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Full text of "Kunstgeschichtliche Charakterbilder aus Österreich-Ungarn"

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Kunstgeschichtliche 


CHARAKTERBILDER 


AUS 


ÖSTERREICH-UNGARN. 


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ERZHERZOG   THANZ    JOSEPH 


KUNSTGESCHICHTLICHE 


CHARAKTERBILDER 


AUS 


ÖSTERREICH-UNGARN. 


UNTER  MITWIRKUNG  VON 

MORIZ  HOERNES,  ROBERT  RITTER  von  SCHNEIDER, 

JOSEF  STRZYGOWSKI,  JOSEF  NEÜWIRTH,  HEINRICH  ZIMMERMANN, 

ALFRED  NOSSIG 

HERAUSGEGEBEN  VON 


ALBERT    rXG. 


MIT  102  ORIGINAI^ZEICHNÜNGEN  (2  RADIERUNGEN,  3  HEUOGRAVÜREN 

UND  97  TEXTABBILDUNGEN). 


PRAG.  WIEN.  LEIPZIG. 

F.    TEMPSKY.  F.    TEMPSKY.  G.    FREYTAG. 


1893. 


Druck  von  Gebrüder  Stiepel  in  Reichenberg. 


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VORWORT. 


as  vorliegende  Buch  hat  die  Aufgabe,  den  Leser  auf 
das  noch  wenig  geschilderte  Gebiet  der  kunstgeschicht- 
liehen  Entwicklung  in  Österreich-Ungarn  zu  geleiten. 
Das  hier  Gebotene  soll  eine  Leetüre  sein,  durch  welche 
sich  ein  ziemlich  reiches  Gesammtbild  vom  Werdegang  der  bildenden 
Künste  auf  dem  Boden  unseres  Heimatlandes  eröffnet,  angefangen 
von  jenen  frühesten  Epochen,  in  welchen  hier  die  ersten  Spuren 
künstlerischen  Schaffens  bei  einem  unbekannten  Menschen- 
geschlechte  begegnen,  eine  Culturthätigkeit  primitiver  Art,  von  der 
ims  heute  nur  Funde  im  Schlamme  unserer  Seen  Kunde  über- 
liefern. Die  Schilderung  tritt  dann  in  das  klarere  Licht  des  ge- 
schichtlichen Zeitalters  ein  und  berichtet  von  der  Herrlichkeit 
römischer  Architektur  im  Süden  Österreichs,  erzählt  von  der  wach- 
senden Cultur  des  Christenthums,  durchschreitet  die  weiten  Zeit- 
räume des  Mittelalters,  der  Renaissance-,  Barock-  und  Rococozeit 
und  schließt  mit  einem  Bilde  des  mächtigen  Aufschwunges  der  Kunst 
unserer  Tage,  in  welchen  Osterreich,  besonders  auf  dem  Gebiete  der 
Architektur,  unter  dem  kunstfreundlichen  Mäcenatenthume  unseres 
erhabenen  Monarchen  eine  der  ersten  Stellen  unter  denjenigen 
Ländern  eingenommen  hat,  welche  sich  großer  kunstgeschichtlicher 
Bedeutung  rühmen  können. 

Dieses  Buch  soll  jedermann,  besonders  aber  der  reiferen 
studierenden  Jugend,  in  die  Hände  gegeben  werden,  um  den  all- 
gemeinen Unterricht  nach  einer  Seite  hin  zu  ergänzen,  welche  in 
der  Schule  nicht  eingehend  genug  berührt  werden  kann.  Jedoch 
unsere  Schrift  will  kein  eigentliches  Lehrbuch  sein  und  möge  daher 


"yi  .  Vorwort. 

auch  von  diesem  Gesichtspunkte  beurtheilt  werden.  Es  ist  nicht 
eine  Kunstgeschichte  Österreich-Ungarns,  auch  nicht  ein  Katechismus 
dieser  Doctrin ;  sein  Inhalt  will  den  Gegenstand  nicht  erschöpfen 
und  lückenlos  dem  Studium  entgegenbringen,  sondern  es  sollen  in 
diesen  Blättern,  wie  schon  der  Titel  ,, Charakterbilder**  andeutet, 
bloß  einzelne  besonders  hervorragende  und  interessante  oder  gerade 
für  Österreich-Ungarn  bezeichnende  Erscheinungen  des  Kunstlebens 
aus  der  langen  Reihe  der  Jahrhunderte  herausgegriffen  und  abge- 
schlossen geschildert  werden.  Der  Zweck  des  Unternehmens  ist 
daher  derjenige,  in  einzelnen  Charakteristiken  zu  zeigen,  zu  welch 
hoher  Bedeutung  die  Entwicklung  der  Dinge  auf  dem  Felde  des 
künstlerischen  Culturlebens  in  unserem  Vaterlande  gediehen,  welche 
hervorragende  Rolle  in  dieser  Beziehung  Österreich  -  Ungarn  in 
der  Geschichte  des  Geisteslebens  für  die  gesammte  Welt  einnimmt 
und,  speciell  für  den  Sohn  dieses  Landes,  welch  herrliche  Scliätze 
dieser  Art,  vielfach  noch  allzuwenig  bekannt  und  beachtet,  ihm 
,  die  eigene  Heimat  darbietet.  In  diesen  Grenzen  gehalten,  soll  das 
Buch  belehren  und  vorzugsweise  anregen,  um  den  ersten  Boden 
für  ein  eingehenderes  Studium  vaterländischer  Kunstgeschichte  bei 
einer  größeren  Anzahl  von  Gebildeten  zu  bereiten,  als  solche  sich 
bisher  diesem  Gegenstande  zugewendet  haben. 

Der  Fachmann  wird,  wie  wir  hoflFen,  gewahr  werden,  dass 
unsere  Schilderungen  überall  auf  dem  Höhepunkte  der  gegen- 
wärtigen wissenschaftlichen  Forschung  stehen ;  er  möge  aber  bei 
seinem  Urtheil  immer  den  populären  Charakter  der  Schrift  im 
Auge  behalten,  welche  in  ihrer  Art  zum  erstenmale  mit  diesem 
Gegenstande  sich  an  einen  größeren  Leserkreis  wendet,  bei  welchem 
keine  fachliche  Vorbildung  vorausgesetzt  ist. 

Auf  die  illustrative  Ausstattung  wurde  in  dem  Sinne  besonders 
Gewicht  gelegt,  als  bei  der  reichen  Fülle  der  Abbildungen  durchaus 
nur  originale  Aufnahmen  zur  Verwendung  kamen.  Das  Verzeichnis 
der  Illustrationen  und  ihrer  Urheber  bezeugt,  dass  einerseits  Kräfte 
ersten  Ranges  wie  Unger,  H.  Charlemont,  .Niemann,  Bernt,  Pessler, 
Michalek,  Joh.  Deininger,  Ohmann,  Fahmbauer  etc.  zur  Mitwirkung 
gelangten,    andererseits  aber  vorzüglichen  jungen    Künstlern  hier 


Vorwort  YII 

eine  Arena  eröffnet  wurde,  um  sich,  größtentheils  zum  erstenmale, 
an  einer  vornehmen  und  würdigen  Aufgabe  zu  betheiligen, 

Se.  k.  u.  k.  Apostolische  Majestät,  unser  Allergnädigster  Kaiser, 
haben  huldvollst  geruht  zu  gestatten,  dass  Allerhöchst  Dessen 
Knabenbildnis  nach  der  Miniatur  von  M.  Daffinger  dem  Werke  in 
Reproduction  beigegeben  werde.  Se.  kais.  und  kön.  Hoheit  der 
Durchlauchtigste  Herr  Erzherzog  Karl  Ludwig  genehmigte  die 
Wiedergabe  des  Waldmüller' sehen  Gemäldes  ,,Däs  neue  Leben**. 

Ihre  Durchlaucht  Frau  Marie  Fürstin  zu  Hohenlohe-Schillings- 
fürst  überließ  die  Schwind' sehe  Handzeichnung  aus  dem  Cyklus  der 
barmherzigen  Werke  der  heil.  Elisabeth  zur  Nachbildung. 

Wir  unterlassen  es,  über  die  Wahl  der  Autoren,  welchen  die 
Darstellung  der  einzelnen  Charakterbilder  übertragen  wurde,  ein- 
gehend zu  berichten,  und  begnügen  uns  zu  bemerken,  dass  ihre 
Namen  durch  wissenschaftliche,  sowie  populäre  Leistungen  bereits 
allgemein  bekannt  sind.  —  Möge  das  von  patriotischer  Gesinnung 
getragene,  sorgfaltig  geschaffene  Werk  für  die  äithetische  Bildung 
unseres  Volkes  und  zur  Belebung  seines  reichlich  vorhandenen 
Kunstsinnes  erfreuliche  Früchte  zeitigen ! 


INHALTS  -VERZEICHNIS, 


Seite 
DIE  URZEIT.    Das  Erwachen  des  Kunstsinnes  in  der  Urzeit.  Die  Cultiir  in 
den  Pfahldörfern  der  Ostalpen.  Die  Herrschaft  des  „Hallstätter**  Stiles. 
Von  Moriz  Hoernes. 

Die  Urzeit 3 

DREI  RÖMISCHE  STÄDTE  (Aquileja,  Pola,  Salona).    Von  Robert  Ritter 
von  Schneider. 

Drei  römische  Städte 21 

1 21 

II 31 

III 38 

DAS  FRÜHE  UND  DAS  HOHE  MITTELALTER.  Von  Josef  Strzygowski. 

Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter 53 

1.  Das  Christenthum 53 

2.  Die  Völkerwanderung 62 

3.  Die  deutsch-romanische  Kunst 71 

DAS  SPXTE  MITTELALTER.  Von  Josef  Neu  wir  th. 

St.  Stephan  in  Wien  und  St,  Veit  in  Prag 93 

Karlstein  in  Böhmen  und  Runkelstein  in  Tirol,   zwei  Burgen.   .   iio 

Der  St.  Wolfganger  Altar  von  Michael  Pacher 123 

Die  Kunstblüte  Ungarns  unter  Mathias  Corvinus 129 

Krakau  zur  Zeit  des  Mittelalters,  ein  Städtebild 141 

DIE  RENAISSANCE.   Von  Heinrich  Zimmermann. 

Kaiser  Maximilian  I.  und  sein  Kunstschaffen,    Das  Maxgrab  zu 

Innsbruck 165 

Erzherzog  Ferdinand  von  Tirol  und  seine  Sammlung  im  Schloss 

Ambras 194 

Kaiser  Rudolf  II.  und  die  Prager  Kunstkammer 210 

Geschichte   der   kaiserlichen   Kunstsammlungen   bis   zum  Tode 

Kaiser    Ferdinands    II.    —   Die   Sammlung   des  Erzherzogs 

Leopold  Wilhelm 230 

DIE  BAROCKE.    Von  Albert  Ilg. 

Die  Barocke 259 

DIE  ROCOCOZEIT.    Von  Albert  Ilg. 

Die  Rococozeit 309 


X 


Inhalts- Verzeichnis. 


Seite 
DAS  NEUNZEHNTE  JAHRHUNDERT.    Von  AlfredNossig. 

I.  Die  Kunst  unter  den  Kaisern  Franz  I.  und  Ferdinand  I.  .    .  327 

1.  Die  classische  Schule 327 

2.  Die  kämpfende  Romantik 341 

3.  Das  Wiener  Sittenbild 348 

4.  Der  Vorfrühling  der  modernen  Monumentalkunst  .    .    .  358 

II.  Die  Kunst  unter  Kaiser  Franz  Josef  1 361 

1.  Die  siegreiche  Romantik 361 

2.  Die  Wiener  Kunst  seit  der  Stadterweiterung    .....  366 

3.  Die  Kunstentwicklung  in  den  österreichischen  Ländern  392 

4.  Die  Kunstentwicklung  in  Ungarn 397 

vSCHLUSSWORT :  Von  Albert  Ilg 400 


VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN. 


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Seite 

Abb.     I.  Gräberfunde  von  Hallstatt,   gez.  von  J.  G.  Fahr  nbaner     ....  3 
„        2.  Bruchstücke   verzierter  Werkzeuge    aus   Thierknochen,    (diluvial), 

gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer 5 

„       3.  Ein  Pfahldorf  in  den  Ostalpen,  gez.  von  J,  G.  Fahrnbauer  ...  8 
„       4.  Thongefaße  aus  dem  Laibacher  Moor,  (jüngere  Steinzeit),  gez.  von 

J.  G.  Fahrnbauer 9 

5.  Schmuck  aus  den   Pfahlbauten   von  Peschiera,  (Bronzezeit),    gez. 

von  J.  G.  Fahrnbauer 12 

6.  Keltische  Bronzefiguren,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer 18 

7.  Das  Amphitheater  in  Pola,  gez.  von  H.  Charlemont 21 

8.  Mithras,  gez.  von  H.  Charlemont 29 

9.  Tempel  zu  Pola,  gez.  von  H.  Charlemont 33 

10.  Aus  dem  Palaste  von  Spalato,  gez.  von  H.  Charlemont    ....  39 

ir.  Vom  Theater  des  Marcellus  in  Rom  (nach  Viollet-le-Duc)    ...  43 

12.  Wasserleitung  des  Hadrian  zu  Athen  (nach  Stuart  und  Revett)     .  44 

13.  Portal  des  Vestibüles  in  Spalato 44 

14.  Vom  Peristyle  in  Spalato 45 

15.  Krates  der  Kyniker,  Bronze-Statuette,  gez.  von  H.  Charlemont    .  50 

16.  Ausgrabungen  von  Salona:  Die  Basilika,  gez.  von  G.  Niemann  55 

17.  Innenansicht  und  Details  der  Basilika  zu  Parenzo,  gez.  von  J.  Pfeiffer  60 

18.  Steinreliefs  des  8.  und  9.  Jahrhunderts  aus  Dalmatien  und  Istrien  66 

19.  Karolingische  Initiale,  gez.  von  J.  Pfeiffer 70 

20.  Krypta  des  Domes  zu  Gurk,  gez.  von  J.  Pfeiffer 75 

21.  Glasfenster  im  Kreuzgange  des  Klosters  Heiligenkreuz,    gez.    von 
J.  Pfeiffer 80 

22.  Die  Kirche  von  S.  Jäk  in  Ungarn,    gez.    von  J.  Pfeiffer     ....  82 

23.  Die  Apsis  der  Kirche  zu  Schöngrabern  und  ihre  Sculpturen,  gez. 
von  J.  Pfeiffer 84 

24.  Mittelbild   der  Malereien  im    Nonnenchore  des  Domes  zu   Gurk 
gez.  von  J.  Pfeiffer 85 

25.  Bronzener  Letichterfuss  im  Dome  zu  Prag,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer  86 

26.  Büste  des   Meisters  Pilgram  an  der  Kanzel  des  Wiener  Stephans- 
domes, gez.  von  J.  Pfeiffer 93 

27.  Nordöstliche  Ansicht  von  St.  Stephan  in  Wien,  gez.  von  G.  Niemann  94 

28.  Die  Kanzel  im  Wiener  Stephansdome,  gez.  von  J.  Pfeiffer    ...  98 

29.  Südseite  des  Prager  Veitsdomes,  gez.  von  G.  Niemann     ....  loi 

30.  Büste    Karls   IV.    auf  der  Triforiumsgallerie  des    Prager  Domes, 
gez.  von  E.  Wenzel 106 


n 


XII 

Seite 

Abb.  31,  Büste   der   Gemahlin    Karls    IV.    auf    der    Triforiumsgallerie   des 

Prager  Domes  gez.  von  E.  Wenzel 107 

„     32,  Inneres  der  Kreuzkapelle  in  Karlstein,  gez.  von  G.  Niemann    .     .     113 
„      33.  Das  Ballspiel.    Wandgemälde  im  Neidhardsaale  der  Burg  Runkel- 

stein,  gez.  von  T.  Grubhofer 120 

„      34.  Der  St.  Wolfganger  Altar,  gez.  von  T,  Grubhofer 123 

„      35.  Mathias  Corvinus.     Nach  dem  Marmorrelief  der  kunsthist.  Samm- 
lungen in  Wien,  gez.  von  J.  PfeiflFer 129 

„     36.  Titelblatt  der  lateinischen  Philostrat-Übersetzung  von  Antonio  Bon- 
fini  (Wien,  Hofbibliothek),  Miniatur  in  der  Manier  des  Attavante 

degli  Attavanti,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer 136 

„     37.  Pokal  in  Wiener-Neustadt,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer 139 

„      38.  Inneres  der  Jagellonen-Kapelle  in  Krakau,  gez.  von  Drjak  .     .     .     147 
„      39.  Mittelschrein  des  Hochaltars  von  V.  Stoss  in  der  Marienkirche  zu 

Krakau,  gez.  von  G.  Niemann 149 

„      40.  Die  Tuchhalle  in  Krakau,  gez.  von  G.  Niemann 152 

„      41.  Das  Florianithor  in  Krakau,  gez.  von  G.  Niemann 156 

„      42.  Portrait  Kaiser   Maximilians  I.,   von  Ambrogio  de   Predis   in   den 
kunsthistorischen  Sammlungen    des  A.  H.  Kaiserhauses,    gez.  von 

E.  Wenzel 168 

„      43.  Die    Lauerpfeife.       Geschützmodell   in   der   WafFensammlung   des 

A.  H.  Kaiserhauses,  gez.  von  J.  Pfeiffer 172 

„      44.  Jugendspiele    Maximilians.       Holzschnitt    Hans    Burgkmayrs    im 

Weisskunig 177 

„      45.  Grabdenkmal  Kaiser  Maximilians  I.  in  der  Franziskanerhofkirche 

zu  Innsbruck,  gez.  von  J.  Pfeiffer 183 

„      46.  Das  Belvedere  in  Prag,  gez.  von  G.  Niemann 195 

„      47.  Brunnen  im  Garten  des  Belvederes  in  Prag,  gez.  von  F.  Ohmanu    203 
,     48.  Römerschlacht,  Cedernholzrelief  von  Alexander  Colin  (?)    in   den 
kunsthistorischen    Sammlungen     des    A.    H.    Kaiserhauses,     gez. 

von  J.  Pfeiffer 205 

„      49.  Erzherzog    Ferdinands     mailändische    Rüstung    in    der    Waffen- 
sammlung des  A.  H.  Kaiserhauses,  gez.  von  A.  Kaiser   ....     207 
„      50.  Standuhr  aus  Bergkrystall  von  Jobst  Burgi  in  den  kunsthistorischen 

Sammlungen  des  A.  H.  Kaiserhauses,  gez.   von   J.  G.   Fahrnbauer     213 
„      51.  Bronzebüste  Rudolfs  II.  von  Adrian  de  Fries  in  den  kunsthistorischen 

Sammlungen  des  A.  H.  Kaiserhauses,  gez.  von  G.  Kemp     .     .     .     217 
„      52.  Vermählung  der  Heil.  Katharina,    von  Mathäus  Gundelach  in  der 

Gemäldesammlung    des    A.   H.    Kaiserhauses,  gez.  von  E.  Schroth     219 

V      53«  Carmeliterkirche  in  Wien,  gez.  von  G.  Niemann 263 

„      54.  Inneres  des  Domes  in  Salzburg,  von  S.  Solari,  gez.  von  J.  Grienberger    274 

„      55.  Peterskirche  in  Krakau,  gez.  von  J.  Pfeiffer 274 

„      56.  Theater  von  Andrea  dal  Pozzo ,     .     .     .     276 

„      57.   Landhaus  in  Innsbruck  von  Gumpp,  gez.  von  Johann  Deininger  .     281 
„      58.  Schiff  der  Stiftskirche   in  Molk,    von  Jakob  Prandauer,    gez.    von 

J.  Pfeiffer 281 

59.  Palais  des  Prinzen  Eugen,  gez.  von  J.  Pfeiffer 287 

„      60.  Hofburg  in  Wien,  gez.  von  J.   Pfeiffer 286 


n 


XIII 

Seite 

Abb.  6i.  Belvedere  im  lyiechtenstein-Park,  gez.  von  G.  Niemann   ....  2S8 

k                          n      62.  Nicolauskirche  auf  der  Kleinseite  in  Prag,    gez.  von  G.  Niemann  291 

„     63.   Leopold  I.,  Elfenbeinplastik  von  M.  Steindl,  gez.    von  J.  Pfeiffer  294 

„      64.  Pietä  von  G.  R.  Donner   im  Dome  zu  Gurk,  gez.  von  E.  Wenzel  296 

„      65.  Prinz  Eugen»  Marmorgruppe    von  B.  Permoser,    gez.  von  J.  Köpf  298 

„      66.  Plafond  von  Carlo  Carlone  im  Wiener  Belvedere,  gez.  von  M.  Henriksen  299 

„     67.  Saal  im  Stifte  St.  Florian,  gez.  von  J.  Pfeiflfer 302 

„     68.  Gitter  von  Schmiedeeisen,  Dominicanerkirche   in  Wien,    gez.  von 

A.  Kaiser 308 

„  69.  Stuccatur  im  Palais  Liechtenstein  in  Wien,  gez.  von  A.  Kaiser  308 
^      70.  Die   Gloriette   in    Schönbrunn,    von   Ferd.    von  Hohenberg,    gez. 

von  G.  Niemann 315 

„      71.  Salon  im  Kaiserl.  Schlosse  Hetzendorf,  gez.  von  J.  Pfeiffer       .     .  316 

„      72.  Diana  von  J.  Hagenauer,  gez.  von  ly.  Michalek 319 

^      73.  Sarkophag  Kaiser  Karls  VI.  von  B.  Moll,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer  321 

„      74.  Bett  Maria  Theresias,  gez.  von  J.  G.  Fahrnbauer 326 

„  75.  Karyatiden-Portal  von  F.  Zauner,  gez.  von  E.  Wenzel  ....  335 
„     76.  Apoll  mit  den  Musen,  Theater  Vorhang,  gemalt  von  Josef  Abel  nach 

H.  Füger,  gez.  von  L.  Michalek 338 

77.  Heil.  Elisabeth,  von  M.  v.  Schwind,  gez.  von  E.  Pessler      .     .     .  347 

78.  Die  Lautenspielerin,    von  Fr.  Amerling,    gez.  von  J,  Pfeiffer    .     .  346 
„      79.  Das  Erwachen   zum    neuen  Leben,    von  F.  Waldmüller,    gez.  von 

J.  Köpf 353 

„     80.  Die  kaiserliche  Familie,  von  P.  Feudi,  gez.  -von  A.  Juppe  .     .     .  354 

„     81.  Gott  Vater,  Zeichnung  von  J.  Führich 363 

„     82.  St.    Georg.    Bronzegruppe  von   A.  Fernkorn  im   Pal.  Montenuovo 

in  Wien,  gez.  von  E.  Wenzel 365 

„      83.  Büste  des  Historienmalers  Karl  Rahl,  von  Hans  Gasser,  gez.  von 

L.  Michalek 367 

„      84.  Das  kais.  Stiftungshans   in  Wien,    von   Freih.    von  Schmidt,    gez. 

von  G.  Niemann 370 

„     85.  Hof  des  Osterr.  Museums  in  Wien,    von  H.  von  Ferstel,  gez.  von 

R.  Bernt 369 

„      86.  Palais   Erzherzog   Wilhelm    in  Wien,    von   Th.    Hansen,  gez.  von 

G.  Niemann 373 

„      87.  Die  k.  k.  Hofmuseen  in  Wien,  von  K.   von   Hasenauer,    gez.  von 

R.  Bernt 375 

„      88.  Sarkophag-Relief,  von  K.   Kundmann,  gez.  von  E.  Wenzel  .     .     .  377 

„     89.  Prometheus,  Relief  von  A.  Scharff,  gez.  von  W.   Schulmeister.     .  381 

„      90.  Makarts  Atelier,  gez.  von  J.  Köpf 384 

„     91.  Laudon,  von  L'Allemand,  gez.  von  C.  Scharlach 386 

92.  Der  Strassenkampf,  von  PettenkoflFen,  gez.  von  J.  Köpf  ....  387 

93.  Aus  Matejkos  Reichstag  zu  Warschau,  gez.  von  C.  Schuster     .     .  393 

„      94.  Genrebild  von  Brozik,  gez.  von  C.  Schuster 395 

„     95.  Graf  Andrassy,  Portrait  von  B^nczur,  gez.  von  G.  Kemp.     .     .     .  397 

„     96.  Mozarts  Tod,  von  M.  Munckäcsy,  gez.  von  A.  Juppe 398 

„      97.  Modernes  Wohnhaus  im  Barockstil,  gez.  von  R.  Bernt     ....  405 

Die  Originale  von  Abb.  78,  81  und  92  sind  im  Besitze  der  k.  k.  Akademie 
der  bild.  Künste  in  Wien  und  wurden  mit  Erlaubnis  des  Institutes  hier  veröffentlicht. 


n 


XIV 

Tafeln  : 

Seite 

Tafel  I. :      Der  Palast  des  Diocletian  in  Spalato,    gez.  von  H.  Charlemont 

Rad.  von  W.  Unger 41 

Tafel  II. :    Der    spanische    Saal    in    Ambras.      Heliogravüre.      Gez.     von 

T.  Grubhofer 198 

Tafel  III. :  Erzherzog  Leopold  in  seiner  Gemäldesamralnng.     Gemälde  von 

D.  Teniers  d.  J.     Heliogravüre 252 

Tafel  IV. :  Maria  Theresia -Denkmal  in  Wien,  von  C.  Zumbusch.  Heliogravüre.  378 
Tafel  V. :     (Titelbild)   Erzherzog  Franz  Josef,    Miniatur  von   M.  Daffinger. 

Rad.  von  W.  Unger I 


DIE  URZEIT. 


DAS  ERWACHEN  DES  KUNSTSINNES  IN   DER  URZEIT. 

DIE  CULTUR  IN  DEN  PFAHLDÖRFERN  DER  OSTALPEN. 

DIE  HERRSCHAFT  DES  „HALLSTÄTTER"  STILES. 

Von 
D5j;   MORIZ   HOERNES. 


KuustKC'Chichtl.  Charakterbilder  aus  Ögterreich-Ungam. 


JJie  ältesten  Anfänge  der  Kunst  verlieren  sich  in  das  Dunkel 
der  Urzeit.  Dieselben  tiefen  Schatten,  welche  den  Ursprung  des 
Menschengeschlechtes  selbst  bedecken,  fallen  auch  auf  die  ersten 
Regungen  seines  Kunstsinnes.  In  dämnierhaften  Erscheinungen 
begleiten  sie  die  ersten  Spuren  seines  Auftretens  auch  in  unserer 
Heimat  und  bezeugen  mit  leiser  Stimme,  dass  das  Hinausstreben 
über  die  Schranken  der  einfach  zweckmäßigen  Form,  das  Mit- 
spielen eines  ästhetischen  Wohlgefallens  an  den  Erzeugnissen  seiner 
Hände  zu  den  Wiegengeschenken  gehört,  welche  die  Natur  dem 
Menschen  als  unvergängliche  Kennzeichen  seiner  Eigenart  auf  den 
Weg  mitgegeben  hat. 

Freilich,  von  Schöpfungen,  wie  sie  später  unter  glücklicheren 
Sternen  die  ragenden  Zierden  und  Wahrzeichen  der  Städte  und 
Landschaften,  die  Denkmäler  kunstsinniger  Fürsten  und  den  Stolz 
erleuchteter  Nationen  bilden,  ist  in  der  Urzeit  nicht  die  Rede. 
Das  ungestörte  Leben  wilder  und  halbwilder  Völkerschaften,  welches 
heute  selbst  in  den  entlegeneren  Gebieten  des  Erdenrundes  schon 
dem  Erlöschen  nahe  ist,  bietet  uns  in  der  Gegenwart  noch  manche 
Analogie  zu  den  primitiven  Zuständen,  unter  welchen  die  ältesten 
Bewohner  des  heutigen  Länderkreises  von  Österreich-Ungarn  dahin- 


A  Moriz  Hoernes 

lebten.  Ein  ungeheurer  Abstand  trennt  die  Höhen  der  modernen 
Cultur  von  den  Lebensformen  der  Urzeit,  und  doch  sind  auch  in 
dem  Profil  der  letzteren,  wie  auf  dem  Meeresgrunde,  Höhen  und 
Tiefen  wahrzunehmen,  und  die  Culturgeschichte  muss  zu  den 
prähistorischen  Zeiten  hinabsteigen,  um  die  historischen  Denkmäler 
nicht  nur  nach  ihrem  vollen  Werte  zu  würdigen,  sondern  auch  in 
ihren  Vorläufern,  d.  h.  in  ihren  ersten  Keimen,  zu  ergründen. 

Während  die  geschichtlichen  Perioden  in  jeder  Hinsicht  durch 
einen  raschen  Wechsel  der  Erscheinungen  charakterisiert  sind, 
kennzeichnet  sich  das  prähistorische  Culturleben  durch  ein  lang 
andauerndes  Verharren  auf  einigen  wenigen,  mühsam  errungenen 
Entwickelungsstufen.  Dort  ist  eine  bunte,  anziehende  Gestalten- 
fülle in  verhältnismäßig  kurze  Zeiträume  zusammengedrängt.  Hier 
sind  die  Perioden  anfangs,  entsprechend  der  Stellung  des  Menschen, 
der  sich  noch  nicht  hoch  genug  über  die  anderen  Lebewesen  empor- 
geschwungen hat,  von  unermesslicher  Ausdehnung;  später,  in  dem 
Maße,  als  sich  seine  Kräfte  entfalten  und  als  wir  uns  dem  Beginn 
der  Geschichte  nähern,  ziehen  sie  sich  immer  mehr  zusammen;  und 
unmerklich,  so  dass  man  nicht  sagen  kann,  wo  die  Vorgeschichte 
aufliört  und  die  Geschichte  anfangt,  gehen  sie  in  die  Perioden  der 
letzteren  über.  Es  macht  den  Eindruck,  als  ob  wir  aus  einer  öden, 
nur  durch  kümmerliche  Gestaltungen  schwach  belebten  Steppe  nach 
und  nach  in  eine  blühende  Landschaft  einträten. 

In  Niederösterreich,  in  Böhmen,  Mähren  und  Galizien  ist 
durch  zahlreiche  Funde  im  Löss,  in  Höhlen  und  Felsenspalten  die 
Gleichzeitigkeit  des  Menschen  mit  den  ausgestorbenen  oder  ausge- 
wanderten Thiergattungen  der  Diluvialzeit  festgestellt.  Aus  diesen 
Ländern  besitzen  wir  Kunde  von  der  Existenz  unseres  Geschlechtes 
in  dem  Rahmen  eines  längst  verschollenen  Weltbildes  von  äonen- 
langer Dauer,  in  welchem  die  Natur  den  Menschen  fast  noch 
erdrückte.  Aber  schon  hier,  in  der  sogenannten  ,, älteren  Stein- 
zeit** oder  paläolithischen  Periode,  wo  der  unstete,  thierisch-wilde 
Jäger  der  Urzeit  den  Stein  zum  Gebrauche  nur  roh  zuzuschlagen, 
nicht  einmal  durch  Glättung  zu  schärfen  wusste,  kein  Thongeschirr 
besaß  und  nur  vorübergehend  unter  Höhlen  oder  Lehmwänden 
Zuflucht  vor  der  Unbill  des  Wetters  suchte,  finden  wir  die  ersten 
Spuren  des  Ornaments  auf  Mammut-  oder  Renthier  -  Knochen. 
Wechselnde  Strichlagen  sind  mit  einem  scharfen  Feuersteinsplitter 


—  denn  ein  anderes  Instrument  besaß  der  Unnenscli  zu  solcher 
Arbeit  nicht  —  auf  der  glatten  Fläche  eingegraben,  und  unzwei- 
deutig zeigt  sich  in  diesen  schüchternen  Versuchen  das  Bestreben, 
den  leeren  Raum,  welchen  das  Auge  ungern  erträgt,  durch  eine 
geordnete  Fülle  von  Details  zu  beleben.  Welcher  Art  diese  Einzel- 
heiten sind,  das  hängt  von  der  Technik  ab,  durch  welche  der  er- 
wähnte leere  Raum  geschaffen  wird.  Bei  der  Schnitzarbeit  sind 
es  natürlich  eingeschnittene  gerade  Linien  (Abb.  2),  bei  der  Ver- 
zierung von  Thongefäßen  rundliche  Eindrücke  oder  Furchen  in 
vielfaltiger  Wendung   und   Durchkreuzung,    wie    sie   das   Material 


Abb.  3,     Bnichstüclce  verzieiter  Werkzeuge  aus  Thierknocheti,  (diluvial). 

gestattet  und  die  zur  Bewältigung  desselben  dienenden  Werkzeuge 
(manchmal  nur  die  Fingerspitzen)  leicht  hervorbringen.  Farbige 
Verzierung  wird  im  Norden  verhältnismäßig  selten  angebracht. 
Über  diese  primitive  Kunststufe  ist  die  Urzeit  eigentlich  nicht 
hinausgekommen;  nur  hat  sie  sich  derselben  allgemach  in  ihrer 
ganzen  Breite  bemächtigt.*) 

*)  Die  Echtheit  einer  großen  Zahl  von  Bei nac haitiereien,  welche  mit  über- 
rascheader  Schärfe  der  Naturbeobachtung  thierische  und  menschliche  Gestalten 
meist  in  flachem  Relief  oder  eingegrabener  Umrisszeichnnng,  seltener  in  Ruud- 
figuren,  wiedergeben,  bildet  noch  eine  Streitfrage  der  Wissenschaft.  Derlei  Vber- 
reste  stammen  zumeist  aus  franzosischen  Knochen  höhlen.  Wenn  diese  frappanten 
XuQemngen  eines  früh  entwickelten,  a atu rali st i sehen  Kunstsinnes  und  Knnst- 
vermögens  wirklich  der  Urzeit  angehören,  so  sind  sie  jedenfalls  unfruchtbar  ge- 
blieben und  haben  in  den  Folgeperioden  der  Vorgeschichte  keine  Fortsetzling 
erlebt. 


5  Moriz  Hoernes 

Es  bedeutete  einen  ungeheuren  Fortschritt  in  der  Cultur  der 
europäischen  Menschheit,  als  sie  nach  dem  Ablaufe  der  Diluvial- 
zeit den  Stein  zu  glätten  und  zu  schleifen,  Thongefäße  zu  formen 
und  zu  brennen  lernte.  Anfangs  noch  als  Jäger  und  Fischer  in 
Höhlen  wohnend,  wie  es  die  ältesten  neolithischen  Reste  gleich- 
mäßig für  Mähren  wie  für  das  adriatische  Küstenland  bezeugen, 
gab  der  vorgeschichtliche  Bewohner  Österreichs  dieses  ärmliche 
Leben  allmählich  auf  und  bequemte  sich,  vielleicht  unter  dem  Ein- 
fluss  einer  von  Asien  her  zugewanderten,  höher  civilisierten  Be- 
völkerung, zixm  Halten  von  Hausthieren,  zum  Ackerbau  und  damit 
zu  festen  Wohnsitzen.  Er  lernte  spinnen,  weben  und  Brot  backen, 
an  geeigneten  Stellen  auch  Kupfer  gewinnen,  das  erste  Metall, 
welches  der  Mensch  der  Natur  abrang,  um  es  zu  Schmuck  und 
Werkzeugen  zu  verarbeiten.  So  schwang  er  sich  auf  eine  breite 
und  gedeihliche  Bahn,  die  seine  Nachkommen  auf  dem  flachen 
Lande,  wenn  auch  unter  vielfach  geänderten  und  gebesserten  Lebens- 
bedingungen, noch  heute  nicht  verlassen  haben.  Der  Boden  Öster- 
reich-Ungarns ist  voll  von  Resten  zahlloser  Ansiedlungen  aus  dieser 
Zeit.  Und  nicht  nur  der  feste  Boden.  Denn  in  diese  Periode, 
welche  man  die  neolithische  oder  jüngere  Steinzeit  nennt,  fällt 
eine  der  eigenthümlichsten  Erscheinungen  der  europäischen  Urzeit, 
die  Entstehung  und  Blüte  der  Pfahlbauten.  Diese  merkwürdigen 
Dorfschaften,  auf  Pfahlrosten  in  Seen  und  Sümpfen  des  Alpen- 
und  des  Flachlandes  oder  auch  in  sanftströmenden  Flüssen  errich- 
tet, allmählich  durch  Zubauten  erweitert,  später  unter  dem  Druck 
feindlicher  Einfalle  verlassen  oder  durch  Feuer  zerstört  und  auf- 
gegeben, sind  zuerst  1854  in  der  Schweiz  entdeckt  und  alsbald  in 
einem  weiten  Bogen  durch  ganz  Europa  vom  ägäischen  bis  zum 
atlantischen  Meere  nachgewiesen  worden.  Sie  reichen  weit  nach 
Norddeutschland  hinauf  und  bis  Oberitalien  hinab;  das  Herz  ihres 
Verbreitungsgebietes  ist  die  Alpenzone,  und  in  hervorragender  Zahl 
und  Bedeutung  sind  sie  auch  bei  uns,  in  deiji  österreichischen 
Alpenländern,  namentlich  im  Salzkammergute,  dann  in  Krain  und 
Kärnten  von  der  Baggerschaufel  wieder  aufgefunden  worden. 

Die  österreichischen  Pfahlbauten  sind  dadurch  von  jenen  der 
benachbarten  Schweiz  unterschieden,  dass  sie  ausschließlich  der 
reinen  Steinzeit  angehören,  während  jene  theilweise  in  die  Bronze- 
periode hineinreichen.     !Mit  dem  spärlichen  Auftreten  des  Kupfers, 


Die  Urzeit.  n 

das  noch  lange  nicht  die  Rolle  der  später  zur  Herrschaft  gelangen- 
den Legierung  aus  Kupfer  und  Zinn,  das  ist  der  Bronze,  spielt, 
brechen  die  österreichischen  Pfahlbauten  ab.  Um  diese  Zeit  müssen 
sich  die  Bewohner  aus  den  Seedörfem  auf  das  feste  Land  gezogen 
haben,  wo  sie  mit  größerem  Vertrauen  als  bisher  und  alsbald  im 
Besitze  harter,  schneidiger  Metallwerkzeuge  den  Wald  ausrodeten 
und  in  trockenen  Grund  die  Stützen  ihrer  Hüttendächer  einsenkten. 

Aber  was  bewog  die  Erbauer  der  Pfahlbauten  zu  dem  schwie- 
rigen Werk,  sich  entfernt  vom  Ufer  über  dem  glänzenden  Wasser- 
spiegel der  Seen  ihr  Heim  zu  errichten  ?  Diese  Frage  beantworten 
wir  durch  einen  Blick  auf  das  düstre  Bild,  welches  die  Urzeit 
unserer  Heimat  zur  Pfahlbauperiode  gewährt.  Das  Antlitz,  das  die 
Natur  damals  ihrem  jüngsten  Kinde  zeigte,  zwang  dieses  zu  einer 
nach  unseren  Begriflfen  widernatürlichen  Art  der  Siedelung. 

Rund  um  die  Seen  her  breitete  sich  die  Wildnis  unwirtlicher, 
fast  undurchdringlicher  Wald-  und  Bergregionen.  Wo  der  nackte 
Fels  nicht  steil  zum  Wasser  abfiel,  da  senkte  sich  der  finstere  Ur- 
wald mit  seinem  unabsehbaren,  nie  gelichteten  Wipfelmeer  bis  ans 
Ufer  herab,  oder  dieses  dehnte  sich  mit  breitem  Sumpfgürtel 
zwischen  Wald  und  See  und  wehrte  den  Zugang  vom  Festland 
zur  Wasserfläche.  Ebener,  trockener,  sonniger  Boden  zur  Errichtung 
menschlicher  Wohnungen  war  weit  und  breit  nicht  zu  finden. 
Dagegen  lockte  der  schimmernde,  freundliche  Seespiegel  mit  Macht 
hinaus,  über  dem  feuchten  Elemente  zu  wohnen.  Die  seichten 
Stellen  unfern  des  Ufers,  in  ruhigen,  vor  dem  Wellenschlag  ge- 
schützten Buchten,  von  welchen  benachbarte  Höhen  auch  den  Anfall 
rauher  Luftströmungen  abhielten,  boten  einen  trefflichen  Baugrund. 
In  den  Schlamm  und  den  sandigen  Letten  der  Seetiefe  wurden  die 
mit  Steinbeilen  behauenen  und  zugespitzten  Pfahle  reihenweise 
eingetrieben,  darüber  Querbalken  gelegt  und  aus  Planken-  oder 
Rundholzlagen  eine  Plattform  hergestellt.  Darüber  erhoben  sich 
die  runden  oder  viereckigen  Wohnhütten  mit  ihren  hohen,  Stroh- 
dächern und  ihren  wetterfesten  Wänden  aus  lehmverkleidetem 
Flechtwerk.  Treppen  und  Fallthüren  stellten  an  beliebigen  Orten 
die  Verbindung  mit  dem  Wasser,  lange  Stege  oder  Brücken  die- 
jenige mit  dem  Festland  her.  Der  ,,Einbaum'*,  ein  Kahn  aus 
einem  ausgehöhlten  Baumstamme  bestehend,  führte  den  See- 
ansiedler rasch  und  bequem  an  jeden  Uferplatz,  den  er  erreichen 


3  Moriz  Hoernes 

wollte,  oder  zu  nahen  und  ferneren  Seedörfern.  Denn  selten  stand 
ein  Pfahlbau  allein  in  einem  See ;  in  der  Regel  waren  alle  günstigen 
Punkte  im  Umfange  desselben  zur  Anlage  solcher  Niederlassungen 
benützt,  und  sicher  standen  dieselben  untereinander  geradeso  in 
freundschaftlichem  Verkehr  wie  heute  die  Bewohner  eines  und 
desselben  Alpenthales. 

Den  größten  Vortheil  boten  die  Seedörfer  ihren  Bewohnern 
als  Fischern  und  Jägern.  Es  sind  sehr  fischreiche  Gewässer,  in 
welchen  die  Reste  der  Pfahlbauten  gefunden  werden ;  und  einst 
war  dieser  Reichthum  gewiss  noch  größer,  zumal  um  die  Seedörfer, 
wo  soviele  Abfalle  ins  Wasser  geworfen  wurden,  welche  die  Fische 
anlockten,  nährten  und  ihrer  Vermehrung  zuträglich  waren.  Aber 
auch  das  Wild  kommt  zum  Wasser  herab,  um  sich  zu  tränken 
oder  im  Schlamme  zu  wälzen.  Da  war  es  leicht,  mit  dem  Netz 
oder  mit  Pfeil  und  Bogen  stattliche  Beute  zu  gewinnen.  Die  Jagd- 
trophäen der  sehnigen  Männer,  welche  einst  den  Pfahlbau  bei 
Brunndorf  im  Laibacher  Moore  bewohnten,  setzen  uns  noch  heute 
in  Erstaunen.  Der  gewaltige  Edelhirsch  und  das  Reh,  Bär  und 
Wisent,  Urochs  und  Elk,  Wildschwein  und  Biber,  Dachs  und 
Wolf  erlagen  den  wohlgezielten  Schüssen  und  den  wuchtigen  Hie- 
ben der  steinbewehrten  Nimrode.  Das  Fleisch  dieser  und  anderer 
Thiere  wurde  gegessen,  die  Knochen  zu  Werkzeugen  verarbeitet, 
die  Zähne  durchbohrt  und  als  Schmuck  getragen.  Mit  denselben 
WaiBFen,  welche  dem  Gethier  des  Waldes  so  furchtbar  wurden,  — 
schweren  Steinhämmem,  scharfen  kleinen  Beilen,  die  in  Hirsch- 
horn gefasst  und  so  in  einen  Holzstiel  gefügt  waren,  Lanzen  und 
Pfeilen  mit  Feuersteinspitzen,  —  konnten  sich  die  Pfahlbauern  auch 
feindlicher  Einfalle  erwehren.  Aber  den  besten  Schutz  gegen 
Feindesgefahr  bot  ihnen  die  Lage  ihrer  Ansiedlungen,  wahrer 
Wasserburgen  und  Seefestungen,  die  man  auch  im  Winter,  wenn 
die  Seen  zufroren,  leicht  durch  OflFenhalten  eines  breiten  Grabens 
gegen  das  Land  hin  sichern  konnte. 

Die  Gewohnheiten  der  Jagd  und  des  Fischfanges  knüpfen  den 
Pfahldörfler  an  die  älteren  Perioden  der  Urzeit;  mit  jüngeren  Cul- 
turstufen  verbinden  ihn  die  fortschrittlichen  Künste  der  Domesti- 
cation  und  des  Feldbaues.  Als  Hausthiere  besaß  er  das  Rind, 
Schaf,  Ziege  und  Schwein,  seltener  das  Pferd  und  den  Esel,  allein 
merkwürdiger  Weise  auch  schon  den  Hund,  der  als  treuer  Beglei- 


ter  des  Menschen  auf  der  Jagd,  wie  auf  der  Weide,  sich  gerade  so 
nützlich  zu  machen  wusste  wie  heute.  Auf  dem  Festland  hatten 
die  Seeansiedler  nicht  nur  ihre  Weideplätze  und  Pferche,  sondern 
auch  Ackerfluren.  Hier  bauten  sie,  wie  die  zahlreichen  Reste  von 
Feldfrucht  in  den  Culturschichten  der  Seedörfer  beweisen,  ver- 
schiedene Gattungen  von  Weizen  und  Gerste,  Hirse,  Flachs, 
Mohn  und  einige  Gemüse,  als  Möhre,  Erbse,  Linse.  Die  Getreide- 
arten weisen  auf  eine  südliche  oder  östliche  Herkunft  dieser  Boden- 
cultur  hin.  Das  Brot  wurde  in  Fladen  aus  wenig  zermalmten 
Weizen-  oder  Hirsekörnern  bereitet  und  in  der  heißen  Asche  ge- 
backen.     Die    Mahlsteine    sind   einfache,    längliche    Platten,    auf 


Abb.  4.    ThongefäSe  aus  dem  Laibacher  Moor,  (jüngere  Steinzeit). 

welchen  die  Brotfrucht  mittels  eines  kleineren  Handsteines  zer- 
rieben wurde.  Aus  Lindenbast  fertigte  man  Stricke  und  kunst- 
volle Matten,  aus  gesponnenem  Flachs  mittels  eines  ebenso  ein- 
fachen als  sinnreichen,  senkrecht  stehenden  Webstuhles  Leinwand. 
Die  Reste  der  letzteren  erregten  bei  der  Wiederauffindung  anfangs 
ungläubiges  Staunen,  da  man  sich  schwer  überzeugen  ließ,  dass 
diese  gemusterten  Stoffe  aus  derselben  Zeit  und  von  denselben 
Händen  herrühren  sollten  wie  die  unförmlichen  Geräthe  und 
Werkzeuge  aus  geglätteten  Steinen  und  Knochen. 

Bei  diesem  allgemeinen  Stande  der  Cultur  wird  es  uns  nicht 
Wundernehmen,    auch    die   Lust   und   den  Geschmack    an  Verzie- 


lO  Moria  Hoernes 

rungen  unter  den  Pfahlbaubewohnern  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
entwickelt  zu  finden.  Zumal  an  den  Thongefaßen,  deren  Formen 
selbst  noch  sehr  einfach  sind,  äußert  sich  die  bescheidene  Neigung 
zur  Flächendecoration  mit  parallelen  und  gekreuzten  Linien;  es 
entrollt  sich  eine  wenig  umfangreiche  Musterkarte  von  geometri- 
schen Motiven ,  der  man  noch  kaum  den  Ehrennamen  eines 
Ornamentstiles  beilegen  kann.  (Die  verzierten  Thongefaße  der 
Abbildung  4  stammen  aus  dem  Pfahlbau  im  Laibacher  Moore.) 
Die  Verzierungen  sind  stets  mit  einem  Spatel  in  den  weichen 
Thon  eingerissen;  eine  Farbenwirkung  ist  nur  manchmal  durch 
Ausfüllung  der  vertieften  Linien  mit  einer  weißen  Masse  erzielt 
worden.  Der  Fund  einer  menschenähnlichen  Thonfigur  (wahr- 
scheinlich eines  Idoles)  in  dem  Laibacher  Pfahlbau  bildet  eine 
ziemlich  vereinzelte  Ausnahme. 

Am  reichhaltigsten  an  Pfahlbaufunden  hat  sich  bisher  in 
Osterreich  der  Attersee  erwiesen.  Sechs  Pfahldörfer  sind  einst 
in  diesem  Becken  gestanden  ;  es  sind  die  Stationen  bei  Seewalchen, 
Aufham,  Weyeregg,  Puschacher,  Kammer  und  beim  Orte  Atter- 
see. Kaum  minder  ergiebig  war  der  nahe  Mondsee.  Bei  Gmun- 
den  lag  ein  Pfahlbau  im  Traunsee.  Auch  der  österreichische  Theil 
des  Bodensees  hat,  wie  die  Uferpartien  der  übrigen  angrenzenden 
Staaten,  Überreste  von  Seedörfem  der  Steinzeit  bewahrt.  Der 
Pfahlbau  bei  Brunndorf  im  Laibacher  Moore,  das  einst  ein  See- 
becken war,  wetteifert  an  Fundreichthum  mit  den  Stationen  des 
Salzkammergutes.  In  Ungarn  sind  aus  dem  Neusiedlersee  Pfahl- 
bausachen der  Steinzeit  gehoben  worden.  An  zahlreichen  anderen 
Plätzen,  wo  verwandte  Überreste  zwischen  Pfählen  in  trockenem 
Boden  erhalten  geblieben  sind,  ist  man  im  Zweifel,  ob  es  sich  da 
um  echte  Wasserdörfer  oder  sogenannte  ,,Terramaren*',  d.  i.  Pfahl- 
bauten auf  festem  Lande  handelt.  Diese  letzteren  sind  eine  in 
Italien,  aber  auch  in  Böhmen  und  Ungarn  häufig  beobachtete  Er- 
scheinung und  fallen  überwiegend  in  die  Bronzezeit.  Welchem 
Volk  oder  welchen  Völkern  die  Pfahlbauten  angehören,  ist  eine 
noch  ungelöste  Frage.  Nur  für  die  Apenninhalbinsel  glaubt  man 
gefunden  zu  haben,  dass  es  die  später  unter  dem  Namen  der 
Italiker  bekannten  Stämme  waren,  welche,  von  den  Alpenländem 
herabsteigend  und  von  dorther  an  Pfahldörfer  gewöhnt,  zuerst  in 
Oberitalien    auf  trockenem  Boden  solche  Bauten    errichtet  haben. 


Die  Urzeit.  II 

Von  einer  vollständigen  Statistik  und  Topographie  der  Pfahlbauten 
in  Österreich-Ungarn  sind  wir  höute  noch  weit  entfernt.  Nach 
verschiedenen  Anzeichen,  wozu  auch  die  Schilderung  eines  thra- 
kischen  Seedorfes  bei  Herodot  gehört,  haben  wir  es  mit  einer 
Cultur  zu  thun,  welche  von  Osten  her  sich  in  Europa  eingebür- 
gert, hier  einen  breiten  Raum  eingenommen  und  namentlich  auch 
in  der  Urgeschichte  unserer  Heimat  eine  sehr  wichtige  Rolle  ge- 
spielt hat. 


Auf  die  Periode  der  Pfahlbauten  und  der  neolithischen  Land- 
ansiedlungen  folgt  in  der  Vorgeschichte  Österreich-Ungarns  die 
Herrschaft  der  reinen,  d.  h.  eisenfreien  Bronzecultur.  Darunter 
versteht  man  einen  Zeitraum,  in  welchem  der  Mensch  außer  den 
Werkzeugen  und  Geräthen  aus  Stein,  Hörn  und  Knochen  auch 
noch  solche  aus  einer  Legierung  von  90  Theilen  Kupfer  und 
10  Theilen  Zinn  besaß.  Durch  das  Hinzutreten  dieses  goldglän- 
zenden, geschmeidigen  Metalles,  das  sich  leicht  gießen,  hämmern 
und  schleifen  ließ,  erfuhr  der  prähistorische  Bewohner  Europas 
eine  gewaltige  Unterstützung  in  seinem  harten  Daseinskampfe. 
Woher  ihm  dieser  kräftige  Verbündete  kam,  ist  ein  Räthsel,  wie 
überhaupt  das  Auftreten  der  Bronze  vor  dem  Eisen.  Räthselhaft 
ist  in  diesem  Zeiträume  auch  die  Ausbildung  eines  Stiles,  der  in 
so  verschieden  situierten  und  theilweise  so  entlegenen  Gebieten 
wie  Skandinavien  und  Ungarn  ähnliche,  wundersam  gefestigte  und 
entwickelte  Formen  und  Ornamente  zeigt.  Im  ganzen  mittleren 
und  nördlichen  Europa  hat  der  Stil  der  reinen  Bronzezeit  eine  Blüte 
erlebt,  die  wir  mit  Staunen  unmittelbar  auf  eine  noch  halb  rohe 
und  kindliche  Culturstufe  folgen  sehen.  Wieder  müssen  wir,  wie 
bei  der  überraschenden  Erscheinung  der  Pfahlbauten,  Einflüsse 
aus  Gebieten  annehmen,  welche  klimatisch  für  eine  frühe  Ent- 
wicklung der  Civilisation  günstiger  gelegen  waren,  und  solche 
Länder  haben  wir  im  Südosten  unseres  Continents,  in  der  alten 
Culturzone  Vorderasiens  zu  suchen.  Aber  jedenfalls  hat  sich  die 
reine  Bronzecultur  in  Europa  unter  den  Händen  derer,  die  sie  hier 
aufnahmen  und  trugen,  ganz  eigenthümlich  entwickelt.  Einen  be- 
sonderen, zu  reicher  Ausgestaltung  führenden  Weg  hat  sie  in  Un- 


garn  eingeschlagen.  Böhmen,  Mähren  und  Niederösterreich  neh- 
men eine  auch  ihrer  geographischen  Lage  entsprechende  Mittel- 
stellung zwischen  dem  mittleren  Donaugebiete  und  Nordeuropa 
ein.  Ein  paar  Tj'pen  der  Bronzezeit  zeigt  Abb.  5.  In  den  Alpen- 
ländem  Österreichs  sind  bisher  noch  keine  Funde  aus  der  reinen 
Bronzezeit  gemacht  worden.  Dagegen  ist  hier  eine  Culturstufe  zu 
großartiger  Ausbildung  gediehen ,  welche  man  als  die  jüngste 
Phase  der  Bronzeperiode  oder  richtiger  als  erste  Eisenzeit  be- 
zeichnet. Das  ist  die  nach  dem  berühmten  Gräberfundort  an  dem 
oberösterreichischen  Bergsee  so  genannte  Cultur  der  Hallstatt- 
Periode,  ein  merkwürdiges  Product  vorgeschichtlichen  Handels- 
und  KunstfleiSes,   eine  glänzende  Frucht   halbdunkler  Kräfte   und 


Abb.  5.     Schmuck  aua  den  Ffithlbauten  von  Pesctaiera,  < 

Beziehungen,  die  sich  wie  ein  rosiges  Morgenlicht  über  dem  Wust 
und  dem  Düster  unserer  heimischen  Alpenthäler  erhebt.  Wie 
geschah  es,  dass  —  wohl  ungeffihr  um  dieselbe  Zeit,  welche  für 
Ungarn  und  Nordeuropa  durch  die  Herrschaft  des  reinen  Bronze- 
stils charakterisiert  ist  —  in  den  Alpenlandem  zugleich  mit  dem 
ersten  Gebrauch  des  Eisens  neben  der  Bronze  diese  neue  Cultur 
sich  Bahn  brach  und  zur  Herrschaft  kam? 

Sie  rückt  uns  ja  Lebensformen  vor  das  Auge,  welche  theil- 
weise  an  den  asiatischen  Orient  gemahnen,  theilweise  an  italienische 
Funde  erinnern  und  im  großen  und  ganzen  dem  Bilde  nicht  un- 
ähnlich sind,  welches  Homer  in  seinen  unsterblichen  Gesängen 
von  der  vorgeschichtlichen  Cultur  des  östlichen  Mittelmeerbeckens 
entrollt.     Werden    wir  je  auf  diese  Frage  volle,    genügende  Ant- 


Die  Urzeit.  j-j 

wort  erhalten?  Wir  müssen  uns  hier  bescheiden,  Thatsachen  ins 
Auge  zu  fassen,  und  werden  dabei  von  dem  Fundorte  im  Salz- 
kammergut ausgehen,  dessen  Besitz  allein  hinreichen  würde,  Öster- 
reich zum  Rang  eines  classischen  Landes  für  die  europäische  Ur- 
geschichtsforschung  zu  erheben. 

Die  Existenz  einer  reichen  und  blühenden  Colonie  in  dem 
abgelegenen  Hochthale  am  Fuße  des  Salzberges  bei  Hallstatt  er- 
scheint auf  den  ersten  Blick  als  ein  Räthsel,  wie  die  Pfahlbauten 
in  den  nahen  Seebecken  desselben  Ländchens.  Aber  der  Salz- 
reichthum  des  Gebirges  löst  dieses  Räthsel;  er  war  eine  unerschöpf- 
liche Quelle  des  Wohlstandes  für  die  Ansiedler  und  erschloss  ihnen 
Handelsbeziehungen,  die  bis  zur  Adria  hinab-  und  bis  zur  Ostsee 
hinaufreichten.  Hoch  über  dem  pittoresken,  von  steilen  Berg- 
wänden eingeschlossenen  Hallstätter  See,  in  der  Weltabgeschieden- 
heit ihres  lieblichen  Alpenthales  erfreute  sich  die  fleißige  Bevöl- 
kerung dieses  Bergwerksortes  an  den  edlen  und  mannigfachen 
Formen  glänzenden  Hausrathes,  kunstvollen  Körperschmuckes  und 
prunkhafter  Waffen.  In  ihren,  Blockhäusern  ähnlichen  Wohnungen 
flimmerte  das  getriebene  Erz  im  Widerschein  des  Herdfeuers,  wie 
bei  dem  von  Homer  gepriesenen  Alkinoos;  da  leuchtete  der  nor- 
dische Bernstein  in  rosiger  Glut  und  in  seinem  matten  Glanz  das 
orientalische  Elfenbein.  In  feinverzierten  Bronzescheiden  schlum- 
merten die  langen,  breiten  Eisenschwerter,  deren  Knäufe  nicht 
selten  mit  Gold  oder  anderen  edlen  Stoffen  geschmückt  waren. 
In  zahlreichen  Kettchen  fiel  das  Brustgehänge  dieser  schmuck- 
liebenden Leute  von  der  Kleidspange  am  Halse  herab  bis  zu 
dem  breiten,  metallbeschlagenen  Gürtel,  in  dem  sie  den  Dolch 
stecken  hatten.  Einfache  schwere  oder  feine  gewundene  Ringe 
umspannten  ihre  Hand-  und  Fußgelenke.  Zahlreiche,  verschie- 
den gestaltete  Hefteln  und  Nadeln  hielten  ihr  langes  Gewand, 
ihren  reichen  Haarputz  zusammen.  Einige  dieser  Schmuck-  und 
Waffenformen  zeigt  die  Titelvignette  (Abb.  i)  dieses  Abschnittes. 
Ihr  Thongeschirr  war  von  edlen  Formen  und  mit  Vorliebe  roth  und 
schwarz  in  einfachen  Mustern  bemalt;  ihr  Erzgeräth  zeigt  in  häu- 
figer Wiederkehr  Reihen  von  Menschen-,  Pferde-  oder  Vogelfiguren, 
auch  gravierte  oder  getriebene  Ornamente,  seltener  plastische  Auf- 
sätze und  Verzierungen  in  Gestalt  verschiedener  Thiere  oder  un- 
vollkommener menschlicher  Körper.    Ein  Gefäßdeckel  ist  in  höchst 


JA  Moriz  Hoemea 

Stilvoller  Weise  rundum  mit  getriebenen  schreitenden  Thierfiguren 
geschmückt  und  darf  wegen  des  orientalisierenden  Stiles  der  Dar- 
stellung wohl  als  Importstück  angesehen  werden. 

Von  einem  ,,Hallstätter  Stile'*  zu  sprechen,  ist  gewagt,  da 
die  Einzelheiten  des  Gesammtbildes,  welches  dieser  Fundort  ge- 
währt, sicher  aus  verschiedenen  Quellen  zusammengeflossen  und 
nicht  zu  irgendwelcher  künstlerischen  Einheit  verschmolzen  sind. 
In  keinem  Falle  ist  der  Ausdruck  so  zu  verstehen,  als  ob  der  prä- 
historische Bergwerksort  auf  dem  Salzberge  irgendwie  als  Aus- 
gangspunkt dieser  Cultur  oder  als  wichtigstes  Centrum  ihrer  Ver- 
breitung zu  gelten  hätte.  Aber  andererseits  begegnen  wir  im  Um- 
kreise der  österreichisch-ungarischen  Monarchie  und  weit  darüber 
hinaus  im  Süden  und  Westen  diesem  Gemenge  verschiedenartiger 
Einflüsse  so  häufig,  dass  es  als  typisch  für  eine  hochbedeutsame 
urgeschichtliche  Periode  betrachtet  werden  darf,  welche  für  Mittel- 
europa wahrscheinlich  mit  dem  Einbrüche  der  Kelten  um  400  vor 
Christo  abschließt. 

Versucht  man  die  Hallstatt-Cultur  in  einigen  wichtigen  Ele- 
menten schärfer  zu  charakterisieren,  so  findet  man  sie  im  Gegen- 
sätze zu  älteren  und  jüngeren  Epochen  der  Urgeschichte-  ausge- 
zeichnet durch  eine  friedliche  Entwicklung  des  Völkerverkehrs  in 
weiten  Gebieten  Mitteleuropas.  Handel  und  Industrie  haben  die- 
sem Zeitraum  ihre  unverkennbaren  Merkmale  aufgeprägt.  Noch 
sind  die  Wege  nicht  genau  ermittelt,  auf  welchen  der  Import 
und  die  Beeinflussung  durch  ausländische  Vorbilder  erfolgte. 

Noch  scheidet  man  nicht  mit  genügender  Schärfe  das  einge- 
führte fremde  Erzeugnis  und  die  Producte  einheimischen  Gewerb- 
fleißes. Aber  soviel  steht  fest,  dass  diese  vorkeltischen  Bewohner 
Österreich-Ungarns  (zum  Theile  vielleicht  den  illyrischen  Völkern 
der  westlichen  Balkanländer  und  des  östlichen  Oberitalien  ver- 
wandt) nicht  bloß  fremde  Fabrikate  einführten,  dass  sie  von  den 
Trägern  höherer  Culturen  auch  zu  lernen  wussten  und  das  Er- 
lernte mit  Freiheit  und  Geschicklichkeit  zu  eigenem  Gute  um- 
wandelten. Insbesondere  besaßen  sie  eine  technisch  vollendete 
Erzindustrie,  welche  sich  zumal  hervorthat  in  dem  Aushämmern 
der  Bronze  zu  papierdünnen  Blechen  und  feinen  Drähten,  woraus 
die  Haupttypen  ihrer  Gefäße  und  Schmucksachen  hergestellt 
wurden. 


Die  Urzeit 


15 


Zu  Waffen  und  Werkzeugen  wird  mit  Vorliebe  Eisen  ver- 
wendet; doch  füllt  dieses  Metall  noch  lange  nicht  den  Rahmen, 
der  ihm  in  dem  Haushalt  späterer  Perioden  eingeräumt  wird;  und 
Messer,  Schwerter,  Beile,  Feilen  u.  dgl.  bestehn  noch  häufig  aus 
Bronze.  Einem  unbefangenen  Auge  muss  es  auch  auflFallen,  dass 
bei  solcher  Fertigkeit  im  Schmieden,  Gießen,  Schnitzen,  Einlegen 
u.  s.  w.  die  Thongefaße  noch  immer  wie  in  der  ältesten  Zeit  aus 
freier  Hand  ohne  Anwendung  der  Töpferscheibe  geformt  werden. 
So  geht  vielfach  in  dieser  eigenthümlichen  Mischcultur  altererbte 
Simplicität  neben  vorgeschrittener  Kunstfertigkeit  einher. 

Zu  den  merkwürdigsten  Urkunden,  welchen  wir  einen  nähe- 
ren Einblick  in  die  Lebensformen  des  Hallstätter  Culturkreises 
verdanken,  gehören  einige  Funde  von  Bronzesachen  —  Gefäße, 
Gefaßfragmente  und  ein  Gürtelblech  —  welche  mit  figuralen 
Scenen  geschmückt  sind.  Eines  dieser  Stücke  ist  die  berühmte 
Situla  von  Watsch.  Wir  wollen  nicht  entscheiden,  wo  man  die 
auf  derselben  dargestellten  Gruppen  localisieren  darf,  ob  an  dem 
Fundorte  selbst,  ob  überhaupt  in  der  Alpenzone  oder,  was  mehr  . 
Wahrscheinlichkeit  hat,  in  Oberitalien,  wo  derlei  Funde  noch 
häufiger  gemacht  worden  sind.  Aber  gewiss  erkennt  man  hinter 
der  barbarisch  rohen  Zeichnung  dieser  Figuren  nicht  nur  einen 
.  ausgebildeten  künstlerischen  Stil,  der  die  Vorlage  zu  solchen  Wer- 
ken hergegeben  hat,  sondern  auch  ein  Leben,  das  aus  höheren 
fremden  und  primitiven  einheimischen  Elementen  ebenso  gemischt 
war,  wie  sich  uns  das  Gesammtbild  der  Hallstatt-Cultur  auch  sonst 
gezeigt  hat.  Wir  sehen  einen  Zug  von  Gespannen  und  Reitern, 
ein  Gastmahl,  einen  Wettkampf  um  ausgesetzte  Preise,  ganz  unten 
eme  Zone  von  ruhig  schreitenden  Thierfiguren.  Ahnliches  kehrt 
anderwärts  in  diesen  seltsamen  Bildwerken  wieder;  die  Zahl  der 
geläufigen  und  beliebten  Darstellungen  muss  keine  sehr  große  ge- 
wesen sein.  Auf  dem  Gürtelblech  von  Watsch  erkennt  man  Reiter 
und  Krieger  zu  Fuß  im  Kampf  mit  Wurfspießen  und  Beilen; 
letztere  Waflfen,  sowie  die  Helme  der  Krieger,  gleichen  völlig  den 
Originalen,  welche  man  in  Gräbern  der  Alpengegenden  gefunden 
hat.  Solche  charakteristische  Einzelheiten,  für  welche  auch  ein 
berühmtes,  in  Bologna  gefundenes  Brönzegefäß  als  Quelle  dient, 
bezeugen,  dass  wir  uns  den  Ursprungsort  dieser  Arbeiten  doch 
nicht  allzu  weit  von  den  Fundorten  derselben  entfernt  denken  dürfen. 


j5  Moriz  Hoernes 

An  Massenfunden  aus  der  Hallstatt-Periode,  gewöhnlich 
Todtenbeigaben  in  Grabhügeln  oder  ausgedehnten  Flachgräber- 
feldern, ist  unsere  Heimat  überreich.  Wir  nennen  nur  einige  der 
wichtigsten  und  ergiebigsten  Fundplätze  und  Fundgebiete;  es  sind 
dies:  Watsch,  St.  Margarethen,  RoviSöe,  St.  Michael  und  Podsemel 
in  Krain,  Sta.  Lucia  und  Karfreit  im  Küstenlande,  Frögg  in  Kärn- 
ten, die  Gegend  von  Wies  und  Maria-Rast  in  Steiermark,  Gemein- 
lebarn in  Niederösterreich  mit  seinen  interessanten,  in  runder 
Plastik  verzierten  Thongefäßen,  die  By6isk&la-Höhle  in  Mähren, 
die  Umgebung  von  Pilsen  in  Böhmen.  Im  engsten  Zusammen- 
hang steht  das  österreichische  Herrschgebiet  der  Hallstatt-Cultur 
im  Süden  mit  Oberitalien,  im  Westen  mit  Süddeutschland.  Neuer- 
dings hat  sich  auch  im  Nordwesten  der  Balkanhalbinsel  (Bosnien- 
Hercegovina)  ein  ausgedehnter  Fundbezirk  nahverwandter  Alter- 
thümer  erschlossen. 


Um  das  Jahr  400  v.  Chr.  trat  eine  große  Umwälzung  in 
Mitteleuropa  ein.  Auch  der  Süden  des  Continents  wurde  davon 
betroffen.  Rom  sank  in  Asche  und  erkaufte  den  Frieden  mit  Gold 
von  dem  Schwerte  des  Brennus.  Oberitalien  wurde  gallisch,  und 
auch  am  Rhein  wie  an  der  Donau  erschienen  Erobererscharen, 
welche  den  alten  Zuständen  ein  Ende  machten  und  eine  neue 
Ordnung  der  Dinge  an  ihre  Stelle  setzten.  Bis  nach  Asien  hinüber 
pflanzte  sich  die  Bewegung  fort;  überall  traten  kühne  Kriegerhau- 
fen an  die  Spitze  der  einheimischen  Bevölkerung  und  gaben  den 
Ländern  die  Namen  ihrer  Stämme.  Als  dem  Hin-  und  Herfluten 
der  Abenteurerzüge  ein  Ziel  gesetzt  und  wieder  Ruhe  eingetreten 
war,  bot  Mitteleuropa,  und  so  auch  Österreich-Ungarn,  ein  anderes 
Bild.  Die  Hallstatt-Cultur 'gehörte  bis  auf  wenige  Erscheinungen, 
die  sich  ungestört  erhielten,  der  Vergangenheit  an.  Eine  neue 
Form  der  Civilisation  war  eingekehrt.  Sie  ist  die  unmittelbare 
Vorläuferin  der  römischen  Provinzialcultur  in  den  Alpen-  und 
Donauländem  und  die  erste  Entwicklungsstufe,  in  welcher  das 
Eisen  als  Nutzmetall  zur  vollen  Herrschaft  gelangt  ist.  Eine  voll 
entwickelte  Eisenzeit  also,  die  man  nach  einem  ausgezeichneten 
schweizerischen    Fundort   La  T^ne-Periode    nennt,    folgt   auf  die 


Die  Urzeit. 


17 


Herrschaft  der  Hallstatt-Cultur.  Sie  gibt  dem  Bilde  unserer  Hei- 
mat in  den  letzten  Jahrhunderten  vor  Christi  Geburt  jenes  Ge- 
präge, unter  dem  es  die  Römer  bei  ihrem  Vordringen  über  die 
Alpen  bis  an  die  Donaugrenze  kennen  lernten.  Als  die  Träger 
dieser  Cultur  sind  jene  keltischen  Stämme  anzusehen,  deren  Namen 
römische  und  griechische  Geographen  und  Historiker  uns  bewahrt 
haben.  Mehr  als  die  Namen  und  Endschicksale  jener  Stämme, 
mehr  als  die  alten  Schriftsteller  von  ihnen  mitzutheilen  wissen, 
erfahren  wir  aus  ihren  Gräbern  und  verschollenen  Ansiedlungen, 
welche  zahlreich  von  Böhmen,  der  alten  Bojerheimat,  bis  zur  Küste 
der  Adria  herab,  bis  zu  den  Camem  und  Tauriskern,  nach  langem 
Schlummer  durch  die  Arbeit  des  Spatens  wieder  aufgedeckt  wor- 
den sind. 

Bei  ihnen  finden  wir  schon  Beispiele  einer  höheren  Kunst- 
übung (s.  Abb.  6). 

So  wissen  wir  heute,  dass  es  nicht  mehr  großer  Verän- 
derungen bedurfte,  um  jenes  Culturbild  zu  schaffen,  das  unser 
Vaterland  unter  der  Römerherrschaft  zeigt.  Diese  Hinterlassen- 
schaft, wie  wenig  wir  auch  noch  über  den  Ursprung  ihrer  Ele- 
mente aufgeklärt  sind,  gereicht  den  keltischen,  der  germanischen 
Nation  naheverwandten  Völkerschaften  zur  unvergänglichen  Ehre. 
Nachdem  die  Kelten  der  römischen  Provinzialcultur  so  den  Boden 
bereitet  hatten,  erlagen  sie  dem  Schwerte  der  Welteroberer.  In 
den  nächsten  Jahrhunderten  drang  römischer  Einfluss,  dem 
keltischen  auf  dem  Fuße  folgend,  weit  hinauf  nach  dem  Norden 
unseres  Erdtheils.  Eine  völlig  neue,  wieder  von  Osten  aus- 
gehende Erscheinung  bringt  erst  die  Völkerwanderungszeit  mit 
dem  sogenannten  merovingischen  Stile  durch  ganz  Mitteleuropa 
zur  Herrschaft.  Dies  ist  ein  vielleicht  unter  dem  Einfluss  der 
Griechenstädte  am  Pontus  entstandener,  halbbarbarischer  Stil, 
der  uns  besonders  auf  ungarländischem  Boden  reichliche  und 
kostbare  Überreste  hinterlassen  hat,  und  der  wahrscheinlich 
durch  die  Gothen  auf  ihren  Wanderungen  nach  dem  Westen  ver- 
breitet wurde.  Unter  den  einheimischen  Denkmälern  dieses  Stiles 
genießt  namentlich  der  als  ,, Schatz  des  Attila**  bekannte  und 
berühmte  Fund  von  Nagy-Szent-Miklos  mit  seinen  zahlreichen, 
üppig  und  eigenartig  verzierten  Goldgefaßen  verdiente  Aus- 
zeichnung. 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ung^am.  2 


l8  Morii  Hoernea 

Aber  die  Thaten  und  die  Cultur  der  germanischen  Stämme, 
welche  der  römischen  Weltherrschaft  ein  Ende  bereiteten,  sind  — 
ob  auch  noch  vielfach  dunkel  und  von  dem  zweifelhaften  Lichte 
abhängig,  das  Funde  und  Ausgrabungen  über  sie  verbreiten  — 
doch  bereits  von  dem  Morgenroth  der  Geschichte  beschienen,  so 
dass  wir  sie  der  Urzeit  nicht  mehr  zurechnen  dürfen.  Wir  be- 
gnügen uns,  darauf  hinzuweisen,  dass  an  der  Scheide  zwischen 
Alterthum  und  Mittelalter  in  unserer  Heimat  eine  Kunstrichtung 
sich  einbürgerte,  welche  mit  der  antiken  Tradition  scheinbar  völlig 
gebrochen  hatte,  und  welche  doch  in  ihrem  Kern  die  entfernten 
Nachklänge  uralter,  classischer  und  orientalischer  Einwirkungen 
nicht  verleugnen  konnte. 


Abb.  6.     Keltische  BronzeEgureu. 


DREI  RÖMISCHE  STÄDTE 

(AQUILEJA,  POLA,  SALONA). 

Von 

D^  Robert  von  Schneider. 


Abb.  7.    Das  Amptiitf 


DREI  ROMISCHE  STÄDTE. 

I. 

Die  beiden  Meere,  welche  die  Küsten  der  italienischen  Halb- 
insel bespülen,  treten  nicht  gleichzeitig  in  die  Machtsphäre  der 
antiken  Civilisation.  Weit  und  offen,  mit  wenigen  aber  trefflichen 
Häfen  ausgestattet,  dabei  klippenfrei  und  im  ganzen  von  ver- 
derblichen Stürmen  verschont,  ward  das  westliche,  das  tyrrhenische 
Meer  seit  Alters  von  tuskischen  und  ligurischen,  von  punischen 
und  griechischen  Schiffen  befahren.  Schon  6c»  vor  Chr.  gründeten 
die  Phokäer  an  den  Mündungen  des  Rhone  Masstlia,  das  mit  sei- 
nen zahlreichen  Faktoreien  an  den  Küsten  und  im  Innern  Galliens 
und  Iberiens  den  Handel  nach  dem  Norden  und  Westen  Europas 
beherrschte.  Das  östliche  Meer,  das  jonische,  wie  es  in  den  älteren 
Zeiten  hieß,  blieb  dagegen  den  Griechen  trotz  seiner  geringeren 
Entfernung  vom  Mutterlande  wenigstens  in  seinem  nördlichen  Theile 
noch  lange  verschlossen.  Zwar  wagten  die  Phokäer,  auch  hier  als 
die  ersten  schon,  im  achten  Jahrhunderte  auf  ihren  schlanken,  wohl- 
bewährten Fünfzigruderern  die  akrokeraunischen  Berge  zu  umsegein, 


22  Robert  von  Schneider 

aber  ihren  Unternehmungen  war  in  diesen  durch  Sturmwinde  imd  die 
seeräuberischen  Anwohner  unwirtlichen  Gewässern  der  bleibende 
Erfolg  versagt.  An  ihre  Stelle  traten  Korinth  und  das  von  Korinth 
aus  (734)  colonisierte  Kerkyra  (Corfu).  Verworrene  Erinnerungen 
an  kühne  Fahrten  nach  dem  Norden  verwoben  sich  in  die  korin- 
thische Fassung  der  Argonautensage,  der  zufolge  Jason  aus 
Kolchis  auf  dem  Ister  (Donau)  und  dem  adriatischen  Meere  in 
seine  Heimat  zurückgekehrt  sein  sollte.  Im  letzten  Viertel  des 
siebenten  Jahrhunderts  gründete  Kerkyra  nördlich  von  den  Akro- 
keraunien  ApoUonia  und  Epidamnos,  das  spätere  Dyrrhachium. 
Beide  Städte  versorgten  mit  den  Producten  ihrer  Hinterländer  : 
Holz,  Metall,  aus  illyrischen  Kräutern  bereiteten  Salben,  Schlacht- 
vieh, und  Sclaven  den  Markt  von  Korinth.  Gleichwohl  galt 
noch  im  vierten  Jahrhunderte  vor  Chr.  die  Schiflfahrt  auf  diesem 
Meere  für  gefährlich,  obgleich  reichlich  lohnend.  Um  diese 
Zeit  nahm  Syrakus,  das  seit  dem  Scheitern  der  athenischen 
Expedition  im  peloponnesischen  Kriege  mächtig  aufblühte,  in 
seinem  Handel  nach  dem  Westen  aber  durch  die  Karthager  gehemmt 
wurde,  das  vom  hellenischen  Mutterlande  verlassene  Colonisations- 
werk  mit  frischer  Energie  wieder  auf.  Der  thatkräftige  Tyrann 
Dionysios  I.  sandte  Colonisten  nach  Ankon,  Numana  und  Adria 
an  der  italischen,  nach  Lissos  (Alessio)  an  der  illyrischen  Küst^. 
Unter  seinem  Schutze  besiedelten  parische  Flüchtlinge  die  Inseln 
Issa  (Lissa)  und  Pharos  (Lesina),  von  welchen  aus  Zweignieder- 
lassungen nach  dem  schwarzen  Kerkyra  (Curzola)  und  dem  Fest- 
lande (Tragurium  -  Trau,  Epetium  -  Stobrez,  Epitaurum  -  Ragusa 
vecchia)  entsendet  wurden.  Dem  raschen  Aufblühen  dieser  grie- 
chischen Pflanzstätten  folgte  aber  schnell  eine  Zeit  mühseligen 
Standhaltens  in  schwieriger  Lage.  Im  dritten  Jahrhunderte  wuchs 
die  Macht  der  einheimischen  Fürsten  in  bedrohlichem  Maße. 
Schon  um  300  besetzte  der  Dardanerkönig  Monunios  Dyrrhachium. 
Unumschränkt  herrschten  die  Piraten  auf  dem  Meere.  Sie  brand- 
schatzten Epirus,  belagerten  Corfu  und  dehnten  ihre  Raubzüge 
bis  nach  dem  Peleponnese  aus.  In  seinem  Verkehre  mit  Groß- 
griechenland und  Sicilien  auf  das  empfindlichste  getroflfen,  stand 
das  zwieträchtige  Hellas  ihrem  Treiben  ohnmächtig  gegenüber, 
und  Hilfe  war  einzig  von  dem  nach  dem  ersten  punischen  Kriege 
zur  Weltmacht  herangereiften  Rom  zu  erwarten,  das,  gerufen  von 


Drei  römische  Städte. 


23 


den  hartbedrängten  Issäern,  in  einem  einzigen  Feldzuge  die  Macht 
der  Corsarenkönigin  Teuta  (229)  vernichtete,  und  hiemit  seine 
Herrschaft  im  adriatischen  Meere  begründete. 

So  vieler  Unternehmungen  und  Kämpfe  bedurfte  es,  um  den 
großen  Handelsweg  nach  dem  Norden  freizulegen.  Der  kind- 
liche Zustand  der  antiken  Schiffahrt  wies  sie  so  gut  wie  die  mittel- 
alterliche von  der  hafenarmen  Küste  Italiens  an  die  buchtenreiche 
Dalmatiens,  welche  überdies  Schiffsbauholz  in  reicher  Fülle  ge- 
währte, und  wie  Venedigs  Handelsmacht  ohne  die  Herrschaft  über 
diese  Gestade  undenkbar  gewesen  wäre,  so  war  ihr  Besitz  auch 
die  Voraussetzung,  dass  Venedigs  Mutterstadt  in  mehr  als  einem 
Sinne,  dass  Aquileja  entstehen  konnte.  Aber  noch  ein  halbes 
Jahrhundert  musste  verstreichen,  ehe  die  Schiffahrt  im  adriatischen 
Meere  diese  ihre  ,, Kopfstation**  erhielt.  Zwar  hatte  Rom  nur 
wenige  Jahre  nach  dem  Siege  über  die  lUyrier  auch  die  Kelten  der 
Poebene  endgiltig  unterworfen  und  die  Grenzen  Italiens  bis  an 
seine  natürliche  Schutzmauer,  die  Alpen,  verlegt  (222).  Ein  Jahr 
später  stellte  der  istrische  Feldzug  die  Verbindung  mit  lUyrien  zu 
Lande  her  und  vertrieb  die  adriatischen  Piraten  aus  ihren  letzten 
Schlupfwinkeln.  Doch  erst  die  wiederholten  Einfälle  keltischer 
Horden  und  noch  mehr  die  Sorge,  König  Philippos  von  Make- 
donien möchte,  Hannibals  Beispiel  nachahmend,  in  Italien  von 
Norden  her  einbrechen,  gaben  181  vor  Chr.  zur  Gründung  der 
Stadt  Aquileja  den  Anlass.  Als  Bollwerk  an  die  äußersten  Grenzen 
des  Landes  gesetzt,  hatte  sie  zunächst  einen  ausschließlich  strate- 
gischen Zweck  zu  erfüllen.  Dessenungeachtet  haben  die  Vortheile 
des  Platzes  einen  lebhaften  Handelsverkehr  mit  den  Barbaren 
innerhalb  ihrer  Mauern  hervorgerufen.  Doch  mussten  erst  die 
Alpen-  und  Donauländer  unterworfen  und  die  Reichsgrenzen  an 
die  Ufer  des  gewaltigen  Stromes  hinausgeschoben  sein,  ehe  für 
Aquileja  die  Bedingungen  vorhanden  waren,  eine  der  bevölkertsten 
Städte  des  späteren  Alterthums,  der  Brennpunkt  antiker  Civili- 
sation  für  das  ganze  weite  Gebiet  Noricums  und  Pannoniens  und 
darüber  hinaus  und  jenes  große  Emporium  zu  werden,  wozu  es 
wohl  kaum  die  politische  Voraussicht  seiner  Gründer,  um  so  mehr 
aber  die  Natur  seiner  Lage  vorherbestimmt  hat.  Mit  der  Paci- 
ficierung  des  Weltreiches,  die  sich  an  den  Namen  des  Kaisers 
Augustus   knüpft,     hebt   Aquilejas    Blütezeit   an    und    währt   fast 


24 


Robert  von  Schneider 


ununterbrochen,    bis    es    von    den    Hunnen    452    nach    Chr.    zer- 
stört wird. 

In  den  ,, Vögeln*'  des  Aristophanes  drängt  sich  zum  Bau  der 
Wolkenstadt  in  der  Schar  dienstbeflissener  Charlatane  auch  ein 
Landmesser  heran.  Er  schickt  sich  an,  die  Hantierungen  mit  seinen 
Instrumenten  zu  explicieren,  und  wie  er  die  neue  Stadt  mit  dem 
Markt  in  der  Mitte  und  den  sternartig  von  ihm  auslaufenden 
Straßen  anlegen  wolle,  bis  er  gleich  seinen  Vorgängern,  dem  Ge- 
legenheitsdichterling und  dem  wandernden  Bettelpropheten,  mit 
Spott  und  Prügel  hinweggejagt  wird.  Das  himmlische  Jerusalem, 
das  der  heilige  Johannes  im  siebenten  Gesichte  seiner  Apokalypse 
erblickt,  wird  von  einem  Engel  mit  goldnem  Rohre  ausgemessen. 
Es  ist  im  Quadrat  gebaut,  von  hohen  Mauern  eingefasst,  mit  drei 
Thoren  an  jeder  Seite.  Kaum  lassen  sich  in  einem  Athem  grund- 
verschiedenere Dinge  nennen  als  jene  attische  Komödie,  das  genialste 
Werk  eines  der  freiesten  Geister  des  Alterthums,  und  das  schwer- 
müthige  Buch  des  einsamen  Sehers  von  Patmos.  Desungeachtet 
haben  beide.  Dichter  und  Apostel,  in  ihre  Phantasmagorien 
durchaus  der  Wirklichkeit  entnommene  Züge  verflochten.  Mit  ihren 
Namen  ist  auch  ungefähr  Beginn  und  Ende  der  Periode  der 
Städtegründungen  nach  bewusstem  einheitlichen  Plane  im  Bereiche 
der  alten  Welt  gekennzeichnet.  Schon  zur  Zeit  des  Perikles  hatte 
der  Milesier  Hippodamos  für  die  künstliche  Anlage  einer  Stadt  ein 
festes  System  aufgestellt,  nach  dem  der  Piräus,  Thurioi  und 
Rhodos  erbaut  wurden.  Aber  erst  in  der  Diadochenzeit  gelangte 
der  Städtebau,  sowohl  was  Zweckmäßigkeit  als  Schönheit  angeht, 
zu  allseitiger  Ausbildung,  und  nie  zuvor  und  nie  nachher,  auch 
nicht  im  Zeitalter  der  Renaissance,  sind  der  Kunst  so  umfassende 
Aufgaben  gestellt  worden  wie  damals.  Bei  dem  eingehenden 
Studium,  das  man  den  jeweiligen  Bedürfnissen  und  natürlichen 
Verhältnissen  des  Ortes  widmete,  und  dem  sorgsamen  Bedachte, 
den  man,  wie  der  theaterförmige  Aufbau  mancher  Hafenstädte 
zeigt,  auf  ihr  malerisch  effectvoUes  Gesammtbild  genommen  hatte, 
erwuchsen  die  hellenistischen  Städte  in  individueller  Mannig- 
faltigkeit hart  nebeneinander.  Nur  ausnahmsweise,  wenn  sich  zur 
Stadtanlage  eine  Ebene  wie  bei  Nikäa  in  Bithynien  darbot, 
mochte  man  auch  die  Regelmäßigkeit  eines  abstracten  Schemas  in 
allen  ihren  Consequenzen  durchführen.     Der  römische  Typus,  den 


Drei  römische  Städte. 


25 


der  heilige  Johannes  in  der  angeführten  Stelle  vor  Augen  hatte,  ergab 
sich  dagegen  als  nothwendige  Folge  eines  althergebrachten,  von  den 
Etruskem  übernommenen  religiösen  Ritus,  der,  ganz  entsprechend 
dem  für  den  Tempelbau  geltenden,  wie  beim  Vermessen  des  Landes 
oder  des  Standlagers  der  Legionen  bei  der  Anlage  einer  Stadt 
beobachtet  wurde  und  den  hiefiir  geeigneten  Platz  als  geheiligten 
Raum  aus  seiner  Umgebung  schied.  Den  quadratischen  Umfang 
der  Stadt  bestimmte  der  Gründer  mit  dem  Pfluge.  Die  gezogene 
Furche  deutete  den  Graben,  die  nach  links  aufgeworfene  Scholle 
den  Lauf  der  Mauer  an.  An  der  Stelle  eines  Stadtthores  ward 
die  Pflugschar  einen  Augenblick  lang  empor  und  darüber  hinweg- 
gehoben. Innerhalb  des  umschriebenen  Gebietes  bezeichneten 
zwei  rechtwinklig  sich  schneidende  Linien,  der  von  Norden 
nach  Süden  gezogene  Cardo  und  der  von  Westen  nach  Osten 
laufende  Decumanus,  die  zwei  Hauptstraßen.  Sie  zerlegten  die 
Stadt  in  vier  Quartiere;  wo  sie  sich  kreuzten,  kam  der  Markt,  das 
Forum  zu  liegen;  die  übrigen  Gassen  liefen  ihnen  parallel.  Die  besten 
Beispiele  einer  solchen  regelmäßigen  Anlage  sind  zwei  in  den  letzten 
Jahren  aufgedeckte  Städte,  die  etruskische  Colonie  von  Marzabotto 
bei  3ologna  und  die  romische  von  Thamugadi  (Timgad)  in  Afrika. 
Ohne  Zweifel  verräth  die  Befestigung  eines  Ortes  bloß  mit  einem 
Graben  und  einer  thurmlosen  Mauer  wenig  fortificatorische  Kunst. 
Jede  mittelalterliche  Wasserburg  mochte  darin  eine  römische  Stadt 
überbieten.  Treu  den  Standlagern  der  Legionen  nachgebildet,  war 
eine  solche  nur  als  Quartier  der  Colonisten,  als  deren  Schutz  gegen 
Überrumpelung  gedacht  Sie  sollte  der  Stützpunkt  für  kriegerische 
Unternehmungen,  jedoch  keine  Festung  für  einen  langen  Verthei- 
digungskrieg  sein.  Der  Römer  dachte  sich  nur  in  der  Offensive. 
Und  in  dem  kahlen  Schema  seiner  Colonien  prägt  sich  in  der 
That  das  stolze  Bewusstsein  seiner  Kraft  in  gleichem  Maße  aus, 
wie  die  Armut  an  Phantasie  seines  in  rituelle  und  militärische 
Vorschriften  gebannten  Geistes.  Selbstverständlich  erlitt  die  Norm 
nicht  selten  bei  der  Ausführung  einige  Einbuße.  Aber  auch  heute 
noch  lassen  manche  italienische  Städte  in  ihrem  ältesten  Kerne 
die  oben  angegebenen  Grundzüge  erkennen,  wie  denn  beispiels- 
weise das  dem  äußeren  Anscheine  nach  so  moderne  Turin  seine 
schnurgerade  laufenden  Straßenzüge  keineswegs  späteren  Correc- 
tionen,    sondern  der  ursprünglichen  römischen   Anlage   verdankt. 


20  Robert  von  Schneider 

welche  sich  hier,  da  alle  Häuser  Keller  hatten  und  so  für  alle 
Zukunft  gleichsam  an  ihrer  Stelle  festgehalten  wurden,  um  so 
unveränderter  bewahren  konnte. 

In  dieser  Art  war  auch  das  antike  Aquileja  erbaut.  Wie 
das  beschriebene  Schema,  für  eine  ebene  Fläche  ersonnen,  um 
stricte  eingehalten  zu  werden,  eine  solche  voraussetzt,  so.  konnten 
hier  in  der  Niederung  des  Isonzodeltas  dem  genauen  Befolgen  der 
Norm  keine  erheblichen  Schwierigkeiten  entgegenstehen.  Neuere 
Ausgrabungen  haben  den  Lauf  der  Mauern  bloßgelegt  und  den 
Umfang  der  Stadt  festgestellt.  Sie  lassen  erkennen,  wie  die 
ursprünglich  quadratische  Colonie  in  Augusteischer  Zeit  nach 
Nordwesten  um  mehr  als  das  doppelte  erweitert  wurde,  so  dass  sie 
die  Form  eines  langgestreckten  Rechteckes  erhielt.  Die  doppelten 
Stadtmauern  waren  aus  quaderförmigen  dicken  Ziegeln  durchaus 
auf  das  sorgfaltigte  erbaut,  die  ihr  vorgelegten  Thürme  dagegen 
aus  schnell  aufgerafftem  Materiale,  Bruchsteinen  und  rauchge- 
schwärztem Bauschutt,  eiligst  aufgemauert  worden.  Ungleich  in 
ihren  Grundrissen  und  in  ungleichen  Abständen  von  einander  erheben 
sie  sich  ohne  Fundamentierung  zuweilen  unmittelbar  über  das  ältere 
Pflaster  des  Mauergrabens.  Den  Anlass  ihrer  Erbauung  erfahren  wir 
vom  Geschichtsschreiber  Herodian.  Als  nämlich  der  von  den 
Legionen  auf  den  Kaiserthron  erhobene  Maximinus  der  Thraker 
gegen  die  vom  Senate  gewählten  Kaiser  nach  Italien  zog,  hatte 
Aquileja  den  ersten  Anprall  seiner  Heeresmacht  zu  bestehen  (238  n. 
Chr).  Die  Befestigungen  waren  in  der  langen  Friedenszeit  verfallen 
und  mussten  nun  schnell  in  Stand  gesetzt  und  mit  jenen  Thürmen 
verstärkt  werden.  Muthig  trotzten  die  Aquilejenser  der  Übermacht 
des  Gegners  und  schlugen  dessen  fast  tägliche  Angriffe  siegreich 
zurück,  bis  die  feindlichen  Soldaten,  der  langen^  Belagerung  müde 
und  durch  die  unzeitgemäße  Strenge  ihres  Herrn  gereizt,  seinem 
Leben  ein  gewaltsames  Ende  machten  und  sich  freiwillig  den  Gegen- 
kaisern unterwarfen.  Außerhalb  der  demnach  in  früheren  Zeiten 
thurmlosen  Mauern  dehnten  sich  die  weiten  Vorstädte  aus,  welche 
damals  in  Flammen  aufgiengen,  später  aber  wieder  aufgebaut 
wurden.  Längs  der  Landstraßen,  die  hier  sternartig  aus  der 
Apenninen-  und  Balkanhalbinsel  zusammenliefen,  um  sich  nordwärts 
in  die  Alpenländer  zu  verzweigen,  standen  die  Grabmonumente 
der  Aquilejenser,  wie  zahlreiche  Funde  beweisen,  in  langen  Reihen 


Drei  römische  Städte. 


27 


nebeneinander.  Fügen  wir  noch  hinzu,  wie  die  nächste  Umgebung 
Aquilejas,  von  einem  Netze  unzähliger  Wasserläufe  durchzogen, 
Herodians  Schilderung  zufolge  ein  blühender  Garten  war,  in 
dem  die  Weinrebe  in  dichten  Kränzen  von  den  Obstbäumen 
hieng,  so  gewinnen  wir  aus  allen  diesen  Zügen  ein  hinlänglich 
anschauliches  Bild  der  ihrer  Gesundheit  wegen  gerühmten  Land- 
schaft, die  an  üppiger  Fruchtbarkeit  der  heutigen  lombardischen 
Ebene  nicht  nachstehen  mochte,  und  der  ummauerten  Stadt,  die 
sich  inmitten  derselben  erhob. 

Leider  fehlen  uns  die  Nachrichten  der  Schriftsteller  in  glei- 
chem Maße  wie  die  Funde,  sobald  wir  nähere  Auskunft  über  das 
Innere  Aquilejas  begehren.  Ein  jahrhundertlanges  Durchwühlen 
des  Bodens,  der  Baumateriale  in  reicher  Fülle  gewährte,  hat  die 
Häuser  der  antiken  Stadt  bis  in  ihre  Fundamente  zerstört.  Bisher 
ist  kein  größerer  Gebäudecomplex  auch  nur  in  seinen  Grund- 
mauern aufgedeckt  worden.  Kaum  dass  ab  und  zu  das  Pflaster 
der  geraden  Gassen  mit  tiefen  Geleisen  für  die  Fuhrwerke  zum 
Vorschein  gekommen  ist.  Die  höchste  Stelle  innerhalb  des  Weich- 
bilds der  Stadt,  dort  wo  die  Domkirche  der  Patriarchen  sich  erhebt, 
nahm  das  Capitol  ein.  In  seiner  Nähe  lag  das  Forum  mit  den 
Stand-  und  Reiterbildem  der  Kaiser,  um  das  Gemeinwohl  verdienter 
Bürger  und  vor  allen  der  Gründer  der  ursprünglichen  Colonie; 
nicht  weit  davon  der  Viehmarkt,  das  Forum  pecuarium.  Was  sonst 
über  die  Lage  des  kaiserlichen  Palastes,  der  Münze  und  anderer 
öflFentlicher  Bauten   behauptet  wurde,    entbehrt   der   Begründung. 

Der  Mangel  genauerer  Kenntnisse  über  Aquileja  ist  um 
so  mehr  zu  bedauern,  als  diese  Stadt  oflfenbar  auf  die  Gestalt  aller 
übrigen  römischen  Städte  im  östlichen  Alpen-  und  Donaugebiete 
von  entscheidendem  Einflüsse  war,  wie  auch  für  das  Verständnis 
unserer  provinziellen  Funde  nach  ihrer  kunsthistorischen  Seite  hin 
von  hier  aus  der  Ausgang  zu  nehmen  wäre.  Bekanntlich  hatten  in 
den  glänzenden  Residenzen  der  Nachfolger  Alexanders  des  Großen 
auf  dem  Boden  der  alten  orientalischen  Staaten  das  Entfalten  äuße- 
rer Pracht  und  der  Reichthum  der  verfügbaren  Mittel  eine  Ent- 
wicklung der  bildenden  Künste  gezeitigt,  welche  in  ihren  Tendenzen 
mit  der  letzten,  gewöhnlich  als  ,, Barocke**  bezeichneten  Richtung 
der  Renaissance  eine  unverkennbare  Ähnlichkeit  aufweist.  Die 
Freude  an  virtuoser  Beherrschung  alles  Technischen,  das  Verlangen 


28  Robert  von  Schneider 

nach  üppigem  Sinnenreize  und  malerischem  Effecte  bestimmte 
das  künstlerische  Schaffen.  Nicht  selten  ward  es  durch  das  Stre- 
ben, alles  Frühere  zu  überbieten,  verleitet,  jener  edlen  Einfalt,  aus 
der  die  stille  Anmuth  und  Größe  der  altgriechischen  Kunst  hervor- 
gewachsen ist,  abtrünnig  zu  werden.  So  schien  zuweilen  die  Archi- 
tektur der  geraden  Bautheile  des  hellenischen  Tempels  überdrüssig 
geworden  zu  sein,  und  damals  zum  erstenmale  versuchte  sie  durch 
Schwingung  der  horizontalen  und  verticalen  Linien  und  das  concave 
Ausschweifen  ganzer  Fagaden  neue  Wirkungen  zu  erzielen.  Dem 
Übermaße  folgte  die  Reaction.  Sie  gieng  von  Rom  aus  und  äußerte 
sich  parallel  auch  auf  anderen  Gebieten  des  geistigen  Lebens.  Wie 
Cicero  den  Schwulst  und  den  Prunk  der  asianischen  Rhetorik  be- 
kämpfte, wie  Horaz  in  seinen  Liedern  die  Töne  des  Archilochos  und 
Alkäus  von  neuem  anstimmte,  so  wenden  sich  der  Bildhauer  Pasiteles 
und  seine  Schüler  zu  den  Vorbildern  des  peloponnesischen  Erzgießers 
Polykleitos  zurück,  und  auch  die  Baukunst  der  ersten  Kaiserzeit 
befleißigt  sich  reinerer  und  strengerer  Formen.  Gewiss  war  der 
Einfluss  der  Capitale  maßgebend,  aber  ehe  er  noch  in  alle  Winkel 
und  Ecken  des  weiten  Reiches  vorzudringen  vermochte,  erlahmte 
die  neue  Richtung  in  Rom  selbst.  Namentlich  in  den  hellenisti- 
schen Gebieten,  seiner  Heimat,  herrschte  der  antike  ,, Barockstil*' 
fort.  Ungebrochen  waltet  er  noch  in  den  großartigen  Ruinen  der 
Wüstenstädte  Balbek  und  Petra,  und  trügen  nicht  deutliche  Anzeichen, 
so  machten  sich  seine  Traditionen,  wenngleich  in  localer  Entartung 
und  Verflachung,  wohl  unter  dem  Einflüsse  einer  handeltreibenden 
Bevölkerung,  die  in  ihren  materiellen  Interessen  aufgieng  und 
den  geistigen  Bewegimgen  jener  Tage  im  ganzen  fernestand,  auch 
in  Aquileja  geltend.  Von.  diesem  Gesichtspunkte  aus  sind  von 
besonderem  Interesse  zwei  Säulenstümpfe  von  einem  Tempelchen, 
das  der  Vergrößerung  der  Stadt  durch  Augustus  zum  Opfer 
fiel.  Die  überkommene  Form  des  jonischen  Capitäls  ist  an 
ihnen  in  freier  Willkür  behandelt,  indem  zwischen  Schaft  und 
Knauf  gewissermaßen  ein  Halsstück,  ein  glattes,  von  Perlenschnüren 
eingefasstes  Band,  eingeschaltet  ist.  Das  lehrreichste  Beispiel  die- 
ser Stilrichtung  bietet  aber  das  Familiengrab  der  Gens  Curia.  Der 
luftige  Bau  erhob  sich  auf  cylindrischem  Untersatze ;  drei  Säulen 
oder  Pfeiler  (sie  allein  fehlen,  während  alle  übrigen  Werkstücke 
vorgefunden  wurden)  trugen  das  aus  Quadern    zusammengesetzte 


Drei  iSmische  Städte. 


29 


Dach,  das  die  Form  einer  abgekanteten  dreiseitigen  Pyramide 
hat  und  gleich  dem  Grabe  der  Secundiner  zu  Igel  (Trier)  in  einem 
korinthischen  Capitale  seinen  Abschluss  findet.  Unter  diesem  Bal- 
dachine standen  die  Statuen  der  Familienhäupter,  Hier  ist  die  Gerade 
geflissentlich  vermieden.  Das  Gebälke  wie  die  aufsteigenden  Linien 
der  Dachschräge  zeigen  jene  charakteristischen  geschweiften  Profile, 
von  denen  wir  gesprochen  haben.  Den  paläographischeii  Eigen- 
thümlichkeiten  seiner  Inschriften  zufolge  war  das  Grabmal  im 
ersten  nachchristlichen  Jahrhunderte  errichtet  worden  und  wider- 


Abb.  8.    Mithras. 

legt  für  sich  die  Ansicht  derer,  welche  diesen  Stil  als  äußerste 
Entartung  der  Kunst,  wie  sie  zu  sagen  pflegen,  in  den  spätesten 
Zeiten  des  Alterthumes  entstanden  glauben.  Dass  dieses  Bauwerk 
in  Aquileja  nicht  vereinzelt  war,  beweisen  ganz  ähnliche  Bruch- 
stücke anderer  Monumente,  und  geradezu  typisch  für  das  Gebiet 
dieser  Stadt,  sowie  für  ganz  Noricum  und  Pannonien  sind  die  pyra- 
midenförmigen Aufsätze  mit  concaven  Seitenflächen  verschie- 
denster Größe,  deren  man  sich  zur  Bedeckung  der  als  Altäre 
gestalteten  Ossuarien  bediente.  Auch  die  Bildhauerei,  sobald  sie 
sich  über  die  Dutzendarbeit  des  Alltagsgebrauches  erhob,  wandelte 


30 


Robert  von  Schneider 


auf  gleichen  Wegen.  Es  bezeuge  dies  die  oben  abgebildete 
Darstellung  des  persischen  Sonnengottes  Mithras,  einer  der 
jüngsten  Funde  auf  dem  Boden  Aquilejas.  (Abb.  8.)  In  den  Dienst 
eines  kleinlichen  Geschmackes  stellt  sich  hier  ein  verblüffendes 
Geschick  im  Technischen.  Die  Figürchen  sind  vollkommen  rund 
aus  dem  Blocke  herausgemeißelt  und  nur  durch  kleine  ver- 
borgene Stege  mit  dem  Hintergrunde  verbunden.  Das  merkwür- 
dige Bildwerk  gehört  bereits  dem  zweiten  Jahrhunderte  nach  Chr. 
an  und  ist  zugleich  ein  Denkmal  einer  vor  dem  Siege  des  Christen- 
thums  weitverbreiteten  Religion,  welche  im  Bereiche  der  römischen 
Monarchie  namentlich  auch  unter  den  Soldaten  zahlreiche  Anhänger 
zählte.  Sie  hatte  deshalb  viel  von  kriegerischem  Wesen,  ander- 
seits auch  manches  Gemeinsame  mit  dem  Christenthume,  wie  Taufe 
und  Abendmahl,  asketische  Übungen  und  den  Glauben  an  ein  Jen- 
seits. Die  höchste  ihrer  Weihen  war  das  Stieropfer,  in  dessen 
Symbolik  wir  keine  Einsicht  haben.  Wir  sehen  es  auf  dem  Bilde 
vom  .Gotte  selbst  in  einer  Höhle  vollziehen.  In  persischer  Tracht 
stürzt  er  sich  auf  das  Thier  und  stößt  in  dessen  Brust  den  Dolch. 
Hund  und  Schlange  lecken  das  der  Wunde  entfließende  Blut. 
Andere  Thiere,  wie  Scorpion  und  Rabe,  vermehren  das  allegorische 
Beiwerk,  während  die  Jünglinge  mit  den  Fackeln  rechts  und  links, 
Helios  und  Selene  in  den  oberen  Ecken  den  Auf-  und  Niedergang 
der  Sonne,  Tag  und  Nacht,  bedeuten. 

Überaus  ergiebig  ist  der  Boden  Aquilejas  an  Überresten  indu- 
strieller Erzeugnisse.  Mehr  als  die  Kunst  blühte  hier  das  Hand- 
werk; denn  auch  das  hat  Aquileja  mit  dem  mittelalterlichen 
Venedig  gemeinsam,  dass  es  die  Producte  seiner  Hinterländer 
nicht  als  rohes  Materiale  sondern  verarbeitet  auf  den  Markt  brachte. 
So  zog  es  seinen  Gewinn  zugleich  aus  dem  Handel  und  der  In- 
dustrie. Hier  wurden  aus  norischem  Eisen  Waffen  geschmiedet, 
aus  dem  Golde  und  dem  Silber  der  Alpen  Schmuck  und  künst- 
liche Gefäße  geformt.  Vielleicht  gieng  aus  einer  Werkstätte  Aqui- 
lejas die  dort  gefundene,  im  kunsthistorischen  Museum  zu  Wien 
aufbewahrte  silberne  Votivschale  hervor,  deren  reiche  und  schöne 
Darstellung  einen  Kaiser  oder  Prinzen  julischen  Geschlechtes  als 
Förderer  des  Ackerbaues  verherrlicht.  Berühmt  waren  die  Wollen- 
zeuge Aquilejas.  Seine  Ziegelbrennereien  und  Töpfereien  ver- 
sorgten ein  weites  Gebiet.     Massenhafte  Funde  von  Gläsern  aller 


Drei  römische  Städte.  nj 

Art  beweisen  den  uralten  Betrieb  dieser  Industrie  in  den  Lagunen. 
Unzweifelhaft  wurden  in  Aquileja  die  zahllosen,  vertieft  geschnit- 
tenen Steine  erzeugt,  die  allerorten  in  den  Donauländern  und  an 
den  östlichen  Küsten  des  adriatischen  Meeres  zum  Vorschein 
kommen.  Man  fasste  sie  in  Ringe,  schmückte  mit  ihnen  Gefäße 
und  Waffen  und  trug  sie  an  Gewändern  und  selbst  an  den  Schuhen. 
Vor  allem  charakteristisch  sind  für  Aquileja  die  vielen  Nippes  aus 
Bergkrystall  und  Bernstein,  die  man  in  die  Gräber  als  Liebesgaben 
zu  legen  pflegte:  Löffelchen  und  Spateln,  Büchschen  und  Fläschchen, 
Perlenschnüre  und  Ringe,  Früchte,  Muscheln,  menschliche  Figuren 
und  Thiere.  An  keinem  anderen  Orte  der  antiken  Welt  sind  der- 
gleichen in  solcher  Menge  gefunden  worden.  Der  Bergkrystall 
kam  von  den  Alpen,  der  Bernstein  aus  den  baltischen  Ländern. 
Über  Friaul  und  die  Poebene  fand  er  als  Tauschartikel  schon  im 
heroischen  Zeitalter  seinen  Weg  zu  den  classischen  Völkern. 
Lange  den  kostbarsten  Edelsteinen  gleich  geschätzt,  wandte  sich 
ihm  der  feinere  Geschmack  späterer  Zeiten  ab,  bis  sich  die  Mode 
der  Kaiserzeit  wie  alles  Kostbaren  und  Seltsamen  auch  seiner 
von  neuem  bemächtigte.  Damals  war  er  ein  wichtiger  Handels- 
artikel Aquilejas  und  wurde  hier  zu  kleinen  Kunstgegen- 
ständen verarbeitet. 


II. 

Bieten  die  Funde  Aquilejas  dem  Alterthumsforscher,  der  auch 
den  kleinen  Zügen  antiken  Lebens  nachspürt,  viel  des  Lehrreichen 
dar,  so  wird  doch  dort  nichts  oder  nur  wenig  finden,  wer  nach 
dem  Eindrucke  der  großen  monumentalen  Bauwerke  der  Römer 
verlangt.  An  manchen  Orten  dagegen,  die  sich  an  Bedeutung  mit 
Aquileja  nicht  entfernt  messen  konnten,  stehen  noch  stattliche  Ruinen 
aufrecht.  So  in  Triest  (Tergeste)  die  Trümmer  eines  in  den  Glocken- 
thurm  der  Kathedrale  verbauten  Tempels  und  auf  dem  Wege,  der  von 
S.  Giusto  hinab  zum  Hafen  führt,  ein  römisches  Thor.  Einen 
ähnlichen  Thorbogen  besitzt  Fiume  (Tersatica).  Die  Fundamente 
zweier  Tempel  liegen  zu  Parenzo  (Parentium)  offen  zu  Tage. 
Säulen  und  Architravblöcke  bezeugen  für  das  antike  Zara  (Jader) 
das  einstige  Vorhandensein  prächtiger  Bauten,  wie  denn  dort  auch 


32 


Robert  von  Schneider 


der  Bogen,  der  zu  dem  mit  einem  Aufwände  von  600.000 
Sesterzien  errichteten  Hafenplatze  (emporium)  führte,  noch  erhalten 
ist  Zwei  luftige  Bögen  bei  Kistagne  in  Dalmatien  bezeichnen  die 
Lage  des  alten  Bumum.  Aber  keine  dieser  istrischen  und  dalma- 
tinischen Städte  hat  so  bedeutende  Reste  ihrer  classischen  Ver- 
gangenheit bewahrt  wie  Pola  und  Salona.  Hier  verkündigen 
mächtige  Monumente  die  Größe  und  den  Reichthum  des  römi- 
schen Weltreiches,  und  was  in  Aquileja  nicht  einmal  in  seinen 
Grundmauern  nachzuweisen  ist:  Tempel  und  Palast,  Triumph thor 
und.  Amphitheater  können  wir  in  diesen  Orten,  wenn  auch  im 
Laufe  der  Zeiten  entstellt  und  geschädigt,  noch  in  der  ganzen 
Majestät  seines  Aufbaus  bewundern. 

Für  den  späteren  mercantilen  Aufschwung  Aquilejas  war 
innerhalb  des  Lagunengebietes  seine  Lage  gleichgiltig  gewesen. 
Der  Handel  forderte  nur  eine  Kopfstation  am  Nordende  des 
Meeres  in  der  großen  Niederung,  die  dem  Verkehre  nach  allen 
Seiten  bequeme  Wege  nach  den  Hinterländern  bot,  folgte  aber 
im  übrigen  willig  dem  Winke  der  politischen  Macht  So  konnte 
in  den  mittleren  und  neueren  Zeiten  an  Aquilejas  Stelle  Venedig 
treten  und  in  unserem  Jahrhunderte,  dessen  Transportmittel 
ganz  andere  geworden  sind,  sogar  das  außerhalb  der  Lagunen 
liegende  Triest.  Pola  und  Salona  dagegen,  beide  im  innersten 
Winkel  von  Meeresbuchten,  die  der  Schiffahrt  die  besten  Anker- 
plätze gewähren,  sind  naturgemäß  an  eben  der  Stelle,  die  sie 
noch  heute  innehaben,  dem  Boden  entwachsen.  Vorhanden,  seit 
Menschen  überhaupt  sich  auf  die  See  gewagt  und  angesiedelt 
haben,  reichen  ihre  Anfange  in  viel  frühere  Zeiten  als  die  Aqui- 
lejas zurück.  Als  Aquileja  blühte,  nur  zwei  der  wichtigsten 
Stationen  auf  der  Handelsstraße,  die  zu  dem  großen  Weltmarkte 
führte,  haben  beide  es  überdauert  und  sind  niemals  so  tief 
gesunken,  dass  sie  sich  nicht  wieder  aus  ihrem  Verfalle  hätten 
erheben  können.  Pola  zieht  erst  in  unseren  Tagen  alle  Vortheile 
aus  seinem  unvergleichlichen  Hafen,  den  die  primitive  Schiffahrt 
der  Alten  voll  auszunützen  gar  nicht  im  Stande  war.  Und  indem 
sich  in  der  Bedrängnis  der  Völkerwanderung  Salonas  Bewohner 
in  die  leeren  Räume  des  Palastes  flüchteten,  den  sich  der  am 
höchsten  gestiegene  Sohn  des  Landes  in  der  Nähe  seiner  Vater- 
stadt erbaut  hat,  lebt  es  zwar  nicht  in  dem  Dorfe,  das  bis  heute 


Drei  römische  Städte. 


33 


seinen  Platz  ein- 
nimmt und  seinen 
Namen  führt,  son- 
dern,   durch    den 

Wechsel  seines 
Standes  in  seiner 
historischen  Iden- 
tität nicht  beein- 
trächtigt, in  Spa- 
lato  ununterbro- 
chen fort. 

Der  natürliche 
Ursprung  dieser 
Städte  gibt  sich 
in  ihrer  Anlage  zu 
erkennen.  Beide 
haben   nitjhts  von 

der  abgezirkel- 
ten Regelmäßig- 
keit Aquilejas  an 
sich.  Als  jedoch 
Kaiser     Augustus  **''■  »    ^'""p"  '"  '^"'■ 

nach  der  Ein- 
nahme von  Pola,  das  seinen  Gegnern  ergeben  war,  hier  eine 
römische  Colonie  gründete,  die  er  nach  seinem  Oheim  Pietas  Julia 
nannte,  musste  die  alte  an  den  Berghügel  gelehnte  Ansiedlung 
dem  festgesetzten  Schema  so  viel  als  möglich  angepasst  werden. 
Man  begann  am  Fuße  des  Hügels  Terrain  anzuschütten,  Pfähle 
einzuschlagen  und  Töpfe  zu  versenken,  um  auf  so  dem  Meere 
abgewonnenem  Boden  das  Forum  der  neuen  Colonie  zu  errichten. 
Von  rechteckiger  Gestalt,  annähernd  doppelt  so  lang  als 
breit,  hat  sich  seine  Grundform  von  dem  alten  auf  den 
heutigen  Hauptplatz  Polas  übertragen,  indem  der  letztere  genau 
die  Stelle  des  ersteren  einnimmt  und  sich  nur  durch  das  Vorrücken 
der'  südlichen  Häuserreihe  in  die  Area  des  alten  Forums  nicht 
unbeträchtlich  verkleinerte.  An  der  westlichen  Schmalseite  des 
Platzes  stieg  man  auf  Stufen  zu  zwei  Tempeln  hinan.  Der  eine 
ist    noch    vollständig  erhalten    und    war   nach    der  Inschrift   auf 


34 


Robert  von  Schneider 


seinem  Epistyle  der  Göttin  Roma  und  dem  Kaiser  Augustus 
geweiht.  Vom  andern  dagegen  fiel  der  vordere  Theil  dem  Bau  des 
Municipalpalastes  zum  Opfer  und  blieb  nur  die  Rückseite  stehen. 
Beide  Gebäude  waren  einander  im  wesentlichen  gleich.  Ganz 
ähnlich  stand  auch  der  einen  dem  Meere  zunächst  gelegenen  Schmal- 
seite des  Forums  von  Parenzo  (,,Marafor*'  wie  es  heute  heißt)  ein 
Tempelpaar.  Der  Tempel  zu  Pola  (Abb.  9)  ist  in  der  den  römischen 
und  tuskischen  Heiligthümern  typischen  Weise  mit  einer  weiten 
Vorhalle,  dem  Pronaos,  versehen,  der,  vier  Säulen  korinthischer 
Ordnung  in  der  ,Fronte,  zwei  in  der  Tiefe  zählend,  an  Größe  dem 
verschlossenen  Räume,  der  Cella,  fast  gleichkommt.  Die  vier 
Ecken  der  letzteren  sind  von  Pilastern  flankiert.  Die  Säulen 
blieben  glatt,  die  Pilaster  wurden  canneli^rt,  wie  es  auch  Bru- 
nellesco,  der  große  Meister  der  Frührenaissance,  zu  halten  pflegte, 
von  dem  Gefühle  geleitet,  dass  die  ebene  Fläche  des  Pfeilers 
dieses  Schmuckes  weniger  entbehren  durfte  als  der  durch  Licht 
und  Schatten  belebte  cylindrische  Schaft  der  Säule.  Schön  ge- 
arbeitetes Ranken-  und  Blätterwerk  ziert  das  Gebälke  des  Tempels. 
Sein  Giebelfeld  war  einst  mit  einem  jetzt  verschwundenen  bron- 
zenen Ornamente  gefüllt.  Die  drei  anderen  Seiten  des  Platzes 
nahmen,  wie  gewöhnlich  an  den  Foren  der  Provinzialstädte,  ofiFene 
Hallen  ein; 

.  .  .  innumeris  spatia  interstincta  columnis 
singt  Statins  von  dem  Forum  seiner  Vaterstadt  Neapel.  In  ihnen 
spielte  sich  das  politische  Leben  des  Gemeinwesens  und  sein 
Handelsverkehr  ab,  wie  es  denn,  ehe  die  Stadt  das  Amphitheater 
hatte,  auch  der  Schauplatz  der  öffentlichen  Feste  war.  Von  den 
Statuen,  welche  heute  in  der  Cella  des  Tempels  aufbewahrt 
werden,  schmückte  wohl  manche  ehedem  den  Platz. 

Der  Tempel  muss  nach  2  vor  Chr.  erbaut  worden  sein,  denn 
erst  von  diesem  Jahre  an  konnte  Augustus  wie  hier  in  der  In- 
schrift ,,pater  patriae'*  genannt  werden,  aber  noch  vor  14  nach  Chr., 
dem  Todesjahre  des  Imperators.  In  etwas  frühere  Zeiten  fallt  der 
Bau  des  Triumphbogens,  der  sich  im  Süden  von  Pola  erhebt. 
Eine  Frau,  Salvia  Postumia,  hat  ihn  aus  eigenen  Mitteln  zu  Ehren 
ihres  Gemahles  Lucius  Sergius  errichtet,  eines  Militärtribunen  der 
nach  der  Schlacht  von  Actium  (30  v.  Chr. )  aufgelösten  29.  Legion, 
sowie  zum  Andenken  an  seinen  Vater,    der  denselben  Namen  wie 


Drei  römische  Städte. 


35 


der  Sohn  trug,  und  an  seinen  Oheim  Gnaeus  Sergius.  Vier 
Säulen  rechts  und  links  paarweise  auf  gemeinsamem  Fußgestelle 
und  mit  gemeinsamem  Gebälke  schließen  den  weiten  Bogen  ein 
und  tragen  die  hohe  Attika,  die  in  den  längst  zerstörten  Statuen 
der  drei  genannten  Männer  ihren  bekrönenden  Abschluss.  fand. 
Mag  der  strenge  Vitruvianer  immerhin  die  Proportionen  dieses 
Thores  tadeln,  insbesondere  dass  Attika  und  Gebälke  zusammen 
nicht,  wie  die  Vorschrift  will,  dem  Viertel,  sondern  nur  dem 
Fünftel  der  Säulenhöhe  entsprechen,  wer  von  diesem  Regelzwange 
absieht,  wird  sich  hiedurch  in  der  Freude  an  der  eleganten  Er- 
scheinung des  Bauwerkes  wie  an  dem  Reichthum  und  der  Anmuth 
seiner  Ornamente  nicht  beirren  lassen.  Schöne  Cassetten  schmücken 
die  Bogenwölbung ,  Waffentrophäen,  Stierschädel,  Eroten  und 
Blumengewinde,  Siegesgöttinnen  auf  Kampfwagen  den  Fries, 
Victorien  mit  Posaunen  und  Kränzen  die  Zwickel  über  dem 
Bogen,  anmuthig  verschlungene,  aus  einer  Akanthusstaude  hervor- 
sprießende Weinranken  die  Wände  des  Thorweges.  Eine  ähnliche 
glückliche  Erfindungsgabe,  die  sich  besonders  in  den  vegetabi- 
lischen Zierformen  bewährt,  waltet  auch  an  dem  nur  um  weniges 
älteren  Triumphbogen  von  St.  Remy  in  der  Provence.  Selbst- 
verständlich steht  das  Thor  von  Pola,  wie  es  doch  nur  ein  Ehren- 
denkmal von  Privatpersonen  ist,  an  Größe  und  Pracht  hinter  den 
Triumphbogen  der  Cäsaren  in  Rom  und  in  den  Provinzen  zurück: 
es  ist  nur  wenig  mehr  als  ii  Meter  hoch,  kaum  9  Meter  lang. 

Am  Meere,  schon  außerhalb  der  Thore  der  einstigen  römischen 
Colonie,  mit  seinem  goldig  gebräunten  Mauerwerke  weit  in  die 
See  hinausschimmernd  und  den  Ankömmling  von  ferne  begrüßend, 
ragt  das  Amphitheater  empor,  seit  jeher  Polas  berühmtester  Über- 
rest  aus  dem  Alterthume.  (Abb.  7.)  Zahlreich  sind  über  die  Länder 
des  alten  römischen  Weltreiches  die  Ruinen  ähnlicher  Bauten  ver- 
breitet: aber  unter  den  am  besten  bis  auf  unsere  Zeit  erhaltenen 
verdient  die  Arena  von  Pola  als  eine  der  ersten  genannt  zu  werden. 
Ist  der  Säulentempel  das  charakteristische  Wahrzeichen  der  helle- 
nischen, die  gothische  Kathedrale  das  der  mittelalterlichen  Städte, 
so  misst  sich  Wohlstand  und  Größe  der  römischen  Städte  der 
Kaiserzeit  an  jenen  steinernen  Kolossen,  welche  die  Weltbeherrscher 
im  Genüsse  ihrer  unbestrittenen  Macht  den  blutigen  Schauspielen 
der   Gladiatoren-    und    Thierkämpfe    errichteten.      Aber    wie    die 

3* 


36 


Robert  von  Schneider 


Fechterspiele    keineswegs    national    römischen    Ursprunges    sind, 
sondern   aus  Etrurien  oder   Campanien  nach   Rom  gelangten,    so 
ist  auch   die  Bauform  der  Amphitheater  nicht  von  den   Römern 
geschaflFen  worden.     Trügt  nicht  alles,    so  war  es  auf  halbgriechi- 
schem Gebiete,    in  Unteritalien,    dass  man  verhältnismäßig  spät, 
im  ersten  vorchristlichen  Jahrhunderte,    das   vergängliche    Holz- 
gerüste durch  ein  bleibendes  Werk  in  Stein  ersetzte,  und  es  wäre 
wieder    hellenischem    Erfindungsgeiste    überlassen    gewesen,    die 
ersten  entscheidenden  Versuche  zu  wagen.     In  dem   70  v.    Chr. 
erbauten  Amphitheater   in  Pompeji  zeigt  sich   das   Schema  noch 
auf  unfertiger  Stufe;   man  ist  der  Constructionen  nicht  durchaus 
sicher,  und  vieles  war  noch   zu  finden  und  zu  erproben.     Völlig 
ausgestaltet   tritt   uns   der   Baugedanke  in  Rom  selbst  entgegen, 
in   dem   Amphitheater,    das   Vespasian   begann   und   Titus    voll- 
endete, das   als   InbegriflF  des   Riesenhaften  die  Welt  unter  dem 
Namen  des   Colosseums  kennt.     Wie  im  Wetteifer  mit  einander 
erbauten  die  Provinzen  nach  diesem  Modelle  die  gewaltigen  Stein- 
kessel, die  wir  zu  Verona  und  Capua,  zu  Arles,    Nlmes  und  Pola 
bestaunen,   bewundernswert  in  ihren  großartigen  Massen   an  sich 
wie  durch  das  technische  Vermögen,    das   diese  Massen  organisch 
gliedernd  in   unübertrefflicher  Weise  einem  einheitlichen  Zwecke 
zu   unterwerfen   verstand.      Die    ovale   Form  gehörte   schon  dem 
primitiven  Holzgerüste  an,  denn  das  aus  einer  Folge  von  Kämpfen 
bestehende  Schauspiel    erheischte  einen  der  Länge  nach  sich  aus- 
dehnenden Platz.     So  war  es  nicht  ein  Punkt,  sondern  eine  Linie, 
die    der    ganzen    Anlage    zugrunde    gelegt   werden    musste.      Mit 
dem  Übertragen  des   elliptischen  Grundrisses  in  Stein  entstanden 
aber  erst  alle  Probleme,    die   im   Colosseum  wie  in  dessen  Nach- 
bildungen so  glänzend  gelöst  wurden,  Monumenten,  die  nach  dem 
Ausspruche  eines  berühmten  Architekten,  VioUet-le-Duc,  in  ihren 
zahllosen  und  mannigfaltigen  Gliederungen  keinen  einzigen  todten 
Punkt   aufweisen,    in    denen   alles   und  jedes  zur  Erfüllung  eines 
Baugedankens  beiträgt  und  bei  der  strengsten  Ökonomie  zugleich 
für  die  Ewigkeit  gemacht  erscheint.     Das  Amphitheater  von  Pola 
lässt  freilich  in  seinem  jetzigen  Zustande  die  künstlerischen  und  tech- 
nischen Eigenschaften  eines  solchen  Bauwerkes  nur  mehr  einseitig 
erkennen,    denn  die  ganze   Cavea  mit  ihren  Sitzen,  Treppen  und 
Corridoren  ist  im  Laufe  der  Jahrhunderte,  in  denen  es  als  Steinbruch 


Drei  römische  Städte. 


37 


gedient  hat,  verschwunden  und  der  leere  Mantel  allein  geblieben. 
Zwar  waren  nur  die  unteren"  Sitzreihen  aus  Stein,  die  oberen  aber 
aus  Holz  errichtet,  denn  schwerlich  hätte  sonst  der  Kern  so  sauber 
aus  der  Schale  gelöst  werden  können,  wenn  der  Außenbau  einst  durch 
steinerne  Constructionen  mit  dem  Innern  verbunden  gewesen  wäre. 
Allenthalben  in  der  Umfassungsmauer  sieht  man  auch  noch  die  Löcher, 
in  denen  die  hölzernen  Querbalken  eingefügt  waren.  Vortrefflich 
in  allen  seinen  Theilen  ist  der  aus  drei  Stockwerken  bestehende 
Mantel  erhalten.  Da  das  Gebäude  an  der  vom  Meere  abgekehrten 
Seite  an  einen  Hügel  sich  lehnt,  läuft  das  unterste  Geschoss  am 
Abhänge  blind,  so  dass  an  dieser  Stelle  ein  gutes  Stück  des  Auf- 
baues und  des  Unterbaues  erspart  werden  konnte.  Eine  besondere 
Eigenthümlichkeit  des  Amphitheaters  von  Pola  sind  die  rechts  und 
links  an  den  Haupteingängen  paarweise  angebrachten  thurmartigen 
Vorbauten,  die  Treppen  eingeschlossen  haben.  An  dem  obersten 
Geschosse  sieht  man  noch  die  durchlöcherten  Kragsteine  für  die 
Stangen,  welche  das  über  den  ungeheuren  Raum  gespannte  Zeltdach 
(velarium)  trugen.  Die  geringe  Ausführung  vieler  nur  ganz  aus 
dem  Groben  herausgearbeiteten  Einzelheiten  und  manches,  was 
gutem  Geschmacke  zuwiderläuft,  wie  das  Fehlen  der  Pilasterfüße 
und  das  Verwenden  von  Pilastercapitälen  an  Stelle  von  Con- 
solen,  kann  dem  mächtigen  Eindrucke  und  dem  malerischen 
Reize  des  Ganzen  keinen  Eintrag  thun.  Verglichen  mit  dem 
Colosseum  in  Rom,  das  in  vier  Stockwerken  übereinander 
in  je  achtzig  Arcaden  sich  öffnet,  hat  das  Amphitheater  von  Pola 
um  ein  Stockwerk  weniger  und  nur  zweiundsiebenzig  Bogen  im 
Umkreis.  Man  berechnet,  dass  es  20 — 25.000  Zuschauern  Platz 
bot  (das  Colosseum  für  87.000),  eine  Anzahl,  die  nicht  allzu  groß 
erscheint,  wenn  man  erwägt,  dass  zu  den  Fechterspielen  die  Be- 
wohner der  ganzen  Landschaft  von  weit  und  breit  sich  einzu- 
finden pflegten. 

Neben  dem  Amphitheater  besaß  Pola  bis  in  das  17.  Jahr- 
hundert am  Monte  Zarro  ein  wohlerhaltenes  Theater  für  die 
'scenischen  Spiele.  Die  Nähe  des  venezianischen  Castelles  wurde 
diesem  Gebäude  gefährlich  :  man  bediente  sich  seines  Materiales 
für  die  Festungswerke  und  schleppte  seine  schönen  Säulen  nach 
Venedig,  wo  sie  Longhena  für  den  Prachtbau  von  Santa  Maria  della 
Salute    verwendete.       Die    letzten    Überreste    wurden    erst    vor 


38 


Robert  von  Schneider 


etwa  zwanzig  Jahren  hinweggeräumt.  Auch  die  Stadtmauern  Polas, 
welche  zum  Theile  noch  aus  dem  Alterthume  herrührten,  sind 
erst  in  unserem  Jahrhunderte  niedergerissen  worden.  Heute  stehen 
davon  nur  zwei  Thore :  eines  mit  der  Büste  und  Keule  des  Her- 
cules, des  Schutzgottes  der  römischen  Colonie,  in  Relief  auf  den 
Schlussstein  seines  Bogens  gehauen,  und  in  der  Nähe  des  Amphi- 
theaters ein  anderes  Thor  mit  zwei  Bogengängen,  die  Porta  Gemina, 
das  ähnlich  wie  die  Porta  Maggiore  oder  die  Aqua  Marcia  in  Rom 
zugleich  als  Aquäduct  verwendet  worden  war. 

Das  sind  die  Bauten,  welche  das  stattliche  Erbe  Polas  aus  dem 
Alterthume  bilden  und  aus  dieser  Stadt  gleichsam  ein  Museum 
antiker  Architektur  gemacht  haben.  Leider  erfreuen  auch  in  unseren 
Tagen  diese  unvergleichlichen  Reste  sich  nicht  der  Sorgfalt,  die 
ihr  Wert  in  vollem  Maße  verdienen  würde. 


IIL 

Lernten  wir  in  Pola  an  einer  Reihe  charakteristischer  Bei- 
spiele die  typischen  Formen  von  Bauwerken  kennen,  wie  solche 
fast  jede  große  Stadt  des  römischen  Kaiserreiches  aufzuweisen  hatte, 
so  eröffnen  sich  uns  neue  Blicke  in  das  architektonische  Schaffen 
des  classischen  Alterthums,  wenn  wir  den  dritten  Ort,  dessen  Be- 
such wir  uns  vorgenommen  haben,  wenn  wir  Salona  betreten. 
Zwar  was  die  Ausgrabungen  von  dem  uralten  Vororte  Dalma- 
tiens  an  das  Tageslicht  gefördert  haben,  sind  vor  allem  Gebäude, 
die  für  den  christlichen  Cultus  bestimmt  waren,  und  deren  Be- 
trachtung außerhalb  des  Rahmens  dieses  Aufsatzes  fällt.  Nur  der 
Mauerring,  der  die  langgestreckte  Niederlassung  umgürtete, 
nimmt  auch  unser  Interesse  in  Anspruch.  Gelegen  in  der  frucht- 
barsten Landschaft  Dalmatiens,  an  einem  rings  von  Bergen  um- 
schlossenen Golfe,  der  ganze  Flotten  bergen  konnte,  ward  die  Stadt 
hart  an  der  Küste  gegründet  und  stieg  erst  in  allmählicher  Erwei- 
terung den  sich  sanft  zum  Ufer  abdachenden  Berg  hinauf.  In  späterer 
Zeit  umschloss  sowohl  die  tiefer  liegende  Altstadt  wie  die  höher 
gelegene  Neustadt  eine  gemeinsame  Mauer  mit  achtundachtzig 
Thürmen  und  drei  Thoren,  aber  auch  nach  dieser  Vereinigung 
blieb  die  erstere  durch  ihre  östliche  Mauer,  die  man  nicht  nieder- 


Drei  römische  Städte.  39 

riss,  von  der  letz- 
teren geschieden, 
und  man  betrat 
sie  von  dieser 
Seite  wie  vor- 
alters  durch  ein 
von  zwei  Thür- 
men  flankiertes 
Stadtthor.  Am 
äußersten  Ende 
der  Mauer,  wie  in 
Pompeji  sich  da- 
ranlehnend und 
sie  verstärkend, 
lag  das  Amphi- 
theater, das  in  sei- 
nem Grundrisse 
und  einigen  Thei- 
len  seines  Auf- 
baus noch  deut- 
lich zu  erkennen 
ist.     Auch  Reste 

eines   Theaters 

sind  erhalten. 
Beide ,  Amphi- 
theater und  Thea- 
ter ,  waren  be- 
trächtlich kleiner 
als     die     entspre-  Abb.  10.    Ans  dem  Palaate  von  Spalato. 

chenden     Bau- 
werke   in    Pola. 

Aus  dieser  Stadt  gieng  der  Mann  hervor,  der  wie  kein  andrer 
Dalmatiner  die  höchste  Stufe  irdischer  Herrlichkeit  erklimmen 
sollte.  Von  dunkler  Herkunft,  durch  eigene  Tüchtigkeit  sich 
emporringend,  zugleich  Feldherr  und  Staatsmann,  war  Diocletian 
der  größte  und  letzte  jener  heroischen  Imperatoren,  die  mit  über- 
menschlicher Anstrengung  den  Sturz  des  römischen  Weltreiches 
aufzuhalten  sich  erkühnen   durften,  in  der  Geschichte   der  abend- 


40 


Robert  von  Schneider 


ländischen  Menschheit  einer  der  ragenden  Marksteine,  die  Perioden 
scheiden,  und  einer  der  Gewaltigen,  die  ganzen  Zeitaltern  ihr  Ge- 
präge aufdrückten.  Es  kann  an  dieser  Stelle  auch  nicht  andeutungs- 
weise von  seinen  Thaten  im  Kriege  und  im  Frieden  gesprochen 
werden,  von  seinen  einschneidenden  Reformen  auf  fast  allen  Ge- 
bieten der  Staatsverwaltung,  von  seinem  Systeme  der  Mitregenten- 
schaft und  der  Successionen.  Nüchternen  Verstandes  war  Diocletian 
prachtliebend  nur  aus  Politik,  folgte  aber  einem  inneren  Antriebe 
in  seiner  Baulust  Keiner  seiner  Vorgänger  auf  dem  Cäsarenthrone, 
weder  Augustus  noch  Traianus  oder  Hadrianus,  hat  eine  groß- 
artigere Baugesinnung  bethätigt  als  er.  Überall  innerhalb  der 
Grenzen  seines  ungeheuren  Reiches  erhoben  sich  auf  sein  Geheiß 
monumentale  Bauten :  im  ägyptischen  Alexandria,  in  Antiochia 
und  Palmyra,  in  Mailand  und  Karthago.  Seine  Thermen  in  Rom 
übertrafen  an  Größe  und  Pracht  selbst  die  Caracallas.  An  der  Pro- 
pontis  schuf  sein  Machtwort  eine  neue  Residenz:  Nikomedia,  die 
Vorläuferin  Constantinopels.  Seine  weit  ausgedehnte,  fast  fieber- 
hafte Bauthätigkeit  stand  im  Dienste  des  Staates.  '  Nur  in  der 
Nähe  seines  Geburtsortes,  an  einem  von  der  Bucht  von  Salona 
durch  ein  Vorgebirge  getrennten  Golfe  erbaute  Diocletian  sich 
selbst  einen  Wohnsitz,  der  ihn  mit  seinem  Gefolge  nach  seiner 
Thronentsagung  aufnehmen  sollte,  und  innerhalb  dessen  Mauern 
die    heutige    Stadt   Spalato    entstand.      Dieser    Palast  hatte  aus- 

• 

schließlich  dem  persönlichen  Bedürfnisse  des  Kaisers  zu  dienen. 
Er  ist  deshalb  die  individuelle  Schöpfung  seines  Bauherrn.  Wenn 
auch  nach  dem  überlieferten  Schema  eines  Lagers  angelegt,  stellt 
er  sich  ungleich  den  Bauwerken  von  Pola,  die  bloß  Abwandlungen 
bereits  festgesetzter  Typen  sind,  als  eine  neue  Grundform  dar,  die, 
wie  es  scheint,  wenigstens  eine  Zeit  lang  für  fürstliche  Residenzen 
maßgebend  geworden  ist. 

Der  Palast  von  Spalato  erscheint  nach  außen  als  ein  von 
Mauern  rings  umschlossener,  nicht  ganz  regelmäßiger  Geviert- 
raum (175X215  Meter  lang)  mit  vier  Thürmen  an  den  Ecken. 
Inmitten  der  drei  dem  Lande  zugekehrten  Seiten  führt  je  ein 
von  zwei  achteckigen  Thürmen  beschütztes  Thor  in  das  Innere 
des  Schlosses.  In  den  Räumen  zwischen  den  Thoren  und  den 
Eckthürmen  ist  je  ein  Thurm  angebracht.  So  beleben  im  ganzen 
sechzehn  Thürme  die  Monotonie  der  drei  Fa^aden.    Längs  der  süd- 


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Drei  römische  Städte. 


41 


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liehen  der  See  zugewandten  Fronte  zog  sich  eine  oflFene  Bogenhalle 
auf  einem  hohen  Unterbau  hin  (Taf.  I).  Mächtige  Substructionen  ' 
waren  g6gen  das  Meer  hin  nöthig,  um  das  abfallende  Terrain  aus- 
zugleichen und  eine  ebene  Fläche  für  das  Innere  des  Palastes  zu 
gewinnen,  das  genau  nach  den  Principien  des  Feldlagers  oder  der 
Colonie  durch  zwei  von  Thor  zu  Thor  führende,  im  Mittel- 
punkte des  Vierecks  sich  kreuzende  Straßen  in  vier  gleiche  Theile 
zerlegt  wurde.  Betrat  man  das  Schloss,  von  Salona  kommend, 
durch  sein  nördliches  mit  Zwerggallerien  und  Nischen  geschmücktes 
Hauptthor,  die  sogenannte  Porta  Aurea,  so  hatte  man  zunächst  zu 
beiden  Seiten  die  jetzt  völlig  zerstörten  Quartiere  der  Leibwachen 
und  des  Gefolges  und  gelangte  schnurgerade  zu  den  Wohnräumen 
des  Kaisers.  Jenseits  der  Kreuzungsstelle  der  Straßen  führte 
der  Weg  in  das  Peristyl,  um  im  Vestibüle  der  kaiserlichen  Ge- 
mächer zu  enden.  Je  mehr  man  sich  den  letzteren  näherte, 
um  so  mehr  entfaltete  sich  in  berechneter  Steigerung  die  äußere 
Pracht  der  tektonischen  und  ornamentalen  Formen.  War  die 
Straße  in  ihrer  nördlichen  Hälfte  vermuthlich  nur  von  ein- 
fachen Arcaden  eingesäumt,  so  öffnen  sich  im  Peiristyle  jederseits 
sieben  luftige  Bogen,  getragen  von  korinthischen  Säulen,  deren 
Schäfte  aus  je  einem  Stück  CipoUino  oder  rosafarbigen  Granites 
gehauen  sind.  Wir  stehen  hier  auf  dem  heutigen  Domplatze. 
Vor  uns,  an  der  südlichen  Schmalseite,  erhebt  sich  das  dreithorige 
und  giebelbekrönte  Portal  des  in  Ruinen  liegenden  Vestibüls. 
Rechts  und  links  boten  sich  durch  die  jetzt  verbauten,  einst  bis 
zur  halben  Höhe  mit  einem  steinernen  Geländer  geschlossenen  Ar- 
caden malerische  Perspectiven  in  zwei  Höfe  dar,  deren  Mitte  je  ein 
Tempel  einnimmt.  Beide,  später  deqi  christlichen  Cultus  geweiht, 
sind  noch  gut  erhalten.  Der  Tempel  im  Hofe  rechts  hat  die 
Form  eines  Prostylos ;  doch  ist  seine  Vorhalle  zerstört.  Sein  mit 
pflanzlichen  Zierformen  bedeckter  Thürstock  ist  das  decorätive 
Prachtstück  des  ganzen  Palastes.  Der  Tempel  im  Hofe  links  ist 
von  centraler  Anlage.  Eine  Treppe  von  zweiundzwanzig  Stufen 
führt  auf  die  Plattform  des  hohen  Sockels,  auf  dem  inmitten 
einer  mit  geradem  Gebälke  gedeckten,  mit  Statuen  bekrönten 
Säulenhalle  das  achteckige  Gebäude  emporragt.  An  seiner  gegen 
das  Peristyl  gekehrten  Seite  befand  sich  ursprünglich  die  Vorhalle, 
welche  dem  Bau  des  prächtigen  mittelalterlichen  Glockenthurjnes 


42 


Robert  von  Schneider 


weichen  musste.  Das  kreisrunde  Innere  dieses  Tempels  (13  '5  Meter  im 
Durchmesser  bei  21*5  Meter  Höhe)  ist  in  acht  Segmente  mit  ab- 
wechselnd halbkreisförmigen  und  viereckigen  Nischen  getheilt.  Zwi- 
schen den  Nischen  sind  Säulen  korinthischer  Ordnung  aus  Granit, 
Porphyr  und  Verde  antico  in  zwei  Geschossen  übereinander  an- 
gebracht Das  Gebälke  der  unteren  Säulenreihe  schmückt  ein 
Fries,  auf  dem  jagende  und  spielende  Eroten  in  halberhobener 
Arbeit  dargestellt  sind.  Ein  halbkreisförmiges  Fenster  über 
der  Thüre  lässt  nicht  allzu  reichliches  Licht  in  den  mit  einer 
Kuppel  gedeckten  Raum.  Gleichfalls  als  Kuppel  gewölbt  war 
das  nur  um  weniges  kleinere,  jetzt  eingestürzte  Vestibül  (12 
Meter  im  Durchmesser  bei  17  Meter  Höhe);  seine  Mauern,  einst  mit 
Marmor  verkleidet,  lassen  noch  vier  Nischen  erkennen,  in  denen 
Statuen  standen.  Rechts  und  links  von  diesem  die  beiden  südlichen 
Quartiere  vereinigenden  Saale  breitete  sich  die  kaiserliche  Woh- 
nung aus;  doch  ist  aus  deren  geringen  Überresten  kein  Ein- 
blick in  ihre  Anordnung  zu  gewinnen.  Ihren  Abschluss  fand  die 
großartige  Anlage  in  der  schon  erwähnten,  die  ganze  Südseite 
entlang  laufenden  Wandelbahn  (Cryp'toporticus),  durch  deren  offene 
Hallen  ein  prachtvoller  Anblick  des  Golfes  und  der  Inselwelt  sich 
aufthat.  Seine  Mauern  unmittelbar  in  das  Meer  senkend  und  vom 
Hintergrunde  mächtiger,  schöngezeichneter  Berge  sich  wirksam 
abhebend  ist  der  Diocletianische  Palast  in  der  Herrlichkeit  seiner 
Lage  nur  mit  den  Sultanpalästen  am  Bosporus  vergleichbar  oder 
mit  der  Villa,  die  Andrea  Doria  am  Hafen  Genuas  sich  baute, 
oder  mit  dem  Palaste  Donna  Annas  an  der  lachenden  Bucht  von 
Neapel. 

Fügen  wir  noch  hinzu,  dass  eine  zum  Theil  über  Arcaden 
geführte  Leitung,  die  heute  wieder  in  Stand  gesetzt  wurde,  den 
Palast  mit  dem  gebirgsfrischen  Wasser  des  Flüsschens  Jader  ver- 
sorgte, so  hätten  wir  in  raschem  Überblicke  die  wesentlichsten  Theile 
des  großen  Bauwerkes  genannt.  Keine  Frage,  dass  es  nicht  das 
malerisch  phantastische  Bild  mittelalterlicher  Feudalburgen  bot 
Wenig  gegliedert  in  der  Verticalen,  ragten  auch  über  den  oberen 
horizontalen  Abschluss  seiner  langgestreckten  Fa^aden  nur  die  vier 
Eckthürme  hinaus.  So  wirkte  der  Palast  von  außen  mehr  durch 
die  Masse  seiner  Erscheinung  und  behielt,  die  freundlicheren  Reize 
eines  Hauses  im  Inneren  sammelnd,  diese  seinen  Bewohnern  vor. 


Drei  römische  Städte. 


43 


Der  Bau  sollte  nicht  als  wirkliche  Festung  dienen,  sondern  nur 
der  Laune  des  Herrschers  nach  eine  solche  zu  sein  scheinen,  wie 
auch  Marius,  Pompeius  und  Cäsar  ihre  \'illen  in  Bajä  nach  Art 
von  Castellen  errichteten.  Soldat  von  Haus  aus  und  von  rein 
militärischer  Erziehung,  in  der  Diocletian  sich  auch  in  seinen  Staats- 
actionen  zuweilen  befangen 
zeigt,  entnahm  er  den  Bau- 
gedanken zu  seinein  Schlosse 
dem  Gesichtskreise  seines 
Standes.  Ob  er  wie  in  Spa- 
lato  seine  Residenz  in  Niko- 
media  nach  gleichem  Schema 
bauen  ließ,  vennögen  wir 
nicht  mehr  zu  bestimmen. 
Aber  jedenfalls  scheint  von 
ihm  das  Vorbild  für  den 
Kaiserpalast  Constantins  des 
Großen  in  Byzanz  und  für 
die  Burgen  Theodorichs  zu 
Verona ,  Pavia ,  Ravenna 
und  Terracina  geschaffen 
worden  zu  sein.  Eine  An- 
sicht, die  ein  Mosaikbild  der 
Kirche  S.  Apollinare  nuovo 
in  Ravenna  von  dem  dortigen 
Palaste  des  Ostgothenkönigs 
gibt,  zeigt  uns  eine  dem 
Peristyle  von  Spalato  nahe 
verwandte  Hofanlage :  das- 
selbe giebelbekrönte  Portal 
im  Hintergrunde,  die  glei- 
chen Hallen  zu  dessen  Seiten. 

Hier  hängen  zwischen  den  Bögen  Blumengewinde,  zwischen  den 
Säulen  schwere  Vorhänge,  und  nicht  anders  mochte  das  Peristyl 
in  Spalato,  als  der  Palast  noch  bewohnt  war,  ausgestattet  und  ge- 
schmückt gewesen  sein. 

Noch  bedeutsamer  als  durch  den  Einfluss,  den  das  Haus  Diocle- 
tians  auf  die  Anlage  von  Fürstenwohnungen  in  den  nächst  folgenden 


Abb.  13.    Wasserleitung  des  Hadrian  zu  Athen  (nach  Stuart  und  Revett). 

Zeiten  genommen  hat,  ist  es  durch  neue,  soviel  wir  sehen  an  ihm  zuerst 
angewandte  Constructionsformen  geworden,  die  auf  die  ganze  spätere 
Baukunst  umgestaltend  eingewirkt  haben.  Nach  den  bis  dahin  gel- 
tenden Gesetzen  und  Traditionen  der  classischen  Architektur  hatten 
Säulen  stets  nur  ein  gerades  Gebälke  zu  tragen,  während  die  Bogen, 


Abb.   13.     Portal  des  Vestibüle«  in  Spalato. 


Drei  römische  Städte,  *  c 

die  man  in  ihre  Intercolumnien  stellte,  auf  eigene  Pfeiler  zu  ruhen 
kamen  (Abb.  ii).  So  griffen  gewissermaßen  zwei  Constructionen 
in  einander  und  liefen  parallel  nebeneinander,  ein  Verfahren, 
dem  gegenüber  sich  das  neue,  an  Diocletianischeti  Bauten  befolgte, 
das  die  Säule  zum  Träger  des  Bogens  macht,  wie  eine  Abbreviatur 
verhält.  Im  Peristyle  zu  Spalato  (Abb.  14)  sowie  an  den  Blendarcaden 
über  dem  Eingange  der  Porta  Aurea  sind  zum  erstenmale  in  einer 
langen  Reihe    Bogen   unmittelbar  auf  Säulen   gesetzt,    und   eine 


Abb.  14.    Vom  Feristyle  in  Spalato. 

gleiche  Arcadenreihe  befand  sich  nach  dem  Zeugnisse  des  spani- 
schen Architekten  Sebastian  Oya  an  der  Südwestseite  der  um  305 
vollendeten  Thermen  des  Diocletian  in  Rom.  Dieselbe  Anordnung 
treffen  wir  wiederholt  am  Bogen  des  Galerius  zu  Saloniki.  Frühere 
Beispiele  dieses  Systems  sind  nicht  bekannt;  aber  es  lässt  sich  eine 
andere  Form  weit  zurückverfolgen,  welche  diese  Construction  vor- 
bereitete und  aus  der  sie  sich  wie  von  selbst  entwickeln  musste. 
Dreimal  sehen  wir  innerhalb  des  Palastes  von  Spalato,  wie  das  auf 
zwei  Säulenpaaren  liegende  Gebalke  über  dem  rechten  und 
linken     Intercolumnium     gerade     verläuft,    als     halbkreisförmiger 


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46 


Robert  von  Schneider 


Bogen  aber  das  mittlere  Intervall  überbrückt  und  in  den  drei- 
eckigen Giebel  einschneidet:  am  Portale  des  Vestibüls  (Abb.  13), 
an  drei  Fenstern  der  Südfronte,  von  denen  eines  in  der  Mitte,  die 
zwei  andern  an  den  Enden  der  Fa^ade  angebracht  sind,  und,  wie 
aus  dem  Zuschnitte  und  den  Bruchflächen  der  Steine  über  der 
Thüre  des  Octogons  deutlich  erkennbar  ist,  auch  an  dessen  Vor- 
halle,  die  dem  Bau  des  Glockenthurmes  zum  Opfer  fiel.  Äußere  Um- 
stände mochten  es  zunächst  veranlasst  haben,  die  Säulen  in  der 
Mitte  eines  Gebäudes  vor  seiner  Thüre  weiter  auseinander  zu 
rücken.  Hiedurch  steigerte  sich  für  das  gerade  Gebälke  die  Ge- 
fahr des  Einstürzens,  und  so  scheint  ein  technisches  Bedürfnis  zur 
Verbindung  der  Horizontalen  mit  den  Bogen  geführt  zu  haben, 
wie  sie  in  der  Architektur  des  späteren  Alterthums  herrschend 
war.  Wir  sehen  sie  an  einem  monumentalen  Überreste  zu  Da- 
maskus, an  dem  Purgatorium  im  Isistempel  zu  Pompei,  der  unter 
Nero,  an  dem  Prätorium  der  syrischen  Stadt  Phaena,  das  unter 
Marc  Aurel  errichtet  wurde,  sowie  an  dem  von  Antoninus  Pius 
begonnenen  Tempel  des  Sonnengottes  zu  Balbek.  Münzbilder  be- 
zeugen sie  für  die  Tabernakel  der  Astarte  zu  Byblos  und  der  Hera 
zu  Samos,  und  mehreren  Medaillen  des  Kaisers  Claudius  entnehmen 
wir,  dass  man  sie  an  Gebäuden  in  Nikäa  schon  im  ersten  Jahr- 
hunderte nach  Christus  angewandt  hat.  Ihr  erstes  Auftreten 
dürfte  sogar  noch  in  vorchristliche  Zeiten  zurückreichen.  Nur 
dass  an  älteren  Bauten  wie  auch  noch  am  Aquäducte  Kaiser 
Hadrians  in  Athen  (Abb.  12)  oder  an  einem  korinthischen  Tempel 
und  dem  Grabe  der  Mamastis  (Mitte  des  2.  Jahrhunderts)  zu 
Termessos  in  Pisidien  der  Bogen  in  geschmackvollerer  Weise 
als  selbständiges  Bauglied  auf  die  rechts  und  links  über  die 
Säulen  gelegten  Architrave  gesetzt  wurde  und  nicht  wie  im 
Diocletianischen  Palaste  und  sonst  zumeist  durch  einfaches  Um- 
biegen des  Gebälkes  gewonnen  erscheint.  Das  schon  genannte 
Prätorium  von  Phaöna  zeigt  in  seinem  Innenraume  vier  Bögen 
von  Säule  zu  Säule  steigend,  doch  sind  sie  nicht  in  eine  Flucht 
wie  in  Spalato,  sondern  in  ein  Quadrat  gestellt  So  sehen  wir 
schon  seit  Jahrhunderten  die  Säule  als  Träger  der  Archivolte  ver- 
wendet, und  es  entsprang  offenbar  dem  griechischen  Geiste,  der  bis 
in  die  spätesten  Zeiten  nicht  müde  wurde,  neue  Probleme  aufzu- 
werfen und  zu  lösen,  der  glückliche  Gedanke,  das  alte  complicierte 


Drei  römische  Städte. 


47 


System,  das  wir  vorne  beschrieben  haben,  durch  dieses  neue  zu 
ersetzen,  das,  ersonnen  noch  in  den  letzten  Jahren  des  welt- 
gebietenden Heidenthums,  als  wertvolles  Vermächtnis  in  die  Bau- 
kunst aller  folgenden  Zeiten  übergieng.  Es  drückte  der  altchrist- 
lichen Basilika  das  charakteristische  Merkmal  auf,  und  in  Fort- 
bildung des  bei  der  Porta  Aurea  angewandten  Principes  herrscht 
es  vollentwickelt  an  den  mittelalterlichen  Kirchenfa^aden  Italiens. 
Es  dringt  als  wesentliches  Element  in  die  saracenische  Baukunst 
und  wird  durch  die  Technik  des  Gewölbes  mit  dem  romanischen 
und  gothischen  Stile  untrennbar  verbunden.  Trotz  des  Tadels  der 
Theoretiker,  dass  hiedurch  die  Function  der  Säule  gelockert  und 
aufgehoben  wird,  hält  die  italienische  Renaissance  daran  fest;  und 
ist  auch  mit  dem  Studium  der  Antike  die  alte  Trennung  von  Säule 
und  Bogen  wieder  zu  ihrem  Rechte  gelangt,  wenn  feierliche  Pracht 
und  Würde  ihren  Ausdruck  erheischen,  so  behauptete  sich  daneben 
doch  auch  durch  alle  Zeiten  die  luftige,  von  Säule  zu  Säule 
springende  Archivolte,  sobald  es  galt,  leichte  Anmuth  und  Grazie 
in  tektonische  Formen  zu  kleiden. 

Die  Werkmeister  von  Spalato  sind  aus  dem  griechischen  Osten 
gekommen,  und  vermuthlich  waren  es  dieselben,  die  dem  Kaiser 
seine  neue  Residenzstadt  Nikomedia  an  der  Propontis  erbaut  haben. 
Anlage  und  Disposition  des  Palastes  gehören  allerdings,  wie  aus  dem 
Gesagten  hervorgeht,  dem  römischen  Vorstellungskreise  an,  grie- 
chisch aber  ist  die  constructive  und  decorative  Ausgestaltung  des 
ganzen  Bauwerkes.  Aus  griechischen  Buchstabenformen  setzen  sich 
auch  die  Steinmetzzeichen  zusammen,  so  viele  ihrer  bisher  an  den 
Bausteinen  gefunden  wurden.  Dem  kosmopolitischen  Charakter  der 
Cäsarenherrschaft  gemäß  steht  hier  griechischer  Geist  im  Dienste 
einer  römischen  Idee.  Von  nicht  geringem  Interesse  ist  es  zu  beob- 
achten, wie  für  den  Palast  neben  den  Kalkstein -Quadern  aus  den 
Brüchen  der  Insel  Brazza  und  von  Trau  vielfach  Backstein  ver- 
wendet wurde.  Während  aber  die  alte  Technik  des  Steinbaus 
sichtlich  dem  Verfalle  entgegengeht,  gehen  aus  der  Anwendung 
des  Ziegels  neue  Constructionen  hervor.  Die  Normen,  welche  die 
classische  Architektur  bisher  beherrschten,  scheinen  allenthalben 
gelockert.  Schwer  entstellt  wird  das  Gebälke  durch  das  Miss- 
verhältnis des  Architraves,  der  auf  Kosten  des  wie  unter  einer 
Last  zusammengepressten,    rund   ausgebauchten  Frieses    und   des 


48 


Robert  von  Schneider 


völlig  verkümmerten  Kranzgesimses  übermäßig  angewachsen  ist. 
Die  Säulen  stehen  auf  würfelförmigen  Piedestalen,  wodurch  die  oft 
schon  ursprünglich  überschlanken   Schäfte  sich  dem  Auge  noch 
schmächtiger  darbieten.     Selten  besteht  das  Einzelne  eine  strenge 
Prüfung.    Manches  Flüchtige,  Fehlerhafte  und  Geschmacklose  wird 
aus  der  Hast  zu  erklären  sein,    mit  der  das  kolossale  Gebäude  in 
überaus  kurzer  Zeit  ausgeführt  werden  musste.    Denn  schwerlich  ist 
Diocletian   gleich  im  Beginne  seiner  Herrschaft  daran   gegangen, 
sich  ein  Asyl   für  sein  Alter  zu  bereiten,  gewiss  aber  stand  sein 
Schloss  fertig  zu  seiner  Aufnahme  bereit,  als  er  305  n.  Chr.   frei- 
willig dem  Throne  entsagte,  um  sich  von  Krankheit  gebeugt  in 
die  Einsamkeit  seiner  Heimat  zurückzuziehen.     Es  bleiben  somit 
kaum   mehr   als   ein  Dutzend  Jahre  für  ein  Werk,    dessen   Voll- 
endung eine  staunenswerte  Organisation  der  Arbeit  und  die  Frohnde 
von  l5ausenden  voraussetzt    Noch  tönen  uns  die  Klagen  der  durch 
die  Erbauung  Nikomedias  Bedrückten  in  der  Diocletian  so  feind- 
seligen Schrift  des  Lactantius  über  das  Ende  der  Christenverfolger 
entgegen,  und  es  ist  wenig  glaublich,  dass  die  Landsleute  des  Kaisers 
mehr   geschont   wurden   als   die   Bewohner  Bithyniens.      Bei   der 
Eile,   mit  der  man  baute,   nahm  man  das  Material,    wo  man  es 
fand.     Säulen  wurden  älteren  Bauten  entrissen  und  ihrer  neuen 
Bestimmung  nothdürftig  angepasst,  indem  man  ihre  Schäfte  will- 
kürlich kürzte,    ohne  Rücksicht  auf  ihren  Umfang  mit  Capitälen 
versah,    die    für  sie  bald   zu  klein,  bald  zu  groß  waren,  und  sich 
wenig  an  die  Verschiedenartigkeit  dieser  schnell  zusammengerafiFten 
Stücke  stieß.    Man  hatte  nicht  Zeit,  das  stellenweise  überwuchernde 
Ornament  liebevoll  und  sorgfältig  auszuführen,  aber  in  bewunderns- 
werter Virtuosität  würde  es  mit  dem  Bohrer  auf  die  Massen-  und 
Femwirkung  hin  bearbeitet.     Es  zeigt  schon  durchaus  byzantini- 
sches Gepräge.     Die  Hast  nöthigte,  die  alten  monumentalen  Con- 
structionen  aufzugeben,  und  man  ersann  neue,  leichtere,  schneller 
zum   Ziele   führende  Methoden,    bei   denen  man    sich   häufig   des 
Backsteines  bediente.     Aus  diesem  Materiale  baute  man   das  Ge- 
wölbe  des   achteckigen  Tempels,    indem   man   die  Ziegel   in   der 
unteren  Hälfte  der  Kuppel  in  schuppenartig  übereinander  gestellte 
Stichbögen,  in  der  oberen  Hälfte  in  concentrische  Ringe  anordnete. 
Dasselbe  Verfahren  ward  in  der  byzantinischen  Kunst  öfter  ange- 
wendet, z.  B.  an  der  Grabeskirche  des  heil.  Demetrius  zu  Saloniki. 


Drei  römische  Städte. 


49 


So  regen  sich  überall  neue  fruchtbare  Keime  und  brechen 
hervor  inmitten  des  Verfalles  des  Alten.  Es  lässt  sich  nicht 
leugnen,  dass  ein  abgestumpfter  Formensinn  vielfach  im  Palaste 
zu  Spalato  mit  dem  Überkommenen  willkürlich  geschaltet  hat, 
während  das  Neue  noch  unfertig  und  nicht  zur  harmonischen 
Ausbildung  gelangt  ist  Aber  gerade  weil  hier  weit  mehr  als  in 
irgend  einem  andern  Werke,  als  etwa  in  den  Thermen  Diocletians  zu 
Rom,  die  viel  fester  im  Boden  der  alten  Traditionen  wurzeln,  zwei 
Richtungen,  die  der  Vergangenheit  und  der  Zukunft,  zusammen- 
treflFen  und  in  einander  übergehen,  ist  dieses  Gebäude  von  einziger 
Bedeutung  in  der  Geschichte  der  Baukunst.  Wie  sich  die  alt- 
christliche Basilika  im  Peristyle  zu  Spalato  unverkennbar  an- 
kündigt, so  scheint  auch  der  octagonale  Tempel  in  einer  Ent- 
wickelungsreihe  mit  den  Rundkirchen  der  nächsten  Jahrhunderte 
verkettet,  mit  S.  Vitale  in  Ravenna,  mit  Hagia  Sofia  in  Constanti- 
nopel  und  dem  Dome  von  Aachen.  Wir  sehen  im  Diocletianischen 
Palaste  die  Architektur  der  classischen  Völker  in  ihrem  letzten 
Stadium,  unmittelbar  bevor  das  siegreiche  Christenthum  von  dem 
Schatze  ihrer  Erfahrungen  und  Erfindungen,  von  dem  Vorrathe 
ihrer  Constructionen  und  Zierformen  Besitz  ergriffen  hat.  In  ihm 
beginnt  sich  die  Antike  in  den  Byzantinismus  umzusetzen.  An 
der  Grenze  zweier  Perioden  stehend,  ist  der  Palast  von  Spalato  ein 
Denkmal  dieses  inneren  geistigen  Processes  und  zugleich  seines 
Bauherrn  geworden,  symbolisch  das  tragische  Schicksal  des  großen 
Herrschers  wiederspiegelnd,  dessen  Reformen  und  Ideen  die 
Siegesbeute  derer  wurden,  die  er  so  hartnäckig  wie  vergeblich 
bekämpft  hat.  < 


Als  Schlussvignette  (Abb.  15)  ist  ein  Bronzefigürchen  abgebildet, 
das  in  Aquileja  gefunden  wurde  und  im  kunsthistorischen  Museum 
in  Wien  aufbewahrt  wird.  Es  stellt  einen  Philosophen  der  kyni- 
schen  Schule,  Krates  aus  Theben  (gestorben  kurz  vor  270  v.  Chr.) 
dar,  vom  Alter  gebeugt,  auf  einen  Stock  gestützt,  im  Handwerks- 
rocke, mit  einem  Mantel  aus  grobem  Stoffe  und  dem  Brotsacke  an 
der  Seite,   dem  Abzeichen  der  Secte,    das  er  in   seinen  Gedichten 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  4 


oft  besungen  hat  In  dieser  Tracht  wandelten  er  und  seine  Ge- 
sinnungsgenossen, gewissermaßen  die  Derwische  und  Bettelmönche 
des  Alterthums,  lehrend  und  scheltend  auf  den  Märkten  und  in 
den  Straßen  der  Städte,  verspottet  vom  Volke,  aber  doch  auch 
geachtet  und  ihrer  scharfen  Zunge  wegen  gefürchtet.  Unsere 
Statuette  war  als  Schmuck  an  einem  Bücherkistcheu   angebracht. 


Abb.  15.   Kmtes  der  Kyniker,  Bronze -Statuette. 


DAS  FRÜHE  UND  DAS  HOHE 

MITTELALTER. 

Von 

Professor  D^  Josef  Strzygowski. 


DAS  FRÜHE  UND  DAS  HOHE  MITTELALTER. 

I.    Das  Christenthum. 

Mithrasdienst  und  Christenthum  drangen  ungefähr  gleichzeitig 
von  Asien  her  nach  dem  Westen  vor.  Beide  wurden  von  den 
Soldaten  in  die  entferntesten  Provinzen  getragen,  beide  nahmen 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  an  Ausdehnung  mächtig  zu.  Schließ- 
lich suchten  die  höchsten  Kreise  durch  demonstrative  Begünstigung 
des  gerade  in  den  Donauländern  weit  verbreiteten  Mithrasdienstes 
den  Fortschritten  des  Christenthums  Einhalt  zu  thun.  Der  Kampf 
entschied  sich  in  Rom,  und  im  Jahre  378  wurde  der  Mithrasdienst 
verboten,  seine  Heiligthümer  zerstört  So  siegte  die  Religion  der 
Selbstverleugnung  und  Nächstenliebe.  Erst  seit  jener  Zeit  können 
die  damals  römischen  Gebiete  unserer  Monarchie  bis  an  die  Donau 
für  christlich  gelten. 

In  Dalmatien  hat  schon  Titus,  einer  der  Schüler  des  Paulus, 
das  Christenthum  gepredigt,  Salona  besaß  schon  um  die  Wende 
des  ersten  Jahrhunderts  einen  Bischof  Im  Norden  waren  Aquileja 
und  Sirmium  mit  der  Zeit  christliche  Centren  geworden.  Gelegent- 
lich der  Diocletianischen  Christenverfolgung  fällt  es  wie  ein  greller 
Blitz  auf  die  sonst  im  Dunkel  liegenden  nördlichen  Provinzen,  so 
dass  wir  sehen  können,  wie  weit  das  Christenthum  damals  vorge- 
drungen war:  in  Lorch  starben  vierzig  Christen,  zu  denen  sich 
noch  der  hl.  Florianus  gesellt,  den  Märtyrertod,  in  Pettau  der 
Bischof  Victorinus,  ein  Schriftsteller  groß  von  Ideen,  ungefüge 
im  Ausdruck,  wie  ihn  der  hl.  Hieronymus  nennt,  der,  selbst  in 
Stridon   geboren,    der  Landespatron  von   Dalmatien  wurde.      Als 


CA  Josef  Strzygoweki 

dann  das  Christenthum  durch  die  Erhebung  zur  Staatsreligion 
immer  mehr  erstarkte,  entstanden  neue  Bischofssitze,  und  es  wurden 
Kirchen  erbaut  zumeist  wohl  aus  Holz,  nur  in  größeren  Orten  von 
Stein.  In  Sirmium  allein  werden  im  Leben  des  hl.  Demetrius 
zwei  nahe  an  einander  liegende  Kirchen  des  hl.  Demetrius  selbst 
und  der  hl.  Anastasia  genannt,  ebendort,  im  heutigen  Mitrovitz, 
fand  man  Reste  einer  alten  Kirche,  die  nach  den  dabei  gefundenen 
Grabinschriften  dem  Märtyrer  Synerotus  geweiht  gewesen  sein 
muss.  Man  schenkte  ihr  bisher  ebensowenig  wie  den  anderen 
Monumenten  dieser  Gegenden  besondere  Beachtung.  Wir  müssen 
daher  nach  Dalmatien  und  Istrien  gehen,  um  eine  Vorstellung 
von  dem  ältesten  christlichen  Kirchenbaue  zu  gewinnen. 

X)as  neue  christliche  Gotteshaus  ist  nicht  mehr  wie  der 
antike  Tempel  ein  Raum  zur  Aufstellung  des  Cultbildes,  auf 
welches  die  Opfernden  durch  das  geöflFnete  Portal  blickten,  sondern 
ein  Versammlungsort  der  Gläubigen  selbst.  Die  christliche  Kunst 
übernahm  daher  nicht  den  antiken  Tempel,  sondern  wählte  nach 
dem  Vorbilde  der  bei  den  Alten  gebräuchlichen  öffentlichen  und 
Privat-Gebäude,  in  denen  Menschen  zusammenzuströmen  pflegten, 
eine  neue  Form,  die  Basilika,  welche  neben  einem  zweiten,  dem 
Kuppelsystem,  bis  auf  den  heutigen  Tag  typisch  für  unser  Gottes- 
haus geblieben  ist.  Die  christliche  Basilika  besteht  aus  einem 
rechteckigen  Räume,  welcher  in  der  Längsrichtung  durch  Säulen- 
reihen in  zwei  schmälere  seitliche  und  ein  breiteres  Mittelschiff 
zerlegt  wird,  das  im  Osten  mit  einem  halbrunden  oder  mehrseitigen 
Ausbaue,  der  Apsis,  schließt  und  von  Westen  her  durch  Thüren 
zugänglich  ist.  Dieser  Raum  erhält  sein  Licht  durch  Fenster, 
welche  in  die  über  die  Seitenschiffe  ragenden  Mauern  des  Mittel- 
schiffes gebrochen  sind.  Die  Dächer  werden  flach  oder  im  Giebel, 
immer  aber  aus  Holz  hergestellt  Dieses  Grundschema  steht  nicht 
gleich  fertig  da:  es  bildet  sich  in  den  ersten  Jahrhunderten  aus 
und  wird  erst  zur  Zeit  Constantins  voll  entwickelt.  Vorher  treffen 
sich  die  Christen  zumeist  in  Privathäusem,  in  den  Betkapellen 
der  Begräbnisplätze  und  in  den  Katakomben. 

Wir  können  die  allmähliche  Entwicklung  dieser  Formen  recht 
gut  in  den  Ausgrabungen  beobachten,  welche  nördlich  von  der 
Stadtmauer  Salonas  bei  Spalato  an  einem  vom  Volke  Manastirine 
genannten  Orte  gemacht  wurden.     Dort  sieht  man  mehrere  vier- 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


55 


eckige,  an  einer  Seite  mit  einem  Halbrund  schließende  Kapellen, 
die  durch  drei  in  ihnen  gefundene  Inschriften  mit  den  Namen 
der  hl.  Anastasius  (f  308),  Anicius  und  Eusebius  (f  360)  als 
Mausoleen  salonitanischer  Märtyrer  bezeichnet  werden.  Sie  um- 
standen einen  viereckigen  Raum,  auf  dem  sich  im  zweiten  Jahr- 
hundert eine  der  vornehmsten  Familien  der  Stadt,  die  Domitier, 
innerhalb  der  umgebenden  Wirtschaftsgebäude  ihre  Grabstätte  er- 
richtet hatte.  Noch  am  Beginne  des  vierten  Jahrhunderts  ist  das 
Grundstück  eine  private  Begräbnisstätte,  um  diese  Zeit  scheint  es 
durch  Schenkung  der  Besitzerin,  Asklepia,  an  die  christliche 
Gemeinde  übergegangen  zu  sein.  Nach  dem  Jahre  431  wurde 
inmitten  dieses  Begräbnisplatzes  eine  Kirche  gebaut  u.  zw.  so,  dass 
der  Altar  über  den  Gräbern  dreier  Bischöfe  Domnio,  Esychius 
und  Valerius  und  dreier  Märtyrer  Septimius,  Victuricus  und 
Hermogenes  zu  stehen  kam.  Ferner  hat  man,  um  die  Heiligkeit 
des  Altarraumes  zu  erhöhen,  noch  die  Sarkophage  der  drei  ältesten 
Märtyrer,  darunter  den  des  hl.  Gaianus  (f  299),  aus  den  Kapellen 
hierher  gebracht.  In  Abbildung  16  sieht  man  in  dem  vertieften 
Boden  des  Vordergrundes  den  Raum  unter  dem  Altar  mit  den 
Sarkophagen.  Dahinter  eine  quer  laufende  Mauer,  in  der  zwischen 
zwei  Säulen  drei,  d.  h.  sichtbar  nur  zwei  Thüren  angebracht  sind, 
welche  in  die  drei  Schiffe  des  Langhauses  führen.  Im  Hintergrunde 
stehen  noch  einige  Säulen  der  beiden  die  Schiffe  trennenden  Reihen 
aufrecht.  Die  Schäfte  und  Capitäle  derselben  waren,  wie  das 
damals  allgemein  Brauch  ist,  antiken  Bauten  entnommen  und  das 
Mauerwerk  roh  aus  Bruchsteinen  errichtet  worden.  Die  Basilika 
wurde  am  Anfange  des  6.  Jahrhunderts  restauriert,  aber  schon  639 
durch  die  vordringenden  Slaven  zerstört  Die  Gebeine  der  Märtyrer 
ließ  Papst  Johann  IV.  nach  Rom  bringen  und  in  einer  Neben- 
kapelle der  Laterans-Basilika  beisetzen,  in  deren  Mosaiken  man 
daher  heute  noch  erstaunt  die  stattliche  Reihe  der  dalmatinischen 
Märtyrer  dargestellt  sieht. 

In  Salona  wurden  auch  einige  gute  Beispiele  altchristlicher 
Bildhauerei  gefunden.  Die  meisten  Sarkophage  zwar  sind,  wie  die 
in  Abbildung  16  sichtbaren,  glatt  gearbeitet.  Einer  aber,  der 
der  Asklepia,  zeigt  zweimal  die  Darstellung  des  darin  bestatteten 
Ehepaares,  einmal  ruhend  auf  dem  Deckel,  das  anderemal  stehend 
von  seinen  Sippen  umgeben  an  der  Längsseite,  wo  zwischen  ihnen 


cg  Josef  Strzygowski 

in  der  Mittelnische  Christus  in  der  die  Erlösung  symbolisierenden 
Gestalt  des  guten  Hirten,  der  sein  Lamm  auf  den  Schultern  trägt,  er- 
scheint Ein  zweiter  Sarkophag,  heute  in  der  Franciscanerkirche 
zu  Spalato,  zeigt  auf  der  Vorderseite  den  Durchzug  durchs  rothe 
Meer:  links  Pharao  aus  der  Stadt  ziehend  und  der  Vortrab  seines 
Heeres  bereits  mit  den  Wellen  kämpfend,  rechts  Moses  und  die 
Israeliten  mit  Weib  und  Kind,  die  ganze  Darstellung  wieder  auf 
die  Erlösung  anspielend.  Diese  beiden  auf  unserem  Boden  seltenen 
Stücke  altchristlicher  Sculptur,  sowie  einige  Fragmente  in  Aquileja, 
sind  vortrefflich  in  der  Art  der  in  Rom  entstandenen  Sarkophage 
gearbeitet  Wir  erinnern  uns  ihnen  gegenüber  jener  christlichen 
Steinmetzen,  die  im  J.  294  in  den  kaiserlichen  Steinbrüchen  bei 
Sirmium  den  Märtyrertod  erlitten,  weil  sie  sich  weigerten,  eine 
Statue  des  Gottes  Asklepios  auszuführen. 

In  Pannonien  ist  ein  sehr  interessantes  Beispiel  der  Malerei 
dieser  ältesten  christlichen  Zeit  erhalten,  leider  in  einem  Zustande, 
der  den  sicheren  Untergang  dieses  wertvollen  Denkmales  in  sich 
schließt  Es  ist  das  eine  im  J.  1780  neben  der  Südostecke  des 
Domes  zu  Fünfkirchen,  dem  alten  Sopianae,  im  Boden  entdeckte 
kleine,  viereckige  Kammer,  in  deren  Nähe  man  13  Gräber  fand, 
von  denen  eines  mit  dem  Monogramm  Christi  geschmückt  war. 
Dieses  erlösende  Zeichen  erscheint  auch  im  Centrum  der  Malereien 
der  Grabkammer  selbst  an  dem  die  Decke  bildenden  Tonnenge- 
wölbe. Es  wird  von  vier  Medaillons  mit  den  Brustbildern  wahr- 
scheinlich  der  hier  Beigesetzten  umgeben,  zwischen  denen  Blumen- 
bouquets,  von  Pfauen  und  Tauben  flankiert,  auf  einem  von  Blumen- 
ranken ausgefüllten  Grunde  gemalt  sind.  Daran  schließen  sich 
an  den  Längswänden  zu  Gebeten  um  Erlösung  anregende  Scenen 
des  alten  und  neuen  Testamentes,  von  denen  die  Anbetung 
der  Magier,  Noah  in  der  Arche  und  die  Geschichte  des  Jonas 
noch  halbwegs  erkennbar  sind.  Sie  zeigen  in  Composition  und 
Farbe  durchaus  den  Anschluss  an  die  Malereien  der  Katakomben. 
In  dem  Rundbogen  an  der  dem  Eingange  gegenüber  liegenden 
Wand  sieht  man  Petrus  und  Paulus,  die  mit  einer  Hand  auf  das 
über  ihnen  angebrachte  Monogramm  Christi  deuten,  ähnlich  wie 
in  dem  Grabmale  der  im  J.  450  verstorbenen  Galla  Placidia,  der 
Mutter  des  Kaisers  Valentinian  HL,  in  Ravenna,  dessen  Mosaiken- 
schmuck auch  in  anderer  Beziehung  eine  interessante  Analogie  fiir 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


57 


die  Gemälde   unserer  Grabkammer,    die  danach  wohl  auch  dem 
5.  Jahrhundert  angehören  dürften,  darbietet. 


Inzwischen  hatte  sich  im  fernen  Osten  ein  neues  Cultur- 
centrum  gebildet,  dessen  Einflusssphäre  sich  allmählich  bis  nach  den 
Küsten  des  adriatischen  Meeres  ausdehnte.  Constantin  der  Große 
hatte,  das  Bedürfnis  fühlend,  sich  von  den  römischen  Parteien  zu 
befreien  und  den  Feinden  der  nördlichen  und  östlichen  Reichs- 
grenzen näher  zu  sein,  am  goldenen  Hom  eine  neue  Residenz, 
Constantinopel,  auf  dem  Boden  des  alten  Byzanz  erbaut  und  im 
J.  330  geweiht.  Aus  allen  Gebieten  des  weiten  Reiches  strömten, 
durch  die  versprochenen  Begünstigungen  des  Kaisers  angelockt, 
Künstler  nach  dem  Bosporus :  Italier ,  Griechen ,  Ägypter , 
Syrer  und  Kleinasiaten  brachten  die  Kunsttraditionen  ihrer 
Heimat  mit  und  traten  zu  gemeinsamem  Wirken  zusammen.  Mit 
den  Jahren  entwickelte  sich  unter  dem  Zeichen  des  hier  viel 
energischer  und  zielbewusster  als  in  Italien  auftretenden  Christen- 
thums  und  nicht  ohne  Einfluss  des  nahen  Orients  eine  neue  eigen- 
artige Kunst,  die  byzantinische.  Sie  tritt  das  Erbe  der  Antike  an 
und  führt  deren  Traditionen,  die  noch  einer  hohen  Entwicklung, 
vor  allem  im  Kuppelbau  fähig  waren,  zum  Abschluss.  Schon 
zur  Zeit  der  beiden  Theodosius  lassen  sich  in  der  Architektur 
Züge  nachweisen,  die  den  Osten  streng  von  gleichzeitigen  Denk- 
mälern Italiens  scheiden.  Zwar  bedient  sich  auch  die  byzantinische 
Kunst  im  Kirchenbaue  zunächst  der  Basilika,  doch  stattet  sie  die- 
selbe mit  Gallerien  über  den  Seitenschiffen,  drei,  außen  dreiseitigen 
Apsiden  u.  A.  aus.  Das  Innere  wird  auf  das  prächtigste  aus- 
geschmückt: das  Paviment  mit  Steinmosaik,  die  Wände  bis  an 
die  Gesimse  mit  buntfarbigen  Marmorplatten,  die  oberen  Theile 
mit  mosaicierten  Darstellungen.  Besonders  prächtig  durchgebildet 
werden  die  Details  der  Architektur:  die  Säulencapitäle ,  die 
reich  verzierten  Gebälke  und  Bogen,  femer  die  Marmorschranken, 
Kanzeln,  Altäre  und  deren  Überbauten.  Diese  Marmortheile  wurden 
zumeist  in  den  nahen  Steinbrüchen  der  Prokonnesos  im  Marmara- 
meere  gearbeitet.     Im  6.  Jahrhundert  unter  dem  großen  Justinian 


rg  Josef  Strzygowski 

erreicht  diese  Kunst  ihre  erste  und  bedeutendste  Blüte.  Klein- 
asiatische Baumeister  bringen  das  Kuppelsystem,  die  zweite  Grund- 
form unserer  Kirchen  neben  der  Basilika,  zur  Vollendung  und 
schafiFen  in  der  Sophienkirche  einen  Centralbau,  der  an  im- 
posanter Raumentfaltung  und  geschmackvoller  Pracht  der  Innen- 
ausstattung das  bisher  UnübertroflFene  leistet.  Damit  hatte  auch  die 
antike  Technik  ihren  Kreislauf  vollendet.  Was  die  Kunst  unter  der 
Ägide  der  griechischen  Götter  auf  das  Äußere  des  Tempels  ver- 
wendet hatte,  das  verlegte  sie  nun  in  das  Innere,  gleichwie  der 
neue  Glaube  die  Einkehr  in  das  Innere  verlangte. 

Unter  Justinian  erreicht  die  byzantinische  Kunst  die  Küsten 
des  adriatischen  Meeres.  Ravenna  mit  der  prächtigen  Kuppel- 
kirche von  S.  Vitale  und  mehreren  Basiliken  wird  ihr  Centrum. 
Von  dort  aus  betritt  sie  auch  die  Küstenstriche  unserer  Monarchie. 
In  Salona  entsteht  damals  das  Baptisterium,  in  Pola  wird  im 
J.  546  die  vom  Erzbischof  Maximian  von  Ravenna  ausgestattete 
Kirche  S.  Maria  Formosa  geweiht,  in  Parenzo  baut  Bischof 
Euphrasius  die  Basilika  des  hl.  Maurus  wieder  auf,  in  Grado 
restauriert  der  Erzbischof  von  Aquileja  Elias  (571— 86)  die  schon  im 
J.  456  erbaute  Kirche  der  hl.  Euphemia,  um  dieselbe  Zeit  etwa 
entsteht  dort  auch  die  Kirche  S.  Maria  delle  Grazie,  und  in  Triest 
endlich  baut  der  Bischof  Frugifer  um  550  an  einer  Kirche  auf 
dem  Stadtberge.  Außer  diesen  mehr  oder  weniger  erhaltenen 
Kirchen  werden  noch  eine  ganze  Reihe  anderer  in  Schriftquellen 
erwähnt.  Wir  wenden  uns  dem  besterhaltenen  dieser  Baue,  der 
Basilika  in  Parenzo,  zu,  die  zugleich  wieder  Gelegenheit  gibt,  die 
allmähliche  Entwicklung  des  Kirchenbaues  zu  verfolgen. 

Am  Ansätze  der  Landzunge,  auf  der  sich  das  Städtchen 
Parenzo  malerisch  hinstreckt,  liegt  am  Rande  der  Meeresbucht  der 
Dom.  Bis  vor  wenigen  Jahren  ahnte  niemand,  dass  die  heute 
noch  stehende  altehrwürdige  Basilika  nur  der  jüngste  von  drei 
Kirchenbauen  sei,  die  sich  in  altchristlicher  Zeit  an  dieser  Stelle 
folgten.  Pietätvolle  Hände  haben  in  den  letzten  Jahren  in  dem 
Garten  neben  der  Basilika  in  einer  Tiefe  von  etwa  5  Metern  einen 
Mosaikfußboden  freigelegt,  der  einen  rechteckigen  Raum  ohne 
Apsis  bedeckt.  Im  Osten  fand  man  Spuren  von  vier  einen  Altar 
umgebenden  Säulen,  neben  denen  in  Mosaik  der  Fisch  erscheint. 
Sein  griechischer  Name  enthielt,    nur  dem  Christen  verständlich. 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


59 


ein  Glaubensbekenntnis,  indem  man  die  einzelnen  Buchstaben  als 
Abkürzungen  der  Worte  ,  Jesus  Christus,  Gottes  Sohn,  Erlöser** 
deutete.  Die  Mosaiken  wurden,  wie  Inschriften  melden,  von  Piscinus 
und  Pascasia,  einem  Schullehrer  Clamosus  und  anderen  gestiftet.  Sie 
sind  mit  den  bis  unter  die  heutige  Kirche  reichenden  Umfassungs- 
mauern die  Reste  eines  vorconstantinischen  Betraumes,  wie 
ihn  wahrscheinlich  ein  reicher  Christ  in  seinem  Privathaus  an- 
gelegt hatte. 

Ähnlich  wie  in  Salona  um  eine  Familiengrabstätte  außerhalb 
der  Stadt,  so  concentrierte  sich  hier  in  Parenzo  um  diese  Privat- 
kapelle in  der  Stadt  bald  das  christliche  Leben.  Denn  neben  der 
primitiven  Kapelle  entdeckte  man  um  ungefähr  i  Meter  höher  als 
ihr  Paviment  und  um  85  cm  tiefer  als  der  Boden  der  heutigen 
Kirche  den  Mosaikfußboden  einer  zweiten  Kirche,  die  im  Grundriss 
fast  genau  zusammenfiel  mit  der  heutigen:  sie  war  also  eine  Basilika, 
doch  noch  mit  halbrunder  Apsis.  Reste  ihrer  Säulen  und  Capitäle, 
in  roh  zugehauenen,  noch  antiken  Formen,  haben  sich,  zum  Theil 
verbaut  in  die  Grundmauern  der  dritten  Kirche  erhalten.  Diese 
Basilika  dürfte  in  Constantins  Zeit  erbaut  worden  sein,  als  die 
kleine  Kapelle  nicht  mehr  ausreichte.  Wie  in  Salona,  so  heiligte 
man  auch  hier  den  Altarraum  durch  Übertragung  heiliger  Gebeine, 
hier  des  hl.  Maurus,  der  bis  dahin  an  einem  Ort  außerhalb  der 
Stadt  geruht  hatte. 

Zwei  Jahrhunderte  später  war  diese  Kirche  einer  Ruine  gleich, 
weshalb  der  vorsorgliche  Bischof  Euphrasius  sie  abtragen  und  auf 
ihren  Fundamenten  einen  Neubau  errichten  ließ.  Das  ist  die 
byzantinische  Kirche,  welche  heute  noch  steht,  und  deren  Innen- 
ansicht Abbildung  17.  zeigt.  Wir  sehen  zu  beiden  Seiten  die 
Säulenreihen,  welche  auf  die  Apsis  hinführen.  Auch  die  Seiten- 
schiffe schließen  mit  Apsiden.  Vor  die  Eingangsseite  legen  sich 
die  charakteristischen  Vorräume  der  ältesten  christlichen  Kirchen: 
ein  von  Arcaden  umrahmter  Vorhof,  das  Atrium,  in  dessen  Mitte 
ursprünglich  das  Weihwasserbecken  stand,  den  Aufenthaltsort 
für  diejenigen  bildend,  welche  noch  nicht  Zutritt  zur  Kirche 
selbst  hatten.  An  der  Westseite  des  Hofes  steht  das  achtseitige 
Baptisterium  mit  dem  durch  Stufen  zugänglichen  Taufbecken,  in 
dem  die  Neophyten  nach  altem  Ritus  durch  Untertauchen  getauft 
wurden.     In  der  Kirche  selbst  hat  man   neuerdings  auch  die  alte 


5o  Josef  Strzygowski 

Einriclitung  des  Presbyteriums  gefunden:  es  trat  als  eine  halbrunde 
Terrasse  vor  den  Altar  in  das  MittelschiflF  vor. 

Prächtig  und  durchaus  im  byzantinischen  Stile  gehalten  ist 
die  decorative  Ausstattung  der  Basilika.  Beim  Eintritte  fesseln  zu- 
nächst die  ungemein  reich  ornamentierten  Capitäle,  die  die- 
selben  Formen  zeigen,  welche  die  Baumeister  Justinians  in  S.  Vitale 
in  Ravenna,  in  der  Sophienkirche  zu  .Constantinopel  u.  a.  O.  ver- 
wendet haben.  Die  große  Übereinstimmung  erklärt  sich  daraus, 
dass  auch  sie  in  den  Steinbrüchen  der  Prokonnesos  gearbeitet  sind, 
wie  die  an  den  Säulenschäften  angebrachten  Steinmetzzeichen 
beweisen,  die  mit  einigen  in  Ravenna  und  Constantinopel  vor- 
kommenden übereinstimmen.  Mit  Vergnügen  bleibt  unser  Blick 
an  dem  durchbrochenen  Blatt-  und  Flechtwerke  haften,  welches 
die  knappen  Trichter-  und  die  losen  Korbcapitäle  umschließt, 
über  denen  ein  einfaches,  mit  dem  Monogramm  des  Erbauers 
geschmücktes  Steinpolster  aufliegt.  Dieser  Kämpfer  soll  den  ver- 
bindenden Bogen,  in  denen  auf  der  linken  Seite  noch  die  reiche 
Stuckdecoration  erhalten  ist,  ein  sicheres  Auflager  bieten. 

Die  Oberwand  des  Mittelschiffes  war  ursprünglich  jedenfalls 
mit  Malereien  oder  Mosaiken,  die  Seitenschiffwände  mit  Marmor- 
platten geschmückt.  Erhalten  ist  diese  Wanddecoration  nur  in 
der  Apsis,  hier  allerdings  in  einem  Reichthum  und  einer  Farben- 
pracht, die  nicht  ihresgleichen  hat.  Unten  laufen  an  der  Wand 
die  Sitze  der  Geistlichkeit  hin  mit  dem  Bischofsstuhl  in  der  Mitte, 
über  dem  ein  auf  einer  Halbkugel  stehendes  Kreuz  aus  Goldmosaik 
zwischen  zwei  brennenden  Leuchtern  erscheint.  Daran  reihen 
sich,  wie  man  in  Abbildung  17  sehen  kann,  auf  jeder  Seite  acht 
oblonge  Tafeln,  die  in  weißem,  grauem,  gelbem  libyschem,  grünem 
griechischem  Marmor  und  rothem  Porphyr  aus  Ägypten,  femer  in 
dunkel-  und  hellblauem,  grünem  und  schwarzem  Glasfluss  geome- 
trische Muster  bilden,  deren  Umrisse  aus  weißem  Kalkstein  gebildet 
sind.  Einen  besonderen  Glanz  verleihen  dieser  farbenprächtigen 
Marmorintarsia  große,  an  verschiedenen  Stellen  angebrachte  Schalen 
der  Perlmuschel,  welche  in  ihrem  matten  Silberglanze  wie  Edel- 
steine auf  farbigem  Grunde  erstrahlen.  Vereinzelt  finden  sich  auch 
Rosetten,  feingliedrige  Vasen  und  mit  dem  Monogramm  des 
Euphrasius  versehene  Arcaden  eingelegt.  Darüber  läuft  ein 
horizontales  Intarsiaband  und  ein  antikisierendes  Stuckgesimse  hin. 


Innenansicht  und  Details  der  IlasiUka  d 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter.  gj 

Das  Ganze  macht  hier  am  weltentlegenen  Meeresstrande  einen 
märchenhaften  Eindruck,  der  sich  dem  Reisenden  unauslöschlich 
einprägt. 

Über  dem  Gesimse  beginnt  die  zweite  Art  der  Wanddecoration, 
das  Mosaik  aus  Glaswürfeln.  In  dem  Halbrund  der  Apsiswölbung 
sieht  man,  wie  in  allen  byzantinischen  und  heute  noch  in  griechisch- 
orthodoxen Kirchen,  die  Muttergottes  thronend  nach  dem  berühmten 
Vorbilde  derjenigen  in  den  Blachernen  bei  Constantinopel,  neben 
ihr  wie  Leibwachen  zwei  Engel,  dann  einzelne  Heilige  und  den 
hl.  Maurus,  unter  dessen  Schutz  der  Stifter  Bischof  Euphrasius 
mit  dem  Kirchenmodell  und  ein  Archidiacon  Claudius  mit  seinem 
Sohne  Euphrasius  erscheinen.  Nach  unten  hin  schließen  sich  an 
dieses  Ceremonialbild  die  Darstellungen  einzelner  Heiligen,  dann 
die  Verkündigung  und  Heimsuchung,  nach  oben  zu  zehn  Medaillons 
mit  weiblichen  Heiligen  und  auf  dem  sogenannten  Triumphbogen 
nach  dem  Mittelschiff  zu  Christus  und  die  zwölf  Apostel,  die 
erst  neuerdings  unter  der  Tünche  entdeckt  wurden.  Auch  die 
Seitenapsiden  sind  mit  Mosaiken  geschmückt,  ebenso  die  Außen- 
giebel des  Mittelschiflfes,  in  denen  man  im  Osten  noch  die  Ver- 
klärung, im  Westen  Christus  in  der  Glorie  erkennen  kann.  Denkt 
man  sich  den  Schmuck  des  Innern  vervollständigt  durch  den 
leider  in  seinen  Resten  im  J.  1880  weggeschafften,  aus  rothen, 
weißen  und  schwarzen  Steinchen  in  geometrischen  Mustern  und 
Bandverschlingungen  mosaicierten  Fußboden,  so  kann  man  sich 
vorstellen,  wie  sehr  der  andächtig  Eintretende  von  dieser  im 
matten  Oberlichte  schimmernden  Pracht  der  Mosaiken  und  Marmor- 
wände gefangen  genommen  werden  musste,  die,  sich  flächenhaft 
ohne  Vorsprünge  den  Wänden  anschließend,  den  Innenraum  nicht 
verengen,  ihn  vielmehr  in  ein  geheimnisvoll  farbiges  Dunkel  zu- 
rücktreten lassen. 

In  dieser  Art  sind  an  der  Küste  des  adriatischen  Meeres 
gewiss  zahlreiche  Kirchen  entstanden,  von  denen  allein  die  oben 
aufgezählten  ein  kümmerliches  Dasein,  zum  Theil  sogar  nur 
noch  in  einzelnen  spärlichen  Resten  fristen.  Viele  von  ihnen 
werden  schon  in  den  Stürmen  der  Völkerwanderung  vernichtet 
worden  sein. 


62  Josef  Strzygowski 

2.  Die  Völkerwanderung: 

Zu  derselben  Zeit,  in  der  das  Christenthum  vom  Osten  aus 
seinen  Siegeslauf  durch  die  römische  Welt  antritt,  steigt  am  nörd- 
lichen und  nordöstlichen  Horizont  des  Reiches  eine  Wetterwolke 
auf,  die  Jahrhunderte  lang  drohend  über  den  Grenzen  schwebt, 
bis  sie  sich  im  5.  Jahrhundert  furchtbar  entladet  und  die  west- 
liche Hälfte  des  inzwischen  getheilten  römischen  Reiches  in 
Trümmer  legt.  Es  waren  die  Hunnen,  welche  Bewegung  in  die 
starren  Völkermassen  zwischen  der  Ostsee  und  dem  schwarzen 
Meere  brachten.  Von  Osten  her  in  Europa  einbrechend,  trieben 
sie  germanische  und  sarmatische  Stämme  vor  sich  her,  die  dann 
um  380  in  Pannonien  eindrangen.  Im  J.  396  klagt  der  hl.  Hiero- 
nymus,  dass  Dalmatien  und  ganz  Pannonien  von  Gothen,  Sarmaten, 
Quaden,  Alanen,  Hunnen,  Vandalen  und  Markomannen  verheert, 
unterjocht  und  geplündert  würden.  Das  heutige  Ungarn  ist  der 
Herd  des  Ungewitters  geworden,  von  dort  aus  stürzten  die  Wogen 
über  alle  Theile  der  damaligen  civilisierten  Welt  hinweg.  Das 
Kanaan  dieser  Völker  war  Italien,  dahin  zogen  sie  nach  einander 
durch  Natur  und  Reichthümer  verlockt.  Zuerst  Alarich  mit  seinen 
Westgothen,  die  schließlich  in  Gallien  und  Spanien  eine  neue 
Heimat  fanden.  Dann  die  Hunnen  selbst  unter  Attila,  nach  dessen 
Tode  im  J.  453  sich  die  Gothen  im  Westen,  die  Gepiden  im  Osten 
zu  Herren  des  I^andes  um  Theiß  und  Donau  machten.  Auch  in 
Noricum  tritt  das  romanische  Element  immer  mehr  zurück.  Der 
hl.  Severin  wirkt  dort  zwar  noch  aufopfernd  für  die  Erhaltung 
der  alten  Cultur;  nach  seinem  Tode  aber,  im  J.  482,  geht  das  Land 
für  immer  an  die  Barbaren  verloren.  Inzwischen  hatten  die  Ost- 
gothen  im  J.  474  über  Mösien  den  Zug  nach  Italien  angetreten, 
wo  sie,  glücklicher  als  ihre  Stammesbrüder,  unter  dem  großen 
Theodorich  ein  Königreich  begründen.  In  das  um  die  Mitte  des 
6.  Jahrhunderts  verödete  Pannonien  zogen  die  Longobarden.  Doch 
auch  sie  folgten  bald  dem  allgemeinen  Strome  der  Zeit  und  über- 
schritten im  J.  568  die  Alpen.  Die  zurückbleibenden  Gepiden 
aber  wurden  eine  Beute  der  wilden  Avaren,  die  nun  bis  auf  Karl 
den  Großen  der  Schrecken  Mitteleuropas  waren.  Und  auch  nach 
ihrer  Vernichtung,  als  die  Cultur  Karls  des  Großen  alle  Gebiete 
unserer  Monarchie  veredelnd   durchdrang,    wurden  die  Länder  bis 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


63 


an  die  Enns  nochmals  die  Beute  eines  wilden  Volksstammes,  der 
Ungarn.  Erst  nachdem  diese  durch  das  Christenthum  für  die 
Civilisation  gewonnen  waren,  beginnt  in  unserer  Monarchie  jene 
ununterbrochene  Culturarbeit,  die  bis  auf  den  heutigen  Tag  währt. 

Unter  den  sich  folgenden  germanischen  Völkerstämmen  nahmen 
die  Gothen  die  relativ  höchste  Culturstufe  ein.  Sie  waren  arianische 
Christen  und  hatten  eine  eigene  Schriftsprache,  in  die  ihnen  Ulfilas 
die  Bibel  übersetzt  hatte.  Schon  in  ihrer  Heimat  am  Pontus  traten 
sie  das  Erbe  der  mixhellenischen  Cultur  an,  welche  in  der  griechi- 
schen Handelscolonie  am  schwarzen  Meere  mit  den  Hauptstädten 
Olbia  und  Pantikapaion  blühte.  Von  dorther  wurden  ihnen  die 
ersten  Culturkeime  zugetragen  und  die  Entwicklung  einer  eigen- 
artigen Kunstübung  angeregt.  Schon  vor  dem  Eindringen  in  Pan- 
nonien  hatten  sie  daher  wohl  einen  Stil  ausgebildet,  der  sich  als  ein 
Gemisch  eigenen  Geschmackes  mit  antiken  und  orientalischen  Ele- 
menten darstellt.  Am  charakteristischsten  tritt  uns  dieser  Misch- 
stil entgegen  an  dem  Schatze,  der  1799  in  Nagy-Szent-Mikl6s  in 
Ungarn  gefunden  wurde  und  im  Volksmund  als  der  Schatz  des 
Attila  bekannt  ist.  Es  sind  23  Stück  Goldgefäße  im  Gesammt- 
gewichte  von  1678^  Ducaten,  die  sich  heute  im  kunsthistorischen 
Hofmuseum  in  Wien  befinden,  alle  reich  mit  Ornamenten  und 
Figuren  geschmückt  Zum  Theil  für  zwei  Zupane  Buela  und  Butaul 
gearbeitet,  mag  dieser  Schatz  auf  die  Hunnen  und  Gepiden  über- 
gegangen sein  und  einem  ihrer  letzten  Fürsten  gehört  haben,  in 
dessen  Kurgangrabe  er  bis  auf  unsere  Tage  verwahrt  blieb. 

Den  Gothen,  wie  den  Longobarden  und  Gepiden  eigen  ist 
eine  Art  von  Goldschmiedearbeiten,  die  sich  auf  dem  ganzen  von 
diesen  Völkern  durchzogenen  Gebiete  haben  nachweisen  lassen: 
in  Russland,  in  Petreosa  in  Rumänien,  in  Ravenna,  Monza,  Civi- 
dale  u.  a.  O.  in  Italien,  im  Grabe  des  Frankenkönigs  Childerich 
(t  481)  in  Toumay,  an  den  goldenen  Kronen  aus  Guarrazar  in 
Spanien  aus  der  Zeit  des  Reccesvinthus  (f  672)  etc.  Die  auffallendste 
Eigenthümlichkeit  dieser  Schatzfunde  ist  die  häufige  Anwendung 
von  Glasstücken  und  Granaten,  die  bald  emailartig  in  vertieften 
Zellen,  bald  in  erhabener  Fassung  angebracht  sind.  Dieser  verroterie 
cloisonn^e  gehören  die  Hauptstücke  des  Schatzes  von  Szildgy- 
Somlyö  in  Ungarn  an,  der  aus  24  größeren  Stücken,  darunter 
besonders   prächtigen  Goldfibeln    und  Trinkschalen,    besteht   und 


ßA  Josef  Strzygowski 

sich  heute  im  Nationalmuseum  zu  Budapest  befindet.  Wie  hoch, 
geschätzt  germanische  Goldarbeiter  schon  im  5.  Jahrh.  waren, 
beweist  eine  Stelle  im  Leben  des  hl.  Severin,  wonach  die  Königin 
der  Rugier,  Gisa,  zwei  solche  Handwerker  gefangen  hielt,  damit 
sie  ihr  Schmuck  fertigten.  Dieselben  befreiten  sich  nur  dadurch 
von  der  unausgesetzten  anstrengenden  Arbeit,  dass  sie  den  Sohn 
der  Königin  in  ihre  Gewalt  zu  bringen  wussten  und  mit  dessen 
Tode  drohten. 

Außer  diesen  zufallig  gemachten  Schatzfunden  aus  der  Zeit 
der  Wanderung  der  germanischen  Stämme  haben  wir  eine  ungemein 
große  Menge  von  Schmucksachen  aus  Silber  und  Bronze  erhalten, 
die  aus  Gräberfunden  stammen  und  mit  sehr  reichen,  verschieden- 
artigen Ornamenten,  wie  Netzwerk,  Zickzack,  Rauten,  Gitter-  und 
Flechtwerk,  abwechselnd  mit  phantastischen  Thiergestalten  bedeckt 
sind.  Wir  wollen  aus  dieser  Menge  von  Motiven  nur  ein  einziges 
herausgreifen  und  es  in  seiner  Ausbreitung  und  der  Art,  wie  es  in 
der  weiteren  Kunstentwicklung  fortlebte,  verfolgen.  Es  'sind  dies 
jene  bandartigen  Verschlingungen,  die  sowohl  zu  Streifen-  wie 
Flächenornamenten  verwendet  wurden  und  ihre  reichste  Ausbildung 
in  den  Miniaturen  irischer,  angelsächsischer,  fränkischer  und  longo- 
bardischer  Handschriften  erhalten  haben.  Dieses  Ornament  findet 
sich  bereits  in  heidnischer  Zeit  in  alemannischen  Grabhügelfunden, 
und  schon  die  hl.  Bonifacius  und  Bernhard  bezeichnen  es  als 
unchristlich  und  für  Gotteshäuser  unpassend.  ,, Trotzdem  blieb  es 
im  Volke,  unberührt  von  dem  Wechsel  der  höheren  Kunstent- 
wicklung, festgewurzelt,  ein  Beweis  seines  nationalen  und  uralten 
Ursprunges.  **  Eine  Eigen thümlichkeit  dieser  verschlungenen  Bänder, 
soweit  sie  plastisch  verwendet  werden,  ist,  dass  sie  nicht  glatt, 
sondern  bald  mit  Reihen  von  Punkten,  zumeist  aber  in  zwei  oder 
drei  Streifen  nebeneinander  verlaufen.  Wir  finden  so  ausgestattete 
Schmuckgegenstände  in  den  Gebieten  unserer  Monarchie  ebensogut 
wie  in  Deutschland,  Frankreich,  Italien,  der  Schweiz,  England 
und  Skandinavien,  wo  dieses  Ornament  sich  bis  heute  an  norwegi- 
schen Holzkirchen  erhalten  hat.  In  dieser  Weise  verziert  werden 
wir  uns  auch  den  wahrscheinlich  von  den  unte^v^'orfenen  Gothen 
erbauten  Palast  des  Attila  zu  denken  haben,  wie  ihn  der  byzan- 
tinische Gesandte  Priscus  im  J.  448  in  Oberungarn  zwischen  Donau 
und  Theiß  sah :  aus  genau  in  einander  gefügten  und  mit  Schnitzwerk 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter.  ßz 

versehenen  Brettern   und  Balken   bestehend.     Das  angelsächsische 
Beowulfslied  nennt  wahrscheinlich  diese  BandomamenteWurmbilder. 

Nun  ist  ja  nichts  natürlicher,  als  dass  die  germanischen  Völker 
da,  wo  sie  mit  einer  hochentwickelten  Steinarchitektur  in  Berührung 
kamen  und  durch  dieselbe  selbst  zum  Steinbau  angeregt  wurden, 
ihr  nationales  Ornament  auf  denselben  übertrugen.  Es  zeigt  sich 
das  in  einigen  Motiven  schon  recht  deutlich  an  dem  Grabmale  des 
Theodorich  in  Ravenna.  Diesem  vereinzelten  Falle  aus  gothischer 
Zeit  folgt  in  Italien  eine  ganze  große  Periode,  die  mit  dem  Verfalle 
der  Kunst  nach  der  longobardischen  Eroberung  im  J.  568  beginnt, 
im  8.  und  9.  Jahrh.  ihre  Blüte  hat  und  erst  im  11.  Jahrh.  neue 
Formen  annimmt.  Diese  Zeit  ist  blind  für  die  antike  Kunsttradition 
und  unterwirft  fast  ganz  Italien  dem  barbarischen  Geschmacke  der 
Germanen.  Es  ist  ein  schwerer,  nur  durch  die  Unkenntnis  der 
byzantinischen  Kunst  erklärbarer  Irrthum,  wenn  man  das  Auftreten 
dieses  Ornamentes  mit  dem  byzantinischen  Einfluss  in  Verbindung 
bringen  wollte.  Dringt  doch  das  in  drei  gleich  breiten  Streifen 
verschlungene  Bandornament  selbst  erst  durch  die  Germanen  bezw. 
die  darin  von  ihnen  abhängigen  Slaven  in  Griechenland  ein. 

Es  wird  uns  daher  nicht  überraschen,  wenn  wir  auch  die 
österreichischen  Küsten  des  adriatischen  Meeres,  die,  wie  wir  gesehen 
haben,  in  frühchristlicher  Zeit  in  der  Steinarchitektur  hoch  ent- 
wickelt waren,  überschwemmt  finden  von  Bruchstücken  einer  Stein- 
ornamentik im  germanischen  Geschmack.  Das  älteste,  bisher  un- 
beachtet gebliebene  Beispiel  sind  die  Reste  eines  Baptisteriums, 
die  heute  in  der  Südwand  des  Domes  zu  Cittanova  in  Istrien  ver- 
mauert sind.  Es  sind  dies  fünf  theilweise  fragmentierte  Arcaden- 
aufsätze,  aufdenen  eine  Inschrift  meldet,  dass  Bischof  Mauricius,  der 
in  einem  zwischen  776  —  780  geschriebenen  Briefe  des  Papstes  Had- 
rian  an  Karl  d.  Gr.  genannt  wird,  das  Baptisterium  mit  wertvollem 
Marmor  geschmückt  und  demüthigen  Herzens  dem  hl.  Johannes  ge- 
widmet habe.  In  Abbildimg  18  aj  sieht  man  eines  dieser  Fragmente: 
in  der  Verwendung  des  Zahnschnittes  zeigt  sich  noch  der  Zusam- 
menhang mit  der  Antike,  in  dem  Blattwerke  dagegen  schon  die 
Umbildung  im  germanischen  Geschmack,  der  sich  in  der  Taube, 
besonders  aber  in  den  sonst  hier  angebrachten  plumpen  Figuren 
des  Einhorns,  Löwen,  Hirsches  und  Pfaues  rückhaltlos  ausspricht. 
Dieses  Baptisterium   war   so    wie    dasjenige   in  Cividale  achteckig 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  5 


66  Josef  Strayyowski 

mit  einem  Immersionsbecken,  wie  in  Salona  und  Parenzo,  in  der 
Mitte.  Es  wurde  1776  vom  Bischof  Stratico  zerstört  Spärliche  Reste 
eines  gleichen  Baues,  wahrscheinlich  aus  der  Zeit  um  857  stam- 
mend, haben  sich  in  Pola  erhalten  (Abb.  iSö).    Ein  drittes  datiertes 


Abb,  18.    SteiureliefB  des  8.  und  9.  JahrbQOderts  ans  Dalmatien  und  Istrien. 

Beispiel  dieser  Ornamentgattung  findet  sich  in  der  Sacristei  des,  im 
J.  709  gegründeten  Domes  zu  Cattaro  (Abb.  i8  c).  Es  ist  ebenfalls 
ein  Arcadenaufsatz,  auf  dem  ein  Bischof  Andreas  genannt  wird. 
Diese  beiden  letzteren  Sculpturen  zeigen  den  germanischen  Stil 
voll  entwickelt:   das  mehrfach  gestreifte  Band  ist  in  allen  mög- 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


67 


liehen  geoinetrisclien  Variationen  durcheinander  geschlungen,  die 
Arbeit  flau  und  nur  wenig  erhaben.  In  Aquileja,  Grado,  Triest, 
Parenzo,  Arbe,  Novigrad,  Zara,  Spalato,  Ragusa  u.  a.  O.  finden 
wir  eine  Fülle  ähnlicher  Fragmente,  die  von  Baptisterien,  Ciborien, 
Kanzeln,  Chorschranken  und  ähnlichem  Kirchenschmuck  herrühren. 
Besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdienen  ein  vollständig  er- 
haltenes Altarciborium  im  Dom  auf  der  Insel  Arbe  und  zwei  Relief- 
tafeln mit  Darstellungen  aus  dem  Leben  Christi,  heute  in  S.  Donato 
in  Zara.  Ich  bilde  eine  derselben  (Abb.  18  unten)  tl^eilweise  ab,  um 
daran  zu  zeigen,  wie  die  Künstler  jener  Zeit  die  menschliche 
Gestalt  zur  Darstellung  brachten.  Wir  sehen  die  Bildfläche  durch 
Arcaden  gegliedert,  welche  in  roher  Weise  durch  dreifach  gestreifte 
Bänder  gebildet  werden.  In  der  ersten  Arcade  links  umarmen  sich 
Maria  und  Elisabeth,  dann  folgt,  zwei  Arcaden  einnehmend,  die 
Geburt  Christi.  Maria  liegt  neben  der  Krippe  und  streckt  die  Hand 
nach  unten  aus,  wo  man  Christus  aus  einer  Vase  ragen  sieht,  neben 
der  rechts  die  Amme  steht,  während  links  ein  Engel  das  Tuch 
zum  Abtrocknen  bereit  hält.  In  der  vierten  Arcade  sind  drei 
Hirten  dargestellt,  welche  mit  verwunderten  Geberden  nach  links 
und  oben  weisen.  Die  Composition  dieser  Scenen  ist  der  byzan- 
tinischen Kunst  entnommen,  welche  in  diesen  Zeiten  des  größten 
Verfalles  der  abendländischen  Cultur  überall  ihre  streng  durch- 
gebildeten Typen  anbringt.  Technisch  dagegen  ist  das  Relief  so 
drastisch  im  germanischen  Geschmack  ausgeführt,  man  erkennt  so 
deutlich,  wie  der  Steinmetz  die  von  der  fast  ausschließlichen  Aus- 
führung des  Ornamentes  her  gewohnte  Manier  auch  auf  die  Figuren- 
bildung angewendet  hat,  dass  nur  noch  die  irischen  Miniaturen- 
maler darin  weiter  gehen  konnten. 

Es  ist  begreiflich,  dass  dieser  Kunstgeschmack,  von  den  I<ongo- 
barden  über  ganz  Italien  verbreitet,  im  Laufe  der  Zeit,  wahrscheinlich 
schon  um  800  Gemeingut  aller  damals  von  Byzanz  unabhängigen 
Länder  war  und  auch  bei  Nichtgermanen  Eingang  gefunden  hatte. 
Wenn  wir  daher  gefragt  würden,  ob  die  im  dalmatinischen  Binnen- 
lande herrschenden  Kroaten  sich  der  byzantinischen  oder  der  ger- 
manischen Kunstweise  anschlössen,  so  wäre  die  Entscheidung  sehr 
einfach,  da  ja  die  Kroaten  nicht  zur  griechischen,  sondern  zur 
römischen  Kirche  gehörten,  daher  ihre  Baumeister  entweder  von 
Italien  holten  oder  sie,  falls  dieselben  Einheimische  waren,  nach 


58  Josef  Strzygowski 

dem  damaligen  Stile  der  römischen  Kirche  arbeiten  ließen.  Und 
das  ist  in  der  That  so.  Die  seit  dem  J.  1886  in  der  Nähe  von 
Knin  gemachten  Funde,  in  deren  Inschriften  die  Namen  kroatischer 
Fürsten  vorkommen,  und  das  Denkmal  Branimirs  vom  J.  888  aus 
Muö,  jetzt  im  Museum  zu  Agram,  schließen  sich  durchaus  an  die 
germanische  Decorationsweise  mit  den  dreistreifigen  Bandverschlin- 
gungen  an.  Dieses  Ornament  lässt  sich  über  Sissek  bis  hinauf 
nach  Fünf  kirchen  verfolgen. 

Ähnliche  durch  die  politischen  Verhältnisse  erklärbare  Be- 
obachtungen können  wir  auch  dem  bedeutendsten  erhaltenen  Bau- 
werke dieser  Zeit  in  Dalmatien,  der  Kirche  S.  Donato  in  Zara, 
gegenüber  machen.  Sie  ist  ein  massiver  Kuppelbau,  bei  dem  der 
runde  Mittelraum  von  zwei  ebenso  kreisrunden  gewölbten  Geschossen 
umschlossen  wird,  die  auffallender  Weise  auch  über  die  drei  im 
Osten  angebrachten  Apsiden  weggehen.  Die  Entstehung  dieses 
merkwürdigen  Gebäudes  lässt  sich  im  Zusammenhange  mit  einer 
Strömung  erklären,  die  durch  Karl  d.  Gr.  im  Anschluss  an  die 
altbyzantinische  Kuppelkirche  S.  Vitale  in  Ravenna  im  Franken- 
reiche aufkommt.  Da  aber  Zara  die  Hauptstadt  des  byzantinischen 
Theiles  von  Dalmatien  war,  so  würden  wir  einen  Zusammenhang 
mit  den  Bauformen  Karls  d.  Gr.  nicht  erklären  können,  wenn  nicht 
bekannt  wäre,  dass  Zara  mit  den  andern  byzantinischen  Städten 
im  J.  805  fränkisch  werden  wollte.  Deshalb  war  der  Bischof  Donatus 
von  Zara,  wahrscheinlich  der  Erbauer  der  Kirche,  bei  Karl  d.  Gr. 
in  Diedenhofen.  Er  mag  die  damals  gerade  vollendete  Palastkapelle 
in  Aachen  gesehen  und  nach  ihrem  Muster  in  wesentlich  verein- 
fachter Form  S.  Donato  erbaut  haben.  Sein  Baumeister  gieng  dabei 
recht  leichtfertig  vor,  indem  er  die  Kirche  ohne  Fundamentierung 
auf  das  Pflaster  eines  antiken  Tempelvorhofes  setzte  und  die  Mauern 
in  ihren  unteren  Theilen  in  der  unglaublich  naivesten  Weise  aus 
antiken  Architektur-Fragmenten  regellos  aufführte. 

Wenden  wir  uns  nun  wieder  dem  Norden,  Pannonien,  Noricum 
und  den  westlichen  Theilen  Österreichs  zu,  so  hat  sich  dort  inzwischen 
ein  neues  Culturcentrum  gebildet.  Um  das  J.  700  zieht  der  Bischof 
Rupert  von  Worms,  nachdem  er  den  Baiernherzog  Theodo  in  Regens- 
burg getauft  hat,  die  Donau  hinab,  in  das  Land  der  Avaren,  bis 
nach  Unterpannonien.  Auf  der  Suche  nach  einem  passenden  Platze 
für    einen   Kirchensitz,    hört    er    von   einem   Ort    an    der    Salza, 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


69 


mit  altem  Namen  Juvavum  genannt,  wo  in  alten  Zeiten  viele 
Gebäude  wunderbar  errichtet  gewesen,  jetzt  aber  fast  zerfallen  und 
von  Wäldern  bedeckt  seien.  Hier  gründet  er  im  Thale  Kloster 
und  Kirche  des  hl.  Peter  und  auf  dem  Nonnberge  ein  Frauen- 
kloster und  eine  Kirche  der  Maria.  So  wurde  Salzburg  für  Öster- 
reich, das  damals  von  heidnischen  Avaren  und  Slaven  überschwemmt 
war,  der  Ausgangspunkt  der  zum  zweitenmale  vordringenden  christ- 
lichen Cultur.  Im  J.  739  durch  den  hl.  Bonifacius  zum  Bischofssitz 
erhoben,  richtet  es  seine  Mission  zunächst  auf  das  slavische  Karan- 
tanien,  wo  im  Anschluss  an  antike  Culturstätten  Kirchen  entstehen: 
Maria  Saal  im  Herzen  Kärntens,  in  der  Stadt  Tiburnia  bei  Spital  an 
der  Drau,  im  oberen  Murthale  bei  Knittelfeld  und  sehr  vielen  anderen 
Orten.  Doch  gewann  das  Christenthum  dort  erst  festen  Boden  nach 
der  Eroberung  des  Landes  durch  Tassilo  im  J.  772  und  durch 
Gründung  der  Klöster  Innichen  im  Pusterthale  769  im  Süden  und 
Kremsmünster  777  im  Norden.  Dieses  ehrwürdige  Stift  besitzt 
heute  noch  Geschenke  des  Herzogs  Tassilo,  so  den  berühmten 
Kelch  mit  der  Darstellung  Christi,  der  Evangelisten  und  von  vier 
Heiligen  in  ähnlich  roher  Art  wie  auf  dem  Relief  in  Zara.  Die 
Ornamentik  ist  germanisch,  wobei  besonders  irische  Motive  stark 
hervortreten,  was  nicht  wundernimmt,  weil  .der  zweite  Bischof 
Virgilius,  der  der  Salzburger  Kirche  22  Jahre  lang  als  Abt  vor- 
stand, selbst  aus  Irland  stammte  und'  irische  Mönche  damals 
durch  Bücherillustration  und  Goldschmiedearbeiten  ihren  Stil 
über  das  ganze  Frankenreich  verbreitet  hatten. 

Der  Wirkungskreis  Salzburgs,  dem  schon  im  J.  788  dreiund- 
sechzig Pfarrkirchen  angehörten,  dehnte  sich  bald  noch  weiter  aus, 
als  Karl  d.  Gr.  den  Vernichtungskrieg  gegen  die  Avaren  eröffnete 
und  Herzog  Erich  von  Friaul  im  J.  796  ihren  riesigen,  mehrere 
Meilen  im  Durchmesser  haltenden  Hauptring  in  den  Puszten 
zwischen  der  Donau  und  Theiß  im  Sturm  nahm.  Karl  d.  Gr. 
kam,  nachdem  er  vorher  798  Salzburg  zum  Erzbisthum  erhoben 
hatte,  im  J.  803  selbst  dahin  und  bestätigte  die  Ausdehnung  der 
Kirchenprovinz  über  ganzUnterpannonien  zwischen  Raab  und  Drau. 
Oberpannonien  und  die  Ostmark  fielen  an  Passau,  das  seit  798  SufF- 
ragan  Salzburgs  war.  Geistliche  und  Laien  waren  damals  in  öster- 
reichischen Landen  eifrig  an  der  Arbeit,  ,, fröhlich  grünte  christ- 
liches Leben  an  der  breitströmenden  Donau  wie  in  den  Bergthälern 


^° 


Josef  Stnygowski 


Karantaniens  und  an  den  waldumschlossenen  Ufern  des  Platten- 
sees.   Gerade  hier  war  eine  Culturstätte  erwachsen,  wie  weder  vor- 
her noch  nachher  eine  in  dieser  Gegend  bestand;  war  doch  Mosa- 
burg  als  Sitz  eines  Salzburger  Erzpriesters  das  kirchliche  Centrum 
des  ganzen  Fürstenthums  Unterpannonien. "  Kirchen- und  Kloster- 
gebäude wuchsen  allerorten  aus  dem  Boden.     Von  ihnen  hat  sich 
leider  kein  Rest  erhalten.     Dagegen  besitzt  Osterreich    zwei  der 
bedeutendsten  Beispiele  karolingischer  Buchmalerei: 
ein    Evangeliar,    welches    angeblich   auf   Karls  des 
Großen  Knien   lag,    als  man  seine  Grabkapelle   in 
Aachen  öffnete,  und  in  den  Evangelisten  und  im  or- 
namentalen Schmucke  das  Beste  leistet,  was  uns  von 
Darstellungen  der  damaligen  Zeit  erhalten  ist  Neben- 
stehende Abbildung  (19)  zeigt  den  Buchstaben  I  am 
Anfange  des  Marcus-Evangeliums.  Wir  erkennen  m 
den   einfachen  Flechtmotiven    das    altgermanische 
Stammesornament  wieder.     Während  diese   Hand- 
schrift wahrscheinlich  in  der  Schola  palatina  am 
Hofe  Karls  d.  Gr.  selbst  entstanden  ist,  konnte  der 
sogenannte  Codex  Millenarius  der  Stiftsbibliothek  in 
Kremsmünster   um    800   in   der   Schreibstube   eines 
österreichischen  Klosters,  vielleicht  in  Kremsmünster 
selbst,  geschrieben  sein. 

So  wurden  durch  Karls  d.  Gr.  Culturbestrebun- 
gen  und  Salzburgs  Bemühungen  auch  in  Osterreich 
lebensvolle  Keime  für  eine  gedeihliche  Entwicklung 
der  Kunst  gelegt.  Diese  trat  nicht  ein.  Um  die 
Mitte  des  9.  Jahrh.  bricht  das  wilde  Reitervolk  der 
Ungarn  aus  seinen  Wohnsitzen  zwischen  Don  und 
Abb.  19.  Dniepr  auf,    zieht  im  J.  895  in  die  Avarenwüste 

zwischen  Donau  und  Theiß  und  unternimmt  von  dort  aus  Raub- 
züge nach  dem  Westen,  die  alles  Cul  tu  rieben  Österreichs  ver- 
nichten. Erst  als  die  Ungarn  955  von  Otto  I.  auf  dem  Lechfelde 
endgiltig  zurückgeschlagen  wurden  und  sich  auf  ihr  Land  zurück- 
zogen, beginnt  die  Culturarbeit  von  neuem,  diesmal  mit  dauerndem 
Erfolge. 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter.  ^j 

3.  Die  deutsch-romanische  Kunst. 

Um  das  Jahr  1000  etwa,  in  welchem  Stephan  d.  Hl.  von  Un- 
garn die  Königskrone  aus  der  Hand  des  Papstes  erhält,  hat  die 
österreichisch-ungarische  Ländergruppe  jenes  Gefüge  angenommen, 
das  sie  heute  noch  besitzt,  das  Christenthum  ist  zur  allgemeinen 
Herrschaft  gelangt,  und  eine  neue,  dritte  Culturperiode,  die  keine 
gewaltsame  Unterbrechung  mehr  erfahrt,  beginnt.  Mit  der  Unter- 
werfung Ungarns  unter  den  römischen  Stuhl  ist  zugleich  die  Ent- 
scheidung darüber  gefallen,  ob  byzantinische  oder  deutsche  Cultur 
im  Lande  einander  gegenüber  stehen  sollten.  Von  nun  ab  ist 
die  österreichisch-ungarische  Ländergruppe  ein  integrierender  Theil 
der  deutschen  Cultur,  sie  macht  bis  auf  die  Gebiete  südlich  der 
Alpen  in  der  Kunst  alle  Entwicklungsphasen  Deutschlands  mit. 
In  der  frühen  Zeit,  mit  der  wir  uns  in  diesem  Capitel  beschäftigen, 
ist  sie  der  empfangende  Theil,  später,  zur  Zeit  der  hohen  Blüte 
unter  Karl  IV.,  greift  sie  selbstthätig  in  die  Entwicklung  ein. 

Im  IG.  Jahrh.  tritt  in  Deutschland  unter  der  kräftigen  Führung 
der  sächsischen  Kaiser  eine  engere  Verbindung  der  einzelnen 
Stämme  ein,  und  es  entwickelt  sich  allmählich  das  Gefühl  der  Zu- 
sammengehörigkeit, welches  in  der  Übertragung  der  Kaiserwürde 
an  das  heilige  römische  Reich  deutscher  Nation  seinen  äußeren 
Stempel  erhält.  Die  Kunst  bleibt  nicht  lange  zurück.  Im  Beginne 
des  II.  Jahrh.  nehmen  die  Formen  einen  mehr  einheitlichen  Cha- 
rakter an,  und  es  entwickelt  sich  ein  Stil,  den  wir  gewöhnlich  als 
den  romanischen  bezeichnen,  weil  er,  im  Gegensatze  zum  folgenden 
gothischen,  noch  in  mehr  oder  weniger  engem  Anschluss  an  die  in 
den  einzelnen  Landestheilen  vorhandenen  Reste  antik-römischer 
Kunst  entsteht.  Unsere  Monarchie  folgt  naturgemäß  jenen  Ländern, 
die  ihr  die  Cultur  überhaupt  übermittelten,  d.  i.  den  benachbarten 
sächsischen,  schwäbischen  und  bairischen  Gegenden;  doch  wird  der 
Zusammenhang  im  einzelnen  Fall  nicht  so  sehr  durch  die  be- 
nachbarte Lage,  als  durch  die  kirchlichen  Beziehungen  bestimmt. 

Bevor  wir  an  der  Hand  der  bedeutendsten  Bauten  ein  Bild  des 
Verlaufes  der  romanischen  Kunstperiode  auf  dem  Boden  unserer  Mo- 
narchie zu  gewinnen  suchen,  wollen  wir  uns  mit  ein  paar  Worten  das 
Wesen  des  romanischen  Stiles  vergegenwärtigen.  Die  romanische 
Kirche  ist  eine  Basilika,  die  sich  von  der  altchristlichen  dadurch 


y2  Josef  Strzygowski 

unterscheidet,  dass  ihr  selten  das  QuerschifF  fehlt  und  zwischen  das- 
selbe und  die  Apsis  ein  quadratischer  Raum  eingeschoben  wird,  so 
dass  der  ursprünglich  T-  förmige  Grundriss  T-  förmig  wird.  Die  öst- 
lichen Theile  ruhen  auf  einem  gewölbten  Unterbaue,  der  Krypta,  in 
welcher  die  Gebeine  des  Localheiligen  bestattet  werden.  Die  West- 
seite der  Basilika  wird  dadurch,  dass  der  Vorhof  und  die  Vorhalle 
wegfallen,  freigelegt,  wodurch  die  Fagade  zur  architektonischen  Ent- 
wicklung gelangt;  ihr  Hauptschmuck  werden  nun  die  Thürme  und 
das  in  Abstufungen  sich  verengende  Portal,  Im  Innern  kommen 
neben  den  Säulen  auch  Pfeiler  zur  Anwendung:  man  bricht  mit  dem 
antiken  Gesetze,  dass  die  Glieder  einer  Reihe  untereinander  gleich 
sein  müssen,  und  führt  dafür  häufig  den  rhythmischen  Wechsel 
zwischen  Säule  und  Pfeiler  ein,  wobei  die  eine  Seite  stets  der 
Spiegel  der  andern  sein  muss.  Die  Säule  wird  kürzer  und  stärker, 
die  steilere  Basis  durch  zwischen  der  viereckigen  Unterlage  und 
dem  Wulst  vennittelnde  Blättchen  bereichert,  und  das  Capital 
nimmt  oft  die  Form  eines  Würfels  an,  in  den  von  unten  eine  Halb- 
kugel einschneidet.  Das  Ornament  dieser  Bauten  ist  ein  Gemisch 
antiker  und  germanischer  Formen,  am  häufigsten  findet  sich  die 
friesartige  Aneinanderreihung  von  Rundbogen.  Im  allgemeinen 
lässt  sich  sagen,  dass  der  Reichthum  des  Ornamentes  im  umge- 
kehrten Verhältnisse  zur  soliden  organischen  Ausbildung  der  Archi- 
tektur steht.  —  Dies  ungefähr  die  wesentlichsten  Eigenthümlichkei- 
ten  des  romanischen  Stiles.  In  der  früheren  Zeit  bleibt  man  bei  der 
Holzdecke,  später  wird  die  Wölbung  eingeführt,  womit  Hand  in 
Hand  strengere  Gesetze  für  die  Raumvertheilung  auftreten. 

Auch  in  dieser  Zeit  steht  Salzburg  an  der  Spitze.  Wir  haben 
von  der  Gründung  des  Klosters  auf  dem  Nonnberge  durch  den 
hl.  Rupert  gehört.  Bis  zum  J.  1009  wissen  wir  nichts  von  seinen 
Schicksalen.  In  diesem  Jahre  weiht  man  eine  neue  Kirche,  mit 
deren  Bau  nach  der  Legende  Kaiser  Heinrich  IL  in  ursächlichem 
Zusammenhange  steht.  Im  Laufe  des  11.  Jahrhunderts  wird  dann 
allmählich  das  ganze  Kloster  neugebaut.  Erhalten  ist  davon  nur 
der  ehrwürdige  Klosterhof,  die  älteste  auf  uns  gekommene  der- 
artige Anlage  in  Deutschland  überhaupt.  Keine  Spur  jener  freien, 
luftigen  Bogengänge  der  späteren  Zeit,  die  sich  in  offenen  Arcaden 
nach  einem  in  frischem  Grün  prangenden  Mittelviereck  öffnen: 
massive  Mauern  umschließen  den  Gang  auch  nach  der  Innenseite  zu. 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


73 


und  nur  kleine  rundbogige,  von  kurzen  Säulen  flankierte  Öffnungen 
lassen  das  Licht  einfallen,  gestatten  jedoch  dem  Wandelnden  wegen 
ihrer  hohen  Lage  keinen  Blick  ins  Freie.  Streng  und  düster  ist 
auch  die  Ausstattung  im  Innern  des  Ganges,  der  aus  Kreuzgewölbe- 
Vierecken  besteht,  die  wie  die  Fenster  von  Säulen  umrahmt  werden, 
an  denen  man  in  sehr  alterthümlicher  Weise  statt  der  Basis  einWürfel- 
capitäl  verwendet  sieht.  Hier  ist  alles  noch  schwer  und  lastend, 
wie  wir  es  in  den  ersten  Entwicklungsstadien  jeder  Kunst  finden. 

Wie  hervorragend  Salzburg  im  ii.  Jahrh.  mit  seinen  massiven 
Steinbauten  dagestanden  haben  dürfte,  beweist  eine  Notiz,  wonach 
der  im  J.  1065  in  Passau  als  Bischof  einziehende  Sachse  Altmann 
fast  alle  Kirchen  der  Ostmark  noch  in  Holz  gebaut  findet.  Die 
erhaltenen  Denkmale  mehren  sich  erst  mit  dem  12.  Jahrh.,  in 
welchem  eine  regere  Bauthätigkeit  beginnt.  Die  Kirchen  dieser  Zeit 
zeigen  deutlich  den  Anschluss  an  sächsische  Muster.  Erklärlich 
wird  das,  wenn  wir  erfahren,  dass  damals  Augustiner  Chorherren 
aus  Sachsen  und  Schwaben  zur  Regeneration  der  Klöster  berufen 
wurden  und  dass  insbesondere  der  Erzbischof  Konrad  I.  (1106 — 1147) 
von  Salzburg,  der,  mit  seinem  Capitel  und  dem  Kaiser  zerfallen, 
eine  Zeitlang  in  Sachsen  im  Exil  gelebt  hatte,  von  dorther  nach 
der  Rückkehr  in  seine  Diöcese  im  J.  1121  Augustiner  Chorherren 
eingeführt  habe,  welche  die  Baugewohnheiten  ihrer  Heimat  mit 
sich  brachten.  Diese  in  Sachsen  öfter  anzutreffenden  Eigenthüm- 
lichkeiten  sind  kurz  folgende:  das  Querschiff  ragt  nicht  oder  nur 
wenig  über  die  Seitenschiffwände  heraus,  alle  drei  Schiffe  schließen 
an  der  Ostseite  mit  Apsiden,  die  Westseite  erhält  durch  zwei  das 
Portal  flankierende  Thürme  eine  symmetrische  Fa^ade,  und  im 
Innern  folgen  sich  zumeist  rhythmisch  ein  Pfeiler  und  zwei. Säulen. 

Einige  dieser  Merkmale  finden  wir  an  der  einst  vom  hl.  Rupert 
gegründeten  und  nach  einem  Brande  im  J.  11 27  neuerrichteten 
Peterskirche  in  Salzburg,  die  leider  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
weitgehende  Veränderungen  erfahren  hat.  Sicher  ist,  dass  das 
Querschiff  nur  wenig  über  die  Seitenschiffe  herausragte  und  je  zwei 
Säulen  mit  einem  Pfeiler  wechselten.  —  Am  reinsten  spiegelt  das 
sächsische  Schema  die  1163  geweihte  Kirche  des  Stiftes  Sekkau  in 
Steiennark  wieder.  Sie  wurde  von  jenen  Augustiner  Chorherren 
erbaut,  die  Erzbischof  Konrad  aus  Sachsen,  wahrscheinlich  aus 
Hammersleben  berufen  hatte.  Wir  steigen  über  neun  Stufen  in  die 


nA  Josef  Strzygowski 

feierlich  ernste  Vorhalle,  das  sogenannte  Paradies  herab  und  stehen 
dann  vor  dem  in  acht  Abstufungen  profilierten  Portale,  dessen 
Säulen  und  Pfeiler  ein  einfach  ornamentiertes  Gesims  verbindet, 
in  dessen  Höhe  um  die  Wände  der  Halle  ein  Rundbogenfries  hin- 
läuft. Durch  eine  Thür  mit  alten  gothischen  Holzschnitzereien 
betritt  man  das  Innere,  welches  durch  klare  Gliederung  und  ein- 
fachen Schmuck  anzieht.  Auf  den  zu  je  zweien  mit  einem  Pfeiler 
wechselnden  Säulen  sitzen  nur  mit  einer  Rosette  geschmückte 
Würfelcapitäle,  die  eine  Deckplatte  mit  dem  in  diesen  Gegenden 
so  häufig  vorkommenden  Würfelfriese  tragen.  Besonders  fallt  ins 
Auge,  dass  jeder  Arcadenbogen  von  profilierten  Bändern  viereckig 
umrahmt  wird,  indem  von  einem  horizontal  hinlaufenden  Bande 
nach  jeder  Säule  ein  verticaler  Streifen  herabgeht.  Diese  einfache 
Belebung  der  Wandfläche  findet  sich  in  mehreren  sächsischen 
Kirchen,  so  in  St.  Godehard  zu  Hildesheim,  in  Paulinzelle,  Bürgelin 
und  charakteristisch  auch  in  Hammersleben  wieder.  Das  außen 
nicht  vortretende  Querschifi*  ist  durch  große  kreuzförmige  Pfeiler, 
welche  den  Arcadenfries  durchbrechen,  vom  Langhause  getrennt, 
durch  drei  Stufen  erhöht  und  hat  schwächere  Säulen  als  das 
Langhaus.  Die  Krypta  fehlt.  Das  Äußere  ist  sehr  einfach  ge- 
halten: ein  Rundbogenfries  läuft  unterhalb  des  Daches  hin,  wel- 
ches ursprünglich  aus  Holz  bestand,  später  durch  eine  Wölbung 
ersetzt  wurde. 

Die  sächsischen  Traditionen  treten  auch  am  Dome  zu  Gurk 
in  Kärnten,  wo  statt  des  rhythmischen  Stützenwechsels  der  durch- 
gehende Pfeiler  gesetzt  ist,  und  in  S.  Paul  im  Lavantthale  hervor, 
wo  dazu  noch  kommt,  dass  das  QuerschiiF  breiter  als  das  Lang- 
haus ist.  Wegen  seiner  Krypta  und  der  geschmackvollen  Decoration 
berühmt  ist  der  Dom  zu  Gurk.  Die  Krypta,  in  welche  uns  Ab- 
bildung 20  einen  Blick  thun  lässt,  dürfte  im  J.  1174,  wo  nach  der 
Haustradition  die  Gebeine  der  hl.  Hemma  in  sie  gebracht  wurden, 
fertig  gewesen  sein.  Die  Decke  wird  von  sechs  massiven  Pfeilern 
und  genau  100  Säulen  getragen.  Dass  diese  Zahl  wie  in  der 
Sophienkirche  zu  Constantinopel  beabsichtigt  war,  beweist  der 
Zusatz  von  je  zwei  Säulenpaaren  statt  je  einer  Säule  vor  der 
Altarnische,  welche  die  constructiv  noth wendigen  98  Säulen  zu 
100  ergänzen.  Sie  alle  zeigen  das  einfache  romanische  Schema 
mit  dem  glatten  Würfelcapitäl.    Man  tritt  in  diesen  unterirdischen 


Das  früh«  und  das  hohe  Mittelalter. 


Raum  wie  in  eine  der  byzan- 
tinischen Cisternen  von  Con- 
stantinopel  oder  in  eine  der 
Krypten  einiger  unteritali- 
scher Kirchen,  in  denen  die 
Cisternenform  nachgeahmt 
scheint  Die  wechselnden 
Durchblicke  und  das  Düster 
der  spärlichen  Beleuchtung 
rufen  diese  Erinnerung  her- 
vor, nur  sind  die  Höhenver- 
hältnisse hier  in  Gurk  ge- 
drückter und  der  Durchblick 
durch  die  massiven  Pfeiler 
etwas  gestört.  Nicht  minder 
interessant  ist  die  Aus- 
schmückung der  Oberkirche, 
Die  Portalvorhalle  und  die 
Capitäle  der  Säulen  im  In- 
nern sind  denen  in  Sekkau 
ähnlich ,  nur  reicher  orna- 
mentiert. Die  Arcadenum- 
rahmung  fehlt.  Besonders 
geschmackvoll     ausgestattet 

ist  die  über  dem  Paradies  -^''*''  '"■  •''^p'"  '^'''  °°'""  ^"  *^"''- 
im  ersten  Stock  liegende  Empore,  welche  sich  nach  dem  Mittel- 
schiff zu  in  drei ,  durch  Doppelsäulchen  getrennten  Bogenstel- 
lungen  Öffnet.  Am  ^.Äußern ,  das  schon  durch  die  gleichmäßig 
bräunliche  Farbe  des  verwendeten  Quadermateriales  anzieht, 
laufen  an  der  Südseite  Rundbogenfriese  und  romanische  Streifen- 
Ornamente  hin.  Die  drei  Apsiden  werden  durch  Säulchen  in  drei 
bezw.  fünf  Blindarcaden  gegliedert,  über  denen  an  der  reicher 
verzierten  Hauptapsis  ein  Rundbogenfries,  ein  Rautenband  und 
jener  Würfelfries  hinlaufen,  den  wir  schon  an  den  Capitälen  von 
Sekkati  erwähnten,  und  der  auch  an  St.  Paul  im  Lavantthale  und 
anderen  Bauten  dieser  Zeit  vorkommt.  Das  Fenster  der  Haupt- 
apsis ist  noch  besonders  von  Säulchen  umrahmt  und  über  ihm  ein 
Relief  eingesetzt,  welches  einen  Löwen  darstellt,  der  einen  Raub- 


y5  Josef  Strzjgowski 

vogel  in  den  Krallen  hält.  Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  die 
Ausschmückung  der  an  der  Südseite  freiliegenden  Wand  des  rechten 
Querschiffes:  den  Giebel  entlang  läuft  ein  stufenförmig  ansteigender 
Rundbogenfries,  innerhalb  dessen  zu  den  Seiten  der  beiden  schmalen 
und  hohen  Fenster  dünne  Säulchen  aufsteigen,  von  denen  die  seit- 
lichen mit  Capitälknäufen  an  den  Stufenfries  anschließen,  während 
auf  dem  mittleren  ein  Ring  aufsitzt  Wenn  irgendwo  den  Details 
des  romanischen  Stiles  gegenüber,  so  findet  man  sich  hier  einer 
bis  jetzt  noch  nicht  genügfend  erklärten,  merkwürdigen  Überein- 
stimmung mit  den  prachtvollen  Steinkirchen  des  fernen  Armeniens 
gegenüber:  dort  sehen  wir  schon  an  den  in  der  Blütezeit  des  Reiches 
vor  der  Eroberung  der  Hauptstadt  Ani  durch  die  Seldschucken  im 
J.  1064  entstandenen  Kirchen  ähnliche  Stufenfriese  und  Säulchen 
mit  Knauf-Capitälen  zur  Gliederung  der  Giebelwände  verwendet. 
Die  angeführten  Bauten  der  Salzburger  Diöcese  waren  alle 
ursprünglich  mit  Holz  gedeckt.  Der  älteste  bedeutendere  roma- 
nische Gewölbebau  findet  sich  in  Niederösterreich.  Dort  entwickelt 
sich  in  der  zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrh.  seit  Sicherung  der  Grenze 
gegen  die  Ungarn  durch  Anlegung  der  Festung  Hainburg  im 
J.  1050  und  Erbauung  der  Burg  auf  dem  Kahlenberge  bei  Wien 
unter  dem  Schutze  der  Babenberger  ein  blühendes  Leben,  das  die 
Gründung  mehrerer  großen  Klöster  zur  Folge  hatte.  Schon  der 
obenerwähnte  Bischof  von  Passau,  Altmann,  hatte  1072 — 1083  Gött- 
weih gegründet,  1089  Melk  und  andere  Klöster  restauriert.  Mark- 
graf Leopold  in.  der  Heilige  folgt  ihm  darin  mit  der  Stiftung 
von  Klostemeuburg  11 14  und  Heiligenkreuz  1135,  welches  er  den 
Cisterciensern  übergibt.  Dieser  Mönchsorden,  11 19  officiell  consti- 
tuiert,  machte  sich  im  Gegensatz  zu  den  Bestrebungen  Gregors  VH. 
und  der  Cluniacenser  durch  die  Enthaltung  von  aller  Politik,  durch 
völligen  Verzicht  auf  den  Laienverkehr  zu  Gunsten  der  Pfarrgeist- 
lichkeit und  insbesondere  durch  die  eifrige  Pflege  des  Landbaues 
schnell  beliebt.  In  Österreich-Ungarn  fanden  die  Cistercienser  als 
Colonisten  überall  Aufnahme.  Heiligenkreuz  wurde  ihr  Centrum. 
Durch  die  Babenberger,  welche  hier  ihre  Grabstätte  fanden,  ge- 
fördert, konnten  Kloster  und  Kirche  im  J.  1187  eingeweiht  werden. 
In  dieser  Zeit  war  von  der  Kirche  jedenfalls  Langhaus  und  Quer- 
schiff"  fertig,  der  heutige  Chor  kam  erst  später  in  prächtiger  Gothik 
dazu.    Es  entspricht  der  Vorliebe  der  Cistercienser  fiir  den  Gewölbe- 


Das  frühe  tind  das  hohe  Mittelalter. 


77 


bau,  dass  die  Kirche  eine  gewölbte  Basilika  des  sog.  gebundenen 
romanischen  Systems  vorstellt,  eine  Bezeichnung,  die  sich  daraus 
erklärt,  dass  mit  der  Verwendung  des  rundbogigen  Kreuzgewölbes 
nothwendig  ein  Rhythmus  in  die,  so  lange  die  Holzdecke  verwendet 
wurde,  zwanglose  Baugliederung  kommen  musste.  So  wurde  das 
Vierungsquadrat,  welches  da  entstand,  wo  sich  das  Längs-  und 
QuerschiflF  schnitten,  je  einmal  im  Chor  und  in  jedem  der  Kreuz- 
arme, im  Mittelschiff  dagegen,  je  nach  der  Länge  desselben,  mehr- 
mals wiederholt.  Damit  war  aber  auch  die  Breite  der  Seitenschiffe 
gegeben,  weil  für  sie  zur  Erzielung  einer  regelmäßigen  Quadrat- 
folge die  halbe  Breite  des  Mittelschiffes  genommen  werden  musste. 
Die  Ausstattung  des  Innern  ist  in  Heiligenkreuz,  den  Principien 
des  Cistercienser-Ordens  entsprechend,  im  romanischen  Theile  höchst 
einfach.  Die  Fagade,  welche  in  der  Art  der  Querschiffront  zu  Gurk 
behandelt  ist,  zeigt  eine  auffallende  Verschiedenheit  in  der  Ornamen- 
tik der  rechten  und  linken  Seite.    Das  Portal  ist  bereits  spilzbogig. 

Ungefähr  gleichzeitig  mit  Heiligenkreuz  und  Klostemeuburg, 
in  dem  nur  Theile  des  Kreuzganges  aus  der  romanischen  Zeit 
erhalten  sind,  entstanden  in  Niederösterreich,  von  Edlen  des  Landes 
gestiftet,  noch  eine  Reihe  anderer  Klöster,  darunter,  durch  Cister- 
cienser  von  Heiligenkreuz  bewohnt,  im  J.  1138  die  Abtei  Zwettl, 
welche  im  J.  11 59  fertig  dastand.  Doch  hat  sich  auch  in  ihr  nur  der 
Klosterhof  erhalten.  Dagegen  hat  die  dritte  große  Cistercienser- 
abtei  Niederösterreichs  Lilienfeld  ihre  Kirche  in  der  ursprünglichen 
Gestalt  bewahrt.  Diese  aber  gehört  einer  neuen  Richtung  des 
romanischen  Stiles  an,  auf  die  wir  gleich  übergehen  werden. 

In  Böhmen,  wo  das  im  J.  973  zum  Bisthum  erhobene  Prag 
die  Führung  hatte,  bleibt  die  Kunst  dieser  Zeit  weit  hinter  den 
angeführten  Bauten  der  Salzburger  und  Passauer  Diöcesen  zurück. 
Über  100  Reste  romanischer  Architektur  haben  sich  dort  trotz  der 
Zerstörungswuth  der  Husiten  erhalten.  Doch  sind  sie  fast  alle 
sowohl  den  Dimensionen  wie  der  Bautechnik  nach  von  unter- 
geordneter Bedeutung  und  durchaus  abhängig  von  Deutschland. 
Bezeichnend  dafür  ist  das  Resultat  eingehender  Untersuchungen 
der  Klosterkirchen:  ,, Während  die  Benedictiner  sowohl  durch  Cluny 
und  Hirsau  verbreitete  Anlagen  als  auch  den  Typus  älterer  Ordens- 
kirchen  bewahrten  und  von  Schwaben  und  der  Rheingegend  beein- 
fiusst  erscheinen,  hielten  die  Prämonstratenser  sich  an  den  von  dem 


-^3  Josef  Strzygowski 

zweiten  Mittelpunkte  ihres  Ordens  ausgehenden  Typus,  die  Magde- 
burger Liebfrauenkirche,  und  die  Cistercienser  an  den  in  Deutsch- 
land so  beliebten  Grundriss  von  Fontenay.  *'  Die  größte  Kirche 
dieser  Zeit  in  Böhmen  ist  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts erbaute  Stiftskirche  zu  Kladrau.  Es  ist  bezeichnend,  dass 
die  Erbauer  keine  Eingeborenen,  sondern  Mönche  des  schwäbischen 
Stiftes  Zwiefalten  waren,  die  schon  von  Vladislav  I.  berufen  wurden. 

Dafür  besitzt  Böhmen  einen  Bau,*  der  uns  mit  einemmale  aus 
der  zurückgebliebenen  Kunstübung  der  Provinz  auf  die  Höhe  der 
damaligen  Leistungsfähigkeit  hebt  Es  ist  dies  die  Kapelle  der 
Hohenstaufenburg  zu  Eger,  die  von  Friedrich  Barbarossa  begonnen, 
im  Jahre  1213  unter  Friedrich  II.  vollendet  gewesen  sein  muss. 
Innerhalb  der  eng  anschließenden  Palastbauten  gelegen,  ist  das 
Äußere  so  einfach  wie  möglich  gehalten:  vier  gleichmäßig  auf- 
ragende Mauern,  durch  Lisenen,  d.  h.  vertical  aufsteigende  Mauer- 
streifen, in  rechteckige  Felder  gegliedert.  Im  Innern  zeigt  die 
Kapelle  die  Grundform  der  romanischen  Burgkapellen,  wie  dieselben 
in  Deutschland  zahlreich  vorkommen:  ,,In  zwei  Geschossen  über- 
einander zerlegen  vier  Stützen  einen  rechteckigen  Raum  (mit  einer 
Apside  im  Osten)  in  neun  Joche,  die  mit  Kreuzgewölben  überdeckt 
sind.  Das  mittlere  Joch  des  unteren  Raumes  ist  deckenlos  und 
stellt  so  die  Verbindung  zwischen  beiden  Geschossen  her.**  Die 
Burgkapelle  in  Eger  ist  der  älteste  Bau  dieser  Art.  Das  Unter- 
geschoss  ist  noch  streng  romanisch  von  massiven  Formen  mit 
gedrungenen  Säulen,  verschiedenartig  ornamentierten  Würfelcapi- 
tälen  und  rundbogigen  Gewölben.  Mittelst  einer  Treppe  gelangt 
man  in  das  Obergeschoss  und  steht  plötzlich  überrascht  in  einer 
neuen  Formenwelt :  durch  Verjüngung  der  Mauern,  schlanke 
Verhältnisse  und  volle  Beleuchtung  ist  hier  eine  im  Verhältnis 
zum  Untergeschoss  ungemein  weiträumige  Architektur  geschaflFen, 
Wir  befinden  uns  in  der  vom  Palast  aus  durch  eine  Thür  zugäng- 
lichen Kapelle  für  die  kaiserliche  Familie  und  deren  Hofstaat  Die 
schlanken  Säulen,  Fenster  und  Thürwände  sind  aus  weißem,  fein 
poliertem  Marmor  hergestellt,  von  den  Säulen  sind  zwei  achteckig 
mit  Figuren-,  zwei  rund  mit  Laubcapitälen,  eine  fünfte,  besonders 
zierliche  Säule  mit  gemustertem  Schaft  befindet  sich  in  der  Apsis. 

Blicken  wir  zur  Decke  des  Obergeschosses  auf,  so  entdecken 
wir  hier  eine  epochemachende  Neuerung:  bisher  kannten  wir  nur 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


79 


rundbogige  Gewölbe,  hier  sind  die  Gewölbe  mit  eineinmale  spitz- 
bogig.  Damit  ist  der  erste  Schritt  zur  Gothik  gethan.  Bis  sich  aber 
dieses  neue  Bausystem  voll  entwickelt,  macht  der  romanische  Stil 
verschiedene  Wandlungen  durch.  Diese  Entwicklungsphase  der 
Kunst  nennt  man  den  Ubergangsstil.  Er  hält  seinen  Einzug  in 
Osterreich  allgemein  erst  im  13.  Jahrhundert.  Hier  in  Eger  ist  sein 
frühes  Auftreten  erklärlich,  wenn  wir  annehmen,  dass  der  kaiserliche 
Baumeister  den  Spitzbogen  direct  aus  Frankreich,  wo  er  zuerst 
angewendet  wurde,  als  etwas  Neues  importierte. 

Der  Spitzbogen  brachte  die  Lösung  eines  peinlichen  Zwanges, 
der  darin  lag,  dass  man  ein  rundbogiges  Gewölbe  nur  über  einem 
Quadrat  errichten  konnte.  Aus  dem  Spitzbogen  heraus  aber  lässt 
sich  jedes  beliebige  Rechteck  mit  einem  Kreuzgewölbe  überdecken. 
Zugleich  fand  man,  dass  ein  Gewölbe  nicht  durchgehender  Mauer- 
stützen bedürfe,  sondern  nur  in  den  Ecken  des  Viereckes,  über 
dem  es  errichtet  war,  kräftig  unterbaut  werden  müsse.  Man  ver- 
stärkte daher  die  Eckstützen  durch  Strebepfeiler  und  Bögen  und 
durchbrach  die  dazwischen  liegende  Wand  durch  große  Fenster. 
Damit  Hand  in  Hand  gieng  eine  reichere  Gliederung  der  Pfeiler, 
die  Einführung  neuer,  kelchartiger  Capitälformen  mit  naturali- 
stischem Blätterschmuck,  insbesondere  des  Knospencapitäls,  die 
Auflösung  der  halbrunden  Apsis  in  eine  polygonale,  durch  Kappen 
überwölbte,  die  Weglassung  der  Krypta  —  kurz  die  Einführung 
aller  jener  Elemente,  die  bei  consequenter  Weiterbildung  auf  den 
gothischen  Stil  hinführen  mussten. 

Es  sind  wohl  die  Cistercienser  gewesen,  welche  den  Uber- 
gangsstil aus  ihrer  französischen  Heimat  mit  nach  Österreich 
brachten.  Gleich  die  älteste  in  diesem  Stil  erhaltene  Kloster- 
kirche ist  von  ihnen  erbaut:  Lilienfeld,  eine  Stiftung  des  Baben- 
bergers  Leopold,  der  den  Bau  1202  begann.  Im  J.  1220  fand 
gleichzeitig  mit  der  Beisetzung  des  Herzogs  die  Einweihung  statt 
Das  Langhaus  besteht  aus  französischen  Jochen  d.  h.  spitzbogigen 
Gewölben,  wo  dem  rechteckigen  MittelschiflFjoch  ein  ebenso  breites 
Seitenschiffjoch  entspricht.  Dieselbe  Anordnung  setzt  sich  auch 
in  den  Querschiffen  und  im  Chore  fort,  der  ursprünglich  polygonal 
projectiert,  dann  aber  mit  dem  von  den  Cisterciensern  mit  Vorliebe 
verwendeten  doppelten,  viereckigen  Umgang  umschlossen  wurde. 
Die  Fenster  desselben  sind  noch  rundbogig.     Die  Kirche   ist  bis 


8o  Josef  Strzygowski 

auf  die  am  Äußern   angebrachten  Rundbogenfriese  t)hne  ornamen- 
talen Schmuck,  die  Fagade  erst  im  17.  Jahrhundert  zugebaut 

Um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  entstehen  in  Mähren  zwei 
bedeutende  Kirchen  im  Übergangsstile,  die  Stiftskirchen  zu  Trebitsch 
und  Tischnowitz.  Die  Kirche  zu  Trebitsch  ist  von  besonderem 
Interesse,  weil  ihr  Grundriss  sich  noch  eng  an  das  sächsische 
Schema  romanischer  Kirchen  anschließt,  das  Gewölbe  des  Mittel- 
schiffes je  zwei  Jochen  in  den  Seitenschiffen  entspricht  und 
noch  eine  Krypta  vorhanden  ist.  Trotzdem  sind  die  Gewölbe 
spitzbogig.  Daneben  finden  sich  rundbogige  Portale  und  Fenster. 
Die  Kirche  zu  Tischnowitz  dagegen  zeigt  im  Grundplane  die 
vollendet  klare  Gliederung  des  Ubergangsstiles,  nur  ist  sie  im 
Aufbaue  merkwürdig  gedrückt,  indem  z.  B.  das  Mittelschijßf  fast 
noch  einmal  so  breit  als  hoch  ist.  Ähnlich  das  Hauptportal, 
dessen  Spitzbogen  sich  nur  wenig  über  den  Halbkreis  erhebt. 
Die  überaus  zierliche  Ornamentik  ist  ganz  frühgothisch ,  am 
Portal  stehen  bereits,  wie  an  gothischen  Bauwerken,  zwischen  den 
Säulen  die  Einzelfiguren  der  Apostel. 

Auch  die  Kirche  in  Tischnowitz  gehört  zu  einem  Cister- 
cienserkloster.  Wie  in  Heiligenkreuz,  Zwettl  und  Lilienfeld  steht 
sie  an  der  Nordseite  des  Kreuzganges,  auf  dessen  Ausschmückung 
besonders  in  den  drei  niederösterreichischen  Klöstern  großes 
Gewicht  gelegt  wurde.  Dreitheilige  Säulenarcaden,  für  die  in 
Heiligenkreuz  390,  in  Lilienfeld  4CX3  Säulen  verwendet  wurden, 
umschließen  den  viereckigen,  in  erfrischendem  Grün  prangenden 
Innenhof.  Die  Decke  wird  von  Kreuzgewölben  gebildet,  Boden 
und  Wände  sind  mit  Grabplatten  bedeckt.  An  der  Südseite  ist 
an  den  Kreuzgang  in  den  Hof  herein  ein  achtseitiges  Brunnenhaus 
gebaut,  welches  ursprünglich  als  Waschhaus  diente  und  heute 
den  Wandelnden  durch  das  gleichmäßige  Plätschern  des  Wassers 
labt.  An  der  Ostseite  endlich  befindet  sich  das  Capitelhaus, 
ein  viereckiger,  säulengetragener  Saal  mit  einem  Altar  und  den 
Gräbern  der  Stifter.  Alle  diese  Räume  erhielten,  soweit  sie 
geschlossen  waren,  ihr  Licht  durch  farbige  Glasfenster,  von  denen 
ausgezeichnete  Reste  in  Heiligenkreuz  und  Klosterneuburg  erhalten 
sind.  Nebenstehende  Abbildung  21  zeigt  ein  Fenster  aus  Heiligen- 
kreuz, welches  nur  ornamentalen  Schmuck  aufweist.  Im  allge- 
meinen aber  herrschen  figürliche  Compositionen  vor:  in  Heiligen- 


r-Wto  ••  Jf 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter.  gj 

kreuz  sind  die  Bilder  von  acht  Babenbergern  des  1 2.  Jahrh.  erhalten, 
in  Klosterneuburg  Reste  einer  in  drei  Parallelen  dargestellten  Bibel, 
die  wahrscheinlich  in  der  Zeit  ungefähr  von  1279— 1335  von  den 
Glasmalern  Fridrich,  dessen  Sohn  Walther  und  dem  Meister  Eber- 
hard ausgeführt  wurden. 

In  Ungarn  hat  sich  von  den  Bauten  Stephans  des  Heiligen 
nichts  Nennenswertes  erhalten.  Und  auch  aus  der  folgenden 
Periode  sind  nur  wenige  Reste  vorhanden,  weil  gerade  die  Kirchen 
und  Klöster  am  meisten  unter  den  Einfallen  der  Mongolen  in  den 
Jahren  1241 — 42  und  später  unter  den  Türken  schwer  gelitten 
haben.  Den  Raumverhältnissen  nach  ist  der  bedeutendste  Bau 
dieser  Zeit  die  neuerdings  so  prächtig  wieder  aufgebaute  Kathedrale 
von  Fünfkirchen,  die  in  ihren  Fundamenten  mit  der  Krypta  und 
dem  Unterbau  der  vier  Thürme  wohl  noch  dem  11.  Jahrhundert 
angehört.  Wie  allen  ungarischen  Kirchen  dieser  Zeit,  mit  Aus- 
nahme derjenigen  zu  Ocsa  bei  Pest,  fehlt  ihr  das  QuerschiflF. 
Darin  und  in  der  Anbringung  dreier  Apsiden  im  Osten  zeigt  sich 
der  Anschluss  an  die  Kunst  in  Osterreich.  Wahrscheinlich  waren 
es  deutsche  Einwanderer,  die  diese  und  die  übrigen  romanischen 
Bauten  Ungarns,  unter  denen  die  Kirche  in  L^beny  die  provinziellen 
Eigenthümlichkeiten  am  besten  erhalten  zeigt,  errichteten.  Nach 
dem  Mongoleneinfalle  weilte  der  französische  Architekt  Villard 
de  Honnecourt  dort,  doch  haben  nicht  erst  durch  ihn  gothische 
Motive  Eingang  gefunden,  sondern  schon  vor  den  Mongolenstürmen 
durch  die  Cistercienser,  die  in  einem  Falle  aus  Heiligenkreuz,  in 
andern  Fällen  direct  aus  Frankreich  gekommen  waren.  Als  die 
best  erhaltene  Kirche  des  Übergangsstiles  gilt  neben  den  frühesten 
Bauten  dieses  Stiles  in  der  östlichen  Reichshälfte,  der  Kirche  zu 
Topuszko  in  Kroatien  und  der  Abteikirche  am  Martinsberge,  die- 
jenige von  St.  Jäk,  von  der  die  nebenstehende  Abbildung  22 
eine  Ansicht  von  Nordwesten  her  zeigt.  Der  besondere  Wert  der 
dreischiffigen,  in  drei  Apsiden  ohne  QuerschifF  endenden  Kirche 
liegt  in  der  reichen  Decoration  der  Außenseite.  Wie  in  Heiligen- 
kreuz sind  auch  hier  die  Seitenfa^aden  durch  Pilasterstellungen  mit 
abschließendem  Rundbogenfries  gegliedert.  Die  Westfa^ade  ist  die 
bekannte  sächsisch-österreichische:  zwei  in  vier  Stockwerke  ge- 
gliederte und  mit  Doppelfenstern,  Rosen  und  Rundbogenfriesen 
geschmückte  Thürme   zu   Seiten   des  Mittelportals,   das  besonders 

KunstgesGhichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Uugarn.  6 


Joaef  Strzygowäki 


reich   im    Übergangsstil   ausgestattet   ist.      Wie    in    Horpäcz   und 
Leyden  sind  die  Säulen   der  schrägen  Innen  Wandungen   reich  mit 


Abb.  M.     Die  Kirche  von  St.  Jfik  in  Ungarn. 

Ornamenten  geschmückt,   die  hier  in  einzelnen  Motiven  Ähnlich- 
keit mit  dem  gleich  zu  erwähnenden  Riesenthore  von  SL  Stephan 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


83 


in  Wien  zeigen.  Darüber  steigen  den  Giebel  entlang  elf  mit  dem 
Kleeblattbogen  gekrönte  Nischen  auf,  in  welchen  Christus  und  zehn 
Apostel  stehen,  denen  sich  die  beiden  fehlenden  an  der  Kirchen- 
wand in  Nischen  anschließen.  Neben  der  Kirche  sieht  man  eine 
alte  massive  Rundkapelle.  Wir  finden  solche  Bauten  in  allen 
Gebieten  Österreichs  nördlich  der  Alpen.  Sie  dienten  zumeist 
als  Todtenkapellen,  haben  daher  Grüfte  und  führen  den  Namen 
Kamer.  Der  Construction  nach  besonders  interessant  ist  eine  solche 
Rundkapelle  in  Bfevnow  in  Böhmen,  decorativ  reich  ausgestattet 
sind  einige  dieser  Bauten  in  Niederösterreich. 

Über  Ungarn  gieng  der  romanische  Stil  weiter  nach  Sieben- 
bürgen, wo  die  Kirchen  in  Michelsberg  und  Karlsburg  zeigen,  auf 
wie  bescheidener  Stufe  die  Architektur  hier  stehen  blieb,  und  weiter 
nach  Dalmatien,  wo  man  in  Zara  und  besonders  am  Dom  zu  Trau 
romanische  Grundriss-  und  Capitälbildungen  nachweisen  kann,  die 
in  der  Zeit  des  ungarischen  Einflusses  in  diesen  Gegenden  entstan- 
den sind.  Im  übrigen  aber  schließt  sich  Dalmatien  und  Istrien 
in  dieser  Zeit  durchaus  an  die  Traditionen  des  italischen  Kunst- 
kreises an,  wofür  Hauptbelege  der  in  vier  Stockwerken  über  der 
Vorhalle  des  Juppiter-Tempels  aufsteigende  Campanile  zu  Spalato, 
das  Portal  des  Domes  zu  Trau,  der  Dom  zu  Zara  mit  der  reichen 
Fagade,  an  der  vier  Säulengallerien  zwei  Fensterrosen  umschließen, 
und  der  Dom  zu  Aquileja  sind,  denen  sich  auf  südtirolischem 
Boden  noch  der  Dom  zu  Trient  anschließt.  Es  ist  von  besonderem 
Interesse,  an  den  Domen  von  Trau  und  Trient  die  Vermischung 
deutscher  Raumvertheilung  mil  italischer  Ausschmückung  zu 
beobachten,  welch  letztere  sich  insbesondere  in  der  Art  der  Portal- 
bildungen zeigt.  Das  Portal  des  Domes  zu  Trau,  wohl  das  reichste 
auf  österreichischem  Boden  überhaupt,  wird  von  zwei  Säulen 
zwischen  zwei  vorspringenden  Ecken  gebildet  und  nach  vorn  durch 
die  auf  Löwen  stehenden  Gestalten  von  Adam  und  Eva  abge- 
schlossen. Von  dem  übrigen  reichen  Sculpturenschmuck  sei  nur 
die  Darstellung  einer  Geburt  Christi  des  Meisters  Raduanus  vom 
J.  1240,  Reste  eines  Monatscyklus  und  acht  die  Pilaster  tragende 
Gestalten  erwähnt,  deren  Costüm  locale  Motive  zeigt.  Die  Neben- 
portale des  Domes  zu  Trient  haben,  wie  die  im  Äußern  ange- 
brachten Säulengallerien,  echt  lombardische  Bildung,  indem  vor 
das   Portal  Vorbauten    gelegt  sind,    deren   vorderste  Säulen  auf 

6* 


84  Josef  Strzygowski 

Löwen  ruhen.  Der  Einfluss  dieser  lombardischen  bezw.  italischen 
Sitte  lässt  sich  über  Trient  hinaus,  auch  in  den  Portalen  der 
Stiftskirche  zu  Innichen  (Stadtseite),  von  S.  Zeno  in  Reichenhall, 
an  der  Franciscanerkirche  und  ehemals  auch  am  Dome  zu  Salz- 
burg u.  a.  O.  nachweisen.  Die  bedeutendste  Portalanlage  der 
nördlichen  Kronländer  ist  das  mit  Ornamenten  im  Geschmacke  der 
Schotten  von  St.  Jakob  zu  Regensburg  ausgestattete  Riesenthor 
von  St.  Stephan  in  Wien,  welches,  nach  1258  entstanden  und 
1276  schon  zum  erstenmale,  später  aber  wiederholt  restauriert, 
wieder  Vorbild  für  andere  Portale  Österreichs,  so  z.  B.  für  die 
Stiftskirche  zu  Wiener  Neustadt,  die  Dreikönigskapelle  in  TuUn 
u.  a.  O.  geworden  ist. 

Eine  Vorstellung  von  der  Eigenart  der  Anbringung  und  des 
Inhaltes  der  romanischen  Bildhauerarbeiten  mag  Abbildung  23 
der  zwischen  etwa  12 10 — 1230  entstandenen  Apsis  der  Kirche  zu 
Schöngrabern  in  Niederösterreich  geben.  Wir  sehen  das  Halbrund 
der  Apsis  wie  gewöhnlich  durch  Säulen  gegliedert  und  oben  mit 
einem  Rundbogenfries  abschließen.  Ein  horizontales  Gesims 
theilt  dann  die  Flächen  nochmals.  In  den  oberen  Streifen  sind  in 
der  Mitte  hohe  Fenster  gebrochen,  zu  ihren  Seiten  oben  rechts 
je  eine  Säule  und  wie  auch  auf  der  linken  Seite  Sculpturenschmuck 
ohne  Umrahmung  in  die  Wand  eingelassen.  Im  unteren  Feld 
ist  unter  jedem  Fenster  eine  größere  figürliche  Darstellung  an- 
gebracht. Wir  wollen  die  mittlere,  welche  in  Abbildung  23 
unten  vergrößert  wiedergegeben  ist,  näher  ansehen.  Da  thront 
in  der  Mitte  eine  in  ein  langes  Gewand  gehüllte  Gestalt,  welche 
die  rechte  Hand  segnend  erhebt  und  in  der  linken  ein  Scepter 
hält.  Beiderseits  knien  Männer,  der  rechts  hält  ein  Garbenbündel, 
der  links  ein  Lamm:  es  sind  Kain  und  Abel,  welche  Gott  ihr 
Opfer  darbringen.  Neben  Kain  sieht  man  links  noch  eine  Gestalt, 
welche  ihn  am  Ohre  fasst,  das  personificierte  Böse,  welches  ihm 
mit  Einflüsterungen  naht.  Unter  dem  Throne  liegt  ein  schuppiger 
Drache,  der  Menschen  im  Rachen  und  in  den  Krallen  hält: 
er  ist  ebenso  wie  der  Löwe,  der  Bär  u.  a.  Raubthiere  das 
Symbol  des  Bösen,  hier  der  Hölle.  In  ähnlicher  Weise  stellen 
die  andern  Sculpturen  den  Kampf  des  Guten  und  Bösen  dar, 
indem  sie  mit  dem  Sündenfall  beginnen  und  mit  der  Seelen- 
wägung  enden. 


I.  2j.     Die  Apsis  der  Kirclii;  iu  bcbOiigiabeni  uiid  ihre  SculpUir 


Abb.   Z4.     Mittelbild  der  Malereien  im  Nonnencliore  des  Domes  zu  Gurk. 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


85 


Beispiele  solchen  figürlichen  Sculpturenschmuckes  sind  nicht 
zu  häufig.  Öfter  kommen  rein  ornamentale  Motive  vor.  In  beiden 
Richtungen  verdienen  besonderer  Erwähnung  die  zum  großen 
Theil  erst  beim  Umbau  des  Domes  zu  Fünfkirchen  zu  Seiten  des 
Laienaltares  aufgefundenen  Sculpturen.  Die  figürlichen  stellen 
Christus  in  der  Glorie,  Propheten  und  biblische  Vorgänge  dar 
und  schmückten  die  Zugänge  zur  Krypta.  Die  rein  ornamentalen 
Sculpturen  bildeten  den  Schmuck  des  Laienaltares  selbst.  Sie 
sind  von  hohem  kunstgeschichtlichem  Interesse,  weil  wir  neben 
wenigen  Stücken,  welche  die  mehrstreifigen  Bandverschlingungen 
in  altgermanischer  Roheit  zeigen,  der  Hauptmasse  nach  Band- 
ornamente von  einer  Feinheit  der  Motive  und  der  Ausführung 
finden,  wie  sie  sich  schon  im  10.  Jahrhundert  auf  dem  Gebiete  der 
byzantinischen  Kunst  nachweisen  lassen. 

Die  Innenräume  der  romanischen  Kirchen  hat  man  mit 
Malereien  geschmückt  und  zwar  die  Architekturtheile  mit  farbigen 
Ornamenten,  die  Wandflächen  mit  Bildern  der  Bibel,  wobei  man 
gern  Parallelen  aus  dem  alten  und  neuen  Testament  einander 
gegenüberstellte,  abwechselnd  mit  Heiligenlegenden  und  den  Ge- 
stalten einzelner  Heiligen  in  architektonischen  Umrahmungen. 
Erhalten  haben  sich  aus  der  älteren  romanischen  Zeit  nur  wenige 
Beispiele,  so  in  der  Krypta  des  Domes  zu  Aquileja  Scenen  aus 
dem  Leben  der  Localheiligen,  in  der  Vorhalle  der  Kirche  auf 
dein  Nonnberge  in  Salzburg  die  Brustbilder  heiliger  Bischöfe  und 
Fürsten,  ferner  Reste  in  der  Stiftskirche  zu  Lambach  und  in  der 
Jakobskirche  zu  Tramin.  Das  interessanteste  Beispiel  der  Zeit  des 
Ubergangsstiles  sind  die  Malereien  im  Nonnenchore  d.  h.  in  der 
oben  erwähnten  Empore  über  der  Vorhalle  des  Domes  zu  Gurk, 
welche  die  Herrlichkeiten  und  den  Preis  des  künftigen  Lebens  in  den 
Darstellungen  des  irdischen  Paradieses  und  des  himmlischen  Jeru- 
salem zeigen  sollen.  Das  Centrum  des  ganzen  Bildercyklus  bildet 
die  an  die  Ostwand  gemalte  Darstellung  der  thronenden  Mutter- 
gottes, wie  sie  Abbildung  24  wiedergibt.  Wir  sehen  Maria,  durch 
die  Krone  als  Himmelskönigin  bezeichnet,  auf  einem  reichen 
Throne  sitzen  und  das  in  ihrem  Schöße  stehende  Christuskind 
liebkosen.  Zu  Seiten  des  Thrones  stehen,  denselben  stützend, 
zwei  Tugenden,  Liebe  und  Keuschheit,  und  unten  zwei  mit 
Nimben  ausgezeichnete  Löwen,  denen  sich  nach  außen  zehn  andere 


gg  Joaer  Sli^gowski 

anschließen:  es  sind  die  zwölf  Apostel,  die  Fundamente  und  die 
Stärke  des  Glaubens.  Das  ganze  Bild  ist  von  einer  Arcade  um- 
schlossen, die  oben  mit  einem  Rundbogen  verziert  ist,  aus  dem 
auf  Maria  zu  sieben  Tauben,  die  sieben  Gaben  des  hl.  Geistes, 
fliegen.  Wir  sehen  also,  wie  auch  hier  jede  figürliche  Beigabe 
ihren  symbolischen  Sinn  hat 


Abb.  15.     Bronzener  LeuchterfuS  im  Dome  xu  Prag. 

Reich  ausgeschmückt  mit  derartigem  symbolischen  Bildwerk 
waren  auch  die  Geräthschaften,  welche  den  Kirchen  aus  frommen 
Stiftungen  zuflössen:  die  Altäre  selbst,  mit  den  sie  überdeckenden 
Ciborien,  die  Schranken  des  Presbyteriums  und  die  Kanzeln,  von 
denen  noch  da  und  dort  Reste  erhalten  sind.  Dazu  die  reichen 
Paramente,  Altaraufsätze,  Kelche,  Reliquien,  Leuchter  u.  dgl. 
mehr.  Einen  BegriflF  von  dem  Reichthura  des  an  diesen  Geräthen 
angebrachten  Schmuckes  mag  der  in  Abbildung  25  dargestellte 
bronzene  Leuchterfuß   des  Domes   zu  Prag  geben.      Der  Stamm 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter.  3? 

wird  von  drei  Füßen  getragen,  welche  aus  Drachenleibern  gebildet 
sind,  die  mit  Kopf  und  Klauen  am  Boden  aufstehen.  Auf  jedem 
Drachen  sitzt  ein  nackter  Mann,  der  von  vorn  durch  ein  Ungethüm 
bedroht  wird  und  hinter  sich  einen  Löwen  hat,  dessen  Rachen  er 
mit  der  Hand  fasst.  Zwischen  den  Leuchterfüßen  sitzt  vor  den, 
den  Mittelstamm  umrankenden  Blättern  je  eine  reich  gekleidete 
Gestalt,  welche  in  den  Händen  Zweige  hält  oder  wie  in  dem  ab- 
gebildeten Felde  die  Hände  ausbreitet,  während  die  Füße  in  dem 
Maule  zweier  Ungeheuer  aufstehen.  Auch  hier  mag  der  Kampf 
des  Lichtes  mit  der  Finsternis,  des  Guten  mit  dem  Bösen  dar- 
gestellt sein  in  den  nackten,  der  Sieg  dagegen  in  den  schönen 
bekleideten  Gestalten  der  Mitte.  Eine  der  prachtvollsten  Leistungen 
romanischer  Kunst  besitzt  das  Stift  Klosterneuburg  in  dem  berühmten 
Altaraufsatze,  welchen  zum  Theil  ein  französischer  Meister,  Nikolaus 
von  Verdun,  im  J.  1181  gearbeitet  hat.  Er  besteht  aus  51  Email- 
tafeln, welche  in  drei  Parallelen  Scenen  der  Bibel  darstellen,  die  das 
Muster  für  andere  derartige  Cyklen  Österreichs  z.  B.  die  Glas- 
malereien in  Klosterneuburg  selbst  und  die  Holzthüren  des  Gurker 
Domes  geworden  sind.  Von  Bücherillustrationen  sind  das  Evan- 
geliar  Heinrichs  IV.  in  Krakau,  das  Wyschehrader  Evangeliar  in 
Prag  und  ein  prächtiges  Antiphonar  im  Stifte  St  Peter  zu  Salz- 
burg zu  nennen. 

Es  erübrigt  uns  nun  noch,  eineii  Blick  zu  werfen  auf  die 
Profanarchitektur  dieser  Zeit.  Die  romanische  Burg,  auf  hohen, 
möglichst  unzugänglichen  Felsen  erbaut,  war  von  einer  oder  mehre- 
ren Ringmauern  umgeben,  vor  denen  sich  Wassergräben  und  Palli- 
sadenwerk  hinzogen.  Die  Mauern  schlössen  nach  oben  zu  auf  der 
Innenseite  mit  einem  Rundgange,  der  Burgwehr,  ab,  nach  außen 
mit  Zinnen.  Im  Kriege  versammelten  sich  hier  die  Kämpfenden, 
im  Frieden,  die  schaulustigen  Damen,  wenn  es  ein  Turnier  oder 
sonst  ein  Schauspiel  im  Freien  zu  sehen  gab.  Ein  Thor  mit  Zug- 
brücke  und  Fallgitter  und  Thürme  unterbrachen  die  Mauerflucht. 
Innerhalb  des  Befestigungsringes  lagen  drei  getrennte  Gebäude: 
der  große  Saal  (palas),  das  Haus,  welches  die  Wohn-,  Schlaf-  und 
Arbeitszimmer  für  den  Besitzer,  seine  Gemahlin  und  das  Gesinde 
enthielt  (Kemenate),  und  der  große  Befestigungsthurm  (Donjon, 
später  Bergfried  genannt).  Dazu  kam  die  Burgkapelle,  welche 
bald,  wie  in  Eger,  ein  selbständiger  Bau,  bald  in  einem  der  andern 


88  Josef  Strzygowski 

Gebäude  untergebracht  war,  und  die  nöthigen  Wirtschaftsräume. 
Der  Palas  war  der  Repräsentationsraum  der  Burg,  auf  ihn  häufte 
man  allen  Schmuck,  den  der  Reichthum  des  Burgherrn  aufbringen 
konnte.  Die  Holzdecke  war  mit  buntfarbigen  Ornamenten  ge- 
schmückt, die  Wände  von  rundbogigen,  durch  Säulen  getheilten 
Fenstern  durchbrochen,  neben  denen  in  Erkern  Sitze  angebracht 
waren.  Zwischen  den  Fenstern  hiengen  an  hölzernen  Rahmen 
kostbare  Teppiche,  welche  die  Wände  unten  zieren  sollten.  Dieser 
,,Umbhang**  wurde  von  der  Burgfrau  gearbeitet,  die  oft  die  Thaten 
des  Gatten  darauf  zur  Darstellung  brachte.  Die  Mitte  des  Saales 
wurde  je  nach  der  abzuhaltenden  Festlichkeit  eingerichtet,  die 
Gäste  auf  der  zu  dem  Saale  führenden  Freitreppe  empfangen. 
Unter  dem  Saale,  im  Erdgeschoss,  befanden  sich  Küche,  Keller 
und  Schlafräume  für  die  Dienerschaft.  Neben  dem  Palas  ist  es 
der  Thurm,  welcher  wesentlich  zur  Burg  gehört,  ihr  Wahrzeichen 
ist.  Er  hat  in  romanischer  Zeit  zumeist  viereckige  Form.  Der 
Eingang  befand  sich  in  beträchtlicher  Höhe,  damit  er  im  Falle 
der  Gefahr  nicht  zu  leicht  zugänglich  wäre.  Den  untersten  Theil 
nahmen  Verliese  für  Gefangene  ein,  dann  folgten  die  Wohnräume, 
endlich  zu  oberst  die  Stube  des  Thurmwächters.  Alle  diese  Bau- 
lichkeiten werden  in  den  altdeutschen  Dichtungen  wiederholt  er- 
wähnt, im  Palas  war  es,  wo  Walther  von  der  Vogelweide  auf  den 
Burgen  der  Babenberger  seine  Lieder  vortrug. 

In  allen  Theilen  Österreich-Ungarns  sind  Burgen  zum  Theil 
von  sehr  hohem  Alter  erhalten.  Auf  dem  Basteifelsen  zu  Eger 
steht  die  Burg  Friedrich  Barbarossas,  von  der  noch  neben  den 
Resten  des  Palas  der  uralte,  aus  Lavablöcken  erbaute  Thurm  und 
die  oben  besprochene  Kapelle  erhalten  sind.  Den  besten  Überblick 
über  eine  romanische  Burg  und  die  am  Fuße  derselben  liegende 
Stadtbefestigung  erhalten  wir  in  Friesach  in  Kärnthen.  Die  Anlage 
der  heutigen  Stadtmauer,  welche  wie  die  zu  Constantinopel  aus 
dem  Wassergraben,  der  niedrigen  Vor-  und  der  hohen  Hauptmauer 
besteht,  geht  in  ihrer  Anlage  zurück  auf  das  J.  1134  und  Konrad  I., 
denselben  Erzbischof  von  Salzburg,  der  die  sächsischen  Baugewohn- 
heiten im  Kirchenbau  einführte.  Auf  dem  Petersberge  daselbst 
stehen  noch  die  Umfassungsmauern  des  mächtigen  Donjon' s  der 
Burg  mit  einer  frühromanischen,  mit  Malereien  geschmückten 
Kapelle  im  mittleren  Stockwerk   und  darüber  der  Kemenate  des 


Das  frühe  und  das  hohe  Mittelalter. 


89 


Besitzers;  daneben  Reste  des  Palas  und  anderer  jüngerer  Bauten. 
Hier  in  Friesach  veranstaltete  im  J.  1217  Leopold  der  Glorreiche  von 
Osterreich  das  große  Turnier,  an  dem  10  geistliche  Fürsten  und  600 
Ritter  theilnahmen,  und  das  Ulrich  von  Liechtenstein  beschrieben  hat. 
Im  12.  Jahrhundert  wird  auch  Wien  neu  befestigt.  Durch 
die  Anlage  der  Hainburg,  bewacht  von  den  Babenberger  Burgen 
in  Mödling  und  am  Kahlenberge,  war  das  Wiener  Becken  in  der 
zweiten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts  vor  den  Raubeinfällen  der 
Ungarn  sichergestellt  worden.  In  der  ersten  Hälfte  des  12.  Jahr- 
hunderts schon  werden  die  meisten  der  Orte  genannt,  die  1891  mit 
Wien  vereinigt  wurden,  und  Wien  selbst  zur  Residenz  der  11 56 
zu  Herzögen  erhobenen  Babenberger  gemacht.  Ihre  Stadtburg 
befand  sich  am  Hof,  dem  Herzogenhof,  auf  dem  die  Turniere  ab- 
gehalten wurden.  Wien  dehnte  sich  damals  im  Viereck  aus  vom 
tiefen  Graben  bis  zur  Rothenthurmstraße  und  vom  Donaucanal 
bis  zum  Graben,  der  seinen  Namen  ja  daher  hat,  weil  er 
damals  Stadtgraben  war.  Das  Kärnthner  Thor  befand  sich  am 
Stock  -  im  -  Eisen  platz,  imd  die  Stephanskirche,  welche  1147  ^^^^ 
Bischof  Reginbert  von  Passau  geweiht  wurde,  lag  außerhalb  der 
Stadt  im  Viertel  der  fremden  Kaufleute,  die  sich  um  die  Wollzeile 
gruppierten.  Auf  der  andern  Seite  war  beim  Heidenschuss  ein 
Thor,  dem  gegenüber  auf  einer  Anhöhe  seit  1158  das  von  irischen 
Mönchen  von  St.  Jakob  in  Regensburg  zur  Aufnahme  der  Kreuz- 
fahrer gegründete  Schottenkloster  sich  erhob.  In  der  Stadt 
selbst  werden  die  Kirchen  des  hl.  Rupert,  dessen  Jünger  in  nach- 
römischer Zeit  von  Salzburg  aus  das  Christenthum  hierhergebracht 
haben  sollen,  S.  Peter,  S.  Pankraz  am  Hof  und  S.  Maria  am 
Gestade  genannt.  Als  sich  die  Stadt  unter  den  Babenbergern 
blühend  entwickelte,  wurde  die  Burg  an  ihre  heutige  Stelle  ver- 
legt und  die  Stadt  bis  zur  Herrengasse  und  Himmelpfortgasse 
erweitert.  Damals  entstand  auch  ein  neues  Thor,  neben  welchem 
die  Kirche  des  hl.  Michael  als  des  Schützers  am  Eingange,  wie 
in  Salzburg  und  in  byzantinischen  Kirchen  erbaut  wurde.  Man 
erkennt  diese  Punkte  in  der  heutigen  Stadt  noch  deutlich  am 
Zusammenlaufe  der  Straßen.  Und  noch  ein  zweitesmal,  wie  in 
unseren  Tagen,  wurden  die  Mauern  der  Stadt  im  13.  Jahrhundert 
herausgeschoben,  so  dass  Wien  damals  den  Umfang  annahm,  der 
bis  1858  von  den  Basteien  umschlossen  war. 


DAS  SPÄTE  MITTELALTER. 

Von 

Professor  D^-  Josef  Neuwirth. 


ST.  STEPHAN  IN  WIEN  UND  ST.  VEIT  IN  PRAG. 


angsam  begann  von  Frankreich  aus  die  Gothik 
ihren  Siegeszug  über  das  südwestliche  Deutsch- 
land hin  gegen  Osten;  ihr  schrittweises  Vor- 
wärtsdringen ließ  den  Wellenschlag  der  neuen 
Kunstweise  erst  verhältnismäßig  spät  die 
Gebiete  unseres  Kaiserstaates  bespülen.  Denn 
sie  hatte  bereits  die  Zeit  ihrer  vollsten  Blüte 

Abb.  26.  Büste  des  Meisters  erreicht,  als  man  ihr  in  der  Auflführung  groß- 
piigram  an  der  Kan2ei  des  artiger  Kircheubautcn  hier  huldigte  und  Ge- 
wiener  Stephansdomes,  iggenheit  zur  wirkungsvollsten  Verwendung 
ihrer  herrlichen  Mittel  bot.  Der  Natur  der  gothischen  Kunstent- 
wicklung entsprechend  äußerten  sich  im  österreichischen  Gebiete 
manchmal  wie  in  Böhmen  unmittelbar  französische,  vorwiegend  aber 
deutsche  Einflüsse,  was  sofort  ein  Blick  auf  zwei  der  bedeutendsten 
gothischen  Kirchenbauten,  auf  St  Veit  in  Prag  und  St.  Stephan  in 
Wien,  lehrt.  Dass  aber  die  Bauthätigkeit  der  österreichischen 
Länder  lebendigen  Antheil  hatte  an  der  organischen  Ausgestaltung 
des  Bauwesens  im  ganzen  deutschen  Reiche,  in  welcher  das  der 
kirchlichen  Schule  entwachsene  Laienthum  Genossenschaften  zu 
gründen,  die  Elemente  des  Baubetriebes  zunftmäßig  zu  bewahren 
und  zu  lehren  anfieng,  fand  eine  allseitig  anerkannte  Bestätigung 
in  der  Thatsache,  dass  die  1459  behufs  Regelung  des  Bauhütten- 
wesens in  Regensburg  tagenden  deutschen  Steinmetzen  Wien  als 
einen  der  vier  Vororte  in  Hüttenangelegenheiten  bestimmten.  Das 
war  das  beste  Zeugnis  für  den  in  der  Wiener  Bauhütte  herrschenden 
Geist,  als  dessen  großartigste  baukünstlerische  Verkörperung  der 
Dom  zu  St.  Stephan  in  Wien  betrachtet  werden  muss. 

Derselbe  stellt  sich  in  seinem  heutigen  Zustande  nicht  als  ein 
abgeschlossenes  Werk  einer  einzigen  Stilepoche  dar,  sondern  lässt 


QA  Josef  Neuwirth 

sogar  drei  Stilentwicklungsformen  an  seinem  gewaltigen  Aufbau 
theilhaben,  in  welchem  die  Dreiheit  zu  einer  bewundernswerten 
Einheit  vereinigt  erscheint  und  gewissermaßen  die  Einheit  des 
dreipersönlichen  Gottes,  für  dessen  würdige  Verehrung  der  fromme 
Sinn  verschiedener  Jahrhunderte  den  herrlichen  Dom  erstehen  ließ, 
gleichsam  mit  der  stummen  Sprache  der  Steine  zu  dem  ehrfurchts- 
vollen Beschauer  redet. 

Die  ältesten  Theile  des  Baues,  nämlich  das  bekannte  Riesen- 
thor nebst  der  Westfagade  bis  zu  dem  Gesimse  über  den  Rund- 
fenstern, gehören  der  letzten  Periode  des  romanischen  Stiles  an 
und  stammen  aus  dem  Anfange  des  13.  Jahrhundertes.  Nach  dem 
Brande  von  1258  erfuhr  die  dreischiffige,  mit  überhöhtem  MittelschiflFe 
ausgestattete  Anlage  eine  durchgreifende  Veränderung,  da  die  drei 
Apsiden  des  ursprünglichen  Abschlusses  einem  stark  ausladenden 
Querhause  mit  polygonal  schließendem,  ziemlich  weit  ausgedehntem 
Mittelchore  weichen  mussten,  während  an  der  Westfagade  von  dem 
genannten  Simse  an  die  achteckig  in  vier  Stockwerken  ansteigenden 
Heidenthürme  aufgeführt  und  die  Mittelschiffswölbungen  durch 
Einziehung  spitzbogiger  Kreuzgewölbe  erhöht  wurden.  1276  traf 
ein  neues  Brandunglück  das  wieder  hergestellte  Gotteshaus,  dessen 
Wölbungen  so  schwere  Beschädigungen  erlitten,  dass  man  den 
Neubau  des  Chores  bald  in  Angriff  nahm  und  unter  Albrecht  dem 
Weisen  im  Jahre  1340  vollendet  hatte.  1359  legte  Rudolf  IV.  den 
Grundstein  zum  weiteren  Ausbaue,  der  mit  der  Inangriffnahme  des 
mächtigen  Südthurmes  begann  und  nach  und  nach  die  einzelnen 
Theile  des  noch  für  den  Gottesdienst  verwendeten  Langhauses 
umfasste,  aber  gegen  das  Ende  des  15.  und  in  der  ersten  Hälfte 
des  16.  Jahrhundertes  verhältnismäßig  so  geringe  Förderung  erfuhr, 
dass  der  nördliche  Thurm,  an  dessen  Aufführung  man  nach  der 
1446  erfolgten  Einwölbung  des  Langhauses  1450  schritt,  nur  halb 
vollendet  wurde  (Abb.  27).  Denn  1562  gab  man  den  Gedanken  an 
den  Ausbau  dieses  Theiles  auf,  welchen  man  in  der  noch  heute 
erhaltenen  Form  abschloss. 

Haben  auch  die  folgenden  Jahrhunderte  dem  ehrwürdigen  Baue 
manche  Veränderung  zugefügt,  so  ist  doch  der  Hauptbestand  des- 
selben noch  unversehrt  erhalten  und  durch  die  geniale  Restauration 
des  Dombaumeisters  Friedrich  Freiherrn  von  Schmidt,  der  nach 
dem  Hofbaurathe  Sprenger  und  dem  Dombaumeister  Leopold  Ernst 


Das  späte  Mittelalter.  nc 

die  Wiederlierstellungsarbeiten  von  1862  an  leitete,  den  Südthurm 
1864  abschloss  und  nach  der  Vollendung  des  Äußern  seine  ganze 
fachmännische  Sorgfalt  dem  Inneren  widmete,  unserem  Zeitalter 
gewissermaßen  in  neuer  Schönheit  erstanden. 

Die  an  der  AuflFührung  des  Domes  betheiligten  Meister  sind 
erst  seit  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhundertes  bekannt.  Nächst 
dem  aus  Klostemeuburg  berufenen  Meister  Wencla,  der  auf  die 
Anlage  und  Leitung  des  Baues  den  meisten  Einfluss  gehabt  und 
bis  1404  der  Baufiihrung  vorgestanden  haben  soll,  erlangten  der 
1433  den  Südthurm  vollendende  Hans  von  Prachatitz  und  Hans 
Puchsbaum,  der  1446  das  Langhaus  einwölbte,  die  größte  Bedeu- 
tung für  die  Ausführung  des  Werkes,  an  welchem  auch  Ulrich 
Helbling,  Heinrich  Kumpf,  Christoph  Hörn,  Lorenz  Spenyng,  Lien- 
hart  Steinhauer  und  Georg  Khlaig  von  Erfurt,  Seyfrid  Künig  von 
Constanz,  Anton  Pilgram  u.  a.  arbeiteten. 

Die  ältesten  Partien  des  Stephansdomes  deuten  auf  Beziehungen 
zu  Regensburg;  denn  die  Anordnung  des  Riesenthores,  dessen 
Leibungen  mit  einem  ähnlichen  Säulenreichthume  wie  in  St.  Em- 
meram  in  Regensburg  ausgestattet  sind,  zeigt  besonders  in  den 
Rhomben-  und  Zickzackverzierungen,  in  den  mystischen  Thier- 
und  Menschengestalten  Anklänge  sowohl  an  St.  Emmeram,  als 
auch  an  St.  Jakob,  welches  als  Mutterhaus  des  Wiener  Schotten- 
klosters Einfluss  auf  die  Bauthätigkeit  Wiens  genommen  hat.  Steht 
St.  Stephan  schon  mit  diesem  Detail,  dessen  reiche  Ausschmückung, 
wie  ein  Blick  auf  die  Bauten  zu  Münchengrätz  in  Böhmen,  Tre- 
bitsch  in  Mähren,  St.  Jäk  in  Ungarn,  Wiener-Neustadt  u.  dgl. 
lehrt,  in  Österreich-Ungarn  nicht  ungewöhnlich  war,  auf  dem  Boden 
der  süddeutschen  und  besonders  der  Regensburger  Überlieferung, 
so  hat  es  gar  nichts  Auffallendes,  dass  auch  die  Zweitälteste  Partie 
das  besonders  in  Süddeutschland  verbreitete  System  der  drei- 
chörigen  Anlage  berücksichtigt.  Denn  wie  der  1275  begonnene 
Regensburger  Domchor  an  der  einfachen  deutschen  Chorbildung 
festhielt  und  die  mittlere  der  drei  aus  dem  Achteck  schließenden 
Chorkapellen  um  ein  Gewölbejoch  vorspringen  ließ,  so  musste 
jener  Meister,  welcher  nicht  viel  später  mit,  dem  Chorbaue  von 
St.  Stephan  in  Wien  betraut  wurde,  auf  dessen  Grundrissdisposition 
maßgebenden  Einfluss  gewann  und  die  dem  Regensburger  Dom- 
chorschlusse  entsprechende  Anordnung  wählte,  in  dem  für  Regens- 


q5  Josef  Neuwirth 

bürg  maßgebenden  Ideenkreise  seine  Ausbildung  empfangen  haben. 
Die  drei  nahezu  gleich  hohen  Schiflfe  des  mächtigen  Hallenbaues, 
dessen  einfache  Kreuzgewölbe  ansprechend  gegliederte,  schlanke 
Pfeiler  tragen,  erhalten  durch  hohe  viertheilige  Fenster  hinreichend 
Licht.  Es  war  gewiss  keine  kleine  Aufgabe,  diesen  ernsten  und 
würdigen  Chor,  dessen  Anlage  von  den  Verhältnissen  des  älteren 
Baues  abhängig  blieb,  mit  der  Westfa^ade  in  eine  gewisse  harmo- 
nische Verbindung  zu  bringen;  denn  die  Berücksichtigung  des 
Chores  und  der  Westfagade  band  dem  Meister  des  Langhauses  die 
Hände,  der  die  Kreuzform  des  Gotteshauses  nicht  durch  Einschal- 
tung eines  Querhauses  betonte,  sondern  nur  durch  zwei  in  die  Axe 
desselben  gestellte  Thürme  andeutete.  Da  die  Breitendimensionen 
gegeben  waren,  so  konnte  nur  darin  eine  gewisse  Freiheit  bethätigt 
werden,  dass  durch  Vergrößerung  der  Pfeilerabstände  die  Seiten- 
schiflFsjoche  des  Langhauses  quadratisch  wurden  und  statt  der  im 
Verhältnisse  zum  Chore  erforderlichen  6  Pfeilerpaare  nur  4  auf- 
gestellt zu  werden  brauchten.  Damit  verband  sich  die  Anordnimg 
zweier  Fenster  in  jedem  Gewölbejoche,  wodurch  die  Außenwand 
in  Pfeiler  aufgelöst  und  der  Druck  der  reichen  Netzwölbung  allein 
auf  die  wirkungsvoll  gegliederten  und  prächtig  belebten  Strebe- 
pfeiler übertragen  wurde.  Diese  reiche  Fenstereinstellung  erhöhte 
wie  der  edle  Zug  in  den  reichen  Formen  der  vollständig  in  freies 
Maßwerk  aufgelösten  prächtigen  Langhausgiebel  die  malerische 
Wirkung  des  Außenbaues.  Nicht  minder  reich  wurden  die  beiden 
im  Erdgeschosse  der  Thürme  eingestellten  Vorhallen  und  die  zwei 
SeitenschiflFsportale  des  Langhauses  ausgestattet;  ihr  plastischer 
Schmuck  hielt  sich  in  allen  Einzelheiten  auf  gleicher  Höhe. 

Die  Reinheit  der  Hallenanlage,  welche  in  der  nicht  viel  früher 
begonnenen  Kirche  des  Cistercienserstiftes  in  Zwettl  all  ihren 
charakteristischen  Reiz  bewahrt  hatte,  ist  auch  hier  in  höchst 
gelungener  Weise  zur  Geltung  gekommen.  Ihre  Anwendung  bei 
so  bedeutenden  Kirchenbauten  auf  österreichischem  Gebiete  lässt 
es  begreiflich  erscheinen,  dass  sie  hier  sich  rasch  ein  gewisses 
Heimatsrecht  erwarb.  Mag  auch  die  Verbindung  der  beiden 
Thürme  mit  dem  Kirchengebäude  nur  eine  lockere  sein,  indem 
dieselben  sich  nicht  so  sehr  organisch  aus  letzterem,  sondern  mehr 
selbständig  neben  letzterem  entwickelten,  so  bleibt  doch  der  voll- 
endete Südthurm  eine  nahezu  unvergleichliche  Meisterleistung  des 


Das  späte  Mittelalter.  q*^ 

gothischen  Thurmbaues;  die  Tendenz  pyramidaler  Zuspitzung  ist 
nur  in  äußerst  wenigen  Fällen  wieder  so  entschieden  und  gleich- 
mäßig durchgeführt  und  in  der  glänzenden  Durchbildung  des 
Aufbaues  gleich  glücklich,  wirkungsvoll  und  abwechslungsreich 
zum  Ausdrucke  gekommen.  Wie  die  Thürme  des  Regensburger 
oder  des  Kölner  Domes,  die  Thurmpyramiden  zu  Freiburg  i.  B. 
oder  Ulm  die  Umrisse  des  jeweiligen  Stadtbildes  beherrschen  und 
zu  den  charakteristischen  Eigenthümlichkeiten  desselben  gehören, 
so  blickt  auch  der  Thurm  des  Wiener  St.  Stephansdomes,  eines 
der  volksthümlichsten  Baudenkmale  unseres  ganzen  Kaiserstaates, 
wie  ein  idealem  Ziele  zustrebender  Gebieter  auf  das  Häusermeer 
der  Kaiserstadt  an  der  Donau,  das  ihm  gleichsam  in  stummer 
Huldigung  zu  Füßen  liegt  Seiner  gedenkt  selbst  der  schlichte, 
nur  vom  Hörensagen  damit  bekannte  Handwerker  oder  Landmann 
mit  bewundernder,  im  Banne  des  Gewaltigen  stehender  Scheu  und 
zugleich  mit  dem  überquellenden  Gefühle  vaterländischen  Stolzes. 
Gewiss  unterstützt  diese  Wirkung  besonders  auch  die  Thatsache, 
dass  an  kein  zweites  Bauwerk  Wiens,  das  ja  an  bewundernswerten 
Schöpfungen  der  Architektur  reich  ist,  so  viele  Erinnerungen  an 
bedeutende  weltgeschichtliche  Ereignisse  sich  knüpfen  und  z.  B. 
weit  über  die  Grenzen  unseres  Vaterlandes  die  Erinnerung  aller 
Gebildeten  an  diesem  Wahrzeichen  der  Christenheit  wie  an  einem 
Felsen  im  Meere  die  zweimal  vom  Osten  verheerend  anstürmende 
Flut  der  Türkenbedrängnis  zerschellen  lässt. 

Das  malerisch  Wirkungsvolle  des  Wiener  Stephansdomes, 
dessen  Aufbau  nicht  an  die  beschränkten  Grenzen  eines  bestimmten 
Schemas  gebunden  erscheint,  beruht  insbesondere  darin,  dass  die 
verschiedenen  Meister  mit  ebenso  viel  Glück  als  künstlerisch  fein- 
fühligem Verständnisse  dem  bereits  Ausgeführten  und  Geplanten  sich 
anzupassen  und  ihre  eigenen  Entwürfe  unterzuordnen  verstanden. 
Dadurch  wurde  bei  aller  Verschiedenheit  der  Anschauungen  ein  har- 
monisches Ganze  erreicht,  in  dem  der  ausklingende  Romanismus, 
reiche  und  späte  Gothik  gleich  beachtenswert  bleiben;  der  deutsche 
Hallenbau  weist  mit  Nachdruck  auf  die  Eigenart  der  künstlerischen 
Anschauungen  hin,  unter  deren  maßgebendem  Einflüsse  die  Aufiuh- 
rung  des  großartigsten  österreichischen  Baues  stand.  Haben  doch 
an  demselben  außer  heimischen  Arbeitern,  die  aus  Melk,  Pulkau, 
Krems,  Kremsmünster,  Liesing  kamen,  besonders  die  aus  deutschen 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  7 


Abb.  3$.     Die  Kanzel  im  Wiener  Stephansdotne. 


Das  späte  Mittelalter. 


99 


schmücken  die  Pfeiler  des  Langhauses;  unter  den  schönen  Grab- 
denkmälern ist  neben  der  erwähnenswerten  Tumba  Rudolfs  des  Stifters 
und  dem  einst  auf  den  Dichter  Neidhart  von  Reuenthal  bezogenen 
Baldachingrabe  die  bedeutendste  Leistung  das  großartige,  in 
rotheni  Marmor  ausgeführte  Grabmal  Kaiser  Friedrichs  III. ,  dessen 
Herstellung  dem  1467  berufenen  Nikolaus  Lerch  von  Leyden  über- 
tragen, aber  erst  1513  von  Michael  Dichter  vollendet  wurde.  Das 
groß  angelegte  und  reich  ausgestattete  Werk  bietet  außer  der  indi- 
viduell durchgebildeten  Porträtgestalt  des  Kaisers  an  den  Seiten  des 
Sarkophages  und  des  Unterbaues  zahlreiche  Reliefs  und  Heiligen- 
statuetten, deren  verschiedenwertige  Ausführung  auf  Antheilnahme 
von  Gesellen  hindeutet.  Hochachtbare  Leistungen  der  Holzschnitzerei 
lieferte  Meister  Veit  RoUinger  in  den  schönen  Chorstühlen  des 
Presbyteriums,  die  auf  Bekanntschaft  mit  den  großen  Arbeiten 
des  berühmten  Ulmer  Schnitzers  Syrlin  hindeuten,  während  Meister 
Heinrich  von  Wien  die  Apostelgestalten  des  1481  vollendeten  Tauf- 
steines in  einer  mehr  einheimischen,  aber  theilweise  von  Nikolaus 
Lerchs  Kunst  berührten  Vortragsweise  herausarbeitete.  Geradezu 
köstlich  in  seiner  Art  ist  der  Auf  bau  der  1512  vollendeten  Kanzel 
(Abb.  28),  deren  Brüstung  die  auch  sonst  bei  Kanzelbrüstungen  wieder- 
holt eingestellten,  hier  außerordentlich  lebendig  und  ausdrucksvoll 
behandelten  Kirchenväterbüsten  schmücken,  indes  den  prächtig 
aus  Holz  gearbeiteten  Schalldeckel  die  Darstellung  der  7  Sacra- 
mente  zieren;  gewisse  Anklänge  an  niederländisch-französische 
Arbeiten  haben  gerade  in  Wien  für  diese  Zeit  durchaus  nichts 
Auffallendes. 

Leicht  und  ansprechend  hat  Meister  Anton  Pilgram  von 
Brunn  die  herrliche  Kanzel  angeordnet,  unter  deren  Treppe  er 
an  dem  Pfeiler  seine  eigene,  höchst  charakteristisch  gearbeitete 
Büste  (Abb.  26)  einstellte.  Noch  mehr  Lebenswahrheit  und 
treffliche  Individualisierung  als  bei  letzterer  sind  bei  der  Büste  des 
Baumeisters  Jörg  Oechsel,  die  den  Orgelfuß  im  nördlichen  Seiten- 
schiffe schmückt,  zur  Geltung  gekommen.  Beide  Büsten  vermitteln 
in  höchst  gelungener  und  anziehender  Weise  die  Vorstellung  von 
der  persönlichen  Eigenart  zweier  um  den  Stephansdom  ver- 
dienten Meister. 

Gegenüber  dem  Reichthume  gothischer  Sculpturen  müssen 
die  im  Wiener  Stephansdome  erhaltenen  Überreste  der  gleichzeitigen 


jQQ  Josef  Neuwirth 

Malerei,  von  denen  die  Reste  des  Martinsaltares,  die  Madonna  des 
sogenannten  Speisaltares  und  Glasmalereien  besondere  Beachtung 
verdienen,  immerhin  spärlich  genannt  werden;  in  ihnen  kommt 
freilich  auch  nicht  im  entferntesten  künstlerische  Originalität  in 
solcher  Weise  wie  z.  B.  bei  dem  Friedrichsgrabmale  oder  der 
Kanzel  zum  Ausdrucke. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Ausführung  des  großartigen 
Baues,  welche  verschiedene  Generationen  mit  frommer  Opferfreudig- 
keit forderten  und  theilnahmsvoU  verfolgten,  der  verklärende  Hauch 
der  Sage  umspann  und  auch  St.  Stephan  in  Wien  zu  den  Bau- 
meistersagen des  deutschen  Mittelalters  sein  Scherflein  beisteuerte. 
Durch  die  an  Hans  Puchsbaum  und  Meister  Pilgram  anknüpfenden 
Sagen  klingt  der  Zug  der  Zeit,  welche  sich  noch  nicht  zum  vollen 
Bewusstsein  der  Macht  des  Genius  aufgeschwungen  hatte  und  die 
Vollendung  ungewöhnlicher  Werke  zunächst  der  Einwirkung  über- 
natürlicher Mächte  zurechnen  zu  dürfen  vermeinte. 

Inwieweit  diese  Auffassung  vielleicht  aus  der  vom  Schleier 
des  Geheimnisvollen  verhüllten  Organisation  der  Bauhütten  sich 
entwickelte,  deren  Mitglieder  Laien  gegenüber  im  Bannkreise  hoch- 
gehaltener Zunftüberlieferungen  standen,  ist  heute  noch  nicht  mit 
Sicherheit  zu  entscheiden,  da  die  Nachrichten  über  das  deutsche 
Bauhüttenwesen  und  seine  Vororte,  zu  denen  Wien  zählte,  noch 
kritischer  Prüfung  bedürfen.  Aber  lauter  als  die  immerhin  kargen 
Angaben  über  die  Bauführung  des  Stephansdomes  reden  die  Steine 
des  herrlichen  Gotteshauses,  dass  Wien  sich  seiner  führenden 
Stellung  im  Hüttenverbande  des  deutschen  Reiches  stets  würdig 
erwiesen  hat. 

Ein  fast  ebenso  inhaltsreiches  und  glänzendes  Capitel  in  der 
Geschichte  der  gothischen  Baukunst  füllt  die  Bauthätigkeit  Böhmens 
unter  den  Luxemburgern.  Unter  König  Johann  fasste  die  franzö- 
sische Richtung  im  Lande  festeren  Boden,  da  der  Prager  Bischof 
Johann  IV.  für  die  Inangriffnahme  der  Raudnitzer  Elbebrücke  und 
zur  Unterweisung  einheimischer  Werkleute  den  Meister  Wilhelm 
mit  drei  Genossen  von  Avignon  berief,  Markgraf  Karl  von  Mähren 
als  Böhmens  Statthalter  die  Hradschiner  Königsburg  nach  Art  des 
alten  Louvre  offenbar  durch  französische  Architekten  ausfuhren 
und  König  Johann  nicht  nur  gleichzeitig  in  Prag  viel  im  ,, franzö- 
sischen Stile**  bauen  ließ,  sondern  auch  die  Ausführung  des  neuen 


Abb.  jy.     Südseile  des  l'tagur  Veilsdomes. 


Das  späte  Mittelalter.  jOX 

Dombaues  dem  in  Avignon  aufgenommenen  Mathias  von  Arras 
übertrug.  Während  der  Regierung  Karls  IV.  und  Wenzels  IV. 
brach  sich  die  der  französischen  Gothik  so  nahestehende,  jedoch 
in  einer  deutschem  Fühlen  mehr  zusagenden  Weise  weiter  ent- 
wickelte Richtung  der  Kölner  Schule  breite  Bahn.  Wohin  man 
blickt,  überall  reiche,  umfassende  Bauthätigkeit!  In  der  Landes- 
hauptstadt und  ihrer  unmittelbaren  Umgebung  erstanden  die  Klöster 
der  Karthäuser,  Karmeliter,  Serviten,  der  Benedictiner  zu  Emaus 
und  St.  Ambros,  der  Augustinerchorherren  in  Karlshof,  der  Nonnen 
zu  St.  Katharina,  die  Collegiat-Kirche  St.  Apollinar,  die  Teyn- 
kirche,  die  Stephans-,  Michaels-,  Heinrichs-,  Egidius-  und  Jakobs- 
kirche, die  großartige  Karlsbrücke  und  die  über  den  Rücken  des 
Laurenziberges  sich  hinziehende  Hungermauer.  Auf  dem  Lande 
blieb  man  hinter  Prag  nicht  zurück;  König,  Adel,  Geistlichkeit 
und  Bürgerthum  wetteiferten  gleichsam  in  der  AuflEuhrung  prächtiger 
Bauten.  Hochragende,  theils  noch  erhaltene,  meist  aber  verfallene 
Burgen,  wie  Karlstein,  Schreckenstein,  Maidstein,  strebten  ebenso 
stolz  wie  die  großen  Pfarrkirchen  der  wohlhabenden  Städte  Kutten- 
berg, Kolin,  Königgrätz,  Nimburg,  Pilsen  oder  Prachatitz  gegen 
Himmel,  die  Klosteranlagen  der  Cistercienser  in  Hohenfurt,  König- 
saal und  Skalitz,  der  Augustinerchorherren  in  Raudnitz,  Wittingau, 
Jaromöi*  und  Rokytzan,  der  Minoriten  in  Eger,  Krummau  und 
Neuhaus  giengen  gleich  vielen  anderen  der  Vollendung  entgegen. 
Die  prächtigen  Erker  des  Altstädter  Rathhauses  und  des  Carolinums 
in  Prag,  die  Reste  verschiedener  Befestigungsanlagen  und  Nach- 
richten über  Bürgerhäuser  vermitteln  eine  klare  Vorstellung  von 
dem  Antheile,  welchen  die  Kunst  an  der  Ausschmückung  des 
Profanbaues  hatte. 

Die  großartigste  Bauleistung  der  Luxemburgerzeit  bleibt  der 
St.  Veitsdom  in  Prag  (Abb.  29),  zu  welchem  am  21.  November  1344 
noch  König  Johann  den  Grundstein  legte.  Die  Vollendung  des 
Chores  erfolgte  erst  1385  unter  Wenzel  IV.,  während  dessen  Re- 
gierung 1392  der  Bau  des  Langhauses  in  AngriflF  genommen  wurde. 
Seit  den  Husitenkriegen  ruhte  die  Fortführung  des  Werkes,  dessen 
Fertigstellung  erst  Wladislaw  IL,  welcher  durch  seinen  Baumeister 
Benedict  Rieth  das  spätgothische  Oratorium  einbauen  ließ,  wieder 
seit  1509  ins  Auge  fasste;  doch  trat  bald  abermals  neuer  Stillstand 
ein.    Es  war  wenigstens  ein  Glück,  dass  die  verschiedenen  Repara- 


JQ2  Josef  Neuwirth 

turen,  die  namentlich  nach  dem  Hradschiner  Brande  von  1541  und 
nach  der  Verwüstung  des  Domes  durch  die  Calvinisten  im  Jahre 
1619  nöthig  geworden  waren,  rasch  ausgeführt  wurden.  Der  Ge- 
danke, den  Dom  zu  vollenden,  tauchte  unter  Leopold  I.  wieder 
auf,  welcher  am  3.  September  1673  eigenhändig  den  Grundstein 
zum  Ausbaue  legte.  Da  aber  die  Türkenkriege  alle  verfügbaren 
Geldmittel  zu  verschlingen  begannen,  so  gerieth  das  rasch  empor- 
steigende Werk  neuerdings  ins  Stocken  und  wurde  bald  ganz  ein- 
gestellt. Ebenso  wenig  als  diese  Versuche  führte  die  Ausarbeitung  von 
Plänen,  die  der  Prager  Erzbischof  Ferdinand  Graf  von  Kuenburg  für 
den  Weiterbau  des  Domes  entwerfen  ließ,  zur  Vollendung  des  Werkes. 
Die  Erfolglosigkeit  aller  dem  Domausbaue  geltenden  Bestrebungen 
bewahrte  den  großartigsten  Kirchenbau  Böhmens  vor  dem  Geschicke, 
im  Geiste  anderer  Stilideen,  neben  welchen  das  Verständnis  der 
Gothik  keinen  Platz  mehr  hatte,  fortgeführt  zu  werden.  So  ist 
es  als  ein  Glück  zu  bezeichnen,  dass  der  Ausbau  des  Prager  Domes 
erst  unserem  Jahrhunderte  vorbehalten  blieb,  in  welchem  das 
Interesse  für  den  gothischen  Stil  gerade  in  Osterreich  durch  die 
Schöpfungen  hochbegabter  Meister  neuerlich  belebt  wurde,  und 
unter  der  fachmännisch  tüchtigen  und  äußerst  gewissenhaften 
Leitung  des  Dombaumeisters  Jos.  Mocker  rüstig  vorwärts  schreitet. 

Was  an  dem  Prager  Dome  fertiggestellt  und  für  gottesdienst- 
liche Zwecke  in  Verwendung  ist,  wurde  nahezu  ausschließlich 
zwischen  1344  bis  1419  aufge;führt.  Es  ist  das  Werk  der  Dombau- 
meister Mathias  von  Arras  (1344 — 1352),  Peter  Parlers  von  Gmünd 
(bis  1397),  seines  Sohnes  Johann  (bis  1406)  und  des  1418  genannten 
Steinmetzen  Peter.  Die  beiden  ersteren  haben  für  den  Dombau 
die  größte  Bedeutung;  denn  von  Meister  Mathias  stammt  der  den 
Charakter  der  Anlage  bestimmende  Plan,  indes  Peter  Parier  den 
Bau  mehr  als  40  Jahre  geleitet  hat  und  auch  sein  Sohn  das  Werk 
offenbar  in  seinem  Sinne  fortführte.  Der  Antheil  der  beiden  ersten 
Dombaumeister  lässt  sich  dem  entsprechend  auch  mit  ziemlicher 
Sicherheit  abgrenzen. 

Dem  Geiste  der  französischen  Gothik,  in  welchem  Mathias 
von  Arras  herangewachsen  war,  entstammt  der  Gedanke  einer  fünf- 
schiffigen  Anlage  mit  mäßig  ausladendem  Querhause  und  einem 
aus  fünf  Zehneckseiten  gezogenen  Chorschlusse,  den  ein  Kranz 
fünf  radianter  Kapellen  umgibt.    Der  Chor  bis  zur  unteren  Gallerie, 


Das  späte  Mittelalter.  jO'Z 

der  in  allen  Fenstern  die  gleichen  Maßwerksmotive  bietende, 
niedrige  Kapellenkranz  ist  vom  Meister  Mathias  erbaut,  welcher 
die  Chorumgangspfeiler  streng  und  einfach  gliedert,  plastischen 
Schmuck  und  malerische  Reize  meidet,  die  Profile  etwas  ängstlich 
zeichnet  und  in  einer  gewissen,  selbst  des  kräftigen  Wechsels  von 
Licht  und  Schatten  sich  begebenden  Nüchternheit  zumeist  nur 
das  Nothwendige  und  Regelmäßige  berücksichtigt. 

Wie  anders  der  zweite  Dombaumeister,  der  aus  Gmünd  in 
Schwaben  berufene  Peter  Parier!  In  seiner  Art  steckt  rasch  pul- 
sierendes Leben,  Erfindungsgabe,  Virtuosität  des  Vortrages,  Viel- 
seitigkeit und  Kühnheit;  mit  vollen  Händen  streut  er  aus  dem 
überreichen  Schatze  seiner  Begabung.  Seine  Neigung  für  die  Be- 
tonung schlanker  Verhältnisse  tritt  klar  in  dem  hoch  aufsteigenden 
Chore  über  dem  breit  hingelagerten  Kapellenkranze  zutage;  ein 
Wald  von  Strebepfeilern  mit  dünnen  Fialen  baut  sich  um  denselben 
auf.  Doppelte  Strebebogen  schlagen  sich  zum  Chorraume  hinüber, 
welchem  durch  die  sechstheiligen  großen  Oberlichter  mit  reichem 
Maßwerke  eine  wundersame  Lichtfülle  zuströmt,  zierliche  Spitz- 
giebel und  fein  durchbrochene,  mit  Fialen  geschmückte  Gallerien, 
originelle  Wasserspeier  und  gut  gearbeitete  Steindecoration  lassen 
es  fast  vergessen,  dass  nicht  überall  Einheit  und  Reinheit  gewahrt 
und  bereits  der  langgezogenen  Fischblase  des  spätgothischen  Maß- 
werkes das  Wort  gegönnt  ist. 

Aber  Peter  Parier  bewährte  im  Oberbaue  von  St.  Veit  nicht 
nur  seine  ungemeine  Kühnheit  der  Construction,  sondern  auch  in 
der  Ausstattung  des  Äußern  und  des  Innern  seine  Meisterschaft 
auf  plastischem  Gebiete.  Von  seiner  Hand  stammen  das  für  die 
Wenzelskapelle  fein  gearbeitete  Standbild  des  heil.  Wenzel,  die 
Grabdenkmale  Pf*emysl  Ottokars  I.  und  IL,  einige  der  Heiligen- 
büsten, die  am  Chorschlusse  außen  als  Tragsteine  angeordnet  sind, 
und  mehrere  der  Porträtbüsten  auf  der  Triforiumsgallerie.  Die  zu- 
letzt erwähnten  Büsten,  ausgezeichnet  durch  nati^rtreue,  individuelle 
Behandlung,  meist  lebenswahr  und  frei  von  schablonenmäßiger  Auf- 
fassung, sind  die  originellste  Porträtsammlung  der  Gothik,  welche 
die  Züge  der  für  die  Dombauförderung  wichtigsten  Personen  des 
Herrscherhauses,  der  drei  ersten  Erzbischöfe,  der  fünf  Dombau- 
inspectoren  und  der  zwei  ersten  Dombaumeister  der  Nachwelt  über- 
lieferte. Erwägt  man,  dass  Peter  Parier  auch  das  vernichtete  Chor- 


J04.  Josef  Neuwirth 

gestühl  des  Domes  anfertigte  und  die  Herstellung  anderer  plasti- 
scher Arbeiten,  wie  der  Tumbendeckel  für  die  Herzogsgräber  über- 
wachte, so  ergibt  sich  die  Gewissheit,  dass  dem  überwältigenden 
Eindrucke  des  Prager  Domes  der  Stempel  seines  Genius  in  allen 
Theilen  aufgedrückt  war. 

Zur  plastischen  Ausstattung  gesellte  sich  auch  reicher  male- 
rischer  Schmuck,  dessen  spärliche  Überreste  sich  an  einigen  Kapellen- 
wänden erhielten.  Deutlich  erkennbar  sind  nur  die  unteren  Wand- 
malereien der  Wenzelskapelle,  auf  fein  gemustertem  Goldgrunde, 
in  welchen  1372  bis  1373  geschliffene  Halbedelsteine  eingesetzt 
wurden,  wahrscheinlich  durch  den  vom  Dombauamte  beschäftigten 
Meister  Oswald  ausgeführt;  sie  behandeln  die  Leidensgeschichte 
Christi.  Venetianische  Mosaikarbeiter  vollendeten  1 37 1  über  dem  drei- 
theiligen  Südportale  die  jetzt  abgenommene  große  Mosaikdarstellung 
des  jüngsten  Gerichtes,  bei  welchem  gleichsam  als  Fürbitter  die 
sechs  Landespatrone  Böhmens  erscheinen,  ein  von  den  Zeitgenossen 
vielfach  bewundertes  Werk. 

Auch  die  Kleinkunst  hatte  einen  bedeutenden  Antheil  an  der 
Ausschmückung  des  Veitsdomes.  Die  Thüre  zur  Wenzelskapelle 
und  jene  für  das  Sacramentshäuschen  in  derselben  lassen  noch  heute 
den  feinen  Geschmack  der  Schmiedearbeit  bewundern,  und  der  trotz 
zahlreicher  Unfälle  immerhin  sehr  bedeutende  Reichthum  des  Dom- 
schatzes an  Reliquiarien  aller  Art  und  kostbaren  Kirchenausstattungs- 
gegenständen vermittelt  einen  zuverlässigen  Rückschluss  auf  die 
Opferwilligkeit  der  Gläubigen  aller  Bevölkerungsschichten,  die  das 
Kostbarste  zur  Ehre  des  Höchsten  opferten.  Viele  dieser  Stücke 
sind  einheimische  Werke,  von  den  Mitgliedern  des  Herrscherhauses 
gespendet  und  durch  die  damals  zahlreichen,  bereits  in  festorgani- 
siertem Zunftverbande  lebenden  Goldschmiede  Prags  gearbeitet 
Eines  derselben  erweist  sich  nach  dem  Werkzeichen,  das  sich  auf 
dem  Schmelzgrunde  des  Monstranzfußes  befindet,  als  eine  Schenkung 
des  Dombaumeisters  Peter  Parier  und  zeigt  in  höchst  interessanter 
Weise  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Architektur  und  Gold- 
schmiedekunst, welch  letztere  gern  die  schönsten  und  wirksamsten 
Motive  jener  für  ihre  Schöpfungen  verwendete.  Gerade  diese  That- 
sache  beleuchtet  aufs  deutlichste  den  weitgehenden  Einfluss,  welchen 
die  Anschauungen  des  nahezu  ein  halbes  Jahrhundert  in  Böhmen 
hervorragend  thätigen  zweiten  Dombaumeisters  auf  das  Kunstleben 


Das  späte  Mittelalter.  jor 

des  Landes  gewannen;  in  ihrem  Banne  standen  Architektur,  Plastik 
und  Goldschmiedekunst  und  zollten  in  der  Eigenart  ihrer  Entwick- 
lung dem  Genius  des  deutschen  Künstlers  reichlich  den  Tribut 
dankbarer  Zusammengehörigkeit. 

Die  AuflEiihrung  eines  so  großartigen  Domes  und  die  voll- 
endet künstlerische  Ausstattung  desselben  nach  jeder  Richtung  war 
insbesondere  durch  die  vortreffliche  Regelung  des  ganzen  Baubetriebes 
ermöglicht,  über  welchen  die  erhaltenen  Dombaurechnungen  aus 
den  Jahren  1372  bis  1378  die  zuverlässigsten  Aufschlüsse  geben, 
so  dass  man  eine  vollständig  klare  Vorstellung  von  der  Bauführung 
eines  großen  mittelalterlichen  Domes  erhält.  Administration  und 
technische  Leitung  waren  vollständig  getrennt. 

Die  erstere  besorgte  das  Dombauamt,  für  welches  der  Bauherr 
—  nämlich  der  Erzbischof  mit  dem  Capitel  —  aus  der  Domgeistlich- 
keit einen  Bauinspector  und  einen  Bauschreiber  ernannte.  Als 
Bauinspectoren  waren  bis  zu  dem  Husitensturme  Busco,  Nikolaus 
von  Holubecz,  Benesch  von  Weitmil,  Andreas  Kotlik,  Jaklinus 
und  Wenzel  von  Radecz  thätig.  Sie  nahmen  die  Geldsummen  in 
Empfang,  welche  Ablässe,  Vermächtnisse,  Strafgelder  der  Geist- 
lichen und  Laien,  sowie  eigens  veranstaltete,  besonders  von  der 
Geistlichkeit  geförderte  Sammlungen  dem  Dombaufonde  zuführten, 
bezahlten  davon  alle  beim  Dombaue  beschäftigten  Arbeiter  und 
sorgten  für  die  Beistellung  aller  Materialien  und  Geräthe,  wobei 
ihnen  als  Rechnungsführer  und  Stellvertreter  der  Bauschreiber, 
als  untergeordnete  Aufsichtsorgane  der  Hüttenaufseher  und  Hütten- 
knecht zur  Seite  standen.  Die  genaue  Buchung  aller  Posten  und 
die  in  der  Bestallungsformel  der  Dombauinspectoren  betonte  Pflicht 
der  Rechnungslegung  vor  dem  Bauherrn  zeugt  von  der  strammen 
Organisation  des  Dombauamtes,  das  für  die  technische  Leitung  des 
Werkes  vertragsmäßig  einen  geeigneten  Architekten  bestellte. 

Derselbe  stand  an  der  Spitze  der  Dombauhütte,  die  ungefähr 
an  der  Stelle  der  heutigen  errichtet  und  für  die  Winterarbeit  auch 
mit  einem  heizbaren  Räume  versehen  war.  Den  Dombaumeister, 
der  gleichzeitig  auch  andere  Bauten  leitete,  vertrat  der  vertrags- 
mäßig aufgenommene  Parlier;  unter  seiner  Aufsicht  arbeiteten  die 
Steinmetzen,  welche  aus  allen  Gegenden  Deutschlands,  aus  Oster- 
reich, Polen  und  Ungarn  zuwanderten  und  nur  zum  geringen 
Theile  aus  Böhmen  selbst  stammten.    Dieser  Umstand  verbürgt  im 


I06  Josef  Neuwirth 

Vereine  mit  der  Thatsache,  dass  der  den  meisten  EinHuss  übende 
Meister  deutscher  Herkunft  war  und  in  deutschen  Bauhütten  seine 
Ausbildung  und  frühere  Beschäftigung  gefunden  hatte,  das  ent- 
schiedene Vorwalten  der  deutschen  Gothik,  wie  sie  die  Kölner  Hütte 
aus  französischen  Vorbildern  selbständig  weiter  entwickelt  hatte. 
Die  Bezahlung  der  Steinmetzen,  deren  Zahl  meist  zwischen  lo  und 


Abb.  30.     Büste  Karls  IV.  auf  der  Trifolium sgallerie  des  Prager  Domes. 

20  schwankte,  manchmal  aber  noch  höher  stieg,  erfolgte  nach  der 
genau  auf  den  Zoll  abgemessenen  Arbeit  der  einzelnen  Werkstücke, 
für  welche  wie  in  Wien  feste  Lohnsätze  aufgestellt  waren,  so  dass 
eigentlich  jeder  Arbeiter  selbst  mit  dem  Maßstabe  des  eigenen 
Fleißes  die  Höhe  seines  Einkommens  regelte;  nur  für  den  Dom- 
baumeister war  der  Wochenlohn  mit  56,  für  den  Parlier  im  Sommer 


Das  späte  Mittelalter.  107 

mit  20  und  im  Winter  mit  16  Groschen  vertragsmäßig  festgesetzt, 
während  der  zuletzt  Genannte  in  Wien  1404  wöchentlicli  16  Gr. 
2  Pfnn.,  1430  aber  schon  1  Pfund  23  Pfnn,  bezog. 


Abb.  31.    BGate  der  Gemahlin  Karls  IV.  auf  der  TriforinmsKallerie  des  Prager  Domes. 

Sollte  das  Werk  gedeihen,  so  mussten  das  Dombauamt  und 
die  technischen  Leiter  des  Baues  auch  Hand  in  Hand  gehen;  das 
scheint  thatsächlich  zumeist  der  Fall  gewesen  zu  sein.  Welch 
bemerkenswerte  Anerkennung  des  ersprießlichen  Zusammenwirkens 
beider  liegt  darin,  dass  auf  der  Triforiumsgallerie,  für  deren  Aus- 
schmückung der  dankbare  Bauherr  die  Porträtbüsten  aller  für  die 


Io8  Josef  Neuwirth 

Förderung  des  Dombaues  wichtigen  Personen  bestimmte,  neben 
den  Mitgliedern  des  Herrschergeschlechtes  (Abb.  30  u.  31)  und  den 
Erzbischöfen  die  Dombauinspectoren  außer  Jaklinus  und  die  beiden 
ersten  Dombaumeister  als  in  gleicher  Weise  des  Gedenkens  der 
Nachwelt  wert  hingestellt  wurden!  Der  bedeutungsvollen  Thätig- 
keit  der  administrativen  und  technischen  Leiter  des  Dombaues 
konnte  kein  schöneres  Zeugnis  ausgestellt  werden,  das  gleichzeitig 
feinsinnig  die  Macht  des  Genius  in  dem  Künstler  ehrte  und  jener 
weltlicher  und  geistlicher  Fürsten  gewissermaßen  gleichstellte,  da 
die  Baumeisterbüsten  nicht  wie  anderwärts  an  untergeordneten 
Orten  gleichsam  eingeschmuggelt,  sondern  an  hervorragender  Stelle 
als  den  Großen  der  Erde  vollständig  gleichberechtigt  bezeichnet 
wurden.  Das  bezeugt  mit  der  Thatsache,  dass  Karl  IV.  seine 
eigenen  Hofmaler,  Hofgoldschmiede  und  Steinschleifer,  sowie 
Wenzel  IV.  seine  besonderen  Maler,  Illuminatoren,  Baumeister 
u.  a.  bestellte,  die  unter  den  Luxemburgern  in  Böhmen  sich  stetig 
mehr  entwickelnde  Bedeutung  der  Künstlerindividualität,  die  man 
durch  Ehrenauszeichnungen  und  materielle  Begünstigungen  der 
verdienten  Anerkennung  zu  versichern  suchte. 

Nur  so  vortreffliche  allgemeine  Verhältnisse  der  Bauführung 
und  ein  so  zielbewusstes  Zusammenwirken  aller  betheiligten  Kräfte 
ermöglichten  die  Herstellung  des  großartigen  Dombaues,  dessen 
Erhaltung  und  Denkmale  stets  die  Fürsten  unseres  Allerhöchsten 
Herrscherhauses  interessierten.  Ferdinand  L,  der  1535  dem  Dombaue 
bestimmte  Einnahmen  zuwies,  ließ  durch  Bonifaz  Wohlgemuth 
und  Hans  Tirol  die  Herstellung  des  Domes  nach  dem  Brande  von 
1541  durchführen  und  eine  kostbare  Orgel  aufstellen;  ebenso  sorgte 
Rudolf  II.,  unter  welchem  das  von  dem  berühmten  Alexander 
Colin  gearbeitete  Grabmal  Ferdinands  I.,  seiner  Gemahlin  Anna 
und  Maximilians  II.  aufgestellt  wurde,  Ferdinand  II.  und  die  große 
Kaiserin  Maria  Theresia  hochherzig  für  die  Behebung  der  Beschädi- 
gimgen  und  die  Instandhaltung  des  Domes,  dessen  Ausbau  unter 
persönlicher  Theilnahme  Leopolds  I.  in  Angriff  genommen  wurde. 
Die  oberen  Bilder  der  Wenzelskapelle,  welche  die  Legende  des 
heil.  Wenzel  behandel«,  aber  später  vollständig  überarbeitet  wurden, 
interessierten  den  kunstsinnigen  Erzherzog  Ferdinand  von  Tirol 
derart,  dass  der  mit  seiner  Unterstützung  ausgebildete  Mathias 
Hutsky  von  Pürglitz  die  in  den  kunstgeschichtlichen  Sammlungen 


Das  späte  Mittelalter.  jOQ 

des  Allerhöchsten  Kaiserhauses  heute  noch  aufbewahrten  Copien 
anfertigte.  Und  wie  der  Beginn  des  Prager  Dombaues  unter  dem 
Stern  eines  kunstsinnigen  Herrschers  stand,  der  das  von  der  Geist- 
lichkeit so  verständnisvoll  betriebene  Werk  in  hochherziger  Frei- 
gebigkeit förderte,  so  geht  unter  einer  dem  Kunstschaffen  unseres 
Vaterlandes  nicht  minder  freundlichen  Regierung  der  großartige 
Bau  nach  Jahrhunderte  langer  Unterbrechung  seiner  Vollendung 
allmählich  entgegen. 


KARI.STEIN  IN  BÖHMEN  UND  RUNKELSTEIN 

IN  TIROL,  ZWEI  BURGEN. 

Kein  weltlicher  Fürst  des  14.  Jahrhundertes  kann  sich  in 
hochsinniger  Förderung  der  Kunst  mit  Karl  IV.  messen.  Zeigte 
sich  dieselbe  auch  an  verschiedenen  Orten  iseines  weiten  Reiches, 
zu  Ingelheim  oder  Nürnberg  nicht  minder  als  zu  Breslau  oder 
Tangermünde,  in  bemerkenswerter  Weise,  so  erstreckte  sie  sich 
doch  in  keinem  anderen  Lande  derart  wie  in  Böhmen  auf  alle 
Gebiete  des  Kunstschaffens,  denselben  mit  der  Berufung  und  Be- 
schäftigung auswärtiger  Meister  neue,  befruchtende  Ideen  zuführend. 
Fremde  Baumeister  und  Steinmetzen,  Erzgießer,  Maler,  Mosaik- 
arbeiter und  Goldschmiede  kamen  ins  Land  und  fanden  bei  der  Er- 
bauung und  Ausstattung  der  Kirchen,  Klöster,  der  Burgen  und 
Bürgerhäuser  reichlich  lohnende  Arbeit,  wodurch  das  Sesshaftwerden 
der  Fremden  und  die  fortschreitende  Organisation  der  für  die  Kunst- 
pflege wichtigen  Zünfte  nicht  wenig  gefördert  wurde.  Diese  beiden 
Umstände  mussten  im  Vereine  mit  der  für  das  Land  so  ruhigen 
Regierung  die  Herausbildung  bestimmter,  das  Kunstschaffen  im 
allgemeinen  beeinflussender  Anschauungen  ermöglichen,  deren  Be- 
rücksichtigung bei  Bauten,  Bildwerken  und  Arbeiten  der  Klein- 
kunst heute  noch  die  einzelnen  Denkmale  als  dem  Ideenkreise 
der  Kunstübung  Böhmens  unter  Karl  dem  IV.  zugehörig  bezeichnen 
lässt ;  die  Kunst  dieses  Landes  hat  während  der  genannten  Epoche 
hervorragende  Bedeutung  für  die  Kunstgeschichte  im  allgemeinen. 

Kein  Wunder,  dass  an  den  Namen  des  Herrschers,  unter 
welchem  ein  goldenes  Zeitalter  der  Kunst  für  Böhmen  hereinbrach, 
hochbedeutende,  noch  bestehende  Baudenkmale  ganz  eigener  Art 
anknüpfen !  Karlshof  mit  seiner  einzig  dastehenden  Kuppel  über 
dem  Achteck  des  Kirchenhauses,  die  vielbewunderte  Karlsbrücke, 
welche  theilweise  der  Überschwemmungskatastrophe  des  Septembers 
1890  zum   Opfer  fiel,    und  die    eben  dem   Abschlüsse  einer  voll- 


Das  späte  Mittelalter.  XII 

kommen  sachverständigen  Restauration  nahe  Burg  Karlstein  be- 
leben schon  mit  dem  bloßen  Namen  selbst  in  weiten  Schichten 
des  Volkes  das  gesegnete  Andenken  des  kunstsinnigen  Fürsten. 

Am  lo.  Juni  1348  ließ  derselbe  durch  den  Prager  Erzbischof 
Ernest  von  Pardubitz  auf  einem  mächtigen  Felsen  in  einer  male- 
rischen Seitenschlucht  des  Beraunthales  den  Grundstein  zu  einer 
Burg  legen,  welche  nach  der  am  Tage  der  Einweihung  des  Baues 
(27.  März  1357)  getroflFenen  Verfügung  zur  Erhöhung  der  Erinnerung 
an  den  königlichen  Erbauer  nach  seinem  Namen  Karlstein  benannt 
werden  sollte.  Zugleich  wurde  die  Burg  zur  Aufbewahrungsstätte 
der  deutschen  Reichskleinodien,  wertvoller  Reliquien  und  der 
wichtigsten  Urkunden  sowie  zur  Wohnung  des  Kaisers  ausersehen, 
wenn  derselbe  einsam  und  zurückgezogen  vom  Welttreiben  sich 
dem  Gebete  und  frommen  Andachtsübungen  hingeben  wollte. 

Die  ausgedehnte  Anlage  zerfallt  in  vier  selbständige  Theile. 
Durch  das  Thor  des  Vorwerkes  gelangt  man  zur  Vorburg,  deren 
Gebäude  der  Burggraf  und  die  Lehnritter  benutzten,  wodurch 
manche  Änderung  des  Innern  erfolgte ;  durch  einen  gedeckten 
Gang  stehn  dieselben  mit  dem  malerischen  Brunnenthurme  auf 
dem  Westvorsprunge  des  Burgberges  in  Verbindung.  Der  östlich 
von  der  Vorburg  liegende  Palas,  dessen  beide  Untergeschosse  zu 
Stallimgen,'Vorrathsräumen  und  Dienerwohnungen  benutzt  wurden, 
enthält  über  der  Nikolauskapelle  die  im  vierten  und  fünften  Ge- 
schosse befindlichen  kaiserlichen  Wohnräume,  deren  Verbindungs- 
treppe in  dem  östlich  angelehnten,  auch  die  Altarräume  der  Nikolaus- 
und  der  Privatkapelle  des  Kaisers  enthaltenden  Halbthurme  ein- 
geordnet ist.  Von  dem  kaiserlichen  Schlafgemache  aus  war  das 
an  den  Palas  anstoßende  Wohnhaus  der  vier  Canonici  zugänglich; 
vom  Palas  führte  eine  jetzt  erneuerte  Verbindungsbrücke  in  die 
höher  liegende  CoUegiatkirche,  deren  Erdgeschoss  Gefängnisräume 
enthielt,  so  dass  der  über  der  Dechantswohnung  liegende  Kirchen- 
raum erst  im  zweiten  Stocke  angeordnet  ist.  In  der  Mauerdicke 
der  südlichen  Kirchenwand   ist  die  Katharinakapelle  ausgespart. 

Wie  Vorburg,  Palas  und  CoUegiatkirche  eine  durch  Befesti- 
gungswerke geschützte,  selbständige  Anlage  bilden,  so  ist  auch 
der  auf  dem  Gipfel  des  Burgfelsens  mächtig  ansteigende  Haupt- 
thurm  durch  eine  mit  fünf  Wachhäusern  besetzte  Mauer  befestigt. 
Im  dritten  Thurmgeschosse  liegt  die  berühmte  Kreuzkapelle,    zu 


112  Josef  Neuwirth 

welcher  das  südlich  vorgebaute  Treppenhaus  emporführt,  indes 
die  beiden  unteren  Geschosse  nur  schmucklose,  mit  Kreuzgewölben 
versehene  Gemächer  enthalten  und  die  zwei  obersten  Geschosse 
durch  eine  wie  bei  der  Collegiatkirche  im  Mauerkörper  eingelassene 
Treppe  zugänglich  werden. 

Diese  gedrängte  Angabe  der  wichtigsten  Bestandtheile  der 
ausgedehnten  Burganlage  und  ihrer  Anordnung  zeigt,  da  die 
Burgen  durchschnittlich  meist  eine  Kapelle  und  nur  ausnahms- 
weise wie  in  Eger  eine  Doppelkapelle  hatten,  sofort  auf  eine  ganz 
besondere  Bestimmung  des  Baues,  welcher  außer  der  im  Palas 
liegenden  Privatkapelle  des  Kaisers  noch  drei  Kapellen  und  eine 
selbständige  Collegiatkirche  umfasste  und  auch  zur  Aufbewahrung 
von  Reliquien  dienen  sollte.  Das  verleiht  der  befestigten  Burg 
einen  stark  betonten  kirchlichen  Zweck  und  macht  dieselbe  zugleich 
zu  einer  geheiligten  Stätte.  Diese  Absonderlichkeit  der  Anlage 
und  Verwendung  lässt  auch  auf  ein  bestimmtes  Vorbild  schließen, 
in  welchem  mit  der  durch  Befestigungswerke  geschützten  Residenz 
sich  eine  ausgesprochen  kirchliche  Bestimmung  verband.  Das  war 
bei  der  Papstburg  in  Avignon  der  Fall,  welche  Karl  IV.  bei  seinen 
Besuchen  am  päpstlichen  Hofe  kennen  gelernt  hatte  und  als  mäch- 
tigster weltlicher  Herrscher  der  Christenheit  in  seinem  Erblande 
nachzubilden  befahl.  Zur  Ausführung  des  Werkes  konnte  kein 
erfahrenerer  Meister  gefunden  werden  als  der  von  Avignon  berufene 
erste  Prager  Dombaumeister  Mathias  von  Arras,  der  ja  den  Muster- 
bau genau  kannte  und  wahrscheinlich  sogar  selbst  bei  der  Voll- 
endung desselben  beschäftigt  gewesen  war  ;  nach  seinem  Tode  führte 
den  Karlsteiner  Bau  ein  nicht  näher  bekannter  Architekt,  jedoch 
sicher  nicht  Peter  Parier  zuende. 

Ist  auch  die  Anlage  der  verschiedenen  Gebäude  die  ursprüng- 
liche, so  hat  sich  doch  nur  in  wenigen  Räumen  die  kunstgeschicht- 
lich hochinteressante  Anordnung  und  Ausstattung  erhalten.  Wich- 
tiger als  die  cassettierten  Holztäfelungen  und  die  Reste  des  glasierten 
Fliesenbelages  im  Palas,  dessen  kaiserliche  Privatkapelle  stark 
beschädigte  und  nur  theilweise  genauer  kenntliche  Wandmalereien 
bietet,  sind  die  Räume  der  Collegiatkirche  und  der  Katharinakapelle. 
Die  Wände  der  ersteren  zieren  später  theilweise  übermalte  und 
nicht  mehr  ganz  zusammenhängend  erhaltene  Darstellungen  aus 
der  Apokalypse,  die  tief  durchdachte  Composition  der  unbefleckten 


Das  späte  Mittelalter. 


113 


Jungfrau  und  die  Porträts  Karls  IV.,  seiner  Gemahlin  Bianca  und 
Wenzels  IV. ;  die  Darstellungen  des  Kaisers,  dessen  Hand^  noch 
heute  der  Volksmund  mit  Unrecht  die  Anfertigung  der  lange 
hier  aufgestellten  Marienstatue  französischer  Herkunft  zuschreibt, 
haben  auf  Reliquienverehrung  und  Andachtsübung  Bezug.  Außer 
dem  einfachen,  sauber  gearbeiteten  Sacramentshäuschen  und  den 
Wandmalereiresten  aus  dem  Marienleben  in  den  Fensternischen 
hat  sich  nichts  aus  dem  14.  Jahrhunderte  erhalten. 

Wundersam  prächtig  ist  die  Ausstattung  der  in  der  Südwand 
der  Collegiatkirche  ausgesparten  Katharinakapelle,  deren  Wände 
auf  vergoldetem  Gipsgrunde  mit  ausgesucht  schönen  Edelsteinen 
belegt  sind.  Die  Rippen  der  beiden  Gewölbejoche,  deren  Kappen 
auf  blauem  Grunde  goldene  Kreuze  und  Sterne  zeigen,  sind  ver- 
goldet, die  Schlussteine  mit  Edelsteinrosetten  geziert;  in  einem 
der  beiden  schmalen  Spitzbogenfenster,  welchen  gegenüber  in  die 
Zierbogen  eines  mäßig  vortretenden  Gesimses  die  Köpfe  der 
Landespatrone  eingemalt  sind,  erstrahlt  als  Rest  der  alten  Glas- 
malereien eine  figurenreiche  Kreuzigung  Christi  in  tief  leuchtender 
Schönheit  der  ursprünglichen  Farben.  Dieselbe  Darstellung  ziert 
die  Vorderseite  des  gemauerten  Altartisches,  an  dessen  Epistelseite 
die  Gestalt  der  Kapellenpatronin  begegnet,  indes  in  der  Altamische 
zwischen  Petrus  und  Paulus  vor  Maria  mit  dem  Kinde  Karl  IV. 
und  eine  seiner  Gemahlinnen  knien.  Diese  beiden  Gestalten 
halten  auch  in  dem  Bogenfelde  über  dem  Eingange  die  für  die 
Kapelle  bestimmte  Kreuzpartikel. 

Das  zur  Kreuzkapelle  emporführende  Treppenhaus  bietet 
kürzlich  erneuerte  Scenen  aus  dem  Leben  der  heil.  Ludmila  und 
des  heil.  Wenzel  und  leitete  so  gleichsam  zu  der  Pracht  der 
Kreuzkapelle  (Abb.  32)  hinüber;  ihre  beiden  Kreuzgewölbe  sind 
mit  vergoldeten  Rippen  und  Gurten  geziert,  während  man  die 
Wände  ziemlich  hoch  mit  Edelsteinen  auf  Goldgrund  belegte  und 
der  blaue  Grund  der  Gewölbekappen  mit  Sonne,  Mond  und 
Sternen  belebt  wurde.  133  verschiedene  Tafelbilder,  die  gleich- 
mäßig vertheilt  vom  Edelsteinbelage  bis  zur  Wölbung  sich  hinauf- 
zog^en,  Wandmalereien  in  den  Fensternischen,  kunstvoll  gearbeitete 
Schreine,  in  welchen  die  Urkunden  und  Kostbarkeiten  verwahrt 
wurden,  schmückten  das  Innere  der  Kapelle,  an  deren  Wänden 
hin   bei   Festgottesdiensten    1330  Kerzen  aufgesteckt  wurden,    so 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  8 


1JA  Josef  Neuwirth 

dass  gewiss  der  Eindruck  geradezu  märchenhafter  Pracht  erreicht 
war.  Den  Kapellenraum  theilt  ein  vorzüglich  gearbeitetes  Gitter, 
das  vergoldet  und  mit  herabhängenden  Edelsteinen  verziert  war, 
in  zwei  Hälften ;  dasselbe  gehört  nächst  der  Thüre  der  Katharina- 
kapelle, deren  Rauten  auf  Goldgrund  den  schwarzen  Adler  und 
auf  rothem  Grunde  den  weißen  böhmischen  Löwen  in  getriebener 
Arbeit  zeigen  und  geschmackvoll  ornamentierte  Bänder  besitzen, 
zu  den  besten  Schmiedearbeiten  der  karolinischen  Epoche.  Vier 
vergoldete  Krystallatemen  in  Form  einer  abgestutzten  Pyramide, 
von  welchen  sich  eine  erhalten  hat,  Glasmalereien  und  Kreuze, 
aus  Edelsteinen  in  vergoldeter  Bleifassung  als  Fensterschmuck 
eingesetzt,  vervollständigten  die  reiche  Ausstattung  des  eigenartigen 
Raumes.  Nicht  minder  beachtenswert  als  die  Tafel-  und  Wand- 
malereien ist  das  Altarwerk,  welches  Thomas  von  Modena  ange- 
fertigt hat ;  dasselbe  bietet  außer  sehr  fein  gearbeiteten  Engels- 
und Heiligenfiguren  den  Schmerzensmann  und  Maria  mit  dem 
Kinde  und  stimmt  in  dem  Kunstcharakter  zu  dem  aus  Karlstein 
nach  Wien  geschafften  Altarwerke  der  mit  dem  Kinde  zwischen 
Palmatius  und  Wenzel  thronenden  Madonna. 

Karlstein  hat  demnach  ganz  besondere  Bedeutung  für  die 
Geschichte  der  Malerei  in  Böhmen,  wo  sich  in  der  vielgenannten 
,, Prager  Schule**  zum  erstenmale  die  1348  vollzogene  Organisation 
einer  Zunft,  der  Prager  Malerzeche,  feststellen  lässt;  italienische 
und  deutsche  Einflüsse  waren  neben  der  einheimischen  Über- 
lieferung für  den  Charakter  ihrer  Werke  bestimmend.  Der  eben- 
genannte Italiener  Thomas  von  Modena,  ein  Vertreter  der  Richtung 
Giottos,  hat  wahrscheinlich  gar  nicht  in  Böhmen  selbst  gemalt, 
wenn  auch  andere  Italiener  sicher  bei  dem  Mosaik  am  Dome  und 
offenbar  auch  bei  einem  Theile  der  Emauser  Kreuzgangsbilder  in 
Prag  beschäftigt  waren.  Nur  vorübergehend,  aber  durch  eine 
Reihe  von  Jahren  arbeitete  im  Lande  der  kaiserliche  Hofmaler 
Nikolaus  Wurmser  von  Straßburg,  der,  weil  er  vor  1357  in  Saaz 
heiratete,  offienbar  auch  in  Landstädten  thätig  gewesen  war,  die 
Kunstanschauungen  anderer  Maler  in  denselben  beeinflusste,  aber 
nach  Vollendung  der  Arbeiten  in  Karlstein  nach  Straßburg,  dessen 
Bürger  er  auch  als  Hofmaler  blieb,  zurückkehrte.  Die  Wand- 
malereien an  den  Langseiten  der  CoUegiatkirche  und  die  ihnen 
verwandten  Darstellungen  aus  der  Ludmila-   und  Wenzelslegende 


Das  späte  Mittelalter.  jjc 

im  Treppenhause  des  Hauptthurmes  zeigen  die  meiste  Verwandt- 
schaft zu  der  rheinischen  Malerei  des  14.  Jahrhundertes ;  sie  dürfen 
zunächst  auf  den  1359  und  1360  in  MoHn  bei  Karlstein  ansässigen 
Nikolaus  Wurmser  bezogen  werden.  Die  Hauptdarstellung  der 
Katharinakapelle  durchdringen  italienische  Züge,  während  die 
Porträts  Karls  IV.,  seiner  Gemahlinnen  und  Wenzels  IV.  in  der 
CoUegiatkirche  und  über  der  Thür  der  Katharinakapelle  einer 
dritten  Hand  angehören,  welche  offenbar  auch  die  Tafelbilder  der 
verschiedenen  Heiligen  für  die  Kreuzkapelle  anfertigte.  Letztere 
stammen  sicher  von  dem  kaiserlichen  Hofmaler  Theodorich,  der 
1359  auf  dem  Hradschin  in  Prag  wohnte  und  1367  wegen  der  für 
die  königliche  Kapelle  in  Karlstein  ausgeführten  kunstreichen 
Gemälde  Begünstigungen  für  seinen  Hof  in  MoHn  erhielt.  Da 
dieser  Besitz  erst  nach  dem  Weggange  Nikolaus  Wurmsers  an 
Theodorich  fiel,  so  vollendete  ersterer  nach  1360  und  vor  1367 
seine  Arbeiten,  worauf  Theodorich  die  Aufstellung  der  Tafelbilder 
begann. 

In  denselben  verdichtet  sich  das  Charakteristische  der  ,, Prager 
Schule*',  deren  ernste  und  würdevolle  Gestalten  breitschultrig  und 
gedrungen,  energisch  und  mit  dem  herben  Zuge  feierlicher  Strenge 
herausgearbeitet  sind.  Etwas  klobige  Nasen  mit  breitem  Rücken, 
stark  betonte  Backenknochen,  ausdrucksvolle,  große  Augen  unter 
meist  treflflich  modellierter  Stirne,  herabgezogene  Mundwinkel, 
aufgeworfene  Lippen  vereinigen  sich  zu  einer  bedeutenden  Wirkung 
der  von  einem  starken  Zuge  realistischer  Auffassung  durchdrungenen 
Köpfe.  Derselbe  begegnet  in  den  wiederholt  trefflich  gebildeten 
Händen  mit  den  entsprechend  betonten  Adern,  Sehnen  und  manch- 
mal klobig  zulaufenden  Fingern.  Auch  die  weiblichen  Gestalten 
zeigen  eine  mehr  kräftige  als  idealzarte  Formengebung.  Graue 
Schatten,  die  auch  ans  Grünliche  streifen,  heben  im  Fleischtone 
wirkungsvoll  die  Modellierung ;  die  Faltengebung  der  meist  ruhig 
fallenden  Gewänder,  in  denen  gebrochene  Töne  herrschen,  ist  nicht 
überladen,  oft  rundlich  und  voll,  so  dass  die  Körperformen  an- 
sprechend zur  Geltung  kommen.  Gegen  Theodorich  bildet  Wurmser 
die  Gestalten  schlanker,  die  Köpfe  feiner  im  Geiste  der  besseren 
oberdeutschen  Arbeiten.  Die  Richtungen  beider  Meister,  denen 
einerseits  das  Votivbild  des  Erzbischofes  Johann  06ko  von  Wlaschim 
im  Prager  Rudolphintmi  und  die  Tafelbilder  zu  Mühlhausen  a.  N. , 

8* 


jjg  Josef  Neuwirth 

andererseits  zahlreiche  Marienbilder  im  Typus  der  bekannten 
schönen  Madonna  von  Hohenfurt  angehören,  bestimmten  Böhmens 
Mal  weise  im  14.  Jahrhunderte  ;  in  sie  flössen,  wie  Johannes  Galliens 
als  Mitglied  der  Prager  Malerzeche  und  Bilderhandschriften  fest- 
stellen lassen,  auch  französische  Anschauungen,  welche  jedoch 
gleich  den  auf  dem  Hohenfurter  Tafelbildercyklus  begegnenden 
italienischen  nicht  den  Grundton  der  Auffassung  angaben,  sondern 
nur  gewisse  Färbungen  desselben  herbeiführten.  Welches  Element 
für  die  Herausbildung  der  einheimischen  Richtung  Theodorichs 
maßgebend  war,  lehren  die  deutschen  Inschriften  auf  den  1338 
gearbeiteten  Darstellungen  aus  der  Georgslegende  im  Schlosse  zu 
Neuhaus,  die  deutsche  Abfassung  der  ältesten  Satzungen  für  die 
Prager  Malerzeche  und  die  Bestätigung  verschiedener  für  dieselbe 
wichtiger  Privilegien  in  deutscher  Sprache.  Es  erscheint  geradezu 
natürlich,  dass  unter  jenem  deutschen  Kaiser,  der  am  französischen 
Königshofe  seine  Ausbildung  erhalten  hatte  und  zu  großen  Geistes- 
heroen Italiens  wie  Petrarca  in  freundlichen  Beziehungen  stand, 
die  eigenthümliche  Entwicklung  der  einheimischen  Malweise  in 
Böhmen  vorwiegend  der  deutschen  nahe  blieb,  obzwar  ihr  gleich- 
zeitig Meister  und  Muster  der  französischen  und  italienischep  Kunst 
bekannt  wurden.  Für  die  Würdigung  ihrer  monumentalen  Lei- 
stungen ist  kein  anderer  Ort  von  ähnlicher  Bedeutung  als  Karlstein, 
um  dessen  stilgerechte,  noch  nicht  abgeschlossene  Restauration  sich 
der  geniale  Wiederbeleber  der  Gothik  in  Österreich,  Dombaumeister 
Fried.  Freiherr  v.  Schmidt  in  Wien,  und  der  umsichtige  Prager 
Dombaumeister  Jos.*  Mocker  hohe  Verdienste  erwarben. 

Kaum  ein  Menschenalter  später  als  die  Vollendung  des  Karls- 
teiner Gemäldeschmuckes  fällt  die  Ausführung  der  berühmten  Wand- 
malereien des  Schlosses  Runkelstein  bei  Bozen  in  Tirol,  das  auf 
einem  steil  abfallenden  Porphyrfelsen  über  dem  Talferbache  ansteigt 
und  den  Eingang  des  Samthaies  beherrscht.  Die  durch  die  Edlen 
von  Wanga  nach  1237  erbaute  Burg,  deren  Besitzer  im  Lehens- 
verhältnisse zu  den  Bischöfen  von  Trient  standen,  gelangte  1391 
durch  Verkauf  an  Nikolaus  und  Franz  Vintler.  Der  Erstgenannte 
ließ  1396  die  Burg  neu  herstellen,  die  Schlosskapelle,  zwei  Thürme 
und  Vorwerke  aufiiihren.  Unter  ihm  herrschte  in  Runkelstein  ein 
reges  Interesse  für  die  in  reichhaltiger  Bücherei  sich  mehrenden 
mittelhochdeutschen  Dichtungen,  deren  die  ritterliche  Gesellschaft 


Das  späte  Mittelalter.  jjy 

immer  noch  interessierende  Stoffe  gleichzeitig  in  den  verschiedenen 
Wandmalereien  ihren  künstlerischen  Wiederhall  fanden.  Runkel- 
stein  behält  durch  dieselben  für  die  Geschichte  der  bildenden  Kunst 
vielleicht  einen  höheren  Wert  als  durch  Hans  Vintlers  ,, Blumen 
der  Tugend**  oder  durch  die  von  Hans  Sendlinger  geschriebene 
Reimchronik  für  die  Geschichte  der  Literatur,  was  merkwürdiger- 
weise zum  Theile  gerade  darauf  beruht,  dass  Malerei  und  Poesie 
am  Ausgange  des  Mittelalters  nirgend  anderswo  wieder  in  so  aus- 
gedehnter Weise  in  innigste  Beziehung  zueinander  traten.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhundertes  fiel  Runkelstein  an  die  Tiroler 
Landesfürsten.  Einem  schönen  Charakterzuge  des  in  Tirol  hoch- 
gefeierten Kaisers  Max  I.,  des  ,, letzten  Ritters**,  der  selbst  eine  so 
ausgesprochene  Vorliebe  für  die  mittelhochdeutsche  Heldensage 
und  Dichtung  besaß,  entspricht  die  aus  derselben  geradezu  er- 
klärliche Thatsache,  dass  ihm  daran  lag  ,,das  Sloss  Runckelstain 
mit  dem  gemel  lassen  zu  vernewen  von  wegen  der  guten  alten 
Jstory  und  dieselben  Jstory  in  schrift  zuwegen  bringen**.  Im 
Besitze  der  Ritter  von  Brandis  und  später  der  Grafen  von  Lichten- 
stein  trat  Runkelstein  von  1531  an  wieder  in  den  Lehensverband 
des  Hochstiftes  Trient,  dessen  Fürstbischof  es  unter  Maria  Theresia 
als  Mensalgut  zugewiesen  erhielt.  Keiner  dieser  Besitzer  hat  für 
die  Erhaltung  der  mit  der  Zeit  schadhaft  gewordenen  Wand- 
malereien etwas  gethan,  so  dass  man  bereits  den  völligen  Verlust 
derselben  zu  befürchten  begann.  Die  bange  Besorgnis  schwand 
erst,  als  Se.  Majestät  unser  allergnädigster  Kaiser  Franz  Josef  I. 
Runkelstein  als  Privateigenthum  erwarb  und  in  hochsinnigstem 
Interesse  für  die  Erhaltung  eines  der  interessantesten  österreichi- 
schen Kunstdenkmale  die  Instandhaltung  der  Burg  und  ihres  Bild- 
schmuckes durch  künstlerisch  erfahrene  und  bewährte  Fachmänner 
anordnete. 

Als  Burganlage  bietet  Runkelstein  nichts  besonders  Hervor- 
ragendes.  Ostlich  von  dem  an  der  Südseite  der  Burg  angeordneten 
Spitzbogenportale  liegt  neben  den  ehemaligen  Kaisersälen  die  kleine 
Kapelle,  im  westlichen  Flügel  über  dem  im  zweiten  Geschosse 
befindlichen  Badezimmer  der  sogenannte  Neidharts-  und  der  Waffen- 
saal. Der  nördliche  Flügel  bildet  eine  gegen  den  ziemlich  be- 
schränkten Hof  offene  Halle,  über  welcher  die  mit  den  Garel-  und 
Tristanscenen   ausgestatteten    Gemächer    und   der   Rittersaal   sich 


Ij8  Josef  Neuwirth 

befinden.  Von  der  Rückwand  der  gleichfalls  nach  dem  Hofe 
ofienen  Gallerie,  auf  welcher  man  zu  den  drei  eben  erwähnten 
Räumen  gelangt,  grüßen  den  Besucher  die  mächtigsten  Gestalten 
der  deutschen  Heldensage  und  Dichtung. 

Runkelstein  hat  wie  Karlstein  für  die  Geschichte  der  Malerei 
eine  hervorragende  Bedeutung,  mögen  auch  die  Grundlagen  und 
die  Behandlungsweise  der  Darstellungen  recht  verschieden  sein. 
War  mit  dem  kirchlichen  Charakter  Karlsteins  naturgemäß  die 
Berücksichtigung  kirchlicher  StoflFe  geboten,  so  musste  für  die 
bilderreiche  Ausstattung  einer  Burg,  an  deren  Pforte  die  frisch 
pulsierende  Lebensfreude  der  Zeit  nicht  vergebens  klopfte  und 
Einlass  begehrte,  sich  von  selbst  ein  dem  ritterlichen  Denken  und 
Fühlen  näher  stehender  Stoflfkreis  einstellen.  Denn  die  ritterliche 
Gesellschaft  eines  Jahrhundertes,  in  welchem  kirchliche  Würden- 
träger, wie  der  Leitomischler  und  später  Olmützer  Bischof  Johann 
von  Neumarkt,  die  deutsche  Heldensage  treflFlich  beherrschten  und 
z.  B.  Margareta  Maultasch  mit  Kriemhilde  verglichen,  ja,  selbst 
Herrschern  wie  Wenzel  IV.  Dietrich  von  Bern  noch  wohlbekannt 
war,  hatte  das  Interesse  an  den  volksthümlichen  Sagenkreisen  und 
den  darauf  aufgebauten  Dichtungen,  an  den  hervorragendsten  Per- 
sönlichkeiten derselben  nicht  verloren  und  wollte  sich  an  Dar- 
stellungen dieser  Stoffe  in  den  Wohnräumen  der  Burgen  ergötzen. 
So  mussten  die  Malereien  Karlsteins  und  Runkelsteins  grundver- 
schieden werden.  Wie  dort  die  mächtigsten  Streiter  der  Kirche, 
Apostel,  Evangelisten,  heilige  Fürsten,  Kirchenlehrer,  Märtyrer 
und  Bekenner,  die  heil.  Ritter,  Darstellungen  aus  der  Wenzels- 
und Ludmilalegende,  der  Apokalypse  und  dem  Marienleben  sich 
für  die  Kapellen-  und  Kirchenausstattung  einstellten,  so  wurden 
hier  die  bekanntesten  Vertreter  des  Helden-  und  Ritterthumes, 
die  noch  lebhaftes  Interesse  erregenden  Dichtungen  ,,Garel  vom 
blühenden  Thal**  sowie  ,, Tristan  und  Isolde**  nebst  ,,Wigalois** 
zur  Ausschmückung  der  Burggemächer  herangezogen.  War  in 
Karlstein  der  Darstellung  einer  Gefühlsäußerung  der  Zeitgenossen 
nur  in  der  Form  frommer  Verehrung  das  Wort  gestattet,  so  flutete 
auf  die  Wände  des  Runkelsteiner  Neidhartsaales  und  Badezimmers 
der  heitere  Genuss  der  Zeit  in  mannigfachen  Äußerungen  des 
Spieles  und  des  Vergnügens.  So  gewinnen  die  Malereien  Karls- 
teins   und    Runkelsteins   einen   ähnlichen    und   doch  wieder  ver- 


Das  späte  Mittelalter.  X  XQ 

schiedenen  Wert ;  dort  erstehen  sie  auf  dem  Boden  religiöser  Ver- 
ehrung, der  sich  ein  Zug  des  Mystischen  beigesellt,  hier  auf  dem 
ritterlich  lebensfrohen  Genießens,  das  an  den  durch  Sage  und 
Poesie  verklärten  Gestalten  auch  ein  gewisses  literaturgeschicht- 
liches Interesse  bekundet  und  sich  mehr  an  verständnisvoll  dem 
Leben  abgelauschten  Darbietungen  als  an  den  gleichsam  nur 
schüchtern  sich  einmal  vorwagenden  Halbfiguren  alttestamentlicher 
Frauen  und  Helden  ergötzt 

Die  Runkelsteiner  Wandmalereien  zeigen  folgende  Anordnung. 
Schon  vom  Burghofe  gewahrt  man  in  der  oflFenen  Halle  des  ersten 
Stockwerkes  im  nördlichen  Burgflügel  folgende  Gruppen :  Hektor, 
Alexander  den  Großen  und  Cäsar  als  die  größten  Helden  des 
Heidenthums ;  Josua,  David  und  Judas  den  Makkabäer  als  Helden- 
vertreter des  Judenthums ;  Artus,  Karl  den  Großen  und  Gottfried 
von  Bouillon  als  die  größten  christlichen  Könige ;  Parcival,  Gawein 
und  Iwein  als  die  treflFlichsten  Ritter  ;  Wilhelm  von  Osterreich  und 
Aglei,  Tristan  und  Isolde,  Wilhelm  von  Orleans  und  Amelei  als 
die  bekanntesten  Liebespaare ;  Dietrich  von  Bern  mit  Sachs,  Sieg- 
fried mit  Balmung  und  Dietleib  von  Steier  mit  Weisung  als  Eigen- 
thümer  der  berühmtesten  Schwerter ;  Asparan,  Ötnit  und  Struthan 
als  die  gewaltigsten  Riesen ;  Hilde,  Vodelgart  und  Frau  Rachin 
oder  Rutze  als  die  drei  mächtigsten  Weiber  und  schließlich  Artus, 
Gawein  und  Iwein  zu  Pferde.  Das  an  diese  Halle  stoßende  Ge- 
mach bietet  Darstellungen  aus  Pleiers  ,,Garel  vom  blühenden 
Thal'',  unterhalb  welcher  Brustbilder  alttestamentlicher  Helden 
und  Frauen  angeordnet  erscheinen.  Der  nächstfolgende  Raum  ist 
mit  den  vortrefflich  gearbeiteten  Scenen  aus  der  Geschichte  des 
gefeiertesten  mittelalterlichen  Liebespaares  Tristan  und  Isolde,  die 
untere  Halle  mit  verschiedenen  Bildern,  deren  Motive  der  Wigalois- 
dichtung  entlehnt  wurden,  reich  und  anziehend  ausgeschmückt. 
Steht  die  Wahl  dieser  Darstellungen  auf  dem  Boden  der  in  höfischen 
Kreisen  fortlebenden  Überlieferung,  welche  die  Lieblingsgestalten 
der  Glanzzeit  des  Ritterthums  ganz  besonders  der  Verewigung 
durch  den  Pinsel  wert  erachtete,  so  verweisen  die  Bilder  des  Neid- 
hartsaales, welche  die  ritterliche  Gesellschaft  bei  Ballspiel,  Tanz, 
Jagd  und  Turnier  zeigen,  auf  die  damals  üblichen  Vergnügungen, 
deren  künstlerische  Wiedergabe  in  Einzelheiten  eine  das  Wesent- 
liche richtig  herausgreifende  Beobachtungsgabe  verräth ;  sie  sprudeln 


J20  Josef  Neuwirth 

aus  dem  Born  des  anziehenden  und  abwechselungsreichen  Genuss- 
lebens der  Zeit  frisch  und  anmuthend,  ja  wahrhaft  herzerquickend 
hervor.  Das  ist  auch  der  Fall  bei  der  vortreflflich  erhaltenen  Aus- 
stattung des  Badezimmers,  über  dessen  Eingange  das  von  zwei 
Knappen  gehaltene  Wappen  Vintlers  begegnet ;  die  Einstellung 
desselben  hier  und  an  anderen  Orten  verbürgt,  dass  Nikolaus 
Vintler  die  Wandmalereien  ausführen  ließ.  Die  bildliche  Aus- 
schmückung bleibt  mit  der  Bestimmung  des  Raumes,  dessen 
Wände  ein  mit  Wappenthieren  geziertes  Teppichmuster  belebt,  im 
innigsten  Zusammenhange.  Die  untere  der  beiden  Friesabtheilungen 
zeigt  an  der  Westwand  nackte  Gestalten,  die  sich  eben  anschicken, 
in  verschiedener  Stellung  ins  Bad  zu  steigen,  während  die  aus 
rundbogiger  Halle  tretenden  und  gegen  eine  Wehrstange  sich 
lehnenden  Zuschauer  männlichen  und  weiblichen  Geschlechtes  an 
der  nördlichen  und  südlichen  Wand,  welche  Darstellungen  verschie- 
dener, auch  fremdländischer  Thiere  schmücken,  aufmerksam  dem  Vor- 
gange folgen.  An  demselben  haben  die  in  die  Vierpässe  der  oberen 
Friesabtheilung  eingeordneten  männlichen  und  weiblichen  Gestalten 
in  kniender,  sitzender  und  stehender  Stellung  ebenso  wenig  Antheil 
als  der  Falkenträger  und  die  gekrönte  Frau  der  Fensterwand. 
Die  an  der  Außenseite  der  unteren  Hofhalle  auf  grünem  Grunde 
in  schwarzen  Umrissen  ausgeführten  Kaiserdarstellungen  entstanden 
gleich  den  Personificationen  der  freien  Künste  in  der  genannten 
Halle  erst  im  i6.  Jahrhunderte,  vielleicht  als  Kaiser  Maximilian  I., 
auf  dessen  Anordnung  die  ersteren  zurückgeführt  werden  könnten, 
den  Brixener  Maler  Friedrich  Lebenbacher  mit  der  Restauration 
der  Runkelsteiner  Bilder  betraute. 

Rücksichtlich  der  Technik  gewähren  namentlich  die  Scenen 
des  Neidhartsaales,  wie  die  beigegebene  Abbildung  des  Ballspieles 
(Abb.  33)  zeigt,  nebst  jenen  des  Badezimmers  die  besten  Aufschlüsse. 
Die  gleichmäßig  mit  Farbe  angelegten  schwarzen  Umrisse  heben  sich 
zwar  kräftig  von  dem  Teppichuntergrunde,  entbehren  aber,  weil 
eine  der  Modellierung  dienliche  Abstufung  der  Töne  fehlt  und  nur 
rothe  oder  schwarze  Pinselstriche  die  Faltenlage  kennzeichnen,  jeder 
plastischen  Wirkung.  Die  unter  Maximilian  I.  restaurierten  Wigalois- 
scenen  stehen  in  schwarzen  Umrissen  auf  grünem  Grunde  und  be- 
wahren stellenweise  den  ursprünglichen  Charakter  mehr  als  die 
Tristanbilder,  die  meisterlich  in  einfarbiger  Malerei  grün  mit  weiß 


F 


Das  späte  Mittelalter.  121 

aufgesetzten  Ivichtem  gearbeitet  sind  und  neben  den  alten  Figuren- 
typen die  individuell  und  wirksam  modellierende  Behandlung  einer 
späteren  Hand  zeigen.    Technik  und  Formen  der  Gareldarstellun- 
gen  bieten   so  nahe   Beziehungen   zu    der   bildlichen  Ausstattung 
mittelhochdeutscher  Dichterhandschriften,  dass  damit  interessante 
Anhaltspunkte  für  den  Ursprung  der  Wandmalereien  sich  ergeben. 
Da  der  Maler  der  Runkelsteiner  Bilder,    dessen  Name   leider 
unbekannt  ist,  in  den  mittelhochdeutschen  Dichtungen  kaum  derart 
bewandert  war,  um  die  dem  höfischen  Fühlen  besonders  zusagenden 
Scenen  derselben  zweckentsprechend  wählen   zu  können,    so   liegt 
die  Vermuthung  nahe,  dass  Niklas  Vintler,  der  lebhaftes  Interesse 
und  genaue  Kenntnis  mittelhochdeutscher   Epen   besaß,    die  Aus- 
wahl selbst  traf,  die  Reihenfolge  bestimmte  und,  wo  der  StoflF  dem 
Künstler  femer  lag,   in  den  Miniaturen  der  von   ihm   erworbenen 
Handschriften  geeignete  Muster  zur  Verfügung  stellte.     Diese  Um- 
stände   erklären    vollauf    die    eigenthümlichen    Beziehungen    des 
Garelcyklus   zur   Buchmalerei.     Von   denselben   kann   mit  um  so 
größerem    Rechte    für   die    anderen    mit    Dichtungen    zusammen- 
hängenden  Bilderfolgen  gleichfalls   auf  eine  ähnliche  Quelle    ge- 
schlossen werden,  da  die  auch  anderwärts  begegnende  Darstellung 
der  neun  guten   Helden   des   Heiden-,  Juden-   und   Christenthums 
auf  die  Benutzung  herrschender  Typen  verweist  und  diese  letzteren 
damit  sowohl  für  die  anderen  Gruppen  als  auch   für  die  Tristan- 
und  Wigaloisfolge  wahrscheinlich  macht,  zudem  ja  für  Bilderhand- 
schriften desselben  Werkes  wie   beim  ,,Wälschen  Gaste**  die  Ab- 
hängigkeit der  Zahl  und  Reihenfolge  der  bildlichen  Darstellungen 
von   einem   gemeinsamen    Urbilde    erwiesen    ist.      Entspricht   das 
angedeutete  Verhältnis  thatsächlich  der  Stellung  des  Malers   zum 
Stoffe,  so  setzt  es  seine  Leistungsfähigkeit  durchaus  nicht  herab, 
da  dieselbe  in  den  frischen  Scenen  des  Neidhartsaales,  dessen  1888 
bei  der  Restauration    zutage  getretenen  Überreste   der   Bärenjagd, 
Sauhatz  und  des  Fischfanges  auch  von   hohem   Interesse   für  das 
Leben   der   Entstehungszeit   bleiben,    und    in    den    Malereien    des 
Badezimmers    sich    frei    entfaltet   und    mit   scharf  beobachtendem 
Auge  dem  Leben  künstlerisch  wirksame  Motive  zu  entlehnen  ver- 
steht.    Und   wie    die   Stoffe  der  meisten   Darstellungen   aus  dem 
Boden  deutscher  Dichtung  und  dem  Leben   der  für  dieselbe  noch 
interessierten  ritterlichen  Gesellschaft  hervorsprießen,  so  entspricht 


J22  Josef  Neuwirth 

auch  die  Art  der  Behandlung  ganz  dem  Wesen  deutscher  Kunst 
und  ist  frei  von  den  damals  schon  in  Südtirol  vordringenden 
italienischen  Einflüssen. 

Karlstein  und  Runkelstein  markieren  im  Norden  und  Süden 
unseres  Kaiserstaates  zwei  für  die  Geschichte  der  Malerei  und  der 
heimischen  Denkmälerkunde  gleich  wichtige  Stätten.  Dort  stand 
der  Pinsel  im  Dienste  der  Religion,  hier  in  dem  der  Poesie  und 
der  Darstellung  der  Lebensfreude;  seinen  nach  diesen  Gesichts- 
punkten in  ihrem  Wesen  völlig  verschiedenen  Schöpftingen  hat 
die  Macht  künstlerisch  bedeutsamer  Persönlichkeiten  ihr  hoch- 
interessantes Gepräge  aufgedrückt,  in  welchem  bereits  einer  für 
das  14.  Jahrhundert  sehr  beachtenswerten  Beobachtung  der  Natur 
ein  Plätzchen  gegönnt  ist 


-^^^^»^ 


Abb.  34.      Der  St.  Wolfgangcr  Altar. 


DER  ST.  WOLFGANGER  ALTAR  VON  MICHAEL 

FÄCHER. 

Wahrhaft  gottbegnadet  sind  jene  Stätten  zu  nennen,  an  welche 
nicht  nur  hohe  und  seltene  Reize  der  Natur,  sondern  auch  herr- 
liche Schöpfungen  der  Poesie  und  der  bildenden  Kunst  das  Interesse 
der  Menschheit  knüpfen.  Nur  wenige  Orte  unseres  Kaiserstaates 
können  in  dieser  Hinsicht  mit  St  Wolfgang  in  Oberösterreich 
wetteifern;  die  malerische  Lage  desselben  an  dem  gleichnamigen 
See  in  der  Nachbarschaft  des  senkrecht  gegen  den  Wasserspiegel 
abfallenden  Falkensteines  mit  seinem  bekannten  siebenfachen  Echo 
lockt  den  Einheimischen  wie  den  Fremden,  der  Sang  eines  der 
volksthümlichsten  Dichter  unseres  Jahrhundertes,  des  nur  zu  frühe 
heimgegangenen  J.  Victor  ScheflFel,  lenkt  die  Aufmerksamkeit  nach 
jener  wundersamen  Stätte,  von  deren  Echo  die  ,, Bergpsalmen**  in 
tausend  und  tausend  Herzen  nachklingen,  und  an  einem  der 
populärsten  Werke  spätmittelalterlicher  Kunst,  dem  weithin  be- 
kannten St.  Wolfganger  Altare,  erhebt  sich  noch  heute  wie  vor 
Jahrhunderten  die  gläubige  Frömmigkeit  des  schlichten  Land- 
mannes wie  die  Bewunderung  feinfühliger  Kunstkenner. 

Der  genannte  Altar  ist  ein  Flügelaltar  (Abb.  34),  über  dessen 
mit  Bildschmuck  ausgestatteter  Staffel  der  verschließbare,  die 
geschnitzte  Hauptdarstellung  enthaltende  Schrein  sich  befindet; 
doppelte,  auf  beiden  Seiten  bemalte  Flügelthüren  ermöglichen  einen 
raschen  Wechsel  der  bilderreichen  Ausstattung.  Ein  prächtig  ge- 
schnitzter Aufsatz,  dessen  luftig  aufgebaute  Spitzthürmchen  mit 
verschiedenen  Figuren  geziert  sind,  krönt  das  Ganze.  Zu  beiden 
Seiten  des  Altarschreines  erscheinen,  wenn  beide  Flügelpaare  ge- 
schlossen sind,  auf  laubgeschmückten  Consolen  die  Gestalten  der 
ritterlichen  Hüter  St  Georg  und  St  Florian  gleichsam  als  treue 
Wächter  des  großartigen  Werkes,  das  in  herrlichen  Verhältnissen 
bis  zur  Wölbung  des  Chores  ansteigt. 


124  Josef  Neuwirth 

Der  Altarschrein  enthält  als  Hauptdarstellung  die  in  Holz 
geschnitzte  Krönung  Maria.  In  dem  Himmelsdome,  den  der  Meister 
durch  eine  schöne  gothische  Halle  als  Schauplatz  der  Handlung 
andeutet  und  niederschwebende  köstliche  Engel  in  geschäftiger 
Thätigkeit  beleben,  empfangt  die  in  holdseliger  Anmuth  kniende 
heil.  Jungfrau  den  Segen  des  Herrn,  der  in  würdevoller  Majestät 
thronend  Hoheit  und  Milde  in  sich  vereinigt.  Neben  den  zierlich 
durchbrochenen  Pfeilern,  welche  die  Scene  begrenzen,  stehen  in 
den  Seitennischen  die  prächtigen  Gestalten  des  heiligen  Wolfgang 
und  Benedict  in  vollem  Ornate,  ebenso  lebendig  erfasst  und  durch- 
gebildet wie  die  an  den  Seiten  des  Schreines  gestellten  ritterlichen 
Hüter,  über  welchen  die  ansprechenden  Figuren  der  heil.  Margareta 
und  der  heil.  Katharina  angeordnet  sind.  Die  AltarstaflFel  ziert 
eine  Anbetung  der  Könige,  liebenswürdig  und  voll  naiver  Einfach- 
heit. In  dem  zierlichen,  hohen  Aufbaue  über  dem  Schreine  er- 
scheint unterhalb  des  zwischen  zwei  anbetenden  Engeln  thronenden 
Gott  Vaters  Christus  am  Kreuze  zwischen  Maria  und  Johannes ; 
in  die  äußeren  Spitzthürmchen  sind  unter  den  Gestalten  der 
Heiligen  Scholastica  und  Ottilie  der  himmlische  Rächer  und 
Seelenwäger  Michael  und  Johannes  der  Täufer  eingestellt. 

Die  Doppelflügel  und  die  Rückwand  des  Schreines  sind  gleich 
den  Flügeln  der  AltarstafFel  mit  Gemälden  geziert. 

Die  geschlossenen  Flügel  der  Staffel  zeigen  außen  die  vier 
großen  Kirchenlehrer  Hieronymus,  Ambrosius,  Augustinus  und 
Chrysostomus,  die  Innenseiten  derselben  die  reizenden  Idylle  der 
Heimsuchung  Mariens  und  der  Flucht  nach  Ägypten.  Sind  alle 
Flügel  des  Schreines  geschlossen,  so  gewahrt  man  auf  den  Außen- 
seiten der  Außenflügel  vier  Darstellungen  aus  der  Legende  des 
heil.  Wolfgangs,  der  Almosen  austheilend,  predigend,  Kranke 
heilend  und  die  Kapelle  am  Falkenstein  erbauend  vorgeführt  ist 
Die  Innenseiten  der  geöffneten  Außen-  und  die  Außenseiten  der 
geschlossenen  Innenflügel  bieten  acht  Scenen  aus  Christi  Leben, 
nämlich  die  Taufe,  Versuchung  durch  den  Satan,  Hochzeit  zu 
Kanaan,  Speisung  der  Fünftausend,  Steinigung  im  Tempel,  Ver- 
treibung der  Verkäufer  und  Wechsler  aus  dem  Tempel,  die  Ehe- 
brecherin vor  Christus  und  die  Auferweckung  des  Lazarus.  Die 
Gemälde  auf  den  Innenseiten  der  inneren  Flügel  —  Geburt  Christi, 
Beschneidung,  Darstellung  im  Tempel  und  Tod  Mariens  —  leiten 


Das  späte  Mittelalter. 


125 


stoflFlich  zu  der  Hauptdarstellung  des.  ganzen  Altarwerkes  hinüber. 
Die  Rückseite  des  Schreines  bietet  außer  dem  Riesen  Christophorus 
die  Heiligen  Othmar,  Erasmus,  Franciscus,  Ulrich,  Hubert,  Clara, 
Egidius  und  Elisabeth,  jene  der  StaflFel  die  vier  Evangelisten. 

An  dem  geschilderten  Meisterwerke,  welches  die  geistvolle, 
gegenseitige  Durchdringung  spätmittelalterlicher  Plastik  und  Malerei 
wiederspiegelt  und  auch  von  dem  Flügelschlage  fremdländischer, 
eine  neue  Kunstepoche  heraufifiihrender  Ideen  nicht  unberührt  ge- 
blieben ist,  finden  sich  zuverlässige  Anhaltspunkte  für  die  Zeit  der 
Entstehung  und  die  Feststellung  des  Meisters.  Die  Rückseite  des 
Schreines  zeigt  neben  der  heil.  Elisabeth  die  Jahreszahl  1479,  ii^^^s 
auf  dem  äußeren  Flügelrahmen  die  Inschrift  erscheint :  Benedictus 
abbas  in  mannsee  hoc  opus  fieri  fecit  ac  complevit  per  magistrum 
Michaelem  Fächer  de  Prawnegk  anno  domini  m^  cccc*^.  1  XXXI®. 
Abt  Benedict  Eck  der  altehrwürdigen,  auch  für  die  Geschichte 
der  althochdeutschen  Literatur  wichtigen  Benedictinerabtei  Mond- 
see, deren  Filiale  St.  Wolfgang  war,  hatte  wahrscheinlich  nach  der 
Weihe  des  neuerrichteten  Chores  1477  die  Anfertigung  des  Altar- 
werkes dem  Bildschnitzer  und  Maler  Michael  Fächer  von  Bruneck 
übertragen,  der  unter  Zuhilfenahme  von  Gesellen  1479  den  Schrein 
bereits  fertig  gestellt  hatte  und  1481  den  ganzen  großartigen  Auf- 
trag vollendete. 

Der  Genannte  ist  nicht  nur  einer  der  bedeutendsten  Meister 
der  österreichischen  Lande,  sondern  auch  einer  der  größten 
deutschen  Künstler  des  15.  Jahrhundertes.  Zwischen  1430  bis 
1440  geboren,  hatte  er  seine  Werkstätte  in  Bruneck,  wo  er  vor 
1467  schon  das  Bürgerrecht  erworben  und  1469,  1472,  1475,  1492 
und  1496  mehrmals  genannt  ist,  während  die  Erwähnung  von 
,michel  pachers  erben'  im  Jahre  1498  neben  einer  noch  im  Juli 
dem  Meister  selbst  zu  Salzburg  geleisteten  Bezahlung  den  Eintritt 
seines  Todes  im  Spätsommer  oder  Frühherbste  1498  verbürgt. 

Michael  Fächer  war,  als  er  den  Auftrag  für  St.  Wolfgang 
erhielt,  bereits  ein  weithin  bekannter  Meister,  der  am  Montage 
nach  Urbani  147 1  die  Herstellung  eines  genau  beschriebenen, 
nach  den  Maßen  des  Altares  in  der  Bozener  Pfarrkirche  auszu- 
führenden  Altarwerkes  für  die  Pfarrkirche  in  Gries  übernahm ;  die 
Arbeit  sollte  in  vier  Jahren  vollendet  sein  und  Fächer  dafür  die 
Barzahlung  von  350  Mark  Ferner  zufallen.     Früher  schon  hatte  er 


120  Josef  Neuwirth 

die  Tafel  für  die  Uttenheimer  Kirche  und  Mitterolang  im  Puster- 
thale  gemalt,  weshalb  es  nur  natürlich  war,  dass  der  in  seiner 
Heimat  geschätzte  Meister,  welchem  auch  die  Ausführung  der 
1482  durch  Überschwemmung  zerstörten  Gemälde  des  Welsberger 
Bildstockes  und  des  Brunecker  Crucifixes  zufiel,  nach  der  Voll- 
endung des  St.  Wolfganger  Altares  in  Bozen  für  die  Herstellung 
eines  Michaelaltares  der  dortigen  Marienkirche  gewonnen  wurde. 
1484  übernahm  Michael  Fächer  ein  großartiges  Altarwerk  für  die 
Salzburger  Pfarrkirche,  das  er  bis  auf  ,den  sarch*  (AltarstaflFel) 
vollendete ;  die  Leistung,  von  der  bloß  eine  Maria  mit  dem  Kinde 
sich  erhielt,  kann  nur  nach  der  dem  Künstler  zufallenden  Ent- 
lohnung, welche  die  bedeutende  Summe  von  3300  rhein.  Gulden 
betrug,  als  eine  zweifellos  sehr  bedeutende  betrachtet  werden. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  ein  so  vielfach  beschäftigter 
Meister  so  umfangreiche  Arbeiten  wie  die  Altäre  in  Gries,  St. 
Wolfgang  und  Salzburg  nicht  in  allen  Theilen  selbst  ausführte, 
sondern  die  eigenhändige  Thätigkeit  auf  die  Anfertigung  des  Ent- 
Wurfes  und  der  Hauptpartien  beschränkte  und  das  Übrige  den 
unter  seiner  Anleitung  arbeitenden  Gesellen  überließ ;  als  solche 
waren  in  Michael  Pachers  Werkstätte  außer  anderen  auch  des 
Künstlers  Brüder  Hans  und  Friedrich  thätig. 

Dies  Verhältnis  ist  auch  bei  dem  St.  Wolfganger  Altare  mit 
Sicherheit  nachweisbar.  Michael  Pachers  unbestreitbares  Eigen- 
thum  ist  der  groß  angelegte,  luftige  und  geschmackvolle  Aufbau, 
der  im  Vergleiche  zum  Grieser  Altare  die  fortschreitende  Läute- 
rung der  Kunstanschauungen  und  der  Genialität  des  Meisters 
feststellen  lässt,  das  herrliche  Schnitzwerk  und  die  Innenbilder 
der  Innenflügel,  welche  die  Hauptdarstellung  ergänzend  wie  bei 
anderen  Flügelaltären  mit  größter  Sorgfalt  ausgeführt  sind ;  seine 
Auffassung  adelt  die  bei  geöflGneten  Außenflügeln  sichtbaren  Dar- 
stellungen, die  größtentheils  von  seiner  Hand  stammen,  indes  die 
Bemalung  der  Außenseiten  des  geschlossenen  Schreines  sicher  von 
zwei  verschieden  tüchtigen  Gesellen  herrührt.  Dieselben  waren 
auch  bei  dem  Figurenschmucke  des  Aufsatzes  betheiligt 

Wie  bei  den  anderen  Arbeiten  so  ist  Michael  Pachers  Künst- 
lerschaft auch  bei  dem  St.  Wolfganger  Altare  von  zwei  ver- 
schiedenen Standpunkten,  nämlich  von  dem  der  Plastik  und 
von    dem    der    Malerei,    zu    würdigen.      Gegenüber   gleichzeitigen 


Das  späte  Mittelalter.  J27 

Schöpfungen  der  fränkischen  Kunst  zeigt  der  Meister  einen  großen 
und  freien  Zug  des  Aufbaues,  gesunden,  von  Geschmack  fein  ge- 
milderten Naturalismus,  Tiefe  und  Reinheit  der  Empfindung,  der 
sich  in  der  AltarstaflFelscene  herzinnige  Naivität  beigesellt ;  ja,  die 
großartig  geworfenen,  überreichen  Falten,  unter  welchen  die 
Haltung  der  Gestalten  mit  feiner  Beobachtung  herausgearbeitet 
ist,  heben  die  malerisch  prächtige  Wirkung  des  Werkes.  Pachers 
malerischer  Naturalismus  hält  die  plastische  Erscheinung  der  Dinge 
fest,  in  deren  naturgetreuer  Wiedergabe  die  große  Einfachheit 
der  Italiener  sich  zum  Worte  meldet  Die  Absicht  auf  das  Male- 
rische, die  Erzielung  wirkungsvoller  Gegensätze  von  Licht  und 
Schatten  bestimmt  die  Anordnung  seiner  Freifiguren,  den  trefflichen 
Faltenwurf  und  die  Zierlichkeit  des  architektonischen  Beiwerkes. 
Es  scheint  nur  eine  naturgemäße  Ergänzung  der  genialen 
Künstlernatur  zu  sein,  dass  der  St.  Wolfganger  Altar  den  Maler 
Michael  Fächer  auf  keiner  geringeren  Höhe  als  den  Schnitzer  zeigt. 
Die  architektonische  Umgebung  seiner  meisten  Scenen  sind  vortreff- 
lich durchgeführte  Verkürzungen,  wie  sie  der  Schule  von  Padua 
geläufig  waren,  bezeugen  seine  hervorragende  Kenntnis  der  Per- 
spective, die  er  wohl  Italien  dankt;  denn  mehrere  mantegneske  Züge 
und  Anklänge  an  Oberitalien  sprechen  für  unmittelbare  Beziehungen 
Pachers  zur  Kunst  des  Südens.  Doch  haben  dieselben  die  deutschen 
Grundtöne  seines  Wesens  und  Fühlens  ebenso  wenig  wie  bei 
Dürer  zu  ändern  vermocht.  Meisterhaft  ist  die  Charakteristik  der 
Köpfe,  während  Oberkörper  und  Arme  manchmal  dürftig  und 
hager  bleiben ;  hoher  Reiz,  bestrickende  Anmuth,  Unschuld  und 
zarte  Empfindung  begründen  das  Anziehende  seiner  einem  keines- 
wegs hohen  Schönheitsideale  zustrebenden  Frauengestalten.  Die 
treffliche  Modellierung  und  die  Behandlung  des  Faltenwurfes  hält 
alle  Vorzüge  der  Schnitzarbeiten  fest,  deren  klare  und  einfache 
Conception  auch  in  den  Bildern  vorherrscht  Die  Feinsinnigkeit  des 
Meisters,  der  ein  hochentwickeltes  Farbengefuhl  besaß  und  seine 
Kenntnisse  der  Perspective  die  feine  Luftabtönung  seiner  land- 
schaftlichen Hintergründe  bestimmen  ließ,  wusste  auch  den  Reiz 
der  heimatlichen  Hochgebirgsnatur  seiner  Kunst  dienstbar  zu 
machen,  ein  Zug,  der  ebenso  hohe  künstlerische  Selbständigkeit 
wie  die  vom  echten  Genie  wahrgenommene  Heranziehung  neuer, 
die  Kunst  fördernder  und  erhebender  Mittel  bekundet. 


1 28  Josef  Neuwirth 

So  verweist  die  Sprache  des  St.  Wolfganger  Altares  den 
großen  Tiroler  Künstler  Michael  Fächer,  der  wahrscheinlich  in 
der  Heimat  die  bestimmende  Ausbildung  genossen,  aber  auch  in 
Bayern  und  Oberitalien  sich  umgethan  hatte,  unter  die  ersten 
deutschen  Meister  des  15.  Jahrhunderts ;  weder  in  Tirol  noch 
anderswo  in  den  deutsch-österreichischen  Gebieten  können  mit  ihm 
gleichzeitige  Maler  und  Bildschnitzer  um  den  Ruhm  der  höheren 
Künstlerschaft  ringen.  Er  steht  so  hoch  über  seinen  Zeitgenossen, 
dass  selbst  die  unter  seiner  Leitung  arbeitenden  Maler  wie  Friedrich 
Fächer  in  dem  1483  für  die  Brixener  Spitalkirche  vollendeten 
Altare  nur  die  äußeren  Mittel  seiner  Kunst  ohne  die  feinfühlige 
Vertiefung  und  Abklärung  verwenden  lernten  und  nur  wenige 
Begabtere  wie  die  Meister  der  Augsburger  Kirchenväter  und  der 
Tratzberger  Apostelfürsten  in  den  von  ihm  zuerst  beschrittenen 
Bahnen  blieben. 

Lässt  sich  auch  ein  bestimmter  Zusammenhang  des  St.  Wolf- 
ganger Altares  mit  den  bekannten  und  zum  Theile  späteren 
Flügelaltären  in  Käfermarkt,  Fesenbach,  Rauchenedt,  Waldburg, 
Gampern  und  Hallstadt  sowie  mit  den  Adelwanger  Bildern  und 
den  Altarflügeln  in  Wartberg  an  der  Krems  nicht  nachweisen,  so 
ergibt  sich  doch  aus  ihrem  Vorhandensein,  dass  man  allerwärts  in 
Oberösterreich,  einem  allgemein  herrschenden  Zuge  folgend,  künst- 
lerisch tüchtigen  Meistern  die  Aufstellung  bald  mehr  bald  minder 
großartiger  Altarwerke  übertrug,  deren  zweifellos  bedeutendstes 
in  tadellosem  Zustande  sich  in  St.  Wolfgang  erhielt  und  zeugt 
von  der  hohen  Meisterschaft  des  berühmten  Malers  und  Bild- 
schnitzers Michael  Fächer  von  Bruneck, 


DIE  KUNSTBLUTE  UNGARNS  UNTER  MATHIAS 
CORVINUS. 


ige  Regierung  des 
IS  Corvinus  gehört 
Perioden  der  unga- 
ein  hervorragendes 
Feldhermtalent, 
das  sich  in  der 
Besiegung  zahl- 
reicher ^Gegner 
oft  und  rühm- 
lichst bewährte, 
hob  das  Ansehen 
des  lindes  nach 
außen  und  fe- 
stigte die  Stel- 
lung desselben 
zu  anderen  Staa- 
ten, indes  die 
gesetzliche  Ord- 
nung die  innere 
Wohlfahrt  för- 
derte, eine  ge- 
rechte Verthei- 
lung  sowie  ehr- 
licheEinhebung 
undVerwendung 
der  Abgaben  die 
freudige  Hinge- 
bung der  XU  immer  größerem  Wohlstande  gelangenden  Bevölkerung 
rege   erhielten.     Verschlangen   auch   die    langwierigen   Kriege   be- 


Abb.  35.     Mathias  Corvinus.    Nach  dem  Manuonelief  der 
kunsthist  Sammlungen  in  Wien. 


j  oQ  Josef  Neuwirth 

deutende  Summen,  so  blieb  doch  im  Lande  noch  eine  solche  Fülle 
des  Reichthumes  zurück,  dass  die  königliche  Hofhaltung  in  Ofen 
eine  vorher  nie  gesehene  Pracht  entfalten  und  mit  ihr  und  durch 
sie  eine  Blütezeit  des  KunstschaflFens  in  Ungarn  heranbrechen  konnte, 
durch  welche  des  Königs  Name  nicht  minder  als  durch  seine  Kriegs- 
thaten  in  der  Erinnerung  kommender  Geschlechter  fortleben  wird. 
Denn  mit  der  Regierung  des  von  humanistischen  Anschauungen 
getragenen  Königes  gewann  in  Ungarn  die  von  der  Wiederbele- 
bung der  Antike  bestimmte  Kunstrichtung  Italiens  früher  und  in 
größerem  Umfange  als  irgend  anderswo  in  Europa  maßgebenden 
Einfluss  auf  die  Kunstthätigkeit  des  Landes. 

Da  es  aber  in  der  Entwicklung  der  Kunstzustände  eines 
Landes  kein  sprunghaftes  Vorwärtsdringen,  sondern  nur  ein  natur- 
gemäß organisches  Fortschreiten  gibt,  bei  welchem  ein  Glied  der 
Kette  lückenlos  sich  an  die  anderen  reiht,  so  muss  auch  der  Blüte 
der  Kunst  in  Ungarn  unter  Mathias  Corvinus  eine  Zeit  der  Vor- 
bereitung vorangegangen  sein,  welche  den  Boden  für  das  rasche 
Aufnehmen  und  herrliche  Gedeihen  der  neuen  Anschauungen  be- 
fruchtete. 

Die  Weihgeschenke,  mit  welchen  König  Ludwig  der  Große 
1360  das  Aachener  Münster  bedacht  hatte,  tragen  noch  den  Stempel 
deutscher  Kunstübung,  die  bis  zum  Aussterben  des  Königshauses 
Anjou  die  Kunstthätigkeit  Ungarns  zumeist  beeinflusst  hatte.  Allein 
schon  nahezu  ein  Menschenalter  vor  dem  Regierungsantritte  des 
Mathias  Corvinus  setzte  die  neue  Richtung  der  großen  italienischen 
Kunst  mit  einem  ihrer  berühmtesten  Pfadfinder  in  Ungarn  ein. 

1425  berief  der  Obergespan  des  Temeser  Comitates,  Graf 
Pippo  von  Ozora,  der  dem  Florentiner  Hause  der  Bondelmonte 
entstammte  und  unter  König  Sigismund  in  Ungarn  zu  hohen 
Ehren  und  großem  Reichthume  gelangt  war,  den  1423  in  die 
Florentiner  Apotheker-  und  Malergilde  eingetretenen  Maler 
Masolino.,  damit  derselbe  in  Stuhlweißenburg  und  Ozora  die 
Wohnstätten  und  Kapellen  des  Grafen  mit  Fresken  schmücke. 
Die  von  dem  Künstler  prächtig  ausgestattete  Grabkapelle  Pippos 
bewunderte  schon  1426  der  im  Auftrage  der  Florentiner  Commune 
zu  König  Sigismund  reisende  Rinaldo  Albizzi  nicht  minder  als  in 
Ozora  das  herrliche  Castell  und  mehrere  neuerbaute,  reich  aus- 
gestattete Kirchen,  für  deren  Auffuhrung  gleichfalls  Italiener  heran- 


Das  späte  Mittelalter.  I«5I 

gezogen  wurden.  Denn  zwischen  1410  und  1440  kamen  mehrfach 
Künstler  und  Handwerker  von  Florenz  nach  Ungarn,  theils  vom 
Obergespan  Pippo  von  Ozora  mit  Aufträgen  bedacht,  theils  auch 
in  die  Dienste  des  Königes  Sigismund  tretend.  Nebst  Masolino 
begegnet  in  urkundlichen  Nachweisen  Legnajuolo  Grasso,  richtiger 
Manetto  Ammanatini,  den  ein  junger  Baumeister  von  Florenz,  wo 
er  zur  Ausführung  größerer  Bauwerke  in  Ungarn  geeignete  Bau- 
leiter suchte,  mit  sich  in  das  Land  des  heil.  Stephan  führte. 

Mehr  als  die  Sculpturen,  Glas-  und  Wandmalereien  in  Johann 
Hunyadis  heute  noch  zum  Theile  erhaltener  Vajda-Hunyader  Burg 
bestätigen  das  Fortleben  des  italienischen  Einflusses  auf  Ungarns 
KunstschaflFen  aridere  wichtige  Thatsachen.  Die  Arbeiten  der 
Italiener  für  Pippo  von  Ozora  und  König  Sigismund  mussten  die 
Aufmerksamkeit  weiter  Kreise  des  Landes  auf  die  künstlerische 
Überlegenheit  der  fremden  Meister  hingelenkt  haben,  die  man 
gegen  die  Mitte  des  15.  Jahrhundertes  zur  Herstellung  großartiger, 
allgemeinem  Gebrauche  dienender  Bauten  berief  Denn  um  1458, 
also  gerade  da  Mathias  Corvinus  die  Zügel  der  Regierung  ergriff, 
vollendete  Aristotele  Fioravanti  zwei  prächtige  Brücken  über  die 
Donau,  welche  so  großen  Beifall  und  viel  Bewunderung  fanden, 
dass  ihm  bald  andere   bedeutende   Aufträge  zugewendet  wurden. 

Die  Berufung  italienischer  Meister  nach  Ungarn  und  den 
wachsenden  Beifall  an  ihren  Schöpfungen  in  den  Kreisen  des  Adels 
und  der  hohen  Geistlichkeit  förderte  besonders  auch  der  Umstand, 
dass  ungarische  Humanisten,  welche  der  Renaissancekunst  den 
Weg  zur  Verbreitung  ebneten,  in  Italien  studierten.  In  Ferrara, 
wohin  der  Ruhm  des  alten  Guarino  die  Wissensdurstigen  zog,  be- 
schäftigten sich  von  1447  bis  1454  Janus  Pannonius,  um  1455 
Georg  Augustinus  und  Elias  Czepes,  um  1467  Ladislaus  Ger^b 
von  Vingdrt,  Nikolaus  Per^nyi  und  der  spätere  Bischof  von 
Syrmien  Sigismund  Paloczi  mit  dem  Studium  der  classischen 
Sprachen.  Hieher  gieng  auch  auf  den  Rath  des  Johannes 
Vitte,  der  als  Erzieher  des  Mathias  Corvinus  die  geniale 
Auffassung  des  feurigen  Jünglinges  mit  den  Idealen  der  Antike 
belebte,  jener  Humanist  Petrus  Garäzda,  welcher  sich  dann 
nach  Padua  und  Florenz  wandte,  wo  er  mit  den  Humanisten 
des  Medicäerhofes  Poggio,  Donato  Acciaiuoli,  Argyropulos,  Philel- 
phus,  Marsilius  Ficinus  u.  a.  verkehrte.     Die   Florentiner  Huma- 

9* 


132 


Josef  Neuwirth 


nisten  empfiengen  aber  die  wis3begierigen  Ungarn,  wie  sie  dies 
namentlich  dem  Janus  Panonius  und  dem  späteren  Erzbischofe  von 
Kalocsa,  Georg  Polycarpus,  bewiesen  hatten,  nicht  nur  aufs  liebens- 
würdigste, sondern  erhielten  auch  die  freundschaftlichen  Beziehungen 
zu  den  ungarischen  Prälaten  aufrecht,  wenn  dieselben  bereits  wieder 
in  die  Heimat  zurückgekehrt  waren.  Da  die  in  Italien  sich  aus- 
bildenden Ungarn  die  Leistungen  einer  neuen  Kunst  aus  eigener 
Anschauung  und  manchen  der  Meister  wohl  persönlich  kennen 
lernten,  so  boten  sich  von  selbst  die  Fäden  dar,  mit  welchen  die 
Kunstthätigkeit  Ungarns  den  Meistern  der  italienischen  Früh- 
renaissance verknüpft  werden  konnte. 

Es  war   geradezu  eine   Fügung  des  Himmels,    dass  die   Er- 
ziehung des  großen  Ungarnköniges  Mathias  Corvinus  in  die  Hände 
des  berühmten  ungarischen  Humanisten  Johannes  Vit^z  gelegt  war. 
Derselbe  war  nicht  nur  ein  begeisterter  Verehrer  classischer  Schrift- 
steller,   welche    er   seinem    Zöglinge   durch    die    Leetüre    Vergils, 
Xenophons,    des  Curtius,    Frontinus,  Vegetius,   Plutarch,  Apulejus 
u.  a.  näher  rückte,    sondern  auch   ein    Förderer   der   Kunst,    von 
welchem    unzweifelhaft    manche    Anregung    des    Kunstinteresses 
anderer  Personen  ausgieng.     Hat  doch  Mathias  Corvinus  gewisser- 
maßen nur  in  großem  Maßstabe  ausgeführt,  was  ihm  die  Förderung 
der  Kunst  durch  den  Graner  Erzbischof  als  erstrebenswertes  Ziel 
gleichsam  vorgezeichnet  hatte.     Denn  Johann  Vit^z  legte  in  Gran 
eine  reiche  Bibliothek  an,  welche  außer  den  Werken  der  griechi- 
schen und  lateinischen   Schriftsteller  kostbar  geschmückte   Hand- 
schriften enthielt,  und  stattete  seine  Residenz  mit  prächtigen  Sälen, 
marmornen  Säulengängen,  römischen  Bädern,  Teichen,  Thürmen, 
Statuen  u.  dgl.  aus.     Die  Macht  des  Beispieles  dieses  hochgestellten 
Kirchenfürsten  beeinflusste  gewiss  Ungarns  Bischöfe  und  Prälaten, 
die    größtentheils   gleiche    Bildung   wie  Johannes  Vit^z    genossen 
hatten  und,  wie  König  Mathias  selbst  Roborella   gegenüber  nach- 
drücklichst herv^orhob,    für  ihre   Bibliotheken,    Schulen,    Meister, 
Paläste  und  Gotteshäuser  sehr  bedeutende  Summen  verausgabten. 
Wie  Johann  Vit^z  für  die  unter  seiner  Mitwirkung  gegründete 
Pressburger  Universität  auch  italienische   Lehrkräfte  zu   erwerben 
trachtete,  so  hat  er  ebenfalls  für  seine   Bauten    die   schon   durch 
frühere  Leistungen  in  Ungarn  bekannt  gewordenen  italienischen 
Meister  herangezogen.     War  es   dann    zu   verwundern,    dass   sein 


Das  späte  Mittelalter. 


133 


Zögling,  als  er  zur  Herrschaft  gelangt  war  und  als  Förderer  der 
Wissenschaft  und  Kunst  auftrat,  in  denselben  Bahnen  wandelte? 
Die  zweite  Heirat  desselben  mit  der  humanistisch  gebildeten 
Beatrice  von  Neapel,  durch  deren  Vermittelung  Baumeister,  Maler, 
Bildhauer,  Steinschneider,  Tonkünstler  und  Sängerinnen  aus  Italien 
nach  Ungarn  berufen  wurden,  musste  der  Pflege  italienischer 
Kunstanschauungen  im  Lande  nur  förderlich  werden,  da  Mathias 
Corvinus  gerade  auf  die  Wünsche  seiner  Gemahlin,  der  er  prächtige 
Speisesäle  und  kostbar  ausgestattete  Wohnräume  herrichten  ließ, 
liebevoll  Rücksicht  nahm.  Die  Wertschätzung,  welche  der  Hof 
den  fremden  Gelehrten  und  Künstlern  zollte,  erregte  zwar  anfangs 
den  Neid  mancher  inländischer  Gegner  der  neuen  Richtung,  welche 
über  die  Vergeudung  der  trotz  kostspieliger  Kriege  erübrigten 
Summen  klagten.  Als  aber  Mathias  Corvinus  sich  dadurch  nicht 
von  seinem  Vorgehn  abbringen  ließ,  machten  die  rasch  nach 
einander  erstehenden  Neuschöpfungen  die  Stimmen  der  Tadler 
verstummen  und  fanden  bald  eifrige  Nachahmung. 

Das  bedeutendste  Werk  derselben  war  offenbar  der  auf  An- 
regung der  Königin  Beatrice  begonnene  Neubau  der  Ofener  Residenz, 
für  deren  Ausführung  Sigismund  einst  französische  Meister  berufen 
hatte.  Mathias  Corvinus  ließ  an  Stelle  des  theils  noch  unfertigen, 
theils  bereits  wieder  veralteten  Schlossbaues  eine  prächtige  Burg 
mit  stattlichen  Mauern,  Thürmen  und  Höfen  ausführen ;  für  die 
Schilderung  ihrer  Pracht  und  der  reichen  Ausstattung  kann  der 
Hofgeschichtsschreiber  Ant.  Bonfini  nicht  Worte  genug  finden. 
Säle,  Thüren  und  Gänge  zierten  bewundernswerte  Meisterwerke 
italienischer  Plastik  und  Malerei,  kostbare  Holzschnitzereien,  zum 
Theile  wohl  von  Pellegrino  di  Terma  gearbeitet,  hoben  die  Bücher- 
schränke der  berühmten  Bibliothek,  und  die  reichvergoldete  Decken- 
täfelung mehrerer  Säle  und  Zimmer  fand  nach  der  Versicherung 
des  späteren  Graner  Erzbisch  ofes  Nikolaus  Oläh  nur  im  Pariser 
Parlamentsgebäude  ihresgleichen.  Den  Eingang  am  heutigen 
Georgsplatze  schmückte  eine  Herculesstatue  und  den  freien  Platz 
vor  dem  Schlosse  das  Standbild  des  Königes  Sigismund,  während 
der  Schlosshof  selbst  durch  einen  Apollo,  eine  Diana  und  eine 
Minerva  über  einem  herrlichen  Wasserbassin  sowie  durch  die 
Bronzestatuen  der  drei  Hunyadi  —  nämlich  Johannes  und  seiner 
Söhne  Ladislaus    und  Mathias   —  geziert  war.     In   den   weiten 


I 'iA  Josef  Neuwirth 

Räumen  des  Schlosses  waren  wie  in  den  Höfen  und  Gängen  zahl- 
reiche Kunstwerke  untergebracht,  die  zum  Theile  Geschenke  der 
Fürsten  von  Florenz  und  Ferrara  waren ;  hier  befanden  sich  die 
Sculpturen  und  Gemälde,  welche  Mathias  Corvinus  in  Italien  ge- 
kauft oder  bestellt  hatte.  Vielleicht  einer  der  größten  Schätze 
der  an  Kunstschöpfungen  so  reichen  Königsburg  war  die  hoch- 
berühmte Bibliothek,  deren  Handschriften  in  reich  mit  Silber  oder 
Gold  gezierten  Sammteinbänden  aufbewahrt  wurden  und  prächtig 
mit  kunstvollen  Miniaturen  ausgestattet  waren. 

Es  würde  nahezu  befremden,  wenn  der  König,  welcher  nicht 
nur  wertvolle  alte  Handschriften  aufkaufen  ließ,  sondern  auch  in 
Florenz  4,  in  Ofen  sogar  30  Schreiber  mit  bedeutenden  Kosten 
beim  Abschreiben  lateinischer  und  griechischer  Texte  beschäftigte, 
für  die  Unterbringung  dieser  Schätze  nicht  wirklich  königlich 
gesorgt  hätte.  Die  nach  Classen  geordneten  Werke  befanden  sich 
auf  kunstvoll  geschnitzten,  mit  Gold  geschmückten  Gestellen  und 
wurden  durch  goldgestickte  Seidenvorhänge  vor  Staub  geschützt. 
Ein  von  zwei  Engeln  getragener  Globus  zierte  das  Hauptgemach, 
dessen  beide  Fenster  mit  kostbaren  Glasmalereien  ausgestattet 
waren.  Auf  dem  zwischen  denselben  an  der  Längswand  auf- 
gestellten Ruhebette,  das  golddurchwirkte  herrliche  Teppiche  be- 
deckten, pflegte  Mathias  in  ruhigen,  friedlichen  Tagen  sich  an  dem 
Geiste  seiner  Lieblingsschriftsteller  zu  erheben.  50.000  Bände 
verschiedenartiger  Handschriften  und  Druckwerke  sollen  bei  des 
Königs  Tode  den  Bestand  der  herrlichen  Bibliothek  gebildet  haben, 
deren  erste  Einrichtung  dem  berühmten  Johannes  Regiomontanus 
übertragen  wurde,  nach  dessen  Verzichtleistung  drei  Italiener  und 
schließlich  Felix  Ragusanus  rasch  nacheinander  als  Bibliothekare 
fungierten.  Erwägt  man,  dass  für  ein  Brevier  500,  für  ein  zweites 
und  eine  Bibel  1500  Goldgulden  gezahlt  wurden,  so  erhält  man 
wenigstens  Anhaltspunkte  für  die  Beurtheilung  der  Höhe  der  zu 
BücheranschaflFungen  verausgabten  Summen. 

An  der  Aufiuhrung  und  Ausstattung  der  Ofener  Königsburg 
waren  in  erster  Linie  italienische  Meister  betheiligt.  Vielleicht 
leitete  einige  Zeit  hindurch  den  Bau  der  schon  genannte  Aristotele 
Fioravanti,  dem  1468  der  Statthalter  von  Bologna  erlaubte,  aber- 
mals nach  Ungarn  zu  ziehen  und  dort  die  Festungen  und  Ver- 
theidigungswerke   gegen    die   Türken   in   Stand  zu  setzen.     1479 


Das  späte  Mittelalter. 


135 


Übernahm  der  Florentiner  Chimenti  Camicia  große  Bauten  in 
Ungarn,  für  welche  er  fünf  Baumeister  in  Florenz  anwarb ;  bei 
der  Ausführung  der  Paläste,  Gärten,  Springbrunnen,  Kirchen, 
Festungen  und  anderer  bedeutender  Gebäude,  die  er  auf  Befehl 
des  Königes  erbaute  oder  ausschmückte,  standen  ihm  Baccio  und 
Francesco  Cellini,  die  Oheime  des  berühmten  Benvenuto  Cellini, 
zur  Seite.  Durch  die  bei  den  Bauten  des  Mathias  Corvinus  be- 
schäftigten Dalmatiner  Baumeister  Jakob  und  Johann  von  Trau, 
deren  Heranbildung  von  italienischen  Anschauungen  beeinflusst 
war,  erhielt  die  Richtung  der  italienischen  Frührenaissance  eine 
nachhaltige  Verstärkung. 

Einen  Theilder  plastischen  Arbeiten  besorgte  der  bekannte 
Benedetto  da  Majano,  der  für  König  Mathias  zwei  herrliche  Schränke 
mit  eingelegter  Arbeit  ausführte  und  darauf  Aufträge  für  kostbare 
Marmorsculpturen  erhielt,  deren  Vollendung  den  Beifall  aller 
Kunstverständigen  erntete.  Dem  Steinmetzen  Bertocco  in  Carrara 
übertrug  Alexander  Formoser  als  Geschäftsträger  des  Königes  die 
Herstellung  eines  marmornen  Brunnenbassins,  für  welches  der 
Bildhauer  und  Erzgießer  Andrea  del  Verrocchio  den  figuralen 
Theil  arbeitete ;  diesem  Meister  hatte  Mathias  Corvinus  auch  die 
Herstellung  von  Büsten  übertragen,  die  oflFenbar  für  die  geplante 
Porträtgallerie  der  hervorragendsten  Heerführer  und  Staatsmänner 
bestimmt  waren.  Die  heute  in  den  kunstgeschichtlichen  Samm- 
lungen des  Allerhöchsten  Kaiserhauses  zu  Wien  aufbewahrten  Mar- 
morreliefs des  Königes  (Abb.  35)  und  seiner  Gemahlin  Beatrice  durch- 
dringt die  geistreiche  und  feinsinnige  Auffassung  italienischer  Kunst; 
dieselbe  vermittelte  darin  der  Nachwelt  eine  bewundernswerte  Vor- 
stellung der  geistigen  Macht  des  kunstliebenden  Herrscherpaares, 
dessen  Bildnisse  die  Buchmaler  nur  vereinzelt  nach  Gedenkmünzen 
mehr  individuell,  sonst  aber  durchaus  bald  realistisch,  bald  ideal 
frei  behandelt  haben. 

Wie  Architekten  und  Bildhauer  italienischer  Herkunft  so 
arbeiteten  auch  italienische  Maler  für  Mathias  Corvinus,  dem  z.  B. 
Filippino  Lippi  noch  in  seinem  Testamente  1488  mehrere  in  seinem 
Auftrage  gemalte  Heiligenbilder  auszufolgen  befahl,  während 
Mantegnas  berühmter  Pinsel  für  die  Festhaltung  der  königlichen 
Züge  herangezogen  wurde.  Italienische  Kalligraphen  und  Buch- 
maler, wie  der  in  einem  Briefe  des  Königs  147 1   ausdrücklich  als 


I  -30  Josef  Neuwirth 

sein  jjMiniator**  genannte  Blandins,  Antonio  Sinibaldi,  Pietro 
Cennini,  Sebastiano  Salvini,  Martinus  Faventius,  Filippo  Valori, 
Johannes  Franciscus  de  S.  Geminiano,  Martinus  Antonius  und 
Franciscus,  Priester  in  Florenz,  Marcus  Cinicus,  Sigismundus  de 
Sigismundis,  arbeiteten  an  der  künstlerischen  Ausstattung  der 
Handschriften  der  Corvina,  die  oft  auch  einen  gelegenheitsmäßigen 
actuellen  Charakter  gewann.  Der  Verherrlichung  der  Kriegsthaten 
des  Königs,  welche  die  Humanisten  mit  begeisterten  Worten  priesen, 
huldigte  auch  die  Buchmalerei,  deren  Motive  mit  Trophäen,  Kriegs- 
emblemen, lorbeer-  und  eichenlaubbekränzten  Bildnissen,  Schlachten- 
und  Triumphdarstellungen  verbunden  wurden.  Die  Palme  errang 
auf  diesem  Gebiete  neben  Francesco  Antonio  de  Chierico  und  dem 
unbekannten  Miniator  des  Münchener  ,Beda  venerabilis*,  des  Pariser 
,Cassianus*  oder  des  Venediger  ,Averulinus*  der  Florentiner  Atta- 
vante  degli  Attavanti,  dessen  Auffassung  und  Behandlung  an 
Sandro  Botticelli  oder  Filippino  Lippi  anklingen.  Wie  sehr  dem 
Könige,  der  besonders  in  den  letzten  fünf  Regierungsjahren  durch 
Italiener  Handschriften  mit  prächtigen  Malereien  ausstatten  ließ, 
die  Art  des  zuletzt  genannten  Buchmalers  zusagte,  beweist  die 
Thatsache,  dass  die  21  sicher  nachgewiesenen  Attavantes-Hand- 
schriften  gerade  den  fünften  Theil  aller  aus  der  berühmten  Corvina 
überhaupt  erhaltenen  Handschriften  bilden.  Die  künstlerisch 
wertvollsten  Darstellungen  bietet  das  1485  bis  1487  entstandene 
,, Brüsseler  Missale**,  dessen  Kunstweise  auch  die  ganz  in  Atta- 
vantes  Manier  ausgeführten  Titelblätter  und  Prachteinfassungen 
des  Wiener  Philostratus  durchdringt.     (Abb.  36.) 

Auch  für  die  Anfertigung  kostbarer  Goldschmiedearbeiten 
zog  Mathias  Corvinus  Italiener  heran,  was  vor  allen  Dingen  das 
berühmte  Reliquienkreuz  des  Graner  Domschatzes  bestätigt,  das 
1469  wahrscheinlich  von  dem  Florentiner  Meister  PoUajuolo  und 
gewiss  im  Auftrage  des  Königes  Mathias  angefertigt  wurde. 

Erwägt  man,  dass  es  an  dem  prunkvollen  Hofe  zu  Ofen  nicht 
an  Schauspielern  fehlte  und  italienische  Humanisten,  wie  Bart 
Fonzio,  Angelo  Poliziano,  Filippo  Valori,  Francesco  Bandini, 
Antonio  Bonfini  und  der  als  Erzieher  des  Königssohnes  bestellte 
Taddeo  Ugoletti,  besonders  aus  Florenz  nach  Ungarn  zogen  und 
hier  freundliche  Aufnahme  fanden,  so  erscheinen  in  der  ungarischen 
Hauptstadt   vom   Regierungsantritte   bis   zum  Tode   des  Mathias 


Abb.  36.    Titelblatt  der  lateinischen  Philostrat- Übe rsetiui 
Hofbibliothek  Nr,  25).  Miniatur  in  der  Manier  des  / 


Das  späte  Mittelalter.  I  0*7 

Corvinus  wie  in  einem  Brennpunkte  alle  jene  Strahlen  vereinigt, 
welche  an  den  Höfen  der  italienischen  Fürsten  Bildung  und  Kunst- 
pflege erwärmend  belebten. 

Dass  das  Kunstleben  am  ungarischen  Königshofe  auch  seine 
Rückwirkung  auf  die  Kunstthätigkeit  des  Landes  äußerte,  ist 
selbstverständlich.  Vor  dem  Brande  im  Jahre  1526  war  Ofen  nach 
dem  Zeugnisse  mehrerer  Schriftsteller  eine  durch  die  großen,  vor- 
wiegend ,,im  italienischen  Stile  erbauten  Paläste  der  Kaufleute 
und  Magnaten  ausgezeichnete  Stadt*',  für  deren  Bauten  die  mit 
der  Königin  Beatrice  ins  Land  kommenden  Italiener  stammver- 
wandte Arbeiter  heranzogen.  Hinter  den  Bürgern  blieben  die 
Kirchenfürsten  nicht  zurück.  Von  Andrea  Ferucci,  der  für  Mathias 
Corvinus  einen  prächtigen  Marmorbrunnen  arbeitete,  ließ  der 
Cardinal  Bakäcs  d'Erdöd  die  schönen  Marmordetails  des  Altares 
der  Bakäcs-Kapelle  im  Graner  Dome  ausführen,  welche  1543  bis 
auf  eine  herrliche  Figur  der  heil.  Jungfrau  von  den  Türken  ver- 
nichtet wurden.  Für  einige  der  schönen  Schnitzereien  in  den 
oberungarischen  Kirchen  ist  die  Einflussnahme  der  italienischen 
Meister  im  Zeitalter  des  Mathias  Corvinus  zweifellos.  Wie  dieser, 
so  ließ  sich  Janus  Pannonius,  als  er  in  Padua  weilte,  von  Mantegna 
malen ;  Johann  Vit^z  übertrug  den  Bildschmuck  des  im  Graner 
Domschatze  befindlichen  Pontificales  einem  auch  für  den  König 
arbeitenden  Miniator.  Das  vielleicht  von  Attavante  gezierte,  in 
Paris  befindliche  Brevier  des  Graner  Kirchenfürsten  oder  das 
Brevier  des  Stuhlweißenburger  Propstes  Dominicus  Kälmänczay 
in  der  Lambacher  Bibliothek,  dessen  Miniaturen  der  Mailänder 
Francesco  de  Castello  ausführte,  beweisen  die  Heranziehung  italieni- 
scher Miniatoren  für  Prachthandschriften  der  ungarischen  Geist- 
lichkeit, die,  wie  das  Graner  Graduale  des  Cardinales  Bakäcs  be- 
stätigt, auch  nach  dem  Tode  des  Königes  italienische  Buchmaler 
mit  Aufträgen  bedachte. 

Der  italienische  Einfluss  auf  Ungarns  Kunstleben  unter  Mathias 
Corvinus  lag  somit  vollständig  im  Zuge  der  Zeit,  in  welcher 
deutsche  Einwirkungen  sich  mehr  auf  Kaschau,  Leutschau,  Bartfeld 
und  die  Zipser  Städte  beschränkten,  sowie  in  Hermannstadt, 
Kronstadt  und  auf  dem  Siebenbürger  Königsboden  vorhielten. 
Die  italienische  Frührenaissance,  deren  Schöpfungen  in  den  Türken- 
und  Religionskriegen  fast  vollständig  vernichtet  wurden,   da  nur 


I  oQ  Josef  Neuwirth 

an  dem  Domportale  von  Gyula-Feh^rvär,  an  einigen  Grabdenkmalen, 
an  einem  Fünfkirchener  Altare  und  in  den  Sculpturen  der  Graner 
Bakacs-Kapelle  sich  nennenswerte  Überreste  erhielten,  gab  zwar 
am  königlichen  Hofe  den  Ton  an,  verdrängte  aber  selbst  in  Bau- 
werken, die  von  Mathias  Corvinus  gefördert  wurden,  nicht  ganz 
die  früher  geübte  Kunstweise.  Denn  auf  dem  Boden  der  Gothik 
blieb  die  Erhöhung  des  Thurmes  der  Pfarrkirche  in  Ofen,  der 
Chor  des  Pressburger  Domes,  Thurm,  Tabernakel  und  Todten- 
leuchte  in  Kaschau,  Werke,  welche  die  Anbringung  des  corvini- 
schen  Wappens  in  die  Zeit  des  großen  Königes  verweist.  Ja,  die 
Stuhlweißenburger  Grabkapelle  desselben  erinnert  mit  dem 
wappengeschmückten,  hängenden  .Schlussteine ,  der  einst  diese 
polygonale  Anlage  geziert  haben  soll,  an  die  auch  anderwärts 
z.  B.  im  Wladislawischen  Oratorium  des  Prager  Domes  beobachtete 
Gepflogenheit 

Dass  außer  Felix  Ragusanus  und  Abt  Madocsa  einheimische 
Arbeiter  an  verschiedenen  Orten  des  Landes  für  das  Schreiben  und 
Illuminieren  der  Handschriften  herangezogen  wurden,  steht  nach 
den  interessanten  Einzeichnungen  in  Werken  der  Bibliothek  der 
Bartfelder  Egidiuskirche  außer  Zweifel.  Die  Beschäftigung  deut- 
scher Buchmaler  für  den  König  verbürgt  das  1469  in  Wien  ver- 
fertigte Missale  der  Wiener  Jesuitenbibliothek.  Auch  in  Gold- 
schmiedearbeiten, welche  —  wie  der  Kelch  des  Dionysius  Sz6chy 
oder  vielleicht  auch  der  mit  der  Inschrift  ,,Libertati  Mathiae** 
versehene  Kelch  im  Graner  Domschatze  —  der  Zeit  des  Mathias 
Corvinus  angehören,  lebten  die  Kunstanschauungen  der  inländischen 
Goldschmiede  weiter,  die  sich  in  drei  verschiedene  Schulen  — 
eine  östliche,  eine  westliche,  durch  Zuwanderung  von  Wien, 
Nürnberg  und  Augsburg  weiter  gebildete  und  eine  in  der  Zips, 
Trencs^n,  Eperjes  und  Kassa  thätige  —  sonderten.  Beziehungen 
zu  den  zwei  letztgenannten  bieten  die  an  oberungarische  Motive 
erinnernden  Blattformen  und  die  eleganten,  sonst  bei  Arbeiten  der 
Pressburger  Schule  wie  dem  schönen  Telegdy' sehen  Kelche  be- 
gegnenden Blumen  des  berühmten  Wiener-Neustädter  Pokales,  der 
ein  Geschenk  des  Königes  an  diese  Stadt  sein  soll  und  mit  seinem 
emailgeschmückten  Blumenwerke  und  den  frei  gearbeiteten  Blatt- 
verzierungen zu  den  geschmackvollsten  Arbeiten  des  15.  Jahr- 
hundertes  zählt.     Seine  Anfertigung  geht  wahrscheinlich  auf  einen 


Das  späte  Mittelalter.  j<^q 

Befehl  Friedrichs  III.  zurück,  auf  welchen  außer  dem  bekannten 
AEIOV  und  dem  Doppelaar  das  FI  (Fridericus  Imperator)  deutet; 
nach  der  Jahreszahl  1462  wäre  wohl  an  einen  Versöhnungspokal 
zu  denken.     (Abb.  37.) 

Von  Deutschen  abhängig  blieb  Ungarn  in  der  Einführung 
eines  der  wichtigsten  Förderungsmittel  der  Bildung,  nämlich  der 
Buchdruckerkunst.  1473  erschien  Thuröczys  bekannte  Chronik  in 
Ofen  bei  Andreas  Hess,  welcher  sich  auf  Veranlassung  des  mit 
dem  Könige  verwandten  Altofener  Propstes  Ladislaus  Ger^b  in 
Ungarns  Hauptstadt  niedergelassen  und  mit  Unterstützung  des- 
selben die  Drucklegung  vollendet  hatte.  Die  Graner  Missalia 
wurden  1484  bei  Anton  Koburger  und  1490  bei  Georg  Stüchs  von 
Sulzpach  zu  Nürnberg,  i486  und  1495  auch  in  Venedig  bei 
Erhard  Radtoldt  und  Johann  Emerich  de  Spira  sowie  1491  von 
Konrad  Stahel  und  Matthäus  Preinlein  in  Brunn  gedruckt.  Erhard 
Radtoldt  beendigte  1488  in  Augsburg  den  Druck  der  Chronik 
Thuröczys.  Wie  die  ältesten  für  Ungarn  wichtigen  Druckwerke 
vorwiegend  von  Deutschen  hergestellt  waren,  so  nahmen  letztere 
auch  den  Verlag  und  Verkauf  der  Bücher  in  Ungarn  zuerst  in 
die  Hand.  Der  beim  Könige  Mathias  in  hoher  Gunst  stehende, 
1484  in  Ofen  begegnende  Theobald  Feger  stammte  aus  Kirchheim 
in  Württemberg,  und  sein  Concurrent  Georg  Ruem  war  von 
Benedict  Cornis,  Bischof  von  Drivastum,  1489  oder  1490,  sicher 
aber  noch  bei  Lebzeiten  des  Königes  Mathias  aus  Deutschland 
berufen.  Die  Fabel,  dass  der  König,  durch  die  herrliche 
Ausstattung  der  für  ihn  von  Italienern  hergestellten  Hand- 
schriften verwöhnt,  sich  mit  den  Erzeugnissen  des  Buch- 
druckes nicht  befreunden  konnte,  widerlegen  unbestreitbar  die 
vier  der  Corvina  entstammenden  Incunabeln.  Doch  kamen  ge- 
wiss auch  Druckwerke  aus  Italien  nach  Ungarn,  da  ja  Mathias 
selbst  am  13.  September  1471  auf  den  zu  Rom  gedruckten,  in 
seinen  Händen  befindlichen  Silius  hinwies  und  auf  Befehl  des 
Königes  Taddeo  Ugoletti  für  die  Corvina  und  die  Pressburger 
Universität  Bücher  in  Italien  sammelte,  wo  ungarische  Drucker 
wie  Thomas  Siebenbürger,  Andreas  Corvus  von  Kronstadt,  Peter 
von  Bartfeld,  der  Augustiner  Simon  von  Ungarn  arbeiteten.  Diese 
Verhältnisse  vermittelten  Ungarn  selbstverständlich  die  Kenntnis 
der  Werke    der  vervielfältigenden  Kunst,    des   Holzschnittes  und 


jAQ  Josef  Neuwirth 

des  Kupferstiches,  von  Deutschland  und  Italien  her,  wie  die 
Mathiasdarstellungen  der  Brünner  und  Augsburger  Thuröczy- 
Ausgaben  von  1488  und  das  Beatrix-Bildnis  des  1493  in  Ferrara 
gedruckten  Werkes  ,,De  claris  et  scelestis  mulieribus**  von  Phil. 
Bergomensis  erweisen. 

Auf  allen  mit  der  Kunstpflege  irgendwie  zusammenhängenden 
Gebieten  zeigten  König  Mathias  und  seine  Zeitgenossen  insbesondere 
wdrkthätige  Förderung  der  neuen  Ideen,  die  eine  großartige  Um- 
gestaltung des  Kunstschaffens  herbeiführten ;  Ungarn  eilte  seinen 
Nachbarn  darin  gleichsam  zielbewusst  voran.  Die  Ausgestaltung 
der  Bestrebungen  des  Königs,  Ungarn  eine  höhere  Weltstellung 
zu  erringen,  hinderte  sein  verhältnismäßig  früher  Tod  und  die 
bald  darauf  losbrechende  Verheerung  der  Türkenkriege,  welche 
die  Kunstwerke  des  Landes  vielfach  zerstörten.  Wie  aber  die 
Überreste  der  berühmten  Corvina  —  125  Handschriften  —  in  40 
europäischen  Bibliotheken  verstreut  sind  und  den  Kunstsinnigen 
aller  Nationen  und  Zeiten  von  den  edlen  Bestrebungen  des  großen 
Ungarnköniges  erzählen,  so  werden  auch  alle  Geschichtsfreunde 
der  Gegenwart  und  Zukunft  verehrungsvoll  bei  dem  Namen 
,, Mathias  Corvinus**  verweilen,  an  den  die  Erinnerung  eines  goldenen 
Zeitalters  der  Kunst  in  Ungarn  unauflöslich  geknüpft  ist. 


-  'v^4[^ 


KRAKAU  ZUR  ZEIT  DES  MITTELALTERS, 

EIN  STÄDTEBILD. 

Nicht  urkundliche  Belege  und  Nachrichten  der  Geschichts- 
schreiber allein,  sondern  auch  die  Bauwerke  einer  Stadt,  die 
Eigenthümlichkeit  ihrer  Gesammtanlage,  die  Überreste  der  Kirchen- 
und  Profanarchitektur  bestimmen  wesentliche  Züge  in  dem  Ge- 
schichtsbilde mittelalterlicher  Städte.  Was  Kriegsnoth,  Elementar- 
unfälle und  den  Wechsel  des  Zeitgeschmackes  in  den  verschiedenen 
Jahrhunderten  überdauert  hat,  ergänzt  oft  in  dankenswertester 
Weise  die  manchmal  dürftigen  und  unklaren  Aufzeichnungen  über 
die  Herstellung  interessanter  Kunstdenkmale  entschwundener  Zeiten 
und  vermittelt  die  zuverlässigsten  Anhaltspunkte  für  die  Feststel- 
lung der  Natur  jener  Anschauungen,  welche  das  Kunstschaffen 
der  einzelnen  Städte  in  den  verschiedenen  Perioden  beeinflussten. 

Nur  wenige  Städte  unseres  an  alten  Kunstschätzen  so  reichen 
Kaiserstaates  besitzen  eine  ähnliche  Fülle  zum  Theil  sehr  wohl 
erhaltener  Denkmale  des  Mittelalters  wie  Krakau,  die  alte 
Krönungsstadt  der  polnischen  Könige,  welche  bis  1609  daselbst 
auch  residierten.  Dadurch  stand  Krakau  Jahrhunderte  lang  nicht 
nur  als  Mittelpunkt  des  Staatslebens,  sondern  auch  als  Hauptstätte 
aller  Bestrebungen,  welche  die  Cultur-  und  Kunstverhältnisse 
Polens  beherrschten,  im  Vordergrunde.  Manchen  der  Stadt- 
physiognomie während  des  Mittelalters  eingeprägten  Zug  haben 
selbst  spätere  Jahrhunderte  nicht  aus  dem  Antlitze  der  verlassenen 
Königswitwe  verwischen  können  ;  noch  sind  ihr  kostbare  Schmuck- 
stücke aus  der  Zeit  ihres  Glanzes-genug  geblieben,  um  ein  ziemlich 
klares,  in  vielen  Details  höchst  anziehendes  Bild  des  bis  zum 
Schlüsse  des  Mittelalters  in  der  polnischen  Residenz  herrschenden 
Lebens  zu  vermitteln,  welchem  die  mannigfachen  Beziehungen 
der  für  den  Handel  mit  anderen  Ländern  sehr  günstig  gelegenen 
Stadt  stets  neue  Anregungen  zuführten. 


j^2  Josef  Neuwirth 

Das  Abhängigkeitsverhältnis  Krakaus  von  Böhmen  befruchtete, 
da  Krakau  bis  ins  ii.  Jahrhundert  der  Diöcese  Prag  angehörte, 
unstreitig  das  KunstschafiFen  des  frühen  Mittelalters,  was  deutlich 
daraus  erhellt,  dass  gerade  die  Domkirche  auf  dem  Wawel  dem  heil. 
Wenzel  gewidmet  ist,  dessen  Gestalt  gleich  der  des  heil.  Stanislaus 
auch  schon  in  dem  ältesten  Stadtsiegel  und  Stadtwappen  begegnet 
Darin  klingt  gewissermaßen  die  dankbare  Erinnerung  aus  für  das 
segensreiche  Eingreifen  des  Prager  Bischofes  Adalbert,  das  auch 
die  Kunstthätigkeit  Krakaus  beeinflusste. 

Seit  dem  Brande  von  1025  mehren  sich  die  Nachrichten 
über  Kirchenbauten,  da  ja  Krakau  im  11.  Jahrhunderte  zum  Bis- 
thume  erhoben  und  Gnesen  einverleibt  wurde.  Unter  denselben 
waren  vielleicht  die  Egidius-,  die  Dom-  und  die  Maria-Schneekirche 
als  Gründungen  König  lyadislaus'  am  bedeutendsten.  Die  Feuers- 
brunst von  II 25  zerstörte  nebst  anderen  Gotteshäusern  den  erst 
1120  geweihten  Dom,  dessen  Neubau  1126  begonnen  und  1193 
neuerlich  geweiht  wurde.  Aus  dieser  Periode  stammt  die  unter 
dem  lyanghause  befindliche  Krypta,  deren  rippenlose  Kreuzgewölbe 
auf  vier  kurzen  Säulen  mit  schmucklosen  Würfelcapitälen  rul;ien ; 
sie  ist  nächst  der  mit  zwei  Thürmen  flankierten  Fa9ade  der 
Andreaskirche  der  beachtenswerteste  Rest  des  Romanismus.  Gegen 
die  Mitte  des  12.  Jahrhundertes  gewann  der  Steinbau,  angeblich 
durch  die  Bemühungen  des  Peter  Wlast,  dem  die  Auflfuhrung  von 
70  Kirchen  zugeschrieben  wurde,  an  Verbreitung. 

Das  13.  Jahrhundert  war  dem  Kirchenbau  in  noch  höherem 
Grade  förderlich.  Außer  der  Florianikirche  am  Kleparz,  der  1226 
begonnenen  Marienkirche  und  der  Cistercienserkirche  Mogila  bei 
Krakau  erstanden  die  Ordensniederlassungen  der  1222  eingeführten 
Dominicaner  und  der  1237  auftretenden  Franciscaner,  während  der 
1230  durch  Feuer  beschädigte  Dom  1247  ^^^^  Bleideckung  und 
1250  einen  neuen  Fliesenbelag  erhielt.  Stadt  und  Burg,  die  1298 
mit  starken  Befestigungsmauern  umgeben  wurden,  fielen  1306  einer 
furchtbaren  Feuersbrunst  zum  Opfer.  Die  Bauformen  des  13.  Jahr- 
hundertes erhielten  sich  nur  an  dem  mit  einem  Bogenfriese  aus- 
gestatteten Giebel  des  nördlichen  Querhauses  der  Franciscaner- 
kirche  und  in  der  Dominicanerkirche.  Diese  ist  insbesondere  in 
technischer  Beziehung  als  ein  früher  Ziegelbau  von  Bedeutung, 
besitzt   ein    trefflich   gearbeitetes    Portal    und   ein   geradlinig   ab- 


Das  späte  Mittelalter.  ja'^ 

schließendes  Presby teriiim ,  dessen  Ausdehnung  fast  dem  Lang- 
hause mit  den  niedrigen  Seitenschiflfen  gleichkommt.  Die  Anlage 
des  13.  Jahrhundertes  ist  auch  noch  erkennbar  an  der  alten  Synagoge 
in  Kasimir,  deren  sechs  Kreuzgewölbejoche  auf  zwei  schlanken 
Pfeilern  ruhen ;  die  Leibungen  der  in  jedem  Schildbogen  ein- 
gestellten, rundbogig  schließenden  Fenster  sind  ziemlich  ab- 
geschrägt. 

Krakaus  Bedeutung  stieg  wesentlich,  als  es  1320  vom  Könige 
Wladislaw  IV.,  der  Polen  durch  die  Vereinigung  von  Groß-  und 
Kleinpolen  zu  bedeutender  Machtstellung  brachte,  zur  Krönungs- 
stadt erhoben  und  damit  von  selbst  Mittelpunkt  des  Königsthumes 
wurde.  Das  brachte  es  zunächst  mit  sich,  dass  der  1306  arg  be- 
schädigte Dom,  in  welchem  die  jeweilige  Krönung  stattfinden 
sollte,  in  würdiger  Weise  wieder  aufgebaut  wurde  ;  die  Vollendung 
des  Neubaues,  der  1364  geweiht  wurde,  zog  sich  fast  bis  ans  Ende 
der  Regierung  Kasimirs  des  Großen  hin,  der  nicht  nur  Polens 
Besitz  durch  Galizien,  Podolien  und  die  Lehensherrschaft  über 
Masovien  erweiterte,  sondern  auch  durch  weise  Gesetzgebung  die 
Verhältnisse  des  Landes  regelte. 

Im  Sonnenscheine  der  Bestrebungen  dieses  Herrschers,  welcher 
seinen  Unterthanen  auch  durch  Begründung  einer  Universität  die 
Schätze  abendländischer  Bildung  vermitteln  wollte,  brach  für 
Krakau  ein  goldenes  Zeitalter  an.  Dem  Zeitgeiste  entsprechend 
zeigten  sich  die  daraus  für  die  Kunstthätigkeit  erfließenden  Ein- 
wirkungen, wie  fast  gleichzeitig  in  Prag,  besonders  auf  dem  Gebiete 
des  Kirchenbaues.  Zunächst  ließ  Kasimir  die  Wölbung  des  Domes, 
bei  welchem  er  die  Mariä-Himmelfahrt-Kapelle  gründete,  malen 
und  mit  goldenen  Sternen  zieren  und  in  der  Stadt  Kasimir  1342 
den  Bau  der  Katharinen-,  1347  den  der  Frohnleichnamskirche  be- 
ginnen. In  diesem  Jahre  wurde  die  Georgskirche  auf  dem  Wawel 
und  1355  die  Michaelskirche,  ein  neuer  Ziegelbau,  geweiht ;  neben 
der  Dominicanerkirche  ließ  der  König,  der  in  der  Stadt  mehrere 
Kapellen  gründete  und  den  Neubau  der  Skalkakirche  förderte,  die 
Marienkapelle  errichten.  Von  großer  Bedeutung  war  für  Krakaus 
Entwicklung  auch  das  Aufblühen  neuer,  selbständiger  Gemein- 
wesen in  unmittelbarer  Nähe ;  denn  Kasimir  erhob  die  um  die 
Florianikirche  entstandene  Niederlassung  zur  Stadt  Kleparz  und 
verlieh  ihr  wie  dem  zur  Stadt  Kasimir  erhobenen  Dorfe  Bawol  das 


jAA  Josef  Neuwirth 

Recht  selbständiger  Verwaltung.  Kunstschaffen  und  Wohlstand 
eines  Landes  giengen  stets  Hand  in  Hand ;  der  ausgebreitete  Handel 
Krakaus  machte  den  Bürgerstand  reich,  welcher  nun  auch  Wert 
darauf  zu  legen  begann,  seine  Wohnungen  behaglich  und  dem 
Zeitgeschmacke  entsprechend  einzurichten.  Dem  wachsenden  Ver- 
kehre trug  die  Erbauung  der  mächtigen  Tuchhalle  auf  dem  Markt- 
platze der  Stadt  Rechnung,  während  neben  der  Laurenzikirche  in 
Kasimir  seit  1362  die  Gebäude  fiir  die  1364  gegründete  Universität 
erstanden,  welche  1400  nach  Krakau  selbst  verlegt  wurde.  Die 
auf  solche  Weise  steigende  Bedeutung  Krakaus  förderte  auch 
die  Kunst-  und  Gewerbethätigkeit,  die  nach  Kasimirs  Tode  (1370) 
nicht  unterbrochen  wurde,  sondern  fortblühte.  Denn  ihr  kam 
nicht  wenig  zustatten,  dass  Kasimirs  Schwester  Elisabeth  an  Stelle 
ihres  Sohnes,  des  Ungarnköniges  Ludwig  des  Großen,  die  Re- 
gierung Polens  übernahm  und  eine  glänzende  Hofhaltung  in 
Krakau  entfaltete.  Die  unvollendet  gebliebenen  Bauten  wurden 
weiter  geführt  und,  wie  der  dem  Dome  von  der  Königin  Elisabeth 
geschenkte  Reliquienschrein  des  heil.  Stanislaus  bezeugt,  den  ein- 
heimischen Meistern  lohnende  Aufträge  zugewendet.  Die  nach 
dem  Tode  Ludwigs  des  Großen  eintretenden  Verwickelungen 
hatten  für  Krakau  keine  geradezu  nachtheiligen  Folgen,  da  bald 
geordnete  Verhältnisse  wieder  platzgriffen,  als  die  von  den  Polen 
zur  Thronerbin  ausersehene,  jüngere  Prinzessin  Hedwig  dem  das 
Christenthum  annehmenden  Großfürsten  von  Lithauen  Jagello, 
der  den  Taufnamen  Wladislaw  erhielt,  die  Hand  reichte.  König 
Wladislaw  Jagello  vergrößerte  nicht  nur  durch  Hinzufügung  seines 
Stammlandes  den  Besitz  Polens,  sondern  hob  dessen  Bedeutung 
auch  durch  eine  im  Geiste  Kasimirs  des  Großen  gehaltene  Re- 
gierung, welche  vor  allem  der  Krönungs-  und  Residenzstadt  Krakau 
günstig  war.  Hier  wurde  die  1391  erneuerte  Kreuzkirche  slawischen 
Benedictinern,  1395  das  vom  Könige  gestiftete  Kloster  den  Kar- 
melitern und  die  1405  vollendete  Frohnleichnamskirche  in  Kasimir 
den  Augustinerchorherm  übergeben,  ein  Universitätsgebäude  für 
die  in  die  Stadt  selbst  übertragene  Hochschule  errichtet  und  1400 
die  Maria-Magdalenakirche  gegründet. 

Für  die  Kunstgeschichte  Krakaus  gewinnt  erst  die  zweite 
Hälfte  des  15.  Jahrhundertes  wieder  höheres  Interesse,  da  die 
Brände  von   1454,   1455,    1463,    1473,    1475,    1476,    1492   und    1494 


Das  späte  Mittelalter.  jac 

nicht  nur  zahlreiche  Bürgerhäuser  einäscherten,  sondern  auch  her- 
vorragende öflFentliche  Bauten  erheblich  beschädigten;  in  die  Re- 
gierungszeit Kasimirs  IV.  fällt  die  Ausfuhrung  prächtiger,  zum 
Theile  heute  noch  erhaltener  Arbeiten  und  die  Instandsetzung  der 
hart  mitgenommenen  Baudenkmale.  Während  derselben  scheint 
der  Verkehr  mit  dem  für  das  Kunstleben  Deutschlands  so  wichtigen 
und  damals  gerade  seiner  Blüte  energisch  zuschreitenden  Nürnberg 
nicht  minder  rege  gewesen  zu  sein  als  unter  Sigismund  I. ,  welcher 
1506  auf  den  Thron  Polens  gelangte.  An  seinen  Namen  ist  für 
Krakau  eine  neue  Glanzperiode  der  Kunst  auf  dem  Boden  neuer 
Ideen  geknüpft,  die  der  mit  dem  Mittelalter  absterbenden  Gothik 
den  Rücken  kehren  und  die  Kunstthätigkeit  der  polnischen  Krö- 
nungsstadt an  der  großen  Wiedergeburt  des  Kunstlebens  in  Italien 
und  Deutschland  theilnehmen  lassen.  Dieselben  fassten  in  Polen 
zuerst  durch  Beziehungen  zum  italienischen  Humanismus  Wurzel, 
da  der  1470  nach  Polen  gekommene  und  als  Erzieher  der  könig- 
lichen Prinzen  bestellte  Filippo  Buonacorsi  maßgebenden  Einfluss 
auf  die  dem  Kunstschaffen  so  freundlichen  Anschauungen  Sigis- 
munds  gewann,  welchen  die  Heirat  mit  Barbara  Zapolia,  der 
Schwester  des  Ungarnköniges,  in  Verbindung  mit  einem  von 
italienischer  Renaissance  beherrschten  I^ande  brachte.  Außerdem 
musste  die  zweite  Vermählung  Sigismunds  mit  Bona  Sforza,  der 
Tochter  des  Mailänder  Herzoges  Gian  Galeazzo,  die  einem  kunst- 
liebenden Hause  entstammte  und  mit  italienischen  Gelehrten, 
Dichtem  und  Künstlern  in  regstem  Verkehre  blieb,  der  Berufung 
italienischer  Meister  und  der  Verbreitung  ihrer  Anschauungen  un- 
gemein förderlich  werden. 

Die  großen  Baudenkmale  Krakaus,  welche  dem  späten  Mittel- 
alter angehören,  entstammen  verschiedenen  Bauperioden.  So  er- 
weist sich  der  Dom  auf  dem  Wawel,  der  ein  dreischiffiges  Langhaus, 
einschiffiges  Querhaus  und  dreischiffigen,  geradlinig  schließenden 
Chor  mit  Chorumgang  und  Kapellen  besitzt,  weder  als  ein  einheit- 
liches noch  als  ein  künstlerisch  hochbedeutsames  Object,  behält 
aber  trotz  zahlreicher  Anomalien  viel  Anziehendes.  Mit  Benutzung 
älterer  Bautheile  wie  der  romanischen  Krypta  wurde  er  vorwiegend 
im  14.  Jahrhunderte  ausgeführt,  aber  im  15.  durch  verschiedene 
Zubauten  wie  die  Sacristei  und  den  nördlichen  Thurm,  die  Kreuz- 
kapelle  u.    dgl.    erweitert.     Erwägt  man,    dass  in  dem   Krakauer 

■ 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  lO 


1^6  Josef  Neuwirth 

Dome  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhundertes  sich  56  Altäre,  prächtige 
Chorstühle,  Bischofsthron,  Kanzel,  lycttner  und  Orgel  befanden. 
Wände  und  Fenster  im  Glänze  des  Goldes  und  der  Farben  er- 
strahlten, die  königliche  Kapelle  unter  Wladislaw  Jagello  ,graeco 
more*  gemalt  war,  der  Kirchenschatz  einen  seltenen  Reichthum 
kostbarer  Geräthe  und  Gewänder  besaß,  so  muss  man  wohl  zu- 
gestehen, dass  die  Krönungskirche  der  polnischen  Könige  in  ihrer 
Ausstattung  anderen  großen  Domen  zweifellos  gleichkam  und  sich 
ihrer  hohen  Bestimmung  durchaus  würdig  zeigte.  Welch  ver- 
schiedene Kunstrichtungen  sich  auf  dem  Krakauer  Boden  begegneten 
und  an  der  Ausschmückung  des  Domes  und  seiner  Zubauten  theil- 
nahmen,  lehrt  ein  Blick  auf  die  von  Kasimir  IV.  und  seiner 
Gemahlin  Elisabeth  von  Osterreich  gestiftete  Kreuzkapelle.  Die 
noch  erhaltenen  Wandmalereien  stammen  von  der  Hand  slawischer 
Künstler,  vielleicht  griechisch-russischer  Maler,  die  schon  1393 
Wladislaw  Jagello  zur  Ausschmückung  der  Kreuzkirche  berief 
und  wahrscheinlich  auch  im  Dome  beschäftigte ;  den  Charakter 
der  Nürnberger  Werke  zeigen  der  1467  vollendete  Dreifaltigkeits- 
altar und  der  Altar  der  schmerzhaften  Jungfrau  Maria,  gothische 
Flügelaltäre  von  ziemlichem  Werte,  sowie  der  noch  gothische  An- 
ordnung festhaltende  Marmorsarkophag  des  Königs  Kasimir  IV., 
dessen  Ausführung  dem  1477  nach  Krakau  zugewanderten  Nürn- 
berger Veit  Stoss  übertragen  wurde.  Mag  an  derselben  auch  der 
Passauer  Jörg  Hueber,  dessen  Name  sich  an  einem  der  Capitäle 
befindet,  Antheil  genommen  haben,  so  bleibt  doch  die  Durch- 
bildung und  der  Aufbau  des  Werkes  Eigenthum  des  Nürnberger 
Meisters. 

Unter  den  Zubauten  des  Krakauer  Domes  aus  späterer  Zeit 
ist  die  sogenannte  Jagellonenkapelle  (Abb.  38)  die  künstlerisch 
bedeutendste  lycistung,  eine  frühe,  aber  voll  erschlossene  Blüte 
der  edelsten  Renaissance.  Sigismund  I.  ließ  1519  an  Stelle  der 
von  Kasimir  dem  Großen  gegründeten  Mariähimmelfahrtskapelle 
für  sich  und  seine  Familie  eine  Grabkapelle  durch  den  Florentiner 
Bartolomeo  Berecci  beginnen,  dessen  Plane  er  schon  1517  in  Wilna 
seine  Zustimmung  ertheilt  hatte ;  1520  war  der  Bau  vollendet. 
Auf  dem  an  die  Südseite  des  Domes  anschließenden  quadratischen 
Unterbaue  erhebt  sich  über  vermittelnden  Zwickeln  ein  außen 
achteckiger,    innen   runder   Tambour,    dessen    Seitenflächen    acht 


Das  spate  Mittelalter. 


Rundfenster  durchbrechen  ;    auf  demselben  ruht  die  mit  Kupfer 
überzogene,  geschuppte  und  vergoldete  Knppel,  über  welcher   die 


mit  einer  Krone  gezierte  Laterne  leicht  ansteigt.  In  den  Wänden 
der  Kapelle,  welche  Pilaster  gliedern,  sind  Nischen  für  Sarkophage 
und  Statuen  angeordnet  und  sogenannte  Grottesken  als  Schmuck 


j^g  Jo8ef  Neuwirth 

der  Pilaster,  Zwischenfelder  und  Wappenschilde  zwischen  den 
Zwickeln  verwendet;  feine  Cassettierung  ziert  die  Kuppel  und 
Pilastereinstellung  die  lyaterne.  Die  decorativen  Details,  welche 
mit  größter  Sorgfalt  in  Sandstein  ausgeführt  und  von  hoher 
plastischer  Wirkung  sind,  führte  Johann  Cini  aus  Siena  mit 
mehreren  dazu  eigens  berufenen  Landsleuten  aus  und  verwendete 
dabei  geschickt  Motive,  die  an  dem  Altare  von  Fontegiusta  des 
Lorenzo  di  Mariano  wieder  begegnen.  Mit  den  Silberreliefs  des 
Flügelaltares  von  Melchior  Bayr,  Peter  Flötner  und  Pankraz 
Labenwolf  erhielt  auch  die  deutsche  Renaissance  Antheil  an  der 
Ausschmückung  des  herrlichen  Baues,  den  die  Inschrift  der 
Außenseite  mit  Stolz  als  ,Saxaque  Phidiaco  sculpta  magisterio* 
bezeichnet. 

Nächst  dem  Dome,  welcher  vor  allem  den  Königen  Polens 
seine  Auffuhrung  und  Ausstattung  zu  danken  hat,  bleibt  die  im 
Mittelpunkte  Krakaus,  auf  dem  Ringe  liegende  Marienkirche  be- 
achtenswert, deren  Aufbau  besonders  die  Bürger  förderten,  wenn 
auch  die  Tradition  den  Bischof  Iwo  Odrow^Ä  als  Gründer  und  den 
Schatzmeister  Kasimirs  des  Großen  Nikolaus  Wierzynek  als  Bau- 
herrn eines  neuen,  von  Meister  Werner  1359  vollendeten  Chores 
feiert.  Die  Fundamente  der  dreischiffigen,  mit  niedrigen  Abseiten 
ausgestatteten  Anlage,  in  deren  langgestrecktes  Presbyterium  der 
Meister  Czipser  von  Kasimir  nach  dem  Einstürze  der  Wölbung 
1442  ein  neues  Sterngewölbe  einzog,  stammen  noch  aus  dem 
13.  Jahrhunderte,  als  Bischof  Iwo  von  der  den  Dominicanern  ein- 
geräumten Dreifaltigkeitskirche  die  Pfarrei  Krakaus  hieher  über- 
trug. In  ihrer  heutigen  Ausstattung  verweist  die  Marienkirche 
besonders  auf  eine  Bauführung  des  15.  Jahrhundertes,  dem  auch 
das  Taufbecken  und  die  1435  von  Johann  Freden tal  gegossene 
Glocke  entstammt,  während  die  drei  Glasmalereien  der  Chorschluss- 
fenster dem  14.  Jahrhunderte  angehören.  Für  die  Geschichte  der 
deutschen  Plastik,  als  deren  Schöpfungen  die  Grabplatten  für 
Peter  Salomon  und  Peter  Kmita,  die  noch  treff'lichere  des  Filippo 
Buonacorsi  und  das  im  Dome  aufgestellte  Grabmal  des  1503  ver- 
storbenen Cardinais  Friedrich  mit  ihren  offenkundigen  Beziehungen 
zu  der  berühmten  Nürnberger  Gießerei  des  Peter  Vischer  von  höch- 
stem Werte  bleiben,  ist  der  in  der  Krakauer  Marienkirche  erhaltene 
Flügelaltar   des  Veit   Stoss   von   ganz    hervorragendem  Interesse. 


Das  späte  Mittelalter.  I^^n 

Der  Altarschrein  (Abb.  39)  enthält  den  Tod  Maria,  zu  welchem 
die  Reliefdarstellungen  der  geöfiheten  Flügel — Verkündigung,  Geburt 
Christi,  Anbetung  der  Könige,  Auferstehung  und  Himmelfahrt 
Christi,  Ausgießung  des  heil.  Geistes  —  und  die  in  der  Staffel 
treflflich  behandelte  Wurzel  Jesse  hinüberleiten,  während  die  dem 
luftig  durchbrochenen  Giebelaufbaue  verbundene  Krönung  Maria 
durch  Gott  Vater  und  Sohn  zwischen  den  heil.  Bischöfen  Adalbert 
und  Stanislaus  den  naturgemäßen  Abschluss  bildet  Die  Außen- 
seiten der  geschlossenen  Flügel  zeigen  12  Scenen  aus  dem  lieben 
Christi. 

Das  Altarwerk,  dessen  lebendig  durchgearbeitete,  aber  vor 
übertriebener  Bewegung  nicht  ganz  abgerundete  Compositionen  zwar 
naturalistische  Charakterisierung  der  einzelnen  Köpfe  und  reiche, 
wegen  der  unruhigen  Falten  nur  unklar  entwickelte  Gewandung 
bieten,  ist  eine  Stiftung  der  Krakauer  Bürgerschaft  und  von  1477 
bis  1489  um  2888  Gulden  von  dem  nach  Krakau  eingewanderten 
Nürnberger  Veit  Stoss  ausgeführt  worden.  Die  Anerkennung, 
welche  dem  Meister  für  die  ,, seinen  Namen  dem  ewigen  Andenken 
der  Nachweif  überliefernde  Arbeit  zutheil  wurde,  vermittelte  dem 
Künstler  neue  Aufträge,  wie  den  Stanislausaltar  der  Marienkirche, 
von  welchem  nur  die  beiden  Flügel  mit  den  6  Reliefs  aus  dem 
Leben  des  Heiligen  erhalten  sind,  das  Grabmal  Kasimirs  IV.,  die 
im  Dome  zu  Gnesen  aufgestellte  Grabplatte  für  den  1493  gestorbenen 
Erzbischof  Olesnicki  und  die  Ausführung  von  147  Stühlen  für  die 
Marienkirche,  welche  noch  1495  den  Meister  beschäftigte.  Das 
beweist,  dass  fremde  bewährte  Künstler  in  Polens  Krönungsstadt 
durch  Jahrzehnte  lohnende  Arbeit  und  damit  Einfluss  auf  das 
Kunstleben  gewannen.  Denn  erst  1496  kehrte  Veit  Stoss  in  seine 
Vaterstadt  zurück,  wo  er  als  ,, unruhig  hey loser  Bürger*'  bald  be- 
rüchtigt und  wegen  Urkundenfälschung  in  einer  Schuldsache  mit 
Durchbohrung  beider  Backen  mittels  glühender  Eisen  gebrandmarkt 
wurde.  Mag  auch  der  als  Mensch  durchaus  nicht  achtenswerte, 
streitsüchtige  und  wortbrüchige  Meister  keineswegs  unsere 
Sympathien  haben,  so  zählt  doch  seine  Künstlerpersönlichkeit, 
von  deren  Leistungen  wohl  der  1518  von  Anton  Tucher  gestiftete 
,, englische  Gruß**  im  Chore  der  Nürnberger  Lorenzkirche  am 
bekanntesten  geworden  ist,  zu  den  hervorragendsten  Vertretern 
Nürnberger    Schnitzkunst.      In.   Krakau    zeigte   sich    Veit   Stoss 


I CQ  Josef  Neuwirth 

offenbar  nur  von  der  guten  Seite,  wofür  sein  fast  aojähriger  Auf- 
enthalt, seine  wiederholte  Wahl  zum  Zunftvorstande  und  die  sich 
mehrenden  Aufträge  sprechen,  und  brachte  Nürnberger  Art  im 
fernen  Osten  zu  hohen  Ehren. 

Kein  Wunder,  dass  man  für  die  Ausstattung  der  Marienkirche, 
an  der  Nürnberg  mit  Arbeiten  der  Vischer' sehen  Gießerei  und 
des  kunstfertigen  Veit  Stoss  betheiligt  war,  auch  Nürnberger 
Maler  heranzog.  Die  Schatzkammer  der  erwähnten  Kirche  bekam 
auf  den  Thüren  der  Schränke  acht  Darstellungen  aus  der  Legende 
der  heil.  Katharina,  welche  1514  bis  1515  entstanden,  nämlich 
Katharina  vor  Maria  kniend,  mit  den  Philosophen  disputierend, 
in  den  Kerker  geworfen,  vom  Tode  durchs  Rad  gerettet,  die  Ent- 
hauptung der  Königin,  Anstalten  zur  Enthauptung  Katharinas, 
Ausstellung  ihrer  Leiche  und  Übertragung  derselben  zum  Himmel; 
dieselben  sind  nach  der  erhaltenen  Inschrift  von  dem  Gehilfen 
und  Freunde  Albrecht  Dürers,  von  Hans  Sues  von  Kulmbach, 
gemalt,  von  dessen  Hand  auch  in  der  Johanneskapelle  der  Floriani- 
kirche  das  Abendmahl,  Johannes  den  Kelch  segnend,  Johannes  auf 
Patmos  und  im  Kessel  mit  siedendem  Öle  sowie  in  der  städtischen 
Gallerie  der  Tuchhalle  der  Tod  Johannes  des  Evangelisten  von 
15 16  stammen.  Hans  von  Kulmbach,  der  in  diesen  Werken  Ab- 
hängigkeit von  dem  Stile,  der  Compositionsanordnung  und  Durch- 
bildung Dürers  zeigt,  aber  in  den  Formen  auch  über  diesen 
hinausgeht,  zog  1514  nach  Krakau,  wo  er  bis  1517  blieb.  Seine 
die  Eigenart  des  größten  Nürnberger  Malers  vermittelnde  Auf- 
fassung .  und  Darstellungsweise  fand  offenbar  in  Krakau  solche 
Anerkennung  und  solchen  Beifall,  dass  Albrecht  Dürers  Bruder 
und  Schüler  Hans  Dürer  sich  zu  einer  Reise  nach  Polen  angeregt 
fühlen  mochte,  wo  er  von  1529  bis  1538  als  Hofmaler  Sigismunds  1. 
thätig  war.  Wie  diese  Stellung  so  weisen  auch  die  Passionsscenen 
der  vorderen  Sacristei  der  Marienkirche  und  die  Apostelmartyrien 
der  Katharinenkirche  in  Kasimir  auf  den  Umfang  des  Einflusses 
hin,  den  Hans  von  Kulmbach,  Sebald  Singer  von  Nürnberg  und 
Hans  Dürer  und  durch  sie  die  neue  Bahnen  wandelnde  Nürn- 
berger Richtung  der  deutschen  Kunst  auf  die  Krakauer  Maler 
gewannen.  Die  Heranziehung  Nürnberger  Schnitzer  und  Maler 
für  die  Ausschmückung  der  Marienkirche,  für  welche  in  erster 
Reihe  das  Bürgerthum  sorgte,  ergab  sich  zunächst  wohl  aus  dem 


Das  späte  Mittelalter.  jrj 

regen  Handelsverkehre,  der  zwischen  Krakau  und  der  deutschen 
Reichsstadt  unterhalten  wurde  und  außer  der  Förderung 
materieller  Interessen  auch  manch  nachhaltige  geistige  Anregung 
vermittelte. 

Unter  den  übrigen  Krakauer  Kirchen  verdienen  außer  der 
schon  erwähnten  Dominicanerkirche,  die  1408  eine  neue  Chor- 
wölbung erhielt  und  nach  dem  Brande  von  1463  ziemlich  bedeutende 
Veränderungen  erfuhr,  die  Kreuzanlage  der  Franciscanerkirche, 
deren  Portal  und  Langhaus  erst  nach  dem  Zusammensturze  des 
Thurmes  im  Jahre  1465  und  nach  der  1476  durch  Blitzstrahl  ver- 
ursachten Feuersbrunst  überarbeitet  wurden,  die  spätgothische 
Vorhalle  der  Barbarakirche,  die  Kreuzkirche  und  die  Katharinen- 
kirche  in  Kasimir  besondere  Erwähnung.  Sie  haben  das  Charak- 
teristische ihrer  mittelalterlichen  Hauptbauperioden  bewahrt, 
während  der  Geschmack  späterer  Kunstanschauungen  andere 
Gotteshäuser,  wie  die  bei  den  Bränden  des  15.  Jahrhundertes  hart 
betroffene  Peters-  oder  Marcuskirche,  im  Sinne  seiner  Zeit  umge- 
staltete, und  gehören  der  Spätgothik  an,  da  selbst  die  unter 
Kasimir  dem  Großen  begonnene  Katharinenkirche  infolge  des  bei 
einem  Erdbeben  1443  eingetretenen  Gewölbeeinsturzes  erst  1505 
vollendet  wurde.  Die  dreischiffige  Anlage  mit  langgestrecktem 
Presbyterium  und  niedrigen  Abseiten  hält  im  Innern  Aufbaue 
den  Typus  der  Marien-  und  Dominicanerkirche  fest  und  besitzt 
an  der  Südseite  eine  reich  ausgestattete  Vorhalle,  deren  inneres 
Portal  auch  sonst  an  Krakauer  Bauten  begegnende  Motive  ver- 
wertet ;  dies  deutet  darauf  hin,  dass  man  sich  lange  an  eingebürgerte 
Formen  hielt  und  gern  naheliegende  Muster  verwendete.  Die 
Kreuzkirche,  in  deren  quadratischem  Langhause  sich  von  dem  in 
der  Mitte  stehenden  Pfeiler  die  Rippen  des  Stemgewölbes  ent- 
wickeln, bietet  mit  dem  geradlinigen  Chorschlusse  und  der  Thurm- 
anlage  an  der  Westseite  das  Vorbild  einer  kleinen  Stadtkirche  am 
Anfange  des  16.  Jahrhundertes. 

Die  Krakauer  Kirchen  sind  auch  in  technischer  Beziehung 
sehr  beachtenswert.  Im  Gegensatze  zu  dem  ganz  aus  Hausteinen 
ausgeführten  Dome  sind  bei  den  übrigen  Bauten  Ziegel  verwendet, 
während  vortretende  Details  wie  die  Gesimse  oder  die  alten  Strebe- 
pfeiler der  Dominicanerkirche  gleichfalls  aus  Stein  hergestellt 
wurden.     Die  Natur  dieses  Materiales  schränkte  an  den  Krakauer 


1  cg  Josef  Neuwirth 

Bauten  den  reichen  plastischen  Schmuck  bedeutend  ein  und  verlieh 
ihnen  einen  Zug  des  Einfachen,  der  nicht  selten  an  das  trocken 
Strenge  streifte.  Die  einzelnen  Denkmale  hängen  auch  durch 
gewisse  Schuleigenthüinlichkeiten  zusammen.  So  schließen  sich 
die  oben  erwähnten  größeren  Kirchen  an  den  Dom  in  der  eigen- 
thümlichen  Bildung  des  Pfeileransatzes  gegen  das  Seitenschiff  an, 
mit  welcher  die  wiederholten  Einstürze  der  mangelhaft  construierten 
Gewölbe  der  Dominicaner-  und  Katharinenkirche  in  Beziehung  zu 
bringen  sind ;  dasselbe  Verhältnis  zeigt  sich  in  der  Maskierung  der 
im  Ansätze  des  Seitenschiffdaches  an  das  Mittelschiff  entstehenden 


e  Tuchhalle  in  Krakau. 


hohen  Wand  durch  Herabführung  der  Fensternische  und  der  Maß- 
werkstäbe bis  zum  Arcadensimse.  Eine  gewisse  Hinneigung  zum 
geradlinigen  Chorschlusse,  der  bei  der  Dominicanerkirche ,  dem 
Dome  und  der  Kreuzkirche  entschieden  betont  ist,  verräth  Be- 
ziehungen zu  der  Bauweise  des  deutschen  Ordenslandes,  die  auch 
in  der  Gliederung,  Wölbung,  im  innem  Aufbaue,  in  den  Ver- 
hältnissen u.  dgl.  zutage  treten;  sie  finden  in  der  mannigfachen 
Berührung  Polens  mit  diesem  Gebiete  wohl  ihre  beste  Erklärung 
nnd  haben  zweifellos  auch  die  an  den  norddeutschen  Backsteinbau 
erinnernde   Krakauer  Giebelbildung   begünstigt.     Der  Thurmbau 


Das  späte  Mittelalter. 


153 


ist  nur  beim  Dome  und  bei  der  Marienkirche  eigenartig  entwickelt 
und  zeigt  hier  hölzerne,  ringsum  mit  Thürmchen  besetzte  Helme, 
die  in  mancher  Hinsicht  an  eine  auch  in  Prag  mehrfach  begegnende 
Anordnung  erinnern ;  sonst  begnügte  man  sich  in  Krakau  vor- 
wiegend mit  kleinen  Thürmen  und  Dachreitern. 

Nicht  minder  interessant  als  für  den  Kirchenbau  sind  Krakaus 
Baudenkmale  auch  für  den  Profanbau.  Allerdings  ist  der  schönste 
und  bedeutendste  Theil  des  Schlosses,  neben  welchem  die  Über- 
reste der  theilweise  im  14.  und  im  15.  Jahrhunderte  ausgeführten 
Partien  ganz  zurücktreten,  ein  Werk  des  15 16  in  Krakau  ver- 
storbenen Florentiners  Francesco  Lori;  an  einigen  Thür-  und 
Fenstereinfassungen  des  Sigismundbaues  haben  Gothik  und  Re- 
naissance ein  eigenthümliches  Compromiss  geschlossen,  in  welchem 
neue  Anschauungen  den  alten  noch  ein  schüchternes  Wort  ge- 
statten. Von  dem  alten  Rathhause,  das  erst  im  19.  Jahrhunderte 
abgetragen  wurde,  erhielt  sich  nur  der  aus  Quadern  errichtete, 
mit  einem  hübschen  Erker  ausgestattete  Thurm,  der  dem  15.  Jahr- 
hunderte entstammt.  Aber  in  dem  CoUegium  Jagellonicum,  dem 
Universitätsgebäude,  und  in  der  weithin  bekannten  Tuchhalle  be- 
sitzt die  polnische  Krönungsstadt  Werke  der  Profanbaukunst, 
welche  nur  in  wenigen  Städten  ihresgleichen  finden. 

Wladislaw  Jagello  hatte  im  Jahre  1400  die  1364  in  Kasimir 
errichtete  Universität  in  ein  neues  Gebäude  der  Stadt  selbst  über- 
tragen, neben  welchem  im  Laufe  des  15.  Jahrhundertes  noch  drei 
andere  Collegien  entstanden ;  dasselbe  ist  heute  in  seinem  Haupt- 
bestande noch  in  jener  Beschaffenheit  erhalten,  welche  ihm  die 
nach  dem  Brande  von  1492  sofort  auf  Anregung  des  Bischofes 
Friedrich  eingeleiteten  Wiederherstellungsarbeiten  verliehen.  Der 
von  den  vier  Gebäudeflügeln  umschlossene  Hof  hat  mit  seinen 
niedrigen,  im  Zellengewölbe  geschlossenen  Säulengängen,  mit  den 
gothische  und  Renaissancemotive  verwendenden  Thür-  und  Fenster- 
einfassungen viel  Malerisches  an  sich. 

War  das  Universitätsgebäude  gleichsam  der  Brennpunkt  des 
wissenschaftlichen  Lebens  in  Krakau  und  Polen,  so  concentrierten 
sich  die  materiellen  Bestrebungen  der  Bürger  in  einem  anderen 
bedeutenden  Profanbaue  Krakaus,  in  der  gewaltigen  Tuchhalle 
(Abb.  40),  welche  von  einem  glänzenden  Abschnitte  der  Handels- 
geschichte Polens  zeugt.     Wie  großartig  muss  der  Handelsverkehr 


j  CA  Josef  Neuwirth 

gewesen  sein,  welcher  in  der  Auflfuhrung  dieses  ausgedehnten, 
mächtigen  Bauwerkes  seinen  monumentalen  Ausdruck  fand !  Lässt 
sich  auch  die  Anlage  einer  ,,camera,  ubi  panni  venduntur**,  bis  in 
die  Tage  Boleslaws  des  Schamhaften  zurückverfolgen,  so  führte 
doch  erst  der  bedeutende  Aufschwung  des  Handels  unter  Kasimir 
dem  Großen  dazu,  dass  dieser  Fürst  1358  eine  180  polnische 
Ellen  lange  und  18  polnische  Ellen  breite  Tuchhalle,  deren  Um- 
fassungsmauern in  einiger  Entfernung  vom  Erdboden  mit  Fenstern 
durchbrochen  waren,  erbauen  ließ.  Neben  derselben  erstanden 
auf  Anregung  der  Königin  Hedwig  1399  die  sogenannten  reichen 
Krambuden.  1557  vernichtete  eine  Feuersbrunst  den  fast  zwei 
Jahrhunderte  alten  Bau,  der  jedoch  rasch  wieder  in  brauchbaren 
Zustand  versetzt  wurde,  wobei  der  um  1530  nach  Polen  gekommene 
Gian  Maria  Padovano,  genannt  il  Mosca,  ein  Schüler  des  Agostino 
Zoppo,  in  hervorragender  Weise  thätig  war.  Giebel  und  Dach- 
aufbau des  später  mehrfach  durch  Anbauten  veränderten  Gebäudes 
deuten  darauf  hin,  dass  vorwiegend  das  Dach  gelitten  hatte,  indes 
der  Grundstock  des  Gebäudes  noch  das  Mauerwerk  des  14.  Jahr- 
hundertes  besitzt.  Dieser  Zeit  gehören  wahrscheinlich  auch  die 
Strebepfeiler  an,  den  Längsmauem  und  sicher  die  beiden  gothischen 
Thorbogen  an,  durch  welche  man  die  Halle  betritt,  während  die 
Seiteneingänge  und  die  an  beiden  Stirnseiten  zum  Obergeschosse 
emporfiihrenden  Freitreppen  erst  bei  der  Wiederinstandsetzung  des 
Baues  angeordnet  wurden ;  in  einigen  der  an  die  lange  Halle  an- 
stoßenden Räume  haben  sich  kunstvolle  Wölbungen  mit  schöner 
Rippenführung  erhalten.  Obwohl  Backsteinbau,  zeugt  die  Tuch- 
halle, deren  Mittelraum  auf  jeder  Längsseite  18  nach  dem  Innern 
sich  öfihende  Kramstände  begrenzen,  trotz  mancher  Beschädigungen 
von  einer  höchst  achtenswerten  Solidität  der  Technik  und  verbürgt 
gerade  durch  ihre  Lage  mitten  auf  dem  großen  Ringe,  dass  man 
in  richtiger  Erkenntnis  des  Zweckes  den  allgemeinen  Bedürfnissen 
geltenden  Bau  an  jener  Stelle,  welcher  alle  Adern  des  städtischen 
Verkehres  das  frisch  pulsierende  Blut  reger  Gewerbsthätigkeit 
gleichsam  zum  Stoffwechsel  in  Form  des  Kaufes  und  Verkaufes 
zuführten,  in  entsprechender  Ausdehnung  errichtete.  Das  Ver- 
hältnis der  Tuchhalle  zu  den  Gebäudereihen  des  großen  Ringes 
weist  überdies  darauf  hin,  dass  die  Anlage  dieses  Platzes,  der  ihn 
umgebenden  und  auf  ihm  errichteten  Gebäude  genau  erwogen  und 


Das  späte  Mittelalter. 


155 


auch  im  Zusammenhange  mit  den  übrigen  Gassen  von  großer 
Regelmäßigkeit  war,    die  freie  und  leichte  Bewegung  ermöglichte. 

Die  ungestörte  Förderung  der  geistigen  und  materiellen  Inter- 
essen Krakaus  war  gegen  feindliche  AngriflFe  durch  ausgedehnte 
Befestigungswerke  geschützt;  eine  doppelte  Ringmauer  mit  ge- 
mauertem Graben  umzog  die  Stadt,  die  durch  sieben  Thore  mit 
größeren  Thürmen  zugänglich  war  und  von  31  kleineren,  in  die 
Mauer  eingetheilten  Thürmen  in  ganzem  Umfange  gleichmäßig 
vertheidigt  werden  konnte.  Letztere  wurden  verschiedenen  Zünften 
zugetheilt  und  waren  unten  viereckig  aus  Bruchsteinen,  oben  nach 
außen  halbrund  aus  Ziegeln  erbaut,  welche  manchmal  durch  die 
Kopfglasur  der  ins  Mauerwerk  eingreifenden  Binder  eine  hübsch 
gezeichnete,  musivische  Ausschmückung  des  Äußeren  ermöglichten. 
Wie  gewaltig  die  Vertheidigungsmaßregeln  für  die  Hauptzugänge 
waren,  zeigt  das  wohl  erhaltene  Florianithor,  durch  welches  die 
Könige  zur  Krönung  oder  als  Sieger    einzogen. 

Dieses  bedeutende  Vertheidigungswerk  (Abb.  41)  zerfallt  in 
den  vor  der  äußeren  Stadtmauer  errichteten  Vorbau  und  den 
massiven,  viereckigen  Thorthurm,  welcher  durch  einen  geschützten 
Verbindungsgang  mit  ersterem  in  Zusamenhang  gebracht  wurde. 
Mittels  einer  Zugbrücke  gelangte  man  über  den  nun  verschütteten, 
sehr  tiefen  Graben  durch  das  rundbogig  umrahmte  Portal  in  den 
Hof  des  etwas  mehr  als  halbrunden  Vorbaues,  den  gegen  die  Stadt 
zu  schräg  gestellte,  zur  Stadtmauer  fast  parallele  Mauern  und  der 
rechteckige  kleine  Corridor  zu  dem  Verbindungsgange  abschlössen. 
Sieben  kleine,  gemauerte  Thürmchen,  die  abwechselnd  rund  und 
achteckig,  sowie  mit  schlanken  Spitzen  geziert  sind,  erhöhen  das 
Malerische  der  dritten  Schießschartengallerie,  die  auf  großen 
Consolen  nach  außen  vorgebaut  ist  und,  da  die  von  Console  zu 
Console  gespannten  Bogen  abwechselnd  halb  als  Pechnasen  ge- 
öfihet  sind,  auch  das  Herabgießen  des  siedenden .  Peches  oder 
Wassers  auf  die  den  Graben  überschreitenden  Angreifer  ermög- 
lichte. Der  ersten  Schießschartenreihe  entspricht  im  Innern  des 
Hofes  eine  abwechselnd  als  schwache  Blenden  und  tiefe  Nischen 
in  die  Mauer  eingefügte  Arcadenstellung,  über  welcher  die  zweite 
Schießschartenreihe  angeordnet  ist  und  nach  innen  eine  auf  Con- 
solen ruhende,  vom  mit  einer  undurchbrochenen  Steinbrüstung 
versehene  Gallerie   vortritt,    während   unter   den   Hofarcaden  von 


icg.  Josef  Neuwirth 

einem  gewölbten  Gange  aus  sich  Schießscharten  nach  dem  Stadt- 
graben öffneten.  In  diesem  Hofe  der  Barbakane,  dessen  Gallerie 
Platz  für  zahlreiche  Zuschauer  bot,  begrüßten  die  Vertreter  der 
Stadt  den  König,  der  erst  nach  dem  Passieren  des  mit  der  inneren 
Stadtmaner  verbundenen  Thorthurnies  die  Stadt  selbst  betrat 
Fallgitter  nnd  schwere  Thorflügel  sperrten  hier  in  Kriegszeiten 
den  Zugang.  Der  oben  an  der  innern  Stadtmauer  einst  ringshernm- 
führende,  von  den  Thürmen  zugängliche  Gang  bildete  um  den 
Florianithorthurm  gegen  die  Stadt  zu  eine  Art  Balkon. 


Abb.  41.     Das  Plorianithor  in  Krakaii. 


Der  in  trefflichstem  Backsteine  ausgeführte  Thorbau,  für 
dessen  Consolen  und  Portal  Hausteine  verwendet  wurden,  ist 
1498  unter  dem  Könige  Johann  Albrecht  vollendet ;  nur  an  dem 
Thorthurme  scheint  auch  eine  spätere  Zeit  Antheil  zu  haben. 
Der  Zweck  eines  Fest-  und  eines  Festungsbaues  kam  bei  dem 
Florianithore  in  überraschend  glücklicher  Weise  zum  Ausdrucke ; 
von  dem,  was  Krakau,  seine  von  gewaltiger  Mauer  nnd  starken 
Vertheidigungsthürmen    umgebene   Königsburg  sowie   Kasimir   an 


Das  spate  Mittelalten  jr^ 

Schutzanlagen  besaßen,  ist  in  dem  genannten  Bauwerke  ein 
ebenso  instructiver  als  charakteristischer  Überrest  späteren  Ge- 
schlechtern erhalten  geblieben. 

Dass  ein  Bürgerstand,  welcher  das  CoUegium  Jagellonicum 
und  die  Tuchhalle  erstehen  sah,  bei  seinem  wachsenden  Wohl- 
stande auch  seine  Wohnhäuser  mit  manch  anziehendem  Zauber 
der  Kunst  zu  beleben  strebte  und  wusste,  ist  nahezu  selbstver- 
ständlich. Doch  sind  die  Spuren  des  Mittelalters  fast  gänzlich 
aus  den  Zügen  der  Krakauer  Bürgerhäuser  geschwunden;  einige 
gewölbte  Erdgeschosse,  spitzbogig  oder  mit  geradem  Sturz 
schließende  Thüreinfassungen,  an  denen  vereinzelt  reichere  Pro- 
filierungen angebracht  sind,  haben  die  Geschmackswandlungen 
anderer  Stilepochen  überdauert  und  berichten  gleichsam  mit 
schüchtern  verhaltenem  Stammeln  von  der  Blütezeit  Krakaus,  in 
welcher  der  Gothik  auch  auf  dem  Gebiete  des  Profanbaues  aus- 
gedehnter Raum  zu  prächtiger.  Bethätigung  gegönnt  war. 

Auf  die  hohe  Stufe  der  Vollkommenheit,  welche  das  Kunst- 
gewerbe erreichte,  lassen  Arbeiten  verschiedener  Zweige  schließen. 
Die  Miniaturen  der  Handschriften  in  der  Dom-  und  Universitäts- 
bibliothek weisen  auf  eine  ebenso  hohe  Stufe  der  Buchmalerei, 
wie  die  verschiedenen  Perioden  entstammenden  drei  Universitäts- 
scepter,  Reliquiarien,  Kelche  und  Kreuze  im  Domschatze,  in  der 
Marienkirche  und  anderen  Krakauer  Gotteshäusern  einen  oft  fein 
entwickelten  Geschmack  und  zugleich  Beziehungen  zu  den  Gold- 
schmiedearbeiten des  deutschen  Westens  verbürgen.  Das  mit 
Perlen  gestickte  Rationale,  dessen  Anfertigung  der  Königin  Hedwig 
zugeschrieben  wird,  eine  gothische  Mitra  des  15.  Jahrhundertes 
und  die  von  P.  Kmita  dem  Dome  geschenkte  Casula,  deren  Rück- 
seite in  schöner  Reliefstickerei  Scenen  aus  der  Legende  des  heil. 
Stänislaus  zieren,  stellen  der  Krakauer  Stickerei  ein  schönes 
Zeugnis  beachtenswerter  Kunstfertigkeit  aus. 

Auf  die  Einführung  und  Entwicklung  der  vervielfältigenden 
Künste,  die  in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhundertes  auf  das 
Krakauer  Gebiet  eindrangen,  gewann  Deutschland  maßgebenden 
Einfluss.  Bei  Peter  SchöfFer,  dem  Genossen  des  berühmten  Er- 
finders der  Buchdruckerkunst,  wurde  1487  das  Krakauer  Missale 
in  Mainz  gedruckt;  den  1491  in  Krakau  selbst  vollendeten  Druck 
der  slawischen  Ausgabe  von  Joh.    Damasceni  Octoechos  (Osmog- 


I  cg  Josef  Neuwirth 

lasnik)  besorgte  der  aus  Deutschland  und  aus  fränkischem  Ge- 
schlechte stammende  Krakauer  Bürger  Schweipolt  Fiol.  Das 
wachsende  Interesse  für  den  Buchvertrieb  bestätigt  die  1491  erfolgte 
Bürgerrechtserwerbung  des  Buchhändlers  Johann  Haller  von  Rothen- 
burg a.  d.  Tauber,  für  welchen  Georg  Stüchs  aus  Nürnberg,  Wolf- 
gang Steckel  in  Leipzig  und  Caspar  Hochfelder  druckten.  Die 
von  ihm  1503  errichtete  Druckerei  leiteten  nach  Hochfelder  der 
in  Venedig  gebildete  Sebastian  Hyber,  Wolfgang  Lern  und  Florian 
Ungler,  die  1510  zu  Prandnik  gekaufte  Papiermühle  Joh.  Ciser 
von  Reutlingen.  Bei  Scharfenberger  erschien  1556  das  mit  Holz- 
schnitten ausgestattete  neue  Testament  und  1561  die  Bibel  mit 
den  Holzschnitten  der  Lutherischen  Bibelübersetzung,  deren  Holz- 
stöcke Nik.  Scharfenberger  von  Luft  in  Wittenberg  erworben 
hatte ;  ebenso  benutzte  man  Stöcke  von  Jost  Amman ,  Hans 
Schäufelein,  Burgkmair,  Hans  Springinklee  und  anderer  deutscher 
Meister,  die  heute  noch  in  der  Krakauer  Universitätsbibliothek 
erhalten  sind.  Diese  Thatsache  und  die  noch  in  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhundertes  erfolgte  Berufung  des  Breslauer  Holz- 
schneiders Brückner  für  die  Lazarsche  Druckerei  lassen  vermuthen, 
dass  man  über  keine  einheimischen  Meister  von  entsprechender 
Ausbildung  und  künstlerischer  Bedeutung  verfugte. 

Eine  so  umfassende  Kunstthätigkeit  auf  kirchlichem  und 
profanem  Gebiete  war  nur  dadurch  ermöglicht,  dass  das  gesammte 
Zunftleben  Krakaus  sich  in  festen  Bahnen  bewegte.  Die  dafür 
maßgebenden  Satzungen  sind  in  dem  sogenannten  Codex  picturatus 
der  k.  k.  Jagellonischen  Bibliothek  erhalten,  welchen  1505  der 
Stadtkanzler  Balthasar  Behem  anlegte.  Weitaus  zum  größten 
Theile  in  deutscher  Sprache  abgefasst,  zeigen  sie  schon  durch 
letztere  auf  die  Anschauungen  hin,  welche  das  Kunstschaffen  der 
polnischen  Krönungsstadt  Ausschlag  gebend  bestimmten.  Was 
aber  die  Zunftordnung  der  Goldschmiede  1475  und  1489,  der 
Maler,  Bildschnitzer  und  Glaser  1490  und  1497,  der  Maurer  und 
Steinmetzen  1512,  der  Rothgießer,  Kannegießer,  Gürtler  und 
Messingschläger  schon  um  141 2  festsetzte,  codificierte  nur  einen 
schon  früher  herrschenden  Brauch  und  gieng  auf  noch  ältere 
Quellen  zurück.  Für  die  Ausbildung  und  Thätigkeit  der  genannten, 
dem  Kunstbetriebe  besonders  nahe  stehenden  Zunftgenossen  bleiben 
folgende  Punkte  zumeist  beachtenswert. 


Das  späte  Mittelalter. 


159 


Die  Lehrzeit  der  Malerlehrlinge,  welche  eheliche  Geburt 
nachweisen  mussten,  war  mit  4,  später  mit  6  Jahren  bemessen, 
während  die  Maurer  3,  nöthigenfalls  auch  4  Jahre  verlangten. 
Entlief  ein  Malerlehrling  dem  Meister,  so  durfte  ihn  kein  anderer 
Zunftmeister  in  die  Lehre  nehmen;  kehrte  er  zu  dem  ersten  zurück, 
so  galt  er  mit  Verlust  der  bereits  überstandenen  Lehrzeit  als  neu 
aufgenommen  und  hatte,  falls  der  Meister  starb,  bei  dessen  Witwe, 
die  demnach  zur  Fortführung  der  Werkstätte  berechtigt  war,  aus- 
zulernen. Wie  sehr  man  gerade  bei  der  Malerzunft  darauf  hielt, 
dass  ihre  Angehörigen  auch  die  Leistungen  auswärtiger  Meister 
kennen  lernten  und  durch  Zuführung  neuer  Ideen  das  Kunstleben 
befruchteten,  beweist  die  Anordnung,  dass  die  Malergesellen  wie 
die  Goldschläger  zwei  Jahre  ,,yn  andern  laut**  wandern  sollten. 

Den  regelrechten  Betrieb  der  Arbeit  sicherten  genaue  Be- 
stimmungen. Kein  Maurermeister  durfte  einen  Gesellen  auf- 
nehmen, ehe  letzterer  allen  früheren  Verpflichtungen  gegen  einen 
anderen  Meister  nachgekommen  war.  Dies  galt  auch  bei  den 
Malern,  welche  das  ,, Blaumachen**  der  Gesellen  mit  Lohnabzug 
bestraften  und  auch  den  Meister,  falls  er  bei  diesem  Anlasse  den 
Schuldigen  die  volle  Wochenlöhnung  zukommen  ließ,  zu  einer 
Strafsumme  verhielten ;  ja,  die  Stadt  selbst  setzte  schon  1390  für 
alle  am  Montage  oder  an  anderen  Wochentagen  feiernden  Gesellen 
eine  Geldstrafe  fest. 

Die  Erwerbung  des  Meisterrechtes,  nach  welcher  der  Betrieb 
des  Gewerbes  erst  erfolgen  konnte,  war  an  die  vorhergehende  Er- 
langung des  Bürgerrechtes,  an  den  Nachweis  der  Herkunft,  guten 
Rufes  und  ordnungsmäßiger  Erlernung  des  Handwerkes  sowie  an 
die  zufriedenstellende  Anfertigung  bestimmter  Meisterstücke  ge- 
bunden. 

Die  Maler  hatten  eine  Maria  mit  dem  Kinde,  ein  Crucifix 
und  einen  heil.  Georg  zu  Pferde  vorzulegen ;  die  Goldschmiede, 
welche  schon  ein  Jahr  in  Krakau  gearbeitet  haben  niussten,  sollten 
einen  Silberbecher,  ein  Siegel  mit  gestochener  Schrift  und  Wappen 
und  einen  in  Gold  gefassten  Stein  zur  Prüfung  unterbreiten.  Von 
den  Gürtlern  verlangte  man  einen  eisernen  Senkstempel,  eine 
Gürtelschnalle  und  eine  Mantelschließe,  von  den  Kannegießern 
eine  gute  Form  und  eine  gute  Kanne  in  Zinn  oder  Hartwerk,  von 
den   Rothgießern   eine  richtig  zeigende  Wage    mit   Gewicht  und 


j6q  Josef  Neuwirth 

« 

ein  Paar  Sporen,  von  den  Beckenschlägern  ein  Becken  oder  einen 
Kessel;  nur  die  zur  Malerzunft  gehörenden  Goldschläger  waren 
vom  Meisterstücke  befreit,  welches  ,,für  sie  auch  in  den  Ländern 
der  deutschen  Krone  nicht  üblich  wäre**.  Dieser  Hinweis  stellt 
fest,  wo  man  die  Muster  für  Zunftfragen  suchte  und  entlehnte. 

Die  ehrliche  Ausübung  des  Gewerbes  wurde  von  der  Zunft 
überwacht ;  von  den  Zinngießem  wurde  die  übliche  Legierung, 
die  Anbringung  des  Stadt-  und  Meisterzeichens,  von  dem  Gold- 
schmiede die  vorgeschriebene  Vollgewichtigkeit  der  Arbeit  ge- 
fordert, deren  viermalige  Nichtbeachtung  die  Anzeige  an  den 
Stadtrath  und  die  Schließung  der  Werkstätte  nach  sich  zog.  Die 
Glasmaler  durften  nur  verglasbare  Farben  gebrauchen,  die 
Maler  nicht  mit  lohrothem  Leder  Sättel,  Rossköpfe,  Schilde, 
Brustleder  u.  s.  w.  überziehen.  Bevor  vom  Stadtrathe  nicht  die 
Baulinie  bewilligt  war,  sollten  die  Maurer  nicht  bauen,  die  weder 
Baumaterial  verschleppen  noch  vom  Bauherrn  die  Beistellung  der 
Werkzeuge  verlangen  durften. 

Wie  die  Lehrzeit,  so  war  auch  die  Zahl  der  einem  Meister 
gestatteten  Lehrlinge  bestimmt,  deren  ein  Goldschmied,  Maler  oder 
Maurer  je  zwei  halten  konnte.  Zunftgenossen,  Arbeitsnehmer  oder 
Arbeitsgeber  abwendig  zu  machen,  war  verboten. 

Durch  Schutzmaßregeln  suchte  man  das  Gedeihen  des  ein- 
heimischen Gewerbes  gegen  die  Bevorzugung  fremdländischer 
Arbeit  zu  sichern.  Brachte  ein  fremder  Maler  Arbeiten  auf  Holz, 
Leinwand  oder  Papier,  deren  Verkauf  nur  auf  dem  Jahrmarkte 
gestattet  war,  außerhalb  desselben  zur  Veräußerung,  so  konnten 
die  Krakauer  Zechmeister  mit  den  Rathsdienem  dagegen  ein- 
schreiten ;  denn  fremde  Maler  durften  außerhalb  des  Jahrmarktes 
nur  kleine  Bilder  auf  Papier  —  wohl  meist  Holzschnitte  und 
Kupferstiche  —  verkaufen  ,,das  dem  hantwerk  nicht  schedlich 
were**.  Die  Erlassung  dieser  Verordnung  erfloss  zweifellos  aus 
der  Benachtheiligung  Krakauer  Maler  durch  fremde  Meister,  die 
übrigens  auch  durch  den  Verkauf  der  erwähnten  Kleinware  Ein- 
fluss  auf  die  Angehörigen  der  Krakauer  Malerinnung  gewinnen 
mussten ;  welche  Anschauungen  bis  zum  Eindringen  der  Re- 
naissancekunst für  dieselbe  mageßbend  waren,  zeigt  die  Thätigkeit 
des  Veit  Stoss,  des  Hans  von  Kulmbach  und  des  Hofmalers  Hans 
Dürer,  da  dieselbe  nahe  Berührungen  mit  der  Nürnberger  Schule 


Das  späte  Mittelalter.  jgj 

verbürgt.  Maler,  die  außerhalb  der  Zeche  in  geistlichen  oder 
weltlichen  Diensten  standen,  hatten  von  der  Zunft  keine  Förde- 
rung zu  erwarten,  da  ihnen  sogar  Goldschläger  weder  Gold  noch 
Silber  verkaufen  durften.  Man  wollte  sie  dadurch  oflfenbar,  wenn 
sie  länger  in  Krakau  zu  arbeiten  beabsichtigten,  zum  Anschlüsse 
an  die  Zeche  bestimmen,  wie  man  ja  die  Berufung  ausgezeichneter 
Baumeister  und  Steinmetzen  Bürgern  und  Adeligen  gestattete, 
aber  die  Übernahme  weiterer  Arbeiten  vom  Eintritte  in  die  Zunft 
abhängig  machte.  Das  musste  in  künstlerisch  regsamen  Epochen 
der  Verbreitung  der  durch  die  Fremden  vermittelten  Ideen  in 
Krakau  und  Polen  wesentlich  Vorschub  leisten,  weil  es  innigere 
Berührung  zwischen  Einheimischen  und  Zugewanderten  herbei- 
führte. 

Für  den  Baubetrieb  wahrte  sich  die  Stadtverwaltung  die  Fest- 
setzung bestimmter,  einen  regelmäßigen  Fortgang  der  Arbeit 
sichernder  Anordnungen,  die  insbesondere  auch  den  Interessen 
der  Bauherren  zustatten  kamen.  Die  Arbeit  wurde  in  Accord 
oder  Taglohn  vergeben,  welch  letzterer  für  den  Meister  im 
Sommer  5,  im  Winter  4  Groschen,  für  die  Maurer  und  Stein- 
metzengehilfen 3,  beziehungsweise  2  Groschen  betragen  sollte ;  die 
Sommerbauperiode  wurde  in  Krakau  von  Ostern  bis  Michaelis  ge- 
rechnet. Kein  Meister  durfte  gleichzeitig  mehrere  Aufträge  über- 
nehmen, weil  er  bei  Theilung  seiner  Thätigkeit  die  Ausführung 
nicht  überall  gleichmäßig  überwachen  könnte.  In  der  genauen 
Bestimmung  der  täglichen  Arbeitszeit  und  der  Abgrenzung  der  in 
derselben  stattfindenden  Ruhepausen  zeigte  die  Krakauer  Stadt- 
vertretung und  die  Maurerinnung  eine  den  modernen  Ideen  ent- 
sprechende, übrigens  auch  anderwärts  nachweisbare  Anschauung. 
Die  Bauordnung  von  1367  regelte  eingehend  Einzelheiten  des 
Profanbaues,  und  die  Maurerstatuten  von  1512,  in  denen  aus- 
drücklich auf  die  alte  Gewohnheit  verwiesen  wurde,  berück- 
sichtigten besonders  die  Behandlung  strikelustiger  Gesellen. 

Die  verschiedenen  Satzungen  des  Codex  picturatus,  welche 
zum  Theil  schon  aus  dem  14.  Jahrhunderte  stammen  und  alle 
bürgerlichen  Gewerbe  gleich  eingehend  berücksichtigen,  ergaben 
sich  naturgemäß  aus  der  fortschreitenden  Organisation  des  städti- 
schen Lebens,  dessen  Obrigkeiten  sie  gut  hießen  und  ihre  Befolgung 
überwachten.      Das   Zusammengehn    der   Zunftvertreter    mit    den 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  II 


J 


.162  Jösef  Neuwirth. 

Rathmännern  stellte  in  Krakau  schon  frühe  die  mit  dem  Leben 
gewisser  Zünfte  eng  verbundene  Kunstthätigkeit  auf  einen  frucht- 
baren Boden,  von  dessen  Bebauung  fremde  Meister  nicht  engherzig 
ausgeschlossen  waren.  So  hat  Krakau  mit  seinen  ausführlichen 
Zunftordnungen  eine  besondere  Bedeutung  nicht  nur  für  die  Ge- 
werbegeschichte des  ausgehenden  Mittelalters  überhaupt,  sondern 
auch  insbesondere  für  den  Nachweis  der  zunftmäßig  geregelten 
Kunstthätigkeit  innerhalb  Österreich  -  Ungarns ;  denn  nicht  viele 
Orte  bieten  ein  gleich  wichtiges,  umfangreiches  und  so  wohl  er- 
haltenes Material  für  den  Zusammenhang  der  Kunstgeschichte  mit 
dem  Stadt-  und  Zunftleben  und  besitzen  eine  ebenso  stattliche  Anzahl 
sowohl  charakteristischer  als  auch  künstlerisch  bedeutsamer  Denk- 
male kirchlicher  und  profaner  Kunst  des  späten  Mittelalters. 
Durch  sie  bleibt  Krakau  ein  wichtiger  und  interessanter  Punkt  an 
der  Peripherie  des  großen  Kreises  deutscher  Kunst. 


<^^m^^^ 


DIE  RENAISSANCE. 

Von 

D^  Heinrich  Zimmermann. 


11^ 


KAISER  MAXIMILIAN  I.  und  sein  KUNSTSCHAFFEN. 

DAS  MAXGRAB  ZU  INNSBRUCK. 

Kaiser  Maximilian  I.  hat  nicht  allein  wirklich  Hervorragendes 
geschaflFen,  sondern  noch  weit  Größeres  und  Herrlicheres  geplant, 
zu  dessen  Ausführung  jedoch  weder  die  ihm  zu  Gebote  stehenden 
Mittel  noch  die  ihm  gegönnte  Lebensdauer  ausreichten.  Die 
ersten  künstlerischen  Anregungen  empfieng  sein  universeller  Geist 
bereits  im  Vaterhause,  und  dieselben  fanden  reiche  Nahrung  durch 
seinen  Aufenthalt  am  Hofe  des  prachtliebenden  Herzogs  Karl  des 
Kühnen  von  Burgund  und  in  den  Niederlanden,  deren  großartige 
Bauten  auf  ihn  einen  mächtigen  Eindruck  machten. 

Zur  Ausführung  glänzender  Monumentalbauten  freilich  fehlte 
es  ihm  vor  allem  an  Geld.  Auch  hätte  er  sich  an  ihrem  Anblick 
wohl  nur  wenig  erfreuen  können,  da  ihn  kriegerische  und  politische 
Ereignisse  aller  Art  zu  fast  fortwährendem  Wechsel  des  Aufent- 
haltsortes zwangen.  So  beschränkt  sich  denn  seine  profane  Bau- 
thätigkeit  zumeist  auf  Arbeiten,  welche  rein  militärischen  Zwecken 
dienten,  und  weit  seltener  hören  wir  von  solchen,  welche  bestimmt 
waren,  die  Wohnlichkeit  schon  vorhandener  Burgen  und  Schlösser 
zu  erhöhen  oder  denselben  durch  Wandmalereien,  gemalte  Glas- 
fenster und  Täfelungen  einen  anmuthigen  Schmuck  zu  verleihen. 
Daneben  musste  ihn  schon  sein  tiefreligiöser  Sinn  dazu  bestimmen, 
den  Bau  von  Kirchen  und  Klöstern  nach  Thunlichkeit  zu  fördern 
oder  wenigstens  zur  Einrichtung  und  künstlerischen  Ausschmückung 
derselben  beizutragen.  So  widmete  der  Kaiser  im  Jahre  1510  für 
die  neuerbaute  Pfarrkirche  zu  Laufenburg  ein  Glasfenster  mit  den 
Wappen  von  ,, Osterich  und  Habspurg  und  des  heiligen  Herren 
sant  Johannsen  Leben''  und  wies  vier  Jahre  später  dem  Stadtrath 
von  Nürnberg  zur  Erneuerung  eines  von  den  früheren  römischen 
Kaisem  und  Königen  gestifteten  Glasfensters  in  der  St.  Sebaldus- 
kirche  zweihundert  Gulden  an.     Eine    Stiftung   ganz   besonderer 


jgg  H.  Zimmermann 

Art  war  der  Marienkapelle  in  der  Pfarrkirche  zu  Hall  in  Tirol 
zugedacht,  indem  Maximilian  für  dieselbe  sein  in  Erz  gegossenes 
Portraitstandbild ,  kniend ,  im  Harnisch  dargestellt ,  bestimmte. 
Andere  Kirchen  und  Kapellen  wurden  mit  Kelchen  und  Glocken, 
silbernen  Leuchtern,  Altarbildern  oder  mit  kostbaren  Gewändern 
und  Paramenten  beschenkt.  Auf  den  letzteren  war  nicht  selten 
der  Reichsadler  und  andere.  Wappen  in  Gold,  farbiger  Seide  und 
Perlen  gestickt,  eine  Technik,  die  nicht  allein  von  der  Kaiserin 
und  den  Damen  des  Hofes  selbst  eifrig  geübt  wurde,  sondern  auch 
das  blühende  Kunsthandwerk  der  Seidensticker  vielfach  beschäf- 
tigte. Als  ihr  Hauptvertreter  am  Hofe  des  Kaisers  erscheint 
Meister  Leophard  Strassburger,  der  von  1490 bis  zu  seinem  im 
Jahre  15 17  erfolgten  Tode  in  Maximilians  Diensten  stand,  und 
dessen  kunstvolle  Nadel  sich  auch  an  figürliche  Darstellungen  der 
Madonna  und  anderer  Heiligen  heranwagte.  Seit  1500  fungierte 
er  neben  andern  gleichzeitig  als  kaiserlicher  Tapissier  mit  einem 
Jahresgehalt  von  50  Gulden  und  hatte  als  solcher  die  Obliegenheit, 
die  in  seines  Herrn  Besitze  befindliche  ,,Tapisserei**  aufzubewahren 
und  in  gutem  Stande  zu  erhalten.  Sie  bestand  aus  kostbaren 
Teppichen  und  gobelinartigen  Geweben,  die  häufig  bei  feierlichen 
Gelegenheiten  zur  Decoration  der  Gemächer  verwendet  wurden, 
und  deren  Maximilan  in  Wiener-Neustadt,  Innsbruck,  Augsburg  und 
den  Niederlanden  eine  stattliche  Menge  besaß.  Italien  und  die 
burgundischen  Lande  waren  ihre  Haupterzeugungsstätten.  So  er- 
warb Maximilian  bei  Peter  Porro  in  Mailand  ,,costliche  Tuecher 
von  Gold  und  Seide''  und  ,, schone  samatin  Tuecher,  mit  Golt 
gewurchf  (gewirkt),  darunter  blaue  Tapeten  zur  Behängung  eines 
ganzen  Saales  mit  der  in  Gold  eingewebten,  dem  Mailänder  Wappen 
angehörigen  Schlange,  während  ein  anderes  ,, köstlich  Stuckh  Tap- 
pisserei'*  die  Thaten  Alexanders  und  die  burgundische  Gesellschaft 
zeigte.  Im  Jahre  1517  kaufte  der  Kaiser  beim  Tapissier  Peter 
Pfannenmacher  in  Brüssel  um  1000  Gulden  eine  prächtige  Tapete 
mit  der  Darstellung  des  Leidens  Christi  auf  Goldgrund  und  be- 
stellte bei  demselben  vier  weitere  Stücke,  132  Ellen  lang,  mit  der 
Geschichte  von  David  und  Bethsabe  um  den  Preis  von  ungefähr 
500  Currentgulden. 

Wie  lange  vor  und  nach  seiner  Regierung,  so  steht  auch  unter 
Maximilian  das  Handwerk  der  Goldschmiede  in  voller  Blüte.     War 


Die  Renaissance. 


167 


es  doch  damals  allgemein  üblich,  sich  bei  verschiedenen  Anlässen 
mit  den  kostbaren  Erzeugnissen  dieser  edlen  Kunst  zu  beschenken. 
Derartige  Gelegenheiten  ergaben  sich  für  die  kaiserliche  Casse  nur 
allzu  häufig.  Said  war  es  der  Gesandte  einer  auswärtigen  Macht, 
bald  eine  gastfreundliche  Reichsstadt,  ein  befreundeter  Fürst  oder 
ein  getreuer  Diener,  der  mit  einem  Trinkgeschirre,  einem  Ring, 
einer  goldenen  Gnadenkette  u.  dgl.  m.  von  höherem  oder  ge- 
ringerem Werte  je  nach  Rang  und  Stellung  des  Ausgezeichneten 
oder  der  Größe  der  geleisteten  Dienste  vom  Kaiser  beschenkt 
wurde.  Den  sich  hiedurch  ergebenden  Bedarf  deckt  Maximilian 
theils  durch  Ankauf  von  Privaten  oder  von  großen  Kaufleuten 
und  Juwelieren,  wie  Philipp  Adler,  Benedikt  Katzenloher  und 
den  Fuggem  in  Augsburg  oder  dem  Juwelier  und  Goldschmied 
Matthäus  Jorian  in  Nürnberg,  theils  durch  directe  Bestellung  bei 
zahlreichen  Goldschmieden  des  In-  und  Auslandes ;  als  solche 
werden  uns  Ulrich  Möringer  zu  Innsbruck,  Jörg  Oeber,  Münz- 
meister zu  Ysni,  Peter  Schröter  zu  Hall,  Hans  Uli  und  Nikolaus 
Burkhart  urkundlich  genannt  Wiederholt  bezieht  Maximilian 
Kleinodien,  prächtig  gefasste  Edelsteine,  Perlen  und  Ringe  von 
Lienhard  Löble  zu  Landshut  und  den  in  Venedig  sesshaften  deut- 
schen Goldschmieden  Christoph  Schneider  und  Konrad  Harbl. 
Manche  dieser  Kleinode,  nicht  selten  auch  bestimmt,  auf  dem 
Hute  getragen  zu  werden,  sehen  wir  bis  zu  15.OCX)  Gulden  be- 
wertet, zumal  sie  auch  häufig  in  verschiedenen  Farben  emailliert 
wurden.  Letztere  Kunst  übte  unter  andern  der  Goldschmied 
Michael  Beck  in  Ulm,  der  versichert,  Daumenringe  mit  Wappen- 
steinen, und  zwar  die  Wappen  in  den  betreflFenden  Farben,  für 
Fürsten,    Prälaten    und  Ritter  anfertigen  zu  können. 

•  Überhaupt  waren  alle  diejenigen,  die  Maximilian  als  Siegel- 
und  Münzeisenschneider  beschäftigte,  gelernte  Goldschmiede.  So 
Hans  von  Reutlingen  und  Benedikt  Burkhart,  von  welch 
letzterem  uns  aus  der  Zeit  vor  und  während  seiner  Thätigkeit  als 
Graveur  auch  einige  Goldschmiedearbeiten  überliefert  sind.  Er 
arbeitete  acht  Jahre  lang  für  den  Kaiser,  der  jedoch  gleich  an  dem 
ersten  von  ihm  hergestellten  Münzstempel  manches  auszusetzen 
fand  und  ihn  nach  einer  fruchtlosen  Verwarnung  1508  wieder 
entließ.  Sein  Unfleiß  und  die  Mangelhaftigkeit  seiner  Leistungen 
scheinen  Maximilian  bewogen  zu  haben,  schon  im  Jahre  1506  den 


MantuanerGianmarco  Cavalli  an  seine  Münze  nach  Hall,  seit 
1478    die   bedeutendste   seiner  Grblande,    zu   berufen   und   durch 


Abb.  41. 

ihn  neben  verschiedenen  Münzeisen  auch  Stempel  für  Medaillen 
herstellen  zu  lassen,  die  auf  dem  Avers  sein  und  seiner  Gemahlin 
Brustbild,     beide    nach    den   von   Ambrogio    de    Predis    gemalten 


Die  Renaissance. 


169 


Portraits,  (Abb.  42)  auf  dem  Revers  das  Bild  der  heiligen  Jungfrau  mit 
dem  Kinde  trugen.  Allein  Cavalli  kehrte  nach  kurzem  wieder  in  seine 
Heimat  zurück,  und  so  musste  der  Kaiser  auf  anderweitigen  Ersatz 
Burkharts  denken,  der  sich  alsbald  in  Ulrich  Ursenthaler 
fand.  Dieser  äußerst  tüchtige  Künstler,  der  seit  151 2  auch  das 
Amt  eines  Münzwardeins  bekleidete,  hatte  sich  bald  vollkommen 
unentbehrlich  gemacht  und  ist  auch  der  Meister  der  Gedenkmünzen 
auf  die  Beisetzung  Kaisers  Friedrich  III.  sowie  auf  die  denkwürdige 
im  Jahre  1515  zu  Wien  erfolgte  Zusammenkunft  Maximilians  mit 
den  Königen  von  Polen  und  Böhmen,  welche  die  Vereinigung 
Ungarns  und  Böhmens  mit  der  habsburgischen  Monarchie  anbahnte. 
Ursenthaler  war  nach  des  Kaisers  Tode  noch  über  vierzig  Jahre 
im  Dienste  seiner  Nachfolger  thätig  und  starb  hochbetagt  erst  im 
Jahre  1561. 

Auf  eine  besonders  hohe  Stufe  hob  Maximilian  das  Kunst- 
handwerk der  Plattnerei  und  Hamischschlägerei.  Dem  eifrigen 
Tumierer  und  in  zahlreiche  Kriege  verwickelten  Fürsten  musste 
es  schon  aus  rein  praktischen  Gründen  besonders  wichtig  erscheinen, 
die  von  ihm  und  seinen  Truppen  verwendeten  Schutz-  und  Trutz- 
wafiFen  möglichst  zu  vervollkommnen  und  sich  alle  jene  Ver- 
besserungen zunutze  zu  machen,  die  er  in  aller  Herren  Ländern 
kennen  zu  lernen  so  vielfach  Gelegenheit  hatte.  Obenan  stand  in 
dieser  Hinsicht  Mailand,  von  wo  er  die  Waflfenschmiede  Gabriel 
undFrancesco  Merate  nach  Arbois  in  Burgund  berief,  und  Nürn- 
berg, neben  welchem  seit  dem  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  wie  in 
so  manchen  Fächern  der  Kunstthätigkeit  so  auch  im  Plattnerwesen 
allgemach  Augsburg  heranwuchs.  Dort  wirkten  Lorenz  Helm- 
schmied unddessen  Sohn  Kolomann,  der  im  Jahre  1516  für  den 
Kaiser  nach  Zeichnungen  Dürers  einen  silbernen  Harnisch  schlug. 
Daneben  gibt  sich  wie  schon  unter  Erzherzog  Siegmund  ebenso 
bei  Maximilian  deutlich  das  Bestreben  kund,  dieses  Kunsthand- 
werk auch  im  Inlande  zu  heben,  und  dies  gelang  in  so  hohem 
Maße,  dass  namentlich  die  Innsbrucker  Plattnerei  im  Stande  war, 
mit  allen  andern  Werkstätten  zu  rivalisieren  und  nicht  allein  den 
Kaiser  selbst  und  viele  seiner  Getreuen,  sondern  auch  zahlreiche 
auswärtige  Fürsten  mit  ihren  Erzeugnissen  zu  versorgen.  Das 
Hauptverdienst  hieran  gebürt  dem  Innsbrucker  Plattner  Konrad 
Seusenhofer,  der  Maximilian  durch  mehr  als  anderthalb  Jahrzehnte 


170 


H.  Zimmermann 


als  Harnischmeister  eifrig  diente  und  trotz  mancher  Hindernisse, 
welche  ihm  die  auf  Sparsamkeit  bedachten  Finanzbehörden  des- 
selben bereiteten,  einzig  und  allein  darauf  bedacht  war,  durch 
seine  Arbeiten  sich  und  *  seinem  hohen  Auftraggeber  Ehre  zu 
machen  und  ihn  vor  ,, Schaden,  Schimpf  und  Spott/*  zu  bewahren. 
Unter  seiner  unmittelbaren  Leitung  erfolgte  der  Bau  und  die  fort- 
währende Erweiterung  der  Hofplattnerei  sammt  Rüstkammer  und 
Hammerschmiede  zu  Mühlau,  für  welche  nicht  allein  jährlich  locx) 
Gulden  bewilligt,  sondern  bei  dem  Mangel  tüchtiger  einheimischer 
Kräfte  auch  niederländische  Plattnergesellen  angeworben  wurden. 
Da  Seusenhofer  bei  der  großen  Fülle  der  ihm  übertragenen  Ar- 
beiten mit  den  ständig  zugewiesenen  sechs  Plattnern,  vier  Harnisch- 
polierem  und  zwei  Lehrjungen  nicht  das  Auslangen  fand,  so  wurde 
ihm  längere  Zeit  gegen  besondere  Entlohnung  auch  die  Haltung 
außerordentlicher  Gehilfen  zugestanden,  und,  sooft  er  sich  ,,mit 
seinem  Herzeleid  und  zacherenden  Augen**  um  Hilfe  an  den  Kaiser 
wandte,  ffihd  er  bei  diesem  geneigtes  Gehör  und  sicheren  Rück- 
halt. Und  dies  gilt  nicht  allein  in  finanziellen,  sondern  auch  in 
technischen  Fragen.  So  sendet  ihm  Maximilian  einmal  Hosen 
und  Wams  des  Sohnes  des  Kurfürsten  Joachim  von  Brandenburg 
mit  dem  Auftrage,  den  darnach  anzufertigenden  Harnisch  durch 
Anbringung  von  Schrauben  so  einzurichten,  dass  er  dem  Träger 
drei  Jahre  lang  passe,  wie  er  ihn  dies  mündlich  gelehrt  habe.  In 
der  That  sind  manche  Verbesserungen  im  Plattnerwesen  auf  des 
Kaisers  eigene  Erfindung  zurückzuführen,  wie  es  denn  auch  im 
Weißkunig  heißt,  dass  er  die  angeblich  von  der  Tiroler  Plattner- 
familie Treitz  erfundene  und  ihm  durch  den  Hamischmeister  Caspar 
Riederer  überlieferte  Kunst,  das  Hamischblech  so  zu  härten,  dass 
es  gegen  Bogenschüsse  vollkommen  schützte,  weiter  ausgebildet 
habe,  und  die  von  ihm  zuerst  angewendete  Riefelung,  das  ist 
Cannelierung  der  Rüstungen,  um  deren  Gewicht  zu  vermindern, 
ohne  ihrer  Festigkeit  Eintrag  zu  thun,  es  berechtigt  erscheinen 
lässt,  derartige  Stücke  als  Maximiliansharnische  zu  bezeichnen. 
Diese  Verbesserungen  machen  es  erklärlich,  dass  wiederholt  von 
Harnischen  und  Helmen  ,,des  neuen  Forms**  —  letztere  durch 
ihre  Verbindung  mit  dem  Harnischkragen  zum  sogenannten  Umlauf 
charakteristisch  —  die  Rede  ist  und  dass  man  auch  im  Auslande  be- 
strebt war,  mit  Erlaubnis  des  Kaisers  die  sonst  geheim  gehaltenen 


Die  Renaissance.  jyj 

Kunstgriflfe    und    Eigenthümlichkeiten    der    Harnische    desselben 
kennen  zu  lernen. 

Wie  in  der  Plattnerei,  so  war  auch  in  der  Geschützgießerei 
Innsbruck  unter  Maximilian  der  Vorort.  Dort  arbeiteten  für  ihn 
zahlreiche  Büchsengießer  unter  der  Oberaufsicht  des  sogenannten 
Hauszeugmeisters,  der  jedoch  hauptsächlich  die  administrativen 
Geschäfte  zu  führen  hatte.  Die  eigentliche  technische  Leitung 
blieb  dem  Kaiser  selbst  vorbehalten,  auf  dessen  persönliche  Ini- 
tiative jene  Vervollkommnung  des  Geschützwesens  zurückzuführen 
ist,  welche  die  Artillerie-  erst  zur  kriegstüchtigen  Waffe  werden 
ließ.  Er  liebte  aber  auch  seine  Kanonen  mit  einer  gewissen 
humoristischen  Zärtlichkeit,  die  sich  unter  anderm  in  den  Namen 
offenbart,  mit  denen  er  sie  belegte.  Dem  tapfersten  Kriegsmann 
seiner  Zeit  mochte  der  Donner  seiner  Geschütze  wie  das  liebliche 
Gezwitscher  der  Vögel  klingen,  deren  kühner  Flug  in  den  durch 
die  lyuft  sausenden  Geschossen  eine  weitere  Parallele  fand.  So 
mussten  zahlreiche  Raub-  und  Singvögel,  daneben  freilich  auch 
andere  Thiere  ihre  Namen  leihen.  Während  andere  Benennungen, 
die  zum  Theile  einem  Verzeichnisse  berühmter  Frauennamen  ent- 
nommen sind,  welches  Konrad  Peutinger  Maximilian  auf  seinen 
Wunsch  im  Jahre  1516  lieferte,  beweisen,  wie  sehr  sich  der  Kaiser 
als  echter  Sohn  der  Renaissance  für  alte  Mythologie  und  Geschichte 
interessierte,  weisen  wieder  andere  auf  den  Ort  der  Entstehung 
oder  den  Erzeuger  seiner  Kanonen. 

Alle  diese  Namen  finden  ihre  zuweilen  allerdings  etwas  weit 
hergeholte  Deutung  in  den  nicht  besonders  glatten  Versen  der 
,, Zeugbücher'*,  in  die  Maximilian  sein  gesammtes  Geschützmaterial 
zeichnen  und  malen  ließ. 

Dort  heißt  es  z.   B.  von  den  Singerinnen : 

,,Wir  singen  erschrokhen  Gesang, 
,,Das  oft  von  unser  Noten  Klang 
,,Schloss  und  Stet  niderfallen  gar. 
,,Huet  dich,  glaub' s  und  nit  erfar. ** 

Solche  erklärende  Inschriften  trugen  nicht  selten  auch  die 
Geschütze  selbst,  wie  die  hier  (Abb.  43)  abgebildete  Lauerpfeife, 
deren  Verse  also  lauten : 


172  ^ 

„Ich  sihe  und  laur 
„Als  der  Hagl  und  Scliaur 
„Und  hais  darumb  die  Lauerpfeif, 
,,Nimb  hinweg,  was  ich  ergreif." 

Ein  Blick  auf  dieses  zierlich  ornamentierte  Feuerrohr  oder  in 
die  erwähnten  Zeugbücher  zeigt,  wie  des  Kaisers  hoher  Kunstsinn 
auch  der  nüchtern  rauhen  Kriegswaffe  die  künstlerische  Seite  ab- 
zugewinnen wusste  und  sie  durch  darauf  gemalte  oder  gegossene 
Wappen,  Thier-  und  Pflanzenforinen  und  sonstigen  bildnerischen 
Schmuck  zum  Kunstproduct  umgestaltete,  das  ,,seer  lieblich  an- 
zusehen" war. 


Abb.  43.    Die  lauerpfeife. 

GeBChütiraodcll  in  der  Waffenaammlung  des  A 


H.  Kaiserhauses. 


Auch  die  Bildnerei  in  Stein,  Holz  und  Kr\stall  fand  in 
Maximilian  einen  eifrigen  Förderer.  Besonders  bezeichnend  ist  in 
dieser  Beziehung  sein  Verhältnis  zu  dem  berühmten  Nürnberger 
Bildhauer  Veit  Stoss,  der  ihm  seine  Rehabilitierung  von  dem 
Makel  der  Ehrlosigkeit  verdankte,  welcher  ihm  infolge  einer  Ur- 
kundenfälschung anhaftete.  Des  Kaisers  Rechnungsbücher  geben 
uns  Kunde  von  Steinreliefs,  Schachspielen  aus  ,, edlem  Gestain" 
und  holzgeschnitzten  Bildnismedaillen,  die  er  von  verschiedeiien 
Meistern  anfertigen  ließ. 


Die  Renaissance. 


173 


Zumeist  denselben  Aufzeichnungen  verdanken  wir  die  Kenntnis 
der  Namen  von  Schreibkünstlem,  Miniatoren  und  Malern,  deren 
Werke  noch  heute  jedes  Kennerauge  erfreuen.  Damach  ist  bei- 
spielsweise das  bekannte  Helden-  oder  Riesenbuch  der  früheren 
Ambrasersammlung  von  Maximilians  Kanzleischreiber  Hans  Ried 
geschrieben,  der  zum  Lohne  für  seine  Dienste  die  Stelle  eines 
Zöllners  am  Eisack  erhielt.  Jacob  Barbari,  jener  eigenartige 
Vermittler  deutscher  Gefühlsweise  und  italienisch-antikisierender 
Formengebung,  der  eine  Zeit  lang  selbst  Dürer  beeinflusste,  stand 
von  1500  bis  1504  mit  einem  Jahresgehalte  von  100  Gulden  als 
lUuminist  und  ,,Contrafeter**  in  des  Kaisers  Diensten,  um  dann 
in  diejenigen  seiner  Tochter  Margareta  überzutreten,  in  denen 
er  bis  zu  seinem  um  1516  erfolgten  Tode  verblieb.  Zwischen  i486 
und  1489  schmückte  ein  niederländischer  Maler,  vielleicht  Pieter 
Beckaert,  ein  Gebetbuch  Maximilians  mit  hübschen  Miniaturen 
und  im  Jahre  i5i5AlbrechtDürer  dessen  von  Hans  Schönsperger 
in  Augsburg  in  prächtigen  Lettern  gedrucktes  Diurnale  im  Verein 
mit  andern  Künstlern  ersten  Ranges  mit  graziösen  Federzeich- 
nungen, in  denen  Ernst  und  Scherz,  Heiliges  und  Profanes  in 
bunter  Reihe  wechseln.  Unter  den  zahlreichen  Tiroler  Meistern 
erwies  sich  der  Maler  und  Baumeister  Georg  Kölderer  als  besonders 
vielseitig  und  verwendbar.  Seine  Specialität  bildete  die  Anferti- 
gung von  Karten  und  Plänen  zu  administrativen  und  militärischen 
Zwecken,  und  so  ist  es  zu  verstehen,  wenn  im  Weißkunig  Maxi- 
milians eigene  Beschäftigung  mit  der  Malerei  mit  seiner  kriegeri- 
schen Thätigkeit  in  Zusammenhang  gebrächt  wird.  Wir  sehen 
aber  Kölderer  auch  mit  der  Restaurierung  der  Fresken  in  Runkel- 
stein  beauftragt,  und  daneben  liefert  er  Malereien  und  Vergoldungen 
von  Wappen  und  Helmzierden,  Fahnenblätter  und  Jagdbücher, 
Entwürfe  zu  des  Kaisers  noch  zu  besprechendem  Triumphzug, 
plastische  Modelle  zu  verschiedenen  Gebäuden,  Zeichnungen 
für  Geschütze  und  Siegel,  Fassungen  von  Geweihen,  Wand-  und 
Schriftenmalereien,  ja  auch  ganz  gewöhnliche  Anstreicherar- 
beiten. So  sonderbar  dies  nach  heutigen  Begriffen  scheinen 
mag,  so  wird  es  uns  doch  an  seinem  Können  nicht  irre  machen, 
wenn  wir  erwägen,  dass  auch  der  bekannte  Hans  Burgkmayr 
für  Wappenmalereien  zum  Leichenbegängnis  des  Grafen  Leonhard 
von    Görz   zehn    Gulden  ausgezahlt  erhielt    und    dass     er   gleich 


174 


H.  Zimmermann 


Dürer  dem  Kaiser  ,,mit  Malung  der  Harnasch  dergleichen  dem 
Etzen  zu  Hilf  und  Furstand  der  Plattner*'  gedient  hat.  Machte 
ja  doch  auch  der  Mailänder  Ambrogio  de  Predis,  von 
dessen  Hand  wir,  wie  bereits  erwähnt,  die  wohlgetrofFenen  Portraits 
Maximilians  und  seiner  zweiten  Gemahlin  Bianca  Maria  besitzen, 
Entwürfe*  für  die  Uniform  der  kaiserlichen  Hatschiere.  Bekannter 
als  das   eben   Genannte   sind    die    Bildnisse   unseres    Helden   von 

ff 

Bernhard  Strigel,  Maler  zu  Memmingen,  dem  im  Jahre  1507 
zwanzig  Gulden  ausgezahlt  wurden,  und  von  AlbrechtDürer,  der 
sich  der  besondern  Gunst  des  Kaisers  erfreute.  Dieser  befürwortete 
schon  1512  beim  Rath  von  Nürnberg  Dürers  Befreiung  von  der 
Stadtsteuer  und  wies  ihm  mit  Decret  vom  6.  September  1515  einen 
Jahresgehalt  von  100  Gulden  an,  den  jener  nach  des  Kaisers  Tode 
mit  Genehmigung  Kaiser  Karls  V.  fortbezog.  In  eben  diesem 
Jahre  151 5  entstand  im  Auftrag  Maximilians  sein  Holzschnitt  von 
anfangs  sechs  österreichischen  Heiligen,  zu  denen  bei  einer  zweiten 
Ausgabe  von  15 17  auf  einem  besondern  Holzstock  noch  zwei 
weitere  hinzugefügt  wurden.  Dürer  war  es  auch,  der  einen  großen 
Theil  der  Zeichnungen  für  des  Kaisers  prächtige  Holzschnittwerke 
lieferte,  deren  Herausgabe  diesem  besonders  am  Herzen  lag. 

Neben  seiner  Vorliebe  für  bildende  Kunst  machen  sich  näm- 
lich bei  Maximilian  noch  zwei  Geistesrichtungen  besonders  deutlich 
geltend.  Die  eine  ist  ein  reger  historischer  Sinn,  der  sich  wie  in 
dem  Interesse  für  alte  Handschriften  und  Chroniken,  so  auch  in 
der  Sammlung  alter  Münzen  und  Antiquitäten,  endlich  in  der 
Unterstützung  oflFenbart,  welche  er  dem  gelehrten  Augsburger  Dr. 
Konrad  Peutinger,  dessen  persönliche  Anlagen  und  Studien  mit 
den  Lieblingsneigungen  des  Kaisers  innig  zusammentrafen,  nicht 
allein  bei  seinen  kartographischen  Arbeiten  —  er  wies  ihm  zur 
Malung  einiger  Karten  der  Türkei  im  Jahre  1500  zwanzig  Gulden 
an  —  sondern  auch  bei  Herausgabe  der  gesammelten  römischen 
Inschriften  Augsburgs  durch  Zusendung  antiker  Münzen  und 
Copien  von  Steininschriften  aus  allen  Theilen  des  Reiches  ange- 
deihen  ließ.  Hiezu  kommt  bei  Maximilian  ein  im  edelsten  Sinne 
des  Wortes  persönliches  Moment.  Ihm  ist  die  Geschichtsschreibung 
und  bildende  Kunst  ein  willkommenes  Mittel  zur  Verheirlichung 
seiner  Person,  seiner  Familie,  seines  Geschlechtes,  seiner  Herrschaft 
und  Machtstellung   in  der  Gegenwart   und  Zukunft.     Dieses   dem 


Die  Renaissance. 


175 


Humanismus  und  der  Renaissance  eigene  Streben  nach  naiver 
Selbstverherrlichung  theilt  er  mit  allen  seinen  Zeitgenossen.  Wenn 
er  zur  Erreichung  desselben  Zweckes  nicht  wie  die  gleichzeitigen 
Päpste  und  italienischen  Fürsten  große  Freskencyklen  schuf, 
sondern  den  Holzschnitt  ausersah,  so  findet  dies  seine  natürliche 
Erklärung  in  dem  Umstände,  dass  gerade  dieser  den  Intentionen 
des  Kaisers  in  erhöhtem  Maße  entsprach.  Ein  Gemälde  in  einer 
Kirche,  in  einem  Palaste  wäre  nur  von  wenigen  gesehen  worden; 
jener  dagegen  konnte  durch  den  Handel  in  der  ganzen  civilisierten 
Welt  Verbreitung  finden  und  Tausenden  das  Andenken  an  den 
Kaiser  und  seine  Thaten  ins  Gedächtnis  zurückrufen.  So  entstand 
der  große  Cyklus  von  illustrierten  Prachtwerken,  welcher  bestimmt 
war,  den  Zeitgenossen  imd  der  Nachwelt  die  glorreiche  Geschichte 
Maximilians  und  seines  Hauses  in  Wort  und  Bild  vorzuführen  und, 
wie  er  selbst  sagt,  nicht  allein  mit  dem  Munde,  sondern  auch  mit 
den  Augen  gelesen  zu  werden,  ,, gleichermaßen  die  Chroniken  ge- 
schriben  und  figurirt  werden,  wie  ich  dann  solches  aus  andern 
meinen  vordem  Chronikisten  gesehen  hab. '' 

Die  Texte  dieser  Werke,  welche  bei  den  meisten  derselben 
als  Hauptsache  oder  doch  als  gleichwertig  mit  den  Abbildungen 
gelten  und  nur  beim  Triumph  und  der  Ehrenpforte  bloß  die  un- 
umgänglich nöthige  Einleitung  und  Erklärung  der  Bildwerke  bilden 
sollten,  sind,  abgesehen  von  dem  persönlichen  Antheil  des  Kaisers, 
fast  in  allen  Fällen  das  Werk  gelehrter  oder  doch  nach  damaligen 
Begriflfen  hochgebildeter  Männer  aus  der  Umgebung  Maximilians, 
die  ihm  als  Secretäre  oder  Historiographen  dienten.  So  haben 
das  Programm  und  die  erklärenden  Verse  auf  den  Inschrifttafeln  der 
Ehrenpforte,  die  1512 — 1517  entstanden,  den  nach  seines  Collegen 
Konrad  Celtes  Tode  zum  kaiserlichen  Hofhistoriographen  er- 
nannten Wiener  Universitätsprofessor  Dr.  Johann  Stabius  aus 
Steyer  in  Oberösterreich  zum  Verfasser.  Er  stand  auch  dem  Pro- 
gramm zum  Triumphzuge,  das  der  kaiserliche  Geheimschreiber 
Marx  Treitzsauerwein  seiner  eigenen  Aussage  zufolge  im  Jahre 
1512  nach  Maximilians  persönlichen  Angaben  niederschrieb,  nicht 
vollkommen  ferne.  In  die  sich  anlässlich  der  Forschungen  über 
die  kaiserliche  Genealogie  entspinnende  wissenschaftliche  Polemik 
griff  Stabius  gleichfalls  schneidig  ein,  scheint  aber  schließlich 
gegen  den  Freiburger  Professor  Dr.  Jakob  Mennel,   der  sich  schon 


176 


H.  Zimmermann 


seit  1505  damit  beschäftigte,  den  kürzeren  gezogen  zu  haben. 
Wenigstens  acceptierte  der  Kaiser  den  von  letzterem  aufgestellten 
Stammbaum,  welcher  mit  Zuhilfenahme  der  Franke^,  speciell  der 
Merovinger,  und  Römer  die  directe  Abstammung  der  Habsburger 
von  Hektor  von  Troja,  später  sogar  bis  Noe  hinauf  und  deren 
Verwandtschaft  mit  sämmtlichen  königlichen  und  Fürstenhäusern 
nachweisen  sollte.  Derselbe  Dr.  Mennel  und  nicht,  wie  man  lange 
irrthümlich  annahm,  der  bekannte  Dichter  des  NarrenschiflFes  Dr. 
Sebastian  Brandt  ist  der  Verfasser  dreier  Entwürfe  des  Werkes 
über  die  Heiligen  aus  der  Sipp-,  Mag-  und  Schwägerschaft  des 
Kaisers,  deren  mittlerer,  vom  9.  August  1514  datierte,  die  Grund- 
lage für  die  Holzschnittfolge  von  120  Heiligen  bildet  und  nebst 
deren  Legenden  auch  ihre  Stammbäume  zum  Nachweise  des  Zu- 
sammenhangs derselben  mit  dem  Hause  Habsburg  und  den  mit 
diesem  im  weitesten  Sinne  verwandten  und  verschwägerten  Ge- 
schlechtern enthält. 

Von  den  drei  das  Leben  des  Kaisers  selbst  behandelnden 
Werken  sollte  der  F  r  e  i  d  a  1  die  ritterliche  Minnefahrt  Maximilians 
—  denn  alle  drei  Namen  sind  nur  verschiedene  Bezeichnungen  für 
seine  eigene  Person  —  um  Maria  von  Burgund,  der  Theuerdank 
die  Brautfahrt,  der  Weißkunig,  sogenannt  nach  dem  weißen  oder 
blanken  Harnisch,  in  welchem  er  mit  Vorliebe  focht,  das  gesammte 
übrige  Leben  des  Kaisers  zum  Gegenstande  haben.  Zu  diesem 
Zwecke  begann  Maximilian  schon  um  das  Jahr  1500,  sobald  er  Zeit 
und  Muße  dazu  fand,  verschiedenen  Schreibern  Abschnitte  aus  seinem 
Leben  in  die  Feder  zu  dictieren,  die  dann  sauber  abgeschrieben, 
vielfach  corrigiert  und  in  eine  gewisse  Ordnung  gebracht,  in  dem 
von  Marx  Treitzsauerwein  15 14  vollendeten  Weißkunig  Aufnahme 
fanden.  Dieser  stellt  sich  in  seiner  jetzigen  Form  als  ein  histori- 
scher Roman  dar,  bestimmt,  den  Enkeln  Karl  V.  und  Ferdinand  I. 
in  ihrem  Großvater  das  Vorbild  eines  tapfem,  selbst  in  Wider- 
wärtigkeiten stets  standhaften  Fürsten  zur  Nacheiferung  vor  Augen 
zu  stellen,  und  erzählt  uns  in  dichterischer  Ausschmückung  die 
Geschichte  Maximilians,  wie  er  wollte,  dass  sie  von  seinen  Zeit- 
genossen geglaubt  werde.  Dagegen  bildet  das  heutige  Manuscript 
des  Freidal,  dessen  Plan  nicht  über  das  Jahr  151 1  hinaufreicht, 
nichts  anderes  als  den  von  einem  Unbekannten  ziemlich  schablonen- 
haft angelegten  Rahmen,    in  welchem   Maximilian  selbst   seine  an 


177 

64  Tumierhöfen  gehaltenen  Rennen,  Stechen,  Kämpfe  und 
Mummereien  dem  poetischen  Sinne  des  Ganzen  entsprechend  ein- 
ordnen wollte,  wozu  es  aber  leider  nicht  kam,    indem  er  nur  die 


Einleitimg  und  den  Schluss  seiner  bessernden  Durchsicht  unterzog. 
Das  Gedicht  des  Theiierdank  endlich  —  der  Name  wurde  deshalb 
gewählt,  weil  Maximilian  von  Jugend  auf  alle  seine  Gedanken 
nach  ,,theuerlichen"  Sachen  richtete,  —  schildert  uns  seine  Braut- 

KunstgMchJchtl.  Charakterbilder  niis  ÜsterreicIi-UnKarn.  13 


178 


H.  Zimmertnann 


fahrt  zur  Königin  Ehrenreich  (Maria  von  Burgund),  wobei  er  von 
seinem  Ehrenhold,  d.  i.  von  seinem  guten  Rufe  begleitet  wird 
und  mit  drei  bösen  Hauptleuten  zu  kämpfen  hat,  mit  Fürwittich, 
dem  Repräsentanten  jugendlichen  Vorwitzes  und  Übermuthes,  mit 
Unfallo  als  Personification  aller  Unfälle  und  Gefahren  und  mit 
Neidelhart  als  Vertreter  des  Neides  imd  Hasses  der  Widersacher, 
welchem  kein  vom  Glücke  Begünstigter  entgehen  kann.  Es  geht 
in  seiner  ersten  Anlage  auf  einen  Entwurf  Siegmunds  von  Dietrich- 
stein zurück,  der  vom  Kaiser  selbst  gebessert,  von  Treitzsauerwein 
redigiert  und  in  Capitel  getheilt,  schließlich  von  Melchior  Pfinzing 
druckfertig  gemacht  wurde. 

Alle  diese  wenn  auch  poetisch  ausgeschmückten  so  doch  auf 
streng  historischer  Grundlage  ruhenden  Werke  finden  ihre  ideelle 
figurale  Vereinigung  in  der  Ehrenpforte  und  im  Triumphzuge. 
Erstere,  nach  dem  phantasievollen  Entwürfe  Dürers  aufgebaut, 
stellt  sich  als  eine  an  antike  Motive  anklingende  mächtige  Triumph- 
pforte mit  drei  gewaltigen  Thoröflfnungen,  der  ,^  Porten  der  Ehre 
und  Macht,  des  Lobes  und  des  Adels*'  dar,  die  in  ihrer  Mitte  den 
Kaiser  mit  seiner  gesammten  Ascendenz  und  Descendenz,  seine 
Vorgänger  in  der  Kaiserwürde  und  Herrschaft  über  Italien,  seine 
Staatsactionen  und  Scenen  aus  seinem  Privatleben,  endlich  alle 
mit  dem  Hause  Habsburg  verwandten  Fürsten  zeigt.  Dazu  kommt 
ein  reiches  Ornament  mit  mythologischen  und  symbolischen  Figuren, 
Menschen-  und  Thierformen  und  vielgestaltigem  Ranken-  und  Blatt- 
werk, so  recht  ein  Gemengsei  mittelalterlicher  Symbolik  und 
renaissancemäßiger  Formenzier.  In  gleicher  Weise  bildet  der 
Triumphzug  mit  seinen  Herolden,  Musikern,  Schalksnarren  und 
Tumierem,  seinen  Jagd-  und  Kriegsgruppen,  dem  Kaiser  selbst 
mit  seinem  Gefolge  der  Reichsedlen  und  Hofämter,  seinen  Schätzen, 
Bannern  und  Gefangenen  u.  s.  w.  eine  glänzende  Allegorie  des 
Lebens  und  Wirkens  Maximilians. 

Was  die  Holzschnitte  selbst  betriflft,  so  sind  zwei  Thätigkeiten 
strenge  zu  unterscheiden :  die  Anfertigung  der  Zeichnung  einerseits 
und  die  Ausführung  dieser  Zeichnung  im  Holzschnitt  andrerseits. 
Können  wir  letztere  als  Product  einer  zumeist  doch  nur  manuellen 
Fertigkeit  gut  geschulter  höherer  Handwerker  betrachten,  so  be- 
gegnen wir  in  der  Reihe  der  Zeichner  die  hervorragendsten  deut- 
schen Künstler  der  damaligen  Zeit.     An  ihrer  Spitze  schreitet  der 


Die  Renaissance. 


179 


Altmeister  Albrecht  Dürer,  der  nicht  nur  den  ganzen  Entwurf  zur 
Ehrenpforte,  sondern  unzweifelhaft  auch  die  Zeichnungen  zu  den 
wichtigsten  und  schwierigsten  Partien  derselben  lieferte,  während 
er  sich  für  die  Anfertigung  der  übrigen  der  Hilfe  seines  Bruders 
Hans  und  eines  andern  Nürnberger  Meisters  Wolf  Traut  bediente. 
Die  kolossale  Arbeit,  welche  nicht  weniger  als  90  Holzstöcke 
größeren  und  kleineren  Formates  umfasste,  ward  in  der  verhältnis- 
mäßig kurzen  Zeit  von  1512  bis  1515  vollendet  Kaum  war  dies 
geschehen,  als  der  Meister  im  Auftrage  Maximilians  zur  Aus- 
fiihrung  des  großen  Triumphes  schritt,  von  dem  24  Blätter  ent- 
weder von  Dürer  selbst  gezeichnet  oder  doch  wesentlich  von  ihm 
beeinflusst  sind,  während  mehrere  seiner  hiefür  in  Aussicht  ge- 
nommenen Entwürfe,  wie  diejenigen  zu  dem  kleinen  und  großen 
Triumphwagen  und  sechs  prächtige  Reiterskizzen  in  die  Holz- 
schnittfolge nicht  aufgenommen  wurden.  Sechsundsechzig  Blätter 
des  Triumphes  rühren  von  dem  zweiten  großen  deutschen  Holz- 
schnittzeichner Hans  Burgkmayr  her,  der  dieselben  zwischen  15 16 
und  1518  arbeitete  und  theils  vorher  theils  gleichzeitig  eine  große 
Anzahl  Entwürfe  für  andere  Werke  des  Kaisers  lieferte.  Von 
diesen  sind  die  77  Zeichnungen  der  ,,zotteten  Mendel*'  für  die 
Genealogie,  sogenannt  nach  dem  zottigen,  ans  Barock-Phantastische 
streifenden  Costüme,  durch  das  man  die  Repräsentanten  einer  ent- 
fernten mythischen  Zeit  dieser  entsprechend  zu  gestalten  suchte, 
mit  ihren  mannigfaltig  variierten  Stellungen  und  Gesichtstypen 
ebensoviele  cl^sische  Zeugen  für  Burgkmayrs  üppig  sprudelnde 
Phantasie,  während  seine  13  Zeichnungen  für  den  Theuerdank  und 
123  für  den  Weißkunig  (Abb.  44)  als  die  künstlerisch  bedeutendsten 
dieser  Publicationen  zu  bezeichnen  sind  und  auch  die  wenigen  uns 
erhaltenen  Holzschnitte  zum  Freidal  in  ihrer  Composition  auf  ihn 
hinweisen.  Gleich  fruchtbar,  wenn  auch  an  künstlerischer  Voll- 
endung bei  weitem  nicht  an  Burgkmayr  hinanreichend  und  nament- 
lich durch  eine  große  Ungleichmäßigkeit  in  seinen  Arbeiten 
charakteristisch  ist  der  Augsburger  Meister  Leonhard  Beck,  der 
die  123  habsburgischen  Heiligen,  77  Blätter  für  den  Theuerdank 
und  126  für  den  Weißkunig  zeichnete.  Weit  weniger  steuerte 
Hans  Schäufelein  für  die  kaiserlichen  Werke  bei,  zumal  da  dessen 
Thätigkeit  für  dieselben  nach  seiner  Übersiedlung  von  Augsburg 
nach    Nördlingen    im    Jahre    1515    vollständig    aufhörte.     Einige 


12^ 


j3o  ^*  Zimmermann 

wenige  Zeichnungen  rühren  von  Hans  Springinklee  und  verschie- 
denen bisher  unbekannten  Künstlern  her. 

Unter  den  Formschneidem,  von  denen  uns  eine  ganze  Reihe 
von  Namen  auf  der  Rückseite  der  noch  heute  erhaltenen  Holz- 
stöcke überliefert  ist,  sind  die  bedeutendsten  Hieronymus  Andrä 
in  Nürnberg,  der  mit  einigen  Gehilfen  die  ganze  Ehrenpforte 
schnitt,  und  Jobst  de  Negker,  der  im  Jahre  1510  durch  Pen  tinger 
nach  Augsburg  berufen  wurde  und  dort  nach  und  nach  eine 
größere  Werkstätte  einrichtete,  aus  der  die  meisten  Holzstöcke 
für  des  Kaisers  Publicationen  hervorgiengen.  Beide  verstanden  es 
vortrefflich,  die  Arbeiten  ihrer  Gesellen  mit  den  eigenen  zu  ,, egali- 
sieren** und  so  die  Unterschiede  derselben  möglichst  unkenntlich 
zu  machen.  Da  ein  Holzschneider  jährlich  100  Gulden  erhielt 
und  durchschnittlich  2  Stöcke  monatlich,  also  24  jährlich  fertig 
machen  konnte,  so  kam  der  Schnitt  eines  Stockes  auf  ungefähr 
4  fl.  16  kr.,  mithin  die  118  Holzschnitte  des  Theuerdank  auf  über 
450  fl.  und  mit  Hinzurechnung  der  Honorare  für  die  Zeichner 
und  der  Preise  für  Holz,  Tischlerarbeit,  Druck  und  Papier  gewiss 
nicht  unter  1000  Gulden  zu  stehen,  eine  für  die  damalige  Zeit 
ziemlich  bedeutende  Summe.  Hiebei  sind  noch  gar  nicht  jene 
Correcturen  an  den  fertigen  Holzstöcken  in  Beträcht  gezogen,  welche 
dadurch  nothwendig  wurden,  dass  entweder  der  Holzschneider  die 
ihm  vorgelegte  flüchtige  Zeichnung  zuweilen  missverstand  oder  dass 
noch  nach  Vollendung  der  Holzstöcke  durchgreifende  textliche 
Änderungen  vorgenommen  wurden,  wie  dies  namentlich  beim 
Theuerdank  der  Fall  war,  wo  einzelne  Stücke  der  fertigen  Holz- 
stöcke herausgeschnitten  und  durch  neu  eingefügte  ersetzt  werden 
mussten,  und  mit  denen  man  keineswegs  kargte,  wenn  es  sich  darum 
handelte,  die  Darstellungen  den  Intentionen  des  Kaisers  ent- 
sprechender zu  gestalten. 

Maximilian  gab  ja  nicht  allein  Idee  und  Inhalt  seiner  Werke 
an,  er  bestimmte  auch  die  Reihenfolge  der  Capitel,  ertheilte  genaue 
Befehle  über  die  Anzahl  der  Illustrationen  und  das  in  ihnen  Dar- 
zustellende, ließ  sich  von  Text  und  Bildern  Proben  vorlegen,  un- 
ermüdlich bessernd,  corrigierend  und  belehrend.  Er  bemüht  sich, 
den  Verfassern  alles  nöthige  Material  herbeizuschaffen,  gibt  ihnen 
Empfehlungen  an  alle  Welt,  um  ihnen  die  Benützung  von  Archiven 
und    Bibliotheken   zu    eröffnen.      Ihre    zu    diesem    Behufe   unter- 


Die  Renaissance.  l8i 

nominenen  Reisen  finden  seinerseits  auch  materielle  Unterstützung. 
Für  die  sein  Leben  und  Wirken  schildernden  Werke  stellt  er  seine 
eigenhändigen  Aufzeichnungen  und  seine  Dictate  zur  Verfügung. 
Wo  ihm  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der  Aufstellungen  seiner  Mit- 
arbeiter aufsteigen,  dringt  er  strenge  auf  rücksichtslose  Erforschung 
der  Wahrheit ;  wo  jene  Zweifel  haben,  sucht  er  sie  selbst  aufzu- 
klären oder  durch  andere  aufklären  zu  lassen. 

Wie  sehr  Maximilian  seine  Werke  theuer  waren,  beweist  wohl 
nichts  besser  als  der  Umstand,  dass  er,  in  Wels  von  schwerer  Krank- 
heit aufs  Sterbelager  geworfen,  Dr.  Mennel  zu  sich  berief,  der  ihm  in 
schlaflosen  Nächten  einzelne  Abschnitte  aus  der  Geschichte  seines 
Geschlechtes  vorlesen  musste,  und  dass  er  noch  in  seinem  letzten 
Willen  seine  Bücher  und  Chroniken  der  Obhut  und  sorgfältigen 
Aufbewahrung  seiner  Nachfolger  ganz  besonders  empfahl. 

Andere  eingehende  Bestimmungen  dieses  Testamentes  betreflfe'n 
die  Vollendung  seines  prächtigen  Grabmales.  Steht  dieses  Monu- 
ment, dessen  Ausführung  schon  früh  noch  zu  Lebzeiten  Maximilians 
begonnen  wurde,  gleich  seinen  Prachtpublicationen  unzweifelhaft 
im  innigsten  Zusammenhange  mit  seinem  Wunsche,  sich  bei  Zeit- 
genossen und  Nachkommen  ein  großes  Andenken  zu  sichern,  so 
war  Maximilian  doch  uneigennützig  genug,  dieses  Streben  auch 
auf  seine  erlauchten  Vorfahren,  seinen  Vater,  seine  Gemahlinnen 
und  so  manchen  seiner  Getreuen  auszudehnen.  So  lud  er  schon 
mit  Schreiben  vom  3.  Februar  1491  seinen  Oheim  Erzherzog  Sieg- 
mund von  Tirol  ein,  gleich  ihm  selbst  und  seinem  Vater  zur 
Herstellung  eines  silbernen  Sarges  für  den  1484  canonisierten 
frommen  Markgrafen  Leopold  von  Osterreich  beizutragen,  welche 
Einladung  Kaiser  Friedrich  III.  am  Gedenktage  dieses  Heiligen 
(15.  November)  desselben  Jahres  wiederholte.  Im  Jahre  1506  wies 
Maximilian  zu  diesem  Zwecke  200  Mark  Silbers  an  und  ließ  *  im 
gleichen  Jahre  einen  Knochen  der  rechten  Hand  Leopolds  in  ein 
silbernes  Bild  fassen,  das  er  dem  Marienkloster  zu  Hall  in  Tirol 
schenkte.  Seinem  Vicedom  in  Niederösterreich  befahl  er  15 10, 
das  im  Karthäuserkloster  Mauerbach  bei  Wien  befindliche  Grab 
Friedrichs  des  Schönen  öffneu,  dessen  Gebeine  vor  dem  Altar  der 
Kirche  begraben  und  darüber  eine  Erztafel  mit  der  früheren  Grab- 
inschrift gießen  zu  lassen.  Für  Leonhard,  den  letzten  Grafen  von 
Görz,  dessen  Besitzungen  er  im  Jahre  1500  erbte,  bestellte  Maximilian 


x82  ^'  Zimmermann 

schon  1506  bei  dem  Innsbrucker  Steinmetzen  Christoph  Geiger,  indem 
er  ihm  hiefür  täglich  18  Kreuzer  für  seine  Person  und  12  Kreuzer 
für  einen  Gesellen  anwies,  einen  prächtigen  Grabstein  aus  rothem 
Marmor,  der  nebst  demjenigen  einer  Gräfin  von  Wolkenstein  von 
der  Hand  desselben  Meisters  noch  heute  die  Lienzer  Pfarrkirche 
ziert.  Einfachere  Grabsteine  mit  Wappenschild  und  Helm  wurden 
auf  des  Kaisers  Kosten  im  Jahre  15 14  für  das  Grab  Caspar  I^ech- 
thalers  in  Rottenmann  und  1516  für  Hieronymus  von  Heudorf  an- 
gefertigt. Im  Jahre  1514  schloss  Maximilian  einen  Präliminarver- 
trag  mit  Hans  Valkenauer,  dem  Meister  des  schönen  Grabmales 
Erzbischofs  Leonhard  von  Keutschach  auf  der  Festung  Hohensalz- 
burg,  wegen  Errichtung  eines  großen  Kaisergrabes  aus  rothem 
Salzburger  Marmor  im  Dome  zu  Speier;  zwölf  14  Schuh  hohe, 
nach  oben  sich  verjüngende  Säulen  sollten  die  durchbrochen  ge- 
arbeitete Kaiserkrone  von  24  Schuh  in  der  Runde  und  7  Fuß 
Höhe  tragen,  an  den  Säulen  die  Standbilder  von  Kaisern,  Königen 
und  deren  Gemahlinnen  angebracht  werden.  Dieses  Monument 
scheint  jedoch,  wohl  infolge  des  Widerstandes  des  Speirer  Dom- 
capitels,  ebensowenig  zustande  gekommen  zu  sein  als  das  Grabmal 
für  Maximilians  zweite  Gemahlin  Bianca  Maria,  für  dessen  Her- 
stellung er  im  Jahre  151 7  den  obgenannten  Christoph  Geiger  in 
Aussicht  nahm  und  zu  diesem  Zwecke  aus  Tirol  nach  Wels  berief. 
Dagegen  ist  das  in  seinem  Auftrage  von  Jan  de  Backer  ausgeführte 
und  im  Jahre  15 10  vom  Schlosser  Gilles  de  Vloghe  mit  einem 
prächtigen  Eisengitter  umgebene  Grabdenkmal  seiner  ersten  Ge- 
mahlin Maria,  ein  mit  Engelsstatuen,  Wappen  u.  s.  w.  geschmückter 
Sarkophag  mit.  der  darauf  ruhenden  Gestalt  der  schönen  Fürstin 
aus  vergoldetem  Erz,  in  der  Liebfrauenkirche  zu  Brügge  noch 
heute  erhalten.  Dasselbe  gilt  von  dem  bekannten  Friedrichsgrabe 
unserer  Stephanskirche,  das  Maximilian  wenn  nicht  seine  Ent- 
stehung so  doch  seine  Vollendung  verdankt.  Schon  im  Jahre 
1500  befiehlt  er  den  Gesellen,  emsig  und  fleißig  daran  zu  arbeiten, 
und  1503  drängt  er  Meister  Michael  Tichter  wegen  Vollendung 
desselben,  verpflichtet  ihn  vertragsmäßig,  ,, damit  das  furderlich  aus- 
gemacht werde**,  und  ermächtigt  den  Vicedom  zu  Wien,  zu  diesem 
Zwecke  mehr  Gesellen  aufzunehmen.  Vier  Jahre  später  sandte  er 
seinen  Bildhauer  zu  Rotweil  zur  Besichtigung  der  Grabarbeiten 
nach  Wien  und  sicherte  Tichter  im  Jahre   15 10  nach  Vollendung 


Die  RcDalsaaiice. 


'83 


Abb,  45.  Grabdenkmal  Kaiser  Maximilians  1.  in  der  Franciacanerhoflciiclie  zu  Innsbruck, 
des  Denkmals  gegen  die  Aufgabe,  dasselbe  stets  in  gutem  Stande 
zu  erhalten,  einen  Jahresgehalt  von  50  Gulden  zu.  Endlich  kann 
er  im  Jahre  1513  eine  allgemeine  Einladung  zur  Einweihung  des 
Monumentes  ergehen  lassen,  ,, damit  unser  Nachkumen  durch  sölh 


184  ^-  Zimmermann 

Gedechtnus  die  Gutigkait  unsers  Gemüts,  so  wir  aus  götlicher 
Leer  und  Anweisung  natturlicher  Naigung  gegen  seiner  Lieb  ge- 
tragen, aus  dem  auch  clar  spurten  und  merkhten,  das  wir  darumb 
solche  ansehenliche  Begrebnus,  meniglich  dabei  seiner  Lieb  zu 
gedenkhen,  derselben  zu  künftigen  Zeiten  nimmer  zu  vergessen, 
erheben  lassen. ' '  Trotzdem  war  das  Grabmal  damals  noch  keines- 
wegs fertig.  Eine  Abrechnung  von  151 7  gibt  die  Kosten  für  das- 
selbe in  der  Zeit  von  22  Jahren,  also  seit  1495,  mit  11.805  Gulden 
an  ;  im  gleichen  Jahre  werden  für  dasselbe  zwei  vergoldete  Erztafeln 
fertig  und  im  folgenden  wird  dafür  bei  dem  Amtmann  zu  Eisenerz 
ein  schmiedeeisernes  Gitter  bestellt,  nachdem  das  vier  Jahre  früher 
zu  diesem  Zwecke  bestimmte  Kupfer  zum  Guss  von  Geschützen 
verwendet  worden  war.  Ja  selbst  1522  ist  noch  nicht  alles  voll- 
endet und  das  Gitter  noch  nicht  aufgestellt,  so  dass  Maximilian 
die  Fertigstellung  dieses  Grabmales  ebensowenig  erlebte  wie  die 
seines  eigenen. 

Was  das  letztere  (Abb.  45)  betrifft,  so  hat  der  Kaiser  den  Ge- 
danken, sich  ein  seiner  würdiges  Grabdenkmal  zu  errichten,  wohl 
schon  frühzeitig  gefasst  und  war  ihm  bei  Feststellung  der  Einzelheiten 
des  ohne  Zweifel  von  ihm  selbst  ausgedachten  Planes  sein  Berather 
in  geschichtlichen  und  genealogischen  Dingen  Dr.  Konrad  Peutinger 
in  Augsburg  behilflich.  Darnach  sollten  den  großen  Sarkophag 
aus  Erz  vierundzwanzig  den  ,,Hauptstücken**  der  Ehrenpforte  ent- 
sprechende, gleichfalls  aus  Erz  gegossene  Reliefs  schmücken  und 
derselbe  von  der  knienden  lebensgroßen  Portraitstatue  des  Kaisers 
gekrönt  werden.  Das  Grab  sollten  an  allen  vier  Seiten  vierzig 
große  Erzbilder,  darstellend  die  hervorragendsten  Persönlichkeiten 
des  habsburgischen  und  der  mit  diesem  im  weitesten  Sinne  ver- 
wandten und  verschwägerten  Geschlechter  mit  Einschluss  der 
Merovinger,  wie  Chlodwig,  St.  Leopold,  St.  Stephan  von  Ungarn 
und  seine  Gemahlin  Gisela,  Gottfried  von  Bouillon,  und  Ottokar 
von  Steyer,  dann  Julius  Cäsar  als  erster  römischer  Kaiser,  Karl 
der  Große  als  die  erhabenste  Gestalt  des  Mittelalters,  endlich 
Theodorich  und  Arthur  als  die  beiden  gefeiertsten  Vertreter  von 
Ritterthum  und  Heldenkraft  umstehen,  daneben  noch  100  kleinere 
Erzstatuen  der  österreichischen  Heiligen  und  32  Büsten,  das  Ganze 
in  die  einheitliche  Pracht  des  Goldes  gekleidet,  zur  Aufstellung 
gelangen. 


Die  Renaissance. 


185 


Zur  Herstellung  der  ersten  Entwürfe  setzte  sich  Maximilian 
mit  dem  Münchener  Maler  Egydius  (Gilg)  Sesselschreiber  ins  Ein- 
vernehmen, den  er  mit  Vertrag  vom  7.  März  1502  in  seine  Dienste 
nahm  und  nicht  allein  mit  der  Anfertigung  der  Zeichnungen, 
sondern  auch  mit  der  Modellierung  und  dem  Gusse  der  Statuen, 
deren  Vollendung  zuerst  in  Aussicht  genommen  wurde,    betraute. 

Diese  Wahl  war  leider  keine  glückliche  zu  nennen.  Denn 
Sesselschreiber,  der  1508  dauernd  nach  Innsbruck  übersiedelte, 
erwies  sich  in  der  Folge  zwar  als  phantasievoller  Künstler,  zeigte 
aber  weit  mehr  Neigung  zu  behaglichem  Leben  als  zu  ernster 
Arbeit  Im  Jahre  1509  hatte  er  es  noch  zum  Gusse  keines  einzigen 
Bildes  bringen  können,  so  dass  der  Kaiser  bereits  daran  dachte, 
ihm  die  Arbeit  wieder  abzunehmen.  Allein  obwohl  Meister  Gilg 
Maximilians  Befehl,  den  Guss  so  zu  beschleunigen,  dass  er  bei 
seinem  demnächstigen  ,, Durchreiten**  durch  Innsbruck  wenigstens 
eine  fertige  Statue  zu  sehen  bekomme,  trotz  der  anerkannten 
Tüchtigkeit  des  mit  der  eigentlichen  Gussarbeit  beauftragten  Inns- 
brucker Gießers  Peter  Leiminger  nicht  erfüllte,  wusste  er  den 
Kaiser  doch  dazu  zu  bewegen,  ihm  nicht  allein  eine  eigene 
Wohnung  und  Werkstätte  in  dem  romantisch  gelegenen  Mühlau 
bei  Innsbruck,  sondern  auch  das  nöthige  Geld  für  Bildhauer, 
Bossierer^  Gießer  und  alles  erforderliche  Material  anzuweisen  und 
im  Jahre  1510  für  die  ,, Grabarbeit*'  fortan  jährlich  loöo  fl.  auszu- 
werfen. Dies  war  jedoch  für  den  Fortgang  der  Arbeiten  von 
kaum  nennenswertem  Erfolge  begleitet.  Sesselschreiber  fand  viel- 
mehr fortwährend  Grund  zu  neuen  Klagen :  bald  wünschte  er 
Adaptierungen  und  Verbesserungen  in  seiner  Wohnung  und  Werk- 
stätte, bald  brauchte  er  eine  größere  Anzahl  von  Gehilfen,  und 
nie  fand  er  mit  den  ihm  zu  Gebote  stehenden  Geldmitteln  das 
Auskommen.  Die  Innsbrucker  Regierung  erfüllte,  von  Maximilian 
wiederholt  damit  beauftragt,  so  weit  als  irgend  möglich,  alle  seine 
Wünsche.  Alles  umsonst !  Im  Jahre  1513  hatte  er  bereits  3360 
Gulden  verbraucht  und  dafür  kaum  eine  Statue  vollendet.  Auch 
der  in  diesem  Jahre  mit  Sesselschreiber  abgeschlossene  Contract, 
wornach  er  für  jeden  Centner  vergossenen  Metalls  28  Gulden  er- 
halten sollte,  erfüllte  nicht  den  angestrebten  Zweck,  ihn  zu  erhöhter 
Thätigkeit  anzuspornen,  sondern  führte  nur  dazu,  dass  der  schlaue 
Mann,  um  ein  hohes  Gewicht  zu  erzielen,   die  Statuen  möglichst 


j[g5  H.  Zimmermann 

dick    im  Gusse   hielt,   ja,    wie    Sachverständige   behaupteten,    der 
Metallegierung  einfach  Eisen  beimengte.     Offenbar,    um  sich  auf 
recht  lange  Zeit   hinaus  Arbeit   zu   sichern,    fieng   Sesselschreiber 
immer  wieder  neue  Statuen  an,  ohne  die  früher  begonnenen  vorher 
fertig  zu  machen.    Trotzdem  schenkte  man  seinen  Versicherungen, 
dass   er   sich    ,,hart   schämen'*    müsste,    wenn    die    Arbeit    nicht 
,, nützlich  und  rein**  gemacht  würde  und  er  vor  dem  Kaiser  und 
der  Innsbrutker  Regierung  als   ,, Betrüger**   dastände,   neuerdings 
Glauben   und   unterstützte   ihn   nicht  allein   durch   neue   Geldan- 
weisungen, sondern  auch  durch  Überlassung  einer  eigenen  Schmelz- 
hütte in  Mühlau  und  durch  Vermittlung   in  einem  Privatprocesse, 
in  den  ihn  sein  Jähzorn  verwickelt  hatte.     Wieder  vergiengen  drei 
Jahre,    während   welcher   Zeit    er   häufig   Innsbruck   verließ,    um 
entweder  vom  guten  Kaiser  selbst  neue  Zugeständnisse  zu  erlangen 
oder  aber  allerorten  Geld  für  seine  Privatbedürfnisse  aufzutreiben. 
Mitte  1516  waren  erst  fünf  Bilder  gegossen,  selbst  an  diesen  fehlte 
noch  mancherlei,  ifnd   Meister  Gilg  war  wieder  einmal  ohne   Er- 
laubnis  der   Regierung   von    Innsbruck    fortgeritten,    man   wusste 
nicht,  wohin.     Und  als  sich  nun  auch  sein  Sohn  und  Schwieger- 
sohn  in   ihren   Versprechungen   unzuverlässig    erwiesen,    da    riss 
Maximilian   endlich   die    Geduld,    und    er   befahl,    den   säumigen 
Meister  auszukundschaften  und  zu  verhaften.     In  Augsburg  auf- 
gegriflFen,    ward  er  nach  Innsbruck   zurückgebracht   und   daselbst 
im  sogenannten  Kräuterthurm,  der  alten  Innsbrucker  Herberge  für 
Inquisiten  und  Verurtheilte,    in   sicheren  Gewahrsam   genommen. 
Das  scheint   denn  doch  einigermaßen  gewirkt  zu  haben,     Vater, 
Sohn  und  Schwiegersohn   gelobten,    bis  Weihnachten    1516   zwölf 
Bilder  fertigstellen  zu  wollen,  wogegen  Gilg  aus  der  Haft  entlassen 
und  nur  im  Dorfe   Natters   interniert   wurde.     Kaum  aber  waren 
die  zwölf  Statuen  bis  auf  einige  Ciselierungsarbeiten  iui  Frühjahr 
1517  vollendet,   als  Sesselschreiber   wieder    200   Gulden   verlangte 
und,  da  ihm   diese  Summe   vor  Abwägung  der  Bilder  verweigert 
wurde,  eiligst  sein  Pferd  sattelte,  angeblich,  um  eine  fromme  Wall- 
fahrt zu  unternehmen,  thatsächlich  aber,  um  von  Maximilian,  der 
damals  in  den  Niederlanden   weilte,    einen   Stundungsauftrag   für 
seine  Gläubiger,  eine  neue  Bestellung  und  die  Anweisung  auf  das 
hiezu  nöthige  Metall  und  Geld  zu  erwirken.     Abermals  blieb  diese 
uns  heute  unerklärliche  Langmuth  erfolglos,  und  so  entschloss  sich 


Die  Renaissance. 


187 


denn  der  Kaiser  endlich  im  Jahre  1518,  die  Familie  Sesselschreiber 
endgiltig  aus  seinem  Dienste  zu  entlassen.  Von  den  elf  durch  sie 
hergestellten  großen  Statuen  mussten  drei  als  völlig  misslungen 
wieder  eingeschmolzen  werden,  und  auch  die  letzte  Vollendung 
der  übrigen  gab  noch  mancherlei  zu  schaflFen.  Das  einzige  Ver- 
dienst Sesselschreibers  bleibt  also  die  Zeichnung  des  Gesammt- 
entwurfes  des  Grabmales,  freilich  nach  den  genauen  Anweisungen 
des  Kaisers  und  Dr.  Peutingers,  und  der  Skizzen  für  die  großen 
Erzfiguren,  deren  30  uns  noch  heute  erhalten  sind.  Allein  auch 
diese  erfüllten  trotz  detaillierter  Ausführung  im  Beiwerk  und  Orna- 
ment, das  eine  reizvolle  Vereinigung  von  Elementen  der  Gothik 
und  Renaissance  aufweist,  infolge  ihrer  rein  auf  den  malerischen 
Effect  und  nicht  von  vorneherein  auf  den  Erzguss  berechneten 
Formen  und  Stellungen  niemals  so  recht  eigentlich  ihren  Zweck 
und  mussten  schon  um  der  angestrebten  Portraitähnlichkeit  und 
Treue  des  Costümes  mancher  Figuren  willen,  wie  die  heutigen 
Statuen  beweisen,  theils  ganz  bei  Seite  gelassen,  theils  mehr  oder 
weniger  einschneidenden  Änderungen  unterzogen  werden. 

Maximilians .  Entschluss,  die  Sesselschreiber  zu  entlassen, 
wird  ohne  Zweifel  wesentlich  durch  den  Umstand  gefördert  worden 
sein,  dass  sich  eben  damals  in  Stephan  Godel  ein  entsprechender 
Ersatz  gefunden  hatte.  Dieser  war  im  Jahre  1508,  also  gleichzeitig 
mit  Sesselschreibier,  nach  Innsbruck  berufen  worden,  und  zwar  aus 
Nürnberg,  wo  er  bis  dahin  als  Rothschmied  thätig  war.  Gegen 
einen  Jahresgehalt  von  32  Gulden  imd  Überlassung  einer  Schmelz- 
hütte in  Mühlau  musste  er  sich  verpflichten,  vor  allen  andern  für 
den  Kaiser  zu  arbeiten  und  durch  Heranbildung  einheimischer 
Kräfte  die  Erzgießerei  auf  Tiroler  Boden  zu  verpflanzen.  Neben 
verschiedenen  minder  wichtigen  und  kunstvollen  Arbeiten  wurde 
ihm  die  Anfertigung  der  für  das  Grabmal  bestimmten  hundert 
kleineren  Erzbilder  nach  Zeichnungen  Jörg  Kölderers  übertragen, 
welcher  Aufgabe  der  friedsame  Rothschmied,  ohne  je  mit  Maxi- 
milians Behörden  in  Conflict  zu  kommen,  in  geräuschlos  beschei- 
dener Weise  oblag.  So  war  es  ihm  gelungen,  bis  zum  Jahre  1518 
nicht  allein  19  kleine,  sondern  auch  im  engsten  Anschlüsse  an 
Sesselschreibers  Zeichnung  ein  großes  Erzbild,  dasjenige  des 
Albrecht,  später  Rudolf  genannten  Grafen  von  Habsburg,  zu  voll- 
enden.    Letzteres  erfreute  sich  des  besonderen  Beifalls  des  Kaisers 


x88  ^'  Zimmennann 

und  der  von  ihm  ernannten  Collaudierungscommission,  umsomehr 
da  sich  der  Preis  nur  auf  392  Gulden,  also  ungefähr  nur  den 
zehnten  Theil  dessen  belief,  was  das  erste  von  Sesselschreiber  ge- 
machte Bild  gekostet  hatte.  Godel  erhielt  darnach  den  Auftrag, 
nicht  allein  im  Gusse  der  kleinen  Erzstatuen  fortzufahren,"  sondern 
auch  andere  große  zu  gießen,  deren  nächste  diejenige  Herzog 
Leopolds  III.  ist.  Das  hiezu  erforderliche  Erz  erhielt  er  von 
Hans  Neuburger,  Bildhauer  zu  Landshut.  Wohl  infolge  des  ge- 
ringen Fortschrittes  der  Gussarbeiten  in  Innsbruck  hatte  sich 
nämlich  Maximilian  im  Jahre  1514  bestimmt  gesehen,  auch  den 
genannten  Landshuter  Meister  für  seine  Grabarbeit  heranzuziehen, 
der  jedoch,  wie  sich  Godel  später  einmal  ausdrückt,  mit  seiner 
Leistung  ,,nit  gevellig  gewest**  und  daher  das  ihm  gelieferte  Erz 
wieder  zurückstellen  musste.  Unrichtig  ist  es  dagegen,  wenn  Godel 
das  Gleiche  von  Bildhauern  in  Augsburg  und  Nürnberg  behauptet. 
Denn  ist  auch  der  Verbleib  der  32  für  das  Grabmal  in  Aussicht 
genommenen  Erzbüsten  (Brustbilder)  heute  nicht  mehr  nachweis- 
bar, so  ist  es  doch  urkundlich  sicher  gestellt,  dass  dieselben  unter 
unmittelbarer  Aufsicht  Peutingers  in  Augsburg  von  dem  dortigen 
Gießer  Lorenz  Sartor,  für  den  der  Kaiser  eine  eigene  Gießhütte 
errichten  lassen  wollte,  verfertigt  worden  sind.  Und  was  Nürnberg 
betrifft,  von  wo  Maximilian  trotz  der  Reclamationen  des  Rathes 
der  Stadt  schon  1504  vier  Gießer  nach  Innsbruck  zog  und  von 
wo  er  auch  die  zum  Erzgusse  nöthigen  Tiegel  bezog,  zu  denen 
der  im  nahen  Heroldsberg  gegrabene  Lehm  ein  unvergleichlich 
gutes  Material  lieferte,  so  ist  es  allerdings  wahr,  dass  im  Jahre 
1506  des  Kaisers  Plan,  den  geschicktesten  und  erfahrensten  Roth- 
schmied der  Stadt,  unter  dem  wohl  kein  anderer  als  der  berühmte 
Peter  Vischer  zu  verstehen  ist,  mit  mehreren  Gesellen  für  Inns- 
bruck zu  gewinnen,  um  so  in  dem  nahen  Mühlau  ,,die  Roth- 
schmiederei  aufzurichten  und  in  Gang  zu  bringen,**  warscheinlich 
an  dem  Widerstand  des  letzteren  scheiterte ;  dafür  weisen  aber 
alle  uns  überlieferten  Nachrichten  darauf  hin,  dass  zwei  der 
schönsten  Grabbilder,  die  Statuen  Arthurs  und  Theodorichs,  von 
denen  erstere  schon  durch  ihre  etwas  theatralische  Pose  gegen 
alle  übrigen  deutlich  absticht,  im  Jahre  15 13  von  Peter  Vischer 
um  den  Preis  von  1000  Gulden  gegossen  worden  sind.  Es  mag 
angesichts  der  kleinen  dafür  verausgabten  Summe  von  nur  25  Gulden 


Die  Renaissance. 


189 


fraglich  bleiben,  ob  auch  das  im  Jahre  1516  von  Christoph'  Jädel 
in  Nürnberg  gegossene  Erzbild  für  das  Grabmal  Maximilians  be- 
stimmt war;  gewiss  aber  ist,  dass,  als  der  Kaiser  im  Jahre  1517 
angesichts  der  Lässigkeit  Sesselschreibers  schon  daran  zu  zweifeln 
begann,  die  Vollendung  seines  Grabdenkmales  noch  zu  erleben 
oder,  wie  er  sich  ausdrückte,  ,, vollends  begraben  zu  werden,'' 
neuerdings  Verhandlungen  mit  Peter  Vischer  angeknüpft  wurden, 
die  nur  deshalb  resultatlos  blieben,  weil  der  Kaiser  keine  hin- 
reichenden finanziellen  Garantien  zu  bieten  vermochte. 

Die  weitere  Geschichte  des  Grabmales  nach  dem  Tode  Maxi- 
milians ist  folgende.  Nachdem  infolge  des  Regierungswechsels 
ein  kurzer  Stillstand  und  ein  langsameres  Tempo  in  den  Grabarbeiten 
eingetreten  war,  gelang  es  dem  wackeren  Meister  Godel  dank 
der  thatkräftigen  Unterstützung  Ferdinands  I.,  zu  dessen  persön- 
lichem Interesse  für  künstlerische  Schöpfungen  noch  die  große 
Pietät  gegen  seinen  erlauchten  Großvater  trat,  in  dem  verhältnis- 
mäßig kurzen  Zeitraum  von  dreizehn  Jahren  (1520 — 1533)  trotz 
der  knappen  Geldverhältnisse,  die  ihn  zuweilen  in  eine  schiefe 
Stellung  zu  seinen  Gehilfen,  namentlich  zu  seinem  Bildschnitzer 
Leonhard  Magt  brachten,  und  trotz  einer  schweren  Krankheit,  die 
den  Meister  ein  halbes  Jahr  hindurch  arbeitsunfähig  machte,  nicht 
allein  vier  weitere  kleine  Grabbilder,  sondern  auch  nach  den  von 
Kölderer  corrigierten  Zeichnungen  Sesselschreibers  fünfzehn  große 
Statuen  herzustellen,  so  dass  bis  zu  dem  letztgenannten  Jahre 
dreißig  derselben  vollendet  waren.  In  der  Zwischenzeit  dachte 
König  Ferdinand  bereits  daran,  auch  den  Sarkophag  machen  zu 
lassen,  und  beauftragte  den  vieljährigen  Beirath  des  Unternehmens 
Jörg  Kölderer  nicht  bloß  mit  der  Anfertigung  der  hiezu  nöthigen 
Visierung,  sondern  auch  mit  der  Ausfindigmachung  des  für  die 
Aufstellung  des  Grabmales  geeignetsten  Platzes,  zu  welchem 
Zwecke  Kölderer  im  Spätsommer  1528  verschiedene  Kirchen  in 
Wien  und  Wiener-Neustadt  eingehend  besichtigte  und  sich  schließ- 
lich für  die  Burgkapelle  in  der  zweitgenannten  Stadt  entschied. 
Da  brachte  das  Ableben  Godels,  dieses  trefflichen  Gießers,  dessen 
Hauptcharakterzug  emsige  Arbeitsamkeit  und  große  Bescheidenheit 
bildet,  im  Jahre  1533  und  dasjenige  seines  Vetters  Bernhard  Godel,  den 
man  als  seinen  Nachfolger  in  Aussicht  genommen  hatte,  endlich 
der  im  Sommer  1540  erfolgte  Tod  des  braven  Kölderer  das  ganze 


igo 


H.  Zimmermann 


Unternehmen  ins  Stocken,  und  die  politischen  Wirren  jener  Tage 
hätten  dasselbe  wohl  ganz  in  Vergessenheit  gerathen  lassen,  wenn 
nicht  Maximilians  Testamentvollstrecker,  der  greise  Ritter  Wilhelm 
Schürf,  die  Weiterführung  der  Arbeiten  und  damit  die  Erfüllung 
von  Maximilians  letztem  Willen  bei  dessen  beiden  Enkeln  urgiert 
hätte.  So  ward  im  Jahre  1548  der  Augsburger  Maler  Christoph 
Amberger  mit  der  Herstellung  der  noch  fehlenden  zehn,  bezie- 
hungsweise nach  Ausscheidung  der  beiden  Statuen  Ottokars  und 
Julius  Cäsars  durch  Kaiser  Karl  V.,  acht  Entwürfe  betraut  und 
der  Innsbrucker  Büchsengießer  Gregor  Löffler,  ein  Sohn  des  alten 
Peter  Löffler  oder  Leiminger,  der  gleich  seinem  Vater  schon 
für  Kaiser  Maximilian  gearbeitet  hatte,  für  die  Gussarbeit  ge- 
wonnen. Die  von  Gregor  Löffler  mit  Hilfe  des  Modelleurs  Veit  Arn- 
berger  im  Frühling  1549  vollendete  Figur  Chlodwigs,  in  Zeichnung 
und  Ausführung  eine  der  schönsten  des  ganzen  Grabmales,  ist  zugleich 
die  letzte  selbständige  Statue,  die   für  dasselbe  geschaffen  wurde. 

Auch  bezüglich  desKenotaphs  wich  man  von  dem  ursprüng- 
lichen Plane  mehrfach  ab.  Nicht  allein  dass  man  sich  für  die 
Reliefdarstellungen  nicht  einfach  an  die  vierundzwanzig  Haupt- 
stücke der  Ehrenpforte  hielt,  sondern  dieselben  nach  einem  neuen 
Programm  ausführen  ließ,  das  der  Reichsvicekanzler  Dr.  Seid  auf 
Grund  eingehender  Studien  des  Lebens  und  der  Geschichte  Maxi- 
milians entwarf;  man  beschloss  auch  nach  dem  Ergebnisse  einer 
commissionellen  Berathung  des  Hofbaumeisters  Hermes  Schallautzer 
mit  den  in  kaiserlichen  Diensten  stehenden  Künstlern  Pietro  Fera- 
bosco,  Jacopo  Strada  und  Natale  Veneziano,  sowohl  die  genannten 
Reliefs  als  auch  den  größten  Theil  des  ganzen  Sarkophages  nicht 
aus  Erz,  sondern  aus  verschiedenfarbigem  Marmor  herzustellen, 
während  ersteres  nur  für  die  krönende  Figur  des  Stifters,  die  vier 
Cardinaltugenden,  für  vier  Adler  mit  kaiserlichen  Wappen  und 
zehn  Putten,  endlich  das  Trophäenornament  an  der  zweiten  Stufe 
des  Unterbaues  beibehalten  wurde. 

Daraufhin  schloss  die  Innsbrucker  Regierung,  wohl  auf  Em- 
pfehlung des  mit  der  Anfertigung  der  Zeichnungen  zu  den  Reliefs 
betrauten,  in  Prag  ansässigen  Malers  Florian  Abel,  am  28.  April 
1561  mit  den  hiezu  aus  Köln  berufenen  Brüdern  desselben,  Bern- 
hard und  Arnold,  einen  Coutract,  nach  welchem  ihnen  die  Her- 
stellung des  Kenotaphs  und  der  unmittelbar  dazu  gehörigen  Erz- 


Die  Renaissance.  jnj 

bildet,  deren  Guss  Gregor  Löffler  besorgen  sollte,  sowie  die  Be- 
schaflFung  der  verschiedenen  Marmorarten  auf  kaiserliche  Kosten 
und  die  Versetzung  des  Grabmales  übertragen  wurde.  Wieder 
eine  höchst  unglückliche  Wahl !  Denn  abgesehen  von  der  Er- 
werbimg des  Mannors,  von  dem  der  rothe  aus  Salzburg,  der 
weiße  aus  Carrara,  der  schwarze  nach  verschiedenen  Versuchen, 
denselben  aus  Italien  oder  den  Niederlanden  zu  erhalten,  endlich 
aus  einem  Bruche  bei  Trient  herbeigeschaflfl  wurde,  beschränkte 
sich  die  Leistung  der  beiden  Brüder  Bernhard  und  Arnold  Abel 
innerhalb  dreier  Jahre,  trotzdem  sie  über  3000  Gulden  erhalten 
hatten,  auf  nur  drei  Reliefs,  von  denen  zwei  noch  dazu  nur  theil- 
weise  ihr  Werk  sind.  Der  Grund  lag  in  ihrem  liederlichen,  wein- 
seligen Leben,  das  sie  nicht  allein  zur  Arbeit  unfähig  machte, 
sondern  auch  Bernhard  anfangs  October  1563  imd  ein  halbes  Jahr 
später  seinen  Bruder  Arnold  dahinraffte. 

Das  Hauptverdienst  des  letzteren  liegt  in  der  Berufung  des  Bild^ 
hauers  Alexander  Colin  aus  Mecheln,  der  Ende  1562  nach  Innsbruck 
kam  und  daselbst  mit  Hilfe  einiger  niederländischer  Gesellen 
trotz  mannigfacher  Hindernisse,  wie  einer  ansteckenden  Krankheit, 
welche  die  letzteren  fast  zur  Flucht  veranlasst  hätte,  dann  trotz  des 
Todes  Florian  Abels  (Mai  1565),  der  die  Zeichnung  der  beiden 
letzten  Entwürfe  durch  dessen  Schwager  Paul  Neupauer  zu  Prag 
nothwendig  machte,  und  obwohl  es  nicht  an  Versuchen  fehlte, 
ihm  seine  Gehilfen  abspenstig  zu  machen,  bis  zum  Schlüsse  des 
Jahres  1565  alle  vierundzwanzig  Reliefbilder  in  vollendeter  Weise 
ausführte.  Er  erhielt  für  jedes  derselben,  das  er  in  der  unglaublich 
kurzen  Zeit  von  sechs  Wochen  in  Wachs  modellierte  und  in 
Marmor  übertrug,  200  Gulden  ausbezahlt.  Im  October  1568  kamen 
dann  auch  die  24  schwarzen  Marmortäfelchen  mit  den  erklärenden 
Goldinschriften  zu  den  Reliefs,  mit  deren  Herstellung  der  kaiser- 
liche Secretär  Georg  Bocskay  beauftragt  worden  war,  nach  Inns- 
bruck. 

In  der  Zwischenzeit  beschäftigte  Colin  die  Modellierung  der 
für  das  Grabmal  bestimmten  verschiedenen  Bestandtheile  und 
Figuren  aus  Erz,  welche  jedoch  insofern  eine  Vereinfachung  er- 
fuhren, als  man  nur  das  Ornament  für  die  zweite  Stufe  des  Auf- 
baues und  die  vier  Cardinaltugenden  auszuführen  beschloss,  alles 
andere  aber  wegließ.     Da  der  Innsbrucker  Gießer  Hans  Christoph, 


192 


H.  Zimmermann 


Sohn  des  Gregor  Löff  ler,  nur  das  erstere  goss,  sich  aber  den  Guss 
der  letzteren  nicht  zu  übernehmen  getraute,  wurde  zu  diesem 
Behufe  im  Jahre  1570  der  Bildgießer  Hans  Lendenstreich  aus 
München  berufen,  der  die  ihm  gewordene  Aufgabe  im  Laufe  des 
genannten  Jahres  zur  vollsten  Zufriedenheit  löste,  während  sich 
mit  ihm  und  Colin  angeknüpfte  Verhandlungen  wegen  des  Gusses 
der  noch  fehlenden  sechs  großen  Erzstatuen  infolge  seiner  über- 
triebenen Forderungen  wieder  zerschlugen.  Die  im  Frühjahr  1571 
erfolgte  Entlassung  Lendenstreichs  machte  für  das  kniende  Bild 
Maximilians,  welches  das  ganze  Grabmal  krönen  sollte,  die  Ge- 
winnung eines  andern  Gießers  nothwendig,  der  mehr  als  10  Jahre 
später  in  der  Person  des  Sicilianers  Lodovico  de  Duca  auftritt. 
Nach  Beilegung  mancher  Differenzen  wurde  mit  ihm  am  15.  Januar 
1583  ein  Vertrag  perfect,  dem  gemäß  er  dann  auch  die  von  Colin 
modellierte  Statue  innerhalb  eines  Jahres   in  Erzguss   vollendete. 

Längere  Zeit  erforderte  noch  die  in  Innsbruck  vorgenommene 
Vergoldung  des  Grabgitters,  das  schon  lange  vorher  nach  einer 
Zeichnung  des  Innsbrucker  Malers  Paul  Trabel  von  dem  Hof- 
schlosser Georg  Schmiedhamer  in  Prag  aus  steirischem  Eisen  ge- 
fertigt und  von  dort  über  Linz  an  seinen  Bestimmungsort  gebracht 
worden  war. 

Als  Aufstellungsort  des  Grabmales  war  von  Ferdinand  I. 
schon  1549  die  hl.  Kreuzkirche  in  Innsbruck  in  Aussicht  ge- 
nommen, deren  Grundstein  im  Jahre  1553  gelegt  und  deren  Bau 
durch  ihn  so  gefördert  wurde,  dass  bereits  zehn  Jahre  später,  am 
24.  Februar  1563  ihre  Einweihung  vorgenommen  werden  konnte. 
Alsbald  wurden  die  großen  Erzbilder  aus  der  Gießhütte  zu 
Mühlau  dahin  übertragen  und  in  der  Zeit  von  1567  bis  1572  auch 
die  Versetzung  des  Kenotaphs  in  derselben  durch  den  welschen 
Steinmetzen  Geronimo  de  Longhi  beendigt. 

Da  jedoch  die  Übertragung  der  Gebeine  Kaiser  Maximilians  I. 
von  Wiener-Neustadt  in  die  neue  Gruft  trotz  des  diesbezüglichen 
ausdrücklichen  Wunsches  Kaiser  Ferdinands  I.  und  trotz  der 
eifrigen  Bemühungen  seines  gleichnamigen  Sohnes  nicht  erfolgte, 
so  hat  das  Grabmal  seinen  eigentlichen  Zweck  bis  heute  nicht 
erfüllt.  Wohl  aber  ist  es  geeignet,  nach  dem  Wunsche  seines 
erlauchten  Stifters  das  Andenken  an  ihn  für  alle  Zeiten  wach  zu 
erhalten,  und  charakterisiert  in  seinem  Übergang   von  der  Gothik 


Die  Renaissance. 


193 


zur  schönsten  Renaissance  dessen  culturelle  Stellung  wie  vielleicht 
kein  zweites  seiner  Werke.  Man  hat  Maximilian  mit  Vorliebe  als 
die  Abendröthe  des  Mittelalters  bezeichnet.  Will  man  persönliche 
Tapferkeit  und  edlen,  echt  ritterlichen  Sinn  vorzugsweise  für  mittel- 
alterliche Fürsten  in  Anspruch  nehmen,  so  mag  dies  gerechtfertigt 
erscheinen.  Allein  ebenso  wie  unter  seiner  Regierung  das  Mittel- 
alter ganz  unvermerkt  in  die  Neuzeit  übergeht,  so  verschmilzt 
auch  jene  Abendröthe,  ohne  durch  finstere  Nacht  unterbrochen 
zu  sein,  mit  dem  Morgengrauen  einer  neuen  Zeit,  und  aus  diesem 
erhebt  sich  leuchtend  Max,  ,,der  blanke  Kunig*',  als  das  glänzende, 
belebende  und  reich  befruchtende  Tagesgestirn  deutscher  Renais- 
sancekunst. 


•^xgo^*. 


Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  13 


ERZHERZOG  FERDINAND  VON  TIROL  UND  SEINE 
SAMMLUNG  IN  SCHLOSS  AMBRAS. 

Der  romanhafte  Schimmer,  mit  dem  man  lange  Zeit  hindurch 
die  im  übrigen  wahrhaft  glückliche  Ehe  des  Erzherzogs  Ferdinand 
von  Tirol  mit  der  Augsburger  Patriciertochter  Philippine  Welser 
zu  umkleiden  geneigt  war,  entspricht  ebensowenig  den  durch 
moderne  Forschung  dargelegten  thatsächlichen  Verhältnissen  als 
die  Annahme,  dass  man  in  jenem  erlauchten  Fürsten  neben  seinem 
Urgroßvater  Kaiser  Maximilian  I.,  dem  letzten  Ritter,  noch  einen 
allerletzten  Ritter  zu  erblicken  habe.  Erzherzog  Ferdinand  fußt 
vielmehr  in  allen  seinen  Neigungen  und  Bestrebungen  ganz  und 
gar  auf  dem  Boden  der  Renaissance  und  des  mit  derselben  enge 
verbundenen  Humanismus.  Bedürfte  dies  einer  besonderen  Er- 
klärung, so  ergibt  sich  diese  fast  von  selbst  aus  den  damals  in 
Österreich  herrschenden  künstlerischen  Grundsätzen,  Während 
unter  Kaiser  Maximilian  I.  die  Thätigkeit  italienischer  Künstler 
auf  österreichischem  Gebiete  nur  ganz  vereinzelt  und  vorüber- 
gehend begegnet,  schlägt  dies  unter  dessen  Nachfolger  Kaiser 
Ferdinand  I.  ins  gerade  Gegentheil  um.  Zunächst  zur  Errichtung 
und  Wiederherstellung  von  Festungsbauten  gegen  die  immer  hef- 
tiger andrängende  Türkenmacht  werden  zahlreiche  Italiener,  nament- 
lich Comasken  und  IvUganesen,  ins  Land  berufen,  die  in  kürzester 
Zeit  die  gesammte  kirchliche  und  profane  Architektur  in  ihre  Hände 
bekommen  und  den  Werken  derselben  den  unverkennbaren  Stempel 
ihrer  Stilrichtung  aufdrücken.  So  kommt  es,  dass  sich  die  Re- 
naissancebauten Österreichs  weit  enger  an  diejenigen  Italiens, 
speciell  Oberitaliens  und  Venedigs,  anschließen,  als  dies  im  deut- 
schen Reiche  der  Fall  ist,  wo  die  Entwicklung  des  neuen  Stiles 
eine  mehr  selbständige  Richtung  nahm.  Im  südlichen  Theile  der 
Monarchie  macht  sich  zudem  der  mächtige  Einfluss  des  nahen 
Venedig  geltend,  wofür  das  prächtige  von  Graf  Johann  von  Orten- 


Die  Renaissance. 


195 


bürg  erbaute  Porzia*sche  Schloss  Spital  in  Kärnten  ein  schönes 
Beispiel  bietet  In  der  Zeit  von  1555 — 1563  erbaut  der  Luganese 
Domenico  delP  AUio  das  ständische  Landhaus  in  Graz,  und  um 
dieselbe  Zeit  entsteht  der  graziöse  Arcadenhof  von  Schloss  Schala- 
burg  bei  Molk  und  die  schönen  Renaissanceportale  des  kaiserlichen 
Zeughauses  zu  Wiener-Neustadt  und  des  Schweizerhoftractes  in  der 
Wiener  Hofburg,  beide  nachweislich  von  Italienern  erbaut  und 
ausgeschmückt,  endlich  die  Perle  italienischer  Renaissancekunst 
auf  deutschem  Boden,  das  Belvedere  zu  Prag  (vgl.  Abb.  46),  an 
dessen  Vollendung  auch  Erzherzog  Ferdinand  seinen  Antheil  hat. 
Schon  in  seiner  Studienzeit  mit  architektonischen  Entwürfen 
beschäftigt  und  noch  nicht  zwanzig  Jahre  alt  von  seinem  Vater 
mit  der  Statthalterschaft  in  Böhmen  betraut,  fiel  ihm  auch  die 
Aufgabe  zu,  die  Aufsicht  über  die  Bauten  am  Prager  Schloss, 
welche  Ferdinand  I.  theils  zur  Reconstruction  der  durch  den 
Brand  von  1541  verursachten  Schäden,  theils  neu  auffuhren  ließ, 
zu  übernehmen.  Diese  Aufgabe  war  keine  eben  besonders  leichte. 
Abgesehen  von  dem  damals  fast  selbstverständlichen  Umstand,  dass 
es  häufig  an  den  nöthigen  Fonds  mangelte  und  weder  der  Erzherzog 
noch  die  böhmische  Kammer  sich  Rath  wussten,  woher  das  nöthige 
Geld  nehmen,  waren  die  Bauarbeiten  äußerst  umfassend  und  ver- 
schiedenartig.  Sie  betrafen  den  großen  Saal,  das  von  Ferdinand  I. 
im  Jahre  1536  begonnene  Belvedere,  die  Restaurierung  der  St. 
Veitskirche  und  zahlreiche  andere  kleinere  Objecte.  Hiezu  kam 
1559  die  Einwölbung  der  Landrechtsstube,  die  Herstellung  der 
großen  Orgel  im  Dome  und  1563  des  prachtvollen  Schlossbrunnens. 
Schon  vier  Jahre  nach  des  Erzherzogs  Ankunft  in  Prag  schied  der 
bewährte  italienische  Architekt  Paolo  della  Stella  aus  dem  Leben 
und  übernahm  für  kürzere  Zeit  der  deutsche  Baumeister  Hans 
Tirol  die  Oberleitung.  Dessen  Unzuverlässigkeit  und  seine  Eifer- 
süchteleien mit  den  ihm  beigegebenen  welschen  Architekten 
Andreas  de  Austales  und  Johann  Campion  sowie  dem  im  Jahre 
1554  nach  Prag  berufenen  deutschen  Meister  Bonifacius  Wolmuth 
machten  die  Stellung  des  Erzherzogs  dem  zwiespältigen  Künstler- 
völkchen gegenüber  zu  einer  umso  schwierigeren.  Wie  strenge  er 
selbst  dieselbe  auffasste,  beweist  am  besten  der  Umstand,  dass  er 
sich  sogar  auf  seinem  Zuge  nach  Ungarn  (1556)  über  den  Fort- 
gang der  Bauarbeiten  ins  Feldlager  berichten  ließ  und  nicht  nur 

13* 


196 


H.  Zimmermann 


Überall,  wo  irgend  möglich,  strenge  Controle  übte,  sondern  auch 
selbständige  Anträge  an  den  Kaiser  stellte,  der  dann  zumeist  auf 
die  Vorschläge  seines  erprobten  jugendlichen  Rathgebers  eingieng 
und  sich  bei  seinen  diesbezüglichen  Anordnungen  wie  auf  die 
Berichte  der  Baumeister  so  auch  auf  des  Erzherzogs  ,, hierüber 
gegebnes  rätlich  Guetbedünkhen*'  beruft. 

Was  Wunder,  wenn  wir  Erzherzog  Ferdinand,  der  bei  den 
Bauten  seines  Vaters  dessen  Intentionen  so  gut  zu  verwirklichen 
verstand,  einmal  selbst  am  Reissbrett  arbeiten  und  den  Plan  für 
einen  Bau  entwerfen  sehen,  welcher  sich  durch  die  originelle 
Lösung  der  durch  den  Baugrund  gebotenen  Schwierigkeiten  be- 
sonders auszeichnet.  Es  ist  dies  das  sogenannte  Sternschloss  im 
Thiergarten  zu  Prag,  zu  welchem  Ferdinand  nicht  allein  am 
27.  Juni  1555  den  Grundstein  legte,  sondern  auch  den  Plan  ersann 
und  selbst  zeichnete,  und  das  er  wegen  seines  einen  sechsstrahligen 
Stern  bildenden  Grundrisses  und  des  die  thurmartige  Dachspitze 
zierenden  Emblems  ,,zum  goldenen  Stern*'  benannte.  Im  Gegen- 
satz  zu  dem  völlig  schmucklosen  Äußeren  beansprucht  das  Innere, 
welches  in  drei  Geschosse  zerfallt,  und  von  letzteren  namentlich 
das  mittlere,  ebenso  durch  seine  geistvolle  Eintheilung  wie  durch 
seine  reiche  Decoration  unsere  volle  Aufmerksamkeit.  Das  zwölf- 
seitige, kuppelartig  gewölbte  Mittelgemach,  das  sein  Licht  nur 
durch  die  an  den  einspringenden  Winkeln  des  Sternes  angebrachten 
Fenster  der  sechs  von  demselben  ausgehenden  Corridore  empfangt, 
umstehen  sechs  rautenförmige  Räume,  in  deren  Außenseiten  je 
zwei  Fenster  gebrochen  sind,  während  die  an  den  Innenseiten  in 
die  genannten  Corridore  mündenden  je  zwei  Thüren  einen  regel- 
mäßigen Umgang  durch  alle  sechs  Strahlen  bilden.  Die  theils 
gewölbten  theils  flachen  Plafonds  bedecken  in  stets  wechselnder 
und  überraschend  combinierter  Feldereintheilung  flache  omamen- 
tale und  figürliche  Stuccoreliefs,  die  ebensowohl  durch  ihre  virtuose 
Technik  wie  durch  ihre  zum  Theile  der  alten  Geschichte  und  Mytho- 
logie entnommenen  Sujets  deutlich  auf  italienische  Meister  hinweisen. 
Als  solche  sind  uns  urkundlich  die  bereits  genannten  Andreas  von 
Austales  und  Johann  Campion  bezeugt.  Das  Schloss  hat  mannigfache 
Schicksale  erfahren,  wurde  eine  Zeit  lang  als  Pulvermagazin  be- 
nützt, und  erst  die  sonst  so  unheilvolle  preussische  Invasion  des  Jahres 
1866  hat  dessen  Rückgabe  an  seine  frühere  Bestimmung  angebahnt. 


Die  Renaissance. 


197 


Nicht  so  gut  ergieng  es  einem  andern  Bauwerk,  welches 
ebenfalls  dem  Erzherzog  seine  Entstehung  verdankt,  dem  zwei- 
stöckigen, mit  einem  vorspringenden  Treppenhaus  und  vier  runden 
Eckthürmen  versehenen  Ivustschlosse  im  Thiergarten  zu  Innsbruck, 
das  sein  Architekt  Giovanni  Luchese  im  Jahre  1571  vollendete 
und  das  er  künstlerisch  ausschmücken  ließ.  Auch  dieses  Gebäude 
hat  wiederholt  rein  militärischen  Zwecken  gedient  und  wurde 
schließlich  sammt  der  ganzen  Thiergartenarea  an  den  Meist- 
bietenden verkauft. 

Dagegen  legen  zahlreiche  andere  Gebäude  Tirols  von  der 
Fortdauer  der  regen  Baulust  des  Erzherzogs  Zeugenschaft  ab. 
Die  Burg  zu  Innsbruck  war  nach  dem  verheerenden  Brande  von 
1534  allerdings  schon  durch  Kaiser  Ferdinand  I.  zum  größten 
Theile  wieder  hergestellt  worden.  Immerhin  aber  gab  es  auch 
für  den  Erzherzog  noch  mancherlei  zu  thun.  1565  ließ  er  durch 
seinen  Meister  Luchese  den  großen  Saal  so  zurichten,  ,,wie  es  in 
Italia  gebreuchig*',  und  als  nach  dem  Tode  Philippine  Welsers 
(1580)  Ambras  den  Charakter  einer  dauernden  Residenz  mehr  und 
mehr  einbüßte,  erwuchs  der  anfangs  nur  als  provisorisch  in  Aus- 
sicht genommene  Bau  des  Gartenpalastes  Ruhelust  in  Innsbruck 
zu  höherer  Bedeutung  und  größerem  Umfang,  umsomehr  als  sich 
die  zweite  Gemahlin  Ferdinands,  die  Mantuanerin  Anna  Katharina, 
in  den  weiten,  düsteren  Räumen  der  Burg  ebenso  wenig  wohl 
fühlte  als  er  selbst.  Ein  Löwenhaus  mit  einem  Thierzwinger,  ein 
Fasanen-,  ein  Ballspiel-  und  ein  böhmisches  Haus  zur  Abhaltung 
von  Feuerwerken  dienten  den  im  Renaissancezeitalter  allgemein 
üblichen  Vergnügungen.  Einzelne  Landschlösser  wurden  als  mit 
allem  Comfort  und  weidmännischer  Zier  ausgestattete  Jagdhäuser 
eingerichtet,  die  alte  Stammburg  Tirol  bei  Mferan  u.  a.  sorgfältig 
restauriert.  Umfassende  Neubauten  endlich  machte  die  Erweiterung 
von  Ferdinands  Lieblingssitze  Ambras  nöthig,  dessen  Räumlich- 
keiten sich  schon  im  Jahre  1564,  als  der  Erzherzog  das  Schloss 
seiner  Gemahlin  überließ,  als  für  den  Hofstaat  unzulänglich  er- 
wiesen, so  dass  durch  die  zu  diesem  Zwecke  aus  Prag  gesendeten 
beiden  welschen  Baumeister  Albrecht  und  Giovanni  Luchese  ein 
drittes  Stockwerk  aufgesetzt  werden  musste.  Um  eintn  bis  dahin 
in  dem  eng  gebauten  Schlosse  gänzlich  fehlenden  Repräsentations- 
raum zu  schaffen,  wurde  1570  der  Bau  des  sogenannten  ,, spanischen 


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H.  Zimmermann 


Saales'*  begonnen  und  (Tafel  II)  über  ein  Jahrzehent  später  zur  Auf- 
nahme der  immer  mehr  anwachsenden,  früher  in  der  Innsbrucker 
Burg  aufbewahrten  erzherzoglichen  Sammlungen  die  weitläufigen 
Saalbauten  des  Unterschlosses  errichtet  Älteren  Datums  sind 
die  mit  Paradiesen,  Labyrinthen,  Grotten,  künstlichen  Quellen 
imd  Springbrunnen,  in  üppigem  lebenden  Grün  halb  versteck- 
ten zahllosen  Statuetten  und  Pavillons  ausgestatteten  prächtigen 
Gartenanlagen,,  deren  Entwurf  und  Durchführung  eine  Lieblings- 
beschäftigung des  Erzherzogs  bildete,  und  in  die  man  einst 
aus  dem  Schlosshofe  durch  ein  Renaissanceportal  gelangte.  Unter 
den  zahlreichen  kirchlichen  Bauten  des  Erzherzogs  verdient  be- 
sondere Erwähnung  die  ,, silberne**  Kapelle,  welche  dem  reichen 
Silberschmuck  des  Altars  ihren  Namen  dankt ;  sie  wurde  als 
Ruhestätte  Ferdinands  und  seiner  Familie,  anstoßend  an  die 
Franciscanerkirche  zu  Innsbruck,  nach  den  Plänen  des  italieni- 
schen Architekten  Giulio  Fontana  in  der  Zeit  von  1577  bis  1587 
erbaut  und  mit  italienischen  Renaissanceornamenten  geziert. 

'  All  diese  Gebäude  erhielten  nun  innen  und  außen  einen 
reichen  malerischen  und  bildnerischen  Schmuck.  So  gesellten 
sich  zu  der  die  Außenwände  von  Ambras  zierenden  Quaderimi- 
tation in  Sgrafittotechnik,  deren  Erscheinung  man  am  spanischen 
Saale  durch  discrete  Betonung  der  bunten  Elemente  zur  Wirkung 
einer  Grisaille  zu  steigern  versuchte,  an  der  Gartenfagade  eine 
Pilasterdecoration  zwischen  den  Fenstern  mit  herabhangenden 
Teppichen  und  an  den  Wänden  des  oblongen  Schlosshofes  grau 
in  grau  al  fresco  gemalte  allegorische  Darstellungen  der  Tugend, 
des  Reichthums,  der  Künste  und  Wissenschaften,  Triumphzüge  und 
biblische  Scenen,  Götter-  und  Heldengestalten,  am  Eingang  zwei 
Wächter  im  Landsknechtcostüm  der  Zeit  mit  den  Bannern  von 
Osterreich  und  Tirol  und  das  erzherzogliche  Wappen. 

Noch  reicher  war  die  Innendecoration  gehalten,  durch  die 
sich  namentlich  der  spanische  Saal  auszeichnet,  von  welchem 
Tafel  II  eine  Ansicht  zeigt.  Als  Urheber  des  malerischen  Theiles 
derselben  nennt  sich,  was  das  Ornamentale  betrifft,  der  nieder- 
ländische Meister  Denis  van  Hallart,  der  Erzherzog  Ferdinand 
auch  sonst  viele  Gemälde  lieferte,  und  dessen  al  fresco  gemalte 
Grotesken  sich  in  der  Composition  an  große  italienische  Vorbilder 
anlehnen.    Der  Maler  der  a  tempera  ausgeführten  Bilder  tirolischer 


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Die  Renaissance.  jqq 

Fürsten  von  Albrecht  I.  bis  auf  Erzherzog  Ferdinand,  welche  den 
Saal  im  Sinne  einer  Ahnengallerie  zu  einer  Art  Ehrenhalle  für 
sein  erhabenes  Haus  und  das  Land  Tirol  gestalten  sollten,  ist  an- 
geblich Pietro  Rosa  von  Brescia,  ein  Schüler  Tizians  und  Hof- 
maler des  Erzherzogs.  In  den  Stuccoschildem  des  Frieses  über 
den  Bildern  sind  auf  die  Dargestellten  bezügliche  Embleme  an- 
gebracht, so  bei  Siegmund  dem  Münzreichen  ein  Kessel  mit  Gold- 
münzen, bei  Karl  V.  die  Säulen  des  Hercules  u.  s.  w.  Die  Felder 
des  Wandsockels  enthalten  auf  der  Fensterseite  Scenen  aus  Roms 
Königsgeschichte,  auf  der  andern  Seite  die  Thaten  des  Hercules. 
Der  Fries  war  zudem  mit  Gehörn  von  Hirschen,  Auerochsen, 
Steinböcken,  Ren-  und  Elenthieren  ausgestattet,  zu  dessen  Fassung 
der  Bildhauer  Andre  de  Cliever  eigens  aus  Brüssel  berufen  wurde, 
und  das  darauf  hindeutet,  dass  der  Saal  auch  als  Versammlungs- 
local  für  die  Theilnehmer  der  in  der  Umgebung  von  Ambras 
häufig  stattfindenden  Jagdvergnügungen  des  Hofes  zu  dienen  hatte. 
Die  Decke  des  großen  Speisesaales  ward  in  den  Jahren  1583 
und  1584  von  Battista  Fontana  in  Ol  auf  Holz  in  originellster 
Weise  ausgeschmückt.  Hier  zeigen  sich  in  drei  Hauptfeldern  und 
vier  Zwickelbildem  die  sieben  großen  Planeten  als  kolossale 
Göttergestalten,  die  vier  Elemente  in  lagernder  Stellung,  welche 
deutlich  den  Einfluss  venezianischer  Meister  auf  unsern  Künstler 
verrathen,  und  der  Kreis  des  Zodiacus  mit  der .  Djirstellung  der 
Sternbilder,  nach  dem  naiven  Geschmack  der  Zeit  ins  Figürliche 
übersetzt,  so  der  Wagen  als  Tiroler  Fuhrmann  mit  der  Peitsche, 
die  Locke  der  Berenike  als  Frauenhaarzopf  u.  a.  m.  Derselbe 
Fontana  zierte  im  Jahre  1580  die  sechseckigen  Kappenfelder  an 
der  Decke  der  silbernen  Kapelle  mit  Scenen  aus  dem  Leben  Jesu  und 
aus  der  Apostelgeschichte  und  vollendete  im  gleichen  Jahre  auch 
drei  Altäre  für  die  neue  Kapelle  in  Schloss  Günzburg  und  eine 
Altartafel  für  Matrei,  vier  Jahre  früher  eine  solche  für  die  Kirche 
in  Seefeld.  Ein  andrer  italienischer  Künstler,  Domenico  de  Pozzo, 
malte  schon  1564  nach  von  Erzherzog  Ferdinand  noch  in  Prag 
geprüften  und  acceptierten  Entwürfen  35  große  Historienbilder 
von  Schlachten  der  Kaiser  Maximilian  I.  und  Karl  V.  nebst 
,,Fantaseien'*  und  Vergoldungen  für  die  Burg  zu  Innsbruck. 
Sehen  wir  also  als  Architekten  und  Maler  auch  hier  fast  aus* 
schließlich  Welsche   thätig,  so  behaupten  doch  die  Deutschen  das 


200  ^*  Zimniermann 

Feld  auf  dem  Gebiete  der  Glasmalerei  und  der  kostbaren  Intarsia- 
arbeit. 

Schon  1571  fertigte  der  Münchener  Glasmaler  Hans  Heben- 
streit zwei  gemalte  Fenster  mit  Erzherzog  Ferdinands  Wappen, 
der  es  liebte,  Städte  und  Gotteshäuser  mit  solchen  zu  beschenken, 
und  zu  diesem  Zwecke  zahlreiche  Glasmaler  wie  Meister  Federlin, 
Christoph  Braun  u.  a.  vielfach  beschäftigte.  So  setzte  er  denn 
auch  die  schon  von  Ferdinand  I.  begonnene.  Ausschmückung  der 
Innsbrucker  Hofkirche  mit  Glasgemälden  eifrig  fort  und  bestimmte 
im  Jahre  1575  nach  dem  durch  seinen  Hofbaumeister  Luchese  ein- 
geholten Gutachten  der  tirolischen  Kammerräthe  für  die  drei  großen 
Chorfenster  die  drei  Kirchenpatrone:  das  heilige  Kreuz,  Unsere  Liebe 
Frau  und  St.  Johannes  den  Täufer  sammt  den  Portraits  Karls  V.  und 
Ferdinands  I.  mit  ihren  Gemahlinnen  und  Patronen,  endlich  für 
die  übrigen  Fenster  die  Ausschmückung  mit  zwanzig  Wappen  der 
österreichischen  und  spanischen  Erblande.  Die  Arbeit  wurde 
dem  Glasmaler  Thomas  Neidhart  in  Feldkirch  übertragen,  der 
jedoch  trotz  wiederholten  Drängens  erst  1582  damit  zustande 
kam,  da  ihm,  wie  er  versicherte,  mehrmals  einzelne  Stücke  beim 
Schmelzen  im  Feuer  zerbrochen  waren.  Er  vollendete  im  gleichen 
Jahre  vier  Glasgemälde  mit  fürstlichen  Wappen  für  die  silberne 
Kapelle,  nachdem  er  bereits  früher  solche  für  die  neuerbaute 
Kapelle  in  Seefeld  geliefert  hatte. 

Die  Seitenwände  des  Langhauses  der  Stiftskirche  wurden  mit 
prachtvollen  Gobelins  behängt,  auf  welchen  Darstellungen  aus  dem 
Leben  Christi  kunstvoll  eingewirkt  waren.  Einen  besondem 
Schmuck  erhielt  dieselbe  durch  den  sogenannten  Fürstenchor, 
jenes  im  Renaissancestile  ausgeführte  Oratorium,  das  Erzherzog 
Ferdinand  für  sich  und  seine  Familie  an  der  Evangelienseite  des 
Chors  der  Orgel  gegenüber  errichten  ließ.  Außen  durch  feine 
architektonische  Details  ausgezeichnet,  zeigt  es  in  seinem  Innern 
Intarsien,  die  als  ein  Meisterstück  der  alten  Kunsttischlerei  be- 
zeichnet werden  müssen.  Dies  gilt  in  gleicher  Weise  von  dem 
älteren  Theile,  den  in  den  Jahren  1567  und  1568  der  Ravensburger 
Tischler  Hans  Waldner  mit  all  seinen  Blumen-,  Früchten-, 
Schnecken-,  Fratzen-  und  andern  Renaissanceornamenten  nach 
eigener  Zeichnung  verfertigte,  wie  von  der  bald  darauf  durch  den 
Innsbrucker  Tischler  Konrad  Gottlieb  hergestellten,   noch  reicher 


Die  Renaissance.  20I 

intarsiierten  Verlängerung  desselben  gegen  das  Langhaus.  Das 
Monogramm  des  letzteren  C.  G.  zeigt  auch  eine  der  mit  kost- 
baren Holzarten  eingelegten  herrlichen  Intarsiathüren  des  spani- 
schen Saales  in  Schloss  Ambras,  die  nebst  den  fast  in  allen  Räumen 
des  Schlosses  begegnenden  reich  cassettierten  Plafonds  und  mit 
prächtigen  Intarsien  gezierten  Holzvertäfelungen  den  harmonisch 
künstlerischen  Eindruck  des  Ganzen  wesentlich  erhöhen. 

Neben  diesen  mehr  oder  weniger  mit  seiner  Bauthätigkeit  im 
Zusammenhang  stehenden  Arbeiten  stellt  der  Erzherzog  den  sich 
in  seiner  Residenz  in  großer  Zahl  sammelnden  Künstlern  auch 
selbständige  Aufgaben.  Sein  Hof  zeigt  in  dieser  Beziehung  ein 
internationales  Bild.  War  ja  doch  Innsbruck  schon  seiner  Lage 
nach  geeignet,  italienische  und  nordische  Kunst  in  nächste  Be- 
rührung zu  bringen.  Deutsche,  niederländische  und  italienische 
Portrait-,  Historien-  und  Miniaturmaler,  Bildhauer  und  Wachs- 
bossierer,  Goldschmiede  und  Medailleure  treten  neben  einander  auf 
und  eifern  in  friedlichem  Wettstreite,  den  Intentionen  ihres  fürst- 
lichen Gönners  zu  genügen.  Charakteristisch  sind  in  dieser  Hin- 
sicht seine  Beziehungen  zu  drei  Künstlern,  deren  Namen  in  der 
Kunstgeschichte  einen  guten  Klang  haben,  —  Beziehungen,  welche 
theilweise  schon  in  die  Zeit  seines  Prager  Aufenthaltes  zurück- 
reichen. Es  sind  dies  der  Deutsche  Wenzel  Jamnitzer,  der  Italiener 
Francesco  Terzio  und  der  Niederländer  Alexander  Colin. 

Die  Bekanntschaft  des  berühmten  Nürnberger  Goldschmiedes 
Wenzel  Jamnitzer  machte  Ferdinand  auf  der  Rückkehr  von  seinem 
Türkenzuge  im  Jahre  1556  zu  Wien,  wohin  derselbe  von  Kaiser 
Maximilian  II.  ,, etlicher  Arbeit  halben*'  berufen  worden  war.  Der 
Erzherzog  bestellte  bei  ihm  eine  silberne  Credenz,  deren  Aufsatz 
das  Paradies  mit  der  Erschaffung  des  ersten  Menschenpaares  dar- 
stellen sollte.  Diese  Idee  gieng  von  Ferdinand  selbst  aus  und 
scheint  durch  eine  Jugenderinnerung  wachgerufen  worden  zu  sein. 
Die  alte  Residenz  zu  Innsbruck,  in  welcher  er  mehrere  Jahre 
seiner  Kindheit  verlebte,  zählte  zu  ihren  Sehenswürdigkeiten  den 
sogenannten  Paradeissaal  mit  diesbezüglichen  bildlichen  Darstel- 
lungen. Das  Paradies,  welches  Jamnitzer  anfertigen  sollte,  dachte 
sich  der  Erzherzog  als  eine  gebirgige  Landschaft  mit  Bäumen  und 
Sträuchern,  Kräutern  und  Blumen,  durch  Thierchen  aller  Art  be- 
lebt, während   die    Flüsse    durch   ein   im    Unterbau   angebrachtes 


202 


H.  Zimmermann 


Wasserwerk  gespeist  werden  sollten.  In  dem  von  Jacopo  Strada 
ans  Mantua  gemachten  Detailentwurf  war  auch  die  Verwendung 
kostbarer  Halbedelsteine,  wie  Achat,  Cameol,  Smaragdschale, 
Sardonyx  u.  s.  w.  dafür  in  Aussicht  genommen.  Sehr  zeitraubend 
war  die  Herstellung  der  ,, kleinen  Tierlein*'  mit  ihren  ,,so  gar 
diren  und  schwachen  Beinlein**,  jener  bewunderungswürdig  feinen 
Silbernaturabgüsse  von  Eidechsen,  Fröschen,  Käfern  u.  a.,  welche 
ein  besonderes  Kennzeichen  der  Nürnberger  Goldschmiedschule 
des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  bilden.  Da  sich  der  Ausführung 
des  Werkes  auch  sonst  Schwierigkeiten  entgegenstellten,  das  hiezu 
erforderliche  Silber  aus  Joachimsthal  immer  wieder  ausblieb,  viel- 
leicht auch,  weil  Jamnitzer,  wie  Erzherzog  Ferdinands  Kammer- 
diener Griesbeck  einmal  bemerkte,  ,,wol  ein  guter  Arbeiter,  der 
sauber  kunstlich  Ding  macht,  aber  sehr  langsam  und  schwer  von 
ime  zu  bringen**  war,  ist  dessen  Vollendung  ebenso  zweifelhaft 
wie  diejenige  der  vom  Erzherzog  nach  übersendeter  Zeichnung  bei 
demselben  Meister  bestellten  vier  Evangelisten,  welche  in  Kupfer 
hohl  gegossen  und  vergoldet  werden  sollten.  Bezeichnend  jedoch 
für  die  große  Wertschätzung,  deren  sich  der  Erzherzog  schon 
damals  in  Künstlerkreisen  erfreute,  ist  ein  an  ihn  gerichtetes 
Schreiben  Jamnitzers,  womit  ihm  der  Meister  als  ,, besonderen 
Liebhaber  der  freien  Künste**  ein  Exemplar  seines  von  ihm  selbst 
besonders  hoch  angeschlagenen  Werkes  über  die  Perspective  über- 
sandte. 

Der  Bergamaske  Terzio,  seit  1551  als  Hofmaler  in  Ferdinands 
Diensten,  portraitierte  dreimal  dessen  Mutter,  Königin  Anna,  dann 
seinen  Bruder  Kaiser  Maximilian  II. ,  dessen  Gemahlin  und  Kinder, 
malte  drei  Tafelbilder  für  die  Schlosskapelle  zu  Linz  und  später 
die  Flügel  der  neuen  Orgel  im  Dome  zu  Prag.  Für  das  von  dem 
kaiserlichen  Herold  Johann  von  Francolin  dem  Erzherzog  in  zwei 
Exemplaren  gewidmete  Buch  mit  schönen  Darstellungen  des  von 
Ferdinand  und  andern  Mitgliedern  des  kaiserlichen  Hauses  im 
Frühjahre  1561  zu  Wien  gehaltenen  Turniers  liefert  auch  Terzio 
zwei  Blätter,  die  einzigen  Abbildungen  von  Interieurs  der  alten 
Wiener  Burg,  welche  aus  dieser  Zeit  auf  uns  gekommen  sind. 
Die  bedeutendste  Leistung  des  Künstlers  ist  sein  von  Gasparo 
Ucello  gestochenes  Prachtwerk  der  Imagines  domus  Austriacae, 
österreichischer   Fürstenbilder,    an   dem   er,    angeregt   durch   den 


Brunnen  im  Garten  ik-s  Belvcderes  zu  Prag. 


Die  Renaissance. 


203 


Anblick  der  großen,  theilweise  auch  in  sein  Werk  herübergenom- 
menen  Erzstatuen  am  Maxgrabe  zu  Innsbruck,  mit  seines  Herrn 
Unterstützung  von  1558  bis  1573  arbeitete,  und  dessen  zweiten  Theil 
er  dem  Erzherzog  gewidmet  hat.  Von  ihm  rührt  auch  der  Ent- 
wurf zu  der  hier  abgebildeten  schönen  Fontäne  vor  der  Seitenfront 
des  Belvederes  zu  Prag  (Abb.  47),  die  von  dem  Prager  Gießer 
Thomas Jarusch  in  Erzguss  ausgeführt  wurde.  Rhythmisch  bewegter 
Aufbau,  edle  Gliederung  und  reiche  Omamentierung  stempeln 
dieses  Werk  zu  einem  der  edelsten  Renaissancebrunnen  nördlich 
der  Alpen. 

Die  in  Aussicht  genommene  Herstellung  eines  andern  Brun- 
nens brachte  Erzherzog  Ferdinand  zuerst  in  Berührung  mit  dem  Bild- 
hauer Alexander  Colin,  der  sich  durch  seine  Reliefarbeiten  für  das 
Grabmal  Maximilians  I.  zu  Innsbruck  eben  damals  trefflich  bewährt 
hatte.  Der  Erzherzog  billigte  nämlich  den  ihm  von  der  Tiroler 
Regierung  gemachten  Vorschlag,  diesen  Brunnen,  zu  welchem  er 
die  Zeichnung  aus  Prag  gesendet  hatte,  und  dessen  Aufsatz  ein 
Actäon  krönen  sollte,  von  Colin  modellieren  zu  lassen,  und  zwar 
mit  allen  ,, Knorren  und  Büggeln",  d.  i.  ohne  die  beantragte  Ver- 
einfachung der  reichen  Renaissanceomamentierung,  da  der  Brunnen 
,,auch  sonst  zimblich  viel  gestehen  wirdef  und  er  es  daher  ,,an 
diesem  Wenigen  auch  nicht  erwinden  lassen'*  wolle,  —  eine 
Äußerung,  welche  beweist,  wie  wenig  er  sich  bei  künstlerischen 
Unternehmungen  finanzielle  Bedenken  zu  Herzen  nahm.  Alsbald 
suchte  er  sich  denn  auch  dieser  bedeutenden  künstlerischen  Kraft 
dauernd  zu  versichern  und  stellte  am  9.  Juli  1566  trotz  der  Ein- 
wendungen der  tirolischen  Kammer  Colin  einen  Dienstbrief  aus, 
I  in  welchem  diesem  ein  Jahresgehalt  von  150  Gulden,  freie  Wohnung 

j  und  Beheizung  sowie  reichliche  Beschäftigung  mit  Arbeiten  und 

I  besondere  Entlohnung  ,,nach  Gelegenheit  eines  jeden  ausbereiteten 

Stückes**  versprochen  wurde.     In   der  That  fehlte  es  Colin  nicht 
I  an  zahlreichen  Aufträgen  von  Seite   des  Erzherzogs.     Sowie  Fer- 

dinand  nämlich   die   endliche  Vollendung   des    Maxgrabes   gleich 

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seinem  Vater  und  Bruder  als  eine  Ehrenschuld  betrachtete,  bei 
der  brüderlichen  Theilung  allein  die  Bestreitung  der  Kosten  der- 
selben auf  sich  nahm  und  es  trotz  mancher  Schwierigkeiten  glück- 
lich zu  Ende  führte,  ebenso  fasste  er  mit  seinem  Bruder  Maxi- 
milian II.   im   Sinne  der  Testaments-  und  Codicillsbestimmungen 


204 


H.  Zimmermann 


Ferdinands  I.  gleich  nach  dessen  Tode  die  Errichtung  eines  Mar- 
morgrabmales  für  seine  Eltern  ins  Auge.  Zu  diesem  Behufe  wurde 
nach  einigen  vergeblichen  Versuchen,  anderwärts  einen  geeigneten 
Bildhauer  zur  Herstellung  des  Modells  zu  finden,  im  Frühjahre 
1566  Colin  nach  Prag  berufen.  Dieser  beschäftigte  sich  dort  als- 
bald mit  dem  Entwürfe  und  machte  ein  Modell,  das  auch  die 
Billigung  des  Kaisers  fand.  Mit  Hilfe  einiger  Gesellen,  die  Colin 
auf  einer  zu  diesem  Zwecke  unternommenen  Reise  in  den  Nieder- 
landen angeworben  hatte,  vollendete  er  das  Grabmal  in  der  Zeit 
von  acht  Jahren  zu  Innsbruck,  worauf  es  auf  dem  Inn  von  Hall 
weg  zu  Schiffe  nach  Linz  gebracht  und  dort  bis  zum  Eintritt  des 
Winters  aufbewahrt  wurde,  um  dann  mittelst  Schlitten  nach  Prag 
befördert  und  im  dortigen  Dome  aufgestellt  zu  werden.  Später 
musste  sich  Colin  dazu  bequemen,  den  ursprünglich  allein  auf 
dem  Sarkophagdeckel  ruhenden  Figuren  Kaiser  Ferdinands  I. 
und  seiner  Gemahlin  Anna  noch  diejenige  des  inzwischen  ver- 
storbenen und  gleichfalls  in  Prag  begrabenen  Kaisers  Maximilian  II. 
hinzuzufügen  und  an  den  Seitenwänden  die  Bilder  älterer  böhmi- 
scher Könige  anzubringen,  wodurch  die  Harmonie  seiner  ursprüng- 
lichen Composition  einigermaßen  beeinträchtigt  wurde.  Noch 
während  er  an  diesem  Grabmale  arbeitete,  war  er  von  Kaiser 
Maximilian  IL  mit  der  Herstellung  mehrerer  Brunnen  für  dessen 
Lustschloss  Fasangarten  bei  Wien  betraut  worden.  Erregte  die 
zur  vollen  Zufriedenheit  des  Kaisers  ausgefallene  künstlerische 
Lösung  dieser  Aufgabe  in  jenem  den  Wunsch,  den  Meister  ganz 
in  seine  Dienste  hinüberzuziehen,  so  bot  dies  andrerseits  der  stets 
auf  Ersparungen  bedachten  tirolischen  Kammer  den  erwünschten 
Anlass  zu  dem  Antrage  an  Erzherzog  Ferdinand,  Colins  ständige 
Bestallung  zu  kündigen.  Allein  Ferdinand  wies  beide  Ansinnen 
mit  dem  Bemerken  ab,  dass  ihm  Colin  unentbehrlich  sei,  da  das 
Grabmal  Maximilians  I.  noch  der  Vollendung  harre  und  er  den 
Meister  auch  sonst  täglich  zu  ,, anderer  genöthiger  Arbeit*'  brauche. 
Bald  nach  dem  am  24.  April  1580  erfolgten  Tode  der  Philippine 
Welser  beauftragte  er  Colin,  für  dieselbe  in  einer  Nische  der  silbernen 
Kapelle  zu  Innsbruck  ein  prächtiges  Marmorgrab  zu  errichten,  das, 
schon  im  folgenden  Jahre  in  schönem  italienischen  Renaissancestile 
vollendet,  alle  Vorzüge  des  Meisters  erkennen  lässt.  Dasselbe  gilt 
von  dem  in  der  gleichen  Kapelle   befindlichen  Grabmale   des  Erz- 


Die  Renaissance.  2O5 

herzog;s  selbst,  das  Colin  acht  Jahre  später  auf  äesseti  Wunsch 
in  Angriff  nahm,  und  an  welchem  vielleicht  nur  das  an  der  mittleren 
Nischenwand  angebrachte,  in  leuchtenden  Farben  ausgeführte  Stein- 
mosaik des  erzherzoglichen  Wappens  nicht  von  Colins  Hand,  son- 
dern Florentiner  Arbeit  ist.  Beide  Grabmäler  zeigen  viele  Ana- 
logien in  der  Anlage ;  beide  überliefern  uns  die  lebensgroße  por- 
traitähnliche  Gestalt  der  hier  Bestatteten,  die  Welserin  im  einfachen 
Todtenkleide,  den  Erzherzog  in  der  Kriegsrüstung-und  dem  Fürsten- 


Abb.  4S.     Römerschlacht.    CcdernholzreUef  von  Aleiander  Colin  (?)  in  den  knnst- 
historischen  Samrotungen  des  A.  H,  Kaiseihauses, 

mantel  auf  das  kostbare,  aber  kalte  Lager  gebettet.  Während  der 
Ausführung  seines  eigenen  Grabmales,  für  das  Colin  2240  Gulden 
gefordert  hatte,  kam  der  Erzherzog,  wie  uns  des  ersteren  Sohn 
Abraham  berichtet,  oft  in  die  Werkstatte  des  Meisters,  mit  welchem 
er  alle  Einzelheiten  besprach,  und  dem  er  bei  der  Arbeit  zusah.  Er 
wollte  das  Monument  offenbar  noch  bei  seinen  Lebzeiten  vollendet 
sehen  und  drängte  daher  Colin  so  sehr,  dass  dieser  ,,früh  und 
spat,  Tag  und  Nacht  daran  arbeiten  mnsste".  Besondere  Auf- 
merksamkeit widmete  er  der  Anfertigung  seines  Bildnisses,  das, 
als  das  erste  ihm  nicht  genügte,  Colin  ein  zweitesmal  macheu 
mxisste.     Abgesehen  von  seinen  Reliefen  am   Maxgrabe  und  den 


2o6  ^>  Zimtnermann 

genannten  sowie  vielen  andern  im  erzherzoglichen  und  in  privatem 
Auftrage  ausgeführten  Grabmalen  und  Epitaphien,  endlich  ab- 
gesehen von  seinen  schon  vor  seiner  Ankunft  in  Innsbruck  ent- 
standenen Bau-  und  Bildhauerarbeiten  am  Heidelberger  Schlosse, 
bethätigte  Colin  sich  auch  als  Wachsbossierer,  Stuccateur  und 
Zeichner  von  Vorlagen  für  Kleinkünstler.  Von  drei  wohl  mit 
Recht  ihm  zugeschriebenen  Holzreliefs  der  kaiserlichen  Sammlung 
stellen  zwei,  darunter  das  hier  (Abb.  48)  wiedergegebene,  antike 
Schlachtscenen,  das  dritte  einen  Raub  der  Sabinerinnen  dar.  Ver- 
räth  schon  die  Wahl  dieser  StoflFe  den  echten  Renaissancekünstler, 
so  beweisen  viele  seiner  Figuren  eine  gute  Kenntnis  griechischer  und 
römischer  Sculpturen,  seine  architektonischen  und  decorativen  Motive 
aber  den  überwiegenden  Einfluss  italienischer  Kunstweise.  Ob  er  nun 
nach  von  ihm  selbst  erfundenen  oder  fremden  Entwürfen  modelliert, 
so  zeigen  alle  seine  Arbeiten  eine  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten 
sorgfaltige  Ausführung  und  geradezu  bewunderungswürdige  Technik. 
Er  hatte  es  wohl  nie  zu  bereuen,  seinem  hohen  Gönner  den  Vorzug 
vor  ,, andern  Potentaten  und  Herren**  eingeräumt  zu  haben.  Denn 
jener  nahm  sich  seiner  überall,  einmal  sogar  bei  dem  Rathe  der 
Stadt  Antwerpen,  wärmstens  an,  bestallte  seinen  Landsmann  und 
Schwager  Roman  Vleeschhouwer  als  erzherzoglichen  Hofmaler  und 
setzte  dessen  Witwe  und  fünf  kleinen  Kindern  einen  entsprechenden 
Gnadengehalt  aus,  wie  er  denn  allenthalben  bemüht  war,  ihm  ge- 
leistete Dienste  in  fürstlicher  Weise  zu  lohnen.  Was  Wunder, 
wenn  sich  unter  solchen  Umständen  an  seinem  Hofe  ein  reiches 
Leben  und  Schaflfen  von  Malern,  Bildhauern  und  Meistern  ver- 
wandter Künste  entfaltete,  von  denen  sich  viele  in  Innsbruck 
niederließen  und  dort  eine  förmliche  Zunft  mit  festen  Ordnungen 
und  Statuten  bildeten. 

Ebenso  wie  der  Beginn  der  kunstfördernden,  lässt  sich  auch 
derjenige  der  Sammlerthätigkeit  Erzherzog  Ferdinands  bereits  in 
die  Zeit  seines  Prager  Aufenthaltes  zurückverfolgen.  Zweierlei 
Arten  von  Kunstgegenständen  wendet  er  schon  damals  seine  be- 
sondere Vorliebe  zu :  schönen  Harnischen  und  Rüstungen  einerseits, 
historischen,  namentlich  Familienportraits  andrerseits.  Schon  im 
Jahre  1550  stellte  er  seinem  Vater,  der  ihm  einen  Plattner  für 
seine  Hamischkammer  nur  unter  der  Bedingung  bewilligt  hatte, 
dass   dieser   auch   Trabantendienste   versehe,    vor,    dass   er   ,,viel 


Abb.  4g.     Erzbercog  Ferdinands  mailändische  Rüstung  in  der  Waffen  Sammlung  des 


Die  Renaissance. 


207 


schöne  Harnisch  und  Zeug'*  habe,  so  dass  ein  Mann  beide  Dienste 
nicht  wohl  verrichten  könne.  Im  folgenden  Jahre  wurde  mit  der 
Begründung,  dass  er  sich  in  allerlei  Kurzweil,  als  Rennen,  Stechen 
Turnieren  übe,  wodurch  seine  Rüstungen  schadhaft  würden,  mit 
Genehmigung  Ferdinands  I.  für  den  Erzherzog  und  seine  Diener- 
schaft eine  eigene  Plattnerwerkstätte  auf  dem  Hradschin  errichtet, 
für  die  er  Augsburger  und  Nürnberger  Gesellen  zu  gewinnen 
trachtete.  Die  Anlegung  von  Kunst-  und  Rüstkammern,  wo  alles 
paradierte,  was  Zufall  oder  Absicht  ihren  Besitzern  an  Curiositäten 
und  Kostbarkeiten  in  die  Hände  spielte,  war  eine  der  großen 
Passionen  der  Renaissance.  Den  Grundstock  derjenigen  Erzherzog 
Ferdinands  bildeten  zunächst  seine  eigenen  Rüstungen,  die  er  theils 
von  seinem  Vater  ererbte,  theils  aus  Nürnberg,  Augsburg,  Inns- 
bruck u.  s.  w.  bezog  oder  wie  die  hier  (Abb.  49)  abgebildete  so- 
genannte ,,mailändische  Rüstung**  im  Jahre  1560  von  Giovanni 
Battista  Serabaglio  in  Mailand  kaufte.  Zu  Ende  der  siebziger 
Jahre  beginnt  dann  der  Erzherzog  die  Rüstungen  berühmter 
Kriegshelden  systematisch  zu  sammeln  und  lässt  nach  dem  Tode 
seiner  ersten  Gemahlin  seine  CoUection  von  WaflFen  oder,  wie  er 
sie  nannte,  seine  ,, ehrliche  Gesellschaft**  nach  und  nach  in  Ambras 
aufstellen.  Für  die  Aufnahme  eines  Harnisches  in  sein  Arma- 
men tarium,  das  er  zu  einer  Art  Walhalla  des  Kriegsruhmes  und 
militärischer  Leistungen  zu  gestalten  trachtete,  war  ebensowenig 
die  Schönheit  des  einzelnen  Stückes  als  die  politische  und  sei  es 
auch  dem  Hause  Habsburg  feindliche  Gesinnung  seines  früheren 
Trägers  maßgebend,  sondern  einzig  und  allein  die  historischen 
Erinnerungen,  welche  sich  an  denselben  knüpften.  Da  war  auch 
die  einfachste  unansehnlichste  Rüstung  willkommen,  wenn  sie  an 
ein  wichtiges  geschichtliches  Ereignis  gemahnte.  Der  Muselmann 
wie  der  Christ,  der  Franzose,  Deutsche  und  Italiener  nimmt  hier 
die  Ehrenstelle  ein,  die  ihm  seine  Heldenhaftigkeit  oder  besondere 
kriegerische  Tüchtigkeit  anweisen.  Verhältnismäßig  leicht  ge- 
langte Ferdinand  in  den  Besitz  solcher  Waflfenstücke  der  Ange- 
hörigen seines  Hauses,  wie  Maximilians  I.,  Ferdinands  I.,  Maxi- 
milians II.  und  selbst  Karls  V.  und  Philipps  II.  Für  die  Erlangung 
von  Rüstungen  deutscher  und  italienischer  Fürsten  eröffnete  sein 
unermüdlicher  Helfer  bei  Zusammenstellung  dieser  Sammlung, 
Jacob  Schrenkh  von  Notzingen,  einen  ausgebreiteten  Briefwechsel 


2o8  ^*  Zimmermann 

und  waren  seine  eigenen  und  des  Kaisers  Gesandte  allenthalben 
thätig.  Neben  den  WaiBfen  suchte  er  auch  die  Portraits,  Stamm- 
bäume und  biographischen  Daten  ihrer  ehemaligen  Besitzer  zu 
erhalten.  Um  nämlich  auch  solchen,  welche  nicht  in  der  Lage 
waren,  die  Sammlung  selbst  zu  besichtigen,  die  Beschäftigung  mit 
derselben  zu  ermöglichen,  wurde  die  Herausgabe  eines  Werkes 
beschlossen,  in  welchem  alle  Persönlichkeiten,  deren  Rüstungen 
und  WaflFen  Ambras  aufnahm,  nach  dem  Leben  in  Kupfer  gestochen 
und  auch  ihre  Lebensbeschreibungen  der  Öffentlichkeit  übergeben 
werden  sollten.  Battista  Fontana  entwarf  die  Zeichnungen,  Domi- 
nicus  Custos  fertigte  die  Kupferstiche,  Schrenkh  schrieb  dazu  die 
Biographien.  Freilich  konnte  das  schon  1582  begonnene  Werk 
erst  sechs  Jahre  nach  des  Erzherzogs  Tode  bei  Johann  Agricola 
in  Innsbruck  erscheinen. 

Neben  den  Bildnissen  der  früheren  Besitzer  seiner  Rüstungen 
sammelte  Ferdinand  vorzüglich  diejenigen  der  Mitglieder  seiner 
Familie,  der  Ahnen  verwandter  und  befreundeter  Fürstenhäuser 
und  anderer  berühmter  Zeitgenossen.  Daneben  wurde  eine  Schön- 
heiten-Gallerie  angelegt,  für  die  z.  B.  sein  ehemaliger  Hofmaler 
Terzio  noch  1573  ^^  Rom  malen  sollte,  in  der  aber  auch  deutsche 
Vertreterinnen  nicht  fehlten.  Auch  religiöse  und  Historienbilder 
weist  des  Erzherzogs  Verlassenschaftsinventar  auf,  wie  denn  Hans 
Jakob  Fugger  für  ihn  drei  alte  Flügelaltäre  erwarb.  Um  die 
Sammlung  antiker  Münzen  und  Statuen  machte  sich  namentlich 
Schrenkh  verdient.  Wo  zufallig  ein  Fund  gemacht,  alte  Erbstücke 
veräußert  wurden,  war  er  zur  Hand,  machte  für  seinen  Herrn  ein 
Angebot  und  kehrte  meist  mit  reicher  Ausbeute  nach  Ambras 
zurück. 

Wie  glänzend  auch  die  Renaissance  in  des  Erzherzogs  Samm- 
lung vertreten  war,  beweisen  neben  zahlreichen  Objecten  aus  Edel- 
metall, Halbedelsteinen,  Bergkrystall,  Uhren,  Gläsern  und  Majoliken, 
Bijouterien,  kostbaren  alten  Möbeln  u.  a.  drei  gleich  jenen  aus 
derselben  stammende  und  heute  in  den  kaiserlichen  Kunstsamm- 
lungen aufbewahrte  Stücke :  Benvenuto  Cellinis  Salzfass,  ein 
goldener  Pokal  und  eine  Sardonyxkanne,  welche  König  Karl  IX. 
von  Frankreich  aus  Anlass  seiner  Vermählung  mit  der  Erzherzogin 
Elisabeth,  Ferdinands  Nichte,  dem  letzteren  zum  Geschenk  machte. 
Deutsche,  niederländische,    französische  und   italienische,  ja  auch 


Die  Renaissance.  20Q 

orientalische  Künstler  und  Kunsthandwerker  waren  in  des  Erz- 
herzogs Kunstkammer  in  gleicher  Weise  durch  Prachtstücke  ihrer 
Erzeugung  repräsentiert.  Dass  in  derselben  auch  allerlei  Curio- 
sitäten  und  Abnormitäten,  metallurgische  und  alchymistische 
Spielereien  Aufnahme  fanden,  liegt  in  der  Richtung  der  damaligen 
Zeit,  wie  sie  in  weit  höherem  Maße  bei  Rudolf  II.  zu  Tage  tritt. 
Durch  Schenkungen  und  Kauf  gelangte  Ferdinand  in  den  Besitz 
einer  wertvollen  Bibliothek,  welche  nicht  allein  Handschriften 
antiker  Autoren,  sondern  auch  Otfrieds  Christ,  einen  Parcival,  das 
bekannte  Heldenbuch,  medicinische,  astronomische,  mathematische, 
juridische  und  historische  Werke  in  ansehnlicher  Zahl  enthielt. 

All  dies  war  in  theilweise  noch  heute  erhaltenen  schönen 
Zirbelholzschränken  oder  freistehend  in  zwei  großen  Sälen  des 
Unterschlosses,  dem  im  Winkel  daranstoßenden  Tracte  mit  einer 
Holzgallerie  und  dem  gegenüberliegenden  Parterregebäude  von 
Ambras  aufgestellt  und  sollte  nach  dem  testamentarischen  Willen 
des  Stifters  ,,in  gueten  Wirden  ohne  Schmelerung  sauber  und 
fleissig  zusammengehalten,  wol  verwahrt,  gemehrt  und  gepessert 
werden.*' 

Erzherzog  Ferdinand  starb  am  24.  Januar  1595.  Die  Mitwelt 
feierte  ihn  als  einen  der  tapfersten  Kriegshelden  jener  Periode.  Der 
unaufhaltsame  Gang  der  Zeit  hat  auch  noch  reichere  militärische 
Lorbeeren  als  die  seinen  verwelken  und  der  Vergessenheit  an- 
heimfallen gemacht.  Ein  weit  schöneres  und  dauerhafteres  An- 
denken hat  sich  der  Erzherzog  durch  die  Gründung  seiner  präch- 
tigen Sammlung  gesichert,  und  durch  sie  wie  durch  seine  eifrige 
Pflege  und  Unterstützung  von  Kunst  und  Wissenschaft  —  diese 
edelsten  Werke  des  Friedens  —  geht  ein  Spruch  in  Erfüllung, 
den  wir  auf  einem  Prunkschilde  seiner  Sammlung  neben  dem 
Bilde  der  Friedensgöttin  lesen :  Ilgdg  rd  äözQa  öta  vavra  —  Auf 
diesem  Wege  zur  Unsterblichkeit ! 


Kunst^reschichtl.  Charakterbilder  aus  Osterreich-Üngani.  14 


KAISER  RUDOLF  II.  UND  DIE  PRAGER  KUNST- 

KAMMER. 

Das  Herrscherbild  Kaiser  Rudolfs  II.  umschweben  die  Schat- 
ten finsterer  Melancholie,  die  seinen  Geist  gegen  das  Ende  seines 
Lebens  immer  düsterer  umnachtete,  und  in  welche  nur  eine  hervor- 
ragende Kunstliebe,  die  sich  nach  und  nach  zur  wahren  Leiden- 
schaft steigerte,  ihre  glänzenden  Strahlen  wirft.  Einer  richtigen 
dichterischen  Intuition  folgend  hat  Franz  Grillparzer  das  ganze 
Wesen  Rudolfs  erfasst,  wenn  er  ihn  uns  gleich  bei  seinem  ersten 
Auftreten  im  ,, Bruderzwist**  als  Kunstmäcen  vorführt,  der  die 
auf  die  dringendsten  staatlichen  Entscheidungen  harrenden  Poli- 
tiker ohneweiteres  abweist,  um  sich  ohne  Rücksicht  auf  jene 
und  die  eventuellen  schlimmen  Folgen  ihrer  Nichterledigung  ganz 
dem  Verkehr  mit  Malern  und  Bildhauern,  der  Begutachtung  ihrer 
Werke,  somit  rein  künstlerischen  Interessen  ungestört  widmen  zu 
können.  Aus  den  Schwierigkeiten  und  Wirrnissen  der  Politik, 
die  einen  ganzen  Mann  erfordert  hätte  und  sich  durch  des  Kaisers 
Abneigung  gegen  staatliche  Thätigkeit  immer  trostloser  gestaltete, 
flüchtete  er  gerne  in  das  heitere  Gebiet  der  Musen,  zu  seinen  ge- 
malten und  gemeißelten  Lieblingen,  die  ihm  den  reinsten  und 
ungetrübtesten  Genuss  boten,  welchem  er  sich  um  so  lieber  und 
eifriger  hingab,  je  schwerer  die  Bürde  der  Herrscherpflicht  auf 
seine  schwachen  Schultern  drückte.  Sein  Mäcenatenthum  gieng 
von  wesentlich  anderen  Gesichtspunkten  aus  als  dasjenige  Kaiser 
Maximilians  I.,  der  sich  Kunst  und  Künstler  wesentlich  zu  dem 
Zwecke  dienstbar  zu  machen  suchte,  um  durch  sie  seine  und 
seines  Hauses  Größe  der  Nachwelt  zu  überliefern,  oder  des  Erz- 
herzogs Ferdinand  von  Tirol,  den  bei  Anlegung  seiner  Sammlung 
neben  rein  künstlerischem  vor  allem  ein  historisches  Interesse 
leitete.  An  die  Stelle  des  letzteren  tritt  bei  Rudolf  II.  ein  vor- 
wiegend antiquarisches,  das  sich  dem  einzelnen  Gegenstande  in 
um  so  höherem  Grade  zuwendet,  je  mehr  sich  derselbe  als  etwas 


Die  Renaissance. 


211 


Außergewöhnliches,  als  ein  Curiosum  repräsentiert.  Wann  und 
wo  er  aber  von  solchen  Kunde  erhält,  ist  ihm  keine  Mühe  zu 
groß,  keine  Summe  zu  hoch,  um  in  deren  Besitz  zu  gelangen. 
Nur  so  wird  es  begreiflich,  dass  es  Rudolf  gelang,  den  verhältnis- 
mäßig geringen  Kunstbesitz,  den  er  vom  Vater  überkommen 
hatte,  zu  jener  überreichen  Sammlung  auszugestalten,  welche  die 
unbegrenzte  Bewunderung  der  wenigen  Zeitgenossen  erregte, 
die  sie  zu  besichtigen  Erlaubnis  erhalten  hatten.  Als  der 
älteste  von  sechs  Söhnen  Maximilian  II.  in  der  Kaiserwürde 
nachfolgend,  musste  er  das  väterliche  Erbe,  abgesehen  von  den 
Hauskleinodien  und  Kroninsignien,  denen  er  die  prächtige  Haus- 
krone, dieses  Meisterstück  deutscher  Goldschmiedekunst,  und  den 
Reichsapfel,  sein  Bruder  Mathias  das  Scepter  hinzufügte,  dann 
außer  den  alten  Münzen  und  nicht  wohl  zu  theilenden  Kunst- 
objecten  mit  seinen  Brüdern  gleich  theilen. 

Neben  diesem  Erbe  übernahm  er  aber  auch  eine  Reihe  von 
Künstlern  und  Kunsthandwerkern,  die  er  in  womöglich  noch 
höherem  Maße  als  sein  Vater  für  den  Hof  beschäftigte,  so  unter 
anderen  den  Hofmaler  Giuseppe  Arcimboldo  aus  Mailand. 
Von  dessen  vier  noch  jetzt  in  der  kaiserlichen  Gallerie  befindlichen 
stillebenartigen  Bildern  ist  z.  B.  der  Sommer  durch  ein  aus  Obst 
und  Korbgeflecht  zusammengesetztes  Brustbild  dargestellt,  auf  dem 
eine  Zwiebel  die  Stirne,  eine  Gurke  die  Nase,  ein  Maiskolben  das 
Ohr,  eine  Kirsche  das  Auge,  ein  Pfirsich  die  Wange  und  eine 
Melone  das  Hinterhaupt  bildet.  Derartige  unserm  modernen  Ge- 
schmacke  wenig  entsprechende  Spielereien  müssen  bei  Rudolf  II. 
sehr  beliebt  gewesen  sein,  da  er  nicht  weniger  als  elf  solcher  Bilder 
besaß  und  Arcimboldo  erst  1587,  offenbar  auf  dessen  eigenen 
Wunsch,  mit  einer  Abfertigung  von  1500  Gulden  entließ. 

Dagegen  stand  der  Medailleur  und  Wachsbossierer  oder,  wie  er 
officiell  hieß,  ,,Conterfecter*' Antonio  Abondio  der  Jüngere, 
ein  Sohn  des  gleichnamigen  Bildhauers,  bis  zu  seinem  im  Jahre 
1591  erfolgten  Tode  in  des  Kaisers  Diensten,  in  denen  seit  1606 
in  gleicher  Eigenschaft  auch  sein  Sohn  Alessandro  thätig  war. 
Von  letzterem  besitzt  die  kaiserliche  Sammlung  noch  heute  eine 
Reihe  von  Bildnismedaillen,  die  sich  durch  Schönheit  und  Voll- 
endung der  Modellierung,  Zartheit  der  Ausführung  und  Wahrheit 
der  Auffassung  in  gleicher  Weise  auszeichnen. 


14^ 


212 


H.  Zimmennann 


Auch  der  Hofuhrniacher  Kaiser  Maximilians  II.  Gerhard 
Enmoser  ward  von  Rudolf  IL  ,,confirmiert*',  d.  i.  im  Dienste 
behalten.  Er  verfertigte  im  Jahre  1577  eine  große  astronomische 
Spiegeluhr  für  500  Thaler,  später  eine  große  astronomische  Uhr 
mit  einem  beweglichen  Globus  für  900  Gulden  und  starb  erst  im 
November  1584. 

Künstliche  und  künstlerisch  ausgestattete  Uhren  bildeten 
ja  eine  besondere  Liebhaberei  Rudolfs,  was  mit  seiner  Vorliebe 
für  Astronomie  und  Astrologie  im  innigen  Zusammenhange  steht. 
So  begegnen  wir  denn  in  seiner  Umgebung  einer  ganzen  Reihe 
von  ständig  angestellten  Uhrmachern,  wie  Martin  de  Bell- 
campo  (bis  1596),  Christoph  Marggraf  (1587),  Martin 
Schmidt  (1609)  ^-  ^'  ^m  ^^^  sehen  neben  diesen  auch  die  be- 
rühmtesten auswärtigen  Mathematiker,  Automatenmacher  und 
Mechaniker  vollauf  für  den  Kaiser  beschäftigt.  Da  ist  zunächst 
Georg  Roll  in  Ausgburg,  der  für  Uhrwerke  und  Globen  wieder- 
holt ansehnliche  Zahlungen  erhält,  und  von  dem  u.  a.  der  in  den 
kaiserlichen  Sammlungen  aufbewahrte,  durch  Uhrwerke  in  Be- 
wegung gesetzte,  complicierte  Erd-  und  Himmelsglobus  herrührt, 
der  nicht  nur  die  jedesmalige  Himmelsconstellation,  sondern  auch  den 
Stand  von  Sonne  und  Mond  und  des  letzteren  Phasen  angibt,  so 
dass  er  zur  Lösung  aller  davon  abhängigen  astronomischen  Auf- 
gaben  verwendet  werden  kann.  Ahnlich  wird  wohl  das  Planetarium 
beschaJBfen  gewesen  sein,  welches  Rudolf  im  Jahre  1583  bei  Jakob 
Kuno,  Mathematiker  zu  Frankfurt  a.  d.  Oder,  um  2000  Kronen 
bestellte,  und  von  dem  er  ausdrücklich  wünschte,  dass  es  nur  gut 
gehen  und  nicht  auf  die  äußere  Ausstattung  mehr  Gewicht  als 
auf  die  innere  Güte  gelegt  werden  solle.  Dass  jedoch  der  Kaiser 
unter  Umständen  auch  der  prächtigen  äußeren  Ausstattung  von 
Uhren  nicht  abhold  war,  beweist  eine  für  ihn  angefertigte  silberne 
Standuhr  mit  reichen  Emailverzierungen  von  dem  Augsburger 
Goldschmied  David  Attemstätter.  Ein  anderes  Automaten- 
werk der  kaiserlichen  Sammlung  in  Form  einer  selbstbeweglichen 
Schildkröte  ist  wohl  identisch  mit  dem  Werke  des  Augsburger 
LThrmachers  Hans  Fronmüller,  das  dieser  nach  den  Hof- 
zahlamtsrechnungen  im  Jahre  1604  an  den  Kaiser  verkaufte.  Der 
Hofuhrmacher  des  Landgrafen  von  Hessen,  Jobst  Burgi,  ein 
Zeitgenosse  und  Freund  Kepplers,    der  Erfinder  des  Proportional- 


213 

zirkeis  und  iiiuthmaßlich  auch  der  Logarithmen  und  des  Pendels 
als  Regulators  der  Uhren,  fand  wiederholt  Gelegenheit,  dem  Kaiser 
im  eigenen  nnd  seines  Herrn  Namen  kostbare  Uhrwerke  und  In- 
strumente zum  Geschenke  zu  machen;  nach  jahrelangen  Be- 
mühungen gelang  es  Rudolf,  den  Landgrafen  dazu    zu  vermögen, 


Abb.  50.    Staadnbt  aus  Bergkr^ 

dass  er  die  Erlaubnis  zum  Übertritt  Burgis  in  kaiserliche  Dienste 
gab,  worauf  am  15.  Mai  1605  dessen  Anstellung  als  kaiserlicher 
Kammeruhrmacher  erfolgte.  Zwei  prächtige,  in  den  kaiserlichen 
Sammlungen  befindliche  Uhren,  die  eine  in  Achat,  die  andere, 
hier  (Abb.  50)  abgebildete,  in  Bergkrystall  montiert,  sind  sein  Werk, 


214 


H.  Zimmermann 


eine  dritte,  ähnliche  von  1606  dasjenige  seines  Schülers  Michael 
Schneeberger  in  Prag. 

Eine  besondere  Liebhaberei  jener  Zeit,  der  auch  der  Kaiser 
huldigte,  waren  künstliche  Springbrunnen  und  Wasserwerke. 
Zum  Gusse  eines  solchen  für  das  kaiserliche  Lustschloss  Fasan- 
garten, das  heutige  Neugebäude  an  der  Wien-Schwechaterstraße, 
dessen  Bau  von  Maximilian  II.  begonnen,  von  seinem  Sohne  fort- 
gesetzt wurde,  reiste  der  ,, Wasserkünstler**  des  Kurfürsten  von 
Sachsen  EliasH  netter  im  Auftrage  des  Kaisers  1582  nach  Wien, 
von  wo  er  erst  1601  wieder  in  seine  Heimat  Nürnberg  entlassen  wurde. 

Zahllos  waren  die  Goldschmiede,  welche  entweder  als  Kam- 
mergoldschmiede dauernd  verwendet  oder  durch  ausgedehnte  Be- 
stellungen zur  Vennehrung  der  Kunstschätze  des  Kaisers  heran- 
gezogen wurden.  Unter  letzteren  ist  an  erster  Stelle  der  berühmte 
Nürnberger  Goldschmied  Wenzel  Jamnitzer  und  dessen  Sohn 
Abraham  zu  nennen;  ein  von  ersterem  gefertigter  kolossaler,  mit 
Automatenwerk  und  Springbrunnen  versehener  Tafelaufsatz  in 
Form  einer  Kaiserkrone,  damals  als  ,, Lustbrunnen**  bezeichnet, 
bildete  eine  Zierde  der  Rudolfinischen  Kunstkammer.  Zwei  andere 
Nürnberger  Goldschmiede:  Georg  Lencker  und  Paul  Buckl 
lieferten  aus  je  einer  Schüssel  und  einer  Kanne  bestehende  Garni- 
turen, die  eine  getrieben,  die  andere  mit  Perlmutter  belegt; 
namentlich  diese  muss  sehr  kostbar  gewesen  sein,  da  Buckl  dafür 
nicht  weniger  als  1990  Gulden  erhielt.  Für  einen  von  Abraham 
Lotter  in  Augsburg  gemachten  Schreibtisch  mit  Gold-  und 
Silberarbeit  wurden  iioo  Gulden,  ein  fast  gleich  hoher  Preis  für 
einen  anderen  Schreibtisch  dem  kaiserlichen  Büchsenschäfter 
Bernhard  Elsässer  ausbezahlt.  Von  dem  Können  des  renom- 
mierten Augsburger  Goldschmiedes  Anton  Schweinberger, 
der  1587 — 1603  auch  als  Kammergoldschmied  fungierte,  zeugt  eine 
prächtige  Cocosnusskanne  in  Silberfassung  in  kaiserlichem  Besitze. 
Daneben  gab  es  nach  wie  vor  fortwährend  Bedarf  an  Silbergeschirr 
zum  Gebrauche  des  Hofes,  silbervergoldeten  Bechern  und  Ketten  zu 
Geschenken  für  des  Kaisers  Getreue  bei  Hochzeiten,  Taufen  etc.  oder 
für  Gesandte  fremder  Fürsten,  zumal  wenn  diese  durch  Schenkungen 
zur  Vermehrung  der  Kunstkammer  beitrugen,  so  dass  auch  die 
Prager  Goldschmiedecolonie,  deren  Arbeiten  zumeist  durch  die  ein- 


Die  Renaissance.  21  c 

gestrichenen  flachen  Granaten  leicht  kenntlich  sind,  vollauf  zu  thun 
hatte,  um  den  an  sie  gestellten  Anforderungen  gerecht  zu  werden. 
Mussten  sie  ja  doch  auch  die  Montierungen  der  Erzeugnisse 
eines  anderen  Zweiges  der  Kunstindustrie  liefern,  der  bei  Rudolf 
in  hohem  Ansehen  stand  und  ihm  sein  Heimischwerden  im  In- 
lande,  speciell  in  Böhmen  verdankt.  Es  ist  dies  der  Edelstein- 
schnitt und  die  damit  verwandte  Bergkrystallschleiferei.  Denn 
nicht  allein  dass  der  Kaiser  ungefasste  Edelsteine  in  unglaublicher 
Menge  sammelte  und  horrende  Summen  dafür  ausgab,  er  be- 
schäftigte auch  zahlreiche  Stein-  und  Krystallschneider,  welche 
jenes  kostbare  Material  verarbeiteten.  Rudolfs  erste  Meister  im 
SchliflF  des  damals  zumeist  aus  den  Vorlanden  bezogenen  Krystalls 
stammten  aus  Italien,  wo  dieses  Fach,  vereint  mit  der  wieder- 
belebten Edelsteinplastik,  seit  einem  Jahrhundert  blühte.  Schon  1588 
wird  Ottavio  Miseroni,  dessen  Familie  aus  Mailand  stammte 
und  dessen  Brüder  Gasparo  und  Girolamo  in  Florenz  für  Herzog 
Cosimo  arbeiteten,  mit  einem  Monatsgehalt  von  15  Gulden  als 
Edelsteinschneider  in  Prag  angestellt,  wo  er  noch  im  Jahre  1607 
thätig  war.  Zehn  Jahre  später  (1598)  wurde  auch  sein  Bruder 
Ambrogio  und  1605  ein  dritter  Miseroni,  Alessandro,  in 
gleicher  Eigenschaft  aus  Italien  nach  Prag  berufen.  Inzwischen 
hatten  sich  auch  Deutsche  dem  gleichen  Fache  zugewendet,  so 
Mathias  Krätsch,  Hans  Schwayger,  wohl  ein  Sohn  oder 
Neffe  jenes  Ulrich  Schwayger  in  Augsburg,  der  bereits  für  Maxi- 
milian II.,  dann  auch  für  Rudolf  II.  als  Siegelschneider  thätig 
war;  endlich  Caspar  Lehmann,  der  den  Kaiser  besonders  zu- 
friedengestellt haben  muss,  da  er,  wie  die  auf  ihn  bezüglichen 
Daten  der  Hofrechnungsbücher  zeigen,  selbst  für  jene  Zeit  rasch 
Carri^re  machte.  Während  sich  Rudolf  in  dieser  Weise  mit  einem 
ganzen  Stabe  von  Edelstein-  und  Krystallschneidem  umgab,  die 
nach  seinen  Angaben  und  unter  seiner  fortwährenden  Aufsicht 
arbeiteten,  kaufte  er  auch  auswärts  kostbare  Krystallgefaße  und 
geschnittene  Steine  zu  hohen  Preisen,  so  u.  a.  den  berühmten 
Cameo  der  kaiserlichen  Antikensammlung  mit  der  Apotheose  des 
Augustus,  welcher  im  Kirchenschatze  von  St.  Semin  in  Toulouse 
bereits  im  XIII.  Jahrhunderte  nachweisbar  ist.  David  von  Brüs- 
sel, der  in  Rudolfs  Auftrage  Deutschland,  Frankreich  und  Italien 
wiederholt    nur    zum    Zwecke    bereiste,    um    Perlen,    Diamanten 


2i6  H*  Zimmermann 

und  geschnittene  Steine  zu  erwerben,  wurde  im  Jahre  1601  zum 
Ankaufe  eines  im  Besitze  der  Jesuiten  in  Rom  befindlichen 
großen  Diamanten  dahin  gesendet  und  ermächtigt,  25.000  bis 
30.000  Kronen  dafür  zu  bieten.  Zur  Auffindung  von  Krystallen 
und  Edelsteinen,  von  denen  das  nahe  Riesengebirge  des  Kaisers 
Lieblingssteine:  Achate,  Jaspisarten  und  andere  lieferte,  wurden 
nicht  allein  in  Böhmen,  sondern  auch  ins  Reich  formliche  Expe- 
ditionen von  Edelsteinsuchem  ausgerüstet,  diese  bei  den  be- 
trefiienden  Grund-  und  Landesherren  als  kaiserliche  Abgesandte 
beglaubigt  und  deren  thatkräftigste  Unterstützung  bei  sonstiger 
kaiserlicher  Ungnade  angeordnet. 

Erwähnen  wir  noch  den  Wachsbossierer  Antonio  Bazoldo, 
den  Bildschnitzer  Nikolaus  Pf  äff,  die  Kupferstecher  Andreas 
Lucius,  Joachim  Lechner  und  Aegydius  Sadeler, 
endlich  den  seit  i.  November  1602  als  Hofkammermaler  ange- 
stellten Miniaturmaler  Jakob  Hufnagel,  welche  alle  vorüber- 
gehend oder  dauernd  für  den  Kaiser  arbeiteten,  so  können  wir 
uns  einen  beiläufigen  Begriff"  davon  machen,  welch  große  Anzahl 
von  Kunsthandwerkern  und  Kleinkünstlern  am  Prager  Hofe  Be- 
schäftigung und  Gelegenheit  zu  lohnendem  Erwerbe  fand. 

Daneben  wurden  die  Vertreter  der  großen  Kunst  keineswegs 
vernachlässigt,  Adrian  de  Fries,  um  1560  im  Haag  geboren, 
einer  der  besten  Schüler  des  Giovanni  da  Bologna,  trat,  nachdem 
er  längere  Zeit  in  Augsburg  thätig  gewesen  und  dem  Kaiser  schon 
im  Jahre  1593  eine  8  Fuß  hohe  Brunnengruppe,  darstellend 
Psyche,  von  Mercur  zum  Olymp  emporgetragen,  gefertigt  hatte, 
am  I.  Mai  1601  als  Hofbildhauer  dauernd  in  dessen  Dienst,  in 
welchem  von  dieser  Zeit  an  eine  Reihe  größerer  und  kleinerer 
Arbeiten  entstand.  Es  sind  dies  zunächst  drei  Portraits  Rudolfs 
aus  den  Jahren  1603,  1607  und  1609,  das  erste  auf  den  nackten 
Gestalten  Juppiters  und  Mercurs,  einem  Adler  und  einem  Widder 
ruhend,  in  sichtbarer  Anlehnung  und  als  Pendant  der  ganz 
ähnlichen  Bronzebüste  Karls  V.  von  Leone  Leoni  geschaffen,  das 
zweite,  hier  (Abb.  51)  abgebildete,  vollkommen  als  Büste  behandelt, 
—  beide  Eigenthum  der  kaiserlichen  Sammlung,  —  das  dritte  jetzt 
im  South-Kensington-Museum.  Ferner  ein  großes  Relief,  darstel- 
lend Kaiser  Rudolfs  Kriege  in  Ungarn,  ebenfalls  in  kaiserlichem  Be- 
sitze, zu  dem  wohl  sein  gegenwärtig  verschollenes  Relief:  Die  Ein- 


Die  Renaissance. 


317 


führung  der  freien  Künste  in  Böhmen,  das  Gegenstück  bildete. 
Wahrscheinlich  war  auch  die  jetzt  in  Paris  befindliche  Gruppe, 
eine  allegorische  Darstellung  des  über  den  materiellen  Gewinn 
triumphierenden      Ruhmes,      früher     im     Besitze      des     Kaisers. 


Aus  stilistischen  Gründen  wird  ferner  eine  Reihe  kleinerer 
Gruppen  der  kaiserlichen  Sammlung:  ein  kleiner  stehen- 
der Hercules,  Römer  und  Sabinerin,  Hercules  und  Kentaur, 
Mars  und  Venus,  Hercules  mit  Nessus  und  Dejanira  und 
zwei    sich    ähnelnde    Thiergruppen,     darstellend     einen    Löwen, 


2x8  ^*  Zimmermann 

der  ein  zu  Boden  gestürztes  Pferd  zerreißt,  endlich  zwei  lebens- 
große Gruppen  in  der  Durchfahrtshalle  des  Schönbrunner  Schlosses: 
Hercules  im  Kampf  mit  dem  Hesperidendrachen  und  Besiegung 
des  nemeischen  Löwen,  für  diesen  Meister  in  Anspruch  genommen. 
Adrian  de  Fries,  der  sich,  wie  mehrfach  bezeugt  ist,  auch  als 
Maler  und  Kupferstecher  versuchte,  blieb  bis  zum  Jahre  1616  in 
kaiserlichem  Dienste,  arbeitete  dann  für  den  Fürsten  von  Schaum- 
burg-Lippe und  von  1622  bis  1627  für  den  Herzog  von  Friedland. 
Über  das  letztgenannte  Jahr  reicht  unsere  Kunde  von  semem 
Wirken  nicht  hinaus. 

Innig  befreundet  mit  Fries  war  der  Maler  Bartholomäus 
Spranger,  im  Jahre  1546  zu  Antwerpen  als  Sohn  eines  Kauf- 
manns geboren,  zuerst  in  der  Heimat,  dann  in  Italien  gebildet, 
von  dort  auf  Empfehlung  des  Giovanni  da  Bologna  von  Kaiser 
Maximilian  II.  zur  Ausmalung  des  Schlosses  Fasangarten  nach 
Wien  und  nach  dieses  Kaisers  Tode  von  Rudolf  II.  nach  Prag  be- 
rufen, wo  er  zuerst  einen  Monatsgehalt  von  15,  dann  von  20,  25, 
endlich  vom  Jahre  1605  an  von  45  Gulden  und  ein  jährliches 
Quartiergeld  von  100  Gulden  bezog.  Er  wählte  zumeist  allegorische 
Stoffe,  die  seiner  reichen  Phantasie  freien  Spielraum  ließen,  und 
bei  deren  Darstellung  er,  von  dem  Bestreben  geleitet,  ideal  zu 
sein  und  die  großartige  Gestaltung  des  Michelangelo  womöglich 
noch  zu  überbieten,  in  der  Lebendigkeit  der  Bewegung  seiner 
meist  nackten  Figuren  bis  an  die  äußersten  Grenzen  der  Schön- 
heit, Wahrheit  und  Möglichkeit,  zuweilen  sogar  darüber  hinaus- 
gieng.  Eben  damit  errang  er  den  Beifall  seiner  Zeitgenossen  und 
auch  des  Kaisers,  der  ihn  mit  Beweisen  seiner  Gnade  überhäufte, 
in  den  Adelstand  erhob,  imd  dessen  Kunstkammer  nicht  weniger 
als  sechsundzwanzig  Bilder  seiner  Hand  enthielt,  von  denen  die 
kaiserliche  Sammlung  heute  allerdings  nur  mehr  zwölf,  darunter 
auch  des  Meisters  und  seiner  Gemahlin  treffliche  Portraits,  besitzt. 

In  gleich  hohem  Ansehen  beim  Kaiser  stand  Johann  von 
Aachen.  Er  war  1552  zu  Köln  geboren,  dann  ebenfalls  in  Italien 
gebildet,  nach  seiner  Rückkehr  für  seine  Vaterstadt  und  für  den 
bairischen  Hof  in  München  thätig,  bis  er  mit  i.  Jänner  1592  als 
Hofmaler  Rudolfs  bestallt  wurde.  Von  einunddreißig  Ölbildern, 
die  er  für  den  Kaiser  malte,  sind  neun  noch  jetzt  in  habsburgischem 
Besitze;  desgleichen  einige  gemalte  Steinplatten,  die  seine  besondere 


Abb.  52.     Veniiälilutig  der  heil.  Katharina,  von  Matthäus  Gunilelach  iti  der  Gemälde- 
.■iBiiiiiiluii){  des  A.  H.  Kaiscrhau-ses. 


Die  Renaissance. 


219 


Specialität  bildeten.  Schon  1594  geadelt,  bezog  er  vom  Jahre  1600 
an  den  für  damalige  Zeit  ansehnlichen  Jahresgehalt  von  vierhundert 
Gulden  und  ward  auch  bei  besonderen  Gelegenheiten  wie  z.  B. 
anlässlich  seiner  Hochzeit  mit  kaiserlichen  Geschenken  bedacht. 
Ein  Zeitgenosse  Johanns  von  Aachen  schildert  ihn  uns  als  einen 
der  größten  Günstlinge  Rudolfs  und  den  einflussreichsten  von  dessen 
, ,  Camerdieneri  *  * ,  als  einen  Mann  ,,von  größerer  Einfachheit  als  Klug- 
,,heit,  der  nichts  thue,  nichts  spreche,  nichts  gebe  und  nicht  das 
,, Geringste  nehme,  ohne  sofort  seinen  Herrn  bei  Heller  und  Pfennig 
,, davon  zu  benachrichtigen;  er  sei  katholisch,  des  Italienischen 
,, etwas  mächtig,  ein  wahrheitsliebender  Mann,  dem  Weine  und 
,,  der  Fröhlichkeit  nicht  abgeneigt.**  Er  starb  hochgeehrt  zu  Prag 
drei  Jahre  nach  seinem  Gönner  am  6.  Jänner  1615. 

Ein  Schüler  von  Aachens  war  der  seit  i.  Jänner  1591 
als  Kammermaler  angestellte  Josef  Heinz,  ein  gebürtiger 
Schweizer,  dem  für  seine  im  Auftrage  des  Kaisers  gemalten  Bilder 
neben  seinem  ständigen  Monatsgehalt  in  der  Zeit  von  1603  bis  zu 
seinem  im  Jahre  1609  erfolgten  Tode  die  artige  Summe  von  über 
achttausend  Gulden  ausbezahlt  wurde.  Außer  seinen  selbständigen 
Compositionen,  deren  bedeutendste,  der  Raub  der  Proserpina,  lange 
für  Giulio  Romano  gehalten,  sich  jetzt  in  Dresden  befindet,  copierte 
er  mit  einer  wahrhaften  Virtuosität  die  großen  Meister,  namentlich 
Correggio,  dessen  weiche,  graziöse  Figuren  Rudolf  neben  den  sinn- 
lichen, durch  glühendes  Colorit  ausgezeichneten  Formen  Tizians 
besonders  liebte,  wie  er  denn  auch  unter  den  Bildhauern  Giovanni 
da  Bologna  bevorzugte  und  durch  Verleihung  eines  Adelsdiploms 

.  auszeichnete.    Wohl  zur  Herstellung  von  Portraits  unternahm  Heinz 
in  Rudolfs  Auftrage  wiederholt  Reisen,    so   nach    Rom,  Graz  und 

'  Innsbruck. 

Dagegen  ward  der  gleichfalls  nach  Prag  berufene  Nieder- 
länder Roeland  Savery  von  Rudolf  zu  dem  Zwecke  nach  Tirol 
gesendet,  um  die  Gebirgswelt  nach  der  Natur  zu  studieren.  Ein- 
zelne seiner  uns  erhaltenen  Bilder  charakterisieren  sich  deutlich 
als  Früchte  dieser  Studien.  Nach  des  Kaisers  Tode  arbeitete 
Savery  auch  noch  für  dessen  Nachfolger  Mathias.  Das  letztere 
war  auch  der  Fall  bei  Matthäus  Gundelach  aus  Hessen-Kassel, 
dessen  hier  (Abb.  52)  reproduciertes  Gemälde  mit  der  Vermählung 
der  heiligen  Katharina   aus  dem  Jahre   1614   uns  in  den  neben- 


220  ^>  Zimmermann 

stehenden  Heiligen,  Mathias  und  Helena,  die  mit  besonderer  Liebe 
und  Sorgfalt  ausgeführten  Portraits  des  Kaisers  Mathias  und  seiner 
Gemahlin,  Kaiserin  Anna,  zeigt. 

Es  würde  zu  weit  führen,  hier  auch  noch  die  andern  Hof- 
maler des  Kaisers,  wie  Hans  Hofmann,  Dietrich  Raffen- 
stainer,  Jeremias  Günther,  Emanuel  Schweiger,  den 
Landschafter  Peter  Stevens  u.  a.  in  ihrer  Thätigkeit  für 
Rudolf  einzeln  zu  verfolgen. 

Wir  wenden  uns  vielmehr  einer  Reihe  von  Thatsachen  zu, 
welche  zeigen,  wie  der  Kaiser  nicht  allein  durch  directe  Bestel- 
lung bei  Künstlern  und  Kunsthandwerkern,  sondern  auch  durch 
Ankäufe  einzelner  Objecte  und  ganzer  Sammlungen  seine  Lieblings- 
schöpfung zu  bereichern  suchte.  Anfangs  bediente  er  sich  hiebei 
des  Rathes  und  der  Mithilfe  des  bekannten  Malers  und  Antiquars 
JacopoStrada,  gleich  ausgezeichnet  als  Gelehrter,  Sammler  und 
Kunstagent,  der  alle  die  zahlreichen  Fäden,  welche  der  damals 
schon  rege  Kunsthandel  über  ganz  Italien  und  Deutschland  spann,  in 
seiner  Hand  vereinigte.  Ihm  folgte  nach  seinem  Tode  (1588)  als 
kaiserlicher  Antiquar  sein  Sohn  Ottavio  Strada,  der  dann  mit 
I.  Mai  1607  durch  den  Miniaturmaler  Daniel  Fröschl  abgelöst 
worden  zu  sein  scheint.  Als  auswärtiger  Agent  in  Kunstangelegen- 
heiten fungierte  auch  eine  Zeit  lang  der  Bürger  Raimund  Dorn 
in  Kempten,  an  den  Rudolf  im  Jahre  1582  seinen  Hofmaler  Arcim- 
boldo  absendete,  um  Antiquitäten  und  Kunstsachen,  die  jener  theils 
von  den  Fuggem,  theils  von  den  Welsern  und  Hochstettem  zu 
Augsburg  erstanden  hatte,  für  kaiserliche  Rechnung  anzukaufen. 

Neben  diesen  speciell  mit  der  Ausfindigmachung  und  An- 
schaflFung  von  Kunstobjecten  betrauten  Personen  waren  auch  die 
politischen  Geschäftsträger  des  Kaisers  beauftragt,  über  ihnen  an 
ihrem  Amtssitze  aufstoßende  verkäufliche  Kunstwerke  und  ganze 
CoUectionen  zu  berichten,  eventuell  deren  Ankauf  zu  vermitteln. 
Solche  Berichte  erhielt .  Rudolf  im  Jahre  1595  von  seinem  Vice- 
kanzler  und  Gesandten  in  Rom  Rudolf  Corraduz  über  Gemälde 
und  Antiken  aus  verschiedenen  römischen  Privatsammlungen, 
darunter  auch  einen  David  und  Goliath,  angeblich  von  Correggio, 
im  Besitze  des  Cardinais  Montalto.  Da  jedoch  die  Gemälde  theuer 
waren  und  der  Kaiser  eben  damals  nicht  über  die  nöthigen  Geld- 
mittel verfugte,  blieben  Corraduz'  Bemühungen  erfolglos,  und  er 


Die  Renaissance. 


221 


musste  sich  darauf  beschränken  anzufragen,  ob  er  das  letztgenannte 
Bild  durch  den  Cavaliere  d'Arpino  oder  Federigo  Zucchero  für 
den  Kaiser  copieren  lassen  solle. 

Dagegen  gelang  es  dem  kaiserlichen  Gesandten  in  Spanien 
Hans  Freiherm  von  KhevenhüUer  nach  jahrelangen  schwierigen 
Unterhandlungen,  fiir  seinen  Herrn  zwar  nicht  die  von  diesem 
gewünschten  Gemälde  von  Tizian,  Hieronymus  Boos  und  Parme- 
gianino  aus  dem  Nachlasse  Philipps  II.,  dafür  aber  eine  Reihe 
hervorragender  Bilder  aus  der  Sammlung  des  gestürzten  spanischen 
Staatssecretärs  Antonio  Perez  zu  erwerben,  nämlich  Correggios 
Jo  und  Danae,  die  bereits  der  Bildhauer  Pompeo  Leoni  an  sich 
gebracht  und  seinem  Vater  Leone  nach  Mailand  geschickt  hatte, 
und  die  nun  von  diesem  zurückgekauft  wurden ;  ferner  desselben 
Meisters  Leda  und  Ganymed  sowie  Parmegianinos  Cupido,  letztere 
drei  Bilder  als  Geschenke  König  Philipps  III.,  an  dessen  Vater 
sie  durch  Confiscation  der  Perez' sehen  Güter  gekommen  waren. 
Der  Gesandte  machte  dem  Kaiser  auch  einige  seiner  eigenen  Bilder 
zum  Geschenke,  darunter  Parmegianinos  Cleopatra,  ferner  einen 
überlebensgroßen  Johannes  Baptista,  der  ihm  vom  Cardinal  Erz- 
herzog Albrecht  bei  dessen  Abreise  zur  Übernahme  der  Statthalter- 
schaft in  den  Niederlanden  überlassen  worden  war,  endlich  noch 
ein  anderes  Bild  ,,von  einem  S.  Sebastian,  so  gar  guet  in  Italia 
gemacht  worden.**  Derselbe  KhevenhüUer  erwarb  für  Rudolf  im 
Jahre  1581  ein  Portrait  Karls  V.  und  sechs  Jahre  später  aus  dem 
Nachlasse  des  am  21.  September  1586  zu  Madrid  gestorbenen  be- 
kannten Cardinais  Granvella  einen  Band  Zeichnungen  Albrecht 
Dürers.  Für  letzteren  Meister  zeigte  Rudolf  besonderes  Interesse, 
wofür  ja  auch  die  Erzählung  spricht,  dass  er  ein  Gemälde  des- 
selben, das  jetzt  im  Strahow-Kloster  zu  Prag  befindliche  Rosen- 
kranzfest, aus  Venedig,  wo  es  gekauft  worden  war,  von  kräftigen 
Männern  auf  ihren  Schultern  über  die  Alpen  tragen  ließ,  um  es 
ja  unversehrt  zu  erhalten. 

Einen  großen  Theil  von  Granvellas  Verlassenschaft  besaß 
sein  Neffe  Franz  Graf  Cantecroy  Granvelle  zu  Besangon,  auf  dessen 
Sammlung  der  Kaiser  zunächst  sein  Augenmerk  richtete.  Im 
Jahre  1600  beauftragte  er  seinen  Specialgesandten  und  Rath  Carlo 
Billeo,  alles  daranzusetzen,  um  dreiimddreißig  der  wertvollsten 
Stücke  aus  Cantecroys  CoUection  um  den  Preis  von    12  — 14.000 


222  ^'  Zimmermann 

Gulden  zu  erwerben.  Der  Graf  machte  anfangs  Schwierigkeiten, 
seine  Sammlung  gerade  dieser  hervorragendsten  Objecte  zu  berauben, 
und  hätte  lieber  das  Ganze  um  etwa  den  doppelten  Preis  an  den 
Kaiser  verkauft.  Schließlich  gelang  es  jedoch  Billeo,  der  sich 
hiebei  der  Vermittlung  eines  Verwandten  des  Grafen,  namens  Gilbert 
Granvelle  in  Brüssel  bediente,  Cantecroy  zur  Abgabe  der  dreiund- 
dreißig von  Rudolf  II.  bezeichneten  Stücke  um  den  Preis  von 
13.000  Thalern  zu  bewegen.  Es  befand  sich  darunter  ein  weib- 
liches Bildnis  von  Rafael,  das  Martyrium  der  10.000  Christen  von 
Dürer,  die  Venus  mit  dem  Lautenspieler  von  Tizian,  die  Bronze- 
büste Karls  V.  von  Leone  Leoni  und  einige  der  hervorragendsten 
Objecte  der  Münzen-  und  Medaillensammlung  des  kaiserlichen 
Hauses.  Zur  Übernahme  und  Überwachung  des  Transportes  ward 
der  kaiserliche  Kammermaler  Johann  von  Aachen  und  Rudolfs 
Edelsteinschneider  Mathias  Krätsch,  mit  den  nöthigen  Vollmachten 
und  einem  Wechselbrief  des  Hauses  Fugger  auf  die  Kaufsumme 
versehen,  nach  Besangon  gesendet  und  die  vorderösterreichische 
Kammer  angewiesen,  für  den  sichern  Transport  zu  sorgen. 

Überhaupt  wurden  von  Fall  zu  Fall  Personen  ausgesendet, 
um  in  die  ,, Schatz-  und  Kunstkammer**  —  dies  der  officielle  Name 
in  allen  gleichzeitigen  Acten,  in  denen  nirgends  der  Name  ,,  Wunder- 
kammer*' erscheint,  —  passende  Objecte  geschenks-  oder  kauf- 
weise zu  erlangen.  Eine  solche  Reise  unternahm  im  Jahre  1597 
der  Appellationsrath  Ferdinand  Graf  Schlick,  um  Antiquitäten  und 
Gemälde  des  Grafen  Anton  Günther  von  Schwarzburg  für  den  Kaiser 
zu  erwerben,  was  ihm  dank  dem  bereitwilligen  Entgegenkommen 
von  Seite  der  Witwe  und  Vettern  des  inzwischen  verstorbenen  Grafen 
auch  gelang.  Das  Gleiche  war  der  Fall  bei  Karl  Herrn  von 
Liechtenstein,  der  den  ihm  durch  Schlick  vorgetragenen  Wunsch 
Rudolfs  nach  einigen  seiner  Bilder  und  sonstigen  Kunstgegen- 
stände alsbald  erfüllte. 

Weniger  glücklich  war  Albrecht  Graf  zu  Fürstenberg,  der 
gleichzeitig  mit  Schlick  ausgesendet  wurde,  um  die  Übergabe 
eines  in  der  Kirche  des  Antoniterordens  zu  Eisenheim  befindlichen 
Flügelaltars  zu  erwirken.  Alle  seine  hiefiir  gemachten  Anstren- 
gungen, welche  die  Regierung  zu  Ensisheim  ,,mit  allerlei  hierzu  dien- 
samen  Persuasionen  und  sonderlich  der  Vertröstung**  zu  unterstützen 
beauftragt  wurde,  dass  der  Kaiser  eine  durch  seinen  besten  Kammer- 


Die  Renaissance. 


.223 


maier  anzufertigende  Copie  als  Ersatz  geben  werde,  .scheiterten  an 
dem  unbesieglichen  Widerstände  des  Kirchenadministrators. 

Auch  das  im  Jahre  1584  durch  den  Syndicus  Joachim  König 
an  die  Stadt  Nürnberg  gestellte  Begehren  des  Kaiser^,  Dürers 
Allerheiligenbild,  wofür  Mathias  Landauer  dem  Meister  200  Gulden 
gezahlt  und  welches  er  in  seine  Kapelle  gestiftet  hatte,  gegen  eine 
von  einem  seiner  Hofmaler  herzustellende  Copie  umgetauscht  zu 
erhalten,  ,, da  er  ein  sondere  Naigungdarzuhab,'*  stieß  anfangs  bei 
dem  Rathe  auf  Bedenken,  da  es  nicht  der  Stadt,  sondern  der  genannten 
Stiftung  gehöre.  Erst  als  die  Landauerschen  Erben  sich  über  A  ndrin- 
gen  Rudolfs  zur  Übergabe  bereit  erklärten,  wurde  das  Bild  nach  Prag 
geschickt,  wogegen  der  Kaiser  der  Stiftung  700  Gulden  bewilligte. 
Dagegen  beeilte  man  sich  im  Jahre  1602,  ein  vom  Nürnberger  Stadt- 
rath  in  Frankreich  gekauftes  Bild,  Holbeins  Darstellung  des  seinen 
Sohn  Jakob  segnenden  Isaak,  an  Rudolf  unentgeltlich  zu  überlassen. 

Erkannte  man  doch  gar  bald,  dass  der  Kaiser  gerne  den- 
jenigen seine  Gnade  schenkte,  welche  seine  Kunstkammer  be- 
reicherten, so  dass  Fürsten  und  Städte  kein  besseres  Mittel  finden 
konnten,  seine  Gunst  zu  gewinnen,  als  die  Schenkung  kostbarer  Kunst- 
gegenstände. Diese  strömten  denn  auch  von  allen  Seiten  in  reichem 
Mafie  zu.  Gemälde  schenkte  der  Erzbischof  von  Salzburg,  Graf 
Simon  zur  Lippe,  Fürst  Ernst  Peter  von  Mansfeld,  und  im  Jahre  1604 
langten  nicht  weniger  als  sechs  mächtige  Truhen  voll  Bildern  aus 
Mantua  an.  Der  Herzog  von  Urbino  stellte  sich  mit  ,,vier  hochen 
Pildem  von  Marbelstain  und  ainem  schönen  Gemahl''  ein.  Die 
Fugger  schenkten  zahlreiche  Kunstobjecte,  der  Abt  von  St.  Moriz 
einen  antiken  Ring  aus  einem  Römergrabe.  Hans  ImhoflF  überließ 
dem  Kaiser  zwei  Gemälde,  die  Gräfinnen  von  Mansfeld  eine  Reihe 
von  Antiquitäten  aus  dem  Nachlasse  des  verstorbenen  Grafen, 
darunter  einen  Triumph  des  Bacchus.  Philipp  Graf  von  Hohen- 
lohe  spendete  einen  geschnitzten  Altar,  den  er  aus  den  Nieder- 
landen mitgebracht,  und  eine  Schilderei,  der  Kurfürst  von  der 
Pfalz  einen  Elfenbeinaltar  mit  Darstellungen  aus  dem  Leiden  Christi 
und  Bildnissen  zeitgenössischer  Fürsten.  Johann  von  Westernach 
übersandte  ein  miniiertes  Manuscript  des  Hrabanus  Maurus  aus  dem 
Kloster  Fulda,  Johann  Heinrich  Herr  zu  ReifFenberg  alchymistische 
Bücher  und  den  Liebesroman  eines  österreichischen  Herzoges  mit 
der  ,, schönen  Königin  Achliae.** 


224 


H.  Zimmennann 


Nach  der  Eroberung  Raabs  erhielt  Rudolf  des  daselbst  ge- 
fallenen Paschas  Rüstung,  Fahnen  und  Waffen  und  erbat  vom 
Grafen  Zrinyi  einen  bei  dieser  Gelegenheit  erbeuteten  edelstein- 
geschmückten Schild,  den  jener  nebst  einem  zweiten  Schilde, 
einem  Gürtel,  Bogen  und  Pfeilen  alsbald  zur  Verfügung  stellte. 
Auch  der  Großherzog  von  Florenz  und  der  Kurfürst  von  Sachsen 
sandten  Geschenke,  Herzogin  Maria  Eleonore  von  Preussen  Gegen- 
stände aus  Bernstein  und  Achat,  Herzog  Christian  von  Sachsen 
zwei  schöne  Geschütze  und  ein  kunstvolles  Uhrwerk,  Graf  Salm 
wiederholt  Bücher,  Bilder  u.  a. 

Um  des  Kaisers  Schutz  gegen  den  Papst  zu  erlangen,  über- 
schickte Cesare  d'Este  im  Jahre  1599  Gemälde  von  Rafael  und 
Tizian,  von  letzterem  die  sogenannte  Moretta,  das  angebliche 
Portrait  der  Lucrezia  Borgia.  Rudolf  erbat  von  ihm  durch  den 
herzoglichen  Abgesandten  Antonio  Rizzi  unter  anderem  eine  Statue 
des  Giovanni  da  Bologna,  die  jedoch  von  jenem  unter  den  hinter- 
lassenen  Kunstschätzen  seines  Vorgängers  Alfonso  II.  nicht  auf- 
gefunden werden  konnte.  Dagegen  wurde  einem  andern  Wunsche 
des  Kaisers  entsprochen,  indem  man  ihm  anfangs  1603  vier  Bild- 
nisse von  Mitgliedern  des  Hauses  Este,  darunter  dasjenige  der 
Prinzessin  Julia  zuschickte,  von  deren  Schönheit  man  allgemein 
sprach.  Da  letzteres  jedoch  etwas  verdorben  ankam  und  wegen 
des  nach  venezianischer  Mode  geschnittenen  Kleides  nicht  besonders 
gefiel,  wurde  dem  Hans  von  Aachen  befohlen,  neuerdings  ihr 
Portrait  zii  malen  und  dasselbe  mit  denen  anderer  Fürstinnen  von 
Baiern,  Tirol,  Steiermark,  Savoyen  und  Mantua  einzusenden. 
Hans  von  Aachen  reiste  im  October  1603  von  Prag  ab,  gieng  zu- 
nächst nach  Venedig,  wo  er  für  Rudolf  einige  Bilder  kaufte,  dann 
nach  Turin  und  Mantua,  um  dort  die  Töchter  des  Herzogs  Karl 
Emanuel  von  Savoyen  und  Vincenzo  Gonzaga,  zu  portraitieren,  und 
kam  Ende  November  nach  Modena,  wo  er  gleich  einem  Gesandten 
auf  das  ehrenvollste  behandelt  wurde  und  bei  seiner  Abreise  für 
die  Prager  Kunstkammer  außer  Achaten  und.  Medaillen  auch 
Gemälde,  darunter  eine  von  einem  Satyr  verfolgte  Nymphe  von 
Dosso  Dossi,  erhielt  Auf  Rath  Johanns  von  Aachen  ließ  es  der 
Herzog  bei  diesen  Geschenken  nicht  bewenden,  sondern  vermehrte 
sie  durch  weitere  Medaillen,  ein  Bronzerelief  des  Giovanni  da 
Bologna,  ein  dem  Polyklet  zugeschriebenes  Marmorrelief,  genannt 


Die  Renaissance.  22  S 

,,das  Bett  des  Polyklef,  ferner  einen  antiken  Mannortorso  und  den 
Kolossalkopf  eines  Cyklopen,  endlich  durch  ein  zweites,  den  gleichen 
Gegenstand  wie  dasjenige  Dossis  behandelndes  Gemälde.  Das  Bild 
hatte  auf  dem  Transporte  durch  Regen  und  Schnee  arg  gelitten;  doch 
gelang  dessen  Restaurierung  zu  Rudolfs  vollkommener  Zufriedenheit. 
Besondere  Freude  äußerte  er  über  Giovannis  Relief,  von  dem  er  übri- 
gens bereits  eine  durch  einen  Schüler  jenes  Meisters  gemachte  Copie 
besaß.  , ,  Das  ist  nun  mein,  *  *  rief  er  frohlockend  und  trug  es  eigenhän- 
dig in  sein  Privatgemach,  wo  er  es  auf  einen  kleinen  Schrank  stellte. 

Durch  ein  vom  Herzoge  von  Savoyen  gesendetes  Gemälde 
auf  dessen  Kunstschätze  aufmerksam  gemacht,  —  Tappe tit  vient 
en  mangeant  —  erbat  der  Kaiser  von  demselben  eine  Magdalena 
von  Lukas  Kranach,  die  dieser  gleichfalls  schenkte,  und  der  er 
nach  und  nach  einige  Marmorstatuen,  zwei  niederländische  Land- 
schaften, kleine  Miniaturen  und  anderes,  endlich  in  den  ersten 
Tagen  April  1606  weitere  Gemälde  und  bald  darauf  sechs  vom 
Kaiser  sehnlichst  gewünschte  antike  Kaiserbüsten  folgen  ließ, 
wodurch  er  das  besondere  Wohlgefallen  Rudolfs  erregte.  Vor  den 
beiden  niederländischen  Bildern,  einem  Frucht-  und  einem  Fisch- 
markt, soll  der  Kaiser  dritthalb  Stunden  lang,  ganz  in  deren  An- 
schauung  versunken,  unbeweglich  gesessen  und  schließlich  den 
Befehl  ertheilt  haben  anzufragen,  ob  deren  Meister  noch  lebe,  um 
ihn  eventuell  in  seine  Dienste  zu  ziehen.  Die  Miniaturen  aber 
verwahrte  er  in  seinem  Cabinette. 

Anfangs  1605  war  Hans  von  Aachen  abermals  in  Mantua, 
um  ein  neues  Portrait  der  Prinzessin  Marguerita,  Tochter  des 
Herzogs  Vincenzo,  zu  erbitten.  Wie  es  scheint,  wurde  kein 
Geringerer  als  Rubens,  der  damals  in  der  Gonzaga  Diensten  stand, 
mit  der  Anfertigung  dieses  Bildnisses  betraut,  wie  er  denn  auch  zwei 
im  herzoglichen  Besitze  befindliche  Correggio's  —  vielleicht  die 
,, Schule  des  Amor'*  und  ,, Jupiter  und  Antiope**  —  für  den  Kaiser 
copierte.  Zwei  berühmte  Altargemälde  desselben  Meisters  in  den 
Kirchen  S.  Pietro  Martire  und  S.  Sebastiano  zu  Modena  copierte 
Christian  Puckner,  ein  Schüler  Aachens,  der  sich  damals  im  Hause 
des  Malers  Rottenhammer  in  Venedig  aufhielt  und  auf  Wunsch 
seines  ehemaligen  Lehrers  nur  zu  diesem  Zwecke  nach  Modena 
gieng,  wo  er  laut  Gasthofrechnung  vom  11.  April  1606  bis  31, 
Jänner  1607  blieb,  daselbst  für  den  Kaiser. 

Kuostgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  15 


226  ^'  Zimmennann 

Cardinal  Alessandro  d'Este,  selbst  ein  eifriger  Sammler  von 
Gemälden,  bewunderte,  als  er,  der  Einladung  Rudolfs  folgend,  im 
Jahre  1604  dessen  Kunstkammer  besichtigte,  die  unglaubliche 
Menge  von  Kostbarkeiten,  Bildern,  Gefäßen,  Statuen,  Uhren, 
kurz  den  ganzen  Schatz,  ,,der  seines  Besitzers  würdig  sei.** 

Dieses  gewiss  competente  Urtheil  eines  kunstsinnigen  Zeit- 
genossen allein  könnte  genügen,  um  den  in  neuerer  Zeit  in  voll- 
kommener *  Verkennung  damaliger  Verhältnisse  gegen  die 
Rudolfinische  Kunstkammer  erhobenen  Vorwurf  wegen  der  Ver- 
schiedenartigkeit der  in  dieselbe  aufgenommenen  Objecte  und  des 
Mangels  einer  modernen  wissenschaftlichen  Ordnung  derselben 
sowie  den  darauf  fußenden  Vergleich  mit  Bamums  Museum  zu 
entkräften.  Hält  man  sich  nur  stets  den  rein  privaten  Charakter 
dieser  Sammlung  vor  Augen,  die  keineswegs  dazu  bestimmt  war, 
eine  Mustercollection  für  eine  Kunstgewerbeschule  zu  bilden,  wo- 
für bei  der  damals  noch  lebendigen  Kunsttradition  auch  keinerlei 
praktisches  Bedürfnis  vorlag,  sondern  einzig  und  allein  den  Zweck 
hatte,  dem  ästhetischen  Vergnügen  ihres  Besitzers  und  der  wenigen 
Auserwählten  zu  dienen,  denen  die  Besichtigung  derselben  gestat- 
tet wurde,  dann  wird  man  Rudolf  die  bunte  Zusammensetzung  und 
die  von  rein  malerischen  Gesichtspunkten  ausgehende  Anordnung 
seiner  Sammlung,  die  sie  übrigens  mit  allen  ähnlichen  Kunst-  und 
Antiquitätenkammern  ihrer  Zeit  gemein  hat,  ebensowenig  verübeln 
wie  einem  modernen  kunstsinnigen  Privatsammler,  der  ohne  Rück- 
sicht auf  Entstehungszeit  und  Schule  etwa  einem  Makart  oder  Canon 
neben  Hogarth' sehen  Kupferstichen  oder  älteren  orientalischen 
Teppichen  neben  verschiedenartigen  Erzeugnissen  moderner  Kunst- 
industrie in  seinen  Salons  Aufnahme  gewährte. 

Auch  beweist  ein  in  neuester  Zeit  aufgefundenes  Inventar 
dieser  Sammlung,  dass  die  Kunstkammer  keineswegs  so  mangel- 
haft geordnet  war,    wie  dies  auf  den  ersten  Blick  scheinen  mag. 

Längs  der  Wände  der  eigentlichen  Kunstkammer  zogen  sich, 
fortlaufend  numeriert,  zwanzig  Kästen  oder  Almare  hin,  deren 
Innenraum  kleine  Kunstgegenstände  und  Raritäten  verschiedenster 
Art  beherbergte,  während  auf  denselben  antike  und  moderne 
Sculpturen  standen,  über  welchen  seltsame  Geweihbildungen  die 
Wände  zierten.  Die  Mitte  des  Raumes  nahm  eine  lange  Tafel  ein, 
auf  welcher  Gabinetkästchen,   Uhren   und  andere  größere  Objecte 


Die  Renaissance. 


227 


Platz  fanden,  und  an  welche  sich  elf  Tische  und  Truhen  reihten, 
deren  zahlreiche  Schubladen  wieder  Kleineres  enthielten.  Neun 
weitere  Tische  mit  Sculpturen  aus  Stein,  Metall,  Terracotta  u.  s.  w. 
standen  an  den  Fenstern.  Ganz  ähnlich  war  die  Eintheilung  in 
drei  an  die  Kunstkammer  anstoßenden  Gewölben,  in  deren  erstem 
und  drittem  je  sechs,  im  zweiten  fünf  durchlaufend  numerierte 
Almare  untergebracht  waren.  Die  Gemälde  fanden  in  drei  Ab- 
theilungen ober  einander  Aufstellung  an  den  Wänden  und  Fenster- 
pfeilern zweier  durch  ein  Mittelgemach  verbundenen  Corridore  oder 
Gallerien  und,  als  hier  der  Raum  zu  klein  wurde,  im  sogenannten 
spanischen  Saale  und  zwei  Nebengewölben,  in  der  Rathsstube,  in 
dem  kaiserlichen  Schreibzimmer  und  den  dazu  gehörigen  zwei 
kleinen  Stuben  und  Gange,  endlich  in  drei  Sommerzimmern.  Die 
Waffen  füllten  die  Rüstkammer  und  deren  Neberigemach,  der  Rest 
der  Sculpturen  den  neuen  deutschen  Saal,  das  Treppenhaus,  das 
kaiserliche  Lusthaus  und  den  Garten. 

Leider  ist  uns  in  Osterreich  von  dieser  in  ihrer  Art  einzigen 
Sammlung,  deren  Wert  nach  Rudolfs  IL  Tode  auf  siebenzehn 
Millionen  Gulden  geschätzt  wurde,  nur  mehr  der  kleinste  Theil 
erhalten  geblieben  oder  wieder  zurückgewonnen  worden.  Die 
ersten  Beraubungen  derselben  fanden  noch  zu  Lebzeiten  ihres 
Gründers  statt  und  giengen  von  dem  berüchtigten  Kammerdiener 
Philipp  Lang  aus,  der  es  sich  nicht  genügen  ließ,  von  Kunst- 
händlern für  die  Empfehlung  an  den  Kaiser  Bestechungsgelder, 
nach  abgeschlossenem  Kaufe  Provisionen  zu  nehmen  und  dann 
noch  einen  guten  Theil  des  Gekauften  als  angebliches  Geschenk 
des  Händlers  seinem  Herrn  vorzuenthalten,  sondern  vieles  durch 
seine  Diener  unter  dem  Mantel,  ja  selbst  kistenweise  fortbrachte. 
Nicht  besser  machte  es  Längs  Nachfolger  Rucky,  welcher  sich  der 
ihm  nach  des  Kaisers  Tode  drohenden  Untersuchung  nur  durch 
Selbstmord  entzog.  Allein  es  sollte  noch  schlimmer  kommen. 
Die  aufrührerischen  böhmischen  Stände  machten  im  Jahre  1619 
nach  Vertreibung  des  kaiserlichen  Schatzmeisters  manches  wert- 
volle Stück  der  Kunstkammer  zu  Geld,  um  ihre  laut  nach  Sold 
schreienden  Truppen  zu  befriedigen,  bis  die  Schlacht  auf  dem  weißen 
Berge  ihrem  Treiben  ein  Ende  bereitete.  Seine  werkthätige  Allianz 
in  dieser  Schlacht  ließ  sich  Maximilian  von  Baiern  nicht  allein 
mit  der  Kurwürde,  sondern  auch  mit  ausgesuchten  Objecten  des 


15^ 


228  ^*  Zimmermann 

Hradschiner  Museums,  namentlich  zahlreichen  Bildern  bezahlen, 
die  seither  seine  Residenzstadt  schmücken.  Auch  der  Kurfürst 
von  Sachsen,  der  nach  Tillys  Niederlage  bei  Leipzig  (1631)  rasch 
auf  die  Seite  der  Gegner  Kaiser  Ferdinands  IL  trat,  versäumte  es 
nicht,  nach  Prag  zu  kommen,  um  zahlreiche  Kostbarkeiten  auf 
fünfzig  Wagen  und  mehreren  Schiffen  fortschleppen  zu  lassen. 
Kaum  waren  diese  Abgänge  durch  den  Kaiser  und  dessen  wackeren 
Schatzmeister  Miseroni  einigermaßen  ersetzt,  als  über  die  Kunst- 
kammer eine  noch  größere  Katastrophe  hereinbrach.  Während 
man  in  Münster  bereits  über  den  Abschluss  des  westphälischen 
Friedens  unterhandelte,  gelang  es  den  Schweden  unter  General 
Königsmark  durch  Ottowalskys  Verrath,  sich  am  26.  Juli  1648 
des  königlichen  Schlosses  und  der  Kleinseite  von  Prag  zu  be- 
mächtigen. Und  nun  begann  jene  systematische  Beraubung  der 
Rudolfinischen  Kunstsammlung,  welcher  nicht  allein  die  schwedische 
Königin  Christine,  sondern  auch  Königsmark  und  manche  andere 
schwedische  Befehlshaber,  die  auf  eigene  Rechnung  Kunstliebhaberei 
betrieben,  die  wertvollsten  Objecte  ihrer  Schlösser  verdankten. 
Elend  verpackt  blieben  die  kostbarsten  Sammlungsgegenstände 
monatelang  am  Ufer  der  Moldau  liegen,  da  man  besorgte,  der  Kur- 
fürst von  Sachsen  werde  sie  nicht  durch  sein  Land  passieren  lassen, 
und  erst  im  nächsten  Frühjahre  wurde,  nachdem  die  Verhand- 
lungen wegen  Zurückstellung  der  Kunstkammer  erfolglos  verlaufen 
waren,  der  größte  Theil  der  Sammlung  nach  Schweden  gebracht, 
von  wo  vieles  später  nach  Paris,  London  und  in  andere  Museen 
gelangte. 

Dasjenige  aber,  was  in  Prag  zurückgeblieben  und  durch 
wiederholte  Sendungen  von  Kunstgegenständen,  namentlich  Ge- 
mälden aus  Wien  nach  und  nach  wieder  zu  einer  ansehnlichen 
Sammlung  ausgestaltet  worden  war,  musste,  schon  vorher  durch 
bedeutende  Verkäufe  geschmälert,  am  Beginne  des  siebenjährigen 
Krieges  vor  dem  Bombardement  des  zweiten  Friedrich  über  Hals 
und  Kopf  in  unterirdische,  in  Felsen  gehauene  Keller  geborgen 
werden,  wo  es  mehr  als  fünfundzwanzig  Jahre  in  buntem  Wirrwarr 
verstaubt  und  vergessen  ruhte.  Womöglich  noch  trauriger  war  die 
Auferstehung  aus  diesem  Felsengrabe!  Als  nämlich  im  Jahre  1782 
die  Umwandlung  des  Prager  Schlosses  in  eine  Artilleriekaserne 
beschlossen  und    die   Keller  als  feuersichere   Magazine   benöthigt 


Die  Renaissance. 


229 


wurden,  machte  die  hiemit  betraute  militärische  Commission  kurzen 
Process.  Man  schaffte  das  ,, zerbrechliche  Zeug''  schleunigst  ans 
Tageslicht  und  schickte  das,  was  man  für  ,, brauchbar'*  hielt,  nach 
Wien;  das  Beschädigte  aber  wurde  theils  in  den  Hirschgraben  ge- 
worfen, theils  in  sinnloser  Weise  licitando  verschleudert  Bei 
dieser  Gelegenheit  soll  der  herrliche  Ilioneus,  den  Rudolfs  Hof- 
maler Hans  von  Aachen  um  34.000  Ducaten  für  den  Kaiser  er- 
standen  hatte,  als  wertloser  Eckstein  von  Marmor  für  fünfzig 
Kreuzer  ausgeboten  und,  als  ein  jüdischer  Händler,  der  den 
Spitznamen  ,,der  alte  London"  führte,  wie  zum  Hohne  dafür 
51  Kreuzer  bot,  um  ihn  vielleicht  zu  Stockknöpfen  zu  verarbeiten, 
diesem  zugeschlagen  worden  sein.  Glücklicherweise  gereute  ihn 
dieser  Kauf  bald;  er  verkaufte  die  schöne  Antike  weiter,  und  auf 
Umwegen  gelangte  sie  schließlich  in  den  Besitz  Ludwigs  I.  von 
Baiern;  noch  heute  bildet  sie  eine  der  vornehmsten  Zierden  der 
von  ihm  gegründeten  Münchener  Glyptothek. 

Ist  das  Schicksal  des  Ilioneus  nicht  typisch  für  dasjenige 
der  ganzen  Sammlung?  Auch  die  unvergleichlich  reiche  Kunst- 
kammer Rudolfs  II.  ist  nur  in  wenigen  spärlichen  Überresten  auf 
uns  gekommen,  gleich  jenem  —  ein  Torso! 


GESCHICHTE  DER 

KAISERLICHEN    KUNST- SAMMLUNGEN    BIS   ZUM 

TODE  KAISER  FERDINANDS  II.  —  DIE  SAMMLUNG 

DES  ERZHERZOGS  LEOPOLD  WILHELM. 

Die  Geschichte  der  kaiserlichen  Kunstsammlungen  steht  im 
innigsten  Zusammenhange  mit  derjenigen  des  alten  habsburgischen 
Schatzes,  welche  wir  ihrerseits  in  einzelnen  urkundlichen  Nach- 
richten bis  in  die  ersten  Jahrzehnte  der  Herrschaft  unseres  edlen 
Fürstenhauses  in  den  österreichischen  Landen  zurückverfolgen 
können.  Jener  alte  Hausschatz  umfasste  alles,  was  der  sorgfaltigsten 
Aufbewährung  für  wert  gehalten  wurde:  Hoheitszeichen  und  Haus- 
kleinodien, kostbare  Gefäße  und  Bilder,  Waffen  und  geschnittene 
Steine,  Familienpapiere  u.  s.  w.  Alle  diese  Objecte  werden  in  zahl- 
reichen Testamenten,  Erb-  und  Theilungsverträgen  des  XIV.  und 
XV.  Jahrhunderts  erwähnt,  und  beispielsweise  wird  in  einer  zwischen 
den  Herzogen  Rudolf  IV.,  Albrecht  III.  und  Leopold  III.  im  Jahre 
1364  vereinbarten  Hausordnung  bestimmt,  dass  ihnen  ihr  ganzer 
Schatz  an  Kleinodien,  Gold,  Silber,  Gestein  und  Perlen  gemein- 
sam gehören  und  sammt  den  Handfesten  und  Urkunden  von  dem 
jeweilig  Ältesten  in  Verwahrung  gehalten  werden  solle.  Die  im 
Testamente  Herzog  Albrechts  III.  vom  Jahre  1395  ausdrücklich  als 
unveräußerlich  bezeichneten  bestimmten  Kleinoden  waren  im  ersten 
und  zweiten  Jahrzehnt  des  XV.  Jahrhunderts  theils  im  ,,Thurm  bei 
der  gemalten  Stube*',  theils  im  ,,Sagrer**  aufbewahrt  und  kamen 
später  auf  Albrechts  III.  Enkel,  Herzog  Albrecht  V.  Der  letztere 
erwarb  durch  seine  Gemahlin  Elisabeth,  Tochter  des  römischen 
Kaisers  Siegmund  von  Luxemburg,  u.  a.  zahlreiche  schöne  Miniatur- 
manuscripte aus  dem  Nachlasse  König  Wenzels  von  Böhmen, 
welche  um  1455  in  dem  Thürmchen  über  dem  Burgthor  zu  Wien 
aufbewahrt  wurden  und  noch  heute  zu  den  kostbarsten  Hand- 
schriften der  k.  k.  Hofbibliothek  zählen. 


Die  Renaissance. 


231 


Auch  die  tirolische  und  steierische  Linie  des  Hauses  Habs- 
burg war  im  Besitze  solcher  Wertobjecte,  und  das  Nachlassinventar 
Herzog  Friedrichs  IV.  ,,mit  der  leeren  Tasche**  bildet  mit  seinen 
zahlreichen  Schmuckgegenständen,  silbernen  und  goldenen  Trink- 
geschirren und  gegen  achtzig  verschiedenfarbig  emaillierten  Kunst- 
objecten  eine  lustige  Illustration  zu  dem  erwähnten  Beinamen 
ihres  Besitzers.  Nach  dessen  im  Jahre  1439  erfolgten  Tode  ist 
ein  Theil  dieser  Schätze  dem  Hause  Österreich  ebenso  erhalten 
geblieben  wie  die  Verlassenschaft  Herzog  Albrechts  V.,  die  zu- 
nächst seinem  nachgeborenen  Sohne  Ladislaus  und  nach  dessen 
frühzeitigem  Ableben  (1457)  der  emestinischen  Linie  zufiel. 

Der  nach  dem  Tode  seines  Bruders  Herzogs  Albrecht  VI. 
(1463)  allein  überlebende  männliche  Vertreter  dieser  Linie,  Kaiser 
Friedrich  III.,  ein  großer  Freund  von  Goldschmiedearbeiten, 
dessen  besondere  Vorliebe  für  Edelsteine  uns  Cuspinian  überliefert, 
vereinigte  mit  jenem  Kunstbesitz  das  Erbe  seines  Vaters,  und  durch 
rigorose  Sparsamkeit  gelang  es  ihm,  den  kostbaren  Hausschatz 
immer  reicher  und  umfassender  zu  gestalten.  Einen  Theil  des- 
selben, darunter  wertvolle  alte  und  neue  Wandbehänge,  türkische 
Teppiche  und  jene  prächtigen  Miniaturhandschriften  aus  dem 
Nachlasse  des  Königs  Wenzel  von  Böhmen  überführte  er  aus  der 
Wiener  Burg  nach  Wiener- Neustadt,  wo  Österreichs  Herzoge  seit 
dem  Anfange  des  Jahrhunderts  auch  ein  Harnischhaus  besaßen, 
während  kunstvoll  gefasste  Reliquien  und  Kirchengeräthe  in  der 
Grazer  und  Wiener  Burgkapelle  verblieben.  Wohl  die  sich  gegen 
das  Ende  seiner  Regierung  immer  unsicherer  gestaltenden  poli- 
tischen  Verhältnisse  in  Osterreich  unter  der  Enns,  welche  mit  der 
Besetzung  Wiens  durch  den  thatkräftigen  Ungamkönig  Mathias 
Corvinus  ihren  Höhepunkt  erreichten,  mögen  den  alternden  Kaiser 
bewogen  haben,  die  kostbarsten  Kleinodien  seinem  Hofmarschall 
Siegmund  Prüschenk,  auf  dessen  Treue  er  baute,  anzuvertrauen. 
Dieser  barg  sie  in  dem  festen  Schlosse  Strechau  bei  Admont,  von 
wo  er  sie  erst  nach  des  Kaisers  Tode  an  dessen  Nachfolger 
Maximilian  I.  nach  Linz  zurückstellte.  Den  größeren  Theil 
des  Schatzes  aber  führte  Friedrich  III.  bei  seiner  Flucht  ins  Reich 
mit  sich  und  ließ  ihn  in  der  Margaretenkirche  zu  Nürnberg  ein- 
mauern, wo  ihn  der  Sohn  im  December  1495  erhob  und  in  63  Kisten 
auf  21  Wagen  zu  sich  nach  Nördlingen  zu  bringen  befahl,  um  ihn  dann 


232 


H.  Zimtnermann 


nach  den  wiedergewonnenen  Erblanden  zurückzuführen  und  ihm 
.  in  Wiener- Neustadt  neuerdings  eine  feste  Stätte  anzuweisen.  Mit 
der  Bewahrung  dieses  Schatzes,  der  auch  Gold-  und  Seidenstoffe, 
Tapisserien,  Urkunden,  Acten,  Manuscripte,  Bücher  u.  s.  w.  ent- 
hielt, sehen  wir  in  der  Zeit  von  1516  bis  1518  drei  verschiedene 
Trabanten  des  Kaisers  betraut.  Andere  Schatzgewölbe  bestanden  in 
Wien  und  Innsbruck,  wo  das  von  Erzherzog  Siegmund  hinterlassene 
Silbergeschirr  und  die  gesammte  Verlassenschaft  von  Maximilians 
zweiter  Gemahlin  Bianca  Maria  bis  nitch  des  Kaisers  Tode  verblieb. 

An  dem  letztgenannten  Orte  befand  sich  auch  Maximilians 
Köcherkammer,  in  dem  nahen  Ambras  eine  ansehnliche  Samm- 
lung von  Waffen.  Andere  Rüstungsstücke  beherbergte  das  Lukas 
Fwgger'sche  Haus  vor  dem  hl.  Kreuzthore  zu  Augsburg,  das  der 
Kaiser  im  Jahre  1508  käuflich  an  sich  brachte  und  nach  und  nach 
zum  förmlichen  Harnisch-  und  Wappenjiaus  umgestaltete.  Hier 
lagen  u.  a.  einzelne  von  dem  berühmten  Augsburger  Waffen- 
schmied Lorenz  Helmschmied  erzeugte  Waffen,  zu  denen  sich 
später  zahlreiche  andere,  wie  des  Kaisers  Kriegsrüstung  und  ein 
vom  König  von  England  geschenkter  Rundschild,  gesellten.  Bei  der 
am  23.  März  1519  aufgenommenen  Inventur  wurde  außerdem  fest- 
gestellt, dass  sich  die  Reiterrüstung  Maximilians  zu  Innsbruck,  der 
vergoldete  Leibhamisch,  den  er  jede  Nacht  bei  seinem  Bette  hängen 
gehabt,  bei  Wilhelm  Schürf,  Pfleger  zu  Ambras,  einzelne  Waffen- 
stücke in  Wien,  der  von  Kolomann  Helmschmied  gefertigte  silberne 
Kürass  noch  bei  diesem  befinde. 

Steht  es  nun  einerseits  urkundlich  fest,  dass  Maximilian  den 
von  seinem  Vater  ererbten  Schatz  theils  durch  eigene  Erwerbungen, 
theils  durch  reiche  Erbschaften,  wie  diejenigen  nach  Erzherzog 
Siegmund  von  Tirol,  nach  Leonhard  dem  letzten  Grafen  von  Görz 
und  nach  seinen  beiden  Gemahlinnen,  von  denen  ihm  die  erste 
einige  Stücke  von  hervorragendem  Kunstwerte  aus  dem  Nachlasse 
ihres  prunkliebenden  A'^aters  Karl  von  Burgund,  die  zweite  Bianca 
Maria  Sforza  eine  Fülle  von  Gold-  und  Silbergefaßen,  Edelsteinen 
und  sonstigen  Wertsachen  zubrachte,  ansehnlich  vermehrte,  so 
lässt  sich  mit  gleicher  Sicherheit  aus  zeitgenössischen  Documenten 
der  Beweis  führen,  dass  die  Behauptung  seines  Historiographen 
Cuspinian,  Maximilian  habe  sich  nie,  auch  nicht  in  der  größten 
Noth  dazu  entschließen  können,   diese  Schätze  anzugreifen,  deren 


Die  Renaissance. 


233 


Pracht  und  Reichthum  nach  seinem  Tode  die  entzückten  Augen 
seines  Enkels  Ferdinand  geblendet  habe,  in  keiner  Weise  aufrecht 
erhalten  werden  kann.  Denn  abgesehen  von  den  im  Jahre  1491 
dem  Rath  von  Nürnberg  oder  im  Jahre  1508  an  Philipp  Adler  in 
Augsburg  verpfändeten  Kleinodien,  die  der  Kaiser  selbst  bald 
darauf  wieder  auslöste,  abgesehen  ferner  von  solchen,  welche  er 
für  eine  zur  Deckung  von  Kriegskosten  vorgestreckte  Pfand- 
summe von  50.000  Goldgulden  an  König  Heinrich  VIII.  von  Eng- 
land überließ,  und  über  deren  spätere  Schicksale  uns  nichts  weiter 
bekannt  ist,  waren  es  gerade  die  sogenannten  burgundischen 
Kleinodien,  darunter  das  bekannte  Einhomschwert  der  kaiser- 
lichen Schatzkammer,  welche  der  freilich  vielfach  unverschuldeten 
Geldnoth  Maximilians  zum  Opfer  fielen.  Schon  wenige  Jahre 
nach  seiner  Erwählung  zum  römischen  Könige  finden  wir  dieselben 
in  einem  Verzeichnisse  zahlreicher  an  verschiedene  niederländische 
und  niederdeutsche  Kauf leute  um  die  für  damalige  Zeit  ungeheure 
Summe  von  801.000  Gulden  verpfändeter  Kunstobjecte  mit  mehr 
als  20. 000  Gulden  bewertet.  Allerdings  knüpfte  Maximilian  selbst  be- 
reits im  Jahre  1506  mit  Reinbold  Kessel  in  Köln  Unterhandlungen  über 
die  Einlösung  der  burgundischen  Kleinodien  ah;  allein  diese  müssen 
ebenso  gescheitert  sein  wie  die  Bemühungen  seiner  beiden  Enkel, 
durch  Vermittelung  Ambrosius  Hochstetters  und  Bartholomäus 
Welsers  bei  den  Reichsstädten  Augsburg  und  Ulm  die  Auslösung 
dieser  und  anderer  Kleinodien  von  den  Erben  des  Rechtsnachfolgers 
Kessels,  des  ehemaligen  kaiserlichen  Schatzmeisters  Jakob  Villinger, 
beziehungsweise  dessen  Schwagers  Philipp  Adler  um  67.000  Gulden 
zu  erwirken,  und  erst  Rudolf  II.  gelang  es  nach  längeren  Ver- 
handlungen im  Jahre  1582,  dieselben  wieder  in  seine  Hand  zu 
bekommen.  Nur  ein  gleichfalls  aus  dem  burgundischen  Schatze 
stammendes,  von  Maximilian  dem  Erzbischof  von  Gran  um 
25.000  Gulden  verpfändetes  kostbares  Diamantkreuz  ward  schon 
im  Jahre  1523  von  Ferdinand  I.  wieder  ausgelöst. 

Überhaupt  dürfte  die  Ordnung  der  Verlassenschaft  Kaiser 
Maximilians  I.  seinen  Erben  mancherlei  Mühe  und  Sorge  bereitet 
haben.  Nicht,  wie  diese  voraussetzten,  in  Innsbruck,  sondern,  wie 
einer  der  TestamentsvoUstreker,  der  schon  genannte  Wilhelm 
Schürf,  der  Innsbrucker  Regierung  auf  ihr  Verlangen  am  3.  Februar 
1521   mittheilte,    in  Linz   war  nach   des  Kaisers  Tode  der  größte 


27J,  H.  Zimmermann 

Theil  seiner  fahrenden  Habe  vereinigt  worden.  Über  die  Theilung 
derselben  schlössen  die  Brüder  Karl  V.  und  Ferdinand  I.  einen 
Vertrag,  welcher  bestimmte,  alle  Kleinodien,  namentlich  die  aus 
Wiener-Neustadt,  seien  durch  beiderseitige  Commissäre  in  wohl 
verschlossenen  und  versiegelten  Kisten  nach  Brabant  zu  fuhren 
und  dort  in  der  Weise  zu  sondern,  dass  die  hervorragenderen  der- 
selben, namentlich  die  Kroninsignien,  sowohl  die  alten  als  auch 
die  von  Maximilian  angeschaiFten,  Karl  zufallen,  die  andern  aber 
gleich  getheilt  werden  sollten;  die  übrige  Verlassenschaft  sei 
als  gemeinsames  Eigenthum  beider  einer  weiteren  Theilung  vor- 
zubehalten. Wann  diese  letztere  stattgefunden  hat,  ist  uns  nicht 
bekannt;  jedenfalls  dürfte  man  bei  derselben  nicht  besonders  sach- 
gemäß vorgegangen  sein;  denn  nur  so  ist  es  erklärlich,  dass  sich 
beispielsweise  von  einzelnen  nach  Stil  und  Ornamentation  zu  einer 
und  derselben  Garnitur  gehörigen  Waflfenstücken  die  einen  heut- 
zutage in  der  kaiserlichen  Waflfensammlung  zu  Wien,  die  anderen 
in  der  Armeria  Real  zu  Madrid  befinden,  wohin  sie  mit  dem 
ganzen  übrigen  Erbe  Karls  noch  zu  seinen  Lebzeiten  aus  den 
Niederlanden  gebracht  wurden. 

Wir  haben  es  in  der  Folge  nur  mit  jenem  Theile  von  Maxi- 
milians Verlassenschaft  zu  thun,  welcher  Ferdinand  I.  und 
damit  der  österreichischen  Linie  des  Hauses  Habsburg  zufiel.  Es 
sind  dies  zunächst  jene  weltlichen  und  kirchlichen  Kleinodien 
und  Gefäße  aus  Edelmetall,  Chalcedon,  Krystall  u.  s.  w., 
welche  Ferdinand  offenbar  zuerst  nach  Wiener-Neustadt  zurück- 
führen, dann  aber,  nachdem  sie  vier  Jahre  der  Obhut  Siegmunds 
von  Dietrichstein  in  Graz  anvertraut  waren,  im  Mai  1525  fast  alle 
nach  Wien  bringen  und  durch  den  dortigen  Münzmeister  Thomas 
Beheim  einschmelzen  oder  ein  Jahr  später  in  Augsburg  und  den 
Niederlanden  verpfänden  ließ,  so  dass  nur  ein  kleiner  Rest  in 
Graz  zurückblieb,  dem  er  später  immer  wieder  einzelne  Stücke 
entnahm,  um  endlich  im  Jahre  1554  einige  noch  allein  übrig 
gebliebene,  kostbar  gefasste  Reliquien  aus  der  Zeit  Friedrichs  III. 
und  Maximilians  I.  an  seinen  Oberstkämmerer  Martin  von  Guzman 
geschenkweise  zu  überlassen.  Das  Schicksal  der  Grazer,  beziehungs- 
weise Neustädter  Kleinodien  theilte  auch  eine  Anzahl  aus  Schloss 
Pressburg  stammender  Wertsachen,  welche  Königin  Maria  nach 
dem  tragischen  Tode  ihres  jugendlichen  Gemahles  Ludwig  II.  von 


Die  Renaissance.  21 C 

Ungarn  in  der  Schlacht  bei  Mohäcs  (29*  August  1526)  ihrem 
Bruder  Ferdinand  abgetreten  hatte.  Die  in  Wien  eingeschmolzenen 
Gefäße  ergaben  1667  Mark  Silbers  und  12  Mark  Goldes.  Nur  die 
aus  denselben  gebrochenen  Edelsteine,  Korallen  und  Krystalle 
sowie  Objecte  ohne  besonderen  Metallwert  wurden  aufbehalten, 
das  in  Pressbürg  Zurückgebliebene,  soweit  es  nicht  inzwischen 
von  dem  dortigen  Schlosshauptmann  verpfändet  worden  war,  im 
folgenden  Jahre  der  St.  Johanneskirche  in  Ofen  übergeben.  Das 
beim  Ableben  Kaiser  Maximilians  I.  in  der  Schatzkammer  zu  Inns- 
bruck befindliche  Silbergeschirr  des  Erzherzogs  Siegmund,  darunter 
auch  ,,vil  hübscher  und  ansehnlicher  Stück  von  gueter,  sauber, 
wol  gemachter  Arbait,  **  sowie  die  ebendaselbst  deponierten  Klei- 
nodien der  Kaiserin  Bianca  Maria,  welche  Karl  V.  anfangs  seiner 
Schwester  Maria  und  seiner  Schwägerin  Anna  zu  gleichen  Theilen 
hatte  überlassen  wollen,  verwendete  Ferdinand  im  Jahre  1524  zu- 
meist zur  dringenden  Abfertigung  verschiedener  Parteien.  Nur 
ein  kleiner  Theil,  namentlich  kirchliche  Gefäße,  kamen  aus 
Nürnberg  in  den  Schatzthurm  zu  Innsbruck  zurück;  auch  davon 
sowie  von  den  dort  verwahrten  Tapisserien  und  von  den  Waffen 
des  Erzherzogs  Siegmui^d  im  Neuhof  zu  Innsbruck  zog  Ferdinand 
später  manches  an  sich;  trotzdem  finden  wir  noch  im  Jahre  1563 
in  einem  Gewölbe  der  Innsbrucker  Burg  Bücher,  Heiligthümer, 
Kirchengeräthe,  Gemälde,  alte  Schwerter,  ein  Stück  Narwalhom 
u.  s.  w.  und  fast  dreißig  Jahre  früher  werden  im  Schlosse  zu  Trient 
Tapisserien,  Gefäße  aus  Edelmetall  und  Majolika,  Bilder,  Glas- 
sachen und  andere  zahlreiche  Kunstgegenstände  aus  dem  Nachlasse 
Kaiser  Maximilians  I.  inventiert.  Dagegen  weist  das  Inventar 
des  Innsbrucker  Harnischhauses,  welches  anlässlich  dessen  Über- 
gabe an  Georg  Seusenhofer  am  15.  September  1555  aufgenommen 
wurde,  zumeist  nur  Werkzeuge,  unvollendete,  unvollständige  oder 
gänzlich  veraltete  Waffenstücke,  im  ganzen  wenig  Bedeutendes 
auf  und  verdienen  höchstens  einige  Harnische  Maximilians  L ,  der- 
jenige des  von  ihm  besiegten  burgundischen  Ritters  Claude  de 
Vaudrey  und  jener  des  Königs  Franz  I.  von  Frankreich  besondere 
Erwähnung. 

Man   würde  jedoch    irren,    wollte   man    aus   dem  Umstände, 
dass  Ferdinand,  der  Noth  gehorchend,  einen  großen  Theil  der  ihm  . 
von  den  Ahnen  überkommenen  Kleinode  einschmelzen   oder  ver- 


236 


H.  Zimmermann 


pfänden  ließ,  auf  seine  geringe  Kunstliebe  oder  auch  nur  darauf 
schließen,  dass  sein  Besitz  an  derartigen  Kunstgegenständen  ein 
geringer  war.  Allerdings  lässt  sich  derselbe  nicht  im  entferntesten 
vergleichen  mit  demjenigen  seines  Bruders  Karl  V.,  der  nicht  allein 
bei  der  Theilung  des  großväterlichen  Erbes  den  Löwenantheil 
bekam  und  unumschränkt  über  die  schier  unerschöpflich  scheinen- 
den Metall-  und  Edelsteinschätze  der  neuen  Welt  gebot,  sondern 
auch  die  reiche  Kunstsammlung  seiner  Tante  Margareta  erbte 
und  von  seinen  Schwestern  Maria  von  Ungarn  und  Eleonore  von 
Frankreich  zum  Universalerben  eingesetzt  wurde,  während  Ferdi- 
nand aus  allen  diesen  Verlassenschaften  nur  ganz  vereinzelte,  wenn 
auch  immerhin  recht  wertvolle  Stücke  erhielt.  Trotzdem  konnte 
Ferdinand  schon  in  seinem  ersten  Testamente  vom  17.  September 
1532  die  Anordnung  treffen,  dass  jede  seiner  Töchter  neben  einer 
Aussteuer  von  100.000  Gulden  Kleinodien,  Kleider  und  Hausrath  im 
Werte  von  je  20.000  Gulden  erhalten  sollte,  und  das  im  Jahre  1544 
begonnene  und  bis  in  das  Jahr  1548  fortgesetzte  Inventar  seines 
Kunstbesitzes  weist  neben  zahlreichen  Kleinodien  aus  Gold,  Silber, 
Edelsteinen  und  Bergkrystall  auch  kostbare  Waffen  und  gegen 
1500  antike  Münzen  auf,  auf  welch  letztere  wir  noch  in  anderem 
Zusammenhange  zurückkommen  werden. 

Auch  seine  edle  Gemahlin,  Königin  Anna,  besaß  einen  reichen 
Schatz  an  Schmuckgegenständen,  deren  einer  sich  durch  die  darauf 
angebrachten  Initialen  WA  als  Erbstück  von  ihren  Eltern,  König 
Wladislaus  von  Ungarn  und  Anna  von  Foix,  charakterisiert, 
während  die  weitaus  größte  Zahl  derselben  in  verschiedenfarbigem 
Email  die  verschränkten  Anfangsbuchstaben  ihres  und  des  Namens 
ihres  Gatten,  A  und  F,  trägt,  die  uns  in  ihrer  immer  wieder- 
kehrenden engen  Verbindung  das  musterhaft  innige  und  in  jener 
sittlich  ziemlich  lockeren  Zeit  um  so  höher  zu  schätzende  Herzens- 
bündnis von  Mann  und  Frau  in  wahrhaft  rührender  Weise  ins 
Gedächtnis  rufen.  Einzelne  Objecte  aus  diesem  Bestände  kamen 
später  an  Maximilian  II.  und  seine  Gemahlin  Maria,  ein  großer 
Theil  an  Königin  Katharina  von  Polen  und  die  übrigen  Töchter 
Ferdinands,  während  andere  als  Geschenke  und  sonst  verwendet 
oder  von  Ferdinand  übernommen  und  im  Verein  mit  Kleinodien 
aus  der  Ofener  Schlosskapelle  und  aus  den  Schatzgewölben  zu  Wien 
und   Prag   nach    Innsbruck   gebracht   und   durch    zahlreiche   dem 


Die  Renaissance. 


237 


Kaiser  von  verschiedenen  Seiten  als  Geschenke  zugekommene 
Kunstobjecte  ansehnlich  gemehrt  wurden. 

Neben  solch  wertvollen  Erzeugnissen  der  gerade  im  XVI. 
Jahrhundert  in  voller  Blüte  stehenden  Goldschmiedekunst  besaß 
Ferdinand  I.  noch  eine  fast  vollständige  Reihe  der  Bildnisse  aller 
seiner  männlichen  und  weiblichen  Vorfahren,  und  im  Jahre  1563 
finden  wir  zum  erstenmale  die  Kunstkammer  in  Wien  er- 
wähnt, als  deren  Begründer  somit  Kaiser  Ferdinand  I.  zu  betrachten 
ist.  Dasselbe  gilt  von  der  Sammlung  antiker  Münzen  und 
sonstiger  Antiquitäten,  welche  noch  heute  einen  hervor- 
ragenden Bestandtheil  der  kaiserlichen  Kunstschätze  bildet. 

Es  liegt  allerdings  nahe  anzunehmen,  dass  schon  Maximilian  I. 
Münzen  und  Medaillen  gleichzeitiger  Fürsten  und  Reichsstände 
sammelte,  die  dann  auf  seine  Erben  kamen,  und  dass  Cuspinian, 
des  Kaisers  Commentator  rerum  antiquarum,  sich  auch  mit  Numis- 
matik beschäftigte.  Ja  es  steht  sogar  urkundlich  fest,  dass  Maxi- 
milian I.  eine  Sammlung  antiker  Münzen  oder ,, heidnischer  Pfennige*  *, 
wie  sie  damals  hießen,  besaß.  Im  Jahre  1510  sendete  er  seinem 
vertrauten  Rathgeber  in  Kunst-  und  wissenschaftlichen  Angelegen- 
heiten Dr.  Konrad  Peutinger  zur  Unterstützung  von  dessen  historischen 
Studien  ein  Trüchlein  voll  solcher  heidnischer  Pfennige,  wie  dieser 
vorher  ähnliche  nie  gesehen  oder  gehabt  zu  haben  versichert,  und 
von  denen  er  die  bei  Landeck  gefundenen  für  die  wertvollsten 
erklärte.  Maximilian  stellt  ihm  eine  weitere  Sendung  derselben 
in  Aussicht,  die  jedoch  augenblicklich  in  einem  Sacke  an  einem 
Orte  aufbewahrt  seien,  zu  dem  der  Schlüssel  nicht  habe  gefunden 
werden  können.  Schon  diese  vereinzelte  Nachricht  beweist,  dass 
von  einer  systematischen  Sammlung  oder  gar  Ordnung  solcher 
antiker  Münzen  unter  Maximilian  noch  nicht  die  Rede  sein  konnte. 
Anders  unter  Ferdinand  I.  Nicht  allein  dass  er  einmal  (1532)  sein 
Anrecht  als  Landesherr  auf  die  Ausfolgung  von  353  auf  einer  Alm 
seines  Gebietes  von  einem  Hirtenknaben  gefundenen  antiken  Silber- 
münzen gegen  eine  entsprechende  Entschädigung  des  Finders  mit 
allem  Nachdrucke  geltend  machte,  er  erwarb  auch  im  Jahre  1548 
von  einem  gewissen  Vincenz  Gärtner  dessen  ganze  Sammlung 
alter  Münzen  und  sonstiger  Antiquitäten  und  beauftragte  sechs 
Jahre  später  den  Nürnberger  Bürger  und  Maler  Hans  Lautensack, 
300  seiner  hervorragendsten  antiken  Münzen  in  Kupferstichen  dar- 


238 


H.  Zimmermann 


zustellen,  wofür  demselben  entsprechende  Zahlungen  angewiesen 
wurden.  Schon  am  27.  August  1549  war  Ferdinand  in  der  Lage, 
seiner  Schwester  Maria,  Statthalterin  der  Niederlande,  einen  voll- 
ständig eingerichteten  Münzschrank  mit  Doubletten  aller  in  seinem 
Besitze  befindlichen  Stücke,  die  er  in  Rom,  Constantinopel,  Venedig, 
Ungarn,  Siebenbürgen  u^  s.  w.  habe  sammeln  lassen,  nebst  zwei 
Registern,  deren  erstes  alle  römischen  Consuln,  Kaiser  und  deren 
Familien,  das  zweite  das  Verzeichnis  der  im  Schranke  befindlichen 
Münzen  enthalte,  zu  übersenden  und*  diesen  am  6.  März  1555 
weitere  129  Stücke  nachfolgen  zu  lassen.  Die  Einrichtung  jener 
Register  war  ziemlich  dieselbe  wie  diejenige  im  Inventar  von  1544 
und  in  einem  damals  angefertigten,  heute  im  Vatican  liegenden 
Münzkatalog.  Darnach  waren  die  einzelnen  Stücke  nach  dem 
Material:  Gold,  Silber  und  Erz  und  nach  ihrer  chronologischen 
Reihenfolge  geordnet,  so  dass  sich  an  die  ägyptischen  und  griechi- 
schen etwa  99  Consularmünzen  und  hierauf  die  Gepräge  der  römischen 
Kaiser,  welche  fast  vollständig  vertreten  waren,  bis  herauf  zu  Karl  V. 
anschlössen.  Die  ganze  Sammlung  war  in  der  Wiener  kaiserlichen 
Burg  aufbewahrt,  von  Ferdinands  I.  Kammerdiener  und  Burgvogt 
Leopold  Heiperger  gehütet  und  inventarisiert  und  von  seinem  Leib- 
arzt und  Bibliothekar  Wolfgang  Lazius  bestimmt,  beschrieben  und 
geordnet.  Mögen  die  diese  Münzsammlung  betreffenden  Zahlen- 
angaben des  letzteren  auch  bedeutend  übertrieben  sein,  so  konnte 
Ferdinand  doch  sicher  in  seinem  letzten  Testamente  vom  25.  Fe- 
bruar 1554  mit  berechtigtem  Stolze  darauf  hinweisen,  dass,  wenn 
die  von  ihm  seinem  Sohne  Maximilian  II.  hinterlassenen  alten 
Münzen  und  Antiquitäten  auch  von  geringem  Metallwert,  so  doch 
ihres  Alters,  ihrer  Verschiedenheit  und  guten  Ordnung  wegen  wohl 
würdig  seien,  als  Schatz  ,,unzertrennt*'  beisammenbehalten  zu 
werden,  da  sie  ,,in  solcher  Menge  und  gueten  Ordnung  nicht 
leichtlich  an  ainichem  andern  Ort  unsers  Erachtens  gefunden** 
würden.  Wie  hoch  er  den  Wert  dieser  Sammlung  anschlug,  be- 
weist auch  seine  weitere  Testamentsbestimmung,  dass  außer  jener 
und  den  Kroninsignien  alle  andern  Kleinodien,  Perlen  und  Edel- 
steine nicht  unter  alle  drei  Söhne,  sondern  nur  zwischen  Erzherzog 
Ferdinand  von  Tirol  und  Karl  von  Steiermark  gleich  getheilt 
werden  und  bloß  seine  übrigen  Mobilien  allen  drei*  Brüdern  zu 
gleichen  Theilen  zufallen  sollten. 


Die  Renaissance. 


239 


Was  das  Erbe  Ferdinands  von  Tirol  betrifft,  so  wurde 
oben  (S.  222 — 226)  darzulegen  versucht,  wie  es  seinem  feinen  Kunst- 
verständnis und  regen  Sammeleifer  gelang,  dasselbe  zu  jener  groß- 
artigen Kunstsammlung  auszugestalten,  die  auf  Schloss  Ambras 
aufgestellt,  laut  seines  Codicills  vom  18.  Juni  1594  auf  den  jüngeren 
seiner  beiden  Söhne  von  Philippine  Welser,  den  Markgrafen  Karl 
von  Burgau,  kam,  welcher  sie  im  Jahre  1606  an  Kaiser  Rudolf  II. 
um  100.000  Gulden  verkaufte.  Dieser  beließ  sie  an  ihrem  Auf- 
stellungsorte, und  so  entgieng  dieselbe  den  traurigen  Schicksalen 
der  Rudolfinischen  Kunst-  und  Schatzkammer. 

Auch  ErzherzogKarl,  dem  bei  der  Erbtheilung  von  1564 
unter  anderem  das  schöne,  auf  Pergament  gemalte  Handexemplar 
von  Kaiser  Maximilians  I.  ,, Triumph*'  zugefallen  war,  erweiterte 
und  vermehrte  den  von  seinen  Ahnen  ererbten  Kunstbesitz.  Es 
ergibt  sich  dies  aus  zahlreichen  urkundlichen  Nachrichten,  nament- 
lich aus  seinem  Verlassenschaftsinventar  vom  i.  November  1590, 
welches  Kleinodien  und  Urkunden  im  Schatzgewölbe  zu  Graz,  das  in 
der  Verwahrung  des  Oberstkämmerers  befindliche,  meist  von 
Ferdinand  I.  und  aus  der  Erbschaft  nach  Königin  Katharina  von 
Polen,  Karls  Schwester,  herrührende  Silbergeschirr,  die  Garderobe, 
Silberkammer,  Kapelleneinrichtung ,  Rüstkammer ,  Stallsachen, 
Sattelkammer,  musikalische  Instrumente  und  Bücher,  Tapisserien 
u.  a.  m.  aufzählt.  Kraft  seines  Testamentes  vom  i.  Juni  1584 
traten  seine  Söhne  zu  gleichen  Theilen  in  das  Erbe  der  ganzen 
Verlassenschaft,  und  der  älteste  derselben,  der  spätere  Kaiser  Fer- 
dinand II.,  war,  wie  wir  noch  sehen  werden,  berufen,  mit  seinem 
Antheil  noch  anderes  weit  Bedeutenderes  zu  vereinigen. 

Übrigens  besaß  auch  der  älteste  von  Ferdinands  I.  Söhnen, 
Kaiser  Maximilian  IL,  neben  der  vom  Vater  ererbten  Münz- 
und  Antikensammlung  einen  Schatz  anderweitiger  Kostbarkeiten, 
wie  Kleinodien,  Ringe,  Becher,  Waffen,  goldene  Vliesorden, 
Krystalle,  Gedenkmünzen  u.  s.  w.,  die  einem  im  Auftrage  Fer- 
dinands I.  von  Maximilians  Kammervorsteher  Georg  von  Thun 
sorgfaltig  geführten  Inventar  zufolge  noch  zur  Zeit,  als  er  Erz- 
herzog war,  entweder  durch  Kauf  oder  als  Geschenke  seines  Vaters, 
seiner  Gemalin  sowie  verschiedener  Adeliger,  Städte,  Landstände 
u.  s.  w.  in  seinen  Besitz  gelangt  waren.  Vieles  ward  nach  den 
Eintragungen  dieses  Inventars,  welches  alle  Zu-  und  Abgänge  genau 


J^ 


240 


H.  Zimmermann 


verzeichnet,  allerdings  wieder  weiter  verschenkt;  immerhin  aber 
erübrigte  ein  noch  ziemlich  bedeutender  Schatz,  der  demjenigen, 
was  seine  Brüder  vom  Vater  ererbt  hatten,  wohl  einigermaßen  die 
Wageschale  gehalten  haben  dürfte.  Dazu  kam,  da§s  Maximilian  II. 
dem  schon  damals  immer  deutlicher  zu  Tage  tretenden  Zuge  seiner 
Zeit,  in  der  nicht  allein  Kaiser  und  Könige,  sondern  auch  kleinere 
Fürsten,  ja  selbst  reiche  Kaufleute  wie  die  Fugger  u.  a,  mit  allem 
Eifer  darnach  trachteten,  Kunstobjecte  aus  dem  durch  die  Be- 
strebungen der  Renaissance  neu  erweckten  und  wieder  zu  hohem 
Ansehen  gelangten  Alterthum  zu  erwerben  und  in  größeren  oder 
kleineren  Sammlungen  zu  vereinigen,  keineswegs  ablehnend  gegen- 
überstand, sondern  sich  demselben  willig  überließ.  Mehrere  ihm 
wohlgesinnte  römische  Cardinäle  kamen  diesem  seinem  edlen 
Streben  auf  halbem  Wege  bereitwillig  entgegen,  und  so  entspann 
sich  bald  ein  reger  Briefwechsel  zwischen  Maximilian  und  seinen 
Gesandten  in  Venedig  und  Rom,  welcher  die  Erwerbung  käuflicher 
Antiken  zum  Gegenstande  hatte  und  vielfach  auch  zum  gewünschten 
Ziele  führte.  Kaufte  Maximilian  II.  noch  ein  Jahr  vor  seinem 
Tode  um  300  Gulden  Antiquitäten  von  einem  uns  nicht  weiter 
bekannten  Giulio  Draghinotti,  so  sammelte  er  daneben  auch  zeit- 
genössische Münzen  und  Medaillen  und  zeigte  lebhaften  Antheil 
für  die  Meisterwerke  eines  Tizian,  Veronese  und  anderer.  Nach 
dem  am  28.  Februar  1572  erfolgten  Tode  seiner  Schwester,  Königin 
Katharina  von  Polen,  fiel  auch  ihm  ein  entsprechender  An- 
theil von  deren  reicher  Verlassenschaft  zu.  Katharina  hatte  nicht 
allein  von  Haus  aus  nach  dem  Wunsche  ihrer  Mutter  um  10.000 
Gulden  mehr  Kleinodien  als  ihre  andern  Schwestern  erhalten, 
sondern  auch  aus  ihrer  ersten  Ehe  mit  Herzog  Francesco  von 
Mantua  die  ihr  von  diesem  als  Morgengabe  zu  freier  Verfügung 
gestellten  Kleinodien  und  kostbaren  Gewänder  im  Werte  von 
12.787  Scudi  in  ihrem  Besitze.  Beides  brachte  sie  bei  ihrer  im 
Jahre  1549  erfolgten  zweiten  Vermählung  mit  dem  Witwer  ihrer 
Schwester  Elisabeth,  König  Siegmund  II.  August  von  Polen,  mit, 
vermachte  es  aber  in  ihren  beiden  Testamenten  vom  24.  October  1558 
und  IG.  Februar  1572  nach  Abzug  der  Legate  für  ihre  Schwestern, 
Schwägerinnen  und  einzelne  Personen  ihres  Hofstaates  ihren  drei 
Brüdern  Maximilian,  Ferdinand  undKarl  zu  gleichen  Theilen,  während 
ihr  ganzer  zur  und  nach  der  Hochzeit  in  Polen  erhaltener  Schmuck 


«t 


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Die  Renaissance. 


241 


nach  ihrem  Tode  Siegmund  August  zufallen  sollte.  Da  ihr  jedoch 
dieser  nach  wenigen  Monaten  im  Tode  folgte  und  seine  ihn  be- 
erbenden Schwestern  theils  ausdrücklich  auf  ihre  Ansprüche  ver- 
zichteten, theils  dieselben  nicht  geltend  machten,  so  wurde  nicht 
bloß  bald  nach  Katharinas  Tode  das  ihren  drei  Brüdern  Testierte 
unter  diesen  gleich  getheilt,  sondern  gelang  es  auch  dem  Andrängen 
des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol  Ende  1578,  die  Theilung  des 
Siegmund  August,  beziehungsweise  dessen  Schwestern  hinterlassenen 
Erbantheiles  zwischen  ihm,  seinem  Bruder  Karl  und  Maximilians  II. 
Rechtsnachfolger,  Kaiser  Rudolf  IL,  unter  der  Bedingung  durch- 
zusetzen, dass  jeder  derselben  sich  verpflichtete,  im  Falle  der 
nachträglichen  Geltendmachung  der  Erbansprüche  durch  Siegmund 
Augusts  Schwestern  das  ihm  Zugetheilte  herauszugeben. 

Noch  über  einen  andern  Theil  ihres  Schatzes  setzten  sich 
die  drei  Brüder  Maximilian  II.,  Ferdinand  und  Karl  vertragsmäßig 
auseinander.  Es  sind  dies  die  sogenannten  Hauskleinodien, 
d.  h.  besonders  wertvolle,  für  alle  Zeiten  als  unveräußerlich  er- 
klärte Stücke,  wie  solche  schon  im  Testamente  Herzog  Albrechts  III. 
von  1395  und  in  demjenigen  König  Philipps  I.  vom  Jahre  1505 
erwähnt  werden,  in  unserem  Falle  eine  aus  dem  sogenannten 
burgundischen  Schatze  des  Kaisers  Maximilian  I.  stammende  Achat- 
schale und  ein  großes  Stück  Narwalhorn  (Einhorn).  In  dem  sie 
betreiFenden  Vertrage  der  genannten  drei  Brüder  vom  11.  August  1564 
wurden  diese  beiden  Objecte  ausdrücklich  als  Hauskleinode  be- 
stimmt,  welche  immer  der  Alteste  des  Hauses  in  Verwahrung  zu 
halten  habe.  Auf  Grund  der  letzteren  Bestimmung  dieses  später 
von  Kaiser  Rudolf  IL  und  den  Erzherzogen  Ferdinand,  Ernst, 
Mathias  und  Maximilian  erneuerten  Vertrages  reclamierte  Ferdinand 
von  Tirol  diesen  ,, Erbschatz**  schon  am  28.  Januar  1577,  also  kurz 
nach  dem  Tode  Maximilians  II.,  von  dessen  ältestem  Sohne  und 
Nachfolger.  Später  wurden  dieselben  durch  die  Testamente  der 
Erzherzogin  Maria,  Witwe  Karls  von  Steiermark  (i.  August  1591), 
und  ihres  Sohnes,  des  Kaisers  Ferdinand  II.  (10.  Mai  1621),  ansehn- 
lich vermehrt  und  in  allen  Inventaren  durch  die  beigeschriebenen 
Buchstaben  H.  K.  als  Hauskleinode  besonders  gekennzeichnet. 

Am  12.  October  1576  starb  Kaiser  Maximilian  IL,  ohne  über 
seine  verlassene  Habe  an  Edelgestein,  Gold,  Silber,  Perlen,  Kunst- 
gegenständen u.  a.   irgend   welche  testamentarische  Verfügungen 

Kunstgescfalchtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ung^am.  l6 


242 


H.  Zinuncnnaiui 


getroffen  zu  haben«  So  blieb  die  Vertheilung  derselben  unter  seine 
sechs  Söhne:  Rudolf,  Ernst,  Mathias,  Maximilian,  Albrecht  und 
Wenzel  einem  Erbvertrage  vorbehalten,  der  denn  auch  am  lo.  April 
1578  zu  Wien  abgeschlossen  wurde  und  unter  anderem  Folgendes 
bestimmte:  Ausgenommen  von  der  Theilung  seien  die  Haus- 
kleinodien nach  dem  oben  erwähnten  Vertrage  vom  11.  August  1564, 
ferner  die  Kroninsignien,  Hoheitszeichen  und  die  Sammlung  antiker 
Münzen,  welche  ungetheilt  Kaiser  Rudolf  II.  zufallen  sollten.  Alles 
andere  sei  zu  inventieren,  jeder  der  Parteien  ein  Exemplar  des 
Inventars  einzuhändigen  und  dann  alles  entweder  durch  das  Los 
oder  nach  der  Schätzung  vertrauenswürdiger  Personen  in  der  Weise 
gleich  zu  theilen,  dass  der  Jüngste  immer  die  erste  Wahl  habe. 
Stücke  aber,  welche  nicht  leicht  zu  trennen  sein  und  besser 
,,unzergenzt*'  im  Besitze  des  Hauses  Österreich  bleiben  würden, 
solle  Rudolf  gegen  billige  Entschädigung  der  andern  Compacis- 
centeff  für  sich  behalten  dürfen.  Als  Tag  der  Theilung  wurde 
der  20.  Mai  festgesetzt  und  diese,  nachdem  man  sich  für  die  Zu- 
weisung durch  das  Los  entschieden,  in  der  Weise  vorgenommen, 
dass  man  alle  zu  theilenden  Objecte,  gesondert  nach  drei  Be- 
ständen, wie  sie  die  Schatzkammer,  die  Rüstkammer  und  die 
Sattelkammer  —  die  beiden  letzteren  in  der  neuen  Stallburg 
etabliert  —  boten,  auf  je  6  Tische  vertheilt  auslegte  und  jeden 
dieser  Theile  mit  den  Nummern  1—6  bezeichnete.  Sodann  wurden 
sechs  Zettel  mit  den  Namen  der  theilenden  Brüder  und  sechs  andere 
mit  den  Nummern  1—6  in  zwei  Hüte  gelegt  und  in  Anwesenheit 
der  hiezu  delegierten  Räthe  vom  Grafen  Franz  von  Thurn  immer 
je  ein  Zettel  aus  beiden  Hüten  gezogen.  Nach  dreimaliger  Wieder- 
holung dieses  Vorganges  konnte  jedem  der  Brüder,  der  gleich- 
zeitig mit  seinem  Namen  gezogenen  Losnummer  entsprechend,  die 
mit  der  gleichen  Nummer  versehene  Partie  der  drei  Nachlass- 
gruppen zugetheilt  werden.  Jeder  der  Brüder  erhielt  Kleinodien, 
Krystallgefäße,  Handsteine,  Uhren,  vergoldetes  und  unvergoldetes 
Silbergeschirr,  Pelzwerk  und  Leinengewand,  Waffen  und  Teppiche, 
Objecte  aus  der  Verlassenschaft  des  Kaisers  Ferdinand  I.  und  der 
Königin  Katharina  von  Polen  —  ein  Stück  wird  sogar  als  noch 
von  Kaiser  Friedrich  III.  herrührend  bezeichnet  —  im  Gesammt- 
schätzungswerte  von  18— ■  2a 000  Gulden.  Der  Kaiser  machte  von 
dem  ihm  zustehenden  Rechte  Gebrauch  und  löste  die  ganze  Silber- 


Die  Renaissance. 


243 


kammer,  die  Gobelins  und  Teppiche,  daneben  auch  andere  wert- 
volle Objecte  den  Brüdern  in  Barem  ab,  wie  denn  auch  ver- 
schiedene kleine  Wertdifferenzen  zwischen  den  einzelnen  Antheilen 
der  Brüder  in  gleicher  Weise  ausgeglichen  wurden.  Zufolge  Empfangs- 
bestätigungen haben  ihre  Bevollmächtigten  die  verschiedenen  An- 
theile  am  19.  und  24.  Juni  ordnungsgemäß  übernommen. 

Über  den  KaiserRudolfll.  zugefallenen  Antheil  brauchen 
wir  nach  dem  im  III.  Abschnitt  (oben  S.  228—247)  Gesagten  kein 
Wort  weiter  zu  verlieren. 

Erzherzog  Ernst,  der  nach  nur  dreizehnmonatlicher  Statt- 
halterschaft der  Niederlande  am  20.  Februar  1595  zu  Brüssel  starb, 
und  dessen  hinterlassene  Kleinodien,  Tapisserien  etc.  bis  zum  Ein- 
treffen eines  Befehles  des  Kaisers,  was  damit  zu  geschehen  habe, 
unter  Sperre  und  Siegel  aufbewahrt  wurden,  bemerkt  in  seinem 
mündlich  bekannt  gegebenen  letzten  Willen,  er  hinterlasse  gar 
keine  Barschaft  und  auch  sonst  bloß  ,,ain  Schlechtes**,  was  nur, 
wenn  es  beisammen  bliebe,  einen  gewissen  Wert  repräsentiere. 
Hievon  seien  seine  Schulden  zu  zahlen,  seine  treuen  Diener  abzu- 
fertigen. Einiges  für  fromme  Zwecke  zu  verwenden  und  ein  etwaiger 
Rest  unter  seine  Brüder  gleich  zu  theilen.  Ob  ein  solcher  verblieb 
und  was  weiter  mit  demselben  geschah,  wissen  wir  nicht.  Er  wird 
nach  dem  Gesagten  wohl  sehr  unbedeutend  gewesen  und  es  Erz- 
herzog Ernst  ähnlich  ergangen  sein  wie  seinem  Bruder  Mathias, 
der  seinerseits  dem  dritten  Bruder  Erzherzog  Maximilian  am 
19.  September  161 2  mittheilt,  er  habe  die  Königreiche  und  Länder 
hochverschuldet  überommen  und,  so  sehr  er  auch  darauf  bedacht 
gewesen  sei,  ,,daz  der  kaiserliche  Schaz  nit  entfüert  und  verwendt** 
werde,  doch  zur  Erhaltung  des  Kriegsvolks  unter  anderem  alle 
seine  Kleinodien  verwenden  müssen.  Darunter  befand  sich  vielleicht 
auch  ein  Theil  jener,  die  er  noch  zu  Lebzeiten  seines  Vaters  in 
den  Jahren  1571 — 1574  gemeinsam  mit  seinem  Bruder  Maximilian  be- 
sessen und  die  ein  damals  geführtes  Inventar  mit  genauer  Angabe 
der  Provenienz  (meist  Geschenke)  sowie  des  jährlichen  Zuwachses 
und  Abganges  verzeichnet. 

Über  die  Schicksale  des  Erzherzog  Maximilian,  dem 
späteren  Hoch-  und  Deutschmeister,  zugefallenen  Antheils  sind  wir 
nicht  weiter  unterrichtet.  Aus  einzelnen  Randbemerkungen  zum 
Theillibell  von  1578  lässt  sich  jedoch  entnehmen,  dass  gar  manches 

16» 


244 


H.  Zimmennann 


wertvolle  Stück  desselben  verschenkt,  verpfändet,  eingeschmolzen 
oder  gegen  Barzahlung  dem  Kaiser  abgetreten  wurde. 

Erzherzog  Wenzel  hatte  schon  am  17.  October  1577,  also 
noch  vor  Abschluss  des  Theilungsvertrages  bei  seinem  Eintritt  in 
den  Johanniterorden  zu  Gunsten  seiner  Mutter  Maria  auf  seinen 
Antheil  an  der  Erbschaft  nach  Maximilian  II.  mit  der  Bestimmung 
verzichtet,  dass  derselbe  nach  ihrem  Ableben  seinem  Bruder 
Albrecht  zufallen  solle.  Allein  hievon  fand  es  nach  seinem  schon 
am  22.  September  1578  erfolgten  Tode  insoferne  ein  Abkommen, 
als  Kaiserin-Witwe  Maria  bei  ihrer  Abreise  nach  Spanien  zufolge 
mündlichen  Übereinkommens  ihren  Anspruch  an  den  Antheil 
Wenzels  am  8.  März  1585  an  Kaiser  Rudolf  II.  abtrat.  Von 
ihren  eigenen  Kleinodien  aber,  deren  sie  bei  ihrer  Vermählung 
mit  Maximilian  IL  von  dessen  Vater  im  Werte  von  40.000  Gulden 
erhalten  hatte  und  über  deren  Hälfte  sie  nach  dem  Heirats- 
contracte  vom  24.  April  1548  vollkommen  frei  verfugen  konnte, 
beabsichtigte  sie  einige  an  Philipp  II.  von  Spanien  abzutreten, 
worauf  der  kaiserliche  Gesandte  KhevenhüUer  Schritte  that,  um 
einzelne  derselben  für  seinen  Herrn  zu  erwerben,  —  wir  wissen  nicht, 
mit  welchem  Erfolge. 

Jedenfalls  weisen  diese  von  KhevenhüUer  ohne  Zweifel  im 
Auftrage  Kaiser  Rudolfs  II.  eingeleiteten  Verhandlungen  gleich  der 
Erwerbung  des  Erzherzog  Wenzel  zugefallenen  Antheils  aus  der 
Verlassenschaft  Maximilians  '11.  und  dem  Ankauf  der  Ambraser- 
sammlung von  dem  Erben  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol  mit 
aller  Bestimmtheit  darauf  hin,  dass  Rudolf  die  Absicht  hegte,  alle 
Kunstschätze  der  Mitglieder  seines  Hauses  auf  gütlichem  Wege 
an  sich  zu  bringen  und  in  seiner  Hand  zu  centralisieren.  Dies 
bezeugt  uns  zudem  ausdrücklich  sein  Bruder  Mathias  in  dem 
schon  erwähnten  Schreiben  an  Erzherzog  Maximilian  vom  19. 
September  1612,  in  welchem  er  ausdrücklich  bemerkt:  Seinen 
Vorschlag  wegen  Aufrichtung  einer  einheitlichen  Kunst- 
und  Schatzkammer  habe  er  nur  in  Erfüllung  der  In- 
tention des  verstorbenen  Kaisers  (Rudolf  IL  f  20.  Jänner 
161 2)  und  mit  Rücksicht  darauf  gemacht,  ,,daz  es  dem  Haus 
Österreich  riemblich  und  ansehentlich  sein  wurde,  daz  solliche 
Clenodia  alzeit  bei  dem  Eltisten  dem  ganzen  Haus  zu  Reputation 
und    Besten    unveralienirt  verbliben. '*     Da  jedoch   der  spanische 


Die  Renaissance. 


245 


Botschafter  hiezu  von  Erzherzog  Albrecht  nicht  genügend  instruiert 
sei  und  er  in  diesem  Punkte  nur  im  Einvernehmen  mit  seinen 
Brüdern  vorgehen  könne,  müsse  die  Entscheidung  dieser  Frage 
dem  brüderlichen  Vergleiche  vorbehalten  bleiben.  Obwohl  die 
Vornahme  der  Theilung  von  Rudolfs  Kunstschätzen  eigentlich 
dem  Ältesten  zustände,  so  schlage  er  dennoch  vor,  diese  möge, 
wie  dies  schon  nach  Maximilians  IL  Tode  geschehen  sei,  Personen 
überlassen  werden,  welchen  alle  Theile  Vertrauen  schenkten.  Er 
halte  es  jedoch  für  billig,  dass  man  ebenso  wie  damals  und  schon 
nach  dem  Ableben  des  Kaisers  Ferdinand  I.  die  kaiserlichen  Hoheits- 
zeichen von  derselben  ausnehme. 

So  kam  es  denn  abermals  zu  einer  Theilung,  bei  welcher 
allerdings  der  größere  Theil  Kaiser  Mathias  erhalten  blieb.  Am 
IG.  October  1612  und  13.  Februar  1613  verglich  er  sich  mit  seinen 
Brüdern  Maximilian  und  Albrecht  dahin,  jeden  derselben  mit 
Kleinodien,  Gold,  Silber  u.  s.  w.  im  Werte  von  225.000  Gulden 
aus  der  Rudolfinischen  Verlassenschaft  abzufertigen.  Sollten  sich 
noch  nachträglich  Wertsachen  im  Betrage  von  mehr  als  200.000 
Gulden  vorfinden,  so  wären  die  Brüder  entsprechend  zu  entschädigen. 
Nicht  in  Betracht  zu  ziehen  seien  in  diesem  Vertrage  der  tirolische 
und  vorderösterreichische  Besitz  und  alles,  was  daraus  herrühre.  Die 
Gesandten  Albrechts  hätten  das  Recht,  für  ihren  Herrn  eine  ge- 
eignete Auswahl  zu  trefifen  und  die  ausgewählten  Stücke  sogleich 
als  Abschlagszahlung  an  sich  zu  nehmen.  Von  diesem  Rechte 
wurde  auch  Gebrauch  gemacht,  so  dass  Albrecht  noch  im  Jahre 
161 3  den  Empfang  von  Objecten  im  Werte  von  138.920  Gulden 
50  Kreuzern  bestätigen  konnte.  Aufgefordert,  sich  darüber  zu 
entscheiden,  wo  der  Rest  zu  verbleiben  habe,  und  Personen  zu 
dessen  Erhebung  zu  bestimmen,  betraute  er  mit  dieser  Mission 
seinen  Hofdiener  Jakob  Zeeländer, .  dem  laut  Empfangsbestätigung 
vom  9.  September  1615  alles  ordnungsgemäß  ausgeliefert  wurde. 
So  war  dem  Erzherzog  Albrecht  sein  Antheil  an  den  Kunst- 
schätzen aus  der  Verlassenschaft  Rudolfs  II.  ungeschmälert  zuge- 
kommen. Dagegen  scheinen  diejenigen  aus  dem  Nachlasse  seines 
Vaters  und  seines  am  20.  März  1619  verstorbenen  Bruders  Mathias 
noch  längere  Zeit  in  Österreich  verblieben  zu  sein.  Auf  den  ersteren 
nahm  mit  seiner  Zustimmung  Kaiser  Ferdinand  II.  bei  einem  Ant- 
werpner  Kaufmann  die  ansehnliche  Summe  von  137.904  Brabanter 


246 


H.  Zimmennanii 


Gulden  auf  und  wurde  Albrechts  Gemahlin  und  Erbin,  die  Infantin 
Isabella  Clara  Eugenia,  dafür  durch  ihr  von  demselben  Kaufmann 
übergebene  andere  Kleinodien  im  Werte  von  86.350  Gulden  und  eine 
kaiserliche  Schuldverschreibung  über  den  dadurch  nicht  gedeckten 
Restbetrag  jener  Pfandsumme  entschädigt  Auch  einen  Theil  der 
Hinterlassenschaft  des  Kaisers  Mathias  gestattete  Albrecht  mit 
Schreiben  vom  26.  Juli  1619  dem  Kaiser  Ferdinand  II.  in  Anbetracht 
seiner  Nothlage  um  200.000  Kronen  zu  verpfänden,  jedoch  mit  dem 
Bemerken,  er  bedaure  diese  Verpfändung  lebhaft  und  könne  seine 
Zustimmung  dazu  nur  unter  der  Bedingung  geben,  dass  seine  An- 
sprüche dadurch  nicht  geschmälert,  sondern  trotz  derselben  voll- 
kommen befriedigt  würden.  Mag  diese  Verwahrung  auch  zum 
großen  Theile  von  rein  eigenthumsrechtlichen  Motiven  dictiert 
worden  sein;  nach  allem,  was  wir  sonst  von  Albrecht  wissen,  dürften 
auch  noch  weit  edlere,  künstlerische  Gründe  dabei  mitgespielt  haben. 
Denn  wie  so  viele  andere  Sprossen  seines  edlen  Hauses  be- 
thätigte  auch  Albrecht  VII.  ein  reges  Interesse  für  Kunst- 
gegenstände sowie  für  die  Künstler  selbst.  Schon  aus  der  oben 
(S.  239)  angeführten  Nachricht,  dass  er  vor  seiner  Abreise  aus 
Spanien  dem  kaiserlichen  Gesandten  ein  großes  Gemälde  schenkte, 
ergibt  sich  mit  Wahrscheinlichkeit  der  Schluss,  dass  der  Erz- 
herzog bereits  damals  im  Besitze  einer  BildercoUection  war.  Und 
als  er  nun  vollends  nach  seiner  Ernennung  zum  Statthalter  der 
spanischen  Niederlande  (1595)  jenen  classischen  Boden  betrat,  für 
welchen  gerade  damals  ein  goldenes  Zeitalter  der  Kunst  anbrach, 
in  dem  zahlreiche  Meister  des  Pinsels  von  eminenter  Begabung 
in  allen  Specialfächem  der  Malerei  Werke  ersten  Ranges  schufen, 
ergriflF  er  die  sich  ihm  darbietende  Gelegenheit,  Kunst  und  Künstler 
an  seine  Fahnen  zu  fesseln,  mit  beiden  Händen.  Seine  am  18.  April 
1599  ^^t  d^^  kunstsinnigen  Tochter  König  Philipps  II.  von  Spanien, 
der  Infantin  Isabella  Clara  Eugenia,  geschlossene  Ehe  konnte  in 
dieser  Beziehung  nur  von  förderndem  Einflüsse  sein.  Bald  sehen 
wir  denn  auch  das  erzherzogliche  Paar  in  engster  Beziehung  zu 
verschiedenen  Künstlern.  Schon  1605  trat  Wenzel  Cobergher  als 
Ingenieur  und  Architekt  in  dessen  Dienste,  fertigte  Pläne  zu 
Kirchen,  Palästen,  Entwässerung  von  Sümpfen  und  bethätigte  sich 
auch  als  Numismatiker.  Pieter  Snayers,  der  größte  Antwerpner 
Schlachtenmaler,    der  in  seinen   Darstellungen  die  größtmögliche 


Die  Renaissance. 


247 


Treue  mit  dem  eminent  Malerischen  in  glücklichster  Weise  ver- 
einigte und  dieselben  mit  lebhaft  bewegten,  sorgfaltig  durch- 
geführten und  kräftig  gemalten  Figuren  belebte,  ward  ebenso  zum 
Hofmaler  des  Regentenpaares  ernannt  wie  Rubens'  Lehrer  Otto 
van  Veen,  dessen  Berufung  zum  Vorstande  der  Münze  zu  Brüssel 
im  Jahre  1620  erfolgte,  während  der  Rubensschüler  Nicolaas  van 
der  Horst  als  Kupferstecher  Albrechts  und  Isabellas  fungierte  und 
für  dieselben  zahlreiche  seltsame  und  geschickte  Zeichnungen  aus- 
führte, die  sich  durch  hübsche  und  tiefsinnige  Erfindung  aus- 
zeichnen. Sie  alle  überstrahlt  aber  das  glänzende  Gestirn  eines 
Peter  Paul  Rubens,  des  besonderen  Lieblings  und  Günstlings  der  Erz- 
herzoge, unter  deren  Regierung  er  den  größten  Theil  der  in  seiner 
Heimat  zugebrachten  Jahre  verlebte.  Schon  während  Rubens' 
Anwesenheit  in  Rom  bestellte  Albrecht  bei  ihm  drei  Bilder  für 
die  Kirche  Santa  Croce  in  Gerusalemme,  von  welcher  der  Erz- 
herzog als  Cardinal  den  Titel  getragen  hatte,  und  bat  im  Jahre 
1607  den  Herzog  Vincenzo  von  Mantua,  den  Maler  in  seine  Heimat 
zu  entlassen,  was  dieser  jedoch  am  13.  September  d.  J.  ablehnte. 
Nach  Rubens'  Rückkehr  in  die  Niederlande  bestellten  Albrecht 
und  Isabella  bei  ihm  ihre  Bildnisse  und  ernannten  ihn  am  23. 
September  1609  zu  ihrem  Hofmaler  mit  allen  damit  verbundenen 
Freiheiten  und  Vorrechten  und  einem  Jahresgehalt  von  500  Gulden 
vlämisch,  der  ihm  bis  zum  Tode  Isabellas  (i.  December  1633)  regel- 
mäßig ausgezahlt  wurde.  Nun,  da  Albrecht  ihn  in  seinen  Diensten 
hatte,  beeilte  er  sich,  ihm  ein  Werk  von  Belang  anzuvertrauen, 
und  bestellte  im  Jahre  1610  für  die  Brüsseler  Filiale  der  von  ihm 
gegründeten  Ildefonsobruderschaft  jenes  herrliche  dreitheilige  Altar- 
bild, welches  Kaiserin  Maria  Theresia  im  Jahre  1777  um  80.000 
Franken  für  die  kaiserliche  Gemäldesammlung  erwarb,  zu  deren 
schönsten  Perlen  der  berühmte  Ildefonsoaltar  heute  zählt.  Der- 
selbe ist  für  uns  umso  interessanter,  als  er  in  den  beiden  Flügeln 
die  energisch  charakterisierten  Portraits  des  Erzherzogs  und  seiner 
Gemahlin,  begleitet  von  ihren  Schutzpatronen,  zeigt.  Das  Brüsseler 
Museum  besitzt  zwei  gleichfalls  von  Rubens  gemalte  Brustbilder 
des  erzherzoglichen  Paares,  die  etwas  besonders  Majestätisches  und 
Respecterweckendes  haben  und  als  Vorlagen  für  die  Portraitfiguren 
derselben  dienten,  welche  Rubens  als  Decoration  für  ein  Schau- 
gerüst  anlässlich   des  Einzuges  von  Isabellas  Nachfolger  in   der 


248 


H.  Zimmennann 


Stätthalterschaft  der  Niederlande,  des  Cardinalinfanten  Ferdinand, 
des  Bruders  König  Philipps  IV.  von  Spanien,  in  Brüssel  (15.  April 
1635)  mit  kühnen  Strichen  auf  die  Leinwand  warf.  Es  zeugt  für 
das  intime  Verhältnis  des  großen  Malers  zu  seinen  hohen  Gönnern, 
dass  Erzherzog  Albrecht  die  Pathenschaft  für  Rubens'  ältesten,  im 
Jahre  1614  von  Isabella  Brant  geborenen  Sohn  Albert  übernahm, 
und  dass  ihn  die  Infantin  im  Jahre  163 1  und  1632  anlässlich  der 
WafFenstillstands-Unterhandlungen  zwischen  ihr  und  den  General- 
staaten mit  der  heiklen  Mission  betraute,  die  Schritte  des  politisch 
nicht  sehr  verlässlichen,  officiell  als  Gesandten  Isabellas  fungieren- 
den Herzogs  von  Aarschot  im  Interesse  seiner  Gebieterin  genau  zu 
überwachen. 

Die  hohe  Blüte  niederländischen  Kunstlebens  machte  übrigens 
auch  in  Osterreich  ihren  gewaltigen  Einfluss  unverkennbar  geltend. 
So  kaufte  Kaiser  Mathias  noch  als  Erzherzog  im  Jahre  1586  um 
228  Gulden  ein  Gemälde  von  Martin  de  Vos  und  berief  Lucas 
von  Valckenborch  zu  sich  nach  Linz,  wo  er  ihn  in  der  Zeit  zwischen 
1580.  und  1595  vielfach  beschäftigte.  Auch  bestellte  er  bei  seinem 
Agenten  in  Brüssel  Karl  Larchier  Medaillen,  Tapisserien,  Uhren, 
geschnittene  Steine  und  ließ  sich  durch  denselben  über  alle  im 
dortigen  Kunsthandel  auftauchenden  Kunstobjecte  genauen  Bericht 
erstatten.  Und  der  vorzügliche  niederländische  Portraitmaler  Joost 
Suttermans,  der  seinen  Meister  Franz  Pourbus  noch  weit  über- 
traf, gieng  auf  Empfehlung  des  Großherzogs  Ferdinand  IL  von 
Toscana  im  Jahre  1623  ^^^  seinen  Brüdern  Jan  und  Cornelis, 
welche  beide  dauernd  in  den  Dienst  des  Kaisers  traten,  nach  Wien, 
um  die  Bildnisse  des  Kaisers  Ferdinand  II.  und  seiner  Gemahlin 
zu  malen. 

Dem  letztgenannten  Kaiser  war  es  beschieden,  die  Intention 
Rudolfs  IL,  welche  dessen  Bruder  Mathias  im  Einverständnis  mit 
seinen  Miterben  zu  verwirklichen  vergeblich  getrachtet  hatte,  der 
Erfüllung  zuzuführen,  den  gesammten  reichenKunstbesitz 
seines  erlauchten  Hauses  in  einer  Hand  —  derjenigen 
des  regierenden  Familienoberhauptes  —  zu  vereinigen. 
Als  Erbe  seines  Vaters  Erzherzog  Karl  von  Steiermark  und  seiner 
Mutter  Maria  Eigenthümer  eines  Theiles  der  Kunstobjecte  der 
steierischen  Linie,  zu  welchem  sich  nach  dem  Aussterben  des 
Mannsstammes   seines  Bruders  und  einzigen  Miterben,  Erzherzogs 


Die  Renaissance. 


249 


Leopold  V.,  im  Jahre  1665  auch  die  diesem  zugefallene  Erbschaft  ge- 
sellen sollte,  fielen  ihm  als  Rechtsnachfolger  seiner  beiden  kinder- 
los verstorbenen  Vorgänger  Rudolf  II.  und  Mathias  auch  die 
Kunstkammern  in  Wien  und  Prag  und  die  von  ersterem  käuflich 
erworbene  herrliche  Sammlung  auf  Schloss  Ambras  als  unbe- 
strittener Besitz  zu.  Diese  günstige  Situation  richtig  erfasst  und 
jene  glückliche  Vereinigung  zu  einer  für  alle  Zeiten  dauernden 
und  untrennbaren  gemacht  zu  haben,  ist  ihm  als  unvergängliches 
Verdienst  anzurechnen.  In  seinem  Testamente  ddo.  Wien  10.  Mai 
162 1  bestimmte  er,  dass  die  sogenannten  Hauskleinodien  nicht 
der  den  Jahren  nach  Alteste,  sondern  immer  der 
regierendeFürst  in  Verwahrung  zu  halten  habe,  welchem  auch 
seine  gesammten  andern  Kleinodien  und  fahrende  Habe 
ungetheilt  zufallen  und  von  diesem  nach  dem  Rechte  der  Erst- 
geburt weiter  vererbt  werden  sollten.  Diese  Bestimmungen  wieder- 
holt ausdrücklich  das  Codicill  vom  8.  August  1635  ^^^^  dehnt  sie 
auch  auf  alle  in  Zukunft  in  irgend  welcher  Weise  anfallenden 
Besitzthümer  aus.  War  letztere  Verfügung  vielleicht  nur  mit 
Rücksicht  auf  die  eventuell  zu  erhoffende  Erlangung  des  Restes 
der  väterlichen  Erbschaft  nach  einem  etwaigen  Aussterben  der 
Linie  seines  Bruders  Leopold  V.  von  Tirol  getroffen,  so  ahnte 
Ferdinand  II.  wohl  kaum,  dass  sein  zweitgeborener  Sohn  Leopold 
Wilhelm  der  Gründer  einer  Sammlung  werden  sollte,  deren  Ver- 
erbung auf  den  regierenden  Herrn  dessen  Kunstschatz  in  außer- 
ordentlicher Weise  bereichem  und  dadurch  zu  einem  der  ersten 
der  Welt  machen  sollte. 

Auf  Erzherzog  Leopold  Wilhelm  scheint  ein  guter 
Theil  von  dem  Geiste  des  Erzherzogs  Ferdinand  von  Tirol  und  des 
Kaisers  Rudolf  II.  übergegangen  zu  sein.  Er  huldigte  schon 
lange,  bevor  er  in  Brüssel  mit  dem  blühenden  Kunstleben  der 
Niederlande  bekannt  wurde,  jener  kunstfreundlichen  Richtung,  in 
welcher  er  nachher  so  Ausgezeichnetes  leistete.  So  beschäftigte 
er  als  Kammermaler  Georg  Loth,  Jan  van  der  Hagen  und  Josef 
Spiess,  und  von  dem  kaiserlichen  Hofmaler  Franz  Leux  besaß  die 
erzherzogliche  Gallerie  neben  zahlreichen  anderen  Stücken  auch  zwei 
Portraits  des  Erzherzogs  aus  seinen  jüngeren  Jahren,  wofür  400 
Gulden  bezahlt  wurden,  und  von  denen  eines  noch  heute  erhalten 
ist.     Auch    der   Bildhauer   Cannehaz    und   der  Wiener   Architekt 


250 


H.  Zimmermann 


Pietro  Miderno  erscheinen  für  Leopold  Wilhelm  thätig,  und  der 
Kammermaler  Joachim  Kobler  in  Venedig  bezog  für  regelmäßige 
Ankäufe  von  Bildern  eine  jährliche  Besoldung  von  400  Gulden. 
Daher  stammen  wohl  jene  Gemälde  italienischer  Meister,  welche 
er  mit  anderen  Bildern,  mit  Statuen,  Zeichnungen  und  Kupfer- 
stichen in  seinem  Wiener  Kunstcabinet  vereinigte,  und  neben  dejoen 
er  noch  Bilder  in  der  bischöflichen  Residenz  zu  Passau  und  im 
Renthof  zu  Königsstetten  besaß.  Außerdem  bestand  noch  die 
erzherzogliche  Schatzkammer  im  Amalienhofe  (der  neuen  Burg) 
zu  Wien,  welche  laut  Inventars  vom  20.  Juni  1647  kunstvoll  ge- 
fasste  Reliquien  und  religiöse  Gemälde,  Kleinodien  und  andere 
Raritäten,  Silbergeschmeide,  krystallene  und  andere  Trinkgeschirre, 
Uhren  und  sonstige  Mobilien,  Kirchen-  und  Silbergefaße  des 
deutschen  Ordens  und  die  Bibliothek  umfasste. 

Im  Besitze  dieser  Kunstschätze  traf  den  Erzherzog  nach 
wiederholter  Niederlegung"  des  Feldhermstabes  im  Jahre  1646  die 
Ernennung  zum  Generalgouvemeur  der  Niederlande,  die  ihn  zwang, 
mit  Hinterlassung  derselben  alsbald  an  seinen  neuen  Bestimmungs- 
ort abzugehen.  Seine  Reise  dahin  ist  durch  Ankäufe  von  Karten, 
Plänen,  Teppichen  und  verschiedenen  Antiquitäten  gekennzeichnet. 
Auf  niederländischem  Kunstboden,  wo  sich  Malerei  und  Kunst- 
gewerbe von  Seite  der  reichen  Handelsstädte  der  regsten  Förderung 
erfreuten,  fühlte  sich  auch  Leopold  Wilhelm  bald  heimisch,  und 
zahlreiche  Bilder  dortiger  Künstler,  die  ihn  als  Theilnehmer  der 
landesüblichen  Volksbelustigungen  darstellen,  wie  glänzende  Feste, 
welche  ihm  zu  Ehren  veranstaltet  wurden,  zeigen,  welch  lebhafter 
Sympathien  er  sich  daselbst  erfreute.  Zu  einer  Friedensmission 
berufen,  war  der  Erzherzog  bemüht,  allen  Schwierigkeiten  und 
den  fortdauernden  Kriegen  zum  Trotze  seiner  Sendung  mit  klarer 
Einsicht  und  voller  Selbstaufopferung  gerecht  zu  werden.  In- 
mitten seiner  ihn  vollauf  in  Anspruch  nehmenden  Regierungs- 
sorgen aber  fand  er  Muße  und  Stimmung,  seine  rege  Aufmerksam- 
keit der  Kunst  und  ihren  Interessen,  den  Künstlern  und  deren 
Bestrebungen  zuzuwenden.  Aus  Italien,  diesem  gelobten  Lande  der 
Kunst,  wo  das  XVI.  Jahrhundert  unermessliche  Sahätze  hinter- 
lassen hatte,  suchte  der  Erzherzog  alles  Erreichbare  an'  sich  zu 
bringen;  noch  reichere  Gelegenheit  zu  kostbaren  Erwerbungen 
fand  sich  auf  dem  Kunstmarkte  in  den  Niederlanden  selbst     Aus- 


Die  Renaissance. 


251 


erlesene  Stücke  aus  dem  Ktmstbesitze  des  1628  ermordeten  Herzogs 
von  Buckingham,  wie  der  Krieger  von  Giorgione,  und  des  1649 
auf  tragische  Weise  aus  dem  Leben  geschiedenen  Königs  Karl  I. 
von  England,  wie  die  hl.  Margareta  von  Giulio  Romano,  die 
Lucrezia  von  Palma  und  das  Portrait  der  Isabella  d'Este  von 
Rubens  fanden  in  der  Gallerie  Leopold  Wilhelms  ein  sicheres  Asyl. 
In  späteren  Jahren  gesellten  sich  zu  dem  nicht  ohne  bedeutenden 
Kostenaufwand  Gesammelten  auch  noch  mehr  oder  weniger  wert- 
volle Geschenke  von  Seite  anderer  vornehmer  Kunstfreunde  und 
Sammler.  Giengen  ja  doch  zahlreiche  Adelige,  Officiere,  Dom- 
herrn u.  a.  seiner  Umgebung  unter  die  Künstler,  um  ihn  mit 
ihren  ,,Kunsstücken**  zu  beschenken.  Daneben  beschäftigte  der 
Erzherzog  in  den  Niederlanden  Meister  des  Pinsels  von  bestem 
oder  doch  gutem  Klange.  Jan  van  der  Hoecke,  ein  Rubensschüler, 
den  auch  Vandyk  stark  beeinflusst,  war  Leopold  Wilhelms  Hofmaler 
und  malte  dessen  Portrait,  von  Engeln  gekrönt,  ein  pompöses  Bild, 
das  den  Schüler  seines  Meisters  nicht  unwürdig  erscheinen  lässt, 
und  Gonzales  Coques,  der  vorwiegend  Familienbilder  componierte, 
in  welchen  er  die  Glieder  eines  Hauses  zu  eleganten  Gruppen 
und  Actionen  zusammenstellte,  zählte  zu  dies  Erzherzogs  Lieblingen, 
Von  seinem  Hofkaplan  Johann  Anton  von  der  Baren,  einem  ge- 
schickten Landschafts-  und  Blumenmaler,  besaß  die  Gallerie 
II  Bilder,  eines  auch  von  dessen  Bruder  Philipp.  Jan  Cossiers, 
ein  Historienmaler  ausgesprochenster  Eigenart  aus  der  Schule  des 
Comelis  de  Vos,  ward  von  ihm  durch  Bestellungen  ausgezeichnet. 
Andere  Bilderbestellungen  bei  Teniers,  Eck,  Vos,  Seghers  und 
van  Heem  standen  mit  des  Erzherzogs  Kriegszügen,  namentlich 
der  Belagerung  von  Grävelingen  und  Dünkirchen,  in  Beziehung. 
Robert  van  der  Hoecke,  Peter  Neeffs,  Egmont,  Cattaneo,  D. 
Ryckaerts,  Arnold  Laemans,  Joau  Baptista  de  Bruns  und  andere, 
im  ganzen  65  Künstler,  wusste  er  theils  durch  Aufnahme  in  seine 
Dienste  und  Ernennung  zu  Kammermalem,  theils  durch  Aufträge 
und  Bilderkäufe  an  seinen  Hof  zu  fesseln,  34  mal  ließ  er  sich 
selbst  portraitieren. 

Besonders  enge  künstlerische  Bande  knüpften  Leopold  Wil- 
helm an  David  Teniers  den  Jüngeren,  einen  Maler  von  kräftiger, 
klar  ausgeprägter  Originalität,  der  zudem  als  feiner  Kunstkenner 
allgemein  geschätzt  war.     Der  Erzherzog  ernannte  ihn  spätestens 


252 


H.  Zimmermann 


1647  211  seinem  Hofmaler  und  Kämmerling,  in  welcher  Eigenschaft 
sich  Teniers  zwischen  1648  und  1652  in  Brüssel  niederließ.  Gar 
manches  Werk  wurde  b^  ihm  bestellt,  und  die  meisten  seiner 
großen  Bilder,  darunter  auch  die  meisterhaften  figurenreichen 
Darstellungen  öffentlicher  Festlichkeiten,  wie  das  Vogelschießen  des 
Erzherzogs  in  Brüssel,  datiert  1652,  jetzt  im  kaiserlichen  Besitze, 
sind  für  seinen  warmen  Bewunderer  und  freigebigen  Gönner  gemalt 
Dieser  übertrug  ihm  auch  die  Oberaufsicht  über  seine  reiche  Brüsseler 
Kunstsammlung,  von  der  uns  Teniers  selbt  Einzel-  und  Gesammt- 
ansichten  überliefert  hat.  Eine  der  bekanntesten  derselben  ist  das 
hier  (Tafel  III)  in  Heliogravüre  reproducierte  Bild,  welches  uns  den 
Erzherzog  und  den  Maler  in  der  Gallerie  zeigt.  Fünfzig  Gemälde  fast 
nur  italienischer  Herkunft  bedecken  die  Hauptwand  des  Gemaches, 
weitere  den  von  einem  Fensterpfeiler  in  das  Zimmer  hereinragenden 
hölzernen  Vorbau,  andere  stehen  auf  dem  Boden,  an  Stühle  ge- 
lehnt oder  auf  diesen  selbst.  Die  besten  italienischen  Meister,  wie 
Tizian,  Veronese,  Palma,  Giorgione,  Tintoretto,  Morone  u.  a., 
sind  hier  glänzend  vertreten.  Mitten  steht  der  Erzherzog,  be- 
deckten Hauptes,  und  deutet  mit  dem  Stocke  auf  Catenas  ,,Diom- 
herrn*S  wie  um  den  neben  ihm  stehenden  Teniers  mit  dem  Ankauf 
des  Bildes  zu  beauftragen.  Zwei  Personen  aus  dem  Gefolge  sind 
links  an  einem  Tische  mit  der  Besichtigung  von  Zeichnungen  be- 
schäftigt, zwei  andere,  weiter  im  Vordergrunde,  im  Gespräche  mit 
einem  kleinen  Abb^,  vielleicht  dem  genannten  von  der  Baren.  — 
Daneben  malte  Teniers  von  zahlreichen  Gemälden  der  erzherzog- 
lichen Sammlung  kleine  Copien,  in  welchen  er  trotz  der  ihm 
eigenthümlichen  feinen,  spitzen  Pinselfiihrung  mit  merkwürdiger 
Geschicklichkeit  die  Art  jedes  Meisters  wiederzugeben  verstand. 
Endlich  zeichnete  er  sämmtliche  italienischen  Bilder  der  seiner 
Oberaufsicht  anvertrauten  Brüsseler  Sammlung,  ließ  sie  radieren 
und  stellte  246  Tafeln  zu  einem  Kupferwerke  unter  dem  Titel 
,,Theatrum  pictorium*'  zusammen,  das  zuerst  1658  von  seinem  gleich- 
falls als  Hofmaler  des  Erzherzogs  Leopold  Wilhelm  bezeichneten 
Bruder  Abraham  Teniers  in  Einzelblättern  herausgegeben,  zwei 
Jahre  später  in  einen  Band  vereinigt  erschien.  Das  Werk  ist  dem 
Erzherzog  dediciert,  und  das  von  Teniers  gezeichnete,  von  Johannes 
Troyen  gestochene  Widmungsblatt  zeigt  eine  oben  oflFene,  von 
5  Büsten  gekrönte  Barocknische,    deren  Mitte    ein*  Postament  ein- 


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Die  Renaissance. 


253 


'nimmt,  welches  das  lorbeerumkränzte,  von  Minerva  gehaltene 
Portrait  des  Erzherzogs  trägt.  Durch  den  Lorbeerkranz  schlingt 
sich  ein  Band  mit  der  Devise :  Fortiter  —  Svaviter.  Rechts  und 
links  unten  und  rechts  oben  sind  Flügelputten  mit  Gemälden,  am 
Fuße  des  Postamentes  Cameen,  Bücher,  Kupferstichbände  und 
Notenhefte  gruppiert 

Denn  nicht  allein  Maler  und  Bildhauer,  sondern  auch  Musiker, 
Gelehrte  und  Schriftsteller  erfreuten  sich  lebhafter  Förderung  von 
Seiten  des  Generalstatthalters.  Ebenso  huldigte  auch  er  der  durch 
die  hohen,  weiten  Wohnräume  der  niederländischen  Palastbauten 
begünstigten  Mode,  die  Wände  mit  Tapeten  und  Gobelins  zu  be- 
hängen, in  deren  Fabrication  Brüssel  einen  hervorragenden  Platz 
einnahm.  Einige  besonders  schöne  Stücke  der  kaiserlichen  Gobelin- 
sammlung wurden  von  ihm  in  den  Jahren  1647,  1650,  1655  und 
1656  unmittelbar  vor  seiner  Rückkehr  nach  Wien  erworben. 

Politische  und  finanzielle  Verhältnisse,  nicht  weniger  aber  auch 
zunehmende  Kränklichkeit  hatten  Leopold  Wilhelm  die  Statthalter- 
schaft in  den  Niederlanden  verleidet.  Der  Abschied  von  Brüssel  blieb 
demnach  nur  noch  eine  Frage  der  Zeit.  Schon  1651  schickte  er 
,, allerei  kunstreiche  Malereien  in  18  Ballen*'  zumTheil  als  Geschenke 
an  den  Kaiser  nach  Wien.  Trotzdem  ward  bis  zum  Jahre  1656  emsig 
an  der  Einrichtung  der  Brüsseler  Bildergallerie  gearbeitet.  In 
diesem  Jahre  endlich  sollte  der  sehnlichste  Wunsch  des  Erzherzogs 
in  Erfüllung  gehen.  Am  9.  Mai  konnte  er  von  Brüssel  abreisen 
und  sich  über  Passau  nach  Wien  begeben,  um  fortan  theils  in 
dieser  Stadt,  theils  im  nahen  Kaiserebersdorf  Hof  zu  halten.  All- 
mählich und  successive  wurden  dann  seine  Mobilien,  namentlich  die 
reichen,  eine  sorgfaltige  Behandlung  erheischenden  Kunstschätze, 
darunter  auch  die  von  Teniers  zur  Vollendung  seines  Theatrum 
zurückbehaltenen  italienischen  Bilder  von  Brüssel  nach  Wien  ge- 
bracht, um  hier  unter  der  Leitung  von  Teniers'  Nachfolger  als 
Gallerieinspector,  des  wiederholt  genannten  Hofkaplans  Johann 
Anton  von  der  Baren,  mit  einigen  Gemälden  aus  Königsstetten, 
den  Snay  er' sehen  Schlachtendarstellungen  aus  der  Passauer  Resi- 
denz und  dem  in  Wien  Zurückgebliebenen  zu  einem  großen  Ganzen 
vereinigt  zu  werden.  Im  Jahre  1658  begann  man  mit  der  Adap- 
tierung der  für  die  Aufstellung  der  Kunstkammer  bestimmten 
Räume  der  Stallburg,  zu  deren  Erweiterung  auch  Kaiser  Leopold  I. 


254 


H.  Zimtnermann 


eine  Summe  beisteuerte.  Über  die  Einrichtung  derselben  gibt 
uns  der  in  der  Vorrede  von  Teniers'  Kupferwerk  aufge- 
nommene Bericht  eines  seiner  Wiener  Freunde  nebst  einer  den 
Bilderreproductionen  angeschlossenen  Ansicht  der  Gallerie  eine 
ziemlich  deutliche  Vorstellung,  Damach  entsprachen  drei  ungefähr 
gleich  langen  Corridoren  oder  Gallerien  von  38*5  Meter  Länge  und 
.7  Meter  Breite  drei  sie  begleitende,  ungefähr  gleich  lange,  9*5  Meter 
breite  Säle,  denen  sich  zwei  mittlere  von  9*5  Meter  im  Quadrat 
und  zwei  kleinere  Cabinette  anschlössen.  An  den  den  Fenstern 
gegenüberliegenden  Wänden  der  beiden  ersten  Corridore  waren 
die  Bilder  in  schöner  Ordnung  aufgehängt;  ebenso  an  den  Para- 
peten  unter  und  zwischen  den  Fenstern,  darunter  die  Teniers  un- 
bekannt gebliebenen  Gemälde,  welche  Leopold  Wilhelm  nicht  in 
die  Niederlande  mitgenommen  hatte,  wie  sechs  Stücke  des  älteren 
Brueghel  mit  der  Darstellung  der  12  Monate,  sowie  zahlreiche 
Landschaften,  Frucht-  und  Blumenstücke.  An  den  Fensterpfeilern 
standen  auf  hohen,  reich  ornamentierten  Consolen  zahlreiche  große, 
meist  antike  Statuen.  Der  dritte  Corridor  enthielt  die  vorzüglichsten 
Stift-  und  Federzeichnungen  der  Italiener  und  Flamänder  nebst 
anderen  größeren  Stücken.  Den  einen  großen  Saal  füllten  nieder- 
ländische Bilder  von  besonderer  Größe  und  Schönheit,  die  übrigen 
Säle,  Zimmer  und  Cabinette  die  seltensten  und  wertvollsten  Italiener 
und  Deutschen,  ,,so  dass  man  zu  deren  genussreicher  Betrachtung 
mehrere  Wochen,  zu  ihrer  vollen  Wertschätzung  aber  Monate 
brauchen  würde.*'  Auch  die  neuerbaute  Bibliothek  biete  einen 
großen  Reichthum  an  Büchern,  Holzschnitten,  Kupferstichen, 
Miniaturen  und  Aquarellen.  Die  Gesammtzahl  der  Bilder  wird 
hier  mit  1300,  die  der  Sculpturen  mit  268  angegeben.  Ein  bei 
der  am  14.  Juli  1659  vorgenommenen  amtlichen  Inventur  be- 
gonnenes und  später  fortgesetztes  Verzeichnis  der  hier  vereinigten 
Kunstschätze  jedoch  führt  517  italienische,  880  deutsche  und  nieder- 
ländische, also  zusammen  1397  Gemälde,  343  Handzeichnungen  und 
542  Sculpturen  aus  Metall,  Marmor,  Thon,  Wachs,  Gips,  Holz, 
Krystall,  Elfenbein,  Hom,  Glas  nebst  anderen  Antiquitäten  auf. 
Diese  Differenz  erklärt  sich  daraus,  dass  noch  während  und  nach 
der  Neuaufstellung  zahlreiche  Geschenke  einliefen,  Bestellung  und 
Ankauf  von  Bildern  und  Statuen  ununterbrochen  fortdauerten  und 
dass   zu   verschiedenen   Malen    an   die   Kunstkammer    zahlreiche 


Die  Renaissance.  2c:c: 

Objecte  aus  der  theils  im  Amalienhof,  theils  im  Zimmer  des  Schatz- 
meisters in  der  Stallburg  untergebrachten  erzherzoglichen  Schatz- 
kammer abgegeben  wurden. 

Auch  diese  muss  damals  neu  geordnet  worden  sein.  Denn 
ein  am  30.  April  1661  anlässlich  ihrer  Übergabe  durch  den  alten 
Schatzmeister  Christan  Wasserijäss  an  den  neuen  Valentin  Exlmayr 
aufgenommenes  neues  Inventar  derselben  zählt  die  einzelnen  Objecte 
nicht  wie  jenes  von  1647  einfach  nach  den  Kästen  auf,  in  denen 
sie  aufbewahrt  waren,  sondern  systematisch  in  8  Abtheilungen 
gesondert,  und  zwar:  i.  Reliquien  und  Kunstsachen,  2.  Kleinodien 
und  andere  Raritäten,  3.  Silbergeschmeide,  4.  krystallene  und 
andere  Trinkgeschirre,  5.  Uhren  und  andere  Mobilien,  6.  Neu- 
städter Kirchenornat,  7.  aus  der  TraundorfiF*  sehen  Erbschaft  her- 
rührendes Silbergeschirr  und  8.  Kirchengeräthe  und  Silbergeschirr 
des  deutschen  Ordens. 

Am  20.  November  1662  schied  Erzherzog  Leopold  Wilhelm 
aus  dem  Leben.  Durch  Testament  ddo.  Kaiserebersdorf  9.  October 
1661  hatte  er  Kaiser  Leopold  I.  zum  Erben  ,, aller  seiner  Gemähide, 
Statuen  und  heidnischen  Pfennige  als  des  vornehmsten  und  ihm 
libsten  Stuckes  seiner  Verlassenschaft**  eingesetzt,  und  Ende  Jänner 
1663  dürfte  die  Übergabe  der  von  den  Verlassenschaftscommissären 
auf  500.000  Gulden,  von  Leopold  Wilhelm  selbst  aber  auf  nahe  an 
eine  Million  bewerteten  Kunstkamöier  an  Kaiser  Leopold  vollzogen 
worden  sein.  Sie  blieb  fortan  Eigenthum  des  kaiserlichen  Hauses, 
die  Kunstliebe  ihres  hohen  Begründers  allen  kommenden  Gene- 
rationen verkündend,  und  ist  heute  noch  einer  der  wertvollsten 
Bestandtheile  der  kaiserlichen  Kunstsammlungen,  deren  wissen- 
schaftlich-systematische Neuordnung  und  Neuaufstellung  in  den 
prächtigen  Räumen  des  kürzlich  eröffneten  kunsthistorischen  Hof- 
museums unter  der  Regierung  unseres  erhabenen  Monarchen, 
des  Kaisers  Franz  Josef  I.,  eines  der  schönsten  Blätter  in  seinem 
Ruhmeskranze  bildet. 


DIE  BAROCKE. 


Von 

Albert  Ilg. 


Kunstgeachichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungaru.  I7 


DIE   BAROCKE. 

Das  Entstehen  und  Emporblühen  jener  Kunstrichtung,  welche 
herkömmlicher  Weise  mit  dem  Namen  des  sogenannten  Barock- 
stiles bezeichnet  wird,  ist  in  Österreich  eine  Erscheinung,  welche 
mit  großen  geschichtlichen  und  politischen  Ereignissen  auf  das 
innigste  zusammenhängt.  Jene  merkwürdige  Kunstart  stellt  sich 
ordentlich  als  die  Illustration  einer  neuen  geistigen  und  materiellen 
Gestaltung  aller  Dinge  im  Vaterlande  dar;  sie  ist  gewissermaßen 
auf  dem  Gebiete  des  sinnlich  Wahrnehmbaren  das  neue  Cachet  für 
das  neu  gewordene  Osterreich.  Während  nämlich  im  XVI.  und 
noch  ziemlich  tief  hinein  ins  XVII.  Jahrhundert  dieses  Land  in- 
folge seiner  nachbarlichen  Lage  zu  Italien  seit  dem  Erlöschen 
alles  mittelalterlichen  Wesens  die  Formen  der  Renaissance  aufge- 
nommen und  weitergeleitet  hatte,  ohne  es  dabei  aber  zu  einem 
local-charakteristischen  Typus  zu  bringen,  zeigt  sich  beiläufig  seit 
der  Mitte  des  XVII.  Jahrhunderts  der  Barockstil  als  eine  Richtung, 
die  zwar  keineswegs  auf  österreichischer  Erde  entstanden  ist, 
sondern  wie  die  Renaissance  auf  dem  Wege  des  alten  Verkehres 
beider  Länder  über  die  Alpen  gedrungen  war,  aber  wohl  als  ein 
Stil,  bei  dessen  Pflege  sich  heimischer  Geist  nicht  bloß  als 
recipierender  Schüler  erwies,  sondern  in  dessen  Form  derselbe  voll- 
kommen eigene,  für  sein  Wesen  charakteristische  Ideen  zu  zeugen, 
verstand.  Es  gibt  eine  österreichische  Barocke  von  ausgesprochenem 
Typus,  wie  es  eine  italienische  und  französische  gibt;  ja,  man 
kann  beinahe  ebenso  wie  in  Frankreich  bei  uns  von  einem  Stil 
Ferdinands  III.,  Leopolds  I.,  Josefs  I.  und  Karls  VI.  sprechen 
wie  dort  von  Louis  treize,  quatorze  und  quinze,  nur  aber,  dass 
darunter  in  beiden  Ländern  sehr  verschiedene  Dinge  verstanden  sind. 

Dagegen  hat  es  keine  österreichische  Renaissance  gegeben. 
Es  wurden  zwar  schon  unter  Ferdinand  I.  zahlreiche  italienische 
Architekten   berufen,    um   die   verfallenen    Städte,    welche    dem 


17^ 


26o  Albert  Ilg 

Anprall  der  Türkenmacht  entgegensahen,  nach  den  neuen  Principien 
der  italienischen  Fortificationskunst  mit  geeigneteren  Schutzwehren 
zu  versehen,  und  diese  in  Laibach,  Klagenfurt,  Graz,  Wiener- 
Neustadt,  Wien,  Komorn  etc.  beschäftigten  Oberitaliener  brachten 
bei  der  Universalität  der  Künstler  dieses  Volkes  den  gesammten 
Frühling  südlicher  Renaissance  in  unser  Land.  Sie  bauten  nicht 
nur  an  den  Festungen  Ravelins  Courtinen  und  Rondelles,  sondern 
auch  heitere  Lustschlösser  der  Fürsten,  wie  Ferdinands  Belvedere 
in  Prag  oder  später  das  Sternschloss,  oder  Maximilians  II.  Fasanen- 
garten bei  Wien;  sie  malten  imd  meißelten,  schufen  Grabdenk- 
mäler und  legten  die  schönen  Terrassengärten  im  italienischen 
Stile  an. 

Was  durch  diese  mächtige  südliche  Befruchtung  nach  Öster- 
reich gelangt  war,  verband  sich  wohl  alsbald  mit  den  noch  vor- 
handenen Residuen  des  nordisch  -  gothischen  Kunstsinnes  und 
gestaltete  sich  allmählich  zu  jenem  eigenthümlichen  Gepräge, 
welches  wir  als  sogenannte  deutsche  Renaissance  kennen,  besonders 
nachdem  auch  Einheimische  im  neuen  Geiste  des  Südens  zu 
schaffen  versuchten.  Aber  diese  deutsche  Renaissance  ist,  wenn 
auch  am  frühesten  auf  österreichischer  Erde,  doch  gleichzeitig  auch 
in  der  Schweiz  und  im  übrigen  Süddeutschland  aus  denselben 
Einflüssen  und  Bedingungen  heraus  entstanden.  Auch  im  weiteren 
Verlaufe  dieser  Stilrichtung  durch  das  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert 
ergeben  sich  in  Osterreich  nur  dieselben  Wahrnehmungen,  wie 
überall  auf  deutschem  Boden.  Mit  dem  Erstarken  der  neuen 
Glaubenslehre,  als  deren  thätige  Vertreter  in  Osterreich  zahlreiche 
Adelsgeschlechter  erscheinen,  erreicht  der  deutsche  Renaissancestil 
eine  bedeutende  Entwicklung  in  der  Profanarchitektur  sowie  im 
Kunstgewerbe,  dessen  mannigfache  Zweige  das  Innere  jener  Land- 
schlösser auszuschmücken  berufen  waren. 

Der  Stil  nimmt  dabei  immer  mehr  einen  eigenthümlichen 
Charakter  an,  welcher  zwar  ganz  im  allgemeinen  auf  den  Formen 
der  wiederbelebten  Antike  beruht,  sich  aber  doch  national  voll- 
kommen selbständig  gemacht  hat  und  durch  eine  gewisse  Nüchtern- 
heit, die  dem  protestantischen  Geiste  entstammt,  sowie  durch 
eigenthümliche  Züge  von  kleinlichem,  oft  zum  Scurrilen  und  Derb- 
humoristischen neigenden  Geschmacke  kennzeichnet,  wodurch  sich 
das  nordische  vom  südlichen  Elemente  unterscheidet.     Es  ist  jene 


Die  Barocke.  26l 

immer  mehr  zu  einem  handwerklichen  Geiste  drängende  Richtung, 
die  man  nicht  unzutreffend  mit  dem  Worte  ,, deutscher  Tischlerstil*' 
bezeichnet  hat. 

Jemehr  durch  das  siegreiche  Vordringen  der  Reformations- 
idee Osterreich  auf  denselben  Bahnen  gieng  wie  das  übrige  Deutsch- 
land, desto  übereinstimmender  mussten  alle  Geistesbewegungen, 
also  auch  die  künstlerischen,  hier  wie  dort  auftreten.  Erst  als 
eine  neue  Wendung  eintrat,  welche  im  nördlichen  Deutschland 
nicht  erfolgte,  im  südlichen  aber  neben  Osterreich  fast  nur  in 
Baiern,  war  es  möglich,  dass  wie  alles  übrige  auch  die  bildende 
Kunst  vor  einer  gewaltigen  Wandelung  der  Dinge  stehen  konnte. 
Dieser  Umschwung  ist  durch  die  sogenannte  Gegenreformation 
bewerkstelligt  worden.  Große  religiöse  und  politische  Änderungen 
giengen  denjenigen  auf  dem  Gebiete  des  Culturlebens  voraus.  Die 
Regierung  des  zweiten  Ferdinand  bricht  in  den  Erblanden  die 
Macht  des  Protestantismus,  welche  unter  Maximilian  IL  und 
Rudolf  II.  die  alte  Lehre  bereits  beinahe  unterdrückt  hatte.  Die 
Schlacht  auf  dem  weißen  Berge  ist  in  einem  gewissen  Sinne  auch  als 
die  Geburtsstunde  des  österreichischen  Barockstiles  zu  betrachten. 

Die  Kriegswaffen  allein  aber  haben  die  Wiedereinsetzung  der 
alten  Zustände,  sowie  die  Begründung  der  künftigen  nicht  bewerk- 
stelligt. Das  weit  größere  Werk  geschah  durch  die  geistige  Gegen- 
reformation, und  weil  dieselbe  ausschließlich  von  nicht  deutschem, 
sondern  romanisch  südländischen  Geist  durchgeführt  worden  ist, 
musste  auch  Österreich  seit  den  Tagen  jener  Schlacht  auf  völlig 
verschiedene  Culturbahnen  gedrängt  werden. 

Die  Entscheidung  der  Schlachten  und  deren  Folgen  hatten 
den  uralten  Adel  Österreichs  verändert.  Die  Jörger,  die  Geyer, 
die  Thanraedl  und  zahlreiche  andere  altangesessene  Geschlechter 
hatten  Macht,  Einfluss,  ja  das  Leben  verwirkt,  ihre  Güter  wurden 
confisciert,  und  eine  neue,  dem  Katholicismus  und  dem  Throne 
getreue  Aristokratie  trat  an  ihre  Stelle,  in  deren  Reihen  wir 
Italiener  und  Spanier  fast  in  überwiegender  Zahl  gewahren.  Dem 
Wirken  der  deutschen  Prädicanten  wurde  eine  andere  Macht  ent- 
gegengestellt, welche  die  Gemüther  des  Volkes  der  alten  Lehre 
zurückzuerobern  die  Aufgabe  hatte.  Neue  geistliche  Orden,  welche 
das  Mittelalter  noch  nicht  gekannt  hatte,  fast  durchgehends  aus 
Italienern  und  Spaniern  recrutiert,  kamen  als  Beichtiger,  Gewissens- 


202  Albert  Ilg 

räthe,  Prediger  und  Jugenderzieher  ins  Land  und  vertraten  in 
ihren  mannigfachen  Abstufungen  von  den  einfachen  Kapuzinern 
bis  zu  den  gelehrten  und  prachtliebenden  Jesuiten  eine  Phalanx 
von  geistigen  Kämpfern,  welche  geeignet  war,  von  der  Hütte  bis 
zum  Fürstenhaus  reformierend  zu  wirken. 

Bei  Betrachtung  des  Ganges  der  Gegenreformation,  wie  die- 
selbe auf  Gemüth  und  Geistesleben  des  österreichischen  Volkes 
einzugehen  gesucht  hat,  wird  man  gewahr,  mit  welch  richtiger 
und  tief  psychologischer  Erkenntnis  der  innersten  Natur  unseres 
Volksthumes  dieselbe  vorgegangen  ist.  Die  Garantie  des  Erfolges 
lag  für  sie  in  der  Erkenntnis  der  Unvereinbarkeit  des  warmen, 
lebendigen,  heiteren  und  phantasiereichen  Wesens  des  Oster- 
reichers  mit  der  kühlen,  verstandesmäßigen  Richtung  der  neuen 
Lehre.  Dieser  Funke,  den  die  endlosen  Prädicantensermone,  die 
Tractätlein  und  Religionsgespräche  eine  Zeit  lang  eingeschläfert 
hatten,  musste  wieder  geweckt  werden.  Was  die  Mittel  betrifft, 
deren  sich  die  Gegenreformation  zu  diesem  Zwecke  bediente,  so  zeigen 
sich  hier  sehr  von  einander  verschiedene  Erscheinungen.  Es  ist 
ganz  richtig,  dass  die  aus  Italien  gekommene  Barockkunst  mit 
ihrem  Pomp  und  Glanz,  mit  ihrer  Sinnesfreude  und  Heiterkeit 
die  Bestimmung  hatte,  als  mächtiger  Contrast  gegen  die  Kunst- 
feindlichkeit, Kahlheit  und  Öde  des  evangelischen  Gottesdienstes 
auf  das  Gemüth  und  die  Sinne  des  Volkes  zu  wirken,  aber  dieser 
Contrast  konnte  nicht  auf  einmal  mit  einem  Schlage  herbeigeführt 
werden.  Der  österreichische  Barockstil  beginnt  nicht  mit  Pracht- 
gebäuden, diese  bezeichnen  vielmehr  erst  den  vollendeten  Triumph 
der  alten  Kirche  zu  Anfang  des  XVHI.  Jahrhunderts;  sein  Beginn 
hüllt  sich  vielmehr  auch  künstlerisch  in  das  Gewand  der  Ascese,  der 
Demuth,  des  Klosterlebens,  Jene  strengen  Orden,  welchen  Mathias, 
Ferdinand  II.  und  III.  zahlreiche  Kirchen  und  Klöster  in  Öster- 
reich bauten,  die  Kapuziner,  die  Carmeliter  etc.,  lehrten  nicht  nur 
den  Geist  der  Selbstabtödtung  und  Buße,  sondern  sie  vertraten 
ihn  auch  durch  ihre  äußere  Erscheinung,  ihr  Kleid,  ihre  Behausung 
und  die  Kunst  ihrer  Gotteshäuser.  Daher  tragen  die  ersten 
Erscheinungen  des  Barockstiles  in  Österreich  nicht  das  Gepräge 
jener  stolzen  Centralbauten,  Kuppelkirchen  und  palastartigen 
Stiftsgebäude,  wie  sie  später  unter  anderen  geistigen  Verhältnissen 
die  Fischer  von  Erlach,    die  Bibienas,    die   Dienzenhofer  errichtet 


I 


I 


Abb.  53-     Cnniielitertirchc  in  Wien. 


Die  Barocke. 


263 


haben,  sondern  sie  huldigen  vielmehr  einer,  wenn  es  zu  sagen 
erlaubt  ist,  beinahe  fanatischen  Einfachheit.  Die  Vorbilder  kamen 
selbstverständlich    aus   der   italienischen   Heimat    dieser    Mönche. 

Man  hat  also  zuerst  von  jener  Vorperiode  des  Barockstiles, 
der  klösterlichen,  zu  sprechen.  Unter  der  Regierung  des  zweiten 
Ferdinand  erschwerten  die  endlosen  Kämpfe  und  die  finanzielle 
Erschöpfung  der  Erblande  die  Kunstthätigkeit  noch  sehr.  Obwohl 
der  Barockstil  in  seinem  Heimatlande  Italien  um  jene  Zeit  bereits 
in  hoher  Blüte  stand,  konnte  er  aus  diesen  Gründen  damals  noch 
nicht  nach  dem  Norden  vordringen,  aber  wir  begegnen  doch  schon 
selbst  unter  dem  genannten  Regenten  einigen  Vorboten  des  kommen- 
den. Sehr  einflussreich  ist  in  dieser  Beziehung  z.  B.  der  Orden 
der  Carmeliter,  aus  dessen  Reihen  ein  energischer,  geistreicher 
Mann  in  Osterreich  aufgetreten  war,  Dominicus  a  Jesu  Maria,  jener 
feurige  Apostel,  dessen  Einfluss  die  Wendung  der  Dinge  auf  dem 
weißen  Berge  nicht  zum  geringsten  Theile  zuzuschreiben  ist  Wir 
besitzen  in  Wien  in  der  Carmeliterkirche  der  Leopoldstadt  einen  Bau, 
welcher  mit  diesem  Manne  zusammenhängt  und  ein  sehr  wichtiges 
Architekturwerk  genannt  werden  muss(s.  Abb.  53).  Sie  ist  der  Haupt- 
heiligen der  katholischen  Gegenreformation,  St.  Theresia,  geweiht. 
An  der  Fa^ade,  dem  allein  künstlerischen  Theile  des  Baues,  bemerken 
wir  auf  die  interessanteste  Weise  das  Ringen  deutscher  Renaissance- 
Formen  mit  dem  siegreich  werdenden  neuen  Stile;  Docken  und 
Lisenen  schließen  sich  der  älteren  Manier  an,  ja  in  dem  pyramidalen 
Aufbau  liegt  beinahe  noch  eine  leise  Reminiscenz  der  Gothik,  wie 
ja  die  deutsche  Renaissance  davon  nie  sich  loszureißen  vermocht 
hatte,  aber  die  Monumentalität  der  Verhältnisse,  das  Giebelsystem, 
die  Voluten  verkünden  bereits  das  Neue.  Die  kahle  Erscheinung,  die 
fast  totale  Omamentlosigkeit  haben  ganz  das  klösterliche  Gepräge 
unseres  frühesten  Barockstiles.  Auch  in  dem  von  der  frommen 
Gemahlin  des  Kaisers,  Eleonora  von  Mantua,  1642  vollendeten 
Carmeliterinnenkloster  in  der  Stadt,  zu  den  Siebenbüchnerinnen 
genannt,  zeigten  vor  seinem  Abbruche  die  italienischen  Wandel- 
bahnen mit  ihren  Bogenstellungen  diese  frühbarocke  Kloster- 
architektur Italiens. 

Außerordentlich  wichtig  ist  die  Regierungszeit  des  dritten 
Ferdinand,  während  welcher  sich  der  Sieg  des  neuen  Stiles 
vollends  entschied  und  neue  Künstlerinvasionen  aus  dem  Süden 


264  Albert  Ilg 

eine  festere  Stilrichtung  begründeten.  Seit  den  frühesten  Tagen 
der  ersten  Renaissance  hatte  das.  Einwandern  der  Italiener  hier 
zu  Lande  nicht  aufgehört.  Viele  von  ihnen  haben  sich  seit  dem 
ersten  Ferdinand  in  Osterreich  festgesetzt  und  wahre  Künstler- 
dynastien gegründet,  welche  bis  zu  Ende  des  verflossenen  Jahr- 
hundertes  in  ihren  Abkömmlingen  nachweisbar  sind.  Derlei  Meister 
waren  z.  B.  die  mailändischen  Spazzio,  die  Allio,  die  Ferrabosco, 
die  Della  Stella  u.  s.  w.  Andere  kamen  bloß  als  Zugvögel,  häufig 
nach  ihres  Volkes  Sitte  im  Winter  wieder  nach  ihrer  Heimat 
kehrend,  sie  begegnen  zu  Hunderten  in  unseren  Kunstregesten. 
Nicht  wenige  von  all  diesen  Fremden,  welche  die  Renaissance  und 
die  Barocke  in  Osterreich  angebahnt  haben,  stammen  aus  jenem 
Paradiese  der  oberitalischen  Seen,  besonders  vom  Comosee,  wo  ja 
schon  in  den  Zeiten  der  alten  Römer  ein  berühmtes  Geschlecht 
von  Maurern,  die  Comacinischen  Maurer,  gelebt  hatte,  deren  Namen 
wir  in  Urkunden  bis  ins  späte  Mittelalter  antreffen.  Mendrisio, 
Como,  Lugano  sind  ihre  Heimatsörter,  und  auch  jetzt  sollte  eine 
solche  Comacinische  Familie  von  der  allergrößten  Bedeutung  für 
die  Kunst  unserer  Gegenden  werden.  Es  ist  die  Familie  der  Carlone, 
auch  Carlone  Cannevale  genannt,  welche  sich  fruchtbar  wie  kaum  eine 
andere  in  zahllosen  Mitgliedern  über  alle  Theile  der  Erblande 
ergoss,  in  Wien  noch  in  den  späten  Tagen  des  Josephinismus  durch 
den  Erbauer  des  militärärztlichen  Bildungsinstitutes  ,,Josephinum** 
mit  einem  Repräsentanten  auftreten  kann,  aber  auch  außerhalb 
Österreichs,  in  Genua  und  Piemont,  in  Passau  und  sonsten  geschaffen 
hat.  Sie  waren  Architekten,  Maler,  Bildhauer  und  Stuccatore. 
Ihnen  annähernd,  rührig  und  bedeutsam  erscheinen  die  Orsi,  die 
Verda,  (Grabkapelle  der  steirischen  Erzherzoge  im  Dom  zu  Sek- 
kau),  die  Sciassia,  lauter  Künstler  von  eigens  charakteristischer 
Decorationsrichtung.  Dieses  decorative  Element  bekundet  sich 
ganz  vorzugsweise  in  der  Richtung  der  Carlone  und  ihrer  Geistes- 
verwandten mit  dem  verschwenderischen  Gebrauch,  welcher  von 
der  Stuccatur  als  belebendem  Ornamentmittel  der  constructiven 
Theile  gemacht  wird.  Die  Architektur  ihrer  Kirchen  an  sich  ist 
dabei  fast  immer  eine  höchst  einfache,  so  dass  sich  diese  Phase 
des  österreichischen  Barockstiles  in  constructiver  Hinsicht  noch 
ziemlich  an  die  erste,  klösterliche  anschließt.  Ja,  nicht  selten 
präsentieren  sich  solche  Carloneske  Bauten  von  außen  in  zierlosester 


Die  Barocke. 


265 


Kahlheit,  nur  die  etwas  reichere  Fa§ade  ist  ohne  organischen  Zu- 
sammenhang mit  der  Construction  wie  eine  Theater-Coulisse  vor- 
gestellt, dafür  empfangt  uns  im  Innern  aber  ein  bisweilen  bis  zur 
Überladung  gehender  Reichthum  von  Stuccodecoration  in  allen 
Theilen.  Im  Grundrisse  huldigt  man  mit  Vorliebe  noch  dem 
Principe  der  späteren  römischen  Renaissance,  dem  einschiffigen 
Langhausbau  mit  beiderseits  angebrachten  Kapellenreihen,  deren 
Altäre  somit  mit  ihrer  Achse  senkrecht  gegen  diejenige  des  Lang- 
hauses stehen.  Oftmals  erweisen  sich  die  in  Rede  stehenden 
Künstler  als  gewandte  Umgestalter  mittelalterlicher  Kirchen,  bei 
welchen  dann  immer  die  gothischen  Seitenwände  durchgebrochen 
wurden,  um  jene  Kapellenreihen  beiderseits  anfügen  zu  können. 
Eine  Probe  davon  ist  schon  unter  Ferdinand  III.  die  äußerst 
glänzende  Barockisierung  der  alten  drei  Langschiffe  in  der  Wall- 
fahrtskirche zu  Mariazell  (die  Kuppel  und  Chorpartie  sind  in 
späterem,  strengern  Charakter  ausgeführt)  durch  Domenico  Sciassia 
1648,  ebenfalls  einen  aus  der  Gegend  von  Como  stammenden 
Meister,  welcher  auch  die  herrliche  Stiftsfa^ade  von  Sanct  Lam- 
brecht  in  Steiermark  ~  errichtet  hat.  Und  noch  bedeutsamer 
gestaltet  sich  dieses  Princip  in  dem  Umbaue  der  ehemals  gothischen 
Kirche  der  Carmeliter  auf  dem  Hofe  in  Wien,  damals  noch  den 
Jesuiten  gehörig,  welche  über  Veranlassung  der  mantuanischen 
Kaiserin  Eleonore  seit  i66a  durch  die  Carlone  auf  geniale  Art  moder- 
nisiert wurde,  bei  welcher  sie  die  Giebelconstruction  mit  Motiven 
des  profanen  Palastbaues  und  namentlich  die  monumentale  Terrassen- 
anlage großartig  zu  gestalten  wussten.  Der  Bau  wurde  für  Österreich 
von  typischer  Wichtigkeit  und  hat  dem  Stile  die  breiteste  Bahn 
gebrochen.  In  der  Kirche  der  Serviten  in  der  Rossau  begegnen 
wir  bereits  der  Hinneigung  zur  kuppelgekrönten  Centralanlage. 
Auch  sie  ist  ein  Carlonisches  Werk,  sowie  endlich  in  derselben 
Stadt  noch  die  Dominikanerkirche,  welche  mit  ihrer  römischen 
Fagade  und  dem  vornehm  reichen  Stuccoschmuck  des  Innern  als 
das  vornehmste  Beispiel  der  gedachten  Richtung  zu  betrachten 
ist  Ebenfalls  Umbau  einer  mittelalterlichen  Anlage,  erfuhr  sie  um 
1670  die  jetzige  Modernisierung.  Auch  mehrere  der  einstigen  Stadt- 
thore  Wiens  mit  ihrem  festungsmäßigen  Charakter  waren  Werke 
der  genannten  Architekten. 


266  Albert  Ilg 

In  Prag  beherrschen  um  jene  Zeit  vor  allem  die  Baumeister- 
familien der  Orsi  und  Luragho  das  Terrain.  Auch  sie  drücken 
den  alten  Bauten  das  neue  Gepräge  auf,  so  der  Ägydiuskirche  in 
der  Altstadt.  Martino  I^uragho  im  Verein  mit  Dominico  Orsi  bauen 
um  1671  am  Galluskloster,  werden  aber  durch  die  Großartigkeit, 
welche  Giovanni  Simonetti,  ein  Südtiroler,  an  dem  imposanten 
Palais  Czernin  entwickelt,  in  den  Schatten  gestellt.  Auf  die 
frühere  Barocke  von  Prag  wirkt  auch  der  Einfluss  derjenigen  von 
Genua,  namentlich  die  krause  Phantastik  des  Guarini,  wovon  sich 
einige  Nachahmungen  erweisen  lassen.  Aber  auch  Mailändisches 
zeigt  sich  im  Waldstein-Palast  (1623—27). 

In  Salzburg  begegnen  wir  einem  verwandten  Schauspiele. 
Hier  ist  es  wieder  ein  Italiener,  Gasparo  Zugalli,  welcher  vor  dem 
Auftreten  des  classischen  Meisters  der  Barocke,  J.  B.  Fischer  von 
Erlach,  tonangebend  war.  Er  war  unter  Erzbischof  Max  Gandolf 
aus  München  nach  Salzburg  berufen  worden,  wo  er  1686  die 
Erhardtkirche,  diejenige  im  Nonnthal  und  anderes  auf  theatralisch 
prachtvolle  und  reich  decorative  Weise  errichtet  hat. 

Auf  Innsbruck  erstreckte  sich  ebenfalls  in  dieser  Periode  der 
Einfluss  der  Carlone  sowie  venezianische  Richtungen.  Für  ersteren 
gibt  z.  B.  die  Kirche  der  Ursulinerinnen  (1700  begonnen)  eine 
Probe,  jene  des  Stiftes  Wilten  (1651 — 1665),  aus  einem  gothischen 
Bau  umgewandelt,  stellt  sich  als  eine  echt  Comaskische  Decoration 
von  etwas  schwerfälliger  Formensprache  dar,  desgleichen  die  Maria- 
hilfkirche daselbst  Die  von  dem  berühmten  Arzte  Guarinoni 
erbaute  Servitenkirche  zu  Volders  bei  Hall,  1654  eingeweiht,  ver- 
räth  deutlich  auch  aus  der  Spätrenaissance  herrührende  Formen, 
während  die  spätere  Stiftskirche  des  Klosters  Stams  an  die  bei 
uns  in  Osterreich  seltenen  Motive  florentinischer  Barocke  in  der 
Art  des  Buontalenti  erinnert.  Die  Innsbrucker  Jesuitenkirche  da- 
gegen hält  sich,  wie  damals  alle  dieses  Ordens,  an  das  Vorbild 
der  Mutterkirche,  S.  Gesu,  in  Rom  und  hat  strenge  constructive 
Formen,  ähnlich  auch  jene  in  Hall  und  Linz. 

Wir  könnten  Ahnliches  beinahe  von  allen  größeren  Städten 
Österreichs  in  ermüdender  Fülle  vorbringen.  Graz  und  Brunn, 
Olmütz  und  Troppau,  Linz,  Laibach  und  Klagenfurt  wurden  in 
dieser  Epoche  von  dem  Strome  der  geschilderten  Decorations- 
architektur    oberitalienischen    Gepräges    berührt.      Hervorragend 


Die  Barocke. 


267 


großartiger  sind  das  ebenfalls  Carloneske  Stift  Garsten  in  Ober- 
österreich, welches  Giovanni  Battista  Carlone  geistreich  und  prächtig 
1677 — 1693  errichtete,  endlich  Kremsmünster,  in  welchem  seit 
1680  die  Architekten  derselben  Familie  Reminrscenzen  ihres 
Schaffens  am  Passauer  Dome  effectvoU  zur  Geltung  zu  bringen 
wussten.  Auch  die  Bauten  des  Stiftes  Lambach  (1652 — 1664)  ge- 
hören hieher. 

Dasjenige,  was  wir  österreichischen  Barockstil  nennen,  ist 
übrigens  eine  proteusartige  Erscheinung,  ein  Mosaik  von  buntester 
Zusammensetzung.  Nicht  überall  treten  diese  oberitalienischen 
oder  genuesischen  Strömungen  in  jener  Zeit  so  ungetrübt  und  rein 
erkennbar  entgegen,  vielfach  mischt  sich  auch  mit  solchen  italienischen 
Einflüssen  in  sehr  energischer  Weise  das  herkömmliche  Element 
der  einheimischen  Renaissance,  jene  Stilform,  welche  in  ihrer 
letzten  Ausblüte  unsäglich  kraus  und  verwildert  geworden  war. 
Wir  haben  in  unserem  Lande  noch  unzählige  Proben  davon.  In 
der  eigentlichen  Architektur  repräsentiert  diese  wenig  erquickliche 
Richtung  noch  manches  Profangebäude,  namentlich  Bürgerhäuser 
und  kleinere  Schlösser  auf  dem  flachen  Lande,  wo  der  Grundriss 
und  der  Aufriss  mit  dem  tiefen  Flur  und  den  Giebeldächern,  Erkern 
und  hohen  Schornsteinen  sich  noch  ganz  an  das  deutsche  Renaissance- 
schema hält,  die  überladene  Ornamentik  aber  überall  schon  deut- 
lich der  neuen,  aus  dem  Süden  gekommenen  Manier  nachstrebt. 
Ein  prächtiges  Beispiel  dafür  ist  das  originelle  Eckhaus  des  katho- 
lischen Casinos  in  Innsbruck.  Ganz  besonders  aber  hat  dieser 
Ubergangsstil  in  Kircheneinrichtungen  sich  üppig  entfaltet  und 
uns  in  zahllosen  holzgeschnitzten  Altären  Paradigmen  hinterlassen, 
welche  mit  ihren  gewundenen,  mit  vergoldetem  Schnitzwerk  be- 
deckten Säulen,  hohem  Aufbau,  meist  blauem  Hintergrund  äußerst 
charakteristisch  erscheinen.  In  den  holzgeschnitzten  Figuren 
solcher  Altäre,  welche  meist  den  gemalten  natürlichen  Fleischton 
in  Verbindung  mit  vergoldeten  oder  sonst  metallisch  glänzenden 
Gewändern  zeigen,  hat  sich  hier  sogar  noch  ein  später  Überrest 
der  Fassung  von  mittelalterlichen  Flügelaltären  erhalten. 

Dagegen  tritt  mit  dem  Fortschritte  des  Barockstiles  die  Behand- 
lung des  Holzes  im  Naturton  immer  mehr  in  den  Hintergrund, 
namentlich  dort,  wo  dieses  Material  architektonisch  verwendet 
wird,  wie  z.  B.  bei  der  Ausstattung  von  Interieurs.    Für  die  deutsche 


268  Albert  Ilg 

Renaissance  ist  das  Täfelwerk  der  Wände  und  der  Holzplafond 
etwas  Wesentliches.  Zwischen  diesen  warm  wirkenden  Verklei- 
dungen war  für  die  Werke  des  Pinsels  nur  in  dem  herumlaufenden 
Friese  über  den  Wandlambris  und  in  den  Feldern  der  Decke 
Spielraum  gelassen.  Auch  hier  tyrannisierte  die  Tischlerei  die 
große  Kunst,  und  es  hat  sich  darum  das  monumentale  Fresco  in 
der  deutschen  Renaissance  nie  entwickeln  können.  Schon  mit 
den  oben  geschilderten  Anfangen  des  Barockstiles  trat  eine  Wendung 
ein.  Zunächst  verdrängte  die  Stuccatur  Holzconstruction  und 
Decoration.  Die  Intarsia  (eingelegte  Holzverzierung)  kommt  in 
Abnahme,  an  die  Stelle  der  Decorationen  in  der  Fläche  oder  bloßen 
architektonischen  Profilierungen  im  Holzmaterial  tritt  nun  das  Stucco 
mit  seiner  Plasticität,  mit  seinem  lebhaften  Spiel  von  Licht  und 
Schatten,  endlich  mit  den  höchst  bewegten  malerischen  Formen 
statt  der  geometrischen  Omamentation  von  früher.  Die  ältere 
Periode,  wie  sie  durch  die  Carlone  charakterisiert  wird,  hält  sich 
meistens  noch  an  den  gleichmäßigen  weißen  Kalkton  der  Stuccaturen, 
doch  kommen  auch  bereits  theilweise  Vergoldungen  vor,  wie  einige 
der  Seitenkapellen  in  Mariazell  oder  der  runde  Saal  im  Castel  di 
buon  consiglio  in  Trient  prachtvolle  Proben  darbieten.  Das  ganz 
polychrom  bemalte  Stucco  begegnet  erst,  und  auch  da  nicht  allzu- 
häufig, in  der  Periode  Karls  VI.  und  später. 

In  der  Decoration  der  Plafonds  vollzog  sich  nun  allmählich 
ein  merkwürdiger  Fortschrittsprocess.  Hatte  die  Stuccatur  mit 
ihrem  üppigen  Prunk  auch  die  einfache  Täfelung  der  früheren 
Zeit  hier  verdrängt,  so  blieb  doch  auch  noch  bei  dieser  neuen  Ver- 
zierungsweise beiläufig  bis  gegen  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts  die 
Anordnung  mustergiltig,  dass  auch  die  Stuccatur  an  der  Decke, 
wie  früher  die  Holzverkleidung,  sich  in  verschiedene  Felder  ein- 
theilte,  innerhalb  welcher  dann  die  Frescomalerei  zum  Worte  kam, 
jedoch  auch  noch  nicht  bedeutender  und  großartiger  als  in  der 
deutschen  Renaissance.  Es  bilden  sich  zwischen  den  Stuccaturen 
cartouchenartige  Offnungen,  Ovale,  Kreise,  Vierecke  und  andere 
Vertiefungen,  in  welchen  der  Pinsel  zwar  seines  Amtes  waltet, 
aber  nur  in  bescheidenen  Dimensionen  und  mit  kleinen  Figürchen 
zu  wirken  vermag.  Sehr  beliebt  ist  daher  an  solchen  Stellen  die 
Anbringung  der  dem  spielenden  Geiste  des  Jahrhunderts  überhaupt 
sehr  angemessenen  rebusartigen  Embleme,  Imprese,  Icones  u.  dgl. 


Die  Barocke. 


269 


wie  wir  sie  als  Devisen  von  fürstlichen  Geschlechtern,  Illustrationen 
von  Wahlsprüchen  etc.  so  häufig  vorfinden.  Erst  als  die  Entwick- 
lung des  Barockstiles  im  größeren  architektonischen  Geiste  die 
zwar  malerische,  aber  doch  kleinliche  und  überhäufte  Pracht  des 
banalen  Stuccaturwesens  durch  mächtige  constructive  Formen  rein 
architektonischer  Natur  ersetzt  hatte,  als  die  Flachdecke,  das  Spiegel- 
gewölbe und  die  Kuppelschale  in  einer  späteren  Periode  von  dem 
krausen  plastischen  Zierat  mehr  befreit  worden  war,  da  erst 
konnten  sich  die  Schöpfungen  der  Palette  dehnen  und  recken  und 
zur  Kolossalität  des  monumentalen  Frescos  gedeihen.  Es  würde 
zu  weit  führen,  von  jener  älterien  Gattung  der  in  die  Stuccofelder 
eingekapselten  Malereien  viele  Beispiele  aufzuzählen,  sie  liegen 
übrigens  sehr  nahe  und  sind  fast  in  allen  der  aufgeführten  Kirchen 
der  in  Rede  stehenden  Periode  zu  sehen.  Zu  erwähnen  wäre  nur 
seiner  Bedeutung  halber  ein  Künstler,  welcher,  wie  es  scheint, 
wenn  nicht  als  Bahnbrecher,  so  doch  als  einer  der  hervorragendsten 
Vertreter  der  Richtung  in  Osterreich  zu  betrachten  ist,  der  aus 
dem  Mailändischen  gekommene  Carpoforo  Tencala,  welchen  alte 
Berichte,  wenn  auch  übertrieben,  feiern,  dass  er  das  Fresco  wieder 
zu  uns  gebracht  habe.  Von  ihm  sind  die  schönsten  Deckengemälde 
in  dem  reichgeschmückten  Trauttmansdorffischen  (jetzt  Lam- 
bergischen)  Schlosse  Trautenfels  in  Steiermark,  jene  der  Domini- 
canerkirche in  Wien,  aber  er  hat  seine  Thätigkeit  selbst  weit  hin- 
ein nach  Mähren  ausgebreitet.  Gegenüber  all  diesen  noch  immer 
einigermaßen  mit  den  Traditionen  der  deutschen  Renaissance  zu- 
sammenhängenden Erscheinungen  bekundet  die  Epoche  der 
Stuccaturblüte  auch  wieder  echt  südliche  Symptome,  so  gibt  sich 
z.  B.  in  ihrer  Vorliebe,  die  Eingänge  der  Seitenkapellen  im  Stile 
von  Triumphpforten  mit  lagernden  Michelangelesken  Zwickelfiguren 
zu  gestalten,  ferner  in  der  fast  immer  wiederkehrenden  Schmückung 
der  Wandpilaster  mit  geflügelten  Engelsköpfen  und  grotesken- 
artigen hängenden  Trophäen,  endlich  aber  überhaupt  in  der 
Bevorzugung  des  figuralen  Elements  das  Italienische  kund.  Für 
die  Triumphbogen  haben  wir  glänzende  Paradigmen  an  den  Kapellen 
der  genannten  Kirche  am  Hof  in  Wien  von  Silvestro  Carlone,  für 
jene  der  Pilastermotive  schon  ein  sehr  frühes  Beispiel  in  der 
Kirche  der  Inviolata  zu  Riva  am  Gardasee  von  dem  Römey 
David  Retti. 


270  Albert  Ilg 

Man  muss  bei  der  Beurtheilung  dieser  Dinge  in  Osterreich 
den  Blick  aber  immer  auf  das  Mutterland  des  Stiles,  Italien,  zurück- 
lenken.    Hier  vollziehen  sich  alle  Processe  des  Werdeganges  natür- 
lich viel  früher,  oft  um  ein  halbes  Jahrhundert  und  mehr.    Während 
also  die   Anfange  der   Barocke  diesseits  der  Alpen  erst  ziemlich 
langsam  Wurzel  gefasst  haben,  von  ihren  Importeuren  in  die  Hände 
der  einheimischen  Meister  übergegangen  sind,   sich   dort  sogleich 
mit  den  Elementen  der  noch  sehr  widerstandskräftigen  deutschen 
Renaissance  vermischten  und  auf  diese  Weise  schon  wieder  eine 
Trübung  entstanden  war,  welche  man  gewissermaßen  eine  Barocki- 
sierung  der  Barocke  nennen  könnte,  der  aber  ein  locales  Gepräge 
nicht  abzusprechen  ist,    hatte   sich   im   Süden  längst  schon  eine 
reformierende  Tendenz  gegen  jene  ursprüngliche  Färbung  des  Stiles 
mächtig  geltend  gemacht.     Die  ersten  Erscheinungen  der  Barocke 
in    Italien    gehen   von    der   Nachahmung    und    Uberbietung    des 
Michelangelesken  aus.     Dadurch  wurde  der  ganzen  Kunstweise  der 
dominierende  Charakter  des    eminent  malerischen  Princips  aufge- 
drückt,   welchen  sie  auch  trotz  aller  Reformen  im  ganzen  bis  zu 
ihrem  Ende  bewahrt  hat.    Malerisch  ist  in  diesem  Stil  die  wirkungs- 
volle Anlage  des  Grundrisses,  die  große  Bedeutung  des  Perspecti- 
vischen,  die   Erzielung    von    Schatten-    und   Lichteffecten    durch 
gekrümmte    und    geschweifte    Flächen,    die    Scheinwirkung    der 
coulissenmäßigen  Fagaden,    welclue  sich  um  das  konstructive  des 
Inneren  nicht  kümmern;  malerisch  das  gesammte  Streben  auf  den 
EflFect  und  die  Loslösung  der  wild  umherschwärmenden  Ornamentik 
von  den  Gliedern  des  architektonischen  Grundkörpers;  malerisch 
endlich  der  unersättliche  Drang  nach  Leben  und  Bewegung  aller 
Theile  sowie  nach  Farbe,    Glanz   und  Gold.     In  immerwährender 
Übertreibung  war  diese    Richtung   endlich  oft  bis  zum    Sinnver- 
wirrenden, Bizarr-phantastischen,  ja  Ausgelassenen  und  Verwilderten 
gekommen,  wovon  manche  Schöpfungen  eines  Borromini,   Guarini 
u.  a.  als  classische  Zeugnisse  dastehen.     Ein  Italiener  selbst,    der 
zu  den  reformatorischen  Gegnern  der  Manier  gehörte,    hat  diesem 
extravaganten  Wesen  den  treffenden   Namen   des  stilo   papagallo 
—  Papageienstil  —  gegeben.     Die  Entartung  der  Plastik  trug  dazu 
nicht  unwesentlich  bei.  In  diesem  Kunstzweige  war  jedes  Bewusstsein 
von  seinen  Grundgesetzen   der  Bewegung  in  der  Ruhe  und  der 
Ruhe  in  der  Bewegung   abhanden  gekommen  und  ins  Gegentheil 


Die  Barocke.  271 

verkehrt  worden.  Die  Grenzen  der  Künste  verschwanden,  und  der 
Strom  des  Malerischen  flutete  schrankenlos  ins  Schwestergebiet 
über.  Die  höchste  Aufregung,  die  glühendste  Leidenschaft,  alle 
Stürme  der  Seele,  welche  der  Maler  kaum  mit  all  den  reichen 
Mitteln  seiner  Technik,  ja  kaum  der  Dichter  mit  den  Worten  der 
,  Sprache  zu  schildern  vermag,  bemühte  sich  nun  der  Meißel  im 
kalten,  starren,  weißen  Steine  auszudrücken.  Und  was  durch  den 
bloßen  physiognomischen  Ausdruck  dabei  nicht  gelingen  wollte, 
dazu  mussten  heftige,  wilde,  zuckende  Bewegungen  des  Körper- 
lichen beihelfen,  und  schließlich  theilte  sich  dieses  malerische 
Fieber  selbst  den  materiellen  Nebendingen  mit,  so  dass  die 
Gewänder,  Haare  und  Locken  nur  mehr  wehend  und  fliegend  dar- 
zustellen für  möglich  gehalten  wurde.  Ja  selbst  die  unplastischesten 
Dinge,  Wolken,  Thränen,  Windhauche,  Geistererscheinungen 
mussten  sich  aus  dem  harten  Marmor  herausschlagen  lassen  oder 
wurden   in   Gips   geformt. 

Mit  dieser  Charakterisierung  wollen  wir  aber  keineswegs  den 
hergebrachten  Tadel  über  die  Unnatur  dieser  Kunst  wiederholen; 
sie  mag  es  uns  so  nach  verändertem  Geschmacke  von  heute 
scheinen,  aber  sie  ist  es  nicht,  weil  sie  der  Natur  ihres  Zeit- 
geistes vollkommen  entsprach.  Das  Gesammtbild  dieser  Zeit 
zeigt  dasselbe  nervöse,  zuckende  Fiebern  aller  Gedanken  und 
Empfindungen.  Ebenso  himmelhoch  jauchzend  und  zum  Tode 
betrübt,  ebenso  leidenschaftlich  maßlos  von  Extrem  zu  Extrem 
stürzend,  das  Leben  theilend  zwischen  dem  goldschimmernden 
Prunksaale  des  Fürstenpalastes  und  der  Geißelzelle  des  Mönches. 
Schon  die  Renaissance  Italiens  hat  neben  den  mannigfachen  freien 
Verbindungen,  welche  der  Kunstgeschmack  eingegangen  war,  eine 
von  Zeit  zu  Zeit  hervortretende  Richtung  gewiesen,  deren  Streben 
dahin  gegangen  war,  diese  mit  der  Zeit  entstandenen  Übertreibungen 
immer  wieder  zu  reinigen.  Neben  den  Praktikern,  welche  dem 
Zeitgeschmack,  den  localen  Verhältnissen,  ja  dem  Geschäfte 
huldigten,  gab  es  schon  seit  den  Tagen  Leon.  Battist  Albertis, 
Filaretes  u.  a.  Theoretiker  der  Architektur  der  Renaissance.  Es 
waren  Künstler,  die  zugleich  Gelehrte  gewesen  sind.  Ihnen  allen 
schwebte  die  Monumentenwelt  des  Römerthumes  als  Ideal  vor 
Augen,  und  Vitruvs  architectura  war  der  codex,  auf  dem  ihre 
künstlerischen  Grundsätze  fußten.    Naturgemäß  musste  das  Schlag- 


272  Albert  Ilg 

wort  solcher  Meister  wie  das  jeder  Reform  immer  lauten:  Rück- 
kehr  zur  Einfachheit  statt  bunter  Üppigkeit  und  Phantastik;  Be- 
achten der  althergebrachten  Gesetze  statt  modehafter  Willkür  und 
Schrankenlosigkeit.  Ihre  Anwendung  der  Architektur  auf  die 
Bedürfnisse  des  Tages  war  immer  bestrebt,  das  Neue  an  die  alten 
Formen  zu  binden,  sie  sprechen  immerfort  von  Basiliken  und 
Atrien,  auch  wo  es  sich  um  Paläste  italienischer  Geschlechter  des 
XVI.  Jahrhunderts  handelt,  während  die  von  ihnen  bekämpfte 
Richtung,  sorglos  um  das  HÄkömmliche  und  Antiquarische,  neuen 
ihr  selber  unbewussten  Zielen  der  Zukunft  entgegenstrebt. 

Diese  merkwürdige  Tendenz  geht  während  der  ganzen  Periode 
der  Barocke  mit  deren  größten  Übertreibungen  parallel.  Immer, 
durch  das  ganze  XVI.,  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert,  gehen 
diese  strengen,  ernsten  Mahner  der  Theorie  neben  den  ausge- 
lassensten Tollhäuslern  des  Überschwanges  einher,  und  dieses  ist 
der  Verlauf  des  Processes.  Nachdem,  wie  wir  gesehen  haben,  die 
mönchische  Ascetik  der  katholischen  Gegenreformation  die  Barocke 
schier  im  härenen  Kleide  des  Mönchsthums  diesseits  der  Alpen 
eingeführt  hatte,  schlägt  der  Stil  rasch  in  maßlose  spielende 
Uberschwenglichkeit  um,  welche  eine  Reaction,  eine  Cur  auf  dem 
Wege  der  Theorie  nothwendig  macht.  Man  greift  auf  diese 
antikisierenden  Lehrmeister  zurück  und  fällt  zunächst  in  eine 
gewisse  kalte  Nüchternheit,  die  aber  durch  Ruhe  und  Größe  der 
Erscheinung  unleugbaren  Wert  besitzt,  bis  endlich  nach  dem 
Anfange  des  XVIII.  Jahrhunderts  hohe  geniale  Geister  auf  solcher 
Bahn  zum  classischen  Gipfelpunkt  des  Stiles  vordringen.  Von  da 
an  geht  es  abwärts.  Der  duftige  Blütenregen  des  Rococo  über- 
deckt zwar  eine  Zeit  lang  noch  die  Steifheit  der  immer  mehr  an 
Macht  gewinnenden  Theoretik,  aber  nach  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts erhebt  der  geistlose,  pedantische  Schulmeister  immer 
kühner  sein  Haupt,  und  der  ehemalige  mächtige  Strom  des  Barocco 
versandet  endlich  trostlos  in  dem  akademischen  Doctrinarismus  des 
classicistischen  und  Empirestiles,  sammt  weiteren  immer  uner- 
freulichen Consequenzen. 

Die  großen  Namen,  an  welche  sich  die  theoretische  Sanierung 
der  beginnenden  Barocke  in  Italien  knüpft,  sind  vor  allem  Barozzi- 
Vignola,  Serlio  und  Palladio.  Jeder  von  diesen,  noch  dem  XVI. 
Jahrhundert  angehörigen  Architekten  war  in  verschiedener  Weise 


Die  Barocke.  2  7 '2 

gebildet  und  gelangte  zu  verschiedenen  Resultaten,  aber  gleich- 
mäßig giengen  sie  vom  gewissenhaften  Studium  altrömischer  Bau- 
kunst aus  und  zeigen  ihre  doctrinäre  Richtung  schon  dadurch, 
dass  jeder  von  ihnen,  vom  Ideale  seines  Vitruv  begeistert,  Lehr- 
bücher über  die  Architektur,  Theorien  über  die  Säulenordnungen 
hinterlassen  hatj  welche  unablässig  bis  ins  XVIII.  Jahrhundert 
die  Bildungsquelle  der  Späteren  abgegeben  haben.  Auf  diese 
Geister  griflF  man  nun  zurück,  wo  in  allen  Landen  man  sich  aus 
dem  Wirrsal  der  überhandnehmenden  Willkür  nach  Einfachheit 
zurücksehnte,  nicht  nur  in  Osterreich.  Ganz  besondere  Bedeutung 
haben  diese  Theoretiker  auch  für  die  Barocke  Frankreichs,  wo 
ja  Serlio  gelebt  und  gewirkt  hatte.  In  diesem  Lande  ist  die 
purificierende  Tendenz  von  stetiger  und  energischester  Fortwirkung, 
hier  kam  auch  das  akademische  Wesen  am  frühesten  zum  Durch- 
bruch, aber  die  Bewegung  in  Frankreich  ist  eine  Sache  fiir  sich 
und  hat  mit  derjenigen  in  Osterreich  während  der  eigentlichen 
Barocke  absolut  nichts  zu  thun.  Sie  hat  dorthin  gewirkt,  nach 
Ländern,  wo  die  directe  Berührung  mit  Italien  nur  eine  schwache 
war;  daher  ist  das  nördliche  Deutschland,  Polen  und  Russland  von 
der  Barocke  Frankreichs  beherrscht.  Osterreich  aber,  Italiens  Nach- 
bar, hat  directe  Beziehungen  mit  dem  Urquell  des  Stiles  gehabt 
und  beugt  erst  in  dessen  allerletzter  Phase,  sowie  in  der  Rococo- 
periode  sein  Haupt  gleichfalls  dem  dominierenden  Einfluss  von  Paris. 
Für  Osterreich  ist  neben  den  genannten  großen  Theoretikern 
der  Spätrenaissance  in  ganz  besonderer  Weise  ein  anderer  Architekt 
Italiens  von  großer  Bedeutung,  Vicenzo  Scamozzi,  um  die  Wende 
des  XVI.  und  XVII.  Jahrhunderts  thätig;  er  ist  allerdings  kein 
so  strenger  schulmäßiger  Reconstructeur  im  Sinne  der  römischen 
Antike  wie  die  genannten,  ja  es  fehlt  ihm  bisweilen  nicht  selbst 
an  einem  ziemlich  phantastischen  Zug  sowie  an  Streben  nach  Effect, 
aber  er  hat  doch  wie  jene  durch  eine  gewisse  stolze  Schlichtheit 
seines  Stils,  durch  grandios  einfaches  Wirkungsvermögen  und  durch 
die  Ablehnung  aller  kleinlichen  theatralischen  Tändelei  in  enormem 
Grade  mustergebend  gewirkt.  Dazu  kommt,  dass  sein  Lebeusgang 
gerade  unser  Vaterland  direct  berührte.  Nicht  nur  dass  auch 
seme  Architekturschriften  frühzeitig  in  Osterreich  mächtige  Ver- 
breitung fanden,  er  selbst  hat  nicht  nur  in  Oberitalien  zahllose 
Bauten  errichtet,    sondern  war  auch   in  Prag  und  Galizien  thätig, 

KuDstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  l8 


274  Albert  Ilg: 

baute  bei  uns  Kirchen,  Paläste  und  Festungswerke,  endlich  was 
das  Wichtigste  ist,  er  entwarf  nach  der  1598  stattgehabten  Ver- 
nichtung des  romanischen  Domes  von  Salzburg  acht  Jahre  später 
den  Entwurf  eines  Planes  für  einen  neuen  daselbst,  welcher  die 
großartigste  Kirchenaiiiage  in  Deutschland  geworden  wäre,  wenn 
man  die  Inangriffnahme  desselben  gewagt  hätte.  Es  wäre  ein 
stolzer  Prachtbau  von  kreuzförmiger  Anlage  mit  drei  Schiffen, 
centraler  Kuppel  und  im  Halbkreis  abgeschlossenen  Querarmen 
geworden.  Die  Vorlage  bildete  ein  dreitheiliger  Narthex,  über 
welchem  an  der  Fagade  zwei  gewaltige  Thürme  emporstehen. 
Der  Grundriss  ist  ein  Mustergebilde  von  erquickender  Klarheit, 
die  Raum  Verhältnisse  von  großartiger  Ebenmäßigkeit  und  der 
reine  constructive  Gedanke  in  seiner  Sieghaftigkeit  gerade  gegen- 
über dem  unlogischen  und  willkürlichen  der  früheren  Kirchen- 
anlagen so  überaus  wohlthuend,  als  bei  denselben  in  der  Regel 
die  Innenräume  in  ihrer  Disposition  zu  der  Außenwirkung  in  einem 
nur  theatralisch  lügenhaften  Schein  Verhältnis  stehen.  Aber  Scamozzis 
Project  erlebte  die  Ausführung  nicht.  In  dem  bestehenden  Dome  der 
alten  Bischofsstadt  steht  nur  eine  abgeschwächte  Nachbildung  vor 
unseren  Augen  (siehe  Abb.  54).  Ihr  Urheber  gehört  wieder  einer 
comaskischen  Baumeisterfamilie  Oberitaliens  an,  den  Solari  vom 
Luganersee,  welche,  in  zahllosen  Mitgliedern  vertreten,  seit  dem  XVI. 
Jahrhundert  nicht  nur  in  Italien,  sondern  auch  in  Südtirol,  in  Wiener- 
Neustadt  und  an  anderen  Orten  Österreichs  thätig  erscheinen.  Der 
Architekt  des  jetzigen  Salzburger  Domes,  Santino  Solari  (1576  bis 
1646),  ist  ein  verständnisvoller  und  geistreicher  Vereinfacher  des 
übergewaltigen  Projects  Scamozzis  gewesen  und  hat  uns  in  seinem 
Werke  noch  immer  eine  der  herrlichsten  Schöpfungen  barocker 
Kirchenbaukunst  auf  nicht  italischer  Erde  hinterlassen.  Wie 
mächtig  solche  Vorbilder  auch  noch  in  späteren  Jahrzehnten 
gewirkt  haben,  zeigt  ein  Blick  auf  den  jüngeren  Theil  d.  h.  das 
Querschiff"  und  den  Chor  der  Kirche  in  Mariazell,  welche  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  unter  dem  Einflüsse  des  alten  Fischer  von 
Erlach  entstanden  sein  dürften.  Hieher  gehört  auch  die  Stiftskirche 
zu  Pöllau  in  Steiermark  (1701— 1709).  Ein  anderes  glänzendes  Bei- 
sjpiel  liefert  die  Peterskirche  in  Krakau(i597 — 1619),  3eren  imposante, 
ruhig  wirkende  Hallen  von  Giuseppe  Bucci  begonnen  xmd  von 
dem  mailändischen  Jesuiten  Bernardoni  vollendet  wurden  (s.  Abb.  55). 


Abb,  5j.     Fettrskirclie  in  tCrakau. 


Die  Batx>cke. 


275 


Endlich  steht  einige  Schritte  vom  Salzburger  Dome  in  Fischers 
von  Erlach  großartiger  Universitätskirche  ein  Zeugnis  vor  unseren 
Augen,  welches  die  unmittelbare  Anregung  an  Ort  und  Stelle 
documentiert 

Wenn  hier  die  einzelnen  Entwicklungsphasen  des  Stiles 
knapp  zu  charakterisieren  der  Versuch  gemacht  wird,  so  kann 
nur  nicht  genug  vor  einem  Irrthume  gewarnt  werden,  welcher 
gewöhnlich  aus  der  Leetüre  derartiger  allgemeiner,  übersichtlicher 
Darstellungen  zu  erwachsen  pflegt;  man  hüte  sich  sehr  zu  glauben, 
dass  auch  in  der  österreichischen  Barocke  diese  verschiedenen 
Gestaltungen  so  genau  nach  dem  Capitel  des  Lehrbuches  abwech- 
selten und  auf  einander  folgten.  Es  handelt  sich  da  um  die 
Bezeichnung  von  großen  Hauptströmungen,  dieselben  giengen 
auch  mächtig  durch  das  Ganze,  aber  auf  die  erste,  mönchisch 
strenge  Richtung  folgt  nicht  überall  gleich  in  den  weiten  Erb- 
landen die  fröhliche  Decorationskunst  der  Comasken  und  dann 
wieder  die  purificierende  Classicistik,  sondern  das  alles  flutet  fast 
beinahe  noch  bis  zum  Schlüsse  der  Barocke  bunt  durcheinander. 
Hier  sind  die  localen  Verhältnisse  die  entscheidenden,  aber  auch 
andere.  Klosterarchitekturen  hielten  sich  noch  spät  im  XVIIL 
Jahrhundert  an  die  Kühlheit  der  Ferdinandischen  Bauart,  ärmere 
und  entlegenere  Landkirchen  bewahrten  mit  dem  billigeren  Mate- 
riale  des  Holzes  lange  noch  jene  Formen  der  Altäre,  in  denen 
die  Barocke  schon  aus  technischen  Gründen  von  Reminiscenzen 
der  deutschen  Renaissance  durchdrungen  ist,  und  namentlich  im 
Profanbau  des  Palastes  und  Bürgerhauses  hat  die  oberitalische 
Stuccodecoration  das  Terrain  dem  classischen  Constructionsbau 
fast  niemals  abgetreten.  Wie  sehr  das  Material  hier  entscheidend 
wirkt,  zeigt  sich  z.  B.  im  äußersten  Süden  des  Reiches;  die  Kirchen 
Laibachs  und  anderer  Orte  in  Krain,  viele  im  Küstenland,  auch  in 
Südtirol  haben  durch  den  Marmorreichthum  jener  Provinzen  in 
ihren  Altarbauten  ein  eigenes  Gepräge,  sie  schließen  sich  gewissen 
italienischen  Formen  an,  welche  mit  diesem  kostbaren  Stofie  in 
stilistischem  Zusammenhange  stehen,  und  hier  waltet  deshalb  der 
römische  Einfluss  einer  allerdings  späteren  Epoche  vor. 

Das  Ende  des  XVII.  Jahrhunderts  wird  durch  eine  höchst 
interessante  Künstlererscheinung  bezeichnet,  welche  auf  dem 
italischen  Boden,  auf  dem  sie  künstlerisch  erwachsen  ist,  zwar  an 


276  Albert  Ilg 

Verwandtes  angrenzt,  für  unsere  Heimat  aber  vollkommen  originell 
hervortritt  und  ein  höchst  folgenreiches  Wirken  entwickelte.  Man 
kann  von  dem  berühmten  Fra  Andrea  dal  Pozzo  (1642— 1709)  nicht 
sprechen,  ohne  seines  Ordens  zu  gedenken,  aus  dessen  ganzem 
Geiste  sein  Kunstempfinden  hervorgegangen  ist.  Schon  oben  war 
davon  die  Rede,  dass  die  Gesellschaft  Jesu  die  Aufgabe  der  Gegen- 
reformation von  einem  der  Maxime  der  strengen  Mönchsorden 
Carmeliter,  Kapuziner  etc.  entgegengesetzten  Standpunkte  auffasste. 
Sein  Geist  ist  ein  aristokratisch  herrschender,  das  Äußerliche 
wählt  er  nach  den  Gesichtspunkten  fürstlichen  Glanzes,  geistig 
wirkt  er  durch  hohe  wissenschaftliche  Bildung  und  vollendete 
Formen  des  umgänglichen  Verkehres.  Der  mächtige  Einfluss  der 
societas  umfasste  alle  Monarchen,  den  ganzen  Adel  und  die  Gelehrten- 
welt des  Katholicismus;  sie  ersah  wohl,  dass  ei;iem  so  mächtigen 
Wirken  ein  prunkvoller  Rahmen  geboten  werden  müsse,  und  begriflf 
ferner  sehr  gut,  wie  sich  solche  Prachtentfaltung  mit  dem  kunst- 
liebenden und  Phantasie  vollen  Wesen  der  südlicheren  Nationen 
und  also  auch  der  stets  von  südlicher  Cultur  durchdrungenen 
Österreicher   herrlich    vertrage. 

Der  Jesuitenorden  verfügte  in  seinen  über  die  ganze  Welt 
verbreiteten  großartigen  Institutionen  über  so  reiche  Mittel  der 
wissenschaftlichen  und  technischen  Unterweisung,  dass  es  nicht 
wundernehmen  kann,  wenn  wir  eine  ganze  Armee,  wie  von 
Gelehrten,  so  auch  von  Künstlern  aus  seinen  Reihen  hervorgehen 
sehen,  die  dann  einmüthig  alle  ihre  Kräfte  den  Zielen  des  Ordens 
widmeten.  Auch  ein  Pozzo  fand  daher  schon  als  Knabe  im  Kloster 
jenen  Unterricht  in  Mathematik  und  Perspective,  welche  ihn  später 
zum  größten,  fast  übermüthigen  Virtuosen  der  Perspectivmalerei 
und  architektonischen  Scheindecoration  gemacht  haben.  Er  wirkte 
wohl  schon  in  jungen  Jahren  an  jenen  lateinischen  Schülerfesten  und 
ludi  scenici  mit,  für  welche  er  später  so  unübertroffen  großartige, 
von  der  fruchtbärsten  Phantasie  zeugende  Theater  entwarf  (Siehe 
Abb.  56.)  Die  prachtvolle  Ordenskirchie,  welche  Vignola  den  Jesuiten 
in  Rom  gebaut  hatte,  der  erhabene  Bau  des  Gesu,  zeitigte  in  unserm 
Pozzo  jene  Gedanken,  mit  welchen  er,  an  der  einfacheren  Größe 
jenes  Meisters  ansetzend,  das  Kunstprincip  seines  Ordens  bis  zu 
jenem  Gipfelpunkt  steigerte,  welcher  Architektur  und  Decoration 
des   Gotteshauses   fast   bis   zur  Jubelhymne    in    der    Sprache    der 


1  Andrea  dal  Pozz. 


Die  Barocke. 


277 


bildenden  Kunst  zu  erheben  weiß.  Sein  erstes  Werk  für  Österreich 
ist  der  reich  geschmückte,  übrigens  nur  im  Innern  bedeutende 
Dom  von  Laibach.  Nachdem  er  dann  in  seiner  Vaterstadt  Trient 
die  Seminarkirche  errichtet  und  eine  kurze  Zeit  in  Bamberg  ge- 
weilt hatte,  entfaltete  der  wunderbare  Mann  in  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  (seit  1705)  eine  fast  unbegreifliche  Thätigkeit,  welche 
durchaus  Wien  gewidmet  ist.  Als  Architekt  wie  als  Maler  gleich- 
bedeutend thätig,  hat  er  hier  sein  Meisterwerk,  die  prachtstrahlende 
Ausmalung  der  Universitätskirche  geschaffen,  wobei  er  an  den  Grund- 
typus der  älteren  Michaelskirche  seines  Ordens  in  München  anknüpfte, 
den  älteren  Renaissancecharakter  dieses  Baues  aber  geradezu  genial 
in  barocke  Pracht  zu  übersetzen  verstand  und  die  bunte  Stucco- 
architektur  ebenso  meisterhaft  wie  die  überreichen  täuschenden  Per- 
spectivmalereien  des  Tonnengewölbes  mit  eigener  Hand  zu  bemei- 
stern  wusste.  Eine  nicht  minder  imposante  Meisterleistung  ist  sein 
Riesenplafond  mit  den  Thaten  des  Hercules  im  großen  Saale  des 
fürstlich  Liechtensteinischen  Palastes  in  der  Rossau;  neben  diesen 
beiden  umfangreichen  Werken  malte  er  in  dieser  kurzen  Zeit  auch 
noch  die  Plafonds  in  der  alten  Universitätsbibliothek,  im  natur- 
historischen Cabinet  der  ehemaligen  Jesuitenuniversität,  im  kaiser- 
lichen Lustschloss  Favorita  (Augarten),  in  den  Kirchen  der 
Dominicaner  und  bei  St.  Anna.  Was  das  rein  Architektonische  an 
seinen  Entwürfen  anbelangt,  so  lehnt  er  sich  in  manchen  Dingen 
an  Borromini  an,  aber  es  lebt  in  seiner  Formensprache  und  Orna- 
mentik auch  gar  vieles,  was  seine  Herkunft  aus  den  schon  voraus- 
gegangenen Phasen  des  Barockstiles  auf  deutscher  Erde  nicht  ver- 
leugnen kann.  Pozzos  Einfluss  ist  mannigfach  in  Österreich  und 
Deutschland  zu  verspüren,  besonders  wo  Niederlassungen  seines 
Ordens  waren.  Hervorragend  nennen  wir  die  majestätische  Jesuiten- 
kirche in  Görz  mit  dem  gemalten  Hochaltar  von  dem  Jesuiten- 
laienbruder Christoph  Tausch,  der  auch  in  Schlesien  baute;  den 
prunkreichen  Marmoraltar  von  Pozzos  Bruder  Lorenzo,  gleichfalls 
Jesuiten,  in  der  Pfarrkirche  zu  Bozen,  sowie  den  noch  prächtigeren 
bei  den  Carmelitern  in  Trient;  endlich  ist  der  Hochaltar  in  der 
Domkirche  zu  Klagenfurt  eine  directe  Wiederholung  von  dem- 
jenigen in  der  Wiener  Universitätskirche. 

Von  ganz  anderer  Art  zeigt  sich  ein  für  Wien  und  Österreich 
sehr  wichtiger  Künstler,   dessen  Stilrichtung  zum  Theil  durch  die 


27S  Albert  Ilg 

Barocke  Venedigs,  zum  Theil  durch  die  bolognesische  Art  bestimmt 
war,  Lodovico  Ottavio  Burnacini,  ein  gebürtiger  Friuleser  und 
Verwandter  des  berühmten,  um  den  Entsatz  von  Wien  1683  ver- 
dienten Kapuziners  Marco  Aviano,  der  ihn  an  Kaiser  Leopold 
empfahl.  Übrigens  entstammt  auch  er  aus  einer  Künstlerfamilie, 
welche  schon  seit  früher  zu  Osterreich  Beziehungen  hat.  Seine 
Thätigkeit  zeigt  ein  außerordentlich  merkwürdiges  Janusgesicht. 
In  seinen  für  die  Dauer  bestimmten,  ernstgemeinten  Bauten  ist  er  kahl 
und  trocken,  wie  das  z.  B.  der  Leopoldinische  Tract  der  Wiener 
Burg  beweist,  dagegen  entfaltet  er  eine  überreiche  Phantasie  und 
glänzenden  Prunksinn  in  seinen  zahlreichen  Theaterscenerien,  mit 
welchen  er  für  den  die  Oper  außerordentlich  liebenden  Kaiser 
zeitlebens  (er  starb  sehr  alt  1707)  beschäftigt .  war.  In  letzterer 
Hinsicht  bildet  er  den  Übergang  zu  den  Bibiena,  welche  allerdings 
für  Osterreich  die  eigentlichen  Classiker  der.  barocken  Prachtent- 
faltung  genannt  werden  müssen.  Burnacini  als  der  Liebling  des 
Kaisers  erklomm  die .  höchsten  Ehrenstellen  am  Hofe,  war  zu 
Wien,  Ebersdorf,  Laxenburg  etc.  reich  beschäftigt  und  übte  zeit- 
lebens einen  gewissen  Druck  auf  die  übrigen  Architekten  aus, 
unter  welchen  sich  der  damals  noch  jugendliche  J.  B.  Fischer, 
dessen  Vorgesetzter  er  war,  ziemlich  mühsam  emporarbeiten 
musste.  Sein  eminent  decorativer  Sinn  bewies  sich  nicht  bloß  in 
der  feenhaften  Inscenierung  des  pomo  d'oro  und  anderer  Theater- 
stücke, sondern  tritt  auch  in  einzelnen  Monumentalwerken,  wie  in 
dem  oberen  Theile  der  Pestsäule  am  Graben  zu  Tage. 

Die  zahlreiche  Famijie  der  Galli-Bibiena  reicht  bis  ins  XVI. 
Jahrhundert  zurück  und  ist  mit  der  Malerschule  der  Carracci  innig 
verbunden.  Ihr  Vorfahr  in  jener  Zeit  war  ein  Schüler  des  Francesco 
Albani.  Selbst  Maler  und  auch  als  Architekten  sind  die  späteren 
Bibiena  dem  malerischen  Princip  immer  treu  geblieben.  Giovanni 
Marias  Söhne  Ferdinando  (1657 — ^743)  ^^^  Francesco  (1659  bis 
1739),  dann  Ferdinandos  Sohn  Giuseppe  (1696 — 1757)  sind  für 
Osterreich  die  wichtigsten,  aber  mit  einer  Reihe  anderer  Ver- 
wandter erstreckten  sie  ihre  Thätigkeit  auch  über  Italien,  Spanien, 
Portugal,  Lothringen  und  Deutschland.  Ferdinando,  auch  als 
Kunstschriftsteller  thätig,  war  aus  Parma  in  die  Dienste  des 
spanischen  Königs  Karl  III.  nach  Barcelona  gekommen,  zog  mit 
dessen  Gefolge   aber   dann   nach  Wien,    als  derselbe  als  sechster 


Die  Barocke. 


279 


Karl  den  Thron  bestieg.  Hier  fand  er  seinen  Bruder  Francesco 
schon  seit  längerer  Zeit  beschäftigt  vor,  der  sich  vor  Fischer  da- 
selbst neben  Burnacini  einer  sehr  großen  Beliebtheit  erfreute. 
Ferdinando  zog  außerordentlich  viel  Schüler  heran,  erblindete 
gegen  Ende  seines   Lebens  und  überließ  seine  Arbeiten  größten- 

theils   seinem    fast   gleich   begabten  Sohne   Giuseppe.     Trotz   der 

. . . 

Verbreitung  dieser  Künstlerfamilie  ist  es  sehr  schwer,  in  Osterreich 
ihnen  zugehörige  Werke  nachzuweisen,  wie  in  anderen  Ländern, 
welche  sich  um  jene  Zeit  eines  besseren  Standes  der  Kunstliteratur 
erfreuten.  Wir  hören  zwar  unendlich  viel  von  Theaterprospecten, 
Entwürfen  zu  Illuminationen,  Feuerwerken  und  dergleichen,  welche 
von  ihnen  herrührten,  wenig  aber  von  Monumentalbauten.  Als 
Karl  VL  für  den  Bau  der  Karlskirche  eine  Concurrenz  ausschrieb, 
lieferte  Ferdinando  ein  Modell,  wurde  aber  von  Fischer  geschlagen, 
geradeso  wie  derselbe  Fischer  früher  schon  seinen  Bruder  Francesco 
bei  der  Errichtung  der  Triumphbögen  anlässlich  des  Einzuges 
Josefs  I.  in  Schatten  gestellt  hatte.  Dagegen  aber  habe  ich  die 
Überzeugung,  dass  die  früher  ganz  mit  Unrecht  Fischer  zuge- 
schriebene Peterskirche  in  Wien  eine  Schöpfung  der  Bibiena  sein 
muss  —  die  Mitwirkung  des  Malers  Antonio  Bibiena  ist  sogar 
verbürgt,  Ferdinandos  Kunststil  ist  dem  Pozzo  ebenbürtig  an 
Kühnheit  der  Erfindung,  aber  er  überbietet  ihn  durch  einen  höchst 
gestimmten  Sinn  für  das  Heiter-festliche,  es  ist  ein  stetes  Jubeln 
und  Jauchzen  aus  der  Fülle  des  Reichthumes  und  Glanzes  heraus 
in  seinen  Erfindungen.  Alles  flutet  bei  ihm  in  satter,  lachender 
Farbe,  Gold  und  Marmor,  weiß  ist  verpönt.  Das  Ensemble  seiner 
Gold  und  Farben  strotzenden  Interieurs  berührt  unser  Empfinden 
wie  eine  heitere,  aus  vollen  Accorden  geführte  Melodie,  die  von 
der  effectvoUsten  Instrumentation  getragen  ist.  Die  Construction 
ist  ihm  freilich  nur  ein  Gerüste,  über  welches  er  seine  Fluten 
von  bunten  Formen  und  Gestalten,  Marmor  und  Goldornamentik, 
wie  einen  Blumenregen  herabschütten  kann,  die  Kirche  ist  ihm 
ein  heiliges,  aber  darum  nichts  weniger  als  düsteres  Theatrum, 
seine  Kunst  will  uns  im  Gotteshause  die  Herrlichkeit  des  Paradieses 
zeigen,  diese  denkt  er  sich  aber  als  den  Hofstaat  einer  überirdischen 
Majestät,  vor  deren  Augen  nur  Herrlichkeit,  Glanz,  Glück  und 
Freudigkeit  Platz  finden  dürfen.  In  der  Peterskirche  mit  ihrem 
wunderbaren  Kuppelraume  versteht  man  eigentlich  erst  recht,  dass 


28o  Albert  Ilg 

in  der  Barockkunst  ein  musikalisches  Element  liegt  Man  schaue 
diese  üppige  Pracht  nur  einmal  während  eines  musikalischen  Amtes, 
man  sehe  dann,  wie  diese  lächelnden,  sehnenden,  vor  Inbrunst 
und  Freude  lachenden  und  weinenden  Heiligen  in  ungezählten 
Scharen  bis  zur  höchsten  Kuppelhöhe  hinauf  unter  den  feierlichen 
Klängen  sich  drängen,  schweben  und  bewegen,  wie  sie  durch 
Gold  und  Farbe  und  wallende  Weihrauchwolken  herunterblicken, 
und  man  begreift,  dass  die  Musik  wesentlich  zum  Verständnis  des 
barocken  Kunstwerkes  gehört.  Bald  ernst  und  majestätisch  wie 
ein  kunstvoll  gebauter  Fugensatz,  bald  schimmernd  und  glitzernd 
wie  eine  brillante  Coloratur,  so  handhaben  diese  Meister  ihr  reiches 
Material  von  Formen  und  Farben,  ohne  sich  dabei  allerdings  um 
die  strengen  mathematischen  Gesetze  der  architektonischen  Con- 
struction  viel  zu  kümmern.  Ihr  Zweck  ist  zu  begeistern,  zu 
berauschen,  zu  betäuben,  und  sie  treten  zu  diesem  Zweck  an  alles, 
was  Sinne  im  Menschen  heißt,  mit  geradezu  zauberhafter  Gewalt 
heran. 

Der  Art  der  Bibiena  verwandt  muss  der  noch  unbekannte 
Architekt  sein,  von  welchem  der  erste  Entwurf  zu  der  17 17  er- 
richteten Jakobspfarrkirche  in  Innsbruck  herrührte,  welche  dann 
Claud.  Delevo  ausbaute  und  die  Gebrüder  Asam  mit  ihren  eflfect- 
voUen  Fresken  schmückten.  Außerordentliches  leistete  Ferdinando 
bei  den  großen  Feierlichkeiten  bei  der  Canonisation  des  Johann  von 
Nepomuk  in  Prag  1729  und  schon  früher  1723  mit  seinen  Söhnen 
anlässlich  der  böhmischen  Krönung  Karls  in  Prag,  wo  er  die  viel 
berühmte  Oper  inscenierte,  die  den  Wahlspruch  des  Kaisers 
costanza  e  fortezza  zum  Titel  hatte,  und  deren  Pracht  in  Europa 
Aufsehen  erregte.  Von  einem  Schüler  Ferdinandos,  dem  Wiener 
Johann  Ospel,  rühren  die  schönen  Bauten  des  bürgerlichen  Zeug- 
hauses und  der  Leopoldskirche  in  Wien  her.  In  Pressburg  dürfte 
der  junge  Antonio  die  perspectivische  Scheinkuppel  der  Trinitarier- 
kirche  1717  in  der  Art  des  Pozzo  gemalt  haben,  endlich  steht  in 
dem  deutsch-böhmischen  Städtchen  Gabel  die  1699 — 1729  errichtete 
ehemalige  Dominicanerkirche,  ein  Bau,  welcher  im  Äußeren  bei- 
nahe eine  genaue  Copie  der  Wiener  Peterskirche  ist,  und 
von  dem  wir  hören,  dass  das  hölzerne  Modell  aus  Wien  geliefert 
wurde.  Als  Architekten  werden  Pietro  Bianco,  der  jüngere  Sohn 
des  berühmten  Baccio  Bianco   in  Genua,    selber   ein  Schüler   des 


Abb.  57.     Landhaus  in  Innsbnicl:  vui 


Abb.  s8.    Schiff  der  Stiftskirche  in  Molk,  von  Jakob  Prandauei. 


Die  Barocke.  38 1 

Buontalenti,  und  ein  sonst  unbekannter  Domenico  Beretti  genannt. 
Der  jüngere  Bianco  hat  auch  bei  den  Barockbauten  des  Stiftes 
Florian  in  Oberösterreich  im  Verein  mit  den  Carlone  gewirkt. 

Es  diente  eben  für  die  Barocke  Österreichs  zu  deren  vollem 
stolzen  Gedeihen,  dass  beinahe  sämmtliche  der  italienischen  Stil- 
strömungen hier  zusammenkamen.  Die  genuesische,  venezianische, 
mailändisch-comaskische,  bolognesische,  römische  und  andere  sind 
auf  unserem  Boden  vertreten,  aber  sie  drangen  nicht  nur  in  Oster- 
reich ein,  sondern  sie  durchdrangen  sich  untereinander  auch  hier 
zu  Lande  und  verschmolzen  überdies  noch  mit  den  Überbleibseln 
der  heimischen  deutschen  Renaissance.  Und  in  diesem  Umstände 
liegt  eben  das  Wichtigste  und  das  Charakteristische  der  öster- 
reichischen Barocke.  In  ihrem  italischen  Mutterlande  halten  sich 
die  localen  Stilfärbungen  in  der  Regel  in  ihren  provinziellen 
Kreisen,  bei  uns  hat  sich  aus  diesen  unendlich  bunten  Mischungen 
etwas  Eigenthümliches  gebildet,  und  das  hat  Erdgeruch,  das  ist 
österreichisch  geworden.  Es  ist  gar  nicht  möglich,  in  beschränktem 
Räume  nachzuweisen,  wie  unendlich  mannigfach  in  allen  Theilen 
des  Erblandes  damals  zahllose  größere  und  kleinere  Meister  sich 
bethätigten,  welche,  deutscher  Abstammung,  auf  den  Spuren  der 
Fremden  folgten.  Da  wären  z.  B.  die  Prager  Dienzenhofer  zu 
nennen,  welche  sich  das  italienische  Vorbild  auf  dem  Umwege  über 
Deutschland  holten  und  Böhmen,  besonders  Prag,  mit  originellen, 
zwischen  deutscher  und  welscher  Weise  schwankenden  Architektur- 
erfindungen füllten.  Die  Tirolerfamilien  der  Gumpp  (siehe  Abb.  57) 
und  Schor,  die  durch  lange  Studien  in  Italien  die  Richtung  Borro- 
minis  und  Beminis  aufnahmen,  der  monumental  denkende  und 
durch  phantasiereiche  Größe  ausgezeichnete  schlichte  St.  Pöltner 
Maurermeister  Jakob  Prandauer  (gest.  1727),  dessen  imposante  Kir- 
chen von  Molk,  Herzogenburg,  Dürrenstein,  Sonntagsberg,  sowie  das 
Stiftsgebäude  St.  Florian  einen  hohen  Rang  einnehmen  (s.  Abb.  58). 
Vereinzelte  Erscheinungen  bedeutender  Italiener  von  besonderem 
Charakter  sind  ferner  Giovanni  Cocabani  aus  Florenz,  von  welchem 
das  erzbischöfliche  Palais  in  Wien  herrühren  dürfte,  dessen  Formen 
die  Stilrichtung  des  Florentiners  Buontalenti  verrathen.  Der  Abbate 
Domenico  Martinello  (1650— 17 18),  der  Erbauer  der  fürstlich 
I/iechtensteinischen  Paläste  in  Wien,  trat  mit  einer  für  Wien  neuen 
Auffassung   des    adeligen  Wohnhaustypus    heran,   welche  freilich 


282  Al^«rt  Ilg 

mit  ihren  südlichen  Wohnungseinrichtungen  vom  praktischen  Ge- 
sichtspunkte bei  uns  keinen  Anklang  fand  und  daher  den  auch 
in  diesen  Beziehungen  musterhaften  Vorkehrungen  Fischers  von 
Erlach  weichen  musste;  aber  ein  Architekt  von  großem  Sinn  für 
Vornehmheit  ist  er.  Dem  Geiste  Carlo  Fontanas  verwandt,  welchem 
auch  Fischer  aus  seiner  römischen  Studienzeit  viel  verdankte, 
mischte  Martinello  römische  und  florentinische  Formen,  ist  aber 
ein  wenig  kühl  in  der  Wirkung  und  hat  darum  auch  in  Osterreich 
keine  Schule  gemacht.  Ein  ganz  anderes  bewegliches  Element 
spielt  in  den  Bauten  des  Mailänders  Felix  Donato  AUio,  welcher, 
aus  einer  schon  im  XVI.  Jahrhunderte  bei  uns  wirkenden  Familie 
von  Fortificationsmeistern  stammend,  auch  selbst  kaiserlicher  Officier 
des  Festungswesens  war;  aber  seine  großartigsten  Werke  sind  der 
edle,  malerische  Kuppelbau  der  Salesianerinnenkirche  in  Wien 
und  das  Prachtgebäude  des  Stiftes  Klosterneuburg,  von  dem  aller- 
dings kaum  ein  Viertel  nach  seinem  Plane  fertig  wurde. 

Die  Bedeutung  des  österreichischen  Barockstiles  gipfelt  in  der 
classischen  Erscheinung  Johann  Bernhard  Fischers  von  Erlach, 
dessen  Name  selbst  über  Österreichs  Grenzen  hinaus  sich  der 
Popularität  erfreut.  Das  Geschlecht  der  Fischer,  wie  es  ursprüng- 
lich bloß  bürgerlich  geheißen  hat,  ist  bis  in  die  Tage  Kaiser 
Rudolfs  II.  nachweisbar  und  scheint  theils  in  den  Niederlanden, 
theils  in  Steiermark  geblüht  zu  haben.  Der  Vater  des  Künstlers 
war  ein  in  Graz  ansässiger  Bildhauer,  seine  Mutter  heiratete  in 
zweiter  Ehe  wieder  einen  Bildhauer  namens  Erlacher,  und  nach 
diesem  Namen  der  geliebten  Mutter  wählte  der  berühmte  Sohn 
später  sein  Adelsprädicat.  Johann  Bernhard  ist  in  Graz  1656 
(wahrscheinlich  am  18.  Juli)  geboren.  Von  seiner  Jugend  ist 
außerordentlich  wenig  bekannt.  *  Es  hat  aber  den  Anschein,  dass 
er  zunächst  im  Atelier  seines  Stiefvaters,  welcher  damals  für  das 
nahe  Schloss  Eggenberg  viel  beschäftigt  war,  sich  dem  Bildhauer- 
fache widmete.  Auch  in  Italien  hat  er  sich  noch  mit  Medailleur- 
arbeiten abgegeben,  und  die  später  an  der  Wiener  Pestsäule  am 
Graben  von  Ignaz  Bendl  ausgeführten  Reliefs  dürften  von  Ficher 
entworfen  sein.  Weiters  scheint  es,  dass  der  junge  Künstler  schon 
frühzeitig  durch  die  Fürsten  Eggenberg,  Dietrichstein  u.  a.  ge- 
fördert  worden  sein  dürfte,  ja  es '  ist  möglich,  dass  die  ihm  zeit- 
lebens sehr  günstig  gesinnten  Clam-Gallas  ihn  schon  als  Jüngling 


Die  Barocke. 


283 


nach  Prag  berufen  haben  dürften.  Unsere  Nachrichten  sind  aber 
zu  unsicher  in  dieser  Beziehung.  Etwas  Bestimmteres  verlautet 
erst  seit  dem  Studienaufenthalte  in  Italien,  wo  wir  Fischer  in  der 
ersten  Hälfte  der  80er  Jahre  treffen.  Hier  hatten  die  schon  ge- 
nannten Tiroler  Künstler  Johann  Paul  und  Aegydius  Schor  auf 
ihn  den  größten  Einfluss,  welche  damals  bei  vielen  Kirchen  und 
in  den  päpstlichen  Palästen  zu  thun  hatten.  Fischer  schloss  sich 
besonders  an  Johannes,  jüngeren  Sohn  Philipp  Schors,  an,  mit  dem 
er  dann  nach  Neapel  gieng.  In  Rom  aber  wirkte  ein  gewaltiger 
Kreis  wissenschaftlicher  und  künstlerischer  Factoren  auf  den  jungen 
Meister  ein.  Durch  die  Schor  lernte  er  deren  malerisches  Ideal,  die 
Kunstweise  Carlo  Marattas,  kennen,  eines  Künstlers,  welcher  auf 
seinem  Gebiete  von  der  Tendenz  erfüllt  war,  aus  der  barocken  Bunt- 
heit des  Zeitgeschmackes  zu  Rafael  und  den  anderen  Classikern 
zurückzukehren.  Durch  den  Architekten  Carlo  Fontana  wurde  er 
in  seinem  eigentlichen  Felde  auf  verwandte  Grundsätze  der  Ver- 
edlung und  Vereinfachung  geleitet.  Des  gewaltigen  Lorenzo 
Bernini  fruchtbares  Schaffen  aber  zog  ihn  bald  nach  der  Seite  der 
phantastischen  Willkür  dieses  merkwürdigen  Meisters,  bald  zu 
seinem  großen  rein  architektonischen  Stil,  denn  beide  Richtungen 
sind  ganz  sonderbar  in  Bernini  vereinigt.  Auf  Fischer  hat  dies  den 
größten  Eindruck  fürs  ganze  Leben  gemacht.  Denn  fast  bis 
zum  Ende  seines  Tagewerkes  sehen  wir  in  der  ganzen  Reihenfolge 
seiner  zahlreichen  Bauten  den  fortwährenden  Streit  zwischen 
malerischer  Barocke  und  architektonischem  Classicismus.  Durch 
die  Befreundung  mit  dem  Stile  Marattas  trat  er  mit  dem  Maler 
Louis  Dorigny,  dem  Bruder  des  berühmten  Stechers  Nicolas,  in 
Berührung,  welch  ersteren  er  später  nach  Wien  bringen  sollte, 
um  den  Palast  Eugens  und  die  böhmische  Hofkanzlei  mit  seinem 
Pinsel  zu  schmücken.  Die  Galeria  Colonna  war  für  ihn  ein  haupt- 
sächliches Studienobject  und  lieferte  ihm  wichtige  Motive  für  den 
späteren  Bau  des  Hofbibliotheksaales  in  Wien.  Endlich  trat  er  in 
die  Kreise  der  Königin  Christine  von  Schweden  zu  Rom,  wo  die 
Gelehrten  und  Künstler  Bellori  und  Bartoli  ihn  besonders  angeregt 
haben  dürften,  der  letztere  der  berühmte  Schilderer  und  Erklärer  der 
columna  Trajana,  welche  in  Fischers  Architekturen  eine  so  bleibende 
große  Rolle  spielt  und  in  seinem  Hauptwerke,  der  Karlskirche,  eine 
geradezu  classische  Verwandlung  gefunden  hat.  In  Neapel  nahm  sich 


284  ^^^^^  ^^« 

der  Vicekönig  Marchese  del  Carpio,  ein  begeisterter  Antiquitäten- 
sammler und  Kunstfreund,  seiner  werkthätig  an  und  war  ihm  der 
dortige  Architekt  und  Antiquar  Francesco  Picchetti  befreundet. 
Ohne  dass  wir  die  Ursache  seines  Aufbruches  aus  Italien  kennen 
würden,  finden  wir  ihn  1685  schon  wieder  in  der  Heimat,  wo  er 
zuerst  in  seiner  Vaterstadt  bereits  im  Staatsdienste  als  Ingenieur 
angestellt  erscheint  und  an  der  Restaurierung  des  Mausoleums 
Ferdinands  II.,  welches  damals  ganz  verfallen  war,  im  Auftrage 
Kaiser  Leopolds  thätig  ist.  Bei  dieser  Arbeit  lernte  er  den 
strengeren  Renaissancegeist  seines  Vorgängers  an  dem  Baue,  Pietro 
da  Pomis  aus  dem  XVI.  Jahrhunderte,  kennen,  fügte  sich  aber  in 
dessen  Formen  auf  geniale  Weise  in  barocker  Empfindungsart  ein. 
Im  Jahre  1687  muss  er  schon  einige  Zeit  in  Wien  geweilt  haben, 
wo  wir  ihn  dem  allgewaltigen  Burnacini  untergeben  finden,  mit 
welchem  er  ein  älteres  Renaissancehaus  am  neuen  Markt  in  den 
herrlichen  Palast  der  sogenannten  Mehlgrube  (Hotel  Munsch)  um- 
wandelt, das  Princip  der  deutschen  Laubengänge  mit  Palladiesker 
Pilasterfagade  geistreich  verbindend  und  ferner  an  der  Dreifaltigkeits- 
säule am  Graben  (seit  ca.  1687)  thätig.  An  diesem  bizarren 
Monumente  entwarf  Fischer  den  heute  noch  sichtbaren,  edel- 
architektonischen  Unterbau;  die  damit  merkbar  contrastierende, 
reich  mit  Bildwerk  besetzte  Wolkenpyramide  vollendete  aber  nicht 
er,  sondern  ein  zahlreiches  Consortium  von  Künstlern:  Burnacini, 
Paul  Strudel,  Fruhwirth,  Rauchmüller,  Auer  u.  a. ,  indem  Fischer 
von  dem  Werke  hinweg  zum  Lehrer  des  Kronprinzen  Josef  in 
Mathematik,  Fortificationskunst  und  Architektur  berufen  wurde, 
jenes  hocherleuchteten,  leider  kurz  lebenden  Fürsten,  welcher  dem 
Künstler  stets  die  innigste  Zuneigung  bewahrte.  Als  1690  Wien 
diesen  jungen  Prinzen  als  römischen  König  in  seinen  Mauern  be- 
grüßte,   errichtete  Fischer  jenen  prachtvollen  Triumphbogen,    mit 

• 

welchem  er  Francesco  Bibiena  so  sehr  aus  dem  Felde  schlug,  dass 
die  Sache  allgemeines  Aufsehen  erregte,  die  gleichzeitige  Literatur 
davon  begeistert  Notiz  nahm  und  die  Patrioten  in  dieser  That  den 
Sieg  deutscher  Kunst  über  die  Fremdländerei  feierten.  Der  1693 
von  ihm  geschaffene  Hochaltar  in  Mariazell  bildete  den  Schlussstein 
dieser  Periode,  dann  sehen  wir  ihn  aber  für  den  Erzbischof  von 
Salzburg  Johann  Ernst  Graf  Thun-Hohenstein  auf  längere  Zeit  be- 
schäftigt.    Großartige  Schöpfungen  der  Architektur  sind  es,  welche 


Die  Barocke. 


285 


er  in  dem  Dienste  dieses  kunstsinnigen  Cardinais  vollbringt.  Der 
prachtvolle  Hofmarstall,  Vollendungsarbeiten  am  Dome  machen 
den  Anfang;  in  der  Priesterhauskirche  versucht  er  sich  zum  ersten- 
mal an  einem  Kuppelbau,  errichtet  die  Wallfahrtskirche  im 
Kirchenthal,  schaflfl  die  ersten  Entwürfe  für  Schloss  Kiesheim,  baut 
die  großartige  Universitätskirche  zur  Empfängnis  Marias,  aber- 
mals einen  Kuppelbau,  welcher  gänzlich  auf  seinen  Studien  nach 
den  großen  Theoretikern  der  Renaissance  beruht  und  mit  seiner 
stolzen  Formeneinfachheit,  alle  Decorationen  verschmähend,  als  ein 
Wendepunkt  in  der  österreichischen  Barocke  dasteht.  Er  plant 
endlich  ein  großes  Kupferstichwerk,  in  welchem  er  alle  seine 
Salzburger  Werke  darstellen  will.  Aber  dies  und  anderes  gieng 
in  die  Brüche,  denn  der  neue  Erzbischof  Philipp  Reichsgfaf  von 
Harrach  zieht  ihm  Johann  Lukas  von  Hildebrand  vor,  welchem 
er  auch  den  Bau  seines  Lustschlosses  Mirabell  überträgt 

Während  der  Thätigkeit  für  Salzburg,  wohin  sich  Fischer 
von  Wien  nur  zeitweise  begab,  war  er  hier  mit  den  Entwürfen 
für  Schönbrunn  beschäftigt.  Es  entstand  zunächst  ein  grandioses 
Project,  welches  mit  dem  gegenwärtigen  Zustand  des  Schlosses 
gar  nichts  zu  thun  hat,  das  Hauptgebäude  auf  der  jetzigen  Höhe 
der  Gloriette  statt  am  Wienufer  und  den  ganzen  Bergabhang  in 
einen  imposanten  Terrassengarten  umgewandelt  zeigt,  mit  Säulen- 
gängen und  gewaltigen  Cascaden,  während  der  Park  sich  erst 
hinter  dem  auf  der  Höhe  stehenden  Schlosse  gegen  Hetzendorf 
ausgebreitet  hätte.  Vor  diesen  Riesenanlagen  schreckte  selbst 
jene  kunst-  und  prachtliebende  Periode  zurück,  und  Fischer  selbst 
lieferte  einen  zweiten,  vereinfachten  Entwurf  mit  dem  Schlosse  an 
der  jetzigen  Stelle,  dessen  Statuenschmuck  den  römischen  König 
Josef  als  Apollo  verherrlichen  sollte.  Der  Bau  stockte  aber  bald, 
verfiel  beinahe  und  wurde  erst  in  den  40er  Jahren  des  XVIII. 
Jahrhunderts  unter  Maria  Theresia  in  wieder  restringierter  Form  durch 
Pacassi  aufgenommen.  Trotz  dieses  Missgeschickes  fehlte  es  Fischer 
nicht  an  großartigen  Aufgaben,  seit  1697  ist  er  und  dann  sein 
Sohn  Josef  Emanuel  zuerst  für  den  Grafen  Mansfeld-Fondi,  dann 
für  den  Fürsten  Schwarzenberg  mit  dem  Bau  des  Schwarzenberg- 
Palastes  auf  dem  Rennweg  beschäftigt,  der  aber  erst  1724  voll- 
endet wurde.  Er  bürgerte  damit  den  charakteristischen  Typus  des 
italienischen   Barockcasino   mit  rundem   Mittelbau    und   seitlichen 


286  Albert  Ilg 

Flügeln  in  Wien  ein,  der  dann  so  häufige  Nachaliinung  erfuhr. 
Es  folgte  die  schöne  Triutnphpforte  anlässlich  des  Einzuges  der 
Braut  Amalia  von' Braunschweig-Lünebuf  g  1698,  dann  verschiedene 
Palaktbauten  adeliger  Geschlechter  der  Trautson,  Batthyany  und 
Althann,  für  letztere  das  schöne  Schloss  Frein  in  Mähren  mit 
seinem  Kuppelsaale,  sowie  der  Bau  des  Eugenischen  Stadtpalais 
in  der  Himmelpfortgasse  (jetzt  Finanzministerium),  welches  zwar 
Hildebrand  begonnen  hatte,  Fischer  aber  um  17 10  vollendete.  Hier 
ist  die  Stiege  mit  den  Atlantenfiguren  Mattiellis,  eine  der  maleri- 
schesten und  geschmackvollsten  Erfindungen  des  Künstlers  (s.  Abb. 
59).  Im  Jahre  1705  zum  Oberinspector  aller  kaiserlichen  Gebäude 
ernannt,  schritt  er  nun  im  folgenden  Jahre  zur  Errichtung  der  ersten, 
in  Holz  ausgeführten  Säule  des  heil.  Josef  auf  dem  hohen  Markte, 
welche  später  sein  Sohn  durch  das  jetzige  steinerne  Monument 
ersetzen  sollte,  vollendete  die  Bauten  in  Mariazell,  begann  den 
großartigen  Palast  der  Gallas  in  Prag  1707,  baute  in  Breslau,  er- 
richtete seinem  geliebten '  Kaiser  Josef  ein  imposantes  castrum 
doloris  bei  den  Augustinern  in  Wien,  siegte  über  Hildebrand  und 
Ferdinando  Galli-Bibiena  in  der  Concurrenz  für  die  Karlskirche, 
deren  Bau  erst  17 16  begann,  ohne  aber  die  Vollendung  erleben 
zu  können.  Im  Jahre  17 14  entstanden  der  Bau  des  großen  Saales 
im  Stifte  Herzogenburg,  das  monumentale  Grabmal  des  Grafen 
Wratislav-Mitrowitz  in  der  Jakobskirche  zu  Prag,  sowie  der  Bau  der 
böhmischen  Hofkanzlei  in  der  Wipplingerstraße  zu  Wieo.  Zu 
Haindorf  in  Böhmen  errichtete  er  1722  ebenfalls  für  die  Clam- 
Gallas  die  großartige  Wallfahrtskirche,  mit  Umwandlung,  ja  mit 
theilweiser  höchst  merkwürdiger  Anlehnung  an  die  vorhandenen 
Formen  der  Gothik.  In  die  letzte  Zeit  des  Meisters,  von  dessen 
unendlich  reichem  Schaffen  hier  nur  das  Hervorragendste  aufge- 
zählt ist,  fallen  auch  die  Vorarbeiten  für  die  großen  Bauten  an 
der  Kaiserburg,  deren  Urpläne  vom  Vater  herrühren,  vom  Sohn 
aber  nicht  ohne  Modificationen  in  dessen  mehr  zum  französischen 
Geschmack  neigenden  Stil  viel  später  vollendet,  theilweise  selbst 
von  diesem  nicht  ganz  ausgebaut  wurden  (siehe  Abb.  60).  Johann 
Bernhard  stieg  zu  hohen  Ehren  unter  Karl  VI.  empor,  welcher  den 
größten  Künstler  Österreichs  nicht  minder  zu  schätzen  wusste  als 
sein  Bruder  und  sein  Vater.  Fischer  starb  wohlhabend,  beinahe 
reich,  am  5.  April  1723  im  Stemhofe  in  der  Schultergasse  zu  Wien. 


Die  Barocke. 


Wir  geben  hier  zum  Schlüsse  die  Abbildung  einer  seiner  graziösesten 
Garten- Architekturen,  des  leider  nicht  mehr  bestehenden  Belvederes 
im  Liechtenstein' sehen  Park  in  der  Rossau.    (Siehe  Abb.  6l.) 


im  vorstehenden  angegeben  worden;  der 
Schwerpunkt  liegt  immer  darin,  dass  Fischer,  wenn  ihn  auch,  wie 
gesagt,  der  Geschmack  der  Zeit  und  die  Gewohnheit  selber  viel- 
mals zum  beliebten  Malerischen  zurückbrachte,  in  den  größten 
seiner  Schöpfungen  als  reinigender  Regenerator  auftritt,  dem  (tie 


288  Albert  11g 

großen  Architekten  des  XVI.  Jahrhunderts  und  die  classisch- 
römischen  Vorbilder  zur  Richtschnur  dienten.  Gieng  die  Ent- 
wicklung der  Barocke  in  Frankreich  gleichzeitig  einen  ähnlichen 
Weg,  so  wäre  es  doch  ganz  unrichtig,  Fischer  deswegen  für  von  den 
Franzosen  beeinflusst  zu  halten.  Es  steckte  in  dem  genialen 
Künstler  zugleich  etwas  von  der  Gründlichkeit  einer  gelehrten 
Natur,   der  Blick  für  das  Historische  ist  ihm  hell  aufgethan,  ja 


Abb.  6i.     Belvedere  im  Liechtenstein-Park. 


wenn  wir  gerecht  sein  wollen,  müssen  wir  ihn  lange  vor  Winckel- 
inann  eigentlich  für  den  Begründer  moderner  Kunstwissenschaft 
in  Deutschland  erachten.  Denn  Fischer  gab  mit  schwerer  Mühe 
und  Kosten  das  Kupferwerk  seiner  „Historischen  Architektur" 
heraus,  in  welchem  er  als  der  erste  den  Gedanken  verfolgt,  die 
wichtigsten  Bauwerke  aller  Zeiten,  Völker  und  I^^nder  behufs 
vergleichender  Beurtheilung  nebeneinander  zu  stellen,  in  den  sonst 
so  einseitig  sich  allein  bewundernden  Tagen  der  Barocke  gewiss 
eine  Objectivität,  von  Seite  eines  schaffenden  Künstlers  ein  streng 


Die  Barocke. 


289 


historischer  Sinn,  den  man  geradezu  nur  wissenschaftlich  nennen 
kann.  Denn  Gothik  und  Antike,  Türkisches  wie  Chinesisches,  lässt 
er  hier  mit  Gleichberechtigung  an  sich  herantreten.  Selbst  im 
praktischen  Schaffen  hat  er  ja  der  Kaiserin  Amalia  1702  in  der 
Burg  ein  indianisches  Cabinet  eingerichtet. 

Hoch  über  alle  Zeitgenossen  erhebt  sich  Fischer  als  schöpfe- 
rischer Meister  durch  die  Originalität  seiner  Conceptionen,  worunter 
selbst  wieder  die  Karlskirche  als  classischer  Typus  hervorleuchtet. 
Die  Grundidee,  einen  Kuppelbau  wie  beim  römischen  Pantheon 
mit  einem  tempelartigen  Säulenporticu§  zu  verbinden,  das  Einzel- 
motiv der  columna  cochlearis  in  Verdoppelung  in  organische  Ver- 
bindung mit  der  Centralanlage  zu  bringen,  die  banalen  Fagaden- 
thürme  des  üblichen  Kirchenbauschemas  überflüssig  zu  machen 
und  noch  seitliche  Flügel  daran  zu  hängen,  ist  zwar  echt  barock, 
aber  mit  welch  genialer  künstlerischer  Kraft  ist  all  dies  Stück- 
werk zu  einer  wunderbaren  Einheit  verschmolzen,  wie  echt  archi- 
tektonisch und  wie  reizvoll  malerisch  zugleich  ist  die  Wirkung 
dieses  einzig  schönen  Baues!  Schon  war  von  dem  ersten  Projecte 
für  Schönbrunn  die  Rede,  welches,  wenn  ausgeführt,  mit  all  den 
vielen  Gartenanlagen  des  Jahrhunderts  an  Majestät  nichts  seines- 
gleichen gehabt  haben  und  die  berühmteste,  Versailles,  weitaus  in 
den  Schatten  gestellt  haben  würde.  Am  bewunderungswürdigsten 
aber  zeigt  sich  der  schon  alternde  Meister  in  seinen  Absichten  auf 
die  Umgestaltung  der  Kaiserburg,  von  denen  uns  die  fertig 
gewordenen  Theile  keine  vollständige  Vorstellung  gewähren.  Nicht 
nur,  dass  das  meiste  des  Vollendeten:  Hofbibliothek,  Winterreit- 
schule und  Reichskanzlei,  erst  nach  seinem  Tode  zustande  kam 
und  unter  der  Leitung  seines  Sohnes  manche  Veränderung 
erfahren  zu  haben  scheint,  ist  uns  Fischers  Plan  für  die  Gestaltung 
des  Ganzen  bedauerlicher  Weise  verloren  gegangen.  Nur  so  viel  ist 
mit  Gewissheit  zu  sagen,  dass  sein  Umbau  auch  den  Schweizerhof, 
den  Leopoldinischen  Tract  und  den  Amalienhof  umfasst,  somit 
alle  vier  Seiten  des  Platzes  in  analoger  Weise  mit  Fagaden  wie 
jene  der  Reichskanzlei  umgeben  hätte,  an  deren  sechs  Portalen 
die  heute  fertig  stehenden  vier  Statuengruppen  Mattiellis  von  den 
Arbeiten  des  Hercules  zu  zwölf  ergänzt  worden  wären.  Denn  wie 
seinen  Bruder  Josef  unter  dem  Bilde  des  Sonnengottes  liebte  die 
Barockkunst  Karl  VI.  stets  als  Hercules  zu  verherrlichen,  anspielend 

KunstgeschicbtI.  Charakterbilder  aus  Österreicli-Ungani.  19 


j 


290  Albert  Ilg 

auf  seine  Herrschaft  in  Spanien  bei  den  Säulen  des  Hercules,  in 
welchem  Sinne  auch  die  beiden  Säulen  vor  der  Karlskirche  ver- 
standen wurden.  Josef  Emanuel,  Fischers  Sohn  (1695  — 1742), 
der  noch  zu  höheren  Ehren  und  Auszeichnungen  emporstieg  als 
der  Vater,  darf  keineswegs  nur  als  dessen  Schüler,  X'^oUender  und 
Nachfolger  betrachtet  werden.  Seine  Richtung  ist,  wenn  er  auch 
sein  Bestes  gewiss  dem  Erzeuger  verdankt  hat,  von  Anfang  an 
eine  verschiedene.  Das  Glück  hat  ihn  stets  sehr  begünstigt  Schon 
als  Jüngling  schickte  ihn  der  Kaiser  auf  seine  Kosten  nach  Italien, 
Deutschland,  Holland,  Frankreich  und  England.  Durch  des 
befreundeten  Leibnitz  Empfehlungen  kam  er  dabei  mit  den  großen 
Gelehrten  Desaguilliers,  Gravesand  und  wahrscheinlich  in  London 
auch  mit  Newton  in  Berührung,  was  auf  ihn  den  wichtigen  Aus- 
schlag gab,  dass  die  Studien  der  Mathematik,  Physik  und  Mechanik 
neben  der  Architektur  für  ihn  von  großer  Bedeutung  wurden. 
Nach  Deutschland  1721  zurückgekehrt  beschäftigte  er  sich,  der 
erste  auf  dem'Continent,  mit  der  Aufstellung  von  Dampfmaschinen 
im  Parke  des  Landgrafen  Karl  von  Hessen  zu  Kassel,  in  jenem  des 
Fürsten  Schwarzenberg  zu  Wien  tmd  später  noch  sieben  anderer 
in  den  kaiserlichen  Goldbergwerken  zu  Kremnitz  in  Ungarn.  In 
Wien  wirkte  er  sofort  als  Compagnon  seines  alten  Vaters  zunächst 
am  Baue  des  Palais  Roftano  (jetzt  Auersperg)  und  an  dem  kaiser- 
lichen Marstallgebäude  (1724).  Schon  diese  Werke,  noch  mehr 
aber  die  nach  Johann  Bernhards  Tode  entstandenen  Mansarden- 
dächer der  Hofbibliothek,  verschiedene  Details  an  der  Reichs- 
kanzlei etc.  deuten  auf  eine  Anlehnung  des  jüngeren  Fischer  an 
französische  Muster  hin,  welche  dem  stets  italienisch-classisch 
empfindenden  X'ater  fremd  geblieben  waren.  Spätere  hervorragende 
Werke  des  jüngeren  Fischer  sind  der  silberne  Altar  in  der  Gnaden- 
kapelle zu  Mariazell,  der  hochelegante  Tempel  auf  dem  hohen 
Markt  (1729),  die  Kirche  in  Weikersdorf  etc. 

Den  höchsten  Rang  unter  den  österreichischen  Architekten 
jener  Zeit  nimmt  neben  dem  älteren  Fischer  Johann  Lukas  von 
Hildebrand  ein  (1666 — 1745).  Es  scheint,  dass  auch  Hildebrand 
einer  ziemlich  verbreiteten  Maurer- oder  Architektenfamilie  angehörte, 
denn  vor  ihm  und  nach  ihm  gibt  es  zahlreiche  Namensvettern  von 
ihm  in  unseren  kunsthistorischen  Regesten.  Von  deutschen  Eltern 
in   Genua  geboren,    trat  er  in  die  österreichische   Armee,    wahr- 


Abb.  6i.     Nikolauskirclie  auf  der  Klein 


Die  Barocke. 


291 


scheinlich  wie  AUio  als  Fortificationsofficier;  während  seiner  Statt- 
halterschaft in  Mailand  lernte  ihn  der  große  Eugen  kennen, 
dessen  Liebling  er  zeitlebens  bleiben  sollte.  Hildebrands  Haupt- 
schöpfungen sind  das  reizvolle  Belvedereschloss,  das  Palais  Dann 
(jetzt  Kinsky)  auf  der  Freiung,  ein  Theil  des  Stiftsgebäudes  Gött- 
weih und  das  schon  genannte  Schloss  Mirabell  in  Salzburg.  Auch 
für  das  Laienauge  sofort  von  Fischers  Art  leicht  zu  unterscheiden, 
ist  dieser  edle  Künstler  auf  seine  Weise  nicht  minder  originell. 
Wo  Fischer  aber  immer  ernst,  erhaben,  ja  pathetisch  auftritt, 
zeigt  sich  Hildebrands  Muse  graziös,  liebenswürdig,  lächelnd. 
Über  seine  Schule  wissen  wir  gar  nichts.  Ob  die  Annahme,  dass 
er  in  Frankreich  gelernt  habe,  richtig  sei,  hat  gar  keine  histo- 
rische Stütze ;  auch  spricht  aus  seinem  Stil  kein  eigentlich 
französisches  Element,  wenngleich  allerdings  die  Leichtigkeit, 
Fröhlichkeit  und  Anmuth  desselben  an  gewisse  Richtungen  der 
französischen  Barocke  anklingt,  ja  hie  und  da  fast  schon  wie  eine 
Vorahnung  des  Rococo  sich  anmeldet.  Er  scheint  auch  auf  den 
Stil  der  palastartigen  Bürgerhäuser  viel  Einfluss  genommen  zu 
haben,  wie  wir  deren  noch  verschiedene  in  Wien  und  ein  kleines 
reizendes  Palais  dieser  Art  zu  Pressburg  sehen.  Auch  der  durch 
seine  Werke  in  Deutschland  berühmte,  aus  Eger  in  Böhmen 
stammende,  bedeutende  Architekt  Johann  Balthasar  Neumann,  der 
Erbauer  der  stolzen  Schönbornischen  Paläste  zu  Würzburg  und 
Pommersfelden,  hat  in  Wien  gewirkt  und  wahrscheinlich  die 
hiesigen  beiden  Palais  jenes  kunstliebenden  Geschlechts  geschaffen, 
von  denen  dasjenige  in  der  Renngasse,  wie  ich  glaube,  ganz  irrig 
Fischer  von  Erlach  zugeschrieben  wird.  Unsere  historischen 
Kenntnisse  sind  übrigens  so  ungenügend,  dass  uns  von  einem  durch 
die  Zeitgenossen  überaus  gefeierten  österreichischen  Architekten 
namens  Schubert  außer  dem  bloßen  Namen  absolut  nichts  bekannt 
ist.  Aus  der  schon  erwähnten  Familie  der  Dientzenhofer  ragt 
Kilian  Ignaz  (1690 — 1752)  in  Prag  besonders  hervor.  Ob  er  Fischers 
Schüler  gewesen  sei,  wie  behauptet  wird,  ist  ziemlich  fraglich", 
sein  viel  freierer  Stil  macht  es  eben  nicht  sehr  wahrscheinlich. 
Neben  dem  Kinsky' sehen  und  anderen  Palais,  der  wirkungsvollen 
Thomaskirche  und  anderen  Bauten  steht  am  höchsten  die  von  ihm 
gemeinschaftlich  mit  seinem  Vater  Christoph  vollendete  herrliche 
Nikolauskirche  auf  der  Kleinseite  (siehe  Abb.  62).     Wie   in  allen 


19^ 


292  Albert  Ilg 

Bauten  der  Dientzenhofer  verbindet  sich  hier  die  einheimisch- 
nordische  Barockempfindung  mit  den  Typen  Borrominis  und 
Guarinis,  welch  letzterer  ja  gerade  für  Prag  von  großer  Bedeutung 
war.  Etwas  mehr  bekannt  ist  der  wahrscheinlich  aus  Oberösterreich 
stammende,  in  Italien  und  Wien  gebildete  Architekt  Johann 
Michael  Brunner,  von  dem  wir  die  höchst  interessante  bizarre 
Kirche  der  Baura  bei  Lambach  (1722)  —  dreieckiger  Grundriss  und 
in  allen  Altären,  Orgeln  etc.  sich  auf  die  Dreifaltigkeit  beziehend 
—  haben,  und  der  auch  für  die  Fürsten  Lamberg  am  Schlosse  in 
Steyr  thätig  war.  Wie  außerordentlich  groß  ist  aber  die  Zahl 
jener  nur  dem  Namen  nach  bekannten  Meister,  wie  z.  B.  jenes 
Wimpassinger,  von  dem  wir  hören,  dass  er  Schlosshof  gebaut 
habe,  und  wer  weiß  umgekehrt  etwas  von  den  zahlreichen  vor 
unseren  Augen  stehenden  Bauten,  wie  z.  B.  Eckartsau,  Nieder- 
weiden, Süßenbrunn  oder  den  kirchlichen  Gebäuden  des  Neu- 
klosters in  Neustadt,  des  Heiligenkreuzhofs  in  Wien  etc.  in  Bezug 
auf  deren  Architekten?  Auch  von  der  großen  Schar  der  viel- 
beschäftigten Stuccatorer,  überall  zu  finden,  wo  der  Barockstil  im 
Lande  blühte,  ist  nur  wenig  bekannt,  aber  auch  hier  ist  es  sicher, 
dass  die  wichtigsten  Meister  Italiener  waren  und  großen  Familien 
angehörten,  die  seit  langem  dieses  Fach  cultiviert  hatten.  Besonders 
die  südliche  Schweiz  lieferte  die  besten  von  ihnen,  wie  z.  B.  Santino 
Bussi,  Camesina,  Piazzol  etc. 

Der  landläufige  Charakter  der  Barockplastik  in  Österreich 
wurde  bereits  in  obigem  bezeichnet.  Von  Künstlern,  welche  zur 
Decoration  der  Kirchenfa^aden  und  Altäre,  Attiken  der  Paläste, 
Parke  und  Grabmäler  in  jenem  malerisch  theatralischen  Geiste  thätig 
waren,  würden  Hunderte  von  Namen  anzuführen  sein,  von  Istrien 
bis  an  die  Elbe,  von  den  Karpathen  bis  Vorarlberg.  Auch  auf 
diesem  Gebiete  bildeten  die  Italiener  die  Majorität  und  bei  allem 
Banalismus  der  Leistung  in  der  Regel  noch  das  bessere  Element 
gegenüber  den  Deutschen,  bei  denen  eine  unangenehm  handwerk- 
liche Kleinlichkeit  zu  Tage  zu  treten  pflegt.  Um  nur  einige  her- 
vorragende Beispiele  anzuführen,  seien  genannt:  Antonio  Dario  in 
St.  Florian  und  Salzburg,  wo  er  1659  den  herrlichen  Brunnen  am 
Domplatze  schuf.  Ein  anderer  effectvoller  Brunnenkünstler  ist 
Francesco  Robba  in  Laibach  und  jener  leider  noch  unbekannte, 
als   dessen  Werk   wir  die   prachtvolle   Fontäne   vor   dem   Dom  in 


Die  Barocke. 


293 


Trient  kennen.  Die  mannigfachen  sogenannten  Pferdeschwemmen 
Salzburgs,  an  welchen  M.  Bernhard  Maendel  und  andere  Bild- 
hauer  arbeiteten,  stellen  sich  als  Übertragungen  des  Berninesken 
Geschmackes  der  Sculpturwerke  von  Piazza  Nayona,  Fontana  Trevi 
imd  anderer  römischer  Monumentalbrunnen  auf  unseren  Boden 
und  in  bescheidenerem  Maßstabe  dar.  Steiermark  besitzt  an 
seinen  Veit  Kininger,  Andreas  Marx,  Weisskircher  u.  a.  verwandte, 
mehr  oder  minder  geschickte  Fabrikanten  derartiger  Modeware, 
und  in  Wien  wimmelt  es  geradezu  von  deutschen  und  welschen 
Plastikern  dieses  Genres.  Der  Venezianer  Stanetti  mit  seinem 
begabteren  Schüler  Lechleitner  fertigte  die  Gartenfiguren  des 
Belvederes  und  den  Pestgiebel  der  Karlskirche,  ziemlich  gleich- 
wertig ist  sein  Landsmann  Giuliani,  der  über  München  nach  Wien 
kam,  die  Treppensculpturen  im  Liechtensteinschen  Majoratshause 
schuf  und  dann  als  Laienbruder  sich  nach  Heiligenkreuz  zurück- 
zog, wo  er  der  Lehrer  des  großen  Donner  wurde.  Eines  der 
edelsten  Werke  der  Epoche  ist  die  Kanzel  in  der  Kirche  zu  Lilien- 
feld von  Johann  Wagner.  Keiner  aber  fand  so  vielen  Anwert  als 
Lorenzo  Mattielli  aus  Vicenza,  dessen  zwar  etwas  derbe  und  geistig 
leere,  aber  formell  effectvoUe  Sculpturen  die  größten  Architekten 
jener  Zeit,  Fischer,  AUio,  Hildebrand  für  ihre  Gebäude  bevor- 
zugten. Die  Herculesgruppen  an  der  Burg,  St  Michael  beim 
Eingang  der  Michaeierkirche,  die  Karyatiden  im  unteren  Saale 
des  Belvederes  sowie  jene  in  der  grottenartigen  Salla  terrena  des 
Stiftes  Klostemeuburg,  auch  die  schönen  Gruppen  in  Eckartsau 
sind  das  Werk  des  Künstlers,  der  sich  dann  nach  Dresden  wandte, 
wo  ihn  Chiaveri  bei  seinem  Bau  der  katholischen  Kirche  beschäftigte. 
Für  die  Karlskirche  meißelte  er  die  Engel  am  Tambour  imd 
entwarf  auch  den  Reliefschmuck  der  beiden  Trajanischen  Säulen, 
welches  Project  jedoch  von  Karl  VI.  nicht  angenommen  wurde. 
Die  dort  dargestellten  Scenen  aus  dem  Leben  des  heiligen  Carolus 
Borromäus  sind  von  dem  Deutschböhmen  Christoph  Mader.  Von 
anderen  bedeutenderen  Bildhauern  Wiens  begegnen  uns  Paul 
Strudel  aus  Cles  in  Tirol,  der  Bruder  des  Malers  Peter  Freiherr 
von  Strudel,  welcher  den  Anstoß  zur  Gründung  einer  Akademie 
der  bildenden  Künste  unter  Leopold  I.  gab.  Paul  fertigte  die  lebens- 
großen Habsburgerstatuen  in  die  Hofbibliothek,  sowie  jene,  welche 
sich  heute  in  Laxenburg  befinden,  endlich  manches  an  der  Graben- 


2^  AiDcn  iig 

säule.  Der  schon  genannte  Rauchmüller,  der  Norweger  Magnus 
Berg,  der  Franzose  Chevalier,  der  Wiener  Mathias  Steindl  zeich- 
neten sich  als  Elfenbeinplastiker  aus,  letzterer  übrigens  ein  Uni- 
versalgenie, welches  die  subtil  ausgeführten  Reiterstatuen  Leopolds 
und  seiner  Söhne  (kunsthistorisches  Hofmuseum,  siehe  Abb.  63) 
mit  derselben  Virtuosität  ausführte  wie   den  kolossalen   Hochaltar 


Abb.  63.    Leopold  I.,  Elfe  übe  inplastik  von  M.  SteindL 

in  Klosterneuburg,  die  Kanzel  bei  SL  Peter,  für  Goldschmiede 
Zeichnungen  lieferte  und  überdies  Ölmaler  war.  Trotzdem  ragt 
über  all  diese  unvergleichlich  hoch  Georg  Rafael  Donner  hervor 
(1693— 1741),  seit  Michelangelo  ohne  Zweifel  der  größte  Plastiker. 
Aus  einer  armen  niederösterreichischen  Banemfainilie  ent- 
sprossen, zuerst  Goldschmiedlehrjunge  in  Wien,  dann  Guilianis 
Schüler  in  Heiligenkreuz,  riss  er  sich  in  jungen  Jahren  von  aller 
Schule  und  Nachahmung  los  und  betrat  den  Weg  der  Selbständig- 


----1 


Die  Barocke. 


295 


keit.  Wie  der  große  Fischer  schwankt  er  zwar  zeitlebens  zwischen 
den  unentäußerlichen  starken  Einflüssen  der  barocken  Tradition 
und  dem  Streben  nach  Reinigung,  Schlichtheit  und  Größe.  Wie 
Fischer  im  constructiven  Princip  und  in  den  großen  Alten  sein 
Ideal  erblickte,  so  drängte  es  Donner  dem  Studium  der  Natur  und 
der  Antike  zu,  soweit  diese  letztere  ihm  zugänglich  war,  ihm,  der 
höchst  wahrscheinlich  nicht  in  Italien  gewesen  war  und  damals 
in  Osterreich  nur  sehr  wenige  Originale  und  Abgüsse  nach  den 
Alten  vor  Augen  hatte.  Eine  allzu  jung  geschlossene  Ehe,  eine 
gewisse  künstlerisch  geniale  Opposition  gegen  das  gesellschaftliche 
Wesen  der  Zeit,  sowie  das  allgemeine  Vorurtheil  für  die  Italiener 
besäeten  ihm  den  Lebenspfad  mit  Domen.  Als  er  mit  seinem 
Freunde,  dem  Bildhauer  Jakob  Schletterer,  an  der  Karlskirche 
Arbeit  suchte,  stach  sie  jener  Mader  aus  dem  Felde,  und  in 
tiefer  Verstimmung  kehrte  Donner  Wien  den  Rücken,  um  in 
Salzburg  (1725)  die  Götterstatuen  auf  der  Treppe  des  Mirabell- 
schlosses zu  fertigen.  Aber  Verdrießlichkeiten,  ja  Verdächtigungen, 
welche  seine  Thätigkeit  bei  der  dortigen  Münze  zur  Folge  hatte, 
verleideten  ihm  auch  diesen  Aufenthalt  Schon  zwei  Jahre  später 
treßen  wir  ihn  als  Hofbaumeister  und  Bildhauer  bei  dem  kunst- 
freudigen Primas  von  Ungarn,  Emerich  Fürst  Esterhazy.  Hier 
entstand  für  diesen  Mäcen  seine  herrliche  Gruftkapelle  bei  der 
Martinskirche  in  Pressburg  und  der  leider  zerstörte  Hochaltar, 
dieses  Gotteshauses,  von  dem  sich  nur  die  kolossale  bleierne  Reiter- 
statue St.  Martins  und  zwei  anbetende  Engel  (letztere  im  Museum 
zu  Budapest)  erhalten  haben,  wie  die  noch  vorhandenen  Seraphim- 
gestalten und  die  Tabernakelreliefs  der  Gruftkapelle  zu  dem  Geist- 
vollsten und  Formvollendetsten  des  Jahrhunderts  gehörend.  In 
Pressburg  war  auch  der  Maler  Friedrich  Oeser  Donners  Schüler, 
welcher  später  die  Grundsätze  und  Lehren  seines  Meisters*  von  der 
edlen  Einfachheit  und  stillen  Größe  der  Plastik  auf  Winckelmann 
und  Goethe  überlieferte.  In  die  allerletzten  Lebensjahre  des 
großen  Meisters  fallen  seine  bedeutendsten  Schöpfungen,  welche 
er  1739 — 1741  in  Pressburg  für  Wien  ausführte :  die  marmornen 
Reliefs  für  die  Sacristeibrunnen  bei  St.  Stephan  (Christus  und  die 
Samariterin,  Hagar  in  der  Wüste)  für  Cardinal  KoUonitsch  vollendet, 
heute  im  Hofkunstmuseum;  der  bleierne  Hofbrunnen  im  ehe- 
maligen Rathhaus  der  Stadt  Wien  (Perseus  befreit  die  Andromeda), 


296  A'bert  Ilg 

endlich  seine  classische  Schöpfung  des  Brunnens  auf  dem  neuen 
Markte  mit  der  Hygieia  und  den  vier  liegenden  Flussgottheiten 
der  Enns,  Traun,  Ybbs  und  March.  In  den  reifsten  Werken 
Donners  drückt  sich  ein  reines  und  wahres,  zugleich  aber  vom 
höchsten  Idealismus  verklärtes  Naturstadium  aus,  welches  bei  den 
Antecedentien  des  zeitgenössischen  Geschmackes  und  bei  seiner 
geringen  Kenntnis  von  den  Alten  geradezu  bewundernswert  erscheint 


Abb.  64.     PfcU  von  C.  R,  Donner  im  Dome  zu  Gurk. 

Er  hat  damit  einer  Richtung  Bahn  gebrochen,  welche  die  ganze 
Folgezeit  des  XVIII.  Jahrhunderts  beherrschte,  in  der  aber  von 
seinem  großen  Geiste  bei  nicht  genügend  begabter  Nachkommen- 
schaft bloß  das  Formale  vorhielt  und  steh  allmählich  in  den 
akademischen  Scbablonismus  des  Empirestiles  verwässerte.  In 
seinen  Frauengestalten  erinnert  Donner  oft  sehr  deutlich  an 
Canova,    ohne     dessen    Süßlichkeit    zu    theilen,     und    an    Thor- 


Die  Barocke. 


297 


waldsen,  den  er  aber  durch  Wärme,  Lebendigkeit  und  Innigkeit 
übertrifft.  Deutlich  zeigt  sich  das  in  seiner  ergreifenden  Blei- 
gruppe der  Pietä  im  Dome  zu  Gurk.  (Siehe  Abb.  64.)  Von 
seinen  Schülern  ist  der  bedeutendste  der  Tiroler  Nikolaus  Balthasar 
Moll,  dessen  Thätigkeit  aber  bereits  mehr  in  die  Rococopefiode 
hinüberreicht.  Von  zwei  Brüdern  Georg  Rafael  Donners  war 
der  jüngste,  Sebastian,  ein  vorzüglicher  Ornamentiker,  ihm  mehr- 
fach behilflich,  während  der  ältere  Matthäus  (1704— 1756)  eine 
selbständig  hohe  Bedeutung  errang;  er  war  ausgezeichnet  als 
Porträtist,  wie  wir  denn  von  ihm  herrliche  Büsten  in  Bronze  und 
Blei  besitzen  (Karl  VI.  und  dessen  Gemahlin  Elisabeth,  Franz  I. 
und  Maria  Theresia  in  der  kaiserlichen  Akademie  und  im  kunst- 
historischen Museum).  Noch  viel  wichtiger  aber  ist  er  als  einer 
der  größten  Medailleure  Österreichs,  er  leitete  die  neu  gegründete 
Münz-  und  Graveur-Akademie  in  Wien.  Aber  auch  neben  Matthäus 
Donner  glänzt  im  damaligen  Österreich  dieses  Fach  durch  aus- 
gezeichnete Namen,  wie  Benedict  Richter,  Gennaro,  Warou, 
Domanöck  u.  a.     * 

Eigenartige  und  bedeutende  Erscheinungen  vollsäftigsten 
Barockcharakters  treten  uns  entgegen  in  den  Bildhauern  Mathias 
Braun  und  Johann  Brokoff,  beide  in  Prag,  sowie  in  Balthasar  Per- 
moser. Braun,  in  Innsbruck  1684  geboren,  studierte  in  Italien,  wo  er 
ganz  sich  in  den  Geist  Beminis  versenkte.  Durch  den  Grafen  Sporck 
nach  Böhmen  geführt,  entfaltete  er  dort  eine  überreiche  Thätigkeit, 
schmückte  dessen  Gärten  und  Kirchen  mit  zahlreichen  Statuen, 
schuf  fiir  die  alte  Karlsbrücke  in  Prag  einige  Figuren  und  schmückte 
das  Clam-Gallas'sche  Palais  daselbst  mit  den  Karyatiden  und 
Atticafiguren,  er  starb  in  Prag  1738.  Brokoff,  ein  Ungar  (1652  bis 
1718),  sowie  sein  Sohn  Johann  Ferdinand  (1688 — 1731)  verfolgten 
.  eine  ähnliche  Richtung;  das  bedeutendste  Werk  des  letzteren  ist 
die  Kolossalgruppe  des  heil.  Franciscus  Xaverius  auf  der  Prager 
Brücke,  eine  effectvolle  Bemineske  Composition,  bei  der  letzten 
Überschwemmung  leider  zerstört.  Auch  der  schon  genannte  Ignaz 
und  der  ältere  Johann  Georg  Bendel,  von  welch  letzterem  die 
Mariensäule  auf  dem  Altstädter  Hauptplatz  (1650),  verdienen 
Erwähnimg.  Permoser,  aus  Bayern  gebürtig  (1651— 1732),  als 
Mensch  ein  wunderlicher  Kauz,  in  Salzburg  und  Rom  gebildet, 
war  für  die  Großherzoge  von  Toscana,    dann  in  Wien  für   Prinz 


298  Albert  Ilg 

Eugen,  endlich  in  Berlin  und  Dresden  thätig.  Wie  er  das  hyper- 
barocke Princip  malerischer  Compositionsweise  bis  zum  äußersten 
übertrieb,  zeigt  seine  Statue  des  genannten  Prinzen  im  Belvedere 
zu  Wien  (siehe  Abb.  65). 

Tirol  brachte  in  dieser  Periode  eine  ungeheuere  Menge  von 
Holzschnitzern,  Elfenbeinschneidem  und  Bildhauern  hervor,  welche 
meistens  als  Autodidakten  ihre  Laufbahn  begannen  und  dann  ent- 
weder der  modehaften  Richtung  der  Italiener  oder  einem  meist 
drastischen  Naturalismus  anheimfielen.  Hierher  gehören  die  Nissl, 
Pendl,  Pichler,  Schnepf  und  viele  andere.  Johann  Hagenauer,  in 
Salzburg,  dann  an  der  Akademie  in  Wien  thätig  (1732  geb.), 
gehört  zwar  schon  einer  späteren  Zeit  an,  verräth  aber  mit  seiner 
Mariensäule  vor  dem  Salzburger  Dom,  dem  Prometheus  und 
mehreren  kleineren  Gruppen  im  Wiener  Hofmuseum  noch  kräftige 
Barocktraditionen,  wogegen  seine  zierliche  Diana  im  Schönbrunner 
Parke  bereits  den  Übergang  zum  Rococo  anmeldet 

Während  die  Malerei  der  späteren  Renaissance  in  Osterreich, 
vorzugsweise  in  der  reich  vertretenen  Gruppe  der  um  Kaiser 
Rudolf  II.  gescharten  Meister,  größtentheils  einen  Eklekticismus 
repräsentiert,  welcher  Michelangelo,  Correggio  und  die  späteren 
Florentiner  zu  seinen  Hauptingredientien  zählt  und  sich  vorzugs- 
weise in  kleinem,  zierlichem  und  glattem  Vortrage  gefallt,  so  geht 
die  Malerei  des  Barockstils  hier  naturgemäß  einen  ganz  anderen 
Weg.  Zunächst  begegnen  vereinzelte  Meister  wie  Clemens  Beutel, 
Georg  Bachmann,  Tobias  Pock,  der  Florentiner  Jesuitenmönch 
Arsenio  Mascagni  in  Salzburg,  welche  sozusagen  mit  einem  Fuße 
noch  auf  Spätrenaissanceboden  stehen  und  noch  strengere  Compo- 
sitionsweise besitzen.  (Werke  von  Beutel  in  Linz,  von  Bachmann 
in  Melk  und  bei  den  Dominicanern  in  Wien,  von  Pock  Hochaltar- 
blatt bei  St.  Stephan.)  Der  Nürnberger  Joachim  von  Sandrart 
(1606— 1688),  nach  Honthorst  und  Rubens,  aber  auch  nach  Tizian  und 
Veronese  gebildet,  hatte  in  Osterreich  starken  Einfluss;  in  Garsten 
und  anderen  Stiftern  finden  sich  tüchtige  Bilder  seiner  Hand,  im 
Wiener  Dom  eine  kolossale  Kreuzigung.  Ein  anderer  Nordländer, 
größtentheils  italienisch  geschult,  ist  Sconjans  (Bilder  bei  St.  Peter 
in  Wien),  ferner  der  Ungar  Johann  Spielberger,  welcher  durch  die 
dritte  Gemahlin  Leopolds  I.,  Eleonora,  vom  Düsseldorfer  Hofe  nach 
Wien  kam,  dann  Caspar  Rem,  ein  treuer  Nachahmer  des  Veronese. 


Die  Barocke. 


299 


Venedig  wurde  überhaupt  die  Schule  einer  ganzen  Gruppe  öster- 
reichischer Meister  von  Bedeutung,  welche  wie  alle  die  vorge- 
nannten im  StafFeleibilde,  weniger  im  Fresko,  sich  bethätigten.  Der 
Münchner  Maler  Karl  Loth  (Carlo  Lotto)  versammelte  eine  Schüler- 
schaft in  der  Lagunenstadt  um  sich,  von  welchen  Turriani, 
Dallinger,  Peter  Strudel  und  Rottmayr  später  in  Osterreich  eme 
große  Wirksamkeit  entfalten  sollten.  Aber  auch  die  Venezianer 
Ricci  und  Liberi  waren  als  solche  Lehrer  für  unser  Vaterland  von 
Einfluss.  Strudel,  der  schon  erwähnte  Stifter  der  Wiener  Akademie, 
welche  im  Anfang  nur  als  Privatinstitut  unter  kaiserlichem  Schutze 
bestand,  ist  ein  kraftvoller  und  efFectreicher  Colorist,  der  zu 
saftigen  und  dunklen  Tönen  neigt,  Johann  Michael  Rottmayr  aus 
LaufFen  bei  Salzburg  (1652  — 1734)  kam  um  1700  nach  Wien,  wo 
er  für  Schönbrunn,  Hietzing,  die  Peters-  und  Karlskirche  sowohl 
Altar-  als  Freskogemälde  schuf;  auch  Heiligenkreuz  besitzt  schöne 
Werke  von  ihm,  welche  wie  alle  den  Einfluss  der  classischen 
Venezianer  verrathen.  Seine  Compositionsweise  ergeht  sich  bereits 
im  reichsten  Stile,  gehäufte  Figurenmassen  in  großartiger  Anord- 
nung, Verkürzungen  und  Perspectiven  geben  seinen  Schöpfungen 
einen  äußerst  imposanten  Charakter,  womit  das  letzte  der  ein- 
facheren Renaissancerichtung  abgestreift  und  der  eigentlichen 
barocken  Monumentalität  die  Thore  geöffnet  scheinen.  Neben 
diesen  geschlossenen  Gruppen  dringen  aber  auch  Einzelerschei- 
nungen  in  Osterreich  ein,  welche  allerdings  mehr  wie  Wander- 
vögel durchstreichen,  aber  keine  nachhaltige  Wirkung  hinterlassen. 
Dazu  gehört  Carlo  Carlone  aus  Genua,  ein  virtuoser  Deckenmaler 
(siehe  Abb.  66),  der  Neapolitaner  Francesco  Solimena,  welcher  im 
Auftrage  Eugens  nach  Wien  kam  und  um  1723  für  diesen  Prinzen 
in  der  Kapelle  des  Belvederes  sowie  im  Schlosshof,  aber  auch  für 
den  Kaiser  seine  schwarzschattigen  und  doch  bunten  Bilder  malte; 
der  bravouröse  Schnellmaler  Giovanni  Antonio  Pellegrini  aus  Padua 
(1674 — 1741),  nach  Genga  u.  a.  Römern  gebildet,  von  dem  wir 
das  Kuppelgemälde  bei  den  Salesianerinnen  in  Wien  besitzen;  der 
weiche,  süße  und  zierliche  Beduzzi  (großer  Plafond  im  Landhause 
zu  Wien),  Antoni  Belucci  aus  Venedig  (1654 — 1726,  Bilder  in  der 
Liechtensteingallerie);  der  von  Prinz  Eugen  berufene  Bolognese 
Marcantonio  Chiarini,  welcher  im  Belvederepalaste  das  große 
Deckenbild   des    unteren    Saales    und    kleinere    Säle    im   oberen 


300  Albert  Ilg 

Gebäude  schmückte,  dessen  Schwiegersohn  Gaetano  Fanti  ein  viel 
gesuchter  und  bewährter  Meister  für  architektonische  Perspectiv- 
Decorationen  auf  Plafonds  wurde,   welcher  den  großen  Künstlern 
Gran,    Rottmayr,    Altomonte  u.    a.   vielfach  solche  Umrahmungen 
ihrer  Fresken  lieferte.     Ganz  verschieden  ist  wieder  der  gleichfalls 
für  die  Säle  des  Belvederes  beschäftigte  Jonas  Drentwett  aus  Augs- 
burg,   vorzugsweise  ein  Ornamentiker,    dessen   phantastischer  Stil 
zwischen    den    Elementen    der    deutschen    Renaissance   und    dem 
beginnenden    Rococo   schwankt,     ohne    etwas    Italienisches     oder 
Barockes  an  sich  zu  haben,    im  Figuralen  aber  Rubens  zum  Vor- 
bilde  genommen   hat.     Auch   Robert  Biss   gehört   der   deutschen 
Richtung    an    (großer   Saal  im   Stifte  Göttweih),    die   Hauptstätte 
seines  Wirkens  war  aber  Würzburg.      Schon   wo  von  Fischer  von 
Erlach  die  Rede  war,  gedachten  wir  Louis  Dorignys,  des  einzigen 
Franzosen,    welcher  in   der   Freskokunst   Österreichs   damals  eine 
Rolle  spielt.     Werke  von  seiner  Hand   in  Wien  und  ehemals  im 
Dom  zu  Trient  lassen  den  Schüler  Lebruns   erkennen.      Ziemlich 
am  Schlüsse  der  Barockperiode  erscheint  noch  auf  isolierte  Weise 
der   Römer   Gregorio    Guglielmi,    dort  von    dem    großen   Maratta 
beeinflusst,     welcher   in   Wien    den    Riesenplafond   im    Saale    der 
Akademie    der   Wissenschaften,    sowie   die   zwei    Decken    in    der 
Gallerie    des    Schlosses   Schönbrunn,    übrigens  erst  in  den  Tagen 
Maria  Theresias,   gemalt   hat.     Des  Jesuiten   Pozzo  wurde  schon 
oben  gedacht.     Auch  alle  Kronländer  haben   Überfluss  von   der- 
gleichen fingerfertigen   Virtuosen.      In   Tirol  wirkten  die   Brüder 
Asam,    die  Malerfamilie  der  Waldmann   in  Innsbruck  (Fresken  in 
der  Stiftskirche  zu   Wiltau),   Johann  Grasmayr,    ein   Schüler   von 
Lotto  und  Trevisani  in  Venedig,  der  hochtalentierte  Johann  Holzer, 
sehr  geschickt  im  Bemalen  von  Häuserfa9aden,  welche  dann  aber 
erst  in   Augsburg  zur  höchsten   Vollendung  gelangten,    der   ihm 
verwandte  Günther   (sehr  freundliche  Fresken  im  Stifte  Neustift), 
die    schon    genannten    Schor,    Mühldorfer,    Guiseppe    Alberti   aus 
Cavalese,  von  welchem  markige  Gemälde  im  Dom  zu  Trient.    Sein 
Schüler    Michelangelo    Unterberger,    sowie    dessen    Bruder    Franz 
imd  Neffe  Christoph  waren  vielseitige  Kirchen-  und  StafFeleimaler 
eklektischer  Richtung.     Auch  Paul  Zeiler,  welcher  lange  Jahre  in 
Rom  lebte,  und  Anton  Zoller  sind  einheimische  Meister,  von  denen 
allenthalben  in  Tirol  Kirchenplafonds  und  Altarblätter  zu  schauen 


Die  Barocke.  oqx 

sind.  In  Salzburg  ragen  neben  den  schon  genannten  der  auch  als 
Landschafter  bedeutende  Johann  Eismann,  Gregor  Lederwasch 
(1726 — 1792),  der  auch  in  Steiermark  und  Kärnten,  in  Admont, 
Schladming  und  Spital  am  Pyhrn  viel  gemalt  hat,  endlich  Schaum- 
burger, auch  von  dem  Fürsten  Schwarzenberg  in  Böhmen  beschäftigt, 
hervor.  In  Oberösterreich  entfaltete  im  Stifte  Garsten  der  Tiroler  Karl 
von  Resslfeld  als  Freskant  eine  reiche  Thätigkeit.  Steiermark  rühmt 
sich  außer  der  schon  erwähnten  besonders  Johann  Adam  Weissen- 
kirchers  (f  1695),  eines  Schützlings  der  Eggenberger,  die  ihn  nach 
Rom  geschickt  hatten.  Sein  Hauptwerk  ist  in  dem  gleichnamigen 
Schlosse  jenes  Fürstengeschlechtes  bei  Graz  ein  großer  Plafond,  bei 
welchem  er  Guido  Renis  berühmtes  Fresko  im  Palaste  Rospigliosi  zu 
Rom  sich  zum  Vorbilde  genommen  hatte.  Johann  Scheith  fertigte 
die  Fresken  in  Maria  Trost,  Johann  Hauck  (f  1746)  hat  in  Rein, 
Neuberg,  im  Grazer  Dom  und  im  Stifte  Voran  zahlreiche  Werke 
hinterlassen,  das  letztere  Stift  ist  im  übrigen  fast  gänzlich  von 
dem  Schüler  Marattas,  Johann  Hackhofer  (1658— 1731),  gemalt,  auch 
hat  derselbe  in  der  Kirche  zu  Festenburg  eine  beinahe  unbegreifliche 
Fruchtbarkeit  entwickelt,  worin  ihm  sein  Landsmann,  der  gleich- 
falls aus  Tirol  stammende  Josef  Ritter  von  Molk  beinahe  gleich- 
kommt, welcher  aber  auch  bei  den  Serviten  in  Wien  und  in 
Niederösterreich  in  gleicher  Weise  thätig  war.  Der  bedeutendste 
Künstler  dieser  Art  in  Krain  ist  der  Maler  der  Domkirche  zu 
Laibach,  Giulio  Guaglia  (1704).  Eine  fast  noch  größere  Liste  wäre 
von  den  Meistern  in  Böhmen  aufzuzählen,  doch  sei  es  an  den 
hervorragendsten  Namen,  Skreta,  Brandl,  Balko,  Reiner,  Liska, 
genug. 

Wichtiger  als  die  meisten  genannten  ist  Martino  Altomonte 
und  dessen  Sohn  Bartolomeo.  Beide  überaus  fleißigen  Maler  haben 
dadurch,  dass  sie  eine  sehr  lange  Zeit  in  Osterreich  wirkten  und 
fast  in  allen  Kronländern  Werke  hinterließen,  vielleicht  am  meisten 
zur  Verbreitung  eines  heimischen  Typus  des  malerischen  Stiles 
beigetragen.  Der  ältere,  deutscher  Eltern  in  Neapel  Kind  —  er 
hieß  eigentlich  Hohenberg  —  (1657 — 1745)  hatte  in  Rom  Bacizo 
und  andere  Maler  der  Jesuitenkirchen  studiert,  kam  von  Marco 
Aviano  empfohlen  in  die  Dienste  des  Königs  Sobieski,  für  welchen  er 
in  der  Kirche  Zolkiew  in  Galizien  die  noch  vorhandenen  grandiosen 
Wandbilder  der  Befreiung  Wiens  und  des  Sieges  bei  Gran  malte. 


202  Albert  Ilg 

Dann  begab  er  sich  nach  \\^ien,  zog  aber  aucb  in  all  den  weiten 
Erblanden  zeitlebens  umher,  unennüdet  in  Stiftern,  Kirchen  und 
Schlössern,  Altar-  und  Plafondgemälde  schaffend,  bis  ihn  das 
nahende  Alter  neben  dem  Bildhauer  Giuliani  als  Laienbrüder  in 
den  Klosterfrieden  führte.  In  Heiligenkreuz  schmückt  das  Refec- 
torium    seine    edelste    Composition    (Speisung    der   Fünftausend). 


Abb.  67.     Saal  im  Stifte  St.  Florian. 

Aber  es  gibt  kaum  ein  bedeutendes  geistliches  Hans,  wo  er  nicht 
vertreten  wäre,  und  fast  noch  fruchtbarer  ist  der  Sohn  Bartholomäus 
(1702— 1779),  von  dessen  Werken  besonders  Oberösterreich  übervoll 
ist  (siehe  Abb.  67).  Die  Altomontes  ziehen  an  durch  ihren  leichten, 
lieblichen  Stil,  dem  ein  fast  spielend  frohes  Colorit  entspricht. 
Ihre  lächelnden  Frauengesichter  mit  Stumpfnäschen  und  Wangen- 
grübchen begegnen  immer  wieder. 


Die  Barocke. 


303 


Mähren  und  seine  Hauptstadt  Brunn  hat  in  den  Meistern  Ignaz 
Eckstein,  Johann  Etgens,  Michael  Willmann,  Franz  Hörle  sehr 
wackere  Repräsentanten  der  monumentalen  Malerei  jener  Epoche. 
Der  Schauplatz  der  Thätigkeit  ersterer  ist  die  herrliche  Klosterkirche 
von  Welehrad,  welche  seit  1724  durch  Baitassaro  Fontano  in  Carlo- 
nesker  Manier  aus  dem  alten  romanischen  Typus  mit  Stuccaturen- 
decoration  umgestaltet  wurde,  an  den  Fresken  arbeitete  auch  Pagani. 
Hörles  bedeutende  Schöpfung  aber  ist  der  freundliche  Dianaplafond 
im  fürstlich  Schwarzenbergischen  Jagdschlosse  Ohrad  in  Böhmen. 

Nach  Ungarn  drangen  sowohl  italienische  als  deutsche  Meister 
aus  dem  Westen  der  Erblande  vor.  In  den  großen  Stiftern  wieWaizen, 
Gran,  Martinsberg,  in  den  Städten  wie  Pest,  Ofen,  Fünfkirchen,  Stuhl- 
weißenburg, Erlau,  Kaschau  etc.  finden  wir  Werke  der  Altomonte, 
Bergl,  Sambach,  Maulbertsch,  Kremser,  Schmidt  etc. ;  besonders  die 
Entstehung  der  glänzenden  Schlösser  der  Esterhazy  zog  Architekten, 
Bildhauer  und  Maler  nach  Osten,  aber  schon  in  den  Tagen  Karls  VI. , 
mit  der  erneuten  Blüte  dieser  den  Türken  entrissenen  Lande,  hatte 
die  Invasion  solcher  Meister  aller  Art  ihren  Anfang  genommen. 

Die  interessanteste  Künstlererscheinung  auf  unserem  Gebiete 
ist  in  dieser  Epoche  Daniel  Gran  (1694 — 1757).  Reicht  seine 
Bedeutung  auch  nicht  zu  einer  solchen  Höhe  empor,  dass  man 
ihn  als  Maler  dem  Architekten  Fischer  und  dem  Bildhauer  Donner 
vollkommen  ebenbürtig  an  die  Seite  stellen  könnte,  so  muss  doch 
zugegeben  werden,  dass  Gran  unter  seinen  Fachgenossen  mit  jenen 
Unsterblichen  am  ehesten  das  Dreigestim  der  damaligen  Kunst 
Österreichs  bilden  dürfte.  Der  Grund  davon  ist  folgender:  Es  gibt 
zwar  manchen  Meister  der  Palette,  welcher  ihm  damals  an  Wert 
nicht  nachstand,  Rottmayr  z.  B.  überragt  ihn  an  Ernst  und  Groß- 
heit der  Composition,  jedoch  das  kunsthistorisch  Bedeutende  an 
Gran  ist  ein  Umstand,  welcher  zeigt,  dass  in  ihm  eine  Überzeugung 
lebte,  welche  congenial  ist  mit  den  innersten  Kunstimpulsen  eines 
Fischer  und  eines  Donner.  Ich  meine  die  reinigende  Tendenz, 
das  bewusste  Zurückstreben  zum  Klaren,  Großen  und  Einfachen, 
indem  Gran  durch  das  Studium  Carlo  Marattas  sich  den  Classikem 
der  Renaissance  zu  nähern  suchte.  Freilich  war  es  dem  Maler 
der  Barocke  dabei  noch  schwerer,  den  Modegeschmack  seiner 
Zeit  los  zu  werden,  als  dem  Architekten  oder  Bildhauer.  Sovifl 
wir   aus   seinem    Leben    wissen,    war   Gran    ein    Verwandter   des 


304 


Albert  Ilg 


berühmten  Predigers  Abraham  a  Santa  Clara,  der  ihn  dem  Fürsten 
Schwarzenberg  empfahl.  Als  Lehrling  nahm  auf  ihn  der  genannte 
Hörle  in  Brunn  den  meisten  Einfluss,  dann  zog  er  nach  Italien, 
wo  in  Venedig  Sebastiano  Ricci  und  in  Neapel  Solimena  auf  ihn 
Eindruck  machten,  bei  weitem  mehr  aber  noch  in  Rom  die  hinter- 
lassenen  Schöpfungen  Marattas  und  die  Stanzen  des  Vatican.  In 
Wien  begann  er  nun  zunächst  die  Ausschmückung  der  beiden 
großen  Säle  im  Schwarzenbergischen  Sommerpalais,  malte  dann 
um  1729  die  grandiosen  Gewölbe  in  Prandauers  Kirche  auf  dem 
Sonntagsberg  und  gleich  darauf  sein  Hauptwerk  im  Saale  der 
Hofbibliothek  zu  Wien,  welches  Winckelmann  Rubens  Gallerie  des 
Luxembourg  an  die  Seite  stellt,  neben  der  Gallerie  zu  Versailles 
des  Lebrun  preist,  der  Apotheose  des  Hercules  von  Le  Moine  da- 
selbst aber  weit  vorzieht.  Es  folgte  der  große  Plafond  im 
Kinskyschen  (jetzt  kaiserlichen)  Lustschloss  Eckartsau  (1731),  sein 
hochpoetisches  Altarbild  St.  Elisabeth  für  die  Karlskirche,  der 
Plafond  im  Landhaus  zu  Brunn,  die  Fresken  des  Presbyteriums 
in  Herzogenburg,  der  Plafond  des  kaiserlichen  Lustschlosses  Hetzen- 
dorf, das  erhabene  Himmelfahrtsbild  in  Lilienfeld,  die  Fresken  in 
Seitenstätten,  der  Entwurf  für  die  Decke  der  Bibliothek  in  Sanct 
Florian  (ausgeführt  von  B.  Altomonte  und  Ant.  Tassi),  die  Sanct 
Annakirche  in  Wien,  der  Plafond  des  Riesensaales  in  Kloster- 
neubürg  (Verherrlichung  Leopolds  des  Heiligen),  die  Gemälde  im 
Dom  zu  St.  Polten,  die  heiteren  Fresken  im  Saale  des  Schlosses 
Friedau  und  jene  im  Kapuzinerkloster  zu  Stein  an  der  Donau. 
Der  Wiener  Akademie  war  der  stolze,  zu  hohem  Ansehen  gelangte 
Maler  durchaus  abhold  und  wies  das  Directorat  dieser  Anstalt 
1751  mit  geradezu  verächtlichen  Worten  zurück.  Er  brachte  die 
letzte  Lebenszeit  in  St.  Polten  zu,  wo  er  starb. 

Alle  die  Barockmaler  im  allgemeinen  charakterisierenden 
Eigenschaften,  Fülle  der  Production,  Reichthum  der  Phantasie 
und  Ideen,  Prachtliebe  und  Großartigkeit  sind  bei  Gran  in 
gesteigertem  Maße  vereinigt.  Er  übertrifft  sie  aber  durch  eine 
gewisse  Sicherheit  und  Größe  seines  Könnens,  durch  Poesie  und 
Lieblichkeit  der  Erfindung  und  größere  Zielbewusstheit  in  der  Ver- 
folgung  seiner  Überzeugung.  Seine  Hauptschwäche  ist  die  Nei- 
gung zu  einem  etwas  allzuweichen  und  bunten  Colorit,  welches  in 
den  letzten  Werken  manchmal  zu  süßlicher  Verblasenheit  ausartet. 


Die  Barocke. 


305 


Neben  der  großen  Malerei  kirchlichen,  mythologischen  nnd 
allegorischen  Charakters  hat  unsere  Barocke  auch  noch  auf  anderen 
Gebieten  Ansehnliches  geleistet.  Im  Porträt  begegnet  selbstver- 
ständlich jene  Richtung,  welche  der  Zeitepoche  als  pathetisch 
idealisierende  Auflfassung,  unserm  realistischen  Jahrhundert  aber 
häufig  als  theatralische  Aufgeblasenheit  und  affectierte  Manier 
erscheint.  Die  Herren  und  Damen  in  Allongeperücken,  Staats- 
kleidem,  Purpurmänteln,  Harnischen  oder  Reifröcken  waren  damals 
Mode,  mit  Stellungen,  wie  sie  die  Barocke  von  antiken  Statuen 
herüberparodierte  ä  la  Jupiter,  Apollo,  Cäsar,  Juno  oder  Diana; 
der  Gesichtsausdruck  immer  hübsch  uniform  von  souverän-vor- 
nehmer Kühle,  die  Hände  nicht  nach  der  Natur,  sondern  in 
erlogener  Formvollendung  hineingemalt,  dazu  rauschende  und 
flatternde  Gewänder,  starrende  Spitzen,  glitzernde  Diamanten, 
kostbare  Hermeline  —  das  ist  so  der  übliche  Apparat,  mit  welchem 
die  dienstwillige  Malerei  damalige  große  und  kleine  Erdengötter 
zu  verherrlichen  liebte.  Auf  diesem  Felde  sind  für  Osterreich 
auch  in  der  Barocke  die  Franzosen  maßgebend  gewesen:  ein 
Minard,  Lebrun,  Rigaud  u.  a.  Zu  unseren  vorzüglichsten  Künstlern 
des  Fachs  gehören:  der  bei  I<argilliöre  in  Paris  gebildete,  von 
niederländischen  Eltern  stammende  Jakob  van  Schuppen  (1669  bis 
1751),  welcher  Eugen  mehrmals  portraitierte;  Johann  Gottfried 
Auerbach,  auch  Freskomaler  (1697— 1743),  von  dem  wir  das 
schöne  Bildnis  Karls  VI.  im  spanischen  Hofkleide  (Hofmuseum) 
besitzen;  sein  Colorit  ist  hell,  jenes  des  vorgenannten  dunkel; 
Christoph  lyauch  (1647  geboren)  hält  sich  mehr  an  deutsche  Vor- 
bilder, malte  Kaiserbilder  für  die  Stadt  Wien;  Friedrich  August 
Olenhainz  (1745 — 1804),  streng  barock  noch  im  Rococozeitalter, 
welcher  sich  die  Weise  des  großen  Rubens  nach  seinem  Sinne 
zurecht  legte  (Schwarzenbergische  Familienportraits);  endlich  der 
berühmteste  von  allen  Martin  von  Meytens  (1695 — 1770),  ebenfalls 
erst  unter  Maria  Theresia  vorzugsweise  in  Blüte,  geistig  aber 
noch  in  diese  Periode  gehörig,  auch  er  nahm  in  Paris  seine 
Studien,  leitete  dann  die  Wiener  Akademie  und  wurde  ein  wahrer 
Grandseigneurkünstler  und  Hofmann  der  Palette,  der  gefeierte 
Liebling  aller  vornehmen  Kreise  im  Lande.  Seine  Bilder  und 
ihre  immer  wiederholten  Copien  durch  seine  Schüler  sind  über 
ganz  Osterreich  und  Ungarn  verbreitet,  am  öftesten  malte  er  seine 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungrani.  20 


3o6  Albert  Ilg 

ihn  hochschätzende  Kaiserin  Maria  Theresia  und  deren  Gemahl. 
Meytens'  geradezu  classisches  Werk  ist  das  Porträt  der  unsterb- 
lichen Monarchin  zu  Schönbrunn  im  rosarothen  Reifrock  mit  den 
kostbaren  Brüsseler  Palmenspitzen,  ein  wahres  Gedicht  von  Anmuth 
und  bezaubernder  Grazie;  als  ungarische  Königin  im  weißen  Kleide 
stellte  er  sie  majestätisch  in  dem  Kniestücke  dar,  welches  die 
Kaiserin  der  Wiener  Akademie  schenkte;  ein  drittes  prachtvolles 
Bildnis  in  goldgestickter  Robe  gehört  der  Stadt  Wien.  Seine 
Farbentöne  sind  hell,  leicht  und  schmeichelnd,  das  Stoffliche  immer 
ausgezeichnet  behandelt,  wie  er  sich  denn  für  die  Spitzen,  die 
Seide,  Pelze  etc.  eigene,  besonders  gewandte  Gehilfen  hielt.  Sehr 
beachtenswert  ist  es  aber,  dass  neben  diesen  gefälligen  und 
gefallsüchtigen  Idealisten  nach  der  Tagesmode  einige  Künstler, 
wie  in  anderen  Ländern  auch  in  Österreich,  damals  darnach  strebten, 
im  Bildnisse  die  naturalistische  Wahrheit  zu  Ehren  zu  bringen 
und  der  geschminkten  theatralischen  Manier  Opposition  zu  machen. 
Der  geistreichste  Repräsentant  dieser  Tendenz  ist  Johann  Kupetzki 
(1667 — 1740).  Das  Leben  dieses  Künstlers,  von  mährischer  Ab- 
stammung in  Ungarn  herangewachsen,  in  Wien  und  Italien  gebildet, 
endlich  in  Nürnberg  sein  unruhiges  Leben  beschließend,  ist  fast 
ein  Roman.  Der  Secte  der  mährischen  Brüder  angehörend  und 
daher  nicht  ohne  religiöse  Einseitigkeit  und  Phantastik,  sonderbar 
in  seinem  Wesen,  misstrauisch  und  daher  selbst  die  Gunst  Karls  VI. 
und  Eugens  zurückweisend,  überdies  das  Opfer  eines  schlechten, 
sittenlosen  Weibes,  brachte  er  sein  Dasein  bedauernswert  dahin. 
Kupetzkis  frühere  Bildnisse  schließen  sich  noch  der  beliebten 
Weise  der  Franzosen  und  Italiener  an,  dann  aber  erkürt  er  Rem- 
brandt  zu  seinem  Vorbilde  und  bringt  auf  dieser  Bahn  in  der  That 
die  geistreichsten,  kernigsten  und  interessantesten  Porträte  der 
Periode  hervor,  selbstverständlich  sich  auch  gänzlich  ins  coloristische 
Kleid  des  großen  Holländers  hüllend.  Ein  anderer,  Ungarn  ange- 
höriger  Künstler,  wie  es  scheint,  von  nicht  geringer  Bedeutung 
ist  Adam  Manyoki,  dessen  Leben  und  Kunst  aber  heute  noch  in 
tiefes  Dunkel  gehüllt  und  von  der  Forschung  fast  gar  nicht  berührt 
ist.  Auch  seine  Gestalt  umhüllen  Abenteuer,  er  soll  selbst  ver- 
brecherische Thaten  begangen  haben,  wurde  aus  Berlin  flüchtig 
und  kam  dann  nach  Warschau.  In  Ungarn  dürften  manche  Werke 
von   ihm  versteckt   sein.      Wenn   von    Manyoki   gesagt   wird,    er 


Die  Barocke. 


307 


erinnere  an  den  jüngeren  Nattier,  so  scheint  damit  angedeutet,  dass 
vielleicht  auch  der  Ungar  dem  Ideale  des  Rubens  nachgestrebt  habe, 
allerdings  aber  ist  im  übrigen  sein  französisches  Muster  berüchtigt 
als  Verschönerer  sowohl  der  Schönheit  als  der  Hässlichkeit 

Die  Landschaftsmalerei  wird  im  österreichischen  Barockzeit- 
alter theils  im  decorativen  Stile  geübt,  in  welcher  Hinsicht  die 
betreflfenden  Künstler  sich  hauptsächlich  an  die  Idealisten  der 
römisch-französischen  Schule  anklammem,  freilich  nicht  ohne  den 
hohen,  maßvollen  Schönheitssinn  eines  Poussin-Dughet  und  Claude 
Lorraine  in  ziemlich  theatralischer  Flüchtigkeit  zu  verunstalten. 
Künstler  dieser  Art  sind  die  tirolischen  Feistenberger.  Der 
bedeutendste  ist  wohl  Christian  Hilfgott  Brand,  welcher  aber  nach 
der  eklektischen  Manier  der  Zeit  mit  den  Reminiscenzen  an  jene 
Idealisten  auch  ganz  ungeniert  die  Traditionen  der  niederländischen 
Landschafter  durcheinanderwirft.  Ihm  folgt  in  gleicher  Weise 
sein  Verwandter  und  Schüler  Johann  Christian  Brand.  Paul  Ferg, 
Max  Schinnagel,  Josef  Orient  sind  Nachahmer  der  Niederländer 
des  XVII.  Jahrhunderts.  Unter  den  Thiermalern  nimmt  die  aus 
Schottland  stammende  Familie  der  Hammilton  eine  bedeutende 
Stellung  ein.  Johann  Georg  dieses  Namens  diente  Karl  VI.,  den 
Fürsten  Liechtenstein  und  Schwarzenberg  und  hat  namentlich  als 
vortrefflicher  Darsteller  der  damals  hochbeliebten  spanischen  Pferde- 
rassen einen  berühmten  Namen.  Philipp  Ferdinand  ist  bekannt 
als  trefflicher  Maler  von  Vögeln.  Endlich  repräsentieren  auch  die 
Blumenmalerei  einige  tüchtige  Namen,  von  welchen  wir  nur  kurz 
den  Hamburger  Franz  Werner  Tamm  (1658 — 1724)  anführen  wollen, 
in  Wien  für  den  Hof  und  den  Adel  vielfach  beschäftigt,  einen 
Schüler  des  berühmten  Blumenmalers  Nuzzi  in  Rom ;  Heinitz  von 
Heintzenthal,  von  welchem  Supraporten  im  unteren  Belvedere  etc. 
Das  Pastellbild  sowie  die  Miniatur  auf  Elfenbein  werden  zwar  in 
der  Barockepoche  bereits  wert  gehalten,  erreichen  eine  modehafte 
Beliebtheit  aber  erst  in  den  folgenden  Decennien. 

Es  ist  uns  in  diesem  knappen  Charakterbilde  nicht  möglich, 
der  Entwicklung  des  Kunstgewerbes  in  derselben  Zeit  im  gleichen 
Maße  zu  folgen,  nur  im  allgemeinen  sei  angedeutet,  dass  im 
ganzen  der  großmonumentale  Geist  der  Barocke  dem  Gedeihen 
desselben  nicht  so  günstig  war  wie  das  kleinlichere,  intimere, 
bürgerlich  handwerkliche  Wesen  der  deutschen  Renaissance.    Auch 

20* 


308  Albert  Ilg. 

druckt  sich  in  demselben  etwas  speciell  Österreichisches  nicht  so 
charakteristisch  aus,  die  einzige  Glasindustrie  ausgenommen,  welche 
in  Böhmen  zur  höchsten  Blüte  erwachte  und  alle  anderen  Pro- 
ducte  verdrängend  den  gesammten  europäischen  Geschmack 
beherrschte.  Hochbedeutend  sind  ferner  die  Arbeiten  von  Schmiede- 
eisen, aus  welchem  prachtvolle  Parkthore  und  Gitter  (Belvedere, 
Schlosshof)  hergestellt  wurden  (siehe  Abb.  68).  Von  den  Kaisem 
wurden  große  Anstrengungen  gemacht,  das  Gewerbe  in  den  Erb- 
landen zu  heben  —  Leopold  I.  begann  eine  Gobelinmanufactur, 
Karl  VI.  gründete  die  orientalische  Compagnie,  es  wurden  Seiden- 
webereien eingeführt  etc.,  aber  die  rauhe  Hand  des  Krieges  unter- 
drückte die  meisten  dieser  Versuche.  Nur  durch  die  Gründung 
der  kaiserlichen  Porzellanfabrik  in  Wien  nahm  eine  Kunstindustrie 
mit  localer  Färbung  den  Ursprung,  ihre  glänzendste  Blütezeit  lallt 
aber  in  die  späteren  Zeiten  des  XVIII,  Jahrhunderts. 


DIE  ROCOCOZEIT. 


Von 
AI.BERT   IlG. 


DIE  ROCOCOZEIT. 

Wir  haben  auch  in  diesen  unseren  Charakterbildern  aus  der 
österreichischen  Kunstgeschichte  die  Erscheinungen  des  XVII. 
und  XVIII.  Jahrhunderts  in  die  übliche  Gruppierung  von  Barocke 
und  Rococo  getheilt,  obwohl  wir  von  dem  Ungenügenden  und 
selbst  Unrichtigen  solcher  Kategorisierung  überzeugt  sind.  Schon 
ganz  im  allgemeinen  sind  ja  beide  Begriffe,  ihre  Charakteristica, 
ihre  Unterscheidungen  und  Grenzen  außerordentlich  vag ;  die 
Betitelungen  genannter  Kunstepochen,  welche  gleichzeitig  noch 
nicht  oder  nur  höchst  vereinzelt  vorkommen,  sind  erst  spätere 
Hilfsbezeichnungen,  mit  denen  man  etwas  resümieren  wollte,  wo- 
von doch  eigentlich  nur  sehr  wenig  feste  Begriffe  vorschweben. 
Man  kann  oft  in  der  Kunstgeschichte  eines  Landes,  ja  selbst  bei 
einem  einzelnen  Werke  gar  nicht  sicher  sagen,  wo  die  Barocke 
aufhört  und  wo  das  Rococo  anfängt;  hier  blüht  schon  das  letztere, 
an  einem  anderen  Orte  ist  noch  die  schwere  Barocke  in  voller 
Herrschaft,  nicht  selten  aber  keimt  schon  frühzeitig  am  Barock- 
werke selbst,  wie  ein  Schmarotzergewächs,  das  zierliche  Rococo 
auf.  Wenn  aber  in  diesen  Bezeichnungen  also  gewiss  nur  wenig 
Sicheres  und  Klares  liegt,  so  dienen  sie  doch  dem  Herkommen  gemäß 
nicht  nur  dem  Wissenden,  sondern  selbst  dem  Laien  zur  bequemeren 
Verständigung.  Sieht  er  doch,  dass  allmählich  im  Laufe  des 
XVIII.  Jahrhunderts,  hier  früher,  dort  später,  bald  schneller  und 
kräftiger,  bald  zögernd  und  dürftiger,  im  KunstschaflFen  eine  Ver- 
änderung vor  sich  geht  Die  wuchtige  Monumentalität  der  Formen 
beginnt  dem  Niedlichen,  Kleineren  zu  weichen.  Das  großartig 
Architektonische  oder  eflFectvoU  Malerische  gibt  Raum  dem  zierlich 
Intimen  und  graziös  Decorativen.  Das  energische  Fortissimo  der 
Farben  mäßigt  sich  zu  feinen,  zarteren  Stimmungen,  um  mit  dem 
Fortschritt  der  Kunsterscheinung  endlich  selbst  ins  Matte,  Blasse, 
ja  dann  im  Empire  zur  wahren  Furcht  vor  der  Farbe  zu  degenerieren. 
Die  officiell  pathetische  Sprache  der  Barocke,    welche  immer  wie 


312  Albert  Ilg 

aus  dem  Munde  von  Göttern,  Heroen  und  Königen  klingt,  mildert 
sich  zum  geistreichen,  witzigen,  ja  leichtfertigen  Geplauder  des 
Salons,  der  Intimen,  der  Damen.  Diesem  veränderten  Geiste 
gemäß  erhält  auch  das  gesammte  Rüstzeug  der  Formensprache 
eine  neue  Gestalt.  Die  schweren  Simse,  Pilaster,  Voluten,  Car- 
touchen  etc.  schrumpfen  zu  eleganten  Wandleisten,  feinen  Schnörkeln 
u.  dgl.  zusammen;  die  figurale  Ausstattung  bewegt  sich  nicht  mehr 
ausschließlich  in  den  Höhen  des  Olymps,  sondern  bevorzugt  die 
leichte  Idylle,  wozu  ihr  die  salonfähigen  Gestalten  der  Schäfer- 
poesie das  willkommenste  Personal  darbieten.  Endlich  tritt  ein 
Decorationsmotiv  hier  vorherrschend  in  den  Vordergrund,  die 
Blumenwelt,  welche  die  Barocke  zwar  ebenfalls  nicht  verschmäht 
hatte,  aber  in  Gestalt  von  schweren  Ketten  und  Festons  nur 
wieder  dem  Rahmen  der  Architektur  unterordnete.  Jetzt  gewinnen 
die  leichten  Kinder  Floras  ein  freieres  Leben,  sie  umspinnen  und 
umwuchern  ganze  Wände,  Decken  und  Panneaux,  klettern  unbe- 
kümmert über  Leisten,  Pilaster  und  Comischen  hinweg,  kurz  sie 
haben  die  Fessel  des  Stilistischen  abgeworfen  und  geberden  sich 
rein  malerisch  als  naturalistischer  Schmuck.  Es  ist,  als  ob  man 
in  allem  der  strengen  Zucht  des  Baumeisters  müde  geworden  wäre, 
man  wirft  sich  lieber  dem  Maler,  Tapissier,  selbst  dem  Gärtner  in 
die  Arme,  ja  es  hat  den  Anschein,  als  ob  der  neue  Stil  den  alt- 
hergebrachten Gesetzen  der  Architektur  fast  Spott  bieten  wolle, 
denn  dessen  einfachste  Fügungen,  die  strenge  Gerade,  der  rechte 
Winkel  und  das  reguläre  Viereck  werden  womöglich  gemieden, 
verschobene  Vierecke,  schiefwinklige  Flächen  sind  beliebt  und 
mit  wellenförmigen,  astartigen  oder  unregelmäßig  gewundenen  Ein- 
fassungen versehen.  Die  althergebrachten  classischen  Urformen 
der  Ornamentik  kommen  immer  seltener  vor,  sie  machen  natura- 
listischen oder  ganz  neuen  von  bizarrer  Erscheinung  Platz,  wie 
z.  B.  textile  Gebilde  in  Stuccatur,  Malerei,  Eisenschmiedewerk 
nun  eine  große  Rolle  zu  spielen  anfangen,  wozu  die  gestrickten 
Gitterwerke,  die  hängenden  Quasten,  Schabrackendecken  u.  dgl. 
gehören. 

Aber  auch  damit  ist  das  Neue,  Eigenthümliche  noch  nicht 
erschöpft.  Einen  höchst  wesentlichen  Einfluss  hatte  auf  die  Neu- 
gestaltung das  modehaft  gewordene  Vorbild  der  ostasiatischen  Kunst- 
formen.    Die  Vorliebe  für  chinesische  und  japanesische  Porzellans, 


Die  Rococozeit. 


313 


vieux-Laques,  Fächer,  Schirme,  welche,  von  holländischen  und 
anderen  Flotten  nach  Europa  gebracht,  zuerst  nur  die  Raritäten- 
kammern der  Sammler  gefüllt  hatten,  wuchs  in  dem  Maße,  dass 
diese  seltsamen  Fremdlinge  sich  nun  gebieterisch  in  die  Wohnungs- 
ausstattung eindrängten  und  endlich  aus  bloßen  Gästen  Reformatoren 
des  Stils  und  Geschmacks  selber  wurden.  Die  Herrschaft  des 
naturalistischen  Blumendecors  ist  besonders  eben  durch  solche  ost- 
asiatische Muster  gefördert  worden.  Das  Kunstgewerbe,  namentlich 
in  der  Porzellanfabrication,  welches  seit  der  Mitte  des  Jahrhunderts, 
ja  fast  in  allen  Ländern  Europas  gepflegt  wurde,  erhielt  dadurch 
ein  ganz  neues  Form-  und  Decorationsgepräge,  und  überdies  ent- 
stand das  Genre  der  Chinoiserie  im  figuralen  Gebiete,  welches  im 
Verein  mit  den  in  Atlas  gekleideten  Bergöres  die  theatralischen 
Götter  der  Barocke  ablösen  sollte. 

Man  kann  im  allgemeinen  sagen,  während  die  Barocke,  so- 
sehr sie  auch  den  Geist  ihrer  Zeit  auszusprechen  verstanden  hatte, 
insofern  doch  immer  einen  conservativ  antiquarischen  bewahrte, 
als  sie  alles  auf  der  Basis  antiker  Begriffe  dachte  und  wollte,  so 
sehr  sie  dieselben  auch  sich  mundgerecht  gemacht  hatte,  so  lebt 
im  Rococo  mehr  ein  fortschrittliches,  dem  Zeitgeiste  selbständiger 
huldigendes  Wesen,  weshalb  denn  die  auf  dasselbe  folgende  Periode 
des  Classicismus  von  dieser  Freiheit  und  Ungebundenheit  wieder 
zu  dem  Alten  zurückkehren  zu  müssen  glaubte.  Die  Barocke  redet 
wie  Corneille  und  Racine,  das  Rococo  plaudert  und  witzelt  wie 
Voltaire  und  Diderot;  dort  rauscht  und  schallt  es  wie  in  den 
Oratorien  eines  Händel,  hier  klingt  und  tönt  es  wie  in  Haydns 
Trios  oder  in  den  Arien  des  Pagen  Cherubin.  Dass  aus  dem  gesell- 
schaftlichen Leben,  ja  aus  Politik  und  Moral  Analogien  derselben 
Art  herbeizubringen  wären,  kann  wohl  kein  Zweifel  sein. 

Es  ist  wohl  richtig,  dass  der  neue  Geschmack  von  Paris  aus 
die  civilisierte  Welt  überflutete;  aber  wenn  auch  Frankreich  kraft 
seiner  hohen  politischen  Stellung,  Dank  der  tonangebenden  Ent- 
wicklung seines  gesellschaftlichen  Lebens  und  durch  das  großartige 
Gedeihen  seiner  Kunstindustrie  hier  auf  die  anderen  Länder 
gebieterisch  einwirkte,  so  zeigte  es  sich  doch  deutlich,  dass  auch 
anderorts  aus  den  Gesetzen  der  Stilentwicklung  heraus  sich  in 
den  Barockerscheinungen  die  Anlagen  und  Anfange  zu  ähnlichen 
Formen,    wie    jene,    welche    wir    heute    Rococo   nennen,    schon 


314  Albert  Ilg 

mitten  in  der  Blüte  jenes  älteren  Stiles  zeigen.  Man  ist  oft  über- 
rascht,  z.  B.  in  Österreich  an  Kunstwerken  der  frühen  Zeit 
Karls  VI.,  Josefs  I.,  ja  selbst  bisweilen  schon  ihres  Vaters  Detail- 
motive  zu  gewahren,  welche  sich  dann  im  Rococo  charakteristisch 
wiederfinden,  obwohl  diese  Schöpfungen  sonst  noch  vollständig 
unter  dem  Banne  des  welschen  Geistes  stehen,  welcher  hier  zu 
Lande  nicht  nur  aus  Gründen  der  uralten  Tradition  und  der 
geographischen  Lage  dominierte,  sondern  um  jene  Zeit  aus  der 
speciellen  wichtigen  Ursache,  weil  während  der  Herrschaft  der 
genannten  Kaiser,  also  der  ganzen  Blüte  des  Barockstiles,  auch  der 
schroffe  politische  Zwiespalt  zwischen  den  Habsburgern  und  den 
Bourbons  gerade  in  Österreich  den  französischen  Einfluss  mächtig 
einschränkte.  Später  aber,  namentlich  in  den  Tagen  Maria 
Theresias,  in  denen  ja  sogar  auf  dem  politischen  Gebiete  sich  eine 
Connivenz  zwischen  beiden  Staaten  angebahnt  hatte,  welche  in  der 
Thronbesteigung  der  Lieblingstochter  der  großen  Kaiserin  in 
Frankreich  die  Besiegelung  finden  sollte,  da  strömte  allerdings 
gallisches  Wesen  auch  im  Habsburgerreiche,  wie  auf  jedem  Felde 
des  geistigen  Lebens,  so  auch  in  den  Künsten  mächtig  herein. 
Zwei  bedeutsame  historische  Ereignisse,  der  spanische  Erbfolge- 
krieg und  die  Verbindung  mit  dem  Hause  Lothringen,  gaben  dazu 
vorwiegend  den  äußeren  Anlass.  Die  Consequenzen  des  ersteren 
hatten  an  allen  deutschen  Höfen,  auch  an  dem  bairischen,  welcher 
so  lange  neben  dem  österreichischen  am  meisten  von  italienischen 
Culturelementen  durchdrungen  gewesen  war,  dem  fränkischen 
Einfluss  Thür  und  Thor  geöffnet;  die  Lothringer  aber  brachten 
französische  Künstler  nach  Wien  und  Osterreich,  wie  früher  nach 
Toscana,  wo  sie  geherrscht  hatten. 

Bei  all  dem  darf  man  sich  die  Sache  aber  immer  nicht  so 
vorstellen,  als  ob  bei  uns  zu  Lande  das  Rococo  mit  einemmale 
eine  ausschließliche  Herrschaft  angetreten  hätte.  Vielmehr  ist  es 
nie  zu  hervorragender  Blüte  bei  uns  gediehen,  sondern  wirkte 
der  Barockstil  noch  lange  kräftig  fort.  In  der  Architektur  hat 
es  m  Osterreich  das  Rococo  auch  nicht  entfernt  zu  so  glänzenden 
Leistungen  gebracht  wie  die  vorausgehende  Epoche,  und  auch  in 
der  Malerei  steht  die  Sache  so,  dass  man  Künstler  wie  Maulbertsch, 
den  Kremser  Schmidt,  Troger  dem  Zeitabschnitte  nach  zwar  in 
dem  vorliegenden  Capitel  behandeln   muss,    nach  Stil,    Geist  und 


Die  Rococozeit.  -2 je 

Charakter  aber  dieselben  durchaus  noch  als  barock  anzusehen  sind. 
Die  Plastik  dagegen  und  das  Kunstgewerbe  machten  die  Schwen- 
kung bestimmter  und  deutlicher  mit. 

Wir  können  in  unserer  Heimat  nicht  von  so  ausgesprochenen 
und  reichen  Rococobauten  reden,  wie  sie  auf  französischer  Erde, 
in  Dresden,  München  und  Berlin  nachzuweisen  wären;  aber  doch 
fehlt  es  nicht  an  einigen  sehr  charakteristischen.  Der  Ausbau  von 
Schönbrunn  steht  in  dieser  Beziehung  als  wichtiges  Moment  da 
(siehe  Abb.  70).  Nachdem  unter  Karl  VI.  das  an  dem  Schlosse  von 
dem  älteren  Fischer  Begonnene  lange  Jahre  vernachlässigt  gestanden, 
ließ  Maria  Theresia  (1744)  durch  den  Hofarchitekten  Nikolaus  von 
Pacassi  den  Bau  vollenden,  einen  aus  einer  schon  lange  in  Oster- 
reich beschäftigten  Görzer  Steinmetzfamilie  stammenden  Künstler. 
Während  an  dem  Äußeren  in  der  Architektur  der  Rococotypus 
noch  ziemlich  schüchtern  an  den  Tag  tritt  —  überdies  durch  eine 
höchst  geistlose  Überarbeitung  durch  Johann  Amman  in  den 
Zwanzigerjahren  unseres  Jahrhunderts  noch  verunstaltet,  —  ent- 
faltet sich  im  Inneren  die  Zierlichkeit  und  Pracht  dieses  Stiles  in 
hochentwickelter  Weise.  Die  langgestreckte  große  Gallerie  mit 
der  dahinterliegenden  kleinen,  die  zahlreichen  Appartements, 
welche  chinesisch,  mit  Täfelung  aus  orientalischen  Holzgattungen, 
feinen  Vergoldungen  und  Tapeten  ausgestattet  sind,  zählen  zu 
den  elegantesten  Proben  des  Zeitgeschmackes,  ohne  dass  wir  über 
die  vielen  dabei  beschäftigten  Künstler  bisher  unterrichtet  wären. 
Die  schon  im  Capitel  ,, Barocke**  erwähnten  Freskoplafonds  von 
Guglielmi  in  den  beiden  Gallerien  beweisen  gleich,  wie  das 
monumentale  Fresko  in  seiner  älteren  Erscheinung  sich  im  Rahmen 
der  Rococoumgebung  zu  erhalten  wusste.  An  dem  benachbarten, 
von  Maria  Theresia  für  ihre  verwitwete  Mutter  Kaiserin  Elisabeth 
Christine  ebenfalls  durch  Pacassi  und,  wie  es  scheint,  auch  durch 
Mitwirkung  Hohenbergs  errichteten  Schlösschen  Hetzendorf 
macht  die  Architektur  ebenfalls  nur  bescheidene  Wirkung,  aber 
auch  hier  finden  wir  in  den  Interieurs  ausgezeichnete  Leistungen. 
Während  der  große  Saal  mit  der  schon  erwähnten  Freskodecke 
Grans  dem  Geiste  des  classischen  Barockes  entspricht,  ist  der 
Salon  mit  den  Lamberies  aus  chinesischen  Feketinholz,  üppiger 
Vergoldung  und  eingesetztem  Figurenschmuck  in  Speckstein  und 
japanesischem  Lack  eine  Prachtprobe  verschwenderischesten  Rococo- 


3i6  Albert  Ilg 

geschmackes  (s.  Abb.  71).  Als  der  bedeutendste,  durch  Kaiser  Franz 
hereingebrachte  Meister  französischer  Architektur  ist  Jean  Nicolas 
Jadot  de  ville  Issey  (1710 — 1761)  zu  betrachten.  Nachdem  er  in 
Florenz  und  Nancy  vieles  gebaut  hatte,  schuf  er  (1753)  in  Wien  den 
schönsten  Rococobau  Österreichs,  damals  als  Aula  der  Universität, 
heute  Sitz  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften.  Die 
reiche,  freundlich  wirkende  Fa^ade  mit  den  beiderseitigen  Pavillons 
und  Brunnen,  die  große  Parterrehalle  mit  zwanzig  schlanken  tos- 
canischen  Säulen,  endlich  der  riesige  Saal  in  der  Nobeletage  mit 
Guglielmis  —  wieder  noch  barocken  —  Fresken  sind  von  origineller, 
geistreicher  Conception.  Wir  kennen  nur  noch  ein  Werk  Jadots 
in  Österreich,  die  von  hohen  toscanischen  Säulen  getragene  so- 
genannte Säulenstiege  im  Schweizerhofe  der  kaiserlichen  Burg. 
Kleinere,  aber  nicht  unbegabte  Meister  waren  Theodor  Vallery, 
Franz  Anton  Danne  und  Melchior  Hefele;  der  erstere  besorgte  die 
Herstellung  der  Rococopartien  an  dem  alten  Wiener  Rathhause, 
welches  seinem  Äußeren  nach  von  einem  unbekannten  Barock- 
meister der  Fischerischen  Schule  herrührt,  die  beiden  anderen 
zeichneten  sich  besonders  als  geschmackreiche  Entwerfer  von 
Triumphbögen  und  Trauergerüsten  aus,  aber  Hefele  hat  auch 
große  Architekturen  ausgeführt,  wie  z.  B.  das  imposante  Palatinal- 
gebäude  in  Pressburg,  mit  welchem  er  schon  starke  Anwandlungen 
des  akademischen  Classicismus  verräth.  Hieher  gehört  auch  An- 
dreas Altomonte,  für  Krumau  in  Böhmen  thätig.  Eine  bedeutende 
Anlage,  mehr  im  Geiste  des  französischen  Rococos  ist  die  kaiser- 
liche Residenz  in  Innsbruck,  von  Maria  Theresia  1766 — 1770  durch 
den  Ingenieurmajor  Josef  Walter  errichtet  und  im  Inneren  durch 
den  sogenannten  Riesensaal  mit  schönen  Fresken  von  Maulbertsch 
ausgezeichnet.  Damals  wurde  auch  die  vom  älteren  Fischer  be- 
gonnene Königsburg  in  Ofen  durch  Franz  de  Paula  Hildebrandt 
erweitert,  von  welchem  Werke  noch  der  Hof  mit  dem  Karyatiden- 
portale Zeugnis  gibt.  Nüchterner  sind  die  Bauten  an  der  Prager 
Residenz,  welche  von  Luragho  und  Anton  Gunz  begonnen,  von 
Hafenecker  vollendet  wurden  (1756 — 1775). 

An  adeligen  Landsitzen,  deren  Erbauer  übrigens  nur  in  den 
seltensten  Fällen  bekannt  sind,  als  freundlichen  Proben  dieses 
Stils  ist  kein  Mangel,  wir  nennen  nur  z.  B.  das  um  1750  von 
Petrucci    errichtete    Schloss    Austerlitz    mit   der   schönen    Kirche, 


Abb.   71.     Salon  im  Kai: 


Die  Rococozeit. 


317 


deren  Entwurf  1779  Hohenberg  machte.  Andere  mährische  Schlösser 
von  Bedeutung  sind  Budischau  mit  schönen  Malereien  und  Chinoi- 
serien  im  Stile  des  Drentwett,  Buchlowitz,  das  noch  fast  barocke 
Groß-UUersdorf,  Jarmeritz  mit  zarten  Rococodecorationen;  in 
Kiritein  findet  sich  eine  originelle  Kuppelkirchenanlage,  die  Kapelle 
von  Selovitz  ist  delicatestes  Rococo,  Nikolsburg  und  Kremsier 
aber  ragen  vor  allem  hervor  durch  eine  großartige  Mischung  der 
eflFectvoUsten  Architekturen  und  Fresken  beider  Richtungen.  Und 
wohl  von  jedem  Kronlande  wären  ähnliche  aufzuzählen. 

Unser  genialster  Rococoarchitekt  aber  ist  Ferdinand  Hohen- 
berg von  Hetzendorf  (1732 — 1790).  Die  Lebensgeschichte  des  aus 
Kurpfalz  stammenden  Künstlers  ist  noch  ganz  unaufgehellt,  man 
darf  aber  mit  Gewissheit  annehmen,  dass  er  seine  Studien  in  Paris 
gemacht  hat;  in  seinen  immer  geistreichen  Erfindungen  begegnen 
sich  drei  verschiedene  Richtungen.  Frühere  Schöpfungen,  wie 
die  unendlich  graziöse  Gloriette  und  die  am  Fuße  von  deren  Hügel 
angebrachte  große  Fontäne  entsprechen  vollständig  dem  heitersten 
französischen  Rococo;  spätere,  wie  der  imposante,  aber  kalt  wirkende 
Palast  Fries  (Pallavicini)  auf  dem  Josefsplatze  in  Wien,  streben 
bereits  entschieden  aus  der  Rococosphäre  ins  Classicistische  hinüber. 
Dazwischen  aber  meldet  sich  bei  Hohenberg  zum  erstenmal  ein 
Element,  welches  den  geistigen  Zug  der  Zukunft  charakteristisch 
bezeichnen  sollte,  die  Romantik.  Er  hat  sie  auf  zweifache  Weise 
in  seinen  Werken  zur  Erscheinung  gebracht;  auf  das  glücklichste 
mit  dem  Obelisken  und  der  malerischen  römischen  Ruine  im  Schön- 
brunner  Parke,  wobei  die  Einwirkung  Giovanni  Batt.  Piranesis 
unverkennbar  ist,  und  sehr  unglücklich,  wo  er  in  der  Augustiner- 
und  in  der  Minoritenkirche  zu  Wien  nach  den  Kenntnissen  seiner 
Periode  wieder  die  Gothik  aufnehmen  wollte. 

Wenn  die  gewaltige  Einwirkung  Rafael  Donners  eine  edle 
Ernüchterung  in  die  Orgien  der  Barockplastik  gebracht  hatte  und 
nun  die  übertrieben  malerischen  und  effecthaschenden  Schöpfungen 
seltener  zu  werden  anfiengen,  so  geschah  das  doch  nicht  gleich  bei 
seinen  directen  Nachfolgern;  er  hat  zwar  dem  Einfacheren  und 
Ruhigeren  Bahn  gebrochen,  aber,  wie  schon  erwähnt,  selber  keine 
wirksame  Schule  erzielt,  wohl  aber  wurde  durch  seine  Reform  es 
erleichtert,  dass  der  aus  Frankreich  kommende  mildere  Stil  des 
gemäßigten  Rococos  und  später  der  akademischen  Richtung  die 


3i8  Albert  Ilg 

Herrschaft  antreten  konnte.  Aber  auch  in  diesem  Falle  darf 
man  nicht  an  jähe  Übergänge  denken,  unsere  Schlossgärten,  Dorf- 
kirchen und  Friedhöfe  in  den  Provinzen  beweisen,  dass  sich  das 
barocke  Wesen  theilweise  bis  fast  gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts 
erhielt.  Das  neue,  entscheidende  trat  natürlich  in  der  Residenz 
auf  und  verleugnet  nicht  seine  fremde  Herkunft.  Der  wichtigste 
Künstler  ist  in  diesem  Betrachte  Johann  Christian  Wilhebn  Beyer 
(1725 — 1797),  in  Stuttgart  und  Italien  gebildet,  gänzlich  aber  in 
die  Nachahmung  der  Franzosen  versenkt,  deren  Meister  wie  Coypel, 
Coysevox,  Coustou  etc.  seine  Ideale  waren  und  blieben.  Früher 
in  der  Ludwigsburger  Porzellanfabrik  thätig,  hatte  er  die  Weich- 
heit des  Bisquits  sich  im  Stile  ganz  zueigen  gemacht,  und  als  er 
nun  nach  Wien  berufen  worden,  wo  er  Hofstatuarius  wurde,  ent- 
wickelte er  eine  rege  Thätigkeit,  welche  folgenreich  werden  sollte. 
Bei  der  Einrichtung  des  neuen  Parterres  im  Schönbrunner  Parke 
gieng  er  mit  Hohenberg  Hand  in  Hand  und  besorgte  die  Her- 
stellung der  aus  Tiroler  Marmor  gemeißelten  Götter  und  Helden- 
gestalten an  den  geschnittenen  Wänden  des  Gartens,  in  den  Bosquets, 
an  den  Teichen  und  Bassins.  Beyer  beschäftigte  dabei  eine  große 
Anzahl  Mitarbeiter,  wie  Prokop,  Platzer,  Schletterer,  Zaecherle, 
Henrici,  Kieninger,  Lang,  Günther,  Weinmüller  und  die  hervor- 
ragenderen Martin  Fischer,  Zauner  und  den  schon  erwähnten 
Hagenauer  (s.  Abb.  72).  Wenn  Beyer  mit  seinem  echt  französisch 
geschulten  Geiste  im  allgemeinen  diese  bunte  Schar  auch  leitete,  so 
konnte  es  doch  nicht  anders  kommen,  als  dass  noch  manche  barocke 
Reminiscenz  sich  in  dieses  Rocococoncert  mischte,  wovon  besonders 
die  von  Prokop  herrührenden  Figuren  Zeugnis  liefern.  Das 
Gelungenste  ist  die  Nymphe  des  schönen  Brunnens  von  Beyer 
selbst,  eine  außerordentlich  liebliche  Erscheinung.  Feine  Zierlich- 
keit und  eleganten  Vortrag  bekundet  Anton  Grassi  (1755 — 1807), 
dessen  Wirken  vorzugsweise  der  kaiserlichen  Porzellanfabrik  dienst- 
bar war,  für  welche  er  eine  Fülle  von  Modellen  für  Bisquitgruppen 
meist  mythologischen  Gegenstandes  fertigte.  Martin  Fischer  (1740 
bis  1820),  in  seiner  Jugend  mit  dem  noch  zu  erwähnenden  Messer- 
schmidt gemeinschaftlich  thätig  und  besonders  trefflich  in  der 
Behandlung  des  damals  so  allgemein  angewendeten  Bleigusses, 
repräsentiert  ebenfalls  den  Übergang  vom  Rococo  in  die  antikisierende 
Weise  des  Empires.     Seine   Immaculata  sowie  der   monumentale 


Die  Rococozeit. 


319 


Brunnen  mit  der  Witwe  von  Sarepta  iin  Savoyschen  Damenstifte 
gehören  jener  älteren  Phase  an,  seine  mehrfachen  Figuren  auf 
Brunnen  öffentlicher  Plätze  der  späteren,  wovon  der  Moses  auf 
dem  Franciscanerplatze,  St.  Josef  am  Graben  und  die  Hygieia 
in   der  Alserstraße    am   wertvollsten   erscheinen.      Eine   ähnliche 


Abb.  7z.    Diana  von  J.  Hagenauei. 

Laufbahn  machte  der  übrigens  geistreichere  Franz  Zauner  von 
Felpatan  (1746 — 1822)  durch.  Er  kam  als  Tiroler  Naturschnitzler 
zu  Beyer  nach  Wien,  lieferte  in  der  Bassingruppe  vor  dem  SchÖn- 
brunner  Schlosse  (rechts)  noch  eine  Probe  echt  barocker  Richtung, 
gieng  dann  auf  kaiserliche  Kosten  nach  Rom  und  einpfieng  daselbst 


ß20  Albert  Ilg 

durch  die  Nähe  des  Genius  Canovas  eine  neue  Weihe.  Haupt- 
werke des  Künstlers  sind  das  im  Sinne  der  antiken  Marc-Aurel- 
statue  entworfene  Reitermonument  Josefs  II.  (1807),  noch  darum 
wichtig,  weil  man  mit  diesem  Werke  in  Österreich  wieder  im 
großen  Stil  zum  Bronzeguss  zurückkehrte;  die  vier  noch  ziemlich 
malerisch  bewegten  Karyatiden  am  Palais  Pallavicini,  die  schöne 
marmorne  Grabtumba  Kaiser  Leopolds  II.  in  der  Georgskapelle  der 
Augustinerkirche  und  das  reizende  Modell  des  Genius  Bornii  (öster- 
reichisches Museum).  An  seine  an  sich  schon  etwas  trockene  und 
strengere  Art  schlössen  sich  in  der  Endzeit  des  XVIII.  und  in 
den  ersten  Decennien  des  XIX.  Jahrhunderts  zahlreiche  Oster- 
reicher  an,  auf  welche  aber  außerdem  auch  das  Studium  Canovas, 
besonders  seit  dessen  Meisterwerke,  Grabmal  der  Erzherzogin  Chri- 
stine in  der  Augustinerkirche  und  die  Theseusgruppe,  sich  in  Wien 
befanden,  einwirkte.  Die  besseren  unter  ihnen  sind  Johann  Schaller 
(1777 — 1842,  Bellerophon  und  Amor  im  kaiserlichen  Museum), 
Leopold  Kissling  (Mars  und  Venus  1809,  daselbst).  Die  interessanteste 
Persönlichkeit  unter  den  Plastikern  dieses  Zeitabschnittes  ist  Franz 
X.  Messerschmidt  (1732— 1783)  —  ich  sage  dieser  Periode  und 
nicht  der  Rococozeit  Österreichs,  denn  das  ganze  Naturell  dieses 
genialen,  sonderbaren  Meisters  ist  dem  Geiste  dieses  Kunststiles 
diametral  entgegengesetzt,  wenn  auch  in  einigen  seiner  früheren 
Leistungen  der  Modegeschmack  herübergedrungen  war.  Der  eigent- 
thümliche  Künstler  ist  nur  durch  die  Kenntnis  seines  originellen  und 
unglücklichen  Sonderlinglebens  verständlich,  dessen  Jugend  mit 
allen  Leiden  bitterster  Armut  begann,  dessen  Menschenscheu, 
Eigensinn  und  Schroflfheit  ihm  stets  Feinde  erweckte  und  die 
Freunde  verscheuchte,  Wohlthäter  wie  selbst  Maria  Theresia  schwer 
beleidigte  und  endlich  in  Hass  und  halber  Verrücktheit  endete. 
Messerschmidt  genoss  den  ersten  Unterricht  bei  handwerklichen 
Barockmeistern  in  Salzburg  und  Graz,  gieng  dann  nach  Rom, 
zankte  sich  in  Wien  vergebens  um  eine  Akademieprofessur  herum, 
wich  den  Cabalen,  zog  sich  in  die  Einsamkeit  seiner  schwäbischen 
Heimat  zurück  und  verbrachte  endlich  den  Lebensrest  abgeschlossen, 
der  Bevölkerung  ein  Gegenstand  der  abergläubischen  Furcht  wie 
des  rohen  Pöbelhohnes  in  Pressburg.  Man  muss  unter  seinen  nicht 
allzu  zahlreichen  Werken  unterscheiden  zwischen  solchen,  welche 
er  auf  Bestellung  und  für  den  Broterwerb  schuf,  und  jenen,  welche 


Die  Rococozeit. 


321 


ihm  Herzenssache,  aber  auch  die  Ausgeburt  seinei  tollen  Grillen 
waren.  In  den  ersteren  zeigt  er  sich  als  vorzüglicher  Porträtist 
und  effectvoller  Darsteller  der  Details,  wie  z.  B,  in  den  lebens- 
großen Bleifiguren  Franz  I.  und  Maria  Theresias  (Laxenburg), 
den  Bronzereliefs  Josefs  11.  und  seiner  Gemahlin  Isaberlla  (kaiser- 
liches Museum)  oder  der  ideal  schönen  jugendlichen  Büste  dieses 


Abb.  73.     Sarkophag  Kaiser  Karls  VI.  von  B.  Moll. 

Fürsten  von  Bleiguss  (daselbst).  Seine  charakteristischeste,  merk- 
würdigste Leistung  aber  sind  die  berühmten  sogenannten  Charakter- 
köpfe, welche  er  zum  Theil  schon  früher,  hauptsächlich  aber  in 
Pressburg  mit  leidenschaftlicher  Begeisterung  fertigte.  Er  wollte 
in  denselben  physische  sowie  psychische  Zustände,  2.  B.  das 
Gähnen,    Niesen,    Riechen,   den  Ertrinkenden,    den  Narren,   Ver- 


322  Albert  Ilg 

leumder,  den  Trotzigen,  den  tiefen  Kummer,  die  Einfalt,  ja  selbst 
den  sich  überanstrengenden  Fagottbläser,  den  rachgierigen  Zigeuner, 
den  Hypochonder  etc.  darstellen,  wobei  er  nicht  nur  bloße  Charak- 
teristik anstrebte,  sondern  die  Erreichung  einer  Wirklichkeit  im  Sinne 
des  anatomischen  Präparates.  Die  Bekanntschaft  mit  Dr.  Messmer 
und  eine  mystische  Vertiefung  in  dessen  Lehre  vom  thierischen 
Magnetismus  hatte  den  stets  vergrübelten  Künstler  auf  solche  selt- 
same Speculationen  geführt,  welche  für  uns  heute  zwar  insofeme 
wertlos  sind,  als  Messerschmidt  damit  die  Kunst  auf  die  Lehre 
vom  Magnetismus  basieren  wollte,  aber  wohl  in  dem  Sinne  große 
Bedeutung  besitzen,  als  in  ihnen  merkwürdige  Vorgänger  des 
modernen  Naturalismus  frühzeitig  zutage  treten.  Auch  in  Messer- 
schmidt hat  Österreich  wieder  eine  der  phänomenalsten  Erschei- 
nungen der  Kunstgeschichte  in  die  Welt  gesetzt,  welche  wie  ein 
Markstein  hervorragt  und  Grenzen  geistiger  Gebiete  bezeichnet 

Der  schon  im  Capitel  der  Barocke  erwähnte  Schüler  Donners, 
Balthasar  Moll  (1717 — 1785),  gehört  nach  der  Mehrzahl  seiner  Leistun- 
gen  dem  Barocken  eher  als  dem  Rococogeiste  an.  Ubermalerisch  und 
theatralisch  sind  seine  beiden  Grabmonumente  der  Grafen  Daun 
bei  den  Augustinern,  ganz  barock  antikisierend  die  Marmorstatue 
•Franz  I.  als  Augustus  in  Laxenburg  und  maßvoller  dessen  Reiter- 
statue im  Kaisergarten  zu  Wien,  überaus  reich  diejenige  Karls  VI. 
Sein  imposantestes  Werk  ist  der  überreiche  bleierne  Sarkophag  des- 
selben Kaisers  (s.  Abb.  73)  und  seiner  Gemahlin  in  der  Kapuziner- 
gruft, während  er  in  seinen  Decorations- Arbeiten  für  das  Landhaus 
zu  Innsbruck  und  in  dem  reizenden  Bronzemonument  zu  Schön- 
brunn, welches  Maria  Theresia  ihrem  Gemahl  als  Schöpfer  des 
botanischen  Gartens  setzen  ließ,  am  meisten  sich  dem  graziösen 
Rococogeschmacke  zuneigt. 

Es  wurde  schon  betont,  dass  eine  Anzahl  der  Freskanten  aus 
der  eigentlichen  Barockperiode  in  diese  spätere  noch  ziemlich  lange 
herüberwirkten,  wie  z.  B.  Bartolomeo  Altomonte.  Andere,  deren 
Lebenszeit  eine  jüngere  ist,  zeigen  sich  trotzdem  durch  Schule  und 
Neigung  dem  früheren  Ideale  getreu,  wie  z.  B.  der  Tiroler  Paul 
Troger,  in  seiner  Heimat  des  genannten  Alberti  Schüler  (1698  —  1762). 
Seine  großen  Plafondgemälde  im  Brixner  Dome,  in  der  Wallfahrts- 
kirche Maria  Taferl,  in  den  Wiener  Kirchen  Mariahilf,  St.  Ulrich, 
Laurenz,  St.  Sebastian  in  Salzburg  verrathen  den  rein  italienischen 


Die  Rococozeit. 


323 


Einfluss,  den  ihm  seine  Lehrzeit  in  Mailand,  Bologna  und  Venedig 
mitgetheilt  hatte.  Zeigt  Troger  daher  mehr  ein  einheitliches  Wesen, 
so  ist  Martin  Johann  Schmidt,  der  sogenannte  Kremser  Schmidt 
(1718— 1801),  der  richtige  Eklektiker;  ohne  eigentliche  Schule  auf- 
gewachsen, Autodidakt,  der  sich  vom  Anschauen  der  Kupferstiche 
und  Gemälde  im  Kloster  Göttweih  bildete,  vereinigte  er  in  seinen 
Erfindungen  auf  die  gewandteste  und  geschickteste  Art  als  ein 
wahrer  Proteus  des  Stiles  alle  denkbaren  Vorbilder.  Man  stößt  in 
seinen  Gemälden  bald  auf  Motive  der  Carraccis  oder  Guido  Renis, 
bald  der  Neapolitaner  des  XVI.  Jahrhunderts,  bald  auf  Rubens, 
bald  auf  Maratta.  Im  ganzen  ist  die  Empfindung  dieses  Fa  presto 
noch  die  Barocke,  sein  Vortrag  geistreich  leicht  und  meistens 
liebenswürdig.  Seine  schier  unzähligen  religiösen  Bilder  sind  über 
die  ganze  Monarchie  verbreitet.  Auch  bei  Anton  Franz  Maul- 
bertsch  (1724 — 1796)  begegnet  ein  starkes  Schwanken  zwischen  den 
Italienern  und  Rubens.  Im  Gegensatz  zu  dem  beinahe  nur  als 
Olmaler  wirkenden  Schmidt  war  Maulbertsch  vorzugsweise  Fresko- 
maler, sehr  tüchtig  im  historischen  Fache,  am  geistreichsten  in 
seinen  Skizzen,  in  der  farbigen  Ausführung  bisweilen  allzu  süß  und 
zierlich.  Schon  mit  seinen  Jugendwerken,  den  Fresken  in  der 
Piaristenkirche  zu  Wien,  erregte  er  gerechtfertigte  Bewunderung, 
auf  weiten  Reisen  schuf  er  dann  Großartiges  in  den  verschieden- 
sten Provinzen,  z.  B.  den  Bibliotheksplafond  des  Stiftes  Strahow 
in  Prag,  den  Lehensaal  in  Kremsier,  den  Stiftssaal  im  Kloster 
Brück  bei  Znaim,  die  Kuppel  der  Kreuzherrenkirche  in  Pöltenberg 
daselbst,  den  Riesensaal  in  der  Innsbrucker  Residenz,  endlich  für 
Ungarn  Hervorragendes  in  Waitzen,  Steinamanger,  Komom  und 
Stuhlweißenburg.  Ebenfalls  ganz  barock  ist  Trogers  Schüler  Josef 
Mildorfer  (Fresken  in  der  Kirche  am  Hafnerberge  in  Niederösterreich, 
anderes  in  Tirol),  femer  Johann  Bergl  (Fresken  in  Molk,  St.  Veit 
bei  Wien,  Budapest),  Josef  Bergler  in  Prag  mit  Erfolg  thätig, 
Hubert  Maurer  in  Wien  wären  zu  nennen,  letzterer  auch  als 
Bildnismaler,  auf  diesem  Gebiete  aber  schon  trocken  im  Geiste  der 
Josefinischen  Zeit  und  der  Barocke  bereits  entfremdet.  Ein  liebens- 
würdiges Talent  im  rechten  Rocococharakter  zeigt  sich  der  Wiener 
Vincenz  Vischer  (Plafond  des  Dianatempels  in  Laxenburg).  In 
Mähren  ragt  Johann  Winterhalter,  der  Neflfe  des  Bildhauers  d.  N., 
Maulbertsch'    Schüler    hervor,    von  dem   wir  Arbeiten    im    Stifte 


21* 


324 


AJbeit  Ilg 


Geras,  in  Obrowitz  bei  Brunn  nnd  Tarwitz  kennen.  Bedentender 
als  die  letztgenannten  sind  einige  Tiroler,  vorzugsweise  Martin 
Knoller  (1728 — 1804);  ausgegangen  von  der  Schule  Trogers  an 
der  Akademie  in  Wien,  lebte  er  sich  in  Rom  tief  in  den  Geschmack 
des  damals  tonangebenden  Rafael  Mengs  ein,  bewahrte  sich  aber 
aus  der  Tradition  der  Barocke  größere  Kraft  und  gieng  dem  Uber- 
zärtlichen  dieses  Meisters  im  ganzen  glücklich  aus  dem  Wege. 
Seine  bedeutendsten  Deckenfresken  sieht  man  zu  Volders,  Gries 
bei  Bozen,  im  Taxischen  Palast  zu  Innsbruck,  außerdem  hat  er 
in  Baiem,  Schwaben  und  in  Mailand  gewirkt  Auch  als  Porträtist 
ist  er  schätzenswert,  wie  sein  Kaiser  Leopold  II.  (Laxenburg)  dar- 
thut.  Ein  zweiter  Mengsschüler  ist  Knollers  Landsmann  Josef 
Schöpf  (1745 — 1822),  welcher  Knoller  als  Gehilfe  zur  Seite  stand, 
dann  aber  in  Rom  mit  Mengs,  dem  Franzosen  David,  endlich  unseren 
Österreichern  Zauner  und  Füger  Berührung  fand.  Von  seinen  sehr 
gefälligen  Fresken  sind  zu  nennen  jene  der  Kirche  in  Brunnecken 
(zerstört),  St.  Johann  in  Innsbruck,  in  Brixenthal  und  die  bedeu- 
tendsten im  Kloster  Stamms.  Er  malte  auch  Altarbilder  und 
Mythologisches.  Mit  all  diesen  Meistern  wurde  auch  in  Österreich 
das  monumentale  Fresko,  wie  es  scheint  für  immer,  zugrabe  ge- 
tragen. 

Im  Bildnisfache  verflüchtigte  sich  der  Geist  der  Barocke 
schneller.  Am  pomphaften  Repräsentationsgemälde  hält  übrigens 
noch  ziemlich  lange  der  1810  gestorbene  Johann  Zoflfany  (eigentlich 
Zauffely)  fest,  von  dessen  Beschäftigung  für  den  damaligen  öster- 
reichisch-lothringischen Hof  in  FlcJrenz  z.  B.  das  figurenreiche 
Familiengemälde  Leopolds  II.  und  der  Seinigen  (Hofmuseum) 
Zeugnis  ablegt.  Der  Schwager  des  Rafael  Mengs,  Anton  Maron 
(1733 — 1808),  schwankt  zwischen  barocken  Reminiscenzen  und  dem 
Einflüsse  jenes  Reformators.  Schon  viel  nüchterner,  manchmal 
geradezu  leer  sind  die  beiden  aus  Tirol  stammenden  vielbeschäftigten 
Lampi  und  trocken,  aber  charakteristisch  die  beiden  Hickel. 
Ebenfalls  als  Portraitistin,  aber  noch  viel  mehr  durch  ihre  historischen 
Ölgemälde  erlangte  die  aus  Vorarlberg  stammende  Angelika  Kauf- 
mann einen  weit  über  Österreich  reichenden  Ruf  (1741—^807). 
Ihre  Schule  fand  sie  in  den  verschiedensten  Städten  Italiens,  ließ 
sich  am  meisten  aber  durch  Mengs  in  Rom  beeinflussen,  dessen 
ohnehin  weichliche   Richtung,   süßliche   Farben   und  sentimentale 


Die  Rococozeit 


325 


Stimmung  sie  im  Sinne  der  weiblichen  Natur  womöglich  noch 
steigerte.  Durch  ihre  interessanten  Schicksale,  durch  ihren  Verkehr 
mit  Männern  wie  Goethe,  Mengs,  König  Christian  von  Dänemark, 
Königin  Karoline  von  Neapel  etc.  sowie  durch  ihr  schönes  Com- 
positionstalent  ist  sie  aber  gewiss  eine  bedeutende  Erscheinung. 
Einer  der  letzten  und  geistvollsten  Bildnismaler  war  am  Ende  des 
Jahrhunderts  noch  der  Schwede  Rollin,  in  Österreich  besonders  für  den 
kunstsinnigen  Herzog  Albrecht  von  Sachsen-Teschen  beschäftigt, 
dessen  Gemahlin  Erzherzogin  Christine  er  in  einem  entzückenden 
Bilde  dargestellt  hat.  (Eigenthum  des  Herrn  Erzherzogs  Albrecht. ) 
Sein  Stil  ist  nach  den  Franzosen  der  Rococoperiode  gebildet.  — 
Künstler  wie  Caucig,  Abel,  Füger,  Kadlick  etc.  lassen  wir  hier 
unberührt,  da  ihr  Stil  bereits  in  die  Sphäre  des  akademischen 
Classicismus  hinüberstrebt,  wohl  aber  verdient  neben  den  Meistern 
der  Palette  Österreichs  größter  Kupferstecher  Jakob  Schmutzer 
(1733— 181 1)  rühmende  Erwähnung.  Dieses  Fach  lag  während  der 
Renaissance  und  Barocke  in  unserer  Heimat  tief  darnieder,  was 
schon  der  geniale,  weitblickende  Fischer  von  Erlach  erkannte,  in- 
dem er  mit  seinen  Architekturpublicationen  in  Wien  die  Stecher- 
thätigkeit  zu  heben  suchte  und  einige  Meister  aus  der  Fremde, 
wie  Delsenbach,  Kleiner,  Sedlmayr,  La  Haye  beschäftigte.  Aber 
theils  sind  diese  mittelmäßig  gewesen,  theils  stockten  Fischers 
Unternehmungen.  Schmutzer  gieng  mit  Unterstützung  Maria 
Theresias  (1762)  nach  Paris,  wo  er  bei  Wille  lernte  und  sich  die 
brillante  Wirkung  und  den  coloristischen  Effect  der  großen  fran- 
zösischen Stecher  aneignete.  Eines  seiner  schönsten  Blätter  ist 
der  heilige  Ambrosius  nach  Rubens. 

Unter  den  Nebenfachern  der  großen  Malerei  stand  besonders 
die  Pastelltechnik  in  modehafter  Blüte.  Auch  in  Osterreich  wurde 
nach  dem  Vorbilde  der  Liotard,  Grenze,  Le  Brun-Vig^e  etc.  vieles 
geschaffen,  ohne  dass  aber  ein  hervorragendes  heimisches  Talent 
in  der  Richtung  erstanden  wäre,  was  in  ähnlichem  Sinne  auch  von 
der  viel  geübten  Portraitminiaturmalerei  auf  Elfenbein  gilt. 

Das  Kunstgewerbe  nahm  in  den  Zeiten  Maria  Theresias  einen 
lebhaften  Aufschwung,  sank  aber  in  der  nüchternen  Periode, 
welche  folgte,  außerordentlich  schnell  herab,  um  endlich  nach  dem 
Empire  in  jenen  absoluten  Verfall  zu  gerathen,  an  dessen  Stelle 
erst  unsere   Zeit  wieder  neue   Blüten   zu   bringen  vermocht  hat. 


326  Albert  Ilg 

Hervorragende  Producte  von  österreichischem  Typus  sind  aus  der 
Theresianischen  Epoche  die  geschmackvollen  Tischlerarbeiten,  zu 
deren  Decoration  die  Holzintarsia  wieder  glücklich  Verwendung 
fand.  Auch  die  aus  Frankreich  gekommene  Bouletechnik  fand 
bei  uns  treffliche  Nachahmung,  wie  z.  B.  eine  prachtvolle  Möbel- 
garnitur in  den  Appartements  der  Wiener  Burg  und  eine  große  in 
Salzburg  für  Erzbischof  Graf  Firmian  gefertigte  Uhr  (Hofmuseum) 
beweisen.  In  hohem  Stande  befanden  sich  die  Spitzenindustrien 
der  damaligen  österreichischen  Niederlande  und  die  mannigfachen 
Techniken  der  Stickerei,  als  deren  herrlichste  Erzeugnisse  wir 
noch  zahlreiche  Kirchenparamente  (z.  B.  in  Klostemeuburg,  Molk, 
Maria-Zeil,  Hietzing  u.  s.  w.)  bewundern.  Wohl  das  glänzendste 
Prachtstück  hoher  Goldstickerei  ist  aber  das  Baldachinbett  der 
großen  Kaiserin  mit  dazu  gehörigen  Wandpanneaux  in  der  kaiser- 
lichen Burg  (siehe  Abb.  74). 


Abb,  74.     Bell  Mar 


DAS  NEUNZEHNTE  JAHRHUNDERT. 


Von 

Alfred  Nossig. 


I.  DIE  KUNST  UNTER  DEN  KAISERN  FRANZ  I. 

UND  FERDINAND  I. 

I.  Die  classische  Schule. 

Seitdem  Wien  seinen  herrlichen  Museumsplatz  besitzt,  mag 
wohl  mancher  Vorübergehende  seinen  Blick  von  den  großartigen 
Renaissancebauten  und  dem  Maria-Theresienmonument  zur  kaiser- 
lichen Hofburg  hinübergelenkt  haben.  Ein  niedriger,  festungs- 
artiger Bau  trennte  ihn  von  dem  Heldenplatz,  hinter  welchem  sich 
die  Hofburg  erstreckt  Es  ist  Pietro  Nobiles  berühmtes  Burg- 
thor, das  in  seiner  heutigen  Umgebung  auf  den  ersten  Blick  Miss- 
behagen erweckt.  Ein  eigenthümlicher  Bau!  Nähert  sich  ihm 
der  kunstsinnige  Beschauer,  so  wird  er  gewiss  von  seiner  Zauber- 
sphäre erfasst:  die  Dimensionen  des  Baues,  der  ihm  früher  so 
kleinlich  erschienen,  wachsen  mächtig,  die  herrlichen  Ideen  der 
antiken  Baukunst,  die  in  dieses  Kaiserthor  gebaut  sind,  gewinnen 
Leben.  Die  pfeilergestützten  Arcaden,  über  welche  sich  dorisches 
Gebälk  hinlegt,  einen  niedrigen,  massiven  Aufsatz  tragend,  sie 
sind  die  Grundidee  der  unvergleichlich  wirkenden  römischen 
Triumphbögen.  Aber  was  bedeuten  diese  tiefer  geschnittenen 
Quadern  der  Pfeiler,  was  die  glatten  Flächen  der  beiden  Flügel- 
bauten mit  ihren  niedrigen,  vergitterten  Bogenfenstern?  Kräftige, 
strenge  Abwehr  drücken  sie  aus,  sie  geben  dem  Burgthor  den 
festungsartigen  Charakter,  der  ihm  als  der  architektonischen 
Klammer  des  Burgmauergürtels  entsprach.  Ähnlich  mögen  die 
Basteien  vor  den  Propyläen  der  Akropolis  gewirkt  haben.  Und 
wirft  man  einen  Blick  auf  die  innere  Seite  des  Thores,  so  wird 
man  noch  lebhafter  an  die  Propyläen  erinnert:  denn  hier,  wo  das 
Thor  sich  der  kaiserlichen  Residenz  zuwendet,  gewinnt  es  einen 
festlichen  Charakter.  Acht  dorische  Säulen,  in  zwei  Reihen  auf- 
gestellt, bilden  hier  den  Mittelbau,  je  vier  schmücken  die  Seiten- 
flügel, zu  denen  man  auf  sanften  Stufen  hinansteigt.     Bewundernd 


^oQ  Alfred  Nossig 

steht  man  vor  dieser  glänzenden  Lösung  eines  schwierigen  archi- 
tektonischen Problems  und  zollt  dem  tüchtigen  Meister  Anerken- 
nung, der  den  Ideen-  und  Formenschatz  der  Antike  so  passend 
zu  verwenden  verstand.  Doch  tritt  man  zurück,  so  verliert  das 
Thor  seine  Zauberwirkung:  der  Steinbau  erkaltet  immer  mehr,  er 
schrumpft  immer  mehr  zusammen.  Wenn  der  Beschauer  dieses 
Thor  betrachtet,  wie  es  sich  mit  seinen  geraden,  nüchternen 
Linien  vor  den  prunkvollen  Barockbau  der  Hofburg  legt,  in  un- 
vermitteltem Gegensatze  zu  den  guirlandengeschmückten  Pilastem, 
zu  den  zierlich  geschwungenen  Consolen  und  den  geschweiften 
Kuppelprofilen  derselben,  so  erscheint  es  ihm  kleinlich  und  ärmlich. 
In  diesem  strengen,  nüchternen,  fremd  wirkenden,  ärmlichen 
Kaiserthore,  das  ein  Italiener  erbaut,  erkennt  er  das  Bild  der 
Kunstepoche,  in  der  es  entstanden:  das  Bild  jener  strengen,  nüch- 
ternen, dem  Volksgeiste  fremden  Kunst,  welche  sich  an  die  glänzende 
Zeit  der  Barocke  und  des  Rococo  fast  ebenso  unvermittelt  anschließt, 
wie  das  Thor  Nobiles  an  die  Burgfa^ade  Fischers  von  Erlach. 


Wie  erklärt  sich  diese  plötzliche  Verarmung  der  öster- 
reichischen Kunst,  wie  diese  Umwandlung  ihres  ganzen  Charakters  ? 
Man  muss  sich  an  die  politischen,  socialen  und  finanziellen  Ver- 
hältnisse jener  Zeit  erinnern:  das  ist  die  Luft,  der  Boden,  die 
Sonne  des  Baumes  der  Kunst. 

Der  Beginn  des  19.  Jahrhundertes  findet  die  Grenzen  des 
österreichischen  Staates  reduciert.  Die  letzte  Theilung  Polens 
hatte  das  österreichische  Gebiet  nach  Nordosten  hin  vergrößert, 
aber  der  Frieden  von  Campoformio  bedeutete  für  Österreich  den 
Verlust  von  Belgien,  der  Lombardei  und  Modena.  Als  Ersatz 
hiefür  erhielt  es  Venedig  —  ohne  Schiffe  und  mit  leeren  Arsenalen 
—  ein  Ersatz,  den  der  siegreiche  Bonaparte  selbst  mit  einer  aus- 
gepressten  Citrone  verglich.  Im  Laufe  des  nächsten  Jahrzehntes 
verschlimmerte  sich  die  Lage  Österreichs  neuerdings  in  Italien  und 
am  Rhein.  Gegen  diese  drückenden  äußeren  Verhältnisse  konnte 
Osterreich  nicht  aufkommen.  Unglückliche  Kriege  und  die  damit 
zusammenhängende  finanzielle  Bedrängnis  ließen  die  Zeiten  für 
eine  neue  Blüteperiode  der  Künste  nichts  weniger  als  günstig 
erscheinen. 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  'joj 

Wo  Sparsamkeit  zum  Losungsworte  werden  musste,  konnte  die 
Kunst  vom  Staatssäckel  nicht  viel  erwarten.  Und  doch  war  die  Kunst 
in  dem  damaligen  Osterreich  hauptsächlich  auf  die  Unterstützung 
der  Regierung  angewiesen.  Es  war  ein  Glück  für  die  Kunst,  dass 
Kaiser  Franz  als  echter  Habsburger  die  Pflicht  fühlte,  ihr  Schirm- 
herr zu  sein.  Und  so  ist  das,  was  zu  jener  Zeit  für  die  Kunst 
geschah,  ein  merkwürdiges  Gemisch  von  kaiserlicher  Munificenz 
und  staatlicher  Ökonomie.  ,,Zum  Beweise  der  ausgezeichneten 
Zufriedenheit  über  die  glückliche  Ausführung  des  Josef- Denk- 
mals" —  erzählt  Böckh  —  ,,hat  der  Kaiser  den  Hofstatuar 
Zauner  mit  der  taxfreien  Erhebung  in  den  Adelstand,  einer 
goldenen,  mit  Brillanten  reich  besetzten  Tabatiere,  in  welcher 
zehntausend  Gulden  lagen,  und  einer  lebenslänglichen  Pension  von 
dreitausend  Gulden  jährlich  belohnt**.  Eine  Belohnung,  welche 
eines  Imperators  würdig  ist.  Ganz  respectable  Summen  finden 
wir  auch  in  dem  Ausweis  über  die  Hofauslagen  während  des 
zwanzigjährigen  Zeitraums  1792 — 181 1;  es  wurden  während  dieser 
Zeit  101.882  Gulden  für  Bilderankäufe  verwendet,  außerdem  für 
das  Josefmonument  der  Betrag  von  722.764  Gulden  ausgesetzt. 
Der  kaiserlichen  Freigebigkeit  verdankten  es  auch  die  Zöglinge 
der  Wiener  Akademie,  welche  mit  den  Kaiserpreisen  nach  Rom 
giengen,  dass  sie  während  ihres  Aufenthaltes  in  Italien  Aufträge 
erhielten.  Sie  führten  in  den  Ateliers  des  Palazzo  di  Venezia, 
wo  die  österreichische  Botschaft  residierte,  jene  Marmorgruppen 
aus,  welche  den  Grundstock  der  kaiserlichen  Sculpturensammlung 
ausmachen.  Aber  das  Bild  des  kaiserlichen  Mäcenatenthums  wird 
durch  die  Noth  der  Zeit  getrübt.  Zum  Theile  ist  das  durch  die 
Schuld  der  damaligen  Verhältnisse  zu  erklären.  Als  die  S  c  h  a  1 1  e  r'  - 
sehe  Gruppe  ,, Bellerophon  im  Kampfe  mit  der  Chimära**  von  Rom 
zunächst  nach  Triest  geschafft  wurde,  zeigte  es  sich  laut  Acten 
der  k.  k.  geheimen  Hof-  und  Staatskanzlei,  dass  der  akademische 
Aushilfs-Cassefond  zur  Ausgleichung  der  Auslagen  nicht  hin- 
reichte ;  es  musste  vom  Staatsschatze  ein  Ersatz  für  die  Transport- 
kosten beansprucht  werden.  Es  wird  einem  trübselig  zumuthe, 
wenn  man  die  ängstliche  Ziftemarbeit  betrachtet,  welche  darauf 
verwendet  wurde,  um  ein  Plus  von  dreihundert  Gulden  für  Kunst- 
auslagen ämtlich  zu  rechtfertigen.  Auf  die  Aufträge  für  die 
Akademiezöglinge   erstreckte   sich   die   öffentliche   Fürsorge   auch 


7 '22  Alfred  Nossig 

hauptsächlich.  Die  Zöglinge  kehrten  mit  geläuterten  Anschauungen 
in  einem  Lebensalter  zurück,  in  welchem  sich  der  Drang  der  Jugend 
mit  der  männlichen  Thatkraft  verbindet;  sie  wurden  bald  ent- 
täuscht und  ernüchtert  durch  die  Verhältnisse,  welche  sie  vor- 
fanden. Das  Höchste,  was  sie  erreichen  konnten,  war  nicht  freie 
Kimstthätigkeit  in  großem  Stil,  sondern  ein  Lehramt  an  der 
Akademie. 

Die  Aristokratie,  welche  während  der  Barockzeit  für  die 
Kunstblüte  eine  so  hervorragende  Bedeutung  gehabt,  zog  sich 
nun  fast  vollständig  zurück.  Insofeme  sie  sich  für  Kunst  interessierte, 
bevorzugte  sie  die  gesellschaftlich  geschmeidigeren  Italiener  vor 
den  einheimischen  Künstlern.  Eine  Ausnahme  bildete  Graf  Fries, 
welcher  Zauner  protegierte,  Fürst  Liechtenstein,  welcher  Klieber 
förderte,  und  Graf  Cobenzl,  dem  Kiesling  manches  zu  verdanken 
hatte.  Aber  der  kunstsinnigste  unter  den  damaligen  Vertretern 
der  hohen  Aristokratie,  der  Herzog  von  Sachsen-Teschen,  ließ 
das  Grabmal  der  Erzherzogin  Christine  von  Canova  ausführen, 
was  man  ihm  freilich  im  Interesse  der  Kunst  nicht  verübeln  darf. 
Wie  sehr  jedoch  die  Tendenz,  die  Italiener  voranzusetzen,  bei  der 
Aristokratie  eingewurzelt  war,  davon  zeugt  der  von  Eitelberge r 
hinterbrachte  Ausspruch,  den  eine  vornehme  Persönlichkeit  noch 
am  Schlüsse  dieser  Epoche  gethan,  als  es  sich  darum  handelte, 
ob  für  ein  Denkmal  der  Entwurf  von  Klieber  oder  von  dem 
künstlerisch  unter  ihm  stehenden  Marchesi  gewählt  werden  solle: 
,,Es  ist  nicht  möglich,  den  Entwurf  eines  so  vornehmen  Künstlers, 
wie  Marchesi,  unbeachtet  zu  lassen.** 

Solche  Verhältnisse  bewirkten  es  neben  dem  reiferen  Zeit- 

« 

geiste,  dass  die  Künstler  in  dieser  Epoche  zum  erstenmal  an 
Selbsthilfe  zu  denken  begannen.  Die  noch  im  Jahre  1788  auf 
Anregung  des  Malers  Binder  gegründete  Pensionsgenossenschaft 
bildender  Künstler  in  Wien  erhielt  von  Kaiser  Franz  die 
Erlaubnis,  in  den  kaiserlichen  Redoutensälen  alljährlich  einen 
Maskenball  zu  ihrem  Besten  zu  veranstalten.  Die  Fonde  der 
Gesellschaft  wuchsen  stetig,  so  dass  im  Jahre  1838  der  Architekt 
Lössl  beauftragt  werden  konnte,  der  Pensionsgenossenschaft  ihr 
eigenes  Haus  zu  errichten.  Andreas  Hunglinger,  der  Zeichen- 
meister der  Theresianischen  Akademie,  regte  im  Jahre  181 1  zum 
erstenmal   den  Gedanken   an,     ein    österreichisches    Museum    für 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  ^'9^ 

vaterländische  Kunst  zu  errichten,  und  leitete  eine  Zeit  lang  auf 
eigene  Kosten  ein,,Cabinet**  in  Baden.  Auch  die  Wiener  Akademie 
war  bemüht,  in  dem  Publicum  den  Sinn  für  die  Kunst  zu  wecken, 
indem  sie  seit  1786  jährlich  Ausstellungen  veranstaltete.  Doch 
muss  es  ihr  kaum  gelungen  sein,  viele  Mäcene  zu  finden,  denn 
den  Bemerkungen,  welche  Sonnen fels,  der  wahre  Freund  der 
Kunst,  bei  der  feierlichen  Preisvertheilung  der  Akademie  im  Jahre 
1801  aussprach,  liegt  viel  Bitterkeit  zugrunde.  ^yT>ie  Akademie'' 
—  sprach  damals  Sonnenfels  —  ,, erwartet  thätige  Unterstützung, 
ohne  Unterschied,  von  dem  Manne  von  Geburt,  der  Vaterlands- 
liebe und  Kunstgefühl  genug  besitzt,  das,  was  er  zu  so  schönem 
Zwecke  verwendet,  zum  mindesten,  um  gleichwohl  härteren  Aus- 
druck zu  vermeiden,  nicht  fiir  verloren  zu  achten.'' 


Dem  nüchternen  Geiste,  welcher  in  jenen  Tagen  maßgebend 
geworden,  gefiel  der  wiederentdeckte  Classicismus.  Man  verhalf 
seinen  Vertretern  bald  zu  einer  dominierenden  Stellimg,  weil  man 
von  ihnen  nichts  zu  fürchten  hatte.  Es  begann  das  Licht  jenes 
Dreigestirns  zu  glänzen,  in  dessen  Leistungen  sich  der  öster- 
reichische Classicismus  verkörpert:  Füg  er  begann  die  Malerei, 
Zauner  die  Plastik,  Nobile  die  Architektur  zu  beherrschen. 

Diese  Männer  waren  keine  bewussten  Reactionäre  in  der 
Kunst  Es  waren  tüchtige,  ehrlich  gesinnte  Künstler,  welche, 
angewidert  von  den  Entartungen  des  Rococo,  sich  die  Frage* 
gestellt  hatten:  wie  gelangt  man  zu  einer  gesunden,  edlen,  hohen 
Kunst?  Die  Antwort  auf  diese  Frage  fanden  sie  in  Winckel- 
manns  ,, Gedanken  über  die  Nachahmung  der  griechischen  Werke 
der  Maler-  und  Bildhauerkunst"  und  in  seiner  ,, Geschichte  der 
Kunst  des  Alterthums".  Insbesondere  war  es  der  Maler  Heinrich 
Füger,  der  Bahnbrecher  des  Classicismus  in  Wien,  ein  Mann  von 
universeller  Bildung,  der  seine  Überzeugungen  nicht  nur  auf 
künstlerisches  Gefühl,  sondern  auch  auf  theoretische  und  archäo- 
logische Studien  gründete.  Wer  in  der  Sammlung  der  Wiener 
Akademie  das  kleine  Selbstporträt  betrachtet,  das  Füger  auf  Elfen- 
bein entworfen,  wird  in  dem  rundlichen,    festen  Gesichte,    in  dem 


o^A  Alfred  Nossig 

ruhigen,  zielbewussten  Auge  des  Künstlers,  der  sich  bezeichnender 
Weise  selbst  mit  einer  antiken  Toga  drapiert,  den  sprechendsten 
Beweis  dafür  finden,  dass  dieser  Mann  es  ehrlich  und  ernst  mit 
der  Kunst  meinte.  Füger,  der  in  Stuttgart  beim  Anblicke  der 
antiken  Kunstwerke  den  Muth  verloren  hatte,  Maler  zu  werden, 
und  schon  die  Rechte  zu  studieren  begonnen,  fand  zu  Rom  in 
den  Gemälden  Rafael  Merigs'  die  Erfüllung  des  Winckelmann- 
schen  Evangeliums,  eine  Erfüllung,  welche  den  begeisterten 
Apostel  der  Antike  selbst  geblendet  und  für  alle  Jünger  desselben 
zum  verhängnisvollen  Irrlicht  werden  sollte.  Denn  nicht  den 
großen,  idealen  Zug  der  griechischen  Kunst,  welcher  eine  Schar 
unsterblicher  Gestalten  erschaffen,  hatte  Mengs  wiedergeboren,  er 
war  gleich  dem  Franzosen  David  in  opernhafte  Nachahmung  des 
Griechenthums  und  Römerthums  verfallen.  Und  das  ist  es  auch, 
was  der  ehrliche  Füg  er  von  Mengs  und  David  empfangen:  nicht 
große  Typen  aus  den  Tiefen  des  Volksbewusstseins  zu  schaffen, 
hatte  er  als  das  Wesen  der  antiken  Kunst  erfasst,  sondern  die 
heroische  Pose,  das  antike  Costüm  und  die  bengalische  Beleuch- 
tung, jene  rein  äußerliche  Idealisierung,  welche  den  Mangel  des 
belebenden  inneren  Ideals  nicht  ersetzte.  Seit  1795  Director  der 
Wiener  Akademie,  wirkte  Füger  als  Künstler  und  Lehrer  im 
Sinne  dieses  Conventionellen  Classicismus,  welcher  von  der  antiken 
Kunst  ebenso  weit  entfernt  war  als  von  den  eigentlichen  Inten- 
tionen Winckelmanns.  Man  kann  diesen  Maler  sehr  wohl  in  den 
Werken  studieren,  welche  die  Wiener  Gallerien  von  ihm  besitzen. 
Eines  der  tüchtigsten  Historienbilder  Fügers  findet  sich  in  der 
Akademie.  Es  stellt  den  sterbenden  Germanicus  dar,  wie  er 
seinen  Freunden  den  Schwur  abnimmt,  dass  sie  ihn  rächen  würden. 
Ein  Heldentenor  könnte  auf  der  Bühne  nicht  schöner  sterben  als 
dieser  vergiftete  Römerprinz,  und  die  Wiener  Hofoper  hat  kaum 
je  eine  schwelgerischere  antike  Costümscene  arrangiert  als  der 
Regisseur  dieser  gemalten  Oper.  In  dem  ebenfalls  in  der  Akademie 
befindlichen  Olbildercyklus,  welcher  Klopstocks  Messiade  illustriert, 
tritt  Fügers  Richtung  nicht  minder  charakteristisch  hervor.  Man 
betrachte  z.  B.  diese  Portia,  welche  am  Grabe  Christi  von  Jemina 
und  Rahel  die  Kunde  von  der  Auferstehung  des  Erlösers  erhält: 
eine  griechische  Puppe,  welche  von  den  zwei  anderen  kaum  zu 
unterscheiden  ist  und  in  der  künstlichen  Strahlenbeleuchtung  um 


Das  neuniehtite  JahrhundetL  jae 

SO  unnatürlicher  aussieht.  Das  Höchste  an  tlieatermäßtger  Beleuch- 
tung leistet  Füger  in  den  religiösen  Bildern,  welche  das  Hofmuseum 
besitzt,  vor  allem  in  seinem  sinnenden  Johannes,  der  im  Lichte 
eines  überirdisch  schönen  Sonnenunterganges  unter  einer  Palme 
in  griechischer  Nacktheit  daliegt  Und  wie  Fügers  Conception 
auf  äußerliche  Idealisierung  hinausläuft,  so  liegt  die  Stärke  seiner 


Abb.  75.     Karyatiden -Portal  von  F.  Zauner. 

Technik  nicht  in  der  Sattheit  des  Colorits  und  der  inneren  Leucht- 
kraft seiner  Farben,  sondern  in  seinem  glänzenden  Firnis,  der 
allerdings  noch  heute  seinen  Dienst  erfüllt. 

Franz  Zauner,  der  Tiroler  Bildhauer,  welcher  im  Jahre 
1806  nach  Fügers  Ernennung  zum  Director  der  kaiserlichen  Gallerie 
Leiter  der  Wiener  Akademie  wurde,  war  ein  weniger  überzeugter 
Classicist  als  Füger.  In  der  Zeit  seiner  ersten,  aufrichtigen, 
hingebenden  Liebe  zur  Antike  schuf  er  die  zwei  Karyatidenpaare, 
welche  das  ehemalige  Fries'sche  Palais  am  Josefsplatz  schmücken 


7^6  Alfred  Nossig 

(s.  Abb.  75).  Der  edle  Fluss  ihres  Gewandes,  der  schwache  Hauch 
wirklichen  antiken  Lebens,  der  ihren  keineswegs  vollkommenen 
Formen  entströmt,  bewirken  es,  dass  dieses  Palais  den  vornehmsten 
aristokratischen  Residenzen  zugezählt  werden  muss.  Diese  Karya- 
tiden, das  bedeutendste,  aufrichtigste  Werk  Zauners,  blicken  das 
Kaiser-Josefdenkmal  an.  Zauners  größtes  Werk.  Er  hatte  einen 
oflFenen  Sinn,  und  dass  er  das  Theatralische,  Ungesunde  des  classicisti- 
schen  Apparates  selbst  empfand,  dies  beweist  ein  Entwurf  zum 
Josef-Monument,  welcher  den  Kaiser  in  der  Kleidung  seiner  Zeit 
zeigt.  Aber  er  beugte  sich  der  herrschenden  Geschtnacksrichtung, 
und  als  es  zur  Ausführung  des  Monumentes  kam,  stellte  er 
Josef  IL,  den  Schätzer  der  Menschheit  und  den  Freund  des 
modernen  Geistes,  im  Gewände  eines  römischen  Imperators  dar. 
Der  Kaiser,  wie  er,  auf  gewaltigem  Rosse  einherreitend,  die  Hand 
segnend  ausstreckt,  dieses  Ross  selbst  in  seinem  majestätischen 
Paradeschritt,  sie  haben  in  ihren  Erzformen  etwas  Grandioses, 
was  durch  das  Postament  mit  seinen  nüchternen  Allegorien  und 
'  seinem  kerkerartigen  Pfeiler-  und  Kettenumzug  nicht  beeinträchtigt 
werden  kann. 

Mächtiger  als  bei  Zauner,  ja  mächtiger  als  bei  Füger,  war 
der  künstlerische  Glaubenseifer  des  italienischen  Meisters,  welcher 
als  Director  der  Akademie  das  Scepter  des  Classicismus  aus  ihren 
Händen  empfieng.  Pietro  Nobile  hatte  sich  zu  Rom  gebildet 
und  daselbst  —  wie  sein  Biograph  Nag  1er  erzählt  —  jegliches 
Mittel  ergriflfen,  um  die  höchst  mögliche  Stufe  des  architekto- 
nischen Wissens  zu  erreichen.  In  Vitruv,  Vignola  und 
Palladio  glaubte  er  die  Offenbarung  der  höchsten,  unwandel- 
baren Kunst  gefunden  zu  haben.  Kaum  hat  jemand  eine  Kunst- 
lehre fanatischer,  vertreten  als  der  eiserne  Nobile  den  Classicismus. 
Für  ihn  war  jede  andere  Kunstrichtung  Barbarei,  jeder  andere 
Kunstglaube  Verbrechen.  Der  Meister,  der  in  Triest  den  Leucht- 
thurm  und  die  Brücke  vom  Canale  gebaut,  gewann  in  Wien  bald 
einen  entscheidenden  Einfluss;  er  wurde  bei  allen  größeren  künst- 
lerischen Unternehmungen  zurathe  gezogen.  Außer  dem  Burg- 
thore  erbaute  er  eine  Nachbildung  des  athenischen  Theseustempels 
im  Wiener  Volksgarten;  dieser  Bau  barg  bis  vor  kurzem  die 
Theseusgruppe  von  Canova. 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  •27^ 

Nobile,  Zauner  und  F ü g e r  erheben  sich  an  künstlerischer 
Kraft  hoch  über  die  ihnen  zeitlich  zunächst  stehenden  und  eine 
gleiche  Richtung  verfolgenden  Künstler.  Unter  den  classicistischen 
Architekten  Österreichs  hatte  sich  Nobile  die  meiste  Mühe 
gegeben,  in  das  Wesen  der  antiken  Baustile  einzudringen.  Die 
anderen  begnügten  sich  mit  der  äußerlichen  Anwendung  der 
antiken  Ordnungen,  welche  der  Franzose  Delagardette  codificiert 
hatte.  So  der  unmittelbare  Vorgänger  Nobiles  an  der  Akademie, 
Ferdinand  Hetzendorf  von  Hohenberg,  welcher  die 
Schönbrunner  Gloriette  und  den  Fries' sehen  Palast  am  Josefs- 
platze erbaut,  Gottlieb  Nigelli  in  seiner  evangelischen  Kirche, 
Ludwig  Montoyer  und  der  Hof-Baurath  Paul  Sprenger, 
der  Hauptrepräsentant  der  gänzlich  bureaukratisierten,  von  den 
lebendigen  Quellen  wahrer  Kunst  weit  entfernten  classicistischen 
Architektur. 

Innigere  Hingabe  an  die  Kunst  findet  man  unter  den  Pla- 
stikem;  aber  auch  auf  diesem  Gebiete  sieht  man  kein  bedeutenderes 
Werk  entstehen.  Zauners  Vorgänger,  J.  Ch.  W.  Beyer,  der 
die  Schönbrunner  Statuen  geschaffen,  und  J.  M.  Fischer,  welcher 
die  Brunnen  am  Franciscanerplatze,  am  Hof  und  am  Graben  mit 
Sculpturen  geschmückt,  verliehen  der  classicistischen  Plastik  den 
Charakter  jenes  in  sorgfältiger  Ausführung  sich  bekundenden 
tüchtigen  Strebens,  welches  ihre  Werke  schätzenswert  macht,  ob- 
wohl sie  sämmtlich  kraftlose  Nachahmung  der  Antike  sind.  Dies 
ist  auch  der  Charakter  jener  plastischen  Gruppen,  welche  die 
österreichischen  Pensionäre  zu  Rom  für  den  Hof  ausführten.  Man 
betrachte  in  den  kaiserlichen  Sammlungen  den  mit  der  Chimära 
kämpfenden  Bellerophon  J.  N.  Schallers:  sicherlich  wird  man 
den  Aufbau  der  schön  durchgebildeten  Gestalt  Bellerophons  mit 
der  streng  in  die  Achse  der  Gruppe  fallenden,  hoch  erhobenen 
Waffe  bewundern,  man  wird  an  der  tüchtigen  Behandlung  des 
Marmors  seine  Freude  haben,  und  doch  wird  man  sich  eines 
frostigen  Gefühles  nicht  erwehren  können.  Und  dies  Gefühl  wird 
sich  noch  steigern,  wenn  man  sich  der  Kiesling'schen  Gruppe 
zuwendet,  welche  Mars  und  Venus  mit  dem  Amorknaben  darstellt. 
Diese  vollendet  schöne,  heroische  Mannesgestalt,  diese  in  schönstem 
Verhältnis  kleiner  gehaltene  weibliche  Figur  erinnern  an  das 
Herrlichste,  was  die  antike  Plastik  hervorgebracht,  und  verdunkeln 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ung^am.  22 


oi8  Alfred  Nossig 

SO  selbst  den  Eindruck,  den  sie  hervorrufen:  denn  sie  sind  nichts 
anderes  als  die  Antike,  und  so  wie  die  Antike  sind  sie  doch  nicht. 

Während  man  den  Sculpturen  der  classicistischen  Epoche 
jene  ernste  Wirkung,  welche  die  hohe  Kunst  anstrebt,  immerhin 
nicht  absprechen  kann,  machen  viele  Bilder  dieser  Schule  den 
Eindruck  gemalter  Parodien.  Wenn  man  in  der  akademischen 
Gallerie  den  Cato  betrachtet,  welcher  aus  den  Händen  eines  Knaben 
die  todbringende  Waffe  nimmt,  ein  Bild  des  Fügerschülers  Josef 
Abel,  so  hört  man  hinter  der  Leinwand  einen  lustigen  Studenten- 
chor eine  schauerliche  Römerballade  singen.  Abels  Malerei  ist  auch 
der  Vorhang  des  alten  Burgtheaters  (s.  Abb.  76).  Ähnlich  wirkt  der 
sterbende  Meleager  Anton  Petters.  Dafür  ist  die  Malerei  die 
einzige  bildende  Kunst,  welche  in  dieser  Epoche  nicht  gänzlich 
in  der  herrschenden  Richtung  aufgeht,  sondern,  über  das  Pro- 
krustesbett des  Classicismus  hinausragend,  mit  den  Füßen  noch 
den  früheren  Boden  berührt,  mit  dem  Kopf  in  eine  spätere  Zeit 
hineinragt.  Während  die  meisten  Architekten  und  Landschafts- 
maler, ein  J.  Chr.  Brand,  Josef  Fischer,  Martin  Molitor, 
der  niederländischen  Schule  treu  bleiben,  sehen  wir  in  den  antik 
drapierten  Heiligen  Hubert  Maurers  die  vorausgeworfenen 
Schatten  der  großen  Religionsmalerei  der  Romantik,  in  den  über- 
raschend lebenswahren  Porträts  J,  B.  Lampis  die  zeugungs- 
kräftigen Ahnen  des  realistischen  Bildnisses;  wir  sehen  durch 
Josef  Mössmers  feinsinnige,  von  steifem  Classicismus  wie  von 
romantischer  Überschönerung  gleich  weit  entfernte  Landschafts- 
bilder jenen  Pfad  sich  winden,  auf  welchem  Fr.  Gauermann 
fortschritt,  um  zur  realistischen  Landschaft  und  zum  realistischen 
Thierstück  zu  gelangen. 

Die  sorgfältige  Technik,  welche  man  der  classicistischen 
Plastik  nachrühmen  muss,  ist  auch  der  damaligen  Medailleurkunst 
eigen.  Ihre  bedeutendsten  Vertreter  wurden  vom  Staate  benützt, 
theils  als  Lehrkräfte,  wie  J.  B.  Hagenauer,  Fr.  X.  Würth,  theils 
als  Graveure  des  Münzamtes,  wieignaz  Donner.  Die  graphischen 
Künste  zeigen,  insoferne  sie  schöpferisch  auftreten,  den  vollen 
Einfluss  des  Classicismus,  so  insbesondere  die  Radierungen  eines 
Karl  Russ.  Das  Verdienst,  einheimische  Stoffe  in  einer  der 
österreichischen  Volksempfindung  entsprechenden  lebensfrohen  und 
heiteren  Weise  behandelt  zu  haben,  gebürt  in  dieser  Epoche  der 


Das  neunzehnte  Jahrhundert. 


339 


Lithographie,  welche,  durch  Alois  Senefelder  in  Wien  einge- 
führt, von  Josef  Lance  de  11  i  schwunghaft  betrieben  wurde.  Wir 
verdanken  diesem  launigen  Künstler  mehrere  gelungene  Blätter, 
in  denen  der  Wiener  Humor  seinerzeit  sich  verkörpert,  so  ,,Die 
Modernisierung,  ein  humoristisches  Zeitbild  auf  das  Abkommen 
der  Zöpfe*',  ,,Die  Nationalbank**  und  treffliche  Typen  aus  dem 
Wiener  Leben.  Ein  Danhauser  und  Waldmüller  mögen  in  ihrer 
Jugend  diese  Blätter  nicht  ohne  Anregung  betrachtet  haben. 


Halten  wir  unter  den  anderen  Ländern  der  österreichischen 
Krone  Umschau,  so  finden  wir  in  dieser  Epoche  nur  in  Böhmen 
eine  lebhaftere  Kunstbewegung.  Ja,  in  diesem  Lande,  dem  die 
Gunst  der  historischen  Verhältnisse  materielles  Emporblühen  ge- 
stattete, und  dessen  Adel  ungewöhnliches  Kunstverständnis  besaß, 
geschah  mehr  für  die  Kunst  als  in  der  Metropole  des  Reiches. 
Bestand  doch  daselbst  bereits  seit  dem  achtzehnten  Jahrhunderte 
eine  adelige  ,, Gesellschaft  patriotischer  Kunstfreunde", 
welche  die  Aristokratie  zur  thätigen  Unterstützung  der  Kunst 
fortwährend  aneiferte !  Mit  Stolz  darf  Böhmen  behaupten,  dass  die 
glänzendsten  Namen  seines  Adels  zugleich  die  Namen  der  eifrigsten 
Kunstfreunde  in  jener  Epoche  seien.  Die  Lobkowitz,  Kinsky, 
Schönborn,  Czernin  wetteiferten  in  der  Förderung  der  böhmi- 
schen Kunst;  die  Grafen  Colloredo  und  Nostiz  schenkten  ihre 
Gallerien  dem  Lande,  Graf  Sternberg  ließ  in  seinem  Palais  auf 
dem  Hradschin  eine  dauernde  Kunstausstellung  eröffnen.  Zwar 
entsprachen  die  damaligen  Leistungen  der  Prager  Schule  durchaus 
nicht  der  Größe  eines  solchen  Mäcenatenthums,  was  dem  er- 
drückenden Einflüsse  der  vom  Mengsianer  Bergler  mit  aller 
Strenge  vertretenen  classischen  Richtung  zuzuschreiben  ist ;  aber 
wir  werden  in  den  nächsten  Kunstperioden  die  Früchte  dieser 
reichen  Saat  keimen  und  reifen  sehen. 

Galizien  erfüllten  noch  die  Nachklänge  der  politischen 
Stürme,  welche  dies  Land  in  der  eben  vorausgegangenen  Epoche 
erfahren  hatte.  Die  Kunst  lag  darnieder :  die  Gedanken  und  Ge- 
fühle, welche  das  Volk  bewegten,  lagen  weit  ab  von  diesem  Gebiete, 
und  der  Staat  konnte  in  jenen  Wirren  ihm  seine  Aufmerksamkeit 


22* 


340 


Alfred  Nossig 


noch  nicht  zuwenden.  Die  schwachen  Fäden,  an  welche  sich  zu 
seiner  Zeit  eine  Kunstthätigkeit  an  Galizien  knüpft,  gehen  sämmt- 
lich  von  dem  benachbarten  Krakau  aus,  wo  seit  Jahrhunderten 
eine  von  den  polnischen  Königen  mit  Privilegien  ausgestattete 
Künstlergenossenschaft  bestand  und  wo  seit  1783  Dominik 
Estreicher  an  der  Jagellonen-Universität  Zeichen-  und  Mal- 
unterricht ertheilte. 

Noch  trauriger  war  es  um  Ungarn  bestellt.  Der  Strom 
unsäglichen  Elendes,  den  die  Türkenherrschaft  über  dieses  Land 
ergossen,  hatte  die  heimische  Kunstliebe  gänzlich  erdrückt.  Die 
berühmten  ungarischen  Meister,  welche  zur  Barockzeit  im  Auslande 
genistet,  ein  Kupeczky  und  Mdnyoky,  fanden  keine  eben- 
bürtigen Nachfolger  in  dieser  Periode ;  der  Genius  des  Volkes 
ruhte  und  sammelte  seine  Kraft. 


Es  ist  ein  bescheidenes.  Bild,  das  uns  die  österreichische 
Kunstthätigkeit  in  der  classicistischen  Epoche  geboten.  Aber  wir 
dürfen  die  Bedeutung  dieser  Epoche  für  die  Entwicklung  der 
bildenden  Künste  nicht  verkennen ;  eine  Bedeutung,  welche  vor 
allem  in  der  Begründung  einer  soliden  Technik,  in  der  meister- 
haften Schulung  der  Kunstjünger  lag.  Es  ist  das  Verdienst 
Heinrich  Fügers,  einen  Kreis  tüchtiger  Männer  um  sich  ver- 
sammelt und  unter  Beihilfe  eines  Lampi,  Caucig,  Maurer, 
J.  M.  Fischer,  Zauner,  Schmutzer  dem  akademischen 
Unterrichte  einen  einheitlichen  gediegenen  Charakter  verliehen  zu 
haben.  J.  V.  Schnorr,  der  in  seinen  Erinnerungen  den  Zeichen- 
unterricht an  der  Wiener  Akademie  unter  Fügers  Leitung  schildert, 
stellt  denselben  bei  weitem  höher  als  die  Methode,  welche  gleich- 
zeitig zu  Paris  befolgt  wurde.  Während  in  Paris  das  Zeichnen 
unmittelbar  ins  Malen  übergieng  und  der  Schüler,  nur  an  Kohlen- 
contouren  gewöhnt,  eigentlich  nur  einen  klaren  Umriss  verfertigen 
konnte,  wurde  in  Wien  ,,auf  nichts  mehr  gedrungen  als  auf  einen 
richtigen  Umriss  der  Figur  und  auf  bestimmte  Hineinsetzung  der 
Muskeln,  ehe  an  eine  Angebung  von  Licht  und  Schatten  gedacht 
werden  darf.'*  Unvergleichlich  als  Lehrer  war  auch  der  Bildhauer 
J.  M.  Fischer,  einer  der  tüchtigsten  Kunstanatomen  seiner  Zeit 


Das  neunzehnte  Jahrhundert. 


341 


Von  ihm  rühren  eine  überlebensgroße,  in  Blei  gegossene  und  eine 
kleinere  anatomische  Fignr  her,  welche  heute  noch  von  Künstlern 
und  beim  Unterrichte  verwendet  werden,  sowie  zwei  Schriften 
,, Erklärung  der  anatomischen  Statue  für  Künstler'*  und  ,, Dar- 
stellung des  Knochenbaues  von  dem  menschlichen  Körper  mit  der 
Angabe  der  Verhältnisse  desselben."  Zaun  er  s  Verdienst  ist  es, 
die  Technik  des  Erzgusses  wieder  nach  Wien  verpflanzt  zu  haben. 
Während  nämlich  der  Bleiguss  und  die  Marmortechnik  durch  das 
ganze  18.  Jahrhundert  in  Blüte  geblieben,  war  der  Erzguss  ver- 
nachlässigt worden.  Für  Zauner  war  das  Kaiser  Josef-Denkmal 
die  hohe  Schule  dieser  streng  monumentalen  Technik  gewesen. 
Zahlreiche  Guss-  und  Patinierungsvefsuche  ließ  er  der  endgiltigen 
Ausführung  des  Werkes  vorangehen,  und  wenn  er  auch  Bouchar- 
don-Pigalle,  der  das  Monument  Louis  XV.  gegossen,  manches 
verdanken  mochte,  so  war  seine  Thätigkeit  dennoch  eine  bahn- 
brechende, und  was  er  gelernt,  blieb  für  die  Wiener  Plastik  un- 
verloren. 

Eine  Akademie,  an  der  die  Elemente  der  Kunst  imd  die 
Kunsttechnik  großen  Stils 'gleich  gründlich  gelehrt  wurden,  er- 
freute sich  mit  Recht  eines  Weltrufes  und  zahlreichen  Zuspruches 
von  Fremden.  ,,Wie  ein  halbes  Jahrhundert  später  nach  München" 
—  sagt  Lützow  —  )^VLin.  Wilhelm  Kaulbachs  Atelier  zu  sehen,  so 
wallfahrtete  man  damals  nach  Wien  zu  Füger  und  Zauner,  und 
der  Ruhm  der  von  ihnen  geleiteten  Schule  war  ebenso  begründet 
wie  weitverbreitet". 


2.   Die  kämpfende  Romantik. 

Der  Classicismus  hatte  das  Ziel,  das  er  sich  gesteckt,  nicht 
erreicht.  Er  hatte  keine  gesunde,  große  Kunst  geschaffen,  welche 
der  Rococokunst  als  alleinseligmachende  ästhetische  Kirche  hätte 
entgegentreten  können  ;  er  hatte  kein  Genie  hervorgebracht,  welches 
die  Zeitgenossen  geblendet  und  ihnen  den  Glauben  an  die  Offen- 
barungen des  Classicismus  beigebracht  hätte.  Der  allgemeine  Ge- 
schmack begann  gegen  diese  Richtung  zu  reagieren,  und  ein  Freund 
Fügers,  der  Dichter  Coli  in,  war  es,  welcher  den  Classicismus 
mit  den  Worten  richtete:    ,,Die   Barbaren  durften   den  Griechen 


342 


Alfred  Nossig 


danken,  wenn  sie  von  ihnen  griechisch,  d.  h.  reinmenschlich  dar- 
gestellt wurden ;  aber  die  Griechen  würden  sehr  dadurch  empört 
worden  sein,  wenn  sie  sich  in  modemer  Verzerrung,  mit  allen  den 
lächerlichen,  entweder  unbedeutenden  oder  Schwäche  und  Ver- 
derbnis verrathenden  Anhängseln  der  Concurrenz  dargestellt  erblickt 
hätten.  *  *  So  musste  sich  denn  der  Classicismus  immer  mehr  darauf 
beschränken,  bloß  der  akademischen  Schulung  zu  dienen.  Die 
Mittel,  mit  denen  er  herrschte,  waren  Intoleranz,  Bevormundung 
und  strenge  Abschließung  gegen  fremde  Einflüsse.  Die  Kataloge 
der  Akademieausstellungen  zeigen  bis  zum  Jahre  1840  nicht  ein 
Werk  eines  ausländischen  Künstlers.  Und  doch  vermochte  diese 
strenge  Schule  der  Gedankenarbeit  nicht  Halt  zu  gebieten,  sie 
vermochte  es  nicht  zu  hindern,  dass  die  junge  Künstlergeneration, 
die  unfruchtbare  Thätigkeit  ihrer  Lehrer  betrachtend,  sich  die- 
selbe Frage  vorlegte,  von  welcher  jene  Meister  einst  ausge- 
gangen waren :  wie  gelangen  wir  zu  einer  gesunden  und  großen 
Kunst,  wo  ist  die  wahre  Kunst  zu  suchen?  Ja,  trotz  ihres  Ab- 
schließungssystemes  konnte  es  die  Akademie  nicht  hindern,  dass, 
von  ihrem  großen  Rufe  angezogen,  aus  dem  Auslande  Kunstjünger 
nach  Wien  kamen,  in  deren  Brust  es  gewaltig  gährte.  ,, Lebhaft 
tritt  die  schöne  Zeit  wieder  vor  meine  Seele,**  schreibt  einer  der- 
selben an  seinen  Freund  in  Deutschland,  ,,da  ich  Sie  in  Lübeck 
kennen  lernte,  da  ich  gegen  Sie  zuerst  meine  Gefühle  über  die 
Kunst  schüchtern  zu  äußern  wagte,  da  Sie  mir  zuerst,  wenn  wir 
des  Abends  im  Laubgange  auf-  und  abgiengen,  wie  ein  Engel  vom 
Himmel  Worte  der  Seligkeit  sprachen,  über  Malerei  und  Dicht- 
kunst. Dinge,  die  ich  bis  dahin  aus  keines  Menschen  Munde  gehört 
hatte,  und  in  denen  ich  doch  so  ganz  mein  eigenes  Herz  wieder- 
fand ...  Es  hatte  demselben  immer  noch  etwas  Wichtiges  gemangelt 
—  die  wahre  Kunst,  die  ich  in  Lübeck  vergebens  gesucht  hatte. 
Ach,  und  ich  war  so  voll  davon,  meine  ganze  Phantasie  war  ausgefüllt 
mit  Madonnen  und  Christusbildern,  ich  trug  sie  mit  mir  herum 
und  hegte  und  pflegte  sie,  aber  es  war  nirgends  Wiederklang.** 

Der  so  schrieb,  war  Friedrich  Overbeck,  und  man  be- 
greift es,  dass  dieser  Jüngling,  dessen  Stil  so  lebhaft  an  W  a  c  k  e  n- 
r Oders  Herzensergießungen  oder  Tiecks  Sternbald  erinnert, 
unter  dem  Joche  der  classicistischen  Kunstdressur  schwer  seufzen 
musste.     Es  gelang  ihm,   in  Wien  einen  Kreis  von  Gesinnungs- 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  ^a^ 

genossen  zu  finden,    welche  sich  an  der  Kunstlehre   Schlegels 
und  Tiecks  begeisterten  und  in  der  altdeutschen  und  romanti- 
schen Stoflfwelt  die  Quellen  für  die  Wiedergeburt  der  darstellenden 
Kunst  erblickten.     Als  die  kaiserliche  Gallerie  eröffnet  wurde  — 
erzählt  Passavant  —  richteten  die  Genossen  ihre  Aufmerksamkeit 
hauptsächlich  auf  die  altdeutschen,   hierauf  auf  die   italienischen 
Meister.     Ihr  Widerwille  gegen  die  Mengsisch-Davidische  Richtung 
machte  sich  immer  mehr  bemerkbar,  und  da  es  gerade  die  talent- 
vollsten Eleven  waren,  die  rebellisch  auftraten,  so  entschloss  sich  die 
Akademie,  um  dem  Umsichgreifen  der  bedenklichen  Bewegung  vorzu- 
beugen, Overbeck  und  seine  Genossen  von  der  Anstalt  zu  relegieren. 
Fast  schien  es  nun,  als  ob  in  Wien  die  Romantik  zu  kräftiger  Blüte 
kommen  sollte:  dem  Kreise  Overbeck  s,  welcher  bis  dahin  Pf  orr, 
Vogel,  Wintergerst  und  Sutter  umfasst,  traten   Scheffer 
von    Leonhartshoff  und   Hoftinger   bei,    und    der    reifere 
Wächter   bestärkte   die  Jünglinge   in  ihren   Anschauungen   und 
trieb  sie  zu  offenem  Auftreten  an.     Und,   was  mehr  sagen  will, 
die  politischen   und   literarischen  Verhältnisse  hatten  gerade  um 
diese  Zeit  in  Wien  den  Boden  für  die  Romantik  vorbereitet     Um 
die  Zeit,  als  Napoleon  von  neuem  Österreich  bedrohte,    als  Erz- 
herzog Karl  in  begeisterten  Proclamationen  die  Völker   zu  den 
Waffen  rief,    als   Kleist  seine  ,, Hermannsschlacht**,  Hormayr 
seinen  ,, österreichischen  Plutarch*',    Pyrker  seine  ,,Rudolphias** 
schrieb,  war  den  bildenden  Künsten  die  Gelegenheit  geboten,    auf 
der  gesunden  Basis   des    Volksthums   ideale   Werke   zu   schaffen. 
Diese  Bahn  betrat  Overbeck  nicht     Die  romantische  Schwärmerei 
hatte  in  ihm  eine  Vorliebe  für  das  Mittelalter  erzeugt,  welche  sich 
vor  allem  der  geistigen  Sonne  des  mittelalterlichen  Lebens,    der 
katholischen    Kirche,     zuwandte.       Er    hoffte    das    Zeitalter    der 
Glaubensinbrunst  auferstehen  machen  und  auf  dem  neuerwachten 
Glauben  eine  große  Kunst  gründen  zu  können.     Nachdem  er  noch 
in  Wien  die  Skizze  zum  ,, Einzug  Christi  in  Jerusalem**  vollendet, 
zog  er  mit  einigen  seiner  Genossen  nach  Rom.     Sie  schlugen  ihre 
Wohnung   in  dem  verödeten  Kloster  S.    Isidoro  auf  dem   Pincio 
auf.     Dies  sind  die  Klosterbrüder  von  S.  Isidoro,    welche   später 
als  die   Nazarener  berühmt   werden   und   ihren   Einfluss   auf  der 
Wiener  Akademie  siegreich  zur  Geltung  bringen  sollten. 


'2AA  Alfred  Nossig 

So  war  die  Hoffnung,  die  Romantik  gleich  bei  ihrem  ersten 
Auftreten  in  Wien  eine  achtunggebietende  Höhe  erklimmen  zu 
sehen,  zerstört  worden.  Als  noch  der  geistvolle  Moriz  von 
Schwind  seine  Vaterstadt  verlassen,  nachdem  er  sein  ,,Käthchen 
von  Heilbronn*'  ausgestellt,  da  blieb  in  Wien  nur  eine  kleine 
Gruppe  von  Malern,  welche  der  Romantik  huldigte.  Sie  culti- 
vierten  zumeist  jene  Richtung,  die  der  große  Cornelius,  für 
welchen  das  Nazarenenthum  nur  Entwickelungsmoment  gewesen, 
als  ,,Undinensch wärmerei**  verurtheilte :  In  diesem  Sinne  war 
der  in  Wien  verbliebene  Johann  Scheffer  von  Leonharts- 
hoff  thätig,  der  eine  orgelspielende  Cäcilia,  einen  drachen- 
tödtenden  St.  Georg  und  ,,zwei  Engel,  die  todte  hl.  Cäcilia 
betrauernd**  malte.  In  diesem  Sinne  malte  auch  Ludwig  Fer- 
dinand Schnorr,  von  Carolsfeld,  der  Hauptrepräsentant  der 
Wiener  Romantik  in  ihrer  ersten  Epoche.  Seine  Werke  zeigen 
die  ganze  Verwüstung,  welche  die  Romantik  in  der  Kunst  ange- 
stellt, ohne  vorläufig  ein  bedeutendes  Neues  an  Stelle  des  Alten 
setzen  zu  können.  In  seiner  ,, Speisung  der  Viertausend**,  für  das 
Refectorium  der  Mechitaristen  zu  Wien  gemalt,  überwiegt  das 
symbolische  Element  derart,  dass  es  die  künstlerische  Entwicke- 
lung  des  Vorwurfes  verhindert.  Betrachtet  man  seine ,, Erscheinung 
Mephistos  bei  Faust**  in  der  kaiserlichen  Gemäldesammlung,  so 
erschrickt  man  über  den  Mangel  an  Körperlichkeit,  über  diese 
Formenmis^re ,  welche  durch  die  verständnislose  Farbengebung 
noch  übertroffen,  aber  nicht  erkenntlich  gemacht  wird.  Dieses 
dunkelgehaltene,  riesige,  unbedeutende  Bild  erscheint  wie  ein 
Werk  der  Dorfkirchenmalerei.  Noch  typischer  für  Geist  und 
Technik  der  damaligen  Wiener  Romantik  sind  die  zwei  Pendants, 
welche  in  der  Gallerie  der  Wiener  Akademie  zu  sehen  sind. 
,, Ritters  Abschied**  stellt  das  eine  dar.  Auf  dem  mittel- 
großen Bilde  sieht  man  eine  weitausgebreitete  Landschaft :  ein 
romantisches  Flussthal  von  hohen  Bergen,  umsäumt,  durch  eine 
Ritterburg  geschmückt.  Winzige  Menschlein,  kleiner,  als  sie 
sonst  von  Landschaftsmalern  als  Staffage  hingezeichnet  zu  werden 
pflegen,  findet  man  nach  und  nach,  verstreut  in  dieser  romanti- 
schen Perspective.  Da  steht  ein  Wichtelmännlein  von  einem 
Ritter  im  Hermelinmantel,  von  Gattin  und  Kindern  Abschied 
nehmend,  während  in  der  Ferne  Fußvolk  und  Reisige  gleich  einer 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  'iAc 

Ameisenarmee  dahinziehen.  Auf  dem  anderen  Bilde  sieht  man 
den  Ritter  heimkehren.  Auch  hier  ist  eine  Almen-  und  Gletscher- 
landschaft, durch  weiße  Klöster  belebt,  in  den  Vordergrund  ge- 
stellt ;  aus  einer  kleinen,  hölzernen  Waldkapelle  sieht  man  die 
Edelfrau  herabeilen :  sie  hat  tief  unten  ihren  Gemahl  erblickt,  der 
vom  Kriege  heimkehrt. 

Stark  von  der  Romantik  beeinflusst,  zum  Theile  in  ihr  auf- 
gehend, erscheint  das  Landschaftsbild  in  dieser  Epoche.  In  der 
Akademiesammlung  kann  man  eine  ,, Weinlese'*  von  Schödl- 
b erger  sehen:  sicherlich  wurden  Trauben  nie  romantischer  ge- 
lesen als  auf  diesem  Bilde.  Man  denke  sich  eine  herrliche,  von 
idealen  Bauwerken  bekränzte  Meeresbucht,  über  welcher  Gold- 
wölkchen dahinschweben ;  im  Vordergrunde  einen  uralten,  ver- 
ästeten Baum,  an  dem  Weintrauben  emporranken,  und  man  wird 
es  nur  stilvoll  finden,  dass  auch  die  Bauernfamilie,  welche  die 
Trauben  pflückt,  aus  Arkadien  zu  stammen  scheint.  Auch  der 
tüchtigste  unter  den  damaligen  Landschaftsmalern,  Thomas 
Ender,  war  vom  Geiste  der  Romantik  erfüllt.  Die  südamerika- 
nischen Ansichten,  welche  er  als  Begleiter  der  Erzherzogin  Leo- 
poldine auf  ihrer  brasilianischen  Reise  gemalt,  haben  sämmtlich 
einen  feenhaften  Anstrich.  Auch  Josef  Rebell  muss  ent- 
schieden den  Romantikern  unter  den  Landschaftern  zugezählt 
werden. 

Während  die  romantische  Dichtung  sich  vorzugsweise  mit 
national-patriotischen  Stoffen  beschäftigte,  gab  es  nur  einen  ein- 
zigen Maler  dieser  Richtung,  welcher  durch  seine  Kunst  die 
vaterländische  Geschichte  verherrlichte.  Es  war  dies  Karl  Russ, 
der  in  einem  Cyklus  von  dreißig  Gemälden  hervorragende  Momente 
der  österreichischen  Geschichte  darstellte.  Zwölf  dieser  Bilder  sind 
Rudolf  von  Habsburg  gewidmet,  dessen  Gestalt  die  Romantiker 
mächtig  anzog;  Schwind  stellte  in  München  das  Volksleben 
unter  Kaiser  Rudolf  dar,  der  junge  Danhauser  trat  in  Wien 
mit  drei  Scenen  aus  Pyrkers  ,,Rudolphias*'  auf.  Zu  größter 
Bedeutung  sollte  sich  allerdings  erst  in  späteren  Tagen  Moriz  v. 
Schwind  erheben,  der  edelste  und  feinfühligste  aller  Romantiker, 
zugleich  ein  Poet  voll  Schwung  und  echter  Herzlichkeit.  Schwinds 
Genius  sollte  sich  aber  erst  auf  dem  Boden  des  Märchens  und  der 
Legende  großartig  entwickeln,  wie  später  seine  Melusina,  die  sieben 


'iA6  Alfred  Nossig 

Raben  und  die  barmherzigen  Werke  der   heiligen  Elisabeth  dar- 
thuen  (siehe  Abb.  77). 

Die  Bildnismalerei  vermochte  die  Romantik  nur  vorübergehend 
zu  beeinflussen.  Die  trefflichen  Miniaturen  Moriz  Daffingers 
zeigten  in  einer  gewissen  Epoche  seiner  Thätigkeit  in  Pose,  Blick 
und  Incarnation  einen  starken  romantischen  Beigeschmack,  der 
auch  den  ersten  Arbeiten  Friedrich  Amerlings  eigen  ist. 
Doch  ließ  sich  der  gesunde  Geschmack  des  Publicums  auf  diesem 
Gebiete  am  wenigsten  beirren,  und  er  ist  es,  der  die  Porträtmaler 
immer  mehr  auf  den  Realismus  hinwies.  Ein  herrliches  Kinder- 
porträt Sr.  Maj.  des  Kaisers  Franz  Josef  (Eig.  Ihrer  kais.  Hoheit 
der  Durchl.  Frau  Kronprinzessin- Witwe  Stephanie)  von  Daffinger 
schmückt  unser  Buch  (Titelbild).  Das  hier  reproducierte  Gemälde 
von  Amerling  befindet  sich  als  ein  Geschenk  des  Fürsten  Joh. 
Liechtenstein  in  der  Gallerie  der  Akademie  zu  Wien  (s.  Abb.  78). 
Am  nächsten  stehen  dem  Realismus  die  Blumen-  und  Stilleben- 
maler dieser  Epoche,  ein  J.  Petter,  Knapp  und  Fruhwirth; 
die  Bekanntschaft  mit  den  ersten  realistischen  Versuchen  des  Aus- 
landes vermitteln  die  trefflichen  Meister  des  Grabstichels  C.  H. 
Rahl,    F.  X.  Stöber  und  J.  Axmann. 

Der  Classicismus  hatte  alle  bildenden  Künste  in  gleichmäßiger 
Weise  beherrscht :  Architektur,  Plastik  und  Malerei  hatten  zu 
gleicher  Zeit  an  seinem  Altare  geopfert.  Das  Emporkommen  der 
Romantik  in  der  österreichischen  Kunst  gewährt  ein  anderes  Bild. 
Während  sie  unter  den  Malern  bereits  viele  Gläubige  zählte,  die 
ihr  später  zu  einer  Epoche  glänzender  Entfaltung  verhalfen,  blieben 
die  österreichischen  Bildhauer  noch  lange  Zeit  hindurch  orthodoxe 
Classicisten.  Auch  die  Architektur  zeigte  kein  Interesse  für  die 
neue  Richtung.  Der  einzige  Bau,  der  in  dieser  Epoche  der  Be- 
trachtung mittelalterlicher  Baustile  seine  Decorationsmotive  zu 
verdanken  hatte,  die  ,, Franzensburg*'  in  Laxenburg,  beweist  klar, 
dass  man  zur  Erkenntnis  des  Wesens  der  von  der  Romantik  hoch- 
gehaltenen Stile  zu  jener  Zeit  noch  nicht  vorgedrungen  war. 


Kräftiger  und  rascher  kam  die  Romantik  in  anderen  Ländern 
Österreichs  zur  Blüte.  Ungarn  gebürt  der  Ruhm,  den  berühm- 
testen Landschaftsmaler  der  Romantik  hervorgebracht  zu  haben. 


Die  I^uU'ii^^pieleTJi 


Das  ueuniehnte  Jahihundert.  -lAy 

Carl  Marko,  dessen  Ruf  weit  über  die  Grenzen  seiner  Heimat 
reichte,  und  den  die  florentinische  Akademie  zum  Ehrenprofessor 
ernannte,  hat  auch  in  Wien  manches  Denkmal  seiner  künstlerischen 
Thätigkeit  hinterlassen.    Seine  Ideallandschaft,  die  im  Hofmuseum 


Abb.  77.     Heil.  Elisabeth,  von  M.  v.  Schwind. 

ZU  sehen  ist,  ist  vielleicht  das  bestechendste  Werk  dieser  Epoche. 
Die  goldig-röthliche  Abendsonne  beleuchtet  die  epheubekränzte 
Ruine  eines  römischen  Rundtempels ;  in  der  Tiefe  verschwinden 
violette  Gebirgszüge,  über  welchen  sich  der  goldig  angehauchte 
Himmel  wie  eine  schimmernde  Kuppel  wölbt ;  einen  unbeschreiblichen 


^^8  Alfred  Nossig 

Reiz  besitzen  die  dunkeln,  scharfumrissenen  Palmen,  welche 
sich  in  der  Ecke  des  Bildes  von  diesem  Hintergründe  abheben. 
Es  ist  ein  Farbenmärchen,  über  welchem  der  ganze  Zauber  der 
Romantik  liegt. 

Galizien  erhielt  durch  die  Reorganisation  der  Krakauer 
Universität,  mit  welcher  eine  Kunstschule  verbunden  wurde,  einen 
kräftigen  Impuls  zu  künstlerischem  Streben.  Unter  den  Professoren 
dieser  seit  1818  bestehenden  Schule  tritt  Josef  Peszke  in  seinen 
Altarbildern  und  Gemälden  als  Repräsentant  der  religiösen  Ro- 
mantik auf,  während  Josef  Brodowski  die  national-romantische 
Kunst  seines  Landes  durch  mehrere  bedeutende  Werke  eröflFnet : 
er  malt  den  Krakauer  Burghof,  auf  welchem  im  Beisein  des  Fürsten 
Poniatovski  vor  dem  Kriegszuge  im  Jahre  1812  eine  feierliche 
Andacht  abgehalten  wurde,  und  stellt  den  Helden  der  polnischen 
Befreiungskriege,  Kosciuszko,  auf  dem  Schlachtfelde  von  Maci- 
cjonice  dar. 

Zu  Prag  finden  wir  die  religiöse  Romantik  in  ihrer  Herr- 
schaft früher  anerkannt  als  in  Wien.  F.  Tkadlik,  der  nach 
Bergler  die  Leitung  der  dortigen  Kunstschule  übernommen,  war 
zwar  in  der  Atmosphäre  des  Classicismus  emporgewachsen,  hatte 
sich  aber  in  Rom  den  Nazarenern  angeschlossen.  Zeichnung  und 
Colorit  seiner  Bilder  zeigen  denn  auch  die  ascetische  Richtung, 
welche  Overbeck  eingeschlagen.  Seine  ,,Pieta**  ist  tüchtiger,  aber 
weniger  bekannt  als  seine  religiösen  Bilder  auf  nationallegendari- 
schem  Hintergrunde,  wie  der  ,,hl.  Adalbert  von  Monte  Cassino 
nach  seiner  Heimat  Böhmen  zurückkehrend,*'  der  ,,Tod  der  hl. 
Ludmilla,**  oder  die  ,, Andacht  des  hl.  Wenzel.**  Bedeutsamer 
für  die  Kunst  als  diese  Gemälde  war  der  Unterricht,  den  Tkadlik 
Josef  Führich  ertheilte,  dem  jugendlichen  Künstler,  welchen 
der  Prager  Akademiedirector  sein  ,, schönstes  Werk'*  nennen  durfte, 
wie  einst  David  seinen  Schüler  Girodet  bezeichnet  hatte. 


3.  Das  Wiener  Sittenbild. 

Während  die  Romantik  in  Prag  unbeschränkt  herrschte  und 
jene  hervorragende  künstlerische  Individualität  großzog,  welche  ihr 
binnen  kurzem  auch  an  der  Wiener  Akademie  einen  dominierenden 
Einfluss  verschaffen  sollte,    erwuchs  ihr  eine  mächtige  Gegnerin 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  o^n 

in  einer  Kunstrichtung,  welche,  aus  dem  tiefsten  Innern  der  Volks- 
seele hervorgehend,  rasch  eine  Schar  begabter  Vertreter  und  ihren 
charakteristischen  Ausdruck  in  Werken  fand,  welche  nicht  über- 
sehen werden  konnten  und  in  ihrer  Eigenart  und  Bedeutung  sofort 
erkannt  werden  mussten.  Man  schrieb  1813,  als  Peter  Kr  äfft 
sein  großes  Ölgemälde  ,, Abschied  des  Landwehrmannes**,  1820, 
als  er  die  ,, Heimkehr  des  Landwehrmannes  aus  dem  Befreiungs- 
kriege'* vollendete.  Er  stellte  die  Bilder  in  einer  Holzbude  auf 
der  Bastei  aus.  Das  erstere  zeigt  uns  das  Innere  einer  behaglichen 
Dorfstube  mit  einer  in  Lebensgröße  entworfenen  Gruppe :  der 
mannhafte,  kräftige  Sohn  des  Hauses,  im  grauen  Soldatenrock, 
das  Gewehr  in  der  Hand,  reißt  sich,  von  seiner  jungen,  blühenden 
Frau  los,  die  einen  Säugling  auf  dem  Arme  trägt,  und  hinter 
welcher  ein  kleines  Mädchen  hervorschaut.  Der  alte  Vater  sitzt 
mit  gefalteten  Händen  in  einer  Ecke,  weinend  birgt  die  Mutter 
ihr  Gesicht ;  muthiger  ist  das  kleine  Söhnlein,  dem  ein  großer 
Hund  vorausspringt.  Durch  die  geöffnete  Thüre  sieht  man  die 
Genossen  des  Landwehrmannes.  Und  wie  der  tapfere  Landwehr- 
mann heimkehrt  und  vor  der  Scheune  des  Gehöftes  seine  Theueren 
ihm  entgegenkommen,  da  hat  sich  manches  verändert :  die  alte 
Mutter  muss  schon  unter  der  Erde  ruhen,  sonst  wäre  sie  zur  Be- 
grüßung ihres  Sohnes  herausgeeilt ;  aber  es  lebt  noch  der  greise 
Vater,  das  Töchterchen  ist  herangewachsen,  der  Säugling  weiß 
schon  seine  Füße  zu  gebrauchen,  der  Sohn  trägt  triumphierend 
Gewehr  und  Hut  dem  Vater  nach.  Niemand  wird  diese  Gemälde 
im  Kais.  Museum  gesehen  haben,  ohne  von  ihnen  ergriffen  worden 
zu  sein.  Es  sind  die  ersten  Bilder  seit  Beginn  des  Jahrhundertes, 
welche  derart  auf  das  Gemüth  wirken :  aus  ihnen  spricht  eine 
neue  Kunst  zu  uns.  Und  vollends  klar  wird  uns  die  Bedeutung 
dieser  Bilder  und  der  Richtung,  die  sie  inaugurieren,  wenn  wir 
sie  mit  Schnorrs  ,, Abschied  und  Heimkehr  eines  Ritters**  zu- 
sammenstellen, die  wir  im  vorigen  Abschnitte  als  typische  Werke 
der  Romantik  betrachtet.  Dort  das  fremde  Mittelalter,  hier  die 
lebendige,  nationale  Gegenwart ;  dort  der  Ritter,  hier  der  Sohn 
des  Volkes ;  dort  die  ideale  Landschaft  mit  der  hineingekritzelten, 
verschwindend  kleinen  Figurenstaffage,  hier  lebensgroße,  tüchtig 
gemalte  Menschen  im  Rahmen  der  in  ihren  Details  getreu 
wiedergegebenen  ländlichen  Atmosphäre.  Wer  den  historischen  Weg 


350 


Alfred  Nossig 


gewandelt,  der  zu  Kraffts  Bildern  hinführt,  wer  die  Bedingungen 
kennen  gelernt,  unter  denen  Österreichs  Kunst  damals  sich  ent- 
wickelte, der  bleibt  vor  diesen  Werken  einer  gesunden,  tüchtigen 
Kunst  erstaunt  stehen.  Aber  er  sinnt  nach  und  begreift  es  end- 
lich, dass,  wie  es  in  der  Natur  keinen  noch  so  steinigen  und  un- 
fruchtbaren Ort  gibt,  wo  die  unversiegliche  Zeugungskraft  der 
Erde  nicht  durch  einen  schmalen  Spalt  lebendiges  Grün  hervor- 
triebe, so  auch  ein  kunstbegabtes  Volk  unter  den  drückendsten 
Verhältnissen  schließlich  den  Weg  findet,  auf  dem  seine  bildende 
Kraft  gedeihen  kann  in  Anpassung  an  die  obwaltenden  Zustände. 

Zum  drittenmale  im  Laufe  jener  Kunstperiode  hatten  sich 
Künstler,  die  die  Werke  ihrer  Meister  und  Zeitgenossen  nicht 
befriedigten,  die  Frage  vorgelegt :  wie  gelangen  wir  zu  einer 
großen,  gesunden  Kunst?  Sie  mussten  nicht  gerade  weitblickende 
Kunstphilosophen  sein,  um  sich  zu  sagen,  dass  man  eine  große 
Kunst  unter  den  herrschenden  Verhältnissen  nicht  erblicken  könne: 
aber  eine  gesunde  Kunst  konnten  und  wollten  sie  schaflFen.  Und 
sie  fanden  sie  unschwer,  indem  sie  dem  Volksinstincte  folgten, 
der  in  ihrer  Brust  lebte,  und  als  bewusste  Künstler  alles  das  be- 
seitigten, was  an  dem  Classicismus  und  an  der  Romantik  dem 
unbefangenen  Sinn  missfallen  musste.  Der  Classicismus  und  die 
Romantik  hatten  die  Kunst  durch  die  Wahl  entlegener  StoflFe  dem 
Volke  entfremdet;  man  musste  also  heimische,  zeitgenössische  Stoffe 
bearbeiten,  welche  der  Volksempfindung  entsprachen.  Und  da  das 
heroische  Element  dem  nüchternen  Geist  der  Zeit  verschlossen  blieb, 
so  wandten  sie  sich  dem  socialen  Leben  und  dem  Volksgemüthe 
zu,  die  ihnen  eine  Fülle  anregender,  fesselnder  Momente  darboten. 
Der  Classicismus  hatte  mit  der  Maltechnik  der  Barocke,  die  noch 
im  Besitze  der  großen  Traditionen  des  17.  Jahrhundertes  war,  ge- 
brochen, ohne  eine  eigene  tüchtige  Maltechnik  zu  schaffen;  die 
Romantik  hatte  die  Farbengebung  völlig  verlernt,  ja  sie  brachte  auch 
die  Formengebung  auf  einen  traurigen  Zustand  herab.  Es  galt,  von 
neuem  zeichnen  und  malen  zu  lernen.  Eitelberge r,  der  mit 
manchen  der  Wiener  Genremaler  der  vormärzlichen  Epoche  be- 
freundet war,  erzählt,  dass  er  einen  großen  Theil  seiner  Jugendjahre 
mit  den  Versuchen,  eine  neue  Maltechnik  zu  schaffen,  zubrachte. 

Peter  Kr  äfft  ist  als  der  eigentliche  Vorläufer  dieser  Schule 
zu  betrachten.     Aber  Kraflfl,    der  als    Schüler   Davids   in    Paris 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  oci 

gelebt,  und  der  als  Schlachtenmaler  neben  Fritz  L' Allem  and 
und  Leander  Russ  bedeutende  Werke  geschaffen,  vermochte 
den  schönen  Traum  von  einer  großen  österreichischen  Kunst  nicht 
aufzugeben.  Er  trat  für  die  Überzeugung  ein,  ,,dass  der  Historien- 
malerei nicht  aufzuhelfen  wäre,  wenn  sie  nicht  Gegenstände  aus 
dem  modernen  Leben  zu  ihren  Vorwürfen  nähme'*;  uns  erscheinen 
jene  Landwehrmannsbilder  als  die  große,  wir  möchten  sagen, 
hieratische  Form,  aus  denen  das  Wiener  Genrebild  hervorgieng ; 
für  ihn  waren  es  zeitgenössische  Historienbilder,  Und  so  sehen 
wir,  wie  sich  in  den  Werken  dieses  Künstlers  die  zeitgenössische, 
empfindungstiefe  Kleinmalerei  aus  der  akademischen,  historischen 
Kunst  abzweigt.  Wir  sehen  in  seiner  Maltechnik  das  neuerwachte 
Bestreben  kräftigerer  Farbengebung  ohne  vollen  Erfolg  auftreten; 
wir  sehen  die  ersten  Schritte  zu  einer  realistischen  Auffassung, 
welche  vorläufig  an  Details  haften  bleibt,  aber  die  menschliche 
Gestalt  und  Kleidung  noch  im  Sinne  der  akademischen  Kunst 
idealisiert  Von  entscheidender  Bedeutung  war  die  Lehrthätigkeit 
Kr  äfft  s.  Der  geschmeidige  Mann,  der  die  Interessen  einer  ge- 
sunden Kunstrichtung  unter  allen  Schwierigkeiten  des  Augenblickes 
zu  wahren  wusste,  war  als  Lehrer  voll  kerniger  Kraft.  Er  warnte 
die  Künstler  vor  den  Stoffen  der  Romantiker ;  diese  waren  nach 
seiner  Überzeugung  erschöpft,  ,,da  es  keinem  gelingen  werde, 
Besseres  zu  machen  als  das  Abendmahl  von  Leonardo  da  Vinci 
oder  die  Madonnen  von  Rafael.  *'  Er  warnte  vor  der  Technik 
der  Romantiker,  indem  er  scherzhaft  zu  sagen  pflegte:  ,,Mein 
Enkel  zeichnet  so  g^t  wie  Albrecht  Dürer.** 


Erst  den  Nachfolgern  Kraffts  war  es  gegeben,  sich  zur 
Kunstform  der  Genrebilder  durchzuringen  und  das  Volksleben  in 
ihren  Werken  so  lebendig  und  allseitig  darzustellen,  wie  es  Brower, 
Ostade,  David  Wilkie  oder  der  jüngere  Teniers  gethan.  Kr  äfft 
war  ein  ,, Reichsdeutscher**,  der  französische  Traditionen  in  sich 
aufgenommen :  die  Künstler,  die  sich  seiner  Richtung  anschlössen, 
waren  Wiener  von  Geburt,  mit  der  Kunst  des  Auslandes  nicht 
vertraut;  sie  giengen  in  der  Wiener  Atmosphäre  gänzlich  auf, 
aber  sie  umschlossen  dafür  auch  die  ganze  Wiener  Atmosphäre 
und  wussten  alle  Empfindungen  in  der  Kunst  wiedererklingen  zu 


7C2  Alfred  Nossig 

lassen.  So  schon  Danhauser,  der  Sohn  eines  Wiener  Tischlers, 
der  gleich  Ranftl,  einem  Gastwirtssohn,  zu  Kraffts  hervor- 
ragendsten Schülern  zählte.  Es  ist  die  heitere  Gemüthlichkeit 
und  die  herzliche  Empfindung  des  damaligen  Wien,  die  aus 
seiner  Darstellung  des  j, Kindes  und  seiner  Welt*'  spricht;  der 
unverwüstliche  Wiener  Humor,  der  in  seinen  ,,Atelierscenen" 
verewigt  ist.  Wer  im  Hofmuseum  diese  kleinen  Bilder  ansieht,  wo 
lustige  Maljünger,  wie  sie  gerade  den  ärgsten  Schabernack  treiben, 
von  ihrem  griesgrämigen  Meister  überrascht  werden,  glaubt  wohl, 
dass  Danhauser  da  mitgethan  und  mitgelacht  haben  muss.  Aber 
der  Spiegel,  den  er  dem  Wiener  Volksleben  vorhielt,  fieng  auch 
die  Schatten  desselben  auf.  In  seinem  ,, Prasser'*  zeigt  uns  Dan- 
hauser die  ausschweifende,  gedankenlose  Genusssucht  des  Wieners: 
dieser  beleibte,  von  Wein,  Weib  und  Gesang  berauschte  Mann, 
der  mit  hochgerötheten  Wangen  vor  einer  üppig  besetzten  Tafel 
sitzt,  ist  ein  Wiener  Typus  von  packender  Lebenswahrheit,  dessen 
Wirkung  durch  die  contrastierende  Gestalt  des  herannahenden  Bett- 
lers noch  stärker  hervorgehoben  wird.  Die  ganze  Fülle  der  socialen 
Gegensätze  aber  erfasst  der  gedankenreiche  Künstler  in  seiner 
,,TestamentseröflFnung".  Das  Bild,  dessen  harmonische  und  wir- 
kungsvolle Composition,  wie  beim  ,, Prasser",  sofort  in  die  Augen 
fällt,  zeigt  uns  die  Verwandten  eines  Dahingeschiedenen  um  einen 
langen  Tisch  versammelt,  an  dessen  Spitze  der  Pfarrer  sitzt.  Der 
würdige  Greis  hat  soeben  das  Testament  eröffnet:  wohlwollend 
lachend  wendet  er  sich  zu  den  armen,  dürftig  gekleideten  Ver- 
wandten, welche  links  zusammengetreten  sind,  und  verkündet 
ihnen,  dass  der  Verstorbene  sein  Vermögen  ihnen  hinterlassen ; 
empört  fahren  die  Reichen  auf  der  anderen  Seite  auf. 

Will  man  die  ganze  Eigenart  der  alt-wienerischen  Genrebilder 
in  einem  Bilde  ausgesprochen  sehen,  so  betrachte  man  in  der 
Gallerie  der  Akademie  Waldmüllers  ,, Klostersuppe".  Auf  den 
Stufen,  welche  zur  Vorhalle  eines  Klosters  herauflführen,  haben 
sich  die  Armen  versammelt,  welche  vom  Kloster  gespeist  werden. 
Man  blickt  tief  in  den  Kreuzgewölbegang  des  Klosters  hinein,  ein 
herrliches  Motiv,  welches  sammt  den  Stufen  die  Grundlage  der 
fesselnden  Composition  des  Bildes  abgibt.  In  scheinbarer  Regel- 
losigkeit haben  sich  die  Bettlerfamilien  auf  den  Stufen  verstreut, 
und    doch    treten   in    einer   für   das  Auge   gefälligen  Weise    eine 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  %^% 

stehende  Mittelgruppe  und  zwei  hockende  Seitengjuppen  hervor. 
Greise  und  junge  Mütter,  Bettelknaben  und  dürftig  gekleidete 
Mädchen,  alle  lassen  sich  das  Dargereichte  wohl  schmecken.  Ge- 
sundheit und  Schönheit  strahlt  auf  ihren  Wangen,  selbst  ihre 
Lumpen  sind  ästhetisch ;  diese  Bettlerfamilien  scheinen  in  ihrer 
Gutmüthigkeit  und  Heiterkeit  ein  Fest  zu  feiern.     Man  stelle  sich 


Abb,  79-    Das  Erwai^heu  zum  neuen  Leben,   von  F,  Waldmüller. 

vor,  wie  ein  heutiger  Realist  diesen  Vorwurf  behandeln  würde ; 
wie  schmutzig  und  krank  seine  Bettler  wären,  wie  mürrisch  sie 
aussehen  würden  trotz  der  empfangenen  Wohlthat ,  welch  ein 
Drängen  und  Herumzerren  da  herrschen  würde  statt  dieser  idylli- 
schen Ruhe !  Sicherlich  wäre  sein  Bild  wahrer :  aber  es  könnte 
unmöglich  einen  so  reinen,  echten  Kunstgenuss  bieten  wie   diese 

Kiinslgeschichtl.  Charaklerbilder  aus  Österreich-Ungaru.  =.1 


354 


Alfred  Nossig 


I 


Scene  mit  ihrer  wohlabgewogenen,  harmonischen  Composition,  mit 
ihren  blühenden,  reingewaschenen  Bettlern  und  ihren  frischen, 
naiv  schönen  Farben. 

Fast  alle  Bilder  Waldmüllers  zeigen  die  Kennzeichen, 
aus  denen  der  Stil  der  ,, Klostersuppe*'  sich  zusammensetzt.  Keiner 
weiß  wie  er,  die  architektonische  Umrahmung  für  die  Composition 
zu  verwenden :  selbst  in  einer  einfachen  Bauernstube  findet  er, 
wie  jene  ,, Christbescherung*' zeigt,  einen  Hintergrund,  der  gleich- 
sam von  selbst  eine  gefallige  Composition  ergibt.  Ein  Pfeiler  er- 
hebt sich  in  der  Mitte  des  Hintergrundes,  an  ihm  lehnt  die  Haupt- 
gruppe, das  blühende,  junge  Bauempaar.  Der  Pfeiler  trennt  die 
überwölbte  Tiefe  des  Zimmers  in  zwei  Nischen,  von  deren  dunkler 
Fläche  sich  die  übrigen  Gestalten  trefflich  abheben :  auf  der  einen 
Seite  die  gebückten  Alten,  auf  der  anderen  die  lustigen  Kinder. 
Derselbe  veredelte  Realismus  zeichnet  seinen  ,, Bettlerknaben**  aus, 
ein  reizendes  Kind,  das  an  einer  Brücke  von  hoher  architektonischer 
Schönheit  lehnt.  Und  wie  sehr  sich  unser  modernes,  Wahrheit 
heischendes  Bewusstsein  gegen  diesen  idealisierenden  Zug  auf- 
lehnen mag,  in  ihrer  klaren  und  schönen  Poesie  ergreifen  und 
rühren  uns  diese  Bilder.  Von  tiefpsychologischer  Erkenntnis  zeugt 
femer  das  ,, Erwachen  zum  neuen  Leben**,  ein  herrliches  Werk 
des  Meisters  im  Besitz  Sr.  kais.  Höh.  des  Herrn  Erzherzogs  Karl 
Ludwig  (s.  Abb.  79). 

Ergreifend  und  lebenswahr  bei  allem  Idealismus  sind  auch  die 
Werke  der  übrigen  Maler  dieser  Richtung,  eines  Peter  Fendi 
(s.  Abb.  80),  KarlundAlbertSchindler,  Ranftl,  Raffaltund 
E  y  b  1.  Sie  sind  alle  auf  jenen  Ton  gestimmt,  der  den , ,  Verschwender*  * 
Raimunds  beherrscht  Während  diese  Künstler  in  Wien  und 
seinen  Vorstädten  und  der  umwohnenden  Landbevölkerung  ihre 
Typen  und  Scenen  suchten,  schweifte  einer  der  hervorragendsten 
Maler  jener  Zeit,  der  gleich  Danhauser  und  Waldmüller  von  Classi- 
cismus  und  Romantik  nichts  wissen  wollte  und  einem  auf  Natur- 
studium gestützten  Realismus  huldigte,  FriedrichGauermann, 
in  der  Gebirgswelt  seiner  österreichischen  Heimat  umher.  Auch  er 
zeichnet  Bauemtypen,  wie  in  seiner  ,, Schmiede**  oder  seinen  ,,pflü" 
genden  und  ruhenden  Ackersleuten**,  die  die  kais.  Gallerie  besitzt ; 
aber  sein  Hauptziel  war  es,  die  Natur  seines  Landes  und  die  Thier- 
welt  desselben  so  zu  schildern,  wie  jene  Künstler  die  menschlichen 


i 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  '^cr 

Ansiedlungen  und  das  Leben  in  denselben  darstellten.  Und  so 
ist  seine  Thätigkeit,  die  in  dem  Bestreben  gipfelt,  Landschaftsbild 
und  Thierstück  zu  einer  organischen  Einheit  zu  verbinden,  eine 
Ergänzung  und  Erweiterung  dieser  gesundesten  Richtung  des  alt- 
österreichischen Kunstschaffens.  Aber  wie  die  Meister  des  Sitten- 
bildes keine  gedankenlosen  Photographen  waren,  sondern  in  jedes 
ihrer  Werke  eine  lebendige,  sprechende  Seele  hineinlegten,  wie  jene 
das  Gemüth  des  Menschen  und  die  warme,  harmonische  Schönheit 
seiner  Bauten  und  Wohnhäuser  fesselnd  darstellten,  so  war  G  a  u  e  r- 
mann  ein  feinfühliger  Maler  der  Naturseele,  ein  tiefblickender 
und  poetisch  empfindender  Darsteller  des  Thiergemüthes,  das  er 
beim  idyllischen  Genüsse,  in  seiner  Angst  und  in  seiner  Gier,  im 
Kampfe  und  im  Sterben  belauscht.  Sein  todwunder  Hirsch,  der 
auf  der  Flucht  vor  der  Hundemeute  im  Walddickicht  auf  einem 
Stumpfe  zusammenbricht,  bietet  in  dieser  düsteren  Natureinsamkeit 
ein  tiefergreifendes  Bild ;  noch  nachhaltiger  wirken  jedoch  die 
gierigen  Adler,  welche,  auf  ihr  Opfer  herabfliegend,  sich  drohend 
gegen  andere  Raubvögel  wenden,  die  ihnen  die  Beute  streitig 
machen  wollen. 

Der  edle  und  gediegene  Charakter,  der  in  den  Kunstleistungen 
dieser  Periode  hervortritt,  ist  auch  den  reproducierenden  Künsten 
jener  Zeit  eigen.  Zum  Theile  erklärt  sich  diese  Erscheinung  da- 
durch, dass  die  bedeutendsten  unter  den  Kupferstechern,  Malern, 
Radierern  und  Lithographen  hochgebildete  und  selbständig  schaf- 
fende Künstler  waren.  So  vor  allen  der  als  Portraitist  berühmte 
Krie huber,  dessen  Lithographien  die  zeitgenössischen  deutschen 
Leistungen  bei  weitem  übertrafen,  und  Mahlknecht,  dessen 
Radierungen  und  Stiche  als  Nachbildung  von  Kunstwerken  hinter 
den  Werken  selbst,  den  Nachbildungen  der  Natur,  nicht  zurück- 
standen. In  diese  Periode  fällt  auch  die  Neueinführung  des  Holz- 
schnittes. Blasius  Höfel  ist  es,  der  in  seiner  ,, Zuflucht  zum 
Kreuze**  den  ersten  modernen  österreichischen  Holzschnitt  in  die 
Welt  schickte,  und  der  hierauf,  die  auf  diesem  Gebiete  irreführenden 
Traditionen  des  Kupferstiches  immer  mehr  abstreifend,  eine  dem 
Charakter  des  Holzschnittes  entsprechende  Technik  ausbildete, 
welche  ein  Eissner,  Exter,  Pichler  auf  ihrer  Höhe  zu  er- 
halten wussten. 

*  * 


23 


^rß  Alfred  Nossig 

Wie  in  der  Kunst,  so  nahmen  die  Alt-Wiener  Genremaler 
auch  im  Leben  eine  isolierte  Position  ein.  Sie  verkehrten  mit 
einander  auf  ziemlich  vertrautem  Fuße,  und  nach  Wiener  Sitte 
war  es  das  Caföhaus,  das  die  Gesinnungsgenossen  zu  vereinigen 
pflegte.  Die  hervorragendste  Individualität  in  diesem  Kreise  war 
zweifellos  Danhauser,  ein  Künstler  von  ungewöhnlicher  geistiger 
Anmuth  und  ausgesprochener  ironischer  Anlage.  Schweigsam  und 
verschlossen  war  der  Alpler  Gauermann ;  um  so  lustiger  sprudelte 
die  Laune  des  Kärntners  Raffalt.  Als  Repräsentant  der  ars 
militans  galt  Waldmüller :  und  die  Gruppe  der  Genremaler  be- 
durfte fürwahr  ihrer  streitbaren  Mitglieder.  Ihre  Thätigkeit  fand 
unter  den  Kunstgenossen  durchaus  nicht  die  Anerkennung,  die 
man  ihr  heute  zollt,  ja  man  wollte  ihr  nicht  einmal  mit  Toleranz 
begegnen.  Die  Mehrzahl  der  damaligen  Künstler  huldigte  der 
Ansicht,  die  Cornelius  ausgesprochen:  die  Genremalerei  sei  nur 
Flechtengewächs  am  Stamme  der  Kunst.  Die  Kluft,  die  die 
Genremaler  von  den  Akademikern  trennte,  erweiterte  sich  immer 
mehr :  die  Classiker  und  die  religiösen  Romantiker  blickten  mit 
Geringschätzung  auf  die  Maler  herab,  welche  den  Darstellungskreis 
der  Kunst  durch  zeitgenössische  Stoffe  entweihten,  diese  wiederum 
begannen  gegen  den  akademischen  Unterricht  und  die  religiöse 
Richtung  mit  den  Waffen  des  Humors  zu  Felde  zu  ziehen.  Obwohl 
die  Bedeutendsten  unter  ihnen  aus  der  Akademie  hervorgegangen 
waren  und  ihr  eine  Zeit  lang  als  Lehrer  angehört  hatten,  traten 
sie  immer  deutlicher  und  schärfer  als  abgesonderte,  oppositionelle 
Gruppe  hervor.  Peter  Kr  äfft  hatte  an  der  Akademie  eine  viel 
zu  bedeutende  Stellung  eingenommen,  als  dass  kleine  Reibungen 
ihm  hätten  gefahrlich  werden  können ;  aber  schon  für  Danhauser 
wurde  bei  seinem  lebendigen  Temperament  der  tägliche  Kampf 
mit  den  Akademikern  unerträglich,  und  ihnen  weichend,  legte  er 
seine  Stelle  als  Corrector  nieder.  Zäher  war  Waldmüller, 
welcher,  trotzdem  er  Custos  an  der  Akademie  war,  gegen  den 
akademischen  Unterricht  in  seiner  Schrift:  ,,Das  Bedürfnis  eines 
zweckmäßigen  Unterrichtes  im  Malen  und  in  der  plastischen  Kunst** 
vorzog.  Man  sieht  es  den  aus  einer  ruhevoll  poetischen  Stimmung 
herausgeschaffenen  Werken  dieser  Künstler  kaum  an,  dass  ihre 
Gruppe  sich  gewissermaßen  in  einem  permanenten  Belagerungs- 
zustande befand.    Denn  auch  jener  Theil  der  Kritik,  der  es  seiner 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  ory 

Vornehmheit  schuldig  zu  sein  glaubte,  die  Partei  der  ,, vornehmen** 
Kunst  zu  ergreifen,  setzte  den  Genremalem  zu.  Sie  vertheidigten 
sich,  so  gut  sie  konnten :  mit  der  Feder,  wenn  es  angieng,  mit 
dem  Pinsel,  wenn  ihnen  der  schriftstellerische  Weg  verschlossen 
war.  Als  Baron  Zedlitz,  der  als  gefeierter  Dichter  vor  einer  Pole- 
mik in  Wiener  Zeitungen  gefeit  war,  die  Genremaler  in  der 
,, Allgemeinen  Zeitung**  angegriflFen,  malte  Danhauser  eine  Hunde- 
familie, die  großes  Aufsehen  erregte :  ganz  vorne  saß  nämlich  in 
dem  Bilde  ein  breitköpfiger  Hund,  dessen  Physiognomie  lebhaft 
an  die  des  unnahbaren  Kritikers  erinnerte. 

Aber  wenn  sie  erbitterte  Feinde  hatten,  so  hatten  die  vor- 
märzlichen Genremaler  auch  gute  Freunde,  sie  hatten  vor  allem 
ein  Publicum,  das  sich  lebhaft  für  ihre  Fortschritte  interessierte, 
und  das  ihre  Bilder  kaufte.  Es  gab  damals  im  Wiener  Bürgerthum 
eine  stattliche  Schar  von  begüterten  Männern,  welche  diese  Kunst- 
richtung unterstützten,  wie  R.  v.  Arthaber,  die  Baumeister  Fellner 
und  Komheisl,  Ritter  v.  Steiger,  Kranner  und  andere.  Was  diesen 
kunstsinnigen  Bürgern  an  dem  Sittenbild  gefiel,  war  vor  allem 
sein  heimischer  Charakter.  Sie  begriflFen  es,  dass  Österreich  seit 
langer  Zeit  zum  erstenmale  wieder  eine  eigene  Kunstblüte  hervor- 
gebracht, eine  Richtung,  die  nicht  importiert  war,  wie  der  Classi- 
cismus  und  die  Romantik.  Sie  hatten  Empfindung  für  die  ethische 
Tiefe  dieser  Werke,  welche  erlösend  wirkten  wie  Geständnisse  der 
Volksseele,  für  die  geistige  Kraft,  welche  die  Composition  derselben 
adelte  und  dem  dargestellten  Vorgang  bei  all  seiner  scheinbaren 
Gewöhnlichkeit  typische  Bedeutung  aufzuprägen  und  concentriertes 
Leben  einzuhauchen  wusste.  Sie  hatten  ihre  Freude  an  dem 
coloristischen  Streben  der  Genremaler  und  verstanden  es,  dass 
dieselben  eine  Restauration  der  Maltechnik  anbahnten.  Und  wie 
die  Genremaler  in  der  Anerkennung,  welche  ihnen  das  kunst- 
freundliche Publicum  zollte,  eine  Stütze  besaßen,  so  fanden  sie 
nicht  minder  wirksame  Aufmunterung  in  dem  ihrer  Richtung 
durchaus  verwandten  Streben  der  anderen  Künste.  ,,Es  ist  eben 
ein  Umstand**  —  sagt  Dr.  Ilg  in  seinem  Vortrage  über  Raimund 
und  Danhauser  —  n^er  uns  in  der  Thätigkeit  der  Malerschule 
Wiens  in  der  vielverschrienen  Zeit  des  Vormärz  besonders  bewun- 
dernswert erscheint,  eine  Eigenschaft,  welche  den  vorurtheilsfreien 
Beobachter   an   ihr   das   Kriterium    einer    echten    und    gesunden 


-irg  Alfred  Nossig 

Kunstperiode  erkennen  lässt:  die  volle  Harmonie,  welche  nicht  bloß  in 
der  Sphäre  der  bildenden  Thätigkeit  allein  herrschte,  sondern 
welche  die  Leistungen  der  Malerei  zugleich  völlig  congenial  und 
aus  einem  Gusse  mit  den  contemporären  Producten  der  Poesie  und 
Musik  herauswachsen  ließ.**  ,,Echt  und  gesund**  war  diese  Kunst- 
blüte, die  dem  Volke  entsprossen  und  vom  Volke  gehegt  wurde ; 
in  dem  geistig-moralischen  Klima  des  alten  Wiens  war  sie  gediehen. 
Sie  verdorrte,  als  durch  den  Einzug  fremder  Elemente  der  ein- 
heitliche Charakter  der  Wiener  Bevölkerung,  ihre  Natürlichkeit 
und   Unbefangenheit  im  Guten   und  Schlechten  verloren  giengen. 


4.  Der  Vorfrühling  der  modernen   Monumentalkunst. 

Das  glänzende  Emporblühen  der  österreichischen  Kunst  seit 
dem  Jahre  1848  war  eine  Folge  der  großen  politischen  Umgestaltung 
des  Staatslebens.  Bevor  jedoch  nach  dem  Regierungsantritte  des 
Kaisers  Franz  Josef  I.  die  moderne  österreichische  Monumental- 
kunst ihren  Anfang  nahm,  sah  man  die  Ansätze  zu  derselben  ent- 
stehen:  ziemlich  frühe  schon  zum  Beispiel  in  Prag,  wo  im  An- 
schluss  an  die  allgemeine  freiere  Geistesbewegung  auch  eine  freiere 
Kunstentfaltung  stattfand.  Während  in  Wien  die  Kunst  fast 
ausschließlich  von  den  bürgerlichen  Kreisen  gefördert  wurde,  sah 
man  in  Prag  die  Verbrüderung  der  Stände  zuerst  auf  dem  Ge- 
biete der  Kunstpflege  vor  sich  gehen.  Mit  den  patriotischen 
Bürgerkreisen  verbanden  sich  kunstsinnige  Aristokraten,  wie  Graf 
Erwin  Nostiz-Rienek,  Graf  Franz  Thun,  Graf  Schönborn,  Baron 
Ahrenthal  u.  v.  a.  zur  Reorganisation  des  böhmischen  Kunstlebens. 
Die  Gesellschaft  der  patriotischen  Kunstfreunde  wurde  in  Bezug 
auf  das  Ausstellungswesen  reformiert,  und  neben  den  Ausstellungs- 
preisen wurde  ein  Fonds  zur  Ausführung  monumentaler  Werke 
gestiftet.  So  wurde  die  finanzielle  Grundlage  der  erwarteten 
Kunstblüte  geschaffen.  Den  geistigen  Impuls  zur  Entwicklung 
gab  man  der  Kunst  durch  die  Reorganisation  der  Prager  Akademie 
der  bildenden  Künste.  Zur  Leitung  derselben  berief  man  Chri- 
stian Rüben  aus  München,  einen  Schüler  von  Cornelius.  Rüben 
setzte  an  die  Stelle  der  von  Tkadlik  eingeführten  religiösen 
Romantik  die  historische  Romantik  und  bahnte  so  die  historische 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  -jcg 

Monumentalmalerei  in  Osterreich  an.  Durch  seinen  zu  großer 
Popularität  gelangten  ,,Columbus'*  wusste  er  sich  als  Haupt  der 
Cornelianischen  Richtung  in  Österreich  Ansehen  zu  verschaflFen,  und 
alsbald  versuchte  er  nach  dem  Vorgange  von  Cornelius  seinen 
Schülern  durch  Staatsaufträge  Gelegenheit  zu  verschaffen,  sich  in 
der  Monumentalkunst  zu  üben.  Er  hatte  Erfolg :  die  Regierung 
ließ  sich  bestimmen,  das  Prager  Belvedere  mit  Fresken  aus  der 
böhmischen  Geschichte  schmücken  zu  lassen,  und  so  konnte  Rüben 
C.  Swoboda  und  J.  M.  Trenkwald  in  die  historische  Monu- 
mentalmalerei einführen. 

Aber  die  nazarenische  Tradition  Tkadliks  sollte  nicht  spurlos 
versiegen.  Auf  dem  Umwege  über  Rom  gelangte  sie  nach  Wien, 
und  hier  traf  sie  mit  der  Richtung  Rubens,  der  inzwischen  als 
Akademiedirector  nach  Wien  berufen  wurde,  feindlich  zusammen. 
Josef  Führich  war  der  Träger  dieser  Tradition,  die  er  in  Rom 
durch  den  künstlerischen  Verkehr  mit  Overbeck  und  seinen  Ge- 
nossen vertiefte  und  klärte.  Noch  war  Führich  von  seiner  späteren 
Meisterschaft  weit  entfernt,  als  er  nach  seiner  Rückkunft  von  Rom 
den  ,, Triumphzug  Christi'*  und  die  ,, Begegnung  Jakobs  und  Raheis*' 
malte  ;  aber  die  Individualität  des  Künstlers  war  so  mächtig,  dass 
er  schon  als  Galleriecustos,  mehr  noch  als  Akademieprofessor  die 
fähigsten  unter  seinen  damaligen  Collegen,  Kupelwieser  und 
Dobiaschofsky,  an  sich  zog  und  so  den  bereits  unproductiven 
Rüben  völlig  in  den  Schatten  stellte.  Und  bevor  noch  für  die 
Wiener  Kunst  die  große  Zeit  gekommen  war,  fand  der  junge 
Meister  Gelegenheit,  seinem  Drange  nach  monumentalen  Schö- 
pfungen genügezuthun  —  freilich  in  dem  bescheidenen  Rahmen, 
der  den  damaligen  Verhältnissen  entsprach.  Ein  einziger  Bau  war 
zur  Zeit  der  Sprenger'schen  Amtsarchitektonik  entstanden, 
der  eine  gewisse  Selbständigkeit  bekundet  und  den  Sieg  der 
Romantik  in  der  Architektur  anbahnt :  dies  ist  die  Johanneskirche 
in  der  Praterstraße.  Man  zwang  den  Architekten  Karl  Rösner, 
in  diesem  Baue  drei  Projecte :  eines  im  Renaissancestil,  das  zweite 
im  gothischen,  das  dritte  im  romanischen  Stil,  zu  verschmelzen. 
Dennoch  wusste  der  eifrige  Freund  der  Romantik  der  zierlichen 
Kirche  den  romantischen  Grundcharakter  zu  bewahren  und  die 
Malerei  und  Plastik  zur  Mithilfe  in  demselben  Geiste  heranzu- 
ziehen.   So  entstanden  die  ersten  bedeutenderen  religiösen  Malereien 


oßo  Alfred  Nossig. 

Führichs  in  Wien:  sie  sicherten  dem  Künstler  jene  Popularität, 
welche  es  ihm  ermöglichte,  seiner  Richtung  vollen  Sieg  zu  erringen. 
Als  Romantiker  in  der  Plastik  schlössen  sich  Rösner  und  Führich 
Professor  Bauer  und  Dietrich  an,  von  denen  der  erste  die  zwei 
großen  Statuen  der  hl.  Anna  und  des  hl.  Rudolf  an  der  Fa^ade 
der  Johanneskirche,  der  zweite  die  Anbetung  der  hl.  drei  Könige 
im  Tympanon  des  Portales  ausführte. 

Während  die  Johanneskirche  in  dem  kunstsinnigen  Publicum 
jener  Zeit  Verständnis  und  Sympathie  für  die  romantischen  Stile 
zu  wecken  begann,  gieng  man  in  Künstlerkreisen  immer  ernster 
daran,  das  Wesen  dieser  Stile  zu  ergründen,  um  ihnen  eine 
Wiedergeburt  zu  bereiten.  Insbesondere  war  es  Leopold  Ernst 
der  spätere  Restaurator  des  Stephansdomes,  welcher  den  Classi- 
cismus  abgeschworen  und  den  romanischen  und  gothischen  Baustil 
seinem  constructiven  Charakter  und  seinen  Decorationsmotiven  nach 
gründlich  studierte.  Die  ,, mittelalterlichen  Baudenkmale*',  welche 
er  im  Vereine  mit  Leopold  Oescher  publicierte,  gaben  die 
erste  wissenschaftliche  Anregung  zur  Renaissance  der  romantischen 
Architektur  in  Österreich. 


IL  DIE  ÖSTERREICHISCHE  KUNST  UNTER 

KAISER  FRANZ  JOSEF  I. 

I.   Die  siegreiche  Romantik. 

In  dem  jugendlichen  Herrscher,  welcher  im  Jahre  1848  den 
Thron  seiner  Väter  bestieg,  erstand  für  die  Kunst  ein  ebenso  huld- 
voller und  verständnisreicher  wie  thätiger  Beschützer:  ja,  es  ist  be- 
kannt, dass  Kaiser  Franz  Josef  I.,  bevor  die  Regierungsgeschäfte 
seine  Zeit  in  Anspruch  nahmen,  selbst  gerne  Zeichenstift  und  Pinsel 
zu  fuhren  pflegte  und  während  seiner  italienischen  Reise  ein  ganzes 
Skizzenbuch  mit  ,, Figuren  und  Scenen  aus  dem  Volke**  füllte, 
die  im  Geiste  der  damals  blühenden  Wiener  Genremalerei  gehalten 
waren.  Nun  durfte  die  Kunst  frei  ihre  Schwingen  regen :  und 
zunächst  war  es  die  romantische  Richtung,  welche  auf  der  ganzen 
Linie  zum  vollen  Siege  gelangte.  Wie  in  allen  Epochen  gesunder 
Kunstentwickelung  schritt  die  Architektur  den  Schwesterkünsten 
voran  und  gab  den  Rahmen  für  die  Entfaltung  derselben  her. 
Das  große  Ereignis,  an  welches  sich  die  Wiedergeburt  der  öster- 
reichischen Kunst  knüpfte,  war  der  Bau  der  Altlerchenfelder 
Kirche  in  Wien.  Schon  war  nach  herkömmlichem  Brauche 
der  Plan  von  Staatstechnikem  gemacht  worden,  ja  schon  hatte 
man  die  Fundamente  zu  dem  Renaissancebau  gelegt,  als  eine 
Schrift  des  jungen  Schweizer  Architekten  J.  G.  Müller,  eines 
begeisterten  Verehrers  der  romantischen  Baustile,  die  öffentliche 
Meinung,  ja  sogar  die  maßgebenden  Kreise  gegen  den  bisherigen 
Kunstschlendrian  zu  stimmen  wusste.  Zum  erstenmal  beschloss 
man,  die  Künstler  zu  freiem  Wettbewerbe  zuzulassen:  und  bei 
der  Concurrenz  errang  das  Project  Müllers,  welches  nach  italie- 
nischen Vorbildern  in  romanischem  Stil  entworfen  war,  den  Preis. 
Müller  erlebte  es  nicht,  seinen  Bau  fertig  zu  sehen :  glücklicher- 
weise huldigten  seine  Nachfolger  derselben  Kunstrichtung  und 
übertrafen   den    phantasievollen,    aber   wenig  geschulten  Künstler 


162  Alfred  Nossig 

an  technischem  Können,  So  vor  allen  der  als  Constructeur  trefif- 
lich  bewährte  Franz  Sitte,  einst  als  Freund  der  Gothik  von 
Nobile  gleich  Overbeck  aus  der  Akademie  entlassen;  neben  ihm 
van  der  Null  und  Fü brich,  welche  den  decorativen  Theil 
übernommen  hatten.  Das  an  eine  nüchtern  behandelte  Empire- 
form gewöhnte  Publicum  hatte  nun  zum  erstenmal  Gelegenheit, 
den  Reiz  der  romanischen  Bauformen,  die  Poesie  ihrer  Ornamentik, 
die  Wärme  der  Farbentöne,  die  man  ihnen  zu  verleihen  pflegt, 
kennen  zu  lernen;  zum  erstenmale  seit  vielen  Decennien  wurde 
es  von  dem  Hauche  wahrhaft  idealer  Kunst  berührt,  denn  im 
Innern  dieser  Kirche  schuf  Führ  ich  mit  seinen  Freunden  und 
Jüngern  einen  Cyklus  von  religiös-historischen  Gemälden,  eine 
geistig  tiefe,  durch  Formenfülle  imponierende  Composition.  Die 
ganze  Geschichte  der  Erlösung  stellte  Führich  in  diesem  Cyklus 
dar:  die  durch  den  Sündenfall  veranlasste  Erscheinung  des  Hei- 
lands, seine  Verheißung  durch  die  Propheten,  seine  Wirksamkeit 
auf  der  Erde  und  sein  unsichtbares  Wirken  in  den  Gnadenmitteln 
der  Kirche. 


Josef  F  ü  h  r  i  c  h  ist  die  große  Künstlerindividualität,  welche 
dieser  kurzen,  aber  glänzenden  Periode,  der  Blütezeit  der  öster- 
reichischen Romantik,  die  Signatur  ihres  Wesens  aufdrückt  (s. 
Abb.  81).  In  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhundertes  hatte  Österreich 
keinen  Künstler  von  so  hohem  Gedankenfluge  und  so  großem  tech- 
nischen Können  hervorgebracht:  nun,  zugleich  mit  den  günstigen 
Entwicklungsbedingungen  der  Kunst,  war  auch  das  große  Talent 
gekommen,  das  eine  hohe  Kunst  zu  schaffen  fähig  war.  Wer  die 
Kundmann' sehe  Führichbüste  in  der  Wiener  Akademie  betrachtet, 
dem  sagt  dies  durchgeistigte  Gesicht,  dass  Führich  zu  jenen 
Künstlern  gehört  haben  muss,  welche  mehr  denken  als  malen. 
In  der  That  war  Führich  einer  jener  wenigen  schaffenden  Künstler, 
die  ihren  Kunstanschauungen  auch  theoretischen  Ausdruck  ver- 
liehen. Er  schrieb  vier  Hefte  ,,Von  der  Kunst***)  und  commen- 
tierte  auch  seinen  Freskencyklus  in  der  Altlerchenfelder  Kirche  in 
einer  Broschüre.  Man  ist  heute  von  seiner  Kunstlehre  wenig 
erbaut  und  vermag  sich   in   deren   Einseitigkeit  schwer  hineinzu- 


*)  Wien,  C.  Sartori,   1866—69. 


Das  Dcnniehate  Jahrhundert.  ^gj 

finden.  Man  vergisst,  dass  die  Schrift  Führichs  historisch  zu 
nehmen  sei,  und  dass  sie  uns  das  Geheimnis  der  Größe  seiner 
Kunst  offenbart:  es  ist  die  volle  Harmonie  seiner  Anschauungen 
mit  seiner  Kunstthätigkeit,  welche  seinen  Werken  die  Einheitlich- 
keit, die  lebendige  Wirkung,  den  Stil  verleiht.  Führich  war 
strenggläubig.  ,,Als  der  Fuß  der  Gebenedeiten  durch  Feld  und 
Haine  und  Gebirge  wandelte"  —  schreibt  dieser  Meister  —  ,,ward 
die  Natur  von  der  Gnade  berührt,  ihre  erstorbenen  Züge  belebten 
sich  mit  neuem  Leben  unter  dem  Strahle  unbedingter,  gänzlich 
unentweihter    Schönheit".      Gerne    liest    man   diese    begeisterten 


Abb.  81.     Gott  Vater,  Zeichnung  von  J.  Führich. 

Worte,  wenn  man  im  Wiener  Hofmuseura  Führichs  „Gang  Marias 
über  das  Gebirge"  gesehen  und  sich  überzeugt  hat,  dass  der 
Künstler  diese  hochpoetische  Stimmung  auch  im  Bilde  meister- 
haft wiederzugeben  weiß.  Hier  lag  die  Größe,  aber  auch  die 
Grenze  der  Begabung  Führichs:  er  wusste  das  Liebliche,  Beseli- 
gende hinreißend  wiederzugeben,  das  Dramatische  und  Kraftvolle 
jedoch  war  nicht  sein  Gebiet.  Dies  beweist  die  in  feurige  Wolken 
gehüllte  Reiterschlacht,  die  den  Einnehmern  Jerusalems  am 
Himmel  erscheint,  ein  ebenfalls  im  kais.  Museum  befindliches 
Gemälde.     Aber    auch    hier    sieht    man    die    großen    technischen 


ogj.  Alfred  Nossig 

Vorzüge  Führichs:   die   Schönheit  der  Linien  und  die  Harmonie 
seiner  Farbengebung. 

Aus  dem  Künstlerkreise,  der  sich  um  Fü brich  geschart 
und  an  der  Ausschmückung  der  Altlerchenfelder  Kirche  theil- 
genommen,  ragt  Leopold  Kupelwieser  als  der  dem  Meister 
in  Überzeugung  und  Richtung  zunächst  stehende  hervor.  Zahl- 
reiche österreichische  Kirchen  besitzen  religiöse  Bilder  dieses 
Künstlers,  welcher  in  seinem  um  den  Sieg  über  die  Amalekiter 
betenden  Moses  bewies,  dass  er  Führich  an  Kraft  zu  übertreffen 
wisse.  Minder  streng  hieng  an  der  religiösen  Richtung  und  dem 
coloristischen  Streben  Führichs  Leopold  Schulz,  der  auch 
profan-historische  Bilder  malte  und  in  der  Farbengebung  die 
Cornelianische  Schule  nie  ganz  verleugnete.  Ebenso  gieng  E.  von 
Engerth  bald  zur  Profanmalerei  über  und  schloss  sich  K.  Rahl 
an.  Nur  Franz  Dobiaschofsky  blieb  neben  Kupelwieser  der 
Führich' sehen  Richtung  getreu,  ja  er  steigerte  den  elegischen 
Grundton  des  Meisters  in  seinem  ,, Rosenwunder  der  heiligen 
Elisabeth'*  bis  zur  sentimentalen  Romantik.  Noch  ist  Karl 
Blaas  als  einer  der  tüchtigsten  Mitarbeiter  Führichs  an  der  Alt- 
Lerchenfelder  Kirche  zu  nennen. 


Auch  auf  dem  Gebiete  der  Plastik  fand  die  Romantik  in 
Wien  begabte  Vertreter,  die  ihr  eine  Blütezeit  bereiteten.  Neben 
Bauer  und  Dietrich,  die  Rösner  bei  der  Johanneskirche  ver- 
wendet hatte,  war  es  Johann  Preleuthner,  welcher  in  allen 
seinen  Entwürfen  seine  romantische  Richtung  bekundete.  So  in 
seinem  ,, Fischer**,  dem  todten  ,, Liebesboten**,  in  dem  Schutz- 
engelbrunnen auf  der  Wieden  und  in  den  Heiligenstatuen,  die  er 
für  die  Altlerchenfelder  Kirche  gearbeitet.  Aus  seiner  roman- 
tischen Kunstrichtung  floss  auch  das  Bestreben  nach  Polychromie, 
dem  er  unter  Leitung  van  der  Nulls  an  der  Triumphbogen- 
gruppe der  Altlerchenfelder  Kirche  Ausdruck  verliehen. 

Das  hervorragendste  Talent  dieser  Schule  war  Hans  Gasser. 
Leider  hat  es  der  Kärntner  Hergottschnitzer  nie  zu  jener  geistigen 
und  technischen  Schulung  gebracht,  die  eine  unerlässliche  Vor- 
bedingung wahrhaft  großen  Schaffens  ist.  In  seiner  Jugend  hatte 
er  sich  an  das  Schnellarbeiten  gewöhnt,    im  reifen  Alter  riss  ihn 


;.  C.eorg.   Broiinegrupiit-  von  A.   I'ernkorn  im   Hai.   Montenuov 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  <^gc 

der  Geschäftsgeist  dazu  fort.  So  athmen  denn  seine  Werke,  in 
echt  romantischer  Weise,  tiefe  Empfindung,  ohne  in  der  Form 
vollendet  zu  sein.  Während  er  als  Porträtist  auf  diese  Weise  den 
Realisten  vorarbeitete,  gefährdete  er  die  Solidität  der  decorativen 
Plastik  und  schuf  nur  ausnahmsweise  gediegene  Werke,  wie  das 
,,  Donau  Weibchen**  und  den  ,,  Faustkämpfer**. 

Nur  ein  einziger  Bildhauer  der  romantischen  Richtung  hatte 
für  die  Regenerierung  der  österreichischen  Plastik  wirkliche 
Bedeutung.  Es  war  dies  Anton  Dominik  Fernkorn,  gleich 
Gasser  ein  Schüler  Schwanthalers  (s.  Abb.  82).  Nicht  durch  seine 
ganz  auf  dem  Boden  des  Romanticismus  stehenden  Werke,  wie  die 
,, Nibelungenhelden**  und  die  Gruppe  ,, Hagen  versenkt  den  Schatz 
der  Nibelungen  in  den  Rhein**  errang  er  diese  Bedeutung;  wohl  aber 
als  Neubegründer  der  österreichischen  Monumentalplastik.  Mit 
der  patriotischen  Strömung,  welche  das  öflfentliche  Leben  durch- 
wehte, war  auch  das  Jahrzehnte  lang  niedergehaltene  Bedürfnis 
wach  geworden,  historische  Erinnerungen  in  monumentaler  Weise 
zu  verewigen,  und  mit  rechtem  Verständnisse  seiner  Zeit  war  es 
der  Kaiser,  welcher  zunächst  dem  Erzherzog  Karl  ein  Denkmal 
errichten  ließ.  Fernkom  führte  dies  Denkmal  sowie  das  ihm 
gegenübergestellte  des  Prinzen  Eugen  von  Savoyen  aus  und  erwarb 
sich  dabei  auch  das  große  Verdienst,  den  Kunstguss  in  Österreich 
wieder  heimisch  zu  machen.  Die  von  ihm  geleitete  kaiserliche 
Erzgießerei  gieng  dann  in  die  Hände  Röhlichs  und  Pönningers  über. 


Die  Romantik  schwang  sich  zur  alleinherrschenden  Kunst- 
richtung auf:  ihr  huldigte  der  öflFentliche  Geschmack,  sie  hatte 
die  regierenden  Kreise  für  sich  gewonnen,  sie  begann  auf  der 
Akademie  jene  Stellung  einzunehmen,  die  bis  vor  kurzem  die 
classische  Schule  innegehabt.  Durch  Führich  war  die  Maler- 
schule romantisch  geworden,  durch  die  Berufung  Eduard  van 
der  Nulls  und  August  von  Siccardsburgs  an  die  Archi- 
tekturschule der  Akademie  wurde  auch  diese  in  das  Fahrwasser 
der  Romantik  gelenkt.  Diesen  beiden  Künstlern,  welche  ebenso 
gediegen  als  Fachleute  wie  liebenswürdig  als  Menschen  waren, 
fiel  die  Aufgabe  zu,  die  Unklarheit  der  Principien,  welche  der 
romantischen  Bewegung  in  ihrem  Beginne  angehaftet,  zu  beseitigen 


•löö  Alfred  Nossig 

und  neben  der  theoretischen  Begründung  der  neuen  Kunstrich- 
tung die  österreichische  Bautechnik  und  das  heimische  Kunst- 
gewerbe bis  zur  Höhe  der  Entwickelung  derselben  im  Vaterlande 
emporzuführen. 

Bei  der  prädominierenden  Stellung  der  Romantik  erscheint 
es  selbstverständlich,  dass  die  großen  Bauten,  welche  in  jenen 
Jahren  begonnen  wurden,  in  ihrem  Geiste  entworfen  wurden.  So 
vor  allem  der  Riesenbau  des  k.  k.  Arsenals  vor  der  Belvedere- 
Linie.  Neben  van  der  Null,  Siccardsburg  und  Rösner 
betheiligten  sich  an  dem  Entwürfe  dieses  Baues  L.  Förster  und 
Theophil  Hansen,  der  sich  später  ausschließlich  der  griechi- 
schen Renaissance  zugewendet.  Ein  romantischer  Stil  musste  nun 
einmal  gewählt  werden:  so  einigte  man  sich  denn  auf  den  byzan- 
tinischen Stil,  welcher  auch  dem  phantasie vollen,  prachtliebenden 
Hansen  die  volle  Entwickelung  seiner  Erfindungsgabe  ermöglichte. 
Während  van  der  Null  und  Siccardsburg  das  ernste  Commandan- 
turgebäude  mit  seinem  imposanten  Hallenhof  ausführten,  compo- 
nierte  Hansen  das  glänzende,  in  Gold-  und  farbiger  Mosaik- 
decoration strahlende  WafFenmuseum.  Als  es  aber  zur  plastischen 
und  malerischen  Ausschmückung  des  herrlichen  Baues  kam, 
welche  zum  größten  Theile  in  den  sechziger  Jahren  ausgeführt 
wurde,  da  war  es  mit  der  Herrschaft  der  Romantik  vorbei,  und 
die  historisch-realistische  Richtung  trat  in  ihre  Rechte:  so  stellte 
denn  KarlRahl  (s.  Abb.  83)  im  Treppenhause  die  geistigen 
Mächte  der  Völkergeschichte  allegorisch  dar,  während  im  Kuppel- 
saal und  in  den  anstoßenden  Räumen  Karl  von  Blaas  die  öster- 
reichische Kriegsgeschichte  in  realistischer  Weise  illustrierte. 

2.  Die  Wiener  Kunst  seit  der  Stadterweiterung. 

Die  Altlerchenfelder  Kirche  und  die  k.  k.  Arsenalbauten 
waren  die  ersten  Vorläufer  einer  Kunstblüte,  welche  zu  den  glän- 
zendsten Epochen  der  österreichischen  Kunst  zählen  und  durch 
ihre  breite  Basis,  die  Zahl  der  geschaffenen  Werke  und  den  Reich- 
thum  der  sich  regenden  künstlerischen  Kräfte  an  die  üppigsten 
Perioden  der  Kunstblüte  überhaupt  gemahnen  sollte.  Die  Verwirk- 
lichung des  Jahrzehnte  hindurch  hinausgeschobenen  Projectes  der 
Stadterweiterung    durch    das    Allerhöchste    Handschreiben    vom 


Das  neunzehnte  Jahrhundert  ■jßy 

20.  December  1857  schuf  die  Grundlage  für  diese  Kunstentfaltung, 
■welche  zunächst  auf  dem  Gebiete  der  Architektur  hervortrat.  Der 
alte  Festungsgürtel  wurde  niedergerissen,  und  aus  dem  Erlöse 
der  freigewordenen  Bauplätze  wurde  der  Stadterweiterungsfond 
gebildet,   welcher  zur  Deckung  der  Kosten  der  Stadterweiterung 


Abb.  )<j.    Büst«  des  Ristorienmalera  Karl  Sahl,  von  Hans  Casser. 

und  einer  Reihe  von  Monumentalbauten  bestimmt  war.  Man 
dachte  ursprünglich  daran,  Neu-Wien  nach  einheitlichem  Plane 
und  nach  den  Gesetzen  des  künstlerischen  Städtebaues  aufzu- 
fuhren, und  so  sollte  denn  der  Bauplan  gesund  und  unbehindert 
aus  der  freien  Concurrenz  der  Künstler  hervorgehen.  In  der  That 
liefen  ausgezeichnete  Projecte  ein,  und  drei  derselben,  die  der 
Architekten    van    der    Null    und    Siccardsburg,     Ludwig 


-758  Alfred  Nossig 

Förster  und  Friedrich  Stäche  wurden  sogar  mit  dem  ersten 
Preise  ausgezeichnet:  zur  Durchfuhrung  aber  kam  keines  dieser 
Projecte,  sondern  der  im  k.  k.  Ministerium  des  Innern  mit  Be- 
nützung der  preisgekrönten  Projecte  ausgearbeitete  Plan.  Der 
Umstand,  dass  es  nicht  ausschließlich  Künstler  waren,  welche  den 
endgiltig  genehmigten  Plan  entwarfen,  mag  wohl  der  Stadterwei- 
terung in  manchen  Beziehungen  zum  Vortheil  gereicht  haben, 
schädigte  jedoch  den  Schönheitswert  der  ganzen  Anlage. 

Für  den  Reichthum  und  für  die  Eigenart  der  Wiener  Kunst- 
blüte, welche  mit  der  Stadterweiterung  begann,  ist  es  kennzeichnend, 
dass  kein  Künstler  und  kein  Stil  zur  unbestrittenen  Alleinherr- 
schaft zu  gelangen  vermochte.  Eine  ganze  Schar  gottbegnadeter 
Männer  schaflFte  da,  zum  Theile  sich  gegenseitig  aneifemd,  zum 
Theile  rivalisierend  zu  Nutz  und  Gewinn  der  Kunst  und  der  Stadt, 
und  aus  allen  Quellen,  denen  je  stilvolle  Kunst  entströmt,  wurde 
da  geschöpft. 


Durch  die  Anlage  der  Ringstraße,  welche  das  alte  Stadt- 
innere mit  den  Vororten  verband,  wurde  der  Rahmen  geschaffen, 
in  welchem  sich  die  neue  Wiener  Monumentalarchitektur  ent- 
falten sollte.  Die  glänzenden  Bedingungen,  welche  der  öster- 
reichischen Kunst  so  plötzlich  erstanden  waren,  unterbrachen  nicht 
die  Continuität  ihrer  Entwickelung,  und  es  ist  leicht  begreiflich, 
dass  die  ersten  Monumentalbauten  in  der  Stadterweiterungsperiode 
noch  aus  dem  Geiste  der  Romantik  herauswuchsen.  Also  z.  B. 
noch  das  Hofoperntheater,  welches  die  begeisterten  Verehrer  dieser 
Kunstrichtung,  das  stets  zusammenschaffende  Künstlerpaar  van 
der  Null  undSiccardsburg,  in  den  spielenden  Formen  der  fran- 
zösischen Frührenaissance  mit  starken  romantischen  Anklängen  in 
den  architektonischen  Decorationsmotiven  sowie  in  der  plastischen 
und  malerischen  Ausschmückung  aufführten.  An  die  Entstehung 
dieses  Gebäudes,  dessen  Inneres  durch  die  Verbindung  des  Vestibüls 
mit  dem  Treppenhause  das  edelste  Muster  einer  festlichen  Archi- 
tektur gibt,  knüpft  sich  dieses  Emporblühen  des  Wiener  Kunst- 
gewerbes. Das  decorative  Genie  van  der  Nulls,  seine  vornehme 
Künstlernatur,  der  die  Gediegenheit  eines  jeden  Details  Bedürfnis 


Abb.  «5.    Hof  dus  Osleir.  Museums 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  75q 

war,  belebte  die  darniederliegende  Luxusindustrie,  welche  auch 
in  van  der  Nulls  Nachfolger,  Josef  Storck,  einen  eifrigen 
Förderer  fand. 

Dem  kräftigen  Einflüsse  der  romantischen  Strömung  ver- 
dankt auch  die  Gothik  ihre  Neubelebung  in  Wien.  Von  Leopold 
Ernst  gieng  die  erste  Anregung  zur  Restaurierung  des  Stephans- 
doms aus;  die  Wiederherstellung  der  Tirnakapelle  gab  dem  Künstler 
Gelegenheit,  sein  tiefes  Verständnis  des  gothischen  Stils  darzuthun. 
Sein  Nachfolger  im  Dombauamte,  Friedrich  Schmidt,  der 
genialste  Repräsentant  der  modernen  Gothik,  war  der  einzige 
unter  den  Wiener  Architekten,  welcher  diesem  romantischen  Bau- 
stile während  seiner  ganzen  Künstlerlaufbahn  treu  blieb.  Schmidt 
begnügte  sich  nicht  damit,  die  mittelalterliche  Gothik  gründlich 
kennen  zu  lernen  und  sie  nachzuahmen:  seine  Thätigkeit  bedeutet 
einen  Fortschritt  dieser  Bauweise  in  Formen  und  Technik.  Wie 
er  schon  in  der  Klosterkirche  der  Lazaristen  und  in  der  Fünf- 
hauser  Pfarrkirche  jeden  spielenden,  decorativen  Verputz  ver- 
schmähte und  die  constructive  Wahrheit  walten  ließ,  wie  er  die 
Schönheit  des  Baues  gerade  dutch  das  Hervortretenlassen  des 
wirklichen  Baumaterials  anstrebte  und  für  den  Ziegelrohbau  end- 
giltige  Muster  schuf,  so  zog  er  beim  Baue  des  neuen  Wiener 
Rathhauses  aus  dem  Steinmaterial  jene  strengen  architektonischen 
Consequenzen,  welche  das  Imposante  und  Gediegene  dieses  Monu- 
mentalbaues so  sehr  erhöhen.  Zugleich  wusste  er  in  diesem  Baue, 
wie  auch  im  kaiserlichen  Stiftungshause  am  Schottenring,  (s.  Abb.  84). 
der  strengen,  ernsten  Gothik  etwas  von  dem  festlichen,  heiteren 
Elemente  der  Donaustadt  beizumischen:  er  wusste  ihre  Formen 
zu  schwellen,  die  ganze  Bauweise  zu  erwärmen  und  so  für  den 
Profanbau  zu  adaptieren. 

Minder  anhänglich  an  die  romantische  Muse  zeigte  sich 
Heinrich  Ferste  1.  Wohl  schuf  er  in  seiner  herrlichen  Börse  auf 
der  Freiung  eine  romanische  Studie,  die  von  gediegener  Kenntnis 
der  Originalwerke  Zeugnis  gibt,  wohl  ließ  er  in  seiner  Votivkirche 
die  französische  Gothik  in  verjüngter  Schönheit  auferstehen:  aber  all- 
mählich schien  die  moderne  Renaissancearchitektur  den  Meister 
immer  mehr  anzuziehen.  Er  vertiefte  sich  zunächst  ins  Studium 
der  italienischen  Frührenaissance;  das  österreichische  Museum  für 
Kunst,  und  Industrie  (s.  Abb.  85).  und  das  chemische  Laboratorium, 

KuDstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  24 


lyo  Alfred  Nossig 

die  er  in  dieser  Epoche  gebaut,  bezeugen  nicJit  nur  durch  die 
Formen,  sondern  auch  durch  das  Decoratiousmaterial  (glasierte  Terra- 
cotta),  wie  sehr  Ferstel  im  Banne  der  italieuischen  Muster    lebte 


Abb.  84.     Das  kaia.  Stiftungshaus  in  Wien,  von  Freih.  von  Schmidt. 

und  schuf.  Im  Baue  der  Universität  endlich  huldigte  er  ganz  der 
modernen  Bauweise:  groß  in  der  Disposition  der  architektonischen 
Masseu,  auch  in  den  geringsten  Decorationsdetails  sein  compo- 
sitionelles  Genie  bekundend,    schuf  der  reife  Meister  doch  nichts 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  <2yj 

von  Grund  aus  Originelles,  sondern  wieder  eine  classische  Studie 
—  diesmal  nach  der  römischen  Hochrenaissance. 

Eine  ähnliche  Entwickelung  machte  Theophil  Hansen 
durch.  Zur  Zeit,  als  die  romantische  Kunstrichtung  in  ihrer  Blüte 
war,  bediente  er  sich,  wie  bei  dem  Arsenalbau,  ausschließlich  des 
byzantinischen  Stiles:  in  dieser  Bauweise  führte  er  die  trotz  der 
schwierigen  Raumbedingungen  glänzend  componierte  Kirche  der 
nicht  unierten  Griechen  am  Fleischmarkt  auf,  hierauf  die  evange- 
lische Friedhofskapelle  vor ,  der  Matzleinsdorfer  Linie.  Aber  wie 
Ferstel  zur  römischen  Renaissance  übergegangen  war,  so  fand 
Hansen  in  der  griechischen  Renaissance  diejenige  Bauweise,  die 
seinem  Künstlergenius  am  meisten  zusagte,  und  es  war  ihm 
beschieden,  der  bedeutendste  Vertreter  dieses  Architekturstils  im 
neunzehnten  Jahrhundert  zu  werden.  Sein  Streben  gieng  dahin, 
die  antiken  Formen  womöglich  in  ihrer  ursprünglichen  Reinheit 
hervortreten  zu  lassen:  so  im  Innern  der  Kunstakademie  und  des 
Musikvereinsgebäudes,  in  der  neuen  Börse,  wo  die  griechischen 
Architekturformen  sich  so  verwendet  finden,  wie  sie  die  Römer 
bei  ihren  Monumentalbauten  zu  benützen  pflegten,  endlich  im 
Reichsrathsgebäude.  Es  ist  eine  zutreffende  Bemerkung  eines 
Kunstschriftstellers,  dass  man  beim  Anblick  des  Hansen'schen 
Parlamentsbaues  an  die  Zeiten  Alexanders  des  Großen  zurück- 
denken muss.  Der  Bau  war  zu  groß,  als  dass  Hansen  ihm  die 
einfache  rechteckige  Form  des  säulenumzogenen  griechischen 
Tempels  hätte  geben  können:  da  er  aber  diesmal  auch  im  Gepräge 
des  Äußeren  die  reinen  griechischen  Formen  beibehalten  wollte 
und  daher  die  bei  den  Römern  aufgekommene  Gliederungsart  der 
architektonischen  Massen  verschmähte,  so  verkleidete  er  den 
mächtigen,  mehrstöckigen  Bau  durch  säulengezierte  Giebelfa^aden 
und  führte  mindestens  in  dem  verglasten  Hauptvestibul  die  Anlage 
eines  hypäthralen  griechischen  Tempels  durch.  Derart  aber 
mussten  die  Monumentalbauten  Alexandrias  beschaffen  gewesen 
sein,  denn  Deinokrates,  der  vor  den  römischen  Baumeistern  lebte, 
kannte  nur  die  reinen  griechischen  Formen  und  musste  ebenfalls 
Bauten  errichten,  deren  kolossale  Dimensionen  die  Hülle  eines 
Peripteros  nicht  zuließen.  Noch  mag  darauf  hingewiesen  sein, 
dass  zwischen  der  griechischen  Renaissance,  wie  sie  Hansen  übte, 
und  der  eines  Nobile  zwei  gewaltige  Unterschiede  bestehen:  die 


24^ 


-3^2  Alfred  Nossig 

fortgeschrittene  Archäologie,  auf  welcher  Hansen  fußte,  und  die 
ihn  der  unvergleichlichen  Schönheit  der  hellenischen  Architektur 
viel  näher  kommen  ließ  als  die  Meister  der  classischen  Schule 
aus  dem  Beginne  des  Jahrhunderts;  und  sein  Genie,  welches  den 
von  der  Archäologie  gehobenen  Schatz  mit  voller  Freiheit  und 
höchster  Zweckdienlichkeit  zu  verwenden  wusste  (s.  Abb.  86). 

Der  Renaissance  der  antiken  Stile,  mag  sie  nun  puristisch 
gedacht,  den  Italienern  oder  den  Franzosen  nachempfunden  sein, 
traten  manche  Architekten  mit  dem  Bestreben  entgegen,  durch 
die  Erneuerung  jener  Bauweise,  die  sich  in  den  deutschen  Städten 
des  Mittelalters  herausgebildet  hat,  einen  nationalen  Stil  zu  schaffen. 
CamilloSitte,  der  Sohn  des  am  Baue  der  Altlerchenfelder  Kirche 
betheiligten  Franz  Sitte,  schuf  in  der  von  ihm  selbst  plastisch 
und  malerisch  ausgeschmückten  Mechitaristenkirche  ein  eigen- 
artiges Werk  von  einheitlicher  Composition  und  markiger  Kraft; 
ein  wahres  Compendium  des  deutschen  Renaissancestils,  verdient 
die  Kirche  von  allen  Freunden  dieser  Bauweise  aufmerksam  studiert 
zu  werden.  Alexander  v.  Wielemans  brachte  die  deutsche 
Renaissance  auch  im  profanen  Monumentalbau  zu  Ehren,  indem 
er  den  Justizpalast  in  den  allerdings  gemilderten  und  dem  modernen 
Geiste  angepassten  Formen  derselben  aufführte. 

Die  deutsche  Renaissance  fand  jedoch  keinen  rechten  Anklang 
in  Wien,  wo  man  nach  einer  österreichischen  Bauweise  verlangte. 
Damals  schon  sagte  man  in  Kreisen  einsichtiger  Kunstfreunde  die 
Wiedergeburt  der  Barocke  als  der  in  Osterreich  zur  glänzendsten 
Blüte  gelangten  und  dem  Wiener  Naturell  entsprechendsten  Bauart 
voraus.  Und  was  den  von  S e m p e r  und  Hasenauer  projectierten 
und  von  dem  letzteren  ausgeführten  Bauten  des  neuen  k.  k.  Hof- 
burgtheaters und  der  beiden  Hofmuseen  ihre  Beliebtheit  beim  Publi- 
cum verschaffte,  war  nicht  nur  die  grandiose  Anlage,  sondern  auch 
die  glückliche  Mischung  der  italienischen  Renaissanceformen  mit  den 
einheimischen  Überlieferungen  und  Decorationsmotiven.  Der  große 
Baukünstler,  dessen  letzte,  reifste  Jahre  der  Verschönerung  Neu- 
Wiens  gewidmet  waren,  hatte  schon  bei  dem  Entwürfe  des  Dres- 
dener Museums  durch  die  reiche  Anwendung  der  Plastik  einen 
der  prachtliebenden  österreichischen  Bauweise  verwandten  Geist 
bethätigt.  Und  völlig  wurzelt  in  dem  österreichischen  Elemente 
Karl  V.  Hasenauer,  der  schon  beim  Baue  der  Weltausstellungs- 


Das  neixiizehnle  Jahth lindert.  -177 

gebäude  die  Barocke  in  pliantasievollster  Weise  zur  Geltung  ge- 
bracht und  als  Leiter  der  neuesten  Wiener  Monumentalbauten  den 
festlichen  und  heiteren  Charakter  der  österreichischen  Bauweise 
in  vollem  Glänze  wiedererstehen  ließ.  Der  Neubau  der  Wiener 
Hofburg  gibt  diesem  Meister,  welcher  in  seinen  Schöpfungen 
einen  localen,  echt  wienerischen  Geist  bekundet,  die  erwünschte 
Gelegenheit ,     den    Barockstil    nicht    nur    in    der    Decorationsart, 


Abb.  S6.     Palais  Etzlietzog  Wilhelm  in  Wien,  von  Tb.  Hansen. 

sondern  in  der  efFectvoUen  Gruppierung  der  Architektnr- 
niassen  zur  Anwendung  zu  bringen.  Auch  H  e  1  m  e  r  nnd 
F  e  1 1  n  e  r,  die  Erbauer  des  deutschen  Volkstheaters,  huldigen 
einer  graziösen  Barocke  von  echt  wienerischem  Charakter.  So 
verknüpft  sich  die  zeitgenössische  Blüte  der  Wiener  Architektur 
mit  der  letzten  Glanzepoclie  der  Wiener  Kunst. 

Der  Monumentalarchitektur  kam  die  Privatarchitektur  gleich 
an  Reichthuni  der  Entfaltung,  an  Gediegenheit  tuid  an  Mannig- 
faltigkeit der   verwendeten  Stile.     Ferstel    und    Hansen   gaben 


'inA  Alfred  Nossig 

in  den  Palästen  der  Erzherzoge  Ludwig  Victor  und  Wilhelm  die 
Muster  für  den  modernen  Palastbau  in  großen  Dimensionen,  van 
der  Null  baute  ein  ebenso  paradigmatisches  Patricierhaus  für  die 
Firma  Haas.  Ihnen  folgten  Romano  und  Schwendenwein 
mit  dem  ,, adeligen  Casino**,  Karl  König  mit  seinem  Ziererhof. 
Auch  um  die  Veredlung  des  Zinshausbaues  war  man  eifrig  bemüht. 
Hansen  war  hier  bahnbrechend,  indem  er  eine  Gruppe  von 
Zinshäusern  im  Heinrichshof  zu  wohldurchdachter  Composition 
vereinigte  und  durch  eine  würdige  Fa^ade,  durch  treffliche  Raum- 
eintheilung  und  künstlerische  Ausschmückung  des  Riesenbaues 
dem  schablonenhaften  Kasernenstil  entgegentrat.  Angesichts  eines 
so  edlen  Zinshausbaues  sah  sich  die  Geburts-  und  Finanzaristokratie 
veranlasst,  auf  den  exclusiven,  kostspieligen  Palastbau  zu  ver- 
zichten, und  es  entstand  eine  neue,  echt  großstädtische  Gebäude- 
gattung, jene  der  palastartigen  Zinshäuser,  in  denen  Mitglieder 
der  verschiedensten  Bevölkerungsschichten  neben  einander  wohnen. 
Nun  folgte  eine  Epoche,  in  welcher  der  palastartige  Aufputz  bei 
jedem  neu  entstehenden  Zinshause  gefordert  wurde;  Unsolidität 
des  Baues,  Effecthascherei  *  in  der  Fagade,  ja  ein  geschmackloses 
Protzenthum  griff  im  Privatbau  um  sich.  Mit  der  Wendung  in 
den.  ökonomischen  Verhältnissen  trat  auch  in  der  Bauart  ein  Um- 
schwung ein.  Man  kehrte  zu  solideren  Principien  zurück,  dachte 
wieder  in  erster  Linie  an  gesunde  und  bequeme  Raumdisposition 
und  wusste  dort,  wo  eine  glänzendere  Bauweise  gefordert  wurde, 
dieselbe  mit  Gediegenheit  zu  verbinden.  Als  Vorbilder  dieses 
ebenso  prunkvollen  wie  soliden  Zinshausbaues  sind  die  Arcaden- 
häuser  an  der  Reichsrathstraße  und  am  Rathhausplatz  zu  nennen, 
denen  ein  gemeinsamer  Plan  von  Schmidt  zugrunde  liegt. 

Das  Familienhaus  wollte  sich  nicht  recht  in  Wien  einbürgern, 
trotzdem  Ferstel  und  R.  v.  Eitelberger  für  dasselbe  sprachen. 
Im  Innern  der  Stadt  finden  sich  kaum  einige  derartige  Bauten. 
Einen  erfreulichen  Aufschwung  nimmt  hingegen  die  außerhalb  des 
eigentlichen  Stadtrayons  bei  Währing  gegründete  Cottageanlage, 
wo  unter  der  Leitung  Borkowskis  bereits  eine  stattliche  An- 
zahl theils  opulenter,  theils  einfacher  Familienhäuser  erstand. 
Wer  diese  zierlichen  Häuser  mit  ihren  schattigen  Gärten  betrachtet 
und  die  gesunde  Luft  dieser  Anlage  athmet,  wird  sicherlich  dafür 
sprechen,    dass  man  bei  der  bevorstehenden  Verbindung  der  Vor- 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  -jyc 

orte  mit  dem  Stadtrayon  an  das  Cottageviertel  einen  ganzen 
Bezirk  ansetze,  welcher  das  heutige  Wien  ringsum  mit  einem 
stillen ,  friedlichen,  grünenden  Familienhausgürtel  umschließen 
würde,  wie  die  Ringstraße  das  alte  Stadtinnere  mit  einem  Palast- 
gürtel umfasst  hat. 


Mit  der  Blüte  der  Monumentalarchitektur  war  auch  für  die 
Wiener  Plastik  die  große  Zeit  gekommen.  Eine  ganze  Schar 
formfreudiger  Talente  entspross  dem  Wiener  Boden,  der  so  lange 
brach  gelegen.  Die  plastische  Ausschmückung  der  Universität, 
des  Parlamentes,  der  Museen  und  des  Hofburgtheaters  sicherte  die 
Existenz  der  Meister  und  gab  allen  die  Gelegenheit,  ihre  Fähigkeiten 
vielseitig  zu  versuchen  (s.  Abb.  87).  Bald  trat  dann  die  specielle 
Begabung  der  einzelnen  Plastiker  für  den  Kenner  hervor,  und  es 
ist  ein  nicht  hoch  genug  zu  schätzendes  Verdienst  Hase nau er s, 
dass  er  das  richtige  Auge  für  die  Stärke  eines  jeden  unter  den 
Wiener  Bildhauern  besaß  und  die  Aufgaben  derart  vertheilte, 
dass  jeder  lustvoll  seine  beste  Kraft  einsetzen  konnte.  Neben  der 
Monumentalarchitektur  eröffnete  die  noch  stets  im  Zunehmen 
begriffene  Lust  an  der  Errichtung  von  Denkmälern,  das  die 
Regierung  sowie  die  gesammte  Bevölkerung  auszeichnende  Bewusst- 
sein  der  Pflicht,  hervorragende  Männer  der  österreichischen 
Geschichte,  sowie  die  Geistesheroen  Österreichs  und  Deutschlands 
in  monumentaler  Weise  zu  ehren,  der  Wiener  Plastik  ein  weites 
Feld  der  Bethätig^ng. 

Die  Hauptgruppe  der  Wiener  Bildhauer,  die  heute  einen 
Namen  genießen,  gieng  aus  der  Schule  des  als  Professor  treff"- 
lichen  Franz  Bauer  hervor.  Obwohl  er  selbst  in  seinen  Werken 
dem  zu  seiner  Zeit  maßgebenden  Zuge  der  Romantik  unterlag, 
führte  er  seine  Schüler  dennoch  auf  dem  sicheren,  gebahnten 
Geleise  des  akademischen  Stils  zu  idealer  Formgebung,  zu  solider 
Technik  und  praktischer  Geschicklichkeit.  Auf  dieser  Grundlage 
entwickelten  sich  dann  die  einzelnen  Talente  je  nach  ihrer 
Empfänglichkeit  für  die  Zeiteinflüsse  und  nach  ihren  angeborenen 
Neigungen.  Trotzdem  die  meisten  bei  der  massenhaften  Nach- 
frage  viel   Conventionelles  geschaffen,    fast   ausnahmslos  nur  auf 


'in(y  Alfred  Nossig 

Bestellung  arbeiteten  und  fast  nie  aus  eigener  Inspiration  Werke 
vollendeten,  die  ihre  Eigenart  ganz  und  voll  zum  Ausdrucke 
bringen  würden,  ließen  sie  doch  bei  der  Behandlung  einzelner 
dankbarerer  Aufgaben  charakteristische  Unterschiede  hervor- 
treten, aus  denen  man  ihre  künstlerische  Individualität,  die 
Richtung  ihres  Geschmackes  und  die  Art  ihrer  Begabung  heraus- 
lesen kann. 

Die  Schule  Bauers  zerfallt  in  zwei  Generationen.  In  der 
älteren  ragt  Karl  Kund  mann  hervor,  der  seine  volle  Ausbil- 
dung Hähnel  zu  verdanken  hatte.  Es  scheint,  dass  die  classische 
Schule,  welche  Kundmann  durchgemacht,  mit  der  angeborenen 
Richtung  seines  Geistes  übereinstimmte,  denn  dieser  Meister  sah 
an  sich  die  romantische  und  die  naturalistische  Strömung  vorbei- 
ziehen, ohne  sich  von  derselben  fortreißen  zu  lassen.  Als  Ideal- 
bildner das  Höchste  anstrebend,  nähert  sich  Kundmann  den  antiken 
Meistern  vorzüglich  dort,  wo  Würde  anmuthig  zu  verkörpern  ist. 
Damit  hängt  es  zusammen,  dass  dieser  Künstler  hauptsächlich  als 
Marmorbildner  hochgeschätzt  wird.  Nicht  mit  Unrecht  sind  viele 
geneigt,  die  allegorischen  Gestalten,  mit  denen  Kundmann  die 
Attika  des  Hofburgtheaters  sowie  die  Hofmuseen  geschmückt,  als 
die  gelungenste  Bethätigung  des  Kundmann' sehen  Talentes  zu 
betrachten ;  populärer  sind  indes  seine  Porträtstatuen ,  welche 
Wiener  Anlagen  zieren,  wie  sein  Schubert  und  Grillparzer.  Und 
wer  auch  die  Porträtbüsten  Kundmanns  gesehen,  wird  dem 
Künstler  sicherlich  prägnantes  Charakterisierungstalent  nicht  ab- 
sprechen. Kundmann  hat  auch  auf  dem  Gebiete  der  Bronze- 
plastik Imposantes  geschaflfen;  doch  hat  sein  TegethofFmonument 
nicht  den  Beifall  des  größten  aller  Kunstrichter,  des  Volkes.  Von 
hervorragender  Bedeutung  ist  sein  Wirken  an  der  Bildhauerab- 
theilung der  Wiener  Akademie,  wo  er  neben  Zumbusch  die  Meister- 
schule leitet  (s.  Abb.  88). 

Unter  den  jüngeren  Schülern  Bauers  müssen  Benk,  Du  11 
imd  Weyr  als  diejenigen  genannt  werden,  in  deren  Werken  der 
Classicismus  nachklingt.  Dennoch  sind  es  grundverschiedene 
Künstlerindividualitäten,  Johannes  Benk  hat  die  Küppein  der 
beiden  Hofmuseen  mit  Kolossalstatuen  bekrönt,  welche  den  Sonnen- 
gott und  Pallas  Athene  darstellen,  er  hat  für  das  Vestibül  der 
Länderbank  eine  gepanzerte,    goldstarrende  ,,Austria**  modelliert: 


aber  das  eigentliche  Gebiet  dieses  Künstlers  ist  die  weiche  Aninuth 
in  allen  ihren  Abstufungen  von  der  knospenden  Schönheit  der 
Mädchen gestalt  bis  zum  Humor  der  Puttoforinen.  Wie  das  erste 
Aufkommen  seines  Namens  sich  an  eine  Genovefa  knüpft,  die 
fromm  und  keusch  ihren  Sohn  beten  lehrt,  so  gelangte  dieser 
Name  zu  höchstenl  Glänze  durch  die  Schöpfung  der  Klythia, 
jenes  wundersamen  Mannorbildes  ans  dem  Hofburgtheater,  das 
die  zum  Sonnengotte  sich  emporsehnende  Jungfrau  darstellt  und 
das  populärste  Werk-  der  Wiener  Plastik  ist,  obwohl  es,  in  den 
HofFestlogencorridor  eingeschlossen,  dem  Publicum  entrückt  ist. 
Und  wie  Anmuth  durch  Humor  nicht  aufgelöst,  sondern  gehoben 


Abb.  8S.     Sarkophag- Relief,  von  K.  Kundmanii. 

wird,  dies  bewies  Benk  in  seinem  Fries  für  das  Innere  der  Kuppel 
des  naturhistorischen  Hofmuseums,  welcher  Kinder  im  Spiele  mit 
Thieren  auf  ornamentaler  Grundlage  darstellt. 

Alois  DüH,  zu  den  vielseitigsten  und  gewandtesten  Plastikern 
zählend,  hat  sein  Talent  in  markigen  Männergestalten  am  glück- 
lichsten bewährt  Rudolf  Weyr  steht  unter  den  Wiener  Bild- 
hauern in  vielen  Beziehungen  ohne  Rivalen  da.  Der  einzige 
Friedl  kommt  ihm  als  decorativer  Plastiker  an  Flottheit  und 
Raschheit  der  Production  nahe.  Zu  classischer  Höhe  in  Composi- 
tion  und  Durchbildung  der  einzelnen  Figuren  erhob  Weyr  die  deco- 
rative  Plastik  in  seinem  Bacchusfries  am  Hofburgtheater ;  seine 
Karyatiden  in  den  Sälen  des  natnrhistor.  Hoftnusenms  beweisen, 
wie    sehr  diese    Plastik    durch  das    Element    treffender,    kräftiger 


njQ  Alfred  Nossig 

Charakteristik  belebt,  ja  vergeistigt  werden  kann.  In  seinen  ma- 
lerischen Reliefdarstellungen  für  das  Grillparzennonument  bekun- 
dete Weyr  sein  eminentes  Zeichnertalent  sowie  die  gründliche 
perspectivische  Schulung,  die  ihn  zu  Schöpfungen  befähigt,  an 
die  andere  Wiener  Bildhauer  kaum  Hand  anzulegen  wagen  würden. 
Wie  Weyr  als  decoratives  Talent,  so  steht  Victor  Tilgner  ais 
Porträtbildner  von  seinen  Wiener  Genossen  unerreicht,  unter  den 
Ersten  seiner  Zeit.  Er  hat  sich  seinen  eigenen,  in  Pose  und  Aus- 
schmückung stark  malerischen  Stil  geschaflFen.  Seine  Porträtbüsten 
nehmen  in  der  Plastik  jene  Stelle  ein,  die  das  Pastellporträt  in  der 
Malerei  innehat ;  insbesondere  seine  Frauenporträts  sind  so  zart, 
lebensvoll,  ja  beweglich,  möchten  wir  sagen,  wie  die  Meister  des 
Pastells  zu  malen  verstehen.  Der  Drang,  die  Plastik  zu  beleben, 
ist  Tilgner  in  noch  höherem  Maße  eigen  als  Weyr ;  er  war 
denn  auch  einer  der  ersten,  der  die  Polychromie  in  discreter,  aber 
um  so  wirksamerer  Weise  zur  Anwendung  brachte,  in  großem 
Maßstabe  an  seinen  decorativen  Figuren  im  naturhistorischen  Hof- 
museum. Derselben  Künstlergeneration  gehört  auch  Edmund 
H  e  1 1  m  e  r  an,  gegenwärtig  Professor  an  der  allgemeinen  Bildhauer- 
schule der  Akademie.  Ihn  zeichnet  eine  ungewöhnliche  compo- 
sitionelle  Begabung  aus,  die  ihn  zum  Aufbau  figurenreicher  plasti- 
scher Werke  befähigt.  Dies  bewies  er  in  seiner  Giebelgruppe  an 
der  Fagade  des  Reichsrathsgebäudes,  glänzender  noch  in  seinem 
Denkmal  zur  Erinnerung  an  die  Befreiung  Wiens  von  den  Türken 
im  Jahre  1683,  welches  im  Stephansdome  errichtet  werden  soll. 

Als  größter  Meister  auf  demselben  Gebiete  der  Plastik  gilt 
in  Wien  Caspar  Zumbusch,  der  zugleich  als  der  bedeutendste 
Vertreter  der  Bronzesculptur  zu  betrachten  ist.  In  Halbigs 
realistischer  Schule  zu  München  gebildet,  durch  sein  Maximilian- 
denkmal berühmt,  wurde  Zumbusch  nach  Wien  berufen,  wo  ihm 
die  Übertragung  der  bedeutendsten  plastischen  Aufgaben  in  Aus- 
sicht gestellt  wurde.  In  der  That  blieb  es  ihm  vorbehalten,  in 
dem  Beethovendenkmal  und  dem  Maria-Theresienmonument  Bronze- 
werke größten  Stils  zu  schaflfen  (siehe  Tafel  IV).  An  dem  Beet- 
hovenmonument bekundet  nur  die  Gestalt  des  Tonheros  die  große 
Charakterisierungskunst  des  Meisters,  die  übrigen  Figuren  sind 
allegorisch  und  ragen  trotz  ihrer  Schönheit  und  Kraft  nicht  über 
das  Niveau  der  zeitgenössischen  Plastik  hervor.  Wohl  aber  bedeutet 


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Das  neunzehnte  Jahrhundert.  q^jq 

das  Maria  Theresiendenkmal  einen  Fortschritt  in  der  Plastik,  denn 
mit  seiner  Ausscheidung  des  allegorischen  Elementes,  mit  seiner 
grandiosen  Zusammenstellung  trefflich  charakterisierter  histori- 
scher Persönlichkeiten  beweist  es  wieder,  dass  die  Plastik  auf 
concretem  Boden  ihre  Größe  in  künstlerischer  Composition  sucht. 
Dass  Zumbusch.  der  Ausführung  seiner  Werke  die  höchste  Sorg- 
falt angedeihen  lässt,  ist  bei  einem  Meister,  der  es  sich  bewusst 
ist,  dass  er  für  Jahrtausende  schafft,  selbstverständlich. 

Eine  lange  Reihe  von  Bildhauern,  die  vieles  Verdienstvolle 
geschaflFen,  schließt  sich  diesen  Koryphäen  der  Wiener  Schule  an. 
Theodor  Friedl  überstrahl t  alle  durch  die  wuchtige  Kraft 
seines  Talentes.  Seine  Hand  bevölkerte  ganze  Monumental- 
bauten mit  Sculpturen,  wie  das  Odessaer  Theater  und  das  deutsche 
Volkstheater;  aber  er  scheint  allzu  temperamentvoll  zu  sein,  um 
ein  Werk  von  höchster  Gediegenheit  zu  schaflFen.  Seine  grandios 
bewegte  Heliosgruppe,  die  den  Ziererhof  bekrönt,  muss  der  deco- 
rativen  Plastik  zugezählt  werden,  ebenso  wie  seine  Kybele  an  der 
neuen  Frucht-  und  Mehlbörse;  doch  darf  man  erwarten,  dass  die 
Rossebändiger,  welche  vor  den  Hofstallungen  auf  dem  Museums- 
platz aufgestellt  werden  sollen,  das  Product  voller  künstlerischer 
Sammlung  sein  werden.  Ein  originelles  und  kräftiges  Talent  ist 
auch  Arthur  Strasser,  der  auf  der  Bahn  des  Naturalismus  mit 
großem  Aufwände  von  Fleiß  und  Studium  thätig  ist.  Er  hat  eine 
ausgesprochene  Neigung  für  das  Exotische  und  für  das  Hässliche, 
bringt  es  aber  in  der  Charakterisierungskunst  und  der  Wiedergabe 
von  Stoffen  weiter  als  alle  übrigen  Wiener  Bildhauer.  VictorPilz 
mit  seinen  prachtvollen  Quadrigen  auf  dem  Reichsrathsgebäude,  E  d- 
mund  V.  Hofmann  und  Victor  Härdtl,  welche  die  Brunnen- 
gruppen für  den  Museumsplatz  ausgeführt,  Schmidgruber  mit 
seiner  Albrecht  Dürer-Statue,  Anton  Wagner,  der  Schöpfer  des 
reizenden  ,, Gänsemädchens**,  Josef  Gasser,  der  sich  fast  aus- 
schließlich mit  kirchlicher  Plastik  beschäftigt,  Lax,  Costenoble, 
Silbernagl,  Pendl,  Natter,  Brenek,  sie  alle  haben  sich  in 
der  Geschichte  der  Wiener  Kunst  einen  ehrenvollen  Platz  gesichert. 

Als  die  vorzüglichsten  Repräsentanten  der  plastischen  Klein- 
kunst müssen  Otto  König  und  Josef  Tautenhayn  genannt 
werden.  Obwohl  sie  sich  beide  in  Werken  großen  Stils  mit  Glück 
versucht,  betrachten  sie  selbst  jenes  Gebiet  als  das  ihrer  Begabung 


q3o  Alfred  Xossig 

zunächst  entsprechende.  Während  Tautenhayn  antike  Motive  in 
classischer  Compositionsweise  mit  idealer  Formvollendung  behan- 
delt (vorzüglich  als  Modelle  für  die  Goldschmiedekunst),  cultiviert 
König  eine  reizende  Miniatur- Plastik.  Eines  großen  Rufes  erfreut 
sich  Anton  Schar  ff  als  Medailleur.  Dass  er  auch  auf  anderen 
Gebieten  der  plastischen  Kleinkunst  Vorzügliches  leistet,  bewies 
sein  Prometheusrelief  für  das  kaiserliche  Schloss  zu  Lainz  (siehe 
Abb.  89). 

Ihnen  schließen  sith  Stephan  Schwarz  als  vorzüglicher 
Ciseleur  und  Hermann  Klotz,  der  tüchtigste  Wiener  Holz- 
bildner, an.  Auch  die  ornamentale  Plastik  erstieg  eine  viel  be- 
deutendere Höhe  als  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhundertes,  dank 
der  Thätigkeit  eines  Pokorny,  Schindler  und  Schönthaler. 

Die  Entwickelung  der  modernen  Wiener  Monumentalmalerei 
ist  mit  jener  der  Architektur  noch  fester  verkettet  als  die  Blüte 
der  Plastik.  Das  Zurücktreten  des  Kirchenbaues  gegen  den  Profan- 
bau verursachte  die  Beschränkung  der  religiösen  Malerei  großen 
Stils  im  Verhältnis  zur  weltlichen  Idealmalerei,  und  innefhalb  der 
engen  Grenzen,  die  der  seltenere  Kirchenbau  der  religiösen  Historie 
zog,  wirkte  der  Umstand,  dass  fast  ausschließlich  der  gothische 
Stil  zur  Anwendung  kam,  durch  Entziehung  der  breiten,  undurch- 
brochenen Wandflächen  hemmend  auf  die  malerische  Ausstattung. 
So  sah  sich  denn  die  Kirchenmalerei  im  Kampf  ums  Dasein  ge- 
zwungen, auf  ihr  eigentliches  Gebiet,  das  F'resko,  zu  verzichten 
und  sich  der  beengten  Existenzbedingung  anzupassen,  indem  sie 
sich  auf  die  Fenster  flüchtete,  zur  Mosaik  griff"  und  schließlich  zu 
der  Miniatur  emporklimmend  den  letzten  Beweis  ihrer  Lebens- 
fähigkeit zu  erbringen  strebte. 

Ferstels  Votivkirche  bot  der  religiösen  Malerei  noch  einmal 
Gelegenheit,  sich  in  cyklischen  Compositionen  zu  bethätigen. 
Josef  Mathias  Trenkwald,  ein  Schüler  Rubens,  war  es, 
der  daselbst  in  stilvollen  Glasgemälden  das  Leben  Marias,  an  den 
Wandflächen  die  Entwickelung  des  Mariencultus  darstellte  und 
durch  die  Sinnigkeit  der  Conceptionen  sowie  durch  den  Adel  seiner 
Gestalten  sich  vollen  Beifall  verdiente.  Ihm  stand  Ferdinand 
La ufb erger  zur  Seite,  der  in  schönen  Fresken  ,, Engel  mit  den 


Leidens  werk  zeugen  Christi"  darstellte,  und  August  v.  WÖrndle, 
ein  Schüler  F  Ullrichs,  welcher  nach  den  Coinpositionen  des 
letzteren  die  Fenster  und  die  Wände  des  hohen  Chors  mit  Gemälden 
schmückte.  Andere  Schüler  Führichs  fanden  bei  dem  Baue 
mehrerer  kleinerer  gothischer  Kirchen  Gelegenheit,  ihre  Kunst  zu 
bethätigen:  so  Madjera  und  Schöiibrunner  in  der  Fünfhauser 
Kirche,  Ludwig  Mayer  in  der  Kirche  in  der  Brigittenau.  Als 
das  Innere  der  Schottenkirche  restauriert  und  malerisch  ausge- 
schmückt wurde,  kam  die  Schule  Rahls  an  die  Reihe:  August 
Eisenmenger  malte  daselbst  zwei  Altargemälde,  seine  Schüler 
Straka  und  Julius  Schmid  führten  die  übrigen  Altarbilder 
und  Deckengemälde  aus,  wobei  Schmid  mit  Recht  große  Aner- 
kennung   fand.      R  i  e  s  e  r    schmückte    den    Hochaltar    mit    einem 


Abb.  89.     Prometheus,   Relief  von  A.  Schaiff. 

Mosaikgemälde,  —  Das  Missale,  welches  im  Auftrage  Sr.  Majestät 
des  Kaisers  von  Blaas,  Emier,  Führich,  Geiger,  Kupelwieser,  Mayer, 
Rüben,  Schulz  und  Trenkwald  ausgeführt  wurde,  vereinigte  Meister- 
werke religiöser  Miniaturmalerei  zu  schönem  Kranze. 

Die  Kirchenmalerei  hatte  sich  auch  zur  Zeit  ihrer  höchsten 
Blüte,  als  noch  Führich  schaffte,  nicht  jener  Popularität  erfreut, 
wie  solches  mit  diesem  Kunstzweig  in  früheren  Tagen  der  Fall  ge- 
wesen war.  Erst  auf  dem  Gebiete  der  weltlichen  Monumentalmalerei 
traten  Meister  auf,  in  deren  Kunst  sich  der  österreichische  Charakter 
so  sichtbar  verkörperte  wie  einst  in  den  Werken  der  Alt-Wiener 
Genremaler,  nur  dass  er  jetzt,  bei  der  vollen  Schaffensfreiheit  des 
Künstlers,  sich  in  grandiosester  Weise  auszusprechen  vermochte. 


"282  Alfred  Nossig 

Und  es  ist  im  höchsten  Grade  interessant  und  belehrend,  wie  in 
dieser  Epoche,  wo  die  österreichische  Kunst  uneingeengt  sich  ent- 
faltet, die  hervorragendsten  Talente  unbewusst  der  ausländischen 
Kunst  nur  jene  Elemente  entnehmen,  welche  dem  Volkscharakter 
entsprechen  und  sich  unter  dem  Walten  jenes  mächtigen  Natur- 
gesetzes, welches  die  Kunst  eines  Stammes  mit  seiner  Eigenart 
verbindet,  kr>'stallisieren.  Der  erste  Meister,  in  dessen  Schöpfungen 
das  österreichische  Element  durchbricht,  ist  der  Begründer  der 
modernen  Wiener  Monumentalmalerei,  Karl  Rahl.  Unbefriedigt 
von  der  Cornelianischen  Richtung,  floh  der  junge  Wiener  aus 
München  nach  Italien :  aber  der  strenge  Overbeck  sagte  seinem 
Naturell  noch  weniger  zu.  Vielmehr  schwelgte  er  in  den  Werken 
der  Venezianer  und  entwickelte  so  seinen  angeborenen  Sinn  für 
Farbenpracht.  Wie  dieser  Sinn  für  das  Farbenkleid  seiner  Bilder 
maßgebend  wurde,  so  ist  die  Composition  derselben  der  Ausfluss 
einer  frei  waltenden ,  echt  künstlerisch  gestaltenden  Phantasie. 
Rahl  war  mehr  als  Dichter-Maler,  er  war  Denker-Maler,  der  die 
Principien  der  hohen  Historienmalerei  ebenso  klar  aussprach  wie 
consequent  bethätigte.  Leider  theilte  er  das  Los  der  meisten  Vor- 
denker :  man  begriff  seine  Größe  zu  spät  und  gab  ihm  zu  spät 
Gelegenheit  zu  monumentalem  Schaffen.  Auf  Hansens  Aufforderung 
hatte  er  für  die  Ausschmückung  des  WaflFenmuseums  einen  Cyklus 
von  Gemälden  skizziert,  welche  den  Krieg  als  Vertheidiger  der 
Nationalität  und  der  Freiheit,  als  Bewahrer  des  Rechtszustandes 
und  Verbreiter  der  Cultur  verherrlichten.  Diese  Entwürfe,  welche 
von  Cornelius  ebenso  anerkannt  wurden  wie  von  den  in  Rom 
weilenden  Künstlern,  kamen  leider  nicht  zur  Ausführung,  und 
damit  war  Rahls  großartigste  Leistung  der  eigentlichen  Monu- 
mentalkunst entzogen. 

Was  er  sonst  schuf,  zeugt  nicht  minder  von  dem  hohen  poeti- 
schen Fluge  des  Meisters:  so  sein  Pariscyklus  im  Palais  Todesco, 
der  die  Parismythe  schöpferisch  ergänzt,  seine  Bilder  aus  der  griechi- 
schen Mythe  im  Palais  Sina,  sowie  seine  Compositionen  für  den 
Freskenfries  der  athenischen  Universität  und  für  den  Vorhang  der 
Wiener  Hofoper.  Seine  größten  Schöpfungen  waren  bei  seinem 
Tode  nur  in  Zeichnungen  oder  farbigen  Skizzen  niedergelegt;  aber 
alles,  was  der  Meister  selbst  ausgeführt  hatte,  athmete  eine  Üppig- 
keit  und   Farbenfroheit,    die    dem   österreichischen  Naturell   voll 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  73^ 

entsprach.  Wie  sehr  seine  ganze  SchafFensrichtung  der  heimischen 
Sphäre  verwandt  war,  beweist  der  Umstand,  dass  Rahl  einen 
Kreis  von  begabten  Schülern  gefunden  hatte,  die  an  seinen 
Principien  unentwegt  festhielten:  ja  die  gesammte  Wiener  Monu- 
mentalmalerei trägt  bis  heute  den  Stempel  der  Rahl' sehen  Rich- 
tung, welche  von  den  nachfolgenden  Meistern  im  Sinne  ihres 
Wesens  voller  und  charakteristischer  entwickelt  wurde.  Unter 
seinen  unmittelbaren  Schülern  ragt  August  Eisenmenger 
hervor,  neben  ihm  sind  Bitterlich  und  Griepenkefl  zu 
nennen.  Eisenmenger  führte  im  Verein  mit  Bitterlich  die 
Deckengemälde  im  Speisesaale  des  Grand  Hotel  aus,  schuf  im 
Vereine  mit  Griepenkerl  die  Wandfriese  in  den  Parlaments- 
sälen, malte  für  den  Stiegenraum  der  HoflFestloge  im  neuen  Burg- 
theater einen  herrlichen  Grazien-  und  Thierfries  und  für  den 
kleinen  Sitzungssaal  des  Rathhauses,  welchen  Ludwig  Mayer 
mit^ Fresken  geschmückt,  eine  grandios  componierte  ,,Austria'* 
und  ,,Vindobona''.  In  allen  diesen  Werken  spricht  sich  neben 
der  Vorliebe  für  satte,  kräftige  Farben  die  echt  Rahl' sehe,  ideale 
Auffassung  der  großen  Kunst  und  eine  reiche  Erfindungsgabe 
aus.  Insbesondere  der  Burgtheaterfries  ist  ein  gemaltes  Poem, 
lebensprühend  und  graziös,  ein  Werk  vornehmster  Kunst. 

Ihren  höchsten  Glanz  erreicht  die  österreichische  Malerei  in 
jenem  Meister,  der  zugleich  eine  Seite  des  Wiener  Naturells  auf 
charakteristische  Art  repräsentiert.  Hans  Makart,  der  genuss- 
frohe  Österreicher,  der  die  Kunst  zur  rauschenden  Freudigkeit  des 
Festes,  das  Fest  zur  Höhe  der  Kunst  geführt,  war  zwar  zu  Piloty 
nach  München  gewandert;  ^ber  ebenso  wenig  wie  Rahl  der 
Comelianischen  Schule  sich  gefangen  gegeben,  beugte  sich  Makarts 
Sinn  der  historisch  realistischen  Behandlungsweise  Pilotys.  In 
den  Werken  Anselm  Feuerbachs,  der  von  Rahl  beeinflusst  worden 
war,  fand  er  jene  Anregung,  deren  seine  in  Farben  denkende 
Einbildungskraft  zu  vollem  Bewusstwerden  bedurfte.  Und  gleich 
in  dem  ersten  Werke,  das  seinen  Namen  berühmt  gemacht,  trat 
er  auf  jenen  Boden,  auf  dem  sich  seine  ganze  spätere  künstlerische 
Thätigkeit  bewegte.  Denn  ob  er  nun  „Die  Pest  in  Florenz'*  oder 
ein  ,, Bacchusfest*',  das  ,, Huldigungsfest  der  Katharina  Cornaro** 
oder  den  ,, Einzug  Karls  V."  darstellt,  stets  lässt  er  ein  brau- 
sendes   Farbenorchester    berauschende    Festmelodien   spielen,  an- 


o^A  Alfred  Nossig 

muthige  Frauen  in  reizvoller  Erscheinung  vorüberziehen,  den 
Reichthum  und  den  Prunk  schwelgerischer  Feste  erglänzen. 
Die  Vorzüge  und  die  Mängel  seiner  Kunst  sind  dieselben,  die 
einer  von  gewandten  Künstlern  hergestellten  Festdecoration  eigen 
zu  sein  pflegen:  üppiges,  blendendes  Colorit  neben  Unklarheit  der 
Zeichnung  und  anatomischen  oder  perspectivischen  Zeichenfehlem. 
Wenn  Makart  an  die  Vereinigung  der  Künste  dachte,  so  that  er 
dies  nicht  in  dem  Sinne  der  Griechen  oder  eines  Michel  Angelo; 
er  dachte  nicht  daran,  auf  Grund  strenger,  mühseliger  anatomischer 
und  perspectiv! scher  Studien  ein  Gesammtkunstwerk  für  die  Ewig- 
keil zu  schaffen,  sondern  er  wollte  durch  Zusammenfassung  der 
Wirkung  der  Architektur,  der  Plastik  und  der  Malerei  den  höchst 
möglichen  decorativen  Effect  erreichen.  Ahnlich  war  es  mit  seinen 
Farbenstudien:  wohl  beschäftigten  ihn  solche,  wohl  gelang  es  ihm, 
alle  Zeitgenossen  durch  sein  Idealcolorit  zu  blenden,  aber  er  hatte 
nicht  das  Mittel  gesucht,  das  die  Dauerhaftigkeit  seiner  Farben 
auf  Jahrhunderte  sichern  könnte,  sondern  eines,  das  seinen  Bildern 
den  höchsten  Glanz  verleihen  würde,  und  sei  es  nur  für  eine 
Spanne  Zeit.  Und  so  ist  denn  Makarts  Kunst  ein  Ball  in  prangen- 
dem Festsaale,  dessen  Eingang  jene  Inschrift  trägt,  welche  Makart 
unter  sein  erstes  Werk  gesetzt :  apr^s  nous  le  deluge  !  So  stellt 
er  die  lebensvollste  Verkörperung  des  glänzenden,  genuss- 
frohen, und  heiteren  Wiener  Naturells  dar,  und  damit  hängt  es 
zusammen,  dass  sein  Atelier  durch  seine  phantastische  Pracht 
berühmter  war  als  seine  Bilder,  und  dass  Makarts  ureigenstes, 
größtes,  herrlichstes  Werk  —  nur  für  Stunden  geschaflfen  war 
(siehe  Abb.  90).  Dies  war  der  Festzug,  den  er  zur  Feier  der  sil- 
bernen Hochzeit  des  Allerhöchsten  Kaiserpaares  im  Mai  des  Jahres 
1879  arrangiert,  jene  grandiose  cyklische  Composition,  welche  die 
ganze  Pracht  der  Renaissance  wiedererstehen  ließ,  alle  Künste  zu 
überwältigendem  decorativen  Effecte  vereinigte  und  diese  Wirkung 
durch  das  Leben  selbst  zu  nie  dagewesener  Höhe  steigerte. 

Makart  verlosch  wie  ein  Meteor,  ohne  eine  Schule  zu  hinter- 
lassen. Doch  wirkten  gleichzeitig  mit  ihm  in  Wien  Künstler  von 
verwandtem  Streben,  welche  gleich  ihm  RaliPs  im  Boden  des 
Volksnaturells  wurzelnde  Traditionen  glänzend  fortzuführen  wussten. 
So  vor  allen  Anselm  Feuerbach,  der  während  seines  kurzen 
Aufenthaltes    in    Wien    die    Aula     der    Akademie    mit     seinem 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  ogr 

,/ritanenstiirz**  schmückte.  Länger  rivalisierte  mit  Makart  Hans 
Canon,  welcher  Rahl  durch  den  tiefen  Gedankengehalt  seiner 
Compositionen  näher  kam,  aber  an  coloristischer  Kraft  Makart 
nie  erreichen  konnte.  Von  seinen  Moniimentalbildern  fand  keines 
so  allgemeinen  Beifall  wie  die  Werke  Makarts:  weder  die  ,,Loge 
Johannis*'  noch  der  ,, Kreislauf  des  Lebens**,  das  kolossale  Decken- 
gemälde für  das  Stiegenhaus  des  naturhistorischen  Hofmuseums, 
an  dessen  Ausschmückung  er  sich  auch  mit  den  Lünetten  des 
Treppenhauses  betheiligte. 

Vergleicht  man  mit  den  großen,  für  die  Architektur  geschaffenen 
Bildern  Makarts,  Feuerbachs  und  Canons  die  Gemäldecyklen,  mit 
denen  das  Hofburgtheater  von  einer  jüngeren  Künstlergeneration 
geschmückt  wurde,  so  lässt  sich  die  Richtung,  in  der  die  Wiener 
Monumentalmalerei  fortschreitet,  nicht  verkennen.  Hinsichtlich 
der  Farbengebung  ist  eine  Zersplitterung  eingetreten :  nur  die 
Gebrüder  Klimmt  und  ihr  Genosse  Matsch  halten  an  den 
coloristischen  Traditionen  ihrer  großen  Vorgänger  in  der  Wiener 
Monumentalmalerei  fest,  während  Hynais,  ein  Schüler  Feuer- 
bachs, und  Ed.  Charlemont  die  zarteren  und  blasseren  Farben 
der  französischen  Schule  benützen.  Prüft  man  jedoch  ihre  Werke 
auf  ihren  Gehalt  hin,  so  bemerkt  man  dieselbe  Wandlung,  welche 
die  Wiener  monumentale  Plastik  unter  der  Führung  von  Zum- 
busch  vollzogen:  an  die  Stelle  der  Allegorie  und  der  allzu  phan- 
tastisch behandelten  Historie  ist  eine  zwar  ideal  componierte,  aber 
realistisch  ausgestattete  Historie  getreten.  Charlemonts,,  Apollo 
im  Musenkreise**  ausgenommen,  sehen  wir  überall  concrete, 
realistische  Charakteristik.  So  stellt  derselbe  Künstler  im  Foyer 
das  ernste  Drama  durch  eine  Gruppenfigur  aus  der  ,,Iphigenie**, 
das  heitere  durch  eine  herrliche  Illustration  des  ,, Sommernachts- 
traumes** dar;  so  bieten  die  Klimmts  und  Matsch  in  ihrer 
Darstellung  der  Entwickelung  der  Bühne,  wo  es  nur  möglich  ist, 
realistische  Historienbilder,  und  ihnen  schließt  sich  Karger  mit 
einem  zahlreiche  Porträts  enthaltenden  modernen  Theaterinterieur 
an.  J.  F  u  X  hingegen,  der  mit  ungewöhnlicher  Bravour  den  Vor- 
hang malte,  belebte  die  Traditionen  der  barocken  Decorations- 
malerei. Dieser  letzteren  Richtung  huldigen  gegenwärtig  neben 
Fux  mehrere  begabte  Künstler,  denen  sich  angesichts  des  auf 
die  Erneuerung  der  Barocke  gerichteten  Zuges  in  der  Architektur 

Kunstgeschichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  25 


og5  Alfred  Nossig 

ein  weites  Feld  eröflFnen  dürfte.  In  dieser  Gruppe  ist  vor  allen 
J.  Berg  er  zu  nennen,  welcher  das  Palais  Ofenheim,  den  Zierer- 
hof und  die  kaiserliche  Villa  zu  Lainz  ausgeschmückt  und  jüngst 
ein  bedeutendes  Deckengemälde  für  das  k.  k.  kunsthistorische  Hof- 
museum ausgeführt  hat,  ferner  F.  Lefler,  der  Schöpfer  zahlreicher 
anmuthiger  Wand-  und  Deckengemälde  in  Rococomanier,  und  Ed. 
Veitli,  welcher  die  Decke  des  deutschen  Volkstheaters  mit 
Gemälden  ausstattete,  die  ein  frisches,  kräftiges  Talent  verrathen. 

Dies  ist,  in  großen  Zügen  entworfen,  das  Bild  der  Wiener 
Monumentalmalerei  in  den  letzten  Jahrzehnten.  Verwundert 
könnte  ein  Leser  fragen,  ob  wir  denn  die  eigentliche  Geschichts- 
malerei, die  bei  anderen  Völkern,  ja  in  den  anderen  Provinzen 
Österreichs  die  ersten  Talente  beschäftigt,  ganz  vergessen  hätten  ? 
Wir  dürfen  diesen  Vorwurf  zurückweisen,  wohl  aber  trifft  er  in 
vollem  Maße  die  Wiener  Malerschule.  Die  Wiener  Kunst  hat 
auf  dem  Gebiete  der  realen  Historienmalerei  verhältnismäßig  wenig 
hervorgebracht.  Karl  v.  Blaas,  der  im  WaflFenmuseum  Proben  der- 
selben geliefert,  hatte  mehrere  Schüler,  die  mit  großem  Erfolge 
in  seine  Spuren  traten:  so  L' Allem  and  als  Schlachtenmaler, 
(siehe  Abb.  91)  dann  Huber;  diesen  beiden  schloss  sich  C.  Wur- 
zinger  mit  mehreren  Historien-  und  Ceremonienbildern  an. 

Um  so  größer  ist  der  Ruf  des  Wiener  Cabinetbildes:  Porträt 
und  Genre  insbesondere  fanden  in  Wien  weltberühmte  Vertreter. 
Friedrich  Amerling  war  es,  der,  von  Lawrence  und  Vemet 
angeleitet,  das  Wiener  Porträt  von  der  Stufe  eines  Lampi  und 
Eybl  bis  zu  jener  emporhob,  auf  der  es  dann  Heinrich  von 
Angeli,  der  Kaisermaler,  von  ihm  übernahm.  In  der  lang- 
jährigen Kunstthätigkeit  Amerlings  finden  sich  demgemäß  mehrere 
Phasen,  in  denen  sich  die  Umwandlung  des  Künstlers  vom  Maler 
alten  Stils  zum  modernen  Porträtisten  vollzog.  Was  jedoch  alle 
die  weltberühmten  Porträts  Amerlings,  seine  Kaiserbilder,  sein 
Porträt  des  Fürsten  Auersperg,  jenes  des  Fürsten  Liechtenstein, 
die  Bildnisse  Thorwaldsens  und  Grillparzers,  und  seine  zahlreichen 
Studienköpfe  auszeichnet,  das  ist  neben  meisterhafter  Charakteristik 
jener  undefinierbare  Schmelz,  welcher  den  vollen  Lebenston  trifft, 
ohne  ihn  zu  übertreiben  oder  manieristisch  zu  fälschen.  Diese 
Vorzüge  sind  es  auch,  denen  H.  v.  Angeli  in  den  Bildnissen 
Kaiser   Franz  Josefs    ugd   Kaiser    Friedrichs    IH.,     Moltkes,    des 


Abb.  92.    D«r  Stralien kämpf,  von  PetlenkolTeii. 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  037 

Prinzen  von  Wales  und  in  seinen  zahlreichen  Frauenporträts  nach- 
strebt, und  es  ist  nur  zu  bedauern,  dass  dieser  Porträtist  ersten 
Ranges  keine  würdigen  Schüler  findet.  Neben  ihm  wirken  heute 
Blaas,  Gaul,  Rumpler,  Felix  und  Vita  als  bedeutende 
Porträtisten  in  Ol.  Neuerdings  traten  in  Wien  Pastellporträtisten 
von  hervorragendem  Talente  auf.  An  ihrer  Spitze  steht  Karl 
Frosch  1,  der  in  seiner  zarten,  den  besten  Meistern  des  Pastells 
abgelernten  Manier  Frauen-  und  Kinderbildnisse  von  fesselndem 
Reize  entwirft;  ihm  schließt  sich  C.  v.  Pausinger  an,  der  in 
farbenreicherer  und  flotterer  Weise  die  vornehme  Welt  porträtiert. 
Von  den  Malern  der  älteren  Generation  steht  diesen  beiden  Georg 
Decker  mit  seiner  ruhigen,  soliden  Manier  würdig  zur  Seite. 
C.  B  u  n  z  1  versucht  es  nicht  ohne  Erfolg,  in  dem  Pastellporträt 
die  Farbensattheit  der  Ölmalerei  zu  erreichen,  ähnlich  Goltz 
und  Levis;  als  Miniaturporträtmalerin  erfreut  sich  eines  bedeuten- 
den Rufes  Marie  Müller. 

Einen  Meister  ersten  Ranges  brachte  Wien  auf  dem  Gebiete 
der  Genremalerei  hervor.  August  von  Pettenkoffen,  dessen 
zahlreiche  Bilder  aus  dem  ungarischen  Pusztaleben  eine  außer- 
ordentliche Popularität  erreichten,  war  einer  jener  ernsten  Künstler, 
die  zeitlebens  an  ihrer  Vervollkommnung  und  Ausbildung  arbeiten. 
Er,  der  fast  ausschließlich  Cabinetsbilder  malte,  beschäftigte  sich 
ununterbrochen  mit  strengen  anatomischen  Studien,  als  deren 
Resultat  sich  in  seinem  Nachlasse  Werke  zur  menschlichen  und 
zur  Pferdeanatomie  vorfanden.  PettenkoflFens  künstlerische  Thätig- 
keit  umfasste  drei  Sphären :  in  seiner  Jugend  hatte  er  Typen  aus 
der  österreichischen  Armee  dargestellt,  in  seinen  reifen  Jahren 
beschäftigte  er  sich  mit  dem  Zigeunerleben  und  malte  Scenen  aus 
dem  gesellschaftlichen  Leben  des  18.  Jahrhundertes.  Seine  Meister- 
schaft beruhte  in  der  Erzielung  des  vollen  Natureindruckes  durch 
die  virtuosen  Mittel  seiner  Kunst,  die  stets  Wiedererschafferin,  nie 
Copistin  war  (siehe  Abb.  92).  Sein  Freund  und  Reisegenosse,  L.  K. 
Müller,  wendete  sich  vorwiegend  ägyptischen  Stoffen  zu;  seine 
nubischen  Typen,  die  in  reizend  ersonnenen  Gruppen  auf  dem  male- 
rischen, architektonisch-landschaftlichen  Hintergrunde  des  Nillandes 
erscheinen,  werden,  wie  einst  Pettenkoffens  Bilder,  in  Europa  und 
Amerika  gleich  gerne  gekauft  Ein  hervorragendes,  leider  nicht 
zur   vollen   Blüte   gelangtes  Talent    war  Eduard   Kurzbauer, 


25^ 


ogg  Alfred  Nossig 

dessen , ,  Märchenerzählerin  *  S  , ,  Flüchtlinge  *  *  und, ,  Bauerndeputation  *  * 
bereits  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  den  Künstler  gelenkt, 
als  der  Tod  ihn  ereilte.  In  rüstiger  Thätigkeit  finden  wir  hin- 
gegen Friedrich  Friedländer,  den  liebenswürdigen  Schüler 
Waldmüllers;  seine  Bilder  aus  dem  Soldaten-  und  Invaliden- 
leben zeichnen  sich  durch  Naturtreue  und  Humor  aus  und  sind 
in  Wien  beliebt.  Genrebilder  aus  dem  Leben  früherer  Jahrhunderte 
malen,  oft  mit  echt  poetischer  Empfindung,  C.  Probst  und  L. 
Minnigerode.  Einige  der  begabtesten  Wiener  Genremaler  haben 
in  Venedig  ihren  Wohnsitz  genommen:  so  Eugen  v.  Blaas  und 
Ludwig  Passini,  der  treffliche  Aquarellist. 

Während  die  genannten  Genremaler  nach  einer  Conventionellen 
Technik  vorzugsweise  ausländische  Stoflfe  behandeln,  strebt  die 
jüngere  Generation  der  Genremaler  in  Technik  und  Stoflfgebiet 
Änderungen  an,  die  zur  Bildung  einer  einheitlichen  Schule  führen 
könnten.  Nach  dem  Vorgange  der  französischen  plein-air-Maler 
verpönen  sie  das  Malen  bei  Atelierlicht  und  nehmen  ihre  Bilder, 
insoferne  sie  nicht  in  geschlossenen  Räumen  spielen,  unter  freiem 
Himmel  auf  Licht  und  Schatten  treten  daher  auf  ihren  Bildern 
in  voller  Schärfe  auf,  und  die  Körperflächen  zeigen  statt  detaillierter 
Ausfährung  jene  verschwommene  Licht-,  Farben-  und  Tonfactur, 
wie  sie  die  umgebende  Luftatmosphäre  erzeugt.  Unter  den  älteren 
Genremalern  hat  Waldmüller  bereits  so  gemalt.  Stofflich  sind 
die  jüngeren  Genremaler  bestrebt,  die  Wiener  Localmalerei  wieder 
zu  Ehren  zu  bringen,  und  es  ist  insbesondere  Engelhart  und 
Kupfer  gelungen,  Scenen  aus  dem  Wiener  Volksleben  trefflich 
darzustellen.  Während  diese  beiden  einem  maßvollen  Realismus 
huldigen,  wenden  sich  viele  andere  einem  ausgesprochenen  Na- 
turalismus zu. 

Wie  Pettenkoffen  als  Genremaler,  so  hat  Rudolf  Alt  als 
Architekturmaler  den  Ruhm  der  Wiener  Schule  fest  begründet. 
Allen  Hilfskünsten  der  modernen  Wahrheitsmalerei  fremd,  ja  sogar 
auf  dem  Gebiete  der  Perspective  mehr  Empiriker  und  Gefuhls- 
techniker  als  theoretisch  Wirkender,  hat  Alt  in  seinem  Auge 
einen  wunderbaren  Apparat,  der  ebenso  sicher  aufnimmt  als  die 
Camera  obscura,  in  seiner  Hand  ein  Werkzeug,  das  so  sicher  malt 
wie  die  Sonne.  Die  wichtigsten  Denkmäler  der  österreichischen 
Architektur  und  zahlreiche  ausländische  Bauten  hat  Alt  in  seinen 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  oßo 

Aquarellen  dargestellt,  viele  zu  wiederholtenmalen.  Seine  Cartons 
werden  stets  zu  den  bewunderten  Meisterwerken  der  Architektur- 
malerei gehören.  Eine  Glanzleistung  der  Wiener  Architektur- 
malerei war  die  Cassette  mit  Wiener  Ansichten,  welche  die  Stadt 
Wien  der  Erzherzogin  Valerie  zu  ihrer  Vermählung  verehrte. 
Als  anerkannter  Virtuose  der  Aquarellmalerei  gilt  L.  H.  Fischer, 
der  von  seinen  Orientreisen  mehrere  Cyklen  trefflicher  Aufnahmen 
heimgebracht. 

Fischers  Aquarelle  stehen  fast  sämmtlich  auf  der  Grenze 
zwischen  Architektur-  und  Landschaftsmalerei.  Auf  dem  Gebiete 
der  letzteren  versuchten  Josef  Hofmann,  ein  Schüler  Rahls, 
und  Albert  Zimmermann  das  stilistische  Landschaftsbild  in 
Wien  einzubürgern.  Josef  Hofmann,  ein  Künstler  von  classi- 
scher  Bildung,  hat  vorzugsweise  die  griechische  Landschaft  gepflegt 
und  fand  auf  einer  griechischen  Reise  Gelegenheit,  das  Land 
seiner  Sehnsucht  in  Aquarellen  darzustellen.  Zimmermann, 
der  langjährige  Leiter  der  Landschaftsciasse  an  der  Wiener 
Akademie,  hatte  das  Missgeschick,  dass  gerade  seine  Schüler 
die  Vertreter  der  entgegengesetzten  Richtung  wurden :  Emil 
Schindler,  E.  Jettel  und  Robert  Russ,  neben  ihnen  A u g u s t 
Schäffer  und  Gottfried  Seelos  schufen  in  Wien  das  land- 
schaftliche Stimmungsbild  und  die  realistische  Charakterlandschaft. 
Eduard  von  Lichtenfels  und  Karl  Hasch  nehmen  mit  ihren 
Gebirgsbildern  einen  hervorragenden  Platz  in  der  Wiener  Land- 
schaftsmalerei ein,  deren  sämmtliche  Richtungen  bei  der  Aus- 
schmückung der  Hofmuseen  sich  in  monumentaler  Weise  bethätigten. 

Zu  besonderer  Höhe  hat  sich,  mit  dem  Aufschwünge  des  Wiener 
Theaterwesens,  die  Theater-Decorationsmalerei  entwickelt  Der  schon 
erwähnte J.  Fux,  Brioschi,  Kautsky,  Burghart,  Lehrer  und 
der  Costümzeichner  Gaul  haben  das  Verdienst,  der  mise-en-scene 
der  Wiener  Hofbühnen  ihren  Weltruf  gesichert  zu  haben. 

Auf  dem  Gebiete  des  Thierstücks  fand  Gauermann  keinen 
ebenbürtigen  Nachfolger.  Am  meisten  geschätzt  werden  die 
Arbeiten  Hubers  und  Alois  Schrödls,  neuerdings  hat  sich 
Karl  Reichert  durch  seine  lebendigen,  mit  höchster  künst- 
lerischer Sorgfalt  ausgeführten  Arbeiten  hervorgethan. 

Das  Stilleben  und  das  Blumenstück  werden  immer  mehr 
zur  Domäne  der  Malerinnen.     Für  die  schablonenhaften  Leistungen 


"jgO  Alfred  Kossig 

zahlreicher  Jüngerinnen  dieser  an  Industrie  streifenden  Kunst 
entschädigen  uns  die  Werke  einer  wirklich  hochbegabten  Künst- 
lerin, Olga  Florian  Wisinger.  Mit  dem  Namen  dieser  aus- 
gezeichneten Blumenmalerin  wollen  wir  den  Abriss  der  modernen 
Wiener  Malerei  beschließen. 

Der  Aufschwung  der  ver\-ielfaltigenden  Künste  hielt  in  den 
letzten  Jahrzehnten  gleichen  Schritt  mit  jenem  der  Architektur, 
Plastik  und  Malerei.  Für  die  Vervollkommnung  des  Holzschnittes 
sorgte  man  durch  Schaffung  einer  Professur  für  Holzschneidekunst 
an  der  Kunstgewerbeschule  des  k.  k.  österreichischen  Museums 
und  durch  Entwicklung  eines  Specialinstitutes  bei  der  k.  k.  Hof- 
und  Staatsdruckerei.  Ihre  Leistungsfähigkeit  bewies  die  Schule 
der  Wiener  Holzschneider,  unter  der  Leitung  Wilhelm  Hechts, 
bei  der  Illustrierung  des  Prachtwerkes , ,  Die  österreichisch-ungarische 
Monarchie  in  Wort  und  Bild'*.  Die  Radierung  wurde  in  Wien 
von  W.  Unger  meisterhaft  betrieben  und  trefflich  gelehrt;  Klaus, 
Kaiser,  Wörnle  und  viele  andere  zeichneten  sich  auf  diesem 
Gebiete  aus.  Der  lange  Zeit  vernachlässigte  Kupferstich  kam 
wieder  in  Blüte,  als  Jacoby  und  nach  ihm  Sonnenlei tner  an  die 
k.  k.  Akademie  berufen  wurden.  Seither  giengen  vorzügliche 
Kupferstecher  aus  der  Wiener  Schule  hervor,  wie  Michalek, 
Jasper,  HrnCiC.  Besondere  Pflege  ward  dem  Kupferstich  von 
Seiten  der  ,, Gesellschaft  für  vervielfältigende  Kunst'* 
zutheil;  besonders  aber  durch  die  vom  Kaiser  eingesetzte  Com- 
mission  des  Oberstkämmereramtes  zur  Hebung  dieses  Kunstfaches. 


Eine  führende  Stellung  errang  Wien  imter  der  Regierung 
Kaiser  Franz  Josefs  I.  auf  dem  Gebiete  des  Kunstgewerbes.  Freilich 
nicht  mit  einem  Schlage;  ehe  es  seine  heutige  Stellung  erlangt,  hatte 
das  Wiener  Kunstgewerbe  viel  lernen  und  manche  Demüthigung 
erfahren  müssen.  Als  in  den  fünfziger  Jahren  das  Liechtenstein- 
Palais  in  der  Bankgasse  ausgestattet  wurde,  musste  ein  Aus- 
länder als  Leiter  berufen  werden;  die  Wiener  Arbeit  zeichnete 
sich  zu  jener  Zeit  wohl  durch  Solidität  aus,  war  aber  geschmack- 
los, oft  stillos.  Der  früher  blühenden  Porzellanfabrication  wurde 
durch  Auflösung  der  kaiserlichen  Porzellanfabrik  der  Todesstoß 
gegeben.     .\uf  der  Londoner  Ausstellung  im  Jahre  1851  hatte  die 


Bas  neunzehnte  Jahrhundert. 


391 


Österreichische  Möbelindustrie  einen  Misserfolg  erfahren.  Nur 
die  Galanterie  -  Artikel,  die  aus  Leder,  Holz  und  Metall  her- 
gestellt wurden,  erfreuten  sich  eines  gewissen  Rufes;  doch  waren 
sie  oft  in  geschmackloser  und  widersinniger  Art  entworfen.  Erst 
van  der  Null,  der  für  das  Atelier  Girardet  zeichnete, 
veredelte  dieses  Productionsgebiet ;  ähnlich  gieng  von  Heinrich 
Ferstel  beim  Baue  des  Bankgebäudes  auf  der  Freiung  die  erste 
Anregung  zur  Hebung  der  Eisenindustrie  aus. 

Diesen  vereinzelten  Anregungen  folgte  eine  von  Rudolf 
Eitelberger  eingeleitete  planvolle  Action  zur  Erziehung  und 
Hebung  des  Kunstgewerbes,  an  welches  nach  der  Stadterweiterung 
die  vielseitigsten  und  höchsten  Ansprüche  gestellt  wurden.  Es 
wurde  das  Österreichische  Museum  fiir  Kunst  und  Industrie,  hierauf 
die  Kimstgewerbeschule  gegründet.  Erzherzog  Rainer  ließ 
diesen  Instituten  seinen  Schutz  angedeihen,  Eitelberger  und 
Jakob  V.  Falke  haben  sich  um  ihre  Leitung  verdient  gemacht, 
Stork,  Laufberger,  Sturm,  König,  Schwarz,  Klotz, 
Karger  haben  sich  als  lehrende  Künstler  an  derselben  hervor- 
gethan. 

Auf  der  Pariser  Weltausstellung  im  Jahre  1867  sah  man  denn 
bereits  die  ersten  Früchte  dieser  Bestrebungen,  welche  auf  der 
Wiener  Weltausstellung  im  Jahre  1873  der  Wiener  Kunstindustrie, 
einen  so  glänzenden  Triumph  auf  allen  Gebieten  bereiten  sollten. 
Seither  besitzt  Wien  kunstgewerbliche  Institute,  die  sich  eines 
Weltrufes  erfreuen:  auf  dem  Gebiete  der  Teppichfabrication  ragen 
Haas  &  Söhne,  auf  dem  der  Glasfabrication  Lobmeyr  und  die 
Glasmalereianstalt  Geyling  hervor;  Albert  Milde  und  Lud- 
wig Wilhelm  haben  Kunstschlossereianstalten  größten  Stils  ins 
Leben  gerufen;  Hollenbach  (E.  und  F.  Richter),  sowie  Hanusch 
liefern  musterhafte  Bronzefabricate,  Karl  Lustig  that  sich  mit 
seinen  Silber-  und  Goldniello- Arbeiten  hervor.  An  der  Spitze  dei 
gepriesenen  Wiener  Möbelfabrication  stehen  Bernhard  Ludwig  und 
Franz  Schönthaler,  während  die  als  Wiener  Specialität  bekannten 
Galanterie  -  Artikel  im  Atelier  August  Kleins  ihre  höchste 
künstlerische  Vollendung  erhalten. 

Hinsichtlich  der  Stilrichtung  wiederholte  das  Kunstgewerbe 
völlig  die  Entwickelung  der  Architektur.  Anfangs,  zur  Zeit  seines 
Wiedererwachens,  huldigte  es  der  Renaissance,  wobei  es  sich  vor- 


702  Alfred  Nossig 

wiegend  an  die  edlen  Formen  der  italienischen  Renaissance  hielt. 
Neuerdings  jedoch  folgte  es  der  in  der  Architektur  immer  kraftiger 
hervortretenden  Barock-Tendenz  und  setzt  mit  seinen  zierlichen 
Rococoformen  die  innere  Ausstattung  der  Neubauten  mit  ihrer 
äußeren  Decoration  in  Übereinstimmung. 


3.  Die  Kunstentwicklung  in   den   österreichischen 

Ländern. 

Während  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhundertes  Ungarn  und 
Galizien  auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Künste  nichts  Her\'or- 
ragendes  geleistet  und  die  Prager  Kunst  trotz  der  günstigsten 
Bedingungen  zu  keiner  bedeutsameren  Blüte  gelangt  war,  begann 
mit  dem  Regierungsantritte  Kaiser  Franz  Josefs  I.  auch  für  diese 
Länder  eine  Epoche  rüstigen  und  erfolgreichen  Kunstschaffens. 

Der  glänzendsten  und  eigenartigsten  Kunstentfaltung  darf  sich 
in  dieser  Ländergruppe  Galizien  rühmen.  Zwar  ist  es  nur  die 
Malerei,  in  der  sich  die  galizischen  Künstler  hervorthun,  auf 
diesem  Gebiete  jedoch  leisteten  sie  etwas,  was  der  Wiener  Maler- 
schule versagt  blieb :  sie  schufen  eine  gehaltvolle,  von  kräftigem 
nationalen  Leben  erfüllte  und  technisch  hochstehende  Historien- 
malerei. Man  bringt  die  Erscheinung,  dass  in  Galizien  nur  die 
Malerei,  nicht  aber  auch  die  Plastik  und  die  Architektur  zu  glän- 
zender Blüte  gelangt,  mit  der  geistigen  Eigenart  des  polnischen 
Volkes  in  Verbindung.  L'^ns  erscheint  es  indes  wahrscheinlicher, 
dass  diese  einseitige  Kunstentwickelung  auf  materielle  Gründe 
zurückzuführen  sei.  Das  ökonomisch  geschwächte  Land  konnte 
sich  bis  jetzt  den  Luxus  des  Monumentalbaues  auf  breiterer  Basis 
nicht  gestatten ;  die  Architektur,  die  demnach  so  zu  sagen  für 
Galizien  keine  actuelle  Kunst  war,  zog  die  Talente  nicht  an,  und 
jene,  die  sich  ihr  gewidmet,  fanden  keine  Gelegenheit  zur  Ent- 
faltung. Ebenso  ist  es  mit  der  Plastik,  die  mit  dem  Stande  der 
Monumentalarchitektur  in  festem  Connexe  sich  befindet,  da  das 
Material  zu  kostspielig  ist,  als  dass  ein  Künstler  ohne  bestimmte 
Hoffnung  auf  Absatz  aus  eigener  Inspiration  schaffen  könnte.  Die 
Herstellungskosten    eines   Malwerks   hingegen    sind   unbedeutend : 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  -^n-i 

und  es  ist  für  die  galizische  Kunst  charakteristisch,  dass  ihre 
größten  Meister,  unbekümmert  um  ihre  materielle  Wohlfahrt,  aus 
freiem  Drange  Ureigenes  schufen,  während  die  Wiener  Künstler 
in  der  glücklichen  Lage  waren,  fast  alles  auf  Bestellung  liefern  zu 
können.  So  erklärt  es  sich  auch,  warum  die  galizische  Malerei 
in  ihren  Idealwerken  eine  echt  nationale,  in  sich  geschlossene 
Kirnst  ist.  Jan  Matejko,  der  große  Meister,  der  an  der  Spitze 
der  polnischen  Künstlerschar  steht,  und  dessen  Namen  sich  gleich 
dem  eines  Makart  den  glänzendsten  in  der  Kunstgeschichte  an- 
reiht, bietet  das  vollendetste  Bild  einer  derartigen  uneigen- 
nützigen, aus  reiner  Begeisterung  fließenden  Kunstthätigkeit.  Sowie 
er,  den  glänzenden  Antrag  der  Prager  Akademie  ablehnend,  unter 
den  bescheidensten  materiellen  Bedingungen  sich  der  mühseligen 
Arbeit  der  Reorganisation  der  Krakauer  Akademie  unterzog,  so 
schuf  er  eine  lange  Reihe  imposanter  Historienbilder,  ohne  auf 
preiswürdigen  Verkauf  derselben  zählen  zu  können.  So  hat  er  in 
seinem  ,, Reichstag  zu  Warschau  1773 'S  in  seiner  ,, Union  der 
Polen  und  Litthauer  zu  Lublin**,  in  der  ,, Schlacht  auf  dem  Grün- 
feld** und  vielen  anderen  Kolossalbildern  jene  eigenthümliche,  auf 
markiger  Zeichnung,  rassentypischer  Tonangebung,  packendem, 
sattem  Colorit  und  machtvoller  Composition  beruhende  polnische 
Historie  geschaffen,  welche  die  Blüte  der  galizischen  Kunst  aus- 
macht. So  hat  er,  seinen  Jugendidealen  voll,  wie  selten  ein 
Künstler,  folgend,  die  bedeutsamsten  Momente  aus  der  Geschichte 
seines  Volkes  mit  dem  Verständnis  eines  Geschichtsforschers,  mit 
der  Treue  eines  Archäologen  und  mit  jener  Charakterisierungskraft, 
die  ihn  vor  anderen  auszeichnet,  im  Bilde  wiedergegeben,  um 
schließlich  in  einem  Cyklus  von  zwölf  Skizzen,  welche  hoffentlich 
noch  ausgeführt  werden  werden,  die  Geschichte  der  Civilisation 
Polens  zusammenhängend  darzustellen  (siehe  Abb.  93). 

Während  Matejko,  ein  Epiker  des  Pinsels,  mit  Vorliebe  die 
Glanzmomente  der  polnischen  Geschichte  wählt  und  seine  Nation 
mit  dem  Aufgebot  aller  malerischen  Mittel  auf  der  Höhe  ihrer 
Macht,  in  der  vollen  Pracht  ihrer  eigenartigen  historischen  Cultur 
darstellt,  hat  der  lyrische  Arthur  Grottger  die  Geschichte  der 
Leiden  und  Kämpfe  seines  Volkes  unter  russischer  Herrschaft  in 
monochromen  Zeichnungen  erzählt.  Grottger,  der  lange  Zeit  in 
der  Wiener  Kunstatmosphäre  verweilt,  ohne  sich  derselben  inner- 


OQA  Alfred  Nossig 

lieh  assimilieren  zu  können,  schuf  Idealwerke  von  bleibendem 
Werte  erst,  als  er  sich  seiner  nationalen  Eigenart  hingab  und 
Stoffe  zu  behandeln  begann,  die  seinem  Gemüthe  nahe  lagen.  In 
einem  Cyklus,  der  die  Schrecken  des  Krieges  darstellt,  hat  Grottger 
einen  allgemein  menschlichen  Stoff  mit  virtuosem  Stifte  verarbeitet 
und  ein  Werk  geschaffen,  das  gleich  seiner  ,,Polonia*'  zu  den 
ergreifendsten  Dichtungen  der  Malerei  zählt. 

Viele  glänzende  Namen  hat  die  galizische  Malerschule  neben 
diesen  beiden  aufzuweisen.  In  Wien  leben  drei  polnische  Maler 
von  großem  Rufe:  Ajdukiewicz,  welcher  als  Porträtmaler  mit 
Angeli,  als  Pferdemaler  mit  Blaas  erfolgreich  concurriert  und  heute, 
nach  Vollendung  der  Porträts  Sr.  Majestät  des  Kaisers  und  weiland 
Kronprinzen  Rudolf  zu  den  gesuchtesten  Künstlern  der  Hauptstadt 
zählt;  Pochwalski,  der  treffliche  Porträtist  und  Rybkowski, 
der  fruchtbare  Genremaler,  dessen  virtuose  Miniaturscenen  sich 
einer  großen  Beliebtheit  erfreuen. 

In  der  Monumentalarchitektur  hält  Galizien,  wie  bereits  er- 
wähnt, nicht  gleichen  Schritt  mit  Ungarn  und  Böhmen.  Nennens- 
wert ist  das  Landtagsgebäude,  die  Polytechnik  und  das  Staats- 
bahnengebäude in  Lemberg,  sämmtlich  in  Renaissance  aufgeführt. 
Als  der  künstlerisch  hochstehendste  Architekt  Galiziens  gilt 
Zacharjewicz,  Professor  an  der  Lemberger  Polytechnik.  Auch 
gewandte  Bildhauer  besitzt  Galizien,  die  jedoch  auf  ihr  monu- 
mentales Talent  hin  nicht  erprobt  sind:  den  trefflichen  Decorateur 
Marconi,  der  den  Namen  eines  polnischen  Weyr  verdient,  Baracz, 
als  Porträtist  hervorragend,  Blotnicki,  ein  vielseitiges  Talent. 

Auch  Böhmen  besitzt  heute  eine  auf  breiter  Basis  sich  ent- 
wickelnde nationale  Kunst.  Seine  Kunsttradition  ist,  wie  sich  aus 
unserer  Darstellung  ergab,  älter  und  reicher  als  die  Galiziens  und 
Ungarns,  ja  im  Beginne  der  letzten  Epoche  der  österreichisch- 
ungarischen Kunst  hatte  Prag  sogar  Wien  in  der  Entfaltung  monu- 
mentaler Kunstthätigkeit  überflügelt.  Noch  war  jedoch  die  böh- 
mische Kunst  um  diese  Zeit  nicht  national  geworden:  es  war  eine 
durchaus  österreichische  Kunst,  die  auf  dem  Prager  Boden  reichere 
Blüten  trug  als  auf  dem  Wiens.  Das  war  die  Zeit,  die  mit  der 
Errichtung  des  Karl-Monumentes  zur  500jährigen  Gründungsfeier 
der  Prager  Universität  begann  und  noch  bis  ins  Jahr  1858  hinauf- 


Das  «eimzehnte  Jahrhundert. 


395 


reicht,  wo  Josef  und  Einanuel  ^lax  nach  Rubens  Zeichnungen  das 
Radetzky-Monument  aufführten.  Auch  das  Denkmal  Kaiser  Franz  I. 
fällt  in  diese  Zeit.  Bald  jedoch  kam  namentlich  durch  die  neuesten 
politischen  Verhältnisse,  wie  in  Galizien  und  Ungarn,  so  auch 
in  Böhmen  das  nationale  Element  zu  kräftigerer  Entfaltung,  und 
es  entstand  eine  national  gefärbte  Kunst,  welche  in  Stoffwahl 
und  Behandlu^gsweise  eigenartig  zu  sein  bestrebt  ist.  Aus 
dieser  Richtung,  welche  durch  die  Restaurierung  des  Prager 
Doms  und  des  Karlsteiner  Schlosses  eingeleitet  wurde,  wuchs  der 
größte  zeitgenössische  Bildhauer  Böhmens,  Myslbeck,  hervor, 
sie  hat  auch  das  Schaffen  Bro^iks,  des  böhmischen  Matejko, 
befruchtet.  Brozik  war  nach  Absolvierung  der  Prager  Akademie 
zu  Piloty  nach  München  gegangen.  Schon  sein  erstes  großes,  in 
München  (1874)  ausgestelltes  Bild  behandelte  einen  Stoff"  aus  der 
böhmischen  Geschichte:  es  stellte  den  Abschied  König  Ottokars  IL 
von  den  Seinen  vor  seinem  letzten  Kampfe  gegen  Rudolf  von 
Habsburg  dar.  Dieses  Gemälde,  gleich  wie  das  folgende,  ,,Dagmas, 
Tochter  Ptemysl  Ottokars  I. ,  wird  von  ihrem  Bräutigam  Waldemar 
von  Dänemark  im  Brautzug  weggeführt'*,  zeigte  noch  wenig  Leben 
und  wies  auch  coloristisch  kaum  jene  Vorzüge  auf,  die  Bro2ik 
heute  eigen  sind.  Erst  die  ,, Gesandtschaft  Ladislaus'  von  Böhmen 
am  Hofe  Karls  VII.**,  ein  von  der  Berliner  Xationalgallerie  ange- 
kauftes Bild,  zeigte  den  großen  Historienmaler  in  Gruppierung 
und  Bewegung  der  Gestalten  sowie  in  der  Sattheit  des  Colorits. 
Broziks  letztes  in  Wien  ausgestelltes  Gemälde  ,,Der  Fenstersturz 
zu  Prag*'  zeigt  in  prägnanter  Weise  die  Glätte  der  Farbengebung 
und  die  Klarheit  der  Composition,  sowie  die  mehr  akademische 
Haltung,  welche  Brozik  im  Gegensatze  zu  der  Malweise  Matejkos 
kennzeichnen  (s.  Abb.  94). 


Der  Rahmen  unserer  Darstellung  gestattet  es  uns  nicht,  das 
Verdienst  der  kleineren  Kunstcentren  Österreichs  würdig  zu 
beleuchten.  Doch  sei  zum  Schlüsse  auf  die  selbständige  Kunst- 
entfaltung Salzburgs  und  Innsbrucks  hingewiesen,  sowie  auf  die 
Blüte  der  Triester  Genre-  und  Landschaftsmalerei,  welche  sich 
italienischen  Mustern  anschließt. 


iq5  Alfred  Nossig 

4.  Die  Kuns.tentwicklung  in  Ungarn. 

Für  Ungarn  brach  mit  dem  Jahre  1867,  da  es  die  parlamen- 
tarische Regierungsform  unter  einem  nationalen  Ministerium  wieder- 
erlangt und  Kaiser  Franz  Josef  I.  feierlich  als  König  von  Ungarn 
gekrönt  ward,  eine  Epoche  kräftiger  Kunstentfaltung  ein.  Der 
Staat,  die  Residenz,  der  hohe  Clerus  und  der  Adel  wetteifern  mit 
einander  in  der  Förderung  der  bildenden  Künste.  Schon  Baron 
JosefEötvös  hatte  als  Unterrichtsminister  zahlreichen  Künstlern, 
darunter  auch  Munkäcsy  die  Gelegenheit  zur  Ausbildung  geboten 
und  in  Pest  die  Landesmusterzeichenschule  ins  Leben  gerufen, 
welche  von.  Tre fort,  dem  Gründer  des  ersten  ungarischen  Kunst- 
vereins, zu  einer  wahrhaft  meisterhaften  Kunstschule  ausgebildet 
wurde.  Für  die  höhere  Ausbildung  in  der  Malerei  wird  durch 
Errichtung  einzelner  Meisterschulen  gesorgt,  welche  zugleich  den 
im  Auslande  lebenden  ungarischen  Meistern  die  Möglichkeit  der 
Rückkehr  ins  Heimatland  eröflFnen.  So  wurde  der  treffliche  Julius 
B^nczur  von  München  nach  Pest  berufen.  Wie  sehr  die  Regierung 
die  Kunst  zu  fördern  bestrebt  ist,  bewies  sie  durch  den  Ankauf 
der  Esterhdzy' sehen  Gallerie  um  den  Preis  von  ij4  Mill.  Gulden, 
durch  die  zahlreichen  Staatsaufträge,  Studienbeiträge  und  Reise- 
stipendien, die  sie  den  Künstlern  ertheilt;  dem  Unterrichts- 
ministerium stehen  in  dieser  Hinsicht  der  Landesrath  für  bildende 
Künste,  die  Commission  für  Pflege  der  kirchlichen  Malerei,  die 
städtische  Commission  zur  Wahrung  der  künstlerischen  Interessen 
Pests  zur  Seite.  Der  kimstsinnige  ungarische  Clerus  erweitert  jähr- 
lich seine  Gallerien  und  opfert  namhafte  Beträge  für  die  Pflege  der 
kirchlichen  Malerei  und  Plastik;  Johann  von  Simor,  der  Fürst- 
primas von  Ungarn,  Cardinal  Haynald,  die  Bischöfe  Ipolyi, 
Schlauch,  Samassa,  Czäszka  und  Koväcs  haben  für  die 
ungarische  Kunst  nicht  weniger  gethan  als  Graf  Julius  Andrassy, 
der  Schöpfer  der  Andrassystraße,  Georg  von  Majläth  und  die 
kunstsinnigen  Vertreter  anderer  ungarischer  Adelsgeschlechter,  die 
Grafen  Zichy,  Karolyi  und  Tisza. 

Eine  so  munificente  Förderung  der  Künste  kam  zunächst  der 
Architektur  zugute.  Pest  erhielt  eine  Reihe  von  glänzenden 
Monumentalbauten.  Die  Franzstadter  Kirche  erstand,  die  Basilika 
zum  hl.  Leopold  wurde  stilvoll   umgebaut ;  neben  dem   National- 


Abb.  95.     Ur.ir  Aiidraasy,  Portrait  v 


Das  neunzehnte  Jahrhundert.  '^Q? 

museum,  dem  städtischen  Redoutengebäude,  dem  Künstlerhause, 
dem  Opernhause  und  dem  Centralbahnhofe  führte  man  das  Gebäude 
der  medicinischen  Facultät,  die  Staatsbibliothek,  das  Polytechnikum, 
das  Landesrabbinerseminar  auf.  Was  für  Wien  die  Ringstraße  ist, 
wurde  für  Pest  die  Andrassy Straße. 

In  den  meisten  dieser  Bauten  fand  die  Monumentalmalerei 
Gelegenheit  zur  Bethätigung.  Than  und  Lotz,  aus  der  Schule 
Rahls  hervorgegangen,  verpflanzten  die  Traditionen  des  Wiener 
Meisters  nach  Pest ;  sie  stehen  an  der  Spitze  der  Pester  Ideal- 
malerei. Neben  ihnen  besitzt  das  heutige  Ungarn  eine  Schar 
hervorragender  Maler  aller  Fächer.  Während  sich  Horowitz 
und  B^nczur  (siehe  Abb.  95)  als  Porträtisten  einen  Weltruf  er- 
worben haben,  machen  sich  R^vdsz,  Feszty  und  Spitzer  als 
Genremaler  von  hervorragendem  Talente  bemerkbar;  so  ist  R ^  v  ^ szs 
Bild  ,,Nach  dem  Unfall",  Feszty s  ,, Grubenunglück**,  Spitzers 
,,Mamahatdas  Tanzen  erlaubt**  jenseits  der  Grenzen  Ungarns  wohl- 
bekannt. Von  den  ungarischen  Historienmalern  seien  die  Piloty- 
schülerj.  Sickely  mit  seiner ,,  Auffindung  der  Leiche  Ludwigs  IL** 
und  Alexander  Wagner  mit  seinem  ,, Turnier**  (König  Mathias 
besiegt  den  Ritter  Holubar)  genannt. 

An  Begabung,  Schwung  und  Ruhm  überstrahlte  alle  ungari- 
schen Künstler  Michael  Munkdcsy,  der  ehemalige  Tischler- 
junge, welcher  heute  eines  der  glänzendsten  Pariser  Ateliers  sein 
nennt.  Nach  kurzem  Aufenthalt  in  der  Wiener  Akademie  gieng 
Munkdcsy  zu  Franz  Adam  nach  München,  dann  zu  Knaus  und 
Vautier  nach  Düsseldorf  und  machte  sich  schon  1869  durch  sein 
ergreifendes  Genrebild  ,,Die  letzten  Tage  eines  Verurtheilten** 
bemerkbar.  Tiefer  Ernst,  ein  im  Interesse  der  monumentalen 
Wirkung  weise  gedämpfter  dramatischer  Zug,  packende  Realistik 
der  Physiognomien  und  der  Gewänder,  das  sind  die  Kennzeichen 
der  großen  Munkdcsybilder,  welche  dem  ganzen  gebildeten  Publicum 
bekannt  sind:  man  braucht  nur  ihre  Titel  ,, Christus  vor  Pilatus**, 
,,Milton  seinen  Töchtern  das  verlorene  Paradies  dictierend**, 
,, Mozarts  Tod**  zu  nennen,  um  die  Erinnerung  an  die  vielfachen 
Reproductionen  dieser  wirkungsvollen  Gemälde  im  Gedächtnis  auf- 
steigen zu  lassen  (s.  Abb.  96).  Das  Gebiet  der  idealen  Monumental- 
malerei betrat  Munkdcsy,  als  ihm  der  Auftrag  zutheil  wurde,  die 
Decke  des  Stiegenraumes  im  neuen  kunsthistorischen  Museum  zu 


j 


jgS  Alfred  Xossig 

Wien  mit  einem  Gemälde  zu  schmücken,  Rlunkicsj'  stellte  daselbst 
eine  Apotheose  der  Renaissance  dar.  Auf  dem  Hintergrunde  einer 
idealen  Barockarchitektnr  sieht  man  Tizian,  der  einen  Schüler  im 
Zeichnen  unterweist,  vor  ihnen  zwei  schöne  Frauengestalten  als 
Modelle ;  in  einer  Loggia  sitzt  Papst  Leo  X. ,  vor  dem  Bramante 
einen  Bauplan  entrollt.  Paul  Veronese  steht  mit  der  Palette  vor 
einer  aufgespannten  Leinwand,  Michel  Angele  ruht  in  tiefem 
Sinnen  an  einer  Brüstung,  während  Rafael  mit  Leonardo 
die  Stufen  herabkominen.  Über  der  erlauchten  Versammlung 
erhebt   sich   in   den    Lüften    der   beflügelte    Genius   des    Ruhmes. 


Abb.  96.     Möiarts  Tod,  von  M.  MimkJtcay. 

Es  ist  ein  großes  Verdienst  Muukäcsjs,  dass  er  nicht  ein  auf 
die  Decke  gespanntes  Wandgemälde  gemalt ,  wie  die  Klimrat- 
Matsch'schen  Bilder  im  neuen  Burgtheater,  sondern  nach  dem 
Vorgang  der  großen  italienischen  Meister  ein  perspectivisch  ent- 
worfenes ,  echtes  Deckengemälde  versucht  hat.  Der  Versuch 
ist,  was  die  Zeichnung  anbelangt,  nicht  vollständig  geglückt ; 
um    so    größer   aber   ist   die    coloristische    Bra%our,    mit    der   das 


Das  neunzehnte  Jahrhundert  7Qq 

Kolossalbild  ausgeführt  ist.  Jedenfalls  sichert  das  Werk  Munkäcsy 
einen  Ehrenplatz  in  der  Reihe  der  österreichisch  -  ungarischen 
Monumentalmaler. 

Die  Entwickelung  der  monumentalen  Plastik  förderte  in 
Ungarn  die  Errichtung  zahlreicher  Denkmäler,  deren  Kosten  zu- 
meist im  Wege  der  öffentlichen  Subscription  durch  freiwillige  Bei- 
träge der  Nation  erbracht  wurden.  Den  Franz- Josefsplatz  zu  Pest 
schmückt  das  Denkmal  Franz  D^aks,  an  welchem  die  zwei  be- 
gabtesten Bildhauer  Ungarns,  Adolf  Huszdr  und  Alois  Strobl, 
gearbeitet.  Graf  Stephan  Sz^chenyi,  Baron  Josef  E6tv6s, 
der  Freiheitsdichter  Alexander  Petöfi  und  viele  andere  her- 
vorragende Männer  der  älteren  und  jüngsten  Geschichte  Ungarns 
sind  durch  Denkmäler  geehrt  worden.  Unter  den  ungarischen 
Bildhauern  ragen  György  Kiss  (dessen  ,, Mörder **gruppe  bekannt 
ist),  Antal  Sz^csi  (,, Erzengel  Michael'*),  Josef  Engel  (,,Die 
Jägerin*')  und  G.  Zala  als  Porträtist  hervor. 

Der  Neubau  des  ungarischen  Parlamentshauses,  sowie  der 
Umbau  der  königlichen  Burg  in  Ofen  sichern  den  bildenden 
Künstlern  Ungarns  lohnende  Aufgaben. 


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SCHLUSSWORT. 

Von  Albert  Ilg. 

Die  Schilderungen,  welche  in  den  Blättern  dieses  Buches 
gegeben  sind,  bieten  zwar  bloß  einzelne  Bilder  aus  dem  Kunstleben 
Osterreich -Ungarns  dar  —  weit  entfernt  davon,  dieses  gewaltige 
Thema  nach  allen  Seiten  hin  berührt  zu  haben  —  sie  dürften  den- 
noch aber  vielleicht  doch  zu  der  Erkenntnis  genügen,  dass  die 
Kunstentwickelung  in  unserem  Vaterlande  von  ihrem  Ursprünge 
an  eine  bedeutende,  gesunde  und  interessante  ist.  Denn  sie  beruht 
zunächst  auf  dem  Volksleben,  die  Kunst  ist  bei  uns  aus  dieser 
mächtigen  Quelle  genährt,  stark  geworden  und  hat  den  Zusammen- 
hang mit  dem  Volksgeiste  niemals  verloren.  Was  in  ihr  frisch, 
anmuthig,  naiv  und  heiter,  kindlich  und  rein  ist,  dankt  sie  ihrer 
Abkunft  aus  der  Volkesseele,  und  wäe  diese  reich  und  tief  und 
mannigfaltig  ist,  so  spiegelt  sich  solche  Fülle  denn  auch  in  den 
Gebilden  einer  Kunst,  welche  kein  künstlich  importiertes  Erzeugnis 
ist,  sondern  verwachsen  bleibt  mit  der  Stammesart  der  Heimat. 
Die  Geschichte  hat  Österreich-Ungarn  mit  seiner  merkwürdigen  und 
wichtigen  Stellung  zwischen  Occident  und  Orient,  zwischen  dem 
heitern  Italien  und  dem  ernsten  Deutschland,  eine  so  bedeutsame 
großartige  Rolle  ertheilt,  eine  Mission  von  so  hohem  Werte  für  die 
gesammte  Welt,  dass  ein  geistreicher  Mann  mit  Recht  sagen  dürfte : 
wenn  dieses  Osterreich  nicht  schon,  bestände,  so  müsste  man  eines 
schaffen.  Naturgemäß  müssen  in  einem  solchen  Staatswesen  die 
mannigfachen  geistigen  Elemente,  welche  hier  inbegriffen  sind, 
auf  einander  wirken  und  kann  dadurch  nur  ein  Gesammtbild 
geistigen  Lebens  entstehen,  welches  von  so  verschiedenen  Elementen 
berührt,  die  interessantesten  Seiten  darbietet.  Wohl  mag  da  zu- 
weilen jene  friedsame  Ruhe  der  Entwickelung  fehlen,  wie  sie  unter 
anderen  Umständen  im  Culturleben  gedeihen  kann;  wohl  mag  hier 
von  Störungen,  Unterbrechungen,  Kämpfen  und  unerreichten  Zielen 


-■  k 


Schlusswort. 


401 


oftmals  die  Rede  sein,  aber  gerade  diese  stete  Gährung  der  ver- 
schiedensten geistigen  Gewalten  gibt  dem  heimatlichen  Cultur- 
gemälde  eben  auch  den  ureigensten  Reiz, 

Die  natürliche  Veranlagung  der  Volksstämme  Österreich-Un- 
garns für  die  bildenden  Künste  hatte  zur  Folge,  dass  sie  nicht 
bloß  befruchtenden  Einflüssen  fremder  Cultur  zugänglich  waren, 
ihre  selbständige  Befähigung  veranlasste  vielmehr  es  in  allen 
Epochen,  dass  ihr  Genius  das  Übernommene,  fem  von  bloßer  Nach- 
ahmung, stets  frei  verarbeitete  und  zuletzt  immer  zu  prächtigem 
Eigenthume  umzuschaffen  vermochte.  Es  gibt  freilich  keinen 
österreichischen  Stil,  wie  es  keine  österreichische  Sprache  und 
keine  österreichische  Musik  gibt,  wohl  aber  entbehrt  auch  die 
Pflanze  der  bildenden  Kunst,  erfreulicherweise  in  unseren  Gauen 
nicht  den  Erdgeruch  der  Scholle,  auf  der  sie  eigenartig  ihre  Blüten 
entfaltete,  mag  auch  oft  der  Same  von  fremden  Gestaden  gebracht 
worden  sein.  Wir  können  mit  vollem  wissenschaftlichen  Ernste 
von  einem  österreichischen  Romanismus,  von  österreichischer  Gothik 
und  Barocke  sprechen,  was  die  Renaissance  aber  betrifft,  sagen, 
dass  dieses  Reis  Italiens  zuerst  bei  uns  auf  deutschem  Boden 
geblüht  hat. 

Neben  der  gesunden  Grundlage,  welche  unser  Kunstleben  im 
freien  Volksthume  der  Heimat  fand,  ist  aber  noch  ein  anderer  Factor 
als  unendlich  wichtig  zu  betrachten,  wenn  man  die  Genesis  der 
Kunst  m  Osterreich-Ungam  erforschen  will.  Wenn  die  Geschichte 
des  Vaterlandes  in  der  That  auch  die  Geschichte  seiner  Dynastie 
genannt  werden  kann,  so  ist  es  desgleichen  nicht  zu  viel  gesagt, 
wenn  man  in  der  Hauptsache  die  Kunstentwickelung  hierzulande 
im  Zusammenhang  mit  den  Schicksalen,  mit  dem  Wirken  und 
Schaffen,  mit  der  Initiative  des  Fürstenhauses  erklären  zu  müssen 
behauptet.  Das  ,,Haus**  Österreich,  das  ,,Erzhaus*S  die  ,, Erb- 
lande*', —  diese  Worte,  mit  denen  die  Geschichte  seit  Jahrhunderten 
redet,  der  Geist  der  Sprache,  der  mit  ihnen  den  historischen  Ver- 
hältnissen bezeichnenden  Ausdruck  verliehen  hat,  —  das  kündet 
so  recht,  wie  in  der  Dynastie  seit  jeher  nicht  bloß  alles  gipfelte, 
sondern  charakterisiert  auch  das  innige,  familienhafte  Wesen, 
welches  stets  Thron  und  Volk  vereinte  und  immer  vereinen  wird. 
Bei  solcher  Sachlage   aber  kann  es  nicht  fehlen,   dass  auch  die 

höchsten   geistigen    Bestrebungen    stets   mit   dem    Herrscherhause 

« 

Kunstgescfaichtl.  Charakterbilder  aus  Österreich-Ungarn.  26 


402  Albert  Ilg 

Fühlung  hatten,  ja  dass  gerade  in  unserer  Heimat,  wo  leider  nur 
allzuoft  heftige  Stürme  das  Friedensbild  zerrissen,  immer  und 
immer  wieder  nur  die  Dynastie  der  treue  Pfleger  und  Schützer  jener 
zarten  Culturkeime  sein  musste.  Nach  tausenden  und  tausenden 
von  Beweisen,  welche  in  neuester  Zeit  die  Wissenschaft  unwider- 
leglich geliefert  hat,  kann  Freund  und  Feind  heute  nicht  leugnen, 
dass  unsere  Kunst  in  allen  Jahrhunderten  stets  nur  an  der  starken 
Stütze  der  Kunstfreude  seiner  Fürsten  emporrankte,  und  wenn 
dabei  auch  keineswegs  übersehen  wird,  welch'  hohe  Verdienste 
neben  der  Dynastie  auch  Clerus  und  Adel,  Städte  und  Bürgerthum 
und  im  Geiste  der  modernen  Einrichtungen  der  Staat  sich  erworben 
haben,  so  ist  es  doch  nur  gerecht  und  dankbar  einzugestehen,  dass 
bei  uns  zu  aller  Zeit  die  Anstrengungen  der  genannten  Factoren 
ohne  den  sarken  Halt  an  der  Dynastie  in  diesen  Dingen  erfolglos  und 
vorübergehend  gewesen  wären,  dass  nach  langen  Unterbrechungen 
immer  wieder  nur  das  Herrschexhaus  die  Impulse  zu  neuem  Schaffen 
gegeben  hat.  In  einer  solchen  Gestaltung  der  Kunstentwickelung 
liegt  aber  noch  ein  unendliches  wertvolles  und  bedeutsames  Mo- 
ment: es  ist  der  Zauber  des  Persönlichen,  des  Individuellen  und 
Intimen,  was  durch  diesen  Vorantritt  einzelner  Begeisterter,  welche 
die  Krone  trugen,  in  unsere  Kunst  gesenkt  worden  ist,  ein  Reiz, 
der  sich  von  den  Einzelnen  dann  in  die  Vielen  verbreitete  und 
in  dieser  Menge  endlich  mit  der  Befähigung  der  kunstbegabten 
Stammesart  vermählt,  zu  so  schönen  Ergebnissen  verbinden  sollte. 
Und  auch  in  den  Tagen  der  Gegenwart  hat  dieses  Gesammt- 
bild  heimatlichen  Kunstwesens  die  alten,  frischen  Farben  nicht 
eingebüßt.  Mit  kräftiger  Begeisterung,  mit  reicher  Begabung 
drängen  sich  auch  in  diesen  Tagen  alle  Volksstämme  der  weiten 
Monarchie  zum  Tempel  der.  Kunst,  und  auch  heute  folgen  sie 
dabei  den  Schritten  ihres  geliebten  Herrschers.  Unser  Jahrhundert 
ist  freilich  wohl  in  allen  Landen  der  Erde  nicht  in  jenem  Maße 
eine  Blütenaera  der  Künste,  wie  es  frühere  Zeiten  gewesen  waren. 
Unter  dem  Drucke  manch  rauher  Gewalten  hebt  diese  göttliche 
Blume  ihr  Antlitz  nicht  so  frei  und  fröhlich  zur  Sonne  empor, 
wie  in  alten  Tagen  als  mildere  Lüfte  sie  umspielten.  In  solchen 
Zeiten  ist  es  aber  gewiss  besser  gethan,  statt  das  Schicksal  unnütz 
anzuklagen,  lieber  mitten  in  den  harten  und  prosaischen  Kämpfen 
des  Daseins  zu  retten  und  zu  wahren,  zu  schützen  und  zu  schirmen, 


Schhisswort. 


403 


was  wir  vermögen.  Und  in  dieser  Beziehung  kann  unser  Vater- 
land wohl  mit  gerechtem  Stolze  sich  rühmen,  dass  in  seinen  Gauen 
zur  Pflege  der  Kunst  unter  der  Regierung  Franz  Josefs  mehr 
gethan  und  geschaflFen  wurde  als  irgendwo.  Aus  dem  tiefsten 
Verfalle,  in  welchem  alle  Tradition,  alles  historische  Bewusstsein, 
aller  Zusammenhang  mit  der  großen  Vergangenheit  abgerissen  war, 
ist  die  Kunst  bei  uns  jüngst  wieder  in  jugendlicher  Schöne  und 
gesunder  Kraft  ans  Licht  gestiegen.  Den  Verlust  der  Kenntnisse, 
das  Verderbnis  des  Geschmackes  und  die  Verwahrlosung  der  tech- 
nischen Geschicklichkeit  haben  weise  Einrichtungen  beseitigt  und 
was  das  bedeutendste  an  dieser  Sache  ist,  die  Errungenschaften 
sind  nicht  künstliche  Versuche  geblieben,  sondern  haben  tiefe 
Wurzeln  in  unserem  Volksthume. 

Wir  sehen  heute  die  Kunstwissenschaft  in  Österreich-Ungarn 
gepflegt  und  gefördert,  eine  Forschungsthätigkeit,  welche,  wie  sie 
aus  heimatlichem  Geiste  neu  begründet  wurde,  sich  auch  dankbar 
und  gerecht  nunmehr  der  Würdigung  der  vaterländischen  Kunst- 
geschichte zugewendet  hat,  welche  so  lange  vernachlässigt  war. 
Der  Technik  und  dem  Gewerbe,  dem  Kunsthandwerk  und  der 
Industrie  sind  ihren  Zwecken  dienende  Museen,  Sammlungen  und 
Schulen  aufgethan,  über  alle  Länder  verbreitet  erblicken  wir  ein 
Netz  von  Kunstgewerbeschulen,  Staatsgewerbe-  und  Fortbildungs- 
schulen, ja  selbst  dem  Volksschulunterrichte  hat  sich  der  Geist 
kunstfertiger  Schulung  der  Hände  und  edlerer  Geschmacksbildung 
genähert.  Sehen  wir  so  auf  Gebieten,  welche  nicht  eigentlich  zu 
demjenigen  der  Pflege  der  hohen  Kunst  angehören,  vom  Univer- 
sitätshörer bis  zum  Lehrjungen,  ja  bis  zum  Schulkinde,  der  Jugend 
die  idealen  Einwirkungen  der  Kunst  zugänglich  gemacht,  so  ist 
vom  eigentlich  praktischen  Kunstleben  und  -weben  noch  bedeuten- 
deres zu  sagen.  Vor  kurzem  verkündete  eine  weihevolle  Festfeier, 
dass  eine  der  vornehmsten  Kunstschulen  Österreich-Ungarns,  die 
Wiener  Akademie  der  bildenden  Künste  ihr  Wirken  durch  zwei 
Jahrhunderte  fortgeführt  habe,  jenes  altehrwürdige  Institut,  an 
dessen  Wiege  ebenfalls  ein  Spross  des  erlauchten  Fürstenhauses 
gestanden.  Neben  ihr  aber  und  noch  wirksamer  als  sie  fördert  in 
unseren  Tagen  ein  allgemeiner  Kunstsinn  die  Blüte,  eine  Kunst- 
freudigkeit, welche  namentlich  angeregt  durch  die  gewaltige  Bau- 
thätigkeit  der  Gegenwart  alle  Schwesterkünste,  alle  Gewerbe,  alle 

26* 


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404  Albert  llg 

Industrien  mächtig  in  Bewegung  gesetzt  hat.  Sie  hat  auch  das 
hohe  Verdienst,  denjenigen  bisher  verkannten  Kunststil  der  Ver- 
gangenheit, in  welcher  sich  die  österreichische  Architektur  auf  das 
genialste  gezeigt  hatte,  den  heimatlichen  Barockstil  wieder  in  Auf- 
nahme ZVL  bringen.  (Siehe  Abb.  97.)  Jene  großen  Architekten, 
von  welchen  in  dem  Abschnitt  über  die  Kunst  unter  Franz  Josef 
die  Rede  war,  sind  nicht  nur  unsere  größten,  sondern  auch  die 
größten  des  Jahrhunderts  überhaupt  gewesen  und  es  ist  neben  dieser 
großartigen  Thatsache  eine  nicht  minder  schöne  Erkenntnis,  dass 
auch  kleine  Leute,  Kunsthandwerker  und  -lehrer,  welche  aus 
unseren  Schulen  hervorgiengen,  die  gesuchtesten  sind  in  fremden 
Landen.  Künstlergenossenschaften,  vor  allem  die  vornehmste  von 
ihnen  im  Wiener  Künstlerhause,  haben  durch  die  Veranstaltung 
großer  internationaler,  sowie  kleinerer  Ausstellungen  unablässig 
gewirkt.  Die  Hebung  der  graphischen  Künste  erfuhr  durch  eine 
auf  kaiserlichen  Befehl  gegründete  Commission  des  Oberstkämmerer- 
amtes, sowie  durch  die  Gesellschaft  der  vervielfältigenden  Künste 
in  Wien  erfreuliche  Hebung.  Ausgehend  von  so  lebhafter  Befeue- 
rung im  großen  hat  Kunstsinn  und  Geschmack  sich  aber  auch  in  die 
weitesten  Kreise  der  Bevölkerung  verbreitet  Haus  und  Wohnung, 
Schmuck  und  Kleidung,  kurz  unser  ganzes  äußeres  Leben  ist  ein 
schöneres,  gefälligeres  geworden  und  die  Veredlung  des  Volksgeistes 
durch  diese  Erscheinung  ist  eine  tief  eingreifende  und  wichtige. 
Eine  der  hochherzigsten  Thaten  unseres  Kaisers,  welche  neben 
anderen  großen  Zwecken  auch  dem  letztgedachten  in  besonderer 
Weise  dient,  war  der  Entschluss,  die  unendlichen,  Jahrhunderte 
alten  Schätze  seines  Hauses  als  ein  Ganzes  in  einem  prachtvollen 
Hause,  welches  selber  wieder  die  Kunst  schuf,  imter  der  Führung 
der  Wissenschaft  allen  in  der  freiesten  Weise  zugänglich  zu  machen, 
welche  sich  dem  Borne  der  Kunst  nahen  wollen.  Mit  der  Schöpfung 
des  kunsthistorischen  Museums  Seines  erhabenen  Hauses  in  Wien 
hat  der  Kaiser  ein  Institut  gegründet,  von  solchem  Reichthum, 
von  solcher  Herrlichkeit,  von  solcher  Bedeutung  für  die  Wissen- 
schaft und  für  das  gesammte  Gulturleben,  dass  uns  alle  Staaten 
Europas  mit  Recht  darum  neiden.  Der  kunstsinnige  Monarch 
blieb  damit  wieder  aber  nur  alten  Traditionen  treu,  indem  er 
seiner  Ahnen  Werk,  seines  Hauses  Gut,  zum  geistigen  Eigenthum 
machte  für  seine  Völker. 


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Scliliisswort.  405; 

Für  die  übrigeii  Kunstscliätze  und  Alterthüuier  ist  in  Osterreich- . 
Ungarn  ebenfalls  nach  Möglichkeit  gesorgt  worden.  Neben  den 
wenigen  Museen  und  Sammlungen,  welche  es  vor  der  Regie- 
rung des  Kaisers  im  I,ande  gegeben,  sind  nun  zahlreiche  Neu- 
gründungen entstanden  und  haben  sich  dieselben  nach  antiquari- 


schen, localhistorischen,  gewerblichen,  technologischen  und  anderen 
Gesichtspunkten  organisch  gegliedert.  Eine  außerordentlich  segens- 
reich wirkende  Schöpfung  des  Kaisers,  welche  anregend  und  bei- 
spielgebend   in   auswärtigen    Staaten   werden    sollte,    ist   die  k.   k.