleicher Eigenschaft aus Italien nach Prag berufen. Inzwischen
hatten sich auch Deutsche dem gleichen Fache zugewendet, so
Mathias Krätsch, Hans Schwayger, wohl ein Sohn oder
Neffe jenes Ulrich Schwayger in Augsburg, der bereits für Maxi-
milian II., dann auch für Rudolf II. als Siegelschneider thätig
war; endlich Caspar Lehmann, der den Kaiser besonders zu-
friedengestellt haben muss, da er, wie die auf ihn bezüglichen
Daten der Hofrechnungsbücher zeigen, selbst für jene Zeit rasch
Carri^re machte. Während sich Rudolf in dieser Weise mit einem
ganzen Stabe von Edelstein- und Krystallschneidem umgab, die
nach seinen Angaben und unter seiner fortwährenden Aufsicht
arbeiteten, kaufte er auch auswärts kostbare Krystallgefaße und
geschnittene Steine zu hohen Preisen, so u. a. den berühmten
Cameo der kaiserlichen Antikensammlung mit der Apotheose des
Augustus, welcher im Kirchenschatze von St. Semin in Toulouse
bereits im XIII. Jahrhunderte nachweisbar ist. David von Brüs-
sel, der in Rudolfs Auftrage Deutschland, Frankreich und Italien
wiederholt nur zum Zwecke bereiste, um Perlen, Diamanten
2i6 H* Zimmermann
und geschnittene Steine zu erwerben, wurde im Jahre 1601 zum
Ankaufe eines im Besitze der Jesuiten in Rom befindlichen
großen Diamanten dahin gesendet und ermächtigt, 25.000 bis
30.000 Kronen dafür zu bieten. Zur Auffindung von Krystallen
und Edelsteinen, von denen das nahe Riesengebirge des Kaisers
Lieblingssteine: Achate, Jaspisarten und andere lieferte, wurden
nicht allein in Böhmen, sondern auch ins Reich formliche Expe-
ditionen von Edelsteinsuchem ausgerüstet, diese bei den be-
trefiienden Grund- und Landesherren als kaiserliche Abgesandte
beglaubigt und deren thatkräftigste Unterstützung bei sonstiger
kaiserlicher Ungnade angeordnet.
Erwähnen wir noch den Wachsbossierer Antonio Bazoldo,
den Bildschnitzer Nikolaus Pf äff, die Kupferstecher Andreas
Lucius, Joachim Lechner und Aegydius Sadeler,
endlich den seit i. November 1602 als Hofkammermaler ange-
stellten Miniaturmaler Jakob Hufnagel, welche alle vorüber-
gehend oder dauernd für den Kaiser arbeiteten, so können wir
uns einen beiläufigen Begriff" davon machen, welch große Anzahl
von Kunsthandwerkern und Kleinkünstlern am Prager Hofe Be-
schäftigung und Gelegenheit zu lohnendem Erwerbe fand.
Daneben wurden die Vertreter der großen Kunst keineswegs
vernachlässigt, Adrian de Fries, um 1560 im Haag geboren,
einer der besten Schüler des Giovanni da Bologna, trat, nachdem
er längere Zeit in Augsburg thätig gewesen und dem Kaiser schon
im Jahre 1593 eine 8 Fuß hohe Brunnengruppe, darstellend
Psyche, von Mercur zum Olymp emporgetragen, gefertigt hatte,
am I. Mai 1601 als Hofbildhauer dauernd in dessen Dienst, in
welchem von dieser Zeit an eine Reihe größerer und kleinerer
Arbeiten entstand. Es sind dies zunächst drei Portraits Rudolfs
aus den Jahren 1603, 1607 und 1609, das erste auf den nackten
Gestalten Juppiters und Mercurs, einem Adler und einem Widder
ruhend, in sichtbarer Anlehnung und als Pendant der ganz
ähnlichen Bronzebüste Karls V. von Leone Leoni geschaffen, das
zweite, hier (Abb. 51) abgebildete, vollkommen als Büste behandelt,
— beide Eigenthum der kaiserlichen Sammlung, — das dritte jetzt
im South-Kensington-Museum. Ferner ein großes Relief, darstel-
lend Kaiser Rudolfs Kriege in Ungarn, ebenfalls in kaiserlichem Be-
sitze, zu dem wohl sein gegenwärtig verschollenes Relief: Die Ein-
Die Renaissance.
317
führung der freien Künste in Böhmen, das Gegenstück bildete.
Wahrscheinlich war auch die jetzt in Paris befindliche Gruppe,
eine allegorische Darstellung des über den materiellen Gewinn
triumphierenden Ruhmes, früher im Besitze des Kaisers.
Aus stilistischen Gründen wird ferner eine Reihe kleinerer
Gruppen der kaiserlichen Sammlung: ein kleiner stehen-
der Hercules, Römer und Sabinerin, Hercules und Kentaur,
Mars und Venus, Hercules mit Nessus und Dejanira und
zwei sich ähnelnde Thiergruppen, darstellend einen Löwen,
2x8 ^* Zimmermann
der ein zu Boden gestürztes Pferd zerreißt, endlich zwei lebens-
große Gruppen in der Durchfahrtshalle des Schönbrunner Schlosses:
Hercules im Kampf mit dem Hesperidendrachen und Besiegung
des nemeischen Löwen, für diesen Meister in Anspruch genommen.
Adrian de Fries, der sich, wie mehrfach bezeugt ist, auch als
Maler und Kupferstecher versuchte, blieb bis zum Jahre 1616 in
kaiserlichem Dienste, arbeitete dann für den Fürsten von Schaum-
burg-Lippe und von 1622 bis 1627 für den Herzog von Friedland.
Über das letztgenannte Jahr reicht unsere Kunde von semem
Wirken nicht hinaus.
Innig befreundet mit Fries war der Maler Bartholomäus
Spranger, im Jahre 1546 zu Antwerpen als Sohn eines Kauf-
manns geboren, zuerst in der Heimat, dann in Italien gebildet,
von dort auf Empfehlung des Giovanni da Bologna von Kaiser
Maximilian II. zur Ausmalung des Schlosses Fasangarten nach
Wien und nach dieses Kaisers Tode von Rudolf II. nach Prag be-
rufen, wo er zuerst einen Monatsgehalt von 15, dann von 20, 25,
endlich vom Jahre 1605 an von 45 Gulden und ein jährliches
Quartiergeld von 100 Gulden bezog. Er wählte zumeist allegorische
Stoffe, die seiner reichen Phantasie freien Spielraum ließen, und
bei deren Darstellung er, von dem Bestreben geleitet, ideal zu
sein und die großartige Gestaltung des Michelangelo womöglich
noch zu überbieten, in der Lebendigkeit der Bewegung seiner
meist nackten Figuren bis an die äußersten Grenzen der Schön-
heit, Wahrheit und Möglichkeit, zuweilen sogar darüber hinaus-
gieng. Eben damit errang er den Beifall seiner Zeitgenossen und
auch des Kaisers, der ihn mit Beweisen seiner Gnade überhäufte,
in den Adelstand erhob, imd dessen Kunstkammer nicht weniger
als sechsundzwanzig Bilder seiner Hand enthielt, von denen die
kaiserliche Sammlung heute allerdings nur mehr zwölf, darunter
auch des Meisters und seiner Gemahlin treffliche Portraits, besitzt.
In gleich hohem Ansehen beim Kaiser stand Johann von
Aachen. Er war 1552 zu Köln geboren, dann ebenfalls in Italien
gebildet, nach seiner Rückkehr für seine Vaterstadt und für den
bairischen Hof in München thätig, bis er mit i. Jänner 1592 als
Hofmaler Rudolfs bestallt wurde. Von einunddreißig Ölbildern,
die er für den Kaiser malte, sind neun noch jetzt in habsburgischem
Besitze; desgleichen einige gemalte Steinplatten, die seine besondere
Abb. 52. Veniiälilutig der heil. Katharina, von Matthäus Gunilelach iti der Gemälde-
.■iBiiiiiiluii){ des A. H. Kaiscrhau-ses.
Die Renaissance.
219
Specialität bildeten. Schon 1594 geadelt, bezog er vom Jahre 1600
an den für damalige Zeit ansehnlichen Jahresgehalt von vierhundert
Gulden und ward auch bei besonderen Gelegenheiten wie z. B.
anlässlich seiner Hochzeit mit kaiserlichen Geschenken bedacht.
Ein Zeitgenosse Johanns von Aachen schildert ihn uns als einen
der größten Günstlinge Rudolfs und den einflussreichsten von dessen
, , Camerdieneri * * , als einen Mann ,,von größerer Einfachheit als Klug-
,,heit, der nichts thue, nichts spreche, nichts gebe und nicht das
,, Geringste nehme, ohne sofort seinen Herrn bei Heller und Pfennig
,, davon zu benachrichtigen; er sei katholisch, des Italienischen
,, etwas mächtig, ein wahrheitsliebender Mann, dem Weine und
,, der Fröhlichkeit nicht abgeneigt.** Er starb hochgeehrt zu Prag
drei Jahre nach seinem Gönner am 6. Jänner 1615.
Ein Schüler von Aachens war der seit i. Jänner 1591
als Kammermaler angestellte Josef Heinz, ein gebürtiger
Schweizer, dem für seine im Auftrage des Kaisers gemalten Bilder
neben seinem ständigen Monatsgehalt in der Zeit von 1603 bis zu
seinem im Jahre 1609 erfolgten Tode die artige Summe von über
achttausend Gulden ausbezahlt wurde. Außer seinen selbständigen
Compositionen, deren bedeutendste, der Raub der Proserpina, lange
für Giulio Romano gehalten, sich jetzt in Dresden befindet, copierte
er mit einer wahrhaften Virtuosität die großen Meister, namentlich
Correggio, dessen weiche, graziöse Figuren Rudolf neben den sinn-
lichen, durch glühendes Colorit ausgezeichneten Formen Tizians
besonders liebte, wie er denn auch unter den Bildhauern Giovanni
da Bologna bevorzugte und durch Verleihung eines Adelsdiploms
. auszeichnete. Wohl zur Herstellung von Portraits unternahm Heinz
in Rudolfs Auftrage wiederholt Reisen, so nach Rom, Graz und
' Innsbruck.
Dagegen ward der gleichfalls nach Prag berufene Nieder-
länder Roeland Savery von Rudolf zu dem Zwecke nach Tirol
gesendet, um die Gebirgswelt nach der Natur zu studieren. Ein-
zelne seiner uns erhaltenen Bilder charakterisieren sich deutlich
als Früchte dieser Studien. Nach des Kaisers Tode arbeitete
Savery auch noch für dessen Nachfolger Mathias. Das letztere
war auch der Fall bei Matthäus Gundelach aus Hessen-Kassel,
dessen hier (Abb. 52) reproduciertes Gemälde mit der Vermählung
der heiligen Katharina aus dem Jahre 1614 uns in den neben-
220 ^> Zimmermann
stehenden Heiligen, Mathias und Helena, die mit besonderer Liebe
und Sorgfalt ausgeführten Portraits des Kaisers Mathias und seiner
Gemahlin, Kaiserin Anna, zeigt.
Es würde zu weit führen, hier auch noch die andern Hof-
maler des Kaisers, wie Hans Hofmann, Dietrich Raffen-
stainer, Jeremias Günther, Emanuel Schweiger, den
Landschafter Peter Stevens u. a. in ihrer Thätigkeit für
Rudolf einzeln zu verfolgen.
Wir wenden uns vielmehr einer Reihe von Thatsachen zu,
welche zeigen, wie der Kaiser nicht allein durch directe Bestel-
lung bei Künstlern und Kunsthandwerkern, sondern auch durch
Ankäufe einzelner Objecte und ganzer Sammlungen seine Lieblings-
schöpfung zu bereichern suchte. Anfangs bediente er sich hiebei
des Rathes und der Mithilfe des bekannten Malers und Antiquars
JacopoStrada, gleich ausgezeichnet als Gelehrter, Sammler und
Kunstagent, der alle die zahlreichen Fäden, welche der damals
schon rege Kunsthandel über ganz Italien und Deutschland spann, in
seiner Hand vereinigte. Ihm folgte nach seinem Tode (1588) als
kaiserlicher Antiquar sein Sohn Ottavio Strada, der dann mit
I. Mai 1607 durch den Miniaturmaler Daniel Fröschl abgelöst
worden zu sein scheint. Als auswärtiger Agent in Kunstangelegen-
heiten fungierte auch eine Zeit lang der Bürger Raimund Dorn
in Kempten, an den Rudolf im Jahre 1582 seinen Hofmaler Arcim-
boldo absendete, um Antiquitäten und Kunstsachen, die jener theils
von den Fuggem, theils von den Welsern und Hochstettem zu
Augsburg erstanden hatte, für kaiserliche Rechnung anzukaufen.
Neben diesen speciell mit der Ausfindigmachung und An-
schaflFung von Kunstobjecten betrauten Personen waren auch die
politischen Geschäftsträger des Kaisers beauftragt, über ihnen an
ihrem Amtssitze aufstoßende verkäufliche Kunstwerke und ganze
CoUectionen zu berichten, eventuell deren Ankauf zu vermitteln.
Solche Berichte erhielt . Rudolf im Jahre 1595 von seinem Vice-
kanzler und Gesandten in Rom Rudolf Corraduz über Gemälde
und Antiken aus verschiedenen römischen Privatsammlungen,
darunter auch einen David und Goliath, angeblich von Correggio,
im Besitze des Cardinais Montalto. Da jedoch die Gemälde theuer
waren und der Kaiser eben damals nicht über die nöthigen Geld-
mittel verfugte, blieben Corraduz' Bemühungen erfolglos, und er
Die Renaissance.
221
musste sich darauf beschränken anzufragen, ob er das letztgenannte
Bild durch den Cavaliere d'Arpino oder Federigo Zucchero für
den Kaiser copieren lassen solle.
Dagegen gelang es dem kaiserlichen Gesandten in Spanien
Hans Freiherm von KhevenhüUer nach jahrelangen schwierigen
Unterhandlungen, fiir seinen Herrn zwar nicht die von diesem
gewünschten Gemälde von Tizian, Hieronymus Boos und Parme-
gianino aus dem Nachlasse Philipps II., dafür aber eine Reihe
hervorragender Bilder aus der Sammlung des gestürzten spanischen
Staatssecretärs Antonio Perez zu erwerben, nämlich Correggios
Jo und Danae, die bereits der Bildhauer Pompeo Leoni an sich
gebracht und seinem Vater Leone nach Mailand geschickt hatte,
und die nun von diesem zurückgekauft wurden ; ferner desselben
Meisters Leda und Ganymed sowie Parmegianinos Cupido, letztere
drei Bilder als Geschenke König Philipps III., an dessen Vater
sie durch Confiscation der Perez' sehen Güter gekommen waren.
Der Gesandte machte dem Kaiser auch einige seiner eigenen Bilder
zum Geschenke, darunter Parmegianinos Cleopatra, ferner einen
überlebensgroßen Johannes Baptista, der ihm vom Cardinal Erz-
herzog Albrecht bei dessen Abreise zur Übernahme der Statthalter-
schaft in den Niederlanden überlassen worden war, endlich noch
ein anderes Bild ,,von einem S. Sebastian, so gar guet in Italia
gemacht worden.** Derselbe KhevenhüUer erwarb für Rudolf im
Jahre 1581 ein Portrait Karls V. und sechs Jahre später aus dem
Nachlasse des am 21. September 1586 zu Madrid gestorbenen be-
kannten Cardinais Granvella einen Band Zeichnungen Albrecht
Dürers. Für letzteren Meister zeigte Rudolf besonderes Interesse,
wofür ja auch die Erzählung spricht, dass er ein Gemälde des-
selben, das jetzt im Strahow-Kloster zu Prag befindliche Rosen-
kranzfest, aus Venedig, wo es gekauft worden war, von kräftigen
Männern auf ihren Schultern über die Alpen tragen ließ, um es
ja unversehrt zu erhalten.
Einen großen Theil von Granvellas Verlassenschaft besaß
sein Neffe Franz Graf Cantecroy Granvelle zu Besangon, auf dessen
Sammlung der Kaiser zunächst sein Augenmerk richtete. Im
Jahre 1600 beauftragte er seinen Specialgesandten und Rath Carlo
Billeo, alles daranzusetzen, um dreiimddreißig der wertvollsten
Stücke aus Cantecroys CoUection um den Preis von 12 — 14.000
222 ^' Zimmermann
Gulden zu erwerben. Der Graf machte anfangs Schwierigkeiten,
seine Sammlung gerade dieser hervorragendsten Objecte zu berauben,
und hätte lieber das Ganze um etwa den doppelten Preis an den
Kaiser verkauft. Schließlich gelang es jedoch Billeo, der sich
hiebei der Vermittlung eines Verwandten des Grafen, namens Gilbert
Granvelle in Brüssel bediente, Cantecroy zur Abgabe der dreiund-
dreißig von Rudolf II. bezeichneten Stücke um den Preis von
13.000 Thalern zu bewegen. Es befand sich darunter ein weib-
liches Bildnis von Rafael, das Martyrium der 10.000 Christen von
Dürer, die Venus mit dem Lautenspieler von Tizian, die Bronze-
büste Karls V. von Leone Leoni und einige der hervorragendsten
Objecte der Münzen- und Medaillensammlung des kaiserlichen
Hauses. Zur Übernahme und Überwachung des Transportes ward
der kaiserliche Kammermaler Johann von Aachen und Rudolfs
Edelsteinschneider Mathias Krätsch, mit den nöthigen Vollmachten
und einem Wechselbrief des Hauses Fugger auf die Kaufsumme
versehen, nach Besangon gesendet und die vorderösterreichische
Kammer angewiesen, für den sichern Transport zu sorgen.
Überhaupt wurden von Fall zu Fall Personen ausgesendet,
um in die ,, Schatz- und Kunstkammer** — dies der officielle Name
in allen gleichzeitigen Acten, in denen nirgends der Name ,, Wunder-
kammer*' erscheint, — passende Objecte geschenks- oder kauf-
weise zu erlangen. Eine solche Reise unternahm im Jahre 1597
der Appellationsrath Ferdinand Graf Schlick, um Antiquitäten und
Gemälde des Grafen Anton Günther von Schwarzburg für den Kaiser
zu erwerben, was ihm dank dem bereitwilligen Entgegenkommen
von Seite der Witwe und Vettern des inzwischen verstorbenen Grafen
auch gelang. Das Gleiche war der Fall bei Karl Herrn von
Liechtenstein, der den ihm durch Schlick vorgetragenen Wunsch
Rudolfs nach einigen seiner Bilder und sonstigen Kunstgegen-
stände alsbald erfüllte.
Weniger glücklich war Albrecht Graf zu Fürstenberg, der
gleichzeitig mit Schlick ausgesendet wurde, um die Übergabe
eines in der Kirche des Antoniterordens zu Eisenheim befindlichen
Flügelaltars zu erwirken. Alle seine hiefiir gemachten Anstren-
gungen, welche die Regierung zu Ensisheim ,,mit allerlei hierzu dien-
samen Persuasionen und sonderlich der Vertröstung** zu unterstützen
beauftragt wurde, dass der Kaiser eine durch seinen besten Kammer-
Die Renaissance.
.223
maier anzufertigende Copie als Ersatz geben werde, .scheiterten an
dem unbesieglichen Widerstände des Kirchenadministrators.
Auch das im Jahre 1584 durch den Syndicus Joachim König
an die Stadt Nürnberg gestellte Begehren des Kaiser^, Dürers
Allerheiligenbild, wofür Mathias Landauer dem Meister 200 Gulden
gezahlt und welches er in seine Kapelle gestiftet hatte, gegen eine
von einem seiner Hofmaler herzustellende Copie umgetauscht zu
erhalten, ,, da er ein sondere Naigungdarzuhab,'* stieß anfangs bei
dem Rathe auf Bedenken, da es nicht der Stadt, sondern der genannten
Stiftung gehöre. Erst als die Landauerschen Erben sich über A ndrin-
gen Rudolfs zur Übergabe bereit erklärten, wurde das Bild nach Prag
geschickt, wogegen der Kaiser der Stiftung 700 Gulden bewilligte.
Dagegen beeilte man sich im Jahre 1602, ein vom Nürnberger Stadt-
rath in Frankreich gekauftes Bild, Holbeins Darstellung des seinen
Sohn Jakob segnenden Isaak, an Rudolf unentgeltlich zu überlassen.
Erkannte man doch gar bald, dass der Kaiser gerne den-
jenigen seine Gnade schenkte, welche seine Kunstkammer be-
reicherten, so dass Fürsten und Städte kein besseres Mittel finden
konnten, seine Gunst zu gewinnen, als die Schenkung kostbarer Kunst-
gegenstände. Diese strömten denn auch von allen Seiten in reichem
Mafie zu. Gemälde schenkte der Erzbischof von Salzburg, Graf
Simon zur Lippe, Fürst Ernst Peter von Mansfeld, und im Jahre 1604
langten nicht weniger als sechs mächtige Truhen voll Bildern aus
Mantua an. Der Herzog von Urbino stellte sich mit ,,vier hochen
Pildem von Marbelstain und ainem schönen Gemahl'' ein. Die
Fugger schenkten zahlreiche Kunstobjecte, der Abt von St. Moriz
einen antiken Ring aus einem Römergrabe. Hans ImhoflF überließ
dem Kaiser zwei Gemälde, die Gräfinnen von Mansfeld eine Reihe
von Antiquitäten aus dem Nachlasse des verstorbenen Grafen,
darunter einen Triumph des Bacchus. Philipp Graf von Hohen-
lohe spendete einen geschnitzten Altar, den er aus den Nieder-
landen mitgebracht, und eine Schilderei, der Kurfürst von der
Pfalz einen Elfenbeinaltar mit Darstellungen aus dem Leiden Christi
und Bildnissen zeitgenössischer Fürsten. Johann von Westernach
übersandte ein miniiertes Manuscript des Hrabanus Maurus aus dem
Kloster Fulda, Johann Heinrich Herr zu ReifFenberg alchymistische
Bücher und den Liebesroman eines österreichischen Herzoges mit
der ,, schönen Königin Achliae.**
224
H. Zimmennann
Nach der Eroberung Raabs erhielt Rudolf des daselbst ge-
fallenen Paschas Rüstung, Fahnen und Waffen und erbat vom
Grafen Zrinyi einen bei dieser Gelegenheit erbeuteten edelstein-
geschmückten Schild, den jener nebst einem zweiten Schilde,
einem Gürtel, Bogen und Pfeilen alsbald zur Verfügung stellte.
Auch der Großherzog von Florenz und der Kurfürst von Sachsen
sandten Geschenke, Herzogin Maria Eleonore von Preussen Gegen-
stände aus Bernstein und Achat, Herzog Christian von Sachsen
zwei schöne Geschütze und ein kunstvolles Uhrwerk, Graf Salm
wiederholt Bücher, Bilder u. a.
Um des Kaisers Schutz gegen den Papst zu erlangen, über-
schickte Cesare d'Este im Jahre 1599 Gemälde von Rafael und
Tizian, von letzterem die sogenannte Moretta, das angebliche
Portrait der Lucrezia Borgia. Rudolf erbat von ihm durch den
herzoglichen Abgesandten Antonio Rizzi unter anderem eine Statue
des Giovanni da Bologna, die jedoch von jenem unter den hinter-
lassenen Kunstschätzen seines Vorgängers Alfonso II. nicht auf-
gefunden werden konnte. Dagegen wurde einem andern Wunsche
des Kaisers entsprochen, indem man ihm anfangs 1603 vier Bild-
nisse von Mitgliedern des Hauses Este, darunter dasjenige der
Prinzessin Julia zuschickte, von deren Schönheit man allgemein
sprach. Da letzteres jedoch etwas verdorben ankam und wegen
des nach venezianischer Mode geschnittenen Kleides nicht besonders
gefiel, wurde dem Hans von Aachen befohlen, neuerdings ihr
Portrait zii malen und dasselbe mit denen anderer Fürstinnen von
Baiern, Tirol, Steiermark, Savoyen und Mantua einzusenden.
Hans von Aachen reiste im October 1603 von Prag ab, gieng zu-
nächst nach Venedig, wo er für Rudolf einige Bilder kaufte, dann
nach Turin und Mantua, um dort die Töchter des Herzogs Karl
Emanuel von Savoyen und Vincenzo Gonzaga, zu portraitieren, und
kam Ende November nach Modena, wo er gleich einem Gesandten
auf das ehrenvollste behandelt wurde und bei seiner Abreise für
die Prager Kunstkammer außer Achaten und. Medaillen auch
Gemälde, darunter eine von einem Satyr verfolgte Nymphe von
Dosso Dossi, erhielt Auf Rath Johanns von Aachen ließ es der
Herzog bei diesen Geschenken nicht bewenden, sondern vermehrte
sie durch weitere Medaillen, ein Bronzerelief des Giovanni da
Bologna, ein dem Polyklet zugeschriebenes Marmorrelief, genannt
Die Renaissance. 22 S
,,das Bett des Polyklef, ferner einen antiken Mannortorso und den
Kolossalkopf eines Cyklopen, endlich durch ein zweites, den gleichen
Gegenstand wie dasjenige Dossis behandelndes Gemälde. Das Bild
hatte auf dem Transporte durch Regen und Schnee arg gelitten; doch
gelang dessen Restaurierung zu Rudolfs vollkommener Zufriedenheit.
Besondere Freude äußerte er über Giovannis Relief, von dem er übri-
gens bereits eine durch einen Schüler jenes Meisters gemachte Copie
besaß. , , Das ist nun mein, * * rief er frohlockend und trug es eigenhän-
dig in sein Privatgemach, wo er es auf einen kleinen Schrank stellte.
Durch ein vom Herzoge von Savoyen gesendetes Gemälde
auf dessen Kunstschätze aufmerksam gemacht, — Tappe tit vient
en mangeant — erbat der Kaiser von demselben eine Magdalena
von Lukas Kranach, die dieser gleichfalls schenkte, und der er
nach und nach einige Marmorstatuen, zwei niederländische Land-
schaften, kleine Miniaturen und anderes, endlich in den ersten
Tagen April 1606 weitere Gemälde und bald darauf sechs vom
Kaiser sehnlichst gewünschte antike Kaiserbüsten folgen ließ,
wodurch er das besondere Wohlgefallen Rudolfs erregte. Vor den
beiden niederländischen Bildern, einem Frucht- und einem Fisch-
markt, soll der Kaiser dritthalb Stunden lang, ganz in deren An-
schauung versunken, unbeweglich gesessen und schließlich den
Befehl ertheilt haben anzufragen, ob deren Meister noch lebe, um
ihn eventuell in seine Dienste zu ziehen. Die Miniaturen aber
verwahrte er in seinem Cabinette.
Anfangs 1605 war Hans von Aachen abermals in Mantua,
um ein neues Portrait der Prinzessin Marguerita, Tochter des
Herzogs Vincenzo, zu erbitten. Wie es scheint, wurde kein
Geringerer als Rubens, der damals in der Gonzaga Diensten stand,
mit der Anfertigung dieses Bildnisses betraut, wie er denn auch zwei
im herzoglichen Besitze befindliche Correggio's — vielleicht die
,, Schule des Amor'* und ,, Jupiter und Antiope** — für den Kaiser
copierte. Zwei berühmte Altargemälde desselben Meisters in den
Kirchen S. Pietro Martire und S. Sebastiano zu Modena copierte
Christian Puckner, ein Schüler Aachens, der sich damals im Hause
des Malers Rottenhammer in Venedig aufhielt und auf Wunsch
seines ehemaligen Lehrers nur zu diesem Zwecke nach Modena
gieng, wo er laut Gasthofrechnung vom 11. April 1606 bis 31,
Jänner 1607 blieb, daselbst für den Kaiser.
Kuostgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 15
226 ^' Zimmennann
Cardinal Alessandro d'Este, selbst ein eifriger Sammler von
Gemälden, bewunderte, als er, der Einladung Rudolfs folgend, im
Jahre 1604 dessen Kunstkammer besichtigte, die unglaubliche
Menge von Kostbarkeiten, Bildern, Gefäßen, Statuen, Uhren,
kurz den ganzen Schatz, ,,der seines Besitzers würdig sei.**
Dieses gewiss competente Urtheil eines kunstsinnigen Zeit-
genossen allein könnte genügen, um den in neuerer Zeit in voll-
kommener * Verkennung damaliger Verhältnisse gegen die
Rudolfinische Kunstkammer erhobenen Vorwurf wegen der Ver-
schiedenartigkeit der in dieselbe aufgenommenen Objecte und des
Mangels einer modernen wissenschaftlichen Ordnung derselben
sowie den darauf fußenden Vergleich mit Bamums Museum zu
entkräften. Hält man sich nur stets den rein privaten Charakter
dieser Sammlung vor Augen, die keineswegs dazu bestimmt war,
eine Mustercollection für eine Kunstgewerbeschule zu bilden, wo-
für bei der damals noch lebendigen Kunsttradition auch keinerlei
praktisches Bedürfnis vorlag, sondern einzig und allein den Zweck
hatte, dem ästhetischen Vergnügen ihres Besitzers und der wenigen
Auserwählten zu dienen, denen die Besichtigung derselben gestat-
tet wurde, dann wird man Rudolf die bunte Zusammensetzung und
die von rein malerischen Gesichtspunkten ausgehende Anordnung
seiner Sammlung, die sie übrigens mit allen ähnlichen Kunst- und
Antiquitätenkammern ihrer Zeit gemein hat, ebensowenig verübeln
wie einem modernen kunstsinnigen Privatsammler, der ohne Rück-
sicht auf Entstehungszeit und Schule etwa einem Makart oder Canon
neben Hogarth' sehen Kupferstichen oder älteren orientalischen
Teppichen neben verschiedenartigen Erzeugnissen moderner Kunst-
industrie in seinen Salons Aufnahme gewährte.
Auch beweist ein in neuester Zeit aufgefundenes Inventar
dieser Sammlung, dass die Kunstkammer keineswegs so mangel-
haft geordnet war, wie dies auf den ersten Blick scheinen mag.
Längs der Wände der eigentlichen Kunstkammer zogen sich,
fortlaufend numeriert, zwanzig Kästen oder Almare hin, deren
Innenraum kleine Kunstgegenstände und Raritäten verschiedenster
Art beherbergte, während auf denselben antike und moderne
Sculpturen standen, über welchen seltsame Geweihbildungen die
Wände zierten. Die Mitte des Raumes nahm eine lange Tafel ein,
auf welcher Gabinetkästchen, Uhren und andere größere Objecte
Die Renaissance.
227
Platz fanden, und an welche sich elf Tische und Truhen reihten,
deren zahlreiche Schubladen wieder Kleineres enthielten. Neun
weitere Tische mit Sculpturen aus Stein, Metall, Terracotta u. s. w.
standen an den Fenstern. Ganz ähnlich war die Eintheilung in
drei an die Kunstkammer anstoßenden Gewölben, in deren erstem
und drittem je sechs, im zweiten fünf durchlaufend numerierte
Almare untergebracht waren. Die Gemälde fanden in drei Ab-
theilungen ober einander Aufstellung an den Wänden und Fenster-
pfeilern zweier durch ein Mittelgemach verbundenen Corridore oder
Gallerien und, als hier der Raum zu klein wurde, im sogenannten
spanischen Saale und zwei Nebengewölben, in der Rathsstube, in
dem kaiserlichen Schreibzimmer und den dazu gehörigen zwei
kleinen Stuben und Gange, endlich in drei Sommerzimmern. Die
Waffen füllten die Rüstkammer und deren Neberigemach, der Rest
der Sculpturen den neuen deutschen Saal, das Treppenhaus, das
kaiserliche Lusthaus und den Garten.
Leider ist uns in Osterreich von dieser in ihrer Art einzigen
Sammlung, deren Wert nach Rudolfs IL Tode auf siebenzehn
Millionen Gulden geschätzt wurde, nur mehr der kleinste Theil
erhalten geblieben oder wieder zurückgewonnen worden. Die
ersten Beraubungen derselben fanden noch zu Lebzeiten ihres
Gründers statt und giengen von dem berüchtigten Kammerdiener
Philipp Lang aus, der es sich nicht genügen ließ, von Kunst-
händlern für die Empfehlung an den Kaiser Bestechungsgelder,
nach abgeschlossenem Kaufe Provisionen zu nehmen und dann
noch einen guten Theil des Gekauften als angebliches Geschenk
des Händlers seinem Herrn vorzuenthalten, sondern vieles durch
seine Diener unter dem Mantel, ja selbst kistenweise fortbrachte.
Nicht besser machte es Längs Nachfolger Rucky, welcher sich der
ihm nach des Kaisers Tode drohenden Untersuchung nur durch
Selbstmord entzog. Allein es sollte noch schlimmer kommen.
Die aufrührerischen böhmischen Stände machten im Jahre 1619
nach Vertreibung des kaiserlichen Schatzmeisters manches wert-
volle Stück der Kunstkammer zu Geld, um ihre laut nach Sold
schreienden Truppen zu befriedigen, bis die Schlacht auf dem weißen
Berge ihrem Treiben ein Ende bereitete. Seine werkthätige Allianz
in dieser Schlacht ließ sich Maximilian von Baiern nicht allein
mit der Kurwürde, sondern auch mit ausgesuchten Objecten des
15^
228 ^* Zimmermann
Hradschiner Museums, namentlich zahlreichen Bildern bezahlen,
die seither seine Residenzstadt schmücken. Auch der Kurfürst
von Sachsen, der nach Tillys Niederlage bei Leipzig (1631) rasch
auf die Seite der Gegner Kaiser Ferdinands IL trat, versäumte es
nicht, nach Prag zu kommen, um zahlreiche Kostbarkeiten auf
fünfzig Wagen und mehreren Schiffen fortschleppen zu lassen.
Kaum waren diese Abgänge durch den Kaiser und dessen wackeren
Schatzmeister Miseroni einigermaßen ersetzt, als über die Kunst-
kammer eine noch größere Katastrophe hereinbrach. Während
man in Münster bereits über den Abschluss des westphälischen
Friedens unterhandelte, gelang es den Schweden unter General
Königsmark durch Ottowalskys Verrath, sich am 26. Juli 1648
des königlichen Schlosses und der Kleinseite von Prag zu be-
mächtigen. Und nun begann jene systematische Beraubung der
Rudolfinischen Kunstsammlung, welcher nicht allein die schwedische
Königin Christine, sondern auch Königsmark und manche andere
schwedische Befehlshaber, die auf eigene Rechnung Kunstliebhaberei
betrieben, die wertvollsten Objecte ihrer Schlösser verdankten.
Elend verpackt blieben die kostbarsten Sammlungsgegenstände
monatelang am Ufer der Moldau liegen, da man besorgte, der Kur-
fürst von Sachsen werde sie nicht durch sein Land passieren lassen,
und erst im nächsten Frühjahre wurde, nachdem die Verhand-
lungen wegen Zurückstellung der Kunstkammer erfolglos verlaufen
waren, der größte Theil der Sammlung nach Schweden gebracht,
von wo vieles später nach Paris, London und in andere Museen
gelangte.
Dasjenige aber, was in Prag zurückgeblieben und durch
wiederholte Sendungen von Kunstgegenständen, namentlich Ge-
mälden aus Wien nach und nach wieder zu einer ansehnlichen
Sammlung ausgestaltet worden war, musste, schon vorher durch
bedeutende Verkäufe geschmälert, am Beginne des siebenjährigen
Krieges vor dem Bombardement des zweiten Friedrich über Hals
und Kopf in unterirdische, in Felsen gehauene Keller geborgen
werden, wo es mehr als fünfundzwanzig Jahre in buntem Wirrwarr
verstaubt und vergessen ruhte. Womöglich noch trauriger war die
Auferstehung aus diesem Felsengrabe! Als nämlich im Jahre 1782
die Umwandlung des Prager Schlosses in eine Artilleriekaserne
beschlossen und die Keller als feuersichere Magazine benöthigt
Die Renaissance.
229
wurden, machte die hiemit betraute militärische Commission kurzen
Process. Man schaffte das ,, zerbrechliche Zeug'' schleunigst ans
Tageslicht und schickte das, was man für ,, brauchbar'* hielt, nach
Wien; das Beschädigte aber wurde theils in den Hirschgraben ge-
worfen, theils in sinnloser Weise licitando verschleudert Bei
dieser Gelegenheit soll der herrliche Ilioneus, den Rudolfs Hof-
maler Hans von Aachen um 34.000 Ducaten für den Kaiser er-
standen hatte, als wertloser Eckstein von Marmor für fünfzig
Kreuzer ausgeboten und, als ein jüdischer Händler, der den
Spitznamen ,,der alte London" führte, wie zum Hohne dafür
51 Kreuzer bot, um ihn vielleicht zu Stockknöpfen zu verarbeiten,
diesem zugeschlagen worden sein. Glücklicherweise gereute ihn
dieser Kauf bald; er verkaufte die schöne Antike weiter, und auf
Umwegen gelangte sie schließlich in den Besitz Ludwigs I. von
Baiern; noch heute bildet sie eine der vornehmsten Zierden der
von ihm gegründeten Münchener Glyptothek.
Ist das Schicksal des Ilioneus nicht typisch für dasjenige
der ganzen Sammlung? Auch die unvergleichlich reiche Kunst-
kammer Rudolfs II. ist nur in wenigen spärlichen Überresten auf
uns gekommen, gleich jenem — ein Torso!
GESCHICHTE DER
KAISERLICHEN KUNST- SAMMLUNGEN BIS ZUM
TODE KAISER FERDINANDS II. — DIE SAMMLUNG
DES ERZHERZOGS LEOPOLD WILHELM.
Die Geschichte der kaiserlichen Kunstsammlungen steht im
innigsten Zusammenhange mit derjenigen des alten habsburgischen
Schatzes, welche wir ihrerseits in einzelnen urkundlichen Nach-
richten bis in die ersten Jahrzehnte der Herrschaft unseres edlen
Fürstenhauses in den österreichischen Landen zurückverfolgen
können. Jener alte Hausschatz umfasste alles, was der sorgfaltigsten
Aufbewährung für wert gehalten wurde: Hoheitszeichen und Haus-
kleinodien, kostbare Gefäße und Bilder, Waffen und geschnittene
Steine, Familienpapiere u. s. w. Alle diese Objecte werden in zahl-
reichen Testamenten, Erb- und Theilungsverträgen des XIV. und
XV. Jahrhunderts erwähnt, und beispielsweise wird in einer zwischen
den Herzogen Rudolf IV., Albrecht III. und Leopold III. im Jahre
1364 vereinbarten Hausordnung bestimmt, dass ihnen ihr ganzer
Schatz an Kleinodien, Gold, Silber, Gestein und Perlen gemein-
sam gehören und sammt den Handfesten und Urkunden von dem
jeweilig Ältesten in Verwahrung gehalten werden solle. Die im
Testamente Herzog Albrechts III. vom Jahre 1395 ausdrücklich als
unveräußerlich bezeichneten bestimmten Kleinoden waren im ersten
und zweiten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts theils im ,,Thurm bei
der gemalten Stube*', theils im ,,Sagrer** aufbewahrt und kamen
später auf Albrechts III. Enkel, Herzog Albrecht V. Der letztere
erwarb durch seine Gemahlin Elisabeth, Tochter des römischen
Kaisers Siegmund von Luxemburg, u. a. zahlreiche schöne Miniatur-
manuscripte aus dem Nachlasse König Wenzels von Böhmen,
welche um 1455 in dem Thürmchen über dem Burgthor zu Wien
aufbewahrt wurden und noch heute zu den kostbarsten Hand-
schriften der k. k. Hofbibliothek zählen.
Die Renaissance.
231
Auch die tirolische und steierische Linie des Hauses Habs-
burg war im Besitze solcher Wertobjecte, und das Nachlassinventar
Herzog Friedrichs IV. ,,mit der leeren Tasche** bildet mit seinen
zahlreichen Schmuckgegenständen, silbernen und goldenen Trink-
geschirren und gegen achtzig verschiedenfarbig emaillierten Kunst-
objecten eine lustige Illustration zu dem erwähnten Beinamen
ihres Besitzers. Nach dessen im Jahre 1439 erfolgten Tode ist
ein Theil dieser Schätze dem Hause Österreich ebenso erhalten
geblieben wie die Verlassenschaft Herzog Albrechts V., die zu-
nächst seinem nachgeborenen Sohne Ladislaus und nach dessen
frühzeitigem Ableben (1457) der emestinischen Linie zufiel.
Der nach dem Tode seines Bruders Herzogs Albrecht VI.
(1463) allein überlebende männliche Vertreter dieser Linie, Kaiser
Friedrich III., ein großer Freund von Goldschmiedearbeiten,
dessen besondere Vorliebe für Edelsteine uns Cuspinian überliefert,
vereinigte mit jenem Kunstbesitz das Erbe seines Vaters, und durch
rigorose Sparsamkeit gelang es ihm, den kostbaren Hausschatz
immer reicher und umfassender zu gestalten. Einen Theil des-
selben, darunter wertvolle alte und neue Wandbehänge, türkische
Teppiche und jene prächtigen Miniaturhandschriften aus dem
Nachlasse des Königs Wenzel von Böhmen überführte er aus der
Wiener Burg nach Wiener- Neustadt, wo Österreichs Herzoge seit
dem Anfange des Jahrhunderts auch ein Harnischhaus besaßen,
während kunstvoll gefasste Reliquien und Kirchengeräthe in der
Grazer und Wiener Burgkapelle verblieben. Wohl die sich gegen
das Ende seiner Regierung immer unsicherer gestaltenden poli-
tischen Verhältnisse in Osterreich unter der Enns, welche mit der
Besetzung Wiens durch den thatkräftigen Ungamkönig Mathias
Corvinus ihren Höhepunkt erreichten, mögen den alternden Kaiser
bewogen haben, die kostbarsten Kleinodien seinem Hofmarschall
Siegmund Prüschenk, auf dessen Treue er baute, anzuvertrauen.
Dieser barg sie in dem festen Schlosse Strechau bei Admont, von
wo er sie erst nach des Kaisers Tode an dessen Nachfolger
Maximilian I. nach Linz zurückstellte. Den größeren Theil
des Schatzes aber führte Friedrich III. bei seiner Flucht ins Reich
mit sich und ließ ihn in der Margaretenkirche zu Nürnberg ein-
mauern, wo ihn der Sohn im December 1495 erhob und in 63 Kisten
auf 21 Wagen zu sich nach Nördlingen zu bringen befahl, um ihn dann
232
H. Zimtnermann
nach den wiedergewonnenen Erblanden zurückzuführen und ihm
. in Wiener- Neustadt neuerdings eine feste Stätte anzuweisen. Mit
der Bewahrung dieses Schatzes, der auch Gold- und Seidenstoffe,
Tapisserien, Urkunden, Acten, Manuscripte, Bücher u. s. w. ent-
hielt, sehen wir in der Zeit von 1516 bis 1518 drei verschiedene
Trabanten des Kaisers betraut. Andere Schatzgewölbe bestanden in
Wien und Innsbruck, wo das von Erzherzog Siegmund hinterlassene
Silbergeschirr und die gesammte Verlassenschaft von Maximilians
zweiter Gemahlin Bianca Maria bis nitch des Kaisers Tode verblieb.
An dem letztgenannten Orte befand sich auch Maximilians
Köcherkammer, in dem nahen Ambras eine ansehnliche Samm-
lung von Waffen. Andere Rüstungsstücke beherbergte das Lukas
Fwgger'sche Haus vor dem hl. Kreuzthore zu Augsburg, das der
Kaiser im Jahre 1508 käuflich an sich brachte und nach und nach
zum förmlichen Harnisch- und Wappenjiaus umgestaltete. Hier
lagen u. a. einzelne von dem berühmten Augsburger Waffen-
schmied Lorenz Helmschmied erzeugte Waffen, zu denen sich
später zahlreiche andere, wie des Kaisers Kriegsrüstung und ein
vom König von England geschenkter Rundschild, gesellten. Bei der
am 23. März 1519 aufgenommenen Inventur wurde außerdem fest-
gestellt, dass sich die Reiterrüstung Maximilians zu Innsbruck, der
vergoldete Leibhamisch, den er jede Nacht bei seinem Bette hängen
gehabt, bei Wilhelm Schürf, Pfleger zu Ambras, einzelne Waffen-
stücke in Wien, der von Kolomann Helmschmied gefertigte silberne
Kürass noch bei diesem befinde.
Steht es nun einerseits urkundlich fest, dass Maximilian den
von seinem Vater ererbten Schatz theils durch eigene Erwerbungen,
theils durch reiche Erbschaften, wie diejenigen nach Erzherzog
Siegmund von Tirol, nach Leonhard dem letzten Grafen von Görz
und nach seinen beiden Gemahlinnen, von denen ihm die erste
einige Stücke von hervorragendem Kunstwerte aus dem Nachlasse
ihres prunkliebenden A'^aters Karl von Burgund, die zweite Bianca
Maria Sforza eine Fülle von Gold- und Silbergefaßen, Edelsteinen
und sonstigen Wertsachen zubrachte, ansehnlich vermehrte, so
lässt sich mit gleicher Sicherheit aus zeitgenössischen Documenten
der Beweis führen, dass die Behauptung seines Historiographen
Cuspinian, Maximilian habe sich nie, auch nicht in der größten
Noth dazu entschließen können, diese Schätze anzugreifen, deren
Die Renaissance.
233
Pracht und Reichthum nach seinem Tode die entzückten Augen
seines Enkels Ferdinand geblendet habe, in keiner Weise aufrecht
erhalten werden kann. Denn abgesehen von den im Jahre 1491
dem Rath von Nürnberg oder im Jahre 1508 an Philipp Adler in
Augsburg verpfändeten Kleinodien, die der Kaiser selbst bald
darauf wieder auslöste, abgesehen ferner von solchen, welche er
für eine zur Deckung von Kriegskosten vorgestreckte Pfand-
summe von 50.000 Goldgulden an König Heinrich VIII. von Eng-
land überließ, und über deren spätere Schicksale uns nichts weiter
bekannt ist, waren es gerade die sogenannten burgundischen
Kleinodien, darunter das bekannte Einhomschwert der kaiser-
lichen Schatzkammer, welche der freilich vielfach unverschuldeten
Geldnoth Maximilians zum Opfer fielen. Schon wenige Jahre
nach seiner Erwählung zum römischen Könige finden wir dieselben
in einem Verzeichnisse zahlreicher an verschiedene niederländische
und niederdeutsche Kauf leute um die für damalige Zeit ungeheure
Summe von 801.000 Gulden verpfändeter Kunstobjecte mit mehr
als 20. 000 Gulden bewertet. Allerdings knüpfte Maximilian selbst be-
reits im Jahre 1506 mit Reinbold Kessel in Köln Unterhandlungen über
die Einlösung der burgundischen Kleinodien ah; allein diese müssen
ebenso gescheitert sein wie die Bemühungen seiner beiden Enkel,
durch Vermittelung Ambrosius Hochstetters und Bartholomäus
Welsers bei den Reichsstädten Augsburg und Ulm die Auslösung
dieser und anderer Kleinodien von den Erben des Rechtsnachfolgers
Kessels, des ehemaligen kaiserlichen Schatzmeisters Jakob Villinger,
beziehungsweise dessen Schwagers Philipp Adler um 67.000 Gulden
zu erwirken, und erst Rudolf II. gelang es nach längeren Ver-
handlungen im Jahre 1582, dieselben wieder in seine Hand zu
bekommen. Nur ein gleichfalls aus dem burgundischen Schatze
stammendes, von Maximilian dem Erzbischof von Gran um
25.000 Gulden verpfändetes kostbares Diamantkreuz ward schon
im Jahre 1523 von Ferdinand I. wieder ausgelöst.
Überhaupt dürfte die Ordnung der Verlassenschaft Kaiser
Maximilians I. seinen Erben mancherlei Mühe und Sorge bereitet
haben. Nicht, wie diese voraussetzten, in Innsbruck, sondern, wie
einer der TestamentsvoUstreker, der schon genannte Wilhelm
Schürf, der Innsbrucker Regierung auf ihr Verlangen am 3. Februar
1521 mittheilte, in Linz war nach des Kaisers Tode der größte
27J, H. Zimmermann
Theil seiner fahrenden Habe vereinigt worden. Über die Theilung
derselben schlössen die Brüder Karl V. und Ferdinand I. einen
Vertrag, welcher bestimmte, alle Kleinodien, namentlich die aus
Wiener-Neustadt, seien durch beiderseitige Commissäre in wohl
verschlossenen und versiegelten Kisten nach Brabant zu fuhren
und dort in der Weise zu sondern, dass die hervorragenderen der-
selben, namentlich die Kroninsignien, sowohl die alten als auch
die von Maximilian angeschaiFten, Karl zufallen, die andern aber
gleich getheilt werden sollten; die übrige Verlassenschaft sei
als gemeinsames Eigenthum beider einer weiteren Theilung vor-
zubehalten. Wann diese letztere stattgefunden hat, ist uns nicht
bekannt; jedenfalls dürfte man bei derselben nicht besonders sach-
gemäß vorgegangen sein; denn nur so ist es erklärlich, dass sich
beispielsweise von einzelnen nach Stil und Ornamentation zu einer
und derselben Garnitur gehörigen Waflfenstücken die einen heut-
zutage in der kaiserlichen Waflfensammlung zu Wien, die anderen
in der Armeria Real zu Madrid befinden, wohin sie mit dem
ganzen übrigen Erbe Karls noch zu seinen Lebzeiten aus den
Niederlanden gebracht wurden.
Wir haben es in der Folge nur mit jenem Theile von Maxi-
milians Verlassenschaft zu thun, welcher Ferdinand I. und
damit der österreichischen Linie des Hauses Habsburg zufiel. Es
sind dies zunächst jene weltlichen und kirchlichen Kleinodien
und Gefäße aus Edelmetall, Chalcedon, Krystall u. s. w.,
welche Ferdinand offenbar zuerst nach Wiener-Neustadt zurück-
führen, dann aber, nachdem sie vier Jahre der Obhut Siegmunds
von Dietrichstein in Graz anvertraut waren, im Mai 1525 fast alle
nach Wien bringen und durch den dortigen Münzmeister Thomas
Beheim einschmelzen oder ein Jahr später in Augsburg und den
Niederlanden verpfänden ließ, so dass nur ein kleiner Rest in
Graz zurückblieb, dem er später immer wieder einzelne Stücke
entnahm, um endlich im Jahre 1554 einige noch allein übrig
gebliebene, kostbar gefasste Reliquien aus der Zeit Friedrichs III.
und Maximilians I. an seinen Oberstkämmerer Martin von Guzman
geschenkweise zu überlassen. Das Schicksal der Grazer, beziehungs-
weise Neustädter Kleinodien theilte auch eine Anzahl aus Schloss
Pressburg stammender Wertsachen, welche Königin Maria nach
dem tragischen Tode ihres jugendlichen Gemahles Ludwig II. von
Die Renaissance. 21 C
Ungarn in der Schlacht bei Mohäcs (29* August 1526) ihrem
Bruder Ferdinand abgetreten hatte. Die in Wien eingeschmolzenen
Gefäße ergaben 1667 Mark Silbers und 12 Mark Goldes. Nur die
aus denselben gebrochenen Edelsteine, Korallen und Krystalle
sowie Objecte ohne besonderen Metallwert wurden aufbehalten,
das in Pressbürg Zurückgebliebene, soweit es nicht inzwischen
von dem dortigen Schlosshauptmann verpfändet worden war, im
folgenden Jahre der St. Johanneskirche in Ofen übergeben. Das
beim Ableben Kaiser Maximilians I. in der Schatzkammer zu Inns-
bruck befindliche Silbergeschirr des Erzherzogs Siegmund, darunter
auch ,,vil hübscher und ansehnlicher Stück von gueter, sauber,
wol gemachter Arbait, ** sowie die ebendaselbst deponierten Klei-
nodien der Kaiserin Bianca Maria, welche Karl V. anfangs seiner
Schwester Maria und seiner Schwägerin Anna zu gleichen Theilen
hatte überlassen wollen, verwendete Ferdinand im Jahre 1524 zu-
meist zur dringenden Abfertigung verschiedener Parteien. Nur
ein kleiner Theil, namentlich kirchliche Gefäße, kamen aus
Nürnberg in den Schatzthurm zu Innsbruck zurück; auch davon
sowie von den dort verwahrten Tapisserien und von den Waffen
des Erzherzogs Siegmui^d im Neuhof zu Innsbruck zog Ferdinand
später manches an sich; trotzdem finden wir noch im Jahre 1563
in einem Gewölbe der Innsbrucker Burg Bücher, Heiligthümer,
Kirchengeräthe, Gemälde, alte Schwerter, ein Stück Narwalhom
u. s. w. und fast dreißig Jahre früher werden im Schlosse zu Trient
Tapisserien, Gefäße aus Edelmetall und Majolika, Bilder, Glas-
sachen und andere zahlreiche Kunstgegenstände aus dem Nachlasse
Kaiser Maximilians I. inventiert. Dagegen weist das Inventar
des Innsbrucker Harnischhauses, welches anlässlich dessen Über-
gabe an Georg Seusenhofer am 15. September 1555 aufgenommen
wurde, zumeist nur Werkzeuge, unvollendete, unvollständige oder
gänzlich veraltete Waffenstücke, im ganzen wenig Bedeutendes
auf und verdienen höchstens einige Harnische Maximilians L , der-
jenige des von ihm besiegten burgundischen Ritters Claude de
Vaudrey und jener des Königs Franz I. von Frankreich besondere
Erwähnung.
Man würde jedoch irren, wollte man aus dem Umstände,
dass Ferdinand, der Noth gehorchend, einen großen Theil der ihm .
von den Ahnen überkommenen Kleinode einschmelzen oder ver-
236
H. Zimmermann
pfänden ließ, auf seine geringe Kunstliebe oder auch nur darauf
schließen, dass sein Besitz an derartigen Kunstgegenständen ein
geringer war. Allerdings lässt sich derselbe nicht im entferntesten
vergleichen mit demjenigen seines Bruders Karl V., der nicht allein
bei der Theilung des großväterlichen Erbes den Löwenantheil
bekam und unumschränkt über die schier unerschöpflich scheinen-
den Metall- und Edelsteinschätze der neuen Welt gebot, sondern
auch die reiche Kunstsammlung seiner Tante Margareta erbte
und von seinen Schwestern Maria von Ungarn und Eleonore von
Frankreich zum Universalerben eingesetzt wurde, während Ferdi-
nand aus allen diesen Verlassenschaften nur ganz vereinzelte, wenn
auch immerhin recht wertvolle Stücke erhielt. Trotzdem konnte
Ferdinand schon in seinem ersten Testamente vom 17. September
1532 die Anordnung treffen, dass jede seiner Töchter neben einer
Aussteuer von 100.000 Gulden Kleinodien, Kleider und Hausrath im
Werte von je 20.000 Gulden erhalten sollte, und das im Jahre 1544
begonnene und bis in das Jahr 1548 fortgesetzte Inventar seines
Kunstbesitzes weist neben zahlreichen Kleinodien aus Gold, Silber,
Edelsteinen und Bergkrystall auch kostbare Waffen und gegen
1500 antike Münzen auf, auf welch letztere wir noch in anderem
Zusammenhange zurückkommen werden.
Auch seine edle Gemahlin, Königin Anna, besaß einen reichen
Schatz an Schmuckgegenständen, deren einer sich durch die darauf
angebrachten Initialen WA als Erbstück von ihren Eltern, König
Wladislaus von Ungarn und Anna von Foix, charakterisiert,
während die weitaus größte Zahl derselben in verschiedenfarbigem
Email die verschränkten Anfangsbuchstaben ihres und des Namens
ihres Gatten, A und F, trägt, die uns in ihrer immer wieder-
kehrenden engen Verbindung das musterhaft innige und in jener
sittlich ziemlich lockeren Zeit um so höher zu schätzende Herzens-
bündnis von Mann und Frau in wahrhaft rührender Weise ins
Gedächtnis rufen. Einzelne Objecte aus diesem Bestände kamen
später an Maximilian II. und seine Gemahlin Maria, ein großer
Theil an Königin Katharina von Polen und die übrigen Töchter
Ferdinands, während andere als Geschenke und sonst verwendet
oder von Ferdinand übernommen und im Verein mit Kleinodien
aus der Ofener Schlosskapelle und aus den Schatzgewölben zu Wien
und Prag nach Innsbruck gebracht und durch zahlreiche dem
Die Renaissance.
237
Kaiser von verschiedenen Seiten als Geschenke zugekommene
Kunstobjecte ansehnlich gemehrt wurden.
Neben solch wertvollen Erzeugnissen der gerade im XVI.
Jahrhundert in voller Blüte stehenden Goldschmiedekunst besaß
Ferdinand I. noch eine fast vollständige Reihe der Bildnisse aller
seiner männlichen und weiblichen Vorfahren, und im Jahre 1563
finden wir zum erstenmale die Kunstkammer in Wien er-
wähnt, als deren Begründer somit Kaiser Ferdinand I. zu betrachten
ist. Dasselbe gilt von der Sammlung antiker Münzen und
sonstiger Antiquitäten, welche noch heute einen hervor-
ragenden Bestandtheil der kaiserlichen Kunstschätze bildet.
Es liegt allerdings nahe anzunehmen, dass schon Maximilian I.
Münzen und Medaillen gleichzeitiger Fürsten und Reichsstände
sammelte, die dann auf seine Erben kamen, und dass Cuspinian,
des Kaisers Commentator rerum antiquarum, sich auch mit Numis-
matik beschäftigte. Ja es steht sogar urkundlich fest, dass Maxi-
milian I. eine Sammlung antiker Münzen oder ,, heidnischer Pfennige* *,
wie sie damals hießen, besaß. Im Jahre 1510 sendete er seinem
vertrauten Rathgeber in Kunst- und wissenschaftlichen Angelegen-
heiten Dr. Konrad Peutinger zur Unterstützung von dessen historischen
Studien ein Trüchlein voll solcher heidnischer Pfennige, wie dieser
vorher ähnliche nie gesehen oder gehabt zu haben versichert, und
von denen er die bei Landeck gefundenen für die wertvollsten
erklärte. Maximilian stellt ihm eine weitere Sendung derselben
in Aussicht, die jedoch augenblicklich in einem Sacke an einem
Orte aufbewahrt seien, zu dem der Schlüssel nicht habe gefunden
werden können. Schon diese vereinzelte Nachricht beweist, dass
von einer systematischen Sammlung oder gar Ordnung solcher
antiker Münzen unter Maximilian noch nicht die Rede sein konnte.
Anders unter Ferdinand I. Nicht allein dass er einmal (1532) sein
Anrecht als Landesherr auf die Ausfolgung von 353 auf einer Alm
seines Gebietes von einem Hirtenknaben gefundenen antiken Silber-
münzen gegen eine entsprechende Entschädigung des Finders mit
allem Nachdrucke geltend machte, er erwarb auch im Jahre 1548
von einem gewissen Vincenz Gärtner dessen ganze Sammlung
alter Münzen und sonstiger Antiquitäten und beauftragte sechs
Jahre später den Nürnberger Bürger und Maler Hans Lautensack,
300 seiner hervorragendsten antiken Münzen in Kupferstichen dar-
238
H. Zimmermann
zustellen, wofür demselben entsprechende Zahlungen angewiesen
wurden. Schon am 27. August 1549 war Ferdinand in der Lage,
seiner Schwester Maria, Statthalterin der Niederlande, einen voll-
ständig eingerichteten Münzschrank mit Doubletten aller in seinem
Besitze befindlichen Stücke, die er in Rom, Constantinopel, Venedig,
Ungarn, Siebenbürgen u^ s. w. habe sammeln lassen, nebst zwei
Registern, deren erstes alle römischen Consuln, Kaiser und deren
Familien, das zweite das Verzeichnis der im Schranke befindlichen
Münzen enthalte, zu übersenden und* diesen am 6. März 1555
weitere 129 Stücke nachfolgen zu lassen. Die Einrichtung jener
Register war ziemlich dieselbe wie diejenige im Inventar von 1544
und in einem damals angefertigten, heute im Vatican liegenden
Münzkatalog. Darnach waren die einzelnen Stücke nach dem
Material: Gold, Silber und Erz und nach ihrer chronologischen
Reihenfolge geordnet, so dass sich an die ägyptischen und griechi-
schen etwa 99 Consularmünzen und hierauf die Gepräge der römischen
Kaiser, welche fast vollständig vertreten waren, bis herauf zu Karl V.
anschlössen. Die ganze Sammlung war in der Wiener kaiserlichen
Burg aufbewahrt, von Ferdinands I. Kammerdiener und Burgvogt
Leopold Heiperger gehütet und inventarisiert und von seinem Leib-
arzt und Bibliothekar Wolfgang Lazius bestimmt, beschrieben und
geordnet. Mögen die diese Münzsammlung betreffenden Zahlen-
angaben des letzteren auch bedeutend übertrieben sein, so konnte
Ferdinand doch sicher in seinem letzten Testamente vom 25. Fe-
bruar 1554 mit berechtigtem Stolze darauf hinweisen, dass, wenn
die von ihm seinem Sohne Maximilian II. hinterlassenen alten
Münzen und Antiquitäten auch von geringem Metallwert, so doch
ihres Alters, ihrer Verschiedenheit und guten Ordnung wegen wohl
würdig seien, als Schatz ,,unzertrennt*' beisammenbehalten zu
werden, da sie ,,in solcher Menge und gueten Ordnung nicht
leichtlich an ainichem andern Ort unsers Erachtens gefunden**
würden. Wie hoch er den Wert dieser Sammlung anschlug, be-
weist auch seine weitere Testamentsbestimmung, dass außer jener
und den Kroninsignien alle andern Kleinodien, Perlen und Edel-
steine nicht unter alle drei Söhne, sondern nur zwischen Erzherzog
Ferdinand von Tirol und Karl von Steiermark gleich getheilt
werden und bloß seine übrigen Mobilien allen drei* Brüdern zu
gleichen Theilen zufallen sollten.
Die Renaissance.
239
Was das Erbe Ferdinands von Tirol betrifft, so wurde
oben (S. 222 — 226) darzulegen versucht, wie es seinem feinen Kunst-
verständnis und regen Sammeleifer gelang, dasselbe zu jener groß-
artigen Kunstsammlung auszugestalten, die auf Schloss Ambras
aufgestellt, laut seines Codicills vom 18. Juni 1594 auf den jüngeren
seiner beiden Söhne von Philippine Welser, den Markgrafen Karl
von Burgau, kam, welcher sie im Jahre 1606 an Kaiser Rudolf II.
um 100.000 Gulden verkaufte. Dieser beließ sie an ihrem Auf-
stellungsorte, und so entgieng dieselbe den traurigen Schicksalen
der Rudolfinischen Kunst- und Schatzkammer.
Auch ErzherzogKarl, dem bei der Erbtheilung von 1564
unter anderem das schöne, auf Pergament gemalte Handexemplar
von Kaiser Maximilians I. ,, Triumph*' zugefallen war, erweiterte
und vermehrte den von seinen Ahnen ererbten Kunstbesitz. Es
ergibt sich dies aus zahlreichen urkundlichen Nachrichten, nament-
lich aus seinem Verlassenschaftsinventar vom i. November 1590,
welches Kleinodien und Urkunden im Schatzgewölbe zu Graz, das in
der Verwahrung des Oberstkämmerers befindliche, meist von
Ferdinand I. und aus der Erbschaft nach Königin Katharina von
Polen, Karls Schwester, herrührende Silbergeschirr, die Garderobe,
Silberkammer, Kapelleneinrichtung , Rüstkammer , Stallsachen,
Sattelkammer, musikalische Instrumente und Bücher, Tapisserien
u. a. m. aufzählt. Kraft seines Testamentes vom i. Juni 1584
traten seine Söhne zu gleichen Theilen in das Erbe der ganzen
Verlassenschaft, und der älteste derselben, der spätere Kaiser Fer-
dinand II., war, wie wir noch sehen werden, berufen, mit seinem
Antheil noch anderes weit Bedeutenderes zu vereinigen.
Übrigens besaß auch der älteste von Ferdinands I. Söhnen,
Kaiser Maximilian IL, neben der vom Vater ererbten Münz-
und Antikensammlung einen Schatz anderweitiger Kostbarkeiten,
wie Kleinodien, Ringe, Becher, Waffen, goldene Vliesorden,
Krystalle, Gedenkmünzen u. s. w., die einem im Auftrage Fer-
dinands I. von Maximilians Kammervorsteher Georg von Thun
sorgfaltig geführten Inventar zufolge noch zur Zeit, als er Erz-
herzog war, entweder durch Kauf oder als Geschenke seines Vaters,
seiner Gemalin sowie verschiedener Adeliger, Städte, Landstände
u. s. w. in seinen Besitz gelangt waren. Vieles ward nach den
Eintragungen dieses Inventars, welches alle Zu- und Abgänge genau
J^
240
H. Zimmermann
verzeichnet, allerdings wieder weiter verschenkt; immerhin aber
erübrigte ein noch ziemlich bedeutender Schatz, der demjenigen,
was seine Brüder vom Vater ererbt hatten, wohl einigermaßen die
Wageschale gehalten haben dürfte. Dazu kam, da§s Maximilian II.
dem schon damals immer deutlicher zu Tage tretenden Zuge seiner
Zeit, in der nicht allein Kaiser und Könige, sondern auch kleinere
Fürsten, ja selbst reiche Kaufleute wie die Fugger u. a, mit allem
Eifer darnach trachteten, Kunstobjecte aus dem durch die Be-
strebungen der Renaissance neu erweckten und wieder zu hohem
Ansehen gelangten Alterthum zu erwerben und in größeren oder
kleineren Sammlungen zu vereinigen, keineswegs ablehnend gegen-
überstand, sondern sich demselben willig überließ. Mehrere ihm
wohlgesinnte römische Cardinäle kamen diesem seinem edlen
Streben auf halbem Wege bereitwillig entgegen, und so entspann
sich bald ein reger Briefwechsel zwischen Maximilian und seinen
Gesandten in Venedig und Rom, welcher die Erwerbung käuflicher
Antiken zum Gegenstande hatte und vielfach auch zum gewünschten
Ziele führte. Kaufte Maximilian II. noch ein Jahr vor seinem
Tode um 300 Gulden Antiquitäten von einem uns nicht weiter
bekannten Giulio Draghinotti, so sammelte er daneben auch zeit-
genössische Münzen und Medaillen und zeigte lebhaften Antheil
für die Meisterwerke eines Tizian, Veronese und anderer. Nach
dem am 28. Februar 1572 erfolgten Tode seiner Schwester, Königin
Katharina von Polen, fiel auch ihm ein entsprechender An-
theil von deren reicher Verlassenschaft zu. Katharina hatte nicht
allein von Haus aus nach dem Wunsche ihrer Mutter um 10.000
Gulden mehr Kleinodien als ihre andern Schwestern erhalten,
sondern auch aus ihrer ersten Ehe mit Herzog Francesco von
Mantua die ihr von diesem als Morgengabe zu freier Verfügung
gestellten Kleinodien und kostbaren Gewänder im Werte von
12.787 Scudi in ihrem Besitze. Beides brachte sie bei ihrer im
Jahre 1549 erfolgten zweiten Vermählung mit dem Witwer ihrer
Schwester Elisabeth, König Siegmund II. August von Polen, mit,
vermachte es aber in ihren beiden Testamenten vom 24. October 1558
und IG. Februar 1572 nach Abzug der Legate für ihre Schwestern,
Schwägerinnen und einzelne Personen ihres Hofstaates ihren drei
Brüdern Maximilian, Ferdinand undKarl zu gleichen Theilen, während
ihr ganzer zur und nach der Hochzeit in Polen erhaltener Schmuck
«t
y
Die Renaissance.
241
nach ihrem Tode Siegmund August zufallen sollte. Da ihr jedoch
dieser nach wenigen Monaten im Tode folgte und seine ihn be-
erbenden Schwestern theils ausdrücklich auf ihre Ansprüche ver-
zichteten, theils dieselben nicht geltend machten, so wurde nicht
bloß bald nach Katharinas Tode das ihren drei Brüdern Testierte
unter diesen gleich getheilt, sondern gelang es auch dem Andrängen
des Erzherzogs Ferdinand von Tirol Ende 1578, die Theilung des
Siegmund August, beziehungsweise dessen Schwestern hinterlassenen
Erbantheiles zwischen ihm, seinem Bruder Karl und Maximilians II.
Rechtsnachfolger, Kaiser Rudolf IL, unter der Bedingung durch-
zusetzen, dass jeder derselben sich verpflichtete, im Falle der
nachträglichen Geltendmachung der Erbansprüche durch Siegmund
Augusts Schwestern das ihm Zugetheilte herauszugeben.
Noch über einen andern Theil ihres Schatzes setzten sich
die drei Brüder Maximilian II., Ferdinand und Karl vertragsmäßig
auseinander. Es sind dies die sogenannten Hauskleinodien,
d. h. besonders wertvolle, für alle Zeiten als unveräußerlich er-
klärte Stücke, wie solche schon im Testamente Herzog Albrechts III.
von 1395 und in demjenigen König Philipps I. vom Jahre 1505
erwähnt werden, in unserem Falle eine aus dem sogenannten
burgundischen Schatze des Kaisers Maximilian I. stammende Achat-
schale und ein großes Stück Narwalhorn (Einhorn). In dem sie
betreiFenden Vertrage der genannten drei Brüder vom 11. August 1564
wurden diese beiden Objecte ausdrücklich als Hauskleinode be-
stimmt, welche immer der Alteste des Hauses in Verwahrung zu
halten habe. Auf Grund der letzteren Bestimmung dieses später
von Kaiser Rudolf IL und den Erzherzogen Ferdinand, Ernst,
Mathias und Maximilian erneuerten Vertrages reclamierte Ferdinand
von Tirol diesen ,, Erbschatz** schon am 28. Januar 1577, also kurz
nach dem Tode Maximilians II., von dessen ältestem Sohne und
Nachfolger. Später wurden dieselben durch die Testamente der
Erzherzogin Maria, Witwe Karls von Steiermark (i. August 1591),
und ihres Sohnes, des Kaisers Ferdinand II. (10. Mai 1621), ansehn-
lich vermehrt und in allen Inventaren durch die beigeschriebenen
Buchstaben H. K. als Hauskleinode besonders gekennzeichnet.
Am 12. October 1576 starb Kaiser Maximilian IL, ohne über
seine verlassene Habe an Edelgestein, Gold, Silber, Perlen, Kunst-
gegenständen u. a. irgend welche testamentarische Verfügungen
Kunstgescfalchtl. Charakterbilder aus Österreich-Ung^am. l6
242
H. Zinuncnnaiui
getroffen zu haben« So blieb die Vertheilung derselben unter seine
sechs Söhne: Rudolf, Ernst, Mathias, Maximilian, Albrecht und
Wenzel einem Erbvertrage vorbehalten, der denn auch am lo. April
1578 zu Wien abgeschlossen wurde und unter anderem Folgendes
bestimmte: Ausgenommen von der Theilung seien die Haus-
kleinodien nach dem oben erwähnten Vertrage vom 11. August 1564,
ferner die Kroninsignien, Hoheitszeichen und die Sammlung antiker
Münzen, welche ungetheilt Kaiser Rudolf II. zufallen sollten. Alles
andere sei zu inventieren, jeder der Parteien ein Exemplar des
Inventars einzuhändigen und dann alles entweder durch das Los
oder nach der Schätzung vertrauenswürdiger Personen in der Weise
gleich zu theilen, dass der Jüngste immer die erste Wahl habe.
Stücke aber, welche nicht leicht zu trennen sein und besser
,,unzergenzt*' im Besitze des Hauses Österreich bleiben würden,
solle Rudolf gegen billige Entschädigung der andern Compacis-
centeff für sich behalten dürfen. Als Tag der Theilung wurde
der 20. Mai festgesetzt und diese, nachdem man sich für die Zu-
weisung durch das Los entschieden, in der Weise vorgenommen,
dass man alle zu theilenden Objecte, gesondert nach drei Be-
ständen, wie sie die Schatzkammer, die Rüstkammer und die
Sattelkammer — die beiden letzteren in der neuen Stallburg
etabliert — boten, auf je 6 Tische vertheilt auslegte und jeden
dieser Theile mit den Nummern 1—6 bezeichnete. Sodann wurden
sechs Zettel mit den Namen der theilenden Brüder und sechs andere
mit den Nummern 1—6 in zwei Hüte gelegt und in Anwesenheit
der hiezu delegierten Räthe vom Grafen Franz von Thurn immer
je ein Zettel aus beiden Hüten gezogen. Nach dreimaliger Wieder-
holung dieses Vorganges konnte jedem der Brüder, der gleich-
zeitig mit seinem Namen gezogenen Losnummer entsprechend, die
mit der gleichen Nummer versehene Partie der drei Nachlass-
gruppen zugetheilt werden. Jeder der Brüder erhielt Kleinodien,
Krystallgefäße, Handsteine, Uhren, vergoldetes und unvergoldetes
Silbergeschirr, Pelzwerk und Leinengewand, Waffen und Teppiche,
Objecte aus der Verlassenschaft des Kaisers Ferdinand I. und der
Königin Katharina von Polen — ein Stück wird sogar als noch
von Kaiser Friedrich III. herrührend bezeichnet — im Gesammt-
schätzungswerte von 18— ■ 2a 000 Gulden. Der Kaiser machte von
dem ihm zustehenden Rechte Gebrauch und löste die ganze Silber-
Die Renaissance.
243
kammer, die Gobelins und Teppiche, daneben auch andere wert-
volle Objecte den Brüdern in Barem ab, wie denn auch ver-
schiedene kleine Wertdifferenzen zwischen den einzelnen Antheilen
der Brüder in gleicher Weise ausgeglichen wurden. Zufolge Empfangs-
bestätigungen haben ihre Bevollmächtigten die verschiedenen An-
theile am 19. und 24. Juni ordnungsgemäß übernommen.
Über den KaiserRudolfll. zugefallenen Antheil brauchen
wir nach dem im III. Abschnitt (oben S. 228—247) Gesagten kein
Wort weiter zu verlieren.
Erzherzog Ernst, der nach nur dreizehnmonatlicher Statt-
halterschaft der Niederlande am 20. Februar 1595 zu Brüssel starb,
und dessen hinterlassene Kleinodien, Tapisserien etc. bis zum Ein-
treffen eines Befehles des Kaisers, was damit zu geschehen habe,
unter Sperre und Siegel aufbewahrt wurden, bemerkt in seinem
mündlich bekannt gegebenen letzten Willen, er hinterlasse gar
keine Barschaft und auch sonst bloß ,,ain Schlechtes**, was nur,
wenn es beisammen bliebe, einen gewissen Wert repräsentiere.
Hievon seien seine Schulden zu zahlen, seine treuen Diener abzu-
fertigen. Einiges für fromme Zwecke zu verwenden und ein etwaiger
Rest unter seine Brüder gleich zu theilen. Ob ein solcher verblieb
und was weiter mit demselben geschah, wissen wir nicht. Er wird
nach dem Gesagten wohl sehr unbedeutend gewesen und es Erz-
herzog Ernst ähnlich ergangen sein wie seinem Bruder Mathias,
der seinerseits dem dritten Bruder Erzherzog Maximilian am
19. September 161 2 mittheilt, er habe die Königreiche und Länder
hochverschuldet überommen und, so sehr er auch darauf bedacht
gewesen sei, ,,daz der kaiserliche Schaz nit entfüert und verwendt**
werde, doch zur Erhaltung des Kriegsvolks unter anderem alle
seine Kleinodien verwenden müssen. Darunter befand sich vielleicht
auch ein Theil jener, die er noch zu Lebzeiten seines Vaters in
den Jahren 1571 — 1574 gemeinsam mit seinem Bruder Maximilian be-
sessen und die ein damals geführtes Inventar mit genauer Angabe
der Provenienz (meist Geschenke) sowie des jährlichen Zuwachses
und Abganges verzeichnet.
Über die Schicksale des Erzherzog Maximilian, dem
späteren Hoch- und Deutschmeister, zugefallenen Antheils sind wir
nicht weiter unterrichtet. Aus einzelnen Randbemerkungen zum
Theillibell von 1578 lässt sich jedoch entnehmen, dass gar manches
16»
244
H. Zimmennann
wertvolle Stück desselben verschenkt, verpfändet, eingeschmolzen
oder gegen Barzahlung dem Kaiser abgetreten wurde.
Erzherzog Wenzel hatte schon am 17. October 1577, also
noch vor Abschluss des Theilungsvertrages bei seinem Eintritt in
den Johanniterorden zu Gunsten seiner Mutter Maria auf seinen
Antheil an der Erbschaft nach Maximilian II. mit der Bestimmung
verzichtet, dass derselbe nach ihrem Ableben seinem Bruder
Albrecht zufallen solle. Allein hievon fand es nach seinem schon
am 22. September 1578 erfolgten Tode insoferne ein Abkommen,
als Kaiserin-Witwe Maria bei ihrer Abreise nach Spanien zufolge
mündlichen Übereinkommens ihren Anspruch an den Antheil
Wenzels am 8. März 1585 an Kaiser Rudolf II. abtrat. Von
ihren eigenen Kleinodien aber, deren sie bei ihrer Vermählung
mit Maximilian IL von dessen Vater im Werte von 40.000 Gulden
erhalten hatte und über deren Hälfte sie nach dem Heirats-
contracte vom 24. April 1548 vollkommen frei verfugen konnte,
beabsichtigte sie einige an Philipp II. von Spanien abzutreten,
worauf der kaiserliche Gesandte KhevenhüUer Schritte that, um
einzelne derselben für seinen Herrn zu erwerben, — wir wissen nicht,
mit welchem Erfolge.
Jedenfalls weisen diese von KhevenhüUer ohne Zweifel im
Auftrage Kaiser Rudolfs II. eingeleiteten Verhandlungen gleich der
Erwerbung des Erzherzog Wenzel zugefallenen Antheils aus der
Verlassenschaft Maximilians '11. und dem Ankauf der Ambraser-
sammlung von dem Erben des Erzherzogs Ferdinand von Tirol mit
aller Bestimmtheit darauf hin, dass Rudolf die Absicht hegte, alle
Kunstschätze der Mitglieder seines Hauses auf gütlichem Wege
an sich zu bringen und in seiner Hand zu centralisieren. Dies
bezeugt uns zudem ausdrücklich sein Bruder Mathias in dem
schon erwähnten Schreiben an Erzherzog Maximilian vom 19.
September 1612, in welchem er ausdrücklich bemerkt: Seinen
Vorschlag wegen Aufrichtung einer einheitlichen Kunst-
und Schatzkammer habe er nur in Erfüllung der In-
tention des verstorbenen Kaisers (Rudolf IL f 20. Jänner
161 2) und mit Rücksicht darauf gemacht, ,,daz es dem Haus
Österreich riemblich und ansehentlich sein wurde, daz solliche
Clenodia alzeit bei dem Eltisten dem ganzen Haus zu Reputation
und Besten unveralienirt verbliben. '* Da jedoch der spanische
Die Renaissance.
245
Botschafter hiezu von Erzherzog Albrecht nicht genügend instruiert
sei und er in diesem Punkte nur im Einvernehmen mit seinen
Brüdern vorgehen könne, müsse die Entscheidung dieser Frage
dem brüderlichen Vergleiche vorbehalten bleiben. Obwohl die
Vornahme der Theilung von Rudolfs Kunstschätzen eigentlich
dem Ältesten zustände, so schlage er dennoch vor, diese möge,
wie dies schon nach Maximilians IL Tode geschehen sei, Personen
überlassen werden, welchen alle Theile Vertrauen schenkten. Er
halte es jedoch für billig, dass man ebenso wie damals und schon
nach dem Ableben des Kaisers Ferdinand I. die kaiserlichen Hoheits-
zeichen von derselben ausnehme.
So kam es denn abermals zu einer Theilung, bei welcher
allerdings der größere Theil Kaiser Mathias erhalten blieb. Am
IG. October 1612 und 13. Februar 1613 verglich er sich mit seinen
Brüdern Maximilian und Albrecht dahin, jeden derselben mit
Kleinodien, Gold, Silber u. s. w. im Werte von 225.000 Gulden
aus der Rudolfinischen Verlassenschaft abzufertigen. Sollten sich
noch nachträglich Wertsachen im Betrage von mehr als 200.000
Gulden vorfinden, so wären die Brüder entsprechend zu entschädigen.
Nicht in Betracht zu ziehen seien in diesem Vertrage der tirolische
und vorderösterreichische Besitz und alles, was daraus herrühre. Die
Gesandten Albrechts hätten das Recht, für ihren Herrn eine ge-
eignete Auswahl zu trefifen und die ausgewählten Stücke sogleich
als Abschlagszahlung an sich zu nehmen. Von diesem Rechte
wurde auch Gebrauch gemacht, so dass Albrecht noch im Jahre
161 3 den Empfang von Objecten im Werte von 138.920 Gulden
50 Kreuzern bestätigen konnte. Aufgefordert, sich darüber zu
entscheiden, wo der Rest zu verbleiben habe, und Personen zu
dessen Erhebung zu bestimmen, betraute er mit dieser Mission
seinen Hofdiener Jakob Zeeländer, . dem laut Empfangsbestätigung
vom 9. September 1615 alles ordnungsgemäß ausgeliefert wurde.
So war dem Erzherzog Albrecht sein Antheil an den Kunst-
schätzen aus der Verlassenschaft Rudolfs II. ungeschmälert zuge-
kommen. Dagegen scheinen diejenigen aus dem Nachlasse seines
Vaters und seines am 20. März 1619 verstorbenen Bruders Mathias
noch längere Zeit in Österreich verblieben zu sein. Auf den ersteren
nahm mit seiner Zustimmung Kaiser Ferdinand II. bei einem Ant-
werpner Kaufmann die ansehnliche Summe von 137.904 Brabanter
246
H. Zimmennanii
Gulden auf und wurde Albrechts Gemahlin und Erbin, die Infantin
Isabella Clara Eugenia, dafür durch ihr von demselben Kaufmann
übergebene andere Kleinodien im Werte von 86.350 Gulden und eine
kaiserliche Schuldverschreibung über den dadurch nicht gedeckten
Restbetrag jener Pfandsumme entschädigt Auch einen Theil der
Hinterlassenschaft des Kaisers Mathias gestattete Albrecht mit
Schreiben vom 26. Juli 1619 dem Kaiser Ferdinand II. in Anbetracht
seiner Nothlage um 200.000 Kronen zu verpfänden, jedoch mit dem
Bemerken, er bedaure diese Verpfändung lebhaft und könne seine
Zustimmung dazu nur unter der Bedingung geben, dass seine An-
sprüche dadurch nicht geschmälert, sondern trotz derselben voll-
kommen befriedigt würden. Mag diese Verwahrung auch zum
großen Theile von rein eigenthumsrechtlichen Motiven dictiert
worden sein; nach allem, was wir sonst von Albrecht wissen, dürften
auch noch weit edlere, künstlerische Gründe dabei mitgespielt haben.
Denn wie so viele andere Sprossen seines edlen Hauses be-
thätigte auch Albrecht VII. ein reges Interesse für Kunst-
gegenstände sowie für die Künstler selbst. Schon aus der oben
(S. 239) angeführten Nachricht, dass er vor seiner Abreise aus
Spanien dem kaiserlichen Gesandten ein großes Gemälde schenkte,
ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit der Schluss, dass der Erz-
herzog bereits damals im Besitze einer BildercoUection war. Und
als er nun vollends nach seiner Ernennung zum Statthalter der
spanischen Niederlande (1595) jenen classischen Boden betrat, für
welchen gerade damals ein goldenes Zeitalter der Kunst anbrach,
in dem zahlreiche Meister des Pinsels von eminenter Begabung
in allen Specialfächem der Malerei Werke ersten Ranges schufen,
ergriflF er die sich ihm darbietende Gelegenheit, Kunst und Künstler
an seine Fahnen zu fesseln, mit beiden Händen. Seine am 18. April
1599 ^^t d^^ kunstsinnigen Tochter König Philipps II. von Spanien,
der Infantin Isabella Clara Eugenia, geschlossene Ehe konnte in
dieser Beziehung nur von förderndem Einflüsse sein. Bald sehen
wir denn auch das erzherzogliche Paar in engster Beziehung zu
verschiedenen Künstlern. Schon 1605 trat Wenzel Cobergher als
Ingenieur und Architekt in dessen Dienste, fertigte Pläne zu
Kirchen, Palästen, Entwässerung von Sümpfen und bethätigte sich
auch als Numismatiker. Pieter Snayers, der größte Antwerpner
Schlachtenmaler, der in seinen Darstellungen die größtmögliche
Die Renaissance.
247
Treue mit dem eminent Malerischen in glücklichster Weise ver-
einigte und dieselben mit lebhaft bewegten, sorgfaltig durch-
geführten und kräftig gemalten Figuren belebte, ward ebenso zum
Hofmaler des Regentenpaares ernannt wie Rubens' Lehrer Otto
van Veen, dessen Berufung zum Vorstande der Münze zu Brüssel
im Jahre 1620 erfolgte, während der Rubensschüler Nicolaas van
der Horst als Kupferstecher Albrechts und Isabellas fungierte und
für dieselben zahlreiche seltsame und geschickte Zeichnungen aus-
führte, die sich durch hübsche und tiefsinnige Erfindung aus-
zeichnen. Sie alle überstrahlt aber das glänzende Gestirn eines
Peter Paul Rubens, des besonderen Lieblings und Günstlings der Erz-
herzoge, unter deren Regierung er den größten Theil der in seiner
Heimat zugebrachten Jahre verlebte. Schon während Rubens'
Anwesenheit in Rom bestellte Albrecht bei ihm drei Bilder für
die Kirche Santa Croce in Gerusalemme, von welcher der Erz-
herzog als Cardinal den Titel getragen hatte, und bat im Jahre
1607 den Herzog Vincenzo von Mantua, den Maler in seine Heimat
zu entlassen, was dieser jedoch am 13. September d. J. ablehnte.
Nach Rubens' Rückkehr in die Niederlande bestellten Albrecht
und Isabella bei ihm ihre Bildnisse und ernannten ihn am 23.
September 1609 zu ihrem Hofmaler mit allen damit verbundenen
Freiheiten und Vorrechten und einem Jahresgehalt von 500 Gulden
vlämisch, der ihm bis zum Tode Isabellas (i. December 1633) regel-
mäßig ausgezahlt wurde. Nun, da Albrecht ihn in seinen Diensten
hatte, beeilte er sich, ihm ein Werk von Belang anzuvertrauen,
und bestellte im Jahre 1610 für die Brüsseler Filiale der von ihm
gegründeten Ildefonsobruderschaft jenes herrliche dreitheilige Altar-
bild, welches Kaiserin Maria Theresia im Jahre 1777 um 80.000
Franken für die kaiserliche Gemäldesammlung erwarb, zu deren
schönsten Perlen der berühmte Ildefonsoaltar heute zählt. Der-
selbe ist für uns umso interessanter, als er in den beiden Flügeln
die energisch charakterisierten Portraits des Erzherzogs und seiner
Gemahlin, begleitet von ihren Schutzpatronen, zeigt. Das Brüsseler
Museum besitzt zwei gleichfalls von Rubens gemalte Brustbilder
des erzherzoglichen Paares, die etwas besonders Majestätisches und
Respecterweckendes haben und als Vorlagen für die Portraitfiguren
derselben dienten, welche Rubens als Decoration für ein Schau-
gerüst anlässlich des Einzuges von Isabellas Nachfolger in der
248
H. Zimmennann
Stätthalterschaft der Niederlande, des Cardinalinfanten Ferdinand,
des Bruders König Philipps IV. von Spanien, in Brüssel (15. April
1635) mit kühnen Strichen auf die Leinwand warf. Es zeugt für
das intime Verhältnis des großen Malers zu seinen hohen Gönnern,
dass Erzherzog Albrecht die Pathenschaft für Rubens' ältesten, im
Jahre 1614 von Isabella Brant geborenen Sohn Albert übernahm,
und dass ihn die Infantin im Jahre 163 1 und 1632 anlässlich der
WafFenstillstands-Unterhandlungen zwischen ihr und den General-
staaten mit der heiklen Mission betraute, die Schritte des politisch
nicht sehr verlässlichen, officiell als Gesandten Isabellas fungieren-
den Herzogs von Aarschot im Interesse seiner Gebieterin genau zu
überwachen.
Die hohe Blüte niederländischen Kunstlebens machte übrigens
auch in Osterreich ihren gewaltigen Einfluss unverkennbar geltend.
So kaufte Kaiser Mathias noch als Erzherzog im Jahre 1586 um
228 Gulden ein Gemälde von Martin de Vos und berief Lucas
von Valckenborch zu sich nach Linz, wo er ihn in der Zeit zwischen
1580. und 1595 vielfach beschäftigte. Auch bestellte er bei seinem
Agenten in Brüssel Karl Larchier Medaillen, Tapisserien, Uhren,
geschnittene Steine und ließ sich durch denselben über alle im
dortigen Kunsthandel auftauchenden Kunstobjecte genauen Bericht
erstatten. Und der vorzügliche niederländische Portraitmaler Joost
Suttermans, der seinen Meister Franz Pourbus noch weit über-
traf, gieng auf Empfehlung des Großherzogs Ferdinand IL von
Toscana im Jahre 1623 ^^^ seinen Brüdern Jan und Cornelis,
welche beide dauernd in den Dienst des Kaisers traten, nach Wien,
um die Bildnisse des Kaisers Ferdinand II. und seiner Gemahlin
zu malen.
Dem letztgenannten Kaiser war es beschieden, die Intention
Rudolfs IL, welche dessen Bruder Mathias im Einverständnis mit
seinen Miterben zu verwirklichen vergeblich getrachtet hatte, der
Erfüllung zuzuführen, den gesammten reichenKunstbesitz
seines erlauchten Hauses in einer Hand — derjenigen
des regierenden Familienoberhauptes — zu vereinigen.
Als Erbe seines Vaters Erzherzog Karl von Steiermark und seiner
Mutter Maria Eigenthümer eines Theiles der Kunstobjecte der
steierischen Linie, zu welchem sich nach dem Aussterben des
Mannsstammes seines Bruders und einzigen Miterben, Erzherzogs
Die Renaissance.
249
Leopold V., im Jahre 1665 auch die diesem zugefallene Erbschaft ge-
sellen sollte, fielen ihm als Rechtsnachfolger seiner beiden kinder-
los verstorbenen Vorgänger Rudolf II. und Mathias auch die
Kunstkammern in Wien und Prag und die von ersterem käuflich
erworbene herrliche Sammlung auf Schloss Ambras als unbe-
strittener Besitz zu. Diese günstige Situation richtig erfasst und
jene glückliche Vereinigung zu einer für alle Zeiten dauernden
und untrennbaren gemacht zu haben, ist ihm als unvergängliches
Verdienst anzurechnen. In seinem Testamente ddo. Wien 10. Mai
162 1 bestimmte er, dass die sogenannten Hauskleinodien nicht
der den Jahren nach Alteste, sondern immer der
regierendeFürst in Verwahrung zu halten habe, welchem auch
seine gesammten andern Kleinodien und fahrende Habe
ungetheilt zufallen und von diesem nach dem Rechte der Erst-
geburt weiter vererbt werden sollten. Diese Bestimmungen wieder-
holt ausdrücklich das Codicill vom 8. August 1635 ^^^^ dehnt sie
auch auf alle in Zukunft in irgend welcher Weise anfallenden
Besitzthümer aus. War letztere Verfügung vielleicht nur mit
Rücksicht auf die eventuell zu erhoffende Erlangung des Restes
der väterlichen Erbschaft nach einem etwaigen Aussterben der
Linie seines Bruders Leopold V. von Tirol getroffen, so ahnte
Ferdinand II. wohl kaum, dass sein zweitgeborener Sohn Leopold
Wilhelm der Gründer einer Sammlung werden sollte, deren Ver-
erbung auf den regierenden Herrn dessen Kunstschatz in außer-
ordentlicher Weise bereichem und dadurch zu einem der ersten
der Welt machen sollte.
Auf Erzherzog Leopold Wilhelm scheint ein guter
Theil von dem Geiste des Erzherzogs Ferdinand von Tirol und des
Kaisers Rudolf II. übergegangen zu sein. Er huldigte schon
lange, bevor er in Brüssel mit dem blühenden Kunstleben der
Niederlande bekannt wurde, jener kunstfreundlichen Richtung, in
welcher er nachher so Ausgezeichnetes leistete. So beschäftigte
er als Kammermaler Georg Loth, Jan van der Hagen und Josef
Spiess, und von dem kaiserlichen Hofmaler Franz Leux besaß die
erzherzogliche Gallerie neben zahlreichen anderen Stücken auch zwei
Portraits des Erzherzogs aus seinen jüngeren Jahren, wofür 400
Gulden bezahlt wurden, und von denen eines noch heute erhalten
ist. Auch der Bildhauer Cannehaz und der Wiener Architekt
250
H. Zimmermann
Pietro Miderno erscheinen für Leopold Wilhelm thätig, und der
Kammermaler Joachim Kobler in Venedig bezog für regelmäßige
Ankäufe von Bildern eine jährliche Besoldung von 400 Gulden.
Daher stammen wohl jene Gemälde italienischer Meister, welche
er mit anderen Bildern, mit Statuen, Zeichnungen und Kupfer-
stichen in seinem Wiener Kunstcabinet vereinigte, und neben dejoen
er noch Bilder in der bischöflichen Residenz zu Passau und im
Renthof zu Königsstetten besaß. Außerdem bestand noch die
erzherzogliche Schatzkammer im Amalienhofe (der neuen Burg)
zu Wien, welche laut Inventars vom 20. Juni 1647 kunstvoll ge-
fasste Reliquien und religiöse Gemälde, Kleinodien und andere
Raritäten, Silbergeschmeide, krystallene und andere Trinkgeschirre,
Uhren und sonstige Mobilien, Kirchen- und Silbergefaße des
deutschen Ordens und die Bibliothek umfasste.
Im Besitze dieser Kunstschätze traf den Erzherzog nach
wiederholter Niederlegung" des Feldhermstabes im Jahre 1646 die
Ernennung zum Generalgouvemeur der Niederlande, die ihn zwang,
mit Hinterlassung derselben alsbald an seinen neuen Bestimmungs-
ort abzugehen. Seine Reise dahin ist durch Ankäufe von Karten,
Plänen, Teppichen und verschiedenen Antiquitäten gekennzeichnet.
Auf niederländischem Kunstboden, wo sich Malerei und Kunst-
gewerbe von Seite der reichen Handelsstädte der regsten Förderung
erfreuten, fühlte sich auch Leopold Wilhelm bald heimisch, und
zahlreiche Bilder dortiger Künstler, die ihn als Theilnehmer der
landesüblichen Volksbelustigungen darstellen, wie glänzende Feste,
welche ihm zu Ehren veranstaltet wurden, zeigen, welch lebhafter
Sympathien er sich daselbst erfreute. Zu einer Friedensmission
berufen, war der Erzherzog bemüht, allen Schwierigkeiten und
den fortdauernden Kriegen zum Trotze seiner Sendung mit klarer
Einsicht und voller Selbstaufopferung gerecht zu werden. In-
mitten seiner ihn vollauf in Anspruch nehmenden Regierungs-
sorgen aber fand er Muße und Stimmung, seine rege Aufmerksam-
keit der Kunst und ihren Interessen, den Künstlern und deren
Bestrebungen zuzuwenden. Aus Italien, diesem gelobten Lande der
Kunst, wo das XVI. Jahrhundert unermessliche Sahätze hinter-
lassen hatte, suchte der Erzherzog alles Erreichbare an' sich zu
bringen; noch reichere Gelegenheit zu kostbaren Erwerbungen
fand sich auf dem Kunstmarkte in den Niederlanden selbst Aus-
Die Renaissance.
251
erlesene Stücke aus dem Ktmstbesitze des 1628 ermordeten Herzogs
von Buckingham, wie der Krieger von Giorgione, und des 1649
auf tragische Weise aus dem Leben geschiedenen Königs Karl I.
von England, wie die hl. Margareta von Giulio Romano, die
Lucrezia von Palma und das Portrait der Isabella d'Este von
Rubens fanden in der Gallerie Leopold Wilhelms ein sicheres Asyl.
In späteren Jahren gesellten sich zu dem nicht ohne bedeutenden
Kostenaufwand Gesammelten auch noch mehr oder weniger wert-
volle Geschenke von Seite anderer vornehmer Kunstfreunde und
Sammler. Giengen ja doch zahlreiche Adelige, Officiere, Dom-
herrn u. a. seiner Umgebung unter die Künstler, um ihn mit
ihren ,,Kunsstücken** zu beschenken. Daneben beschäftigte der
Erzherzog in den Niederlanden Meister des Pinsels von bestem
oder doch gutem Klange. Jan van der Hoecke, ein Rubensschüler,
den auch Vandyk stark beeinflusst, war Leopold Wilhelms Hofmaler
und malte dessen Portrait, von Engeln gekrönt, ein pompöses Bild,
das den Schüler seines Meisters nicht unwürdig erscheinen lässt,
und Gonzales Coques, der vorwiegend Familienbilder componierte,
in welchen er die Glieder eines Hauses zu eleganten Gruppen
und Actionen zusammenstellte, zählte zu dies Erzherzogs Lieblingen,
Von seinem Hofkaplan Johann Anton von der Baren, einem ge-
schickten Landschafts- und Blumenmaler, besaß die Gallerie
II Bilder, eines auch von dessen Bruder Philipp. Jan Cossiers,
ein Historienmaler ausgesprochenster Eigenart aus der Schule des
Comelis de Vos, ward von ihm durch Bestellungen ausgezeichnet.
Andere Bilderbestellungen bei Teniers, Eck, Vos, Seghers und
van Heem standen mit des Erzherzogs Kriegszügen, namentlich
der Belagerung von Grävelingen und Dünkirchen, in Beziehung.
Robert van der Hoecke, Peter Neeffs, Egmont, Cattaneo, D.
Ryckaerts, Arnold Laemans, Joau Baptista de Bruns und andere,
im ganzen 65 Künstler, wusste er theils durch Aufnahme in seine
Dienste und Ernennung zu Kammermalem, theils durch Aufträge
und Bilderkäufe an seinen Hof zu fesseln, 34 mal ließ er sich
selbst portraitieren.
Besonders enge künstlerische Bande knüpften Leopold Wil-
helm an David Teniers den Jüngeren, einen Maler von kräftiger,
klar ausgeprägter Originalität, der zudem als feiner Kunstkenner
allgemein geschätzt war. Der Erzherzog ernannte ihn spätestens
252
H. Zimmermann
1647 211 seinem Hofmaler und Kämmerling, in welcher Eigenschaft
sich Teniers zwischen 1648 und 1652 in Brüssel niederließ. Gar
manches Werk wurde b^ ihm bestellt, und die meisten seiner
großen Bilder, darunter auch die meisterhaften figurenreichen
Darstellungen öffentlicher Festlichkeiten, wie das Vogelschießen des
Erzherzogs in Brüssel, datiert 1652, jetzt im kaiserlichen Besitze,
sind für seinen warmen Bewunderer und freigebigen Gönner gemalt
Dieser übertrug ihm auch die Oberaufsicht über seine reiche Brüsseler
Kunstsammlung, von der uns Teniers selbt Einzel- und Gesammt-
ansichten überliefert hat. Eine der bekanntesten derselben ist das
hier (Tafel III) in Heliogravüre reproducierte Bild, welches uns den
Erzherzog und den Maler in der Gallerie zeigt. Fünfzig Gemälde fast
nur italienischer Herkunft bedecken die Hauptwand des Gemaches,
weitere den von einem Fensterpfeiler in das Zimmer hereinragenden
hölzernen Vorbau, andere stehen auf dem Boden, an Stühle ge-
lehnt oder auf diesen selbst. Die besten italienischen Meister, wie
Tizian, Veronese, Palma, Giorgione, Tintoretto, Morone u. a.,
sind hier glänzend vertreten. Mitten steht der Erzherzog, be-
deckten Hauptes, und deutet mit dem Stocke auf Catenas ,,Diom-
herrn*S wie um den neben ihm stehenden Teniers mit dem Ankauf
des Bildes zu beauftragen. Zwei Personen aus dem Gefolge sind
links an einem Tische mit der Besichtigung von Zeichnungen be-
schäftigt, zwei andere, weiter im Vordergrunde, im Gespräche mit
einem kleinen Abb^, vielleicht dem genannten von der Baren. —
Daneben malte Teniers von zahlreichen Gemälden der erzherzog-
lichen Sammlung kleine Copien, in welchen er trotz der ihm
eigenthümlichen feinen, spitzen Pinselfiihrung mit merkwürdiger
Geschicklichkeit die Art jedes Meisters wiederzugeben verstand.
Endlich zeichnete er sämmtliche italienischen Bilder der seiner
Oberaufsicht anvertrauten Brüsseler Sammlung, ließ sie radieren
und stellte 246 Tafeln zu einem Kupferwerke unter dem Titel
,,Theatrum pictorium*' zusammen, das zuerst 1658 von seinem gleich-
falls als Hofmaler des Erzherzogs Leopold Wilhelm bezeichneten
Bruder Abraham Teniers in Einzelblättern herausgegeben, zwei
Jahre später in einen Band vereinigt erschien. Das Werk ist dem
Erzherzog dediciert, und das von Teniers gezeichnete, von Johannes
Troyen gestochene Widmungsblatt zeigt eine oben oflFene, von
5 Büsten gekrönte Barocknische, deren Mitte ein* Postament ein-
^
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104'
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Die Renaissance.
253
'nimmt, welches das lorbeerumkränzte, von Minerva gehaltene
Portrait des Erzherzogs trägt. Durch den Lorbeerkranz schlingt
sich ein Band mit der Devise : Fortiter — Svaviter. Rechts und
links unten und rechts oben sind Flügelputten mit Gemälden, am
Fuße des Postamentes Cameen, Bücher, Kupferstichbände und
Notenhefte gruppiert
Denn nicht allein Maler und Bildhauer, sondern auch Musiker,
Gelehrte und Schriftsteller erfreuten sich lebhafter Förderung von
Seiten des Generalstatthalters. Ebenso huldigte auch er der durch
die hohen, weiten Wohnräume der niederländischen Palastbauten
begünstigten Mode, die Wände mit Tapeten und Gobelins zu be-
hängen, in deren Fabrication Brüssel einen hervorragenden Platz
einnahm. Einige besonders schöne Stücke der kaiserlichen Gobelin-
sammlung wurden von ihm in den Jahren 1647, 1650, 1655 und
1656 unmittelbar vor seiner Rückkehr nach Wien erworben.
Politische und finanzielle Verhältnisse, nicht weniger aber auch
zunehmende Kränklichkeit hatten Leopold Wilhelm die Statthalter-
schaft in den Niederlanden verleidet. Der Abschied von Brüssel blieb
demnach nur noch eine Frage der Zeit. Schon 1651 schickte er
,, allerei kunstreiche Malereien in 18 Ballen*' zumTheil als Geschenke
an den Kaiser nach Wien. Trotzdem ward bis zum Jahre 1656 emsig
an der Einrichtung der Brüsseler Bildergallerie gearbeitet. In
diesem Jahre endlich sollte der sehnlichste Wunsch des Erzherzogs
in Erfüllung gehen. Am 9. Mai konnte er von Brüssel abreisen
und sich über Passau nach Wien begeben, um fortan theils in
dieser Stadt, theils im nahen Kaiserebersdorf Hof zu halten. All-
mählich und successive wurden dann seine Mobilien, namentlich die
reichen, eine sorgfaltige Behandlung erheischenden Kunstschätze,
darunter auch die von Teniers zur Vollendung seines Theatrum
zurückbehaltenen italienischen Bilder von Brüssel nach Wien ge-
bracht, um hier unter der Leitung von Teniers' Nachfolger als
Gallerieinspector, des wiederholt genannten Hofkaplans Johann
Anton von der Baren, mit einigen Gemälden aus Königsstetten,
den Snay er' sehen Schlachtendarstellungen aus der Passauer Resi-
denz und dem in Wien Zurückgebliebenen zu einem großen Ganzen
vereinigt zu werden. Im Jahre 1658 begann man mit der Adap-
tierung der für die Aufstellung der Kunstkammer bestimmten
Räume der Stallburg, zu deren Erweiterung auch Kaiser Leopold I.
254
H. Zimtnermann
eine Summe beisteuerte. Über die Einrichtung derselben gibt
uns der in der Vorrede von Teniers' Kupferwerk aufge-
nommene Bericht eines seiner Wiener Freunde nebst einer den
Bilderreproductionen angeschlossenen Ansicht der Gallerie eine
ziemlich deutliche Vorstellung, Damach entsprachen drei ungefähr
gleich langen Corridoren oder Gallerien von 38*5 Meter Länge und
.7 Meter Breite drei sie begleitende, ungefähr gleich lange, 9*5 Meter
breite Säle, denen sich zwei mittlere von 9*5 Meter im Quadrat
und zwei kleinere Cabinette anschlössen. An den den Fenstern
gegenüberliegenden Wänden der beiden ersten Corridore waren
die Bilder in schöner Ordnung aufgehängt; ebenso an den Para-
peten unter und zwischen den Fenstern, darunter die Teniers un-
bekannt gebliebenen Gemälde, welche Leopold Wilhelm nicht in
die Niederlande mitgenommen hatte, wie sechs Stücke des älteren
Brueghel mit der Darstellung der 12 Monate, sowie zahlreiche
Landschaften, Frucht- und Blumenstücke. An den Fensterpfeilern
standen auf hohen, reich ornamentierten Consolen zahlreiche große,
meist antike Statuen. Der dritte Corridor enthielt die vorzüglichsten
Stift- und Federzeichnungen der Italiener und Flamänder nebst
anderen größeren Stücken. Den einen großen Saal füllten nieder-
ländische Bilder von besonderer Größe und Schönheit, die übrigen
Säle, Zimmer und Cabinette die seltensten und wertvollsten Italiener
und Deutschen, ,,so dass man zu deren genussreicher Betrachtung
mehrere Wochen, zu ihrer vollen Wertschätzung aber Monate
brauchen würde.*' Auch die neuerbaute Bibliothek biete einen
großen Reichthum an Büchern, Holzschnitten, Kupferstichen,
Miniaturen und Aquarellen. Die Gesammtzahl der Bilder wird
hier mit 1300, die der Sculpturen mit 268 angegeben. Ein bei
der am 14. Juli 1659 vorgenommenen amtlichen Inventur be-
gonnenes und später fortgesetztes Verzeichnis der hier vereinigten
Kunstschätze jedoch führt 517 italienische, 880 deutsche und nieder-
ländische, also zusammen 1397 Gemälde, 343 Handzeichnungen und
542 Sculpturen aus Metall, Marmor, Thon, Wachs, Gips, Holz,
Krystall, Elfenbein, Hom, Glas nebst anderen Antiquitäten auf.
Diese Differenz erklärt sich daraus, dass noch während und nach
der Neuaufstellung zahlreiche Geschenke einliefen, Bestellung und
Ankauf von Bildern und Statuen ununterbrochen fortdauerten und
dass zu verschiedenen Malen an die Kunstkammer zahlreiche
Die Renaissance. 2c:c:
Objecte aus der theils im Amalienhof, theils im Zimmer des Schatz-
meisters in der Stallburg untergebrachten erzherzoglichen Schatz-
kammer abgegeben wurden.
Auch diese muss damals neu geordnet worden sein. Denn
ein am 30. April 1661 anlässlich ihrer Übergabe durch den alten
Schatzmeister Christan Wasserijäss an den neuen Valentin Exlmayr
aufgenommenes neues Inventar derselben zählt die einzelnen Objecte
nicht wie jenes von 1647 einfach nach den Kästen auf, in denen
sie aufbewahrt waren, sondern systematisch in 8 Abtheilungen
gesondert, und zwar: i. Reliquien und Kunstsachen, 2. Kleinodien
und andere Raritäten, 3. Silbergeschmeide, 4. krystallene und
andere Trinkgeschirre, 5. Uhren und andere Mobilien, 6. Neu-
städter Kirchenornat, 7. aus der TraundorfiF* sehen Erbschaft her-
rührendes Silbergeschirr und 8. Kirchengeräthe und Silbergeschirr
des deutschen Ordens.
Am 20. November 1662 schied Erzherzog Leopold Wilhelm
aus dem Leben. Durch Testament ddo. Kaiserebersdorf 9. October
1661 hatte er Kaiser Leopold I. zum Erben ,, aller seiner Gemähide,
Statuen und heidnischen Pfennige als des vornehmsten und ihm
libsten Stuckes seiner Verlassenschaft** eingesetzt, und Ende Jänner
1663 dürfte die Übergabe der von den Verlassenschaftscommissären
auf 500.000 Gulden, von Leopold Wilhelm selbst aber auf nahe an
eine Million bewerteten Kunstkamöier an Kaiser Leopold vollzogen
worden sein. Sie blieb fortan Eigenthum des kaiserlichen Hauses,
die Kunstliebe ihres hohen Begründers allen kommenden Gene-
rationen verkündend, und ist heute noch einer der wertvollsten
Bestandtheile der kaiserlichen Kunstsammlungen, deren wissen-
schaftlich-systematische Neuordnung und Neuaufstellung in den
prächtigen Räumen des kürzlich eröffneten kunsthistorischen Hof-
museums unter der Regierung unseres erhabenen Monarchen,
des Kaisers Franz Josef I., eines der schönsten Blätter in seinem
Ruhmeskranze bildet.
DIE BAROCKE.
Von
Albert Ilg.
Kunstgeachichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungaru. I7
DIE BAROCKE.
Das Entstehen und Emporblühen jener Kunstrichtung, welche
herkömmlicher Weise mit dem Namen des sogenannten Barock-
stiles bezeichnet wird, ist in Österreich eine Erscheinung, welche
mit großen geschichtlichen und politischen Ereignissen auf das
innigste zusammenhängt. Jene merkwürdige Kunstart stellt sich
ordentlich als die Illustration einer neuen geistigen und materiellen
Gestaltung aller Dinge im Vaterlande dar; sie ist gewissermaßen
auf dem Gebiete des sinnlich Wahrnehmbaren das neue Cachet für
das neu gewordene Osterreich. Während nämlich im XVI. und
noch ziemlich tief hinein ins XVII. Jahrhundert dieses Land in-
folge seiner nachbarlichen Lage zu Italien seit dem Erlöschen
alles mittelalterlichen Wesens die Formen der Renaissance aufge-
nommen und weitergeleitet hatte, ohne es dabei aber zu einem
local-charakteristischen Typus zu bringen, zeigt sich beiläufig seit
der Mitte des XVII. Jahrhunderts der Barockstil als eine Richtung,
die zwar keineswegs auf österreichischer Erde entstanden ist,
sondern wie die Renaissance auf dem Wege des alten Verkehres
beider Länder über die Alpen gedrungen war, aber wohl als ein
Stil, bei dessen Pflege sich heimischer Geist nicht bloß als
recipierender Schüler erwies, sondern in dessen Form derselbe voll-
kommen eigene, für sein Wesen charakteristische Ideen zu zeugen,
verstand. Es gibt eine österreichische Barocke von ausgesprochenem
Typus, wie es eine italienische und französische gibt; ja, man
kann beinahe ebenso wie in Frankreich bei uns von einem Stil
Ferdinands III., Leopolds I., Josefs I. und Karls VI. sprechen
wie dort von Louis treize, quatorze und quinze, nur aber, dass
darunter in beiden Ländern sehr verschiedene Dinge verstanden sind.
Dagegen hat es keine österreichische Renaissance gegeben.
Es wurden zwar schon unter Ferdinand I. zahlreiche italienische
Architekten berufen, um die verfallenen Städte, welche dem
17^
26o Albert Ilg
Anprall der Türkenmacht entgegensahen, nach den neuen Principien
der italienischen Fortificationskunst mit geeigneteren Schutzwehren
zu versehen, und diese in Laibach, Klagenfurt, Graz, Wiener-
Neustadt, Wien, Komorn etc. beschäftigten Oberitaliener brachten
bei der Universalität der Künstler dieses Volkes den gesammten
Frühling südlicher Renaissance in unser Land. Sie bauten nicht
nur an den Festungen Ravelins Courtinen und Rondelles, sondern
auch heitere Lustschlösser der Fürsten, wie Ferdinands Belvedere
in Prag oder später das Sternschloss, oder Maximilians II. Fasanen-
garten bei Wien; sie malten imd meißelten, schufen Grabdenk-
mäler und legten die schönen Terrassengärten im italienischen
Stile an.
Was durch diese mächtige südliche Befruchtung nach Öster-
reich gelangt war, verband sich wohl alsbald mit den noch vor-
handenen Residuen des nordisch - gothischen Kunstsinnes und
gestaltete sich allmählich zu jenem eigenthümlichen Gepräge,
welches wir als sogenannte deutsche Renaissance kennen, besonders
nachdem auch Einheimische im neuen Geiste des Südens zu
schaffen versuchten. Aber diese deutsche Renaissance ist, wenn
auch am frühesten auf österreichischer Erde, doch gleichzeitig auch
in der Schweiz und im übrigen Süddeutschland aus denselben
Einflüssen und Bedingungen heraus entstanden. Auch im weiteren
Verlaufe dieser Stilrichtung durch das XVI. und XVII. Jahrhundert
ergeben sich in Osterreich nur dieselben Wahrnehmungen, wie
überall auf deutschem Boden. Mit dem Erstarken der neuen
Glaubenslehre, als deren thätige Vertreter in Osterreich zahlreiche
Adelsgeschlechter erscheinen, erreicht der deutsche Renaissancestil
eine bedeutende Entwicklung in der Profanarchitektur sowie im
Kunstgewerbe, dessen mannigfache Zweige das Innere jener Land-
schlösser auszuschmücken berufen waren.
Der Stil nimmt dabei immer mehr einen eigenthümlichen
Charakter an, welcher zwar ganz im allgemeinen auf den Formen
der wiederbelebten Antike beruht, sich aber doch national voll-
kommen selbständig gemacht hat und durch eine gewisse Nüchtern-
heit, die dem protestantischen Geiste entstammt, sowie durch
eigenthümliche Züge von kleinlichem, oft zum Scurrilen und Derb-
humoristischen neigenden Geschmacke kennzeichnet, wodurch sich
das nordische vom südlichen Elemente unterscheidet. Es ist jene
Die Barocke. 26l
immer mehr zu einem handwerklichen Geiste drängende Richtung,
die man nicht unzutreffend mit dem Worte ,, deutscher Tischlerstil*'
bezeichnet hat.
Jemehr durch das siegreiche Vordringen der Reformations-
idee Osterreich auf denselben Bahnen gieng wie das übrige Deutsch-
land, desto übereinstimmender mussten alle Geistesbewegungen,
also auch die künstlerischen, hier wie dort auftreten. Erst als
eine neue Wendung eintrat, welche im nördlichen Deutschland
nicht erfolgte, im südlichen aber neben Osterreich fast nur in
Baiern, war es möglich, dass wie alles übrige auch die bildende
Kunst vor einer gewaltigen Wandelung der Dinge stehen konnte.
Dieser Umschwung ist durch die sogenannte Gegenreformation
bewerkstelligt worden. Große religiöse und politische Änderungen
giengen denjenigen auf dem Gebiete des Culturlebens voraus. Die
Regierung des zweiten Ferdinand bricht in den Erblanden die
Macht des Protestantismus, welche unter Maximilian IL und
Rudolf II. die alte Lehre bereits beinahe unterdrückt hatte. Die
Schlacht auf dem weißen Berge ist in einem gewissen Sinne auch als
die Geburtsstunde des österreichischen Barockstiles zu betrachten.
Die Kriegswaffen allein aber haben die Wiedereinsetzung der
alten Zustände, sowie die Begründung der künftigen nicht bewerk-
stelligt. Das weit größere Werk geschah durch die geistige Gegen-
reformation, und weil dieselbe ausschließlich von nicht deutschem,
sondern romanisch südländischen Geist durchgeführt worden ist,
musste auch Österreich seit den Tagen jener Schlacht auf völlig
verschiedene Culturbahnen gedrängt werden.
Die Entscheidung der Schlachten und deren Folgen hatten
den uralten Adel Österreichs verändert. Die Jörger, die Geyer,
die Thanraedl und zahlreiche andere altangesessene Geschlechter
hatten Macht, Einfluss, ja das Leben verwirkt, ihre Güter wurden
confisciert, und eine neue, dem Katholicismus und dem Throne
getreue Aristokratie trat an ihre Stelle, in deren Reihen wir
Italiener und Spanier fast in überwiegender Zahl gewahren. Dem
Wirken der deutschen Prädicanten wurde eine andere Macht ent-
gegengestellt, welche die Gemüther des Volkes der alten Lehre
zurückzuerobern die Aufgabe hatte. Neue geistliche Orden, welche
das Mittelalter noch nicht gekannt hatte, fast durchgehends aus
Italienern und Spaniern recrutiert, kamen als Beichtiger, Gewissens-
202 Albert Ilg
räthe, Prediger und Jugenderzieher ins Land und vertraten in
ihren mannigfachen Abstufungen von den einfachen Kapuzinern
bis zu den gelehrten und prachtliebenden Jesuiten eine Phalanx
von geistigen Kämpfern, welche geeignet war, von der Hütte bis
zum Fürstenhaus reformierend zu wirken.
Bei Betrachtung des Ganges der Gegenreformation, wie die-
selbe auf Gemüth und Geistesleben des österreichischen Volkes
einzugehen gesucht hat, wird man gewahr, mit welch richtiger
und tief psychologischer Erkenntnis der innersten Natur unseres
Volksthumes dieselbe vorgegangen ist. Die Garantie des Erfolges
lag für sie in der Erkenntnis der Unvereinbarkeit des warmen,
lebendigen, heiteren und phantasiereichen Wesens des Oster-
reichers mit der kühlen, verstandesmäßigen Richtung der neuen
Lehre. Dieser Funke, den die endlosen Prädicantensermone, die
Tractätlein und Religionsgespräche eine Zeit lang eingeschläfert
hatten, musste wieder geweckt werden. Was die Mittel betrifft,
deren sich die Gegenreformation zu diesem Zwecke bediente, so zeigen
sich hier sehr von einander verschiedene Erscheinungen. Es ist
ganz richtig, dass die aus Italien gekommene Barockkunst mit
ihrem Pomp und Glanz, mit ihrer Sinnesfreude und Heiterkeit
die Bestimmung hatte, als mächtiger Contrast gegen die Kunst-
feindlichkeit, Kahlheit und Öde des evangelischen Gottesdienstes
auf das Gemüth und die Sinne des Volkes zu wirken, aber dieser
Contrast konnte nicht auf einmal mit einem Schlage herbeigeführt
werden. Der österreichische Barockstil beginnt nicht mit Pracht-
gebäuden, diese bezeichnen vielmehr erst den vollendeten Triumph
der alten Kirche zu Anfang des XVHI. Jahrhunderts; sein Beginn
hüllt sich vielmehr auch künstlerisch in das Gewand der Ascese, der
Demuth, des Klosterlebens, Jene strengen Orden, welchen Mathias,
Ferdinand II. und III. zahlreiche Kirchen und Klöster in Öster-
reich bauten, die Kapuziner, die Carmeliter etc., lehrten nicht nur
den Geist der Selbstabtödtung und Buße, sondern sie vertraten
ihn auch durch ihre äußere Erscheinung, ihr Kleid, ihre Behausung
und die Kunst ihrer Gotteshäuser. Daher tragen die ersten
Erscheinungen des Barockstiles in Österreich nicht das Gepräge
jener stolzen Centralbauten, Kuppelkirchen und palastartigen
Stiftsgebäude, wie sie später unter anderen geistigen Verhältnissen
die Fischer von Erlach, die Bibienas, die Dienzenhofer errichtet
I
I
Abb. 53- Cnniielitertirchc in Wien.
Die Barocke.
263
haben, sondern sie huldigen vielmehr einer, wenn es zu sagen
erlaubt ist, beinahe fanatischen Einfachheit. Die Vorbilder kamen
selbstverständlich aus der italienischen Heimat dieser Mönche.
Man hat also zuerst von jener Vorperiode des Barockstiles,
der klösterlichen, zu sprechen. Unter der Regierung des zweiten
Ferdinand erschwerten die endlosen Kämpfe und die finanzielle
Erschöpfung der Erblande die Kunstthätigkeit noch sehr. Obwohl
der Barockstil in seinem Heimatlande Italien um jene Zeit bereits
in hoher Blüte stand, konnte er aus diesen Gründen damals noch
nicht nach dem Norden vordringen, aber wir begegnen doch schon
selbst unter dem genannten Regenten einigen Vorboten des kommen-
den. Sehr einflussreich ist in dieser Beziehung z. B. der Orden
der Carmeliter, aus dessen Reihen ein energischer, geistreicher
Mann in Osterreich aufgetreten war, Dominicus a Jesu Maria, jener
feurige Apostel, dessen Einfluss die Wendung der Dinge auf dem
weißen Berge nicht zum geringsten Theile zuzuschreiben ist Wir
besitzen in Wien in der Carmeliterkirche der Leopoldstadt einen Bau,
welcher mit diesem Manne zusammenhängt und ein sehr wichtiges
Architekturwerk genannt werden muss(s. Abb. 53). Sie ist der Haupt-
heiligen der katholischen Gegenreformation, St. Theresia, geweiht.
An der Fa^ade, dem allein künstlerischen Theile des Baues, bemerken
wir auf die interessanteste Weise das Ringen deutscher Renaissance-
Formen mit dem siegreich werdenden neuen Stile; Docken und
Lisenen schließen sich der älteren Manier an, ja in dem pyramidalen
Aufbau liegt beinahe noch eine leise Reminiscenz der Gothik, wie
ja die deutsche Renaissance davon nie sich loszureißen vermocht
hatte, aber die Monumentalität der Verhältnisse, das Giebelsystem,
die Voluten verkünden bereits das Neue. Die kahle Erscheinung, die
fast totale Omamentlosigkeit haben ganz das klösterliche Gepräge
unseres frühesten Barockstiles. Auch in dem von der frommen
Gemahlin des Kaisers, Eleonora von Mantua, 1642 vollendeten
Carmeliterinnenkloster in der Stadt, zu den Siebenbüchnerinnen
genannt, zeigten vor seinem Abbruche die italienischen Wandel-
bahnen mit ihren Bogenstellungen diese frühbarocke Kloster-
architektur Italiens.
Außerordentlich wichtig ist die Regierungszeit des dritten
Ferdinand, während welcher sich der Sieg des neuen Stiles
vollends entschied und neue Künstlerinvasionen aus dem Süden
264 Albert Ilg
eine festere Stilrichtung begründeten. Seit den frühesten Tagen
der ersten Renaissance hatte das. Einwandern der Italiener hier
zu Lande nicht aufgehört. Viele von ihnen haben sich seit dem
ersten Ferdinand in Osterreich festgesetzt und wahre Künstler-
dynastien gegründet, welche bis zu Ende des verflossenen Jahr-
hundertes in ihren Abkömmlingen nachweisbar sind. Derlei Meister
waren z. B. die mailändischen Spazzio, die Allio, die Ferrabosco,
die Della Stella u. s. w. Andere kamen bloß als Zugvögel, häufig
nach ihres Volkes Sitte im Winter wieder nach ihrer Heimat
kehrend, sie begegnen zu Hunderten in unseren Kunstregesten.
Nicht wenige von all diesen Fremden, welche die Renaissance und
die Barocke in Osterreich angebahnt haben, stammen aus jenem
Paradiese der oberitalischen Seen, besonders vom Comosee, wo ja
schon in den Zeiten der alten Römer ein berühmtes Geschlecht
von Maurern, die Comacinischen Maurer, gelebt hatte, deren Namen
wir in Urkunden bis ins späte Mittelalter antreffen. Mendrisio,
Como, Lugano sind ihre Heimatsörter, und auch jetzt sollte eine
solche Comacinische Familie von der allergrößten Bedeutung für
die Kunst unserer Gegenden werden. Es ist die Familie der Carlone,
auch Carlone Cannevale genannt, welche sich fruchtbar wie kaum eine
andere in zahllosen Mitgliedern über alle Theile der Erblande
ergoss, in Wien noch in den späten Tagen des Josephinismus durch
den Erbauer des militärärztlichen Bildungsinstitutes ,,Josephinum**
mit einem Repräsentanten auftreten kann, aber auch außerhalb
Österreichs, in Genua und Piemont, in Passau und sonsten geschaffen
hat. Sie waren Architekten, Maler, Bildhauer und Stuccatore.
Ihnen annähernd, rührig und bedeutsam erscheinen die Orsi, die
Verda, (Grabkapelle der steirischen Erzherzoge im Dom zu Sek-
kau), die Sciassia, lauter Künstler von eigens charakteristischer
Decorationsrichtung. Dieses decorative Element bekundet sich
ganz vorzugsweise in der Richtung der Carlone und ihrer Geistes-
verwandten mit dem verschwenderischen Gebrauch, welcher von
der Stuccatur als belebendem Ornamentmittel der constructiven
Theile gemacht wird. Die Architektur ihrer Kirchen an sich ist
dabei fast immer eine höchst einfache, so dass sich diese Phase
des österreichischen Barockstiles in constructiver Hinsicht noch
ziemlich an die erste, klösterliche anschließt. Ja, nicht selten
präsentieren sich solche Carloneske Bauten von außen in zierlosester
Die Barocke.
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Kahlheit, nur die etwas reichere Fa§ade ist ohne organischen Zu-
sammenhang mit der Construction wie eine Theater-Coulisse vor-
gestellt, dafür empfangt uns im Innern aber ein bisweilen bis zur
Überladung gehender Reichthum von Stuccodecoration in allen
Theilen. Im Grundrisse huldigt man mit Vorliebe noch dem
Principe der späteren römischen Renaissance, dem einschiffigen
Langhausbau mit beiderseits angebrachten Kapellenreihen, deren
Altäre somit mit ihrer Achse senkrecht gegen diejenige des Lang-
hauses stehen. Oftmals erweisen sich die in Rede stehenden
Künstler als gewandte Umgestalter mittelalterlicher Kirchen, bei
welchen dann immer die gothischen Seitenwände durchgebrochen
wurden, um jene Kapellenreihen beiderseits anfügen zu können.
Eine Probe davon ist schon unter Ferdinand III. die äußerst
glänzende Barockisierung der alten drei Langschiffe in der Wall-
fahrtskirche zu Mariazell (die Kuppel und Chorpartie sind in
späterem, strengern Charakter ausgeführt) durch Domenico Sciassia
1648, ebenfalls einen aus der Gegend von Como stammenden
Meister, welcher auch die herrliche Stiftsfa^ade von Sanct Lam-
brecht in Steiermark ~ errichtet hat. Und noch bedeutsamer
gestaltet sich dieses Princip in dem Umbaue der ehemals gothischen
Kirche der Carmeliter auf dem Hofe in Wien, damals noch den
Jesuiten gehörig, welche über Veranlassung der mantuanischen
Kaiserin Eleonore seit i66a durch die Carlone auf geniale Art moder-
nisiert wurde, bei welcher sie die Giebelconstruction mit Motiven
des profanen Palastbaues und namentlich die monumentale Terrassen-
anlage großartig zu gestalten wussten. Der Bau wurde für Österreich
von typischer Wichtigkeit und hat dem Stile die breiteste Bahn
gebrochen. In der Kirche der Serviten in der Rossau begegnen
wir bereits der Hinneigung zur kuppelgekrönten Centralanlage.
Auch sie ist ein Carlonisches Werk, sowie endlich in derselben
Stadt noch die Dominikanerkirche, welche mit ihrer römischen
Fagade und dem vornehm reichen Stuccoschmuck des Innern als
das vornehmste Beispiel der gedachten Richtung zu betrachten
ist Ebenfalls Umbau einer mittelalterlichen Anlage, erfuhr sie um
1670 die jetzige Modernisierung. Auch mehrere der einstigen Stadt-
thore Wiens mit ihrem festungsmäßigen Charakter waren Werke
der genannten Architekten.
266 Albert Ilg
In Prag beherrschen um jene Zeit vor allem die Baumeister-
familien der Orsi und Luragho das Terrain. Auch sie drücken
den alten Bauten das neue Gepräge auf, so der Ägydiuskirche in
der Altstadt. Martino I^uragho im Verein mit Dominico Orsi bauen
um 1671 am Galluskloster, werden aber durch die Großartigkeit,
welche Giovanni Simonetti, ein Südtiroler, an dem imposanten
Palais Czernin entwickelt, in den Schatten gestellt. Auf die
frühere Barocke von Prag wirkt auch der Einfluss derjenigen von
Genua, namentlich die krause Phantastik des Guarini, wovon sich
einige Nachahmungen erweisen lassen. Aber auch Mailändisches
zeigt sich im Waldstein-Palast (1623—27).
In Salzburg begegnen wir einem verwandten Schauspiele.
Hier ist es wieder ein Italiener, Gasparo Zugalli, welcher vor dem
Auftreten des classischen Meisters der Barocke, J. B. Fischer von
Erlach, tonangebend war. Er war unter Erzbischof Max Gandolf
aus München nach Salzburg berufen worden, wo er 1686 die
Erhardtkirche, diejenige im Nonnthal und anderes auf theatralisch
prachtvolle und reich decorative Weise errichtet hat.
Auf Innsbruck erstreckte sich ebenfalls in dieser Periode der
Einfluss der Carlone sowie venezianische Richtungen. Für ersteren
gibt z. B. die Kirche der Ursulinerinnen (1700 begonnen) eine
Probe, jene des Stiftes Wilten (1651 — 1665), aus einem gothischen
Bau umgewandelt, stellt sich als eine echt Comaskische Decoration
von etwas schwerfälliger Formensprache dar, desgleichen die Maria-
hilfkirche daselbst Die von dem berühmten Arzte Guarinoni
erbaute Servitenkirche zu Volders bei Hall, 1654 eingeweiht, ver-
räth deutlich auch aus der Spätrenaissance herrührende Formen,
während die spätere Stiftskirche des Klosters Stams an die bei
uns in Osterreich seltenen Motive florentinischer Barocke in der
Art des Buontalenti erinnert. Die Innsbrucker Jesuitenkirche da-
gegen hält sich, wie damals alle dieses Ordens, an das Vorbild
der Mutterkirche, S. Gesu, in Rom und hat strenge constructive
Formen, ähnlich auch jene in Hall und Linz.
Wir könnten Ahnliches beinahe von allen größeren Städten
Österreichs in ermüdender Fülle vorbringen. Graz und Brunn,
Olmütz und Troppau, Linz, Laibach und Klagenfurt wurden in
dieser Epoche von dem Strome der geschilderten Decorations-
architektur oberitalienischen Gepräges berührt. Hervorragend
Die Barocke.
267
großartiger sind das ebenfalls Carloneske Stift Garsten in Ober-
österreich, welches Giovanni Battista Carlone geistreich und prächtig
1677 — 1693 errichtete, endlich Kremsmünster, in welchem seit
1680 die Architekten derselben Familie Reminrscenzen ihres
Schaffens am Passauer Dome effectvoU zur Geltung zu bringen
wussten. Auch die Bauten des Stiftes Lambach (1652 — 1664) ge-
hören hieher.
Dasjenige, was wir österreichischen Barockstil nennen, ist
übrigens eine proteusartige Erscheinung, ein Mosaik von buntester
Zusammensetzung. Nicht überall treten diese oberitalienischen
oder genuesischen Strömungen in jener Zeit so ungetrübt und rein
erkennbar entgegen, vielfach mischt sich auch mit solchen italienischen
Einflüssen in sehr energischer Weise das herkömmliche Element
der einheimischen Renaissance, jene Stilform, welche in ihrer
letzten Ausblüte unsäglich kraus und verwildert geworden war.
Wir haben in unserem Lande noch unzählige Proben davon. In
der eigentlichen Architektur repräsentiert diese wenig erquickliche
Richtung noch manches Profangebäude, namentlich Bürgerhäuser
und kleinere Schlösser auf dem flachen Lande, wo der Grundriss
und der Aufriss mit dem tiefen Flur und den Giebeldächern, Erkern
und hohen Schornsteinen sich noch ganz an das deutsche Renaissance-
schema hält, die überladene Ornamentik aber überall schon deut-
lich der neuen, aus dem Süden gekommenen Manier nachstrebt.
Ein prächtiges Beispiel dafür ist das originelle Eckhaus des katho-
lischen Casinos in Innsbruck. Ganz besonders aber hat dieser
Ubergangsstil in Kircheneinrichtungen sich üppig entfaltet und
uns in zahllosen holzgeschnitzten Altären Paradigmen hinterlassen,
welche mit ihren gewundenen, mit vergoldetem Schnitzwerk be-
deckten Säulen, hohem Aufbau, meist blauem Hintergrund äußerst
charakteristisch erscheinen. In den holzgeschnitzten Figuren
solcher Altäre, welche meist den gemalten natürlichen Fleischton
in Verbindung mit vergoldeten oder sonst metallisch glänzenden
Gewändern zeigen, hat sich hier sogar noch ein später Überrest
der Fassung von mittelalterlichen Flügelaltären erhalten.
Dagegen tritt mit dem Fortschritte des Barockstiles die Behand-
lung des Holzes im Naturton immer mehr in den Hintergrund,
namentlich dort, wo dieses Material architektonisch verwendet
wird, wie z. B. bei der Ausstattung von Interieurs. Für die deutsche
268 Albert Ilg
Renaissance ist das Täfelwerk der Wände und der Holzplafond
etwas Wesentliches. Zwischen diesen warm wirkenden Verklei-
dungen war für die Werke des Pinsels nur in dem herumlaufenden
Friese über den Wandlambris und in den Feldern der Decke
Spielraum gelassen. Auch hier tyrannisierte die Tischlerei die
große Kunst, und es hat sich darum das monumentale Fresco in
der deutschen Renaissance nie entwickeln können. Schon mit
den oben geschilderten Anfangen des Barockstiles trat eine Wendung
ein. Zunächst verdrängte die Stuccatur Holzconstruction und
Decoration. Die Intarsia (eingelegte Holzverzierung) kommt in
Abnahme, an die Stelle der Decorationen in der Fläche oder bloßen
architektonischen Profilierungen im Holzmaterial tritt nun das Stucco
mit seiner Plasticität, mit seinem lebhaften Spiel von Licht und
Schatten, endlich mit den höchst bewegten malerischen Formen
statt der geometrischen Omamentation von früher. Die ältere
Periode, wie sie durch die Carlone charakterisiert wird, hält sich
meistens noch an den gleichmäßigen weißen Kalkton der Stuccaturen,
doch kommen auch bereits theilweise Vergoldungen vor, wie einige
der Seitenkapellen in Mariazell oder der runde Saal im Castel di
buon consiglio in Trient prachtvolle Proben darbieten. Das ganz
polychrom bemalte Stucco begegnet erst, und auch da nicht allzu-
häufig, in der Periode Karls VI. und später.
In der Decoration der Plafonds vollzog sich nun allmählich
ein merkwürdiger Fortschrittsprocess. Hatte die Stuccatur mit
ihrem üppigen Prunk auch die einfache Täfelung der früheren
Zeit hier verdrängt, so blieb doch auch noch bei dieser neuen Ver-
zierungsweise beiläufig bis gegen Ende des XVII. Jahrhunderts die
Anordnung mustergiltig, dass auch die Stuccatur an der Decke,
wie früher die Holzverkleidung, sich in verschiedene Felder ein-
theilte, innerhalb welcher dann die Frescomalerei zum Worte kam,
jedoch auch noch nicht bedeutender und großartiger als in der
deutschen Renaissance. Es bilden sich zwischen den Stuccaturen
cartouchenartige Offnungen, Ovale, Kreise, Vierecke und andere
Vertiefungen, in welchen der Pinsel zwar seines Amtes waltet,
aber nur in bescheidenen Dimensionen und mit kleinen Figürchen
zu wirken vermag. Sehr beliebt ist daher an solchen Stellen die
Anbringung der dem spielenden Geiste des Jahrhunderts überhaupt
sehr angemessenen rebusartigen Embleme, Imprese, Icones u. dgl.
Die Barocke.
269
wie wir sie als Devisen von fürstlichen Geschlechtern, Illustrationen
von Wahlsprüchen etc. so häufig vorfinden. Erst als die Entwick-
lung des Barockstiles im größeren architektonischen Geiste die
zwar malerische, aber doch kleinliche und überhäufte Pracht des
banalen Stuccaturwesens durch mächtige constructive Formen rein
architektonischer Natur ersetzt hatte, als die Flachdecke, das Spiegel-
gewölbe und die Kuppelschale in einer späteren Periode von dem
krausen plastischen Zierat mehr befreit worden war, da erst
konnten sich die Schöpfungen der Palette dehnen und recken und
zur Kolossalität des monumentalen Frescos gedeihen. Es würde
zu weit führen, von jener älterien Gattung der in die Stuccofelder
eingekapselten Malereien viele Beispiele aufzuzählen, sie liegen
übrigens sehr nahe und sind fast in allen der aufgeführten Kirchen
der in Rede stehenden Periode zu sehen. Zu erwähnen wäre nur
seiner Bedeutung halber ein Künstler, welcher, wie es scheint,
wenn nicht als Bahnbrecher, so doch als einer der hervorragendsten
Vertreter der Richtung in Osterreich zu betrachten ist, der aus
dem Mailändischen gekommene Carpoforo Tencala, welchen alte
Berichte, wenn auch übertrieben, feiern, dass er das Fresco wieder
zu uns gebracht habe. Von ihm sind die schönsten Deckengemälde
in dem reichgeschmückten Trauttmansdorffischen (jetzt Lam-
bergischen) Schlosse Trautenfels in Steiermark, jene der Domini-
canerkirche in Wien, aber er hat seine Thätigkeit selbst weit hin-
ein nach Mähren ausgebreitet. Gegenüber all diesen noch immer
einigermaßen mit den Traditionen der deutschen Renaissance zu-
sammenhängenden Erscheinungen bekundet die Epoche der
Stuccaturblüte auch wieder echt südliche Symptome, so gibt sich
z. B. in ihrer Vorliebe, die Eingänge der Seitenkapellen im Stile
von Triumphpforten mit lagernden Michelangelesken Zwickelfiguren
zu gestalten, ferner in der fast immer wiederkehrenden Schmückung
der Wandpilaster mit geflügelten Engelsköpfen und grotesken-
artigen hängenden Trophäen, endlich aber überhaupt in der
Bevorzugung des figuralen Elements das Italienische kund. Für
die Triumphbogen haben wir glänzende Paradigmen an den Kapellen
der genannten Kirche am Hof in Wien von Silvestro Carlone, für
jene der Pilastermotive schon ein sehr frühes Beispiel in der
Kirche der Inviolata zu Riva am Gardasee von dem Römey
David Retti.
270 Albert Ilg
Man muss bei der Beurtheilung dieser Dinge in Osterreich
den Blick aber immer auf das Mutterland des Stiles, Italien, zurück-
lenken. Hier vollziehen sich alle Processe des Werdeganges natür-
lich viel früher, oft um ein halbes Jahrhundert und mehr. Während
also die Anfange der Barocke diesseits der Alpen erst ziemlich
langsam Wurzel gefasst haben, von ihren Importeuren in die Hände
der einheimischen Meister übergegangen sind, sich dort sogleich
mit den Elementen der noch sehr widerstandskräftigen deutschen
Renaissance vermischten und auf diese Weise schon wieder eine
Trübung entstanden war, welche man gewissermaßen eine Barocki-
sierung der Barocke nennen könnte, der aber ein locales Gepräge
nicht abzusprechen ist, hatte sich im Süden längst schon eine
reformierende Tendenz gegen jene ursprüngliche Färbung des Stiles
mächtig geltend gemacht. Die ersten Erscheinungen der Barocke
in Italien gehen von der Nachahmung und Uberbietung des
Michelangelesken aus. Dadurch wurde der ganzen Kunstweise der
dominierende Charakter des eminent malerischen Princips aufge-
drückt, welchen sie auch trotz aller Reformen im ganzen bis zu
ihrem Ende bewahrt hat. Malerisch ist in diesem Stil die wirkungs-
volle Anlage des Grundrisses, die große Bedeutung des Perspecti-
vischen, die Erzielung von Schatten- und Lichteffecten durch
gekrümmte und geschweifte Flächen, die Scheinwirkung der
coulissenmäßigen Fagaden, welclue sich um das konstructive des
Inneren nicht kümmern; malerisch das gesammte Streben auf den
EflFect und die Loslösung der wild umherschwärmenden Ornamentik
von den Gliedern des architektonischen Grundkörpers; malerisch
endlich der unersättliche Drang nach Leben und Bewegung aller
Theile sowie nach Farbe, Glanz und Gold. In immerwährender
Übertreibung war diese Richtung endlich oft bis zum Sinnver-
wirrenden, Bizarr-phantastischen, ja Ausgelassenen und Verwilderten
gekommen, wovon manche Schöpfungen eines Borromini, Guarini
u. a. als classische Zeugnisse dastehen. Ein Italiener selbst, der
zu den reformatorischen Gegnern der Manier gehörte, hat diesem
extravaganten Wesen den treffenden Namen des stilo papagallo
— Papageienstil — gegeben. Die Entartung der Plastik trug dazu
nicht unwesentlich bei. In diesem Kunstzweige war jedes Bewusstsein
von seinen Grundgesetzen der Bewegung in der Ruhe und der
Ruhe in der Bewegung abhanden gekommen und ins Gegentheil
Die Barocke. 271
verkehrt worden. Die Grenzen der Künste verschwanden, und der
Strom des Malerischen flutete schrankenlos ins Schwestergebiet
über. Die höchste Aufregung, die glühendste Leidenschaft, alle
Stürme der Seele, welche der Maler kaum mit all den reichen
Mitteln seiner Technik, ja kaum der Dichter mit den Worten der
, Sprache zu schildern vermag, bemühte sich nun der Meißel im
kalten, starren, weißen Steine auszudrücken. Und was durch den
bloßen physiognomischen Ausdruck dabei nicht gelingen wollte,
dazu mussten heftige, wilde, zuckende Bewegungen des Körper-
lichen beihelfen, und schließlich theilte sich dieses malerische
Fieber selbst den materiellen Nebendingen mit, so dass die
Gewänder, Haare und Locken nur mehr wehend und fliegend dar-
zustellen für möglich gehalten wurde. Ja selbst die unplastischesten
Dinge, Wolken, Thränen, Windhauche, Geistererscheinungen
mussten sich aus dem harten Marmor herausschlagen lassen oder
wurden in Gips geformt.
Mit dieser Charakterisierung wollen wir aber keineswegs den
hergebrachten Tadel über die Unnatur dieser Kunst wiederholen;
sie mag es uns so nach verändertem Geschmacke von heute
scheinen, aber sie ist es nicht, weil sie der Natur ihres Zeit-
geistes vollkommen entsprach. Das Gesammtbild dieser Zeit
zeigt dasselbe nervöse, zuckende Fiebern aller Gedanken und
Empfindungen. Ebenso himmelhoch jauchzend und zum Tode
betrübt, ebenso leidenschaftlich maßlos von Extrem zu Extrem
stürzend, das Leben theilend zwischen dem goldschimmernden
Prunksaale des Fürstenpalastes und der Geißelzelle des Mönches.
Schon die Renaissance Italiens hat neben den mannigfachen freien
Verbindungen, welche der Kunstgeschmack eingegangen war, eine
von Zeit zu Zeit hervortretende Richtung gewiesen, deren Streben
dahin gegangen war, diese mit der Zeit entstandenen Übertreibungen
immer wieder zu reinigen. Neben den Praktikern, welche dem
Zeitgeschmack, den localen Verhältnissen, ja dem Geschäfte
huldigten, gab es schon seit den Tagen Leon. Battist Albertis,
Filaretes u. a. Theoretiker der Architektur der Renaissance. Es
waren Künstler, die zugleich Gelehrte gewesen sind. Ihnen allen
schwebte die Monumentenwelt des Römerthumes als Ideal vor
Augen, und Vitruvs architectura war der codex, auf dem ihre
künstlerischen Grundsätze fußten. Naturgemäß musste das Schlag-
272 Albert Ilg
wort solcher Meister wie das jeder Reform immer lauten: Rück-
kehr zur Einfachheit statt bunter Üppigkeit und Phantastik; Be-
achten der althergebrachten Gesetze statt modehafter Willkür und
Schrankenlosigkeit. Ihre Anwendung der Architektur auf die
Bedürfnisse des Tages war immer bestrebt, das Neue an die alten
Formen zu binden, sie sprechen immerfort von Basiliken und
Atrien, auch wo es sich um Paläste italienischer Geschlechter des
XVI. Jahrhunderts handelt, während die von ihnen bekämpfte
Richtung, sorglos um das HÄkömmliche und Antiquarische, neuen
ihr selber unbewussten Zielen der Zukunft entgegenstrebt.
Diese merkwürdige Tendenz geht während der ganzen Periode
der Barocke mit deren größten Übertreibungen parallel. Immer,
durch das ganze XVI., XVII. und XVIII. Jahrhundert, gehen
diese strengen, ernsten Mahner der Theorie neben den ausge-
lassensten Tollhäuslern des Überschwanges einher, und dieses ist
der Verlauf des Processes. Nachdem, wie wir gesehen haben, die
mönchische Ascetik der katholischen Gegenreformation die Barocke
schier im härenen Kleide des Mönchsthums diesseits der Alpen
eingeführt hatte, schlägt der Stil rasch in maßlose spielende
Uberschwenglichkeit um, welche eine Reaction, eine Cur auf dem
Wege der Theorie nothwendig macht. Man greift auf diese
antikisierenden Lehrmeister zurück und fällt zunächst in eine
gewisse kalte Nüchternheit, die aber durch Ruhe und Größe der
Erscheinung unleugbaren Wert besitzt, bis endlich nach dem
Anfange des XVIII. Jahrhunderts hohe geniale Geister auf solcher
Bahn zum classischen Gipfelpunkt des Stiles vordringen. Von da
an geht es abwärts. Der duftige Blütenregen des Rococo über-
deckt zwar eine Zeit lang noch die Steifheit der immer mehr an
Macht gewinnenden Theoretik, aber nach der Mitte des Jahr-
hunderts erhebt der geistlose, pedantische Schulmeister immer
kühner sein Haupt, und der ehemalige mächtige Strom des Barocco
versandet endlich trostlos in dem akademischen Doctrinarismus des
classicistischen und Empirestiles, sammt weiteren immer uner-
freulichen Consequenzen.
Die großen Namen, an welche sich die theoretische Sanierung
der beginnenden Barocke in Italien knüpft, sind vor allem Barozzi-
Vignola, Serlio und Palladio. Jeder von diesen, noch dem XVI.
Jahrhundert angehörigen Architekten war in verschiedener Weise
Die Barocke. 2 7 '2
gebildet und gelangte zu verschiedenen Resultaten, aber gleich-
mäßig giengen sie vom gewissenhaften Studium altrömischer Bau-
kunst aus und zeigen ihre doctrinäre Richtung schon dadurch,
dass jeder von ihnen, vom Ideale seines Vitruv begeistert, Lehr-
bücher über die Architektur, Theorien über die Säulenordnungen
hinterlassen hatj welche unablässig bis ins XVIII. Jahrhundert
die Bildungsquelle der Späteren abgegeben haben. Auf diese
Geister griflF man nun zurück, wo in allen Landen man sich aus
dem Wirrsal der überhandnehmenden Willkür nach Einfachheit
zurücksehnte, nicht nur in Osterreich. Ganz besondere Bedeutung
haben diese Theoretiker auch für die Barocke Frankreichs, wo
ja Serlio gelebt und gewirkt hatte. In diesem Lande ist die
purificierende Tendenz von stetiger und energischester Fortwirkung,
hier kam auch das akademische Wesen am frühesten zum Durch-
bruch, aber die Bewegung in Frankreich ist eine Sache fiir sich
und hat mit derjenigen in Osterreich während der eigentlichen
Barocke absolut nichts zu thun. Sie hat dorthin gewirkt, nach
Ländern, wo die directe Berührung mit Italien nur eine schwache
war; daher ist das nördliche Deutschland, Polen und Russland von
der Barocke Frankreichs beherrscht. Osterreich aber, Italiens Nach-
bar, hat directe Beziehungen mit dem Urquell des Stiles gehabt
und beugt erst in dessen allerletzter Phase, sowie in der Rococo-
periode sein Haupt gleichfalls dem dominierenden Einfluss von Paris.
Für Osterreich ist neben den genannten großen Theoretikern
der Spätrenaissance in ganz besonderer Weise ein anderer Architekt
Italiens von großer Bedeutung, Vicenzo Scamozzi, um die Wende
des XVI. und XVII. Jahrhunderts thätig; er ist allerdings kein
so strenger schulmäßiger Reconstructeur im Sinne der römischen
Antike wie die genannten, ja es fehlt ihm bisweilen nicht selbst
an einem ziemlich phantastischen Zug sowie an Streben nach Effect,
aber er hat doch wie jene durch eine gewisse stolze Schlichtheit
seines Stils, durch grandios einfaches Wirkungsvermögen und durch
die Ablehnung aller kleinlichen theatralischen Tändelei in enormem
Grade mustergebend gewirkt. Dazu kommt, dass sein Lebeusgang
gerade unser Vaterland direct berührte. Nicht nur dass auch
seme Architekturschriften frühzeitig in Osterreich mächtige Ver-
breitung fanden, er selbst hat nicht nur in Oberitalien zahllose
Bauten errichtet, sondern war auch in Prag und Galizien thätig,
KuDstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. l8
274 Albert Ilg:
baute bei uns Kirchen, Paläste und Festungswerke, endlich was
das Wichtigste ist, er entwarf nach der 1598 stattgehabten Ver-
nichtung des romanischen Domes von Salzburg acht Jahre später
den Entwurf eines Planes für einen neuen daselbst, welcher die
großartigste Kirchenaiiiage in Deutschland geworden wäre, wenn
man die Inangriffnahme desselben gewagt hätte. Es wäre ein
stolzer Prachtbau von kreuzförmiger Anlage mit drei Schiffen,
centraler Kuppel und im Halbkreis abgeschlossenen Querarmen
geworden. Die Vorlage bildete ein dreitheiliger Narthex, über
welchem an der Fagade zwei gewaltige Thürme emporstehen.
Der Grundriss ist ein Mustergebilde von erquickender Klarheit,
die Raum Verhältnisse von großartiger Ebenmäßigkeit und der
reine constructive Gedanke in seiner Sieghaftigkeit gerade gegen-
über dem unlogischen und willkürlichen der früheren Kirchen-
anlagen so überaus wohlthuend, als bei denselben in der Regel
die Innenräume in ihrer Disposition zu der Außenwirkung in einem
nur theatralisch lügenhaften Schein Verhältnis stehen. Aber Scamozzis
Project erlebte die Ausführung nicht. In dem bestehenden Dome der
alten Bischofsstadt steht nur eine abgeschwächte Nachbildung vor
unseren Augen (siehe Abb. 54). Ihr Urheber gehört wieder einer
comaskischen Baumeisterfamilie Oberitaliens an, den Solari vom
Luganersee, welche, in zahllosen Mitgliedern vertreten, seit dem XVI.
Jahrhundert nicht nur in Italien, sondern auch in Südtirol, in Wiener-
Neustadt und an anderen Orten Österreichs thätig erscheinen. Der
Architekt des jetzigen Salzburger Domes, Santino Solari (1576 bis
1646), ist ein verständnisvoller und geistreicher Vereinfacher des
übergewaltigen Projects Scamozzis gewesen und hat uns in seinem
Werke noch immer eine der herrlichsten Schöpfungen barocker
Kirchenbaukunst auf nicht italischer Erde hinterlassen. Wie
mächtig solche Vorbilder auch noch in späteren Jahrzehnten
gewirkt haben, zeigt ein Blick auf den jüngeren Theil d. h. das
Querschiff" und den Chor der Kirche in Mariazell, welche aller
Wahrscheinlichkeit nach unter dem Einflüsse des alten Fischer von
Erlach entstanden sein dürften. Hieher gehört auch die Stiftskirche
zu Pöllau in Steiermark (1701— 1709). Ein anderes glänzendes Bei-
sjpiel liefert die Peterskirche in Krakau(i597 — 1619), 3eren imposante,
ruhig wirkende Hallen von Giuseppe Bucci begonnen xmd von
dem mailändischen Jesuiten Bernardoni vollendet wurden (s. Abb. 55).
Abb, 5j. Fettrskirclie in tCrakau.
Die Batx>cke.
275
Endlich steht einige Schritte vom Salzburger Dome in Fischers
von Erlach großartiger Universitätskirche ein Zeugnis vor unseren
Augen, welches die unmittelbare Anregung an Ort und Stelle
documentiert
Wenn hier die einzelnen Entwicklungsphasen des Stiles
knapp zu charakterisieren der Versuch gemacht wird, so kann
nur nicht genug vor einem Irrthume gewarnt werden, welcher
gewöhnlich aus der Leetüre derartiger allgemeiner, übersichtlicher
Darstellungen zu erwachsen pflegt; man hüte sich sehr zu glauben,
dass auch in der österreichischen Barocke diese verschiedenen
Gestaltungen so genau nach dem Capitel des Lehrbuches abwech-
selten und auf einander folgten. Es handelt sich da um die
Bezeichnung von großen Hauptströmungen, dieselben giengen
auch mächtig durch das Ganze, aber auf die erste, mönchisch
strenge Richtung folgt nicht überall gleich in den weiten Erb-
landen die fröhliche Decorationskunst der Comasken und dann
wieder die purificierende Classicistik, sondern das alles flutet fast
beinahe noch bis zum Schlüsse der Barocke bunt durcheinander.
Hier sind die localen Verhältnisse die entscheidenden, aber auch
andere. Klosterarchitekturen hielten sich noch spät im XVIIL
Jahrhundert an die Kühlheit der Ferdinandischen Bauart, ärmere
und entlegenere Landkirchen bewahrten mit dem billigeren Mate-
riale des Holzes lange noch jene Formen der Altäre, in denen
die Barocke schon aus technischen Gründen von Reminiscenzen
der deutschen Renaissance durchdrungen ist, und namentlich im
Profanbau des Palastes und Bürgerhauses hat die oberitalische
Stuccodecoration das Terrain dem classischen Constructionsbau
fast niemals abgetreten. Wie sehr das Material hier entscheidend
wirkt, zeigt sich z. B. im äußersten Süden des Reiches; die Kirchen
Laibachs und anderer Orte in Krain, viele im Küstenland, auch in
Südtirol haben durch den Marmorreichthum jener Provinzen in
ihren Altarbauten ein eigenes Gepräge, sie schließen sich gewissen
italienischen Formen an, welche mit diesem kostbaren Stofie in
stilistischem Zusammenhange stehen, und hier waltet deshalb der
römische Einfluss einer allerdings späteren Epoche vor.
Das Ende des XVII. Jahrhunderts wird durch eine höchst
interessante Künstlererscheinung bezeichnet, welche auf dem
italischen Boden, auf dem sie künstlerisch erwachsen ist, zwar an
276 Albert Ilg
Verwandtes angrenzt, für unsere Heimat aber vollkommen originell
hervortritt und ein höchst folgenreiches Wirken entwickelte. Man
kann von dem berühmten Fra Andrea dal Pozzo (1642— 1709) nicht
sprechen, ohne seines Ordens zu gedenken, aus dessen ganzem
Geiste sein Kunstempfinden hervorgegangen ist. Schon oben war
davon die Rede, dass die Gesellschaft Jesu die Aufgabe der Gegen-
reformation von einem der Maxime der strengen Mönchsorden
Carmeliter, Kapuziner etc. entgegengesetzten Standpunkte auffasste.
Sein Geist ist ein aristokratisch herrschender, das Äußerliche
wählt er nach den Gesichtspunkten fürstlichen Glanzes, geistig
wirkt er durch hohe wissenschaftliche Bildung und vollendete
Formen des umgänglichen Verkehres. Der mächtige Einfluss der
societas umfasste alle Monarchen, den ganzen Adel und die Gelehrten-
welt des Katholicismus; sie ersah wohl, dass ei;iem so mächtigen
Wirken ein prunkvoller Rahmen geboten werden müsse, und begriflf
ferner sehr gut, wie sich solche Prachtentfaltung mit dem kunst-
liebenden und Phantasie vollen Wesen der südlicheren Nationen
und also auch der stets von südlicher Cultur durchdrungenen
Österreicher herrlich vertrage.
Der Jesuitenorden verfügte in seinen über die ganze Welt
verbreiteten großartigen Institutionen über so reiche Mittel der
wissenschaftlichen und technischen Unterweisung, dass es nicht
wundernehmen kann, wenn wir eine ganze Armee, wie von
Gelehrten, so auch von Künstlern aus seinen Reihen hervorgehen
sehen, die dann einmüthig alle ihre Kräfte den Zielen des Ordens
widmeten. Auch ein Pozzo fand daher schon als Knabe im Kloster
jenen Unterricht in Mathematik und Perspective, welche ihn später
zum größten, fast übermüthigen Virtuosen der Perspectivmalerei
und architektonischen Scheindecoration gemacht haben. Er wirkte
wohl schon in jungen Jahren an jenen lateinischen Schülerfesten und
ludi scenici mit, für welche er später so unübertroffen großartige,
von der fruchtbärsten Phantasie zeugende Theater entwarf (Siehe
Abb. 56.) Die prachtvolle Ordenskirchie, welche Vignola den Jesuiten
in Rom gebaut hatte, der erhabene Bau des Gesu, zeitigte in unserm
Pozzo jene Gedanken, mit welchen er, an der einfacheren Größe
jenes Meisters ansetzend, das Kunstprincip seines Ordens bis zu
jenem Gipfelpunkt steigerte, welcher Architektur und Decoration
des Gotteshauses fast bis zur Jubelhymne in der Sprache der
1 Andrea dal Pozz.
Die Barocke.
277
bildenden Kunst zu erheben weiß. Sein erstes Werk für Österreich
ist der reich geschmückte, übrigens nur im Innern bedeutende
Dom von Laibach. Nachdem er dann in seiner Vaterstadt Trient
die Seminarkirche errichtet und eine kurze Zeit in Bamberg ge-
weilt hatte, entfaltete der wunderbare Mann in den letzten Jahren
seines Lebens (seit 1705) eine fast unbegreifliche Thätigkeit, welche
durchaus Wien gewidmet ist. Als Architekt wie als Maler gleich-
bedeutend thätig, hat er hier sein Meisterwerk, die prachtstrahlende
Ausmalung der Universitätskirche geschaffen, wobei er an den Grund-
typus der älteren Michaelskirche seines Ordens in München anknüpfte,
den älteren Renaissancecharakter dieses Baues aber geradezu genial
in barocke Pracht zu übersetzen verstand und die bunte Stucco-
architektur ebenso meisterhaft wie die überreichen täuschenden Per-
spectivmalereien des Tonnengewölbes mit eigener Hand zu bemei-
stern wusste. Eine nicht minder imposante Meisterleistung ist sein
Riesenplafond mit den Thaten des Hercules im großen Saale des
fürstlich Liechtensteinischen Palastes in der Rossau; neben diesen
beiden umfangreichen Werken malte er in dieser kurzen Zeit auch
noch die Plafonds in der alten Universitätsbibliothek, im natur-
historischen Cabinet der ehemaligen Jesuitenuniversität, im kaiser-
lichen Lustschloss Favorita (Augarten), in den Kirchen der
Dominicaner und bei St. Anna. Was das rein Architektonische an
seinen Entwürfen anbelangt, so lehnt er sich in manchen Dingen
an Borromini an, aber es lebt in seiner Formensprache und Orna-
mentik auch gar vieles, was seine Herkunft aus den schon voraus-
gegangenen Phasen des Barockstiles auf deutscher Erde nicht ver-
leugnen kann. Pozzos Einfluss ist mannigfach in Österreich und
Deutschland zu verspüren, besonders wo Niederlassungen seines
Ordens waren. Hervorragend nennen wir die majestätische Jesuiten-
kirche in Görz mit dem gemalten Hochaltar von dem Jesuiten-
laienbruder Christoph Tausch, der auch in Schlesien baute; den
prunkreichen Marmoraltar von Pozzos Bruder Lorenzo, gleichfalls
Jesuiten, in der Pfarrkirche zu Bozen, sowie den noch prächtigeren
bei den Carmelitern in Trient; endlich ist der Hochaltar in der
Domkirche zu Klagenfurt eine directe Wiederholung von dem-
jenigen in der Wiener Universitätskirche.
Von ganz anderer Art zeigt sich ein für Wien und Österreich
sehr wichtiger Künstler, dessen Stilrichtung zum Theil durch die
27S Albert Ilg
Barocke Venedigs, zum Theil durch die bolognesische Art bestimmt
war, Lodovico Ottavio Burnacini, ein gebürtiger Friuleser und
Verwandter des berühmten, um den Entsatz von Wien 1683 ver-
dienten Kapuziners Marco Aviano, der ihn an Kaiser Leopold
empfahl. Übrigens entstammt auch er aus einer Künstlerfamilie,
welche schon seit früher zu Osterreich Beziehungen hat. Seine
Thätigkeit zeigt ein außerordentlich merkwürdiges Janusgesicht.
In seinen für die Dauer bestimmten, ernstgemeinten Bauten ist er kahl
und trocken, wie das z. B. der Leopoldinische Tract der Wiener
Burg beweist, dagegen entfaltet er eine überreiche Phantasie und
glänzenden Prunksinn in seinen zahlreichen Theaterscenerien, mit
welchen er für den die Oper außerordentlich liebenden Kaiser
zeitlebens (er starb sehr alt 1707) beschäftigt . war. In letzterer
Hinsicht bildet er den Übergang zu den Bibiena, welche allerdings
für Osterreich die eigentlichen Classiker der. barocken Prachtent-
faltung genannt werden müssen. Burnacini als der Liebling des
Kaisers erklomm die . höchsten Ehrenstellen am Hofe, war zu
Wien, Ebersdorf, Laxenburg etc. reich beschäftigt und übte zeit-
lebens einen gewissen Druck auf die übrigen Architekten aus,
unter welchen sich der damals noch jugendliche J. B. Fischer,
dessen Vorgesetzter er war, ziemlich mühsam emporarbeiten
musste. Sein eminent decorativer Sinn bewies sich nicht bloß in
der feenhaften Inscenierung des pomo d'oro und anderer Theater-
stücke, sondern tritt auch in einzelnen Monumentalwerken, wie in
dem oberen Theile der Pestsäule am Graben zu Tage.
Die zahlreiche Famijie der Galli-Bibiena reicht bis ins XVI.
Jahrhundert zurück und ist mit der Malerschule der Carracci innig
verbunden. Ihr Vorfahr in jener Zeit war ein Schüler des Francesco
Albani. Selbst Maler und auch als Architekten sind die späteren
Bibiena dem malerischen Princip immer treu geblieben. Giovanni
Marias Söhne Ferdinando (1657 — ^743) ^^^ Francesco (1659 bis
1739), dann Ferdinandos Sohn Giuseppe (1696 — 1757) sind für
Osterreich die wichtigsten, aber mit einer Reihe anderer Ver-
wandter erstreckten sie ihre Thätigkeit auch über Italien, Spanien,
Portugal, Lothringen und Deutschland. Ferdinando, auch als
Kunstschriftsteller thätig, war aus Parma in die Dienste des
spanischen Königs Karl III. nach Barcelona gekommen, zog mit
dessen Gefolge aber dann nach Wien, als derselbe als sechster
Die Barocke.
279
Karl den Thron bestieg. Hier fand er seinen Bruder Francesco
schon seit längerer Zeit beschäftigt vor, der sich vor Fischer da-
selbst neben Burnacini einer sehr großen Beliebtheit erfreute.
Ferdinando zog außerordentlich viel Schüler heran, erblindete
gegen Ende seines Lebens und überließ seine Arbeiten größten-
theils seinem fast gleich begabten Sohne Giuseppe. Trotz der
. . .
Verbreitung dieser Künstlerfamilie ist es sehr schwer, in Osterreich
ihnen zugehörige Werke nachzuweisen, wie in anderen Ländern,
welche sich um jene Zeit eines besseren Standes der Kunstliteratur
erfreuten. Wir hören zwar unendlich viel von Theaterprospecten,
Entwürfen zu Illuminationen, Feuerwerken und dergleichen, welche
von ihnen herrührten, wenig aber von Monumentalbauten. Als
Karl VL für den Bau der Karlskirche eine Concurrenz ausschrieb,
lieferte Ferdinando ein Modell, wurde aber von Fischer geschlagen,
geradeso wie derselbe Fischer früher schon seinen Bruder Francesco
bei der Errichtung der Triumphbögen anlässlich des Einzuges
Josefs I. in Schatten gestellt hatte. Dagegen aber habe ich die
Überzeugung, dass die früher ganz mit Unrecht Fischer zuge-
schriebene Peterskirche in Wien eine Schöpfung der Bibiena sein
muss — die Mitwirkung des Malers Antonio Bibiena ist sogar
verbürgt, Ferdinandos Kunststil ist dem Pozzo ebenbürtig an
Kühnheit der Erfindung, aber er überbietet ihn durch einen höchst
gestimmten Sinn für das Heiter-festliche, es ist ein stetes Jubeln
und Jauchzen aus der Fülle des Reichthumes und Glanzes heraus
in seinen Erfindungen. Alles flutet bei ihm in satter, lachender
Farbe, Gold und Marmor, weiß ist verpönt. Das Ensemble seiner
Gold und Farben strotzenden Interieurs berührt unser Empfinden
wie eine heitere, aus vollen Accorden geführte Melodie, die von
der effectvoUsten Instrumentation getragen ist. Die Construction
ist ihm freilich nur ein Gerüste, über welches er seine Fluten
von bunten Formen und Gestalten, Marmor und Goldornamentik,
wie einen Blumenregen herabschütten kann, die Kirche ist ihm
ein heiliges, aber darum nichts weniger als düsteres Theatrum,
seine Kunst will uns im Gotteshause die Herrlichkeit des Paradieses
zeigen, diese denkt er sich aber als den Hofstaat einer überirdischen
Majestät, vor deren Augen nur Herrlichkeit, Glanz, Glück und
Freudigkeit Platz finden dürfen. In der Peterskirche mit ihrem
wunderbaren Kuppelraume versteht man eigentlich erst recht, dass
28o Albert Ilg
in der Barockkunst ein musikalisches Element liegt Man schaue
diese üppige Pracht nur einmal während eines musikalischen Amtes,
man sehe dann, wie diese lächelnden, sehnenden, vor Inbrunst
und Freude lachenden und weinenden Heiligen in ungezählten
Scharen bis zur höchsten Kuppelhöhe hinauf unter den feierlichen
Klängen sich drängen, schweben und bewegen, wie sie durch
Gold und Farbe und wallende Weihrauchwolken herunterblicken,
und man begreift, dass die Musik wesentlich zum Verständnis des
barocken Kunstwerkes gehört. Bald ernst und majestätisch wie
ein kunstvoll gebauter Fugensatz, bald schimmernd und glitzernd
wie eine brillante Coloratur, so handhaben diese Meister ihr reiches
Material von Formen und Farben, ohne sich dabei allerdings um
die strengen mathematischen Gesetze der architektonischen Con-
struction viel zu kümmern. Ihr Zweck ist zu begeistern, zu
berauschen, zu betäuben, und sie treten zu diesem Zweck an alles,
was Sinne im Menschen heißt, mit geradezu zauberhafter Gewalt
heran.
Der Art der Bibiena verwandt muss der noch unbekannte
Architekt sein, von welchem der erste Entwurf zu der 17 17 er-
richteten Jakobspfarrkirche in Innsbruck herrührte, welche dann
Claud. Delevo ausbaute und die Gebrüder Asam mit ihren eflfect-
voUen Fresken schmückten. Außerordentliches leistete Ferdinando
bei den großen Feierlichkeiten bei der Canonisation des Johann von
Nepomuk in Prag 1729 und schon früher 1723 mit seinen Söhnen
anlässlich der böhmischen Krönung Karls in Prag, wo er die viel
berühmte Oper inscenierte, die den Wahlspruch des Kaisers
costanza e fortezza zum Titel hatte, und deren Pracht in Europa
Aufsehen erregte. Von einem Schüler Ferdinandos, dem Wiener
Johann Ospel, rühren die schönen Bauten des bürgerlichen Zeug-
hauses und der Leopoldskirche in Wien her. In Pressburg dürfte
der junge Antonio die perspectivische Scheinkuppel der Trinitarier-
kirche 1717 in der Art des Pozzo gemalt haben, endlich steht in
dem deutsch-böhmischen Städtchen Gabel die 1699 — 1729 errichtete
ehemalige Dominicanerkirche, ein Bau, welcher im Äußeren bei-
nahe eine genaue Copie der Wiener Peterskirche ist, und
von dem wir hören, dass das hölzerne Modell aus Wien geliefert
wurde. Als Architekten werden Pietro Bianco, der jüngere Sohn
des berühmten Baccio Bianco in Genua, selber ein Schüler des
Abb. 57. Landhaus in Innsbnicl: vui
Abb. s8. Schiff der Stiftskirche in Molk, von Jakob Prandauei.
Die Barocke. 38 1
Buontalenti, und ein sonst unbekannter Domenico Beretti genannt.
Der jüngere Bianco hat auch bei den Barockbauten des Stiftes
Florian in Oberösterreich im Verein mit den Carlone gewirkt.
Es diente eben für die Barocke Österreichs zu deren vollem
stolzen Gedeihen, dass beinahe sämmtliche der italienischen Stil-
strömungen hier zusammenkamen. Die genuesische, venezianische,
mailändisch-comaskische, bolognesische, römische und andere sind
auf unserem Boden vertreten, aber sie drangen nicht nur in Oster-
reich ein, sondern sie durchdrangen sich untereinander auch hier
zu Lande und verschmolzen überdies noch mit den Überbleibseln
der heimischen deutschen Renaissance. Und in diesem Umstände
liegt eben das Wichtigste und das Charakteristische der öster-
reichischen Barocke. In ihrem italischen Mutterlande halten sich
die localen Stilfärbungen in der Regel in ihren provinziellen
Kreisen, bei uns hat sich aus diesen unendlich bunten Mischungen
etwas Eigenthümliches gebildet, und das hat Erdgeruch, das ist
österreichisch geworden. Es ist gar nicht möglich, in beschränktem
Räume nachzuweisen, wie unendlich mannigfach in allen Theilen
des Erblandes damals zahllose größere und kleinere Meister sich
bethätigten, welche, deutscher Abstammung, auf den Spuren der
Fremden folgten. Da wären z. B. die Prager Dienzenhofer zu
nennen, welche sich das italienische Vorbild auf dem Umwege über
Deutschland holten und Böhmen, besonders Prag, mit originellen,
zwischen deutscher und welscher Weise schwankenden Architektur-
erfindungen füllten. Die Tirolerfamilien der Gumpp (siehe Abb. 57)
und Schor, die durch lange Studien in Italien die Richtung Borro-
minis und Beminis aufnahmen, der monumental denkende und
durch phantasiereiche Größe ausgezeichnete schlichte St. Pöltner
Maurermeister Jakob Prandauer (gest. 1727), dessen imposante Kir-
chen von Molk, Herzogenburg, Dürrenstein, Sonntagsberg, sowie das
Stiftsgebäude St. Florian einen hohen Rang einnehmen (s. Abb. 58).
Vereinzelte Erscheinungen bedeutender Italiener von besonderem
Charakter sind ferner Giovanni Cocabani aus Florenz, von welchem
das erzbischöfliche Palais in Wien herrühren dürfte, dessen Formen
die Stilrichtung des Florentiners Buontalenti verrathen. Der Abbate
Domenico Martinello (1650— 17 18), der Erbauer der fürstlich
I/iechtensteinischen Paläste in Wien, trat mit einer für Wien neuen
Auffassung des adeligen Wohnhaustypus heran, welche freilich
282 Al^«rt Ilg
mit ihren südlichen Wohnungseinrichtungen vom praktischen Ge-
sichtspunkte bei uns keinen Anklang fand und daher den auch
in diesen Beziehungen musterhaften Vorkehrungen Fischers von
Erlach weichen musste; aber ein Architekt von großem Sinn für
Vornehmheit ist er. Dem Geiste Carlo Fontanas verwandt, welchem
auch Fischer aus seiner römischen Studienzeit viel verdankte,
mischte Martinello römische und florentinische Formen, ist aber
ein wenig kühl in der Wirkung und hat darum auch in Osterreich
keine Schule gemacht. Ein ganz anderes bewegliches Element
spielt in den Bauten des Mailänders Felix Donato AUio, welcher,
aus einer schon im XVI. Jahrhunderte bei uns wirkenden Familie
von Fortificationsmeistern stammend, auch selbst kaiserlicher Officier
des Festungswesens war; aber seine großartigsten Werke sind der
edle, malerische Kuppelbau der Salesianerinnenkirche in Wien
und das Prachtgebäude des Stiftes Klosterneuburg, von dem aller-
dings kaum ein Viertel nach seinem Plane fertig wurde.
Die Bedeutung des österreichischen Barockstiles gipfelt in der
classischen Erscheinung Johann Bernhard Fischers von Erlach,
dessen Name selbst über Österreichs Grenzen hinaus sich der
Popularität erfreut. Das Geschlecht der Fischer, wie es ursprüng-
lich bloß bürgerlich geheißen hat, ist bis in die Tage Kaiser
Rudolfs II. nachweisbar und scheint theils in den Niederlanden,
theils in Steiermark geblüht zu haben. Der Vater des Künstlers
war ein in Graz ansässiger Bildhauer, seine Mutter heiratete in
zweiter Ehe wieder einen Bildhauer namens Erlacher, und nach
diesem Namen der geliebten Mutter wählte der berühmte Sohn
später sein Adelsprädicat. Johann Bernhard ist in Graz 1656
(wahrscheinlich am 18. Juli) geboren. Von seiner Jugend ist
außerordentlich wenig bekannt. * Es hat aber den Anschein, dass
er zunächst im Atelier seines Stiefvaters, welcher damals für das
nahe Schloss Eggenberg viel beschäftigt war, sich dem Bildhauer-
fache widmete. Auch in Italien hat er sich noch mit Medailleur-
arbeiten abgegeben, und die später an der Wiener Pestsäule am
Graben von Ignaz Bendl ausgeführten Reliefs dürften von Ficher
entworfen sein. Weiters scheint es, dass der junge Künstler schon
frühzeitig durch die Fürsten Eggenberg, Dietrichstein u. a. ge-
fördert worden sein dürfte, ja es ' ist möglich, dass die ihm zeit-
lebens sehr günstig gesinnten Clam-Gallas ihn schon als Jüngling
Die Barocke.
283
nach Prag berufen haben dürften. Unsere Nachrichten sind aber
zu unsicher in dieser Beziehung. Etwas Bestimmteres verlautet
erst seit dem Studienaufenthalte in Italien, wo wir Fischer in der
ersten Hälfte der 80er Jahre treffen. Hier hatten die schon ge-
nannten Tiroler Künstler Johann Paul und Aegydius Schor auf
ihn den größten Einfluss, welche damals bei vielen Kirchen und
in den päpstlichen Palästen zu thun hatten. Fischer schloss sich
besonders an Johannes, jüngeren Sohn Philipp Schors, an, mit dem
er dann nach Neapel gieng. In Rom aber wirkte ein gewaltiger
Kreis wissenschaftlicher und künstlerischer Factoren auf den jungen
Meister ein. Durch die Schor lernte er deren malerisches Ideal, die
Kunstweise Carlo Marattas, kennen, eines Künstlers, welcher auf
seinem Gebiete von der Tendenz erfüllt war, aus der barocken Bunt-
heit des Zeitgeschmackes zu Rafael und den anderen Classikern
zurückzukehren. Durch den Architekten Carlo Fontana wurde er
in seinem eigentlichen Felde auf verwandte Grundsätze der Ver-
edlung und Vereinfachung geleitet. Des gewaltigen Lorenzo
Bernini fruchtbares Schaffen aber zog ihn bald nach der Seite der
phantastischen Willkür dieses merkwürdigen Meisters, bald zu
seinem großen rein architektonischen Stil, denn beide Richtungen
sind ganz sonderbar in Bernini vereinigt. Auf Fischer hat dies den
größten Eindruck fürs ganze Leben gemacht. Denn fast bis
zum Ende seines Tagewerkes sehen wir in der ganzen Reihenfolge
seiner zahlreichen Bauten den fortwährenden Streit zwischen
malerischer Barocke und architektonischem Classicismus. Durch
die Befreundung mit dem Stile Marattas trat er mit dem Maler
Louis Dorigny, dem Bruder des berühmten Stechers Nicolas, in
Berührung, welch ersteren er später nach Wien bringen sollte,
um den Palast Eugens und die böhmische Hofkanzlei mit seinem
Pinsel zu schmücken. Die Galeria Colonna war für ihn ein haupt-
sächliches Studienobject und lieferte ihm wichtige Motive für den
späteren Bau des Hofbibliotheksaales in Wien. Endlich trat er in
die Kreise der Königin Christine von Schweden zu Rom, wo die
Gelehrten und Künstler Bellori und Bartoli ihn besonders angeregt
haben dürften, der letztere der berühmte Schilderer und Erklärer der
columna Trajana, welche in Fischers Architekturen eine so bleibende
große Rolle spielt und in seinem Hauptwerke, der Karlskirche, eine
geradezu classische Verwandlung gefunden hat. In Neapel nahm sich
284 ^^^^^ ^^«
der Vicekönig Marchese del Carpio, ein begeisterter Antiquitäten-
sammler und Kunstfreund, seiner werkthätig an und war ihm der
dortige Architekt und Antiquar Francesco Picchetti befreundet.
Ohne dass wir die Ursache seines Aufbruches aus Italien kennen
würden, finden wir ihn 1685 schon wieder in der Heimat, wo er
zuerst in seiner Vaterstadt bereits im Staatsdienste als Ingenieur
angestellt erscheint und an der Restaurierung des Mausoleums
Ferdinands II., welches damals ganz verfallen war, im Auftrage
Kaiser Leopolds thätig ist. Bei dieser Arbeit lernte er den
strengeren Renaissancegeist seines Vorgängers an dem Baue, Pietro
da Pomis aus dem XVI. Jahrhunderte, kennen, fügte sich aber in
dessen Formen auf geniale Weise in barocker Empfindungsart ein.
Im Jahre 1687 muss er schon einige Zeit in Wien geweilt haben,
wo wir ihn dem allgewaltigen Burnacini untergeben finden, mit
welchem er ein älteres Renaissancehaus am neuen Markt in den
herrlichen Palast der sogenannten Mehlgrube (Hotel Munsch) um-
wandelt, das Princip der deutschen Laubengänge mit Palladiesker
Pilasterfagade geistreich verbindend und ferner an der Dreifaltigkeits-
säule am Graben (seit ca. 1687) thätig. An diesem bizarren
Monumente entwarf Fischer den heute noch sichtbaren, edel-
architektonischen Unterbau; die damit merkbar contrastierende,
reich mit Bildwerk besetzte Wolkenpyramide vollendete aber nicht
er, sondern ein zahlreiches Consortium von Künstlern: Burnacini,
Paul Strudel, Fruhwirth, Rauchmüller, Auer u. a. , indem Fischer
von dem Werke hinweg zum Lehrer des Kronprinzen Josef in
Mathematik, Fortificationskunst und Architektur berufen wurde,
jenes hocherleuchteten, leider kurz lebenden Fürsten, welcher dem
Künstler stets die innigste Zuneigung bewahrte. Als 1690 Wien
diesen jungen Prinzen als römischen König in seinen Mauern be-
grüßte, errichtete Fischer jenen prachtvollen Triumphbogen, mit
•
welchem er Francesco Bibiena so sehr aus dem Felde schlug, dass
die Sache allgemeines Aufsehen erregte, die gleichzeitige Literatur
davon begeistert Notiz nahm und die Patrioten in dieser That den
Sieg deutscher Kunst über die Fremdländerei feierten. Der 1693
von ihm geschaffene Hochaltar in Mariazell bildete den Schlussstein
dieser Periode, dann sehen wir ihn aber für den Erzbischof von
Salzburg Johann Ernst Graf Thun-Hohenstein auf längere Zeit be-
schäftigt. Großartige Schöpfungen der Architektur sind es, welche
Die Barocke.
285
er in dem Dienste dieses kunstsinnigen Cardinais vollbringt. Der
prachtvolle Hofmarstall, Vollendungsarbeiten am Dome machen
den Anfang; in der Priesterhauskirche versucht er sich zum ersten-
mal an einem Kuppelbau, errichtet die Wallfahrtskirche im
Kirchenthal, schaflfl die ersten Entwürfe für Schloss Kiesheim, baut
die großartige Universitätskirche zur Empfängnis Marias, aber-
mals einen Kuppelbau, welcher gänzlich auf seinen Studien nach
den großen Theoretikern der Renaissance beruht und mit seiner
stolzen Formeneinfachheit, alle Decorationen verschmähend, als ein
Wendepunkt in der österreichischen Barocke dasteht. Er plant
endlich ein großes Kupferstichwerk, in welchem er alle seine
Salzburger Werke darstellen will. Aber dies und anderes gieng
in die Brüche, denn der neue Erzbischof Philipp Reichsgfaf von
Harrach zieht ihm Johann Lukas von Hildebrand vor, welchem
er auch den Bau seines Lustschlosses Mirabell überträgt
Während der Thätigkeit für Salzburg, wohin sich Fischer
von Wien nur zeitweise begab, war er hier mit den Entwürfen
für Schönbrunn beschäftigt. Es entstand zunächst ein grandioses
Project, welches mit dem gegenwärtigen Zustand des Schlosses
gar nichts zu thun hat, das Hauptgebäude auf der jetzigen Höhe
der Gloriette statt am Wienufer und den ganzen Bergabhang in
einen imposanten Terrassengarten umgewandelt zeigt, mit Säulen-
gängen und gewaltigen Cascaden, während der Park sich erst
hinter dem auf der Höhe stehenden Schlosse gegen Hetzendorf
ausgebreitet hätte. Vor diesen Riesenanlagen schreckte selbst
jene kunst- und prachtliebende Periode zurück, und Fischer selbst
lieferte einen zweiten, vereinfachten Entwurf mit dem Schlosse an
der jetzigen Stelle, dessen Statuenschmuck den römischen König
Josef als Apollo verherrlichen sollte. Der Bau stockte aber bald,
verfiel beinahe und wurde erst in den 40er Jahren des XVIII.
Jahrhunderts unter Maria Theresia in wieder restringierter Form durch
Pacassi aufgenommen. Trotz dieses Missgeschickes fehlte es Fischer
nicht an großartigen Aufgaben, seit 1697 ist er und dann sein
Sohn Josef Emanuel zuerst für den Grafen Mansfeld-Fondi, dann
für den Fürsten Schwarzenberg mit dem Bau des Schwarzenberg-
Palastes auf dem Rennweg beschäftigt, der aber erst 1724 voll-
endet wurde. Er bürgerte damit den charakteristischen Typus des
italienischen Barockcasino mit rundem Mittelbau und seitlichen
286 Albert Ilg
Flügeln in Wien ein, der dann so häufige Nachaliinung erfuhr.
Es folgte die schöne Triutnphpforte anlässlich des Einzuges der
Braut Amalia von' Braunschweig-Lünebuf g 1698, dann verschiedene
Palaktbauten adeliger Geschlechter der Trautson, Batthyany und
Althann, für letztere das schöne Schloss Frein in Mähren mit
seinem Kuppelsaale, sowie der Bau des Eugenischen Stadtpalais
in der Himmelpfortgasse (jetzt Finanzministerium), welches zwar
Hildebrand begonnen hatte, Fischer aber um 17 10 vollendete. Hier
ist die Stiege mit den Atlantenfiguren Mattiellis, eine der maleri-
schesten und geschmackvollsten Erfindungen des Künstlers (s. Abb.
59). Im Jahre 1705 zum Oberinspector aller kaiserlichen Gebäude
ernannt, schritt er nun im folgenden Jahre zur Errichtung der ersten,
in Holz ausgeführten Säule des heil. Josef auf dem hohen Markte,
welche später sein Sohn durch das jetzige steinerne Monument
ersetzen sollte, vollendete die Bauten in Mariazell, begann den
großartigen Palast der Gallas in Prag 1707, baute in Breslau, er-
richtete seinem geliebten ' Kaiser Josef ein imposantes castrum
doloris bei den Augustinern in Wien, siegte über Hildebrand und
Ferdinando Galli-Bibiena in der Concurrenz für die Karlskirche,
deren Bau erst 17 16 begann, ohne aber die Vollendung erleben
zu können. Im Jahre 17 14 entstanden der Bau des großen Saales
im Stifte Herzogenburg, das monumentale Grabmal des Grafen
Wratislav-Mitrowitz in der Jakobskirche zu Prag, sowie der Bau der
böhmischen Hofkanzlei in der Wipplingerstraße zu Wieo. Zu
Haindorf in Böhmen errichtete er 1722 ebenfalls für die Clam-
Gallas die großartige Wallfahrtskirche, mit Umwandlung, ja mit
theilweiser höchst merkwürdiger Anlehnung an die vorhandenen
Formen der Gothik. In die letzte Zeit des Meisters, von dessen
unendlich reichem Schaffen hier nur das Hervorragendste aufge-
zählt ist, fallen auch die Vorarbeiten für die großen Bauten an
der Kaiserburg, deren Urpläne vom Vater herrühren, vom Sohn
aber nicht ohne Modificationen in dessen mehr zum französischen
Geschmack neigenden Stil viel später vollendet, theilweise selbst
von diesem nicht ganz ausgebaut wurden (siehe Abb. 60). Johann
Bernhard stieg zu hohen Ehren unter Karl VI. empor, welcher den
größten Künstler Österreichs nicht minder zu schätzen wusste als
sein Bruder und sein Vater. Fischer starb wohlhabend, beinahe
reich, am 5. April 1723 im Stemhofe in der Schultergasse zu Wien.
Die Barocke.
Wir geben hier zum Schlüsse die Abbildung einer seiner graziösesten
Garten- Architekturen, des leider nicht mehr bestehenden Belvederes
im Liechtenstein' sehen Park in der Rossau. (Siehe Abb. 6l.)
im vorstehenden angegeben worden; der
Schwerpunkt liegt immer darin, dass Fischer, wenn ihn auch, wie
gesagt, der Geschmack der Zeit und die Gewohnheit selber viel-
mals zum beliebten Malerischen zurückbrachte, in den größten
seiner Schöpfungen als reinigender Regenerator auftritt, dem (tie
288 Albert 11g
großen Architekten des XVI. Jahrhunderts und die classisch-
römischen Vorbilder zur Richtschnur dienten. Gieng die Ent-
wicklung der Barocke in Frankreich gleichzeitig einen ähnlichen
Weg, so wäre es doch ganz unrichtig, Fischer deswegen für von den
Franzosen beeinflusst zu halten. Es steckte in dem genialen
Künstler zugleich etwas von der Gründlichkeit einer gelehrten
Natur, der Blick für das Historische ist ihm hell aufgethan, ja
Abb. 6i. Belvedere im Liechtenstein-Park.
wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir ihn lange vor Winckel-
inann eigentlich für den Begründer moderner Kunstwissenschaft
in Deutschland erachten. Denn Fischer gab mit schwerer Mühe
und Kosten das Kupferwerk seiner „Historischen Architektur"
heraus, in welchem er als der erste den Gedanken verfolgt, die
wichtigsten Bauwerke aller Zeiten, Völker und I^^nder behufs
vergleichender Beurtheilung nebeneinander zu stellen, in den sonst
so einseitig sich allein bewundernden Tagen der Barocke gewiss
eine Objectivität, von Seite eines schaffenden Künstlers ein streng
Die Barocke.
289
historischer Sinn, den man geradezu nur wissenschaftlich nennen
kann. Denn Gothik und Antike, Türkisches wie Chinesisches, lässt
er hier mit Gleichberechtigung an sich herantreten. Selbst im
praktischen Schaffen hat er ja der Kaiserin Amalia 1702 in der
Burg ein indianisches Cabinet eingerichtet.
Hoch über alle Zeitgenossen erhebt sich Fischer als schöpfe-
rischer Meister durch die Originalität seiner Conceptionen, worunter
selbst wieder die Karlskirche als classischer Typus hervorleuchtet.
Die Grundidee, einen Kuppelbau wie beim römischen Pantheon
mit einem tempelartigen Säulenporticu§ zu verbinden, das Einzel-
motiv der columna cochlearis in Verdoppelung in organische Ver-
bindung mit der Centralanlage zu bringen, die banalen Fagaden-
thürme des üblichen Kirchenbauschemas überflüssig zu machen
und noch seitliche Flügel daran zu hängen, ist zwar echt barock,
aber mit welch genialer künstlerischer Kraft ist all dies Stück-
werk zu einer wunderbaren Einheit verschmolzen, wie echt archi-
tektonisch und wie reizvoll malerisch zugleich ist die Wirkung
dieses einzig schönen Baues! Schon war von dem ersten Projecte
für Schönbrunn die Rede, welches, wenn ausgeführt, mit all den
vielen Gartenanlagen des Jahrhunderts an Majestät nichts seines-
gleichen gehabt haben und die berühmteste, Versailles, weitaus in
den Schatten gestellt haben würde. Am bewunderungswürdigsten
aber zeigt sich der schon alternde Meister in seinen Absichten auf
die Umgestaltung der Kaiserburg, von denen uns die fertig
gewordenen Theile keine vollständige Vorstellung gewähren. Nicht
nur, dass das meiste des Vollendeten: Hofbibliothek, Winterreit-
schule und Reichskanzlei, erst nach seinem Tode zustande kam
und unter der Leitung seines Sohnes manche Veränderung
erfahren zu haben scheint, ist uns Fischers Plan für die Gestaltung
des Ganzen bedauerlicher Weise verloren gegangen. Nur so viel ist
mit Gewissheit zu sagen, dass sein Umbau auch den Schweizerhof,
den Leopoldinischen Tract und den Amalienhof umfasst, somit
alle vier Seiten des Platzes in analoger Weise mit Fagaden wie
jene der Reichskanzlei umgeben hätte, an deren sechs Portalen
die heute fertig stehenden vier Statuengruppen Mattiellis von den
Arbeiten des Hercules zu zwölf ergänzt worden wären. Denn wie
seinen Bruder Josef unter dem Bilde des Sonnengottes liebte die
Barockkunst Karl VI. stets als Hercules zu verherrlichen, anspielend
KunstgeschicbtI. Charakterbilder aus Österreicli-Ungani. 19
j
290 Albert Ilg
auf seine Herrschaft in Spanien bei den Säulen des Hercules, in
welchem Sinne auch die beiden Säulen vor der Karlskirche ver-
standen wurden. Josef Emanuel, Fischers Sohn (1695 — 1742),
der noch zu höheren Ehren und Auszeichnungen emporstieg als
der Vater, darf keineswegs nur als dessen Schüler, X'^oUender und
Nachfolger betrachtet werden. Seine Richtung ist, wenn er auch
sein Bestes gewiss dem Erzeuger verdankt hat, von Anfang an
eine verschiedene. Das Glück hat ihn stets sehr begünstigt Schon
als Jüngling schickte ihn der Kaiser auf seine Kosten nach Italien,
Deutschland, Holland, Frankreich und England. Durch des
befreundeten Leibnitz Empfehlungen kam er dabei mit den großen
Gelehrten Desaguilliers, Gravesand und wahrscheinlich in London
auch mit Newton in Berührung, was auf ihn den wichtigen Aus-
schlag gab, dass die Studien der Mathematik, Physik und Mechanik
neben der Architektur für ihn von großer Bedeutung wurden.
Nach Deutschland 1721 zurückgekehrt beschäftigte er sich, der
erste auf dem'Continent, mit der Aufstellung von Dampfmaschinen
im Parke des Landgrafen Karl von Hessen zu Kassel, in jenem des
Fürsten Schwarzenberg zu Wien tmd später noch sieben anderer
in den kaiserlichen Goldbergwerken zu Kremnitz in Ungarn. In
Wien wirkte er sofort als Compagnon seines alten Vaters zunächst
am Baue des Palais Roftano (jetzt Auersperg) und an dem kaiser-
lichen Marstallgebäude (1724). Schon diese Werke, noch mehr
aber die nach Johann Bernhards Tode entstandenen Mansarden-
dächer der Hofbibliothek, verschiedene Details an der Reichs-
kanzlei etc. deuten auf eine Anlehnung des jüngeren Fischer an
französische Muster hin, welche dem stets italienisch-classisch
empfindenden X'ater fremd geblieben waren. Spätere hervorragende
Werke des jüngeren Fischer sind der silberne Altar in der Gnaden-
kapelle zu Mariazell, der hochelegante Tempel auf dem hohen
Markt (1729), die Kirche in Weikersdorf etc.
Den höchsten Rang unter den österreichischen Architekten
jener Zeit nimmt neben dem älteren Fischer Johann Lukas von
Hildebrand ein (1666 — 1745). Es scheint, dass auch Hildebrand
einer ziemlich verbreiteten Maurer- oder Architektenfamilie angehörte,
denn vor ihm und nach ihm gibt es zahlreiche Namensvettern von
ihm in unseren kunsthistorischen Regesten. Von deutschen Eltern
in Genua geboren, trat er in die österreichische Armee, wahr-
Abb. 6i. Nikolauskirclie auf der Klein
Die Barocke.
291
scheinlich wie AUio als Fortificationsofficier; während seiner Statt-
halterschaft in Mailand lernte ihn der große Eugen kennen,
dessen Liebling er zeitlebens bleiben sollte. Hildebrands Haupt-
schöpfungen sind das reizvolle Belvedereschloss, das Palais Dann
(jetzt Kinsky) auf der Freiung, ein Theil des Stiftsgebäudes Gött-
weih und das schon genannte Schloss Mirabell in Salzburg. Auch
für das Laienauge sofort von Fischers Art leicht zu unterscheiden,
ist dieser edle Künstler auf seine Weise nicht minder originell.
Wo Fischer aber immer ernst, erhaben, ja pathetisch auftritt,
zeigt sich Hildebrands Muse graziös, liebenswürdig, lächelnd.
Über seine Schule wissen wir gar nichts. Ob die Annahme, dass
er in Frankreich gelernt habe, richtig sei, hat gar keine histo-
rische Stütze ; auch spricht aus seinem Stil kein eigentlich
französisches Element, wenngleich allerdings die Leichtigkeit,
Fröhlichkeit und Anmuth desselben an gewisse Richtungen der
französischen Barocke anklingt, ja hie und da fast schon wie eine
Vorahnung des Rococo sich anmeldet. Er scheint auch auf den
Stil der palastartigen Bürgerhäuser viel Einfluss genommen zu
haben, wie wir deren noch verschiedene in Wien und ein kleines
reizendes Palais dieser Art zu Pressburg sehen. Auch der durch
seine Werke in Deutschland berühmte, aus Eger in Böhmen
stammende, bedeutende Architekt Johann Balthasar Neumann, der
Erbauer der stolzen Schönbornischen Paläste zu Würzburg und
Pommersfelden, hat in Wien gewirkt und wahrscheinlich die
hiesigen beiden Palais jenes kunstliebenden Geschlechts geschaffen,
von denen dasjenige in der Renngasse, wie ich glaube, ganz irrig
Fischer von Erlach zugeschrieben wird. Unsere historischen
Kenntnisse sind übrigens so ungenügend, dass uns von einem durch
die Zeitgenossen überaus gefeierten österreichischen Architekten
namens Schubert außer dem bloßen Namen absolut nichts bekannt
ist. Aus der schon erwähnten Familie der Dientzenhofer ragt
Kilian Ignaz (1690 — 1752) in Prag besonders hervor. Ob er Fischers
Schüler gewesen sei, wie behauptet wird, ist ziemlich fraglich",
sein viel freierer Stil macht es eben nicht sehr wahrscheinlich.
Neben dem Kinsky' sehen und anderen Palais, der wirkungsvollen
Thomaskirche und anderen Bauten steht am höchsten die von ihm
gemeinschaftlich mit seinem Vater Christoph vollendete herrliche
Nikolauskirche auf der Kleinseite (siehe Abb. 62). Wie in allen
19^
292 Albert Ilg
Bauten der Dientzenhofer verbindet sich hier die einheimisch-
nordische Barockempfindung mit den Typen Borrominis und
Guarinis, welch letzterer ja gerade für Prag von großer Bedeutung
war. Etwas mehr bekannt ist der wahrscheinlich aus Oberösterreich
stammende, in Italien und Wien gebildete Architekt Johann
Michael Brunner, von dem wir die höchst interessante bizarre
Kirche der Baura bei Lambach (1722) — dreieckiger Grundriss und
in allen Altären, Orgeln etc. sich auf die Dreifaltigkeit beziehend
— haben, und der auch für die Fürsten Lamberg am Schlosse in
Steyr thätig war. Wie außerordentlich groß ist aber die Zahl
jener nur dem Namen nach bekannten Meister, wie z. B. jenes
Wimpassinger, von dem wir hören, dass er Schlosshof gebaut
habe, und wer weiß umgekehrt etwas von den zahlreichen vor
unseren Augen stehenden Bauten, wie z. B. Eckartsau, Nieder-
weiden, Süßenbrunn oder den kirchlichen Gebäuden des Neu-
klosters in Neustadt, des Heiligenkreuzhofs in Wien etc. in Bezug
auf deren Architekten? Auch von der großen Schar der viel-
beschäftigten Stuccatorer, überall zu finden, wo der Barockstil im
Lande blühte, ist nur wenig bekannt, aber auch hier ist es sicher,
dass die wichtigsten Meister Italiener waren und großen Familien
angehörten, die seit langem dieses Fach cultiviert hatten. Besonders
die südliche Schweiz lieferte die besten von ihnen, wie z. B. Santino
Bussi, Camesina, Piazzol etc.
Der landläufige Charakter der Barockplastik in Österreich
wurde bereits in obigem bezeichnet. Von Künstlern, welche zur
Decoration der Kirchenfa^aden und Altäre, Attiken der Paläste,
Parke und Grabmäler in jenem malerisch theatralischen Geiste thätig
waren, würden Hunderte von Namen anzuführen sein, von Istrien
bis an die Elbe, von den Karpathen bis Vorarlberg. Auch auf
diesem Gebiete bildeten die Italiener die Majorität und bei allem
Banalismus der Leistung in der Regel noch das bessere Element
gegenüber den Deutschen, bei denen eine unangenehm handwerk-
liche Kleinlichkeit zu Tage zu treten pflegt. Um nur einige her-
vorragende Beispiele anzuführen, seien genannt: Antonio Dario in
St. Florian und Salzburg, wo er 1659 den herrlichen Brunnen am
Domplatze schuf. Ein anderer effectvoller Brunnenkünstler ist
Francesco Robba in Laibach und jener leider noch unbekannte,
als dessen Werk wir die prachtvolle Fontäne vor dem Dom in
Die Barocke.
293
Trient kennen. Die mannigfachen sogenannten Pferdeschwemmen
Salzburgs, an welchen M. Bernhard Maendel und andere Bild-
hauer arbeiteten, stellen sich als Übertragungen des Berninesken
Geschmackes der Sculpturwerke von Piazza Nayona, Fontana Trevi
imd anderer römischer Monumentalbrunnen auf unseren Boden
und in bescheidenerem Maßstabe dar. Steiermark besitzt an
seinen Veit Kininger, Andreas Marx, Weisskircher u. a. verwandte,
mehr oder minder geschickte Fabrikanten derartiger Modeware,
und in Wien wimmelt es geradezu von deutschen und welschen
Plastikern dieses Genres. Der Venezianer Stanetti mit seinem
begabteren Schüler Lechleitner fertigte die Gartenfiguren des
Belvederes und den Pestgiebel der Karlskirche, ziemlich gleich-
wertig ist sein Landsmann Giuliani, der über München nach Wien
kam, die Treppensculpturen im Liechtensteinschen Majoratshause
schuf und dann als Laienbruder sich nach Heiligenkreuz zurück-
zog, wo er der Lehrer des großen Donner wurde. Eines der
edelsten Werke der Epoche ist die Kanzel in der Kirche zu Lilien-
feld von Johann Wagner. Keiner aber fand so vielen Anwert als
Lorenzo Mattielli aus Vicenza, dessen zwar etwas derbe und geistig
leere, aber formell effectvoUe Sculpturen die größten Architekten
jener Zeit, Fischer, AUio, Hildebrand für ihre Gebäude bevor-
zugten. Die Herculesgruppen an der Burg, St Michael beim
Eingang der Michaeierkirche, die Karyatiden im unteren Saale
des Belvederes sowie jene in der grottenartigen Salla terrena des
Stiftes Klostemeuburg, auch die schönen Gruppen in Eckartsau
sind das Werk des Künstlers, der sich dann nach Dresden wandte,
wo ihn Chiaveri bei seinem Bau der katholischen Kirche beschäftigte.
Für die Karlskirche meißelte er die Engel am Tambour imd
entwarf auch den Reliefschmuck der beiden Trajanischen Säulen,
welches Project jedoch von Karl VI. nicht angenommen wurde.
Die dort dargestellten Scenen aus dem Leben des heiligen Carolus
Borromäus sind von dem Deutschböhmen Christoph Mader. Von
anderen bedeutenderen Bildhauern Wiens begegnen uns Paul
Strudel aus Cles in Tirol, der Bruder des Malers Peter Freiherr
von Strudel, welcher den Anstoß zur Gründung einer Akademie
der bildenden Künste unter Leopold I. gab. Paul fertigte die lebens-
großen Habsburgerstatuen in die Hofbibliothek, sowie jene, welche
sich heute in Laxenburg befinden, endlich manches an der Graben-
2^ AiDcn iig
säule. Der schon genannte Rauchmüller, der Norweger Magnus
Berg, der Franzose Chevalier, der Wiener Mathias Steindl zeich-
neten sich als Elfenbeinplastiker aus, letzterer übrigens ein Uni-
versalgenie, welches die subtil ausgeführten Reiterstatuen Leopolds
und seiner Söhne (kunsthistorisches Hofmuseum, siehe Abb. 63)
mit derselben Virtuosität ausführte wie den kolossalen Hochaltar
Abb. 63. Leopold I., Elfe übe inplastik von M. SteindL
in Klosterneuburg, die Kanzel bei SL Peter, für Goldschmiede
Zeichnungen lieferte und überdies Ölmaler war. Trotzdem ragt
über all diese unvergleichlich hoch Georg Rafael Donner hervor
(1693— 1741), seit Michelangelo ohne Zweifel der größte Plastiker.
Aus einer armen niederösterreichischen Banemfainilie ent-
sprossen, zuerst Goldschmiedlehrjunge in Wien, dann Guilianis
Schüler in Heiligenkreuz, riss er sich in jungen Jahren von aller
Schule und Nachahmung los und betrat den Weg der Selbständig-
----1
Die Barocke.
295
keit. Wie der große Fischer schwankt er zwar zeitlebens zwischen
den unentäußerlichen starken Einflüssen der barocken Tradition
und dem Streben nach Reinigung, Schlichtheit und Größe. Wie
Fischer im constructiven Princip und in den großen Alten sein
Ideal erblickte, so drängte es Donner dem Studium der Natur und
der Antike zu, soweit diese letztere ihm zugänglich war, ihm, der
höchst wahrscheinlich nicht in Italien gewesen war und damals
in Osterreich nur sehr wenige Originale und Abgüsse nach den
Alten vor Augen hatte. Eine allzu jung geschlossene Ehe, eine
gewisse künstlerisch geniale Opposition gegen das gesellschaftliche
Wesen der Zeit, sowie das allgemeine Vorurtheil für die Italiener
besäeten ihm den Lebenspfad mit Domen. Als er mit seinem
Freunde, dem Bildhauer Jakob Schletterer, an der Karlskirche
Arbeit suchte, stach sie jener Mader aus dem Felde, und in
tiefer Verstimmung kehrte Donner Wien den Rücken, um in
Salzburg (1725) die Götterstatuen auf der Treppe des Mirabell-
schlosses zu fertigen. Aber Verdrießlichkeiten, ja Verdächtigungen,
welche seine Thätigkeit bei der dortigen Münze zur Folge hatte,
verleideten ihm auch diesen Aufenthalt Schon zwei Jahre später
treßen wir ihn als Hofbaumeister und Bildhauer bei dem kunst-
freudigen Primas von Ungarn, Emerich Fürst Esterhazy. Hier
entstand für diesen Mäcen seine herrliche Gruftkapelle bei der
Martinskirche in Pressburg und der leider zerstörte Hochaltar,
dieses Gotteshauses, von dem sich nur die kolossale bleierne Reiter-
statue St. Martins und zwei anbetende Engel (letztere im Museum
zu Budapest) erhalten haben, wie die noch vorhandenen Seraphim-
gestalten und die Tabernakelreliefs der Gruftkapelle zu dem Geist-
vollsten und Formvollendetsten des Jahrhunderts gehörend. In
Pressburg war auch der Maler Friedrich Oeser Donners Schüler,
welcher später die Grundsätze und Lehren seines Meisters* von der
edlen Einfachheit und stillen Größe der Plastik auf Winckelmann
und Goethe überlieferte. In die allerletzten Lebensjahre des
großen Meisters fallen seine bedeutendsten Schöpfungen, welche
er 1739 — 1741 in Pressburg für Wien ausführte : die marmornen
Reliefs für die Sacristeibrunnen bei St. Stephan (Christus und die
Samariterin, Hagar in der Wüste) für Cardinal KoUonitsch vollendet,
heute im Hofkunstmuseum; der bleierne Hofbrunnen im ehe-
maligen Rathhaus der Stadt Wien (Perseus befreit die Andromeda),
296 A'bert Ilg
endlich seine classische Schöpfung des Brunnens auf dem neuen
Markte mit der Hygieia und den vier liegenden Flussgottheiten
der Enns, Traun, Ybbs und March. In den reifsten Werken
Donners drückt sich ein reines und wahres, zugleich aber vom
höchsten Idealismus verklärtes Naturstadium aus, welches bei den
Antecedentien des zeitgenössischen Geschmackes und bei seiner
geringen Kenntnis von den Alten geradezu bewundernswert erscheint
Abb. 64. PfcU von C. R, Donner im Dome zu Gurk.
Er hat damit einer Richtung Bahn gebrochen, welche die ganze
Folgezeit des XVIII. Jahrhunderts beherrschte, in der aber von
seinem großen Geiste bei nicht genügend begabter Nachkommen-
schaft bloß das Formale vorhielt und steh allmählich in den
akademischen Scbablonismus des Empirestiles verwässerte. In
seinen Frauengestalten erinnert Donner oft sehr deutlich an
Canova, ohne dessen Süßlichkeit zu theilen, und an Thor-
Die Barocke.
297
waldsen, den er aber durch Wärme, Lebendigkeit und Innigkeit
übertrifft. Deutlich zeigt sich das in seiner ergreifenden Blei-
gruppe der Pietä im Dome zu Gurk. (Siehe Abb. 64.) Von
seinen Schülern ist der bedeutendste der Tiroler Nikolaus Balthasar
Moll, dessen Thätigkeit aber bereits mehr in die Rococopefiode
hinüberreicht. Von zwei Brüdern Georg Rafael Donners war
der jüngste, Sebastian, ein vorzüglicher Ornamentiker, ihm mehr-
fach behilflich, während der ältere Matthäus (1704— 1756) eine
selbständig hohe Bedeutung errang; er war ausgezeichnet als
Porträtist, wie wir denn von ihm herrliche Büsten in Bronze und
Blei besitzen (Karl VI. und dessen Gemahlin Elisabeth, Franz I.
und Maria Theresia in der kaiserlichen Akademie und im kunst-
historischen Museum). Noch viel wichtiger aber ist er als einer
der größten Medailleure Österreichs, er leitete die neu gegründete
Münz- und Graveur-Akademie in Wien. Aber auch neben Matthäus
Donner glänzt im damaligen Österreich dieses Fach durch aus-
gezeichnete Namen, wie Benedict Richter, Gennaro, Warou,
Domanöck u. a. *
Eigenartige und bedeutende Erscheinungen vollsäftigsten
Barockcharakters treten uns entgegen in den Bildhauern Mathias
Braun und Johann Brokoff, beide in Prag, sowie in Balthasar Per-
moser. Braun, in Innsbruck 1684 geboren, studierte in Italien, wo er
ganz sich in den Geist Beminis versenkte. Durch den Grafen Sporck
nach Böhmen geführt, entfaltete er dort eine überreiche Thätigkeit,
schmückte dessen Gärten und Kirchen mit zahlreichen Statuen,
schuf fiir die alte Karlsbrücke in Prag einige Figuren und schmückte
das Clam-Gallas'sche Palais daselbst mit den Karyatiden und
Atticafiguren, er starb in Prag 1738. Brokoff, ein Ungar (1652 bis
1718), sowie sein Sohn Johann Ferdinand (1688 — 1731) verfolgten
. eine ähnliche Richtung; das bedeutendste Werk des letzteren ist
die Kolossalgruppe des heil. Franciscus Xaverius auf der Prager
Brücke, eine effectvolle Bemineske Composition, bei der letzten
Überschwemmung leider zerstört. Auch der schon genannte Ignaz
und der ältere Johann Georg Bendel, von welch letzterem die
Mariensäule auf dem Altstädter Hauptplatz (1650), verdienen
Erwähnimg. Permoser, aus Bayern gebürtig (1651— 1732), als
Mensch ein wunderlicher Kauz, in Salzburg und Rom gebildet,
war für die Großherzoge von Toscana, dann in Wien für Prinz
298 Albert Ilg
Eugen, endlich in Berlin und Dresden thätig. Wie er das hyper-
barocke Princip malerischer Compositionsweise bis zum äußersten
übertrieb, zeigt seine Statue des genannten Prinzen im Belvedere
zu Wien (siehe Abb. 65).
Tirol brachte in dieser Periode eine ungeheuere Menge von
Holzschnitzern, Elfenbeinschneidem und Bildhauern hervor, welche
meistens als Autodidakten ihre Laufbahn begannen und dann ent-
weder der modehaften Richtung der Italiener oder einem meist
drastischen Naturalismus anheimfielen. Hierher gehören die Nissl,
Pendl, Pichler, Schnepf und viele andere. Johann Hagenauer, in
Salzburg, dann an der Akademie in Wien thätig (1732 geb.),
gehört zwar schon einer späteren Zeit an, verräth aber mit seiner
Mariensäule vor dem Salzburger Dom, dem Prometheus und
mehreren kleineren Gruppen im Wiener Hofmuseum noch kräftige
Barocktraditionen, wogegen seine zierliche Diana im Schönbrunner
Parke bereits den Übergang zum Rococo anmeldet
Während die Malerei der späteren Renaissance in Osterreich,
vorzugsweise in der reich vertretenen Gruppe der um Kaiser
Rudolf II. gescharten Meister, größtentheils einen Eklekticismus
repräsentiert, welcher Michelangelo, Correggio und die späteren
Florentiner zu seinen Hauptingredientien zählt und sich vorzugs-
weise in kleinem, zierlichem und glattem Vortrage gefallt, so geht
die Malerei des Barockstils hier naturgemäß einen ganz anderen
Weg. Zunächst begegnen vereinzelte Meister wie Clemens Beutel,
Georg Bachmann, Tobias Pock, der Florentiner Jesuitenmönch
Arsenio Mascagni in Salzburg, welche sozusagen mit einem Fuße
noch auf Spätrenaissanceboden stehen und noch strengere Compo-
sitionsweise besitzen. (Werke von Beutel in Linz, von Bachmann
in Melk und bei den Dominicanern in Wien, von Pock Hochaltar-
blatt bei St. Stephan.) Der Nürnberger Joachim von Sandrart
(1606— 1688), nach Honthorst und Rubens, aber auch nach Tizian und
Veronese gebildet, hatte in Osterreich starken Einfluss; in Garsten
und anderen Stiftern finden sich tüchtige Bilder seiner Hand, im
Wiener Dom eine kolossale Kreuzigung. Ein anderer Nordländer,
größtentheils italienisch geschult, ist Sconjans (Bilder bei St. Peter
in Wien), ferner der Ungar Johann Spielberger, welcher durch die
dritte Gemahlin Leopolds I., Eleonora, vom Düsseldorfer Hofe nach
Wien kam, dann Caspar Rem, ein treuer Nachahmer des Veronese.
Die Barocke.
299
Venedig wurde überhaupt die Schule einer ganzen Gruppe öster-
reichischer Meister von Bedeutung, welche wie alle die vorge-
nannten im StafFeleibilde, weniger im Fresko, sich bethätigten. Der
Münchner Maler Karl Loth (Carlo Lotto) versammelte eine Schüler-
schaft in der Lagunenstadt um sich, von welchen Turriani,
Dallinger, Peter Strudel und Rottmayr später in Osterreich eme
große Wirksamkeit entfalten sollten. Aber auch die Venezianer
Ricci und Liberi waren als solche Lehrer für unser Vaterland von
Einfluss. Strudel, der schon erwähnte Stifter der Wiener Akademie,
welche im Anfang nur als Privatinstitut unter kaiserlichem Schutze
bestand, ist ein kraftvoller und efFectreicher Colorist, der zu
saftigen und dunklen Tönen neigt, Johann Michael Rottmayr aus
LaufFen bei Salzburg (1652 — 1734) kam um 1700 nach Wien, wo
er für Schönbrunn, Hietzing, die Peters- und Karlskirche sowohl
Altar- als Freskogemälde schuf; auch Heiligenkreuz besitzt schöne
Werke von ihm, welche wie alle den Einfluss der classischen
Venezianer verrathen. Seine Compositionsweise ergeht sich bereits
im reichsten Stile, gehäufte Figurenmassen in großartiger Anord-
nung, Verkürzungen und Perspectiven geben seinen Schöpfungen
einen äußerst imposanten Charakter, womit das letzte der ein-
facheren Renaissancerichtung abgestreift und der eigentlichen
barocken Monumentalität die Thore geöffnet scheinen. Neben
diesen geschlossenen Gruppen dringen aber auch Einzelerschei-
nungen in Osterreich ein, welche allerdings mehr wie Wander-
vögel durchstreichen, aber keine nachhaltige Wirkung hinterlassen.
Dazu gehört Carlo Carlone aus Genua, ein virtuoser Deckenmaler
(siehe Abb. 66), der Neapolitaner Francesco Solimena, welcher im
Auftrage Eugens nach Wien kam und um 1723 für diesen Prinzen
in der Kapelle des Belvederes sowie im Schlosshof, aber auch für
den Kaiser seine schwarzschattigen und doch bunten Bilder malte;
der bravouröse Schnellmaler Giovanni Antonio Pellegrini aus Padua
(1674 — 1741), nach Genga u. a. Römern gebildet, von dem wir
das Kuppelgemälde bei den Salesianerinnen in Wien besitzen; der
weiche, süße und zierliche Beduzzi (großer Plafond im Landhause
zu Wien), Antoni Belucci aus Venedig (1654 — 1726, Bilder in der
Liechtensteingallerie); der von Prinz Eugen berufene Bolognese
Marcantonio Chiarini, welcher im Belvederepalaste das große
Deckenbild des unteren Saales und kleinere Säle im oberen
300 Albert Ilg
Gebäude schmückte, dessen Schwiegersohn Gaetano Fanti ein viel
gesuchter und bewährter Meister für architektonische Perspectiv-
Decorationen auf Plafonds wurde, welcher den großen Künstlern
Gran, Rottmayr, Altomonte u. a. vielfach solche Umrahmungen
ihrer Fresken lieferte. Ganz verschieden ist wieder der gleichfalls
für die Säle des Belvederes beschäftigte Jonas Drentwett aus Augs-
burg, vorzugsweise ein Ornamentiker, dessen phantastischer Stil
zwischen den Elementen der deutschen Renaissance und dem
beginnenden Rococo schwankt, ohne etwas Italienisches oder
Barockes an sich zu haben, im Figuralen aber Rubens zum Vor-
bilde genommen hat. Auch Robert Biss gehört der deutschen
Richtung an (großer Saal im Stifte Göttweih), die Hauptstätte
seines Wirkens war aber Würzburg. Schon wo von Fischer von
Erlach die Rede war, gedachten wir Louis Dorignys, des einzigen
Franzosen, welcher in der Freskokunst Österreichs damals eine
Rolle spielt. Werke von seiner Hand in Wien und ehemals im
Dom zu Trient lassen den Schüler Lebruns erkennen. Ziemlich
am Schlüsse der Barockperiode erscheint noch auf isolierte Weise
der Römer Gregorio Guglielmi, dort von dem großen Maratta
beeinflusst, welcher in Wien den Riesenplafond im Saale der
Akademie der Wissenschaften, sowie die zwei Decken in der
Gallerie des Schlosses Schönbrunn, übrigens erst in den Tagen
Maria Theresias, gemalt hat. Des Jesuiten Pozzo wurde schon
oben gedacht. Auch alle Kronländer haben Überfluss von der-
gleichen fingerfertigen Virtuosen. In Tirol wirkten die Brüder
Asam, die Malerfamilie der Waldmann in Innsbruck (Fresken in
der Stiftskirche zu Wiltau), Johann Grasmayr, ein Schüler von
Lotto und Trevisani in Venedig, der hochtalentierte Johann Holzer,
sehr geschickt im Bemalen von Häuserfa9aden, welche dann aber
erst in Augsburg zur höchsten Vollendung gelangten, der ihm
verwandte Günther (sehr freundliche Fresken im Stifte Neustift),
die schon genannten Schor, Mühldorfer, Guiseppe Alberti aus
Cavalese, von welchem markige Gemälde im Dom zu Trient. Sein
Schüler Michelangelo Unterberger, sowie dessen Bruder Franz
imd Neffe Christoph waren vielseitige Kirchen- und StafFeleimaler
eklektischer Richtung. Auch Paul Zeiler, welcher lange Jahre in
Rom lebte, und Anton Zoller sind einheimische Meister, von denen
allenthalben in Tirol Kirchenplafonds und Altarblätter zu schauen
Die Barocke. oqx
sind. In Salzburg ragen neben den schon genannten der auch als
Landschafter bedeutende Johann Eismann, Gregor Lederwasch
(1726 — 1792), der auch in Steiermark und Kärnten, in Admont,
Schladming und Spital am Pyhrn viel gemalt hat, endlich Schaum-
burger, auch von dem Fürsten Schwarzenberg in Böhmen beschäftigt,
hervor. In Oberösterreich entfaltete im Stifte Garsten der Tiroler Karl
von Resslfeld als Freskant eine reiche Thätigkeit. Steiermark rühmt
sich außer der schon erwähnten besonders Johann Adam Weissen-
kirchers (f 1695), eines Schützlings der Eggenberger, die ihn nach
Rom geschickt hatten. Sein Hauptwerk ist in dem gleichnamigen
Schlosse jenes Fürstengeschlechtes bei Graz ein großer Plafond, bei
welchem er Guido Renis berühmtes Fresko im Palaste Rospigliosi zu
Rom sich zum Vorbilde genommen hatte. Johann Scheith fertigte
die Fresken in Maria Trost, Johann Hauck (f 1746) hat in Rein,
Neuberg, im Grazer Dom und im Stifte Voran zahlreiche Werke
hinterlassen, das letztere Stift ist im übrigen fast gänzlich von
dem Schüler Marattas, Johann Hackhofer (1658— 1731), gemalt, auch
hat derselbe in der Kirche zu Festenburg eine beinahe unbegreifliche
Fruchtbarkeit entwickelt, worin ihm sein Landsmann, der gleich-
falls aus Tirol stammende Josef Ritter von Molk beinahe gleich-
kommt, welcher aber auch bei den Serviten in Wien und in
Niederösterreich in gleicher Weise thätig war. Der bedeutendste
Künstler dieser Art in Krain ist der Maler der Domkirche zu
Laibach, Giulio Guaglia (1704). Eine fast noch größere Liste wäre
von den Meistern in Böhmen aufzuzählen, doch sei es an den
hervorragendsten Namen, Skreta, Brandl, Balko, Reiner, Liska,
genug.
Wichtiger als die meisten genannten ist Martino Altomonte
und dessen Sohn Bartolomeo. Beide überaus fleißigen Maler haben
dadurch, dass sie eine sehr lange Zeit in Osterreich wirkten und
fast in allen Kronländern Werke hinterließen, vielleicht am meisten
zur Verbreitung eines heimischen Typus des malerischen Stiles
beigetragen. Der ältere, deutscher Eltern in Neapel Kind — er
hieß eigentlich Hohenberg — (1657 — 1745) hatte in Rom Bacizo
und andere Maler der Jesuitenkirchen studiert, kam von Marco
Aviano empfohlen in die Dienste des Königs Sobieski, für welchen er
in der Kirche Zolkiew in Galizien die noch vorhandenen grandiosen
Wandbilder der Befreiung Wiens und des Sieges bei Gran malte.
202 Albert Ilg
Dann begab er sich nach \\^ien, zog aber aucb in all den weiten
Erblanden zeitlebens umher, unennüdet in Stiftern, Kirchen und
Schlössern, Altar- und Plafondgemälde schaffend, bis ihn das
nahende Alter neben dem Bildhauer Giuliani als Laienbrüder in
den Klosterfrieden führte. In Heiligenkreuz schmückt das Refec-
torium seine edelste Composition (Speisung der Fünftausend).
Abb. 67. Saal im Stifte St. Florian.
Aber es gibt kaum ein bedeutendes geistliches Hans, wo er nicht
vertreten wäre, und fast noch fruchtbarer ist der Sohn Bartholomäus
(1702— 1779), von dessen Werken besonders Oberösterreich übervoll
ist (siehe Abb. 67). Die Altomontes ziehen an durch ihren leichten,
lieblichen Stil, dem ein fast spielend frohes Colorit entspricht.
Ihre lächelnden Frauengesichter mit Stumpfnäschen und Wangen-
grübchen begegnen immer wieder.
Die Barocke.
303
Mähren und seine Hauptstadt Brunn hat in den Meistern Ignaz
Eckstein, Johann Etgens, Michael Willmann, Franz Hörle sehr
wackere Repräsentanten der monumentalen Malerei jener Epoche.
Der Schauplatz der Thätigkeit ersterer ist die herrliche Klosterkirche
von Welehrad, welche seit 1724 durch Baitassaro Fontano in Carlo-
nesker Manier aus dem alten romanischen Typus mit Stuccaturen-
decoration umgestaltet wurde, an den Fresken arbeitete auch Pagani.
Hörles bedeutende Schöpfung aber ist der freundliche Dianaplafond
im fürstlich Schwarzenbergischen Jagdschlosse Ohrad in Böhmen.
Nach Ungarn drangen sowohl italienische als deutsche Meister
aus dem Westen der Erblande vor. In den großen Stiftern wieWaizen,
Gran, Martinsberg, in den Städten wie Pest, Ofen, Fünfkirchen, Stuhl-
weißenburg, Erlau, Kaschau etc. finden wir Werke der Altomonte,
Bergl, Sambach, Maulbertsch, Kremser, Schmidt etc. ; besonders die
Entstehung der glänzenden Schlösser der Esterhazy zog Architekten,
Bildhauer und Maler nach Osten, aber schon in den Tagen Karls VI. ,
mit der erneuten Blüte dieser den Türken entrissenen Lande, hatte
die Invasion solcher Meister aller Art ihren Anfang genommen.
Die interessanteste Künstlererscheinung auf unserem Gebiete
ist in dieser Epoche Daniel Gran (1694 — 1757). Reicht seine
Bedeutung auch nicht zu einer solchen Höhe empor, dass man
ihn als Maler dem Architekten Fischer und dem Bildhauer Donner
vollkommen ebenbürtig an die Seite stellen könnte, so muss doch
zugegeben werden, dass Gran unter seinen Fachgenossen mit jenen
Unsterblichen am ehesten das Dreigestim der damaligen Kunst
Österreichs bilden dürfte. Der Grund davon ist folgender: Es gibt
zwar manchen Meister der Palette, welcher ihm damals an Wert
nicht nachstand, Rottmayr z. B. überragt ihn an Ernst und Groß-
heit der Composition, jedoch das kunsthistorisch Bedeutende an
Gran ist ein Umstand, welcher zeigt, dass in ihm eine Überzeugung
lebte, welche congenial ist mit den innersten Kunstimpulsen eines
Fischer und eines Donner. Ich meine die reinigende Tendenz,
das bewusste Zurückstreben zum Klaren, Großen und Einfachen,
indem Gran durch das Studium Carlo Marattas sich den Classikem
der Renaissance zu nähern suchte. Freilich war es dem Maler
der Barocke dabei noch schwerer, den Modegeschmack seiner
Zeit los zu werden, als dem Architekten oder Bildhauer. Sovifl
wir aus seinem Leben wissen, war Gran ein Verwandter des
304
Albert Ilg
berühmten Predigers Abraham a Santa Clara, der ihn dem Fürsten
Schwarzenberg empfahl. Als Lehrling nahm auf ihn der genannte
Hörle in Brunn den meisten Einfluss, dann zog er nach Italien,
wo in Venedig Sebastiano Ricci und in Neapel Solimena auf ihn
Eindruck machten, bei weitem mehr aber noch in Rom die hinter-
lassenen Schöpfungen Marattas und die Stanzen des Vatican. In
Wien begann er nun zunächst die Ausschmückung der beiden
großen Säle im Schwarzenbergischen Sommerpalais, malte dann
um 1729 die grandiosen Gewölbe in Prandauers Kirche auf dem
Sonntagsberg und gleich darauf sein Hauptwerk im Saale der
Hofbibliothek zu Wien, welches Winckelmann Rubens Gallerie des
Luxembourg an die Seite stellt, neben der Gallerie zu Versailles
des Lebrun preist, der Apotheose des Hercules von Le Moine da-
selbst aber weit vorzieht. Es folgte der große Plafond im
Kinskyschen (jetzt kaiserlichen) Lustschloss Eckartsau (1731), sein
hochpoetisches Altarbild St. Elisabeth für die Karlskirche, der
Plafond im Landhaus zu Brunn, die Fresken des Presbyteriums
in Herzogenburg, der Plafond des kaiserlichen Lustschlosses Hetzen-
dorf, das erhabene Himmelfahrtsbild in Lilienfeld, die Fresken in
Seitenstätten, der Entwurf für die Decke der Bibliothek in Sanct
Florian (ausgeführt von B. Altomonte und Ant. Tassi), die Sanct
Annakirche in Wien, der Plafond des Riesensaales in Kloster-
neubürg (Verherrlichung Leopolds des Heiligen), die Gemälde im
Dom zu St. Polten, die heiteren Fresken im Saale des Schlosses
Friedau und jene im Kapuzinerkloster zu Stein an der Donau.
Der Wiener Akademie war der stolze, zu hohem Ansehen gelangte
Maler durchaus abhold und wies das Directorat dieser Anstalt
1751 mit geradezu verächtlichen Worten zurück. Er brachte die
letzte Lebenszeit in St. Polten zu, wo er starb.
Alle die Barockmaler im allgemeinen charakterisierenden
Eigenschaften, Fülle der Production, Reichthum der Phantasie
und Ideen, Prachtliebe und Großartigkeit sind bei Gran in
gesteigertem Maße vereinigt. Er übertrifft sie aber durch eine
gewisse Sicherheit und Größe seines Könnens, durch Poesie und
Lieblichkeit der Erfindung und größere Zielbewusstheit in der Ver-
folgung seiner Überzeugung. Seine Hauptschwäche ist die Nei-
gung zu einem etwas allzuweichen und bunten Colorit, welches in
den letzten Werken manchmal zu süßlicher Verblasenheit ausartet.
Die Barocke.
305
Neben der großen Malerei kirchlichen, mythologischen nnd
allegorischen Charakters hat unsere Barocke auch noch auf anderen
Gebieten Ansehnliches geleistet. Im Porträt begegnet selbstver-
ständlich jene Richtung, welche der Zeitepoche als pathetisch
idealisierende Auflfassung, unserm realistischen Jahrhundert aber
häufig als theatralische Aufgeblasenheit und affectierte Manier
erscheint. Die Herren und Damen in Allongeperücken, Staats-
kleidem, Purpurmänteln, Harnischen oder Reifröcken waren damals
Mode, mit Stellungen, wie sie die Barocke von antiken Statuen
herüberparodierte ä la Jupiter, Apollo, Cäsar, Juno oder Diana;
der Gesichtsausdruck immer hübsch uniform von souverän-vor-
nehmer Kühle, die Hände nicht nach der Natur, sondern in
erlogener Formvollendung hineingemalt, dazu rauschende und
flatternde Gewänder, starrende Spitzen, glitzernde Diamanten,
kostbare Hermeline — das ist so der übliche Apparat, mit welchem
die dienstwillige Malerei damalige große und kleine Erdengötter
zu verherrlichen liebte. Auf diesem Felde sind für Osterreich
auch in der Barocke die Franzosen maßgebend gewesen: ein
Minard, Lebrun, Rigaud u. a. Zu unseren vorzüglichsten Künstlern
des Fachs gehören: der bei I<argilliöre in Paris gebildete, von
niederländischen Eltern stammende Jakob van Schuppen (1669 bis
1751), welcher Eugen mehrmals portraitierte; Johann Gottfried
Auerbach, auch Freskomaler (1697— 1743), von dem wir das
schöne Bildnis Karls VI. im spanischen Hofkleide (Hofmuseum)
besitzen; sein Colorit ist hell, jenes des vorgenannten dunkel;
Christoph lyauch (1647 geboren) hält sich mehr an deutsche Vor-
bilder, malte Kaiserbilder für die Stadt Wien; Friedrich August
Olenhainz (1745 — 1804), streng barock noch im Rococozeitalter,
welcher sich die Weise des großen Rubens nach seinem Sinne
zurecht legte (Schwarzenbergische Familienportraits); endlich der
berühmteste von allen Martin von Meytens (1695 — 1770), ebenfalls
erst unter Maria Theresia vorzugsweise in Blüte, geistig aber
noch in diese Periode gehörig, auch er nahm in Paris seine
Studien, leitete dann die Wiener Akademie und wurde ein wahrer
Grandseigneurkünstler und Hofmann der Palette, der gefeierte
Liebling aller vornehmen Kreise im Lande. Seine Bilder und
ihre immer wiederholten Copien durch seine Schüler sind über
ganz Osterreich und Ungarn verbreitet, am öftesten malte er seine
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungrani. 20
3o6 Albert Ilg
ihn hochschätzende Kaiserin Maria Theresia und deren Gemahl.
Meytens' geradezu classisches Werk ist das Porträt der unsterb-
lichen Monarchin zu Schönbrunn im rosarothen Reifrock mit den
kostbaren Brüsseler Palmenspitzen, ein wahres Gedicht von Anmuth
und bezaubernder Grazie; als ungarische Königin im weißen Kleide
stellte er sie majestätisch in dem Kniestücke dar, welches die
Kaiserin der Wiener Akademie schenkte; ein drittes prachtvolles
Bildnis in goldgestickter Robe gehört der Stadt Wien. Seine
Farbentöne sind hell, leicht und schmeichelnd, das Stoffliche immer
ausgezeichnet behandelt, wie er sich denn für die Spitzen, die
Seide, Pelze etc. eigene, besonders gewandte Gehilfen hielt. Sehr
beachtenswert ist es aber, dass neben diesen gefälligen und
gefallsüchtigen Idealisten nach der Tagesmode einige Künstler,
wie in anderen Ländern auch in Österreich, damals darnach strebten,
im Bildnisse die naturalistische Wahrheit zu Ehren zu bringen
und der geschminkten theatralischen Manier Opposition zu machen.
Der geistreichste Repräsentant dieser Tendenz ist Johann Kupetzki
(1667 — 1740). Das Leben dieses Künstlers, von mährischer Ab-
stammung in Ungarn herangewachsen, in Wien und Italien gebildet,
endlich in Nürnberg sein unruhiges Leben beschließend, ist fast
ein Roman. Der Secte der mährischen Brüder angehörend und
daher nicht ohne religiöse Einseitigkeit und Phantastik, sonderbar
in seinem Wesen, misstrauisch und daher selbst die Gunst Karls VI.
und Eugens zurückweisend, überdies das Opfer eines schlechten,
sittenlosen Weibes, brachte er sein Dasein bedauernswert dahin.
Kupetzkis frühere Bildnisse schließen sich noch der beliebten
Weise der Franzosen und Italiener an, dann aber erkürt er Rem-
brandt zu seinem Vorbilde und bringt auf dieser Bahn in der That
die geistreichsten, kernigsten und interessantesten Porträte der
Periode hervor, selbstverständlich sich auch gänzlich ins coloristische
Kleid des großen Holländers hüllend. Ein anderer, Ungarn ange-
höriger Künstler, wie es scheint, von nicht geringer Bedeutung
ist Adam Manyoki, dessen Leben und Kunst aber heute noch in
tiefes Dunkel gehüllt und von der Forschung fast gar nicht berührt
ist. Auch seine Gestalt umhüllen Abenteuer, er soll selbst ver-
brecherische Thaten begangen haben, wurde aus Berlin flüchtig
und kam dann nach Warschau. In Ungarn dürften manche Werke
von ihm versteckt sein. Wenn von Manyoki gesagt wird, er
Die Barocke.
307
erinnere an den jüngeren Nattier, so scheint damit angedeutet, dass
vielleicht auch der Ungar dem Ideale des Rubens nachgestrebt habe,
allerdings aber ist im übrigen sein französisches Muster berüchtigt
als Verschönerer sowohl der Schönheit als der Hässlichkeit
Die Landschaftsmalerei wird im österreichischen Barockzeit-
alter theils im decorativen Stile geübt, in welcher Hinsicht die
betreflfenden Künstler sich hauptsächlich an die Idealisten der
römisch-französischen Schule anklammem, freilich nicht ohne den
hohen, maßvollen Schönheitssinn eines Poussin-Dughet und Claude
Lorraine in ziemlich theatralischer Flüchtigkeit zu verunstalten.
Künstler dieser Art sind die tirolischen Feistenberger. Der
bedeutendste ist wohl Christian Hilfgott Brand, welcher aber nach
der eklektischen Manier der Zeit mit den Reminiscenzen an jene
Idealisten auch ganz ungeniert die Traditionen der niederländischen
Landschafter durcheinanderwirft. Ihm folgt in gleicher Weise
sein Verwandter und Schüler Johann Christian Brand. Paul Ferg,
Max Schinnagel, Josef Orient sind Nachahmer der Niederländer
des XVII. Jahrhunderts. Unter den Thiermalern nimmt die aus
Schottland stammende Familie der Hammilton eine bedeutende
Stellung ein. Johann Georg dieses Namens diente Karl VI., den
Fürsten Liechtenstein und Schwarzenberg und hat namentlich als
vortrefflicher Darsteller der damals hochbeliebten spanischen Pferde-
rassen einen berühmten Namen. Philipp Ferdinand ist bekannt
als trefflicher Maler von Vögeln. Endlich repräsentieren auch die
Blumenmalerei einige tüchtige Namen, von welchen wir nur kurz
den Hamburger Franz Werner Tamm (1658 — 1724) anführen wollen,
in Wien für den Hof und den Adel vielfach beschäftigt, einen
Schüler des berühmten Blumenmalers Nuzzi in Rom ; Heinitz von
Heintzenthal, von welchem Supraporten im unteren Belvedere etc.
Das Pastellbild sowie die Miniatur auf Elfenbein werden zwar in
der Barockepoche bereits wert gehalten, erreichen eine modehafte
Beliebtheit aber erst in den folgenden Decennien.
Es ist uns in diesem knappen Charakterbilde nicht möglich,
der Entwicklung des Kunstgewerbes in derselben Zeit im gleichen
Maße zu folgen, nur im allgemeinen sei angedeutet, dass im
ganzen der großmonumentale Geist der Barocke dem Gedeihen
desselben nicht so günstig war wie das kleinlichere, intimere,
bürgerlich handwerkliche Wesen der deutschen Renaissance. Auch
20*
308 Albert Ilg.
druckt sich in demselben etwas speciell Österreichisches nicht so
charakteristisch aus, die einzige Glasindustrie ausgenommen, welche
in Böhmen zur höchsten Blüte erwachte und alle anderen Pro-
ducte verdrängend den gesammten europäischen Geschmack
beherrschte. Hochbedeutend sind ferner die Arbeiten von Schmiede-
eisen, aus welchem prachtvolle Parkthore und Gitter (Belvedere,
Schlosshof) hergestellt wurden (siehe Abb. 68). Von den Kaisem
wurden große Anstrengungen gemacht, das Gewerbe in den Erb-
landen zu heben — Leopold I. begann eine Gobelinmanufactur,
Karl VI. gründete die orientalische Compagnie, es wurden Seiden-
webereien eingeführt etc., aber die rauhe Hand des Krieges unter-
drückte die meisten dieser Versuche. Nur durch die Gründung
der kaiserlichen Porzellanfabrik in Wien nahm eine Kunstindustrie
mit localer Färbung den Ursprung, ihre glänzendste Blütezeit lallt
aber in die späteren Zeiten des XVIII, Jahrhunderts.
DIE ROCOCOZEIT.
Von
AI.BERT IlG.
DIE ROCOCOZEIT.
Wir haben auch in diesen unseren Charakterbildern aus der
österreichischen Kunstgeschichte die Erscheinungen des XVII.
und XVIII. Jahrhunderts in die übliche Gruppierung von Barocke
und Rococo getheilt, obwohl wir von dem Ungenügenden und
selbst Unrichtigen solcher Kategorisierung überzeugt sind. Schon
ganz im allgemeinen sind ja beide Begriffe, ihre Charakteristica,
ihre Unterscheidungen und Grenzen außerordentlich vag ; die
Betitelungen genannter Kunstepochen, welche gleichzeitig noch
nicht oder nur höchst vereinzelt vorkommen, sind erst spätere
Hilfsbezeichnungen, mit denen man etwas resümieren wollte, wo-
von doch eigentlich nur sehr wenig feste Begriffe vorschweben.
Man kann oft in der Kunstgeschichte eines Landes, ja selbst bei
einem einzelnen Werke gar nicht sicher sagen, wo die Barocke
aufhört und wo das Rococo anfängt; hier blüht schon das letztere,
an einem anderen Orte ist noch die schwere Barocke in voller
Herrschaft, nicht selten aber keimt schon frühzeitig am Barock-
werke selbst, wie ein Schmarotzergewächs, das zierliche Rococo
auf. Wenn aber in diesen Bezeichnungen also gewiss nur wenig
Sicheres und Klares liegt, so dienen sie doch dem Herkommen gemäß
nicht nur dem Wissenden, sondern selbst dem Laien zur bequemeren
Verständigung. Sieht er doch, dass allmählich im Laufe des
XVIII. Jahrhunderts, hier früher, dort später, bald schneller und
kräftiger, bald zögernd und dürftiger, im KunstschaflFen eine Ver-
änderung vor sich geht Die wuchtige Monumentalität der Formen
beginnt dem Niedlichen, Kleineren zu weichen. Das großartig
Architektonische oder eflFectvoU Malerische gibt Raum dem zierlich
Intimen und graziös Decorativen. Das energische Fortissimo der
Farben mäßigt sich zu feinen, zarteren Stimmungen, um mit dem
Fortschritt der Kunsterscheinung endlich selbst ins Matte, Blasse,
ja dann im Empire zur wahren Furcht vor der Farbe zu degenerieren.
Die officiell pathetische Sprache der Barocke, welche immer wie
312 Albert Ilg
aus dem Munde von Göttern, Heroen und Königen klingt, mildert
sich zum geistreichen, witzigen, ja leichtfertigen Geplauder des
Salons, der Intimen, der Damen. Diesem veränderten Geiste
gemäß erhält auch das gesammte Rüstzeug der Formensprache
eine neue Gestalt. Die schweren Simse, Pilaster, Voluten, Car-
touchen etc. schrumpfen zu eleganten Wandleisten, feinen Schnörkeln
u. dgl. zusammen; die figurale Ausstattung bewegt sich nicht mehr
ausschließlich in den Höhen des Olymps, sondern bevorzugt die
leichte Idylle, wozu ihr die salonfähigen Gestalten der Schäfer-
poesie das willkommenste Personal darbieten. Endlich tritt ein
Decorationsmotiv hier vorherrschend in den Vordergrund, die
Blumenwelt, welche die Barocke zwar ebenfalls nicht verschmäht
hatte, aber in Gestalt von schweren Ketten und Festons nur
wieder dem Rahmen der Architektur unterordnete. Jetzt gewinnen
die leichten Kinder Floras ein freieres Leben, sie umspinnen und
umwuchern ganze Wände, Decken und Panneaux, klettern unbe-
kümmert über Leisten, Pilaster und Comischen hinweg, kurz sie
haben die Fessel des Stilistischen abgeworfen und geberden sich
rein malerisch als naturalistischer Schmuck. Es ist, als ob man
in allem der strengen Zucht des Baumeisters müde geworden wäre,
man wirft sich lieber dem Maler, Tapissier, selbst dem Gärtner in
die Arme, ja es hat den Anschein, als ob der neue Stil den alt-
hergebrachten Gesetzen der Architektur fast Spott bieten wolle,
denn dessen einfachste Fügungen, die strenge Gerade, der rechte
Winkel und das reguläre Viereck werden womöglich gemieden,
verschobene Vierecke, schiefwinklige Flächen sind beliebt und
mit wellenförmigen, astartigen oder unregelmäßig gewundenen Ein-
fassungen versehen. Die althergebrachten classischen Urformen
der Ornamentik kommen immer seltener vor, sie machen natura-
listischen oder ganz neuen von bizarrer Erscheinung Platz, wie
z. B. textile Gebilde in Stuccatur, Malerei, Eisenschmiedewerk
nun eine große Rolle zu spielen anfangen, wozu die gestrickten
Gitterwerke, die hängenden Quasten, Schabrackendecken u. dgl.
gehören.
Aber auch damit ist das Neue, Eigenthümliche noch nicht
erschöpft. Einen höchst wesentlichen Einfluss hatte auf die Neu-
gestaltung das modehaft gewordene Vorbild der ostasiatischen Kunst-
formen. Die Vorliebe für chinesische und japanesische Porzellans,
Die Rococozeit.
313
vieux-Laques, Fächer, Schirme, welche, von holländischen und
anderen Flotten nach Europa gebracht, zuerst nur die Raritäten-
kammern der Sammler gefüllt hatten, wuchs in dem Maße, dass
diese seltsamen Fremdlinge sich nun gebieterisch in die Wohnungs-
ausstattung eindrängten und endlich aus bloßen Gästen Reformatoren
des Stils und Geschmacks selber wurden. Die Herrschaft des
naturalistischen Blumendecors ist besonders eben durch solche ost-
asiatische Muster gefördert worden. Das Kunstgewerbe, namentlich
in der Porzellanfabrication, welches seit der Mitte des Jahrhunderts,
ja fast in allen Ländern Europas gepflegt wurde, erhielt dadurch
ein ganz neues Form- und Decorationsgepräge, und überdies ent-
stand das Genre der Chinoiserie im figuralen Gebiete, welches im
Verein mit den in Atlas gekleideten Bergöres die theatralischen
Götter der Barocke ablösen sollte.
Man kann im allgemeinen sagen, während die Barocke, so-
sehr sie auch den Geist ihrer Zeit auszusprechen verstanden hatte,
insofern doch immer einen conservativ antiquarischen bewahrte,
als sie alles auf der Basis antiker Begriffe dachte und wollte, so
sehr sie dieselben auch sich mundgerecht gemacht hatte, so lebt
im Rococo mehr ein fortschrittliches, dem Zeitgeiste selbständiger
huldigendes Wesen, weshalb denn die auf dasselbe folgende Periode
des Classicismus von dieser Freiheit und Ungebundenheit wieder
zu dem Alten zurückkehren zu müssen glaubte. Die Barocke redet
wie Corneille und Racine, das Rococo plaudert und witzelt wie
Voltaire und Diderot; dort rauscht und schallt es wie in den
Oratorien eines Händel, hier klingt und tönt es wie in Haydns
Trios oder in den Arien des Pagen Cherubin. Dass aus dem gesell-
schaftlichen Leben, ja aus Politik und Moral Analogien derselben
Art herbeizubringen wären, kann wohl kein Zweifel sein.
Es ist wohl richtig, dass der neue Geschmack von Paris aus
die civilisierte Welt überflutete; aber wenn auch Frankreich kraft
seiner hohen politischen Stellung, Dank der tonangebenden Ent-
wicklung seines gesellschaftlichen Lebens und durch das großartige
Gedeihen seiner Kunstindustrie hier auf die anderen Länder
gebieterisch einwirkte, so zeigte es sich doch deutlich, dass auch
anderorts aus den Gesetzen der Stilentwicklung heraus sich in
den Barockerscheinungen die Anlagen und Anfange zu ähnlichen
Formen, wie jene, welche wir heute Rococo nennen, schon
314 Albert Ilg
mitten in der Blüte jenes älteren Stiles zeigen. Man ist oft über-
rascht, z. B. in Österreich an Kunstwerken der frühen Zeit
Karls VI., Josefs I., ja selbst bisweilen schon ihres Vaters Detail-
motive zu gewahren, welche sich dann im Rococo charakteristisch
wiederfinden, obwohl diese Schöpfungen sonst noch vollständig
unter dem Banne des welschen Geistes stehen, welcher hier zu
Lande nicht nur aus Gründen der uralten Tradition und der
geographischen Lage dominierte, sondern um jene Zeit aus der
speciellen wichtigen Ursache, weil während der Herrschaft der
genannten Kaiser, also der ganzen Blüte des Barockstiles, auch der
schroffe politische Zwiespalt zwischen den Habsburgern und den
Bourbons gerade in Österreich den französischen Einfluss mächtig
einschränkte. Später aber, namentlich in den Tagen Maria
Theresias, in denen ja sogar auf dem politischen Gebiete sich eine
Connivenz zwischen beiden Staaten angebahnt hatte, welche in der
Thronbesteigung der Lieblingstochter der großen Kaiserin in
Frankreich die Besiegelung finden sollte, da strömte allerdings
gallisches Wesen auch im Habsburgerreiche, wie auf jedem Felde
des geistigen Lebens, so auch in den Künsten mächtig herein.
Zwei bedeutsame historische Ereignisse, der spanische Erbfolge-
krieg und die Verbindung mit dem Hause Lothringen, gaben dazu
vorwiegend den äußeren Anlass. Die Consequenzen des ersteren
hatten an allen deutschen Höfen, auch an dem bairischen, welcher
so lange neben dem österreichischen am meisten von italienischen
Culturelementen durchdrungen gewesen war, dem fränkischen
Einfluss Thür und Thor geöffnet; die Lothringer aber brachten
französische Künstler nach Wien und Osterreich, wie früher nach
Toscana, wo sie geherrscht hatten.
Bei all dem darf man sich die Sache aber immer nicht so
vorstellen, als ob bei uns zu Lande das Rococo mit einemmale
eine ausschließliche Herrschaft angetreten hätte. Vielmehr ist es
nie zu hervorragender Blüte bei uns gediehen, sondern wirkte
der Barockstil noch lange kräftig fort. In der Architektur hat
es m Osterreich das Rococo auch nicht entfernt zu so glänzenden
Leistungen gebracht wie die vorausgehende Epoche, und auch in
der Malerei steht die Sache so, dass man Künstler wie Maulbertsch,
den Kremser Schmidt, Troger dem Zeitabschnitte nach zwar in
dem vorliegenden Capitel behandeln muss, nach Stil, Geist und
Die Rococozeit. -2 je
Charakter aber dieselben durchaus noch als barock anzusehen sind.
Die Plastik dagegen und das Kunstgewerbe machten die Schwen-
kung bestimmter und deutlicher mit.
Wir können in unserer Heimat nicht von so ausgesprochenen
und reichen Rococobauten reden, wie sie auf französischer Erde,
in Dresden, München und Berlin nachzuweisen wären; aber doch
fehlt es nicht an einigen sehr charakteristischen. Der Ausbau von
Schönbrunn steht in dieser Beziehung als wichtiges Moment da
(siehe Abb. 70). Nachdem unter Karl VI. das an dem Schlosse von
dem älteren Fischer Begonnene lange Jahre vernachlässigt gestanden,
ließ Maria Theresia (1744) durch den Hofarchitekten Nikolaus von
Pacassi den Bau vollenden, einen aus einer schon lange in Oster-
reich beschäftigten Görzer Steinmetzfamilie stammenden Künstler.
Während an dem Äußeren in der Architektur der Rococotypus
noch ziemlich schüchtern an den Tag tritt — überdies durch eine
höchst geistlose Überarbeitung durch Johann Amman in den
Zwanzigerjahren unseres Jahrhunderts noch verunstaltet, — ent-
faltet sich im Inneren die Zierlichkeit und Pracht dieses Stiles in
hochentwickelter Weise. Die langgestreckte große Gallerie mit
der dahinterliegenden kleinen, die zahlreichen Appartements,
welche chinesisch, mit Täfelung aus orientalischen Holzgattungen,
feinen Vergoldungen und Tapeten ausgestattet sind, zählen zu
den elegantesten Proben des Zeitgeschmackes, ohne dass wir über
die vielen dabei beschäftigten Künstler bisher unterrichtet wären.
Die schon im Capitel ,, Barocke** erwähnten Freskoplafonds von
Guglielmi in den beiden Gallerien beweisen gleich, wie das
monumentale Fresko in seiner älteren Erscheinung sich im Rahmen
der Rococoumgebung zu erhalten wusste. An dem benachbarten,
von Maria Theresia für ihre verwitwete Mutter Kaiserin Elisabeth
Christine ebenfalls durch Pacassi und, wie es scheint, auch durch
Mitwirkung Hohenbergs errichteten Schlösschen Hetzendorf
macht die Architektur ebenfalls nur bescheidene Wirkung, aber
auch hier finden wir in den Interieurs ausgezeichnete Leistungen.
Während der große Saal mit der schon erwähnten Freskodecke
Grans dem Geiste des classischen Barockes entspricht, ist der
Salon mit den Lamberies aus chinesischen Feketinholz, üppiger
Vergoldung und eingesetztem Figurenschmuck in Speckstein und
japanesischem Lack eine Prachtprobe verschwenderischesten Rococo-
3i6 Albert Ilg
geschmackes (s. Abb. 71). Als der bedeutendste, durch Kaiser Franz
hereingebrachte Meister französischer Architektur ist Jean Nicolas
Jadot de ville Issey (1710 — 1761) zu betrachten. Nachdem er in
Florenz und Nancy vieles gebaut hatte, schuf er (1753) in Wien den
schönsten Rococobau Österreichs, damals als Aula der Universität,
heute Sitz der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Die
reiche, freundlich wirkende Fa^ade mit den beiderseitigen Pavillons
und Brunnen, die große Parterrehalle mit zwanzig schlanken tos-
canischen Säulen, endlich der riesige Saal in der Nobeletage mit
Guglielmis — wieder noch barocken — Fresken sind von origineller,
geistreicher Conception. Wir kennen nur noch ein Werk Jadots
in Österreich, die von hohen toscanischen Säulen getragene so-
genannte Säulenstiege im Schweizerhofe der kaiserlichen Burg.
Kleinere, aber nicht unbegabte Meister waren Theodor Vallery,
Franz Anton Danne und Melchior Hefele; der erstere besorgte die
Herstellung der Rococopartien an dem alten Wiener Rathhause,
welches seinem Äußeren nach von einem unbekannten Barock-
meister der Fischerischen Schule herrührt, die beiden anderen
zeichneten sich besonders als geschmackreiche Entwerfer von
Triumphbögen und Trauergerüsten aus, aber Hefele hat auch
große Architekturen ausgeführt, wie z. B. das imposante Palatinal-
gebäude in Pressburg, mit welchem er schon starke Anwandlungen
des akademischen Classicismus verräth. Hieher gehört auch An-
dreas Altomonte, für Krumau in Böhmen thätig. Eine bedeutende
Anlage, mehr im Geiste des französischen Rococos ist die kaiser-
liche Residenz in Innsbruck, von Maria Theresia 1766 — 1770 durch
den Ingenieurmajor Josef Walter errichtet und im Inneren durch
den sogenannten Riesensaal mit schönen Fresken von Maulbertsch
ausgezeichnet. Damals wurde auch die vom älteren Fischer be-
gonnene Königsburg in Ofen durch Franz de Paula Hildebrandt
erweitert, von welchem Werke noch der Hof mit dem Karyatiden-
portale Zeugnis gibt. Nüchterner sind die Bauten an der Prager
Residenz, welche von Luragho und Anton Gunz begonnen, von
Hafenecker vollendet wurden (1756 — 1775).
An adeligen Landsitzen, deren Erbauer übrigens nur in den
seltensten Fällen bekannt sind, als freundlichen Proben dieses
Stils ist kein Mangel, wir nennen nur z. B. das um 1750 von
Petrucci errichtete Schloss Austerlitz mit der schönen Kirche,
Abb. 71. Salon im Kai:
Die Rococozeit.
317
deren Entwurf 1779 Hohenberg machte. Andere mährische Schlösser
von Bedeutung sind Budischau mit schönen Malereien und Chinoi-
serien im Stile des Drentwett, Buchlowitz, das noch fast barocke
Groß-UUersdorf, Jarmeritz mit zarten Rococodecorationen; in
Kiritein findet sich eine originelle Kuppelkirchenanlage, die Kapelle
von Selovitz ist delicatestes Rococo, Nikolsburg und Kremsier
aber ragen vor allem hervor durch eine großartige Mischung der
eflFectvoUsten Architekturen und Fresken beider Richtungen. Und
wohl von jedem Kronlande wären ähnliche aufzuzählen.
Unser genialster Rococoarchitekt aber ist Ferdinand Hohen-
berg von Hetzendorf (1732 — 1790). Die Lebensgeschichte des aus
Kurpfalz stammenden Künstlers ist noch ganz unaufgehellt, man
darf aber mit Gewissheit annehmen, dass er seine Studien in Paris
gemacht hat; in seinen immer geistreichen Erfindungen begegnen
sich drei verschiedene Richtungen. Frühere Schöpfungen, wie
die unendlich graziöse Gloriette und die am Fuße von deren Hügel
angebrachte große Fontäne entsprechen vollständig dem heitersten
französischen Rococo; spätere, wie der imposante, aber kalt wirkende
Palast Fries (Pallavicini) auf dem Josefsplatze in Wien, streben
bereits entschieden aus der Rococosphäre ins Classicistische hinüber.
Dazwischen aber meldet sich bei Hohenberg zum erstenmal ein
Element, welches den geistigen Zug der Zukunft charakteristisch
bezeichnen sollte, die Romantik. Er hat sie auf zweifache Weise
in seinen Werken zur Erscheinung gebracht; auf das glücklichste
mit dem Obelisken und der malerischen römischen Ruine im Schön-
brunner Parke, wobei die Einwirkung Giovanni Batt. Piranesis
unverkennbar ist, und sehr unglücklich, wo er in der Augustiner-
und in der Minoritenkirche zu Wien nach den Kenntnissen seiner
Periode wieder die Gothik aufnehmen wollte.
Wenn die gewaltige Einwirkung Rafael Donners eine edle
Ernüchterung in die Orgien der Barockplastik gebracht hatte und
nun die übertrieben malerischen und effecthaschenden Schöpfungen
seltener zu werden anfiengen, so geschah das doch nicht gleich bei
seinen directen Nachfolgern; er hat zwar dem Einfacheren und
Ruhigeren Bahn gebrochen, aber, wie schon erwähnt, selber keine
wirksame Schule erzielt, wohl aber wurde durch seine Reform es
erleichtert, dass der aus Frankreich kommende mildere Stil des
gemäßigten Rococos und später der akademischen Richtung die
3i8 Albert Ilg
Herrschaft antreten konnte. Aber auch in diesem Falle darf
man nicht an jähe Übergänge denken, unsere Schlossgärten, Dorf-
kirchen und Friedhöfe in den Provinzen beweisen, dass sich das
barocke Wesen theilweise bis fast gegen das Ende des Jahrhunderts
erhielt. Das neue, entscheidende trat natürlich in der Residenz
auf und verleugnet nicht seine fremde Herkunft. Der wichtigste
Künstler ist in diesem Betrachte Johann Christian Wilhebn Beyer
(1725 — 1797), in Stuttgart und Italien gebildet, gänzlich aber in
die Nachahmung der Franzosen versenkt, deren Meister wie Coypel,
Coysevox, Coustou etc. seine Ideale waren und blieben. Früher
in der Ludwigsburger Porzellanfabrik thätig, hatte er die Weich-
heit des Bisquits sich im Stile ganz zueigen gemacht, und als er
nun nach Wien berufen worden, wo er Hofstatuarius wurde, ent-
wickelte er eine rege Thätigkeit, welche folgenreich werden sollte.
Bei der Einrichtung des neuen Parterres im Schönbrunner Parke
gieng er mit Hohenberg Hand in Hand und besorgte die Her-
stellung der aus Tiroler Marmor gemeißelten Götter und Helden-
gestalten an den geschnittenen Wänden des Gartens, in den Bosquets,
an den Teichen und Bassins. Beyer beschäftigte dabei eine große
Anzahl Mitarbeiter, wie Prokop, Platzer, Schletterer, Zaecherle,
Henrici, Kieninger, Lang, Günther, Weinmüller und die hervor-
ragenderen Martin Fischer, Zauner und den schon erwähnten
Hagenauer (s. Abb. 72). Wenn Beyer mit seinem echt französisch
geschulten Geiste im allgemeinen diese bunte Schar auch leitete, so
konnte es doch nicht anders kommen, als dass noch manche barocke
Reminiscenz sich in dieses Rocococoncert mischte, wovon besonders
die von Prokop herrührenden Figuren Zeugnis liefern. Das
Gelungenste ist die Nymphe des schönen Brunnens von Beyer
selbst, eine außerordentlich liebliche Erscheinung. Feine Zierlich-
keit und eleganten Vortrag bekundet Anton Grassi (1755 — 1807),
dessen Wirken vorzugsweise der kaiserlichen Porzellanfabrik dienst-
bar war, für welche er eine Fülle von Modellen für Bisquitgruppen
meist mythologischen Gegenstandes fertigte. Martin Fischer (1740
bis 1820), in seiner Jugend mit dem noch zu erwähnenden Messer-
schmidt gemeinschaftlich thätig und besonders trefflich in der
Behandlung des damals so allgemein angewendeten Bleigusses,
repräsentiert ebenfalls den Übergang vom Rococo in die antikisierende
Weise des Empires. Seine Immaculata sowie der monumentale
Die Rococozeit.
319
Brunnen mit der Witwe von Sarepta iin Savoyschen Damenstifte
gehören jener älteren Phase an, seine mehrfachen Figuren auf
Brunnen öffentlicher Plätze der späteren, wovon der Moses auf
dem Franciscanerplatze, St. Josef am Graben und die Hygieia
in der Alserstraße am wertvollsten erscheinen. Eine ähnliche
Abb. 7z. Diana von J. Hagenauei.
Laufbahn machte der übrigens geistreichere Franz Zauner von
Felpatan (1746 — 1822) durch. Er kam als Tiroler Naturschnitzler
zu Beyer nach Wien, lieferte in der Bassingruppe vor dem SchÖn-
brunner Schlosse (rechts) noch eine Probe echt barocker Richtung,
gieng dann auf kaiserliche Kosten nach Rom und einpfieng daselbst
ß20 Albert Ilg
durch die Nähe des Genius Canovas eine neue Weihe. Haupt-
werke des Künstlers sind das im Sinne der antiken Marc-Aurel-
statue entworfene Reitermonument Josefs II. (1807), noch darum
wichtig, weil man mit diesem Werke in Österreich wieder im
großen Stil zum Bronzeguss zurückkehrte; die vier noch ziemlich
malerisch bewegten Karyatiden am Palais Pallavicini, die schöne
marmorne Grabtumba Kaiser Leopolds II. in der Georgskapelle der
Augustinerkirche und das reizende Modell des Genius Bornii (öster-
reichisches Museum). An seine an sich schon etwas trockene und
strengere Art schlössen sich in der Endzeit des XVIII. und in
den ersten Decennien des XIX. Jahrhunderts zahlreiche Oster-
reicher an, auf welche aber außerdem auch das Studium Canovas,
besonders seit dessen Meisterwerke, Grabmal der Erzherzogin Chri-
stine in der Augustinerkirche und die Theseusgruppe, sich in Wien
befanden, einwirkte. Die besseren unter ihnen sind Johann Schaller
(1777 — 1842, Bellerophon und Amor im kaiserlichen Museum),
Leopold Kissling (Mars und Venus 1809, daselbst). Die interessanteste
Persönlichkeit unter den Plastikern dieses Zeitabschnittes ist Franz
X. Messerschmidt (1732— 1783) — ich sage dieser Periode und
nicht der Rococozeit Österreichs, denn das ganze Naturell dieses
genialen, sonderbaren Meisters ist dem Geiste dieses Kunststiles
diametral entgegengesetzt, wenn auch in einigen seiner früheren
Leistungen der Modegeschmack herübergedrungen war. Der eigent-
thümliche Künstler ist nur durch die Kenntnis seines originellen und
unglücklichen Sonderlinglebens verständlich, dessen Jugend mit
allen Leiden bitterster Armut begann, dessen Menschenscheu,
Eigensinn und Schroflfheit ihm stets Feinde erweckte und die
Freunde verscheuchte, Wohlthäter wie selbst Maria Theresia schwer
beleidigte und endlich in Hass und halber Verrücktheit endete.
Messerschmidt genoss den ersten Unterricht bei handwerklichen
Barockmeistern in Salzburg und Graz, gieng dann nach Rom,
zankte sich in Wien vergebens um eine Akademieprofessur herum,
wich den Cabalen, zog sich in die Einsamkeit seiner schwäbischen
Heimat zurück und verbrachte endlich den Lebensrest abgeschlossen,
der Bevölkerung ein Gegenstand der abergläubischen Furcht wie
des rohen Pöbelhohnes in Pressburg. Man muss unter seinen nicht
allzu zahlreichen Werken unterscheiden zwischen solchen, welche
er auf Bestellung und für den Broterwerb schuf, und jenen, welche
Die Rococozeit.
321
ihm Herzenssache, aber auch die Ausgeburt seinei tollen Grillen
waren. In den ersteren zeigt er sich als vorzüglicher Porträtist
und effectvoller Darsteller der Details, wie z. B, in den lebens-
großen Bleifiguren Franz I. und Maria Theresias (Laxenburg),
den Bronzereliefs Josefs 11. und seiner Gemahlin Isaberlla (kaiser-
liches Museum) oder der ideal schönen jugendlichen Büste dieses
Abb. 73. Sarkophag Kaiser Karls VI. von B. Moll.
Fürsten von Bleiguss (daselbst). Seine charakteristischeste, merk-
würdigste Leistung aber sind die berühmten sogenannten Charakter-
köpfe, welche er zum Theil schon früher, hauptsächlich aber in
Pressburg mit leidenschaftlicher Begeisterung fertigte. Er wollte
in denselben physische sowie psychische Zustände, 2. B. das
Gähnen, Niesen, Riechen, den Ertrinkenden, den Narren, Ver-
322 Albert Ilg
leumder, den Trotzigen, den tiefen Kummer, die Einfalt, ja selbst
den sich überanstrengenden Fagottbläser, den rachgierigen Zigeuner,
den Hypochonder etc. darstellen, wobei er nicht nur bloße Charak-
teristik anstrebte, sondern die Erreichung einer Wirklichkeit im Sinne
des anatomischen Präparates. Die Bekanntschaft mit Dr. Messmer
und eine mystische Vertiefung in dessen Lehre vom thierischen
Magnetismus hatte den stets vergrübelten Künstler auf solche selt-
same Speculationen geführt, welche für uns heute zwar insofeme
wertlos sind, als Messerschmidt damit die Kunst auf die Lehre
vom Magnetismus basieren wollte, aber wohl in dem Sinne große
Bedeutung besitzen, als in ihnen merkwürdige Vorgänger des
modernen Naturalismus frühzeitig zutage treten. Auch in Messer-
schmidt hat Österreich wieder eine der phänomenalsten Erschei-
nungen der Kunstgeschichte in die Welt gesetzt, welche wie ein
Markstein hervorragt und Grenzen geistiger Gebiete bezeichnet
Der schon im Capitel der Barocke erwähnte Schüler Donners,
Balthasar Moll (1717 — 1785), gehört nach der Mehrzahl seiner Leistun-
gen dem Barocken eher als dem Rococogeiste an. Ubermalerisch und
theatralisch sind seine beiden Grabmonumente der Grafen Daun
bei den Augustinern, ganz barock antikisierend die Marmorstatue
•Franz I. als Augustus in Laxenburg und maßvoller dessen Reiter-
statue im Kaisergarten zu Wien, überaus reich diejenige Karls VI.
Sein imposantestes Werk ist der überreiche bleierne Sarkophag des-
selben Kaisers (s. Abb. 73) und seiner Gemahlin in der Kapuziner-
gruft, während er in seinen Decorations- Arbeiten für das Landhaus
zu Innsbruck und in dem reizenden Bronzemonument zu Schön-
brunn, welches Maria Theresia ihrem Gemahl als Schöpfer des
botanischen Gartens setzen ließ, am meisten sich dem graziösen
Rococogeschmacke zuneigt.
Es wurde schon betont, dass eine Anzahl der Freskanten aus
der eigentlichen Barockperiode in diese spätere noch ziemlich lange
herüberwirkten, wie z. B. Bartolomeo Altomonte. Andere, deren
Lebenszeit eine jüngere ist, zeigen sich trotzdem durch Schule und
Neigung dem früheren Ideale getreu, wie z. B. der Tiroler Paul
Troger, in seiner Heimat des genannten Alberti Schüler (1698 — 1762).
Seine großen Plafondgemälde im Brixner Dome, in der Wallfahrts-
kirche Maria Taferl, in den Wiener Kirchen Mariahilf, St. Ulrich,
Laurenz, St. Sebastian in Salzburg verrathen den rein italienischen
Die Rococozeit.
323
Einfluss, den ihm seine Lehrzeit in Mailand, Bologna und Venedig
mitgetheilt hatte. Zeigt Troger daher mehr ein einheitliches Wesen,
so ist Martin Johann Schmidt, der sogenannte Kremser Schmidt
(1718— 1801), der richtige Eklektiker; ohne eigentliche Schule auf-
gewachsen, Autodidakt, der sich vom Anschauen der Kupferstiche
und Gemälde im Kloster Göttweih bildete, vereinigte er in seinen
Erfindungen auf die gewandteste und geschickteste Art als ein
wahrer Proteus des Stiles alle denkbaren Vorbilder. Man stößt in
seinen Gemälden bald auf Motive der Carraccis oder Guido Renis,
bald der Neapolitaner des XVI. Jahrhunderts, bald auf Rubens,
bald auf Maratta. Im ganzen ist die Empfindung dieses Fa presto
noch die Barocke, sein Vortrag geistreich leicht und meistens
liebenswürdig. Seine schier unzähligen religiösen Bilder sind über
die ganze Monarchie verbreitet. Auch bei Anton Franz Maul-
bertsch (1724 — 1796) begegnet ein starkes Schwanken zwischen den
Italienern und Rubens. Im Gegensatz zu dem beinahe nur als
Olmaler wirkenden Schmidt war Maulbertsch vorzugsweise Fresko-
maler, sehr tüchtig im historischen Fache, am geistreichsten in
seinen Skizzen, in der farbigen Ausführung bisweilen allzu süß und
zierlich. Schon mit seinen Jugendwerken, den Fresken in der
Piaristenkirche zu Wien, erregte er gerechtfertigte Bewunderung,
auf weiten Reisen schuf er dann Großartiges in den verschieden-
sten Provinzen, z. B. den Bibliotheksplafond des Stiftes Strahow
in Prag, den Lehensaal in Kremsier, den Stiftssaal im Kloster
Brück bei Znaim, die Kuppel der Kreuzherrenkirche in Pöltenberg
daselbst, den Riesensaal in der Innsbrucker Residenz, endlich für
Ungarn Hervorragendes in Waitzen, Steinamanger, Komom und
Stuhlweißenburg. Ebenfalls ganz barock ist Trogers Schüler Josef
Mildorfer (Fresken in der Kirche am Hafnerberge in Niederösterreich,
anderes in Tirol), femer Johann Bergl (Fresken in Molk, St. Veit
bei Wien, Budapest), Josef Bergler in Prag mit Erfolg thätig,
Hubert Maurer in Wien wären zu nennen, letzterer auch als
Bildnismaler, auf diesem Gebiete aber schon trocken im Geiste der
Josefinischen Zeit und der Barocke bereits entfremdet. Ein liebens-
würdiges Talent im rechten Rocococharakter zeigt sich der Wiener
Vincenz Vischer (Plafond des Dianatempels in Laxenburg). In
Mähren ragt Johann Winterhalter, der Neflfe des Bildhauers d. N.,
Maulbertsch' Schüler hervor, von dem wir Arbeiten im Stifte
21*
324
AJbeit Ilg
Geras, in Obrowitz bei Brunn nnd Tarwitz kennen. Bedentender
als die letztgenannten sind einige Tiroler, vorzugsweise Martin
Knoller (1728 — 1804); ausgegangen von der Schule Trogers an
der Akademie in Wien, lebte er sich in Rom tief in den Geschmack
des damals tonangebenden Rafael Mengs ein, bewahrte sich aber
aus der Tradition der Barocke größere Kraft und gieng dem Uber-
zärtlichen dieses Meisters im ganzen glücklich aus dem Wege.
Seine bedeutendsten Deckenfresken sieht man zu Volders, Gries
bei Bozen, im Taxischen Palast zu Innsbruck, außerdem hat er
in Baiem, Schwaben und in Mailand gewirkt Auch als Porträtist
ist er schätzenswert, wie sein Kaiser Leopold II. (Laxenburg) dar-
thut. Ein zweiter Mengsschüler ist Knollers Landsmann Josef
Schöpf (1745 — 1822), welcher Knoller als Gehilfe zur Seite stand,
dann aber in Rom mit Mengs, dem Franzosen David, endlich unseren
Österreichern Zauner und Füger Berührung fand. Von seinen sehr
gefälligen Fresken sind zu nennen jene der Kirche in Brunnecken
(zerstört), St. Johann in Innsbruck, in Brixenthal und die bedeu-
tendsten im Kloster Stamms. Er malte auch Altarbilder und
Mythologisches. Mit all diesen Meistern wurde auch in Österreich
das monumentale Fresko, wie es scheint für immer, zugrabe ge-
tragen.
Im Bildnisfache verflüchtigte sich der Geist der Barocke
schneller. Am pomphaften Repräsentationsgemälde hält übrigens
noch ziemlich lange der 1810 gestorbene Johann Zoflfany (eigentlich
Zauffely) fest, von dessen Beschäftigung für den damaligen öster-
reichisch-lothringischen Hof in FlcJrenz z. B. das figurenreiche
Familiengemälde Leopolds II. und der Seinigen (Hofmuseum)
Zeugnis ablegt. Der Schwager des Rafael Mengs, Anton Maron
(1733 — 1808), schwankt zwischen barocken Reminiscenzen und dem
Einflüsse jenes Reformators. Schon viel nüchterner, manchmal
geradezu leer sind die beiden aus Tirol stammenden vielbeschäftigten
Lampi und trocken, aber charakteristisch die beiden Hickel.
Ebenfalls als Portraitistin, aber noch viel mehr durch ihre historischen
Ölgemälde erlangte die aus Vorarlberg stammende Angelika Kauf-
mann einen weit über Österreich reichenden Ruf (1741—^807).
Ihre Schule fand sie in den verschiedensten Städten Italiens, ließ
sich am meisten aber durch Mengs in Rom beeinflussen, dessen
ohnehin weichliche Richtung, süßliche Farben und sentimentale
Die Rococozeit
325
Stimmung sie im Sinne der weiblichen Natur womöglich noch
steigerte. Durch ihre interessanten Schicksale, durch ihren Verkehr
mit Männern wie Goethe, Mengs, König Christian von Dänemark,
Königin Karoline von Neapel etc. sowie durch ihr schönes Com-
positionstalent ist sie aber gewiss eine bedeutende Erscheinung.
Einer der letzten und geistvollsten Bildnismaler war am Ende des
Jahrhunderts noch der Schwede Rollin, in Österreich besonders für den
kunstsinnigen Herzog Albrecht von Sachsen-Teschen beschäftigt,
dessen Gemahlin Erzherzogin Christine er in einem entzückenden
Bilde dargestellt hat. (Eigenthum des Herrn Erzherzogs Albrecht. )
Sein Stil ist nach den Franzosen der Rococoperiode gebildet. —
Künstler wie Caucig, Abel, Füger, Kadlick etc. lassen wir hier
unberührt, da ihr Stil bereits in die Sphäre des akademischen
Classicismus hinüberstrebt, wohl aber verdient neben den Meistern
der Palette Österreichs größter Kupferstecher Jakob Schmutzer
(1733— 181 1) rühmende Erwähnung. Dieses Fach lag während der
Renaissance und Barocke in unserer Heimat tief darnieder, was
schon der geniale, weitblickende Fischer von Erlach erkannte, in-
dem er mit seinen Architekturpublicationen in Wien die Stecher-
thätigkeit zu heben suchte und einige Meister aus der Fremde,
wie Delsenbach, Kleiner, Sedlmayr, La Haye beschäftigte. Aber
theils sind diese mittelmäßig gewesen, theils stockten Fischers
Unternehmungen. Schmutzer gieng mit Unterstützung Maria
Theresias (1762) nach Paris, wo er bei Wille lernte und sich die
brillante Wirkung und den coloristischen Effect der großen fran-
zösischen Stecher aneignete. Eines seiner schönsten Blätter ist
der heilige Ambrosius nach Rubens.
Unter den Nebenfachern der großen Malerei stand besonders
die Pastelltechnik in modehafter Blüte. Auch in Osterreich wurde
nach dem Vorbilde der Liotard, Grenze, Le Brun-Vig^e etc. vieles
geschaffen, ohne dass aber ein hervorragendes heimisches Talent
in der Richtung erstanden wäre, was in ähnlichem Sinne auch von
der viel geübten Portraitminiaturmalerei auf Elfenbein gilt.
Das Kunstgewerbe nahm in den Zeiten Maria Theresias einen
lebhaften Aufschwung, sank aber in der nüchternen Periode,
welche folgte, außerordentlich schnell herab, um endlich nach dem
Empire in jenen absoluten Verfall zu gerathen, an dessen Stelle
erst unsere Zeit wieder neue Blüten zu bringen vermocht hat.
326 Albert Ilg
Hervorragende Producte von österreichischem Typus sind aus der
Theresianischen Epoche die geschmackvollen Tischlerarbeiten, zu
deren Decoration die Holzintarsia wieder glücklich Verwendung
fand. Auch die aus Frankreich gekommene Bouletechnik fand
bei uns treffliche Nachahmung, wie z. B. eine prachtvolle Möbel-
garnitur in den Appartements der Wiener Burg und eine große in
Salzburg für Erzbischof Graf Firmian gefertigte Uhr (Hofmuseum)
beweisen. In hohem Stande befanden sich die Spitzenindustrien
der damaligen österreichischen Niederlande und die mannigfachen
Techniken der Stickerei, als deren herrlichste Erzeugnisse wir
noch zahlreiche Kirchenparamente (z. B. in Klostemeuburg, Molk,
Maria-Zeil, Hietzing u. s. w.) bewundern. Wohl das glänzendste
Prachtstück hoher Goldstickerei ist aber das Baldachinbett der
großen Kaiserin mit dazu gehörigen Wandpanneaux in der kaiser-
lichen Burg (siehe Abb. 74).
Abb, 74. Bell Mar
DAS NEUNZEHNTE JAHRHUNDERT.
Von
Alfred Nossig.
I. DIE KUNST UNTER DEN KAISERN FRANZ I.
UND FERDINAND I.
I. Die classische Schule.
Seitdem Wien seinen herrlichen Museumsplatz besitzt, mag
wohl mancher Vorübergehende seinen Blick von den großartigen
Renaissancebauten und dem Maria-Theresienmonument zur kaiser-
lichen Hofburg hinübergelenkt haben. Ein niedriger, festungs-
artiger Bau trennte ihn von dem Heldenplatz, hinter welchem sich
die Hofburg erstreckt Es ist Pietro Nobiles berühmtes Burg-
thor, das in seiner heutigen Umgebung auf den ersten Blick Miss-
behagen erweckt. Ein eigenthümlicher Bau! Nähert sich ihm
der kunstsinnige Beschauer, so wird er gewiss von seiner Zauber-
sphäre erfasst: die Dimensionen des Baues, der ihm früher so
kleinlich erschienen, wachsen mächtig, die herrlichen Ideen der
antiken Baukunst, die in dieses Kaiserthor gebaut sind, gewinnen
Leben. Die pfeilergestützten Arcaden, über welche sich dorisches
Gebälk hinlegt, einen niedrigen, massiven Aufsatz tragend, sie
sind die Grundidee der unvergleichlich wirkenden römischen
Triumphbögen. Aber was bedeuten diese tiefer geschnittenen
Quadern der Pfeiler, was die glatten Flächen der beiden Flügel-
bauten mit ihren niedrigen, vergitterten Bogenfenstern? Kräftige,
strenge Abwehr drücken sie aus, sie geben dem Burgthor den
festungsartigen Charakter, der ihm als der architektonischen
Klammer des Burgmauergürtels entsprach. Ähnlich mögen die
Basteien vor den Propyläen der Akropolis gewirkt haben. Und
wirft man einen Blick auf die innere Seite des Thores, so wird
man noch lebhafter an die Propyläen erinnert: denn hier, wo das
Thor sich der kaiserlichen Residenz zuwendet, gewinnt es einen
festlichen Charakter. Acht dorische Säulen, in zwei Reihen auf-
gestellt, bilden hier den Mittelbau, je vier schmücken die Seiten-
flügel, zu denen man auf sanften Stufen hinansteigt. Bewundernd
^oQ Alfred Nossig
steht man vor dieser glänzenden Lösung eines schwierigen archi-
tektonischen Problems und zollt dem tüchtigen Meister Anerken-
nung, der den Ideen- und Formenschatz der Antike so passend
zu verwenden verstand. Doch tritt man zurück, so verliert das
Thor seine Zauberwirkung: der Steinbau erkaltet immer mehr, er
schrumpft immer mehr zusammen. Wenn der Beschauer dieses
Thor betrachtet, wie es sich mit seinen geraden, nüchternen
Linien vor den prunkvollen Barockbau der Hofburg legt, in un-
vermitteltem Gegensatze zu den guirlandengeschmückten Pilastem,
zu den zierlich geschwungenen Consolen und den geschweiften
Kuppelprofilen derselben, so erscheint es ihm kleinlich und ärmlich.
In diesem strengen, nüchternen, fremd wirkenden, ärmlichen
Kaiserthore, das ein Italiener erbaut, erkennt er das Bild der
Kunstepoche, in der es entstanden: das Bild jener strengen, nüch-
ternen, dem Volksgeiste fremden Kunst, welche sich an die glänzende
Zeit der Barocke und des Rococo fast ebenso unvermittelt anschließt,
wie das Thor Nobiles an die Burgfa^ade Fischers von Erlach.
Wie erklärt sich diese plötzliche Verarmung der öster-
reichischen Kunst, wie diese Umwandlung ihres ganzen Charakters ?
Man muss sich an die politischen, socialen und finanziellen Ver-
hältnisse jener Zeit erinnern: das ist die Luft, der Boden, die
Sonne des Baumes der Kunst.
Der Beginn des 19. Jahrhundertes findet die Grenzen des
österreichischen Staates reduciert. Die letzte Theilung Polens
hatte das österreichische Gebiet nach Nordosten hin vergrößert,
aber der Frieden von Campoformio bedeutete für Österreich den
Verlust von Belgien, der Lombardei und Modena. Als Ersatz
hiefür erhielt es Venedig — ohne Schiffe und mit leeren Arsenalen
— ein Ersatz, den der siegreiche Bonaparte selbst mit einer aus-
gepressten Citrone verglich. Im Laufe des nächsten Jahrzehntes
verschlimmerte sich die Lage Österreichs neuerdings in Italien und
am Rhein. Gegen diese drückenden äußeren Verhältnisse konnte
Osterreich nicht aufkommen. Unglückliche Kriege und die damit
zusammenhängende finanzielle Bedrängnis ließen die Zeiten für
eine neue Blüteperiode der Künste nichts weniger als günstig
erscheinen.
Das neunzehnte Jahrhundert. 'joj
Wo Sparsamkeit zum Losungsworte werden musste, konnte die
Kunst vom Staatssäckel nicht viel erwarten. Und doch war die Kunst
in dem damaligen Osterreich hauptsächlich auf die Unterstützung
der Regierung angewiesen. Es war ein Glück für die Kunst, dass
Kaiser Franz als echter Habsburger die Pflicht fühlte, ihr Schirm-
herr zu sein. Und so ist das, was zu jener Zeit für die Kunst
geschah, ein merkwürdiges Gemisch von kaiserlicher Munificenz
und staatlicher Ökonomie. ,,Zum Beweise der ausgezeichneten
Zufriedenheit über die glückliche Ausführung des Josef- Denk-
mals" — erzählt Böckh — ,,hat der Kaiser den Hofstatuar
Zauner mit der taxfreien Erhebung in den Adelstand, einer
goldenen, mit Brillanten reich besetzten Tabatiere, in welcher
zehntausend Gulden lagen, und einer lebenslänglichen Pension von
dreitausend Gulden jährlich belohnt**. Eine Belohnung, welche
eines Imperators würdig ist. Ganz respectable Summen finden
wir auch in dem Ausweis über die Hofauslagen während des
zwanzigjährigen Zeitraums 1792 — 181 1; es wurden während dieser
Zeit 101.882 Gulden für Bilderankäufe verwendet, außerdem für
das Josefmonument der Betrag von 722.764 Gulden ausgesetzt.
Der kaiserlichen Freigebigkeit verdankten es auch die Zöglinge
der Wiener Akademie, welche mit den Kaiserpreisen nach Rom
giengen, dass sie während ihres Aufenthaltes in Italien Aufträge
erhielten. Sie führten in den Ateliers des Palazzo di Venezia,
wo die österreichische Botschaft residierte, jene Marmorgruppen
aus, welche den Grundstock der kaiserlichen Sculpturensammlung
ausmachen. Aber das Bild des kaiserlichen Mäcenatenthums wird
durch die Noth der Zeit getrübt. Zum Theile ist das durch die
Schuld der damaligen Verhältnisse zu erklären. Als die S c h a 1 1 e r' -
sehe Gruppe ,, Bellerophon im Kampfe mit der Chimära** von Rom
zunächst nach Triest geschafft wurde, zeigte es sich laut Acten
der k. k. geheimen Hof- und Staatskanzlei, dass der akademische
Aushilfs-Cassefond zur Ausgleichung der Auslagen nicht hin-
reichte ; es musste vom Staatsschatze ein Ersatz für die Transport-
kosten beansprucht werden. Es wird einem trübselig zumuthe,
wenn man die ängstliche Ziftemarbeit betrachtet, welche darauf
verwendet wurde, um ein Plus von dreihundert Gulden für Kunst-
auslagen ämtlich zu rechtfertigen. Auf die Aufträge für die
Akademiezöglinge erstreckte sich die öffentliche Fürsorge auch
7 '22 Alfred Nossig
hauptsächlich. Die Zöglinge kehrten mit geläuterten Anschauungen
in einem Lebensalter zurück, in welchem sich der Drang der Jugend
mit der männlichen Thatkraft verbindet; sie wurden bald ent-
täuscht und ernüchtert durch die Verhältnisse, welche sie vor-
fanden. Das Höchste, was sie erreichen konnten, war nicht freie
Kimstthätigkeit in großem Stil, sondern ein Lehramt an der
Akademie.
Die Aristokratie, welche während der Barockzeit für die
Kunstblüte eine so hervorragende Bedeutung gehabt, zog sich
nun fast vollständig zurück. Insofeme sie sich für Kunst interessierte,
bevorzugte sie die gesellschaftlich geschmeidigeren Italiener vor
den einheimischen Künstlern. Eine Ausnahme bildete Graf Fries,
welcher Zauner protegierte, Fürst Liechtenstein, welcher Klieber
förderte, und Graf Cobenzl, dem Kiesling manches zu verdanken
hatte. Aber der kunstsinnigste unter den damaligen Vertretern
der hohen Aristokratie, der Herzog von Sachsen-Teschen, ließ
das Grabmal der Erzherzogin Christine von Canova ausführen,
was man ihm freilich im Interesse der Kunst nicht verübeln darf.
Wie sehr jedoch die Tendenz, die Italiener voranzusetzen, bei der
Aristokratie eingewurzelt war, davon zeugt der von Eitelberge r
hinterbrachte Ausspruch, den eine vornehme Persönlichkeit noch
am Schlüsse dieser Epoche gethan, als es sich darum handelte,
ob für ein Denkmal der Entwurf von Klieber oder von dem
künstlerisch unter ihm stehenden Marchesi gewählt werden solle:
,,Es ist nicht möglich, den Entwurf eines so vornehmen Künstlers,
wie Marchesi, unbeachtet zu lassen.**
Solche Verhältnisse bewirkten es neben dem reiferen Zeit-
«
geiste, dass die Künstler in dieser Epoche zum erstenmal an
Selbsthilfe zu denken begannen. Die noch im Jahre 1788 auf
Anregung des Malers Binder gegründete Pensionsgenossenschaft
bildender Künstler in Wien erhielt von Kaiser Franz die
Erlaubnis, in den kaiserlichen Redoutensälen alljährlich einen
Maskenball zu ihrem Besten zu veranstalten. Die Fonde der
Gesellschaft wuchsen stetig, so dass im Jahre 1838 der Architekt
Lössl beauftragt werden konnte, der Pensionsgenossenschaft ihr
eigenes Haus zu errichten. Andreas Hunglinger, der Zeichen-
meister der Theresianischen Akademie, regte im Jahre 181 1 zum
erstenmal den Gedanken an, ein österreichisches Museum für
Das neunzehnte Jahrhundert. ^'9^
vaterländische Kunst zu errichten, und leitete eine Zeit lang auf
eigene Kosten ein,,Cabinet** in Baden. Auch die Wiener Akademie
war bemüht, in dem Publicum den Sinn für die Kunst zu wecken,
indem sie seit 1786 jährlich Ausstellungen veranstaltete. Doch
muss es ihr kaum gelungen sein, viele Mäcene zu finden, denn
den Bemerkungen, welche Sonnen fels, der wahre Freund der
Kunst, bei der feierlichen Preisvertheilung der Akademie im Jahre
1801 aussprach, liegt viel Bitterkeit zugrunde. ^yT>ie Akademie''
— sprach damals Sonnenfels — ,, erwartet thätige Unterstützung,
ohne Unterschied, von dem Manne von Geburt, der Vaterlands-
liebe und Kunstgefühl genug besitzt, das, was er zu so schönem
Zwecke verwendet, zum mindesten, um gleichwohl härteren Aus-
druck zu vermeiden, nicht fiir verloren zu achten.''
Dem nüchternen Geiste, welcher in jenen Tagen maßgebend
geworden, gefiel der wiederentdeckte Classicismus. Man verhalf
seinen Vertretern bald zu einer dominierenden Stellimg, weil man
von ihnen nichts zu fürchten hatte. Es begann das Licht jenes
Dreigestirns zu glänzen, in dessen Leistungen sich der öster-
reichische Classicismus verkörpert: Füg er begann die Malerei,
Zauner die Plastik, Nobile die Architektur zu beherrschen.
Diese Männer waren keine bewussten Reactionäre in der
Kunst Es waren tüchtige, ehrlich gesinnte Künstler, welche,
angewidert von den Entartungen des Rococo, sich die Frage*
gestellt hatten: wie gelangt man zu einer gesunden, edlen, hohen
Kunst? Die Antwort auf diese Frage fanden sie in Winckel-
manns ,, Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke
der Maler- und Bildhauerkunst" und in seiner ,, Geschichte der
Kunst des Alterthums". Insbesondere war es der Maler Heinrich
Füger, der Bahnbrecher des Classicismus in Wien, ein Mann von
universeller Bildung, der seine Überzeugungen nicht nur auf
künstlerisches Gefühl, sondern auch auf theoretische und archäo-
logische Studien gründete. Wer in der Sammlung der Wiener
Akademie das kleine Selbstporträt betrachtet, das Füger auf Elfen-
bein entworfen, wird in dem rundlichen, festen Gesichte, in dem
o^A Alfred Nossig
ruhigen, zielbewussten Auge des Künstlers, der sich bezeichnender
Weise selbst mit einer antiken Toga drapiert, den sprechendsten
Beweis dafür finden, dass dieser Mann es ehrlich und ernst mit
der Kunst meinte. Füger, der in Stuttgart beim Anblicke der
antiken Kunstwerke den Muth verloren hatte, Maler zu werden,
und schon die Rechte zu studieren begonnen, fand zu Rom in
den Gemälden Rafael Merigs' die Erfüllung des Winckelmann-
schen Evangeliums, eine Erfüllung, welche den begeisterten
Apostel der Antike selbst geblendet und für alle Jünger desselben
zum verhängnisvollen Irrlicht werden sollte. Denn nicht den
großen, idealen Zug der griechischen Kunst, welcher eine Schar
unsterblicher Gestalten erschaffen, hatte Mengs wiedergeboren, er
war gleich dem Franzosen David in opernhafte Nachahmung des
Griechenthums und Römerthums verfallen. Und das ist es auch,
was der ehrliche Füg er von Mengs und David empfangen: nicht
große Typen aus den Tiefen des Volksbewusstseins zu schaffen,
hatte er als das Wesen der antiken Kunst erfasst, sondern die
heroische Pose, das antike Costüm und die bengalische Beleuch-
tung, jene rein äußerliche Idealisierung, welche den Mangel des
belebenden inneren Ideals nicht ersetzte. Seit 1795 Director der
Wiener Akademie, wirkte Füger als Künstler und Lehrer im
Sinne dieses Conventionellen Classicismus, welcher von der antiken
Kunst ebenso weit entfernt war als von den eigentlichen Inten-
tionen Winckelmanns. Man kann diesen Maler sehr wohl in den
Werken studieren, welche die Wiener Gallerien von ihm besitzen.
Eines der tüchtigsten Historienbilder Fügers findet sich in der
Akademie. Es stellt den sterbenden Germanicus dar, wie er
seinen Freunden den Schwur abnimmt, dass sie ihn rächen würden.
Ein Heldentenor könnte auf der Bühne nicht schöner sterben als
dieser vergiftete Römerprinz, und die Wiener Hofoper hat kaum
je eine schwelgerischere antike Costümscene arrangiert als der
Regisseur dieser gemalten Oper. In dem ebenfalls in der Akademie
befindlichen Olbildercyklus, welcher Klopstocks Messiade illustriert,
tritt Fügers Richtung nicht minder charakteristisch hervor. Man
betrachte z. B. diese Portia, welche am Grabe Christi von Jemina
und Rahel die Kunde von der Auferstehung des Erlösers erhält:
eine griechische Puppe, welche von den zwei anderen kaum zu
unterscheiden ist und in der künstlichen Strahlenbeleuchtung um
Das neuniehtite JahrhundetL jae
SO unnatürlicher aussieht. Das Höchste an tlieatermäßtger Beleuch-
tung leistet Füger in den religiösen Bildern, welche das Hofmuseum
besitzt, vor allem in seinem sinnenden Johannes, der im Lichte
eines überirdisch schönen Sonnenunterganges unter einer Palme
in griechischer Nacktheit daliegt Und wie Fügers Conception
auf äußerliche Idealisierung hinausläuft, so liegt die Stärke seiner
Abb. 75. Karyatiden -Portal von F. Zauner.
Technik nicht in der Sattheit des Colorits und der inneren Leucht-
kraft seiner Farben, sondern in seinem glänzenden Firnis, der
allerdings noch heute seinen Dienst erfüllt.
Franz Zauner, der Tiroler Bildhauer, welcher im Jahre
1806 nach Fügers Ernennung zum Director der kaiserlichen Gallerie
Leiter der Wiener Akademie wurde, war ein weniger überzeugter
Classicist als Füger. In der Zeit seiner ersten, aufrichtigen,
hingebenden Liebe zur Antike schuf er die zwei Karyatidenpaare,
welche das ehemalige Fries'sche Palais am Josefsplatz schmücken
7^6 Alfred Nossig
(s. Abb. 75). Der edle Fluss ihres Gewandes, der schwache Hauch
wirklichen antiken Lebens, der ihren keineswegs vollkommenen
Formen entströmt, bewirken es, dass dieses Palais den vornehmsten
aristokratischen Residenzen zugezählt werden muss. Diese Karya-
tiden, das bedeutendste, aufrichtigste Werk Zauners, blicken das
Kaiser-Josefdenkmal an. Zauners größtes Werk. Er hatte einen
oflFenen Sinn, und dass er das Theatralische, Ungesunde des classicisti-
schen Apparates selbst empfand, dies beweist ein Entwurf zum
Josef-Monument, welcher den Kaiser in der Kleidung seiner Zeit
zeigt. Aber er beugte sich der herrschenden Geschtnacksrichtung,
und als es zur Ausführung des Monumentes kam, stellte er
Josef IL, den Schätzer der Menschheit und den Freund des
modernen Geistes, im Gewände eines römischen Imperators dar.
Der Kaiser, wie er, auf gewaltigem Rosse einherreitend, die Hand
segnend ausstreckt, dieses Ross selbst in seinem majestätischen
Paradeschritt, sie haben in ihren Erzformen etwas Grandioses,
was durch das Postament mit seinen nüchternen Allegorien und
' seinem kerkerartigen Pfeiler- und Kettenumzug nicht beeinträchtigt
werden kann.
Mächtiger als bei Zauner, ja mächtiger als bei Füger, war
der künstlerische Glaubenseifer des italienischen Meisters, welcher
als Director der Akademie das Scepter des Classicismus aus ihren
Händen empfieng. Pietro Nobile hatte sich zu Rom gebildet
und daselbst — wie sein Biograph Nag 1er erzählt — jegliches
Mittel ergriflfen, um die höchst mögliche Stufe des architekto-
nischen Wissens zu erreichen. In Vitruv, Vignola und
Palladio glaubte er die Offenbarung der höchsten, unwandel-
baren Kunst gefunden zu haben. Kaum hat jemand eine Kunst-
lehre fanatischer, vertreten als der eiserne Nobile den Classicismus.
Für ihn war jede andere Kunstrichtung Barbarei, jeder andere
Kunstglaube Verbrechen. Der Meister, der in Triest den Leucht-
thurm und die Brücke vom Canale gebaut, gewann in Wien bald
einen entscheidenden Einfluss; er wurde bei allen größeren künst-
lerischen Unternehmungen zurathe gezogen. Außer dem Burg-
thore erbaute er eine Nachbildung des athenischen Theseustempels
im Wiener Volksgarten; dieser Bau barg bis vor kurzem die
Theseusgruppe von Canova.
Das neunzehnte Jahrhundert. •27^
Nobile, Zauner und F ü g e r erheben sich an künstlerischer
Kraft hoch über die ihnen zeitlich zunächst stehenden und eine
gleiche Richtung verfolgenden Künstler. Unter den classicistischen
Architekten Österreichs hatte sich Nobile die meiste Mühe
gegeben, in das Wesen der antiken Baustile einzudringen. Die
anderen begnügten sich mit der äußerlichen Anwendung der
antiken Ordnungen, welche der Franzose Delagardette codificiert
hatte. So der unmittelbare Vorgänger Nobiles an der Akademie,
Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg, welcher die
Schönbrunner Gloriette und den Fries' sehen Palast am Josefs-
platze erbaut, Gottlieb Nigelli in seiner evangelischen Kirche,
Ludwig Montoyer und der Hof-Baurath Paul Sprenger,
der Hauptrepräsentant der gänzlich bureaukratisierten, von den
lebendigen Quellen wahrer Kunst weit entfernten classicistischen
Architektur.
Innigere Hingabe an die Kunst findet man unter den Pla-
stikem; aber auch auf diesem Gebiete sieht man kein bedeutenderes
Werk entstehen. Zauners Vorgänger, J. Ch. W. Beyer, der
die Schönbrunner Statuen geschaffen, und J. M. Fischer, welcher
die Brunnen am Franciscanerplatze, am Hof und am Graben mit
Sculpturen geschmückt, verliehen der classicistischen Plastik den
Charakter jenes in sorgfältiger Ausführung sich bekundenden
tüchtigen Strebens, welches ihre Werke schätzenswert macht, ob-
wohl sie sämmtlich kraftlose Nachahmung der Antike sind. Dies
ist auch der Charakter jener plastischen Gruppen, welche die
österreichischen Pensionäre zu Rom für den Hof ausführten. Man
betrachte in den kaiserlichen Sammlungen den mit der Chimära
kämpfenden Bellerophon J. N. Schallers: sicherlich wird man
den Aufbau der schön durchgebildeten Gestalt Bellerophons mit
der streng in die Achse der Gruppe fallenden, hoch erhobenen
Waffe bewundern, man wird an der tüchtigen Behandlung des
Marmors seine Freude haben, und doch wird man sich eines
frostigen Gefühles nicht erwehren können. Und dies Gefühl wird
sich noch steigern, wenn man sich der Kiesling'schen Gruppe
zuwendet, welche Mars und Venus mit dem Amorknaben darstellt.
Diese vollendet schöne, heroische Mannesgestalt, diese in schönstem
Verhältnis kleiner gehaltene weibliche Figur erinnern an das
Herrlichste, was die antike Plastik hervorgebracht, und verdunkeln
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ung^am. 22
oi8 Alfred Nossig
SO selbst den Eindruck, den sie hervorrufen: denn sie sind nichts
anderes als die Antike, und so wie die Antike sind sie doch nicht.
Während man den Sculpturen der classicistischen Epoche
jene ernste Wirkung, welche die hohe Kunst anstrebt, immerhin
nicht absprechen kann, machen viele Bilder dieser Schule den
Eindruck gemalter Parodien. Wenn man in der akademischen
Gallerie den Cato betrachtet, welcher aus den Händen eines Knaben
die todbringende Waffe nimmt, ein Bild des Fügerschülers Josef
Abel, so hört man hinter der Leinwand einen lustigen Studenten-
chor eine schauerliche Römerballade singen. Abels Malerei ist auch
der Vorhang des alten Burgtheaters (s. Abb. 76). Ähnlich wirkt der
sterbende Meleager Anton Petters. Dafür ist die Malerei die
einzige bildende Kunst, welche in dieser Epoche nicht gänzlich
in der herrschenden Richtung aufgeht, sondern, über das Pro-
krustesbett des Classicismus hinausragend, mit den Füßen noch
den früheren Boden berührt, mit dem Kopf in eine spätere Zeit
hineinragt. Während die meisten Architekten und Landschafts-
maler, ein J. Chr. Brand, Josef Fischer, Martin Molitor,
der niederländischen Schule treu bleiben, sehen wir in den antik
drapierten Heiligen Hubert Maurers die vorausgeworfenen
Schatten der großen Religionsmalerei der Romantik, in den über-
raschend lebenswahren Porträts J, B. Lampis die zeugungs-
kräftigen Ahnen des realistischen Bildnisses; wir sehen durch
Josef Mössmers feinsinnige, von steifem Classicismus wie von
romantischer Überschönerung gleich weit entfernte Landschafts-
bilder jenen Pfad sich winden, auf welchem Fr. Gauermann
fortschritt, um zur realistischen Landschaft und zum realistischen
Thierstück zu gelangen.
Die sorgfältige Technik, welche man der classicistischen
Plastik nachrühmen muss, ist auch der damaligen Medailleurkunst
eigen. Ihre bedeutendsten Vertreter wurden vom Staate benützt,
theils als Lehrkräfte, wie J. B. Hagenauer, Fr. X. Würth, theils
als Graveure des Münzamtes, wieignaz Donner. Die graphischen
Künste zeigen, insoferne sie schöpferisch auftreten, den vollen
Einfluss des Classicismus, so insbesondere die Radierungen eines
Karl Russ. Das Verdienst, einheimische Stoffe in einer der
österreichischen Volksempfindung entsprechenden lebensfrohen und
heiteren Weise behandelt zu haben, gebürt in dieser Epoche der
Das neunzehnte Jahrhundert.
339
Lithographie, welche, durch Alois Senefelder in Wien einge-
führt, von Josef Lance de 11 i schwunghaft betrieben wurde. Wir
verdanken diesem launigen Künstler mehrere gelungene Blätter,
in denen der Wiener Humor seinerzeit sich verkörpert, so ,,Die
Modernisierung, ein humoristisches Zeitbild auf das Abkommen
der Zöpfe*', ,,Die Nationalbank** und treffliche Typen aus dem
Wiener Leben. Ein Danhauser und Waldmüller mögen in ihrer
Jugend diese Blätter nicht ohne Anregung betrachtet haben.
Halten wir unter den anderen Ländern der österreichischen
Krone Umschau, so finden wir in dieser Epoche nur in Böhmen
eine lebhaftere Kunstbewegung. Ja, in diesem Lande, dem die
Gunst der historischen Verhältnisse materielles Emporblühen ge-
stattete, und dessen Adel ungewöhnliches Kunstverständnis besaß,
geschah mehr für die Kunst als in der Metropole des Reiches.
Bestand doch daselbst bereits seit dem achtzehnten Jahrhunderte
eine adelige ,, Gesellschaft patriotischer Kunstfreunde",
welche die Aristokratie zur thätigen Unterstützung der Kunst
fortwährend aneiferte ! Mit Stolz darf Böhmen behaupten, dass die
glänzendsten Namen seines Adels zugleich die Namen der eifrigsten
Kunstfreunde in jener Epoche seien. Die Lobkowitz, Kinsky,
Schönborn, Czernin wetteiferten in der Förderung der böhmi-
schen Kunst; die Grafen Colloredo und Nostiz schenkten ihre
Gallerien dem Lande, Graf Sternberg ließ in seinem Palais auf
dem Hradschin eine dauernde Kunstausstellung eröffnen. Zwar
entsprachen die damaligen Leistungen der Prager Schule durchaus
nicht der Größe eines solchen Mäcenatenthums, was dem er-
drückenden Einflüsse der vom Mengsianer Bergler mit aller
Strenge vertretenen classischen Richtung zuzuschreiben ist ; aber
wir werden in den nächsten Kunstperioden die Früchte dieser
reichen Saat keimen und reifen sehen.
Galizien erfüllten noch die Nachklänge der politischen
Stürme, welche dies Land in der eben vorausgegangenen Epoche
erfahren hatte. Die Kunst lag darnieder : die Gedanken und Ge-
fühle, welche das Volk bewegten, lagen weit ab von diesem Gebiete,
und der Staat konnte in jenen Wirren ihm seine Aufmerksamkeit
22*
340
Alfred Nossig
noch nicht zuwenden. Die schwachen Fäden, an welche sich zu
seiner Zeit eine Kunstthätigkeit an Galizien knüpft, gehen sämmt-
lich von dem benachbarten Krakau aus, wo seit Jahrhunderten
eine von den polnischen Königen mit Privilegien ausgestattete
Künstlergenossenschaft bestand und wo seit 1783 Dominik
Estreicher an der Jagellonen-Universität Zeichen- und Mal-
unterricht ertheilte.
Noch trauriger war es um Ungarn bestellt. Der Strom
unsäglichen Elendes, den die Türkenherrschaft über dieses Land
ergossen, hatte die heimische Kunstliebe gänzlich erdrückt. Die
berühmten ungarischen Meister, welche zur Barockzeit im Auslande
genistet, ein Kupeczky und Mdnyoky, fanden keine eben-
bürtigen Nachfolger in dieser Periode ; der Genius des Volkes
ruhte und sammelte seine Kraft.
Es ist ein bescheidenes. Bild, das uns die österreichische
Kunstthätigkeit in der classicistischen Epoche geboten. Aber wir
dürfen die Bedeutung dieser Epoche für die Entwicklung der
bildenden Künste nicht verkennen ; eine Bedeutung, welche vor
allem in der Begründung einer soliden Technik, in der meister-
haften Schulung der Kunstjünger lag. Es ist das Verdienst
Heinrich Fügers, einen Kreis tüchtiger Männer um sich ver-
sammelt und unter Beihilfe eines Lampi, Caucig, Maurer,
J. M. Fischer, Zauner, Schmutzer dem akademischen
Unterrichte einen einheitlichen gediegenen Charakter verliehen zu
haben. J. V. Schnorr, der in seinen Erinnerungen den Zeichen-
unterricht an der Wiener Akademie unter Fügers Leitung schildert,
stellt denselben bei weitem höher als die Methode, welche gleich-
zeitig zu Paris befolgt wurde. Während in Paris das Zeichnen
unmittelbar ins Malen übergieng und der Schüler, nur an Kohlen-
contouren gewöhnt, eigentlich nur einen klaren Umriss verfertigen
konnte, wurde in Wien ,,auf nichts mehr gedrungen als auf einen
richtigen Umriss der Figur und auf bestimmte Hineinsetzung der
Muskeln, ehe an eine Angebung von Licht und Schatten gedacht
werden darf.'* Unvergleichlich als Lehrer war auch der Bildhauer
J. M. Fischer, einer der tüchtigsten Kunstanatomen seiner Zeit
Das neunzehnte Jahrhundert.
341
Von ihm rühren eine überlebensgroße, in Blei gegossene und eine
kleinere anatomische Fignr her, welche heute noch von Künstlern
und beim Unterrichte verwendet werden, sowie zwei Schriften
,, Erklärung der anatomischen Statue für Künstler'* und ,, Dar-
stellung des Knochenbaues von dem menschlichen Körper mit der
Angabe der Verhältnisse desselben." Zaun er s Verdienst ist es,
die Technik des Erzgusses wieder nach Wien verpflanzt zu haben.
Während nämlich der Bleiguss und die Marmortechnik durch das
ganze 18. Jahrhundert in Blüte geblieben, war der Erzguss ver-
nachlässigt worden. Für Zauner war das Kaiser Josef-Denkmal
die hohe Schule dieser streng monumentalen Technik gewesen.
Zahlreiche Guss- und Patinierungsvefsuche ließ er der endgiltigen
Ausführung des Werkes vorangehen, und wenn er auch Bouchar-
don-Pigalle, der das Monument Louis XV. gegossen, manches
verdanken mochte, so war seine Thätigkeit dennoch eine bahn-
brechende, und was er gelernt, blieb für die Wiener Plastik un-
verloren.
Eine Akademie, an der die Elemente der Kunst imd die
Kunsttechnik großen Stils 'gleich gründlich gelehrt wurden, er-
freute sich mit Recht eines Weltrufes und zahlreichen Zuspruches
von Fremden. ,,Wie ein halbes Jahrhundert später nach München"
— sagt Lützow — )^VLin. Wilhelm Kaulbachs Atelier zu sehen, so
wallfahrtete man damals nach Wien zu Füger und Zauner, und
der Ruhm der von ihnen geleiteten Schule war ebenso begründet
wie weitverbreitet".
2. Die kämpfende Romantik.
Der Classicismus hatte das Ziel, das er sich gesteckt, nicht
erreicht. Er hatte keine gesunde, große Kunst geschaffen, welche
der Rococokunst als alleinseligmachende ästhetische Kirche hätte
entgegentreten können ; er hatte kein Genie hervorgebracht, welches
die Zeitgenossen geblendet und ihnen den Glauben an die Offen-
barungen des Classicismus beigebracht hätte. Der allgemeine Ge-
schmack begann gegen diese Richtung zu reagieren, und ein Freund
Fügers, der Dichter Coli in, war es, welcher den Classicismus
mit den Worten richtete: ,,Die Barbaren durften den Griechen
342
Alfred Nossig
danken, wenn sie von ihnen griechisch, d. h. reinmenschlich dar-
gestellt wurden ; aber die Griechen würden sehr dadurch empört
worden sein, wenn sie sich in modemer Verzerrung, mit allen den
lächerlichen, entweder unbedeutenden oder Schwäche und Ver-
derbnis verrathenden Anhängseln der Concurrenz dargestellt erblickt
hätten. * * So musste sich denn der Classicismus immer mehr darauf
beschränken, bloß der akademischen Schulung zu dienen. Die
Mittel, mit denen er herrschte, waren Intoleranz, Bevormundung
und strenge Abschließung gegen fremde Einflüsse. Die Kataloge
der Akademieausstellungen zeigen bis zum Jahre 1840 nicht ein
Werk eines ausländischen Künstlers. Und doch vermochte diese
strenge Schule der Gedankenarbeit nicht Halt zu gebieten, sie
vermochte es nicht zu hindern, dass die junge Künstlergeneration,
die unfruchtbare Thätigkeit ihrer Lehrer betrachtend, sich die-
selbe Frage vorlegte, von welcher jene Meister einst ausge-
gangen waren : wie gelangen wir zu einer gesunden und großen
Kunst, wo ist die wahre Kunst zu suchen? Ja, trotz ihres Ab-
schließungssystemes konnte es die Akademie nicht hindern, dass,
von ihrem großen Rufe angezogen, aus dem Auslande Kunstjünger
nach Wien kamen, in deren Brust es gewaltig gährte. ,, Lebhaft
tritt die schöne Zeit wieder vor meine Seele,** schreibt einer der-
selben an seinen Freund in Deutschland, ,,da ich Sie in Lübeck
kennen lernte, da ich gegen Sie zuerst meine Gefühle über die
Kunst schüchtern zu äußern wagte, da Sie mir zuerst, wenn wir
des Abends im Laubgange auf- und abgiengen, wie ein Engel vom
Himmel Worte der Seligkeit sprachen, über Malerei und Dicht-
kunst. Dinge, die ich bis dahin aus keines Menschen Munde gehört
hatte, und in denen ich doch so ganz mein eigenes Herz wieder-
fand ... Es hatte demselben immer noch etwas Wichtiges gemangelt
— die wahre Kunst, die ich in Lübeck vergebens gesucht hatte.
Ach, und ich war so voll davon, meine ganze Phantasie war ausgefüllt
mit Madonnen und Christusbildern, ich trug sie mit mir herum
und hegte und pflegte sie, aber es war nirgends Wiederklang.**
Der so schrieb, war Friedrich Overbeck, und man be-
greift es, dass dieser Jüngling, dessen Stil so lebhaft an W a c k e n-
r Oders Herzensergießungen oder Tiecks Sternbald erinnert,
unter dem Joche der classicistischen Kunstdressur schwer seufzen
musste. Es gelang ihm, in Wien einen Kreis von Gesinnungs-
Das neunzehnte Jahrhundert. ^a^
genossen zu finden, welche sich an der Kunstlehre Schlegels
und Tiecks begeisterten und in der altdeutschen und romanti-
schen Stoflfwelt die Quellen für die Wiedergeburt der darstellenden
Kunst erblickten. Als die kaiserliche Gallerie eröffnet wurde —
erzählt Passavant — richteten die Genossen ihre Aufmerksamkeit
hauptsächlich auf die altdeutschen, hierauf auf die italienischen
Meister. Ihr Widerwille gegen die Mengsisch-Davidische Richtung
machte sich immer mehr bemerkbar, und da es gerade die talent-
vollsten Eleven waren, die rebellisch auftraten, so entschloss sich die
Akademie, um dem Umsichgreifen der bedenklichen Bewegung vorzu-
beugen, Overbeck und seine Genossen von der Anstalt zu relegieren.
Fast schien es nun, als ob in Wien die Romantik zu kräftiger Blüte
kommen sollte: dem Kreise Overbeck s, welcher bis dahin Pf orr,
Vogel, Wintergerst und Sutter umfasst, traten Scheffer
von Leonhartshoff und Hoftinger bei, und der reifere
Wächter bestärkte die Jünglinge in ihren Anschauungen und
trieb sie zu offenem Auftreten an. Und, was mehr sagen will,
die politischen und literarischen Verhältnisse hatten gerade um
diese Zeit in Wien den Boden für die Romantik vorbereitet Um
die Zeit, als Napoleon von neuem Österreich bedrohte, als Erz-
herzog Karl in begeisterten Proclamationen die Völker zu den
Waffen rief, als Kleist seine ,, Hermannsschlacht**, Hormayr
seinen ,, österreichischen Plutarch*', Pyrker seine ,,Rudolphias**
schrieb, war den bildenden Künsten die Gelegenheit geboten, auf
der gesunden Basis des Volksthums ideale Werke zu schaffen.
Diese Bahn betrat Overbeck nicht Die romantische Schwärmerei
hatte in ihm eine Vorliebe für das Mittelalter erzeugt, welche sich
vor allem der geistigen Sonne des mittelalterlichen Lebens, der
katholischen Kirche, zuwandte. Er hoffte das Zeitalter der
Glaubensinbrunst auferstehen machen und auf dem neuerwachten
Glauben eine große Kunst gründen zu können. Nachdem er noch
in Wien die Skizze zum ,, Einzug Christi in Jerusalem** vollendet,
zog er mit einigen seiner Genossen nach Rom. Sie schlugen ihre
Wohnung in dem verödeten Kloster S. Isidoro auf dem Pincio
auf. Dies sind die Klosterbrüder von S. Isidoro, welche später
als die Nazarener berühmt werden und ihren Einfluss auf der
Wiener Akademie siegreich zur Geltung bringen sollten.
'2AA Alfred Nossig
So war die Hoffnung, die Romantik gleich bei ihrem ersten
Auftreten in Wien eine achtunggebietende Höhe erklimmen zu
sehen, zerstört worden. Als noch der geistvolle Moriz von
Schwind seine Vaterstadt verlassen, nachdem er sein ,,Käthchen
von Heilbronn*' ausgestellt, da blieb in Wien nur eine kleine
Gruppe von Malern, welche der Romantik huldigte. Sie culti-
vierten zumeist jene Richtung, die der große Cornelius, für
welchen das Nazarenenthum nur Entwickelungsmoment gewesen,
als ,,Undinensch wärmerei** verurtheilte : In diesem Sinne war
der in Wien verbliebene Johann Scheffer von Leonharts-
hoff thätig, der eine orgelspielende Cäcilia, einen drachen-
tödtenden St. Georg und ,,zwei Engel, die todte hl. Cäcilia
betrauernd** malte. In diesem Sinne malte auch Ludwig Fer-
dinand Schnorr, von Carolsfeld, der Hauptrepräsentant der
Wiener Romantik in ihrer ersten Epoche. Seine Werke zeigen
die ganze Verwüstung, welche die Romantik in der Kunst ange-
stellt, ohne vorläufig ein bedeutendes Neues an Stelle des Alten
setzen zu können. In seiner ,, Speisung der Viertausend**, für das
Refectorium der Mechitaristen zu Wien gemalt, überwiegt das
symbolische Element derart, dass es die künstlerische Entwicke-
lung des Vorwurfes verhindert. Betrachtet man seine ,, Erscheinung
Mephistos bei Faust** in der kaiserlichen Gemäldesammlung, so
erschrickt man über den Mangel an Körperlichkeit, über diese
Formenmis^re , welche durch die verständnislose Farbengebung
noch übertroffen, aber nicht erkenntlich gemacht wird. Dieses
dunkelgehaltene, riesige, unbedeutende Bild erscheint wie ein
Werk der Dorfkirchenmalerei. Noch typischer für Geist und
Technik der damaligen Wiener Romantik sind die zwei Pendants,
welche in der Gallerie der Wiener Akademie zu sehen sind.
,, Ritters Abschied** stellt das eine dar. Auf dem mittel-
großen Bilde sieht man eine weitausgebreitete Landschaft : ein
romantisches Flussthal von hohen Bergen, umsäumt, durch eine
Ritterburg geschmückt. Winzige Menschlein, kleiner, als sie
sonst von Landschaftsmalern als Staffage hingezeichnet zu werden
pflegen, findet man nach und nach, verstreut in dieser romanti-
schen Perspective. Da steht ein Wichtelmännlein von einem
Ritter im Hermelinmantel, von Gattin und Kindern Abschied
nehmend, während in der Ferne Fußvolk und Reisige gleich einer
Das neunzehnte Jahrhundert. 'iAc
Ameisenarmee dahinziehen. Auf dem anderen Bilde sieht man
den Ritter heimkehren. Auch hier ist eine Almen- und Gletscher-
landschaft, durch weiße Klöster belebt, in den Vordergrund ge-
stellt ; aus einer kleinen, hölzernen Waldkapelle sieht man die
Edelfrau herabeilen : sie hat tief unten ihren Gemahl erblickt, der
vom Kriege heimkehrt.
Stark von der Romantik beeinflusst, zum Theile in ihr auf-
gehend, erscheint das Landschaftsbild in dieser Epoche. In der
Akademiesammlung kann man eine ,, Weinlese'* von Schödl-
b erger sehen: sicherlich wurden Trauben nie romantischer ge-
lesen als auf diesem Bilde. Man denke sich eine herrliche, von
idealen Bauwerken bekränzte Meeresbucht, über welcher Gold-
wölkchen dahinschweben ; im Vordergrunde einen uralten, ver-
ästeten Baum, an dem Weintrauben emporranken, und man wird
es nur stilvoll finden, dass auch die Bauernfamilie, welche die
Trauben pflückt, aus Arkadien zu stammen scheint. Auch der
tüchtigste unter den damaligen Landschaftsmalern, Thomas
Ender, war vom Geiste der Romantik erfüllt. Die südamerika-
nischen Ansichten, welche er als Begleiter der Erzherzogin Leo-
poldine auf ihrer brasilianischen Reise gemalt, haben sämmtlich
einen feenhaften Anstrich. Auch Josef Rebell muss ent-
schieden den Romantikern unter den Landschaftern zugezählt
werden.
Während die romantische Dichtung sich vorzugsweise mit
national-patriotischen Stoffen beschäftigte, gab es nur einen ein-
zigen Maler dieser Richtung, welcher durch seine Kunst die
vaterländische Geschichte verherrlichte. Es war dies Karl Russ,
der in einem Cyklus von dreißig Gemälden hervorragende Momente
der österreichischen Geschichte darstellte. Zwölf dieser Bilder sind
Rudolf von Habsburg gewidmet, dessen Gestalt die Romantiker
mächtig anzog; Schwind stellte in München das Volksleben
unter Kaiser Rudolf dar, der junge Danhauser trat in Wien
mit drei Scenen aus Pyrkers ,,Rudolphias*' auf. Zu größter
Bedeutung sollte sich allerdings erst in späteren Tagen Moriz v.
Schwind erheben, der edelste und feinfühligste aller Romantiker,
zugleich ein Poet voll Schwung und echter Herzlichkeit. Schwinds
Genius sollte sich aber erst auf dem Boden des Märchens und der
Legende großartig entwickeln, wie später seine Melusina, die sieben
'iA6 Alfred Nossig
Raben und die barmherzigen Werke der heiligen Elisabeth dar-
thuen (siehe Abb. 77).
Die Bildnismalerei vermochte die Romantik nur vorübergehend
zu beeinflussen. Die trefflichen Miniaturen Moriz Daffingers
zeigten in einer gewissen Epoche seiner Thätigkeit in Pose, Blick
und Incarnation einen starken romantischen Beigeschmack, der
auch den ersten Arbeiten Friedrich Amerlings eigen ist.
Doch ließ sich der gesunde Geschmack des Publicums auf diesem
Gebiete am wenigsten beirren, und er ist es, der die Porträtmaler
immer mehr auf den Realismus hinwies. Ein herrliches Kinder-
porträt Sr. Maj. des Kaisers Franz Josef (Eig. Ihrer kais. Hoheit
der Durchl. Frau Kronprinzessin- Witwe Stephanie) von Daffinger
schmückt unser Buch (Titelbild). Das hier reproducierte Gemälde
von Amerling befindet sich als ein Geschenk des Fürsten Joh.
Liechtenstein in der Gallerie der Akademie zu Wien (s. Abb. 78).
Am nächsten stehen dem Realismus die Blumen- und Stilleben-
maler dieser Epoche, ein J. Petter, Knapp und Fruhwirth;
die Bekanntschaft mit den ersten realistischen Versuchen des Aus-
landes vermitteln die trefflichen Meister des Grabstichels C. H.
Rahl, F. X. Stöber und J. Axmann.
Der Classicismus hatte alle bildenden Künste in gleichmäßiger
Weise beherrscht : Architektur, Plastik und Malerei hatten zu
gleicher Zeit an seinem Altare geopfert. Das Emporkommen der
Romantik in der österreichischen Kunst gewährt ein anderes Bild.
Während sie unter den Malern bereits viele Gläubige zählte, die
ihr später zu einer Epoche glänzender Entfaltung verhalfen, blieben
die österreichischen Bildhauer noch lange Zeit hindurch orthodoxe
Classicisten. Auch die Architektur zeigte kein Interesse für die
neue Richtung. Der einzige Bau, der in dieser Epoche der Be-
trachtung mittelalterlicher Baustile seine Decorationsmotive zu
verdanken hatte, die ,, Franzensburg*' in Laxenburg, beweist klar,
dass man zur Erkenntnis des Wesens der von der Romantik hoch-
gehaltenen Stile zu jener Zeit noch nicht vorgedrungen war.
Kräftiger und rascher kam die Romantik in anderen Ländern
Österreichs zur Blüte. Ungarn gebürt der Ruhm, den berühm-
testen Landschaftsmaler der Romantik hervorgebracht zu haben.
Die I^uU'ii^^pieleTJi
Das ueuniehnte Jahihundert. -lAy
Carl Marko, dessen Ruf weit über die Grenzen seiner Heimat
reichte, und den die florentinische Akademie zum Ehrenprofessor
ernannte, hat auch in Wien manches Denkmal seiner künstlerischen
Thätigkeit hinterlassen. Seine Ideallandschaft, die im Hofmuseum
Abb. 77. Heil. Elisabeth, von M. v. Schwind.
ZU sehen ist, ist vielleicht das bestechendste Werk dieser Epoche.
Die goldig-röthliche Abendsonne beleuchtet die epheubekränzte
Ruine eines römischen Rundtempels ; in der Tiefe verschwinden
violette Gebirgszüge, über welchen sich der goldig angehauchte
Himmel wie eine schimmernde Kuppel wölbt ; einen unbeschreiblichen
^^8 Alfred Nossig
Reiz besitzen die dunkeln, scharfumrissenen Palmen, welche
sich in der Ecke des Bildes von diesem Hintergründe abheben.
Es ist ein Farbenmärchen, über welchem der ganze Zauber der
Romantik liegt.
Galizien erhielt durch die Reorganisation der Krakauer
Universität, mit welcher eine Kunstschule verbunden wurde, einen
kräftigen Impuls zu künstlerischem Streben. Unter den Professoren
dieser seit 1818 bestehenden Schule tritt Josef Peszke in seinen
Altarbildern und Gemälden als Repräsentant der religiösen Ro-
mantik auf, während Josef Brodowski die national-romantische
Kunst seines Landes durch mehrere bedeutende Werke eröflFnet :
er malt den Krakauer Burghof, auf welchem im Beisein des Fürsten
Poniatovski vor dem Kriegszuge im Jahre 1812 eine feierliche
Andacht abgehalten wurde, und stellt den Helden der polnischen
Befreiungskriege, Kosciuszko, auf dem Schlachtfelde von Maci-
cjonice dar.
Zu Prag finden wir die religiöse Romantik in ihrer Herr-
schaft früher anerkannt als in Wien. F. Tkadlik, der nach
Bergler die Leitung der dortigen Kunstschule übernommen, war
zwar in der Atmosphäre des Classicismus emporgewachsen, hatte
sich aber in Rom den Nazarenern angeschlossen. Zeichnung und
Colorit seiner Bilder zeigen denn auch die ascetische Richtung,
welche Overbeck eingeschlagen. Seine ,,Pieta** ist tüchtiger, aber
weniger bekannt als seine religiösen Bilder auf nationallegendari-
schem Hintergrunde, wie der ,,hl. Adalbert von Monte Cassino
nach seiner Heimat Böhmen zurückkehrend,*' der ,,Tod der hl.
Ludmilla,** oder die ,, Andacht des hl. Wenzel.** Bedeutsamer
für die Kunst als diese Gemälde war der Unterricht, den Tkadlik
Josef Führich ertheilte, dem jugendlichen Künstler, welchen
der Prager Akademiedirector sein ,, schönstes Werk'* nennen durfte,
wie einst David seinen Schüler Girodet bezeichnet hatte.
3. Das Wiener Sittenbild.
Während die Romantik in Prag unbeschränkt herrschte und
jene hervorragende künstlerische Individualität großzog, welche ihr
binnen kurzem auch an der Wiener Akademie einen dominierenden
Einfluss verschaffen sollte, erwuchs ihr eine mächtige Gegnerin
Das neunzehnte Jahrhundert. o^n
in einer Kunstrichtung, welche, aus dem tiefsten Innern der Volks-
seele hervorgehend, rasch eine Schar begabter Vertreter und ihren
charakteristischen Ausdruck in Werken fand, welche nicht über-
sehen werden konnten und in ihrer Eigenart und Bedeutung sofort
erkannt werden mussten. Man schrieb 1813, als Peter Kr äfft
sein großes Ölgemälde ,, Abschied des Landwehrmannes**, 1820,
als er die ,, Heimkehr des Landwehrmannes aus dem Befreiungs-
kriege'* vollendete. Er stellte die Bilder in einer Holzbude auf
der Bastei aus. Das erstere zeigt uns das Innere einer behaglichen
Dorfstube mit einer in Lebensgröße entworfenen Gruppe : der
mannhafte, kräftige Sohn des Hauses, im grauen Soldatenrock,
das Gewehr in der Hand, reißt sich, von seiner jungen, blühenden
Frau los, die einen Säugling auf dem Arme trägt, und hinter
welcher ein kleines Mädchen hervorschaut. Der alte Vater sitzt
mit gefalteten Händen in einer Ecke, weinend birgt die Mutter
ihr Gesicht ; muthiger ist das kleine Söhnlein, dem ein großer
Hund vorausspringt. Durch die geöffnete Thüre sieht man die
Genossen des Landwehrmannes. Und wie der tapfere Landwehr-
mann heimkehrt und vor der Scheune des Gehöftes seine Theueren
ihm entgegenkommen, da hat sich manches verändert : die alte
Mutter muss schon unter der Erde ruhen, sonst wäre sie zur Be-
grüßung ihres Sohnes herausgeeilt ; aber es lebt noch der greise
Vater, das Töchterchen ist herangewachsen, der Säugling weiß
schon seine Füße zu gebrauchen, der Sohn trägt triumphierend
Gewehr und Hut dem Vater nach. Niemand wird diese Gemälde
im Kais. Museum gesehen haben, ohne von ihnen ergriffen worden
zu sein. Es sind die ersten Bilder seit Beginn des Jahrhundertes,
welche derart auf das Gemüth wirken : aus ihnen spricht eine
neue Kunst zu uns. Und vollends klar wird uns die Bedeutung
dieser Bilder und der Richtung, die sie inaugurieren, wenn wir
sie mit Schnorrs ,, Abschied und Heimkehr eines Ritters** zu-
sammenstellen, die wir im vorigen Abschnitte als typische Werke
der Romantik betrachtet. Dort das fremde Mittelalter, hier die
lebendige, nationale Gegenwart ; dort der Ritter, hier der Sohn
des Volkes ; dort die ideale Landschaft mit der hineingekritzelten,
verschwindend kleinen Figurenstaffage, hier lebensgroße, tüchtig
gemalte Menschen im Rahmen der in ihren Details getreu
wiedergegebenen ländlichen Atmosphäre. Wer den historischen Weg
350
Alfred Nossig
gewandelt, der zu Kraffts Bildern hinführt, wer die Bedingungen
kennen gelernt, unter denen Österreichs Kunst damals sich ent-
wickelte, der bleibt vor diesen Werken einer gesunden, tüchtigen
Kunst erstaunt stehen. Aber er sinnt nach und begreift es end-
lich, dass, wie es in der Natur keinen noch so steinigen und un-
fruchtbaren Ort gibt, wo die unversiegliche Zeugungskraft der
Erde nicht durch einen schmalen Spalt lebendiges Grün hervor-
triebe, so auch ein kunstbegabtes Volk unter den drückendsten
Verhältnissen schließlich den Weg findet, auf dem seine bildende
Kraft gedeihen kann in Anpassung an die obwaltenden Zustände.
Zum drittenmale im Laufe jener Kunstperiode hatten sich
Künstler, die die Werke ihrer Meister und Zeitgenossen nicht
befriedigten, die Frage vorgelegt : wie gelangen wir zu einer
großen, gesunden Kunst? Sie mussten nicht gerade weitblickende
Kunstphilosophen sein, um sich zu sagen, dass man eine große
Kunst unter den herrschenden Verhältnissen nicht erblicken könne:
aber eine gesunde Kunst konnten und wollten sie schaflFen. Und
sie fanden sie unschwer, indem sie dem Volksinstincte folgten,
der in ihrer Brust lebte, und als bewusste Künstler alles das be-
seitigten, was an dem Classicismus und an der Romantik dem
unbefangenen Sinn missfallen musste. Der Classicismus und die
Romantik hatten die Kunst durch die Wahl entlegener StoflFe dem
Volke entfremdet; man musste also heimische, zeitgenössische Stoffe
bearbeiten, welche der Volksempfindung entsprachen. Und da das
heroische Element dem nüchternen Geist der Zeit verschlossen blieb,
so wandten sie sich dem socialen Leben und dem Volksgemüthe
zu, die ihnen eine Fülle anregender, fesselnder Momente darboten.
Der Classicismus hatte mit der Maltechnik der Barocke, die noch
im Besitze der großen Traditionen des 17. Jahrhundertes war, ge-
brochen, ohne eine eigene tüchtige Maltechnik zu schaffen; die
Romantik hatte die Farbengebung völlig verlernt, ja sie brachte auch
die Formengebung auf einen traurigen Zustand herab. Es galt, von
neuem zeichnen und malen zu lernen. Eitelberge r, der mit
manchen der Wiener Genremaler der vormärzlichen Epoche be-
freundet war, erzählt, dass er einen großen Theil seiner Jugendjahre
mit den Versuchen, eine neue Maltechnik zu schaffen, zubrachte.
Peter Kr äfft ist als der eigentliche Vorläufer dieser Schule
zu betrachten. Aber Kraflfl, der als Schüler Davids in Paris
Das neunzehnte Jahrhundert. oci
gelebt, und der als Schlachtenmaler neben Fritz L' Allem and
und Leander Russ bedeutende Werke geschaffen, vermochte
den schönen Traum von einer großen österreichischen Kunst nicht
aufzugeben. Er trat für die Überzeugung ein, ,,dass der Historien-
malerei nicht aufzuhelfen wäre, wenn sie nicht Gegenstände aus
dem modernen Leben zu ihren Vorwürfen nähme'*; uns erscheinen
jene Landwehrmannsbilder als die große, wir möchten sagen,
hieratische Form, aus denen das Wiener Genrebild hervorgieng ;
für ihn waren es zeitgenössische Historienbilder, Und so sehen
wir, wie sich in den Werken dieses Künstlers die zeitgenössische,
empfindungstiefe Kleinmalerei aus der akademischen, historischen
Kunst abzweigt. Wir sehen in seiner Maltechnik das neuerwachte
Bestreben kräftigerer Farbengebung ohne vollen Erfolg auftreten;
wir sehen die ersten Schritte zu einer realistischen Auffassung,
welche vorläufig an Details haften bleibt, aber die menschliche
Gestalt und Kleidung noch im Sinne der akademischen Kunst
idealisiert Von entscheidender Bedeutung war die Lehrthätigkeit
Kr äfft s. Der geschmeidige Mann, der die Interessen einer ge-
sunden Kunstrichtung unter allen Schwierigkeiten des Augenblickes
zu wahren wusste, war als Lehrer voll kerniger Kraft. Er warnte
die Künstler vor den Stoffen der Romantiker ; diese waren nach
seiner Überzeugung erschöpft, ,,da es keinem gelingen werde,
Besseres zu machen als das Abendmahl von Leonardo da Vinci
oder die Madonnen von Rafael. *' Er warnte vor der Technik
der Romantiker, indem er scherzhaft zu sagen pflegte: ,,Mein
Enkel zeichnet so g^t wie Albrecht Dürer.**
Erst den Nachfolgern Kraffts war es gegeben, sich zur
Kunstform der Genrebilder durchzuringen und das Volksleben in
ihren Werken so lebendig und allseitig darzustellen, wie es Brower,
Ostade, David Wilkie oder der jüngere Teniers gethan. Kr äfft
war ein ,, Reichsdeutscher**, der französische Traditionen in sich
aufgenommen : die Künstler, die sich seiner Richtung anschlössen,
waren Wiener von Geburt, mit der Kunst des Auslandes nicht
vertraut; sie giengen in der Wiener Atmosphäre gänzlich auf,
aber sie umschlossen dafür auch die ganze Wiener Atmosphäre
und wussten alle Empfindungen in der Kunst wiedererklingen zu
7C2 Alfred Nossig
lassen. So schon Danhauser, der Sohn eines Wiener Tischlers,
der gleich Ranftl, einem Gastwirtssohn, zu Kraffts hervor-
ragendsten Schülern zählte. Es ist die heitere Gemüthlichkeit
und die herzliche Empfindung des damaligen Wien, die aus
seiner Darstellung des j, Kindes und seiner Welt*' spricht; der
unverwüstliche Wiener Humor, der in seinen ,,Atelierscenen"
verewigt ist. Wer im Hofmuseum diese kleinen Bilder ansieht, wo
lustige Maljünger, wie sie gerade den ärgsten Schabernack treiben,
von ihrem griesgrämigen Meister überrascht werden, glaubt wohl,
dass Danhauser da mitgethan und mitgelacht haben muss. Aber
der Spiegel, den er dem Wiener Volksleben vorhielt, fieng auch
die Schatten desselben auf. In seinem ,, Prasser'* zeigt uns Dan-
hauser die ausschweifende, gedankenlose Genusssucht des Wieners:
dieser beleibte, von Wein, Weib und Gesang berauschte Mann,
der mit hochgerötheten Wangen vor einer üppig besetzten Tafel
sitzt, ist ein Wiener Typus von packender Lebenswahrheit, dessen
Wirkung durch die contrastierende Gestalt des herannahenden Bett-
lers noch stärker hervorgehoben wird. Die ganze Fülle der socialen
Gegensätze aber erfasst der gedankenreiche Künstler in seiner
,,TestamentseröflFnung". Das Bild, dessen harmonische und wir-
kungsvolle Composition, wie beim ,, Prasser", sofort in die Augen
fällt, zeigt uns die Verwandten eines Dahingeschiedenen um einen
langen Tisch versammelt, an dessen Spitze der Pfarrer sitzt. Der
würdige Greis hat soeben das Testament eröffnet: wohlwollend
lachend wendet er sich zu den armen, dürftig gekleideten Ver-
wandten, welche links zusammengetreten sind, und verkündet
ihnen, dass der Verstorbene sein Vermögen ihnen hinterlassen ;
empört fahren die Reichen auf der anderen Seite auf.
Will man die ganze Eigenart der alt-wienerischen Genrebilder
in einem Bilde ausgesprochen sehen, so betrachte man in der
Gallerie der Akademie Waldmüllers ,, Klostersuppe". Auf den
Stufen, welche zur Vorhalle eines Klosters herauflführen, haben
sich die Armen versammelt, welche vom Kloster gespeist werden.
Man blickt tief in den Kreuzgewölbegang des Klosters hinein, ein
herrliches Motiv, welches sammt den Stufen die Grundlage der
fesselnden Composition des Bildes abgibt. In scheinbarer Regel-
losigkeit haben sich die Bettlerfamilien auf den Stufen verstreut,
und doch treten in einer für das Auge gefälligen Weise eine
Das neunzehnte Jahrhundert. %^%
stehende Mittelgruppe und zwei hockende Seitengjuppen hervor.
Greise und junge Mütter, Bettelknaben und dürftig gekleidete
Mädchen, alle lassen sich das Dargereichte wohl schmecken. Ge-
sundheit und Schönheit strahlt auf ihren Wangen, selbst ihre
Lumpen sind ästhetisch ; diese Bettlerfamilien scheinen in ihrer
Gutmüthigkeit und Heiterkeit ein Fest zu feiern. Man stelle sich
Abb, 79- Das Erwai^heu zum neuen Leben, von F, Waldmüller.
vor, wie ein heutiger Realist diesen Vorwurf behandeln würde ;
wie schmutzig und krank seine Bettler wären, wie mürrisch sie
aussehen würden trotz der empfangenen Wohlthat , welch ein
Drängen und Herumzerren da herrschen würde statt dieser idylli-
schen Ruhe ! Sicherlich wäre sein Bild wahrer : aber es könnte
unmöglich einen so reinen, echten Kunstgenuss bieten wie diese
Kiinslgeschichtl. Charaklerbilder aus Österreich-Ungaru. =.1
354
Alfred Nossig
I
Scene mit ihrer wohlabgewogenen, harmonischen Composition, mit
ihren blühenden, reingewaschenen Bettlern und ihren frischen,
naiv schönen Farben.
Fast alle Bilder Waldmüllers zeigen die Kennzeichen,
aus denen der Stil der ,, Klostersuppe*' sich zusammensetzt. Keiner
weiß wie er, die architektonische Umrahmung für die Composition
zu verwenden : selbst in einer einfachen Bauernstube findet er,
wie jene ,, Christbescherung*' zeigt, einen Hintergrund, der gleich-
sam von selbst eine gefallige Composition ergibt. Ein Pfeiler er-
hebt sich in der Mitte des Hintergrundes, an ihm lehnt die Haupt-
gruppe, das blühende, junge Bauempaar. Der Pfeiler trennt die
überwölbte Tiefe des Zimmers in zwei Nischen, von deren dunkler
Fläche sich die übrigen Gestalten trefflich abheben : auf der einen
Seite die gebückten Alten, auf der anderen die lustigen Kinder.
Derselbe veredelte Realismus zeichnet seinen ,, Bettlerknaben** aus,
ein reizendes Kind, das an einer Brücke von hoher architektonischer
Schönheit lehnt. Und wie sehr sich unser modernes, Wahrheit
heischendes Bewusstsein gegen diesen idealisierenden Zug auf-
lehnen mag, in ihrer klaren und schönen Poesie ergreifen und
rühren uns diese Bilder. Von tiefpsychologischer Erkenntnis zeugt
femer das ,, Erwachen zum neuen Leben**, ein herrliches Werk
des Meisters im Besitz Sr. kais. Höh. des Herrn Erzherzogs Karl
Ludwig (s. Abb. 79).
Ergreifend und lebenswahr bei allem Idealismus sind auch die
Werke der übrigen Maler dieser Richtung, eines Peter Fendi
(s. Abb. 80), KarlundAlbertSchindler, Ranftl, Raffaltund
E y b 1. Sie sind alle auf jenen Ton gestimmt, der den , , Verschwender* *
Raimunds beherrscht Während diese Künstler in Wien und
seinen Vorstädten und der umwohnenden Landbevölkerung ihre
Typen und Scenen suchten, schweifte einer der hervorragendsten
Maler jener Zeit, der gleich Danhauser und Waldmüller von Classi-
cismus und Romantik nichts wissen wollte und einem auf Natur-
studium gestützten Realismus huldigte, FriedrichGauermann,
in der Gebirgswelt seiner österreichischen Heimat umher. Auch er
zeichnet Bauemtypen, wie in seiner ,, Schmiede** oder seinen ,,pflü"
genden und ruhenden Ackersleuten**, die die kais. Gallerie besitzt ;
aber sein Hauptziel war es, die Natur seines Landes und die Thier-
welt desselben so zu schildern, wie jene Künstler die menschlichen
i
Das neunzehnte Jahrhundert. '^cr
Ansiedlungen und das Leben in denselben darstellten. Und so
ist seine Thätigkeit, die in dem Bestreben gipfelt, Landschaftsbild
und Thierstück zu einer organischen Einheit zu verbinden, eine
Ergänzung und Erweiterung dieser gesundesten Richtung des alt-
österreichischen Kunstschaffens. Aber wie die Meister des Sitten-
bildes keine gedankenlosen Photographen waren, sondern in jedes
ihrer Werke eine lebendige, sprechende Seele hineinlegten, wie jene
das Gemüth des Menschen und die warme, harmonische Schönheit
seiner Bauten und Wohnhäuser fesselnd darstellten, so war G a u e r-
mann ein feinfühliger Maler der Naturseele, ein tiefblickender
und poetisch empfindender Darsteller des Thiergemüthes, das er
beim idyllischen Genüsse, in seiner Angst und in seiner Gier, im
Kampfe und im Sterben belauscht. Sein todwunder Hirsch, der
auf der Flucht vor der Hundemeute im Walddickicht auf einem
Stumpfe zusammenbricht, bietet in dieser düsteren Natureinsamkeit
ein tiefergreifendes Bild ; noch nachhaltiger wirken jedoch die
gierigen Adler, welche, auf ihr Opfer herabfliegend, sich drohend
gegen andere Raubvögel wenden, die ihnen die Beute streitig
machen wollen.
Der edle und gediegene Charakter, der in den Kunstleistungen
dieser Periode hervortritt, ist auch den reproducierenden Künsten
jener Zeit eigen. Zum Theile erklärt sich diese Erscheinung da-
durch, dass die bedeutendsten unter den Kupferstechern, Malern,
Radierern und Lithographen hochgebildete und selbständig schaf-
fende Künstler waren. So vor allen der als Portraitist berühmte
Krie huber, dessen Lithographien die zeitgenössischen deutschen
Leistungen bei weitem übertrafen, und Mahlknecht, dessen
Radierungen und Stiche als Nachbildung von Kunstwerken hinter
den Werken selbst, den Nachbildungen der Natur, nicht zurück-
standen. In diese Periode fällt auch die Neueinführung des Holz-
schnittes. Blasius Höfel ist es, der in seiner ,, Zuflucht zum
Kreuze** den ersten modernen österreichischen Holzschnitt in die
Welt schickte, und der hierauf, die auf diesem Gebiete irreführenden
Traditionen des Kupferstiches immer mehr abstreifend, eine dem
Charakter des Holzschnittes entsprechende Technik ausbildete,
welche ein Eissner, Exter, Pichler auf ihrer Höhe zu er-
halten wussten.
* *
23
^rß Alfred Nossig
Wie in der Kunst, so nahmen die Alt-Wiener Genremaler
auch im Leben eine isolierte Position ein. Sie verkehrten mit
einander auf ziemlich vertrautem Fuße, und nach Wiener Sitte
war es das Caföhaus, das die Gesinnungsgenossen zu vereinigen
pflegte. Die hervorragendste Individualität in diesem Kreise war
zweifellos Danhauser, ein Künstler von ungewöhnlicher geistiger
Anmuth und ausgesprochener ironischer Anlage. Schweigsam und
verschlossen war der Alpler Gauermann ; um so lustiger sprudelte
die Laune des Kärntners Raffalt. Als Repräsentant der ars
militans galt Waldmüller : und die Gruppe der Genremaler be-
durfte fürwahr ihrer streitbaren Mitglieder. Ihre Thätigkeit fand
unter den Kunstgenossen durchaus nicht die Anerkennung, die
man ihr heute zollt, ja man wollte ihr nicht einmal mit Toleranz
begegnen. Die Mehrzahl der damaligen Künstler huldigte der
Ansicht, die Cornelius ausgesprochen: die Genremalerei sei nur
Flechtengewächs am Stamme der Kunst. Die Kluft, die die
Genremaler von den Akademikern trennte, erweiterte sich immer
mehr : die Classiker und die religiösen Romantiker blickten mit
Geringschätzung auf die Maler herab, welche den Darstellungskreis
der Kunst durch zeitgenössische Stoffe entweihten, diese wiederum
begannen gegen den akademischen Unterricht und die religiöse
Richtung mit den Waffen des Humors zu Felde zu ziehen. Obwohl
die Bedeutendsten unter ihnen aus der Akademie hervorgegangen
waren und ihr eine Zeit lang als Lehrer angehört hatten, traten
sie immer deutlicher und schärfer als abgesonderte, oppositionelle
Gruppe hervor. Peter Kr äfft hatte an der Akademie eine viel
zu bedeutende Stellung eingenommen, als dass kleine Reibungen
ihm hätten gefahrlich werden können ; aber schon für Danhauser
wurde bei seinem lebendigen Temperament der tägliche Kampf
mit den Akademikern unerträglich, und ihnen weichend, legte er
seine Stelle als Corrector nieder. Zäher war Waldmüller,
welcher, trotzdem er Custos an der Akademie war, gegen den
akademischen Unterricht in seiner Schrift: ,,Das Bedürfnis eines
zweckmäßigen Unterrichtes im Malen und in der plastischen Kunst**
vorzog. Man sieht es den aus einer ruhevoll poetischen Stimmung
herausgeschaffenen Werken dieser Künstler kaum an, dass ihre
Gruppe sich gewissermaßen in einem permanenten Belagerungs-
zustande befand. Denn auch jener Theil der Kritik, der es seiner
Das neunzehnte Jahrhundert. ory
Vornehmheit schuldig zu sein glaubte, die Partei der ,, vornehmen**
Kunst zu ergreifen, setzte den Genremalem zu. Sie vertheidigten
sich, so gut sie konnten : mit der Feder, wenn es angieng, mit
dem Pinsel, wenn ihnen der schriftstellerische Weg verschlossen
war. Als Baron Zedlitz, der als gefeierter Dichter vor einer Pole-
mik in Wiener Zeitungen gefeit war, die Genremaler in der
,, Allgemeinen Zeitung** angegriflFen, malte Danhauser eine Hunde-
familie, die großes Aufsehen erregte : ganz vorne saß nämlich in
dem Bilde ein breitköpfiger Hund, dessen Physiognomie lebhaft
an die des unnahbaren Kritikers erinnerte.
Aber wenn sie erbitterte Feinde hatten, so hatten die vor-
märzlichen Genremaler auch gute Freunde, sie hatten vor allem
ein Publicum, das sich lebhaft für ihre Fortschritte interessierte,
und das ihre Bilder kaufte. Es gab damals im Wiener Bürgerthum
eine stattliche Schar von begüterten Männern, welche diese Kunst-
richtung unterstützten, wie R. v. Arthaber, die Baumeister Fellner
und Komheisl, Ritter v. Steiger, Kranner und andere. Was diesen
kunstsinnigen Bürgern an dem Sittenbild gefiel, war vor allem
sein heimischer Charakter. Sie begriflFen es, dass Österreich seit
langer Zeit zum erstenmale wieder eine eigene Kunstblüte hervor-
gebracht, eine Richtung, die nicht importiert war, wie der Classi-
cismus und die Romantik. Sie hatten Empfindung für die ethische
Tiefe dieser Werke, welche erlösend wirkten wie Geständnisse der
Volksseele, für die geistige Kraft, welche die Composition derselben
adelte und dem dargestellten Vorgang bei all seiner scheinbaren
Gewöhnlichkeit typische Bedeutung aufzuprägen und concentriertes
Leben einzuhauchen wusste. Sie hatten ihre Freude an dem
coloristischen Streben der Genremaler und verstanden es, dass
dieselben eine Restauration der Maltechnik anbahnten. Und wie
die Genremaler in der Anerkennung, welche ihnen das kunst-
freundliche Publicum zollte, eine Stütze besaßen, so fanden sie
nicht minder wirksame Aufmunterung in dem ihrer Richtung
durchaus verwandten Streben der anderen Künste. ,,Es ist eben
ein Umstand** — sagt Dr. Ilg in seinem Vortrage über Raimund
und Danhauser — n^er uns in der Thätigkeit der Malerschule
Wiens in der vielverschrienen Zeit des Vormärz besonders bewun-
dernswert erscheint, eine Eigenschaft, welche den vorurtheilsfreien
Beobachter an ihr das Kriterium einer echten und gesunden
-irg Alfred Nossig
Kunstperiode erkennen lässt: die volle Harmonie, welche nicht bloß in
der Sphäre der bildenden Thätigkeit allein herrschte, sondern
welche die Leistungen der Malerei zugleich völlig congenial und
aus einem Gusse mit den contemporären Producten der Poesie und
Musik herauswachsen ließ.** ,,Echt und gesund** war diese Kunst-
blüte, die dem Volke entsprossen und vom Volke gehegt wurde ;
in dem geistig-moralischen Klima des alten Wiens war sie gediehen.
Sie verdorrte, als durch den Einzug fremder Elemente der ein-
heitliche Charakter der Wiener Bevölkerung, ihre Natürlichkeit
und Unbefangenheit im Guten und Schlechten verloren giengen.
4. Der Vorfrühling der modernen Monumentalkunst.
Das glänzende Emporblühen der österreichischen Kunst seit
dem Jahre 1848 war eine Folge der großen politischen Umgestaltung
des Staatslebens. Bevor jedoch nach dem Regierungsantritte des
Kaisers Franz Josef I. die moderne österreichische Monumental-
kunst ihren Anfang nahm, sah man die Ansätze zu derselben ent-
stehen: ziemlich frühe schon zum Beispiel in Prag, wo im An-
schluss an die allgemeine freiere Geistesbewegung auch eine freiere
Kunstentfaltung stattfand. Während in Wien die Kunst fast
ausschließlich von den bürgerlichen Kreisen gefördert wurde, sah
man in Prag die Verbrüderung der Stände zuerst auf dem Ge-
biete der Kunstpflege vor sich gehen. Mit den patriotischen
Bürgerkreisen verbanden sich kunstsinnige Aristokraten, wie Graf
Erwin Nostiz-Rienek, Graf Franz Thun, Graf Schönborn, Baron
Ahrenthal u. v. a. zur Reorganisation des böhmischen Kunstlebens.
Die Gesellschaft der patriotischen Kunstfreunde wurde in Bezug
auf das Ausstellungswesen reformiert, und neben den Ausstellungs-
preisen wurde ein Fonds zur Ausführung monumentaler Werke
gestiftet. So wurde die finanzielle Grundlage der erwarteten
Kunstblüte geschaffen. Den geistigen Impuls zur Entwicklung
gab man der Kunst durch die Reorganisation der Prager Akademie
der bildenden Künste. Zur Leitung derselben berief man Chri-
stian Rüben aus München, einen Schüler von Cornelius. Rüben
setzte an die Stelle der von Tkadlik eingeführten religiösen
Romantik die historische Romantik und bahnte so die historische
Das neunzehnte Jahrhundert. -jcg
Monumentalmalerei in Osterreich an. Durch seinen zu großer
Popularität gelangten ,,Columbus'* wusste er sich als Haupt der
Cornelianischen Richtung in Österreich Ansehen zu verschaflFen, und
alsbald versuchte er nach dem Vorgange von Cornelius seinen
Schülern durch Staatsaufträge Gelegenheit zu verschaffen, sich in
der Monumentalkunst zu üben. Er hatte Erfolg : die Regierung
ließ sich bestimmen, das Prager Belvedere mit Fresken aus der
böhmischen Geschichte schmücken zu lassen, und so konnte Rüben
C. Swoboda und J. M. Trenkwald in die historische Monu-
mentalmalerei einführen.
Aber die nazarenische Tradition Tkadliks sollte nicht spurlos
versiegen. Auf dem Umwege über Rom gelangte sie nach Wien,
und hier traf sie mit der Richtung Rubens, der inzwischen als
Akademiedirector nach Wien berufen wurde, feindlich zusammen.
Josef Führich war der Träger dieser Tradition, die er in Rom
durch den künstlerischen Verkehr mit Overbeck und seinen Ge-
nossen vertiefte und klärte. Noch war Führich von seiner späteren
Meisterschaft weit entfernt, als er nach seiner Rückkunft von Rom
den ,, Triumphzug Christi'* und die ,, Begegnung Jakobs und Raheis*'
malte ; aber die Individualität des Künstlers war so mächtig, dass
er schon als Galleriecustos, mehr noch als Akademieprofessor die
fähigsten unter seinen damaligen Collegen, Kupelwieser und
Dobiaschofsky, an sich zog und so den bereits unproductiven
Rüben völlig in den Schatten stellte. Und bevor noch für die
Wiener Kunst die große Zeit gekommen war, fand der junge
Meister Gelegenheit, seinem Drange nach monumentalen Schö-
pfungen genügezuthun — freilich in dem bescheidenen Rahmen,
der den damaligen Verhältnissen entsprach. Ein einziger Bau war
zur Zeit der Sprenger'schen Amtsarchitektonik entstanden,
der eine gewisse Selbständigkeit bekundet und den Sieg der
Romantik in der Architektur anbahnt : dies ist die Johanneskirche
in der Praterstraße. Man zwang den Architekten Karl Rösner,
in diesem Baue drei Projecte : eines im Renaissancestil, das zweite
im gothischen, das dritte im romanischen Stil, zu verschmelzen.
Dennoch wusste der eifrige Freund der Romantik der zierlichen
Kirche den romantischen Grundcharakter zu bewahren und die
Malerei und Plastik zur Mithilfe in demselben Geiste heranzu-
ziehen. So entstanden die ersten bedeutenderen religiösen Malereien
oßo Alfred Nossig.
Führichs in Wien: sie sicherten dem Künstler jene Popularität,
welche es ihm ermöglichte, seiner Richtung vollen Sieg zu erringen.
Als Romantiker in der Plastik schlössen sich Rösner und Führich
Professor Bauer und Dietrich an, von denen der erste die zwei
großen Statuen der hl. Anna und des hl. Rudolf an der Fa^ade
der Johanneskirche, der zweite die Anbetung der hl. drei Könige
im Tympanon des Portales ausführte.
Während die Johanneskirche in dem kunstsinnigen Publicum
jener Zeit Verständnis und Sympathie für die romantischen Stile
zu wecken begann, gieng man in Künstlerkreisen immer ernster
daran, das Wesen dieser Stile zu ergründen, um ihnen eine
Wiedergeburt zu bereiten. Insbesondere war es Leopold Ernst
der spätere Restaurator des Stephansdomes, welcher den Classi-
cismus abgeschworen und den romanischen und gothischen Baustil
seinem constructiven Charakter und seinen Decorationsmotiven nach
gründlich studierte. Die ,, mittelalterlichen Baudenkmale*', welche
er im Vereine mit Leopold Oescher publicierte, gaben die
erste wissenschaftliche Anregung zur Renaissance der romantischen
Architektur in Österreich.
IL DIE ÖSTERREICHISCHE KUNST UNTER
KAISER FRANZ JOSEF I.
I. Die siegreiche Romantik.
In dem jugendlichen Herrscher, welcher im Jahre 1848 den
Thron seiner Väter bestieg, erstand für die Kunst ein ebenso huld-
voller und verständnisreicher wie thätiger Beschützer: ja, es ist be-
kannt, dass Kaiser Franz Josef I., bevor die Regierungsgeschäfte
seine Zeit in Anspruch nahmen, selbst gerne Zeichenstift und Pinsel
zu fuhren pflegte und während seiner italienischen Reise ein ganzes
Skizzenbuch mit ,, Figuren und Scenen aus dem Volke** füllte,
die im Geiste der damals blühenden Wiener Genremalerei gehalten
waren. Nun durfte die Kunst frei ihre Schwingen regen : und
zunächst war es die romantische Richtung, welche auf der ganzen
Linie zum vollen Siege gelangte. Wie in allen Epochen gesunder
Kunstentwickelung schritt die Architektur den Schwesterkünsten
voran und gab den Rahmen für die Entfaltung derselben her.
Das große Ereignis, an welches sich die Wiedergeburt der öster-
reichischen Kunst knüpfte, war der Bau der Altlerchenfelder
Kirche in Wien. Schon war nach herkömmlichem Brauche
der Plan von Staatstechnikem gemacht worden, ja schon hatte
man die Fundamente zu dem Renaissancebau gelegt, als eine
Schrift des jungen Schweizer Architekten J. G. Müller, eines
begeisterten Verehrers der romantischen Baustile, die öffentliche
Meinung, ja sogar die maßgebenden Kreise gegen den bisherigen
Kunstschlendrian zu stimmen wusste. Zum erstenmal beschloss
man, die Künstler zu freiem Wettbewerbe zuzulassen: und bei
der Concurrenz errang das Project Müllers, welches nach italie-
nischen Vorbildern in romanischem Stil entworfen war, den Preis.
Müller erlebte es nicht, seinen Bau fertig zu sehen : glücklicher-
weise huldigten seine Nachfolger derselben Kunstrichtung und
übertrafen den phantasievollen, aber wenig geschulten Künstler
162 Alfred Nossig
an technischem Können, So vor allen der als Constructeur trefif-
lich bewährte Franz Sitte, einst als Freund der Gothik von
Nobile gleich Overbeck aus der Akademie entlassen; neben ihm
van der Null und Fü brich, welche den decorativen Theil
übernommen hatten. Das an eine nüchtern behandelte Empire-
form gewöhnte Publicum hatte nun zum erstenmal Gelegenheit,
den Reiz der romanischen Bauformen, die Poesie ihrer Ornamentik,
die Wärme der Farbentöne, die man ihnen zu verleihen pflegt,
kennen zu lernen; zum erstenmale seit vielen Decennien wurde
es von dem Hauche wahrhaft idealer Kunst berührt, denn im
Innern dieser Kirche schuf Führ ich mit seinen Freunden und
Jüngern einen Cyklus von religiös-historischen Gemälden, eine
geistig tiefe, durch Formenfülle imponierende Composition. Die
ganze Geschichte der Erlösung stellte Führich in diesem Cyklus
dar: die durch den Sündenfall veranlasste Erscheinung des Hei-
lands, seine Verheißung durch die Propheten, seine Wirksamkeit
auf der Erde und sein unsichtbares Wirken in den Gnadenmitteln
der Kirche.
Josef F ü h r i c h ist die große Künstlerindividualität, welche
dieser kurzen, aber glänzenden Periode, der Blütezeit der öster-
reichischen Romantik, die Signatur ihres Wesens aufdrückt (s.
Abb. 81). In der ersten Hälfte des Jahrhundertes hatte Österreich
keinen Künstler von so hohem Gedankenfluge und so großem tech-
nischen Können hervorgebracht: nun, zugleich mit den günstigen
Entwicklungsbedingungen der Kunst, war auch das große Talent
gekommen, das eine hohe Kunst zu schaffen fähig war. Wer die
Kundmann' sehe Führichbüste in der Wiener Akademie betrachtet,
dem sagt dies durchgeistigte Gesicht, dass Führich zu jenen
Künstlern gehört haben muss, welche mehr denken als malen.
In der That war Führich einer jener wenigen schaffenden Künstler,
die ihren Kunstanschauungen auch theoretischen Ausdruck ver-
liehen. Er schrieb vier Hefte ,,Von der Kunst***) und commen-
tierte auch seinen Freskencyklus in der Altlerchenfelder Kirche in
einer Broschüre. Man ist heute von seiner Kunstlehre wenig
erbaut und vermag sich in deren Einseitigkeit schwer hineinzu-
*) Wien, C. Sartori, 1866—69.
Das Dcnniehate Jahrhundert. ^gj
finden. Man vergisst, dass die Schrift Führichs historisch zu
nehmen sei, und dass sie uns das Geheimnis der Größe seiner
Kunst offenbart: es ist die volle Harmonie seiner Anschauungen
mit seiner Kunstthätigkeit, welche seinen Werken die Einheitlich-
keit, die lebendige Wirkung, den Stil verleiht. Führich war
strenggläubig. ,,Als der Fuß der Gebenedeiten durch Feld und
Haine und Gebirge wandelte" — schreibt dieser Meister — ,,ward
die Natur von der Gnade berührt, ihre erstorbenen Züge belebten
sich mit neuem Leben unter dem Strahle unbedingter, gänzlich
unentweihter Schönheit". Gerne liest man diese begeisterten
Abb. 81. Gott Vater, Zeichnung von J. Führich.
Worte, wenn man im Wiener Hofmuseura Führichs „Gang Marias
über das Gebirge" gesehen und sich überzeugt hat, dass der
Künstler diese hochpoetische Stimmung auch im Bilde meister-
haft wiederzugeben weiß. Hier lag die Größe, aber auch die
Grenze der Begabung Führichs: er wusste das Liebliche, Beseli-
gende hinreißend wiederzugeben, das Dramatische und Kraftvolle
jedoch war nicht sein Gebiet. Dies beweist die in feurige Wolken
gehüllte Reiterschlacht, die den Einnehmern Jerusalems am
Himmel erscheint, ein ebenfalls im kais. Museum befindliches
Gemälde. Aber auch hier sieht man die großen technischen
ogj. Alfred Nossig
Vorzüge Führichs: die Schönheit der Linien und die Harmonie
seiner Farbengebung.
Aus dem Künstlerkreise, der sich um Fü brich geschart
und an der Ausschmückung der Altlerchenfelder Kirche theil-
genommen, ragt Leopold Kupelwieser als der dem Meister
in Überzeugung und Richtung zunächst stehende hervor. Zahl-
reiche österreichische Kirchen besitzen religiöse Bilder dieses
Künstlers, welcher in seinem um den Sieg über die Amalekiter
betenden Moses bewies, dass er Führich an Kraft zu übertreffen
wisse. Minder streng hieng an der religiösen Richtung und dem
coloristischen Streben Führichs Leopold Schulz, der auch
profan-historische Bilder malte und in der Farbengebung die
Cornelianische Schule nie ganz verleugnete. Ebenso gieng E. von
Engerth bald zur Profanmalerei über und schloss sich K. Rahl
an. Nur Franz Dobiaschofsky blieb neben Kupelwieser der
Führich' sehen Richtung getreu, ja er steigerte den elegischen
Grundton des Meisters in seinem ,, Rosenwunder der heiligen
Elisabeth'* bis zur sentimentalen Romantik. Noch ist Karl
Blaas als einer der tüchtigsten Mitarbeiter Führichs an der Alt-
Lerchenfelder Kirche zu nennen.
Auch auf dem Gebiete der Plastik fand die Romantik in
Wien begabte Vertreter, die ihr eine Blütezeit bereiteten. Neben
Bauer und Dietrich, die Rösner bei der Johanneskirche ver-
wendet hatte, war es Johann Preleuthner, welcher in allen
seinen Entwürfen seine romantische Richtung bekundete. So in
seinem ,, Fischer**, dem todten ,, Liebesboten**, in dem Schutz-
engelbrunnen auf der Wieden und in den Heiligenstatuen, die er
für die Altlerchenfelder Kirche gearbeitet. Aus seiner roman-
tischen Kunstrichtung floss auch das Bestreben nach Polychromie,
dem er unter Leitung van der Nulls an der Triumphbogen-
gruppe der Altlerchenfelder Kirche Ausdruck verliehen.
Das hervorragendste Talent dieser Schule war Hans Gasser.
Leider hat es der Kärntner Hergottschnitzer nie zu jener geistigen
und technischen Schulung gebracht, die eine unerlässliche Vor-
bedingung wahrhaft großen Schaffens ist. In seiner Jugend hatte
er sich an das Schnellarbeiten gewöhnt, im reifen Alter riss ihn
;. C.eorg. Broiinegrupiit- von A. I'ernkorn im Hai. Montenuov
Das neunzehnte Jahrhundert. <^gc
der Geschäftsgeist dazu fort. So athmen denn seine Werke, in
echt romantischer Weise, tiefe Empfindung, ohne in der Form
vollendet zu sein. Während er als Porträtist auf diese Weise den
Realisten vorarbeitete, gefährdete er die Solidität der decorativen
Plastik und schuf nur ausnahmsweise gediegene Werke, wie das
,, Donau Weibchen** und den ,, Faustkämpfer**.
Nur ein einziger Bildhauer der romantischen Richtung hatte
für die Regenerierung der österreichischen Plastik wirkliche
Bedeutung. Es war dies Anton Dominik Fernkorn, gleich
Gasser ein Schüler Schwanthalers (s. Abb. 82). Nicht durch seine
ganz auf dem Boden des Romanticismus stehenden Werke, wie die
,, Nibelungenhelden** und die Gruppe ,, Hagen versenkt den Schatz
der Nibelungen in den Rhein** errang er diese Bedeutung; wohl aber
als Neubegründer der österreichischen Monumentalplastik. Mit
der patriotischen Strömung, welche das öflfentliche Leben durch-
wehte, war auch das Jahrzehnte lang niedergehaltene Bedürfnis
wach geworden, historische Erinnerungen in monumentaler Weise
zu verewigen, und mit rechtem Verständnisse seiner Zeit war es
der Kaiser, welcher zunächst dem Erzherzog Karl ein Denkmal
errichten ließ. Fernkom führte dies Denkmal sowie das ihm
gegenübergestellte des Prinzen Eugen von Savoyen aus und erwarb
sich dabei auch das große Verdienst, den Kunstguss in Österreich
wieder heimisch zu machen. Die von ihm geleitete kaiserliche
Erzgießerei gieng dann in die Hände Röhlichs und Pönningers über.
Die Romantik schwang sich zur alleinherrschenden Kunst-
richtung auf: ihr huldigte der öflFentliche Geschmack, sie hatte
die regierenden Kreise für sich gewonnen, sie begann auf der
Akademie jene Stellung einzunehmen, die bis vor kurzem die
classische Schule innegehabt. Durch Führich war die Maler-
schule romantisch geworden, durch die Berufung Eduard van
der Nulls und August von Siccardsburgs an die Archi-
tekturschule der Akademie wurde auch diese in das Fahrwasser
der Romantik gelenkt. Diesen beiden Künstlern, welche ebenso
gediegen als Fachleute wie liebenswürdig als Menschen waren,
fiel die Aufgabe zu, die Unklarheit der Principien, welche der
romantischen Bewegung in ihrem Beginne angehaftet, zu beseitigen
•löö Alfred Nossig
und neben der theoretischen Begründung der neuen Kunstrich-
tung die österreichische Bautechnik und das heimische Kunst-
gewerbe bis zur Höhe der Entwickelung derselben im Vaterlande
emporzuführen.
Bei der prädominierenden Stellung der Romantik erscheint
es selbstverständlich, dass die großen Bauten, welche in jenen
Jahren begonnen wurden, in ihrem Geiste entworfen wurden. So
vor allem der Riesenbau des k. k. Arsenals vor der Belvedere-
Linie. Neben van der Null, Siccardsburg und Rösner
betheiligten sich an dem Entwürfe dieses Baues L. Förster und
Theophil Hansen, der sich später ausschließlich der griechi-
schen Renaissance zugewendet. Ein romantischer Stil musste nun
einmal gewählt werden: so einigte man sich denn auf den byzan-
tinischen Stil, welcher auch dem phantasie vollen, prachtliebenden
Hansen die volle Entwickelung seiner Erfindungsgabe ermöglichte.
Während van der Null und Siccardsburg das ernste Commandan-
turgebäude mit seinem imposanten Hallenhof ausführten, compo-
nierte Hansen das glänzende, in Gold- und farbiger Mosaik-
decoration strahlende WafFenmuseum. Als es aber zur plastischen
und malerischen Ausschmückung des herrlichen Baues kam,
welche zum größten Theile in den sechziger Jahren ausgeführt
wurde, da war es mit der Herrschaft der Romantik vorbei, und
die historisch-realistische Richtung trat in ihre Rechte: so stellte
denn KarlRahl (s. Abb. 83) im Treppenhause die geistigen
Mächte der Völkergeschichte allegorisch dar, während im Kuppel-
saal und in den anstoßenden Räumen Karl von Blaas die öster-
reichische Kriegsgeschichte in realistischer Weise illustrierte.
2. Die Wiener Kunst seit der Stadterweiterung.
Die Altlerchenfelder Kirche und die k. k. Arsenalbauten
waren die ersten Vorläufer einer Kunstblüte, welche zu den glän-
zendsten Epochen der österreichischen Kunst zählen und durch
ihre breite Basis, die Zahl der geschaffenen Werke und den Reich-
thum der sich regenden künstlerischen Kräfte an die üppigsten
Perioden der Kunstblüte überhaupt gemahnen sollte. Die Verwirk-
lichung des Jahrzehnte hindurch hinausgeschobenen Projectes der
Stadterweiterung durch das Allerhöchste Handschreiben vom
Das neunzehnte Jahrhundert ■jßy
20. December 1857 schuf die Grundlage für diese Kunstentfaltung,
■welche zunächst auf dem Gebiete der Architektur hervortrat. Der
alte Festungsgürtel wurde niedergerissen, und aus dem Erlöse
der freigewordenen Bauplätze wurde der Stadterweiterungsfond
gebildet, welcher zur Deckung der Kosten der Stadterweiterung
Abb. )<j. Büst« des Ristorienmalera Karl Sahl, von Hans Casser.
und einer Reihe von Monumentalbauten bestimmt war. Man
dachte ursprünglich daran, Neu-Wien nach einheitlichem Plane
und nach den Gesetzen des künstlerischen Städtebaues aufzu-
fuhren, und so sollte denn der Bauplan gesund und unbehindert
aus der freien Concurrenz der Künstler hervorgehen. In der That
liefen ausgezeichnete Projecte ein, und drei derselben, die der
Architekten van der Null und Siccardsburg, Ludwig
-758 Alfred Nossig
Förster und Friedrich Stäche wurden sogar mit dem ersten
Preise ausgezeichnet: zur Durchfuhrung aber kam keines dieser
Projecte, sondern der im k. k. Ministerium des Innern mit Be-
nützung der preisgekrönten Projecte ausgearbeitete Plan. Der
Umstand, dass es nicht ausschließlich Künstler waren, welche den
endgiltig genehmigten Plan entwarfen, mag wohl der Stadterwei-
terung in manchen Beziehungen zum Vortheil gereicht haben,
schädigte jedoch den Schönheitswert der ganzen Anlage.
Für den Reichthum und für die Eigenart der Wiener Kunst-
blüte, welche mit der Stadterweiterung begann, ist es kennzeichnend,
dass kein Künstler und kein Stil zur unbestrittenen Alleinherr-
schaft zu gelangen vermochte. Eine ganze Schar gottbegnadeter
Männer schaflFte da, zum Theile sich gegenseitig aneifemd, zum
Theile rivalisierend zu Nutz und Gewinn der Kunst und der Stadt,
und aus allen Quellen, denen je stilvolle Kunst entströmt, wurde
da geschöpft.
Durch die Anlage der Ringstraße, welche das alte Stadt-
innere mit den Vororten verband, wurde der Rahmen geschaffen,
in welchem sich die neue Wiener Monumentalarchitektur ent-
falten sollte. Die glänzenden Bedingungen, welche der öster-
reichischen Kunst so plötzlich erstanden waren, unterbrachen nicht
die Continuität ihrer Entwickelung, und es ist leicht begreiflich,
dass die ersten Monumentalbauten in der Stadterweiterungsperiode
noch aus dem Geiste der Romantik herauswuchsen. Also z. B.
noch das Hofoperntheater, welches die begeisterten Verehrer dieser
Kunstrichtung, das stets zusammenschaffende Künstlerpaar van
der Null undSiccardsburg, in den spielenden Formen der fran-
zösischen Frührenaissance mit starken romantischen Anklängen in
den architektonischen Decorationsmotiven sowie in der plastischen
und malerischen Ausschmückung aufführten. An die Entstehung
dieses Gebäudes, dessen Inneres durch die Verbindung des Vestibüls
mit dem Treppenhause das edelste Muster einer festlichen Archi-
tektur gibt, knüpft sich dieses Emporblühen des Wiener Kunst-
gewerbes. Das decorative Genie van der Nulls, seine vornehme
Künstlernatur, der die Gediegenheit eines jeden Details Bedürfnis
Abb. «5. Hof dus Osleir. Museums
Das neunzehnte Jahrhundert. 75q
war, belebte die darniederliegende Luxusindustrie, welche auch
in van der Nulls Nachfolger, Josef Storck, einen eifrigen
Förderer fand.
Dem kräftigen Einflüsse der romantischen Strömung ver-
dankt auch die Gothik ihre Neubelebung in Wien. Von Leopold
Ernst gieng die erste Anregung zur Restaurierung des Stephans-
doms aus; die Wiederherstellung der Tirnakapelle gab dem Künstler
Gelegenheit, sein tiefes Verständnis des gothischen Stils darzuthun.
Sein Nachfolger im Dombauamte, Friedrich Schmidt, der
genialste Repräsentant der modernen Gothik, war der einzige
unter den Wiener Architekten, welcher diesem romantischen Bau-
stile während seiner ganzen Künstlerlaufbahn treu blieb. Schmidt
begnügte sich nicht damit, die mittelalterliche Gothik gründlich
kennen zu lernen und sie nachzuahmen: seine Thätigkeit bedeutet
einen Fortschritt dieser Bauweise in Formen und Technik. Wie
er schon in der Klosterkirche der Lazaristen und in der Fünf-
hauser Pfarrkirche jeden spielenden, decorativen Verputz ver-
schmähte und die constructive Wahrheit walten ließ, wie er die
Schönheit des Baues gerade dutch das Hervortretenlassen des
wirklichen Baumaterials anstrebte und für den Ziegelrohbau end-
giltige Muster schuf, so zog er beim Baue des neuen Wiener
Rathhauses aus dem Steinmaterial jene strengen architektonischen
Consequenzen, welche das Imposante und Gediegene dieses Monu-
mentalbaues so sehr erhöhen. Zugleich wusste er in diesem Baue,
wie auch im kaiserlichen Stiftungshause am Schottenring, (s. Abb. 84).
der strengen, ernsten Gothik etwas von dem festlichen, heiteren
Elemente der Donaustadt beizumischen: er wusste ihre Formen
zu schwellen, die ganze Bauweise zu erwärmen und so für den
Profanbau zu adaptieren.
Minder anhänglich an die romantische Muse zeigte sich
Heinrich Ferste 1. Wohl schuf er in seiner herrlichen Börse auf
der Freiung eine romanische Studie, die von gediegener Kenntnis
der Originalwerke Zeugnis gibt, wohl ließ er in seiner Votivkirche
die französische Gothik in verjüngter Schönheit auferstehen: aber all-
mählich schien die moderne Renaissancearchitektur den Meister
immer mehr anzuziehen. Er vertiefte sich zunächst ins Studium
der italienischen Frührenaissance; das österreichische Museum für
Kunst, und Industrie (s. Abb. 85). und das chemische Laboratorium,
KuDstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 24
lyo Alfred Nossig
die er in dieser Epoche gebaut, bezeugen nicJit nur durch die
Formen, sondern auch durch das Decoratiousmaterial (glasierte Terra-
cotta), wie sehr Ferstel im Banne der italieuischen Muster lebte
Abb. 84. Das kaia. Stiftungshaus in Wien, von Freih. von Schmidt.
und schuf. Im Baue der Universität endlich huldigte er ganz der
modernen Bauweise: groß in der Disposition der architektonischen
Masseu, auch in den geringsten Decorationsdetails sein compo-
sitionelles Genie bekundend, schuf der reife Meister doch nichts
Das neunzehnte Jahrhundert. <2yj
von Grund aus Originelles, sondern wieder eine classische Studie
— diesmal nach der römischen Hochrenaissance.
Eine ähnliche Entwickelung machte Theophil Hansen
durch. Zur Zeit, als die romantische Kunstrichtung in ihrer Blüte
war, bediente er sich, wie bei dem Arsenalbau, ausschließlich des
byzantinischen Stiles: in dieser Bauweise führte er die trotz der
schwierigen Raumbedingungen glänzend componierte Kirche der
nicht unierten Griechen am Fleischmarkt auf, hierauf die evange-
lische Friedhofskapelle vor , der Matzleinsdorfer Linie. Aber wie
Ferstel zur römischen Renaissance übergegangen war, so fand
Hansen in der griechischen Renaissance diejenige Bauweise, die
seinem Künstlergenius am meisten zusagte, und es war ihm
beschieden, der bedeutendste Vertreter dieses Architekturstils im
neunzehnten Jahrhundert zu werden. Sein Streben gieng dahin,
die antiken Formen womöglich in ihrer ursprünglichen Reinheit
hervortreten zu lassen: so im Innern der Kunstakademie und des
Musikvereinsgebäudes, in der neuen Börse, wo die griechischen
Architekturformen sich so verwendet finden, wie sie die Römer
bei ihren Monumentalbauten zu benützen pflegten, endlich im
Reichsrathsgebäude. Es ist eine zutreffende Bemerkung eines
Kunstschriftstellers, dass man beim Anblick des Hansen'schen
Parlamentsbaues an die Zeiten Alexanders des Großen zurück-
denken muss. Der Bau war zu groß, als dass Hansen ihm die
einfache rechteckige Form des säulenumzogenen griechischen
Tempels hätte geben können: da er aber diesmal auch im Gepräge
des Äußeren die reinen griechischen Formen beibehalten wollte
und daher die bei den Römern aufgekommene Gliederungsart der
architektonischen Massen verschmähte, so verkleidete er den
mächtigen, mehrstöckigen Bau durch säulengezierte Giebelfa^aden
und führte mindestens in dem verglasten Hauptvestibul die Anlage
eines hypäthralen griechischen Tempels durch. Derart aber
mussten die Monumentalbauten Alexandrias beschaffen gewesen
sein, denn Deinokrates, der vor den römischen Baumeistern lebte,
kannte nur die reinen griechischen Formen und musste ebenfalls
Bauten errichten, deren kolossale Dimensionen die Hülle eines
Peripteros nicht zuließen. Noch mag darauf hingewiesen sein,
dass zwischen der griechischen Renaissance, wie sie Hansen übte,
und der eines Nobile zwei gewaltige Unterschiede bestehen: die
24^
-3^2 Alfred Nossig
fortgeschrittene Archäologie, auf welcher Hansen fußte, und die
ihn der unvergleichlichen Schönheit der hellenischen Architektur
viel näher kommen ließ als die Meister der classischen Schule
aus dem Beginne des Jahrhunderts; und sein Genie, welches den
von der Archäologie gehobenen Schatz mit voller Freiheit und
höchster Zweckdienlichkeit zu verwenden wusste (s. Abb. 86).
Der Renaissance der antiken Stile, mag sie nun puristisch
gedacht, den Italienern oder den Franzosen nachempfunden sein,
traten manche Architekten mit dem Bestreben entgegen, durch
die Erneuerung jener Bauweise, die sich in den deutschen Städten
des Mittelalters herausgebildet hat, einen nationalen Stil zu schaffen.
CamilloSitte, der Sohn des am Baue der Altlerchenfelder Kirche
betheiligten Franz Sitte, schuf in der von ihm selbst plastisch
und malerisch ausgeschmückten Mechitaristenkirche ein eigen-
artiges Werk von einheitlicher Composition und markiger Kraft;
ein wahres Compendium des deutschen Renaissancestils, verdient
die Kirche von allen Freunden dieser Bauweise aufmerksam studiert
zu werden. Alexander v. Wielemans brachte die deutsche
Renaissance auch im profanen Monumentalbau zu Ehren, indem
er den Justizpalast in den allerdings gemilderten und dem modernen
Geiste angepassten Formen derselben aufführte.
Die deutsche Renaissance fand jedoch keinen rechten Anklang
in Wien, wo man nach einer österreichischen Bauweise verlangte.
Damals schon sagte man in Kreisen einsichtiger Kunstfreunde die
Wiedergeburt der Barocke als der in Osterreich zur glänzendsten
Blüte gelangten und dem Wiener Naturell entsprechendsten Bauart
voraus. Und was den von S e m p e r und Hasenauer projectierten
und von dem letzteren ausgeführten Bauten des neuen k. k. Hof-
burgtheaters und der beiden Hofmuseen ihre Beliebtheit beim Publi-
cum verschaffte, war nicht nur die grandiose Anlage, sondern auch
die glückliche Mischung der italienischen Renaissanceformen mit den
einheimischen Überlieferungen und Decorationsmotiven. Der große
Baukünstler, dessen letzte, reifste Jahre der Verschönerung Neu-
Wiens gewidmet waren, hatte schon bei dem Entwürfe des Dres-
dener Museums durch die reiche Anwendung der Plastik einen
der prachtliebenden österreichischen Bauweise verwandten Geist
bethätigt. Und völlig wurzelt in dem österreichischen Elemente
Karl V. Hasenauer, der schon beim Baue der Weltausstellungs-
Das neixiizehnle Jahth lindert. -177
gebäude die Barocke in pliantasievollster Weise zur Geltung ge-
bracht und als Leiter der neuesten Wiener Monumentalbauten den
festlichen und heiteren Charakter der österreichischen Bauweise
in vollem Glänze wiedererstehen ließ. Der Neubau der Wiener
Hofburg gibt diesem Meister, welcher in seinen Schöpfungen
einen localen, echt wienerischen Geist bekundet, die erwünschte
Gelegenheit , den Barockstil nicht nur in der Decorationsart,
Abb. S6. Palais Etzlietzog Wilhelm in Wien, von Tb. Hansen.
sondern in der efFectvoUen Gruppierung der Architektnr-
niassen zur Anwendung zu bringen. Auch H e 1 m e r nnd
F e 1 1 n e r, die Erbauer des deutschen Volkstheaters, huldigen
einer graziösen Barocke von echt wienerischem Charakter. So
verknüpft sich die zeitgenössische Blüte der Wiener Architektur
mit der letzten Glanzepoclie der Wiener Kunst.
Der Monumentalarchitektur kam die Privatarchitektur gleich
an Reichthuni der Entfaltung, an Gediegenheit tuid an Mannig-
faltigkeit der verwendeten Stile. Ferstel und Hansen gaben
'inA Alfred Nossig
in den Palästen der Erzherzoge Ludwig Victor und Wilhelm die
Muster für den modernen Palastbau in großen Dimensionen, van
der Null baute ein ebenso paradigmatisches Patricierhaus für die
Firma Haas. Ihnen folgten Romano und Schwendenwein
mit dem ,, adeligen Casino**, Karl König mit seinem Ziererhof.
Auch um die Veredlung des Zinshausbaues war man eifrig bemüht.
Hansen war hier bahnbrechend, indem er eine Gruppe von
Zinshäusern im Heinrichshof zu wohldurchdachter Composition
vereinigte und durch eine würdige Fa^ade, durch treffliche Raum-
eintheilung und künstlerische Ausschmückung des Riesenbaues
dem schablonenhaften Kasernenstil entgegentrat. Angesichts eines
so edlen Zinshausbaues sah sich die Geburts- und Finanzaristokratie
veranlasst, auf den exclusiven, kostspieligen Palastbau zu ver-
zichten, und es entstand eine neue, echt großstädtische Gebäude-
gattung, jene der palastartigen Zinshäuser, in denen Mitglieder
der verschiedensten Bevölkerungsschichten neben einander wohnen.
Nun folgte eine Epoche, in welcher der palastartige Aufputz bei
jedem neu entstehenden Zinshause gefordert wurde; Unsolidität
des Baues, Effecthascherei * in der Fagade, ja ein geschmackloses
Protzenthum griff im Privatbau um sich. Mit der Wendung in
den. ökonomischen Verhältnissen trat auch in der Bauart ein Um-
schwung ein. Man kehrte zu solideren Principien zurück, dachte
wieder in erster Linie an gesunde und bequeme Raumdisposition
und wusste dort, wo eine glänzendere Bauweise gefordert wurde,
dieselbe mit Gediegenheit zu verbinden. Als Vorbilder dieses
ebenso prunkvollen wie soliden Zinshausbaues sind die Arcaden-
häuser an der Reichsrathstraße und am Rathhausplatz zu nennen,
denen ein gemeinsamer Plan von Schmidt zugrunde liegt.
Das Familienhaus wollte sich nicht recht in Wien einbürgern,
trotzdem Ferstel und R. v. Eitelberger für dasselbe sprachen.
Im Innern der Stadt finden sich kaum einige derartige Bauten.
Einen erfreulichen Aufschwung nimmt hingegen die außerhalb des
eigentlichen Stadtrayons bei Währing gegründete Cottageanlage,
wo unter der Leitung Borkowskis bereits eine stattliche An-
zahl theils opulenter, theils einfacher Familienhäuser erstand.
Wer diese zierlichen Häuser mit ihren schattigen Gärten betrachtet
und die gesunde Luft dieser Anlage athmet, wird sicherlich dafür
sprechen, dass man bei der bevorstehenden Verbindung der Vor-
Das neunzehnte Jahrhundert. -jyc
orte mit dem Stadtrayon an das Cottageviertel einen ganzen
Bezirk ansetze, welcher das heutige Wien ringsum mit einem
stillen , friedlichen, grünenden Familienhausgürtel umschließen
würde, wie die Ringstraße das alte Stadtinnere mit einem Palast-
gürtel umfasst hat.
Mit der Blüte der Monumentalarchitektur war auch für die
Wiener Plastik die große Zeit gekommen. Eine ganze Schar
formfreudiger Talente entspross dem Wiener Boden, der so lange
brach gelegen. Die plastische Ausschmückung der Universität,
des Parlamentes, der Museen und des Hofburgtheaters sicherte die
Existenz der Meister und gab allen die Gelegenheit, ihre Fähigkeiten
vielseitig zu versuchen (s. Abb. 87). Bald trat dann die specielle
Begabung der einzelnen Plastiker für den Kenner hervor, und es
ist ein nicht hoch genug zu schätzendes Verdienst Hase nau er s,
dass er das richtige Auge für die Stärke eines jeden unter den
Wiener Bildhauern besaß und die Aufgaben derart vertheilte,
dass jeder lustvoll seine beste Kraft einsetzen konnte. Neben der
Monumentalarchitektur eröffnete die noch stets im Zunehmen
begriffene Lust an der Errichtung von Denkmälern, das die
Regierung sowie die gesammte Bevölkerung auszeichnende Bewusst-
sein der Pflicht, hervorragende Männer der österreichischen
Geschichte, sowie die Geistesheroen Österreichs und Deutschlands
in monumentaler Weise zu ehren, der Wiener Plastik ein weites
Feld der Bethätig^ng.
Die Hauptgruppe der Wiener Bildhauer, die heute einen
Namen genießen, gieng aus der Schule des als Professor treff"-
lichen Franz Bauer hervor. Obwohl er selbst in seinen Werken
dem zu seiner Zeit maßgebenden Zuge der Romantik unterlag,
führte er seine Schüler dennoch auf dem sicheren, gebahnten
Geleise des akademischen Stils zu idealer Formgebung, zu solider
Technik und praktischer Geschicklichkeit. Auf dieser Grundlage
entwickelten sich dann die einzelnen Talente je nach ihrer
Empfänglichkeit für die Zeiteinflüsse und nach ihren angeborenen
Neigungen. Trotzdem die meisten bei der massenhaften Nach-
frage viel Conventionelles geschaffen, fast ausnahmslos nur auf
'in(y Alfred Nossig
Bestellung arbeiteten und fast nie aus eigener Inspiration Werke
vollendeten, die ihre Eigenart ganz und voll zum Ausdrucke
bringen würden, ließen sie doch bei der Behandlung einzelner
dankbarerer Aufgaben charakteristische Unterschiede hervor-
treten, aus denen man ihre künstlerische Individualität, die
Richtung ihres Geschmackes und die Art ihrer Begabung heraus-
lesen kann.
Die Schule Bauers zerfallt in zwei Generationen. In der
älteren ragt Karl Kund mann hervor, der seine volle Ausbil-
dung Hähnel zu verdanken hatte. Es scheint, dass die classische
Schule, welche Kundmann durchgemacht, mit der angeborenen
Richtung seines Geistes übereinstimmte, denn dieser Meister sah
an sich die romantische und die naturalistische Strömung vorbei-
ziehen, ohne sich von derselben fortreißen zu lassen. Als Ideal-
bildner das Höchste anstrebend, nähert sich Kundmann den antiken
Meistern vorzüglich dort, wo Würde anmuthig zu verkörpern ist.
Damit hängt es zusammen, dass dieser Künstler hauptsächlich als
Marmorbildner hochgeschätzt wird. Nicht mit Unrecht sind viele
geneigt, die allegorischen Gestalten, mit denen Kundmann die
Attika des Hofburgtheaters sowie die Hofmuseen geschmückt, als
die gelungenste Bethätigung des Kundmann' sehen Talentes zu
betrachten ; populärer sind indes seine Porträtstatuen , welche
Wiener Anlagen zieren, wie sein Schubert und Grillparzer. Und
wer auch die Porträtbüsten Kundmanns gesehen, wird dem
Künstler sicherlich prägnantes Charakterisierungstalent nicht ab-
sprechen. Kundmann hat auch auf dem Gebiete der Bronze-
plastik Imposantes geschaflfen; doch hat sein TegethofFmonument
nicht den Beifall des größten aller Kunstrichter, des Volkes. Von
hervorragender Bedeutung ist sein Wirken an der Bildhauerab-
theilung der Wiener Akademie, wo er neben Zumbusch die Meister-
schule leitet (s. Abb. 88).
Unter den jüngeren Schülern Bauers müssen Benk, Du 11
imd Weyr als diejenigen genannt werden, in deren Werken der
Classicismus nachklingt. Dennoch sind es grundverschiedene
Künstlerindividualitäten, Johannes Benk hat die Küppein der
beiden Hofmuseen mit Kolossalstatuen bekrönt, welche den Sonnen-
gott und Pallas Athene darstellen, er hat für das Vestibül der
Länderbank eine gepanzerte, goldstarrende ,,Austria** modelliert:
aber das eigentliche Gebiet dieses Künstlers ist die weiche Aninuth
in allen ihren Abstufungen von der knospenden Schönheit der
Mädchen gestalt bis zum Humor der Puttoforinen. Wie das erste
Aufkommen seines Namens sich an eine Genovefa knüpft, die
fromm und keusch ihren Sohn beten lehrt, so gelangte dieser
Name zu höchstenl Glänze durch die Schöpfung der Klythia,
jenes wundersamen Mannorbildes ans dem Hofburgtheater, das
die zum Sonnengotte sich emporsehnende Jungfrau darstellt und
das populärste Werk- der Wiener Plastik ist, obwohl es, in den
HofFestlogencorridor eingeschlossen, dem Publicum entrückt ist.
Und wie Anmuth durch Humor nicht aufgelöst, sondern gehoben
Abb. 8S. Sarkophag- Relief, von K. Kundmanii.
wird, dies bewies Benk in seinem Fries für das Innere der Kuppel
des naturhistorischen Hofmuseums, welcher Kinder im Spiele mit
Thieren auf ornamentaler Grundlage darstellt.
Alois DüH, zu den vielseitigsten und gewandtesten Plastikern
zählend, hat sein Talent in markigen Männergestalten am glück-
lichsten bewährt Rudolf Weyr steht unter den Wiener Bild-
hauern in vielen Beziehungen ohne Rivalen da. Der einzige
Friedl kommt ihm als decorativer Plastiker an Flottheit und
Raschheit der Production nahe. Zu classischer Höhe in Composi-
tion und Durchbildung der einzelnen Figuren erhob Weyr die deco-
rative Plastik in seinem Bacchusfries am Hofburgtheater ; seine
Karyatiden in den Sälen des natnrhistor. Hoftnusenms beweisen,
wie sehr diese Plastik durch das Element treffender, kräftiger
njQ Alfred Nossig
Charakteristik belebt, ja vergeistigt werden kann. In seinen ma-
lerischen Reliefdarstellungen für das Grillparzennonument bekun-
dete Weyr sein eminentes Zeichnertalent sowie die gründliche
perspectivische Schulung, die ihn zu Schöpfungen befähigt, an
die andere Wiener Bildhauer kaum Hand anzulegen wagen würden.
Wie Weyr als decoratives Talent, so steht Victor Tilgner ais
Porträtbildner von seinen Wiener Genossen unerreicht, unter den
Ersten seiner Zeit. Er hat sich seinen eigenen, in Pose und Aus-
schmückung stark malerischen Stil geschaflFen. Seine Porträtbüsten
nehmen in der Plastik jene Stelle ein, die das Pastellporträt in der
Malerei innehat ; insbesondere seine Frauenporträts sind so zart,
lebensvoll, ja beweglich, möchten wir sagen, wie die Meister des
Pastells zu malen verstehen. Der Drang, die Plastik zu beleben,
ist Tilgner in noch höherem Maße eigen als Weyr ; er war
denn auch einer der ersten, der die Polychromie in discreter, aber
um so wirksamerer Weise zur Anwendung brachte, in großem
Maßstabe an seinen decorativen Figuren im naturhistorischen Hof-
museum. Derselben Künstlergeneration gehört auch Edmund
H e 1 1 m e r an, gegenwärtig Professor an der allgemeinen Bildhauer-
schule der Akademie. Ihn zeichnet eine ungewöhnliche compo-
sitionelle Begabung aus, die ihn zum Aufbau figurenreicher plasti-
scher Werke befähigt. Dies bewies er in seiner Giebelgruppe an
der Fagade des Reichsrathsgebäudes, glänzender noch in seinem
Denkmal zur Erinnerung an die Befreiung Wiens von den Türken
im Jahre 1683, welches im Stephansdome errichtet werden soll.
Als größter Meister auf demselben Gebiete der Plastik gilt
in Wien Caspar Zumbusch, der zugleich als der bedeutendste
Vertreter der Bronzesculptur zu betrachten ist. In Halbigs
realistischer Schule zu München gebildet, durch sein Maximilian-
denkmal berühmt, wurde Zumbusch nach Wien berufen, wo ihm
die Übertragung der bedeutendsten plastischen Aufgaben in Aus-
sicht gestellt wurde. In der That blieb es ihm vorbehalten, in
dem Beethovendenkmal und dem Maria-Theresienmonument Bronze-
werke größten Stils zu schaflfen (siehe Tafel IV). An dem Beet-
hovenmonument bekundet nur die Gestalt des Tonheros die große
Charakterisierungskunst des Meisters, die übrigen Figuren sind
allegorisch und ragen trotz ihrer Schönheit und Kraft nicht über
das Niveau der zeitgenössischen Plastik hervor. Wohl aber bedeutet
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378
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vutL e.V. Zumbusck.
Das neunzehnte Jahrhundert. q^jq
das Maria Theresiendenkmal einen Fortschritt in der Plastik, denn
mit seiner Ausscheidung des allegorischen Elementes, mit seiner
grandiosen Zusammenstellung trefflich charakterisierter histori-
scher Persönlichkeiten beweist es wieder, dass die Plastik auf
concretem Boden ihre Größe in künstlerischer Composition sucht.
Dass Zumbusch. der Ausführung seiner Werke die höchste Sorg-
falt angedeihen lässt, ist bei einem Meister, der es sich bewusst
ist, dass er für Jahrtausende schafft, selbstverständlich.
Eine lange Reihe von Bildhauern, die vieles Verdienstvolle
geschaflFen, schließt sich diesen Koryphäen der Wiener Schule an.
Theodor Friedl überstrahl t alle durch die wuchtige Kraft
seines Talentes. Seine Hand bevölkerte ganze Monumental-
bauten mit Sculpturen, wie das Odessaer Theater und das deutsche
Volkstheater; aber er scheint allzu temperamentvoll zu sein, um
ein Werk von höchster Gediegenheit zu schaflFen. Seine grandios
bewegte Heliosgruppe, die den Ziererhof bekrönt, muss der deco-
rativen Plastik zugezählt werden, ebenso wie seine Kybele an der
neuen Frucht- und Mehlbörse; doch darf man erwarten, dass die
Rossebändiger, welche vor den Hofstallungen auf dem Museums-
platz aufgestellt werden sollen, das Product voller künstlerischer
Sammlung sein werden. Ein originelles und kräftiges Talent ist
auch Arthur Strasser, der auf der Bahn des Naturalismus mit
großem Aufwände von Fleiß und Studium thätig ist. Er hat eine
ausgesprochene Neigung für das Exotische und für das Hässliche,
bringt es aber in der Charakterisierungskunst und der Wiedergabe
von Stoffen weiter als alle übrigen Wiener Bildhauer. VictorPilz
mit seinen prachtvollen Quadrigen auf dem Reichsrathsgebäude, E d-
mund V. Hofmann und Victor Härdtl, welche die Brunnen-
gruppen für den Museumsplatz ausgeführt, Schmidgruber mit
seiner Albrecht Dürer-Statue, Anton Wagner, der Schöpfer des
reizenden ,, Gänsemädchens**, Josef Gasser, der sich fast aus-
schließlich mit kirchlicher Plastik beschäftigt, Lax, Costenoble,
Silbernagl, Pendl, Natter, Brenek, sie alle haben sich in
der Geschichte der Wiener Kunst einen ehrenvollen Platz gesichert.
Als die vorzüglichsten Repräsentanten der plastischen Klein-
kunst müssen Otto König und Josef Tautenhayn genannt
werden. Obwohl sie sich beide in Werken großen Stils mit Glück
versucht, betrachten sie selbst jenes Gebiet als das ihrer Begabung
q3o Alfred Xossig
zunächst entsprechende. Während Tautenhayn antike Motive in
classischer Compositionsweise mit idealer Formvollendung behan-
delt (vorzüglich als Modelle für die Goldschmiedekunst), cultiviert
König eine reizende Miniatur- Plastik. Eines großen Rufes erfreut
sich Anton Schar ff als Medailleur. Dass er auch auf anderen
Gebieten der plastischen Kleinkunst Vorzügliches leistet, bewies
sein Prometheusrelief für das kaiserliche Schloss zu Lainz (siehe
Abb. 89).
Ihnen schließen sith Stephan Schwarz als vorzüglicher
Ciseleur und Hermann Klotz, der tüchtigste Wiener Holz-
bildner, an. Auch die ornamentale Plastik erstieg eine viel be-
deutendere Höhe als in der ersten Hälfte des Jahrhundertes, dank
der Thätigkeit eines Pokorny, Schindler und Schönthaler.
Die Entwickelung der modernen Wiener Monumentalmalerei
ist mit jener der Architektur noch fester verkettet als die Blüte
der Plastik. Das Zurücktreten des Kirchenbaues gegen den Profan-
bau verursachte die Beschränkung der religiösen Malerei großen
Stils im Verhältnis zur weltlichen Idealmalerei, und innefhalb der
engen Grenzen, die der seltenere Kirchenbau der religiösen Historie
zog, wirkte der Umstand, dass fast ausschließlich der gothische
Stil zur Anwendung kam, durch Entziehung der breiten, undurch-
brochenen Wandflächen hemmend auf die malerische Ausstattung.
So sah sich denn die Kirchenmalerei im Kampf ums Dasein ge-
zwungen, auf ihr eigentliches Gebiet, das F'resko, zu verzichten
und sich der beengten Existenzbedingung anzupassen, indem sie
sich auf die Fenster flüchtete, zur Mosaik griff" und schließlich zu
der Miniatur emporklimmend den letzten Beweis ihrer Lebens-
fähigkeit zu erbringen strebte.
Ferstels Votivkirche bot der religiösen Malerei noch einmal
Gelegenheit, sich in cyklischen Compositionen zu bethätigen.
Josef Mathias Trenkwald, ein Schüler Rubens, war es,
der daselbst in stilvollen Glasgemälden das Leben Marias, an den
Wandflächen die Entwickelung des Mariencultus darstellte und
durch die Sinnigkeit der Conceptionen sowie durch den Adel seiner
Gestalten sich vollen Beifall verdiente. Ihm stand Ferdinand
La ufb erger zur Seite, der in schönen Fresken ,, Engel mit den
Leidens werk zeugen Christi" darstellte, und August v. WÖrndle,
ein Schüler F Ullrichs, welcher nach den Coinpositionen des
letzteren die Fenster und die Wände des hohen Chors mit Gemälden
schmückte. Andere Schüler Führichs fanden bei dem Baue
mehrerer kleinerer gothischer Kirchen Gelegenheit, ihre Kunst zu
bethätigen: so Madjera und Schöiibrunner in der Fünfhauser
Kirche, Ludwig Mayer in der Kirche in der Brigittenau. Als
das Innere der Schottenkirche restauriert und malerisch ausge-
schmückt wurde, kam die Schule Rahls an die Reihe: August
Eisenmenger malte daselbst zwei Altargemälde, seine Schüler
Straka und Julius Schmid führten die übrigen Altarbilder
und Deckengemälde aus, wobei Schmid mit Recht große Aner-
kennung fand. R i e s e r schmückte den Hochaltar mit einem
Abb. 89. Prometheus, Relief von A. Schaiff.
Mosaikgemälde, — Das Missale, welches im Auftrage Sr. Majestät
des Kaisers von Blaas, Emier, Führich, Geiger, Kupelwieser, Mayer,
Rüben, Schulz und Trenkwald ausgeführt wurde, vereinigte Meister-
werke religiöser Miniaturmalerei zu schönem Kranze.
Die Kirchenmalerei hatte sich auch zur Zeit ihrer höchsten
Blüte, als noch Führich schaffte, nicht jener Popularität erfreut,
wie solches mit diesem Kunstzweig in früheren Tagen der Fall ge-
wesen war. Erst auf dem Gebiete der weltlichen Monumentalmalerei
traten Meister auf, in deren Kunst sich der österreichische Charakter
so sichtbar verkörperte wie einst in den Werken der Alt-Wiener
Genremaler, nur dass er jetzt, bei der vollen Schaffensfreiheit des
Künstlers, sich in grandiosester Weise auszusprechen vermochte.
"282 Alfred Nossig
Und es ist im höchsten Grade interessant und belehrend, wie in
dieser Epoche, wo die österreichische Kunst uneingeengt sich ent-
faltet, die hervorragendsten Talente unbewusst der ausländischen
Kunst nur jene Elemente entnehmen, welche dem Volkscharakter
entsprechen und sich unter dem Walten jenes mächtigen Natur-
gesetzes, welches die Kunst eines Stammes mit seiner Eigenart
verbindet, kr>'stallisieren. Der erste Meister, in dessen Schöpfungen
das österreichische Element durchbricht, ist der Begründer der
modernen Wiener Monumentalmalerei, Karl Rahl. Unbefriedigt
von der Cornelianischen Richtung, floh der junge Wiener aus
München nach Italien : aber der strenge Overbeck sagte seinem
Naturell noch weniger zu. Vielmehr schwelgte er in den Werken
der Venezianer und entwickelte so seinen angeborenen Sinn für
Farbenpracht. Wie dieser Sinn für das Farbenkleid seiner Bilder
maßgebend wurde, so ist die Composition derselben der Ausfluss
einer frei waltenden , echt künstlerisch gestaltenden Phantasie.
Rahl war mehr als Dichter-Maler, er war Denker-Maler, der die
Principien der hohen Historienmalerei ebenso klar aussprach wie
consequent bethätigte. Leider theilte er das Los der meisten Vor-
denker : man begriff seine Größe zu spät und gab ihm zu spät
Gelegenheit zu monumentalem Schaffen. Auf Hansens Aufforderung
hatte er für die Ausschmückung des WaflFenmuseums einen Cyklus
von Gemälden skizziert, welche den Krieg als Vertheidiger der
Nationalität und der Freiheit, als Bewahrer des Rechtszustandes
und Verbreiter der Cultur verherrlichten. Diese Entwürfe, welche
von Cornelius ebenso anerkannt wurden wie von den in Rom
weilenden Künstlern, kamen leider nicht zur Ausführung, und
damit war Rahls großartigste Leistung der eigentlichen Monu-
mentalkunst entzogen.
Was er sonst schuf, zeugt nicht minder von dem hohen poeti-
schen Fluge des Meisters: so sein Pariscyklus im Palais Todesco,
der die Parismythe schöpferisch ergänzt, seine Bilder aus der griechi-
schen Mythe im Palais Sina, sowie seine Compositionen für den
Freskenfries der athenischen Universität und für den Vorhang der
Wiener Hofoper. Seine größten Schöpfungen waren bei seinem
Tode nur in Zeichnungen oder farbigen Skizzen niedergelegt; aber
alles, was der Meister selbst ausgeführt hatte, athmete eine Üppig-
keit und Farbenfroheit, die dem österreichischen Naturell voll
Das neunzehnte Jahrhundert. 73^
entsprach. Wie sehr seine ganze SchafFensrichtung der heimischen
Sphäre verwandt war, beweist der Umstand, dass Rahl einen
Kreis von begabten Schülern gefunden hatte, die an seinen
Principien unentwegt festhielten: ja die gesammte Wiener Monu-
mentalmalerei trägt bis heute den Stempel der Rahl' sehen Rich-
tung, welche von den nachfolgenden Meistern im Sinne ihres
Wesens voller und charakteristischer entwickelt wurde. Unter
seinen unmittelbaren Schülern ragt August Eisenmenger
hervor, neben ihm sind Bitterlich und Griepenkefl zu
nennen. Eisenmenger führte im Verein mit Bitterlich die
Deckengemälde im Speisesaale des Grand Hotel aus, schuf im
Vereine mit Griepenkerl die Wandfriese in den Parlaments-
sälen, malte für den Stiegenraum der HoflFestloge im neuen Burg-
theater einen herrlichen Grazien- und Thierfries und für den
kleinen Sitzungssaal des Rathhauses, welchen Ludwig Mayer
mit^ Fresken geschmückt, eine grandios componierte ,,Austria'*
und ,,Vindobona''. In allen diesen Werken spricht sich neben
der Vorliebe für satte, kräftige Farben die echt Rahl' sehe, ideale
Auffassung der großen Kunst und eine reiche Erfindungsgabe
aus. Insbesondere der Burgtheaterfries ist ein gemaltes Poem,
lebensprühend und graziös, ein Werk vornehmster Kunst.
Ihren höchsten Glanz erreicht die österreichische Malerei in
jenem Meister, der zugleich eine Seite des Wiener Naturells auf
charakteristische Art repräsentiert. Hans Makart, der genuss-
frohe Österreicher, der die Kunst zur rauschenden Freudigkeit des
Festes, das Fest zur Höhe der Kunst geführt, war zwar zu Piloty
nach München gewandert; ^ber ebenso wenig wie Rahl der
Comelianischen Schule sich gefangen gegeben, beugte sich Makarts
Sinn der historisch realistischen Behandlungsweise Pilotys. In
den Werken Anselm Feuerbachs, der von Rahl beeinflusst worden
war, fand er jene Anregung, deren seine in Farben denkende
Einbildungskraft zu vollem Bewusstwerden bedurfte. Und gleich
in dem ersten Werke, das seinen Namen berühmt gemacht, trat
er auf jenen Boden, auf dem sich seine ganze spätere künstlerische
Thätigkeit bewegte. Denn ob er nun „Die Pest in Florenz'* oder
ein ,, Bacchusfest*', das ,, Huldigungsfest der Katharina Cornaro**
oder den ,, Einzug Karls V." darstellt, stets lässt er ein brau-
sendes Farbenorchester berauschende Festmelodien spielen, an-
o^A Alfred Nossig
muthige Frauen in reizvoller Erscheinung vorüberziehen, den
Reichthum und den Prunk schwelgerischer Feste erglänzen.
Die Vorzüge und die Mängel seiner Kunst sind dieselben, die
einer von gewandten Künstlern hergestellten Festdecoration eigen
zu sein pflegen: üppiges, blendendes Colorit neben Unklarheit der
Zeichnung und anatomischen oder perspectivischen Zeichenfehlem.
Wenn Makart an die Vereinigung der Künste dachte, so that er
dies nicht in dem Sinne der Griechen oder eines Michel Angelo;
er dachte nicht daran, auf Grund strenger, mühseliger anatomischer
und perspectiv! scher Studien ein Gesammtkunstwerk für die Ewig-
keil zu schaffen, sondern er wollte durch Zusammenfassung der
Wirkung der Architektur, der Plastik und der Malerei den höchst
möglichen decorativen Effect erreichen. Ahnlich war es mit seinen
Farbenstudien: wohl beschäftigten ihn solche, wohl gelang es ihm,
alle Zeitgenossen durch sein Idealcolorit zu blenden, aber er hatte
nicht das Mittel gesucht, das die Dauerhaftigkeit seiner Farben
auf Jahrhunderte sichern könnte, sondern eines, das seinen Bildern
den höchsten Glanz verleihen würde, und sei es nur für eine
Spanne Zeit. Und so ist denn Makarts Kunst ein Ball in prangen-
dem Festsaale, dessen Eingang jene Inschrift trägt, welche Makart
unter sein erstes Werk gesetzt : apr^s nous le deluge ! So stellt
er die lebensvollste Verkörperung des glänzenden, genuss-
frohen, und heiteren Wiener Naturells dar, und damit hängt es
zusammen, dass sein Atelier durch seine phantastische Pracht
berühmter war als seine Bilder, und dass Makarts ureigenstes,
größtes, herrlichstes Werk — nur für Stunden geschaflfen war
(siehe Abb. 90). Dies war der Festzug, den er zur Feier der sil-
bernen Hochzeit des Allerhöchsten Kaiserpaares im Mai des Jahres
1879 arrangiert, jene grandiose cyklische Composition, welche die
ganze Pracht der Renaissance wiedererstehen ließ, alle Künste zu
überwältigendem decorativen Effecte vereinigte und diese Wirkung
durch das Leben selbst zu nie dagewesener Höhe steigerte.
Makart verlosch wie ein Meteor, ohne eine Schule zu hinter-
lassen. Doch wirkten gleichzeitig mit ihm in Wien Künstler von
verwandtem Streben, welche gleich ihm RaliPs im Boden des
Volksnaturells wurzelnde Traditionen glänzend fortzuführen wussten.
So vor allen Anselm Feuerbach, der während seines kurzen
Aufenthaltes in Wien die Aula der Akademie mit seinem
Das neunzehnte Jahrhundert. ogr
,/ritanenstiirz** schmückte. Länger rivalisierte mit Makart Hans
Canon, welcher Rahl durch den tiefen Gedankengehalt seiner
Compositionen näher kam, aber an coloristischer Kraft Makart
nie erreichen konnte. Von seinen Moniimentalbildern fand keines
so allgemeinen Beifall wie die Werke Makarts: weder die ,,Loge
Johannis*' noch der ,, Kreislauf des Lebens**, das kolossale Decken-
gemälde für das Stiegenhaus des naturhistorischen Hofmuseums,
an dessen Ausschmückung er sich auch mit den Lünetten des
Treppenhauses betheiligte.
Vergleicht man mit den großen, für die Architektur geschaffenen
Bildern Makarts, Feuerbachs und Canons die Gemäldecyklen, mit
denen das Hofburgtheater von einer jüngeren Künstlergeneration
geschmückt wurde, so lässt sich die Richtung, in der die Wiener
Monumentalmalerei fortschreitet, nicht verkennen. Hinsichtlich
der Farbengebung ist eine Zersplitterung eingetreten : nur die
Gebrüder Klimmt und ihr Genosse Matsch halten an den
coloristischen Traditionen ihrer großen Vorgänger in der Wiener
Monumentalmalerei fest, während Hynais, ein Schüler Feuer-
bachs, und Ed. Charlemont die zarteren und blasseren Farben
der französischen Schule benützen. Prüft man jedoch ihre Werke
auf ihren Gehalt hin, so bemerkt man dieselbe Wandlung, welche
die Wiener monumentale Plastik unter der Führung von Zum-
busch vollzogen: an die Stelle der Allegorie und der allzu phan-
tastisch behandelten Historie ist eine zwar ideal componierte, aber
realistisch ausgestattete Historie getreten. Charlemonts,, Apollo
im Musenkreise** ausgenommen, sehen wir überall concrete,
realistische Charakteristik. So stellt derselbe Künstler im Foyer
das ernste Drama durch eine Gruppenfigur aus der ,,Iphigenie**,
das heitere durch eine herrliche Illustration des ,, Sommernachts-
traumes** dar; so bieten die Klimmts und Matsch in ihrer
Darstellung der Entwickelung der Bühne, wo es nur möglich ist,
realistische Historienbilder, und ihnen schließt sich Karger mit
einem zahlreiche Porträts enthaltenden modernen Theaterinterieur
an. J. F u X hingegen, der mit ungewöhnlicher Bravour den Vor-
hang malte, belebte die Traditionen der barocken Decorations-
malerei. Dieser letzteren Richtung huldigen gegenwärtig neben
Fux mehrere begabte Künstler, denen sich angesichts des auf
die Erneuerung der Barocke gerichteten Zuges in der Architektur
Kunstgeschichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 25
og5 Alfred Nossig
ein weites Feld eröflFnen dürfte. In dieser Gruppe ist vor allen
J. Berg er zu nennen, welcher das Palais Ofenheim, den Zierer-
hof und die kaiserliche Villa zu Lainz ausgeschmückt und jüngst
ein bedeutendes Deckengemälde für das k. k. kunsthistorische Hof-
museum ausgeführt hat, ferner F. Lefler, der Schöpfer zahlreicher
anmuthiger Wand- und Deckengemälde in Rococomanier, und Ed.
Veitli, welcher die Decke des deutschen Volkstheaters mit
Gemälden ausstattete, die ein frisches, kräftiges Talent verrathen.
Dies ist, in großen Zügen entworfen, das Bild der Wiener
Monumentalmalerei in den letzten Jahrzehnten. Verwundert
könnte ein Leser fragen, ob wir denn die eigentliche Geschichts-
malerei, die bei anderen Völkern, ja in den anderen Provinzen
Österreichs die ersten Talente beschäftigt, ganz vergessen hätten ?
Wir dürfen diesen Vorwurf zurückweisen, wohl aber trifft er in
vollem Maße die Wiener Malerschule. Die Wiener Kunst hat
auf dem Gebiete der realen Historienmalerei verhältnismäßig wenig
hervorgebracht. Karl v. Blaas, der im WaflFenmuseum Proben der-
selben geliefert, hatte mehrere Schüler, die mit großem Erfolge
in seine Spuren traten: so L' Allem and als Schlachtenmaler,
(siehe Abb. 91) dann Huber; diesen beiden schloss sich C. Wur-
zinger mit mehreren Historien- und Ceremonienbildern an.
Um so größer ist der Ruf des Wiener Cabinetbildes: Porträt
und Genre insbesondere fanden in Wien weltberühmte Vertreter.
Friedrich Amerling war es, der, von Lawrence und Vemet
angeleitet, das Wiener Porträt von der Stufe eines Lampi und
Eybl bis zu jener emporhob, auf der es dann Heinrich von
Angeli, der Kaisermaler, von ihm übernahm. In der lang-
jährigen Kunstthätigkeit Amerlings finden sich demgemäß mehrere
Phasen, in denen sich die Umwandlung des Künstlers vom Maler
alten Stils zum modernen Porträtisten vollzog. Was jedoch alle
die weltberühmten Porträts Amerlings, seine Kaiserbilder, sein
Porträt des Fürsten Auersperg, jenes des Fürsten Liechtenstein,
die Bildnisse Thorwaldsens und Grillparzers, und seine zahlreichen
Studienköpfe auszeichnet, das ist neben meisterhafter Charakteristik
jener undefinierbare Schmelz, welcher den vollen Lebenston trifft,
ohne ihn zu übertreiben oder manieristisch zu fälschen. Diese
Vorzüge sind es auch, denen H. v. Angeli in den Bildnissen
Kaiser Franz Josefs ugd Kaiser Friedrichs IH., Moltkes, des
Abb. 92. D«r Stralien kämpf, von PetlenkolTeii.
Das neunzehnte Jahrhundert. 037
Prinzen von Wales und in seinen zahlreichen Frauenporträts nach-
strebt, und es ist nur zu bedauern, dass dieser Porträtist ersten
Ranges keine würdigen Schüler findet. Neben ihm wirken heute
Blaas, Gaul, Rumpler, Felix und Vita als bedeutende
Porträtisten in Ol. Neuerdings traten in Wien Pastellporträtisten
von hervorragendem Talente auf. An ihrer Spitze steht Karl
Frosch 1, der in seiner zarten, den besten Meistern des Pastells
abgelernten Manier Frauen- und Kinderbildnisse von fesselndem
Reize entwirft; ihm schließt sich C. v. Pausinger an, der in
farbenreicherer und flotterer Weise die vornehme Welt porträtiert.
Von den Malern der älteren Generation steht diesen beiden Georg
Decker mit seiner ruhigen, soliden Manier würdig zur Seite.
C. B u n z 1 versucht es nicht ohne Erfolg, in dem Pastellporträt
die Farbensattheit der Ölmalerei zu erreichen, ähnlich Goltz
und Levis; als Miniaturporträtmalerin erfreut sich eines bedeuten-
den Rufes Marie Müller.
Einen Meister ersten Ranges brachte Wien auf dem Gebiete
der Genremalerei hervor. August von Pettenkoffen, dessen
zahlreiche Bilder aus dem ungarischen Pusztaleben eine außer-
ordentliche Popularität erreichten, war einer jener ernsten Künstler,
die zeitlebens an ihrer Vervollkommnung und Ausbildung arbeiten.
Er, der fast ausschließlich Cabinetsbilder malte, beschäftigte sich
ununterbrochen mit strengen anatomischen Studien, als deren
Resultat sich in seinem Nachlasse Werke zur menschlichen und
zur Pferdeanatomie vorfanden. PettenkoflFens künstlerische Thätig-
keit umfasste drei Sphären : in seiner Jugend hatte er Typen aus
der österreichischen Armee dargestellt, in seinen reifen Jahren
beschäftigte er sich mit dem Zigeunerleben und malte Scenen aus
dem gesellschaftlichen Leben des 18. Jahrhundertes. Seine Meister-
schaft beruhte in der Erzielung des vollen Natureindruckes durch
die virtuosen Mittel seiner Kunst, die stets Wiedererschafferin, nie
Copistin war (siehe Abb. 92). Sein Freund und Reisegenosse, L. K.
Müller, wendete sich vorwiegend ägyptischen Stoffen zu; seine
nubischen Typen, die in reizend ersonnenen Gruppen auf dem male-
rischen, architektonisch-landschaftlichen Hintergrunde des Nillandes
erscheinen, werden, wie einst Pettenkoffens Bilder, in Europa und
Amerika gleich gerne gekauft Ein hervorragendes, leider nicht
zur vollen Blüte gelangtes Talent war Eduard Kurzbauer,
25^
ogg Alfred Nossig
dessen , , Märchenerzählerin * S , , Flüchtlinge * * und, , Bauerndeputation * *
bereits die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Künstler gelenkt,
als der Tod ihn ereilte. In rüstiger Thätigkeit finden wir hin-
gegen Friedrich Friedländer, den liebenswürdigen Schüler
Waldmüllers; seine Bilder aus dem Soldaten- und Invaliden-
leben zeichnen sich durch Naturtreue und Humor aus und sind
in Wien beliebt. Genrebilder aus dem Leben früherer Jahrhunderte
malen, oft mit echt poetischer Empfindung, C. Probst und L.
Minnigerode. Einige der begabtesten Wiener Genremaler haben
in Venedig ihren Wohnsitz genommen: so Eugen v. Blaas und
Ludwig Passini, der treffliche Aquarellist.
Während die genannten Genremaler nach einer Conventionellen
Technik vorzugsweise ausländische Stoflfe behandeln, strebt die
jüngere Generation der Genremaler in Technik und Stoflfgebiet
Änderungen an, die zur Bildung einer einheitlichen Schule führen
könnten. Nach dem Vorgange der französischen plein-air-Maler
verpönen sie das Malen bei Atelierlicht und nehmen ihre Bilder,
insoferne sie nicht in geschlossenen Räumen spielen, unter freiem
Himmel auf Licht und Schatten treten daher auf ihren Bildern
in voller Schärfe auf, und die Körperflächen zeigen statt detaillierter
Ausfährung jene verschwommene Licht-, Farben- und Tonfactur,
wie sie die umgebende Luftatmosphäre erzeugt. Unter den älteren
Genremalern hat Waldmüller bereits so gemalt. Stofflich sind
die jüngeren Genremaler bestrebt, die Wiener Localmalerei wieder
zu Ehren zu bringen, und es ist insbesondere Engelhart und
Kupfer gelungen, Scenen aus dem Wiener Volksleben trefflich
darzustellen. Während diese beiden einem maßvollen Realismus
huldigen, wenden sich viele andere einem ausgesprochenen Na-
turalismus zu.
Wie Pettenkoffen als Genremaler, so hat Rudolf Alt als
Architekturmaler den Ruhm der Wiener Schule fest begründet.
Allen Hilfskünsten der modernen Wahrheitsmalerei fremd, ja sogar
auf dem Gebiete der Perspective mehr Empiriker und Gefuhls-
techniker als theoretisch Wirkender, hat Alt in seinem Auge
einen wunderbaren Apparat, der ebenso sicher aufnimmt als die
Camera obscura, in seiner Hand ein Werkzeug, das so sicher malt
wie die Sonne. Die wichtigsten Denkmäler der österreichischen
Architektur und zahlreiche ausländische Bauten hat Alt in seinen
Das neunzehnte Jahrhundert. oßo
Aquarellen dargestellt, viele zu wiederholtenmalen. Seine Cartons
werden stets zu den bewunderten Meisterwerken der Architektur-
malerei gehören. Eine Glanzleistung der Wiener Architektur-
malerei war die Cassette mit Wiener Ansichten, welche die Stadt
Wien der Erzherzogin Valerie zu ihrer Vermählung verehrte.
Als anerkannter Virtuose der Aquarellmalerei gilt L. H. Fischer,
der von seinen Orientreisen mehrere Cyklen trefflicher Aufnahmen
heimgebracht.
Fischers Aquarelle stehen fast sämmtlich auf der Grenze
zwischen Architektur- und Landschaftsmalerei. Auf dem Gebiete
der letzteren versuchten Josef Hofmann, ein Schüler Rahls,
und Albert Zimmermann das stilistische Landschaftsbild in
Wien einzubürgern. Josef Hofmann, ein Künstler von classi-
scher Bildung, hat vorzugsweise die griechische Landschaft gepflegt
und fand auf einer griechischen Reise Gelegenheit, das Land
seiner Sehnsucht in Aquarellen darzustellen. Zimmermann,
der langjährige Leiter der Landschaftsciasse an der Wiener
Akademie, hatte das Missgeschick, dass gerade seine Schüler
die Vertreter der entgegengesetzten Richtung wurden : Emil
Schindler, E. Jettel und Robert Russ, neben ihnen A u g u s t
Schäffer und Gottfried Seelos schufen in Wien das land-
schaftliche Stimmungsbild und die realistische Charakterlandschaft.
Eduard von Lichtenfels und Karl Hasch nehmen mit ihren
Gebirgsbildern einen hervorragenden Platz in der Wiener Land-
schaftsmalerei ein, deren sämmtliche Richtungen bei der Aus-
schmückung der Hofmuseen sich in monumentaler Weise bethätigten.
Zu besonderer Höhe hat sich, mit dem Aufschwünge des Wiener
Theaterwesens, die Theater-Decorationsmalerei entwickelt Der schon
erwähnte J. Fux, Brioschi, Kautsky, Burghart, Lehrer und
der Costümzeichner Gaul haben das Verdienst, der mise-en-scene
der Wiener Hofbühnen ihren Weltruf gesichert zu haben.
Auf dem Gebiete des Thierstücks fand Gauermann keinen
ebenbürtigen Nachfolger. Am meisten geschätzt werden die
Arbeiten Hubers und Alois Schrödls, neuerdings hat sich
Karl Reichert durch seine lebendigen, mit höchster künst-
lerischer Sorgfalt ausgeführten Arbeiten hervorgethan.
Das Stilleben und das Blumenstück werden immer mehr
zur Domäne der Malerinnen. Für die schablonenhaften Leistungen
"jgO Alfred Kossig
zahlreicher Jüngerinnen dieser an Industrie streifenden Kunst
entschädigen uns die Werke einer wirklich hochbegabten Künst-
lerin, Olga Florian Wisinger. Mit dem Namen dieser aus-
gezeichneten Blumenmalerin wollen wir den Abriss der modernen
Wiener Malerei beschließen.
Der Aufschwung der ver\-ielfaltigenden Künste hielt in den
letzten Jahrzehnten gleichen Schritt mit jenem der Architektur,
Plastik und Malerei. Für die Vervollkommnung des Holzschnittes
sorgte man durch Schaffung einer Professur für Holzschneidekunst
an der Kunstgewerbeschule des k. k. österreichischen Museums
und durch Entwicklung eines Specialinstitutes bei der k. k. Hof-
und Staatsdruckerei. Ihre Leistungsfähigkeit bewies die Schule
der Wiener Holzschneider, unter der Leitung Wilhelm Hechts,
bei der Illustrierung des Prachtwerkes , , Die österreichisch-ungarische
Monarchie in Wort und Bild'*. Die Radierung wurde in Wien
von W. Unger meisterhaft betrieben und trefflich gelehrt; Klaus,
Kaiser, Wörnle und viele andere zeichneten sich auf diesem
Gebiete aus. Der lange Zeit vernachlässigte Kupferstich kam
wieder in Blüte, als Jacoby und nach ihm Sonnenlei tner an die
k. k. Akademie berufen wurden. Seither giengen vorzügliche
Kupferstecher aus der Wiener Schule hervor, wie Michalek,
Jasper, HrnCiC. Besondere Pflege ward dem Kupferstich von
Seiten der ,, Gesellschaft für vervielfältigende Kunst'*
zutheil; besonders aber durch die vom Kaiser eingesetzte Com-
mission des Oberstkämmereramtes zur Hebung dieses Kunstfaches.
Eine führende Stellung errang Wien imter der Regierung
Kaiser Franz Josefs I. auf dem Gebiete des Kunstgewerbes. Freilich
nicht mit einem Schlage; ehe es seine heutige Stellung erlangt, hatte
das Wiener Kunstgewerbe viel lernen und manche Demüthigung
erfahren müssen. Als in den fünfziger Jahren das Liechtenstein-
Palais in der Bankgasse ausgestattet wurde, musste ein Aus-
länder als Leiter berufen werden; die Wiener Arbeit zeichnete
sich zu jener Zeit wohl durch Solidität aus, war aber geschmack-
los, oft stillos. Der früher blühenden Porzellanfabrication wurde
durch Auflösung der kaiserlichen Porzellanfabrik der Todesstoß
gegeben. .\uf der Londoner Ausstellung im Jahre 1851 hatte die
Bas neunzehnte Jahrhundert.
391
Österreichische Möbelindustrie einen Misserfolg erfahren. Nur
die Galanterie - Artikel, die aus Leder, Holz und Metall her-
gestellt wurden, erfreuten sich eines gewissen Rufes; doch waren
sie oft in geschmackloser und widersinniger Art entworfen. Erst
van der Null, der für das Atelier Girardet zeichnete,
veredelte dieses Productionsgebiet ; ähnlich gieng von Heinrich
Ferstel beim Baue des Bankgebäudes auf der Freiung die erste
Anregung zur Hebung der Eisenindustrie aus.
Diesen vereinzelten Anregungen folgte eine von Rudolf
Eitelberger eingeleitete planvolle Action zur Erziehung und
Hebung des Kunstgewerbes, an welches nach der Stadterweiterung
die vielseitigsten und höchsten Ansprüche gestellt wurden. Es
wurde das Österreichische Museum fiir Kunst und Industrie, hierauf
die Kimstgewerbeschule gegründet. Erzherzog Rainer ließ
diesen Instituten seinen Schutz angedeihen, Eitelberger und
Jakob V. Falke haben sich um ihre Leitung verdient gemacht,
Stork, Laufberger, Sturm, König, Schwarz, Klotz,
Karger haben sich als lehrende Künstler an derselben hervor-
gethan.
Auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 sah man denn
bereits die ersten Früchte dieser Bestrebungen, welche auf der
Wiener Weltausstellung im Jahre 1873 der Wiener Kunstindustrie,
einen so glänzenden Triumph auf allen Gebieten bereiten sollten.
Seither besitzt Wien kunstgewerbliche Institute, die sich eines
Weltrufes erfreuen: auf dem Gebiete der Teppichfabrication ragen
Haas & Söhne, auf dem der Glasfabrication Lobmeyr und die
Glasmalereianstalt Geyling hervor; Albert Milde und Lud-
wig Wilhelm haben Kunstschlossereianstalten größten Stils ins
Leben gerufen; Hollenbach (E. und F. Richter), sowie Hanusch
liefern musterhafte Bronzefabricate, Karl Lustig that sich mit
seinen Silber- und Goldniello- Arbeiten hervor. An der Spitze dei
gepriesenen Wiener Möbelfabrication stehen Bernhard Ludwig und
Franz Schönthaler, während die als Wiener Specialität bekannten
Galanterie - Artikel im Atelier August Kleins ihre höchste
künstlerische Vollendung erhalten.
Hinsichtlich der Stilrichtung wiederholte das Kunstgewerbe
völlig die Entwickelung der Architektur. Anfangs, zur Zeit seines
Wiedererwachens, huldigte es der Renaissance, wobei es sich vor-
702 Alfred Nossig
wiegend an die edlen Formen der italienischen Renaissance hielt.
Neuerdings jedoch folgte es der in der Architektur immer kraftiger
hervortretenden Barock-Tendenz und setzt mit seinen zierlichen
Rococoformen die innere Ausstattung der Neubauten mit ihrer
äußeren Decoration in Übereinstimmung.
3. Die Kunstentwicklung in den österreichischen
Ländern.
Während in der ersten Hälfte des Jahrhundertes Ungarn und
Galizien auf dem Gebiete der bildenden Künste nichts Her\'or-
ragendes geleistet und die Prager Kunst trotz der günstigsten
Bedingungen zu keiner bedeutsameren Blüte gelangt war, begann
mit dem Regierungsantritte Kaiser Franz Josefs I. auch für diese
Länder eine Epoche rüstigen und erfolgreichen Kunstschaffens.
Der glänzendsten und eigenartigsten Kunstentfaltung darf sich
in dieser Ländergruppe Galizien rühmen. Zwar ist es nur die
Malerei, in der sich die galizischen Künstler hervorthun, auf
diesem Gebiete jedoch leisteten sie etwas, was der Wiener Maler-
schule versagt blieb : sie schufen eine gehaltvolle, von kräftigem
nationalen Leben erfüllte und technisch hochstehende Historien-
malerei. Man bringt die Erscheinung, dass in Galizien nur die
Malerei, nicht aber auch die Plastik und die Architektur zu glän-
zender Blüte gelangt, mit der geistigen Eigenart des polnischen
Volkes in Verbindung. L'^ns erscheint es indes wahrscheinlicher,
dass diese einseitige Kunstentwickelung auf materielle Gründe
zurückzuführen sei. Das ökonomisch geschwächte Land konnte
sich bis jetzt den Luxus des Monumentalbaues auf breiterer Basis
nicht gestatten ; die Architektur, die demnach so zu sagen für
Galizien keine actuelle Kunst war, zog die Talente nicht an, und
jene, die sich ihr gewidmet, fanden keine Gelegenheit zur Ent-
faltung. Ebenso ist es mit der Plastik, die mit dem Stande der
Monumentalarchitektur in festem Connexe sich befindet, da das
Material zu kostspielig ist, als dass ein Künstler ohne bestimmte
Hoffnung auf Absatz aus eigener Inspiration schaffen könnte. Die
Herstellungskosten eines Malwerks hingegen sind unbedeutend :
Das neunzehnte Jahrhundert. -^n-i
und es ist für die galizische Kunst charakteristisch, dass ihre
größten Meister, unbekümmert um ihre materielle Wohlfahrt, aus
freiem Drange Ureigenes schufen, während die Wiener Künstler
in der glücklichen Lage waren, fast alles auf Bestellung liefern zu
können. So erklärt es sich auch, warum die galizische Malerei
in ihren Idealwerken eine echt nationale, in sich geschlossene
Kirnst ist. Jan Matejko, der große Meister, der an der Spitze
der polnischen Künstlerschar steht, und dessen Namen sich gleich
dem eines Makart den glänzendsten in der Kunstgeschichte an-
reiht, bietet das vollendetste Bild einer derartigen uneigen-
nützigen, aus reiner Begeisterung fließenden Kunstthätigkeit. Sowie
er, den glänzenden Antrag der Prager Akademie ablehnend, unter
den bescheidensten materiellen Bedingungen sich der mühseligen
Arbeit der Reorganisation der Krakauer Akademie unterzog, so
schuf er eine lange Reihe imposanter Historienbilder, ohne auf
preiswürdigen Verkauf derselben zählen zu können. So hat er in
seinem ,, Reichstag zu Warschau 1773 'S in seiner ,, Union der
Polen und Litthauer zu Lublin**, in der ,, Schlacht auf dem Grün-
feld** und vielen anderen Kolossalbildern jene eigenthümliche, auf
markiger Zeichnung, rassentypischer Tonangebung, packendem,
sattem Colorit und machtvoller Composition beruhende polnische
Historie geschaffen, welche die Blüte der galizischen Kunst aus-
macht. So hat er, seinen Jugendidealen voll, wie selten ein
Künstler, folgend, die bedeutsamsten Momente aus der Geschichte
seines Volkes mit dem Verständnis eines Geschichtsforschers, mit
der Treue eines Archäologen und mit jener Charakterisierungskraft,
die ihn vor anderen auszeichnet, im Bilde wiedergegeben, um
schließlich in einem Cyklus von zwölf Skizzen, welche hoffentlich
noch ausgeführt werden werden, die Geschichte der Civilisation
Polens zusammenhängend darzustellen (siehe Abb. 93).
Während Matejko, ein Epiker des Pinsels, mit Vorliebe die
Glanzmomente der polnischen Geschichte wählt und seine Nation
mit dem Aufgebot aller malerischen Mittel auf der Höhe ihrer
Macht, in der vollen Pracht ihrer eigenartigen historischen Cultur
darstellt, hat der lyrische Arthur Grottger die Geschichte der
Leiden und Kämpfe seines Volkes unter russischer Herrschaft in
monochromen Zeichnungen erzählt. Grottger, der lange Zeit in
der Wiener Kunstatmosphäre verweilt, ohne sich derselben inner-
OQA Alfred Nossig
lieh assimilieren zu können, schuf Idealwerke von bleibendem
Werte erst, als er sich seiner nationalen Eigenart hingab und
Stoffe zu behandeln begann, die seinem Gemüthe nahe lagen. In
einem Cyklus, der die Schrecken des Krieges darstellt, hat Grottger
einen allgemein menschlichen Stoff mit virtuosem Stifte verarbeitet
und ein Werk geschaffen, das gleich seiner ,,Polonia*' zu den
ergreifendsten Dichtungen der Malerei zählt.
Viele glänzende Namen hat die galizische Malerschule neben
diesen beiden aufzuweisen. In Wien leben drei polnische Maler
von großem Rufe: Ajdukiewicz, welcher als Porträtmaler mit
Angeli, als Pferdemaler mit Blaas erfolgreich concurriert und heute,
nach Vollendung der Porträts Sr. Majestät des Kaisers und weiland
Kronprinzen Rudolf zu den gesuchtesten Künstlern der Hauptstadt
zählt; Pochwalski, der treffliche Porträtist und Rybkowski,
der fruchtbare Genremaler, dessen virtuose Miniaturscenen sich
einer großen Beliebtheit erfreuen.
In der Monumentalarchitektur hält Galizien, wie bereits er-
wähnt, nicht gleichen Schritt mit Ungarn und Böhmen. Nennens-
wert ist das Landtagsgebäude, die Polytechnik und das Staats-
bahnengebäude in Lemberg, sämmtlich in Renaissance aufgeführt.
Als der künstlerisch hochstehendste Architekt Galiziens gilt
Zacharjewicz, Professor an der Lemberger Polytechnik. Auch
gewandte Bildhauer besitzt Galizien, die jedoch auf ihr monu-
mentales Talent hin nicht erprobt sind: den trefflichen Decorateur
Marconi, der den Namen eines polnischen Weyr verdient, Baracz,
als Porträtist hervorragend, Blotnicki, ein vielseitiges Talent.
Auch Böhmen besitzt heute eine auf breiter Basis sich ent-
wickelnde nationale Kunst. Seine Kunsttradition ist, wie sich aus
unserer Darstellung ergab, älter und reicher als die Galiziens und
Ungarns, ja im Beginne der letzten Epoche der österreichisch-
ungarischen Kunst hatte Prag sogar Wien in der Entfaltung monu-
mentaler Kunstthätigkeit überflügelt. Noch war jedoch die böh-
mische Kunst um diese Zeit nicht national geworden: es war eine
durchaus österreichische Kunst, die auf dem Prager Boden reichere
Blüten trug als auf dem Wiens. Das war die Zeit, die mit der
Errichtung des Karl-Monumentes zur 500jährigen Gründungsfeier
der Prager Universität begann und noch bis ins Jahr 1858 hinauf-
Das «eimzehnte Jahrhundert.
395
reicht, wo Josef und Einanuel ^lax nach Rubens Zeichnungen das
Radetzky-Monument aufführten. Auch das Denkmal Kaiser Franz I.
fällt in diese Zeit. Bald jedoch kam namentlich durch die neuesten
politischen Verhältnisse, wie in Galizien und Ungarn, so auch
in Böhmen das nationale Element zu kräftigerer Entfaltung, und
es entstand eine national gefärbte Kunst, welche in Stoffwahl
und Behandlu^gsweise eigenartig zu sein bestrebt ist. Aus
dieser Richtung, welche durch die Restaurierung des Prager
Doms und des Karlsteiner Schlosses eingeleitet wurde, wuchs der
größte zeitgenössische Bildhauer Böhmens, Myslbeck, hervor,
sie hat auch das Schaffen Bro^iks, des böhmischen Matejko,
befruchtet. Brozik war nach Absolvierung der Prager Akademie
zu Piloty nach München gegangen. Schon sein erstes großes, in
München (1874) ausgestelltes Bild behandelte einen Stoff" aus der
böhmischen Geschichte: es stellte den Abschied König Ottokars IL
von den Seinen vor seinem letzten Kampfe gegen Rudolf von
Habsburg dar. Dieses Gemälde, gleich wie das folgende, ,,Dagmas,
Tochter Ptemysl Ottokars I. , wird von ihrem Bräutigam Waldemar
von Dänemark im Brautzug weggeführt'*, zeigte noch wenig Leben
und wies auch coloristisch kaum jene Vorzüge auf, die Bro2ik
heute eigen sind. Erst die ,, Gesandtschaft Ladislaus' von Böhmen
am Hofe Karls VII.**, ein von der Berliner Xationalgallerie ange-
kauftes Bild, zeigte den großen Historienmaler in Gruppierung
und Bewegung der Gestalten sowie in der Sattheit des Colorits.
Broziks letztes in Wien ausgestelltes Gemälde ,,Der Fenstersturz
zu Prag*' zeigt in prägnanter Weise die Glätte der Farbengebung
und die Klarheit der Composition, sowie die mehr akademische
Haltung, welche Brozik im Gegensatze zu der Malweise Matejkos
kennzeichnen (s. Abb. 94).
Der Rahmen unserer Darstellung gestattet es uns nicht, das
Verdienst der kleineren Kunstcentren Österreichs würdig zu
beleuchten. Doch sei zum Schlüsse auf die selbständige Kunst-
entfaltung Salzburgs und Innsbrucks hingewiesen, sowie auf die
Blüte der Triester Genre- und Landschaftsmalerei, welche sich
italienischen Mustern anschließt.
iq5 Alfred Nossig
4. Die Kuns.tentwicklung in Ungarn.
Für Ungarn brach mit dem Jahre 1867, da es die parlamen-
tarische Regierungsform unter einem nationalen Ministerium wieder-
erlangt und Kaiser Franz Josef I. feierlich als König von Ungarn
gekrönt ward, eine Epoche kräftiger Kunstentfaltung ein. Der
Staat, die Residenz, der hohe Clerus und der Adel wetteifern mit
einander in der Förderung der bildenden Künste. Schon Baron
JosefEötvös hatte als Unterrichtsminister zahlreichen Künstlern,
darunter auch Munkäcsy die Gelegenheit zur Ausbildung geboten
und in Pest die Landesmusterzeichenschule ins Leben gerufen,
welche von. Tre fort, dem Gründer des ersten ungarischen Kunst-
vereins, zu einer wahrhaft meisterhaften Kunstschule ausgebildet
wurde. Für die höhere Ausbildung in der Malerei wird durch
Errichtung einzelner Meisterschulen gesorgt, welche zugleich den
im Auslande lebenden ungarischen Meistern die Möglichkeit der
Rückkehr ins Heimatland eröflFnen. So wurde der treffliche Julius
B^nczur von München nach Pest berufen. Wie sehr die Regierung
die Kunst zu fördern bestrebt ist, bewies sie durch den Ankauf
der Esterhdzy' sehen Gallerie um den Preis von ij4 Mill. Gulden,
durch die zahlreichen Staatsaufträge, Studienbeiträge und Reise-
stipendien, die sie den Künstlern ertheilt; dem Unterrichts-
ministerium stehen in dieser Hinsicht der Landesrath für bildende
Künste, die Commission für Pflege der kirchlichen Malerei, die
städtische Commission zur Wahrung der künstlerischen Interessen
Pests zur Seite. Der kimstsinnige ungarische Clerus erweitert jähr-
lich seine Gallerien und opfert namhafte Beträge für die Pflege der
kirchlichen Malerei und Plastik; Johann von Simor, der Fürst-
primas von Ungarn, Cardinal Haynald, die Bischöfe Ipolyi,
Schlauch, Samassa, Czäszka und Koväcs haben für die
ungarische Kunst nicht weniger gethan als Graf Julius Andrassy,
der Schöpfer der Andrassystraße, Georg von Majläth und die
kunstsinnigen Vertreter anderer ungarischer Adelsgeschlechter, die
Grafen Zichy, Karolyi und Tisza.
Eine so munificente Förderung der Künste kam zunächst der
Architektur zugute. Pest erhielt eine Reihe von glänzenden
Monumentalbauten. Die Franzstadter Kirche erstand, die Basilika
zum hl. Leopold wurde stilvoll umgebaut ; neben dem National-
Abb. 95. Ur.ir Aiidraasy, Portrait v
Das neunzehnte Jahrhundert. '^Q?
museum, dem städtischen Redoutengebäude, dem Künstlerhause,
dem Opernhause und dem Centralbahnhofe führte man das Gebäude
der medicinischen Facultät, die Staatsbibliothek, das Polytechnikum,
das Landesrabbinerseminar auf. Was für Wien die Ringstraße ist,
wurde für Pest die Andrassy Straße.
In den meisten dieser Bauten fand die Monumentalmalerei
Gelegenheit zur Bethätigung. Than und Lotz, aus der Schule
Rahls hervorgegangen, verpflanzten die Traditionen des Wiener
Meisters nach Pest ; sie stehen an der Spitze der Pester Ideal-
malerei. Neben ihnen besitzt das heutige Ungarn eine Schar
hervorragender Maler aller Fächer. Während sich Horowitz
und B^nczur (siehe Abb. 95) als Porträtisten einen Weltruf er-
worben haben, machen sich R^vdsz, Feszty und Spitzer als
Genremaler von hervorragendem Talente bemerkbar; so ist R ^ v ^ szs
Bild ,,Nach dem Unfall", Feszty s ,, Grubenunglück**, Spitzers
,,Mamahatdas Tanzen erlaubt** jenseits der Grenzen Ungarns wohl-
bekannt. Von den ungarischen Historienmalern seien die Piloty-
schülerj. Sickely mit seiner ,, Auffindung der Leiche Ludwigs IL**
und Alexander Wagner mit seinem ,, Turnier** (König Mathias
besiegt den Ritter Holubar) genannt.
An Begabung, Schwung und Ruhm überstrahlte alle ungari-
schen Künstler Michael Munkdcsy, der ehemalige Tischler-
junge, welcher heute eines der glänzendsten Pariser Ateliers sein
nennt. Nach kurzem Aufenthalt in der Wiener Akademie gieng
Munkdcsy zu Franz Adam nach München, dann zu Knaus und
Vautier nach Düsseldorf und machte sich schon 1869 durch sein
ergreifendes Genrebild ,,Die letzten Tage eines Verurtheilten**
bemerkbar. Tiefer Ernst, ein im Interesse der monumentalen
Wirkung weise gedämpfter dramatischer Zug, packende Realistik
der Physiognomien und der Gewänder, das sind die Kennzeichen
der großen Munkdcsybilder, welche dem ganzen gebildeten Publicum
bekannt sind: man braucht nur ihre Titel ,, Christus vor Pilatus**,
,,Milton seinen Töchtern das verlorene Paradies dictierend**,
,, Mozarts Tod** zu nennen, um die Erinnerung an die vielfachen
Reproductionen dieser wirkungsvollen Gemälde im Gedächtnis auf-
steigen zu lassen (s. Abb. 96). Das Gebiet der idealen Monumental-
malerei betrat Munkdcsy, als ihm der Auftrag zutheil wurde, die
Decke des Stiegenraumes im neuen kunsthistorischen Museum zu
j
jgS Alfred Xossig
Wien mit einem Gemälde zu schmücken, Rlunkicsj' stellte daselbst
eine Apotheose der Renaissance dar. Auf dem Hintergrunde einer
idealen Barockarchitektnr sieht man Tizian, der einen Schüler im
Zeichnen unterweist, vor ihnen zwei schöne Frauengestalten als
Modelle ; in einer Loggia sitzt Papst Leo X. , vor dem Bramante
einen Bauplan entrollt. Paul Veronese steht mit der Palette vor
einer aufgespannten Leinwand, Michel Angele ruht in tiefem
Sinnen an einer Brüstung, während Rafael mit Leonardo
die Stufen herabkominen. Über der erlauchten Versammlung
erhebt sich in den Lüften der beflügelte Genius des Ruhmes.
Abb. 96. Möiarts Tod, von M. MimkJtcay.
Es ist ein großes Verdienst Muukäcsjs, dass er nicht ein auf
die Decke gespanntes Wandgemälde gemalt , wie die Klimrat-
Matsch'schen Bilder im neuen Burgtheater, sondern nach dem
Vorgang der großen italienischen Meister ein perspectivisch ent-
worfenes , echtes Deckengemälde versucht hat. Der Versuch
ist, was die Zeichnung anbelangt, nicht vollständig geglückt ;
um so größer aber ist die coloristische Bra%our, mit der das
Das neunzehnte Jahrhundert 7Qq
Kolossalbild ausgeführt ist. Jedenfalls sichert das Werk Munkäcsy
einen Ehrenplatz in der Reihe der österreichisch - ungarischen
Monumentalmaler.
Die Entwickelung der monumentalen Plastik förderte in
Ungarn die Errichtung zahlreicher Denkmäler, deren Kosten zu-
meist im Wege der öffentlichen Subscription durch freiwillige Bei-
träge der Nation erbracht wurden. Den Franz- Josefsplatz zu Pest
schmückt das Denkmal Franz D^aks, an welchem die zwei be-
gabtesten Bildhauer Ungarns, Adolf Huszdr und Alois Strobl,
gearbeitet. Graf Stephan Sz^chenyi, Baron Josef E6tv6s,
der Freiheitsdichter Alexander Petöfi und viele andere her-
vorragende Männer der älteren und jüngsten Geschichte Ungarns
sind durch Denkmäler geehrt worden. Unter den ungarischen
Bildhauern ragen György Kiss (dessen ,, Mörder **gruppe bekannt
ist), Antal Sz^csi (,, Erzengel Michael'*), Josef Engel (,,Die
Jägerin*') und G. Zala als Porträtist hervor.
Der Neubau des ungarischen Parlamentshauses, sowie der
Umbau der königlichen Burg in Ofen sichern den bildenden
Künstlern Ungarns lohnende Aufgaben.
• » -i»- ■ rf ■iH^- -* ■ M ••• •
SCHLUSSWORT.
Von Albert Ilg.
Die Schilderungen, welche in den Blättern dieses Buches
gegeben sind, bieten zwar bloß einzelne Bilder aus dem Kunstleben
Osterreich -Ungarns dar — weit entfernt davon, dieses gewaltige
Thema nach allen Seiten hin berührt zu haben — sie dürften den-
noch aber vielleicht doch zu der Erkenntnis genügen, dass die
Kunstentwickelung in unserem Vaterlande von ihrem Ursprünge
an eine bedeutende, gesunde und interessante ist. Denn sie beruht
zunächst auf dem Volksleben, die Kunst ist bei uns aus dieser
mächtigen Quelle genährt, stark geworden und hat den Zusammen-
hang mit dem Volksgeiste niemals verloren. Was in ihr frisch,
anmuthig, naiv und heiter, kindlich und rein ist, dankt sie ihrer
Abkunft aus der Volkesseele, und wäe diese reich und tief und
mannigfaltig ist, so spiegelt sich solche Fülle denn auch in den
Gebilden einer Kunst, welche kein künstlich importiertes Erzeugnis
ist, sondern verwachsen bleibt mit der Stammesart der Heimat.
Die Geschichte hat Österreich-Ungarn mit seiner merkwürdigen und
wichtigen Stellung zwischen Occident und Orient, zwischen dem
heitern Italien und dem ernsten Deutschland, eine so bedeutsame
großartige Rolle ertheilt, eine Mission von so hohem Werte für die
gesammte Welt, dass ein geistreicher Mann mit Recht sagen dürfte :
wenn dieses Osterreich nicht schon, bestände, so müsste man eines
schaffen. Naturgemäß müssen in einem solchen Staatswesen die
mannigfachen geistigen Elemente, welche hier inbegriffen sind,
auf einander wirken und kann dadurch nur ein Gesammtbild
geistigen Lebens entstehen, welches von so verschiedenen Elementen
berührt, die interessantesten Seiten darbietet. Wohl mag da zu-
weilen jene friedsame Ruhe der Entwickelung fehlen, wie sie unter
anderen Umständen im Culturleben gedeihen kann; wohl mag hier
von Störungen, Unterbrechungen, Kämpfen und unerreichten Zielen
-■ k
Schlusswort.
401
oftmals die Rede sein, aber gerade diese stete Gährung der ver-
schiedensten geistigen Gewalten gibt dem heimatlichen Cultur-
gemälde eben auch den ureigensten Reiz,
Die natürliche Veranlagung der Volksstämme Österreich-Un-
garns für die bildenden Künste hatte zur Folge, dass sie nicht
bloß befruchtenden Einflüssen fremder Cultur zugänglich waren,
ihre selbständige Befähigung veranlasste vielmehr es in allen
Epochen, dass ihr Genius das Übernommene, fem von bloßer Nach-
ahmung, stets frei verarbeitete und zuletzt immer zu prächtigem
Eigenthume umzuschaffen vermochte. Es gibt freilich keinen
österreichischen Stil, wie es keine österreichische Sprache und
keine österreichische Musik gibt, wohl aber entbehrt auch die
Pflanze der bildenden Kunst, erfreulicherweise in unseren Gauen
nicht den Erdgeruch der Scholle, auf der sie eigenartig ihre Blüten
entfaltete, mag auch oft der Same von fremden Gestaden gebracht
worden sein. Wir können mit vollem wissenschaftlichen Ernste
von einem österreichischen Romanismus, von österreichischer Gothik
und Barocke sprechen, was die Renaissance aber betrifft, sagen,
dass dieses Reis Italiens zuerst bei uns auf deutschem Boden
geblüht hat.
Neben der gesunden Grundlage, welche unser Kunstleben im
freien Volksthume der Heimat fand, ist aber noch ein anderer Factor
als unendlich wichtig zu betrachten, wenn man die Genesis der
Kunst m Osterreich-Ungam erforschen will. Wenn die Geschichte
des Vaterlandes in der That auch die Geschichte seiner Dynastie
genannt werden kann, so ist es desgleichen nicht zu viel gesagt,
wenn man in der Hauptsache die Kunstentwickelung hierzulande
im Zusammenhang mit den Schicksalen, mit dem Wirken und
Schaffen, mit der Initiative des Fürstenhauses erklären zu müssen
behauptet. Das ,,Haus** Österreich, das ,,Erzhaus*S die ,, Erb-
lande*', — diese Worte, mit denen die Geschichte seit Jahrhunderten
redet, der Geist der Sprache, der mit ihnen den historischen Ver-
hältnissen bezeichnenden Ausdruck verliehen hat, — das kündet
so recht, wie in der Dynastie seit jeher nicht bloß alles gipfelte,
sondern charakterisiert auch das innige, familienhafte Wesen,
welches stets Thron und Volk vereinte und immer vereinen wird.
Bei solcher Sachlage aber kann es nicht fehlen, dass auch die
höchsten geistigen Bestrebungen stets mit dem Herrscherhause
«
Kunstgescfaichtl. Charakterbilder aus Österreich-Ungarn. 26
402 Albert Ilg
Fühlung hatten, ja dass gerade in unserer Heimat, wo leider nur
allzuoft heftige Stürme das Friedensbild zerrissen, immer und
immer wieder nur die Dynastie der treue Pfleger und Schützer jener
zarten Culturkeime sein musste. Nach tausenden und tausenden
von Beweisen, welche in neuester Zeit die Wissenschaft unwider-
leglich geliefert hat, kann Freund und Feind heute nicht leugnen,
dass unsere Kunst in allen Jahrhunderten stets nur an der starken
Stütze der Kunstfreude seiner Fürsten emporrankte, und wenn
dabei auch keineswegs übersehen wird, welch' hohe Verdienste
neben der Dynastie auch Clerus und Adel, Städte und Bürgerthum
und im Geiste der modernen Einrichtungen der Staat sich erworben
haben, so ist es doch nur gerecht und dankbar einzugestehen, dass
bei uns zu aller Zeit die Anstrengungen der genannten Factoren
ohne den sarken Halt an der Dynastie in diesen Dingen erfolglos und
vorübergehend gewesen wären, dass nach langen Unterbrechungen
immer wieder nur das Herrschexhaus die Impulse zu neuem Schaffen
gegeben hat. In einer solchen Gestaltung der Kunstentwickelung
liegt aber noch ein unendliches wertvolles und bedeutsames Mo-
ment: es ist der Zauber des Persönlichen, des Individuellen und
Intimen, was durch diesen Vorantritt einzelner Begeisterter, welche
die Krone trugen, in unsere Kunst gesenkt worden ist, ein Reiz,
der sich von den Einzelnen dann in die Vielen verbreitete und
in dieser Menge endlich mit der Befähigung der kunstbegabten
Stammesart vermählt, zu so schönen Ergebnissen verbinden sollte.
Und auch in den Tagen der Gegenwart hat dieses Gesammt-
bild heimatlichen Kunstwesens die alten, frischen Farben nicht
eingebüßt. Mit kräftiger Begeisterung, mit reicher Begabung
drängen sich auch in diesen Tagen alle Volksstämme der weiten
Monarchie zum Tempel der. Kunst, und auch heute folgen sie
dabei den Schritten ihres geliebten Herrschers. Unser Jahrhundert
ist freilich wohl in allen Landen der Erde nicht in jenem Maße
eine Blütenaera der Künste, wie es frühere Zeiten gewesen waren.
Unter dem Drucke manch rauher Gewalten hebt diese göttliche
Blume ihr Antlitz nicht so frei und fröhlich zur Sonne empor,
wie in alten Tagen als mildere Lüfte sie umspielten. In solchen
Zeiten ist es aber gewiss besser gethan, statt das Schicksal unnütz
anzuklagen, lieber mitten in den harten und prosaischen Kämpfen
des Daseins zu retten und zu wahren, zu schützen und zu schirmen,
Schhisswort.
403
was wir vermögen. Und in dieser Beziehung kann unser Vater-
land wohl mit gerechtem Stolze sich rühmen, dass in seinen Gauen
zur Pflege der Kunst unter der Regierung Franz Josefs mehr
gethan und geschaflFen wurde als irgendwo. Aus dem tiefsten
Verfalle, in welchem alle Tradition, alles historische Bewusstsein,
aller Zusammenhang mit der großen Vergangenheit abgerissen war,
ist die Kunst bei uns jüngst wieder in jugendlicher Schöne und
gesunder Kraft ans Licht gestiegen. Den Verlust der Kenntnisse,
das Verderbnis des Geschmackes und die Verwahrlosung der tech-
nischen Geschicklichkeit haben weise Einrichtungen beseitigt und
was das bedeutendste an dieser Sache ist, die Errungenschaften
sind nicht künstliche Versuche geblieben, sondern haben tiefe
Wurzeln in unserem Volksthume.
Wir sehen heute die Kunstwissenschaft in Österreich-Ungarn
gepflegt und gefördert, eine Forschungsthätigkeit, welche, wie sie
aus heimatlichem Geiste neu begründet wurde, sich auch dankbar
und gerecht nunmehr der Würdigung der vaterländischen Kunst-
geschichte zugewendet hat, welche so lange vernachlässigt war.
Der Technik und dem Gewerbe, dem Kunsthandwerk und der
Industrie sind ihren Zwecken dienende Museen, Sammlungen und
Schulen aufgethan, über alle Länder verbreitet erblicken wir ein
Netz von Kunstgewerbeschulen, Staatsgewerbe- und Fortbildungs-
schulen, ja selbst dem Volksschulunterrichte hat sich der Geist
kunstfertiger Schulung der Hände und edlerer Geschmacksbildung
genähert. Sehen wir so auf Gebieten, welche nicht eigentlich zu
demjenigen der Pflege der hohen Kunst angehören, vom Univer-
sitätshörer bis zum Lehrjungen, ja bis zum Schulkinde, der Jugend
die idealen Einwirkungen der Kunst zugänglich gemacht, so ist
vom eigentlich praktischen Kunstleben und -weben noch bedeuten-
deres zu sagen. Vor kurzem verkündete eine weihevolle Festfeier,
dass eine der vornehmsten Kunstschulen Österreich-Ungarns, die
Wiener Akademie der bildenden Künste ihr Wirken durch zwei
Jahrhunderte fortgeführt habe, jenes altehrwürdige Institut, an
dessen Wiege ebenfalls ein Spross des erlauchten Fürstenhauses
gestanden. Neben ihr aber und noch wirksamer als sie fördert in
unseren Tagen ein allgemeiner Kunstsinn die Blüte, eine Kunst-
freudigkeit, welche namentlich angeregt durch die gewaltige Bau-
thätigkeit der Gegenwart alle Schwesterkünste, alle Gewerbe, alle
26*
I
I
t
»
I
I
404 Albert llg
Industrien mächtig in Bewegung gesetzt hat. Sie hat auch das
hohe Verdienst, denjenigen bisher verkannten Kunststil der Ver-
gangenheit, in welcher sich die österreichische Architektur auf das
genialste gezeigt hatte, den heimatlichen Barockstil wieder in Auf-
nahme ZVL bringen. (Siehe Abb. 97.) Jene großen Architekten,
von welchen in dem Abschnitt über die Kunst unter Franz Josef
die Rede war, sind nicht nur unsere größten, sondern auch die
größten des Jahrhunderts überhaupt gewesen und es ist neben dieser
großartigen Thatsache eine nicht minder schöne Erkenntnis, dass
auch kleine Leute, Kunsthandwerker und -lehrer, welche aus
unseren Schulen hervorgiengen, die gesuchtesten sind in fremden
Landen. Künstlergenossenschaften, vor allem die vornehmste von
ihnen im Wiener Künstlerhause, haben durch die Veranstaltung
großer internationaler, sowie kleinerer Ausstellungen unablässig
gewirkt. Die Hebung der graphischen Künste erfuhr durch eine
auf kaiserlichen Befehl gegründete Commission des Oberstkämmerer-
amtes, sowie durch die Gesellschaft der vervielfältigenden Künste
in Wien erfreuliche Hebung. Ausgehend von so lebhafter Befeue-
rung im großen hat Kunstsinn und Geschmack sich aber auch in die
weitesten Kreise der Bevölkerung verbreitet Haus und Wohnung,
Schmuck und Kleidung, kurz unser ganzes äußeres Leben ist ein
schöneres, gefälligeres geworden und die Veredlung des Volksgeistes
durch diese Erscheinung ist eine tief eingreifende und wichtige.
Eine der hochherzigsten Thaten unseres Kaisers, welche neben
anderen großen Zwecken auch dem letztgedachten in besonderer
Weise dient, war der Entschluss, die unendlichen, Jahrhunderte
alten Schätze seines Hauses als ein Ganzes in einem prachtvollen
Hause, welches selber wieder die Kunst schuf, imter der Führung
der Wissenschaft allen in der freiesten Weise zugänglich zu machen,
welche sich dem Borne der Kunst nahen wollen. Mit der Schöpfung
des kunsthistorischen Museums Seines erhabenen Hauses in Wien
hat der Kaiser ein Institut gegründet, von solchem Reichthum,
von solcher Herrlichkeit, von solcher Bedeutung für die Wissen-
schaft und für das gesammte Gulturleben, dass uns alle Staaten
Europas mit Recht darum neiden. Der kunstsinnige Monarch
blieb damit wieder aber nur alten Traditionen treu, indem er
seiner Ahnen Werk, seines Hauses Gut, zum geistigen Eigenthum
machte für seine Völker.
\\
■ \
Scliliisswort. 405;
Für die übrigeii Kunstscliätze und Alterthüuier ist in Osterreich- .
Ungarn ebenfalls nach Möglichkeit gesorgt worden. Neben den
wenigen Museen und Sammlungen, welche es vor der Regie-
rung des Kaisers im I,ande gegeben, sind nun zahlreiche Neu-
gründungen entstanden und haben sich dieselben nach antiquari-
schen, localhistorischen, gewerblichen, technologischen und anderen
Gesichtspunkten organisch gegliedert. Eine außerordentlich segens-
reich wirkende Schöpfung des Kaisers, welche anregend und bei-
spielgebend in auswärtigen Staaten werden sollte, ist die k. k.