4v-e^ — *^
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HG5^//^^/^ afa/vol (^f^Ü
erifj.
Leben
des
Künstlers
Asmus Jakob Carstens,
ein Beitrag
#
Kunstgeschichte des achtzehnten
• Jahrhunderts
von
Carl Ludwig Fernow.
Leipzig-, ißo6.
t)«i Johann Friedrich Hartknoch.
Herr n
G e 11 e 1 1 i ,
Bankünsder und Mitgliede der Akademie der
Künste in Berlin,
und
Herrn
Busch,
Herzogl. Mekleiibmgiscliem Hofbildhauer
in Rom,
des
Künstlers vieljährigen Freunden,
freundschaftlich gewidmet
vom
Verfasser.
Vorrede,
■ las wahre Leben eines Künstlers be-
steht in der Ausbildung seiner Anlagen
und in der Ausübung seines Talents,
Die äufseren Umstände, die es begleiten,
sind nur in sofern bedeutend und merk*
würdig , als sie auf die Entwickelung sei-
nes Vermögens hindernd oder fördernd
ein^virkten, als sie seinem Genius diese
oder jene Richtung gaben, durch "welche
VI
der eigenthümliche Karaliter seiner Wer-
ke, als vereintes Erzeugnis der Naturan-
lage und Bildung, grofsentheils mit be-
stimmt wird. Da nun in der Kunstge-
schichte nur das "wissen swürdig ist, was
irgend einen merklichen Einflus auf die
Zustände der Kunst gehabt, ^^'^?^s für ihre
theoretische und praktische , ihre techni-
sche und ästhetische Entwickelung und
Fortbildung fruclttbar ge^vesen ist, was
sie richtig geleitet oder irre geführt hat:
60 kan auch nur solcher Künstler Leben
der Geschichte angehören , welche durch
.eine ausgezeichnete Eigenthümlichkeit
^der Anlagen , oder durch eine hohe Stufe
•<ler Ausbildung irgend eines Theils der
Kunst, oder durch eine besondere Rich-
'tung des Geschmaks, ihre Selbstständig-
keit an den Tag gelegt, und so auf ir-
;gend eine Weise, sei es durch Hervor*
Iringung vorzüglicher Werke, oder durch
Einführung einer besondern Methode,
oder durch ihr ernstliches Hinstreben auf
einen höheren oder untergeordnetea
Kunstz^yek, ihr Dasein für die Kunst
entAveder förderlich und nüzlich, oder
durch eine zwekwidrige Richtung des
Geschmaks nachtheilig und verderblich,
erwiesen haben.
Der Kunstgeschichte ist so wenig mit
blofsen Namen von Künstlern, die nichts
Ausgezeichnetes geleistet haben, als der
Kunst mit mittelmäfsigen Werken ge-
dient. Beide sind da und schwinden,
ohne eine Wirkung im Gebiete derselben
zu hinterlassen. Was in der Kronik ei-
nes Landstädtchens wichtig sein mag,
ist unbedeutend in der Geschichte des
Landes. So können viele Professoren
und Direktoren in den Annalen eine;
VIII
Kunstakademie glänzen, ohne dass dar-
um ihre Namen in denAnnalen dcrKmist
genant zu Werden verdienen; und im
Gegentheil hält die Geschickte es zu^yei-
len für Pflicht, den einzelnen von seinen
Zeitgenossen verkanten Künstler der
Nachwelt mit Achtung zu nennen , und
ganze Kunstakademien mit Stillschwei-
gen zu übergehen, wenn sie findet, dass
diese, mit allem Prunk und Pomp ihrer
liostspieligen Treibliausanstalten , doch
die Kunst um nichts gefördert haben;
jener hingegen in seiner Dunkelheit durch
redliches Streben seinen Künstlerberuf in
"wenigen aber schäzbaren Arbeiten auf ei-
ne würdige Weise beurkundet hat. Ja,
CS ist um so gerechter, dass die Geschich-
te das Andenken solcher, in ungünstigen
Zeitaltern und unter niederdrückenden
Schiksalen mühsam vmd muthig emp&r-
strebender Kiins der ehre, da das oft der
einzige Lohn ist, der ihnen zu Theile
■wird ; und da ihr Beispiel ähnHch gesinne-
ten Jünglingen , denen es mit der Kunst
heiliger Ernst ist, die aher unter glei-
chem Drucke Avidriger Verhältnisse rin-
gen, Trost und Muth einfiöfst, dem»
Schilisale festes Ausharren entgegen zu
setzen.
Der echte Kunsttrieb offenbart sich
besonders auilallend, 'wo ungünstige Um»
stände sich seiner Ent-vvickelung Avider«
setzen , und er glänzt da um so heller
rrmpor, ^vo alles sich vereint, ihn auszu-
lösclien. So sehen wdr zuAveilen im
itunstlosen unfreundlichen Norden, fern
von Allem, was fähig wäre den schlum-
mernden Trieb zu wecken und zu näh«
ren , ein grofses Talent hervorgehen, und
von allen Hüifsmittein entblöfst sich aus
X
feich selbst entwickeln. Einmal zum Be-
Wustsein erwacht, strebt es aus innerer
I»Jothwendiglieit seine einzigen Bestim-
mung nach ; Widerwärtigkeiten können
^s aufhalten, Hindernisse können sein
Streben lange, ja für immer, vereiteln;
die geistige Kraft kan im Kampfe mit
der fisischen Übermacht des Schiksals er-
liegen, aber den ingeborenen Trieb kan
diese nur mit dem Leben vertilgen. Mehr
als Ein von der Natur hochbegünstigter,
aber vom Schiksale befeindeter Kunst-
geist ist 50 ein Märtirer seines Triebes
geworden. Oft aber ermüdet auch ein
ausharrendes festes Streben die Tücken
des Geschiks , und vielversucht im lan-
gen hartnäckigen Kampfe dringt endlich
der siegreiche Genius , wenn gleich spä-
ter, nur um so reifer und geläuterter,
^um Ziele ; ein erhebendes Schauspiel
30[
für den Beobachter, und für denTüinst-
1er eine Quelle des höchsten und edelsten
Seibötgenusses!
Den Anbiik eines solchen Kampfes
mit allen ^'\'ider^Yärtigkeiten eines feind-
seligen, aber durch beharliche Ausdauer
endlich bezwungenen , Schiksales ge-
\yährt das vorliegende Leben eines Künst-
lers, den die Natur mit ihrer schönsten
-Gabe, mit einer schöpferischen Bild-
liraft reichlich ausgestattet, und mit ei-
nem muthigen Geiste beselt hatte, den
aber, am giüklich erreichten Ziele, ein
/rüher Tod der Kunst entris , als er sich
endlich tüchtig fühlte, reife, einer länge-
ren Dauer würdige Früchte seines Stre-
bens auf ihren Altar niederzulegen.
In dieser Hinsicht besonders schien
dem Verfasser das Kunstleben des ver-
ßtorbenen Carstens eine ausführliche
xn
Darstellung zu verdienen. Denn hat
gleich dieser Künstler nur \venige ausge-
führte Arbeiten liefern können, die hier
und dort in den Händen einiger Liebha-
ber zerstreut sind; hat er gleich nicht Ge-
legenheit gehabt, durch ölten iliche Denk-
mäler seiner Kunst die Spur seines Da-
seins bei der Nachwelt zu erhalten, und
dadurch nach seinem Tode ehrenvoll in
^ie Reihe der grofsen Künstler einzutre-
ten, denen er am Geiste so nahe ver-
wandt war : so ist doch eine Anzahl von
Darstellungen in mehr und weniger aus-
geführten Zeichnungen von ihm übrig,
und jezt an einem öffentlichen , dem
Kenner und Künstler zugänglichen "Or-
te aufbewahrt, welche bevreisen, dass
sehr wenige Künstler die Bahn der gro-
fsen Meister des XVIten Jahrhunderts mk
so viel Glük und Geist wieder betreten
xm
haben, als Carstens ^ und das3 er deshalb
für unser Zeitalter eine sehr merk^vürdi-
ge, Avenn gleich nur von '>venigen he*
merkte, und von noch wenigeren nach
Verdienst gekaute , Erscheinung war«.
Das aber, was den Verfasser vornem-
lieh zu dem Entschlüsse bestimmte, ^as
JLeben dieses Künstlers zu schreiben,
war sein mehrjähriges vertrautes Zusam-
menleben mit demselben, wärend dess
€r Gelegenheit hatte, den cigenthümli-
chen Genius des Künstlers , die Art und
das Fortschreiten seiner Bildung, so wie
das Verfahren desselben beim Hervor-
bringen seiner Werke , nebst dessen Ge-
danken und Ansichten von der Kunst,
genau kennen zu lernen. Und da er je-
nen Vorsaz schon bei des Künstlers Le*
bezeit fasste, als er mit trauriger Gewis-
heit das Ende desselben heranwahen $ah,
XIV
so iionte er noch zu rechter Zeit uncf
zum Theii aus dessen eigenem Munde,
die Niichiie'uen sammehi, deren er be-
durfte, um ihm auf dem Gebiete unserer
im Fache der Künstlerbiografien noch
nicht sehr angebaueten Runstlitteratur
dieses kleine Denkmal der Freundschaft
tu errichten, dessen friihere Ausfiihrung
mehrere Umstände bisher verhinderten.
Indem der Verfasser dabei auf einer Seite,
auä Achtung für die Wahrheit und für"
seinen Freund, der auch im Leben nie
mehr scheinen "vvoUe, als er wirklich
war, es sich zur Pili cht ^machte, strenge
darauf zu achten, dass das Gefühl der
Freundschaft die Walirhcit seiner Dar-
stellung nur belebe, nicht verschönernd,
entstelle, so niuste er doch auf der an-
deren Seite, um gegen den Freund nicht,
ungerecht zu sein^ dessen unermüdete*
XV
redliches Streben nach dem Hohen und
Würdigen seiner Kunst, und dessen rei-
ne uneigennützige Kunstliebe er kante,
auch diese Tugenden bei der Schätzung
seines Verdienstes , so 'vvie bei der Anga-
be seiner Mängel die \yiderwärtigen Um-
stände, mit denen der Künstler lebens-
lang zu ringen hatte, mit in Anschlag
bringen. Durchgängig aber "war sein
Augenmerk vorzüglich auf den Gang der
Entwickelung und Bildung desselben ge-
richtet; denn es war ihm keines^veges
darum zu thun, eine Lobschrift in der
gewönlichen Form der Elogien auf sei-
nen Freund zu schreiben, sondern ein
treues Karakterbild von dem Kunstleben
desselben darzustellen.
Wir besitzen der Lebensbeschreibun-
gen von den merkwürdigen Künstlern al-
ler Nazionen so viele; ^ber unter den-
XVI
selben gibt es aiut höchst wenige, \vel-
che den ästhetischen und artistischen Ka*
riikter des Künstlers, Avie er sich ahn ä-
lich cnt\^ ichelt und zu j?ciner Individua-
lität ausgebildet hat, befriedigend darle-
gen. VvViirscheinlich Ivomt dieses daher,
dass die meisten dieser Lebensbeschrei-
bcr, "wenn sie auch der Arbeit sonst ge-
Avachscn waren , doch höchst selten eine
so lange und innige Bekantschaft mit iii-
yem Gegenstände unterhalten haben, dass
$it im Stande gewesen Avärcn, densci-
berr auf den verschiedenen Stufen seines
Bihlungs ganges zu verfolgen. Grösten-
iheils trugen sie ihre Lebensbeschreibun-
gen aus mitgetheilten Nachrichten Ande-
rer zusammen, oder musten sich mit
einzehien unvolständigen Angaben, und
halbwahren Sagen begnügen. Der Ver-
fasser hatte jenen VorthcÜ; und wem*
ricl-
vielleicht seine Darstellung in dem, \yas
er für das Wesentliche einer solchen Ar-
«
beit hält, einige Vorzüge vor manchen
anderen Lebensbeschreibungen dieser Art
hat, so verdankt sie dieselben der ge-
naueren persönlichen Bekantschaft mit
dem Künstler.
Den Theil der Lebensbeschreibungj
wo Carstens die Geschichte seiner frühe-
ren Bildung bis auf seine Rükkehr von
der ersten Wanderung nach Italien in ei»
gener Person erzältj hat der Veafasser
unmittelbar nach der mündlichen Erzä-
lung desselben, und soviel als möglich
mit dessen eigenen Ausdrücken niederge«
schrieben. Es schien ihm, dass diese
Nachrichten über seine frühere Bildung,
die so manches enthalten, das der Künst-
ler nur an sich selbst wahrnehmen kon-
te , sich auch besser aus dem Munde des-.
xvnr
selben anhören wiijrden , ak aus der ver-
mittelnden Erzälung eines Dritten.
Dass der Verfasser die Mishelligkeit
zwischen dem Künstler und dem damali-
gen Kurator der Berliner KunstaXademi«
Freiherrn von Heinitz^ welche sich mit
Niederlegung der von Carstens bei jener
Akademie bekleideten Lehrstelle, und
dem Verlust seiner in Rom drei Jahre hin-
durch genossenen Pension endigte, hier
ausführlich nebst den in des Künstlers
Nachlas darüber vorgefundenen Doku-
menten mitgetheilt hat, bedarf hoffent-
lich jezt, da beide Theile todt sind, folg-
lich alle persönlichen Rüksichten wegfal-
len, keiner Entschuldigung; auch wüst«
der Verfasser in der That nicht, bei wem
€r sich deshalb zu entschuldigen hätte.
Und in dem , was bei der Erzälung jenes
Zwistes über denselben gesagt worden«
XIX
glaubt er den Gesichtspunkt, aus -wel-
chem diese Sache zu beurtheilen ist, rich-
tig angegeben zu haben.
Es giebt in den Einrichtungen unserer
gesejschaftlichen und politischen Verfas-
sungen der unvereinbaren Gegensätze so
nianche, wo nur ein Ris durch das Mis-
verhältnis z\vischen Natur und bürgerli-
cher Verfassung, oder zwischen innerer
Nothwendigkeit undäufsererWilkür, den
Streit derselben schlichten kan. Mustc
nicht , um hier nur eines nahe liegenden
merkwürdigen Beispieles zu gedenken,
auch unser Schiller sein Dichterleben,
das ihm unsterblichen Ruhm und unserer
Litteratur einen höheren Glanz gab, erst
durch eine gewaltsame Zerreifsung der
Bande , die ihn an sein Vaterland und an
einen Fürsten knüpften , der sogar unter
di« kunstliebtfnden gezält wird, errin*
XX
gen? In den wohigeortlneten Planeten*
eistemen unserer Staten, wo alles sich in
strenger Ptangordnung und weiser Öko-
nomie mechanisch um den Mittelpunkt
der höchsten Gewalt drehet, blieb dem
Kunstgenius keine eigene Bahn für sei-
nen freien Kometenflug olYen; und da
die Künste selbst keinen wesentlichen Be-
etandtheil unserer bürgerlichen Verfas-
sung ausmachen , da weder Kirche noch
Staat ihrer mehr zu höheren Zwecken be-
dürfen, so werden sie in derselben auch,
etwa wie die Kinder Israels ohne Bürger-
recht, blos geduldet; oder da, wo man
ihnen einen besonderen Schuz angedei-
hen lassen wolte, in den Ghetto einer
Akademie zusammengepfercht, wo man
sie nöthigt in das Getriebe der Statsma-
echine mechanisch mit einzugreifen , und
dem State nüzliche Handwerker zu er-
XXI
ziehen. Darf man sich da AVimdern,
^venn ein Künstler von origineller Kraft,
der sich einer höheren Bestimmung und
der Würde seiner Kunst bewust ist, die
akademische Stalfütterung ungeniesbar
und ungedeihiich findet, und von der fri-
schen duftenden Weide auf Ausoniens
immer grünenden Fluren nicht wieder in
den dumpfigen Pferch zurükkehren
will? Kan man es dem Sänger des W^al-
des verargen, dass er im kehrenden Früh*
Hnge dem Käfig entflieht, wo er einen
traurigen W^inter hindurch seines Gesan-
ges Avegen gefüttert Avurde ?
Das zur schönen Kunst geborene Ge-
nie ist unmittelbarer und enger mit det
Natur verbunden, als der gewöhnliche,
zum Statsbürger und getreuen Unterthan
bestimmte, und zu mannigfaltigen Zwe-
cken der Geselsehaft brauchbare Mensch,
IVIit dem entschiedenen Talente , das «i«
ihm gab , hat er zugleich von ihr den aus-
flchliessenden Beruf empfangen , auf eine
bestimmte Weise für ein höheres Bedürf-
nis der Menschheit zu wirken , das der
Stat nicht besorgen kan, weil er warten
mus , bis die Natur die dazu fähigen Gei-
ster hervorbringt, das er aber befördern
oder hindern kan, je nachdem er das
Wirken solcher genialischen Kräfte in der
Geselschaft begünstigt oder beschränkt.
Pie erste Bedingung ihrer freien Wirk-
«amkeit aber ut die, dass man den ech-
ten Künstler von jedem Zwange konven-
aioneller Verhältnisse , die nicht algemei-
»e Verhältnisse der Humanität, der Sit-
lichkeit und des Rechts sind, enthebe;
denn Freiheit ist das Element des Genius,
Eine zweite Bedingung ist, dass man
V^eder den Künstler noch die Kunst aU
xxni
£igenthum eines besonderen States , son-
dern als der ganzen Menschheit angehö-
rend betrachte. Die Musen lassen sich
nur durch freie Gunst gewinnen, und
wählen ihren Aufenthalt da am, liebsten,
^vo sie ihr göttliches Geschäft , den Men-
schen menschlich zu bilden, zwanglos
und ungestört üben können; und nur
durch diese killige und gerechte Achtung
für den höheren Naturadel des Genius
lassen 4ich jene Wechselfälle vermeiden,
wo der Künstler sich gezwungen sieht,
entweder seinen Beruf zur Kunst det
bürgerlichen Existenz, oder diese jenem
aufzuopfern; ein Kampf, in welchem
gcwönlich beide zu Grunde gehen.
Wenn man hingegen den von der Na«»
tur entschieden ausgezeichneten Kunat^
^eist, ohne Rücksicht auf seine Anlage,
/rie jeden andern gewÖnlichen Mensche»
XXJV
behandeln will, für den die mit jener so
oft im Widerspruch stehenden subordini-
renden Zwangsformcn der bürgerlichen
Verfassung sehr passend sein können,
so werden jene Wechselfälle sich so oft
erneuern, als die Natur ein grofses Talent
hervorbringt, das im Drange dieses Wi-
derstreits Muth und Kraft genug hat,
seine Fesseln zu zerbrechen. Und wa-
rend der Staat in künstlichen, mit gro-
feen Kosten unterhaltenen Anstalten ver-
gebens grofse Künstler zu erziehen be-
müht ist, wrd er die verlieren oderküm*
merlich zu Grunde gehen Jassen , die es
allein werden konten.
Wenn es überhaupt möglich ist, dass
künstliche Bildungsanstalten den Künsten
da aufhelfen und gute Künstler ziehen
können, wo kein höherer geselschaftli-
eher l^wek ihr Bedürfnis fühlbar macht.
%vo "kein algemeines und freies Streben
schlummernde Talente aufregt und den
Wetteifer ^velit , so ist es allein mit dem
liberalen Grundsätze völliger Uneigennü-
tzigkeit, und gänzlicher Verbannung al-
ler kleinlichen selbstischen Zwecke eines
Eusschliefsenden Gebrauches, und bareif
Vortheile fiir den Staat, möglich. Der
Nutzen, den die Künste leisten, ist hö-
herer Art; wer sie niederen Z^vecken
dienstbar machen will, hascht ewig nur
ihren Schatten. Selbst den höchsten Zwe*
cken der Gesel^chaft, zu deren Beförde-
rung sie am liebsten wirksam sind, der
Voiksreligion und der öifentlichen und
häuslichen Verschönerung des Lebens,
wollen sie nur mit Freiheit dienen. Der
Künstler kan nur als unabhäjigiger Welt-
bürger, die Kunst nur als Gemeingut der
Menschheit in Staten gedeihen; aber um
XXVI
»ie aus dieser Ansicht auch nur richtig be-
trachten , geschweige zwekmäfsig bejian-
deln zu können, mus zuvor das höhere
Bedürfnis und der Sinn dafür noch erst
entwickelt werden.
Noch in anderer Hinsicht möchte die-
ee Lebensbeschreibung der Beherzigung
junger Künstler zu empfehlen sein , näm-
lich in Hinsicht auf die Methode des Stu-
direns. Dieses ist fast durchgängig auf
«wekwidrige Nachahmung gerichtet. Die
schönsten Jahre des Jüjiglingsalters wer-
den mit geistlosem Kopiren verschwen-
det, wodurch die Selbstständigkeit des
Talents vielmehr unterdrükt als geübt,
und blos das Hand^verk der Kunst geför-
dert wird. Diese bequeme Art mit lee-
rem Kopf ein Künstler zu werden, he*
günstigen vornemlich grofse Kunstsam-
lungen und Gallerien. Wie im Lebea
XXVÄ
grofser Rcichthum und zu viel Befeuern-
Üchkeit der Geistesbildung eher schädlich
als nüzlich zu sein pflegen, so findet viel-
leicht ein Gleiches auch in der Kunst
#tatt. Nichts mus dem jungen Künstler
ao wünschenswcrth sein, als die Gele-
genheit Meisterwerke seiner Kunst zu
sehen und zu studiren; und nichts ist fä-
higer ihn z-ur Überwindung jeder Schwie-
rigkeit und zum Streben nach einem ho-
hen Ziele zu begeistern. Aber der in gro-
fsen Kunstsamlungen zusammengehäufte
Pceichthum vortreflicher Meister^verke al-
ler Antn und aller Schulen, scheint in
der Länge eine entgegengesezte Wirkung
zu haben, und das eigene Emporstreben
eines jugendlichen Talents, nicht durch
INIangel an Nahrung, sondern durch Über-
füllung, vielmehr zu unterdrücken, als
zu begünstigen. Der §tete Anblik derseU
xxvni
ben, iJncl die Leichtigkeit sich ihn zaver-.
«chaffcn, schwächt den belebenden En-
thusiasmus ; und das Gefühl des Unver*
mögens et^räs so "Trefiiche^ hervorzu-
bringen löst ihn in den Reiz zum Kopi-
ren auf, der sich mit der täuschenden
Hofnung nährt, auf diesem Wege dereinst
zur Hervorbringung ähnlicher Meister-
•werke zu gelangen. So gehen dann die
ichönsten Jahre des Jünglingsalters mit
Kopiren verloren ; Hand und Auge wer-
den geübt, aber der Kopf bleibt leer oder
ist blos mit Reminiscenzen aus Kunst-
Werken angefüllt, aus denen nie etwas
Selbständiges und Eigenes entstehen kan.
So geht schon frühe , ehe noch das Ver-
mögen der Erfindung sich entwickeln
tonte , manches Talent , das fähig ge^ve-
aen wäre, seinen eigenen Weg zu gehen^
unter dem grofsen Haufen der Nachah-
XXJX
Hier verloren, und wird, besonders wenn
auch die geistige Eildung vernachläfsigt
bleibt, wenig mehr als eine K.op irm aschi-
ne, oder ein sklavischer Nachtreter der
Fusstapfen eines Andern.
Die vorliegende Lebensbeschreibung
etellt dagegen das Beispiel eines Künstlers
auf, der, alle Nachahmung fliehend, frü-
he den Weg eigener Erfindung betrat, auf
^yelch€m er nicht nur eine hohe Stufe
3i uns tierischer Bildung erreichte, sondern
auch seine Selbständigkeit von aller frem-
den Manier frei erhielt, und blos durch
betrachtendes Studium der besten Muster
alter und neuer Kunst, sich einen eige-
nen musterhaften Stil fchuf. Ist nun auch
ein solches Verfahren nicht geradehin je-
dem jungen Künstler zu empfehlen, da
nicht jedes Kunsttalent mit dem hohen
Grade schöpferischer Kraft von der Natur
XXX
ausgerüstet ist, den diese Art zu studi-
ren voraussezt: so ist doch ein so auftal-
lendes Beispiel durchgängig selbständiger
Bildung geeignet, in jungen Künstlern,
die von dem herschenden Beispiele der
Nachahmung so leicht hingerissen wer-
den , das Gefühl der Selbständigkeit zu
wecken , und sie gegen das geistlose, die
Selbstthätigkeit so leicht einschläfernde
Kopiren, mistrauisch zumachen. Jlafaels
Gemälde in den Stanzen des Vatikan sind,
«eit das Kopiren derselben weder zur
Mode ge^Yorden ist, immer mit Gerüsten
kopirender Künstler so umkgert, dass
man selten zum freien Anblik der vor-
züglichsten, Atx Athenischen Schule, Att
Disputa, des Heliodor, des Burgbran-
des , gelangen kan. Viele Portefeuilles
voll Studien und Kopien nach Rafael
werden seitdem in d.tr\ Werkstätten der
XXXI
Künstler disseits und jenseits der Alpen
gefunden, aber in ihren Arbeiten -wird
höchst selten eine Spur von Rafaels Gtist
crbiikt; desto häufiger findet man die
Manier der neueren französischen Schu-
le, die sich durch Übertreibung, oder der
akademischen Schulen, die sich durch
Karakterlosigkeit auszeichnet, in densel-
ben herschend.
Carstens lebte nicht lange genug, um
seine selbstersvorbene höhere Bildung
auch für andere durch seine Werke
fruchtbar zu machen. Möchte Avenig*
«tens die Darstellung seines Lebens für
diesen Zwek nicht ganz verloren sein;
möchte sie in manchem jungen Künstler
den Begrif von der Würde seiner Bestim-
mung erhöhen, und ihn zu dem Ent-
schlüsse begeistern , welcher edlen , von
der Würde ihres Berufs durchdrungenen
XXXII
(jemütliern so natürlich ist , zu. dem Ent^
Schlüsse , ohne Rücksicht auf den frivo-
Jen Geist des Zeitalters und den Beifall
der unverständigen Menge , nur nach
\yahrer Vortreflichkeit zu streben, die
allein, wie die Werke der alten Künstler,
in jedem Wechsel des Modegeschmaks
den Beifall der Kenner behauptet.
Weimar, im Februar ißoG.
Astnus
As
Jakoh Carstens v/mJe im Jalir i754
«im loteii JMni zu Sankt Curgen, einem Dorie
nalie bei Schleswig , wo sein Vater Müller war,
geboren, Er war der älteste von drei Brii-
dejii, von denen der zweite in der Folqe das
IIand%Ä'er]-.. des Vaters erlernte, und der jüng-
ste, Namens Friedrich, sich gleiclifals der
Kunst widmete. Seine Mutter %var die Tocli*
ter eines Advokaten in Schleswig, und liattö
in ihrer Jugend eine vorzügliche Erziehung
erhalten , welche sie in den Stand sezte , iucll
ilire Kinder besser zu erziehen , als unter Dorf-
bewonern dieses Standes zu geschelien pilegt»
Ihr Vater selbst hatte sie in mancherlei wissen«
scliaftlichen Kentnissen und in der lateinischen
Spiache unterwiesen; auch zeichnete, malte
und stichte sie artig ; und obu-ouL die Ge-
schäfte des Hauswesens ihr nur selten, und
späterhin gar nicht mehr erlaubten, sich mit
dergleichen Dingen zu beschäftigen, so wech-
X
te sie doch die Neigung dazu zeitig in ihren
Kindern; und seinem eigenen Geständnisse
nach verdankte auch unser Asmus diesen frü-
hen Anregungen, dass der Trieb zur Kunst
sich schon im zarten Alter bei ihm ilufserte.
Sie war dabei eine höchst rechtliche Frau von
religiöser Gesinnung und sanfter duldsamer
Gemüthsart, aber von schwiichlicher Gesund-
heit; und mit den Anlagen zum Guten und
Schönen, die eine so vorzügliche Mutter, de-
inen Andenken dem Sohne stets theuer- war,
in seine Brust gelegt hatte, empfing er leider
auch von ihr den Keim des verzehrenden
Brustübels , welchem sie selbst zeitig erlag,
an dem unser Carstens zeitlebens litt und siech-
te, und das sowohl ihn als seinen jüngsten
Bruder, beide fast zu gleicher Zeit, in der
Mitte des Lebens dahin raffte.
Jsmus ging bis in sein neuntes Jahr, w^o
sein Vater starb, in die Scliule des Dorfes.
Nach dem Tode desselben , wo der Mutter
die Sorge für die Erziehung ihrer Kinder al-
lein überlassen blieb, waid er in die Stadt-
schide zu Schleswig geschickt, das nur eine
halbe Stunde entfernt lag , die der Knabe je-,
den Morgen hin, und jeden Abend zurük ging.
Mittags solte er bei einem Verwandten ui der
Stadt speisen; aber da veileidete il\ui das iniite
Beten am Tische, an das er zu Hause nicht
jrevv"öhnt war , und dem er sich mit den Kin-
dem des Verwandten unter%verfen nuiste, die-
se liostgiingerei so sehr, dass er seine Miittei*
bat, ilmi täs-lich für den Mittajj sein Essen
mitzugeben, vrelches gewöhnlich nur ans But-
tcibrod und Obst bestand., das er dann mei-
stens in der nahen offenen Domhirche ver-
ztlnte. Bald ward diese \värend der freien
Mittagstunden sein Lieblingsaufenthalt , denn
er fand in ihr Gegenstände, die seine Neigung
Stiirher anzogen , als alle Ve]gnügungen und
Spiele der Jugend,
Auf seinem Dorfe hatte der jung 3 AsmuS
kaum Gelegenheit geliabt, einen schlechten
Kupferstich, gesch\\eige ein Gemälde oder
Bildwerk zu sehen. Die Holzschnitte soinei*
Schulbücher, die Zeichnungen und gemalten
Bliunen seiner Mutxer, waren die erste Nah-
rung des Kunsttiiebes , der seit seinem sechs-
ten Jahie, wo er zu schreiben anfing, sich
thiitig in ihm regle. Er versuclite schon da-
mals , alles w.is ihm vorh:im nachzuahmrn,
4md fand nielir Veignügen daran, einen Hund
oder Ochsen auf der Strafse, oder die IIolz-
sclmitte in seinem Katecliismii« naclizuzeicli-
iien , als die Züge und Buchstaben seiner Vor-
schriften.
Diese ersten kindischen Bestrebungen des
erv/achten Kunsttriebes erhielten nun, seit er
den Dom in Schleswig betreten hatte, eine
bessere Nahrung und höhere Pachtung. Dort
fempfing er die ersten mächtigen Eindrücke der
Kunst, welche sehr staik gewesen sein müs*-
sen, da er sich ihrer mit allen Nebenumstän-
den , nach mehr als dreifsig Jaiiren , noch sehr
lebhaft erinnerte. JDoit auch entstand zuerlt
in ihm der Vojsatz , dereinst ein Maler zu
werden.
Unter andern unbedeutenden Schildei-ieieit
und Sclinizwerkcn sind verschiedene GemäidÄ
von Jiirlan Ovens , einem der besten Schüler
üemhrands , der sich tim das Jahr 1675 ^^^
Holsteinischen aufliielt und dort mehi-ere Ge-
mälde verfertigte, die vorzüglichste Zierde je-
nes Domes. Diese Gemälde vornehmlich zo*
gen den Sinn des damals eli - bis zwolfjähri*
gen Knaben so an, dass er ihrem Anblik je-
des andere Vergnügen nachsezte. Wärcnd
seine Schulkameraden Mittags nach dem üu-
terriclit auf dem Kü'cliliofe spielten und i\en
Ball sciilugen , sclilicli Asmiis n>It seinem kärg-
lichen Mittr.gsmahle in den Dom, verzehrte
es dort in der Stille , und hlcr.tcrte über Stüh-
le und Bänke hin-\veg, um die -\vun.ueisr.mcn
Gemälde 'in der Nähe zu schauen. Da vergas
er dann alles um sich her; ein heifser Wimsch,
auch einmal so etwas machen zuhönneu, er-
füllte ihn ; und oft stieg dieses Veilangen zur
Inbrunst. Die religiöseri Gefühle, die seine
Mutter früh in seinem Herzen gepflegt h:itie,
erwachten daun ; Thränen drangen ihm ins
Augej und er betete mit inniger Sehnsucht^
Gott möchte ihm die Gnade verleihen, und
, ihn dahin gelangen lassen , dass er aucii einst
zu seiner Ehre so herrliche Bilder malen hon-
te. So mächtig äufserte sich der Enthusias-
mus für die Iiuiist, ^vt]cher das Gemüth des
Künstlers lebensl.iug durchglühte und ziun
rastlosen Streben begeisterte , schon in seinem
Knabenaltei-. Er sezte dabei seine kindischen
TJebungen immer fieissigor fort und zeichnete
alle Gegenstände , am liebsten Gesichter und
Gestalten , die ihm voi kamen , niclit ohne
Aehnlichkeit nach. jMit Farben zu malen ^var
noch ein Geheimnis für üin. Als die ^Mutter
4x£ immer wachsende Neigung des Knabea
jfeiir Kunst bemerkte , lelirte sie ilim das We-
jiige , das sie selbst vom Malen "wusre, such-
te ihm ilne Farbenmuschclu und Pinsel her-
vor, und schenkte ihm dazu ein Büchlein,
das allerlei Vorschriften zum Farbenmischen
und Miniaturmalen enthielt. Welche neue
Reizungen für seinen Trieb! Alle Leute, die
ilun nahe kamen , musten ihm sitzen , und
meistens gelangen seine j-ohen Nachahmungen
so kentlich, dass er bald unter den einfältigen
Leuten im Dorfe, die dergleichen niemals ge-
sehen hatten, nicht geiinges Aufsehen mit sei-
ner kindischen Kunst erregte.
In der Schule stand es dafür desto schlech-
ter mit seinem Ruhme. Hier zeichnete er sich
weder duich Fähigkeit zum Lernen, noch
durch Fleis aus. Sein Geist "war gewünlicli
abv\^esend, entweder im Dom hei Juiian Ovens
Gemälden , oder zu Hause bei seinen Farben-
muscheln. Bücher reizten ihn nur der Kupfer-
stiche -wegen. Er leinte nie rechnen, und der
Rechenmeister fand öfter Gesichter und Figu-
jen , als Zalen auf seiner Tafel. Eben so we-
a;ig wolten Latein und Gricliisch, zu dessen
Erlciuung er in den lezten Jahren hinaufaük-
te, in seinen Kopf. Er wüste unter den Ler-
nenclen immer .im wenigsten , und weder
Scheltworte nock Drohungen vermochten ihn
aus dieser anscheinenden Geistesdumpflieit avif-
zurütteln; so dass die Lehrer ihn für einen
erzdiunmen Jungen hielten. Aber auch das
schien ihn wenig zu hämmern ; und als er
einst, wo der Lehrer ihm profezeite, dass in
seinem Leben nichts aus ihm ^verden -würde,
das naive Bekentnis that, dass er besser als
alle Schulhnaben lernen wolre , wenn man im
Zeichnen und PkLilen Üntcrriclit gäbe , nnd
der Lehrer ilini dasselbe mit einer derben Ohr-
feige vergalt, da bekam er einen völligen Ab-
scheu vor der losen Schixlspeise , und lernte
noch v\*eniger als vorhin. In der That veilies
Carstens mit sechzehn Jahren die Schule so
unwissend , dass er in der Folge wenig oder
nichts von dem dort Gelernten zn vergessen
hatte.
Schon frülie hatte Carstens den Entschlus
gefasst, ein ^lalei" zu werden, nnd die IMutter,
welche von seinen Anlagen dazu täglich neue
Beweise sah, willigte gern in sein Verlangen,
zu einem Portraitmaler in die Lehi-e zu ge-
hen. Eigentlich -war seine Neigung, ohne
dass er es selbst "wusste , auf die Geschichi-
jnalerei gelichtet , denn er wohe solche Bil'
s
der, wie die von Ovens , malen lernen, nntl
glaubte, wenn man nur die Mensclien recht
ülinlieli abmalen iiönne, so könne man ancli
solche Bilder machen. Man trat deshalb mit
einem der Zeit in Schles\vig seshaften, sogC"
nantcn Kunstmaler, Namens Gewe » der ein
wohlhabender, statischer Mann war, viel Ar-
beit hatte , alles malte , und Lehrjungen und
Gesellen liiell, in Unt( ^handlung. Da aber
dieser ■wohlbestallte Kunstmaler sieben Lehr'
jähre, und für jedes liundert Thaler Lehrgeld,
bei des Lelulings eigener Kleidung und Bekö-
stigung, zur Bedingung sezte, so zejschlug
sich tler Handel als zu kostspielig ; denn das
kleine Erbgut unseies Carstens wiiade auf diese
Weise grofsentheils wärend der Lehrjahre dar-
auf gegangen sein.
Auf einiger Fieunde Gutachten ward nun
beschlossen, bei dem Ratli Tischhein in Cassel
anzufragen, welcher der Zeit für einen der be»
jiihmtcsten Maler in Deutschland galt, und
dem Biiefe an ihn ward eines der besten Mi-
jiiatur - Bildnisse des jungen Carstens beige-
schlossen. Tischhein sezte gleichfals sieben
Lehrjahre , jedoch ohne Lehrgeld , zur Bedin-
gung ; dafür aber machte er zugleich eine an-
d«-e Forderung, die der Mutter sowolil als
dem Sohne zu erniedrigend scliien, als dass
sie sich hätten entschlierscn hünnen, dieselbe
einzugehen. Der Lehrling nämlich solte, wä-
rend der ersten diei Lehrjahre, zugleich die
Stelle eines Bedienten vertreten , und hinter
der Kutsche stellen, wann der Herr Ratli aus-
führe. Carstens würde sich vielleicht dazu ver-
standen haben, im Hause die Arbeiten eines
Bedienten zu venichten ; aber zu dem Kut-
sch enJienste honte er sein Ehrgefühl nicht
^iber^vinden , so gi'os auch sein Wunsch war,
der Schüler eines so berühnuen INIeisters zu
wei'den. Also zerschlug sich auch diese Un-%
terhaudlung, und da man sogleich heinen an-»
dem I^laler ^vuste, an den man sich hvitte wen-
den können, so verlief ein Jalir, ohne dass
für des Jünglings Unterkommen eine neue
Entschtiefsung gefasst wurde» Li dieser Zeit
staib seine Mutter: ein um so schraei-zliche-
rer Verlust für ihn, da dies Eieignis zugleich
auch seinem Sciiiksale eine ganz andei^e , sei-
ner Neigung -sviderwrärtige , Richtung gab,
Die INIülile san>t der ganzen Verlassenschaft
4er Altern w^urde vcikauft, und den Kindern,
die das viiterliche Haus verlassen musten, wur»
den Vormünder gesezt.
10
Wie selir auch der jimg'e Carstens nun in
geinfi Vormünder drang, ilui , dem ^Villen sei-
jier Mutter gemäs , zu irgend einem Maler zu
bringen, so Ivonte er sie docli nicht dazu he-
■vvegen. Sie wolten nicht zugeben , dass ihr
Mündel sich einer nach, ihrer Meinung so un-
nützen und brodlosen Kunst \vidme. Er sol-
le, ihrer Absicht nach, entweder studircn, oder
sich der Handelschaft widmen, oder ein Hand-
werk lernen. Als er endiicli sah, dass alles
Bitten umsonst, alle Hofnung zu seinem Zwe-
cke zu s^elangen verioien -svar, so eiif er in
der Verzweiflung zu dem , was er für das Er-
träglichere hielt; er entschied sich für den
Handel, so schmerzlich ihm auch der Gedan-
ke war, der Kunst, Jie er über alles liebte,
fiuf immer Lebewohl sagen zu müssen,
Carstens kam nun in seinem siebzehnten
Jahre nach Eckerirföräe zu einem Weinhänd-
ler Namens Bruyji in die Lehre. Ob-vvohl
er nur von zartem Körperbau und schwächli-
rher Gesundheit war, so schickte er sich doch
mit unverdrossenem Muthe in seine neue La-
ge, und veiriclitete auch die schw^ersten Aibei-
ten im Weinkeller nach seinen Kiäften. Er
hatte, indem er sich seinem Schicksale untei-
warf, wirldicli den Entsclilus gefasst, seine
Neigung zur Kunst zu unterdrücken, und sich
ganz den Pfiicliten seines neuen Berufs zu wid-
men. Aber diese Täuscliung daueite niclit lan-
ge. Ein \ui\vidersteliliclier Hang zog ilin ^vie-
dcr starker als je zu ihr zurück , sobakl er in
seiner neuen Lage die Möglichkeit sah , die-
sen Grundtrieb seiner Sele zu befriedigen. Er
fing insgeheim und mit grofsem Eifer seine
Übungen im Zeichnen und Malen ^vieder an,
und geizte niit jeder Freistunde, die ihm am
Abend nach volbrachter Arbeit, und an Sonn-
und Feiertagen, vergönnt v/ar, oder die er
dem Sclilafe raubte. Glücklicher Weise sah
ihm sein Lelirherr diese Bescliäftigung in sei-
nen Erholungsstunden nach, weil er denLehr-
linii danurcli vor andern scliiidlichen Neisrun-
gen gesichert glaubte. Carstens maclite bald
nähere Bekantschaft mit einem jxingen Stafher-
maler , den er schon früher in Scliles wig ken-
nen gelernt hatte, und eiliielt von demselben
«inige Anleitung mit Ölfarben umzugehen.
Sein erster Ycisuch, den er im ülmalen mach-
te , w^a^ die Kopie eines Minervenkopfes in
natürliclier Gröfse von Giusejjpe cVArpino, den
ein Einw^ohner jenes Städtchens aus Italien
mitgebracht hatte. Dieser Kopf, und ein Ge-
12
mälde von Ahraham Dlepenheck, einem der
"besten Scliüler des Fiuhens , welches scMafende
Nirafen und einen sie belausclienden Satii: vor-
stellte , sind nach nnsers Künstlers eigener
Aussage alles gev.^esen, was er je von Gemäl-
den Kopirt hat. Mit so Avenigen Ilülfsniittelii,
und in einer so gebundenen Lage konte er
freilich keine grofsen Fortschritte machen; in-
dessen dienten sie -weiiigstens seinen Kunst-
trieb zu beschäftigen , dessen höhere Bednrf-
Jiisse ihm damals selbst nocli unbekant Ovaren.
Die Bildnisse unsers Carstens gelangen.
almalich immer älmlicher und besser ; er mal-
zte seinen Lehrheirn und verschiedene Vei-
wandten desselben , vi''odurch er seiner Kunst
endlicli auch die Gewogenheit der Hausfrau
erwarb , die ihm Krökers liolilavjührenäen
Siaffirmaler zum Geschenk vereinte. Dieses
Buch war damals ein Schaz für ihn, aus dem
er, in der grofsen Un^vissenlleit , woiin er
sich noch befand, manches neue Licht für sei-
nen Kunsttrieb schöpfte. So waren etvv'a drei
Jahre seiner Lehrzeit verflossen , als Carstens
in Handelsgeschäften nach Kiel geschickt wur-
de ; und da ihm sein Kröker jczt kein Genüge
mehr leistete, so ging er in d.ei\ dortigen
Bucliladen , iim irgend ein anderes INIalerbuch
zu kaufen. Er fand da TVehhs Untersuchung
gen des Schönen in der JVTalerei, Dieses Buch
sclilos ilmi, dem bis daliin die liOlieren B.e£rio-
nen der Kiuist nocli ganz fremd geblieben wa-
ren , eine neue Welt auf. Er las darin Dinge,
von denen er nie etwas gealmet harte, bekam
eine Menge neuer Begriil'e und Aiisiclitea übei'
die Kunst, lernte die Namen der grösten ähe*
i-en und. neueren Maler, eines JiHchelang^do^
Rafael , Corre^gio , Carracci ,^Guido u. a. Jien«
nen, imd war nieln-ere Woclien Inng %vie in
einem Taumel von allen den neuen, grofi-ezi
und wunderbaren Vorstellungen , die dieaea
Buch in ihm geweckt hatte. Seine erliizte Fan-
tasie träumte Tag und Nacht von den herii-
chen Kunstwerken , die er darin beschrieben
fand 5 und von denen er sich doch keine Vor-
stellung machen konte. Er las das Buch üfter
durch, bis ihm klar \rard, was er anfangs
noch nicht verstanden hatte. Hier bekam er
denn auch zuerst einen deutlichen Begrif von
der IlistorieiiHialerei, die er von nun an als
das Höchste und Bevvundernsvi'ürdigste ansah,
wozu je ein Künstler gelangen könne. Er
brante vor Begierde , ein Werk jener grofsen
Äleister zu sehen , deren blofser N.unen ihn
14-
nüt oiner nnbegränzlen Eljrfiuclit erfüllte,
und die seinen bisher so liocli gencliieten Ju-
rian Oi'ens, von dem in jenem Werke iiiclit
.einmal die Bede war, anf einmal in Scliatteu
Stellten ; abci dieser Wunscli blieb für jezt
nocli nnbeiViedigt. Indes belebte das Lesen
des ^^(?Z?6/sclien Werkes seinen Tiicb zurKnnst
immer stüriver, nnd gab ilim einen so liolien
Und -wüTdigen Begrif von derselben, dass ihm
dagegen alles Andeie nnbedeutend und niedrig
erschien. Aber ^iese Entzücknngen sezten ihn
zugleich in einen <]ualvolien Zustand. Er
fühlte nun zum ejsten Malile lebhaft die Un-
möglichkeit ein Kaufmann zu \?\'erden , und
die innige Überzeugung von seiner natürli-
chen und einzitren Bestimmun 2: zur Kunst; und
doch sah er kein Mittel, sich aus den Verhält-
nissen loszureifsen , die ihn fesselten , und
ihm mit jedem Tage unerträglicher wurden.
Er wüste nicht, was er beginnen solte, er
lebte in peinlicher Unruhe, und weinte oft
insgeheim Thranen dcsUnniuths uber sein wi-
derwärtiges Geschik.
Die fünf Lehrjahre verliefen endlich , un4
Carspejis solte nun noch, dem Vertrage gemäs,
seinem Lehiherrn zwei Julue als Küper die-
nen. Um diese Zeit ward er mit einem Ad-
vokaten des Ortes bekaut , der ihn schon ans
dem E-ufe eines gesehikten Konterfeiers kante,
den er sich im Stadtchen erworben hatte. Die-
ser äufserte ihm seine Yer^wunderung , wie er,
bei so vieler Lust und Fähigkeit zur Malerei,
sich habe zum Weinhandel entschliefsen kön-
uen. Carstens klagte ihm darauf sein I.eid,
wie' er dazu von seinen Vorm.ündern sei ge-
zwungen worden, die duich;.us nicht hätten
zulassen wollen, Jass er ein 3rlaler Avürde,
welches doch immer, und auch noch jezt,
sein sehnlichster \Yvinsch gewesen sei.
„Ei, — erv/iederte ihm jener — wüsten
Sie deiui niclit, dass nach den Gesetzen kein
Vormund seinen Mündel mit Gewalt ablialten
darf, ein ehrsames Gewerbe, -was es auch sei,
zu erlernen, sobald dieser einen ernstlichen
Trieb dazu bezeigt ? Man hat Ihnen da gro-
fses Unrecht gethan. Und was wollen Sie
überhaupt bei der Handlung, wenn Sie nur
wenig Vei-mügen haben? Da müssen Sie zeit-
lebens andern Leuten dienen, und kommen
nie zu etwas Eigenem." —
Die Worte dieses Mannes fuhren iliui vrie
ein Lichtsir.ihl durch die Sele. Er sah , dass
iG
liiau ilin auf , eine sclimälLclio Are um fünf Jali-
re betrogen habe, und enisclilos sich auf der
Stelle den Wciuhandel zu verlassen und noch
Künstler tu. weiden, wie es ihm auch erge-
hen möge, und obwohl er bereits zwei und
zwanzig Jahre alt sei. Er wolte die Fesseln,
die er zerreirsen honte, nicht melir tragen,
was es ihm auch hoste, und sclirieb sogleich
Seinen Vormündern einen Brief voll heftiger
Vor\vürfe und bittei-er Klagen über ihr treu-
loses Verfallen gegen ihn , w^orin er zugleich
eyhlärte , dass luin nichts in der Welt ihn liin-
ger abhalten solle, seinfcr unveriinderlicheii
Neigung zn folgen; die unei'sezliche Zeit, die
er um ihrcntwiilen habe verlieren müssen,
möge dereinst ihr Gewissen brennen. Jene
antworteten ihm darauf: sie hätten zu seinem
Besten gerathen und gethan, was sie für
Pflicht geachtet ; Vi^olie er sich nicht zum Gu-
ten beq^iemcn, so solle er nur seinem Eigen-
sinn« nachgehen, er werde es dereinst schon
bereuen»
Einen hiüteien Stand hatte er dann noch
mit seinem Lehrlieun , dem er gleichials sei-
nen Entsclilus ejhlärte, und ihn seines Dien-
stes 2u entlassen bat. Vejgebens suchte dieser
ihn dur«h Güte und Ernst von seinem Vorlia-
be«
ben abzumahnen ; aber Carmens bebarrte und
claaiig darauf ilm ziehen zu lassen, ^vo^u sich
jener vor Ablauf der verdungenen z-^Aei Jahre
auf keine Weise verstehen \volte. Arger und
Umnutli über diese neuen Hindernisse zogen
Sinn ein liitziges Fieber zu, von dem er jedoch
wieder genas ; und seine Besserung v/urde
durch des Lehrheirn Erklärung , dass er so-
gleich frei abziehen könne » wenn er ihm für
jedes der zwei Jahre vierzig Thaler zur Ent-
schädigung bezale ., nicht wenig beschleunigt.
Carstens ging mit Freuden diese Bedingung
ein, kaufte sich mit achtzig Thalern von sei-
ner Verbindlichkeit los , und kehrte im Soin->
mer 1776 nach Schleswig zurück, von w^o er
im Herbst desselben Jahres nach Kopenhagen
•So war denn endlich, nach einer unglükU-
chen fünfjährigen Verspätung, mit Mühe der
eiste Schrit zum Ziele gewonnen,
In Kopenhagen fand Carstens den Maler
Jpsen ^vieder, dessen Bekantschaft er schon
früher in Schleswig gemacht hatte, w^o dersel-
be sich bei dem voihiu genanten Kunstmaler
(jeire im Ohnalen übte. Jpsen war in seinen
früheren Jahien ein Seemann gewesen, hatte
i8
schon verscliiedene Pieisen zur See gemacht,
und gleiclifals aus überwiegendem Triebe zur
Kunst jenes raulie Gewerbe verlassen. Er
maclite sich in der Folge als einen jreschikten
o ö
Porträt - und Marinenmaler bekant. Als Car^
Stens nach Kopenhagen kam , war dieser Ijysen,
der bereits seit 'einigen Jahien dort studirte,
sein einziger Behauter daselbst, und er zog zu
ihm in seine Wohnung.
Nun ging endlich auch der Wunsch , deii
Carsten» so lange gehegt hatte, Werke von
den grofsen Meistern zu sehen, die er bisher
blos den Namen nach kante , in Erfüllung.
J-psen führte ihn in die königliche Gemäldegal-
lerie, wo der Aufseher, Ijjsens Tiennd., ihm
auf des lezteren Empfehlung den freien Besuch
der Gallerie erlaubte. So sehr aber auch die
Menge tieflicher Malereien , die er dort sah,
auf seinen Sinn wirkte, so bewundernswür-
dig und unbegreiflich die Kunst ihm darin er-
schien , so war ihre Wirkung doch gering gegen
den mächtigen Eindruck, den die Abgüsse der
alten Bildw^erke in dem Antikensale der Aka-
demie auf ilm machten, als er diesen zuerst
besuchte. — Doch wir lassen jezt lieber den
llünstler in eigener Person erzälen, was er
späterhin in Rom dem Verfasser über seinen
Aufenthalt und sein Kunststudium in Kopen-
hagen niittlieilte,
,,Da — sagt er , — sah ich nun das Hüchi
ste und Vortreflichste , von dem ich so vieles
gehört imd gelesen hatte , womit ich so oft
meine Einbildungskraft erhizte, und wovoii
ich mir doch keine Vorsteilung machen konte;
und wie unendlich weit übertraf es meine Er»
Wartung ! Alles was ich bisher von Kunst ge-
sehen hatte , war mir nur als Menschenwerk
erschienen, und ich dachte dabei, dass ich
auch wohl dahin gelangen könne, dergleichen
zu machen ; aber diese Gestalten ei*schienen.
"mir als höhere Wesen von einer übeimensch-
lichen Kunst gebildet; und e» fiel mir nicht
'ein zu denken, dass ich oder irgend ein ande-
rer Mensch je dergleichen hervorzubringen
Vei-möchte. Ich sah hier zum erstenmal den
l'^^atikanischen A-pollo > den Laokoon , den Far-
nesischen Herkules , den Borghesischen Fechter
11. a. und ein heiliges Gefühl der Anbetungi
das mich fast zu Thränen bewegte, durchdrang
jnich ; es war mir, als ob das höchste \Yeseüi
2u dem ich als Knabe im Dome zu Schleswig
t>ft so innig gebetet hatte, mix liier wiikUcfe
crscliienen, und nun mein Gebet erliort sei.
Ich liätte inir lieine grössere^ GiLickseligl..eic
denken und wünsclien Ivönnen, als immei; in
der Betraclitung dieser lierliclien Gestalten zu
leben; und dieses Glücli war nun wiiklicli in
meiner Gewalt. Ich machte mit dem Aufse-
Iier des Antihensales den Vertrag, dasseimicli
einliesse, so oft ich kommen "würde. Von nun
an war ich fast täglich halbe Tage lang unter
diesen Abgüssen , lies mich bei ihnen ein-
schliefsen und betrachtete sie unaufliörlich,
frezeichnet habe ich da niemals nach einer An-^
tike. Ich glaubte das Nachzeichnen würde
mir zu nichts helfen, und wenn ich es ver-
suchte , so war mir , als ob mein Gefühl da-
bei erkalte. Ich dachte also , dass ich mehr
lernen würde , weim ich sie recht fleissig be-
trachtete und ilire Formen meinem Gedächt-
iiis so fest einprägte, dass ich sie nachher wie-
der aus der Erinnerung lichtig aufzeichnen
Könte ; und dies war auch das Einzige , was
ich nun für lange Zeit trieb. Zum Porträtma-
len imd Nachzeichnen hatte ich, seit ich iu
Jvopenhagen war, alle Lust verloren. Eher
fväre es nVir möglich gewesen nach den Anti-
hen zu modelliren; sie nacluiueiclmen ko:u«
ißh «lieh nie entscliliefseu.
J,^Yavencl des ersten Winters liürte icli eine
Vorlesung über die Anatomie, die der Profes-
sor TViedcnliau-pt auf der Akademie in däni-
sclier Sprache hielt. Vieles in seinen Vorle-
sungen verstand ich da-nals nicht , v/eil icK
noch zu ^venig Dänisch wüste, aber ich lern-
te es doch, durch die Art, wie er diese Wis-
senschaft demonstrirte, mit den Augen. Er
las nämlich einen Abend über einen Theil des
Körpers, und erklärte ihn an elnein Skeletund
an einer Anatomieiigur , die er selbst verfertigt
hatte. Am folgenden Abend wiederholte er die
selbige Vorlesung , und lies dazu von einem
lebenden Modelle alle Be^vegungen und Ver-
xichtimgen desselben Theiles mehrmals ma-
chen , so dass die Zuhörer nicht nur die Gelenk©
der Glieder nebst der Lage und Anheftung de»:
Muskeln in Failie, sondern auch die Bcwegunge»
mit den dadurch entstehenden Veränderungen
in den Formen derselben, sehen und begreifen
konten. Durch Hiilfe dieser Vorlesungen, die
ich im folgenden Winter ziun zweiten male
und mit mehr Nuzen hurte, und durch das
fortgesezte Betrachten der Antiken , bekam ich
almälich ein richtiges Verständnis des Körpers
■imd einen Eegrif von schöner Foim , so' dass
ich nun auch lebendige Gestalten, -^v© all§s
weit unbes'timter und undeutlicher ersclieint,.
Ijesser verstehen lernte , ohne dass ich nöthig
gehabt hätte , zum Nachzeichnen meine Zu-
flucht zu nehmen, welches mir bei dem stärk-
sten Triebe zur Kunst doch immer zuwider
war, und mir eine unwürdige Art zu stiidireii
schien. So trieb ich es etwa zwei Jahre lang-,
und habe in dieser Zeit nichts weiter gezeich-
iiet, als die Figuren und Stellungen der Anti-
llen, die ich, nach der Betrachtung, oft und
aus verschiedenen Ansichten, zu Hause aus dem.
Gedächtnisse v/iederholte. Ich hatte schon
lange den Trieb selbst etwas zu erfinden , der
durch die Komposizionen anderer junger
Künstler noch mehr angereizt w^urde; auch
fehlte es mir in der Vorstellung nicht an Bil-
dern; aber ich honte mir anfangs hcines so
zur Deutlichheit bringen und fest halten, dass,
ich es litätte aufzeichnen Können. Denn, w^^^.
ich gleich dazu den Kürpei; sclion genugsam
taute, so war ich doch noch nicht im Standes,
eine Figur in jeder vorkommenden Stellung
zu denken, noch w^eniger sie aus dem Kopfe
«u zeichnen. Übei-dies fehlte es mir auch noch
gänzlich an Kentnis von den Pi<>goln der Per-
fpektiv, der Komposizion, der Beleuchtung
%nd, Drappirung, Ich suchte mir zwar immer
im Betracliten der GemÄlde "iiiid Statuen von
diesen Dingen zu merken , so viel ich. konte ,
aber das ging natürlicher Weise im Anfange,
wo ich gleichsam alles selbst erfinden muste,
sehr langsam. Doch glaubte ich es auf keine
andere Weise lernen zu können , und da ick
sah, dass ich doch almälich vveiter kam, so
verlor ich den Muth nicht ; im Gegentheil
feuerten mich diese Schwierigkeiten nur noch
mehr an, und der Gedanke, sie aus eigeneii.
Ixraft besiegen zu können, und meine Kunst
keinem Lehrer schuldig zu sein , sclmieichelt*
meinem Ehrgeize.'*
„Eald nach meiner Ankunft in Kopenhagen,
ging ich auch einigemal auf die Kunstakade-
mie und sah, wie dort in den verschiedencÄ
Klassen nach Köpfen, Händen ^und Füfsen,
nach Modelzeichnuhgen , Gipsen und endlick
nach der lebendigen Natur gezeichnet wurde ;
aber es w^olte mir nicht in den Sinn , auf diese
zerstückelte Artzustudiren, wenn ich dadurch
auch in kürzerer Zeit hätte zu meinem Zwe-
cke gelangen können. Dazu kam 'noch eine ge-
wisse Scham , dass ich , der schon so alt war
als ich zur Kunst kam, in den untersten Klas-
sen unter kleinen Jungen sitzen gölte j dwjii
A4.
von unten nmste jeder anfangen , der auf der
Al^ademie studiren wolte. Das Zeichnen nack
dem Leben gefiel mir zwar , und ich wind»
auf die Akademie gegangen sein, "svenn ich
gleich damit hatte anfangen können ; doch
schien mir der Herl , welcher zum Modell stand,
obwohl er sonst gut gebauet war, gegen die
Antiken , von denen ich schon höhere Begriffe
von Schönheit erlangt hatte , so unvoUkom-
jnen und gemein, dass ich dachte, ich könte
wohl eine bessere Figur zeichnen lernen,
wenn ich mich blos an diese hielte. Ich nahm
mir also vor, die Akademie lieber nicht zu be-
suchen , sondern für mich allein zu studijen,
so viel auch die andern jungen Hünstier mir
von der Notluvendigkeit und Nüzlichkeit des
akademischen Studiums vorredeten/'
jjUni diese Zeit ward ich mit einena gefchick-
ten jungen Bildhauer Namens Tf'^ohJer zms Mag-
debtirg bekant, der einige Jahre lang iiiRom
gewesen war, und daselbst verschiedene Sta-
tuen in halber Lebensgröfse nach den Antiken
in Thon modellirt, sie dann stükweise ge-
braut und so mit zurük gebracht hatte. Die-
ser lieh mir öfter solche Theile von seinen Ko-
pien in meine Wohnung, wo ich sie bei mei-
25
Men eigenen Erfindungen zu Ratlie zog. Denn
da ich jezt fleissig zu koraponiren anfing , so
fand ich bald, >voran es mir hauptsächlich
fehlte , wenn ich meine entworfenen Figuren
weiter ansfüliren ^volte : ich konte mir näm-
lich wohl das Ganze , aber nicht immer alle
Theile deutlich genug vorstellen. Aber ich
aulite nicht , bis ich es auch dahin brachte,
um nicht ein blosser Shizzenniacher zu wer-
den. Vorzlglich benuzte ich auf diese Art zu
Kleinen Studien den Borghesischen Fechter.
Durch diese stete Uebung meiner Einbildungs-
kraft mir alle Gegenstände rund vorzustellen,
und mir Formen und Umrisse derfelben van
allen Seiten wohl einzuprägen, Ts-obei mich
die anatomischen Kenntnisse, die ich bereits
hatte , nnterstiizten , gelangte ich endlich da*
hin, dass ich einen Theil , 'v/enn ich ihn ein-
mal in verschiedenen Ansichten und Lagen
von allen Seiten recht durchs tudirt, und eini-
gemal die Anwendung davon in eigenen Er-
findungen gemacht hatte, nachher in den vor-
nehmften Stellungen und Venichtungen ziem-
lich richtig aus der Vorstellung aufzeichnen
konte ; und was ich auf diese Weise einmal
recht begrüien hatte , vergas ich nicht leicht
wieder. So studirte ich alle Theile des Kui-
2^
pers melirmal mit der Anwendung in eigenen
!prliiidiingen diircli, und erwarb dadurch mei-
|ier Vorstellungskraft eben die Uebung und
Fertigkeit, welche andere Künstler durch vie-
les Nachzeiclinea iiios in Hand und Auge brin-
gen ; welches mir in der Folge für die Leich-
tigkeit im Erlinden undKomponiren sehrnüz-
licii gewesen ist.'^
sjWenn nun jiuch das , was ich anfangs auf
diese Weise hervorbrachte, sehr stümperhaft
und schlecht war , so konte ich nun doch we-
nigstens meine eigenen Erfindungen schon
jjothdürftig ausdrücken , die sich anfänglich
blos auf Koraposizion^n von einer oder zwei
Figuren einschränkten. Mein erster Versuch
in ei«:enen Erfiudun2:en, den ich wirklich aus-
fährte, war, soviel mir noch erinnerlich ist,
der Tod des Aschylus. Ich weis nicht mehr,
•wie ich gerade auf dieses Thema gekommen
•Vvar, aber diis weis ich noch, dass es mir er-
schrecklich sauei* ward, bis ich damit zu Stan-
de kam ; denn ich kante noch keine einzige
Fi.egel der Kunst, oder die ich etwa schon kan-
te, wüste ich doch noch nicht anzuwenden.
Aber diese Bedürfnisse und Verlegenheiten,
^ie ich tdglich empfand, trieben mich immer
'^1
^ehX' an, aiif alle Weise Belehrung zu suclien;
alles was icli las und fall, auf meine Stiidieu
anzu-\venden ; und andere, die mehr ^vusten
als ich, um Rath zu fragen. So lernte ich -sre-
nigstens die ersten Hauptregeln der" Komposi-
zion kennen: wie man malerisch gruppiren,
die Figuren zusammen verbinden, den Einfall
des Lichts vortheilhaft wählen , Licht und
Schatten in Massen zusammen halten, Löcher,
durchschnittene Gliedmafsen, gerade Linien
und Winkel vermeiden müsse u. s. w. , die
ich denn, so gut als ich konte, in Ausübung
brachte. Eines der ersten Kunstbiicher , die
ich in Kopenhagen las , waren des Du Bos Be-
trachtungen, w^oraiis ich im Allgemeinen viel
Nüzliches lernte , und Begriffe von den höhe-.
Ten Z^vecken der schönen Künste bekam , die
ich mir noch nie in Verbindung gedacht hatte.
Aber weit lehneicher und nüzlicher war mir
des Gerhard Lairesse grosses jMalerhuch , das
ich duch ipsen erhielt, der es auf einer seiner
Seefahrten aus Holland mitgebracht hatte. Ich
lernte bald soviel Hollandisch, dass ich den
JLairesso verstehen konnte. Da fand ich denn
ij^her alle Gegenstände der Kunst ausführliclie
Belehrung von einem praktischen Künstler,
gerade so wie sie mi;- notii that, Besondv-vs
28
'Richtig War mir das , Tvas icli darin über die
malerisclie Anordnung der Figuren in einer
Komposizion zur Bezweclxung der Deutlick-
lieit las , und das ich aucli in den Kupfersti-
chen nac^ R-afaels Logen , die ich gerade um
jene Zeit erhielt, und die von nun an meine
vorneliiusten Wegweiser in der Komposizion
wurden , bestätigt fand. So ward mir von al-
len Theilen der Kunst der Begrif einer ma-
lerischen Komposizion am ersten deutlich.
Nächstdem las ich noch den DePiles, aus dem
ich die Leben der grossen Maler hennen lern-«
te, und was ich sonst an Kunstbüchern erhal-
ten konte, mit groster Aufmerhsainheit. Die-
se liefsen inich zwar oft im Stiche , wenn ich
mich bei ihnen E^aths eiholen wolte , doch
war mir das Lesen derselben von grossem Nu-
zen, denn sie vej-anlafsten mich zum Nachden-
hen. Da ich die Akademie nicht besuchte , so
hatte ich auch lauge keine Gelegenheit die Be-
tantschaft der älteren Künstler nnd Professo-
xen zu machen; ich wai- auch zu scheu, sie zu
suchen, weil ich noch so ganz Anfänger war;
ich muste mich also wohl an Bücher halten.
Diese einsame und mühselige Art "zu studiren,
imd gleichsam alles selbst zu entdecken , brach-
te mich zwar nur langsam weiter, aber sie hatte
23
unter andern Voitlieilen aucli Jen, dass icli
von rillem Sclilendrian der akademisclien Kom-
pohlrlvunst frei blieb, unddurcli keine Manier
auf Irwege geleitet wurde. Muster wie üa/ae/^
Logen konten midi nicht irre leiten. Um die-«
se Zeit fing icli aucli an, -Ubei-setzungen von
alten Autoien zu lesen, soviel ich deren hab-
haft werden konte ; sie sind aucli nachlier im*
mer meine liebste Lektüre geblieben."
ö-
„Tch mochte ungefähr vier Jahre lang In
Kopenhagen gevv'csen sein, als ich zufälliger
Weise dem Grafen ßloltke bekant wurde, der-
©ine schöne Samlung von Gemälden besas , die
ich öfters besuchte. Da er mich schon zu
mehreren Malen in seiner Gallerie getroffen
hatte, so lies er sich einst mit mii- ins Ge-
spräcli, luid verlangte et^vas von meliier Ar-
beit zu sehen. Icli brachte ihm nach einiiier
Zeit eine von meinen Komposizionen, welche
Adavi und Eva nr^ch der Miltonschen Dich-
tung neben dem Bamne der Erkenntnis vor-
stellte, hinter welchem der Teufel im Verbor-
genen lauerte. Die Zeichnung fand des Gra-
fen Beifall, und ergab mir den Auftrr.g , sie
ilim in Ölfarben auszumalen , mit dem Erbie-
ten, dass ii mir sechzig Thuler dafür geben
30
Volle. Ich fing mein Gemälde mit grofs6ift
Eifer an, und machte es so gut und fleifsig,
als ich konte. Na-ch zwei Monaten war es
fertig/'
,,Der Graf -war inzwischen auf eines seiner
Landgüter, siebeii Meilen von Kopenhagen'
entfernt, gegangen. Wo er sich gewönlich
"wärend des Sommers aufliielti Da ich das Geld
nütliig hatte, so entschlos ich mich, ihm mein.
Bild selbst zu überbringen. Ich kam auf dem
Gute anj überreichte dem Grafen; der sich
ineiner kaum zu erinnern schien, mein Ge-
mälde; er betrachtete es eine Zeitlang, xmd
sagte endlich : ,,Es ist recht gut, mein Freund,
dass er das Bild gemalt hat ; aber ich habe ei-
ne Gallerie von lauter Meisterstücken, unter
■welchen ich doch seine Malerei nicht aufliän-
gen kann. Nehme er sein Bild in Gottes Na-
men w^ieder mit sich, er wiid schon einen
Liebhaber dazu finden/' — Dauiit gab er mir
mein Bild zuriick und ein Papierchen , worin
er acht I)ukateh gewickelt hatte. Diese Auf-
nahme hatte ich nicht erw^^rtet, sie war mir
liränkend., und ich antwortete dem Grafen:
j,Ew. Excelleriz , ich bin ein Anfänger , -^er
trst etwas lernen "will; ich glaubte, Sie wür«
>jleh das Bild blos zu meiner Aufmunterung bfe^
5i
stellt haben , und die Eine, die Sie mir da--
diucli erzeigten, liat mich angespoint, alle
meine Kräfte darraif zu'verwenden. 'Ich weis
vv'ohl, dass es in ilwer schönen Samliing hci-
nen Platz verdient ; hängen Sie es wohin Sie
"wollen. Es würde mir eine Schande sein,
wenn ich das Bild wieder nach Hause tragen
müste." — Aber diese Vorstellung war frucht-
los , der Graf -wiederholte , ^vas er mir gesagt
hatte, und ging in sein Kabinet. Mit Schani
und Arger, dass meine Arbeit verschmäjiet:
wiude, nahin ich sie zurücli. Die acht Du-
taten , so nöthig ich sie gehabt hätte , lies ick
auf dem Tische liegen , w^eil es mir schimpf-
lich schien sie anzunehmen, und so kelute
ich gerades Weges wieder nach Kopenhagen
um. So ungünstig dieser erste Ausflug mit
meiner Kunst auch abgelaufen w^ar, so schlug
er mich doch nicht nieder; ich verschmerzte
bald die getäuschte Erwartung und seztemein«
Übungen im Kompouiren fleifsig fort."
sJDer Aufseher der Moltkeschen Gemälde-
samlung, dem ich meine schlechte Aufnahnje
bei seinem HeiTu erzälte , verschaffte mir bald
ciarauf die Bekantschaft des Kammerherrii
von T^'^arnstüdt s eines der grösten KunstUcb*
3«
liaber und Ktlnstlerfrennde in Kopenliageia;
Er hatte diesem , der gleiclifals aus Sclileswig
geburtig v/ar, den Vorfall zwischen dem Gra-
fen lind dem jungen Sclileswiger Maler erzält.
Der Kanimerherr von PT^arnstlidt kam zu mir
in meine Wohnung und begrüfste mich als sei-
nen Landsmann. Ich muste ihm das Bild zei-
gen , das ich für den Grafen IVIoltke gemalt
Jiatte ; er lobte es , und that mir das Anerbie-
ten, mich dem Erbprinzen Friedrich behaut
S.U machen. Da dieser Prinz zugleich Präsi-
dent der K-unstahp.demie war, so honte mir sei-
ne Behantschaft von mächtigem Nutzen sein.
DerErbpiinz sandte auch wirklich nach einigen
Tagen und lies mich mit dem bewusten Bilde zu
sich iiifen» Er empfing mich mit Gute, be-
zeugte meiner Arbeit seinen Beifall und sagte
mir, er wolle das Bild behalten. Auf des
Prinzen Befragcri^ ob ich auf die Akademie
o-ehe , erwiederte ich , dass ich erst für niicli
einen guten Grund legen wolle, um sodann
die Akademie mit desto mehr Nutzen besuchen
zu können. Er billigt« das, und entlies mich
^ütig mit dem Zusätze, dass ich recht fleissig
fort Studiren solle; er "werde sich meiner er-
innern. Am folgenden Tage empfing ich eine
Allweisung auf hundert Tlialer von ilun. So
ward
53
ward icli mit meinem GlücKe wieder versülant,
iiud erliieltmelir Geld und Eine für ineiii Bild,
als icli gelioiFt hatte , und was mir nocli Avicli-
tiger ^var, die Bekantscliaft 4es Erbpiinzen,
die mir auch w-ahrsclieinlich in der Ziihunfc
vortheilliaft gewesen sein würde , wenn nicht
späterliin ein Yorfail diese Aussicht zerstört
hatte."
„Mein eigenes Vermögen war nun beinahe
darauf gegangen , und ich sah mich genöthigt,
für Geld zu arbeiten, %Tcnn ich langer in Ko-
penhagen leben wolte. Ich suchte also meine
so lange verabschiedete Porträtmalerei wieder
liei-vor, auch zeichnete ich Porträts niitRöthel
in einer säubern gef^illigen Manier, die viele
Liebhaber fanden und mir gut bezalt 'vvurden,
8d dass ich noch z-wei Jahre lang von diesem
Erwerb nicht nur in Kopenhagen recht gut le-
ben und dabei studiren, sondern auch noch
etw^as erübi'igen honte. Indessen hatte ich
auch im Erfinden und Komponiien, V\-elche8
ich fleissig mit immer wachsender Leiden-
schaft trieb, merkliche Fortschritte gemacht,
und %vard mit deni Professor Stanley bekant,
einem vortreflichen Zeichner und Komponi-
sten, der ein reiclics Talent zur Erfindung hat-
«e. Stanley besuchte mich und sah meine
3
54-
bisherigen Versuclie in der Kunst , unter denen
er eine Komposizion , die ihm vorzüglich ge-
rathen schien: dett Tod Balders und iTie all»
Götter um ihn Idagen ^ auswähhe» um sie mit
auf die Akademie zunehmen, und in der näch-
sten Versamhmg der Professoren vorzulegen.
Er brachte mir nach einiger Zeit meine Zeich-
imng zurüch, die den Beifall der Professoren
erhalten hatte, und lud mich gleichsam imNa-
jtlen aller ein , die Akademie zu besuchen.
Dazu hatte ich aber jezt, wo ich sah, dass ich
für mich selbst weiter kam , noch weit weni-
ger Lust als ehemals ; im Gegentheil hatte ich
gegen das akademische Studiren einen gewis-»
sen Widerwillen gefafst, und mein ganzes
Streben war schon jezt dahin gerichtet, bei ei-
ner Austeilung mit um den Preis zu werben»
und durch die That zu zeigen , dass man auch
ohne Akademie Künstler werden könne. Ich
erklärte also : ich habe so lange für mich stu-
dirt, ich sei schon zu alt, um noch jezt ein
Zögling der Akademie zu werden , und wolle
dort nicht mit Knaben in einer Klasse sitzen ;
wenn man mich aber gleich in den Modellsaal
anlassen wolte , so wäre ich niclit abgeneigt,
die Akademie zu besuchen. Eigentlich schlug
icU diesen Mittelweg^ nur dariun vor« wiil
35
ich durch den Einflus de» Eibpiinzen in der
Folge zu einer Reise nach Rom befördert zu
werden hoffte, und dazumuste man nothwen-
dig ein Zögling der Akademie sein. Ohne die-
se lockende Aussicht hätte ich mich -wolil
scliwerlich daraui eingelassen. Meine Bedin-
gung fand Schwierigkeiten , weil man nicht
vom Herkömlichen abweichen wolte. Znlezt
%vard es dahin vermittelt , dass ich zuerst dei*
blofsen Förmlichkeit wegen auf vierzehn Tag«
die Gipsklasse besuchte , dort eine Zeichnimg
machte, und dann in den Modeilsaal ging, wo
ich imgefähr ein Jahr lang nach dem Nackten
gezeichnet habe. Da ich aber nie Lust zum
Nachzeichnen hatte, so besuchte ich die Stun-
den sehr nachlässig, und mag in allem kaum
ein Duzend Akte gezeichnet haben."
„Wärend ich so Scheines halben die Aka-
demie besuchte, kam die Zeit der Aussieüung;
heran , zu welcher ich zum erstenmal eine
Zeichnung nach eigener Erfindung verfertigte,
den Aeolus und Odysseus vorstellend , wie
dieser mit dem leeren Windschlauch zurück-
Kommt, und vom ^eo/u^ unwillig weggewie-
»en wird. Meine Zeichnung stach durch eine
gewisse wilde Grosse , und durch einen star-
36
Iven Effekt,. Jen ich ilir gegeben lip.tte, vor
den übaigen liervor , so dass auch d«r Erb-
piinz Friedrich sie bemeriite, sich meine]- \vie*
der eiinneite , und mir ein ermunterndes Lob
ertheike."
,, unfrei
.ihr um dieselbisre Zeit w^ird ich auch
mit dem Professor ylbilgaard behaut, der eini*
ge Jahre vorher aus Italien znrüch gekoxrimeii
v\'ar> und jezt in Kopenhagen den B.uf eines
der vorzüglichsten Maler seiner Zeit behaup-
tete. Derselbe hatte meine Zeichnung von
Balders Tod, die Stanley juit auf die Akade-
mie genommen hatte, geselren und, wie die-
ser mir sagte, besonders günstig darüber ge-
ig-theilt. Vielleicht kam er dadurch auf den
Gedanken, mich zu seinem Schüler zn haben;
wenigstens w^ard mir verschiedentlich von
Leuten, die wohl mit ihm behaut waren, der
Antrag dazu gemacht. Ich liaLte aber keine
Lust, irgend eines JMaiers Schüler zu werden,
und Wolte den Wink, dass es mir nur Ein
Wort bei ihm kosten v/ürde, nicht verstehen^.
Mein Selbstgefühl sagte mir, dass ich auch oh*
ne einen Meisler Künstler werden könne ; nnd
mein Ehrgeiz , dass es mir zu grofserem Ruh-
me gereichen würde, es durch mich selbst gc-^
worden zu sein. Da icli aber sehr wolü ein-
37
sah, (la<55 mir d.izu tiocli sehr riel feTilö , iiiid
dass ich ini Praktischen, vornehmlicu in der
BehandUing der Farben imd den Handgriffen
des Malens, von Ahilgaard , der ein vortrefiir
clier Kolorist war und seinen Pinsel nieister*
lieh führte, noch vieles lernen honte, das ich
vielleicht ohne ihn nie lernen ^vl■rJ•de ; so wol-
le ich die Gelegenheit benutzen, dann und
wann seine Werhstätte zu besuclicn , und wo
möglich ihn selbst malen zu selien. Er malte
eben damals die vorireflicheu ^Eilder ans der
Dänischen Gcscliiclite für den grofsen Ritter-
saal im hüniglicheii Schlosse , wo sie naclilier
nufgestelk wurden. ') Sein Koloi'it , beson-
ders im Nahten, war fast so schön, Avie in
Vaul l^eroneses und T/::/a7W Gemälden , und
icli habe es auch nachher bei keinem neueren
Maler schöner gesehen; aber sein Stil in der
Zeichnung gefiel mir nicht; seine Figuren
schienen mir übcimäfsig lang und dünne, mit
magern spindelfö3migen Extremitäten ; er v/ar
im Erfinden uiiiauchtbar , und komronirte init
♦) Diese vortreir.chen i\!alereien , ' welche. w:i7-,nnj\fi-
Pvuhm f.uch bei der Xacliweit bewahrt haben \^i:r-
dcn , sind leider in dem unglücklichen Schlcsbran-
de 1794, samt dem S.ile, In welchem sie ar,?-
, gestellt waren, ein Raub der Flammen gevrordsn.
33
Mühe. Es "war mir also blo» dämm zu tliim,
dass ich ilim seine Kunstgriffe im Farbennii-
schen und Malen ablernen könte, da sich das
Kolorit selbst doch eigentlich nicht erlernen,
iondern nur durch Auge und Gefühl an der*
Katur und an guten Mustern der Sinn dafür
bilden läfst. Ich ging öfter in sein Studium,
in der Hofnung , ihn einmal beim Malen zu
treffen; aber das wolte mir lange nicht gelin-
gen, denn er lies sich nicht gern auf die Hand
sehen, und nahm heine Künstlerbesuche an
wann er malte ; bis eines Morgens , wo ich
früher als er in seine Werkstatt kam , nnd
wegen mehrerer giofser Gemälde, die in der«
«elben standen , nicht von ihm bemerkt wur-
de. Ich verhielt mich ruhig, bis er im Malen
begriflPen W^ar, und trat dann zu ihm; er kon-
te nun nicht wohl aufliören, und ich blieb
gegen zwei Stunden lang bei ihm , nnd sah
ihn malen. Hätte mir ein solches Zusehen
von grofsem Nutzen sein sollen, so hätte es
wenigstens öfter, und mit mancher mündli-
chen Eiläuteiun^ verbunden, geschehen müs-
sen , aber es blieb bei dem einzigen Male, das
dennoch nicht ganz ohne Vortheil für mich
w^ar. Wahrscheinlich aber verlor ich zugleich
fii»ch die verstohlene Art, wie ich diese A]?-
39
sieht errelclu hatte , die Gunst des auf seinen
Vorzug eifersüchtigen Künstlers, wovon ick
mich biald zu überzeugen Gelegenheit hatte.**
„Abilgaard hatte meinen y:/eo/«Jauf der Aus-
Stellung nicht gesehen , aber ihn loben geh(>rt,
und scliickte deshalb zu mir, dass ich ihm die
Zeichnung zeigen möchte. Ich brachte sie
ihm. Er betrachtete sie lange aufmerksam oh-
ne ein Wort zu sagen, und als ich ihn endlich
bat, mir sein Urtheil darüber zu äussern, sag-
te er mir: ich würde es in Zeichnung und
Komposizion wohl noch w^eiter bringen kön-
nen; dadurch aber werde ich noch kein Maler;
und doch sei am Ende das Malen die Hauptsa-
che , tmi ein tüchtiger Künstler zu werden. Er
fragte nach meinem Alter, und als ich ihm sag-
te, dass ich bereits acht und zwanzig Jahre
alt sei, entschied er: da sei ich schon viel zu
alt , ujn noch ein Künstler zu werden. Das
Olmalen erfordere viele und lange Übung, und
da ich es nicht schon in der Tilgend gelernt
habe, so werde ich es schwerlich je mehr ler-
nen. Ich sagte ihm , wie ich ohne meine
Schuld so spät zur Kunst gekommen sei; ich
hoffe aber, dass es mir bei meinem grofsen
Triebe noch gelingen werde , durch Fleis und
40
Eifer clas Versäumte naclizuholen. Allein es
scliien, als ob er vorsezlicli meinen Mutli iiie-
dersclilagen, und mir dieKmist verleiden wol-
le ; denn er Leliauptete : das sei vergebens ;
man müsse in der Jugend malen lernen , und
es sei gut, dass ich den Wcinliandel gelernt
habe, so bliebe mir docli eine Zuiluclit,
wenn ich einst sehen würde, dass es mit der
Kunst nicht ginge. Dies brachte mich endlich
auf,, so dass ich mich nicht enthalten konte
ihm zu sagen: ich hätte geglaubt, eine ande-
re Aufmunterung von ihm zu erhalten; ich
w^isse %vohl, dass ich noch wenig könne, aber
ich fühle auch, dass es mir nicht an Talent
und Eifer fehle, um nicht noch ein Künstler
>2u ^veiden. Das Olmalen allein mache auch
noch keinen grofsen Künstler aus. jMichelan-
^elo habe nicht in Ol malen können, tmd sei
doch einer der gröfsten Künstler in der Welt
ge^vesen; er solle mir r.lso auch nicht den
Muth dazu benehmen. So rollte ich voll Un-
willen meine Zeichnung zusammen , ging
nach Hause und spannte mir eine LeiuAvand
zw^ölf Fufs hoch auf, um darauf meinen Aeo^
lus in Ol zu malen. Ich arbeitete tätlich von
früh bis in die Nacht , und in [weniger als
zwei IMonathen v/ar mein Bild fertig. Es ge-
4i
fiel denen , die es sali^n , und maclite sogar
Aufsehen wiegen der Dreistigkeit, die ich ge-
habt hatte, mich gleich an eine Arbeit in so
grofseni Maasstabe zu wagen, und ^vegen des
drohenden trotzigen Charakters im Jeolus ;
auch der Rupferstecher Clemens y der in Rom
sre^vesen war , sah ihn und sagte, man solte
glauben , icli hätte Michelangela s Werke in
der Sixtinischen Kapelle gesehen. Er führt©
auch den Maler Juel zu mir und wiederholt»
dasselbe. Durch ein so schmeichelhaftes Lob
ermuntert erzälte ich ihnen, wie mich der
.Professor Abilgaard abgefertigt habe, unddass
ich troz ihm doch noch ein Künstler "werden
wolle. Juel hatte es nachher dem Ahilgaard
wieder gesagt und mit ihm gescherzt, er solle
den kleinen Holsteiner (so nantenmich in Ko-
penhagen gewönlich die Künstler) nicht zu
sehr aufbringen, der habe keine Paihe , bis ce
nicht eben so gut malen ^vürde, vrie er. Dies
zog mir ^Z^i/^aarJ^ Ungnade zu ; aber fürmicli
war es die grOste Aufmunterung , und für
meinen Ehrgeiz, der keinen vor sich zu lassen
Wünschte, ein mächtiger Sporn; obwohl ich
einsah, wie weit ich ;nocli im Malen zurück
war, und dass ich ihn darin nie erreichen
•W'üfde.*«
„Bei der nächsten Ausstellung hatte «i»
Künstler von denen, die um den gicfsen Preis
TV'etteiferten, eine Zeichnung gemacht, die
unter allen bei weitem die beste war, und je-
der erwartete, dass demselben der erste Preis
würde zuerkant werden. Aber bei der Aus-
theilung erhielt ihn ein anderer, dessen Zeich-
nung weit unter jener war, und an den nie-
mand gedacht hatte. Da dieser Vorgezogen©
ein Verwandter von Ahilgaard war , so er-
klärten aus diesem Umstände alle jungen Künst-
ler , die , ihrer Überzeugung nach nuA'-erdiente»
Begünstigung, die demselben widerfuhr. Mir
ward für eine Modellzeichnung die grofse sil-
berne Medaille zuerkant. Obgleich ich um
den grofsen Preis nicht mitgew^orben liatte,
also bei der Vertheilung desselben persönlich
gar nicht interessirt war, so nahm ich mich
doch des durch die parteiische Austheilung
Zurückgesezten und seiner Sache mit so grofsem
Eifer an, als wenn ich selbst der Zurückgesez-
te gewesen wäre. Ich erklärte öffentlich:
dass ich die silberne Medaille nicht annelimen
"Würde, wenn der, welcher nach aller Über-
zeugung die goldene verdient hätte , dieselbe
nicht erhielte. Auf einer Akademie , wo das
Verdienst nach Gunst bestimmt werde , woll«
45
ich keinen Preis verdienen. Ich ging auch
niclit auf die Akademie an dem Tage , wo di«
Preise ausgetheilt wurden. Der Erbprinz Friß"
«iric/i vevtlieilte dieselben auch dasmal, w^ie ge-
^vühnIich. Als ich aufgerufen wurde und
nicht dawar, ward vorgewendet, dass ich
kjank sein möchte, und die mir zuerkanta
Medaille ^va^•d mir von der Akademie zuge-
sandt. Aber ich behairete fest auf meinem
Entschlus, wies sie zurück und erklärte zu-
gleich: ich wüide nie wieder einen Fufs in die
Akademie sezen, sie möge ihie Medaillen nur
immer nach Gunst vertheilen , ich verlange
keine davon. Ein solcher Troz war unerhört,
und wurde durch eine förmliche Verweisung
von der Akademie bestraft. Das Dekret mei-
ner Verweisung ward an alle Thüren der Aka-
demie angeschlagen; doch lies der Professor
pT-'iedeivelt es am -folgenden Morgen wieder
abreissen. Mir war diese Ver'vveisung gleich-
gültig; denn ich hatte mich selbst schon frei-
willig ver%viesen. Ich sah wohl ein, dass ich.
durch dies Betragen die Gunst des Erbpriii»
zen , und alle -Vortheile , die ich von dersel-
ben für die Zukunft hoffen konte, auf immer
versclierzt hatte; doch achtete ich diese Auf-
opferung damals für nichts, gegen die Genug-
44
tlimmg, die icli darin empfand. Icli war mei-
nem Gefülile gefolgt, das sich gegen jede Un-
gerecliiigleeit empörte, und hier uin so mehr,
da ich einen xslann für den Urheber derselben
liielt, der auch meinen Tiieb zur Kunst hatte
unterdrüclien wollen, statt denselben durch
AufmunLernrig und lehrrciclie Berathung zu
Unterstützen."
„War mir nun gleich der Zutritt zur Aha-
demie föjmlich verboten , so verlor sie doch
jüen verwiesenen Rebellen nicht ganz aus den
Augen, und es würde Iciclxt gewesen sein,
aiiich wieder mit ihr auszusöhnen. Da ich im
gtudiien eifrig fortfulir, luid durch immer
besser gelingende Komposizionen die Aufmerk-
samkeit der jungen Ivünstler sov/ohl, als der
Professoren, rege erhielt, so that man mir im
folgenden Jahre , als die Zeit der Preisbewer-
bung herankam, von Seiten der Akademie den
Antrag, ob ich mit um den Preis weihen \vol-
le, mit dem Zusätze: man sei von meinen
Fähigkeiten überzeugt, dass icli ge^vis die gol-
dene Medaille erhalten würde. Des Vorgefal-
lenen solle nicht mehr erwähnt %vei'den. Mit
der Erlangung des grofsen Preises ist zugleich
eine sechsjäLrige Pension und die Sendung
pach P».om verbunden. Dieses ehrenhaften Au-
45
träges, der micli nur stolzer maclite, und die-
ser so ■wü.nsc]iens\vertlien Aussichten ungeacli"
tet , beharrete ich iu meinem stansinnigen
Trotze und gab zur Antw^ort: ich sei einmal
von der Aliademie ver%viesen, und lioffe auch
ohne sie nach R-oni zu kommen ; überdem be-
dürfe icli keiner ^Medaillen ; meine Kunst sei
mir diuxli sich selbst Aufmunterung und Be-
lohnung genug. Alle diese Vorfalle veidop"
pelten meinen Eifer und meinen Muth. Den
freundschaftlichen Umgang mit Stanley, der
mir selir leln-aeich %var, sezte ich fort, und
zeichnete oder malte soviel Portiäts , als sich.
m.ir nur darboten , um mir Reisegeld zu er-
sparen; denn von nun an \v?-y eine Reise
nach Italien das höchste Ziel meiner Wünsche*
Und obgleich ich von Jugend auf eine schwcäch-
liche Gesundheit hatte, so schadeten mir doch,
diese Anstrengungen nicht. Meine Leiden-
schaft für die Kunst war so gros , dass ich oft
auch im \Yinter in der Nacht aufstand nnd
arbeitete, ^venn mich die Gedanken an eine
angefangene Arbeit nicht ruhen liefsen, und
dann gegen Morgen halb erstarrt -wieder zu
Bette- ging." ■
„Icli hatte nun gegen sieben Jahre in Ro-
penliagen zugebracht; mein kleines Erbtheii,
46
das in 1500 Tlialern bestand, war in den ei-
sten fünf Jaliien darauf gegangen, und nach-
her lebte ich vom Portiätiren. Wärend der
lezten zwei Jalire befand sich auch mein jüng-
^t€r Bruder , der in Schleswig die Malerei ge-
lernt hatte, bei mir, und machte unter mei-
ner Anleitung Weitere Fortscliritte in der
Kunst, Er hatte noch einige hundert Thaler
von dem Seinigen übrig , und ich hatte unge-
fähr eben soviel vom Gewin meiner Aibeiteii
erspart. Mir schien, der günstige Zeitpunkt
cei nun gekommen, w^o ich endlich das gro-
sse Ziel meiner Wünsche , eine Reise nach Ita-
lien, erreichen könne. Jugendlicher Muth,
leidenschaftliche Kunstliebe und Unerfahren-
heit stellten uns die Ausführung als leicht vor.
Mit unserm Gelde w^olten w^ir die Reise bi» ''
Rom machen , und dort hofften wir leicht
Gelegenheit zu finden, soviel zu verdienen,
als wir ziun Unterhalt bedürften. In Ropen-
ha^en studirte damals auch der Bildhauer Busch
aus Mecklenburg -Schwerin, der von gleichem
Eifer für seine Kunst beselt, troz der schwache»
Pension, die sein Fürst ilim gab, sich ent-
«chlos, die Reise nach Roiu mit uns z\x mA\
cken."
47
„Wir drei braclien also im Frülijalir x785
von Kopenhagen auf. Ein Pferd, das wir ge-
jneinscliaftlicli zu diesem Zweck gekauft Lat-
ten , trug unser Gepäck ; ms'iy Wanderten zu
Fufse. So zogen wir über Lübeck und Ham-
burg bis Nürnberg , wo wir uns aber man*
cherlei Ursachen wegen trennten. Busch nahm
das Pferd, sezte seine Ftelse allein fort, und ge-
langte glücklich nach Rom. Mein Bruder und
ich reisten mit der Post weiter über Augsburg»
Jnspiück , Verona , bis Mantua , %vo vrir im
Junius ankamen, und acht Tage äu verweilen
beschlossen , um die Werke des Julius Roma"
nus drtselbst zu sehen.'*
„Hier sah ich endlich , was ich so lange zu
gehen gewünscht hatte, ein grofses Werk det
neuem Malerei, und erhielt daraus zueist ei*
nen anschaulichen Begrif von der Freskomale*
1-ei und von der romischen Schule. Dazu wa-
ren es die Arbeiten von Rafaeh bestem Schü-
ler, und sie gaben mir eine deutlicheie Ideo
Von den Werken seines grofsen Meisters , als
ich bis daliin aus den Kupferstichen nach den-
selben gehabt hatte. Diese Malereien waren
ganz für mein Gefühl , gros, voll feuriger Fan-
tasie und von geisueicher Erfindung, ernst und
4-8
liräitig im Stil. Es kam mir vor, als ob icli
jezt zum ersten male v/alire Malerei siihe, die
ich ganz verstand und fülilte. Nach meiner
Weise Kunstwerke zu studiien , die einen
aiiäclitigcn Eindruck auf micli machten, den
iclidaurend in mir zu bewahren, und fürmei-
tie eigenen liunstfibungen zu benutzen %vünsch-
te , blieb ich zu halben und ganzen Tagen im
■Pallast del Te ^ und suchte den giofsen un.d
kraftvollen Stil dieser kühnerfundenen Werke
meiner Einbildungskraft so fest einzuprägen,
dass die Voistellung derselben mir immer le-
bendig blieb, und nachher, wo ich wieder
mehrere Jrihrc lang im Noiclen von Deutsch-
land , von allen Kunstwerken abgeschnitten,
schmachten mufste, mir wie ein Leitstern
Voi'leuchtete , und mich auf rechter Baliu
erhielt. So blieben wir vier Wochen lang
in Mantua."
j,In dem Gasthause, vro wir eingekehrt wa*
3'en, speisete Mittags gewöhnlich ein Kammer-
diener des derzeitigen Kommandanten von
Mantua, Grafen von Breisach, Da wir kein,
Wort Italienisch verstanden, geschweige spra-
chen, so ^var es uns erw^ünscht, dort einen,
Deutschen zu ßnden , der uns bei dem Wiithe
al«
49
als Dolmetsclier diente, und uns über das,
WMS \vi]- zu wissen verlangten, Auskunft gab,
%vofür icli ilun zur Erkentliclikeit sein Por-
tiät zeichnete, Dieser mochte seinem HeiTn
crzalt haben, dass sich ein paar deutsche
Künstler in Mantua befanden, die nach Rom
reisen wolten; denn der Kommandant lies uii»
eines Tages zu sich rufen. Ich ging allein zu
ilim, und fand einen Greis von ehrw"ürdigem
Anseilen, der mich freundKch mit der Anredö
empfing, er freue sich immer, wenn er Deut-
sche sehe , und wünsche , dass er uns T\orin
aiüzlich sein könne. Ich erzälte ihm, V\ir seien.
aus Liebe zur Kunst aus Dänemark nach Ita-
lien gCAvandert, und wolten nun weiter bi»
Pvom gehen, um da die Werke JMlclidangtlo' 5
und Rafaels zu Studiren; hier habe Julius üo-
nianus uns länger verweilt, als v>'ir gevs^olr.
Er fragte unter andern auch nach unscrn öko-
nomischen Umsiünden. Unser Geld, erwie-
derte ich ihm, sei freilich schon ziemlich zu-
sammengesciuiiülzen , indessen hoftcu wir bis
Rom damit auszureichen, wo wir schon Gc*
legenheit finden würden etw^as zu vcidiehen,
und uns ein paar Jahre in E.om zu erhalten»
Der alte General schüttelte seinen giauenKopf
und S3gtc: das selten wir nur nicht hoffen;
4
50
es sei in Rom so voll von Künstlern Jie ein-
ander, um zu leben, das Brod wegkabalirten.
Von den Italienern sei olmeliin nichts zu ver-
dienen, und die italienisclien Künstler lebten
selbst nur von den Fremden ; %venn wir liei-
x\e Pension oder keine ganz besondern Em-
pfehlungen hätten , so würden wir schw^erlich
Arbeit finden , und wenn ^vir auch die fanden,
SO würden w^ir so schleclit dafür bezalt wer-
den , dnss wir davon kaum leben, geschweige
studiien honten. Wir solten also ja nicht so
aufs Gerathewohl daliin gehen , sondern lie-
ber nach Mailand zurückkehren, da würde es
schon leichter etwas zu verdienen geben ;
wenn war da unsern Beutel gefüllt hätten,
könten wir leicht nach Rom kommen. Er bot
mir zugleich ein Empfehlungsschreiben an sei-
nen alten Freund und Kriegskameraden , den
General Stein, an, der in Mailand komman-
clirte. Der Ratli des alten Generals machte so-
viel Eindruck auf mich, dnss ich mich ent-
schlos ihn zu befolgen, so sehr er auch ^egen
ünsern Plan w^'ar. Ich erhielt das Empfeh-
lungsschreiben , und wir gingen einige Tage
darauf nach Mailand ab. Am Morgen nach
unserer Ankunft trug ich, voll guter Hofnun-
gen, lueiuen Brief ziuu Gen^jial SU'in, Ich
51
ward sogUich vorgelassen. Seine Excellenz
lies sich gerade irisiren ; ich iibeneiclite mei-
nen Brief mit einem mündlichen Em^ fehl de«
Grafen von Breisach. Als er den Brief gelesen
liatte, warf er ihn anf den Tisch und sagte :
ich weis nicht was der alte NaiT denht, dass
er mir solche Leute auf den Hals schikt. Ich
hann mich nicht um euch bekümmern; seht
zu wie ihr weiter kommt ! Nach diesem Em-
pfange sah ich , dass da nichts zu erw^arten
sei, machte dass ich foit kam, und theilte
nach der Zurückkunft ins Wirtlishaus meinem
Bruder den leidigen Bescheid mit. Wir sa-
iien nun, dass es um unsere schonen Hofnun-
gen geschehen war. Nichts blieb uns jezt
übrig, als unsern Plan aufzugeben, und sobald
als möglich nach Deutsehiand zurück zu keh-
ren, ehe unser Geld noch r()llig aufgezehrt
wäie. So viel Muth wir bei der Hinieise hat-
ten , als wir dui ch Deutscliland Hiit vollem
Beutel zogen, so muthlos waren w^ir jezt ger
worden, als unsef Geld zur Neige ging, und
wir die Erfahrunsr sremacht hatten , w^ie es sich
in einem Lande reis't, dessen Sprache man
nicht versteht. Der blofse Gedanke o]me Geld
in jenem Lande zu sein , schreckte uns zurück.
Wir blieben nur ein paar Tage in Mailand,
besaiten einige Kirchen, und das bewunderns-
•Würdige Abendnialil des Leonardo da Vinci,
Von allem, was ich in Mailand gesehen habe»
erinnere ich mieh nur noch dieses Gemälde»
lebhaft, und der Zeichnung von der Schule
von Athen in der Ambrosianischen Bibliotheh»
Diese fand ich aber unter meiner Erwartung ;
sie schien mir für ein Werh von Ha/aeZ^ Hand
zu unfest gezeichnet; ich jhatte.die hilhnen
und festen Umrisse des Julius Romanus noch
zu lebhaft im Gedächtnis. Als ich nachher
das ausgeführte Gemälde davon im Vatik;iu
sah , da erkante ich 'Rafaels Grüfse und sah
ein, dass die Athenlensische Schule die erste
Roniposizion in der Welt sei/'
„Wir fanden in Mailand zufällig einen:
deutschen Malergesellen, einen guten armen
Teufel , der sich an uns schmiegte imd aus
freiem Willen mit uns durch die Kirchen und
Klöster lief, und als wir w^egreisen ^volten>
sich [erbot, uns, für freie Zehrimg hin und
zurük, durch die italienische Schweiz bis in
die deutsche zu begleiten. Da %vir in Italien
immer von den Wirthen betrogen wurden^,
weil %vir nicht handeln konten, so nahmen
wii' ihn mit, und er war [uns von so gutena
53
Nutzen 'iintei*\veges , dass wir melu- durcK ihn
ersparten , als er uns kostete , und ich konte
mein italienisclies Wörterbuch, das mir we-
nig geholfen hatte, ruliig in der Tasche be-
halten.«
„Wir zogen zu Fus über den Gotliard zu-
Tük durch die gev/altige und erhabene Scli-vvei-
Äcrnatur, die luis den mühsamen Beigw^eg in
der brennenden Sommerhitze vergessen lies ;
aber wir stiegen doch mit betrübtem Herzen,
dass wir das s&hOne Italien sobald wieder hat-
ten verlassen müssen, ohne Florenz und Pvoiu
zu sehen, aiif der deutschen Seite den Berg
hinab. In Altorf verlies uns unsei- Führer,
imd kehrte wieder nach Mailand zurück. Wir
fuhren über den Vierwalds tädtersee bis Brun-
nen, luid gingen über Zug nach Zürch. Un-
ser Geld %var, als w^ir dort ankamen, bis auf
wenige Batzen zusammen gesclimolzen ; doch
wanderten wir mit Sonnenuntergang getrost in
Zürch ein. Wir trugen wärend der ganzen
Reise unser Gepäck auf dem Rücken , und ich
führte alle meine Kompoß?:ioncn und Zeich-
nungen von Kopenliagen aus in einem Porte-
feuille bei mir."
„Mit diesem ging ich am folgenden Mor-
gen gerades Weges zum Dichter Gesner, den
54.
ich aus seinen radiiten Blättern aucli als Künst-
ler kante. Icli erzälte ihm, unsere Abenteuer,
unsere Verlegenheit, und meine Absicht in
Zürcli einige von meinen Korapofizionen zu
verkaufen, oder Arbeit zu suchen, damit -wir
Geld zur Fortsetzung unserer E.eise bekämen.
Gesner nahm mich liebreich auf, bezeigte sein
Wohlgefallen an meinen Kompolizionen und
sagte, er -würde sie mir gern alle abkaufen,
wenn er nicht das Haus voll Kinder hätte , die
ihm verboten viel Geld auf seine Kt^mstiiebha-
beiei zu verv^^enden ; er wolle mich aber ei-
nem seiner Freunde empfehlen, der mir gewis
eiriige Zeichnungen abnehmen Avürde. Dies
war der Zunftmeister Heide^s^er , an den mir
Gesner ein Blätchen ga^. Der Herr Zunftmei-
ster empfing mich anfangs etwas steif und gra-
Vitätisch, aber er ward bald freundliclier und
kaufte mir drei Zeiclpiungen ab. Ich lies ihn
selbst den Pieis bestimmen; er gab mir vier
Laubthaler für jede. Dafür hätte ich sie sonst
freilich nicht weggegeben ; aber ich war jezt
/roh, dass-ich wieder etwas Geld bekam. GeS'
ner empfahl mich auch an Lavater , für den
ich verschiedene Poiträts zeichnen muste, und
unter diesen auch den berühmten Musiker ^
Reiciiharti der sich damals in Zürch befand.
55
So bekam ich bald über zwanzig Laubtbaler
zusammen. Auch Lavater nahm mich recht
fieundlich auf; aber über die Kunst honten
wir niclit viel mit einander sprechen, ohne in
Streit zu jrerathen; da schwazte er viel ins Ge»
lag hinein, was fi\r mich hcinen Sinn hatte,
und nreine Meinungen kamen ihm eben so
abenteuerlich vor. Er schien mir ein Schwär-
mer, ich ihm ein Sonderling in der Kunst.
Mit Gesner hingegen konte ich mich besser
unterhalten; er liatte richtige Begriffe von der
Kirnst, schwärmte niclit, luid hegte grofse
Achtung für die Altezi.*'
„iVlit dem erworbenen Gelde eilten wir
imn von Zürch weiter, und zogen %vieder,
ohne uns irgendwo aufzuhalten, ganz Deutsch-
land zu Fufse durch bis Lübeck , wo wir üu
Herbste desselben Jahies anlangten, und fürs
erste zu bleiben beschlossen; denn unser Geld
war zu Rande, und wir kamen ziemlicli
schlecht im Zeuge dort an."
„Das war das Ende unseres abenteuerli-
chen Zuges nach Italien, den w/ir mit so glän-
zenden Iloinungen und Aussichten unternah-
men. Hatten wir nun aucli unsern Zweck
niclit eneiciit, so war doch die Reise nicht
56
ganz vergebens. Icli hatte Julius Romanus,
Xjconardo da Vinci und die Scluveiz gesellen,
drei Gegenstände , die einen nnanslöscliliclien
flindrucK auf mein Gefühl machten , die mir
in der Folge , \vo ich wieder Jahre lang von
allen Runstw^erhen abgeschieden lebte, immer
lebendig vorschwebten, luid auf meine Kunst
einen wesentlichen Einflus gehabt haben." —
Hier endet des Künstlers eigene Erzälung,
und der Verfasser nimt nun den Faden dersel"
ben wieder auf,
Carstens blieb fast fünf Jahre lang in Lü'
beck, und erwarb dort seinen Unteihalt mit
Porträtmalen, dem einzigen Kunstz^yeige, der
bei dem Publikum jener Ilandelstadt eiuiges
Interesse hatte. Er trennte sich aber schon in
den ersten Jahren von seinem Bruder, der,
gleich unbesorgt um Gegenwart und Zukunft,
jiur zu oft die Uneigennützigheit misbrauchte,
mit welcher Carsten^, der kaum für sich selbst
das Nothdürftige ej-werben konte. Alles brü-.
derlich mit ihm theilte, bis es ihm endlich
unmöglich ward , den Bruder länger axif seiue
Kosten zu ernähren. Dieser \vandte sich nun
nach Stralsund und Greifswald, wo er durch
PorträtmaJen und Unterricht im Zeichnen sei-
57
ncn Unteilialt, wlewolil meistens kümmerlich^
er-\varb.
Im Jalire 1^736 kam der Verfasser dieser La-«
bensbesclireibung nach Lübeck, nnd machte
bald darauf des Künstlci-s Bekantschaft. Gleich-
heit der Neigungen knüpfte bald eine innigo
Freundschaft zwischen beiden. Der Verfasser
war damals noch ein Jüngling; frühe schon
von einem lebhaften Triebe zur Kunst beselt,
^ber in einem Lande geboren , avo dieser
Trieb keine Nahrung finden konte, hatte er
bis dahin noch nie Gelegenheit gehabt, ein
Kunstwerk der höheren Gattung zu sehen, ge-
schweige einen Zweck der Kunst zu erkennen,
der w^eiter ginge, als auf die blofse Nachah-
mung des Wirkuchen. Wer die prosaischen
Gegenden Niederdeutschlandes keiuit, wo der
Verfasser seine Jugend verlebt hat, die üker-
mark, Pommern und Mecklenburg , der wird
wissen, welche Seltenheit dort Kunstwerke
sind, und dass nian da wohl, so \vie der Ver-
fasser, sein z^van2igstes Jahr verleben kann,
ohne je ein historisches Gemälde, oder sonst
ein gutes Kunstwerk gesehen zu haben.
Carstens lehrte ihn zuei-st eine höhere Sfä-
Tc der Kunst keimen. Der immer resre Enthu-
58
siasinns des Künstlers tlieilte sicli der Empfäng-
, liclikeit des jüngeren Freundes mit, imd der
gleiche Trieb, welcher unter ihnen bald das
enge und doch freie Verhältnis des Lehrenden
lind Lernenden erzeugte, knüpfte zugleich das
Band ihier Freundschaft mit jedem Tage fester.
Die Kunst yvar der stete Gegenstand ihier Un-
terhaltungen, ihrer Lbungen, ihrer Wünsche
und Plane für die Zukunft; und so verflossen
ihnen, in einer von aussen sehr beschrankten
Lage, w^elche beide, doch auf verscliiedene
Weise, gefesselt hielt, zwei glückliche Jahre
vereinten Strebens und Genusses , die ihnen in
der Folge das Schiksal noch einmal, aber freiei',
schöner und in vef'doppeltem Mafse, in Fvoni
zu wiederholen vergönn'te.
Da Carstens im Treffen sehr gliicklich
war, und mit einer bestirnten schönen Zeich-
nung eine saubere und gefällige Ausführung
verband , so fehlte es ihm in Lübeck selten
au Arbeit, und er hat dort eine sehr giofse
Menge von Porträts theils gemalt, theils ge-
zeichnet; doch \var es nie, besondeis in Öl-
farben, die Kunst des Pinsels und des Kolo-
rits , wodurch er sich auszeichnete ; gefälliger
■und Sehr fleissig gearbeitet waren seine Minia-
59
turen. Wer sein höheres Talent, seinen feu-
rigen, strebenden Geist, und seinen Sinn für
das Grofse kante, der muste diese Geduldpro-
ben des pünktelnden Fleisses noch mehr be-
\vundcrn , den er auf Arbeiten verwendete,
die ihn gar nicht interessirten , die ihm viel-
mehr herzlich zmvider waren ; aber er muste
auch bedauern, dass ein Künstler mit solchen
Talenten etwas Grofses zu leisten, die Köstli-
che Zeit auf söiclie Weise verschwenden mu-
ste; denn man kann wohl sagen, dass die.
fünf in Lübeck verlebten Jahre dem Künstler
eben so lumüz verloren gingen, als jene fünf
Jahre , die er früher bereits beim Weinhandel
verloren hatte. Zwar sezte er sein Studium
der Historieiunalerei immer gleich eifrig fort,
er komponirte , zeichnete, entwarf eine Alen-
ge von Erfindiuigen , die ihm beim Lesen alttr
lind neuer Dichter seine fruchtbare Einbil-
dungskraft darbot ; aber es gebrach ilim doch
an allen den Hülfsmitteln , \velche den Künst-
ler -Reiter fördern, an Nahrung für seinen
Kunstsinn, tuid an, aller Aufmunterung von
aussen. Er hatte über vier Jahre in Lübeck
gelebt, seine Portefeuillen, selbst die grauen
Wände seines kleinen Zimmers, waren mit
jnehr oder -\veniger ausgeführten Komposizio-
6o
jien und flüchtigen Entwürfen angefüllt, und
dock -war ausser -wenigen näheren Sekanten,
mit denen er unrging, niemand, der dies kö-
iicje Talent in ikni kante. Freilicli waren
seine eingezogene Lebensweise, sein köckst
scklickter Anzug bei einer kleinen unansekn-
licken Figur, seine gänzlicke Unfäkigkeit sich
persünlick bemerkt und sein Talent geltend
7.V. macken, welcke ikeils in der früker rer-
jiacklässigien Bildung seines Äussern, tkeils
in seiner allen Sckein veiacktenden Denkart
ikren Grund katten, und ikm den Anstrich
einer gewissen Rusticitüt gaben, eben so viele
tJrsacken, dass nienaand etwas Hökeres in ikni
aknete , und dass er aucli den v/enigen Ken-
nern, die für liökere Kunst Sinn und Interes-
se kaben , tuibemerkt blieb, bis erst spat ein
günstiger Zufall ihn einem derselben bekant
mackte , der seinem Sckiksale eine günstigere
Wendung gab.
Ein gvufseres Hindernis seines Fortkom-
jneus aber w%''.r sein siecker, kränkelnder Kör-
per, der mit seinem feurigen Temperamente
und rastlos tkätigen Geiste in einem für iliu
Verderbliclien Misverkältnisse stand, und ilin
/oft Wockeii und Monate lang ziun Arbeiten
iihfälilg machte. Seine KranWieit war, wie
bereits bemeikt worden, ein Brustübel, wo-
zu er den Keiiii mit auf die Welt gebracht hat-
te, das sich von Zeit zu Zeit in heftigen An*
fällen meldete, und in Lübeck einigemal zu
einem Grade stieg, der seinem Leben Gefallt
drohte. Dies öftere Kranhüegen , wodurch
ilim manche Arbeit entging, manche kostspil-
lige Kur erwuchs , und ein überläsriger Bi u-'
der , der in soiglosem Müssiggange auf seine
Kosten lebte , sezton ihn öfter in Schuid-en,
die zwar nie beträchtlich waren, von denen
er sich aber doch nie wieder gänzlich frei rna*
clien honte. Alle diese Widei-wärtigheiten,
mit dezien . er unablässig zu kämpfen hatte,
waren doch nicht im Stande seinen Mutli nie-
derzuschlagen. Auch in leidenden Zuständen
war sein Sinn immer heiter, und sein GeisG
schwebte kmnmerfrei in den höheren Regio-
nen der Kunst,' wo das Bedürfnis ihn nichc
ejTeichte.
Wenn die Ausübimg der Kunst ihn nicht
bescliäftigte, so las er die alten Dichter und
Gcscliichtschreiber, die in Übersetzungen vor-
handen waren. Unter den Dichtern %vareu
für seine Phantasie Homer, die alten Tra^^iket
und Schakspear y und für sein Gefühl Pimlari
62
Ossian und Klopstock in den OJen seine Lieb-
lingslektüi e. Auch die Mythen der skandina-
vischen Dichtungen , die er in Kopenhagen
kennen gelernt hatte, liebte er ihres gaofsen
lind fantastischen Inhalts Avegen. Dies waren
die Quellen , aus denen er den Inhalt seiner
Komposizionen schöpfte. Die Kupferstiche
nach den Weihen des Rajael , MicheJangeloy
Julius üomanus i ' Polidor > Annihal Carraccij
Pietro Testa yvc^reu die Hiilfsmittel und Mu-
ster, nach denen er seinen Stil zu bilden such-
te. Aber immer waren Rom und die Origina-
le der unvolkommenen Nachbildungön , mit
denen er sich jezt kümmerlich behelfen mu-
ßte, das Ziel, nach w^elchem er mit steter Sehn-
sucht hinblickte; und nur wenn, bei seiner
hofnungslosen Lage, und ohne alle Aussicht
sich ihr zu entreifsen, Zweifel in seiner Sele
«Ulfstiegen , dass er jenes Ziel vielleicht nie er-
leichen werde , konte er traurig werden und
sich über sein unglückliches Schiksal bekla-
gen ; dann übermannte ilui wohl auf Augen-
blicke das zu lebhafte Gefühl des Schnierzens,
den er sonst männlich zu ertragen wüste. Nie
wird der Verfasser den rührenden Moment
vergessen, wo Carstens eines Abends, als das
ftunstgespräch lange bei jenen geliebten Ge-
gffnständen verweilte, und seine Selmsuclit
nach Italien mit ungewölinliclier Leidenschaft-
lichkeit in ihm aufgeregt war, von inniger
Welimuth übermannt, jenem weinend um den
Hals fiel, lind sein w^idriges Geschieh anklag-
te, das ihn an einen Ort gebannet habe, wo
sein brennender Trieb sich unbefriedigt in
sicli selbst verzehren , %vo er seine Zeit an
elende Porträtarbeit verschwenden müsse , und
vielleicht nie ans Ziel seiner Wünsche gelau-
gen werde. Aber nie holte man ihn über
\'\'iderw\ärtigkeiten klagen , so drückend sie
sein mochten; selbst sein siecher Körper war
ihm nur als Hindesnis für seinen Kunstnieb
lästig ; am wenigsten bekümmei ten ihn zeit-
liche Güter. Überhaupt war wolü nicht leicht
ein Künstler in dieser Hinsicht uneigennützi-
ger , gleichgültiger gegen baren Gew^in , als
Carstens. Seine Kunst allein WMr ilim alles ;
sie w^^r sein Element, seine P«.eligion, seine
Seligkeit, sein Dasein. Er -würde mit Freu-
den auf alle äusseren Vortheile verzichtet, al-
len Bequemlichkeiten des Lebens , an die er
ohnehin nicht gewöhnt war, allem Gewin
durch seine Kunst entsafijt, in Dürftigkeit sre-
O ' OS
lebt, und sich glücklich gefühlt linben , wenn
er um diesen Preis die Befriedigung seines
Strebens hätte erkaufen können.
6+
Bei dieser Verziclitung auf alles," was aus-
ser seiner iiunstsfäre lag, war aber Carstens
um so eifejsüclitiger auf die Er^verbung jedes
Gutes innerhalb derselben» und er besas in
Jiohem Grade jene Leidenschaften, welche ge-
Wölnilich mit grofsen Aailagen verbundensind :
einen fem igen Ehrzeiz , der nur nach dem
Vortieflichen strebt, und der eifersüchtige Ne-
benbuler jedes andern wird, den er auf seiner
Laufbahn noch vor sich erblicht; den Stolz
jedes- er^vol•bene Verdienst nur dem eigenen
Streben zu verdanhen; nur durch wahre Tref-
lichkeit zu bestehen, und jed^en Schleicliwcg
SEU Puihm und Gewin , so wie jeden der dar-
auf hiiecht , zu verachten.
Diese Triebfedern vrirhlen schon fiühe in
ilun, so bald sein Talent zum eigenen Bewust-»
sein gelangte, wie sowohl seine Art zu studi-
ren» als seine Fehde mit der Kunstakademie
in Kopenhagen beweiset. Sie wurden -jedoch
von der entschiedenen Geradheit und E.edlich«
lieit seines Charakters s-o beherscht , dass sie
sich immer in den Schranken eines gerechten
Selbstgefühls erhielten , und nie in Dünkel
und Anmafsung ausschweiften. Aber cä lag in
der natürlichen Offenheit seines CharakteiSj
dass , er die Regungen diese? Selbstgefühles,
die
65
Axe andiere kliiglicli TerscKweigen , oline Arg
äusserte, wodmcli er bei manchen, die von
sicli auf andere schliefsen, nickt selten in den
Verdaclu der Eitelkeit und Anmafsung gerietb,
die doch seiner Denkweise völlig fremd wa.-
len. So hatte er schon damals , wo er doch
von der Stufe, die er spateihin eneichte, noch
weit entfernt war, ein richtiges VorgefühZ
von dem was ihm en-eichbar sein, und wa»
ihm uneneichbar bleiben würde , indem er
äusserte: Vor allen übiigen Künstlern, selbsc
vor dem Jnnihal Carracci , den er doch in je-
ner Zeit vorzüglich hoch schäzte , fürchte ec
8ich nicht ; wenn er nur Gelegenheit habe sich
in Rom auszubilden, so hoffe er sie wohl zu
erreichen; aber I^'Iichelangelo und Rajael seien
so gros , dass er sich glücklich schätzen wür-
de , vrenn er daiiin gelange, dass man es der-
einst seinen Arbeiten ansehe , er sei nicht un-
rühmlich in ihre Fusstapfen getreten. Diesen
grofsen aber bescheidenen Wunsch, der auiS
der Fülle seiner Verehrung für jene Künstler,
und seines Enthusiasmus für die Kunst quoll,
hat er nach dem Urtheile der Kenner in sei-
nen zu Rom verfertigten Arbeiten wirklich,
und mehr als irgend ein anderer unter des
treuem, erreicht»
6
66
Von den Komposizioiien nnsers Carsteni
aus jener Zeit kann dei- Verf.isser nur die an-
f üliren , -welche er gesehen hat, und deren er
sich noch deutlich erinnert* Sie werden ihm
Veranlassung geben, über den früheren Stil
des Künstlers und die derzeitige Stufe seiner
Ausbildung einige Beinerhungen zu machen*
Es sind die nachstehenden :
Achill, dem der Geist des Patroklas im Trau-'
vie erscheint; nach Homer.
Mtin Bakchanal von fünf bis sechs Figuren,
die um eine Statue des Bahchus tanzen.
Sokrates, der dem Alzihiades in der Schlacht
hei Potidaea das Lehen rettet; mit Bistet
lavirte Federzeichnung.
Odysseus, der vor der Grube voll Opferhlü*
tes die Schatten der abgeschiedenen Selen,
heschivort nach dem Xlten Buche der*
Odyssee.
Locket der dem Hother erscheint und ihm
die drei Walkyrien zeigt, die in ihrer
Höhle den Spies härten, mit dem er Bai-
ilern erlegen soll ; aus Ewalds Tmuersfiel;
Balders Todt
67
Hermann aui Äer Schlacht zuriickkehrenä, dem
Thnsnelde den Kranz reicht; ans Klop*
Stocks Hermanns Schlacht.
Der Geist Cathmors , der als Ersch&inung
Sulmallen voräberschueht , die ihre Arme
nach ilini ausstreckt ; aus Ossians Temora^
Cassandra vor dem Pallast des Pelops in Ar-
gos , sitzend auf einem TVagen und iveis*
sagend; nacli dem Agamemnon des Aeschy
los ( befindet sich unter dem Nachlas des
Künstlers auf der Weimarischen Biblio-
llielv).
jimor , der einen ruhenden Jager in sein Netz
zieht; allegorische Idee des Künstlers.
Ossian und Alpin zur Harfe singend; ailJ
Ossians leztem Liede (unter dem Nachlas
des Künstlers auf der Weiinarischen Bi-
bliothek).
Cott Vater von Zeit und Ewigkeit getragen;
schwebende Gruppe.
Die vier Elemente; allegorische Darstellung,
Die vier Jahreszeiten ; desgleichen.
Die vier Alter des menschlichen LehenS nach
der Musik der Zeit tanzend ; desgleichen»
6S
Ncch. andere 'allegorlscfie Darste?lu7i^e7i, 3e-
ren Iiilialt dem Verfasser niclit mehr erin-
nerlich ist.
Carstens hatte vom Anfange seines Stndi-
rens, seitdem er zuerst die Antiken sah, den
Stil deiselben in seiner Zeiclmnng nacl) zuah-
men getrachtet, der sich behantlich duicli den
Charahter idealischer Individualität von dem
Stil der modernen Kunst, der, wo si.e sich
ohne Einflus der Antike gebildet hat, Darstel-
lung wirklicher Individualität ist , unterschei-
det. An antiken Formen hatte er lange aus-
schliessend Auge und Geschmak gebildet; wie
denn auch schon von Natur Sinn für Grufse,
Hoheit und Kraft die vorhersehende Stimmimg
seines Gemüths war. Das Niedliche, Zierli-
che, wenn es nichts weiter war; selbst das
Scjiöne, ohne Grosheit und interessante Be-
deutung, maciite wenig Eindruck auf ilin,
Solte das Zärtliche ihn rühren, so muste ' es
anit Hoheit verbunden sein; es muste einen
pathetischen Chaiakter annehmen, und aucli
jmr so gelang ihm der Ausdruck desselben :
die erschlaffenden Rührungen des Sentimenta-
len waren seiner energischen Natur eben so
aiiwiiiera als jeße moderne, ^ffehtiite Grazi®
69
«3er Hof- und Kabiuetsmaler, wie er sie zu
nennen pflegte, seinem auf Waliilieit ruhen-
den Scliönlieitssinne ; gegen das Tändelnde,
Spielende , Charakterlose , eiferte er bei jeder
Gelegenheit.
Zunächst den Antillen, die er stets für die
höchsten Muster des Stils hielt, waren vor-
züglich Michelangelo' s \Yerke , die er jedoch
blos aus Kupferstichen kante» seinem noch,
ungebildeten Sinne für kraftvolle Gröfse zu-
sprechend, und er war lange unentschieden,
ob er jenem, oder dem Rafael, in seiner
Schäzung den höchsten R.ang einräumen sol-
le. Sein lichtiger Verstand, sein treuer Na-
tursinn sprach für diesen; sein Gefühl, seine
Fantasie für jenen. Späterhin inPiom entscliied
sein leiferes Urtheil für Rafael, ohne da«bß
sich seine Verehrung für JVIichelungelo des»
halb vermindert hätte.
Nachdem er die Werke des Julius Roma-
71US in Mantua gesehen hatte , behauptete die-
ser für lange Zeit eine fast ausschliefsende
Herschaft über seinen Geschmak. Das Poe-
tischkühne in den Erfindungen desselben , das
Teuer seiner Fantasie , die Kraft seines Stils
reizte ilin zu älinlichen Kunstschöpfungen,
70
docii war er, weHU man auch den Einfltis dic-
kes Genius auf den seinigen erkante, doch nie
eigentlich Nachahmer desselben.
Schon in dieser Periode hatte Carstens ei-
jie gewisse Vorliebe zu allegorischen DarsteU
Jungen gefasst, die er auch noch lange nach-
Iier hegte. Zum Theil hatten ihn die BLuter
des Pietro Testa , die er damals , ihrer Origi-
iialität und ihres Gedanhenreichthums vregen,
sehr hoch schäzte , zum Theil auch, nach sei-«
nem eigenen Geständnis, Vf^inkehnanns J er-
such einer Allegorie, auf diesen Abweg gelei^
tet, und um so leichter, da er schon seiner-
Gemiithsait nach Bedeutung und Tiefe des
Sinnes in Kunstwerhen liebte, und ein Fieund
von simboKschen Darstellungen war, von Je-
nen zur Allegorie in der Hunst nur ein Icich-'
ter tJbergang ist. Hiezu ham noch, dass die
gigantische Gröfse in Michelangelo'' s Gottva-
ter, Projeten und Sihillen , ihn zur Ileivor-
biingung ähnlicher Paesengestalteu begeisterte,
zu denen er in Ci^r Meen"welt der Simbolik
und Allegorie den scliichlichsten Stof zu hn-i
den glaubte. So gerieth er denn auf Gegen-»
Stände, w^ie unter den oben erwähnteu : Gott"
vater mit Zeit und Ewigkeit j die Elementes,
71
«lie Jahrszeiten , und andere , von denen in der
Folge die Rede sein ^vi^d.
Was man aber auch bei manchen seiner^
allegorischen Darstellungen wider die Wah'
der darzustellenden Gegenstände mit Recht sa
gen mag, so "vvar es doch eine lobenswerthe
Eigenschaft seiner AUegoricen , dass er die Be«
deutuiijr soviel als möglich in die Gestalten z»
legen amd denselben einen giofsen, den Ideen
angemessenen, Charahter zu geben suchtCj
lind dass er nie in den Fehler gelehr fwitzig
zu allegorisiren j und Wirkliches mit Allego-
rie zu vermischen, verfallen ist; ja einige
seiner allegorischen Komposizionen sind in
ilii er Alt vortreflich zu nennen , wenft
man nicht die ganze Gattung verweifen will,
welches wohl niemand im Erntete wollen wird.
Überhaupt zeigen die oben angeführten Kom-
posizionen, dass Carstens am lieb: ten heroi-
sche und ernste Stoffe der alten Fabel vrählte,
zu deren Darstellung eine dichtende Fantasie
erfordert wird; und dergleichen Gegenstände
gelangen ilim auch am besten.
Da unser Künstler in seinem Studium von
der Antike, alio vom Ideale, imd nicht von
tler Naclialumuig des Wirkliclicn ausgegangen
7-a
xn^ar, so tragen die Arbeiten seiner früheren
Periode auch mehr den Charakter jener als die-
ser an sich. Man sieht inihn^ das Streben
nach der reinen Form und dem schönen Uni-
iris der alten Bildwerke, meistens gefällige
Stellungen» Gro heit und einen kräftigen Cha-
rakter der Gestalten, zugleich aber auch ein©
rohe Härte, die in kraftvollen Menschen das
Streben nach Bestimtheit anfangs immer be-
gleitet ; und oft einen Mangel an jener , nur
der schönen Natur eigenen und aus ihr zu
schöpfenden Individualität , die , in Vereini*
gung mit dem Ideale , die Vollendung des Stils
und der Kunstbildung ausmacht.
Es giebt eigentlich nur zjj'-ei Wege zu 'die-
ser Vollendung zu gelangen: Entweder die
Kunst geht, w^ie in ihrer ursprünglichen Ent-
wickelung der Fall ist , von der treuen Nach-
ahinung der individuellen Natur zur freien
Nachbildimg ihrer Gegenstände nach allgemei-
lien Gesetzen über, und erhebt sich auf diese
Weise endlich von der wirklichen Individua-
lität zur ideali chen. Oder die Kunst geht,
wie in der Periode ihrer völligen Ausbildung
der Fall ist, vom Ideale aus, und steigt von
der Hohe desselben zur Wiiklichk^it herabj
75
um die^e durch das Ideal zu läfttem, und aus
iliv neue Individualitäten für ihre Darstellun-
gen zu schöpfen. Den ersten Weg nahm die
alte Kunst, und auch die neuere bis auf ilo/aei»
"vveun man den früheren Einflu' der alten Jxunst
«uf dieselbe, der bis dahin unbedeutend war,
iiicht in Anschlag bringen will. Nur findet
l>ei beiden der Urtter=chied statt, dass die alte
Runst sich auf diesem Wege ursprünglich als
Plastik, die neuere hingegen als JVIalerei aus-
gebildet hat. So wurde jene schon, durchili-
le grüfsere Beschränktheit in der Nachahmung
des Wirhlichen, frühe zum Ideale getrieben,
diese lüngegen ward durch ilire vorzügliche
Fähigkeit, das Wirkliche darzustellen, auch,
stärker an da. selbe gefesselt j und diese, scliou
durch aas Materiale einer Jeden Kunst be-
stirnte , pLichtung ward auch durch die Ge-
genstände ihrer Anwendung bcitatigt. Die äl-
tere Kunst durchlief , nach einer glücldichen
Entwickelung, ungestört den ganzen Kreis ih-
rer Ausbildung; die neuere hingegen begann
zv/r"- ebenfals ihre Ent^vickelung glücklich,
aber , nicht so wie jene durch ihr Objekt be-
giir. r'-t tmd empor gehoben, blieb sie an der
Schwelle des Ideals stehen, ohne es in seiner
Hoheit zu erschwingen; oliae aircli nur iüx
74-
einen einzigen Cliaraliter ein bestirntes Knnst-
iJeal al< festen Tipus auszubilden. Den zirei"
teil Weg musten alle alten Künstlei-, Bildner
,und Maler , nehmen , nachdem die alte Kunst
ihren Gipfel erreicht hatie , wenn ?ie ihre Vor-
gänger nicliL blo". hopiren, oder leeieFoiirien-
Schönheit ohne Charaiiter bilden wolten. Die"
sen Weg ging anch, ohne es selbf^t zu wissen,
durch seinen Genius geleitet, tinser üünstlet
in seiner Ausbildung,
Noch ein dritter Weg ist durch Verbindung
jene]- beiden möglich, indem der Künstler
gleich anfangs in seinem Studium Ideal und
JSfitur i Antike und Fiajael , den man gewisser-
mafsen als den Repräsentanten der Natur anse-
hen hann, zu veieiuigea strebt. Diesen Weg
schlagen gewöhnlich die Neuern ein, welche
Antihe, Ilafael und Natur zugleich studiren.
Aber aus diesen vtjschiedenen Stoffen ein or-
ßanisches Ganze zu, schaflen, ist ein Problem,
dessen glücldiche Lösung nur dem Genie
gelingt.
Frühe ergriffen auch , wie schon bemerkt;
worden, Michelangelo'' s Werke den Geist un-
«ers Künstlers, und die Wirlumg dnvon zeigte
uob. auffallend in dem Stil seiner FoiUitn. Ex
.75
3ti'ebte lange der gigantischen Gröfse jenes Mei-
sters n.ich, die energische Gemüther in der
fiüherei; Periode ihrer Bildung so mächtig an-
zieht, und machte sich die Grosheit seiner
Verhältnisse, die Breite seiner Foniien zn ei-
gen; aber sein walues Gefühl vermied glück-
lich das Gewaltsame und Übertriebene der
Stellungen in den Gestalten des Bnonarroti^
und folgte mehr den gemälsigten, schünen Be-
wegungen der Antike^ Diesen Einfliifs der ^tz-
tiken und des IMichelangelo auf -seinen Ge-
schmack belierschte doch immer die eigen-
thümliclic Vorstellungsart seines Genies, Die-
se Selbständigkeit unter der Macht fremden
Einflusses ist auch in seinen früheren Versu-<
clien sichtbar; und nie mangelte seineii Ge-^
stalten Leben , Charaktci- undi Ausdruck , denn
sie waren achte Geschöpfe der Einbildungs-
kraft; nicht einer blos mechanischen Fertig-
keit, die gel ade der schwächere Theil seiner
J\unst war , so dass ihm das Darstellen ausser
sich mehr Schwierigkeiten machte als die Er-
findung, die er immer ganz im Kopfe geord-
net vollendete, ehe er daran ging sie aufzu-
zeichnen,
Carstens kante zwar den menschlichen Kör-
per zierr.iich genau, und versüiuiue keine Ge-
76
legenheit , wo er das Nalvte an lebenden Ge-
staiteii sehen konte, z. B. beim Bade^ mit sei-
xieii Freunden, die er entMeidet raanclierlei
Stellungen und Bewegungen maclien lies , die
ihm für seine Zwecke dienlich waren, imd
«US denen er das Wesentliche mit einem schnel-
len Bliche aufzufassen geübt war. Doch fehl-
te es ihm noch an jener gründlichen Kentnis
der Anatomie, die dem Künstler schon beim
Entwerfen seiner Gestalten so sehr zu statten
Komt, aber zur j-lchtigen Ausffihrung noch
unentbehilicher ist , und woiin unter allen
Neueren Michelangelo der gelehrteste und
erofste war. Seine Kentnis der Anatomie er-
o
streckte sich nur auf das richtige Verhältnis
der Tlieile und Glieder , und auf die Hauptfor-
men derselben, so wie sie in der Antike dem
Zweck der Schönheit untergeordnet erscheint,
ohne genauere Andeutungen der Zufälligkei-
ten , die in der Mannigfaltigkeit der Gestalten
gefunden werden, und die der Künstler gleich-
fals kennen nnifs. Sie war vielmehr konven-
zionell und dürftig, als wahr und gründlich,
und für ihn als Maler unzureichend. Er fühl-
te dies auch selbst genug, und sparte keine
Aufmerksamkeit und Mühe, das früher Ver-
säumte naclizulioien. Hätte er Gelegenheit ge-
77
habt, grofse Arbaiten auszufülireir, so würde
er diesen Tiieil früher in seine Gewalt gebracht
haben. Denn wonn ein grofses Werk auch
danim , weil es gros ist, nicht mehr Kunst-
Verdienst hat , so ist es doch schwerer und der
Künstler lernt melir dabei.
In der Persjjcktlv , so wie in der Lehre von
LicJit und Scliatten war Carstens in dieser Zeit
nocli blofser Naturalist; docii half er sich, wo
sein Augenniafs ilm im Stiche lies , ziemlich.
gut dadurch, dass er sich die Figur in Tlion
jnodellirte, iind die Wirkung der Beleuchtung
daran bemerkte. Plan und Grund eines Ge-
mäldes perspektivisch aufzuzeichnen verstand
er noch nicht, und er hütlietesich darum auch
sehr vor solchen Gegenständen , "wo derglei-
chen nothwendig w^ar.
Im Kolorit yv^Y er verhältnismäfsis" ammei-
stcn zurück geblieben. Seine bedrängte Lage
erlaubte ilim selten einen Versuch in Ölfarben
zu machen , um so mehr, da er auf keinen Ab-
saz eines historischen Gemäldes rechnen konte.
Was er sonst mit Wasseifarben kolorirte, v/ar
z-war ziemlich roh und hart; dech s:elan2: ihm
von Anfang an die Wassermalerei besser als
das ülmaleu, v/orin er sich zv/ar in der Folge
»ock merklich gebessert, es über doch nie zu
•
78
teiniger Volll-vOmmenlieit o;eT3raciit liat. Sei*
Silin war für die Pielze des Kolorits weiiiget
einpfäiiglicli , obgleicli es ilini uii.lit an aichti-
gen Grundsätzen über dasselbe feMte; nur hon-
te er dies|?lben iiiclit geiiiigeiid ausüben, weil
ihm dazu sowohl die Kentnis Uer nothigeil
Handgiiffe i, als die nur durch viele Übung zu
eilaugende Fertigkeit mangtlte, In diesem
Punkte bestätigte die Folge > -was i]im ^hil-
gaard vorher gesagt hatte. Carstens suchte
sich über diesen unverschuldeten Mangel durch
manciieilei Sophismen t\\ trösten J so hätte ei*
gern die schon von andern aUsgesohnene Bc-»
hauptung vertheidigt, dass die Erfindung der
Ölmalerei den Veifall der Kunst befördert ha-
be, dadurch dass sie den Fleis zu sehr aufs
l'inseln lenkte; oder er behauptete, sie schicke
sich eigentlich nicht wohl für den grofsen
Stil; oder er führte JiTiclielafigelo's Sprüchlein
an j -der sich mit ilim in gleichei* Lage be*
fand : Die Ölmalerei sei -eines JVTannes un-
würdig und eine Arheit für PT^'eiher. Wenn
man ihm diese Ausflüchte aber nicht gut heis*
sen woltCj so ergab er sich am Ende dochgtit*
willig, und gestand, dass er es nicht Von Her*
2en 50 meine.
79'
in cler Au'sjühruvg War er gleiclifals seilt
schlicht und kunstlos, aber doch sauber und fiei-'
fsiü:, wenn ej- woke. iVlan könte sagen : Gedanke
undKomposizion waren der Abdruck seines in-
iiernPieichthunis ; die Ausführung seiner Erfin-'
diingen \var das Bild seiner äussern Armutli und
Beschränkung. Es w^ar ihm blos darum zu
thun » seinen Gegenstand in der Zeichnung
möglichst bestimmt und deutlich auszudrückenj
seine Figuren wohl zu runden > und das Gan-
ie in Übereinstimmung zu bringen. Übrigens
zeichnete er ohne Manier und ohne die afftk*
tii'te Meisterschaft vieler neueren Zeichner und.
Konturenschreiber, die auf Geist Anspruch
macht, aber selten mehr ist als mechanische
Fertigkeit eines Schreibmeisters.
So strebte und rang Carstens unter den un*
'günstigsten Terhäitnisseu , ohne Aussichten ei-
ner besseren Zukunft, wärend seines fiinfjäh»
ligen Aufenthalts in Lübeck, und der Verfas»
ser -war, in den zwei leztcn Jahren desselben,
täglicher Augenzeuge des oben Gesagten. Sein
Eifer für die Kimst blieb sich jedoch immei'
gleich. Er kämpfte um sie^ wie um sein Da*
Sein ; auch war sie w^irklich eine Hauptbedin*
ijimg desselben, und nur ihrentwejg^en hatt#
das Leljen, clas ilim wenig an3ere Freuden dar-
bot, noch einen Reiz für ilin. In ihr vergas
er Unglüch nnd Leiden; aber es war ihm doch
iinr),iüglich in einer solchen Lage weitere
Fortschritte zu machen. Aller Hiilfsmittel
entblofst , aller Nahrnngsqnellen für seinen
Kunstsinn beraubt, verzehrte sich seine Krafü
in mühevollen Bestrebungen , die seinen 7 rieb
Ewar beschäftigen , aber nie befriedigen honten.
Mangel an Nahrung seines Kunsttiiebes
brachte ihn dazu, dass er sich dam<ils oft mit
Dingen beschäftigte, die ausserhalb seiner Sfü-
je lagen xuid zu denen er keine Anlagen hatte.
So trieb er Poesie ; machte Oden , Ditiramben,
Trauerspiele, Epigramme, Satiren, Shalden-
gesänge etc. , die abei- meistens Wiederhlänge
der Erinnerung aus Pindar y lilo-pstock, So'
■phokles , Stolherg , Gerstenherg u. a. waren.
Es fehlte daiin nicht an mancher eigenen Idee»
aber die Sprache wolte ihm nicht gehorchen.
Auch im Felde der Filosofie trieb er sich ein«
Zeitlang um , obgleich er ein zu konkreter,
zu plastischer Kopf war, um spekulative Ideen
anders als bildlich zu fassen. Durch Lessings
Schriften, besonders durch die berühmten
Fragmente, iixe üaia in die ü^de geiiethen,
WAid
8i
ward er veranlafst , auch sein Religionssistem
hervor zu suclien , das seit seiner Kindlieit
ziemlich geruhet hatte. Doch da er ein hel-
ler, heiterer Kopf war , zwar jedes Enthnsias-
mus fähig, aber ohne den mindesten Hang zu
Schwärmerei und ^distik, so zog er sicli bald
ganz vernünftig aus dem -Handel, und State
nach der Lehre der neiiesten Runstweisheit die
Kunst in der Religion (oder vielmehr in einem
phantastischen Gespenster brütenden Misticis-
mus) zu suchen, suchte und sezte er seine Re-
ligion in der Kunst. Nacliher fing er auch an,
Kants Kritik der reinen Vernunft zu studiren,
"worin er aber nicht weiter kam als in die
Lehre von Raum und Zeit; und die Ausbeute
dieses Streifzuges war eine simholische Darstel-
lung dieser heiden Formen in einer malerischen
Komposizion, derentwillen er manchsiiei An*
fechtungen in Scherz und Ernst erfahren raus-
te. Ihrer w^ird in der Folge erwähnt Vv erden.
Endlich schien es, als ob das Sclühsal un-
serm Künstler einmal lächein wolle. Ein gün-
stiger Zufall verschaffte ihm die Behaiitschafc
des Dichters Overheky den ein Freund zu Car-
stens ii\\\\te , mn ihm die Komposizionen des-
selben sehen zu lassen. Overbek w^rd ange-
82
nelim überiasclit , in einem elenden schwarz
beräjiclierten Zimmer, und unter einer so iin-
sclieinbaren Hülle einen Geist zu finden, der
mitHomer , SojyJiokles , Ossian, S h ake sp e ar etc,
in vertrauter Bekantschaft lebte , und Scenen
aus ihren Weiken in eigenen Erfindungen dar-
stellte. Der edle Dichter, von des Künstlers
unwürdiger Lage unten ichtet, interessirte
sich lebhaft für Carstens , und führte ihm nach
einigen Tagen den Rathsheirn lilathaeus Rod-
dezn, einen der reichstbegüterten Männer je-
ner Stadt, der mit wninier Liebe zur Kunst
die Einsichten eines Kenneis veieint, und
selbst eine ausgewählte Samlung von Gemäl-
den besizt. Ein solcher Kunstfreund honte
den Werth des Talents , das er da im Yerboi'-
genen fand, nicht verkennen ; er sah aber auch
zugleich die Hindernisse, die es niederdrück-
ten. Er w^iederholte seinen Besuch bei Car^
stens , lud ihn zu sich, suchte durch nähere
Bekantschaft sein Zutrauen zu gew^innen, un-
terrichtete sich genauer von seiner Lage , und
jieth ihm , eine Stadt zu verlassen , wo sein
Talent ev\'ig ein todtes Kapital für ihn bleiben
würde, und an einen Ort zu gehen, der für
die Ausbildung und Anwendung desselben bes-
ser geeignet sei; wozu er ihm Berlin vor-
85
schlug. Carstens bedurfte dieser AufFoderung
iiiclit, da er selbst schon lange diesen Wunscli
LriLte, zu dessen ErfiiUung ihm nur die IMittel
gebrachen. Aber auch diesem Hindernisse
Jiatte der edle Mann abzuhelfen beschlossen.
Nachdem er sich überzeugt hatte, dass des
Künstlers sittlicher Charakter ihn der Unter-
stützung, die sein Talent bedurfte, noch wür-
diger mache , that er demselben das Anerbic-
then , nicht alleizi seine Schulden, die etwas
über hundert Thalcr betragen mochten , zu be-
zalen, sondern ihn auch in den Stand zu se-
tzen, dass er die R.eise nach Berlin maclien,
und dort wenigstens ein halbes Jahr leben Kön-
ne, um sich indessen behant zu niachen, und sicli
günstigere Aussichten für die Zukunft zu be-
reiten. Von der Wiedererstattung dieses Gel-
des solte nie die Rede sein ; nur äusserte dei*
edle Geber, um das Anselien eines Gesclienks
zu vermeiden, dass es ihm lieb sein würde,
einmal nach der Bequemliclikeit des KiinstlerSj
als freie Erkentlichkeit , etwas von dessen
Aibeit für seine Sämling zu empfingen. Die»
ist in der Folge nicht geschehen , obgleich Car-
stens sicli zu\veilen selbst daran mahnte , und
den Namen seines Wohlthäters nie ohueDank-
gefülil nante. IMoge der edle Mann es dem
84
Verfasser vej*reilien, dass er dieser niensclien-
freundiiclien Handlung au seinem Freunde hier
üfFentlicli gedenkt. Sie 1-iatte zu viel Einflus
auf das Scliiksal unsers Kunstlers , als dass sie
in dem Leben desselben mit Stiliscli weisen
übergangen werden konte ; und die Pflicht der
Gerechtigkeit fodert den Dank, den ein edles
durch sein eigenes Bewustsein hinlänglich be-
lohntes Gemüth verschmähen darf. Ein gros*
ses Talent ist selten; noch seltener ist viel*
leicht derEdelmuth, der es aus seiner Verbor*
genheit hervorzieht und aus reiner Kunstiieb«
uneigennützig untexstüzt.
Duich diese unerwaitele Hülfe wurde Ca;*
stens auf einmal seiner Noth entrissen , und zu.
neuen Hofnungeri beseelt, dass endlich sein
Schiksal eine bessere Wendung nehmen werde.
Um aber nicht ganz mi\-orbereitet nach Berlin
y.u kommen , sandte er gegen den Herbst 1787
seine allegorische Darstellung der vier Elemen-
te in Ol gemalt an den derzeitigen Kurator der
Akademie , den Minister Freiherrn von HeinitZi
mit der Bitte, diesem Bilde in der bevorste*
liendcn Ausstellung einen Plaz zu vergönnen»
Er ei-hielt dafür ein verbindliches Antwort*
schreiben des Ministers, und ging dann im fol-»
g-endeii Frühjahr 1788 selbst nach Berlin,
85
Die Pveise des Künstlers nach Beilin nnter-
br^'^cli nun aiicli das innige "V'eiliältnis , das
zwischen ihm und dem Verf.-irser bis dahin ge-
waltet hatte, filr mehrere Jahre. Carstens ^vaI
liein Freund vom Briefschreibe^i, daher erfuhr
IUI}- selten und zuf^illig einer etwas von dem
sindein ; doch blieb dessungeachtet ihre Freund-
schaft dieselbe. Auch der Verfasser verlies
Lübeck bald nachher und ging in andere Ge-
genden Deutschlands ; er hau also von den Le-
bensumständen des Künstlers v/ärend der nächst-
folgendeu secbs Jahre nur die Hauptmcmente
Xnittheilen , die er in der Folge , als ein gün-
stiges Geschik beide wieder in R.om vereintej
aus mündlichen Erziilungen des Kiinstleis ge-
sammelt, zum Tlieil auch, nach dem Tode
desselben, von einem seiner Freunde in Ber"
liu erhalten hat.
Carstens lebte wärend der zwei ersten Jah-
re in Berlin ziemlich imbekanf, er Vv^ustesich,
wie schon oben gesagt Vv'orden , nicht persön-
lich geltend zumachen, und Avolte blos durch
seine 'Ai-beiten bekant werden, wozu er so-
gleicli keine Gelegenheit fand. Ja er geiieth
für eine Zeitlang in so elende Umstände, dass
ei- im eigentlichen Sinne auf Brod und Was-
86
Ser besclnänlit war, da er lieinen Verdienst
als durcli ein paar Zeichenstunden hatte , die
ihm schlecht bezalt wurden. Sein schwächli-
cher Körper honte sich bei dieser magern Ge-
fängnishost nicht aufrecht erhalten; er üel in
eine schwere Krankheit, die ihn dem Tode na-
he brachte ; doch seine Natur siegte diesmal
noch, und er genas wieder. In der Folge er-
hielt er öfters Bestellungen für Buchhändler,
durch die er seinen Unterhalt nothdüiitig ge-
wan. Späterhin trat er auch in maurerisclie
Ve] bindungen , die ihm z\var für seinen Zweck
Keine w^esentliclien Voitheile brachten, aber
ihm doch die Bekantschaft manches wohlwol-
lenden Mannes verschaften und ihn in einige
Familien einfülirten, deren Umgang ihn der
Einsamkeit entriss, nnd das Gefühl seiner be-
drängten Lage , wenn auch nicht tilgte , doch
milderte.
Er hatte sich vorgesezt, in Berlin keine
Porträts zu malen, sondern sich blos als Histo-
rienmaler zu zeigen, theils um dadurch nicht
aufs neue von seinem IIaupts4;udium zu sehr
abgezogeti zu weiden, iheils um alle für ihn
nr.chtheiligen "^^ergleicliungen mit andern
Kiinstlern, die sich in diesem Fache, das er so
Jange nur des Brodes wegen und nie mit Lust
87
getrieben hatte, hervortliaten , und besser als
er in Ol malten , zu vermeiden. Dagegen war
er fest entsclilossen, im historischen Fache,
■v\-ozu er seinen Beruf und seine Fälligkeit kan-
te , keinem den Vorzug zu lassen ; und er liar-
rete nur auf eine günstige Gelegenheit, wo
er sich auf eine ausgezeichnete Art bemerkt
machen honte. Diese ergab sich denn auck
in der Folge.
Von den Arbeiten, welche Carstens in Ber-
lin für Buchhändler gezeichnet hat , sind dem
Verfasser ausser den mitologischen Vorstellun-
gen von seiner eigenen Erfindung zu Randcrs
J\Titologie i die aber durch den Stich verpfuscht
worden sind, und ausser den Umrissen, die er
zu der Götterlehre von JMoriz nach antiken
Steinen dem Holzschneider Unger auf die Stö-
cke gezeiclmct hat, die aber auch nachher von
Tassasrt in Kupfer geäzt sind, keine bekant
geworden. Von diesen lezteren war er nur
mit den Ungerscheii Holzschnitten zufrieden,
nicht mit Tay^a^rt^chen Nachstichen. Carstens
legte auf seine für Buchhändler gemachten Ar-
beiten , die , wie er sagte , noch überdies von
den Kupfeistechern verhunzt ^vurden , nicht
den geringsten Werth, und sie sind fast alle
88
ohne seinen Namen gestoclien worden. Über-
haupt war das Moderne sein Fach niclit , und
das Vignettenwesen verabscheute er als einen
elenden Trüdel der Kunst, zu dennurdieNotli
ihn zwingen honte«
Zur zweiten Kunstausstellung seit seines
Aufenthalts in Berlin , hatte er eine grofse und
reiche Komposizion verfertigt, die gegen zwei»
hundert Figuren entlüelt , tmd den Sturz der
jEvgel voistellte. Er \viililte diesen Gegen-
stand , weil er ihm Gelegenheit gab , den
Reichthum seiner Fantasie und seine Kunst in
der Komposizion zu entfalten; Es war eine
frei umrissene, mit Bister lavirte Federzeich-
nung, die einen Bogen vom grofsten Format
anfüllte, und wiirend der Ausstellung die Auf'
inerhsamkeit der Kenner und Künstler vorzüg-
lich auf sich zog.
Durch diese Zeichnung, die in der Folge
ein reicher Kmistlicbliaber Namens jlleier in
Hamburg kaufte, hoffte Carstens seine Auhiali-
me und Anstellung bei der Akademie der Kün-
ste zu bewirken; nicht dass es ihm um die-
se Anstellung selbst zu thun ge%vesen Aväre,
denn er liassre schon von Kopenhngen hei- die
Kunstakademien, imd hielt sie für zwecklose-
89
Anstalten; sondern blos, weil er tLirln ein
Mittel sali, seinen gi-oCsen Zweck, den er nie
aus dem Gesichte verlor, zu erreiclien. Da
nun aucli der Akademie bei dieser Gelegenlieit
der Vor-wuif gemacht v/urde , dass sie so viele
unufitze Besoldungen und Pensionen eitheile,
und einen Künstler von so aussrezeichneten
Talenten ohne Unterstützung lasse , so geschah
ihm auch Avi^klich der Antiag, eine Lehrstel-
le bei der Akademie anzunehmen. Er machte
für seine Anstellung zur Bedingung, nicht
von dem akademischen Senat oder dem Di-
rektorium der Akademie , sondern nur unmit-
telbar von dem Kuiator derselben , FreiheiTn
von Heinitz, .abzuhängen. Die Akademie hat-
te Schwierigkeiten , diese Bedingung einzuge-
hen , und er machte sich dadurch die Glieder
dei'selben eben nicht zu Freunden, %venn sie
auch dem ^linister , der ihn indes näher ken-
nen gelernt hatte, nicht misfiel. Entilich wur-
den die Scluvierigkeiten hinweggeräumt, oder
viölmehr stillschweigend beseitigt , und der
Professor TW^oriü.^ , damaliger Sekretär der Aka«
demie , der sich bei dieser Gelegenheit als Car-
stens Freuud erwies , war Vermittler der Sa-
che. Seine Bestallung als Professor bei der
Akademie der Künste und mechanischen wissen-
go
Schäften (wie sie sich selbst nennet) wurde
ihm unterm 2i. Mai 1790 ausgefertigt; da aber
jener Bedingung der Unabhängigheit vom Di-
lehtoriuni der Akademie in demselben nicht er-
wähnt war, so weigerte sich Carstens, die
Bestaüung anzunehmen, und trug sie wieder
,2um Minister zur n eh. Docli nahm er sie end-
licli auf die mündliche Versiclierung des Mini-
Steis , dass derselbe deshalb mit HJorltz spre-
chen, und die Sache seinem Veiiangen gemäs
zur Flieh tiglieit bringen werde, so an, wiesle
ausgefertigt war. Er glaubte, das Ehrenwort
des Ministers hönne ihm genügen. Die Folge
dieser Auszieichnung war, dass Carstens die
meisten Professoren der Akademie -wider sich
hatte, unter denen, nach seiner eigenen Aus-
sage, der alte CJiodoiviecki , den er als einen
giofsen Künstler in seinem Fache ehite , sich
allein immer als Avahier Freund gegen ihn be-
ti'a gen hat.
Carstens ^var also nun als Professor der
Akademie mit einem Jahrgehdlt von liumlert
und fünfzig Thalern angestellt, und erhielt,
seinem eigenen Wunsche ^emäs , den Unter-
sicht in der Gipsklasse. Er hatte diese ge-
wählt, weil er darin mit keinem andern Leh-
91
rer in Ziisammenstos kam, und nach seinen
eigenen Grundsätzen unterweisen konte. Auch •
er^vaib er sich bald die Zuneigung seiner
Schüler. Im folgenden Jahre ward ihm auf
Verwendung des Ministers , der ihm wohl
weite, sein Gehalt mit hundert Thalern aus
der Akademiekasse vermehrt , wodurch er
denn wenigstens vor Mangel und Noth ge-
sichert \va]-.
In Berlin fand sich mm Carstens zwarwde-
der von manchem treiiichen Werke der Kunst
umgeben , und iii der Nahe einer Akademie,
wo Kunst gelehrt und getrieben wird, aber er
fand doch dort nichts Ne(ies , das so vorzüg-
lich ge'vvesen wäre, als %vaserin Kopenhagen,
Mantua und Pvlailaud bereits gesehen und sei-
nem Geiste angeeignet hatte. Das höhe-
re Bedürfnis desselben blieb also auch hier
noch immer unbefriedigt. Der Aufenthalt in
Berlin konte demnach für Carstens wohl er-
munternd, und du3ch seine Folgen für ihn
wichtig, aber für seine- fernere Ausbildung
nur von geringem Nutzen sein; im Gegentheil
muste jedes laiigere Säumen in Berlin dieselbe
versp.ueu. Er hatte also ■wohl recht, %venn
er aus allen Kräften strebte , sich von dort den
Weg nach Rom zu bahnen , und alles , was
sich ihm in Berlin Günstiges darbot, nur als
Mittel zu diesem Zweche zu benutzen.
Doch wiihte wärend seines dortigen Auf-
cnthalies ein anderes Bildungsmittel wohlthätig
auf ihn ; zwar weniger fruchtbar, als der be-
geisternde Eindruck treilicher Kunstweike,
aber doeli für den hunstfähigen, strebenden
Geist höchst wichtig und belehrend: der Um-
gang mit denkenden, kentnisreichen Künst-
lern, und dasUrtheil eines am Küchsten der
Kunst gebildeten und gereiften Geschmackes.
Dieser Yortheil %vard ihm in Berlin durch den
vertrauten Umgang mit Jen beiden Gebriidern
Gsnelli, Baukünstler und Landschaftsmaler,
zu Theil. Carstens war bereits dort, als diese
beiden Künstler im Jahre 1739 "^'^-^ Born zu-
rückkamen. Er war kurz vorher von einem
schv.-eien Krankenlager erstanden, als er ihre
Bekantschaft machte. Rom, wohin immer
seine Wünsche gerichtet, und woher diese
Künstler eben zurückgekehrt waren , beförder-
te ihre gegenseitige Annäherung. Wie auf ei-
ner öden Haide Reisegefährten, die ei« gleicher
Weg zusammenführt, schnell vei'traut ^ver-
den, so knüpfte auch dort, wo, bei allem
93
Tieiben der Kunst, wahre Kunst und der Sinn
dafür so selten sind, Gieiclilieit des Zweckes
und der Neigung bald das Band inniger Freund-
schaft. Der Trieb zu lernen von der einen,
so wie das Bedürfnis sich mitzutheilen von
der andei-ii Seite, fand in diesem engeren Ver-
hältnisse gleiche Befriedigung. Die Kunst war
der unerschöpfliche Gegenstand ilirer Unter-
haltungen daheim und auf Spaziergv^ngen«
Carstens legte seine Erfindungen und Entvv^ür*
fe, woran er immer iruclitbar war, deu bei*
den Freunden zur Beurtheilung vor ; bei wel-
cher Gelegenheit dann alle Theile der Kunst
in Lehre undiAusübung öfter und alseitig zur
Sprache kamen. Jene Künstler dagegexi theil-
ten ihm die Ausbeute ihrer in Italien erAvorbe"-
nen Einsichten und Erfalirungen , so wie ihre
Urtheile von Werhen mit, die Carstens ent-
weder nur dem Namen nach, oder hüchstena
aus unzureichenden Abbildungen kante ; und
zu den nüthigen Verdeutlichungen war immer
ein Stück Kreide und ein Tisch bereit, der
dann mit Stellungen, Gewändern, Trachten,
Theilen des Körpers etc. bezeichnet wurde»
Der Baukünstler Genelli, der über bildende
Kunst viel gedacht liatte, selbst ein fertiger
Zeichner der menschlichen Gestalt war, und
94-
seinen Gesclmiük an Jen Weiken der Alten
und Fiafaels gebildet hatte , ward auf diese
Weise iinserni Carstens vorzü glich nüzlicli.
Er berichtigte nianclien seiner Kunstbegriffe,
Märte ihm manche Dunkelheit auf, und such-
te auch seine Neigung zu allegorisclien Dar-
stellungen zu mäfsigen ; aber Carstens konte sich
noch niclit sogleich von dieser Lieblingssünde
trennen, der er aucli noch in Rom einige Op-
fer brachte , bis ihn endlich eine reifere Über-
zeugung und Rafaels Voibild ganz wieder auf
das wahre Ziel dramatischer Darstellung zu-
rück ^vies, von dem er sich in den leztenjah-
xen nicht inchr entfejnt hat. Carstens eikante
und schäzte den belehrenden Ujngang dieses
Freundes so hoch , dass er noch in Hom zu-
weilen sagte: alles, was er von der Kunst
wisse, verdanke er dem älteren Genelli.
Auch in der Perspektiv, die Carstens bis
dahin noch stümperhaft ohne Kentnis der Re-
geln übte, "wolte Genelli ihn unterweisen.
Vielleicht aber mochte der Unterricht dessel-
ben zu gelehrt und wissenschaftlich für ihn
sein : sein uu^vissenschaftlicher Kopf konte
diese Lehre damals nicht fassen. Erst in Rom
lernt« «r diese nothwendige Hülfswissen-
95
Schaft der Kunst von seinem Freunde pp'ein-
hrenner, der sie ihm auf eine einfachere Art
miizutlieilen wüste, so dass er sie nun sehr
leicht begrif , und in der Folge jedesmal die
Scene seiner Komposizionen vorlier perspek-
tivisch aufzeichnete, und auf derselben seine
Figiuen , so^vohl nach dem Augpunht, als
nach dem Standpunkt derselben im Bilde,
richtig anordnen honte. Dadurch erhielten
seine Darstellungen nun auch in dieser Hin-
sicht die nöthige Wahrheit und Gründlichheit,
die ihnen bis dahin oft gemangelt hatte.
Nebenden alten Schriftstellern, deren fleis-
siges Lesen so lehneich für seinen Geist war,
und von denen er, soviel in Übersetzungen zu
haben waren , sich almälich eine kleine Sam-
lung zulegte , die er auch in der Folge mit
nach Fiom brachte, suchte er zugleich seinen
Geschmak an Abgüssen geschnittener Steine zu
bilden ; und gew^is "V^'ar dieses- Studium nicht
ohne grofsen Nutzen für ihn. Er lei nte ihnen,
die schöne Gruppirung einzelne!* Gestalten,
die schönen Stellungen ab, die man oft in
seinen Komposizionen findet; zugleich war
diese Kultur seines Schönheitssinnes das beste
VerwaliTungsmittel gegen die gewaltsam ge-
96
drehten Stellungen , zu denen das Studium der
Werlie des Micliclangc-lo so leicht verleitet.
Zur Anschaffung der Übersetzungen alter
Schriitsteller wandte er den grosten Tlieil des
Geldes an, das er mit Arbeiten für Buch-
händler verdiente.
Sein Fjcund Cenelli ward ihm auch noch
auf andere Weise für seinen Zweck nüziich,
indem er ihm in Berlin eine grofse Arbeit zu-
wandte ; die einzige , die urtser Künstler zu
machen Gelcgenlieit gefunden hat.
Genelli erhielt nämlich vom INlinister vcn
Heinitz d^n Auftrag , ihiv einen Saal in dem
von Dö;7'£7/<?schen Hause zu ve3 zieren, und den
zur Ausführung tauglichen Maier vorzuschla-
gen. Genelli brachte dazu unsern Carstens in
Vorschlag,, als den fähigsten, den erkenne,
der am besten in seine Ideen eingehen , und
auch in seinen Forderungen am billigsten sein
•Würde. Der Ministe^: genehmigte die Wahi,
und fGenelli najuu mit C-arst^ns die nuthigen
Verabredungen vv^cgen der Ausführung des Fla-
ues , den er zur Verzierung dieses Sales im Sin-
ne halte. In der That war auch die Federung,
die Carstens für eine so beträchtliche Arbeit
machte, so unvcrhältnifsmäfsig niedrig, dasü
sie,
97
sie , nach dem in Beilin für dergleiclien Ar-
beiten übliclien Fiifse, -wenigstens sechsmal
hoher g-eschäzt %vorden wäre. Aber Carstens
foderte ahsichtlicli so -v%-emg, um sich den JMi-
nister desto mehr zu verbinden, der auch ein-
sah, dass der Künstler mit einer so geringen
Eezalung , wovon er kaum vrärend der Arbeit;
leben konte, nicht belohnt sei. Er suchte ihnr
also seinen Fleis auf andere Weise zu vergel-
ten; so z. B. bekam Carstens hdd darauf die
eben ervTdhnte Zulage von hunueVt Thalern;
?uch \Tandte iiim der Minister eine Zeichen-
•tunde zu bei einer Verwandten, der Frau
von W . . . j die sich damals in Berlin auf-
hielt und dem Künstler bald so gewogen
wurde , dass sie nachlier stets seine nachdrük-
lichste Fürsprecherin bei dem Minister war,,
lind vrahrscheinlich auch zu seiner späterhin,
erfolgten Reise nach Italien thatig mitgewirkt
hat. Ausserdem hatte sich Carstens auch da-
durch bei dem INIinister in Gunst zu setzen
gewust, dass er ihm immer seine neuen Kom-
posizionen brachte, und sie dem Urtheile des«
selben untervfarf , yvo es denn nie an heund-
licher Aufnahme und ermunterndem Lobe
fehlte, und wobei Carstens jede günstige Ge»
9f
legenheit benuzte, um eine Reise nach E.oni
in Anregung zu bringen.
Da der Saal im Hause des Marscliall Dor~
ville die beträclitlicliste Arbeit ist, womit der
Künstler sich wärend seines Aufenthalts in
Berlin zu zeigen Gelegenheit gehabt, und zu-
gleich die einzige Arbeit von einigem Umfan-
ge, die er im Grofsen ausgeführt hat, so wird
eine ausführliche Beschreibung derselben hier
nicht unzwechmäfsig sein.
Der Saal hat die Form eines ablängen
Viereck^ von 41 Fus zu 24, bei einer Höhe
von 14 ; und nur Ein Licht auf einer der klei-
neren Seiten, durch ein sogenäntes veneziani-
gches , dreiflügeliches Fenster. Der Baukünst-
ler lies den Arcliitrav, der den Bogen des Fen-
sters stüzt, um alle vier Wände laufen, und
durch parweise gestellte Pilaster stützen, die
auf ein Podium , so hoch als die Brustlehne
des- Fensters , gestellt sind. Jede lange Wand
d«s Sales w^urde dadurch in fünf Felder abge-
theilt , dreren eines der Kamin des Sales ein-
nalim; in den übrigen neun Feldern ^vurde
auf dunklem Grunde Komus der Gott des X.^-
hensgenusses dargestellt, ungefähr vv^ie FHq-
strat üin beschreibt; aber in neun gesteigei-
t«n Momenten , von der Voibereitimg zu sei-
nem Tanz, bis zu dem, wo ej- berausclit und
Ermüdet einscblmnmert , und gleichsam zum
Genius des Todes -wird. lu dem Raum übeir
den beiden Tliüien der sclimalen Wand , dera
Fenster gegenüber, wurden drei einiaibigo
Malereien, weis auf blauem Grunde, nach
diei Epigrammen auf den Amor aus der grie-
cliischen Antbologie angebracht. Den Kaum
über dem .Architrav hatte der Künstler, den un-
tern Feldern entsprechend , durch Karyatiden
abgetheilt , die den Karnies tragen , und zwi-
schen diesen , über jedem der unteren Felder
lind dem Spiegel, an der schmaien Seite des
Sales den mitleren lunettenförmigen Bogen de?
Fensters w^iederholt. In diesen elf lunetten*
förmigen Abtheilungen wurden J-pollo , I\Ine-
Viosyne und die neun IMust-n in der Ordnung,
wie sie vor Herodots Büchern folgen, abge-
bildet, auf Sokkeln sitzend, die den Namen
derselben mit goldenen Chaiakteren enthalten.
In den Feldein über der Thüre behamen ein
Greif und ein Sßnx, einfarbig gemalt, ihren
Plaz.
Diese Arbeit, obgleich die erste der ArC
für ihn, war unserm Künstler vorzüglich wohl
^^elungen: die Zeichnung in einem edien StiJ^,
100
äie Stellungen der Figuren gefällig und von
sclioner Mannigfaltigkeit, das Kolorit laiifti-
gfer und weniger roll als gewölmlicli ; "vvie
ihm denn überhaupt in Wasser und Fresko
besser, als in Ölfarben zu malen gelang. Die
Gewänder sind mit G-eschmach angeordncs
lind lassen die Fennen des Nackten sehr gut
durchscheinen; aber in den Falten noch 'mei-
stens zu kleinlich und ohne schöne Wahl.
Auch hatte er, nach seinem eigenen Geständ-
nis, damals noch keinen durchgängig be-
stimmten Begrif von einem schönen Gewände ;
diesen erwarb er erst später in Rom. Vor-
Tsüglich gerathen w^ar ihm das Kolorit der Ge-
wänder, und die nach dem Einfall des einzi-
gen Fensterlichtes angenommene Beleuchtung ;
nnd in dieser ganzen Arbeit war weniger frem-
der Einflus auf seinen Geschmack sichtbar, als
in seinen meisten andern Arbeiten aus jener
Periode seiner Bildung-
Wegen der Kürze der Zeit, in v/eiclior
der Saal fertig sein muste , hatte Carstens sich
«einen Bruder zur Mithülfe nach Beilin kom-
men lassen. Dieser hat den gröfsien Theil
der Karyatiden 'grau in grau gemalt, die aber
schlecht gerathen sind; desto schöner sind die
löt
übrigen Monoclaromen von des Künstlers ei-
gener Hand. An diesem Säle, der mit dem,
Schlüsse des Jalires 1790 fertig \vurde, arbei-*
tete Carstens anhaltend wärend der schlim-
men Jahreszeit, in stetem Luftzuge sitzend,
und zog sich dadurch ein schweres Augenübel
zu, -vVoran er lange zu heilen hatte, und das
sich erst in B.om abnälig wieder verlor. Aber
^eine nun etwas gebesserte Lage, und nocl^
melir die Aussicht zu einer Reise nach Italien,
die ihm vornehmlich durch diese Arbeit zu-
gesichert wurde, erhielten ihm die Munter-
keit der Sele ; und das Interesse an seiner Ar-
beit lies ihn aller üngemächlichkeiten verges-
sen. Ob die hier beschriebenen Gemälde in
dem Säle des Dorvilleschen Hauses noch jezC
vorhanden sind, ist dem Yeriasser unbekant.
Carstens lies keine Gelegenheit vorbeige-
-hen, wo er bei dem INliiüster sein Gesuch»
ihm zu einer Reise nach R^om beförderlich zu
«ein , erneuern konte ; aber es bedurfte eines
vielfältigen Treibens, ehe es ihm gelang, den
Minister lebhaft dafür zu interessiren und in
Thätigkeit zu setzen. Wahrscheinlich würde
er es auch nie dalün gebracht haben, wenn
Glicht endlich die Arbeit jenes Sales den IMini-
sttY ZU einer besonderen EjT^entliclil^clt rer-
xnoclit liättc. Als Carstens die erste Figur fer-
tig gemalt hatte , und der Minister nun das
Werk ent teilen sali, kam er einst zuir. Ri'inst-
1er aufs Genwte , sah seiner Arbeit eine Zeit-
lang zu , kloplte ihm freundlich auf die Schul-
tern, und gab ihm sein EhrenTVOrt, dass et
ihn, sobald der Saal fertig sein -würde, dem
Könige auf.7 angelegentlichste empfehlen, und
i^im dessen Unterstützung 7ur Reise nach Rom
auswirken wolle. Dei- Minister hielt ledlick
Wort, und lüs^te sein Versprechen bei der
Einweihung des Sales , wo die königliche Fa*
milie gegenw^ärtig war, und wo er zu jenem
Zvvecke auch unsern Künstler eingeladen hat»
t€. Er stellte diesen dem Könige persönlicl^
vor , machte ihn auf die Güte der Arbeit auf-
merksam , empfahl den Künstler wiegen seiner
ausgezeichneten Talente, die er in Rom völ»
lig auszubilden wünsche, der besonderen Gna»-
de und Unterstützvmg Sr. Majestät, und «hielt
^uch auf der Stelle die mündliche EinwilK-
gung des Königs. Carstens fühlte sich in je*
nem Augenblicke tausendfach für seine Arbeit
belohnt, und glaubte endlich am Ziele seiner
Wünsche zu sein. Indes verzögerte sich doci^
die wirkliche EifüUung derselben zu seinen;!
105
l^ofsen Verdnisse noch bis ins folgende Jahr,
▼veil die für ihn bestimmte Pension eines von
Rom zuiükkelirenden Künstleis, welche 200
Thaler betiug, nicht eher erledigt wurde.
Endlich ward auch dieses Hindernis ge-
hoben, und. Carstens tiat nun im Sommer des
Jahres 1792, unter günstigeren Zeichen und
mit einem zw^ei Jahre lang zu geniessenden
Jahrgehalt von 45o Reichsthalern, seine zwei-
te Walfarth nach Rom an, wo er auch gegen
den Herbst desselben Jahres glüklich anlangte.
Sein Bruder blieb , w^iewohl höchst ungern,
in Berlin zurüh und besorgte indessen, an des
Abwesenden Stelle, den Unterricht in der
Gipshlasse. Dies erhellet aus einem Schreiben
des IVIinisters von Heinitz an Carstens vom
22. Jun. 1791 , wo es unter andern heist : „so
TVürde ich gerne sehen , wenn Sie ihre Reise
bis daliin ( bis zur Erledigung jener Pension)
aussezten, und wärend dieser Zeit ihren Bru-
der noch mehr zustuzten, damit derselbe, in
Ihrer Abw^esenheit , Ihre Stelle aUiier desto
besser verwalten kann." —
Da von ,diesem Bruder unsers Carstens,
der ihm so oft die Sorge für seinen Unterhalt
erschwerte, und in soferja auch als eines der
104-
Hindernisse seines Fortliommens anzuseilen
ist/ in der Folge nicht weiter die Rede sein
■wird, &o mögen liier, der Volständiglieit we-
gen, einige Nacluicliten von demselben einen
Piaz linden.
Friedrich Carstens , etwa aclit Jalire jün-
ger als Asnius , war nicht ohne Talent nnd
strebenden Geist , und möchte leicht unter
günstigeren Umständen, wenn auch kein gro-
fser, doch ein geschihter Künstler geworden
sein ; aber er hatte doch weder den hohen
Sinn noch das reiche, schöpferische Talent;
auch wo es Sehw^ierigkeiten zu besiegea galt,
nicht die moralische Kraft und den unerschüt-
terlichen (jleichmuth, die unsern Jsnius in
jeder Widerwärtigkeit aufrecht erhielten. Er
war -eines jener Halbtalente, die unter begün-
stigenden Umständen und richtiger Leitung
zuweilen wohl gedeihen, denen aber die an-
geborene Kraft und der sicher leitende Trieb
fehlt, um sich durch alle Hindernisse glük-
iich durchzu^vinden ; die daher unter w^ider-
wärtigen Einflüssen leicht eine schiefe Pach-
tung annehmen. Sein Bruder Asmus , der ihm
Eum Vorbilde diente, stand doch eigentlich
zu hoch für ihn , und indem er jenem nach-
strebte, verfehlteer, was für ihn erreichbai
105
WUT. Was er geliont Iiätte, genügte ihm
nicht; und -was ihm genügt hätte, -war über
sein Vemaögen. Dies entzweite ihn mit sei-
ner Knnst und mit sich selbst, nnd v/arf ihn.
in mancherlei schädliche Zerstreuungen. Bei-
den Brüdern mangelte Erziehung für die Weit
und Bildung fürs Leben in der Sfäre , zu wel-
cher die Kunst sie erliob ; sie stieisen also oft
da an, wo Gewandtere iaei hiuduichgingen.
Indessen drang doch Asmus überall mit seineni
geraden treflichen Charakter durch ; dabei hat-
te er sich selbst eine innere Bildung gegeben,
und eine Welt in seiner Brust erschauen, die
ihn unendlich über alle die erhob , welche,
bei innerer Leerheit, ihm an aussei er Bildung
überlegen w^aren ; und w^enn ihm dieses gleich
wenig fürs Leben mit andern nüzte, so war'
es ihm desto wichtiger für die Knnst, die al-
lein sein -wahres Leben ausmachte. Unter die-
sen Umständen %var es natürlich, dass sein
Weith selten richtig erkant, dass sein Selbst-
gefülil oft harten Prüfungen imterworfen war,
werfn er fast überall nichtiges Scheinrerdiensü
dem Avahren vorziehen sah. Doch dachte er
darum von den ^lensclien und der Welt nicht
eben sclilechter; er sah es als den gewöhnli-
chen Lauf derselben an, dem mrai sich fügea
io6
müsse, olme ron ihm sein Glück zu erwiar-
ten. Sein Nvidriges Scliiksal machte ihn dar-
um auch weder kleinmüthig, noch sein ge-
kränhtes Selbstgefühl ihn trotzig. Bei jenem
hingegen war unzeitiges Selbstgefühl in mis-
verstandenen Dünhel ausgeartet, dessen An-
sprüche w^eder vom Glüch noch von den Men-
schen anerkant wurden. Dies machte ihn un-
gerecht gegen alle, selbst gegen seine Freund«
mistrauisch, und erbittert gegen das Schik-
sal; ja auch auf seinen Bruder, der ihn bei
eigener Armuth mehrere Jahre hindurch erhal-
ten , und seinen Müfsiggang nachsichtig ge-
duldet hatte, dem er den grüsten Theil seiner
Bildung als Künstler verdankte, warf er zu-
lezt einen Groll , weil dieser ihn nicht mit
sich nach Italien schleppen wolte ; er mied
also auch von der Zeit an die Freunde seines
Bruders, die dieser in Berlin zurück lies; und
da sein geringer Verdienst nicht hinreicht©
ilin zu erhalten, so starb er endlich, von al-
ler Welt entfreundet und zurückgezogen, im
36ten Jahre seines Alters, im äussersten Eien»
de, an der Auszehrung. —
Von den Erfindungen unsers Künstlers wä-
lend der vier Jahre seines Aufenthalts in Bei>
107
litt sind, ans Ä'tangel ausfülivllcliercT Nacli-
äicliten von jener Periode seines Lebens, nur
die folgenden zu des Verfasser^ Kunde ge-
langt :
Der bereits oben erwähnte Sturz der Engel.
Der in Schwertnuth versuiikene ^jax, Tek-^
messa und der kleine Eurysakes ; acquarel-
lirte Zeichnung.
Bakchus , der dem Amor aus seiner Schale
zu trinken gieht ; wurde in Rom in Le-
bensgrofse von ihm in Ol gemalt.
Die drei Parzen , nach dem Buche des Schik-
suis das Lehen der Sterblichen spinnend.
Sokrates im Korbe an der Decke schu-ebenii
und mit dem Bauer Strepsiades filosoß.'
read; nach den PVolken des Aristojanes.
Das Gastmal des Plato , wo Alzibiades den
Sokrates krönt; nach Pausanias. Eine dei;
schönsten Komposizionen des Künstlers^
wozu er die Idee bereits in Lübeck ge-
fasst und entworfen hatte.
Oedipus von den Furien gequält; nach So-
fokles. Blofser Umris auf einer ziini Ol-
i»alen zubereiteten Holztafel ; ebcufaJs ei-
108
ne der besten Komposizionen aus dieser
Periode.
Besuch der Argonauten hei dem Kentauren
Chiron i wo Chiron und Orfeus im Gesän-
ge wetteifern. Dies war die lezte Rom-
posizion des Künstlers in Berlin.
Aufser diesen Arbeiten verfertigte Carstens
auch eine in Bister ausgeführte Zeichnung von
der Schlacht hei Hoshach , vi^elche die Akade-
mie für aoo Fithlr. kaufte, uiu sie stechen zu
lassen, wo er dann, nach wirklicher Vollen-
dung des Stiches , noch loo Rthlr. erhalten
solte. Beides ist jedoch nicht erfolgt. Ein
Kenner, der diese Zeichnung gesehen, urtheil-
te davon, dass sie, mit andern Aibeiten des
Künstlers A-erglichen , unbedeutend sei; wel-
ches um so leichter zu glauben ist, als das
Moderne aufs erhalb seines Kreises lag. Wahr-
Bcheinlich hatte ihn zu der Walil dieses Stof-
fes auch blos die Auffoderung der xikademie
an die Künstler , Gegenstände dej- braudenbur-
gischen Geschichte zu behandeln, vermocht.
Auch verfertigte er, als Mitbe\veiber zu der
im Frühjahr 1792 angesezten Konkurrenz ein
^IVIodeU zu einem Standhilde Friedrichs IL zu
]Pjerde. Derselbe Kenner urtheilte darüberj
iü9
dass sein Modell unter den aufgestellten zwar
das beste , aber docli nur ein niittelmäfsiges
Werk gewesen sei ; doch liabe der Künstler
daiin gezeigt, dass er mechanisch eben so
fertig mit dem I^Iodellirbeine als mit dem Giif-
fel umzugehen Vvuste. Diese Fertigheit im
INIodelliren hatte der lulnstler in Kopenhagen
erworben, wo er zu seiner Übung, und- mit
jungen Bildhauern zur Wette, veischiedene
Figuren in Wachs und Thon modelLirt hatte;
und sie war ihm für seine Darsteiiungen von
grofsem Vortheile ; denn er erwai b sich da-
durch eine volkomnere Anschauung des Pain-
dcn; und ^vo er sich aus Mvingel perspehtivi-
sclier und optischer Keiitnis nicht zu ratlien
>vuste, da modelliite er die Figur. Dies that
er auch späterliin noch zu-weilen.
So hatte nun Carstens unter den ungün-
stigsten äusseren Veihältnissen, mit denen er
von Jugend auf zu kämpfen hatte , troz allen
Hindernissen, die ihn immer von seinem Zie-
le zu entfernen suchten , und mit einem 'sie-
clien Körper, der ihn oft Wochen und IVIona-
te lang aufs Lager warf, durch unermüdetes
Streben und Fangen , nicht nur alle jene Hin-
dernisse endlich siegrf.'ich. überwunden, scn-
110
clein auch in seiner Aasbildung als Künstler
die Stufe erreicht, die er in Deutchland er-
Teiclien honte. Nur ein Verlust war unter
solchen Schiksalen unvermeidlich und uner-
sezlich, der Yerlust der besten Jahre seines
Lebens, und die davon unzertrenliche Ver-
säumnis dei- hinreichenden Übung im Malen,
die in späteren Jahren nicht wieder nachzuho-
len war. Er selbst fühlte dies nur alzuwolil,
•wie er überhaupt seine Mängel eben so rich-
tig erhante, als seine Vorzüge; und da er auf
kein langes Leben rechnen durfte, so eilte et
zu retten, was noch zu retten Avar, und zu
eneichen was sich nach einer solchen Veispä-
tung noch eaTeichen lies. Er war acht und
dreifsig Jahre alt , als er nach Italien ging.
Sein dortiger Aufenthalt soke zwar nur
twei Jahre dauern ; der Nutzen davon wüj de
also sehr beschränkt gewesen sein ; aber er
hoffte, Avenn er nur einmal in Rom sei, ent-
weder eine Verlängerung seiner Pension zu er-
halten , oder wenn ihm das nicht gelänge,
durch eigenen Fleis Mittel zu finden , um sei-
nen Aufenthalt daselbst zu verlängern, und wö
möglich für immer zu behaupten. Auch die-
sen Plan, dem sic^i in der Folge grofse Schwie-
111
rigiÄciten entgegnen stellten, sezte er zulez^
mit seinem ausliairendem Mutlie glüklicli
durch.
Damit es nicht den Anschein habe, dass
die Behauptung , Carstens habe in Deutsch-
land als Künstler nichts mehr lernen können
anmafsend sei, so wollen Avir diesen Punkt
noch etwas genauer beleuchten. Im liolorit
und im Ölmalen war er freilich damals noch
sehr zuiük; w^ean man also auch zugeben wol-
te , er hätte beides in Berlin noch besser ler-
nen können , obgleich schwer zu sagen sein
dürfte von wein, oder nach welchen Zvlustern ;
da geschikt Malen und gut Koloriren z-svei
wesentlich verschiedene Dinge sind; so war
«r doch uiiter seinen damaligen Umstanden
aufser Stande, diesen Theil der Kunst do3t zu
üben ; dazu hätte es wenigstens für einige
Jahre einer sorgenfreien Lage bedurft, um die
nöthigen Studien zu machen, und einige sei-
ner Komposizionen als Gemälde auszuführen ;
woran aber dort nicht zu denken war. Dafür
war unser Künstler in Erfindung und Kompo-
sizion schon vortreflich zu nennen, wie meh-
rere seiner in Berlin verfertigten Komposizio-
nen bew^eisen, obwohl er auch darin sich in
Italien noch sehr j^ebessert hau In ditscjii
1l2
wicliiigen Theile <ler Kunst, der den nieislou
so scliv^er gelin^^t, hatte Carstens seine eigent-
iiclie Stärke. Durch beständige Lbung hatte
er sein glilkliches Talent zur Erfindung zu ei-
ner groisen und sicheren Fertigkeit ausgebil-
det ; denn sein ganzes 1 reiben der Kunst war
wenig mein* als ein stetes Erfinden und Koni-
poniren gewesen. Auch im Stil der Zcicli-
iiung besas er unstieitig einen reineren Ge-
schmak, als irgend jemand unter den damali-
gen Künstlern, nicht blos Berlins, sondern
Deutschlands ; und was ihm , für die Ausbil-
dung des grofsen Stils , in dem er arbeitete,
noch gebrach , das konte er nur im Angeeicli-
te der Antiken und Rafaels erlangen. Au den-
selben Mustern konte er auch nur den reinen
und schönen Stil des Gewandwuifes und der
Falten studiren, den er gleichfals noch nicht
o-chörig ausgebildet hatte. Er miiste , zur vOl-
li^^en Entfaltung seines Geistes , zur völligen
B-einigung und Ausründung seines Gesclimaks,
nun noch die Melster%verke selbst im Grofsen.
sehen und studiien, die er so lange nur in
schlechten Abbildungen gekaut hatte ; so wie
der Baukünstler nur durch den Anblik der al-
ten Tempel zu Paestum , ^grigent, Segest
u»d Athen» der Landschaftmaler nur aus der
italie-
113
italienischen Natur selbst nicht aus Kupferwer-
ken und Prospekten den ^vallren begeisterndeu
Eiudruk ihrer eigenthiiniliclien Grüfee und
Schönheit erhalten kan. Ein Künstler, der so
eiiistlich wie Carstens nach dem Höchsten
strebte , konte auch nur von dem Höclisten
lernen. Wie mächtig und entschieden a,ber die
eigene Anschauung der Werke liafacls , ]VU-
chelangelo's und einiger Antiken von höchster
Schönheit auf seine Einbildungskraft w^irkte;
l/vie aufFallend seine eiste löniische Arbeit
von der lezten berlini^chen absticht, -sverden.
wir in der folgenden Periode seines Kunstle-
bens in Ftom sehen. Wir folgen nun dem
Künstler nach Italien,
Carstens verlies ini junius des Jaines 1793
Berlin , in Gesellschaft des Architekten IVeln-
hremier aus Carlsruh, nnd des Malers Cahot
aus Kopenhagen, die beide gleichi.ils nach
Rom gingen. Sie nahmen ihren We^ über
Dresden und Nürnberg. In Dresden sah Car^
stens die dort aufgehäuften Schatze der Kunst,
welche dem deutschen Künstler zu einer nüz-
lichen Vorschule dienen, und besuclite auch
den damaligen Direktor der Akademie Casaiio-
ifUt der ihn mit einer vornehmen JQirektor-
8
114
miene empfinge die jedocli ilim , der den
Künstler nur nacli seineu Werken schäzte,
eben so wenig Ehrfurcht einfloste , als die Ar-
beiten desselben. Unter den Produhten neue-
rer Künstler, die er in Diesden zuerst sah,
war seine Aufmerksamheit vornehmlich auf
IMengsens Werke gerichtet , den er bis dahin
nur aus seinem algemeinen Rufe kante. Aber
sie machten keinen Eindruk'auf ihn ; er fand
sie unter seiner Erwartung und dem grofsen
Namen dieses Künstlers nicht entsprechend.
Doch lies er dem grofsen Altargemälde dessel-
ben die Gerechtigkeit widerfahren, dass es ein
verdienstvolles , meistCDliaft gemaltes Bild sei.
Weil Carstens in den Werken des Mengs ge-
rade das vermisste, was er, als das Wesentli-
che der Kunst, am höchsten schäzte, und oh-
ne welches er sich durchaus keinen grofsen
Künstler denken konte : Poesie der Erfindung,
kräftig schönen Stil, aus der Natur des Inhalts
geschöpfte Motive , bedeutende Gestalten, le-
bendige Bewegung , ausdrucksvolles Handeln
und schöne Einheit des Ganzen ; hingegen blos •
das in seinen Werken fand,, was er, auch in
hoher Vollkommenheit, nur als das Unterge-
ordnete ansah , welches ohne das Höhere we-
nig Wcfth für ihn hatte ; so konte er nie.
ii5
und auch naclilierin Rom nlclit, wo erdessen
Werke iu der Hirclie S. Eusehio , in der
Villa Alhaniy und in der Camera de""
■papiri im Vatikan sali, eine grofse Meinung
von Men^s fassen. Er fand ihn nur gros in
Vergleicliung mit den jMalern der Zeit, wo
jyjengs gelebt hatte, und achtungiwerth durch
sein ernftes redliches Streben. Carstens hatte
überhaupt eine gewisse Antipatliie gegen die
Werke des Jl'Iejigs , zo wie dieser sie gegen die
Weike ß'Iichelangelo^s gehabt hatte; und bei
beiden Lig sie in der entgegenge.'ezten Grund-
stimmung ihres ästhetischen Gefühls, die ^ll6
Kultrir nicht ganz zu tilgen vermag ; es -war
vornehmlich die Karakterlosigkeit und Kälte
der Mengsischen Maleieien , die ihm vs'icer-
stand. Er pflegte zu sagen, IVIeiigs sei ein
sehr geschikter Maler, der alles gelernt habe,
%vas sich von der Kunst lernen läfst ; aber
man sehe es allen seinen Werken an, dass er
in seiner Jugend zur Kunst geprügelt -wor-
den sei, und nie aus eigenem Triebe Künst-
ler geworden wäre.
In Nürnherg erfreueten ihn , durch ihre
ehrwürdige Einfalt und altdeutsche P».edlich-
keit s die Werke Alhrecht Dürers , für der» et
ii6
stets eine innige Verelining liegle , \n\ä den ev
nacli IVIicJielangelo und ila/ßeZ für ^as giörste
Kunstgenie der Neuern hielt.
In Florenz trennte sicli Carstens von seineil
B.eisegefälirten , um sich einen Monat lang dort
aufzulialten, und die herrlichen Runstschätze,
die es in so grofser Menge besizt , näher ken-
nen zu lerneiiv Er fand hier Nahrung die Fül-
le für seinen Geist, und bekani einen würdi-
gen Vojgeschniah von dem, was ihn in Rom
erwartete. Die Werke der alten Florentiner
vor Michelangelo und R.afael, des Ghihertit
JVLasaccio , Gldrlandajo u. a. , die ihm bis da*
hin noch unbekant %varen, zogen ihn ganz be-
sonders an durch ihre kunstlose, gemüihvoUe
Einfalt und Wahiheit, und er sch.izte sie un-
endlicli höher als die kuustgelehrtcn Werke
der späteren Florentinischen Schule nöc/i ilZi*
cJielangelo , die keine i-pur jener Vorzüge mehr
hat; und so sehr ihn auch immer die originel-
le Gj'osheit ihres Stifters hinris , so konte er
doch an der Manier der Nachahmer desselben,
eines Vasari , Salviati , BroKzino u. n. t kein©
Freude finden.
Aus den Bildwerken Michelangelo'' s in der
fiapelle dtt' dajyositi der Xiiiche »S. Lor en*^
117
z o spracli ihn zuerst der erhabene Geist dieses
Künstlers in seiner eigenen Gestalt nnd aus sei-
nen eigenen Werken an ; er sah diese ausseror-
dentlichen Gebilde der neueren Kunst, deren
Grufse von der Grüfse der Antiken so auffal-
lend verschieden ist, oft, und zeichnete sich
zum Andenken eine der liegenden Figuren.
'Doch blieb er auch unter so vielen Genüssen
nicht ganz unthätig; im Gegentheil regten sie
seine hervorbringende Bildkrafi nur desto star-
ker auf. Er entwarf Vv'ärend seines dortigen
Aufenthalts eine reiche Komposizion , die
Schlacht der Kentauren ufid JLapitJien in ge-
wischter Rüthehnani^r darstellend, die sich
noch xinter seinem Nachlasse befindet, und als
Übergang zur folgenden Periode seiner Bildung
merkwürdig ist. Man möchte sagen , dafs der
kurze Aufenthalt in Florenz schon sichtbar auf
ihn gewirkt habe; denn der Stil in dieser Kom-
posizion ist freier und schöner , als in der
Zeichnung von den Argonauten.
Die nächste Veranlassung zu derseibengab
ihm ein yon Ftonr zurükkeln'ender deutscher
Künstler, dessen Bekantscliaft er in Florenz
3uachte, imd der sich ein tüchtiger Kg^mponi-
jer au sein dünkte, wofür er auch in Pvora
unte^" seinen Landsleuten gegolten hatte. Bei-
de kamen bald tiefer ins KunstgespräcK ; bei
welcher Gelegenheit denn jener ihm erzälte,
wie man in Piom zu homponiren pllege, wel-
clien Apparat von Thonmodellen und Wachs-
figuren und Gliedermiinnernund Beleuchtungs-
tasten etc. man dazu brauche, und wie grofse
Vojtheile diese von den Fianzosen eingeführte
Methode gewäre. Carstens behauptete dage-
gen, das sei eine erbärmliche ahademisdhe Er-
findung zum Notlibehelf für Leut? , die hein
Talent hätten , und doch der Natur zum Troz
Historienmaler werden solten ; man müsse sei-
iie liomposizionen ira Kopfe fertig machen,
W^o siclis leichter hin und ]ier scliieben hisse,
als im Puppenhasten ; vv^er seine Bilder nicht
im Kopfe erfinde , der werde nie ein gescheites
Werk zu Stande bringen, und wer dazu tau-
ge, der könne alles solchen Rüstzeuges ent-
behren. Jener, der nur dre übliche Kompo-
nirmethode kante , fand die Foderung, dass
der Künstler alles im Kopf haben solle, etwas
nbertriebeir, und meinte, das Uefse sich leich-
ter sagen als thun; er möchte ^.vohl Jen sehen,
der eine Komposizion von vielen Figuren, oh-
ne alle Hüifsmittel, blos nach der Vorstellung,
«uwühre. Carstens sagte ihm darauf ; der An-
blik so vieler Kunstwerke habe ihm ohneliin
schon Lust gemacht, etwas Eigenes zu erfin-
den, und da er bereits seit einiger Zeit ein
Tlicma dazu im Kopfe habe, so lade er ihn
ein, am folgenden Morgen zu ihm zu kom-
men, wo er seine Komposizion aufzeichnen
•»volle. Der Fremde kam , und Carstens ent-
warf nun an dem und den folgenden Tagen,
in seiner Gegenwart, jene reiche , aus mehre-
ren Gruppen und vielen Figuren bestehende
Komposizion , und zeichnete sie sogleich in
dem ersten Entwurf© aus , ohne sie auf ein an-
deres Papier überzutragen ; %vorauf jener ihm
versicherte: Er habe freilich das Versprochen«
geleistet, aber das sei nicht eines Jeden Sache;
und er würde in Rom keinen Künstler finden,
der auf seine Art komponire.
Im September des Jahres 1792 kam unser
Künstler endlich in P*.om an , wo er, ausser
feinen Iveisegefährten , auch seinen alten
Freund , den Bildhauer Busch aus Meklenburg-
Schwerin, wiederfand, der bereits neun Jahre
in Fcom zugebracht hatte , und durch seine ge-
naue Kentnis des Ortlichen und L Diichen dem
neuen Aiikonilinge sein- nüzlich wai J,
120
Wojiin Carstens' seine ersten Gänge mach-
te , last sich leiclit errathen. Sein eigentliches
Pvom schlos der Yntilian ein. Alles Grofsennd
Trefliclie alter und neuer Kunst, was sonst
noch i'enen Sitz der Künste schmüht, war für
ihn gleichsam nur die Glorie, die diesen
Lichtpunkt umflos.
Der erste Eindruck , den er in der Sixtini-
schen Kapelle empfing , wo der Schöpfergeist
JVLichelangeJo's in seiner ganzen Erhabenlieit
waltet, war, w^ie man sichs bei seiner Em-
pfänglichkeit nir Gröfse liberhaupt, und vor-
züglich fiir die eigenthüniliche Gröfse jenes
Künstlers, der schon so lange sein Voibild ge-
wesen war, vorstellen kann. Er fand diese
Werke liber sein E]"vvarten ; nicht in der Grö-
fse des Stils oder dea' Kraft des Ausdrucks ;
denn da liatte e]' das Höchste erwartet , darin
leisteten sie ihm blos Genügen ; sondern in
der Malerei, besonders in ^en Darstellungen,
der Deche , die er besser gemalt und kolorirt
fand, als er dejn Uli chel an gelo ZYigetYPiMt hätte,
\'on dessen Kolorit er immer viel Böses gehört
hatte. T}(iS jü77gste Gericht fand er, besonders
in der imtern H.ilfte, .herbe und ivifreiindlich,
aber doch nicht so trocken und hölzern kolo-
121
liit, als er sicli nacli dem hart lunrissenen
Hupfeisticlie des Georg Mantiianus ^ des einzi-
gen erträgliclien , den nian bis jczt von diesem
Werke hat , *) vorgest'ellt hätte. Im Stile der
Zeichnung schiizte er die Malereien an derDe-
the hoher als das jiingste Gericht, das einen
uaerschopfiiciien Fveichthum von Wissenschaft
und £:roise Schünhciten in einzelnen treflichen
o
Gruppen enthält , -aber als nialerischo Honipo-
sizion kein schönes, mit Einem Blick zu um-
fassendes. Ganzes ausmacht, obgleich Plan und
Zusammenhang im Gedanken und der Anord',
nu7ig nicht zu verkennen sind.
Bei Rafael war es iiim ganz anders , als er
zuerst die Stanzen und Logen besuchte. Ihn
hatte er sich gerade so gedacht, %vie er ihn
fand. Freundlich wie ein ^Iter Behauter er-
schien ihm derselbe, und er empfand ganz die
hohe Heiterkeit und R.uhe, die dieser göttlich©
Genius über alle seine Werke ergossen hat.
Der Anblik von Rafaels Freskogemäiden -w^ar
*) Vielleicht ist jezt auch der p^rofie, aus elf Folio«
platten bestehende, Stich des Kwp^erstecher Metz,
eines iu Eiigiand zum Künstler gebildeten Deut-
schen, vollendet
l22
woliltliiitig fiir sein GefüKl und seinen Schön-
heitssinn, der sicli unter den drückenden Ver-
hältnissen eines kummervollen Lebens , und im
Steten K'^mpfe mit widrigen Scliiksalen, nur
wenig hatte regen, nie mit Fieilieit entfalten
können. JVHcJielangelo wirkte ^vie ein gewal-
tiger Riesengeist , der jedes Selbstgefühl zer-
nichtet, und zu dem man nur mit Ehrfurcht
hinaufblicken dari , spannend auf seine Fanta-
sie; Rafael kam ihm traulich mit menschli-
chen Gefühlen als Fjeund entgegen. Er fühl-
te sich beiden gleich tief untergeordnet ; aber
ß-'Iichelangelo^s kühne furchtbare Hoheit war
nicdejschlagcnd, Rafaels edle heitere Gröfse
w^ar aufmunternd für ihn. Jener zog ihn an
wie der Magnet das Eisen, unwid eis teh lieh
durch die Päesenkraft seines plastischen Genies ;
dieser, wie ein hoher liebender Genius den
verwandten befreundeten Geist anzieht. Jener
war in seiner Eigentliiimlichkeit eben so un-
erreichbar als gefährlicji für ihn ; diesem,
wenn gleich nicht weniger unerreichbaren,
durfte er doch mit Vertrauen folgen. Von je-
nem kehrte er immer voll Bewunderung und
leidenschaftlich gespannt, oft mit scharfen
aber w^ohlthätigen Lekzionen für seine Unwis-
senlieit in der gründlicheren Rentnis des Jiör-
123
per», zurucK; von diesem immer belehrt, er-
m.'.ntert, zur Tliätirlieit gestimir.t, und auf
seiaen Fort^cliritt zum Besseren vertrauend.
Jener war, nach dem eigenen Ausdrucke de«
liilustlers, ein strenger Lehrmeister, der ihn.
bei jeder Lehziou mit der Nase auf die Gram-
matik sties ; dieser ein freundlicher Mentor,
der ihn unaufhorlic^i auf die Natur hinwies,
luid ihm zeigte , wie er sie studiren solle.
Das ungefalir waren die Empfindungen und
Gedanken, die sich, bei öfterer Betrachtung
und genauerer Kentnis beider ?vleister, aus den
Eindrücken ilirer Werke auf sein Gemüth er-
zeugten imd die TJaximen begründeten, die
ihn bei dem fortgesezten Studiiun derselben
leiteten ; wovon wir liier das Bemerkenswer-
tlie sogleich mit anführen v/ollen, um in der
Folge denselben Gegenstand nicht noch einmal
berühren zu dürfen.
In der ersten Zeit besuclite Ca?-^t<?n,j den Va-
tikan so oft, bis er die \Verke beider Künst-
ler hinlänglich kennen gelernt, und seine Neu-
gier völlig bcfiiedigt hatte. In der Folge ging
er gewöhnlich alle Wocbc einmal morgens in
den Vatikan , wo er aliein und ungestört der
aufnTCiksamen Betrachtung derselben einig©
124
Stunden widmete, und die Resultate dieses
Studiums dann in seinen eigenen Arbeiten an-
zuwenden suclite. Er verrichtete dort im ei-
gentlichen Sinne seine religiöse Andacht vor
höheien Geistern , und sah es ungern , wenn
er von zudringlichen Plauderern darin ge-
6turt v/urde.
Da er nun auch das Wesen und den eierent-
o
liehen Zweck seiner Kunst immer wahrer er-
tante und einsehen lernte, dass üa/a^^Z gerader
und zuverläfsiger auf denselben hinweise als
ß^IicJielangelo , den er nur für das gründliche
Verständnis der Formen , und für das höhere
Feld der plasüschen Simbolik, welche grofse
und charaktc] volle, durch sich selbst bedeu-
tende , selbständige Idealbildungen fodert, als
ein erhabenes Vojbild erh;mte ; -wo hingegen
Tiajacl im eigentlichsten Gebiete seiner Kunst,
in der dramatischen Darstellung einer aus sich
selbst motivirten , in sich selbst geschlossenen,
sich durch sich selbst erhiärenden Kandiunir,
ihm das höchste, einzig der Nachfolge würdi-
ge Muster schien : so ward ihm Fiafael cnd-
licli der wichtigere, klassischere von beiden.
Dabei fühlte er z;igleich auch die Nothwcn-
digkeit, seineu überwiegenden Hang ztuuldea-
len und Grofsen auf das gehörige Verluütnis
mit Schonlieit und Natur lierabzustiuimen,
lind die Allegorie nicht mehr als einen Kunst*
zweck, sondern nur als ein Hülfsmittel zur
anschaulichen Darstellung einer tdee in den
FaiLen .-inzusehen, wo der unmittelbare Aus-
druck natürlicher ^Zeichen nicht hinreicht.
Zu dieser Überzeugung brachten ihnTornehm«
lieh Rajaels Werke. Er äusserte mehr als ein-
mal, dass JMichelano^elo's Werke so spannend auf
seinen Geiit Avirkten, dass er unmittelbar
nachher nicht iu die Stanzen zxi h.afaal gehen
konte , ohne eine gewisse Verstimmung 211
fühlen , die ihn unfähig niachte , sie mit der
gewohnten Lust zu sehen. Es ging ihm hier-
in wie dem Landschaf tinalcr Hess von Zürch,
der an die machtigen Eindrücke der grofsen
und küimen Alpennatur ge-w^Ohnt v\v.r , und
als er sich unmittelbar aus ihr in die heiteren,
schonen Gegenden des mittlem Italiens vei-
sezt.sah, diesen anfangs keinen Geschmack ab*
gewinnen konte.
Unter allen antiken Bild^verken , die Car*
Stens in Fi.om kennen lernte , machten keine so
grofsen Eindruck auf ihn , als die sogenauteu
a&lQisen auf dem (puhinalischen Hügel , beson-
120
ders der scliönere von beiden , den die alte In-
schrift am Fuägcstelle ein Werk des Phidias
jienut. Er sezte diesen über alle Antilven,
selbst über den Vatiknnisclien Apollo , weil er
nirgends so viel liraftvolle GruLe, Scliönlieit
lind hohe Reinheit des Stils vereint fand, als
in diesem vollkommensten Heroenideale; und
er ging niclit leicht über Jil ont e C avallo ,
ohne eine Weile vor diesen bewundejiiS''.vür-
digen Weihen stehen zu bleiben. Auch zeigte
sich dieser Eindruck auf seine Fantasie auffal-
lend in seiner ersten römischen Arbeit, von
der ^veiter unten die Rede sein v/ird.
Carstens besuchte bald nach seiner Ankunft
auch die Werkstätten der bekantesten, damals
in pLom lebenden fremden und einheimischen
Künstler, um die Erzeugnisse der Gegenwart,
and seine mitrtrebenden Genossen in der Kunst,
näher kennen zu leinen. Von deutschen
Künstlern seines Faches befanden sich de3zeic
iu Rom nur Angelika Kaufmann , der Maler
iVLüUer y mit dem er durch Busclt nähere Be-
kantschaft machte, ScJimiJt aus Darmstadt,
der sich gegenwäatig in Neapel aufliält, und
■Rehherg , der als Professor der -Beiliner Akade-
mie seit mehreren Jähren in Pvom lebte undbe-
1-7
auftragt war, über die von der Aliademie
dorthin gesandten jungen KünEtler eine Art
von Aufsiclit zu füluen, ilue Studien erforderr
liehen Falles zu leiten, ihre Arbeiten nnclizu-
selien , und darüber, so wie über Fleis uuii
Aufführung dej-selben, zu berichten. Es schien
als ob die Akademie diesen Auftrag nicht blos
auf ihre jungen Z(*glinge , die einer solchen
Aufsicht und Führung in Rom noch w^olii be-
dürftig sein können, eiiiichränken, sondern
auch ältere Künstler, die von ihr dorthin ge-
sendet wurden, dieser Masregel unterwerien
W^olte. Dies bewirkte bald zwischen Carstens
und ReJiberg ein gespanntes Veihiiltni:, Cai'
sens glaubte keines Aufsehers zu bedürfen, und
hatte wohl Recht, so zu glauben. Rehherg
hingegen meinte , seine Obliegenheit auch ait
ilim erfüllen zu müssen ; vielleicht war er so-
gar vom Minister selbst dazu beauftragt. Aber
Carstens suchte ihm dieselbe dadurch zvi er-
schweren, dass er sich allem Umgange und al-
ler nähern Bekantschaft mit ihm entzog. Er
Wolte auch in Pt-om von der Akadem.ie völlig
Unabhängig sein, imd selbst von sich das Nü-
• thige an den Minister berichten. Da ^veiter
unten von den Verhältnissen un ers Fiünstlers
mit der Berliner Akademie und dem Kurator
128
derselben noch ölter die Rede sein wird, so-
war liier die voiiiiufige Andeutung desselben
nicht ganz zu übergehen.
Von den Tranzosen befanden sich um 1792
noch mehrere geschihte Zugiinge der David-
sehen Schhle in R-om , als Gagjieraux , Fahre,
des Tvlarees i Jjlanchard; und Berge/- der Savo-
Jarde , der aber nicht zu ihr geholte. Unicr
den Engländein zeichnete sich vorzüglich
Durno aus ; Hamilton malte in seinem holien
Alter nicht mehr. Unter den Italienein mach-
ten damals Cades , Lundi, und vornehmlich
Cav-allucci das meiste Aufsehen ; die alteren
Akademiker von S. Luha vs inden wenig mclir
geachtet; Benvenutimxdi Camoccini, die gegen-
wärtig blühen, waren damals noch nicht be-
kant. Aus d.ei\ Weihen dieser Künstler konto
man den damaligen Zustand der Historienma-
lerei in Fcöm so ziemlich übersehen, CarsUn:
sah sie nnd "vvard wenig davon erbauet; er
fand unter allen nicht einen einzigen Gefälu-
ten auf seinem Wege, nnd fürchtete, dass er
Piich in R.oin Averde eben so idlein wandehi
müssen, als er vorhin gew/mclelt hati?e ; doch
lies er sich dadurch nicht irre machen, und
obwolü er den Widerstreit voj her sali, den er
ba
129
bei seinen Kunstgenossen en'egen würde , so
liofte er docli aiicli in dem Sitze der Künste
lind des Gescliruacks Henner zu linden , die
ihm Gerechtigkeit -widerfahren liefsen. Lber-
lisupt^ hatte er den Grundsaz : ein Künstler
dem es mit seiner Kunst Ernst sei, und dei'
nach w^ahrem Failime strebe, müsse sich nie
nach dem Gesclimach seiner Zeit ricliten, son-
dern seiner Überzeugung und den klassischen
Mustern folgen, wenn er auch das Unglück
licitte von seinen Zeitgenossen verhaut zu wer-
den. Carstens betrog sich wedei- in der einen
Erwartung , noch in der andern ; er fand Nei-
der und Schi.tzer seines Verdienstes, Wieder-
sacher und Freunde seiner Grundsätze und sei-
nes Gesclunacks ; doch davon in der Folge,
und hier nur noch Einiges über seinen Em»
pfang unter den Landsleuten, die er in Fcom
vorfand.
Die wenigen Berühningspunhte , die der
Deutsche und Italiener für einandfer haben,
und die Übereinstimmung jener in Sprache,
Sitten und Zweck, machen dass die meisten
der in Rom lebenden deutschen Künstler un-
ter sich eine enggeschlossene Landsmannschaft
bilden, und sich, der dortigen Lebensweise
gemäs, täglich in einem eigenen Speise- luid
9
^50
Kaffchause versammeln , also aucli fast täglicli
einander seilen und spieclien. Nur wenige,
meistens allere Künstler, die schon viele Jah-
re in Rom gelebt , die dort eigene Familien-
veihäknisse , oder näheien Umgang mit Ita-
lienern , oder sonst eine Ursache liaben sich
abzusondern, machen davon eine Ausnahme.
So leben die Deutschen sowohl, als die Künst-
ler andeier Nazionen ; jede für sich. Ein
neuer Ankümling , der gewöniich schon ir-
gend einen früheren Bekanten in ,F».orn hndet,
■wird also dort sogleich mit den meioitu
Landsleuten behaut; da aber deren immer nur
eine gelinge Zahl ist, so leinen sie in dem
täglichen Beisammensein einander bald^ aus-
wendig, und wie verschieden sie auch sonst
durch Heimat, Religion, Gesinnung und
Sitte nach den verschiedenen Gegenden.
Deutsclilands sein mögen, so nehmen doch
ilire Kunstansichten, ihre Urtheile, und ihr
gesellsciiaftiicher Ton bald eine gewisse Gleich-
förinigkeit an, die sich fortwährend eihält,
lind der sich jeder Hinzuhonnuonde almälicli
anschliefst. Doit wird bald jeder Dünkel, je-
de Pedanterie abgelegt; kein Professorstolz
darf da seine Anmalsungen laut weiden lassen.
Vüilige Gleichheit, imd gröste Freimüthigkeit
ohne Pvüclisiclit in Knnstiirtlieileii sind der
Geist dieser freien Künstler - Piepublik, die
?ber .uicli , gleich andein R.epnbliken, oft in.
Faiteien getlieilt ist, welche einander durch
luigei echte Urtheile bekämpfen und befeinden.
Nachtheiliger jedoch als diese, ist der unter
dem grofsen Haufen der Künstler waltende
i^unft- und Ilandwerksgeist , Welcher in dem
]Ma:i<jel an Geistesbildung seinen Grund h.\t.
]Mit den un\vürdigen Begriffen von Kunst,
und dem Dünkel , die diesem Geiste eigen
sind, ist gewönlich auch eine gewisse Ptoheit
und Gemeinheit der Sitten vergesellscliaiter,
die nicht nur selbst alle Bildung verschmähet,
sondern a; cli das Streben Anderer, Avelche
sich dem herschenden Zunft- und Ilandwerks-
gciste nicht fügen wollen, anfeindet und ver*
spottet. Dieser unlobiiche Ton in Kunst und
Sitte, der zur Zeit, ;tis Carstens nach Roni
kam, dort noch ziemlich im Schwanke -wai-,
ehe die Revoluzion die meisten der dort leben-
den Künstler versclieuchte, hat sich in den
lezten Jahren merklich gebessert, so dass die,
welche damals zur i>Iajorität gehörten, jezt
nur noch als Ausnamen zu be4:rachten sind ;
und der Vorwurf, den man sonst den mei«
«en deutschen Künstlern mit Recht machfta
132
iontc , dass es ilinen ah Erziehung und nötiii-
ger Bildung mangele , iiiag^ vielleiclit jezt nur
nocli die kleinere Zahl treffen.
In einem so engen und gleichgestimmten
Kreise ist natiirlich die Aufmerksamkeit auf
den neuen Ankömling tan so stärker, als dar-
in jede freYnde Eigenthümlichkeit und Beson-
derheit um SU auffallender absiiclit.
Carstens war ganz dazu geeignet, die Auf*-
merksamkeit seiner römischen Landsleute auf
sich zti heften. Sein schliclites , unansehnli-
ches Äusseres, das aber doch einen besondc'
ren Schnitt hatte ; freine natäiliche Geradheit,
di« immer sprach wie sie dachte; seine dmth-
aus eigenen Ansichten der Kunst ; seine frei-
müthigen, und v/o es ein herschendes Vorur-
tlieii zu bekämpfen galt, oft selir deiben und
schneidenden Ürtheile; seine sarkastische V«/v-
spottung alles akademischen K unstschlendrians ;
dabei seine Unbekantschaft mit allem, was in
der Geselschaft als herküniiich und angenoju-*
nien gilt, und die Kontraste einer für das Le-
ben völlig vernachlässigten, und blos auf die
Kunst gerichteten Bildung, waren in dieser
Vereinigung eine zu sonderbare Erscheinung,
als dass man sobald mit üir hatte fertig wer«
155
den können. Indes würde seine blofse Indivi-
du.'ilität, so scltsp.m sie sein moclite, wie jede
?-ndere Sondcibarkeit , bald den Heiz der Neu-
heit verloren haben, wenn nicht seirce, den
gangbaren Meinungen über Kunst, meistens v/i-
«iersprecheriden Äusserungen , vereint mit dem *
imgewöhnliclien Stile seiner eigenen Arbeiten,
die Aufmerhsamkeit auf ilin fortdauernd rcje
erhalten hätten.
Einige seiner Äusserungen, über die neue-
sten Kunstfabrihate, die er in Rom entstehen
f :,h , über die dort herscliende xiletliode zu
siuciiren und zu homponiren , werden hinrei-
Ciien zu zeigen, da£.s er sich damit vmter sei-
lu^n Landsieuten, die ^röstentheils nach der-
prlben zu Werhe gingen, eben nicht sehr be-
liebt machen honte.
So zum Beispiele fand er in den Arbeiten
aller dortigen Künstler keine Spur, dass sie
Txajaels und J^Iichelan^elo's Werke , die ihnen
so nahe vor den Augen standen, auch nur ge-
sehen , geschweige studirt hätten; im Gegen-
theil fast überall nur geistloses Machwetk
ohne Karakter und Ausdruck, Pinselei, ge-
schminktes Kolorit und prunkende Armselig-
keit. Das Modelzcichnen, dem die deutsrhea
Künstler in R.om besonders eifrig ergeben wa-
ren , ei Klärte er für zvveclJos, und bcliaupte-
te es gehöre blos znni Abece der Kunst ; wer
in Rom stndiren Avolle , müsse dieses bereits
inne liaben und die Natur lesen können. Dem
Histoiienmaler sei es ohncliin für seine Eifin-
dungen unnütz ; da derselbe von tausend Ak-
ten, die er nach dem Model gezeichnet habe,
doch keinen einzigen in einem histoiischeiL
Bilde brauchen könne; ja er fand, dass die
grösten Aktzeichner nicht einmal einen Akt zu
zeichnen verständen , da sie nie das wirklich
vor ihnen stehende Model in seiner Individua-
lität treu nachzeichneten, sondern statt dessel-
ben immer nur eine und dieselbe Figui- , zu
der sie den Leisten in Hopfe hätten , in der
gegebenen Stellung mechanisch wiedeiholLen,
dass also das Aktzeiclinen, w^orauf man eine
so grofse Wichtigkeit^ lege , worin man ein
go grofses Verdienst setze , im Grunde nichts
weiter sei, als ein geselschaftlicher Abend-»
Zeitvertreib. Die licrschende Ilomponirmetho-
de hielt er für veiueiblich , und den Geist
^-^ahrer Kunst tödtend ; in den durch sie her-
vorgebrachten Arbeiten fand er ein widriges
Gemisch von Antike, gemeiner Modelnatur,
von hier und dort zusammengesuchten Armen,
103
Beinen und Gewandfetzen ; tlieatrallsclie Stel-
lungssuclit in der Gruppirung , nnnatüi licli
gespieiztes Handeln , und übertriebenen oder
nichtssagenden Ausdruck. Besonders spottete
er laut und bitter über den dazu eingetüLnea
Apparat, durch -welchen der geistigste Iheil
der llunst, das Ei linden, auf ein blos mecha-
nisches Puppenspiel ziuiick gebracht sei; wo
man die ganze Komposizion aus kleinen Wachs-
luid Thoniigürchen in einem Gukkasten zu-
sammen bauet , lun ein kolossales Bild danacli
zu malen. Die nach einem solchen Puppen-
tlieater fabrizirtcn Gemälde, v.'ozu die eiuzel-
3ien Tlieilc von haiudert Orten lieibci ge-
schleppt, taid ohne innere Verbindung zusam-
mengesezt ^varen, pflegte er sehr drastisch ei-
nen ekelhaften Haufen unverdauter Exciemen-
te zu nennen.
INIan kann sich vorstellen , wie derglei-
chen Äusserungen denen gefallen musten , die
selbst in solchen Misbräuchen das Heil der
Kunst suchten. Da indesi;en viele derselben
Wahrheiten enthielten, die sich nicht hinw-e?
disputirtu Hessen, weil Carstens seine Be-
hauptungen immer auf Rafaels Werke stüzte,
so muste mau sich auf eine andere Art gegea
J5Ö
ihn n'idten; man erwartete also, dass er selbst
etwas von seiner eigenen Arbeit aufstelle, um
es sodann durch die Hechel der schärfsten Kri-
tik zu ziehen. Man wolte die Foderung : dass
der Künstler selbst leiste was er von andern
verlangt, und besser mache was er an andern
tadelt, in aller Strenge an ihn lichtiu, ob-
gleich vi'enige seiner Gegner im Stande geAve-
sen sein w^ürden, ihr Genügen zu leisten,
Carstens lies auch nicht lange auf sich war-
ten ; denn da er so frei voin Herzen gespro-
chen hatte, so fühlte er selbst die Verbind-
lichheit, seine dreisten Behauptungen durch
die Tliat zu rechtfertigen. Er endigte noch
in demselben Jahre eine grofse Zeichnung von
einer ;iufs neue entwoifenen Komposizion des-
selben Gegenstandes , den er in Berlin zulezt
bearbeitet hatte: den Besuch der Argonauten
heim Keyitauren Chiron.
Carstens hatte schon in Berlin den Vor-
satz , diesen Gegenstand in einem Gemälde
auszuführen ; aber die frühere Komposizion
desselben gefiel ihm nicht mehr; er hatte sie
deshalb auch in dieser zweiten Bearbeitung so
verändert, dass nur .die drei Hauptgruppen des
Jason und Chiron , des Teleus mit dem kleinen
jichilleSi und des Herkules mit dem Hylas, im
137
Wesentlichen dieselben blieben. In der äkeren.
Kömposizion sind die Helden, theiis stehend,
tlieils sitzend, gruppenweise durch die geräu-
mige Hohle auf dem unebenen felsigen Boden
zerstreut, ^vodurch dos Ganze zwar eine male-
rische, aber zugleich etwas theatralische An-
ordnung erhalten hat, welche, nebst der zu
grofsen Zerstreuung der Tiguren dem Künstler
vielleicht misfallen mochte; denn in der spä-
teren Komposizion sind alle Figuren dichter
auf gleichem Grunde zusammen gedrängt, und
bilden nun , in dem langen und niedrigen
Rniun der sie einschliesst, und wo last alle
Figuren sich auf gleicher Linie befinden, ein
zwar minder theatralisches , aber auch nicht
so malerisch ajigeoidnetes Ganzes, und die
Komposizion scheint mehr zu einem halberho-
benen VYerhe, als zu einem Gemälde geeignet.
Aber das, wodurch diese erste römische Arbeit
unsers Künstlers von seiner lezten berlinischen
sich am auffallendsten unterscheidet , ist der
Stil der Zeichnung, so dass man dem Anschei*
iie nach dafiii- halten würde, dass ein P^.aun^
melirerer Jalire zwischen beiden liege. Die
Figuren der meisten Helden in der älteren
Zeichnung sind von hleir,lichen , etwas kur-
zen Verhältnissen, wohl st.irh, aber ohne ei-'
158
gentliclie Grosheitund die Aiisfülirurig ist zwar
ileissig, aber dabei kleinlich und trocken; in
der spateren hingegen ist der Stil durchgängig
gros lind entwickelt; die Heldengestalten ha-
ben ganz den mächtigen Karakter, der ihnen
gebiirt; ihre Bildung vereint Adel und Schön-
heit, und jnan sieht im Ganzen unverkenbar
den gi'ofsen Einflus der Kolossen auf ßl o nte
cavallo, besonders in den Dioscuren selbst,
die sich brüderlich umfassen , und in dem An-
fühi er Jason, liberhaupt ist der Karakter die-
sei- Zeichnung durch die stiengidealcn, brei-
ten, sauftgeründeten Formen, und durch die
klaren sehr reflektirtcn Schattenmafsen etwas
maimoraitig, und das Ganze macht aeix Ein-
druck, als ob es. nach einem erhobenen Wer-
ke gezeichnet sei. Die K()pfe der Helden ha-
ben säiiitUch eine sci-;öne bedeutungsvolle In-
dividualität, und der durch die Aufmerksam-
keit auf den Gesang des Orfevs über das Gan-
ze verbreiteten Ruhe ungeachtet doch einen
sehr lebendigen , beseelten Ausdruck.
Als Carstens diese ZeicLnung vollendet hat-
te, sahen seine Landsleute vvohl, dass sie es
mit keinem Anhinger und mit keinem blofsen
Scliwützer zu thun hatten. Denn wer hatte
139
bis daliin •wolil eine solclie Romposizion als
Erstlings nibeit in Rom aufgestellt? Aber er
hatte manclien empfindlichen Flech zn hart ge-
troffen, als d.iss man sich hatte mit ihm ver-
söhnen können, ^vozu er selbst freilich anch
nicht die Hand bot; und was man laut als
treflich winde gepriesen haben, y\renn Carstens
mehr Ilochaclitnng für den akademischen
Schlendrian und für den herschenden Zunft-
geist seiner Kunstgfnosseu bezeigt hätte, ward
nun, als man dem Giinzeii nichts anhaben hon-
te , im Einzelnen si-cuge gemustert und geta-
delt; da Avar ein Arm ^u dick, dort ein Fus
zu klein, hic3- ein Knie zu sclimal, dort ein
IMuskel zu bieit, da ein Ge%Tand zu anlie-
gend etc. Alle diese Fehler des JEiuzelnen gab
Carstens, der nie ein Modell bei der Ausfüh-»
rnng seiner Komposizionen brauclite , sondern
alles aus dem Vorrathe seiner Kenntnisse nahm,
willig dem Tadel preis , immer stiebend , die
Mängel und Felder seiner lezten Arbeit, die
er selbst oder andere dara-n entdeckten, durch
Stete Aufmerksamkeit auf die Natur in den fol-
gencien zn vermeiden. Übeihaupt -wurde ihm
nie oder höchst selten das Ganze seiner Koni-
posizionen getadelt, sondern immer nur Un-»
lichtigkeiten einzelner Theile ; nicht als ob
1/|.0
^AS Ganze seiner Kornposizionen immer so unta»
delig gewesen wäre, sonclejii weil fast nie-
mand von einöm als Einlieit aus der Fantasie
liervor^^egangcnen Bilde einen Begrif , also auch
für die Idee dieser Einlieit Keinen Sinn Latte ;
und weil den meisten der Gedanke selbst so
%venig galt, dass man nur auf das Einzelne der
Zeichnung und Ausführung und auf das Mach-
werk sah. Viele Künstler waren dei- Meinung,
dass der Inhalt sehr gleichgültig , das Rlaleii
hingegen die eigeniliche Ilnuptsache sei. Er-
findung federte oder vielmehr kante man nicht.
Die Komposizion hielt man für ein nothwen-
<liges Übel, deni man sich unterwerfen müsse,'
weil man ohne sie doch kein historisches Bild
malen könne, xind die beliebte Komponirme-
thode w^ar ein Mittel, sich dieses Übel soviel
als möglich zu e] leichtern. Mancher kam auch
•yv^ohl durch sie, ohne selbst zu wissen wie,
2.U einer schönen Gruppe, für welche oft die
Bedeutung erst nachher gesucht wurde. Car-
sten': im Gegentheil hatte das Schiksal, in den
Arbeiten anderer Künstler fast immer das Gan-
ze schlecht zu finden, und vergebens Gedan-
ken und ErhuGimg darin zu suchen. Er
sah nui" Kornposizionen die auf dem Papier
durch mühsames Künsteln, oder durch Zu-
141
«ammcnsclucben biegsamer W.-'.clispiippen ent-
standen waren ; oft fand er einzelne Theile
vorzüglich geratlien; aber sie maclijfen 'kein
Ganzes ; noch öfter waren viel Zeit nnd Kunst
an einen unmalerischen oder luibedentenden
Gegenstand verschwendet; Nebensachen wä-
ret! bis zur Tauscliuiig vortrcflich gemaltj
so dass die Haupttheile dagegen weit zurück-'
blieben ; die Gewänder und Stoffe ^v£Ten Heis-
send neu , al)er unter ilmen blil-.te überall der
hölzerne Gliederniann her\or ; auch in den bes-
ten Arbeiten f;-.nd er nur einen grofscn Ani-
wand von technischer Kunst und Uiechaiu-
schen Fei tigheiten, oliue Wahrheit, Bedeu-
tung und Geist. Bei so widerstrciiendcn An-
sichten und Bestrebungen war hein Einver-
ständnis zwischen ihm und seinen Kraistge-
nossen möglich, unter denen jedoch die vor-
züglichsten Künstler anderer Nazionen, be-
sonders die Italiener und Engländer seinen
Verdiensten Gerechtigheit w^iderfaliren liefsen;
indes die meisten seiner Landsleute, solange
er lebte , seine erhläitcn Gegner waren. Jen©
beurtheilten ihn blos nach seinen Arbeiten oh*
xie Nebenrüclisichten , und ohne Ecziehunqcn
auf sich selbst; diese hatte er duich seine
«txengen Grundsätze und Urtheile gegen sich
aufgebraclit. Hätten sie ihm zugestanden,
dass er mit diesen ein guter Künstler sei, so
■vvürden sie dadurcli ihier eigenen Kunst das
Verdammungsurtlieil gesprochen haben.
Wir haben nun gesehen, wie unser Künst-
ler in R-om seine höheren Studien mit Erfolg
begann, und in welch Vej-Iiältiiis ihn die ei-
genen Ansichten seiner Kunst mit seinen dor-
tigen Landsleutcn setzten.
Wichtiger als das w^ar für ihn sein Ver-
hältnis mit der Berliner Ahademie und dem
Ktirator derselben; denn davon hing die Dau-
er seines Aufenthalts in E.om ab, die nur auf
zwei Jahre festgesezt war, die er inzwischen
noch auf eine längere, wo raüglich auf Le-
benszeit auszudelinen hofte. Dazu sah er nur
zwei Wege : entweder er rnuste durch gutes
Vernehmen mit dem Minister von Ileiuitz es
dahin zu bringen suchen, dass ihm ein be-
ständiger Aufenthalt in Ptom mit Beibehaltung
seiner Pension vom Könige verwiliiget wer-
de; oder er muste sich, wärend der vergönn-
ten Zeit, solche Aussichten für die Zukunft be-
reiten, dass er es nöthigen Falles ohne Ge-
fahr wagen köntc, jene Verhältnisse mit Ber-
lin au zeneifsen, und, unabhängig durch sich
^4-3
selbst , seiner Kirnst zu leben. Dass es ilim
auf dem ersten ^Yege gelingen Avürde , hatte
wenig Wahrscheinlichkeit; denn theils erns-
te er, dass strenge staatsvsärth schaftliche
Grundsätze keine so liberale Handlimgs\A'eise
gestatten , theils verst.'.nd er sich zu wenig
daiaiif, die Gnade der Grofsen, die auch von
der strengsten Fiegel begünstigende Ausn.'ih-
men zu machen weis, zu erschmeicheln, und
mächtige Fiirspreclier hatte er nicht. Alles«
was er zu erlangen hoffen konte, war Verlän-
gerung seines Aufentlialts in Rom auf ein oder
zwei Jahre über die bestirnte Zeit hinaus.
Doch auch damit w^ar schon viel gewonnen ;
denn je länger er seine Pension in Rom ge-
niefseu konte, desto mehr Zeit erhielt er,
sich in Rom bekant zu machen und sich da-
durch eine unabhängige Lage zu begiündeu.
Auf diese Verlängerung derselben war denn
sein Streben zunächst gerichtet; und wenn er
nicht immer die zweckmäfsi^sten Mafsrejrelii
dafür wählte, so \vählte ej- wenigstens sol-
che , die seiner Denkungsart gemäs waren.
Aus diesem Gesicht-punkteniuä inan des Künst-
lers JJetragen gegen den Minister und die Aka-
demie betrachten, das sonst leicht aU tadelns-
Werth und undankbar erscheinen konte, wie
i44
es ihm ancli vom Minister selbst, der es ans
deinem andern Gesichtspunkte ansehen duii-
te , in der Folge, wo es z^Tisc]len iimen ziun
Bruche kam , hart vorgeworfen "vvurde.
Carstens hielt Kunstahademieen für öffent-
liche Anstalten zur Unterstützung und Förde-
rung des Talents, das. unter dem Drucke un-
günstiger Glüksumstände ringt , und glaubte
durch die Beweise, die er von dem seinigeu
bereits gegeben, einer solchen Unterstützung
Würdig zu sein. Dabei sah er die Kunst nicht
als ein Eigcntlium dieses oder jenes Staates,
sondern als ein Gemeingut der Menschheit an,
zu dessen Beförderung jeder Staat nach Ver-
mögen dass Scinige beitragen müsse ; und be-
hauptete, das der Künstler nicht dieser oder
jener Akademie die ihn gebildet, nicht die-
sem oder jenem Füisten der ihn unterstüzt
habe, sondern der Menschheit angehö3-e ; und
dass «r nur da mit ganzem Erfolg seinen
Zweck ejfüllen könne, wo ihm alle Mittel zu
seiner höheien Ausbildung zu Gebote stehen;
^vo die grösten Meisterwerke der Kunst, ei-
ne schönere Natur und ein Himmel, der das
Gedeihen alles Schönen begünstigt, ihn stets
wmgjeben. Diese begeisternden Umgebungen
fand
14-5
fand er in Rom melir als irgendwo vereint,
und G3anen befiel ihn, Vy-ann er daian daciite,
dafs er diesen glücklichen Wohnsitz , diesen
Himmel der Kunst nach einigen Jahren wieder
veilassen , und in den traurigen Norden zurück-
kehren solte , dem er kaum entllohn war. Je
öfter er sich di'ese trübe Aussicht vergegen-
wärtigte, desto lebendiger ward sein Absclieu
dagegen, desto fester sein Vorsaz, nie wieder
zurückzukehren ; lieber alles aufzuopfern und
aufä neue, wenn es sein müsse, mit Mangel
lind Notli zu kämpfen, als zurückzukehren.
An seinen kränklichen Korper, der dies eben
so dringend foderte , dachte er dabei nur zu-
lezt; denn keine eigennützige Absiciit, son-
dem reine Liebe zur Kunit beseelte ihn, und
bewog ihn so z-aliandeln, wie er handelte ;
ja er war übeizeugt, dass er aus P£iclit gegen
seine Kunst und gegen seine Bestinamingniclii;
anders handeln dürfe.
Carstens betraclitete seine Angelegenheiten
aus dem hülicren Gesichtspunkte, aus den:i je-
der Künstler sie betrachten mus , dem seine
Kunst die höchste Bestimmung seines Daseins
ist. Aber dies kann wieder der Gesichtspunkt
einer Akademie sein, der, als einer Erzie-
lO
hnngsunstah für den Staat i die Pflicht, dem-
«elben nüzliche Bürger zu erziehen , als höch-
ste , obliegt, und die diesen Zweck auch durch
ihren Namen, Akademie derineclianisclisnpT^is'
senschajten , deutlich genug ankündigt ; noch
kann es der Gesichtspunkt eines Ministers
sein, der , als Kurator dieser Akademie, sicK
blos als „Staatshaushalter der zuiu Wohl des
St-iats ihm anvertrauten Gelder" betrachten
darf. Unter solchen Beschränkungen bleibt
für höhere Zwecke der Menschheit, die noch
über die Sfäre des Staatsbürgers , der nur Bür-
ger dieses oder jenes Staates sein kann, hin-
äusliegen, der Regel nach nichts zu thuft
übrig. Nur wenn der üoer die Staatszwecl.e
freiwaltende Regent den höheren Zweck der
Menschheit in jene mit aufnähme, die Kiiust-^
akademieen von jeder Beschränkung auf be-
sondere Staatsbedüifnisse befjeiete , sie durch
eine den Zwecken wahrer Kiuiat angemessene
Einiichtung zu Bildungsanstalten des Talents
erhöbe, und in den Stand sezte, den hülfbe-
dürftigen jungen Künstler von ausgezeichne-
ten AiiLigeii auf eine seinen Fleis am besten
fördernde Weise thätig zu, unterstützen ; aber
ohne andere Verbijidlichkeitcn von Seiten des
Künstlers, als die, welche ein wohlgesinne-
14-7
tes Gemutli für empfangene Woliltliaten sich
selbst freiwillig dankbar auflegt : — nur dann
vv'iiiuen vielleiclit Akadeinieen der Kunst den
Nutzen wiiklich leisten, den man bisher ver-
gebens von ihnen erv^^artet hat; sie würdea
sich dann wenigstens nicht mehr so armselig
darauf beschränken , nur Professoren und Zei-
chenmeister für ihr eigenes Bedüifnis zu bil-
den, sondern vielmehr iiireu Rulini Jaiin su-
chen , der Welt recht viel grofse und gcschik-
te Künstler ei zogen zuhaben ; und jedej Künst-
ler würde lieber in dem Lande leben j dem er
seine Bildung verdankt , als sonst iigendwu,
sobald er die Aussicht hätte , in demsclbcu
auch Arbeiten zu finden, worin er s. ine Kunst
zeigen kann ; und jene ermunternde Theiinah-
me, die mehr als Geldgswin den wahren
Künstler spornt, der nur in dtr Aciitung der
Zeitgenossen und der Nachwelt seine Be-
lohnung sucht.
Wie sehr Carstens mit dieser Denkait an-
Stofsen würde , wenn er sie in Beziehung aui
»ich in Ausübung bringen wolte, war leichc
vorherzusehen ; indessen scheute er sich dar-
um nicht, sie eben so laut gegen den Minister
,zu bekennen 4^ gegen jeden andern; und di*
I4Ö
Art , wie ev es sowohl anfangs , als In dei Fol-
ge tliat, zeigt, dass er nicht gesonnen w^ar,
ihm die Verlängerung seines Aufenthalts iu
Fcoui durch hriechcndes Betragen abzuschinei-
eheln.
Bei seiner Abreise von Berlin Tvar ilirnvom
Minister aufgegeben worden, nach seiner An-
kunft in Rom einen Reisebericht einzusenden»
und darin von dem , -\vas er tinterwegs iu Be-
zug auf Kunst und Kunstakademien bemer-
ikenswerth gefunden , Nachaiclit zu .ertlieilen-.
Carstens verzögerte die Erfüllung dieses Auf*
träges absichtlich so lang-e als möglich, und
fast bis ans Ende der ihm fiir Ptom verw^iilig-
ten Zeit , damit die Kürze derselben um so
mehr auflalle ; und er honte dann aucli für die
Vollendung angefangener Arbeiten um so elier
eine Verlängerung begehren. Erst im Januar
1794 sandte er seinen Pveisebericht an den Mi-
nistej- ab, der zwar nach desselben eigener Er-
Märung weitLäuftig genug war, aber ihn doch
darüber, dass Carstens so lange nichts von sich
verlauten lassen, hein^sweges zufriedenstellte,
wie des Ministers nachstellende Antwort un-
term 26. Jun. desselben Jalires deutlich genug
MX erhennen giebt.
^49
„Hochctlelgebohmer Herr,
Sehr geehrter Herr Professor*.
Seit dem weitläuftigen Reisebericht, w^el-
chen der Herr Professor Carstens beisei-
r.er Anhiuift in ilo »i entworfen, nnd nnteiTn
Cyci'u Januar i~94 allhiey eingesandt hat, ist
?aisser dem Rapport des Herrn Professo-
ris Rehh er g , welcher das Daseyn des
Henn etc. C^r^ ten j bestättiget, weder eine
Auskunft über dessen Studiiun, noch eine Ee-
stattigung über dessen Fieis und Fortschritte in
der Kunst, durch Einsendung einiger seiner
Aibeiten, allhier eingegangen. Ich kann niclit
timhin , de:n HeiTn etc. Carstens meine Ver-
TvunderuniT darüber um so meLr zu bezeugen,
als Dieselben die nur auf zv/-ei JrJire be^villi<T-
o
te i;nd nun ihre Endschaft eneichte, zu Jlirer
mehreren Bildun.^ bewilligte Unterstützuns:
a d ZOO FLthh. , auf diese ganze Zeit ohne die
geringste Auskunft tou Ihnen zu geben, still-.
schweigend genossen haben.
In der Erw^artung , der Heu Professor
Carstens werde von nun an von seinen Ar-
beiten einsenden, und Auskunft über die
zw^eclanäfsige Vei'vv'endung seiner Zeit geben,
habe ich die Unterstützung nocli bis zura 51»
Mcty i"95. und also nocli auf Ein Jahr, nach
dessen Ablanf seine Znräclikunft und Wieder-
jintretung seines hiesigen J k a d e viis chen
Lehr "Amtes erv/artet wird, bewilligt, deren
Anszalilung aber Sogleich aufliüren wird, -wenn
der Herr Carstens nicht von seinen Ar-
beiten etwas einschicket. Der ich hochach-
tend verbleibe
Euer Hochedelgebohrnen
Berlin
ergebenster
d. 26tenJuny 1794. Fr. von Heinitz.
Der unfreundliche Ton dieses Briefes , der
allenfals gegen einen der akademischen Zucht
so eben entlassenen Z(>gling geziemt hatte,
nicht aber gegen einen Künstler wie Carstens,
der -y^^arlich weder eines Spornes noch einer
Aufsicht bedurfte , bestärkte diesen nui- noch
mehr in seinem Vorsatze , ein Verhältnis auf-
zuheben , ^vo ein uniiberaler Tnspekzionsgeist
ilm über seinen Fleis , seine Foitschviite und
die z^veckmäfsige Verwendung seinei Zeit, \in-
ter Drohungen zur Rechenschaft ziehen wol-
le. Doch hielt er seine Empfindlichkeit dar-t
iibci- jezt noch zuiiik, -weil er des guten Ver-
nehmens mit dem Minister noch bedurite, um
1.51
Zeit zur Erreicliung seines ZweKs zu gewin-
nen, des Zwecks, sich in F«.oin bekant zu ma-
chen, den er am besten duich eine öffent-
liche Ausstellung seiner Arbeiten zu errri-
clien liofte.
Er ant\vortete deshalb dem Minister un-
term i2ten August 1794» tl^'^ss er von seinen Ar^
beiten darum noch niclits nacli BeiUn einge-
sandt habe, weil er gesonnen sei, tou den-
selben in Ptom eine Aufstellung zu maclien,
und sie dem Uj tlieile der dortigen Künstler
imd Ivunsthcnncr zu unrerwerfon, deren
Aussprüche dann über seinen Fleis', sei-
ne Foriscluitte und die zweclimäfsige An-
Tvendung seiner Zeit imp?.rtheiisch entschei-
den würden. Der Minister billigte dieses
Vorhaben in einem Schi eiben vom 22ten Sep-
tember desselben Jahres, \Torin es lieifst :
jjch ATÜl dieses wohl ^zulassen , erv/arte
jjober , da^s Sie diese Arbeiten bei Ihrer re-
,.,tour ?l\\\icy jjr o diicir e n werden, damit
„solche alsdenn bei der jjächsten Runstaas-
,. "Stellung auch allliier ausgestellt werden kön-
j.nen."
Im Sommer des Jahres i7()4 machte Carstens
in Gesellschaft zweier Hünstier, Hummeh xind.
ir^2
KügelcJ ens > *) eine Fusreise nach Neapel.
Dort sali er die Schor.lieit und Pracht der ita-
lienischen Natur in ihrer reichsten üppigsten
Fülle.; &o "Nvie er bereits zehn Jahre früher,
auf seiner Wanderung duicli die Schweiz,' die
Kunst der Natur im erhabenen Stile be\Yun-
dert hatte. Unter allen Gegenständen der
Kunst in Neapel reizten die alten in Pom-peji
und Hsrculanuin ausircgrabenen Gemälde seine
Neugier am stärksten ; und er eilte in den er-
sten Tagen nach Poitici hinaus, sie zu bcfiie-
digen. Er fand in ihnen den schönen Sinn der
alten Kunst, die Anmuth der Stellungen, die
Heiteiheit, welche auch den geringsten Wer-
ten des Alterthums eigen sind ; er fand sie als
Verzicrungsgemälde artig und gescliinahvoU,
aber doch im Wesentlichen unter dem Begrif,
den er nach dem PiufeA^on ihnen gefafst hatte;
er hielt sie als Denhmäier der alten INIalerei,
•) Hummel, in Neapel geboren, ein Schüler IFilh»
Tisclibniits y lebt gegeuwlirtig in Casse.l.
Kclgslchen , von Baccharacli am Rhrin, Histo-
rien- und Portriitmaler, ging von Ron: nacii Rus--
land, von woher er nacii zeTinjährigeni Aufenthalt
-wieder zurück gekehrt ist, und g^gcnv/ärtig in
Dresden lebt.
io3
von der uns niclits Vortrefliclics übrig geblie-
ben ist, für selir nierkv/ürdig ; aber lür den
Künstler nur von sehr geringem Nutzen.
Noch weniger %volte er in dieser Hinsicht den
alten- Vasengeni.ilden einräumen, von deren
hohen Kunstvortreflichheiten die Altertliums-
forsclier, die selten befugte Kunstrichter sind,
vor einiger Zeit so grofses Auflieben machten
und Nachbildungen der berühmtesten Meister-
werke des Alterthums darin erkennen wolten,
Carstens meinte, wenn uns von der Kunst
des Altertlmms niclics , als jene Vasen und
jene Maiereien, übiig geblieben wäre, so
würden sie dem neueren Künstler allerdings
\-on vv^esentlichem Nutzen sein honnen ; da
auch an dem geringsten Werhe des Alterthums
noch Spuren des Kunst- und Schönheitssinnes
der Aken sichtbar seien. Wer sie aber jezS
Zinn Gegenstande des Kimststudiums machen
\volte, würde gerade so thüricht handeln, wie
die, welciie die Werke Rajc-cls und seiner
Zeitgenossen vernachlässigen, mid sich einen
Cimahue, G'iotto und ß'Iantegna zum Muster
W'ählen wolten. Gröfsere Genugthuung gab
ilim Tizians berühmte Danae. Nie hatte ihn
dp.s Kolorit eines Gemäldes so ganz befriedigt,
so zur ßevrunderung hingerissen; er sprach
i5f
steis iJiit Begeisterung davon. Dies Gemälde
versöhnte ihn nicht nui- wieder mit der Ölma-
lerei, gegen die er seit langer Zeit einen ge-
wissen Unwillen liegte, weil sie die Aus-
übung der Kunst so sehr erschwere; es erreg-
te auch den Eiitschlus in ihm , sich mit neuem
rieisse darin zu üben, und auch diesen Theil
der Kunst noch, wenn möglich, in seine Ge-
walt zu^ bringen.
Kaum hatte Carstens nach einem Aufent-
lialte von einigen Wochen Neapel wieder ver-
lassen, als der grofse Ansbiuch des Vesuv er-
folgte, 'v/elcher das am Fufse des Eerges ge-
legene Städtchen T or r e del G r e c o dmcli
einen danibej- hingev/älzten Lavastrom zer-
5t(">rte. Er helnte sogleich wieder, in Gesel-
schaft des Bildhauers -Busch , nach Neapel zu-
rück, um diese giofse Natuierscheinung, oder
wenigstens die zerstöienden Wirkungen der-
selben, in der Nähe zu sehen. Die Wuth
des Berges hatte sich bereits gelegt , aber die
ganz veränderte Scene zeigte die Spuren ihier
S'hrcchlichen Verherung. Die Spitze des
Aschenkegcls , wclciier <len Gipfel des Beiges
bildet, v/ar in sich selbst zusammen gestürzt.
Das unglückliche reichbevölkerte Stadtchen,
das Carstens viei' Woclicn fnilier nocli vorn
Jubel fiuliclier Eiiiwolinei', vom lärmenden
Spiel zalloser Kinder erscliallen hörte, war
jezt ein Schauplaz der grauenvollesten Verwü-
stung, ein Chaos von Schlacken und Trüm-
mern, aus dessen Schlünden noch die tief uu'
ten glühende Lava hervordampfte, und auf dex
Oberiläclie die Sohlen des Wanderers brante.
Im September des Jahres 1794 harn auch
der Verfasser dieser Blatter nack R.om , und
hatte die Freude , nach einer sechsjiuiric;ci\
Trenntuig dort seinen alten Freund am Ziele
seiner Wünsche wdedei zufinden. Dessen Ge-
stalt ^var durch Krankheit etwas hinia!li£;cr
geworden ; aber er war noch eben so lebhaf-
ten , feurigen Blickes und Geistes , dabei hei-
terer, zufriedener und auch gesunder, als in
jenen Zeiten der Tiübsal. Beide Freunde leb-
ten nun wieder in deiselben innigen Vertrau-
lichkeit, wie eliemals in Lübeck; zuerst in
einer Wohnung beisammen, nachher getiennt,
als Carstens, der zu seiner Kunstausstellung
einer geraumigen Werkstätte bedurfte , in das
Haus des verstorbenen Malers Battoni zog.
Aber auch dort hatte der Verfasser , der das
theoretische Studiuiu der Hmiät und die Spra-
,5(5
clie und Litcr<atur Italiens zum Hauptzweck
seines Aufenthalts in Piom maclite, seinen be-
etäucligen Aibeitstiscli in der Wcilistntte des
Künstlers , und braclite da gewölinlicli seinen
Tag zti. Jeder arbeitete ungestört für sicli,
und in diesem tiigüclien Bcisaninienlcbcn , das
vier Jalire später duicb den Tod des Künstlers
«iiterbrochcn wurde, sali der Verfasser alle
folgenden Aibeitcn desselben vor seinen Au-
gen entstellen. Aucli ihre gemeinschaftlichen
Spaziei'gänge \varen, Avie das in Rom gcAvuhn-
licli ist, Studium und Kuiistgenus. An Stoff
zur Unterhaltung in Stunden der Mufse ge-
brach es nie; v^^ic könte es aucli denen, die
sich in B-om mit der Kunst beschäftigen, je
daian gebrechen? Die eigenen Ideen, und Er-
findiuuren des Künstlers , die Arbeiten ande-
o
3er, die Eetrachtnug alter und neuer Weihe,
die dadurch veranlassten Beraerhungen, JJr-
theile und Gedanken boten ihn reichlich ge-
nug dar. Wie interessant und lehrreich ein
solcher Umgang mit taleiitvollen Künstieru
ist; wie glüchliche Blicke er in die innere
geheimnisvolle Werkstatt des schaffenden Ge-
nius, und in das W*-sen der Kunst gestattet;
wie wichtige Aufschlüsse er dem Foischer
157
giebt, deren TVis dem Künstler gewülinlicli
ein Rätlisel bleibt, obgleiclx er selbst diese
Wirkungen hervorbringt, wird jeder wissen,
der mit walnliaft genialisclien Künstlern lang«
in älinlicben Verlialtnissen gelebt bat.
So wMrd es auch dem Verfasser möglicli,
^^n Gang , ö.e\\ der Künstler in seinem- Ausbil-
dung nalnn , die Fortschritte, die er machte,
die Art, wie er seine Werhe hervorbrachte,
seine Absicht bei jeder i.rbe*it, die Zeiilolge
derselben, seine Gedanken, Bemerkungen und
Urtheile ü.bcr Kunst imd Kunstweike, seine
Wünsche und Ecstrebungen , aufs genaueste
kennen zu lernen. Carstens v/ar überdies voh
so natürlich gerader, offener Gemüthsa:!t, das»
er für einen Freund kein Gelieimnis hatte,
sondern demselben über alles , auch das , was
ihn selbst anging, seine innersten Gedankeii
nnd Gefühle mittheiite. In der That hatte er
auch keine Neigungen und Vorsätze, deren er
sich hätte vor andern schämen, und die er des-
halb hätte verhehlen dürfen. Hatte er ja zu-
vveilen nüthig, geheim zil handeln, so "war
es nur, um die Erreichung seines iluustzwe-
ckes gegen Kindernisse, die ungünstige Ver-
haltnisse ilim entgegen stellten , giücklicii
^J8
Jurclizusetzcn ; aber ancli dann wurden seine
naliereu Freunde mit ins Vertrauen gezogen.
Carstens liatte die Ausstellung seiner Ar-
beiten auf den riüliliug 1796 aiigesezt. Er
hatte W'ärend dej" verflossenen z\Tei Jaliie eine
Anzahl Zeichnungen verfertigt , und arbeitete
auch noch den folgenden Winter hindurch
Äeifsig für diesen Zwech, um seine Ausstel-
Ijmg so mannigfaltig und bedeutend als mög-
lich zu machen. Was seinen Aibeiten an ma-
teriellen und technischen Vorzügen einer
liunstreichen Ausführung gebiach, muste er
durch Peeichthuni an Erfindung und Fülle gei-
stigen Gehalts zu eisetzen suchen.
Die Zeit dieser Ausstellung, von deren
günstigem oder ungünstigem Erfolg Carstens
die Entscheioung seines ferneren Schihsales
erwartete, ham endlich heran. Die Aufnah-
me, die sie im Publikum finden würde, sol-
te ihn bestimmen, ob ei' es wagen dürfe, sei-
ne Vcrbinduiigen mit Beilin im Notbfalle zu
:^erreifsen und in Rom zu bleiben, oder ob er
der Fessel, die ihn zog, folgen, und nach
Berlin zurüchhchren müsse..
Einige Monate vor derselben, unterm 51.
Januar 1795 meldete er dem Minister, dass er
159
nunimBegiif sei, seine Kimstausstellung zu
erüfnen; dabei suchte er noch um fernere Yer-
läng-erune: seines UjLiubes imd seiner Gehalts-»
zulasre an, um verschiedene noch unvollende-
te Arbeiten endigen zu können. In diesem
Briefe äufserte er sich nun auch freier über
manches, -svas er nach seiner Zurückhunft in
Berlin erwarte, und was er über die Berlinf^r-
akademie , ihre Einrichtung und Z-\vecke,
sonst auf dem Herzen hatte. Da Carstens
nichts von der Kunst verstand , seine Gedan-
ken in glatte, unmasteLüche Worte fu klei-
den , sondern schriftlich wie mündlich gerade
heraus sagte , was und wie er es dachte , so
konte seine Freinuahigkeit dem Minister, Ak:y
eine solche Sprache nicht zu hoien gcwohaf
"WMr, nicht anders als höchst anmaisend und
dünkelliaft erscheinen; und er erliielt von
demselben eine Antwort voll herber Zurecht-
weisungen , die , er mochte sie nun verdient
haben oder nicht , auf jeden Fall dazu geeig-
net waren , die Auflösjing des schon längst
gelockerten Verhältnissos zwischen beiden zu
beschleunigen.
Der Verfasser kann hier blos die Antwort
des iNliuisters mittheilen, äa sich von deua
i6o
%'orliiii crwälintcn Briefe des Künstlers, auf
W-elclien jene sich Uezielit, keine Abschrift
X'orgcfundenlia t.
„Hocliedclgcbolnner und sehr geehrter
Herr P r ofe ssor I
Auf Euer IlocliedeVcfeboiiruru Sclireiben
vom 5iten vorigcu Monats habe ich Dero nur
unterm 2tcu August vorigen Jahres bereits
ianoezeif^te Juten tion^ von Ihren aufrefer-
tiirteu Aibeiteu uoit eine Ausstelhmg zu vtr-
anstalten, abermals ersehen. Es thut mir leid,
dass Sie j bei ilirem beinahe dD evjührigen Auf-
enthalt in Fiom die gute Zeit^ \ oriibeigehcii
Lassen, ohne Ihre Arbeiten zu vollenden, und
dass Sie dazu jezt eine Verliingeiung Ihres
Dortseyns verlangen; diese Erlaubnis kann
ich Ihnen nicht geben ; w^enigstens kann der
Zuschufs ad 200 Rthlr. jährlich, v\de es Ihnen
bereits uuteim cöten Juny vorigen Jahies er-
öffnet worden, nur noch bis ulto Jllay die-
ses Jahres fortdauern.
Was Ihre Überzeugung anbetrift, dass des
Königs Majesiiit eine Gaileiie von Ihnen mah-
len lassen werden; so niufs ich gestehen, dass
sie mir sehr sonderbar und als ein Zeichen
von
Von gi'orserElnbildiiilgvorliömt, vrelcli«, wie
CS mir scheinet, sehr zugenommen haben nuifs,
©bwohl der Anblick so vieler Meisterstücke,
wie in Fiom beisammen sind, die schöne; Tu-
gend der Bescheidenheit auszuüben veranlas-
sen sollte. Bildergallerien sind übrigens schon
hier, und f<ir Jedermann zum freyen ZutritC
eröffnet* *}
Über den Satz, wenn eine Nation erst Sinn
für das Schone hat, dies Schöne zum natürli"
chen Bedürfnis für sie werde, bin ich mit
Euer Hochedelgebohrnen einig; was aber Ihr©
Aufserung betriff, dass es Ihrer mehreren Aus-
bildung an Wiederantretung Ihres Postens bei
der hiesigen AKademie nicht bedurft hätte»
*) Carstens hatte unter G alle rin , nach dem Be-
yrif, (Jen dies Wort in Rom hat, Bios einen Saal
verstandin, wie z. B. der vön Annibal Carracci
ausgemalte Saal im Palast Famese, welcher auch
Ict G etile'.- ia ciei Carracci heisstj Der Mini-
ster hingegen nahm das Wort in der Bedeutung,
wie man es nur in Deutschland braucht, und glaub-
te, Carstens verlange, der Künig solle von ihm eU
lie ganze Büdergallerie malen lassen , welches al-
lerdings- §ine abenteuerliche Foderupg geweseii
wäre.
11
t'62
tmd dass Sie bei Ilirer Abreise dazu hinlängli-
clie Kentnisse gehabt haben , so müssen Si«
mij- vergönnen , mein Urtheil hierauf zurück-
zuhalten, bis ich sprechende Beweise hierüber
gesehen und in Gemeinschaft mit Kennern
j^eprüft haben werde. Es wird alsdann auf ei-
jje nähere ErMärung erfolgen * ob man Ihnen
die Bezahlung eines Gehalts c ontinui ren
Kann, oder Ihnen lieber selbst überlassen will,
iüx Ihre R.echnung zu malen.
Von Ihrer Vorschnelliglieit inBeurtheilung
der hiesigen Akademie und deren Befü-
llungen nach Gemeinnützigheit werden Sie bei
ihrer Zurückhunft vielleicht etwas nachlassen.
Wenn Sie näher erfahren und w^ahrnehmen,
dass Sie wirklich gemeinnütziger geworden,
ui^d dass man einen Unterschied zwischen
^Akad emien und Kunstschulen gemacht hat ;
^er vermeintliche Schaden wird daher wohl
iiicht so grofs seynj als Sie ihn, von Rom
•aus, sehen.
Dass man Genie unterstützen müsse, da-
^nit bin ich Ihrer Meinung , und das wird auch
ferner geschehen ; man mufs aber dem Urthei-
ie der c q m-p eten ten Richter : wer ein G e -
« i e sei und Talent habe ? nicht vorgreifen
lös
atiä sich nicht aus eigener Macht dazu er-
heben.
Es verbleibt übrigens dabei, wie es bereits
gesagt worden , dass Ihre Unterstützung u / tö
^ay dieses Jahres auflioret j es sei dann, das»
man über Ihre einzusendenden Arbeiten ein
eben so vortheilhaf.es Unheil fällen honte,
ftls Sie es sich selbst jetzt schon geben, und
iogar von Abwesenden verlangen, ohne voll
Ihren Arbeiten gezeigt 2u haben. . Überdem
Ilaben Sie ja auch Ihr Versprechen, ein hiejr
fehizzirtes Stück *) dort nach Mustern äuszu*
fahren i nicht erfüllt. Der ich verbleibe
Euer Hochedelgebohrnen
Berlin
Ä. 23. Tebr. 1795, ergebener
Trh. V. Heinitz»**
tarstens fühlte sich durch diesen Brief be*
Jeidigt und lies ihn unbeantwortet; ein Beweis*
€a->s der Minister ilin mißverstanden hatt«»
Jn der That niüste er auch ein höchst eingebil*
deter anmafsender Thor gewesen sein, wenil
sein Brief an den Minister das wirklich ent*
*) Die Zeichiamg von den Ar^nmUm»
1^4-
halten hätte, Was (lle?er darin fand. Aber lia»
türliclie und konvenzionelle ISlensclien verste*
hen einander selten; -weil jene immer gegen
die Form verstofsen , die die-:en meistens wich-
tiger als die Sache ist. Auch hier -waltete ein
solches Misverstdudnis ob. Ein Brief des
Künstlers» wovon sich noch der Entwurf, mit
Bleistift geschrieben, imter den hinterlassenen
Papiren desselben befindet, der nach seiner
Ausstellung geschrieben , und entweder an sei*
jiert Bruder oder sonst an einen vertrauten
Freund in Berlin gerichtet ist, giebt dar-
über hinreichende Auskunft. Es heilst in
demselben :
„Was dir der G. R, M. wegen meines 3ßriß-
les an den Minister versichert hat, so homr
auf die Deutung, die man einer Sache giebt,
sehr vieles an. Ich habe den Minister um Ver-
längerung meines Hierseins gebeten, um mei-
ne übrigen angefangenen Arbeiten zu vollen-
den , inid mir Studien nach Antiken zu zeich-
nen, die mir für dort unentbehrlich wären.
Auch habe ich gesagt, dass ich inderllofnung
zurückkäme, dass seine Majestät ein grofses
Werk von mir würden ausführen lassen , wel-
cheß sich auf eijie Äufserung des Ministers gQ>
1^6
gen mlcli vov meiner Abreise bezieht; "v^rellich.
dnfür halte, dass öfFentUch aufgestellte Kumt;-
weihe das einzige Mittel sind, bei einem Vol-
lie das Gefühl des Schönen zu erregen ; und
dass, um blos meinen eingeschränkten Posten
bei der Akademie zu versehen, es meiner Aus-
bildung nicht bedurft hätte; dass mir die Aka-
demien übeiall, wo es auf Bildung des Ge-
schmacks ankäme, unzweclimäfsig schienen ;
und dass iie,. auf die Weise wie alle be-
schaffen sind, dem Wiederaufblühen der Ifiün-
ste entgegen seien; dass zu uncern Zeiten die
Akademien mir blos als eine Befriedigung der
Eitelkeit der Regenten vorkämen, zu dereu
Hofstaat fie mit gehörten, die alles gethan zu
haben glaubten , wenn sie mit vielen Kosten
Akademien unterhielten, und dass demunge-^
achtet bei öffentlichen oder grofsen Werkeij
nicht gefragt werde, wer der be sere Küntler
5ei, sondern wer es für den geringsten Preis
inache ; dass man wünschen solte , das? diese
Tirannei, wodurch das Genie schon in der
Wiege verkrüppelt, imd dem Staate eine Men-
ge nüzlicher Bürger entzogen wird, eiijmal
ein Ende nehane .und in Wahrheit, Lieber,
wenn man die Menge Akademien in Europa
Äufiiälütj solle man leicht glauben, dass grofs^
Jiürtstlerkolonien von Nora Zembla bis nacH
4em Voigebiige der guten Hofnung ausgesandt
weiden könten ? Als man keine Akademien.
Jiatte, waren grofse Künstler da, die von den
^Mächtigen ilirey Zeit mi^ grof'en Gelegenliei«
Iren ihr Genie anzuwenden unteystuzt wurden}
da hingegen die Akademien gemacht haben,
dass die Kun^t bis zum Vignettenklara herab-
gesunken ist.^ d?s§ man das Genie, wo es sich
ans Tageslicht heiToi gearbeitet , unterstützen
solte; dass auf diese Weise zwar wenige aber
gute Künstler sein würden, die durch ihr©
Werke den guten Geschmack mehr beföidern
Würden, als viele schlechte; und dass eine sol-
che Unterstützung hülfsbedürftiger Talente ei-
tlem Monarchen eben soviel Ehre bringe, als
tine gewonnene Schlacht, — Schau, da hast
(^u den ganzen Bettel J Ich weis wohl, dass
die er Brief unklug scheint, aber ich habe di*
Wahrheit nach meiner Überzeugung gesagt.
Jezt auch einen Auszug aus des Mini ters
Schreiben : Dass Seine Excellenz sich verwun-
dern, dass ich nach Verlauf von dreien Jahren
meine Arbeiten noch nicht vollendet ^diesd
3Zeit ist für einen Künstler hier kurz. Hier
wundert man sich, dass ich in so kurzer Zeit
ioviti, und Arbeiten von diesem Gehalt ge-
1^7
inacht habe); äa?s der Zusclms von 2oo Tliä^
lern hiemit aufhöre ; dass sie sich sehr w^un-
derii über meine grofse Anmafsung^en, und-
dass sie dort schon mit Gallerien hinlänglicU
▼ersehen wären. Dass meine einzublendenden
Aibeiten ausweisen würden, ob ich die übri-»
ge Hälfte meiner Pension nochfeniergcnief en,
oder man mich für meine eigene Rechnung
werde malen lassen (Ich habe mich auch so-
gleich hieian gehalten) ; mit meiner vor^chnel*
len Beurtheilung der Akademie w^ürde ich bei
meiner Zurückkunft eines bessern inne wer*
den (HeiT, ich glaube, hilf meinem Unglau«
ben I) und da ; ich einen Unterschied zwischen,
einer Akademie und einer Ruzist-.chule machen
»lüsse (dieses ist denn freilicli ein Anderes.
Ich habe das Ding immer für eine Akademie
gehalten ; es sind ja so viele Rektoren und
Professorerl und obendrein zwei Direktoren
dabei. Ich meinte, dass ihr Zweck sei, die
schönen Künste im Lande blühen zu machen.
Handwerker kann ich nicht imtenichten; ich
bin mit iliren Bedürfnissen unbekant , und
kann nur da.- lehren , was ich gelernt habe).
Ferner: da^? die dortigen kompetenten Rich-
ter darüber urtheilen w^erden, ob ich ein Ge-
nie sei (ich habe mich ja in meinem Briefe
»icht dafür ausgegeben, soncfern vom Genie
ißberUaupt gesproclien ': Dieses ist der Inhalt
des Schreibens vom Minister, — Pemunge-
aclitet, -wenn mir Seine Jlxcelleiiz xneinGelialc
kier in Rom lassen vv^ill , will ich gern dafür
von meiner Arbeit hinüber senden. Für die
S50 Thaler will ich alle Jahr eine ausgeführte
liistorirche Zeichnung, oder alle zwei Jahre
eine Malerei liefern ; für 250 Thaler kann ich
Iieine Malerei liefern; die:e hortet viel Zeit
und die Runsthedürfnisse sind theuer Oder
wenn man mir die 450 Thaler liefse , weite ich
alle Jahre ein Gemälde dafür einsenden. Wenn
du es für gut finde^t, so melde dieses an den
JVIinister, denn ich kann auf seinen Brief nicht
antworten. Ich verlange dieses auch nicht
eher, bis man von andern das, was ich ge-,
schrieben, bestätigt gefunden hat. Ich kann
von meinen Arbeiten jezt nichts aufs Ungew^lsse
hinüber schicken, weil ich hier davon leben
inu'=. Wenn man mich ferner unterstüzt, so
will ich auch Arbeiten dafür liefern , deun füy
nichts verlange ich kein Gehalt. ^— Du must
anir die Güte des Ministers nicht vorrücken.
Ein Mann in Lübek, dem ich ganz fremd war,
hat dort meine Schulden bezalt und mir Reise-,
geid nach Berlin gegeben, und das uncrif^eld-.
i6^
lieh: aus seinem Beutel, aus blofser Liebe zur
l^unst. Meine Reise nach Rom hätte mij- bei-
nahe eii\ Auge gekostet. Lbcidem ist dir be^-
kant, dass ich bei einem Ilare doch nicht nacb
B-om gekommen wäie. Ich habe alle Hocli*
Achtung für den Mi^ister , aber ich kanon ihij
so wenig Uebea , wie er irgend einen IVIen-.
echeii in der Welt Lieber kann» und unsere
Verbindlichkeiten gehen gegen einander auf}
ich habe s^ein^ G\i,te iiicht umsonst genos?
sen" -f-
Im April 1795 eröfnete Carstens seine Aus*
Stellung, und lud das römische Publicum da-
zu durch eine Anzeige ein , die eine vou dem
Künstler selbst gemachte Erklärung seiner Ar««
beiten enthält , und den Verfasser einer nähe<v
ren Beschreibung überhebt:
„Nachsiehende Kunstwerke sind im Haus©
des verstorbenen Pompeo B.attonl zur c»ffeutU%
chen Beurtheiluug ausgestellt:
1) Die Üherfahrt , eiue Malerei in Tempe»
ra. Me^ajysnteSy ein reicher junger Wpllüst*
ling (erzalt Lucian in ein.em Aufsätze von glei««
eher Überschrift) sträubte sich, in der Blütlie
meiner Jahre zu sterben; aber er rauste niij an>«
17«
dem Sterbliclien dem Todtenfiilirer Merttir in
den Ol kus foljjen. Als ciesei beim Aeakus
ankam und seine Tocitenliste übergab , lelilte
J^Iegajtentes. Der ist mir davon gelaufen, sag-
te Merkur; ich eile zurück, ihn wieder einzu-
holen Merkur i der Cyniker Cyniskus, und
der Schuster Midi liohlten ihn ein , als et
ebeTi das Licht der Oberwelt eireirbte, Lande»
ihn und brachten ihn zur Barke des CAcrott
zurück, Jezt versprach er der Parze, Heka-»
tomben zu opfern , wenn sie ihm nur auf kur»
^e Zeit wieder zur Oberwelt zurückzukehren
vergönnte. Aber die Schiksalsgöttinnen sin4
unerbittlich , und der Tod kennt kein Ansehea
der Person. Die Parze befahl ihm einzustei-
gen und Purpurmantel und Diadem am Ufer
zurückzulassen. Man bemächtigte sich seiner,
als er nicht gutwillig folgen wolte , mit Ge-
walt, und der Filosof Cyniskus band ihn nn
den Mastbaum. Jezt war die Barke voll und
Charon $ties ab. Der Schuster RlicUly de*
jioch am Ufer stand, rief, man solle ihn mit-
nehmen, indem es unbillig sei, einen schon
seit gestern Gestorbenen, der die Welt mit
Fjreuden verlassen habe , so lange am Ufer war-
ten ?u lassen. Charon erw^iderte , der Kahn sei
Voll, ei müsse warten. So schwimm« icli
mnflber, rersezte der Schuster, und stürzte
«ich in den Aclieron. Klotho befahl ihn so-*
gleich einzunehmen, und als Charon sichabei>
mals über Mangel an Plaz beschw^erte , lies
ihn die Parze sich auf den Nacken des Tirannen.
setzen. Die Fahrt geht von statten und Klo-^
tho übeiiieset die Todtenliste, Das übrige ey-
Jdärt sich von selbst,
Z) Die Parzen, eine Malerei in Tempera,
Die furchtbaren Göttinnen , die liber alles ge--
bieten, sind liier an den Grenzen der Schö-
pfung sitzend und das Scluhsal der Sterbli-
chen singend, dargestellt. Atrojjos zerreisst
den Faden ; und hinter ihnen ist für den
fclofsen Verstand nichts als undurchdringU'*
cKes Dunliel,
3) Zeit und Raum , eine Malerei in Tempe-»
ya. Eine anschauliche Darstellung dieser ab«
ftrahten Formen der Sinnlichkeit ; in ihnen bc-
linden sich alle Erscheinungen. Der Raum
iimfafst das Weltall ; die Zeit ist ewig jung,
nur die Dinge in ihr verändern sich,
4) Das Gastmal des Plato , Malerei in Ac-i
quarell. Der Inhalt ist folgender : Ein junget
Teicher Athener , Namens A^athon > der iji dex^
Trauerspielen den Preis erlialten hatte , ludsei-
jie Freunde , den Sokrates , den Arzt Eryxirha'
chus, den Aristofanes u. a. zu einem Gastmale.
jilzihiades , welclien Agathon, seinen Stolz
sclieuqnd, nicht einf:^eladen hatte, kam-w^ärend
des Males ungebeten. Er war berauscht und
hatte die Stirne mit kühlenden Kränzen lim-
wunden. Die Gäste rückten aus einander,
txnd er nahm seinen Plaz an der Seite des So'
lirates i den er nach einer vortreflichen Rede
bekränzte, worin er sagte, dass von allen
Sterblichen nur Sokrates dies verdiene. Ari-
sto fanes , der hinter dem Tische sitzt, betrach»
tet aufmerksam den Alzihiades.
5) Der Parnas, Malerei in Acquarell. Die
neun ßlusen umtanzen die Grazien nach der
I^eier des A-poUo,
6) Die Helden im Zelt des Achilles vor Tro-
ja, Malerei in Acquarell. Der Inhalt ist aus
dem neunten Gesänge der Ilias genommen,
und steUt die Gesandschaft der von den Tro"
janern bedrängten Grichen an den zürnenden
Achill vor. Dieser endet so eben seine Pvede
voll Unmuth wider den Agamemnon. Ajax
ist unwillig über den unbiegsamen Karakter
des Schill; der alte Fönix beweint das unvet'
tneidllclie Unglück, der Glichen; Odysseus sizi
niedergeschlagen und verlegen, weil seino
Überredungskunst fniclulos gewesen ist. Audi
die Herolde stehen bekümmert , und Patroklos
sieht gedankenvoll auf seinen erzürnten Freund
hin.
7) Die Argonauten i eine Zeichnung nach
dem Gedicht gleiches Namens, das dem Or/iew-S
suseschrieben wird; Als die Argonauten auf
ihrem Zuge nach Kolchis an der Küste von
JVIagnesia vorbeifuhren, schlug Peleus , einer
der Helden, seinen Gefährten vor, den dort
wohnenden Chiron zu besuchen und seinen
kleinen Achill zu sehen. Die Helden -landeten
und kamen zur Grotte des Chiron, der sie
fieundlich empfing und be',virtliete. Sie for-
derten den Chiron und Orjeus zu einem Wett
streit im Gesänge auf. Chiron nahm zuerst die
Leier und besang der Kentauren herliche Tilg-
ten. Darauf ergrif der Sohn der Kallio-pe das
Saitenspiel und sang den dunkeln , erhabenen
Hymnus vom alten Chaos ; er sang den Streit
der Elemente, das Geschlecht derunsteibiichen
Götter, die den hohen Olymp, und der macht-
losen Menschen, die in Völkerschaften zer-
streut, den Erdkreis bewohnen. Sein Gesang
zähmte die wilden Thiere : sie kamen in di»
174-
Grotte , liorcliten und scheuetcn die Menscliea
iiicht mehr. Chiron , der dies gewahr wird,
zeigt es dem Jason Und stampft vor Fieuden
mit dem Hufe den Boden. Man sieht hier die
v^ornehmsten Helden des grauen Alterthuins
beisammen > den Jason ^ den Herkules mit sei*
jiem Lieblinge Hylas , die beiden Dioskure?i,
die beiden Söhne des Boreas mit Fittichen hin-
ter den Ohren , den Peleus mit dem jungen
Achill u. a. m»
8) Achill und Priam, eine Zeichnung. Det
Inhalt ist aus dem lezten Gesänge der Illas ge-
nommen und bekant genug. Nur die Gruppe
im Hintergrunde i^t nach dem Filostrat hinzu-
gefügt. Es ist Polyxejia, die vom Merkur
hereingeführt wird. Dieser Autor sagt, dass
die Alten die Gew^ohnheit liatteuj sich von ih*
3 em jüngsten Kinde begleiten zu lassen » und
dass Achill bei dieser Gelegenheit zum ersten
Male die Polyxena sah.
9) D.ie Gehurt des Lichts, eine Zeichnung.
Nach dem Sanchoniaton , einem alten Fünizi-
sclien Autor. Ftas (die Urhraft der Dinge)
«eugte mit Neitha (der Nacht) den Fanes (das
J.icht). Nachdem das Liclit geboren war,
^ing aus dem Atl\ejtn des Ftas das PVcltei her*
175
vor, 'worin der Keim zu allen Schöpfungen
lag. Es wurde durch die Wärme des Feuers
ausgebrütet ; Himmel Und Erde entstandert
und alle Dinge entwicl^elten sich. Ftat
zeigt hier dem J/p~eltei seine Bahn ins Uner*
melsliche.
ao) Ganjmed , eine Zeiclmnng. Sinnbild
eines in der Blfithe seiner Jahre vom Tode
hin weggerafften Jünglings.
ii) Sokrates im Korbe; nach der Komödie
des Jristofanes : diepf'^oiken. Er dispiitirtniit
dem Bauer Scre-psiades, der in die Schule des
Sokrates gekommen war, lun von ihm die
Dialektik zu lernen." —
Wärend der Ausstellung dieser Kunstw-erke,
die gegen zwei Monate lang besucht wurde,
verfertigte Carstens, um nicht so viele Zeit
müfsig zu verlieren, eine neue Zeichnung,
die Nacht mit ihren Kindern , nach der Dich-
tung des Hesiodus , vorstellend. Die Naclits
als Mutter der übrigen Gestalten, ist die
Hauptfigur der Komposizion, und macht für
sicli mit den in ihrem Schofse ruhenden Ge-
hirn des Schlafs und des Todes eine herliche
Gruppe. Der Künstler hatte die Idee dersel-
ben srhon fr 'her, in Moritzens Götterlehre,
Km Kleinen abtrebiidet. Jlim schwebte dabei
die Besclu-eibuh^ ^es Päufamas Von eineir ^llin?»
liehen Abuilduiig auf dem sogenanten Kasten
d-es Cyvs€ius vor* wo die beiden Genien
xnit den Worten karakterisiit sind: „dei*
Tod schien nnr zu schlafen ^ der Schlaf hin*
gegen schlief wirhlich.' Der Ausdruck die*
fes leinen Unterschiedes gelang unserm Künst-
ler sehr glücklich. Der Genius des Schla*
fes ruht in sich selbst tusarnmengesunken im
i&ewand« der Mutter, in der wahren Stellung;
eines schlafenden Kindies ; der Tod hingegen
ist stehend» mit der gesenkten Fackel in dei:
Rechtens sein Haupt in den Schoos der Mut*
ler lehnend, gebildet, und so der scheinhars
Schlaf desselben schön und treffend bezeichnet.
Der Nacht zur Linken sizt Nemesis, die ernsto
unbestechliche Göttin der Wiedervergeltung,
die der Künstler imch dem Ausdruck des He-
sioduB, der sie „eine GeiCsel der Sterblichen*«
nennt, mit einer Geifsel in der Rechten gebil-
det hat. Sie karakterisirt sich demnächst durch
die Linke, mit der siis das Gewand des Busens
auf die Art hält, wie schon die Alten sie ab-
fcubllden pflegten. Zunächst hinter beiden
sizt das geheimnisvolle, selbst d&n Göttern
furchtbare und unvenn eidliche Schiksal, ganz
tn Gewand gehüllet, so dass wiaii der Gestalc
ielbsf.
177
•selbst niclits erblikt. Es liält ein aufgesclila-
gen
es Biicli, aus welclieni die Parzen das
Scliiksal der Sterblichen singen. —
Das Urtlieii der Kunstverständigen über
diese in ihrer Art merkwürdige Ausstellung
fiel für Carstens so günstig und elirenroli aus,
als er es nur erwarten konte , und seine Ab-
sicht sich in R-oni auf eine vortlieilhafte Art
bekant zu machen , die ihn hauptsachlich zur
Ausstellung seiner Arbeiten bewogen hatte,
ward dadurch erreicht. Das Ungewöhnliche
einer Ausstellung, worin kein Ölgemälde ZrU
sehen war; die Neuheit so vieler noch nie
behandelten Gegenstünde; der in unseru Zei-
ten ganz ungewöhnliche Stil der Koniposlzion
und Zeichnung, der die Römer durch seine
Ähnlichkeit mit dem Stile ihrer alten grofsen
Meister überi'aschte; der Reicliihura an origi-
neller Erfindung, der sich in diesen Darstel-
lungen offenbarte, eiTCgten , "wie jede uner-
wartete und fremdaitige Erscheinung, zuerst
ein verwundeindes Aufsehen, das sich bald,
nach öfterer Ansicht, in allgemeinen Beifall
verwandelte.
Besondere Gunst fanden die Carstcvischen
Arbeitejii bei den_italieirischen und engländi-
12
178
sehen Künstlern , wegen des ernsten grofsen
Sinnes der aus ihnen sprach. Die talentvolle-
sten unter den damals aufstrebenden Italienern,
die sich seitdem zu wackeren Künstlern aus-
gebildet haben, Canioccini , Benvenuti u^^A dex
Mailänder Bossi , schäzten ihn, suchten seine
näheie Behantschaft, zogen ihn über ihre Ent-
w^ürfe zu Rath, und ehren noch nach seinem
Tode sein Andenken. Ganz anders benahmen
sich die meisten deutschen Künstler, beson-
ders die welche damals in der Zunft das gro-
fse Wort führten, bei dieser Gelegenheit ge-
gen ihn ; sie traten auch hier als seine Gegner
und Verhleinerer auf, bespöttelten seine Aus-
stellung, behrittelten seine Aibeiten, und
machten sich duich diese -kleinliche Rache ih-
rer gekiänkten Eitelkeit nur lächerlich, ohne
dem Künstler zu schaden. Einige machten je-
doch davon eine ehrenvolle Ausnahme, und
der talentvolleste unter diesen , pj'^ächter von
Stuttgard, bezeigte seine Hochschätzung ge-
gen Carstens dadurch, dass er seine in Frank-
reich angenommene Manier gänzlich -wieder
ablegte, und denselben Weg einschlug, den
er Carstens mit so glücklichem Erfolg wan-
deln sah.
i79
Klüglicli hatte Carstens kein Olgemälae
mit ausgestellt. Auf diese Weise vermied er
jede Vergleicliung die zu seinem Naclitheile
ausschlagen muste, und führte zugleich eine
andere herbei, die auf jeden Fall Ehre trach-
te , und wo er keinen Nebenbuler zu fürchteil
hatte. Denn da man Kunstw'-erke und Künst-
ler sogern vergleichungs\veisc beurtheilt, so
hatte er nun den Vortheil, nur niit Fiafanl
und IVIichelangelo verglichen zu werden, und
soweit er dabei auch zuiückstehen moclite,
so ^var es schon rühmlich für ilm , dass man
überhaupt seine Arbeiten zu einer solchen Ver-
gleichung geeignet fand. Da nun diese Ver-
gleicliung überdies so günstig für ihn ausfiel,
dass im Publikum nur Eine Stimme war, kein
Neuerer habe mit so vielefii Glük die Baha
der alten Meister wieder betreten , so konte
er in der That keinen besseien Erfolg von sei-
ner Ausstellung wünschen. Diesem aber wür-
de er gerade entgegen gewirkt haben, wenn
er eine oder mehreie seiner Komposizionen in
Ölfarben ausgeführt hätte ; dann hätte die Ver*
gleichung eine andere , auf jeden Fall für ihn
nachtheilige , Wendung genommen. Jeder
Maler und Pinsler hätte des Fiünstlers Arbeic
nur mit seiner eigenen verglichen, und di«
übrigen Vorzüge derselben überselieii. Aber
irerade dadurcli, dass Carstens in einem Felde
auftrat, das jezt niemand bearbeitete, gew^an
rer, dass Künstler selbst, die sonst jedes Mit-
bewerbers Arbeiten mit unbarmlierziger Stren-
ge beuitbeilen und eifersüchtig jeden Fehl dar-
an erspähen, ihm willig Gerech ligheit wider-
fahren liefsen. Von der Nacliahniung der oh-
Iten . Meister war derzeit unter den Künstlern
so w^enig die Rede, dass mit den Gedanken
/daran auch alle Ansprüche darauf rerscliAvun-
den waren. Der Künstler äusserte sich darü-
ber selbst in einem Briefe an eiiicn Freund
folgendergestalt : „Der Grund v/ariun ich iiein
Ölgemälde zur Aussteiluiig gehabt habe, ist,
•weil es hier eine Menge Piiisler giebt , die zur-
gleich auch grofse Schreier sind, und die das
ffanze Verdienst der Kunst nicht im Koloiit
(^ denn das wäre w^as reelles ), sondern im me-
chanischen Handwerh setzen , und die mir
nicht hätten Geiechtigkeit wiederfahren lassen,
weil man blos dieses und nichts anders ah
meinen Arbeiten w^ürde beurtlieilt haben ; dar-
um habe ich nur in Tempera un* Aquarell ge-
arbeitet, imi diesen Leuten nicht in die Queer
»u kommen/' —
18-1
Der Verfasser, der vielfältig und fast tag-
lich Gelegenheit liatte, den Eindrnck zu be-
obachten, -welchen die Carstensch.en Arbeiten
hervorbrachten, und die Urtheile der Kenner
aiud Künstler, die mehrnial zur Betrachtung,
derselben zurückhehrten , zu vernehmen,
sclirieb eine ausführliche und beurtheilende
Anzeige dieser Kunstausstellung für Deutsch-
land, in welcher er tlieils das ürtheil des Pu-
blikums , tlieils seine eigene Überzeugung mit-
theilte, und die im 6ten Stück des Deutschen
ßlerkuis für 1795 abgedruckt ist. Diese An-
zeige ward ohne des Künstlers iNIitwissen ge-
schrieben ; ihr Zvreck war, ihm dadurch viel-
leicht in Berlin einen Dienst zu leisten , imd
er erfuhr nicht eher etwas davon, als in dem
Augenblicke der Absendiuig, wo der Verfas-
ser ihm den versiegelten Brief zeigte, der si«
einschlos. Zu lesen bekam er sie erst verschie-
dene Monate später, als das erwähnte Stück
des Merkurs nach K.om kam, vv'o damals die
meisten Deutschen sich zu einer Journalgesel-
schaft vereinigt hatten, deren Besorgung der
Arzt Doktor Domeier, im Gefolge des Prin-
zen Augusi von England, übernommen hatte.
In Fiom ^var diese Anzeige den Gegnern des
Künstlers ein Dorn im Auge ; da ihnen aber
18^
^e Feder wenigei? geläufig war, als die Zun-
ge , so konten sie nur diese dagegen in Bewe-
gung setzen, und musten darauf Verzicht lei-
sten, ihre feindselige Gesinnung gegen Cav
Stens öffentlich kund zumachen, bis sie, glük-
liclier Weise , obwohl erst zwei Jahre später,
•WO jene Anzeige längst vergessen war, im so-
genauten Maler JVIüller das gewünschte Organ
fanden, um die Schale ihres lächerlichen Zor-
nes über den Verfasser sowohl, als über den
Künstler auszugiefsen, w^ie weiter unten er-
zält werden w^ird, In Berlin that die Anzeige
von der Car5tensc\\€.i\ Ausstellung für den Au-
genblick die beabsichtigte Wirkung, obgleich
sie nicht die gewünschten Folgen hatte. Der
Künstler erhielt den nachstehenden Brief vonr
Minister e'o/z Heinitz, dessen fteundlicher, ai*-»
tiger Ton von dem harten imd bitteren des
lezten Briefes auffallend absticht:
Hochedelgeholirner Herr,
Vielgeehrter Herr P r ofe ssor !
Mit besonderem Wohlgefallen habe ich in
dem 6ten Stück des diesjährigen neuen Mer-.
kuis eine vortheilhafte Beurtheilung derjeni-^
gen Kunstsachen gelesen, welche Euer Hoch-
1.83
edelgebolinien in diesem Jalire in Rom ausge-
stellt haben.
Ich stehe nun zwar in der Er\vartung, dass
Ener Ilochedelgebohrnen nach meinen mehr-
maligen AufFoderungen , diese Saclien nunmeh-
TO anch zu der hiesigen Ausstelinng einsenden
"werden, und ich vermuthe , daas sie zu dem
Ende schon von Pioni aus hieher unterweges
»ind.
Solte aber diese meine Venniithung unge-
gründet seyn , so mufs ich bitten , diese Kunst-
sachen gleich nach Empfang dieses Schreibens
auf das Schleunigste anhero abgehen zu lassen,
damit solche nocli zu rechter Zeit, gegen die
in der Mitte des Se-ptemhris zu eröffnende
Ausstellung allhier eintreffen hömirn.
Die diesjährige Kunstausstellung wird be-
sonders merhwürdig seyn, -weil sich die va-
terländisclien Künstler bestreben -werden , sol-
che durch Weike zu verschönern , -welche auf
die gemeinschaftliche Fever des Königlichen
Geburts - Tages und. des nurcli Seine KönigUr
che Majestät be-wirkteu Friedens, Bezug ha-
ben, und ich hoffe daher, dass Seine Königli-
che Majestät Höchstselbst diese Ausstellung
mit Dero höchsten Ge.c:enwart bteliren -vverden.
'V Dies -wird daliev ziisrleicli die erwünsclite
Gelegenheit Seyn , die in obgedaditem Jour-
nal sclion so vortlieilliaft beurtlieilten Runst-
saclien Seiner Künigliclien Majestät selbst vor
Augen zu stellen und Hoclistdieselben mit Euer
Hocliedelgebolirnen Talenten und Gescliicli-
liclilieit zu ihrem künftigen Vortheil näher be-
Kant zu machen.
Ich erwarte also mit umgehender Post ei-
ne" zuverlässige [Nachricht , ob und wann die
mehrgedachteiiKunstsachen entweder von dort
schon abgegangen sind, oder des nächsten
noch abgehen sollen, so wie ich auch nun-
niehro über die eigentliche Zeit Ihrer Zurück-
Jiunft einer bestimmten Erklärung entgegen
sehe. Am liebsten v\'ürdc es mir seyn , Avenu
Sie mit Ihren Kunstsachen zugleich ^zu Anfang
S ej? temh r is allhier eintreffen könnten. Der
ich hochaclitend verbleibe
Euer Ilochedelgcbohrnen
B e r 1 i ü
den 18. July 1795,
ergebenster
Fr. V. Heinitz/
Carstens konte nach dem Empfange dieses
einladenden Schreibens nicht wohl umhin.
einige seiner Arbeiten zur Ausstellung nacli Ber-
lin zu senden ; vielleicht wirkten sie ihm den
langem Aufenthalt in Korn aus. Indessen zog
sich doch die ihm Vv'irkiich bestirnte Frist im-
mer enger zusammen ; ja der Minister wünsch-
te sogar, dass seine Rückkunft mit den einzu-
sendenden Runstsaclien zugleich erfolge. Er
muste sich also über seinen hingst gefafsten
Entschlus, in Rom zu bleiben, bestimmt er-
üiren , und es darauf ankommen lassen , ob
man ihn auch dann noch, gegen Einsendung
jähi lieh dafür zu liefernder Arbeiten , ferner un-
terstützen, oder seinem eigenen Scliiksale über-
lassen wolls. Die günstige Aufnahme seiner
Aussteliimg in R.om , die Schätzung, die erda-
clurch unter den Kiinstlcrn erworben, die Be-
iantschaften mit reichen Fremden, und der
Absatz einiger Arbeiten an einige derselben,
hatten seinen Muth nicht wenig gestallt,
lind Hessen ihn hoffen, dass seine Kiuist ihn,
ohne anderer Unterstützung zu bedürfen, in.
Rom ernähren würde. Er beschlos ilso , dem
Minister gerade aus zu melden , dass er, um
ganz seiner Hunst leben und in seiner Ausbil-
dung immer weiter fortschreiten zu honnen,
den Entschlus gefasst habe, niclit nach Berlin
zuiückzukehien, sondern in ilonr zu bleiben.
i86
JZugieicIi sandte er cirei seiner vorzüglicliste»
Arbeiten : die Überfahrt, die Helden im Zeit des
Schill vor Troja, und Achill und Priainus, mit
der Post nacli Berlin ab. Da auch von diesem
Briefe des Künstless sicli keine Absclirift vor-
gefunden hat , so kann man das Wesentliche
seines Inhalts nur aus der unten folgenden Ant-
wort des Ministers ersehen,
- Die abgesendeten drei Stücke langten zur
gehörigen Zeit in Berlin an, und das dortig©
Publikum sah sie in der Kunstausstellung des-
selben Jahres. Dass sie sehr gut von demsel-
ben aufgenommen worden, bezeugt das unten
mitsretheilte Schreiben des Ministers ; lebhaf-
ter aber drückt es ein Brief von einem seiner
dortigen Freunde aus, der sich unter den nach-
gelassenen Pa|nc3en des Künstlers vorfand,
und aus dem hier einige Stellen angeführt zu
■Wrerden verdienen :
,, Deine Bilder haben, — lieisst es dort —
den Professionsneid unserer — abgeiechnet,
allgemein soviel Aufsehen erregt, dass du bei-
nahe, imd besonders der kraftvollen männli-
chen Figuren halber, bei unseren Schönen die
;mgebetete Angelika verdi'ängt zu haben schei-
nest. Verachte auch diesen Sieg nicht, auf
187
den du wolil scKwerlicli gerecliiiet hattest; e»
kann zu Giöfserem führen , wenn du es nicht
etwa versclimähest, unsere kindisch hleine
Aftergröfse zum Gefühl ilirer Nichtigkeit [za
erheben, und uns Geschmak an der liohen
Gymnastik edlerer Gladiatoren in der Kunst
beizubringen. Du hast \venigstens den An-
fang dazu gemacht, und dem sicheren Eigen«»
dunkel, der — einen so gewaltigen Stos ver^
sezt, dass ich im Ernst glaube, es sei dir mög-
lich, niclit nur zu unterm Vortlieil und zum
Gedeihen der Kunst überhaupt, sondern auch
zu deinem eigenen, eine w^ohlthätige E.evolu-
tion zu bewirken. Aber wenn ich die Hof-
nüng , dich wiederzusehen, nach dem Massta-
be der Wahrscheinlichkeit berechne, so furche
te ich. Du mein Asmus wirst nie wieder-»
'ionimen ; und du hast recht, — aber wir sind
zu beklagen.'*
j.Den Eindruck dir zu beschreiben, den
deine Eilder auf mich gemacht haben , würde
ich mich lunsonst bemühen. Ich sah in ihnen
noch mehr als deine Bilder, ich sah Dich
selbst, den edelsten Ausfius deiner Gedanken,
den Ausdruck deiner reinsten Gefühle, das
Fiesultat deines Fleisses seit drei Jahren; ick
glaubte dich nie veniiisstzu'liaben;icli hätte*
dich in nieinena Nachbar umarmen können,
hätte er nur das Maul gehalten."
„Weisst du, was mir in deinen Bilderh
am meisten gef.ällt? Es ist, bei der Ruhe der
Scenen selbst, die individuelle, im Stillen
thätige Selenhraft harahteristiscli, überall im
Gott, im Helden, v/ie in der Volhskarikatur
wirken zu sehen. Jeder ist so unbekümmert
über sich, so ganz einig mit sich, dass man
fühlt: dies sind v/ahre Menschen, und der-
Gedanke dringt sich nnwillkühalich auf, dass,
wenn es für den Alexander ein Glück gewesen,
wäre , einen Sänger zu finden . w^ie Homei", es
ein ungleich grüfseres Glük für diesen | sein
Tvürde, endlich eizien Maler zu finden, der
■wie Du, mein Asmus, so lein ihn fühlt , so
erhaben in seiner heroisclien Einfachlieit und
Unbefangenheit ihn darstellt. O male den gan-
zen unsterblichen Homer und werde selbst un-
sterblich! wenigstens die nicht seltenen ruhi-
geren Scenen; du bist dazu geboren, das iiT-
nige Grosgefühl, das Homer seinen Göttern
und Helden giebt, das überhaupt dem Alter-
thum eigen ist, gros und innig nachzufühlen,
auszufühlen und lebendig darzustellen.*' —
•i89
Nach dem kurzen Sonnenbliclie, den die
im D. Merkur niitgetheilte Ankündigung der
Carstenschen Ausstellung lierrorgelockt hatte,
brach nun, auf die entscheidende Erklärung
des Künstlers nicht nacii Berlin zurückzukeh-
ren, das Gewitter von dort her desto heftiger
los. Er erhielt einen Brief vom Minister, der
nicht niu' den Unwillen desselben aufs leblxaf-
teste ausdrückte, sondern auch den Ersatz dei*
Wärend seines dreijährigen Aufenthalts in Rom
der Akademie gekosteten Summe von dem
Künstler forderte. Der Zusammenhang in der
Erzälung dieses in dem Leben des Kanstlerä
so w-ichtigen Vorganges macht es noihw en-
dig, auch diesen Brief nebst der Antvrort det
Künstlers > von ^velcher sich glüklicher Wei-
se eine Abschrift vorgefunden hat, lüer mit-
sutheilen. Beider Theile Gründ^i und Gegen-
gründe liegen darin vor Augen , mid -wenn
der Leser die verschiedenen Standpunkte des
JMinisters und des Künstlers , und die davon
abhängigen Ansichten eines jeden, inr Auge
hat, so "wird auch er den Standpuriki. und &i&
Ansicht finden , .lus welchen aliein dieser
Zwist richtig beurtheilt werden karai ; und da
mochte sich ^vohl ergeben, dass jeder an sei-
ner Steile und für seinen Zweck nicht wohl
1Q&
anders als so handeln lionte nnd durfte, und
dass die hier obw^altende Ungebühr vielmehr
in der MishälLigkeit der Veifassungen unserer
Zeit mit künstlerischen Zwecken, als in dem
eigenen Betragen der Handelnden liege.
Der Brief des Ministers lautet folgender-
niaafsen:
Hocliedelgebolirner
Hoclizuehrender Herr P r ofe s sor!
Mit Euer Hochedelgebohrn Schreiben sine
dato, welches den 5iten August allhier
eingegangen ist, habe ich die von Denensel-
ben zu der diesjährigen hiesigen Kunstausstel-
lung eingesandten 5 Stücke, nämlich
1. Die Überfahrt, ein Gemälde in Tem-
pera.
2. Die Helden vor Troja, in AcquareÜ.
3. Achill und Priaraus , eine Zeichnung.
(wovon jedoch das iste Stück wiegen schleck»
ten Einpackens ziemlich beschädigt angekom-
men) zu recht erhalten, und es sind diese 5
Stücke, nachdem ich das Beschädigte mit al-
lem Fieis wieder ausbessern lassen, mit den
andern zur Kunstausstellung eingegangenen Sa-
chen vortlieilliaft expoiiirt, und niclit nur
von der A kad emie , sondern auch von dem
gesamten hiesigen Puhlico sehr gut aufge-
nommen worden.
Mit Befremden aber ersehe ich zugleich
aus Ihrem Schreiben, dass Sic
1. Die kostenfreie Zurüchsenduug dieser 5
Stücke, falls die Akademie solche nicliB
für den von Ihnen bestirnten ansehnli-
chen Preis an sich behalten will, verlan-
gen ; und dass Sie
2. Statt ihre, gegen die Akademi e h.'.ben«
de Yerbindiichkeiten zu erfüllen, denEnt-
schlufs gefafst haben , es lieber darauf an-
kommen zu lassen, in Rom zu bleibenj
und dort für ilire Rechnung zu malen.
Ich gestehe Ihnen ganz aufrichtig , dass ich
äiese Äusserung von Ihnen nicht erwartet hät-
te. Ich will Ihnen nicht einmal zu Gemütlie
führen , welchen grofsen Undank Sie dadurch
gegen das Cur atorium der Akade mi e an
- den Tag legen , welches Sie , als einen Auslan-
der , des schwachen akademischen Fonds
©hneraclitet , vorzüglich und nach äufsersteu
Kräiten, sowohl hier als in Rom unterstüzt
192
hat, sondern ich will blos dabei stehen
bleiben,
dass es nirgends, und am wenigsten in dem
Preussi-;chen Staat , Sitte iit, willlüihrlicK
und eigenmächtig gegenseitige Verbind-
lichlieiten aufzuheben.
Sie wui den nach Ihrem vielfiütigen Verlan-
gen zum ordentlichen Lehrer bei der Akade-
mie bestellt, und mit einem jährlichen Ge-
halt von 250 Tlialer auf den von des Königs
Majestät höchst Selbst vollzogenen Etat der
Akademie gebracht.
Hicnächst vrurden Sie auf Ihr inständig-
stes, oft Aviederholtes Ansuchen gegen Ihr hei-
liges Versprechen :
der Akademie nach Ihrer erfolgten
mehreren Ausbildung in Fiom desto er-
sprieslichere und nüzliche Dienste zu
leisten
Behufs Ilires Studirens in Rom nicht nur, mit
gänzlicher Eeibehalluiig Ihrer Pr oj e s s or at-
Besoldung ad 2.^0 Thalcr jährKch , von den
Obliegenheiten Ihres Lehramts anfäiiglicli auf
2 , und hernach auf 3 Jahre disfensirt, son-
dein es wurde Ihnen auch auf diese 5 Jalire zu
Ihrer Unterstützung und zu besserer Fortse-
tzung:
393
tÄung Ilirer Studien in ß 0 m eine jälirliclie
Beiliülfe von 200 Tlialeru aus der Aka d e mi-
schen Casse bewilligt, ja es ^vurdeii bogar,
elie Sie von liier abreisetena bei Ihrer dan-iali*
^ea gi-of:>en Dürftigkeit nnd Veilegenlieit Ilire
Schulden au5 der ahad e mi ^chen Casse mic
aoo Tlialern bezahlt, und Sie verpflichte*
len sich ' dagegen unterm aßten ]VI a y 1792
schriftlich !
dass Sie diese 100 Tliäler nach Ihrer Zu-
aückkiinft, in effectu baar oder tt?r-
m i n weise , von Ihrem Gehalt wieder zu-^*
lückbezalen vs^olten.
Solchergestalt haben Sie lediglich in der
Erwartung, dass Sie Ihr mündliches unA
schriftliches Versprechen als ein ehrlicher Mann
pünktlich erfüllen würden, in dem Zeitraum
von 3 "Jahren eine für die Fonds der Aka»
dem ie sehr ansehnüxjhe Geldsumme, nem.lichf
Srom 1, Ju n. x"^?. bis ult. IVIay 1795 450 Thl.
— — 1795 — 1794 450 --
— — 1794 — 1795 450 —
und pro i7|^| annoch — — 112— i2gT.
auch bei Ihrer Abreise im Jahre
1792 zu Bezalung Ihrer Schulden: 100— — »
mitliin überhau^ exhalten J562-— 12-^
»3
194
Tragen Sie sich mm selbst, wie Sie ^lese
l^rofse Wohlthaten erliant — -welclie nüzliche
Dienste Sie in diesem ganzen Zeitranm der
Akademie für jene ansehnliche Geldsumme
geleistet haben?
Beinahe ein ganzes Jahr liefsen Sie verstrei-
chen , ehe Sie einmal von Ihrer Ankunft in
lß.om wnd von Ihrer dortigen Existenz et-
was meldeten, und aaistatt Iluer Verbinulich-
iieit gemäs von Ihren Arbeiten etwas einzusen-
den lind Aiishunft über die zwechmäfsige Ver*
Wendung Ihrer Zeit zu geben, schihten Si«
erst im Frühjahr 1795 *) einen Reisebericht
ein, der viel Worte enthielt, aber m'eine ge»
spannte Erwartung wenig befriedigte.
Seit diesem Reisebericht liefsen Sie wieder
17 Monathe **) hingehen, ohne von Sich und
Ton Ihren dortigen Arbeiten etW4S hören und
sehen zu lassen.
Ich bezeugte Ihnen darüber in meinem.
Schreiben vom 26, Juny 1794 meine gerechte
Verwunderung, und ohnerachtet damals schon
•) Solte heissen : 1794.
**) Solte hetsf en : 7 Monate*
^95
der Termin Ihres Urlaubs ur\A tier Ilineniuu^
auf 2 Jahre bewilligten Uiiterstütziinc^ in Rom
zu Ende gegangen war, verlängerte ich docli,
aus Wohlwollen für Sie , Ihren Urlaub und
die Unterstützung von 200 Thalern noch auf
ein Jahr, nemlich bis zum 31. JVI a y 1795, je-
doch unter der ausdrücklichen Bedingung:
dass Sie wärend dieser Zeit von Ihren Ar-
beiten etwas einsenden, nach Ablauf jenes
verlängerten Termins aber wieder zurück-
kommen und, Ihrer Verbindlichkeit ge-
mäs , Ihr hiesiges akademisches Lehr-
amt wieder antreten sollten.
Auch diese Bedingung haben Sie weder in
dem einen noch dem andern Punkt erfüllt,
sondern nur den ersten, als ich nicht durch Sie
seihst, sondern durch öffentliche Blätter von
Iliren in üom ausgestellten KiiustNrerken un-
I tferrichtet wurde , schikten Sie mir die Ein-
[ gangs erwähnten drei Stilcke auf meine an-
derweitige Aufforderung ein, ob Sie mir
gleich unterm £ten August 1794 schriftlich
versprochen hatten,
alle Ihre Arbeiten mit nach Berlin brin-
gien zu wollen.
als welches leztere icli» dieser Zusage gfmäfc-,
und iiacli meiner Ihnen daaauf eitheiltcii Fie"
Solution vom 22ten September 1794 noch
immer erwartet hatte, und wodurch die yika»
demie die ansehnliche Summe von über joo
Thalern hätte ersparen hönnsn. Welche sie iixt
den Transp ort dieser 3 Stücke hat bezaieii
Biüssen.
Nach diesem actenmUhigeti Hergang, deu
ich mit Fleis vorausgeschickt habe, um Sie zu
dem eigenen Gefühl Ihres Unrechts zu brin-
geii , mus ich Ihnen , mein Herr ! deelari"
ren, wie ich ea als Staatshaushalter der vonSr.
Königlichen Majestät mir blos zum Wolil des
Staats anvertrauten Gelder vor Allerliüchstde-
nenselben und vor meinem eigenen Gewissen
nicht verantworten kann, eine Summe von
1562 Thaler ganz umsonst , und noch d^zu an
einen Ausländer, wegzuschenken.
Da Sie, mein Herr, die Verbir.dlichkeiten,
unter welchen Ilmen jene Summe bezalt wor-
den, nicht erfüllt haben, da Sie vielmehr nach
dem Genus dieser Wohlthat der Akademie
den Dienst aufkündigen; so nehme ich zwar
diese Aufkündigung an, und entlasse Sie hie-
niit in Sr. Königlichen Majestät Nahmen Ihre?
bisherigen nka de mischen Lehramtes,
igf
'Df^egen fordere ich, von wegen Sr. Kö«
rif;l. Majestät, die indebite genossene 1563
Tlialer von Ilinen liiemit zurück , und erwar-
te binnen drei Monatlien Ihre bestirnte Erhlä-
annii , in welcher Art Sie die Künigl. Akade*
mie-C as s e deshalb befriedigen wollen ?
Bis dahin werde ich Ihre eingesandte 3
Stücke bei der Akademie as s er vi ren las*
sen , ur.d Sie können darüler, wenn Sie die
Akademie- Casse erst befriedigt haben, dis*
p o n i reu.
Erfolgt aber diese Befriedigung nach Ablauf
des gedachten dreimonaihlichen Termins
nicliM so werde ich nicht nur diese Stücke
plus l ici tanti allhier verkaufen und de»
Ertrag davon auf ihre Schild der 1225 Tha«
1er *) abschreiben lassen, sondern mir ancl|
vorbehalten in Ansehung de7TVü«kstandes, Si©
auf gesetzmäfsigen X'S'egen zl dessen ebenmäfsi*
gen Bezahlung zu belangen.
Ich verharre
Euer Hochedelgebohrnen
Berlin
ergebenstet
d. igten Dec. 1795- j-,. ^^n Heinitz.
*^ Solte dea obigen zu folge heissea 1562 Thalcr,
198
Carstens füHlte sicli durcli diesen Brief un*
'würdig behandelt; ihm wurde Pflichtverges»
eenheit und Wortbrüchigkeit vorgeworfen,
obwohl er sich bewiist war> die Pflicht seiner
Ausbildung , die er für seine erste und gröfst©
hielt, gewissenhaft erfüllt zu haben. Solte er
dafür büssen, dass sie mit der zweiten, die er
blos alsi Mittel zur Erfüllung der ersten ansah,
unverträglich ward? Er fühlte die Verbind-
lichheit für empfangene Wolüthaten ; aber er
fühlte auch die Pflicht der Selbsterlialtung, so-
bald diese Wohlthaten sich in Fesseln für ihn
verwandelten, und ihn in die Leibeigenschaft
einer Kunstakademie zu werfen drohten. Am
meisten aber enrpörte ihn dieFoderung des Er-
satzes der an ihn als einen Ausländer, ohne al*
len Nutzen für den Staat, ganz umsonst ge-
wandten Jdirgelder, und im Unterlassungsfal-
le die Drohung, sich dafür an seinen Kunstsa-
chen schadlos zu halten, und für den P^est
ihn gerichtlich zu belangen. Er honte ein©
solche Foderung nicht mit der höniglichen
Milde und Grosmuth zusammenreimen, die
ihn einer Unterstützung zur Ausbildung sei-
nes Kunsttalents würdig, gefunden hatte. In
dieser Stimmung jeines gehränhten, entrüste-
Üii Selbstgefühles scluieb er djem Minis-
t9r unfein» 2oten Februar 1796 die folgend»
Antwort :
,,Aus Euer Hochfreiherrlichen Excellenz zu-
lezt au mich ergangenem Schreiben vom iQteii
Decen>ber vergangenen Jahres , \vclches mir
IleiT Rehberg am ß« d. M. hat zustellen lassen,
ersehe ich, dass meine Arbeiten nicht nur von
der AKadeniie, sondern auch von dem gesam-
ten Publikum sehr gut sind aufgenommeu
worden. Ich hätte also , «lach einem Schrei-
ben vom 2^. Februar 1795, wo es lautet:
Es wird alsdann (nemlich, wenn Hoch-
dieselben in Gemeinschaft mit Kennerit
meine Arbeiten würden geprüft haben) ei-
ne nähere Erklärung erfolgen , ob man Ih-
nen die Bezalung eines Gehalts kontinui-
ren kann, oder Ihnen lieber überlassen
will, für Ilire Rechnung zu malen.
Am Ende desselben Briefes heifst es ferner:
Es verbleibt übrigens dabei, wie es'
bereits gesagt worden, dass Ihre Unter-'
Stützung ultimo May dieses Jahres auf-
hört, es sei denn, das3n>an über Ihre ein-
zusendenden Arbeiten ein eben so vortheil-
haftes Urtheil fällen honte, als Sie es sich
Selbst schon gebe^i.''
Sio6
Ich hätte also, der guten Aufnnlime meiner
Arbeiten gemäs, statt meiner Entlassung einft
fernere Pension zu erwarten gehabt. In dem
Schreiben vom ig. Jul. 1795 lautet es :
Dies wird die erwünschte Gelegenheit
seyn , die in obgedachtem Journal schon
so vortheilhaft beurtheilten Kunstsacheit
Seiner Rönigl. Majestät Selbst vor Augen
zu stellen , und Hochstdieselben mit Euer
Hocliedelgebohrnen Talenten und Geschik-
lichkeit zu ihrem künftigen Vortheil na^
Ker bekant zu machen,
Hievon gescliieht nicht allein das Gegentheil,
sondern ich werde noch dazu auf eine höchst
ungerechte Weise behandelt. Mir wird sogar
der Vorwurf gemacht, der Akademiecasse, \ve-
gen des Porto für meine übersandten Arbeiten,
Kosten verursacht zu haben, obgleich dies
t,etztc auf den eigeneh Willen Euer Excellenz
geschehen ist, indem Hochdieselbenin gedach-
tem Briefe sich folgendergestalt erklären :
Solte aber diese meine Vermuthung (nem-
lich dass meine Arbeiten schon unterwe-
ges sein möchten) ungegründet sein, so
muss ich bitten , diese Kunstsaclien gleich
nach Empfang dieses Sphteibens auf daa
SeKleunlgste anhero abgehen zu lassen, da-
mit solche nocli zu rechter Zeit , gegen
die in der Mitte des Septembers zu eröi*
nende Ausstellung allhier eintreffen kön-
nen.
Jeder billige Beurtheiler mus hieraus erse^
ten, dass ich nichts anders gethan habe , ala
■was von mir verlangt ist ; dass mir also jener
Vorwurf nicht mit Recht gemacht werden
Jionte. Überhaupt sticht der glimpfliche Ton
dieses Briefes sehr meihlich von dem ab, der
in den andern beiden henscht, welches mich
iuf die Vermuthung führt, dass es nur darum
zu thun gewesen ist, mir meine Arbeiten auf
eine gute Art abzulochen, und mich sodann,
wie jezt geschieht, meinem Schiksal zu über-
lassen.
Es -wird mir in dem lezten Schreiben Un»
danhbarkeit gegen das Quratoriuni vorge-
"Worfen. Dieses kann ich nur von Sr. Excei-
ienz verstehen , weil ich bis diese Stund©
nicht weis, ab noch sonst' jemand dazu ge-
hört. Ich mus also dagegen erinnern, dass ich
Höch anderthalb Jahre hier mit kranken Au-
gen, als Folge meiner dort geleisteten Dienste,
liabe stuvUieu müssen. .Der Saal im Hause des
Heirn MayscltaU v. Dorville, den icli für
Euer Excellenz gemalt habe, mag für mick
reden. Hier haben Hochdieselben , als ich di©
erste Figur malte, aus eigenem freien Willen,
mir zur Ausbildung meines Runsttalents, ein»
Reise nach Rom versprochen, welches auck
nach Vollendung dieser ansehnlichen Arbeit in
eben diesem Säle, von Allerhöchst Seiner Ma-
jestät bewilliget wurde. Mein Hieiseyn bürgt
für die Waiirheit. Ich habe die von Seinei:
Rönigl. Majestät zu meiner Ausbildung mir
geschenkte Pension nützlich und gewissenhaft
angew^endet, und Euer Excellenz als Staats»
iaushalter sind dieserhalb ausser Verantwor-
tung. ^Vas mir Seine Majestät geschenkt ha-
ben, gleichviel aus welchem Beutel, kan»
jnir keiner wieder abfordern ; und was habea
meine Kunstwerke damit zu schaffen, die,
.nachdem die Akademie die Vortheile der Aus-
■Stciiung davon eingezogen, in Beschlag ge-
.ftommon werden?
Was den schwachen akademischen Fonds
betriff, so habe ich nie die Einnahiue Uiid
Ausgabe eiiahien. Dass er aber anselmiich
aeiu mus, beweisen die vielen Subjekte, liie
4avoa miteihaiten werden. Wenu ü^uei ij*-
SOS
• ceUenz es mit mehrcTen yvle mit mir machen»
60 wird sich der Fonds vermehren.
Da von gegenseitigen Verbindlich"keiteii
die Rede ist, so dienet darauf zur Antwort:
dass ich gegen die Akademie nie Verbindlich-
keiten gehabt habe. Ich habe für eine mittel«
mäfsige Besoldung, unabhängig vom Direk-
torium, guten Untenicht ertheilt. Ich bin
nicht einmal Mitglied. \Yenn ich Verbind-
lichkeiten habe , so sind diese gegen Euer Ex-
cellenz, Aber ich habe oben schon gezeigt.
-weil ich aus Gerechtigkeit gegen mich selbst
dazu genöthigt werde , wie sich diese gegen-
seitige Verbindlichkeit aufliebt.
Izt folgt in dem Briefe von Hochdencn»
selben eine Unwahrheit, oder wenigstens ein
kthum. Es heifst :
Sie wurden, nach Ihrem vielfältigen Ver*
langen, zum ordentlichen Lehrer bei deif
Akademie bestellt.
Wo ist nur eine Zeile davon aufzuweisen?
im Gegentheil habe ich die mir zugeschikte
Bestallung zu Euer Excellenz zurück gebracht.
Ich wolte diese Stelle nicht anders annehmen,
als unter der mir vom Herrn Professor Moritz
Versprochenen ünabhängigjieit vom- JJiitkt^^
riiun. Euer Excellenz haben mlcli dahin rer*
mögt, die Bestallung zurückzunelimen , indem
Sie mit dem H. Professor Moritz sprechen, nnd
die Sache in Ordnung bringen ^volLen ; wel-
ches auch geschehen. Dieses heifst doch war»
lieh nicht vielfältig bitten.
Ich habe nun im Nahmen Seiner Königli-
chen Majestät meine Entlassung eilialten, und
die mir zu meiner Ausbildung ( als ^voran icl»
niit allem Eifer aibeite) von Seiner Königl.
Majestät allei gnädigst bewilligte Pension, hat
diesem gemäs , vom igten December vergan-
genen Jahres an , aufgehört. Es sind von mir
an die Akademiehasse hundert Thaler zu beza-
len , die sie mir zur Bezalung meiner Scliul-
den geliehen, imd wofür ich meine Hand-
schrift ausgestellt habe. Nun aber komme»
mir noch fiir die Monate August, September,
Oktober, November, bis den igten Deceniber
als dem Tage meiner Entlassung, von der»
von Allerhöchst Seiner Majestät mir zu mei-
ner Ausbildung geschenkten Pension , noch
aus der Akademiekasse circa jiinj und sieben-
zig Thaler^zu. Diese von hundert abgezogen,
bleiben jiinj und zwanzig , die ich nach post-
freiem Wiedei empfang jneiiier Aibtiten 50»
gleich ai:sz.ililen weide. So lange dieses niclit
o-esclielieii , habe icli die Sainn^e von dreihun-
o
dert Zeclunen baar von der Bcrlinisclieu Ah?.-
dcmie zu fodein, die kein Pteclit an meinen
Arbeiten hat, also dieselben auch weder in Be-
schlag nehmen, noch veraukzioniren kan.
Ich \%'ill nicht , dass sie unter diesen billigen
Preis verkauft w^erden, und solte dieses den-
noch geschehen, so werde ich mich (iffentlich
darüber, als über eine Ungerechtigkeit eines
.öfFcntlichen Coilegiums g^egen einen Privat-
mann , beschweren.
Übrigens mus ich Euer Excellenz sagen,
üass ich nicht der Berliner Akademie, sondern
der Menschheit angehöie ; und nie ist es mir
in den Sinn gekommen, auch habe ich nie
versprochen, mich für eine Pension, die man
mir auf einige Jahre zur Ausbildung meines
Talents schenkte , auf Zeitlebens zum Leibei-
genen einer Akademie zu verdingen. Ich ksn
»nich nur hier, unter den besten Kunstwerken
e in der Welt sind, ausbilden, luid werde
jiach meinen Kiaften foi tfahren, mich mit mei«
Iien Arbeiten vor der Welt zu rechtfertigen,
I^asse ich doch alle dortigen Vortheile fahren,
und ziete üinen die Airauth, eine ungewisse
206
Zuliunft, tmd vielleiclit ein kränMiches , liiilf-
loses Alter, bei meinem sclion jezt scliwäclili-
chen Körper vor, um meine Pflicht und mei-
nen Beruf zur Kunst zu erfüllen. Mir sind
meine Fälligkeiten von Gott anverti-aut; ich
jnus darüber ein gewissenhafter Haushaltet
sein, damit, wenn es heifst: Thue Rechnung
von deinem Haushalten \ ich nicht sagen darf :
Herr, ich habe das Pfund so du mir anver-
trauet, in Berlin vergraben.
Da ich Euer Excellenz stets als einen wahr-
iieitliebenden Mann gekant und geschäzt habe,
so habe ich auch keinen Anstand genommen,
die Wahrheit freimüthig zu schreiben, und
ich werde sie auch im Nothfalle öffentlich be*
kennen, um mich vor der Welt eben so zu
rechtfertigen, als ich vor mir selbst gerecht-
fertigt bin.
Mit tiefster Ehrerbieturg verharre
Euer hochfreiherrlichen Excellenz
ganz ergebensÄV
Carstens.
Vielleiclit war die Drohung strenger Mafs-
yegeln in dem lezten Briefe des Ministers ein
tlofser Versuch gewesen, den Abtrünnigen ili
£07
seine Dienstpflicht zuTücliznsclireclien; viel-
leicht ei kante er nach des Künstlers Verthei-
digung die Unbilligkeit derselben , wenig-
stens die Schwierigkeit sie in Ansübnng zu
bringen; wie dem sei, der Künstler empfing
ein Antwortsclireiben des Ministeis in eint m
sein' geniäfsigten Tone, woiin diesei seine
Ansprüche at.f den Künstler zwar nicht aus-
drücklich ziirücknalim , aber doch dmch die
Anerkennung des vorhin ihm streitig gemach-
ten Eigenthums seiner Gemälde, den Ungi'unfil
derseioen stillschweigend eingestand.
Dieses Schreiben, mit dem der Briefv\'ech-
Sel beider sich endigte, lautet folgenderinafsen:
Hocliedelgebohrner
" ' Vielgechrter Herr F r ofe ssor!
Aus Euer Hochedelgebohrnen Schreiben
vom £oten v. ?*I. habe ich zwar ersehen, dass
Dieselben Ihre indejt enden z von der Akw
de Tille zu beweisen gesucht, und Ihre zur
Ausstellung eingesandten Gemälde, auch das
n'ch angeblich zu fordern habende Gehalt
reclam'irt haben; allein ich beziehe mich
lediglith auf das an Dieselben unterm igten
D e G«mh er v. J. erlassen» Schreiben , oi^j»
£08
mich in Ilire weitläuMgen D eductio nen
einzulassen, und bemerke nur noch , Jass Sie
jiicht nxxr bis ultimo Mali 1795 Ihr völli-
ges Gehalt und Zuschus, sondern auch noch
iii Rthlr. 12 gl. an Gehalt pro 1795/6 ei hal-
ten haben, -welche nach Ihrer eigenen schrift-
lichen Anweisung untejm i3ten Januar 1796
für Ihre Rechnung an den hiesigen Hof-Bau-
rath Itzig gegen dessen Quitung bezalt wor«
den, an welchen Sic Sich also zu halten, und
ttbrigens Ihre Gemälde allenfalls zurück zu
schicken erbötig bin, vrenn Sie das ausgelegte
Porto restituiren, und solche ebenfalls auf
Ihre eigene Kosten zurück veilangen , und da-
zu jemanden, um solche in Empfang zu neh-
men, covim ittiren.
Der ich hochachtend bin
Euet Hochedelgebohinen
Berlin
den sgten Martii 1796.
ergeben stfer
Fr, V. Heiniti^
Carstens trieb, nach dieser ihm genüge 11-
clen Erklärung des Minister« , die Zuriickfode«
lung seines Eigenthumes nicht weiter , sonsc
Würde es ihm leicht gew^se» sein « auch die»
nacii
209
nach obigem Eingeständiussc sichtbar unge-
rechte , Ziiniathiing der Wiedeierstattuiig des
Porto zu er\veiseu ; aber er hasste den Streit,
^var froh jener Veibiiidung glüchlich entledigt
zu sein , und lies seine Kunstsachen fürs erste
noch in den Handeu der Akademie, hoffend,
dass vielleicht in Berlin ein Käufer derselben
sich fände , in welchem Fall er gesonnen Vvar,
lieber die hundert Thaler daran einzubüfsen,
?.ls eine so unangenehme Streitsache, wo er
jeden Schritt zu seinem Rechte mit Mühe und
Vn drus erringen musie , noch weiter fortzu-
führen.
So \var nun das Verhältnis zwischen un-
serm Künstler und der berliner Kunstahauvuiie
völlig aufgehoben. Sein Z\veck, unabhängig
von allen liindernden Beschiänhungen in Rom
ganz seiner Kunst zu leben, v.Mr erreicht. Er
veitrauie seinen Kräften mit Muth , arbeitete
fleissig mit der ihm gew^ohnlichen Heiterkeit
und Zufriedenheit des Gemüths ; und da, der
liereinbrechenden Kriegsunruhen ungeachtet,
Ftom doch noch immer von Fremden besucht
•wurde, unter denen seine Arbeiten Lit^bhaber
und Käufer fanden , so konte er damals we-
nigstens der Zukunft unbekümmert entgegen
sehen. Schon wärend seiner Ausstellung kauf-
14
210
te Lord Bristol das Gastmal des Plato und die
Parzen von iliin , und trug ihni die Ausfüh-
rung des Ganimed in Ölfarben auf. Die Zeich-
nung des Sokrates im Koihe , die der Künstler
noch einmal machte, erhielt etwas später der
Graf von Reventlau aus Holstein, und die
Nacht mit ihren Kindern führte der Künstler
im folgenden Jahre für den Baron f o/z Knutk
aus Danemark in Ölfarben aus.
Ausser den bereits angeführten, verfertig-
te der Künstler wärend des Jahres 1795 iioeh
nachstehende Komposizionen :
Die Zurückhringung des entflohenen JVIega-
■pentes. Ein früherer Moment aus der Lu-
zianischen Erzälung die Uhej-faJirt , ali Go
genstüch zu dem bereits erwähnten Bikle
dieses Namens ; acquarellirte Zeichnung.
Bacchus der den Amor - aus seiner Schale
tränkt ; Carton mit Figuren in Lebens-
grosse nach einer früher entworfenen Idee,
. den der Künstler nachher gleichfalls für
- den Dänischen Baron von Knuth in Ölfar-
ben ausführte.
Her Kam-pf Jupiters mit den Titanen; acqua-
rellirte Zeichnung, die ein Hr. Hess aus
Zürch von dem Künstler häuft«.
Das Orakel des Amfiaraos ^ tlieils nach Fi-
lostrat , tlieils nach des Riiiistleis eigener
Idee ; Zeiclinung in schwarzer und wel-
fser Kreide.
Die Lapithen oder das Gastmal , nach einem
Luzianischen Aufsatze gleiches Namens;
acquarelli] te Zeichnung.
Helena , Priam und die AUesten auf dem
Skiiischen T or. , nach Homer; acquarel-
lirte Zeichnung.
und im Jahre 1796 :
Fingais Kampf mit dem Geiste von Jiodai
Acquarelgemälde nacli Ossian, das der
Künstler späterhin für die hunstliebende
Dichterin Friederike Brun aus Kopenhaf^cn
in Ölfarben ausführte. Das Acquarelge-
mälde kaufte nach des Künstlers Tode der
Dohtor Ekmann aus Gothenburg.
Persei:* und Andromeda unter den Aetiopen,
nach Filostrat ; Umris.
Dante'' s Hölle ^ Scene aus dem fünften Gesän-
ge derselben, wo dei- Dichter die beiden
Liebenden Francesca und Paolo zu sick
lieranwinhi ; Umris.
- Homer singt seine Lieder vor einer Volksver-
saminlung ah; Zeiclinung in Rütliel , für
einen Engländer Namens Hillcry.
Odlpus in Colon mit seinen beiden Töclitern
im Hain der Eiimenide-n, von Theseus be-
^vill^omnlt, nach So-phokles; Zeichnung
iu schwarzer Kreide.
Die HexcnluLclie nach GötJie's Faust ; Umris.
Jasons jiiikunjt in Jcikos , nach Pindar :
Umris.
Dies ^var das lezte gesiuide Jahr des Künst-
lers , \Y9 er, ohne bedeutende Siöriuigen von
seinem schwächlichen Gesundheitszustände zu
erleiden, seine Kunst mit gt-wohntem Eifer
üben honte; ja er fühlte sich noch starh ge-
nug einige kleine Lusti^eisen zu Fus in die um-
liegenden Gegenden nacli Fraskatii Alhano
und Tivoli zu machen , auf welchen der Ver-
fasser ihn gewohnlich begleitete, und wo der
Künstlt?j' seinen GcibL dmch den Genus der
schonen Natur in den imermesiichen -Aussich-
ten des Albanerberges und .den Zaubergi-otien.
des Anio , so wie seinen Körper durch die bal-
samischen Weine von Alhano, JVIarino und
Monte Ciuve crquichic. Gern machte er
einen solchen AusPaig nach der YollenJunq
einer Arbeit, tUe ihn eine Zeitlang ernstlich
und anhakcaJ beschäftigt hatte, und wo et
dann einiger Mufse und Zersn-eunng bednrrte,
lim die Werlvstatt seines Geistes wieder auszn-
Ififten tmd einem neuen Bilde Plaz zu machen.
Aber auch in solclicn Zwischenzeiten war er
nie müfsig; denn nicht lluhe, nur Abwechse-
lung der Beschäftigung fodcrt der abgespannte
Geist. Er gJng dann .umher; sah lumstw^er-
he ; beobaclitete und studiite die N;".tur ini Le-
ben mit hüu stierisch cm Bliche ; las ; fasste
neue Ideen, oder bildete bereits gefasste wei-
ter aus, brachte andere zur völligen Fteife , so
dass er sie nur aufs Papier T/ericn durfte. So
schuf er dann seine besten und reichsicn Kom-
posizionen dem Scheine nach auf den ersten
Wurf; aber sie v\ aren darum nichts weniger
als Erzeugnisse des Augenblichs. Er trug man-
che deiselben INIonate, sogar Jahre lang in
sich; tiberdachte, ei-wog, ordnete daran ; lies
sie so wieder über andern Beschäftigungen ei-
ne Zeitlang itrhen ; rief sie dann anfs neue
jicrvor, durciiuachte, veihcsscrte, bestimmte
Charaktere, Aitsdruck, Farben etc., bis er sie
in allsn Theilen zur gehörigen Klarheit und
P>.eifeaussrebildet hatte., und das Ganze endlich
rji4 . '
$0 bestimmt und deutlicli vor seinem inneren
Bliclie da stand, dass er es, %vie der Dicliter
8^in im Hopfe fertig gediciitetes Weik, aufs
Papier hinwerfen lionte, ohne etwas am We-
sentlichen nachzuändein. Und da er sich durch
lange und vielfältige IJbung auch die dazu
jiöthige Fertigheit und Sicherheit im Aufzeich-
jien erworben hatte, so fühlte er die meisten
seiner Komposizionen hernach über dem er-
sten Entwürfe aus. Was er nicht auf solche
Weise vorher im Kopfe völlig ausgeaibeiiet
hatte, gelang ihm selten zu Dank; ja einige-
mal veileidete er sich eine Idee blos daduich,
dass er sie früher entwerfen wolte , als sie
ihm zui- Tülligen Klarheit gediehen war Die-
ses zu grofser Fertigkeit ausgebildete Vermö-
gen, seine Eihndungen ganz in der Einbil-
dungskraft zu vollenden, gab seinen Komposi-
tionen den Charakter achtei-, aus ihrem Keim
organisch entwickelter Kunstschöpfungen ; es
gab ihnen jene Klajhcit des Ausdi ucks , jene
Einheit der Daistellung , die sich durch keine
Jiomponii'methode eikünsteln lässt, und sich
bis auf jede einzelne Gestalt erstreckte ; so dass
es schwer sein möchte, in der i\Ienge seiner
Komposizionen eine .charakteilose , oder mit
sicii selbst nicht einige Figur zu finden.
«i5
Man sieht liicrans , dass Carstens nichts
•weniger als ein Improvisatore oder Skiz-
zist in seiner Kunst war, \vie es deren so
manche giebt, deren brausende Fantasie nur
im Taumel der Begeisterung schaffen, aber
nichts Gereiftes vollenden kann ; oder die das
Komponiren und Figurenzeichnen zu einem
solchen Giade mechanischer Fertigkeit ge-
bracht haben, dass sie von jedem aufgegebe-
nen Gegenstande aus dem Stegi^eife ein Bild zu
cnfvverfen vermögen. Allerdings ein be\vun-
dernsw^ürdiges Talent, das nicht blos cen Un-
erfahrnen blendet, sondern auch dem Henner
Beifall entlockt; das aber nacli dem Mafsstabe
ächten Kunstverdienstes gewürdigt, nur einer
geringen Schätzung werth ist. Denn solche
Stegereifsarbeiten, selbst die besten, sind und
können der Natur der Sache gern äs nicht mehr
sein, als glücklicli verbundene Pvcminiscen-
zen einer sclinell reproduzirendeii Einbiluungs-
kraft, mit freier, technisch geübter Hand ent-
worfen, wie die Blätter des berülmiten La
Tage, des Florentiners Sabatßlli , und des
Engländers Flaxman; \Yunder des Augenblicks,
die zwar ihre Urheber berühm^t gemaclit Ha-
ben, aber bei nälterer Prüfuns: mit kunstver-
«tindigeiu Sinne nach Zwecken der Kunst,
öi6 ,
wesenlosen Träumen gleich in Nichts ver-
dunsten.
Unserm Künstler war es unmöglich ein
leeres Maschinenwerh \on Menschenfiguren
ohne Sinn und Bedeutung aufzuzeichnen; und
er hatte einen entschiedenen Widerwillen ge-
gen Werhe solcher Art, soviel Kunst, Ge-
schiklichheit und Fleis daran auch verschwen-
det sein mochte. Er schäzre darum auch jenes
Improvisorentalent, das manchen Künstlern
ohne Erfindungsgabe so bewunderns - und be-
neidens würdig vorkomt, gar nicht ; vielmehr
hielt er dafür, es sei mit Gründlichheit, Tie-
fe und Bedeutsamheit unverträglich.
Wenn Carstens desungeachtet, in der frü-
heren Periode seinei- Seibstbildung die Blätter
des La Tage sehr hoch sc'«.äzte und fleis.igstu-
dirte , so geschah dies, \veil die vorzügliche-
ren derselben -wirldich mit maleiischcm Sinne
entworfen sind , und -weil bei vielem wilden
Feuer de/ Fantasie zucleich eine gründlichere ,
Kentnis des* niensclilichcn Körpeis aus ihnen
hervorblicht. Er honte also damals noch vie-
le5 aus ihnen lejnen.
Die Entwfirfe unseres Künstlejs unt-er-
scheiden sich von den Entwürfen geistvoller
217
sowohl als Llos mechaniscliersldzzirten, auch
dadurcli, dass in ihnen, so wie in den Ent-
'würfen der älteren Künstler , dio gewöhnlich
auch mit der Absicht, sie auszuführen , erfun-
den sind, nichts blos mechanisch hingeschrie-
ben, sondern jode Liiüe darin von des Künst-
lers Gefühl und von der lebendigen Vorstel-
lung des Gegeustandes beseelt ist; und dass
sie, bei gänzliclicm Mangel an jener mechani*
sehen Schreibehunst den Geist wirldich habeua
den dic-rC curcli eine freie und sichere Hanti
blos affehdrt.
Die Arbeiten des Künstlers im folgenden
Jahre 1797 wai cn :
Eteokle^y der in den Kajn-nf eilt 3 nach des
AschrJus Sieben vor Theben; Acquarel-
gem.^:de.
Die Fuizaiy ver-inderte Wiecerhohmg der
schon flüher einmal ausgeführten Ideedcr-
selber in Acquarel; wurde nach des Künst-
lers Tode von dem D. Ilkruann aus Go-
thenburg gekauft.
Scene aus dem Trauerspiel in Yorkshire von
Shahspeare; ümris.
218
OedijJus entdekt, dass er mit seiner Mut'
ter in frevelhafter Ehe lebt , nach dem So-
phokles; Zeicliiuuig in schwarzer und
\veirser Kreide.
7 ier und zwanzig Darstellungen aus der Ge-
schichte de: Argonautenzuges nach Pindar,
Orfeus und Afollonlus -von Rhodus ; in
Umrissen entwerfen.
Diese Umrisse , die nach des Künstlers To-
de von dem Tiroler Koch in Rom , ob^voh^
nicht glücklich , in Kupfer geäzt worden sind,
waren eigentlich , so wie alle übrigen von dem
Künstler in Umris hiuterlassenen Erfindungen,
nicht bestirnt in dieser Gestalt zu bleiben.
Carstens war Vyälieus , sie, mit Andeutung der
Licht- und Schattenmassen, selbst in Kupfer
zu ätzen, und als eine Folge liistoiischer Skiz-
zen herauszugeben. So würden diese vier und
zwanzig Darstellungen einen zusammenhan-
genden Bilderkreis der Argonautik ausgemacht
Jiaben. Aber der Tod verhinderte ihn an der
Ausführung. Man hat daljer sehr Unrecht ge-
ihan, diese unvollendet gebliebene Carstensche
Argonautik mit den Umrissen Flaxuians und
anderer, die weclei- maleiisch erfunden, noch
zur malerischen Ausführung tauglich, sondern
£19
blos ?.ls Spiele einer bilJleinden F;nitasie zube-
tracliten sind, in Vergleicliuiig zu steilen, mit
denen sie nichts weiter gemein liaben, alsdass
sie Umrisse sind. Der Künstler hat jeden die-
ser Umrisse als. ein zur Ausiühiimg bestirntes
Eild gedacht und als mnleriiche Komposizion
angeordnet, welches auch ein Kunstverständi-
ges Ai:ge auf 3.en ersten FjUck daran bemerkt,
lind welclies auch die Ursache ist, dass man-
che derselben sich in dem blofsen Umiisse
nicht gut ausnehmen, weil darin die maleri-
sche Komposizion sich niclit mit gehüri£;er
Deutlichkett auseinancersezt.
Der Inhalt dieser vier und zw^anzig Dar*
Stellungen ist folgender ;
i) Jason heiirt als zwanzigjähriger Held von
dem Gebirge Pelioii , wo der Kentaur
Chiron ihn erzogen hatte, nach Jolkos zu-
TiicK, um sich des vom Pc-Zm^^ ihm ent-
xissenen Trones wieder zu bemächtigen.
Er erscheint in göttergleicher Gestalt und
Schönheit in Jolkos, w^o er dem Peliasanl
dem Maihtjlaze begegnet, der ilm an dem
unbeschuheten Fufse und an den zwei
Speren erkennt , die Jß.^n?? trug." Das Volk
ist verwunuert und Pelias bestürzt über
seine Ankunft. Der Stof zu dieser Dar-
stellung ist aus Plndars znerter pythischer
Ode genommen.
2) Jason tiitt in die Hohle aes Orjeus , um
iliin zur -MitiaiLli nach liclchis einzu-
laden.
3) Beide Kommen bei diCn anderen Helden
auj v/clche bereits am Ufer des Anaurus
versammelt sind , und werden von ihnen
froh begrufst.
4) Die Helden ziehen die fertig gezimmer-
te yirgo ins Me^r. Tiphys , der Steuer-
mann, leitet die Arbeit, und O'-fcus er-
muntert die Arbeitenden durch Spiel und
Gesang»
5) Jason opfert vor der Abfarth dem Nep-
tun und den. anderen Meergüttern. Her-
kules und Ancaeiis todten die Opfesstiei^e,
und Idnion vei-Kündet den Helden eine
glül'diche Farth.
6. Besuch der Argonauten beim Kentauien,
Chiro7i , der den jungen ^ic/i/// erzog. Chi-
ron und Orjeus ^vetteifern in Gesungen.
Ein Hirsch tritt in die Hohle und horcht
2,2, 1
den Tonen tlo3 Oifeus. Clnron dariiber
verwundert , erkennt ilnn den Preis zu.
7. AbscLied der Helden von den Lemnierin-
nen, bei denen sie eine Zeitlang gelebt
und sicli gütlich getlian hatten.
3. Die Helden landen an der Insel CycikuS
bei den Doloven. Ihr Konig empfangt si«
gastfreundlich, bcwirthet sie und n-iach
ihnen Geschenke.
9) Kampf der Argonauten mit den riesenhaf-
ten Bewouern des B.irengebiiges.
10) Jason opfert der Rltea auf dem Berge
Dindymus , \un sie wegen des Todeö des
unvorsezliclver Weise getödteten Künigä
Cycihus zu versölmen. Die übrigen Hel-
den tanzen den der Fuiea geheiligten Waf-
fentanz tiach der Leier des Orjeus.
li) Hylas , der ausgegangen w.ir , \\m Was-
ser zu schöpfen , wird von der Nimfe £/t-
flate , die sich in ihn verliebt, in die Flu-
ten ihrer Quelle hinabs^ezogen.
x2) Die Argonauten bei den B> bryciern.
Toilux und ihr König Amyliiis niesieusich
im laustkanipf mit Schlagrienien. Vollux
erlegt den Ainyxus.
15) Kaiais und Zetes , die Sölme des Boreas,
verjagen die Harpyen von dem Tisclie des
blinden Königs Lineas.
14) Die Argonauten laufen in den Fasis ein,
und e]blicken in der Ferne die Burg des
Aetes. Jctes mit seinen beiden Töcliteru
Calciopea und Wl^dea konit ihnen zürnend
auf seinem glänzenden Sonnenwagen ent-
15) Medra, Priesterin der Hekate , verliebt
sicli in Jason. Beide kommen Naclits im
Tempel der Hekate zusammen. Sie ent-
deckt ihm ihre Liebe und giebt ihm ein
Gefäs mit Salbe nebst andein Zaubermit-
teln zur glücklichen Ausführung seines
Unternehmens. >
16) Jason pflügt das Feld mit den feuer-
schnaubenden Drachen zum Erstaunen des
Königs.
17) Er biingt das glnklich eroberte goldene
Vlies zu seinen Gefährten zurück. JVIedea
Orjeus , die Dioskuren und JVIopsus he glei-
ten ihn.
lg) Jttes schikt der mit dem Jaso7i entflohe-
nen Meäea seinen Sohn Jhsyrtus mit ei-
225
ner Flotte nach. Er holt sie an der Mün-
dung des Ister ein. ßledea giebt ilirem
Bruder im Tempel der Diana eine nacht-
liclie Zusammenkunft, wo Jason ihn
tüdtet. JMedea leuclitet zum Mcu de ilues
Bruders , »Verhüllt aber ilir Antlitz , um
ihn nicht zu sehen.
19) Die Argonauten landen im Hafen von
yiäa , dem \Yohncrteder C/'/ce, der Schwe-
ster des Actes. Jason und IVlLÄea nähern
sich der Circe , und bitten um Aufnahme.
Circe aber weist sie erzürnt über den Mord
des Ahsyrtus von ihrer Insel foit. Me-
dea , um nicht erkant zu sein, hat ihr Ge-
sicht verhüllet.
20) Die Argonauten fahren durch die Meer-
enge von Sicilien , wo Scylla und C/za-
rihdis sie zu verschlingen djohen. Aber
Thetis i die Gattin des Peleus mit ihren
Nimfen besänftigt die Wellen und führt
sie glühlich hixidurch. Juno und JMinei'
va auf einer Wolke und Vulkan auf
einem nahen Berge sehen der kühnen
Fartli zu.
21) Sie landen an der Insel der Fiiaken , \a"0
sie bereits die Flotte der Kolchier finden.
224
die ihnen nacligesandt war. Der König
Alkinous entsclieidet auf Anrathcn seiner
Gemalin , dass Jlledea mit Jason ziehen
soll, wenn ihre Verbindung isereits vol-
zogen sei. Medea wiift sich fjeudig dem
Jason in die Arn^.e; und der Hauptmann
der Rolcliier, der wegen des schlecliten
Erfolgs seiner Sendung niciit wieder zu-
xückzulieliren "sragt , bleibt mit seinen
Scliiflen und Leuten bei den Faaken,
22) Die Argonauten v/crden in den See Tri-
tonls versclilagen , aus dem sie Leinen
Ausweg linden Können. Sie stellen dLen
grofscn Dreifuß des Jpollo ans Ufer, um
die Gottlieiten des Sees zu vej-sulinen.
Triton^ der Gott des Sees, erhebt sich aus
den Vv''ellen und giebt dem Eufem eine
Erdsclioiie mit der Weissagung, dass sei-
ne Nachkommen in Libyen herschen sol-
len , und zeigt ilinen die Ausfai th aus
dem See.
S5) Der^ Pviese Talus auf der Insel Kreta,
widersezt sicli ilirer Landung, und wirft
Felsenstiicke aul die Argo herab. JMedea
be-wirkt durcli ihren Zauber , dass er sich
mit dem Fus an einen Stein stöst, und
sich
225
öich ^ie Adev am Knöcliel verwundet, aus
der er sich verblutet und stirbt. Die
Helden Linden auf Kreta und entsündigen
sieb wTEgen des ermordet^en Ahsyrtus.
a4) Sie gelangen nun glüklick w^ieder uacli
Jolkos , und Jason , von seinen Geführten,
begleitet, überreicht dem Pelias das gol-
dene Vlies.
Wärend so Carstens 3 ganz mit s einet
Kunst beschäftigt, und vonden vorzügliclistea
Künstlern und Rennern geschäzt , mit jeder-
mann in Frieden zu leben glaubte, zog auf
einmal der Maler JMülter , der sich bis dahin,
im Umgänge immer freundschaftlich gegeii
ihn erwiesen hatte, durch einen weiten Um*
weg, von Deutschland aus, feindselig gegea
ilin zu Felde. Es erschien, im dritten Jahr-
gange der Hören für 1797 , ein Schreihen Mal''
ierSi das, der Überschrift zufolge, gegen deii
Verfasser der oben erwähnten K"acliriclit von
der Ausstellung der Carstenschen Kunstwerke
im Deutschen JMerkur, gerichtet, eigentlicli
aber und hauptsächlich auf den Künstler ge-
münzt war, und diesen durch Herabwürdi-
gung seiner Werhe und Vernichtung seines
Künstlernamens vor dem Publihuni aufs ein«
^5
pfindKcliste liiänken solte; der Verfasser jener
Nachricht solte , zur wohlverdienten Strafe,
blos in ein lächerliches Licht gestellt werden,
dass er die, nach 7H«Z/er^ Versicherung armse-
ligen, schlechten, nur Spott und Verachtung,
höchstens Mitleid verdienenden , Arbeiten sei-
nes Freundes so lobpreisend angezeigt hatte.
Man muste es , ohne von den Umständen
näher unterrichtet zu sein , sonderbar finden,
dass gegen jene, bereits vor zwei Jahren er-
schienene Anzeige im Merhur erst jezt, oder
Tielmehr jezt noch, wo das Publikum dieselbe
•über tausend andere Lesereien des Tages längst
rergessen hatte , ein so heftiger Gegner auf-
stand; dass ein Künstler in Rom mit ei-
nem andern Künstler daselbst, über dessen
dort vorhandene Arbeiten , in Deutschland ei-
nen Streit ausfechten wolte , der nur in Rom
geführt und nur dort entschieden werden hon-
te. Aber Neid und gereizter Eigendünkel ver-
leiten oft zu Ungereimtheiten , die jedem auf-
fallen , nur dem nicht , der sie begeht.
Die Sache ging folgendergestalt zu t Zwei
deutsche Künstler, die ihr Ansehen unter ih-
ren Landsleuten hauptsächlich auf ihren länge-
xen Aufenthalt in Rom , auf ihre Fertigkeit ei-
nen Akt zu zeichnen» und auf das grofse Wort,
227
clas sie, als würdige Repräsentanten desZunfr-
geistes in der deutsclien Landsmannschaft ge-
wöhnlich führten , zu gründen suchten , wa-
ren immer erklärte Gegner von Carstens ^ -weil
er ihre Ansprüche , ihr Modelzeichnen , iliren
Zunftgeist und ihr grofses Wort nicht aner-
kennen wolte. Diese wackeren Zunftgenossen
hatten einmal, im Gespräch mit Müller, jener
Anzeige der Cai-stenschen Ausstellung im Mer-
kur erwähnt, von der Müller » der mit den
■Tibrigen Deutschen wenig Umgang hatte , und
auch an ihrer Journalgesellschaft nicht Thcil
nahm , bis dahin nichts gehört hatte. Sie er-
regten seine Neugier, dieselbe zu lesen, und
wüsten zugleich seine Eitelkeit, seinen Künst-
Wstolz , der etwas zu früh auf erträumten Lor-
beer^ eingeschlummert war, und seinen un-
friedlichen Satir, der sich gern zuweilen den
Spas machte , seinen Bekanten unversehens ein
Bein zu stellen, dergestalt aufzureizen, dass
er, noch ehe er jene Anzeige gelesen hatte, et-
was gegen dieselbe zu scliieiben beschlos. Der
Verfasser hatte beieits erfahren, was gegen ihn
und Carstens im Werke sei , als er unter einem
Verwände von einen? jener beiden Künstler
um das Stück des Merkur, worin jene Anzei-
ge enthalten ist, ersucht wurde. Et sandte
228
es demselben mit der Antwort, dass llmi die
Absiclit, zu der es' dienen solle, bel-.ant sei»
d:iss er aber darum keinen Anstand nehme, es
mitzutlieilen.
Verschiedene Monate' später erschien danit
im 3ten imd 4tcn Stüche des dritten Jalirgan-
ges der Hören jenes Schreiben des Maler T\IiiU
hr> das, mit mehr Mäfsigung abgefafst, viel-
leicht des Schreibers Absiclit erreicht, un^
dem Künstler in der Meinung des deutscheri
Publikums geschadet hätte; so aber lagen der
böse Wille und der unedle Zweck darin zil
klar anr Tage, dass nicht jeder unbefangene Le-
ser sie sogleich erkant hätte. Dies war auch
die Ursache, dass es auf den darin Angegriffe-
nen selbst nur wenig Eindruck machte, alsa
auch diesen Zvveck, ihn persönlich zu krän-
ken, verfehlte. Carstens beruhigte sich, so-
bald er die Schrift gelesen hatte, durch die
Überzeugung , dass sie zu boshaft und zu hä-
misch sei, um auf verständige Leser einen
Eindruck zu machen, der ihm nachtheilig sein
könte; und so fand auch der Verfasser jede
Vertheidigvmg des Künstlfers, dem er eigent-
lich diese Kränkung zugezogen hatte, nach
icifliclier Überlegung unnütliig. Ja, er hatte
229
in c'rT Talge, nach seiner Rükkelir in Deutsch-
land,'.voliin er den Nachlas des Küijstlers mit sich
brachte 3 die Genugthuung, das Kunstverdienst
feines verewigten Freundes von wahren Ken-
nein aiierhant, die unbilligen Anfechtungen
der ^Iiilbrsch.en Schmähschrift üfFentlich ge-
misbilligt, *) und so des Künstlers Namen und
Andenken von jeder Makel, die d?.s Gift des
Neides darauf gesudelt hatte, völlig gereinigt
zu sehen.
Aber ein furchtbarerer Feind , als Neid und
scliÄdcnfrohe Schmähsucht , denen wahres Ver-
dienst nicht erliegt, jenes Übel, das fortdau-
ernd an seinem Leben nagte, grif ihn iin
Herbste des selbigen Jahres mit verstärkter Ge-
walt an , und warf ihn auf ein lang-wierig€«
Krankenlager, wo er auf^erdem noch an einem
durch Ilämorihoiden entstandenen Fistelscha-
den eine höchst schmerzhafte Operazion erlei-
den muste. Die von dieser Krankheit zurück-
gebliebene Schwäche führte ein schleichendes
Fieber herbei, das ihn den Winter hindurch
nur selten verlies und, mit nächtlichen Seh wei-
^) S, Winkelmann und sein Ji»hrhund«rt . herausgsg.
von Goethe. S, 374.;
sen und einem hartnacKlgen Husten vergesell-
schaftet, dergestalt entkräftete, dass er nur
noch in den "Vormittagsstunden arbeiten kon-
te. Unter diesen ungünstigen Umständen ver-
fertigte er noch gegen Ende desjjahres die oben
bereits angeführte Zeichnung aus dem Ö di-
jjus Tyrannus des Sophokles, die lezte sei-
ner ausgeführten Romposizionen , deren Inhalt
eigentlich weniger zur malerischen Darstel»
lung, als für die Bühne geeignet ist, weil er
im Bilde sich nicht durch sich selbst ver-
ständlich ausdrücken Kann^ Der Künstler er-
lante seinen Fehlgriff sobald er die Zeich-^
jiung geendigt hatte , und er ward ihm Veran-
lassung zu sehr treffenden Bemerkungen über
die Wahl des Gegenstandes, diesen höchst
wichtigen von wenigen Künstlern hinreichend
beachteten und erwogenen Theil ihrer Kunst,
wo auch die Kentnis des Grundsatzes nicht im*
jner vor MisgrifFen sichert, w^enn das Urtheil
des Künstlers durch ein zu lebhaftes Interesse
an der Handlung befangen ist, die, auch wenn
sie ein malerisches Bild giebt, darum noch.
nicht immer zur malerischen Darstellung taugt,
wenn nicht auch dies Bild den ganzen Inhalt
und Sinn der Handlung sichtbar vollständig
ausdrückt. Leider konte er von den Einsich*
^5*
ten, die dieser Fall ihm aufsclilos, keine An-
Wcndiui^r mehr machen.
Carstens hofte seine Genesung von derWie-
deiliehr des Frülilings , und vermöge der bei
ßcliwindsüchtigen so gcv^-öhnlichen Tauschung
um so zuversichtlicher, je sichtbarer die Ent-
kräftung und Abzehrung seines Körpers zu-
nahm. Wirklich hatte er in den ersten Mo-
naten des Jahres 1798 einige leidliche Wochen,
die einen kurzen Anschein möglicher Besse-
rung gaben , und wo er , nach der Lesung dee
ins Deutsche übersezten Hesiodus, den er kurz
zuvor erhalten hatte , auch noch in einer neu»
en Komposizion eine Idee des goldenen Zeit'
alteis 3 oder des durch das Dichterideal ver-
edelten Naturzustandes der Menschen entwarf,
aber nicht mehr Zeit gewan, sie zu endigen j
denn Brustübel, Fieber und Schwäche kehr^
ten aufs neue zurück.
Schon die Wahl eines so heiteren , gefälli-
gen Gegenstandes zu einer Zeit, wo sein Kör-
per vmunterbrochen litt, imd der hereinbre-
chenden Zerstörung zu erliegen anfing, be-
w^ies die noch immer imgeschwächte Kraft
und Heiterkeit seines Geistes ; und das Bild,
das der Künstler in jenen Augenblicken der
Ä55 -
ErleicliteruMg davon entworfen hat, ist ei-
nes der aiimutliigsten , die je des Künstlers
Fantasie beschäftigt haben. Darum ist es
ein "wahrer Verlust, dass es hat unvollendet
bleiben müsfen. Gedanke und Anlage sind so
glücklich , dasr. mit einer in demselben Mafs©
gelungenen Ausführung ein Meisterwerk dar-
aus entstehen konte. Den Gedanken des Kunst*
lers wird die folgende Beschreibung ausführ*
Hcher darlegen.
Die Komposizion des Ganzen gehört zu ei-
ner Gattung, der die Theoretiker nicht sehr ge-
wogen sind, w^eil sie sich, wie alle Übergän-
ge, nicht bequem in eines der gew^öhnlichen
Fachw^erke der Malerei einschieben läfst, viel-
leicht auch weil man w^irklich noch wenig
Vortrefliches in derselben hat , zu der Gattung
nämlich, wo Figuren und Landschaft von
gleichem Interesse, von gleicher Bedeutung
für die Darstellung der Idee, also einander
nicht unter- sondern beigeordnet sind. Aber
das Genie bildet wie die Natur, ohne sich imi
die Abtheilungen und Unterabtheilungen einer
nach Klassen ordnenden Theorie zu kümmern.
Wäre früher ein Künstler aufgestanden , dessen
Genius den Gei^t eines Rafad und Claude in
233
sich vereinte , und hätte in dieser Zwi-chen'>
gattung niehreie vortiefliche Werke geschaf-
fen., so würde auch die Theorie ein eige-
nes Fach dafür angelegt habei^, und nie*
mand würde gegen dieselbe etwas einzuwen-
den haben.
Der Künstler hat '^ich die Scene seiner Un»
SchiiMswek als ein weites reizendes Thal ge-
dacht, das zur Seite von waldigen Hügeln und
Felsenwänden begränzt und von einem Strome
durchflössen ist. Unter den Bäumen» weiche
«Jen Abhang der Hügel bekleiden , ragen G^
wäch-e südlicher HiÄimek -. triebe » Pinien und
Dattelpalmen hervor. Almälich erweitert sicU
das Thal zu einer reichen anmuthigeir Land-
schaft , deren fernen Horizont Meer und Ge«
birge begränzen. Fruchtbare Bäiune durch B.e-»
bengehänge verbunden, wie in üampaniens
glücklichen Gefilden, schmücken die nähe-
iren Gründe und zeigen die üppige Fülle der
Natur*
Zur Linken des F.e-chauers im Vorgrundo
sizt unter einem schattenden Platanus , andern
ein Reb^nstock sich hinauf^ chlingt , und die
iinIiUG^.tL)aren A'.te deiseluen niit schwellei;i<
den Xiaubea schiauckt eine glückliche Fauii*
234
lie der clies Paradies bewohnenden NaturkiH-
der. Ein junger kraftvoller Mann hält ein
Kind, die erste süfse Frucht seiner Liebe,
schaukelnd und dalend auf dem Schofse ; ihm
gegemlber sizt die blühende Gattin desselben,
und hält dem spielenden Kinde, um es ansick
zu locken, eine volle Traube hin. Neben dem
jungen Manne sizt der Vater Ider Familie, ein
«hl würdiger Greis , den Kopf auf die Hand ge«
Stüzt , lind sieht freundlich den Spielen des
kleinen Enkels zu. Ihm zur Seite steht ein
Jüngling im Begiif , eine von dem Baume her-»
abhängende Traube für eine jüngere Schwe-»
ster zu pflücken, die sich an ihn schmiegt*
Hinter der Mutter des Kindes sizt eine andere be-
Teits erwachsene Schwester und blickt nach ei-»
ner andern Gruppe hin, welche die Mitte des
Bildes einnimt. Eine Mutter tränkt hier ihren
neugebornen Säugling an der vollen Brust und
blickt liebend auf ihn nieder; ein älterer Kna-
be, der hinter ihr steht, blickt über ihre
Schulter und tändelt mit dem Kleinen ^ und
ein dritter jüngererliegt neben der Mutter und
liält, gleichfalls nach dem kleinsten blickend,
einen Apfel in der Hand. Ihnen zur Seite liegt
9.ui dem Rasen hingestreckt und schlummernd
der Vatex dieser Meinen Familie. Hinter ili«
S35
nen sieht man einen Knaben, der Beeren von
einem Strauche pflückt. Rechts dem Beschau-
er , auf dem zweiten Grunde befinden sich ei«
nige Figuren in sitzender, liegender und ste-
hender Stellung, theils Früchte essend, tlieils
scherzend. Weiterhin tanzen auf einem Ra'
senplatze sechs Figuren Haud in Hand einen
Reigen, und nicht ^veit von diesen sieht man
in einer hervortretenden Krümmung des Flus-
ses verschiedene badende und schwimmende
Fisruren, nebst andern am Ufer, welche lau-
fen und einander haschen. Alle Figuren sind,
wie im Stande, so auch im Kostüme der Na-
tur, völlig unbekleidet , und auch in der Land-
schaft ist noch kein Werk menschlieher
Kunst sichtbar.
Die Heiterkeit imd Freiheit des Geistes,
^ie Carstens in dieser lezten Darstellmig zeig-
te, und der Tiieb , sich mit seiner Kunst zu
beschäftigen, blie'uen ilim auch da noch, als
er. sich nicht mehr aufser dem Bette erhalten
konte. In liegender Stellang und mit zittern-
den Händen versuchte er noch, zur Verkür-
zung der Zeit , einige Ideen aufzuzeichnen,
bis ihm bald auch dazu die Arme ihre Kraft
▼ersagten. Der Yeiiassei besizt noch die sieben
23Ö
Blätter, die cfer steibende Künstler in dieser
Lage bezeichnet hat; seclis derselben enthalten
Scenen homerischer Schlachten , und das sieben-
te Stellt dar , wie Verres» römischer Praetor
in Sicilien die Bildsäule der Diana von dem
Marktplaz zu S eheste entführen läfst, JEs sind,
ach wache , mit unsicherer Hand zitternd hin-
gezeichnete Entwürfe, in denen man die Ab-
sicht das Künstlers blos ahnden Kann , weil
die Hand sie nicht mehr bestirnt anzudeuten
vermochte. Dies völlig heitere Bewustsein
behielt er bis zu dem lezten Augenbliche, wo
der stete Reiz des Hustens , dem die ohnmäch-
tige Brust nicht mehr entgegen wirhen honte,
ihn in einem Blutsturz erstickte ; und sein Iqz-
tes Gespräcii mit dem Verfasser , der ihn wä-
rend seines lezten Krankenlagers fast nie ver-
lies , etwa eine Stunde vor seinem Tode , be-
traf einen mitologiichen Gegenstand , über den
er z-sveifelhaft war , und aus seinem Hederich
Auskunft zu haben wünschte.
So verglomm endlich auch der lezte
schwache Funken seines edlen aber jam-
mervollen Lebens ; und Carstens starb, völ-
lig entkräftet und fast bis zur Mumie aus-
gedüirt, am 25teii Mai 17981 nachdem ei
nur eben sein vier und vierzig-^tei Jahr rol>
endet liatte.
Die Öfnung seine; Leiclinäme? , die der
Arzt] nacli den römisclien Verordnungen füi
pflichtmäfsig liielt, zeigte, -was olineliin kei-
nes Beweises mehi- bedurfte, den höchsten Grad
dieses Übeb, die gänzliche Zerstörung der
edelsten Eingeweide , undj die fisische Unmög-
lichkeit seines längeren Lebens.
Carstens wurde nicht, wie sonst bei der
Bieerdigung der Protestanten in Rom gevröhn-
lith ist, Abends bei Fackelschein, sondern
früh beim Aufgange der Sonne, von w^enigea
Deutschen, die im Leben seine Freunde gewe-
sen waren , begleitet , an dem gewöhnlichen
Oite, neben der Piramide des Cestius, begia-
ben. Nach Hinabsenkung des Sarges sprach
der Vei-fasser an der oiienen Gruft die nach*
Stehenden Worte :
Landsleute und Freundet
Ich würde das Gefühl der Freundschaft ent-
weihen, wenn ich hier, am Grabe meines
Freundes, seinem Werth eine studirte Lobre-
de halten wolte. Dir alle habt Carstens gekan:,
tind hont ilira das Zeusrnis nicht versa-^en.
238
dass er ein edler Menscli, ein verdienstvoller
Künstler war. Das wird allen, die ihn se-
o
nauer kanten , sein Andenken wertli eilialten.
Ihr wifst > Was er mir war. Ich habe in ihm
meinen treuesten, geliebtesten Freund verlo
ren, \ind werde diesen Verlust, so lange ich
lebe , betrauern. Ein siecher Körper und «in
trübes Scliiksal waren die Gefährten seines Da-
seins von Jugend auf; sie liefsen ihn wenig
Freuden des Lebens geniefsen» und hinderten
ihn, das Ziel zu erreichen, das die Natur
selbst durch ein grofses Talent ihm bestirnt
hatte. Aber sein heiterer, muthiger Geist
war eben so sehr über die Widerwärtigkeiten
des Lebens > als über die Schwächen seines
Körpers erhaben; jene trug er mit männlicliem
Gleichmutli , diese mit Geduld. In der Kunst
fand er den höheren Zweck und Genus seines
Daseins; in ihr fand er reichlichen Ersatz für
alles , was Schiksal und Glük ilim Stiefmütter*
lieh versagten; in ihr vergas er jedes niedere
Bedürfnis; selbst in den schmerzlichen Leiden
seiner lezten Krankheit linderte die Unterhal-
tung mit ihr seine Schmerzen und erheiterte
seinen Geist. Frühe hat der Tod dem Wir-
ket der edlen, nach Vollkommenheit streben-
den Sele, die in dies-^r gebrechlichen Hülle
woTinte , ein Ziel ^esezt. Carstens wusl'-,
dass er tiein hohes Alter eiTeichen würde, utid
mehr als einmal liatte er den Tod in der Nähe
gesehen; aber dieser hatte, auch in den lezten
Augenblicken, nichts Furchtbares für ihn.
Im Bewustsein eines schuldlosen Lebenswan-
del^ sah er ihm mit ruhiger Fassung entgegen,
oline Hofnung und ohne Furcht einer Zukunft,
von der er nie etwas erwartet, die nie auf das
Denken und Handeinseines selbständigen Gei-
stes Einflus gehabt hatte , und die ihn auch in
seiner Todesstunde -weder mit frohen noch
bangen Ahndungen täuschte. Wohl wünschte
er ein längeres Leben auf der freundlichen Er-
de , um wenigstens Ein öffentliches » würdi-
ges Denlunal seiner Kunst zu hinterlassen;
denn auch ihn begeisterte, -wie jeden Edleren,
der Gedanke , im Gedächtnis der Nachwelt zu
leben, und durch Werke [des Geistes unsterb-
lich zu sein. Aber die Parze durchschnitt es
in der hofnungsvoUesten R.eife, und die Yor-
Äbungen seiner Kraft zu grufseren , der L^n-
sterblichkeit würdigen Werken, sind der ein-
zige Nachlas des auf derlMitte seiner Laufbahn
dahin gerafften Künstlers, — Geist und Staub
des Entschlafenen! theurer, geliebter Brnder
und Freund I ich trenne mich auf immer von
tli?\ Du l^elp-st zurücl-iiii d.en Sclioos der ewi-
gen Natur s ^vo}^in ai!cii -wir dereinst, frük-er
oder später, dir fol°;en. Ich ti-enne micli auf
immer von dir., aber deine Freundscliaft , dei-
ne Liebe, dein strebender Geist und dein red*
iiclies Herz werden mir und allen, die dicfe
kanten, unveigeslicli sein.
0
Näcli dem Verluste seines Jabrgeliälts lebtfe
Carstens von seiner Kunst mit einem zwat
Siicht reiclilichen, docii für seine wenigen Be-
(äürfnisiie ebenzureiclienden AuskomTnen. Aber
seiti lezres achtmonatliche» K3-ankenl?:ger er*
schöpfte bald den Meinen Vorraih seines Gel*
des , und brachte ihn in Noth und Schulden-.
Er sandte deshalb noch leinigs Monate vor sei»
iiem En'de drei seiner Arbeiten : -d^en Kamjjf
Fingah mit (lern Lodageistc , die Parze?! und
den JMusentanz , an den Künsthändler Fraueir-
hoh in Nüi^iherg , tun dies^ben zu verhau«
feil. Dieser behielt sogleich das lez'te 5 w^ofür
das Geld erst nach des Künstlers Todeeiutrai;
^ie beiden andern blieben dort zurück, bis
sich vielleicht ein Liebhaber dazu fände. Wä-
re Carstens gesund gewesen ^ so würde auch
<rr.
24-1
er, wie maiiclier andere fremde Ktinstler, der
•w'äreiul der Revoluzion ohne andere Mitlei,
als die seine Kunst ilim darbot, in Rom ans-
liarrete, sicli diircli diese tj'aurige Zeit glük-
licli Iiindiucli ge-vvunden haben. Aber, -wenn
er langer so siechend fortleben mnste , so wa.-
reii Mangel und Elend sein unvermeidliches
Loos. Zu einer Zeit, avo fast jeder in Verle-
geniieit gerieth, und nieiiiand das Ende jenes
Zustandes absehen honte , wo würde deinoth-
leidende Kranke da einen helfenden Freund
gefunden haben? In dieser Hinsicht war es
gewis eine wolilthätige Fügung der Dinge fiir
ihn, dass er schon im Anfange jener Begeben-
heiten starb. —
So endete früher, als der Gang der NaUir
CS fodert, dieser edle Genius, in der vollen
Reife seiner gebildeten Kraft , seine hurze,
aber rühmliche Laufbahn. Wenige wurden
von der Natur durch Anlagen, die einen gio-
fsen Künstler möglich machen, so ausgezeich-
net begünstigt; aber auch gegen wenige hat
sich zu gleicher Zeit das Zeitalter so ungün-
stig, das Glüh so stiefmütterlich, das Geschik
so w^iderwärtig , und die Parze so feindselig
erwiesen, als gegen ilm. Jeden Schritt zuiu
16
Ziele musLe er dem Sclilksale liarixiäclüg ab-
liämpfen , oder diucli. jnüliseliges Ausliariea
abverdienen. Wohin hätte er gelangen kön-
nen, wenn Zeitalter, Glück und Gesundheit
sein Streben beflügelt hätten !
Ein der Kunst günstiges Zeitalter, wo
Kunstsinn und Gcschmak sich gegenseitig be-
leben, hebt oft auch beschränkte Talente zum'
Vortreflichen empor. Ilüheie , urkräftige Ge-
nien bilden blühende Schulen um sich her,
w^ mancher der sonst unbemerkt geblieben
wäre, glänzend seine Bahn durchkieiset, dem
dunkeln Planeten gleich , der Liclit und
Schwungkraft von der Sonne seines Sistems
empfängt. Im Gegen theile wird es auch dem
grösten Talente unmöglich sein, die Hinder-
nisse, die ein ungünstiges Zeiiaiier seinen Be-
strebungen entgegen üLciit, zu riberwindcn,
wenn es nicht durch günstige Umstände be-
sonders unteistüzt ■wüd. D;i nun auch dies
sich nur sehen ereignet, so kann man wohl
annehmen, dass in einem, der Kunst ungün-
stigen Zeitalter, wie z. B. das uasrige ist, ei-
ne Menge glüklicher Talente sich selbst und
der Welt völlig unbekant bknbt, und dahin
«chwiiidet, ohne je ilue BvStimumng geahn*
243
dct zu haben; ja, dass rucli von denen, die
sich ihrer selbst bewust Averden , nur wenige
sich entwickehi, und von diesen wefiigen
nnr höchst selten Eines zu glühlicher Ausbil-
dung gelangt; keines vielleicht das wird, wa$
es in einem bessern Zeitalter, unter gliihliche-
ren Umgebungen geworden wäre. So ent-
scheidend ist der Einilus des Zeitgeistes und
der Umstände auf die Entwichelung des Men-
schen! und doch verni;ig auch wiederum iJire
höchste Begünstigung nichts, wo die Nattir
den Beruf versagt hat.
Wenn nun, unter solchen Umständen, das
Seltenste der Natur, ein achtes Kunstgenie in.
der Welt erscheint, das mit aller Stärke des
Instinkts die einzige Bestimmung seines Da-
seins fühlt, und deiselben vom Glüke unbe-
günsligt entgegen stiebt, so last sich vorher-
sehen, dass es in einer, auf seinen Zweck gar
nicht berechneten Ordnung der Dinge , wie
die unsrige ; bei einem, dem Geiste wahrer
Kunst so widerstrebenden Zeitgeiste, wie der
lierschende, überall Widerstand finden, stets
mit Hindernissen kämpfen, unglüklich sein,
und v\de eine Erscheinung aus einer andern
Welt, seinem Zeitaller ewig ficmd bleiben
werde. Jiiescs war., sein ganzes Leben liin-
tlurcli, lias Loos imsejs Künsiiers , der bei
gleicher CJugescluneidiglieit sich dem gangba-
ren Knnstleisten anzupassen, mit zwei Aka-
demien zerfiel, den unter seinen, grösten-
theils von dem Geiste des Zeitalters befange-
nen , oder von Natur am Geistesauge geblen-
deten Kmistgenossen nur ■wenige verstanden,
lind den der Tod hinw^egris , als er die Stufe
der Ausbildung erstiegen hatte, wo er durch
reifere Aibeiten den Namen eines grofseu
Künstlers veidienen honte. So verkümmert
die Pflanze einer milderen Zone unter einem
rauhen und feindlichen Ilimuielstriche. Wann
sie endlich bei mühsamer Pflege spät und
kümmerlich ihreBlüthen entfaltet,- so ist auch
ihre Kraft erschöpft, und sie welkt hin"", o^n©
ein Samenkorn für künftige Geschlechter an»
zusetzen.
Wir können nicht wisstii , wie oft in der
geheimen Werkstatt der Natur alle die Bedin-
gungen glücklich znsamit'ien ucircn, unter de-
nen es ihrer Bildkrait gelingt, die höchste
Fülle und Harmonie fisischen und geistigen
Lebens zum Kcinie eines neuen Daseins zu ge-
statten , das den Schöpft rgeist einer höheren,
Teredelien Natur in sich tragt. Aber wir dür«
»^0
feil glauben , (Tass ancli ihr dns Vollvomnit^nc
nur selten gelingt. UnentUicli fcltoner aber
noch fügt es sicli, dass zu jeneTi inneren Be-
dingungen mich die äusseren sich , in der Fol-
ge des Lebens, glüklicli beisammen ßnden,
damit es sich frölich gedeihend entwicliele,
und in der vollen Blütlie des Strebens die Her-
lichheit seiner 'Schöpferhjnft unverhümmert
vor Weit und N?.chv/eit entfalte. Darum ist
denn auch ein durch Natur und Bildung glük-
iich in sich vollendeter Kunstgenius eine der
seltensten Erscheinungen, die nur die glüLli-
chen Zeitalter der Kirnst durch ilire Gegen-
^vart crfieuct , und einer wolilthäfigeu Gott-
heit gleich, duich die Herlichheiten ihrer
Kunstschöpfungen, Jahrhunderte lang die Welt
b^eligt.
Bequem last sich nun hier , .im Ende sei-
ner Lauibahn , des Künstlers gesauites Vermö-
gen , das wir in den verschiedenen Zeiträu-
nien seines Lebens sich unter mancherlei Hin-
dernissen entwichein , troz allen WiJerv/artig-
heiten strebend fortwrxjisen , und einer frucht-
reichen E3ntc: vergebens entgegen reifen sahn,
in Einer Übersicht zusammen fassen. Am be-
sten ina^ dies geschehen j w^eun wir eiaixela
2^6
darlegen , was er in jedem Tlieile der Kunst
geleistet hat. Denn dd die Kunst ein zusam-
jnengeseztes , aus inanclierlei wissenscliaftli-
clien und teclmisclien , materiellen und geisti-
gen Elementen organiscli bestehendes Ganzes
ist, das durch jedes Künstlers eigenthüraliclie
Bildkraft auf eine andere Weise gemischt und
gestaltet wird, so last sich ein Kunstvermö-
gen zwar wohl im Ganzen aufs Ungefähr scliä-
tzen , und nach seinen hervorsteclienden Zü-
gen charakterisiren, aber doch eigentlich nur
dann richtig würdigen, v/enn mau es nach
den verschiedenen Theilen der Kunst im Ein-
zelnen prüft. Wer die Kunst nicht als einen
blofsen Mechanismus , sondern als ein orga-
nisches Erzeugnis betrachtet, "^der wiid auch
bei einer solchen Zeigliederung den lebendi-
gen Geist des Ganzen nie aus den Augen ver-
lieren. Und damit uns das hier um so weni-
ger widerfahre, betrachten v^ir zuforderst Jen
Stil seiner Werke, in dem sich, wie in der
risiognomie einer Bildung, Geist und Cha-
yakter des Ganzen ausdrückt.
Stil,
Die Individualität des eigenen Subjekts
»bgereclmet, die kein Künstler in seinen Wer-
247
hen ganz verlängnen Knnn , scheint dns Ei-
genthüniliclie seines Stils, und die wesentli-
clie Verscliiedenlieit desselben von dem Stile
der alten Mr. Icr , nach denen Carstens sich vor-
nehmlich gebildet hat, darin zu liegen, dass
jene , deren Kunst sich , im Dienste der
christlichen, auf den Stamm des Judenthums
gepfiopften Religion, von der untersten Stufe
der Nachahmung almälich durch V\'ahrheit
luid Schonhtiit bis zur idealischen Freiheit aus-
gebildet hatte, fast immer nur biblische und
kirchliche Gegenstände behandelten , deren
jüdischer Grundciiarahter, in ilncn Stil über-
gehend, denselben durchaus bestimmte, so
dass er von dem späteren Einflus der Antike
nur eine geringe Modilikazicn annahm. Sie
traten daher auch aus ihrem Kreise, vrenn sie
Gegenstände des heidnischen Alterthumes dar-
stellen wolten , wie Rafael, als er die Fabel
der Psyche in der Farnes'aia bildete , yvo kei-
ne Darstellung derselben den wahren Charak-
ter der Antike tiägt, so vortreflich sonst in
Anderem Betracht jenes \Yeik ist. Et-\vas bes-
ser behandelte schon Julius Roinanus antike
Stoffe, besonders der üppigen Art; vcr allen
Künstlern jener Zeit aber hatte Polidor , durch
vieles Studium alter Biidw^cTke, den Stil ücr-
£43
selben angenommen; melir jedocli durch gliik-
liclie Naclialimung ihres Gesclimaks, als durch
W«ihre , freie Aneignung ihres Geistes,
Carstens , der seinen Stil ganz auf den der
Antike gegründet, und unter den Einflüssen
der Weilie ]\lichelarigelü''s und Fiafaels weiter
ausgebildet hatte, übte seine Kunst nur an
Gegeiaständen des liciunisclien Alterthumes,
am liebsten der heroisclien Zeit; dahei- aucli
sein Stil Vorzugs v/eise den Charakter dersel-
ben trägt, obwohl in der Romposizion iia-
fael, den er für den grüsten Meister der dra-
matischen Darstellung crkante , fast ausschlie-
fsend sein Vorbild war.
Diese Grundbestr.ndtheile des Stils , die er
duich lar.ges Studium in seine Eigenthünilicli-
. Keit aufgenommen und damit veisclimolzen
hat, findet m.an in allen A^'beiten unseres
Künstlers. Wäre Carstens in den Fall gekom-
men, biblische Gcgenstär.de darstellen zu
jnüssen , so Würde er vvahrscheinlicli zuviel
von dem sich angeeigneten Charakter des gii-
chischen Alterthums hineingebracht haben,
wenn er auch nicht seine Juden ganz in Gri-
clten verwandelt hätte, wie neulicli Benvenw
tl von Arezzo in seinem sonst in vielem Bc-
H9
traclit lobenSM'eitlien Gemitlde der Judich, die
ihrem Volke das Haupt des Holofernes zeigt,
getlian hat, wo Judith gleich einer Juno er-
scheint, eine Menge blonder Jünglinge und
Mädchen giichische Bildung und Tracht zeigeuj
lind blos der Hohepriester diuxh seine behantö
Amtshleidiing an das Judentlium erinnert.
Unser Künstler hat also diirch sein Beis]3iel
nicht nur diejenigen "widerlegt, welche be-
haupten, der Stil der alten Maler des XVIteu
Jahrhunderts schicke sich nicht mehr für die
Kunst unserer Zeiten: eine Sage, die man
sonst wohl iji R-oni von Künstlern zu hürcii
pflegte, welche im Ernste glaubten, der Stil
der Akademie von S. JLuca, oder jen^r de?
neuen französischen Schule, sei unsern Zeiten
angemessener; sein Beispiel kann auch dieje-
nigen eines Besseren belehren, v/elche indem
eben so grofsen Wahn stehen : dass die Ge-
genstände des heidnischen Aitertliumcs , so "vtIg
der Stil der alten Kunst, nicht mein- für die
unsrige taugen , die sich nur an Gegenständen
der christkatolischen Religion zu einer noch
nie erreichten Höhe erheben, und nur durch
diese eines all<remeinen Interesses fähis: sein
ivönne. In derTliat, eine Behauptung , die in
-50
dem Augenblicke um so sonderbarer klingt,
wo man sicli froh fiililt, dass die abgesclimak-
ten, bis zum Ekel wiederliolien Darstellune:en
aus der k-atolisclien Mitologie und, Martii-olo-
gie endlicli einmal aufgebort haben, die bil-
denden Künste zu beschäftigen, und man
kann w^ohl sagen zu misbrauchen, und wo
man eben bemühet ist, dieselben wieder ei-
jier besseren Bestimmung zuzuführen; eine
Behauptung, die sich auf den Wahn grün-
det, dass die bildenden Künste r;ur im JJien-
Ste der Religion gedeihen und blühen kön-
nen, und dass wahres Kunstgefühi nur durch
rnistisclie Pveligionsgefühle zu erwecken sei.
Aber diese frommen Kunstfieunde bedenken
nicht, dass unser Zeitalter (der Deutsche
spricht von dem seinigen) eben so wenig
mehr durch christliche als durch heidnische
Mitologie zu begeistern ist; dass also auch
beide, in Hinsicht auf religiöses Interesse,
der li-unst gleich ferne liegen ; so wie der seit
gestern' Todte , so todt ist Avie der, welcher
vor Jahrliunderten starb. Sie bedenken nicht,
dass Vergangenheit nie wieder Gegenwart wer-
den kann , und dass es eben so unmöglich
sein w^ürde , die Jlunst \vieder zu iiuer ein-
fältigen Kindheit, als unsere Zeit zu dem kin-
25^
disclien Geist und Glauben der Zeiten zurück-
zuführen, der jene entwickelt hat; ^velche»
doch geschelien müste, wenn ihr frommer
Wunsch in Erfüllung gehen soke.
Die freigewordene Kunst, der Stütze aber
auch zugleich des Z\v.uige6 der Fv.eligion ent-
hoben, mus hinfort auf sich selbst rulien, w^ie
sie denn in der Tliat aucli immer auf sich
selbst geruhet, und statt ihr Interesse von der
Religion zu erborgen, A'ielmehr dieser selbst
durch ihren Sinnenzauber ein allgemeineres
Interesse gegeben hat. Wenn die Kunst zu ih-
rer Eut-»vickeUing der Volksreligionen bedurf-
te, so haben dagegen diese der Kirnst ihre fe-
stere Gründung und ihre Verschönerung zu
verdanken. Sie hat der alten die Bilder ihrer
Gottheiten und Heroen, der neuen ihre Plerr-
gütter , Kruziiixe, Madonnen und Heiligen-
bilder geschaffen, damit das Volk glaube und
anbete. Religiöses und Runstgefühl kunneu
auf diese Weise wohl in Eins zusammeufliefsen;
dadurch aber gewinnt weder. das. eine noch das
andere, vielmehr müssen beide in dieser Ver-
mischung noth\vendig ihre Lauterkeit einbüs-
sen. D.iruui ist es auch immer dahin gekom-
men, dass in jeder Volksreli^ioa endlich nur
-j3
noch der Pübel dem Bilderdienste tTeu geblie-
ben ist. Der Vernünfiic;e aber hat in den Göt-
ter- und Heiligenbildern immer nur die schöne
lind erkabene Idee bewundert, das treflichc
ode}' schlechte Kunstwerh gesehen.
Walire, reire Religion ist ft-.r bildend©
Kunst ganz unfruchtbar. Ihr über alle An-
schauung eihabener , nur dem Geiste be\vuster
Gegenstand verschmälit jede bildliche Daistel-
lung. Volksreligionen können also nur indem,
was sie zu Volksreligionen nucht, in der sin-
IJclien Einkleidung des Lbersinlichen , in ikren
Sagen und Fabein, der Kunst einen braucliba-
aen Stoif darbieten, und ihre Entwickelung
und Ausbildung begünstigen. So sind denn
auch v/irklich einige Voiksreligionen alter
und neuer Zeit der Boden, oder, da die Kunst
ihren eigenen Boden hat, eigentlich nur der
Diin^er gewesen, der die zarte Pflanze der
Kunst aus ihrem Keim hervorgetrieben , ge-
nährt und ihre Biüilie entwickelt bat. Das
Samenkoin aber, aus welcliem diese Pil^nze
emporwuciis, ist eigener Natur und edlerer
Abkunft, Es stammt von den edelsten Kräften
der Humanität, ui'id rciit nur da, wo ditse
sich harmoiiiscli entfalten. Der Stoff aliör
Volksreligionen im Gegcntheil erzeugt sich aus
253
sinnliclieii Anlagen clcr Menscliennnttir, Ge-
fühl der Abliänf];iglieit von stärkeren Natur-
mäcliten, Unwissenheit, Furcht und Hofnung
sind seine Elemente, die, wenn sie sicli mit
Religionsidecn gatten , den Aher^lauhen s-ebä-«
rcn, der dann, gleich einer Schmarotzej-pflan-
ze, die sich an alles hängt, woraus sie Nah-
3ung saugen kann, auch an der Kunst empor-
W'uchcrt, den Stamm derselben eine Zeitlang
lustig umgrünt, aber heimlich ilire Lebens-
Kraft austrocknet und verzehrt; wie es der
neueren Kunst im Dienst der Kirclie ergangen
ist. Dass die alte Kunst nicht ein gleiches
Schiksal hatte, komt daher, weil sie selbst
nach ihrem Dedüifuisse die Mitologie der alten
Volksreligion gestaltete, imd auf diese Weise
mitten im Dienste derselben ihre Selbs.tändig-
keit auf eigenem Eoden behauptete. Sie war,
•was die Kunst im Dienste einer Religion seil»
soll, Simbolik des L-bersiniichen duich die
schönsten würdigsten Bilder der Natur. Die
neuere Kunst liin^zecren hat der Volksrelip-ion
•G^Ö
T
blos gedient imd in diesem Dienste ihre Selb-
ständigkeit veiloren. Nun raus sie, von je-
ner absretrennt und sicii selbst wiederirecreben,
erst diese wiedersuchen, und auf ilirem eige-
nen Boden Wurzel fassen.
So soll denn auch der Künstler , wie Car-
stens in wahrer Erhentnis seines Zw^eches wirk-
licli tliat, seine Kunst hinfort nicht in der Re-
ligion , sondein seine Religion , d. i. den Ge-
genstand seiner reinsten Liebe, seines eürig-
sten Stiebens, seiner seligsten Gefühle, in sei-
ner Kunst finden. Seinen Schöpfer mag er als
das höchste , heiligste Wesen im Geiste und
Herzen verehren; aber nur das Schöne und Er-
habene der Natur, das Gi'oPse und VTiirdige
der Menschheit können die leinen Quellen sei-
ner künstlerischen Begeisterung sein; oder er
läuft Gefahr, ein Abgötter zu \^ erden, der vor
Seinem eigenen Machweik niedcrknieL , wie
es manchen katolischen Künstlern wirklich er-
gangen ist. Die Kunst selbst wird ihn dann
Äur Wahl solcher Gegenstände leiten, die ihr
Streben nach dem Ideale plastischer Schönheit
VOizüglich, und auf die mannigfaltigste Wei-
se begünstigen, also vor allen zu den Gegen-
ständen der alten Mitologie , wo Geschichte
und Fabel , Göttliches und Menschliches , Dich-
tung und Plastik, sich wunderbar vereinigen;
die bereits von den Alten der Kunst so glück-
lich zugebildet sind> und an denen ihre Künst-
ler das Ideal der Scluaiheit, das der Kunst al-
ler Zeiten Vorbild imd Leitsiei u sein soUj cnt-.
255
wickelt haben. Hier hat der Kiinstler ein iiu-
eudliches Feld voll des glükliclisteii Stoffes,
"WO sein Streben nach dem Ideale durch nichts
beschränkt wird. Hier hat er übejdies den
grofsen Vonheil neu sein, und eii>en Stil bil-
den zu können, der, wenn er gelän£;e, jed«
Foderung des leinsten Kunstgeschniaks zu be-
friedigen fdhig sein müstc. Dazu sind "vveder
der Geist und Zweck der katolischen Ileligion
■überhaupt, noch die Gegenstände iiirer jü-
dischchristlichen Mitologie und Martirologie
tauglich , was auch hier und dort auftauchende
Schwärmer darüber fantasiien mügen. —
Unser Hünstier vrar auf dem rechten Wege
zu diesem Ziele. Da er die Gabe , den eigen-
thümlichen Harakter der Dinge aufzufassen,
in hohem Grade besas, so hatte er sich aus
den KunstJenkmälern der Alten, mit Beihülfd
des fieissigen Studiums ihrer Scliriftsteller ei-
ne seiner Kunst völlig angemessene Vorstel-
lung vom gricliischeu Alterthume daraus er-
worben, w^elcher gemäs alles, was er bildend
dachte, sicli in seiner plastisch diclitendeti
Fantasie kunstmäfsig'gestaltete. Seine gänzli-
che Unbekantschaft mit den künstlichen, aller
■wahren Kunst widerstrebendtn, Verhältnissen,
:;5ö
Sitten und Manieren der lieutigen Welt hatte
diese reine Ansicht des Alteitliums vojzüglicli
in ihm begünstigt» Der ewige Widerstreit
des Modernen mit dem Antiken , der gewöhn-
lich dadurcii geschlichtet ^vird , dass man je-
nes nach diesem , oder dieses nach jenem mo-
delt und ziistuzt, wodurch denn ein harahter-
loses Gemisch von beiden entsteht, war für
ihn gar nicht da. Das Modernste, Avas je auf
seinen Geist cingewirht hatte,, waren die Wer-
ke ]\'IicheIa7!gelo''s und Fiafaels ; aber auch die-
»e wirlitcu nur nach dem früheren Einfius der
Antiken auf ihn. So bildete er sich endlich
«inen Stil, der ganz dazu geeignet w^ar, eine
Schul-e zu begründen ; wie denn auch sei-
ne Weike selbst schon eine Schule in der
höheren Bedeutinig des W'ortes, d. i. einen
eigenen musterhaften Kreis genialischer Kunst-
gebilde ausmachen, in denen sich, neben den
stufengängigen Fortschritten des Künstlers,
der Geist des Altenhums mit der Darstel-
liingsweise der neueren Kunst vereint, treuer
und reiner spiegelt, als in irgend einer der
bckanten Kunstschulen.
Z e i c h IL n n g.
Seit Carstens sich ganz der Kunst widmete,
liat er nie mehr einen Gegenstand nacligezcich-
257
net. Er stncllrte blos betraclitend , iiKaem er
den Gegenstand seines StuiJinins oft und alsei-
tig aufs genaueste beobachtete ; die Gestalt
nebst dem Karaliteristi sehen desselben seiner
Einbildungskraft einzuprägen, und dann von
dem so Aufgefafsten in eigenen Arbeiten die
Anwendung zu machen suchte.
Dass er in diesem Verfahren nicht blos mit
dem Gedächtnisse die Foruien undUmiisse der
Gegenstände aus^veiicig leinte, sondern sie le-
bendig in seinen Sinn aufnahm und seiner Bild-
!kraft aneignete, bev\"eist die Art der Anwen-
dung; noch mehr aber das eigene innere Le-
ben seiner Bildungen. Auch ham ihm dabei
das plastische Vermögen seiner Einbiidungs-
liraft, das Bild der Gegenstände nicht blos als
einen Schemen auf der Fläche, sondern als
vrirklich rund aufzufassen , sehr zu statten»
Er begrif dadurch um so leichter die Formen
der Gestalt auch innerhalb des Umrisses. In*
dessen hatte doch diese Art zu studiren auf den
Karahter seiner Zeichnung einen sichtbaren
Eiuflus. Er stjebte in den Fonnen nach Be*
stimtheit, in den Verhältnissen nach Grofse,
in den Umrissen nach Schönheit; durchgängig
nach Idealität, Diese Zwecke^ hat er auch im
»7
^58
Ganzen glül^licli etreiclit. BesriiTitlieit, Gfö"
fse, Sclionlieit kommen in seiner Zeichnung
dem Auge überall entgegen; und seine Gestal-
ten sind immer idealischer Natur. Aber der
prüfende Blick des Kunstrichters vermisst in
vielen die durchgängige Korrektheit. In dem
Streben nach grofsen Veihältnissen sind ihm
zuweilen die äufseren Gliedei", besonders die
Füfse, zu kl^^in gerathen; -v\'elclies auch dem
JVIichelangelo nicht selten begegnet ist, der
ihn eigentlich auch zu diesem Fehler verleitet
hat. Den Foimen und Gelenken der Glieder
fehlt zuweilen das gründliche Verständnis,
w^eslialb es auch den Umrissen an durchgangi-
ger Richtigkeit felilt. Seine Gestalten > denen
nie Leben und Ausdruck mangelt, bewegen
sich fast immer natüjlich und gefällig ; und
seltener ist in diesem Punkt die Richtigkeit
verlezt.
Es ist nicht zu zYS-^eifeln, dass ein Künstler
von vorzüglichen Fähigkeiten nicht auch ohne
Nachzeichnen, auf dem Wege blofser Betrach-
tung und fleissiger Uebung in eigenen Erfin-
dungen , endlich dahin gelangen könne , die
jnenschliche Gestalt in jeder Stellung und An-
sicht volkommen richtig zu zeichnen. Um
^59
aber nach der blöfsen Vo) Stellung eine Zeicli-
niing so nuszufüliren , dass sie in allen Theilen
felilerfiei, und wie nacli der Natur ansstudirt
erscheine, ist nothwendig, dsss der Künstler
die Gegenstände, die er darzustellen hat, bis
in ihre kleinsten Theile nicht blos durch das
Ar.ge , sondern auch juit dem Veistande ihre
Konstiuhzion duichaus so gründlich und ge-
nau henne, als ob er selbst sie erdacht und ge-
schaffen habe. So duichaus gründlich, ver-
mittelst seines tiefen anatomischen Studiums,
kante vor allen anderen ^lithelangelo den
menschlichen Körper; und dadurch ist er auch,
in dr. Darstellung desselben, vor allen andern
50 bewundernswürdig und uneireichbar gro=.
Da nun aber C arstens hei weiiem nicht die-
se tiefe und gründliche , sondern nur einö
nothdürftige Keiitnis der Anatomie besas , und
auch in der Persjyektiv , der zweiten Grund-*
kentnis des Malers, ohne %velclie keine strenge
Richtigkeit der Zeichnung möglich ist, prak-
tisch nicht hinlänglich regeliest war, so kon-
te alle Übung und Fertigkeit seiner Einbil-
dungski aft, alle Treue seines Gedächtnisses,
ihn nicht vor manchen Unrichtigkeiten im Ein-
zelnen schützen , so sehr er «uch dagegen a.uf
seiner Hat war. Aberdie^e Mängel, die nicht
soAVohl seiner An zu studiren , als vieljuehr sei-
ner stets beschrankten Lage, die ihn an der
Erwerbung der nöthigen Hülfskentnisse hin-
derte, beizumessen sind, werden durch einen
eigenthümlichen Vorzug, durch die individu-
elle Einheit des Rarahters , durch die Bedeut-
samheit und den lebendigen Ausdruck seine*
Gestalten , die auch den Figuren der korrek-
testen Zeichner so oft fehlen , vergütet. Da-
mit begegnete auch Carstens seinen tadelsüch-
tigen Gegnern, welche behaupteten, er könne
wohl komponiren , aber nicht zeichnen. In-
dem er ihnen zugestand, dass im Einzelnen sei-
ner Arbeiten manche Unrichtigkeit zu tadel*
sein möge, zeigte er ihnen, dass ihre eigene
Zeichnung im Grunde noch viel schlechter seij,
weil daran , aller nach Modellen mühsam aus-
studirten Korrektheit der Theile ungeachtetj
das Ganze nichts tauge.
ff^ahl des Stoffes,
Bei der grofsen Mannigfaltigkeit in der
Wahl der Gegenstände für eine Darstellung
ist es merkwürdig, dass der Künctler nie ei-
nen Stof aus der römisclicn Geschichte behau-
ci6i
delt liat, die jezt fast ausscliliefseud das Feld
der fraiizüsisclien Schule geworden i't. Car^
stens beliandelte jeden für malcii clie Darstel-
lung günstigen Stof, der sein Kunstinteresse in
-V'OTzüglichem Grade erregte; und so finden
wir ihn bald mit einem Stoffe aus der nordi-
schen INlitologie und der Ossianisclien Welt,
bald mit der Idee eines neueren Dichters be-
schäftigt; am liebsten aber behandelte er Ge-
genstände des grichi-clien Alterthums aus der
homerischen Welt, und was der nahe liegt,
lind zu ihnen hehrte er immer wieder zurück,
weil sie die einfache, ruhige Grüfte und die
reine Idealschünheit , nach der er strebte , vor
allen andern begünstigten. Er vermisste diese
Eigenschaft an den Gegenständen der römischen
Geschichte , die zwar dem Maler Gelegenheit
darbieten , Reichthum , Pracht und theatrali-
schen Pomp zu zeigen, ihm aber den höheren
Federungen, die Er zu leisten strebte, im-
günstig imd widerstrebend schienen. Da über-
dies das römische Kostiün die Freiheit des
Künstlers auf mancherlei Art beschränKt, und
ein eigenes Studium fodert, so hielt er es, be-
sonders in seiner La^^e, für zweckwidrig, auf
das Studium - olcher Dinge , welche den höhe-
ren Zweck der Kunst vielmehr beschränken,
ö63
eis befördern , viel Zelt und Miilie zu verwen-
den. Weaii der Künstler hier nicht blo3 in
Bezug auf ich unheilte, «^o würde sich wider
jene Behauptung manchem einwenden lassen;
da in ihrer Art auch die römi-che Geschichte
jintreitig ein fruchtbares und leiches Feld ma-
lerischer Stoffe darbietet. Nur mü^te auch der
Stil solcher Darstellungen seinen eigenen von
jdem Stile der grichi?chen Heroen weit ganz
verschiedenen Karakter haben ; der jedoch so
schwer nicht zu finden sein dürfte , da schon
^afael und Julius Romanus denselben in der
Schlackt Konstantins und einigen andern Wer-
Iven aus den römischen Denkmälern glüklich
in die Malerei übeitiagen haben. Vergleicht
man aber beide Arten de? Stils mit dem Ideale,
so i t nicht zu läugnen , dass iin Algemeinen.
des Künstlers obiges Urtheil über die Gegen-
stande des lömischen Alterthums gegründet,
und seine Bemerkung, dass auch die gricJii-
sehen Krieger als Helden » die römischen Hehlen
aber nur als Krieger gebildet werden können,
sehr richtig ist, und das Verhältnis, worin
beide zum Ideale stehen, treffend bezeichnet.
In der That w^ird auch die durch die alten
Dichter und Rünsr^ei zum, Ideal veredelte He-
roenwelt der Grieben für die bildende Kunst
^65
immer ein günstigeres Feld, und für den Ge-
»cliüiak eine reinere und reichere Quelle der
Scliüukeit sein, als das kriegerische Zeitalter
der Ktiuier, dem, bei allem Heroismus de^
Muthes und der Gesinnung, doch eine gewis-
se durch die Kunst nicht genug veredelte P«.o-
heit anhängt, die mit der Reinlieit des Ideales
nicht -wohl verträglich ist.
Aus derselben Ursache hat unser Künstler
auch keine Gegenstände der biblischen Ge-
schichte behandelt. Zv^-ar liielt er das patriar-
chale Zeitalter der ebräischen Vorwelt für ei-
ne ergiebige Quelle malerischer Bilder; und
durcli Fiajaels trefliche Darstellungen in den
Logen des Vatikan war es ihm noch lieber
geworden; aber dennoch blieb es seinem
duich grichische Kunst und Dichtung gebil-
deten Sinne weniger genügend, als das schü-
nero Alterthum der Grichen. Zu Gegenstän-
den der christlichen Mitologie oder gar der
Legenden und des Marterthums hätte er sich
noch \veniger verstanden. Diese waren ihm,
wie jedem Menschen von unbefangenem Gei-
ste und gesunder Empfindung, ihres unbe-
deutenden , oft albernen , oder häslichen und
«Jißihaften Inhalts wegen zuwider; und aus.
ä54
jtner meinte er, seien die besten Momento
«chon von guten Künstlern so gut, und von
Eclilecliten so oft daigestellt worden, daisman
daran für immer genug habe.
Man hat dem Künstler vorgeworfen , das9
«r zu sehr darauf ausgegangen sei, neue, un«
behaute Gegenstände darzustellen. Wenn die-
ser Vorwurf auch durch die Menge neuer, von
ilim zuerst behandelter Stoffe gegründet schei-
nen möchte, so ist er es doch in der That
nicht. Seine so häufige Wahl neuer, unge-
wöhnlicher Gegenstände hatte einen andern
Grund, und der Verfasser kann hier um so
eher ein Wort 2Hir Berichtigung dieses Mis-
Verstandes sagen, als er des Künstlers Gedan-
iien über diesen Punkt, und die nähere Vei an*
lassung zu mehreren seiner Erfindungen sehr
wohl kennt.
Carstens gehörte freilich nicht zu denen,
welche behaupten , in der Historienmalerei
^omme auf den Inhalt nur w^enig, das Meiste
auf die Ausführung an ; der Künstler thue da-
Iier wohl, sich immer in dem Kreise bekanter,
also auch von Meistern und Stümpern bereits
bis zum Überdrus behandelter Gegenstände
herumzudrehen (wozu freilich die Maler im
IM««ste der Kirclie genÖtliigt sind). Im Ge-
gentlieile hielt er dafür, dass die WaLl des
Iiilialts und die Poesie der Erßndiing die Ilaupt-
saclie ; und , wo sie misiungen oder vernacli-
lässigt ^vorden, ein Kunstwerk auck bei der
besien Ausführung niittelmäfsig sei; und dass
es dem erfindenden Künstler frei stehen luüs-
ee, das Gebiet der Kunst mii: neuen Gegen*
ständen zu bereichern > die der malerischen
Darstellung fähig und würdig sir.-d, ohne
Fcücksi&ht ob die Gegenstände allgemein be-
kant seien , oder nicht. Darum aber glaubte
%r doch keines\veges , dass das Neue , blos als
solches, irgend einen Weith habe; und um
mit Eelesenheit zu prunken, hat er gewis nie
einen unbekanten Stof gewählt. Dass Carstens
so viele neue Gegenstäiide behandelt hat, war
eine natürliche Folge seiner vertrauteren Be-
kantschaft mit den alten Schriftstellern, die
wohl wenige Künstler so atxfmerksam und
wiederholt gele-en haben. Wärend des Lesens
entstanden ihm vmgesucht Bilder die Mengej
unter derren er nur die festhielt, die seinen
Darstellunj^itrieb vorzüglich reizten,, und ihm
zur malerischen Behandlung vorzüglich geeig«
jiet schienen. Dies w^ar besonders der Fall,
■ wana ei einen jiiten odei jieue^n &cluiftstell^
1^66
zum erstenmale las. So z. B. entstand eine
seiner lezteii und schönsten Komposizionen,
die nielirervväliutc Scene aus dem Vten Gesän-
ge der Dantescnen Hölle , durch Schlegels Dar-
stellung dieses Gedichts in den Hören , aus de«
er dasselbe zuerst kennen lernte , da er italie-
nische Dichter in ihrer eigenen Sprache nicht
lesen honte. So fasste er die Idee zn einer
Darstellung der Scene , wo Verres das Bild
der Diana von dem Markte zu Segest entfüh-
ren last , die ihn noch aul seinem Sterbelageif
beschäftigte, aus der in Goldhagens grlchischer
lind römischer Antologie übersezten Steile einer
fiede des Cicero gegen Verres, wo diese Ge-
walthandlung ausführlich erzahlt ist, die er
kuiz vorher zuerst gelesen , und wozu ihm
überdies die neueste Kuustplünderung Pioms
Bilder und Empfindungen ^enug dargeboten
liaLte. Der Verfasser könte die ähnliche Ent-
stehung von mehreren Komposizionen des
Jlünstiers, die er entweder sogleich aufzeich-
nete, oder noch eine Weile in Gedanken trug,
angeben. Überhaupt kam Carstens nicht leicht
in den Fall, einen Gegenstand zu wählen, der
ihn nicht lebhaft interessirt, dessen Bild sich
ihm nicht von selbst dargeboten hatte. Denu
^a er immer nur zunächst für sich arbeitete.
267
so konte er auch in der Wahl der zu bearbei-
tcnJeii StcftG ganz seinem Antriebe folgen ;
lind er wüste diese Freiheit , die grofeen,
vielbeschäftigten Malern selten zu Theil ge-
Avorde«. ist, zu schätzen; doch hätte er für
die Yortheile ihrer Abhängigkeit gern einen
Tlu'il derselben hingegeben. In früheren Zei-
ten, wo ei mehr allegoiisirte, und von der
Grofse des 3IicheIangelo begeistert, diesem
nachzustreben versuchte, mochte er öfter in
dem Falle gewesen sein, nach GegensiänJen
zu suchen, die ihm Veranlassung zu grofsen,
mächtigen Gestalten gaben ; und so erhielten
auch noch später einige seiner vorzüglichsten
Erfindungen dieser Art, die Schö-pjungsp-uj)-pe^
der Lodageist , und die Sacht mit ihren Kin-^
dem, ihr Dasein.
Wenn Carstens ausserdem zu^veilen Ge^»
genstände behandelt hat, die entv^eder seiner
Kunst überhaupt , oder seinem Vermögen
jiicht angemessen %varen, so nius man diese
Ffille als Misgrifte der Beurtheilung betrach-
ten, zu denen irgend ein lebhaftes Interesse
an solphen Gegenständer^ ihn verleitete, und
dergleichen den gröiten Riinstlern, dichten-
den und bildenden, wohl zuweilen begegnen.
268
El wüste besser als viele, was seine Kunst
fodert, und was sein liunstvermügen am be-
sten Leistete ; aber vom W issen zur Ausübvmg
giebt es nianclierlei Irvi^ege, Avelche j^iül'.lich
zu vernieiuen auch das gebildetste Genie niclit
iiiunei kalte iiüiige Besonnenheit genug iiat,
Ausdruck.
Wenn wir in Hinsiclit auf diesen Tlieil
der K-uiibt die grofsen Maier unter den neue-
ren mustern, so finden wir, auTstj hajael,
l^einen der in demselben allumfassend zu nen-
nen wäre, der das \ermogen, für jeden
Jiarakter die ihm entsprecbende Bildung zu er-
finden, in seinem ganzen Umfange besessen
hätte. Ihm allein gelang der Ausdruck jedes
üarakters , jeder Gemüthsbewegung und Lei-
denschaft, durch die ihr entsprechende Fi-^
eiognomie und Gebeide , und selbst in ver-
wandten Karakteren viäederholte er sich nicht;
daher auch in allen Werken Rajaels, ein paar
üöpfe ausgenommen, die er vorseziich wie-
derholt hat, keine Fisiognomie zweimal vor-
liomt. Alle anderen grofsen Maler sind im fl-
sioo^nomisclien Ausdjuck mehr oder weniger
beschränkt, ihnen gelingen nur Karaktere ei-
DLCi gewissen Gattung. Leonardo da Vinci
269
hat zu wenig grofse Wer!ke liinterlassen, um
sein Vermögen für den Austiruck ganz zu ent-
falten. Nach seinem Abendmal zu urtheilen,
^val• es allerdings von grofsem, nacli der Ein-
förmigkeit seiner weibliclien Fisiognomien
aber, nur von beschränktem Umfange. Auch
D ominichino , nach Rafael der gröste Meister
im Ausdruck, noch mehr aber Correggio , Pai'
megi^iano y Guido t Guercino , Alhano , haben,
ihien beschränktgn Kreis, man könte sagen
ihre eigene Familie von Gesichtern, gevv-isse
Lieblingsfisiognomien , Mienen und Stellun-
gen , die sie zu wiederholen nicht müde wer-
den. Rafael gleicht dem grofsen, universel-
len Schauspieler, der sich in jeden Karakter
versetzen kann, dem jede Pcolle gelingt; die
arideren Künstler gleichen guten , aber be-
schränkten Schauspielern, deren Talent nui- in
einem oder w^enigen Fächern, nur in gew^is*
sen Fvollen glänzt.
Sclnverlich lassen sich in diesem Theile
die jedem Talente von der Natur gesezten
Schränken durch Kunst überschreiten ; da der
Ausdruck der Karaktere und Affekte lediglich
vom Gefühle abhängt. Wem das Talent des
Ausdrucks versagt ist, der wird es diuch kein
ö7^
Stieben erlangen, liöclistens wird iLm nur e:--:
Xie Übertreibung davon gelinj^en ; er ist zuf
dramatisclien Malerei nicht berufen. Nur wer
es besizt, findet niclit allein die Fisiognomie
des Karakters, sondern aucli in jedem lalle
das richtige Maaä des Ausdrucks. Darum ist
auch das Vermögen Individualität zu^ erschaf-
fen die eigentliche Grundlage und der sicher-,
ste Priilstein des plastischen Genies , so wie
der fisioguomische Ausdiuck die Grundlage je-
der andern Art des Avisdrucks ist. Er ist das
Bleibende, an welcliem der pathognomische
und mimische Ausdnick vorübergehend er-
scheinen. Wahrer bestimmter Karakteraus-
druck wird daher auch seltener gefunden , als
der wahre Ausdruck bestimmten Leidens und
Handelns , der auch an karakteilosen Gestalten
erscheinen kann , obgleich er dann nur wenig
Theilnahme ciregt. Dieser last sicli der Natur
ableinen ; der Künstler darf ihn nur richtig
auffassen , und treu nachbilden. Jenen mus
seine Einbildungskraft erfinden. Gemüthsbe-
Avegungen von gleicher Art und Handlungen
7,u gleicher Absicht haben aucli eine gleichför-
mige Art ihres Erscheinens. Der Karakter al-
lein ist individuell; ist er das nicht, so ist
rr unbestimmt. Eigenthüralicli und bedeutend
kann also aucK eine Fisiognomie nur dadurch
sein, dass sie einen bestimmten eigentliümli-
clien liaiakter ausdrückt.
Carstens besas das Talent , einem gegebe-
nen Karakter gemäs die demselben entspie-
cliende Fisiognomie in seiner Einbildungskraft
aufsteigen zu lassen , in einem liolien Gjade ;
er v\'dr also auch in der Karakteristik seiner
Kopfe glücklich; und war auch sein Kreis
nicht allumfassend wie Rafaelsr so war er
doch un-.fassender als der Kreis irgend eines
der obengenanten Maler. Fähig alles auszu-
drücken was ihn lebhaft und innig gerührt,
oder durch ein liolies Interesse begeistert hat-
te, zog er, bei seiner vielseitigen Empfäng-
lichkeit , Vieleii mit Glück in seinen Ki eis ;
lind eigentlich lag aufserhalb desselben nur
das , was der natürlichen Stimmung und Em-
pfindungsweise seines Gemütlis als vml.cdeu-
tend oder fremdartig widerstand. Daliin ge-
Lüj te zuförderst alles Affektlrte , Gezierte, Ge-
meine. Frivole, Wollüstige; dann auch das
blos Liebliche, Tändelnde, Empfindsamzärt-
liche, Zieilichschöne. Jenes w^ar der Wahr-
heit und Würde, dieses dem Ernste seiner
Empfindung, so wie alles Moderne seinem
Geschxnack , zuwider.
ä7-
KinJer Vommeti nur selten in seinen Da!.-
Btellniigen voi ; auch kante er die Natur der-
eclben nur aus der zweiten Hand, vornelim-
lieh aus Rafaels drallen , kräftigen Buben und.
' aus Flamingos Rindern. Der kleine Achill in
d«n Argonauten^, so wie Tod und Schlaf in
der Nacht g^ehören «schon ins Knabenalter.
Auch junge weibliche Gestalten hat er nur we-
nige gebildet; doch gelang ihm der Ausdruck
zarter jun^fiäulichei- Unschuld und Schönheit
in den Köpfen dei^elben sehr w^ohl, wie sei-
ne Polyxena in Priam und Achill, die Grazien
im ßlusentanz , einige weibliche Figuren ia
der Schlacht der Kentauren und Lapithen , und
im Eteokles zeigen. Doch gelang-en ihm noch
besser weibliche Gestalten im Karakter ideali-
scher Wesen, die hohe Schönheit, mit Ernst
und Grofse vereint, fodern; wie in der Nacht,
der Nemesis, den Erynnien und Parzen, deren
Individualität er selb t -ei fand , und die ein^m
Maler sanfter Weiblichkeit, einem Guido, Do-
minichino, schw-erlich gelungen \vären. Eine
seiner vorziiglichsten weiblichen Bildungen
ist die traumdeutende Priesterin in dem Orakel
des Amfiaraos. Ohne Ausnahme gehörten dio
Karaktere jedes Alters und jeder Klasse vom
«tärkeren Geschlecht, vorzüglicU aber Helden
und
273
lind Jlts, seinem Kreise an. Aus dem frühe-
sten Jünglingsalter sind sein Ganinied, und
Jiylas in den Argonauten, — aus dem reife-
ren : der rükwärtsblickenae Jüngling im So'
lirates i die Jünglinge im Homer und im Ja-
son , die vorzüglichsten. Mänliclie Gestalten
von der vejscliiedensten Individualität ßnden.
sich vornehmlich in den beiden Barken und
in der Hölle. Wie sich der Künstler homeri-
sche Helden gedacht hat, sieht man in den^;-
sonauten, im Achill und Priam , im Zelte
.Achills, im Kamjjje Jupiters mit den Titanen^
in den beiden Oedipen, im Jason imd Et-sO"
Tdes ; die beiden lezten besonders gehoien so
wie sein Fingal zu dem Gelungensten in die-
ser Gattung. Oedipus in Kolon y Homer, der
sitzende Alte im Yoigmnde und der fönizischg
Jiaujman in demselben Bilde , und Priam zu
den Fiissen Achills, zei^a^en wie er das Alter in
ehrw^ürdigen Greisen , — sein Fta^ in dev Schö-
pfung sgruj)-pe und der JL,odageist , wie er es
in dem erhabenen Karakter übci-menschlicher
Wesen auszudrücken wüste. Dass Carste?2S in
seinen allegorischen Erfindungen den Karakter
der abstrakten Wesen immer symbolisch durch
die Gestalt auszudrücken suchte, und darin
Baeisteiis glükUch war, ist schon an einer an-
»8
S74
dern Stelle beniei\kt worden , und wir dürfen
liier nur an seine Nacht , an die Nejuesis in
derselben, an seine Furien und Parzen, an
die pT'inde in der Dantischen Hölle , an den
JVLorjeus im Orakel des Amßaraos , an die
Schöjyfungsgruppe und den Lodageist erinnern.
Obgleicli der feurigen Fantasie des Künst-
lers heftig bewegte Scenen und Affekte viel-
leicht angemessener waren, so zog doch oft
sein Gefühl die Daistellung luhiger oder ge-
jnäfsigter Momente vor , welches in diesen
«inen innigeren Genus fand , als in heftigen
und stürmischen. An Darstellungen von Blut-
tind Mordscenen , an denen die neue französi-
sche Schule so gern ihr kaltes Feuer Vibt, fand
er am wenigsten Gefallen; an solchen niim-
lich , wo ein Mord als Hauptliandlung aus-
schliefsend das Gefiihl in Anspruch nimt; an
Schlachten hingCj^cn, w^o das Getümmel strei-
tender Kräfte zugleich die Fantasie lebhaft be-
schäftigt, nahm er grofses Gefallen Konstan-
tins Schlacht war immer ein Gegenstand der
Be\vunderung und des Studiums für ihn , so
oft er den Vatikan besuchte. Aus dejnselben
Grunde gefiel ihm unter allen Darstellungen
des Kindermordes auch nui- die Rajaalisahe,
275
Bei dieser Vorliebe für ruhige Sceiien ver-
stand er zugleich die Kunst, sie durch Man-
nigfaltigkeit des Ausdrucks so interessant zu
machen, dass sie den Betrachter oft länger
fesselten, als andere Bilder, die ihr llauptin-
, teresse dem Gegenstande verdanken. In dieser
Hinsicht sind seine Argonauten heim Chiron
und sein Homer merkwürdig. Beide Bilder
habeil gemeinschaftlich, dass eine vcisamnief-
te Menge mit Aufmeiksr.nikeit auf etwas horcht,
das ihre Gemüther angenehm be\vegt. In derai
einen sind es Helden, die dem Gesänge des
Orfeus , in dem andein Hörer gemiscliter Art,
die dem Gesänge Homers horchen. Das Inter-
esse in diesen Darstellungen , wo eigentlich
nicht gehandelt wird, ^vo blos etwas vori^eht,
hat der Künstler zuforderst durch die Men^e
schöner Gestalten und bedeutender Fisio^no-
o
jnien bewirkt, und nächstdem durch den man-
nigfaltigen Ausdruck einer und deiselben Em-
pfindung auf so vielen und so verschiedenen
Gesichtern , der von mancherlei kleinen , aus
den Umständen sich ergebenden , Motiven
unters tüzt \vird.
Zu dieser Gattung ruhiger Darstellungen
gehören auch: die ISacht mit ihren Kindern;
0-6
die Parz&n ; (lr,s Zeit Schills ; die s-cliwebende
Schöffungsgrujype ; der in Scliwerimvtli ver- .
sunliene ^jflx, und das Orakel des Amfiarüos,
Es sind Drirscellungen ohne bestimmten Mo-
ment, und man kann sie als stehende Erschei-
nungen betrachten, die der Künstler vor das
Auge des Betrachtenden rücht; in dem lezteu
machen die Erscheinungen in den Piorten der
Träume gleichsam ein Bild im Bilde aus.
Zu den ruhigeren Scenen mit bestimmieir»
Moment gehören: das Gastmal des Plato ; die
heiden Barken; AcliilL und Triam; Oedip in
Jxolon ; Jasons Ankuvjt In Jolkos; Helena auf
dem Skäisclien Thore; Solüntcs im Korhe und
die Hexenküche aus Laust. Und \velche Ver-
schiedenheit der Beliandlungsweise in so ver-
schiedenen Gegenständen ! Die Luzianische
Laune in den beiden Barken; die heitere Fest-'
lichkeit in dem Gastmale , wo Alzihiades den
Sokrates bekränzt j und der komische Ernst
in dei- Scene aus den M olken , wo Äristofanes
diesem berühmten Weisen eine Apotheose an"
derer Art bereitet; dann wieder die Innigkeic
des Gefühls in dem Jammer der beiden hülflo-
gen Greise des flehenden Priuni tmd des blin-
den, heimatlosen, mit Fluch belasteteai Qc
lUp; dann der Gegensatz dcv Emp&ndnngen
im scll^velbetrof^eneu Telias uikI dem froJx er-
staunenden VolVve bei Jasons plOzliclier Göttcr.-
eysclieinung in Jolkcs mit äclit Pindarisclier
Begeisterung , legen des Künstleis Vennügen,
S-einen Gegenstand in* den bedenrendsten Zü-
gen aufzufassen, und ilim den eigentliümli-
clien Ton abzugewinnen , liiu) eicbend an den
Tag. So viele glüklicli gelungene Erfindun-
gen düifen -vTolil für einige andere minder ge-
lathene Naclisicht fodern. Zu diesen rechnen
wir: den ßlusevtanz; den Kamjjj Achills mit
dem Skamandcr ; Zelt und Fiaum^ und die Sce-
ne' aus dem Oeuijjus Tyraunus.
Geben wir von den rulüg bewegten Sce-
nen stuien\veise zu den stärker bev\-egLen, lie-
Toisclien und patlictiscben fort bis zu denen,
welche" Gesichte einer dichierischen Fantasie
darstellen , also auch einen ?iiinstler fordern,
dessen Einbildiingsloaft dergleiclien dichteri-
sche Stone pi.iitisch zu bearbeiten w^eis , so
werden w^ir erst da den Künstler in seiner ei-
gentlichen Heimat . finden. Mit Gegenständen
dieser Art, die hühne Grosheit, Heldensinu
und Pathos vereixiigen , besclnäftigte sich seine
Taniasie am liebsten, und die Dursteliung der-
S7Ö
selben gelang ihm besonders glüliUcli. Dies
beweisen der Engelsturz; der Titanenkam-pf ;
die Kentauren- und La-pitlienschlacht und das
Lnzinnische Gegenstück derselben das Gast-
vial; Eteokles i der von den Iinien gequälte
Oedijy; das Trauers-piel in Yorkshire ; vor al-
len aber seine Holle nacli Dante, eine der lez-
ten Komposizionen und zugleich die fantasie-
jcichste, kühnste und gereifteste Dichtung
seines Genius, die leider, wie nianclie andere
seiner Erfindungen blos Uniris ^geblieben ist;
clenn er zeiclniete gern jedes Bild, so wie es
in seiner Vorstellung gereift war, sogleich
auf, damit es nicht wieder von anderen Ge»
genständen verdunkelt würde; und so sam-
melte sich eine Menge von Entwüifen, die er
ausgeführt haben würde, wenn er länger ge-
lebt hätte.
In den vier und zwanzig Darstelhmgen
aus der Ar^onautik linden sich Scenen jeder
Jiicr angegebenen Gattung.
I\ o l o r i t.
Wir fassen unter dieser Ueberschrift Ma-
len und Koloriren zusammen , obwohl beide
eigentlich wie Mittel und Zweck verschieden
2-9
sind. IMalen , als ein blo5 tecliiiisclier Thcil
der Kunst, last sich durch Kentnis der Hand-
grilFe , Lbuns^ und I leis erlciiien, und auch
bescliränkte Köpfe ohne wahres Kunsttalent
Können es darin zu giofser GcschikLichkeit
bringen. Kolorireii sezt eine besondere Anla-
ge voraus, die in der Empfindung gegriindeü,
und ein wesentlicher Bestandtheil des Kunst-
talents ist, der den Künstler zum Maler, und
den Maler zum Künstlei- maclit; die Anlage
nämlich: den eigenthümlichen Stojf und die
Farbe der Gegenstände unter den Einflüssen
des Lichts und der Luft mit Eiupfindnng auf-
zufassen, und in der Nachbildung mit harak-
teristischer Wahiheit auszudrücken. Diese
Anlage ist das Talent zum Koloristev , das je-
doch ^veit seltener zu sein scheint, als man
dem Anscheine nach vermuthen solte, da Far-
ben fast auf alle Menschen einen lebhaften
Eindruck machen. Genauer betrachtet findet
man aber auch, dass es nicht sowohl die
Wahrlieit der Faibe , als vielmehr die karakts-
ristische TJahrheit des Stojfes ist, was man
im Kolorit der meisten Maler venuisst; und
besondejs des Stoffes, der unter allen am
schweisteu nachzualimen ist , des Fleisches,
das so wenige Maler mit einer den betastenden
^^0
Blick befriedigenden Tauscl^ung auszudrücken
veiuioclit haben.
Dnss Carstens in diesem Theile der Kunst
»m weitesten zurückgeblieben ist , haben Avir
bereits iu seinem Leben angemerkt. Schon
der Anlage nach gehörte er zu den Künstlern,
die mehr von den Formen als von den Farheiz
der Erscheinungen gerührt w^erden» also auch
dem Zuge dieser Empfänglichkeit folgend, ih"
ae Aufmerksamkeit mehr auf jene als auf diese
richten. Er selbst hatte die Bemerkung an
ßich gemacht, dass er an allem, was ihn in
der Natur anzog, immer nur Form, .Karakter
und Ausdruck sah, und von den Farben und
ilijcu Wiikungen nichts \vahrnahn) , M^enn er
nicht Torsezlich seine Aufmerksamkeit darauf
D-ichtete. Dieser Zug allein kann beweisend
dass Carstens , dei" durch Naturanlage ein Kiinst^
1er war, nur durch Fleis ein Maler geworden
«ein würde. Da nun vorzügliche Talente
auch in solchen Dingen , die aufserhalb ihrer
eigentlichen Bestimmung liegen, durch ernst"
liches Stieben , und durch die tief eindringen-
de Kraft ihres Geistes weiter kommen , als ge-
wöhnliche Köpfe, so ist nicht zu zweifeln,
dfiss Carstens auch im Kolorit dasEj-forderliche,
e8i
•würde _s:elel5tct haben, %venu die Umstand»
Üun vcrgünnt hätten, auf diesen Tlieil de»
Kunst das gehörige Studium zu wenden. Abe«
zu dem, dass er schon in seiner ganzen Kunst-
bildi;ng durch widrige Un-:stände so verspätci
"Wurde, dass er seine Laufb.tim erst in den Jah-
ren beginnen honntc, wo gewöhnlich andere
Künstler bereits ihre Schulübungen vollende«
haben, homnit noch, dass er nur selten Gele-
genheit hatte , die Ölmalerei zu üben , die docla
gerade, ihrer Schwierigheit wegen, unter al-
len Arten zu malen am meisten Übung lodert.
Da er überdies nie die Anleitung eines Meisters
in derselben genossen hatte, so \var er nicht
einmal dahin gelangt, alle zu ihrer Ausübung
nöthigen IlandgrifTe kennen zu lernen, daher
denn auch die wenigen Versuche und Übun-
gen, die er daiin machen honte, nicht den
gewünschten Erfolg hatten. Hätte dessunge-
achtet Cat■st^?ls auch nur in späteren Jahren
mehr Ölgemälde im Grofsen auszuführen Gele-
genheit gehabt, oder hätte er länger gelobt, £ö
Würde er es, aller fiiilieren Versäumnisse un-
geachtet, noch dahin gebracht haben , seinen
Darstellungen, v\'enn auch heine vortrefliche,
doch eine ieidliclie, ihrem ern^ten Ilarakter ge-
nügende Ausführung zu geben. Ev wüi'de
28^
clann auch Mittel gefimclen haben , die Hand-
griffe lind Behandlungsweisen zu erlernen,
^velche zur Hervorbringung gewisser Wirkun-
gen notliwendig sind ; sein geübter Blick und
gereiftes Urtheil hätten den Mangel an Übung
in kürzer Zeit ersezt. Das zeigen schon die
■wenigen Ölgemälde, die der Künstler in R.oni
verfertigt hat, deren jedes neue Fortschritte
zeigte, besonders das lezte, Fingais Kam-pf
Ttiit dem Lodageiste > wo des Heldeu Figur in
der Rüstung, nebst einigen andern Theilen
des Bildes, in Koloiit und Behandlung so
gut gelungen \var, dass auch Kenner und gute
Maler selbst davon bef)iedigt wurden.
Diese unglückliche Beschränkung seines
Strebens , wodurch er in einem so wesentli-
clien Theile der Kunst hinter sich selbst zu*
1 ückzubleiben gezw^ungen w^urde, und anderer-
seits die übermäfsige Wichtigkeit, die der
grofse Haufen der Maler, der die Kunst blos
von ihrer technischen Seite kennt, mit Gering-
schätzung ihrer höheren Theile , aufs blofse
Malen und Pinseln legt, ohne doch einen rich-
tigen Begrif vom Kolorit zu haben, war eine
der gröfsten Unannehmlichkeiten, die seine
frühere "\^ersäuninis ihn empfinden lies. Auch
i83
griffon ihn seine Gegner ani liebsten von die-
ser Seite an. Indessen lies er sich deii Vor-
■wnrf, dass er niclit malen könne, da er von
Leuten kam, die selbst nur geistlose Pinsler
waren, wenig anfechten, und kehrte eben so
wie bei denen, die ihm vorwarfen, er könne
nicht zeichnen, ihre Waffen g^egen sie selbst
zurück. Indein er ihnen willig zugestand,
dass er schlecht male, führte er ihnen zu Ge-
müth, dass sie es, nur in anderer Art, nicht
weniger schlecht machten, als er; imd dass
ihre Maler -und Pinselkunst, auf die sie sich
soviel zu gute thäten , wenig nütze, da ihr
Kolorit nichts tauge ; imd wer diese lezte Be-
hauptung nicht einräumen wolte, den verwies
er auf Tizian.
Da Carstens für blofsen Farbenreiz wenig
Empfänglichkeit hatte, so war ihm auch die
matej-ielle Wahiheit und gesniide Frisclie des
Koloiits die Hauptsache ; wo diese mangelte,
da hatte alle Kunst des Pinsels und der Farben
keinen Werth in seinen Augen. Darum zog
er axich die Malerei al Iresco der Ölmalerei
vor, und behauptete, sie sei dem grofsen Stile
angemessener als diese. Dass er in jener mehr
geleistet haben würde, zeigte sowohl die Ar-
284 . ,
beit im melirerwalinten Dorvilleschen Haus©
in Betlin, als auch die erste Barke nncli Lu-
ziany die er in Leimfarben ausführte, uu,d die
ilim besser gerieth , als alles, was er in Ölfar-
ben gemalt hat, den I'ir.gal ausgenommen.
!Die Tone des Naktcii an der 'Menge unbeklei-
deter Gestallen sind darin mit, mannigfaltiger
Verschiedenheit abgestuft ; dabei w^hr im Ein-
zelnen und von kräftiger Harmonie im Gan-
zen, und die Behandlung ist frei und doch
sorgfaltig. Ein Beweis , dass es dem Künstler
eigentlich nicht an lichtigen Begriffen des Ko-
lovirens , sondern nur an Kentnis und KimsU
der Oinialeiei mangelte.
G e w a n cl.
Ein hunstmiifsig schönes Gewand ist eine
dej; schwersten Aufgaben der Kunst, die nur
wenige Maler glücklich gelöst haben. Die
Idee dazu ist zwar in den alten Bildwerken auf
mannigfaltige Weise zur Jiüclisten Schönheit
ausgebildet; da aber die Malerei ein anderes
Bedürfnis der Bekleidung ihrer Gestalten liat,
als die Plastik, so mus sich auch der Stileines
schönen Gewandes in beiden auf verschiedene
Wci»c ausbilden. Bei den älteren Malern hn-
285
det iiiait scliön seit Glotto eine gute tmd rich-
tige Gjiindlage dazu ; «iber erst JMichelangelo
lind Rafael haben es zu der Grofse und Schön*-
lieit ausgebildet, die der Idealstil d.er M.derai
fodert; besonders hat es durch den Iczten die
Grazie erhalten, die es o;leichsam an dem Le-
ben der Gestalt, an der Anmuth ihrer Bewe-
eunjren Antheil nehmen lassen, und wodurcli
CS fähig vsärd , nicht nur die Schönheiten , die
CS verhüllet, zu ersetzen, sondern aucii durch
eigenthümliche Schönheiten und Reize die Lust
der Betrachtung zu erhöhen. Dieser reine und.
echöne Stil des Ge-wrandes hat sich aber nur in
Rafaels unmittelbarer Schule erhalten. In del*
Schule des Garracci hat es weder der gröste
Meister, noch der gröste Schüler derselben»
weder Aiinihal noch Dominicliino , in solchem
Sinne gebildet; und späterhin scheint die Idee
eines schönen Ge\7andes sich ganz verloren zii
haben.
Carstens hatte über diesen Tlifcil der Kunst
in Deutschland zu keinem bestimmten Bcgrif
gelangen können ; und er selbst fühlte diesen
Mangel mn so lebhafter, je mehr er einsah,
wie unentbehrlich ein sicherer, und reiner Ge-
schmack in Gewändern für den grofsen Stil
der Malerei ist. Alles, was er darin vor sei-
296
nei' Fieise nach Italien vernioclite, hat er in
dem Dort nie sehen Saal in Berlin an den doi t
gebildeten Musen zu leisten gestrebt, wovon
sich noch niehreje Studien unter seinem Nach-
las gefunden haben, die sowohl im Wurfe als
in der Wahl der Falten deutlich genug veira-
.then, dass ihm dabei noch Keine sicher leiten-
de Idee vorgeschwebt hat.
!Diese eiw^arb er erst in E.om durch fleifsi-
^es Betrachten der Werke JMichelangelo^s und
Hafaels. Seine früheren Gewänder haben oft
den Fehler, dass sie auf erhobenen Theilen zu
dicht und glatt anliegen , so dass man sie fast
iiicht auf dem Nahten , das dadurch bedeckt er-
scheinen soll, bemerkt. In diesen Fehler ver-
fallen gewöhnlich die , welche den Gew^andstil
der alten Bildwerke unverändert in die Male-
rei übertiagen wollen. Späteihin erkante und
Veiniied er diesen Fehler, und gab ihnen den
vrahien llar^kter eines malerischen Gew"andes.
Wie sehr Carstens sich endlich dem reinen und
Schönen Gewandstile Rofaels genähert hat,
zeigen Sokrates im Ixorhe , das Orakel des Avi'
fiaraos , das ausgefülute Ölgemälde der Nacht
mit ihren Iiindern , Jason in Jolkos , Eteokles,
4ie lezten Farzen , das Zelt Achills » Priani und
287
Achill und die schönen Gewandstudien zum Ho»
mer f die sich in seinem Nachlasse befinden.
Der Wurf des Gewandes mus in der Anla*
ge schon durch die Idee des Künstlers bestirnt
sein ; aber die Wahrheit und Schönheit det
Brüche und Falten lassen sich nur dem durch
die Absicht und den Geschmack des Künstierä
geleiteten Zuialle absehen; daher auch der
Künstler bei der Auslülirung durchaus seine
Gewänder über dem Gliedermanne werfen mus.
Carstens hatte, nach vielfältigen Versuchen
und fleissiger Übung im Gewandwerfen , end-
lich auch zu diesem Geheimnis den Schlüssel
glüklich gefunden, und verfuhi-, wie bei al-
lem , auch bei seinen Gewandstudien sclir ein-
fach. Sein ganzer Kunstapparat dazu bestand
in einer etw^a drei Palmen hohen , hölzernen
Gliederpuppe , einigen leinenen Hemden für
die untere Bekleidung und einigen gröfserea
Stücken für das Übergewand. Mit diesen ge-
ringen Hülfsmitteln, auf die der geringste
Schüler Davids mit vornehmer Verachtung
lierabgeblickt hätte, warf er alle seine Gewän-
der, und würde auch grofse Bilder damit aus-
geführt haben, wie er an seinem lebensgiofsen,
in Ölfarben gern alten Bacchus gezeigt hat, des-
288
ßen PurpurgeWiind weder im Wurf noch in
den Falten seine geringe Abkunft venietls."
Den liostspilligen Apparat der tranzösisclieu
Schule zum Drappiren , welche sich nicht nur
lebensgrofser , sehr hünstlich gearbeiteter Glie-
derpuppen mitjMashen und Pcirühen, sondern
auch kostbarer Gewänder aller Ait in man-
clierl-ei Stoßen und Farben bedient, die eine
ganze Theatergarderobe ausmachen, derge-
stalt, dass d'cr Aufwand für die blofsen Zu-
yüstungen allein schon die Kosten eines Ge-
jnäldes übersteigt, fand er unnütz, und die
Widitigkeit , die von vielen auf diesen Trödel
gelegt wird, lächerlich.
Auffliegende GeWäudcr, die ganz aus der
Idee gemacht w^erden müssen , richtete Carstens
immer ein besonderes Augenmeik. Die Gele-
genheit, sie zu Studiren, fand er bei windi-
gem Wettei-; und wenn an solchen stürmi-
schen Tagen irgend ein Rirchenfest gefeiert
wurde, so versäumte er nicht leicht dahin zu
gehen, und an der ab - und zustrümenden
Menge das Fliegen, Flattern und Bauschen
der Gewiinder zu beobachten. In seinem IVlu-
sentanze sind die fliegenden Gewänder vorzüg-
lich wohl gerathen; auch in- einigen andern
289
Bildern z. B. in Raum und Zeit, in der Schö-
pfung , im Lodageist, index Ilulle , finden sich
dergleichen mit guten Partien.
jB e i w e r k.
Mit dem Beivrerke aller Art, das in histo-
lischen Bildern vorhomt , >vuste Carstens sich
ziemlich zu behelfen , obgleich er nicht , >vio
manche Künstler zu tlimi pfiegen, ein beson-
deres Studium auf Gefäfse, Geräüiscbaften und
Architektur gewandt hat, da ihm früher di©
Gelegenheit, späterhin aber die Zeit dnzu man-
gelte. Er liebte in den Nebensachen die Spar-
samkeit, imd brachte nichts Überflüssiges au«
blofsem Prunk an; aber -^vas davon erforder-
lich -war, ■v\\lhlte und bildete er, dem IrJialte
gemäs , mit richtigem Urtheile ; auch erforder*
ten die Gegenstände , die ei- gewöhnlich bear-
beitete, keinen gjofsen Aufwand an derglei-
chen Dingen. Nie verfiel er in den bei neue-
xen Künstlern, besonders der französischeix
Schule, die das Tiieatraiische liebt, so gemei-
nen Fehler, aus imverständiger Prachtliebe
Scenen aus den Zeiten des frühen, kunstarmeii
Altei thmns mit einem Grunde von reicher und
prächtiger Architektur, z. B. Scenen aus denj
*9
stga
-Zeitalter des Rcmulus mit Tempeln und Sau»
lehlialien hoiiuthisclier Oidiiung aus dein Zeit-
alter Augusts oder Hadrians zu verziereru
Seine Gebäude waren immer, wie das Zeitalter
seines Gegenstandes sie foderte, und er brauch-
te dazu keiner fremden Beiliülfe , wie viele
Historienmaler, welclie die Architelitur in ih-
ren Gemälden von einem Bauhünstler aufzeich-
nen lassen, der dann gewöhnlich nur darauf
denkt, 5e//i<? Kunst geltend zu machen , ohne
zu fj-agen , ob sie zu der Darstellung passt;
W^ärend der Maler sich freut, sein Gemälde
mit einer so reichen Architektur geschmückt
MX sehen, durch die er bei denen, die nicht
wissen, däss er mit einem fremden Kalbe ge-
billigt hat, einen höheren Begrif von seiner
Gescliicklichkeit zu erregen hofft.
Nur einmal, so viel der Verfasser v^eis^
und zwar in dem Gastmal des Plato , hat Car-
!;tens sich fremder Hülfe bedient. Sein Freund
Oenelli hatte ihm zu dieser Komposizion den
iestlich geschmükten architektonischen Hinter-
j^rund entworfen. In der Folge aber , wo er
selbst die perspektivischen Gründe seiner Bil-
der zu zeichnen wüste , erfand er auch die Ar-
chitektur, die' er dazu bedürfte, immer selb st^
wie in der Helena auf dem Slxähclien Thore,
in Zelte Achills , im Ga^tmal der Filoofen,
in der Hexenküche t im Trauerspiel in York"
^hire, im Homer, Jason, Kteokles und ver-
«cliiedenen Blättern der Argonautik, wo man
überall sieht, dass er nacli der kunstlosesten
Einfachheit strebte, um dadurch in den Dar-
stellungen aus der Argonautenfarth , aus dem
Trojanischett und Thebanischen Kriege den
Karakter des hohen Alterthuins noch deutli-
cher hervorzuheben.
Geistesbild ung,
Carstens war, wie so viele andere Künstler,
ohne alle vorbereitende Geistesbildung zur
Kunst gekommen. Der dürre Schulunterricht
glitt fruchtlos an seinem nur für Bilder em-
pfänglichen Sinne ab; und die Menschen, un-
ter denen er seine Jugend verlebte, niocluea
biedre, redliche Leute sein; aber seinAufseres
muste unter ihnen eben so ungebildet bleiben,
wie sein Geist, imd er trug die Spuren ver-
säumter Jugendbildung zeitlebens an sich. So
jiachtheilig ihm dies fürs Leben war, wo äu-
fsere Bildung so viel entscheidet, so vortheil-
haft war es ihm dagegen für seine Kunst, Die
völlige UiiLel'iantschfift mit dem modernen
Zeitgeiste maclite ilin nur desto fähiger, den
Geist des Alterthums "walir und rein aufzuias»
sen. Das Wenige, was «r Ton der -wirldiclieii
Welt kennen gelernt hatte, die einfaclie Sitte
und der gerade Sinn des Landmanns, stand mic
j^nem in keinem Widerspruche. Er brachte
also sein Talent rein und unbefangen zur Kunst,
und empfing ihre ersten tiefen , unauslosclili-
chen Eindrücke, >velclie die Richtung dessel-
ben für immer bestirnten , von den besten Wer-
ken des Alterthums. Daraus erklärt sich, wie
Carstens, in der Unwissenheit seines Geistes,
gleicli anfangs so glücklich den geraden Weg
zihn Ziele einschlug, dass er auch in der Fol-
ce keinen Schritt wieder zurück thun durfte,
o
Sich selbst überlassen fülilte er mit jedem
Scliritte das Bedürfnis der Belehrung, und
jnuste sie , da er keinen Lehrer hatte , aus
Kunstbüchern schupfen. So fielen ihm zufäl-
lig 1/J^ehhs Untersuchungen in die Hände. Die-
se warfen das erste Samenkorn höherer Bildung
in seinen Geist, und schlössen ilim mit einer
höheren Ansicht der Kunst zugleich die Ge-
schichte derjelben auf, %vo er die gröfsten
Meister der alten und neuen Rimst kennen xmd
bewundern lernte, und an ilinen seinen Kunst*
i95
cntliusia^mus entzündete. Bald foderte auch
der Trieb eigener Erfindung Nahrung und
Stof ; durch ihn ward er zu den Dichtern des
Alterthuins geführt. Den Ovidlernle crzuersC
Jiennen; diesem folgten bald Homer und vSo-
fhokles. Sein Aufenthalt in Kopenhagen gab
ihm Gelegenheit , die Mitologie des Shandina-
vischen Alterthiuns kennen zu lernen ; um die-
selbe Zeit wurden auch Ossian und Shakspea*
re in deutschen Übersetzungen behaut. KIojJ'
Stocks Namen ertönte von allen Zungen ; sein
]\Iessias, seine Oden, seine HermansschlachC
sprühten Funhen der Begeisterung umher.
Unter diesen Einflüssen bildete Carstens, wä-
rend der früheren Periode seines Kunststrebens,
Geist und Fantasie , und übte seine Darstel-
lungshraft an den verschiedenen Karakteren
des nördlichen und südlichen Alterthumes.
Späterhin, wo almälich mehrere deutsche
Übersetzungen von Grichen und Römern er-
schienen, erw^eiterte und verinnigte sich seine
Behantschaft mit ihnen immer mehr , und in
Rom las er nichts anders mehr als seine Über-
setzungen alter Schriftsteller, so dass endlich
seine Vorstellungsart sieh dem Sinne der Alten
immer treuer anschmiegte, und sein Geist fii
ihrer Welt völlig heiiiiicch ward.
294-
Bei dem Reiclithume an malerisclien BH«
dein, die Carstens durch vieles Lesen der al«
ten Dichter und Geschichtschreiber in dieVor-
rathshammer seines Geistes gesammelt hatte,
lam es ihm immer wunderlich vor, wenn er
andere Künstler klagen hörte , dass es ilineii
an Stoff ziun Komponiren gebreche , und wenn
sie danach bei andern herumfi agten. Aber
diese Künstler lasen nichts oder wenn sie auch
lasen, so kamen ihnen doch, aus Mangel an
Darstellungstalent , keine Bilder. Sie kompo-
nirten daher auch nicht aus Drang imd Einge-
bung ihrer Fantasie, sondern nur mechanisch
auf dem Papier; nicht aus Interesse an dem
Gegenstande, sondern nur um ein Bild zuma-
ßen, und daran ihre Malerkunst zu zeigen.
Eine solche Unwissenheit und Geistesleeiheit
mancher Künstler, die auf den Namen Histo-
rienmaler Anspruch machen, könte unglaublich
scheinen; aber sie erklärt sich, wenn man
«ieht, mit wie vernachläfsigter Erziehung und
Geistesbildung, mit was für gemeinen, hand-
werksmäfsigen Begriffen von ihrer Kunst eine
Menge junger Künstler, wovon die wenig-
sten ein entschiedenes Talent besitzen, auf
j^kademien heranwächst, und die Laufbahn
«einer Studien yoUendet, ohne je den Trieb
£95
einer edlen Wisbegierde und das Bedürfnis der
Geistesbildung zu fühlen. Carstens war zu
seiner Zeit der einzige Künstler in Rom, der
eine kleine, aber zweckmäfsigeKiinstlerbiblio-
tliek besas, welche die besten Übersetzungen
der Alten entliielt. Er machte, durch eine li-
berale Mittheilung derselben, in vielen seiner
Landsleute das Bedürfnis des Lesens alter
Schriftsteller rege, und seine Komposizionen
so vieler neuer Gegenstände, besonders aus
Luzian und den alten Tragikern , brachten
dieselbe Wirkung bei mehreren jungen italie-
nischen Künstlern hervor, die meistens eben.
SO unwissend aufwachsen , und ihre Kentnis
malerischer Stoffe aus dem Kreise von Bildern
schon lange gangbarer Gegenstände , oder höch-
stens aus der römischen Gescliichte schöpfen.
Doch hat sich auch in dieser Hinsicht , wie in
der Richtung des Kunstgeschmacks überhaupt,
in dem lezten Jahrzehend unter Deutschen so-
•vv'olil als Italienern manches vortheilhaft geän-
dert. Kunst und Künstler sind in ilirer Aus-
bildung sichtbar fortgeschritten, und die wie-
dererwachte Theilnahme an Darstellungen aus
dem klassischen Alterthume hat beide wiedei"^
auf ihr walirQS Ziel hingewiesen.
£q6
K u n s t s t r e h e n.
Die eigentliümliclie Natur dieses Kimstgei-
stes , den -wir bislier duTch. die verschiedenen
wissenschaftlichen und technischen Theile der
Kunst begleitet haben, zeigt sich auch indem
eigenen, von den gewöhnlichen Lehrwegen
ganz abweichenden Gange , den er zu seiner
Ausbildung gleich anfänglich eingeschlagen,
den er immer beharlich fortgesezt , und auf
dem er endlich in mehreren wesentlichen Tlici-
len der Hunst einen hohen Grad der Volkom-
menheit erreicht hat. In dem Leben eines
Künstlers von so entschiedenen Anlagen, und
so durchaus eigener , troz den ungünstigsten
Umständen glüklich durchgeführter, Selbstbil-
dung ist nichts merkwürdiger, als zu sehen,
wie er ward, was er geworden; und deshalb
ist auch in vorliegender Lebensbeschreibung
dieser Punkt. mit besonderer Aufmerksamkeit
beachtet und nichts übergangen worden , yv^s
auf des Künstlers Bildung Einilus gehabt haben
mag. So bliebe denn nun , irm nichts unberührt
zu lassen , was zur volständigen Ausführung un-
sers Vorhrtbens dienen kann , nur noch übrig,
den vom Künstler in seiner Ausbildung geijom-
menen Weg selbst näher zu prüfen.
C()7
Das Eigene seines Kunststrebens best?.nd
vomeliralicli darin, dass er nicht den ge-wöhn-
lichen Weg der zur eigenen Erfindung alniä-
lich fortschreitenden Nachahmung ging , son-
dern sogleich mit dem Erfinden begann; in-
dem er die Kunstwerl^e, so "wie die Gegen-
stände der Natur, die ihm zu Vorbildern dien-
ten, nie nachbildete, sondern blos, durch un-
abläfsiges aufmerhsames Betrachten, Fonii und,
Karakter derselben mit der Einbildungskraft;
aufzufassen, und das so Gelernte dann in eige-
nen Erfindungen -wieder anzuwenden strebte»
Da er nun bei diesem Verfahren ein so vor-
züglicher Künstler geworden, so dringen sich
die Fragen auf: Ist der von Carstens einge-
schlagene Weg künstlerischer Bildung zweck-
mäfsig an sich, also auch n.ndern zur Nachfol*
ge zu empfehlen? oder war er es ulosfürihn?
und würde er nicht auf dem gewöhnlichen
V/ege der Nachahmung eher und besser zuia
2iele gelangt sein?
Viele haben erkant , dass in der Kunst mn:
Ein Zweck, so wie Ein Stil der wahre sei,
und daraus folgern wollen, dass auch nur ein
Weg zu demselben führe. Aber über den In«
halt des einen, wie über den Gang des au-
298
dem , sind wolil nur wenige einverstanden ge-
wesen ; und wie maiicliejlei Wege nnd Lehr-
arten auch bereits Knnstschulen und Akade-
mien eingeschlagen , oder einzelne Künstler
durch Beispiel und Lehre zur Richtsclmur auf-
gestellt haben, so scheint doch diese Aufgabe
noch von niemand so glüklich und überzeu-
gend gelöst, dass eine zuverläfsige Regel des
Kunststrebens allgemein anerkant und einge»
führt wäre; denn noch bis jezt folgt darin jed©
Akademie, jede Schule und jeder Künstler ei-
genen Vorschriften und R.egeln.
Es ist zu glauben, dass die alten Künstler
auch hierin gründlicher, übereinstimmiger
und mit glüklicliereni Erfolge verfahren sind ;
W^enigstens last die in ihren Werken durch-
gängig herschende Übereinstimmung des Stils
und Geistes , die aucli auf den verschiedenen
Bildungsstufen der Kunst, aller Mannigfaltig-
keit ungeachtet, im Wesentlichen immer die-
selben sind , auf ein durchgängig übereinstim-
mendes Verfahren schliefsen, das ein zusam-
jmenhängendes Lehrgebäude von Grundsätzen
und R.egeln voraussezt ; statt dass in der neu-
ereu Kunst jede Schule ihre eigenen Zwecke,
ihre eigenen R-egeln, und ihre eigene LehrarE
S99
befolgte lind nocli befolgt» Es bedarf -wohl
Keines Erweises, weichen UHclitheiligen Eiix-
flus dieses unbestimmte Schwanken der Kur.st
zwischen so verschiedenen Zwecken , Regeln
lind Lehrarten auf die Bildung des jungen
Künstlers haben» wie sehr es ihm den geraden,
und sichern Fortgang zum Ziöle erschweren
müsse. Aus ihm sind alle Manieren und Aus-
schweifungen dfv neueren Kunst entstanden;
und so ist der vielleicht am glüklichsten, der
sich von allen Einseitigkeiten und Inhüraern
der herkömlichen Verfahrungsarten frei erhält,
und unter der Leitung seines eigenen Genius
einen Weg findet, der seine Eigenthümlichkeit
rettet, und ihn endlich, ^venn auch langsam
und mühevoll, doch sicher ans Ziel führt.
Im Kunststreben überhaupt ist die Yeifah-
rungsart für die zweckmäfsigste zu achteui
durch Avelche der Künstler auf dem geradesten
Wege sich dem Ideale seiner Kunst in allen,
Theilen am meisten nähern kann. Das Ideal
ist in beiden bildenden Künsten wesentlich
dasselbe ; aber in jeder hat es seinen eigenen.
Karakter. (Der Bildner findet das seine in der
Antike ; den Maler weiset Rafael dai auf hin«)
In jeder Kunst mus also das Verfolueu diudi
300 *
den eigenthunüichen Zweck derselben bestirnt
werden. Denn da , bei dem gemeinschaftli-
clien liöheren ZwecL aller (nur durch diesen
Zweck verwandten) schönen Künste, jede der-
selben noch ihren besonderen Zwech hat, der
durch das Material der Kunst bedingt ist,
so mfjssen auch zu seiner Erreichung die Mit-
tel verschiedener Art sein; daher ist es auch
eben so nothwendig, dass der Künstler die
Schranken seiner Kunst , über die hinaus er
sich in das Gebiet einer andern verwandten
Kunst verirren würde , als dass er inner-
halb derselben ihr ganzes Vermögen genat^
kenne.
Diese , durch den Zweck der Kunst selbst
bestirnte, und wie er unwandelbare , Verfah-
Tiingsart inus dem besonderen Verfahren der
Künstler in ihrem Streben zum Grunde liegen.
Das besondere Verfahren jedes Künstlers aber
wird durch die eigentliümliche Natur und Be-
schaffenheit seiner Anlage , durch das gröfsere
©der geringere Maas nachahmender oder schö-
pferischer Bildkraft bestirnt.
So ergiebt sich denn, dass es für jedeKunsü
rwar nur eine Richtschnur des Verfahrens ge-
be , dass aber mehrere Künstler sehr wohl ver-
301
scliiedene Wege nach dem gemeinsamen Ziele
eiiischhc^en kunnen, ja, -bei der Veischiedeu-
heit iliier Anlagen und Fälligkeiten, sogar
mäisen, wenn sie zweckraäfsig verfahren
■wollen.
ID^S Talent zu einer und derselben Kunst
kann auf mannigfache Weise verschieden sein,
sowohl in Hinsicht der herschenden Fmpfin-
diingsart, als des Grades seiner Kraft. Das
nachahmende Talent, dessen untere Gradesich
in blofses Handwerk verlieren , und das scJiö-
-pferische Talent, dessen höhere Grade mau
vorzugsv.'eise durch das Wort Genie bezeich-
net, beschränken einander wechselseitig in der
Kunstanlage auf die mannigfaltigste Art , und
bringen jene zaliosen Abstufungen hervor,
■welche zwisclien dem Höchsten und Niedrig-
sten , zv.'ischen dem Genie eines Ulichelangeio
und Rafael, und dem armseligen Talent eines
römischen Wapen- und Gurkenmalers liegen.
Da nun alle übrigen Verschiedenheiten des
Talents vornemlich in der Empfindungsart aa
Künstlers und der davon abhängigen Pachtung
auf diese oder jene Ait von Gegenständen ge-
gründet scheinen : so ■würde die für jeden,
Künstler z-yyeckmälsigste Verfahrungsart iii'.*I-
302
ner AiisbiMung hauptsäclilicli nacli dem ihm
eigen thiimiichen Verhältnisse des schöpferi-
schen Talents zu dem nachahmenden, und der
daraus entspringenden relativen Grofse seiner
Kunstanlage zu bestimmen sein. Denn \vie es
Ungereimt \väre, mit einem bios nachahmen-
den Talente den Weg der Erfindung einzu-
schlagen, so Würde ^es auch zweckwidrig sein,
ein schöpferisches Talent wie ein nachahmen-
des, zu behandeln, und es nicht so frühe als
möglich seiner angeborenen höheren Bestim-
mung entgegen zu führen.
Ein nachahmendes Talent kanil luir durch
ßelssiges Nachahmen , ein eiTindendes nur
duTcli frühe, fleissige Übung in eigenen Erfin-
dungen zwechmäfsig gebildet werden. Und
wie jenes sich durch mühsamen Fleis und
durch die Begierde alles was ihm gefällt
nachzubilden, zu erhennen giebt, so wird im
Gegentheil jenes sich bald durch den Wider-
willen gegen alles bloJ"se Nachrihmen uttd durch
den Trieb verrathen, etwas Eigenes hervor-
zubringen, v»'cichcr in schöpferischen Geistern
immer durch den Anblik eines vortrefiichen
Werkes auf das lebhafteste erregt wird.
303
Ein Kunsttalent ohne Eigenthömliclikeit,
wenn es auch ein erfindendes wäre, ist nn*-
«elbst.indig , also von der Natur selbst auf die
Nachahmung anderer angewiesen ; darum las-
sen sich auch mehrere der Art nach einer
gleichfönnigen Verfahrungs weise behandeln.
Für sie giebt es nur Einen Weg , auf dem je-
des nach dem Mafse seiner Kraft fortschreitet :
der Weg der Nachahmung^ Wer dann niohr
Kopf besizt, erhebt sich über dieselbe, und —
wie sonderbar es auch klinge ! — lernt erfin^
den i d. h. nach Schulregeln und mit wissen-
schaftlicher Technik wohl ausgerüstet und ge-
übt j eine Komposizion kunstmäfsig zusam-
menstellen; also eigentlicli nur komjponiren,
nicht erfinden. Solche Arbeiten können künst-
lich gruppirt, konekt gezeichnet, tüchtig ge-
malt und gefällig kolorirt sein; aber der le-
bendige Geist, der karakteristische Ausdruck
schöner und bedeutender Individualität, die
Einheit im Einzelnen und Ganzen mangeln ^
es sind Werke des Fleisses, nicht des Genies.
Auch dieser Weg hat einen Rafael aufzuvv^ei-
sen, der als Beispiel gezeigt hat, vvas genielo-
ser Fleis , von einem denkenden Verstände s:e-
leitet, von einer gründlichen Technick unter-
«tüzt, imd von den Umständen begünstigt»
504
durcli eifriges Streben nacli Voltommenhekzu
erroiclien vermag : — Rajael Mengs , den Re-
praesentaiiten aller geschikteit Hüiistler.
Carstens Iwtte bereits frülie, als Knabe und
Jüngling, Auge und Hand im Technisclieuder
Zeiclmung, wenn auch niclit auf kunstmäfsige,
sclxulgereclite Weise* doch, nothdüiftig geübt,
tind war inzwischen, bis er sich, ganz der
Kunst widmen kont«, zu dem Alter gelangt,
wo -gede Selenkraft sich völlig entwickelt hat,
WO also auch das Talent der Erfindung, das in
ihm noch schlummerte , nur der eisten Anrei-
zung bedurfte, um in seiner ganzen Stärke zu
erwachen. Dies geschah, sobald er nach Ko-
penhagen kam, beim Anbiick so fieier trelli-
cher Kunstwerke ; und von der Zeit an em-
pfand er auch, bei immer w-e.cli&cnder Leiden-
schaft für die Kunst, einen entschiedenen Wi-
dcrwill-en gegen alles jS'achzeicliiien, das ihm
«iiie unwürdige j den Geist tüdtcnde Bescliäfti-
^ung schien. !Nur im steten aufmerksamen
Betrachten derielben fand er Nahrung und Be-
friedigung für seinen Kunsttrieb, -Nyomit er
dann, sobald seine dürftigen Kentnisse der
menschlichen Gestalt es ihm gestatteten,, auch
die Übung des Eründens verband. Soüessein
Trieb
305
Trieb ihn selbst den Wes: finden, der seiner
Anlage am znträglichbten war; auf dem er die
eisten Scliritte zwar langsam und miilievoll,
lind liaum nieiKlicli in den ersten Jalnen, zii-
rüchlcgte ; danij aber, als er es endlich dahin
gebracht hatte, ein Bild seiner Erfindung aus-
dii'cken zu können , auch um so schneller und
sicherer vorwärts ging, und im leichteren Ge-
lingen sein ausdauerndes Streben belohnt sah.
Wäre Carstens früher, ehe er sich seiner
Selbständigheit bewust ward, unter der Anlei-
tung eines Meisters zur Kunst gekommen, so
\vürde dieser ihn auf den ge%v6hnlichen Weg
der Nachahmung geführt, und ei /ürde auf
demselben den technischen Tlieil in kürzerer
Zeit schulmäfsig geleint haben; ob er aber auch
aus dieser Schule so rein und unbefangen , so
eigenthümüch und selbständig wieder hervor-
gegangen wäre , als er sich auf seinem eigenen
Wege erhielt ?
Bei seinem Verfahren, nichts nachzuzeich-
nen, sondern alles durch Betrachtung aufzu-
fassen, und die so erworbenen Kentnisse in
eigenen Arbeiten anzuwenden , hatte Carstens
den Vortheil, dass er sein Darstellungsvermö-
^\n unaufhörlich an neuen Gegenständen übte^
20
5o6
niid dadiircli zu einem Grade von Feitiglieiti
Gewandlieit und Klarheit ausbildete, den ein
Künstler auf dem gewölmliclicn Bildiings\vege
iiiclit leiclit erlangen wird. Indem er den Geist
und Stil seiner Vorbilder auffafste, Itonte er
leichter die tadelhaite Manier derselben vermei-
den. Geübt, die Bilder seiner Fantasie vorder
inneren Anschauung festzulialten , und seine
Komposizionen im Kopfe anzuordnen , honte
er ihnen leichter die schöne Einheit geben, die
blos auf dem Papier erfundene und geordnete
Komposizionen selten erhalten : und da er auf
diese Weise auch in der Ausführung fast gar
heiner mechanischen Hülismittel bedurfte, so
ging auch von dem Geist und Feuer seiner Er-
findungen um so ^veniger verloren. Daher
auch Carstens i durch eigene Erfahrung von der
Vorzüglichheit seines Verfahrens überzeugt,
behauptete : der Künstler müsse dahin streben,
in seinen Werken alles, das Gewand ausge-
nommen, aus der Idee und nichts nach Model-
len zu bilden; je mehr der Künstler im Stand«
sei, das Modell zu entbehren, desto vorzügli-
cher würden seine Bilder geratlicn. Wenn nun
auch diese Dehauptung, in dem Sinne des Künst-
lers verst-anden, und beider Voraussetzung de»
^rforderliclien Talent», an sich richtig ist, s©
507
f.-.nd sie doch bei fast allen Künstlern denstärl^-
steu Widerspruch; ja ininclie glaubten, sie sei
eine blofse Pralerei, und Carstens selbst bedie-
ne sich heimlich eines Modells; obgleich er die
rdchtigheit seiner Behanptung dadurch zu be-
v/eisen suchte, dass er zeigte, es hOnne für Fi-
guren im Idealstile liein Modell brauchbar sein,
■weil in jenen die Natur eine ganz andere sei,
als in der Wirklichheit ; und dass gcr.ide in die
schwierigsten Stellungen, die fliegenden und
sch^vebenden , kein iNIodell zu setzen sei, da-
her man diese, eben so ^vie die fliegenden Ge-
wänder, aus der Idee bilden müsse. Wenu es
nlso möglich sei,^ das Schvrerere , das v\ir nie
sehen , sondern uns b'os einbilden hünnen,
aus der Idee zu bilden, so müsse es mit dem
Leichteren , das wir taglich zu sehen und zu
beobachten Gelegenheit haben, um so eher
möglich sein.
Die Ursache, warum Carstens Aem Gebrauch
des Modells bei der Ausführung so abhold war,
und so sehr auf das Bilden aua der Idee drang,
lag in seiner Überzeugimg, dass auf diese Wei-
se allein die Darstellung ein durcliaus orga-
nisch gebildetes Ganzes werden könne; darauf
zwecks© auch von jeher, vielleicht ohjie e*
So8
selbst zu wissen , seine eigene Ausbildung ab.
Er fühlte , dass seine Einbildungskraft das,
was sie niclit anscliaulicli begriffen und zu ili-
lem Eigentlium verarbeitet hatte , auch in der
Vorstellung nicht zur gehörigen Klarheit zu
bringen, und was sie nicht zur Klarheit brach-
te » auch nicht anfser sich d'Jirzustcllen vermoch-
te. Da er nun in der Natur und in anderen
Kunstwerken nie etwas finden konte , vv^as sei-
iier Idee und dem gegenwärtigen Falle der An-
wendung völlig entsprach; und da er zugleich
bemerkte , dass Modelle , statt das Bild seiner
Vorstellung zu berichtigen , es vielmehr durch
ihr wirkliches Dazwischentreten nur verdun-
kelten und verwirrten, so sah er, um die In-
tegrität seiner Darstellungen zu retten, kein
anderes Mittel, als dahin zu streben, dass sei-
ne Einbildungskraft so viel als möglich zum ei-
genen Bcsiz aller der Theilanschauungen ge-
lange, welclie das Ganze ausmaclien; und er
wolte lieber Gefahr laufen, in der Richtigkeit
einzelner Theile zu fehlen, als die lebendig«
Einheit des Ganzen, die ihm das Wesentliche
eines Kunstwerks war, durch Einflickung
fremdartiger Theile zu zerstören. Und so führ-
te Carstens auch wirklich immer seine Erfin-
dungen blos nach der Ide« au», ohne ein Mo-
309
dell zu Rathe zu ziehen. Alles, T\'as er sich
bei da Ausführung im Nothfalle erlaubte, war,
dass er einen Blick auf die lebendige Natur oder
auf ein Kunsfwerk that, um die Form oder Be-
wegung eines Theiles in seiner Yorstelhing zu
berichtigen. Statt eines Modelles trat er dana
lieber selbst einen Augenblick vor den Spiegel,
weil eine Stellung oder Bewegung, damit sie
wahr sei, von dem, der sie machen soll, moti-:
virt und empfunden werden mus. Dafür aber
war er bei jeder Gelegenheit, wo er Menschen
thätig und handelnd sah, desto aufmerksamer
auf Bew^egung und Ausdruck; und auch in
dieser Hinsicht war Rom, -wo ein kunstsinni-
ger Beobachter keinen Gang ^urch dieStrafsen
machen kann, ohne auf eine iVIenge malerischer
Bilder aller Art zu stofsen, für ihn die vor»
tieflichste Schule der Hunst.
Schon vorhin haben w-ir der Hindernisse er-
wähnt, welche machten, dass Carstens in der
Zeichnung nicht zu durchgängiger Richtigkeit
gelangte, und gezeigt, dass sie nicht in der Art
seines Studirens, sondern in derUnzulän^lich-
keit seiner anatomischen und perspektivischen
Hülfskentnisse gegründet Ovaren. Eben so we-
nig ist es jener beizumessen 3 dass er kein vor^
510
aügUcher Maler und Koloiist ge-wovden ist.
Hätten ilin die umstände nicht immer c;cnin-
derti auf diesen Tlicil der Kunst sein Streben
zu liciilen und die dazu erforderüclien Iland-
giifl^e hcnnen zu lernen, so ^viirde er acich dar-
in seiner TerfAlirun2:sart treu jrebileben sein^
Er wi':rde nie ein Gemälde liopirt , aber die
Torziirliclisten ileicsig betrachtet, die dadurch
erworbenen Einsichten in eigenen Arbeiten zur
Ausübung: gebraclit, und auch so sein Kolorit
mit den übiigcn Theilenseiner Kunst in die ge-
hörige Übereinstimmung gesezt haben.
Erwägt man nun noch, dass Carstens ^er^de
^ie fünf besten Jahre seiner Jugend, wo er ei-
gentlich die wissenschaftlichen, und techni-
schen Theile der Kunst hätte in seine Gewalt
bringen sollen, beim Weinhandel verloren ;
dass er erst im drei und zwanzigsten Jahre zur
Kunst gehommen ; dass er darin von Anfang
fin sein eigener Lehrer und Leiter gewesen;
dass er nachher wieder in Liübech fünf Jahre;
und dann in Berlin noch vier Jahre fast gan25
unnüz versäumt hat, so dass er eigentlich nur
die sieben Jahre seines Aufenthalis in Koj^cn-
Iiagen., und die lezten sechs Jahre seines Le-
"bens ift Rom mit Nutzen für seinen Zweclihat
511
verwenden l^önnen; dass er dabei sein ganzes
Leben liinduicli mit Armuth und KranWieit ge-
kämpft ; dass e:^ ihm fast immer an den noth-
"wendigsten Mitteln zu seiner Ausbildung ge-
mangelt; und dass er die so spät betretene Lauf-
bahn schon in der INIitte des Lebens wiederhat
verlassen müssen: so findet mau in dem Zu-
sammenflusse so vieler widerwärtiger Untstäii-
de der Ursachen genug, -warum Carstens nicht
ganz der grofse Künstler vv^erden können , zu
dem die Natur ihm alle Anlagen verliehen hat-
te», tmd der auch aus dem , v\'as er troz allen
diesen Hindernissen durch imermüdetes Streben
dennoch wirklich geleistet hat» so rülimlick
hervorleuchtet.
So würde iich denn aus dem bisher Gesag-
ten ergeben, dass der von unserm KüiTstler zu
seiner Selbstbildung genommene Weg für ihn
der rechte und angemessenste war, und dasa
derselbe auch Anderen Künstlern von so ent-
schiedenen Anlagen, die eigenthüraliche Erfin-
dungsgabe mit einer gleich energischen Einbil-
dungskraft verbinden, als zweckmäfsig zu em-
pfehlen sein dürfte , da auf ihm das Talent der
Erfindung frühe und unabläfsig geübt und die
Eigenthümlichkeit von allen schädlichen Ein*
Aussen "hersclicnder Manieren rein erhalten
wird ; nurmüste die Gelegenlieit frühe die Hand-
griflPe des Technischen und die Kentnis der
Hülfswissenschaften zu erwerben , die unserni
Künstler unglücklicher Weise gemangelt hat,
damit verbunden sein. Als allgemein gangbar
würde jedoch dieser Weg nie zu empfehlen,
roch weniger zu einer breiten Heerstrafse für
die Zöglinge der Kunstschulen und Akademien
auszuweiten sein, weil in solchen Anstalten,
der Regel nach , nur nachahmende nicht Schö-
pferische Talente gebildet werden , daher auch
.vornehmlich auf das Vermögen jener, nicht
dieser, der Bildungsplau derselben berechnet
werden mus.
313
VV enige Tage vor fscinem Tode sezte Carstens
in seinem lezten Willen den Verfasser zum
Erben seines s.imtliclien Kunstnaclilasses ein,
und gab ihm sowolil dadurch, als durch den
.mündlich, geäufserten Wunsch, dass dieser
Nachlas nicht zerstreut, sondern beisammen er-
halten, imd dereinst in irgend einer Kunstsam-
Inng aufbewahi t werden möchte, damit doch
Etwas von dem Wenigen, was sein Schiksal
ihm zu leisten vergönnt habe, die Spur sei-
nes Daseins erhalte, w^ann er selbst nicht
mehr sein w^iirde , — den lezten Beweis sei-
nes durch eine vieljährige Freundschaft be-
giündeten , nie durch Misverständjiisse ge-
tiübten Vertrauens. Und der Verfasser hatte
auch, bald nach seiner Fiükkehr aus Italien,
Gelegenheit diesen Wunsch seines verstorbe-
nen Freundes, glühlicher als er gehoft, in
Weimar zu erfüllen. Der Herr Gelieimerath
Von Göthe nahm die Carstenschen Zeichnun-
gen in leiue Runstaustellung des Jahres 1304
auf, wo sie den Beifal des regierenden Her-
zogs erliielten und Denselben bewogen , die
Samlung für die öfFentiiche Bibliothel'i seiner
Residenz anzukaufen , wo sie gegenwärtig
aufbewahrt wii d. Wir tlieilen hier das Ver-
zeichnis derselben mit^
Sohates , der dem Alzihiades in der Schlacht
hei Pctidaea das Lehen rettet; i788- (^»
66.)
'Jiass-andra vor dem Patast des Pelops in Ar*
gcs, weissagend i 1788' ( S- 67.)
Ossian und Alpin zur Harfe singend; 1788«
(S. 67.)
Ajax, Tehnessaund Eurysakfs; 1789« ( S*
107O
J)gr Kam-pf des Achilles mit den Flüssen,
und oben über der Scene die versammel-
ten Götter (ist oben S. 107 anzuführen
vergessen worden).
Jiakchiis , der dem Amor aus seiner Schale zu
trinken gieht; erster Entv/urf; 1790. ( S.
107O
Die drei Parzen» erster Entwurf; 1792. (ß»
107O
315
t)ieselhen vcYdudcn ; 179?. (5.21"'.)
Sokrates im Korhe ; 1791. ( o. lo"". )
Umrisse zu dem Gastmale des Pinto , von
dem ausgeführten Gemälde abKalKivt ; 1793.
(S. 10-.)
Oedipus von den Fiuieti gequält, erster Ent-
■\viiri; i"^9o. ( S. 107. )
Besuch der Argonauten hei dem Kentauren
Chiron; 1-91. ( S. log.)
Scldacht der Kentauren und Lnpithen ; 1792I
(8. 117. )
Jle^uch . der Argoraziten hei dem Kentauren
Chiron, veränderte Kompcsizion; 1792.
CS. r50.)
Ganimed vom Adler Jujpiters em-por getragen:
Die Gehurt des Lichts; 1794. ( S. 174.)
Vie Helden im Zelt des Achill; 1794. (S.
^72.)
Die Überfahrt, oder der Tiran^ nach dem
Luzian; i794- (S. 169.)
Die Nacht mit ihren Kindern; 1795. (S. 175.)
5i6
Die Ztn'tikhringung det ejitfloherten IVle^a--
1'ientes t Gegenstük zur Übeifartj 1795.
(S. 210.)
Das Orakel des Amfiaraos ; 1795. (S. 2ii.)
Die La-pithen, oder das Gastmal; 1795»
(S. 211.)
Helena , Priam und die Ältesten auf dem
Sküischen Thore ; i795' (S. 2ii.)
Fingqls Kampf mit dem Geiste von Loda;
1796. (S. 211.)
Perseus und Andromeda unter den Ätiopen;
1796. (S. 211.)
Dante" s Hölle ; 1796. (S. 211.)
Homer t der seine Lieder in einer Volksver-
samlung singt ; 1796. (S. 2i2. )
Ödip in Kolon; 1796. (S. 2i2. )
Die Hexenküche; 1796. ( S. 212. )
Jasons Ankunft in Jolkos ; 1796. ( S. 212. )
Kteokles ) der in den Kampf eilt ; ^'J'^'J. (S.
2^7.)
Scene aus dem Trauerspiel in Yorkshire nach
Sliakspeaie ; 1797. ( S. 217. )
517
Scene aus dem ÖiUpus Tirannus des Sojokles;
^-j^i. (S. 2180
Nebst mehreren unvollendeten Entwürfen
inid Studien yon Gewandern, aus seiner irü-
lieren und spateren Zeit, unter denen sich
vornehmlicli die Studien zum Homer und i\x
Dante^s Holle duicli d-'u reinen Stil, und
durch die sorgfältige Ausfüluuno^, womit sie
verfertigt sind, auszeichnen.
Verbess eritii gen.
S. 2!/ 2. I — — lies: mechanisch skizziitei
— 321 Z. 1 V. mit. — yimykus,
— 844 Z. 2 V. uiit, — staken,
THEOETTYCFWT-