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Full text of "Leben des Künstlers Asmus Jakob Carstens : ein Beitrag zur Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts"

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4v-e^ — *^ 


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HG5^//^^/^  afa/vol  (^f^Ü 


erifj. 


Leben 

des 
Künstlers 

Asmus  Jakob  Carstens, 

ein    Beitrag 

# 

Kunstgeschichte  des  achtzehnten 
•    Jahrhunderts 

von 

Carl    Ludwig  Fernow. 


Leipzig-,    ißo6. 
t)«i    Johann   Friedrich    Hartknoch. 


Herr  n 

G     e     11     e     1     1     i , 

Bankünsder   und  Mitgliede    der  Akademie  der 
Künste  in  Berlin, 

und 

Herrn 

Busch, 

Herzogl.  Mekleiibmgiscliem  Hofbildhauer 
in   Rom, 

des 

Künstlers    vieljährigen    Freunden, 


freundschaftlich   gewidmet 


vom 

Verfasser. 


Vorrede, 


■  las  wahre  Leben  eines  Künstlers  be- 
steht in  der  Ausbildung  seiner  Anlagen 
und  in  der  Ausübung  seines  Talents, 
Die  äufseren  Umstände,  die  es  begleiten, 
sind  nur  in  sofern  bedeutend  und  merk* 
würdig ,  als  sie  auf  die  Entwickelung  sei- 
nes Vermögens  hindernd  oder  fördernd 
ein^virkten,  als  sie  seinem  Genius  diese 
oder  jene  Richtung  gaben,  durch  "welche 


VI 

der  eigenthümliche  Karaliter  seiner  Wer- 
ke, als  vereintes  Erzeugnis  der  Naturan- 
lage und  Bildung,  grofsentheils  mit  be- 
stimmt wird.  Da  nun  in  der  Kunstge- 
schichte nur  das  "wissen swürdig  ist,  was 
irgend  einen  merklichen  Einflus  auf  die 
Zustände  der  Kunst  gehabt,  ^^'^?^s  für  ihre 
theoretische  und  praktische ,  ihre  techni- 
sche und  ästhetische  Entwickelung  und 
Fortbildung  fruclttbar  ge^vesen  ist,  was 
sie  richtig  geleitet  oder  irre  geführt  hat: 
60  kan  auch  nur  solcher  Künstler  Leben 
der  Geschichte  angehören  ,  welche  durch 
.eine  ausgezeichnete  Eigenthümlichkeit 
^der  Anlagen ,  oder  durch  eine  hohe  Stufe 
•<ler  Ausbildung  irgend  eines  Theils  der 
Kunst,  oder  durch  eine  besondere  Rich- 
'tung  des  Geschmaks,  ihre  Selbstständig- 
keit an  den  Tag  gelegt,  und  so  auf  ir- 
;gend   eine  Weise,   sei  es  durch  Hervor* 


Iringung  vorzüglicher  Werke,  oder  durch 
Einführung  einer  besondern  Methode, 
oder  durch  ihr  ernstliches  Hinstreben  auf 
einen  höheren  oder  untergeordnetea 
Kunstz^yek,  ihr  Dasein  für  die  Kunst 
entAveder  förderlich  und  nüzlich,  oder 
durch  eine  zwekwidrige  Richtung  des 
Geschmaks  nachtheilig  und  verderblich, 
erwiesen  haben. 

Der  Kunstgeschichte  ist  so  wenig  mit 
blofsen  Namen  von  Künstlern,  die  nichts 
Ausgezeichnetes  geleistet  haben,  als  der 
Kunst  mit  mittelmäfsigen  Werken  ge- 
dient. Beide  sind  da  und  schwinden, 
ohne  eine  Wirkung  im  Gebiete  derselben 
zu  hinterlassen.  Was  in  der  Kronik  ei- 
nes Landstädtchens  wichtig  sein  mag, 
ist  unbedeutend  in  der  Geschichte  des 
Landes.  So  können  viele  Professoren 
und  Direktoren    in    den   Annalen   eine; 


VIII 

Kunstakademie  glänzen,  ohne  dass  dar- 
um ihre  Namen  in  denAnnalen  dcrKmist 
genant  zu  Werden  verdienen;  und  im 
Gegentheil  hält  die  Geschickte  es  zu^yei- 
len  für  Pflicht,  den  einzelnen  von  seinen 
Zeitgenossen  verkanten  Künstler  der 
Nachwelt  mit  Achtung  zu  nennen ,  und 
ganze  Kunstakademien  mit  Stillschwei- 
gen  zu  übergehen,  wenn  sie  findet,  dass 
diese,  mit  allem  Prunk  und  Pomp  ihrer 
liostspieligen  Treibliausanstalten  ,  doch 
die  Kunst  um  nichts  gefördert  haben; 
jener  hingegen  in  seiner  Dunkelheit  durch 
redliches  Streben  seinen  Künstlerberuf  in 
"wenigen  aber  schäzbaren  Arbeiten  auf  ei- 
ne würdige  Weise  beurkundet  hat.  Ja, 
CS  ist  um  so  gerechter,  dass  die  Geschich- 
te das  Andenken  solcher,  in  ungünstigen 
Zeitaltern  und  unter  niederdrückenden 
Schiksalen  mühsam  vmd  muthig  emp&r- 


strebender  Kiins der  ehre,  da  das  oft  der 
einzige  Lohn  ist,  der  ihnen  zu  Theile 
■wird ;  und  da  ihr  Beispiel  ähnHch  gesinne- 
ten  Jünglingen ,  denen  es  mit  der  Kunst 
heiliger  Ernst  ist,  die  aher  unter  glei- 
chem Drucke  Avidriger  Verhältnisse  rin- 
gen,  Trost  und  Muth  einfiöfst,  dem» 
Schilisale  festes  Ausharren  entgegen  zu 
setzen. 

Der  echte  Kunsttrieb  offenbart  sich 
besonders  auilallend,  'wo  ungünstige  Um» 
stände  sich  seiner  Ent-vvickelung  Avider« 
setzen  ,  und  er  glänzt  da  um  so  heller 
rrmpor,  ^vo  alles  sich  vereint,  ihn  auszu- 
lösclien.  So  sehen  wdr  zuAveilen  im 
itunstlosen  unfreundlichen  Norden,  fern 
von  Allem,  was  fähig  wäre  den  schlum- 
mernden Trieb  zu  wecken  und  zu  näh« 
ren ,  ein  grofses  Talent  hervorgehen,  und 
von  allen  Hüifsmittein  entblöfst  sich  aus 


X 

feich  selbst  entwickeln.  Einmal  zum  Be- 
Wustsein  erwacht,  strebt  es  aus  innerer 
I»Jothwendiglieit  seine  einzigen  Bestim- 
mung nach ;  Widerwärtigkeiten  können 
^s  aufhalten,  Hindernisse  können  sein 
Streben  lange,  ja  für  immer,  vereiteln; 
die  geistige  Kraft  kan  im  Kampfe  mit 
der  fisischen  Übermacht  des  Schiksals  er- 
liegen, aber  den  ingeborenen  Trieb  kan 
diese  nur  mit  dem  Leben  vertilgen.  Mehr 
als  Ein  von  der  Natur  hochbegünstigter, 
aber  vom  Schiksale  befeindeter  Kunst- 
geist ist  50  ein  Märtirer  seines  Triebes 
geworden.  Oft  aber  ermüdet  auch  ein 
ausharrendes  festes  Streben  die  Tücken 
des  Geschiks ,  und  vielversucht  im  lan- 
gen hartnäckigen  Kampfe  dringt  endlich 
der  siegreiche  Genius ,  wenn  gleich  spä- 
ter, nur  um  so  reifer  und  geläuterter, 
^um   Ziele  ;    ein   erhebendes   Schauspiel 


30[ 

für  den  Beobachter,  und  für  denTüinst- 
1er  eine  Quelle  des  höchsten  und  edelsten 
Seibötgenusses! 

Den  Anbiik  eines  solchen  Kampfes 
mit  allen  ^'\'ider^Yärtigkeiten  eines  feind- 
seligen, aber  durch  beharliche  Ausdauer 
endlich  bezwungenen  ,  Schiksales  ge- 
\yährt  das  vorliegende  Leben  eines  Künst- 
lers, den  die  Natur  mit  ihrer  schönsten 
-Gabe,  mit  einer  schöpferischen  Bild- 
liraft  reichlich  ausgestattet,  und  mit  ei- 
nem muthigen  Geiste  beselt  hatte,  den 
aber,  am  giüklich  erreichten  Ziele,  ein 
/rüher  Tod  der  Kunst  entris  ,  als  er  sich 
endlich  tüchtig  fühlte,  reife,  einer  länge- 
ren Dauer  würdige  Früchte  seines  Stre- 
bens  auf  ihren  Altar  niederzulegen. 

In  dieser  Hinsicht  besonders  schien 
dem  Verfasser  das  Kunstleben  des  ver- 
ßtorbenen     Carstens     eine     ausführliche 


xn 

Darstellung  zu  verdienen.  Denn  hat 
gleich  dieser  Künstler  nur  \venige  ausge- 
führte Arbeiten  liefern  können,  die  hier 
und  dort  in  den  Händen  einiger  Liebha- 
ber zerstreut  sind;  hat  er  gleich  nicht  Ge- 
legenheit gehabt,  durch  ölten iliche Denk- 
mäler seiner  Kunst  die  Spur  seines  Da- 
seins bei  der  Nachwelt  zu  erhalten,  und 
dadurch  nach  seinem  Tode  ehrenvoll  in 
^ie  Reihe  der  grofsen  Künstler  einzutre- 
ten, denen  er  am  Geiste  so  nahe  ver- 
wandt war  :  so  ist  doch  eine  Anzahl  von 
Darstellungen  in  mehr  und  weniger  aus- 
geführten Zeichnungen  von  ihm  übrig, 
und  jezt  an  einem  öffentlichen  ,  dem 
Kenner  und  Künstler  zugänglichen  "Or- 
te aufbewahrt,  welche  bevreisen,  dass 
sehr  wenige  Künstler  die  Bahn  der  gro- 
fsen Meister  des  XVIten  Jahrhunderts  mk 
so  viel  Glük  und  Geist  wieder  betreten 


xm 

haben,  als  Carstens ^  und  das3  er  deshalb 
für  unser  Zeitalter  eine  sehr  merk^vürdi- 
ge,  Avenn  gleich  nur  von  '>venigen  he* 
merkte,  und  von  noch  wenigeren  nach 
Verdienst  gekaute ,  Erscheinung  war«. 

Das  aber,  was  den  Verfasser  vornem- 
lieh  zu  dem  Entschlüsse  bestimmte,  ^as 
JLeben  dieses  Künstlers  zu  schreiben, 
war  sein  mehrjähriges  vertrautes  Zusam- 
menleben mit  demselben,  wärend  dess 
€r  Gelegenheit  hatte,  den  cigenthümli- 
chen  Genius  des  Künstlers ,  die  Art  und 
das  Fortschreiten  seiner  Bildung,  so  wie 
das  Verfahren  desselben  beim  Hervor- 
bringen seiner  Werke ,  nebst  dessen  Ge- 
danken und  Ansichten  von  der  Kunst, 
genau  kennen  zu  lernen.  Und  da  er  je- 
nen Vorsaz  schon  bei  des  Künstlers  Le* 
bezeit  fasste,  als  er  mit  trauriger  Gewis- 
heit  das  Ende  desselben  heranwahen  $ah, 


XIV 

so  iionte  er  noch  zu  rechter  Zeit  uncf 
zum  Theii  aus  dessen  eigenem  Munde, 
die  Niichiie'uen  sammehi,  deren  er  be- 
durfte, um  ihm  auf  dem  Gebiete  unserer 
im  Fache  der  Künstlerbiografien  noch 
nicht  sehr  angebaueten  Runstlitteratur 
dieses  kleine  Denkmal  der  Freundschaft 
tu  errichten,  dessen  friihere  Ausfiihrung 
mehrere  Umstände  bisher  verhinderten. 
Indem  der  Verfasser  dabei  auf  einer  Seite, 
auä  Achtung  für  die  Wahrheit  und  für" 
seinen  Freund,  der  auch  im  Leben  nie 
mehr  scheinen  "vvoUe,  als  er  wirklich 
war,  es  sich  zur  Pili  cht  ^machte,  strenge 
darauf  zu  achten,  dass  das  Gefühl  der 
Freundschaft  die  Walirhcit  seiner  Dar- 
stellung nur  belebe,  nicht  verschönernd, 
entstelle,  so  niuste  er  doch  auf  der  an- 
deren Seite,  um  gegen  den  Freund  nicht, 
ungerecht  zu  sein^   dessen  unermüdete* 


XV 


redliches  Streben  nach  dem  Hohen  und 
Würdigen  seiner  Kunst,  und  dessen  rei- 
ne uneigennützige  Kunstliebe  er  kante, 
auch  diese  Tugenden  bei  der  Schätzung 
seines  Verdienstes ,  so  'vvie  bei  der  Anga- 
be seiner  Mängel  die  \yiderwärtigen  Um- 
stände, mit  denen  der  Künstler  lebens- 
lang zu  ringen  hatte,  mit  in  Anschlag 
bringen.  Durchgängig  aber  "war  sein 
Augenmerk  vorzüglich  auf  den  Gang  der 
Entwickelung  und  Bildung  desselben  ge- 
richtet; denn  es  war  ihm  keines^veges 
darum  zu  thun,  eine  Lobschrift  in  der 
gewönlichen  Form  der  Elogien  auf  sei- 
nen Freund  zu  schreiben,  sondern  ein 
treues  Karakterbild  von  dem  Kunstleben 
desselben  darzustellen. 

Wir  besitzen  der  Lebensbeschreibun- 
gen von  den  merkwürdigen  Künstlern  al- 
ler Nazionen  so  viele;    ^ber  unter  den- 


XVI 

selben  gibt  es  aiut  höchst  wenige,  \vel- 
che  den  ästhetischen  und  artistischen  Ka* 
riikter  des  Künstlers,   Avie  er  sich  ahn ä- 
lich  cnt\^  ichelt  und  zu  j?ciner  Individua- 
lität ausgebildet  hat,   befriedigend  darle- 
gen.    VvViirscheinlich  Ivomt  dieses  daher, 
dass    die  meisten  dieser  Lebensbeschrei- 
bcr,   "wenn  sie  auch  der  Arbeit  sonst  ge- 
Avachscn  waren ,  doch  höchst  selten  eine 
so  lange  und  innige  Bekantschaft  mit  iii- 
yem Gegenstände  unterhalten  haben,  dass 
$it  im  Stande   gewesen  Avärcn,     densci- 
berr  auf  den  verschiedenen  Stufen  seines 
Bihlungs ganges    zu  verfolgen.      Grösten- 
iheils  trugen  sie  ihre  Lebensbeschreibun- 
gen aus  mitgetheilten  Nachrichten  Ande- 
rer  zusammen,    oder   musten   sich   mit 
einzehien  unvolständigen  Angaben,  und 
halbwahren  Sagen  begnügen.     Der  Ver- 
fasser hatte  jenen  VorthcÜ;    und  wem* 

ricl- 


vielleicht  seine  Darstellung  in  dem,  \yas 

er  für  das  Wesentliche  einer  solchen  Ar- 

« 
beit  hält,   einige   Vorzüge   vor  manchen 

anderen  Lebensbeschreibungen  dieser  Art 
hat,  so  verdankt  sie  dieselben  der  ge- 
naueren persönlichen  Bekantschaft  mit 
dem  Künstler. 

Den  Theil  der  Lebensbeschreibungj 
wo  Carstens  die  Geschichte  seiner  frühe- 
ren Bildung  bis  auf  seine  Rükkehr  von 
der  ersten  Wanderung  nach  Italien  in  ei» 
gener  Person  erzältj  hat  der  Veafasser 
unmittelbar  nach  der  mündlichen  Erzä- 
lung  desselben,  und  soviel  als  möglich 
mit  dessen  eigenen  Ausdrücken  niederge« 
schrieben.  Es  schien  ihm,  dass  diese 
Nachrichten  über  seine  frühere  Bildung, 
die  so  manches  enthalten,  das  der  Künst- 
ler nur  an  sich  selbst  wahrnehmen  kon- 
te ,  sich  auch  besser  aus  dem  Munde  des-. 


xvnr 

selben  anhören  wiijrden ,  ak  aus  der  ver- 
mittelnden Erzälung  eines  Dritten. 

Dass  der  Verfasser  die  Mishelligkeit 
zwischen  dem  Künstler  und  dem  damali- 
gen Kurator  der  Berliner  KunstaXademi« 
Freiherrn  von  Heinitz^  welche  sich  mit 
Niederlegung  der  von  Carstens  bei  jener 
Akademie  bekleideten  Lehrstelle,  und 
dem  Verlust  seiner  in  Rom  drei  Jahre  hin- 
durch genossenen  Pension  endigte,  hier 
ausführlich  nebst  den  in  des  Künstlers 
Nachlas  darüber  vorgefundenen  Doku- 
menten mitgetheilt  hat,  bedarf  hoffent- 
lich jezt,  da  beide  Theile  todt  sind,  folg- 
lich alle  persönlichen  Rüksichten  wegfal- 
len, keiner  Entschuldigung;  auch  wüst« 
der  Verfasser  in  der  That  nicht,  bei  wem 
€r  sich  deshalb  zu  entschuldigen  hätte. 
Und  in  dem ,  was  bei  der  Erzälung  jenes 
Zwistes  über  denselben  gesagt  worden« 


XIX 

glaubt  er  den  Gesichtspunkt,  aus  -wel- 
chem diese  Sache  zu  beurtheilen  ist,  rich- 
tig angegeben  zu  haben. 

Es  giebt  in  den  Einrichtungen  unserer 
gesejschaftlichen  und  politischen  Verfas- 
sungen der  unvereinbaren  Gegensätze  so 
nianche,  wo  nur  ein  Ris  durch  das  Mis- 
verhältnis  z\vischen  Natur  und  bürgerli- 
cher Verfassung,  oder  zwischen  innerer 
Nothwendigkeit  undäufsererWilkür,  den 
Streit  derselben  schlichten  kan.  Mustc 
nicht ,  um  hier  nur  eines  nahe  liegenden 
merkwürdigen  Beispieles  zu  gedenken, 
auch  unser  Schiller  sein  Dichterleben, 
das  ihm  unsterblichen  Ruhm  und  unserer 
Litteratur  einen  höheren  Glanz  gab,  erst 
durch  eine  gewaltsame  Zerreifsung  der 
Bande ,  die  ihn  an  sein  Vaterland  und  an 
einen  Fürsten  knüpften ,  der  sogar  unter 
di«   kunstliebtfnden    gezält   wird,   errin* 


XX 


gen?  In  den  wohigeortlneten  Planeten* 
eistemen  unserer  Staten,  wo  alles  sich  in 
strenger  Ptangordnung  und  weiser  Öko- 
nomie mechanisch  um  den  Mittelpunkt 
der  höchsten  Gewalt  drehet,  blieb  dem 
Kunstgenius  keine  eigene  Bahn  für  sei- 
nen freien  Kometenflug  olYen;  und  da 
die  Künste  selbst  keinen  wesentlichen  Be- 
etandtheil  unserer  bürgerlichen  Verfas- 
sung ausmachen ,  da  weder  Kirche  noch 
Staat  ihrer  mehr  zu  höheren  Zwecken  be- 
dürfen, so  werden  sie  in  derselben  auch, 
etwa  wie  die  Kinder  Israels  ohne  Bürger- 
recht, blos  geduldet;  oder  da,  wo  man 
ihnen  einen  besonderen  Schuz  angedei- 
hen  lassen  wolte,  in  den  Ghetto  einer 
Akademie  zusammengepfercht,  wo  man 
sie  nöthigt  in  das  Getriebe  der  Statsma- 
echine  mechanisch  mit  einzugreifen ,  und 
dem  State  nüzliche  Handwerker  zu  er- 


XXI 

ziehen.  Darf  man  sich  da  AVimdern, 
^venn  ein  Künstler  von  origineller  Kraft, 
der  sich  einer  höheren  Bestimmung  und 
der  Würde  seiner  Kunst  bewust  ist,  die 
akademische  Stalfütterung  ungeniesbar 
und  ungedeihiich  findet,  und  von  der  fri- 
schen duftenden  Weide  auf  Ausoniens 
immer  grünenden  Fluren  nicht  wieder  in 
den  dumpfigen  Pferch  zurükkehren 
will?  Kan  man  es  dem  Sänger  des  W^al- 
des  verargen,  dass  er  im  kehrenden  Früh* 
Hnge  dem  Käfig  entflieht,  wo  er  einen 
traurigen  W^inter  hindurch  seines  Gesan- 
ges Avegen  gefüttert  Avurde  ? 

Das  zur  schönen  Kunst  geborene  Ge- 
nie ist  unmittelbarer  und  enger  mit  det 
Natur  verbunden,  als  der  gewöhnliche, 
zum  Statsbürger  und  getreuen  Unterthan 
bestimmte,  und  zu  mannigfaltigen  Zwe- 
cken der  Geselsehaft  brauchbare  Mensch, 


IVIit  dem  entschiedenen  Talente ,  das  «i« 
ihm  gab ,  hat  er  zugleich  von  ihr  den  aus- 
flchliessenden  Beruf  empfangen  ,  auf  eine 
bestimmte  Weise  für  ein  höheres  Bedürf- 
nis der  Menschheit  zu  wirken ,  das  der 
Stat  nicht  besorgen  kan,  weil  er  warten 
mus ,  bis  die  Natur  die  dazu  fähigen  Gei- 
ster hervorbringt,  das  er  aber  befördern 
oder  hindern  kan,  je  nachdem  er  das 
Wirken  solcher  genialischen  Kräfte  in  der 
Geselschaft  begünstigt  oder  beschränkt. 
Pie  erste  Bedingung  ihrer  freien  Wirk- 
«amkeit  aber  ut  die,  dass  man  den  ech- 
ten Künstler  von  jedem  Zwange  konven- 
aioneller  Verhältnisse ,  die  nicht  algemei- 
»e  Verhältnisse  der  Humanität,  der  Sit- 
lichkeit  und  des  Rechts  sind,  enthebe; 
denn  Freiheit  ist  das  Element  des  Genius, 
Eine  zweite  Bedingung  ist,  dass  man 
V^eder  den  Künstler  noch  die  Kunst  aU 


xxni 

£igenthum  eines  besonderen  States ,  son- 
dern  als  der  ganzen  Menschheit  angehö- 
rend betrachte.  Die  Musen  lassen  sich 
nur  durch  freie  Gunst  gewinnen,  und 
wählen  ihren  Aufenthalt  da  am,  liebsten, 
^vo  sie  ihr  göttliches  Geschäft ,  den  Men- 
schen menschlich  zu  bilden,  zwanglos 
und  ungestört  üben  können;  und  nur 
durch  diese  killige  und  gerechte  Achtung 
für  den  höheren  Naturadel  des  Genius 
lassen  4ich  jene  Wechselfälle  vermeiden, 
wo  der  Künstler  sich  gezwungen  sieht, 
entweder  seinen  Beruf  zur  Kunst  det 
bürgerlichen  Existenz,  oder  diese  jenem 
aufzuopfern;  ein  Kampf,  in  welchem 
gcwönlich  beide  zu  Grunde  gehen. 

Wenn  man  hingegen  den  von  der  Na«» 
tur  entschieden  ausgezeichneten  Kunat^ 
^eist,  ohne  Rücksicht  auf  seine  Anlage, 
/rie  jeden  andern  gewÖnlichen  Mensche» 


XXJV 

behandeln  will,  für  den  die  mit  jener  so 
oft  im  Widerspruch  stehenden  subordini- 
renden  Zwangsformcn  der  bürgerlichen 
Verfassung  sehr  passend  sein  können, 
so  werden  jene  Wechselfälle  sich  so  oft 
erneuern,  als  die  Natur  ein grofses Talent 
hervorbringt,  das  im  Drange  dieses  Wi- 
derstreits Muth  und  Kraft  genug  hat, 
seine  Fesseln  zu  zerbrechen.  Und  wa- 
rend  der  Staat  in  künstlichen,  mit  gro- 
feen  Kosten  unterhaltenen  Anstalten  ver- 
gebens grofse  Künstler  zu  erziehen  be- 
müht ist,  wrd  er  die  verlieren  oderküm* 
merlich  zu  Grunde  gehen  Jassen ,  die  es 
allein  werden  konten. 

Wenn  es  überhaupt  möglich  ist,  dass 
künstliche  Bildungsanstalten  den  Künsten 
da  aufhelfen  und  gute  Künstler  ziehen 
können,  wo  kein  höherer  geselschaftli- 
eher  l^wek  ihr  Bedürfnis  fühlbar  macht. 


%vo  "kein  algemeines  und  freies  Streben 
schlummernde  Talente  aufregt  und  den 
Wetteifer  ^velit ,  so  ist  es  allein  mit  dem 
liberalen  Grundsätze  völliger  Uneigennü- 
tzigkeit,  und  gänzlicher  Verbannung  al- 
ler kleinlichen  selbstischen  Zwecke  eines 
Eusschliefsenden  Gebrauches,  und  bareif 
Vortheile  fiir  den  Staat,  möglich.  Der 
Nutzen,  den  die  Künste  leisten,  ist  hö- 
herer Art;  wer  sie  niederen  Z^vecken 
dienstbar  machen  will,  hascht  ewig  nur 
ihren  Schatten.  Selbst  den  höchsten  Zwe* 
cken  der  Gesel^chaft,  zu  deren  Beförde- 
rung sie  am  liebsten  wirksam  sind,  der 
Voiksreligion  und  der  öifentlichen  und 
häuslichen  Verschönerung  des  Lebens, 
wollen  sie  nur  mit  Freiheit  dienen.  Der 
Künstler  kan  nur  als  unabhäjigiger  Welt- 
bürger, die  Kunst  nur  als  Gemeingut  der 
Menschheit  in  Staten  gedeihen;   aber  um 


XXVI 

»ie  aus  dieser  Ansicht  auch  nur  richtig  be- 
trachten ,  geschweige  zwekmäfsig  bejian- 
deln  zu  können,  mus  zuvor  das  höhere 
Bedürfnis  und  der  Sinn  dafür  noch  erst 
entwickelt  werden. 

Noch  in  anderer  Hinsicht  möchte  die- 
ee  Lebensbeschreibung  der  Beherzigung 
junger  Künstler  zu  empfehlen  sein ,  näm- 
lich in  Hinsicht  auf  die  Methode  des  Stu- 
direns. Dieses  ist  fast  durchgängig  auf 
«wekwidrige  Nachahmung  gerichtet.  Die 
schönsten  Jahre  des  Jüjiglingsalters  wer- 
den mit  geistlosem  Kopiren  verschwen- 
det, wodurch  die  Selbstständigkeit  des 
Talents  vielmehr  unterdrükt  als  geübt, 
und  blos  das  Hand^verk  der  Kunst  geför- 
dert wird.  Diese  bequeme  Art  mit  lee- 
rem Kopf  ein  Künstler  zu  werden,  he* 
günstigen  vornemlich  grofse  Kunstsam- 
lungen und  Gallerien.     Wie  im  Lebea 


XXVÄ 

grofser  Rcichthum  und  zu  viel  Befeuern- 
Üchkeit  der  Geistesbildung  eher  schädlich 
als  nüzlich  zu  sein  pflegen,  so  findet  viel- 
leicht ein   Gleiches   auch   in  der  Kunst 
#tatt.     Nichts  mus  dem  jungen  Künstler 
ao  wünschenswcrth  sein,    als  die  Gele- 
genheit Meisterwerke   seiner  Kunst  zu 
sehen  und  zu  studiren;  und  nichts  ist  fä- 
higer ihn  z-ur  Überwindung  jeder  Schwie- 
rigkeit und  zum  Streben  nach  einem  ho- 
hen Ziele  zu  begeistern.    Aber  der  in  gro- 
fsen  Kunstsamlungen  zusammengehäufte 
Pceichthum  vortreflicher  Meister^verke  al- 
ler Antn  und  aller  Schulen,   scheint  in 
der  Länge  eine  entgegengesezte  Wirkung 
zu  haben,   und  das  eigene  Emporstreben 
eines  jugendlichen  Talents,  nicht  durch 
INIangel  an  Nahrung,  sondern  durch  Über- 
füllung,   vielmehr  zu  unterdrücken,  als 
zu  begünstigen.    Der  §tete  Anblik  derseU 


xxvni 

ben,  iJncl  die  Leichtigkeit  sich  ihn  zaver-. 
«chaffcn,    schwächt  den  belebenden  En- 
thusiasmus ;    und  das  Gefühl  des  Unver* 
mögens    et^räs    so  "Trefiiche^   hervorzu- 
bringen löst  ihn  in  den  Reiz  zum  Kopi- 
ren auf,    der  sich   mit  der  täuschenden 
Hofnung  nährt,  auf  diesem  Wege  dereinst 
zur   Hervorbringung   ähnlicher   Meister- 
•werke  zu  gelangen.     So  gehen  dann  die 
ichönsten   Jahre    des  Jünglingsalters  mit 
Kopiren  verloren ;    Hand  und  Auge  wer- 
den geübt,  aber  der  Kopf  bleibt  leer  oder 
ist  blos   mit  Reminiscenzen  aus  Kunst- 
Werken  angefüllt,   aus  denen  nie  etwas 
Selbständiges  und  Eigenes  entstehen  kan. 
So  geht  schon  frühe ,  ehe  noch  das  Ver- 
mögen   der  Erfindung   sich    entwickeln 
tonte ,  manches  Talent ,  das  fähig  ge^ve- 
aen  wäre,  seinen  eigenen  Weg  zu  gehen^ 
unter  dem  grofsen  Haufen   der  Nachah- 


XXJX 

Hier  verloren,  und  wird,  besonders  wenn 
auch  die  geistige  Eildung  vernachläfsigt 
bleibt,  wenig  mehr  als  eine  K.op irm aschi- 
ne, oder  ein  sklavischer  Nachtreter  der 
Fusstapfen  eines  Andern. 

Die  vorliegende  Lebensbeschreibung 
etellt  dagegen  das  Beispiel  eines  Künstlers 
auf,  der,  alle  Nachahmung  fliehend,  frü- 
he den  Weg  eigener  Erfindung  betrat,  auf 
^yelch€m  er  nicht  nur  eine  hohe  Stufe 
3i uns  tierischer  Bildung  erreichte,  sondern 
auch  seine  Selbständigkeit  von  aller  frem- 
den Manier  frei  erhielt,  und  blos  durch 
betrachtendes  Studium  der  besten  Muster 
alter  und  neuer  Kunst,  sich  einen  eige- 
nen musterhaften  Stil  fchuf.  Ist  nun  auch 
ein  solches  Verfahren  nicht  geradehin  je- 
dem jungen  Künstler  zu  empfehlen,  da 
nicht  jedes  Kunsttalent  mit  dem  hohen 
Grade  schöpferischer  Kraft  von  der  Natur 


XXX 

ausgerüstet  ist,   den  diese  Art  zu  studi- 
ren  voraussezt:  so  ist  doch  ein  so  auftal- 
lendes  Beispiel  durchgängig  selbständiger 
Bildung  geeignet,    in  jungen  Künstlern, 
die  von  dem  herschenden  Beispiele  der 
Nachahmung  so  leicht  hingerissen  wer- 
den ,    das  Gefühl  der  Selbständigkeit  zu 
wecken ,  und  sie  gegen  das  geistlose,  die 
Selbstthätigkeit  so   leicht  einschläfernde 
Kopiren,  mistrauisch zumachen.  Jlafaels 
Gemälde  in  den  Stanzen  des  Vatikan  sind, 
«eit   das   Kopiren   derselben  weder  zur 
Mode  ge^Yorden  ist,  immer  mit  Gerüsten 
kopirender   Künstler   so   umkgert,   dass 
man   selten   zum  freien  Anblik  der  vor- 
züglichsten, Atx  Athenischen  Schule,  Att 
Disputa,   des  Heliodor,    des  Burgbran- 
des ,   gelangen   kan.     Viele  Portefeuilles 
voll   Studien   und  Kopien   nach    Rafael 
werden  seitdem  in  d.tr\  Werkstätten  der 


XXXI 

Künstler  disseits  und  jenseits  der  Alpen 
gefunden,  aber  in  ihren  Arbeiten  -wird 
höchst  selten  eine  Spur  von  Rafaels  Gtist 
crbiikt;  desto  häufiger  findet  man  die 
Manier  der  neueren  französischen  Schu- 
le, die  sich  durch  Übertreibung,  oder  der 
akademischen  Schulen,  die  sich  durch 
Karakterlosigkeit  auszeichnet,  in  densel- 
ben herschend. 

Carstens  lebte  nicht  lange  genug,  um 
seine  selbstersvorbene  höhere  Bildung 
auch  für  andere  durch  seine  Werke 
fruchtbar  zu  machen.  Möchte  Avenig* 
«tens  die  Darstellung  seines  Lebens  für 
diesen  Zwek  nicht  ganz  verloren  sein; 
möchte  sie  in  manchem  jungen  Künstler 
den  Begrif  von  der  Würde  seiner  Bestim- 
mung erhöhen,  und  ihn  zu  dem  Ent- 
schlüsse begeistern ,  welcher  edlen ,  von 
der  Würde  ihres  Berufs  durchdrungenen 


XXXII 

(jemütliern  so  natürlich  ist ,  zu.  dem  Ent^ 
Schlüsse ,  ohne  Rücksicht  auf  den  frivo- 
Jen  Geist  des  Zeitalters  und  den  Beifall 
der  unverständigen  Menge  ,  nur  nach 
\yahrer  Vortreflichkeit  zu  streben,  die 
allein,  wie  die  Werke  der  alten  Künstler, 
in  jedem  Wechsel  des  Modegeschmaks 
den  Beifall  der  Kenner  behauptet. 

Weimar,  im  Februar  ißoG. 


Astnus 


As 


Jakoh  Carstens  v/mJe  im  Jalir  i754 
«im  loteii  JMni  zu  Sankt  Curgen,  einem  Dorie 
nalie  bei  Schleswig ,  wo  sein  Vater  Müller  war, 
geboren,  Er  war  der  älteste  von  drei  Brii- 
dejii,  von  denen  der  zweite  in  der  Folqe  das 
IIand%Ä'er]-..  des  Vaters  erlernte,  und  der  jüng- 
ste, Namens  Friedrich,  sich  gleiclifals  der 
Kunst  widmete.  Seine  Mutter  %var  die  Tocli* 
ter  eines  Advokaten  in  Schleswig,  und  liattö 
in  ihrer  Jugend  eine  vorzügliche  Erziehung 
erhalten ,  welche  sie  in  den  Stand  sezte ,  iucll 
ilire  Kinder  besser  zu  erziehen  ,  als  unter  Dorf- 
bewonern  dieses  Standes  zu  geschelien  pilegt» 
Ihr  Vater  selbst  hatte  sie  in  mancherlei  wissen« 
scliaftlichen  Kentnissen  und  in  der  lateinischen 
Spiache  unterwiesen;  auch  zeichnete,  malte 
und  stichte  sie  artig ;  und  obu-ouL  die  Ge- 
schäfte des  Hauswesens  ihr  nur  selten,  und 
späterhin  gar  nicht  mehr  erlaubten,  sich  mit 
dergleichen  Dingen  zu  beschäftigen,  so  wech- 

X 


te  sie  doch  die  Neigung  dazu  zeitig  in  ihren 
Kindern;  und  seinem  eigenen  Geständnisse 
nach  verdankte  auch  unser  Asmus  diesen  frü- 
hen Anregungen,  dass  der  Trieb  zur  Kunst 
sich  schon  im  zarten  Alter  bei  ihm  ilufserte. 
Sie  war  dabei  eine  höchst  rechtliche  Frau  von 
religiöser  Gesinnung  und  sanfter  duldsamer 
Gemüthsart,  aber  von  schwiichlicher  Gesund- 
heit; und  mit  den  Anlagen  zum  Guten  und 
Schönen,  die  eine  so  vorzügliche  Mutter,  de- 
inen Andenken  dem  Sohne  stets  theuer-  war, 
in  seine  Brust  gelegt  hatte,  empfing  er  leider 
auch  von  ihr  den  Keim  des  verzehrenden 
Brustübels ,  welchem  sie  selbst  zeitig  erlag, 
an  dem  unser  Carstens  zeitlebens  litt  und  siech- 
te, und  das  sowohl  ihn  als  seinen  jüngsten 
Bruder,  beide  fast  zu  gleicher  Zeit,  in  der 
Mitte  des  Lebens  dahin  raffte. 

Jsmus  ging  bis  in  sein  neuntes  Jahr,  w^o 
sein  Vater  starb,  in  die  Scliule  des  Dorfes. 
Nach  dem  Tode  desselben ,  wo  der  Mutter 
die  Sorge  für  die  Erziehung  ihrer  Kinder  al- 
lein überlassen  blieb,  waid  er  in  die  Stadt- 
schide  zu  Schleswig  geschickt,  das  nur  eine 
halbe  Stunde  entfernt  lag  ,  die  der  Knabe  je-, 
den  Morgen  hin,  und  jeden  Abend  zurük  ging. 


Mittags  solte  er  bei  einem  Verwandten  ui  der 
Stadt  speisen;  aber  da  veileidete  il\ui  das  iniite 
Beten  am  Tische,  an  das  er  zu  Hause  nicht 
jrevv"öhnt  war ,  und  dem  er  sich  mit  den  Kin- 
dem  des  Verwandten  unter%verfen  nuiste,  die- 
se liostgiingerei  so  sehr,  dass  er  seine  Miittei* 
bat,  ilmi  täs-lich  für  den  Mittajj  sein  Essen 
mitzugeben,  vrelches  gewöhnlich  nur  ans  But- 
tcibrod  und  Obst  bestand.,  das  er  dann  mei- 
stens in  der  nahen  offenen  Domhirche  ver- 
ztlnte.  Bald  ward  diese  \värend  der  freien 
Mittagstunden  sein  Lieblingsaufenthalt ,  denn 
er  fand  in  ihr  Gegenstände,  die  seine  Neigung 
Stiirher  anzogen ,  als  alle  Ve]gnügungen  und 
Spiele  der  Jugend, 

Auf  seinem  Dorfe  hatte  der  jung 3  AsmuS 
kaum  Gelegenheit  geliabt,  einen  schlechten 
Kupferstich,  gesch\\eige  ein  Gemälde  oder 
Bildwerk  zu  sehen.  Die  Holzschnitte  soinei* 
Schulbücher,  die  Zeichnungen  und  gemalten 
Bliunen  seiner  Mutxer,  waren  die  erste  Nah- 
rung des  Kunsttiiebes ,  der  seit  seinem  sechs- 
ten Jahie,  wo  er  zu  schreiben  anfing,  sich 
thiitig  in  ihm  regle.  Er  versuclite  schon  da- 
mals ,  alles  w.is  ihm  vorh:im  nachzuahmrn, 
4md  fand   nielir  Veignügen  daran,  einen  Hund 


oder  Ochsen  auf  der  Strafse,  oder  die  IIolz- 
sclmitte  in  seinem  Katecliismii«  naclizuzeicli- 
iien  ,  als  die  Züge  und  Buchstaben  seiner  Vor- 
schriften. 

Diese  ersten  kindischen  Bestrebungen  des 
erv/achten  Kunsttriebes  erhielten  nun,  seit  er 
den  Dom  in  Schleswig  betreten  hatte,  eine 
bessere  Nahrung  und  höhere  Pachtung.  Dort 
fempfing  er  die  ersten  mächtigen  Eindrücke  der 
Kunst,  welche  sehr  staik  gewesen  sein  müs*- 
sen,  da  er  sich  ihrer  mit  allen  Nebenumstän- 
den ,  nach  mehr  als  dreifsig  Jaiiren ,  noch  sehr 
lebhaft  erinnerte.  JDoit  auch  entstand  zuerlt 
in  ihm  der  Vojsatz ,  dereinst  ein  Maler  zu 
werden. 

Unter  andern  unbedeutenden  Schildei-ieieit 
und  Sclinizwerkcn  sind  verschiedene  GemäidÄ 
von  Jiirlan  Ovens ,  einem  der  besten  Schüler 
üemhrands ,  der  sich  tim  das  Jahr  1675  ^^^ 
Holsteinischen  aufliielt  und  dort  mehi-ere  Ge- 
mälde verfertigte,  die  vorzüglichste  Zierde  je- 
nes Domes.  Diese  Gemälde  vornehmlich  zo* 
gen  den  Sinn  des  damals  eli  -  bis  zwolfjähri* 
gen  Knaben  so  an,  dass  er  ihrem  Anblik  je- 
des andere  Vergnügen  nachsezte.  Wärcnd 
seine   Schulkameraden   Mittags  nach   dem  üu- 


terriclit  auf  dem  Kü'cliliofe  spielten  und  i\en 
Ball  sciilugen  ,  sclilicli  Asmiis  n>It  seinem  kärg- 
lichen Mittr.gsmahle  in  den  Dom,  verzehrte 
es  dort  in  der  Stille ,  und  hlcr.tcrte  über  Stüh- 
le und  Bänke  hin-\veg,  um  die  -\vun.ueisr.mcn 
Gemälde  'in  der  Nähe  zu  schauen.  Da  vergas 
er  dann  alles  um  sich  her;  ein  heifser  Wimsch, 
auch  einmal  so  etwas  machen  zuhönneu,  er- 
füllte ihn  ;  und  oft  stieg  dieses  Veilangen  zur 
Inbrunst.  Die  religiöseri  Gefühle,  die  seine 
Mutter  früh  in  seinem  Herzen  gepflegt  h:itie, 
erwachten  daun ;  Thränen  drangen  ihm  ins 
Augej  und  er  betete  mit  inniger  Sehnsucht^ 
Gott  möchte  ihm  die  Gnade  verleihen,  und 
,  ihn  dahin  gelangen  lassen  ,  dass  er  aucii  einst 
zu  seiner  Ehre  so  herrliche  Bilder  malen  hon- 
te. So  mächtig  äufserte  sich  der  Enthusias- 
mus für  die  Iiuiist,  ^vt]cher  das  Gemüth  des 
Künstlers  lebensl.iug  durchglühte  und  ziun 
rastlosen  Streben  begeisterte ,  schon  in  seinem 
Knabenaltei-.  Er  sezte  dabei  seine  kindischen 
TJebungen  immer  fieissigor  fort  und  zeichnete 
alle  Gegenstände  ,  am  liebsten  Gesichter  und 
Gestalten ,  die  ihm  voi  kamen ,  niclit  ohne 
Aehnlichkeit  nach.  jMit  Farben  zu  malen  ^var 
noch  ein  Geheimnis  für  üin.  Als  die  ^Mutter 
4x£    immer  wachsende   Neigung    des   Knabea 


jfeiir  Kunst  bemerkte ,  lelirte  sie  ilim  das  We- 
jiige ,  das  sie  selbst  vom  Malen  "wusre,  such- 
te ihm  ilne  Farbenmuschclu  und  Pinsel  her- 
vor, und  schenkte  ihm  dazu  ein  Büchlein, 
das  allerlei  Vorschriften  zum  Farbenmischen 
und  Miniaturmalen  enthielt.  Welche  neue 
Reizungen  für  seinen  Trieb!  Alle  Leute,  die 
ilun  nahe  kamen ,  musten  ihm  sitzen ,  und 
meistens  gelangen  seine  j-ohen  Nachahmungen 
so  kentlich,  dass  er  bald  unter  den  einfältigen 
Leuten  im  Dorfe,  die  dergleichen  niemals  ge- 
sehen hatten,  nicht  geiinges  Aufsehen  mit  sei- 
ner kindischen  Kunst  erregte. 

In  der  Schule  stand  es  dafür  desto  schlech- 
ter mit  seinem  Ruhme.  Hier  zeichnete  er  sich 
weder  duich  Fähigkeit  zum  Lernen,  noch 
durch  Fleis  aus.  Sein  Geist  "war  gewünlicli 
abv\^esend,  entweder  im  Dom  hei  Juiian  Ovens 
Gemälden  ,  oder  zu  Hause  bei  seinen  Farben- 
muscheln. Bücher  reizten  ihn  nur  der  Kupfer- 
stiche -wegen.  Er  leinte  nie  rechnen,  und  der 
Rechenmeister  fand  öfter  Gesichter  und  Figu- 
jen  ,  als  Zalen  auf  seiner  Tafel.  Eben  so  we- 
a;ig  wolten  Latein  und  Gricliisch,  zu  dessen 
Erlciuung  er  in  den  lezten  Jahren  hinaufaük- 
te,  in  seinen  Kopf.     Er  wüste   unter  den  Ler- 


nenclen  immer  .im  wenigsten  ,  und  weder 
Scheltworte  nock  Drohungen  vermochten  ihn 
aus  dieser  anscheinenden  Geistesdumpflieit  avif- 
zurütteln;  so  dass  die  Lehrer  ihn  für  einen 
erzdiunmen  Jungen  hielten.  Aber  auch  das 
schien  ihn  wenig  zu  hämmern ;  und  als  er 
einst,  wo  der  Lehrer  ihm  profezeite,  dass  in 
seinem  Leben  nichts  aus  ihm  ^verden  -würde, 
das  naive  Bekentnis  that,  dass  er  besser  als 
alle  Schulhnaben  lernen  wolre  ,  wenn  man  im 
Zeichnen  und  PkLilen  Üntcrriclit  gäbe ,  nnd 
der  Lehrer  ilini  dasselbe  mit  einer  derben  Ohr- 
feige vergalt,  da  bekam  er  einen  völligen  Ab- 
scheu vor  der  losen  Schixlspeise  ,  und  lernte 
noch  v\*eniger  als  vorhin.  In  der  That  veilies 
Carstens  mit  sechzehn  Jahren  die  Schule  so 
unwissend  ,  dass  er  in  der  Folge  wenig  oder 
nichts  von  dem  dort  Gelernten  zn  vergessen 
hatte. 

Schon  frülie  hatte  Carstens  den  Entschlus 
gefasst,  ein  ^lalei"  zu  werden,  nnd  die  IMutter, 
welche  von  seinen  Anlagen  dazu  täglich  neue 
Beweise  sah,  willigte  gern  in  sein  Verlangen, 
zu  einem  Portraitmaler  in  die  Lehi-e  zu  ge- 
hen. Eigentlich  -war  seine  Neigung,  ohne 
dass  er  es  selbst  "wusste ,  auf  die  Geschichi- 
jnalerei   gelichtet ,    denn   er   wohe    solche  Bil' 


s 

der,  wie  die  von  Ovens ,  malen  lernen,  nntl 
glaubte,  wenn  man  nur  die  Mensclien  recht 
ülinlieli  abmalen  iiönne,  so  könne  man  ancli 
solche  Bilder  machen.  Man  trat  deshalb  mit 
einem  der  Zeit  in  Schles\vig  seshaften,  sogC" 
nantcn  Kunstmaler,  Namens  Gewe »  der  ein 
wohlhabender,  statischer  Mann  war,  viel  Ar- 
beit hatte  ,  alles  malte  ,  und  Lehrjungen  und 
Gesellen  liiell,  in  Unt(  ^handlung.  Da  aber 
dieser  ■wohlbestallte  Kunstmaler  sieben  Lehr' 
jähre,  und  für  jedes  liundert  Thaler  Lehrgeld, 
bei  des  Lelulings  eigener  Kleidung  und  Bekö- 
stigung,  zur  Bedingung  sezte,  so  zejschlug 
sich  tler  Handel  als  zu  kostspielig  ;  denn  das 
kleine  Erbgut  unseies  Carstens  wiiade  auf  diese 
Weise  grofsentheils  wärend  der  Lehrjahre  dar- 
auf gegangen  sein. 

Auf  einiger  Fieunde  Gutachten  ward  nun 
beschlossen,  bei  dem  Ratli  Tischhein  in  Cassel 
anzufragen,  welcher  der  Zeit  für  einen  der  be» 
jiihmtcsten  Maler  in  Deutschland  galt,  und 
dem  Biiefe  an  ihn  ward  eines  der  besten  Mi- 
jiiatur  -  Bildnisse  des  jungen  Carstens  beige- 
schlossen. Tischhein  sezte  gleichfals  sieben 
Lehrjahre ,  jedoch  ohne  Lehrgeld ,  zur  Bedin- 
gung ;    dafür  aber  machte  er  zugleich  eine  an- 


d«-e  Forderung,  die  der  Mutter  sowolil  als 
dem  Sohne  zu  erniedrigend  scliien,  als  dass 
sie  sich  hätten  entschlierscn  hünnen,  dieselbe 
einzugehen.  Der  Lehrling  nämlich  solte,  wä- 
rend  der  ersten  diei  Lehrjahre,  zugleich  die 
Stelle  eines  Bedienten  vertreten ,  und  hinter 
der  Kutsche  stellen,  wann  der  Herr  Ratli  aus- 
führe. Carstens  würde  sich  vielleicht  dazu  ver- 
standen haben,  im  Hause  die  Arbeiten  eines 
Bedienten  zu  venichten ;  aber  zu  dem  Kut- 
sch enJienste  honte  er  sein  Ehrgefühl  nicht 
^iber^vinden ,  so  gi'os  auch  sein  Wunsch  war, 
der  Schüler  eines  so  berühnuen  INIeisters  zu 
wei'den.  Also  zerschlug  sich  auch  diese  Un-% 
terhaudlung,  und  da  man  sogleich  heinen  an-» 
dem  I^laler  ^vuste,  an  den  man  sich  hvitte  wen- 
den können,  so  verlief  ein  Jalir,  ohne  dass 
für  des  Jünglings  Unterkommen  eine  neue 
Entschtiefsung  gefasst  wurde»  Li  dieser  Zeit 
staib  seine  Mutter:  ein  um  so  schraei-zliche- 
rer  Verlust  für  ihn,  da  dies  Eieignis  zugleich 
auch  seinem  Sciiiksale  eine  ganz  andei^e ,  sei- 
ner Neigung  -sviderwrärtige ,  Richtung  gab, 
Die  INIülile  san>t  der  ganzen  Verlassenschaft 
4er  Altern  w^urde  vcikauft,  und  den  Kindern, 
die  das  viiterliche  Haus  verlassen  musten,  wur» 
den  Vormünder  gesezt. 


10 


Wie  selir  auch  der  jimg'e  Carstens  nun  in 
geinfi  Vormünder  drang,  ilui ,  dem  ^Villen  sei- 
jier  Mutter  gemäs ,  zu  irgend  einem  Maler  zu 
bringen,  so  Ivonte  er  sie  docli  nicht  dazu  he- 
■vvegen.  Sie  wolten  nicht  zugeben ,  dass  ihr 
Mündel  sich  einer  nach,  ihrer  Meinung  so  un- 
nützen und  brodlosen  Kunst  \vidme.  Er  sol- 
le, ihrer  Absicht  nach,  entweder  studircn,  oder 
sich  der  Handelschaft  widmen,  oder  ein  Hand- 
werk lernen.  Als  er  endiicli  sah,  dass  alles 
Bitten  umsonst,  alle  Hofnung  zu  seinem  Zwe- 
cke zu  s^elangen  verioien  -svar,  so  eiif  er  in 
der  Verzweiflung  zu  dem ,  was  er  für  das  Er- 
träglichere hielt;  er  entschied  sich  für  den 
Handel,  so  schmerzlich  ihm  auch  der  Gedan- 
ke war,  der  Kunst,  Jie  er  über  alles  liebte, 
fiuf  immer  Lebewohl  sagen  zu  müssen, 

Carstens  kam  nun  in  seinem  siebzehnten 
Jahre  nach  Eckerirföräe  zu  einem  Weinhänd- 
ler Namens  Bruyji  in  die  Lehre.  Ob-vvohl 
er  nur  von  zartem  Körperbau  und  schwächli- 
rher  Gesundheit  war,  so  schickte  er  sich  doch 
mit  unverdrossenem  Muthe  in  seine  neue  La- 
ge, und  veiriclitete  auch  die  schw^ersten  Aibei- 
ten  im  Weinkeller  nach  seinen  Kiäften.  Er 
hatte,  indem   er  sich  seinem  Schicksale  untei- 


warf,  wirldicli  den  Entsclilus  gefasst,  seine 
Neigung  zur  Kunst  zu  unterdrücken,  und  sich 
ganz  den  Pfiicliten  seines  neuen  Berufs  zu  wid- 
men. Aber  diese  Täuscliung  daueite  niclit  lan- 
ge. Ein  \ui\vidersteliliclier  Hang  zog  ilin  ^vie- 
dcr  starker  als  je  zu  ihr  zurück  ,  sobakl  er  in 
seiner  neuen  Lage  die  Möglichkeit  sah ,  die- 
sen Grundtrieb  seiner  Sele  zu  befriedigen.  Er 
fing  insgeheim  und  mit  grofsem  Eifer  seine 
Übungen  im  Zeichnen  und  Malen  ^vieder  an, 
und  geizte  niit  jeder  Freistunde,  die  ihm  am 
Abend  nach  volbrachter  Arbeit,  und  an  Sonn- 
und  Feiertagen,  vergönnt  v/ar,  oder  die  er 
dem  Sclilafe  raubte.  Glücklicher  Weise  sah 
ihm  sein  Lelirherr  diese  Bescliäftigung  in  sei- 
nen Erholungsstunden  nach,  weil  er  denLehr- 
linii  danurcli  vor  andern  scliiidlichen  Neisrun- 
gen  gesichert  glaubte.  Carstens  maclite  bald 
nähere  Bekantschaft  mit  einem  jxingen  Stafher- 
maler ,  den  er  schon  früher  in  Scliles wig  ken- 
nen gelernt  hatte,  und  eiliielt  von  demselben 
«inige  Anleitung  mit  Ölfarben  umzugehen. 
Sein  erster  Ycisuch,  den  er  im  ülmalen  mach- 
te ,  w^a^  die  Kopie  eines  Minervenkopfes  in 
natürliclier  Gröfse  von  Giusejjpe  cVArpino,  den 
ein  Einw^ohner  jenes  Städtchens  aus  Italien 
mitgebracht  hatte.     Dieser  Kopf,  und  ein  Ge- 


12 

mälde  von  Ahraham  Dlepenheck,  einem  der 
"besten  Scliüler  des  Fiuhens ,  welches  scMafende 
Nirafen  und  einen  sie  belausclienden  Satii:  vor- 
stellte ,  sind  nach  nnsers  Künstlers  eigener 
Aussage  alles  gev.^esen,  was  er  je  von  Gemäl- 
den Kopirt  hat.  Mit  so  Avenigen  Ilülfsniittelii, 
und  in  einer  so  gebundenen  Lage  konte  er 
freilich  keine  grofsen  Fortschritte  machen;  in- 
dessen dienten  sie  -weiiigstens  seinen  Kunst- 
trieb zu  beschäftigen ,  dessen  höhere  Bednrf- 
Jiisse  ihm  damals  selbst  nocli  unbekant  Ovaren. 

Die  Bildnisse  unsers  Carstens  gelangen. 
almalich  immer  älmlicher  und  besser ;  er  mal- 
zte seinen  Lehrheirn  und  verschiedene  Vei- 
wandten  desselben ,  vi''odurch  er  seiner  Kunst 
endlicli  auch  die  Gewogenheit  der  Hausfrau 
erwarb ,  die  ihm  Krökers  liolilavjührenäen 
Siaffirmaler  zum  Geschenk  vereinte.  Dieses 
Buch  war  damals  ein  Schaz  für  ihn,  aus  dem 
er,  in  der  grofsen  Un^vissenlleit ,  woiin  er 
sich  noch  befand,  manches  neue  Licht  für  sei- 
nen Kunsttrieb  schöpfte.  So  waren  etvv'a  drei 
Jahre  seiner  Lehrzeit  verflossen ,  als  Carstens 
in  Handelsgeschäften  nach  Kiel  geschickt  wur- 
de ;  und  da  ihm  sein  Kröker  jczt  kein  Genüge 
mehr    leistete,    so    ging    er    in   d.ei\  dortigen 


Bucliladen  ,   iim  irgend  ein  anderes  INIalerbuch 
zu    kaufen.     Er   fand    da   TVehhs    Untersuchung 
gen  des  Schönen  in  der  JVTalerei,     Dieses  Buch 
sclilos  ilmi,  dem  bis  daliin  die  liOlieren  B.e£rio- 
nen  der  Kiuist  nocli  ganz  fremd  geblieben  wa- 
ren ,  eine  neue  Welt  auf.     Er  las  darin  Dinge, 
von  denen  er  nie  etwas  gealmet  harte,    bekam 
eine  Menge  neuer  Begriil'e  und  Aiisiclitea  übei' 
die  Kunst,  lernte  die  Namen   der  grösten  ähe* 
i-en   und.  neueren   Maler,    eines  JiHchelang^do^ 
Rafael ,   Corre^gio  ,    Carracci  ,^Guido  u.  a.  Jien« 
nen,    imd  war  nieln-ere  Woclien  Inng   %vie  in 
einem  Taumel  von    allen   den  neuen,    grofi-ezi 
und    wunderbaren   Vorstellungen ,     die    dieaea 
Buch  in  ihm  geweckt  hatte.  Seine  erliizte  Fan- 
tasie   träumte   Tag  und  Nacht  von  den  herii- 
chen  Kunstwerken ,    die  er  darin   beschrieben 
fand  5  und  von  denen  er  sich  doch  keine  Vor- 
stellung machen  konte.     Er  las  das  Buch  üfter 
durch,    bis   ihm    klar   \rard,    was    er    anfangs 
noch  nicht  verstanden  hatte.      Hier   bekam   er 
denn   auch  zuerst  einen  deutlichen  Begrif  von 
der  IlistorieiiHialerei,    die    er  von   nun  an  als 
das  Höchste   und  Bevvundernsvi'ürdigste  ansah, 
wozu    je    ein    Künstler    gelangen    könne.      Er 
brante  vor  Begierde ,  ein  Werk  jener   grofsen 
Äleister   zu  sehen ,    deren    blofser  N.unen   ihn 


14- 

nüt  oiner  nnbegränzlen  Eljrfiuclit  erfüllte, 
und  die  seinen  bisher  so  liocli  gencliieten  Ju- 
rian  Oi'ens,  von  dem  in  jenem  Werke  iiiclit 
.einmal  die  Bede  war,  anf  einmal  in  Scliatteu 
Stellten ;  abci  dieser  Wunscli  blieb  für  jezt 
nocli  nnbeiViedigt.  Indes  belebte  das  Lesen 
des  ^^(?Z?6/sclien  Werkes  seinen  Tiicb  zurKnnst 
immer  stüriver,  nnd  gab  ilim  einen  so  liolien 
Und  -wüTdigen  Begrif  von  derselben,  dass  ihm 
dagegen  alles  Andeie  nnbedeutend  und  niedrig 
erschien.  Aber  ^iese  Entzücknngen  sezten  ihn 
zugleich  in  einen  <]ualvolien  Zustand.  Er 
fühlte  nun  zum  ejsten  Malile  lebhaft  die  Un- 
möglichkeit ein  Kaufmann  zu  \?\'erden ,  und 
die  innige  Überzeugung  von  seiner  natürli- 
chen und  einzitren  Bestimmun 2:  zur  Kunst;  und 
doch  sah  er  kein  Mittel,  sich  aus  den  Verhält- 
nissen loszureifsen ,  die  ihn  fesselten ,  und 
ihm  mit  jedem  Tage  unerträglicher  wurden. 
Er  wüste  nicht,  was  er  beginnen  solte,  er 
lebte  in  peinlicher  Unruhe,  und  weinte  oft 
insgeheim  Thranen  dcsUnniuths  uber  sein  wi- 
derwärtiges Geschik. 

Die  fünf  Lehrjahre  verliefen  endlich ,  un4 
Carspejis  solte  nun  noch,  dem  Vertrage  gemäs, 
seinem  Lehiherrn    zwei    Julue    als  Küper   die- 


nen.  Um  diese  Zeit  ward  er  mit  einem  Ad- 
vokaten des  Ortes  bekaut ,  der  ihn  schon  ans 
dem  E-ufe  eines  gesehikten  Konterfeiers  kante, 
den  er  sich  im  Stadtchen  erworben  hatte.  Die- 
ser äufserte  ihm  seine  Yer^wunderung ,  wie  er, 
bei  so  vieler  Lust  und  Fähigkeit  zur  Malerei, 
sich  habe  zum  Weinhandel  entschliefsen  kön- 
uen.  Carstens  klagte  ihm  darauf  sein  I.eid, 
wie'  er  dazu  von  seinen  Vorm.ündern  sei  ge- 
zwungen worden,  die  duich;.us  nicht  hätten 
zulassen  wollen,  Jass  er  ein  3rlaler  Avürde, 
welches  doch  immer,  und  auch  noch  jezt, 
sein  sehnlichster  \Yvinsch  gewesen  sei. 

„Ei,  —  erv/iederte  ihm  jener  —  wüsten 
Sie  deiui  niclit,  dass  nach  den  Gesetzen  kein 
Vormund  seinen  Mündel  mit  Gewalt  ablialten 
darf,  ein  ehrsames  Gewerbe,  -was  es  auch  sei, 
zu  erlernen,  sobald  dieser  einen  ernstlichen 
Trieb  dazu  bezeigt  ?  Man  hat  Ihnen  da  gro- 
fses  Unrecht  gethan.  Und  was  wollen  Sie 
überhaupt  bei  der  Handlung,  wenn  Sie  nur 
wenig  Vei-mügen  haben?  Da  müssen  Sie  zeit- 
lebens andern  Leuten  dienen,  und  kommen 
nie  zu  etwas  Eigenem."  — 

Die  Worte  dieses  Mannes  fuhren  iliui  vrie 
ein  Lichtsir.ihl  durch  die  Sele.     Er  sah  ,    dass 


iG 


liiau  ilin  auf , eine  sclimälLclio  Are  um  fünf  Jali- 
re  betrogen  habe,  und  enisclilos  sich  auf  der 
Stelle  den  Wciuhandel  zu  verlassen  und  noch 
Künstler  tu.  weiden,  wie  es  ihm  auch  erge- 
hen möge,  und  obwohl  er  bereits  zwei  und 
zwanzig  Jahre  alt  sei.  Er  wolte  die  Fesseln, 
die  er  zerreirsen  honte,  nicht  melir  tragen, 
was  es  ihm  auch  hoste,  und  sclirieb  sogleich 
Seinen  Vormündern  einen  Brief  voll  heftiger 
Vor\vürfe  und  bittei-er  Klagen  über  ihr  treu- 
loses Verfallen  gegen  ihn ,  w^orin  er  zugleich 
eyhlärte  ,  dass  luin  nichts  in  der  Welt  ihn  liin- 
ger  abhalten  solle,  seinfcr  unveriinderlicheii 
Neigung  zn  folgen;  die  unei'sezliche  Zeit,  die 
er  um  ihrcntwiilen  habe  verlieren  müssen, 
möge  dereinst  ihr  Gewissen  brennen.  Jene 
antworteten  ihm  darauf:  sie  hätten  zu  seinem 
Besten  gerathen  und  gethan,  was  sie  für 
Pflicht  geachtet ;  Vi^olie  er  sich  nicht  zum  Gu- 
ten beq^iemcn,  so  solle  er  nur  seinem  Eigen- 
sinn« nachgehen,  er  werde  es  dereinst  schon 
bereuen» 

Einen  hiüteien  Stand  hatte  er  dann  noch 
mit  seinem  Lehrlieun ,  dem  er  gleichials  sei- 
nen Entsclilus  ejhlärte,  und  ihn  seines  Dien- 
stes 2u  entlassen  bat.  Vejgebens  suchte  dieser 
ihn  dur«h  Güte  und  Ernst  von  seinem  Vorlia- 

be« 


ben  abzumahnen  ;  aber  Carmens  bebarrte  und 
claaiig  darauf  ilm  ziehen  zu  lassen,  ^vo^u  sich 
jener  vor  Ablauf  der  verdungenen  z-^Aei  Jahre 
auf  keine  Weise  verstehen  \volte.  Arger  und 
Umnutli  über  diese  neuen  Hindernisse  zogen 
Sinn  ein  liitziges  Fieber  zu,  von  dem  er  jedoch 
wieder  genas ;  und  seine  Besserung  v/urde 
durch  des  Lehrheirn  Erklärung ,  dass  er  so- 
gleich frei  abziehen  könne »  wenn  er  ihm  für 
jedes  der  zwei  Jahre  vierzig  Thaler  zur  Ent- 
schädigung bezale .,  nicht  wenig  beschleunigt. 
Carstens  ging  mit  Freuden  diese  Bedingung 
ein,  kaufte  sich  mit  achtzig  Thalern  von  sei- 
ner Verbindlichkeit  los ,  und  kehrte  im  Soin-> 
mer  1776  nach  Schleswig  zurück,  von  w^o  er 
im   Herbst  desselben  Jahres  nach  Kopenhagen 

•So  war  denn  endlich,  nach  einer  unglükU- 
chen  fünfjährigen  Verspätung,  mit  Mühe  der 
eiste  Schrit  zum  Ziele  gewonnen, 

In  Kopenhagen  fand  Carstens  den  Maler 
Jpsen  ^vieder,  dessen  Bekantschaft  er  schon 
früher  in  Schleswig  gemacht  hatte,  w^o  dersel- 
be sich  bei  dem  voihiu  genanten  Kunstmaler 
(jeire  im  Ohnalen  übte.  Jpsen  war  in  seinen 
früheren  Jahien  ein  Seemann  gewesen,     hatte 


i8 

schon  verscliiedene  Pieisen  zur  See  gemacht, 
und  gleiclifals  aus  überwiegendem  Triebe  zur 
Kunst  jenes  raulie  Gewerbe  verlassen.  Er 
maclite  sich  in  der  Folge  als  einen   jreschikten 

o  ö 

Porträt  -  und  Marinenmaler  bekant.  Als  Car^ 
Stens  nach  Kopenhagen  kam  ,  war  dieser  Ijysen, 
der  bereits  seit  'einigen  Jahien  dort  studirte, 
sein  einziger  Behauter  daselbst,  und  er  zog  zu 
ihm  in  seine  Wohnung. 


Nun  ging  endlich  auch  der  Wunsch ,  deii 
Carsten»  so  lange  gehegt  hatte,  Werke  von 
den  grofsen  Meistern  zu  sehen,  die  er  bisher 
blos  den  Namen  nach  kante ,  in  Erfüllung. 
J-psen  führte  ihn  in  die  königliche  Gemäldegal- 
lerie,  wo  der  Aufseher,  Ijjsens  Tiennd.,  ihm 
auf  des  lezteren  Empfehlung  den  freien  Besuch 
der  Gallerie  erlaubte.  So  sehr  aber  auch  die 
Menge  tieflicher  Malereien ,  die  er  dort  sah, 
auf  seinen  Sinn  wirkte,  so  bewundernswür- 
dig und  unbegreiflich  die  Kunst  ihm  darin  er- 
schien ,  so  war  ihre  Wirkung  doch  gering  gegen 
den  mächtigen  Eindruck,  den  die  Abgüsse  der 
alten  Bildw^erke  in  dem  Antikensale  der  Aka- 
demie auf  ilm  machten,  als  er  diesen  zuerst 
besuchte.  —  Doch  wir  lassen  jezt  lieber  den 
llünstler  in  eigener  Person  erzälen,    was  er 


späterhin  in  Rom  dem  Verfasser  über  seinen 
Aufenthalt  und  sein  Kunststudium  in  Kopen- 
hagen  niittlieilte, 

,,Da  —  sagt  er ,  —  sah  ich  nun  das  Hüchi 
ste  und  Vortreflichste ,  von  dem  ich  so  vieles 
gehört  imd  gelesen  hatte ,  womit  ich  so  oft 
meine  Einbildungskraft  erhizte,  und  wovoii 
ich  mir  doch  keine  Vorsteilung  machen konte; 
und  wie  unendlich  weit  übertraf  es  meine  Er» 
Wartung !  Alles  was  ich  bisher  von  Kunst  ge- 
sehen hatte  ,  war  mir  nur  als  Menschenwerk 
erschienen,  und  ich  dachte  dabei,  dass  ich 
auch  wohl  dahin  gelangen  könne,  dergleichen 
zu  machen ;  aber  diese  Gestalten  ei*schienen. 
"mir  als  höhere  Wesen  von  einer  übeimensch- 
lichen  Kunst  gebildet;  und  e»  fiel  mir  nicht 
'ein  zu  denken,  dass  ich  oder  irgend  ein  ande- 
rer Mensch  je  dergleichen  hervorzubringen 
Vei-möchte.  Ich  sah  hier  zum  erstenmal  den 
l'^^atikanischen  A-pollo  >  den  Laokoon ,  den  Far- 
nesischen  Herkules  ,  den  Borghesischen  Fechter 
11.  a.  und  ein  heiliges  Gefühl  der  Anbetungi 
das  mich  fast  zu Thränen bewegte,  durchdrang 
jnich ;  es  war  mir,  als  ob  das  höchste  \Yeseüi 
2u  dem  ich  als  Knabe  im  Dome  zu  Schleswig 
t>ft  so  innig  gebetet  hatte,    mix  liier  wiikUcfe 


crscliienen,  und  nun  mein  Gebet  erliort  sei. 
Ich  liätte  inir  lieine  grössere^  GiLickseligl..eic 
denken  und  wünsclien  Ivönnen,  als  immei;  in 
der  Betraclitung  dieser  lierliclien  Gestalten  zu 
leben;  und  dieses  Glücli  war  nun  wiiklicli  in 
meiner  Gewalt.  Ich  machte  mit  dem  Aufse- 
Iier  des  Antihensales  den  Vertrag,  dasseimicli 
einliesse,  so  oft  ich  kommen  "würde.  Von  nun 
an  war  ich  fast  täglich  halbe  Tage  lang  unter 
diesen  Abgüssen ,  lies  mich  bei  ihnen  ein- 
schliefsen  und  betrachtete  sie  unaufliörlich, 
frezeichnet  habe  ich  da  niemals  nach  einer  An-^ 
tike.  Ich  glaubte  das  Nachzeichnen  würde 
mir  zu  nichts  helfen,  und  wenn  ich  es  ver- 
suchte ,  so  war  mir ,  als  ob  mein  Gefühl  da- 
bei erkalte.  Ich  dachte  also ,  dass  ich  mehr 
lernen  würde ,  weim  ich  sie  recht  fleissig  be- 
trachtete und  ilire  Formen  meinem  Gedächt- 
iiis  so  fest  einprägte,  dass  ich  sie  nachher  wie- 
der aus  der  Erinnerung  lichtig  aufzeichnen 
Könte ;  und  dies  war  auch  das  Einzige  ,  was 
ich  nun  für  lange  Zeit  trieb.  Zum  Porträtma- 
len  imd  Nachzeichnen  hatte  ich,  seit  ich  iu 
Jvopenhagen  war,  alle  Lust  verloren.  Eher 
fväre  es  nVir  möglich  gewesen  nach  den  Anti- 
hen  zu  modelliren;  sie  nacluiueiclmen  ko:u« 
ißh  «lieh  nie  entscliliefseu. 


J,^Yavencl  des  ersten  Winters  liürte  icli  eine 
Vorlesung  über  die  Anatomie,  die  der  Profes- 
sor TViedcnliau-pt  auf  der  Akademie  in  däni- 
sclier  Sprache  hielt.  Vieles  in  seinen  Vorle- 
sungen verstand  ich  da-nals  nicht ,  v/eil  icK 
noch  zu  ^venig  Dänisch  wüste,  aber  ich  lern- 
te es  doch,  durch  die  Art,  wie  er  diese  Wis- 
senschaft demonstrirte,  mit  den  Augen.  Er 
las  nämlich  einen  Abend  über  einen  Theil  des 
Körpers,  und  erklärte  ihn  an  elnein  Skeletund 
an  einer  Anatomieiigur ,  die  er  selbst  verfertigt 
hatte.  Am  folgenden  Abend  wiederholte  er  die 
selbige  Vorlesung ,  und  lies  dazu  von  einem 
lebenden  Modelle  alle  Be^vegungen  und  Ver- 
xichtimgen  desselben  Theiles  mehrmals  ma- 
chen ,  so  dass  die  Zuhörer  nicht  nur  die  Gelenk© 
der  Glieder  nebst  der  Lage  und  Anheftung  de»: 
Muskeln  in  Failie,  sondern  auch  die  Bcwegunge» 
mit  den  dadurch  entstehenden  Veränderungen 
in  den  Formen  derselben,  sehen  und  begreifen 
konten.  Durch  Hiilfe  dieser  Vorlesungen,  die 
ich  im  folgenden  Winter  ziun  zweiten  male 
und  mit  mehr  Nuzen  hurte,  und  durch  das 
fortgesezte  Betrachten  der  Antiken  ,  bekam  ich 
almälich  ein  richtiges  Verständnis  des  Körpers 
■imd  einen  Eegrif  von  schöner  Foim  ,  so' dass 
ich  nun  auch  lebendige  Gestalten,     -^v©  all§s 


weit  unbes'timter  und  undeutlicher  ersclieint,. 
Ijesser  verstehen  lernte ,  ohne  dass  ich  nöthig 
gehabt  hätte ,  zum  Nachzeichnen  meine  Zu- 
flucht zu  nehmen,  welches  mir  bei  dem  stärk- 
sten Triebe  zur  Kunst  doch  immer  zuwider 
war,  und  mir  eine  unwürdige  Art  zu  stiidireii 
schien.  So  trieb  ich  es  etwa  zwei  Jahre  lang-, 
und  habe  in  dieser  Zeit  nichts  weiter  gezeich- 
iiet,  als  die  Figuren  und  Stellungen  der  Anti- 
llen,  die  ich,  nach  der  Betrachtung,  oft  und 
aus  verschiedenen  Ansichten,  zu  Hause  aus  dem. 
Gedächtnisse  v/iederholte.  Ich  hatte  schon 
lange  den  Trieb  selbst  etwas  zu  erfinden ,  der 
durch  die  Komposizionen  anderer  junger 
Künstler  noch  mehr  angereizt  w^urde;  auch 
fehlte  es  mir  in  der  Vorstellung  nicht  an  Bil- 
dern; aber  ich  honte  mir  anfangs  hcines  so 
zur  Deutlichheit  bringen  und  fest  halten,  dass, 
ich  es  litätte  aufzeichnen  Können.  Denn,  w^^^. 
ich  gleich  dazu  den  Kürpei;  sclion  genugsam 
taute,  so  war  ich  doch  noch  nicht  im  Standes, 
eine  Figur  in  jeder  vorkommenden  Stellung 
zu  denken,  noch  w^eniger  sie  aus  dem  Kopfe 
«u  zeichnen.  Übei-dies  fehlte  es  mir  auch  noch 
gänzlich  an  Kentnis  von  den  Pi<>goln  der  Per- 
fpektiv,  der  Komposizion,  der  Beleuchtung 
%nd,  Drappirung,     Ich  suchte  mir  zwar  immer 


im  Betracliten  der  GemÄlde  "iiiid  Statuen  von 
diesen  Dingen  zu  merken ,  so  viel  ich.  konte , 
aber  das  ging  natürlicher  Weise  im  Anfange, 
wo  ich  gleichsam  alles  selbst  erfinden  muste, 
sehr  langsam.  Doch  glaubte  ich  es  auf  keine 
andere  Weise  lernen  zu  können ,  und  da  ick 
sah,  dass  ich  doch  almälich  vveiter  kam,  so 
verlor  ich  den  Muth  nicht ;  im  Gegentheil 
feuerten  mich  diese  Schwierigkeiten  nur  noch 
mehr  an,  und  der  Gedanke,  sie  aus  eigeneii. 
Ixraft  besiegen  zu  können,  und  meine  Kunst 
keinem  Lehrer  schuldig  zu  sein ,  sclmieichelt* 
meinem  Ehrgeize.'* 

„Eald  nach  meiner  Ankunft  in  Kopenhagen, 
ging  ich  auch  einigemal  auf  die  Kunstakade- 
mie und  sah,  wie  dort  in  den  verschiedencÄ 
Klassen  nach  Köpfen,  Händen  ^und  Füfsen, 
nach  Modelzeichnuhgen ,  Gipsen  und  endlick 
nach  der  lebendigen  Natur  gezeichnet  wurde  ; 
aber  es  w^olte  mir  nicht  in  den  Sinn ,  auf  diese 
zerstückelte  Artzustudiren,  wenn  ich  dadurch 
auch  in  kürzerer  Zeit  hätte  zu  meinem  Zwe- 
cke gelangen  können.  Dazu  kam 'noch  eine  ge- 
wisse Scham ,  dass  ich ,  der  schon  so  alt  war 
als  ich  zur  Kunst  kam,  in  den  untersten  Klas- 
sen unter  kleinen  Jungen  sitzen  gölte  j    dwjii 


A4. 

von  unten  nmste  jeder  anfangen  ,  der  auf  der 
Al^ademie  studiren  wolte.  Das  Zeichnen  nack 
dem  Leben  gefiel  mir  zwar ,  und  ich  wind» 
auf  die  Akademie  gegangen  sein,  "svenn  ich 
gleich  damit  hatte  anfangen  können ;  doch 
schien  mir  der  Herl ,  welcher  zum  Modell  stand, 
obwohl  er  sonst  gut  gebauet  war,  gegen  die 
Antiken ,  von  denen  ich  schon  höhere  Begriffe 
von  Schönheit  erlangt  hatte ,  so  unvoUkom- 
jnen  und  gemein,  dass  ich  dachte,  ich  könte 
wohl  eine  bessere  Figur  zeichnen  lernen, 
wenn  ich  mich  blos  an  diese  hielte.  Ich  nahm 
mir  also  vor,  die  Akademie  lieber  nicht  zu  be- 
suchen ,  sondern  für  mich  allein  zu  studijen, 
so  viel  auch  die  andern  jungen  Hünstier  mir 
von  der  Notluvendigkeit  und  Nüzlichkeit  des 
akademischen  Studiums  vorredeten/' 

jjUni  diese  Zeit  ward  ich  mit  einena  gefchick- 
ten  jungen  Bildhauer  Namens  Tf'^ohJer  zms  Mag- 
debtirg  bekant,  der  einige  Jahre  lang  iiiRom 
gewesen  war,  und  daselbst  verschiedene  Sta- 
tuen in  halber  Lebensgröfse  nach  den  Antiken 
in  Thon  modellirt,  sie  dann  stükweise  ge- 
braut und  so  mit  zurük  gebracht  hatte.  Die- 
ser lieh  mir  öfter  solche  Theile  von  seinen  Ko- 
pien in  meine  Wohnung,  wo  ich  sie  bei  mei- 


25 

Men  eigenen  Erfindungen  zu  Ratlie  zog.     Denn 
da   ich  jezt  fleissig  zu  koraponiren  anfing  ,  so 
fand   ich  bald,     >voran    es   mir   hauptsächlich 
fehlte ,    wenn   ich  meine  entworfenen  Figuren 
weiter  ansfüliren  ^volte  :     ich  konte  mir  näm- 
lich wohl   das    Ganze ,     aber  nicht  immer  alle 
Theile    deutlich    genug  vorstellen.     Aber    ich 
aulite    nicht ,     bis   ich   es   auch   dahin  brachte, 
um   nicht   ein   blosser  Shizzenniacher  zu  wer- 
den.    Vorzlglich  benuzte  ich  auf  diese  Art  zu 
Kleinen    Studien    den  Borghesischen    Fechter. 
Durch  diese  stete  Uebung  meiner  Einbildungs- 
kraft  mir  alle   Gegenstände   rund  vorzustellen, 
und  mir  Formen   und    Umrisse   derfelben  van 
allen   Seiten  wohl   einzuprägen,     Ts-obei  mich 
die  anatomischen   Kenntnisse,     die  ich  bereits 
hatte  ,    nnterstiizten  ,     gelangte  ich  endlich  da* 
hin,  dass  ich  einen  Theil ,  'v/enn  ich  ihn  ein- 
mal  in    verschiedenen    Ansichten    und    Lagen 
von  allen  Seiten  recht  durchs tudirt,    und  eini- 
gemal  die   Anwendung   davon  in   eigenen  Er- 
findungen gemacht  hatte,  nachher  in  den  vor- 
nehmften  Stellungen  und  Venichtungen  ziem- 
lich  richtig   aus   der    Vorstellung   aufzeichnen 
konte ;     und    was    ich  auf  diese  Weise  einmal 
recht  begrüien  hatte  ,     vergas    ich  nicht  leicht 
wieder.     So  studirte  ich  alle  Theile  des  Kui- 


2^ 

pers  melirmal  mit  der  Anwendung  in  eigenen 
!prliiidiingen  diircli,  und  erwarb  dadurch  mei- 
|ier  Vorstellungskraft  eben  die  Uebung  und 
Fertigkeit,  welche  andere  Künstler  durch  vie- 
les Nachzeiclinea  iiios  in  Hand  und  Auge  brin- 
gen ;  welches  mir  in  der  Folge  für  die  Leich- 
tigkeit im  Erlinden  undKomponiren  sehrnüz- 
licii  gewesen  ist.'^ 

sjWenn  nun  jiuch  das  ,  was  ich  anfangs  auf 
diese  Weise  hervorbrachte,  sehr  stümperhaft 
und  schlecht  war  ,  so  konte  ich  nun  doch  we- 
nigstens meine  eigenen  Erfindungen  schon 
jjothdürftig  ausdrücken ,  die  sich  anfänglich 
blos  auf  Koraposizion^n  von  einer  oder  zwei 
Figuren  einschränkten.  Mein  erster  Versuch 
in  ei«:enen  Erfiudun2:en,  den  ich  wirklich  aus- 
fährte,  war,  soviel  mir  noch  erinnerlich  ist, 
der  Tod  des  Aschylus.  Ich  weis  nicht  mehr, 
•wie  ich  gerade  auf  dieses  Thema  gekommen 
•Vvar,  aber  diis  weis  ich  noch,  dass  es  mir  er- 
schrecklich sauei*  ward,  bis  ich  damit  zu  Stan- 
de kam ;  denn  ich  kante  noch  keine  einzige 
Fi.egel  der  Kunst,  oder  die  ich  etwa  schon  kan- 
te, wüste  ich  doch  noch  nicht  anzuwenden. 
Aber  diese  Bedürfnisse  und  Verlegenheiten, 
^ie  ich  tdglich  empfand,     trieben  mich  immer 


'^1 

^ehX'  an,  aiif  alle  Weise  Belehrung  zu  suclien; 
alles   was  icli  las  und  fall,     auf  meine  Stiidieu 
anzu-\venden  ;    und  andere,    die  mehr  ^vusten 
als  ich,  um  Rath  zu  fragen.     So  lernte  ich -sre- 
nigstens  die   ersten  Hauptregeln  der"  Komposi- 
zion  kennen:     wie  man  malerisch  gruppiren, 
die  Figuren  zusammen  verbinden,  den  Einfall 
des    Lichts    vortheilhaft  wählen ,     Licht   und 
Schatten  in  Massen  zusammen  halten,  Löcher, 
durchschnittene   Gliedmafsen,     gerade   Linien 
und  Winkel   vermeiden  müsse  u.  s.  w. ,     die 
ich  denn,  so  gut  als  ich  konte,    in  Ausübung 
brachte.     Eines   der   ersten  Kunstbiicher ,     die 
ich  in  Kopenhagen  las  ,  waren  des  Du  Bos  Be- 
trachtungen,   w^oraiis  ich  im  Allgemeinen  viel 
Nüzliches  lernte ,    und  Begriffe  von  den  höhe-. 
Ten  Z^vecken  der  schönen  Künste  bekam  ,    die 
ich  mir  noch  nie  in  Verbindung  gedacht  hatte. 
Aber  weit  lehneicher  und  nüzlicher  war  mir 
des    Gerhard  Lairesse  grosses  jMalerhuch ,     das 
ich   duch  ipsen  erhielt,  der  es  auf  einer  seiner 
Seefahrten  aus  Holland  mitgebracht  hatte.    Ich 
lernte   bald   soviel   Hollandisch,     dass  ich  den 
JLairesso  verstehen   konnte.     Da  fand  ich  denn 
ij^her    alle   Gegenstände   der  Kunst  ausführliclie 
Belehrung  von    einem    praktischen    Künstler, 
gerade  so    wie  sie  mi;-  notii  that,     Besondv-vs 


28 

'Richtig  War  mir  das ,  Tvas  icli  darin  über  die 
malerisclie  Anordnung  der  Figuren  in  einer 
Komposizion  zur  Bezweclxung  der  Deutlick- 
lieit  las ,  und  das  ich  aucli  in  den  Kupfersti- 
chen nac^  R-afaels  Logen ,  die  ich  gerade  um 
jene  Zeit  erhielt,  und  die  von  nun  an  meine 
vorneliiusten  Wegweiser  in  der  Komposizion 
wurden ,  bestätigt  fand.  So  ward  mir  von  al- 
len Theilen  der  Kunst  der  Begrif  einer  ma- 
lerischen Komposizion  am  ersten  deutlich. 
Nächstdem  las  ich  noch  den  DePiles,  aus  dem 
ich  die  Leben  der  grossen  Maler  hennen  lern-« 
te,  und  was  ich  sonst  an  Kunstbüchern  erhal- 
ten konte,  mit  groster  Aufmerhsainheit.  Die- 
se liefsen  inich  zwar  oft  im  Stiche ,  wenn  ich 
mich  bei  ihnen  E^aths  eiholen  wolte ,  doch 
war  mir  das  Lesen  derselben  von  grossem  Nu- 
zen,  denn  sie  vej-anlafsten  mich  zum  Nachden- 
hen.  Da  ich  die  Akademie  nicht  besuchte ,  so 
hatte  ich  auch  lauge  keine  Gelegenheit  die  Be- 
tantschaft  der  älteren  Künstler  nnd  Professo- 
xen  zu  machen;  ich  wai-  auch  zu  scheu,  sie  zu 
suchen,  weil  ich  noch  so  ganz  Anfänger  war; 
ich  muste  mich  also  wohl  an  Bücher  halten. 
Diese  einsame  und  mühselige  Art  "zu  studiren, 
imd  gleichsam  alles  selbst  zu  entdecken ,  brach- 
te mich  zwar  nur  langsam  weiter,  aber  sie  hatte 


23 

unter  andern  Voitlieilen  aucli  Jen,  dass  icli 
von  rillem  Sclilendrian  der  akademisclien  Kom- 
pohlrlvunst  frei  blieb,  unddurcli  keine  Manier 
auf  Irwege  geleitet  wurde.  Muster  wie  üa/ae/^ 
Logen  konten  midi  nicht  irre  leiten.  Um  die-« 
se  Zeit  fing  icli  aucli  an,  -Ubei-setzungen  von 
alten  Autoien  zu  lesen,  soviel  ich  deren  hab- 
haft werden  konte ;  sie  sind  aucli  nachlier  im* 
mer  meine  liebste  Lektüre  geblieben." 


ö- 


„Tch  mochte  ungefähr  vier  Jahre  lang  In 
Kopenhagen  gevv'csen  sein,  als  ich  zufälliger 
Weise  dem  Grafen  ßloltke  bekant  wurde,  der- 
©ine  schöne  Samlung  von  Gemälden  besas ,  die 
ich  öfters  besuchte.  Da  er  mich  schon  zu 
mehreren  Malen  in  seiner  Gallerie  getroffen 
hatte,  so  lies  er  sich  einst  mit  mii-  ins  Ge- 
spräcli,  luid  verlangte  et^vas  von  meliier  Ar- 
beit zu  sehen.  Icli  brachte  ihm  nach  einiiier 
Zeit  eine  von  meinen  Komposizionen,  welche 
Adavi  und  Eva  nr^ch  der  Miltonschen  Dich- 
tung neben  dem  Bamne  der  Erkenntnis  vor- 
stellte, hinter  welchem  der  Teufel  im  Verbor- 
genen lauerte.  Die  Zeichnung  fand  des  Gra- 
fen Beifall,  und  ergab  mir  den  Auftrr.g  ,  sie 
ilim  in  Ölfarben  auszumalen  ,  mit  dem  Erbie- 
ten,    dass  ii  mir  sechzig   Thuler  dafür  geben 


30 

Volle.  Ich  fing  mein  Gemälde  mit  grofs6ift 
Eifer  an,  und  machte  es  so  gut  und  fleifsig, 
als  ich  konte.  Na-ch  zwei  Monaten  war  es 
fertig/' 

,,Der  Graf  -war  inzwischen  auf  eines  seiner 
Landgüter,  siebeii  Meilen  von  Kopenhagen' 
entfernt,  gegangen.  Wo  er  sich  gewönlich 
"wärend  des  Sommers  aufliielti  Da  ich  das  Geld 
nütliig  hatte,  so  entschlos  ich  mich,  ihm  mein. 
Bild  selbst  zu  überbringen.  Ich  kam  auf  dem 
Gute  anj  überreichte  dem  Grafen;  der  sich 
ineiner  kaum  zu  erinnern  schien,  mein  Ge- 
mälde; er  betrachtete  es  eine  Zeitlang,  xmd 
sagte  endlich  :  ,,Es  ist  recht  gut,  mein  Freund, 
dass  er  das  Bild  gemalt  hat ;  aber  ich  habe  ei- 
ne Gallerie  von  lauter  Meisterstücken,  unter 
■welchen  ich  doch  seine  Malerei  nicht  aufliän- 
gen  kann.  Nehme  er  sein  Bild  in  Gottes  Na- 
men w^ieder  mit  sich,  er  wiid  schon  einen 
Liebhaber  dazu  finden/'  —  Dauiit  gab  er  mir 
mein  Bild  zuriick  und  ein  Papierchen ,  worin 
er  acht  I)ukateh  gewickelt  hatte.  Diese  Auf- 
nahme hatte  ich  nicht  erw^^rtet,  sie  war  mir 
liränkend.,  und  ich  antwortete  dem  Grafen: 
j,Ew.  Excelleriz ,  ich  bin  ein  Anfänger ,  -^er 
trst  etwas  lernen  "will;  ich  glaubte,  Sie  wür« 
>jleh  das  Bild  blos  zu  meiner  Aufmunterung  bfe^ 


5i 

stellt  haben ,  und  die  Eine,  die  Sie  mir  da-- 
diucli  erzeigten,  liat  mich  angespoint,  alle 
meine  Kräfte  darraif  zu'verwenden.  'Ich  weis 
vv'ohl,  dass  es  in  ilwer  schönen  Samliing  hci- 
nen  Platz  verdient ;  hängen  Sie  es  wohin  Sie 
"wollen.  Es  würde  mir  eine  Schande  sein, 
wenn  ich  das  Bild  wieder  nach  Hause  tragen 
müste."  —  Aber  diese  Vorstellung  war  frucht- 
los ,  der  Graf  -wiederholte ,  ^vas  er  mir  gesagt 
hatte,  und  ging  in  sein  Kabinet.  Mit  Schani 
und  Arger,  dass  meine  Arbeit  verschmäjiet: 
wiude,  nahin  ich  sie  zurücli.  Die  acht  Du- 
taten ,  so  nöthig  ich  sie  gehabt  hätte ,  lies  ick 
auf  dem  Tische  liegen  ,  w^eil  es  mir  schimpf- 
lich schien  sie  anzunehmen,  und  so  kelute 
ich  gerades  Weges  wieder  nach  Kopenhagen 
um.  So  ungünstig  dieser  erste  Ausflug  mit 
meiner  Kunst  auch  abgelaufen  w^ar,  so  schlug 
er  mich  doch  nicht  nieder;  ich  verschmerzte 
bald  die  getäuschte  Erwartung  und  seztemein« 
Übungen  im  Kompouiren  fleifsig  fort." 

sJDer  Aufseher  der  Moltkeschen  Gemälde- 
samlung,  dem  ich  meine  schlechte  Aufnahnje 
bei  seinem  HeiTu  erzälte ,  verschaffte  mir  bald 
ciarauf  die  Bekantschaft  des  Kammerherrii 
von  T^'^arnstüdt s    eines  der  grösten  KunstUcb* 


3« 

liaber  und  Ktlnstlerfrennde  in  Kopenliageia; 
Er  hatte  diesem ,  der  gleiclifals  aus  Sclileswig 
geburtig  v/ar,  den  Vorfall  zwischen  dem  Gra- 
fen lind  dem  jungen  Sclileswiger  Maler  erzält. 
Der  Kanimerherr  von  PT^arnstlidt  kam  zu  mir 
in  meine  Wohnung  und  begrüfste  mich  als  sei- 
nen Landsmann.  Ich  muste  ihm  das  Bild  zei- 
gen ,  das  ich  für  den  Grafen  IVIoltke  gemalt 
Jiatte ;  er  lobte  es ,  und  that  mir  das  Anerbie- 
ten, mich  dem  Erbprinzen  Friedrich  behaut 
S.U  machen.  Da  dieser  Prinz  zugleich  Präsi- 
dent der  K-unstahp.demie  war,  so  honte  mir  sei- 
ne Behantschaft  von  mächtigem  Nutzen  sein. 
DerErbpiinz  sandte  auch  wirklich  nach  einigen 
Tagen  und  lies  mich  mit  dem  bewusten  Bilde  zu 
sich  iiifen»  Er  empfing  mich  mit  Gute,  be- 
zeugte meiner  Arbeit  seinen  Beifall  und  sagte 
mir,  er  wolle  das  Bild  behalten.  Auf  des 
Prinzen  Befragcri^  ob  ich  auf  die  Akademie 
o-ehe ,  erwiederte  ich ,  dass  ich  erst  für  niicli 
einen  guten  Grund  legen  wolle,  um  sodann 
die  Akademie  mit  desto  mehr  Nutzen  besuchen 
zu  können.  Er  billigt«  das,  und  entlies  mich 
^ütig  mit  dem  Zusätze,  dass  ich  recht  fleissig 
fort  Studiren  solle;  er  "werde  sich  meiner  er- 
innern. Am  folgenden  Tage  empfing  ich  eine 
Allweisung  auf  hundert  Tlialer  von  ilun.     So 

ward 


53 

ward  icli  mit  meinem  GlücKe  wieder  versülant, 
iiud  erliieltmelir  Geld  und  Eine  für ineiii  Bild, 
als  icli  gelioiFt  hatte ,  und  was  mir  nocli  Avicli- 
tiger  ^var,  die  Bekantscliaft  4es  Erbpiinzen, 
die  mir  auch  w-ahrsclieinlich  in  der  Ziihunfc 
vortheilliaft  gewesen  sein  würde  ,  wenn  nicht 
späterliin  ein  Yorfail  diese  Aussicht  zerstört 
hatte." 

„Mein  eigenes  Vermögen  war  nun  beinahe 
darauf  gegangen ,  und  ich  sah  mich  genöthigt, 
für  Geld  zu  arbeiten,    %Tcnn  ich  langer  in  Ko- 
penhagen leben  wolte.     Ich   suchte  also  meine 
so  lange  verabschiedete  Porträtmalerei  wieder 
liei-vor,  auch  zeichnete  ich  Porträts  niitRöthel 
in   einer  säubern  gef^illigen  Manier,     die  viele 
Liebhaber  fanden  und   mir  gut  bezalt  'vvurden, 
8d  dass  ich  noch  z-wei  Jahre  lang  von  diesem 
Erwerb  nicht  nur  in  Kopenhagen  recht  gut  le- 
ben  und   dabei   studiren,     sondern  auch  noch 
etw^as    erübi'igen    honte.     Indessen    hatte    ich 
auch  im  Erfinden  und  Komponiien,     V\-elche8 
ich    fleissig    mit    immer  wachsender    Leiden- 
schaft trieb,     merkliche   Fortschritte  gemacht, 
und  %vard  mit  deni  Professor    Stanley  bekant, 
einem  vortreflichen   Zeichner    und   Komponi- 
sten, der  ein  reiclics  Talent  zur  Erfindung  hat- 
«e.     Stanley    besuchte    mich    und    sah    meine 
3 


54- 

bisherigen  Versuclie  in  der  Kunst ,  unter  denen 
er  eine  Komposizion ,  die  ihm  vorzüglich  ge- 
rathen  schien:  dett  Tod  Balders  und  iTie  all» 
Götter  um  ihn  Idagen  ^  auswähhe»  um  sie  mit 
auf  die  Akademie  zunehmen,  und  in  der  näch- 
sten Versamhmg  der  Professoren  vorzulegen. 
Er  brachte  mir  nach  einiger  Zeit  meine  Zeich- 
imng  zurüch,  die  den  Beifall  der  Professoren 
erhalten  hatte,  und  lud  mich  gleichsam  imNa- 
jtlen  aller  ein ,  die  Akademie  zu  besuchen. 
Dazu  hatte  ich  aber  jezt,  wo  ich  sah,  dass  ich 
für  mich  selbst  weiter  kam ,  noch  weit  weni- 
ger Lust  als  ehemals ;  im  Gegentheil  hatte  ich 
gegen  das  akademische  Studiren  einen  gewis-» 
sen  Widerwillen  gefafst,  und  mein  ganzes 
Streben  war  schon  jezt  dahin  gerichtet,  bei  ei- 
ner Austeilung  mit  um  den  Preis  zu  werben» 
und  durch  die  That  zu  zeigen ,  dass  man  auch 
ohne  Akademie  Künstler  werden  könne.  Ich 
erklärte  also  :  ich  habe  so  lange  für  mich  stu- 
dirt,  ich  sei  schon  zu  alt,  um  noch  jezt  ein 
Zögling  der  Akademie  zu  werden ,  und  wolle 
dort  nicht  mit  Knaben  in  einer  Klasse  sitzen  ; 
wenn  man  mich  aber  gleich  in  den  Modellsaal 
anlassen  wolte ,  so  wäre  ich  niclit  abgeneigt, 
die  Akademie  zu  besuchen.  Eigentlich  schlug 
icU  diesen   Mittelweg^  nur  dariun  vor«    wiil 


35 

ich  durch  den  Einflus  de»  Eibpiinzen  in  der 
Folge  zu  einer  Reise  nach  Rom  befördert  zu 
werden  hoffte,  und  dazumuste  man  nothwen- 
dig  ein  Zögling  der  Akademie  sein.  Ohne  die- 
se lockende  Aussicht  hätte  ich  mich  -wolil 
scliwerlich  daraui  eingelassen.  Meine  Bedin- 
gung fand  Schwierigkeiten ,  weil  man  nicht 
vom  Herkömlichen  abweichen  wolte.  Znlezt 
%vard  es  dahin  vermittelt ,  dass  ich  zuerst  dei* 
blofsen  Förmlichkeit  wegen  auf  vierzehn  Tag« 
die  Gipsklasse  besuchte ,  dort  eine  Zeichnimg 
machte,  und  dann  in  den  Modeilsaal  ging,  wo 
ich  imgefähr  ein  Jahr  lang  nach  dem  Nackten 
gezeichnet  habe.  Da  ich  aber  nie  Lust  zum 
Nachzeichnen  hatte,  so  besuchte  ich  die  Stun- 
den sehr  nachlässig,  und  mag  in  allem  kaum 
ein  Duzend  Akte  gezeichnet  haben." 

„Wärend  ich  so  Scheines  halben  die  Aka- 
demie besuchte,  kam  die  Zeit  der  Aussieüung; 
heran ,  zu  welcher  ich  zum  erstenmal  eine 
Zeichnung  nach  eigener  Erfindung  verfertigte, 
den  Aeolus  und  Odysseus  vorstellend ,  wie 
dieser  mit  dem  leeren  Windschlauch  zurück- 
Kommt,  und  vom  ^eo/u^  unwillig  weggewie- 
»en  wird.  Meine  Zeichnung  stach  durch  eine 
gewisse  wilde  Grosse  ,     und  durch  einen  star- 


36 

Iven  Effekt,.  Jen  ich  ilir  gegeben  lip.tte,  vor 
den  übaigen  liervor ,  so  dass  auch  d«r  Erb- 
piinz  Friedrich  sie  bemeriite,  sich  meine]- \vie* 
der  eiinneite ,  und  mir  ein  ermunterndes  Lob 
ertheike." 


,,  unfrei 


.ihr  um  dieselbisre  Zeit  w^ird  ich  auch 


mit  dem  Professor  ylbilgaard  behaut,  der  eini* 
ge  Jahre  vorher  aus  Italien  znrüch  gekoxrimeii 
v\'ar>  und  jezt  in  Kopenhagen  den  B.uf  eines 
der  vorzüglichsten  Maler  seiner  Zeit  behaup- 
tete. Derselbe  hatte  meine  Zeichnung  von 
Balders  Tod,  die  Stanley  juit  auf  die  Akade- 
mie genommen  hatte,  geselren  und,  wie  die- 
ser mir  sagte,  besonders  günstig  darüber  ge- 
ig-theilt.  Vielleicht  kam  er  dadurch  auf  den 
Gedanken,  mich  zu  seinem  Schüler  zn  haben; 
wenigstens  w^ard  mir  verschiedentlich  von 
Leuten,  die  wohl  mit  ihm  behaut  waren,  der 
Antrag  dazu  gemacht.  Ich  liaLte  aber  keine 
Lust,  irgend  eines  JMaiers  Schüler  zu  werden, 
und  Wolte  den  Wink,  dass  es  mir  nur  Ein 
Wort  bei  ihm  kosten  v/ürde,  nicht  verstehen^. 
Mein  Selbstgefühl  sagte  mir,  dass  ich  auch  oh* 
ne  einen  Meisler  Künstler  werden  könne  ;  nnd 
mein  Ehrgeiz ,  dass  es  mir  zu  grofserem  Ruh- 
me gereichen  würde,  es  durch  mich  selbst  gc-^ 
worden  zu  sein.     Da   icli  aber  sehr  wolü  ein- 


37 

sah,  (la<55  mir  d.izu  tiocli  sehr  riel  feTilö  ,  iiiid 
dass  ich  ini  Praktischen,  vornehmlicu  in  der 
BehandUing  der  Farben  imd  den  Handgriffen 
des  Malens,  von  Ahilgaard ,  der  ein  vortrefiir 
clier  Kolorist  war  und  seinen  Pinsel  nieister* 
lieh  führte,  noch  vieles  lernen  honte,  das  ich 
vielleicht  ohne  ihn  nie  lernen  ^vl■rJ•de  ;  so  wol- 
le ich  die  Gelegenheit  benutzen,  dann  und 
wann  seine  Werhstätte  zu  besuclicn  ,  und  wo 
möglich  ihn  selbst  malen  zu  selien.  Er  malte 
eben  damals  die  vorireflicheu  ^Eilder  ans  der 
Dänischen  Gcscliiclite  für  den  grofsen  Ritter- 
saal im  hüniglicheii  Schlosse ,  wo  sie  naclilier 
nufgestelk  wurden.  ')  Sein  Koloi'it ,  beson- 
ders im  Nahten,  war  fast  so  schön,  Avie  in 
Vaul  l^eroneses  und  T/::/a7W  Gemälden ,  und 
icli  habe  es  auch  nachher  bei  keinem  neueren 
Maler  schöner  gesehen;  aber  sein  Stil  in  der 
Zeichnung  gefiel  mir  nicht;  seine  Figuren 
schienen  mir  übcimäfsig  lang  und  dünne,  mit 
magern  spindelfö3migen  Extremitäten  ;  er  v/ar 
im  Erfinden  uiiiauchtbar ,  und  komronirte  init 


♦)  Diese  vortreir.chen  i\!alereien  , '  welche.  w:i7-,nnj\fi- 
Pvuhm  f.uch  bei  der  Xacliweit  bewahrt  haben  \^i:r- 
dcn ,  sind  leider  in  dem  unglücklichen  Schlcsbran- 
de    1794,     samt   dem   S.ile,     In  welchem   sie    ar,?- 

,  gestellt  waren,   ein  Raub  der  Flammen  gevrordsn. 


33 

Mühe.  Es  "war  mir  also  blo»  dämm  zu  tliim, 
dass  ich  ilim  seine  Kunstgriffe  im  Farbennii- 
schen  und  Malen  ablernen  könte,  da  sich  das 
Kolorit  selbst  doch  eigentlich  nicht  erlernen, 
iondern  nur  durch  Auge  und  Gefühl  an  der* 
Katur  und  an  guten  Mustern  der  Sinn  dafür 
bilden  läfst.  Ich  ging  öfter  in  sein  Studium, 
in  der  Hofnung ,  ihn  einmal  beim  Malen  zu 
treffen;  aber  das  wolte  mir  lange  nicht  gelin- 
gen, denn  er  lies  sich  nicht  gern  auf  die  Hand 
sehen,  und  nahm  heine  Künstlerbesuche  an 
wann  er  malte ;  bis  eines  Morgens  ,  wo  ich 
früher  als  er  in  seine  Werkstatt  kam ,  nnd 
wegen  mehrerer  giofser  Gemälde,  die  in  der« 
«elben  standen ,  nicht  von  ihm  bemerkt  wur- 
de. Ich  verhielt  mich  ruhig,  bis  er  im  Malen 
begriflPen  W^ar,  und  trat  dann  zu  ihm;  er  kon- 
te  nun  nicht  wohl  aufliören,  und  ich  blieb 
gegen  zwei  Stunden  lang  bei  ihm ,  nnd  sah 
ihn  malen.  Hätte  mir  ein  solches  Zusehen 
von  grofsem  Nutzen  sein  sollen,  so  hätte  es 
wenigstens  öfter,  und  mit  mancher  mündli- 
chen Eiläuteiun^  verbunden,  geschehen  müs- 
sen ,  aber  es  blieb  bei  dem  einzigen  Male,  das 
dennoch  nicht  ganz  ohne  Vortheil  für  mich 
w^ar.  Wahrscheinlich  aber  verlor  ich  zugleich 
fii»ch  die  verstohlene  Art,    wie  ich  diese  A]?- 


39 

sieht  errelclu  hatte  ,  die  Gunst  des  auf  seinen 
Vorzug  eifersüchtigen  Künstlers,  wovon  ick 
mich  biald  zu  überzeugen  Gelegenheit  hatte.** 

„Abilgaard  hatte  meinen  y:/eo/«Jauf  der  Aus- 
Stellung  nicht  gesehen  ,  aber  ihn  loben  geh(>rt, 
und  scliickte  deshalb  zu  mir,  dass  ich  ihm  die 
Zeichnung  zeigen  möchte.  Ich  brachte  sie 
ihm.  Er  betrachtete  sie  lange  aufmerksam  oh- 
ne ein  Wort  zu  sagen,  und  als  ich  ihn  endlich 
bat,  mir  sein  Urtheil  darüber  zu  äussern,  sag- 
te er  mir:  ich  würde  es  in  Zeichnung  und 
Komposizion  wohl  noch  w^eiter  bringen  kön- 
nen; dadurch  aber  werde  ich  noch  kein  Maler; 
und  doch  sei  am  Ende  das  Malen  die  Hauptsa- 
che ,  tmi  ein  tüchtiger  Künstler  zu  werden.  Er 
fragte  nach  meinem  Alter,  und  als  ich  ihm  sag- 
te, dass  ich  bereits  acht  und  zwanzig  Jahre 
alt  sei,  entschied  er:  da  sei  ich  schon  viel  zu 
alt ,  ujn  noch  ein  Künstler  zu  werden.  Das 
Olmalen  erfordere  viele  und  lange  Übung,  und 
da  ich  es  nicht  schon  in  der  Tilgend  gelernt 
habe,  so  werde  ich  es  schwerlich  je  mehr  ler- 
nen. Ich  sagte  ihm ,  wie  ich  ohne  meine 
Schuld  so  spät  zur  Kunst  gekommen  sei;  ich 
hoffe  aber,  dass  es  mir  bei  meinem  grofsen 
Triebe  noch  gelingen  werde  ,  durch  Fleis  und 


40 

Eifer  clas  Versäumte  naclizuholen.  Allein  es 
scliien,  als  ob  er  vorsezlicli  meinen  Mutli  iiie- 
dersclilagen,  und  mir  dieKmist  verleiden  wol- 
le ;  denn  er  Leliauptete  :  das  sei  vergebens  ; 
man  müsse  in  der  Jugend  malen  lernen  ,  und 
es  sei  gut,  dass  ich  den  Wcinliandel  gelernt 
habe,  so  bliebe  mir  docli  eine  Zuiluclit, 
wenn  ich  einst  sehen  würde,  dass  es  mit  der 
Kunst  nicht  ginge.  Dies  brachte  mich  endlich 
auf,,  so  dass  ich  mich  nicht  enthalten  konte 
ihm  zu  sagen:  ich  hätte  geglaubt,  eine  ande- 
re Aufmunterung  von  ihm  zu  erhalten;  ich 
w^isse  %vohl,  dass  ich  noch  wenig  könne,  aber 
ich  fühle  auch,  dass  es  mir  nicht  an  Talent 
und  Eifer  fehle,  um  nicht  noch  ein  Künstler 
>2u  ^veiden.  Das  Olmalen  allein  mache  auch 
noch  keinen  grofsen  Künstler  aus.  jMichelan- 
^elo  habe  nicht  in  Ol  malen  können,  tmd  sei 
doch  einer  der  gröfsten  Künstler  in  der  Welt 
ge^vesen;  er  solle  mir  r.lso  auch  nicht  den 
Muth  dazu  benehmen.  So  rollte  ich  voll  Un- 
willen meine  Zeichnung  zusammen ,  ging 
nach  Hause  und  spannte  mir  eine  LeiuAvand 
zw^ölf  Fufs  hoch  auf,  um  darauf  meinen  Aeo^ 
lus  in  Ol  zu  malen.  Ich  arbeitete  tätlich  von 
früh  bis  in  die  Nacht ,  und  in  [weniger  als 
zwei  IMonathen  v/ar  mein  Bild  fertig.     Es  ge- 


4i 

fiel  denen  ,  die  es  sali^n  ,  und  maclite  sogar 
Aufsehen  wiegen  der  Dreistigkeit,  die  ich  ge- 
habt hatte,  mich  gleich  an  eine  Arbeit  in  so 
grofseni  Maasstabe  zu  wagen,  und  ^vegen  des 
drohenden  trotzigen  Charakters  im  Jeolus ; 
auch  der  Rupferstecher  Clemens  y  der  in  Rom 
sre^vesen  war  ,  sah  ihn  und  sagte,  man  solte 
glauben  ,  icli  hätte  Michelangela  s  Werke  in 
der  Sixtinischen  Kapelle  gesehen.  Er  führt© 
auch  den  Maler  Juel  zu  mir  und  wiederholt» 
dasselbe.  Durch  ein  so  schmeichelhaftes  Lob 
ermuntert  erzälte  ich  ihnen,  wie  mich  der 
.Professor  Abilgaard  abgefertigt  habe,  unddass 
ich  troz  ihm  doch  noch  ein  Künstler  "werden 
wolle.  Juel  hatte  es  nachher  dem  Ahilgaard 
wieder  gesagt  und  mit  ihm  gescherzt,  er  solle 
den  kleinen  Holsteiner  (so  nantenmich  in  Ko- 
penhagen gewönlich  die  Künstler)  nicht  zu 
sehr  aufbringen,  der  habe  keine  Paihe ,  bis  ce 
nicht  eben  so  gut  malen  ^vürde,  vrie  er.  Dies 
zog  mir  ^Z^i/^aarJ^  Ungnade  zu  ;  aber  fürmicli 
war  es  die  grOste  Aufmunterung ,  und  für 
meinen  Ehrgeiz,  der  keinen  vor  sich  zu  lassen 
Wünschte,  ein  mächtiger  Sporn;  obwohl  ich 
einsah,  wie  weit  ich  ;nocli  im  Malen  zurück 
war,  und  dass  ich  ihn  darin  nie  erreichen 
•W'üfde.*« 


„Bei  der  nächsten  Ausstellung  hatte  «i» 
Künstler  von  denen,  die  um  den  gicfsen  Preis 
TV'etteiferten,  eine  Zeichnung  gemacht,  die 
unter  allen  bei  weitem  die  beste  war,  und  je- 
der erwartete,  dass  demselben  der  erste  Preis 
würde  zuerkant  werden.  Aber  bei  der  Aus- 
theilung  erhielt  ihn  ein  anderer,  dessen  Zeich- 
nung weit  unter  jener  war,  und  an  den  nie- 
mand gedacht  hatte.  Da  dieser  Vorgezogen© 
ein  Verwandter  von  Ahilgaard  war ,  so  er- 
klärten aus  diesem  Umstände  alle  jungen  Künst- 
ler ,  die  ,  ihrer  Überzeugung  nach  nuA'-erdiente» 
Begünstigung,  die  demselben  widerfuhr.  Mir 
ward  für  eine  Modellzeichnung  die  grofse  sil- 
berne Medaille  zuerkant.  Obgleich  ich  um 
den  grofsen  Preis  nicht  mitgew^orben  liatte, 
also  bei  der  Vertheilung  desselben  persönlich 
gar  nicht  interessirt  war,  so  nahm  ich  mich 
doch  des  durch  die  parteiische  Austheilung 
Zurückgesezten  und  seiner  Sache  mit  so  grofsem 
Eifer  an,  als  wenn  ich  selbst  der  Zurückgesez- 
te  gewesen  wäre.  Ich  erklärte  öffentlich: 
dass  ich  die  silberne  Medaille  nicht  annelimen 
"Würde,  wenn  der,  welcher  nach  aller  Über- 
zeugung die  goldene  verdient  hätte ,  dieselbe 
nicht  erhielte.  Auf  einer  Akademie ,  wo  das 
Verdienst  nach  Gunst  bestimmt  werde ,  woll« 


45 

ich  keinen  Preis  verdienen.  Ich  ging  auch 
niclit  auf  die  Akademie  an  dem  Tage ,  wo  di« 
Preise  ausgetheilt  wurden.  Der  Erbprinz  Friß" 
«iric/i  vevtlieilte  dieselben  auch  dasmal,  w^ie  ge- 
^vühnIich.  Als  ich  aufgerufen  wurde  und 
nicht  dawar,  ward  vorgewendet,  dass  ich 
kjank  sein  möchte,  und  die  mir  zuerkanta 
Medaille  ^va^•d  mir  von  der  Akademie  zuge- 
sandt. Aber  ich  behairete  fest  auf  meinem 
Entschlus,  wies  sie  zurück  und  erklärte  zu- 
gleich: ich  wüide  nie  wieder  einen  Fufs  in  die 
Akademie  sezen,  sie  möge  ihie  Medaillen  nur 
immer  nach  Gunst  vertheilen ,  ich  verlange 
keine  davon.  Ein  solcher  Troz  war  unerhört, 
und  wurde  durch  eine  förmliche  Verweisung 
von  der  Akademie  bestraft.  Das  Dekret  mei- 
ner Verweisung  ward  an  alle  Thüren  der  Aka- 
demie angeschlagen;  doch  lies  der  Professor 
pT-'iedeivelt  es  am  -folgenden  Morgen  wieder 
abreissen.  Mir  war  diese  Ver'vveisung  gleich- 
gültig; denn  ich  hatte  mich  selbst  schon  frei- 
willig ver%viesen.  Ich  sah  wohl  ein,  dass  ich. 
durch  dies  Betragen  die  Gunst  des  Erbpriii» 
zen ,  und  alle  -Vortheile ,  die  ich  von  dersel- 
ben für  die  Zukunft  hoffen  konte,  auf  immer 
versclierzt  hatte;  doch  achtete  ich  diese  Auf- 
opferung damals  für  nichts,  gegen  die  Genug- 


44 

tlimmg,  die  icli  darin  empfand.  Icli  war  mei- 
nem Gefülile  gefolgt,  das  sich  gegen  jede  Un- 
gerecliiigleeit  empörte,  und  hier  uin  so  mehr, 
da  ich  einen  xslann  für  den  Urheber  derselben 
liielt,  der  auch  meinen  Tiieb  zur  Kunst  hatte 
unterdrüclien  wollen,  statt  denselben  durch 
AufmunLernrig  und  lehrrciclie  Berathung  zu 
Unterstützen." 

„War  mir  nun  gleich  der  Zutritt  zur  Aha- 
demie  föjmlich  verboten  ,  so  verlor  sie  doch 
jüen  verwiesenen  Rebellen  nicht  ganz  aus  den 
Augen,  und  es  würde  Iciclxt  gewesen  sein, 
aiiich  wieder  mit  ihr  auszusöhnen.  Da  ich  im 
gtudiien  eifrig  fortfulir,  luid  durch  immer 
besser  gelingende  Komposizionen  die  Aufmerk- 
samkeit der  jungen  Ivünstler  sov/ohl,  als  der 
Professoren,  rege  erhielt,  so  that  man  mir  im 
folgenden  Jahre  ,  als  die  Zeit  der  Preisbewer- 
bung herankam,  von  Seiten  der  Akademie  den 
Antrag,  ob  ich  mit  um  den  Preis  weihen  \vol- 
le,  mit  dem  Zusätze:  man  sei  von  meinen 
Fähigkeiten  überzeugt,  dass  icli  ge^vis  die  gol- 
dene Medaille  erhalten  würde.  Des  Vorgefal- 
lenen solle  nicht  mehr  erwähnt  %vei'den.  Mit 
der  Erlangung  des  grofsen  Preises  ist  zugleich 
eine  sechsjäLrige  Pension  und  die  Sendung 
pach  P».om  verbunden.    Dieses  ehrenhaften  Au- 


45 


träges,  der  micli  nur  stolzer  maclite,  und  die- 
ser so  ■wü.nsc]iens\vertlien  Aussichten  ungeacli" 
tet ,  beharrete  ich  iu  meinem  stansinnigen 
Trotze  und  gab  zur  Antw^ort:  ich  sei  einmal 
von  der  Aliademie  ver%viesen,  und  lioffe  auch 
ohne  sie  nach  R-oni  zu  kommen  ;  überdem  be- 
dürfe icli  keiner  ^Medaillen ;  meine  Kunst  sei 
mir  diuxli  sich  selbst  Aufmunterung  und  Be- 
lohnung genug.  Alle  diese  Vorfalle  veidop" 
pelten  meinen  Eifer  und  meinen  Muth.  Den 
freundschaftlichen  Umgang  mit  Stanley,  der 
mir  selir  leln-aeich  %var,  sezte  ich  fort,  und 
zeichnete  oder  malte  soviel  Portiäts ,  als  sich. 
m.ir  nur  darboten ,  um  mir  Reisegeld  zu  er- 
sparen; denn  von  nun  an  \v?-y  eine  Reise 
nach  Italien  das  höchste  Ziel  meiner  Wünsche* 
Und  obgleich  ich  von  Jugend  auf  eine  schwcäch- 
liche  Gesundheit  hatte,  so  schadeten  mir  doch, 
diese  Anstrengungen  nicht.  Meine  Leiden- 
schaft für  die  Kunst  war  so  gros ,  dass  ich  oft 
auch  im  \Yinter  in  der  Nacht  aufstand  nnd 
arbeitete,  ^venn  mich  die  Gedanken  an  eine 
angefangene  Arbeit  nicht  ruhen  liefsen,  und 
dann  gegen  Morgen  halb  erstarrt  -wieder  zu 
Bette- ging."  ■ 

„Icli  hatte  nun  gegen  sieben  Jahre  in  Ro- 
penliagen  zugebracht;   mein  kleines  Erbtheii, 


46 

das  in  1500  Tlialern  bestand,  war  in  den  ei- 
sten fünf  Jaliien  darauf  gegangen,  und  nach- 
her lebte  ich  vom  Portiätiren.  Wärend  der 
lezten  zwei  Jalire  befand  sich  auch  mein  jüng- 
^t€r  Bruder ,  der  in  Schleswig  die  Malerei  ge- 
lernt hatte,  bei  mir,  und  machte  unter  mei- 
ner Anleitung  Weitere  Fortscliritte  in  der 
Kunst,  Er  hatte  noch  einige  hundert  Thaler 
von  dem  Seinigen  übrig ,  und  ich  hatte  unge- 
fähr eben  soviel  vom  Gewin  meiner  Aibeiteii 
erspart.  Mir  schien,  der  günstige  Zeitpunkt 
cei  nun  gekommen,  w^o  ich  endlich  das  gro- 
sse Ziel  meiner  Wünsche ,  eine  Reise  nach  Ita- 
lien, erreichen  könne.  Jugendlicher  Muth, 
leidenschaftliche  Kunstliebe  und  Unerfahren- 
heit  stellten  uns  die  Ausführung  als  leicht  vor. 
Mit  unserm  Gelde  w^olten  w^ir  die  Reise  bi» '' 
Rom  machen ,  und  dort  hofften  wir  leicht 
Gelegenheit  zu  finden,  soviel  zu  verdienen, 
als  wir  ziun  Unterhalt  bedürften.  In  Ropen- 
ha^en  studirte  damals  auch  der  Bildhauer  Busch 
aus  Mecklenburg -Schwerin,  der  von  gleichem 
Eifer  für  seine  Kunst  beselt,  troz  der  schwache» 
Pension,  die  sein  Fürst  ilim  gab,  sich  ent- 
«chlos,  die  Reise  nach  Roiu  mit  uns  z\x  mA\ 
cken." 


47 

„Wir  drei  braclien  also  im  Frülijalir  x785 
von  Kopenhagen  auf.  Ein  Pferd,  das  wir  ge- 
jneinscliaftlicli  zu  diesem  Zweck  gekauft  Lat- 
ten ,  trug  unser  Gepäck ;  ms'iy  Wanderten  zu 
Fufse.  So  zogen  wir  über  Lübeck  und  Ham- 
burg bis  Nürnberg ,  wo  wir  uns  aber  man* 
cherlei  Ursachen  wegen  trennten.  Busch  nahm 
das  Pferd,  sezte  seine  Ftelse  allein  fort,  und  ge- 
langte glücklich  nach  Rom.  Mein  Bruder  und 
ich  reisten  mit  der  Post  weiter  über  Augsburg» 
Jnspiück ,  Verona ,  bis  Mantua ,  %vo  vrir  im 
Junius  ankamen,  und  acht  Tage  äu  verweilen 
beschlossen  ,  um  die  Werke  des  Julius  Roma" 
nus  drtselbst  zu  sehen.'* 

„Hier  sah  ich  endlich ,  was  ich  so  lange  zu 
gehen  gewünscht  hatte,  ein  grofses  Werk  det 
neuem  Malerei,  und  erhielt  daraus  zueist  ei* 
nen  anschaulichen  Begrif  von  der  Freskomale* 
1-ei  und  von  der  romischen  Schule.  Dazu  wa- 
ren es  die  Arbeiten  von  Rafaeh  bestem  Schü- 
ler, und  sie  gaben  mir  eine  deutlicheie  Ideo 
Von  den  Werken  seines  grofsen  Meisters ,  als 
ich  bis  daliin  aus  den  Kupferstichen  nach  den- 
selben gehabt  hatte.  Diese  Malereien  waren 
ganz  für  mein  Gefühl ,  gros,  voll  feuriger  Fan- 
tasie und  von  geisueicher Erfindung,  ernst  und 


4-8 

liräitig  im  Stil.     Es  kam  mir  vor,     als  ob  icli 
jezt  zum  ersten  male  v/alire  Malerei  siihe,     die 
ich  ganz  verstand  und    fülilte.     Nach  meiner 
Weise    Kunstwerke   zu    studiien ,     die     einen 
aiiäclitigcn  Eindruck   auf  micli  machten,     den 
iclidaurend  in  mir  zu  bewahren,  und  fürmei- 
tie  eigenen  liunstfibungen  zu  benutzen  %vünsch- 
te ,  blieb   ich  zu  halben  und  ganzen  Tagen  im 
■Pallast   del    Te ^     und  suchte   den   giofsen  un.d 
kraftvollen  Stil  dieser  kühnerfundenen  Werke 
meiner   Einbildungskraft  so  fest   einzuprägen, 
dass    die    Voistellung  derselben  mir  immer  le- 
bendig  blieb,     und  nachher,     wo  ich  wieder 
mehrere   Jrihrc   lang  im  Noiclen  von  Deutsch- 
land ,     von    allen  Kunstwerken  abgeschnitten, 
schmachten  mufste,     mir    wie    ein    Leitstern 
Voi'leuchtete ,      und    mich    auf    rechter    Baliu 
erhielt.     So    blieben     wir  vier  Wochen   lang 
in  Mantua." 

j,In  dem  Gasthause,  vro  wir  eingekehrt  wa* 
3'en,  speisete  Mittags  gewöhnlich  ein  Kammer- 
diener des  derzeitigen  Kommandanten  von 
Mantua,  Grafen  von  Breisach,  Da  wir  kein, 
Wort  Italienisch  verstanden,  geschweige  spra- 
chen, so  ^var  es  uns  erw^ünscht,  dort  einen, 
Deutschen  zu  ßnden ,  der  uns  bei  dem  Wiithe 

al« 


49 

als  Dolmetsclier  diente,  und  uns  über  das, 
WMS  \vi]-  zu  wissen  verlangten,  Auskunft  gab, 
%vofür  icli  ilun  zur  Erkentliclikeit  sein  Por- 
tiät  zeichnete,  Dieser  mochte  seinem  HeiTn 
crzalt  haben,  dass  sich  ein  paar  deutsche 
Künstler  in  Mantua  befanden,  die  nach  Rom 
reisen  wolten;  denn  der  Kommandant  lies  uii» 
eines  Tages  zu  sich  rufen.  Ich  ging  allein  zu 
ilim,  und  fand  einen  Greis  von  ehrw"ürdigem 
Anseilen,  der  mich  freundKch  mit  der  Anredö 
empfing,  er  freue  sich  immer,  wenn  er  Deut- 
sche sehe  ,  und  wünsche ,  dass  er  uns  T\orin 
aiüzlich  sein  könne.  Ich  erzälte  ihm,  V\ir  seien. 
aus  Liebe  zur  Kunst  aus  Dänemark  nach  Ita- 
lien gCAvandert,  und  wolten  nun  weiter  bi» 
Pvom  gehen,  um  da  die  Werke  JMlclidangtlo' 5 
und  Rafaels  zu  Studiren;  hier  habe  Julius  üo- 
nianus  uns  länger  verweilt,  als  v>'ir  gevs^olr. 
Er  fragte  unter  andern  auch  nach  unscrn  öko- 
nomischen Umsiünden.  Unser  Geld,  erwie- 
derte  ich  ihm,  sei  freilich  schon  ziemlich  zu- 
sammengesciuiiülzen  ,  indessen  hoftcu  wir  bis 
Rom  damit  auszureichen,  wo  wir  schon  Gc* 
legenheit  finden  würden  etw^as  zu  vcidiehen, 
und  uns  ein  paar  Jahre  in  E.om  zu  erhalten» 
Der  alte  General  schüttelte  seinen  giauenKopf 
und  S3gtc:  das  selten  wir  nur  nicht  hoffen; 
4 


50 

es  sei  in  Rom  so  voll  von  Künstlern  Jie  ein- 
ander,  um  zu  leben,  das  Brod  wegkabalirten. 
Von  den  Italienern  sei  olmeliin  nichts  zu  ver- 
dienen, und  die  italienisclien  Künstler  lebten 
selbst  nur  von  den  Fremden ;  %venn  wir  liei- 
x\e  Pension  oder  keine  ganz  besondern  Em- 
pfehlungen hätten ,  so  würden  wir  schw^erlich 
Arbeit  finden  ,  und  wenn  ^vir  auch  die  fanden, 
SO  würden  w^ir  so  schleclit  dafür  bezalt  wer- 
den ,  dnss  wir  davon  kaum  leben,  geschweige 
studiien  honten.  Wir  solten  also  ja  nicht  so 
aufs  Gerathewohl  daliin  gehen ,  sondern  lie- 
ber nach  Mailand  zurückkehren,  da  würde  es 
schon  leichter  etwas  zu  verdienen  geben ; 
wenn  war  da  unsern  Beutel  gefüllt  hätten, 
könten  wir  leicht  nach  Rom  kommen.  Er  bot 
mir  zugleich  ein  Empfehlungsschreiben  an  sei- 
nen alten  Freund  und  Kriegskameraden ,  den 
General  Stein,  an,  der  in  Mailand  komman- 
clirte.  Der  Ratli  des  alten  Generals  machte  so- 
viel Eindruck  auf  mich,  dnss  ich  mich  ent- 
schlos  ihn  zu  befolgen,  so  sehr  er  auch  ^egen 
ünsern  Plan  w^'ar.  Ich  erhielt  das  Empfeh- 
lungsschreiben ,  und  wir  gingen  einige  Tage 
darauf  nach  Mailand  ab.  Am  Morgen  nach 
unserer  Ankunft  trug  ich,  voll  guter  Hofnun- 
gen,   lueiuen  Brief  ziuu   Gen^jial    SU'in,      Ich 


51 

ward  sogUich  vorgelassen.  Seine  Excellenz 
lies  sich  gerade  irisiren ;  ich  iibeneiclite  mei- 
nen Brief  mit  einem  mündlichen  Em^  fehl  de« 
Grafen  von  Breisach.  Als  er  den  Brief  gelesen 
liatte,  warf  er  ihn  anf  den  Tisch  und  sagte  : 
ich  weis  nicht  was  der  alte  NaiT  denht,  dass 
er  mir  solche  Leute  auf  den  Hals  schikt.  Ich 
hann  mich  nicht  um  euch  bekümmern;  seht 
zu  wie  ihr  weiter  kommt !  Nach  diesem  Em- 
pfange sah  ich ,  dass  da  nichts  zu  erw^arten 
sei,  machte  dass  ich  foit  kam,  und  theilte 
nach  der  Zurückkunft  ins  Wirtlishaus  meinem 
Bruder  den  leidigen  Bescheid  mit.  Wir  sa- 
iien  nun,  dass  es  um  unsere  schonen  Hofnun- 
gen geschehen  war.  Nichts  blieb  uns  jezt 
übrig,  als  unsern  Plan  aufzugeben,  und  sobald 
als  möglich  nach  Deutsehiand  zurück  zu  keh- 
ren, ehe  unser  Geld  noch  r()llig  aufgezehrt 
wäie.  So  viel  Muth  wir  bei  der  Hinieise  hat- 
ten ,  als  wir  dui  ch  Deutscliland  Hiit  vollem 
Beutel  zogen,  so  muthlos  waren  w^ir  jezt  ger 
worden,  als  unsef  Geld  zur  Neige  ging,  und 
wir  die  Erfahrunsr  sremacht  hatten ,  w^ie  es  sich 
in  einem  Lande  reis't,  dessen  Sprache  man 
nicht  versteht.  Der  blofse  Gedanke  o]me  Geld 
in  jenem  Lande  zu  sein ,  schreckte  uns  zurück. 
Wir  blieben    nur    ein   paar  Tage   in  Mailand, 


besaiten  einige  Kirchen,  und  das  bewunderns- 
•Würdige  Abendnialil  des  Leonardo  da  Vinci, 
Von  allem,  was  ich  in  Mailand  gesehen  habe» 
erinnere  ich  mieh  nur  noch  dieses  Gemälde» 
lebhaft,  und  der  Zeichnung  von  der  Schule 
von  Athen  in  der  Ambrosianischen  Bibliotheh» 
Diese  fand  ich  aber  unter  meiner  Erwartung  ; 
sie  schien  mir  für  ein  Werh  von  Ha/aeZ^  Hand 
zu  unfest  gezeichnet;  ich  jhatte.die  hilhnen 
und  festen  Umrisse  des  Julius  Romanus  noch 
zu  lebhaft  im  Gedächtnis.  Als  ich  nachher 
das  ausgeführte  Gemälde  davon  im  Vatik;iu 
sah ,  da  erkante  ich  'Rafaels  Grüfse  und  sah 
ein,  dass  die  Athenlensische  Schule  die  erste 
Roniposizion  in  der  Welt  sei/' 

„Wir  fanden  in  Mailand  zufällig  einen: 
deutschen  Malergesellen,  einen  guten  armen 
Teufel ,  der  sich  an  uns  schmiegte  imd  aus 
freiem  Willen  mit  uns  durch  die  Kirchen  und 
Klöster  lief,  und  als  wir  w^egreisen  ^volten> 
sich  [erbot,  uns,  für  freie  Zehrimg  hin  und 
zurük,  durch  die  italienische  Schweiz  bis  in 
die  deutsche  zu  begleiten.  Da  %vir  in  Italien 
immer  von  den  Wirthen  betrogen  wurden^, 
weil  %vir  nicht  handeln  konten,  so  nahmen 
wii'  ihn   mit,    und  er  war  [uns  von  so  gutena 


53 

Nutzen  'iintei*\veges ,  dass  wir  melu-  durcK  ihn 
ersparten ,  als  er  uns  kostete ,  und  ich  konte 
mein  italienisclies  Wörterbuch,  das  mir  we- 
nig geholfen  hatte,  ruliig  in  der  Tasche  be- 
halten.« 

„Wir  zogen  zu  Fus  über  den  Gotliard  zu- 
Tük  durch  die  gev/altige  und  erhabene  Scli-vvei- 
Äcrnatur,  die  luis  den  mühsamen  Beigw^eg  in 
der  brennenden  Sommerhitze  vergessen  lies ; 
aber  wir  stiegen  doch  mit  betrübtem  Herzen, 
dass  wir  das  s&hOne  Italien  sobald  wieder  hat- 
ten verlassen  müssen,  ohne  Florenz  und  Pvoiu 
zu  sehen,  aiif  der  deutschen  Seite  den  Berg 
hinab.  In  Altorf  verlies  uns  unsei-  Führer, 
imd  kehrte  wieder  nach  Mailand  zurück.  Wir 
fuhren  über  den  Vierwalds tädtersee  bis  Brun- 
nen, luid  gingen  über  Zug  nach  Zürch.  Un- 
ser Geld  %var,  als  w^ir  dort  ankamen,  bis  auf 
wenige  Batzen  zusammen  gesclimolzen ;  doch 
wanderten  wir  mit  Sonnenuntergang  getrost  in 
Zürch  ein.  Wir  trugen  wärend  der  ganzen 
Reise  unser  Gepäck  auf  dem  Rücken ,  und  ich 
führte  alle  meine  Kompoß?:ioncn  und  Zeich- 
nungen von  Kopenliagen  aus  in  einem  Porte- 
feuille bei  mir." 

„Mit  diesem  ging  ich  am  folgenden  Mor- 
gen gerades  Weges  zum  Dichter  Gesner,    den 


54. 

ich  aus  seinen  radiiten  Blättern  aucli  als  Künst- 
ler kante.  Icli  erzälte  ihm, unsere  Abenteuer, 
unsere  Verlegenheit,  und  meine  Absicht  in 
Zürcli  einige  von  meinen  Korapofizionen  zu 
verkaufen,  oder  Arbeit  zu  suchen,  damit -wir 
Geld  zur  Fortsetzung  unserer  E.eise  bekämen. 
Gesner  nahm  mich  liebreich  auf,  bezeigte  sein 
Wohlgefallen  an  meinen  Kompolizionen  und 
sagte,  er  -würde  sie  mir  gern  alle  abkaufen, 
wenn  er  nicht  das  Haus  voll  Kinder  hätte ,  die 
ihm  verboten  viel  Geld  auf  seine  Kt^mstiiebha- 
beiei  zu  verv^^enden  ;  er  wolle  mich  aber  ei- 
nem seiner  Freunde  empfehlen,  der  mir  gewis 
eiriige  Zeichnungen  abnehmen  Avürde.  Dies 
war  der  Zunftmeister  Heide^s^er ,  an  den  mir 
Gesner  ein  Blätchen  ga^.  Der  Herr  Zunftmei- 
ster empfing  mich  anfangs  etwas  steif  und  gra- 
Vitätisch,  aber  er  ward  bald  freundliclier  und 
kaufte  mir  drei  Zeiclpiungen  ab.  Ich  lies  ihn 
selbst  den  Pieis  bestimmen;  er  gab  mir  vier 
Laubthaler  für  jede.  Dafür  hätte  ich  sie  sonst 
freilich  nicht  weggegeben ;  aber  ich  war  jezt 
/roh,  dass-ich  wieder  etwas  Geld  bekam.  GeS' 
ner  empfahl  mich  auch  an  Lavater ,  für  den 
ich  verschiedene  Poiträts  zeichnen  muste,  und 
unter  diesen  auch  den  berühmten  Musiker  ^ 
Reiciiharti    der  sich   damals  in  Zürch  befand. 


55 

So  bekam  ich  bald  über  zwanzig  Laubtbaler 
zusammen.  Auch  Lavater  nahm  mich  recht 
fieundlich  auf;  aber  über  die  Kunst  honten 
wir  niclit  viel  mit  einander  sprechen,  ohne  in 
Streit  zu  jrerathen;  da  schwazte  er  viel  ins  Ge» 
lag  hinein,  was  fi\r  mich  hcinen  Sinn  hatte, 
und  nreine  Meinungen  kamen  ihm  eben  so 
abenteuerlich  vor.  Er  schien  mir  ein  Schwär- 
mer, ich  ihm  ein  Sonderling  in  der  Kunst. 
Mit  Gesner  hingegen  konte  ich  mich  besser 
unterhalten;  er  liatte  richtige  Begriffe  von  der 
Kirnst,  schwärmte  niclit,  luid  hegte  grofse 
Achtung  für  die  Altezi.*' 

„iVlit  dem  erworbenen  Gelde  eilten  wir 
imn  von  Zürch  weiter,  und  zogen  %vieder, 
ohne  uns  irgendwo  aufzuhalten,  ganz  Deutsch- 
land zu  Fufse  durch  bis  Lübeck ,  wo  wir  üu 
Herbste  desselben  Jahies  anlangten,  und  fürs 
erste  zu  bleiben  beschlossen;  denn  unser  Geld 
war  zu  Rande,  und  wir  kamen  ziemlicli 
schlecht  im  Zeuge  dort  an." 

„Das  war  das  Ende  unseres  abenteuerli- 
chen Zuges  nach  Italien,  den  w/ir  mit  so  glän- 
zenden Iloinungen  und  Aussichten  unternah- 
men. Hatten  wir  nun  aucli  unsern  Zweck 
niclit  eneiciit,    so  war   doch  die  Reise  nicht 


56 

ganz  vergebens.  Icli  hatte  Julius  Romanus, 
Xjconardo  da  Vinci  und  die  Scluveiz  gesellen, 
drei  Gegenstände ,  die  einen  nnanslöscliliclien 
flindrucK  auf  mein  Gefühl  machten ,  die  mir 
in  der  Folge ,  \vo  ich  wieder  Jahre  lang  von 
allen  Runstw^erhen  abgeschieden  lebte,  immer 
lebendig  vorschwebten,  luid  auf  meine  Kunst 
einen  wesentlichen  Einflus  gehabt  haben."  — 

Hier  endet  des  Künstlers  eigene  Erzälung, 
und  der  Verfasser  nimt  nun  den  Faden  dersel" 
ben  wieder  auf, 

Carstens  blieb  fast  fünf  Jahre  lang  in  Lü' 
beck,  und  erwarb  dort  seinen  Unteihalt  mit 
Porträtmalen,  dem  einzigen  Kunstz^yeige,  der 
bei  dem  Publikum  jener  Ilandelstadt  eiuiges 
Interesse  hatte.  Er  trennte  sich  aber  schon  in 
den  ersten  Jahren  von  seinem  Bruder,  der, 
gleich  unbesorgt  um  Gegenwart  und  Zukunft, 
jiur  zu  oft  die  Uneigennützigheit  misbrauchte, 
mit  welcher  Carsten^,  der  kaum  für  sich  selbst 
das  Nothdürftige  ej-werben  konte.  Alles  brü-. 
derlich  mit  ihm  theilte,  bis  es  ihm  endlich 
unmöglich  ward  ,  den  Bruder  länger  axif  seiue 
Kosten  zu  ernähren.  Dieser  \vandte  sich  nun 
nach  Stralsund  und  Greifswald,  wo  er  durch 
PorträtmaJen  und  Unterricht  im  Zeichnen  sei- 


57 

ncn  Unteilialt,  wlewolil  meistens  kümmerlich^ 
er-\varb. 

Im  Jalire  1^736  kam  der  Verfasser  dieser  La-« 
bensbesclireibung  nach  Lübeck,  nnd  machte 
bald  darauf  des  Künstlci-s  Bekantschaft.  Gleich- 
heit der  Neigungen  knüpfte  bald  eine  innigo 
Freundschaft  zwischen  beiden.  Der  Verfasser 
war  damals  noch  ein  Jüngling;  frühe  schon 
von  einem  lebhaften  Triebe  zur  Kunst  beselt, 
^ber  in  einem  Lande  geboren  ,  avo  dieser 
Trieb  keine  Nahrung  finden  konte,  hatte  er 
bis  dahin  noch  nie  Gelegenheit  gehabt,  ein 
Kunstwerk  der  höheren  Gattung  zu  sehen,  ge- 
schweige einen  Zweck  der  Kunst  zu  erkennen, 
der  w^eiter  ginge,  als  auf  die  blofse  Nachah- 
mung des  Wirkuchen.  Wer  die  prosaischen 
Gegenden  Niederdeutschlandes  keiuit,  wo  der 
Verfasser  seine  Jugend  verlebt  hat,  die  üker- 
mark,  Pommern  und  Mecklenburg ,  der  wird 
wissen,  welche  Seltenheit  dort  Kunstwerke 
sind,  und  dass  nian  da  wohl,  so  \vie  der  Ver- 
fasser, sein  z^van2igstes  Jahr  verleben  kann, 
ohne  je  ein  historisches  Gemälde,  oder  sonst 
ein  gutes  Kunstwerk  gesehen  zu  haben. 

Carstens  lehrte  ihn  zuei-st  eine  höhere  Sfä- 
Tc  der  Kunst  keimen.     Der  immer  resre  Enthu- 


58 

siasinns  des  Künstlers  tlieilte  sicli  der  Empfäng- 
,  liclikeit  des  jüngeren  Freundes  mit,  imd  der 
gleiche  Trieb,  welcher  unter  ihnen  bald  das 
enge  und  doch  freie  Verhältnis  des  Lehrenden 
lind  Lernenden  erzeugte,  knüpfte  zugleich  das 
Band  ihier  Freundschaft  mit  jedem  Tage  fester. 
Die  Kunst  yvar  der  stete  Gegenstand  ihier  Un- 
terhaltungen,  ihrer  Lbungen,  ihrer  Wünsche 
und  Plane  für  die  Zukunft;  und  so  verflossen 
ihnen,  in  einer  von  aussen  sehr  beschrankten 
Lage,  w^elche  beide,  doch  auf  verscliiedene 
Weise,  gefesselt  hielt,  zwei  glückliche  Jahre 
vereinten  Strebens  und  Genusses  ,  die  ihnen  in 
der  Folge  das  Schiksal  noch  einmal,  aber  freiei', 
schöner  und  in  vef'doppeltem  Mafse,  in  Fvoni 
zu  wiederholen  vergönn'te. 

Da  Carstens  im  Treffen  sehr  gliicklich 
war,  und  mit  einer  bestirnten  schönen  Zeich- 
nung eine  saubere  und  gefällige  Ausführung 
verband ,  so  fehlte  es  ihm  in  Lübeck  selten 
au  Arbeit,  und  er  hat  dort  eine  sehr  giofse 
Menge  von  Porträts  theils  gemalt,  theils  ge- 
zeichnet; doch  \var  es  nie,  besondeis  in  Öl- 
farben, die  Kunst  des  Pinsels  und  des  Kolo- 
rits ,  wodurch  er  sich  auszeichnete ;  gefälliger 
■und  Sehr  fleissig  gearbeitet  waren  seine  Minia- 


59 

turen.  Wer  sein  höheres  Talent,  seinen  feu- 
rigen, strebenden  Geist,  und  seinen  Sinn  für 
das  Grofse  kante,  der  muste  diese  Geduldpro- 
ben des  pünktelnden  Fleisses  noch  mehr  be- 
\vundcrn ,  den  er  auf  Arbeiten  verwendete, 
die  ihn  gar  nicht  interessirten ,  die  ihm  viel- 
mehr herzlich  zmvider  waren ;  aber  er  muste 
auch  bedauern,  dass  ein  Künstler  mit  solchen 
Talenten  etwas  Grofses  zu  leisten,  die  Köstli- 
che Zeit  auf  söiclie  Weise  verschwenden  mu- 
ste; denn  man  kann  wohl  sagen,  dass  die. 
fünf  in  Lübeck  verlebten  Jahre  dem  Künstler 
eben  so  lumüz  verloren  gingen,  als  jene  fünf 
Jahre ,  die  er  früher  bereits  beim  Weinhandel 
verloren  hatte.  Zwar  sezte  er  sein  Studium 
der  Historieiunalerei  immer  gleich  eifrig  fort, 
er  komponirte  ,  zeichnete,  entwarf  eine  Alen- 
ge  von  Erfindiuigen ,  die  ihm  beim  Lesen  alttr 
lind  neuer  Dichter  seine  fruchtbare  Einbil- 
dungskraft darbot ;  aber  es  gebrach  ilim  doch 
an  allen  den  Hülfsmitteln  ,  \velche  den  Künst- 
ler -Reiter  fördern,  an  Nahrung  für  seinen 
Kunstsinn,  tuid  an,  aller  Aufmunterung  von 
aussen.  Er  hatte  über  vier  Jahre  in  Lübeck 
gelebt,  seine  Portefeuillen,  selbst  die  grauen 
Wände  seines  kleinen  Zimmers,  waren  mit 
jnehr  oder  -\veniger  ausgeführten  Komposizio- 


6o 


jien  und  flüchtigen  Entwürfen  angefüllt,  und 
dock  -war  ausser  -wenigen  näheren  Sekanten, 
mit  denen  er  unrging,  niemand,  der  dies  kö- 
iicje  Talent  in  ikni  kante.  Freilicli  waren 
seine  eingezogene  Lebensweise,  sein  köckst 
scklickter  Anzug  bei  einer  kleinen  unansekn- 
licken  Figur,  seine  gänzlicke  Unfäkigkeit  sich 
persünlick  bemerkt  und  sein  Talent  geltend 
7.V.  macken,  welcke  ikeils  in  der  früker  rer- 
jiacklässigien  Bildung  seines  Äussern,  tkeils 
in  seiner  allen  Sckein  veiacktenden  Denkart 
ikren  Grund  katten,  und  ikm  den  Anstrich 
einer  gewissen  Rusticitüt  gaben,  eben  so  viele 
tJrsacken,  dass  nienaand  etwas  Hökeres  in  ikni 
aknete  ,  und  dass  er  aucli  den  v/enigen  Ken- 
nern, die  für  liökere  Kunst  Sinn  und  Interes- 
se kaben ,  tuibemerkt  blieb,  bis  erst  spat  ein 
günstiger  Zufall  ihn  einem  derselben  bekant 
mackte ,  der  seinem  Sckiksale  eine  günstigere 
Wendung  gab. 

Ein  gvufseres  Hindernis  seines  Fortkom- 
jneus  aber  w%''.r  sein  siecker,  kränkelnder  Kör- 
per, der  mit  seinem  feurigen  Temperamente 
und  rastlos  tkätigen  Geiste  in  einem  für  iliu 
Verderbliclien  Misverkältnisse  stand,  und  ilin 
/oft  Wockeii   und  Monate  lang    ziun  Arbeiten 


iihfälilg  machte.  Seine  KranWieit  war,  wie 
bereits  bemeikt  worden,  ein  Brustübel,  wo- 
zu er  den  Keiiii  mit  auf  die  Welt  gebracht  hat- 
te, das  sich  von  Zeit  zu  Zeit  in  heftigen  An* 
fällen  meldete,  und  in  Lübeck  einigemal  zu 
einem  Grade  stieg,  der  seinem  Leben  Gefallt 
drohte.  Dies  öftere  Kranhüegen ,  wodurch 
ilim  manche  Arbeit  entging,  manche  kostspil- 
lige  Kur  erwuchs ,  und  ein  überläsriger  Bi  u-' 
der ,  der  in  soiglosem  Müssiggange  auf  seine 
Kosten  lebte ,  sezton  ihn  öfter  in  Schuid-en, 
die  zwar  nie  beträchtlich  waren,  von  denen 
er  sich  aber  doch  nie  wieder  gänzlich  frei  rna* 
clien  honte.  Alle  diese  Widei-wärtigheiten, 
mit  dezien .  er  unablässig  zu  kämpfen  hatte, 
waren  doch  nicht  im  Stande  seinen  Mutli  nie- 
derzuschlagen. Auch  in  leidenden  Zuständen 
war  sein  Sinn  immer  heiter,  und  sein  GeisG 
schwebte  kmnmerfrei  in  den  höheren  Regio- 
nen der  Kunst,'  wo  das  Bedürfnis  ihn  nichc 
ejTeichte. 

Wenn  die  Ausübimg  der  Kunst  ihn  nicht 
bescliäftigte,  so  las  er  die  alten  Dichter  und 
Gcscliichtschreiber,  die  in  Übersetzungen  vor- 
handen waren.  Unter  den  Dichtern  %vareu 
für  seine  Phantasie  Homer,  die  alten  Tra^^iket 
und  Schakspear y   und  für  sein  Gefühl  Pimlari 


62 


Ossian  und  Klopstock  in  den  OJen  seine  Lieb- 
lingslektüi  e.  Auch  die  Mythen  der  skandina- 
vischen Dichtungen ,  die  er  in  Kopenhagen 
kennen  gelernt  hatte,  liebte  er  ihres  gaofsen 
lind  fantastischen  Inhalts  Avegen.  Dies  waren 
die  Quellen ,  aus  denen  er  den  Inhalt  seiner 
Komposizionen  schöpfte.  Die  Kupferstiche 
nach  den  Weihen  des  Rajael ,  MicheJangeloy 
Julius  üomanus  i  '  Polidor  >  Annihal  Carraccij 
Pietro  Testa  yvc^reu  die  Hiilfsmittel  und  Mu- 
ster, nach  denen  er  seinen  Stil  zu  bilden  such- 
te. Aber  immer  waren  Rom  und  die  Origina- 
le der  unvolkommenen  Nachbildungön ,  mit 
denen  er  sich  jezt  kümmerlich  behelfen  mu- 
ßte, das  Ziel,  nach  w^elchem  er  mit  steter  Sehn- 
sucht hinblickte;  und  nur  wenn,  bei  seiner 
hofnungslosen  Lage,  und  ohne  alle  Aussicht 
sich  ihr  zu  entreifsen,  Zweifel  in  seiner  Sele 
«Ulfstiegen  ,  dass  er  jenes  Ziel  vielleicht  nie  er- 
leichen  werde ,  konte  er  traurig  werden  und 
sich  über  sein  unglückliches  Schiksal  bekla- 
gen ;  dann  übermannte  ilui  wohl  auf  Augen- 
blicke das  zu  lebhafte  Gefühl  des  Schnierzens, 
den  er  sonst  männlich  zu  ertragen  wüste.  Nie 
wird  der  Verfasser  den  rührenden  Moment 
vergessen,  wo  Carstens  eines  Abends,  als  das 
ftunstgespräch  lange    bei   jenen  geliebten  Ge- 


gffnständen  verweilte,  und  seine  Selmsuclit 
nach  Italien  mit  ungewölinliclier  Leidenschaft- 
lichkeit in  ihm  aufgeregt  war,  von  inniger 
Welimuth  übermannt,  jenem  weinend  um  den 
Hals  fiel,  lind  sein  w^idriges  Geschieh  anklag- 
te, das  ihn  an  einen  Ort  gebannet  habe,  wo 
sein  brennender  Trieb  sich  unbefriedigt  in 
sicli  selbst  verzehren ,  %vo  er  seine  Zeit  an 
elende  Porträtarbeit  verschwenden  müsse  ,  und 
vielleicht  nie  ans  Ziel  seiner  Wünsche  gelau- 
gen  werde.  Aber  nie  holte  man  ihn  über 
\'\'iderw\ärtigkeiten  klagen ,  so  drückend  sie 
sein  mochten;  selbst  sein  siecher  Körper  war 
ihm  nur  als  Hindesnis  für  seinen  Kunstnieb 
lästig  ;  am  wenigsten  bekümmei  ten  ihn  zeit- 
liche Güter.  Überhaupt  war  wolü  nicht  leicht 
ein  Künstler  in  dieser  Hinsicht  uneigennützi- 
ger ,  gleichgültiger  gegen  baren  Gew^in ,  als 
Carstens.  Seine  Kunst  allein  WMr  ilim  alles  ; 
sie  w^^r  sein  Element,  seine  P«.eligion,  seine 
Seligkeit,  sein  Dasein.  Er  -würde  mit  Freu- 
den auf  alle  äusseren  Vortheile  verzichtet,  al- 
len Bequemlichkeiten  des  Lebens ,  an  die  er 
ohnehin  nicht  gewöhnt  war,  allem  Gewin 
durch  seine  Kunst  entsafijt,    in  Dürftigkeit  sre- 

O     '  OS 

lebt,  und  sich  glücklich  gefühlt  linben  ,  wenn 
er  um  diesen  Preis  die  Befriedigung  seines 
Strebens  hätte  erkaufen  können. 


6+ 

Bei  dieser  Verziclitung  auf  alles,"  was  aus- 
ser seiner  iiunstsfäre  lag,  war  aber  Carstens 
um  so  eifejsüclitiger  auf  die  Er^verbung  jedes 
Gutes  innerhalb  derselben»  und  er  besas  in 
Jiohem  Grade  jene  Leidenschaften,  welche  ge- 
Wölnilich  mit  grofsen  Aailagen  verbundensind  : 
einen  fem  igen  Ehrzeiz ,  der  nur  nach  dem 
Vortieflichen  strebt,  und  der  eifersüchtige  Ne- 
benbuler  jedes  andern  wird,  den  er  auf  seiner 
Laufbahn  noch  vor  sich  erblicht;  den  Stolz 
jedes-  er^vol•bene  Verdienst  nur  dem  eigenen 
Streben  zu  verdanhen;  nur  durch  wahre  Tref- 
lichkeit  zu  bestehen,  und  jed^en  Schleicliwcg 
SEU  Puihm  und  Gewin ,  so  wie  jeden  der  dar- 
auf hiiecht ,  zu  verachten. 

Diese  Triebfedern  vrirhlen  schon  fiühe  in 
ilun,  so  bald  sein  Talent  zum  eigenen  Bewust-» 
sein  gelangte,  wie  sowohl  seine  Art  zu  studi- 
ren»  als  seine  Fehde  mit  der  Kunstakademie 
in  Kopenhagen  beweiset.  Sie  wurden  -jedoch 
von  der  entschiedenen  Geradheit  und  E.edlich« 
lieit  seines  Charakters  s-o  beherscht ,  dass  sie 
sich  immer  in  den  Schranken  eines  gerechten 
Selbstgefühls  erhielten ,  und  nie  in  Dünkel 
und  Anmafsung  ausschweiften.  Aber  cä  lag  in 
der  natürlichen  Offenheit  seines  CharakteiSj 
dass ,  er    die  Regungen    diese?    Selbstgefühles, 

die 


65 

Axe  andiere  kliiglicli  TerscKweigen ,  oline  Arg 
äusserte,  wodmcli  er  bei  manchen,  die  von 
sicli  auf  andere  schliefsen,  nickt  selten  in  den 
Verdaclu  der  Eitelkeit  und  Anmafsung  gerietb, 
die  doch  seiner  Denkweise  völlig  fremd  wa.- 
len.  So  hatte  er  schon  damals  ,  wo  er  doch 
von  der  Stufe,  die  er  spateihin  eneichte,  noch 
weit  entfernt  war,  ein  richtiges  VorgefühZ 
von  dem  was  ihm  en-eichbar  sein,  und  wa» 
ihm  uneneichbar  bleiben  würde ,  indem  er 
äusserte:  Vor  allen  übiigen  Künstlern,  selbsc 
vor  dem  Jnnihal  Carracci ,  den  er  doch  in  je- 
ner Zeit  vorzüglich  hoch  schäzte ,  fürchte  ec 
8ich  nicht ;  wenn  er  nur  Gelegenheit  habe  sich 
in  Rom  auszubilden,  so  hoffe  er  sie  wohl  zu 
erreichen;  aber  I^'Iichelangelo  und  Rajael  seien 
so  gros  ,  dass  er  sich  glücklich  schätzen  wür- 
de ,  vrenn  er  daiiin  gelange,  dass  man  es  der- 
einst seinen  Arbeiten  ansehe ,  er  sei  nicht  un- 
rühmlich in  ihre  Fusstapfen  getreten.  Diesen 
grofsen  aber  bescheidenen  Wunsch,  der  auiS 
der  Fülle  seiner  Verehrung  für  jene  Künstler, 
und  seines  Enthusiasmus  für  die  Kunst  quoll, 
hat  er  nach  dem  Urtheile  der  Kenner  in  sei- 
nen zu  Rom  verfertigten  Arbeiten  wirklich, 
und  mehr  als  irgend  ein  anderer  unter  des 
treuem,  erreicht» 

6 


66 


Von  den  Komposizioiien  nnsers  Carsteni 
aus  jener  Zeit  kann  dei-  Verf.isser  nur  die  an- 
f üliren ,  -welche  er  gesehen  hat,  und  deren  er 
sich  noch  deutlich  erinnert*  Sie  werden  ihm 
Veranlassung  geben,  über  den  früheren  Stil 
des  Künstlers  und  die  derzeitige  Stufe  seiner 
Ausbildung  einige  Beinerhungen  zu  machen* 
Es  sind  die  nachstehenden : 

Achill,  dem  der  Geist  des  Patroklas  im  Trau-' 
vie  erscheint;  nach  Homer. 

Mtin  Bakchanal  von  fünf  bis  sechs  Figuren, 
die  um  eine  Statue  des  Bahchus  tanzen. 

Sokrates,  der  dem  Alzihiades  in  der  Schlacht 
hei  Potidaea  das  Lehen  rettet;  mit  Bistet 
lavirte  Federzeichnung. 

Odysseus,  der  vor  der  Grube  voll  Opferhlü* 
tes  die  Schatten  der  abgeschiedenen  Selen, 
heschivort  nach  dem  Xlten  Buche  der* 
Odyssee. 

Locket  der  dem  Hother  erscheint  und  ihm 
die  drei  Walkyrien  zeigt,  die  in  ihrer 
Höhle  den  Spies  härten,  mit  dem  er  Bai- 
ilern  erlegen  soll ;  aus  Ewalds  Tmuersfiel; 
Balders  Todt 


67 

Hermann  aui  Äer  Schlacht  zuriickkehrenä,  dem 
Thnsnelde  den  Kranz  reicht;  ans  Klop* 
Stocks  Hermanns  Schlacht. 

Der  Geist  Cathmors ,  der  als  Ersch&inung 
Sulmallen  voräberschueht ,  die  ihre  Arme 
nach  ilini  ausstreckt ;  aus  Ossians  Temora^ 

Cassandra  vor  dem  Pallast  des  Pelops  in  Ar- 
gos ,  sitzend  auf  einem  TVagen  und  iveis* 
sagend;  nacli  dem  Agamemnon  des  Aeschy 
los  ( befindet  sich  unter  dem  Nachlas  des 
Künstlers  auf  der  Weimarischen  Biblio- 
llielv). 

jimor ,  der  einen  ruhenden  Jager  in  sein  Netz 
zieht;    allegorische  Idee  des  Künstlers. 

Ossian  und  Alpin  zur  Harfe  singend;  ailJ 
Ossians  leztem  Liede  (unter  dem  Nachlas 
des  Künstlers  auf  der  Weiinarischen  Bi- 
bliothek). 

Cott  Vater  von  Zeit  und  Ewigkeit  getragen; 
schwebende  Gruppe. 

Die  vier  Elemente;  allegorische  Darstellung, 

Die  vier  Jahreszeiten  ;    desgleichen. 

Die  vier  Alter  des  menschlichen  LehenS  nach 
der  Musik  der  Zeit  tanzend ;   desgleichen» 


6S 

Ncch.  andere  'allegorlscfie  Darste?lu7i^e7i,  3e- 
ren  Iiilialt  dem  Verfasser  niclit  mehr  erin- 
nerlich ist. 

Carstens  hatte  vom  Anfange  seines  Stndi- 
rens,  seitdem  er  zuerst  die  Antiken  sah,  den 
Stil  deiselben  in  seiner  Zeiclmnng  nacl) zuah- 
men getrachtet,  der  sich  behantlich  duicli  den 
Charahter  idealischer  Individualität  von  dem 
Stil  der  modernen  Kunst,  der,  wo  si.e  sich 
ohne  Einflus  der  Antike  gebildet  hat,  Darstel- 
lung wirklicher  Individualität  ist ,  unterschei- 
det. An  antiken  Formen  hatte  er  lange  aus- 
schliessend  Auge  und  Geschmak  gebildet;  wie 
denn  auch  schon  von  Natur  Sinn  für  Grufse, 
Hoheit  und  Kraft  die  vorhersehende  Stimmimg 
seines  Gemüths  war.  Das  Niedliche,  Zierli- 
che, wenn  es  nichts  weiter  war;  selbst  das 
Scjiöne,  ohne  Grosheit  und  interessante  Be- 
deutung, maciite  wenig  Eindruck  auf  ilin, 
Solte  das  Zärtliche  ihn  rühren,  so  muste '  es 
anit  Hoheit  verbunden  sein;  es  muste  einen 
pathetischen  Chaiakter  annehmen,  und  aucli 
jmr  so  gelang  ihm  der  Ausdruck  desselben  : 
die  erschlaffenden  Rührungen  des  Sentimenta- 
len waren  seiner  energischen  Natur  eben  so 
aiiwiiiera   als  jeße  moderne,  ^ffehtiite  Grazi® 


69 

«3er  Hof-  und  Kabiuetsmaler,  wie  er  sie  zu 
nennen  pflegte,  seinem  auf  Waliilieit  ruhen- 
den Scliönlieitssinne ;  gegen  das  Tändelnde, 
Spielende ,  Charakterlose  ,  eiferte  er  bei  jeder 
Gelegenheit. 

Zunächst  den  Antillen,  die  er  stets  für  die 
höchsten  Muster  des  Stils  hielt,  waren  vor- 
züglich Michelangelo' s  \Yerke ,  die  er  jedoch 
blos  aus  Kupferstichen  kante»  seinem  noch, 
ungebildeten  Sinne  für  kraftvolle  Gröfse  zu- 
sprechend, und  er  war  lange  unentschieden, 
ob  er  jenem,  oder  dem  Rafael,  in  seiner 
Schäzung  den  höchsten  R.ang  einräumen  sol- 
le. Sein  lichtiger  Verstand,  sein  treuer  Na- 
tursinn sprach  für  diesen;  sein  Gefühl,  seine 
Fantasie  für  jenen.  Späterhin  inPiom  entscliied 
sein  leiferes  Urtheil  für  Rafael,  ohne  da«bß 
sich  seine  Verehrung  für  JVIichelungelo  des» 
halb  vermindert  hätte. 

Nachdem  er  die  Werke  des  Julius  Roma- 
71US  in  Mantua  gesehen  hatte ,  behauptete  die- 
ser für  lange  Zeit  eine  fast  ausschliefsende 
Herschaft  über  seinen  Geschmak.  Das  Poe- 
tischkühne in  den  Erfindungen  desselben  ,  das 
Teuer  seiner  Fantasie ,  die  Kraft  seines  Stils 
reizte    ilin    zu    älinlichen     Kunstschöpfungen, 


70 

docii  war  er,  weHU  man  auch  den  Einfltis  dic- 
kes Genius  auf  den  seinigen  erkante,  doch  nie 
eigentlich  Nachahmer  desselben. 

Schon  in  dieser  Periode  hatte  Carstens  ei- 
jie  gewisse  Vorliebe  zu  allegorischen  DarsteU 
Jungen  gefasst,  die  er  auch  noch  lange  nach- 
Iier  hegte.  Zum  Theil  hatten  ihn  die  BLuter 
des  Pietro  Testa ,  die  er  damals ,  ihrer  Origi- 
iialität  und  ihres  Gedanhenreichthums  vregen, 
sehr  hoch  schäzte ,  zum  Theil  auch,  nach  sei-« 
nem  eigenen  Geständnis,  Vf^inkehnanns  J  er- 
such einer  Allegorie,  auf  diesen  Abweg  gelei^ 
tet,  und  um  so  leichter,  da  er  schon  seiner- 
Gemiithsait  nach  Bedeutung  und  Tiefe  des 
Sinnes  in  Kunstwerhen  liebte,  und  ein  Fieund 
von  simboKschen  Darstellungen  war,  von  Je- 
nen zur  Allegorie  in  der  Hunst  nur  ein  Icich-' 
ter  tJbergang  ist.  Hiezu  ham  noch,  dass  die 
gigantische  Gröfse  in  Michelangelo'' s  Gottva- 
ter,  Projeten  und  Sihillen ,  ihn  zur  Ileivor- 
biingung  ähnlicher  Paesengestalteu  begeisterte, 
zu  denen  er  in  Ci^r  Meen"welt  der  Simbolik 
und  Allegorie  den  scliichlichsten  Stof  zu  hn-i 
den  glaubte.  So  gerieth  er  denn  auf  Gegen-» 
Stände,  w^ie  unter  den  oben  erwähnteu :  Gott" 
vater  mit  Zeit   und  Ewigkeit  j     die   Elementes, 


71 

«lie  Jahrszeiten ,  und  andere ,  von  denen  in  der 
Folge  die  Rede  sein  ^vi^d. 

Was  man  aber  auch  bei  manchen  seiner^ 
allegorischen  Darstellungen  wider  die  Wah' 
der  darzustellenden  Gegenstände  mit  Recht  sa 
gen  mag,  so  "vvar  es  doch  eine  lobenswerthe 
Eigenschaft  seiner  AUegoricen  ,  dass  er  die  Be« 
deutuiijr  soviel  als  möglich  in  die  Gestalten  z» 
legen  amd  denselben  einen  giofsen,  den  Ideen 
angemessenen,  Charahter  zu  geben  suchtCj 
lind  dass  er  nie  in  den  Fehler  gelehr fwitzig 
zu  allegorisiren  j  und  Wirkliches  mit  Allego- 
rie zu  vermischen,  verfallen  ist;  ja  einige 
seiner  allegorischen  Komposizionen  sind  in 
ilii er  Alt  vortreflich  zu  nennen ,  wenft 
man  nicht  die  ganze  Gattung  verweifen  will, 
welches  wohl  niemand  im  Erntete  wollen  wird. 
Überhaupt  zeigen  die  oben  angeführten  Kom- 
posizionen, dass  Carstens  am  lieb: ten  heroi- 
sche und  ernste  Stoffe  der  alten  Fabel  vrählte, 
zu  deren  Darstellung  eine  dichtende  Fantasie 
erfordert  wird;  und  dergleichen  Gegenstände 
gelangen  ilim  auch  am  besten. 

Da  unser  Künstler  in  seinem  Studium  von 
der  Antike,  alio  vom  Ideale,  imd  nicht  von 
tler  Naclialumuig  des   Wirkliclicn  ausgegangen 


7-a 

xn^ar,  so  tragen  die  Arbeiten  seiner  früheren 
Periode  auch  mehr  den  Charakter  jener  als  die- 
ser an  sich.  Man  sieht  inihn^  das  Streben 
nach  der  reinen  Form  und  dem  schönen  Uni- 
iris  der  alten  Bildwerke,  meistens  gefällige 
Stellungen»  Gro  heit  und  einen  kräftigen  Cha- 
rakter der  Gestalten,  zugleich  aber  auch  ein© 
rohe  Härte,  die  in  kraftvollen  Menschen  das 
Streben  nach  Bestimtheit  anfangs  immer  be- 
gleitet ;  und  oft  einen  Mangel  an  jener ,  nur 
der  schönen  Natur  eigenen  und  aus  ihr  zu 
schöpfenden  Individualität ,  die  ,  in  Vereini* 
gung  mit  dem  Ideale ,  die  Vollendung  des  Stils 
und  der  Kunstbildung  ausmacht. 

Es  giebt  eigentlich  nur  zjj'-ei  Wege  zu 'die- 
ser Vollendung  zu  gelangen:  Entweder  die 
Kunst  geht,  w^ie  in  ihrer  ursprünglichen  Ent- 
wickelung  der  Fall  ist ,  von  der  treuen  Nach- 
ahinung  der  individuellen  Natur  zur  freien 
Nachbildimg  ihrer  Gegenstände  nach  allgemei- 
lien  Gesetzen  über,  und  erhebt  sich  auf  diese 
Weise  endlich  von  der  wirklichen  Individua- 
lität zur  ideali  chen.  Oder  die  Kunst  geht, 
wie  in  der  Periode  ihrer  völligen  Ausbildung 
der  Fall  ist,  vom  Ideale  aus,  und  steigt  von 
der  Hohe  desselben  zur   Wiiklichk^it  herabj 


75 

um  die^e  durch  das  Ideal  zu  läfttem,  und  aus 
iliv  neue  Individualitäten  für  ihre  Darstellun- 
gen zu  schöpfen.  Den  ersten  Weg  nahm  die 
alte  Kunst,  und  auch  die  neuere  bis  auf  ilo/aei» 
"vveun  man  den  früheren  Einflu' der  alten  Jxunst 
«uf  dieselbe,  der  bis  dahin  unbedeutend  war, 
iiicht  in  Anschlag  bringen  will.  Nur  findet 
l>ei  beiden  der  Urtter=chied  statt,  dass  die  alte 
Runst  sich  auf  diesem  Wege  ursprünglich  als 
Plastik,  die  neuere  hingegen  als  JVIalerei  aus- 
gebildet hat.  So  wurde  jene  schon,  durchili- 
le  grüfsere  Beschränktheit  in  der  Nachahmung 
des  Wirhlichen,  frühe  zum  Ideale  getrieben, 
diese  lüngegen  ward  durch  ilire  vorzügliche 
Fähigkeit,  das  Wirkliche  darzustellen,  auch, 
stärker  an  da. selbe  gefesselt  j  und  diese,  scliou 
durch  aas  Materiale  einer  Jeden  Kunst  be- 
stirnte ,  pLichtung  ward  auch  durch  die  Ge- 
genstände ihrer  Anwendung  bcitatigt.  Die  äl- 
tere Kunst  durchlief  ,  nach  einer  glücldichen 
Entwickelung,  ungestört  den  ganzen  Kreis  ih- 
rer Ausbildung;  die  neuere  hingegen  begann 
zv/r"-  ebenfals  ihre  Ent^vickelung  glücklich, 
aber ,  nicht  so  wie  jene  durch  ihr  Objekt  be- 
giir.  r'-t  tmd  empor  gehoben,  blieb  sie  an  der 
Schwelle  des  Ideals  stehen,  ohne  es  in  seiner 
Hoheit  zu  erschwingen;    oliae  aircli  nur  iüx 


74- 

einen  einzigen  Cliaraliter  ein  bestirntes  Knnst- 
iJeal  al<  festen  Tipus  auszubilden.  Den  zirei" 
teil  Weg  musten  alle  alten  Künstlei-,  Bildner 
,und  Maler ,  nehmen ,  nachdem  die  alte  Kunst 
ihren  Gipfel  erreicht  hatie  ,  wenn  ?ie  ihre  Vor- 
gänger nicliL  blo".  hopiren,  oder  leeieFoiirien- 
Schönheit  ohne  Charaiiter  bilden  wolten.  Die" 
sen  Weg  ging  anch,  ohne  es  selbf^t  zu  wissen, 
durch  seinen  Genius  geleitet,  tinser  üünstlet 
in  seiner  Ausbildung, 

Noch  ein  dritter  Weg  ist  durch  Verbindung 
jene]-  beiden  möglich,  indem  der  Künstler 
gleich  anfangs  in  seinem  Studium  Ideal  und 
JSfitur  i  Antike  und  Fiajael ,  den  man  gewisser- 
mafsen  als  den  Repräsentanten  der  Natur  anse- 
hen  hann,  zu  veieiuigea  strebt.  Diesen  Weg 
schlagen  gewöhnlich  die  Neuern  ein,  welche 
Antihe,  Ilafael  und  Natur  zugleich  studiren. 
Aber  aus  diesen  vtjschiedenen  Stoffen  ein  or- 
ßanisches  Ganze  zu,  schaflen,  ist  ein  Problem, 
dessen  glücldiche  Lösung  nur  dem  Genie 
gelingt. 

Frühe  ergriffen  auch ,  wie  schon  bemerkt; 
worden,  Michelangelo'' s  Werke  den  Geist  un- 
«ers  Künstlers,  und  die  Wirlumg  dnvon  zeigte 
uob.  auffallend  in  dem  Stil  seiner  FoiUitn.    Ex 


.75 

3ti'ebte  lange  der  gigantischen  Gröfse  jenes  Mei- 
sters n.ich,  die  energische  Gemüther  in  der 
fiüherei;  Periode  ihrer  Bildung  so  mächtig  an- 
zieht, und  machte  sich  die  Grosheit  seiner 
Verhältnisse,  die  Breite  seiner  Foniien  zn  ei- 
gen; aber  sein  walues  Gefühl  vermied  glück- 
lich das  Gewaltsame  und  Übertriebene  der 
Stellungen  in  den  Gestalten  des  Bnonarroti^ 
und  folgte  mehr  den  gemälsigten,  schünen  Be- 
wegungen der  Antike^  Diesen  Einfliifs  der  ^tz- 
tiken  und  des  IMichelangelo  auf  -seinen  Ge- 
schmack belierschte  doch  immer  die  eigen- 
thümliclic  Vorstellungsart  seines  Genies,  Die- 
se Selbständigkeit  unter  der  Macht  fremden 
Einflusses  ist  auch  in  seinen  früheren  Versu-< 
clien  sichtbar;  und  nie  mangelte  seineii  Ge-^ 
stalten  Leben  ,  Charaktci-  undi  Ausdruck  ,  denn 
sie  waren  achte  Geschöpfe  der  Einbildungs- 
kraft; nicht  einer  blos  mechanischen  Fertig- 
keit, die  gel  ade  der  schwächere  Theil  seiner 
J\unst  war  ,  so  dass  ihm  das  Darstellen  ausser 
sich  mehr  Schwierigkeiten  machte  als  die  Er- 
findung,  die  er  immer  ganz  im  Kopfe  geord- 
net vollendete,  ehe  er  daran  ging  sie  aufzu- 
zeichnen, 

Carstens  kante  zwar  den  menschlichen  Kör- 
per zierr.iich  genau,    und  versüiuiue  keine  Ge- 


76 

legenheit ,  wo  er  das  Nalvte  an  lebenden  Ge- 
staiteii  sehen  konte,  z.  B.  beim  Bade^  mit  sei- 
xieii  Freunden,  die  er  entMeidet  raanclierlei 
Stellungen  und  Bewegungen  maclien  lies  ,  die 
ihm  für  seine  Zwecke  dienlich  waren,  imd 
«US  denen  er  das  Wesentliche  mit  einem  schnel- 
len Bliche  aufzufassen  geübt  war.  Doch  fehl- 
te es  ihm  noch  an  jener  gründlichen  Kentnis 
der  Anatomie,  die  dem  Künstler  schon  beim 
Entwerfen  seiner  Gestalten  so  sehr  zu  statten 
Komt,  aber  zur  j-lchtigen  Ausffihrung  noch 
unentbehilicher  ist ,  und  woiin  unter  allen 
Neueren    Michelangelo     der     gelehrteste     und 

erofste  war.  Seine  Kentnis  der  Anatomie  er- 
o 

streckte  sich  nur  auf  das  richtige  Verhältnis 
der  Tlieile  und  Glieder ,  und  auf  die  Hauptfor- 
men derselben,  so  wie  sie  in  der  Antike  dem 
Zweck  der  Schönheit  untergeordnet  erscheint, 
ohne  genauere  Andeutungen  der  Zufälligkei- 
ten ,  die  in  der  Mannigfaltigkeit  der  Gestalten 
gefunden  werden,  und  die  der  Künstler gleich- 
fals  kennen  nnifs.  Sie  war  vielmehr  konven- 
zionell  und  dürftig,  als  wahr  und  gründlich, 
und  für  ihn  als  Maler  unzureichend.  Er  fühl- 
te dies  auch  selbst  genug,  und  sparte  keine 
Aufmerksamkeit  und  Mühe,  das  früher  Ver- 
säumte naclizulioien.     Hätte  er  Gelegenheit  ge- 


77 

habt,  grofse  Arbaiten  auszufülireir,  so  würde 
er  diesen  Tiieil  früher  in  seine  Gewalt  gebracht 
haben.  Denn  wonn  ein  grofses  Werk  auch 
danim ,  weil  es  gros  ist,  nicht  mehr  Kunst- 
Verdienst  hat  ,  so  ist  es  doch  schwerer  und  der 
Künstler  lernt  melir  dabei. 

In  der  Persjjcktlv ,  so  wie  in  der  Lehre  von 
LicJit  und  Scliatten  war  Carstens  in  dieser  Zeit 
nocli  blofser  Naturalist;  docii  half  er  sich,  wo 
sein  Augenniafs  ilm  im  Stiche  lies  ,  ziemlich. 
gut  dadurch,  dass  er  sich  die  Figur  in  Tlion 
jnodellirte,  iind  die  Wirkung  der  Beleuchtung 
daran  bemerkte.  Plan  und  Grund  eines  Ge- 
mäldes perspektivisch  aufzuzeichnen  verstand 
er  noch  nicht,  und  er  hütlietesich  darum  auch 
sehr  vor  solchen  Gegenständen  ,  "wo  derglei- 
chen nothwendig  w^ar. 

Im  Kolorit  yv^Y  er  verhältnismäfsis"  ammei- 
stcn  zurück  geblieben.  Seine  bedrängte  Lage 
erlaubte  ilim  selten  einen  Versuch  in  Ölfarben 
zu  machen  ,  um  so  mehr,  da  er  auf  keinen  Ab- 
saz  eines  historischen  Gemäldes  rechnen  konte. 
Was  er  sonst  mit  Wasseifarben  kolorirte,  v/ar 
z-war  ziemlich  roh  und  hart;  dech  s:elan2:  ihm 
von  Anfang  an  die  Wassermalerei  besser  als 
das  ülmaleu,  v/orin  er  sich  zv/ar  in  der  Folge 
»ock  merklich  gebessert,     es  über  doch  nie  zu 


• 


78 

teiniger  Volll-vOmmenlieit  o;eT3raciit  liat.  Sei* 
Silin  war  für  die  Pielze  des  Kolorits  weiiiget 
einpfäiiglicli ,  obgleicli  es  ilini  uii.lit  an  aichti- 
gen  Grundsätzen  über  dasselbe  feMte;  nur  hon- 
te er  dies|?lben  iiiclit  geiiiigeiid  ausüben,  weil 
ihm  dazu  sowohl  die  Kentnis  Uer  nothigeil 
Handgiiffe  i,  als  die  nur  durch  viele  Übung  zu 
eilaugende  Fertigkeit  mangtlte,  In  diesem 
Punkte  bestätigte  die  Folge  >  -was  i]im  ^hil- 
gaard  vorher  gesagt  hatte.  Carstens  suchte 
sich  über  diesen  unverschuldeten  Mangel  durch 
manciieilei  Sophismen  t\\  trösten J  so  hätte  ei* 
gern  die  schon  von  andern  aUsgesohnene  Bc-» 
hauptung  vertheidigt,  dass  die  Erfindung  der 
Ölmalerei  den  Veifall  der  Kunst  befördert  ha- 
be, dadurch  dass  sie  den  Fleis  zu  sehr  aufs 
l'inseln  lenkte;  oder  er  behauptete,  sie  schicke 
sich  eigentlich  nicht  wohl  für  den  grofsen 
Stil;  oder  er  führte  JiTiclielafigelo's  Sprüchlein 
an  j  -der  sich  mit  ilim  in  gleichei*  Lage  be* 
fand :  Die  Ölmalerei  sei  -eines  JVTannes  un- 
würdig und  eine  Arheit  für  PT^'eiher.  Wenn 
man  ihm  diese  Ausflüchte  aber  nicht  gut  heis* 
sen  woltCj  so  ergab  er  sich  am  Ende  dochgtit* 
willig,  und  gestand,  dass  er  es  nicht  Von  Her* 
2en  50  meine. 


79' 

in  cler  Au'sjühruvg  War  er  gleiclifals  seilt 
schlicht  und  kunstlos,  aber  doch  sauber  und  fiei-' 
fsiü:,  wenn  ej-  woke.  iVlan  könte  sagen  :  Gedanke 
undKomposizion  waren  der  Abdruck  seines  in- 
iiernPieichthunis  ;  die  Ausführung  seiner  Erfin-' 
diingen  \var  das  Bild  seiner  äussern  Armutli  und 
Beschränkung.  Es  w^ar  ihm  blos  darum  zu 
thun »  seinen  Gegenstand  in  der  Zeichnung 
möglichst  bestimmt  und  deutlich  auszudrückenj 
seine  Figuren  wohl  zu  runden  >  und  das  Gan- 
ie  in  Übereinstimmung  zu  bringen.  Übrigens 
zeichnete  er  ohne  Manier  und  ohne  die  afftk* 
tii'te  Meisterschaft  vieler  neueren  Zeichner  und. 
Konturenschreiber,  die  auf  Geist  Anspruch 
macht,  aber  selten  mehr  ist  als  mechanische 
Fertigkeit  eines   Schreibmeisters. 


So  strebte  und  rang  Carstens  unter  den  un* 
'günstigsten  Terhäitnisseu  ,  ohne  Aussichten  ei- 
ner besseren  Zukunft,  wärend  seines  fiinfjäh» 
ligen  Aufenthalts  in  Lübeck,  und  der  Verfas» 
ser  -war,  in  den  zwei  leztcn  Jahren  desselben, 
täglicher  Augenzeuge  des  oben  Gesagten.  Sein 
Eifer  für  die  Kimst  blieb  sich  jedoch  immei' 
gleich.  Er  kämpfte  um  sie^  wie  um  sein  Da* 
Sein ;  auch  war  sie  w^irklich  eine  Hauptbedin* 
ijimg  desselben,     und  nur  ihrentwejg^en  hatt# 


das  Leljen,  clas  ilim  wenig  an3ere  Freuden  dar- 
bot, noch  einen  Reiz  für  ilin.  In  ihr  vergas 
er  Unglüch  nnd  Leiden;  aber  es  war  ihm  doch 
iinr),iüglich  in  einer  solchen  Lage  weitere 
Fortschritte  zu  machen.  Aller  Hiilfsmittel 
entblofst ,  aller  Nahrnngsqnellen  für  seinen 
Kunstsinn  beraubt,  verzehrte  sich  seine  Krafü 
in  mühevollen  Bestrebungen  ,  die  seinen  7  rieb 
Ewar  beschäftigen ,  aber  nie  befriedigen  honten. 

Mangel  an  Nahrung  seines  Kunsttiiebes 
brachte  ihn  dazu,  dass  er  sich  dam<ils  oft  mit 
Dingen  beschäftigte,  die  ausserhalb  seiner Sfü- 
je  lagen  xuid  zu  denen  er  keine  Anlagen  hatte. 
So  trieb  er  Poesie ;  machte  Oden ,  Ditiramben, 
Trauerspiele,  Epigramme,  Satiren,  Shalden- 
gesänge  etc. ,  die  abei-  meistens  Wiederhlänge 
der  Erinnerung  aus  Pindar  y  lilo-pstock,  So' 
■phokles  ,  Stolherg ,  Gerstenherg  u.  a.  waren. 
Es  fehlte  daiin  nicht  an  mancher  eigenen  Idee» 
aber  die  Sprache  wolte  ihm  nicht  gehorchen. 
Auch  im  Felde  der  Filosofie  trieb  er  sich  ein« 
Zeitlang  um  ,  obgleich  er  ein  zu  konkreter, 
zu  plastischer  Kopf  war,  um  spekulative  Ideen 
anders  als  bildlich  zu  fassen.  Durch  Lessings 
Schriften,  besonders  durch  die  berühmten 
Fragmente,    iixe  üaia  in  die  ü^de  geiiethen, 

WAid 


8i 

ward  er  veranlafst ,  auch  sein  Religionssistem 
hervor  zu  suclien ,  das  seit  seiner  Kindlieit 
ziemlich  geruhet  hatte.  Doch  da  er  ein  hel- 
ler, heiterer  Kopf  war ,  zwar  jedes  Enthnsias- 
mus  fähig,  aber  ohne  den  mindesten  Hang  zu 
Schwärmerei  und  ^distik,  so  zog  er  sicli  bald 
ganz  vernünftig  aus  dem -Handel,  und  State 
nach  der  Lehre  der  neiiesten  Runstweisheit  die 
Kunst  in  der  Religion  (oder  vielmehr  in  einem 
phantastischen  Gespenster  brütenden  Misticis- 
mus)  zu  suchen,  suchte  und  sezte  er  seine  Re- 
ligion in  der  Kunst.  Nacliher  fing  er  auch  an, 
Kants  Kritik  der  reinen  Vernunft  zu  studiren, 
"worin  er  aber  nicht  weiter  kam  als  in  die 
Lehre  von  Raum  und  Zeit;  und  die  Ausbeute 
dieses  Streifzuges  war  eine  simholische  Darstel- 
lung dieser  heiden  Formen  in  einer  malerischen 
Komposizion,  derentwillen  er  manchsiiei  An* 
fechtungen  in  Scherz  und  Ernst  erfahren  raus- 
te.     Ihrer  w^ird  in  der  Folge  erwähnt  Vv  erden. 

Endlich  schien  es,  als  ob  das  Sclühsal  un- 
serm  Künstler  einmal  lächein  wolle.  Ein  gün- 
stiger Zufall  verschaffte  ihm  die  Behaiitschafc 
des  Dichters  Overheky  den  ein  Freund  zu  Car- 
stens  ii\\\\te ,  mn  ihm  die  Komposizionen  des- 
selben sehen  zu  lassen.     Overbek  w^rd  ange- 


82 

nelim  überiasclit ,  in  einem  elenden  schwarz 
beräjiclierten  Zimmer,  und  unter  einer  so  iin- 
sclieinbaren  Hülle  einen  Geist  zu  finden,  der 
mitHomer ,  SojyJiokles ,  Ossian,  S h ake sp e ar etc, 
in  vertrauter  Bekantschaft  lebte  ,  und  Scenen 
aus  ihren  Weiken  in  eigenen  Erfindungen  dar- 
stellte. Der  edle  Dichter,  von  des  Künstlers 
unwürdiger  Lage  unten  ichtet,  interessirte 
sich  lebhaft  für  Carstens ,  und  führte  ihm  nach 
einigen  Tagen  den  Rathsheirn  lilathaeus  Rod- 
dezn,  einen  der  reichstbegüterten  Männer  je- 
ner Stadt,  der  mit  wninier  Liebe  zur  Kunst 
die  Einsichten  eines  Kenneis  veieint,  und 
selbst  eine  ausgewählte  Samlung  von  Gemäl- 
den besizt.  Ein  solcher  Kunstfreund  honte 
den  Werth  des  Talents ,  das  er  da  im  Yerboi'- 
genen  fand,  nicht  verkennen ;  er  sah  aber  auch 
zugleich  die  Hindernisse,  die  es  niederdrück- 
ten. Er  w^iederholte  seinen  Besuch  bei  Car^ 
stens ,  lud  ihn  zu  sich,  suchte  durch  nähere 
Bekantschaft  sein  Zutrauen  zu  gew^innen,  un- 
terrichtete sich  genauer  von  seiner  Lage  ,  und 
jieth  ihm  ,  eine  Stadt  zu  verlassen  ,  wo  sein 
Talent  ev\'ig  ein  todtes  Kapital  für  ihn  bleiben 
würde,  und  an  einen  Ort  zu  gehen,  der  für 
die  Ausbildung  und  Anwendung  desselben  bes- 
ser  geeignet   sei;     wozu    er  ihm  Berlin  vor- 


85 

schlug.  Carstens  bedurfte  dieser  AufFoderung 
iiiclit,  da  er  selbst  schon  lange  diesen  Wunscli 
LriLte,  zu  dessen  ErfiiUung  ihm  nur  die  IMittel 
gebrachen.  Aber  auch  diesem  Hindernisse 
Jiatte  der  edle  Mann  abzuhelfen  beschlossen. 
Nachdem  er  sich  überzeugt  hatte,  dass  des 
Künstlers  sittlicher  Charakter  ihn  der  Unter- 
stützung, die  sein  Talent  bedurfte,  noch  wür- 
diger mache  ,  that  er  demselben  das  Anerbic- 
then  ,  nicht  alleizi  seine  Schulden,  die  etwas 
über  hundert  Thalcr  betragen  mochten  ,  zu  be- 
zalen,  sondern  ihn  auch  in  den  Stand  zu  se- 
tzen, dass  er  die  R.eise  nach  Berlin  maclien, 
und  dort  wenigstens  ein  halbes  Jahr  leben  Kön- 
ne, um  sich  indessen  behant  zu  niachen,  und  sicli 
günstigere  Aussichten  für  die  Zukunft  zu  be- 
reiten. Von  der  Wiedererstattung  dieses  Gel- 
des solte  nie  die  Rede  sein ;  nur  äusserte  dei* 
edle  Geber,  um  das  Anselien  eines  Gesclienks 
zu  vermeiden,  dass  es  ihm  lieb  sein  würde, 
einmal  nach  der  Bequemliclikeit  des  KiinstlerSj 
als  freie  Erkentlichkeit ,  etwas  von  dessen 
Aibeit  für  seine  Sämling  zu  empfingen.  Die» 
ist  in  der  Folge  nicht  geschehen ,  obgleich  Car- 
stens sicli  zu\veilen  selbst  daran  mahnte  ,  und 
den  Namen  seines  Wohlthäters  nie  ohueDank- 
gefülil  nante.     IMoge   der    edle    Mann    es  dem 


84 

Verfasser  vej*reilien,  dass  er  dieser  niensclien- 
freundiiclien  Handlung  au  seinem  Freunde  hier 
üfFentlicli  gedenkt.  Sie  1-iatte  zu  viel  Einflus 
auf  das  Scliiksal  unsers  Kunstlers ,  als  dass  sie 
in  dem  Leben  desselben  mit  Stiliscli weisen 
übergangen  werden  konte ;  und  die  Pflicht  der 
Gerechtigkeit  fodert  den  Dank,  den  ein  edles 
durch  sein  eigenes  Bewustsein  hinlänglich  be- 
lohntes Gemüth  verschmähen  darf.  Ein  gros* 
ses  Talent  ist  selten;  noch  seltener  ist  viel* 
leicht  derEdelmuth,  der  es  aus  seiner Verbor* 
genheit  hervorzieht  und  aus  reiner  Kunstiieb« 
uneigennützig  untexstüzt. 

Duich  diese  unerwaitele  Hülfe  wurde  Ca;* 
stens  auf  einmal  seiner  Noth  entrissen ,  und  zu. 
neuen  Hofnungeri  beseelt,  dass  endlich  sein 
Schiksal  eine  bessere  Wendung  nehmen  werde. 
Um  aber  nicht  ganz  mi\-orbereitet  nach  Berlin 
y.u  kommen ,  sandte  er  gegen  den  Herbst  1787 
seine  allegorische  Darstellung  der  vier  Elemen- 
te in  Ol  gemalt  an  den  derzeitigen  Kurator  der 
Akademie ,  den  Minister  Freiherrn  von  HeinitZi 
mit  der  Bitte,  diesem  Bilde  in  der  bevorste* 
liendcn  Ausstellung  einen  Plaz  zu  vergönnen» 
Er  ei-hielt  dafür  ein  verbindliches  Antwort* 
schreiben  des  Ministers,  und  ging  dann  im  fol-» 
g-endeii  Frühjahr  1788  selbst  nach  Berlin, 


85 


Die  Pveise  des  Künstlers  nach  Beilin  nnter- 
br^'^cli  nun  aiicli  das  innige  "V'eiliältnis ,  das 
zwischen  ihm  und  dem  Verf.-irser  bis  dahin  ge- 
waltet hatte,  filr  mehrere  Jahre.  Carstens  ^vaI 
liein  Freund  vom  Briefschreibe^i,  daher  erfuhr 
IUI}-  selten  und  zuf^illig  einer  etwas  von  dem 
sindein ;  doch  blieb  dessungeachtet  ihre  Freund- 
schaft dieselbe.  Auch  der  Verfasser  verlies 
Lübeck  bald  nachher  und  ging  in  andere  Ge- 
genden Deutschlands ;  er  hau  also  von  den  Le- 
bensumständen des  Künstlers  v/ärend  der  nächst- 
folgendeu  secbs  Jahre  nur  die  Hauptmcmente 
Xnittheilen ,  die  er  in  der  Folge ,  als  ein  gün- 
stiges Geschik  beide  wieder  in  R.om  vereintej 
aus  mündlichen  Erziilungen  des  Kiinstleis  ge- 
sammelt, zum  Tlieil  auch,  nach  dem  Tode 
desselben,  von  einem  seiner  Freunde  in  Ber" 
liu  erhalten  hat. 


Carstens  lebte  wärend  der  zwei  ersten  Jah- 
re in  Berlin  ziemlich  imbekanf,  er  Vv^ustesich, 
wie  schon  oben  gesagt  Vv'orden ,  nicht  persön- 
lich geltend  zumachen,  und  Avolte  blos  durch 
seine  'Ai-beiten  bekant  werden,  wozu  er  so- 
gleicli  keine  Gelegenheit  fand.  Ja  er  geiieth 
für  eine  Zeitlang  in  so  elende  Umstände,  dass 
ei-  im  eigentlichen  Sinne    auf  Brod  und  Was- 


86 

Ser  besclnänlit  war,  da  er  lieinen  Verdienst 
als  durcli  ein  paar  Zeichenstunden  hatte  ,  die 
ihm  schlecht  bezalt  wurden.  Sein  schwächli- 
cher Körper  honte  sich  bei  dieser  magern  Ge- 
fängnishost nicht  aufrecht  erhalten;  er  üel  in 
eine  schwere  Krankheit,  die  ihn  dem  Tode  na- 
he brachte  ;  doch  seine  Natur  siegte  diesmal 
noch,  und  er  genas  wieder.  In  der  Folge  er- 
hielt er  öfters  Bestellungen  für  Buchhändler, 
durch  die  er  seinen  Unterhalt  nothdüiitig  ge- 
wan.  Späterhin  trat  er  auch  in  maurerisclie 
Ve]  bindungen ,  die  ihm  z\var  für  seinen  Zweck 
Keine  w^esentliclien  Voitheile  brachten,  aber 
ihm  doch  die  Bekantschaft  manches  wohlwol- 
lenden Mannes  verschaften  und  ihn  in  einige 
Familien  einfülirten,  deren  Umgang  ihn  der 
Einsamkeit  entriss,  nnd  das  Gefühl  seiner  be- 
drängten Lage ,  wenn  auch  nicht  tilgte ,  doch 
milderte. 

Er  hatte  sich  vorgesezt,  in  Berlin  keine 
Porträts  zu  malen,  sondern  sich  blos  als  Histo- 
rienmaler zu  zeigen,  theils  um  dadurch  nicht 
aufs  neue  von  seinem  IIaupts4;udium  zu  sehr 
abgezogeti  zu  weiden,  iheils  um  alle  für  ihn 
nr.chtheiligen  "^^ergleicliungen  mit  andern 
Kiinstlern,  die  sich  in  diesem  Fache,  das  er  so 
Jange  nur  des  Brodes  wegen  und  nie  mit  Lust 


87 

getrieben  hatte,  hervortliaten ,  und  besser  als 
er  in  Ol  malten  ,  zu  vermeiden.  Dagegen  war 
er  fest  entsclilossen,  im  historischen  Fache, 
■v\-ozu  er  seinen  Beruf  und  seine  Fälligkeit  kan- 
te ,  keinem  den  Vorzug  zu  lassen ;  und  er  liar- 
rete  nur  auf  eine  günstige  Gelegenheit,  wo 
er  sich  auf  eine  ausgezeichnete  Art  bemerkt 
machen  honte.  Diese  ergab  sich  denn  auck 
in  der  Folge. 

Von  den  Arbeiten,  welche  Carstens  in  Ber- 
lin für  Buchhändler  gezeichnet  hat ,  sind  dem 
Verfasser  ausser  den  mitologischen  Vorstellun- 
gen von  seiner  eigenen  Erfindung  zu  Randcrs 
J\Titologie  i  die  aber  durch  den  Stich  verpfuscht 
worden  sind,  und  ausser  den  Umrissen,  die  er 
zu  der  Götterlehre  von  JMoriz  nach  antiken 
Steinen  dem  Holzschneider  Unger  auf  die  Stö- 
cke gezeiclmct  hat,  die  aber  auch  nachher  von 
Tassasrt  in  Kupfer  geäzt  sind,  keine  bekant 
geworden.  Von  diesen  lezteren  war  er  nur 
mit  den  Ungerscheii  Holzschnitten  zufrieden, 
nicht  mit  Tay^a^rt^chen  Nachstichen.  Carstens 
legte  auf  seine  für  Buchhändler  gemachten  Ar- 
beiten ,  die ,  wie  er  sagte ,  noch  überdies  von 
den  Kupfeistechern  verhunzt  ^vurden ,  nicht 
den   geringsten  Werth,     und  sie  sind  fast  alle 


88 

ohne  seinen  Namen  gestoclien  worden.  Über- 
haupt war  das  Moderne  sein  Fach  niclit ,  und 
das  Vignettenwesen  verabscheute  er  als  einen 
elenden  Trüdel  der  Kunst,  zu  dennurdieNotli 
ihn  zwingen  honte« 

Zur  zweiten  Kunstausstellung  seit  seines 
Aufenthalts  in  Berlin  ,  hatte  er  eine  grofse  und 
reiche Komposizion  verfertigt,  die  gegen  zwei» 
hundert  Figuren  entlüelt ,  tmd  den  Sturz  der 
jEvgel  voistellte.  Er  \viililte  diesen  Gegen- 
stand ,  weil  er  ihm  Gelegenheit  gab ,  den 
Reichthum  seiner  Fantasie  und  seine  Kunst  in 
der  Komposizion  zu  entfalten;  Es  war  eine 
frei  umrissene,  mit  Bister  lavirte  Federzeich- 
nung, die  einen  Bogen  vom  grofsten  Format 
anfüllte,  und  wiirend  der  Ausstellung  die  Auf' 
inerhsamkeit  der  Kenner  und  Künstler  vorzüg- 
lich auf  sich  zog. 

Durch  diese  Zeichnung,  die  in  der  Folge 
ein  reicher  Kmistlicbliaber  Namens  jlleier  in 
Hamburg  kaufte,  hoffte  Carstens  seine  Auhiali- 
me  und  Anstellung  bei  der  Akademie  der  Kün- 
ste zu  bewirken;  nicht  dass  es  ihm  um  die- 
se Anstellung  selbst  zu  thun  ge%vesen  Aväre, 
denn  er  liassre  schon  von  Kopenhngen  hei-  die 
Kunstakademien,     imd  hielt  sie  für  zwecklose- 


89 

Anstalten;  sondern  blos,  weil  er  tLirln  ein 
Mittel  sali,  seinen  gi-oCsen  Zweck,  den  er  nie 
aus  dem  Gesichte  verlor,  zu  erreiclien.  Da 
nun  aucli  der  Akademie  bei  dieser  Gelegenlieit 
der  Vor-wuif  gemacht  v/urde  ,  dass  sie  so  viele 
unufitze  Besoldungen  und  Pensionen  eitheile, 
und  einen  Künstler  von  so  aussrezeichneten 
Talenten  ohne  Unterstützung  lasse  ,  so  geschah 
ihm  auch  Avi^klich  der  Antiag,  eine  Lehrstel- 
le bei  der  Akademie  anzunehmen.  Er  machte 
für  seine  Anstellung  zur  Bedingung,  nicht 
von  dem  akademischen  Senat  oder  dem  Di- 
rektorium der  Akademie  ,  sondern  nur  unmit- 
telbar von  dem  Kuiator  derselben ,  FreiheiTn 
von  Heinitz,  .abzuhängen.  Die  Akademie  hat- 
te Schwierigkeiten ,  diese  Bedingung  einzuge- 
hen ,  und  er  machte  sich  dadurch  die  Glieder 
dei'selben  eben  nicht  zu  Freunden,  %venn  sie 
auch  dem  ^linister ,  der  ihn  indes  näher  ken- 
nen gelernt  hatte,  nicht  misfiel.  Entilich  wur- 
den die  Scluvierigkeiten  hinweggeräumt,  oder 
viölmehr  stillschweigend  beseitigt ,  und  der 
Professor  TW^oriü.^  ,  damaliger  Sekretär  der  Aka« 
demie ,  der  sich  bei  dieser  Gelegenheit  als  Car- 
stens Freuud  erwies  ,  war  Vermittler  der  Sa- 
che. Seine  Bestallung  als  Professor  bei  der 
Akademie  der  Künste  und  mechanischen  wissen- 


go 

Schäften  (wie  sie  sich  selbst  nennet)  wurde 
ihm  unterm  2i.  Mai  1790  ausgefertigt;  da  aber 
jener  Bedingung  der  Unabhängigheit  vom  Di- 
lehtoriuni  der  Akademie  in  demselben  nicht  er- 
wähnt war,  so  weigerte  sich  Carstens,  die 
Bestaüung  anzunehmen,  und  trug  sie  wieder 
,2um  Minister  zur n eh.  Docli  nahm  er  sie  end- 
licli  auf  die  mündliche  Versiclierung  des  Mini- 
Steis ,  dass  derselbe  deshalb  mit  HJorltz  spre- 
chen, und  die  Sache  seinem  Veiiangen  gemäs 
zur  Flieh tiglieit bringen  werde,  so  an,  wiesle 
ausgefertigt  war.  Er  glaubte,  das  Ehrenwort 
des  Ministers  hönne  ihm  genügen.  Die  Folge 
dieser  Auszieichnung  war,  dass  Carstens  die 
meisten  Professoren  der  Akademie  -wider  sich 
hatte,  unter  denen,  nach  seiner  eigenen  Aus- 
sage, der  alte  CJiodoiviecki ,  den  er  als  einen 
giofsen  Künstler  in  seinem  Fache  ehite ,  sich 
allein  immer  als  Avahier  Freund  gegen  ihn  be- 
ti'a gen  hat. 

Carstens  ^var  also  nun  als  Professor  der 
Akademie  mit  einem  Jahrgehdlt  von  liumlert 
und  fünfzig  Thalern  angestellt,  und  erhielt, 
seinem  eigenen  Wunsche  ^emäs  ,  den  Unter- 
sicht in  der  Gipsklasse.  Er  hatte  diese  ge- 
wählt, weil  er  darin  mit  keinem  andern  Leh- 


91 

rer  in  Ziisammenstos  kam,  und  nach  seinen 
eigenen  Grundsätzen  unterweisen  konte.  Auch  • 
er^vaib  er  sich  bald  die  Zuneigung  seiner 
Schüler.  Im  folgenden  Jahre  ward  ihm  auf 
Verwendung  des  Ministers ,  der  ihm  wohl 
weite,  sein  Gehalt  mit  hundert  Thalern  aus 
der  Akademiekasse  vermehrt ,  wodurch  er 
denn  wenigstens  vor  Mangel  und  Noth  ge- 
sichert \va]-. 

In  Berlin  fand  sich  mm  Carstens  zwarwde- 
der  von  manchem  treiiichen  Werke  der  Kunst 
umgeben ,  und  iii  der  Nahe  einer  Akademie, 
wo  Kunst  gelehrt  und  getrieben  wird,  aber  er 
fand  doch  dort  nichts  Ne(ies  ,  das  so  vorzüg- 
lich ge'vvesen  wäre,  als  %vaserin  Kopenhagen, 
Mantua  und  Pvlailaud  bereits  gesehen  und  sei- 
nem Geiste  angeeignet  hatte.  Das  höhe- 
re Bedürfnis  desselben  blieb  also  auch  hier 
noch  immer  unbefriedigt.  Der  Aufenthalt  in 
Berlin  konte  demnach  für  Carstens  wohl  er- 
munternd, und  du3ch  seine  Folgen  für  ihn 
wichtig,  aber  für  seine-  fernere  Ausbildung 
nur  von  geringem  Nutzen  sein;  im  Gegentheil 
muste  jedes  laiigere  Säumen  in  Berlin  dieselbe 
versp.ueu.  Er  hatte  also  ■wohl  recht,  %venn 
er  aus  allen  Kräften  strebte ,  sich  von  dort  den 


Weg  nach  Rom  zu  bahnen  ,  und  alles ,  was 
sich  ihm  in  Berlin  Günstiges  darbot,  nur  als 
Mittel  zu  diesem  Zweche  zu  benutzen. 


Doch  wiihte  wärend  seines  dortigen  Auf- 
cnthalies  ein  anderes  Bildungsmittel  wohlthätig 
auf  ihn ;  zwar  weniger  fruchtbar,  als  der  be- 
geisternde Eindruck  treilicher  Kunstweike, 
aber  doeli  für  den  hunstfähigen,  strebenden 
Geist  höchst  wichtig  und  belehrend:  der  Um- 
gang mit  denkenden,  kentnisreichen  Künst- 
lern, und  dasUrtheil  eines  am  Küchsten  der 
Kunst  gebildeten  und  gereiften  Geschmackes. 
Dieser  Yortheil  %vard  ihm  in  Berlin  durch  den 
vertrauten  Umgang  mit  Jen  beiden  Gebriidern 
Gsnelli,  Baukünstler  und  Landschaftsmaler, 
zu  Theil.  Carstens  war  bereits  dort,  als  diese 
beiden  Künstler  im  Jahre  1739  "^'^-^  Born  zu- 
rückkamen. Er  war  kurz  vorher  von  einem 
schv.-eien  Krankenlager  erstanden,  als  er  ihre 
Bekantschaft  machte.  Rom,  wohin  immer 
seine  Wünsche  gerichtet,  und  woher  diese 
Künstler  eben  zurückgekehrt  waren ,  beförder- 
te ihre  gegenseitige  Annäherung.  Wie  auf  ei- 
ner öden Haide Reisegefährten,  die  ei« gleicher 
Weg  zusammenführt,  schnell  vei'traut  ^ver- 
den,     so  knüpfte  auch  dort,     wo,     bei  allem 


93 

Tieiben  der  Kunst,  wahre  Kunst  und  der  Sinn 
dafür  so  selten  sind,     Gieiclilieit  des  Zweckes 
und  der  Neigung  bald  das  Band  inniger  Freund- 
schaft.    Der  Trieb    zu    lernen    von  der  einen, 
so  wie   das   Bedürfnis   sich  mitzutheilen  von 
der  andei-ii  Seite,  fand  in  diesem  engeren  Ver- 
hältnisse gleiche  Befriedigung.     Die  Kunst  war 
der   unerschöpfliche   Gegenstand   ilirer   Unter- 
haltungen     daheim     und    auf     Spaziergv^ngen« 
Carstens  legte  seine  Erfindungen  und  Entvv^ür* 
fe,  woran  er  immer  iruclitbar  war,     deu  bei* 
den  Freunden  zur  Beurtheilung  vor ;  bei  wel- 
cher  Gelegenheit   dann  alle    Theile  der  Kunst 
in  Lehre  undiAusübung  öfter  und  alseitig  zur 
Sprache  kamen.     Jene  Künstler  dagegexi  theil- 
ten  ihm  die  Ausbeute  ihrer  in  Italien  erAvorbe"- 
nen  Einsichten  und  Erfalirungen  ,  so  wie  ihre 
Urtheile   von  Werhen   mit,     die   Carstens  ent- 
weder nur  dem  Namen  nach,     oder  hüchstena 
aus   unzureichenden   Abbildungen  kante ;  und 
zu  den  nüthigen  Verdeutlichungen  war  immer 
ein  Stück  Kreide   und    ein  Tisch  bereit,     der 
dann  mit  Stellungen,    Gewändern,    Trachten, 
Theilen    des    Körpers  etc.    bezeichnet    wurde» 
Der   Baukünstler    Genelli,      der  über  bildende 
Kunst  viel   gedacht   liatte,     selbst  ein  fertiger 
Zeichner  der  menschlichen  Gestalt  war,     und 


94- 

seinen  Gesclmiük  an  Jen  Weiken  der  Alten 
und  Fiafaels  gebildet  hatte ,  ward  auf  diese 
Weise  iinserni  Carstens  vorzü glich  nüzlicli. 
Er  berichtigte  nianclien  seiner  Kunstbegriffe, 
Märte  ihm  manche  Dunkelheit  auf,  und  such- 
te auch  seine  Neigung  zu  allegorisclien  Dar- 
stellungen zu  mäfsigen  ;  aber  Carstens  konte  sich 
noch  niclit  sogleich  von  dieser  Lieblingssünde 
trennen,  der  er  aucli  noch  in  Rom  einige  Op- 
fer brachte  ,  bis  ihn  endlich  eine  reifere  Über- 
zeugung und  Rafaels  Voibild  ganz  wieder  auf 
das  wahre  Ziel  dramatischer  Darstellung  zu- 
rück ^vies,  von  dem  er  sich  in  den  leztenjah- 
xen  nicht  inchr  entfejnt  hat.  Carstens  eikante 
und  schäzte  den  belehrenden  Ujngang  dieses 
Freundes  so  hoch  ,  dass  er  noch  in  Hom  zu- 
weilen sagte:  alles,  was  er  von  der  Kunst 
wisse,  verdanke  er   dem  älteren   Genelli. 

Auch  in  der  Perspektiv,  die  Carstens  bis 
dahin  noch  stümperhaft  ohne  Kentnis  der  Re- 
geln übte,  "wolte  Genelli  ihn  unterweisen. 
Vielleicht  aber  mochte  der  Unterricht  dessel- 
ben zu  gelehrt  und  wissenschaftlich  für  ihn 
sein :  sein  uu^vissenschaftlicher  Kopf  konte 
diese  Lehre  damals  nicht  fassen.  Erst  in  Rom 
lernt«     «r     diese    nothwendige     Hülfswissen- 


95 

Schaft  der  Kunst  von  seinem  Freunde  pp'ein- 
hrenner,  der  sie  ihm  auf  eine  einfachere  Art 
miizutlieilen  wüste,  so  dass  er  sie  nun  sehr 
leicht  begrif ,  und  in  der  Folge  jedesmal  die 
Scene  seiner  Komposizionen  vorlier  perspek- 
tivisch aufzeichnete,  und  auf  derselben  seine 
Figiuen ,  so^vohl  nach  dem  Augpunht,  als 
nach  dem  Standpunkt  derselben  im  Bilde, 
richtig  anordnen  honte.  Dadurch  erhielten 
seine  Darstellungen  nun  auch  in  dieser  Hin- 
sicht die  nöthige  Wahrheit  und  Gründlichheit, 
die  ihnen  bis  dahin  oft  gemangelt  hatte. 

Nebenden  alten  Schriftstellern,  deren fleis- 
siges  Lesen  so  lehneich  für  seinen  Geist  war, 
und  von  denen  er,  soviel  in  Übersetzungen  zu 
haben  waren  ,  sich  almälich  eine  kleine  Sam- 
lung  zulegte  ,  die  er  auch  in  der  Folge  mit 
nach  Fiom  brachte,  suchte  er  zugleich  seinen 
Geschmak  an  Abgüssen  geschnittener  Steine  zu 
bilden  ;  und  gew^is  "V^'ar  dieses-  Studium  nicht 
ohne  grofsen  Nutzen  für  ihn.  Er  lei  nte  ihnen, 
die  schöne  Gruppirung  einzelne!*  Gestalten, 
die  schönen  Stellungen  ab,  die  man  oft  in 
seinen  Komposizionen  findet;  zugleich  war 
diese  Kultur  seines  Schönheitssinnes  das  beste 
VerwaliTungsmittel   gegen    die    gewaltsam  ge- 


96 

drehten  Stellungen ,  zu  denen  das  Studium  der 
Werlie  des  Micliclangc-lo  so  leicht  verleitet. 
Zur  Anschaffung  der  Übersetzungen  alter 
Schriitsteller  wandte  er  den  grosten  Tlieil  des 
Geldes  an,  das  er  mit  Arbeiten  für  Buch- 
händler verdiente. 

Sein  Fjcund  Cenelli  ward  ihm  auch  noch 
auf  andere  Weise  für  seinen  Zweck  nüziich, 
indem  er  ihm  in  Berlin  eine  grofse  Arbeit  zu- 
wandte ;  die  einzige  ,  die  urtser  Künstler  zu 
machen  Gelcgenlieit  gefunden  hat. 

Genelli  erhielt  nämlich  vom  INlinister  vcn 
Heinitz  d^n  Auftrag ,  ihiv  einen  Saal  in  dem 
von  Dö;7'£7/<?schen  Hause  zu  ve3 zieren,  und  den 
zur  Ausführung  tauglichen  Maier  vorzuschla- 
gen. Genelli  brachte  dazu  unsern  Carstens  in 
Vorschlag,,  als  den  fähigsten,  den  erkenne, 
der  am  besten  in  seine  Ideen  eingehen  ,  und 
auch  in  seinen  Forderungen  am  billigsten  sein 
•Würde.  Der  Ministe^:  genehmigte  die  Wahi, 
und  fGenelli  najuu  mit  C-arst^ns  die  nuthigen 
Verabredungen  vv^cgen  der  Ausführung  des  Fla- 
ues ,  den  er  zur  Verzierung  dieses  Sales  im  Sin- 
ne halte.  In  der  That  war  auch  die  Federung, 
die  Carstens  für  eine  so  beträchtliche  Arbeit 
machte,    so  unvcrhältnifsmäfsig  niedrig,   dasü 

sie, 


97 

sie ,     nach  dem  in  Beilin  für  dergleiclien  Ar- 
beiten  übliclien   Fiifse,     -wenigstens   sechsmal 
hoher    g-eschäzt   %vorden  wäre.     Aber  Carstens 
foderte  ahsichtlicli  so  -v%-emg,  um  sich  den  JMi- 
nister  desto  mehr  zu  verbinden,  der  auch  ein- 
sah,    dass   der  Künstler  mit  einer  so  geringen 
Eezalung ,  wovon  er  kaum  vrärend  der  Arbeit; 
leben  konte,  nicht  belohnt  sei.     Er  suchte  ihnr 
also    seinen   Fleis  auf  andere  Weise  zu  vergel- 
ten;    so   z.  B.    bekam  Carstens  hdd  darauf  die 
eben    ervTdhnte  Zulage  von  hunueVt  Thalern; 
?uch  \Tandte   iiim   der  Minister  eine  Zeichen- 
•tunde    zu   bei  einer    Verwandten,    der    Frau 
von   W  .  .  .  j     die   sich   damals    in  Berlin  auf- 
hielt   und    dem    Künstler   bald    so    gewogen 
wurde  ,    dass  sie  nachlier  stets  seine  nachdrük- 
lichste    Fürsprecherin   bei  dem  Minister  war,, 
lind  vrahrscheinlich    auch  zu  seiner  späterhin, 
erfolgten  Reise  nach  Italien  thatig  mitgewirkt 
hat.     Ausserdem   hatte   sich  Carstens  auch  da- 
durch bei  dem   INIinister    in  Gunst  zu  setzen 
gewust,  dass  er  ihm  immer  seine  neuen  Kom- 
posizionen  brachte,    und  sie  dem  Urtheile  des« 
selben  untervfarf ,    yvo   es  denn  nie  an  heund- 
licher     Aufnahme    und     ermunterndem    Lobe 
fehlte,   und  wobei  Carstens  jede  günstige  Ge» 


9f 

legenheit  benuzte,    um  eine  Reise  nach  E.oni 
in  Anregung  zu  bringen. 

Da  der  Saal  im  Hause  des  Marscliall  Dor~ 
ville  die  beträclitlicliste  Arbeit  ist,  womit  der 
Künstler  sich  wärend  seines  Aufenthalts  in 
Berlin  zu  zeigen  Gelegenheit  gehabt,  und  zu- 
gleich die  einzige  Arbeit  von  einigem  Umfan- 
ge, die  er  im  Grofsen  ausgeführt  hat,  so  wird 
eine  ausführliche  Beschreibung  derselben  hier 
nicht  unzwechmäfsig  sein. 

Der  Saal  hat  die  Form  eines  ablängen 
Viereck^  von  41  Fus  zu  24,  bei  einer  Höhe 
von  14  ;  und  nur  Ein  Licht  auf  einer  der  klei- 
neren Seiten,  durch  ein  sogenäntes  veneziani- 
gches  ,  dreiflügeliches  Fenster.  Der  Baukünst- 
ler lies  den  Arcliitrav,  der  den  Bogen  des  Fen- 
sters stüzt,  um  alle  vier  Wände  laufen,  und 
durch  parweise  gestellte  Pilaster  stützen,  die 
auf  ein  Podium  ,  so  hoch  als  die  Brustlehne 
des-  Fensters  ,  gestellt  sind.  Jede  lange  Wand 
d«s  Sales  w^urde  dadurch  in  fünf  Felder  abge- 
theilt ,  dreren  eines  der  Kamin  des  Sales  ein- 
nalim;  in  den  übrigen  neun  Feldern  ^vurde 
auf  dunklem  Grunde  Komus  der  Gott  des  X.^- 
hensgenusses  dargestellt,  ungefähr  vv^ie  FHq- 
strat  üin  beschreibt;    aber  in  neun  gesteigei- 


t«n  Momenten ,  von  der  Voibereitimg  zu  sei- 
nem Tanz,  bis  zu  dem,  wo  ej-  berausclit  und 
Ermüdet  einscblmnmert ,  und  gleichsam  zum 
Genius  des  Todes  -wird.  lu  dem  Raum  übeir 
den  beiden  Tliüien  der  sclimalen  Wand ,  dera 
Fenster  gegenüber,  wurden  drei  einiaibigo 
Malereien,  weis  auf  blauem  Grunde,  nach 
diei  Epigrammen  auf  den  Amor  aus  der  grie- 
cliischen  Antbologie  angebracht.  Den  Kaum 
über  dem  .Architrav  hatte  der  Künstler,  den  un- 
tern Feldern  entsprechend ,  durch  Karyatiden 
abgetheilt ,  die  den  Karnies  tragen ,  und  zwi- 
schen diesen  ,  über  jedem  der  unteren  Felder 
lind  dem  Spiegel,  an  der  schmaien  Seite  des 
Sales  den  mitleren  lunettenförmigen  Bogen  de? 
Fensters  w^iederholt.  In  diesen  elf  lunetten* 
förmigen  Abtheilungen  wurden  J-pollo ,  I\Ine- 
Viosyne  und  die  neun  IMust-n  in  der  Ordnung, 
wie  sie  vor  Herodots  Büchern  folgen,  abge- 
bildet, auf  Sokkeln  sitzend,  die  den  Namen 
derselben  mit  goldenen  Chaiakteren  enthalten. 
In  den  Feldein  über  der  Thüre  behamen  ein 
Greif  und  ein  Sßnx,  einfarbig  gemalt,  ihren 
Plaz. 

Diese  Arbeit,  obgleich  die  erste  der  ArC 
für  ihn,  war  unserm  Künstler  vorzüglich  wohl 
^^elungen:    die  Zeichnung  in  einem  edien  StiJ^, 


100 

äie  Stellungen  der  Figuren  gefällig  und  von 
sclioner  Mannigfaltigkeit,  das  Kolorit  laiifti- 
gfer  und  weniger  roll  als  gewölmlicli ;  "vvie 
ihm  denn  überhaupt  in  Wasser  und  Fresko 
besser,  als  in  Ölfarben  zu  malen  gelang.  Die 
Gewänder  sind  mit  G-eschmach  angeordncs 
lind  lassen  die  Fennen  des  Nackten  sehr  gut 
durchscheinen;  aber  in  den  Falten  noch  'mei- 
stens zu  kleinlich  und  ohne  schöne  Wahl. 
Auch  hatte  er,  nach  seinem  eigenen  Geständ- 
nis,  damals  noch  keinen  durchgängig  be- 
stimmten Begrif  von  einem  schönen  Gewände ; 
diesen  erwarb  er  erst  später  in  Rom.  Vor- 
Tsüglich  gerathen  w^ar  ihm  das  Kolorit  der  Ge- 
wänder, und  die  nach  dem  Einfall  des  einzi- 
gen Fensterlichtes  angenommene  Beleuchtung ; 
nnd  in  dieser  ganzen  Arbeit  war  weniger  frem- 
der Einflus  auf  seinen  Geschmack  sichtbar,  als 
in  seinen  meisten  andern  Arbeiten  aus  jener 
Periode  seiner  Bildung- 
Wegen  der  Kürze  der  Zeit,  in  v/eiclior 
der  Saal  fertig  sein  muste ,  hatte  Carstens  sich 
«einen  Bruder  zur  Mithülfe  nach  Beilin  kom- 
men lassen.  Dieser  hat  den  gröfsien  Theil 
der  Karyatiden 'grau  in  grau  gemalt,  die  aber 
schlecht  gerathen  sind;   desto  schöner  sind  die 


löt 

übrigen  Monoclaromen  von  des  Künstlers  ei- 
gener Hand.  An  diesem  Säle,  der  mit  dem, 
Schlüsse  des  Jalires  1790  fertig  \vurde,  arbei-* 
tete  Carstens  anhaltend  wärend  der  schlim- 
men Jahreszeit,  in  stetem  Luftzuge  sitzend, 
und  zog  sich  dadurch  ein  schweres  Augenübel 
zu,  -vVoran  er  lange  zu  heilen  hatte,  und  das 
sich  erst  in  B.om  abnälig  wieder  verlor.  Aber 
^eine  nun  etwas  gebesserte  Lage,  und  nocl^ 
melir  die  Aussicht  zu  einer  Reise  nach  Italien, 
die  ihm  vornehmlich  durch  diese  Arbeit  zu- 
gesichert wurde,  erhielten  ihm  die  Munter- 
keit der  Sele ;  und  das  Interesse  an  seiner  Ar- 
beit lies  ihn  aller  üngemächlichkeiten  verges- 
sen. Ob  die  hier  beschriebenen  Gemälde  in 
dem  Säle  des  Dorvilleschen  Hauses  noch  jezC 
vorhanden  sind,  ist  dem  Yeriasser  unbekant. 

Carstens  lies  keine  Gelegenheit  vorbeige- 
-hen,  wo  er  bei  dem  INliiüster  sein  Gesuch» 
ihm  zu  einer  Reise  nach  R^om  beförderlich  zu 
«ein ,  erneuern  konte  ;  aber  es  bedurfte  eines 
vielfältigen  Treibens,  ehe  es  ihm  gelang,  den 
Minister  lebhaft  dafür  zu  interessiren  und  in 
Thätigkeit  zu  setzen.  Wahrscheinlich  würde 
er  es  auch  nie  dalün  gebracht  haben,  wenn 
Glicht  endlich  die  Arbeit  jenes  Sales  den  IMini- 


sttY   ZU   einer  besonderen  EjT^entliclil^clt  rer- 
xnoclit  liättc.     Als  Carstens  die  erste  Figur  fer- 
tig  gemalt  hatte ,    und  der   Minister  nun   das 
Werk  ent  teilen  sali,  kam  er  einst  zuir.  Ri'inst- 
1er    aufs    Genwte ,    sah  seiner  Arbeit  eine  Zeit- 
lang zu ,  kloplte  ihm  freundlich  auf  die  Schul- 
tern,   und   gab  ihm   sein  EhrenTVOrt,    dass  et 
ihn,    sobald  der  Saal  fertig  sein  -würde,    dem 
Könige    auf.7  angelegentlichste  empfehlen,  und 
i^im  dessen  Unterstützung  7ur  Reise  nach  Rom 
auswirken    wolle.      Dei-  Minister  hielt  ledlick 
Wort,     und    lüs^te    sein   Versprechen    bei  der 
Einweihung  des  Sales ,    wo  die  königliche  Fa* 
milie  gegenw^ärtig  war,    und  wo  er  zu  jenem 
Zvvecke   auch  unsern  Künstler  eingeladen  hat» 
t€.      Er   stellte   diesen    dem  Könige  persönlicl^ 
vor ,    machte  ihn   auf  die  Güte  der  Arbeit  auf- 
merksam ,    empfahl  den  Künstler  wiegen  seiner 
ausgezeichneten  Talente,    die  er  in  Rom  völ» 
lig  auszubilden  wünsche,  der  besonderen  Gna»- 
de  und  Unterstützvmg  Sr.  Majestät,  und  «hielt 
^uch    auf  der  Stelle    die   mündliche   EinwilK- 
gung  des  Königs.      Carstens  fühlte  sich  in  je* 
nem  Augenblicke  tausendfach  für  seine  Arbeit 
belohnt,    und  glaubte  endlich  am  Ziele  seiner 
Wünsche  zu  sein.     Indes  verzögerte  sich  doci^ 
die  wirkliche  EifüUung  derselben  zu  seinen;! 


105 

l^ofsen  Verdnisse  noch  bis  ins  folgende  Jahr, 
▼veil  die  für  ihn  bestimmte  Pension  eines  von 
Rom  zuiükkelirenden  Künstleis,  welche  200 
Thaler  betiug,    nicht  eher  erledigt  wurde. 

Endlich  ward  auch  dieses  Hindernis  ge- 
hoben, und.  Carstens  tiat  nun  im  Sommer  des 
Jahres  1792,  unter  günstigeren  Zeichen  und 
mit  einem  zw^ei  Jahre  lang  zu  geniessenden 
Jahrgehalt  von  45o  Reichsthalern,  seine  zwei- 
te Walfarth  nach  Rom  an,  wo  er  auch  gegen 
den  Herbst  desselben  Jahres  glüklich  anlangte. 
Sein  Bruder  blieb  ,  w^iewohl  höchst  ungern, 
in  Berlin  zurüh  und  besorgte  indessen,  an  des 
Abwesenden  Stelle,  den  Unterricht  in  der 
Gipshlasse.  Dies  erhellet  aus  einem  Schreiben 
des  IVIinisters  von  Heinitz  an  Carstens  vom 
22.  Jun.  1791 ,  wo  es  unter  andern  heist :  „so 
TVürde  ich  gerne  sehen ,  wenn  Sie  ihre  Reise 
bis  daliin  (  bis  zur  Erledigung  jener  Pension) 
aussezten,  und  wärend  dieser  Zeit  ihren  Bru- 
der noch  mehr  zustuzten,  damit  derselbe,  in 
Ihrer  Abw^esenheit ,  Ihre  Stelle  aUiier  desto 
besser  verwalten  kann."  — 

Da  von  ,diesem  Bruder  unsers  Carstens, 
der  ihm  so  oft  die  Sorge  für  seinen  Unterhalt 
erschwerte,    und   in  soferja   auch  als  eines  der 


104- 

Hindernisse  seines  Fortliommens  anzuseilen 
ist/  in  der  Folge  nicht  weiter  die  Rede  sein 
■wird,  &o  mögen  liier,  der  Volständiglieit  we- 
gen, einige  Nacluicliten  von  demselben  einen 
Piaz  linden. 

Friedrich  Carstens ,  etwa  aclit  Jalire  jün- 
ger als  Asnius ,  war  nicht  ohne  Talent  nnd 
strebenden  Geist  ,  und  möchte  leicht  unter 
günstigeren  Umständen,  wenn  auch  kein  gro- 
fser,  doch  ein  geschihter  Künstler  geworden 
sein ;  aber  er  hatte  doch  weder  den  hohen 
Sinn  noch  das  reiche,  schöpferische  Talent; 
auch  wo  es  Sehw^ierigkeiten  zu  besiegea  galt, 
nicht  die  moralische  Kraft  und  den  unerschüt- 
terlichen (jleichmuth,  die  unsern  Jsnius  in 
jeder  Widerwärtigkeit  aufrecht  erhielten.  Er 
war  -eines  jener  Halbtalente,  die  unter  begün- 
stigenden Umständen  und  richtiger  Leitung 
zuweilen  wohl  gedeihen,  denen  aber  die  an- 
geborene Kraft  und  der  sicher  leitende  Trieb 
fehlt,  um  sich  durch  alle  Hindernisse  glük- 
iich  durchzu^vinden ;  die  daher  unter  w^ider- 
wärtigen  Einflüssen  leicht  eine  schiefe  Pach- 
tung annehmen.  Sein  Bruder  Asmus ,  der  ihm 
Eum  Vorbilde  diente,  stand  doch  eigentlich 
zu  hoch  für  ihn ,  und  indem  er  jenem  nach- 
strebte,   verfehlteer,    was  für  ihn  erreichbai 


105 

WUT.     Was    er    geliont    Iiätte,    genügte    ihm 
nicht;    und  -was  ihm  genügt  hätte,    -war  über 
sein  Vemaögen.      Dies   entzweite  ihn  mit  sei- 
ner Knnst  und  mit  sich  selbst,    nnd  v/arf  ihn. 
in  mancherlei  schädliche  Zerstreuungen.     Bei- 
den Brüdern  mangelte  Erziehung  für  die  Weit 
und  Bildung  fürs  Leben  in  der  Sfäre ,    zu  wel- 
cher die   Kunst  sie  erliob  ;    sie  stieisen  also  oft 
da  an,     wo    Gewandtere  iaei  hiuduichgingen. 
Indessen  drang  doch  Asmus  überall  mit  seineni 
geraden  treflichen  Charakter  durch ;  dabei  hat- 
te er  sich  selbst   eine  innere  Bildung  gegeben, 
und  eine   Welt  in  seiner  Brust  erschauen,    die 
ihn    unendlich    über  alle  die  erhob ,     welche, 
bei  innerer  Leerheit,    ihm  an  aussei  er  Bildung 
überlegen  w^aren ;   und  w^enn  ihm  dieses  gleich 
wenig  fürs  Leben  mit  andern  nüzte,    so  war' 
es  ihm  desto  wichtiger  für  die  Knnst,    die  al- 
lein sein  -wahres  Leben  ausmachte.    Unter  die- 
sen   Umständen    %var    es    natürlich,    dass   sein 
Weith   selten  richtig  erkant,    dass  sein  Selbst- 
gefülil  oft  harten  Prüfungen  imterworfen  war, 
werfn   er  fast  überall  nichtiges  Scheinrerdiensü 
dem  Avahren  vorziehen   sah.      Doch  dachte  er 
darum  von  den  ^lensclien  und  der  Welt   nicht 
eben   sclilechter;    er  sah  es  als  den  gewöhnli- 
chen Lauf  derselben  an,   dem  mrai  sich  fügea 


io6 

müsse,  olme  ron  ihm  sein  Glück  zu  erwiar- 
ten.  Sein  Nvidriges  Scliiksal  machte  ihn  dar- 
um auch  weder  kleinmüthig,  noch  sein  ge- 
kränhtes  Selbstgefühl  ihn  trotzig.  Bei  jenem 
hingegen  war  unzeitiges  Selbstgefühl  in  mis- 
verstandenen  Dünhel  ausgeartet,  dessen  An- 
sprüche w^eder  vom  Glüch  noch  von  den  Men- 
schen anerkant  wurden.  Dies  machte  ihn  un- 
gerecht gegen  alle,  selbst  gegen  seine  Freund« 
mistrauisch,  und  erbittert  gegen  das  Schik- 
sal;  ja  auch  auf  seinen  Bruder,  der  ihn  bei 
eigener  Armuth  mehrere  Jahre  hindurch  erhal- 
ten ,  und  seinen  Müfsiggang  nachsichtig  ge- 
duldet hatte,  dem  er  den  grüsten  Theil  seiner 
Bildung  als  Künstler  verdankte,  warf  er  zu- 
lezt  einen  Groll ,  weil  dieser  ihn  nicht  mit 
sich  nach  Italien  schleppen  wolte ;  er  mied 
also  auch  von  der  Zeit  an  die  Freunde  seines 
Bruders,  die  dieser  in  Berlin  zurück  lies;  und 
da  sein  geringer  Verdienst  nicht  hinreicht© 
ilin  zu  erhalten,  so  starb  er  endlich,  von  al- 
ler Welt  entfreundet  und  zurückgezogen,  im 
36ten  Jahre  seines  Alters,  im  äussersten  Eien» 
de,    an  der  Auszehrung.  — 

Von  den  Erfindungen  unsers  Künstlers  wä- 
lend  der  vier  Jahre  seines  Aufenthalts  in  Bei> 


107 

litt  sind,  ans  Ä'tangel  ausfülivllcliercT  Nacli- 
äicliten  von  jener  Periode  seines  Lebens,  nur 
die  folgenden  zu  des  Verfasser^  Kunde  ge- 
langt : 

Der  bereits  oben  erwähnte    Sturz  der  Engel. 

Der  in  Schwertnuth  versuiikene  ^jax,  Tek-^ 
messa  und  der  kleine  Eurysakes ;  acquarel- 
lirte  Zeichnung. 

Bakchus ,  der  dem  Amor  aus  seiner  Schale 
zu  trinken  gieht ;  wurde  in  Rom  in  Le- 
bensgrofse  von  ihm  in  Ol  gemalt. 

Die  drei  Parzen ,  nach  dem  Buche  des  Schik- 
suis  das  Lehen  der  Sterblichen  spinnend. 

Sokrates  im  Korbe  an  der  Decke  schu-ebenii 
und  mit  dem  Bauer  Strepsiades  filosoß.' 
read;    nach  den  PVolken  des  Aristojanes. 

Das  Gastmal  des  Plato  ,  wo  Alzibiades  den 
Sokrates  krönt;  nach  Pausanias.  Eine  dei; 
schönsten  Komposizionen  des  Künstlers^ 
wozu  er  die  Idee  bereits  in  Lübeck  ge- 
fasst  und  entworfen  hatte. 

Oedipus  von  den  Furien  gequält;  nach  So- 
fokles.  Blofser  Umris  auf  einer  ziini  Ol- 
i»alen  zubereiteten  Holztafel ;    ebcufaJs  ei- 


108 

ne   der  besten    Komposizionen   aus  dieser 
Periode. 

Besuch  der  Argonauten  hei  dem  Kentauren 
Chiron i  wo  Chiron  und  Orfeus  im  Gesän- 
ge wetteifern.  Dies  war  die  lezte  Rom- 
posizion  des  Künstlers  in  Berlin. 

Aufser  diesen  Arbeiten  verfertigte  Carstens 
auch  eine  in  Bister  ausgeführte  Zeichnung  von 
der  Schlacht  hei  Hoshach ,  vi^elche  die  Akade- 
mie für  aoo  Fithlr.  kaufte,  uiu  sie  stechen  zu 
lassen,  wo  er  dann,  nach  wirklicher  Vollen- 
dung des  Stiches ,  noch  loo  Rthlr.  erhalten 
solte.  Beides  ist  jedoch  nicht  erfolgt.  Ein 
Kenner,  der  diese  Zeichnung  gesehen,  urtheil- 
te  davon,  dass  sie,  mit  andern  Aibeiten  des 
Künstlers  A-erglichen ,  unbedeutend  sei;  wel- 
ches um  so  leichter  zu  glauben  ist,  als  das 
Moderne  aufs  erhalb  seines  Kreises  lag.  Wahr- 
Bcheinlich  hatte  ihn  zu  der  Walil  dieses  Stof- 
fes auch  blos  die  Auffoderung  der  xikademie 
an  die  Künstler ,  Gegenstände  dej-  braudenbur- 
gischen  Geschichte  zu  behandeln,  vermocht. 
Auch  verfertigte  er,  als  Mitbe\veiber  zu  der 
im  Frühjahr  1792  angesezten  Konkurrenz  ein 
^IVIodeU  zu  einem  Standhilde  Friedrichs  IL  zu 
]Pjerde.      Derselbe    Kenner    urtheilte    darüberj 


iü9 

dass  sein  Modell  unter  den  aufgestellten  zwar 
das  beste ,  aber  docli  nur  ein  niittelmäfsiges 
Werk  gewesen  sei ;  doch  liabe  der  Künstler 
daiin  gezeigt,  dass  er  mechanisch  eben  so 
fertig  mit  dem  I^Iodellirbeine  als  mit  dem  Giif- 
fel  umzugehen  Vvuste.  Diese  Fertigheit  im 
INIodelliren  hatte  der  lulnstler  in  Kopenhagen 
erworben,  wo  er  zu  seiner  Übung,  und- mit 
jungen  Bildhauern  zur  Wette,  veischiedene 
Figuren  in  Wachs  und  Thon  modelLirt  hatte; 
und  sie  war  ihm  für  seine  Darsteiiungen  von 
grofsem  Vortheile ;  denn  er  erwai  b  sich  da- 
durch eine  volkomnere  Anschauung  des  Pain- 
dcn;  und  ^vo  er  sich  aus  Mvingel  perspehtivi- 
sclier  und  optischer  Keiitnis  nicht  zu  ratlien 
>vuste,  da  modelliite  er  die  Figur.  Dies  that 
er  auch  späterliin  noch  zu-weilen. 

So  hatte  nun  Carstens  unter  den  ungün- 
stigsten äusseren  Veihältnissen,  mit  denen  er 
von  Jugend  auf  zu  kämpfen  hatte ,  troz  allen 
Hindernissen,  die  ihn  immer  von  seinem  Zie- 
le zu  entfernen  suchten ,  und  mit  einem  'sie- 
clien  Körper,  der  ihn  oft  Wochen  und  IVIona- 
te  lang  aufs  Lager  warf,  durch  unermüdetes 
Streben  und  Fangen ,  nicht  nur  alle  jene  Hin- 
dernisse endlich  siegrf.'ich.  überwunden,   scn- 


110 

clein  auch  in  seiner  Aasbildung  als  Künstler 
die  Stufe  erreicht,  die  er  in  Deutchland  er- 
Teiclien  honte.  Nur  ein  Verlust  war  unter 
solchen  Schiksalen  unvermeidlich  und  uner- 
sezlich,  der  Yerlust  der  besten  Jahre  seines 
Lebens,  und  die  davon  unzertrenliche  Ver- 
säumnis dei-  hinreichenden  Übung  im  Malen, 
die  in  späteren  Jahren  nicht  wieder  nachzuho- 
len war.  Er  selbst  fühlte  dies  nur  alzuwolil, 
•wie  er  überhaupt  seine  Mängel  eben  so  rich- 
tig erhante,  als  seine  Vorzüge;  und  da  er  auf 
kein  langes  Leben  rechnen  durfte,  so  eilte  et 
zu  retten,  was  noch  zu  retten  Avar,  und  zu 
eneichen  was  sich  nach  einer  solchen  Veispä- 
tung  noch  eaTeichen  lies.  Er  war  acht  und 
dreifsig  Jahre  alt ,    als  er  nach  Italien  ging. 

Sein  dortiger  Aufenthalt  soke  zwar  nur 
twei  Jahre  dauern ;  der  Nutzen  davon  wüj  de 
also  sehr  beschränkt  gewesen  sein ;  aber  er 
hoffte,  Avenn  er  nur  einmal  in  Rom  sei,  ent- 
weder eine  Verlängerung  seiner  Pension  zu  er- 
halten ,  oder  wenn  ihm  das  nicht  gelänge, 
durch  eigenen  Fleis  Mittel  zu  finden ,  um  sei- 
nen Aufenthalt  daselbst  zu  verlängern,  und  wö 
möglich  für  immer  zu  behaupten.  Auch  die- 
sen Plan,  dem  sic^i  in  der  Folge  grofse  Schwie- 


111 

rigiÄciten  entgegnen  stellten,  sezte  er  zulez^ 
mit  seinem  ausliairendem  Mutlie  glüklicli 
durch. 

Damit  es  nicht  den  Anschein  habe,  dass 
die  Behauptung ,  Carstens  habe  in  Deutsch- 
land als  Künstler  nichts  mehr  lernen  können 
anmafsend  sei,  so  wollen  Avir  diesen  Punkt 
noch  etwas  genauer  beleuchten.  Im  liolorit 
und  im  Ölmalen  war  er  freilich  damals  noch 
sehr  zuiük;  w^ean  man  also  auch  zugeben  wol- 
te ,  er  hätte  beides  in  Berlin  noch  besser  ler- 
nen können ,  obgleich  schwer  zu  sagen  sein 
dürfte  von  wein,  oder  nach  welchen  Zvlustern ; 
da  geschikt  Malen  und  gut  Koloriren  z-svei 
wesentlich  verschiedene  Dinge  sind;  so  war 
«r  doch  uiiter  seinen  damaligen  Umstanden 
aufser  Stande,  diesen  Theil  der  Kunst  do3t  zu 
üben ;  dazu  hätte  es  wenigstens  für  einige 
Jahre  einer  sorgenfreien  Lage  bedurft,  um  die 
nöthigen  Studien  zu  machen,  und  einige  sei- 
ner Komposizionen  als  Gemälde  auszuführen ; 
woran  aber  dort  nicht  zu  denken  war.  Dafür 
war  unser  Künstler  in  Erfindung  und  Kompo- 
sizion  schon  vortreflich  zu  nennen,  wie  meh- 
rere seiner  in  Berlin  verfertigten  Komposizio- 
nen bew^eisen,  obwohl  er  auch  darin  sich  in 
Italien    noch    sehr  j^ebessert  hau      In  ditscjii 


1l2 

wicliiigen  Theile  <ler  Kunst,    der  den  nieislou 

so  scliv^er  gelin^^t,  hatte  Carstens  seine  eigent- 
iiclie  Stärke.     Durch  beständige   Lbung   hatte 
er   sein   glilkliches  Talent  zur  Erfindung  zu  ei- 
ner groisen  und  sicheren  Fertigkeit  ausgebil- 
det ;    denn   sein  ganzes  1  reiben  der  Kunst  war 
wenig  mein*  als  ein  stetes  Erfinden  und  Koni- 
poniren  gewesen.      Auch    im  Stil   der   Zcicli- 
iiung  besas   er  unstieitig   einen    reineren    Ge- 
schmak,    als  irgend  jemand  unter  den  damali- 
gen  Künstlern,    nicht  blos   Berlins,    sondern 
Deutschlands ;    und  was  ihm ,    für  die   Ausbil- 
dung  des   grofsen  Stils ,   in   dem   er   arbeitete, 
noch  gebrach ,    das  konte  er  nur  im  Angeeicli- 
te  der  Antiken  und  Rafaels  erlangen.     Au  den- 
selben Mustern  konte  er   auch  nur  den  reinen 
und   schönen  Stil   des   Gewandwuifes  und  der 
Falten  studiren,    den    er   gleichfals  noch  nicht 
o-chörig  ausgebildet  hatte.     Er  miiste  ,  zur  vOl- 
li^^en  Entfaltung   seines  Geistes  ,    zur   völligen 
B-einigung  und  Ausründung   seines  Gesclimaks, 
nun  noch  die  Melster%verke   selbst  im  Grofsen. 
sehen    und   studiien,    die   er  so  lange  nur  in 
schlechten  Abbildungen  gekaut  hatte ;    so  wie 
der  Baukünstler  nur  durch  den  Anblik  der  al- 
ten   Tempel    zu    Paestum ,     ^grigent,     Segest 
u»d  Athen»    der  Landschaftmaler  nur  aus  der 

italie- 


113 

italienischen  Natur  selbst  nicht  aus  Kupferwer- 
ken und  Prospekten  den  ^vallren  begeisterndeu 
Eiudruk  ihrer  eigenthiiniliclien  Grüfee  und 
Schönheit  erhalten  kan.  Ein  Künstler,  der  so 
eiiistlich  wie  Carstens  nach  dem  Höchsten 
strebte ,  konte  auch  nur  von  dem  Höclisten 
lernen.  Wie  mächtig  und  entschieden  a,ber  die 
eigene  Anschauung  der  Werke  liafacls ,  ]VU- 
chelangelo's  und  einiger  Antiken  von  höchster 
Schönheit  auf  seine  Einbildungskraft  w^irkte; 
l/vie  aufFallend  seine  eiste  löniische  Arbeit 
von  der  lezten  berlini^chen  absticht,  -sverden. 
wir  in  der  folgenden  Periode  seines  Kunstle- 
bens in  Ftom  sehen.  Wir  folgen  nun  dem 
Künstler  nach  Italien, 


Carstens  verlies  ini  junius  des  Jaines  1793 
Berlin ,  in  Gesellschaft  des  Architekten  IVeln- 
hremier  aus  Carlsruh,  nnd  des  Malers  Cahot 
aus  Kopenhagen,  die  beide  gleichi.ils  nach 
Rom  gingen.  Sie  nahmen  ihren  We^  über 
Dresden  und  Nürnberg.  In  Dresden  sah  Car^ 
stens  die  dort  aufgehäuften  Schatze  der  Kunst, 
welche  dem  deutschen  Künstler  zu  einer  nüz- 
lichen  Vorschule  dienen,  und  besuclite  auch 
den  damaligen  Direktor  der  Akademie  Casaiio- 
ifUt     der   ihn  mit   einer  vornehmen  JQirektor- 

8 


114 

miene  empfinge  die  jedocli  ilim ,  der  den 
Künstler  nur  nacli  seineu  Werken  schäzte, 
eben  so  wenig  Ehrfurcht  einfloste ,  als  die  Ar- 
beiten desselben.  Unter  den  Produhten  neue- 
rer Künstler,  die  er  in  Diesden  zuerst  sah, 
war  seine  Aufmerksamheit  vornehmlich  auf 
IMengsens  Werke  gerichtet ,  den  er  bis  dahin 
nur  aus  seinem  algemeinen  Rufe  kante.  Aber 
sie  machten  keinen  Eindruk'auf  ihn  ;  er  fand 
sie  unter  seiner  Erwartung  und  dem  grofsen 
Namen  dieses  Künstlers  nicht  entsprechend. 
Doch  lies  er  dem  grofsen  Altargemälde  dessel- 
ben die  Gerechtigkeit  widerfahren,  dass  es  ein 
verdienstvolles ,  meistCDliaft  gemaltes  Bild  sei. 
Weil  Carstens  in  den  Werken  des  Mengs  ge- 
rade das  vermisste,  was  er,  als  das  Wesentli- 
che der  Kunst,  am  höchsten  schäzte,  und  oh- 
ne welches  er  sich  durchaus  keinen  grofsen 
Künstler  denken  konte  :  Poesie  der  Erfindung, 
kräftig  schönen  Stil,  aus  der  Natur  des  Inhalts 
geschöpfte  Motive  ,  bedeutende  Gestalten,  le- 
bendige Bewegung ,  ausdrucksvolles  Handeln 
und  schöne  Einheit  des  Ganzen ;  hingegen  blos  • 
das  in  seinen  Werken  fand,,  was  er,  auch  in 
hoher  Vollkommenheit,  nur  als  das  Unterge- 
ordnete ansah ,  welches  ohne  das  Höhere  we- 
nig  Wcfth   für  ihn  hatte ;     so   konte    er  nie. 


ii5 

und  auch  naclilierin  Rom  nlclit,  wo  erdessen 
Werke  iu  der  Hirclie  S.  Eusehio  ,  in  der 
Villa  Alhaniy  und  in  der  Camera  de"" 
■papiri  im  Vatikan  sali,  eine  grofse  Meinung 
von  Men^s  fassen.  Er  fand  ihn  nur  gros  in 
Vergleicliung  mit  den  jMalern  der  Zeit,  wo 
jyjengs  gelebt  hatte,  und  achtungiwerth  durch 
sein  ernftes  redliches  Streben.  Carstens  hatte 
überhaupt  eine  gewisse  Antipatliie  gegen  die 
Werke  des  Jl'Iejigs ,  zo  wie  dieser  sie  gegen  die 
Weike  ß'Iichelangelo^s  gehabt  hatte;  und  bei 
beiden  Lig  sie  in  der  entgegenge.'ezten  Grund- 
stimmung ihres  ästhetischen  Gefühls,  die  ^ll6 
Kultrir  nicht  ganz  zu  tilgen  vermag ;  es  -war 
vornehmlich  die  Karakterlosigkeit  und  Kälte 
der  Mengsischen  Maleieien  ,  die  ihm  vs'icer- 
stand.  Er  pflegte  zu  sagen,  IVIeiigs  sei  ein 
sehr  geschikter  Maler,  der  alles  gelernt  habe, 
%vas  sich  von  der  Kunst  lernen  läfst ;  aber 
man  sehe  es  allen  seinen  Werken  an,  dass  er 
in  seiner  Jugend  zur  Kunst  geprügelt  -wor- 
den sei,  und  nie  aus  eigenem  Triebe  Künst- 
ler geworden  wäre. 

In  Nürnherg  erfreueten  ihn ,  durch  ihre 
ehrwürdige  Einfalt  und  altdeutsche  P».edlich- 
keit  s     die  Werke  Alhrecht  Dürers ,    für  der»  et 


ii6 

stets  eine  innige  Verelining  liegle ,  \n\ä  den  ev 
nacli  IVIicJielangelo  und  ila/ßeZ  für  ^as  giörste 
Kunstgenie  der  Neuern  hielt. 

In  Florenz  trennte  sicli  Carstens  von  seineil 
B.eisegefälirten ,  um  sich  einen  Monat  lang  dort 
aufzulialten,  und  die  herrlichen  Runstschätze, 
die  es  in  so  grofser  Menge  besizt ,  näher  ken- 
nen zu  lerneiiv  Er  fand  hier  Nahrung  die  Fül- 
le für  seinen  Geist,  und  bekani  einen  würdi- 
gen Vojgeschniah  von  dem,  was  ihn  in  Rom 
erwartete.  Die  Werke  der  alten  Florentiner 
vor  Michelangelo  und  R.afael,  des  Ghihertit 
JVLasaccio  ,  Gldrlandajo  u.  a. ,  die  ihm  bis  da* 
hin  noch  unbekant  %varen,  zogen  ihn  ganz  be- 
sonders an  durch  ihre  kunstlose,  gemüihvoUe 
Einfalt  und  Wahiheit,  und  er  sch.izte  sie  un- 
endlicli  höher  als  die  kuustgelehrtcn  Werke 
der  späteren  Florentinischen  Schule  nöc/i  ilZi* 
cJielangelo ,  die  keine  i-pur  jener  Vorzüge  mehr 
hat;  und  so  sehr  ihn  auch  immer  die  originel- 
le Gj'osheit  ihres  Stifters  hinris ,  so  konte  er 
doch  an  der  Manier  der  Nachahmer  desselben, 
eines  Vasari ,  Salviati ,  BroKzino  u.  n.  t  kein© 
Freude  finden. 

Aus  den  Bildwerken  Michelangelo'' s  in  der 
fiapelle  dtt'  dajyositi  der  Xiiiche  »S.  Lor  en*^ 


117 

z  o  spracli  ihn  zuerst  der  erhabene  Geist  dieses 
Künstlers  in  seiner  eigenen  Gestalt  nnd  aus  sei- 
nen eigenen  Werken  an  ;  er  sah  diese  ausseror- 
dentlichen Gebilde  der  neueren  Kunst,  deren 
Grufse  von  der  Grüfse  der  Antiken  so  auffal- 
lend verschieden  ist,  oft,  und  zeichnete  sich 
zum  Andenken  eine  der  liegenden  Figuren. 
'Doch  blieb  er  auch  unter  so  vielen  Genüssen 
nicht  ganz  unthätig;  im  Gegentheil  regten  sie 
seine  hervorbringende  Bildkrafi  nur  desto  star- 
ker auf.  Er  entwarf  Vv'ärend  seines  dortigen 
Aufenthalts  eine  reiche  Komposizion  ,  die 
Schlacht  der  Kentauren  ufid  JLapitJien  in  ge- 
wischter Rüthehnani^r  darstellend,  die  sich 
noch  xinter  seinem  Nachlasse  befindet,  und  als 
Übergang  zur  folgenden  Periode  seiner  Bildung 
merkwürdig  ist.  Man  möchte  sagen ,  dafs  der 
kurze  Aufenthalt  in  Florenz  schon  sichtbar  auf 
ihn  gewirkt  habe;  denn  der  Stil  in  dieser  Kom- 
posizion  ist  freier  und  schöner ,  als  in  der 
Zeichnung  von  den  Argonauten. 

Die  nächste  Veranlassung  zu  derseibengab 
ihm  ein  yon  Ftonr  zurükkeln'ender  deutscher 
Künstler,  dessen  Bekantscliaft  er  in  Florenz 
3uachte,  imd  der  sich  ein  tüchtiger  Kg^mponi- 
jer  au   sein  dünkte,     wofür  er    auch  in  Pvora 


unte^"  seinen  Landsleuten  gegolten  hatte.  Bei- 
de kamen  bald  tiefer  ins  KunstgespräcK ;  bei 
welcher  Gelegenheit  denn  jener  ihm  erzälte, 
wie  man  in  Piom  zu  homponiren  pllege,  wel- 
clien  Apparat  von  Thonmodellen  und  Wachs- 
figuren und  Gliedermiinnernund  Beleuchtungs- 
tasten  etc.  man  dazu  brauche,  und  wie  grofse 
Vojtheile  diese  von  den  Fianzosen eingeführte 
Methode  gewäre.  Carstens  behauptete  dage- 
gen, das  sei  eine  erbärmliche  ahademisdhe  Er- 
findung zum  Notlibehelf  für  Leut?  ,  die  hein 
Talent  hätten  ,  und  doch  der  Natur  zum  Troz 
Historienmaler  werden  solten  ;  man  müsse  sei- 
iie  liomposizionen  ira  Kopfe  fertig  machen, 
W^o  siclis  leichter  hin  und  ]ier  scliieben  hisse, 
als  im  Puppenhasten  ;  vv^er  seine  Bilder  nicht 
im  Kopfe  erfinde ,  der  werde  nie  ein  gescheites 
Werk  zu  Stande  bringen,  und  wer  dazu  tau- 
ge, der  könne  alles  solchen  Rüstzeuges  ent- 
behren. Jener,  der  nur  dre  übliche  Kompo- 
nirmethode  kante ,  fand  die  Foderung,  dass 
der  Künstler  alles  im  Kopf  haben  solle,  etwas 
nbertriebeir,  und  meinte,  das  Uefse  sich  leich- 
ter sagen  als  thun;  er  möchte  ^.vohl  Jen  sehen, 
der  eine  Komposizion  von  vielen  Figuren,  oh- 
ne alle  Hüifsmittel,  blos  nach  der  Vorstellung, 
«uwühre.     Carstens  sagte  ihm  darauf ;  der  An- 


blik  so  vieler  Kunstwerke  habe  ihm  ohneliin 
schon  Lust  gemacht,  etwas  Eigenes  zu  erfin- 
den, und  da  er  bereits  seit  einiger  Zeit  ein 
Tlicma  dazu  im  Kopfe  habe,  so  lade  er  ihn 
ein,  am  folgenden  Morgen  zu  ihm  zu  kom- 
men, wo  er  seine  Komposizion  aufzeichnen 
•»volle.  Der  Fremde  kam ,  und  Carstens  ent- 
warf nun  an  dem  und  den  folgenden  Tagen, 
in  seiner  Gegenwart,  jene  reiche  ,  aus  mehre- 
ren Gruppen  und  vielen  Figuren  bestehende 
Komposizion ,  und  zeichnete  sie  sogleich  in 
dem  ersten  Entwurf©  aus ,  ohne  sie  auf  ein  an- 
deres Papier  überzutragen  ;  %vorauf  jener  ihm 
versicherte:  Er  habe  freilich  das  Versprochen« 
geleistet,  aber  das  sei  nicht  eines  Jeden  Sache; 
und  er  würde  in  Rom  keinen  Künstler  finden, 
der  auf  seine  Art  komponire. 

Im  September  des  Jahres  1792  kam  unser 
Künstler  endlich  in  P*.om  an ,  wo  er,  ausser 
feinen  Iveisegefährten  ,  auch  seinen  alten 
Freund ,  den  Bildhauer  Busch  aus  Meklenburg- 
Schwerin,  wiederfand,  der  bereits  neun  Jahre 
in  Fcom  zugebracht  hatte  ,  und  durch  seine  ge- 
naue Kentnis  des  Ortlichen  und  L  Diichen  dem 
neuen  Aiikonilinge  sein-  nüzlich  wai  J, 


120 


Wojiin  Carstens'  seine  ersten  Gänge  mach- 
te ,  last  sich  leiclit  errathen.  Sein  eigentliches 
Pvom  schlos  der  Yntilian  ein.  Alles  Grofsennd 
Trefliclie  alter  und  neuer  Kunst,  was  sonst 
noch  i'enen  Sitz  der  Künste  schmüht,  war  für 
ihn  gleichsam  nur  die  Glorie,  die  diesen 
Lichtpunkt  umflos. 

Der  erste  Eindruck ,  den  er  in  der  Sixtini- 
schen  Kapelle  empfing ,  wo  der  Schöpfergeist 
JVLichelangeJo's  in  seiner  ganzen  Erhabenlieit 
waltet,  war,  w^ie  man  sichs  bei  seiner  Em- 
pfänglichkeit nir  Gröfse  liberhaupt,  und  vor- 
züglich fiir  die  eigenthüniliche  Gröfse  jenes 
Künstlers,  der  schon  so  lange  sein  Voibild ge- 
wesen war,  vorstellen  kann.  Er  fand  diese 
Werke  liber  sein  E]"vvarten ;  nicht  in  der  Grö- 
fse des  Stils  oder  dea'  Kraft  des  Ausdrucks ; 
denn  da  liatte  e]'  das  Höchste  erwartet ,  darin 
leisteten  sie  ihm  blos  Genügen  ;  sondern  in 
der  Malerei,  besonders  in  ^en  Darstellungen, 
der  Deche ,  die  er  besser  gemalt  und  kolorirt 
fand,  als  er  dejn  Uli chel an gelo  ZYigetYPiMt  hätte, 
\'on  dessen  Kolorit  er  immer  viel  Böses  gehört 
hatte.  T}(iS  jü77gste  Gericht  fand  er,  besonders 
in  der  imtern  H.ilfte,  .herbe  und  ivifreiindlich, 
aber  doch  nicht  so  trocken  und  hölzern  kolo- 


121 

liit,  als  er  sicli  nacli  dem  hart  lunrissenen 
Hupfeisticlie  des  Georg  Mantiianus ^  des  einzi- 
gen erträgliclien ,  den  nian  bis  jczt  von  diesem 
Werke  hat ,  *)  vorgest'ellt  hätte.  Im  Stile  der 
Zeichnung  schiizte  er  die  Malereien  an  derDe- 
the  hoher  als  das  jiingste  Gericht,  das  einen 
uaerschopfiiciien  Fveichthum  von  Wissenschaft 
und  £:roise  Schünhciten  in  einzelnen  treflichen 

o 

Gruppen  enthält , -aber  als  nialerischo  Honipo- 
sizion  kein  schönes,  mit  Einem  Blick  zu  um- 
fassendes. Ganzes  ausmacht,  obgleich  Plan  und 
Zusammenhang  im  Gedanken  und  der  Anord', 
nu7ig  nicht  zu  verkennen  sind. 

Bei  Rafael  war  es  iiim  ganz  anders ,  als  er 
zuerst  die  Stanzen  und  Logen  besuchte.  Ihn 
hatte  er  sich  gerade  so  gedacht,  %vie  er  ihn 
fand.  Freundlich  wie  ein  ^Iter  Behauter  er- 
schien ihm  derselbe,  und  er  empfand  ganz  die 
hohe  Heiterkeit  und  R.uhe,  die  dieser  göttlich© 
Genius  über  alle  seine  Werke  ergossen  hat. 
Der  Anblik  von  Rafaels  Freskogemäiden  -w^ar 


*)  Vielleicht  ist  jezt  auch  der  p^rofie,  aus  elf  Folio« 
platten  bestehende,  Stich  des  Kwp^erstecher  Metz, 
eines  iu  Eiigiand  zum  Künstler  gebildeten  Deut- 
schen, vollendet 


l22 


woliltliiitig  fiir  sein  GefüKl  und  seinen  Schön- 
heitssinn, der  sicli  unter  den  drückenden  Ver- 
hältnissen eines  kummervollen  Lebens  ,  und  im 
Steten  K'^mpfe  mit  widrigen  Scliiksalen,  nur 
wenig  hatte  regen,  nie  mit  Fieilieit  entfalten 
können.  JVHcJielangelo  wirkte  ^vie  ein  gewal- 
tiger Riesengeist ,  der  jedes  Selbstgefühl  zer- 
nichtet, und  zu  dem  man  nur  mit  Ehrfurcht 
hinaufblicken  dari ,  spannend  auf  seine  Fanta- 
sie;  Rafael  kam  ihm  traulich  mit  menschli- 
chen Gefühlen  als  Fjeund  entgegen.  Er  fühl- 
te sich  beiden  gleich  tief  untergeordnet ;  aber 
ß-'Iichelangelo^s  kühne  furchtbare  Hoheit  war 
nicdejschlagcnd,  Rafaels  edle  heitere  Gröfse 
w^ar  aufmunternd  für  ihn.  Jener  zog  ihn  an 
wie  der  Magnet  das  Eisen,  unwid eis teh lieh 
durch  die  Päesenkraft  seines  plastischen  Genies  ; 
dieser,  wie  ein  hoher  liebender  Genius  den 
verwandten  befreundeten  Geist  anzieht.  Jener 
war  in  seiner  Eigentliiimlichkeit  eben  so  un- 
erreichbar als  gefährlicji  für  ihn ;  diesem, 
wenn  gleich  nicht  weniger  unerreichbaren, 
durfte  er  doch  mit  Vertrauen  folgen.  Von  je- 
nem kehrte  er  immer  voll  Bewunderung  und 
leidenschaftlich  gespannt,  oft  mit  scharfen 
aber  w^ohlthätigen  Lekzionen  für  seine  Unwis- 
senlieit  in  der  gründlicheren  Rentnis  des  Jiör- 


123 

per»,  zurucK;  von  diesem  immer  belehrt,  er- 
m.'.ntert,  zur  Tliätirlieit  gestimir.t,  und  auf 
seiaen  Fort^cliritt  zum  Besseren  vertrauend. 
Jener  war,  nach  dem  eigenen  Ausdrucke  de« 
liilustlers,  ein  strenger  Lehrmeister,  der  ihn. 
bei  jeder  Lehziou  mit  der  Nase  auf  die  Gram- 
matik sties ;  dieser  ein  freundlicher  Mentor, 
der  ihn  unaufhorlic^i  auf  die  Natur  hinwies, 
luid  ihm  zeigte ,  wie  er  sie  studiren  solle. 

Das  ungefalir  waren  die  Empfindungen  und 
Gedanken,  die  sich,  bei  öfterer  Betrachtung 
und  genauerer  Kentnis  beider  ?vleister,  aus  den 
Eindrücken  ilirer  Werke  auf  sein  Gemüth  er- 
zeugten imd  die  TJaximen  begründeten,  die 
ihn  bei  dem  fortgesezten  Studiiun  derselben 
leiteten ;  wovon  wir  liier  das  Bemerkenswer- 
tlie  sogleich  mit  anführen  v/ollen,  um  in  der 
Folge  denselben  Gegenstand  nicht  noch  einmal 
berühren  zu  dürfen. 

In  der  ersten  Zeit  besuclite  Ca?-^t<?n,j  den  Va- 
tikan so  oft,  bis  er  die  \Verke  beider  Künst- 
ler hinlänglich  kennen  gelernt,  und  seine  Neu- 
gier völlig  bcfiiedigt  hatte.  In  der  Folge  ging 
er  gewöhnlich  alle  Wocbc  einmal  morgens  in 
den  Vatikan  ,  wo  er  aliein  und  ungestört  der 
aufnTCiksamen    Betrachtung    derselben    einig© 


124 

Stunden  widmete,  und  die  Resultate  dieses 
Studiums  dann  in  seinen  eigenen  Arbeiten  an- 
zuwenden suclite.  Er  verrichtete  dort  im  ei- 
gentlichen Sinne  seine  religiöse  Andacht  vor 
höheien  Geistern  ,  und  sah  es  ungern  ,  wenn 
er  von  zudringlichen  Plauderern  darin  ge- 
6turt  v/urde. 

Da  er  nun  auch  das  Wesen  und  den  eierent- 

o 

liehen  Zweck  seiner  Kunst  immer  wahrer  er- 
tante  und  einsehen  lernte,  dass  üa/a^^Z gerader 
und  zuverläfsiger  auf  denselben  hinweise  als 
ß^IicJielangelo ,  den  er  nur  für  das  gründliche 
Verständnis  der  Formen ,  und  für  das  höhere 
Feld  der  plasüschen  Simbolik,  welche  grofse 
und  charaktc] volle,  durch  sich  selbst  bedeu- 
tende ,  selbständige  Idealbildungen  fodert,  als 
ein  erhabenes  Vojbild  erh;mte  ;  -wo  hingegen 
Tiajacl  im  eigentlichsten  Gebiete  seiner  Kunst, 
in  der  dramatischen  Darstellung  einer  aus  sich 
selbst  motivirten  ,  in  sich  selbst  geschlossenen, 
sich  durch  sich  selbst  erhiärenden  Kandiunir, 
ihm  das  höchste,  einzig  der  Nachfolge  würdi- 
ge Muster  schien  :  so  ward  ihm  Fiafael  cnd- 
licli  der  wichtigere,  klassischere  von  beiden. 
Dabei  fühlte  er  z;igleich  auch  die  Nothwcn- 
digkeit,  seineu  überwiegenden  Hang  ztuuldea- 


len  und  Grofsen  auf  das  gehörige  Verluütnis 
mit  Schonlieit  und  Natur  lierabzustiuimen, 
lind  die  Allegorie  nicht  mehr  als  einen  Kunst* 
zweck,  sondern  nur  als  ein  Hülfsmittel  zur 
anschaulichen  Darstellung  einer  tdee  in  den 
FaiLen  .-inzusehen,  wo  der  unmittelbare  Aus- 
druck natürlicher  ^Zeichen  nicht  hinreicht. 
Zu  dieser  Überzeugung  brachten  ihnTornehm« 
lieh  Rajaels  Werke.  Er  äusserte  mehr  als  ein- 
mal, dass  JMichelano^elo's  Werke  so  spannend  auf 
seinen  Geiit  Avirkten,  dass  er  unmittelbar 
nachher  nicht  iu  die  Stanzen  zxi  h.afaal  gehen 
konte ,  ohne  eine  gewisse  Verstimmung  211 
fühlen  ,  die  ihn  unfähig  niachte ,  sie  mit  der 
gewohnten  Lust  zu  sehen.  Es  ging  ihm  hier- 
in wie  dem  Landschaf tinalcr  Hess  von  Zürch, 
der  an  die  machtigen  Eindrücke  der  grofsen 
und  küimen  Alpennatur  ge-w^Ohnt  v\v.r ,  und 
als  er  sich  unmittelbar  aus  ihr  in  die  heiteren, 
schonen  Gegenden  des  mittlem  Italiens  vei- 
sezt.sah,  diesen  anfangs  keinen  Geschmack  ab* 
gewinnen  konte. 

Unter  allen  antiken  Bild^verken  ,  die  Car* 
Stens  in  Fi.om  kennen  lernte ,  machten  keine  so 
grofsen  Eindruck  auf  ihn ,  als  die  sogenauteu 
a&lQisen  auf  dem  (puhinalischen  Hügel ,  beson- 


120 


ders  der  scliönere  von  beiden  ,  den  die  alte  In- 
schrift am  Fuägcstelle  ein  Werk  des  Phidias 
jienut.  Er  sezte  diesen  über  alle  Antilven, 
selbst  über  den  Vatiknnisclien  Apollo  ,  weil  er 
nirgends  so  viel  liraftvolle  GruLe,  Scliönlieit 
lind  hohe  Reinheit  des  Stils  vereint  fand,  als 
in  diesem  vollkommensten  Heroenideale;  und 
er  ging  niclit  leicht  über  Jil  ont  e  C  avallo , 
ohne  eine  Weile  vor  diesen  bewundejiiS''.vür- 
digen  Weihen  stehen  zu  bleiben.  Auch  zeigte 
sich  dieser  Eindruck  auf  seine  Fantasie  auffal- 
lend in  seiner  ersten  römischen  Arbeit,  von 
der  ^veiter  unten    die  Rede  sein  v/ird. 


Carstens  besuchte  bald  nach  seiner  Ankunft 
auch  die  Werkstätten  der  bekantesten,  damals 
in  pLom  lebenden  fremden  und  einheimischen 
Künstler,  um  die  Erzeugnisse  der  Gegenwart, 
and  seine  mitrtrebenden  Genossen  in  der  Kunst, 
näher  kennen  zu  leinen.  Von  deutschen 
Künstlern  seines  Faches  befanden  sich  de3zeic 
iu  Rom  nur  Angelika  Kaufmann ,  der  Maler 
iVLüUer  y  mit  dem  er  durch  Busclt  nähere  Be- 
kantschaft  machte,  ScJimiJt  aus  Darmstadt, 
der  sich  gegenwäatig  in  Neapel  aufliält,  und 
■Rehherg  ,  der  als  Professor  der  -Beiliner  Akade- 
mie seit  mehreren  Jähren  in  Pvom  lebte  undbe- 


1-7 

auftragt  war,  über  die  von  der  Aliademie 
dorthin  gesandten  jungen  KünEtler  eine  Art 
von  Aufsiclit  zu  füluen,  ilue  Studien  erforderr 
liehen  Falles  zu  leiten,  ihre  Arbeiten  nnclizu- 
selien ,  und  darüber,  so  wie  über  Fleis  uuii 
Aufführung  dej-selben,  zu  berichten.  Es  schien 
als  ob  die  Akademie  diesen  Auftrag  nicht  blos 
auf  ihre  jungen  Z(*glinge  ,  die  einer  solchen 
Aufsicht  und  Führung  in  Rom  noch  w^olii  be- 
dürftig sein  können,  eiiiichränken,  sondern 
auch  ältere  Künstler,  die  von  ihr  dorthin  ge- 
sendet wurden,  dieser  Masregel  unterwerien 
W^olte.  Dies  bewirkte  bald  zwischen  Carstens 
und  ReJiberg  ein  gespanntes  Veihiiltni:,  Cai' 
sens  glaubte  keines  Aufsehers  zu  bedürfen,  und 
hatte  wohl  Recht,  so  zu  glauben.  Rehherg 
hingegen  meinte ,  seine  Obliegenheit  auch  ait 
ilim  erfüllen  zu  müssen ;  vielleicht  war  er  so- 
gar vom  Minister  selbst  dazu  beauftragt.  Aber 
Carstens  suchte  ihm  dieselbe  dadurch  zvi  er- 
schweren, dass  er  sich  allem  Umgange  und  al- 
ler nähern  Bekantschaft  mit  ihm  entzog.  Er 
Wolte  auch  in  Pt-om  von  der  Akadem.ie  völlig 
Unabhängig  sein,  imd  selbst  von  sich  das  Nü- 
•  thige  an  den  Minister  berichten.  Da  ^veiter 
unten  von  den  Verhältnissen  un  ers  Fiünstlers 
mit   der  Berliner   Akademie  und  dem  Kurator 


128 

derselben  noch  ölter  die  Rede  sein  wird,  so- 
war  liier  die  voiiiiufige  Andeutung  desselben 
nicht  ganz  zu  übergehen. 

Von  den  Tranzosen  befanden  sich  um  1792 
noch  mehrere  geschihte  Zugiinge  der  David- 
sehen  Schhle  in  R-om  ,  als  Gagjieraux ,  Fahre, 
des  Tvlarees  i  Jjlanchard;  und  Berge/-  der  Savo- 
Jarde ,  der  aber  nicht  zu  ihr  geholte.  Unicr 
den  Engländein  zeichnete  sich  vorzüglich 
Durno  aus  ;  Hamilton  malte  in  seinem  holien 
Alter  nicht  mehr.  Unter  den  Italienein  mach- 
ten damals  Cades ,  Lundi,  und  vornehmlich 
Cav-allucci  das  meiste  Aufsehen ;  die  alteren 
Akademiker  von  S.  Luha  vs  inden  wenig  mclir 
geachtet;  Benvenutimxdi  Camoccini,  die  gegen- 
wärtig blühen,  waren  damals  noch  nicht  be- 
kant.  Aus  d.ei\  Weihen  dieser  Künstler  konto 
man  den  damaligen  Zustand  der  Historienma- 
lerei in  Fcöm  so  ziemlich  übersehen,  CarsUn: 
sah  sie  nnd  "vvard  wenig  davon  erbauet;  er 
fand  unter  allen  nicht  einen  einzigen  Gefälu- 
ten  auf  seinem  Wege,  nnd  fürchtete,  dass  er 
Piich  in  R.oin  Averde  eben  so  idlein  wandehi 
müssen,  als  er  vorhin  gew/mclelt  hati?e ;  doch 
lies  er  sich  dadurch  nicht  irre  machen,  und 
obwolü  er  den  Widerstreit  voj her  sali,  den  er 

ba 


129 

bei  seinen  Kunstgenossen  en'egen  würde  ,  so 
liofte  er  docli  aiicli  in  dem  Sitze  der  Künste 
lind  des  Gescliruacks  Henner  zu  linden ,  die 
ihm  Gerechtigkeit  -widerfahren  liefsen.  Lber- 
lisupt^  hatte  er  den  Grundsaz  :  ein  Künstler 
dem  es  mit  seiner  Kunst  Ernst  sei,  und  dei' 
nach  w^ahrem  Failime  strebe,  müsse  sich  nie 
nach  dem  Gesclimach  seiner  Zeit  ricliten,  son- 
dern seiner  Überzeugung  und  den  klassischen 
Mustern  folgen,  wenn  er  auch  das  Unglück 
licitte  von  seinen  Zeitgenossen  verhaut  zu  wer- 
den. Carstens  betrog  sich  wedei-  in  der  einen 
Erwartung  ,  noch  in  der  andern  ;  er  fand  Nei- 
der und  Schi.tzer  seines  Verdienstes,  Wieder- 
sacher  und  Freunde  seiner  Grundsätze  und  sei- 
nes Gesclunacks ;  doch  davon  in  der  Folge, 
und  hier  nur  noch  Einiges  über  seinen  Em» 
pfang  unter  den  Landsleuten,  die  er  in  Fcom 
vorfand. 

Die  wenigen  Berühningspunhte ,  die  der 
Deutsche  und  Italiener  für  einandfer  haben, 
und  die  Übereinstimmung  jener  in  Sprache, 
Sitten  und  Zweck,  machen  dass  die  meisten 
der  in  Rom  lebenden  deutschen  Künstler  un- 
ter sich  eine  enggeschlossene  Landsmannschaft 
bilden,  und  sich,  der  dortigen  Lebensweise 
gemäs,  täglich  in  einem  eigenen  Speise-  luid 
9 


^50 

Kaffchause  versammeln ,  also  aucli  fast  täglicli 
einander  seilen  und  spieclien.  Nur  wenige, 
meistens  allere  Künstler,  die  schon  viele  Jah- 
re in  Rom  gelebt ,  die  dort  eigene  Familien- 
veihäknisse ,  oder  näheien  Umgang  mit  Ita- 
lienern ,  oder  sonst  eine  Ursache  liaben  sich 
abzusondern,  machen  davon  eine  Ausnahme. 
So  leben  die  Deutschen  sowohl,  als  die  Künst- 
ler andeier  Nazionen ;  jede  für  sich.  Ein 
neuer  Ankümling ,  der  gewöniich  schon  ir- 
gend einen  früheren  Bekanten  in  ,F».orn  hndet, 
■wird  also  dort  sogleich  mit  den  meioitu 
Landsleuten  behaut;  da  aber  deren  immer  nur 
eine  gelinge  Zahl  ist,  so  leinen  sie  in  dem 
täglichen  Beisammensein  einander  bald^  aus- 
wendig, und  wie  verschieden  sie  auch  sonst 
durch  Heimat,  Religion,  Gesinnung  und 
Sitte  nach  den  verschiedenen  Gegenden. 
Deutsclilands  sein  mögen,  so  nehmen  doch 
ilire  Kunstansichten,  ihre  Urtheile,  und  ihr 
gesellsciiaftiicher  Ton  bald  eine  gewisse  Gleich- 
förinigkeit  an,  die  sich  fortwährend  eihält, 
lind  der  sich  jeder  Hinzuhonnuonde  almälicli 
anschliefst.  Doit  wird  bald  jeder  Dünkel,  je- 
de Pedanterie  abgelegt;  kein  Professorstolz 
darf  da  seine  Anmalsungen  laut  weiden  lassen. 
Vüilige  Gleichheit,  imd  gröste  Freimüthigkeit 


ohne  Pvüclisiclit  in  Knnstiirtlieileii  sind  der 
Geist  dieser  freien  Künstler  -  Piepublik,  die 
?ber  .uicli  ,  gleich  andein  R.epnbliken,  oft  in. 
Faiteien  getlieilt  ist,  welche  einander  durch 
luigei  echte  Urtheile  bekämpfen  und  befeinden. 
Nachtheiliger  jedoch  als  diese,  ist  der  unter 
dem  grofsen  Haufen  der  Künstler  waltende 
i^unft-  und  Ilandwerksgeist ,  Welcher  in  dem 
]Ma:i<jel  an  Geistesbildung  seinen  Grund  h.\t. 
]Mit  den  un\vürdigen  Begriffen  von  Kunst, 
und  dem  Dünkel ,  die  diesem  Geiste  eigen 
sind,  ist  gewönlich  auch  eine  gewisse  Ptoheit 
und  Gemeinheit  der  Sitten  vergesellscliaiter, 
die  nicht  nur  selbst  alle  Bildung  verschmähet, 
sondern  a;  cli  das  Streben  Anderer,  Avelche 
sich  dem  herschenden  Zunft-  und  Ilandwerks- 
gciste  nicht  fügen  wollen,  anfeindet  und  ver* 
spottet.  Dieser  unlobiiche  Ton  in  Kunst  und 
Sitte,  der  zur  Zeit,  ;tis  Carstens  nach  Roni 
kam,  dort  noch  ziemlich  im  Schwanke  -wai-, 
ehe  die  Revoluzion  die  meisten  der  dort  leben- 
den Künstler  versclieuchte,  hat  sich  in  den 
lezten  Jahren  merklich  gebessert,  so  dass  die, 
welche  damals  zur  i>Iajorität  gehörten,  jezt 
nur  noch  als  Ausnamen  zu  be4:rachten  sind  ; 
und  der  Vorwurf,  den  man  sonst  den  mei« 
«en    deutschen   Künstlern    mit  Recht  machfta 


132 

iontc  ,  dass  es  ilinen  ah  Erziehung  und  nötiii- 
ger  Bildung  mangele ,  iiiag^  vielleiclit  jezt  nur 
nocli  die  kleinere  Zahl  treffen. 

In  einem  so  engen  und  gleichgestimmten 
Kreise  ist  natiirlich  die  Aufmerksamkeit  auf 
den  neuen  Ankömling  tan  so  stärker,  als  dar- 
in jede  freYnde  Eigenthümlichkeit  und  Beson- 
derheit um  SU  auffallender  absiiclit. 

Carstens  war  ganz  dazu  geeignet,  die  Auf*- 
merksamkeit  seiner  römischen  Landsleute  auf 
sich  zti  heften.  Sein  schliclites ,  unansehnli- 
ches Äusseres,  das  aber  doch  einen  besondc' 
ren  Schnitt  hatte ;  freine  natäiliche  Geradheit, 
di«  immer  sprach  wie  sie  dachte;  seine  dmth- 
aus  eigenen  Ansichten  der  Kunst ;  seine  frei- 
müthigen,  und  v/o  es  ein  herschendes  Vorur- 
tlieii  zu  bekämpfen  galt,  oft  selir  deiben  und 
schneidenden  Ürtheile;  seine  sarkastische  V«/v- 
spottung  alles  akademischen  K unstschlendrians ; 
dabei  seine  Unbekantschaft  mit  allem,  was  in 
der  Geselschaft  als  herküniiich  und  angenoju-* 
nien  gilt,  und  die  Kontraste  einer  für  das  Le- 
ben völlig  vernachlässigten,  und  blos  auf  die 
Kunst  gerichteten  Bildung,  waren  in  dieser 
Vereinigung  eine  zu  sonderbare  Erscheinung, 
als   dass  man  sobald  mit  üir  hatte  fertig  wer« 


155 

den  können.  Indes  würde  seine  blofse  Indivi- 
du.'ilität,  so  scltsp.m  sie  sein  moclite,  wie  jede 
?-ndere  Sondcibarkeit ,  bald  den  Heiz  der  Neu- 
heit verloren  haben,  wenn  nicht  seirce,  den 
gangbaren  Meinungen  über  Kunst,  meistens  v/i- 
«iersprecheriden  Äusserungen  ,  vereint  mit  dem  * 
imgewöhnliclien  Stile  seiner  eigenen  Arbeiten, 
die  Aufmerhsamkeit  auf  ilin  fortdauernd  rcje 
erhalten  hätten. 

Einige  seiner  Äusserungen,  über  die  neue- 
sten Kunstfabrihate,  die  er  in  Rom  entstehen 
f  :,h ,  über  die  dort  herscliende  xiletliode  zu 
siuciiren  und  zu  homponiren  ,  werden  hinrei- 
Ciien  zu  zeigen,  da£.s  er  sich  damit  vmter  sei- 
lu^n  Landsieuten,  die  ^röstentheils  nach  der- 
prlben  zu  Werhe  gingen,  eben  nicht  sehr  be- 
liebt machen  honte. 

So  zum  Beispiele  fand  er  in  den  Arbeiten 
aller  dortigen  Künstler  keine  Spur,  dass  sie 
Txajaels  und  J^Iichelan^elo's  Werke ,  die  ihnen 
so  nahe  vor  den  Augen  standen,  auch  nur  ge- 
sehen ,  geschweige  studirt  hätten;  im  Gegen- 
theil  fast  überall  nur  geistloses  Machwetk 
ohne  Karakter  und  Ausdruck,  Pinselei,  ge- 
schminktes Kolorit  und  prunkende  Armselig- 
keit.     Das  Modelzcichnen,    dem  die  deutsrhea 


Künstler  in  R.om  besonders  eifrig  ergeben  wa- 
ren ,  ei Klärte  er  für  zvveclJos,  und  bcliaupte- 
te  es  gehöre  blos  znni  Abece  der  Kunst ;  wer 
in  Rom  stndiren  Avolle ,  müsse  dieses  bereits 
inne  liaben  und  die  Natur  lesen  können.  Dem 
Histoiienmaler  sei  es  ohncliin  für  seine  Eifin- 
dungen  unnütz  ;  da  derselbe  von  tausend  Ak- 
ten,  die  er  nach  dem  Model  gezeichnet  habe, 
doch  keinen  einzigen  in  einem  histoiischeiL 
Bilde  brauchen  könne;  ja  er  fand,  dass  die 
grösten  Aktzeichner  nicht  einmal  einen  Akt  zu 
zeichnen  verständen  ,  da  sie  nie  das  wirklich 
vor  ihnen  stehende  Model  in  seiner  Individua- 
lität treu  nachzeichneten,  sondern  statt  dessel- 
ben immer  nur  eine  und  dieselbe  Figui- ,  zu 
der  sie  den  Leisten  in  Hopfe  hätten ,  in  der 
gegebenen  Stellung  mechanisch  wiedeiholLen, 
dass  also  das  Aktzeiclinen,  w^orauf  man  eine 
so  grofse  Wichtigkeit^  lege ,  worin  man  ein 
go  grofses  Verdienst  setze  ,  im  Grunde  nichts 
weiter  sei,  als  ein  geselschaftlicher  Abend-» 
Zeitvertreib.  Die  licrschende  Ilomponirmetho- 
de  hielt  er  für  veiueiblich ,  und  den  Geist 
^-^ahrer  Kunst  tödtend ;  in  den  durch  sie  her- 
vorgebrachten Arbeiten  fand  er  ein  widriges 
Gemisch  von  Antike,  gemeiner  Modelnatur, 
von  hier  und  dort  zusammengesuchten  Armen, 


103 

Beinen  und  Gewandfetzen ;  tlieatrallsclie  Stel- 
lungssuclit  in  der  Gruppirung ,  nnnatüi  licli 
gespieiztes  Handeln ,  und  übertriebenen  oder 
nichtssagenden  Ausdruck.  Besonders  spottete 
er  laut  und  bitter  über  den  dazu  eingetüLnea 
Apparat,  durch  -welchen  der  geistigste  Iheil 
der  llunst,  das  Ei  linden,  auf  ein  blos  mecha- 
nisches Puppenspiel  ziuiick  gebracht  sei;  wo 
man  die  ganze  Komposizion  aus  kleinen  Wachs- 
luid  Thoniigürchen  in  einem  Gukkasten  zu- 
sammen bauet ,  lun  ein  kolossales  Bild  danacli 
zu  malen.  Die  nach  einem  solchen  Puppen- 
tlieater  fabrizirtcn  Gemälde,  v.'ozu  die  eiuzel- 
3ien  Tlieilc  von  haiudert  Orten  lieibci  ge- 
schleppt, taid  ohne  innere  Verbindung  zusam- 
mengesezt  ^varen,  pflegte  er  sehr  drastisch  ei- 
nen ekelhaften  Haufen  unverdauter  Exciemen- 
te  zu  nennen. 

INIan  kann  sich  vorstellen ,  wie  derglei- 
chen Äusserungen  denen  gefallen  musten  ,  die 
selbst  in  solchen  Misbräuchen  das  Heil  der 
Kunst  suchten.  Da  indesi;en  viele  derselben 
Wahrheiten  enthielten,  die  sich  nicht  hinw-e? 
disputirtu  Hessen,  weil  Carstens  seine  Be- 
hauptungen immer  auf  Rafaels  Werke  stüzte, 
so   muste  mau  sich  auf  eine  andere  Art  gegea 


J5Ö 

ihn  n'idten;  man  erwartete  also,  dass  er  selbst 
etwas  von  seiner  eigenen  Arbeit  aufstelle,  um 
es  sodann  durch  die  Hechel  der  schärfsten  Kri- 
tik zu  ziehen.  Man  wolte  die  Foderung  :  dass 
der  Künstler  selbst  leiste  was  er  von  andern 
verlangt,  und  besser  mache  was  er  an  andern 
tadelt,  in  aller  Strenge  an  ihn  lichtiu,  ob- 
gleich vi'enige  seiner  Gegner  im  Stande  geAve- 
sen  sein  w^ürden,  ihr  Genügen  zu  leisten, 
Carstens  lies  auch  nicht  lange  auf  sich  war- 
ten ;  denn  da  er  so  frei  voin  Herzen  gespro- 
chen hatte,  so  fühlte  er  selbst  die  Verbind- 
lichheit, seine  dreisten  Behauptungen  durch 
die  Tliat  zu  rechtfertigen.  Er  endigte  noch 
in  demselben  Jahre  eine  grofse  Zeichnung  von 
einer  ;iufs  neue  entwoifenen  Komposizion  des- 
selben Gegenstandes  ,  den  er  in  Berlin  zulezt 
bearbeitet  hatte:  den  Besuch  der  Argonauten 
heim  Keyitauren  Chiron. 

Carstens  hatte  schon  in  Berlin  den  Vor- 
satz ,  diesen  Gegenstand  in  einem  Gemälde 
auszuführen ;  aber  die  frühere  Komposizion 
desselben  gefiel  ihm  nicht  mehr;  er  hatte  sie 
deshalb  auch  in  dieser  zweiten  Bearbeitung  so 
verändert,  dass  nur  .die  drei  Hauptgruppen  des 
Jason  und  Chiron ,  des  Teleus  mit  dem  kleinen 
jichilleSi  und  des  Herkules  mit  dem  Hylas,  im 


137 

Wesentlichen  dieselben  blieben.  In  der  äkeren. 
Kömposizion  sind  die  Helden,  theiis  stehend, 
tlieils  sitzend,  gruppenweise  durch  die  geräu- 
mige Hohle  auf  dem  unebenen  felsigen  Boden 
zerstreut,  ^vodurch  dos  Ganze  zwar  eine  male- 
rische, aber  zugleich  etwas  theatralische  An- 
ordnung erhalten  hat,  welche,  nebst  der  zu 
grofsen  Zerstreuung  der  Tiguren  dem  Künstler 
vielleicht  misfallen  mochte;  denn  in  der  spä- 
teren Komposizion  sind  alle  Figuren  dichter 
auf  gleichem  Grunde  zusammen  gedrängt,  und 
bilden  nun ,  in  dem  langen  und  niedrigen 
Rniun  der  sie  einschliesst,  und  wo  last  alle 
Figuren  sich  auf  gleicher  Linie  befinden,  ein 
zwar  minder  theatralisches ,  aber  auch  nicht 
so  malerisch  ajigeoidnetes  Ganzes,  und  die 
Komposizion  scheint  mehr  zu  einem  halberho- 
benen VYerhe,  als  zu  einem  Gemälde  geeignet. 
Aber  das,  wodurch  diese  erste  römische  Arbeit 
unsers  Künstlers  von  seiner  lezten  berlinischen 
sich  am  auffallendsten  unterscheidet ,  ist  der 
Stil  der  Zeichnung,  so  dass  man  dem  Anschei* 
iie  nach  dafiii- halten  würde,  dass  ein  P^.aun^ 
melirerer  Jalire  zwischen  beiden  liege.  Die 
Figuren  der  meisten  Helden  in  der  älteren 
Zeichnung  sind  von  hleir,lichen ,  etwas  kur- 
zen Verhältnissen,    wohl  st.irh,  aber  ohne  ei-' 


158 

gentliclie  Grosheitund  die  Aiisfülirurig  ist  zwar 
ileissig,  aber  dabei  kleinlich  und  trocken;  in 
der  spateren  hingegen  ist  der  Stil  durchgängig 
gros  lind  entwickelt;  die  Heldengestalten  ha- 
ben ganz  den  mächtigen  Karakter,  der  ihnen 
gebiirt;  ihre  Bildung  vereint  Adel  und  Schön- 
heit, und  jnan  sieht  im  Ganzen  unverkenbar 
den  gi'ofsen  Einflus  der  Kolossen  auf  ßl  o  nte 
cavallo,  besonders  in  den  Dioscuren  selbst, 
die  sich  brüderlich  umfassen ,  und  in  dem  An- 
fühi  er  Jason,  liberhaupt  ist  der  Karakter  die- 
sei-  Zeichnung  durch  die  stiengidealcn,  brei- 
ten, sauftgeründeten  Formen,  und  durch  die 
klaren  sehr  reflektirtcn  Schattenmafsen  etwas 
maimoraitig,  und  das  Ganze  macht  aeix  Ein- 
druck, als  ob  es.  nach  einem  erhobenen  Wer- 
ke gezeichnet  sei.  Die  K()pfe  der  Helden  ha- 
ben säiiitUch  eine  sci-;öne  bedeutungsvolle  In- 
dividualität, und  der  durch  die  Aufmerksam- 
keit auf  den  Gesang  des  Orfevs  über  das  Gan- 
ze verbreiteten  Ruhe  ungeachtet  doch  einen 
sehr  lebendigen  ,  beseelten  Ausdruck. 

Als  Carstens  diese  ZeicLnung  vollendet  hat- 
te, sahen  seine  Landsleute  vvohl,  dass  sie  es 
mit  keinem  Anhinger  und  mit  keinem  blofsen 
Scliwützer  zu  thun   hatten.     Denn   wer  hatte 


139 

bis  daliin  •wolil  eine  solclie  Romposizion  als 
Erstlings nibeit  in  Rom  aufgestellt?  Aber  er 
hatte  manclien  empfindlichen  Flech  zn  hart  ge- 
troffen, als  d.iss  man  sich  hatte  mit  ihm  ver- 
söhnen können,  ^vozu  er  selbst  freilich  anch 
nicht  die  Hand  bot;  und  was  man  laut  als 
treflich  winde  gepriesen  haben,  y\renn  Carstens 
mehr  Ilochaclitnng  für  den  akademischen 
Schlendrian  und  für  den  herschenden  Zunft- 
geist seiner  Kunstgfnosseu  bezeigt  hätte,  ward 
nun,  als  man  dem  Giinzeii nichts  anhaben  hon- 
te ,  im  Einzelnen  si-cuge  gemustert  und  geta- 
delt;  da  Avar  ein  Arm  ^u  dick,  dort  ein  Fus 
zu  klein,  hic3-  ein  Knie  zu  sclimal,  dort  ein 
IMuskel  zu  bieit,  da  ein  Ge%Tand  zu  anlie- 
gend etc.  Alle  diese  Fehler  des  JEiuzelnen  gab 
Carstens,  der  nie  ein  Modell  bei  der  Ausfüh-» 
rnng  seiner  Komposizionen  brauclite  ,  sondern 
alles  aus  dem  Vorrathe  seiner  Kenntnisse  nahm, 
willig  dem  Tadel  preis ,  immer  stiebend  ,  die 
Mängel  und  Felder  seiner  lezten  Arbeit,  die 
er  selbst  oder  andere  dara-n  entdeckten,  durch 
Stete  Aufmerksamkeit  auf  die  Natur  in  den  fol- 
gencien  zn  vermeiden.  Übeihaupt  -wurde  ihm 
nie  oder  höchst  selten  das  Ganze  seiner  Koni- 
posizionen  getadelt,  sondern  immer  nur  Un-» 
lichtigkeiten   einzelner    Theile ;     nicht   als  ob 


1/|.0 

^AS  Ganze  seiner  Kornposizionen  immer  so  unta» 
delig  gewesen  wäre,  sonclejii  weil  fast  nie- 
mand von  einöm  als  Einlieit  aus  der  Fantasie 
liervor^^egangcnen  Bilde  einen  Begrif ,  also  auch 
für  die  Idee  dieser  Einlieit  Keinen  Sinn  Latte ; 
und  weil  den  meisten  der  Gedanke  selbst  so 
%venig  galt,  dass  man  nur  auf  das  Einzelne  der 
Zeichnung  und  Ausführung  und  auf  das  Mach- 
werk sah.  Viele  Künstler  waren  dei- Meinung, 
dass  der  Inhalt  sehr  gleichgültig ,  das  Rlaleii 
hingegen  die  eigeniliche  Ilnuptsache  sei.  Er- 
findung federte  oder  vielmehr  kante  man  nicht. 
Die  Komposizion  hielt  man  für  ein  nothwen- 
<liges  Übel,  deni  man  sich  unterwerfen  müsse,' 
weil  man  ohne  sie  doch  kein  historisches  Bild 
malen  könne,  xind  die  beliebte  Komponirme- 
thode  w^ar  ein  Mittel,  sich  dieses  Übel  soviel 
als  möglich  zu  e]  leichtern.  Mancher  kam  auch 
•yv^ohl  durch  sie,  ohne  selbst  zu  wissen  wie, 
2.U  einer  schönen  Gruppe,  für  welche  oft  die 
Bedeutung  erst  nachher  gesucht  wurde.  Car- 
sten':  im  Gegentheil  hatte  das  Schiksal,  in  den 
Arbeiten  anderer  Künstler  fast  immer  das  Gan- 
ze schlecht  zu  finden,  und  vergebens  Gedan- 
ken und  ErhuGimg  darin  zu  suchen.  Er 
sah  nui"  Kornposizionen  die  auf  dem  Papier 
durch  mühsames  Künsteln,     oder  durch  Zu- 


141 

«ammcnsclucben  biegsamer  W.-'.clispiippen  ent- 
standen waren ;  oft  fand  er  einzelne  Theile 
vorzüglich  geratlien;  aber  sie  maclijfen  'kein 
Ganzes  ;  noch  öfter  waren  viel  Zeit  nnd  Kunst 
an  einen  unmalerischen  oder  luibedentenden 
Gegenstand  verschwendet;  Nebensachen  wä- 
ret! bis  zur  Tauscliuiig  vortrcflich  gemaltj 
so  dass  die  Haupttheile  dagegen  weit  zurück-' 
blieben ;  die  Gewänder  und  Stoffe  ^v£Ten  Heis- 
send  neu ,  al)er  unter  ilmen  blil-.te  überall  der 
hölzerne  Gliederniann  her\or ;  auch  in  den  bes- 
ten Arbeiten  f;-.nd  er  nur  einen  grofscn  Ani- 
wand  von  technischer  Kunst  und  Uiechaiu- 
schen  Fei tigheiten,  oliue  Wahrheit,  Bedeu- 
tung und  Geist.  Bei  so  widerstrciiendcn  An- 
sichten und  Bestrebungen  war  hein  Einver- 
ständnis zwischen  ihm  und  seinen  Kraistge- 
nossen  möglich,  unter  denen  jedoch  die  vor- 
züglichsten Künstler  anderer  Nazionen,  be- 
sonders die  Italiener  und  Engländer  seinen 
Verdiensten  Gerechtigheit  w^iderfaliren  liefsen; 
indes  die  meisten  seiner  Landsleute,  solange 
er  lebte ,  seine  erhläitcn  Gegner  waren.  Jen© 
beurtheilten  ihn  blos  nach  seinen  Arbeiten  oh* 
xie  Nebenrüclisichten  ,  und  ohne  Ecziehunqcn 
auf  sich  selbst;  diese  hatte  er  duich  seine 
«txengen   Grundsätze  und  Urtheile  gegen  sich 


aufgebraclit.  Hätten  sie  ihm  zugestanden, 
dass  er  mit  diesen  ein  guter  Künstler  sei,  so 
■vvürden  sie  dadurcli  ihier  eigenen  Kunst  das 
Verdammungsurtlieil  gesprochen  haben. 


Wir  haben  nun  gesehen,  wie  unser  Künst- 
ler in  R-om  seine  höheren  Studien  mit  Erfolg 
begann,  und  in  welch  Vej-Iiältiiis  ihn  die  ei- 
genen Ansichten  seiner  Kunst  mit  seinen  dor- 
tigen Landsleutcn  setzten. 

Wichtiger  als  das  w^ar  für  ihn  sein  Ver- 
hältnis mit  der  Berliner  Ahademie  und  dem 
Ktirator  derselben;  denn  davon  hing  die  Dau- 
er seines  Aufenthalts  in  E.om  ab,  die  nur  auf 
zwei  Jahre  festgesezt  war,  die  er  inzwischen 
noch  auf  eine  längere,  wo  raüglich  auf  Le- 
benszeit auszudelinen  hofte.  Dazu  sah  er  nur 
zwei  Wege  :  entweder  er  rnuste  durch  gutes 
Vernehmen  mit  dem  Minister  von  Ileiuitz  es 
dahin  zu  bringen  suchen,  dass  ihm  ein  be- 
ständiger Aufenthalt  in  Ptom  mit  Beibehaltung 
seiner  Pension  vom  Könige  verwiliiget  wer- 
de;  oder  er  muste  sich,  wärend  der  vergönn- 
ten Zeit,  solche  Aussichten  für  die  Zukunft  be- 
reiten,    dass   er   es    nöthigen   Falles  ohne  Ge- 


fahr  wagen  köntc,  jene  Verhältnisse  mit  Ber- 
lin au  zeneifsen,  und,  unabhängig  durch  sich 


^4-3 

selbst ,  seiner  Kirnst  zu  leben.  Dass  es  ilim 
auf  dem  ersten  ^Yege  gelingen  Avürde ,  hatte 
wenig  Wahrscheinlichkeit;  denn  theils  erns- 
te er,  dass  strenge  staatsvsärth  schaftliche 
Grundsätze  keine  so  liberale  Handlimgs\A'eise 
gestatten ,  theils  verst.'.nd  er  sich  zu  wenig 
daiaiif,  die  Gnade  der  Grofsen,  die  auch  von 
der  strengsten  Fiegel  begünstigende  Ausn.'ih- 
men  zu  machen  weis,  zu  erschmeicheln,  und 
mächtige  Fiirspreclier  hatte  er  nicht.  Alles« 
was  er  zu  erlangen  hoffen  konte,  war  Verlän- 
gerung seines  Aufentlialts  in  Rom  auf  ein  oder 
zwei  Jahre  über  die  bestirnte  Zeit  hinaus. 
Doch  auch  damit  w^ar  schon  viel  gewonnen ; 
denn  je  länger  er  seine  Pension  in  Rom  ge- 
niefseu  konte,  desto  mehr  Zeit  erhielt  er, 
sich  in  Rom  bekant  zu  machen  und  sich  da- 
durch eine  unabhängige  Lage  zu  begiündeu. 
Auf  diese  Verlängerung  derselben  war  denn 
sein  Streben  zunächst  gerichtet;  und  wenn  er 
nicht  immer  die  zweckmäfsi^sten  Mafsrejrelii 
dafür  wählte,  so  \vählte  ej-  wenigstens  sol- 
che ,  die  seiner  Denkungsart  gemäs  waren. 
Aus  diesem  Gesicht-punkteniuä  inan  des  Künst- 
lers JJetragen  gegen  den  Minister  und  die  Aka- 
demie betrachten,  das  sonst  leicht  aU  tadelns- 
Werth  und  undankbar  erscheinen  konte,     wie 


i44 

es  ihm  ancli  vom  Minister  selbst,  der  es  ans 
deinem  andern  Gesichtspunkte  ansehen  duii- 
te ,  in  der  Folge,  wo  es  z^Tisc]len  iimen  ziun 
Bruche  kam ,  hart  vorgeworfen  "vvurde. 

Carstens  hielt  Kunstahademieen  für  öffent- 
liche Anstalten  zur  Unterstützung  und  Förde- 
rung des  Talents,  das. unter  dem  Drucke  un- 
günstiger Glüksumstände  ringt ,  und  glaubte 
durch  die  Beweise,  die  er  von  dem  seinigeu 
bereits  gegeben,  einer  solchen  Unterstützung 
Würdig  zu  sein.  Dabei  sah  er  die  Kunst  nicht 
als  ein  Eigcntlium  dieses  oder  jenes  Staates, 
sondern  als  ein  Gemeingut  der  Menschheit  an, 
zu  dessen  Beförderung  jeder  Staat  nach  Ver- 
mögen dass  Scinige  beitragen  müsse  ;  und  be- 
hauptete, das  der  Künstler  nicht  dieser  oder 
jener  Akademie  die  ihn  gebildet,  nicht  die- 
sem oder  jenem  Füisten  der  ihn  unterstüzt 
habe,  sondern  der  Menschheit  angehö3-e ;  und 
dass  «r  nur  da  mit  ganzem  Erfolg  seinen 
Zweck  ejfüllen  könne,  wo  ihm  alle  Mittel  zu 
seiner  höheien  Ausbildung  zu  Gebote  stehen; 
^vo  die  grösten  Meisterwerke  der  Kunst,  ei- 
ne schönere  Natur  und  ein  Himmel,  der  das 
Gedeihen  alles  Schönen  begünstigt,  ihn  stets 
wmgjeben.     Diese    begeisternden   Umgebungen 

fand 


14-5 

fand  er  in  Rom  melir  als  irgendwo  vereint, 
und  G3anen  befiel  ihn,  Vy-ann  er  daian  daciite, 
dafs  er  diesen  glücklichen  Wohnsitz ,  diesen 
Himmel  der  Kunst  nach  einigen  Jahren  wieder 
veilassen  ,  und  in  den  traurigen  Norden  zurück- 
kehren solte ,  dem  er  kaum  entllohn  war.  Je 
öfter  er  sich  di'ese  trübe  Aussicht  vergegen- 
wärtigte, desto  lebendiger  ward  sein  Absclieu 
dagegen,  desto  fester  sein  Vorsaz,  nie  wieder 
zurückzukehren ;  lieber  alles  aufzuopfern  und 
aufä  neue,  wenn  es  sein  müsse,  mit  Mangel 
lind  Notli  zu  kämpfen,  als  zurückzukehren. 
An  seinen  kränklichen  Korper,  der  dies  eben 
so  dringend  foderte ,  dachte  er  dabei  nur  zu- 
lezt;  denn  keine  eigennützige  Absiciit,  son- 
dem  reine  Liebe  zur  Kunit  beseelte  ihn,  und 
bewog  ihn  so  z-aliandeln,  wie  er  handelte ; 
ja  er  war  übeizeugt,  dass  er  aus  P£iclit  gegen 
seine  Kunst  und  gegen  seine  Bestinamingniclii; 
anders  handeln  dürfe. 


Carstens  betraclitete  seine  Angelegenheiten 
aus  dem  hülicren  Gesichtspunkte,  aus  den:i  je- 
der Künstler  sie  betrachten  mus  ,  dem  seine 
Kunst  die  höchste  Bestimmung  seines  Daseins 
ist.  Aber  dies  kann  wieder  der  Gesichtspunkt 
einer  Akademie  sein,     der,     als    einer  Erzie- 

lO 


hnngsunstah  für  den  Staat  i  die  Pflicht,  dem- 
«elben  nüzliche  Bürger  zu  erziehen  ,  als  höch- 
ste ,  obliegt,  und  die  diesen  Zweck  auch  durch 
ihren  Namen,  Akademie  derineclianisclisnpT^is' 
senschajten  ,  deutlich  genug  ankündigt ;  noch 
kann  es  der  Gesichtspunkt  eines  Ministers 
sein,  der ,  als  Kurator  dieser  Akademie,  sicK 
blos  als  „Staatshaushalter  der  zuiu  Wohl  des 
St-iats  ihm  anvertrauten  Gelder"  betrachten 
darf.  Unter  solchen  Beschränkungen  bleibt 
für  höhere  Zwecke  der  Menschheit,  die  noch 
über  die  Sfäre  des  Staatsbürgers  ,  der  nur  Bür- 
ger dieses  oder  jenes  Staates  sein  kann,  hin- 
äusliegen,  der  Regel  nach  nichts  zu  thuft 
übrig.  Nur  wenn  der  üoer  die  Staatszwecl.e 
freiwaltende  Regent  den  höheren  Zweck  der 
Menschheit  in  jene  mit  aufnähme,  die  Kiiust-^ 
akademieen  von  jeder  Beschränkung  auf  be- 
sondere Staatsbedüifnisse  befjeiete  ,  sie  durch 
eine  den  Zwecken  wahrer  Kiuiat  angemessene 
Einiichtung  zu  Bildungsanstalten  des  Talents 
erhöbe,  und  in  den  Stand  sezte,  den  hülfbe- 
dürftigen jungen  Künstler  von  ausgezeichne- 
ten AiiLigeii  auf  eine  seinen  Fleis  am  besten 
fördernde  Weise  thätig  zu, unterstützen  ;  aber 
ohne  andere  Verbijidlichkeitcn  von  Seiten  des 
Künstlers,    als  die,     welche  ein  wohlgesinne- 


14-7 

tes  Gemutli  für  empfangene  Woliltliaten  sich 
selbst  freiwillig  dankbar  auflegt :  —  nur  dann 
vv'iiiuen  vielleiclit  Akadeinieen  der  Kunst  den 
Nutzen  wiiklich  leisten,  den  man  bisher  ver- 
gebens von  ihnen  erv^^artet  hat;  sie  würdea 
sich  dann  wenigstens  nicht  mehr  so  armselig 
darauf  beschränken ,  nur  Professoren  und  Zei- 
chenmeister für  ihr  eigenes  Bedüifnis  zu  bil- 
den,  sondern  vielmehr  iiireu  Rulini  Jaiin  su- 
chen ,  der  Welt  recht  viel  grofse  und  gcschik- 
te  Künstler  ei zogen  zuhaben  ;  und  jedej  Künst- 
ler würde  lieber  in  dem  Lande  leben  j  dem  er 
seine  Bildung  verdankt ,  als  sonst  iigendwu, 
sobald  er  die  Aussicht  hätte ,  in  demsclbcu 
auch  Arbeiten  zu  finden,  worin  er  s.  ine  Kunst 
zeigen  kann ;  und  jene  ermunternde  Theiinah- 
me,  die  mehr  als  Geldgswin  den  wahren 
Künstler  spornt,  der  nur  in  dtr  Aciitung  der 
Zeitgenossen  und  der  Nachwelt  seine  Be- 
lohnung sucht. 

Wie  sehr  Carstens  mit  dieser  Denkait  an- 
Stofsen  würde ,  wenn  er  sie  in  Beziehung  aui 
»ich  in  Ausübung  bringen  wolte,  war  leichc 
vorherzusehen  ;  indessen  scheute  er  sich  dar- 
um nicht,  sie  eben  so  laut  gegen  den  Minister 
,zu  bekennen  4^  gegen  jeden  andern;    und  di* 


I4Ö 

Art ,  wie  ev  es  sowohl  anfangs ,  als  In  dei  Fol- 
ge tliat,  zeigt,  dass  er  nicht  gesonnen  w^ar, 
ihm  die  Verlängerung  seines  Aufenthalts  iu 
Fcoui  durch  hriechcndes  Betragen  abzuschinei- 
eheln. 

Bei  seiner  Abreise  von  Berlin  Tvar  ilirnvom 
Minister  aufgegeben  worden,  nach  seiner  An- 
kunft in  Rom  einen  Reisebericht  einzusenden» 
und  darin  von  dem ,  -\vas  er  tinterwegs  iu  Be- 
zug auf  Kunst  und  Kunstakademien  bemer- 
ikenswerth  gefunden  ,  Nachaiclit  zu  .ertlieilen-. 
Carstens  verzögerte  die  Erfüllung  dieses  Auf* 
träges  absichtlich  so  lang-e  als  möglich,  und 
fast  bis  ans  Ende  der  ihm  fiir  Ptom  verw^iilig- 
ten  Zeit ,  damit  die  Kürze  derselben  um  so 
mehr  auflalle ;  und  er  honte  dann  aucli  für  die 
Vollendung  angefangener  Arbeiten  um  so  elier 
eine  Verlängerung  begehren.  Erst  im  Januar 
1794  sandte  er  seinen  Pveisebericht  an  den  Mi- 
nistej-  ab,  der  zwar  nach  desselben  eigener  Er- 
Märung  weitLäuftig  genug  war,  aber  ihn  doch 
darüber,  dass  Carstens  so  lange  nichts  von  sich 
verlauten  lassen,  hein^sweges  zufriedenstellte, 
wie  des  Ministers  nachstellende  Antwort  un- 
term 26.  Jun.  desselben  Jalires  deutlich  genug 
MX  erhennen  giebt. 


^49 

„Hochctlelgebohmer  Herr, 
Sehr  geehrter  Herr  Professor*. 

Seit  dem  weitläuftigen  Reisebericht,  w^el- 

chen  der  Herr  Professor  Carstens  beisei- 

r.er   Anhiuift   in  ilo  »i  entworfen,  nnd  nnteiTn 

Cyci'u  Januar  i~94  allhiey   eingesandt  hat,    ist 

?aisser   dem  Rapport  des  Herrn  Professo- 

ris    Rehh  er g ,       welcher    das    Daseyn    des 

Henn  etc.    C^r^ ten  j  bestättiget,  weder  eine 

Auskunft  über  dessen  Studiiun,  noch  eine  Ee- 

stattigung  über  dessen  Fieis  und  Fortschritte  in 

der  Kunst,     durch   Einsendung  einiger  seiner 

Aibeiten,  allhier  eingegangen.     Ich  kann  niclit 

timhin  ,  de:n  HeiTn  etc.  Carstens  meine  Ver- 

TvunderuniT  darüber  um  so  meLr  zu  bezeugen, 

als  Dieselben  die  nur  auf  zv/-ei  JrJire  be^villi<T- 

o 

te  i;nd  nun  ihre  Endschaft  eneichte,  zu  Jlirer 
mehreren  Bildun.^  bewilligte  Unterstützuns: 
a  d  ZOO  FLthh. ,  auf  diese  ganze  Zeit  ohne  die 
geringste  Auskunft  tou  Ihnen  zu  geben,  still-. 
schweigend  genossen  haben. 

In  der  Erw^artung ,  der  Heu  Professor 
Carstens  werde  von  nun  an  von  seinen  Ar- 
beiten einsenden,  und  Auskunft  über  die 
zw^eclanäfsige  Vei'vv'endung  seiner  Zeit  geben, 
habe  ich  die   Unterstützung  nocli  bis  zura  51» 


Mcty  i"95.  und  also  nocli  auf  Ein  Jahr,  nach 
dessen  Ablanf  seine  Znräclikunft  und  Wieder- 
jintretung  seines  hiesigen  J  k  a  d  e  viis  chen 
Lehr  "Amtes  erv/artet  wird,  bewilligt,  deren 
Anszalilung  aber  Sogleich  aufliüren  wird,  -wenn 
der  Herr  Carstens  nicht  von  seinen  Ar- 
beiten etwas  einschicket.  Der  ich  hochach- 
tend  verbleibe 

Euer  Hochedelgebohrnen 

Berlin 

ergebenster 

d.  26tenJuny  1794.  Fr.  von  Heinitz. 

Der  unfreundliche  Ton  dieses  Briefes  ,  der 
allenfals  gegen  einen  der  akademischen  Zucht 
so  eben  entlassenen  Z(>gling  geziemt  hatte, 
nicht  aber  gegen  einen  Künstler  wie  Carstens, 
der  -y^^arlich  weder  eines  Spornes  noch  einer 
Aufsicht  bedurfte  ,  bestärkte  diesen  nui-  noch 
mehr  in  seinem  Vorsatze  ,  ein  Verhältnis  auf- 
zuheben ,  ^vo  ein  uniiberaler  Tnspekzionsgeist 
ilm  über  seinen  Fleis  ,  seine  Foitschviite  und 
die  z^veckmäfsige  Verwendung  seinei  Zeit,  \in- 
ter  Drohungen  zur  Rechenschaft  ziehen  wol- 
le. Doch  hielt  er  seine  Empfindlichkeit  dar-t 
iibci-  jezt  noch  zuiiik,  -weil  er  des  guten  Ver- 
nehmens mit  dem  Minister  noch  bedurite,  um 


1.51 

Zeit  zur  Erreicliung  seines  ZweKs  zu  gewin- 
nen, des  Zwecks,  sich  in  F«.oin  bekant  zu  ma- 
chen, den  er  am  besten  duich  eine  öffent- 
liche Ausstellung  seiner  Arbeiten  zu  errri- 
clien  liofte. 

Er  ant\vortete  deshalb  dem  Minister  un- 
term i2ten  August  1794»  tl^'^ss  er  von  seinen  Ar^ 
beiten  darum  noch  niclits  nacli  BeiUn  einge- 
sandt habe,  weil  er  gesonnen  sei,  tou  den- 
selben in  Ptom  eine  Aufstellung  zu  maclien, 
und  sie  dem  Uj  tlieile  der  dortigen  Künstler 
imd  Ivunsthcnncr  zu  unrerwerfon,  deren 
Aussprüche  dann  über  seinen  Fleis',  sei- 
ne Foriscluitte  und  die  zweclimäfsige  An- 
Tvendung  seiner  Zeit  imp?.rtheiisch  entschei- 
den würden.  Der  Minister  billigte  dieses 
Vorhaben  in  einem  Schi  eiben  vom  22ten  Sep- 
tember desselben  Jahres,  \Torin  es  lieifst : 
jjch  ATÜl  dieses  wohl  ^zulassen ,  erv/arte 
jjober ,  da^s  Sie  diese  Arbeiten  bei  Ihrer  re- 
,.,tour  ?l\\\icy  jjr  o  diicir  e  n  werden,  damit 
„solche  alsdenn  bei  der  jjächsten  Runstaas- 
,. "Stellung  auch  allliier  ausgestellt  werden  kön- 
j.nen." 

Im  Sommer  des  Jahres  i7()4  machte  Carstens 
in  Gesellschaft  zweier  Hünstier,    Hummeh  xind. 


ir^2 


KügelcJ  ens  >  *)  eine  Fusreise  nach  Neapel. 
Dort  sali  er  die  Schor.lieit  und  Pracht  der  ita- 
lienischen Natur  in  ihrer  reichsten  üppigsten 
Fülle.;  &o  "Nvie  er  bereits  zehn  Jahre  früher, 
auf  seiner  Wanderung  duicli  die  Schweiz,' die 
Kunst  der  Natur  im  erhabenen  Stile  be\Yun- 
dert  hatte.  Unter  allen  Gegenständen  der 
Kunst  in  Neapel  reizten  die  alten  in  Pom-peji 
und  Hsrculanuin  ausircgrabenen  Gemälde  seine 
Neugier  am  stärksten ;  und  er  eilte  in  den  er- 
sten Tagen  nach  Poitici  hinaus,  sie  zu  bcfiie- 
digen.  Er  fand  in  ihnen  den  schönen  Sinn  der 
alten  Kunst,  die  Anmuth  der  Stellungen,  die 
Heiteiheit,  welche  auch  den  geringsten  Wer- 
ten des  Alterthums  eigen  sind  ;  er  fand  sie  als 
Verzicrungsgemälde  artig  und  gescliinahvoU, 
aber  doch  im  Wesentlichen  unter  dem  Begrif, 
den  er  nach  dem  PiufeA^on  ihnen  gefafst  hatte; 
er  hielt    sie   als    Denhmäier  der  alten  INIalerei, 


•)  Hummel,     in  Neapel  geboren,     ein  Schüler  IFilh» 
Tisclibniits y  lebt  gegeuwlirtig  in  Casse.l. 

Kclgslchen  ,  von  Baccharacli  am  Rhrin,  Histo- 
rien- und  Portriitmaler,  ging  von  Ron:  nacii  Rus-- 
land,  von  woher  er  nacii  zeTinjährigeni  Aufenthalt 
-wieder  zurück  gekehrt  ist,  und  g^gcnv/ärtig  in 
Dresden  lebt. 


io3 

von  der  uns  niclits  Vortrefliclics  übrig  geblie- 
ben ist,  für  selir  nierkv/ürdig  ;  aber  lür  den 
Künstler  nur  von  sehr  geringem  Nutzen. 
Noch  weniger  %volte  er  in  dieser  Hinsicht  den 
alten-  Vasengeni.ilden  einräumen,  von  deren 
hohen  Kunstvortreflichheiten  die  Altertliums- 
forsclier,  die  selten  befugte  Kunstrichter  sind, 
vor  einiger  Zeit  so  grofses  Auflieben  machten 
und  Nachbildungen  der  berühmtesten  Meister- 
werke des  Alterthums  darin  erkennen  wolten, 
Carstens  meinte,  wenn  uns  von  der  Kunst 
des  Altertlmms  niclics ,  als  jene  Vasen  und 
jene  Maiereien,  übiig  geblieben  wäre,  so 
würden  sie  dem  neueren  Künstler  allerdings 
\-on  vv^esentlichem  Nutzen  sein  honnen ;  da 
auch  an  dem  geringsten  Werhe  des  Alterthums 
noch  Spuren  des  Kunst-  und  Schönheitssinnes 
der  Aken  sichtbar  seien.  Wer  sie  aber  jezS 
Zinn  Gegenstande  des  Kimststudiums  machen 
\volte,  würde  gerade  so  thüricht handeln,  wie 
die,  welciie  die  Werke  Rajc-cls  und  seiner 
Zeitgenossen  vernachlässigen,  mid  sich  einen 
Cimahue,  G'iotto  und  ß'Iantegna  zum  Muster 
W'ählen  wolten.  Gröfsere  Genugthuung  gab 
ilim  Tizians  berühmte  Danae.  Nie  hatte  ihn 
dp.s  Kolorit  eines  Gemäldes  so  ganz  befriedigt, 
so    zur  ßevrunderung  hingerissen;    er   sprach 


i5f 

steis  iJiit  Begeisterung  davon.  Dies  Gemälde 
versöhnte  ihn  nicht  nui-  wieder  mit  der  Ölma- 
lerei, gegen  die  er  seit  langer  Zeit  einen  ge- 
wissen Unwillen  liegte,  weil  sie  die  Aus- 
übung der  Kunst  so  sehr  erschwere;  es  erreg- 
te auch  den  Eiitschlus  in  ihm  ,  sich  mit  neuem 
rieisse  darin  zu  üben,  und  auch  diesen  Theil 
der  Kunst  noch,  wenn  möglich,  in  seine  Ge- 
walt zu^  bringen. 

Kaum  hatte  Carstens  nach  einem  Aufent- 
lialte  von  einigen  Wochen  Neapel  wieder  ver- 
lassen, als  der  grofse  Ansbiuch  des  Vesuv  er- 
folgte, 'v/elcher  das  am  Fufse  des  Eerges  ge- 
legene Städtchen  T  or  r  e  del  G  r  e  c  o  dmcli 
einen  danibej-  hingev/älzten  Lavastrom  zer- 
5t(">rte.  Er  helnte  sogleich  wieder,  in  Gesel- 
schaft  des  Bildhauers  -Busch ,  nach  Neapel  zu- 
rück, um  diese  giofse  Natuierscheinung,  oder 
wenigstens  die  zerstöienden  Wirkungen  der- 
selben, in  der  Nähe  zu  sehen.  Die  Wuth 
des  Berges  hatte  sich  bereits  gelegt ,  aber  die 
ganz  veränderte  Scene  zeigte  die  Spuren  ihier 
S'hrcchlichen  Verherung.  Die  Spitze  des 
Aschenkegcls ,  wclciier  <len  Gipfel  des  Beiges 
bildet,  v/ar  in  sich  selbst  zusammen  gestürzt. 
Das    unglückliche    reichbevölkerte    Stadtchen, 


das  Carstens  viei'  Woclicn  fnilier  nocli  vorn 
Jubel  fiuliclier  Eiiiwolinei',  vom  lärmenden 
Spiel  zalloser  Kinder  erscliallen  hörte,  war 
jezt  ein  Schauplaz  der  grauenvollesten  Verwü- 
stung, ein  Chaos  von  Schlacken  und  Trüm- 
mern, aus  dessen  Schlünden  noch  die  tief  uu' 
ten  glühende  Lava  hervordampfte,  und  auf  dex 
Oberiläclie  die  Sohlen  des  Wanderers  brante. 

Im  September  des  Jahres  1794  harn  auch 
der  Verfasser  dieser  Blatter  nack  R.om  ,  und 
hatte  die  Freude ,  nach  einer  sechsjiuiric;ci\ 
Trenntuig  dort  seinen  alten  Freund  am  Ziele 
seiner  Wünsche  wdedei  zufinden.  Dessen  Ge- 
stalt ^var  durch  Krankheit  etwas  hinia!li£;cr 
geworden ;  aber  er  war  noch  eben  so  lebhaf- 
ten ,  feurigen  Blickes  und  Geistes ,  dabei  hei- 
terer, zufriedener  und  auch  gesunder,  als  in 
jenen  Zeiten  der  Tiübsal.  Beide  Freunde  leb- 
ten nun  wieder  in  deiselben  innigen  Vertrau- 
lichkeit, wie  eliemals  in  Lübeck;  zuerst  in 
einer  Wohnung  beisammen,  nachher  getiennt, 
als  Carstens,  der  zu  seiner  Kunstausstellung 
einer  geraumigen  Werkstätte  bedurfte ,  in  das 
Haus  des  verstorbenen  Malers  Battoni  zog. 
Aber  auch  dort  hatte  der  Verfasser ,  der  das 
theoretische  Studiuiu  der  Hmiät  und  die  Spra- 


,5(5 

clie  und  Litcr<atur  Italiens  zum  Hauptzweck 
seines  Aufenthalts  in  Piom  maclite,  seinen  be- 
etäucligen  Aibeitstiscli  in  der  Wcilistntte  des 
Künstlers  ,  und  braclite  da  gewölinlicli  seinen 
Tag  zti.  Jeder  arbeitete  ungestört  für  sicli, 
und  in  diesem  tiigüclien  Bcisaninienlcbcn ,  das 
vier  Jalire  später  duicb  den  Tod  des  Künstlers 
«iiterbrochcn  wurde,  sali  der  Verfasser  alle 
folgenden  Aibeitcn  desselben  vor  seinen  Au- 
gen entstellen.  Aucli  ihre  gemeinschaftlichen 
Spaziei'gänge  \varen,  Avie  das  in  Rom  gcAvuhn- 
licli  ist,  Studium  und  Kuiistgenus.  An  Stoff 
zur  Unterhaltung  in  Stunden  der  Mufse  ge- 
brach es  nie;  v^^ic  könte  es  aucli  denen,  die 
sich  in  B-om  mit  der  Kunst  beschäftigen,  je 
daian  gebrechen?  Die  eigenen  Ideen, und  Er- 
findiuuren   des    Künstlers ,    die  Arbeiten   ande- 

o 

3er,  die  Eetrachtnug  alter  und  neuer  Weihe, 
die  dadurch  veranlassten  Beraerhungen,  JJr- 
theile  und  Gedanken  boten  ihn  reichlich  ge- 
nug dar.  Wie  interessant  und  lehrreich  ein 
solcher  Umgang  mit  taleiitvollen  Künstieru 
ist;  wie  glüchliche  Blicke  er  in  die  innere 
geheimnisvolle  Werkstatt  des  schaffenden  Ge- 
nius,  und  in  das  W*-sen  der  Kunst  gestattet; 
wie    wichtige    Aufschlüsse    er    dem    Foischer 


157 

giebt,  deren  TVis  dem  Künstler  gewülinlicli 
ein  Rätlisel  bleibt,  obgleiclx  er  selbst  diese 
Wirkungen  hervorbringt,  wird  jeder  wissen, 
der  mit  walnliaft  genialisclien  Künstlern  lang« 
in  älinlicben  Verlialtnissen  gelebt  bat. 

So  wMrd  es  auch  dem  Verfasser  möglicli, 
^^n  Gang  ,  ö.e\\  der  Künstler  in  seinem-  Ausbil- 
dung nalnn  ,  die  Fortschritte,  die  er  machte, 
die  Art,  wie  er  seine  Werhe  hervorbrachte, 
seine  Absicht  bei  jeder  i.rbe*it,  die  Zeiilolge 
derselben,  seine  Gedanken,  Bemerkungen  und 
Urtheile  ü.bcr  Kunst  imd  Kunstweike,  seine 
Wünsche  und  Ecstrebungen ,  aufs  genaueste 
kennen  zu  lernen.  Carstens  v/ar  überdies  voh 
so  natürlich  gerader,  offener  Gemüthsa:!t,  das» 
er  für  einen  Freund  kein  Gelieimnis  hatte, 
sondern  demselben  über  alles ,  auch  das ,  was 
ihn  selbst  anging,  seine  innersten  Gedankeii 
nnd  Gefühle  mittheiite.  In  der  That  hatte  er 
auch  keine  Neigungen  und  Vorsätze,  deren  er 
sich  hätte  vor  andern  schämen,  und  die  er  des- 
halb hätte  verhehlen  dürfen.  Hatte  er  ja  zu- 
vveilen  nüthig,  geheim  zil  handeln,  so  "war 
es  nur,  um  die  Erreichung  seines  iluustzwe- 
ckes  gegen  Kindernisse,  die  ungünstige  Ver- 
haltnisse   ilim    entgegen    stellten  ,      giücklicii 


^J8 

Jurclizusetzcn  ;    aber  ancli  dann  wurden  seine 
naliereu  Freunde  mit  ins  Vertrauen  gezogen. 

Carstens  liatte  die  Ausstellung  seiner  Ar- 
beiten auf  den  riüliliug  1796  aiigesezt.  Er 
hatte  W'ärend  dej"  verflossenen  z\Tei  Jaliie  eine 
Anzahl  Zeichnungen  verfertigt ,  und  arbeitete 
auch  noch  den  folgenden  Winter  hindurch 
Äeifsig  für  diesen  Zwech,  um  seine  Ausstel- 
Ijmg  so  mannigfaltig  und  bedeutend  als  mög- 
lich zu  machen.  Was  seinen  Aibeiten  an  ma- 
teriellen und  technischen  Vorzügen  einer 
liunstreichen  Ausführung  gebiach,  muste  er 
durch  Peeichthuni  an  Erfindung  und  Fülle  gei- 
stigen Gehalts  zu  eisetzen  suchen. 

Die  Zeit  dieser  Ausstellung,  von  deren 
günstigem  oder  ungünstigem  Erfolg  Carstens 
die  Entscheioung  seines  ferneren  Schihsales 
erwartete,  ham  endlich  heran.  Die  Aufnah- 
me, die  sie  im  Publikum  finden  würde,  sol- 
te  ihn  bestimmen,  ob  ei'  es  wagen  dürfe,  sei- 
ne Vcrbinduiigen  mit  Beilin  im  Notbfalle  zu 
:^erreifsen  und  in  Rom  zu  bleiben,  oder  ob  er 
der  Fessel,  die  ihn  zog,  folgen,  und  nach 
Berlin  zurüchhchren  müsse.. 

Einige  Monate  vor  derselben,  unterm  51. 
Januar  1795  meldete  er  dem  Minister,   dass  er 


159 

nunimBegiif  sei,  seine  Kimstausstellung  zu 
erüfnen;  dabei  suchte  er  noch  um  fernere  Yer- 
läng-erune:  seines  UjLiubes  imd  seiner  Gehalts-» 
zulasre  an,  um  verschiedene  noch  unvollende- 
te  Arbeiten  endigen  zu  können.  In  diesem 
Briefe  äufserte  er  sich  nun  auch  freier  über 
manches,  -svas  er  nach  seiner  Zurückhunft  in 
Berlin  erwarte,  und  was  er  über  die  Berlinf^r- 
akademie  ,  ihre  Einrichtung  und  Z-\vecke, 
sonst  auf  dem  Herzen  hatte.  Da  Carstens 
nichts  von  der  Kunst  verstand ,  seine  Gedan- 
ken in  glatte,  unmasteLüche  Worte  fu  klei- 
den ,  sondern  schriftlich  wie  mündlich  gerade 
heraus  sagte ,  was  und  wie  er  es  dachte ,  so 
konte  seine  Freinuahigkeit  dem  Minister,  Ak:y 
eine  solche  Sprache  nicht  zu  hoien  gcwohaf 
"WMr,  nicht  anders  als  höchst  anmaisend  und 
dünkelliaft  erscheinen;  und  er  erliielt  von 
demselben  eine  Antwort  voll  herber  Zurecht- 
weisungen ,  die ,  er  mochte  sie  nun  verdient 
haben  oder  nicht ,  auf  jeden  Fall  dazu  geeig- 
net waren ,  die  Auflösjing  des  schon  längst 
gelockerten  Verhältnissos  zwischen  beiden  zu 
beschleunigen. 

Der  Verfasser  kann  hier  blos  die  Antwort 
des    iNliuisters   mittheilen,     äa    sich    von   deua 


i6o 

%'orliiii  crwälintcn  Briefe  des  Künstlers,  auf 
W-elclien  jene  sich  Uezielit,  keine  Abschrift 
X'orgcfundenlia  t. 

„Hocliedclgcbolnner  und  sehr  geehrter 
Herr  P r  ofe ssor  I 

Auf  Euer  IlocliedeVcfeboiiruru  Sclireiben 
vom  5iten  vorigcu  Monats  habe  ich  Dero  nur 
unterm  2tcu  August  vorigen  Jahres  bereits 
ianoezeif^te  Juten  tion^  von  Ihren  aufrefer- 
tiirteu  Aibeiteu  uoit  eine  Ausstelhmg  zu  vtr- 
anstalten,  abermals  ersehen.  Es  thut  mir  leid, 
dass  Sie  j  bei  ilirem  beinahe  dD  evjührigen  Auf- 
enthalt in  Fiom  die  gute  Zeit^  \  oriibeigehcii 
Lassen,  ohne  Ihre  Arbeiten  zu  vollenden,  und 
dass  Sie  dazu  jezt  eine  Verliingeiung  Ihres 
Dortseyns  verlangen;  diese  Erlaubnis  kann 
ich  Ihnen  nicht  geben ;  w^enigstens  kann  der 
Zuschufs  ad  200  Rthlr.  jährlich,  v\de  es  Ihnen 
bereits  uuteim  cöten  Juny  vorigen  Jahies  er- 
öffnet worden,  nur  noch  bis  ulto  Jllay  die- 
ses Jahres   fortdauern. 

Was  Ihre  Überzeugung  anbetrift,  dass  des 
Königs  Majesiiit  eine  Gaileiie  von  Ihnen  mah- 
len lassen  werden;  so  niufs  ich  gestehen,  dass 
sie   mir  sehr   sonderbar    und    als    ein   Zeichen 

von 


Von  gi'orserElnbildiiilgvorliömt,  vrelcli«,  wie 
CS  mir  scheinet,  sehr  zugenommen  haben  nuifs, 
©bwohl  der  Anblick  so  vieler  Meisterstücke, 
wie  in  Fiom  beisammen  sind,  die  schöne;  Tu- 
gend der  Bescheidenheit  auszuüben  veranlas- 
sen sollte.  Bildergallerien  sind  übrigens  schon 
hier,  und  f<ir  Jedermann  zum  freyen  ZutritC 
eröffnet*  *} 

Über  den  Satz,  wenn  eine  Nation  erst  Sinn 
für  das  Schone  hat,  dies  Schöne  zum  natürli" 
chen  Bedürfnis  für  sie  werde,  bin  ich  mit 
Euer  Hochedelgebohrnen  einig;  was  aber  Ihr© 
Aufserung  betriff,  dass  es  Ihrer  mehreren  Aus- 
bildung an  Wiederantretung  Ihres  Postens  bei 
der    hiesigen    AKademie  nicht    bedurft    hätte» 


*)  Carstens  hatte  unter  G  alle  rin  ,  nach  dem  Be- 
yrif,  (Jen  dies  Wort  in  Rom  hat,  Bios  einen  Saal 
verstandin,  wie  z.  B.  der  vön  Annibal  Carracci 
ausgemalte  Saal  im  Palast  Famese,  welcher  auch 
Ict  G  etile'.- ia  ciei  Carracci  heisstj  Der  Mini- 
ster hingegen  nahm  das  Wort  in  der  Bedeutung, 
wie  man  es  nur  in  Deutschland  braucht,  und  glaub- 
te, Carstens  verlange,  der  Künig  solle  von  ihm  eU 
lie  ganze  Büdergallerie  malen  lassen  ,  welches  al- 
lerdings- §ine  abenteuerliche  Foderupg  geweseii 
wäre. 

11 


t'62 


tmd  dass  Sie  bei  Ilirer  Abreise  dazu  hinlängli- 
clie  Kentnisse  gehabt  haben ,  so  müssen  Si« 
mij-  vergönnen  ,  mein  Urtheil  hierauf  zurück- 
zuhalten, bis  ich  sprechende  Beweise  hierüber 
gesehen  und  in  Gemeinschaft  mit  Kennern 
j^eprüft  haben  werde.  Es  wird  alsdann  auf  ei- 
jje  nähere  ErMärung  erfolgen  *  ob  man  Ihnen 
die  Bezahlung  eines  Gehalts  c ontinui ren 
Kann,  oder  Ihnen  lieber  selbst  überlassen  will, 
iüx  Ihre  R.echnung  zu  malen. 

Von  Ihrer  Vorschnelliglieit  inBeurtheilung 
der  hiesigen  Akademie  und  deren  Befü- 
llungen nach  Gemeinnützigheit  werden  Sie  bei 
ihrer  Zurückhunft  vielleicht  etwas  nachlassen. 
Wenn  Sie  näher  erfahren  und  w^ahrnehmen, 
dass  Sie  wirklich  gemeinnütziger  geworden, 
ui^d  dass  man  einen  Unterschied  zwischen 
^Akad  emien  und  Kunstschulen  gemacht  hat ; 
^er  vermeintliche  Schaden  wird  daher  wohl 
iiicht  so  grofs  seynj  als  Sie  ihn,  von  Rom 
•aus,  sehen. 

Dass  man  Genie  unterstützen  müsse,  da- 
^nit  bin  ich  Ihrer  Meinung ,  und  das  wird  auch 
ferner  geschehen  ;  man  mufs  aber  dem  Urthei- 
ie  der  c  q  m-p eten ten  Richter  :  wer  ein  G  e - 
« i  e  sei  und  Talent  habe  ?    nicht  vorgreifen 


lös 

atiä    sich  nicht  aus   eigener  Macht    dazu   er- 
heben. 

Es  verbleibt  übrigens  dabei,  wie  es  bereits 
gesagt  worden  ,  dass  Ihre  Unterstützung  u  /  tö 
^ay  dieses  Jahres  auflioret  j  es  sei  dann,  das» 
man   über  Ihre  einzusendenden    Arbeiten   ein 
eben  so    vortheilhaf.es    Unheil    fällen    honte, 
ftls  Sie   es  sich   selbst  jetzt  schon  geben,     und 
iogar  von  Abwesenden  verlangen,     ohne  voll 
Ihren  Arbeiten    gezeigt  2u  haben.     .  Überdem 
Ilaben   Sie  ja  auch  Ihr  Versprechen,     ein  hiejr 
fehizzirtes   Stück  *)    dort  nach  Mustern  äuszu* 
fahren  i  nicht  erfüllt.     Der  ich  verbleibe 
Euer  Hochedelgebohrnen 
Berlin 
Ä.  23.  Tebr.  1795,  ergebener 

Trh.  V.  Heinitz»** 

tarstens  fühlte  sich  durch  diesen  Brief  be* 
Jeidigt  und  lies  ihn  unbeantwortet;  ein  Beweis* 
€a->s  der  Minister  ilin  mißverstanden  hatt«» 
Jn  der  That  niüste  er  auch  ein  höchst  eingebil* 
deter  anmafsender  Thor  gewesen  sein,  wenil 
sein  Brief  an   den   Minister  das  wirklich  ent* 


*)  Die  Zeichiamg  von  den  Ar^nmUm» 


1^4- 

halten  hätte,  Was  (lle?er  darin  fand.  Aber  lia» 
türliclie  und  konvenzionelle  ISlensclien  verste* 
hen  einander  selten;  -weil  jene  immer  gegen 
die  Form  verstofsen  ,  die  die-:en  meistens  wich- 
tiger als  die  Sache  ist.  Auch  hier  -waltete  ein 
solches  Misverstdudnis  ob.  Ein  Brief  des 
Künstlers»  wovon  sich  noch  der  Entwurf,  mit 
Bleistift  geschrieben,  imter  den  hinterlassenen 
Papiren  desselben  befindet,  der  nach  seiner 
Ausstellung  geschrieben ,  und  entweder  an  sei* 
jiert  Bruder  oder  sonst  an  einen  vertrauten 
Freund  in  Berlin  gerichtet  ist,  giebt  dar- 
über hinreichende  Auskunft.  Es  heilst  in 
demselben : 

„Was  dir  der  G.  R,  M.  wegen  meines  3ßriß- 

les  an  den  Minister  versichert  hat,  so  homr 
auf  die  Deutung,  die  man  einer  Sache  giebt, 
sehr  vieles  an.  Ich  habe  den  Minister  um  Ver- 
längerung meines  Hierseins  gebeten,  um  mei- 
ne übrigen  angefangenen  Arbeiten  zu  vollen- 
den ,  inid  mir  Studien  nach  Antiken  zu  zeich- 
nen, die  mir  für  dort  unentbehrlich  wären. 
Auch  habe  ich  gesagt,  dass  ich  inderllofnung 
zurückkäme,  dass  seine  Majestät  ein  grofses 
Werk  von  mir  würden  ausführen  lassen ,  wel- 
cheß  sich  auf  eijie  Äufserung  des  Ministers  gQ> 


1^6 

gen  mlcli  vov  meiner  Abreise  bezieht;  "v^rellich. 
dnfür  halte,  dass  öfFentUch  aufgestellte  Kumt;- 
weihe  das  einzige  Mittel  sind,  bei  einem Vol- 
lie  das  Gefühl  des  Schönen  zu  erregen  ;  und 
dass,  um  blos  meinen  eingeschränkten  Posten 
bei  der  Akademie  zu  versehen,  es  meiner  Aus- 
bildung nicht  bedurft  hätte;  dass  mir  die  Aka- 
demien übeiall,  wo  es  auf  Bildung  des  Ge- 
schmacks ankäme,  unzweclimäfsig  schienen ; 
und  dass  iie,.  auf  die  Weise  wie  alle  be- 
schaffen sind,  dem  Wiederaufblühen  der  Ifiün- 
ste  entgegen  seien;  dass  zu  uncern  Zeiten  die 
Akademien  mir  blos  als  eine  Befriedigung  der 
Eitelkeit  der  Regenten  vorkämen,  zu  dereu 
Hofstaat  fie  mit  gehörten,  die  alles  gethan  zu 
haben  glaubten  ,  wenn  sie  mit  vielen  Kosten 
Akademien  unterhielten,  und  dass  demunge-^ 
achtet  bei  öffentlichen  oder  grofsen  Werkeij 
nicht  gefragt  werde,  wer  der  be  sere  Küntler 
5ei,  sondern  wer  es  für  den  geringsten  Preis 
inache  ;  dass  man  wünschen  solte  ,  das?  diese 
Tirannei,  wodurch  das  Genie  schon  in  der 
Wiege  verkrüppelt,  imd  dem  Staate  eine  Men- 
ge nüzlicher  Bürger  entzogen  wird,  eiijmal 
ein  Ende  nehane  .und  in  Wahrheit,  Lieber, 
wenn  man  die  Menge  Akademien  in  Europa 
Äufiiälütj  solle  man  leicht  glauben,  dass  grofs^ 


Jiürtstlerkolonien  von  Nora  Zembla  bis  nacH 
4em  Voigebiige  der  guten  Hofnung  ausgesandt 
weiden  könten  ?  Als  man  keine  Akademien. 
Jiatte,  waren  grofse  Künstler  da,  die  von  den 
^Mächtigen  ilirey  Zeit  mi^  grof'en  Gelegenliei« 
Iren  ihr  Genie  anzuwenden  unteystuzt  wurden} 
da  hingegen  die  Akademien  gemacht  haben, 
dass  die  Kun^t  bis  zum  Vignettenklara  herab- 
gesunken ist.^  d?s§  man  das  Genie,  wo  es  sich 
ans  Tageslicht  heiToi gearbeitet ,  unterstützen 
solte;  dass  auf  diese  Weise  zwar  wenige  aber 
gute  Künstler  sein  würden,  die  durch  ihr© 
Werke  den  guten  Geschmack  mehr  beföidern 
Würden,  als  viele  schlechte;  und  dass  eine  sol- 
che Unterstützung  hülfsbedürftiger  Talente  ei- 
tlem Monarchen  eben  soviel  Ehre  bringe,  als 
tine  gewonnene  Schlacht,  —  Schau,  da  hast 
(^u  den  ganzen  Bettel J  Ich  weis  wohl,  dass 
die  er  Brief  unklug  scheint,  aber  ich  habe  di* 
Wahrheit  nach  meiner  Überzeugung  gesagt. 
Jezt  auch  einen  Auszug  aus  des  Mini  ters 
Schreiben :  Dass  Seine  Excellenz  sich  verwun- 
dern, dass  ich  nach  Verlauf  von  dreien  Jahren 
meine  Arbeiten  noch  nicht  vollendet  ^diesd 
3Zeit  ist  für  einen  Künstler  hier  kurz.  Hier 
wundert  man  sich,  dass  ich  in  so  kurzer  Zeit 
ioviti,    und  Arbeiten  von  diesem  Gehalt  ge- 


1^7 

inacht  habe);  äa?s  der  Zusclms  von  2oo  Tliä^ 
lern  hiemit  aufhöre ;  dass  sie  sich  sehr  w^un- 
derii  über  meine  grofse  Anmafsung^en,  und- 
dass  sie  dort  schon  mit  Gallerien  hinlänglicU 
▼ersehen  wären.  Dass  meine  einzublendenden 
Aibeiten  ausweisen  würden,  ob  ich  die  übri-» 
ge  Hälfte  meiner  Pension  nochfeniergcnief  en, 
oder  man  mich  für  meine  eigene  Rechnung 
werde  malen  lassen  (Ich  habe  mich  auch  so- 
gleich hieian  gehalten)  ;  mit  meiner  vor^chnel* 
len  Beurtheilung  der  Akademie  w^ürde  ich  bei 
meiner  Zurückkunft  eines  bessern  inne  wer* 
den  (HeiT,  ich  glaube,  hilf  meinem  Unglau« 
ben  I)  und  da  ;  ich  einen  Unterschied  zwischen, 
einer  Akademie  und  einer  Ruzist-.chule  machen 
»lüsse  (dieses  ist  denn  freilicli  ein  Anderes. 
Ich  habe  das  Ding  immer  für  eine  Akademie 
gehalten ;  es  sind  ja  so  viele  Rektoren  und 
Professorerl  und  obendrein  zwei  Direktoren 
dabei.  Ich  meinte,  dass  ihr  Zweck  sei,  die 
schönen  Künste  im  Lande  blühen  zu  machen. 
Handwerker  kann  ich  nicht  imtenichten;  ich 
bin  mit  iliren  Bedürfnissen  unbekant ,  und 
kann  nur  da.-  lehren  ,  was  ich  gelernt  habe). 
Ferner:  da^?  die  dortigen  kompetenten  Rich- 
ter darüber  urtheilen  w^erden,  ob  ich  ein  Ge- 
nie sei  (ich  habe  mich  ja  in  meinem  Briefe 


»icht  dafür  ausgegeben,  soncfern  vom  Genie 
ißberUaupt  gesproclien  ':  Dieses  ist  der  Inhalt 
des  Schreibens  vom  Minister,  —  Pemunge- 
aclitet,  -wenn  mir  Seine  Jlxcelleiiz  xneinGelialc 
kier  in  Rom  lassen  vv^ill ,  will  ich  gern  dafür 
von  meiner  Arbeit  hinüber  senden.  Für  die 
S50  Thaler  will  ich  alle  Jahr  eine  ausgeführte 
liistorirche  Zeichnung,  oder  alle  zwei  Jahre 
eine  Malerei  liefern ;  für  250  Thaler  kann  ich 
Iieine  Malerei  liefern;  die:e  hortet  viel  Zeit 
und  die  Runsthedürfnisse  sind  theuer  Oder 
wenn  man  mir  die  450  Thaler  liefse ,  weite  ich 
alle  Jahre  ein  Gemälde  dafür  einsenden.  Wenn 
du  es  für  gut  finde^t,  so  melde  dieses  an  den 
JVIinister,  denn  ich  kann  auf  seinen  Brief  nicht 
antworten.  Ich  verlange  dieses  auch  nicht 
eher,  bis  man  von  andern  das,  was  ich  ge-, 
schrieben,  bestätigt  gefunden  hat.  Ich  kann 
von  meinen  Arbeiten  jezt  nichts  aufs  Ungew^lsse 
hinüber  schicken,  weil  ich  hier  davon  leben 
inu'=.  Wenn  man  mich  ferner  unterstüzt,  so 
will  ich  auch  Arbeiten  dafür  liefern  ,  deun  füy 
nichts  verlange  ich  kein  Gehalt.  ^—  Du  must 
anir  die  Güte  des  Ministers  nicht  vorrücken. 
Ein  Mann  in  Lübek,  dem  ich  ganz  fremd  war, 
hat  dort  meine  Schulden  bezalt  und  mir  Reise-, 
geid  nach  Berlin  gegeben,  und  das  uncrif^eld-. 


i6^ 

lieh:  aus  seinem  Beutel,  aus  blofser  Liebe  zur 
l^unst.  Meine  Reise  nach  Rom  hätte  mij-  bei- 
nahe eii\  Auge  gekostet.  Lbcidem  ist  dir  be^- 
kant,  dass  ich  bei  einem  Ilare  doch  nicht  nacb 
B-om  gekommen  wäie.  Ich  habe  alle  Hocli* 
Achtung  für  den  Mi^ister ,  aber  ich  kanon  ihij 
so  wenig  Uebea ,  wie  er  irgend  einen  IVIen-. 
echeii  in  der  Welt  Lieber  kann»  und  unsere 
Verbindlichkeiten  gehen  gegen  einander  auf} 
ich  habe  s^ein^  G\i,te  iiicht  umsonst  genos? 
sen"  -f- 

Im  April  1795  eröfnete  Carstens  seine  Aus* 
Stellung,  und  lud  das  römische  Publicum  da- 
zu durch  eine  Anzeige  ein ,  die  eine  vou  dem 
Künstler  selbst  gemachte  Erklärung  seiner  Ar«« 
beiten  enthält ,  und  den  Verfasser  einer  nähe<v 
ren  Beschreibung  überhebt: 

„Nachsiehende  Kunstwerke  sind  im  Haus© 
des  verstorbenen  Pompeo  B.attonl  zur  c»ffeutU% 
chen  Beurtheiluug  ausgestellt: 

1)  Die  Üherfahrt ,  eiue  Malerei  in  Tempe» 
ra.  Me^ajysnteSy  ein  reicher  junger  Wpllüst* 
ling  (erzalt  Lucian  in  ein.em  Aufsätze  von  glei«« 
eher  Überschrift)  sträubte  sich,  in  der  Blütlie 
meiner  Jahre  zu  sterben;  aber  er  rauste  niij  an>« 


17« 

dem  Sterbliclien  dem  Todtenfiilirer  Merttir  in 
den     Ol  kus    foljjen.     Als   ciesei    beim    Aeakus 
ankam   und   seine  Tocitenliste  übergab ,    lelilte 
J^Iegajtentes.     Der  ist  mir  davon  gelaufen,  sag- 
te Merkur;  ich  eile  zurück,  ihn  wieder  einzu- 
holen     Merkur  i    der  Cyniker  Cyniskus,     und 
der  Schuster  Midi  liohlten  ihn    ein ,     als   et 
ebeTi  das  Licht  der  Oberwelt  eireirbte,  Lande» 
ihn   und    brachten  ihn  zur  Barke    des  CAcrott 
zurück,     Jezt   versprach  er  der  Parze,     Heka-» 
tomben  zu  opfern ,  wenn  sie  ihm  nur  auf  kur» 
^e  Zeit  wieder  zur  Oberwelt  zurückzukehren 
vergönnte.     Aber   die    Schiksalsgöttinnen   sin4 
unerbittlich  ,  und  der  Tod  kennt  kein  Ansehea 
der  Person.     Die   Parze  befahl  ihm  einzustei- 
gen und   Purpurmantel  und  Diadem   am  Ufer 
zurückzulassen.     Man  bemächtigte  sich  seiner, 
als  er  nicht  gutwillig  folgen  wolte ,     mit  Ge- 
walt,     und  der  Filosof  Cyniskus   band  ihn  nn 
den    Mastbaum.     Jezt   war  die  Barke  voll  und 
Charon   $ties  ab.       Der    Schuster  RlicUly     de* 
jioch  am  Ufer  stand,  rief,    man  solle  ihn  mit- 
nehmen,    indem  es  unbillig  sei,     einen  schon 
seit  gestern   Gestorbenen,     der   die  Welt  mit 
Fjreuden  verlassen  habe ,  so  lange  am  Ufer  war- 
ten ?u  lassen.     Charon  erw^iderte ,  der  Kahn  sei 
Voll,    ei  müsse  warten.      So  schwimm«  icli 


mnflber,  rersezte  der  Schuster,  und  stürzte 
«ich  in  den  Aclieron.  Klotho  befahl  ihn  so-* 
gleich  einzunehmen,  und  als  Charon  sichabei> 
mals  über  Mangel  an  Plaz  beschw^erte ,  lies 
ihn  die  Parze  sich  auf  den  Nacken  des  Tirannen. 
setzen.  Die  Fahrt  geht  von  statten  und  Klo-^ 
tho  übeiiieset  die  Todtenliste,  Das  übrige  ey- 
Jdärt  sich  von  selbst, 

Z)  Die  Parzen,  eine  Malerei  in  Tempera, 
Die  furchtbaren  Göttinnen ,  die  liber  alles  ge-- 
bieten,  sind  liier  an  den  Grenzen  der  Schö- 
pfung sitzend  und  das  Scluhsal  der  Sterbli- 
chen singend,  dargestellt.  Atrojjos  zerreisst 
den  Faden ;  und  hinter  ihnen  ist  für  den 
fclofsen  Verstand  nichts  als  undurchdringU'* 
cKes  Dunliel, 

3)  Zeit  und  Raum  ,  eine  Malerei  in  Tempe-» 
ya.  Eine  anschauliche  Darstellung  dieser  ab« 
ftrahten  Formen  der  Sinnlichkeit ;  in  ihnen  bc- 
linden  sich  alle  Erscheinungen.  Der  Raum 
iimfafst  das  Weltall ;  die  Zeit  ist  ewig  jung, 
nur  die  Dinge  in  ihr  verändern  sich, 

4)  Das  Gastmal  des  Plato ,  Malerei  in  Ac-i 
quarell.  Der  Inhalt  ist  folgender  :  Ein  junget 
Teicher  Athener ,  Namens  A^athon  >  der  iji  dex^ 


Trauerspielen  den  Preis  erlialten  hatte ,  ludsei- 
jie  Freunde  ,  den  Sokrates ,  den  Arzt  Eryxirha' 
chus,  den  Aristofanes  u.  a.  zu  einem  Gastmale. 
jilzihiades ,  welclien  Agathon,  seinen  Stolz 
sclieuqnd,  nicht  einf:^eladen  hatte,  kam-w^ärend 
des  Males  ungebeten.  Er  war  berauscht  und 
hatte  die  Stirne  mit  kühlenden  Kränzen  lim- 
wunden.  Die  Gäste  rückten  aus  einander, 
txnd  er  nahm  seinen  Plaz  an  der  Seite  des  So' 
lirates  i  den  er  nach  einer  vortreflichen  Rede 
bekränzte,  worin  er  sagte,  dass  von  allen 
Sterblichen  nur  Sokrates  dies  verdiene.  Ari- 
sto fanes ,  der  hinter  dem  Tische  sitzt,  betrach» 
tet  aufmerksam  den  Alzihiades. 

5)  Der  Parnas,  Malerei  in  Acquarell.  Die 
neun  ßlusen  umtanzen  die  Grazien  nach  der 
I^eier  des  A-poUo, 

6)  Die  Helden  im  Zelt  des  Achilles  vor  Tro- 
ja,  Malerei  in  Acquarell.  Der  Inhalt  ist  aus 
dem  neunten  Gesänge  der  Ilias  genommen, 
und  steUt  die  Gesandschaft  der  von  den  Tro" 
janern  bedrängten  Grichen  an  den  zürnenden 
Achill  vor.  Dieser  endet  so  eben  seine  Pvede 
voll  Unmuth  wider  den  Agamemnon.  Ajax 
ist  unwillig  über  den  unbiegsamen  Karakter 
des  Schill;    der  alte  Fönix  beweint  das  unvet' 


tneidllclie  Unglück,  der  Glichen;  Odysseus sizi 
niedergeschlagen  und  verlegen,  weil  seino 
Überredungskunst  fniclulos  gewesen  ist.  Audi 
die  Herolde  stehen  bekümmert ,  und  Patroklos 
sieht  gedankenvoll  auf  seinen  erzürnten  Freund 
hin. 

7)  Die  Argonauten  i  eine  Zeichnung  nach 
dem  Gedicht  gleiches  Namens,  das  dem  Or/iew-S 
suseschrieben  wird;  Als  die  Argonauten  auf 
ihrem  Zuge  nach  Kolchis  an  der  Küste  von 
JVIagnesia  vorbeifuhren,  schlug  Peleus ,  einer 
der  Helden,  seinen  Gefährten  vor,  den  dort 
wohnenden  Chiron  zu  besuchen  und  seinen 
kleinen  Achill  zu  sehen.  Die  Helden -landeten 
und  kamen  zur  Grotte  des  Chiron,  der  sie 
fieundlich  empfing  und  be',virtliete.  Sie  for- 
derten den  Chiron  und  Orjeus  zu  einem  Wett 
streit  im  Gesänge  auf.  Chiron  nahm  zuerst  die 
Leier  und  besang  der  Kentauren  herliche  Tilg- 
ten. Darauf  ergrif  der  Sohn  der  Kallio-pe  das 
Saitenspiel  und  sang  den  dunkeln  ,  erhabenen 
Hymnus  vom  alten  Chaos  ;  er  sang  den  Streit 
der  Elemente,  das  Geschlecht  derunsteibiichen 
Götter,  die  den  hohen  Olymp,  und  der  macht- 
losen Menschen,  die  in  Völkerschaften  zer- 
streut, den  Erdkreis  bewohnen.  Sein  Gesang 
zähmte  die   wilden  Thiere :     sie  kamen  in  di» 


174- 

Grotte  ,  liorcliten  und  scheuetcn  die  Menscliea 
iiicht  mehr.  Chiron ,  der  dies  gewahr  wird, 
zeigt  es  dem  Jason  Und  stampft  vor  Fieuden 
mit  dem  Hufe  den  Boden.  Man  sieht  hier  die 
v^ornehmsten  Helden  des  grauen  Alterthuins 
beisammen  >  den  Jason  ^  den  Herkules  mit  sei* 
jiem  Lieblinge  Hylas ,  die  beiden  Dioskure?i, 
die  beiden  Söhne  des  Boreas  mit  Fittichen  hin- 
ter den  Ohren ,  den  Peleus  mit  dem  jungen 
Achill  u.  a.  m» 

8)  Achill  und  Priam,  eine  Zeichnung.  Det 
Inhalt  ist  aus  dem  lezten  Gesänge  der  Illas  ge- 
nommen und  bekant  genug.  Nur  die  Gruppe 
im  Hintergrunde  i^t  nach  dem  Filostrat  hinzu- 
gefügt. Es  ist  Polyxejia,  die  vom  Merkur 
hereingeführt  wird.  Dieser  Autor  sagt,  dass 
die  Alten  die  Gew^ohnheit  liatteuj  sich  von  ih* 
3  em  jüngsten  Kinde  begleiten  zu  lassen »  und 
dass  Achill  bei  dieser  Gelegenheit  zum  ersten 
Male  die  Polyxena  sah. 

9)  D.ie  Gehurt  des  Lichts,  eine  Zeichnung. 
Nach  dem  Sanchoniaton ,  einem  alten  Fünizi- 
sclien  Autor.  Ftas  (die  Urhraft  der  Dinge) 
«eugte  mit  Neitha  (der  Nacht)  den  Fanes  (das 
J.icht).  Nachdem  das  Liclit  geboren  war, 
^ing  aus  dem  Atl\ejtn  des  Ftas  das  PVcltei  her* 


175 

vor,  'worin  der  Keim  zu  allen  Schöpfungen 
lag.  Es  wurde  durch  die  Wärme  des  Feuers 
ausgebrütet ;  Himmel  Und  Erde  entstandert 
und  alle  Dinge  entwicl^elten  sich.  Ftat 
zeigt  hier  dem  J/p~eltei  seine  Bahn  ins  Uner* 
melsliche. 

ao)  Ganjmed ,  eine  Zeiclmnng.  Sinnbild 
eines  in  der  Blfithe  seiner  Jahre  vom  Tode 
hin  weggerafften  Jünglings. 

ii)  Sokrates  im  Korbe;  nach  der  Komödie 
des  Jristofanes :  diepf'^oiken.  Er  dispiitirtniit 
dem  Bauer  Scre-psiades,  der  in  die  Schule  des 
Sokrates  gekommen  war,  lun  von  ihm  die 
Dialektik  zu   lernen."  — 

Wärend  der  Ausstellung  dieser  Kunstw-erke, 
die  gegen  zwei  Monate  lang  besucht  wurde, 
verfertigte  Carstens,  um  nicht  so  viele  Zeit 
müfsig  zu  verlieren,  eine  neue  Zeichnung, 
die  Nacht  mit  ihren  Kindern  ,  nach  der  Dich- 
tung des  Hesiodus ,  vorstellend.  Die  Naclits 
als  Mutter  der  übrigen  Gestalten,  ist  die 
Hauptfigur  der  Komposizion,  und  macht  für 
sicli  mit  den  in  ihrem  Schofse  ruhenden  Ge- 
hirn des  Schlafs  und  des  Todes  eine  herliche 
Gruppe.  Der  Künstler  hatte  die  Idee  dersel- 
ben srhon  fr 'her,  in  Moritzens  Götterlehre, 
Km  Kleinen   abtrebiidet.    Jlim  schwebte  dabei 


die  Besclu-eibuh^  ^es  Päufamas  Von  eineir  ^llin?» 
liehen  Abuilduiig  auf  dem  sogenanten  Kasten 
d-es  Cyvs€ius  vor*  wo  die  beiden  Genien 
xnit  den  Worten  karakterisiit  sind:  „dei* 
Tod  schien  nnr  zu  schlafen  ^  der  Schlaf  hin* 
gegen  schlief  wirhlich.'  Der  Ausdruck  die* 
fes  leinen  Unterschiedes  gelang  unserm  Künst- 
ler sehr  glücklich.  Der  Genius  des  Schla* 
fes  ruht  in  sich  selbst  tusarnmengesunken  im 
i&ewand«  der  Mutter,  in  der  wahren  Stellung; 
eines  schlafenden  Kindies ;  der  Tod  hingegen 
ist  stehend»  mit  der  gesenkten  Fackel  in  dei: 
Rechtens  sein  Haupt  in  den  Schoos  der  Mut* 
ler  lehnend,  gebildet,  und  so  der  scheinhars 
Schlaf  desselben  schön  und  treffend  bezeichnet. 
Der  Nacht  zur  Linken  sizt  Nemesis,  die  ernsto 
unbestechliche  Göttin  der  Wiedervergeltung, 
die  der  Künstler  imch  dem  Ausdruck  des  He- 
sioduB,  der  sie  „eine  GeiCsel  der  Sterblichen*« 
nennt,  mit  einer  Geifsel  in  der  Rechten  gebil- 
det hat.  Sie  karakterisirt  sich  demnächst  durch 
die  Linke,  mit  der  siis  das  Gewand  des  Busens 
auf  die  Art  hält,  wie  schon  die  Alten  sie  ab- 
fcubllden  pflegten.  Zunächst  hinter  beiden 
sizt  das  geheimnisvolle,  selbst  d&n  Göttern 
furchtbare  und  unvenn eidliche  Schiksal,  ganz 
tn  Gewand  gehüllet,    so  dass  wiaii  der  Gestalc 

ielbsf. 


177 


•selbst  niclits  erblikt.     Es   liält    ein    aufgesclila- 


gen 


es    Biicli,     aus    welclieni     die    Parzen    das 


Scliiksal  der  Sterblichen  singen.  — 


Das  Urtlieii  der  Kunstverständigen  über 
diese  in  ihrer  Art  merkwürdige  Ausstellung 
fiel  für  Carstens  so  günstig  und  elirenroli  aus, 
als  er  es  nur  erwarten  konte  ,  und  seine  Ab- 
sicht sich  in  R-oni  auf  eine  vortlieilhafte  Art 
bekant  zu  machen ,  die  ihn  hauptsachlich  zur 
Ausstellung  seiner  Arbeiten  bewogen  hatte, 
ward  dadurch  erreicht.  Das  Ungewöhnliche 
einer  Ausstellung,  worin  kein  Ölgemälde  ZrU 
sehen  war;  die  Neuheit  so  vieler  noch  nie 
behandelten  Gegenstünde;  der  in  unseru  Zei- 
ten ganz  ungewöhnliche  Stil  der  Koniposlzion 
und  Zeichnung,  der  die  Römer  durch  seine 
Ähnlichkeit  mit  dem  Stile  ihrer  alten  grofsen 
Meister  überi'aschte;  der  Reicliihura  an  origi- 
neller Erfindung,  der  sich  in  diesen  Darstel- 
lungen offenbarte,  eiTCgten ,  "wie  jede  uner- 
wartete und  fremdaitige  Erscheinung,  zuerst 
ein  verwundeindes  Aufsehen,  das  sich  bald, 
nach  öfterer  Ansicht,  in  allgemeinen  Beifall 
verwandelte. 

Besondere    Gunst  fanden  die  Carstcvischen 
Arbeitejii   bei   den_italieirischen  und  engländi- 
12 


178 

sehen  Künstlern  ,  wegen  des  ernsten  grofsen 
Sinnes  der  aus  ihnen  sprach.  Die  talentvolle- 
sten  unter  den  damals  aufstrebenden  Italienern, 
die  sich  seitdem  zu  wackeren  Künstlern  aus- 
gebildet haben,  Canioccini ,  Benvenuti  u^^A  dex 
Mailänder  Bossi ,  schäzten  ihn,  suchten  seine 
näheie  Behantschaft,  zogen  ihn  über  ihre  Ent- 
w^ürfe  zu  Rath,  und  ehren  noch  nach  seinem 
Tode  sein  Andenken.  Ganz  anders  benahmen 
sich  die  meisten  deutschen  Künstler,  beson- 
ders die  welche  damals  in  der  Zunft  das  gro- 
fse  Wort  führten,  bei  dieser  Gelegenheit  ge- 
gen ihn ;  sie  traten  auch  hier  als  seine  Gegner 
und  Verhleinerer  auf,  bespöttelten  seine  Aus- 
stellung, behrittelten  seine  Aibeiten,  und 
machten  sich  duich  diese -kleinliche  Rache  ih- 
rer gekiänkten  Eitelkeit  nur  lächerlich,  ohne 
dem  Künstler  zu  schaden.  Einige  machten  je- 
doch davon  eine  ehrenvolle  Ausnahme,  und 
der  talentvolleste  unter  diesen ,  pj'^ächter  von 
Stuttgard,  bezeigte  seine  Hochschätzung  ge- 
gen Carstens  dadurch,  dass  er  seine  in  Frank- 
reich angenommene  Manier  gänzlich  -wieder 
ablegte,  und  denselben  Weg  einschlug,  den 
er  Carstens  mit  so  glücklichem  Erfolg  wan- 
deln sah. 


i79 

Klüglicli  hatte  Carstens  kein  Olgemälae 
mit  ausgestellt.  Auf  diese  Weise  vermied  er 
jede  Vergleicliung  die  zu  seinem  Naclitheile 
ausschlagen  muste,  und  führte  zugleich  eine 
andere  herbei,  die  auf  jeden  Fall  Ehre  trach- 
te ,  und  wo  er  keinen  Nebenbuler  zu  fürchteil 
hatte.  Denn  da  man  Kunstw'-erke  und  Künst- 
ler sogern  vergleichungs\veisc  beurtheilt,  so 
hatte  er  nun  den  Vortheil,  nur  niit  Fiafanl 
und  IVIichelangelo  verglichen  zu  werden,  und 
soweit  er  dabei  auch  zuiückstehen  moclite, 
so  ^var  es  schon  rühmlich  für  ilm ,  dass  man 
überhaupt  seine  Arbeiten  zu  einer  solchen  Ver- 
gleichung  geeignet  fand.  Da  nun  diese  Ver- 
gleicliung überdies  so  günstig  für  ihn  ausfiel, 
dass  im  Publikum  nur  Eine  Stimme  war,  kein 
Neuerer  habe  mit  so  vielefii  Glük  die  Baha 
der  alten  Meister  wieder  betreten ,  so  konte 
er  in  der  That  keinen  besseien  Erfolg  von  sei- 
ner Ausstellung  wünschen.  Diesem  aber  wür- 
de er  gerade  entgegen  gewirkt  haben,  wenn 
er  eine  oder  mehreie  seiner  Komposizionen  in 
Ölfarben  ausgeführt  hätte  ;  dann  hätte  die  Ver* 
gleichung  eine  andere ,  auf  jeden  Fall  für  ihn 
nachtheilige  ,  Wendung  genommen.  Jeder 
Maler  und  Pinsler  hätte  des  Fiünstlers  Arbeic 
nur  mit  seiner    eigenen   verglichen,    und  di« 


übrigen  Vorzüge  derselben  überselieii.  Aber 
irerade  dadurcli,  dass  Carstens  in  einem  Felde 
auftrat,  das  jezt  niemand  bearbeitete,  gew^an 
rer,  dass  Künstler  selbst,  die  sonst  jedes  Mit- 
bewerbers Arbeiten  mit  unbarmlierziger  Stren- 
ge beuitbeilen  und  eifersüchtig  jeden  Fehl  dar- 
an erspähen,  ihm  willig  Gerech ligheit  wider- 
fahren liefsen.  Von  der  Nacliahniung  der  oh- 
Iten  .  Meister  war  derzeit  unter  den  Künstlern 
so  w^enig  die  Rede,  dass  mit  den  Gedanken 
/daran  auch  alle  Ansprüche  darauf  rerscliAvun- 
den  waren.  Der  Künstler  äusserte  sich  darü- 
ber selbst  in  einem  Briefe  an  eiiicn  Freund 
folgendergestalt :  „Der  Grund  v/ariun  ich  iiein 
Ölgemälde  zur  Aussteiluiig  gehabt  habe,  ist, 
•weil  es  hier  eine  Menge  Piiisler  giebt ,  die  zur- 
gleich  auch  grofse  Schreier  sind,  und  die  das 
ffanze  Verdienst  der  Kunst  nicht  im  Koloiit 
(^  denn  das  wäre  w^as  reelles  ),  sondern  im  me- 
chanischen Handwerh  setzen  ,  und  die  mir 
nicht  hätten  Geiechtigkeit  wiederfahren  lassen, 
weil  man  blos  dieses  und  nichts  anders  ah 
meinen  Arbeiten  w^ürde  beurtlieilt  haben ;  dar- 
um habe  ich  nur  in  Tempera  un*  Aquarell  ge- 
arbeitet, imi  diesen  Leuten  nicht  in  die  Queer 
»u  kommen/'  — 


18-1 

Der  Verfasser,  der  vielfältig  und  fast  tag- 
lich Gelegenheit  liatte,  den  Eindrnck  zu  be- 
obachten, -welchen  die  Carstensch.en  Arbeiten 
hervorbrachten,  und  die  Urtheile  der  Kenner 
aiud  Künstler,  die  mehrnial  zur  Betrachtung, 
derselben  zurückhehrten  ,  zu  vernehmen, 
sclirieb  eine  ausführliche  und  beurtheilende 
Anzeige  dieser  Kunstausstellung  für  Deutsch- 
land, in  welcher  er  tlieils  das  ürtheil  des  Pu- 
blikums ,  tlieils  seine  eigene  Überzeugung  mit- 
theilte, und  die  im  6ten  Stück  des  Deutschen 
ßlerkuis  für  1795  abgedruckt  ist.  Diese  An- 
zeige ward  ohne  des  Künstlers  iNIitwissen  ge- 
schrieben ;  ihr  Zvreck  war,  ihm  dadurch  viel- 
leicht in  Berlin  einen  Dienst  zu  leisten  ,  imd 
er  erfuhr  nicht  eher  etwas  davon,  als  in  dem 
Augenblicke  der  Absendiuig,  wo  der  Verfas- 
ser ihm  den  versiegelten  Brief  zeigte,  der  si« 
einschlos.  Zu  lesen  bekam  er  sie  erst  verschie- 
dene Monate  später,  als  das  erwähnte  Stück 
des  Merkurs  nach  K.om  kam,  vv'o  damals  die 
meisten  Deutschen  sich  zu  einer  Journalgesel- 
schaft  vereinigt  hatten,  deren  Besorgung  der 
Arzt  Doktor  Domeier,  im  Gefolge  des  Prin- 
zen Augusi  von  England,  übernommen  hatte. 
In  Fiom  ^var  diese  Anzeige  den  Gegnern  des 
Künstlers    ein  Dorn  im   Auge ;    da  ihnen  aber 


18^ 

^e  Feder  wenigei?  geläufig  war,  als  die  Zun- 
ge ,  so  konten  sie  nur  diese  dagegen  in  Bewe- 
gung setzen,  und  musten  darauf  Verzicht  lei- 
sten, ihre  feindselige  Gesinnung  gegen  Cav 
Stens  öffentlich  kund  zumachen,  bis  sie,  glük- 
liclier  Weise ,  obwohl  erst  zwei  Jahre  später, 
•WO  jene  Anzeige  längst  vergessen  war,  im  so- 
genauten  Maler  JVIüller  das  gewünschte  Organ 
fanden,  um  die  Schale  ihres  lächerlichen  Zor- 
nes über  den  Verfasser  sowohl,  als  über  den 
Künstler  auszugiefsen,  w^ie  weiter  unten  er- 
zält  werden  w^ird,  In  Berlin  that  die  Anzeige 
von  der  Car5tensc\\€.i\  Ausstellung  für  den  Au- 
genblick die  beabsichtigte  Wirkung,  obgleich 
sie  nicht  die  gewünschten  Folgen  hatte.  Der 
Künstler  erhielt  den  nachstehenden  Brief  vonr 
Minister  e'o/z  Heinitz,  dessen  fteundlicher,  ai*-» 
tiger  Ton  von  dem  harten  imd  bitteren  des 
lezten  Briefes  auffallend  absticht: 

Hochedelgeholirner  Herr, 
Vielgeehrter  Herr  P r ofe ssor  ! 

Mit  besonderem  Wohlgefallen  habe  ich  in 
dem  6ten  Stück  des  diesjährigen  neuen  Mer-. 
kuis  eine  vortheilhafte  Beurtheilung  derjeni-^ 
gen  Kunstsachen  gelesen,   welche  Euer  Hoch- 


1.83 

edelgebolinien  in  diesem  Jalire  in  Rom  ausge- 
stellt haben. 

Ich  stehe  nun  zwar  in  der  Er\vartung,  dass 
Ener  Ilochedelgebohrnen  nach  meinen  mehr- 
maligen AufFoderungen ,  diese  Saclien  nunmeh- 
TO  anch  zu  der  hiesigen  Ausstelinng  einsenden 
"werden,  und  ich  vermuthe ,  daas  sie  zu  dem 
Ende  schon  von  Pioni  aus  hieher  unterweges 
»ind. 

Solte  aber  diese  meine  Venniithung  unge- 
gründet seyn  ,  so  mufs  ich  bitten  ,  diese  Kunst- 
sachen gleich  nach  Empfang  dieses  Schreibens 
auf  das  Schleunigste  anhero  abgehen  zu  lassen, 
damit  solche  nocli  zu  rechter  Zeit,  gegen  die 
in  der  Mitte  des  Se-ptemhris  zu  eröffnende 
Ausstellung  allhier  eintreffen  hömirn. 

Die  diesjährige  Kunstausstellung  wird  be- 
sonders merhwürdig  seyn,  -weil  sich  die  va- 
terländisclien  Künstler  bestreben  -werden ,  sol- 
che durch  Weike  zu  verschönern ,  -welche  auf 
die  gemeinschaftliche  Fever  des  Königlichen 
Geburts  -  Tages  und.  des  nurcli  Seine  KönigUr 
che  Majestät  be-wirkteu  Friedens,  Bezug  ha- 
ben, und  ich  hoffe  daher,  dass  Seine  Königli- 
che Majestät  Höchstselbst  diese  Ausstellung 
mit  Dero  höchsten  Ge.c:enwart  bteliren  -vverden. 


'V  Dies  -wird  daliev  ziisrleicli  die  erwünsclite 
Gelegenheit  Seyn ,  die  in  obgedaditem  Jour- 
nal sclion  so  vortlieilliaft  beurtlieilten  Runst- 
saclien  Seiner  Künigliclien  Majestät  selbst  vor 
Augen  zu  stellen  und  Hoclistdieselben  mit  Euer 
Hocliedelgebolirnen  Talenten  und  Gescliicli- 
liclilieit  zu  ihrem  künftigen  Vortheil  näher  be- 
Kant  zu  machen. 

Ich  erwarte  also  mit  umgehender  Post  ei- 
ne" zuverlässige  [Nachricht ,  ob  und  wann  die 
mehrgedachteiiKunstsachen  entweder  von  dort 
schon  abgegangen  sind,  oder  des  nächsten 
noch  abgehen  sollen,  so  wie  ich  auch  nun- 
niehro  über  die  eigentliche  Zeit  Ihrer  Zurück- 
Jiunft  einer  bestimmten  Erklärung  entgegen 
sehe.  Am  liebsten  v\'ürdc  es  mir  seyn ,  Avenu 
Sie  mit  Ihren  Kunstsachen  zugleich  ^zu  Anfang 
S ej?  temh  r  is  allhier  eintreffen  könnten.  Der 
ich  hochaclitend  verbleibe 

Euer  Ilochedelgcbohrnen 


B  e  r  1  i  ü 
den  18.  July  1795, 


ergebenster 
Fr.    V.  Heinitz/ 


Carstens  konte  nach  dem  Empfange  dieses 
einladenden    Schreibens    nicht    wohl    umhin. 


einige  seiner  Arbeiten  zur  Ausstellung  nacli  Ber- 
lin zu  senden  ;  vielleicht  wirkten  sie  ihm  den 
langem  Aufenthalt  in  Korn  aus.  Indessen  zog 
sich  doch  die  ihm  Vv'irkiich  bestirnte  Frist  im- 
mer enger  zusammen  ;  ja  der  Minister  wünsch- 
te sogar,  dass  seine  Rückkunft  mit  den  einzu- 
sendenden Runstsaclien  zugleich  erfolge.  Er 
muste  sich  also  über  seinen  hingst  gefafsten 
Entschlus,  in  Rom  zu  bleiben,  bestimmt  er- 
üiren  ,  und  es  darauf  ankommen  lassen  ,  ob 
man  ihn  auch  dann  noch,  gegen  Einsendung 
jähi  lieh  dafür  zu  liefernder  Arbeiten ,  ferner  un- 
terstützen, oder  seinem  eigenen  Scliiksale  über- 
lassen wolls.  Die  günstige  Aufnahme  seiner 
Aussteliimg  in  R.om ,  die  Schätzung,  die  erda- 
clurch  unter  den  Kiinstlcrn  erworben,  die  Be- 
iantschaften  mit  reichen  Fremden,  und  der 
Absatz  einiger  Arbeiten  an  einige  derselben, 
hatten  seinen  Muth  nicht  wenig  gestallt, 
lind  Hessen  ihn  hoffen,  dass  seine  Kiuist  ihn, 
ohne  anderer  Unterstützung  zu  bedürfen,  in. 
Rom  ernähren  würde.  Er  beschlos  ilso ,  dem 
Minister  gerade  aus  zu  melden  ,  dass  er,  um 
ganz  seiner  Hunst  leben  und  in  seiner  Ausbil- 
dung immer  weiter  fortschreiten  zu  honnen, 
den  Entschlus  gefasst  habe,  niclit  nach  Berlin 
zuiückzukehien,  sondern  in  ilonr  zu  bleiben. 


i86 

JZugieicIi  sandte  er  cirei  seiner  vorzüglicliste» 
Arbeiten :  die  Überfahrt,  die  Helden  im  Zeit  des 
Schill  vor  Troja,  und  Achill  und  Priainus,  mit 
der  Post  nacli  Berlin  ab.  Da  auch  von  diesem 
Briefe  des  Künstless  sicli  keine  Absclirift  vor- 
gefunden hat ,  so  kann  man  das  Wesentliche 
seines  Inhalts  nur  aus  der  unten  folgenden  Ant- 
wort des  Ministers  ersehen, 

-  Die  abgesendeten  drei  Stücke  langten  zur 
gehörigen  Zeit  in  Berlin  an,  und  das  dortig© 
Publikum  sah  sie  in  der  Kunstausstellung  des- 
selben Jahres.  Dass  sie  sehr  gut  von  demsel- 
ben aufgenommen  worden,  bezeugt  das  unten 
mitsretheilte  Schreiben  des  Ministers  ;  lebhaf- 
ter  aber  drückt  es  ein  Brief  von  einem  seiner 
dortigen  Freunde  aus,  der  sich  unter  den  nach- 
gelassenen Pa|nc3en  des  Künstlers  vorfand, 
und  aus  dem  hier  einige  Stellen  angeführt  zu 
■Wrerden  verdienen : 

,, Deine  Bilder  haben,  —  lieisst  es  dort — 
den  Professionsneid  unserer  —  abgeiechnet, 
allgemein  soviel  Aufsehen  erregt,  dass  du  bei- 
nahe, imd  besonders  der  kraftvollen  männli- 
chen Figuren  halber,  bei  unseren  Schönen  die 
;mgebetete  Angelika  verdi'ängt  zu  haben  schei- 
nest.    Verachte  auch  diesen    Sieg  nicht,     auf 


187 

den  du  wolil  scKwerlicli  gerecliiiet  hattest;  e» 
kann  zu  Giöfserem  führen ,  wenn  du  es  nicht 
etwa  versclimähest,  unsere  kindisch  hleine 
Aftergröfse  zum  Gefühl  ilirer  Nichtigkeit  [za 
erheben,  und  uns  Geschmak  an  der  liohen 
Gymnastik  edlerer  Gladiatoren  in  der  Kunst 
beizubringen.  Du  hast  \venigstens  den  An- 
fang dazu  gemacht,  und  dem  sicheren  Eigen«» 
dunkel,  der  —  einen  so  gewaltigen  Stos  ver^ 
sezt,  dass  ich  im  Ernst  glaube,  es  sei  dir  mög- 
lich, niclit  nur  zu  unterm  Vortlieil  und  zum 
Gedeihen  der  Kunst  überhaupt,  sondern  auch 
zu  deinem  eigenen,  eine  w^ohlthätige  E.evolu- 
tion  zu  bewirken.  Aber  wenn  ich  die  Hof- 
nüng ,  dich  wiederzusehen,  nach  dem  Massta- 
be der  Wahrscheinlichkeit  berechne,  so  furche 
te  ich.  Du  mein  Asmus  wirst  nie  wieder-» 
'ionimen  ;  und  du  hast  recht,  —  aber  wir  sind 
zu  beklagen.'* 

j.Den  Eindruck  dir  zu  beschreiben,  den 
deine  Eilder  auf  mich  gemacht  haben  ,  würde 
ich  mich  lunsonst  bemühen.  Ich  sah  in  ihnen 
noch  mehr  als  deine  Bilder,  ich  sah  Dich 
selbst,  den  edelsten  Ausfius  deiner  Gedanken, 
den  Ausdruck  deiner  reinsten  Gefühle,  das 
Fiesultat  deines  Fleisses  seit  drei  Jahren;     ick 


glaubte  dich  nie  veniiisstzu'liaben;icli  hätte* 
dich  in  nieinena  Nachbar  umarmen  können, 
hätte  er  nur  das  Maul  gehalten." 

„Weisst  du,  was  mir  in  deinen  Bilderh 
am  meisten  gef.ällt?  Es  ist,  bei  der  Ruhe  der 
Scenen  selbst,  die  individuelle,  im  Stillen 
thätige  Selenhraft  harahteristiscli,  überall  im 
Gott,  im  Helden,  v/ie  in  der  Volhskarikatur 
wirken  zu  sehen.  Jeder  ist  so  unbekümmert 
über  sich,  so  ganz  einig  mit  sich,  dass  man 
fühlt:  dies  sind  v/ahre  Menschen,  und  der- 
Gedanke dringt  sich  nnwillkühalich  auf,  dass, 
wenn  es  für  den  Alexander  ein  Glück  gewesen, 
wäre ,  einen  Sänger  zu  finden .  w^ie  Homei",  es 
ein  ungleich  grüfseres  Glük  für  diesen  |  sein 
Tvürde,  endlich  eizien  Maler  zu  finden,  der 
■wie  Du,  mein  Asmus,  so  lein  ihn  fühlt ,  so 
erhaben  in  seiner  heroisclien  Einfachlieit  und 
Unbefangenheit  ihn  darstellt.  O  male  den  gan- 
zen unsterblichen  Homer  und  werde  selbst  un- 
sterblich! wenigstens  die  nicht  seltenen  ruhi- 
geren Scenen;  du  bist  dazu  geboren,  das  iiT- 
nige  Grosgefühl,  das  Homer  seinen  Göttern 
und  Helden  giebt,  das  überhaupt  dem  Alter- 
thum  eigen  ist,  gros  und  innig  nachzufühlen, 
auszufühlen  und  lebendig  darzustellen.*'  — 


•i89 

Nach  dem  kurzen  Sonnenbliclie,  den  die 
im  D.  Merkur  niitgetheilte  Ankündigung  der 
Carstenschen  Ausstellung  lierrorgelockt  hatte, 
brach  nun,  auf  die  entscheidende  Erklärung 
des  Künstlers  nicht  nacii  Berlin  zurückzukeh- 
ren, das  Gewitter  von  dort  her  desto  heftiger 
los.  Er  erhielt  einen  Brief  vom  Minister,  der 
nicht  niu'  den  Unwillen  desselben  aufs  leblxaf- 
teste  ausdrückte,  sondern  auch  den  Ersatz  dei* 
Wärend  seines  dreijährigen  Aufenthalts  in  Rom 
der  Akademie  gekosteten  Summe  von  dem 
Künstler  forderte.  Der  Zusammenhang  in  der 
Erzälung  dieses  in  dem  Leben  des  Kanstlerä 
so  w-ichtigen  Vorganges  macht  es  noihw  en- 
dig, auch  diesen  Brief  nebst  der  Antvrort  det 
Künstlers  >  von  ^velcher  sich  glüklicher  Wei- 
se eine  Abschrift  vorgefunden  hat,  lüer  mit- 
sutheilen.  Beider  Theile  Gründ^i  und  Gegen- 
gründe liegen  darin  vor  Augen ,  mid  -wenn 
der  Leser  die  verschiedenen  Standpunkte  des 
JMinisters  und  des  Künstlers ,  und  die  davon 
abhängigen  Ansichten  eines  jeden,  inr  Auge 
hat,  so  "wird  auch  er  den  Standpuriki.  und  &i& 
Ansicht  finden ,  .lus  welchen  aliein  dieser 
Zwist  richtig  beurtheilt  werden  karai ;  und  da 
mochte  sich  ^vohl  ergeben,  dass  jeder  an  sei- 
ner Steile  und  für   seinen  Zweck  nicht  wohl 


1Q& 

anders  als  so  handeln  lionte  nnd  durfte,  und 
dass  die  hier  obw^altende  Ungebühr  vielmehr 
in  der  MishälLigkeit  der  Veifassungen  unserer 
Zeit  mit  künstlerischen  Zwecken,  als  in  dem 
eigenen  Betragen  der  Handelnden  liege. 

Der  Brief  des  Ministers  lautet  folgender- 
niaafsen: 

Hocliedelgebolirner 
Hoclizuehrender  Herr  P r ofe s sor! 

Mit  Euer  Hochedelgebohrn  Schreiben  sine 
dato,  welches  den  5iten  August  allhier 
eingegangen  ist,  habe  ich  die  von  Denensel- 
ben  zu  der  diesjährigen  hiesigen  Kunstausstel- 
lung eingesandten  5  Stücke,  nämlich 

1.  Die  Überfahrt,     ein    Gemälde  in   Tem- 
pera. 

2.  Die  Helden  vor  Troja,    in  AcquareÜ. 

3.  Achill  und  Priaraus ,    eine  Zeichnung. 

(wovon  jedoch  das  iste  Stück  wiegen  schleck» 
ten  Einpackens  ziemlich  beschädigt  angekom- 
men) zu  recht  erhalten,  und  es  sind  diese  5 
Stücke,  nachdem  ich  das  Beschädigte  mit  al- 
lem Fieis  wieder  ausbessern  lassen,     mit  den 


andern  zur  Kunstausstellung  eingegangenen  Sa- 
chen vortlieilliaft  expoiiirt,  und  niclit  nur 
von  der  A  kad  emie ,  sondern  auch  von  dem 
gesamten  hiesigen  Puhlico  sehr  gut  aufge- 
nommen worden. 

Mit   Befremden   aber     ersehe   ich    zugleich 
aus  Ihrem  Schreiben,  dass  Sic 

1.  Die  kostenfreie  Zurüchsenduug  dieser  5 
Stücke,  falls  die  Akademie  solche  nicliB 
für  den  von  Ihnen  bestirnten  ansehnli- 
chen Preis  an  sich  behalten  will,  verlan- 
gen ;    und  dass  Sie 

2.  Statt  ihre,  gegen  die  Akademi  e  h.'.ben« 
de  Yerbindiichkeiten  zu  erfüllen,  denEnt- 
schlufs  gefafst  haben ,  es  lieber  darauf  an- 
kommen zu  lassen,  in  Rom  zu  bleibenj 
und  dort  für  ilire  Rechnung  zu  malen. 

Ich  gestehe  Ihnen  ganz  aufrichtig ,  dass  ich 
äiese  Äusserung  von  Ihnen  nicht  erwartet  hät- 
te. Ich  will  Ihnen  nicht  einmal  zu  Gemütlie 
führen ,  welchen  grofsen  Undank  Sie  dadurch 
gegen  das  Cur atorium  der  Akade  mi e  an 
-  den  Tag  legen  ,  welches  Sie  ,  als  einen  Auslan- 
der ,  des  schwachen  akademischen  Fonds 
©hneraclitet ,  vorzüglich  und  nach  äufsersteu 
Kräiten,     sowohl  hier  als  in  Rom  unterstüzt 


192 

hat,     sondern     ich    will    blos     dabei    stehen 

bleiben, 

dass  es  nirgends,  und  am  wenigsten  in  dem 
Preussi-;chen  Staat ,  Sitte  iit,  willlüihrlicK 
und  eigenmächtig  gegenseitige  Verbind- 
lichlieiten  aufzuheben. 

Sie  wui  den  nach  Ihrem  vielfiütigen  Verlan- 
gen zum  ordentlichen  Lehrer  bei  der  Akade- 
mie bestellt,  und  mit  einem  jährlichen  Ge- 
halt von  250  Tlialer  auf  den  von  des  Königs 
Majestät  höchst  Selbst  vollzogenen  Etat  der 
Akademie  gebracht. 

Hicnächst  vrurden  Sie  auf  Ihr  inständig- 
stes, oft  Aviederholtes  Ansuchen  gegen  Ihr  hei- 
liges Versprechen : 

der     Akademie     nach    Ihrer    erfolgten 
mehreren   Ausbildung   in   Fiom  desto    er- 
sprieslichere     und     nüzliche    Dienste     zu 
leisten 
Behufs  Ilires  Studirens  in  Rom  nicht  nur,  mit 
gänzlicher  Eeibehalluiig  Ihrer  Pr  oj  e  s  s  or  at- 
Besoldung   ad   2.^0   Thalcr  jährKch ,     von  den 
Obliegenheiten  Ihres    Lehramts  anfäiiglicli  auf 
2 ,  und  hernach  auf  3  Jahre  disfensirt,  son- 
dein  es  wurde  Ihnen  auch  auf  diese  5  Jalire  zu 
Ihrer   Unterstützung   und   zu   besserer  Fortse- 
tzung: 


393 

tÄung  Ilirer  Studien  in  ß  0  m  eine  jälirliclie 
Beiliülfe  von  200  Tlialeru  aus  der  Aka  d  e  mi- 
schen Casse  bewilligt,  ja  es  ^vurdeii  bogar, 
elie  Sie  von  liier  abreisetena  bei  Ihrer  dan-iali* 
^ea  gi-of:>en  Dürftigkeit  nnd  Veilegenlieit  Ilire 
Schulden  au5  der  ahad  e  mi  ^chen  Casse  mic 
aoo  Tlialern  bezahlt,  und  Sie  verpflichte* 
len  sich  '  dagegen  unterm  aßten  ]VI  a  y  1792 
schriftlich ! 

dass    Sie  diese    100  Tliäler  nach  Ihrer  Zu- 
aückkiinft,     in    effectu  baar    oder    tt?r- 
m  i  n  weise ,    von  Ihrem  Gehalt  wieder  zu-^* 
lückbezalen  vs^olten. 

Solchergestalt  haben  Sie  lediglich  in  der 
Erwartung,  dass  Sie  Ihr  mündliches  unA 
schriftliches  Versprechen  als  ein  ehrlicher  Mann 
pünktlich  erfüllen  würden,  in  dem  Zeitraum 
von  3 "Jahren  eine  für  die  Fonds  der  Aka» 
dem  ie  sehr  ansehnüxjhe  Geldsumme,  nem.lichf 
Srom  1,  Ju  n.  x"^?.  bis  ult.  IVIay  1795  450  Thl. 

—  —     1795 —     1794  450  -- 

—  —     1794 —     1795  450  — 

und  pro  i7|^|  annoch   —    —      112— i2gT. 

auch  bei    Ihrer  Abreise  im  Jahre 

1792  zu  Bezalung  Ihrer  Schulden:  100—       — » 


mitliin  überhau^  exhalten  J562-—  12-^ 
»3 


194 

Tragen  Sie  sich  mm  selbst,  wie  Sie  ^lese 
l^rofse  Wohlthaten  erliant  —  -welclie  nüzliche 
Dienste  Sie  in  diesem  ganzen  Zeitranm  der 
Akademie  für  jene  ansehnliche  Geldsumme 
geleistet  haben? 

Beinahe  ein  ganzes  Jahr  liefsen  Sie  verstrei- 
chen ,  ehe  Sie  einmal  von  Ihrer  Ankunft  in 
lß.om  wnd  von  Ihrer  dortigen  Existenz  et- 
was meldeten,  und  aaistatt  Iluer  Verbinulich- 
iieit  gemäs  von  Ihren  Arbeiten  etwas  einzusen- 
den lind  Aiishunft  über  die  zwechmäfsige  Ver* 
Wendung  Ihrer  Zeit  zu  geben,  schihten  Si« 
erst  im  Frühjahr  1795  *)  einen  Reisebericht 
ein,  der  viel  Worte  enthielt,  aber  m'eine  ge» 
spannte  Erwartung  wenig  befriedigte. 

Seit  diesem  Reisebericht  liefsen  Sie  wieder 
17  Monathe  **)  hingehen,  ohne  von  Sich  und 
Ton  Ihren  dortigen  Arbeiten  etW4S  hören  und 
sehen  zu  lassen. 

Ich  bezeugte  Ihnen  darüber  in  meinem. 
Schreiben  vom  26,  Juny  1794  meine  gerechte 
Verwunderung,  und  ohnerachtet  damals  schon 


•)  Solte  heissen  :    1794. 

**)  Solte  hetsf en :   7  Monate* 


^95 

der  Termin  Ihres  Urlaubs  ur\A  tier  Ilineniuu^ 
auf  2  Jahre  bewilligten  Uiiterstütziinc^  in  Rom 
zu  Ende  gegangen  war,  verlängerte  ich  docli, 
aus  Wohlwollen  für  Sie ,  Ihren  Urlaub  und 
die  Unterstützung  von  200  Thalern  noch  auf 
ein  Jahr,  nemlich  bis  zum  31.  JVI a  y  1795,  je- 
doch unter  der  ausdrücklichen  Bedingung: 

dass  Sie  wärend  dieser  Zeit  von  Ihren  Ar- 
beiten etwas  einsenden,  nach  Ablauf  jenes 
verlängerten  Termins  aber  wieder  zurück- 
kommen und,  Ihrer  Verbindlichkeit  ge- 
mäs ,  Ihr  hiesiges  akademisches  Lehr- 
amt wieder  antreten  sollten. 

Auch  diese  Bedingung  haben  Sie  weder  in 
dem  einen  noch  dem  andern  Punkt  erfüllt, 
sondern  nur  den  ersten,  als  ich  nicht  durch  Sie 
seihst,  sondern  durch  öffentliche  Blätter  von 
Iliren  in  üom  ausgestellten  KiiustNrerken  un- 
I  tferrichtet  wurde ,  schikten  Sie  mir  die  Ein- 
[  gangs  erwähnten  drei  Stilcke  auf  meine  an- 
derweitige Aufforderung  ein,  ob  Sie  mir 
gleich  unterm  £ten  August  1794  schriftlich 
versprochen  hatten, 

alle  Ihre  Arbeiten  mit  nach  Berlin  brin- 
gien  zu  wollen. 


als  welches  leztere  icli»  dieser  Zusage  gfmäfc-, 
und  iiacli  meiner  Ihnen  daaauf  eitheiltcii  Fie" 
Solution  vom  22ten  September  1794  noch 
immer  erwartet  hatte,  und  wodurch  die  yika» 
demie  die  ansehnliche  Summe  von  über  joo 
Thalern  hätte  ersparen  hönnsn.  Welche  sie  iixt 
den  Transp ort  dieser  3  Stücke  hat  bezaieii 
Biüssen. 

Nach  diesem  actenmUhigeti  Hergang,  deu 
ich  mit  Fleis  vorausgeschickt  habe,  um  Sie  zu 
dem  eigenen  Gefühl  Ihres  Unrechts  zu  brin- 
geii ,  mus  ich  Ihnen ,  mein  Herr !  deelari" 
ren,  wie  ich  ea  als  Staatshaushalter  der  vonSr. 
Königlichen  Majestät  mir  blos  zum  Wolil  des 
Staats  anvertrauten  Gelder  vor  Allerliüchstde- 
nenselben  und  vor  meinem  eigenen  Gewissen 
nicht  verantworten  kann,  eine  Summe  von 
1562  Thaler  ganz  umsonst ,  und  noch  d^zu  an 
einen  Ausländer,    wegzuschenken. 

Da  Sie,  mein  Herr,  die  Verbir.dlichkeiten, 
unter  welchen Ilmen  jene  Summe  bezalt wor- 
den, nicht  erfüllt  haben,  da  Sie  vielmehr  nach 
dem  Genus  dieser  Wohlthat  der  Akademie 
den  Dienst  aufkündigen;  so  nehme  ich  zwar 
diese  Aufkündigung  an,  und  entlasse  Sie  hie- 
niit  in  Sr.  Königlichen  Majestät  Nahmen  Ihre? 
bisherigen  nka  de  mischen  Lehramtes, 


igf 

'Df^egen  fordere  ich,  von  wegen  Sr.  Kö« 
rif;l.  Majestät,  die  indebite  genossene  1563 
Tlialer  von  Ilinen  liiemit  zurück ,  und  erwar- 
te binnen  drei  Monatlien  Ihre  bestirnte  Erhlä- 
annii ,  in  welcher  Art  Sie  die  Künigl.  Akade* 
mie-C  as  s  e  deshalb  befriedigen  wollen  ? 

Bis  dahin  werde  ich  Ihre  eingesandte  3 
Stücke  bei  der  Akademie  as  s  er  vi  ren  las* 
sen  ,  ur.d  Sie  können  darüler,  wenn  Sie  die 
Akademie- Casse  erst  befriedigt  haben,  dis* 
p  o  n  i  reu. 

Erfolgt  aber  diese  Befriedigung  nach  Ablauf 
des  gedachten  dreimonaihlichen  Termins 
nicliM  so  werde  ich  nicht  nur  diese  Stücke 
plus  l  ici  tanti  allhier  verkaufen  und  de» 
Ertrag  davon  auf  ihre  Schild  der  1225  Tha« 
1er  *)  abschreiben  lassen,  sondern  mir  ancl| 
vorbehalten  in  Ansehung  de7TVü«kstandes,  Si© 
auf  gesetzmäfsigen  X'S'egen  zl  dessen  ebenmäfsi* 
gen  Bezahlung  zu  belangen. 

Ich  verharre 

Euer  Hochedelgebohrnen 

Berlin 

ergebenstet 

d.  igten  Dec.  1795-  j-,.  ^^n  Heinitz. 


*^  Solte  dea  obigen  zu  folge  heissea  1562  Thalcr, 


198 

Carstens  füHlte  sicli  durcli  diesen  Brief  un* 
'würdig  behandelt;  ihm  wurde  Pflichtverges» 
eenheit  und  Wortbrüchigkeit  vorgeworfen, 
obwohl  er  sich  bewiist  war>  die  Pflicht  seiner 
Ausbildung ,  die  er  für  seine  erste  und  gröfst© 
hielt,  gewissenhaft  erfüllt  zu  haben.  Solte  er 
dafür  büssen,  dass  sie  mit  der  zweiten,  die  er 
blos  alsi  Mittel  zur  Erfüllung  der  ersten  ansah, 
unverträglich  ward?  Er  fühlte  die  Verbind- 
lichheit für  empfangene  Wolüthaten ;  aber  er 
fühlte  auch  die  Pflicht  der  Selbsterlialtung,  so- 
bald diese  Wohlthaten  sich  in  Fesseln  für  ihn 
verwandelten,  und  ihn  in  die  Leibeigenschaft 
einer  Kunstakademie  zu  werfen  drohten.  Am 
meisten  aber  enrpörte  ihn  dieFoderung  des  Er- 
satzes der  an  ihn  als  einen  Ausländer,  ohne  al* 
len  Nutzen  für  den  Staat,  ganz  umsonst  ge- 
wandten Jdirgelder,  und  im  Unterlassungsfal- 
le die  Drohung,  sich  dafür  an  seinen  Kunstsa- 
chen schadlos  zu  halten,  und  für  den  P^est 
ihn  gerichtlich  zu  belangen.  Er  honte  ein© 
solche  Foderung  nicht  mit  der  höniglichen 
Milde  und  Grosmuth  zusammenreimen,  die 
ihn  einer  Unterstützung  zur  Ausbildung  sei- 
nes Kunsttalents  würdig,  gefunden  hatte.  In 
dieser  Stimmung  jeines  gehränhten,  entrüste- 
Üii    Selbstgefühles    scluieb    er   djem     Minis- 


t9r  unfein»  2oten   Februar   1796  die  folgend» 
Antwort : 

,,Aus  Euer  Hochfreiherrlichen  Excellenz  zu- 
lezt  au  mich  ergangenem  Schreiben  vom  iQteii 
Decen>ber  vergangenen  Jahres ,  \vclches  mir 
IleiT  Rehberg  am  ß«  d.  M.  hat  zustellen  lassen, 
ersehe  ich,  dass  meine  Arbeiten  nicht  nur  von 
der  AKadeniie,  sondern  auch  von  dem  gesam- 
ten Publikum  sehr  gut  sind  aufgenommeu 
worden.  Ich  hätte  also ,  «lach  einem  Schrei- 
ben vom  2^.  Februar  1795,    wo  es  lautet: 

Es  wird  alsdann  (nemlich,  wenn  Hoch- 
dieselben in  Gemeinschaft  mit  Kennerit 
meine  Arbeiten  würden  geprüft  haben)  ei- 
ne nähere  Erklärung  erfolgen ,  ob  man  Ih- 
nen die  Bezalung  eines  Gehalts  kontinui- 
ren  kann,  oder  Ihnen  lieber  überlassen 
will,  für  Ilire  Rechnung  zu  malen. 

Am  Ende  desselben  Briefes  heifst  es  ferner: 

Es  verbleibt  übrigens  dabei,  wie  es' 
bereits  gesagt  worden,  dass  Ihre  Unter-' 
Stützung  ultimo  May  dieses  Jahres  auf- 
hört, es  sei  denn,  das3n>an  über  Ihre  ein- 
zusendenden Arbeiten  ein  eben  so  vortheil- 
haftes  Urtheil  fällen  honte,  als  Sie  es  sich 
Selbst  schon  gebe^i.'' 


Sio6 

Ich  hätte  also,  der  guten  Aufnnlime  meiner 
Arbeiten  gemäs,  statt  meiner  Entlassung  einft 
fernere  Pension  zu  erwarten  gehabt.  In  dem 
Schreiben  vom  ig.  Jul.  1795  lautet  es : 

Dies  wird  die  erwünschte  Gelegenheit 
seyn  ,  die  in  obgedachtem  Journal  schon 
so  vortheilhaft  beurtheilten  Kunstsacheit 
Seiner  Rönigl.  Majestät  Selbst  vor  Augen 
zu  stellen ,  und  Hochstdieselben  mit  Euer 
Hocliedelgebohrnen  Talenten  und  Geschik- 
lichkeit  zu  ihrem  künftigen  Vortheil  na^ 
Ker  bekant  zu  machen, 

Hievon  gescliieht  nicht  allein  das  Gegentheil, 
sondern  ich  werde  noch  dazu  auf  eine  höchst 
ungerechte  Weise  behandelt.  Mir  wird  sogar 
der  Vorwurf  gemacht,  der  Akademiecasse,  \ve- 
gen  des  Porto  für  meine  übersandten  Arbeiten, 
Kosten  verursacht  zu  haben,  obgleich  dies 
t,etztc  auf  den  eigeneh  Willen  Euer  Excellenz 
geschehen  ist,  indem  Hochdieselbenin  gedach- 
tem Briefe  sich  folgendergestalt  erklären  : 

Solte  aber  diese  meine  Vermuthung  (nem- 
lich  dass  meine  Arbeiten  schon  unterwe- 
ges  sein  möchten)  ungegründet  sein,  so 
muss  ich  bitten ,  diese  Kunstsaclien  gleich 
nach  Empfang  dieses    Sphteibens  auf  daa 


SeKleunlgste  anhero  abgehen  zu  lassen,  da- 
mit solche  nocli  zu  rechter  Zeit ,  gegen 
die  in  der  Mitte  des  Septembers  zu  eröi* 
nende  Ausstellung  allhier  eintreffen  kön- 
nen. 

Jeder  billige  Beurtheiler  mus  hieraus  erse^ 
ten,  dass  ich  nichts  anders  gethan  habe ,  ala 
■was  von  mir  verlangt  ist ;  dass  mir  also  jener 
Vorwurf  nicht  mit  Recht  gemacht  werden 
Jionte.  Überhaupt  sticht  der  glimpfliche  Ton 
dieses  Briefes  sehr  meihlich  von  dem  ab,  der 
in  den  andern  beiden  henscht,  welches  mich 
iuf  die  Vermuthung  führt,  dass  es  nur  darum 
zu  thun  gewesen  ist,  mir  meine  Arbeiten  auf 
eine  gute  Art  abzulochen,  und  mich  sodann, 
wie  jezt  geschieht,  meinem  Schiksal  zu  über- 
lassen. 

Es  -wird  mir  in  dem  lezten  Schreiben  Un» 
danhbarkeit  gegen  das  Quratoriuni  vorge- 
"Worfen.  Dieses  kann  ich  nur  von  Sr.  Excei- 
ienz  verstehen ,  weil  ich  bis  diese  Stund© 
nicht  weis,  ab  noch  sonst' jemand  dazu  ge- 
hört. Ich  mus  also  dagegen  erinnern,  dass  ich 
Höch  anderthalb  Jahre  hier  mit  kranken  Au- 
gen, als  Folge  meiner  dort  geleisteten  Dienste, 
liabe  stuvUieu  müssen.  .Der  Saal  im  Hause  des 


Heirn  MayscltaU  v.  Dorville,  den  icli  für 
Euer  Excellenz  gemalt  habe,  mag  für  mick 
reden.  Hier  haben  Hochdieselben ,  als  ich  di© 
erste  Figur  malte,  aus  eigenem  freien  Willen, 
mir  zur  Ausbildung  meines  Runsttalents,  ein» 
Reise  nach  Rom  versprochen,  welches  auck 
nach  Vollendung  dieser  ansehnlichen  Arbeit  in 
eben  diesem  Säle,  von  Allerhöchst  Seiner  Ma- 
jestät bewilliget  wurde.  Mein  Hieiseyn  bürgt 
für  die  Waiirheit.  Ich  habe  die  von  Seinei: 
Rönigl.  Majestät  zu  meiner  Ausbildung  mir 
geschenkte  Pension  nützlich  und  gewissenhaft 
angew^endet,  und  Euer  Excellenz  als  Staats» 
iaushalter  sind  dieserhalb  ausser  Verantwor- 
tung. ^Vas  mir  Seine  Majestät  geschenkt  ha- 
ben,  gleichviel  aus  welchem  Beutel,  kan» 
jnir  keiner  wieder  abfordern ;  und  was  habea 
meine  Kunstwerke  damit  zu  schaffen,  die, 
.nachdem  die  Akademie  die  Vortheile  der  Aus- 
■Stciiung  davon  eingezogen,  in  Beschlag  ge- 
.ftommon  werden? 

Was  den  schwachen  akademischen  Fonds 
betriff,  so  habe  ich  nie  die  Einnahiue  Uiid 
Ausgabe  eiiahien.  Dass  er  aber  anselmiich 
aeiu  mus,  beweisen  die  vielen  Subjekte,  liie 
4avoa  miteihaiten   werden.     Wenu  ü^uei  ij*- 


SOS 

•  ceUenz  es  mit  mehrcTen  yvle  mit  mir  machen» 
60  wird  sich  der  Fonds  vermehren. 

Da  von  gegenseitigen  Verbindlich"keiteii 
die  Rede  ist,  so  dienet  darauf  zur  Antwort: 
dass  ich  gegen  die  Akademie  nie  Verbindlich- 
keiten  gehabt  habe.  Ich  habe  für  eine  mittel« 
mäfsige  Besoldung,  unabhängig  vom  Direk- 
torium, guten  Untenicht  ertheilt.  Ich  bin 
nicht  einmal  Mitglied.  \Yenn  ich  Verbind- 
lichkeiten habe ,  so  sind  diese  gegen  Euer  Ex- 
cellenz, Aber  ich  habe  oben  schon  gezeigt. 
-weil  ich  aus  Gerechtigkeit  gegen  mich  selbst 
dazu  genöthigt  werde ,  wie  sich  diese  gegen- 
seitige Verbindlichkeit  aufliebt. 

Izt  folgt  in  dem  Briefe  von  Hochdencn» 
selben  eine  Unwahrheit,  oder  wenigstens  ein 
kthum.     Es  heifst : 

Sie  wurden,   nach  Ihrem  vielfältigen  Ver* 

langen,    zum  ordentlichen  Lehrer  bei  deif 

Akademie  bestellt. 

Wo  ist  nur  eine  Zeile  davon  aufzuweisen? 
im  Gegentheil  habe  ich  die  mir  zugeschikte 
Bestallung  zu  Euer  Excellenz  zurück  gebracht. 
Ich  wolte  diese  Stelle  nicht  anders  annehmen, 
als  unter  der  mir  vom  Herrn  Professor  Moritz 
Versprochenen  ünabhängigjieit  vom-  JJiitkt^^ 


riiun.  Euer  Excellenz  haben  mlcli  dahin  rer* 
mögt,  die  Bestallung  zurückzunelimen ,  indem 
Sie  mit  dem  H.  Professor  Moritz  sprechen,  nnd 
die  Sache  in  Ordnung  bringen  ^volLen ;  wel- 
ches auch  geschehen.  Dieses  heifst  doch  war» 
lieh  nicht  vielfältig  bitten. 

Ich  habe  nun  im  Nahmen  Seiner  Königli- 
chen Majestät  meine  Entlassung  eilialten,  und 
die  mir  zu  meiner  Ausbildung  (  als  ^voran  icl» 
niit  allem  Eifer  aibeite)  von  Seiner  Königl. 
Majestät  allei gnädigst  bewilligte  Pension,  hat 
diesem  gemäs ,  vom  igten  December  vergan- 
genen Jahres  an ,  aufgehört.  Es  sind  von  mir 
an  die  Akademiehasse  hundert  Thaler  zu  beza- 
len ,  die  sie  mir  zur  Bezalung  meiner  Scliul- 
den  geliehen,  imd  wofür  ich  meine  Hand- 
schrift ausgestellt  habe.  Nun  aber  komme» 
mir  noch  fiir  die  Monate  August,  September, 
Oktober,  November,  bis  den  igten  Deceniber 
als  dem  Tage  meiner  Entlassung,  von  der» 
von  Allerhöchst  Seiner  Majestät  mir  zu  mei- 
ner Ausbildung  geschenkten  Pension ,  noch 
aus  der  Akademiekasse  circa  jiinj  und  sieben- 
zig  Thaler^zu.  Diese  von  hundert  abgezogen, 
bleiben  jiinj  und  zwanzig ,  die  ich  nach  post- 
freiem    Wiedei empfang    jneiiier  Aibtiten   50» 


gleich  ai:sz.ililen  weide.     So  lange  dieses  niclit 

o-esclielieii ,  habe  icli  die  Sainn^e  von  dreihun- 
o 

dert  Zeclunen  baar  von  der  Bcrlinisclieu  Ah?.- 
dcmie  zu  fodein,  die  kein  Pteclit  an  meinen 
Arbeiten  hat,  also  dieselben  auch  weder  in  Be- 
schlag nehmen,  noch  veraukzioniren  kan. 
Ich  \%'ill  nicht ,  dass  sie  unter  diesen  billigen 
Preis  verkauft  w^erden,  und  solte  dieses  den- 
noch geschehen,  so  werde  ich  mich  (iffentlich 
darüber,  als  über  eine  Ungerechtigkeit  eines 
.öfFcntlichen  Coilegiums  g^egen  einen  Privat- 
mann ,    beschweren. 

Übrigens  mus  ich  Euer  Excellenz  sagen, 
üass  ich  nicht  der  Berliner  Akademie,  sondern 
der  Menschheit  angehöie ;  und  nie  ist  es  mir 
in  den  Sinn  gekommen,  auch  habe  ich  nie 
versprochen,  mich  für  eine  Pension,  die  man 
mir  auf  einige  Jahre  zur  Ausbildung  meines 
Talents  schenkte ,  auf  Zeitlebens  zum  Leibei- 
genen einer  Akademie  zu  verdingen.  Ich  ksn 
»nich  nur  hier,  unter  den  besten  Kunstwerken 
e  in  der  Welt  sind,  ausbilden,  luid  werde 
jiach  meinen  Kiaften  foi  tfahren,  mich  mit  mei« 
Iien  Arbeiten  vor  der  Welt  zu  rechtfertigen, 
I^asse  ich  doch  alle  dortigen  Vortheile  fahren, 
und  ziete  üinen  die  Airauth,    eine  ungewisse 


206 

Zuliunft,  tmd  vielleiclit  ein  kränMiches ,  liiilf- 
loses  Alter,  bei  meinem  sclion  jezt  scliwäclili- 
chen  Körper  vor,  um  meine  Pflicht  und  mei- 
nen Beruf  zur  Kunst  zu  erfüllen.  Mir  sind 
meine  Fälligkeiten  von  Gott  anverti-aut;  ich 
jnus  darüber  ein  gewissenhafter  Haushaltet 
sein,  damit,  wenn  es  heifst:  Thue  Rechnung 
von  deinem  Haushalten  \  ich  nicht  sagen  darf : 
Herr,  ich  habe  das  Pfund  so  du  mir  anver- 
trauet,  in  Berlin  vergraben. 

Da  ich  Euer  Excellenz  stets  als  einen  wahr- 
iieitliebenden  Mann  gekant  und  geschäzt  habe, 
so  habe  ich  auch  keinen  Anstand  genommen, 
die  Wahrheit  freimüthig  zu  schreiben,  und 
ich  werde  sie  auch  im  Nothfalle  öffentlich  be* 
kennen,  um  mich  vor  der  Welt  eben  so  zu 
rechtfertigen,  als  ich  vor  mir  selbst  gerecht- 
fertigt bin. 

Mit  tiefster  Ehrerbieturg  verharre 

Euer  hochfreiherrlichen  Excellenz 

ganz  ergebensÄV 
Carstens. 

Vielleiclit  war  die  Drohung  strenger  Mafs- 
yegeln  in  dem  lezten  Briefe  des  Ministers  ein 
tlofser  Versuch  gewesen,  den  Abtrünnigen  ili 


£07 

seine  Dienstpflicht  zuTücliznsclireclien;  viel- 
leicht ei kante  er  nach  des  Künstlers  Verthei- 
digung  die  Unbilligkeit  derselben  ,  wenig- 
stens die  Schwierigkeit  sie  in  Ansübnng  zu 
bringen;  wie  dem  sei,  der  Künstler  empfing 
ein  Antwortsclireiben  des  Ministeis  in  eint  m 
sein'  geniäfsigten  Tone,  woiin  diesei  seine 
Ansprüche  at.f  den  Künstler  zwar  nicht  aus- 
drücklich ziirücknalim ,  aber  doch  dmch  die 
Anerkennung  des  vorhin  ihm  streitig  gemach- 
ten Eigenthums  seiner  Gemälde,  den  Ungi'unfil 
derseioen  stillschweigend  eingestand. 

Dieses  Schreiben,  mit  dem  der  Briefv\'ech- 
Sel  beider  sich  endigte,  lautet  folgenderinafsen: 

Hocliedelgebohrner 

" '  Vielgechrter  Herr  F  r  ofe  ssor! 

Aus  Euer  Hochedelgebohrnen  Schreiben 
vom  £oten  v.  ?*I.  habe  ich  zwar  ersehen,  dass 
Dieselben  Ihre  indejt  enden  z  von  der  Akw 
de  Tille  zu  beweisen  gesucht,  und  Ihre  zur 
Ausstellung  eingesandten  Gemälde,  auch  das 
n'ch  angeblich  zu  fordern  habende  Gehalt 
reclam'irt  haben;  allein  ich  beziehe  mich 
lediglith  auf  das  an  Dieselben  unterm  igten 
D  e  G«mh  er  v.  J.  erlassen»    Schreiben ,    oi^j» 


£08 

mich    in    Ilire    weitläuMgen    D  eductio nen 

einzulassen,  und  bemerke  nur  noch  ,  Jass  Sie 
jiicht  nxxr  bis  ultimo  Mali  1795  Ihr  völli- 
ges Gehalt  und  Zuschus,  sondern  auch  noch 
iii  Rthlr.  12  gl.  an  Gehalt  pro  1795/6  ei hal- 
ten haben,  -welche  nach  Ihrer  eigenen  schrift- 
lichen Anweisung  untejm  i3ten  Januar  1796 
für  Ihre  Rechnung  an  den  hiesigen  Hof-Bau- 
rath  Itzig  gegen  dessen  Quitung  bezalt  wor« 
den,  an  welchen  Sic  Sich  also  zu  halten,  und 
ttbrigens  Ihre  Gemälde  allenfalls  zurück  zu 
schicken  erbötig  bin,  vrenn  Sie  das  ausgelegte 
Porto  restituiren,  und  solche  ebenfalls  auf 
Ihre  eigene  Kosten  zurück  veilangen ,  und  da- 
zu jemanden,  um  solche  in  Empfang  zu  neh- 
men,   covim  ittiren. 

Der  ich  hochachtend  bin 

Euet  Hochedelgebohinen 


Berlin 
den  sgten  Martii  1796. 


ergeben  stfer 
Fr,  V.  Heiniti^ 


Carstens  trieb,  nach  dieser  ihm  genüge  11- 
clen  Erklärung  des  Minister«  ,  die  Zuriickfode« 
lung  seines  Eigenthumes  nicht  weiter  ,  sonsc 
Würde  es  ihm  leicht  gew^se»  sein «  auch  die» 

nacii 


209 

nach  obigem  Eingeständiussc  sichtbar  unge- 
rechte ,  Ziiniathiing  der  Wiedeierstattuiig  des 
Porto  zu  er\veiseu ;  aber  er  hasste  den  Streit, 
^var  froh  jener  Veibiiidung  glüchlich  entledigt 
zu  sein  ,  und  lies  seine  Kunstsachen  fürs  erste 
noch  in  den  Handeu  der  Akademie,  hoffend, 
dass  vielleicht  in  Berlin  ein  Käufer  derselben 
sich  fände ,  in  welchem  Fall  er  gesonnen  Vvar, 
lieber  die  hundert  Thaler  daran  einzubüfsen, 
?.ls  eine  so  unangenehme  Streitsache,  wo  er 
jeden  Schritt  zu  seinem  Rechte  mit  Mühe  und 
Vn  drus  erringen  musie  ,  noch  weiter  fortzu- 
führen. 

So  \var  nun  das  Verhältnis  zwischen  un- 
serm  Künstler  und  der  berliner  Kunstahauvuiie 
völlig  aufgehoben.  Sein  Z\veck,  unabhängig 
von  allen  liindernden  Beschiänhungen  in  Rom 
ganz  seiner  Kunst  zu  leben,  v.Mr  erreicht.  Er 
veitrauie  seinen  Kräften  mit  Muth  ,  arbeitete 
fleissig  mit  der  ihm  gew^ohnlichen  Heiterkeit 
und  Zufriedenheit  des  Gemüths ;  und  da,  der 
liereinbrechenden  Kriegsunruhen  ungeachtet, 
Ftom  doch  noch  immer  von  Fremden  besucht 
•wurde,  unter  denen  seine  Arbeiten  Lit^bhaber 
und  Käufer  fanden ,  so  konte  er  damals  we- 
nigstens der  Zukunft  unbekümmert  entgegen 
sehen.  Schon  wärend  seiner  Ausstellung  kauf- 
14 


210 

te  Lord  Bristol  das  Gastmal  des  Plato  und  die 
Parzen  von  iliin ,  und  trug  ihni  die  Ausfüh- 
rung des  Ganimed  in  Ölfarben  auf.  Die  Zeich- 
nung des  Sokrates  im  Koihe ,  die  der  Künstler 
noch  einmal  machte,  erhielt  etwas  später  der 
Graf  von  Reventlau  aus  Holstein,  und  die 
Nacht  mit  ihren  Kindern  führte  der  Künstler 
im  folgenden  Jahre  für  den  Baron  f  o/z  Knutk 
aus  Danemark  in  Ölfarben  aus. 

Ausser  den  bereits  angeführten,  verfertig- 
te der  Künstler  wärend  des  Jahres  1795  iioeh 
nachstehende  Komposizionen : 

Die  Zurückhringung  des  entflohenen  JVIega- 
■pentes.  Ein  früherer  Moment  aus  der  Lu- 
zianischen  Erzälung  die  Uhej-faJirt ,  ali  Go 
genstüch  zu  dem  bereits  erwähnten  Bikle 
dieses  Namens  ;  acquarellirte  Zeichnung. 

Bacchus  der  den  Amor  -  aus  seiner  Schale 
tränkt ;  Carton  mit  Figuren  in  Lebens- 
grosse nach  einer  früher  entworfenen  Idee, 
.  den    der  Künstler    nachher   gleichfalls   für 

-  den  Dänischen  Baron  von  Knuth  in  Ölfar- 
ben ausführte. 

Her  Kam-pf  Jupiters  mit  den  Titanen;  acqua- 
rellirte Zeichnung,  die  ein  Hr.  Hess  aus 
Zürch  von  dem  Künstler  häuft«. 


Das  Orakel  des  Amfiaraos  ^  tlieils  nach  Fi- 
lostrat ,  tlieils  nach  des  Riiiistleis  eigener 
Idee  ;  Zeiclinung  in  schwarzer  und  wel- 
fser  Kreide. 

Die  Lapithen  oder  das  Gastmal ,  nach  einem 
Luzianischen  Aufsatze  gleiches  Namens; 
acquarelli]  te  Zeichnung. 

Helena ,  Priam  und  die  AUesten  auf  dem 
Skiiischen  T  or.  ,  nach  Homer;  acquarel- 
lirte  Zeichnung. 

und  im  Jahre  1796 : 

Fingais  Kampf  mit  dem  Geiste  von  Jiodai 
Acquarelgemälde  nacli  Ossian,  das  der 
Künstler  späterhin  für  die  hunstliebende 
Dichterin  Friederike  Brun  aus  Kopenhaf^cn 
in  Ölfarben  ausführte.  Das  Acquarelge- 
mälde kaufte  nach  des  Künstlers  Tode  der 
Dohtor  Ekmann  aus  Gothenburg. 

Persei:*  und  Andromeda  unter  den  Aetiopen, 
nach  Filostrat ;    Umris. 

Dante'' s  Hölle  ^  Scene  aus  dem  fünften  Gesän- 
ge derselben,  wo  dei- Dichter  die  beiden 
Liebenden  Francesca  und  Paolo  zu  sick 
lieranwinhi ;    Umris. 


-  Homer  singt  seine  Lieder  vor  einer  Volksver- 
saminlung  ah;  Zeiclinung  in  Rütliel ,  für 
einen  Engländer  Namens  Hillcry. 

Odlpus  in  Colon  mit  seinen  beiden  Töclitern 
im  Hain  der  Eiimenide-n,  von  Theseus  be- 
^vill^omnlt,  nach  So-phokles;  Zeichnung 
iu  schwarzer  Kreide. 

Die  HexcnluLclie  nach  GötJie's  Faust ;    Umris. 

Jasons  jiiikunjt  in  Jcikos ,  nach  Pindar : 
Umris. 

Dies  ^var  das  lezte  gesiuide  Jahr  des  Künst- 
lers ,  \Y9  er,  ohne  bedeutende  Siöriuigen  von 
seinem  schwächlichen  Gesundheitszustände  zu 
erleiden,  seine  Kunst  mit  gt-wohntem  Eifer 
üben  honte;  ja  er  fühlte  sich  noch  starh  ge- 
nug einige  kleine  Lusti^eisen  zu  Fus  in  die  um- 
liegenden Gegenden  nacli  Fraskatii  Alhano 
und  Tivoli  zu  machen ,  auf  welchen  der  Ver- 
fasser ihn  gewohnlich  begleitete,  und  wo  der 
Künstlt?j'  seinen  GcibL  dmch  den  Genus  der 
schonen  Natur  in  den  imermesiichen  -Aussich- 
ten des  Albanerberges  und  .den  Zaubergi-otien. 
des  Anio ,  so  wie  seinen  Körper  durch  die  bal- 
samischen Weine  von  Alhano,  JVIarino  und 
Monte  Ciuve   crquichic.      Gern  machte  er 


einen  solchen  AusPaig  nach  der  YollenJunq 
einer  Arbeit,  tUe  ihn  eine  Zeitlang  ernstlich 
und  anhakcaJ  beschäftigt  hatte,  und  wo  et 
dann  einiger  Mufse  und  Zersn-eunng  bednrrte, 
lim  die  Werlvstatt  seines  Geistes  wieder  auszn- 
Ififten  tmd  einem  neuen  Bilde  Plaz  zu  machen. 
Aber  auch  in  solclicn  Zwischenzeiten  war  er 
nie  müfsig;  denn  nicht  lluhe,  nur  Abwechse- 
lung der  Beschäftigung  fodcrt  der  abgespannte 
Geist.  Er  gJng  dann  .umher;  sah  lumstw^er- 
he ;  beobaclitete  und  studiite  die  N;".tur  ini  Le- 
ben mit  hüu stierisch  cm  Bliche  ;  las  ;  fasste 
neue  Ideen,  oder  bildete  bereits  gefasste  wei- 
ter aus,  brachte  andere  zur  völligen  Fteife ,  so 
dass  er  sie  nur  aufs  Papier  T/ericn  durfte.  So 
schuf  er  dann  seine  besten  und  reichsicn  Kom- 
posizionen  dem  Scheine  nach  auf  den  ersten 
Wurf;  aber  sie  v\  aren  darum  nichts  weniger 
als  Erzeugnisse  des  Augenblichs.  Er  trug  man- 
che deiselben  INIonate,  sogar  Jahre  lang  in 
sich;  tiberdachte,  ei-wog,  ordnete  daran  ;  lies 
sie  so  wieder  über  andern  Beschäftigungen  ei- 
ne Zeitlang  itrhen ;  rief  sie  dann  anfs  neue 
jicrvor,  durciiuachte,  veihcsscrte,  bestimmte 
Charaktere,  Aitsdruck,  Farben  etc.,  bis  er  sie 
in  allsn  Theilen  zur  gehörigen  Klarheit  und 
P>.eifeaussrebildet  hatte.,  und  das  Ganze  endlich 


rji4  .  ' 

$0  bestimmt  und  deutlicli  vor  seinem  inneren 
Bliclie  da  stand,  dass  er  es,  %vie  der  Dicliter 
8^in  im  Hopfe  fertig  gediciitetes  Weik,  aufs 
Papier  hinwerfen  lionte,  ohne  etwas  am  We- 
sentlichen nachzuändein.  Und  da  er  sich  durch 
lange  und  vielfältige  IJbung  auch  die  dazu 
jiöthige  Fertigheit  und  Sicherheit  im  Aufzeich- 
jien  erworben  hatte,  so  fühlte  er  die  meisten 
seiner  Komposizionen  hernach  über  dem  er- 
sten Entwürfe  aus.  Was  er  nicht  auf  solche 
Weise  vorher  im  Kopfe  völlig  ausgeaibeiiet 
hatte,  gelang  ihm  selten  zu  Dank;  ja  einige- 
mal veileidete  er  sich  eine  Idee  blos  daduich, 
dass  er  sie  früher  entwerfen  wolte ,  als  sie 
ihm  zui-  Tülligen  Klarheit  gediehen  war  Die- 
ses zu  grofser  Fertigkeit  ausgebildete  Vermö- 
gen, seine  Eihndungen  ganz  in  der  Einbil- 
dungskraft zu  vollenden,  gab  seinen  Komposi- 
tionen den  Charakter  achtei-,  aus  ihrem  Keim 
organisch  entwickelter  Kunstschöpfungen ;  es 
gab  ihnen  jene  Klajhcit  des  Ausdi ucks ,  jene 
Einheit  der  Daistellung  ,  die  sich  durch  keine 
Jiomponii'methode  eikünsteln  lässt,  und  sich 
bis  auf  jede  einzelne  Gestalt  erstreckte ;  so  dass 
es  schwer  sein  möchte,  in  der  i\Ienge  seiner 
Komposizionen  eine  .charakteilose  ,  oder  mit 
sicii  selbst  nicht  einige  Figur  zu  finden. 


«i5 

Man   sieht    liicrans ,     dass    Carstens  nichts 
•weniger   als  ein   Improvisatore  oder  Skiz- 
zist  in   seiner  Kunst   war,      \vie   es    deren    so 
manche   giebt,    deren   brausende  Fantasie   nur 
im    Taumel    der   Begeisterung  schaffen,     aber 
nichts   Gereiftes  vollenden  kann  ;    oder  die  das 
Komponiren    und    Figurenzeichnen    zu    einem 
solchen    Giade     mechanischer    Fertigkeit    ge- 
bracht haben,    dass  sie   von  jedem   aufgegebe- 
nen Gegenstande  aus  dem  Stegi^eife  ein  Bild  zu 
cnfvverfen   vermögen.      Allerdings  ein  be\vun- 
dernsw^ürdiges  Talent,  das  nicht  blos  cen  Un- 
erfahrnen blendet,    sondern  auch  dem  Henner 
Beifall  entlockt;    das  aber  nacli  dem  Mafsstabe 
ächten  Kunstverdienstes  gewürdigt,    nur  einer 
geringen   Schätzung    werth   ist.      Denn   solche 
Stegereifsarbeiten,    selbst  die  besten,  sind  und 
können  der  Natur  der  Sache  gern  äs  nicht  mehr 
sein,     als    glücklicli    verbundene    Pvcminiscen- 
zen  einer  sclinell  reproduzirendeii  Einbiluungs- 
kraft,  mit  freier,    technisch  geübter  Hand  ent- 
worfen,    wie    die   Blätter    des  berülmiten   La 
Tage,     des    Florentiners    Sabatßlli  ,     und    des 
Engländers  Flaxman;  \Yunder  des  Augenblicks, 
die    zwar  ihre   Urheber  berühm^t  gemaclit  Ha- 
ben,   aber    bei   nälterer  Prüfuns:  mit  kunstver- 
«tindigeiu    Sinne    nach   Zwecken    der   Kunst, 


öi6      , 

wesenlosen     Träumen   gleich    in   Nichts   ver- 
dunsten. 

Unserm  Künstler  war  es  unmöglich  ein 
leeres  Maschinenwerh  \on  Menschenfiguren 
ohne  Sinn  und  Bedeutung  aufzuzeichnen;  und 
er  hatte  einen  entschiedenen  Widerwillen  ge- 
gen Werhe  solcher  Art,  soviel  Kunst,  Ge- 
schiklichheit  und  Fleis  daran  auch  verschwen- 
det sein  mochte.  Er  schäzre  darum  auch  jenes 
Improvisorentalent,  das  manchen  Künstlern 
ohne  Erfindungsgabe  so  bewunderns  -  und  be- 
neidens würdig  vorkomt,  gar  nicht ;  vielmehr 
hielt  er  dafür,  es  sei  mit  Gründlichheit,  Tie- 
fe und  Bedeutsamheit  unverträglich. 

Wenn  Carstens  desungeachtet,  in  der  frü- 
heren Periode  seinei-  Seibstbildung  die  Blätter 
des  La  Tage  sehr  hoch  sc'«.äzte  und  fleis.igstu- 
dirte ,  so  geschah  dies,  \veil  die  vorzügliche- 
ren derselben  -wirldich  mit  maleiischcm  Sinne 
entworfen  sind ,  und  -weil  bei  vielem  wilden 
Feuer  de/  Fantasie  zucleich  eine  gründlichere , 
Kentnis  des*  niensclilichcn  Körpeis  aus  ihnen 
hervorblicht.  Er  honte  also  damals  noch  vie- 
le5  aus  ihnen  lejnen. 

Die  Entwfirfe  unseres  Künstlejs  unt-er- 
scheiden  sich  von   den  Entwürfen  geistvoller 


217 

sowohl  als  Llos  mechaniscliersldzzirten,  auch 
dadurcli,  dass  in  ihnen,  so  wie  in  den  Ent- 
'würfen  der  älteren  Künstler ,  dio  gewöhnlich 
auch  mit  der  Absicht,  sie  auszuführen ,  erfun- 
den sind,  nichts  blos  mechanisch  hingeschrie- 
ben, sondern  jode  Liiüe  darin  von  des  Künst- 
lers Gefühl  und  von  der  lebendigen  Vorstel- 
lung des  Gegeustandes  beseelt  ist;  und  dass 
sie,  bei  gänzliclicm  Mangel  an  jener  mechani* 
sehen  Schreibehunst  den  Geist  wirldich  habeua 
den  dic-rC  curcli  eine  freie  und  sichere  Hanti 
blos  affehdrt. 

Die   Arbeiten   des  Künstlers    im  folgenden 
Jahre   1797  wai  cn  : 

Eteokle^y  der  in  den  Kajn-nf  eilt  3  nach  des 
AschrJus  Sieben  vor  Theben;  Acquarel- 
gem.^:de. 

Die  Fuizaiy  ver-inderte  Wiecerhohmg  der 
schon  flüher  einmal  ausgeführten  Ideedcr- 
selber  in  Acquarel;  wurde  nach  des  Künst- 
lers Tode  von  dem  D.  Ilkruann  aus  Go- 
thenburg  gekauft. 

Scene  aus  dem  Trauerspiel  in  Yorkshire  von 
Shahspeare;  ümris. 


218 

OedijJus  entdekt,  dass  er  mit  seiner  Mut' 
ter  in  frevelhafter  Ehe  lebt ,  nach  dem  So- 
phokles; Zeicliiuuig  in  schwarzer  und 
\veirser  Kreide. 

7  ier  und  zwanzig  Darstellungen  aus  der  Ge- 
schichte  de:  Argonautenzuges  nach  Pindar, 
Orfeus  und  Afollonlus  -von  Rhodus ;  in 
Umrissen   entwerfen. 

Diese  Umrisse  ,  die  nach  des  Künstlers  To- 
de von  dem  Tiroler  Koch  in  Rom ,  ob^voh^ 
nicht  glücklich ,  in  Kupfer  geäzt  worden  sind, 
waren  eigentlich  ,  so  wie  alle  übrigen  von  dem 
Künstler  in  Umris  hiuterlassenen  Erfindungen, 
nicht  bestirnt  in  dieser  Gestalt  zu  bleiben. 
Carstens  war  Vyälieus  ,  sie,  mit  Andeutung  der 
Licht- und  Schattenmassen,  selbst  in  Kupfer 
zu  ätzen,  und  als  eine  Folge  liistoiischer Skiz- 
zen herauszugeben.  So  würden  diese  vier  und 
zwanzig  Darstellungen  einen  zusammenhan- 
genden Bilderkreis  der  Argonautik  ausgemacht 
Jiaben.  Aber  der  Tod  verhinderte  ihn  an  der 
Ausführung.  Man  hat  daljer  sehr  Unrecht  ge- 
ihan,  diese  unvollendet  gebliebene  Carstensche 
Argonautik  mit  den  Umrissen  Flaxuians  und 
anderer,  die  weclei-  maleiisch  erfunden,  noch 
zur  malerischen  Ausführung  tauglich,  sondern 


£19 

blos  ?.ls  Spiele  einer  bilJleinden  F;nitasie  zube- 
tracliten  sind,  in  Vergleicliuiig  zu  steilen,  mit 
denen  sie  nichts  weiter  gemein  liaben,  alsdass 
sie  Umrisse  sind.  Der  Künstler  hat  jeden  die- 
ser Umrisse  als.  ein  zur  Ausiühiimg  bestirntes 
Eild  gedacht  und  als  mnleriiche  Komposizion 
angeordnet,  welches  auch  ein  Kunstverständi- 
ges Ai:ge  auf  3.en  ersten  FjUck  daran  bemerkt, 
lind  welclies  auch  die  Ursache  ist,  dass  man- 
che derselben  sich  in  dem  blofsen  Umiisse 
nicht  gut  ausnehmen,  weil  darin  die  maleri- 
sche Komposizion  sich  niclit  mit  gehüri£;er 
Deutlichkett  auseinancersezt. 

Der  Inhalt  dieser  vier  und  zw^anzig   Dar* 
Stellungen   ist  folgender ; 

i)  Jason  heiirt  als  zwanzigjähriger  Held  von 
dem  Gebirge  Pelioii  ,  wo  der  Kentaur 
Chiron  ihn  erzogen  hatte,  nach  Jolkos  zu- 
TiicK,  um  sich  des  vom  Pc-Zm^^  ihm  ent- 
xissenen  Trones  wieder  zu  bemächtigen. 
Er  erscheint  in  göttergleicher  Gestalt  und 
Schönheit  in  Jolkos,  w^o  er  dem  Peliasanl 
dem  Maihtjlaze  begegnet,  der  ilm  an  dem 
unbeschuheten  Fufse  und  an  den  zwei 
Speren  erkennt ,  die  Jß.^n??  trug."  Das  Volk 
ist  verwunuert    und    Pelias  bestürzt   über 


seine  Ankunft.  Der  Stof  zu  dieser  Dar- 
stellung ist  aus  Plndars  znerter  pythischer 
Ode  genommen. 

2)  Jason  tiitt  in  die  Hohle  aes  Orjeus ,  um 
iliin  zur  -MitiaiLli  nach  liclchis  einzu- 
laden. 

3)  Beide  Kommen  bei  diCn  anderen  Helden 
auj  v/clche  bereits  am  Ufer  des  Anaurus 
versammelt  sind ,  und  werden  von  ihnen 
froh  begrufst. 

4)  Die  Helden  ziehen  die  fertig  gezimmer- 
te yirgo  ins  Me^r.  Tiphys ,  der  Steuer- 
mann, leitet  die  Arbeit,  und  O'-fcus  er- 
muntert die  Arbeitenden  durch  Spiel  und 
Gesang» 

5)  Jason  opfert  vor  der  Abfarth  dem  Nep- 
tun und  den.  anderen  Meergüttern.  Her- 
kules  und  Ancaeiis  todten  die  Opfesstiei^e, 
und  Idnion  vei-Kündet  den  Helden  eine 
glül'diche  Farth. 

6.  Besuch  der  Argonauten  beim  Kentauien, 
Chiro7i ,  der  den  jungen ^ic/i/// erzog.  Chi- 
ron und  Orjeus  ^vetteifern  in  Gesungen. 
Ein  Hirsch   tritt  in  die  Hohle  und  horcht 


2,2, 1 

den    Tonen    tlo3    Oifeus.      Clnron  dariiber 
verwundert ,    erkennt  ilnn  den  Preis  zu. 

7.  AbscLied  der  Helden  von  den  Lemnierin- 
nen,  bei  denen  sie  eine  Zeitlang  gelebt 
und  sicli  gütlich  getlian  hatten. 

3.  Die  Helden  landen  an  der  Insel  CycikuS 
bei  den  Doloven.  Ihr  Konig  empfangt  si« 
gastfreundlich,  bcwirthet  sie  und  n-iach 
ihnen  Geschenke. 

9)  Kampf  der  Argonauten  mit  den  riesenhaf- 
ten Bewouern  des  B.irengebiiges. 

10)  Jason  opfert  der  Rltea  auf  dem  Berge 
Dindymus ,  \un  sie  wegen  des  Todeö  des 
unvorsezliclver  Weise  getödteten  Künigä 
Cycihus  zu  versölmen.  Die  übrigen  Hel- 
den tanzen  den  der  Fuiea  geheiligten  Waf- 
fentanz tiach  der  Leier  des  Orjeus. 

li)  Hylas ,  der  ausgegangen  w.ir  ,  \\m  Was- 
ser zu  schöpfen ,  wird  von  der  Nimfe  £/t- 
flate ,  die  sich  in  ihn  verliebt,  in  die  Flu- 
ten ihrer  Quelle  hinabs^ezogen. 

x2)  Die  Argonauten  bei  den  B>  bryciern. 
Toilux  und  ihr  König  Amyliiis  niesieusich 
im  laustkanipf  mit  Schlagrienien.  Vollux 
erlegt  den  Ainyxus. 


15)  Kaiais  und  Zetes ,  die  Sölme  des  Boreas, 
verjagen  die  Harpyen  von  dem  Tisclie  des 


blinden  Königs  Lineas. 


14)  Die  Argonauten  laufen  in  den  Fasis  ein, 
und  e]blicken  in  der  Ferne  die  Burg  des 
Aetes.  Jctes  mit  seinen  beiden  Töcliteru 
Calciopea  und  Wl^dea  konit  ihnen  zürnend 
auf  seinem  glänzenden  Sonnenwagen  ent- 


15)  Medra,  Priesterin  der  Hekate ,  verliebt 
sicli  in  Jason.  Beide  kommen  Naclits  im 
Tempel  der  Hekate  zusammen.  Sie  ent- 
deckt ihm  ihre  Liebe  und  giebt  ihm  ein 
Gefäs  mit  Salbe  nebst  andein  Zaubermit- 
teln zur  glücklichen  Ausführung  seines 
Unternehmens.  > 

16)  Jason  pflügt  das  Feld  mit  den  feuer- 
schnaubenden Drachen  zum  Erstaunen  des 
Königs. 

17)  Er  biingt  das  glnklich  eroberte  goldene 
Vlies  zu  seinen  Gefährten  zurück.  JVIedea 
Orjeus ,  die  Dioskuren  und  JVIopsus  he  glei- 
ten ihn. 

lg)  Jttes  schikt  der  mit  dem  Jaso7i  entflohe- 
nen Meäea   seinen  Sohn  Jhsyrtus  mit  ei- 


225 

ner  Flotte  nach.  Er  holt  sie  an  der  Mün- 
dung des  Ister  ein.  ßledea  giebt  ilirem 
Bruder  im  Tempel  der  Diana  eine  nacht- 
liclie  Zusammenkunft,  wo  Jason  ihn 
tüdtet.  JMedea  leuclitet  zum  Mcu de  ilues 
Bruders  ,  »Verhüllt  aber  ilir  Antlitz  ,  um 
ihn  nicht  zu  sehen. 

19)  Die  Argonauten  landen  im  Hafen  von 
yiäa  ,  dem  \Yohncrteder  C/'/ce,  der  Schwe- 
ster des  Actes.  Jason  und  IVlLÄea  nähern 
sich  der  Circe ,  und  bitten  um  Aufnahme. 
Circe  aber  weist  sie  erzürnt  über  den  Mord 
des  Ahsyrtus  von  ihrer  Insel  foit.  Me- 
dea ,  um  nicht  erkant  zu  sein,  hat  ihr  Ge- 
sicht verhüllet. 

20)  Die  Argonauten  fahren  durch  die  Meer- 
enge  von    Sicilien ,     wo    Scylla  und  C/za- 


rihdis  sie  zu  verschlingen  djohen.  Aber 
Thetis  i  die  Gattin  des  Peleus  mit  ihren 
Nimfen  besänftigt  die  Wellen  und  führt 
sie  glühlich  hixidurch.  Juno  und  JMinei' 
va  auf  einer  Wolke  und  Vulkan  auf 
einem  nahen  Berge  sehen  der  kühnen 
Fartli  zu. 

21)  Sie  landen  an  der  Insel  der  Fiiaken ,    \a"0 
sie   bereits   die  Flotte  der  Kolchier  finden. 


224 


die  ihnen  nacligesandt  war.  Der  König 
Alkinous  entsclieidet  auf  Anrathcn  seiner 
Gemalin ,  dass  Jlledea  mit  Jason  ziehen 
soll,  wenn  ihre  Verbindung  isereits  vol- 
zogen  sei.  Medea  wiift  sich  fjeudig  dem 
Jason  in  die  Arn^.e;  und  der  Hauptmann 
der  Rolcliier,  der  wegen  des  schlecliten 
Erfolgs  seiner  Sendung  niciit  wieder  zu- 
xückzulieliren  "sragt ,  bleibt  mit  seinen 
Scliiflen  und  Leuten  bei  den  Faaken, 

22)  Die  Argonauten  v/crden  in  den  See  Tri- 
tonls  versclilagen ,  aus  dem  sie  Leinen 
Ausweg  linden  Können.  Sie  stellen  dLen 
grofscn  Dreifuß  des  Jpollo  ans  Ufer,  um 
die  Gottlieiten  des  Sees  zu  vej-sulinen. 
Triton^  der  Gott  des  Sees,  erhebt  sich  aus 
den  Vv''ellen  und  giebt  dem  Eufem  eine 
Erdsclioiie  mit  der  Weissagung,  dass  sei- 
ne Nachkommen  in  Libyen  herschen  sol- 
len ,  und  zeigt  ilinen  die  Ausfai  th  aus 
dem  See. 

S5)  Der^  Pviese  Talus  auf  der  Insel  Kreta, 
widersezt  sicli  ilirer  Landung,  und  wirft 
Felsenstiicke  aul  die  Argo  herab.  JMedea 
be-wirkt  durcli  ihren  Zauber ,  dass  er  sich 
mit  dem   Fus   an  einen  Stein  stöst,     und 

sich 


225 

öich  ^ie  Adev  am  Knöcliel  verwundet,  aus 
der  er  sich  verblutet  und  stirbt.  Die 
Helden  Linden  auf  Kreta  und  entsündigen 
sieb  wTEgen  des   ermordet^en  Ahsyrtus. 

a4)  Sie  gelangen  nun  glüklick  w^ieder  uacli 
Jolkos ,  und  Jason ,  von  seinen  Geführten, 
begleitet,  überreicht  dem  Pelias  das  gol- 
dene Vlies. 

Wärend  so  Carstens  3  ganz  mit  s einet 
Kunst  beschäftigt,  und  vonden vorzügliclistea 
Künstlern  und  Rennern  geschäzt ,  mit  jeder- 
mann in  Frieden  zu  leben  glaubte,  zog  auf 
einmal  der  Maler  JMülter ,  der  sich  bis  dahin, 
im  Umgänge  immer  freundschaftlich  gegeii 
ihn  erwiesen  hatte,  durch  einen  weiten  Um* 
weg,  von  Deutschland  aus,  feindselig  gegea 
ilin  zu  Felde.  Es  erschien,  im  dritten  Jahr- 
gange  der  Hören  für  1797 ,  ein  Schreihen  Mal'' 
ierSi  das,  der  Überschrift  zufolge,  gegen  deii 
Verfasser  der  oben  erwähnten  K"acliriclit  von 
der  Ausstellung  der  Carstenschen  Kunstwerke 
im  Deutschen  JMerkur,  gerichtet,  eigentlicli 
aber  und  hauptsächlich  auf  den  Künstler  ge- 
münzt war,  und  diesen  durch  Herabwürdi- 
gung seiner  Werhe  und  Vernichtung  seines 
Künstlernamens  vor  dem  Publihuni  aufs  ein« 
^5 


pfindKcliste  liiänken  solte;  der  Verfasser  jener 
Nachricht  solte ,  zur  wohlverdienten  Strafe, 
blos  in  ein  lächerliches  Licht  gestellt  werden, 
dass  er  die,  nach  7H«Z/er^ Versicherung  armse- 
ligen, schlechten,  nur  Spott  und  Verachtung, 
höchstens  Mitleid  verdienenden ,  Arbeiten  sei- 
nes Freundes  so  lobpreisend  angezeigt  hatte. 

Man  muste  es  ,  ohne  von  den  Umständen 
näher  unterrichtet  zu  sein ,  sonderbar  finden, 
dass  gegen  jene,  bereits  vor  zwei  Jahren  er- 
schienene Anzeige  im  Merhur  erst  jezt,  oder 
Tielmehr  jezt  noch,  wo  das  Publikum  dieselbe 
•über  tausend  andere  Lesereien  des  Tages  längst 
rergessen  hatte ,  ein  so  heftiger  Gegner  auf- 
stand; dass  ein  Künstler  in  Rom  mit  ei- 
nem andern  Künstler  daselbst,  über  dessen 
dort  vorhandene  Arbeiten ,  in  Deutschland  ei- 
nen Streit  ausfechten  wolte ,  der  nur  in  Rom 
geführt  und  nur  dort  entschieden  werden  hon- 
te. Aber  Neid  und  gereizter  Eigendünkel  ver- 
leiten oft  zu  Ungereimtheiten ,  die  jedem  auf- 
fallen ,  nur  dem  nicht ,  der  sie  begeht. 

Die  Sache  ging  folgendergestalt  zu  t  Zwei 
deutsche  Künstler,  die  ihr  Ansehen  unter  ih- 
ren Landsleuten  hauptsächlich  auf  ihren  länge- 
xen  Aufenthalt  in  Rom ,  auf  ihre  Fertigkeit  ei- 
nen Akt  zu  zeichnen»  und  auf  das  grofse  Wort, 


227 

clas  sie,  als  würdige  Repräsentanten  desZunfr- 
geistes  in  der  deutsclien  Landsmannschaft  ge- 
wöhnlich führten  ,  zu  gründen  suchten ,  wa- 
ren immer  erklärte  Gegner  von  Carstens  ^  -weil 
er  ihre  Ansprüche ,  ihr  Modelzeichnen ,  iliren 
Zunftgeist  und  ihr  grofses  Wort  nicht  aner- 
kennen wolte.  Diese  wackeren  Zunftgenossen 
hatten  einmal,  im  Gespräch  mit  Müller,  jener 
Anzeige  der  Cai-stenschen  Ausstellung  im  Mer- 
kur erwähnt,  von  der  Müller »  der  mit  den 
■Tibrigen  Deutschen  wenig  Umgang  hatte ,  und 
auch  an  ihrer  Journalgesellschaft  nicht  Thcil 
nahm ,  bis  dahin  nichts  gehört  hatte.  Sie  er- 
regten seine  Neugier,  dieselbe  zu  lesen,  und 
wüsten  zugleich  seine  Eitelkeit,  seinen  Künst- 
Wstolz  ,  der  etwas  zu  früh  auf  erträumten  Lor- 
beer^ eingeschlummert  war,  und  seinen  un- 
friedlichen Satir,  der  sich  gern  zuweilen  den 
Spas  machte ,  seinen  Bekanten  unversehens  ein 
Bein  zu  stellen,  dergestalt  aufzureizen,  dass 
er,  noch  ehe  er  jene  Anzeige  gelesen  hatte,  et- 
was gegen  dieselbe  zu  scliieiben  beschlos.  Der 
Verfasser  hatte  beieits  erfahren,  was  gegen  ihn 
und  Carstens  im  Werke  sei ,  als  er  unter  einem 
Verwände  von  einen?  jener  beiden  Künstler 
um  das  Stück  des  Merkur,  worin  jene  Anzei- 
ge  enthalten  ist,    ersucht  wurde.    Et  sandte 


228 

es  demselben  mit  der  Antwort,  dass  llmi  die 
Absiclit,  zu  der  es' dienen  solle,  bel-.ant  sei» 
d:iss  er  aber  darum  keinen  Anstand  nehme,  es 
mitzutlieilen. 

Verschiedene  Monate'  später  erschien  danit 
im  3ten  imd  4tcn  Stüche  des  dritten  Jalirgan- 
ges  der  Hören  jenes  Schreiben  des  Maler  T\IiiU 
hr>  das,  mit  mehr  Mäfsigung  abgefafst,  viel- 
leicht des  Schreibers  Absiclit  erreicht,  un^ 
dem  Künstler  in  der  Meinung  des  deutscheri 
Publikums  geschadet  hätte;  so  aber  lagen  der 
böse  Wille  und  der  unedle  Zweck  darin  zil 
klar  anr  Tage,  dass  nicht  jeder  unbefangene  Le- 
ser sie  sogleich  erkant  hätte.  Dies  war  auch 
die  Ursache,  dass  es  auf  den  darin  Angegriffe- 
nen selbst  nur  wenig  Eindruck  machte,  alsa 
auch  diesen  Zvveck,  ihn  persönlich  zu  krän- 
ken, verfehlte.  Carstens  beruhigte  sich,  so- 
bald er  die  Schrift  gelesen  hatte,  durch  die 
Überzeugung ,  dass  sie  zu  boshaft  und  zu  hä- 
misch sei,  um  auf  verständige  Leser  einen 
Eindruck  zu  machen,  der  ihm  nachtheilig  sein 
könte;  und  so  fand  auch  der  Verfasser  jede 
Vertheidigvmg  des  Künstlfers,  dem  er  eigent- 
lich diese  Kränkung  zugezogen  hatte,  nach 
icifliclier  Überlegung  unnütliig.    Ja,  er  hatte 


229 

in  c'rT  Talge,  nach  seiner Rükkelir  in  Deutsch- 
land,'.voliin  er  den  Nachlas  des  Küijstlers  mit  sich 
brachte  3  die  Genugthuung,  das  Kunstverdienst 
feines  verewigten  Freundes  von  wahren  Ken- 
nein aiierhant,  die  unbilligen  Anfechtungen 
der  ^Iiilbrsch.en  Schmähschrift  üfFentlich  ge- 
misbilligt,  *)  und  so  des  Künstlers  Namen  und 
Andenken  von  jeder  Makel,  die  d?.s  Gift  des 
Neides  darauf  gesudelt  hatte,  völlig  gereinigt 
zu  sehen. 

Aber  ein  furchtbarerer  Feind ,  als  Neid  und 
scliÄdcnfrohe  Schmähsucht ,  denen  wahres  Ver- 
dienst nicht  erliegt,  jenes  Übel,  das  fortdau- 
ernd an  seinem  Leben  nagte,  grif  ihn  iin 
Herbste  des  selbigen  Jahres  mit  verstärkter  Ge- 
walt an ,  und  warf  ihn  auf  ein  lang-wierig€« 
Krankenlager,  wo  er  auf^erdem  noch  an  einem 
durch  Ilämorihoiden  entstandenen  Fistelscha- 
den eine  höchst  schmerzhafte  Operazion  erlei- 
den muste.  Die  von  dieser  Krankheit  zurück- 
gebliebene Schwäche  führte  ein  schleichendes 
Fieber  herbei,  das  ihn  den  Winter  hindurch 
nur  selten  verlies  und,  mit  nächtlichen  Seh  wei- 


^)  S,  Winkelmann  und  sein  Ji»hrhund«rt .    herausgsg. 
von  Goethe.    S,  374.; 


sen  und  einem  hartnacKlgen  Husten  vergesell- 
schaftet, dergestalt  entkräftete,  dass  er  nur 
noch  in  den  "Vormittagsstunden  arbeiten  kon- 
te.  Unter  diesen  ungünstigen  Umständen  ver- 
fertigte er  noch  gegen  Ende  desjjahres  die  oben 
bereits  angeführte  Zeichnung  aus  dem  Ö di- 
jjus  Tyrannus  des  Sophokles,  die  lezte  sei- 
ner ausgeführten  Romposizionen ,  deren  Inhalt 
eigentlich  weniger  zur  malerischen  Darstel» 
lung,  als  für  die  Bühne  geeignet  ist,  weil  er 
im  Bilde  sich  nicht  durch  sich  selbst  ver- 
ständlich ausdrücken  Kann^  Der  Künstler  er- 
lante  seinen  Fehlgriff  sobald  er  die  Zeich-^ 
jiung  geendigt  hatte ,  und  er  ward  ihm  Veran- 
lassung zu  sehr  treffenden  Bemerkungen  über 
die  Wahl  des  Gegenstandes,  diesen  höchst 
wichtigen  von  wenigen  Künstlern  hinreichend 
beachteten  und  erwogenen  Theil  ihrer  Kunst, 
wo  auch  die  Kentnis  des  Grundsatzes  nicht  im* 
jner  vor  MisgrifFen  sichert,  w^enn  das  Urtheil 
des  Künstlers  durch  ein  zu  lebhaftes  Interesse 
an  der  Handlung  befangen  ist,  die,  auch  wenn 
sie  ein  malerisches  Bild  giebt,  darum  noch. 
nicht  immer  zur  malerischen  Darstellung  taugt, 
wenn  nicht  auch  dies  Bild  den  ganzen  Inhalt 
und  Sinn  der  Handlung  sichtbar  vollständig 
ausdrückt.    Leider  konte  er  von  den  Einsich* 


^5* 


ten,  die  dieser  Fall  ihm  aufsclilos,    keine  An- 
Wcndiui^r  mehr  machen. 


Carstens  hofte  seine  Genesung  von  derWie- 
deiliehr  des  Frülilings ,  und  vermöge  der  bei 
ßcliwindsüchtigen  so  gcv^-öhnlichen  Tauschung 
um  so  zuversichtlicher,  je  sichtbarer  die  Ent- 
kräftung  und  Abzehrung  seines  Körpers  zu- 
nahm. Wirklich  hatte  er  in  den  ersten  Mo- 
naten des  Jahres  1798  einige  leidliche  Wochen, 
die  einen  kurzen  Anschein  möglicher  Besse- 
rung gaben  ,  und  wo  er  ,  nach  der  Lesung  dee 
ins  Deutsche  übersezten  Hesiodus,  den  er  kurz 
zuvor  erhalten  hatte ,  auch  noch  in  einer  neu» 
en  Komposizion  eine  Idee  des  goldenen  Zeit' 
alteis 3  oder  des  durch  das  Dichterideal  ver- 
edelten Naturzustandes  der  Menschen  entwarf, 
aber  nicht  mehr  Zeit  gewan,  sie  zu  endigen  j 
denn  Brustübel,  Fieber  und  Schwäche  kehr^ 
ten  aufs  neue  zurück. 

Schon  die  Wahl  eines  so  heiteren ,  gefälli- 
gen Gegenstandes  zu  einer  Zeit,  wo  sein  Kör- 
per vmunterbrochen  litt,  imd  der  hereinbre- 
chenden Zerstörung  zu  erliegen  anfing,  be- 
w^ies  die  noch  immer  imgeschwächte  Kraft 
und  Heiterkeit  seines  Geistes  ;  und  das  Bild, 
das  der  Künstler  in   jenen  Augenblicken  der 


Ä55     - 

ErleicliteruMg  davon  entworfen  hat,  ist  ei- 
nes der  aiimutliigsten ,  die  je  des  Künstlers 
Fantasie  beschäftigt  haben.  Darum  ist  es 
ein  "wahrer  Verlust,  dass  es  hat  unvollendet 
bleiben  müsfen.  Gedanke  und  Anlage  sind  so 
glücklich ,  dasr.  mit  einer  in  demselben  Mafs© 
gelungenen  Ausführung  ein  Meisterwerk  dar- 
aus entstehen  konte.  Den  Gedanken  des  Kunst* 
lers  wird  die  folgende  Beschreibung  ausführ* 
Hcher  darlegen. 

Die  Komposizion  des  Ganzen  gehört  zu  ei- 
ner Gattung,  der  die  Theoretiker  nicht  sehr  ge- 
wogen sind,  w^eil  sie  sich,  wie  alle  Übergän- 
ge, nicht  bequem  in  eines  der  gew^öhnlichen 
Fachw^erke  der  Malerei  einschieben  läfst,  viel- 
leicht auch  weil  man  w^irklich  noch  wenig 
Vortrefliches  in  derselben  hat ,  zu  der  Gattung 
nämlich,  wo  Figuren  und  Landschaft  von 
gleichem  Interesse,  von  gleicher  Bedeutung 
für  die  Darstellung  der  Idee,  also  einander 
nicht  unter-  sondern  beigeordnet  sind.  Aber 
das  Genie  bildet  wie  die  Natur,  ohne  sich  imi 
die  Abtheilungen  und  Unterabtheilungen  einer 
nach  Klassen  ordnenden  Theorie  zu  kümmern. 
Wäre  früher  ein  Künstler  aufgestanden ,  dessen 
Genius  den  Gei^t  eines  Rafad  und  Claude  in 


233 

sich  vereinte ,  und  hätte  in  dieser  Zwi-chen'> 
gattung  niehreie  vortiefliche  Werke  geschaf- 
fen., so  würde  auch  die  Theorie  ein  eige- 
nes Fach  dafür  angelegt  habei^,  und  nie* 
mand  würde  gegen  dieselbe  etwas  einzuwen- 
den haben. 

Der  Künstler  hat  '^ich  die  Scene  seiner  Un» 
SchiiMswek  als  ein  weites  reizendes  Thal  ge- 
dacht, das  zur  Seite  von  waldigen  Hügeln  und 
Felsenwänden  begränzt  und  von  einem  Strome 
durchflössen  ist.  Unter  den  Bäumen»  weiche 
«Jen  Abhang  der  Hügel  bekleiden ,  ragen  G^ 
wäch-e  südlicher  HiÄimek -. triebe  »  Pinien  und 
Dattelpalmen  hervor.  Almälich  erweitert  sicU 
das  Thal  zu  einer  reichen  anmuthigeir  Land- 
schaft ,  deren  fernen  Horizont  Meer  und  Ge« 
birge  begränzen.  Fruchtbare  Bäiune  durch  B.e-» 
bengehänge  verbunden,  wie  in  üampaniens 
glücklichen  Gefilden,  schmücken  die  nähe- 
iren  Gründe  und  zeigen  die  üppige  Fülle  der 
Natur* 

Zur  Linken  des  F.e-chauers  im  Vorgrundo 
sizt  unter  einem  schattenden  Platanus ,  andern 
ein  Reb^nstock  sich  hinauf^  chlingt ,  und  die 
iinIiUG^.tL)aren  A'.te  deiseluen  niit  schwellei;i< 
den  Xiaubea  schiauckt  eine  glückliche  Fauii* 


234 

lie    der  clies  Paradies  bewohnenden  NaturkiH- 
der.     Ein    junger    kraftvoller    Mann    hält  ein 
Kind,     die    erste    süfse    Frucht   seiner  Liebe, 
schaukelnd  und  dalend  auf  dem  Schofse  ;    ihm 
gegemlber  sizt  die  blühende  Gattin  desselben, 
und  hält  dem  spielenden  Kinde,  um  es  ansick 
zu  locken,  eine  volle  Traube  hin.     Neben  dem 
jungen  Manne  sizt  der  Vater  Ider  Familie,  ein 
«hl  würdiger  Greis ,  den  Kopf  auf  die  Hand  ge« 
Stüzt ,     lind  sieht  freundlich  den  Spielen  des 
kleinen  Enkels  zu.    Ihm    zur   Seite   steht   ein 
Jüngling  im  Begiif ,  eine  von  dem  Baume  her-» 
abhängende  Traube  für   eine  jüngere  Schwe-» 
ster  zu   pflücken,     die   sich  an  ihn  schmiegt* 
Hinter  der  Mutter  des  Kindes  sizt  eine  andere  be- 
Teits  erwachsene  Schwester  und  blickt  nach  ei-» 
ner  andern  Gruppe  hin,    welche  die  Mitte  des 
Bildes  einnimt.    Eine  Mutter  tränkt  hier  ihren 
neugebornen  Säugling  an  der  vollen  Brust  und 
blickt  liebend  auf  ihn  nieder;  ein  älterer  Kna- 
be,     der  hinter  ihr   steht,     blickt    über  ihre 
Schulter  und   tändelt  mit  dem  Kleinen  ^     und 
ein  dritter  jüngererliegt  neben  der  Mutter  und 
liält,  gleichfalls  nach  dem  kleinsten  blickend, 
einen  Apfel  in  der  Hand.     Ihnen  zur  Seite  liegt 
9.ui  dem  Rasen  hingestreckt  und  schlummernd 
der  Vatex  dieser  Meinen  Familie.    Hinter  ili« 


S35 

nen  sieht  man  einen  Knaben,  der  Beeren  von 
einem  Strauche  pflückt.  Rechts  dem  Beschau- 
er ,  auf  dem  zweiten  Grunde  befinden  sich  ei« 
nige  Figuren  in  sitzender,  liegender  und  ste- 
hender Stellung,  theils  Früchte  essend,  tlieils 
scherzend.  Weiterhin  tanzen  auf  einem  Ra' 
senplatze  sechs  Figuren  Haud  in  Hand  einen 
Reigen,  und  nicht  ^veit  von  diesen  sieht  man 
in  einer  hervortretenden  Krümmung  des  Flus- 
ses verschiedene  badende  und  schwimmende 
Fisruren,  nebst  andern  am  Ufer,  welche  lau- 
fen  und  einander  haschen.  Alle  Figuren  sind, 
wie  im  Stande,  so  auch  im  Kostüme  der  Na- 
tur, völlig  unbekleidet ,  und  auch  in  der  Land- 
schaft ist  noch  kein  Werk  menschlieher 
Kunst  sichtbar. 

Die  Heiterkeit  imd  Freiheit  des  Geistes, 
^ie  Carstens  in  dieser  lezten  Darstellmig  zeig- 
te, und  der  Tiieb ,  sich  mit  seiner  Kunst  zu 
beschäftigen,  blie'uen  ilim  auch  da  noch,  als 
er. sich  nicht  mehr  aufser  dem  Bette  erhalten 
konte.  In  liegender  Stellang  und  mit  zittern- 
den Händen  versuchte  er  noch,  zur  Verkür- 
zung der  Zeit ,  einige  Ideen  aufzuzeichnen, 
bis  ihm  bald  auch  dazu  die  Arme  ihre  Kraft 
▼ersagten.    Der  Yeiiassei  besizt  noch  die  sieben 


23Ö 

Blätter,  die  cfer  steibende  Künstler  in  dieser 
Lage  bezeichnet  hat;  seclis  derselben  enthalten 
Scenen  homerischer  Schlachten ,  und  das  sieben- 
te Stellt  dar  ,  wie  Verres»  römischer  Praetor 
in  Sicilien  die  Bildsäule  der  Diana  von  dem 
Marktplaz  zu  S eheste  entführen  läfst,  JEs  sind, 
ach  wache ,  mit  unsicherer  Hand  zitternd  hin- 
gezeichnete Entwürfe,  in  denen  man  die  Ab- 
sicht das  Künstlers  blos  ahnden  Kann ,  weil 
die  Hand  sie  nicht  mehr  bestirnt  anzudeuten 
vermochte.  Dies  völlig  heitere  Bewustsein 
behielt  er  bis  zu  dem  lezten  Augenbliche,  wo 
der  stete  Reiz  des  Hustens ,  dem  die  ohnmäch- 
tige Brust  nicht  mehr  entgegen  wirhen  honte, 
ihn  in  einem  Blutsturz  erstickte ;  und  sein  Iqz- 
tes  Gespräcii  mit  dem  Verfasser ,  der  ihn  wä- 
rend  seines  lezten  Krankenlagers  fast  nie  ver- 
lies ,  etwa  eine  Stunde  vor  seinem  Tode ,  be- 
traf einen  mitologiichen  Gegenstand  ,  über  den 
er  z-sveifelhaft  war ,  und  aus  seinem  Hederich 
Auskunft  zu  haben  wünschte. 

So  verglomm  endlich  auch  der  lezte 
schwache  Funken  seines  edlen  aber  jam- 
mervollen Lebens  ;  und  Carstens  starb,  völ- 
lig entkräftet  und  fast  bis  zur  Mumie  aus- 
gedüirt,    am   25teii   Mai   17981    nachdem   ei 


nur  eben  sein  vier  und   vierzig-^tei  Jahr  rol> 
endet   liatte. 

Die  Öfnung  seine;  Leiclinäme? ,  die  der 
Arzt]  nacli  den  römisclien  Verordnungen  füi 
pflichtmäfsig  liielt,  zeigte,  -was  olineliin  kei- 
nes Beweises  mehi-  bedurfte,  den  höchsten  Grad 
dieses  Übeb,  die  gänzliche  Zerstörung  der 
edelsten  Eingeweide ,  undj  die  fisische  Unmög- 
lichkeit seines  längeren  Lebens. 

Carstens  wurde  nicht,  wie  sonst  bei  der 
Bieerdigung  der  Protestanten  in  Rom  gevröhn- 
lith  ist,  Abends  bei  Fackelschein,  sondern 
früh  beim  Aufgange  der  Sonne,  von  w^enigea 
Deutschen,  die  im  Leben  seine  Freunde  gewe- 
sen waren ,  begleitet ,  an  dem  gewöhnlichen 
Oite,  neben  der  Piramide  des  Cestius,  begia- 
ben.  Nach  Hinabsenkung  des  Sarges  sprach 
der  Vei-fasser  an  der  oiienen  Gruft  die  nach* 
Stehenden   Worte : 

Landsleute  und  Freundet 

Ich  würde  das  Gefühl  der  Freundschaft  ent- 
weihen, wenn  ich  hier,  am  Grabe  meines 
Freundes,  seinem  Werth  eine  studirte  Lobre- 
de halten  wolte.  Dir  alle  habt  Carstens  gekan:, 
tind   hont    ilira    das  Zeusrnis    nicht   versa-^en. 


238 

dass  er  ein  edler  Menscli,    ein  verdienstvoller 
Künstler  war.     Das  wird    allen,     die  ihn  se- 

o 

nauer  kanten ,  sein   Andenken  wertli  eilialten. 
Ihr  wifst  >     Was  er  mir  war.     Ich  habe  in  ihm 
meinen  treuesten,     geliebtesten  Freund  verlo 
ren,    \ind  werde  diesen  Verlust,     so  lange  ich 
lebe ,    betrauern.     Ein   siecher  Körper  und  «in 
trübes  Scliiksal  waren  die  Gefährten  seines  Da- 
seins  von  Jugend  auf;     sie  liefsen  ihn  wenig 
Freuden  des  Lebens  geniefsen»    und  hinderten 
ihn,     das  Ziel   zu  erreichen,     das   die  Natur 
selbst   durch   ein   grofses   Talent  ihm  bestirnt 
hatte.    Aber    sein    heiterer,    muthiger    Geist 
war  eben  so  sehr  über  die  Widerwärtigkeiten 
des  Lebens  >     als    über   die  Schwächen  seines 
Körpers  erhaben;  jene  trug  er  mit  männlicliem 
Gleichmutli ,  diese  mit  Geduld.     In  der  Kunst 
fand  er  den  höheren   Zweck  und  Genus  seines 
Daseins;  in  ihr  fand  er  reichlichen  Ersatz  für 
alles ,  was  Schiksal  und  Glük  ilim  Stiefmütter* 
lieh  versagten;  in  ihr  vergas  er  jedes  niedere 
Bedürfnis;  selbst  in  den  schmerzlichen  Leiden 
seiner  lezten  Krankheit  linderte  die  Unterhal- 
tung mit  ihr  seine  Schmerzen  und  erheiterte 
seinen  Geist.     Frühe  hat  der  Tod  dem  Wir- 
ket der  edlen,  nach  Vollkommenheit  streben- 
den   Sele,     die  in  dies-^r  gebrechlichen  Hülle 


woTinte ,     ein    Ziel    ^esezt.     Carstens    wusl'-, 
dass  er  tiein  hohes  Alter  eiTeichen  würde,  utid 
mehr  als  einmal  liatte  er  den  Tod  in  der  Nähe 
gesehen;  aber  dieser  hatte,  auch  in  den  lezten 
Augenblicken,     nichts    Furchtbares    für    ihn. 
Im  Bewustsein  eines  schuldlosen  Lebenswan- 
del^ sah  er  ihm  mit  ruhiger  Fassung  entgegen, 
oline  Hofnung  und  ohne  Furcht  einer  Zukunft, 
von  der  er  nie  etwas  erwartet,  die  nie  auf  das 
Denken  und  Handeinseines  selbständigen  Gei- 
stes Einflus  gehabt  hatte  ,     und  die  ihn  auch  in 
seiner  Todesstunde    -weder  mit    frohen    noch 
bangen  Ahndungen  täuschte.     Wohl  wünschte 
er  ein  längeres  Leben  auf  der  freundlichen  Er- 
de ,     um  wenigstens  Ein  öffentliches  »    würdi- 
ges   Denlunal    seiner   Kunst    zu   hinterlassen; 
denn  auch  ihn  begeisterte,  -wie  jeden  Edleren, 
der  Gedanke ,  im  Gedächtnis   der  Nachwelt  zu 
leben,  und  durch  Werke  [des  Geistes  unsterb- 
lich  zu   sein.     Aber  die  Parze  durchschnitt  es 
in  der  hofnungsvoUesten  R.eife,    und  die  Yor- 
Äbungen   seiner  Kraft   zu  grufseren  ,     der  L^n- 
sterblichkeit  würdigen  Werken,  sind  der  ein- 
zige Nachlas  des  auf  derlMitte  seiner  Laufbahn 
dahin  gerafften  Künstlers,  —     Geist  und  Staub 
des  Entschlafenen!     theurer,  geliebter  Brnder 
und  Freund  I     ich  trenne  mich  auf  immer  von 


tli?\  Du  l^elp-st  zurücl-iiii  d.en  Sclioos  der  ewi- 
gen Natur  s  ^vo}^in  ai!cii -wir  dereinst,  frük-er 
oder  später,  dir  fol°;en.  Ich  ti-enne  micli  auf 
immer  von  dir.,  aber  deine  Freundscliaft ,  dei- 
ne Liebe,  dein  strebender  Geist  und  dein  red* 
iiclies  Herz  werden  mir  und  allen,  die  dicfe 
kanten,  unveigeslicli  sein. 

0 


Näcli  dem  Verluste  seines  Jabrgeliälts  lebtfe 
Carstens  von  seiner  Kunst  mit  einem  zwat 
Siicht  reiclilichen,  docii  für  seine  wenigen  Be- 
(äürfnisiie  ebenzureiclienden  AuskomTnen.  Aber 
seiti  lezres  achtmonatliche»  K3-ankenl?:ger  er* 
schöpfte  bald  den  Meinen  Vorraih  seines  Gel* 
des ,  und  brachte  ihn  in  Noth  und  Schulden-. 
Er  sandte  deshalb  noch  leinigs  Monate  vor  sei» 
iiem  En'de  drei  seiner  Arbeiten :  -d^en  Kamjjf 
Fingah  mit  (lern  Lodageistc ,  die  Parze?!  und 
den  JMusentanz ,  an  den  Künsthändler  Fraueir- 
hoh  in  Nüi^iherg ,  tun  dies^ben  zu  verhau« 
feil.  Dieser  behielt  sogleich  das  lez'te  5  w^ofür 
das  Geld  erst  nach  des  Künstlers  Todeeiutrai; 
^ie  beiden  andern  blieben  dort  zurück,  bis 
sich  vielleicht  ein  Liebhaber  dazu  fände.  Wä- 
re  Carstens  gesund  gewesen  ^     so  würde  auch 

<rr. 


24-1 

er,  wie  maiiclier  andere  fremde  Ktinstler,  der 
•w'äreiul  der  Revoluzion  ohne  andere  Mitlei, 
als  die  seine  Kunst  ilim  darbot,  in  Rom  ans- 
liarrete,  sicli  diircli  diese  tj'aurige  Zeit  glük- 
licli  Iiindiucli  ge-vvunden  haben.  Aber,  -wenn 
er  langer  so  siechend  fortleben  mnste ,  so  wa.- 
reii  Mangel  und  Elend  sein  unvermeidliches 
Loos.  Zu  einer  Zeit,  avo  fast  jeder  in  Verle- 
geniieit  gerieth,  und  nieiiiand  das  Ende  jenes 
Zustandes  absehen  honte ,  wo  würde  deinoth- 
leidende  Kranke  da  einen  helfenden  Freund 
gefunden  haben?  In  dieser  Hinsicht  war  es 
gewis  eine  wolilthätige  Fügung  der  Dinge  fiir 
ihn,  dass  er  schon  im  Anfange  jener  Begeben- 
heiten starb.  — 

So  endete  früher,  als  der  Gang  der  NaUir 
CS  fodert,  dieser  edle  Genius,  in  der  vollen 
Reife  seiner  gebildeten  Kraft  ,  seine  hurze, 
aber  rühmliche  Laufbahn.  Wenige  wurden 
von  der  Natur  durch  Anlagen,  die  einen  gio- 
fsen  Künstler  möglich  machen,  so  ausgezeich- 
net begünstigt;  aber  auch  gegen  wenige  hat 
sich  zu  gleicher  Zeit  das  Zeitalter  so  ungün- 
stig, das  Glüh  so  stiefmütterlich,  das  Geschik 
so  w^iderwärtig ,  und  die  Parze  so  feindselig 
erwiesen,  als  gegen  ilm.  Jeden  Schritt  zuiu 
16 


Ziele  musLe  er  dem  Sclilksale  liarixiäclüg  ab- 
liämpfen ,  oder  diucli.  jnüliseliges  Ausliariea 
abverdienen.  Wohin  hätte  er  gelangen  kön- 
nen,  wenn  Zeitalter,  Glück  und  Gesundheit 
sein  Streben  beflügelt  hätten  ! 

Ein  der  Kunst  günstiges  Zeitalter,  wo 
Kunstsinn  und  Gcschmak  sich  gegenseitig  be- 
leben, hebt  oft  auch  beschränkte  Talente  zum' 
Vortreflichen  empor.  Ilüheie  ,  urkräftige  Ge- 
nien bilden  blühende  Schulen  um  sich  her, 
w^  mancher  der  sonst  unbemerkt  geblieben 
wäre,  glänzend  seine  Bahn  durchkieiset,  dem 
dunkeln  Planeten  gleich ,  der  Liclit  und 
Schwungkraft  von  der  Sonne  seines  Sistems 
empfängt.  Im  Gegen theile  wird  es  auch  dem 
grösten  Talente  unmöglich  sein,  die  Hinder- 
nisse, die  ein  ungünstiges  Zeiiaiier  seinen  Be- 
strebungen entgegen  üLciit,  zu  riberwindcn, 
wenn  es  nicht  durch  günstige  Umstände  be- 
sonders unteistüzt  ■wüd.  D;i  nun  auch  dies 
sich  nur  sehen  ereignet,  so  kann  man  wohl 
annehmen,  dass  in  einem,  der  Kunst  ungün- 
stigen Zeitalter,  wie  z.  B.  das  uasrige  ist,  ei- 
ne Menge  glüklicher  Talente  sich  selbst  und 
der  Welt  völlig  unbekant  bknbt,  und  dahin 
«chwiiidet,    ohne   je    ilue  BvStimumng  geahn* 


243 

dct  zu  haben;  ja,  dass  rucli  von  denen,  die 
sich  ihrer  selbst  bewust  Averden ,  nur  wenige 
sich  entwickehi,  und  von  diesen  wefiigen 
nnr  höchst  selten  Eines  zu  glühlicher  Ausbil- 
dung gelangt;  keines  vielleicht  das  wird,  wa$ 
es  in  einem  bessern  Zeitalter,  unter  gliihliche- 
ren  Umgebungen  geworden  wäre.  So  ent- 
scheidend ist  der  Einilus  des  Zeitgeistes  und 
der  Umstände  auf  die  Entwichelung  des  Men- 
schen!  und  doch  verni;ig  auch  wiederum  iJire 
höchste  Begünstigung  nichts,  wo  die  Nattir 
den  Beruf  versagt  hat. 

Wenn  nun,  unter  solchen  Umständen,  das 
Seltenste  der  Natur,  ein  achtes  Kunstgenie  in. 
der  Welt  erscheint,  das  mit  aller  Stärke  des 
Instinkts  die  einzige  Bestimmung  seines  Da- 
seins fühlt,  und  deiselben  vom  Glüke  unbe- 
günsligt  entgegen  stiebt,  so  last  sich  vorher- 
sehen, dass  es  in  einer,  auf  seinen  Zweck  gar 
nicht  berechneten  Ordnung  der  Dinge ,  wie 
die  unsrige ;  bei  einem,  dem  Geiste  wahrer 
Kunst  so  widerstrebenden  Zeitgeiste,  wie  der 
lierschende,  überall  Widerstand  finden,  stets 
mit  Hindernissen  kämpfen,  unglüklich  sein, 
und  v\de  eine  Erscheinung  aus  einer  andern 
Welt,    seinem  Zeitaller   ewig  ficmd  bleiben 


werde.  Jiiescs  war.,  sein  ganzes  Leben  liin- 
tlurcli,  lias  Loos  imsejs  Künsiiers ,  der  bei 
gleicher  CJugescluneidiglieit  sich  dem  gangba- 
ren Knnstleisten  anzupassen,  mit  zwei  Aka- 
demien zerfiel,  den  unter  seinen,  grösten- 
theils  von  dem  Geiste  des  Zeitalters  befange- 
nen ,  oder  von  Natur  am  Geistesauge  geblen- 
deten Kmistgenossen  nur  ■wenige  verstanden, 
lind  den  der  Tod  hinw^egris  ,  als  er  die  Stufe 
der  Ausbildung  erstiegen  hatte,  wo  er  durch 
reifere  Aibeiten  den  Namen  eines  grofseu 
Künstlers  veidienen  honte.  So  verkümmert 
die  Pflanze  einer  milderen  Zone  unter  einem 
rauhen  und  feindlichen  Ilimuielstriche.  Wann 
sie  endlich  bei  mühsamer  Pflege  spät  und 
kümmerlich  ihreBlüthen  entfaltet,-  so  ist  auch 
ihre  Kraft  erschöpft,  und  sie  welkt  hin"",  o^n© 
ein  Samenkorn  für  künftige  Geschlechter  an» 
zusetzen. 

Wir  können  nicht  wisstii ,  wie  oft  in  der 
geheimen  Werkstatt  der  Natur  alle  die  Bedin- 
gungen glücklich  znsamit'ien  ucircn,  unter  de- 
nen es  ihrer  Bildkrait  gelingt,  die  höchste 
Fülle  und  Harmonie  fisischen  und  geistigen 
Lebens  zum  Kcinie  eines  neuen  Daseins  zu  ge- 
statten ,  das  den  Schöpft  rgeist  einer  höheren, 
Teredelien  Natur  in  sich  tragt.     Aber  wir  dür« 


»^0 

feil  glauben  ,  (Tass  ancli  ihr  dns  Vollvomnit^nc 
nur  selten  gelingt.  UnentUicli  fcltoner  aber 
noch  fügt  es  sicli,  dass  zu  jeneTi  inneren  Be- 
dingungen mich  die  äusseren  sich  ,  in  der  Fol- 
ge des  Lebens,  glüklicli  beisammen  ßnden, 
damit  es  sich  frölich  gedeihend  entwicliele, 
und  in  der  vollen  Blütlie  des  Strebens  die  Her- 
lichheit  seiner  'Schöpferhjnft  unverhümmert 
vor  Weit  und  N?.chv/eit  entfalte.  Darum  ist 
denn  auch  ein  durch  Natur  und  Bildung  glük- 
iich  in  sich  vollendeter  Kunstgenius  eine  der 
seltensten  Erscheinungen,  die  nur  die  glüLli- 
chen  Zeitalter  der  Kirnst  durch  ilire  Gegen- 
^vart  crfieuct ,  und  einer  wolilthäfigeu  Gott- 
heit gleich,  duich  die  Herlichheiten  ihrer 
Kunstschöpfungen,  Jahrhunderte  lang  die  Welt 
b^eligt. 

Bequem  last  sich  nun  hier  ,  .im  Ende  sei- 
ner Lauibahn ,  des  Künstlers  gesauites  Vermö- 
gen ,  das  wir  in  den  verschiedenen  Zeiträu- 
nien  seines  Lebens  sich  unter  mancherlei  Hin- 
dernissen entwichein  ,  troz  allen  WiJerv/artig- 
heiten  strebend  fortwrxjisen ,  und  einer  frucht- 
reichen E3ntc:  vergebens  entgegen  reifen  sahn, 
in  Einer  Übersicht  zusammen  fassen.  Am  be- 
sten ina^  dies    geschehen j    w^eun   wir    eiaixela 


2^6 

darlegen  ,  was  er  in  jedem  Tlieile  der  Kunst 
geleistet  hat.  Denn  dd  die  Kunst  ein  zusam- 
jnengeseztes ,  aus  inanclierlei  wissenscliaftli- 
clien  und  teclmisclien ,  materiellen  und  geisti- 
gen Elementen  organiscli  bestehendes  Ganzes 
ist,  das  durch  jedes  Künstlers  eigenthüraliclie 
Bildkraft  auf  eine  andere  Weise  gemischt  und 
gestaltet  wird,  so  last  sich  ein  Kunstvermö- 
gen zwar  wohl  im  Ganzen  aufs  Ungefähr  scliä- 
tzen ,  und  nach  seinen  hervorsteclienden  Zü- 
gen charakterisiren,  aber  doch  eigentlich  nur 
dann  richtig  würdigen,  v/enn  mau  es  nach 
den  verschiedenen  Theilen  der  Kunst  im  Ein- 
zelnen prüft.  Wer  die  Kunst  nicht  als  einen 
blofsen  Mechanismus ,  sondern  als  ein  orga- 
nisches Erzeugnis  betrachtet,  "^der  wiid  auch 
bei  einer  solchen  Zeigliederung  den  lebendi- 
gen Geist  des  Ganzen  nie  aus  den  Augen  ver- 
lieren. Und  damit  uns  das  hier  um  so  weni- 
ger widerfahre,  betrachten  v^ir  zuforderst  Jen 
Stil  seiner  Werke,  in  dem  sich,  wie  in  der 
risiognomie  einer  Bildung,  Geist  und  Cha- 
yakter  des  Ganzen  ausdrückt. 

Stil, 
Die    Individualität    des    eigenen    Subjekts 
»bgereclmet,  die  kein  Künstler  in  seinen  Wer- 


247 

hen  ganz  verlängnen  Knnn ,  scheint  dns  Ei- 
genthüniliclie  seines  Stils,  und  die  wesentli- 
clie  Verscliiedenlieit  desselben  von  dem  Stile 
der  alten  Mr. Icr ,  nach  denen  Carstens  sich  vor- 
nehmlich gebildet  hat,  darin  zu  liegen,  dass 
jene  ,  deren  Kunst  sich  ,  im  Dienste  der 
christlichen,  auf  den  Stamm  des  Judenthums 
gepfiopften  Religion,  von  der  untersten  Stufe 
der  Nachahmung  almälich  durch  V\'ahrheit 
luid  Schonhtiit  bis  zur  idealischen  Freiheit  aus- 
gebildet hatte,  fast  immer  nur  biblische  und 
kirchliche  Gegenstände  behandelten  ,  deren 
jüdischer  Grundciiarahter,  in  ilncn  Stil  über- 
gehend, denselben  durchaus  bestimmte,  so 
dass  er  von  dem  späteren  Einflus  der  Antike 
nur  eine  geringe  Modilikazicn  annahm.  Sie 
traten  daher  auch  aus  ihrem  Kreise,  vrenn  sie 
Gegenstände  des  heidnischen  Alterthumes  dar- 
stellen wolten  ,  wie  Rafael,  als  er  die  Fabel 
der  Psyche  in  der  Farnes'aia  bildete ,  yvo  kei- 
ne Darstellung  derselben  den  wahren  Charak- 
ter der  Antike  tiägt,  so  vortreflich  sonst  in 
Anderem  Betracht  jenes  \Yeik  ist.  Et-\vas  bes- 
ser behandelte  schon  Julius  Roinanus  antike 
Stoffe,  besonders  der  üppigen  Art;  vcr  allen 
Künstlern  jener  Zeit  aber  hatte  Polidor ,  durch 
vieles  Studium  alter  Biidw^cTke,    den  Stil  ücr- 


£43 

selben  angenommen;  melir  jedocli  durch  gliik- 
liclie  Naclialimung  ihres  Gesclimaks,  als  durch 
W«ihre  ,    freie  Aneignung  ihres  Geistes, 

Carstens ,  der  seinen  Stil  ganz  auf  den  der 
Antike  gegründet,  und  unter  den  Einflüssen 
der  Weilie  ]\lichelarigelü''s  und  Fiafaels  weiter 
ausgebildet  hatte,  übte  seine  Kunst  nur  an 
Gegeiaständen  des  liciunisclien  Alterthumes, 
am  liebsten  der  heroisclien  Zeit;  dahei-  aucli 
sein  Stil  Vorzugs v/eise  den  Charakter  dersel- 
ben trägt,  obwohl  in  der  Romposizion  iia- 
fael,  den  er  für  den  grüsten  Meister  der  dra- 
matischen Darstellung  crkante ,  fast  ausschlie- 
fsend sein  Vorbild  war. 

Diese  Grundbestr.ndtheile  des  Stils ,  die  er 
duich  lar.ges  Studium  in  seine  Eigenthünilicli- 
.  Keit  aufgenommen  und  damit  veisclimolzen 
hat,  findet  m.an  in  allen  A^'beiten  unseres 
Künstlers.  Wäre  Carstens  in  den  Fall  gekom- 
men, biblische  Gcgenstär.de  darstellen  zu 
jnüssen ,  so  Würde  er  vvahrscheinlicli  zuviel 
von  dem  sich  angeeigneten  Charakter  des  gii- 
chischen  Alterthums  hineingebracht  haben, 
wenn  er  auch  nicht  seine  Juden  ganz  in  Gri- 
clten  verwandelt  hätte,  wie  neulicli  Benvenw 
tl  von  Arezzo  in   seinem   sonst  in  vielem  Bc- 


H9 

traclit  lobenSM'eitlien  Gemitlde  der  Judich,  die 
ihrem  Volke  das  Haupt  des  Holofernes  zeigt, 
getlian  hat,  wo  Judith  gleich  einer  Juno  er- 
scheint, eine  Menge  blonder  Jünglinge  und 
Mädchen  giichische  Bildung  und  Tracht  zeigeuj 
lind  blos  der  Hohepriester  diuxh  seine  behantö 
Amtshleidiing  an  das  Judentlium  erinnert. 

Unser  Künstler  hat  also  diirch  sein  Beis]3iel 
nicht  nur  diejenigen  "widerlegt,  welche  be- 
haupten, der  Stil  der  alten  Maler  des  XVIteu 
Jahrhunderts  schicke  sich  nicht  mehr  für  die 
Kunst  unserer  Zeiten:  eine  Sage,  die  man 
sonst  wohl  iji  R-oni  von  Künstlern  zu  hürcii 
pflegte,  welche  im  Ernste  glaubten,  der  Stil 
der  Akademie  von  S.  JLuca,  oder  jen^r  de? 
neuen  französischen  Schule,  sei  unsern  Zeiten 
angemessener;  sein  Beispiel  kann  auch  dieje- 
nigen eines  Besseren  belehren,  v/elche  indem 
eben  so  grofsen  Wahn  stehen :  dass  die  Ge- 
genstände des  heidnischen  Aitertliumcs  ,  so  "vtIg 
der  Stil  der  alten  Kunst,  nicht  mein-  für  die 
unsrige  taugen  ,  die  sich  nur  an  Gegenständen 
der  christkatolischen  Religion  zu  einer  noch 
nie  erreichten  Höhe  erheben,  und  nur  durch 
diese  eines  all<remeinen  Interesses  fähis:  sein 
ivönne.     In  derTliat,  eine  Behauptung  ,  die  in 


-50 

dem  Augenblicke  um  so  sonderbarer  klingt, 
wo  man  sicli  froh  fiililt,  dass  die  abgesclimak- 
ten,  bis  zum  Ekel  wiederliolien  Darstellune:en 
aus  der  k-atolisclien  Mitologie  und,  Martii-olo- 
gie  endlicli  einmal  aufgebort  haben,  die  bil- 
denden Künste  zu  beschäftigen,  und  man 
kann  w^ohl  sagen  zu  misbrauchen,  und  wo 
man  eben  bemühet  ist,  dieselben  wieder  ei- 
jier  besseren  Bestimmung  zuzuführen;  eine 
Behauptung,  die  sich  auf  den  Wahn  grün- 
det, dass  die  bildenden  Künste  r;ur  im  JJien- 
Ste  der  Religion  gedeihen  und  blühen  kön- 
nen, und  dass  wahres  Kunstgefühi  nur  durch 
rnistisclie  Pveligionsgefühle  zu  erwecken  sei. 
Aber  diese  frommen  Kunstfieunde  bedenken 
nicht,  dass  unser  Zeitalter  (der  Deutsche 
spricht  von  dem  seinigen)  eben  so  wenig 
mehr  durch  christliche  als  durch  heidnische 
Mitologie  zu  begeistern  ist;  dass  also  auch 
beide,  in  Hinsicht  auf  religiöses  Interesse, 
der  li-unst  gleich  ferne  liegen  ;  so  wie  der  seit 
gestern' Todte ,  so  todt  ist  Avie  der,  welcher 
vor  Jahrliunderten  starb.  Sie  bedenken  nicht, 
dass  Vergangenheit  nie  wieder  Gegenwart  wer- 
den kann ,  und  dass  es  eben  so  unmöglich 
sein  w^ürde  ,  die  Jlunst  \vieder  zu  iiuer  ein- 
fältigen Kindheit,  als  unsere  Zeit  zu  dem  kin- 


25^ 

disclien  Geist  und  Glauben  der  Zeiten  zurück- 
zuführen, der  jene  entwickelt  hat;  ^velche» 
doch  geschelien  müste,  wenn  ihr  frommer 
Wunsch  in  Erfüllung  gehen    soke. 


Die  freigewordene  Kunst,  der  Stütze  aber 
auch  zugleich  des  Z\v.uige6  der  Fv.eligion  ent- 
hoben,  mus  hinfort  auf  sich  selbst  rulien,  w^ie 
sie  denn  in  der  Tliat  aucli  immer  auf  sich 
selbst  geruhet,  und  statt  ihr  Interesse  von  der 
Religion  zu  erborgen,  A'ielmehr  dieser  selbst 
durch  ihren  Sinnenzauber  ein  allgemeineres 
Interesse  gegeben  hat.  Wenn  die  Kunst  zu  ih- 
rer Eut-»vickeUing  der  Volksreligionen  bedurf- 
te, so  haben  dagegen  diese  der  Kirnst  ihre  fe- 
stere Gründung  und  ihre  Verschönerung  zu 
verdanken.  Sie  hat  der  alten  die  Bilder  ihrer 
Gottheiten  und  Heroen,  der  neuen  ihre  Plerr- 
gütter ,  Kruziiixe,  Madonnen  und  Heiligen- 
bilder geschaffen,  damit  das  Volk  glaube  und 
anbete.  Religiöses  und  Runstgefühl  kunneu 
auf  diese  Weise  wohl  in  Eins  zusammeufliefsen; 
dadurch  aber  gewinnt  weder. das.  eine  noch  das 
andere,  vielmehr  müssen  beide  in  dieser  Ver- 
mischung noth\vendig  ihre  Lauterkeit  einbüs- 
sen.  D.iruui  ist  es  auch  immer  dahin  gekom- 
men,    dass  in  jeder  Volksreli^ioa  endlich  nur 


-j3 

noch  der  Pübel  dem  Bilderdienste  tTeu  geblie- 
ben ist.  Der  Vernünfiic;e  aber  hat  in  den  Göt- 
ter- und  Heiligenbildern  immer  nur  die  schöne 
lind  erkabene  Idee  bewundert,  das  treflichc 
ode}'  schlechte  Kunstwerh  gesehen. 

Walire,  reire  Religion  ist  ft-.r  bildend© 
Kunst  ganz  unfruchtbar.  Ihr  über  alle  An- 
schauung eihabener ,  nur  dem  Geiste  be\vuster 
Gegenstand  verschmälit  jede  bildliche  Daistel- 
lung.  Volksreligionen  können  also  nur  indem, 
was  sie  zu  Volksreligionen  nucht,  in  der  sin- 
IJclien  Einkleidung  des  Lbersinlichen  ,  in  ikren 
Sagen  und  Fabein,  der  Kunst  einen  braucliba- 
aen  Stoif  darbieten,  und  ihre  Entwickelung 
und  Ausbildung  begünstigen.  So  sind  denn 
auch  v/irklich  einige  Voiksreligionen  alter 
und  neuer  Zeit  der  Boden,  oder,  da  die  Kunst 
ihren  eigenen  Boden  hat,  eigentlich  nur  der 
Diin^er  gewesen,  der  die  zarte  Pflanze  der 
Kunst  aus  ihrem  Keim  hervorgetrieben  ,  ge- 
nährt und  ihre  Biüilie  entwickelt  bat.  Das 
Samenkoin  aber,  aus  welcliem  diese  Pil^nze 
emporwuciis,  ist  eigener  Natur  und  edlerer 
Abkunft,  Es  stammt  von  den  edelsten  Kräften 
der  Humanität,  ui'id  rciit  nur  da,  wo  ditse 
sich  harmoiiiscli  entfalten.  Der  Stoff  aliör 
Volksreligionen  im  Gegcntheil  erzeugt  sich  aus 


253 

sinnliclieii  Anlagen  clcr  Menscliennnttir,  Ge- 
fühl der  Abliänf];iglieit  von  stärkeren  Natur- 
mäcliten,  Unwissenheit,  Furcht  und  Hofnung 
sind  seine  Elemente,  die,  wenn  sie  sicli  mit 
Religionsidecn  gatten  ,  den  Aher^lauhen  s-ebä-« 
rcn,  der  dann,  gleich  einer  Schmarotzej-pflan- 
ze,  die  sich  an  alles  hängt,  woraus  sie  Nah- 
3ung  saugen  kann,  auch  an  der  Kunst  empor- 
W'uchcrt,  den  Stamm  derselben  eine  Zeitlang 
lustig  umgrünt,  aber  heimlich  ilire  Lebens- 
Kraft  austrocknet  und  verzehrt;  wie  es  der 
neueren  Kunst  im  Dienst  der  Kirclie  ergangen 
ist.  Dass  die  alte  Kunst  nicht  ein  gleiches 
Schiksal  hatte,  komt  daher,  weil  sie  selbst 
nach  ihrem  Dedüifuisse  die  Mitologie  der  alten 
Volksreligion  gestaltete,  imd  auf  diese  Weise 
mitten  im  Dienste  derselben  ihre  Selbs.tändig- 
keit  auf  eigenem  Eoden  behauptete.  Sie  war, 
•was  die  Kunst  im  Dienste  einer  Religion  seil» 
soll,  Simbolik  des  L-bersiniichen  duich  die 
schönsten  würdigsten  Bilder  der  Natur.  Die 
neuere   Kunst  liin^zecren  hat  der  Volksrelip-ion 


•G^Ö 


T 


blos  gedient  imd  in  diesem  Dienste  ihre  Selb- 
ständigkeit veiloren.  Nun  raus  sie,  von  je- 
ner absretrennt  und  sicii  selbst  wiederirecreben, 
erst  diese  wiedersuchen,  und  auf  ilirem  eige- 
nen Boden  Wurzel  fassen. 


So  soll  denn  auch  der  Künstler  ,  wie  Car- 
stens in  wahrer  Erhentnis  seines  Zw^eches  wirk- 
licli  tliat,  seine  Kunst  hinfort  nicht  in  der  Re- 
ligion ,  sondein  seine  Religion  ,  d.  i.  den  Ge- 
genstand seiner  reinsten  Liebe,  seines  eürig- 
sten  Stiebens,  seiner  seligsten  Gefühle,  in  sei- 
ner Kunst  finden.  Seinen  Schöpfer  mag  er  als 
das  höchste  ,  heiligste  Wesen  im  Geiste  und 
Herzen  verehren;  aber  nur  das  Schöne  und  Er- 
habene der  Natur,  das  Gi'oPse  und  VTiirdige 
der  Menschheit  können  die  leinen  Quellen  sei- 
ner künstlerischen  Begeisterung  sein;  oder  er 
läuft  Gefahr,  ein  Abgötter  zu  \^  erden,  der  vor 
Seinem  eigenen  Machweik  niedcrknieL ,  wie 
es  manchen  katolischen  Künstlern  wirklich  er- 
gangen ist.  Die  Kunst  selbst  wird  ihn  dann 
Äur  Wahl  solcher  Gegenstände  leiten,  die  ihr 
Streben  nach  dem  Ideale  plastischer  Schönheit 
VOizüglich,  und  auf  die  mannigfaltigste  Wei- 
se begünstigen,  also  vor  allen  zu  den  Gegen- 
ständen der  alten  Mitologie ,  wo  Geschichte 
und  Fabel ,  Göttliches  und  Menschliches  ,  Dich- 
tung  und  Plastik,  sich  wunderbar  vereinigen; 
die  bereits  von  den  Alten  der  Kunst  so  glück- 
lich zugebildet  sind>  und  an  denen  ihre  Künst- 
ler das  Ideal  der  Scluaiheit,  das  der  Kunst  al- 
ler Zeiten  Vorbild  imd  Leitsiei  u  sein  soUj  cnt-. 


255 

wickelt  haben.  Hier  hat  der  Kiinstler  ein  iiu- 
eudliches  Feld  voll  des  glükliclisteii  Stoffes, 
"WO  sein  Streben  nach  dem  Ideale  durch  nichts 
beschränkt  wird.  Hier  hat  er  übejdies  den 
grofsen  Vonheil  neu  sein,  und  eii>en  Stil  bil- 
den zu  können,  der,  wenn  er  gelän£;e,  jed« 
Foderung  des  leinsten  Kunstgeschniaks  zu  be- 
friedigen fdhig  sein  müstc.  Dazu  sind  "vveder 
der  Geist  und  Zweck  der  katolischen  Ileligion 
■überhaupt,  noch  die  Gegenstände  iiirer  jü- 
dischchristlichen Mitologie  und  Martirologie 
tauglich ,  was  auch  hier  und  dort  auftauchende 
Schwärmer  darüber  fantasiien  mügen.  — 

Unser  Hünstier  vrar  auf  dem  rechten  Wege 
zu  diesem  Ziele.  Da  er  die  Gabe  ,  den  eigen- 
thümlichen  Harakter  der  Dinge  aufzufassen, 
in  hohem  Grade  besas,  so  hatte  er  sich  aus 
den  KunstJenkmälern  der  Alten,  mit  Beihülfd 
des  fieissigen  Studiums  ihrer  Scliriftsteller  ei- 
ne seiner  Kunst  völlig  angemessene  Vorstel- 
lung vom  gricliischeu  Alterthume  daraus  er- 
worben, w^elcher  gemäs  alles,  was  er  bildend 
dachte,  sicli  in  seiner  plastisch  diclitendeti 
Fantasie  kunstmäfsig'gestaltete.  Seine  gänzli- 
che Unbekantschaft  mit  den  künstlichen,  aller 
■wahren Kunst  widerstrebendtn,  Verhältnissen, 


:;5ö 

Sitten  und  Manieren  der  lieutigen  Welt  hatte 
diese  reine  Ansicht  des  Alteitliums  vojzüglicli 
in  ihm  begünstigt»  Der  ewige  Widerstreit 
des  Modernen  mit  dem  Antiken ,  der  gewöhn- 
lich dadurcii  geschlichtet  ^vird  ,  dass  man  je- 
nes nach  diesem  ,  oder  dieses  nach  jenem  mo- 
delt und  ziistuzt,  wodurch  denn  ein  harahter- 
loses  Gemisch  von  beiden  entsteht,  war  für 
ihn  gar  nicht  da.  Das  Modernste,  Avas  je  auf 
seinen  Geist  cingewirht  hatte,,  waren  die  Wer- 
ke ]\'IicheIa7!gelo''s  und  Fiafaels  ;  aber  auch  die- 
»e  wirlitcu  nur  nach  dem  früheren  Einfius  der 
Antiken  auf  ihn.  So  bildete  er  sich  endlich 
«inen  Stil,  der  ganz  dazu  geeignet  w^ar,  eine 
Schul-e  zu  begründen ;  wie  denn  auch  sei- 
ne Weike  selbst  schon  eine  Schule  in  der 
höheren  Bedeutinig  des  W'ortes,  d.  i.  einen 
eigenen  musterhaften  Kreis  genialischer  Kunst- 
gebilde ausmachen,  in  denen  sich,  neben  den 
stufengängigen  Fortschritten  des  Künstlers, 
der  Geist  des  Altenhums  mit  der  Darstel- 
liingsweise  der  neueren  Kunst  vereint,  treuer 
und  reiner  spiegelt,  als  in  irgend  einer  der 
bckanten  Kunstschulen. 

Z  e  i  c  h  IL  n  n  g. 
Seit  Carstens  sich  ganz  der  Kunst  widmete, 
liat  er  nie  mehr  einen  Gegenstand  nacligezcich- 


257 

net.  Er  stncllrte  blos  betraclitend ,  iiKaem  er 
den  Gegenstand  seines  StuiJinins  oft  und  alsei- 
tig  aufs  genaueste  beobachtete ;  die  Gestalt 
nebst  dem  Karaliteristi sehen  desselben  seiner 
Einbildungskraft  einzuprägen,  und  dann  von 
dem  so  Aufgefafsten  in  eigenen  Arbeiten  die 
Anwendung  zu  machen  suchte. 

Dass  er  in  diesem  Verfahren  nicht  blos  mit 
dem  Gedächtnisse  die  Foruien  undUmiisse  der 
Gegenstände  aus^veiicig  leinte,  sondern  sie  le- 
bendig in  seinen  Sinn  aufnahm  und  seiner  Bild- 
!kraft  aneignete,  bev\"eist  die  Art  der  Anwen- 
dung; noch  mehr  aber  das  eigene  innere  Le- 
ben seiner  Bildungen.  Auch  ham  ihm  dabei 
das  plastische  Vermögen  seiner  Einbiidungs- 
liraft,  das  Bild  der  Gegenstände  nicht  blos  als 
einen  Schemen  auf  der  Fläche,  sondern  als 
vrirklich  rund  aufzufassen ,  sehr  zu  statten» 
Er  begrif  dadurch  um  so  leichter  die  Formen 
der  Gestalt  auch  innerhalb  des  Umrisses.  In* 
dessen  hatte  doch  diese  Art  zu  studiren  auf  den 
Karahter  seiner  Zeichnung  einen  sichtbaren 
Eiuflus.  Er  stjebte  in  den  Fonnen  nach  Be* 
stimtheit,  in  den  Verhältnissen  nach  Grofse, 
in  den  Umrissen  nach  Schönheit;  durchgängig 
nach  Idealität,  Diese  Zwecke^  hat  er  auch  im 
»7 


^58 

Ganzen  glül^licli  etreiclit.  BesriiTitlieit,  Gfö" 
fse,  Sclionlieit  kommen  in  seiner  Zeichnung 
dem  Auge  überall  entgegen;  und  seine  Gestal- 
ten sind  immer  idealischer  Natur.  Aber  der 
prüfende  Blick  des  Kunstrichters  vermisst  in 
vielen  die  durchgängige  Korrektheit.  In  dem 
Streben  nach  grofsen  Veihältnissen  sind  ihm 
zuweilen  die  äufseren  Gliedei",  besonders  die 
Füfse,  zu  kl^^in  gerathen;  -v\'elclies  auch  dem 
JVIichelangelo  nicht  selten  begegnet  ist,  der 
ihn  eigentlich  auch  zu  diesem  Fehler  verleitet 
hat.  Den  Foimen  und  Gelenken  der  Glieder 
fehlt  zuweilen  das  gründliche  Verständnis, 
w^eslialb  es  auch  den  Umrissen  an  durchgangi- 
ger Richtigkeit  felilt.  Seine  Gestalten  >  denen 
nie  Leben  und  Ausdruck  mangelt,  bewegen 
sich  fast  immer  natüjlich  und  gefällig  ;  und 
seltener  ist  in  diesem  Punkt  die  Richtigkeit 
verlezt. 

Es  ist  nicht  zu  zYS-^eifeln,  dass  ein  Künstler 
von  vorzüglichen  Fähigkeiten  nicht  auch  ohne 
Nachzeichnen,  auf  dem  Wege  blofser  Betrach- 
tung und  fleissiger  Uebung  in  eigenen  Erfin- 
dungen ,  endlich  dahin  gelangen  könne ,  die 
jnenschliche  Gestalt  in  jeder  Stellung  und  An- 
sicht  volkommen   richtig   zu   zeichnen.      Um 


^59 

aber  nach  der  blöfsen  Vo) Stellung  eine  Zeicli- 
niing  so  nuszufüliren ,  dass  sie  in  allen  Theilen 
felilerfiei,  und  wie  nacli  der  Natur  ansstudirt 
erscheine,  ist  nothwendig,  dsss  der  Künstler 
die  Gegenstände,  die  er  darzustellen  hat,  bis 
in  ihre  kleinsten  Theile  nicht  blos  durch  das 
Ar.ge  ,  sondern  auch  juit  dem  Veistande  ihre 
Konstiuhzion  duichaus  so  gründlich  und  ge- 
nau henne,  als  ob  er  selbst  sie  erdacht  und  ge- 
schaffen habe.  So  duichaus  gründlich,  ver- 
mittelst seines  tiefen  anatomischen  Studiums, 
kante  vor  allen  anderen  ^lithelangelo  den 
menschlichen  Körper;  und  dadurch  ist  er  auch, 
in  dr.  Darstellung  desselben,  vor  allen  andern 
50   bewundernswürdig  und  uneireichbar  gro=. 

Da  nun  aber  C arstens  hei  weiiem  nicht  die- 
se tiefe  und  gründliche ,  sondern  nur  einö 
nothdürftige  Keiitnis  der  Anatomie  besas ,  und 
auch  in  der  Persjyektiv ,  der  zweiten  Grund-* 
kentnis  des  Malers,  ohne  %velclie  keine  strenge 
Richtigkeit  der  Zeichnung  möglich  ist,  prak- 
tisch nicht  hinlänglich  regeliest  war,  so  kon- 
te  alle  Übung  und  Fertigkeit  seiner  Einbil- 
dungski aft,  alle  Treue  seines  Gedächtnisses, 
ihn  nicht  vor  manchen  Unrichtigkeiten  im  Ein- 
zelnen schützen ,    so  sehr  er  «uch  dagegen  a.uf 


seiner  Hat  war.  Aberdie^e  Mängel,  die  nicht 
soAVohl  seiner  An  zu  studiren  ,  als  vieljuehr  sei- 
ner stets  beschrankten  Lage,  die  ihn  an  der 
Erwerbung  der  nöthigen  Hülfskentnisse  hin- 
derte, beizumessen  sind,  werden  durch  einen 
eigenthümlichen  Vorzug,  durch  die  individu- 
elle Einheit  des  Rarahters ,  durch  die  Bedeut- 
samheit und  den  lebendigen  Ausdruck  seine* 
Gestalten ,  die  auch  den  Figuren  der  korrek- 
testen Zeichner  so  oft  fehlen ,  vergütet.  Da- 
mit begegnete  auch  Carstens  seinen  tadelsüch- 
tigen  Gegnern,  welche  behaupteten,  er  könne 
wohl  komponiren ,  aber  nicht  zeichnen.  In- 
dem er  ihnen  zugestand,  dass  im  Einzelnen  sei- 
ner Arbeiten  manche  Unrichtigkeit  zu  tadel* 
sein  möge,  zeigte  er  ihnen,  dass  ihre  eigene 
Zeichnung  im  Grunde  noch  viel  schlechter  seij, 
weil  daran ,  aller  nach  Modellen  mühsam  aus- 
studirten  Korrektheit  der  Theile  ungeachtetj 
das  Ganze  nichts  tauge. 

ff^ahl   des    Stoffes, 

Bei  der  grofsen  Mannigfaltigkeit  in  der 
Wahl  der  Gegenstände  für  eine  Darstellung 
ist  es  merkwürdig,  dass  der  Künctler  nie  ei- 
nen Stof  aus   der  römisclicn  Geschichte  behau- 


ci6i 

delt  liat,  die  jezt  fast  ausscliliefseud  das  Feld 
der  fraiizüsisclien  Schule  geworden  i't.  Car^ 
stens  beliandelte  jeden  für  malcii  clie  Darstel- 
lung günstigen  Stof,  der  sein  Kunstinteresse  in 
-V'OTzüglichem  Grade  erregte;  und  so  finden 
wir  ihn  bald  mit  einem  Stoffe  aus  der  nordi- 
schen INlitologie  und  der  Ossianisclien  Welt, 
bald  mit  der  Idee  eines  neueren  Dichters  be- 
schäftigt; am  liebsten  aber  behandelte  er  Ge- 
genstände des  grichi-clien  Alterthums  aus  der 
homerischen  Welt,  und  was  der  nahe  liegt, 
lind  zu  ihnen  hehrte  er  immer  wieder  zurück, 
weil  sie  die  einfache,  ruhige  Grüfte  und  die 
reine  Idealschünheit ,  nach  der  er  strebte ,  vor 
allen  andern  begünstigten.  Er  vermisste  diese 
Eigenschaft  an  den  Gegenständen  der  römischen 
Geschichte ,  die  zwar  dem  Maler  Gelegenheit 
darbieten ,  Reichthum ,  Pracht  und  theatrali- 
schen Pomp  zu  zeigen,  ihm  aber  den  höheren 
Federungen,  die  Er  zu  leisten  strebte,  im- 
günstig  imd  widerstrebend  schienen.  Da  über- 
dies das  römische  Kostiün  die  Freiheit  des 
Künstlers  auf  mancherlei  Art  beschränKt,  und 
ein  eigenes  Studium  fodert,  so  hielt  er  es,  be- 
sonders in  seiner  La^^e,  für  zweckwidrig,  auf 
das  Studium  -  olcher  Dinge  ,  welche  den  höhe- 
ren Zweck  der  Kunst  vielmehr  beschränken, 


ö63 

eis  befördern  ,  viel  Zelt  und  Miilie  zu  verwen- 
den. Weaii  der  Künstler  hier  nicht  blo3  in 
Bezug  auf  ich  unheilte,  «^o  würde  sich  wider 
jene  Behauptung  manchem  einwenden  lassen; 
da  in  ihrer  Art  auch  die  römi-che  Geschichte 
jintreitig  ein  fruchtbares  und  leiches  Feld  ma- 
lerischer Stoffe  darbietet.  Nur  mü^te  auch  der 
Stil  solcher  Darstellungen  seinen  eigenen  von 
jdem  Stile  der  grichi?chen  Heroen  weit  ganz 
verschiedenen  Karakter  haben  ;  der  jedoch  so 
schwer  nicht  zu  finden  sein  dürfte ,  da  schon 
^afael  und  Julius  Romanus  denselben  in  der 
Schlackt  Konstantins  und  einigen  andern  Wer- 
Iven  aus  den  römischen  Denkmälern  glüklich 
in  die  Malerei  übeitiagen  haben.  Vergleicht 
man  aber  beide  Arten  de?  Stils  mit  dem  Ideale, 
so  i  t  nicht  zu  läugnen ,  dass  iin  Algemeinen. 
des  Künstlers  obiges  Urtheil  über  die  Gegen- 
stande des  lömischen  Alterthums  gegründet, 
und  seine  Bemerkung,  dass  auch  die  gricJii- 
sehen  Krieger  als  Helden »  die  römischen  Hehlen 
aber  nur  als  Krieger  gebildet  werden  können, 
sehr  richtig  ist,  und  das  Verhältnis,  worin 
beide  zum  Ideale  stehen,  treffend  bezeichnet. 
In  der  That  w^ird  auch  die  durch  die  alten 
Dichter  und  Rünsr^ei  zum, Ideal  veredelte  He- 
roenwelt der   Grieben    für  die  bildende  Kunst 


^65 

immer  ein  günstigeres  Feld,  und  für  den  Ge- 
»cliüiak  eine  reinere  und  reichere  Quelle  der 
Scliüukeit  sein,  als  das  kriegerische  Zeitalter 
der  Ktiuier,  dem,  bei  allem  Heroismus  de^ 
Muthes  und  der  Gesinnung,  doch  eine  gewis- 
se durch  die  Kunst  nicht  genug  veredelte  P«.o- 
heit  anhängt,  die  mit  der  Reinlieit  des  Ideales 
nicht  -wohl  verträglich  ist. 

Aus  derselben  Ursache  hat  unser  Künstler 
auch  keine  Gegenstände  der  biblischen  Ge- 
schichte behandelt.  Zv^-ar  liielt  er  das  patriar- 
chale  Zeitalter  der  ebräischen  Vorwelt  für  ei- 
ne ergiebige  Quelle  malerischer  Bilder;  und 
durcli  Fiajaels  trefliche  Darstellungen  in  den 
Logen  des  Vatikan  war  es  ihm  noch  lieber 
geworden;  aber  dennoch  blieb  es  seinem 
duich  grichische  Kunst  und  Dichtung  gebil- 
deten Sinne  weniger  genügend,  als  das  schü- 
nero  Alterthum  der  Grichen.  Zu  Gegenstän- 
den der  christlichen  Mitologie  oder  gar  der 
Legenden  und  des  Marterthums  hätte  er  sich 
noch  \veniger  verstanden.  Diese  waren  ihm, 
wie  jedem  Menschen  von  unbefangenem  Gei- 
ste und  gesunder  Empfindung,  ihres  unbe- 
deutenden ,  oft  albernen  ,  oder  häslichen  und 
«Jißihaften  Inhalts  wegen  zuwider;    und   aus. 


ä54 

jtner  meinte  er,  seien  die  besten  Momento 
«chon  von  guten  Künstlern  so  gut,  und  von 
Eclilecliten  so  oft  daigestellt  worden,  daisman 
daran  für  immer  genug  habe. 

Man  hat  dem  Künstler  vorgeworfen ,  das9 
«r  zu  sehr  darauf  ausgegangen  sei,  neue,  un« 
behaute  Gegenstände  darzustellen.  Wenn  die- 
ser Vorwurf  auch  durch  die  Menge  neuer,  von 
ilim  zuerst  behandelter  Stoffe  gegründet  schei- 
nen möchte,  so  ist  er  es  doch  in  der  That 
nicht.  Seine  so  häufige  Wahl  neuer,  unge- 
wöhnlicher Gegenstände  hatte  einen  andern 
Grund,  und  der  Verfasser  kann  hier  um  so 
eher  ein  Wort  2Hir  Berichtigung  dieses  Mis- 
Verstandes  sagen,  als  er  des  Künstlers  Gedan- 
iien  über  diesen  Punkt,  und  die  nähere  Vei an* 
lassung  zu  mehreren  seiner  Erfindungen  sehr 
wohl  kennt. 

Carstens  gehörte  freilich  nicht  zu  denen, 
welche  behaupten ,  in  der  Historienmalerei 
^omme  auf  den  Inhalt  nur  w^enig,  das  Meiste 
auf  die  Ausführung  an ;  der  Künstler  thue  da- 
Iier  wohl,  sich  immer  in  dem  Kreise bekanter, 
also  auch  von  Meistern  und  Stümpern  bereits 
bis  zum  Überdrus  behandelter  Gegenstände 
herumzudrehen  (wozu   freilich  die  Maler  im 


IM««ste  der  Kirclie  genÖtliigt  sind).     Im  Ge- 
gentlieile   hielt  er  dafür,     dass    die    WaLl   des 
Iiilialts  und  die  Poesie  der  Erßndiing  die Ilaupt- 
saclie  ;    und ,  wo  sie  misiungen  oder   vernacli- 
lässigt  ^vorden,    ein   Kunstwerk   auck  bei  der 
besien  Ausführung  niittelmäfsig  sei;    und  dass 
es  dem  erfindenden  Künstler  frei  stehen  luüs- 
ee,     das   Gebiet   der    Kunst  mii:  neuen   Gegen* 
ständen    zu    bereichern  >    die   der    malerischen 
Darstellung    fähig    und    würdig    sir.-d,     ohne 
Fcücksi&ht    ob   die  Gegenstände    allgemein  be- 
kant  seien ,    oder  nicht.      Darum  aber  glaubte 
%r  doch  keines\veges  ,  dass  das  Neue ,    blos   als 
solches,    irgend  einen  Weith  habe;    und  um 
mit  Eelesenheit  zu  prunken,    hat  er  gewis  nie 
einen  unbekanten  Stof  gewählt.     Dass  Carstens 
so  viele  neue  Gegenstäiide  behandelt  hat,    war 
eine  natürliche  Folge  seiner   vertrauteren  Be- 
kantschaft    mit    den  alten   Schriftstellern,     die 
wohl    wenige    Künstler    so    atxfmerksam   und 
wiederholt  gele-en  haben.    Wärend  des  Lesens 
entstanden   ihm  vmgesucht   Bilder    die  Mengej 
unter   derren   er  nur    die   festhielt,    die    seinen 
Darstellunj^itrieb  vorzüglich  reizten,,  und  ihm 
zur  malerischen  Behandlung  vorzüglich  geeig« 
jiet   schienen.      Dies   w^ar  besonders    der  Fall, 
■  wana  ei  einen  jiiten  odei  jieue^n  &cluiftstell^ 


1^66 

zum  erstenmale  las.  So  z.  B.  entstand  eine 
seiner  lezteii  und  schönsten  Komposizionen, 
die  nielirervväliutc  Scene  aus  dem  Vten  Gesän- 
ge der  Dantescnen  Hölle ,  durch  Schlegels  Dar- 
stellung dieses  Gedichts  in  den  Hören ,  aus  de« 
er  dasselbe  zuerst  kennen  lernte ,  da  er  italie- 
nische Dichter  in  ihrer  eigenen  Sprache  nicht 
lesen  honte.  So  fasste  er  die  Idee  zn  einer 
Darstellung  der  Scene ,  wo  Verres  das  Bild 
der  Diana  von  dem  Markte  zu  Segest  entfüh- 
ren last ,  die  ihn  noch  aul  seinem  Sterbelageif 
beschäftigte,  aus  der  in  Goldhagens  grlchischer 
lind  römischer  Antologie  übersezten  Steile  einer 
fiede  des  Cicero  gegen  Verres,  wo  diese  Ge- 
walthandlung ausführlich  erzahlt  ist,  die  er 
kuiz  vorher  zuerst  gelesen ,  und  wozu  ihm 
überdies  die  neueste  Kuustplünderung  Pioms 
Bilder  und  Empfindungen  ^enug  dargeboten 
liaLte.  Der  Verfasser  könte  die  ähnliche  Ent- 
stehung von  mehreren  Komposizionen  des 
Jlünstiers,  die  er  entweder  sogleich  aufzeich- 
nete, oder  noch  eine  Weile  in  Gedanken  trug, 
angeben.  Überhaupt  kam  Carstens  nicht  leicht 
in  den  Fall,  einen  Gegenstand  zu  wählen,  der 
ihn  nicht  lebhaft  interessirt,  dessen  Bild  sich 
ihm  nicht  von  selbst  dargeboten  hatte.  Denu 
^a  er  immer  nur  zunächst  für  sich  arbeitete. 


267 

so  konte  er  auch  in  der  Wahl  der  zu  bearbei- 
tcnJeii  StcftG  ganz  seinem  Antriebe  folgen ; 
lind  er  wüste  diese  Freiheit  ,  die  grofeen, 
vielbeschäftigten  Malern  selten  zu  Theil  ge- 
Avorde«.  ist,  zu  schätzen;  doch  hätte  er  für 
die  Yortheile  ihrer  Abhängigkeit  gern  einen 
Tlu'il  derselben  hingegeben.  In  früheren  Zei- 
ten, wo  ei  mehr  allegoiisirte,  und  von  der 
Grofse  des  3IicheIangelo  begeistert,  diesem 
nachzustreben  versuchte,  mochte  er  öfter  in 
dem  Falle  gewesen  sein,  nach  GegensiänJen 
zu  suchen,  die  ihm  Veranlassung  zu  grofsen, 
mächtigen  Gestalten  gaben ;  und  so  erhielten 
auch  noch  später  einige  seiner  vorzüglichsten 
Erfindungen  dieser  Art,  die  Schö-pjungsp-uj)-pe^ 
der  Lodageist ,  und  die  Sacht  mit  ihren  Kin-^ 
dem,   ihr  Dasein. 

Wenn  Carstens  ausserdem  zu^veilen  Ge^» 
genstände  behandelt  hat,  die  entv^eder  seiner 
Kunst  überhaupt  ,  oder  seinem  Vermögen 
jiicht  angemessen  %varen,  so  nius  man  diese 
Ffille  als  Misgrifte  der  Beurtheilung  betrach- 
ten, zu  denen  irgend  ein  lebhaftes  Interesse 
an  solphen  Gegenständer^  ihn  verleitete,  und 
dergleichen  den  gröiten  Riinstlern,  dichten- 
den und  bildenden,   wohl  zuweilen  begegnen. 


268 

El  wüste  besser  als  viele,  was  seine  Kunst 
fodert,  und  was  sein  liunstvermügen  am  be- 
sten Leistete  ;  aber  vom  W  issen  zur  Ausübvmg 
giebt  es  nianclierlei  Irvi^ege,  Avelche  j^iül'.lich 
zu  vernieiuen  auch  das  gebildetste  Genie  niclit 
iiiunei  kalte  iiüiige  Besonnenheit  genug  iiat, 

Ausdruck. 
Wenn  wir  in  Hinsiclit  auf  diesen  Tlieil 
der  K-uiibt  die  grofsen  Maier  unter  den  neue- 
ren mustern,  so  finden  wir,  auTstj  hajael, 
l^einen  der  in  demselben  allumfassend  zu  nen- 
nen wäre,  der  das  \ermogen,  für  jeden 
Jiarakter  die  ihm  entsprecbende  Bildung  zu  er- 
finden, in  seinem  ganzen  Umfange  besessen 
hätte.  Ihm  allein  gelang  der  Ausdruck  jedes 
üarakters  ,  jeder  Gemüthsbewegung  und  Lei- 
denschaft, durch  die  ihr  entsprechende  Fi-^ 
eiognomie  und  Gebeide ,  und  selbst  in  ver- 
wandten Karakteren  viäederholte  er  sich  nicht; 
daher  auch  in  allen  Werken  Rajaels,  ein  paar 
üöpfe  ausgenommen,  die  er  vorseziich  wie- 
derholt hat,  keine  Fisiognomie  zweimal  vor- 
liomt.  Alle  anderen  grofsen  Maler  sind  im  fl- 
sioo^nomisclien  Ausdjuck  mehr  oder  weniger 
beschränkt,  ihnen  gelingen  nur  Karaktere  ei- 
DLCi    gewissen    Gattung.      Leonardo  da   Vinci 


269 

hat  zu  wenig  grofse  Wer!ke  liinterlassen,  um 
sein  Vermögen  für  den  Austiruck  ganz  zu  ent- 
falten. Nach  seinem  Abendmal  zu  urtheilen, 
^val•  es  allerdings  von  grofsem,  nacli  der  Ein- 
förmigkeit seiner  weibliclien  Fisiognomien 
aber,  nur  von  beschränktem  Umfange.  Auch 
D ominichino ,  nach  Rafael  der  gröste  Meister 
im  Ausdruck,  noch  mehr  aber  Correggio ,  Pai' 
megi^iano  y  Guido  t  Guercino ,  Alhano ,  haben, 
ihien  beschränktgn  Kreis,  man  könte  sagen 
ihre  eigene  Familie  von  Gesichtern,  gevv-isse 
Lieblingsfisiognomien ,  Mienen  und  Stellun- 
gen ,  die  sie  zu  wiederholen  nicht  müde  wer- 
den. Rafael  gleicht  dem  grofsen,  universel- 
len Schauspieler,  der  sich  in  jeden  Karakter 
versetzen  kann,  dem  jede  Pcolle  gelingt;  die 
arideren  Künstler  gleichen  guten ,  aber  be- 
schränkten Schauspielern,  deren  Talent  nui-  in 
einem  oder  w^enigen  Fächern,  nur  in  gew^is* 
sen  Fvollen  glänzt. 

Sclnverlich  lassen  sich  in  diesem  Theile 
die  jedem  Talente  von  der  Natur  gesezten 
Schränken  durch  Kunst  überschreiten ;  da  der 
Ausdruck  der  Karaktere  und  Affekte  lediglich 
vom  Gefühle  abhängt.  Wem  das  Talent  des 
Ausdrucks  versagt  ist,    der  wird  es  diuch  kein 


ö7^ 

Stieben  erlangen,   liöclistens  wird  iLm  nur  e:--: 
Xie  Übertreibung  davon  gelinj^en  ;     er   ist    zuf 
dramatisclien  Malerei  nicht  berufen.     Nur  wer 
es    besizt,    findet  niclit  allein   die  Fisiognomie 
des  Karakters,    sondern   aucli   in  jedem   lalle 
das  richtige  Maaä  des  Ausdrucks.      Darum  ist 
auch    das  Vermögen  Individualität  zu^  erschaf- 
fen die  eigentliche  Grundlage  und  der  sicher-, 
ste  Priilstein   des  plastischen  Genies ,     so  wie 
der  fisioguomische  Ausdiuck  die  Grundlage  je- 
der andern  Art  des  Avisdrucks  ist.     Er  ist  das 
Bleibende,     an    welcliem   der  pathognomische 
und    mimische    Ausdnick    vorübergehend   er- 
scheinen.      Wahrer     bestimmter    Karakteraus- 
druck  wird  daher  auch  seltener  gefunden  ,    als 
der   wahre  Ausdruck  bestimmten  Leidens  und 
Handelns ,    der  auch  an  karakteilosen  Gestalten 
erscheinen  kann ,    obgleich  er  dann  nur  wenig 
Theilnahme  ciregt.     Dieser  last  sicli  der  Natur 
ableinen ;     der  Künstler  darf  ihn  nur  richtig 
auffassen ,     und    treu  nachbilden.      Jenen  mus 
seine   Einbildungskraft  erfinden.      Gemüthsbe- 
Avegungen  von   gleicher  Art  und   Handlungen 
7,u  gleicher  Absicht  haben  aucli  eine  gleichför- 
mige Art  ihres  Erscheinens.     Der  Karakter  al- 
lein   ist  individuell;    ist   er  das   nicht,    so  ist 
rr  unbestimmt.    Eigenthüralicli  und  bedeutend 


kann  also  aucK  eine  Fisiognomie  nur  dadurch 
sein,  dass  sie  einen  bestimmten  eigentliümli- 
clien  liaiakter  ausdrückt. 

Carstens  besas  das  Talent ,  einem  gegebe- 
nen Karakter  gemäs  die  demselben  entspie- 
cliende  Fisiognomie  in  seiner  Einbildungskraft 
aufsteigen  zu  lassen ,  in  einem  liolien  Gjade ; 
er  v\'dr  also  auch  in  der  Karakteristik  seiner 
Kopfe  glücklich;  und  war  auch  sein  Kreis 
nicht  allumfassend  wie  Rafaelsr  so  war  er 
doch  un-.fassender  als  der  Kreis  irgend  eines 
der  obengenanten  Maler.  Fähig  alles  auszu- 
drücken was  ihn  lebhaft  und  innig  gerührt, 
oder  durch  ein  liolies  Interesse  begeistert  hat- 
te, zog  er,  bei  seiner  vielseitigen  Empfäng- 
lichkeit ,  Vieleii  mit  Glück  in  seinen  Ki  eis ; 
lind  eigentlich  lag  aufserhalb  desselben  nur 
das ,  was  der  natürlichen  Stimmung  und  Em- 
pfindungsweise seines  Gemütlis  als  vml.cdeu- 
tend  oder  fremdartig  widerstand.  Daliin  ge- 
Lüj  te  zuförderst  alles  Affektlrte  ,  Gezierte,  Ge- 
meine.  Frivole,  Wollüstige;  dann  auch  das 
blos  Liebliche,  Tändelnde,  Empfindsamzärt- 
liche, Zieilichschöne.  Jenes  w^ar  der  Wahr- 
heit und  Würde,  dieses  dem  Ernste  seiner 
Empfindung,  so  wie  alles  Moderne  seinem 
Geschxnack ,   zuwider. 


ä7- 

KinJer  Vommeti  nur  selten  in  seinen  Da!.- 
Btellniigen  voi  ;     auch  kante   er  die  Natur  der- 
eclben   nur   aus  der   zweiten  Hand,  vornelim- 
lieh  aus  Rafaels  drallen ,    kräftigen  Buben  und. 
'  aus    Flamingos  Rindern.      Der  kleine  Achill  in 

d«n  Argonauten^,  so  wie  Tod  und  Schlaf  in 
der  Nacht  g^ehören  «schon  ins  Knabenalter. 
Auch  junge  weibliche  Gestalten  hat  er  nur  we- 
nige gebildet;  doch  gelang  ihm  der  Ausdruck 
zarter  jun^fiäulichei-  Unschuld  und  Schönheit 
in  den  Köpfen  dei^elben  sehr  w^ohl,  wie  sei- 
ne Polyxena  in  Priam  und  Achill,  die  Grazien 
im  ßlusentanz ,  einige  weibliche  Figuren  ia 
der  Schlacht  der  Kentauren  und  Lapithen ,  und 
im  Eteokles  zeigen.  Doch  gelang-en  ihm  noch 
besser  weibliche  Gestalten  im  Karakter  ideali- 
scher Wesen,  die  hohe  Schönheit,  mit  Ernst 
und  Grofse  vereint,  fodern;  wie  in  der  Nacht, 
der  Nemesis,  den  Erynnien  und  Parzen,  deren 
Individualität  er  selb  t -ei fand ,  und  die  ein^m 
Maler  sanfter  Weiblichkeit,  einem  Guido,  Do- 
minichino,  schw-erlich  gelungen  \vären.  Eine 
seiner  vorziiglichsten  weiblichen  Bildungen 
ist  die  traumdeutende  Priesterin  in  dem  Orakel 
des  Amfiaraos.  Ohne  Ausnahme  gehörten  dio 
Karaktere  jedes  Alters  und  jeder  Klasse  vom 
«tärkeren  Geschlecht,    vorzüglicU  aber  Helden 

und 


273 

lind  Jlts,    seinem  Kreise  an.      Aus  dem  frühe- 
sten  Jünglingsalter    sind   sein   Ganinied,    und 
Jiylas  in    den   Argonauten,  —    aus   dem  reife- 
ren :    der   rükwärtsblickenae   Jüngling  im  So' 
lirates  i    die   Jünglinge  im   Homer  und  im    Ja- 
son ,    die  vorzüglichsten.      Mänliclie    Gestalten 
von    der   vejscliiedensten  Individualität  ßnden. 
sich   vornehmlich   in    den   beiden   Barken  und 
in    der   Hölle.     Wie  sich  der  Künstler  homeri- 
sche Helden  gedacht  hat,  sieht  man  in  den^;- 
sonauten,     im    Achill     und   Priam ,     im    Zelte 
.Achills,    im   Kamjjje  Jupiters  mit  den  Titanen^ 
in   den   beiden    Oedipen,    im  Jason  imd  Et-sO" 
Tdes ;    die  beiden   lezten  besonders    gehoien   so 
wie  sein    Fingal  zu  dem  Gelungensten  in  die- 
ser Gattung.      Oedipus  in  Kolon y    Homer,    der 
sitzende  Alte  im  Yoigmnde   und   der  fönizischg 
Jiaujman  in    demselben   Bilde ,    und   Priam  zu 
den  Fiissen  Achills,    zei^a^en  wie  er  das  Alter  in 
ehrw^ürdigen  Greisen  ,  —  sein  Fta^  in  dev  Schö- 
pfung sgruj)-pe   und    der  JL,odageist ,     wie    er  es 
in   dem   erhabenen  Karakter   übci-menschlicher 
Wesen  auszudrücken  wüste.     Dass  Carste?2S  in 
seinen  allegorischen  Erfindungen  den  Karakter 
der  abstrakten  Wesen  immer  symbolisch  durch 
die    Gestalt  auszudrücken    suchte,     und    darin 
Baeisteiis  glükUch  war,    ist  schon  an  einer  an- 

»8 


S74 

dern  Stelle  beniei\kt  worden ,  und  wir  dürfen 
liier  nur  an  seine  Nacht ,  an  die  Nejuesis  in 
derselben,  an  seine  Furien  und  Parzen,  an 
die  pT'inde  in  der  Dantischen  Hölle ,  an  den 
JVLorjeus  im  Orakel  des  Amßaraos ,  an  die 
Schöjyfungsgruppe  und  den  Lodageist  erinnern. 

Obgleicli  der  feurigen  Fantasie  des  Künst- 
lers heftig  bewegte  Scenen  und  Affekte  viel- 
leicht angemessener  waren,  so  zog  doch  oft 
sein  Gefühl  die  Daistellung  luhiger  oder  ge- 
jnäfsigter  Momente  vor ,  welches  in  diesen 
«inen  innigeren  Genus  fand ,  als  in  heftigen 
und  stürmischen.  An  Darstellungen  von  Blut- 
tind  Mordscenen ,  an  denen  die  neue  französi- 
sche Schule  so  gern  ihr  kaltes  Feuer  Vibt,  fand 
er  am  wenigsten  Gefallen;  an  solchen  niim- 
lich ,  wo  ein  Mord  als  Hauptliandlung  aus- 
schliefsend das  Gefiihl  in  Anspruch  nimt;  an 
Schlachten  hingCj^cn,  w^o  das  Getümmel  strei- 
tender Kräfte  zugleich  die  Fantasie  lebhaft  be- 
schäftigt, nahm  er  grofses  Gefallen  Konstan- 
tins Schlacht  war  immer  ein  Gegenstand  der 
Be\vunderung  und  des  Studiums  für  ihn ,  so 
oft  er  den  Vatikan  besuchte.  Aus  dejnselben 
Grunde  gefiel  ihm  unter  allen  Darstellungen 
des  Kindermordes  auch  nui-  die  Rajaalisahe, 


275 

Bei  dieser  Vorliebe  für  ruhige  Sceiien  ver- 
stand er  zugleich  die  Kunst,  sie  durch  Man- 
nigfaltigkeit des  Ausdrucks  so  interessant  zu 
machen,  dass  sie  den  Betrachter  oft  länger 
fesselten,  als  andere  Bilder,  die  ihr  llauptin- 
,  teresse  dem  Gegenstande  verdanken.  In  dieser 
Hinsicht  sind  seine  Argonauten  heim  Chiron 
und  sein  Homer  merkwürdig.  Beide  Bilder 
habeil  gemeinschaftlich,  dass  eine  vcisamnief- 
te  Menge  mit  Aufmeiksr.nikeit  auf  etwas  horcht, 
das  ihre  Gemüther  angenehm  be\vegt.  In  derai 
einen  sind  es  Helden,  die  dem  Gesänge  des 
Orfeus ,  in  dem  andein  Hörer  gemiscliter  Art, 
die  dem  Gesänge  Homers  horchen.  Das  Inter- 
esse in  diesen  Darstellungen ,  wo  eigentlich 
nicht  gehandelt  wird,  ^vo  blos  etwas  vori^eht, 
hat  der  Künstler  zuforderst  durch  die  Men^e 
schöner  Gestalten   und   bedeutender   Fisio^no- 

o 

jnien  bewirkt,  und  nächstdem  durch  den  man- 
nigfaltigen Ausdruck  einer  und  deiselben  Em- 
pfindung auf  so  vielen  und  so  verschiedenen 
Gesichtern  ,  der  von  mancherlei  kleinen ,  aus 
den  Umständen  sich  ergebenden  ,  Motiven 
unters tüzt  \vird. 

Zu   dieser    Gattung  ruhiger  Darstellungen 
gehören    auch:     die  ISacht   mit  ihren  Kindern; 


0-6 

die  Parz&n ;  (lr,s  Zeit  Schills  ;  die  s-cliwebende 
Schöffungsgrujype ;  der  in  Scliwerimvtli  ver- . 
sunliene  ^jflx,  und  das  Orakel  des  Amfiarüos, 
Es  sind  Drirscellungen  ohne  bestimmten  Mo- 
ment, und  man  kann  sie  als  stehende  Erschei- 
nungen  betrachten,  die  der  Künstler  vor  das 
Auge  des  Betrachtenden  rücht;  in  dem  lezteu 
machen  die  Erscheinungen  in  den  Piorten  der 
Träume  gleichsam  ein  Bild  im  Bilde  aus. 

Zu  den  ruhigeren  Scenen  mit  bestimmieir» 
Moment  gehören:  das  Gastmal  des  Plato ;  die 
heiden  Barken;  AcliilL  und  Triam;  Oedip  in 
Jxolon  ;  Jasons  Ankuvjt  In  Jolkos;  Helena  auf 
dem  Skäisclien  Thore;  Solüntcs  im  Korhe  und 
die  Hexenküche  aus  Laust.  Und  \velche  Ver- 
schiedenheit der  Beliandlungsweise  in  so  ver- 
schiedenen Gegenständen !  Die  Luzianische 
Laune  in  den  beiden  Barken;  die  heitere  Fest-' 
lichkeit  in  dem  Gastmale ,  wo  Alzihiades  den 
Sokrates  bekränzt  j  und  der  komische  Ernst 
in  dei-  Scene  aus  den  M  olken ,  wo  Äristofanes 
diesem  berühmten  Weisen  eine  Apotheose  an" 
derer  Art  bereitet;  dann  wieder  die  Innigkeic 
des  Gefühls  in  dem  Jammer  der  beiden  hülflo- 
gen Greise  des  flehenden  Priuni  tmd  des  blin- 
den,    heimatlosen,   mit   Fluch   belasteteai  Qc 


lUp;  dann  der  Gegensatz  dcv  Emp&ndnngen 
im  scll^velbetrof^eneu  Telias  uikI  dem  froJx  er- 
staunenden VolVve  bei  Jasons  plOzliclier  Göttcr.- 
eysclieinung  in  Jolkcs  mit  äclit  Pindarisclier 
Begeisterung  ,  legen  des  Künstleis  Vennügen, 
S-einen  Gegenstand  in*  den  bedenrendsten  Zü- 
gen aufzufassen,  und  ilim  den  eigentliümli- 
clien  Ton  abzugewinnen ,  liiu)  eicbend  an  den 
Tag.  So  viele  glüklicli  gelungene  Erfindun- 
gen düifen  -vTolil  für  einige  andere  minder  ge- 
lathene  Naclisicht  fodern.  Zu  diesen  rechnen 
wir:  den  ßlusevtanz;  den  Kamjjj  Achills  mit 
dem  Skamandcr ;  Zelt  und  Fiaum^  und  die  Sce- 
ne'  aus  dem  Oeuijjus  Tyraunus. 

Geben  wir  von  den  rulüg  bewegten  Sce- 
nen  stuien\veise  zu  den  stärker  bev\-egLen,  lie- 
Toisclien  und  patlictiscben  fort  bis  zu  denen, 
welche"  Gesichte  einer  dichierischen  Fantasie 
darstellen  ,  also  auch  einen  ?iiinstler  fordern, 
dessen  Einbildiingsloaft  dergleiclien  dichteri- 
sche Stone  pi.iitisch  zu  bearbeiten  w^eis ,  so 
werden  w^ir  erst  da  den  Künstler  in  seiner  ei- 
gentlichen Heimat .  finden.  Mit  Gegenständen 
dieser  Art,  die  hühne  Grosheit,  Heldensinu 
und  Pathos  vereixiigen ,  besclnäftigte  sich  seine 
Taniasie  am  liebsten,   und  die  Dursteliung  der- 


S7Ö 

selben  gelang  ihm  besonders  glüliUcli.  Dies 
beweisen  der  Engelsturz;  der  Titanenkam-pf ; 
die  Kentauren-  und  La-pitlienschlacht  und  das 
Lnzinnische  Gegenstück  derselben  das  Gast- 
vial;  Eteokles  i  der  von  den  Iinien  gequälte 
Oedijy;  das  Trauers-piel  in  Yorkshire ;  vor  al- 
len aber  seine  Holle  nacli  Dante,  eine  der  lez- 
ten  Komposizionen  und  zugleich  die  fantasie- 
jcichste,  kühnste  und  gereifteste  Dichtung 
seines  Genius,  die  leider,  wie  nianclie  andere 
seiner  Erfindungen  blos  Uniris  ^geblieben  ist; 
clenn  er  zeiclniete  gern  jedes  Bild,  so  wie  es 
in  seiner  Vorstellung  gereift  war,  sogleich 
auf,  damit  es  nicht  wieder  von  anderen  Ge» 
genständen  verdunkelt  würde;  und  so  sam- 
melte sich  eine  Menge  von  Entwüifen,  die  er 
ausgeführt  haben  würde,  wenn  er  länger  ge- 
lebt hätte. 

In  den  vier  und  zwanzig  Darstelhmgen 
aus  der  Ar^onautik  linden  sich  Scenen  jeder 
Jiicr  angegebenen  Gattung. 

I\  o  l  o  r  i  t. 

Wir  fassen  unter  dieser  Ueberschrift  Ma- 
len und  Koloriren  zusammen ,  obwohl  beide 
eigentlich  wie  Mittel  und  Zweck  verschieden 


2-9 

sind.  IMalen ,  als  ein  blo5  tecliiiisclier  Thcil 
der  Kunst,  last  sich  durch  Kentnis  der  Hand- 
grilFe ,  Lbuns^  und  I  leis  erlciiien,  und  auch 
bescliränkte  Köpfe  ohne  wahres  Kunsttalent 
Können  es  darin  zu  giofser  GcschikLichkeit 
bringen.  Kolorireii  sezt  eine  besondere  Anla- 
ge voraus,  die  in  der  Empfindung  gegriindeü, 
und  ein  wesentlicher  Bestandtheil  des  Kunst- 
talents ist,  der  den  Künstler  zum  Maler,  und 
den  Maler  zum  Künstlei-  maclit;  die  Anlage 
nämlich:  den  eigenthümlichen  Stojf  und  die 
Farbe  der  Gegenstände  unter  den  Einflüssen 
des  Lichts  und  der  Luft  mit  Eiupfindnng  auf- 
zufassen, und  in  der  Nachbildung  mit  harak- 
teristischer  Wahiheit  auszudrücken.  Diese 
Anlage  ist  das  Talent  zum  Koloristev ,  das  je- 
doch ^veit  seltener  zu  sein  scheint,  als  man 
dem  Anscheine  nach  vermuthen  solte,  da  Far- 
ben fast  auf  alle  Menschen  einen  lebhaften 
Eindruck  machen.  Genauer  betrachtet  findet 
man  aber  auch,  dass  es  nicht  sowohl  die 
Wahrlieit  der  Faibe  ,  als  vielmehr  die  karakts- 
ristische  TJahrheit  des  Stojfes  ist,  was  man 
im  Kolorit  der  meisten  Maler  venuisst;  und 
besondejs  des  Stoffes,  der  unter  allen  am 
schweisteu  nachzualimen  ist  ,  des  Fleisches, 
das  so  wenige  Maler  mit  einer  den  betastenden 


^^0 

Blick  befriedigenden  Tauscl^ung  auszudrücken 
veiuioclit  haben. 

Dnss  Carstens  in  diesem  Theile  der  Kunst 
»m  weitesten  zurückgeblieben  ist ,  haben  Avir 
bereits  iu  seinem  Leben  angemerkt.  Schon 
der  Anlage  nach  gehörte  er  zu  den  Künstlern, 
die  mehr  von  den  Formen  als  von  den  Farheiz 
der  Erscheinungen  gerührt  w^erden»  also  auch 
dem  Zuge  dieser  Empfänglichkeit  folgend,  ih" 
ae  Aufmerksamkeit  mehr  auf  jene  als  auf  diese 
richten.  Er  selbst  hatte  die  Bemerkung  an 
ßich  gemacht,  dass  er  an  allem,  was  ihn  in 
der  Natur  anzog,  immer  nur  Form,  .Karakter 
und  Ausdruck  sah,  und  von  den  Farben  und 
ilijcu  Wiikungen  nichts  \vahrnahn) ,  M^enn  er 
nicht  Torsezlich  seine  Aufmerksamkeit  darauf 
D-ichtete.  Dieser  Zug  allein  kann  beweisend 
dass  Carstens  ,  dei"  durch  Naturanlage  ein  Kiinst^ 
1er  war,  nur  durch  Fleis  ein  Maler  geworden 
«ein  würde.  Da  nun  vorzügliche  Talente 
auch  in  solchen  Dingen  ,  die  aufserhalb  ihrer 
eigentlichen  Bestimmung  liegen,  durch  ernst" 
liches  Stieben  ,  und  durch  die  tief  eindringen- 
de Kraft  ihres  Geistes  weiter  kommen ,  als  ge- 
wöhnliche Köpfe,  so  ist  nicht  zu  zweifeln, 
dfiss  Carstens  auch  im  Kolorit  dasEj-forderliche, 


e8i 

•würde  _s:elel5tct  haben,  %venu  die  Umstand» 
Üun  vcrgünnt  hätten,  auf  diesen  Tlieil  de» 
Kunst  das  gehörige  Studium  zu  wenden.  Abe« 
zu  dem,  dass  er  schon  in  seiner  ganzen  Kunst- 
bildi;ng  durch  widrige  Un-:stände  so  verspätci 
"Wurde,  dass  er  seine  Laufb.tim  erst  in  den  Jah- 
ren beginnen  honntc,  wo  gewöhnlich  andere 
Künstler  bereits  ihre  Schulübungen  vollende« 
haben,  homnit  noch,  dass  er  nur  selten  Gele- 
genheit hatte ,  die  Ölmalerei  zu  üben ,  die  docla 
gerade,  ihrer  Schwierigheit  wegen,  unter  al- 
len Arten  zu  malen  am  meisten  Übung  lodert. 
Da  er  überdies  nie  die  Anleitung  eines  Meisters 
in  derselben  genossen  hatte,  so  \var  er  nicht 
einmal  dahin  gelangt,  alle  zu  ihrer  Ausübung 
nöthigen  IlandgrifTe  kennen  zu  lernen,  daher 
denn  auch  die  wenigen  Versuche  und  Übun- 
gen, die  er  daiin  machen  honte,  nicht  den 
gewünschten  Erfolg  hatten.  Hätte  dessunge- 
achtet  Cat■st^?ls  auch  nur  in  späteren  Jahren 
mehr  Ölgemälde  im  Grofsen  auszuführen  Gele- 
genheit gehabt,  oder  hätte  er  länger  gelobt,  £ö 
Würde  er  es,  aller  fiiilieren  Versäumnisse  un- 
geachtet, noch  dahin  gebracht  haben ,  seinen 
Darstellungen,  v\'enn  auch  heine  vortrefliche, 
doch  eine  ieidliclie,  ihrem  ern^ten  Ilarakter  ge- 
nügende Ausführung     zu    geben.     Ev    wüi'de 


28^ 

clann  auch  Mittel  gefimclen  haben ,  die  Hand- 
griffe lind  Behandlungsweisen  zu  erlernen, 
^velche  zur  Hervorbringung  gewisser  Wirkun- 
gen notliwendig  sind ;  sein  geübter  Blick  und 
gereiftes  Urtheil  hätten  den  Mangel  an  Übung 
in  kürzer  Zeit  ersezt.  Das  zeigen  schon  die 
■wenigen  Ölgemälde,  die  der  Künstler  in  R.oni 
verfertigt  hat,  deren  jedes  neue  Fortschritte 
zeigte,  besonders  das  lezte,  Fingais  Kam-pf 
Ttiit  dem  Lodageiste  >  wo  des  Heldeu  Figur  in 
der  Rüstung,  nebst  einigen  andern  Theilen 
des  Bildes,  in  Koloiit  und  Behandlung  so 
gut  gelungen  \var,  dass  auch  Kenner  und  gute 
Maler  selbst  davon  bef)iedigt   wurden. 

Diese  unglückliche  Beschränkung  seines 
Strebens  ,  wodurch  er  in  einem  so  wesentli- 
clien  Theile  der  Kunst  hinter  sich  selbst  zu* 
1  ückzubleiben  gezw^ungen  w^urde,  und  anderer- 
seits die  übermäfsige  Wichtigkeit,  die  der 
grofse  Haufen  der  Maler,  der  die  Kunst  blos 
von  ihrer  technischen  Seite  kennt,  mit  Gering- 
schätzung ihrer  höheren  Theile ,  aufs  blofse 
Malen  und  Pinseln  legt,  ohne  doch  einen  rich- 
tigen Begrif  vom  Kolorit  zu  haben,  war  eine 
der  gröfsten  Unannehmlichkeiten,  die  seine 
frühere  "\^ersäuninis  ihn  empfinden  lies.     Auch 


i83 


griffon  ihn  seine  Gegner  ani  liebsten  von  die- 
ser Seite  an.  Indessen  lies  er  sich  deii  Vor- 
■wnrf,  dass  er  niclit  malen  könne,  da  er  von 
Leuten  kam,  die  selbst  nur  geistlose  Pinsler 
waren,  wenig  anfechten,  und  kehrte  eben  so 
wie  bei  denen,  die  ihm  vorwarfen,  er  könne 
nicht  zeichnen,  ihre  Waffen  g^egen  sie  selbst 
zurück.  Indein  er  ihnen  willig  zugestand, 
dass  er  schlecht  male,  führte  er  ihnen  zu  Ge- 
müth,  dass  sie  es,  nur  in  anderer  Art,  nicht 
weniger  schlecht  machten,  als  er;  imd  dass 
ihre  Maler -und  Pinselkunst,  auf  die  sie  sich 
soviel  zu  gute  thäten ,  wenig  nütze,  da  ihr 
Kolorit  nichts  tauge ;  imd  wer  diese  lezte  Be- 
hauptung nicht  einräumen  wolte,  den  verwies 
er  auf  Tizian. 

Da  Carstens  für  blofsen  Farbenreiz  wenig 
Empfänglichkeit  hatte,  so  war  ihm  auch  die 
matej-ielle  Wahiheit  und  gesniide  Frisclie  des 
Koloiits  die  Hauptsache  ;  wo  diese  mangelte, 
da  hatte  alle  Kunst  des  Pinsels  und  der  Farben 
keinen  Werth  in  seinen  Augen.  Darum  zog 
er  axich  die  Malerei  al  Iresco  der  Ölmalerei 
vor,  und  behauptete,  sie  sei  dem  grofsen  Stile 
angemessener  als  diese.  Dass  er  in  jener  mehr 
geleistet  haben  würde,    zeigte  sowohl  die  Ar- 


284  .  , 

beit  im  melirerwalinten  Dorvilleschen  Haus© 
in  Betlin,  als  auch  die  erste  Barke  nncli  Lu- 
ziany  die  er  in  Leimfarben  ausführte,  uu,d  die 
ilim  besser  gerieth ,  als  alles,  was  er  in  Ölfar- 
ben gemalt  hat,  den  I'ir.gal  ausgenommen. 
!Die  Tone  des  Naktcii  an  der 'Menge  unbeklei- 
deter Gestallen  sind  darin  mit,  mannigfaltiger 
Verschiedenheit  abgestuft ;  dabei  w^hr  im  Ein- 
zelnen und  von  kräftiger  Harmonie  im  Gan- 
zen, und  die  Behandlung  ist  frei  und  doch 
sorgfaltig.  Ein  Beweis ,  dass  es  dem  Künstler 
eigentlich  nicht  an  lichtigen  Begriffen  des  Ko- 
lovirens  ,  sondern  nur  an  Kentnis  und  KimsU 
der  Oinialeiei  mangelte. 

G  e  w  a  n  cl. 

Ein  hunstmiifsig  schönes  Gewand  ist  eine 
dej;  schwersten  Aufgaben  der  Kunst,  die  nur 
wenige  Maler  glücklich  gelöst  haben.  Die 
Idee  dazu  ist  zwar  in  den  alten  Bildwerken  auf 
mannigfaltige  Weise  zur  Jiüclisten  Schönheit 
ausgebildet;  da  aber  die  Malerei  ein  anderes 
Bedürfnis  der  Bekleidung  ihrer  Gestalten  liat, 
als  die  Plastik,  so  mus  sich  auch  der  Stileines 
schönen  Gewandes  in  beiden  auf  verschiedene 
Wci»c   ausbilden.     Bei  den  älteren  Malern  hn- 


285 

det  iiiait  scliön  seit  Glotto  eine  gute  tmd  rich- 
tige Gjiindlage  dazu  ;  «iber  erst  JMichelangelo 
lind  Rafael  haben  es  zu  der  Grofse  und  Schön*- 
lieit  ausgebildet,  die  der  Idealstil  d.er  M.derai 
fodert;  besonders  hat  es  durch  den  Iczten  die 
Grazie  erhalten,  die  es  o;leichsam  an  dem  Le- 
ben der  Gestalt,  an  der  Anmuth  ihrer  Bewe- 
eunjren  Antheil  nehmen  lassen,  und  wodurcli 
CS  fähig  vsärd ,  nicht  nur  die  Schönheiten ,  die 
CS  verhüllet,  zu  ersetzen,  sondern  aucii  durch 
eigenthümliche  Schönheiten  und  Reize  die  Lust 
der  Betrachtung  zu  erhöhen.  Dieser  reine  und. 
echöne  Stil  des  Ge-wrandes  hat  sich  aber  nur  in 
Rafaels  unmittelbarer  Schule  erhalten.  In  del* 
Schule  des  Garracci  hat  es  weder  der  gröste 
Meister,  noch  der  gröste  Schüler  derselben» 
weder  Aiinihal  noch  Dominicliino  ,  in  solchem 
Sinne  gebildet;  und  späterhin  scheint  die  Idee 
eines  schönen  Ge\7andes  sich  ganz  verloren  zii 
haben. 

Carstens  hatte  über  diesen  Tlifcil  der  Kunst 
in  Deutschland  zu  keinem  bestimmten  Bcgrif 
gelangen  können ;  und  er  selbst  fühlte  diesen 
Mangel  mn  so  lebhafter,  je  mehr  er  einsah, 
wie  unentbehrlich  ein  sicherer,  und  reiner  Ge- 
schmack in  Gewändern  für  den  grofsen  Stil 
der  Malerei  ist.     Alles,    was  er  darin  vor  sei- 


296 

nei'  Fieise  nach  Italien  vernioclite,  hat  er  in 
dem  Dort  nie  sehen  Saal  in  Berlin  an  den  doi  t 
gebildeten  Musen  zu  leisten  gestrebt,  wovon 
sich  noch  niehreje  Studien  unter  seinem  Nach- 
las gefunden  haben,  die  sowohl  im  Wurfe  als 
in  der  Wahl  der  Falten  deutlich  genug  veira- 
.then,  dass  ihm  dabei  noch  Keine  sicher  leiten- 
de Idee  vorgeschwebt  hat. 

!Diese  eiw^arb  er  erst  in  E.om  durch  fleifsi- 
^es  Betrachten  der  Werke  JMichelangelo^s  und 
Hafaels.  Seine  früheren  Gewänder  haben  oft 
den  Fehler,  dass  sie  auf  erhobenen  Theilen  zu 
dicht  und  glatt  anliegen ,  so  dass  man  sie  fast 
iiicht  auf  dem  Nahten  ,  das  dadurch  bedeckt  er- 
scheinen soll,  bemerkt.  In  diesen  Fehler  ver- 
fallen gewöhnlich  die  ,  welche  den  Gew^andstil 
der  alten  Bildwerke  unverändert  in  die  Male- 
rei übertiagen  wollen.  Späteihin  erkante  und 
Veiniied  er  diesen  Fehler,  und  gab  ihnen  den 
vrahien  llar^kter  eines  malerischen  Gew"andes. 
Wie  sehr  Carstens  sich  endlich  dem  reinen  und 
Schönen  Gewandstile  Rofaels  genähert  hat, 
zeigen  Sokrates  im  Ixorhe ,  das  Orakel  des  Avi' 
fiaraos ,  das  ausgefülute  Ölgemälde  der  Nacht 
mit  ihren  Iiindern ,  Jason  in  Jolkos ,  Eteokles, 
4ie  lezten  Farzen ,  das  Zelt  Achills »  Priani  und 


287 

Achill  und  die  schönen  Gewandstudien  zum  Ho» 
mer  f  die  sich  in  seinem  Nachlasse  befinden. 

Der  Wurf  des  Gewandes  mus  in  der  Anla* 
ge  schon  durch  die  Idee  des  Künstlers  bestirnt 
sein ;  aber  die  Wahrheit  und  Schönheit  det 
Brüche  und  Falten  lassen  sich  nur  dem  durch 
die  Absicht  und  den  Geschmack  des  Künstierä 
geleiteten  Zuialle  absehen;  daher  auch  der 
Künstler  bei  der  Auslülirung  durchaus  seine 
Gewänder  über  dem  Gliedermanne  werfen  mus. 
Carstens  hatte,  nach  vielfältigen  Versuchen 
und  fleissiger  Übung  im  Gewandwerfen ,  end- 
lich auch  zu  diesem  Geheimnis  den  Schlüssel 
glüklich  gefunden,  und  verfuhi-,  wie  bei  al- 
lem ,  auch  bei  seinen  Gewandstudien  sclir  ein- 
fach. Sein  ganzer  Kunstapparat  dazu  bestand 
in  einer  etw^a  drei  Palmen  hohen ,  hölzernen 
Gliederpuppe ,  einigen  leinenen  Hemden  für 
die  untere  Bekleidung  und  einigen  gröfserea 
Stücken  für  das  Übergewand.  Mit  diesen  ge- 
ringen Hülfsmitteln,  auf  die  der  geringste 
Schüler  Davids  mit  vornehmer  Verachtung 
lierabgeblickt  hätte,  warf  er  alle  seine  Gewän- 
der, und  würde  auch  grofse  Bilder  damit  aus- 
geführt haben,  wie  er  an  seinem  lebensgiofsen, 
in  Ölfarben  gern  alten  Bacchus  gezeigt  hat,  des- 


288 

ßen  PurpurgeWiind  weder  im  Wurf  noch  in 
den  Falten  seine  geringe  Abkunft  venietls." 
Den  liostspilligen  Apparat  der  tranzösisclieu 
Schule  zum  Drappiren  ,  welche  sich  nicht  nur 
lebensgrofser ,  sehr  hünstlich  gearbeiteter  Glie- 
derpuppen mitjMashen  und  Pcirühen,  sondern 
auch  kostbarer  Gewänder  aller  Ait  in  man- 
clierl-ei  Stoßen  und  Farben  bedient,  die  eine 
ganze  Theatergarderobe  ausmachen,  derge- 
stalt, dass  d'cr  Aufwand  für  die  blofsen  Zu- 
yüstungen  allein  schon  die  Kosten  eines  Ge- 
jnäldes  übersteigt,  fand  er  unnütz,  und  die 
Widitigkeit ,  die  von  vielen  auf  diesen  Trödel 
gelegt  wird,  lächerlich. 

Auffliegende  GeWäudcr,  die  ganz  aus  der 
Idee  gemacht  w^erden  müssen ,  richtete  Carstens 
immer  ein  besonderes  Augenmeik.  Die  Gele- 
genheit, sie  zu  Studiren,  fand  er  bei  windi- 
gem Wettei-;  und  wenn  an  solchen  stürmi- 
schen Tagen  irgend  ein  Rirchenfest  gefeiert 
wurde,  so  versäumte  er  nicht  leicht  dahin  zu 
gehen,  und  an  der  ab  -  und  zustrümenden 
Menge  das  Fliegen,  Flattern  und  Bauschen 
der  Gewiinder  zu  beobachten.  In  seinem  IVlu- 
sentanze  sind  die  fliegenden  Gewänder  vorzüg- 
lich  wohl  gerathen;     auch  in- einigen  andern 


289 

Bildern  z.  B.  in  Raum  und  Zeit,  in  der  Schö- 
pfung ,  im  Lodageist,  index Ilulle ,  finden  sich 
dergleichen  mit  guten  Partien. 

jB  e  i  w  e  r  k. 

Mit  dem  Beivrerke  aller  Art,  das  in  histo- 
lischen  Bildern  vorhomt ,  >vuste  Carstens  sich 
ziemlich  zu  behelfen ,  obgleich  er  nicht ,  >vio 
manche  Künstler  zu  tlimi  pfiegen,  ein  beson- 
deres Studium  auf  Gefäfse,  Geräüiscbaften  und 
Architektur  gewandt  hat,  da  ihm  früher  di© 
Gelegenheit,  späterhin  aber  die  Zeit  dnzu man- 
gelte. Er  liebte  in  den  Nebensachen  die  Spar- 
samkeit, imd  brachte  nichts  Überflüssiges  au« 
blofsem  Prunk  an;  aber  -^vas  davon  erforder- 
lich -war,  ■v\\lhlte  und  bildete  er,  dem  IrJialte 
gemäs ,  mit  richtigem  Urtheile ;  auch  erforder* 
ten  die  Gegenstände ,  die  ei-  gewöhnlich  bear- 
beitete, keinen  gjofsen  Aufwand  an  derglei- 
chen Dingen.  Nie  verfiel  er  in  den  bei  neue- 
xen Künstlern,  besonders  der  französischeix 
Schule,  die  das  Tiieatraiische  liebt,  so  gemei- 
nen Fehler,  aus  imverständiger  Prachtliebe 
Scenen  aus  den  Zeiten  des  frühen,  kunstarmeii 
Altei  thmns  mit  einem  Grunde  von  reicher  und 
prächtiger  Architektur,  z.  B.  Scenen  aus  denj 
*9 


stga 

-Zeitalter  des  Rcmulus  mit  Tempeln  und  Sau» 
lehlialien  hoiiuthisclier  Oidiiung  aus  dein  Zeit- 
alter Augusts  oder  Hadrians  zu  verziereru 
Seine  Gebäude  waren  immer,  wie  das  Zeitalter 
seines  Gegenstandes  sie  foderte,  und  er  brauch- 
te dazu  keiner  fremden  Beiliülfe ,  wie  viele 
Historienmaler,  welclie  die  Architelitur  in  ih- 
ren Gemälden  von  einem  Bauhünstler  aufzeich- 
nen lassen,  der  dann  gewöhnlich  nur  darauf 
denkt,  5e//i<?  Kunst  geltend  zu  machen ,  ohne 
zu  fj-agen ,  ob  sie  zu  der  Darstellung  passt; 
W^ärend  der  Maler  sich  freut,  sein  Gemälde 
mit  einer  so  reichen  Architektur  geschmückt 
MX  sehen,  durch  die  er  bei  denen,  die  nicht 
wissen,  däss  er  mit  einem  fremden  Kalbe  ge- 
billigt hat,  einen  höheren  Begrif  von  seiner 
Gescliicklichkeit  zu  erregen  hofft. 

Nur  einmal,  so  viel  der  Verfasser  v^eis^ 
und  zwar  in  dem  Gastmal  des  Plato ,  hat  Car- 
!;tens  sich  fremder  Hülfe  bedient.  Sein  Freund 
Oenelli  hatte  ihm  zu  dieser  Komposizion  den 
iestlich  geschmükten  architektonischen  Hinter- 
j^rund  entworfen.  In  der  Folge  aber ,  wo  er 
selbst  die  perspektivischen  Gründe  seiner  Bil- 
der zu  zeichnen  wüste ,  erfand  er  auch  die  Ar- 
chitektur,  die' er  dazu  bedürfte,  immer  selb st^ 


wie  in  der  Helena  auf  dem  Slxähclien  Thore, 
in  Zelte  Achills ,  im  Ga^tmal  der  Filoofen, 
in  der  Hexenküche  t  im  Trauerspiel  in  York" 
^hire,  im  Homer,  Jason,  Kteokles  und  ver- 
«cliiedenen  Blättern  der  Argonautik,  wo  man 
überall  sieht,  dass  er  nacli  der  kunstlosesten 
Einfachheit  strebte,  um  dadurch  in  den  Dar- 
stellungen aus  der  Argonautenfarth ,  aus  dem 
Trojanischett  und  Thebanischen  Kriege  den 
Karakter  des  hohen  Alterthuins  noch  deutli- 
cher hervorzuheben. 

Geistesbild  ung, 

Carstens  war,  wie  so  viele  andere  Künstler, 
ohne  alle  vorbereitende  Geistesbildung  zur 
Kunst  gekommen.  Der  dürre  Schulunterricht 
glitt  fruchtlos  an  seinem  nur  für  Bilder  em- 
pfänglichen Sinne  ab;  und  die  Menschen,  un- 
ter denen  er  seine  Jugend  verlebte,  niocluea 
biedre,  redliche  Leute  sein;  aber  seinAufseres 
muste  unter  ihnen  eben  so  ungebildet  bleiben, 
wie  sein  Geist,  imd  er  trug  die  Spuren  ver- 
säumter Jugendbildung  zeitlebens  an  sich.  So 
jiachtheilig  ihm  dies  fürs  Leben  war,  wo  äu- 
fsere  Bildung  so  viel  entscheidet,  so  vortheil- 
haft  war  es  ihm  dagegen  für  seine  Kunst,    Die 


völlige  UiiLel'iantschfift  mit  dem  modernen 
Zeitgeiste  maclite  ilin  nur  desto  fähiger,  den 
Geist  des  Alterthums  "walir  und  rein  aufzuias» 
sen.  Das  Wenige,  was  «r  Ton  der -wirldiclieii 
Welt  kennen  gelernt  hatte,  die  einfaclie  Sitte 
und  der  gerade  Sinn  des  Landmanns,  stand  mic 
j^nem  in  keinem  Widerspruche.  Er  brachte 
also  sein  Talent  rein  und  unbefangen  zur  Kunst, 
und  empfing  ihre  ersten  tiefen ,  unauslosclili- 
chen  Eindrücke,  >velclie  die  Richtung  dessel- 
ben für  immer  bestirnten ,  von  den  besten  Wer- 
ken des  Alterthums.  Daraus  erklärt  sich,  wie 
Carstens,  in  der  Unwissenheit  seines  Geistes, 
gleicli  anfangs  so  glücklich  den  geraden  Weg 
zihn  Ziele  einschlug,  dass  er  auch  in  der  Fol- 
ce  keinen  Schritt  wieder   zurück  thun  durfte, 

o 

Sich  selbst  überlassen  fülilte  er  mit  jedem 
Scliritte  das  Bedürfnis  der  Belehrung,  und 
jnuste  sie ,  da  er  keinen  Lehrer  hatte ,  aus 
Kunstbüchern  schupfen.  So  fielen  ihm  zufäl- 
lig 1/J^ehhs  Untersuchungen  in  die  Hände.  Die- 
se warfen  das  erste  Samenkorn  höherer  Bildung 
in  seinen  Geist,  und  schlössen  ilim  mit  einer 
höheren  Ansicht  der  Kunst  zugleich  die  Ge- 
schichte derjelben  auf,  %vo  er  die  gröfsten 
Meister  der  alten  und  neuen  Rimst  kennen  xmd 
bewundern  lernte,  und  an  ilinen  seinen  Kunst* 


i95 

cntliusia^mus  entzündete.  Bald  foderte  auch 
der  Trieb  eigener  Erfindung  Nahrung  und 
Stof ;  durch  ihn  ward  er  zu  den  Dichtern  des 
Alterthuins  geführt.  Den  Ovidlernle  crzuersC 
Jiennen;  diesem  folgten  bald  Homer  und  vSo- 
fhokles.  Sein  Aufenthalt  in  Kopenhagen  gab 
ihm  Gelegenheit ,  die  Mitologie  des  Shandina- 
vischen  Alterthiuns  kennen  zu  lernen  ;  um  die- 
selbe Zeit  wurden  auch  Ossian  und  Shakspea* 
re  in  deutschen  Übersetzungen  behaut.  KIojJ' 
Stocks  Namen  ertönte  von  allen  Zungen ;  sein 
]\Iessias,  seine  Oden,  seine  HermansschlachC 
sprühten  Funhen  der  Begeisterung  umher. 
Unter  diesen  Einflüssen  bildete  Carstens,  wä- 
rend  der  früheren  Periode  seines  Kunststrebens, 
Geist  und  Fantasie ,  und  übte  seine  Darstel- 
lungshraft  an  den  verschiedenen  Karakteren 
des  nördlichen  und  südlichen  Alterthumes. 
Späterhin,  wo  almälich  mehrere  deutsche 
Übersetzungen  von  Grichen  und  Römern  er- 
schienen, erw^eiterte  und  verinnigte  sich  seine 
Behantschaft  mit  ihnen  immer  mehr ,  und  in 
Rom  las  er  nichts  anders  mehr  als  seine  Über- 
setzungen alter  Schriftsteller,  so  dass  endlich 
seine  Vorstellungsart  sieh  dem  Sinne  der  Alten 
immer  treuer  anschmiegte,  und  sein  Geist  fii 
ihrer  Welt  völlig  heiiiiicch  ward. 


294- 

Bei  dem  Reiclithume  an  malerisclien  BH« 
dein,  die  Carstens  durch  vieles  Lesen  der  al« 
ten  Dichter  und  Geschichtschreiber  in  dieVor- 
rathshammer  seines  Geistes  gesammelt  hatte, 
lam  es  ihm  immer  wunderlich  vor,  wenn  er 
andere  Künstler  klagen  hörte ,  dass  es  ilineii 
an  Stoff  ziun  Komponiren  gebreche ,  und  wenn 
sie  danach  bei  andern  herumfi  agten.  Aber 
diese  Künstler  lasen  nichts  oder  wenn  sie  auch 
lasen,  so  kamen  ihnen  doch,  aus  Mangel  an 
Darstellungstalent ,  keine  Bilder.  Sie  kompo- 
nirten  daher  auch  nicht  aus  Drang  imd  Einge- 
bung ihrer  Fantasie,  sondern  nur  mechanisch 
auf  dem  Papier;  nicht  aus  Interesse  an  dem 
Gegenstande,  sondern  nur  um  ein  Bild  zuma- 
ßen, und  daran  ihre  Malerkunst  zu  zeigen. 
Eine  solche  Unwissenheit  und  Geistesleeiheit 
mancher  Künstler,  die  auf  den  Namen  Histo- 
rienmaler Anspruch  machen,  könte  unglaublich 
scheinen;  aber  sie  erklärt  sich,  wenn  man 
«ieht,  mit  wie  vernachläfsigter  Erziehung  und 
Geistesbildung,  mit  was  für  gemeinen,  hand- 
werksmäfsigen  Begriffen  von  ihrer  Kunst  eine 
Menge  junger  Künstler,  wovon  die  wenig- 
sten ein  entschiedenes  Talent  besitzen,  auf 
j^kademien  heranwächst,  und  die  Laufbahn 
«einer  Studien  yoUendet,     ohne  je  den  Trieb 


£95 

einer  edlen  Wisbegierde  und  das  Bedürfnis  der 
Geistesbildung  zu  fühlen.  Carstens  war  zu 
seiner  Zeit  der  einzige  Künstler  in  Rom,  der 
eine  kleine,  aber zweckmäfsigeKiinstlerbiblio- 
tliek  besas,  welche  die  besten  Übersetzungen 
der  Alten  entliielt.  Er  machte,  durch  eine  li- 
berale Mittheilung  derselben,  in  vielen  seiner 
Landsleute  das  Bedürfnis  des  Lesens  alter 
Schriftsteller  rege,  und  seine  Komposizionen 
so  vieler  neuer  Gegenstände,  besonders  aus 
Luzian  und  den  alten  Tragikern ,  brachten 
dieselbe  Wirkung  bei  mehreren  jungen  italie- 
nischen Künstlern  hervor,  die  meistens  eben. 
SO  unwissend  aufwachsen  ,  und  ihre  Kentnis 
malerischer  Stoffe  aus  dem  Kreise  von  Bildern 
schon  lange  gangbarer  Gegenstände ,  oder  höch- 
stens aus  der  römischen  Gescliichte  schöpfen. 
Doch  hat  sich  auch  in  dieser  Hinsicht ,  wie  in 
der  Richtung  des  Kunstgeschmacks  überhaupt, 
in  dem  lezten  Jahrzehend  unter  Deutschen  so- 
•vv'olil  als  Italienern  manches  vortheilhaft  geän- 
dert. Kunst  und  Künstler  sind  in  ilirer  Aus- 
bildung sichtbar  fortgeschritten,  und  die  wie- 
dererwachte Theilnahme  an  Darstellungen  aus 
dem  klassischen  Alterthume  hat  beide  wiedei"^ 
auf  ihr  walirQS  Ziel  hingewiesen. 


£q6 

K  u  n  s  t  s  t  r  e  h  e  n. 

Die  eigentliümliclie  Natur  dieses  Kimstgei- 
stes ,  den   -wir  bislier  duTch.  die  verschiedenen 
wissenschaftlichen  und  technischen  Theile  der 
Kunst  begleitet  haben,  zeigt  sich  auch  indem 
eigenen,     von   den   gewöhnlichen  Lehrwegen 
ganz   abweichenden   Gange ,     den   er  zu  seiner 
Ausbildung    gleich    anfänglich   eingeschlagen, 
den    er  immer  beharlich  fortgesezt ,     und  auf 
dem  er  endlich  in  mehreren  wesentlichen  Tlici- 
len  der  Hunst  einen  hohen  Grad    der  Volkom- 
menheit    erreicht    hat.     In    dem    Leben    eines 
Künstlers  von  so  entschiedenen  Anlagen,  und 
so   durchaus   eigener ,    troz  den  ungünstigsten 
Umständen  glüklich  durchgeführter,  Selbstbil- 
dung ist  nichts  merkwürdiger,     als  zu  sehen, 
wie  er  ward,    was  er  geworden;    und  deshalb 
ist  auch   in  vorliegender  Lebensbeschreibung 
dieser  Punkt. mit    besonderer  Aufmerksamkeit 
beachtet  und  nichts  übergangen  worden ,    yv^s 
auf  des  Künstlers  Bildung  Einilus  gehabt  haben 
mag.     So  bliebe  denn  nun ,  irm  nichts  unberührt 
zu  lassen ,  was  zur  volständigen  Ausführung  un- 
sers  Vorhrtbens  dienen  kann ,    nur  noch  übrig, 
den  vom  Künstler  in  seiner  Ausbildung  geijom- 
menen  Weg  selbst  näher  zu  prüfen. 


C()7 

Das  Eigene  seines  Kunststrebens  best?.nd 
vomeliralicli  darin,  dass  er  nicht  den  ge-wöhn- 
lichen  Weg  der  zur  eigenen  Erfindung  alniä- 
lich  fortschreitenden  Nachahmung  ging ,  son- 
dern sogleich  mit  dem  Erfinden  begann;  in- 
dem er  die  Kunstwerl^e,  so  "wie  die  Gegen- 
stände der  Natur,  die  ihm  zu  Vorbildern  dien- 
ten, nie  nachbildete,  sondern  blos,  durch un- 
abläfsiges  aufmerhsames  Betrachten,  Fonii  und, 
Karakter  derselben  mit  der  Einbildungskraft; 
aufzufassen,  und  das  so  Gelernte  dann  in  eige- 
nen Erfindungen  -wieder  anzuwenden  strebte» 
Da  er  nun  bei  diesem  Verfahren  ein  so  vor- 
züglicher Künstler  geworden,  so  dringen  sich 
die  Fragen  auf:  Ist  der  von  Carstens  einge- 
schlagene Weg  künstlerischer  Bildung  zweck- 
mäfsig  an  sich,  also  auch  n.ndern  zur  Nachfol* 
ge  zu  empfehlen?  oder  war  er  es  ulosfürihn? 
und  würde  er  nicht  auf  dem  gewöhnlichen 
V/ege  der  Nachahmung  eher  und  besser  zuia 
2iele  gelangt  sein? 

Viele  haben  erkant ,  dass  in  der  Kunst  mn: 
Ein  Zweck,  so  wie  Ein  Stil  der  wahre  sei, 
und  daraus  folgern  wollen,  dass  auch  nur  ein 
Weg  zu  demselben  führe.  Aber  über  den  In« 
halt  des  einen,    wie   über  den  Gang  des  au- 


298 

dem ,  sind  wolil  nur  wenige  einverstanden  ge- 
wesen ;  und  wie  maiicliejlei  Wege  nnd  Lehr- 
arten auch  bereits  Knnstschulen  und  Akade- 
mien eingeschlagen  ,  oder  einzelne  Künstler 
durch  Beispiel  und  Lehre  zur  Richtsclmur  auf- 
gestellt haben,  so  scheint  doch  diese  Aufgabe 
noch  von  niemand  so  glüklich  und  überzeu- 
gend gelöst,  dass  eine  zuverläfsige  Regel  des 
Kunststrebens  allgemein  anerkant  und  einge» 
führt  wäre;  denn  noch  bis  jezt  folgt  darin  jed© 
Akademie,  jede  Schule  und  jeder  Künstler  ei- 
genen Vorschriften  und  R.egeln. 

Es  ist  zu  glauben,  dass  die  alten  Künstler 
auch  hierin  gründlicher,  übereinstimmiger 
und  mit  glüklicliereni  Erfolge  verfahren  sind ; 
W^enigstens  last  die  in  ihren  Werken  durch- 
gängig herschende  Übereinstimmung  des  Stils 
und  Geistes ,  die  aucli  auf  den  verschiedenen 
Bildungsstufen  der  Kunst,  aller  Mannigfaltig- 
keit ungeachtet,  im  Wesentlichen  immer  die- 
selben sind  ,  auf  ein  durchgängig  übereinstim- 
mendes Verfahren  schliefsen,  das  ein  zusam- 
jmenhängendes  Lehrgebäude  von  Grundsätzen 
und  R.egeln  voraussezt ;  statt  dass  in  der  neu- 
ereu Kunst  jede  Schule  ihre  eigenen  Zwecke, 
ihre  eigenen  R-egeln,    und  ihre  eigene  LehrarE 


S99 

befolgte  lind  nocli  befolgt»  Es  bedarf  -wohl 
Keines  Erweises,  weichen  UHclitheiligen  Eiix- 
flus  dieses  unbestimmte  Schwanken  der  Kur.st 
zwischen  so  verschiedenen  Zwecken  ,  Regeln 
lind  Lehrarten  auf  die  Bildung  des  jungen 
Künstlers  haben»  wie  sehr  es  ihm  den  geraden, 
und  sichern  Fortgang  zum  Ziöle  erschweren 
müsse.  Aus  ihm  sind  alle  Manieren  und  Aus- 
schweifungen dfv  neueren  Kunst  entstanden; 
und  so  ist  der  vielleicht  am  glüklichsten,  der 
sich  von  allen  Einseitigkeiten  und  Inhüraern 
der  herkömlichen  Verfahrungsarten  frei  erhält, 
und  unter  der  Leitung  seines  eigenen  Genius 
einen  Weg  findet,  der  seine  Eigenthümlichkeit 
rettet,  und  ihn  endlich,  ^venn  auch  langsam 
und  mühevoll,  doch  sicher  ans  Ziel  führt. 

Im  Kunststreben  überhaupt  ist  die  Yeifah- 
rungsart  für  die  zweckmäfsigste  zu  achteui 
durch  Avelche  der  Künstler  auf  dem  geradesten 
Wege  sich  dem  Ideale  seiner  Kunst  in  allen, 
Theilen  am  meisten  nähern  kann.  Das  Ideal 
ist  in  beiden  bildenden  Künsten  wesentlich 
dasselbe  ;  aber  in  jeder  hat  es  seinen  eigenen. 
Karakter.  (Der  Bildner  findet  das  seine  in  der 
Antike  ;  den  Maler  weiset  Rafael  dai  auf  hin«) 
In  jeder  Kunst  mus  also  das  Verfolueu  diudi 


300  * 

den  eigenthunüichen  Zweck  derselben  bestirnt 
werden.  Denn  da ,  bei  dem  gemeinschaftli- 
clien  liöheren  ZwecL  aller  (nur  durch  diesen 
Zweck  verwandten)  schönen  Künste,  jede  der- 
selben noch  ihren  besonderen  Zwech  hat,  der 
durch  das  Material  der  Kunst  bedingt  ist, 
so  mfjssen  auch  zu  seiner  Erreichung  die  Mit- 
tel verschiedener  Art  sein;  daher  ist  es  auch 
eben  so  nothwendig,  dass  der  Künstler  die 
Schranken  seiner  Kunst ,  über  die  hinaus  er 
sich  in  das  Gebiet  einer  andern  verwandten 
Kunst  verirren  würde ,  als  dass  er  inner- 
halb derselben  ihr  ganzes  Vermögen  genat^ 
kenne. 

Diese ,  durch  den  Zweck  der  Kunst  selbst 
bestirnte,  und  wie  er  unwandelbare ,  Verfah- 
Tiingsart  inus  dem  besonderen  Verfahren  der 
Künstler  in  ihrem  Streben  zum  Grunde  liegen. 
Das  besondere  Verfahren  jedes  Künstlers  aber 
wird  durch  die  eigentliümliche  Natur  und  Be- 
schaffenheit seiner  Anlage ,  durch  das  gröfsere 
©der  geringere  Maas  nachahmender  oder  schö- 
pferischer Bildkraft  bestirnt. 

So  ergiebt  sich  denn,  dass  es  für  jedeKunsü 
rwar  nur  eine  Richtschnur  des  Verfahrens  ge- 
be ,  dass  aber  mehrere  Künstler  sehr  wohl  ver- 


301 

scliiedene  Wege  nach  dem  gemeinsamen  Ziele 
eiiischhc^en  kunnen,  ja, -bei  der  Veischiedeu- 
heit  iliier  Anlagen  und  Fälligkeiten,  sogar 
mäisen,  wenn  sie  zweckraäfsig  verfahren 
■wollen. 

ID^S  Talent  zu  einer  und  derselben  Kunst 
kann  auf  mannigfache  Weise  verschieden  sein, 
sowohl  in  Hinsicht  der  herschenden  Fmpfin- 
diingsart,  als  des  Grades  seiner  Kraft.  Das 
nachahmende  Talent,  dessen  untere  Gradesich 
in  blofses  Handwerk  verlieren ,  und  das  scJiö- 
-pferische  Talent,  dessen  höhere  Grade  mau 
vorzugsv.'eise  durch  das  Wort  Genie  bezeich- 
net, beschränken  einander  wechselseitig  in  der 
Kunstanlage  auf  die  mannigfaltigste  Art ,  und 
bringen  jene  zaliosen  Abstufungen  hervor, 
■welche  zwisclien  dem  Höchsten  und  Niedrig- 
sten ,  zv.'ischen  dem  Genie  eines  Ulichelangeio 
und  Rafael,  und  dem  armseligen  Talent  eines 
römischen  Wapen-  und   Gurkenmalers  liegen. 

Da  nun  alle  übrigen  Verschiedenheiten  des 
Talents  vornemlich  in  der  Empfindungsart  aa 
Künstlers  und  der  davon  abhängigen  Pachtung 
auf  diese  oder  jene  Ait  von  Gegenständen  ge- 
gründet scheinen :  so  ■würde  die  für  jeden, 
Künstler  z-yyeckmälsigste  Verfahrungsart  iii'.*I- 


302 

ner  AiisbiMung  hauptsäclilicli  nacli  dem  ihm 
eigen thiimiichen  Verhältnisse  des  schöpferi- 
schen Talents  zu  dem  nachahmenden,  und  der 
daraus  entspringenden  relativen  Grofse  seiner 
Kunstanlage  zu  bestimmen  sein.  Denn  \vie  es 
Ungereimt  \väre,  mit  einem  bios  nachahmen- 
den Talente  den  Weg  der  Erfindung  einzu- 
schlagen, so  Würde  ^es  auch  zweckwidrig  sein, 
ein  schöpferisches  Talent  wie  ein  nachahmen- 
des, zu  behandeln,  und  es  nicht  so  frühe  als 
möglich  seiner  angeborenen  höheren  Bestim- 
mung entgegen  zu  führen. 

Ein  nachahmendes  Talent  kanil  luir  durch 
ßelssiges  Nachahmen ,  ein  eiTindendes  nur 
duTcli  frühe,  fleissige  Übung  in  eigenen  Erfin- 
dungen zwechmäfsig  gebildet  werden.  Und 
wie  jenes  sich  durch  mühsamen  Fleis  und 
durch  die  Begierde  alles  was  ihm  gefällt 
nachzubilden,  zu  erhennen  giebt,  so  wird  im 
Gegentheil  jenes  sich  bald  durch  den  Wider- 
willen gegen  alles  bloJ"se  Nachrihmen  uttd  durch 
den  Trieb  verrathen,  etwas  Eigenes  hervor- 
zubringen, v»'cichcr  in  schöpferischen  Geistern 
immer  durch  den  Anblik  eines  vortrefiichen 
Werkes  auf  das  lebhafteste  erregt  wird. 


303 

Ein  Kunsttalent  ohne  Eigenthömliclikeit, 
wenn  es  auch  ein  erfindendes  wäre,  ist  nn*- 
«elbst.indig ,  also  von  der  Natur  selbst  auf  die 
Nachahmung  anderer  angewiesen  ;  darum  las- 
sen sich  auch  mehrere  der  Art  nach  einer 
gleichfönnigen  Verfahrungs weise  behandeln. 
Für  sie  giebt  es  nur  Einen  Weg ,  auf  dem  je- 
des nach  dem  Mafse  seiner  Kraft  fortschreitet : 
der  Weg  der  Nachahmung^  Wer  dann  niohr 
Kopf  besizt,  erhebt  sich  über  dieselbe,  und  — 
wie  sonderbar  es  auch  klinge !  —  lernt  erfin^ 
den  i  d.  h.  nach  Schulregeln  und  mit  wissen- 
schaftlicher Technik  wohl  ausgerüstet  und  ge- 
übt j  eine  Komposizion  kunstmäfsig  zusam- 
menstellen; also  eigentlicli  nur  komjponiren, 
nicht  erfinden.  Solche  Arbeiten  können  künst- 
lich gruppirt,  konekt  gezeichnet,  tüchtig  ge- 
malt und  gefällig  kolorirt  sein;  aber  der  le- 
bendige Geist,  der  karakteristische  Ausdruck 
schöner  und  bedeutender  Individualität,  die 
Einheit  im  Einzelnen  und  Ganzen  mangeln  ^ 
es  sind  Werke  des  Fleisses,  nicht  des  Genies. 
Auch  dieser  Weg  hat  einen  Rafael  aufzuvv^ei- 
sen,  der  als  Beispiel  gezeigt  hat,  vvas  genielo- 
ser Fleis ,  von  einem  denkenden  Verstände  s:e- 
leitet,  von  einer  gründlichen  Technick  unter- 
«tüzt,     imd    von   den    Umständen  begünstigt» 


504 

durcli  eifriges  Streben  nacli  Voltommenhekzu 
erroiclien  vermag :  —  Rajael  Mengs ,  den  Re- 
praesentaiiten  aller  geschikteit  Hüiistler. 

Carstens  Iwtte  bereits  frülie,  als  Knabe  und 
Jüngling,  Auge  und  Hand  im  Technisclieuder 
Zeiclmung,  wenn  auch  niclit  auf  kunstmäfsige, 
sclxulgereclite  Weise*  doch,  nothdüiftig  geübt, 
tind  war  inzwischen,  bis  er  sich,  ganz  der 
Kunst  widmen  kont«,  zu  dem  Alter  gelangt, 
wo -gede  Selenkraft  sich  völlig  entwickelt  hat, 
WO  also  auch  das  Talent  der  Erfindung,  das  in 
ihm  noch  schlummerte ,  nur  der  eisten  Anrei- 
zung  bedurfte,  um  in  seiner  ganzen  Stärke  zu 
erwachen.  Dies  geschah,  sobald  er  nach  Ko- 
penhagen kam,  beim  Anbiick  so  fieier  trelli- 
cher  Kunstwerke ;  und  von  der  Zeit  an  em- 
pfand er  auch,  bei  immer  w-e.cli&cnder  Leiden- 
schaft für  die  Kunst,  einen  entschiedenen  Wi- 
dcrwill-en  gegen  alles  jS'achzeicliiien,  das  ihm 
«iiie  unwürdige  j  den  Geist  tüdtcnde  Bescliäfti- 
^ung  schien.  !Nur  im  steten  aufmerksamen 
Betrachten  derielben  fand  er  Nahrung  und  Be- 
friedigung für  seinen  Kunsttrieb,  -Nyomit  er 
dann,  sobald  seine  dürftigen  Kentnisse  der 
menschlichen  Gestalt  es  ihm  gestatteten,,  auch 
die  Übung  des  Eründens  verband.     Soüessein 

Trieb 


305 

Trieb  ihn  selbst  den  Wes:  finden,  der  seiner 
Anlage  am  znträglichbten  war;  auf  dem  er  die 
eisten  Scliritte  zwar  langsam  und  miilievoll, 
lind  liaum  nieiKlicli  in  den  ersten  Jalnen,  zii- 
rüchlcgte  ;  danij  aber,  als  er  es  endlich  dahin 
gebracht  hatte,  ein  Bild  seiner  Erfindung  aus- 
dii'cken  zu  können  ,  auch  um  so  schneller  und 
sicherer  vorwärts  ging,  und  im  leichteren  Ge- 
lingen sein  ausdauerndes  Streben  belohnt  sah. 

Wäre  Carstens  früher,  ehe  er  sich  seiner 
Selbständigheit  bewust  ward,  unter  der  Anlei- 
tung eines  Meisters  zur  Kunst  gekommen,  so 
\vürde  dieser  ihn  auf  den  ge%v6hnlichen  Weg 
der  Nachahmung  geführt,  und  ei  /ürde  auf 
demselben  den  technischen  Tlieil  in  kürzerer 
Zeit  schulmäfsig  geleint  haben;  ob  er  aber  auch 
aus  dieser  Schule  so  rein  und  unbefangen  ,  so 
eigenthümüch  und  selbständig  wieder  hervor- 
gegangen wäre ,  als  er  sich  auf  seinem  eigenen 
Wege  erhielt  ? 

Bei  seinem  Verfahren,  nichts  nachzuzeich- 
nen, sondern  alles  durch  Betrachtung  aufzu- 
fassen, und  die  so  erworbenen  Kentnisse  in 
eigenen  Arbeiten  anzuwenden  ,  hatte  Carstens 
den  Vortheil,  dass  er  sein  Darstellungsvermö- 
^\n  unaufhörlich  an  neuen  Gegenständen  übte^ 
20 


5o6 

niid  dadiircli  zu  einem  Grade  von  Feitiglieiti 
Gewandlieit  und  Klarheit  ausbildete,  den  ein 
Künstler  auf  dem  gewölmliclicn  Bildiings\vege 
iiiclit  leiclit  erlangen  wird.  Indem  er  den  Geist 
und  Stil  seiner  Vorbilder  auffafste,  Itonte  er 
leichter  die  tadelhaite  Manier  derselben  vermei- 
den. Geübt,  die  Bilder  seiner  Fantasie  vorder 
inneren  Anschauung  festzulialten  ,  und  seine 
Komposizionen  im  Kopfe  anzuordnen ,  honte 
er  ihnen  leichter  die  schöne  Einheit  geben,  die 
blos  auf  dem  Papier  erfundene  und  geordnete 
Komposizionen  selten  erhalten :  und  da  er  auf 
diese  Weise  auch  in  der  Ausführung  fast  gar 
heiner  mechanischen  Hülismittel  bedurfte,  so 
ging  auch  von  dem  Geist  und  Feuer  seiner  Er- 
findungen um  so  ^veniger  verloren.  Daher 
auch  Carstens  i  durch  eigene  Erfahrung  von  der 
Vorzüglichheit  seines  Verfahrens  überzeugt, 
behauptete  :  der  Künstler  müsse  dahin  streben, 
in  seinen  Werken  alles,  das  Gewand  ausge- 
nommen, aus  der  Idee  und  nichts  nach  Model- 
len zu  bilden;  je  mehr  der  Künstler  im  Stand« 
sei,  das  Modell  zu  entbehren,  desto  vorzügli- 
cher würden  seine  Bilder  geratlicn.  Wenn  nun 
auch  diese  Dehauptung,  in  dem  Sinne  des  Künst- 
lers verst-anden,  und  beider  Voraussetzung  de» 
^rforderliclien  Talent»,  an  sich  richtig  ist,    s© 


507 

f.-.nd  sie  doch  bei  fast  allen  Künstlern  denstärl^- 
steu  Widerspruch;  ja  ininclie  glaubten,  sie  sei 
eine  blofse  Pralerei,  und  Carstens  selbst  bedie- 
ne sich  heimlich  eines  Modells;  obgleich  er  die 
rdchtigheit  seiner  Behanptung  dadurch  zu  be- 
v/eisen  suchte,  dass  er  zeigte,  es  hOnne  für  Fi- 
guren im  Idealstile  liein  Modell  brauchbar  sein, 
■weil  in  jenen  die  Natur  eine  ganz  andere  sei, 
als  in  der  Wirklichheit ;  und  dass  gcr.ide  in  die 
schwierigsten  Stellungen,  die  fliegenden  und 
sch^vebenden  ,  kein  iNIodell  zu  setzen  sei,  da- 
her man  diese,  eben  so  ^vie  die  fliegenden  Ge- 
wänder, aus  der  Idee  bilden  müsse.  Wenu  es 
nlso  möglich  sei,^  das  Schvrerere  ,  das  v\ir  nie 
sehen ,  sondern  uns  b'os  einbilden  hünnen, 
aus  der  Idee  zu  bilden,  so  müsse  es  mit  dem 
Leichteren ,  das  wir  taglich  zu  sehen  und  zu 
beobachten  Gelegenheit  haben,  um  so  eher 
möglich  sein. 

Die  Ursache,  warum  Carstens  Aem  Gebrauch 
des  Modells  bei  der  Ausführung  so  abhold  war, 
und  so  sehr  auf  das  Bilden  aua  der  Idee  drang, 
lag  in  seiner  Überzeugimg,  dass  auf  diese  Wei- 
se allein  die  Darstellung  ein  durcliaus  orga- 
nisch gebildetes  Ganzes  werden  könne;  darauf 
zwecks©   auch  von  jeher,     vielleicht  ohjie    e* 


So8 

selbst  zu  wissen ,  seine  eigene  Ausbildung  ab. 
Er  fühlte ,  dass  seine  Einbildungskraft  das, 
was  sie  niclit  anscliaulicli  begriffen  und  zu  ili- 
lem  Eigentlium  verarbeitet  hatte  ,  auch  in  der 
Vorstellung  nicht  zur  gehörigen  Klarheit  zu 
bringen,  und  was  sie  nicht  zur  Klarheit  brach- 
te »  auch  nicht  anfser  sich  d'Jirzustcllen  vermoch- 
te. Da  er  nun  in  der  Natur  und  in  anderen 
Kunstwerken  nie  etwas  finden  konte  ,  vv^as  sei- 
iier  Idee  und  dem  gegenwärtigen  Falle  der  An- 
wendung völlig  entsprach;  und  da  er  zugleich 
bemerkte ,  dass  Modelle ,  statt  das  Bild  seiner 
Vorstellung  zu  berichtigen ,  es  vielmehr  durch 
ihr  wirkliches  Dazwischentreten  nur  verdun- 
kelten und  verwirrten,  so  sah  er,  um  die  In- 
tegrität seiner  Darstellungen  zu  retten,  kein 
anderes  Mittel,  als  dahin  zu  streben,  dass  sei- 
ne Einbildungskraft  so  viel  als  möglich  zum  ei- 
genen Bcsiz  aller  der  Theilanschauungen  ge- 
lange, welclie  das  Ganze  ausmaclien;  und  er 
wolte  lieber  Gefahr  laufen,  in  der  Richtigkeit 
einzelner  Theile  zu  fehlen,  als  die  lebendig« 
Einheit  des  Ganzen,  die  ihm  das  Wesentliche 
eines  Kunstwerks  war,  durch  Einflickung 
fremdartiger  Theile  zu  zerstören.  Und  so  führ- 
te Carstens  auch  wirklich  immer  seine  Erfin- 
dungen blos  nach  der  Ide«  au»,   ohne  ein  Mo- 


309 

dell  zu  Rathe  zu  ziehen.  Alles,  T\'as  er  sich 
bei  da  Ausführung  im  Nothfalle  erlaubte,  war, 
dass  er  einen  Blick  auf  die  lebendige  Natur  oder 
auf  ein  Kunsfwerk  that,  um  die  Form  oder  Be- 
wegung eines  Theiles  in  seiner  Yorstelhing  zu 
berichtigen.  Statt  eines  Modelles  trat  er  dana 
lieber  selbst  einen  Augenblick  vor  den  Spiegel, 
weil  eine  Stellung  oder  Bewegung,  damit  sie 
wahr  sei,  von  dem,  der  sie  machen  soll,  moti-: 
virt  und  empfunden  werden  mus.  Dafür  aber 
war  er  bei  jeder  Gelegenheit,  wo  er  Menschen 
thätig  und  handelnd  sah,  desto  aufmerksamer 
auf  Bew^egung  und  Ausdruck;  und  auch  in 
dieser  Hinsicht  war  Rom,  -wo  ein  kunstsinni- 
ger Beobachter  keinen  Gang  ^urch  dieStrafsen 
machen  kann,  ohne  auf  eine  iVIenge  malerischer 
Bilder  aller  Art  zu  stofsen,  für  ihn  die  vor» 
tieflichste  Schule  der  Hunst. 

Schon  vorhin  haben  w-ir  der  Hindernisse  er- 
wähnt, welche  machten,  dass  Carstens  in  der 
Zeichnung  nicht  zu  durchgängiger  Richtigkeit 
gelangte,  und  gezeigt,  dass  sie  nicht  in  der  Art 
seines  Studirens,  sondern  in  derUnzulän^lich- 
keit  seiner  anatomischen  und  perspektivischen 
Hülfskentnisse  gegründet  Ovaren.  Eben  so  we- 
nig ist  es  jener  beizumessen  3  dass  er  kein  vor^ 


510 

aügUcher  Maler  und  Koloiist  ge-wovden  ist. 
Hätten  ilin  die  umstände  nicht  immer  c;cnin- 
derti  auf  diesen  Tlicil  der  Kunst  sein  Streben 
zu  liciilen  und  die  dazu  erforderüclien  Iland- 
giifl^e  hcnnen  zu  lernen,  so  ^viirde  er  acich  dar- 
in seiner  TerfAlirun2:sart  treu  jrebileben  sein^ 
Er  wi':rde  nie  ein  Gemälde  liopirt ,  aber  die 
Torziirliclisten  ileicsig  betrachtet,  die  dadurch 
erworbenen  Einsichten  in  eigenen  Arbeiten  zur 
Ausübung:  gebraclit,  und  auch  so  sein  Kolorit 
mit  den  übiigcn  Theilenseiner  Kunst  in  die  ge- 
hörige Übereinstimmung  gesezt  haben. 

Erwägt  man  nun  noch,  dass  Carstens ^er^de 
^ie  fünf  besten  Jahre  seiner  Jugend,  wo  er  ei- 
gentlich die  wissenschaftlichen,  und  techni- 
schen Theile  der  Kunst  hätte  in  seine  Gewalt 
bringen  sollen,  beim  Weinhandel  verloren ; 
dass  er  erst  im  drei  und  zwanzigsten  Jahre  zur 
Kunst  gehommen  ;  dass  er  darin  von  Anfang 
fin  sein  eigener  Lehrer  und  Leiter  gewesen; 
dass  er  nachher  wieder  in  Liübech  fünf  Jahre; 
und  dann  in  Berlin  noch  vier  Jahre  fast  gan25 
unnüz  versäumt  hat,  so  dass  er  eigentlich  nur 
die  sieben  Jahre  seines  Aufenthalis  in  Koj^cn- 
Iiagen.,  und  die  lezten  sechs  Jahre  seines  Le- 
"bens  ift  Rom  mit  Nutzen  für  seinen  Zweclihat 


511 

verwenden  l^önnen;  dass  er  dabei  sein  ganzes 
Leben  liinduicli  mit  Armuth  und KranWieit  ge- 
kämpft ;  dass  e:^  ihm  fast  immer  an  den  noth- 
"wendigsten  Mitteln  zu  seiner  Ausbildung  ge- 
mangelt; und  dass  er  die  so  spät  betretene  Lauf- 
bahn schon  in  der  INIitte  des  Lebens  wiederhat 
verlassen  müssen:  so  findet  mau  in  dem  Zu- 
sammenflusse so  vieler  widerwärtiger  Untstäii- 
de  der  Ursachen  genug,  -warum  Carstens  nicht 
ganz  der  grofse  Künstler  vv^erden  können ,  zu 
dem  die  Natur  ihm  alle  Anlagen  verliehen  hat- 
te», tmd  der  auch  aus  dem ,  v\'as  er  troz  allen 
diesen  Hindernissen  durch  imermüdetes  Streben 
dennoch  wirklich  geleistet  hat»  so  rülimlick 
hervorleuchtet. 

So  würde  iich  denn  aus  dem  bisher  Gesag- 
ten ergeben,  dass  der  von  unserm  KüiTstler  zu 
seiner  Selbstbildung  genommene  Weg  für  ihn 
der  rechte  und  angemessenste  war,  und  dasa 
derselbe  auch  Anderen  Künstlern  von  so  ent- 
schiedenen Anlagen,  die  eigenthüraliche  Erfin- 
dungsgabe mit  einer  gleich  energischen  Einbil- 
dungskraft verbinden,  als  zweckmäfsig  zu  em- 
pfehlen sein  dürfte ,  da  auf  ihm  das  Talent  der 
Erfindung  frühe  und  unabläfsig  geübt  und  die 
Eigenthümlichkeit  von  allen  schädlichen  Ein* 


Aussen  "hersclicnder  Manieren  rein  erhalten 
wird ;  nurmüste  die  Gelegenlieit  frühe  die  Hand- 
griflPe  des  Technischen  und  die  Kentnis  der 
Hülfswissenschaften  zu  erwerben  ,  die  unserni 
Künstler  unglücklicher  Weise  gemangelt  hat, 
damit  verbunden  sein.  Als  allgemein  gangbar 
würde  jedoch  dieser  Weg  nie  zu  empfehlen, 
roch  weniger  zu  einer  breiten  Heerstrafse  für 
die  Zöglinge  der  Kunstschulen  und  Akademien 
auszuweiten  sein,  weil  in  solchen  Anstalten, 
der  Regel  nach ,  nur  nachahmende  nicht  Schö- 
pferische Talente  gebildet  werden  ,  daher  auch 
.vornehmlich  auf  das  Vermögen  jener,  nicht 
dieser,  der  Bildungsplau  derselben  berechnet 
werden  mus. 


313 


VV  enige  Tage  vor  fscinem  Tode  sezte  Carstens 
in  seinem  lezten  Willen  den  Verfasser  zum 
Erben  seines  s.imtliclien  Kunstnaclilasses  ein, 
und  gab  ihm  sowolil  dadurch,  als  durch  den 
.mündlich,  geäufserten  Wunsch,  dass  dieser 
Nachlas  nicht  zerstreut,  sondern  beisammen  er- 
halten, imd  dereinst  in  irgend  einer  Kunstsam- 
Inng  aufbewahi t  werden  möchte,  damit  doch 
Etwas  von  dem  Wenigen,  was  sein  Schiksal 
ihm  zu  leisten  vergönnt  habe,  die  Spur  sei- 
nes Daseins  erhalte,  w^ann  er  selbst  nicht 
mehr  sein  w^iirde ,  —  den  lezten  Beweis  sei- 
nes durch  eine  vieljährige  Freundschaft  be- 
giündeten ,  nie  durch  Misverständjiisse  ge- 
tiübten  Vertrauens.  Und  der  Verfasser  hatte 
auch,  bald  nach  seiner  Fiükkehr  aus  Italien, 
Gelegenheit  diesen  Wunsch  seines  verstorbe- 
nen Freundes,  glühlicher  als  er  gehoft,  in 
Weimar  zu  erfüllen.  Der  Herr  Gelieimerath 
Von  Göthe  nahm  die  Carstenschen  Zeichnun- 
gen in  leiue  Runstaustellung  des  Jahres  1304 


auf,  wo  sie  den  Beifal  des  regierenden  Her- 
zogs erliielten  und  Denselben  bewogen  ,  die 
Samlung  für  die  öfFentiiche  Bibliothel'i  seiner 
Residenz  anzukaufen ,  wo  sie  gegenwärtig 
aufbewahrt  wii  d.  Wir  tlieilen  hier  das  Ver- 
zeichnis derselben  mit^ 

Sohates ,  der  dem  Alzihiades  in  der  Schlacht 
hei  Pctidaea  das  Lehen  rettet;  i788-  (^» 
66.) 

'Jiass-andra  vor  dem  Patast  des  Pelops  in  Ar* 
gcs,    weissagend i    1788'     (  S-  67.) 

Ossian  und  Alpin  zur  Harfe  singend;    1788« 

(S.  67.) 
Ajax,    Tehnessaund  Eurysakfs;    1789«    ( S* 

107O 

J)gr  Kam-pf  des  Achilles  mit  den  Flüssen, 
und  oben  über  der  Scene  die  versammel- 
ten Götter  (ist  oben  S.  107  anzuführen 
vergessen  worden). 

Jiakchiis ,  der  dem  Amor  aus  seiner  Schale  zu 
trinken  gieht;  erster  Entv/urf;  1790.  ( S. 
107O 

Die  drei  Parzen»    erster  Entwurf;    1792.  (ß» 

107O 


315 

t)ieselhen  vcYdudcn  ;    179?.     (5.21"'.) 

Sokrates  im  Korhe ;    1791.     (  o.  lo"".  ) 

Umrisse  zu  dem  Gastmale  des  Pinto ,  von 
dem  ausgeführten  Gemälde  abKalKivt ;  1793. 
(S.  10-.) 

Oedipus  von  den  Fiuieti  gequält,  erster  Ent- 
■\viiri;    i"^9o.    ( S.  107.  ) 

Besuch  der  Argonauten  hei  dem  Kentauren 
Chiron;    1-91.     (  S.  log.) 

Scldacht  der  Kentauren  und  Lnpithen ;  1792I 
(8.  117.  ) 

Jle^uch  .  der  Argoraziten  hei  dem  Kentauren 
Chiron,  veränderte  Kompcsizion;  1792. 
CS.  r50.) 

Ganimed  vom  Adler  Jujpiters  em-por getragen: 

Die  Gehurt  des  Lichts;    1794.     (  S.  174.) 

Vie  Helden  im  Zelt  des  Achill;  1794.  (S. 
^72.) 

Die  Überfahrt,  oder  der  Tiran^  nach  dem 
Luzian;    i794-    (S.  169.) 

Die  Nacht  mit  ihren  Kindern;    1795.  (S.  175.) 


5i6 

Die  Ztn'tikhringung  det  ejitfloherten  IVle^a-- 
1'ientes  t  Gegenstük  zur  Übeifartj  1795. 
(S.  210.) 

Das  Orakel  des  Amfiaraos  ;    1795.     (S.  2ii.) 

Die  La-pithen,  oder  das  Gastmal;  1795» 
(S.  211.) 

Helena ,  Priam  und  die  Ältesten  auf  dem 
Sküischen  Thore ;    i795'      (S.  2ii.) 

Fingqls  Kampf  mit  dem  Geiste  von  Loda; 
1796.     (S.  211.) 

Perseus  und  Andromeda  unter  den  Ätiopen; 
1796.     (S.  211.) 

Dante" s  Hölle  ;    1796.     (S.  211.) 

Homer  t  der  seine  Lieder  in  einer  Volksver- 
samlung  singt ;    1796.     (S.  2i2. ) 

Ödip  in  Kolon;    1796.     (S.  2i2.  ) 

Die  Hexenküche;    1796.     (  S.  212.  ) 

Jasons  Ankunft  in  Jolkos  ;    1796.     (  S.  212.  ) 

Kteokles )    der  in  den  Kampf  eilt ;    ^'J'^'J.    (S. 

2^7.) 
Scene  aus  dem  Trauerspiel  in  Yorkshire  nach 

Sliakspeaie ;    1797.     (  S.  217. ) 


517 

Scene  aus  dem  ÖiUpus  Tirannus  des  Sojokles; 
^-j^i.    (S.  2180 

Nebst  mehreren  unvollendeten  Entwürfen 
inid  Studien  yon  Gewandern,  aus  seiner  irü- 
lieren  und  spateren  Zeit,  unter  denen  sich 
vornehmlicli  die  Studien  zum  Homer  und  i\x 
Dante^s  Holle  duicli  d-'u  reinen  Stil,  und 
durch  die  sorgfältige  Ausfüluuno^,  womit  sie 
verfertigt  sind,    auszeichnen. 


Verbess  eritii  gen. 


S.    2!/     2.  I    —  —    lies:   mechanisch  skizziitei 

—  321     Z.  1    V.  mit.     —    yimykus, 

—  844    Z.  2  V.  uiit,    —    staken, 


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