Skip to main content

Full text of "Leben, Werk und Zeitalter des Thukydides : mit einer Einleitung zur Aesthetik der historischen Kunst überhaupt"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 

















HARVARD COLLEGE 
LIBRARY 


Ei 


FROM THE BEQUEST OF 
MRS. ANNE E. P. SEVER 
OF BOSTON 


Widow of Col. James Warren Sever 
(Class of 1817) 








I i 


Beiträge 


zur 





A 


Gefchichte der biftorifchen Runftieuue: 


Don. 


Wilhelm Nofder, 
Doctor der Philofophie und Privatvorenten der Geſchichte 
- and Staatswiffenfchaft in Göttingen. 


Erſter Band. 
PBrolegomena Thukydides. 


m — 
Göttingen, 
bei Bandenhboed und Ruprecht. 
184 2- 


No gm 


Leben, Werk und Zeitalter 


de s 


hukydides. 





Mit einer Einleitung zur Aeſthetik der hiſtoriſchen 
Kunft überhaupt. 


Von 


Wilhelm Nofder, 


Doctor der Philofophie und Privatdocenten der Geſchichte 
und Staatswiſſenſchaft in Göttingen. 


O degli altri poeti onore e lume, 

Vaglia mi !’lungo studio e') grand’ amore, 

Che m’ han fatto cercar lo tuo volume! 

Tu se’ lo mio maestro ce’! mio autore! 
Dante. 


ö— — U⏑ —— ——— 
2Göttingen, 
bei Vandenhoeck und Ruprecht. 
15842 _ 


GE 
59,686 


JAN 
Ä 26 
n = 1883 
CH - / 
and 


—— 


Meinen geliebten Lehrern, 


evopold WNanke 


und 


einrich Nitter, 


in ehrfurchtsvoller Dankbarkeit 


zugeeignet. 


Vorrede. 





)ie vorliegende Schrift kundigt ſich als den erſten Theil 
es größern Werkes an Der zweite Theil, jo Gott 
fü, fol in abgefonderten Monographien den Herodot 
d Kenopben behandeln; der dritte in zufammenhängen- 
tGeſchichte die fünf großen roͤmiſchen Hiftorifer. Meine 
vtarbeiten zum zweiten Bande finds zwar größtentheils 
on beenvigt; allein es wirb doch bis zu deſſen Her- 
gabe eine längere Zeit vwerftreichen müſſen. Mancher⸗ 
iUmflände nämlich veranlaſſen mich, als nächftes grö- 
13 Werk ein Syſtem der Staatswirthſchaft auszuar- 
tert. 

Diejenigen, welche den Berfaffer nur aus feiner afa- 
miichen Wirffamfeit Tennen, werden über den Gegen- 
nd dieſes Buches vielleicht verwundert fein. Meine 
erlefungen haben fih bisher auf Geſchichte der politi= 
kn Theorien, Staatöwirthichaft, Politik und GStatiftif 
ngeichränft; fie werden fi erſt von jebt an auf die 
imtliche Hiftorie ausdehnen. ch betrachte aber die 
olitik als die Lehre von den Entwicklungsgeſetzen des 
taates; die Staatöwirthichaft und Statiftif ala beſon⸗ 
8 wichtige und daher beſonders detaillirt ausgearbeitete 
veige und Seiten der Politik. Jene Entwicklungsgeſetze 
nfe ich durch Vergleichung der mir bekannten Vollsge— 
ichten zu finden. An mikroſkopiſchen Unterfuchungen, 


viii Vorrede. 


an Sectionen ꝛc. fehlt es dem Hiſtoriker ebenſo 
wie dem Naturkundigen. Ja, er hat vor dieſem voraml 
bag die Selbftbeobachtung des Körpers ſehr beichränil 
bie des Geiftes aber beinah unbeſchränkt if. Andere 
jeit3 hat e8 wieder der Naturforfcher bequemer. WII di 
eine Gattung kennen lernen, fo Tann er Hunderte, Ü 
Taufende von Individuen dazu benugen. Da controlie 
fiih jede Beobachtung leicht; jede Ausnahme fcheibet fid 
leicht von der Regel. Wie viele Völker dagegen ftchel 
und zur Vergleichung offen? Deſto unerläßlicher nat 
lich, dieſe wenigen alle zu vergleichen, in allen Stüdt 
zu vergleichen. Meine Staatöwifjenfchaft gründet f 
durchaus auf univerfalhiftorifche Vorſtudien. In den ft 
‚beren Zeiten der göttinger Univerfität, von Schlöger I 
Dahlmann, find Gefchichte und Staatswiſſenſchaft 
auch immer von demfelben Manne vertreten worden. 

Die meiften jüngeren Gelehrten, die ſich heutzutag 
der Gefchichte widmen, haben mit dem Studium des P 
telalter8 begonnen, Das Alterthum, mit welchem ich a 
fange, ift jeit Iängerer Zeit als ein faft ausjchlieglid 
Beſitz der Philologen, allenfalls auch der Suriften I 
trachtet worden. Allein die alte Geſchichte ift für fi 
ſchon verftändlich, während fie zum völligen Verſtaͤndniſſi 
der neuern immer voraudgejeßt werden muß. Gie ik 
den großen DVortheil, fchon beendigt zu fein, alfo gar 
überjehen werden zu können, .. während bie neueren Völ 
fer, Italien etwa audgenommen, noch in voller Kraf 
fortleben. Unzählige Dinge, deren Beurtheilung in de 
neuern Gejchichte immer noch Parteifrage ift, liegen de 
















Vorrede. IX 


rthumsforſcher Flar und zweifellos vor. In demfelben 
yältniffe, wie der Länderraum der alten Gefchichte be- 
zter, gleichartiger iſt, und die ganze Entwicklung, na- 
tlich durch das Aufeinanderfolgen der politifch be 
mden Voͤlker, einfacher erjcheint, find auch die Quel⸗ 
leichter zu bewältigen. Wreilich ift es fchön, daß für 
neuere Zeit in Bibliotheken und Archiven faft fo. viel 
len fließen, wie der Forfcher nur fuchen darf: :aber 
Anfänger kann in dee Menge des Stoffes leicht hin⸗ 
jerifien werden und unterfinfen. Endlich noch ein 
in, das mich befonders geleitet bat. Fuͤr einen jun⸗ 
Siftorifer, der nicht bloß zu lernen, fondern fich erft 
ubilden hat, — und dieBildung tft für ihn noch wichti- 
als das Willen, — fcheint e8 unendlich wünfcheng- 
h, in jenen Quellen Mufter zugleich für. Geift und 
; zu finden. Studien nach der Antike find für den 
hichtfchreiber ebenfo unerläßlich, wie für den bilden- 
Künſtler. Was mürde mir in dieſer SHinficht die 
fermanderung oder dad neunte Jahrhundert geboten 
m? Jetzt aber waren Thufydides und Herodot, Ari 
hanes, Sophofles und Platon meine Hauptquellen. 
on die Lectüre derjelben, von aller Forſchung abges 
n, war Entzüden für mid. Ich batte als Knabe 
funden, daß ein tägliches Trinfen aus dieſem unſterb⸗ 
m Borne der Menfchlichfeit und Schönheit zum wah- 
eben nothwendig fei; daß bier ein Brunnen eiwiger 
undheit und Jugend fließ. So habe ic den größ- 
Meifter meiner Kunft zum Gegenftande meines Wer- 
erforen. Was wohl in anderen Fächern hemmt, was 


x Vorrede. 


z. B. die guten Geſchichtſchreiber der Philoſophie fo f 
ten macht, daß nur wenige Hiftorifer Philoſophen gen 
find, um anderen Philoſophen ganz nachenpfinden 
fönnen, und wenige Philofophen SHiftorifer genug, ı 
unbefangen darüber zu flehen: das konnte bier nicht hi 
bern 1). 

Thukydides war der Hifkoriferdes perikleiſch 
Athens. Was nun den praktiſchen Werth dieſes Muſt 
anbetrifft, jo iſt zwar Vieles, ſehr Vieles daran zu bewu 
dern, aber nur Weniges nachzuahmen. Zu dieſer Ne 
beit und Tiefe der Beobachtung, dieſer Freiheit des X 
theils, dieſer Größe her Geſinnung, dieſer Klarheit u 
Stärke der Form muß die Ankage angeboren fein; 
kann entwicelt, niemals aber gelernt werde. W 
man aber lernen foll, aus dem Thukydides lernen kar 
das find etliche unſcheinbare, oft übertretene Geſetze 
wiſſenſchaftlichen Gewiſſens. Keinerlei Muͤhe zu ſcheu 
und ſeine Arbeit hoͤchſtens Für halb gethan zu acht 
wenn man dad Materiqal dazu gewonnen bat. Niema 
weder im groͤßten Buche, noch im kleinſten Worte, me 
ſcheinen zu wollen, als man iſt. Endlich den Rul 
und die Freiheit hoch zu halten, das Vaterland hoͤh 
aber die Wahrheit über Alles. Bei wen die Lectü 
bes Thukydides nicht Diete drei Cniſchlüſſe Ke 
haft erneuert bat, — mag er no fo vi 


" ] 

4, Ich will den 2efer vorläufig noch aufmerkſam machen, daß me 
Prolegomenen nichts weniger als philofophildy fein wollen, fondern 
fireng, nad) der ©. 27 ff. gegebenen Definition, auf biftorifchem € 
biete halten, 


Borrebe. xı 


grammatifche Regeln oder hiſtoriſche Thatſa— 
den daraus gelernt haben, — der hat den Thu 
Indides umſonſt gelefen. 

Wenn ed einen Unterſchied giebt zwiſchen Philos 
Inge und alter Gefchichte, To ſtehe ich natürlich auf 
der Iehtern Seite. Die Berbalphilologie bat ſich um den 
Dulydides Fein geringes MVerdienft erworben. Sowohl 
‚für die kritiſche Feſtſtellung des Tertes, als für die Er⸗ 
Irung der Spracdeigenthümlichfeiten ift reichlid Sorge 
getragen. Aber Thukydides ſelbſt hat fein Werf als ein 
yolititches betrachtet; er hat für Hiſtoriker, für Staats⸗ 
männer gejchrieben. In diejer Hinficht birgt ee unend⸗ 
liche Schäbe, die von dem bloßen Philologen kaum ge 
ahnt werden; die nur derjenige heben Tann, welcher dur 
lauges und tiefed Studium mit Berfaffungdgejehen und 
Stantöreden, mit Parteifämpfen und Feldfchlachten ver- 
traut geworden if. Niemand wird bezweifeln, daß die 
Erflärung des Hippokrates nicht bloß der Phikologen, 
fondern auch der Aerzte bedarf. So die Thufhlydideser⸗ 
Hörung der Hiſtoriker. Das vorliegende Buch ſoll einen 
Beitrag dazu Kiefern. 

Ich Habe mich noch über zwei Punkte auszufpre 
ber. Der Lefer wird bemerken, daß meine Arbeit an 
hiſtoriſchen Parallelen, ſ. g. Analogien, reih if. Mit 
Analogien wird in unferer Zeit viel Mißbrauch getrichen. 
Mancher Schriftfteller hat fie ald ein Bequemlichkeitsmit⸗ 
tel angejehen, um der ernftern Arbeit überhoben zu fein. 
Statt ihrem Leſer die Wahrheit felbft gleihfam zu 
(denken, pflegen Viele ihn nur rund umbherzufüh- 


xu Vorrede. 


ren, damit er fie von verſchiedenen Seiten betaſten 
fönne. Aber ein Werkzeug, mit dem ſich der Unge— 
ſchickte nicht verlegen Fan, . wird auch dem Gejchicten 
niemald große Dienfte leiſte. Und nur ald Werkzeug 
darf. die Analogie gebraucht werden, nicht als Selbſt⸗ 
zweck. Sie leitet und an, durch Vergleihung mit möge 
lichſt viel ähnlichen Gegenftänden die vorliegende Materie. 
vieljeifiger und gründlicher Tennen zu lernen. Ich ver 
gleiche daher immer nur in zwei Beziehungen: einmal 
die eorrefpondirenden Entwidlungäftufen verjchiedener Na⸗ 
tionen, aljo die griechifche Wölfermanderung mit der ger- 
maniſchen Völkerwanderung, die griechijche Ritterzeit mit 
der germanifchen Mitterzeit ꝛc.; fodann aber die verfchiedes 
nen Lebensrichtungen deſſelben Volkes, alfo die Politik 
z. B. des perikleifchen Zeitalterd mit feiner Religion, ſei⸗ 
ner Poeſie, feiner Plaſtik N). — Was die Gitate 
anbetrifft, fo hat man ehedem mit ihrem Ueberflufle zur 
prunfen gejucht, heutzutage mit ihrer Seltenheit. Ich 
glaube, daß fie zum Prunfen überhaupt nicht da find, 
Entweder find fie geradezu nothwendig, des Beweiſes 
halber, oder um dem Erfinder einer Wahrheit die Ehre 
zu laſſen; oder aber fie find geradezu vom Uebel. 

Ich fage jchlieglich noch meinen philologifchen Freun⸗ 
den, die mir mit Rath und That mehrfach geholfen ha— 
ben, Herrn Director Ranfe in Berlin und Herrn Pro= 
feſſor Wiefeler in Göttingen, meinen herzlichſten Danf. 


) ©. unten ©. 19 fg. 


Göttingen Ende Zulius 1842. 
Der Verfaſſer. 


Inhaltsverzeichniß. 


Prolegomena. 

iſtes Kapitel: Verſchiedenartige Stufen und Aeu⸗ 
ßerungen des Kunſttriebes im Allgemeinen...... 
weites Kapitel: Unterſchied des hiſtoriſchen Kunſt⸗ 
triebes nom poetiſchen und philoſophiſchen....... 
rittes Kapitel: Werth der hiſtoriſchen Kımfl ... 
ierted Kapitel: Entwidlungsftufen der hiſtoriſchen 
| uf... 00er 00er een ern eree ne. 

Fünftes Kapitel: Zur Charakteriſtik des helleniſchen 
Doltes überhaupt. 


Thukydides. 

J Erſtes Kapitel: Aeußere Lebensumſtäͤnde des Thu⸗ 
kydides. EEE 
5. 1. Quellen S. 81. 8. 2. Geburt und Herkunft bes 
Thukydides ©. 85. $. 3. Jugend und Erziehung des 
Thukydides S. 92. $. 4. Mannesalter des Thukydides 
© 95. $. 5. Letzte Schidfale und Tod des Thukydides 
6.100. $.6. Aeußere Perfönlichkeit bes Thukyd, ©. 106. 





81. 


xıv Vorrede. 


Zweites Kapitel: Quellen und Quellenkritik des 


Thukydides. EEE 
$.1. Autopſie S. 110. $.2. Geſchriebene Quellen S. 112. 
$. 3. Mündliche Ueberlieferung ©. 123. $. 4 Thukydi⸗ 
des angebliche Widerlegungsfudht S. 126. 


Drittes Kapitel: Sagenkritif des Tchukypines . . . » 
$. 1. Borbereitung auf Thukydides ©. 129. $. 2. Kri- 
tifhe Grundfäße des Thukydides S. 132. $. 3. Schein- 
bare Ausnahmen ©. 136. $. 4. Schlußbetradhtungen 
©. 139. $.5. Yumerkung über die Chronologie des Thu: 
tydides ©. 141. 


Viertes Kapitel: Reden des Thukydides...... 
$. 1. Menge ber thukydideiſchen Reden ©. 146. 8. 2. 
Borfragen über das Verhältniß der thufybideifchen Re⸗ 
den zu den wirklich gehaltenen ©. 149. $. 3. Wahres 
Berhältniß der thulydideifchen Reden zu den wirklich ge⸗ 
haltenen S. 151. $. 4. Stellung des Reben ©. 164. 
$. 5. Schingberzachtungen ©. 160. 

ünftes Kapitel: Pragmatiemus des Thukybides) 
$.1. Zwack ker thulnbiheifchen Geſchichtſchreibung ©. 177. 
$. 2 urſacherklärungen des Thukydides ©. 187. 
Sechſtes Kapitel: Charakteriſtik der perikleiſchen Zeit 
im Allgemeinen................... 
Siebentes Kapitel: Religion des Thukydides.... 
S. x. Vorbereitung auf Thukydides S. 2M. $. 2. Thu⸗ 
kydides „Wucht non der griechiſchen Religionsgeſchichte 
überhaupt ©. 219. 8. 3. Naturereigniſſe und Orakel 
©. 220. $. 4. Götter ©. 226. 


Achtes Kapitel: Hiftorifche Unparteilichkeit des Thu⸗ 


53) 111112 


di Gemeine Unparteitichkeit ©. 230. $. 2. Bewunde⸗ 


⸗ rung, Freude und Schmerz; ©. 233. $. 3. Thukydides 
und die politifchen Iheorien ©. 239. $. 4. Thukydides 
und die Sophiften ©. 253. “ 


Neunted Kapitel: Thukydides und bie gleißgeitigen 
Hiftorilr . 2.2 000er er er eenee ne 


©. 


©. 


zn 


a0 


a. 


Inhalts verzeichniß. 


$. 1. Lezte Logographen S. 276. 8. 2. Hetodot S. 281. 
$. 3. Memoirenſchreiver S. 291. 


Zehntes Kapitel: Thukydides und Ariftophanes „ . 
$.1.Eiterarifche Stellung bes Ariftophanes im Allgemeinen 
©. 295. $. 2. Parteiftellung bes Ariftophanes S. 300. 
$. 3. Poetifche Methode des Ariftophanes ©. 316. $. 4. 
Plebejifcher Charakter des Ariftophanes &. 332. 


Elftes Kapitel: Sprache des Thukydides...... 
$. 1. Altattiſcher Charakter ber thukydideiſchen Sprache 
6. 336. $. 2. Eharakteriftifche Beifpiele der Oratio va- 
riata ©. 344. $. 3. Kürze des Thukydides ©. 318. 


Bwölftes Kapitel: Einheit des thukydideiſchen Werkes 
$. 1. Abfaffungszeit ©. 353. $. 2. Gegenftand des Wers 


Teen des Thukydides bei der Auswahl feines Gegenftans 
des S. 366. $. 5. Anordnung der Materie S. 370. 


Dreizehnte8 Kapitel: Analyfe des erflen Buches. . 
$. 1. Vorrede ©. 376. $. 2. Einleitung ©. 379. $. 3. 
Vorbereitungen zum Kriege ©. 396. 


Vierzehntes Kapitel: Erfter Hauptfaden — Ume 
wandlung der politifchen Gefinnung . 2... 2200... 

: & 1. Ende des Perikles ©. 406. $. 2. Kleon ©. All. 
$.3. Revolution in Kerkyra S. 413. $.4. Nikias ©.415. 
$. 5. Allibiades ©. 422. $. 6. Revolution ber Bierhuns 
dert ©. 437. $. 7. Lakedämon ©. 447. 


Bunfzehntes Kapitel: Zweiter Hauptfaden — Um⸗ 
wandlung der auswärtigen Poltif . . 2... 0.0.0... 
$. 1. Archidamiſcher Krieg ©. 451. $. 2. Frieden bes 
Nikias. Innere Reform des lakedämoniſchen Bundes 
©. 458. 8. 3. Krieg in Sicilien ©. 465... $. 4. Deke⸗ 
feifcher Krieg ©. 480. 





Sechzehntes Kapitel: Dritter und vierter Sauptfa- 
den — Seemacht und Bundedharfchaft . ....... 
$. 1. Seemadt ©. 483. $. 2. Bundesherrſchaft S. 488. 


kes ©. 356. $. 3. Epifoben ©. 359. $. 4. Leitende 


xV 


©. 295. 


SG. 935, 


©. 353. 


©. 373. 


©. 406. 


©. 451. 


©. 483. 


xvi Inhaltẽverzeichniß. 
Beilagen. 

Erſte Beilage: Vergleichung von Thukydides II, 35 
— 46. mit den übrigen Leichenreden und Panegyriken 
des Aiterthums................... 

Zweite Beilage: Ueber Zeitalter, Verfaſſer und Ge⸗ 


legenheit ver angeblich xenophontifchen Schrift vom 


Staate der Ahner 022 00 000er ren. . 
Dritte Beilage: Ueber die Aufführungdzeit von Curi⸗ 
pides Herakliden............ 
Vierte Beilage: Literariſche Schickſale des thukydidei⸗ 
ſchen Werkes im Alterthume............. 


©, 503. 


©. 556. 





Brolegomena. 


— — — — — 


Erftes Kapitel. 


erfchiedenartige Stufen und Heuferungen des 
Eunſttriebes i im Allgemeinen. 


— — — — * 


Ide Reihe von gleichmäßig wiederkehrenden Handlungen ſind 
ir gewohnt einem zu Grunde liegenden Triebe des Han- 
Anden azuzufchreiben, Alle geiftigen Triebe nım laſſen fich in 
ki große Kategorien theilen: in praktiſche und in poeti- 
he Triebe. Vollkommen ſcharf ift diefe Eintheilung nicht, 
ie es intheilungen der wirklichen Welt überhaupt niemals 
a tünnen. Aber als wefentlich tritt doch bei den praftifchen 
ieben ein Eingreifen in die Wirklichkeit hervor, ein Geſtal⸗ 
wollen unfers Verhältniffes zur Außenwelt. So beim Fa— 
lientriebe, welcher die Familie, beim politifchen Triebe, wel— 
e den Staat, beim religiöſen Triebe, welcher die Kirche mit 
ihren Anftalten erfchaflen hat. Die poetifchen oder Kunſt⸗ 
be Dagegen wollen zunächt nur darftellen, Die Stimmungen 
: Seele an den Tag legen; fie find erhaben über die Be 
vftigfeit Des Lebens; fie wollen ſich mittheilen, nicht aber 
richen. Während jene vornehmlich auf den Willensvernd- 
n des Menfchen begründet find, fo find es diefe auf dem 
xtenntniß⸗ und Empfindungsvermögen. 

Ich will den Kunſttrieb noch ausführlicher betrachten. 
en allen Seiten her dringt die Erfahrung auf unſere Seele 

1 


A | Prolegomena. Kay. 1. 


ein, Wie unfer Leib innerlich von Luft erfüllt und äußeih 
bon Luft umgeben it, ohne Luft nicht leben Tann: fo 
Geiſt nicht ohne Erfahrung: innere und Äußere Erfahre 
Selbſt die eigenen Handlungen, fobald fie vworgeftellt werk 
find Erfahrungen, — Wie nun der Körper fortwährend | 
Bedürfniß fühlt, Luft und andere Speife in fich aufzunehng 
innerlich zu zerfeßen, und nach Abſcheidung der unbrauchb« 
Beſtandtheile in lebendiges Fleiſch und Blut umzugeftalten: 
auch der Geiſt mit der Erfahrung. Dieſes Bedürfniß fühß 
Kind und Greis, Mann und Weib; jeder lebendige Seit, 
friedigt es unaufhörlich. Es ift Das menſchlichſte aller Bediſ 
niſſe: die Welt zu erkennen, zu humaniſiren und zu übern 
den 1). | 

Dabei giebt es aber verſchiedene Arten und veſchic 
Stufen dieſer Befriedigung. Auf der erſten Stufe begeg 
wir dev Gebärde, dem Tone und dem Worte, Dil 
hie allgemeinfte, aber auch die nichrigfte Stufe. Cie fekt i 
eine geringe Erfahrung voraus, eine noch viel geringere | 
arbeitung derfelben, 

Gleichwohl ift bei allen Aeuferungen dieſer Het der 
ſammenhang, der zwiſchen Stimmung im Innern und D 
ſtellung nach Außen hin obwaltet, cin allgemein gültiger 
gemein menſchlicher, oder wenigſtens doch ein nationaler. M 
ein Blindgeborner plötzlich fein Geſicht, ein Taubgeborner 
Gehör erhielte: ich zweifle nicht, daß fie Lachen und Wein 
Jauchzen und Wehklagen auf der Stelle unterſcheiden Ed x 
Sie finden, was die Grundlage alles Verſtändniſſes ift,d” 
finden Aehnliches in fich felber. Ziehet eine weibliche Na 
gall im Zimmer auf, fen von aller Gefellfchaft ihres G 
hen; wenn der Frühling kommt, fo tragt ihren Käfig in- 
Wald hinaus, ob fie nicht im erſten Augenblicke die Lo’ 
der männlichen Nachtigallen verſtehen wird! Dieß iſt —2 


— — — — ——— — — 


) Bol. Hegel's Werke, Band X. Th. 1. ©. 42. 
















N 
% 
re 


rn 


- Gebärbe, Ton, Wort, | 5 


ammenhang, der zwiſchen den Geſichtszügen, der Körper- 
ltung, ja den Sprachtone felbit, und andererfeitd der See⸗ 
werfaſſung Statt findet; der heller oder dunkler einem Je⸗ 
k effenbar iſt; worauf. ale Bhyfiognamit und Deelamation, 
iterhin alles Ausdrucksvolle der Malerei und Muſik beruhet. 
Abit in der Sprache iſt dieß der Fall. Von den eigentlich 
omatopoetiſchen, oder, wie Humboldt. fie nennt, unmit⸗ 
far nachahmenden Wörtern verſteht es ſich von felbit. Aber 
men wir jedes Wort. vor, das einen ſinnlichen Gegenſtand 
tet! Liegt in. den Worten Meer oder Sec nice ſchon 
Unermeßlichkeit des Gegenftandes ausgedrückt? un Worte 
ald nicht etwas Dunkles, Geheimuißvolles, aber Friſches, 
uftendes und Hallendes? liegt nicht in den Warten Schmet⸗ 
Hing, Nachtigall das ganze Thum und Treiben Diefer 
Khöpfe. angedeutet? . Wenn Die Sprache nachher abstracter. 
dw, wohl gar in andere Sprachen fih umgeſtaltet, wie Die 
einiiche z. B. in Die romaniſchen, ſo verwindert fich Diefer 
Inliche Ausdruck. Aber im Ganzen, kaun man doc fagen, 
jedes Wort gleichfam ein Kleines Gedicht auf feinen Gegen⸗ 
ad. — Maan hut wielfach: gejtritten, ob die Sprache unmit— 
bar won Gott gelehrt, oder willkürlich von den Mienfchen 
Igefebst worden. Auch in Bezug auf den Staat iſt bekannt⸗ 
h diejelbe Frage anfgeworfen. Vom Lirfprunge der Sprache 
jt aber Schon Herder ſehr ſchön, Sie koͤnne nicht durch Les 
trinkunft entſtanden ſein, weil jede Uebereiukunft Sprache 
keit. vorausſetze; uach auch von Gott gelehrt, weil nur die 
ernunft lernen könne, und Vernunft ohne Sprache unmög— 
bj). Wort und Begriff find vielmehr gleichzeitig, find 
8 tem ander unentbehrlich. Beide werben durch Ein Dez 
kinig hervorgerufen : ein Vedürfniß, Dad jeden Menſchen 
reißt, feiner Erfahrung fich bewußt zu. werden, und dieß 
> _ - U 


— — — — ——— — 


y Werke zur Philoſophie und Geſchichte, Bd. 2. 


xu Vorrede. 


ren, damit er fie von verſchiedenen Seiten betaj 
fönne. Aber ein Werkzeug, mit dem fich der Un 
ſchickte nicht verlegen fann, wird auch dem Gejchid 
niemald große Dienfte leiften. Und nur ale Werk; 
darf die Analogie gebraucht werden, nicht ald Sell 
zweck. Gie leitet und an, durch Vergleihung mit m 
lichſt viel ähnlichen Gegenftänden die vorliegende Matı 
vieljeifiger und grünbdlicher Tennen zu lernen. Ih x 
gleiche daher immer nur in zwei Beziehungen: einn 
die eorrefpondirenden Entwicklungsſtufen verſchiedener 9 
tionen, alſo die griechifche Volkerwanderung mit der go 
maniſchen Völkerwanderung, die griechifche Nitterzeit ı 
der germanifchen Ritterzeit 20.5; ſodann aber die verjchie 
nen Lebensrichtungen beffelben Volkes, alfo die Pol 
3 B. des perikleiſchen Zeitalter8 mit feiner Religion, 
ner Poefie, feiner Plaſtik ꝛc. )J. — Was die Gü 
anbetrifft, fo bat man ehedem mit ihrem Weberfluffe 
prunfen gefucht, Heutzutage mit ihrer Seltenheit | 
glaube, daß fie zum Prunfen überhaupt nicht da fi 
Entweder find fie geradezu nothwendig, des Bewei 
halber, oder um dem Erfinder einer. Wahrheit die € 
zu Iaflen; oder aber fie find geradezu vom Uebel. 

Ich Tage fchlieplich noch meinen philologifchen Frei 
ben, die mir mit Rath und That. mehrfach geholfen | 
ben, Herrn Direetor Ranfe in Berlin und Herrn P 
feflor Wiefeler in Göttingen, meinen berzlichiten Da 


) S. unten ©. 19 fe. 


Göttingen Ende Julius 1842. 
Der Verfaſſer. 


Inbaltsverzeichniß. 








Prolegomena. 
iſtes Kapitel: Berfchlenenartige Stufen und Aeu⸗ 
ferungen des Kunfttriebes im Allgemeinen . 2... . 
weites Kapitel: Unterſchied des hiſtoriſchen Kunſt⸗ 
triebes vom poetifchen und philofophlichen . .. .. .. 
rittes Kapitel: Werth ver hiſtoriſchen Kunfl . . . 
Wiertes Kapitel: Entwicklungsſtufen der hiſtoriſchen 
| Kunſt............. 
Minftes Kapitel: Zur Charakteriſtik des helleniſchen 
Volkes überhaupt... 


Thukydides. 
iſtes Kapitel: Aeußere Lebendumflänne des Thu⸗ 
£.1. Quellen S. 81. $. 2. Geburt und Herkunft bes 
Thukydides ©. 85. $. 3. Jugend und Erziehung bes 
Thukydides ©. 92. $. 4. Mannesalter des Thukydides 
€. 9. 8. 5. Letzte Schidfale und Tod des Thukydides 
6.100. $.6. Aeußere Perfönlichleit bes Thukyd, ©. 106. 


81. 


xıv Vorrede. 


Zweites Kapitel: Quellen und QOuellenkritik des 
5111103111 
$.1. Autopfie S. 110. $.2. Gefchriebene Quellen S. 112. 
$. 3. Mündliche Weberlieferung S. 123. $. 4. Thukydi⸗ 

des angebliche Widerlegungsfucht S. 126. 


Drittes Kapitel: Sagenkritik des Thufypived . .. . 
$. 1. Borbereitung auf Thukydides ©. 129. $. 2. Kris 
tifche Grundfäße des Thukydides S. 132. $. 3. Schein 
bare Ausnahmen ©. 136. $. 4. Schlußbetrachtungen 
S. 139. $.5. Yumgrkung über die Chronologie des Thu: 
tydides ©. 141. j 


Viertes Kapitel: Reden des Thukydides....... 
$. 1. Menge der thukydideiſchen Reden S. 146. $. 2. 
Borfragen über das Verhältniß der thukydideiſchen Re⸗ 
den zu den wirklich gehaltenen ©. 149. $. 3. Wahres 
Verhältniß der thukydideiſchen Neben zu ben wirklich ges 
baltenen ©. 151. $. 4. Gteltung des Reben ©. 164. 
8. 5. Schingbernachtungen S. 169. 


-ünftes Rapitel: Pragmatiamus des Thukybides 
$. 1. Iwed ker thulpbikeifchen Gefchichtichreibung ©. 177. 
$. 2 urſachertlärungen des Thukydides S. 187. 


Sechſtes Kapitel: Charakteriſtit der perikleiſchen Zeit 
im Allgemeinen........... ..... 


Siebentes Kapitel: Religion des Thukydides.... 
g. 1x. Vorbereitung auf Thukydides S. 2M. $. 2. Thu⸗ 
kydides ‚Bucht von der griechiſchen Religionsgeſchichte 
überhaupt ©. 219. $. 3. Naturereigniffe und Orakel 
©. 220. $. d. Götter S. 225. 


ante Kapitel: Siftorifche Unparteilichkeit des Thu⸗ 
311 ] 112 EEE 


„3. Gemeine unparteilichkeit S. 230. $. 2. Bewunde- 


‘ 


⸗ rung, Freude und Schmerz S. 233. $. 3. Thukydides 
und die politiſchen Theorien ©. 239. 8. 4. Thukydides 
und die Sophiften ©. 253. ER 


Neuntes Kapitel: Thukydides und bie gfeeitigen 
N 3] 1 11) 1 12 .5. 


©. 


©. 


as 


an 


Inbaltöperzeichniß, 


$. 1. Leste Logographen S. 276. $. 2. Hetodot S. 281. 
$. 3. Memoirenfchreiver ©. 291. 


Zehntes Kapitel: Thukydides und Ariftophanes . . 
$.1. Eiterarifche Stellung des Ariftophanes im Allgemeinen 
©. 295. $. 2. Parteiftellung des Ariftophanes S. 300. 
$. 3. Poetifche Methode des Ariftophanes S. 316. 8. 4. 
Plebejiſcher Charakter des Ariftophanes &. 332. 


Elftes Kapitel: Sprache des Thukydides...... 
$. 1. Altattifcher Charakter ber thukydideiſchen Sprache 
6. 336. $. 2. Charafteriftifche Beifpiele der Oratio va- 
riata ©. 344. $. 3. Kürze des Thukydides ©. 348. 


Bwölftes Kapitel: Einheit des thukydideiſchen Werkes 
$. 1. Abfaffungszeit ©. 353. $. 2. Gegenfland des Wer⸗ 









Ideen des Thukydides bei der Auswahl feines Gegenftans 
des ©. 366. $. 5. Anordnung der Materie S. 370. 


Dreizehntes Kapitel: Analyfe des erften Buches. . 
$. 1. Vorrede ©. 376. $. 2. Einleitung ©. 379. $. 3. 
Borbereirungen zum Kriege ©. 396. 


Tierzehntes Kapitel: Erfter Hauptfaden — Um⸗ 
wandlung der politiichen Gefinnung » 22.0.0... 
: & 1. Ende deö Perikles S. 406. $. 2. Kleon ©. all. 

8.3. Revolution in Kerkyra S. 413. $.4. Niliad ©.415. 
$. 5. Alkibiades ©. 422. $. 6. Revolution der Bierhuns 
bert ©. 437. $. 7. Lakedämon ©. 447. 


Bunfzehntes Kapitel: Zweiter Hauptfaden — Uns 
wandlung der auswärtigen Politit ... rc. 0 0... 
$. 1. Acchidamifcher Krieg S. 451. $. 2. Frieden des 
Nikias. Innere Reform des tafedämonifchen Bundes 
©. 458. $. 3. Krieg in Sieilien S. 465, $. 4. Deke⸗ 
leifcher Krieg S. 480. 


bechzehntes Kapitel: Dritter umd vierter Hauptfa⸗ 
den — Seemacht und Bundeöherrfchaft . 2... +. 
J. 1. Seemacht ©. 483. $. 2. Bundesherrihaft S. 488. 


te ©. 356. $. 3. Epifoden ©. 359. $. 4. Leitende 


xV 


©. 295. 


G. 935. 


©. 353. 


©. 3 73. 


©. 406. 


©. 451. 


©. 483. 


xvi Inbaltsverzeichnig. 
Beilagen. 


Erfte Beilage: Vergleichung von Thukydides IL, 85 
— 46. mit den übrigen Leichenreden und Panegyrifen 
des MÜltertbum® ..oo0 or oe ner erregen. 


Zweite Beilage: Ueber Zeitalter, Verfaſſer und Ges 


legenheit der angeblich xenophontiſchen Schrift vom 


Staate ver Ahener . vor 00 000000000 0. 
Dritte Beilage: Ueber die Aufführungszeit von Curi⸗ 
pides Seraflien . oo. 0000. ......... 
Vierte Beilage: Literariſche Schickſale des thukydidei⸗ 


©. 505. 


©. 540, 


©. 526, 


ſchen Werkes im Altertfume. . or oo r0nc. ©. 556] 


h 


vi un um . ..- _ 


.uu m 


Prolegomena. 


— — —— — — — 


Erftes Aapitl. 


Berfchiedenartige Stufen und Heuferungen des 
Kunſttriebes im Allgemeinen. 


de Reihe von gleichmäßig wiederkehrenden Handlungen ſind 
gewohnt einem zu Grunde liegenden Triebe des Sans 
den zuzuſchreiben. Alle geiftigen Triebe nun Taffen fich in 
große Kategorien theilen: in praftifche und in poeti- 
be Triebe. Vollkommen ſcharf ift dieſe Eintheilung nicht, 
ie es Eintheilungen der wirklichen Welt überhaupt niemals 
können. Aber ald weſeutlich tritt doch Bei den praftifchen 
ieben ein Singreifen in die Wirklichkeit hervor, ein Geſtal⸗ 
vollen unſers Verhältniffes zur Außenwelt. So beim Fa— 
ientriebe, welcher die Familie, beim politifchen Triebe, wel— 
re den Staat, beim religiüfen Triebe, welcher Die Kirche mit 
ihren Anstalten erfchaffen hat. Die poetifchen oder Kunfts 
jebe Dagegen wollen zunächit nur darftellen, die Stimmungen 
Seele an den Tag legen; fie find erhaben über die Be— 
igkeit des Lebens; fie wollen ſich mittheilen, nicht aber 
ſchen. Während jene vornehmlich auf den Willensvermö⸗ 
des Menſchen begründet find, fo find es diefe auf dem 
ntnig= und Empfindungsvermögen. 
Ich will den Kunfttrieb noch ausführlicher betrachten, 
en allen Seiten her dringt die Erfahrung auf unfere Secle 
1 * 

















A Prolegomena. Kay. 1. 


ein. Wie unſer Leib innerlich won Luft erfüllt und äußerb 
bon Luft umgeben it, ohne Luft nicht Ichen kann: fo 
Geiſt nicht ohne Erfahrung: innere und Äußere Erſahrn 
Selbſt Die eigenen Handlungen, fobald fie vergeftellt werd 
find Erfahrungen, — Wie nun der Körper fortwährend f 
Bedürfniß fühlt, Luft und andere Speife in fi) aufzunchr 
innerlich zu zerfeßen, und nach Abſcheidung der unbrauchbe 
Beftandtheile in lebendiges Fleiſch und Blut umzugeſtalten: 4 
auch der Geiſt mit der Erfahrung. Dieſes Bedürfniß fühß 
Kind und Greis, Mann und Weib; jeder lebendige Geiſt 
friedigt es unaufhörlich. Es iſt das menſchlichſte aller Der, 
niſſe: die Welt zu erkennen, zu humaniſiren und zu über, 
den 1). 

Dabei giebt es aber verſchiedene Arten und ver 
Stufen dieſer Befriedigung. Auf der erſten -Stufe beg 
wir der Gebärde, dem Tone und dem Worte, Die N 
hie allgemeinjte, aber auch die niedrigfte Stufe. Cie ieh, F 
eine geringe Erfahrung voraus, eine noch viel geringene h: 
arbeitung derfelben. y 

Glleichwohl ift bei allen Aeußerungen diefer rt ver ä 
ſammenhang, der zwiſchen Stimmung im Immer amd Ü i 
ſtellung nach Außen Hin obwaltet, ein allgemein gültiger 
gemein menfchlicher, oder wenigstens doch ein nationaler. 
ein Blindgeborner plöglich fein Gefiht, ein Taubgeborner 
Gehör erhielte: ich zweifle nicht, dag fie Lachen und Weil _ 
Jauchzen und Wöchklagen auf der Stelle unterfcheiden Ed ha 
Sie finden, was die Orundlage alles Verſtändniſſes ad N " 
finden Aehnliches in fich felber. Ziehet eine weibliche Na 
gall im Zimmer auf, fern von aller Gefellfchaft ihres — 
chen; wenn der Frühling kommt, fo tragt ihren Käfig in; 
Wald hinaus, ob fie nicht im seiten Augenblide die Tod %. 
der männlichen Nachtigallen verſtehen wird! Dieß iſt de 





















— — — — — — — — \ 


1) Bol. Hegel's Werke, Band X. Th. 1. ©. 42. 


- Gebärbe, Ton, Wort, ' | 5 


ſammenhang, der zwifchen den Gefichtözügen, der Köryer- 
tung, ja dem Sprachtone felbit, und andererfeitd der See⸗ 
werfaſſung Statt findet; der beller oder dunkler einem Je⸗ 
a offenbar iſt; worauf. ale Phyſiognamik und Declamation, 
iterhin alles Ausdrucksvolle der Malerei und Muſik beruhet. 
Abit in der Sprache iſt dieß der Ball. Von den eigentlich 
wmatopoetifchen, oder, wie Humboldt fie nennt, unmit⸗ 
bar nachahmenden Wörtern verſteht es fich von felbit. Uber 
Amen wir jedes Wort. vor, das einen finnlichen Gegenſtand 
deutet! Liegt in. den Worten Micer: oder Sec nicht fchon 
e Vinermeßlichfeit des Gegenſtandes ansgedrüdt? un Worte 
ſald nicht etwas Dunkles, Geheimnißvolles, aber Friſches, 
uftendes und Hallendes? liegt nicht in den Worten Schmet⸗ 
eling, Nachtigall das ganze Thun und Treiben dieſer 
eſchöpfe augedeutet? Wenn die Sprache nachher abstracter 
kb, wohl gar in andere Sprachen fih umgeſtaltet, wie Die 
kinische z. B. in die romaniſchen, ſo vermindert fich dieſer 
Kinliche Ausdruck. Aber im Ganzen, kaun man doch fagen, 
‚jenes Wort gleichſam ein kleines Gedicht auf jenen Gegen— 
md. — Mian hat vielfach: geritten, ob die Sprache unmit⸗ 
ar von Gott gelehrt, eder willkürlich von ‚den Mienfchen 
Rgefetgt worden. Auch in Bezug auf den Staat if Lefannts 
h diejelbe Frage anfgeworfen. Vom Urfprunge der. Sprache 
M aber ſchon Herder ſehr ſchön, ſie fünne nicht durch Ue— 
keinfunft entſtanden ſein, weil jede Uebereinkunft Sprache 
its. vorausſetze; unch. auch. von Gott gelehrt, weil nur Die 
kmunft [lernen könne, und Vernunft ohne Sprache unmög— 
je). Wort und Begriff find vielmehr gleichzeitig, find 
ſe dem andern unentbehrlich. Beide werden durch Ein Des 
einig hervorgerufen: ein. Bedürfniß, Dad jeden Menſchen 
heit ‚ feiner Erfahrung ſich bewußt zu werden, und die 


ö— — — —— — — 


1) Werke zur Philoſophie und Geſchichte, Bd. 2. 


6 Prolegomena. Kap: 1. 


Bewußtſein, wenigſtens für ſich ſelbſt, wiederum auczu 
chen !). 
Ich gehe weiter, Derſelbe Trieb nämlich, welcher 
Gebärden, die Töne und Worte ſchafft, Bringt auch die Kä 
hervor, die Blaftik, die Mufit und Boefie. Wie 
Plastik zur Gebärde, fo verhält ſich bie Diufit zum Font; 
Poeſie zum Worte, i 
Det jedem Kunſtwerke nım. find dieſelben drei Stadien 
unterſcheiden, von welchen ich oben geredet habe. Der Ki 
ler nimmt Erfahrungen in ſich auf, innerliche und äußer 
Bald iſt os Liebe, oder Haß, oder Andacht, oder Patrit 
mus, oder Kriegsfeuer, was ihn entzündet; bald find: ei 

tinfeenen , oder menschliche Begebenheiten. Schon diefe: 
fahrungen. macht er anders, als der gewöhnliche Dienfch, TI 
fogar das gemeine Seh nicht Bloß körperlich iſt, Fon 
wefentlich mit einer Anftrengung der Phantaſie verbunden: | 
viel mehr nicht das künſtleriſche Schen! Der Maler, 
Novalis, malt eigentlich mit dem Auge ;. feine Kunft WE 
Kımft, regelmäßig und ſchön zu fchen. Sehen tft hie 
aetiv, durchaus bildende Thätigkeit 2). Dieß iſt die F 
die Conti erortern will, ob Rafael, ohne Hände ge 
dennoch ein Maler wäre, — Hat nun der Künſtler auf. 
Art gleichfam den Stoff gefammelt, fo drängt ed ihn 
ftee Seele, denjelben zu verarbeiten, geiftig zu verdauen, ib 
eine menſchliche, gemüthliche Seite abzugewinnen 3). : 
er fertig ift mit feiner Verarbeitung, ſo reproducitt er —2 


he. 

















) Vol. With. Humboldt: Ueber bie Kawi⸗ Erde, 
&. LXVIII fo. 

2) Werke Th. 2. &.127. "Allac yoiw Oenpeitu In zei, 
Kos Ind driyvon. (Ed. Müller Geſch. der Theorie ber Sud, 
den Alten, Th. 2. ©. 256). Bol. Merds Ausgewählte She, 
©. 320. und vor Allen Goethe in ber neueften Ausgabe , Bh.- 
©. 17. 


?) gl. Aristot. Poet. II, 2 sqq. III, pr. Mi 


2 


Eigentlich fogenannte sühfte 7 


img in feinen Kunſtwerke 1); Deeſes Kunfnverk iſt · im höch⸗ 
Sinne feine Schöpfung geworden. Es M das Wort, wie 
ndar fpricht, welches die Zunge mit der Muſen Gunſt 
den Tiefen der Seele geſchöpft hat. Es trägt in allen 
zen den Stempel ſeines Geiſtes an ſich; es iſt ein Stück 
es? Lebens felber.:- Wie eine reifgewordene Frucht iſt es von 
abgefallen. Jeden Veſchauer, Höret oder Leſer zwingt eB 
eine ähnliche Stimmung hinein, wie ſie der Künſtler wäh⸗ 
d feiner Arbeit Hatte, MDieſe Stliumung nennt man die 
ie bed Kunſtwerkes. Vem Anfange der Arbeit an bis zum 
Huffe Begleitet‘ ſie Ben Künſtler, und es gehört zu den vor⸗ 
iften Kennzeichenwes wahren Gentüßy: daß gleich In der 
m dinkeln Totalidee nle'Ziige des Nhniniigen vollendeien 
Be als Keime verborgen liegen 2). Völlig klar wird ſich 
Künſtler ſelbſt erſt Dei der Vollendunig werden.So ge⸗ 
ltig treibt ihn die Net Darum Hit Shen Oemokriß 
zgelehrt, daß jeder große Dichter von einer Art Wahnſinn 
fen fei 3). Mh Platon gedenkt einer alten Sage, daß 
Dichter, wenn er auf dem Dreifuße der Muſen fit, nicht 
Sinnen fei, umd einer Quelle gleich, was immer herbei⸗ 


N Mas ich hier Reproduction genannt habe, das pflegen bie alten 
Bhetiter mit dem Worte ninnoss zu bezeichnen. Auch die vielen 
igramme auf berühmte Kunitwerte Iprechen immer von einem Rad 
| bei Hera, dem Praritele®! bei Aphrodite. gelungen fei. Parrhafios 
it rühmt ſich, den Herakles im Traume geſehen zu haben. Von dem 
heimniſſe der geiſtigen Erzeugung ſelbſt, wie Ed. Müller meint, 
mite ſich der antike Sinn mit ehrfurchtsvouer een hinweg (a. a. O. 
2. ©. 260.). Ä 
1N Bol. Schiller's und Goethe's Briefwechle, Th. 6. S. 34. 
9 Cicero De div. I, 34. De orat. II, 46. Horat. A. P. 
ueber den göttlichen und menfihtichen Wahnfinn des Empedokles vgl. H. 
ter Sefch.d. Phil. I, S. 537. Auch Jamblichos unterfcheibet eine ſchlechte 
‚ die mit Unverftand erfüllt, und eine edle, welche köſtlichere Gü⸗ 
serährt,, als bie menfchliche Befonnenheit (De myst. 25.). Aehnlich 
eukian die höhere Liebe eine ooggem nawia (Demosth. encom. 13.). 


8 Prolegouiena. Kap. 1. 


kommt, willig dahiuſtrömen lafie !). So it auch die Anrz 
fung der Dinfe bei den ältern Hellenen, des heiligen Geify 
in unferm Mittelalter: in der Regel vollkommen ernſlich 
weint 2). 
Welche Verſchiedenheit es nun aber fe, wodurch eine | 
diefelbe Erfahrung, etwa der Anblick eines Gewitters, bei 
nem DVecthoven zur Symphonie, bei einem Ruysdael zur 2 
ſchaft, Bei einem Klopfto zum Gedichte wird: das läßt 
wohl näherungsweiſe und in Bildern andeuten, niemals 
zur Genüge und in Begriffen auseinanderfeßen. Jeder ſchöp 
riſche Yet iſt dem Menſchen ein Geheimgiß. Wir können) 
Operationen des Künſtlers mit dem Thun der Biene 
hen 3). Gleichwie die Biene, durch Natur gelehrt, aus c 
Blumen das Köſtlichſte ſammelt, es in ihrem Innern p 
beitet, und als Honig wieder an's Licht bringt: ſo gehan 
Menſchen In der Welt der Erjahrınıgea umher, ſammeln 
wad ihnen der Geiſt gebeut, und ſtrömen es aus in Ku 
ken. — Oder mit der Fortpflanzung Des wenfchlichen Seil 
tes 9. Die allmählige Vorbereitung des Kunſtwerkes, 7 
Bekannterwerden mit dem Stoffe, der. Durſt nach inuuerf. 
terem Fortſchreiten, würde hier den Freuden und Schweg, 
der auffeimenden Liche eniprechen .Der erſte Blitz. des Gi: 
y Plato De lege. IV, p. 9. 2 ) 
2) Doch bat ſowohl Homer (Od..VIII, As. 1. XXI, 347.), 
Pindar, bie freie Schöpfung des Poeten mit feiner vermeintlichen Ipf. 
ration volllommen vereinigt gedacht (Ol. 3, 5. 9, 30. 7,.7. J— 
4, 6.). Vgl. Ed. Müller a. a. O. Th. l, S. 8 ff. 
) Ein den Alten ſehr geläufiger Vergleich: Eurip. Hercul. pP 
437 sqq. Aristoph.: Aves 748 sqq;, Platon Ion p. 634... 4 
Biene, als begeiftertes, Apoll und den Mufen. geweihetes hier, wi 
mit der Infpiration der Dichter fogar in materielle Verbindung gebrag 
4) Bgl. PIato Conv. p. 209. Aristoph. Ranae 92810 N 
bes 530 sqq. Tr 
5) Ein herrliches Gemälde von diefer Epannung hat uns sur 
ler entworfen: SBriefwechfel mit Wild, Humboldt, S. 329 ff: . 












Eigentlich jogenannte Künfte, 9 


WB, welcher aus. dem Wuſte der Erfahrung die dunkle Tos 
Widee hervortreten läßt, iſt der Empfängniß zu vergleichen, 
m den höchſten und entzückteiten Aufregungen der ganzen 
Brele Begleitet 2). Das langſame Heranwachſen und Beſtimm⸗ 
Rwerden des Kunſtwerkes, Der Außenwelt verborgen, oft: un⸗ 
r Mühſal und Schmerzen, ift die Schwangerfchaft. Endlich 
ie Bollendung und Anslichtitellung des Kunſtwerkes die Ger 
int, mit dem feligen Gefühle, einen Menſchen, ein Ebenbild 
hettes zur Welt gebracht zu haben. — Der mit der Schö— 
hing der Welt 2). Es iſt noch Dämmerung in der Seele des 
Ninftlers. Hier und da nur fieht er ſelbſt einen Felſen, cine 
kergreie hervorragen. Denn das Waſſer ſteht noch zu hoch; 
nö Licht iſt noch nicht mächtig genug geworden. Doch fühlt 
E.fhon die Keime der Sträucher und Bäume ſchwellen; er 
mt ſchon von den Thieren, die einft, mie er hofft, in feis 
er Meinen Welt erblühen, athmen und finger geben. Welch 
Augenblick wird es fein, wenn ex ſelbſt als neugeſchaffener 
kenſch ſein Paradies im. Morgenglanze betreten kann 3) ! 

ı Eine dritte Stufe bildet die pofitive.. Wiſſenſchaft. Se 
aichdem fie vorzugsweiſe mit dem ‚materiellen . oder nit dem 
Kiligen Leben zu thun bat, kann fie in Die großen Hauptkate⸗ 
erien der Naturwiſſenſchaften und der hiſtoriſchen 
tiheilt werden Y. Es leuchtet ohne Weiteres ein, daß die 


1) Bgl. Klopſtock' 8 Gelehrtenrepublik, ©. 134. | 

2) Aus einem Briefe meines Freundes ‚ des Heren Dr. Hermann 
tühry. 

I) Kant ift indeffen ohne Zweifel zu weit gegangen, wenn er als 
eſentliche Eigenſchaft des Genius die Unfähigkeit betrachtet, ſeine Pro⸗ 
ictionsweiſe ſelbſt beſchreiben zu können (Kritik d. Urtheilskraͤft I, 

» 46.). 

Die Mebdicin, Zechnologie u. f. w., fo weit fie wiſſegſchaftich 
ud, gehören zur Naturwiffenichaft 3 die Theologie, Jurisprudenz u. ſ. 
zur Hiſtorie im weiteren Sinne. Soweit ſie praktiſch ſiud, ſoweit 
B. die Theologie beſtimmte Einzelweſen bekehren, die Medicin ſie hei⸗ 


10 Prolegomena. Kap. 1. 


Naturwiſſenſchaft eine enge Verwandiſchaft hat mit der plaſi 
ſchen Kunſt, die Geſchichte mit der poetiſchen. In der Tha 
wenn wir z. B. Leſſing's Laokoon ſtudierene, der auf B 
wunderungswürdige Weiſe das Verhältniß der Plaſtik zur Vai 
fie erbrtert, ſo werden wir faft alle dort bemerkten Unterſchie 
eum-grano- salis af: das Verhäliniß der Natunwiſſenſcha 
air Geſchichte übertragen koönnen. 

*Alle dieſe Wiſſritſchaften nun, wie ſich bon ſelbſt verſch 
tuhen wefentlich auf dem Boden der Erfahrung. Freilich ſpie 
die Erfahrung hier eine weit größere Rolle, als bei den a 
gentlich ſ. g. Künſten. Während- derKikiftler: fie nur ſo b 
Wege lang mitnimuint, ſucht ſie der wiſſeiiſchaftliche Mann M 
in die tiefſten Schatht fs währendſie jenem eigentlich mM 
Stoff iſt, iſt fie dieſem zugleich anch-Gegenftand. Nut: d 
wir fiber der einen ·Srite nicht Die andere Seite vergeſſen: 
der: Gelmmdenheit an dei Stoff nicht De Freiheit der Schl 
pfung, über dent Verſenken in die Erfahrungswelt nicht [| 
Bedürfniß, die Geheimtiiſſe Der eigenen · Seele: aͤusziiſprechen 
Auch in der pofiliveri Wiſſenſchaft · kommen die ſchonſten Geu 
übbiicke unbewußßt wtf einmal) 5 die erſte dumkle SM 
fer wird bon Junen ber almähug heller, mb, inden’f 

. 122 To. Q 
ten, die Zerisprudeirz Hefkimmie" Reditsftröitigkeiten Thlichten will, 2 | 
fie Praxis und keine Wiffenfhaft. Jede Wiffenfchaft wird um ihrer fe 
willen getrieben. 

1) So fagt Goethe fehr fchön von Newton: bie Mathematif d 
ihm. als das Organ gegebeh, durch das er feine innere Belt‘ aufzubgul, 
und bie äußere zu gewältigen fudite. 

2) &o klagt 5. B. Windelmann, daß nah bem vierzig 
Jahre ein gewiffer feiner Geiſt zu verrauchen anfange, mit dem er 
ſonſt auf mächtigen Schwingen zur Betrachtung des Schönen echöh, 
babe. Dieß fei die Seele der ganzen Kunftfenntniß (Briefe IF 118 
Auch Niebuhr fchreibt: Du wirſt nicht glauben, daß man zu einer’ fi 
hen Arbeit ſich nur mit Fleiß und Vorfag Hinzufenen braucht; dag nt’ 
da, wo Anfchauung ‘in das Dunkel ber untergegangenen Zeit bringt, # 


ganze Leben in feinen höchften Momenten bafein muß! (Briefe 2 
©. 158. Dal. ©: 136 ff. und ©. 159). 








Bofitioe Wifenfihaften. 4 


heller wird, lernt der Künſtler nicht allein feinen Gegenſtand, 
fondern vor Allem auch fein eigenes Selbſt klarer erkennen I). 
Diefe unbewußte, zwingende Macht des Genius, diefer wiſſen⸗ 
ſchaftliche Schöpfungötrieb ift Das vornchmite Kriterium, worau 
fih Der wiſſenſchaftliche Künftler vom wiſſenſchaft⸗ 
lihen Handwerker unterfcheiden läßt. 

Um diefen Linterfchied noch etwas näher zu verfolgen, 
ftelle ich den Biftorifchen Handwerker dem Biftorifchen Künſtler 
gegenüber. Auch ſolche Handiverker, fofern fie das Ihre nur 
gehörig leiſten, ſind ehrenwerth und nothwendig, ſowie e8 im 
Staatödienfte die Subalternen und Schreiber find, in der. Bau⸗ 
kunſt die Handlanger, im Volksleben überhaupt der ſ. g. Nähv⸗ 
ſtand. Nur dürfen ſie keinen Anſpruch machen auf ven Nas 
men eines Hiſtorikerss. Das klingt in ihrem Munde eben fo 
lächerlich, ala wenn die Schneider Draperiefünftler, Die Schreis 


‚ ber Staatsmänner heißen wollen, So nothivendig fie als Gat⸗ 


| 
| 
| 
| 
| 


tung find, fo entbehrlich find fie als Individuen. „Sie ſter⸗ 
ben an ihrer Rachkommenſchaft, wie. jedes Leriton am befe 
fern” 2), Der Hiftorifche Handwerker befitzt in der Regel gute, 
gründliche Kenntniſſe, wenigitend im Einzelnen; er hat: ein 
belles Auge, ..ein goldened Gedächtniß und ein eiſernes Sitz⸗ 
fleiſch; er arbeitet. zwar eigentlich nur um des täglichen Brotes 


' er um der Ehre willen, findet. jedoch immer eine: gewiſſe 
Luſt in Der .&rfüllung feines Berufes, Aber er Bleibt Stehen 


rm. 


—— og 


bei der bloßen Sammlung des Stoffe. Eine verfchimmelte 
und unleferlich gewordene Urkunde abzufchreiden und auf ſchönes 
Papier abdruden zu lafien, das ift feine Freude. Geiſt und 
Herz haben menig Arbeit Davon, aber auch wenig Gewinn. 


) Bol. die Schilderung von Johännes Voigt, wie bas Ges 
ſchichtswerk im langſamen Wachsthume immer fchärfere Umriffe, immer 
lebhaftere Karben erhält, und dem Künſtler ſelbſt immer Tieber wird: 
Geh. von Preußen, Bb.1, & VIL Berner das fchöne Bild von Nie 
buhr 8. 8. II, ©, 16. 


2) Jean Paul Vorfchule der Aeſthetik, Ih. I, ©. 41. 


12 Prolegomena. Kap. 1. 


In dieſer Sammlung ift ee gründlich, wie eine Ameife flı 
Big; aber zu einer weitern Verarbeitung, die in der That eba 
fo . viele Sründlichkeit vorausſetzt, Hat er Feine Zeit übri— 
Hier begnügt er ſich mit einer ofen, unorganlichen Sufamıma 
ftellung,, höchſtens mit einer ünßerlichen, ſaubern Anordnim/ 
Finden kann er, aber ſchaffen nicht, trennen kann er, aber 4 
ſammenfügen nicht. Was Die DQuellen liefern, das gicbt 
uns treu; aber ein Weiteres, ein Tieferes niemals. Nur ıı 
dem Einzelnen verjtcht er umzugehen; das allein zieht ihn ag 
das Beſte In der Gefchichte Bleibt ihn ewig verborgen. @ 
giebt und auf das Genaueſte an, wo Kaifer N. N. in Dief 
oder jenem Monate refidirt babe: jedoch. ein lebendiges S 
mälde des Helten zu entwerfen, Ihm feine Heldens und Heu 
ſcherthaten nachzuempfinden, Andere dadurch zu großen Geht 
sungen anzufeuernt das iſt ihm niemals auch meiim Trandl 
- eingefallen. Weil er in. der eigenen Bruft nichts Aehnlich 
findet,. jo weiß ex nirgends einen Maßſtab für das: Bitter 
berzunehmen 1). Er iſt immer Pedant, d. h. ver hält wd 
Große für klein und das Kleine für groß, Niemand hat fol 
Handwerker treffender verſpottet, ala ber. Kaiſer Tiberius, 
feinen Hofgrammatikern nad Sueton's Bericht die Fragen Wk, 
legte, wie die Mutter der Hekabe geheißen, welchen —* 
Achillcus unter den’ Mäddjer von Skyros geführt habe, 

ches, Lied die Sirenen zu frigen gepflegt Senera Ar 
von ‚ähnlichen Gelehrten, Wie über Anakrcon disputirten, h 
er den Wein oder die Mädchen höher geſchätzt habe ). %, 


di, 


17 Ehe man ed unternimmt, fagt Schiller, bie Sortrefflichen 2 
rühren, foll man ed zu feinem erften und wichtigften Gefchäfte mad. | 
feige Individualität felbft zur reinften, herrlichften Menſchheit binauf, 
läutern. 

2) Suet. Tiber. 70. Seneca Epist. 88. Vgl. bie aus bt 
Leben gegriffene Schilderung Lord Bolingbrokes: Letters on f 
study of histery V, p. 88. Ebenſo den vortrefflichen Brief von Wi 
ckelmann: Werke Bd. X, ©, 67 ff. “ 


; 


Hiſtoriſche Handwerker und Künftler. 15 


Schon in zarter Jugend läßt ſich der Künſtler gar wohl 
som Handwerker unterſcheiden. Freilich das Aeußere ihrer Stu⸗ 
dien haben Beide mit einander gemein. Große Dichter, Mu⸗— 
ter, Philofopken u. ſ, w. mögen im Knabenalter fire träg 
oder ſtumpf gelten können; der große Hijtorifer wird ſich auch 
da ſchon durch den Ernſt und die Sauberkeit ſeiner Arbeiten 
auszeichnen. Was aber das Innere bemtrifft, fo pflegt fi 
die hiſtoriſche Unparteilichkeit bein Kinde als Widerſpruchsgeiſt 
zu entwickeln: jeder Einſeitigkeit will der Knabe ſchon entge⸗ 
gentreten, ſollte er oberflächlichen Beobachtern auch mitunter 
dadurch inconſequent erſcheinen. Das Talent, bei der Beur⸗ 
theilung der Menſchen Unweſentliches vom Weſentlichen abzu⸗ 
ſendern, äußert ſich am früheſten in der geſchickten Erfindung 
jugendlicher Beinamen, deren trefſende Kraft durch ihre Ver⸗ 
breitung und Dauerhaftigkeit vwerbürgt wird. Die Gabe der 
abrundenven, nachſchaffenden Darſtellung endlich wird an dem 
Drange des Knaben erkannt, jede Perſon feiner Umgebung 
mit ihren Geſichtszügen, ihrer Redeweiſe, ihrer Kleidung, ‘ja 
Ihrem Namen fogar als ein Ganzed zu faſſen, und Eins das 
kei ans den Andern herzuleiten. Beim jungen Handwerker 
natürlich Nichts von dem Allen. " 

Sch möchte dieſe Handwerker dem gemeinen Bergmanne 
vergleichen, der ewig nur in den Eingeweiden der Erde her⸗ 
ummwühlt , ftatt Der freien Himmelsluft nur die dumpfige 
Schwüle ſeines Schachted einathntet, ftatt Der Sonne nur bein 
Schimmer ſeines Grubenlichtes ficht, und am Ende mit den 
Erzen, die er zu Tage fürdert, felber Nichts anfangen kann. 
Auch Der Künſtler muß fich diefen Arbeiten unterzichen, dieſen 
Bauten unter der Erde, wie Niebuhr jagt !); find fie aber 
gethaun, fo weiß er die Schladen aus dem Erze heranszus 
Ihmelzen, das edle Metall gediegen darzuftellen, und fich ſelbſt 
und die Welt in Wahrheit Dadurch zu bereichern, Wir dürfen 








) Briefe, Th. 2, S. 321. 


4A Prolegomens. Kap. 1. 


daher ja nicht allzu fehnell bereit fen, den Gefchichtäf 
für einen ſolchen Handwerker zu erklären. Alle Arbeiten Y 
Handwerkers liegen auch dem Künftler ob, ebenfo mühfug 
ebenfo detailliert: nur freilich iſt der Letztere mit diefen Arche 
noch lange nicht zufrieden. Aber felbit die mechanifchten 
ſchäfte, Das Copiren von Handfchriften, ‚die Herausgabe fo 
Copien kann dem echten Hiftorifer Pflicht werden. Hat 
Niebuhr felbit die Byzantiner herauögegeben. Es mar 
mals nothwendig, Ander einen Impuls zu bringen. 
die Zeit drängt, jagt Lord Bolingbrote, fo mag e8 
dem Feldherrn ziemen, Bade und Spaden in die Hand; 
nehmen. Für gewöhnlich aber. werden dergleichen Arbeiten NJ 
nen überlaffen , welche dazu beitimmt find, nämlich den 
meinen Soldaten und Bauern 1). 4 
Jeder ſchöpferiſche Act, ſagte ich oben, jeder künſt 
Aet ſei dem Menſchen ein Geheimniß. Bei den poſitiven 
ſenſchaften beſteht dieß Geheimniß vornehmlich darin, daß 
Kunſtwerk derſelben freies Product des menſchlichen Geiſtes fd: 
fol, und doch zu gleicher Zeit in jedem Punkte mit dev Wi 
lichkeit congruiren 2). Ohne die erſte Bedingung würde |. 
der mifjenfchaftliche Künftler nicht vom Handwerker, ohne J 
zweite nicht vom Phantaften unterfcheiden. Auf den nächſi 
Blick fcheint bier ein Cirkel obzuwalten: erſt wenn ich den 
genftand- vollig durchdrungen ‚habe, Tann ich an feine 4 
Duction denken, und umgekehrt, die völlige Durchdringung dag. 
ſelben iſt an ſich ſchon etwas Productives. Erſt von 
Theilen aus kann ich das Ganze erobern, erſt von dem 
zen aus die Theile beherrſchen. Alles beruhet hier auf eing, 
# 

























1) Letters on the study and use of history, I, p. 3. 

2) Kav äpa ovupf, fagt Ariftoteles, wenn auch unãchſt feeh 
li nur von poetifchen Werken, yevönesa roıiv, oldev rrov one 
dor’ Tür yap yeroutıav ivın oVölv zwlves Towira zwar, ol® Av ea 
yeviodar zai Öuvara yerlodar, xa9’ 6 Exeivos avrüy zromtns dorı (Poeh, 


X,92.). 


Hiſtoriſche Handwerker und Kuͤnſtler. 15 


zeiſtesverwandtſchaft zwiſchen dem Hiſtoriker -und feinem Ge- 
milande. Wie der Dichter jagt, 


Mit dem Genlius fleht die Natur Im ewigen Bunde: 
Was ber Eine verfpricht, Teiftet die Andre gewiß. 


Diefes ganze Vexhältniß ift jedoch nicht ohne Analogie. ch 
rinnere nur ap Pie Borträtinalerei. Auch das Porträt. foll 
Bunkt für Punkt feinem Originale parallel laufen. Gleichwohl 
ſber ſoll es freies Product feines Malers fein; widrigenfalls 
iR die Todtenmaske, das Daguerrotyp die vollfommenften Por⸗ 
eät5 wären. Man kann die Bilder eines Gian Battiſta Mo⸗ 
koni mit Denen von Tizian, die eines Balthaſar Denner mit 
Denen des Vandyk vergleichen. Jene ſind treu; ſo treu, als 
wenn das Original ſich im Spiegel ſähe: jeder "zufällige Zug, 
Ber im Augenblicke des Abmalens vorhanden war, ift wieder⸗ 
begeben; es iſt nicht der ganze Menfch, den fie darftellen, ſon⸗ 
Bern im beſten Falle der Menſch einer einzigen Stunde, ohne 
haß man doch einen Grund weiß, warum gerade diefe Stunde 
gtgewählt worden. Die Lebteren dagegen vereinigen die Treue 
mit der Schöpfungskraft. Aus den Zufülligfeiten des Augen- 
Mlicks willen fie das Wefentliche des Charakterd herauszuleſen. 
Man kann fagen, fie ftellen den Menſchen treuer dar, als er 
fich ſelbſt in jedem einzelnen Augenblicke darſtellt. — Wir dür⸗ 
“en die pofitive Wifjenjchaft in diefem Stücke auch noch mit 
dandern, mit Nebenkünften vergleichen, die freilich infofern tie— 
kfer ſtehen, als fie nur die Werke einer höhern Kunft dem Bus 
Blium wollen genießbar machen. So foll ter Schaufpieler 
z. B. durchaus frei produciren; aber doch muß feine Leiftung 
Punkt fir Punkt mit den Werke des Dichters zuſammenfal⸗ 
Im. So verhält fi) der Virtuofe zum Componiften, der Ku⸗ 
gieritecher zum Maler, der Ueberſetzer zum Driginal, Auch 
der Hiſtoriker, der Naturforfcher, könnte man fagen, über 
fetten nur in die menfchlihe Sprache; ihr Original aber iſt 
das Höchſte, die Werfe der ewigen Weltregierung felber, 


16 Prolegomena. Kap. 1. ° 


Noch eine vierte Stufe endlich, worauf fich der Kr 
Äußert, von den frühen ſpecifiſch umterſchieden, iſt bie 
loſophie. Der phyſiſche Theil derſelben läuft den ! 
wiffenfchaften parallel, der ethiſche Theil ben hiſtoriſchen 
ſenſchaften. — Auch die Philoſophie beruhet auf dem 
die Erfahrung zu verarbeiten, dem Geiſte gerecht zu n 
und als Kunſtwerk zu reproduciren. Dabet Platon 
nem Phädros neben dem wahrſagenden, zeichendeutende 
poetiſchen Wahnſinne auch den philoſophiſchen Wahnſir 
nannt hat. Wenn er an andern Stellen die Wirklichk 
das Abbild feiner Ideen erklärt, die Kunſt hiuwicderu 
für das Abbild jenes Abbildes, ſo drückt er auch dam 
Verhältniß zwiſchen Erfahrung, Philoſophie und Km 
treffend aus, freilich mit philoſophiſcher Geringſchätzung 
Nichtnhilofophifchen, 


| | Zweites Kapitel. 


Unteofchied des biftorifchen Bunfttriebes vom 
poetifchen und philoſophiſchen. 


L, ⸗ | 
’ . 


f 

RB. wollen zuvor unterfichen , worin dieſer - Unterfchieh 
Richt beitehe. Es herrfchen nämlich gar vierlerlei Mißverſtänd⸗ 
Kifle hierüber, weil es wenig. Menfihen giebt, welche den einen 
* Kunſttriebe wirklich beſitzen, und zugleich den andern 
beiden unbefangen nachempfinden können. So hat namentlich 
Ne Anmaßung der Boeten, ihre Kunft fei die einzige Kunft, 
md der Philoſophen, Ihre Wilfenfchaft ſei die einzige Wiljenz - 
Khaft, unendliche Begriffsverwirrungen angerichtet 1). 

Der erfte Vorwurf nım, welchen Poeten und Philofophen 
emeinfchaftlich dem Hiftorifer zu machen pflegen, beſteht in 
dr Abhängigkeit bed Lehten von feinem Stoffe, 
Bir haben jedoch ſchon aud andern Beifpielen geſehen, dat 
Bine folche Abhängigkeit bei eigenthümlich organifirten Naturen 
geht wohl vereinbar fei mit völliger Kreiheit der Production. | 
Und der Dichter, wie der Philofoph täufchen fih gar fehr, 





) Ich brauche hier das Wort Philofophie durchaus nur im engern 
Binne, alfo für dasjenige, was den Platon z. B. vom Thukydides und 
Sophokles unterfcheidet, nicht aber, wie man fo häufig thut, für das, 
was fie alle drei gemein haben. 


2 


18 Prolegomena. KB. 2. 


wenn ſie ihre Arbeit für ganz unabhängig von ber Erfahr 
Halten, Davon ſehe ich einſtweilen ab, daß mittelbar | 
jeder Menfch durch die Erfahrung gebifbet wird, taufend 
fogar, ohne es zu wiſſen. Aber ſelbſt unmittelbar giebi 
auferordentlich wenige Dichter, welche den Stoff ihres | 
dichtes wirklich erfunden hätten, Faſt alle bedeutenden & 
pöen, Romanzen, Schaufpicle Haben ihren Stoff der My 
‚ber Gefhichte oder der gemeinen Wirklichkeit entlehnt, 
Lyriker und Romanfchreiber behandeln fait ohne Ausnal 
Selbſterlebtes. Wenn dee Poet ſeinen Stoff erfinden, um 
wie es im. Alterthume von Agathon !), "in- neuerer } 
von manchen Ritterromanen und Schaufpielen gefchehen iſt: 
Hat ed immer große Mühe gekoftet, einerfeit3 die übertriche 
Phantafterei 2), andererſeits eine chen fo übertriebene conk 
tionelle Nüchternheit zu vermeiden. Und was die, Philoſop 
betrifft, fo Haben dieſe mit Erfolg immer nur über fü 
Dinge philofophirt, mit denen: fie erfahrungsmäßig vollkr 
men vertraut waren. Aus diefem Grunde find Die Logil 
die Speculationen über Seele, . Recht und andere Gegenſtä 
der allgemeinjten Erfahrung. in ber ‚Regel weit glücklicher. a 
gefallen, als die Nature und Geſchichtsphiloſophien, zu 
wenn ſie irgend tiefer ins Detail herabſteigen wollten. 
von der Erfahrung losgeriſſen, wird der Philoſoph nufcht 
zum Sophiſten oder Myſtiker, 

Die Philoſophen ſind ferner gewohnt, ihrer Wiſſ enfe 
ausfchlieglih dad Pradicat der Univerfalität beige 
Und es ift allerdings nicht zweifelhaft, wenn der Philoſ 
3. B. den Begriff Schönheit denkt, daß er alles Schöne ül 


) Es ift ſehr harakteriftifch, daß gerade Agathon hierauf verfe 
ift: dieſer nüchterne, begeifterungsiofe Kunftpoet, wie ihn Ariſtoph 
in ſeinen Thesmophoriazuſen ſchildert. 

2) Man denke nur an Producte, wie die Reiſen des beitigen Bi 
dan u. A.! 


Freiheit der Production. Umniverfalität. 19 


mpt vollftändig darunter begriffen Hat. Mit dem Begriffe 
8 Seins hat er natürlich alles Wirkliche, mit dem Begriffe 


8 reinen Denkens oder des Abfoluten natürlich alles Den 


we, Alles, mas iſt und was nicht iſt, vollſtändig zuſammen⸗ 
ffaßt. Jede enntradictorifche Eintheilung muß erſchöpfend 
in. Allein tänfchen wir uns nicht! Es ift ein großer Unter⸗ 
d zwifchen dem Denken eines Begriffes als ſolchen und 
Denken feines Inhalte. Wenn etwa Dahlmanı ne 

ie einem Jungdeutſchen ficht, und Beide denken den Begriif 
Nnemark, oder, wenn man lieber will, Danismus: wie une 
Vieles wird dabei Dahlmann durch den Kopf ger 

‚ wie unendlich Wenige bem jungen Deutſchen! Und 
‚ kann man doch fagen, haben vollſtändig Alles gedacht, 

8 in Dänemark iſt, geweſen iſt ober Künftig nach fein wird. 
EGs Kat alfo mit der philofophifchen Univerfalität eine eis 
Bewandtniß. Und alle wahrhaft kunſtmäßigen Hiftoriker 
e Dichter beſitzen gleichfalls. Univerſalität, nur in anderer 
fe. Der hiſtoriſche Handwerker Freilich. ſcheut ſich nicht, 
icht vom Aufange der afadentifchen Jahre an fein ganzes 
iudium auf das zehnte Jahrhundert zu beſchränken; won der 
en Welt in Gegenwart und Vergangenheit lernt er gar 
t8 kennen. Wer wollte da wohl nach Univerſalität fra⸗ 
? Ganz anders aber verhält es fich mit dem hiſtoriſchen 
. Wenn der auch fein Werk auf den engſten Raum 
zt, vielleicht Nichts weiter ſchreibt, als die Gejchichte 
catilinariſchen ober wenetianifchen Verſchworung ‚ fowird 
Doch, was er irgend geleſen, irgend erfahren bat, 
t oder unbewußt, in einen Brennpunkt gleichſam concen⸗ 
en, um den Gegenftand feines Werkes Darunter beleuchten 
kennen 1). Geſetzt 3. B., er wollte eine Literaturgejchichte 





















y ine unendlich feltene Geſchicklichkeit! Es giebt unzählige Den: 

‚bie ſehr Vieles und Vielerlei wiffen, aber niemals im Stande 
„es auf ben gerade vorliegenden Zweck wirklich zu concentriren. 

Q* 


20 Prolegomena. Kap. 2. 


von Deutfchland im dreizehnten Jahrhundert ſchreiben, 
wird er zuvor natürlich auch Die frühere und fpätere Literaief 
auf dad Genaueſte zu erforfchen fuchen. Wie nun aber? ih 
die Literatur eined Volkes zu verfiehen, muß er das I 

felbft Eennen. Kennen aber lernt man Niemand, wofern mg 
ihn nicht in allen wichtigern Lebensverhältniffen beobach 
dat. Bei feinem Volke alfo muß er auch die Staats⸗ 9 
Kuiegägefchichte, die Religions⸗ und Nechtögefchichte, die Kıy 
Sitte und Wiſſenſchaft defjelben. aud dem Grunde ftudier f 
ben, Und weiter noch. : Beim Studium eined jeden Dir 
ift die Vergleihung: mit ähnlichen, doch aber: werfchiebe 
Dingen der einzige Weg zum tiefen Verftändnig. Mii J. 
deutſchen Literatur müßte alfo die griechifche, Die vömtfche, A 

engliſche u. ſ. w. verglichen werben. .. Dieß führte dann 
griechiſchen, römiſchen, engliſchen Geſchichte überhaupt u. ſ. hj 
u. ſ. w. Wir fehen:fhon ein, wie dieß am Ende zur U 
verſalgeſchichte hinauswächſt; wie die Univerſalgeſchichte 3 
nothwendigen Grundlage wird einer jeden tüchtigen Speck 
gefchichte ‚oder Monographie 1). Jedes wahrhaft Hifi 
Urtheil beruhet auf unzähligen Analggien. Der Hiſtoriker nl 
ſich wohl hüten, dieſe Analogien gerades Weges in fein. Sf. 
herüberzunchuien. ber Der Kemer muß fie doch, -gleichfig: 
zwifchen den Zeilen: lefen können... Es müffen fich ihm Auf 
fichten eröffnen in; die ganze weite Weltgeſchichte. Sein hug 
rifches Meiſterwerk, daB ‚nicht im engſten Raume die Geſch 
der. Menfchheit wiederfinlieget,i;-— Und was ben Poeten auf: 
trifft, fo. hat e8 Schil Lex bereit. fir Den Zweck aller Bag: 
erklärt, der Mienfchheit:. ihren möglichſt vollftändigen AusdriJ 


— 


















— en 





) So iſt es u % zu erllären, daß im deutſchen Vaterlande ;f 
Philologie und Rechtögefchichte durchaus früher geblühet haben, als | 
eigentliche Hiftorie Den Philologen trieb fchon das Herfommen zu f 
ner vielfeitigern Bearbeitung des Altershumes und zu einer Vergleichug- 
zwiſchen Griechen und Römern an. Dem Zuriften lag wenigftens Fe 
Paralleliſirung des germanifchen Rechts mif dem, römifchen fehr nahe. F 
x 


Univerfalität. 2 


n geben 1). Dem Homer wenigitens hat auch das. Alterthum 
won jeber eine folche Univerfalität zugefchrieben 2). J 

AOhne fie wird in der That jeder tiefere, jeder dauerhaftere Eins 
ende dem Poeten wie dem Hiitorifer unmöglich fallen. Wer würde 
DM z. B. in Goethe's Hermann irgend nur. Interefficen können 
Ir das Stillfeben einer kleinſtädtiſchen Gaſtwirthöfamilie 3); 
Wer im Thukydides für das Hinundherreden einiger längſt ver⸗ 
Dnebenen Marktredner und Hauptleute: wenn es diefen Künfts 
Bm nicht gelungen wäre, das Hauptfächlichfte der ganzen 
Weenfchheit, wie es zu allen Zeiten, unter allen Völkern und‘ 
Ballen Herzen wiederkehrt, in ihre Gemälde zufammenzubräns 
en? Jeder Menſch, behaupte ich, jeder gebildete Menſch 
at einen Kleon und einen Berikles, einen Nikias und einen 
Mlibiabes, einen Spartaner und einen Athener, einen Con⸗ 
Reativn und einen Liberalen, einen Hellenen und einen Bar⸗ 


)) Werke Bd. XI, ©. 198. Auch in einem Briefe an Goethe 

es: Der volllommene Dichter fpricht das Ganze der Menfchheit 

(8b. VI, ©. 36.). Bol: Goethe's Lehrjahre, II, 2. III, 11. 

3) Xenoph. Conv. IV, 6. Max. Tyr. Diss. 32, p. 116. 
Beioft die abötrufeften Philofopheme hat man bekanntlich, im Homer 
| ifen wollen. | 

2) Man hat nicht Telten gefragt, ob Voffens Luife den Vorrang 
Ixbiene ‚ oder Goethe’d Hermann und Dorothea. Die Fünftigen Jahr⸗ 
werben nicht fo fragen. Ich weife hier nur auf die wunderbare 
idtichkeit Hin, mit welcher ©. in feinen wenigen Figuren alle be= 
ern Berfchiedenheiten des menfchlichen Charakters zu repräfentiven, 
feiner einfachen Handlung und Geſprächsführung alle wicdhtigern Erz 
iffe des menfchlichen Lebens, Kindheit Ehe und Tod, Glück und 
ck, Krieg und Frieden, Staat und Familie zu berühren verfteht. 
i Boß dagegen Nichts weiter, ald das Nächftliegende, das liebliche 
eines Dorfpredigere. Selbſt die Perfonen darin, Vater und Eis 
m, Mutter und Tochter, Braut und Freundinn: fie find dem Wefen 
volllommen eins, nur durch Alter oder Verhältniffe unterfchieden. 
ie ſchön hat ©. in feinem Pfarrer das allgemein Geiftliche, allgemein 
iche zu fchildern gewußt; während V. dagegen, felbft in feiner be: 

Petruslegende, wie die Erfahrung zeigt, nur ein fehnell veral- 
lendes Zagesinterefle eingeflochten hat. 









4A Prolegomena. Kap. 1. 


‚daher ja nicht allzu fehnell bereit fein, den Gefchichts 
für einen ſolchen Handwerker zu erklären. Alle Arkei 
Handwerkers liegen auch dem Künſtler ob, ebenfo m 
ebenſo detailliert: nur freilich ift der Letztere mit dieſen 2 
noch lange nicht zufrieden. Aber ſelbſt die mechanifchft: 
ſchäfte, das Copiren von Handfchriften, ‚die Herausgabe 
Copien kann dem echten Hiftoriter Pflicht werden. Sc 
Niebuhr felbit die Byzantiner herausgegeben. Es m 
mals nothiwendig, Andern einen Impuls zu bringen. 
die Zeit drängt, fagt Lord Bolingbrote, fo mag ı 
dem Feldherrn ziemen, Bade und Spaden in die He 
nehmen. Für gewöhnlich aber. werden dergleichen Arbei 
nen überlafien ‚ welche dazu Keitimmt find, nämlich d 
meinen Soldaten und Bauern 1). 
Jeder ſchöpferiſche Act, ſagte ich oben, jeher Eünfi 
Aet ſei dem Menſchen ein Geheimniß. Bei den pofitiweı 
fenfchaften beſteht dieß Geheimniß vornehmlich darin, d 
Kunſtwerk derſelben freies Product des menſchlichen Geiſt 
ſoll ‚, und doch zu gleicher Zeit in jedem Punkte mit der 
lichkeit eongruiren 2), Ohne bie erfte Bedingung wür 
der miffenfchaftliche Künstler nicht vom Handwerker, ol 
zweite nicht vom Phantaften unterfcheiden. Auf den n 
Blick fcheint hier ein Cirkel obzumalten: erſt wenn ich d 
genftand völlig Ducchbrungen ‚habe, kann ich an feine | 
duetion denken, und umgefehrt, die völlige Durchdringin 
felben ift an ſich ſchon etwas Productives. Erſt vo 
Theilen aus kann ich das Ganze erobern, erſt von dem 
zen aus die Theile beherrſchen. Alles beruhet hier au 


1) Letters on the study and use of history, I, p. 3. 

2) Kav apa ovußäf, fagt Ariftoteles, wenn auch zunäd 
lich nur von poetifhen Werken, yevönera mrosiv, oudev zrrov : 
dor’ Tür yap yeroutıwv Evın oVölv awÄvss Towira zwar, ola ä 

\ x ’ ’» a > * > ' 2 
yeriodas za Övyara yeviodan, ExEivog aVTuy TOnTng dor 


X,92.). 


Siftorifche Handwerker und. Kuͤnſtler. 415 


ſtesverwandtſchaft zwifchen den Hiſtoriker und feinem Ge⸗ 
ande. Wie der Dichter jagt, Ä | 


Mit dem Genius fteht die Natur Im ewigen Bunde: 
Was ber Eine verſpricht, leiſtet die Andre gewiß. 


eſes ganze V rhältniß iſt jedoch nicht ohne Analogie. Ich 
mere nur on ie Borträtinalerei. Auch. das Porträt _foll 
net für Punkt. feinem Originale parallel laufen. Gleichwohl 
r foll es freies Product feines Malers, fein; widrigenfalls 
die Todtenmaske, das Daguerrotyp die vollkommenſten Bor- 
8 wären. Man kann die Bilder eines Gian Battiſta Mo⸗ 
i mit denen von Tizian , die eines Balthaſar Deuner mit 
en des Vandyk vergleichen. Jene ſind treu; ſo treu, als 
un dad Driginaf fi im Spiegel ſähe: jeder "zufällige Zug, 
im Augenblide des Abmalens vorhanden war, iſt wieder 
ben; es iſt nicht der ganze Menſch, den fie darftellen, fon= 
m im beften alle der Menfch einer einzigen Stunde, ohne 
ß man doch einen Grund weiß, warum gerade diefe Stunde 
wählt worden. Die Lehteren dagegen vereinigen die Trene 
der Schöpfungskraft. Aus den Zufülligkeiten des Augen 
Kt wiſſen fie das Weſentliche des Charakters herauszuleſen. 
kann fagen, fie ftellen den Menſchen treuer dar, als er 
ſelbſt in jedem einzelnen Augenblicke darstellt. — Wir dür- 
die pofitive Wiſſenſchaft in Diefem Stücke auch noch mit 
en, mit Nebenkünſten vergleichen, die freilich infofern tie 
ftehen, als fie nur die Werke einer Höhern Kunft dem Pu⸗ 
wollen genießbar machen, So foll der Schaufpieler 
.durchaus frei produeirenz aber Doch muß feine Leiftung 
für Punkt mit den Werfe des Dichters zuſammenfal⸗ 
Eon verhält fi) der Virtuofe zum Componiſten, der Ku— 
er zum Maler, der Ueberfeßer zum Driginal, Arch 
Hiſtoriker, der Naturferfeher, könnte man fagen, über— 
me im die menfchlihe Sprache; ihr Original aber ijt 
Höchfte, Die Werke der ewigen Weltregierung felber. 









16 Prolegomena. Kap. 1.' 


Noch eine vierte Stufe endlich, worauf fich der Kn 
äußert, von den früher ſpecifiſch unterſchieden, fit Die 
loſophie. Der phyſiſche Theil derfelben Läuft den ' 
wiffenfchaften parallel, der ethiſche Theil ben hiſtoriſcheꝛ 
ſenſchaften. — Auch die Philoſophie beruhet auf dem : 
die Erfahrung zu verarbeiten, den Geifte gerecht un 
"und ald Kunſtwerk zu veproduchen. Dahet Platon 
nem Phädros neben dem wahrſagenden, zeichenbeutende 
poetifhen Wahnfinne auch den philoſophiſchen Wahnſi 
nanıt hat. Wenn er an andern Stellen die Wirklichk 
das Abbild feiner Ideen erklärt, die Kunſt hinwiederu 
für das Abbild jenes Abbildes, fo drüdt er auch dam 
Verhaältniß zwifchen Erfahrung, PHllofophie und Kun 
treffend aus, freilich mit philoſophiſcher Geringſchätzuns 
Nichtphitofopfifehen. 


Bweites Kapitel 


Intevfchied des biftorifchen Runfttriebed ve vom 
poetifchen und philofophifchen, 


Rı- wollen zubor unterſuchen, worin dieſer - Unterfchied 
icht beſtehe. Es herrſchen nänılich gar vierlerlei Mißverſtänd⸗ 
iſſe hierüber, weil es wenig Menſchen giebt, welche den einen 
fer Kunſttriebe wirklich beſitzen, und zugleich den audern 
eiden unbefangen nachempfinden können. So hat namentlich 
e Anmaßung der Poeten, ihre Kunſt ſei die einzige Kunſt, 
nd der Philoſophen, ihre Wiſſenſchaft ſei die einzige Wiſſen⸗ 
haft, unendliche Begriffsverwirrungen angerichtet 1). 

Der erfte Vorwurf nun, welchen Poeten und Philofophen 
emeinfchaftlih dem Hiftorifer zu machen pflegen, beiteht in 
a Abhängigkeit des Lchten von feinem Stoffe. 
Bir Haben jedoch ſchon aud andern Beifpiclen gefehen, daß 
ine ſolche Abhängigkeit bei eigenthümlich organifirten Naturen 
echt wohl vereinbar fei mit völliger Sreiheit der Produetion. 
And der Dichter, wie der Philoſoph täufchen ſich gar fchr, 


— 


) Ich brauche hier das Wort Philoſophie durchaus nur im engern 

inne, alfo für dasjenige, was den Platon 3. B. vom Thukydides und 
hokles unterfcheidet, nicht aber, wie man fo häufig thut, für das, 
fie alle drei gemein haben. 


2 


16 Prolegomena. Kap. 1. ' 


Noch eine vierte Stufe endlich, worauf ſich der Km 
äußert, von den frühern fpecififch unterſchieden, iſt Die Ph 
loſophie. Der phyſiſche Theil derſelben läuft den N 
wiſſenſchaften parallel, der ethiſche Theil den hiſtoxiſchen 
ſenſchaften. — Auch die Philoſophie beruhet auf dem T 
die Erfahrung zu verarbeiten, dem Geiſte gerecht zu mach 
und als Kunſtwerk zu reproduciren. Dahet Platon In 
nem Phädros neben dem wahrſagenden, zeichendeutenden 
poetiſchen Wahnſinne auch den philoſophiſchen Wahnſinn 
nannt hat. Wenn er an andern Stellen die Wirklichkeit 
das Abbild ſeiner Ideen erklärt, die Kunſt hinwiederum 
für das Abbild jenes Abbildes, ſo drückt er auch damit 
Verhältniß zwiſchen Erfahrung, Philoſophie und Kunſt ſi 
treffend aus, freilich mit philoſ ophiſcher Geringſchãtung 
Nichtnhilofophifchen, | 










F 
Te 
b | Zweites Kapitel, 


ſchied des hiſtoriſchen Kunſttriebes vom 
poetiſchen und philoſophiſchen. 









r wollen zuvor unterſuchen, worin dieſer Unterſchied 
cht beſtehe. Es herrſchen nämlich gar vierlerlei Mißverſtänd⸗ 
e. hierübet, weil es wenig Menſchen giebt, welche den einen 
her Kunfttriebe wirklich beſitzen, und zugleich den andern 
en unbefangen nachempfinden können. So Bat namentlich 
Anmaßung der Poeten, ihre Kunſt jet die einzige Kunft, 
der Philoſophen, ihre Wiſſenſchaft ſei die einzige Wiſſen⸗ 
aft, unendliche Begrifſsverwirrungen angerichtet 1). 

Der erſte Vorwurf nım, melden Poeten und Philoſophen 
einſchaftlich dem Hiftorifer zu machen pflegen, beſteht im 
Abhängigkeit des Lebtern von feinem Stoffe. 
ir haben jedoch ſchon auß andern Beifpielen geſehen, daß 
ne folche Abhängigkeit bei eigenthümlich organifirten Naturen 

t wohl vereinbar ſei mit völliger Freiheit der Produetion. 

nd der Dichter, wie der Philoſoph täufchen fih gar fehr, 





1) Ich brauche hier das Wort Philofophie durchaus nur im engern 
Sinne, alfo für dasjenige, was den Platon z. B. vom Thukydides und 
Sophofles unterfheidet, nicht aber, wie man fo häufig thut, für das, 
as fie alle drei gemein haben. 


2 


20 Prolegomena. Kap. 2. 


von Deutſchland im dreizehnten Jahrhundert ſchreiben, 
wird er zuvor natürlich auch die frühere und ſpätere Liter 
auf das Genaueſte zu erforſchen ſuchen. Wie nun. aber? 

bie Literatur eined Volkes zu werfiehen, muß er das X 
felbft Eennen. Kennen aber lernt man Niemand, wofern u 
ihn nicht in allen wichtigern Beßensverhältniffen beobad 
Lat. Bei feinem Volke alfo muß er auch die Staats= 3 
Kriegsgeſchichte, die Neligiond= und Nechtögefchichte, die Ku 
Sitte und Willenfchaft. deſſelben aus dem Grunde ftubiert | 
ben. Und weiter noch. ' Beim Studium eincd jeden Dim 
ft die Vergleichung mit ähnlichen, doch aber verfchiebe 
Dingen der einzige Weg zum tiefen Verſtändniß. Mit | 
deutſchen Literatur müßte alſo die griechiſche, die römiſche, 
engliſche u. ſ. w. verglichen werden. Dieß führte dann ı 
geichiſchen, „ctnnifchen, engliſchen Geſchichte überhaupt u. 
nf, Wir ſehen ſchon ein, ‚wie dieß am Ende zur U 
verfalgefchichte :hinausmächftz : wie Die Univerſalgeſchichte 
nothmwendigen : Grundlage mird einer jeden tüchtigen Speci 
geſchichte oder Monographie 1). Jedes wahrhaft hiſtori 
Urtheil beruhet auf unzähligen Anakpgien. - Der Hiſtoriker m 
fich wohl hüten, dieſe Analogien gerades Weges in fein B— 
herüberzunchuien: Aber der Kemier muß fie doch gleichfi 
zwiſchen den Zeilen leſen können. Es müſſen ſich ihm A 
ſichten eröffnen im. die ganze weite Weltgeſchichte. Kein bi 
rifches Meiſterwerk, das nicht Im engſten Raume die Gefchli 
ber; Menſchheit wiederflegelt,hir—. Und was den Ppeten au 
trifft, fo. hat es Schilken bereits für Den. Zweck aller Po 
erklärt, der t Menſchheit, chreu waslichſt vollſtändigen Ausdꝛt 


I) So riſt es u. A. zu erllären,. af im deutſchen Vater lande 
Philologie und Rechtsgeſchichte durchaus früher geblühet haben, als 
eigentliche Hiftorie Den Philologen trieb ſchon das Herkommen zu 
ner vielfeitigern Bearbeitung des Altershumes. und zu einer Vergleich 
zwiſchen Griechen und Römern an. Dem Juriſten lag wenigftens . 
Parallelifirung des germanifchen Rechts mit ‚dem, römifchen fehr nahe. 


Univerfalität, 2 


geben 1). Dem Homer wenigitend bat auch das. Alterthum 
jeher eine folche Univerfalität zugefchrieben 2). . 

Ohne fle wird in der That jeder tiefere, jeder dauerhaftere Ein- 
dem Boeten wie dem Hiftoriker unmöglich fallen. Wer würde 
z. B. in Goethe's Hermann irgend nur: intereffiren können 
dad Stillleben einer kleinſtädtiſchen Gaftwirthäfamilie 3); 
im Thukydides für das Hinundherreden einiger längſt ver⸗ 
Marktredner und Hauptleute: wenn e3 diefen Künſt⸗ 
nicht gelungen wäre, das Hauptfächlichite der ganzen 
heit, wie es zu allen Zeiten, unter allen Völkern und‘ 
‚allen Herzen mwiederkehrt, in ihre Gemälde zufammenzudrän- 
en? Leder Menſch, behaupte ich, jeder gebildete Menſch 
kögt einen Kleon und einen Perikles, einen Nikias und einen 
Wfibindes, einen Spartaner und einen Athener, einen Con- 
erbativen und einen Liberalen, einen Sellenen und einen Bar⸗ 











1) Werke Bd. XII, ©. 198. Auch in einem Briefe an Goethe 
ft es: Dee volllommene Dichter fpricht das Ganze der Menfchheit 
u (Bd. VI, ©. 36.). Vgl. Goethe's Lehrjahre, II, 2. III, 11. 

2) Xenoph. Conv. IV, 6. Max. Tyr. Diss. 32, p. 116. 
zelbſt die abötrufeften Philofopheme bat man bekanntlich, im Homer 
achweiſen wollen. 

3) Man hat nicht Telten gefragt, ob Voffens Luiſe den Vorrang 
erdiene, oder Goethe’8 Hermann und Dorothea. Die künftigen Jahr⸗ 
underte werden nicht ſo fragen. Ich weiſe hier nur auf die wunderbare 
zeſchickklichkeit hin, mit welcher ©. in feinen wenigen Figuren alle be⸗ 
entendern Berfchiedenheiten des menfchlicdyen Charakters zu repräfentiven, 
u feiner einfachen Handlung und Gefprähöffhrung alle wichtigern Er—⸗ 
kgniffe des menfchlichen Lebens, Kindheit Ehe und Zod, Glück und 
nslüd, Krieg und Frieden, Staat und Familie zu berühren verfteht. 
Bei Voß dagegen Nichts weiter, als das Nächftliegende, das Liebliche 
eben eines Dorfpredigers. Selbſt die Perfonen darin, Vater und Eis 
am, Mutter und Zochter, Braut und Freundinn: fie find dem Wefen 
ad volllommen eins, nur durch Alter oder Verhältniffe unterfchieden. 
Bie fhön hat ©. in feinem Pfarrer das allgemein Geiftliche, allgemein 
hriftliche zu fchildern gewußt; während ®. dagegen, felbft in feiner be= 
ihmten Petrustegende, wie bie Erfahrung zeigt, nur ein ſchnell veral- 
mdes Tagesinterefle eingeflochten hat. 


93 Prolegemena. Kay. 2. 


baren in feiner eigenen Sede beiſammen. Dieſe Saiten 
Thukydides zu treffen gewußt. Weil ex felbft ein Mikr 
mus war, fo Sonnte er feinen Gegenftand auch als Mir: 
mus barftellen. — Es giebt eine fubjective Univerfalität 
eine objective. Die letztere will erſchöpfend fein in der Au 
fung der Welt überhaupt; die erſtere dagegen iſt ſchon zı 
den, wenn der Künſtler nur den ganzen Inhalt feines ( 
ftes im Kunſtwerke niederzulegen weiß. Die objective Un 
falität, am birerteften exfirebt von den Philofophen und f 
Univerſalhiſtorikern, iſt für uns, bei der Beichränftheit 
menſchlichen Natur, entweder Icer, oder nur in fehr gerin 
Grade erreichbar. Nur die fubfeertive Univerfalität ift ein n 
wendiges Erforderniß der künſtleriſchen Vortreſſlichkeit: 
dem Dichter und Geſchichtſchreiber vollkommen ebenſo zug 
lich, wie dem Philoſophen. 

Man hat ferner geſagt, den hiſtoriſchen Kunſtwerken 
es an der gehörigen Einheit. So meint Ariſtoteles, 
Epes müſſe Einheit der Handlung haben, die Geſchichte d 
gen nur Einheit der Zeit, ohne wirkliches Ende, wie 
fchlechten Poeten. Die Schlachten von Salamis und ( 
u. A. feien an Einem Tage vorgefallen, aber ohne Innern 
fammenhang 1). — Daß jedes wohlgebaute philofophiiche 
ftem eine ſolche Einheit beſitzen müſſe, Teuchtet won ſelbſt 
Jeder Begriff deffelben enthält ja wirklich alle fpäteren, 
darans entwickelt werden. Jeder niedere Begriff wird 
durch den höhern, und fo weiterhin Durch den Höchften 
dacht. Der höchſte Begriff iſt alfo nicht bloß der Aus, 
und Gipfel des ganzen Syſtemes, fondern der Inbegriff 
felben. — Aber auch den Hiſtorikern und Dichtern iſt die 
beit keinesweges abzufprechen. Es iſt freilich Kein oberfter 
griff, welcher ihr Werk zufammenhält, wohl aber cine 


— t — 








) Poet. XXIV,1sq. Ariſtoteles hat hierbei offenbar nur a 
ſchlechten Hiſtoriker feiner Zeit gedacht. 


41 


Einheit. 23 


mmtanfchamung. Von dieſer Geſammtanſchauung iſt der 
erfaſſer ausgegangen; er bat fie bei der Arbeit foöͤrnilich ent⸗ 
net und in alle Theile feines Werkes durchdringen Iafien. 
ver Lefer empfängt fie erft, wenn er fein Studium des Wer- 
8 beendigt bat. Das Werk darf in dem idealen Leſer keine 
age aufregen, die e8 nicht auch beantwortete, keinen Wunſch, 
m es nicht auch befriedigt... Man Hat nicht felten verſucht, 
e Sefammmtibee eines ſolchen Kunftwerkes in Worte zu faflen. 
Ran bat 3. DB. gefagt, die Geſammtidee, folglich die Einheit 
z Odyſſee beruhe auf dem Siege, welchen männliche Klug⸗ 
it und Tapferkeit, weibliche Treue und göttlicher Beiſtand 
er alle Hinderniſſe zuletzt davontrügen. Die Einheit der he⸗ 
dotiſchen Geſchichte foll in Dem Triumphe der freien Huma⸗ 
it über Die ſtlaviſche Barbarei beſtehen. Alle Dergleichen 
asdrücke find immer fehr mangelhaft, weil es für eine An- 
auung Tein vollfommen zutreffendes Wort giebt, Wer fich, 
bei beruhigt, der fällt nur zu leicht In den Irrthum, das 
nze Werk für den Commentar irgend eines Lehrſatzes anzufes 
n. — Wie fehr übrigens in allen wirklich Hiftorifchen Mei⸗ 
werfen jeder einzelne Theil von dem Ganzen bedingt werde, 
von nur ein Paar bedeutende Zeugniſſe. So ſchildert und 
kontesquieu, wie unficher ex ſelbſt im Anfange feiner For⸗ 
mngen geivefen ſei: tanfendmal habe er dad Begonnene den 
zinden preiögegeben, habe die Wahrheit nur gefunden, um 
: wieder aus dem Gefichte zu verlieren, Bis er endlich Die 
rineipien entdeckt: da fei ihm Alles, gleichwie won felber, 
gefleifen ). Was er hier Prineipien nennt, das ift die Ein> 
it feine Werkes. Auch Windelmann verfichert in feiner 
izenden Naivetät, er könne Fein richtiges Kunfturtheil abge- 
m, wenn er nicht alle erhaltenen Kunſtwerke der Alten und 
le Nachrichten dariiber fich im Geiſte ald ein Ganzes gegen- 


en — — 


1) Vorrede zum Esprit des loix. 


2A Prolegomenn. Kap. 2. 


wärtig mache 2). Dieß ging fo weit, daß er z. B. die S 
heit des bekannten Torſo anfänglich nur auf Glauben hinn 
Wirklich empfinden konnte er fie erſt, nachdem er fich 
Did auf feine Weiſe, im Zuſammenhange ſeines eigenen‘ 
kes, kunſthiſtoriſch erklärt Hatte 2). 

Noch ein letzter Vorzug endlih, den die Philoſophit 
ihren Schweſtern zu prätendiren pflegt, ft die Nothwen 
keit ihred Zufammenhanges 2%): Sch muß Hier vor Allen 
zwei wefentlich werfchiedene Begriffe aufmerkfam machen, ı 
die Sprache mit dem gemeinfchaftlichen Worte Nothwend 
bezeichnet. Ihre Verwechfelung bat von jeher zu den Hei 
ſten Irrthümern geführt. Es giebt nämlich eine Nothwe 
feit, etwas zu thun oder zu leiden, und eine andere, ı 
zu denken oder zu empfinden: jenes nenne ich Die phyſ 
dieſes Die logiſche oder Afthetifche Nothiwendigkeit. Die ı 
entfpringt aus der realen Ueberlegenheit eines fremden Wil 
entweder eines menfchlichen, — da wird natürlich nur dei 
zwungene von Nothwendigkeit ſprechen — oder eines 
menfchlichen. Diefe Nothmendigkeit Tann ebenſo gut vo 
Hiftorie und Poefie, mie von der PhHilofophie behandelt 
den. — Ganz anders aber ſteht es mit der Ingifchen 
äfthetifchen Nothwendigkeit. Sie waltet nicht in der wirt 
Belt, fondern im Kunftwerke ob, des Hiſtorikers ſowohl 
des Dichterd und Philoſophen. Hier ift der Künſtler glei 
1) Kunftgefhichte IV, 2, 3. . 


2) Vorrede zu ben Anmerkungen. — Auch Niebuhr war 
zerſtückelte Eindruck, den er nicht in einen einzigen Punkt geiftig c 
triren Eonnte, "zur höchften Lafl. Aus diefem Grunde mochte er 
Muſik hören (Briefe Th. 2, ©. 46 ff.). 


3) Hegel ſpricht der Hiftorie diefe Nothwendigkeit ab (Aefthı 
&. 13.): obwohl er anderswo doch einräumt, fie Eönne fo erfaßt 
den, daß durch die einzelnen Begebenheiten und Individuen thre n 
liche Bedeutung und nothwendiger Zufammenhang heimlich hindurd 
tet (Werke X, Bd. 1. ©. 167.). 


Nothwendigkeit. 25 


öpfer einer Kleinen Welt: mer diefe Welt betreten will, 
m fich ihren Geſetzen fügen. .: Während die phyſiſche Nothe 
endigkeit in der That eine Beſchränkung der menfchlichen Frei⸗ 
eit bildet, iſt die äfthetifche Nothwendigkeit ihre herrliche 
leußerung. Dan kann freilich Immerhin aus einem’ Syſteme 
janze Degrifföreihen, aus einer Tragddie ganze Scenen, auß 
mer Geſchichte ganze Charaktere und Entwidelungen heraus: 
weißen, umgeftalten; aber die Strafe folgt fogleich: das unan⸗ 
denehme Gefühl, unlogifch gedacht, unäfthetifch, zuſammen⸗ 
hangswidrig empfunden zu haben. Was bier alfo zufällig, 
kellküxlich erfcheint, was den Lefer nicht zu einer ſolchen Nach⸗ 
Felge zwingt, das kann nur fehlerhaft fein. Dieß ift aber im 
Thukydides z. B. vollkommen ebenſo ſehr der Fall, wie im 
Eophokles oder Platon. — Es verſteht ſich übrigens wohl 
Don ſelbſt, daß dieſe Nothwendigkeit im Kunſtwerke factifch 
hargeſtellt, niemals aber vom Künſtler bloß mit Worten ver- 
ſichert werden fol. Welche Mißbräuche find aber gegenwärtig 
Bein eingerifien! Wie oft findet man in Hiftorifchen oder 
Bhilofophifchen Büchern ganz naiv behauptet, zwiſchen diefer 
ind jener Erſcheinung beftehe ein nothwendiger Zufammen- 
Bang, fie ſeien nothwendiges Product der Zeit u. |. w. Der 
Weichen Urtheile follten billig dem Lefer überlaffen Bleiben, 
enn ex die Erklärung des Verfaffers, Die nun freilich 
Fehlt, gelefen Hätte, von diefer Erklärung logifch oder äfthe- 
ich zu denſelben Refultaten gezwungen wäre. Wo ein Hiftes 
riker von dieſer Art Nothwendigkeit ſpricht, da zeigt er an, 
daß er die Erklärung feines Gegenftandes allerdings dunkel ge— 
Ihn, aber entweder des Talentes ermangelt, oder die Mühe 
geſcheut Hat, fie wirklich auszuarbeiten. Was würde man 
Bon einem Poeten denken !), der und, ftatt ein Gedicht zu 


) Wie z. 8. Euripides fo häufig die Rathfchläge u. ſ. w. feiner 
Derfonen mit dem Selbſtlobe einleitet, wie Elug, wie erfahren, wie Eurz 
x rede. 


26 Prolegomma.. Kay. 2. 


liefern, bloß mit. ber Verficherung abfpeifte, ex habe poe 
Gefuͤhle mid in einer Form auögefprochen, die Jedermann 
reißen müßte? Und das tft doch ganz daſſelbe! 1). 

Wir find zu dem wirklichen Unterfchiche unferer drei K 
triebe gelangt. ever von ihnen, der. biftorifche ſowohl, 
ber poetiſche und philofophifche, ftrebt nach, Wahrheit. 
behaupten aber die beiden letztern, nach einer Höhen U 
beit zu fireben, als die gemeine Wirklichkeit der Extahrum, 
Bon den Philofopben find mir deſſen gewohnt. Aber 
Die Dichter, fobald fie fich klar darüber ausgeſprochen hi 
find ganz derfelben Anſicht. So behauptet Schiller 
Poeten: | 


Ihn gaben vie Götter das reine Gemüth, 

Wo die Welt ſich, bie ewige jpiegelt. 

Er hat Alle gejehen, was auf Erven gefchieht, 
Und was und die Zukunft veritegelt. 

Er ſaß in der Götter urälteftem Rath, 

Und behorchte der Dinge geheimfte Saat. 


In feiner vortrefflihen Vorrede zur Braut von Meſſina 
er gerade heraus, die Dichtkunſt fei wahrer, als alle Wir 
feit, und realer, als alle Erfahrung. — Wir erkennen 
. Weiteres, daß Poct und Philoſoph etwas ganz Anderes ' 
der Bezeichnung Wahrheit verfichen, als was man im gen 
lichen Leben darunter meint, Im gewöhnlichen Leben, ur 


1) Ich bemerke fehließlich noch, daß ſelbſt unter ben Philoſ 
bie ebenerwähnten Prädicate der Unabhängigkeit, Univerfalität, € 
und Nothwendigkeit durchaus nur den vollfommenften Syſtemen be 
gen find. Unter den Neuern 3. B. warnt Gartefius fogar ausbrı 
vor dem Streben nad) Univerfalität. Bon firenger Einheit bes € 
mes kann man auch erft feit dem Verlaffen der mathematifchen Me 
alfo nicht vor Tode, reden. Was die Nothwendigkeit des Zufamme 
ges anbetrifft, fo Läßt felbft Spinoza hier noch unendlidy Vieles zu 
ſchen übrig. 


Unterfchlen ver Philoſophie und Gefchichte, 97 


ug in der hiſtoriſchen Kunſt, Braucht man dieſen Ausdruck 
we von Urtheilen, die etwas über die Erfahrung audfagen. 
An ſolches Urtheil ift wahr, wenn es mit. der Wirklichkeit 
Mgruirt. Nennen alfo Dichter und Philoſoph auch audere 
Darftellungen wahr oder unmwahr, die mit der gemeinen Wirl⸗ 
Weit gar Nichts zu thun haben, fo können fie darunter, ſtatt 
ner Viebereinitinunung ‚mit dee Wirklichkeit, nur eine Ueber⸗ 
aſtimmung mit den Iogifchen Denk⸗ oder den äſthetiſchen Em⸗ 
Bndungdgejegen X) verfichen. Es find folglich drei ganz ver 
Biedene Sphären gleichfam, worin die philofophifche, die poe⸗ 
ſche und hiſtoriſche Wahrheit ihren Wohnfig haben, Die. nos 
live Wifgenfchaft, kann man fagen, errichtet ihr Gebäude :auf 
jener Erde, die Dichtlunft unter den Wolfen ımd Sternen 
8 Himmels, die Philoſophie im luftleeren Raume 2). 
Der Unterfchied zwiſchen Philoſophie und Geſchichte 
egt hauptfüchlich in der Form, weniger im Inhalte. Das 
lecht z. B., der Staat, die Kunſt: fle können philofophiich, 
e können Hiftorifch behandelt werden, - Aber der Zweck dieſer 
handlung, wie auch die Methode find von Grund aus ver 
hieden. Was will der Philoſoph? Der Philoſoph will ein 
duftem aufitellen won Begriffen oder Lirtheilen, möglichit 
Bötract, d. 5. möglichſt entkleidet von allen Zufülfigkeiten des 
laumes und der Zeit. Der Hiftoriker Dagegen will eine 
dhilderung geben menfchlicher Entwicelungen nnd Verhält⸗ 
iiſſe, möglichſt getreu dem wirklichen Leben nachgebildet. Beide 
een fich mit Erklärung von TIhatfachen ab. Sie nennen eine 
chatſache erklärt, wenn fie Diefelbe mit andern, ſchon bekaun⸗ 
m Ihatjachen in eine ihnen genügende Verbindung gebracht 





— —— — 


1) Bgl. u. A. Spinoza in feinem Werke De emend. intell. an 
mãhligen Stellen. 


2) Aristot. Poet. XXVI, 3.: ’Avydyan mueishes Tgriy dvruw 
waoıduor iv ti dei .yap oa nv 7 Eorw' 3) old yacı nai doxei' 
u ciras dei. 


28 - Prolegomena. Kap. 2. 


Baben. Den gemeinfamen Ausdruck, gleichfam den Schlöf 
zu einer ganzen Reihe von Erklärungen nennen fle beide Gefaf 
Aber fle erlären nach ganz verfchiedener Methode. Der M 
Iofoph Kat eine Thatfache erklärt, wenn er fie definirt hat, u 
num kein Begriff mehr in feiner Definition vorkommt, 
nicht an frühern Stellen des Syſtems bereits erbrtert w 
Der Hiſtoriker dagegen, wenn er die Menſchen geſchildert Ba 
von denen und an denen fie gefchehen iſt. Was dieſe Dali 
gedacht, gewollt und empfunden; mas fie dabei erſtrebt 
was fie erreicht; warum fie e8 erfixebt und warum fie eb 
reicht Haben; wie jenes geiftige Bebürfnig und diefe beginf 
genden Umftände almählig gekommen, allmählig wieder u 
ſchwunden find. — Beide, Philoſoph und Hiſtoriker, 
gen von zivei Thatfachen, die fie mit einander verbunden habt 
die wichtigere oder frühere die Urſache der minder wichtig 
oder fpätern zu nennen. Man unterfcheide aber wohl! 
Philofophen ift der Höhere, allgemeinere Begriff die Urſal 
des niedern, fpeciellern : freilich nicht fo, al8 ob der Geget 
fand des nicdern Begriffes in feiner realen Exiſtenz vi 
den Gegenftande des höhern bedingt wäre, fondern 
höhere Begriff ift die Urfache des niedern, die Urfache fer 
philoſophiſchen Exiſtenz, d. h. feines Gedachtwerdens # 
Syſteme. Beim Hiſtoriker dagegen iſt von einem Zuſamme 
hange die Rede nicht der Begriffe !), ſondern der Gegenſtän 
ſelbſt. Ihn kümmert nicht das höhere, philoſophiſche Sch 
Im Syſteme, ſondern nur das gemeine, reale Sein in b 
wirklichen Welt, Um es kurz zu fallen, jede philoſophiſch 
Erklärung ift eine Definition, jede Hiftorifche Erklärung eb 
Schilderung. Jene tendirt nad) Abftreifung der Merkmale E 
zur Einfachheit des höchften Begriffes hinauf; dieſe nach Oel 


























Au} 
2,4 


| 

I) Leider hat die Epradje für zwei fehr verfchiedene Geiftesverrichtun 
gen, dad gemeine und das philofophifche Begreifen, nur das. eine Worl 
Ohne das Erftere ift natürlich gar Feine menfchlicye Erfahrung denkba 


Unterfchie der. Bhllofophie und Geſchichte. 29 


ehrung der Merlmale bis aut Fülle des. wirklichen: Tehend 
runter. 

Jede Kunſt teitt u am. bnlitammenften auf, ‚mo. fie. am 
inſten auftritt. Die architektoniſche Malerei der. Aegyptier iſt 
jenſo wenig muſterhaft, wie bie maleriſche Banart ſo vpieler 
Btterburgen;. philoſophiſche Poeſien ebenſo wenig, wie poe⸗ 
ſche Philoſopheme. Wir koͤnnen deßhalb auch erwarten, daß 
je Philoſophie immer verlieren : muß, wenn ſie hiſtoriſche 
Pehilderungen, und die Geſchichte, wenn fie philoſophiſche 
Marifisentwickelungen aufnehmen will. Dergleichen; macht. in; 
den immer denſelben Eindruck, den .eine urwerarkeitete Schla⸗ 
ge macht, die im gediegenen. Metollguife haften. „geblichen,. 
Bit müſſen hierauf. um ſo gchtfamer fein, als. Heutzutage eine 
nhlreiche Schule von Gelehrten, die fogar vorzugämeife das 
noße Wort führt, in einem barbariſchen Miſchmaſch, einer . 
hiloſophiſchen Hiftorie oder einer hiſtoriſchen Philofophie das 
nahe Heil der Wiffenfchaft zu fuchen frheintı), _ Wenn man 
a unumterbrochen räfonniren hört von einem Principe Frank⸗ 
richs, Defterreihd, von .einer Idee der Reformation; wenn, 
Ne Slaven und Germanen ſelbſt ſich zu den Schattenbildern 
we Slavismus und Germanismus verflüchtigen müfjen: fo 
pird einem geift= und geſchmackvollen Dianne in der That uns 
er zu Muthe. Echte Philoſophie ift das nicht: denn fa 

ive, detaillirte Sachen, wie 3. B. ein beſtimmter, hiſtori⸗ 

Staat, ein beſtimmtes, hiſtoriſches Ereigniß, werden ſich 
pn und nimmermehr einem philoſophiſchen Syſteme orgauiſch 
inverleiben. Echte Hiſtorie iſt es auch nichts denn auch ab⸗ 
wihen davon, daß ſolche abstracte Definitionen einem Leſer, 
ke die Sache noch nicht vollkommen kennt, — und ſolche find 
Beh urſprünglich und eigentlich die Leſer Hiftorifcher Werke, 
da die Geſchichte ja die Thaten der Vergangenheit überlicfern 
fl — niemals ein wirkliches Bild gewähren künnen, fo zeugt 


1) Bol. unten Kap. V, 8.1. 


50 Prolegomena. Ray. 2 5 


ſchon der bloße Gedanke, ein Ereigniß, wie. die Neformatioil 
einen Staat, wie Delterreich, durch eine einzige Tendenz wirf 
lich charakteriſiren zu Können, von der genügſamſten U 
wiſſenheit. Der vortrefflihe Windelmann, tn dein 3 
fich Freilich weder die Bhilofophie, noch die Geſchichte zu 1 
nachmaligen Höhe entiwidelt Hatte, beklagt fih, weil er 
ſpät damit begonnen habe, fo fet ihm das Weſen der Sch 
heit Immer dunkel. geblieben I, ehr begreifliht Den 9 
griff Schönheit zu definiren, und danach die einzelnen Aut 
wierfe zu behandeln, iſt eine eigenthümlich philefophifche 8 
beit: - Zu einer ſolchen aber hatte Winckelmann, als vein 9 
ſtoriſcher Kopf, natürlich keine Anlage; mıd es mar Selbſto 
kennung, daß er in dieſcs Gebiet uberhaupt mut. hineiny J 

wollte 9J 
Der Unterſchird zwiſchen Borfie und Geſchichte se 
get: vornehmlich auf. den: Inhalte. Nicht allein die äußerlich 
Form kann diefelbe fein, -— +8 giebt Reimchroniken und iR: 
fiegmane — fondern auch die ganze Methode der Darftellunf 
An jeden guten Schaufpiele, jedem guten Romane gebt M 
Schilderung der Charaktere, die Vorbereitung der Haupteſſech 
die ganze Plaſtik Der Darftellung fafl auf dieſelbe Weife v 
ſich, wie im hiſtoriſchen Kimftwerte. Hier Tann wechteiiel 

unendlich Vieles gelerut werden. Der vadicale Un 
zwiſchen beiden beſteht nun darin, daß es dem Dichter 
nicht darauf ankommt, ob feine Darſtellung mit der Wirklich 
keit eongruire. Dem Hiftorifer iſt diefe Eongruenz nothwe 
dig, Wenn eine Dichtung in manchen Stüden hiſtorifch 
Tteue beſitzt, wie 3: B. Goethes Egmont und Gig, Schill 
ler's Wallenftein’d Lager, Shakeſpeare's Cäſar u. A. m., ſi 
AR das für den Dichter ſelbſt weniger Zweck, ale Earichn 
rung. Er muß feinen Charakteren innere Wahrheit verleihen 
muß die Umstände rings umher mit ihnen in Einklang ſ 



























. 





1) Kunftgefchichte, IV, 2, 6. 


Unterfchien der Poefle und Gefchichte, 31 


immt er bier nun die hiſtoriſche Wirklichkeit zu Hülfe, fo 
st er die ſicherſte Controle, daß ex nichts Unnatürliches, nichts 
uumdgliches gewählt haben kann ). Der Dichter Halt ſich in 
chen Fällen gerade ebenjo an die Natur, wie ber Bildende 
Binftler. Beide nehmen die Naturformen, fofern fie Feine 
ern erfinden köͤnnen. Im Ganzen jedoch werden wir ges 
Die bei den Höchften Kunſtwerken inımer jchen, daß die Welt, 
Welcher fie ſich bewegen, eine ganz andere ift, als die wirt 
e Welt. Wie ja auch Sophokles von fich ſelber urtheilt 2), 
nehme die Menſchen, --wie fie fein follten, Euripides, mie 
wirklich ſind. Selbſt wo er hiſtoriſche Perſonen in fein 
ſtwerk herübernimmt, da pflege ‚dev Dichter ihre Haupt⸗ 
immer zit verſtärken, ihre Nebenzüge dagegen voͤllig ſchwin⸗ 
zu laſſen. Es entſteht dadurch eine Einſeitigkeit und Vor⸗ 
ſirfung der Charaktere, wodurch ſie in die abgeſchloſſene 
des Kunſtwerkes vortrefſlich hineinpaſſen, im wirklichen 
aber niemals eriftiten koͤnnten )). — Die Erfahrung 
Einem Worte, die Sammlung des Stoffes ſpielt beim 
eine weit geringere Rolle, als beim Hiſtoriker. Wem 
Poet ſie verarbeiten will, ſo kann er von dem Seinigen 
















Natur. Auch der Hiſtoriker wird das Menſchenähuliche 
aufſuchen, wird die wechſelſeitigen Beziehungen ſchildern 
en Land umd Volk, zwiſchen Natur und Geſchichte. - Der 
hingegen trägt kein Bedenken, die Natur gerades We⸗ 


1 Bol. Hegel's Aeſthetik (Werke Bd. X, Th. 1. S. 328.). 

) Aristot. Poet. XXVI. 

2) Richt anders die Volksſage, wo fie an hiſtoriſche Perſonen ſich 
liegt. „Es iſt auffallend⸗, ſagt Leopold Ranke, »daß die Hi⸗ 
ie, ſowie ſie in das Gedächtniß der Menſchen übergeht, allemal das 
iet der Mythologie berührt. Die Perſönlichkeiten werden ſchroffer, 
; fie nähern ſich auf irgend eine Weiſe einem faßlichen Ideal; die 


irtenden Urfachen vergeſſen⸗ (Päpfte ILI, ©. 322.). 


freier hinzuſetzen. Es handelt ſich z. B. um die materi⸗ 


ebenheiten werden bezeichnender ausgebildetz die Nebenumſtände und 


50 Prolegomena. Kap. 2. 


ge8 zu humaniſiren; Himmel und Erde, Feuer und 3 
durch menfchenähnliche. Dämone zu bevölkern; ja, die X 
felbft, die Bäume und Steine mit menſchlichen Zungen wi 
zu laſſen. Oder es handelt fich um vergangene Zeiten. % 
der Hiſtoriker wird die Brüde zu ihnen aus feiner. eigen 
Zeit hinüberſchlagen. Nur was er nahe gefehen, kann fi 
duch Analogie das Verftändnig des Entfernten auffchliek 
Den Boeten Hingegen iſt es unverivehrt, fobald die Schüuß 
feines. Werkes nicht darunter leidet, die vergangene Zeit ge 
des Weges zu mobernifiren. Was kümmert es den Calden 
ob. ſein Ulyfjes einem fpanifchen Caballero gleicht? ner N 
Racine, ob feine Zrojghelden dem Hofe Ludwig's XIV. 
nen? Haben. doch felbit die Hellenifchen Tragikes kein Bcy 
ten gehabt:, die alte Heroenmelt ihres Volkes mit den F 
benſchmucke der perikleiſchen Zeit auszumalen !). Oder en 
eö handelt ſich um ein großes Individuum. Auch der SE 
riker freilich wird ſich zum Helden feiner Gefchichte nur ei 
geifteöverwandten Mann auswählen: nur. für einen folk 
kann er fich ganz intereffien, nur ihn ganz verftehen, ud 
lebendige Geſtalt der Nachwelt überliefern. Dem Dichter 1 
gegen, wer hat es ihm wohl verargt, wenn er weiter gin 
wenn er, fich felbft feinen Helden fubftituirte? wenn feine A 
ther ung Meifter, feine -Zauft-und Mephiftopheles, feine Te 
und Antonio, einheitlich aber dualiſiſch „ immer nur Ex fd 
waren ?, .. 4 

Auch wo zwiſchen Preſie und Geſchichte die Sränje , 
wifcht wird, da kann es, ebenſo wie zwifchen PBhilofophie ı 
Gefchichte, "Immer nur entincher jugendliche Unreife, oder 3 
ginnender Verfall fein. Selbſt in dem Aeußerlichſten der Kat 
ſchon. Der Profaroman, wie das bürgerliche Su 























— — — — — —* 


1) Selbſt von Shakeſpeare, der bei dem großen Haufen in ein 
ganz anderen Rufe ſteht, bemerkt Goethe ſehr fein, daß ſeine Rög 
3: 8. lauter eingefleifchte Engländer feien; Werte Bd. 35, ©. 370.: 


Unterſchied der Poeſie und Geſchichte. | 33 


en vor in den Zeiten dee noch nicht vollendeten, und 
als wieder der fchon gefunfenen Poeſie. So hat fih 
torifche Wiſſenſchaft aller Orten mühſam und allmähliz 
er Sage, die gleichfam eine Poeſie des ganzen Volkes 
und aus der Reimchronit u. f. w. in ihre eigentlichite 
emaneipirt. Im Zeitraume ihrer Alteröfchmäche wird 
n dahin wieder zurückkehren, wie die Griechen z. B. in 
ider's Zeit beweiſen. Mit Hiftorifchen Epopöen haben 
dmer in Ennius Zelt begonnen und in Silius Stalicus 
ucan's Zeit geſchloſſen. Unſere deutſche Hiſtorie ift Gott⸗ 
sch nicht fo weit. Bei unſerer heutigen Poeſie dagegen 
wir durchaus ſchon, daß fie entweder ſich mit den ges 
n Federn hiſtoriſcher und philofophifcher Wiſſenſchaft 
ober aber in der flachen Alltäglichkeit des gemeinen Se 
uitergeht. Iſt es bei den Heilcuen anders geweſen, unter 
achfolgern des Euripides bis zur neuern Komddie ‚herab? 
die vielen Ucherfebungen ausländiſcher Poren, die in 
ueſten Zeit unſere Literatur charakteriſiren, haben immer 
zedenkliche, daß ſie deu ‚poetifchen Intereſſe unvermerkt 
ſtoriſches, ethnographiſches. unterſchieben. Auqh. der Ver⸗ 
ng zweier von Grund aus verſchiedenartigen Geiſtesrich⸗ 
1.ijt. zu keiner Sei ein. When Drittes hetzergegaugen. 


32 J 4 Prolegomena. Kap. 2. 


ges zu humaniſiren; Himmel und Erde, Feuer und Men 
Durch menſchenaͤhnliche Dämone zu bevölkern; ja, die Thien 
ſelbſt, die Bäume und Steine mit menſchlichen Zungen reden 
zu laſſen. Over es handelt. ſich um vergangene Zeiten. Audi 
der Hiſtoriker wird die Brücke zu ihnen. aus ſeiner eigenen 

Brit hinüberſchlagen. Nur was er nahe geſehen, kann ihn 
durch Analogie. das: Verſtändniß des Entfernten aufichliehen, 
Dem Poeten hingegen. iſt es unyexwehrt, ſobald die Schoͤnhh 
ſeines Werkes nicht darunter leidet, Die vergangene Zeit. gerag 
des Weges zu moderniſiren. Bas kümmert 48.ben Calderam 
ab ſein Ulyſſes eigene ſpaniſchen Caballero gleicht? ‚oder vg 
Rarine,. ob feine Zrojghelden. dem Hofe Luduig's XIV. üb 

neln.?.. Haben. dach: felbft die hellenifchen Tragikes Kein. Bedin 
ten gehabt;, die alte Heroenwelt ihres Volkes mit dem. Far 
benſchmucke der. perikleifchen Zeit auszumalen !). Oder end 
es handelt ſich um ein großes Individuum. ‚Auch der Säle 
yifer freilich wird ſich zum Helden feiner Gefrhichte nur eis 
geifteöverivandten Mann auswählen: nur für, einen ſolch 
hann er ſich ganz inzereſſiren, nur ihn. ganz verſtehen, uud. af 
lebendige: Geftalt der, Nachwelt überliefern. Dem Dichter Hi 
gegen, mer hat es ihm wohl verargt, wenn er weiter, gings 
wenn en, fich jelbft feinen Helden. ſubſtituirte? wenn feine Da 
ther un Meiſter, feine: Fauſt und Mephiftopheles, jene Tan 
und, Antonfe, , einheitlich Pie: dualiſiſch „ Semmer nur Er .. 
warm}... 

Auch wo wwiſchen Prefie und Geſchicht. die Bramze vo 
wiſcht wird, da kann cd, ebenfo wie zwiſchen Philofophie url 
Geſchichte, Immer nur entweder jugentliche Untelfe, oder ben 
ginnender Verfall fein. Selbſt in dem Aeußerlichſten der Korg 
1 on. Der E Profaroinan , wie das birgeiche Sau 

Be: 


N . PR von Shakeſpeare „der bei dem geoßen„Banfen .in einen 
ganz anderen Rufe fteht, - bemerit Goethe jehr fein, --daß feine RömMGE 
3. 8. lauter eingefleifhte. Engländer ſeien: Werte Bd. 35, S. 370. — 















w 


_—— 


unterſchied der Poeſie und Geihlhte. 33 


hen vor in den Zeiten der noch nicht vollendeten, und 
nald wieder der ſchon gefuntenen Poeſie. So Hat fih | 
iſtoriſche Wifjenfchaft aller Orten mühſam und allmählig 
der Sage, die gleichfam eine Poeſie des ganzen Volkes 
und aus der Reimchronit u. f. w. in ihre eigentlichite 
ı emaneipirt. Im Zeitraume ihrer Alteröfchmäche wird 
ven dahin wieder zurückkehren, wie Die Griechen z. B. in 
inder's Zeit beweiſen. Mit hiſtoriſchen Epopðöen haben 
Römer in Ennius Zeit begonnen und in Silius Italicus 
ducan's Zeit geſchloſſen.Unſere deutſche Hiſtorie ift Gott⸗ 
ioch nicht fo weit. Bei unſerer heutigen Poeſie dagegen 
ı wir durchaus ſchon, daß fie entweder ſich mit den ge⸗ 
en Federn hiſtoriſcher und philoſophiſcher Wiſſenſchaft 
„Ober aber in der. flachen Alltäglichkeit des gemeinen He 
untergeht. Iſt es bei den —— anders geweſen, unter 
tachfolgeın des Euripides be zur neuexn Komdie herab⸗ 
t die vielen Lcherfegungen ausländifcher, Poeſien . die in 
noſten Zeit unſere Literatur darakterifiseu, haben mer 
edenkliche, daß: fie. den ypetiſchen Jitereſſe unveryierff 
ſtexijches, eihnographiſches unterſchieben. . Yag.Der. Ver 
ng zweier von Grund auß verſchiedenartigen Weiſtesrih 
hf tee Zeit ein n, hüheres Drittes herzargegangen. 


LE Fi v * 4 ð* . . 
Ent ’ RE Ba. 1117 Ban T HI Ga 
„vr . fe 2 
’ . rn Br . "y >. XL 
„oe. - “ . .. [2 RR —3. ⸗* 
ur 2.. Zur P ir. ‚213 . Pi. 22 
F Yıocı . “ .e 3 - — . . —8P u. ‚ . J 
34 ... Fri . . olonsndo Kali: b . + “ - sr 
- ® 2 pr] . . m [3 
3 J fr] .1 * 
.. is! 


⁊ lt. 7 


.. . .. , 
ir ‘ . 4, . 14 DO u Fu zus d - f ” r 
® .’.:” 1 Da — De | . 4 .1 una di ’ 24 are “ie 


Drittes Kapitel. 
"Werth der biftorifchen Runft. 
Fur dem Biſtoriker ſelbſt iſt dieſe Kunſt der eingige 
feine hoͤchſten Kräfte vollkontmen auszubilden; der einzige 
die Außenwelt und das eigene Herz klarer zw verſtehen 
völliger beherrſchen zu ternen. Sie iſt "Die Aufgabe uni 
Freude ſeines Libens. Mag er Gott, feinen Nächſten, 
ſich ſelbſt lieben: fe it der eigenthümbiche Boden, ati we 
ex feine Liebe am herrlichſten entſulten kann i). "Sitte x 
wie Heg el ſagt, find das Beſte des Künſtlers. 
Es llegt ſeht nahe, den üblichen Rangſtreit zwiſchen 
ſie, Philoſophie und Hiſtorie objectiv entſcheiden zu wi 
Don den Poeten und Philoſophen iſt man ſchon gew: 
daß fie ihre Kunſt, ihre Wiſſenſchaft für. die hoͤchſte überh 
ja für die einzige erklären. Vielleicht iſt es ein eigenthüm 
Vorzug des Hiſtorikers, die Subjectivität dieſer Frage er 
hen. — Suchen wir uns aber auf dem exoteriſchen S 
punkte feſtzuhalten, fo läßt ſich durchaus nicht läugnen, 
die Poeſie der Hiſtorie überlegen iſt an Allgemeinheit des 


— 


I!) C'est en cherchant & instruire les hommes, que Pon 
pratiquer cette vertu generale, qui comprend l’amour de 
Montesquieu. 


Objectivität ber hiſtoriſchen Wahrheit. 57 


ab. E vinculis quasi, wie Baeo Ipriht, e vincnlis 
aocinantur. Die einzige Anönahme von dieſer Regel bil 
die Eklektiker, die and den Dlüthen allerlei fremder Sy— 
e ihr eigenes zufammenpflücen: ein Syſtem freilich ohne 
rzel, das eben deßhalb auch gar bald vertrocknen muß. 
terhin auch ſolche Originalphiloſophen, die ſich immer nur 
en höch ſten Regionen des Denkens aufhalten, in einer 
emeinheit, wo jedes Detail verſchwindet. Dieſe natürlich 
freier im Stande, fih über tie Schranken ihrer Zeit, ih⸗ 
Volkes emporzufghteingen. 
Sm Ganzen aber, wie kann es anderd fein? Die wirk- 
n Bedürfniſſe eines Volkes, mögen fie Staat oder Kuuſt 
Recht betreffen, find auf die Dauer noch zu allen Zeiten 
edigt worden, Niemals bat fich ein Volk weder durch 
in und Scholaftiter, noch durch Nabuliften und Tyran— 
in eine unnatürliche Richtung hineinzwängen laſſen: eben— 
venig, wie die Grammatiker allein die Sprache Hilden. 
follte das auch, felbft abgefehen von alfer menschlichen 
heit und aller güttlichen Vorſehung, wie follte es nur 
lich ſin? Jene angeblichen Zwingherren, ſie ſind doch 
Beſtandtheile des Volkes ſelbſt; alle ihre Hülfsmittel, ſie 
eln doch nur im Volke ſelbſt: es müßten Archimedes fein, 
mierhalb ihrer Welt ſtänden! Spricht ein Philoſoph deß— 
die wirklichen Bedürfniſſe ſeines Zeitalters aus, — und je— 
greße Philoſoph hat es gethan — ſo kann es nicht feh— 
ſeine Speculationen müſſen in der Gegenwart ſelbſt oder 
sten Zukunft ihr praktiſches Ebenbild finden. — Freilich, 
n durch das Nachwachſen der Generationen das Volk all—⸗ 
ig ein anderes wird, da können die veränderten Menſchen 
veränderter Inſtitute bedürfen. Es wird fich ein Streit 
ann erheben zwiſchen Den Alten und den Jungen: jene 
en Das Bewährte noch ferner bewahren, dieſe die neuen 
irfnijfe auch mit neuen Mitteln befriedigen. Solche Kris 
wenn fie auf friedlichen Wege durchgeführt werden, hei— 


3b Vrolegomena. Kap. 3. 


gen Reformen; bei gemwaltfamer Durchführung Revolution 
Und wie das Meer ewig ſchwankt zwifchen Ebbe und Fli 
fo die Weltgefchichte zwifchen Auhezeiten und Kriſen. Nu 
zeiten, wo die Form dem Inhalte vollkommen entſpricht; 
fen, wo der veränderte Inhalt eine veränderte Form zu eg 
gen ſucht. Wenn nun zwei Philofophen das verfchiedenag 
politijche, oder äſthetiſche, oder juriftifche Glaubensbeke 
zweier folcher Parteien zum Syſteme verarbeiten: fo wi 
fprechen fie, richtig verftanden, einander nicht. Jeder von; 
nen faßt die lebhafteſten Wünfche, die tiefften Bedürfniſſe 
ner Partei in Worte. Beide pflegen diefe zwar für abſe 
Wünſche, abfolute Bedürfnifje audzugeben, allen darin & 
fie Beide. Mag der Todefche Staat vom platonifchen Di; 
noch fo verfehieden fein: philoſophiſche, fubjeetine Wake 
können fie beide haben. 

Aber der Menfh, wie Jacobi fagt, bedarf nie 
einer Wahrheit, die fein Geſchöpf ift, fondern einer Wat 
zugleih, deren Gefchöpf er if. Dieſe Wahrheit, ' ud 9 
Zeiten und an allen Orten gültig, Tann ihm die poſitive A 
ſenſchaft, kann ihm Die Gefchichte geben. Erkläre ich 2. | 

die Jury aus einem Nechtöprincipium für unvechtmäßig q 
tadelnswerth, fo mag das für Deutfchland wahr fein, 
England ijt es gewiß nicht wahr. Sage ih aber: Sie 
aus dieſer und jener Zeitrichting hervor, fie befördert % 
und jene andere Zeitrichtung, fie iſt nur unter diefen und: 
nen Bedingungen möglich, fie fteht mit der Volkövertreig 
der Preßfreiheit in diefem und jenem Zuſammenhange: 
habe ich bei gehüriger Beſchränkung auf das mir Delay 
entweder ſchlechthin wahr, oder fchlechthin falſch geurthe 
Während im erſtern Falle Parteiwünſche, Nationalvorurth 
u. ſ. w. unvermeidlich einwirken, ja als weſentliche Pofte 
die Rechnung aufgenommen werden müffen, und alles Su 
ben des Forfchers nur dahin gehen kann, perfünliche Rückſt 
ten auszufchließen ; fo find fie im letztern alle Dura 


Objectiv. b. hiſt. Wahrheit, Werth. Geſch. fd. Menſchh. im Allg. 39 


me Irrthum und der Sache felbit nach keinesweges noth- 
Imbig. 

Ircdem menſchlich gebilbeten Manne iſt die Frage natür⸗ 
„ was der Idealmenſch denken, thun und fühlen würde. 
dieſer einen Frage beruhen alle Moral⸗, alle Rechts⸗, alle 
fs und alle Staatslehren. Wenn fie der Philoſoph uns 
iwortet, fo pflegt er, bewußt oder unbewußt, fich felbit 
ufchieben; feine eigenen Ideen, feine eigenen Wünſche 
BVorfchriften für die des Idealmenſchen auözugeben. Der 
ee ift frei von Diefer Verwechfelung. Was in Staat 
Kirche, in Krieg und Frieden, in Kunſt und Wiſſenſchaft 
vortrefflichſten Köpfe, Theoretiker fowohl als Praktiker, 
eine ſowohl als ganze Völker, gedacht, gewollt und em⸗ 

haben, das ift feine Aufgabe aus allen Zeitaltern, 
Im Welttheilen zufammenzuarbeitn. Einen Idealmenſchen, 
BB er, Hat ed außer dem Herrn in der Wirklichkeit nie- 
BIS gegeben. Dem alfo forfcht er auch nicht weiter nach, 
bonach er ftatt deiten fragt, ſind Die Gedanken, die Forde⸗ 
Ingen und Empfindungen der ganzen Mienfchheit. 


Denn die Geſchichte, um auf den zweiten Punkt zu kom⸗ 
en, iſt nicht allein Bedürfniß für den einzelnen Hiſtoriker, 
dern Bedürfniß zugleich für die ganze Menfchheit. 
Ne jeder Menſch wohl einen Trieb beſitzt, alle größern Be- 
eiten feined eigenen Leben, weiterhin feiner Väter und 
Bnberen im Gedächtniſſe zu behalten, Tagebücher und Stamm⸗ 
kune darüber zu führen, um folchergeflalt den flüchtigen Au— 
mblik in die Kette des ganzen Lebens, Dad einzelne Famili— 
lied in die Kette des ganzen Haufed einzufügen: fo befigen 
1b die Inſtitute, die Völker und die ganze Menfchheit benz 
len Trieb. Der Begriff Menfchheit ift ein Product der 
kihichte. „Schon vor Agamemnon“, fpriht Horaz,. 










Schon: vor Agamemnon haben Helven gelcht, 
Diele Helden; doch alle, unbeweint * 


Werth der Biftorifchen ‚Runft. 





w 

; | “ 2 u . J * | | ’ 
‚Dritten Sattel. 0% 
J 

4 

n 


Ir ” Ä {4 ®. . " Pr J et * * 
35 Iyz» . ua N. ER J ! 


Bir den Sifioriter ſelbſi in viſ⸗ Shut der anzige ZU 
. feine hoͤchſten Kräfte "volkontmen andzublfven; der einzige 
die Außenwelt und das eigene "Herz klarer zu verſichen i 
vblliger beherrſchenzu fernen. ‚St Mi die Aufgabe And 
Freude ſeinch Libend. Mag er Gott, ſeinen Nähten; 
ſich ſelbſt lieben: fie iſt der eigenthümliche Boden, aif welchi 
er feine Liebe am herrlichſten entſulten kann 1). Seine Wer 
wie ‚Hegel fagt, find das Bete des Künſtlers. i 
Es llegt ſehr nahe, den blicken Rangſtreit zwiſchen Bel 
fie, Philoſophie und Hiſtorie objectiv entſcheiden zu wollen 
Bon den Poeten und Philoſophen iſt man ſchon gewohnt 
daß ſie ihre Kunſt, ihre Wiſſenſchaft für die höchfte überhaugg 
ja für die einzige erklären. Vielleicht ift ed cin eigenthlmlichl 
Vorzug des Hiſtorikers, Die Subjectivität dieſer Frage einzufl 
ben. — Suchen wir und aber auf dem eroterifchen Staud 
punkte feftzubalten, fo läßt ſich durchaus nicht läugnen, da 
die Poeſie der Hiftorie Überlegen iſt an Allgemeinheit des Ja 











— 


) C'est en cherchant & instruire les hommes, que l’on pei 
pratiquer cette vertu generale, qui comprend l’amour de 10 
Montesquieu. | 


Objectivitaͤt der biftorifchen Wahrheit. 35 


8 fir alle Verhältniffe ), alle Stände, Lebensalter und 
hlechter; die Philofophie dagegen an Unabhängigkeit von 
Sfahrung, an Untverfalität des Inhalts, an Einheit und 
wendigkeit der Form. Wenn auch Beides nicht in dem 
e, wie fie ſelbſt zu behaupten pflegen. Dagegen hat aber 
die Hiftorie wieder eigenthirmliche Vorzüge. Die Höchiten 
iſſe Deider finden ſich in ihr vereinigt. Mit dem Poeten 
fie die Seligkeit, lebendige Perfonen in’® Dafein zu ru⸗ 
mit dem Philofophen Die andere Seligkeit, das fcheinbar 
Iofe nach allgemeinen Grundfäßen anzuordnen. Und wei⸗ 
och | Ste allein fann eine Wahrheit geben, 
ür alle Völker, alle Zeiten in gleichem Grade 
kommen gültig iſt. 
Bei den poetiſchen Werfen hat man von jeher eingeſehen, 
re Wahrheit Feine ausſchließliche fit, mit andern Wor⸗ 
daß die verſchiedenartigſten Kunftlefftungen einander nicht 
derfprechen brauchen. Aber auch jedes philoſophiſche Sy⸗ 
fofern es nit Erfahrungsfähe, etwa über das 
liche Denkvermögen,, enthält, kann wirkliche Wahrs 
ur für die Geiftesverrwandten des Berfaſſers behaupten. 
ser daſſelbe Syftem gleichſam im Keime mit fich herumi⸗ 
wird feine Erklärungen als folche gelten laſſen. Halten 
18 zunächft an die praktiſche Philofophie, ſo finden wir 
Regel wenigftend, daß bier aprioriſch eonſtruirt wird; 
e Staat, das Recht, die Sitte, die Kunſt befchaffgn 
olle. Man bat fchr berſchiden⸗ Ausdrücke für dieſes 
llen aufgebracht. Sp’ redet man⸗ wohl z. B. davon, 
: Staat wahrhaft ſei, dem Rechte nach fei, von Natur 
fprünglich geweſen fei u. |. w.; allein bei näherer Un: 
ng findet fich doch immer ein mehr oder weniger aus⸗ 





Einem glücklich oder anglucuch Liebenden z. B. kann die poeti⸗ 
ſprache ſeiner Gefühle Genuß bringen 3 eine hiftorifche Aus ſprache 
t wird ſelten möslich ſein. 


3 * 


32 | Prolegomena. Kap. 2. 


















ge3 zu humaniſiren; Himmel und Erde, Fener und ik 
durch menfchenäßnliche. Dämone zu bevölkern; ja, Die Tij 
ſelbſt, Die Bäume und Steine mit menfchlichen Zungen x 
zu lajien. Oder c8 handelt ſich um vergangene Zeiten. U 
der Hiſtoriker wird die Brüde zu ihnen aus feiner. eig 
Zeit hinüberſchlagen. Nur was er nahe gefehen, kann ii 
duch Analogie das Verſtändniß des Entfernten auffchlieh 
Den Poeten Hingegen ijt es unverwehrt, ſobald die Schi 
feines. Werkes nicht darunter leidet, die vergangene Zeit. ge 
des Weges zu modemifiren. Was kümmert es den Calden 
ob fein Ulyſſes einem fpanifchen Caballero gleicht? oder \ 
Marine, . ob feine Trojahelden dem Hofe Ludwmig's XIV. 
nein? Haben doch felbit die Hellenifchen Tragikes Tein Bea 
ten gehabt, die alte Heroenmwelt ihres Volkes mit dem Fi 
benſchmucke der perikleifchen Zeit auszumalen ’). Der end 
es handelt fih um ein großes Individuum. Auch der Gi 
riker feeilich wird ſich zum Helden feiner Geſchichte nun ci 
geiftesverwandten Mann auswählen: nur für einen fold 
kann er fich ganz intereſſiren, nur ihn ganz verfichen, und. 
lebendige Geſtalt der Nachwelt überliefern. Dem Dichter E 
gegen, wer hat e8 ihm wohl verargt, wenn er weiter gie 
wenn .ex, fich jelbft feinen Helden fubftituirte? wenn feine I 
ther und Meifter, feine Fauſt und Mephiftopheles, feine % 
und Antonio , einheitlich ober dualiſiſch ‚, immer nur Er — — 
waren? 
Auch wo zwiſchen Preſe und Geſchichte die Gränze 
wiſcht wird, da kann es, ebenſo wie zwiſchen Philofophie ı 
Geſchichte, "immer nur entineber jugendliche Unreife, oder | 
ginnender Verfall fein. Selbft in dem Aeußerlichſten der Fe 
ſchon. Der Profaroman, wie das bürgerlihe Schauſp 


1) Selbſt von Shakeſpeare, der bei dem großen Haufen in eim 
ganz anderen Rufe fteht, bemerkt Goethe fehr fein, daß ‚feine Rög 
3: B. lauter eingefleifhte Engländer feien: Werte Bb. 35, ©. 370. \ 


Unterfchied der Poeſie und Geſchichte. | 3) 


jen vor in den Zeiten der noch nicht wollenketen, und 
al wieder der ſchon gefunfenen Poeſie. So Hat fih 
ſtoriſche Wiſſenſchaft aller Orten mühſam und allmählig 
er Sage, die gleichſam eine Poeſie des ganzen Volkes 
und ans der Reimchronik u. ſ. w. in ihre eigentlichite 

enaneipirt. Im Zeitraume ihrer Alteröfchmäche wird 
m dahin wieder zurückkehren, wie die Gricchen z. B. in 
nder’8 Zeit beweiſen. Mit Hiftoriichen Epopden haben 
dmer in Ennius Zeit Begommen und in Silius Stalicus 
ucan’3 Zeit geſchloſſen. Unſere deutſche Hiſtorie ift Gott⸗ 
och nicht ſo weit. Bei unſerer heutigen Poeſie dagegen 
wir durchaus ſchon, daß ſie entweder ſich mit den ge⸗ 
n Federn hiſtoriſcher und philoſophiſcher Wiſſenſchaft 
ober aber in der flachen Alltäglichkeit des gemeinen Le⸗ 
untergeht. Iſt es bei den, Helfenen, auders geweſen, unter 
tachfolgern des. Euripides bis zur neuer Komddie ‚herab? 
: Die vielen Ueberſetzungen auslandiſcher Poeſien die in 
ueſten Zeit unſere Literatur charakteriſiren, haben immer 
zedenkliche, daß fie Deu pyetiſchen Juntereſſe uuvermerkt 
ſtoriſches, ethnographiſches. unterſchieben. Auqq. der Ver⸗ 
ng zweier von Grund aus verſchiedenartigen Geiſtesrich⸗ 

iſt zu keiner Zeit ein hen Sp genen. 


r u. ir 
Far .. 4125* N . 


0: 2 
— ———— —— ern 2. 


32 Bu . Prolegomena. Kap. 2. 


ges zu humaniſiren; Himmel und Erde, Feuer und 
durch menſchenähnliche Dämone zu bevölkern; ja, Die 
ſelbſt, die Bäume und Steine mit menſchlichen Zungen 
zu laſſen. Oder es handelt. ſich um vergangene Zeiten. A 
der. Hiſtoriker wird die Brücke zu ihnen. aus ſeiner eig 
Zeit. hinüberſchlagen. Nur was cr nahe. geſehen, kann 
durch Analogie das Verſiändniß des Entfernten aufſchließen 
Den Poeten Hingegen. iſt es unvexwehrt, ſobald Die Schüuf 
ſeines Werkes nicht darunter leidet, Die vergangene Zeit. gerag 
des Weges zu modexniſiren. Bas kümmert eb den Calderonh 
ab, ſein Ulyſſes einenn ſpaniſchen Caballero gleicht? oder ben 
Racine,ob feine Trojahelden dem Hofe Ludwig's XIV. aß 
neln 72. Haben. doch: felbft. Die Hellenifchen Tragskeg Kein. Beden 
Een gehabt,, Die, alte Hexoenwelt ihres Volkes mit dem Yayı 
benſchmucke per: perifleifhen Zeit auszumalen ). Oder endlih 
es handelt ſich um ein großes Individuum. Auch der Hifleg 
riler freilich wird ſich zum Helden feiner Geſchichte nur einch 







Kann. ee fi) gang.ingereftsen, uur ihn gang verfiehen, un al 
lebendige Geftalt der Nachwelt: überliefern. Dem Dichter Hin 
gegen, mer hat e8 ihm wohl ;verargt, wenn er weiter ging] 
wenn -er,fich ſelbſt feinen Helden. fubftituite ?, wenn feine Wen 
ther und Meifter,. feine-Zauft-und Mephiftopheles, feine Taſſo 
und, Antonlo ' einheitlich ede dualiſiſ a , nmer nur Er ſelbſ 
waren 2 

Auch wo wiſchen Peeſe und Geſchichn bie Gränze ver 
wicht wird, da kann es, ebenfo wie zwiſchen Philoſophie unt 
Geſchichte, Immer nur entweder jugendliche Unreife, oder be 
ginnender Verfall fein. Selbſt in dem Aeußerlichſten der Forn 
ſchon. Der Profaroman , wie das birgeruighe Sqhauſpi⸗ 


1) PR von Shakeſpeare „der bei dem geoßen,.Banfen..in einem 
ganz anberen Rufe fteht, : bemerit Goethe jehr fein; daß ‚feine Röme 
3 B. lauter eingefleifhte: Engländer ſeien: Werke Bd. 35, ©., 370. 


Unterſchied der Poeſte und Geſchichte. | 53 


errfchen vor in den Zeiten der noch nicht vollendeten, und 
achmals wieder der ſchon gefuntenen Poeſie. So Hat fi 
e hiſtoriſche Wiſſenſchaft aller Orten mühſam und allmählig 
8 der Sage, die gleichfam eine Wocfie des ganzen Volkes 
, und aus der Reimchronit u. f. w. in ihre eigentlichite 
orm emaneipirt. Im Zeitraume ihrer Altersſchwäche wird 
eben dahin wieder zurückkehren, wie die Griechen z. B. in 
lerander's Zeit beweiſen. Mit hiſtoriſchen Epopden haben 
Römer in Ennius Zeit begonnen und in Silius Italicus 
d Lucan's Zeit geſchloſſen. Unſere deutſche Hiſtorie iſt Gott⸗ 
noch nicht fo weit. Bei unſerer heutigen Poeſie dagegen 
den wir durchaus ſchon, Daß fie entweder ſich mit den ges 
tgten Federn Hiftorifher und philoſophiſcher Wiſſenſchaft 
bt; „ober, aber in der flachen Alltäglichkeit des gemeinen Pe 
— untergeht. Iſt es bei den Helleuen auders geweſen, unter 
Nachfeigern des. Euripides bis zur neuexu Komdie herab⸗ 
It die vielen Ueberſetzungen ausländiſcher. Poeſien . die in 
neueſten ‚Zeit unfere Literatur charakteriſiren haben bnmner 
Bedenfliche, "daß. fie. deu hpetiſchen Jutereſſe uuvernierk 
hifqrijſes, ethnographiſcheg uuterſchiebenn. „ Yag.der. Ver: 
—F zweier von Gruud auß wverſchiedenartigen Geiſtesriha 
gen iſt zu Keine See ein aber Dyitted Fo 


De ae Te Zr u a. dm eyfai: 


AO ' * SBrolegomena; ‚Rap. 3. 


Und unbekannt, werben fie bedeckt von ewiger 
Nacht, weil fie des heiligen Sängers entbehren. 


Diefer Hellige Sänger foll der Stftoriter werden! Sp gicht 
Herodotos den Zweck feiner Geſchichte dahin an, daß die 
bewunderungswürdigen Thaten der Hellenen und Barbaren 
nicht ohne Ruhm blieben (I, prooem.). Plinius verſichert: 
Mir ſcheint es wor allem Andern fh zu fein, dasjenige nicht. 
untergehen zu laſſen ,was bie Unſterblichkeit verdient hat!) 
Wenn gerade die edelſten Männer um des Nachruhmes nl 
len gearbeitet haben, fo foll die Geſchichte ihre Beloh⸗ 
nung fein, ſoll die Strafe fein für die Schlechten. Praeci- 
puum, fügt Zarituß, manus annalium reor, ne virtutes 
sileantur, utque pravis dietis factisque ex posteritate et 
infamia metus sit 2), ' 


Dieß führt mich hinüber auf den Nutzen der Geſchicht⸗ 
ſchreibung für den einzelnen Leſer. Man pflegt bier 
wohl auf den unmittelbar praktiſchen Vortheil aufmerkſam 
zu machen, den die Betrachtung hiſtoriſcher Beiſpiele mit ſich 
führte. Dionyfios nennt die Gefchichte deßhalb eine Phi⸗ 
Iofophie in Beifpielen: ein Ausdruck freilich, der eben fo nie⸗ 
drige Ideen von der Philoſophie verräth, wie von der Ges 
ſchichte. Viele Hiſtoriker jedoch, von den Alten befonderd Po⸗ 
lybios, von den Neuern Guicciardini und die Engländer, Has 
‚ben ihre Werke allerdings hauptſächlich auf die praktiſche Be 
Ichrung eingerichtet. Hier follte der Leſer aus dem Erfolge 
bergangener Maßregeln lernen, wie ex felbit einmal unter ähn⸗ 
lichen Umftänden zu verfahren Hätte Sp ſpricht Livinsin 
feiner Vorrede: Hoc ıllud est praeeipue in cognitione re 
rum salubre ac frugiferum, omnis te exempli documenta 

1) Ep. V, 8. 

?) La historia es la madre de la verdad, emula del tiempo, 


depe"ito de las acciones, testigo de lo pasado, ejemplo y aviso de 
lo presente, advertencia de lo porvenir (Don Quixote Cap. 9.) 


Objectivitat der hiftorifchen Wahrheit. 35 


teſſes fie alle VBerhältniffe ), alle Stände, Lebensalter und 
eſchlechter; Die Philofophie dagegen an Unabhängigkeit von 
t Erfahrung, an Univerſalität des Inhalts, an Einheit und 
othivendigkeit der Korn. Wenn auch Beides nicht in dem 
ade, wie fie felbft zur behaupten pflegen. Dagegen hat aber 
ch die Hiftorie wieder eigenthinmliche Vorzüge. Die höchſten 
nüffe Beider finden fich in ihr vereinigt. Mit dem Poeten 
ilt fie die Seligkeit, lebendige Perfonen in's Dafein zu ru⸗ 
; mit dem Philoſophen die andere Scligkeit, das fcheinbar 
zellofe nach allgemeinen Grundſätzen anzuordnen. Und weis 
noch! Sie allein Tann eine Wahrheit geben, 
für alle Völker, alle Zeiten in gleichem Grade 
llkommen gültig ifl. | 
Bel den poetifchen Werken hat man von jeher eingefehen, 
ihre Wahrheit Feine ausſchließliche ift; mit andern Wor⸗ 
‚ daß die verſchiedenartigſten Kunftleiftungen einander nicht 
viderfpreihen brauchen. Aber auch jeded philofophifche Sy⸗ 
„ſofern es nit Erfahrungsſätze, etwa über das 
ſchliche Denkvermögen, enthält, kann wirkliche Wahr 
nur für die Geiftesverwandten des Berfaſſers behaupten. 
wer dafjelbe Suftem gleihfam im Keime mit ſich herum⸗ 
t, wird feine Erklärungen als folche gelten laſſen. Halten: 
uns zunächft an die praktiſche Philofophie, ſo finden wir 
er Regel wenigftend, daß bier apriorifch confirufet wird, 
der Staat, das Recht, die Sitte, die Kunſt beſchaffn 
ſolle. Man bat ſehr verſchiedene Ausdrücke für dieſes 
ſollen aufgebracht. : So’ redet man wohl z. B. davon, 
der Staat wahrhaft ſei, dem Rechte nach ſei, von Natur 
urſprünglich geweſen ſei u. |. w.; allein bei näherer Un⸗ 
hung findet ſich doch immer ein: mehr oder weniger auß- 


‚ Einem glüdlidy ober ungrüdtid) Liebenden z. 8. tann bie poetis 
usſprache feiner Gefühle Genuß bringen 3 eine hiſtoriſche Ausſprache 
Art wird ſelten möglich fein. 


3 * 


38 Prolegomena. Kap. 8. 


pen Reformen; bei gewaltſamer Durchführung Revolution 
Und wie das Meer ewig ſchwankt zwifchen Ebbe und Fin 
fo die Weltgefchichte zwifchen Nuhezeiten und Kriſen. Pub 
zeiten, wo die Form dem Inhalte vollkommen entfpricht, 4 
fen, wo der veränderte Inhalt eine veränderte Form zu mg 
gen fucht. Wenn nun zwei Philoſophen das verfchiedenuci 
politifche, oder äſthetiſche, oder juriftifche Glaubensbekenn 
zweier folcher Barteien zum Syſteme verarbeiten: fo will 
fprechen fie, richtig verftanden, einander nicht. Jeder von; 
nen faßt Die lebhafteften Wünſche, die tiefiten Bedürfniſſe 
ner Partei in Worte. Beide pflegen diefe zwar fiir abfoß 
Wünſche, abfolute Bedürfnijfe auszugeben, allein darin 
fie Beide. Mag der lodefche Staat vom platonifchen dd 
noch fo verfehieden fein: philoſophiſche, ſubjective Wake 
können fie beide haben. | 
Aber der Menfh, wie Jacobi fagt, bevarf nicht E 
einer Wahrheit, die fein ©efchöpf ift, fordern einer Wahre 
zugleich, Deren Gefchöpf er iſ. Diefe Wahrheit, ' zu a 
Zeiten und an allen Drten gültig, kann ihn die pofitive X 
ſenſchaft, kann ihm Die Oefchichte geben. Erkläre ich z. 
die Jury aus einem Rechtöprincipium für unvechtmäßig 
tadelnswerth, fo mag das für Deutjchland mahr fein, , 
England ijt ed gewiß nicht wahr, Sage ich aber: Sie 
aud dieſer und jener Zeitrichtung hervor, fie befördert 
und jene andere Zeitrichtung , fie tft nur unter dieſen und 
nen Bedingungen möglich, fie fteht mit der Volksvertr 
der Prepfreiheit in dieſem und jenem Zufammenbange :: 
habe ich bei gehüriger Befchräntung auf dad mir B 
entiveder fehlechthin wahr, oder ſchlechthin falſch gem 
Während im erftern Falle Parteiwünſche, Nationalvo 
u. f. w. unvermeidlich einwirken, ja als weſentliche Bo 
die Rechnung aufgenommen werden müffen, und alles © 
ben des Forfchers nur dahin gehen kann, perfünliche NRücl 
ten audzufchließen ; fo find fie im letztern Falle durche 


















Objectivität ber hiſtoriſchen Wahrheit. 37 


ngab. E vinculis quasi, wie Baeo Ipriht, e vinculis 
»rmoeinantur. Die einzige Anönahnte von diefer Regel bil 
m die Eklektiker, die and den Blüthen allerlei fremder Sy— 
eme ihr eigenes zufammenpflücen: ein Syſtem freilich ohne 
Surzel, das eben deßhalb auch gar bald vertrocknen muß. 
Beiterhin ach folche Originalphilofophen, die fich immer nur 
ıden höchſſten Regionen des Denkens aufhalten, in einer 
Mgemeinheit, wo jedes Detail verſchwindet. Dieſe natürlich 
nd freier im Stande, fich Über Die Schranken ihrer Zeit, ih⸗ 
3 Volfed emporzufehtuingent, 

Im Ganzen aber, wie kann es anders fein? Die wirk- 
hen Berürfniffe eines Volkes, mögen fie Staat oder Kunſt 
se Recht betreffen, find auf die Dauer noch zu allen Zeiten 
friedigt worden. Niemals hat fich ein Volk weder durch 
faffen und Scholaftifer, noch durch Rabuliſten und Tyran⸗ 
n in eine unnatürlihe Richtung hineinzwängen laſſen: eben= 

wenig, wie die Orammatifer allein die Sprache Kilken. 
ie follte das auch, ſelbſt abgefehen von aller menfchlichen 
eiheit und aller göttlichen Vorſehung, wie follte c3 nur 
sglich fein? Jene angeblichen Ziwingherren, fie find Doch 
r Beitandtheile des Volkes ſelbſt; alle ihre Hilfsmittel, fie 
mein doch nur im Volke ſelbſt: e8 müßten Archimedes fein, 
außerhalb ihrer Welt jtänden! Spricht ein Philoſoph deß— 
[6 tie mirflichen Bedürfniſſe feines Zeitalters aus, — und je- 
: große Philofoph Hat es gethan — fo Fan c8 nicht feh— 
„ feine Speeulationen müſſen in der Gegenwart ſelbſt oder 
hiten Zukunft ihe praftifches Ebenbild finden, — Freilich, 
un durch Das Nachwachſen der Generationen das Volk all 
hlig ein. anderes wird, da können Die veränderten Menſchen 
h veränderter Inſtitute bedürfen. Es wird fih ein Streit 
dann erheben zwiſchen den Alten und den Jungen: jene 
len. da8 Bewährte noch ferner bewahren, Dieje die neuen 
dürfniſſe auch mit neuen Mitteln befriedigen, Solche Kri⸗ 
, went fie auf friedlichen Wege durchgeführt werden, het 


AR Prolegomena. Kap. 3 


auch langſam zum Verwerfen 1). Weil ex die Menſchen kennt, 
ſo hütet er ſich, Uebertriebenes von ihnen zu fordern. „Das 
Element, worin ſich die Geſchichte bewegt, iſt der Sinn für 
die Wirklichkeit, und hierin liegen zugleich das Gefühl der 
Flüchtigkeit des Daſeins in der Zeit und der Abhängigkeit von 
vorhergegangenen und begleitenden Urſachen, dagegen das Be⸗ 
wußtſein der innern geiſtigen Freiheit und das Erkennen der 
Vernunft, daß die wirkliche Welt, ihrer ſcheinbaren Zufällig— 
keit ungeachtet, dennoch durch innere Nothwendigkeit gehunden 
it’ u 2), 

Solche Gefühle ergreifen und unwiderſtehlich ſchon bet der 
Betrachtung jeder Wirklichkeit. Das Studium großer Hiſtori— 
Fer fol fie Läutern und ordnen. Aus ihnen foll der Lefer ein- 
feben, daß ed auch in der Vergangenheit eine Gegenwart ges 
geben Hat, und auch in der Gegenwart eine Gejchichte gicht: 
ex foll die Gegenwart durch die Vergangenheit erleuchten, die 
Vergangenheit durch die Gegenwart lebendig machen. Indem 
die Geſchichte, ſagt Schiller, den Menſchen gewohnt, ſich 
mit der ganzen Vergangenheit zuſammenzufaſſen, und mit fciz 
nen Schlüſſen im die ferne Zukunft vorauszueilen: jo verbirgt 
fie Die Gränzen von Geburt und Tod, Die das Leben des 
Menfchen jo eng und fo drückend umſchließen; fo breitet jie 
optiſch täuſchend fein kurzes Dafein in einen unendlichen Raum 
and, und führt das Individuum nuvermerkt in die Gattung 
Ginüßer 5). — Wenn er mu Klar erkennt, Daß alles Große 
und alles Kleine im Leben nur den Grade nach verfihieden iſt; 
dag dieſelben Gefühle, diejelben Ideen und Leidenſchaften, Die 


1) Grundzüge der Hiſtorik, S. 86. 


2) Aus einer fchönen Abhandlung von Wilhelm Bumboldt: 
Berliner Akademie 1520, ©. 309. 


2) Werke, Bd. X, S. 334. (dev neuen Duodezausgabe). 


Objectin.b. HR. Wahrheit. Werth d. Geſch.f. d. Menfihh. im Mg. 39 


se Irrthum und der Sache felbit nach keinesweges noth⸗ 
endig. 

Jeden menschlich “ gebildeten Manne if die Frage natür- 
5, was der Idealmenſch denken, thun und fühlen würde. 
uf diefer einen Trage Keruhen alle Moral=, alle Rechts⸗, alle 
unfts und alfe Staatölehren, Wenn fie der Philofoph und 
antwortet, fo pflegt ex, bewußt oder unbewußt ſich ſelbſt 
nterzuſchieben; feine eigenen Ideen, feine eigenen Wünſche 
nd Vorfehriften für Die des Idealmenſchen auözugeben. De 
iſtoriker ift frei von dieſer Verwechſeling. Was in Staat 
dd Kirche, in Krieg und Frieden, in Kunft und Wiſſenſchaft 
e vortrefflichften Köpfe, Theoretiker ſowohl als Praktiker, 
inzelne ſowohl als ganze Völker, gedacht, gewollt und em⸗ 
unden haben, das ift feine Aufgabe aus allen Zeitaltern, 
m Welttheilen zufammenzuarbeiten. Einen Idealmenſchen, 
a er, hat es außer dem Herrn in der Wirklichkeit nie 
8 gegeben. Dem alfo forfcht er auch nicht weiter nad). 
zonach er ftatt defjen fragt, ſind die Gedanken, die Farde⸗ 
ngen und Empfindinigen der ganzen Menſchheit. 


Denn die Gefchichte, um auf den zweiten Punkt zu kom⸗ 
n, iſt nicht allein Bedürfnig für den einzelnen Hiftoriker, 
idern Bedürfniß zugleich für Die ganze Menſchheit. 
ie jeder Menfch wohl einen Trieb beſitzt, alle größern Be⸗ 
enheiten feines eigenen Lebens, weiterhin feiner Väter und 
nherrn im Gedächtniſſe zu behalten, Kagebücher und Stamm⸗ 
sme darüber zu führen, um folchergeftalt den flüchtigen Au⸗ 
iblick in die Kette des ganzen Lebens, das einzelne Famili⸗ 
lied in die Kette des ganzen Haufes einzufügen: fo Befigen 
4 die Inſtitute, die Völker und die ganze Menfchheit den⸗ 
sen Trieb. Der Begriff Menfchheit ift ein Product dei 
ſchichte. „Schon vor Agamemnon“, fpriht Horaz,. 


Schon vor Agamemnon haben Helden gelebt, 
Diele Helden; doc) alle ‚ unbeweint u — 


46 Prolegomena. Kay. 3. 


gen in die Stille des Landlebens: nicht in ein reizendes Hoe 
erat in votis, fondern in eine arınfelige, ſchmutzige Bauern: 
welt, die den Staliener, den Diplomaten doppelt anckeln 
mußte. Um des täglichen Brotes willen denkt er fogar daran, 
Schreiber oder Dorfichulmeifter zu werden! Des Vormittags, 
fo berichtet er an Vettori, fit er im Vogelheerde; nach der 
Mahlzeit ſpielt er im Wirthshauſe Karten mit gemeinen Bau⸗ 
een, zanft mit ihnen, und denkt wohl mitunter, ob fich das 
Schickſal nicht ſchämen wird, ihn Immer fo zu behandeln, 
Wenn dann der Abend fommt, fo fährt ex fort, da kehre ich 
nach Haufe zu meiner Studierftube zurüd, Vor der Thüre 
werfe ich den bäuerifchen und ſchmutzigen Anzug ab; ich lege 
Feierkleider an, und alſo, anfländig geſchmückt, erfcheine-ich 
am: Hofe jener Alten, mo. ich, liebevoll aufgenommen, mich 
an der. Speiſe erquicke, für die ich einzig geboren bin; wo ich 
‚mich nicht ſcheue, wit ihnen zu veden, fie um die Urſachen 
ihrer Thaten befrage, fie ‚aber. voll von Humanität mir aut 
worten. - Und vier Stunden. hindurch fühle ich Keinen Kum⸗ 
mer, vexgeffe jeder Sorge, fürchte die Armuth nicht, und felbft 
der Tod hat Feine: Sqhrecken Mi mich. 3“ verliere mich ganz 
in n ihren N, an. in 
Ich komme auf denſelben Punkt Au, v von wo ich aus⸗ 
gegangen bin. Wir ſahen, für den Hiſtoriker ſelbſt war dag 
Geſchichtswerk ein: Mittel, ‚feinem hiſtoxiſchen Kunſttriebe Ge⸗ 
nuͤge zu leiſten. Nunhat aber jedweder, irgend vollſtäudig 
organiſirte Mari hoc. wenigſtens »etwas von hiſtoriſchem 
Kunſttriebe; wie ſer auch euyas von poetiſchem, etwas bon mu⸗ 
filaltfchem, etwas von philoſophiſchem Kuuſttriebe Hat. Nicht 
in. dem Grade, wie der Künſtler von, Fach, daß er ſich zu 
eigenen Schöpfungen. begeiftert fühlte, . Aber doch fo viel, day 
er an der Hand des wirklichen Künſtlers fein Bedürfniß nach 


ı) Machiavelli Lett. famil. JM 26. 


Werth der Geſchichte für den Einzelnen. 47 


pfinden, fein Werk nachfchafien, feine Freude nachgenießen 
nn’), Wie alle Bildung überhaupt in der Erweckung und 
friedigung neuer Bebürfniffe befteht, fo tft alle Kunit= und 
iſſenſchaftsbildung inäbefondere Hierauf berechnet. 


. 


1) Verſtehen und Sprechen find nur verfchiebenartige Wirkungen 


elben Sprachkraft: Wild. Humbelbt, neder die Kawis Sprache, 
1, ©. LXX. 


« P\ . DM 
on .. "n ' Aare. Bun sul. - .. * 
’ 
® 
n. ”. 
rı- r tı 1 x $: ’ Hin ».ı 
| 2 Lee ee ch 
. “f b dırı 2. 
a ze Msn „7 ——— 
4 ⸗ 353 * 3— . 22260 — 
.. RES Er EA 1 6) 300) FT Ei a EEE 
. . un ' 9’ ‘ . \ Par ! ‘ . . “ . . ⸗ 
Se 
u) m hr lee wit ati 
lat... tel. mini. | 
a Warkjt 2. nr Op 
Ar .. ⸗ ‘ N - Da 
BAR ee 177 17) | ER BB LTE HERE 
N ĩ 
* — * Pappe ” : .‘ .. - Pr 
2 ind d⁊ .u.. , sl) —V 3 7 
mit Teıgn . on een 
Elli al) 2 NV PD n. j. , 
.N12 9 . ege,tir ‘ FR . ’ 
are . Na. .. i..3. iur 
N a Tafeie LIT. aD un 
. ”. . R - 5 ..- 
ou hbbhstt 1a. DIDI haha. PU 
i nt It —— 
H ıyı je 2.13 . ⁊ NY “ R 59 u... “ 
en Fans 
r 2 m: . 
D er ‘ D . , - 
1, . i PArErw VE Fe 
' ... t 3; % 


50 Prolegomena. Kap. 2. | 


fehors der bloße Gedanke, ein Ereigniß, wie die Neformation, 
einen Staat, wie Defterreich, durch eine einzige Tendenz wirk— 
Fe charakteriſiren zu können, von der genligfamften Un⸗ 
wiſſenhrit. Der vortreffliche Windelmann, in deifen Zeit 
fi freilich weder die Philoſophie, noch die Geſchichte zu ihrn 
nachmaligen Hohe entwickelt haite, beklagt ſich, weil er zu 
[HER damit Begounen habe, fo ſei ihm. das Weſen der Schi 
helt immer dunkel geblichen iy. Schr: begreiflicht: Den BE 
geiff Schönheit zu definiren, und danach die einzelnen Kunſ 
we Ki behandeln, iſt eine eigenthümlich philoſophiſche Ars 
BZu ceiuer ſolchen aber hatie Winckelmann, als rein his 

—* Kopfnatuͤrlich beine· Aulagennd · es war Selbſtver 
konaung/ vos er. in Dies Bon Abetpatipt nur hineinpfuſchen 
weilte... u 

1... Der nteiſchlid. wiſchen⸗ Beetie u. Geſchichte 5 

Gr vornehmlich auf. dem Yerfpalte, Nicht allein · die ap 
Fotm iann Diefelbe: fein, 4-48 giebt Reimchtoniken - und 
finumans: — ſondern auch Die’ ganze Methode der Därftellung!‘ 
In jedem guten Schauſßietet, jevem- guten Romane geht d 
Schilderung der Charaktere Die Borbeteitung ber Haupteffecte; 
bie ganze Plaſiit Zer Darſtellung faft auf dieſelbe Weiſe une 
ſichwie im hiſtoriſchen Kimſtwerke. : Ster Tann wechfelſeih 
unenblich Vieles gelernt werden. : Dei radicale Un 
zwiſchen beiden beſteht nen darin, daß“ es dem Dichter‘ af 
nucht darauf ahfeinmt-, vb ſeine Darſtellung mit der Wirklich⸗ 
kei eongruire. Dem Hiſtoriker iſt dieſe Congruenz nothwen⸗ 
dr Wenn eine Dichtung in manchen: Stücken hiſtoriſche 
Ttene beſitzt, "wie zB. Goethe's Egmont und Gi, Schil⸗ 
lers Wallenſtein's Lager, Shakeſpeare's Cäſar u. A. m., fe 
AR das für den Dichter ſelbſt weniger Zweck, ala Erleichte⸗ 
‚ring. Er muß feinen Charakteren innere Wahrheit verleihen,‘ 
muß die Umſtände rings umiher mit ihnen in Einklang fehen:: 


1) Kunftgefhichte, IV, 2, 6. 


Praftiicher Werth ver Geſch. für den Einzelnen. - Ad 


m Homer einft, im Sokrates und Alerander die Welt entzück, 
Heuchtet und bezwungen haben, auch in ihm jetzt thätig find, 
md wäre er der Geringiten Einer; Daß alles Dienjchliche dein- 
ben Geſetze des Werdens, Blühens und VBergehend gehorcht: 
seh ein Gefühl won Schmerz und Luft, von Demuth und 
Stolz wird feine Bruft exheben, ihn zu edlem Entfchluffe, zu 
sännlicher That erglühen laſſen! Wie Hein, wie beſchränkt 
md vergänglich wird er fich felber fcheinen dem Ganzen gegenz 
ker; wie groß, wie frei und unſterblich im Wirken durch und 
ir das Ganze! 


Jedes edle Herz noch hat won Der Kunſt ein Mittel bes 
chrt, „die Angſt des Irdiſchen won ſich zu werfen, ſich aus 
em engen, dumpfen Leben in das Reich der Ideale hinauf⸗ 
nflüchten.“ uch die Htitorie gewährt dieß Mittel. Sie rüt⸗ 
bh den Leſer heraus aus dem Schlafe der Gewöhnlichkeit: er er 
M Auge und Urteil an großen Dingm: üben; er ſoll abfe 
ka non den Staube und Schmutze feiner nächſten Umgebung, 

die Glieder feines Geiftes in der freien Luft großer Hijte- 
ſcher Gefilde umhertummeln. Gier kommt es darauf an, 

anf eine Hoͤhe zu ſtellen, wo ‚Die Reiche der Erde zu feinen 
üben Liegen, wo die Völker in Heerſchau an ihn vorüberzie— 
‚wo die Heroen der Vergangenheit mit ihm Geſpräche hal 

Bon hier aus wird er freier in Die Beſchränkungen feines 
ſes, reicher im ſich felbit zurückkehren 1). So verſichert 
lutarchos, als er feine Lebensgeſchichten abgefaßt, da ſei 
durch den täglichen Umgang mit ſo viel großen und guten 
ännern ſelbſt auch größer und beſſer geworden. Am herr⸗— 
Bhften redet hiervon das Zeugniß des Machiavelli. Ma—⸗ 
kivelli war feiner Aemter entſetzt, : verbannt. und gefoltert. 
erden. Von bitterer Noth gequält, hatte ex fich zurückgezo— 








1) Bol. die fehr verwandten Betrachtungen, welche Schiller über 
e Macht des Gefanges anftellt. 
















32 0 be Prolegomena. Kap. 2. 


ges zu humaniſiren; Himmel und Erde, : Bener und Mien 
durch menfchenähnliche. Dämone zu bevölkern; ja, die Thin 
ſelbſt, die Bäume und. Steine. mit .menfchlichen Zungen reden 
zu laſſen. Oder es handelt fih um vergangene Zeiten, : An 
der. Hiſtoriker wird Die.Brüde zu ihnen. auß feiner. eigen 
Zeit! hinüberſchlagen. Nur. wa3 er nahe gefchen, kann ihn 
durch Analogie, da8:: Verſtändniß des Entfernten aufichlicheng 
Dem Poeten hingegen iſt es unvexwehrt, fobald die Schünkd 
feines. Werkes nicht. darunter leidet, Die vergangene Zeit. geng 
des Weges zu moderniſiren. Was kümmert es den Calderor 
ab, fein Ulyſſes einem ſpaniſchen Caballero gleicht? aber b 
Rarine,. ob feine Trojahelden dem Hofe Ludwig's XIV. 
neln 7. Haben. dach: felbit. die helleniſchen Tragiko kein er 
ten :gehabt;,,. die, alte Hegvenmelt ihres Volkes mit dem. 7— 
benſchmucke der. perikleiſchen Zeit auszumalen ). Oder endt 
es handelt ſich um ein großes Individuum. Auch der Hi 
viker freilich wird ſich zum Helden feiner Geſchichte nur ein 
geiſtesverwandten Mann auswählen: nur für einen ſolch 
Sam. er ſich ganz intereſſiren, nur ihn, ganz verſtehen, uud — 
lehendige Geſtalt der. Nachwelt überliefern. Dem Dichter hi 
gegen, mer hat es ihm wohl verargt, wenn er weiter, ginz 
wenn exnſich ſelbſt feinen Helden ſubſtituirte7 mern feine Tg 
ther und Meifter,. feine Fauſt und Mephiftopheles, feine. Ta 
und Anianle einheitlich oder dualiſtiſch Jemen nur Er r 7 
waren 7. 
Auch wo wiſchen Prefie und Geſchicht. bie Seänie 
wifcht wird, da kann c8, ebenfo wie zwiſchen Philofophie um 
Gefchichte‘, mer nur entweder jugendliche Unreife, ober 1 
ginnender Verfall ſein. Selbſt in dem Aeußerlichſten der Kon 
ſhe on. Der Proſaroman, wie Das birgeliche Sqeuſt 


J 5 - Selbſt von Shakeſpeare, der bei dem grehen Ganfen..in e 
ganz anderen Rufe ſteht, bemerkt Goethe ſehr fein, daß, feine Ror 
3: B. lauter eingefleiſchte: Engländer ſeien: Werte Bd. 35, S. 370.4 


Werth ver Geſchichte für ven Einzelnen. 47 


inden, fein Werk nachfchafien, feine Freude nachgenießen 
1). Wie alle Bildung überhaupt in der Erweckung und 
fedigung neuer Bedürfniffe beſteht, fo tft alle Kunft= und 
enfchaftöbildung insbeſondere hierauf berechnet. 


= 


) Berfichen und Spredhen find nur verichiebenartige Wirkungen 
en Sprachkraft: Bi Humboldt, Ueber bie Kawi⸗ Spraqhe, 
S. LXX. 


. .ν . an 
% 
© 
. 
N vn or 
j 1 rt dd 1 FB LA j) : ir 
. ‚ yo.°. 
! £ 4 311.03 
+ 
„ii 1 ni: 4 437 int ; 
ur ⸗ «}i> r Fi » 0,0% .. 
nr N êä—°x: GBI 
* X . \ [1 FR ' .' .. . . " . 
Be Re PT EA GERT Ur v7 EEE ET * 
’ j " r. 
’ 23 Pr En N 1 ! 
.. . ... ‘ . . “ 
rm .. u .. g — , L 
Wahito.. bone po, 
wc. mp ne lea 
2. a — Von .‘ '.. res 
Ps NuET > .u. . :; it’ v.. ... 
Ya. . - D 3. 
14. „al vo. A 4 
ln... Bu so Pe EEE . Pi 
. B : ... * Fan 
13.0 ! f it. 1, I 
J 24 11 J 
“ . 
30* ⁊ 411*06. 
ii, 
“ 
f 


Werth der Biftorifchen Kunſt. 
Whole | 





fine m. \ 3 , re Di . 
3,5 Yes „9 . 4 e si * 


Hr ven Siföritir fetsf m Dee Shunf der Ariige 
Ä feine höchften Kräfte vollkontmen audzubilden; der einzige R 
die Außenwelt md das eigene Herz klarer zu verſtehen 
vblliger beiherrſchen nu fernen. Ste Mt die Aufgabe und 
Freude fehreg Ehbchd. Mag er Gott, feinen Nächften, ı 
ſich ſelbſt lichen: fie N der egenithüniliche Boden, auf meld 
er Teine. Liebe amrhecrlichſten ehtfalten kann i). Seine We 
wie Hegel ſagt, find’ das Bett des Künſtlers. 
SE Mege ſeht nahe; den Üißlichen Rangfteeit zwiſchen — 
ſie, Philoſophie und Hiſtorie objectiv entſcheiden zu wol 
Von den Poeten und Philoſophen iſt man ſchon gewol 
daß fie ihre Kunſt, ihre Wiſſenſchaft für. die höchſte überhan 
ja für bie einzige erklären, Vielleicht iſt es ein eigenthümli 
Vorzug des Hiftoriterd, die Subjectivität dieſer Frage einz 
ben. — Suchen wir und aber auf dem eroteriichen Sta 
punkte feitzuhalten, fo läßt fih durchaus nicht läugnen, 
die Poefie der Hiftorie Überlegen ift an Allgemeinheit des 


—. 


') Cest en cherchant à instruire les hommes, que Fon | 
pratiquer cette vertu generale, qui comprend l’amour de ıt 
Montesquieu. 


Obiectivitat der hiſtoriſchen Wahrheit. 35 


ſſes für alle Verhältniffe !), alle Stände, Lebensalter und 
chlechter; Die Philoſophie dagegen an Unabhängigkeit von 
Srfahrung, an Univerfalität des Inhalts, an Einheit und 
thwendigkeit der Form. Wenn auch Beides nicht in dem 
ade, wie fie felbft zu behaupten pflegen. Dagegen hat aber 
h die Hiftorie wieder eigenthinnliche Vorzüge. Die höchſten 
nüſſe Beider finden fich in ihr vereinigt, Mit dem Poeten 
It fie die Seligkeit, Lebendige Berfonen in's Dafein zu ru⸗ 
; mit dem Philofophen die andere Scligkeit, das fcheinbar 
jellofe nach allgemeinen Grundſätzen anzuordnen. Und wei⸗ 
noch! Sie allein kann eine Wahrheit geben, 
für alle Völker, alle Zeiten in gleihem Grade 
(kommen gültig if. 
Del den poetifchen Werten hat man von jeher eingefehen, 
ihre Wahrheit Feine ausſchließliche iſt; mit andern Wors 
daß die verſchiedenartigſten Kunftleiftungen einander nicht 
überfprechen brauchen. Aber auch jedes philofophifche Sy⸗ 
‚ fofern es nit Erfaprungsfäge, etwa über das 
liche Denktvernögen, enthält, Tann wirkliche Wahr 
nur für die Geiſtesverwaudten des Berfaſſers behaupten. 
wer daſſelbe Syſteni gleichſam im Keime mit ſich herum⸗ 
wird feine Erklärungen als ſolche gelten laſſen. Halten 
ms zunächſt an die praktiſche Philofophie, fo- finden wir 
e Regel wenigſtens, daß Hier aprioriſch conſtruirt wird; 
er Staat, das Recht, die Sitte, die Kunſt befchaffgn 
folle. Man bat ſehr verſchiedene Ausdrüucke für dieſes 
ollen aufgebracht. So’ redet man⸗ wohl z. B. davon, 
x Staat wahrhaft ſei, dem Rechte nach fei, von Natur 
efprünglich geweſen fei u. ſ. w.; allein bei näßerer Un- 
ung findet ſich doch immer ein: mehr oder weniger aus⸗ 





Einem glücklich oder anglucuch Liebenden 3. B. kann die poeti⸗ 
zſprache ſeiner Gefühle Genuß bringen; eine hiſtoriſche Aus ſprache 
rt wird ſelten möglich fein. 


3 * 


30 Prolegomena. Kap. 4. 


geiftlichen Wurzeln erwächſt, jo knüpfen ſich auch Die Anna 
urſprünglich an religieje Seite, religiöje Mionumente an. 4 
Griechenland 3. DB. an die Sieger in ten großen Spielen, ; 
die Weihgeſchenke Der großen Tempel; zumal feit es i 
wird, jenen Siegen BVildſäulen zu errichten, dieſe We 
Schenfe mit Inſchriften zu verſehen. Solche Dionumente Si 
Haltpunkte für die flüchtige Ueberlieferung. In Aegypten 
fi die Gejchichte niemals über eine ſelche Dionumentalde 
erheben können. Bei dar Römern ſchloß ſich Die Famil 
tradition der adligen Geſchlechter vorzugoweiſe an die M 
bilder an. Der oberſte Bentifer führte Die Annalen des S% 
tes, wobei religiöſe Feierlichkeiten, Jahreswechſel u. dal, 
den Anlaß gaben. Ju der germanischen Welt haben die & 
lichen Feſtbücher, worin Oſtern, Pfingjten u. f. w. calen 
riſch verzeichnet jtanten, die Örundlage der Aunalen gebif 
— Jede Geſchichtſchreibung Diefer Art kann natürlich bloß fü 
mentariſch fein. Cie flichet das Detail, das nun von, 
unfihern Mythe ergänzt werden muß. Sie ift auf das Ey 
an Drt und Tag gebunden, ohne Plan, ohne Auswahl, | 
ber die geringfügigjten Kleinigkeiten, Gewitter, Feuerökrig 
denfelben Raum einnchnen, wie die wichtigiten Schlach 
Die Annalen find getreu, denn eine Verarbeitung der Er 
niſſe iſt kaum werfucht. Der perfünliche Charakter des Be 
ferö leuchtet noch beinahe nirgends hervor. | 
Aus diefen Annalen entwickelt fih De Chronik, 

in der hifterifchen Literatur dieſelbe Nolle ſpielt, wie in 
poctifchen Das Epos, Sie ift überall die erfte Stufe der kr 
mäßigen Geſchichte geweſen. — Die Chroniſten, wie 
cero ſpricht, ſind non exornatores rerum, sed tantumm 
narratores, d. h. fie denken lediglich am treue, wenn's: 
kommt, geſchmackvolle Ueberlieferung des Geſchehenen, 
irgend einen praktiſchen Nutzen zu beabſichtigen, oder in 
Tiefen der Dinge hinabſteigen zu wollen. Wie es geſcheh 
ſt, das erzählen ſie; das Wozu, das Warum liegt jenß 


Praftiicher Werth der Geſch. jür den Einzelnen. AB 


omer elnft, im Sokrates und Alerander die Welt entzückt, 
chtet und bezwungen haben, auch in ihm jet thätig find, 
wäre er der Geringiten Einer; Daß alles Menſchliche dans 
n Geſetze des Werdens, Blühens und Vergehens gehorcht: 
y ein Gefühl ven Schmerz und Luſt, von Demuth und 
z wird feine Bruſt erheben, ihn zu edlem Entfchluffe, zu 
tliher That erglühen laſſen! Wie Hein, wie bejchräntt 
vergänglih wird er ſich felber fcheinen dem Ganzen gegen 
; wie groß, wie frei amd unsterblich im Wirken durch und 
a3 Ganze! 


Jedes edle Herz noch hat won der Kunſt ein Mittel bes 
, „die Augſt des Irdiſchen ven ſich zu werfen, fich and 
engen, dumpfen Leben In dag Reich der Ideale hinauf⸗ 
chten.“ Auch die Hiſtorie gewährt dien Mittel. Sie rüt⸗ 
ven Lefer herans and dem Schlafe ver Gewöhnlichkeit: ‚er 
Auge und Urtheil an großen Dingen üben; er Toll abfe 
son den Staube und Schmutze Feiner nächſten Umgebung, 
die Glieder feines Geiſtes in der freien Luft großer hiſto⸗ 
t Gefilde umbertinnnieln. - Hier kommt e3 darauf an, 
nf eine Hehe zu ‚stellen, wo die Reiche der Erde zu feinen 
ı liegen, wo die Völker in Heerſchau an ihm woräberzire 
wo die Herden der Vergangenheit mit ihm Geſpräche hal 
Bon hier aus wird er freier in. die Beſchränkungen feines 
8, reicher in fich felbit zurückkehren ). So verfichrrt 
tarchos, alö er feine Lebensgeſthichten abgefaßt, da ſei 
rch Den täglichen Umgang mit jo. viel großen und gutoi 
nern ſelbſt auch größer und beſſer grworden. Aut. herr⸗ 
n redet hiervon das Zeugniß des Muchiavelli. Mas 
Mi war feiner Aemter eutſetzt,: verbaunt. und gefoltert; 
en. Bon bitterer Neth gequält, ‚hatte: ex ſich zurückgezo— 





Vgl. die ſehr verwandten Vetrachtungen,— weiche Schitter über 
acht des Geſanges anſtellt. , 


A6 Brolegomenn. Kay. 3. 


gen in die Stille des Landlebens: nicht in ein reiendes Hoe 
erat in votis, ſondern in eine armſelige, ſchmutzige Bauern⸗ 
welt, die den Italiener, den Diplomaten doppelt anckeln 
mußte. Um des täglichen Brotes willen denkt er fogar daran, 
Schreiber oder Dorfichuhmeifter zu werden! Des Vormittags, 
fo berichtet er an Vettori, fit er im Vogelheerde; nach der 
Mahlzeit fpielt er im Wirthähaufe Karten mit gemeinen Bau⸗ 
ern, zankt mit ihnen, und denkt wohl mitunter, ob fich dad 
Schickſal nicht ſchämen wird, ihn immer fo zu behandeln, 
Wenn dann der Abend fommt, fo fährt er fort, da Eehre ih 
nach Haufe zu meiner Studierftube zurück. Vor der Thüre 
werfe ich den bäuerifchen und ſchmutzigen Anzug ab; ich lege 
Feierkleider an, und alfo, anſtändig geſchmückt, erſcheine ich 
am Hofe jener Alten, mo. ich, liebevoll aufgenommen, mich 
gn der. Speife erquicke, für die ich einzig geboren bin; wo ich 
mich nicht fchene, mit ihnen zu reden, fie um die Urſachen 
ihrer Thaten befrage, fie aber. vol von Humanität. mir auts 
worten.. - Und vier Stunden ‚hindurch fühle ich keinen Kum⸗ 
mer, ‚vergeffe jeder Sorge, fürchte die Armuth nicht, und felbft 
"der Tod hat Feine: Sieden für mid. 3“ verliere nich ganz 
in n ihren N) in Fi 
Ich komme auf denſelben Punkt aut, von wo ich ans⸗ 
—8 bin. Wir ſahen, für den Hiſtoriker ſelbſt war das 
Geſchichtswerk ein Mittel, ‚feinen hiſtoxiſchen Kunſttriebe Ge 
nũge zu leiſten. Nun hat aher jedineder, irgend vollſtäudig 
erganificte. Menſch doch weuigſtens »etwas von hiſtoriſchem 
Kunſttriebe; wie ſer ach euyas von poetiſchem, etwas von ums 
ſikaliſchem, etwas von lien Seunfttriche Hat. Nicht 
in.dem Grade, wie der Künftler von, Zach, daß er fich zu 
eigenen Schöpfungen. begeiftert fühlte, . Aber doch fo viel, daß 
er an der Hand des wirklichen Künftlers fein Bedürfniß nach 


ı) Machiavelli Lett. famil. /M 26. 


Werth der Geſchichte für den Einzelnen. 47 


inden, fein Werk nachfchaften, feine Freude nachgenießen 
1). Wie alle Bildung überhaupt in der Erweckung und 
edigung neuer Bedürfniſſe beiteht, fo tft alle Kunft= und 
mfchaftöbildung inöbefondere Hierauf berechnet, 


% 


) Berfiehen und Sprechen find nur verichiebenartige Wirkungen 


en Sprachkraft: Wild. Humboldt, Heber die Kawis Gpradye, 
‚6. LXX. 


VE ER 
[3 
— ® 
. 
Ei CK Enter 
I. mt Dr ent ni ho in 
a Ge EEE 7 are 
nr NIEDER .: 
u FE Pa ET GE, BEER 21 71 77101000 Die BE 
Eder nn 1m au 
Fe 7 1 2 7 A oe En SE BEE ı 
Mahl, ron ng it.. 
Dun. mp ne Sean 
ME Tre [173 ArReN Era : 
char ind nn. 
TODE 1. FIR 
om Pa u A 9 
us D ar, Ir 14 It il, wc ul N} 
u ft vn 
f TEA Y B wir Er IE Fe Eure 
I .N 
‚ 7 


30 Briolegomena. Kap. 2. 


ſchotr der bloße Gedanke, ein Ereigniß, wie die Reformation, 
einen Staat, wie Oeſterreich, durch eine einzige Tendenz wirk 
boch charakteriſiren zu. können, von der genügſamſten Un⸗ 
wiſſenhrit. Der vortreffliche Windelmann, in deſſen Zeit 
fig: freilich weder die Philoſophie, noch die Geſchichte zur ihrn 
nachmaligen Hohe eutwickelt halte, beklagt ſich, weil er zu 
ER damit begonnen habe, fo fe ihm das Weſen der Schoͤn— 
helrrimmer dunkel geblieben 1); . - Schr: begreiflicht Den Be 
geiff Dchonheit zu definiren,“ und danach die einjelnen Kumfle 
werke zu behandeln, iſteine eigenthümlich phileſophiſche Ars 
beit = Zar ten ſolchen· aber hatte Winckelmann, als rein hi 
ſtoriſcher⸗ Kopf/tiatürlich beine· Aulagee· und es war Selbſtoer⸗ 
konaung va er: in dieſes Geblet abethaupt nin hineinpfuſche 
weilte.‘ FREE PB For BER U are FE Po Bere: 
. Der atewſhlid zwlfegeh:B defse und Seſchichte Ger 
herr vornehmlich auf-Dene Inhalte. Nicht allein sie aͤußerlichſte 
"Ya Eann dieſelbeſein, 4-48 giebt Reimchroniken und Pro⸗ 
finumane: — ſondern auch Die ganze Methode der Darftellung: 
In jedem guten Schaufpiele,: jedem guten Romane "geht die 
Schilderumg der Charaktere‘; die Vorbeteitung ber Haupteſſecte, 
vie ganze Plaſtik 2er Darſtellung faſt Auf: dieſelbe: Weife vor 
fig, Wie im hiſtoriſchen Kimſtwerke. . Hier kann wechfetfeittg 
unendlich Vielts gelernt· erden Det radieale Uuterſchi⸗ 
zwiſchen Heiden beſteht num datin, daß“ es dem Dichter: gan 
nicht darauf ankommt, ob ſeine Darſtellung mit der Wicklich⸗ 
Fer: eongruire. Dem Hiſtoriket iſt dieſe Eongruenz nothwen⸗ 
bie Wenn eine Dichtung in manchen Stücken hiſtoriſche 
Treue beſitzt, wie zuo B. Goethe's Egmont und Götz, Schil⸗ 
[3 Wallenſtein's Lager, Shakeſpeare's Ehfar u. A. m., fo 
iſt das: für. den Dichter felbft weniger Zweck, als Erleichtes 
‚ring. Er muß feinen Eharakteren innere Wahrheit verleihen, 
muß die umſinde rings imiher mit ihnen in Einklang ſetzen. 


13) Kunſtgeſchichte, IV, 2, 6. 


Unterfchiev der Poeſte und Geſchichte. 31 


mb er hier nun die hiſtoriſche Wirklichkeit zu Hülfe, ſo 
er die ſicherſte Controle, daß ex nichts Unnatürliches, nichts 
nögliches gewählt haben kann !). Der Dichter halt ſich in 
yon Fällen gerade ebenfo an die Natur, wie der bildende 
ler. Beide nehmen die Naturformen, fofern fie keine 
ın finden koͤnnen. Im Oangei jedoch erden wir. ges 
bei den höchſten Kunſtwerken immer ſehen, daß die Welt, 
yelcher fie ſich bewegen, eine ganz andere iſt, als die wirb⸗ 
Welt. Wie ja auch Sophokles won ſich ſelber urtheilt 3), 
chme die Menſchen, wie fie fein ſollten, Curipides, wie 
birklich ſind. Selbſt mo: er. hiſtoriſche Perſonen u ſein 
tat herübernimmt, da pflegtder Dichter ihre Haupt⸗ 
immer zw erſtarken, ihre Rebenizüge dagegen voͤlig ſchwi⸗ 
zu laſſen. Es entſteht dadurch eine Ginjeitigkeit iund Wind 
ung der Charaktere, wodurch ſie in die - abpefchluffend 
des Kunſtwerkes vortrefſlich hineinpaſſen, im wirklichen 
aber niemals exiſtiten könnten ). — Die. Erfahrung 
kinem Worte, die Sammlung des Stoffes ſpielt beint 
m eine weit geringere Rolle, als beim Hiſtoriker. Wenn 
oet-fie verarbeiten will, fo kann er von dan Seinigen 
reier hinzuſetzen. Es handelt fh. z. B. um die makeri⸗ 
Rate. ':: Auch -der Hiſtoriker wird dab Menſchenahuliche 
auffuchen ;: wird die wechfelfeitigen: Beziehungen fihilverk 
en- Laud imd: Volk, zwiſchen Natur md Geſchichte. Der 
© hingegen trägt kein Bedenken, die Natur gerades We⸗ 


2. 2 575 BB ’ „eh: 





Vol. begele Keftpetit Werte Bd. x, 2%. 1.8. 388). 

Aristot. Poet. XXVI. . 

Richt anders bie Beitäfage, wo fi e an biftorifche Perfonen fi ch 
ßt. Es iſt auffallend⸗, ſagt Leopold Ranke, "daß die His 
fowie fie in das Gedächtniß der Menfchen übergeht, allemal das 
der Mythologie berührt. Die Perfönlichkeiten werden fchroffer, 

fie näheen:fich auf irgend eine Weife einem faßlichen Ideal; die 
ıheiten werben: bezeichnender - ansgebilbet; - die Nebenumftände 4 und 
enden Urfachen vergeffen« (Päpfte III, ©. 322.). 


A6 Prolegomena. Kay. 3. 


gen in die Stille des Landlebens: nicht in ein veizendes 1 
erat in votis, fondern in eine armfelige, ſchmutzige Bau 
welt, die den Staliener, den Diplomaten Doppelt ane 
mußte. Um des täglichen Brotes willen denkt er fogar dat 
Schreiber oder Dorfihulmeifter zu werden! Des Vormitts 
fo berichtet er an Vettori, fit er im Vogelheerde; nad 
Mahlzeit pielt er im Wirthshauſe Karten mit gemeinen B 
ern, zanft mit ihnen, und denkt wohl mitunter, ob fich 
Schickſal nicht fhämen wird, ihn immer fo zu behandı 
Wenn dann der Abend kommt, fo fährt er fort, da kehre 
nach Haufe zu meiner Stubierftube zurück. Vor der Th 
werfe ich den bäuerifchen und ſchmutzigen Anzug ab; ich | 
Feierkleider an, und alfo, anſtändig geſchmückt, erſcheine 
am Hofe jener Alten, wo ich, liebevoll aufgenommen, u 
an der. Speife erquicke, für die ich einzig geboren bin; wo 
mich nicht ſcheue, wit ihnen zu veden, fie um die Urfad 
ihrer Thaten befrage, ‚fie aber. voll von Humanität. mir a 
worten. Und vier Stunden hindurch fühle ich Feinen Ku 
mer, ‚vexgeffe jeder Sorge, fürchte die Armuth nicht, und fel 
der Tod hat Feine Sehreclen Hi mich. Ich verliere mich gi 
in ‚Amen N... 
Sch komme auf denſelben Punkt zwei, von wo ich au 
gegangen bin. Wir ſahen, „für deu Hiſtoriker felbft war } 
Geſchichtswerk ein Mittel, feinem Hiftorifchen Kunfttriebe € 
nüge zu.leiften. - Nun hat aber jedweder, irgend wollitän 
organiſirte Menſch doch weuigſtens »ctwas von hiſtoriſch 
| Kunfttriebe ; wie sen auch etwas von poetiſchem, etwas von u 
ſikaliſchein, etwas von philoſophiſchem Kunſttriebe hat. Ni 
in dem Grade, ‚wie der Künſtler von, Fach, daß er ſich 
eigenen Schöpfungen begeiſtert fühlte. Aber doch fo viel, d 
er an der Hand des wirklichen Künſtlers fein Bedürfniß na 


ı) Machiavelli Lett. famil. N? 26. 


Werth der Geſchichte für ven Einzelnen. A7 


wpfinden, fein Berk nachfchafien, feine Freude nachgeniehen 
kan ı). Wie alle Bildung überhaupt in der Erweckung und 


ung neuer Bebürfniffe befteht, fo tft alle Kunft= und 
enſchaftsbildung insbeſondere hierauf berechnet. 







% 


1) Berſtehen und Sprechen find nur verfchiebenartige Wirkungen 
Sprachkraft: Wild. Humboldt, Ueber bie Kawis Sprache, 


® a 
. u. Fr 
BP —— a oo. i 
{| 
® 
7 ’ ft 7 * 
HR I, 
ZZ re th £ 


DE RA Se EEE TE ze 194 Lu a 


EDEN 
ee a BE Fairen EL DEE Se ' 
udn It 17, 


ach ti.. . 
2 rl] 2,2, 
hi if „e: .._ l ‘ 
um , 1) + 
[I — . 44* 
* nen 
! M“.— 
I-t a. ı N 
1 ' 24 1 J 
FR 


vieries Aupite.” 
Entwicklungsſtufen der biftorifchen Kunſt 


— 


.. 


38, müfjen und gewöhnen, die Gefammtliteratur des 
ſiſchen Alterthumes als Ein großes Ganzes zu betrachten, 
mit der Oefanmtliteratur der romaniſchen und german 
Völker unabläſſig zufammenzuftellen. Aus der Vergleit 
diefer beiden großen Maſſen, die fich im Wefentlichen fehr 
log entwickelt Haben, werden die ſchönſten Einfichten mi 
in die Entwicklungsgeſetze der Literatur überhaupt. 

Die erften Keime jeder ſpätern Wifjenfchaft, Der. Hi 
ſchen ſowohl, als der philofophifchen, Tiegen im Epos 
borgen. Zuerſt im theologijchen Epos ?), dann im beroi; 
Hat der gefammte epifche Liederftoff eines Volles, Die 9 
fodien der Alten, die Balladen und Romanzen der Neuern 
nen vollendeten Drdner gefunden, wie den Homer, den Of 
den Samund Sigfuſſon: fo pflegt Kei ſelbſtändig entwid 


1) Bol. die mehrermähnte geiftvolle VBrofchüre von Gervi 
Grundzüge der Hiftorit (1837), die ich im Anfange diefes Paragr 
fleißig benußt habe. 

2?) Dlen, Pamphos, Orpheus und Muſäos; die ältere Edda 
deutfchen Evangelienharmonien. Auch bei den Sndiern find die $ 
älter, als die Heldengedichte. 


Chronik. Xeltefte Philoſophie. 35 


dee Gegenwart in möglichfter Ausführlichfeit und vom 
tiihen Standpunkte aus niederzufchreiben, eriftirt zu als 
ten, Died Bedürfniß hat bei dm Römern die acta 
1, Bei den Neuern die Zeitungen erſchafſen; es bleibt 
beim äußerſten Verfalle des Volles, wenn alle eigents 
iſtorie ſchon verſtummt ift, allein:nnch übrig... : = 
uch die Philofophie, der Alten wie der Neuern, bat. 
pos und Chronik entſprechende Anfangsſtufe. Mit cife- 
Verſenken in überlieferte Syſteme hebt ſie an, wie es 
cholaſtik unſers Mittelalters am deutlichſten beweiſet. 
un Römern gedenke ich des Lueretind, und bei den Hel—⸗ 
ogar it in der myſterioſen Weisheit der Orphiker ein 
nder Einflug des Morgenlandes unverkennbar. Auch) 
ilofephie Hat fih nur allmählig von der Theologie 
sirt, und eben Daher jener myſtiſche Charakter, der bei 
en Kosmogonifern bis auf Thales, bei den Neuern vor 
fo entfchieden durchblickt. Bänder, wie Spanien, die 
Geſchichte fait nur Chroniften befigen, Haben es auch 
Philoſophie niemals weit über die Scholaftit hinaus ges 
und am Echluffe der. hiſtoriſchen Entwicklung, wo fin 
alter eines Volkes die Hiftorie wieder alır Chronik zu⸗ 
ſchrumpft, da pflegt auch die Philoſophie in’ Scholaſtik 
yſtik wieder auszuarten. 

enn das Epos zu verfallen beginnt, ſo tritt die lyri⸗ 
ichtung allmählig In den Vordergrund, Das Epos 
vodirt, und geht zulegt in die fürmliche Satire über. 
le dieſe Dichtungdarten ‚eine didaktiſche Farbe an 
gen, fo entftehen auch mit am Früheſten ‚eigentliche 
ichte. Die guomifche Poefie blühet Diefe ganze kin 
durch 1). — De mehr die epiſche Reproductien den 





Eh . 5 :y 
margites, Batrachomyemathie, Aeſopz bie ganze gReinhardefagr, 
Waldis u. f. w. — Archilochos, Simonides "son Amorgos; 
3 die Volksbücher in Eulenſpiegel's Art, Scaftian Brandt 


30 Prolegomena. Kap. 4. 


geiftlichen Wurzeln erwächſt, jo knüpfen fich auch die Am 
urfprünglich an religiöfe Feſte, veligiöje Monumente an, 
Griechenland z. B. an die Sieger in den großen Spielen, 
die Weihgejchente der großen Tempel; zumal feit es üb 
wird, jenen Siegen Vildſäulen zu errichten, dieſe Wei 
Schenke mit Inſchriften zu verſehen. Solche Dionumente bi 
Haltpunkte für Die flüchtige Ucherlieferung. In Aegypten f 
ſich Die Gejchichte niemals über eine ſolche Monumentalcht— 
erheben können. Bei den Römern ſchloß fi Die Famil 
tradition der adligen Gefchlechter vorzugsweiſe an die Al 
bilder an. Der oberfte Bontifer führte die Annalen des Sl 
tes, wobei religiöje Feierlichkeiten, Jahreswechſel u. dgl. 4 
den Anlag gaben. In der gerinanifchen Welt haben die Ei. 
lichen Feſtbücher, worin Oftern, Pfingſten u. ſ. w. calciJ 
riſch verzeichnet ſtanden, die Grundlage der Annalen gebll . 
— Jede Geſchichtſchreibung diefer Art kann natürlich bloß fh. 
mentariſch fein. Cie fliehet das Detail, das num von. 
unfihern Mythe ergänzt werden muß. Sie iſt auf das Er . 
an Drt und Tag gebunden, ohne Plan, ohne Auswahl, J. 
her die geringfügigiten Kleinigkeiten, Gewitter, Feuersbrig 
denfelben Raum einnehmen, wie die wichtigiten Schlahl 
Die Annalen find getren, denn eine Verarbeitung der CE 
niſſe ift kaum verfucht. Der perfünliche Charakter des 2 
ſers leuchtet noch beinahe nirgends hervor. 
Aus dieſen Annalen entwickelt ſich die Chronit, m 
in der hiſtoriſchen Literatur dieſelbe Rolle ſpielt, wie inſ 
poetiſchen das Epos, Sie iſt überall die erſte Stufe der ig" 
mäßigen Geſchichte geweſen. — Die Chroniſten, wie 
cero fpricht, find mon exornatores rerum, sed tantummij 
narratores , d. 5. fie denken lediglich an treue, wenn's9 
kommt, geſchmackvolle Ueberlieferung des Gefchehenen, 
irgend einen praktiſchen Nutzen zu beabſichtigen, oder in h 
Tiefen der Dinge hinabfteigen zu wollen. Wie es geſchch 
ft, das erzählen fie; das Wozu, dad Warum Liegt jenſg 
































Lyrik. Memoire. 35 


an beinahe über feinem Buches der Memoirenſchreiber 
yandelnde Berfon, ja, ex pflegt fich-felber in den Mit⸗ 
t feines Werkes zu ftellen, Alles auf ſich zu bezichen, 
: Auswahl des Erzählten nad der engern oder weitern 
dung mit feinem eigenen Leben einzweichten. . Nechtfertis 
yrer felbit, Anklage ihrer Gegner, wo nicht gar directe 
kung auf die praßtifche Welt, iſt von jeher das Motiv 
iſten Memoirenſchreiber geweſen. Der Ehronift blieb 
zei der Erzählung der äußerlichſten Begebenheiten; wenn 
ren wollte, ſo nahm er ſeine Zuflucht gleich zu einem 
x machina: der Memoirenſchreiber gebt überall auf 
e Delchrung aus; er deutet Die Begebenheiten felbft 
anz was ihn intereffirt, daB find die Motive, Die 
hen Motive der Handlungen, . Diefe. verfolgt er bis in 
borgenften Quellen zurüd, Nur läuft er bier, freilich 
entgegengefeßten Seite her, dieſelbe Sefahr, wie der 
t, über der Maſſe des Kleinen das Große zu überſe⸗ 
> größten geiftigen Revolutionen aus den Ränken eines 
iters, den Plaudereien einer Kammerzofe, den Launen 
liniſters herzuleiten. Der Memnoirenfchreiber, weil er: 
Regel ald Augenzeuge berichtet, iſt nicht fo leichtgläus. 
e der Chroniſt, aber dafür parteiliher: Er ſteht den. 
Kreifen näher, ‚aber dafür dem Volke ferner. Sein 
mfagt kaum fo viel Sahrzehende, wie die Chronik 
iderte; daher ex die Gegenwart, nach Art jeder Diode, 
intereffirt, von der Nachwelt aber ſchneller vergeffen wird. 
zerk iſt gefchloffener, einheitlicher,. aber dafür auch en⸗ 
oftmal3 Heinlicher. In fremde Zuftände kann er fi 
neinverfeßen. 
8 Memoire iſt natürlich am ausgebildetiten in Zeiten 
wickelten, ränkevollen, auf Berfönlichkeiten Geruhenden 
Es hat daher bei den Römern von Sulla bis Cäſar, 
Stalienern des fechzehnten Jahrhunderts, bei den 
n der neuern Zeit feine höchſte Blüthe getrieben. Cä⸗ 


52 Prolegomena. Kap. 4. 


lich gewiß, daß er den Anfang vieler Begebenheiten yiebe 
fhrieben Hat, ohne noch das Ende zu kennen. ” Daher fu 
Autoren, gerade iwie die einfachiten Annalen, ohne Stie 
fönnen fortgefeßt werden. Sie wollen Herolde des Natig 
ruhmes fein, Daher pflegen fie denn einerfeits alles 
mag es mit der vaterländiichen Gefchichte in noch fo e 
Zufammenhange ftehen, unbeachtet zu laſſen, wie z. B. J 
vius über Die puniſchen, helleniſchen, ja ſelbſt die itali 
Verhältniſſe außerhalb Roms beinahe ignorant iſt; and 
ſeits, wo es die Heimath ſelbſt betrifft, können fie in 
nahme der unbedeutendſten Kleinigkeiten nicht Maß Hal. 
Jeder irgend angeſehenen Familie, jeder irgend merkwürdige 
Localität, jedes irgend noch vorhandenen Inſtitutes muß 
führlich Erwähnug geſchehen. Ein Hauptgrundſatz der W. 
riſchen Kunſt, dag man in jeden Theile das ganze Wr, 
jedem Werke die ganze Menfchheit wiederfinden müſſe, W; 
hier natürlich gar nicht Beachtet werden. - Alles formelle 
Ben des Verfaſſers beſchränkt fich auf ſchöne, Effeet mal 
Darſtellung der Einzelheiten. Daher foldhe Volkshiſt 
fo leicht Gefahr laufen, im Widerfpriche mit der erhal. 
Einfalt der ältern Chronik, eine vhetorifivende Farbe 4. 
nehmen. 
Die Dauer dieſer Entwiclungsftufe ift bei den verke " 
nen Völkern unendlich verfchieden. Bei den Sellenen 
fie bald überfehritten: in etwa hundert Jahren find bie L 
nen vom erften Anfange Der profaifchen Hiftorie zum S_ 
und Thukydides emporgeftiegen. Bei den Römern Bat fl. 
währt bis zum Eindringen der Hellenifchen Literatur; beiſ 
nenern Völkern, fo lange ihre Jugendzeit, das f. g. DE 
alter, dauerte. Einige Nationen, wie die meiften Des U 
genlandes, auch die Venetianer und Spanier, haben ſich 
gentlich niemals über dieſe Stufe zu erheben vermocht, 
in einer niedern Sphäre zieht ſich Liefelbe Stufe vurdk 
ganze Gefchichte jede! Volkes Yin: das Bedürfniß, die N 



























ee . 


Sa2 


Gnomiſche Philofophie. Drama. Liſtor. Kunftiwet, 37 


Auf die Zeiten der Igrifchen Bochle folgt dad Drama, 
ich bei Alten und Neuen aus der religidjen Proceſſion 
vet Bänkelgefange allmählig entwickelt hat. Hier ijt der 
laller poetiſchen Kunftbildung. - Im Drama, fo bes 
dr Schlegel, kündigt ſich ſchon durch die Geftalt 
Jaritelung, in welcher das Entfernteſte ald unmittelbar 
pürtig erfcheinen Toll, die Freiheit des Dichters am lau⸗ 
an 1). Epiſches und Lyriſches, Plaſtiſches und Muſi⸗ 
es, Hiſtoriſches und Philoſophiſches ſind im Drama zur 
en Harmonie in einander verſchmolzen. Wie bei den 
en das ganze fünfte Jahrhundert wor Chriſto durch das 
a beherrſcht wird, fo in neuerer Zeit das ſechzehnte und 
nte Jahrhundert: zuerit bei den Deutſchen, darauf in 
nd und Spanlen, zuletzt in. Frankreich. Diefe Kunft 
ı Alterthume, wie in der neuern Zeit, mit einem ſchwa⸗ 
(nfange begonnen, iſt darauf Durch kühne Genialität zu 
ter Schönheit übergegangen, zuletzt aber in flache Nas 
feit und Unpoeſie ausgeartet. — Der dramiatiſchen Dich- 
mft das eigentliche Hiftorifche Kunſtwerk parallel. 
8 fünfte Jahrhundert vor Chrifte fallen Herodot und Thu⸗ 
35 in das ſechzehnte und fiebzehnte Jahrhundert der neuern 
Nachiavelli, Guieciardini, Paolo Sarpi md Davpila. 
edeutendfte Geſchichtſchreiber unſers Volkes bis auf Win⸗ 
m herunter, Sohann Sleidanus, iſt der Zeitgenoffe von 
Sachs. in der neneften Periode unferer Literatur kön⸗ 
e Winckelmann, Niebuhr und Ranke den Lerjing, Schil⸗ 
> Goethe .entiprehen. ine Charafteriftif Diefer eigents | 
KunftHiftorifer Darf ich hier um fo mehr erſparen, als 





Fr. Schlegel Geſchichte der griechiſchen Poefie, I, I. S. 146. 
. Wilhelm Humboldt fchreibg dem Drama vorzugsweife die 
der Einbildungsfraft zu, die Alcs auf Einen Punkt hinführt, 
igteit, auf einen gewaltigen Effect binzuarbeiten, die höchſte 
ng in der Wirflichleit hervorzubringen, und die erhabenfte Lö- 
der Idee daran zu knüpfen Griefwechſel mit Schiller, S. 76.). 


58. * Beofegomena. Kap. 4. 


\ 


nicht allein meine Darftellungen zu Anfang der Prolegomena 
anf. dieſe Hiftorifer berechnet waven, ſondern auch der ganze 
nachfolgende Theil. meines. Buches ſich mitbent höchſten Miu 
fer diefer Gattung, dem Thukydides, beſchäftigen wird, — 
Auf philofophifchem Gebiete‘ Täuft dieſer Entwicklungsſtufe das 
wirkliche Syſtem parallel, Wirflihe Syſteme Haben deßhalb 
nur in folchen Zeiten und unter ſolchen Volkern gedeihen tin 
nen, die cin felbftändiges Drama und eine felbftändige 
Kunfthiftorie befeifen haben. Selbſt die Römer und. Stalie 
ner, die in der Gefchichte fo groß find, haben Feinen bedeus 
tenden Philoſophen gehabt, weil fie auch das Drama, we⸗ 
nigſtens in feinen höhern Gattungen, nicht eultiviren Eonnten, 

Sch will Hier nun vom Gipfel herab auf den bisherigen: 
Gang einen Blick zurückwerfen. In der Chronik, -faher wir, 
berrfchte Die Ueberlieferung vor, im Memoire die Perfünlich- 
keit Des Verfaſſers: Die vollkommene Kunſthiſtorie follte beide 
Seiten vereinigen. - Es find dieß, mit Einem Worte, unfere 
wohlbefaunten drei Stadien einer jeden Kunftthätigkeit: die 
Chronik entfpricht der Einfammlung des Stoffes, das Mies 
moire der innen Alfimilation, die Kunftbiftorie endlich der 
vollendeten Reproduction. Che nicht die beiden eriten Stadien 
durchgemacht find, ift das dritte unmöglich. 

Daun aber noch Eins. Derfelbe Gang beinahe, den 
ih an der Poeſie, der Philofophie und Hiftorie fo eben nach⸗ 
gewiefen habe, ſcheint aller Kunſt und Wiſſenſchaft überhaupt 
gemeinfam zu fein. In der Chronit war gewiffermaßen das 
ganze Volk thätig: Die Berfünlichkeit der Verfaſſer trat in 
Schatten hinter einem berfümmlichen Typus, das eine Werk 
glih dem andern, nur der Volks- und Zeitcharakter bildete 
Unterfchiede; aber bei aller Einfachheit und Monotonie war 
eine gewiſſe Orofartigkeit Doch unverkennbar, Beim Mempire 
Alles umgekehrt. Das Volk fteht im Hintergrunde, Die Per: 
fon und nächfte Umgebung des Verfaſſers oft viel zu fehr im 
Vordergrunde. Statt eined eintünigen Herkommens der bunte 


Drama. Hiſtoriſches Aunfnwerk. Syſtem. 39 


Mel der Mode; ftatt eines frommen Wunderglnubend das 
ältige, oft in's Kleinlihe fallende Suchen nad) natürli> 
Erflärungdgründen, Endlich die Kunfthifterie, Die bei= 
i Einfeitigkeiten auf das Schönfte zufammenfüigte. — Ganz 
rfelben Art Hat ſich die plaftiiche Kunſt entwickelt. Ich 
ike der Chriſtus⸗ und Miarienbilder vor dem vierzehnten 
hundert, und der vollig entiprechenden alt hellenifchen 
e, wovon und Die Alten wenigitend Bericht eritatten. 
Hellenen fowohl, als die Neuern haben mit einer ſtreng 
entionellen, durch unveränderliche Tradition fortgepflanzten 
tperiode angefangen: wo fich der eine Künftler von aus 
faft nur durch den höhern oder niedern Grad feiner tech⸗ 
en Wertigkeit unterfcheidet. Die Kunftiverke dieſer Zeit, 
eligiöſem Schalte reich, Liegen der Auperlichen Natur fehr 
. Der Goldgrund, worauf bier gemalt wird, erinnert 
ı an den wirklichen Himmels; die Chriftuöfinder, welche 
mit feierlicher Grandezza, die Arne ſchon in Kreuzesform 
ebreitet, die Huldigung der Heiligen empfangen; die Ma⸗ 

welche Zaufende von Gläubigen unter Die Fittige ihres 
jeöfineten Mianteld nehmen: in der Wirklichkeit find fie 
öglih. Bei dem Allen aber fpricht ein tief religiöſer, ein 
ich erhabener Charakter aus dem Ganzen 1). Auf Diele 
Periode folgt eine zweite, naturaliftifche, wo der Außer 
Naturtrene nachgeftrebt wird. Dieſe Richtung herricht in 
ieuern Kunft vom vierzehnten Jahrhundert bis zur Mitte 
funfzehnten vor, Der goldene Hintergrund verivandelt 
n einen deeorativen oder landſchaftlichen; Die Chriſtuskin⸗ 
verden zu wirklichen Kindern; die Maria Betet ihr Kind 


) Auch jene althellenifchen koava hatten oxdin ovußeßnrora, yei- 
Lapatstauivas, Onuara neuunora (K. D. Müller Archäologie der 
: ©. 47.). Doch verfihert Paufanias von Dädalos Bildern: 
nreon niv ınv Oyıw, Önergener db Ouug Ti nal Erdeov tous (II, 
Es wird ihnen anderswo ein gewifles. dewor zugejchrieben. 


60 + Prolegomena. Kap. 4. 


nicht mehr an, fondern beſchaut es in mütterlicher Zärtlichkeit; 
die umherſtehenden Heiligen fcheinen von seiner wirklichen Kir⸗ 
chengemeinde porträtirt zu fein, ja, fie ſchwatzen und lachen 
mit einander, Das Religiöfe, Ideale ijt Hinter einer derben, 
natürlichen individualität verſchwunden. Zur Zeit des Per 
ſerkrieges müſſen auch die Hellenen eine ſolche Kunſtperiode 
durchgemacht haben. Die äginetifchen Gichelgruppen find der 
Beweis dafür. Nach diefen beiden Stadien tritt alsdaun bie 
höchfte Stufe der Vollendung ein, die Zeit won Pheidias bis 
Lyſippos, von Lionardo bis Tizian, welche. die getrennten 
Borzüge der beiden frühern zur Herrlichiten Eintracht verbindet, 
Wie ſehr ich bei der Sonderung diefer drei Perioden wirklic 
das Dedeutendite, das Wefentlichite getroffen babe, kann auch 
Danach ermeſſen werden, daß fih im Leben Der meiften gro- 
Ben Künftler diefelben drei Berioden wiederfinden. Vor Allen 
bei Rafael)! ; | 

Wir gehen weiter, Die Blüthe einer jeden Kunſt, , eines 
jeden Volkes kann nur kurze Zeit dancın. Auf Thukydides 
fowohl, wie auf Machiavelli folgt eine Zeit der tiefften reli⸗ 
giöfen und politiihen Barteifämpfe, wo die Siftoriker, 
ohne von der Schönheit ihrer Darftellung viel einzubüßen, Die 
parteilofe Unbefangenheit der größten Mieifter beinahe gänzlich 
aufgeben. Die Iafonifhen und antilafonischen, Die philofo- 
phiſchen und antiphilofophifchen, die makedonifchen und anti- 
mafedonifchen Schriftiteller des Alterthums; die pioteftantifchen 
und Fatholifchen, die päpftlichen und antipäpftlichen, die Fai- 


1) Auch unfere neuere beutfche Literatur mußte erft das Zraditio: 
nelle der Italiener, Spanier, Branzofen und Engländer durchmachen, 
darauf eine wild naturaliftifhe Zeit, — Sturm- und Drangperiode, 
Leſſing's Diderot, Goethes und GSchiller’s Zugendwerfe — ehe fie die 
Meiſterwerke von Goethe und Schiller hervorbringen konnte. Wie fi 
ferner in der Geſchichte des Staates und in allen Übrigen Lebensrichtun: 
gen, der Einzelnen und der Völker, diefelben drei Perioden wiederholen, 
das überlaffe ich dem Nachdenken des Leſers. 


Zeit der Parteikämpfe. Zeit ver alerandrin. Gllehrſamkeit. GI 


hen und landesherrlichen Autoren der nern Zeit ſinken 
haus wieder in die Ginfeitigkeiten de8 Memoires zurüd. 
Diele Parteienwuth freilich läßt dann nach; aber nur, 
einer noch viel troftlofern Gelehrſamkeit Blak zu ma= 
Dei den Hellenen feit Alexander's d. Gr. Zeit, ja, 
ı Kann fagen, feit den Ausgange des Zenophon, wird die 
ye Lchendigkeit der Auſchauung, der feine Sinn für menſch⸗ 
Verhältniſſe, Die großartige Beſeelung des Stoffes, die 
» Vortrefflichkeit der Yorm mehr und mehr durch ein ſkla⸗ 
es Berfinfen im gelchrten Detail verdrängt. Wie. alle 
ur von gemäßigter Arbeitötgeilung auögcht, fo ift über 
ene Arbeitstheilung ihre ſicherſte Verderberinn. Das Mas 
I des Hiftorifchen Wiſſens hatten die Alexandriner unend- 
eriveitert: in Länder= und Völkerkunde, in Geſchichte und 
urwiſſenſchaft waren Die fchoniten Entdeckungen gemacht, 
eſaßen die koloſſalſten gelchrten Apparate im ganzen Als 
nme, fie zählten eine Menge der kenntnißreichſten Poly: 
ven, fie ſchrieben zehumal größere Büchermaſſen, als die 
genoſſen des Perikles; aber fie waren eben wit wenig Aus⸗ 
nen bloße Buchgelehrte, ohne höheres Intereſſe für fich 
Andere, dabei uniforın, chne den Charakter ihrer Perſon 
hrem Studium abzufpiegeln und fortzubilden, nur durch 


Grad ihrer Gelehrſauikeit von einander verfchieden. Ganz 


{be Geiſt findet fich in den meiſten Gefchichtfchreibern des 
ehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Dieß ift die Zeit 
gelehrten Zunftweſeus, wo fih die Wilfenfchaft vornehm 
ibgeſchloſſene Kreiſe, meiſtens Hofakademien zurüczicht, 


zugleich damit ihre Wurzeln im Volke, d. h. ihre ei⸗ 


liche Nahrungsquelle, abgräbt. Auch die Poeſie wird in 
en Zeiten eine kalte, gekünſtelte, ſteife, vornehme Gelehr⸗ 
und Hofpoeſie. Das didaktiſche, alſo am mindeſten poe⸗ 
: Element, waltet auch hier vor. Die Philoſophie, zu 
ver Zeugung unfühig, wirft fih auf das gelehrte Stu: 
ı der frühern Syſteme. ‚Aus dieſer Gelehrſamkeit zimmer 


62 Prolegomena. Kap. 4 


fie dann wohl das haltungsloſe Gebäude eines Eklekticismus 
oder Skeptieismus zuſammen. 

Wie aber im Alterthume mitten unter dieſer allgemeinen 
Erſchlafſung die römiſche Literatur ihre höchſte Blüthe 
erreichen kann, ſo in neuerer Zeit die deutſche. In beiden 
Fällen ſehen wir die Nationalität eines literariſch bis dahin 
noch wenig entwickelten Volkes Durch weiſe Benutzung aus— 
ländiſcher Muſter zur herrlichſten Reife gebracht. Die Römer 
hatten in dieſer Hinſicht keinen Irrweg zurückzumachen. Sie 
waren ohne Weiteres auf die Hellenen gewieſen. Der Deut⸗ 
ſche dagegen hat ſich, ehe er auf den richtigen Weg gerieth, 
erſt an italieniſchen, darauf an ſpaniſchen, zuletzt an franzöſi— 
ſchen und engliſchen Muſtern verbilden müſſen. Vielleicht iſt 
er eben dadurch um fo vielſeitiger geworden. Die neuere 
deutfche Literatur hat mit der altrömifchen die Eigenthümlich⸗ 
feit gemein, daß fie beide mehr den gebildeten Ständen, als 
dem Volke angehören, daß fie mehr profaifh, als poetiſch 
find, und dag man ſelbſt bei den poctifchen Erzeugniſſen, fo 
herrlich fie auch fein mögen, kaum vecht angeben kann, ob 
die Epopöe, die Lyrik oder das Drama im Ganzen vorherrſcht. 
Daher auch die Gefchichte Diefee Zeiten ſowohl Chronik und 
Miemoire, als eigentliche Kunfthiftorie bearbeitet hat. Die 
altrömifche, wie die neudeutfche Literatur tragen in vieler Bes 
ziehung einen kosmopolitiſchen Anſtrich. Nur daß freilich dem 
Raume nach die römiſche Welt eine viel geringere war. Beide 
haben daher auf die gefunkenen nder noch unentiwickelten 1) 
Literaturen der Nachbarvölker einen befebenden Einfluß gehabt. 
In der Zeit des Anguftus treibt auch der abgeftorbene Baum 
der griechiſchen Hiſtorie neue Blüthen hervor, Straben vor 
Allen und Dionyſios. Späterhin beſonders Arrianos und 
Plutarch. So hat auch die deutſche Hiſtoriographie eine ganz 


1) Man denke namentlich im Alterthume an bie fpanifche und gal⸗ 
liſche Literatur, in der neuern Zeit an die ruſſiſche! 


Römiſche und beutfche Literatur. Ende. 65 


: Schule franzöfifcher Geſchichtſchreiber in's Dafein gerufen. 
vornehmſte Linterfchied, der in den hiſtoriſchen und poe⸗ 
en Werken auch deutlich genug zu Tage liegt, beſteht in 
philoſophiſchen Meiſterſchaft der Deutfchen, in der politis 
ı und militärischen Meifterfchaft der Römer. 

Bon der alten Literatur liegt denn au das Ende ſchon 
und. Die großartige Zeit von Salujtius bis auf Taci- 
‚ die fih den griechiſchen Meiftern an die Seite ftellt, iſt 
zwei entgegengefehten Abwegen zum Verfall gekommen. 
der einen Seite, ein mühſeliges Ercerptenfammeln, ohne 
eirn Geift, ohnt edlere Form, ein troſtloſes Verſinken im 
fſe, wie es ſich bei Plinius und Suetonius ankündigt. 
der andern Seite ein flaches, aufgeputztes, bellettriſtiſches 
onnement, dem jede ſolidere Grundlage, jedes ernſthaftere 
reifen, jede Reife und Männlichkeit abgeht: eine Manier, 
uns Florus und Curtius repräſentiren. Sobald in der 
hſchaftlichen Welt die Arbeitstheilung ihren Gipfel über⸗ 
tten hat, ſo pflegt ſie den Unternehmer zum Tyrannen 
ublähen, den Arbeiter zum Sklaven zu erniedrigen. Nicht 
anders in der Titerarifchen Welt. Wo die harmonische 
Ichmelzung des Allgemeinen und des Befondern verſchwun⸗ 
it, da bilden fich auf der einen Seite übernrüthige Ty— 
ven, auf der andern Seite elende Sklaven der Wilienfchaft. 
e wollen den Ballaſt, wie man ed nennt, den Ballaft der 
hrjamfeit über Bord werfen; frei und mit vollen Segeln 
an fie auf den Decan hinauszufahren: aber, mie e8 denn 
ich nicht anders fein kann, fie fteuern ewig in der Irre 
er, ein leichtes Spielzeug für den Wind und die Wogen. 
Andern dagegen, wenn die Kleinlichkeit ihres Tagewerkes 
u Boden drückt, pflegen fih der Hoffnung zu getröften, | 
ein künftiger Meſſias ihrer Wiſſenſchaft die von ihnen 
nmelten und gefeilten Steinchen zu einem unterblicyen 
pel vereinigen werde. Eitele Hoffnung! Die Ariftoteles 
Humboldt find zu jeder Zeit den Alexandrinern voran— 


60 Prolegomena. Kap. 4. 


nicht mehr an, fondern befchaut es in mütterlicher Zartlich 
die umherſtehenden Heiligen fcheinen von “einer wirklichen 
chengemeinde porträtixt zu fein, ja, fie fehmagen und k 
mit einander, Das Religidfe, Ideale it Hinter einer dei 
natürlichen Individualität verſchwunden. Zur Zeit ded 
ſerkrieges müſſen auch Die Hellenen eine ſolche Kumjtpa 
Durchgemacht haben. Die äginetifchen Gichelgruppen find 
Beweis dafür. Nach dieſen beiden Stadien tritt alddann 
höchſte Stufe der Vollendung ein, die Zeit von Pheidias 
Lyſippos, von Lionardo bis Tizian, welche. die getren 
Borzüge der beiden frühern zur herrlichiten Eintracht verbir 
Wie ſehr ich bei der Sonderung dieſer drei Berioden wir 
das Bedeutendfte, Das Wefentlichite getroffen babe, Tann ı 
danach ermeſſen werden, daß fich im Leben der meiften 
Ben Künftler diefelben drei Perioden wiederfinden. Vor % 
bei Rafael 1)! 

Wir gehen weiter. Die Blüthe einer jeden Kunſt, e 
jeden Volkes kann nur kurze Zeit dauern. Auf Thukyd 
fowohl, wie auf Machiavelli folgt eine Zeit der tiefiten 
giöſen und politischen Barteitämpfe, wo die Hilter 
ohne von der Schönheit ihrer Darftellung viel einzubüßen, 
parteilofe Unbefangenheit der größten Meiſter beinahe gan 
aufgeben. Die Iakonifchen und antilafonifchen, die phil 
phiſchen und antiphilofephifchen, Die matedonifchen und ı 
makedoniſchen Schriftiteller des Alterthums; die proteftanti| 
und Eatholifchen, die päpftlichen und antipäpftlichen , die 


1) Auch unfere neuere deutfche Literatur mußte erft das Zrai 
nelle der Staliener, Spanier, Franzoſen und Engländer durchma 
darauf eine wild naturaliftifche Zeit, — Sturm- und Drangpa 
Leſſing's Diderot, Goethe’s und Schiller's Zugendwerfe — ehe fi 
Meifterwerke von Goethe und Schiller hervorbringen konnte. Wi 
ferner in der Gefchichte des Staates und in allen Übrigen Lebengric 
gen, der Einzelnen und der Völker, diefelben drei Perioden wiebert 
das überlaffe ich dem Nachdenken des Leſers. 


Zeit der Parteikaͤmpfe. Zeit ver alerandrin, Gllehrſamkeit. 6 


ſerlichen und landesherrlichen Autoren der neuern Zeit ſinken 
"Incchaus wicher in die Einfeitigkeiten de Memoires zurück. 
Diele Parteienwuth freilid, lapt dann nach; aber nur, 
m einer noch viel troftlofeen Gelehrſamkeit Blak zu ma⸗ 
‚den. Bei den Hellenen feit Alexander's d. Gr. Zeit, ja, 
han’ kann fagen, feit dem Ausgange des Xenophon, wird die 
Heiiche Lebendigkeit der Anſchauung, der feine Sinn für menſch⸗ 
Ache Verhältnifje, die großartige Beſeelung des Stoffes, die 
Hohe Vortrefflichkeit der Korm mehr und mehr durch ein ſkla⸗ 
viſches Verſinken im gelchrten Detail verdrängt. Wie. alle 
Kultur von gemäßigter Arbeitötheilung ausgeht, fo ift über- 
Kiebenne Arbeitstheilung ihre ficherite Verderberinn. Das Mas 
ein! des Hiftorifchen Wiſſens Hatten die Alerandriner unend⸗ 
U eriveitert: in Länder- und Völkerkunde, in Gefihichte und 
Naturwiſſenſchaft waren die fchönften Entdesfungen gemacht, 
fie beſaßen die Eolofjaliten gelehrten Apparate im ganzen ls 
lerthume, fie zählten eine Menge der kenntnißreichſten Poly: 


hiſtoren, ſie jchrieben zchimnal ; größere Büchermafjen, als die 


Zeitgenoſſen des Perikles; aber fie waren eben mit wenig Aus⸗ 
nahmen bloße Buchgelehrte, ohne höheres Intereſſe für fich 
und Andere, dabei uniform, chne den Charakter ihrer Perſon 


Rt ihrem Studium abzufpiegeln und fortzubilden, nur durch) 


Ben Grad ihrer Gelehrſamkeit von einander verſchieden. Ganz 
herſelbe Geiſt findet fich in den meiſten Gefchichtfchreibern des 
Webzchnten und achtzehnten Jahrhunderts. Dieß ift die Zeit 
Bes gelehrten Zunftweiens, wo fich die Wiſſenſchaft vornehm 
in abgefchlojjene Kreiſe, meiſtens Hofafademien zurüczicht, 


Aber zugleich damit ihre Winzeln im Volke, d. h. ihre ei⸗ 


tliche Nahrungsquelle, abgräbt. Auch die Poeſie wird in 
Ihen Zeiten eine kalte, gefünftelte, fteife, wornehme Gelchr- 
= und Hofpoefie. Das didaktiſche, alfo am mindeſten pres 
e Element, woaltet auch hier vor. Die Philoſophie, zu 
peiterer Zeugung unfühig, wirft fih auf das gelehrte Stu— 
ham Der frühen Syſteme. ‚Aus dieſer Gelehrſamkeit zimmert 







— 


62 Prolegomena. Kap. A. 


fie dann wohl das Baltungslofe Gebäude eines Eklek 
oder Skepticismus zufammen. 

Wie aber im Alterthume mitten ımter diefer allgemelt 
Erſchlafſung die römische Literatur ihre höchſte Blüt 
erreichen kann, fo in neuerer Zeit die dentfche. In heile 
Fällen fehen wir die Natlonalität eines literariſch bis dag 
noch wenig entwickelten Volkes durch weife Benutzung a 
ländiſcher Mufter zur herrlichiten Reife gebracht. Die Rom 
Hatten in dieſer Hinſicht keinen Irrweg zurückzumachen. SM 
waren ohne Weiteres auf die Hellenen gewieſen. Der Den 
ſche dagegen hat ſich, che er auf den richtigen Weg geriethp 
erſt an italienifchen, darauf an fpanifchen, zuletzt an franzt 
fchen und englifchen Muftern verbilden müſſen. Vielleicht P 
er eben dadurch um fo wichjeitiger geworden. Die nem 
deutjche Literatur hat mit der altrömifchen die Eigenthümlich 
feit gemein, daß fie beide mehr den gebildeten Ständen, all 
dein Volfe angehören, daß fie mehr profaifh, als poetiſch 
find, und dag man felbft bei den poetifchen Erzeugniſſen, fl 
Herrlich fie auch fein mögen, kaum vecht angeben kann, BF 
die Epopöe, Die Lyrik oder Das Drama im Ganzen vorherfät. $ 
Daher auch die Gefchichte Diefer Zeiten ſowohl Chronik und 
Memoire, als eigentliche Kunfthijtorie bearbeitet hat. Die 
altrömiſche, wie Die neudeutſche Literatur tragen in vieler Bes 
ziehung einen fosmopolitifchen Anſtrich. Nur daß freilich don 
Raume nach die römifche Welt eine viel geringere war. Beide 
haben Daher auf Die gefunkenen oder noch unentiwickelten 1) 
Literatiren der Nachbarvölker einen belcbenden Einfluß gehabt,‘ 
In der Zeit des Anguſtus treibt auch der abgeftorbene Baum 
der griechiſchen Hiſtorie neue Blüthen hervor, Straben ver. 
Allen und Dionyſios. Späterhin befonderd Arrianos md | 
Plutarch. So hat auch die deutſche Hiftoriographie eine ganz ! 





















') Man denke namentlich im Alterthume an bie fpanifche und gal⸗ 
lifche Literatur, in der neuern Zeit an die ruſſiſche! 


Nömifche und deutſche Literatur. Ende. 65 


Schule franzöſiſcher Gejchichtjchreiber in's Dafein gerufen. 
Der vornehmſte Unterfchied, der in den Hiftorischen und poes 
Bien Werken auch deutlich genug zu Tage liegt, beficht in 
ber philofophifchen Meifterfchaft der Deutfchen, in der politie 
Ken und militärischen Meiſterſchaft der Römer. | 

Bon der alten Literatur liegt denn au das Ende ſchon 
vor und. Die großartige Zeit von Salluſtius bis auf Taci- 
x, Die ſich den gricchifchen Meiftern an die Seite jtellt, iſt 
mif zwei entgegengefehten Abwegen zum Verfall gekommen. 
Auf der einen Seite,.ein mühjeliged Ercerptenfammeln, ohne 
öhern Geift, ohng / edlere Form, ein troſtloſes Verſinken im 
Stoffe, wie es ſich bei Plinius und Suetonius ankündigt. 
Auf der andern Seite ein flaches, aufgeputztes, bellettriſtiſches 
Räfonnenent, dem jede folidere Grundlage, jedes ernfthaftere 
Ergreifen, jede Reife und Männlichkeit abgeht: eine Manier, 
Ne und Florus und Curtius vepräjentiren. Sobald in der 
birthfchaftlichen Welt die Arbeitötheilung ihren Gipfel über 
chritten hat, fo pflegt fie den Unternehmer zum Tyrannen 
rufzublähen, den Arbeiter zum Sklaven zu erniedrigen. Nicht 
rel anderd in der literarischen Welt, Wo die harmoniſche 
Berfchinelzung des Allgemeinen und des Befondern He 
ven iſt, da Bilden fich auf der einen Seite übermüthige T 
annen, auf der andern Seite elende Sklaven der —— 
Jene wollen den Ballaſt, wie man es nennt, den Ballaſt der 
Belehrſamkeit über Bord werfen; frei und mit vollen Segeln 
joffen fie auf den Decan hinauszufahren: aber, wie es denn 
Teilich nicht anders fein kann, fie feuern ewig in der Irre 
ımber, ein leichtes Spielzeug für den Wind und Die Wogen. 
Tie Andern dagegen, wenn die Kleinlichkeit ihres Tagewerkes 
ie zu Boden drückt, pflegen fih der Hoffnung zu getvöften, 
zaß ein künftiger Meſſias ihrer Wiſſenſchaft Die von ihnen 
ſeſammelten und gefeilten Steinchen zu einem unſterblichen 
Eempel vereinigen werde. Citele Hoffnung! Die Ariftoteles: 
mo Humboldt find au jeder Zeit den Alexandrinern voran— 


64 Ä Prolegomene. Kap. 4. “* 


gegangen — Wir ſchauen nah Rom zurück. Was 
jeßt wohl, bei dem allgemeinen Berfalle des National 
ters, was Fonnte Anderes noch übrig Bleiben, als die 1 
wieder zur dürftigſten Chronik, ja, zur Miythenge 
ſelbſt ), wovon die Hiſtorie urſprünglich ausgegangen 
Die Bhilofophie kehrte gleichzeitig zur Myſtik und Cd 
zurück. Was von poetiſchem Triebe noch Abrig war, 
flüchtete fich in das Profaepos, den Noman, oder in di 
erwachende Volksſage. Wie in allen menſchlichen Ding 
ift auch Hier jenes Geſetz wirkſam, wonach Das Greij 
zur Schwäche der Kindheit zirücktehren nut. | 


1) Diktys und Dares. | 


Sprache und Korperbeſchaffenheit der Hellenen. 69 


‚ die felbft im Verfalle noch gewürdigt fit, der höchſten 
lichen Offenbarung ald Gefäß zu dienen. Die feierliche 
ndezza des Spanierd, Die feine Süßigkeit des Stalieners, 
Franzoſen geläufige Anmuth, des Engländers pathetifche 
t, des Deutſchen unergründlicher Reichthum, ja, ſelbſt 
Würde der römiſchen Senatorenſprache: hier ſind ſie ver⸗ 
t, ſind geläutert im Feuer des Geiſtes und zum edelſten 
zuſammengeſchmolzen. In dieſer einen Sprache ſind die 
ametentöne des Pindar und die Flötenſpiele des Anakreon, 
die gaukelnden Scherze des Ariſtophanes und die Erin⸗ 
höre des Aeſchylos gedichtet. Sie hat dem Thukydides 
Schildern gedient, dem Demoſthenes zum Reden, dem 
teles und Platon zum Speculiren. Die helleniſche Weis⸗ 
yedurfte niemals einer fremden Terminologie. 
Daß die Hellenen körperliche Schönheit befeiten, würde 
ſchon aus ihren Bildwerken vermuthen dürfen. Wenn 
time Dem voös entipricht, Die Nafe dem Hunos, der 
der Zmidupian),. fo beruhet das Charakteriftifche des 
ichen Brofil3 auf dem Uebergewichte der geiftigen Stirn 
ven ſinnlichen Munde. Die gerade Nafe, weder zum, 
nuthe des aduneus erhoben, noch zur Siunlichkeit des si- 
yerabgedrückt, Scheint auf geregelte Mäßigung des Willens 
euten. In der nationalen Größe des Kinnes kann der 
gnomiker Großartigkeit des ganzen Weſens Anden. Die 
ng der Hellenen vwernachläffigte den Leib nicht Über der 
‘wie es die unfere thut; die Schönheit und Anmuth 
ber der Stärke, wie es unſer Mittelalter that 2). Bes 
Männer noch, wie Sofrated, befuchten die Ringfchule. 
n Lakedämoniern waren felbft bie Jungfrauen non der 





Aehnliche Räfonnements über das Verhältniß von Kopf, Bruft 
ıh am menfdlichen Körper bei Platon: Timaeus p. 44. D. 


Vgl. die vortveffliche Gharakteriftil der alten und neuern Bes 
in Hegel's Arftpetit: Werke Bd. X, Th. ! ©. 312 ff. 




























66 Brolegomena. Kap. 3. 


tiger Schöpfer das Hellenifche Land zur Wohnftätte der edeh 
Dildung audgerüftet. Die Heiterkeit des Himmels, die # 
heit umd Helligkeit der Luft 2), die edeln und ſcharfgezeich 
Formen der Gebirge, die Nähe des Meeres, die Lebe 
der Ströme: alles diefes verleiht der helleniſchen Lanıif 
einen Charakter, welcher befeitigend, reinigend und erlan 
auf den Geiſt der Bewohner einwirken müßte Die W 
von Griechenland nimmt überall die ſchönſte Mitte ein. | 
Klima iſt gefund: weder erflarrend, wie der Norden, 
ansbörrend, wie der Süden, oder erfchlaffend , wie der M. 
umher 2). Der Boden ift fruchtbar genug, um an all 
Gütern reich zu fen 3); aber nicht fo üppig, daß er 
Schweiß ernähren künnte 2). Die Gebirge find Hoch gei 
um durch großartige Naturfchönheit zu imponiren — mal 
darumter find mit ewigem Schnee bedeckt — ; hoch genug, il, 
das Land in eine bunte Mannichfaltigfeit einzelner Landi 
ten zu gliedern: aber doch nievrig genug, um ben Vi 
nicht abzubrechen. Welch ein Unterſchied zwiſchen dem ſ 
gen Attifa und dem fetten Vöotien; zwifchen dem 


1) gl. Eurip. Medea 820 sqq. W. Gell Journey’ pi, 
Castellan Lettres sur la Moree, III, p. 266. Kruſe Hd 
©. 327. 

2) Bol. fhon Herod. III, 106. Eurip. 1.1. Plate 
maeus p. 24 C. Plut. De exsil. p. 599. — Hippokrates fü; 
zieht der Annehmlichkeit nach das Kleinafiatifhe Klima vor, abe 
bellenifche, meint er, bildet tapferere Menfhen: Hippocr Dei 
p. 71 sqq. (Foesius). Auch Ariftoteles rühmt an ben ‚Helle 
fo fchöne Mifchung der nordifchen Rauhheit und orientalifchen We 
keit, daß fie, zu Einem Staate verbunden, die Welt müßten a 
tönnen (Polit. VII, 7.. — Befonders reich find die Alten an Cl. 
fungen der Natur von Attila: Plato Critias p. 111. Xenoph 
vecit: 1. Cicero De fato 4. Aristides Vol.IJ, p.305. (Di: 
Dio Chrysost. p. 334. (Reiske),. Cassiodor. Var. XII, I 

2) Welche Begüinftigung liegt nicht 3. B. in dem Marmorreit 
von Griechenland für die Baukunft und Plaftil der Hellenen! 

) Aristot. Pol. VII, 5. 





Körperbefchaffenheit und. Geiſtesbilbung der Hellenen. 71 


der Republiken, die in Wahrbeit nur große Gemeinden 
en, geſtattete dieß. Wir fehen freilich überall, je mehr 
ein Staat der reinen Demokratie nähert, deito mehr wird 
ganze Leben feines Volkes von üffentlichem, won politis 
n Geifte durchzogen. Aber was find unfere Zeitungen, 
n das Beſte doch immer werheimlicht wird, gegen die alten 
ksreden? unfere Landftände, die doch nicht den tauſendſten 
l der Gebildeten und kaum etliche Monate im Jahre an 
Staatöverwaltung Theil nehmen lafien, gegen die alten 
ksverſammlungen ? unfere Eonferibirtenheere gegen jene als 
Bürgerfrieger, welche Jugend und Manneskraft unter den 
fen verleben, und jedweden Kampf in unmittelbarfter Nähe 
Heerd umd Altar führen mußten? Welch eine Schule der 
feitigfeit, der lebendigen Welt- und Menſchenkenntniß für 
Hiſtoriker I Wer das Leben nicht nach Stunden mißt, 
ern nach Thaten und Erfahrungen, der muß geftehen, jene 
ı haben länger gelebt. Es war damals noch nicht fo üb⸗ 
wie heutzutage, dag Die Sünglinge als Weisheitsverkün⸗ 
, die Greiſe ald Feldherren und Minifter auftraten, - Mit 
zig Jahren wurden Iphikrates und Aratos, mit ein und 
zig Jahren Hannibal, mit drei und zwanzig Sahren 
pejus, mit fieben und zwanzig Jahren Ecipio die Ober 
erren ihres Vaterlandes. Sophokles Dagegen, Herodot, 
ydides, Sokrates haben ihre Meiſterwerke erft im Alter 
ieben. Nach einer glühenden, .aber naturgetrenen Ju⸗ 
,‚ einen flürmifchen, aber gemäßigten Mannesalter zog 
er Greis in den Hafen der Muffe zurück, das vergangene 


ı Wie innig die Literatur ber Hellenen mit ihrer Staatsverwal⸗ 
zufammenhängt, beweifen u. %. die Lyriker, obwohl die Blüthe 
riſchen Poefie noch in die ariftofratifche Periode fällt. Tyrtäos 
: Spige des Heeres; die meiften Gefege in Verſen; Alkäos, The⸗ 
Steſichoros im heftigften Strudel des Parteientampfess Bakchy⸗ 
yerbannt, Simonides durch feine Staatsgedichte weltbexühmtz auch 
ros endlich auf das Zieffte durchdrungen von politifchem Geifte. 


72 Prolegomena, Kap. d. 


Leben zu befhauen, und feine Erfahrungen der Enkelmwelt zu 
überliefern. Der Hellene lernte weniger, als wir; er hatte 
wenig andere Prüfungen zu beſtehen, als auf dem Schladt 
felde und in der Rathöverfammlung : aber mad er mußte, dad 
wußte er tief, Bar und lebendig. „Gelehrt fein”, ſpricht 
Winckelmaun, „das iſt, zu willen, was Andere gemuft 
“ haben, wurde fpät gefucht; gelehrt im heutigen Verftande zu 
fein, war in ihrer beiten Zeit leicht, und weiſe Eonnte ein 
Jeder werden. Denn ed war eine Eitelkeit weniger in der 
Welt, nämlich die, viele Bücher zu kennen.“ 

Statt in Archiven und Bibliotheken herumzukriechen, ging 
der Hiſtoriker des fünften Jahrhunderts auf Reifen. Frei⸗ 
lich dem Raume nach find jene Reifen Elein: wenn es hoch 
kam, vielleicht von Karthago bis nach Babylon, vom Nil bis 
. zum Pontos. Aber wad macht die Reifen Ichrreih? Nur 
die Abwechfelung . fremdartiger Landesnaturen, frenidartiger 
Volkscharaktere. Und auf jenem engen Gebiete waren Völker 
beifammen von jeglicher Kulturftufe „Damals fand der He 
ftorifer hier ebenfo viel zu lernen, wie Heutzutage auf einer 
Reife um den Erdfreis. Das Perſerreich trug ſchon damals 
die ſtereotypen Charakterzüge des Morgenlandes an fich. Eine 
Theokratie war in Judäa kennen zu lernen; abgelebte Hans 
delöftaaten in Phönikien, eine blühende Handelsnacht in Kar⸗ 
thago. Aegypten war das China des Alterthumes. In Klein⸗ 
aflen und Großgriechenland ftudierte man bie einfachen Raturge 
“ee der Kolonialftanten. Unter den Sellenen ſelbſt Athen auf 
dem Gipfel aller politiichen, wirthichaftlichen und literariſchen 
Ausbildung; Lakedämon impofant Durch die conſervative Größe 
feiner Verfaſſung; Netolien und Akarnanien tief zurück im 
Mittelalter ; Jonien jchon verweichlicht und altersſchwach; Ars 
kadien die Schweiz der Hellenenwelt, Wie man heutzutage 
durch Ungarn und Rußland zu den Nomadenvölfern der Wüſte 
gelangt, fo damals über Theſſalien und Makedonien zu den 
Darbaren am Iſtros und im Skythenlande. Welcher Neuere 


Bildungsvortheile ber hellen, Geſchichtſchreiber. 75 


ſich rühmen, fo viele Völker perfönlich befucht zu has 
Und bei all Diefer großen Mannichfaltigkeit des dama⸗ 
Völkerverkehres zu gleicher Zeit Die vollkommenſte Con⸗ 
rung. Alljährlich Beinahe Famen die Hellenen an den 
n Spielen zufammen, um über der Vielhelt ihrer Stänime 
inbeit ihre Volkes nicht einzubüßen. Während unfere 
: nur die Gewerbetreibenden herbeizieht, waren es die 
en der Nation, die fi) dort vereinigten. Mit einem 
e, da fih Kultur und Gefchichte der neuern Zeit auf fo 
liche Räume erweitert Haben, fo wird ſelbſt die Außerfte 
llkommnung unferer Communicationsmittel an wirklichen 
hume ver Anfchauungen den griechifchen Verkehr wohl 
lich übertreffen können 1). 
ind nicht bloß .ein enger Länderraum vereinigte damals 
ndlich viel hiſtoriſch Merkwürdiges, fordern ebenfo fehr 
in enger Zeitraum. In das neunte Jahrhundert vor 
iſtlichen Zeitrechnung füllt die Blüthezeit des hellenifchen 
jedichtes, und im Anfange des zweiten Jahrhunderts 
das lebte Abendroth der helleniſchen Selbitändigkeit. 
ben Jahrhunderte alfo drängt fich Die ganze reiche. Ent⸗ 
g des Volkes zuſammen. Die neuern Völker wachfer 
rfallen langſamer. Ariſtoteles konnte faſt zu gleicher 
tücke der neuern Komödie, Werke der drei großen Tra⸗ 
nd die phalliſchen und dithyrambiſchen Urdramen aufs 
fehen ). Bon Kimon zu Kritiad, von Aeſchylos zu 
eirakyllien des Ariſtephanes 3), von Ageladas zu Sko— 





Käme es hier bloß auf. maffenhafte Räume an, fo wären bie 
der alerandrinifchen oder gar der trajantichen Zeit unendlich 
r geftelt, "als die Zeitgenoffen des Perikles. Allein bei ber 
införmigteit, bie in jenen Perioden ben orbis terrarum bes 
‚ war eine Reife von derſelben Meilenzahl damals viel weniger 
‚Ze bequemer bas Reiſen wird, deito weiter muß man geben, 
3 noch denfelben Gewinn davon zu haben. 

Aristot. Poet. 2. 

sröfche 92 ff. 


62 Prolegomena. Kap. 4. 


fie dann wohl das Haltungslofe Gebäude eines Eklektieismus 
oder Skepticismus zufammen. 

ie aber im Altertfume mitten unter diefer allgemeinen 
Erſchlafſung die römiſche Literatur ihre höchſte Blüthe 
erreichen kann, ſo in neuerer Zeit die deutſche. In beiden 
Fällen ſehen wir die Nationalität eines literariſch bis dahin 
noch wenig entwickelten Volkes durch meife Benutzuug aus 
ländifcher Muſter zur herrlichiten Reife gebracht. Die Römer 
hatten in dieſer Hinficht Feinen Irrweg zurückzumachen. Cie 
waren ohne Weiteres auf die Hellenen gewiefen. Der Deut 
ſche dagegen hat fih, che er auf. den richtigen Weg gerieth, 
erft an italienischen, darauf an fpanifchen, zuletzt an franzöſi⸗ 
ſchen und englifhen Muftern verbilden müſſen. Vielleicht it 
‚er eben dadurch um fo wicheitiger geworden. Die neuere 
deutfche Literatur hat mit der altrömifchen die Eigenthümlich⸗ 
keit gemein, daß fie beide mehr den gebildeten Ständen, als 
dem Volke angehören, daß fie mehr profaifch, als poetiſch 
find, und daß man felbft bei den poetifchen Erzeugniſſen, fo 
herrlich fie ah fein mögen, kaum recht angeben kann, ob 
die Epopöe, die Lyrik oder das Drama im Ganzen vorherrſcht. 
Daher auch die Gefchichte Diefer Zeiten ſowohl Chronik und 
Memoire, als eigentliche Kunfthiftorie Bearbeitet hat. Die 
altrömifche, wie Die neudeutſche Literatur tragen in vieler Be⸗ 
ziehung einen fosmopolitifchen Anſtrich. Nur daß freilich dem 
Raume nach die römische Welt eine viel geringere war. Beide 
haben daher auf die gefuntenen oder noch unentwickelten 1) 
Literaturen der Nachbarvölker einen belcbenden Einfluß gehabt. 
In der Zeit des Anguſtus treibt auch der abgeftorbene Baum 
der griechiſchen Hiftorie nene Blüthen hervor, Straben vor 
Allen und Dionyſios.  Späterhin beſonders Arrianod und 
Plutarch. So hat au) die deutfche Hiftoriographie eine ganz 


) Man denke namentlich im Alterthume an bie fpanifche und ‚gals 
lifche Literatur, in der neuern Zeit an die ruffifche! 


‘ 


Nömifche und beutfche Literatur. Ende. 65 


schule franzöfifcher Gejchichtichreiber in’ Dafein gerufen. 
ornehmſte Unterſchied, der in den hiſtoriſchen und poes 
Werfen auch deutlich genug zu Tage liegt, beficht in 
iloſophiſchen Meiſterſchaft der Deutjchen, in der politi= 
md militärischen Mteisterfchaft der Römer. 
son der alten Literatur liegt denn auch dad Ende jchon 
8. Die großartige Zeit von Salujtius bis auf Taci- 
die fih den griechischen Meiftern an die Seite ftellt, iſt 
sei entgegengefehten Abwegen zum Verfall gekommen. 
v einen Seite, gin mühſeliges Ercerptenfanmeln, ohne 
Geift, ohng;adlere Form, ein troſtloſes Verjinken im 
‚ wie cd fih Bei Plinius und Suetonius aukündigt. 
r andern Seite ein flaches, aufgepugte® bellettriſtiſches 
aement, dem jede folidere Grundlage, jedes ernfthaftere 
ſen, jede Neife und Männlichkeit abgeht: eine Manier, 
8 Florus und Curtius repräſentiren. Sobald in der 
haftlichen Welt die Arbeitötheilung ihren Gipfel über 
n bat, fo pflegt fie den Unternehmer zum Tyrannen 
lähen, den Arbeiter zum Sklaven zu erniedrigen, Nicht 
iders in der literariſchen Welt. Wo die harmonifche 
melzung des Allgemeinen und des Befondern verſchwun⸗ 
‚ da bilden fih auf der einen Seite übermüthige Ty— 
„ auf der andern Seite elende Sklaven der Wilfenfchaft. 
vollen den Ballajt, wie man es nennt, den Ballaſt der 
ſamkeit über Bord werfen; frei und mit vollen Segeln 
jie auf den Ocean hinauszufahren: aber, wie e8 den 
nicht anders fein kann, fie fteuern ewig in Der Itre 
, ein leichtes Spielzeug für den Wind und die Wogen. 
ndern dagegen, wenn die Kleinlichkeit ihres Tagewerkes 
Boden drückt, pflegen fi der Hoffnung zu getröften, 
n künftiger Meſſias ihrer Wiſſenſchaft die von ihnen 
nelten und gefeilten Steinchen zu einem unjterblichen 
[ vereinigen werde, Eitele Hoffnung! Die Ariftoteles 
umboldt ſind zu jeder Zeit den Alexandrinern voran— 


6A .: Peolegomene. Kap. 4. 


gegangen. — Wir fchauen nah Rom zurück. Was Forte 
jet wohl, bei dem ‘allgemeinen Verfalle des Nationalcharak 
ters, was konnte Anderes noch übrig Bleiben, als die Umkchr 
wieder zur dinftigften Chronik, fa, zur Miüthengefchichte 
ſelbſt !), wovon die Hiſtorie urſprünglich ausgegangen mar, 
Die Philofophie Pehrte ‚gleichzeitig zur Myſtik und Scholaftif 


—zurück. Was von- poctifchem Triebe noch übrig war, das 


flüchtete fich in das Proſaepos, den Roman, oder in die nei 
erwachende Volksſage. Wie in: aller -menfchlichen Dingen, fo 
iſt auch Hier jenes Geſetz wirkſam, wönach das Greiſenalter 
zur Schwäche der Kindheit zurũcktehren ni, | 


1) Diktys und Dares. | 


Füunftes Kapitel. 


Charakteriftit des helleniſchen Volkes 
überhaudt. 


om 


iebt vielleicht Fein Land in der Welt, das bei einem fo 
Flächenraume, wie ihn Griechenland befikt, eine 
ıtende Küftenlänge und einen fo großen Reichthum an 
däfen hätte), Diefe innige Verbindung mit dem 
pflegt ein treffliches Beförderungömittel jeder Arbeitd- 
und höhern Kultur zu fein. Was Europa gegen die 
Welttheile, das ift Griechenland in dieſer Hinficht ges 
übrige Europa. Es kommt noch Hinzu die eigen⸗ 
e Beſchafſenheit des griechiichen Dicereö, das durch 
zleeichen Inſeln und Halbinfeln, feine nahgelegenen 
ben Gontinente ebenfo früh zur Schifffahrt anreizen 
wie es durch feine Klippen und Sandbänfe, feine 
md Strömungen eine ftrenge Schule für den Seemann 


v auch in andern Stücken, fo ſcheint e8, Hat ein gü⸗ 


—· — — 


zährend die Größexvon Griechenland kaum ein Neuntel iſt von 
eis, iſt feine Küſte 720 geogr. Meilen lang, die franzöſiſche 
Ichwedifche 390, die italienifhe 580. Bal. Geogr. Ephes 
179, Ih. II, ©. 364. K. Kr. Hermann Eehrbudy $. 7. 


5 


7A Prolegomena, Kap. 3. 


pas Lehrern, von Empedokles zu Platon, endlich von Ha 
zu Thukydides: welcher Neuere hätte bei Binem Volke f 
Beränderungen erlebt? Glückſeliger Thukydides! 

Evdaruov nroiledoo» Adnvalng ayelsing, 

TIoila id0y xal nolla nador zul nolla uoynoar, 

Aistös Ev vepeAnor yarı)asas juara navra. 

Wollen wir den ganzen Unterſchied zwiſchen he 

nifhher und neuerer Gefhichtfhreibung in den 
zeiten Ausdruck zuſammenfaſſen, fo ift bei den Neuern die 
winnung, bei den Alten die Verarbeitung des Stoffed 
Vorherrſchende. Dei der Neuern alfo das erfte, bei den. 
lenen das zweite Stadium einer jeden hiſtoriſchen Thätig 
Wir kennen Heutzutage faft ebenfo viele Welttheile, wie 
Alten Länder; ebenfo viele Sprachfamilien, wie die 9 
Sprahen Die Möglichkeit der Analogie tft für uns bei 
unbegränzt. ine Menge von Zweigen der Gefchichte, 
Sprach⸗, das Kunſt⸗, das Rechts⸗, das Mythenſtudi 
haben ſich bei und zu ſelbſtändigen Bäumen entvickelt. U 
ed auf hiſtoriſche Geſetze ankommt, fo mußte fie Thukyt 
faft allen von feinem Vaterlande abötrabiren , deſſen 
Tchichte noch Lange nicht vollendet war. Uns dagegen 
eine Menge abgefchloffener Völkergefchichten offen. Aber ı 
bloß vielfeitiger ift die Stoffgewinnung der Neuen, fon 
auch im Einzelnen weit gründliche, Wo hätte das Altert 
auf vergleichende Quellenkritik, auf Herausgabe der verborg 
Quellen, auf Bennutzung felbit der indirecteften Quellen, 
Urkunden, Münzen, Gedichte, fo erjtaunlichen Fleiß ver 
det? Aber es war fleifjiger in der Verarbeitung diefes € 
fes. Weil man weniger las, fo Konnte man das Gele 
viel tiefer in Geift und Herz dringen laffer. Weil man 
iger fchrieb, fo konnte man die Vollendung der Norm | 
finniger im Auge haben. Weil das leſende Publicum 
Eleiner war, fo war es auch viel ausgewählter, Die Hell 
ſchen Hiſtoriker haben zum tiefen Eindringen in die Geſch 


Zandesnatur und Sprache der Hellenen. 67 


and dem trockenen Argos, zmifchen dem rauhen Alpen 
von Arkadien und der Tieblihen Ebene von Meſſene! 
md der Welt vereinigt ſolche Mannichfaltigfeit auf fo 
Gebiete. Auch in Flimatifcher Bezichung. Gell fand 
rz bei den Meffeniern Sommer, bei den Lakoniern 
g, bei den Arkadiern Winter 1). Weil überall Küfte, 
Gebirge dicht neben einander fichen, — mehr als neun 
des hellenifchen Feſtlandes find Gebirge — fo mußte 
rauhe, beſchränkte, naturgetreue und confervative Sinn 
völker mit dem feinen, offenen, kulturfähigen und progreſ⸗ 
me der Küſtenvölker auf das Schönfte verfchmolzen werden. 
e das Land die Pflegemutter des Leibes it, fo iſt 
rache die Pflegemutter der Seele. Und welch eine 
die helleniſche! Vollkommen original, ift fie freunden 
3 doch vollkommen zugänglid. Was fie aber irgend 
Eigennamen und Oattungsnamen, das Feidet fie ein 
sche Formen, um es organisch mit fich felber verbin⸗ 
innen. Dazu ihre mohlgeregelter, ſcharfbeſtimmter 
n an Biegungen und Ableitungen : ſchön in der Dlitte 
vifchen dem geilen Wachsthume der ſprachlichen Kind⸗ 
der dürren Nüchternheit des höhern Alters. Wie K. 
ler ſehr richtig ſagt, im der griechiſchen Sprache tres 
dorte, mit Flerionen wie mit Muskeln und Sehnen 
als lebendige Körper hervor voll Ausdruck und Cha⸗ 
ährend fie in den neuern Sprachen zu Gerippen zu⸗ 
fchrumpft find. Weiterhin eine Mannichfaltigkeit 
kelweſens, und eben dadurch, Bei der großen Frei⸗ 
Bortftellung, eine Feinheit der Nünneirungen, wie 
er Sprache wohl ihres Gleichen findet. Die Hellenifchen 
1 find fchon an fich fat. alle wohlklingend ; jede häß- 
bination wird mit der äußerſten Sorgfalt verniieden. 
zuſammenfügung der Sylben findet Die größte bs 





Gell Journey p. 355. vgl. p. 162. 
. 5 * 


76 Prolegomena. Kap. 5. 


















nungen, ihren Altären und ihren Gräbern; die Säuleumengg: 
erhebt fih, wie ein Wald; das Gewölbe ruhet darüber, ir 
der Himmel, Die gauze unendliche Polymetrie der Pflanze 
und Thierwelt ift zu Ornamenten auögebeutet, Alles auf iM 
Wirkungen der Perſpective berechnet, Durch Die gemalten Talk: 
fter in ein zauberiſches Zivielicht eingehüllt. Der belleniige- 
Baumeiſter fucht weniger zu erreichen; er ift minder reich 
- ander bedeutungsvoll, minder unendlich; aber fein Wenig 
erreicht er ungleich wollfommener 1). Wührend die hellentichen 
Tempel nur einen beiten, ſchönen Eindruck zurücklaſſen, fi 
die gothifchen, mit ihrer unvollendeten, unbezwungenen Di 
ſenhaftigkeit, ebenſo ſehr ein Denkmal der menfchlichen Kleid 
heit, als der menſchlichen Größe geblieben. | 
So herrſcht in der bildenden Kunſt bei den Alten Wi 
Plaſtik vor, bei den Neuern die Mialerei. Jene Hält fich bei 
nahe ansfchliehlich an das Nächitliegende, aber auch Höch 
zugleih, an die Geſtalt des Menſchen. Sie iſt in der Aub— 
wahl und in der Maffe ihrer Gegenftände eng befchräntt ; 
muß überall rund, völlig. beſtimmt und völlig klar arbeiten 
Die Malerei dagegen iſt mit dem Scheine der Geſtalten zu 
frieden; nur für einen einzigen Standpunkt arbeitet fie: vn 
bier aus aber gelingt es ihr, den Kreis ihrer Darftellung ini 
Unendliche zu erweitern, Ihre Gruppen find zahlreicher r X 
die der Plaſtik; fie kann Erhabenes und Gemeines 2), Ente 
ſerntes und Nahes, faſt möchte ich ſagen, Ruhiges und Ber 
wegtes zugleich ſchildern. Sie kann geiſtig und körperlich gar 


1) Die fentimentale Kunſt, ſagt Schiller, iſt auf dem Wege “ 
einem höhern poetifdyen Beariffe, aber die naive hat einen nicht fo deu 
hen wirklich erreicht (Briefe an Wild. Humboldt, ©. 377.). 

2) Es ift bekannt, wie die neuere Kunft, felbft wo fie Maria mit) 
dem göttlichen Kinde ſchildern will, immer Stall und Krippe, Ochs und; 
Tel umperzuftellen liebt. — Das ganze Reich der Karritatur iſt dem“ 
Bildhauer beinahe völlig verſchloſſen. Vgl. Kant Kritik ber Urtheils⸗ 
fraft, 1, $. 48. d 


Sprache und Körperbefchaffenheit der Hellenen. 69 


die felbft im Verfalle noch gewürdigt fit, der höchſten 
‚hen Offenbarung als Gefäß zu dienen. Die feierliche 
idezza des Spanierd, Die feine Süßigkeit des Stalicners, 
sranzofen geläufige Anmuth, des Engländers pathetifche 
, des Deutſchen unergründlicher Reichthum, ja, ſelbſt 
Zürde der römiſchen Senatorenſprache: hier find- fie ver⸗ 
, find geläutert im Feuer des Geiſtes und zum edelſten 
zuſammengeſchmolzen. In diefer einen Sprache find die 
metentöne des Pindar und die Flötenfpiele des Anakreon, 
Ye gaukelnden Scherze des Ariſtophanes und die Erins 
Dre des Aeſchylos gedichtet. Sie Hat den Thukydides 
Schildern gedient, dein Demoſthenes zum Neden, dem 
eles und Platon zum Speenliren. Die hellenifche Weis: 
durfte niemal3 einer fremden Terminologie. . 
aß die Hellenen körperlich e Schönheit beſeſſen, würde 
bon aus ihren Bildiverfen verinutben dürfen, Wenn 
irne dem voös entfpriht, Die Nafe dem Hunos, der 
der Enıduniat),,. fo beruhet das Charakteriftifche des 
hen Profild auf dem Uebergewichte der geiftigen Stirn 
m finnlichen Munde. . Die gerade Nafe, weder zum. 
ıtbe des aduncus erhoben, noch zur Sinnlichkeit des si- 
rabgedrückt, fcheint auf geregelte Mäßigung des Willens 
ıten. In der nationalen Größe des Kinnes kann der 
nomiker Großartigkeit des ganzen Weſens finden. Die 
ig der Hellenen vernachläffigte den Leib nicht über der 
‘wie es Die unfere thut; die Schönheit und Anmuth 
er der Stärke, wie es unſer Mittelalter that). Bes 
inner noch, wie Sokrates, Befuchten die Ringfchule. 
Lakedämouiern waren ſelbſt Die Jungfrauen non der 





ehnliche Räfonnements über das Verhältniß von Kopf, Bruft 
am menfdlichen Körper bei Platon: Timaeus p. 44 D. 


ji. die vortveffliche Charakteriſtik der alten und neuern Bes 
Hegel's Aeſthetik: Werke Bd. X, Ih. 1. ©. 212 ff. 


18 Prolegomena. Kap. 3. 


einander geſtellt. Selbſt die Maſſe der Handelnden fell 
Abbild der großen Wirklichkeit geben. Bei Sophofles ı 
Allem das Gegentheil: die einfachite und gefchloffenfte Ha 
lung, Ort und Zeit auf das Steengfte begränzt, wenig P 
fonen, die tragifche Majeftät Feinen Augenblick aus dem € 
fihte verloren. Es ift Derfelbe Unterfchied , wie zmifchen eh 
antifen Statuengruppe und einem neuern Gefchichtägemäl 
Dei dem viel geringern Umfange der fophokleifhen Sti 
konnte die Form des Einzelnen weit vollendeter fein. Sam 
doch überhaupt bei den Alten auf die Form mehr an. 8 
fehr hei den Neuern der Suhalt überwiegt, flieht man-ı. 
fhon aus dem allgemein verbreiteten. und vorherrſchenden | 
tevefje an der Babel des Stückes, mogegen die Alten | 
ftet3 in einem engen, wohlbefannten Fabelkreiſe umherdrehet 
. Wie derfelbe Unterfchied auch zwifchen den philofophifd 
Kunftwerken der Alten und der Neuern zu finden fit, kann 
Vergleichung der platonifchen Republit mit der Hegelfihen € 
cyklopädie am beiten zeigen. Das nähere Detail dieſer V 
gleichung überlaſſe ih dem Nachdenken des Leſers. 
ir find unter Diefen Betrachtungen unvermerft an | 
Thor gelangt, welches und den Tempel des thukydidelfd 
Geiſtes erfchliegen fol. Ein ergreifender Moment! Wie; 
ben unfere Schuhe aus, denn es ift heiligen Boden, den ! 
Betreten wollen 1). 


’ 3) uUnſere Betradytung des Thukydides wird ſich ganz nad) 
drei Hauptftadien einer jeden Kunftthätigleit ordnen. Nah € 
kurzen GCrörterung feiner äußern Lebensumftände werden wir bie 
und Weife Eennen lernen, wie er feinen Stoff gefammeltz weiter: 
wie er ihn im Innern verarbeitet hat. Den Belchluß wird die Zerz 
derung feines Kunſtwerkes felbft machen, worauf id) dann noch über 
literarifchen Scidfale deffelben das Nöthige beizubringen habe. 


DThukudides. 


Bilvungsoortheile ber hellen. Geſchichtſchreiber. 73 


ſich rühmen, ſo viele Völker perſönlich beſucht zu ha⸗ 
Und bei all dieſer großen Mannichfaltigkeit des dama⸗ 
Völkerverkehres zu gleicher Zeit die vollkommenſte Con⸗ 
ung. Alljährlich beinahe kamen die Hellenen an den 
Spielen zuſammen, um über dev Vielheit ihrer Stänime 
nheit ihres Volkes nicht einzubüßen. Während unſere 
nur die Gewerbetreibenden herbeizieht, waren es die 
n der Nation, die ſich dort vereinigten. Mit einem 
‚ da fih Kultur und Gejchichte der neuern Zeit auf fp 
iche Räume erweitert Haben, fo wird felbft die Außerfte 
llkommnung unferer Communicationsmittel an wirklichen 
yume der Anfchauungen den griechiſchen Vertehr wohl 
ich übertreffen können 1). 
nd nicht bloß ein enger Länderraum vereinigte damals 
adlich viel hiſtoriſch Merkwürdiges, fondern ebenfo ſehr 
n enger Zeitraum. In das neunte Sahrhundert vor 
iſtlichen Zeitrechnung fallt die Blüthezeit des helleniſchen 
edichtes, und im Anfange des zweiten Jahrhunderts 
das letzte Abendroth der helleniſchen Selbſtändigkeit. 
sen Jahrhunderte alſo drängt ſich die ganze reiche Ent⸗ 
g des Volkes zuſammen. Die neuern Völker wachſen 
rfallen langſamer. Ariſtoteles konute faſt zu gleicher 
tücke der neuem Komödie, Werke der drei großen Tra⸗ 
nd die phallifchen und dithyrambiſchen Urdramen aufs 
ſehen ), Bon Kimon zu Kritiad, von Xefchylos zu 
eirafyflien des Ariftephanes 3), von Ageladas zu Sko⸗ 





Käme es hier bloß auf. maffenhafte Räume an, fo wären bie 
der alerandrinifchen oder gar ber trajaniichen Zeit unendlich 

er geftellt, “als bie Zeitgenoffen des Perikles. Allein bei der _ 
sinförmigkeit, die in jenen Perioden ben orbis terrarum bes 

‚ war eine Reife von berjelben Meilenzahl bamals viel weniger 
. Se bequemer das Reiſen wird, deflo weiter muß man geben, 

g noch denfelben Gewinn davon zu haben. 

Aristot. Poet. 2. 


Fröſche 92 ff. 


7A | Prolegomena, Kap. 3. 


pas Lehrern, von Empedofles zu Platon, endlich won Herodot 
zu Thukydides: welcher Neuere hätte bei Einem Volke folde 
Beräinderungen erlebt? Glückſeliger Thukydides! 
 Evdoınov nroAledoo» Adnvalng ayelsing, 
IIoila iöov xal nolla nadov xal noAla uoynoa», 
Aicròę Ev vepehmai yEynosas juara navra. 

Wollen wir den ganzen Unterſchied zwifchen Helle 
nifher und neuerer Gefhichtfchreibung in den für 
äeften Ausdruck aufammenfaffen, fo tft bei den Neuern die Ge 
witmung, bei den Alten die Verarbeitung des Stoffes das 
Vorherrſchende. Bei den Neuern alfo das erfte, bei den Hels 
lenen das zweite Stadium einer jeden hiſtoriſchen Thätigkeit. 
Wir kennen heutzutage fait ebenfo viele Welttheile, mie die 
Alten Länder: ebenfo viele Sprachfamilien, wie die Alten 
Sprachen. Die Möglichkeit der Analogie iſt für und beinahe 
unbegränzt. ine Menge von Ziveigen der Gefchichte, das 
Sprache, das Kunſt⸗, das Rechts⸗, das Mythenſtudium, 
haben ſich bei und zu ſelbſtändigen Bäumen entwwickelt. Wenn 
es auf hiltorifche Gefeke ankommt, ſo mußte fie Thukydides 
faft allein von feinem Vaterlande abötrahiren, deſſen Ge 
fchichte noch Tange nicht‘ wollendet war. Uns dagegen Liegt 
eine Menge abgefchloffener Völkergefchichten ofſen. Aber nicht 
bloß vielſeitiger iſt die Stoffgewinnung der Neuern, fondern 
auch im Einzelnen weit gründlicher. Wo hätte das Alterthum 
auf vergleichende Quellenkritik, auf Herausgabe der verborgenen 
Quellen, auf Benutzung ſelbſt der indirecteſten Quellen, der 
Urkunden, Münzen, Gedichte, ſo erſtaunlichen Fleiß verwen⸗ 
det? Aber es war fleißiger in der Verarbeitung dieſes Stof- 
fes. Weil man weniger lad, fo Eonnte man das Gelefene 
viel tiefer in Geift und Herz dringen laffer. Weil man we 
niger fchrieb, fo konnte man die Vollendung der Form weit 
finniger im Ange haben. Weil das leſende Publicum viel 
Fleiner war, fo war ed auch viel ausgewählter. Die helleni⸗ 
fen Hiſtoriker Haben zum tiefen Eindringen in die Gefchichte 


Unterjchied der alten und neuern Gefchichtfchreibung. 23 


’» gut iwie wir den Weg der Analogie betreten, . Nur 
chen fie den Gegenſtand ihres Studiums nicht ſo ſehr 
udern Studien, ſondern mit dem, was fie im Lehen zus 
umringte; nicht fo fehr mit den Erlebniſſen fremder 
r und ferner Zeiträume, fondern mit den Erſcheinungen 
eigenen Staates, ihrer eigenen Zeit, ihrer eigenen Wirk⸗ 
it. So mußte denn ihre Menſchen⸗ ımd Weltkenntniß 
iell ziwar geringer, aber dem Weſen nach Ichendiger, kla⸗ 
id tiefer werden 1). Ihre Werke felbit find nicht fo reich, 
endlichen Fernſichten, aber geichloffener und einheitlicher, 
e unfern. 
5s iſt ganz derſelbe Unterſchied, welcher das helleniſche 
überhaupt von dem germaniſchen trennt; jener Unter⸗ 
‚ welchen man verfchiedentlich durch die Worte naiv und 
ental, elaſſiſch und romantiſch, plaftifch und muſikaliſch, 
v und ſubjectiv hat bezeichnen wollen. 
zergleichen wir z. B. den Bau eines doriſchen Tempels 
ner Kirche des deutſchen Mittelalters! Dort überall die 
e Harmonie der geraden Linie, Die ruhige Feſtigkeit der 
s nirgends animdlifcher, felten vegetabilifcher Zierrath ; 
I are Heiterkeit; der Himmel durch's Dach, wie durch 
tterenlumnien hereinblickend; jeder Standpunkt beinahe 
zenuſſe des Ganzen gleich fehr geeignets Hier dagegen 
mtefte Mannichfaltigkeit der Formen. Der Geift des 
hters wird an den ſchlanken Pfeilern, die durch ihre 
nbündel uoch ſchlanker ſcheinen, zum Gewölbe empor, 
weit von der Erde hinweggehoben. Alle Reiche der Nas 
id zufammengerafit, um dieſem Gebände Schmud zu 
en. Das Schiff ftellt Die Erde vor, mit ihren Woh— 





So haben bie Hellenen das Aeußere bes menfchlichen Körpers 
ıauer ftudiert, als wir, in Gymnaſtik, Tanz und Plaftik viel, 
Uer verarbeitet. Sectionen dagegen, Erperimente u. |. w. haben. 
4 unternommen. Shre Bibliotheken find darum an Büchern är: 
vefen, als. die unfern, ihre Staaten aber reicher an Männern. 


8ga ghulhdides. Kap. 1. 


der andere von 54 bis zum Schluſſe: die nur ganz oberfle 
lich durch die letzte Redaction verbunden ſind. Beide | 
Haben durchaus die nämliche Auordnung, wie die Fe 
erſt werden die Außen Lebensumftände des Thukydides add 
handelt, darauf die Charaktetiftik feiner Schreibwelfe. 
drei: ſcheinen aus Vorlefungen über den Thukydides entfin 
zu feins- von:dem zweiten {ft es gewiß (51). Daß Auf 
des im ſpätern Alterthume beinahe. einftinmig für das M 
aller Geſchichtſchreibung gehalten wurde, wiſſen wir aus S 
nyfios 1). — Idhrem literariſchen Werthe nach ſtehen I 
Aufſãtze giemlich auf derſelben Stufe, wie der eigentliche M 
cellinus. Doch iſt der mittlere Autor viel weniger Beni 
feine Dürftigkeit hinter Hochtrabende Nedensarten zu verſt 
viel detaillirter in feinen Beifpielen, viel mehr gerichtet‘ 
grammatifche Wortkritik. Wo er ſchildern will, da geling 
ihm. unglaublich ſchlecht (51). Der dritte Verfaffer u 
geſchmackvollſte von allen, auch: in feiner heutigen Geftalt 
kuͤrzeſte. Was den Inhalt betrifft, fo gehen fle in vielen € 
cken dem Marcellinus völlig parallel, * Doch Steht 6 mi 
5. mit 32 im directem Widerfpruche, 

- Der anonyme Biograph giebt md meiter Mia, 
eine wüſte;, ſchlecht verarbeitete Exeerptenſammlung. Sc 
der einfachen Geſchichte von Thukydides makedoniſchen Falk. 
gen richtet er die heilloſeſten Verwirrungen an (3). ie 
Bringt er Rova bei; aber dieſe Nova find offenbar nur WE 
verſtandene Nachrichten von dem ältern Thukydides, M 
Sohne, und ſelbſt auf dieſen nicht ohne bie größe‘ D 
ſambeit anzuwenden. | "a 

- Der Artikel des Suida iſt, wie deffen ganzes £ 
zum Theil aus guten Quellen gefchöpft, aber mit großer 
gerieten gearbeitet. Neues enthält er wenig. 




















u ):-Dionye i De Thucyd. iud. 2. eig), But Lucien be 
modo sit hist. -conscr. N: >= 


Landesnatur und Sprache der Hellenen. 67 


and dem trodenen Argos, zwiſchen den rauhen Alpen- 
von Arkadien und der Tiebliden Ebene von Meſſene! 
and der Welt vereinigt ſolche Mannichfaltigkeit auf fo 
Gebiete. Auch in Himatifcher Beziehung. Gell fand 
irz bei den Meffeniern Sommer, bei den Lakoniern 
g, bei den Arkadiern Winter 1). Weil überall Küfte, 
Gebirge dicht neben einander ftchen, — mehr als neun 
de3 Hellenifchen Feitlandes find Gebirge — fo mußte 
raube, beſchränkte, naturgetreue und confervative Sinn 
jölfer mit dem feinen, offenen, kulturfähigen und progrefs 
ne der Küſtenvölker auf das Schünfte verfchmolzen werden. 
ie dad Land die Pflegemutter des Leibes iſt, fo iſt 
rache die Pflegemutter der Seele. Und welch eine 
die helleniſche! Vollkommen original, ift fie fremden 
n doch vollfommen zugänglich. Was fie aber irgend 

Eigennamen und Gattungsnamen, das kleidet fie ein 
tifche Formen, um ed organifch mit fich felber verbin- 
fünnen. Dazu ihr mohlgeregelter, fcharfbeftimmter . 
m an Biegungen und Ableitungen: ſchön in der Mitte 
zwiſchen dem geilen Wachsthume der fprachlichen Kind⸗ 
ı der dürren Nüchternheit des höhern Altrd. Wie K. 
Iler fehr richtig fagt, in der griechifchen Sprache tre= 
Worte, mit Slerionen wie mit Muskeln und Sehnen 
, als lebendige Körper hervor voll Ausdruck und Cha⸗ 
während fie in den neuen Sprachen zu Gerippen zu⸗ 
jefchrumpft find. Weiterhin eine Mannichfaltigkeit 
tikelweſens, und eben dadurch, bei der großen reis 
Wortftelung, eine Zeinheit der Nüancirungen, wie 
ner Sprache wohl ihres Gleichen findet. Die hellenifchen 
ven find ſchon an fich faft.alle wohlklingend; jede häß— 
mbination wird mit der äußerſten Sorgfalt vermieden, 
Zufammenfügung der Sylben findet die größte Abs 





W. Gell Journey p. 355. vgl. p. 162. 
. 5 * 


18 Prolegomena. Kap. 3. 


einander geitellt. Selbſt die Maſſe der Handelnden fol 
Abbild der großen Wirklichkeit geben. Bei Sophofles ' 
Allen das Gegentheil: die einfachite und gefchlofjenite Ha 
lung, Ort und Zeit auf das Strengfte begränzt, wenig I 
fonen, die tragiſche Majeſtät keinen Augenblid aus dem ( 
fihte verloren. Es ift Derfelbe Unterfchied , wie zwifchen di 
antiken Steiuengruppe und einem neuen Geſchichtsgemäl 
Dei dem viel geringern Umfange der fophofleifchen Chi 
Fonnte Die Fyrm des Einzelnen weit wollendeter fein. Sam 
doch überhaupt bei den Alten auf die Form mehr an. ? 
fehr bei den Neuern der Inhalt überwiegt, ſieht man-u. 
fhon aus dem allgemein verbreiteten und vorherrfchenden X 
terefje an der Babel des Stückes, wogegen die Alten 
ftet8 in einem engen, wohlbefannten Fabelkreiſe umherdrehei 

Die derfelbe Unterfchied auch zwiſchen den philoſophiſe 
Kunftwerken der Alten und der Neuern zu finden fit, kann 
Vergleihung der platonifchen Republik mit der Hegelfihen ( 
cyklopädie am beften zeigen. Das nähere Detail dieſer V 
gleichung überlaſſe ich Dem Nachdenken des Leſers. 

Dir find unter diefen Betrachtungen unvermerkt an 
Thor gelangt, welches und den Tempel des thukydideiſc 
Geiſtes erjchliegen fol. Ein ergreeifendee Moment! Wie, 
hen unfere Schuhe aus, denn es ift heiliger Boden, den 
Betreten wollen !). 


— 


1) Unſere Betrachtung des Thukydides wird fich ganz nad) 
brei Hauptſtadien einer jeden Kunftthätigkeit ordnen. Nah € 
kurzen Crörterung feiner äußern Lebensumftände werben wir bie 
und Weife Fennen lernen, wie er feinen Stoff gefammelt; weiter: 
wie er ihn im Innern verarbeitet hat. Den Beſchluß wird die Bert 
derung feined Kunſtwerkes felbft machen, worauf ich dann noch über 
literarifchen Schickſale deſſelben das Nöthige beizubringen babe. 


Thukydides. 





Körperbefchaffenheit und. Geiſtesbildung der Hellenen. 71 


e Republiken, die in Wahrheit nur große Gemeinden 

geftattete dieß. Wir fehen freilich überall, je mehr 
. Staat der reinen Demokratie nähert, deito mehr wird 
nze Leben feines Volles von Bffentlihem, von politis 
Seifte Durchzogen. Aber was find unfere Zeitungen, 
das. Beſte doch immer verheimlicht wird, gegen die alten 
eden? unfere Landftände, die doch nicht den tauſendſten 
der Gebildeten und kaum etliche Monate im Jahre an 
aatövertwaltung Theil nehmen Taffen, gegen die alten 
erfammlungen ?_ unfere Eonferibirteniheere gegen jene als 
xgerkrieger, welche Jugend und Manneskraft unter den 
; verleben, und jedweden Kampf in unmittelbarfter Nähe 
rd und Altar führen mußten? Welch eine Schule der 
igkeit, der lebendigen Welt und Menſchenkenntniß für 
ſtoriker )I Wer das Leben nicht nah Stunden mißt, 
ı nach Thaten und Erfahrungen, der muß geftehen, jene 
yaben länger gelebt. Es war damals noch nicht fo üb⸗ 
ie heutzutage, dag die Sünglinge als Weisheitsverkün⸗ 
die Greiſe als Yeldherren und Minifter auftraten. - Mit 
j Jahren wurden Iphikrates und Aratos, mit ein und 
z Jahren Hannibal, mit drei und zwanzig Jahren 
jus, mit fieben und zwanzig Jahren Scipio die Ober⸗ 
en ihres Vaterlanded. Sophofles Dagegen, Herodot, 
ides, Sokrates haben ihre Meiiteriverke erft im Alter 
ben. Nach einer glühenden, .aber naturgetrenen Ju⸗ 
einen ftürmifchen, aber gemäßigten Mannesalter zog 
Greid in den Hafen der Muffe zurück, das vergangene 





Wie innig die Literatur der Hellenen mit ihrer Staatsverwal⸗ 
ammenhängt, beweifen u. %. bie Lyriker, obwohl die Blüthe 
hen Poefie noch in die ariftokratifche Periode fällt. Tyrtäos 
Spige des Heeres; die meiften Gefege in Verſen; Alkäos, The⸗ 
Stejihoros im heftigften Strudel des Parteienkampfes; Bakchy⸗ 
bannt, Simonibes durch feine Staatögebichte weltbegühmt; auch 
3 endlich, auf das Zieffte durchbrungen von politifhem Geiſte. 


89 Chulhdides. Kap. 1. 


hängigen Beſitze von Dalmatien zu erhalten mußte, 
Freund des Salluftius würde er dann auch Zeitgenoffe 
Simplifios fein müffen 1). Anſprechender noch iſt bie! 
muthung von Konrad Geöner, der ihn für den befannten 
ftoriter Ammianus Mareellinud Hält, Ammianus ſchrieb 
Gefchichte zwar Inteinifch; aber am Schluffe des ganzen 2 
kes 2) nennt er fich felbft einen Griechen, und es find d 
leiſe Spuren bei ihm ‚vorhanden von Ngcahmung bed Th 
dides. Jedenfalls “ME der Verfaſſer umferer Diegraphi⸗ 
Grammatiker, ein Rhetor der ſpätern Kaiferzeit 2),.. 
Marcellin hat ſehr gute Quellen benutzt: den Sell 
Herodot, Kratippos und Timäos, die Atthidenfchreiber An 
tion und Philochoros, Demetrios Phalereus umd Prart 
ned, die Alerandriner Hermippod und Polemon, weiterhin 
Commentarien, welche Didymos und Antyllos zum Thul 
des gefchrieben. hatten. Was jedoch Die Benutzung dieſer 
{en anbetrifft, JP: leidet M. an allen, Fehlern feines: Seital 


des nur in den Herfämmlichen Diftinetionm her Rhetornn 
auszudrücken: ob feine, Sprache dem. Öynrör, dem jogwär 
dem ueoov . angehöre 39), feine, Darſiellung der Rhe 
oder Poeſie (41) „al feine Reden demegqriſch ſeien, odq 
kaniſch, oder panegyriſch (42). Weil die Rhetoren jener 
Immer gewiſſe Muſien Bor Augen hatten,: ſo maß num! 
— Sonn... nkomd 
FF y, Suidas v. Zulioion. Amp! Hommas. — 
J xxXl, 16, 9. , 





Üg wäre, fo müßte Marcellinds "had dem Tode des eek 
gelebt haben. K. W. Krüger will in ber drprBele —XX 
Marcellinus $.1. eine Nachahmung finden von Ariſtides “Yrdp rar: 
P- 200. Sant. — Nah 3. G. Voffius Vermuthung (De hist. 4 
- eis p. 302. West.) würde der Biograph identiſch fein mit dem & 
fee des Commentars zum Hermogenes. ine gelehrte Zufammenſte 
der bekannten Marcelline giebt Claude Chifflet in ſeiner Vie! 
miani: bei Wagner Vol. I, p. LXXXV sqq: 


Bildungsvortheile der hellen. Gefchichtichreiber. 25 


fi) rühmen, fo viele Völker perſoͤnlich befucht zu has 
Und bei al dieſer großen Mannichaltigkeit des dama⸗ 
Völkerverkehres zu gleicher Zeit die vollfommenfte Con⸗ 
rung. Alljährlich Beinahe kamen die Hellenen an den 
n Spielen zufammen, um über der Vielheit ihrer Stänime 
finheit ihres Volkes nicht einzubüßen, Während unfere 
e nur die Gewerbetreibenden herbeizieht, waren es die 
ten der Nation, die fi) dort vereinigten. Mit: einem 
e, da fih Kultur und Gefchichte der neuern Zeit auf fo 
liche Räume erweitert Haben, fo wird felbft die äußerſte 
ollkommnung unferer Communicationdmittel an wirklichen 
hume der Anfchauungen den griechiſchen Verlehr wohl 
lich übertreffen können 1). 
Ind nicht bloß .ein enger Länberrasm vereinigte damals 
indlich viel hiſtoriſch Merkwürdiges, ſondern ebenſo ſehr 
in enger Zeitraum. In das neunte Jahrhundert vor 
riſtlichen Zeitrechnung fällt die Blüthezeit des helleniſchen 
zedichtes, und im Anfange des zweiten Jahrhunderts 
das letzte Abendroth der helleniſchen Selbſtändigkeit. 
ben Jahrhunderte alſo drängt ſich Die ganze reiche Ent⸗ 
ig des Volkes zuſammen. Die neuern Völker wachfen 
fallen langſamer. Ariſtoteles konnte faſt zu gleicher 
ztücke der neuern Komödie, Werke der drei großen Tra⸗ 
md die phalliſchen und dithyrambiſchen Urdramen aufs 
fchen ). Bon Kimon zu Kritiad, von Aeſchylos zu 
eirakyllien des Ariſtephanes 3), von Ageladas zu Sko- 





Käme es hier bloß auf. maffenhafte Räume an, fo wären bie 
der alerandrinifchen oder gar ber trajanifchen Zeit unendlich 
er geftellt, “als bie Zeitgenoffen des Perikles. Allein bei ber R 
Einförmigkeit, bie in jenen Perioden den orbis terrarum bes 
‚ war eine Reife von berjelben Meilenzahl damals viel weniger 
. Je bequemer das Reifen wird, beito weiter muß man geben, 
ig noch) denfelben Gewinn davon zu haben. 
Aristot. Poet. 2. 


Fröſche 92 ff. 


8A char KLhulydldes. Kap. 1. 


der andere won 54 bis zum:Schhiffer Die iur ganz ob 
Ih durch die letzte Redaction verbunden find: Belbe 2 
Haben Kurhaus die nämliche Anordnung, wie Die Hauptf 
erſt werden "die Aufern Lebendumſtände des Thukydides 
hanbelt,: darauf die Charakteriftik feiner Schreibweiſe. 
drei: ſchelnen aus Vorlefungen’ über den Thukydides entf 
zu feits: vorl’dem-zieiten- iſt es gewiß (51). Daß I 
des im ſpätern Alterthume Beinahe: einftimmig für das $ 
ailler Gefchichtfchreibung gehalten wurde, wiſſen wir aus 
nyſtos 1), — Idhrem literariſchen Werthe nach fiehen 
Affäre leimlich auf derfelben Stufe, wie ber eigentliche 
celluus. Doch‘ tft der mittlere Autor wiel weniger ba 
feine Dürftigkeit hinter hochtrabende Nedendarten zu ver] 
viel detaillirter in feinen Beifpielen, viel mehr gericht 
grammatiſche Wortkritil, Wo er fchildern will, da geft 
Ihm. unglaublich Tchleht (51). Der dritte Verfaffer | 
geſchmackvollſte von allen, auch: in feiner Heutigen Geſte 
kuͤrzeſte. Was den Inhalt betrifft, fo gehen fle in vieler 
cken dem Marcellinus völlig parallel, : Doch ſteht 6 m 
w mit 32 in directem Widerſpruche. 

Der anonyme Biograph giebt ind weiter ih 
eine wüſte;, ſchlecht verarbeitete Excerptenſammlung. Se 
der einfachen Geſchichte von Thukydides matedoniſchen F 
gen richtet er die heilloſeſten Verwirrungen an (3). F 
Bringt: er Rova bei; aber dieſe Nova find offenbar nur 
verſtandene Nachrichten won dem ältern Thukydides, SM 
Sohne, und felbſt auf dieſen nicht ohne die größte X 
ſaunkent anzuwenden. | 

Der Artikel des Suidas iſt, wie deſſen ganzes Ley 
zum Theil aus guten Quellen geſchöpft, aber mit große 
gemietet gearbeitet, Neues enthält et wenig. 


2 1).-Dionys. De Thucyd: iud. 2. (Rei) aut Lucien 
modo sit hist. conscr. 


Unterjchied der alten und neuern Geſchichtſchreibung. 785 


zut wie wir ben Weg der Analogie betreten. . Nur 
n fie den Geganftand ihres Studiums nicht fo fchr 
ern Studien, fondern mit dem, . was fie im Leben zus 
mringte; nicht fo fehr mit den Erlebniſſen fremder 
und ferner Zeiträume, fondern mit den Erſcheinungen 
jenen Staates, ihrer eigenen Zeit, ihrer eigenen Wirk⸗ 
So musste denn ihre Menſchen⸗ und Weltkenntniß 
zwar geringer, aber dem Weſen nach lebendiger, kla⸗ 
tiefee werden 1). Ihre Werke felbit find nicht fo veich, 
dlichen Fernſichten, aber gefchlofjener und einheitlicher, . 
ınfern. Ä Ä 
ift ganz derfelbe Unterſchied, welcher das helleniſche 
serhaupt von dem germanifchen trennt; jener Linters 
welchen man verfchiedentlich durch, die Worte naiv und 
tal, elaffifch und romantiſch, plaſtiſch und muſikaliſch, 
und fubjectin Hat bezeichnen wollen. 
‚gleichen wir 3. B. den Bau eines dorifchen Tempels 
: Kirche des deutſchen Mittelalters! Dort überall die 
Harmonie der geraden Linie, Die ruhige Feſtigkeit der 
nirgends animelifcher, felten vegetabilifcher Zierrath 5 
lare Heiterkeit; Der Himmel durch's Dach, wie Durch 
reolumnien hereinblickend; jeder Standpunkt beinahe 
nıffe des Ganzen gleich ſehr geeignets Hier dagegen 
eite Mannichfaltigkeit der Formen. Der Geift des 
3 wird an den fchlanfen Pfeilen, Die durch ihre 
ündel uoch ſchlanker fcheinen, zum Gewölbe empor, 
it von der Erde hinweggehoben. Alle Reiche der Nas 
zufammengerafit, um dieſem Gebäude Schmuck zu 
Das Schiff ftellt die Erde vor, mit ihren Woh— 





zo haben die Hellenen das Aeußere des menſchlichen Körpers 
er ftudiert, als wir, in Gymnaftil, Tanz und Plaftil viel 
: verarbeitet. Sectionen dagegen, Experimente u. |. w. haben. 
unternommen. Shre Bibliothefen find darum an Büchern är⸗ 
:n, als die unfern, ihre Staaten aber reicher an Männern. 


86 Rue apa: no .; 


hal’ auch Gellius ſriner gangen Angabe ein: ut! videter 9 
ſetzt. — Krüger hat deßwegen. die andrre Augabe morgey 
die ſich bei Marcellinus findet (34), wonach Thukydides 
funfzig Jahre alt geworden ˖ wäde. WIN man hierin 
wirklich poſitive Angabe ſeines Alters finden, fo würde er 
fein Tod, in DE: 94 fällt, etwa DE. 80 nder 81 geboren 
Allein die Gründe, welche Krüger zur Unterftikkung 
führt‘, ſind? nach meinen: AUnfichti nichts weniger als Be 
ſend 15 5: Ihrunbloße Anzahl Exun: dieſen Mangel: nicht 
vn Br z. BrrKrüger aus dem Asyazoı. nes 3 
cellinus, dag mehrere feiner Quelleu diefelbe Angabe⸗ 
tayi- Die Alnbefhiendheit det ahrerzchl; foll ein günf 
Borurtbeilinaflie exregen, „mel das. Wert des Thube 
erſt lange: nach; bern Tode deſſelben berühmt wurde, um 
alſo wahrſch ein bich wicht mehr möglich mar, . hun 
nciues über das Geburtsjahr des Verfafſſers zu . exist 
Welch ein ntficherev. Boden!Konnite Da nicht ebenſo gi 
folgert werden, : weil Pamphila die Geburtsjahre des Her 
und Hellanikos zugleich angiebt, daß fie aus einer. fchägk 
Rauelle Läher:: alle drei Hiſtoriker zuſammen geſchoͤpft Bi 
Könnte nicht die ganze Angabe des Mareellinus nur auf ı 
eigenen Rechnung beruhen, wobei das Feldherrnjahr des 9 
kydides und das Ende des Krieges als Poſten benutzt wi 
wären?’ Die Stelle des Aphthonios, den ich et 
* auf einzelne Worte hin als Geſchichtoquelle premiren 
wird vollkommen aufgewogen durch Die Notiz des Suiddl 
die nach Krüger „gar Feine Beachtung verdient,“ - Wer 
cero ichenbwo 7 Themißtocles aligyot fake annis J 


J. 


EEE BE Zr a Bu PR oo. ; on 


y Unterfudhungen ©. 7 e BR el 


2, rue nord ri⸗ ne’ Olvuzuide. Eine Reihe von 
Stellen, die gleichfalls gehen Krüger Iprecjen, wird „als gar ke 
rücfichtigung verdienend“ S. 40. aufgeführt. Warum ſtehe ven 
Aphthonios fo viel höher, als die Ariſtidesſcholien und Phlloſtratot 





Tl 
) 


Unterſchied der alten und neuern Kumft überhaupt. 77 


ndenten, Tann auch Disharmonien im Einzelnen für 
nze auflöſen. Dieſer Lnterfchied zivifchen Anti⸗ 
Modernem mird am deutlichjten, wenn man die Art 
„wie fie Beide den Eindruck der materiellen Natur 
sen, Den Seeſtücken, den Waldſtücken und Land - 
der neuern Zeit ftchen bier die Zritonen und Nereiden 
cthbums, die Bane, Nymphen und Satym auf das 
gegenüber.’ 
hat ferner die Muſik, die von allen Künſten ihres 
3, der Tone, am wenigſten Meifter ift, die am uns 
eiten ausdrückt, und ſich eben Daher für unklare, uns 
e Gefühle am beiten eignet, fie bat bei den Hellenen 
zen eine viel geringere Stelle eingenommen, als bei 
er. In der Muſik felbit Haben Die Hellenen wie 
ie klare, zeichnende Melodie höher eultivirt, als die 
, malende Harmonie 1). 
gleichen wir endlich ein Trauerſpiel von Shakeſpeare 
m ſophokleiſchen! Wie it Shakefpeare bemüht, Die 
Belt in den Kreis feiner Dichtungen hereinzuziehen! 
a bunter Wechtel der Scenen, der Zeiträume, oft in 
zen Stücke, nun gar in dem ganzen Kyklos feiner _ 
Scherz und Ernſt; Burleskes und Gewaltiges; Men⸗ 
8 den verſchiedenartigſten Geburtsſtänden und Lebens— 
Himmel, Erde und Hölle ſind hier gefliſſentlich neben 





Wie ja auch, ganz dem entſprechend, in der helleniſchen Metrik 
hmus vorherrſcht, in der neuern Metrik der Klang der Worte. 
Reiche der neuern Künſte ſpielt die Muſik eine ganz ähnliche 
ie die Bildhauerkunft bei den Alten. Weide haben filh auch auf 
ıloge Art entwidelt. Pheidias und Polykleitos würbe man uns 
idel, unferm Sebaft. Bach und Gluck vergleihen müſſen; Sko⸗ 
Prariteles unferm Haydn und Mozart, felbft in ber Vereinis 
Lieblichen mit dem Furchtbaren, des Komiſchen mit dem Tra⸗ 
Lyſippos würde mit Beethoven, die Laokoons⸗ und Fechterpes 
it unſerer neueften Muſik feit 8. M. von Weber parallel 


18 Prolegomena. Kap. 5. 


einander geſtellt. Selbſt die Maſſe der Handelnden foll ein 
Abbild der großen Wirklichkeit geben. Bei Sophokles von 
Allen das Gegentheil: Die einfachfte und gefchloffenjte Hand- 
lung, Drt und Zeit auf das Steengfte begränzt, wenig Bear 
fonen, Die tragifche Majeftät Eeinen Augenblick aus dem Ge 
ſichte verloren. Es ift Derfelbe Unterſchied, wie zwifchen eine 
antiken Statuengruppe und einen neuern Geſchichtsgemälde. 
Bei dem viel geringern Umfange der fophokleifhen Stüde 
Konnte die Form des Einzelnen weit vollendeter fein. Kam « 
doch überhaupt bei den Alten auf die Korm mehr an, Wie 
fehr bei den Neuern der Suhalt überwiegt, fleht man- u. A. 
fhon aus dem allgemein verbreiteten und vorherrſchenden In⸗ 
tereſſe an der Fabel des Stückes, wogegen die Alten ſich 
ſtets in einem engen, wohlbekannten Fabelkreiſe umherdreheten. 
Wie derſelbe Unterſchied auch zwiſchen den philoſophiſchen 
Kunſtwerken der Alten und der Neuern zu finden iſt, kann die 
Vergleichung der platoniſchen Republik mit der hegelſchen Er 
cyklopädie am beſten zeigen. Das nähere Detail dieſer Ver: 
gleichung überlaſſe ich dem Nachdenken des Leſers. 
ir find unter Diefen Betrachtungen unvermerkt an dad 
Thor gelangt, welches und Den Tempel des thukydideiſchen 
Geiſtes erfchlichen ſoll. Ein ergreifender Moment! Wie zie 
ben unfere Schuhe aus, denn es ift heiliger Boden, den wir 
Betreten wollen 1), 


. 2) Unfere Betrachtung des Thukydides wird ſich ganz nach ben 
drei Hauptſtadien einer jeden Kunftthätigleit ordnen. Nady einer 
kurzen Crörterung feiner äußern Lebensumftände werden wir bie Art 
und Weife Eennen lernen, wie er feinen Stoff gefammelt; weiterhin, 
wie er ihn im Innern verarbeitet hat. Den Beſchluß wird die Berglies 
derung feines Kunftwerkes felbft machen, worauf ich dann nod) über bie 
literarifchen Scyickfale deffelben das Nöthige beizubringen habe. 


hu kyudides. 


— — — — — 


Erftes Kapitel. 
ußere Lebendumftände des Thukydides. 


8. 1. 
Quellen 

dides ſelbſt redet mıe wenig von feinen Verhältniſ⸗ 
einer Verbammmg fogar wird nur beiläuflg erwähnt, . 
ern fie auf feine wiſſenſchaftliche Thätigkeit influirt 
— Die Scholien, fo groß ihr exegetiſcher Werth 
doch in diefer Hinficht Beinahe ganz ohne Aus⸗ 
Unfere Hauptquelle müffen daher die Lebensbeſchrei⸗ 
en Markellinos, von einem Ungenannten und von 
en, ZZ 5 I 

: de Perſon des Markellinos find wir durchaus 
eln 2). Eitirt wird feine Schrift zuerſt bei Sui⸗ 
Anfer Autor ift vieleicht der Freund des Philoſophen 
„ deſſen Suidas s. v. Magxellivog gedenkt: ein 
zogener, gelehrter, auch in der Mantik erfahrener 
ver ſich Durch Geſchicklichkeit und Tapferkeit im unab- 

2 | 

. W.H. Grauert Ad Marcellini vitam Thucydidis ob- 
criticae: in Niebuhr's NRheinifhem Muſeum. 

anmlavce und arolavew. 


6 


92 Ahulydides. Kap. 1. 


gen dem Demos nad ein Halimuſier, Dem Genos 
Philaide. Das Geſchlecht der Philaiden iſt aber wohl 
terſcheiden von dein. philgibifchen Demos, --. Auch red 
mippos nach Schol. I, 20, nur von einer Berwandtfc 
Thukydides mit dem Peiſiſtratidenhauſe. Auf eine fol 
wandtſchaft möchte ſich denn auch Thukydides ſelbſt bezi 
wo er beſondere Ueberlieferungen anführt, die Kom vo 
ſtratos Sähnen zu. Gebote ſtanden. er 


& 3. 
Jugend und Erziehung des Thukydides. 

Aus der Kindheit des Thukydides wird uns nur 
ziger Zug überliefert. Ex ſoll einer Vorleſung bei 
doteiſchen Werkes?) beigewohnt, und von Entzü 
rührt nie; von. dem Stachel der Nachelferung , Thrän 
über: vergoffen haben: Herodot, dieß bemerkend, hätt 
Vater Oloros Glück gewünfcht ; mit den, Worten: * 
eo "ORoge, 6.005 007W0av £yaı Tir ylaw no05 nad 
— Dieſe Nachricht ift von manchen Neuen, zuerſt vı 
Dom; in Zweifel gezogen; ganz zu befeitigen geſucht 
mein Lehrer Dahlmann, mit großem Scharflinne und 
derung&würbiger Gelehrfamkeit: ). Die ‚Vertheidigu 
Tradition Hat vornehmlich Krüger unternommen, mit 
großem: Aufwande von Mitteln 5). Dahlmann argı 
dabei auf. folgende Art. Borläufig- geigt er aqus me 
Beiſpielen, dag Lukian durch Charakter. und Abſicht zu 


1) VI, 55. 

2) Wie fie Lukian uns fhildert: Herodotus s. Aetion. 

®) Marcell. 54. Phot. Bibl. 60. Sui das s. v. & 
und öoyw. Tzetzes in Yoppos Thukydides I, p. 321. 

*) Dahlmann Forihungen auf. dem Gebiete der Gefchicht 
©. 12 ff. Ex ift zunächſt beflritten worden von Heyse Qu 
rodd. p. 27. 

5) Unterfuhungen ©. 11 ff. 


$. 1. Quellen zun Biogrenhichnars Thukydides. M 


ed: bald den Dom br en Pinder / chalde dier Spt 
achahmen (3i:fg.):; 1 Mm ae Dlirre Krosfandeit: fen 
ig fu etwas aufzufriſchene,Animmt ulen:Blntar zu al⸗ 
nſtmitteln ſeine Zufſhen Mitteln aler, dia, ſenng Ar⸗ 
t noch deutlicher bemkuehen, Sp: zrenneinplatzen. 
inthier z. DB. wenden Sich, in. ihrex Noth, u dad Qua⸗ 
idem fie. wußten,n fährt Mareellinus fFortinu daß Poht 
3 dem Elende alyen Ugıpeg finden): Bea Auch Da 
zufolge find die Gütter allnädhtigi walls #7 Ernie 
aunyavov &3 Yalznüz..dvag uͤneg/ te —RWW 
segekor door (d).. Oder. zu Worſſpielcu,n Ment 
—RX md: meorove einander gegeoüiheritelit. 16h 
xaxoy woznv (23): Bon Seinen ertihirnZtöncht 
und ‚zmanzigite Paxagraph ain wahrhaft nlfcheecieee 
de, Doch hat er im Einzelnen wianchegi:kreilandg 
nag es rk viclleicht wicht immer Feen 
8 er inohzefondere; vorn achten Buche / dahi gchukud iqeß 
kann nicht genug bcherzigt werden ide Nano 
I unge ee Fate 
iemlich gleihgülggen Uwftand nin Ar Meishichte: [da 
Hhren nimmt zaih, Priktel des ganze am: weg 
abi hufydiea· fen rn Alina, perkeit- ham 
edanbenlos: Min ee rn ehren nd 
‚ganıg Aufſſatz Hein and. Arm. Orhan hiogna 
ie Birke engtlehmt zu ſein; Inmigteſbax, narhey 
Dempſthenes gehſendelt woxden lan. Gleichphl 
Zchrift ia. den. pprlisgenben, „Dfprenlliguämafie ms 
4. Was darauf folgt, find armen 
zrxidenſelen Hegenſſand, Bez. eing ya rhiß 53, 
Fe sn Head 152 mi an IdR rg 
0’ in r Ion 85 bi „tin. b } 
a lee. DR anlkelae Ribhee® 
aus im Stile des Anfanged, und $. 1. erklärt ja Marcel: 
eradezu, ‚daß, äpine Biographie den epflenz , ſeina Pepetit 


ſheil bilden folle. ‚19-109 sei sie obom 
* 


98 ers. zung Zpukgeiprd,;. ‚Raps In 


die, as Dem Thukydides Hhetrifft, hiexrbei hͤchſt nahe 
alla ans dem Marcellin geſchopft haben, „und, den Char 
Web Geſchichte fellf, wig, gauig mad. gar Amer ¶ grammati 
Schulaneldote 2), aͤhnlich ſieht, wie ja die Spätgen fa: gem 
maſßfen Männex; der Meargangeuheit: perſönlich zufamımenk 
gen; :al8) Lehrer and Schäles zu. ſ, m, fo.-bfeiht auch 
nieder Das Bekenntniß der Uugemwißheit: daseinzig -;fld 
MRöglich AR: Die Sache, aber ichlecht genug. werbürgt, .:.'& 
lenchtet, von ſalbſt eindaßſie mit dev: marceltiniſchen Bei 
mung: hen. Thukydideq Lebensalter, wonach Herodot d 
drtißig ·ahre früher geboren, ungleich heſſer harmonixt, 
mit der Angabe der Pamphila, welche Be, beiden Sie 
mim. ‚bypizchn, Jahre aus einander rückt ). 
sie AR Sehrer. orü <hufgdibes ‚wird vor: Alien der } 
Philoſpph An aragoras- ‚ermähnt 3). : Wegen: feines U 
Zea mit; dieſem Manne ſoll Thukydideg als Atheift verdi 
werden: ſein. Dieſe Nachricht enthält nichtz Mm 
ſcheinlicheßz; wir werden tiefes, unten Die, freifinnigen Er | 
des Thukydides über Matunhänemene, tonen, leruen, 
fir; beſtätigt merden dürftee.. - 
11. Mipper. guverläffig it-eine, andere Angabe, 1. “ce, 
Ahuludideb zum Schüler des Redners Antiphon dl, 
Kanye: hat. mit. gläckfichem;: Scharffinne.. gwzeigt, daß 
gan⸗ — van wer nur ale einer: * 
ME... i Don. R 


nen nano‘ —8 
347% al: Jun Hrugen un rommen ber. tieben , Zugent, "wie Ben 
meint; Bu Heitmann’ Shutgbibes ©. 6. N 


WR Rad) Krüger’s Rechnung würde Spubinee im, er 
ehtda 10-218 Sabre damals gezäßtt haben (©. 9.)."" Jin erh 
geräth Herodot leicht etwas zu jung. u 


e Marcell. 22, nad) Antyllos Angabe. „T 
. Mardell. 22. Anon. 2. Hermog, De. idee ı 


Said. v. Aycıgay und Bovavdiöns.. !Schol. Arist,. De.quat,; '@ 
Vgl. Ruhnken De Antiph. in Reiske's Rednern VII, p. 8Ol««- 








$. 2. Geburtöert und Gehnrtsgelt des Thukydides. 88 


zu endlich noch zerſtreute Notizen bei ehe Pin 
phthonios, Photios u. a | 


8. 2, 
Grhurt und Herkunft bes, Thukybibes... 
war Thukydides geboren ? wann war er geboren? 
her Familieiy? 
kydides iſt geboren in dem ettifen Demos Halle 
der zur Phyle Leontis gehörte und eine Heine deutſche 
m Athen an der Küfte Ing, zwiſchen Kolias und 
3), " oo | 
x die Geburtszeit des Hiſtorikers haben mir zwei 
biedene Angaben. Nach der Pamphila wäre Hella 
n Ausbruche des peloponnefifchen Kriege 65, Hero⸗ 
Thukydides 40 Sahre alt geweſen y. Dieß würde 
urtözeit in das Jahr 472 v. Chr, verfeßen. Allen 
iphila war ſchwerlich eine ſehr glaubwürdige Auctori⸗ 
verfaßte unter Kaiſer Nero ein. großes, plauloſes 
verk, worin ſie allerhand Notizen, hiſtoriſche Leſe⸗ 
mt zuſammenſtellte. Dieß mag der Grund fein, weß⸗ 





ie die ganze fußere Lebensgeſchichte des Thukydides habe ich 
: Arbeiten von 8. W. Krüger zu erwähnen: Unterfuchuns, 
as Leben des Thukydides (Berlin 1832. 4%.) und Epikritiſcher 
um Leben bes Thukydides (1839.-8%). Wie Alles, was Krür 
t, im höchſten Grabe ausgezeichnet durch gründliche Gadı- - 
ad durch vielfeitigen, umfichtigen, mitunter glänzenden Scharfs 
wieder zu breit, und bei der großen Dürftigkeit der Quellen 
ad Gewiffe vor dem minder Gewiffen! hervorhebend. Wie 
uhr vortrefftich bemerkt: Bei unfichern Dingen ift es bie 
ee den Grad ber eigenen Gewißgeit anzugeben 
.3, ©. 161 ff.). 
ißer der Infhrift bei Marcel. 18 6565. und. Anon. 10. 
. Cimo 4. Krüger unterſuchungen 8. 2. en 
emosth. adv. Eubul. p. IM... nr Be 


ellius N. 4, XV, 23. ;,. el Re spe 


86 ee pure © 3 


halt auch Gellius Feier. gangen Angabe ein: ut Vdeter vora 
ſetzt. — Krüger hat deftwegen. bie andre Angabe: nergezgi 
bie ſich bei Mareellinus findet (34), wonach Thukydides ü 
funfzig Jahre alt gemorden-Ioike. Will man Hierin ci 
wirklich pofitive Angäbe ſeines Alters finden, fo würde er, 1 
fein Tod mn DL: 94: fällt, etwa DE. 80 ober 81 geboren: {di 
Allein die Gründe, welche Krüger ‚zur Unterfkügung: 
führt‘, ſind Znachmeinen:: Anfichtr nichts weniger ala Bet 
fend 2); 2: Ihrenbloßen: Auzahl kaun dieſen Mangel: nicht eh 
Ken: sr. DBirfiriger: aus dem Asyarnı:ed | 
cellinus, daß mehrere feiner Quellen dieſelbe Angabe M 
tag Die Unbeſtinicheit der Dahvezahl; ſoll ein günſt 
Vorurtheildafli erregen, „mel das Werk des Thubedl 
erſt lange: ansh;,iberu Zoe deſſelben berühmt wurde, dr 
alſo wahrlich ein bich nicht. mehr möglich war, etwaßcl 
nciues über:.da8:. Geburtsjahr des Verfaſſers . zu ermitteh 
Welch ein uficheren Boden! :Kintte da. nicht ebenſo gut 
folgert werben, weil Pamphila die Geburtsjahre des Her 
und Hellanikos zugleich angiebt, Daß fie aus einer. fchät 
quelle, Läher:: alle drei Hiſtoriker zuſammen gefchipft £ 
‚Könnte nicht Die ganze Angabe des Marcellinus nur auf 6 
eigenen Rechnung beruhen, wobei das Feldherrnjahr ve 8 
kydides · und das Ende des Krieges als Poſten benutzt wi 
wären? Die Stelle des Aphthonios, den ich nimmerme 
bis auf einzelne Worte hin als Gefchichtäquelle premiren m 
mird vollfommen aufgewogen burch "Die Notiz des Su 
die nach Krüger „gar Feine Beachtung verdient. Men 
cern o rgeibino ſagt, Themistoeles aligyot anfe ; annis | 



















vd . 


on ae En Ber FRE zu 
y unterſuchungen ©. 7 ff. 


2)' "Huuake Roco eur ne’ Oluuzuide, Eine Reihe von 
Stellen, die gleichfalls geden Ktäger ſprechen, wird „als gar ke 
rüdfichtigung verbienend” S. 10. aufgeführt. "Barum ſteht venn J 
Aphthonios fo viel höher, als die Ariſtidesſcholien und Yhiloftrk 


2..Geburtezeit des Thukfydides. 87 


das, ſo darfeman daraus noch nicht mit Krüger 
daß feine Angabe, 'Thucydides paullo aetate po- 
am Themistorles , völlig ungenmt fein müfſe 1). 
mnis heißt eine teihe von Jahren ſchlechthin, paulle 
m ein Wenige. — Aber Krüger meint, die Arts 
Marcellin aus einem Zeugniſſe des Thukydides ſelbf 
ı.zu können. Thukydides ſagt nämlich 2), er Habs 
ug.deä peloponnefiſchen Krieges um, fo ſchärfer beob⸗ 
I ec iahuvonmwag 77 nluxig; verm oͤge feines Al⸗ 
Im Stande geweſen ſei. Hierin liegt natürlich fos 
er weder. als unreifer Jüngling, noch als abgelebtet 
m gejehrieben haben. . Dad Erſtere, urtheilt num 
bedurfte. feines‘ Worteß, da Th. fon im achten, 
Krieges als Feldherr auftritt. Wäre m Dagegen, 
phila's Angabe, beim Schluffe des Krieges ſchon 67 
geweſen: er Hätte anders fprechen müſſen. Mit 67 
itte er, nach Krüger's — u höchftens unges 
ined Alters fagen dürfen. Allein jene Verſicherung 

ypides geht ja keinesweges bloß auf die legte * 
3 Buches, die nach dem Kriege erfolgte, ſondern 
lehmlich auf Die zu "Grunde liegende Beobachtung, 
Ereigniſſen ſelbſt parallel lief. Iſt es ferner ſo 
, frage ich, daß ein Greis, zumal im Vollgefühle 
ft,‘ vielleicht allzu ſehr jedes jüngere Lebensalter für 
Art)? Freilich entgegnet Krüger, Thukydides habe 
Anfange des peloponneſiſchen Krieges den Entſchluß 
eſſen Geſchichtſchreiber zu werden; er habe die Dauer 
ſes vorausgeſehen, und als viersigjäßriger Mann 





icero Brutus 11. 

„ 26. 

e Ydızia für den Krieg, ſagt K. D. Müller, war fkeilidh 
e, aber für Geiftesarbeiten fchien den Alten im Ganzen ein 
‚ter geeignet, als und (Gef. der griech. Literatur, Bd. 2, 


88 | Thukydides. Kap. 1. . 


kaum erivarten können, beim Schluffe befielben noch in v 
ler Kraft zu ſtehen. Allein konnte Thukydides auch, we 
er einmal den Conflict der beiden großen Parteien feiner 3 
ſchildern wollte, — und diefen Conflict hat er für das geb 
Ereigniß der ganzen Gefchichte angefehen — Tonnte af 
Her.anfangen? Konnte jenes Bedenken ihn alfo beſtimme 
Siftorifche Arbeiten Hat er gewiß ſchon früher gemacht, i 
keine folche, Die ex auf die Nachwelt bringen wollte, — 9 
einem Worte, fo lange es nicht gelingt, neue Quellen auf 
decken, bleibt die wirkliche Entfcheidung über das Gehurtäl 
des Thukydides ein Ding der Unmöglichkeit, nd 


Thukydides Vater Hat Oloros geheißen. So nennt 
der Hiſtoriker ſelbſt 1); fo nennen ihn, mit einer einzigen ð 
nahme, auch die Übrigen Schriftfteller de8 Alterthums 2). 
der eigentliche Marcellinug fcheint flatt deſſen Orolos zu le 
(16.). Er beruft fih Dafür auf die pon Didymos ci 
Grabſchrift des Thukydides. Allein abgefehen davon, daß 
rade Inſcriptionen diefer Art von Schreibfehlern wimmeln, 
wird ganz dieſelbe Grabſchrift von andern Gewährsmänn 
mit dem Namen Oloros beigebracht 3). Marcellin fe 
ſchreibt Übrigens Immer Oloros. Wir werden gleich ſeh 
dag der Ahnherr des Thukydides ebenfalls Oloros He 
Wenn man hierzu noch Die große Verwirrung betwichtet, 
in der angeführten Stelle des Mareellinus herrſcht, fo m 
man gewiß die fehöne Emendation von Grauert billig 
or "ORogog, oüx "Ogokos, 6 narng ara Eorl, zäg, 
noaıng ovMlaßrs TOA Eyovang, ng ÖE Ötvrepag zo 0° au) 
q ypagn , ws xul Audvum doxsi, nuagınraı " örı yag“O 


1) IV, 104. 


2) Photius Bibl. 60. hat "OAoveos. 
3) Bol. den dritten Marcellinus 55. und den Anon. 10. 


$. 2: ‚Herkunft des Xhufypives. 88 


w, 7 ormin dnlor 7 Eni Tov Tapov avrod KEuEyn, 
rapaxıms Govxvdidns "ORögov x. T. A. 1). 


8 die weitere Herkunft des Thukydides anbetrifft, fo 
nd folgende Daten zur Stütze dabei dienen: 


Thukydides iſt ein Verwandter des Miltiades ge 
ed Siegerd von Marathon 2). Einige geben ihn für 
ſterſohn deſſelben 3) aus, 


Jedenfalls, berichtet Suidas, iſt er von mütterlicher 
n Nachkomme des Miltiades, von väterlicher Seite 
fiichen Könige Oloros +). Schon früher hatten 
den Familien in Verbindung geſtanden. Des alten- 
Tochter, Hegefipyle, hatte den marathonifchen Miltias 
rathet, zu derfelben Zeit noch, wo biefer als Tyrann 
kiſchen Cherſynnes beherrſchte 5). 


Die Mutter des Thukydides hieß gleichfalls Hegeſi⸗ 

Nach diefen Daten num entwerfe ich folgende Stamm: 
de geftrichenen Linien find gewiß, die punktirten beru⸗ 
Vermuthung 7). 


rauert]l. 1. p. 176 sqq. 

lut. Cimo 4. Marcell. 2. 

larcell. 15. 

gl. Marcell. 2. Dod sieht ed bei Suibas auch et, ums 
esart. 

[arcell. 5 qq. Herod. v1,» sqg- 

[arcell, % rm | 
ch vermuthe alfo, daß ber König Dloros einen Sohn hat in’s 
Bürgerrecht aufnehmen laſſen.“ Bei dem großen Anfehen bes 
war das eing Kleinigkeit. . Der Sohn biefes neuen Bürgers, 
Sroßvater Dloros genannt, heirathete feine Couſine, Hegeſi⸗ 
Tochter des Miltiades, und erzeugte mit ihr den Thukydides. 
einftimmend K. D. Müller a. a. D. ©. 34l. 


“r 
4. 


BER Ahukydides. Kap. bh .; 


* Mi Zu Kr 8 Zı DE — 
S—tammtafel. 


—— Fu gimon 1. u ” E . | Oloros E. 
| | am She, Salbiube Ditiche 1. J ſönis von Thrakien. 


— 


>. 
- 
.. 
. 


— Segefipyle E. Sohn, 

— — vielleicht Thukydides 1. 

N genannt , der attifcher Bür⸗ 
u ger geivorben fein mag. 








; ariabes ir. 
Siezer von Daten, 








# 





Etpintte. Aimen nm. Gegeſipyle IE. oloros II. 


— nn Sieger am Eurymedon. 


* 2 
.. . 
v 22 —* 
* er . .. 
.. .v . Ss ’ .. 
.- - ” 0 . 
* 2 .r „„s . « 2 2 . . 
, on .. ” .. . be oo. 
/ 5. —8 * non ' u 
o .. — J un. R sr a es II. 
... — -.. . .. > 
. F u. > .. s s . 
_ Bag _. .. Lage] . ‘.. — .. . J 
22 .. .. — . 
— - pn > ” 5 2 — 
4 2 u 2. 7 
. .> “ - ü [5 “ . - 


$. 2.1 Gerlinft and: Ahalydldes. 


dieſer ’ Anordnungiſtinmut Bas politiſche Verhaltuiß 
kydides vortrefſlich zuſaurmen Ware Thulydideß 
Mannsſtamm ein Enkel des Miltiades gerufen‘, ı fa 
zu: demſelben Demos gehötin,- dem Demos der Bas 
Er war jedoch, wie oben: geſagt, Hallinufle, : Wie 
m Genos- :nach- gehörte Miltiades, wie Thukybibes/ 
zhilaiden. Chukydides / frirhe-Megrabet: in. hem Erb⸗ 
ie der kimoniſchen Faniliid, 8 Tuch die ſchoͤne Elpl⸗ 
te). Dazu aber, tie mein feligee Lehrer, K. O. 
‚ gegen mid geäußert‘ hat, kamen wohl nur Ge 
wandte. Es war gewöhnlich, dag ein neuer Bür- 
eine Altbürgerinn heirathete, ſeine Kinder tn And Ge 
Mutter aufnehmen eg M. — Wir ſehen alfa jeven⸗ 
aß Thukydides zum höchſten atheniſchen Adel gehörte? 
Hauſe, das nicht bloß. auf: Ajas konnte zurückgefuͤhrt 
ſondern das fich- auch ſeit Peifiſttatos Zeiten durch 
es Anſehen, kriegeriſchen Ruhm -und confervative 
g ausgezeichnet hatte. 
einer Angabe des alexandriniſchen Crammiuten 
8 wäre: Thukydides ‚uch mit den Peiſiſtrativen 
gewefen 2), Aus biefer: Verwandtſchaft wollte Her⸗ 
ygar die angebliche. Porstellichkeit. des Thukydides ge⸗ 
nodios und: Ariſtogelion erklären? eine Partellichteit 
l, die auch von Herodot vollkommen getheilt wird: 
che Abftammung) wie Marcellin behauptet, Aſt mußt 
cht zu denken. Peiſiſtratos war dem Demos ach 
ide, dem Genos nach ein Nelide; Thukydides hinge⸗ 
er . I. J 





BE BET 77 6* 
arcell. 17. 65. Anon. 10. Plut ‚Gimo' 4.5. Herod. 
Mr von 
ʒt. Boeckh. C. I. 1 p. 0: Platner wenige. 2 fi. 
: Staatsalterth. $. 100: . Meisr De gent. -p. ES, “un 
arcell. 3. Schol. Pind. Nem. I, 19, 7 P 5 
arcell. 18. Schol. Thuc. I, 230 : .: ns Ü 


9” . he. Rabe 1. 


gen dem Demos nad ein Halimuſier, Dam Genos nach ein 
Philaide. Das Geſchlecht der Philaiden iſt aber wohl zu un⸗ 
terſcheiden von dem. philaidiſchen Demos. Auch redete Her⸗ 
mippos nach Schol. I, 20, nur von einer Verwandtſchaft des 
Thukydides mit dem Peiſiſtratidenhauſe. Auf eine ſolche Ver⸗ 
wandtſchaft möchte ſich denn auch Thukydides ſelbſt beziehen 1), 
wo er beſondere Ueberlieferungen anführt, die Bm von n Peiſ⸗ 
ats Sohnen zu Gebote * Banden, 3. 


us 3, 

Jugend und Erziehung des Thukydides. 

5 Yard der. Kindheit, des. Thukydides wird und nur ein ein⸗ 
ziger Zug überliefert. Ex ſoll einer Vorleſung des hero⸗ 
doteiſchen Werkes?) beigewohnt, und von Entzücken ge 
rührt mit: von. dem Stachel: der Nacheiferung, Thränen day 
üher: vergofien haben. Herodot, dieß bemerkend, Hätte feinem 
Water Oloros Glück gewünſcht, mit den, Worten: . 0O zeig, 
ed "Oroge, 6.005 Öpywoav iysı Tir.gvaw Tgds padnugee’?), 
— Diefe Nachricht iſt von manchen Neuern, zuerſt vor Bre 
Rom, in Zweifel gezogen; ganz zu befeitigen geſucht Hat fie 
mein Lehrer Dahlmann, mit großem Scharffinne und bewun⸗ 
derungswürdiger Gelehrfamkeit: ). Die Vertheibigung der 
Tradition Hat vornehmlich Krüger unternommen, mit. cbenfo 
großem: Aufwande von Mitteln 5). Dahlmann argumentirt 
dabei auf. folgende Art. Vorläufig- geigt er aus mancherlei 
Veiſpielen daß Lukian u Charalier und non ht zum Mir⸗ 





ı) VI, 66. 

3) Wie fie Lukian uns ſchildert: Herodotus s. Aetion. 
) Marcell. 54. Phot. Bibl..60. ‚Suidas s. v. Govzrdidg 
und öoyav. Tzetzes in Poppos Thukydides I, p. 321. 
9) Dahlmann Forſchungen auf dem Bebiete der Gefchichte, Bd.2, 
© 12 ff. & iſt zunächſt beſt itten worden von Hayse Quaestt. He- 
rodd. p. 27. 

5) unterſuchungen S. 11 ff. en E » 


3. Jugend und Etzlehung des Thufpbive, 8 


chr unzuverläſſige Quelle iſt. Und mit vollkom⸗ 
te, wie ich glaube; ſo wenig dieß Krüger auch 
wills ein flüchtiger Bellettriſt, sole Lulianos, wich 
mie als brauchbarer Gewaͤhrsmann -eitiet werben 
Zenn Dahlmann indeß ferner behauptet, bie ganze 
yon- dem Vortrage des Herodot ſei pure Erfindung 
fo gebt: er ba ofſenbar zu weit. Er muß vergeſ⸗ 
daß Auch‘: de Biographen des Thukydides, daß 
Suidas und Tzetzes dieſelbe Nachricht enthalten, 
chwohl irgendwie ans den Lukian zu entlehnen. 
ſteht ukydides im Vordergrunde. , während Lu⸗ 
n gar'nicht erwähnt. * Auch folgett Krüger ſchr 
der lexikaliſchen Notig, wodurch Suidas den Aue 
jguoes erklären zu muͤſſen glaubt, daß dieſe Res 
Spätern nichts weniger als geläufig war, lalſo 
cheinlich auf eine Ältere Quelle zurückweiſet. Daß 
mg des herodoteiſchen Werkes, natürlich nur aus⸗ 
(bfchnitte und vor einem ausgewählten Publicum, 
: unmöglich geweſen, zeigt Krüger ©. 22 ff. Ha⸗ 
Sophiften doch notoriſch ſolche Vorleſungen gehal⸗ 
Herodot III, 80. und VI, 43. läßt ſich ſogar 

daß Serobot die Eimärfe, die ihm bei ſolchen 
n gemacht worden, nachher in der Ausarbeitung. 
beruht Habe. Deffentliche Vorträge des Herodot 
verden beftimmt erwähnt !): warum follte ihnen 
hukydides nicht beigewohnt haben? warum Tonnte 
(8 Sohn eines vornehmen Mannes, die beſondere 
eit des Herodot erwecken? — Halten mir dage⸗ 
ser. die große Schwäche unſerer Gewährsmänner, 
udoplut. De Herod. mal. 26. Euseb. Ol. 83, 3. 
ımlungen ber athenifchen Volksbeſchlüſſe gab es ein Pfes 
Inytos, wonach Herodot aus dem Staatsfchage sehn Bar 
en follte. 


9a ER TT FLUR; Zpnkgainre,;. Kap. —8 


die, was Dem Thafkydides Ketuifft „. Hierher hoͤchſt Mahrſchein 
elle, and Rem Maretllin gefchünft:;habar, und, Dep. Ehara 
Ben Geſchichte Felt,  Win.dang zud gar einer. grammatiſi 
Echulaneldote 3), Ahntir-Heht,:rpie jarbie Spätgen fa: gem 
gunfien: Männer; der Dergangenheit: parlönlich- zuſammenb 
gr; #8) Lehrer and Schulex Mr, fi w,r. fo. -bfeibt auch ‚| 
wieder das Belennimiß, der, Ungewißheit; ‚dg8. einzig: ſich 
Moglich. iſt die Sache, aber ſchlecht genug. verbürgt,Sol 
lengaen non; ſalbſt ein/ Roi „ſie mit ben; marceltiniſchen DE 


* * früher — y: — heſſer hormonhe, Fa 
mit der Yngabe der Pamphila, welche Be beiden Se 
m. ‚dyplaehn, ‚Sabre qus einander; ruckt ). 
it AR Sehrer bei Thulhd des wird vor: ‚Allen der Pr 
Philoſpph ‚An arag 0298. erwähnt 3). : Wegen: ſeines Umg 
gerimit dceſem "Manne ſoll⸗ Thukydideg als Atheiſt. verdäch 
wordenn ſein. Diefe, Nachricht ‚enthält nichtg Uuma 
ſchirtlicheß 3. win werden tiefes, unten Die freiſinnigen Anfich 
RX. Thykydides Über ‚Motunhänemeng, Tonnen. eu, y „wol 
fr: beſtätigt merden dürfte .. 
11. Minder guverläflig tt -gine, andere Angabe, 1. wach⸗ | 
Ahuludides zum Schüler, des Redners Antiphon ‚macht. 
Sehgen. hab. mit. glucklichem Sharffiune, ¶ gheigt + daß .D 
Bau. Beus höchſt Mr nur aufe einer: er: gelehnin V 


Rivalen N en. - . Lila. 


u ORION —— 
ne: 


echt Herodot leicht etwas zu jung. 
e Marcell. 22, nad) Antyllos Angabe. 


u). Maroell. ‚22. Anon. 2. Hermog. De. ideie 4 
Said. N. Aycıpäar und @ovrvdidns. Schol. Arist, De,quat. p.4 
Bal, Ruhnken De Antiph, in Reiske's Rednern VIE p- 804. 


$. 4. Anklage und Eril des Thukydides. 99 


Der erſte Marcellin (23.) redet mıe im Allgemel- 
t, daß man ihn fein aruynua eig uaprınua anges 
be. Der letzte Maveellin (55.) fpricht von noodeote. 
Anonymus verfihert: aislav EZoye noodooiag 2x 
Ss ze xal olıympiag (Z.). — Die volle Strafe die 
hend hat der Hiſtoriker indeſſen nicht erduldet: ex 
ſt, dem Geſetze des Kanonos zufolge, ſelbſt hinge⸗ 
fein Vermögen eonfiscirt worden fein!) Ob er 
3 aus irgend einem Grunde Milderung der geſetz⸗ 
ıfe erwirft, oder fih durch die Sucht dem Urtheile 
at, muß dahin ſtehen 2). Er ſelbſt erzählt nur, 
inzig Jahre im Erile gelebt 2). 
ind wie mag Thukydides dieſes Exil beſtanden ha⸗ 
Rerſte Marcellin ſowohl (24.), wie der Anonymus 
ihn zuvörderſt nach Aegina flüchten, wo er mit 
mögen gewuchert hätte). Beides iſt wohl ganz 
, wenn nicht völlig aus der Luft gegrifſen, fo doch 
n Altern Thukydides zu bezichen. In der Zeit, wo 
ikydides fein Vaterland meiden mußte, war Aegina 
athenifche Kleruchie, einem Manne aljo in Thuky⸗ 
änden gewiß vollkommen werfchloffen. Weiterhin 
y Thrafien gezogen fein, und in Skaptehyle na⸗ 
ne Geſchichte verfaßt Haben. Dieß verſichert außer 


oph. Hell. I, 7. 21. 


er zur Strafe verbannt geweien, ift die Meinung bes 
orat. II, 13, 56), Plinius (N. H. VII, 31.), und 
n. Wenn der Anonymus übrigens von Oftratismos redet 
28 offenbar eine Verwechfelung mit dem ältern Thukydides, 


her Unfenntniß deffen beruhet, was der DOftralismos eis 
en wollte. 


6. 


Anonymus will fogar willen, daß der Wucher des Thuky⸗ 
n Inſulaner zur Auswanderung genöthigt habe! 
* 


Be Kabe 3.20 


fügen Dis. Höchft: wahrſcheinlich Tochter einer: atheniſchen 
niſtenfamilie, weil: Ihre. Verbindung ifonftiehne ifge 
ihre Kinder bes voller Bürgerrechtes unfähig geweſen war 
DOG Thukydides übrigens: Die thrakiſchen Güter von feinen 
führen geerbt 3), : ober. als Mitgift duch: feine: Frau m] 
Babe 9), läßt fich: nufifeine:MBeife ausmachen. Ex fall: 
Sohn,:.. Namens Timotheos, hinterlaſſen haben, .. von 
fonft weiter Nichts bekannt iſt 5). ‚Seine Tarhter ſchein 
deutender, mehr in des Waters Geiſte gewefen zu fein: 
nigſtens haben. .ihr: Mehrere hie Abfaſſung⸗ des achten B 
von Thukydides zugeſchrieben ). 

Ueber das politiſche Leben des Thuth dides Ai 
Quellen voll Widerfprüce. Was der Anonymus (6.) 
feiner redneriſchen Thätigkeit zählt, wie er namentlid 
Porilampes gegen: Her: Mordanklage des Perxikles. vexch 
habe,' iſt vermuthlich sumieine Verwechſelung mat. dem 
Thukydides, Mileſias Sohne. Schon der. Name: des Pr 
als ⸗Gegner. dentet darauf: hin; mehr noch der Ausdruf 
ſotv rν MOMYuarmv, MyNnegEn Tod. Önkgv, „Der, bier 
senutgeiben gehemchta win. rel Brei Magelin 

Zei Yu Marcell. 19. 

HENYMIBEL dem Berge des Pealtles, das au ‚son milktertiäee. 
ber das Bürgerrecht erforderte: Plut. Pericl. 7. Aelian, \ 
VI, 10. | 

>) Plut. Cimo 4. Marcell. 14. Krüger (©: 42) ve 
bie Siege des Kimon als Erwerbungsgrund. Dee Anonymus.(3.) fi 


fogar zu glauben, daß Thukydides nur die ‚ebeigteistihe Auffiht 
bie thrakiſchen Bergwerke gefuͤhrt habe. 


4) Marcell. 19. 


5 Suidas v. Bovuvdidng. Die Lücke in Marcell. 17. 
Krüger mit Stephanus und Gafaubonus fo aus: Tınödeos vios 
yeyernodas. 


6% Marcell. 43. 


2. .!Gstamtözch. dee Mbüküdibee. 87 


indas,: fo. darfeman daraus noch ‚nicht mit Striiger 
‚.haß feine Asigabe,. Thucydides. paullo aetate .po- 
mam Tbemistorles , völlig ungenmt fein müſſe 1). 
annis heißt eine Reihe von Jahren ſchlechthin, paulls 
im ein Weniged. — Aber Krüger: weint, die Ans 
Marcellin aus einem Zeugniife des Thukhdides ſelbf 
m zu können. .. LThukydides ſagt nämlich 2), ‚ex: habe 
ang des peloponneſiſchen Krieges um, ſo ſchärfer beob⸗ 
[8 er aiohuvoumag ra nina, vermöge feines We 
x Im Stande geweſen ſei. Hierin liegt natürlich ſo⸗ 
er weder. als unreifer Jüngling, noch als abgelebtet 
nn geſchrieben haben. Das Erſtere, urtheilt nun 
bedurfte keines Wortes „da Th. ſchon im achten, 
; Krieges als Feldherr auftritt. Wäre ex dagegen, 
iphila's Angabe, beim Schluſſe des Krieges ſchon 67 
geweſen: er hätte anders ſprechen müſſen. Mit 67 
ätte er, nach Krüger's Meinung, höchfteng unges 
ined Alters fagen dürfen. Allein jene Verficherung 
yſdides geht ja keinesweges bloß auf die letzte Abfaf⸗ 
3 Buches, die nach dem Kriege erfolgte, fondern 
ıchmlich auf bie zu Grunde liegende Beobachtung, 
Exeigniſſen ſelbſt parallel lief. Iſt es ferner ſo 
, frage ih, daß ein Greis, zumal im Vollgefühle 
ft,‘ vielleicht allzu ſehr jedes jüngere Rebendalter für 
Art 3)? Freilich entgegnet Krüger, Thukydides habe 
Anfange des peloponneſiſchen Krieges den Entſchluß 
ffen Geſchichtſchreiber zu werden; er habe die Dauer 
8 vorauögefehen, und als biergigjähriger Mann 





icero Brutus 11. 

, 26. 

e nAıio für den Krieg, fagt K. DO. Müller, war freilich 
>, aber für Geiftesarbeiten fchien den Alten im Ganzen ein 
ter geeignet, als uns (Gefch. ber griech. Literatur, Bd. 2, 


98 J Thulkydides. Kap, 1... 


erreichen, jedenfalld aber Doch das wichtige Eion zu re 
die Hafenftadt der Amphipoliten. Uber auch Braſidas 
auf das Genaueſte von allen Verhältniffen unterrichtet. 
Abend ſchon konnte Thukydides eingeteoffen fein; es galt 
ber, noch an demfelben Tage die Stadt zu geminneit. 
diefem Ende bat er den Einwohnern die günftigften Bi 
‚gungen an; die Athener follten mit ihrer ganzen Habe fi 
Abzug erhalten, ja, wenn fie wollten, fogar als Gleichbe 
‚tigte in der Stadt wohnen bleiben. Auf diefe Bedingu 
hin gelang es den Lakedämoniſchgeſinnten, die Stadt 
fehleunigen - Uebergabe zu veranlaſſen. Obgleich Thuky! 
noch denfelben Abend ſpät in Eion -anlangte, ſo konnt 
Doch nur dieſe Hafenftabt den Athenern erhalten 2). 

Se fhmerzlicher der Verluft von Amphipolis dem atl 
fhen Staate fallen mußte 2), deſto fehlimmere Folgen li 
ſich jet bei dem reizbaren und mißtrauifchen Charakter 
Volkes für den Thukydides erwarten. Sn unfchuldig er 
fo leicht Fonnte ev ſchon als Adliger, als Reicher, als © 
Bigter verdächtigt werden. ben damald fand der berü 
Kleon, als Schatieifter der Repuklit und mit. den fri 
Lorbeeren von Pylos bedeckt, auf dem Gipfel feiner M 
fülle: Kleon, der überhaupt jede Niederlage der Athene 
dem unglücklichen Feldherrn zu ahnden pflegte 2). T 
Kleon foll denn auch den Thukydides werleumderiich Ange 
haben 9. In Ariftophaned Wespen, die an den Lenäen 
Diymp. 89, 2. gegeben find, freute fi) der Richterchor 
den Prozeß der thrakifchen Verräther (288 fſ.). Die ei 
liche Natur der Anklage ift nicht mehr mit Sicherbei 


— — — — — — 


) Thucyd. IV, 103 sqg. 

2) Ibid. IV, 108. 

3) Ibid. IV, 27. Arist. Equites 288 sqq. 355 sqq. 
') Marcell. 46. 


$. 2: ‚Herkunft des Thukydides. 88 


» 3% oenın dnlos n Ini roũ zapov avrod xeutvn, 
oaxıas Bouxvdldng "ORogov w. r. 4. i). 


bie weitere Herkunft des Thukydides anbetrifft, fo 
8 folgende Daten zur Stütze dabei dienen: 


hukydides iſt ein Verwandter des Miltiades ges 
3 Sieger von Marathon 2). Einige geben ihn für 
john deffelben 3) aus. 


sedenfall8, berichtet Suidas, iſt er von mütterlicher 
Nachkomme des Miltiades, von väterlicher Seite 
[chen Königs Oloros +). Schon früher Hatten 
n Familien in Verbindung geftanden. Des alten- 
ochter, Hegeſipyle, hatte den marathonifchen Miltia⸗ 
ıthet, zu derfelben Zeit noch, mo diefer ald Tyrann 
(hen Cherſynnes Beherrfchte 5). 


Ye Mutter des Thukydides hieß gleichfalls Hegefi- 
Nach diefen Daten nun entwerfe ich folgende Stamm: 
geſtrichenen Linien find gewiß, die punktirten beru⸗ 
zermuthung 7). 


auert l. 1. p. 176 sqq. 
ut. Cimo 4. Marcell. 2. 
‚rcell. 15. | 

. Marcell. 2. Doch giebt es bei Suidas aud) ums 
art. 
‚rcell. 5 8qq. Herod. VI,» sqg- 
‚rcell, 2. 
vermuthe alfo, daß ber König Dloros einen Sohn hat in’s 
ürgerrecht aufnehmen laſſen. Bei dem großen Anfehen bes 
ar das eing Kleinigkeit. Der Sohn dieſes neuen Bürgers, 
roßvater Oloros genannt, heirathete feine Couſine, Hegeſi⸗ 


ochter des Miltiades, und erzeugte mit ihr den Thukydides. 
nftimmend 8. D. Müller 2%. a. ©. ©. 341. 


0. Mhufgniveh.. Kap. 1: .; 


. St am. m t a fel. 


—8 2 > un 
. - , . 
. tr 
_ 


5 Zr : Rimion L on \ Bu . Oloros 1. 
Opa Sehr 1 Salbbrıbe: Miliadet 1J. .. König von. Thrakien. 


— ı 2 
.. 
Ey 


m Segefipyle E | Sohn, 
ZN vielleicht Thutydides 1. 
genannt, der attifcher Bürs 
Vol ger geworden fein mag. - 


n . ... 


atiabes ir. 
Sieger von ann, 5 








Erſte Frau 
aus Athen. 








* 


‚ni Kimon IE: 27 Segefipple IE. Oloros zu. 
” ur . - Sieor.am Eurymebon. F & ' ” or . 





= B 

2 -. . ... 
* .- x - - 2 »- 9 v 
| .. ’ .. 2 .. ” Fe “ 
- * a * .n un 3 .. 
‘ 4 . . 8 . 

_ u .. : F ” 
8 a . x. 

- / * .. ... v..b BR m. . .n 

. . — -. * * 

\ .. «. -- — . .—. 4 .. 

* . — 53 757 nm - 
u , . .. — . - neo U} 
> « 12* - -, . 
. v .. * 2 .. . 
em Le 7% Jar — .. — 22 = 7. 
um. . .. 28 * .. .. L . x Pr 
. m — 2* u. —8 < Pau x. .. »z = J Pr 
. 22 . - u ” 170 vn “ “ 
. 


$. 2.1 Beelnfe nd Ahalydldes. 


dieſer · Anordnungſtiumut: vas politiſche Verhaltuiß 
ide vortrefflich zufanmnen! - Ware Thulydideß 
Mannsſtamm ein Enkel dos: Miltiades gewiſea,ſo 
u demſelben Demos gehören, dem Demos der Bas 
fx war jedoch, wie oben geſagt, Halimuſier.“ Mä⸗ 
Genos nach: gehörte Miltſades, wie Thukydides 
ilaiden. Chukydides / wurde degraben / in dan Gebe 
der kimoniſchen Familie, RE wuch die ſchoͤne Elpl⸗ 
1). Dazu aber, wie mein ſeliger Lehrer, K. O. 
gegen mich geäußert‘ hat, kamen wohl nur Ge 
wandte. Es war gewöhnlich, daß ein neuer Bür⸗ 
me Altbürgerinn heirathete, ſeine Kinder it aus Ge 
Rutter aufnehmen ließ . — Wir Sehen: alfa jeben⸗ 
3 Thukydides zum höchſten atheniſchen Adel gehörte? 
dauſe, das nicht bloß. auf Lijas konnte zurückgefuͤhrt 
ſondern das ſich auch⸗ſeit Peifiſtratos Zeiten‘ dunch 
3 Anſehen, kriegeriſchen Rahm -und confervative 
ausgezeichnet hatte. 
einer Angabe des alexandriniſchen Graumiacikers 
wäre Thukydides auch mit den Peiſiſtrativden 
geweſen ). Aus dieſer Verwandtſchaft wollte Her⸗ 
gar die angebliche. Päxtellichkeit. des Thukydides ge⸗ 
odies und Ariftogeltan: erklären: eine Bartellichkeit 
‚ die auch von Herodot vollkommen getheilt wird. 
he Abſtammung, wie Marcellin behauptet, if wohl 
yt zu denken. Peiſiſtratos war dem Demos nach 
de, dem Genos nach ein Nelide; Thukydides hinge⸗ 


—* 1 % 





DeeL De EEE 77 GE eo 


ırcell, 17. 55. Anon. 10. Plut. Cimo 4. ‘Hetod. 

4 
l. Boeckh C. I. Lp 100. piatner —2 — 1 fi. 
Staatdalterth. $. 100. . Meier De geit. -p. 26. .. 


ırcell. 3. Schol. Pind. Nem. II, 19. be F 
ircell. 18. Schol. Thuc. T, 23& :: .: nlinull 


4106 | Thukhdides. Kay. 1. 


lögen.den Tod des Hiſtorikers nach Athen. Soviel man aus 
einer fehr verdorbenen Stelle des Marcellinus (32- fg.) ſchlie— 
gen kann, fcheinen auch Zopyros und Kratippos derfelben An- 
ficht gewefen zu fein; was um fo wichtiger ift, weil Kratip⸗ 
pos ein Zeitgenoffe und Fortſetzer des Thukydides war. Ih—⸗ 
nen ſtimmt auch Pauſanias bei; ſo daß die letzte Angabe, un⸗ 
geachtet der Polemik des Marcellin, doch wohl die glaubwür⸗ 
digſte iſt. 

Thukydides Grabmal , wie gefagt, befand ſich in dem 
Familienbegräbniffe des Fimonifchen Hauſes, unmittelbar neben 
dem ber [hönen Etpintke, ſeiner Tante 1). 


oro⸗ ti ol EWG Ommeras, , ode nv eulal 
”Eo90v0” ® ® . ® ® U} 

m. r ’ - .. 

Ds To andorraı uaxapes Heol . 
‘Kal vexvog neo Eövros. 


g. 6. 
Yeußere verlnlichtet des Thukydides. 


So gern ſich der theilnehmende Leſer auch ein körperliches 
Bild des geliebten Meiſters möchte entwerfen können, fo dürf 
tig oder zweifelhaft find Doc, die Hülfsmittel, welche das AL 
terthum Dazu an die Hand giebt, Wir bejiken eine Schilde 
rung von Marcellinud (34), die aber nur allzu deutliche 
Spuren trägt, daß fie nach den Bilde des thukydideiſchen 
Geiſtes, wie ihn feine Gefchichte kennen lehrt, erfunden iſt. 


— — — ee 


'!) Plut. Cimo 4. Ueber die Localität des Grabes vgl. bie 
Abhandlung von Krüger, Ueber Melite, in den Unterfuchungnn 
©. 85 ff. 


, 3. Jugend und Grolefemg-beb Thukyhoides. 88 


ſehr unzuverläſſige Qurlle iſt. Und mit vollkom⸗ 
hte, wie ich glaube; ſo wenig dieß Krüger auch 
nit: ein flüchtiger Bellettriſt, wie Luklanos, ich 
mie als brauchbarer Gewaͤhrsmann citirt werden 
Wenn Dahlmann indeß ferner behauptet, die ganze 
von ˖ dem Vortrage des Herodot fei pure Erfindung 
, fo geht er Da offenbar zu weit, Ex muß vergeſ⸗ 
daß äuchDdie Bibgraphen des Thukydides, daß 
Suidas und Tzetzes dieſelbe Nachricht enthalten, 
eichwohl irgendwie ans dem Lukian zu entlehnen. 
ſteht ukydides im Vordergrunde ‚ während Lu⸗ 
en garnicht erwähnt. Auch folgett Krüger fehr 
der lexikaliſchen Notig, wodurch Suidas den Aub⸗ 
7 göoıg erklären zu muſſen glaubt, daß dieſe Re 
ı Spätern nichts weniger als geläufig war, 'alfo 
efcheinlich auf eine ältere Quelle zurückweiſet. Daß 
jung des herodoteifchen Werkes, natürlich nur aus⸗ 
Abſchnitte und vor einem ausgewählten Publicum, 
et unmöglich geivefen, zeigt Krüger S. 22 fl. - Has 
Sophiften doch notorifh ſolche Vorlefungen gehal« 
3 Herodot III, 80, und VI, 43. läßt ſich fogar 
‚ daß Serodet die Eimüre, die Ihm Bei. folchen 
ten gemacht worden, nachher in der Ausarbeitung. 
n benutzt habe, Deffentliche Worträge des Herodot 
werden beſtimmt erwähnt1): warum ſollte ihnen 
Thukydides nicht beigewohnt haben? warum konnte 
als Sohn eines vornehmen Mannes, die beſondere 
nkeit des Herodot erwecken? — Halten wir dage⸗ 
iber. die große Schwäche unſerer Gewährsmänner, 
eudoplut. De Herod. mal. 26. Euseb. Ol. 83, 3. 
mmlungen der athenifchen Volksbeſchlüſſe gab es ein Pfes 
Anytos, wonach Herodot aus dem Staatsfchage sehn Yar 
‚gen follte. 


104 Shukhdlbes. Ray. 1. 


als man Kiäher gewöhnlich zu ahnen pflegt. Allein wohl 
flanden! es find immer nur Begebenheiten des pelopon: 
ſchen Krieges, die dabei zur Sprache kommen: alfo ſtreng 
geichlofien Durch Die Gränzen des ganzen Kunſtwerkes. 


Wo ift Thukydides geftorben? — Auf diefe Frage 
ten und die Quellen vier verfehledene Antworten dar. 
einzige wäre natürlich angenehmer. 


a) Nah Timäos und einigen Andern, die vermull 
wieder aus Timäos gefchöpft haben, wäre Thukydides in I 
lien begraben, d. h. alſo auch wohl in Stalien geftorben 
Marcellin findet dieß höchſt Läicherlich. Un eine Verwechſel 
mit Herodot zu denken, würde bei. einem Schriftiteller, - 
Timäos, allzu gewagt fein. Wir werben tiefer unten fe 
daß Thukydides einen Theil feines Exils wahrſcheinlich in! 
lien verlebt hat. Da mochte dem die Eitelkeit irgend ı 
italiotifehen Stadt dem großen Fremdlinge nachmals ein K 
taphion errichtet, und dieſes wieder den Irrthum des Tin 
veranlaßt haben, Denn fehr glaubwürdig Klingt die g 
Angabe nicht. 


b) Dagegen erzählt Apollodor im zweiten Buche fi 
Chronik, daß Thukydides in Barparon, auch Perine 
nannt, einer äoliſchen Stadt von Kleinafien, geftorben fe 
ie kommt er dahin? Kine glückliche Conjectur von ©: 
Ler Befeitigt unfere Verwunderung. Unweit Skaptehyle, 
Inſel Thaſos gegenüber, Tag cin Ort Namens Berne 3). ! 


!) Marcell. 33. 
?) Steph. Byz. v. Ilapzagur. 
°®) Ibid. v. Ilsevn. 


3. Jugend unb Erziehung nes Thukydldes. 8 


fer Dee. Zube. Caciline/ ein berliämter, ohe 
hi: teichtfertiger Kritiker und: Freund des Dionkfind 
af ,..hatte ans denugrofeit Lobe, welches Thukyr 
Antiyhon angebeihen: Iäßt.,... dei. Schluß . gevagh, 
tere: Thulydides Lehrer geweſen 2). Dieſe Vermu⸗ 
n die: Spätern nun für Gewißheit, obgleich nech 
der ganzen Sache Nichts ar willen ſcheint, und 
‚Beiden großen Männer nur für Freunde erlädi.?); 
8 Menexenos tbenigftens den Antiphon micgt: fir 
des Thukydides ausgiebt,:. Hat. Krüger, wie * 
eine vollkommen überzengende Weiſe dargechen. — 
He 3. & 2 PIERRE . nz 
m Wonnedalter des Ei. : u ?.u 
Peſt In Athen wlthete, iſt/ auch Thukydides date 
vefen. Er ſelbſt etzühlt davon II, 48. :i und 
des hielt es für die. Pflicht eines guten Aigen, 
ſinge, eine Familie zwiigrlinden %).r.1:,MBle Ex 
em Königsblute ftammte, fo muß ev: fortwährend 
raklen in ‚Verbindung geblieben fein, .-. Ex; berichtet 
e Thaſos gegenüber Goldminen befeffen, und eben 
der ganzen Umgegend bebeutendeö Anfehen be 
5) Auch feine Frau war eine Thrakerinn, aus 
fapte Hyle gebürtig, mo Thukydides Befitzungen 
ichungen SB, alt. 
bon in Vitis X Oratorum. - | ee J 
ro Brot. 12. Aristid. De quat. p. air, & Z 
ſehr bedeutende Geifted =’ und Sprachverwandtſchaft der 


‚ auf die fih K. DO. Müller beruft, Tann: natüllrlich 
tRigts beweiſen (Geſch. der griech. kiteratut⸗ Re 2. 


ya. n, 44. | | —— 
yd. IV, 108. ‘ er 










106 Thukydides. Kay. 1. 


legen. den Tod des Hiſtorikers nah Athen, Soviel mar: 
einer ſehr verborbenen Stelle des Marcellinus (32 fg.) ſch 
fen kann, fcheinen auch Zopyrod und Kratippos derfelben Us 
ficht gewefen zu fein; was um fo wichtiger ifl, weil Kra 
pos ein Zeitgenoffe und Fortfeßer ded Thukydides war. She 
nen ftimmt auch Pauſanias Bei; fo Daß Die Ichte Angabe, 
geachtet der Polemik des Marcellin, doch wohl Die glaub 
bigite it. 


Thukydides Grabmal, wie gefagt, befand ſich in 
Familienbegräbniſſe des kimoniſchen Hauſes, unmittelbar 
dem der ſchönen Elpinike, ſeiner Tante i). 


OvdE Ti ol yoWg anmeras, ovde mv Eule 
"Eodovo’ . 





"Rs Tor andovraı uaxaoes Hell. . . .» h 
Kal vexvog neo Eövrog. | j 
1 

£ 

[- 

8. 6. E 


Aeußere Perfönlichteit des Thukydides. 


Sp gern fich der theilnehmende Lefer auch ein Fürperlicheh: 
Bild des geliebten Meisters müchte entwerfen künnen, fo dürfe 
tig oder zweifelhaft find Doc) die Hülfsmittel, welche das Abs, 
terthum dazu an die Hand giebt. Wir bejiken eine Schildes 
rung von Marcellinus (34), die aber nur allzu deutliches 
Spuren trägt, daß fie nach dem Bilde des thukydideiſchen 
Geiſtes, mie ihn feine Gefchichte Fennen Ichrt, erfunden iſt. 


') Plut. Cimo 4. Ueber die Localität des Grabes vgl. ji | 
Ken von Krüger, Ueber Melite, in den Unterfuchungns 
. 85 ff. 


F. 6. Aeußere Berfönlichkeit ves Thukydides. 407 


chukydides ſoll ein finniges Antlitz gehabt Haben, Kopf und 
haar nach Dben gerichtet, und auch übrigens eine Haltung; 
m; feiner Darftellungsweife angemeſſen. Das. hätten wir 
mi Immerhin felbft fagen können. on 

Außerdem tft jedoch ein wirkliches Bild niß des Thuky⸗ 
* auf und gekommen, eine Doppelherme, welche nach Art 
ines Januskopfes die Büſten des Herodot und des Thukydi⸗ 
des zuſammen enthält. Die Namen der beiden Hiſtoriker find 
Krunter gefchrieben, Diefes Werk ift aus der Sammlung 
deß Fulvio Orfini in das -farnefifche Mufeum übergegangen. 
Reuerdings hat man die beiden Hermen getrennt, um fie als 
hautreliefs in die Wände eines mit rafaeliſchen Frescen ges 
ſchmückten Veſtibulums der Farneſina einzumauern. Vis⸗ 
tonti hält das Ganze für die Copie eines griechiſchen Wet⸗ 
les, aber nur für eine ſchlechte Copie 1). Deſſenungeachtet 
hat ſie auch jet. noch viel Charakteriſtiſches. Beim Thukydi⸗ 
bei find alle Züge ſchwerer und gedrungener. In der Mitte 
dr Stimm, von der Seite aus betrachtet, findet fich ein tiefer 
kinſchnitt; was darunter Tiegt, ft nur mäßig mit Fett gepols 
ſiert, Der obere Theil Dagegen ſtark gebogen. Bekanntlich 
pflegt man in der unten Stirn den Ausdruck des Willens, 
Mm der obern Stirn den Ausdruck des Verſtandes zu ſuchen. 
Die Schläfen rund und voll, während fie bei praktifchen 
Männern, insbeſondere bei großen Feldern, tiefe Höhlunz 
gen zu bilden pflegen. Seine Augen find länger, als bei 
herodot, wo fie faft eine kindliche Rundung Kefigen. Die 
Laſenſpitze ſinnend herabgezogen; der Rüden der Nafe von 
Impofanter Breite. Die Lippen feit gefchloffen. Das Kinn 
im höchften Maße grandios. Der Bart breit und kurz ge 
ki. In der That, man Eönnte fi) den Thukydides im⸗ 


— — — — *— 


ı) Visconti Iconografa Greca, Vol. 1. p. 296. (Opere, 
asse 2.). 


4108 . chuthdidet. Kap. 1. 


merhin fo worftelen! — Nur drängt fich uns leider bei 
Porträtbüſten aller Altern helleniſchen Schriftiteller Die bei 
liche Frage auf: Sind fie wirklich nach der Natur oder 
glaubwürdiger Tradition gebildet; oder aber find fie nur 
dem äſthetiſchen Eindrude wiedergegeben, den die 2er 
jener Schriftitellee auf Die Phantafie eines geiſtvollen B 
ners machen mußte? ine Frage, die fi auch im vo 
genden Yalle auf Feine Weife beantiworten laßt. 


$. 2: ‚Herkunft des Xhufyoines. 88 
3 osmin Onlor N dni ToU zapov avrod neiuevn, 
axsas Bouxvöldng "Olögov «. r. A.1). 


ie weitere Herkunft bes Thukydſdes anbetrifft, fo 
folgende Daten zur Stütze dabei dienen: 


ukydides iſt ein Verwandter des Miltiades ge 
Siegers von Marathon 2). Einige geben ihn für 
john deſſelben 3) aus, 


denfalls, berichtet Suidas, iſt er von mütterlicher 
Nachkomme des Miltiades, von väterliher Seite 
ben Königs Oloros 1). Schon früher Hatten 
Familien in Verbindung geftanden. Des alten- 
hter, Hegefipyle,, hatte den marathonifchen Miltia- 
het, zu derſelben Zeit noch, wo diefer als Tyrann 
yen Cherſynnes beherrſchie 5). 


e Mutter des Thukydides hieß gleichfalls Hegeſi⸗ 
Tach Diefen Daten nun entmerfe ich folgende Stamm⸗ 
zeitrihenen Linien find gewiß, die punktirten beru⸗ 
rmuthung 7). 


uert l. 1. p. 176 sqq. 
„ Cimo 4 Marcell. 2. 
cell. 15. 


Marcell. 2. Doch giebt es bei Suidas auch in um 
t. 


cell. 5:5qq. Herod. v1, 


cell. 2. mu 


ermuthe alfo, daß der König Dloros einen Sohn hat in’s 
gerrecht aufnehmen laflen. : ‚Bei dem großen Anfehen bes 
das eine Kleinigkeit. Der Sohn biefes neuen Bürgers, 
Buater Dloros genannt, heirathete feine Couſine, Hegeſi⸗ 
‚ter des Miltiades, und erzeugte mit ihr ben Thukydides. 
immend 8. O. Müller a. a. O. ©. 34l. 


.*4 Auutydides. Kap. 1: .; 


— Stammtafel. 


| 
- . 
28* 


20T. oe. — Oloros J2. 
Steſagoras Sohn, Halbbruder Miltiades 1. König von Thrakien. 
De Pe BE . — ur = 5. es 


— 


—X 
—— - 
—R8 
ar) 


-. 


fe Bra) Rutiades ER. 
aus Athen. | - Sieger'von Marathon. 












m Segefipyle E. Sohn, 

— * vielleicht Th ukydides I. 
No genannt, der attifcher Bür⸗ 

N ger geworden fein mag. . 





: rn - “ N 
> En a 5 : . u N , J | ! 
Elwintke. Kimon II; Gegefipyle IH. Oloros IE: 


non no: Bieger. am Eurymebon. 


» > - - 
* .. ‘ Find . 
. * Pa —* .. RS - - “ 
.. v .w 
- 22 3 > „> f 7 
.. - .. VF 2 v u 9 . 
.. ” s ı- - . 
Y .o.. NEM oJ b ‘2 . J 5* 
® .. . 7 * fr . . , - : R j 
- X ., — Ä J [4 —“· — * .. —ãa “ . 
u. . .. — „® .. 2 ® 
u . x .. .. > 2 .- N “ . . 
lm „se ie m .. .— nn. .. .. . . : 
. . - u. — 
Fr) 2 Pe ee GE DI > ._ .. — ee 
7 7 — 6 — . 
[7 . — .. 5 “ vn f 4 1 
. 


6, 2. Bertunft v0 Ahalydldes. 3 


diefer ’ Anordnungſtiummt:vas politiſche Vethaltuiß 
kydides vortrefſlich zuſaummen Ware Thulevldeß 
Mannsſtamm ein Enkel des: Miltiades gewiſen,ſo 
zu: demſelben Demos gehören, ben Demos ber Bas 
Er war jedoch, wie obengeſagt, Halimuſier.“ Mä⸗ 
n Genos nach: gehörte Miltſades, weile! Thukroibrs 
hilaiden. CThukydides / wurde hegraben· Im: bean: Eeb⸗ 
e der kimoniſchen Familie, 8 much vie ſchͤne Clpl 
eN). Dazu aber, wie mein feliger Lehrer, K. OD. 
gegen mid) geäußert‘ hat, kamen wohl nur Ges 
wandte. Es war gewöhnlich, daß ein neuer Bür- 
ine Altbürgerim heirathete, ſeine Kinder An Aus Ge⸗ 
Nutter aufnehmen ließ . — Wir Sehen: alfo. jeben⸗ 
ß Thukydides zum höchſten atheniſchen Adel gehörte; 
Hauſe, das nicht bloß auf; Ajas konnte zurückgefüͤhrt 
ſondern das ſich auch ſeit Peifiſtraros Zeiten‘ tun 
Anfehen;,- triegeriſchen Rahm und ‚eomfersatiet 
; audgezeichnet hatte, ' A 
einer Angabe des alexanbriniſchen eammiauters 
wäre Thukydides ‚much niit den Belfifteativen 
zewefen. %), Aus dieſer Verwandtſchaft wollte Her⸗ 
gar die angebliche. Vrretellichkeit. des: Thukydides ge⸗ 
odies und Ariſtogelnon erklären: eine Parteilichkeit 
‚ die auch von Herodot vollkommen geteilt: wirt; 
ye Abftammung; wie Marcellin behauptet, iſt wohl 
t zu denken. Peiſiſtratos war dem Demos. nach 
de, dem Genos nach ein Nelide; Thukydides hinge⸗ 
NE Are Era CE 

EEE — ann ui GE ja aß 
rcell. 17. 65. Anon. 10. Plut- Cimo 45. Herod. 
Dr LTR | 
Boeckh C. I. Lp. 140: platner wenige. I ff. 
Staatäalterth. $. 100. Meisr' De gent. p. 28. .. 
rcell. 3. Schol. Pind. Nem. II, 9. 7T F [a 

rcell. 18. Schol. Thuc. I, 230 : . tinzll ( 


A2aghuthdhees. Kay. 2. 


wenn er in Italien den Herodot beſucht Hätte, der in $ 
Damals ein den Muſen geweihtes Alter führte. Die I 
Sage, welche die Aiche der beiden Hiftoriter in Einem ( 
male ruhen läßt, mag. auf folchen Gedanken beruhen 1). 

Daß Thukydides die ſikeliſche Sprache. veritanden 
vermuthe ich, ohne eö behaupten zu wollen 2). Die il 
vefte des pelnögifchen 3) und Ielegifchen Dialektes +) fd 
ihm Dagegen unverſtändlich geweſen zu fein 5). 


8. 2. 
Geſchriebene Quellen. 


WEäigentliche Urkunden ſtanden ihm wenig zu G 
Die Warfenftillftandg-, die Friedens⸗ und Bundesve 
theilt er ohne Zweifel im Originale mit, wie ſchon die 
ſche Form der unter Doriern geſchloſſenen anzeigt. Die‘ 
des Pauſanias, des Keryed und Themiſtokles Tennt ex 
nur von Hörenſagen 9), — Die Felöheren feiner Zeit 
ten zwar mitunter nah Haufe Bericht erftatten: beſo 
häufig that es der vorfichtige Nikias; aber. felten fchriftlid 
der Regel durch Abgeordnete 7). Man büte fi) dahe 


— 


) Marcell. 17. Suidas v. “Hoodorog. 
) VI, 

3) II, 68. 

1) III, 94. 


5) Hatten ja auch Hekatäos (Strabo p. 494. 629.) und 
dot, vermuthlich aus demſelben Grunde, die Pelasger für Ba: 
erktärt. 


% 1, 128, 129. 137. Dafür vebet fchon bie ‚attifche Mund 
Paufanias Briefe. Das Schreiben des Xerres war vielleicht nod 
handen; wenigftens erzählt Plutard) von den Papieren des Pauſ 
die nad) beffen Zode u. A. den Themiſtokles verbächtigten (Themist 


) VII, 8. 


5. 2. Herodot. 4117 


te begreifen follen, kann ich niemals zugeben. Frei⸗ 
fen, kunſtmäßigen Plan deſſelben, wonach es nicht 
Anfang, ſondern auch ein organiſches, wohl 
es Ende beſitzt, muß ich der ausfuͤhrlichen Be⸗ 
es Herodot zu entwickeln überlaffen. . 

alſo Herodot's Werk ſchon im Jahre. 414 wäre 
um gelangt, fo iſt keine Schwierigkeit meht, daß 
des hätte benutzen können. Dieß würde auch noch 
Fall fein, wenn es ſelbſt mit dem Jahre 408 feine 
zätte. Thukydides iſt ja nicht vor dem Ende bes 
eigentlichen Ausarbeitung gefchritten. — Ohnehin 
aus nicht unwahrſcheinlich, daß Herodot einzelne 
einer Geſchichte ſchon früher publicirt Bat. - Linters 
och ſelbſt an vielen Stellen die einzelnen Adyos, 
ie zufammengefeht worden, ganz nach after Logo⸗ 
e. Noch das fpätere Alterthum citirt ihn nach ſol⸗ 
y. Die vielbeſprochenen Vorleſungen an den 
ind Panathenäen, mern etwas. Wahred. dabei. zu 
it, könnten natürlich nur einzelne Abfchnitte bes 
r. Aber noch in fpäterer Zeit, in Alexandrien, 
t unerhört, einzelne. Stücke des Herodot im Thea⸗ 
miren 2). Das erinnert doch ganz an die Rhapſo⸗ 
iker, und ſtimmt wicht übel mit den Ausodrücken 
8, der ein ads und Juve von unſerm Hits 
3). Wirklich find die Fugen dieſes Werkes nicht 


— 


tus Emp. Pyrrh. Hyp. III, 231: & z6° — r Age 
doy . Der Rhetor Menander De encomiis p: 49. 
Tois Aiyunticxotc. 
ıb. Athen., XIV, p. 307. .. 

d. s. Aetion: Opp. Vol, IV, p. 117 sq. Bip. — Auf 
> e8 denn aud) möglich, bie entgegengefeßten Angaben bes 
II, 4.), wonad Herodot in Zhurii fein Werk gefchrieben 
ed Suidas zu vereinigen, wonach bie Ausarbeitung in 
it wäre. 


- 


106 Thukydides. Kap. 1. 


legen. den Tod des Hiſtorikers nad) Athen. Soviel ma 
einer fehr verdorbenen Stelle des Marcellinus (32- fg.) 
fen kann, feheinen auch Zopyros und Kratippos Derfelbe 
ficht geiwefen zu fein; was um fo wichtiger it, weil K 
pos ein Zeitgenoffe und Fortſetzer des Thukydides war. 
nen ſtimmt auch Pauſanias bei; fo daß die letzte Angabe 
geachtet der Polemik des Marcellin, doch wohl die glaul 
digſte iſt. | 

Thukydides Grabmal, wie gefagt, befand fich ir 
Familienbegräbniffe des fimonifchen Haufes, unmittelbar 
dem der fchönen Elpinike, feiner Tante 1). 


Ovde Ti ol yoWg omneras, ovdE mv Eilel 
"Eodovo’ . .. 

"Ns Tos andovreı uaxapeg Heol . 

Kal vexvog neE Eovrog. 


8. 6. 
Aeußere Perſönlichkeit des Thukydides. 


Sp gern ſich der theilnehmende Leſer auch ein körpe 
Bild des geliebten Meisters möchte entwerfen künnen, fo 
tig oder zweifelhaft find Doch die Hilfsmittel, welche da: 
terthum dazu an die Hand giebt, Wir Befiken eine Sch 
rung von Marcellinus (34), die aber nur allzu de 
Spuren trägt, daß fie nach den Bilde des thukydide 
Geiſtes, wie ihn feine Gefchichte kennen lehrt, erfunde 


!) Plut. Cimo 4. Ueber die Localität des Grabes we 
Abhandlung von Krüger, Ueber Melite, in den Unterfudh 
S. 85 ff. 


$. 2. Herodot. 419 


. — Konnte aljo Hellanilod den Herodot benutzen, 
mehr nicht der beträchtlich jüngere Thükydides! 
lich dürfte Mancher die Glaubwürdigkeit meines Ge 
nned, des Porphyrios, in Ziveifel ziehen. War es 
den Fetten Zeiten des Altertbumd, befonderd unter 
envätern — und ein Kirchenvater citirt den Porphyrios, 
e guter Ton geworden, den großen Alten ettvad anzu⸗ 
namentlich Plagiate Schuld zu geben. Aber unfere 
an fih nicht unwahrſcheinlich. Dieſes Ausfchreiben 
artien ift dem jugendlichen Alter der hiſtoriſchen Kunjt 
natürlich. . Bon den Chroniften unſers Mittelalters 
richt einmal reden. Uber auch Die guten Wlorentiner 
und 15. Jahrhunderts, die Franzoſen, Deutſchen 
länder im 16. und 17, tragen nicht das mindeite 
, was fie nicht ſelbſt erlebt oder geſehen haben, maſ⸗ 
and beinahe unverändert aus Fremden zu entlehnen, 
anere fih nur an die Thuanud und Khevenhüller. 
wie auch die Epiker die beiten Leiſtungen ihrer Vor⸗ 
ne Weitered als Gemeingut zu benußen pflegen. — 
ja doch Herodot kaum anderd mit dem Hekatäos. 
om Nilpferde, won der Krofodiljagd, vom Phönix 
I), Mt mit wenig Zuſätzen und Ahkürzungen aus 
täos 3). Im Greifenalter der hiſtoriſchen Kunſt fer 
ine verwandte Erſcheinung wiederkehren: nur wird 
xcerpirt, in her. vorliegenden Period mehr unyerho⸗ 
chrieben. 
denke man fich "den Thukydides: vol breunenden 
h der Wahrheit ſtrebend, überall umherreiſend, wo 





; andern Gründen hat auch D. bereits erwieſen, daß Heros 
anikos fchwerlid) gelefen bat: a. 4. O. S. „127 ff- 


70. 71. 73. 
phyrios b. Euseb. Pr. Ev. X, 3, 


P 


108 Thukydides. Kap. 1. 

merhin fo vorſtellen! — Nur drängt ſich uns leider bei 
Borträtbüften aller Altern hellenifchen Schriftiteller die be 
liche Frage auf: Sind fie wirklich nach der Natur oder 
glaubwürbiger Tradition gebildet; oder aber find fie nur 
dem äſthetiſchen Eindrucke wiedergegeben, den Die %e 
jener Schriftftellee auf die Phantafie eines geiftuollen 2 
ners machen mußte? ine Frage, die fih auch im vı 
genden Falle auf Feine Weiſe beantworten läßt. 


6. 2. Herodot. 131 


m fucht! Ganz dafjelbe muß ich auf Note. 68 erwi⸗ 

Wenn Thukydides und Herodot dad Ende des Ari 
verfchieden erzählen, fo möchte ich darum allein, meil 
e3 bier nur beiläufig, Herodot aber direct berichtet, 
e größere Glaubwürdigkeit des letztern annehmen !). 
äge nur den langedauernden Aufenthalt und die Bas 
bindungen des Thukydides in der Gegend diefed Er⸗ 

wie leicht konnte er da beſſer unterrichtet fein. — 
tüller 2) führt noch als Beweis an, daß Thukydi⸗ 
8 delifche Erdbeben feiner Zeit für das erſte über 
che. Herodot aber berichtet von einem frühern 9). 
wie leicht Fonnte Thukydides, felbit wenn er den Hero- 
inden hatte, eine einzelne Notiz deſſelben vergeſſen 
ne Notiz zumal, die fir Ihn, für feine freiere Anficht 

Intereſſe befaß! Ihm kommt es ohnehin, went 
under erzählt, auf die Thatfache felbit nicht eben viel 
den Eindruck beachtet er, den es auf die Menſchen 
nd Die Menfchen, von denen er fpricht, — ſoviel 

geht aus II, 8. hervor, — haben das zweite Erd⸗ 
das einzige gehalten, Es fragte fih auch noch, ob 

erite Erdbeben zu den mancherlei Fabulosis Der 
e zu rechnen, und eben vom Thukydides ſtillſchwei⸗ 
orfen wäre. — Man künnte noch einige Stellen 
. Thukydides nimmt I, 18. die ſikeliotiſchen Ty⸗ 
3, wenn er behauptet, alle Tyrannen feiern durch 
geſtürzt worden. Bei Selinus aber, wie Herodot 
ar derfelbe Tall >). Ebenſo Hätte Thukydides, wenn 


— — 


Dahlmann Note 70 thut. 
tier, Th. II, ©. 102. 

8. | 

‘od. VI, 9. 

rod. V, 46. 


122 Thukydides. Kap. 2. 


er fich Defjen erinnert, I, 14. gewiß die große Menge Trieren 
erwähnt, welche die Sonier bei ihrem Aufftande nach Herodot 
beſaßen ). Aber vergleichen Heine Vergeßlichkeiten beweiſen 
nicht viel. — Darin bat übrigens D. gewiß vollkommen 
Net, daß Herodot's Gefchichte zur Zeit des peloponneſiſchen 
Krieges noch durchaus Fein Volksbuch iwar 2). | 

Sollte nun meine Beweisführung gegründet fein, fo 
wiirde weder im Thukydides ſelbſt, noch in den Zeitumftän- 
den irgend eine Urfache Liegen, weßhalb Thukydides den He 
xodot nicht benutzt haben könnte. Einige Zweifel, die aus 
Der angeblichen Härte ſeines Urtheils über dieſen erhoben find, 
ſowie die Frage, ob er im Großen. und Ganzen ihm gefolgt 
el, Hoffe ich tiefer umten zu erledigen d). Und zivar zum 
Vortheile der beiden großen Siftorifer. — Nun ift es frei⸗ 
Th wahr, Thukydides nennt den Herodot niemald Bei Na 
men), Er fpricht immer nur von Logographen, von der 
Menge u. |. mw. Iſt ed nicht aber auffallend, daß von den 
‚einzigen drei Beiſpielen, Die er aus deren Irrthümern aufführt, 
wenigſtens zwei ohne Frage auf den Herodot paffen 5)7 Und 
zwar find fie beide gewiß nicht von der Art, daß fie im 
Munde des Volkes ſehr eirenlicen konnten. 

Endlich hat Thukydides auch In ſchriften bemukt, doch 
nur für diejenige Zeit, wo ſie wirklich noch die einzige Ge⸗ 
Ichichtsquelle Bilden 69). Das iſt nämlich die Zeit, wo man 

1) VI,8. 

98. 219 ff. 

3) Kap. 9. $. 2. 

*) Thukydides nennt Überhaupt nicht gern- Namen, wo er es wer 
meiden Tann. Etwas diplomatifh! So verfchweigt er VI, 60. den 
Namen des Anbolides. 

°) Thuc. I, 20: Her. VI,57.1X,53. Ohnehin werben die Iegtern 
durch den Vorfag oo &A dos "Ellmves von dem Irrthume der athenifchen 
Menge abaefondert. 

6) VI, 54 ff. 


! 


. 2. Inſchriften. $. 3..Mündliche Ueberlieferung. 425 


sen gelernt Hatte, ohne nach Gefchichte zu fehreiben, 
riode, welche Thukydides im Ganzen wenig berück⸗ 
kann. Er kann auch von den Inſchriften eben dar⸗ 
wenigen Gewinn ziehen. Ganz auders war es bei 
ographen, ſelbſt noch bei Herodot geweſen; wurde es 
der bei den Schüleru des Iſokrates und bei den Ver⸗ 
er. Atthiden. Bel dieſen Autoren war dieInſchriften⸗ 
dauptgegenſtand. Philochoros arbeitete ein förmliches 
der. attiſchen Inſeriptionen aus. — Mit welchem 
zrigens Thukydides ſolche Quellen zu vermeiden ſuch⸗ 
umir am deutlichſten aus dem berühmten Widerſpru⸗ 
in fo manche Epigramme des Simonides mit der Ge⸗ 
5 Herodot ſtehen. Wer etwa noch zweifeln könnte, 
Recht zu geben fei, vielleicht durch Plutarch verlei⸗ 
bedenke nur, daß die bekannte Inſchrift des Pauſa⸗ 
senfalls-von Simonides iſt verfaßt worden. 
8. 3. | 
Mündliche Ueberlieferung. 

lid erzählt (20 fg.), mit welchen Linkoften 
dides die Berichte der Augenzeugen erkauft habe. 

Mangelhaftigkeit Folcher Berichte iſt Thukydides 
iger als verblendet (VII, 44.). Daher werden im⸗ 
für den ſiciliſchen Krieg (1. 1.), die Angaben bei⸗ 
en als Quelle benutzt. Die widerſprechenden Aus- 
leicht er mit einander (I, 22.), und wo er feine 
reichen kann, da führt ex fie Beide an, um wenig⸗ 


thümlichteit des Thukydides, Die zuerſt genannte 
t Meinungen in der Regel für diejenige hal 


— — 


ıc. I, 132. ‘ 
‚4.8.4. 


‚412 Thukydides. Kap. 2. 


wenn er in Stalin den Herobot befucht Hätte, der in Thurk 
Damals ein ven Muſen geweihtes Alter führte. Die lieblich 
Sage, welche die Aſche der beiden Hfftoriker in Einem Graf 
male ruhen läßt, mag auf folden Gedanken berufen Yy. 4 

Daß Thukydides die ſikeliſche Sprache verſtanden habe 
vermuthe ich, ohne es behaupten zu wollen 2). Die 
vefte des pelasgiſchen 3) und Ielegifchen Dialektes +) fact 
ihm Dagegen unveriiimdlich geweſen zu fein 5). 








z 
8. 2, q 
Gefchhriebene Quellen. : 

X 


Eigentliche Urkunden ſtanden ihm wenig zu Gebo 
Die Waffenftillftandge-, die Friedens⸗ und Bundesvertraͤg 
theilt ex ohne Zweifel im Driginale mit, wie fihon die vopk 
fhe Form der unter Doriern ‚gefchlofjenen anzeigt. Die Brich 
des Pauſanias, des Xerxes und Themiſtokles kennt ex wo 
nur von Hörenfagen 9), — Die Feldhern feiner Zeit ung 
ten zwar mitunter nah Hauſe Bericht erſtatten: befonderf 
häufig that es der vorfichtige Nikias; aber felten fchriftlich, 4 
der Negel durch Abgeordnete 7). Man hüte ſich daher, fi 












ı) Marcell. 17. Suidas v. ‘Heodoros. 
2) VI, 4. 

5) II, 68. 

*) III, 94. 


5) Hatten ja auch Helatäos (Strabo p. 494. 629.) und Ha 
dot, vermuthlidy aus bemfelben Grunde, die Pelaöger für Barbarad 
erktärt. | 


% J, 128. 129. 137. Dafür redet fchon die attiſche Weundart i 
Paufanias Briefe. Das Schreiben des Xerres war vielleicht noch ' 
handen; wenigftens erzählt Plutard) von den Papieren des Paufaniad;k 
die nad) deſſen Zode u. A. den Themiſtokles verdächtigten (Themist. 23.) 


) VIL, 8. 





$. 2. Herodot. 445 


t Dareios die Rede iſt i), und IH, 15, die vom 
myrtäos handelt, Num iſt es freilich, was die 
anbetrifſt, gewiß, der Tod eines Amyrtäos wird 
s in das Jahr 408 geſetzt. Dem Synkellos zu⸗ 
derſelbe Amyrtäos 408 ſogar erſt zur Regierung 
Allein durch Krüger und Göller 2) iſt hinreichend 
en, daß der von Herodot erwähnte Amyrtäos ein 
iſt; derſelbe, der nah Thucyd. I, 112. ein 
hundert früher mit Inaros zuſammen den Auf 
guptier geleitet Hatte. — Und aud) von der ers 
Hat K. W. Krüger bereitd eine Interpolation 
inlich gemacht 3). Sollte das aber auch unbe 
‚ die Einfhaltung wirklich vom Herodot herrüh⸗ 
fie jedenfalls fo loſe und fchlecht angefügt, daß 
araus eine Vollendung des Werkes vor 408 ver⸗ 
Man bedenke nur! Wegen der Tyrannei des 
gen fih Die Meder umter die perfiiche Herrfchaft. 
wen fie, dieß gethan zu haben, und fallen 
ab. Die Rue, wie K. bemerkt, wäre 150 
ver That gekommen; und das Ganze würde nicht 
auten, ald wenn man heute fagen wollte: die 
hre ſchlechte Vertheidigung im 15. Sahrhunderte 
len von den Türken ab. Jedenfalls würde man 
ſer an einen andern, uns vielleicht unbekannt ge⸗ 
fitand der Meder denken, der unter Dareios I. 


ı läßt fih aber nachweifen, daß Herodot's Ge- 
em Sjahre 414 bereits erfchienen jein mıng. Aus 


Cenoph. Hell. I, 2, 19. 
Krüger Unterfuhungen ©. 23. Goeller Thucyd. 


tifcher Nachtrag zum geben des Thukydides, ©. 39 ff. 
8 * 


114 | Thukydides. Kap. 2. 


Ich Bin durch die Gründe des vortrefſlichen Mannes 
überzeugt worden. Gehen wir daher auf eine nähere Prüf 
derjelben ein. Wo es fih um Oegenftände handelt, wie 2 
fydides und Herodot, und um Widerfacher, wie D., 
jede Ausführlichkeit gern entfchuldigt werden. 

Die Gründe des Herrn D. find vornehmlich drei: Zı 
nacht er aus verfchiedenen Stellen des herodoteiſchen Bu 
wahrfheinlih, daß e8 im Sabre 408 noch im Bulte fe 
Verfaſſers geweſen. Da fei denn Benukung von Seiten 
Thukydides nicht füglich mehr anzunehmen ). Sodann fi 
er aus dein Thukydides ſelbſt mehrere Stellen an,. mi 
diefer bei einiger Bekanntſchaft mit Herodot, nach DE 
fiht, würde geändert haben 2). Endlich aber ſei der bi 
Tadel feines großen Vorgängers mit der Gerechtigkeit 
Thukydides unvereinbar 3). 

Daß Herodot noch im Verlaufe des peloponneſiſchen 
ges an feinem Werke gearbeitet hat, iſt von D. unwider 
lich bewieſen. Die Stellen VII, 233. 137. 151 9 und 
160 gehen unzweifelhaft auf Begebenheiten der Jahre 
430 und 425. Und fie könnten immerhin noch vermehrt ı 
den. So wird IX, 37. des lakedämoniſchen Seezuges 
Zakynthos gedacht, welcher in's Jahr A430 fiel; IV, 148. 
Belagerung von Lepreon, welche 421 vor ſich ging 5). $ 
aus würde fich Denn ergeben, daß Herodot's Gefchichte 
Fahre 421 noch nicht erfehienen war. — Wie fteht es 
aber mit dem Jahre 4087 D. glaubt, zwei Anfpielungen 
anf gefunden zu haben: 1, 130, wo von einem Aufſtande 


) ©. 38 ff. 216 fg. 
2) ©. 219 ff. 
3) ©. 219. 
9 Bgl. Forſchungen u. f. w., Ih. I, ©. 113 ff. 
°) Thucyd. II, 66. V, passim. 


5. 2. Herodot. 117 


tte begreifen follen, kann ich niemals zugeben. Frei⸗ 
fen, kunſtmäßigen Plan deſſelben, wonach es nicht 
Anfang, fondern auch ein organiſches, wohl 
tes Ende Befikt, muß ich der ausfuhrlichen Be⸗ 
es Herodot zu entwickeln überlaſſin. 
: alfo Herodot's Werk ſchon im Jahre 414 wäre 
um gelangt, fo iſt keine Schwierigkeit meht, daß 
ide8 hätte benutzen können. Dieß würde auch noch 
Fall fein, wenn e3 felbft mit den Jahre 408 feine 
hätte. Thukydides iſt ja nicht vor dem Ende des 
eigentlichen Ausarbeitung gefchritten. — Ohnehin 
aus nicht unwahrſcheinlich, daß Herodot einzelne 
einer Gefchichte ſchon früher publicirt Hat. - Unter⸗ 
och ſelbſt an vielen Stellen die einzelnen Aoyos, 
ie zufamumengefett worden, ganz nach alter Logo⸗ 
2. Noch das fpätere Alterthum citixt ihn nach ſol⸗ 
), Die vielbeſprochenen Vorleſungen art. den 
nd Panathenäen, wenn etwas. Wahres. dabei zu 
t, konnten natürlich nur einzelne Abſchnitte bes 
t. : : Aber noch in fpäterer Zeit, in Werandrien, 
unerhört, einzelne. Stücke des Herodot tm Thea⸗ 
airen 2). Das erinnert Doch ganz an die Rhapſo⸗ 
ker, und ſtimmt nicht übel mit den Ausdrücken 
}, der ein &dsw und Juve» von unferm. Stat 
) Wirklich find die Fugen diefes Werkes nicht 


us Emp. Pyrrh. Hyp. III, 231: iv zo zeob dis ’Ao- 
loya. Der Rhetor Menander De encomiis p: 49. 
üs Alyuarmaois. 

b. Athen., XIV, p. 307. 

. s. Aetion: Opp. Vol, IV, p. 117 sq. Bip. — Auf 
e8 denn auch möglich, die entgegengefehten Angaben des 
[, 4.), wonach Herodot in Thurii fein Werk gefchrieben 
> Suidas zu vereinigen, wonach die Ausarbeitung in 
wäre. 


116 tukhdldes. Kap. 2. 


VII, 170 1) folgert bereits D., daß vie Niederlage der AN 
ner vor Syrakus damals noch nicht erfolgt fein könne. Ad 
gewiß mit Recht. Wie dann aber, frage ich: Herodot, A 
fo manche Hleinere Notizen nachtrug, der den ferne liegende 
und erfolglofen Aufftand der Meder fol nachgetragen Haba 
der Hätte dieſes ungeheuere Ereigniß, daB größte der. Helle 
fehen Gefchichte 2), das noch dazu recht in feiner nächte 
Nähe wor fich gegangen war, nicht bloß verſchweigen, forkag 
beinahe läugnen können? — Ich zmeifle ferner Dırchung 
nicht, hätte der Hiftoriker Die Feftfehung der Lakedämonier 
Dekelea. gefanıt, ex hätte nimmermehr, fowie Der ganze 
rakter feiner Erzählung tft, eine Andeutung Derfelben in 
73. zu unterdrücken vermocht. Die Erflärung, welche 
von dieſem Weglaſſen verfucht, ift allerdings hoͤchſt ſch 
nig, aber nad) meinem Dafürhalten durchaus ‚nicht 
reine Hypotheſe 3). D. fcheint Hierbei zu ausſchließlich ‚am 
Verwüſtungen des: peloponnefifchen Krieges gedacht 
haben: während doch fchon im Jahre 445 Einfälle dee X 
dämonier in Attifa erwähnt werben ). Auch Bann id 
der Lebhaftigkeit des politifchen und mereantilen Verl 
im damaligen Griechenland nicht glauben, daß nad 
Sahre 413 das Gericht zwiſchen Athen und Thurii eine 
ungeheuer entjtellende Kraft follte gehabt haben, wie D. 
nimmt 5). — Hiernach würde Das Werk des Herodot J 
fhen 421 und 414 erfchienen fein. Denn daß eb! 
vollendet Hinterlaffen wäre, wohl‘ gar noch die Thaten 













— — —2— — 


1) Bat. Diod. XI, 52. 
2) Thuc. VII, 87. 
5 S. 43 ff. 
*) Thuc. I, 115. Diodor. XII, 6. 
5) ©. 45. 


$. 2. Herodot. 449 


— Konnte aljo Hellanikod den Herodaot benuken, 
ehr nicht der beträchtlich jüngere Thukydides! 
ch dürfte Dancer die Glaubwürdigkeit meines Ge 
108, des Porphyrios, in Zweifel ziehen. War es 
n letzten Zeiten des Altertbumd,. befonderd unter 
wätern — und ein Kirchenvater eitirt den Porphyrios, 
guter Ton geworden, ‚den großen Alten etwas anzu⸗ 
amentlich Plogiate Schuld zu geben,.. Aber unfere 
n fich nicht ummwabrjcheinlih. Dieſes Ausſchreiben 
tin iſt dem jugendlichen Alter der hiſtoriſchen Kunſt 
atürlich. Von den Chroniften unferd Mittelalters 
ht einmal reden, Aber auch Die guten lorentiner 
nd 15. Jahrhunderts, die Franzoſen, Deutſchen 
mder im 16. und 17. tragen nicht das mindeſte 
was fie nicht felbft erlebt oder gefehen haben, majs 
id beinahe unverändert aus Fremden zu entlehnen. 
ıere fih mr an die Thuanus und Khevenhüller. 
sie auch die Epiker die beiten Leiſtungen ihrer Vor⸗ 
e Weiteres ald Gemeingut zu benutzen pflegen. — 
ja doch Herodot kaum anderd mit dem Hekatäos. 
m Nilpferde, von der Krofodiljagd, vom Phönix 
. at mit wenig Zuſätzen und Abkürzungen aus 
108 3), Im Greifenalter der hiſtoriſchen Kunſt ſe⸗ 
ie verwandte Erſcheinung wiederlehren: nur wird 
cerpirt, in der vorliegenden Periede mehr unverho⸗ 
yrieben. 
denke man fich den Thukydides: voll lrennenden 
der Wahrheit ſtrebend, überall umherreiſend, wo 


— 


andern Gründen hat auch D. bereits erwiefen, daß Hero: 
nikos ſchwerlich gelefen hat: a. a. O. S. 127 ff- 


0. 71. 73. 
ıhyrios b. Euseb. Pr. Ev. X, 3. 


4118 Thukydides. Kap. 2. 


allethalben fo: verſtrichen, dag man das Früher nder 
einzelner Bauſteine nicht noch ;beftimmen koͤnnte. Val 
VII, 61 und I, 7: I, 98. und VD, 9%. 1, 175 wi 
104. — Auch einige Stellen ſophokleiſcher Trauerſp 
fen nicht ohne Wahrfcheinlichkeit eine Benukung des 
vermuthen..So. Hat 3. B. die Schilderung der. ve 
Welt der. Aegyptier im Poloneifchen Dedipus 1) eine 
chende Aehnlichkeit mit Herodot H, 35. So auch die 
der Antigone 836 fi. mit der Novellette bei 
dot III„ 119 2). — Me dieſe Stellen geben nicht 
ger, als Gewißheit. Ich will es aber auch nur al 
Bar hinſtelleu, daß Thukydides, noch che die Geſchi 
Herodot vollendet war, einzelne Reſultate derſelben 
konnte. Een 

Zum Glück aber Haben wir noch ein Zußereb 3 
Hellanikos Hat wirklich den Herodat benut 
erzählt Porphyrios beim Euſebios 2). Er hat ganze ' 
aus dem Herodot entlehnt. Wirklich finden ſich auch F 
ſtellen zwiſchen beiden ). — Aber, denkt: man viellei 
konnte fa eben Herodot der Entlehner fein, Nicht wal 
lich: Herodot verfichert an zwei Stellen 5), etmas zuerſl 
zählen, was doch Hellanikos bereits erzählt hatte, 
folgt wenigſtens ſoviel, daß Herodot diefe Schriften 
Eollegen nicht kannte. Denn einer Lüge wird ihn 9 


— 





— 


1) 302 ff. 
2) Bgl. Plutarch. An seni etc. 3. Bol. auch Elektra 
Herodot I, 108. 


3) IX, 39, p. 466. 


4) Bol. Suidas s. v. Zanolfıs: Auch Athen. XI, p 
Valckenaer z. Herodot IV, 190. 


5) IV, 95 und VI, 55. 
6) Sırabo 1, 43 C. 


6. 2. Gerodot. 431 


ſucht! Ganz dafjelbe muß ich auf Note. 68 erwi⸗ 
Benn Thukydides und Herodot dad Ende des Art 
ſchieden erzählen, fo möchte ich darum allein, weil 
bier nur beiläufig, Herodot aber dirert berichtet, 
rößere Glaubwürdigkeit des Leitern annehmen !). 
: nur den langedauernden Aufenthalt und Die Fa⸗ 
dungen des Thukydides in der Gegend dieſes Er⸗ 
vie leicht konnte ex da beſſer unterrichtet fein. — 
[Lex 2) führt noch ald Beweis an, daß Thukydi⸗ 
deliſche Erdbeben feiner Zeit für das erjie über 
». Herodot aber berichtet von einem frühern 9. 
: leicht konnte Thukydides, felbft wenn er ben Hero⸗ 
en hatte, eine einzelne Notiz deſſelben vergeſſen 
Notiz zumal, die fire ihn, für feine freiere Anficht 
intereffe befaß! Ihm kommt e8 ohnehin, wenn 
der erzählt, auf die Thatfache ſelbſt nicht eben viel 
n Eindruck beachtet er, den es auf die Dicnjchen 
‚ die Menſchen, von denen ex fpriht, — ſoviel 
ebt aus IL, 8. hervor, — haben das zweite Erd⸗ 
3 einzige gehalten. Es fragte fih auch nach, ob 
rſte Grobeben zw den mancherlei Fabulosis der 
zu rechnen, und eben vom Thukydides ſtillſchwei⸗ 
fen wäre. — Man könnte noch einige-Stellen 
Thukydides nimmt I, 18. Die fifeliotifchen Te 
wenn er behauptet, alle Tyrannen ſeien durch 
jeftürzt worden, Bei Sclinus aber, wie Herobot 
derfelbe Ball 5). Ebenſo Hätte Thukydides, wenn 


Dahlmann Note 70 thut. 
r, 2.11, ©. 102. 


id. VI, 98. 
cd. V, 46. 




















4120 <hufybies. Kap. 2, 


er Belehrung hoffte, den Greigniffen des Kampfes nahe, 
leicht fogae während des ſyrakuſiſchen Krieges in Itallr 
weſend. Hier wäre ihm das Werk des Hexodot verborgen 
blieben? — Wir dürfen und die Lebhaftigkeit des 
Bücherverkehrs nicht zu geringe denken. Aus 2 
ned ficht man, wie allgemein verbreitet bie Leetüre 
Durch Platon's Phädros iſt die wißbegierige Ungeduld 
Tannt, mit welcher ſchon damals Die Werke berühmter 
ven erwartet wurden. Der Buchhandel des Hermodoros iſt ſpri 
wörtlich geworben, und eine ziemlich große Wohlfellheit d 
cher läßt ſich aus Platon's Apologie 2) folgen. Selbſt 
das Meer Hin wurden Maſſen von Büchern geſendet 3). . 
Iuftige Aufteitt mit dem Geſehzhändler in Ariſtophanes 
gen 4) kann zum Beweiſe dienen, wie ſchnell damals 
neue Volksbeſchluß zu Athen auf dem Wege des DB: 
in bie zinspflihtigen Städte zu gelangen pflegte. — 
wäre denn die Möglichkeit, daß Thukydides den Herobot g 
fen Hätte, wie ich meine, ſicher geftellt. 

Aber D. führt noch einige Stellen des Thukydides 
welche factifh von einen Nichtk ennen des Herodot 
gen follen. Was find das für Stellen? — Diejenigen, 
e ©. 221, Note 71. beibringt, Laufen ſämmtlich nur d 
Hinaus, daß Thukydides hier und da, wo er aus dem $ 
Dot eine beiläufige, für feinen Zive durchaus er 
Notiz hätte anwenden können, dieß nicht gethan Hat, ® 
für bedenke man aber doch, wie ſtrenge fih Thukydides 
den eigentlichften und nächſten Gegenftand feines Werkes 


2) Fröſche 1114 ff. 
2) p. 26. 


?) Xenoph. Anab. VII, 5, 14. Bgl. Krüger Epikrit. Nad 
trag, ©. 37 fa. 


y 1083 ff. 


Inſchriften. $. 3.. Mündliche Licherlieferung. 325 


eleent hatte, ohne nach Gefchichte zu fchreiben, 
‚ welche Thukydides im Ganzen menig berück⸗ 
+ Er fan auch non den Inſchriften chen dar⸗ 
gen Gewinn ziehen, Ganz auderd. war ed. bei 
ben, felbit noch bei Herodot geweſen; wurde es 
sei den Schülern des Sokrates und bei den Ver⸗ 
ithiden. Bel dieſen Autoren war die: Inſchriften⸗ 
tgegenftand. Philochoros arbeitete ein förmliches 
attiſchen Inferiptionen aus. — . Mit welchen 
98. Thukydides folche Quellen zu vermeiden fuche 
ix am deutlichſten aus dem berühmten Widerſpru⸗ 
o manche Epigramme des Simonides mit der Ge⸗ 
serodot ſtehen. Wer etwa noch zweifeln könnte, 
ht zu geben ſei, vielleicht durch Plutarch verlei⸗ 
yenfe nur, dag Die bekannte Inſchrift des Pauſa⸗ 
alls von Simonides it verfaßt worden, 


8. 3. | 
. Mündliche Ueberlieferung. 
inus erzählt (20 fg.), . mit welchen Unkoſten 
deö Die Berichte Der Augenzeugen erkauft habe. 
Mangelhaftigfeit folcher Berichte iſt Thukydides 
‚ex als vwerblendet (VII, 44.). Daher werben im⸗ 
für den fieilifhen Krieg (1. 1.), Die Angaben bei- 
ı als Quelle benußt. Die. widerfprechenden Aus- 
icht ex mit einander (I, 22.), und. wo ex Feine 
ichen kann, da führt er fie beide an, um wenig⸗ 
mden Unrecht zu thun XI, 5. V. 60.). Doc 
fer auch hier, nach einer unten 2) zu befprechen- 
hümlichkeit des Thukydides, die zuerft genannte 
: Meinungen in der Regel für diejenige Hal 


ıc. I, 132. j 
4.8.4. 


124 Adhukhdides. Kap. 2. 


ten, welche dem Verfaſſer am glaubwürdigſten erſchien 1). 
Die Höchfte Behutſamkeit wendet ex an, wo · Parteimänner 
von den Motiven ihrer Gegner urtheilen (VIII, M.). — Wo 
durch andere Gründe eine entſchiedene Gewißheit verhindert 
wird, da giebt er dieß allemal ofjen zu erkennen. So ſchweigt 
er 3. B. von der Stärke des argiviſchen Bundesheeres (nor 
Mantinea): weil er. die Prahlerei feiner Landsleute In vater 
ländiſchen Dingen würdigt (V, 68.). - Nicht viel anders ft 
es, wenn von der Zahl der thrafifchen Streitkräfte nur dis 
Akyeraı berichtet wird (II, 98.): den Barbaren. kann 'man 
Hierüber niemals trauen. Auch die Stärke. neB lakedämoni⸗ 
ſchen Heere8 wagt er nicht genau zu beſtimmen, weil übers 
haupt die Staatsverwaltung der Lakedämonier verborgen zu 
fein pflege (V, 68. 74.). Hier waren nämlich diefelben Urſa⸗ 
Ken wirkfam, Die in unferer Zeit die Politik der ſ. g. com 
ferwativen Mächte mit Dunkel umbüllen 2, — So erzählt 
er von Archidamos Planen bei dem Angriffe auf Acharnä (II, 
20.), 0 von den Roheſſern in Xetolien (III, 94.) nur as 
Aeyeraıd), Am häufigften kommt diefe Claufel im achten 
Buche vor, bei deiten Ausarbeitung er vom. Tode überraſcht 
minde td). — Er entfchulbigt fich ferner bei der vorletzten 
Niederlage der Athener vor Syrakus, wegen der Unficherheit 

N) In II, 5. ift dieß ziemlich direct zu erweifen. "Die Thebaner 
wärden nicht fo-ftill abgezogen fein, wenn ihnen nicht etwas verſprochen 
wäre. — Hiernach 'würde VI, 60. ein günftiges Zeugniß für die Glaube 
wöürbigfeit bes Andokides ablegen (De myst.). Doc hätte dem Thuky⸗ 
dides zufolge Andokides ſich ſelbſt mit unter den Hermokopiden angeges 
ben, was ber Redner, freilich aus nahe liegenden Gründen, hartnädig 
leugnet. ZZ ' on 

2) Bgl. namentlih V, 54. 

3) Rot. II, 48. 

ı Man fieht daraus, wie langfam er fein Urtheil abſchloß. 3.8. 


56. 64. 87. 94. Bier und ba ſteht indeffen auch Ar wo er nicht 
eben zweifelt: II, 77. 


6. 3. JFamillentrabition. 4128 


ichtes, worin fie erfolgt ſei, konne auch der Be 
nfiher ausfallen (VII, 4.) In ſolchen Fällen 
), allzu tief in's Detail zu geben. Da läßt er 
itweder nur auf ungefähre Angaben ein (V, 68.) ; 
x eine auöführlichere Darſtellung nöthig findet, da 
1: zoadın xal örs.Eyyurara rovrev Eyevero (V, 
Scheint ihm eine Angabe geradezu unglaublich, 
e doch Mittel hat, fie zu berichtigen, fo verſchweigt 
ganz (III, 113.). Mit befonderer Vorſicht vers 
i allgemeineren Behauptungen. Wenn er 3. B. 
agerung von Platäa dad große Feuer, welche die 
er zur Einnahme der Stadt anzündeten, das größte 
6, welches bis dahin gebrannt Habe, fo fügt er 
leich beſchränkend Hinzu, das größte von Mienfchens 
: auf Bergen freilich feien mitunter wohl von felbit 
tigere Brände vorgefommen (Il, 77: vgl VI, 


ie frühere Bergangenheit benutzt Thukydides auch 
ien= und Stammestradition. So iſt a VI, 
zurch Die Ueberlieferungen feiner eigenen Familie 
Berhältnifien des Beifiitratidenhaufes unterrichtet, 
pricht er von der ficherften Tradition der Pelopon⸗ 
). — Hier Fam es natürlih wor Allen darauf 
ugfte Kritik zu handhaben. So will ee im erſten 
‚ daß nicht Hipparchos, wie man glaubte, ſon⸗ 
3 Erſtgeborner und Nachfolger des Peififtratod ges 
Da beweifet er nun zuerft durch Inſchriften, daß 
vei Söhnen des Peiſiſtratos Hippias allein Kinder 
n dieß laſſe feine Erjtgeburt vermuthen, Sodann 
ıf denfelben Infchriften fein Name unmittelbar nes 
3 Vaters. Endlich fei e8 unmahrfcheinlih, daß 
Sohn nah den gewaltfamen Tode des Al 
r und fchnell die Regierung hätte übernehmen kon⸗ 


124 Thukydides. Kap. 2. 


ten, welche dem Verfaſſer am glaubwürdigſten erchie 
Die höchſte Behutſamkeit wendet er an, wo - Parteim 
von den Motiven ihrer Gegner urtheilen (VIII, 90). — 
durch andere Gründe eine entſchiedene Gewißheit verh 
wird, da giebt er dieß allemal ofſen zu erkennen. So fd 
er 3. B. von dee Stärke des arginifchen Bundesheeres 
Mantinen): well er die Prahlerei feiner Landsleute in 
ländiſchen Dingen würdigt (V, 68.). Nicht viel ande 
eö, wenn von der Zahl der thrakiſchen Streitkräfte n 
Aeyeroı berichtet wird (II, 98.): den Barbaren. Tann 
hierüber niemald trauen. Auch die Stärke deblakedä 
ſchen Heeres wagt er nicht genau zu ‚beitimmen, 'iweil 
haupt die Staatsverwaltung der Lakedämonier verborg 
fein pflege (V, 68. 74.). Hier waren nämlich dieſelben 
Gen wirkfam, vie in unferer Zeit die Politik der f. g. 
ferwativen Mächte mit Dunkel umbüllen 2. — So ı 
er von Archidamos Planen bei dem Angriffe auf Acharnı 
20.), fo von den Noheffern in Aetolien (III, 94.) m 
Aeyeraı 3), Am häufigsten kommt diefe Claufel im 

Buche vor, bei deſſen Ausarbeitung er vom Tode übe 
wurde 9. — Er entſchuldigt ſich ferner bei der vor 
Niederlage der Athener vor Syrakus, wegen der Unſich 


) In II, 5. iſt dieß ziemlich direct zu erweiſen. Die If 
würden nicht ſo ſtill abgezogen fein, wenn ihnen nicht etwas verfj 
wäre. — Hiernach würde VI, 60. ein günftiges Beugniß für die ı 
würdigfeit bes Andokides ablegen (De myst.). Doc, hätte dem i 
dides zufolge Andokides ſich felbft mit unter ben Hermokopiden c 
ben, was ber Redner, freilich aus nahe liegenden Gründen, har 
leugnet. — 


2) gl. namentlich V, 54. 
3) Bgl. II, 48. 


°) Man fieht daraus, wie Tanafam er fein Urtheil abfchloß. 
56. 64. 87. 94. Hier und ba fleht indeffen auch Asyeraı, wo eı 
eben zweifelt: II, 77. 


$. 2. Herodot. 117 


e begreifen follen, kann ich niemals zugeben. Frei⸗ 
en, kunſtmäßigen Plan. deſſelben, wonach es nicht 
Anfang, ſondern auch ein organifches, wohl 
8 Ende beſitzt, muß ich der ausführlichen De 
8 Herodot zu entwideln überlafſen. 
alſo Herodot's Werk fchon im Jahre 414 wäre 
m gelangt, fo iſt keine Schwierigkeit mehr, daß 
‚e8 hätte benuken können. Dieß würde auch noch 
fall fein, went es felbft mit den Sabre 408 feine 
itte. Thukydides iſt ja nicht vor dem Ende des 
eigentlichen Ausarbeitung gefchritten. — Ohnehin 
ud nicht unwahrfcheinlih, daß Herodot einzelne 
ner Gefchichte ſchon früher publicirt Hat. - Unters 
ſch ſelbſt an vielen Stellen die einzelnen Aoyos, 
e zufammengefelst worden, ganz nach alter Logo⸗ 
Noch das fpätere Altertum citirt ihn nach ſol⸗ 
1), - Die vichbefprochenen Vorlefungen art. den 
id eher mat wenn etwas. Wahre. dabei. zu 
kuönnten natürlich nur einzelne Abſchnitte bes 
- Aber noch in fpäterer Zeit, in Merandrien, 
merhört , einzelne Stüde des Herodot im Thea⸗ 
iren 2). Das erinnert doch ganz an die Rhapſo⸗ 
ler, und ſtimmt nicht übel mit den Ausdrücken 
‚ der ein &ösıs und Juvers von unſerm Hill 
. Wirklich find die Fugen dieſes Werkes nicht 


— 


us Emp. Pyrrh. Hyp. III, 231: à 7& mob ci; Ao- 
ya. Der Rhetor Menander De encomiis p. 49. 
5 Alyuarmnois. 


b. Athen., XIV, p. 307. 

8. Aetion: Opp. Vol. IV, p. 117 sq. Bip. — Auf 
:8 denn auch möglich, bie entgegengefehten Angaben bes 
, 4.), wonach Herodot in Thurii fein Werk gefchrieben 


Suidas zu vereinigen, wonach die Ausarbeitung in 
wäre. 


4118 Thukydides. Say. 2. 


allethalben ſo verſtrichen, daß man das Früher oder Späte 
einzelner Bauſteine nicht noch beſtimmen konnte. Vgl. z. B 
VII, 61 und J, 7. II, 98. und VD, 95. 1,1475 und VII, 
104. — . Auch: einige Stellen ſophokleiſcher Trauerſpiele laſ⸗ 
fen nicht ohne Wahrfcheinlichkeit: eine Benutzung des Herodot 
beimmihen.s. So: hat. z. B. die Schilderung der. verkehrten 
Welt der Aegyptier Im tolsneifchen Dedipus 1) eine überra⸗ 
ſchende Hehnlichkeit niit Herodot U, 35. So: andy, Die, Worte 
der Antigone 836 fi. mit Der. Novellette bei ‚Here 
dot 111,119 9)... — ° Alle ‚Diefe. Stellen geben nichts weni⸗ 
ger, als Gewißheit. Ich will es aber auch nur ala denk 
Bar Hinftellen,; dag Thukydides, noch ehe die Geſchichte des 
Herodot vollendet war, einzelne Reſultate derſelben erfahren 
konnte. Won ge 
Zum Ste aber haben wir noh ein Zuferes, DZeugniß. 
Hellanikos Hat wirklich den Herodat benutz, fü 
erzählt Porphyrios beim Euſebios ). Er hat: ganze. Partien 
aus dem Herodot entlehnt. Wirklich finden ſich auch Parallel⸗ 
ſtellen zwiſchen beiden ). — Aber, denkt; man. vielleicht, da 
koͤnnte ja eben Herodot der Entlehner ſein. Nicht wahrſchein⸗ 
lich: Herodot verſichert an zwei Stellen 5), etmas zuerſt zu er 
zählen, was doch Hellanikos bereits erzählt Hatte —). _ Hieraus 
folgt wenigſtens ſopiel, daß Herodot dieſe Schriften ſeines 
Collegen nicht kannte. Denn einer Lüge wird th Niemand 


) 302 ff. 


2) Bgl. Plutarch. An seni etc. 3. Bol. au) Eiekton 417 mit 
Herodot I, 108. 


3) IX, 39, p. 466. 


4) Bot. Suidas s. v. Zanollıs, Auch Athen. XI, p. 462 B. 
Valdenaer 5. Herodot IV 190. | 


5) IV, 95 und VI, 55. 
6) Strabo I, 43 C. 


$. 2. Herodot. 419 


— Konnte aljo Hellanikod den Herodot benuken, 
iehr nicht Der beträchtlich jüngere Thukydides! 
ch dürfte Mancher tie Glaubwürdigkeit meines Ge 
nes, des Porphyrios, in Zweifel ziehen. War es 
n letzten Zeiten des Altertbumd, befonderd unter 
wätern — und ein Kirchenvater citirt den Porphyhrios, 
guter Ton geworden, den großen Alten etwas anzu⸗ 
amentlich Plagiate Schuld zu geben,. Aber unfere 
n fich nicht unwahrſcheinlich. Dieſes Ausfchreiben 
tien iſt dem jugendlichen Alter der. hiſtoriſchen Kunit 
atürlich. Von den Chroniiten unferd Mittelalters 
ht einmal reden. Uber auch die guten lorentiner 
ad 15. Jahrhunderts, die Franzoſen, Deutſchen 
nder im 16. und 17. tragen nicht das mindeſte 
was fie nicht felbft erlebt oder gefehen. haben, maj- 
d beinahe unverändert aus Fremden zu entlchnen. 
ere fih me an Die Thuanus und- Khepenhüller. 
ie auch die Epiker die beiten Leiſtungen ihrer Vor⸗ 
: Weiteres als Gemeingut zu benußen pflegen. — 
a doch Herodot kaum ander mit dem Hekatäos. 
n Nilpferde, von der Krofodilfagd, vom Phönix 
iſt mit wenig Zuſätzen und Ahkürzungen aus 
83). Im Greifenalter der hiſtoriſchen Kunft fer 
e verwandte Erfcheinung wiederkehren: nur wird 
erpirt, in her. vorliegenden Periode mehr unverho⸗ 
rieben. 
enke man ſich den Thukydides: voll brennenden 
der Wahrheit ſtrebend, überall umherreiſend, wo 


— 


ndern Gründen bat auch D. bereits erwieſen, daß Heros 
ikos ſchwerlich gelefen hat: a. a. D. ©. ‚127 ff- 


J. 71. 73. 
yrios b. Euseb. Pr. Ev. X, 3. 


„ 


120 Xhukgblies, Kap. 2. 


er Belehrung hoffte, den Ereigniffen des Kampfes nahe, vie 
leicht fogar. mährend bes fyrakufifchen Krieges in Italien an 
mefend. Hier märe ihm daB Werk des Hegodot verborgen ge 
blieben? — Wir dinfen uns die Lebhaftigkeit des damaligen 
Bücherverkehrs nicht zu geringe denken. Aus Ariftopha- 
nes ficht man, wie allgemein verbreitet bie Leetüre mar !), 
Durch Platon's Phädros ift die wißbegierige Ungebulb be 
kannt, mit welcher ſchon Damals die Werke berühmter Aute- 
zen erwartet wurden. Der Buchhandel des Hermodoros iſt ſprüch⸗ 
wörtlich geworben, und eine ziemlich große Wohlfeilheit der Bü⸗ 
cher läßt fi) aus Platon's Apologie 2) folgen. Selbſt über 
das Meer hin wurden Maſſen von Büchern gefendet 3). . Der 
Iuftige Aufteitt mit dem Geſetzhändler in Ariſtophanes Vö— 
geln 9 kann zum Beweiſe dienen, wie fchnell damals jeder 
neue Volksobeſchluß zu Athen auf dem Wege des Buchhandels 
in die zinspflichtigen Städte zu ‚gelangen pflegte. — Hiermit 
wäre denn die Möglichkeit, daß Thukydides den Herodot gele⸗ 
fen Hätte, wie ich meine, ficher geftellt. Ä 

Abber D. führt noch einige Stellen des Thukydides auf, 
welche faetiſch von einem Nichtk ennen des Hero dot zeu⸗ 
gen ſollen. Was find das für Stellen? — Diejenigen, die 
er ©. 221, Note 7%. beibringt, laufen ſämmtlich nur Darauf 


hinaus, daß Thukhdides Hier und da, wo er aus dem Here 


Bot eine beiläufige, für feinen Zweck durchaus entbehrliche 
Notiz Hätte anwenden können, die nicht gethan hat. Da 
für bedenke man aber doch, wie ſtrenge fich Thukydides auf 
den eigentfiäften 1 und nächften Gegenitand feines Werkes zu 


1) Fröoſche 1114 ff. 
.3) p. 26. | | 


3) Xenoph. Anab. VII, 5, 11. Bol. Krüger Epikrit. Rad: 
trag, ©. 37 fo. Ä 


$) " 1035 ff. 


6. 2. Gerodot. 431 


ſucht! Ganz daſſelbe muß ich auf Note. 68 erwi⸗ 
Wenn Thukydides und Herodot das Ende des Ari 
efchieden erzählen, fo möchte ich darum allein, weil 
hier nur beiläufig, Herodot aber direet berichtet, 
zrößere Glaubwürdigkeit des letztern annchmen 1). 
je nur den langebauernden Aufenthalt und bie Fa⸗ 
idungen des Thukydides in der Gegend dieſes Er⸗ 
wie leicht Konnte er da beffer unterrichtet fein. — 
iller ) führt noch als Beweis an, daß Thukydi⸗ 
deliſche Erdbeben feiner Zeit für das erſte üben 
e. Herodot aber berichtet von einem frühern ). 
e leicht konnte Thukydides, ſelbſt wenn ex den Hero⸗ 
ben hatte, eine einzelne Notiz deſſelben vergefien 
Notiz zumal, die fire Ihn, für feine freiere Anficht 
Intereffe befaß! Ihm kommt es ohnehin, went 
der erzählt, auf die Thatfache felbft nicht eben viel 
en Eindruck beachtet er, den es auf die Menfchen 
d die Menfchen, von denen ex fpriht, — ſoviel 
ht aus II, 8. hervor, — haben das zweite Erd⸗ 
18 einzige gehalten. Es fragte fih auch nach, ob 
rſte Erdbeben zu den mancherlei Fabulosis der 
zu rechnen, und eben vom Thukydides ſtillſchwei⸗ 
fen wäre. — Man könnte noch einige.Stellen 
Thukydides nimmt I, 18. die fileliotifchen Ty⸗ 
wenn er behauptet, alle Tyrannen feien durch 
jeftürzt worden. Bei Selinus aber, wie Herodot 
derfelbe Ball 5). Ebenſo Hätte Thukydides, wenn 


Dahlmann Note 70 thut. 
r, Th. 11, ©. 102. 


:d. VI, 98 
rd. V, 46. 


122 ‚Shukydides. Kap. 2. 


er ſich deſſen erinnert, J. 14. gewiß die große Menge Trieren 
erwähnt, welche die Jonier bei ihrem Aufſtande nach Herodet 
hefagen ). Aber dergleichen kleine Vergeßlichkeiten beweiſen 
nicht viel. — Darin bat übrigens D. gewiß vollkommen 
Net, daß Herodot's Gefchichte zur Zelt bed peloponneifihen 
‚Krieges noch durchaus kein Volksbuch war 2). 

‚Sollte nun meine Beweisführung gegründet fein, fo 
würde weder im Thukydides ſelbſt, noch in den Zeitumſtän⸗ 
den irgend eine Urſache liegen, weßhalb Thukydides den He 
robdot nicht benutzt haben köunte. Einige Zweifel, die aus 
der angeblichen Härte ſeines Urtheils über dieſen erheben find, 
ſowile die Frage, ob er im Großen. und Ganzen ihm gefolgt 
fe, Hoffe ich tiefer unten zu erledigen 2). Und zivar zu 
Vortheile der beiden großen Hiſtoriker. — Nun ift es frei 
Ih wahr, Thukydides nennt den Herodot niemald Bei Na— 
men). Er fpricht immer nur von Logographen, von der 
Menge u. |. w. Iſt es nicht aber auffallend, dag won ben 
‚einzigen drei Deifpielen, die er aus deren Irrthümern aufführt, 
wenigſtens zwei ohne Frage auf den Herodot paffen 5)? Und 
zwar find fie beide gewiß nicht von der Art, Daß fie im 
Munde ded Volkes fehr eireulicen konnten. 

Endlich Hat Thukydides auch In ſchriften benutzt, doch 
nur für diejenige Zeit, wo fie wirklich noch die einzige Ge 
Ichichtsquelle bilden 65), Mas iſt nämlich die. Zeit, wo man 
t . . . 

5) VI, 8. 
18. 219 ff. 

3) Kap. 9. $. 2. 

2) Thukydides nennt überhaupt nicht gern- Namen, wo er es ver: 
meiden Tann. Etwas diplomatifh! So verfchweigt er VI, 60. den 
Namen bed Andolides. 

5) Thuc. 1,20: Her. VI,57.1X,53. Ohnehin werden bie letztern 
durch den Vorſatz oi &440, Eddnves von dem Irrthume der atheniſchen 


Menge abgefondert. 
6, VI, 54 fi. 


! 


2. Inſchriften. $. 8. Mundliche Ueberlieferung. 425 


ı gelernt Hatte, ohne nach Geſchichte zu ſchreiben. 
de, welche Thukydides fin Ganzen. wenig berück⸗ 
un. Er kann auch ‚non den Inſchriften chen bar- 
enigen Gewinn ziehen, Ganz auders war ed. bei 
sapben, felbit noch bei Herodot geweſen; wurde es 
: bei den Schülern des Iſokrates und bei den Ver⸗ 
Arthiden. Bel dieſen Autoren war die Inſchriften⸗ 
uptgegenſtand. Bhilnchoroß arbeitete ein förmliches 
e. attifehen Inſeriptionen aus. — . Mit welchen 
gens Thukydides ſolche Quellen zu vermeiden fuche 
wir am deutlichſten aus dem berühmten Widerſpru⸗ 
ſo manche Epigramme des Siwmonides mit der Ge⸗ 
Herodot ſtehen. Wer etwa noch zweifeln koͤnnte, 
decht zu geben fei,, : wielleicht durch Plutarch verlei⸗ 
edenke nur, daß Die befannte Inſchrift des Pauſa⸗ 
ıfalls- won Simonides ir verfaßt worden. 


8. 3. 
Mündliche ueberlieferung. 

liuus erzählt (20 fg.), . mit welchen Unkoſten 
des die Berichte der Augenzeugen erkauft habe. 
Mangelhaftigfeit folcher Berichte iſt Thukydides 
jſer als verblendet (VII, 44.). Daher werden im⸗ 
für den ſieiliſchen Krieg (1. 1.), die Angaben bei⸗ 
ı als Quelle benußt. Die widerſprechenden Aus- 
icht er mit einander (I, 22.), und. wo ex feine 
schen kann, da führt er fie beide an, um wenig⸗ 
nden Unrecht zu thun Xu, 5. V. 60.). Def 
yümlichkeit des Thukydides, Die zuerſt genannte 

Meinungen in der Regel für diejenige hal 


132 Tchulhydides. Kap. 9. 


die Sophiſten warfen Alles um; Euripides ſah fie als 
Erdihtungen an, die man willkürlich verdrehen, weſe 
verändern dürfe. — In viele Seit nun Fritifirte Thukyd 


| 8.2. 
Aritiſche Grundſaͤte des Thukpdides. 


Um die Begebenheiten, welche die Sage ei 
kümmert er fi wenig. Daher fehreibt er feiner Arbeit 
uvdwWdeg zu, weiß auch recht wohl, dag fie Vielen um 
willen minder ergötlich fein werde ). Aus der großen ©ı 
der mythiſchen Veberlieferung hebt Thukydides allein den 
ſchichtlichen Kern heraus, die factifhen Verhältnii 
welche in der möthenbilbenden Zeit vorhanden waren. 9 
gewinnt er &x zav Znıpaveotarav onuelav (I, 1. 21.). | 
da waren bie Dichter, welche Alles vergrößert, Die Loge 
phen, welche es dem Ohre genchm verändert hatten % 
hatten allmählig die Wahrheit in fehwer zu prüfende Fe 
verkehrt (I, 21.) 2). Wie ſchnell fih Mythe in die Geld 
einfchleichen Eünne, Davon Bot noch die Gegenwart des i 
kydides Beifpiele dar (I, 20. VI, 55... — Daher muf 
Kritiker mit wenigen Ergebniffen ſchon zufrieden fein: er 
felbft die wenigen nicht für untrügliche Gewißheit ausge 
"Ex av Enıpaveororov onusiov, g nalaıd £ivas, | 
fofeen dergleichen Alterthümer augenfcheinlich fein Finnen 
21.). Hierher rührt auch das in der Vorrede des Thukyt 
fo Häufige doxer nor. Uebrigens verfichert er, mit feinen‘ 


— — — — — — — 


1) I, 22: vgl. Isocrates Ad Nicoclem p. 28.(Tauch.). | 
dar Nem, VII, 30, 


2) Gegen diefe Kritik der Logographen eifert Ariftides, Toı 
p- 231, 


$. 3. Samiltentrabition. 41235 


e8, worin fie erfolgt fel, könne auch der Bes 
ber audfallen (VII, 4.) Sa folden Fällen 

allzu tief in's Detail zu gehen. Da läßt er 
eder nur auf ungefähre Angaben ein (V, 68.) ; 
eine ausführlichere Daritellung nöthig findet, da 
rcoæaæburn al örı Eyyusara votre Lyevero (V, 
Scheint ihm eine Angabe geradezu unglaublich, 
och Mittel Hat, fie zu berichtigen, fo verſchweigt 
anz (III, 113.). Mit befonderee Vorſicht vers 
allgemeineren Behauptungen. Wenn er z. D. 
erung von Platäa das große Feuer, welches die 
zur Einnahme der Stadt anzlindeten, Dad größte 

welches bis dahin gebrannt babe, fo fügt er 
ich beſchränkend Hinzu, da8 größte von Dienfchens 
auf Dergen freilich fein mitunter wohl von felbft 
yere Brände vorgefommen (II, 77: vgl. VI, 


frühere Vergangenheit benutzt Thukydides auch 
en= md Stammedtradition. ©o fit a VI, 
irch die Ueberlieferungen feiner eigenen Familie 
erhältniffien des Peiſiſtratidenhauſes unterrichtet, 
richt er von der ficherftien Tradition der Pelopons 
. — SHier kam es natinlich vor Allen darauf 
igſte Kritik zu handhaben, So will x im eriten 
‚ Daß nicht Hipparchos, wie man glaubte, ſon⸗ 
3 Erfigeborner und Nachfolger des Peiſiſtratos ges 
Da beweifet er nun zuerft duch Inſchriften, daß 
ci Söhnen des Peiſiſtratos Hippias allein Kinder 
n dieß laſſe feine Erfigeburt vermuthen. Sodann 
f denfelben nfchriften fein Name unmittelbar ne⸗ 
3 Vaters. Endlich fei e8 unmahrfcheinlid, Daß 

Sohn nah dem gewaltfamen Tode des Al 
r und fchnell die Regierung hätte übernehmen kön⸗ 


1 Khntyoloe.: Rap. 2. 


ner DE Zugleich aber: fühle Thakydides, ‚dag man nie genug 
Hat an der bloßen Widerlegung eined Irrthumes. Darum 
erklärt er, wie derfelbe Hatte. entſtehen können: indem nämlich 
Die Volksſage die Schickſale verfchiedemer Mienfchen., wenn fie 
überall nur verbunden find.,. germ auf dasjenige Haupt zuſam⸗ 
uienträgt, "wofür fie ſchon aus andern Gründen das meiſte 
Intereſſe hat. 

Man ſieht, Thukydides wußte auch feine eigenen onjetturen 
wohl im Zaume zu halten, So kommt 8 ihm in der Vor 
vede u. A. darauf an, die Oeringfügigkeit aller finanziellen 
and militärifchen Kräfte der frühern Zeit gegen feine Gegen⸗ 
wart hervorzuheben. Nun: war Mykenä in Agamemnon’s 
Zeitalter die mächtigſte Herrſcherſtadt geweſen. Unter den je 
tzigen Städten aber, wie Elein war fie dal Thukydides ins 
deſſen verſchmähet ganz ausdrücklich, von dieſem nahegelegenen 
Umſtande für feine Beweisführung Gebrauch zu machen (I, 
10.). — Wo er fein eigene? Urtheil auöfpricht, ohne doch 
völlig gewiß zu fein, dba führt er das abweichende daneben 
an:(I, 138. 9 II, 93.). 

8. 4. 
Thukydides angebliche Widerlegungsſucht. 

Nichts iſt für den wiſſenſchaftlichen Mann natürlicher, 
als den Irrthum, wo er ihn findet, vertilgen zu wollen. 
Man hat dieß aber beim Thukydides fehr übertrieben voraus⸗ 
gefeigt, wenn man die lange Epifode der Beififtratidengefchichte 
(VI, 54-59.) durch einen folchen kritiſchen Eifer entfchufbi- 
gen: wollte. Ohnedieß eine fehr wohlfeile Erklärung! — Auf 
Eleinere Bemerkungen iſt ſie jedoch allerdings anzumenden. 


1) Bol. Übrigene Meursius Pisistratus, c. IL, ber die Gründe 
des Thukydides zu widerlegen ſucht — dem platonifchen Hipparchos zu 


. Gefallen! 


3) Bol. Schol. Arist. Equitt. 84. 


1. Thukydides angebliche Wirerlegungsfuht. 127 


A. die wiederholte Angabe von Hippias Erſt⸗ 
). VI, 54.) gewiß nur von der weiten Berbreis 
Irrthumes ber. Wenu bei Erwähnung des thras 
ausdrücklich gejagt wird, er hänge nicht zu= 
dem mythiſchen Tereus, fo wird das gegen hiſto— 
ktſchwätzer gerichtet jeint, die in der Zeit, wo 
Bündniß abgefchloffen wurde, auch eine mythi⸗ 
tichaft der beiden Contrahenten nachweilen moch⸗ 
1). Schlechte Caufalerflärungen, die das Bolt 
rachte, um ſich nebenher über das Unglück der 
t teöften, fertigt er fehr kurz ab (LI, 57.). Von 
denepifode werde Ich tiefer unten (Kap. 12. 8.3.) 
te auch Solche im Auge bat, welche den Abfall 
3 und deſſen Folgen zu hoch ſchätzten. Umge— 
40. gegen die Komiker und andere Räſonneurs 
elche Die Streitigkeiten mit Megara für zu gering 
day ihretwegen Perikles Hätte Krieg anfangen 

Schr Häufig führt Thukydides an, wie wenig 
gemein verbreitete Erwartungen .de8 Publicums 
habe (IV, 108. VII, 57. VII, 2. 24.): bier 
einer wehmüthigen Ironie über die Leichtgläubi- 
2.). „Die Meiften urtheilen mehr nach dunkeln 
ich wohl gegen die Pandionis des Philokles, wie 
en ſucht: Leben des Sophokles ©. 162 ff. gl. Ari- 
5. 46. Unberufene Etymologen wiefen vielleidyt auf die 
Namen Zered und Zereus hin. Ueber die Verwandts 
Xenoph. Anab. VII, 2, 31. 3, 39. Auch Iſokra⸗ 
3 hält das Volk des Eumolpos für identifch mit den 


cakiern. Durch den Sieg der Athener fei ihr Landgcbiet, 
Attila gegränzt, auf das neuere Thrakien beſchränkt 


oh V, 75 mit 82 und VI und VIII passim. — 
ift das beiläufige Widerlegen von Irrthümern feis 
tfodifchen Natur gemäß viel häufiger: fo z. 8. 1, 


4128 Thukydides. Kap. 2. 
Wünſchen, als nach Heller Einſicht; fie, pfiegen ihre Schl 
nach ihren Hoffnungen einzurichten!” (IV, 108.) i). 

Das fpätere Altertfum bat Die. Glaubwürdigkeit des T 
kydides zu jeder Zeit fehr Hoch geftellt. Plutarch ſowohl, 
Cornelius Nepos Halten fih im Zweifel immer an Thu 
des, Die Differenzen, die zwifchen Diodor's Gefchichte ı 
Thukydides obmalten, find. fajt ohne Ausnahme aus der Br 
fucht, oder Parteilichkeit, oder Kleinlichkeit Der diodoriſt 
Quellen zu erklären, Mitunter find fie augenfcheinlich bl 
Autoſchediasmata des Diodoros 2), Nur Sofephus behäaup 
Thukydides fei von Einigen vieler Lügen gezichen. Ei 
Dagegen preifet ihn, als einen sincerus rerum gestar 
pronuniciator 3), 


1) Bat. I, 20. 
2) &o 3. 3. bei ber Geſchichte von ber Ueberrumpeluhg Platäc 
2) Brut. 83. gl. Poppo’s Prolegg. in Thucydidem I], 1 


6. 2. Herodot. 4149 


- Konnte aljo Hellanikos den Herodot benuken, 
r nicht Der beträchtlich jüngere Thukydides! 
dürfte Mancher die Glaubwürdigkeit meines Ge 
3, des Porphyrios, in Zweifel ziehen, War eB 
legten Zeiten des Alterthums, beſonders unter 
tern — und ein Kirchenvater eitirt ben Porphyrios, 
iter Ton geworden, den großen Alten etwas anzu⸗ 
nentlich Plagiate Schuld zu geben. Aber unfere 
fich nicht unwahrſcheinlich. Dieſes Ausfchreiben 
en iſt dem jugendlichen Alter der hiſtoriſchen Kunſt 
ürlich. Bow den EChroniften unferd Mittelalters 
einmal reden. Aber auch die guten Florentiner 
15. Jahrhunderts, die Franzoſen, Deutſchen 
der im 16. und 17. tragen nicht das mindeſte 
as fie nicht ſelbſt erlebt oder geſehen haben, maſ⸗ 
beinahe unverändert aus Fremden zu entlehnen. 
e ſich nur an die Thuanus und Khevenhüller. 
auch die Epiker die beſten Leiſtungen ihrer Vor⸗ 
Weiteres als Gemeingut zu benutzen pflegen. — 
doch Herodot kaum anders mit dem Hekatäos. 
dilpferde, von der Krokodiljagd, vom Phönix 
iſt mit wenig Zuſätzen und Ahkürzungen aus 
33). Im Greifenalter der hiſtoriſchen Kunſt ſe⸗ 
verwandte Erſcheinung wiederkehren: nur wird 
cpirt, im her. vorliegenden Periode mehr unyerho⸗ 
‚eben. | | 
nee man fich den Thukydides: vol brennenden 
ver Wahrheit ftrebend, überall umberreifend, wo 


— 


idern Gründen hat auch D. bereits erwiefen, daß Heros 
kos fchwerlich gelefen hat: a. a. ©. ©. 127 ff. 


71. 73. 
yrios b. Kuseb. Pr. Ev. X, 3, 


120 Wwyulyhdidet. Kap. 2. 


er Belehrung hoffte, den Ereigniſſen des Kampfes nahe, viel⸗ 
leicht ſogar während bes ſyrakuſiſchen Krieges iu Italien an 
weſend. Hier wäre ihm das Werk des Hegobot berborgen ge: 
blieben? — Wir dürfen und die Lebhaftigkeit des damaligen 
Bücherverkehrs nicht zu geringe denken, Aus Ariſtopha⸗ 
ned fieht man, wie allgemein verbreitet die Lectüre mar), 
Durch Platon's Phädros iſt die wißbegierige Ungeduld be 
kannt, mit welcher ſchon damals die Werke berühmter Auto⸗ 
zen erwartet wurden. Der Buchhandel des Hermodoros iſt ſprüch⸗ 
wörtlich geworden, und eine ziemlich große Wohlfeilheit der Bü⸗ 
cher läßt fi aus Platon's Apologie 2) folgen. Selbft übe 
das Meer hin wurden Maſſen von Büchern gefendet 3). . Da 
Iuftige Aufteitt mit dem Geſetzhändler in Ariſtophanes Vö— 
geln d Tann zum Beweiſe dienen, wie fehnell damals jeder 
neue Volksbeſchluß zu Athen auf dem Wege des Buchhandels 
in die zinspflichtigen Städte zu gelangen pflegte. — Hiermit 
wäre denn Die Möglichkeit, daß Thukydides den Herodot gele⸗ 
ſen hätte, wie ich meine, ſicher geſtellt. 

Aber D. führt noch einige Stellen des Thukydides auf, 
welche faetiſch von einem Nichtkennen des Hero dot zeu⸗ 
gen ſollen. Was find das fir Stellen? — Diejenigen, die 
er S. 221, Note 7%. beibringt, laufen ſämmtlich nur darauf 
hinaus, daß Thufydides hier und da, wo er aus dem Here 
Bot eine beiläufige, für feinen Zweck durchaus entbehrliche 
Notiz hätte anwenden Fönnen, dieß nicht getban hat, Das 
für bedenke man aber doch, wie ſtrenge fich Thukydides auf 
den eigentfiäften 1 und nächften Gegenftand feines Werkes zu 


1) Fröſche 1114 ff. 
2) p. 26. 


3) Xenoph. Anab. VII, 5, 11. Bol. Krüger Epikrit. Rad: 
trag, ©. 37 fo. 


6. 2. Herodot. 131 


ſucht! Ganz dafjelbe muß ich auf Note. 68 erwi⸗ 
Wenn Thukydides und Herodot das Ende des Ari- 
efchieden erzählen, fo möchte ich darum allein, weil 
bier nur beiläufig, Herodot aber direct berichtet, 
zrößere Glaubwürdigkeit des letztern annehmen !). 
je nur den Tangebauernden Aufenthalt und die Fa⸗ 
dungen des Thukydides in der Gegend diefed Er⸗ 
wie leicht konnte er da befier unterrichtet fein. — 
iller 2) führt noch als Beweis an, dag Thukydi⸗ 
delifche Erdbeben feiner Zeit für das erſte über 
e. Herodot aber berichtet von einem frühern *). 
e leicht konnte Thukydides, jelbit wenn er den Hero⸗ 
den hatte, eine einzelne Notiz deſſelben vergefien 
Notiz zumal, die fire ihn, für feine freiere Anficht 
Intereffe befaß! Ihm kommt es ohnehin, wenn 
der erzählt, auf die Thatſache felbit nicht eben viel 
en Eindruck beachtet ee, den es auf die Menſchen 
d die Menfchen, von denen er ſpricht, — ſoviel 
ıeht aus II, 8. hervor, — haben das zweite Erd⸗ 
18 einzige gehalten. Es fragte fi auch nach, ob 
tite Gröbeben zu den mancherlei Fabulosis Der 
zu rechnen, und eben vom Thukydides ſtillſchwei⸗ 
fen wäre. — Man könnte noch einige Stellen 
Thukydides nimmt I, 18. die fileliotifchen Ty⸗ 
wenn er behauptet, alle Tyrannen feien Durch 
zeftürzt worden. Bei Selinus aber, wie Herodot 
derfelbe Fall 5). . Ehenfo hätte Thukydides, wenn 


Dahlmann Note 70 thut. 
r, Th. 11, ©. 102. 


‚cd. VI, 98. 
‚rd. V, 46. 


BE... Thukgbibeh, Kap. 3. 


fowohl, als für Die Barbaren 1), Er erkennt daraus 
fen Zufammenhang und den noch wenig entwickelten 
nalcharakter- der damaligen Sellenenwelt (I, 3.). A 
ewig bei den alten Poeten wiederkehrenden Frage an Unbel 
ob ſie auch keine Seeräuber ſeien, vermuthet er die Allgemeinh 
Unbeſcholtenheit des Seeraubes (I, 9) ). Auch da vertraut 
dem Dichter. an, tun deſſen Angabe van detaillirterer Art iſt, 
Doch Im: Seringiten einen poetiſchen Charakter an ſich z 
ger 3) V, O.). Wo der. Dichter von Zahlen redet, da | 
er. Ihm wenigſtens, daß. bie: Wahrheit nicht größer geweſ 
10: 44.) Er hält es Hier. auch am Tiebiten mit runden! 
men: ſo nennt er 1200 Schiffe, : Die mit Agamengen- 
Krofa gezögen felen, während Homer Doch, genau genon 
nur 1166 zählt (I, 10.). Nur in Einem Punfte Bat ı 
zu einer einen Willkür perleiten laſſen. In dem. home 
Schiffskataloge nämlich wird allein bei den Bhotiern und 
Philoktetes die Stärke der Mannfchaft erwähnt 2). 2% 
des meint nun, ‚hiermit habe der Dichter das Maximun 
das Minimum der Schiffebemanmung angeben mollen (I, 
Er Hat damit wohl feinen eigenen, ftrenge berechnenden 
rafter dem Poeten untergefchoben. 

Sonft aber verſteht er in hohem Grade bie Kunſt, 
Dichter gleichſam zu ſuppliren; in. dieſer vielleicht an $ 
gedacht bat, ihm nachzumeifen, daB er daran hätte d 
müffen. Daß die Hellenen z. B. gleich bei der Lan 
vor Troja eine Schlacht gewonnen, davon erzählt Home 
fein Wort; Thukydides aber zeigt, wie die Verſchanzu 


nn nn nn 


1) Hier ift Thukydides wohl etwas flüchtig geweſen; Il. £ 
fommen allerdings Pagßapopwvor vor. 


2) Bel. noch I, 13. III, 104. 
3) Bol. SI. 4, 612. 
1) Il. 4, 510. 719, 


Inſchriften. $. 3. Mandliche Ueberlieferung 425 


zelernt hatte, ohne nach Geſchichte zu ſchreiben. 
‚ welche Thukydides im Ganzen wenig berück⸗ 
. Er kann auch non den Inſchriften eben dar⸗ 
gen Gewinn ziehen: Ganz auders war ed. bei 
hen, felbit noch bei Herodot geweſen; wurde es 
sei den Schülern des Iſokrates und bei den Ver⸗ 
ithiden. Dei dieſen Autoren war die: Inſchriften⸗ 
tgegenftand. Philochoros arbeitete ein förmliches 
attiſchen Snferiptionen aus. — . Mit melden 
ns Thukydides folche Quellen zu permeiden fuche 
ir am deutlichſten aus dem berühmten Widerſpru⸗ 
» manche Epigramme des Simonides mit der Ge 
erodnt ſtehen. Wer etwa noch zweifeln könnte, 
cht zu geben ſei, vielleicht durch Plutarch verlei⸗ 
enke nur, daß die bekannte Inſchrift des Pauſa⸗ 
ills von Simonides iſt verfaßt worden. 


8. 3. | 
Mündliche Ueberlieferung. 
ms erzählt (20 fg.), . mit welchen Unkoſten 
es die Berichte der- Augenzeugen ertauft habe. 
tangelhaftigfeit folcher Berichte iſt Thukydides 
r als verblendet (VII, 44.). Daher werden im⸗ 
iv den sieilifchen Krieg (1. 1.), die Angaben bei- 
als Quelle benußt. Die widerſprechenden Aus- 
ht er mit einander (I, 22.), und. wo ex feine 
hen kann, da führt ex fie beide an, um menig- 


imlichkeit des Thukydides, Die zuerſt genannte 
Meinungen in der Regel für diejenige hal 


.I, 132. j 
5.4. 


124 Thukydides. Kap. 2. 


ten, welche dem Verfaſſer am glaubwürdigſten erſchien 1). 
Die Höchfte Behutſamkeit wendet er an, wo · Parteimänner 
von den Motiven ihrer Geguer urtheilen (VIII, M.). — Wo 
durch andere Gründe eine entſchiedene Gewißheit verhindert 
wird, da giebt er dieß allemal ofſen zu erkennen. So ſchweigt 
er z. B. von der Stärke des argiviſchen Bundesheeres (vor 
Mantinea): weil er. die Prahlerei feiner Landsleute In vater 
ländiſchen Dingen würdigt (V, 68.). Nicht viel anders iſt 
es, wenn von der Zahl der thrakiſchen Streitkräfte nur os 
Akyeraı berichtet wird (MI, 98.): den Barbaren. kann man 
hierüber niemals traum. Auch die Stärke neb Takeddmonts 
ſchen Heeres wagt er nicht genau zu beſtimmen,Wweil über 
haupt die ‚Staatöverwaltung der Lakedämonier verborgen zu 
fein pflege (V, 68. 74.). Hier waren nämlich dieſelben Urſa⸗ 
Gen wirkſam, die in unferer Zeit die Politik der ſ. g. com 
fervativen Mächte mit Dunkel umbüllen 2). — So erzählt 
er bon Archidamos Planen bei dem Angriffe auf Acharnä (I, 
%.), ſo von den Roheſſern in Aetolien (III, 94.) nur os 
Aeyeraı 3). Am Häufigften kommt diefe Claufel im achten 
Buche vor, bei deſſen Ausarbeitung er vom Tode überraſcht 
mirde 4. — Er entfchulbigt ſich ferner bei der vorletzten 
Aidellage d der Athener vor Syvalus , wegen der * Unfigeei 


y Sn II, 5. iſt dieß Ziemlich direct zu erweiſen. Die Chebaner 
würden nicht fo- ſtill abgezogen fein, wenn ihnen nicht etwas verſprochen 
wäre. — Hiernach würde VI, 60. ein günſtiges Zeugniß für die Glaub⸗ 
würdigkeit des Andokides ablegen (De myst.). Doc, hätte dem Thuky⸗ 
dides zufolge Andokides fich ſelbſt mit unter den Hermokopiden angeges 
ben, was ber Redner, freilich aus nahe liegenden Grunden, hartnãckig 
leugnet. 


2) Bgl. namentlich V, 54. 
3) Bgl. II, 48. 


*) Man ſieht daraus, wie langſam er fein Urtheil abſchloß. 3.8. 
56. 64. 87. 9. Hier und da fteht indeffen auch/ —— wo er nicht 
eben zweifelt: II, 77. 


$. 8. Famillentradition. 4125 


‚red, worin fie erfolgt fel, Tönne auch der Bes 
icher ausfallen (VII, 44.) Sm foldhen Fällen 
allzu tief in's Detail zu geben. Da läßt er 
weder nur auf ungefähre Angaben ein (V, 68.) ; 
eine anöführlichere Daritellung nöthig findet, da 
: Tosaven xal Or .iyyuvrara votre Lyevero (V, 
Scheint ihm eine Angabe geradezu unglaublich, 
doch Mittel Hat, fie zu berichtigen, fo verſchweigt 
janz (III, 113.). Mit befonderee Vorſicht vers 
allgemeineren Behauptungen, Wenn. er z. B. 
jerung von Platäa dad große Feuer, welches Die 
zue Einnahme der Stadt anzündeten, das größte 
welches bis dahin gebrannt habe, fo fügt ex 
ich befchränfend Hinzu, das größte von Menſchen⸗ 
auf Dergen freilich feien mitunter wohl von felbft 
jere Brände vorgefommen (I, 77: vgl. VI, 


frühere Vergangenheit benutzt Thukydides auch 
n= und Stammestradition. So iſt a VI, 
rch die Uecberlieferungen feiner eigenen Familie 
rhältnifien des Peiſiſtratidenhauſes unterrichtet, 
icht ex von der ficherftien Tradition der Pelopon⸗ 
—  $Hier Tam es natürlich vor Allen Darauf 
zfte Kritik zu handhaben, So will er im eriten 
dag nicht Hipparchos, wie man glaubte, ſon⸗ 
Erſtgeborner und Nachfolger des Peiſiſtratos ges 
ya beweiſet er num zuerft durch Inſchriften, daß 
i Söhnen des Peiſiſtratos Hippiad allein Kinder 
dieß lafje feine Erſtgeburt vermuthen. Sodann 
denfelben Snchriften fein Name unmittelbar ne⸗ 
Baterd. Endlich fei es unmahrfcheinlih, daß 
Sohn nah dem gewaltfamen Tode des Al 
und fchnell die Regierung hätte übernehmen kön⸗ 


BE Khufybioed.:: ‚Rap. -2..: 


nen 1)2. Zugleich aber: flihlt Thukydides, daß man nie genug 
Hat an der bloßen Widerlegung eines Irrthumes. "Darum 
erklärt er, wie derſelbe hatte entſtehen können: indem nämlich 
Die Volksſage die Schickſale verſchiedener Menſchen, wenn fie 
überall nur verbunden ſind, gern auf dasjenige Haupt zuſam⸗ 
menträgt, wofür fie ſchen aus andern Gründen das meiſte 
Intereſſe hat. 

Man ſieht, Thukydides wußte. auch seine eigenen Eonjetturen 
wohl im Zaume zu halten. So kommt & ihn in der Vor⸗ 
vede u. A. darauf an, die Geringfügigkeit aller finanziellen 
nnd milltäriichen Kräfte der frühern Zeit gegen feine Gegen⸗ 
wart hervorzuheben. Nun: war Mykenä in Agamemnon's 
Zeitalter die mächtigſte Herrſcherſtadt geweſen. Unter den je 
Bigen. Städten aber, mie Klein war fie dal’ Thnukydides in⸗ 
deſſen verſchmähet ganz ausdrücklich, von dieſem nahegelegenen 
Umſtande für ſeine Beweisführung Gebrauch zu machen (I, 
10.). — Wo er fein eigenes Urtheil ausſpricht, ohne doch 
völlig gewiß zu fein, da führt er das abweichende daneben 
an C 138. * II, 93.). 

8. 4. 
Thukydides angebliche Widerlegungsſucht. 
Nichts iſt für den wiſſenſchaftlichen Mann natürlicher, 
als den Irrthum, wo er ihn findet, vertilgen zu wollen. 
Man hat dieß aber beim Thukydides ſehr übertrieben voraus 
geſetzt, wenn man die lange Epiſode der Peiſiſtratidengeſchichte 
(VI, 54-89.) durch einen ſolchen kritiſchen Eifer entſchuldi⸗ 
gen: wollte. Ohnedieß eine ſehr wohlfeile Erklärung! — Auf 
kleinere Bemerkungen iſt ſie jedoch allerdings anzuwenden. 


1) "Vol. übrigens Meursius Pisistratus, c. 11 , ber die Gründe 
des Thukydides zu wiberlegen ſucht — bem platonifchen Hipparchos zu 


: Gefallen! 


2) Bgl. Schol. Arist. Equitt. 84. 


Thukydides angebliche Widerlegungsſucht. 127 


N. die wiederholte Angabe von Hippias Erſt⸗ 
VI, 54.) gewiß nur von der weiten Verbrei⸗ 
rrthumes ber. Wenn bei Erwähnung des thras 
ausdrücklich gejagt wird, er hänge nicht zu⸗ 
ent mythiſchen Tereus, jo wird das gegen hiſto⸗ 
tſchwätzer gerichtet fein, die in Der Zeit, wo 
Bündniß abgefchloffen wurde, auch eine mythi⸗ 
Ichaft der beiden Contrahenten nachweiſen moch⸗ 
). Schlechte Cauſalerklärungen, die das Bolt 
ichte, um fich nebenher tiber das Unglüd der 
tröſten, fertigt er jchr kurz ab (II, 57.). Von 
mepifode werde ich tiefer unten (Kap.12. 8.3.) 
auch Solche im Auge hat, welche den Abfall 
und deſſen Folgen zu hoch ſchätzten. Umge— 
D. gegen die Komiker und andere Räſonneurs 
he die Streitigkeiten mit Megara für zu gering 
ag ihretwegen Perikles hätte Krieg anfangen 
Schr Häufig führt Thufgdides an, wie wenig 
ſemein verbreitete Erwartungen .de8 Publicums 
ibe (IV, 108. VII, 57. VID, 2. 24.): bier 
ter wehmüthigen Ironie über die Leichtglaubi- 
). „Die Meijten netheilen mehr nach dunfeln 
h wohl gegen die Pandionis des Philokles, wie 
fuht: Leben des Sophokles ©. 162 ff. Dal. Ari= 
46. Unberufene Etymologen wiefen vielleicht auf die 
amen Zered und Zereus hin. Ueber die Verwandts 
denoph. Anab. VII, 2, 31. 3, 39. Auch Iſokra—⸗ 
hält das Volt des Eumolpos für identifd) mit den 
iern. Durch den Sieg der Athener fei ihr Landgebiet, 
ttika gegränzt, auf das neuere Thrakien beſchränkt 


‘ V, 75 mit 82 und VI und VIII passim. — 
t das beiläufige Widerlegen von Irrthümern fei- 
Yifhen Natur gemäß viel häufiger: fo z. 3. I, 


‚428 - X hußgbived. Kap. 2. 
Wänfchen, als nach Heller Einfichtz fie, pfiegen ihre Schlüſſe 
nach ihren Hoffnungen einzmichten! ” (TV, 108.) 1). 

Das fpätere Alterthum bat die. Glaubwürdigkeit des Thu⸗ 
kydides zu jeder Zeit fehr Hoch geſtellt. Plutarch ſowohl, als 
Cornelius Nepos Halten fich Im Zweifel immer an Thukydi⸗ 
des. Die Differenzen, die zwilchen Diodor's Geſchichte und 
Thukydides obmalten, find: fait ohne Ausnahme aus der Prahl⸗ 
fucht, oder Parteilichkeit, oder Kleinlichkeit der diodorifchen 
Quellen zu erklären. Mitunter find fie augenfcheinlich bloße 
Autofchediasmata des Diodoros ?). Nur Joſephus behauptet, 
Thukydides fei von Einigen vieler Lügen geziehen. Cicero 
Dagegen preiſet ihn, als einen sincerus rerum gestarum 
pronuneiator 3). 


2) gl. I, 20. | 
2) So 3. B. bei ber Geſchichte von der Ueberrumpeluhg Platäas. 
9) Brut. 83. Bol. Poppo’s Prolegg. in Thucydidem I, 1. 


Drities Kapitel 
agenkeitif deö Aburvdides. 


8. 1. 


Vorbereitung auf Späth. 


v’8 Nachfolgern war das Epos verfallen. 
ichgewicht zwiſchen Erzählung von Begebens 
hilderung von Verhältniſſen, zwiſchen Ue⸗ 
Schöpfung, zwiſchen Inhalt und Form wat 
en. Immer mehr überwog das erſtere Ele⸗ 
ausſchließlicher wurde hingeſtrebt nach genealo⸗ 
t,.. nach enkykliſcher Vollſtändigkeit und ſyſte⸗ 
amenhange. Die freie Kunſt nahm ihre Zu⸗ 
blühenden Lyrik. Um dieſelbe Zeit, wo ſich 
Dichtung in die Anfänge der Speculation auf⸗ 
eigentliche Epos in die Logographie über. Es 
o auch die Bildſäulen der Athleten, die In⸗ 
ihgeſchenke der. mündlichen Ueherliferung als 
ienen anfingen. 

graphie iſt nicht allein aus dein ewachen⸗ 
der hiſtoriſchen Wiſſenſchaft/ ſondern ebenſa 
zen religibfen Bewegung zu erklären die im 
erte vor ſich ging. Wie man damals die Hames 

9 


4142 | Thukydides. Kap. I. - '-- 


Hellanikos, Hat ſchon ficherere Data: er rechnet: nach 
Herapriefterinnen von Argos 2), nach den karneiſchen wi 
olgmpifchen Siegern. Doch auch Hiervon liegt der Anfang ii 
der vorhiftorifchen Zeit. Herodot datirt von feiner Zeit we 
Allgemeinen zurück; Thukydides, noch einen Schritt mes 
ter gehend, von dem Oegenftande feines Werkes, vorn Dem 
Ende des peloponnefifchen Krieges 2). Die Spätern ſeit Ephe⸗ 
208 nahmen die alte Methode wieder auf, von einem mythi⸗ 
fhen, ſchwer zu firivenden Anfangspunkte anözugehen. — } 
Dei alle dem ift Thukydides auf das Sorgfamfte bemüht, | 
auch mit den übrigen Anfängen der Chronologie die feinige 
in Correſpondenz zu fegen. Die Olympiadenfieger führt a 
jedes Mal an, wenn feine Erzählung ſchon aus andern Urſa⸗ 
hen nach Olympia gelangt (TII, 8. V, 49.). Die argeifchen 
Priefterhmen (IE, 2. IV, 133.) merden dazu beſtimmt fein, 
ihn mit Hellanikos in Zufammenhang zu ‚bringen. Sf 
wirft er dieſem jedoch chronologifchen Leichtfinn vor, den e 
ſelbſt wielfach berichtigen müſſe (I, 97.). Die große Gens 
igleit, womit Thukydides jede Sonnen und Mondfinſter⸗ 
niß 3), jeden Ausbruch des Aetna (II, 116.) u. ſ. w. m 
merft, mag zum Theil auf chronologifchen Abfichten beruhen. 
Dei Kenophon wenigſtens find Abfichten dieſer Art unzweifel 





1) Schon früher hatten Hippys und Theagenes von Rhegion Vers. 
zeichniffe der argeifchen Priefterinnen und der filyonifchen Priefter anges 
fertigt (Heyne z. Apollod. p. 924. Comment. Gott. XIV, p. 136.) 





2) Bon den Frühern hatte nur Zanthos von Lydien etwas Aehnlis 
ches gethan: er hatte von dem Zuge des Xerxes zurück gerechnet. Ueber 
haupt ein merkwürdiger Mann und feinen hellenifchen Beitgenoffen — 
er felbft war ein Lydier — in mehr als einer Hinficht voranges 
fchritten. 


3) gl. Heyse De eclipsibus apud Thucydidem. Col. Agr. 
1834. 


j. 1. Vorbereitung auf Thukydides. 151 


in der Gegenwart kennen gelemt. Alſo dort 
der hiſtoriſchen, Hier ein Pragmatifiren ber my⸗ 
- Hieran knüpfen ſich demn ˖auch die erſten 
itik. Die Dichter nämlich, wenn ſie im eige⸗ 
Rim Vaterlande umher große Ideen fanden, 
hnlichen Ideen auch die Mythe verändern zu 
yon Stefihorod. Die Hiſtoriker dagegen, de⸗ 
doch Manches darbot, was in der Gegeywart 
ich fehlen, verfuchten ſchon Hier und da, folche 
hfeiten“ auszuftogen. So namentlich Heka⸗ 


meplichen Wortfchritt macht aber Herodot. 
‚, welcher die Sagenzeit nur beiläufig behau⸗ 
ikt fich im Ganzen auf das Ichte Jahrhundert 
n der mythiſchen Periode ziemlich ſtrenge zu 
Und mit beneidenäwerther Kunft hat er auch 
underte noch der erften Hälfte eine von der 
verfchiedene Farbe gegeben... Seine Sagen 
mf eine Vergleihung der verfchledenen Völ⸗ 
ichung wieder auf feine unbefangene Toleranz, 
alle Religionen im Wefentlichen identiſch und 
heiten, 2 | 
vr Unglaube war feit den Perferfricgen 
Er Hatte ſchon im Herakleitos gegen das 
im Hefatänd hier und da die Mythe auf 
; in den Eleaten fie als unmoralifch beſtrit⸗ 
ıchte Anaxagoras, fie allegorifch zu deuten; 


III, 122. I, 5 fo. I, 154. 


dren auch die zahllofen Parodien mythifcher Stoffe, 
mödie lieferte. Epicharmos und Krated gingen ge= 
Parodien aus: aber auch bei Ariflophanes ift die 
ygäos, die Höllenfahrt des Dionyfo® doch nichts 
arodie der Bellerophonds und Heraklesſage. 

9 * 


Viertes Kapitel. 
Reden ded Thukydides. 


e 


uf welche Art ſich Thukydides feines Stoffe bemäd 
hatte, iſt nun gezeigt worden. Es war ein reicher V 
von äußerlichen Thatſachen, den er jetzo beſaß, d. h. vw 
ſolchen Thatſachen, die in's Auge oder in's Ohr fallen: 
Volksverſammlungen und Rathsſchlüſſe, Belagerungen wg 
Schlachten. in hiſtoriſcher Handwerker würde dieſe Notiyng 
geordnet und publicirt haben. Nicht fo der Künftler, m 
Innern feines Kopfes begann erft nun die Zerfehung mb, 
Alfimilivung jenes Stoffes, welche deſſen Umwandlung in 
ein Kunftwerf, ein dem Thukydides eigenthümliches Kunſtweck 
vorbereiten ſollte. Denn eine protofollarifche Abſchrift 
Begebenheiten iſt Feine Geſchichte, ebenſo wenig, wie eine 
Zodtenmasfe ein Porträt iſt. 

Zwei Arbeiten Liegen hier nun dem Hiſtoriker vornchuilh 
ob. Zuerſt nämlich ſoll er. von den äußerlichen Thatſachen 
her in das Innere vordringen. Dieſes Innere wird in um 
ſern Tagen vielfach mit dem Namen hiſtoriſcher Ideen oder 
Prineipien bezeichnet. Dei der Mehrzahl verbirgt fich unter 
dieſem Namen etwas Speculatived, alſo Unhiftorifches, eder 









2. Kritiſche Grunbfäße des Thukydides. 133 
in die graueſte Borzeit eingedrungen zu ſein 


ten die Leſer des Thukydides erſtaunen, wenn 
ften Kapitel fanden, die Begebenheiten der äl⸗ 
enheit ſeien weder im Kriege, noch fonfl- eben 
fen! War e8 wohl unnatürlich, daß fie. einen 
3uoßaoos nannten, der ihnen daB Altefte Gries 
uf derfelben Stufe mit den mngebeiten: Barba⸗ 
7 — Thukydides nimmt eine. echt hiſtoriſche 
hen den Gegenſätzen des Zeitalters. In dem 
hume der Hellenen ſieht er weder Die. goͤldene 
ilteren Dichter, noch den thieriſchen Naturſtaud 
des Kritias und des ECuripides. Nach feinen: 
ı diefelben Gegenſätze. Nicht allein Platon 
(dene Alter, fondern Theopompos fogar, der 
vend fein Lehrer Iſokrates mit nüchternem Prag- 
Naturſtand ausmalt. 
zerhältniſſen der mythiſchen Zeit, welche die 
Dichterwerken herausforſchen könne, rechnet 
vornehmlich diejenigen, welche dem Dichter 
inen, daß er ſie ald bekannt, als ſich von 
vorandfegen möchte ). So findet er z. B., 
708 ein Gollestioname fehlt für die Hellenen 


eWTazoy oxoroöre. . Poppo will dieß mit bem 
e Gründlichkeit der. Forſchung bezogen wiflen (heil 


, 1, 35. — Uebrigens follte ſchon Perikles feinen 


iber den des Agamemnon gegen Sea seſteut haben: 
ricles 28. 


uzer Die hiſtoriſche Kunſt der Griechen, S. 264. — 
nutzen wir für unſer Mittelalter bie Urkunden: auch 

: echt find, erzählen unabſicht lich von den Verhält⸗ 
ſie entſtanden. 


— 


146 Thukydides. Kap. 4. 


er muß Faden bilden, an die er gruppenweiſe die Beg 
heiten anreihet. Solche Stufen jedoch, ſolche Faden 
Gruppen giebt es in der Wirklichkeit nicht: ſie müſſen 
dem Kopfe des Hiſtorikers hiuzukommen. 

Aus dieſen zwei Geſichtspunkten ſoll die Arbeit des 
kydides. jetzo betrachtet werden. Der Leſer verzeihe, 
die Unterſuchung erſt am Schluſſe des ganzen Werkes x 
zu Ende kommt. Sch werde für einige Ruheplätze inzwi 
ſorgen. | 


8.1. 
Menge der thukydideiſchen Reben. 

Was fich hier nun zuerft darbietet, das find die 9 
des Thukydides. Sie feheinen den Verfaſſer felbft wichti; 
mug, ihrer in der Vorrede zu gedenken (I, 22... Scan 
bloßen Quantität nach bilden fie einen überaus bedeute 
Theil feines Buches: von etwa 900 Kapiteln beſtehen 
180, alſo mehr ald ein Yünftel, in direeten,, fürmlichen 
den. Trogus Pompejus foll dieſe häufige Einflechtung 
Reden gemißbilligt Haben: für feine Zeit freilich und für 
nen Gegenftand wäre dergleichen nicht mehr angebracht 
weſen! 

In Thukydides Zeit aber fällt die erſte Periode der 
tiſcheu Staatsberedtſamkeit, als deren Meiſter 
kles und Antiphon, weiterhin auch Alkibiades, Kritias 
Theramenes geprieſen werden. Perikles bat mm felten 
dem Volke geredet, immer nur bei den mwichtigiten Wera 
fungn 1). Daß er keine feiner Reden fehriftlich Hinter! 
Hat, iſt ein genügender Beweis, wie fie ganz ohne Ei 
nur auf den praktiſchen Erfolg berechnet waren. Unge 
diefer Individualiſirung für den einzelnen Yal, mußte | 


: 5) Plut. Pericl. 7. 


2. Kritiſche Grundfäge des Thukydides. 4135 


fpricht, . einen folgen Sieg nothwendig voraus⸗ 
.  Ebenfo wid. die Secherrfchaft bei Agamem⸗ 
Yireet erwähnt. Thukydides aber erimmert Daran, 
ch Homer's Berichte nicht. allein felbft die mei⸗ 
anannt, ſondern auch bie binnenländiſchen Arka⸗ 
fien verſehen. Anderswo heiße er Beherrſcher 
die nahe beim Peloponnes gelegenen konnten 
fein, weil deren nur wenige wären. Ferne In⸗ 
a ſich ohne Seemacht nicht beherrſchen (I, 9.). 
erfreulich ſcheint es dem Thukydides geweſen zu 
rſchiedene Sagen ſich gegenſeitig controliren und 
. So wird die. Sage: von der attiſchen Autos 
die andere unterflügt, Daß Athen der Zufluchts⸗ 
mythiſchen Verbannten geweſen. . Dazu führt 
ch Die geriuge Fruchtbarkeit des attiſchen Bo⸗ 
aus allen drei Vorderfäten endlich den Schluß 
tika ſei in der älteften Zeit von Raubzügen und 
minder berührt worden, als feine Nachbaren 
den mythiſchen Reichthum der Korintbier glaubt 
: nicht eher auf's Wort, ehe er nicht die ſtaats⸗ 
Erklärung beffelben gefunden Hat (I, 10.). — 
jeht er überall da, wo er fih auf noch vorhan⸗ 
Jerhältniſſe berufen kann 2); auch wo der Name 
t auf ihre frühern Bewohner Hindeutet (II, 90.). 
u. A. die älteften Heiligthümer von Athen in 
kropolis vereinigt: Die Akropolis felbit wird im 
: fehlehthin Die Stadt genannt. Hieraus bes 
die Sage, daß erſt Thefens die frühern, Dorfs 
Gemeinden in eine Hauptftadt zuſanmengezo⸗ 
15.). Das hohe-Alter jener Heiligthümer wird 
ch gewiß, daß er fie in derſelben Art: bei den 


5. 6. 7. 8 10. 11, 99. 


156. Rh Rap. 8, 


Soniern wieder antrifft. &8 iſt bekannt, mit welchem glän⸗ 
zenden Erfolge K. D. Müller dieſen letzten Schluß - weiter 
angewandt: hat. — Von den Wanderungen der: Wölkreſcheint 
er beſonderß unterrichtet zu ſein: hier: „Hat: en chrouologiſche 
Angaben. (1; 18.), hier auch Berichtiganigen ber eigenen. Wolfe: 
tradition (VL, 2): leider :oßne ſich auf feine Graͤndeiitieſer 


einzulaſſen. — An einer einzigen Stelle führt et die Sage 


vom. Alkmãon. an, um feine naturhiſtoriſche VWermuthung über 
den Urfprumg der öͤniadiſchen Inſeln zu. unterſtützen (I102.). 

Man beachte zum Schluß noch die große Ciufa heit 
der Form, in welcher feine. Sagenkritik erſcheint. Hier iſt 
Nichts won den weitſchweifigen, aus ber Ferne geholten Com⸗ 
binationen, mit. welchen Ephoros: zu: glänzen ſuchteEin ein⸗ 


faches enusov dd, .zerpmouon da: eitet zu den. einfſachſten/ aber 
| überlegteſen Boreirluden Brian a 


u A 
Scheinbare Ausnahmen. j | 

Mit großer Beſtimmtheit ſetzt ſi ch Zhukydides einer tief⸗ 
gewurzelten Meinung entgegen, welche das barbariſche Thra⸗ 
kien von dem liederreichen Lande des Tereus nicht zu unter⸗ 
ſcheiden wußte (II, 29.). Andrerſeits aber warnt er wieder 
vor zu großer Zweifelſucht (1) 10.). So berührt er Homer, 
Deulalion und Hellen (I, 3.), Tereus und. Pandion (Il, 


29.), Pelops und Agamemnon (I, P:), ſelbſt den ſikeliſchen 


Italos (VI, 2.) als wirkliche Perſanen. Den troiſchen Krieg 
hält er keinesweges bloß im Allgemeinen für eine geſchichtliche 
Thaiſache, ſondern er ſpricht von den Verſchanzungen der 
Griechen, von ihrer Zufuhr, von der zehnjährigen Dauer des 
Krieges, ohne daran zu zweifelt (I, 11.). — Hingegen bei 
Minos eitirt er bloß die axuy „ und läßt die Gewißheit folgs 
lich auf fih beruhen (I, 4.) Bei Odyſſeus Charybdisfahrt 


$. 3. Scheinbare Ausnahmen. 153 


bei Altmäon’8 Syerfülen ‘CHE, 102.) ſpuſchter 
£, es gehe die Sage. : Mdber dier Urbewohner von 
zeiſt er feine Lefer ganz allen" auf die Dichten: 
r von Aytlopen md Aſwcegenen u mit 


: eine Idee mm wg dviſſee Deſſchiedachen vs 
Grunde liegen? — Die Bihutſamkein der thu⸗ 
agenteiut iſtſo groß, daß er auch da, wo ex 
we ſeiner Quelle : nicht ausdrücklich hetwwothebt, 
mehr daraus ſchoͤpft, als er aus der reinen Er⸗ 
m hätte. Bei Erwähnung des troiſchen Krieges 
‚die niedrige Stufe nachweiſen, welche dab 
er Hellenen damals Inne gehabt.  : Miarhten nim 
jenes Krieges immerhin erdichtet fein, : farwar 
‚dag die Zeit des Dichters Leine hoͤhern Be⸗ 
mute. Sch will ein Belfpiel anführen. Thuky⸗ 
ie zehnjährige Dauer des Krleges ans: melche- der 
weitere Abſicht, überall nur vorausſetzt. Er 
aus dem Dichter ſelbſt: wegen Mangels. an 
ein großer Theil des Heeres wit Beutemachen, 
u müſſen beſchäftigt werden. Alles fol dazu 
ringe kriegeriſche Ausbildung jener Zeiten darzu⸗ 
inz anders macht es aber der gleichzeitige Hellas 
ſucht ein ganz ſpecielles, ſtark poetiſirtes Ereig⸗ 
nach den Natürlichkeitsbegriffen ſeines Zeital⸗ 
eiten. Der Kampf des Achilleus mit dem Fluß⸗ 
zu einer bloßen Ueberſchwemmung, durch Res 
m da verurfacht, welche nun Die militärifchen 
dert). — Auch bei den übrigen Stellen 
1, daß die Nefultats des Thukydides Diefelben 
auch Die Berfonen, die er auführt, wenn Hel—⸗ 


eideus. zur Il. 9, 35. 5 


138 Khukydides. Rap. 3, 


Ir, Homeros n. 9; fi. in Stämme und Geſchlechter auflt- 
fur Daher teigt er denn auch keinerlei Bedenken, 3. B. 
den: Öyinnendichter yon. Delos Homer zu nennen: ob er mit 
dem, Sänger der Iliaß „identifch geweſen, das kümmert ben 
Tyukydides hier nicht (III, 104.). — Nun achte man ſchlleß⸗ 
U auf die feine Abſtufumng des Ausdrucks. Für den Minos, 
wie. gejagt, führt-et:nucdie_axon an: warum? . Zeil die 
Secherrſchaft dieſes Königs, (von der nämlich. fpricht ex), fehon 
mein mehr ein Factum, kein bloßes Vexhältniß iſt, welches 
die/ Sage unabſichtlich vorausſetzte. Auch iſt der Hiſtoriker hier 
wicht: fa. im Stande geweſen, durch anderweitige: Combinationen 
Gewißheit zu geben. Aehnlich ſteht es mit. den Abenteuern 
Re Odyſſeus und des Alkmäon. Thukydides glaubte gewiß nicht 
daran, aber er nennt ſie, weil die Raturerſcheinungen umver 
ägbert fortdauerten, welche dem Mythus Hier als Grundlage 
gedient Hatten, Bei den. Nyllopen eudlich ‚und: Läſtrygonen 
jällt guch dieſes weg. 

Selbſt in dieſen Ausnahmen iſt es uͤbrigens dem Thukydides 
niemals beigekommen, die Sage weiter. fortzubilden. Daß der 
Name Zankle von Sichel. herrühre, war ſchon dem Hekatäos 
bekannt. Was bedeutet nun aber dieſe Sichel? Natirlich 
nichts Anderes, als die Sichel des Kronos, die dort verborgen 
ſein muß 1). Dieſe Aushülfe iſt höchſt wahrſcheinlich eigene Erfin⸗ 
dung des ehrlichen Logographen 2). Thukydides hingegen leitet ben 
Namen von der fichelförmigen Seftalt der Küfte ab (VI, 4.). 


Ganz ähnliche Beifpiele bietet des Hellanikos Erklärung vom 


Namen Italiens 3) dar, wenn man fie mit Thukydides VI, 2 


1) Hekatäos fr. 43. Glauf. 


2) Meil er nämlich an berfelben Stelle nody einen Gründer Ra: 
mens Zankles und eine Quelle Zankle für die Erklärung des Stabtna: 
mens beibringt. 


%) Dionys. A. R. I, p. 38: vgl. Schol, Pal. zum Th. VL 2. 


$. 4. Schlußbetrachtungen. 439 


Während Thukydides Die Stadt. Gela von deut 
18 ableitet (VI, 4.), erzählt Theopompos ahret 
Geſchichtchen darüͤber. Ein Menſch habe die 
ex Stadt fir unmöglich. gehalten, darüber gelacht, 
ſem Lachen ſei der Name entſtanden 2). 


8. 4. 
Schlußbetrachtungen. 


did es war ber erſte, zugleich aber auch PER ei 
ve Geſchichtſchreiber, der, ohne Glauben an die Sage 
veifel daran, das Sichere aus ihr für hiſtoriſche 
mutzen wußte. Aehnlich macht e8 Sophokles, 
tiſche Weiſe. Weder Angreifer, noch Verthei⸗ 
gthe, läßt auch er die Wahrheit des Ueberlieferten 
, um dasjenige, was ihm zu Grunde liegt, fr 
erke auözubenten. Der mythiſche Stoff dient ihm 
als Hintergrund. Cr eutlehnt von der Sage 
lenſtimmungen, welche fie ſchildert, umd die ide⸗ 
velche fle am ſich trägt. Daher macht er Perſo⸗ 
atigone, Elektra, die in der Sage nur eine Ne 
1, zur s Hauptperſon, um in der ethiſchen Ent⸗ 
ch das Tradirte weniger: beſchränkt zu werden. 
nun mit den Nebendingen ſchaltet, deſto treuer 
Sauptideen feſt, die unbedingte Herrſchaft, bie 
ſehung der Götter. Sophokles tritt hierdurch in 
yition gegen’ feine Vorgänger, wie Thukydides. 
it Bewußtſein thut, lehrt die Antigone, : das 


‚des folgt hier dem befonnenen Antiochos (Dion. }. 1.). 


Pal. Thuc. VI, 4. Die Erwähnung ber Phäaten 1, 
der Scholiaft „aus der Geele ber Kerkyräer““: ass yag 


'zb. 


440 Zpulpbides. Kap. 3: - 


fehhefte "feiner erhaltenen Stücke, welche das Hervorheben der 
echiſchen Verarbeitung, das Saſchanenſtelen des mythiſchen 
Stoſſes von alla: fophokleiſchen Gedichten am ſcharfſten 
zeigtti). — Von Sofrates iſt bekannt,“ daß er ſich we 
nigſtens dev allegoriſchen Sageudeutung entſchieben widerſehtte. 
Ueber die buchſtäbliche Wahrheit der Mythe will auch er ſich 
nicht äußern; aber auch er verſteht es, für feine eigenthüm⸗ 
lihen, ethifchen Zwecke davon Gewinn zu ziehen. Er be 
teachtet fie vornehmlich‘ alß ein cchiſches Ermunterungsmittel, 
einen; Spotn we Tapftxleit ). J—— 
„enonhon ha abet; Birnsifce — ans: feinen Wa- 
gen: guögefchieden.: . Unter den. Nach fialgern des Thuky⸗ 
Did «8 aber geht die Sagenkritik den umgekehrten Gang, wie 
unter feinen Vorläufern. Wie bei⸗ſenen das rein. mythiſche 
Snterefie e ſtufenweiſe, abgenonmen hatke „.:p nahm. es bet dies 
den ſtufenweiſe wieder us; Nach Epharga ſchnänkt ſich wenige 
tions anf die Zeiten: dieſſeits der. Herallidemvanderung ein. 
Aber Theopompos Erande) ſteigen in ‚wie, dunkelſte Vorwelt 
hinauf, -zund, die · Atthidenlſtoratur nimmt; Die Sagenzeit ganz 
direet wieder ppr. — Wie' aber die lehten Vorgänger des 
Dyukydides, vor Allen Hellanikos, hauptſächlich nur diejeni⸗ 
gen Mythen beachtet hatten „Die zur Erklaärung noch vorhan⸗ 
dener Inſtitute, Feſte, Gerichtahbfe, Gehräuche, Weihge⸗ 
ſchenke dienen konnten, ‚je: thun es auch dieſe Nachfolger wie 
Der. Doc finde. ih-fehpn bei den Atthiden: je ſpäter fie find, 
deſto "größer wird der Raun, „den fie ‚mit der mythiſchen Ges 
ſchichte ausfüſlen. Zugleich ‚bringt die ¶Concurrenz dieſer 
Shriftiteller, von deuen Itder nach Neuem haſcht, eine Uns 
zahl der fpecielliten und abstruſeſten Localſagen an's Licht. 
Endlich kommen die Apollodore wieder mit Büchern hervor, 


| " 


N en 
—X ) Pal. beſonders IN He. J J 
2) Xenoph. Memor. III, 5, 9 590. en 


nmerfung über die Chronologie des Thukydides. 144 


iſchließlich, und um feiner ſelbſt willen, dad My⸗ 

delt wird. SDian erinnere ſich, daß um⸗ dieſelbe 

ıgmatifche Gefchichte des Bolybiod. und Poſeido⸗ 
. sehe Literatur fängt mit. dem Wunderbarer: an; 

Natürlichen fort, und ſchließt mit der Vereini⸗ 

chternen und Phantaſtiſchen. 

Mitte dieſcs ſteiglaufes ſichen die zrei großen 


F 5. 


nerkung über die Chronologie des Thukydider. J 


iterielle der thukydideiſchen Chronologie muß ich 
Corſini und Clinton überlaſſen. Hier nur Ei⸗ 
den ſchriftſtelleriſchen Charakter des Thukydides 
igeht. 
echnung nach Winter und Sommer wird nicht 
ie Natur des damaligen Kriegsweſens gerechtfer⸗ 
n auch dadurch, daß die bürgerlichen Jahre der 
ellenifchen Staaten, insbeſondere das fpartanis 
und das attiſche Archontenjahr, zu verſchiede⸗ 
fingen, Wo Thukydides daher den attiſchen 
uchen muß, da giebt er das lakedämoniſche Das 
IV, 118 fg. 1I, 2). Selbſt in der Zeit vor 
n Kriege hat er nach Winter und Sommer ges 
Die ältejten Logographen hatten nach Men 
ihlt, von einem Anfangspunkte her, der in 
nkel gehüllt war. Der ſpäteſte unter ihnen, 


tand der Ackerfelder bot nicht ſelten ein Motiv zu 
ngen: vgl. K. O. Müller Griech. Literaturgeſch. II, 


2: vgl. Dodw eltl.1 p. 19 fg. — In Xenophon’s 
efe Rechnung fofort auf. 


. on. : — ran „fr . 
"u sn 2 rn and “ . nt ‚) 4433 fr. - ı. 


Viertes Kapitel. 
Neden des Thukydides. 


t 


Auf welche Art ſich Thukydides feines Stoffes bemächtigt 
hatte, iſt nun gezeigt worden. Es war ein reicher Vorrath 
von äußerlichen Thatſachen, den er jetzo beſaß, d. h. von 
ſolchen Thatſachen, die in's Auge oder in's Ohr fallen: 
Volksverſammlungen und Raͤthsſchlüſſe, Belagerungen und 
Schlachten. Ein hiſtoriſcher Handwerker würde dieſe Notizen 
geordnet und publicirt Haben, Nicht fo der Künſtler. Im 
Innern feines Kopfes begann erft nun die Zerſetzung umd 
Alfimilirung jenes Stoffes, welche deſſen Umwandlung in 
ein Kunftwerf, ein dem Thukydides eigenthümliches Kunſtwerk 
vorbereiten follte. Denn eine protofolarifche ‚Abfchrift der 
Begebenheiten ift Feine Gefchichte, ebenfo wenig , wie eine 
Todtenmaske ein Borträt iſt. 

Zwei Arbeiten liegen hier nun dem Hiſtoriker vornehmlich 
ob. Zuerſt nämlich ſoll er von den äußerlichen Thatſachen 
ber in das Innere vordringen. Dieſes Innere wird in um 
ſern Tagen vielfach mit dem Namen hiſtoriſcher Ideen oder 
Prineipien bezeichnet. Bei der Mehrzahl verbirgt ſich unter 
dieſem Namen etwas Speculatives, alſo Unhiſtoriſches, oder 


be (} 


Aſſimllirung des gefchichtlichen Stoffes. 448 
ser will, etwas Ueberhiſtoriſches. Aber freilich, 
) echte, haben vortreffliche Hiftorifer daſſelbe 
t. Dieſe haben darunter die geiftigen Bes 
verftanden, d. 5. die Gedanken, die Entichlüffe 
ngen, der Hauptperfonen und ihrer Anhänger, 
jerlichen Thatfachen zu Grunde liegen. Dieſe 
gründe, welche jeden Einzelnen für fi 
er Dadurch zur hiſtoriſchen Bedeutung gelangen, 
n gemein find, — dieſe Beweggründe were 
) die unmittelbare Erfahrung kennen gelernt. 
tifchen Männer reden fparfam von den Vor⸗ 
: Seele; wenn fie davon reden, fo. darf ed 
m allerwenigften blindlings aufnehmen. Viel⸗ 
o einfach die Refultate fcheinen, eine fehr ver⸗ 
eit des Hiſtorikers nothwendig. Es wird dazu 
ſeitigkeit des Geiſtes vorausgeſetzt, Daß er je⸗ 
e in ſeiner Geſchichte auftritt, nachdenken und 
. Findet der Hiſtoriker nun äußere Thaten 
x zu: In welcher Seelenſtimmung müßte ich 
folche Thaten thun wollte )7 So erkennt ev 
ungen die Seele des Handelnden.  Aıevosiro 
y£ouns , 000 yE and row novulvon nV Ei- 
6.). Die große Anzahl folcher Combinatio⸗ 
de einzelne, 
rn aber muß der Künftler aus dem ganzen 
8 Stoffes das Wichtige von dem Unwichti⸗ 
Wichtigkeit aber iſt ein relativer Degriff, der 
: des Werkes beitimmt wird. Er muß Abs 
| zwifchen den Hauptfachen und Nebenfachen; 


it Johannes Müller, find in den Büchern, ber 
erzen und in ber Welt Lauf. Bol. die höchſt merk⸗ 
iebuhr's an den Grafen be Serre: Briefe Th. 3, 
'8 Lehrjahre III, II. 


10 


446 hyhukydides. Kap. 4. 


er muß Faden bilden, an die er gruppenweiſe die Be, 
Heften anreihet. Solche Stufen jedoch, ſolche Faden 
Gruppen giebt es in der Wirklichkeit nicht: fie mühe 
dem Kopfe des Hiftorikerd hiuzukommen. 

Aus diefen zwei Geſichtspunkten foll die Arbeit des 
kydides. jetzo betrachtet werden. Der Leſer verzeihe, 
die Unterſuchung erſt am Schluſſe des ganzen Werkes 
zu Ende kommt. Sch werde für einige Ruheplätze inzı 
ſorgen. 


8.1. | 
Menge ber thufydideifchen Reben. 

Was ſich hier num zuerft darbietet, das find Die 
des Thukydides. Sie fiheinen dem Verfaſſer ſelbſt wich 
nug, ihrer in der Vorrede zu gedenken (I, 22.) Sch 
bloßen Quantität nach bilden fie einen überaus bebaı 
Theil feines Buches: von etwa 900 Kapiteln beſtehe 
180, alfo mehr ald ein Fünftel, in direeten, fürmlich 
den. Trogus Pompejus foll diefe häufige Einflechtun 
Reden gemißbilligt Haben: für feine Zeit freilich und | 
nen Gegenftand wäre dergleichen nicht mehr angebra 
weſen! 

Sn Thukydides Zeit aber fällt die erſte Periode t 
tifheu Staatöberedtfamkeit, als deren Meifter 
kles und Autiphon, weiterhin ach Alkibiades, Kritia 
Theramenes geprieſen werden. Perikles hat mr felt 
dem Volke geredet, immer nur bei den wichtigſten Ve 
fungen 1). Daß er keine feiner Reden ſchriftlich Hint 
bat, iſt ein genügender Beweis, wie fie ganz ohne € 
nur auf den praftifchen Erfolg berechnet waren. Unc 
diefer Individualiſirung für den einzelnen Kal, mußte 


1) Plut. Pericl. 7. 


. 1. Menge ber thukydideiſchen Neben. 147 


er Worte auf die allgemeinften Grundſätze feiner 
ie tiefiten Aufichten vom wmenfchlichen Leben übers 
hen. Darin vornehmlich beruhet feine Majeftät, 
Jeinamen ded Olympiers errungen bat. ohne 
(ei, mußte er das Volk zu feiner eigenen Höhe 
feine Worte, wie Eupoliß fpricht, ließen einen 
in der Seele des Hörenden. Auch feine Äußere 
e streng, immer groß und erhaben;z die Stimme 
ch; die Gewänder niemald verwirrt Durch heftige 
die Miene unverinderlich, nicmald zum Lächeln 
Es war eine Deredtfamleit, Die fich zur demo⸗ 
n anderd verhalten mochte, als die Kunſt des 
er des Lyſippos Bid auf die Laofoond= und 
) herunter. That und Rede fanden damals im 
Auch knüpfen fih ſchon die Anfänge der 
es zu gehen pflegt, an die vollendete Praris 
den erſten fieilifchen Sophijten 9) begann eine 
n Ahetoriten, welche durch die beiten Red⸗ 
ven Jahrhunderts fortgefeht, durch Ariftoteles 
1 wurde, 

ıere Sich ferner, DaB auch das Drama der 
felbe Zeit feine herrlichſte Blüthe trug, ja die 
neige in Attila und Cicilien wenigitens fir 


ricl. 5. Cicero De off. I, 30. Die Umwandlung 
begann vornehmlidy mit Kleon: Plut. Niciag 8. 


it 8. O. Müller in bie Zeiten ber gallifchen Invas 


‚to Phaedr. p. 270. K. O. Müller Gef. ber 
ih. 2, S. 304 ff. | 


ngel’s treffender Bemerkung legten ſich bie ficili= 
ıptfächlich auf die Schönheit der Rede, die bellenis 
igleit: Artium scriptores p. 63. 


10 * 


148 Thukydldes. - Kap. 4. 


eine Zeit lang beinahe verbrängt hatte. Hat doch ſchon 
ton bemerkt, wie nahe die Rede -mit dem Drama verh 
ſei 1y. Und in der That, wenn der äußerliche Unter 
de8 Dramas von Lyrik md Epos vornehmlich darin be 
dag in ihm alle Berfonen felbft Handeln, fo Tann die 
fchichte durch Nichts dramatiſcher werden, als menn fie 
Helden reden läßt. Wie gewaltig die fopbofleifchen € 
“auf die ganze Compoſition des Herodot gewirkt Haben; 
taufendfach ſich Renophon mit dem Curipides und der fp 
Komddie berührt: muß ich einem andern Orte zu entw 
vorbehalten. Thukydides bat vom Drama Nichts weiten 
lehnt, als die Lebendigkeit und den Nedereichthum feiner’ 
ftellung 2). Wenn man ihm daher eine dramatifche U 
nung im Einzelnen zufchreibt, eine Eintheilung in Acte 
w., wie Ulriet verfucht hat): fo muß ich das für 
von jenen äfthetifchen Spielereien halten, vor denen Ni 
immer fo dringend warnte. — Selbft in den Geſpräche 
Sophiften, woraus gar bald die fokratifche Lehrme 
hervorging, iſt jene dramatifche Richtung des Zeitgeifte 
merfbar. Daß bier übrigens etwas allgemein Hellen 
zu Grunde liegt, Tann aus dem Homer gezeigt werden, 
ſchon viel dramatifcher ift, viel mehr auf Selbitreden 
Helden giebt, als die neuern Epiker. 

Thukydides ftellt in der Negel zwei fürnliche Reden 
ander gegenüber. An zwei Stellen nuferd Buches wird 
fogar zum Dialoge: II, 112 fg. V, 85 ſſ. Wo er 
oblike Reden halten läßt, iſt der Grund Immer de 


2) Bgl. auch Ariftot. Poetik 23, 13. 


2) Wie echt Hiftorifch es ift, dag Thukydides Zeine Rä 
ments in Reden darlegt, alfo in draftifcher Form, nicht als Be 
bung, ergiebt ſich aus einer weitern Verarbeitung der Hauptidee 
Leffing’s Laokoon: XVLI. 


9) Charakteriftil der alten Hiftoriographie, &. 311 ff. 


.1. Menge ver thukydideiſchen Reden. 440 


Es würde nämlich an manchen Orten, wenn 
irect ſollte geredet werden, eine große Menge 
thwendig ſein, eine ſolche Menge, daß ſie das 
zrunde liegende Ereigniß völlig erdrücken müßte. 
69. VI, 69. Daß im achten Buche gar keine 
vorkommen, iſt aus der mangelnden Vollendung 
klären, indem der Tod den Hiſtoriker bei ſeiner 
hte 1). Es wird und tiefer unten auch aus ans 
wahrſcheinlich werden, daß die Reden erſt bei 
e ihre heutige Geſtalt erhielten. — Wo ſonſt 
den ſtehen, da will der Hiſtoriker den Inhalt 
ie Begebenheit, die fie berühren,.. mehr zurück⸗ 

Dieß ift ein Hauptmittel zu jener beiuundes 
Abltufung des Colorits, welche dem Thufydiz 

Sn feiner Einleitung 3. B. kommen Reden 
3 vor: alle oblik, meil fie gehen nur zur Ein⸗ 
. Sm Werke ſelbſt pflegt Thukydides Die bes 
rakteriſtik feiner Helden zu vermeiden: fie müſ⸗ 
charakteriſiren, und zwar Durch ihre Reden. 
gt die Einleinmg das s entgeaengeiihie Verahren 


. 2. 
er das Verhältniß der chuthdideiſchen Reben: zu ben ‚ 
wirklich gehaltenen 2). 


dides Die wirklich ghaunen na ago 


.11. Br 3 Fi PF 
8 erzährt feeitie, „ bie vielen Reben häften keinen ‚Beis 
d aus diefem Grunde fehlten fie im legten Buche. Ein 
des Zhukydides, der ſolche Gründe ausheden konnte! 
ud. de Thuc. p. 846 sg. K. W. Krüger ſucht 
ſes Irrthumes auf den Dionyfiod zu wälzen: Com- 
rdidis historiarum parte posir. p. 258 sqd-, 


- Heimann De ’Thucydidis orationibus (Berl. 1833.). 


450 dhurydides. Kap. 4. 


treu wiedergeben wollen?. Dieß iſt Die erſte Frage. — Sie 
muß aber, obgleich der Scholiaſt (I, 22.) fie bejahet, ſchon 
ans innern Gründen verneint werden. K. O. Mül—⸗ 
ler hat bereits erkannt, daß die Reden oft In Brziehung zu 
einander ſtehen, Die nicht: wirklich. Statt gefunden haben. 
Die Rede der Korinthier (I, 120: ff.) antwortet gewiſſermaßen 
auf die des Archidamos in der ſpartaniſchen Volksverſamm⸗ 
fing und-auf die des Perikles zu Athen, obſchon wie Korin⸗ 
thier feine- Bon beiden gehört hatten 1). Wie hätten wohl im 
ber Wirtlichtett die Kerhyräer, als fie Die Bundesgenoſſen 
von Arien: zu werden begehrien, ‚so ansführlich von ihrer bib⸗ 
horigen Heutralität geredet; und daß Athen? ihmen. darum 
Nichts, dar Nichts verdanke E, 2R) 7 Niemals durften fer⸗ 
ner bie Athener, da fie den Frieden noch zu erhalten wunſch⸗ 
ten/ mitt ſolcherRückſichtsloſigkeit das Recht des Stärkern 
predigen, wie 1,76. Waren fie doch ſonſt inmier init Nechts⸗ 
bexweiſen verfehen, wie ab ML; PL.- exhellet. - Vlelmehr be 
merkt Thukydides ausdrücklich, der wahre Grund des Krieges, 
vie wachfende Macht von Athen, ſei: in den Reden vorher am 
wenigſten etſchienen (H, 23.)E Bei'den Reden aber, wie a 
fie im erſten Buche giebt, ift das doch wahrlich nicht der 
Ball! — Die Politik des Königs Archidamos war Haupt 
fächlich darauf berechnet, Zwietracht in Athen ſelbſt anzuftiften 
(II, 20.): feine Rede aber, ‚worin er Die Mlittel des Krieges 
doch fo ausführlich erörtert, weiß Nichts davon. Wenn ende 
lich Perikles in der Leichenrede welche die Herrlichkeit der 
perikleifchen Zeiten ſchildert; in die Mage audbricht, daß ed 
ſo ſchwer ſei, mit dieſer Schilderung allſeitigen Glauben zu 
finden El, 33.) ſo hat das in Perikles Munde kaum Sinn, 





Der Berlafſer hat mancherlei bemerkt, aber ohne daraus mittelſt glüds 
licher Combination Reſultate zu gewinnen. Er iſt ſich ſelbſt nicht klar 
geworden, daher auch im Ausdrucke höchft ungenau und vag. 


1) iteraturgeſchichte 4,357. - =. 


” 


J. 2. Verhaͤltniß ver thukyd. Reden zu. ven wirklich gehaltenen, 454 


nei ja feine wirklichen Zuhörer jene Herrlichkeit vor Augen 
ſahen, perfünlich daran Theil nahmen 1). 

- 7 Zum Glück aber haben wir noch ein äußeres Zeug- 
wi. In Ariſtoteles Rhetorik nämlich (I, 7. DU, 10.) iſt 
eine Sentenz aus der wirklichen yerikleifchen Leichenrede anges 
mhrt, und dieſt kann mit derfelben Rede, wie fie beim Thu⸗ 
dides ſteht, verglichen werben (II, 35 fſ.). Die Sentenz 
bautet alfo: ... . nv vedrma dx rg nölsug aunpjades, 
BareE To Zap &x voü dviavrov ei Zapedeln. Von vielem 
Beranten ift im Thukydides auch Feine Spur anzutreffen; ich 
wüsste kaum einen Ort zu nennen, wo derſelbe fich einjchalten 
Leße. Man erkennt hieraus, daß Thukydides ein wärtliches 
Auſſchreiben ſelbſt da verſchmähete, wo es ihm möglich gewe⸗ 
ben wäre. Konnte Ariſtoteles jene Aeußerung erhalten, wie 
wiel eher nicht der gleichzeitige Thukydides? Noch mehr. Da 
Thukydides ſelbſt an der Peſt erkrankte (II, 48.), dieſe Peſt 
aber unmittelbar nach der Leichenrede in Athen ausbrach, fo läßt 
ſich einigermaßen vermuthen, daß er gerade damals in Athen ge⸗ 
weſen. Den Plan, die Geſchichte des peloponneſiſchen Krieges zu 





ı) Bol. II, 45. — Von den drei perikleiſchen Reden iſt auch 
Kutzen der Meinung, daß Thukydides der Originale wohl hätte hab⸗ 
haft werben können, ihre Aufnahme aber verſchmähet hat (Ueber Peri⸗ 
Yes als Staatsmann, ©. 152. De Pericle Thucydideo p. 40.). 
Nur ift Leider fein Grund fehr ſchwach. Er meint nämlih, dieſe Res 
den, wie fie im Thukydides vorliegen, feien viel zu ſchwer, als daß fie 
vom atheniſchen Volke hätten verftanden werben Tönnen. — Sind benn 
etwa die Werke bes Aefchylos und Sophofles fo bedeutend leichter? es 
ber die Art und Weife, wie eine Volksverſammlung geleitet wird, Tann 
Kuttzen nicht viel nadhgebacht haben. Was müßten das für Neben 
fein, worin jeder Sag dem großen Haufen verftänblich wäre! Selbſt 
in der äußerflen Demokratie find es immer nur Wenige, "auf deren Ue⸗ 
berzeugung es anfommt, weil bie Uebrigen biefen blindlings nadyfolgen. 
Diefen eigentlic, praktifchen Männern aber würden Reden von fo allge- 
meiner Faßlichkeit, wie Kutzen fie verlangt, völlig ungenießbar fein. 
Xgl. übrigens Dionys, De Thucyd. p. 923 sqq. 


458. Thukydides. Kap. 4. 


fegreiben., hat er gleich beim Anfange deffelben gefaßt (I, 1.). 
Sollte er da wohl von der Leichenrede des Perikles zu Haufe 
geblieben fein? — Nun fit freilich bekannt, daß Perikles 
feine gefchriebenen Reden hinterließ, dag insbeſondere Quinti⸗ 
Han die noch zu feiner Zeit vorhandenen für unecht erflärte!). 
Spengel meint deßhalb, Ariftoteles habe jenes Bild mr 
durch. eine ‚Tradition der. Rhetoriten erhalten ). Das mag 
Immer fein. . Hätte aber Thukydides feine Reden den wirklich 
gehaltenen ſo nahe wie möglich bringen wollen, er hätte jenes 
Bild um fo mehr aufnehmen müſſen, je mehr daſſelbe von 
dem leſenden Publicum herumgetragen wurde. — Uebrigens 
"pflegte fich PBerikles immer mit der höchſten Sorgfalt auf feine 
Neden vorzubereiten, ja ex. fehrieb ſich das Concept gern vor⸗ 
ber auf). Wie leicht war es da gewiß für den Thukydides, 
ein ſolches Concept einmal zur Anficht zu erhalten! — Nm 
iſt aber noch ein Bedenken übrig. Weber nämlich behaup- 
tet, . die Notizen des Ariftoteles gingen gar nicht auf die Lei- 
chenrede im erſten Jahre des pelopomnefifchen Krieges, fondern 
auf eine andere, welche Perikles nach der Beſiegung von Sa⸗ 
mod gehalten Hatte). Der Ausdruck veozyra paſſe nur für 
dieſe Ichtere 5). — Dieſen Beweis des Herrn W., muß ich 
ofjen bekennen, verſtehe ich, gar nicht. Was aber die Sache 
ſelbſt Betrifft, fo wird fie durch Platon’ Menerenos wider⸗ 
legt. Diejer ift augenfcheinlich mit Rückſicht auf den Thuky⸗ 





1) Plat. Pericl. 8. Vitse XII oratt. Antiph. pr. Plato 
Phaedrus. Quint. III, 1. XII, 2.10. Nur Gicero fpricht von 
Schriften des Perikles: Brut. 7. De orat. II, 23. 


| 2) Artium scriptores, p. 61 sqgq.. on 
3) Suidas und Eudocias, v. Ilka. Plut. 1.1. 
) Plut. Pericl, 28. 


s) Zn dem Darmſtädter Schulprogramme: Ueber die Standrede 
bes Perikles. 


$. 2. Verhaͤltniß der thulhd. Meben zu ben wirklich gehaltenen. 133 


dides gefchrieben !), und verfteht alfo unter perikleifcher Lei⸗ 
chenrede ſchlechthin durchaus die von Thukydides ermähnte. 
Hieraus läßt ſich erwarten, daß auch Ariſtoteles mit der Lei⸗ 
qheurede zur’ 2Eoynv dieſe zweite, nicht die ſamiſche, gemeint 
babe. Das hat auch u. A. Dahlmann ohne Bedenken 
angenommen 2). 
s  Stemis- enpfebt ſich ubrigens och ein ſtarker Grund:für 
aneine ganze Annahme, Denn das Alterthum von Platon’d 
Belt an die angeblich perikleiſchen Reben für unecht exfläkte, 
de muß es im: Thukydides keine: wirtligen Revien 
des Perikles gefunden haben, Hin ne 
Da fragt fich rim zweitens: ar: der Juhalt ber Knfie 
dibeifchen Reden vieleicht perfünliche Anſicht des Thuky⸗ 
-Pipes, Behauptung ‚oder Gutachten? - Ganz ‚wohl fchmerlich. 
"So tft es u. A. gewiß nicht die wahre Meinung des Thuky⸗ 
pides, wenn die Borinthifchen- Geſandten zu Athen behaupten, 
nur darum fei Kerkyra neutral geblieben, «weil es allein "Habe 
Unrecht thun, Zeugen feiner Schandthaten habe vermeiden 
wollen (I, 37.). Die Schilderung, : welche dieſelben Korin⸗ 
thier (1, 39.) von: ihrem früheren: Betragen entwerfen, ſteht 
mit der eigenen Erzählung des Thukydides in faft directem 
Widerſpruche (I, 28.). Im Euphemos Rede zu Kamarind 
wird Jedermann einräumen, dag hier die wahren Abſichten 
der Atgener- verfihleiert find (VI, 82 ff.). — . Einer längern 
Beweisführung ift mein Sat mohl kaum bevürftig, indem ja 
in den correſpondirenden Reden — und dazu ‚gehört die Mehr⸗ 
zahl — das: Meifte freilich nur won berfchledenen Standpunk⸗ 
ten aus verfehieden beleuchtet, Manches aber auch In der dis 
nen Rede geradezu behauptet, in ber andern geradezu geleug⸗ 
net wird. 


1) Vgl. Dio nyßB. ITegi dewotntes, P. 1027. 
2) Dahlmann Forſchungen, Th. 1, ©. 23. 


BA: Aatculydides. Kap. 4. 


8, 3, 

‚Bahtes Verhältnig ber thukydideiſchen Neben zu ben wre 

| gehaltenen. _ 

au feiner Vorrede erflärt Thukydides, 1. er habe mit 
alter moͤglichen Genauigkeit die ‚Eupnaoa yraan. der wirklichen 
Reden feitgehalten; dann aber -einem chen das in den Mund 
gelegt, was über. die jedesmaligen Umftände als va deovza 
nassen erſchienen wäre (1, 22.). In den nachfolgenden 
Worten, io er feine Kritik der Thatſachen an's Licht ftellt, 
chut er es offenbar mit.dem Gegenſatze zu den, Reden, daß cr 
jenen eine. ſtrengere Genauigkeit zugewandt ‚habe. 

Wir haben vie Reden des Thukydides als die 
vorne hmſien Mittel zu betrachten, wodurch er 
die äußerlichen Thatſachen auf ihre geiſtigen Me 
tive zu rückführt. Niemand hat in höherem Grade die 
Kunft verſtanden, einer jeden feiner Perſonen nachzudenken 
und nachzufühlen. Aus einem Athener kann er zum Archida⸗ 
mos und Hermokrates werden; aus einem Maune voll peri⸗ 
kleiſchen Geiſtes zum Alkibiades aus einen feinerzogenen Op⸗ 
timaten zum Athenagoras und Kleon: alle ſeine Verhältnife 
und Gewohnheiten kann, er. ausziehen, — den Hifteriker als 
fein s., den Künftler kann ex Bi ausziehen. Was .ſoll das 
hfißen en 

A. Die meiſen Reden legt Konkyhines. den Haupi⸗ 
perſonen ſeiner Geſchichte in den Mund. Die wirklich: ges 
ſprochenen Worie konnten hier dem Hiſtoriker ebenfalls, um 
ld ‚Außerliche Faeta gelten. In feinen. Neben. aber, wo zu⸗ 
gleich das Innere der Perſonen aufgedeckt werden ſoll, mußte 
Thukydides das ganze Leben jeder Perſon zuſammenfaſſen. 
Er mußte ihre Vergangenheit und ihre Zukunft bereits durch⸗ 
ſchaut Haben, um: ihre Charakterbild daraus vollenden zu kön⸗ 
nen So wurde, was vor und was hinter dem Momente 


F 


$. 3. Charakteriſtik ver Perjonen in Thukydides Reden. 153 


Rede lag, in derſelben zuſammengedrängt. Die Euunaoa 
un, der weſentliche Inhalt der Verhandlung ſelbſt brauchte 
nicht verletzt zu werden: war doch auch die wirklich ge⸗ 
Rede aus dem Charakter des Redners hervorgegangen. 
— Hier muß ‚ich noch. einer befondern Feinheit des Thukydi⸗ 
Mes erwähnen. Zu den Liehlingsurtdeilen der meilten Hiſtori⸗ 
‚gehören diejenigen, welche ich hypothetiſche Urtheile 
möchte. Man behauptet da: Wäre ftatt des Factums 
Fr dad Factum b erfolgt, fo würde auch nicht ce, ſondern d 
Iagetreten fein... Dergleichen Urtheile haben ben großen Feh⸗ 
Fe, daß fie niemals ſicher gebenz ja, daß fie in ein Gebiet 
Dinũberſchweifen, welches für den Maßſtab des Hiſtorikers 
Dollig incommenſurabel bleibt. Wie hält ſich Hier nun Thu⸗ 
Eydides7? Er ſchränkt dieſes hypothetiſche Urtheil mit ſehr 
wenigen Ausnahmen auf die Reden ein. Da aber hat 
Es vollkommen Sinn; da will es weiter Nichts offenbaren, 
als die Berechnungen des Redners, die Erwartungen feiner 
- Muhörer: ein Öegenitand, der auch in der bloßen Erzählung 
des Thukydides gar häufig erwähnt wird 1). Vor der That 
it es von Intereſſe, od noch Anderes geſchehen könne; 
nach der That würde. es nutzloſe Grübelet fein. 
B. Zugleich aber war ed dem Thukydides wohl bekannt, 
daß mit der Charafteriftit Der Hauptperſonen noch nicht Alles 
geronsmen iſt. Dieſe allein machen noch Feine Gejchichte. Exit 
wenn der Hiftorifer auch die Anhänger charakterifirt bat, 
welche ſich der Hauptperſon anfchliegen, erſt dann kann er 
meinen, die Thatſachen ſelbſt durch ihre geiſtigen Beweggründe 
wirklich erklärt zu haben. — Daher find denn die Reden des 
Thukydides nicht allein für den Redner ſelbſt, ſondern auch 
für die Angeredeten charakteriſtiſch. Wo er den Perikles ſchil⸗ 
dert, Da fehildert er zugleich Das perikleifche Zeitalter, Mit 










nn — 





1) 3.83. VI, 28 


156 0:0 u Kap. 4. 


Alkibiades wird jene eigenthümliche Partei des jungen Athens 
dargeſtellt, welche nachmals die tyranniſchen und oligarchiſchen 
Bewegungen hervorbrachte; mit Nikias die Ueberreſte des pe⸗ 
rikleiſchen Athens, deren Zeit jetzt vorüber, Deren Geiſt jetzt 
entflogen mr. Wo Archidamos redet, da erkennen wir zu⸗ 
gleich die altdoriſche Partei, welche: den Neuerungen auch des 
doriſchen Zeitgeiſtes eutgegenſtrebte. — Einige Reden erheben 
ſich von dem beſchränkten Raume der helleniſchen Geſchichte 
ia: welthiſtoriſcher Allgemeinheit. So wird im: Streite ba 
Blatien uud Thebaner überhaupt die Sache deB. alten. Rechts 
gegen‘ das neue geprüft, - ‚und: in den mieliſchen Unterhandlun⸗ 
gen der ewig wiederkehrende Streit der Unterdeücker gegen die 
Unterdrickien ausgefochten. - - 

. Und man erkennt. die große, bie eht hellenſſch Munſt des 
hutene vornehmlich darin, daß er dieſes Alles völlig un⸗ 
gezwungen au die jedesmal: vorliegende Sache anreihet. Ein 
unhiſtoriſcher Leſer koͤnnte immer meinen, -c8:: felen Bloß vor 
treffliche Diplomatifche aber. demegoriſche Vahandlungen, die 
er vor ſich hat. 

Zu einer nähern Erläuterung dieſer beiben Punkie wihle 
is jebt aus dem dritten Buche die Reden des Kleon und des 
Diodotod. Mit einer Charakteriſtik jenes merkwürdigen De: 
magogen,' der an Perikles Stelle getreten wor‘, ‚verbinden fie 
eine Schilderung. des Volkes, Bas ihn ertrageir mochte, Meine 
, Wahl. Hat. fich dadurch beſtimmt, Daß. es hier möglich. äft, 
Geinahe, Zug für Bug | den utydides aus dem Ariſtophanes 
zu Mn beſtugen aha Inn. 
Bir fegen im Rleon —* einen Mann se eu aaa 


— — 


y Bekanntlich ſind bie Ritter ‚bes Ariſtophanes ein vor⸗ 
treffliches Seitenſtück zu dieſen Reden. Kleon erſcheint hier als poͤbel⸗ 
haft geboren und erzogen (185 ff.), nur durch Stentorſtimme und 
Marktroutine hervorglänzend (218 ff.). Andere Staatsmänner ließ er 
nicht zu Worte kommen (339 ff.)z die ihm an Bildung überlegen find, 


$. 3. Charakteriſtik der Perfonen in Thukydides Neben. 187 


unbefonnene Uebereilung, deſſen Muth nur mit. Befchränttheit 
und Brutalität gepaarte Leidenſchaftlichkeit it (42 pr.). "Ihm 
muß die Dummheit, wenn file nur entfchloffen iſt, zum Ne 
gimente am paßlichften fcheinen (37 ſin.). Unbekümmert um 
die Zukunft, faßt er Die Gegenwart allein in’3 Auge (39. 
44.). Ieder gründlichen Berathung feind (42 pr.), giebt er 
für Beweiſe nur Verleumdungen,, um feine Zuhörer ſowohl, 
als feine Gegner einzufchlichtern (42.). Seine Schlüſſe - find 
nichts weniger, als fieingent: fie beweifen zu viel, und laſſen 
dem Gegner gar keinen Boden (37 fin. 38 pr.). Dabei vers 
fteht er auf Bemunderungswürdige Weiſe, jedem Tadel des 
Volkes ein Complinent anzuhängen (37 pr.), fein eigene® 
Intereſſe durch Gemeinmachen mit dem des Volkes zu bermis 





macht er lächerlich (344 ff.), Jeden verleumbet er (58 ff.), und ift bes 
'onders den Generalen furchtbar (288 ff. 355 ff). Seine Geſchicklich⸗ 
seit ift die, fremde Verdienſte fich felbft anzumaßen (54 ff. 739 ff.). 
Seine ſykophantiſchen Verleumdungen (259. 278. 459. 858 fi.) geben 
nicht allein auf Volksverachtung, Tyrannei und Landesverrath (Weſpen 
73 ff.), ſondern fogar auf politifche und religiöfe, Vergeben ber Vor⸗ 
ahren (Ritter 443 ff), Niemand ift fiher vor ihm. Doc Tann bie 
Sefahr immer leicht durch ein Stüd Gelb vermieden werben (432 ff... 
Seine Beftechlichkeit wird nicht allein durch Gold (79. 205. 258. 313, 
70. 3831. Acharn. 6.), fondern auch durch Schönheit gefättist (78 ff. 
25 ff). Selbft feige, und vor Anklagen namentlich erzitternd (365 ff. 
83 ff.), ift er Niemanden furchtbarer, als den wehrlofen Kolonien und 
Zeifaffen (235 ff. -1405.), Niemanden auffäsiger, ald ben Rittern (247. 
25 ff. passim.). — Wie ihm das Bolt anhängen konnte, erhellt nas 
entlih daraus, daß felbft die alte Landpartei durch Schmeichelei der 
tedner fofort zu gewinnen war (Acharn. 348.). Uebrigens bemerkt Aris 
ophanes fehr fein, daß alle damaligen Demagogen nur DOpferthiere 
ien, die vom Volke erſt gemäſtet, darin aber gefchlachtet würden (Ritz 
x 1117 ff.). Das gemeine Loos aller Despotenknechte! — Sehr cha⸗ 
ıteriftifh für den Kleon ift der Umftand, daß er zuerft in feinen 
riegsdepefchen das Volk aus unverfchämter Vertraulichkeit mit zuipew 
nrebete, wogegen Nikias beim Alten blieb (Suid. v. zuigw. Lu- 
ian. Salut. 3. vgl. Plut. Nicias 7.). 


/ 


158 . Thukydides. Kap. 4, 


ſchen (37 ſin.). Im Bewußtſein eigener Corruptel, fi 
ee bei jeder Gelegenheit von der Beſtechung der Andern 
40.) Bol Eiferfucht auf die ‚übrigen: Stantsmänner 
pr.), fucht er insbeſondere die Kunft der feinem Redner | 
pöbelhafte Schmähungen herabzumürdigen (40 pr.). 
Volk verficht er vollkommen richtig zu beurtheilen (38.). 
lein, wenn es ihn auch mitunter wohl kitzelt, ein w 
Errbe der perikleifchen Herrſchaft fein zu wollen (37 fin.), 
it er im Ganzen doch nur ein Schmeichler des Volkes, 
nichts Höheres kennt, als deſſen Laune (37 extr.), um 
für denn auch, wie ed zu gehen pflegt, von feinem Ge 
doch eigentlich werachtet wird (39: vgl. IV, 25.) SKle 
zwar nur den Bundesgenoſſen, nicht den Yeinden der Atl 
furchtbar, aber es leuchtet doch troß dem eine Trafı 
Perfünlichkeit und viel gefundes Urtheil aus feiner Rebe 
vor, wie ed Demi freilich vom Nachfolger des Perikles 
anderd zu erwarten iſt. 

Nicht weniger klar, als die Perfon des Demagogen 
fein Verhaltnig zum Volke, alſo die eigentliche Grun 
feiner Wirkſamkeit, dargeſtellt. Das Volk erfcheint hie 
Veichtgläubig über Vergangenes und Zukünftiges; Sklave 
Ungewöhnlichen und Verächter des Gewöhnlichen, Sid 
mit egoiſtiſcher Eitelfeit feine Gunft nicht aus Hochacht 
fondern aus Widerfpruchögeift verſchenkend; nach Allem 
begierig, außer nach dem wirklich Heilſamen; vol Sucht 
Neuerungen, ohne doch die Gegenwart recht verftanden zu 
ben (38.). Bei alle dem war Der Athener zu hohen Di 
entfchloffen, und hatte Nichts weniger im Sinne, als in f 
rer Mäßigung den chrlihen Mann zu fpielen (40). 3 
ihrer Deöpotifchen Geſinnung war dieſe unbehülfliche N 
zur Herrſchaft über Andere ſchlecht geeignet (37 pr.), Mit 
ler Leichtgläubigkeit pflegte fie dem offenen und ehrlichen R 
geber am wenigſten zu trauen, und ſelbſt der gute Sta 
mann war daher zu krummen Wegen genöthigt (43.). 


$. 3. Charafterifti£ der Perſonen in Thukydides Neben. 159 


natürliche Folge war, daß auch die Demagogen nicht In Si⸗ 
cherheit ihres Glückes genießen konnten: mißlang ihr Rath, 
fo mußten fie allein dafür büßen (43 fin... Kurz, «8 war 
ein Bolt, wie e3 für Kleon paßte 1). 

Seine biiterifche Abrundung bekommt dieß Gemälde nun 
dadurch, dag in der Rede des Diodotos nicht nur der beſſere 
Zuſtand gejchildert wird, der vorangegangen war, fondern 
much Der fchlimmere, der künftig noch daraus entjtchen follte 
(42.). Alles dieſes finden wir in zwei Reden entwickelt, die 
zunachit dad Schickſal der beſiegten Mitylenäer zum Gegen⸗ 
ftande haben: Kleon will fie alle, Diodotos nur die Rädels⸗ 
führer hingerichtet wiſſen. Und diefe Reden find durchaus 
nicht die gedanfenreichiten des Thukydides 2). 

Diefe charakteriftifche Tendenz der Neben wird noch in 
hohem Grade verftärkt durch die Mannichfaltigfeit ihrer Spras 
he. Schon der Scholiaft Hat bemerkt, daß fich Thukydides 
in Altibiades Munde immer der kühnſten Tropen bevdiene (VI, 
18) 3). Wie ftolz und groß ift die Sprache: des Perikles, 
wie mild und eindringlich die des Nikias, wie bedächtig und 
geeifenhaft die des Archidamos! Wie einfach und menfchlich 


1) Man hüte fi Übrigens, aus biefer ungefchminkten Schilderung 
des Demos übereilte Schlüffe zu ziehen. Uns ſcheint es auffallend, dag - 
Kleon, bei dem bespotifchen Sinne des athenifchen Volkes, dieſem fd 
mandje bittere Wahrheit follte gefagt haben. Dergleichen war aber 
nichts Unerhörtes: felbft Delinquenten, bie auf Gnade hofften, ſprachen 
mit ähnlichem Freimuthe. So Andocides De reditu p. 131 sq. 
gl. De pace p. 144. ur 


2) Es ift mir durchaus nicht unmwahrfcheinlich ‚, bag Parrhafl 08 in 
feinem berühmten Gemälde des vielköpfigen Demos die Schilderung bed 
Thukydides könnte vor Augen gehabt haben. Plinius N.H.XXXVI, 
10. gl. bie abgefchmadte KReftitution von Quatremere de Quincy: 
Monumens restitues, Vol. II, p. 71 sq. 


3) neber Alkibiades Reden vgl. Demeoſthenes in der Midiana 
und Plut. Alcib. 10. 


450 dyhukydides. Kap. 4. 


treu wiedergeben wollen? Diefift Die erfte Frage. — Sit 
muß aber, obgleich der Scholiaft (I, 22.) fie bejahet, ſchon 
ans Innern Gründen verneint werden. K. O. Mül⸗ 
Ver Kat bereits erkannt, daß wie Neben oft in Beziehung zu 
einander ſtehen, die nicht wirklich. Statt gefunden haben. 
Die Rede der Korinthier (I, 120° ff.) antwortet geroiffermaßen 
Auf Die des Archidames in der ſpartaniſchen Volksverſamm⸗ 
Inmg und auf die des Perikles zu Athen, obſchon die Koriu⸗ 
thier keine von beiden gehört Hatten i)Y. Wie hätten wohl in 
der Wirklichteit die Kerkyraer ‚als fie die Bundesgenoſſen 
vor Athen zu werden begehrien,“ ſo ansführlich von ihrer Die 
herigru Neuͤtralität geredet; - und daß Athen: ihnen darum 
Nichts, gar Nichts verdanke (C, 3%)? Niemals durften fer⸗ 
ner die Athener, da fie den Frieden noch zu erhalten wuünſch⸗ 
ten, mit ſolcher Rückſichtsloſigkeit das dtecht des Stärken 
predigen, wie J, W. Waren fie doch ſonſt inmier init Rechts⸗ 
bewelſen verfehen, wie aus MI; PL, erhellet. Vielmehr bes 
met Thukydides ausdrücklich, der wahre Grund des Krieges, 
die wachfende Macht von Akhen, ſel in den Reden vorher am 
wenigſten erſchienen (I, 23.). Bei den Reden aber, wie er 
ſie im erſten Buche giebt, iſt das doch wahrlich nicht der 
Fall! — Die Politik des Königs Archidamos war haupt⸗ 
ſächlich darauf berechnet, Zwietracht in Athen ſelbſt anzuſtiften 
(II, 20.): ſeine Rede aber, ‚worin er die Mittel des Krieges 
doch fo ausführlich erörtert, weiß Nichts davon. Wenn end—⸗ 
lich Perikles in der Leichenrede, welche die Herrlichkeit der 
perikleiſchen Zeiten ſchildert, in'die Mage ausbricht, daß es 
ſo ſchwer ſei, mit dieſer Schilderung allſeitigen Glauben zu 
finden (EL, 33.) : fo hat das in Perikles Munde kaum Sinn, 


Der Verfaffer hat mancherlei bemerkt, aber ohne baraus mittelſt glück⸗ 
liher Combination NRefultate zu gewinnen. Er iſt fich felbft nicht Mar 
geworden, daher auch im Ausbrude höchft ungenau und vag. 


1) Eiteraturgefchtchte I,:357. 


” 
> 


5.2. Verhältniß der thukyd. Neben zu. den wirklich gehaltenen. 454 


weil ja feine wirklichen Zuhörer jene Herrlichkeit nor Augen 
fahen, perfünlich daran Theil nahmen 1). 

Zum Glück aber haben wir noch ein fAußeres Zeugs 
niß. Im Ariſtoteles Rhetorik nämlich (I, 7. III, 10.) iſt 
eine Sentenz aus der wirklichen perikleifchen Leichenrede anges 
führt, und biefe kann mit derfelben Rebe, wie fie bein Thu⸗ 
kydides ſteht, verglichen werden (II, 35 fſ.). Die Sentenz 
lautet alfo: .. . . nv veornta &x rg Tnolsus arnpnodes, 
VOnEE TO Eap Ex Tod Eviavrov &i Easpedeln. Won dieſem 
Gedanken ift im Thukydides auch Feine Spur anzutreffen; ich 
wüßte kaum einen Ort zu nennen, wo derſelbe fich einfchalten 
ließe. Man erkennt hieraus, daß Thukydides ein wörtliches 
Auffchreiben felbit da verfchmähete, wo ed ihm möglich gewe⸗ 
fen wäre. Konnte Ariftoteled jene Aeußerung erhalten, wie 
viel eher nicht der gleichzeitige Thukydides? Noch mehr. Da 
Thukydides felbit an der Peſt erkrankte (II, 48.), dieſe Belt 
aber unmittelbar nach der. Leichenrede in Athen ausbrach, To läßt - 
fich einigermaßen vermuthen, daß er gerade damals in Athen ges 
weſen. Den Blan, die Geſchichte des peloponnefifchen Krieges zu 


1) Bel. I, 45. — Bon ben brei perikteifchen Neben ift auch 
Kupen der Meinung, daß Thukydides der Originale wohl hätte habs 
haft werden Können, ihre Aufnahme aber verichmähet hat (Meber Peris 
Eles ale Staatsmann, ©. 152. De Pericle Thucydideo p. 40.). 
Nur ift leider fein Grund fehr ſchwach. Er meint nämlich, dieſe Res 
den, wie fie im Thukydides vorliegen, feien viel zu ſchwer, als daß fie 
vom athenifchen Volke hätten verftanden werden Tönnen. — Sind denn 
etwa bie. Werke des Aeſchylos und Sophokles fo bedeutend leichter? Yes 
ber die Art und Weife, wie eine. Volksverſammlung geleitet wird, kann 
Kutzen nit viel nachgedacht haben. Was müßten das für Reben 
fein, worin jeder Sa& dem größen Haufen verftändlich wäre!” Selbſt 
in der Außerften Demokratie find es immer nur Wenige, auf deren Ue⸗ 
berzeugung es ankommt, weil die Uebrigen biefen blindlings nachfolgen. 
Diefen eigentlich praktifchen Männern aber würden Reben von fo allges 
meiner Faßlichkeit, wie Kutzen fie verlangt, völlig ungenießbar ſein. 
Vgl. übrigens Dionys. De Thucyd. p. 923 sqq. 


162 Thukydldes. Kap. 4. 


ber Rede alsbald den Charakter einer düſtern Prophezei 
„Von unſerm Vaterlande find wie fern, und bier iſt R 
für und, außer was wir im Kanıpfe uns felbit erobern ı 
den. Wir müffen fiegen: weil und bei der Befchaffe 
dieſes Landes und bei der zahlreichen Reiterei des Feindes 
der Rückzug unfehlbares Verderben brächte.” 

Seht werden wie im Stande fein, für das Verkäl 
der thukydideiſchen Reden zu den wirklich gefprochenen d 
unmittelbare Winte des Thukydides ſelbſt zu 
nutzen. Sie finden fich gleich im eriten Buche, bei der ! 
der atheniſchen Sefandten zu Sparta (I, 73 fſ.). Hier! 
. der weientliche Inhalt der wirklichen Rede, die Euvunace yu 
erzählend vorangefchidt (I, 72.). Und die kurze | 
wort des lakedämoniſchen Ephorus (86.), welche an eige 
her, hiſtoriſcher Ideenentwicklung nicht. wiel bedeuten ı 
dient zur Controle und Beltätigung jenes Crzählten | 
die athenifchen Oefandten nun mehr fagen, das Dürfen 
als freie Zuthat, freie Verarbeitung des Thukydides anſe 
Und auch bei den übrigen Reden, meine ich, wird das $ 
hältniß der authentifchen Auszüge, wie fie dem Thukhyl 
vorlagen, zu feiner Redaction etiva das nämliche fein. 

Hierzu kommt noch das achte Bub. Hatte die V 
Hung einmal beſchloſſen, vor der Vollendung feine gr 
Werkes unfern Hiftoriter abzurufen, fo dürfen wie un 
glücklich ſchätzen, daß er ein Buch halb fertig Hinter, 
mußte. Wir geivinnen dadurch den interefianteften Bli 
die Werkſtätte feiner Kunftz; und wenn ed mir überhaupt 
lingen jollte, den Thukydides in ein helleres Licht zu fe 
fo bin ich diefer Beobachtung das Meiſte fehuldig. Die 
zen und oblifen Reden, woran das achte Buch fo- reich {| 





1) VIII, 27. 46. 48. 53. 76. 81. 86, Die Authentie des a 
Buches wird tiefer unten, Kap. 12. $. 1., erwieſen werben. 


$. 2. Verhaͤltniß ver thukyd. Meven zu den wirklich gehaltenen. 453 


dides gefchrieben I), und verfteht alfo unter perikleifcher Lei⸗ 
henrede fchlechthin durchaus die von Thukydides ermähnte, 
Hieraus läßt ſich erwarten, daß auch Ariſtoteles mit der Lei⸗ 
chenrede xar’ EEoynv dieſe zweite, nicht die ſamiſche, gemeint 
habe. Das hat auch u. A. Dahlmann ohne Bebenten 
angenommen '?).\ 

Hieraus enpfest ſich abrigens nid ‚ein ‚arten Gruudefle 
meine ganze Annahme. Wert "Ins Alterthum von Platon’E 
Zeit an die angeblich perikleiſchen Never: für unecht erllärke, 
fo muß es im: Thukydides Feine: wiseigen Reben 
bed Perikles gefunden Haben, Ma. a u 50 namen 

Da fragt ſich sin zweitens? War’ der Zuhalt di. Ihre 
dideifchen Reden vieleicht perfünkiche Anſicht des Thüky⸗ 
dides, Behauptung ober Gutachten? : Odnz; "wohl fchwerlich. 
So iſt es u. A. gewiß nicht die wahre: Meinung des Duky⸗ 
dides, wenn die korinthiſchen Geſandten zu Athen behaupten, 
nur darum ſei Kerkyra neutral geblieben, "weil es allein habe 
Unrecht thun, Zeugen ſeiner Schandthaten habe vermeiden 
wollen (1, 37.). Die Schilderung, welche dieſelben Korin⸗ 
thier (I, 39.) von ihrem ftliheren Bektragen entwerfen, ſteht 
mit der eigenen Erzählung des Thukydides in faſt directem 
Widerſpruche (I, 28.). In Euphemos Rede zu Kamarinu 
wird Jedermann einräumen, daß hier die wahren Abſichten 
der Athener verſchleiert find (VI, 82 ff.). — Einer längern 
Beweisführung iſt mein Satz wohl kaum bedürfti, , indem ja 
in den correſpondirenden Reden — und dazu gehört die Mehr⸗ 
zahl — das Meiſie freilich mır warn-berfchledenen Standpumnke 
tee aus verſchieden beleuchtet, Mauches aber auch in der el 
nen Rede geradezu behauptet, a * andern ſeredezu geleug⸗ 
net wird. — 





— u TE 
1) Bat. Diionys. Ilegi dwötnesc, p. 1027. 
2) Dahtmann Forfhungen, SH. 1,6. 23. 


4154 Be Thukydides. Kap. 4. 


8. 3. 


Bahres Verhaͤltniß der thukydideiſchen Reden zu den wirtich 
gehaltenen. 


i 


gu feinee Vorrede erklärt Thulydideb, 1. e ‚habe mit 
alter moͤglichen Genauigkeit. Die. .Eupmaca ysaan Der wirklichen 
Reden feitgehalten; dann aber ‚einem chen das in den Mund 
geſegt, was über. Die jedesmaligen Umftände als ra deona 
pargsro erichienen wäre (I, 22.). In den nachfolgenden 
Worten, imo er feine Kritit der Thatfachen an's Licht ftelt, 
thut er es offenbar mit dem Gegenſatze zu den. Reden, daß er 
jenen eine. ftrengere Genauigkeit zugewands habe. 

Wir Gaben die Reden des Thukydides als bie 
vorne hmſien Mittel zu betrachten, w odurch er 
die äußerlichen Thatſachen auf ihre geiſtigen Moe— 
tive zu rückführt. Niemand hat in höherem Grade die 
Kunſt verſtanden, einer jeden feiner Perſonen, nachzudenken 
und nachzufühlen. Aus einem Athener kann er zum Archida⸗ 
mos und Hermokrates werden; aus einem Maune voll peri⸗ 
kleiſchen Geiſtes zum Alkibiades; aus eiment feinerzogenen Op⸗ 
timaten zum Athenagoras und Kleon: alle ſeine Vexhältniſſe 
und Gewohnheiten kann er ausziehen, — den Hiſteriker als 
lein, den Künftler kann er ni möge, Tas. foll das 
beißen? 

„A. Die: meiften Reden legt Thalydides den Haupt; 
perfonen feiner Geſchichte in den Mund. Die wirklich: ge 
ſprochenen Worte konnten hier dem Hiſtoriker ebenfalls. wur 
als ‚Außerliche Faeta gelten, In feinen. Reden aber... wo zus 
gleich das Innere der Perſonen aufgedeckt werden fol „ mußte 
Thukydides das ganze Leben jeder Perſon zufammenfaften. 
Er mußte ihre Vergangenheit und ihre Zukunft bereits durch⸗ 
. fehant Haben, um ihr Eharafterbild daraus vollenden zu kn 
nen, So wurde, was vor und was Binter dem. Momente 


$. 3. Charakteriſtik ver Perſonen in, Xhufybies Neen. 153 


der Rede lag, in derſelben zufammengedrängt. Die Euunaoe 
yvoun, Der weſeutliche Inhalt der Verhandlung ſelbſt brauchte 
dabei nicht verletzt zu werden: war doch auch die wirklich ge⸗ 
baltene. Rede-and dem Charakter des Redners hervorgegangen. 
— Hier muß ich noch. einer beſondern Feinheit des Thukydi⸗ 
des erwähnen. Zu den Lieblingsurtheilen der meiſten Hiſtori⸗ 
fer gehören diejenigen, welche ich hypothetiſche Uxrtheile 
nennen möchte.“: Man behanptet da: Wäre ſtatt des Factumd 
a das Fatctum b erfolgt, fo würde auch nicht c, ſondernd 
eingetreten: fein. Dergleichen Urtheile haben den großen: Feh⸗ 
ler, daß fie: niemals :ficher gehen; -ja,. daß fie in ein’ Gebiet 
hinüberſchweifen, welches für den Maßitab des Hiſtorikers 
vollig incommenfurabel Bleibt. Wie Halt fih hier nun Thu⸗ 
kydides? Er ſchränkt dieſes hypothetiſche Urtheil mit fehr 
wenigen Ausnahmen auf die Reden ein. Da aber hat 
ed vollfommen Sinn; da will e8 weiter Nichts oflenbaren, 
als die Berechnungen des Redners, die. Erwartungen feiner 
Zuhärer;: ein Gegenſtand, der auch. in der bloßen Erzählung 
des Thukydides gar häufig erwähnt wird 1), . Vorder That 
it es von Intereſſe, ob noch Anderes geichehen könne; 
nach der That. würde. es nutzloſe Grübelei fein. 

B. Zugleich aber war es dem Thukydides wohl Hetamt, 
dag mit der Charakteriſtik der Hauptperſonen oda nicht Alles 
gewonnen iſt. Dieſe allein machen noch Feine Geſchichte. Erf 
wenn ber Hiſteriker auch Die Anhänger. charakterifirt hat, 
welche ſich der Hauptperſon anſchließen, erſt dann kann er 
meinen, die Thatſachen ſelbſt durch ihre geiſtigen Beweggründe 
wirklich erklärt zu haben. — Daher ſind denn die Reden des 
Thukydides nicht allein für den Redner ſelbſt, ſondern auch 
für Die Angeredeten charakteriſtiſch. Wo er den Perikles ſchil⸗ 
dert, da ſchildert er zugleich das perikleiſche Zeitalter. Mit 








.) 3.8 VII, 26. BEE 


156 Chukydhdes. Kap. 4. 


Alkibiades wird jene eigenthümliche Partei des jungen Athens 
dargeſtellt, welche nachmals die tyranniſchen und oligarchiſchen 
Bewegungen hervorbrachte z mit Nikias die Ueberreſte des pe 
rikleiſchen Athens, deren Zeit jetzt vorüber, Deren Geiſt jeizt 
entflogen war. Wo Archidamos redet, da erkennen wir zu⸗ 
gleich die altdoriſche Partei, welche den Neuerungen auch des 
doriſchen Zeitgeiſtes entgegenſtrebte. — Einige Reden erheben 
ſich von dem beſchränkten Raume der helleniſchen Geſchichie 
zu welthiſtoriſcher Allgemeinheit. So wird im: Streite der 
Platäed und Thebaner überhaupt die Sache des alten. Rechts 
gegen das neue geprüft, und in den nieliſchen Unterhandlun⸗ 
gen der ewig wiederkehrende Stteit der Unterbeiieer.- ‚gegen: bie 
Unterbechten ausgefochten. 

Und man erkennt die große, die et hellenſſche Kit des 
Khufybibes vornehmlich Darin, daß er dieſes Alles vollig un 
gezwungen an bie jedesmal: vorliegende Sache ameihet. Ein 
unhiſtoriſcher Leſer könnte immer. meinen, es ſeien Bloß. vor 
treffliche diplomatifche oder demegoriſche Vahandlungen, 5 die 
er vor ſich hat. F 

Zu einer nähern Erlüuterung dieſer beiben Punkte wihle 
ich jetzt aus dem dritten Buche die Reden des Kleon und des 
Diodotos. Mit einer Charakteriſtik jenes merkwürdigen De 
magogen, der an Perikles Stelle. getreten war, ‚verbinden fie 
eine Schilderung. des Volkes, Bas ihn ertrageir mochte, Meine 
, Wahl: Hat. fih Dadurch beſtimmt, daß. c8 hier möglich iſt, 
beinahe: Zug für Zug den Tynrydides aus dem Anſtophanes 
zu De btugn th 

Bir ſchen. im Kleon m). einen Mann , ef en Spatta 


— — 


e 


2. y Bekanntlich find bie Ritter, ‚des Ariſtophanes ein vor⸗ 
treffliches Seitenſtück zu dieſen Reden. Kleon erſcheint bier als pöbel: 
haft geboren und erzogen (185 ff.), nur durch Stentorſtimme und 
Marktroutine hervorglänzend (218 ff.). Andere Staatsmänner ließ er 
nicht zu Worte kommen (339 ff.)5 die ihm an Bildung überlegen find, 


6. 4. Stellung der Reben. Ä 4167 


tet, folgende find: der Verfall der politifchen Kraft in 
n, nebenher auch im übrigen Griechenlande; die verderb⸗ 
Ueberfpannung des athenifchen Unternehmungsfinnes, der 
chten Maße Dagegen den Lakedämoniern zu Theil wird; 
ch der Uebergang der .Sces und Bundesherrſchaft von 
n auf Lakedämon. Wo diefe Yaden unfer Werkes mit 
aderer Deutlichkeit hervortreten, da fteht allemal eine Rebe, 
bei dem Aufſtande des erſten Bundesgenoſſen, den Sparta 
nterftüßen fucht (III, 9 fſ.); fo bei der erſten Seeſchlacht 
hen Athenern und Lakedämoniern (II, 87 fi.) ; fo bei der 
ı Bereinigung von ganz Sicilien (IV, 59 fi.) ; fo endlich 
der letzten gelungenen Erweiterung der athenifchen Herr⸗ 
t (V, 85 fſ.). — Dieß iſt ganz befonderd da zu mer- 

wo mehrere von jenen Faden gleichfam in einen Knoten 
blungen werden. So ward über die Strafe der abgefalle- 
Mitylenäer in zwei verfchiedenen Volfsverfammlungen de= 
tt (III, 36.). Thukydides wählt die zweite and, um 
Reden daran zu knüpfen. Dffenbar in der Abficht, Hier 
n der Hauptfrage auch Die andere zu erörtern bon Dem 
ereufe des erſten Beſchluſſes: weil fich bei Diefer Frage 
innere Spaltung der athenifchen Demagogie und ihr Ver⸗ 
niß zum Volke am beiten fchildern Tiefen. Aus einem 
; ähnlichen Grunde werden in Syrakus die Neben des 
nofrates und Athenagoras gehalten, che man noch von 
Seezuge der Athener gewiffe Kunde hat (VI, 32 ff.). 
die Lafedämonier zur Unterftügung von Syrakus aufge 
rt wurden, da hielten in der Wirklichkeit auch die ſyraku— 
: und die korinthiſche Gefandtfchaft Neden (VI, 88.). 
kydides aber theilt allein die Nede des Alkibiades mit, um 
x der Natur des bevorftchenden Krieges noch Den Charat- 
jenes merfwürdigen Mannes und die damaligen Verhält- 
von Athen anbringen zu können. Weßhalb ferner Thu⸗ 
des von allen Leichenveden des peloponnefifchen Krieges nur 
erſte giebt; weßhalb er auch die übrigen Reden jede au ih— 


\ 


168 Thukydides. Kap. 4. 


ren Ort geftellt Hat, überlaffe ich dem Nachdenken: des. ze 
— Doch nimmt Thukydides dabei auf die praktifche A) 
Teit des jedesmaligen Ereigniſſeß und auf den Hergang 


wirklich gehaltenen Neden natürlich. viele Rückſicht. Ca kuch 


ex feine Betrachtungen über den Bruch des Friedens, Def 


‚nach feiner Weife nothwendig in Wechfelreden anſtellen nik 


nicht an die Geſandtſchaft des Perdikkas (I, 57.) oder d 
Potidäer (I, 58.), fondern an die Eoriuthifche an: weil di 
theils den nächjten Anſtoß zum Stiege gab, theils auch in 
Wirklichkeit von den athenifchen Gefandten bekämpft wurde, - 
Daß im ſiebenten Buche fo wenig geredet wird, eckll 


ſich uns jetzo noch natürlicher: es kommen bier auch wer 


Stellen vor, wo jene vier Hanptfaden unferd Werkes einaud 
kreuzten. in anderer Grund iſt noch darin zu fuchen, d 
die gedraͤngte Thatenfülle dieſes Buches, in welchem die Ri 
ſcheidung des ganzen Krieged erfolgt, Durch vieles Reden ı 
fenbar wire zerftückelt worden. Das ſechſte Buch, welch 
vorangeht, iſt das allerreichfte a Reden; das achte, wenn 
vollendet wäre, würde ebenfo reich fein. Dieſe Einſchließu 
aber würde den Redemaugel des fiebenten Buches volltenn 


perdeckt haben 1). 


Die gewichtigſten Momenie des ganzen Kriegen: ſucht 2 
Fudides duch Trilogien von Reden bervorzubeben. 6 
wird der fieilifche Krieg. durch Drei Reden (Nikias, Alkibiel 
und wicder Nikias) eingeleitet, Durch drei Reden zu Endes 
kracht (VII, 61. 66. 69.). Auch bei Eröffnung des gary 


— nun — —— — - 


1) Man hat dieſen Umftand wohl auch daraus erklären wollen, M 
dem fiebenten Buche, ebenfo wie dem achten, bie legte Zeile noch 
gehe. Meine Augen find zu ſchwach, um dieß bei dem fiebenten 
den zu Eönnen. Wenn Poppo (I, 2 p. 30) dafür angiebt, 
den legten drei Büchern feien die Handfchriften weit fehlerhafter, 
Kann ich daraus Nichts weiter abnehmen, als daß die librarii am 
ihrer Arbeit vermuthlich ermüdet waren. Opere in longg ce. 


F. 3. Charalteriſtik der Perſonen in Thukydides Neben. 45% 


natürliche Folge war, daß much die Demagogen nicht In Si⸗ 
cherbeit ihres Glückes genießen konnten: mißlang ihr Nath, 
fo mußten fie allein dafür büßen (43 fin.) Kurz, es war 
ein Volk, wie es für Kleon paßte i). 

Seine Hijterifche Abrundung bekommt dieß Gewulde nun 
dadurch, daß in der Rede des Diodotos nicht nur der beſſere 
Zuſtand geſchildert wird, der vorangegangen war, ſondern 
auch der ſchlimmere, der künftig noch daraus entfichen ſollte 
(42.). Alles dieſes finden wir in zwei Reden entwickelt, die 
zunächſt das Schickſal der beſiegten Mitylenäer zum Gegen⸗ 
ſtande haben: Kleon will ſie alle, Diodotos nur die Rädels⸗ 
führer hingerichtet wiſſen. Und dieſe Reden ſind durchaus 
nicht Die gedankenreichſten des Thukydides 2). 

Dieſe charakteriſtiſche Tendenz der Reden wird noch in 
hohem Grade verſtärkt durch die Mannichfaltigkeit ihrer Spra⸗ 
che. Schon der Scholiaſt hat bemerkt, daß ſich Thukydides 
in Alkibiades Munde immer der kühnſten Tropen bediene (VI, 
18) 3). Wie ſtolz und groß iſt die Sprache des Perikles, 
wie mild und eindringlich Die des Nikias, mie bedächtig und 
geeifenhaft die des Archidamos! Wie einfach und menſchlich 


1) Man hüte fi übrigens, aus diefer ungefchmintten Schilderung 
des Demos übereilte Schlüffe zu ziehen. Uns ſcheint es auffallend, daß. 
Kleon, bei dem bespotifchen Sinne bes athenifchen Volkes, dieſem fü 
manche bittere Wahrheit follte gefagt haben. Dergleihen war aber 
nichts Unerhörtes: felbft Delinquenten, die auf Gnade hofften, fprachen 
mit ähnlichem Freimuthe. So Andocides De reditu p. 131 sg. 
al. De pace p. 144. 


3) Es ift mir durchaus nicht unwahrfcheinlich, daß Parrhafl 08 in 
feinem berühmten Gemälde bes viellöpfigen Demos die Schilderung bed 
Thukydides könnte vor Augen gehabt haben. Plinius N.H.XXXVI, 
10. Vgl. die abgefchmadte Reftitution von Quatremere de Quincy: 
Monumens restitues, Vol. II, p. 71. sq. 


3) ueber Alkibiades Reden vgl. Demofbenes in ber Midiana 
und Plut. Alcib, 10. 


170 Thukydldes. Kay. 4 Ä 


Welche ſchneldende Selbſtironie liegt In dieſen Gähen/) 
Aber auch dieſer Umſtand verbirgt eine künſtleriſche Feinhei. 
Sch vergleiche damit eine Eigenthümlichkeit des Sophe⸗ 
kles, welche man deſſen tragifche Ironie genannt bat?); 
Diefe beftcht nämlich darin, dag die Perfonen des Stüdes W 
ihrer Verblendung doppelfinnige Reden führen: ihnen felbft U 
nur der eine Sinn Har, der ihrem Uebermuthe entfpricht, den 
Zuſchauer aber auch der andere, der ihr Verberben vorauß 
fagt. So find die Reden des Königs Dedipus von. Anfang 
an vol fchauerlicher Wahrheit: um fo fchauerlicher, je went 
ger ihm felbft nur eine Ahnung davon fommt. — Dadurd 
gewinnt nun einerfeitd das Kunſtwerk feine höchſte Durchſich 
tigkeit; andererfeit8 aber wird der Lefer oder Zufchauer cha 
hierdurch über Die Verwicklungen des Augenblicks Hinausgche 
ben, um das Ganze frei betrachten zu fünnen von dem Stand: 
punkte des Verfaſſers. Bei dem Tragiker liegt in Diefer weh 
müthigen Ironie menfchliher Verblendung etwas tief Tragi 
ſches; bei dem Hiſtoriker etwas echt Hiftorifches, weil fich cher 
Hierdurch erſt die Möglichkeit erklärt, wie das Verderben um 
gefehen herannahet. — Dem Euripides tft diefe Ironie wenig 
bekannt, höchſtens benubt cr fie zu Wortfpielen. Beim Aes 
ſchylos wird fie nur felten, aber nie ohne gewaltige, tie 
erfchütternde Wirkung angetroffen 3). Dafür aber Hat Aeſchy⸗ 
los ein anderes Mittel, welches den Zufammenhang feine 
Zrilogien fefter knüpfen foll, und auch dieß kann mit den Ro 
den des Thukydides einigermaßen verglichen werben. Cs fl 
fon von Heeren 9 bemerkt worden, daß oft beim Aelchys 


1) Bol. auch III, 67 fin. 

2) On the irony of Sophocles: Philol. Mus. II, NE 6. 

3) Bol. u. A. Choeph. 849. 

4) Gött. Bibliothek für Literatur und Kunft; oft. 6. Hiſtor. Bew 


6. 3, Combination ber. Bacten in Thukydides Rden. 164 


der Aufınunterung dev Athener, ewo die entgegengefehten Fol⸗ 
gen des Sieges ımd der Niederlage beſchrieben werden, die 
Ichtere Alternative fo entfihleden her vor tritt (61). Hierauf 
wird: Die bevorſtehende Schlacht mit ihren Zurüſtungen ‚ges 
ſchildert, freilich fo, daß dieſe mehr durch Nothwendigkeit ges 
rechtfertigt, als von kluger Abficht eingegeben feheinen (62.). 
Endlich aber Air: kurzor, jedoch tiefgehender BA in die ganze 
Vergangenheit (63.) nd Zukunft von Athen geworfen (64.); 
> Wie vortrefflich- ifti feiner dit der Heinen Rede des Braſi⸗ 
a8 ( II, 87.) ver weſentliche Gang des Krieges überhaupt ges 
fhEDEE" Nur muß man Hier freilich jedes Wort abwägen. 
Sch tan es mir · nicht' verſagen, denſelben Charakter noch 
am zweikurzen, leicht zu überſchauenden Reden ausführlicher 
nachzuweiſen. Zuerſt tan V5:69. Hier wird in obliker Dar⸗ 
ſtellung wiedergegeben, was wor der Schlacht von Mantinea 
die Feldherren der verſchiedenen Abtheilungen - den Ihrigen zu 
Geurnthe geführt. Ma: wird Ben Mantineern geſagt, der. 
Steg: werde fle feet, Cie Niederlage: wieder zu Knechten ma⸗ 
chen; - Den‘ Argeiern , jeizt oder: niemals kbnne ihr einſt beſeſſe⸗ 
et: Principat wieder erobert werden; den Athenern, uur durch 
einen Landfleg werden ſie ihr⸗ eigenes Landgebiet ſichern. Die 
Lakedämenier endlich, "und das iR der Schlußſtein der 
ganzen Rebe; werden mit der Hoffnung des’ Sieges zum Siege 
ſelbſt begeiftert. — SE wage": ferner VE,-68:: eine Rede des 
Nikicis an die Athener, unmitkelbaär vor' bear’ erſten Haupt⸗ 
ſchlacht, Die fie gegen die Shzrakuſier zir fechten Heben, - Hier 
beruft. ſich der Feldherr, um den Muth der Seinigen anzure⸗ 
gen; auf Die Größe ihrer‘ Rüſtung, und auf bie Unerfahren⸗ 
heit des Feindes, welche deſſen Tapferkeit und Anſtrengungen 
veteltelt müßte, Da · dringt ſich dem Leſer unwillkürlich die 
Frage auf: Wie dann aber, wenn jene Rüſtung durch das 
Schwert, den Hunger, die Strapatzen verringert, wenn dieſe 
Unerfahrenheit durch Uebung zur Erfahrung geworden iſt? 
Sucht man ſich dieß zu beantworten, ſo gewinnt der son 
11 


172 Thukydides. Kap. 4 


Es ſind alſo mancherlei Punkte, woriu Die, Neden he 
Thukydides aus dem gleichzeitigen ‚Drama ihr Licht empfan— 
gen. Dagegen hüte man ſich wohl, die bei Euripides ſy 
häufigen Reden und Widerreden mit den thukydideiſchen zu 
ſammenzuſtellen. Mögen die erſtern auch noch ſo ſehr, wig 
den Rednern der ſpätetn Zeit, fo auch den rhetoriſirenden Gef 
ſchichtſchreibern ſeit Iſokrates als Vorbilder gedient haben ) 
Nur ein einziger Vergleichspunkt wird uns unten beſchäftigen. 
— Im Allgeneinen aber find die Reden des Euripides und 
die der meiſten fpätern Hiſtoriker fo augenfcheinlih auf rheto⸗ 
riſche Zwecke berechnet, ſo angefüllt mitt Sentenzen und Ge 
meinplätzen, daß fie mit geringer Veränderung auf Die ver⸗ 
fehiedenartigften Zeiten und Verhältniſſe könnten übertragen 
werden. — Von ſolchen vhetoriichen Nebenzwecken ift aber 
Thukydides vollkommen frei, So berichtet er vor den Aus⸗ 
gange de3 fyrakufifchen Krieges von der letzten Rede des Nis 
kias. Er giebt den Inhalt derſelben mit kurzen Worten an, 
und ſagt zum Schluſſe nur berichteud, Nikias Habe ſich nicht 
geſcheuet, von Weibern, Kindern und heimathlichen Göttern 
zu reden, ſich auch nicht darum bekümmert, ob dergleichen 
Gegenſtände möchten veraltet ſcheinen (VII, 69.). Würde 
ſich Theopompos z. B. hier cine weitfäuftige , emphatiſche 
Mebe verſagt haben? - 


Denn in der That. ſcheint die Redeweiſe des Thukydides 
ein eigegthümliches Produet der blühendſten Periode helleni— 
ſcher Geſchichtſchreibung zu ſein. Beim Herodot finden wie 
die Rede ſchon ganz zu denſelbigen Zwecken verwandt, nr 


— — —— — — —— 


— — 


1) Thukydides iſt von den Rednern nur wenig nachgeahmt. WVie 
Cicero ſehr richtig urtheilt, für den Gebrauch des Marktes iſt Thuky⸗ 
dides kein Muſter (Brut. 9.). Daß ihn Demoſthenes fleißig ſtudirt hat, 
iſt bekannt; eine eigentliche Benutzung aber doch nur in der Neära er⸗ 
ſichtlich. 


J 
$. 3. Verhaͤltniß der thukyd. Reden zu den wirklich gehaltenen. 465 


find ohne Ausnahme folhe Euumaonı yrouas, denen die letzte 
Verarbeitung noch mangelt. . So mie fie jet vorliegen, hat 
der Hiſtoriker fie nur berbeifchaffen, vielleicht kritiſiren und 
auszichen müſſen. Die eigentliche künſtleriſche Reproduction, 
die Einverleibung in fein Werk iſt noch nicht. erfolgt. Aehn⸗ 
liche Kladden aber müſſen wir bei allen Neben vorausſe⸗ 
gen!) — Wer ſich einen Begriff von dieſen Kladden mae 
chen will, Dem iſt vor allen VIII, 81. zu empfehlen. Wir 
finden hier nicht bloß eine kurze, gleichſam protokollariſche 
Relation über den Inhalt der wirklichen Rede, ſondern quch 
die Motive des Redners ſind ſchon angedeutetz jedoch nur 
oberflächlich, ohne große Ordnung, ohne weitern Zuſammen⸗ 
hang: mit den Frühern und. Spätern des ganzen Werkes, 
Charakteriſtiſche Redensarten ſind zur eigentlichen Verarbeitung 
mit herüber geuommen: hier z. B. die Aeußerung, Tiſſch 
phernes würde es den Athenern nicht au Unterftägung . fehe 
Im Iaflen, „und wen ‚ex feine erpite Dam vaglian 
wüßte * sun J. ti 

as „im et — ze 


’ 5 
J 
— —““ - „e—mmß. .—ı- D 
” “ Y=. ⸗ Te 2* .. . — "re . . a 
+ . er [2 . 1 1 5 
oo. ..u -.r Pa 0 . .. a 


** "gen arte cheirhder die „eigentticheh) nmiia “feiner Geſchiglle 
erſt bei ber letzten Feile einlegte, "To it lg’ em rebenber Beweis vo 
dev heben Natürlichkelt feiner Mufe-und won bem innigen Zuſammen? 
bangt den ganzen Werkes. — 3:9. bat, bie ——— 


89. ‚6. ET “ii * 


| 5) Die site be itias hai ii) trägt offenbar sah 
den Charakter der thukydideiſchen Reben an fi. Ob jie diefen erſt! vo 

Hiſtoriker erhalten habe, oder ob das Driginal wegen feiner hiſtoriſchen 
Zaflung aufgenommen fei, ift ſchwer zu enticheiden. Ich vermuthe jes 
doch das Erftere, was durch das Wort rdcadure (16: pr.) ſcheint beſtä⸗ 
tigt. zu werben... als, He 1L und aſter. A EEE BE; 


3" 


474 Ahukydides. Kap. 4. 


Hier ift das fpätere Alterthum mit feltenen Ausnah—⸗ 
. men In den Zußitapfen der Sfokratiker gewandelt. Ich will 
nur an Livius erinnern, Diefer läßt z. B. den Hannibal 
eine Rede Halten, unmittelbar vor Ueberſteigung des Alpen⸗ 
gebirged. Thukydides hätte in dieſem Kalle vermuthlich die 
Gründe erörtert, warum ‚der Krieg nach Italien gebracht, 
nicht auf der Sce, fondern zu Lande geführt wurde; er hät 
auf den erſten punifchen Krieg einen Blick geworfen, Day 
. Charakter des Hannibal und feines Heeres gezeichnet, den 
Gang des nachfolgenden Krieges im Wefentlichen angedeutet. 
Was thut aber Livius? Er ermuthigt die Rarthager zur 
Ueberfteigung der Alyen, Mit ſehr wenigen Veränderungen 
hätten die Kaifer Karl, Dtto wid Napoleon bei ihren Alpen 
übergängen dieſelbe Nede halten können 2). Livius Near 
find ungefähr fo, wie ex unter ähnlichen Umſtänden felbit ıe 
den würde. Die thukydideiſchen wahrhaftig nicht. Liviud 
Stärke beſteht in der Schönheit feiner. Gemeinpläge, ſeinch 
Ausdrucks. In der Nede des Hanıo (XXI, 10.) ficht mas 
befonderö deutlich, Daß der Mangel an Schärfe, an Indiv 
dualität des einzelnen Falles und an pragmatifcher Verkni⸗ 
pfung mit dem ganzen Werke, der die livianiſchen Reden cha 
vokterifirt, aus feiner mangelhaften Kenntnig des Gegeuſtar⸗ 
des herrührt. Nur bei dem größten Neichthume des Stoffe 


g 


— — — — — 


Mißbrauch der dußoiuın, ben Ariſtoteles To firenge tadelt (Poet. 14 
10. Bip.). Was Ariftoteles Überhaupt von den Dramatifern urtheill, 
die frühern hätten politifhe Rollen gedichtet, bie fpätern rhetoriſche, 
das ift beinahe wörtlich auf bie Geſchichtsreden auszudehnen (Poet 
7, 19.) 


ı) Livius XXI, 30: vgl. befonderse au 35. — Seine Unfb 
higkeit, fich in großartige Verhältniffe hineinzudenken, hatte der vor 
trefflihe Alinius mit dem oft mißverflandenen Worte „Patavinität“ 
bezeichnet. 


8.5. Eqhiahenechecchen 178 
a bei vollkommener Beherrſchung deſſelben in die thukydi⸗ 
weite Redeweiſe durchzufuhren ). 


) Ich werde in der erſten Beilage eine Vergleichung anſtellen zwi⸗ 
juthen ber Leichenrede des thukydideiſchen Perikles, und ben übrigen Lei⸗ 
Ian, die aus dem Alterthume gerettet find. Hoſſentlich wird biefe 
A erſuchung auch für das Berftändniß ber lettern nicht ohne Refultat 


* 


Fünftes Kapitel. — 
Pragmatismus ded Thukydides. 


©. lange man gewohnt war, der Pragmatismus 
die erſte Tugend des Hiſtorikers anzufehen: fo Lange pfl 
man den Thukydides für das höchſte Mufter, ja für den ! 
ter defjelben auszugeben. Neuerdings aber hat Gervir 
von dem Namen der pragmatifchen Gefchichte dieſe Glorie 
zuitreifen geſucht. Ex will fie nur für eine höhere Stufe 
Memoired gelten laſſen, von der eigentlichen Kunſthiſt 
ebenfo weit entfernt, wie die audgebildetere Chronik, 

fonnte denn auch Thukydides Fein Pragmatiter Bleiben 1). 
Aehnliche Grundſätze müfjen weiter verbreitet fein. Wei 
ſtens wollen die Wiythologen jeßt mit dem Namen pragm 
firender Mythenbehandlung in der Negel etivad Tadelnsn 
thes bezeichnen. — Ich fürchte indeſſen fehr, Daß der Bı 
matifer meines Lehrers Gervinus von feinen Kunfthijtorifer n 
der Art nach, fondern nur dem Grade nach verfchieden 
Aus den Fehlen Der Meiften hat Gervinus den Pragınal 


1) Grundzüge der Hiſtorik, ©. 39 ff. 






5. 1. Zwed des Thukydides. Ir 


geſetzt, aus ben Tugenden der Beſten deu "Tips 
e. Eben darum aber ſchriut es ihm nicht gelungen zu 
, ‚biefen Bildern Leben einzuhauchen: Leben, :wie &8 
ii Sean ‚ fein Memoirenſchreiber ohne Bene“ ‚Befigen. ! 


pe’. 


taktifche Belehrung feines —* vor — haben; ‚er, ſoll 
le Urſachen und Wirkungen Fine Begehren ae | 


Zweck der utgbieifen Sefäiätfäreibüng: J u 


Unter den Geſchichtſchreibern des Alterthuuis, welche forte: 
Kihrend die praktiſche Nachahmung: non Selten. ihrer Lefer 
8 Ange falten, iſt der früheſte ſowohl, alärher bedeutendſte 
kenophon. ‚Die fürmlichen Lehrbücher, die. er. über Hriegs⸗ 
mi, Nationalökonomie und Finanzwiſſenſchaft 1), geſchrieben 
at, will ich gar nicht: einmal anführen. Aber. ſeine Memora⸗ 
Hin find geradezu als eine. Bildungsſchule praktifcher, Weis⸗ 
jeit zu betrachten, natürlich in Renophon's Sinne. Und in 
ver Anabafis felbit, ſowie in den Ichten fünf. Büchern der hel⸗ 
Imtfchen Gefchichte it jeder Zug beinahe, aufmunternd oder 
warnend, auf die ftrategifche oder ükonomijche Belehrung des 
keſers abgeſehen. Xenophon und Ageſilaos find Hier durchaus 
ilz ſpecielle Muſter dargeftellt, und in der Regel auch mit 





1) ueber ben Keitereibefehlshaber,, die Reitkunft, — bie Jagd, die 
bershaltung, — das Bollwefen. Selbſt die Kyrupädie ift ein folches 
jtbuch, über Krieges und Staatskunſt; nur freilic Alles, wie es 
m großen Hiftorifer nahe lag, in bie geſchmackvolle Form einer Les 
ensgeſchichte eingekleidet. Welche Külle, Saftigkeit und ethifche Ziefe, 
n Schriften eines Aeneas gegenüber! Aber fie würde gar leicht in 
aSyſtem zu bringen fein. 

12 


478 Lhutydides. Kap. 5. 


Exbeterung ihrer Beweggründe. So erfahren wir z. 
man Gefangene als Wegweiſer brauchen kann !), wi 
luſt ‚der Soldaten am beſten zu: bewältigen iſt 2), 
Menſchen und Vieh auf Schneemörſchen erhalten 
Wir empfangen die Lehre, nie im Zorne anzugreifen 
zahliget anderen Strategeme nicht einmal zu gedenken. 
wichtig find die dkonomiſchen Rathſchläge: die B 
bet verachteten Metöfen, weil fie den Staat bereichen 
Anſicht, daß eine vermehrte Bevölkerung namentlich f 
zeiten den Staat Fräftig mache, daß mit der reichlic 
rung auch der Patriotismus zunehme 6). Xenophon 
das Schätzeſammeln, weil es dem Staate dienlicher | 
terte und zu Aufopferungen willige Unterthanen zu 
Er tft für den Frieden, weil der Frieden reicher: ma 
felbft der Sieg 9). Er ift auch im Kriege Feind al 
derns, weil man durch geregelte Erpreſſung die - 
Landleute meit gründlicher nutzen könne 2). Fremde 
talien ſollen ſelbſt im Kriege ungefährdet bleiben 10) 
ſieht, RXenophon gehört einer Zeit an, wo das Lieb: 
politiſchen Parteilämpfe zum Ekel daran und zur 





-.1) Anab. IV, 1, 23. 
2) Ibid. IV, 4, 11. 6, 17 zqq. 
3) Ibid. IV,'5; 13. 36. 
4) Hell. V, 3.7. 
°) De vectt. 2. 
6) Ibid, 4. 
‘) Cyrop. VII, 2, 15 sqg. 
') De vecit. 5. Cyrop. III, 2, 17. 
°) Cyrop. V, 4, 24 sqq. VII, 2,9 sqa. 
1) De vectt. 3. | 


$. 3. Schlußbetrachtungen. 409 


Krieges finden wir drei Neden (Sorinthiee,  Athener, Archis 
damos), eine für, eine wider, eine entſcheidende. Von der 
großen Vorliebe des Thukydides für das. Symmetriſche, ja 
Refrainartige läßt ſich erwarten, daß er beim Schluſſe des 
ganzen Krieges wohl auch wieder eine. Trilogie würde anges 
bracht haben, Etwa Theramenes für den Fuicden Aerwheſ 
dagegen Loſandros mit der Entſcheidung I 
Schlußbetrachtungen. | " 


Es wurde vorhin bemerkt, daß die Redner des Thutydi⸗ 
des den Beweggrund und deu Erfolg ihrer eigenen Rath— 
ſchläge, oftmals unbemußt, ja gegen ihre Abſicht und Ueber— 
zeugung aufdecken. Das fehen wir am ſchönſten wohl ‚bei 
Kleon. Selbſt eine geringere Einficht, meint Kleon, mit bes 
fcheidener Gefetlichkeit gepaart, wirke heilfamer, als großet 
Verſtand mit zügelloſer Geſetzesverachtung (II, 37.). Der 
menfchlichen Natur ift es angemefjen, den Schmeichler bei al- 
ler Gefälligkeit doch zu verachten (39.). Wer ohne alles 
Necht einen Andern gekränkt hat, verfolgt dieſen am Heftigften, 
und it ſchon aus Zucht unverfühnlich (40.). Als den Haupts 
fehler des atheniſchen Staates . betrachtet er die Sucht eines 
Seven, ſelbſt als Redner zu erfcheinen, und wenn das nicht 
geht, doch ander Rednern menigitend zu widerjprechen (38.). 


1) Der Lefer wirb jet beurtheilen Finnen, ob ed zweckmaͤßig ift, 
die Reden des Thukydides abgefondert zu Überfegen, wie es Melanch⸗ 
ton und Reiske gethban haben. Ueberhaupt ift es eine undankbare 
Mühe, aus dem Thukydides Ercerpte herauszugeben. Ebenfo gut Eönnte 
man ein platonifches Geſpräch eflogiren, ebenfo gut eine einzelne Figur 
aus einer rvafaglifchen Gruppe in Kupfer ſtechen. Daß jedoch Joh. 
Schultze den Epitaphios des Thukydides allein überfegt hat, und zwar 
1813, muß ich nichts deſto weniger eine glücuche Idee nennen. War⸗ 
um wohl? | 


/ 


170 Thakydides. Ray. 4. 


Welche fchneldende Selbſtironie liegt in dieſen Sätzen 1)! 
Aber auch dieſer Umſtand verbirgt eine künſtleriſche Feinheit. 
Ich vergleiche damit eine Eigenthümlichkeit des Sopho⸗ 
kles, welche man deſſen tragiſche Ironie genannt hat 2). 
Dieſe beſteht nämlich darin, daß die Perſonen des Stückes in 
ihrer Verblendung doppelſinnige Reden führen: ihnen ſelbſt iſt 
nur der eine Sinn klar, der ihrem Uebermuthe entſpricht, dem 
Zuſchauer aber auch der andere, der ihr Verberben voraud- 
ſagt. So find die Reden des Königs Dedipus von. Anfang 
an vol fchauerlicher Wahrheit: um fo fchauerlicher, je weni⸗ 
ger ihm felbit nur eine Ahnung davon kommt. — Dadurch 
ganinnt nun einerfeit3 das Kunſtwerk feine Höchfte Durchſich⸗ 
tigkeit; andererfeits aber wird der Lefer oder Zufchauer eben 
hierdurch über die Verwicklungen des Augenblicks hinausgche- 
ben, um das Ganze frei betrachten zu können von dem Stand⸗ 
punkte des Verfaſſers. Bei dem Tragiker liegt in dieſer weh⸗ 
müthigen Ironie menſchlicher Verblendung etwas tief Tragi⸗ 
ſches; bei dem Hiſtoriker etwas echt Hiſtoriſches, weil ſich eben 
hierdurch erſt die Möglichkeit erklärt, wie das Verderben un⸗ 
geſehen herannahet. — Dem Euripides iſt dieſe Ironie wenig 
bekannt, höchſtens benutzt er ſie zu Wortſpielen. Beim Ae⸗ 
j Frib⸗ wird ſie nur ſelten, aber nie ohne gewaltige, tief 
erſchütternde Wirkung angetroffen 3). Dafür aber hat Aeſchy⸗ 
108 ein anderes Mittel, welches den Zufammenhang feiner 
Krilogien fefter knüpfen fol, und auch) dieß kann mit den Res 
den des Thukydides einigermaßen verglichen werden. Es ift 
fhon von Heeren %) bemerkt worden, daß oft beim Aeſchy⸗ 


1) Bgl. auch III, 67 fin. 

2) On the irony of Sophocles: Philol. Mus. II, N? 6. 

3) VBgl. u. A. Choeph. 849. 

9) Bött. Bibliothek für Literatur und Kunſt; ft. 6. Hiſtor. Wer⸗ 


$. 5; „Shlußbekinißtungen, 475 


angelenker, mit geringerer Mannichfaltigkeit in der Behand⸗ 
Ring, minder frei von anhiſtoriſchen Digreſſivnen. Ein. ſo 
mekdotiſches Apophthegma, ivie VI, F.yr würde Thukydides 
nmnmermehr geduldet haben. Auch naedie Bedentung · der Ne 
ven für das ganze Werk des Herodot nichti fs: groß. Die ori⸗ 
mtaliſchen Reiche, die er ſchildert, hatten ſtatt der Volksver⸗ 
ſammlung nur: einen Fürſtenrath. Hier pflegt der Hiſtorlker 
laher den Dialog zu-iwählen, aber ganz in derſelben Weiſe, 
bie Thukydides die Otmegerit. Uhr. was die helleniſche Welt 
betrifft, ſo war in den Zeiten,bie! Herodot behandelt, ihre 
Berebtfamfeit noch · im Werden. Deßhalb - wird’ in /der · frů⸗ 
ern Hälfte feines Bertes die Stelle: der- Rede theils Diicch 
Brakel der Götter, theils durch novelliſtiſche Geſchichten wer 
Byeannenhänfer eingeiieminen. — Auf Der: andern Seite erin⸗ 
Ken Kenn’ si Reden noch gar haufig au den Thuktdi⸗ 
Wer), Steifind aber“ kürzer, uicht ſo mm Liebe geärbeitet, 
han Dialog wieder ähnlicher. Das Politiſche tritt zurück, 
KB Militäriſche hervor. Schon als Sokratiker konnte Xeno⸗ 
Yen an dem Treiben des Marktes nicht viel Gefallen haben; 
Me Prunkreden der Sophiſten mochten als warnende Vorbil⸗ 
der hinzukommen. -Kenophen- iſt nicht⸗ unparteiiſch genug, um 
peri Gegenreden daſſelbe Studium zu: widmen. Daher pfle⸗ 
gen die mehr ausgearbeiteten Reden; beſonders der Kyrupädie, 
fon in das Gebiet allgemein anwendbarer Vorſchrift hin— 
Werzuſtreiſen. Cie löſen ſich hiermit von dem vorliegenden 
Balle ſchon mehr ab; und bereiten inſofern auf die Spätern 
ker, Deren Werke mit Reden nicht eigentlich durchilechten, 
ſendern m auögefehuiikt find . 


—— - —⸗— — — — 


1) Vgl. beſonders Hell. V, 2, 12 ff. VI, I, 4 fi. und die Re⸗ 
m des Theramenes und Kritias im zweiten Buche. 


) Ganz analog iſt in der Tragödie der feit Agathon eingeriſſene. 


474 Thukydides. Kap. 4. 
| 


Hier ift dad ſpätere Alterthum mit jeltenen Aubnah— 
. men in den Zußftapfen der Sfokratiker gewandelt. Sch wil 
nur an Livius erinnern. Diefer läßt 3. B. den Hannibal 
eine Rede halten, unmittelbar vor Uecberiteigung des Alpen⸗ 
gebirges. Thukydides hätte in dieſem Halle vermuthlich die 
Gründe erörtert, . warum der Krieg nach Italien gebracht, 
nicht auf der Sce, fondern zu Lande geführt wurde; er hat: 
auf den eriten punijchen Krieg einen Blick geworfen, dep 
. Charakter des Hannibal und feines Heeres gezeichnet, den 
Gang des nachfolgenden Krieges im Weſentlichen angedeuteh 
Was thut aber Livind? Er ermuthigt die Karthager zut 
Ueberftelgung der Alpen. Mit ſehr wenigen Veränderungen, 
hätten die Kaiſer Karl, Dtto wid Napoleon bei ihren Alpen 
übergängen dieſelbe Nede Halten können 2). Livius Reden 
find ungefähr fo, wie ex unter ähnlichen Umſtänden ſelbſt ze 
den würde. Die thukydideiſchen wahrhaftig nicht, Livius 
Stärke beſteht in der Schönheit feiner, Gemeinpläße, feine‘ 
Ausdrucks. Sn der Rede des Hanno (XXI, 10.) ficht man 
bejonders deutlich, daB der Mangel an Schärfe, an Indivi⸗ 
dualität des einzelnen Falles und an ypragmatifcher Verknü⸗ 
pfung mit dem ganzen Werke, der dic livianiſchen Reden chas 
rakteriſirt, aus feiner mangelhaften Kenntnig des Gegenſtan⸗ 
des herrührt. Nur bei dem größten Neichthume des Stoffes 


‘ 


— —— — —— — — 


Mißbrauch ber dußuäsıa, ben Ariſtoteles To ſtrenge tadelt Poet. 19, 
10. Bip.). Was Ariſtoteles überhaupt von den Dramatikern urtheilt, 
die frühern hätten politiſche Rollen gedichtet, die ſpätern rhetoriſche, 
das iſt beinahe wörtlich auf die Geſchichtsreden auszudehnen (Poet. 
7, 19.. 


I) Livius XXI, 30: vgl. beſonders auch 33. — Seine Unfös 
higkeit, fich in großartige Verhältniffe hineinzudenken, hatte der vors 
trefflihe Ajinius mit dem oft mißverflandenen Worte „Patavinität“ 
bezeichnet. 


6. 5. Schlußbetrachtungen. 178 


und bei vollkommener Beherrſchung deſſelben iſt die thukydi⸗ 
deiſche Redeweiſe durchzuführen 1). 


1) Ich werde in der erſten Beilage eine Vergleichung anſtellen zwi⸗ 
ſchen der Leichenrede des thukydideiſchen Perikles, und ben Übrigen Leis 
chenreden, die aus dem Altertbume gerettet find. Hofientlid, wird dieſe 
Unterfuhung aud für das Verſtändniß ber lettern nicht ohne Nefultat 
fein. 


474 .hutydided. Kap. 4, 


Hier iſt das fpätere Alterthum mit jeltenen Aubnah⸗ 
. men In den Zußitapfen der Sfokratiter gewandelt. Ich will 
nur an Livius erinnern. Diefer läßt z. B. den Hannibal 
eine Mede halten, unmittelbar vor Weberfteigung des Alpen 
gebirges. Thukydides hätte in dieſem Kalle vermuthlich die 
Gründe erörtert, warum der Krieg nach Italien gebradtt, 
nicht auf der See, fondern zu Lande geführt wurde; er hätte 
anf den erſten puniſchen Krieg einen Blick geworfen, den 
. Charakter des Hannibal und feines Heeres gezeichnet, den 
Bang des nachfolgenden Krieges im Weſentlichen angebeute, 
Was thut aber Living? Ex ermuthigt die Karthager zur 
Ueberftelgung der Alpen, Mit fche, wenigen Veränderungen 
hätten die Kaifer Karl, Dito mid Napoleon bei ihren Alpen 
übergängen dieſelbe Rede Halten können 3); Livius Neben 
find ‚ungefähr fo, wie er unter ähnlichen Umſtänden felbit re 
den: mürde. Die. thukybikeifchen wahrhaftig nicht. Livius 
Stärke beſteht in der Schönheit feiner. Gemeinpläße, feines 
Ausdrucks. Syn der Rede des Hanno (XXI, 10.) ſieht man 
befonders deutlich, DaB der Mangel an Schärfe, an Indivi⸗ 
dualität des einzelnen Falles und an pragmatifcher Verknü⸗ 
yfung mit dem ganzen Werke, der die Iivianifchen Reden cha 
vakterifirt, aus feiner mangelhaften Kenntniß des Gegenſtan⸗ 
der herrührt. Nur bei dem größten Neichthume des Stoffes 


ie, 4 


Mißbrauch der dußuäsua, beit Ariftoteles To ſtrenge tadelt (Poet. 19, 
30. Bip.). Was Xriftoteles überhaupt von den Dramatikern urtheilt, 
die frühern hätten politifche Rollen gebichtet, bie fpätern rhetorifche, 
bas ift beinahe wörtlih auf die Geſchichtsreden auszudehnen (Poet. 
7, 19.). 


ı) Livius XXI, 30: vgl. beſonders auch 33. — Seine Unfä⸗ 
higkeit, fich in großartige Verhältniffe hineinzudenken, hatte der vors 
treffliche Aſinius mit dem oft mißverſtandenen Worte „Patavinitär 
bezeichnet. 


$. 3. Schlußbetrachtungen. 478 


und bei vollkommener Beherrſchung deſſelben iſt die thukydi⸗ 
deiſche Redeweiſe durchzuführen ). 


1) Ich werde in der erſten Beilage eine Vergleichung anſtellen zwi⸗ 
ſchen der Leichenrede des thukydideiſchen Perikles, und den übrigen Lei⸗ 
chenreden, bie aus dem Alterthume gerettet find. Hoſſentlich wird dieſe 
Unterſuchung auch für das Verſtändniß ber letttern nicht ohne Refultat 
fein. 


»e 
4 
_ 
nu) 
= 
= 
—8 


Fünftes Sayite, | g 
Pragmatismus ded Thukydides. 


So lange man gewohnt war, den Pragmatismus als 
die erſte Tugend des Hiſtorikers anzuſehen: ſo lange pflegte 
man den Thukydides für das höchſte Muſter, ja für den Va⸗ 
ter deſſelben auszugeben. Neuerdings aber hat Gervinus 
von dem Namen der pragmatiſchen Geſchichte dieſe Glorie ab⸗ 
zuſtreifen geſucht. Er will ſie nur für eine höhere Stufe des 
Memoires gelten laſſen, von der eigentlichen Kunſthiſtorie 
ebenſo weit entfernt, wie die ausgebildetere Chronif, Da 
konnte denn auch Thukydides Fein Pragmatiker bleiben 1). — 
Aehnliche Grundſätze müſſen weiter verbreitet ſin. Wenige 
ſtens wollen Die Mythologen jetzt mit den Namen pragmati⸗ 
ſirender Mythenbehandlung in der Regel etwas Tadelnswer⸗ 
thes bezeichnen. — Ich fürchte indeſſen ſehr, daß der Prag⸗ 
niatifer meines Lehrers Gervinus von ſeinem Kunſthiſtoriker nicht 
der Art nach, ſondern nur dem Grade nach verſchieden iſt. 
Aus den Fehlern der Meiſten hat Gervinus den Pragmatiker 


— — — — — 


1) Grundzüge der Hiſtorik, ©. 39 ff. 


N 
$. 1. Zweck des Thukydides. 170 


Bohrung ber materiellen Intereſſen geführt hatle. — Die 
Bortrefflichkeit des Kenophon beruhet aber nicht bloß auf der 
peaktifchen Richtigkeit ſeiner Vorſchriften im Eiuzelnen, ſondern 
ganz beſonders auf der. menſchlichen Größe des Hintergrundes, 
bon dem! ſie hervortreten. Ihnen allen liegt eine Einheit uns: 
kw, eine Einheit des Charakters: jene fchöne, wohlgebildete 
hermonie dee Seele, die fih in Krieg und Frieden, in der. 
Befellichaft und im Kamilienkreife, in. Ernſt und. Scherz, bins 
mem Pfluge und auf der. Jagd, in Rede und That, kurz in 
Wen VBerhältniiien des Lebens Mar, männlich und: edel bes 
wihrt; jene ſokratiſche Tugend, welche. dem gemeinſten Solda⸗ 
km weniger befichlt, als voranleuchtet; jene Milde, Die das 
kernunftloje Thier felbft ‚nicht: zwingen, ſondern erzichen will. 
Wed ein Unterſchied gegen die trockenen Regeln ver ſpätern 


und eine derartige Belehrung Hätte Thukydldes be⸗ 


afichtigt? Gewiß nicht: ſchon aus dem Grunde nicht, wie 
wir. unten ſehen werden, weil er alle entſcheidenden Vorgänge 
dar übermenſchlichen Leitung unterordnet 1). - Auch die bes 
winderungswuůrdige Art, wie er ſeine Thatſachen immer mit 
al ihren Motiven, all ihren Umſtänden in einen unzertrennli⸗ 
den Zuſammenhang bringt, macht eine derartige Benutzung 
find Werkes unmöglih, Von fo verividelten Combinatio⸗ 
m kann er die Ähnliche Wiederkehr in der Zukunft nimmer 
awartet haben. Während Polybios z.B. am liehften hinter jeder 
handlung räſonnirt, ob fie richtig geſchehen fel, wie fie ans 
Ing Hätte gefehehen müſſen, fo giebt Thukydides auch bei den 
etaillirteſten Aeußerlichkeiten niemals an, wie fe beſſer geweſen 





2) Zenophon that das zwar audy, ſogar 'viel abſichtlicher; allein 
rn Pragmatismus bat ſich inconfequenter Weife dadurch nicht flören 


len. 
12 * 


480 Thukholdes. Kap. 9. 


wären; immer nur, wie fie. fich zu Achnfihem, etwa in 
herer Zeit, ober. in. andern Hanfldaden verhalten Hätten 
40.). nn. R 

Nun bat man.aber von n dih cub einem digenen © 
de Thukydides den praktiſchen Zweck ſeines Buche 
ſtätigen wollen. I, 32: "O00s Bownoovsas Tas Te yearou 
To 0apig .oxoneiv. xal zn ‚uellövruy nord altes zer 
avdnEIOYy. Toswvruw. xal. nugaminciov Eos0das, MWgı 
xolvaw aura,.a0oxevrtog &eı.. In ihrer "handichriftlichen 
ftalt ift Diefe Stelle vollkommen zweideutig; Die Interpun 
exit kann den Sinn fixiren. Setzt man das Komma bor 
za, fo heißt es: Denen werbe: ſein Buch Genlige 1 
welche die Vergangenheit Klar erkennen, für Die Zukunft 
nügliche Lehren daraus ziehen wollen. ... Auf iefe At 
fon Polybiod und Lukian die Stelle auägelegt 1). 
man aber das Komma Hinter ara, ſo wird ‚ber. So 
jenem praktiſchen Zwecke vollkommen gereinigt. Es ge 
alsdann dem Thukydides, wenn Diejenigen fein % 
für nützlich erklären, welche Vergangenheit und 
kunft klar durchſchauen wollen: dem die Zukunft pflege : 
menſchlicher Welfe der Vergangenheit ähnlich wiederzukehren 
Ich könnte mich zur Unterſtützung meiner Interpretation im 
hin auf den ganzen Charakter des Thukydides berufen. Gl 
Tichertweife Liegt aber auch eine einzelne, ganz analoge Ae 
ang nicht ferne Im Aufange nämlich von der Geh 
der großen Peſt ſetzt Thukydides den Zweck auseinander, 
er mit dieſer Erzählung zu erreichen denke (II, 47 ff.)., 
dere”, ſagt er, „mögen nach ihren Dafürhalten von ben 
fachen reden, woher diefe Krankheit entſtanden iſt, wohe 


[4 


— . — — I 


’) Polyb..1II, 31,12 sqq. . Kucian. De conscrib. 


wo er eben, aus ‚bigfer Stelle große Lohſprüche für den Thukydid 
leitet. 


$. 2 - gibed ne ahitiodes 181 


figtoße‘ Sewalt erlungt hat N dagegen will beſchrele 
ben, wie fie‘ geweſen At, uid ſolche Kermgtichen nfüßren, 
daß man, von thnen aübgehend, wenn ·ſie künftig tee knie 
kin folfte, und man fhre- Natur zum Voraus weih, 
en verkennen möge.” Niemand glaube im ober, F 
diſes Nichtverkennen nach yukydides Sinũe — ——*—— 
irungen und: Hellanſtalten Hätte Fleck ſollen.Et veiſichert 
Mi Gegentäit;'" ehie tenſchliche Sütfe GAR bagegeitn wufäınz 
Wi)’, Fein: allgemeines Geilmittel eutbeckt weiden können 
1.). a; die chtlge Cirpfigktie Die Ratur der Seahifhäll 
Wir’ fogar nachtheffig: Jrder mann; "bet in feinein Leiden die 
ul bed‘ nf der’ ERIR den Muth, "älle‘ Wpflöger 
hiünveg/ md ·durch Beides warb natliuich die Eage bi 
IKenten weſentlich verſchlinimerf 81.). Bier iſt doch wohi 
WELT audgefprhäjchy" "bäß 18 bei Chutvdides nicht 
p ſchlich um Regeln’ zu’ tum‘ war er woelchender beſer Yale 
Algen Fllen. - Ich meine auch, für. ſolche Regeln‘ Kane hi 
—* Eine- bequemere Form dargeboten. ee 
Allerdiugs läßt ſich vom Thukydides auch für‘ ‘bie Praris 
Bes lernen. So wird von ihm ſelbſt: gar Häufig‘ ver 
Nuch, welchen das Eintreffen ckwarteter Dinge mit ſich 
et Bit: Gegenſatze der Entmuthigung hervorgehoben, 
ie aus dem Unerwarteten, Ueberraſchenden zu eutſtehen pflegt 
35.). Uecberhaupt aber hak Thukydides, und’ beſonders 
n {einen Meden, eine große Menge der feinſten Beobachtun⸗ 
en. aus Hin teichen Schatze feiner Erfahrung mitgetheilt, die 
ch von dem verſtändigen Leſer gar Leicht in Klugheitdregeln 
on ziemlich allgemeiner Orden‘ umgeſtalten iaſſen: noch 
eſnundere Früchte ſogar, als! die echten Goldworte des Py⸗ 
Jagorad, weil fie in Feiner andern Schale dargeboten werben, 














J Wie es z. B. Diodoros, wahrſcheinlich alſo auch Ephoros, 
than hat: XII, 58. 


4188 ¶butydides. Kap. 5. 


als worin. die Wirklichkeit fie gedeihen Täpt, in dem 
greiflichen Zuſammenhange der hiſtoriſchen Umſtände )). 
Wer wird aber dieſe Zugabe, die mehr oder weniger eine je 
den Erfahrung zur Seite geht, mit den Zwecke des 
felöft verwechſeln? Aus dem Homer Hat unfere Philolozi 
bat ſchon Thukydides gefucht, das frühefte Alterthum kem— 
zu Ternen;- und Keiner glaubt doch, daß der alte Dichter, | 
dieſe gForſchung geſungen habe. Freilich kann der D 

auch Keim. Glaſerhandwerke gebraucht werben; aber * 
ſtimmuuig it es, die Sironen der Könige au jchmücken. 

Was aber moöte es denn fein, das den Thukydldes 
Abfaſſung ſeines Werkes veranlaßte? Der Hiftorifche-Kunl 
trieb mar: es, der ihn beſeelte; der ihn zwang, jede ? 
fache, die er erfuhr, bis in die innerfte Seele des Hanke 
zurück zu verfolgen; die menfchlichen Dinge Überhaupt m 
allein in dem flüchtigen Augenblicke zu betrachten, fonken i 
Vergangenheit. und. Zukunft, in ihrem Wachfen, Bluͤhen vh 
Vergehen zufammenzufaffen. Mit richtigem Urtheile über — 
ſelbſt wählte er die Zeit und den Gegenſtand aus, die feinm 
eigenen Geiſte am nächiten Ingen. Zuvörderſt aber "und Hank 
ſächlich hat Thukydides für fich gefchrieben, feinem eigene 
Durſte nah Wahrheit, feinem eigenen Triebe zur geiſtiga 
Schöpfung Genüge geleiftet. 

Auf dieſe Art allein find. Die wirklichen Dunkelheiten wi 
Zweideutigkeiten, find auch die mancherlei Ung ena nigkei⸗ 
ten zu erklären, welche das Studium des Thukydides oft f 
mühfelig machen. So. namentlich die mehreren Stellen, m 
ſcheinbar völlige Irrthümer behauptet werden. Wenn er ..d 
verfichert, den Thrakiern fei an Reichthum kein anderes Vol 












— — — — 


1) Eine Anthologie dieſer Art hat Neophytos Dukas gefammell 
die mit Vermehrungen von Poppo im erſten Bande bes Poppo ſteh 
P. Il, p- 343—351. 


F. 1. Zweck bes Thukhbides. E88 


ſchen Pontos und: tonifchen Meere‘ gleichjuftellen, : Dennoch 
e ihre jährlichen Einkünfte. mur auf achthundert Silberta⸗ 
te anfchlägt (I, 97.): fo muß er die Hellenen. dabei als 
ı felbft verſtandene Ausnahme betrachtet haben. Hatte doch 
| einzige Athen wohl das Doppelte jener Summe einzu⸗ 
men. — An derſelben Stelle meint er, die Skythen fein 
Macht, ſobald ſie vereinigt fländen, das erſte Volk in 
ropa und ſogar auch in Aflen, an Kugheit aber vol⸗ 
ds mit Andern kaum :zu vergleichen 1). Bei ben -Ichterh 
heile. hat er offenbar au ſeine Landsleute nicht gedacht; 
h bei dem: erſtern nicht; weil ſonſt Aſien keine Steigerung 
en Europa bilden wurde. Se dem wohlbekannten Perfer⸗ 
Be war hinläuglich gezeigt. werben, ob Aſien, sb. Europa 
ſturkere ſei. CEbenſy wit von der Inſel Chios geſagt/ 
babe eine größere Menge Sklaven, als irgend ein anderer 
ist, ausgenommen Lakedämon (VIII, 40.). Bier iſt ohne 
eifel Athen: vergeſſen worden. Aber Thukydides ſchrieb zus 
fe für ſich ſelbet. Ihm lagen Griechenland und Athen 
jer zu ſehr vor Augen, aäls daß er in ſolchen Fällen: ihrer 
zmal zu erwähnen brauchte . — Im Seren jedoch 
ı eö keine Frage fein, daß ein: Geſchichtswerk ai vollkom⸗ 
ſten ausfällt, wenn es nicht für Andere zunächſt, am als 


1)3 Der Ausdruck iſt zweibeutigs wie er aber zu nehmen fei, gebt 
einer Menge. anderer Stellen zur Genüge hervor. Wal. Schol. 
cyd.11,97. Uias V,6. -Aeschyl. Eum. 673. Herod. IV, 46. 
‚eril. fr. 3. Ephoros bei Sırabo VII, 463. Scymnus 
18, p. 378. Holst. 


V Die chronologiſche Angenauigkeit, deren Dodwell von Thu⸗ 
des V, 20. erwähnt, iſt vollkommen gerechtfertigt durch das Bedürf⸗ 
eineer runden Summe (f. Apparatus ad annales Thucydideos, 
18 qq). Ein wirkliches Verfehen aber ift ed, wenn Thukpdides 
1,79.) den Waffenſtillſtand von Mantinea einen funfzigjährigen nennt. 
nk ſchon nach dreißig Jahren zu Ende. Xenoph. Hell. V, 


3. 


2: Ahukydides. Rap. 5. 


lerwenigſten für: deren praktiſchen Nutzen,  gefchrießen moi: 
Sede Sache geſchicht am beſten, wenu ſie um ihrer ſelbſt win 
len geſchieht. 

- Mur iſt aber bie menſchliche Natur durch die winbeia, 
GBeispeit ihres Schöpferd auf biefe Art eingerichtet, daß ge. 
einer yblligen Befriedigung ihren eigenen Berlirfniffe imma 
gemeinfame Befriedigung mit gleichgeſtimmten Seelen erforden 
wird. Darum ſchmeckt das Gaſtmahl, ſchmeckt der Wein in 
geſelligen Kreiſe fo unendlich viel ſüßer; darum if in Das 
Liebe ſelbſt das höchſte Glück nur dann wahrhaft beſeligend / 
wenn der geliebte Gegenſtand es yollkommen mitempfindetß 
darum endlich verſchließt auch der Künſtler ſein Werk nicht i 
Pulte oder in der Werkſtatt, ſondern er Bringt es hervor awß 
Licht, und will es Jedem zugaͤnglich machen 1). Schon Qi 
ogniq hatte geſagt: TI oyır yanamıeı, novvog —XRXXXF 
Pindar Hatte es für die erſte Pflicht. des Sängers gehalten, 
was er Herrliches ſelbſt erlebt, auf die Nachwelt überzutragen. 
Herodot (I, proovem. und 5.) und Thukydides folgten. der 
nämlichen. Pflicht. (II, 43.). Denn wer. ein Licht empfangen 
bat, der ſoll es lenchten .lafien..: 

Doch nicht für Ale; muy für. Sleicgeftiumte wenn E— 
auch Proſelyten zux gleichen Stimmung befehren mag. ... Wk 
unfer Mozart einjt nur vor Kennern der Muſik zu fpielen be 
ſchloß, fo fpricht e8 auch Thukydides mit klaren Worten aul, | 
dag er nur Denen fein Buch genehm wünfche, die Vergangen | 
heit und Zukunft und bie menfchliche Natur in Beiden bau | 
lich erkennen wollen. Alfo hiſtoriſch geſtimmten Seel! | 
Seinem hellen Blicke indefjen konnte es nicht werborgen Kl i 
ben, daß die freie Höhe, worauf er fand, nothtwendig eim 


— ——— — — — — — 








1) 2gl. Cicero De finibus III, 20, und die ſchöne Xeußerun 
von Schleiermacher: Reden über die Religion, S. 176... (4. Ausg.) 
„Ss ift mir eben fo unmöglidy, müffig zu fein, als midy mit bloßet 
Befriedigung eigener Wißbegierde zu begnügen.’ (3oh. Müller) 


$. 1. . Publlcum des’ Thulydldes. 4185 


einſame bleiben milde, Hiſtyriſche Ideen maren damals feel 
U auch im geoßen Publicum verbreitet. Ein Gefchlecht, Das 
fo viele Kriege der Prinelpien- hatte führen, ſo viele Werfafe 
fangen batte umftürzen ſehen, Tonnte nicht ohne hiſtoriſchen 
Gavinn Bleiben; Selbſt die Literatur der Gefchichte war wicht 
wahr. unbedeutend. Es darf daher Niemanden befremden, 
wenn er Fundamentalſätze der. thukydideiſchen Debensanſicht bei 
duen Andokides wirderfindet 1). . - Bel den Netnem- jener 
Zeit Hatte: fick rüberhaupt eine Richtung ausgebildet, die ich 
wit gar Nichts’ beffer vergleichen kann,“ als mit der angeblich 
zeiſtreichen ). Seſchichtsauffaſſung, welche heutzutage In: den 
AMpfen des gebildeten Böbels ſpukt. Da find "denn manmich⸗ 
faltige, aber ſchlecht Begruͤndete, noch ſchlechter erbaute Ge⸗ 
ſichtskenntniſſe im Umlauf; fuͤw⸗ jeden gerade vorliegähbct 
Zweck werben: Parallelen und Analogien herbeigegogen ; + de 
‚heute frappiren⸗kbnnen, vielleicht aber morgen fchon das Ges 
. gütheil betveifen mäffen. : Die Befchäftigung mit den hiſiori⸗ 
fen Stoffe,. da das Subjeetive mehr und immer mehr über⸗ 
wiegt, ſinkt von der Kunft zum Spiele herab. Die äußere 
wole Wahrheit tritt Immer mehr zurück Hinter der ſcheinbaren 
men Symmetde. Doc fehlt- es unter dem Sande: nicht 
ganz an Goldkörnern. Ich werde in meiner erſten Beilage 
an ben Leichenreden des frühern. Alterthums dieſe geiſtreiche 
Manier der damaligen Rhetoren und ihren Uebergang : In den 
Pragmatismus der Iſokratiker zu beleuchten fuchen. — Be 
dieſen Leuten nun konnte Thukydides wohl Anklang erwarten? 
Schwerlich! Nichts iſt für die wahre, die kunſtmäßige Ge- 


— — — ——— ⸗ 


1) 3. B. De pace p. 135: Xony yap rexumpios zorodas os 
TrpöregoY yiwonlvors zregi Tüv neilurrov bocodm, x. T. d. 


2) Wie Montesquieu fagt: Pour peu Au’on voie les choses 
Avec une certaine dtenduc, les saillies s’evauouissent. Elles ne 
naissent d’ordinairte, que parceque l’esprit ge jeite tout d’un edte, 
et abandonne tous les autres. 


2: Ahxukydides. Kap, 5. 


lerwenigſten für; deren praktiſchen Nutzen, geſchrieben wi 
Jede Sache geſchieht, am beſten, wenn fie um: ihrer ſelbſt v 
len geſchieht. 

Num iſt aber, die menſchliche Natur durch die wundert 
Weibhein ihres Schoͤpfers auf dieſe Art eingerichtet, daß 
einer yblligen Befriedigung ihren eigenen Bedürfniſſe im 
gemeinfame ‚Befriedigung mit gleichgeſtimmten Seelen erfor 
wird. Daurum ſchmeckt das Gaſtmahl, ſchmeckt der Wein 
geſelligen Kreiſe ſo unendlich viel ſüßer; darum iſt in 
Liebe ſelbſt das höchſte Glück nur dann wahrhaft beſelige 
wenn der gellebte Gegenſtand es vollkommen mitempfin 
Darum endlich. verſchließt auch der Künſiler ſein Werk nicht 
Pulte oder in der. Werkitatt, fondern ex bringt es hervor ı 
Licht, und will es Jedem zugänglich machen ). Schon? 
pgnig--Hatte gefagt:. Ti! oyır yanemres, noVros Zxıazaus 
Pindar hatte ed. für die erite Pflicht. Des Sängers gehal 
was er Herrliches felbft erlebt, auf Die Nachwelt übergutun 
Herodot (I, prosem, und: 5.). und Thukydides folgten 
nämlichen. Pflicht (II, 4.). Denn; mer ein Licht empfan 
hat, der ſoll es leuchten ‚lafjen..: 

Doch nicht für Alle; nuxr für: Sleicgeftiunmte: „. wenn 
auch Proſelyten zux gleichen Stimmung belehren mag. . 2% 
unfer Mozart einſt nur vor Kennern der Muſik zu fpielen 
ſchloß, fo fpricht e8 auch Thukydides mit Haren Worten a 
dag er nur Denen fein Buch genehm wünfche, Die Vergang 
heit und Zufunft und die menjchliche Natur in beiden de 
lich erkennen wollen. Alfo hiſtoriſch geftimmteri Seelen! 
Seinem hellen Blicke indeſſen konnte es nicht verborgen bi 
ben, Daß die freie Höhe, worauf er ſtand, nothwendig c 


— — Am —— — 


I) ®2gl. Cicero De fınibus III, 20, und die ſchone Aeußer 
von Schleiermadher: Reden Über die Religion, S. 176.. (4. Ach 
„Ss ift mir eben fo unmöglih, müffig zu fein, als mich mit bil 
Befriedigung eigener Wißbegierbe zu begnügen.” (oh. Müller.) 


5. 2. Erklärungen des Wiſtorikers. 187 


. - ⸗ 2 3 1. . ur 
= . . . . a " B 3. 5* „a Ri in 
BE | 


FE FO, Du % 2 rl . *r ” 
Bauern —— are en hsttnd 


J Von ciao äsnkin Runfitiche PER ie: e. den Sitorifer 
beſeelt, wich guch der Dichter ter Philoſoph., überhonpt ein 
jeter, ‚Künfteri. ober: teifenfepaflich pepdustioe Menfaz durq- 
drungen. Die Haupterſcheinungen dieſes Kunſttriebes haben 
wir in den ‚Prolegomenen unfers Werkes kennen gelerakz:. unb 
ber Leſex wird gebeten... Sch. auf, DaB Geuaueſte dahin zurückt 
zupexſetzen. Die Innere. Verarbeitung. nun, welche hier ſtatt⸗ 

findet, heißt. in den phrzugbweiſe fogenanmten Künſten Ideehi⸗ 
firung, in den Wiſſenſchaften Erklärung. Hat ehne Wiſ⸗ 
fenfchaft- mei marlisgende Dhjecte in ajne ie genügende Ver⸗ 
Bindung zuſqunmengeaxbeitet, ſo pflegt rfie, wie, wit geſchen 
haben, 598; Wichtiger⸗ Scheinende bie Urſach e des minder 
Wichtigen zu nemnen. Den radicalen Untexſchied zwiſchen hey 
philoſophiſchen Iriehetlänung und: da Hbnfen oben oh 
Oben ae. mn 
2. Max: dat adiags Den Mama Asfache in: ne 
fgichtfchreibung, lebhaft angefochten. Wenn A jedoch ſeigte / 
das perſiſche Reich iſt dad urch gafallen, Daß...) Def 
ern Min sang B daraufı erwiderte: Gott bewahrel 
vielmehr hat ſich der. Verfall des perfifchen Reichen Dariy 
gezeigt, daß daß or daß . -, ſo kann ich 
hierin eint wefentliche Werſchiedenheit unmöglich: anerkennen 
Es iſt bekannt, mit. welcher: Genauigkeit Polybios die Bes 
griffe ‚woyy , wiria und FEopaasg von einander ſcheidet. Str 
dem Perſerkriege Alexanders d. Gr. ſei der Uebergang über. den 
Hellespont die aoyn, die Rache für den Zug des RXerxes die 
noöganız, endlich der überraſchende Erfolg des Xenophon 
und Ageſulass die atcia geweſen (II, 6.). Der Begriff von 
sog fit hie ofſenbar an den Haaren herbeigezogen; die an⸗ 


186 Thukydides. Kap. 5. i 


fhichte fo abgeftumpft, wie dieſe pſeudogeiſtreichen Sinne, 
Wo der Hiſteriker unparteilich iſt, da werben fie ihn gleichgüls 
tig, wo er tren fit, durch feinen Stoff gebunden nemen; wo 
er harakterifirt, da fprechen fie von Auekdoten, wo er plas 
ſtiſch darſtellt, von dem Mangel höherer Prineipien. Die 
halliſchen Jahrbücher Haben in ihrer Beurtheilung von Leo⸗ 
pold Ranke einen. interefjanten Beleg hierzu geliefert. Wel⸗ 
ches Vergnügen müßte e3 fein, wenn aus Tynkydides Zeit 
sine ähnliche Kritik über diefen noch erhalten wäre! Freilich, 
dergleichen Weisheit iſt wie eine Saudwelle in der Wüſte: 
ein einziger Windſtoß verwehet ſie, und der nächte Morgen 
kennt fie nicht mehr. — Darum leiftet unfer Thukydides auch: vor 
vorn herein auf den. Beifall des großen : Haufens Verzicht 1) 
22.) Darum find aße. hronologiichen Beftiunmungen; 
welche : fein. Werk enthält, nicht: nach den willkürlichen um 
vergänglichen Annahmen des attifchen Kalenders gegeben, fon 
dern nad den ewigen Ordnungen der. Natur, wie fle in dep 
Geſtirnen (I, 78.), den Jahrszeiten (V, 26.), in Blürke, 
Frucht und Ernte unwandelbar wiederkehrt 2). Am Schluß. feine 
Vorrede thut er hierüber fein Herz auf: mit. edler Zuverficht of | 
fenbart er feine Hoffnung, dieß Werk folle ein Schatz für de 
Ewigkeit fein, nicht ein Schaufpiel zu vorübergehendem Of 
renſchmauſe (I, 22.). Geliebter Meiſter, Du def Dich nict 
Berge 2 ! 


3 
— — ee — — — 





1) Wie wenig man hen. Thukydides (ers in bandgreiffichen Die 
gen beadhtete, zeigt der Inhalt des angeblid) platpnifchen Hippardob : 
und des fimonifchen Philoferdes: vgl. Thucyd. J, 20. VI, 54. 


2) TI, 1. 19. 79. III, 1. 15. IV, 1. 2. 6. 84 etc. 


3) Eine ähnliche ſchöne Miſchung von Selbflvertrauen und Borlat 
ſ. in Winckelmann's Briefen: Werke Bb. IX, ©. 276 fg. 
Vorrede zu Robertfon’s Gefchichte Karla V., bildet einen —8 
digen Contraſt hiergegen. Vgl aber wiederum ben Schluß der VWorrebe 
zu Montesquieu’s Esprit des loix. 


| 
| 
| 
| 
| 
| 
| 
| 
| 


$. 2... Pioolagifege Arfechen. 189 


beftimmt werben kann. So bleiben fie denn In dieſem ‚ayls 
gen Cirkel ewig mr an. :der Oberfläche; ſie find gezwungen, 
wie cd Polybios fo ‚Häufig begegnet, mit Verwunderung zu 
bemerken, von wie Heinen: Zufälligkeiten die Geſchichte bey: 
Menſchen abhängig. fei 2). —.. Dann .aber. pflegen die Mei⸗ 
ſten auch zufrieden zu fein, wenn fie nur die Hauptperfonar 
durchſchaut haben. Was die Hebrigen vermocht, ſich an def 
Hauptperſonen anzuſchließen, ſie eben Hauptperſonen werden 
zu laſſen, das bleibt unerörtert. Die große Maſſe wird alg 
willenloſer Thon betrachtet, wotaus jene Helden alsdann nach 
Belieben ihre Gebäude aufgeführt hätten. Einigermaßeniſt 
dieſes ſchon bei Kemophon der Fall; an dem entgegengeſetzten 
Fehler laboxirte Herodot, der feine Volkscharaktere allerdings. 
vortrefflich zu ſchildern weiß, feine Perſonen aber meiſtens et⸗ 
was uniform, hau. Thukydides auch hier wieder in der 
Mitte! 
Nicht ſelten redet Thukydides r mo dieſelben Beweggrunde 
zu wiederholten Malen, gleich wirken, won der menſchlich en 
Natur im Allgemeinen. So erwartet er nach der Natur ber 
menſchlichen Dinge, daß die Zufunft dafjelbe ober Aehnliches 
bringen müſſe, wie die Vergangenheit (I, 22.). So zählt 
er bei den revolutionüren Parteikämpfen, welche Hellad.. ver= 
wüſteten feit dem Aufitande von Kerkyra, es ſeien Dinge vor⸗ 
gegangen, mie fie in ähnfichen Umftänden überall vorgeben. 
müßten, fo ‚lange die menſchliche Natur bie alte bleibe III, 
831 fg). Dieſe Natur wird in ihrer fündhaften Schwäche. 
und in dem, ewigen Widerſtande gefchifvert, welchen ſie ben 


— — — — —— 


y Säleiermager lagt febr, gut: „Es ſheint nur ‘ein eeres, 
aber keinesweges unperdächtiges Spiel der Phantafie zu’ fein, was fo" 
häufig gehört wich, ‘von groͤßen Begebenheiten aus Heinen Urſachen: 
indem die Aufmerkſamkeit dadurch nur von dem allgemeinen Zuſammen⸗ 
hange, in welchem die wahren Urſachen boch eigentlich liegen, abgelenkt 
wird“ (Chriſtl. @1..],.242.). rn 


190 Ahutydides. Kap. 5. 


Geſetzen enigegenftellt (II, 84.); zugleich aber in ihrer unbe 
ſiegbaren Kraft, wonach es vergebliche Thorheit wäre, fi 
durch Drohungsmittel von dem, was ſie mit —* ver⸗ 
langt „zurückſchrecken zu wollen (III, 45.). ’ 

Die eigentliche Erzählung des Thukydides verhält ſich zu 
feinen Reben, wie der Leib zur Seele. Jeder Außern Hands 
fung in der Körpermelt gebt bier eine innere Handlung In der 
geiſilgen Welt vorauf.  Der'Lefer wird dieß am deutlichften 
erkennen, wenn er die äußere Entwidlung des atheniſchen 
Machtzuwachſes (I, 98 ff.) mit der geiſtigen vergleicht in der 
Geſandtenrede zu Sparta (I, 73 ff.). Der game Haushalt 
dieſer Geſchichte iſt gleichſam durchſichtig: alle Vorgänge liegen 
vem Auge ofſen, und wo Nichts überraſcht, da iſt Alles er⸗ 
elätt. Die Hohe, freilich ſchwer zu beſchreibende Kunft des 
Thukydides beſteht Kauptfächlich darin, jeden: Zug feiner Cha⸗ 
rakteriſtiken zugleich ald die Mutter und Die Tochter von ans 
dern Zügen Hinzuftellen. Wie K. O. Muller ſehr richtig 
bemerkt, wohl keine Periode in der Geſchichte des Menſchen⸗ 
gefifectes ſteht mit folcher Klarheit vor unfern Mugen, wie 
die erſten ein und zwanzig Jahre des peloponnefiſchen ſrrieges 
durch Thukydides HY. 

B. In Behandkung der materiellen Verhältniſſe 
war noch Herodot nichts weniger, als vollkommen geweſen. 
Seine geographiſchen Partien insbeſondere könnte man ſehr be⸗ 
ſchneiden, ohne den Zuſammenhang des ganzen Werkes zu 
ſtören. Bel Xenophon wiederum derſelbe Fall. Wie oft 
legt ſeine Anabaſis den hiſtorifchen Kothurnus ab, um den 
beſcheidenen Soecus der Reiſebeſchreibnng anzuziehen! Auch 
Thukydides hat das taktiſche und ſtaatswirthſchaftliche Element 
nicht vernachläſſigt. Bei XRenophon aber nimmt es nicht nur 
in manden ſtreng hiſtoriſchen Werken den Vordergrund ein; 


— | 





1) Geſch ber griech. Literatur: Th. II, ©. 322. 


$. 2, Materie Urſachen. . 488 


ſondern e8 bat fich. bei ihm fogar zu eigenen Lehrbüchern aus⸗ 
gebildet. — Es fit eine ganz verfchiedene Sache, das Meuſchen 
liche vor dem Materiellen hervorzuheben, weil man. Beides 
vollkommen zu würdigen verſteht, oder weil man, maß bei: 
denn Neuern fo häufig der Fall iſt, das Erſtere allein kennt. 
Thukydides war praktiſcher Kriegs⸗ und Seemann... Wie. be: 
deutend feine. Kenntniſſe Hierin geweſen, zeigt bie muſterhafie 
Klarheit ſeiner Schlachten und Belagerungen. Nur die Fülle, 
wie der Dichter ſagt, ‚führt zur Klarheit. Auch ſcheinen ibn 
feine Kenntniſſe diefer Art jeden Moment gegenwärtig zu. ſein. 


Selbſt den Homer lieſt er mit kriegeriſchem Sennerauge:(h,; - 


10.) . Aber nie.geht er weiter damit, ald zum Vexſtändniſſe 
der Begebenheiten, . welche. fein. Buch ſchildert, nothwendig 
war. . Eben darum giebt er mit fixenger Auswahl Lediglich: 
das Charakteriftifche, So erzählt er III, 98: „Man ſah dort. 
Alles, was fih auf einer verderblichen Flucht zu ereignen 
pflegt.” Ohue weitere Ausführung 2). Diefe Scheu vor bem- . 
Nichtcharakteriſtiſchen, wie bat. fie Bei den Späten abgenom⸗ 
men! Dan denke nur an Dieber, dm: :aber noch lange niche 
die Byzantiner erreicht ). 


Auch in der geogranbifäien. Seſchrelbung iſt Thuky⸗ 
dides Meiſter. Wie vortrefflich hat: ee Sphakteria, die Um⸗ 


. .1i 


— 


2) Bgl. auch III, 81. W een 


2) Wenn biefe 3. 8. eine Schlacht befchreiben wollen, fe erjähten. | 
fie ausführlich, daß die Trompeten geblafen, bie Schwerter entbloßt 
wären, bie Pferde gewiehert, die Waffen Eriegerifch gebligt hätten, m 
dgl. m. Kommt vieleicht eine Schlachtrede, fo enthält fie die abgedro⸗ 
ſchenſten Trivialitäten. Dann wird ganz kurz von dem Ausgange ber 
Schlacht berichtet: Run. wieber eine ebenfo aus führliche, wie uncharak⸗ 
teriſtiſche Beſchreibung der Flucht. Am empörendſten wirb,biefe Manier 
bei den Thronbeſteigungsceremonien der Kaiſer, wo man noch am erſten 
etwas Charakteriftifches, wenigftens für bieß Volt Charakteriftifches er⸗ 
warten ſollte! Selbft die beffern Scheiftfleller, wie 5. B. Leo Dias ’ 
konos, theilen mit wenig Ausnahmen biefe Säytehtigkeit. 


190 Thulydides. Kap. 3. 


Gefegen enigegenftellt (III, 84.); zugleich aber in ihrer unbe 
fiegbaren Kraft, wonach es vergebliche Thorheit wäre, fi 
durch Drohungsmittel von dem, was ‚fie mit Ungeftäm beim 
langt, zurückſchrecken zu wollen (III, 45.) M 
Die eigentliche Erzählung des Thukydides verhält fih 
feinen Reden, wie der Leib zur Seele. Jeder dußern Hanl 
fung in der Körpermelt geht Hier eine Innere Handlung in ef 
geiftigen Welt worauf. Der’ Lefer wird Dich am deutlich 
erkennen, wenn er die Äußere Entwidlung des athenticha 
Machtzumachfes (I, 98 ff.). mit der geiſtigen vergleicht in def 
Geſandtenrede zu Sparta (I, 73 ff.). Dee ganze Haushalf 
diefee Geſchichte ift gleichfam durchſichtig: alle Vorgänge Tiegaf 
dem Auge offen, und wo Nichts überraſcht, da iſt Alles ai} 
klärt. Die hohe, freilich ſchwer zu beſchreibende Kunſt dee 
Thukydides beſteht hauptſächlich darin, jeden Zug feiner Epof 
rakteriſtiken zugleich ald die Mutter und die Tochter von anf 
dern Zügen Hinzuftellen. Wie K. O. Müller ſehr richtig 
bemerkt, wohl Feine Periode in der Geſchichte des Menſchen 
gefchlechtes fteht mit folcher Klarheit vor unfern Augen, ik‘ 
bie erften ein ımd zwanzig Jahre des peloponnefifchen Strieget‘ | 
durch Thukydides 1). 
B. Sn Behandlung dee materiellen Berbältnifie k 
war noch Herodot nichts weniger, als vollkommen gemefen. 
Seine gengraphiichen Partien indbefondere koͤnnte man fehr be⸗ 
fehneiden, ohne den Zufammenhang des ganzen Werkes zu 
ftören. Bei Kenophon wiederum derfelbe Kal. Wie oft ; 
legt feine Anabafis den hiſtorifchen Kothurnus ab, um Bei 
befcheidenen Soccus der NReifebefchreibung anzuziehen! 
Thukydides Hat das taktifche und ſtaatswirthſchaftliche Sim i 
nicht vernachläffigt. Bei Xenophon aber nimmt es nicht mm | 
in manchen fiveng Hiftorifchen Werken den Vordergrund ein; 













N 
1 
i. 
1 





1) Geſch. der griech. Literatur: Th. II, ©. 352, - 


$. 2. Materielle Urſache. 191 


jadern es Kat ſich bei ihm ſogar zu eigenen Lehrbüchern aus⸗ 
dildet. — Es fit eine ganz verſchiedene Sache, das Menſch⸗ 
he vor den Materiellen hervorzuheben, weil man Beides 
Mllommen zu würdigen verſteht, oder weil man, was bei 
in Neuern fo häufig der Kal it, das Exitere allein kennt. 
Unfgbides war praktiſcher Kriegä= und Seemann... Wie bes 
mitend feine. Stenninifje hierin geweſen, zeigt die mufterhafte 
Harheit feiner Schlachten und Belagerungen. Nur die Fülle, 
Ne der Dichter jagt, führt zur Klarheit. Auch fcheinen ihm . 
ie Kenntniſſe diefer Art jeden Moment gegenwärtig zu. ſein. 
selbst Den Homer lieſt er mit kriegeriſchem Kennerauge (I, 
D.). Aber nie geht er weiter damit, als zum Verſtändniſſe 
er Begebenheiten, welche ſein Buch ſchildert, nothwendig 
ar. Eben darum giebt er mit ſtrenger Auswahl lediglich 
8 Charakteriſtiſche. So erzählt er III, 98: „Man ſah dort 
Heß, was ſich auf einer verderblichen Flucht zu ereignen 
Tegt.” Ohne weitere Ausführung 1). Diefe Schar vor ben 
Nchtcharakteriftifchen, mie bat. fie Bei den Spätern abgenoms 
en! Dan deufe nur an Diodor, te aber noch lange nicht 
ie Byzantiner erreicht ?). 

Auch in der gFeographiſch en 1 Beiäreibung iſt Thuky⸗ 
ides Meiſter. Wie vortrefflich hat er Sphakteria, die Um⸗ 


— 


1) Bgl. auch III, 81. 


2) Wenn dieſe z. B. eine Schlacht beſchreiben wollen, ſo erzählen 
e ausführlich, daß die Trompeten geblaſen, bie Schwerter entblößt 
ären, die Pferde gewiehert, die Waffen kriegeriſch geblitzt hätten, m: 
ji. m. Kommt vielleicht eine Schlachtrede, fo enthält fie die abgedros 
benften Zrivialitäten. Dann wird ganz furz von dem Ausgange ber 
ſchlacht berichtet. Run wieber eine ebenfo ausführliche, wie uncharak⸗ 
ziftifche Beichreibung der Flucht. Am empörenditen wirb biefe Manier 
i den Zhronbefteigungsceremonien ber Kaifer, wo man nod) am erften 
was GCharafteriftifches, wenigftens für dieß Volt Charakteriftifches er⸗ 
arten follte! Selbſt die beffern Schriftfleller, wie 3. B. Leo Dias ' 
nos, heilen mit wenig Ausnahmen diefe Sdlechtigkeit. 


1923 .Ahukydldes. Kap. 5: 


gebungen von Amphipolis, von Syrakus geſchildert! 
er nimmt keinen Zug auf, der nicht zur Erklärung der 
folgenden: Kriegsthaten unmittelbar verwendet würde. — 
will ich einen Augenblick bei, dee Beſchrribung von Sie 
er dem ſyrakuſiſchen Siege. voranfchiet, ſtehen bl 
(VI, 1 fj.). ‚Die einzigen, rein geographiſchen Bemerkur 
die ich hier finde, betreffew ‚die bedeutende Größe der J 
ihre Nähe bei Italien und bei Afrika. Dieß iſt nämlich 
Einzige, was er ſofort ſchou verarbeiten Tann... Gleie 
den nächſten Reden ſpielt es ſeine Rolle. Die verwickelte 
pographie dee Stadt Syrakus, als Einleitung vorarigefl 
würde: dent Leſer gar bald, wo er fie eben brauchte, wi 
entfaflen ſein. Meßhalb. wird das. Motäiwenbige baraud 
den verſchiedenen Stellar::dex. Kriegsgeſchichte ſelbſt eingeſt 
tet. So beſchäftigt ſich denn jene Sinleitung hauptſächlich 
einer hiſtoriſchen Ethnographie der Inſel. Die verſchied 
Einwanderungen werden. mit chronologiſcher Strenge un 
führt. Man ſieht das Verhältniß der doriſchen Kolonier 
den nicht doriſchen, der Griechen überhaupt: zu den barb 
ſchen Umwohnern. Man erhält einen bunten Eindruck 
der. ſonderbar zuſammengewürfelten Bevölkerung, die ! 
durch Seeräuber, bald durch Flüchtlinge, bald durch Einn 
derer vermehrt worden; von der raſchen Fortpflanzung 
Hauptkolonien durch Tochterſtädte, von dem häufigen We 
der Wohnorte durch Vertreibungen. Hier iſt kein Zug, 
nicht auf den Krieg nachher entſcheidend einwirkte. Und 
darum wird auch das Meiſte davon gleich in den nächſten 
den zu Athen weiter verarbeitet. — Mit dieſer ſtrengen, 
haltenen Beſchreibung nun, die zugleich von der tiefſten Ke 
niß zeugt !),, müßte der Leſer die ägyptiſchen Gemälde 
Herodot vergleichen! 








I) „Was er weiſe verſchweist, zeigt mir den Meiſter 
Stils.“ Schiller. 


5. 2. Nothwendigkeit. Gimbifung der Götter. 408 


anexrtannt (VI, 18.) 2)... Bel iehem wichigen Greignifte fin 
den ſich ähnliche Aeußerungen. 

Die übermenſchliche 2) Gewalt, bie gie zu Grande Het, 
wird vom Thukydides in der Megel durch zug ober wuyas 
bezeichnet. Sie Tann die weiſeſten Berechnungen, wie bie thö⸗ 
rigſten Hoffnungen durchkreuzen (I, 120. 140.). Durch khugt 
Vorſicht wird ihr Spielraum eingefchräntt (VL, 23.), por⸗ 
nehmlich durch Mäßigung, welche mit ihren Entwürfen Halt 
macht, ſo lange ſie von der Tyche noch begünſtigt werden 
(IV,.19. 62. 64.). Dahin war es jetzt gekommen mit dem 
herodotiſchen Neide der Gottheit! — Daß Thukydides dieſe 
Nothwendigkeit den Göttern zugeſchrieben, erhellt auf II, 
64. Hier wird. ber unvermeidliche Verfall des atheniſchen 
Staated gerabesu ald dasovıov den Angriffen and wir role 
nloov entgegengefeht. — Was bleibt aber, fa könnte man 
fragen, was bleibt in Thukydides Gefchichte, wo doch. Alles 
in menſchliche Triebfedern zerlegt iſt, den Göttern irgend noch 
für ein Spielraum? Die Antwort hat und Thukydides nicht 
ſchwer gemacht. . Mag bei ihm auch jede Handlung eines Hel— 
den als das wohl zu erwartende Product ſeines ganzen Cha⸗ 
rakters erfcheinen, als durchgeſetzt wiber fo und fo befchaffene 
Gegner, als unterftügt won fo und fo befchaffenen Anhängern, 
als begünſtigt durch fo und fo beſchafſene materielle Verhält- | 
niſſe; fo Bleibt Doch immer noch eine Frage übrig: Wer bat 
denn jene Berfünlichfeiten jo und nicht anders gefchaffen? Wer 
Bat fie in diefe Zeit, in diefes Land fo und nicht anderö zus 
fammengeltelt ? Wer hat, mit Einem Worte, jene. taujende 
fachen Umftände herbeigeführt, welche die Aeußerungen der 
menfchlichen Natur felbit da, wo dieſe ewig fich gleich bleibt, 
in veeſchicbenen Zeiten fo verſchieden geftalten (III, 82.)2 — _ 


1) Bol. VI, 11. 


2) Oi ardoguziens derduens: VL, 78. . 
- 13 * 


494 Thukydldes. Kap. 3. 


Nun zu der phyſiſchen Nothwendigkeit! 
ganze peloponnefifche Krieg fcheint dem Thukydides durch 
nothmendigen Lauf dee Dinge herbeigeführt zu fein. 
den kerkyräiſchen Gefandten wird auf das Hellſte dargel 
wie Athen Keine Wahl mehr Habe zwifchen Annahme und 
werfung ihred Hülfsgeſuches; wie ber Krieg zwar nochn 
erflärt fei, doch aber in Kurzem und notbwendig beim 
(1, 33. 36.). Auch von den Korinthiern zu Sparta.i 
diefelbe Nothwendigkeit in's Licht geſtellt; nur dag nad i 
Rede die Athener als Urheber des Kampfes erſcheinen, 
die Lakedämonier. Dieſe gleiche Beſchuldigung auf..ke 
Seiten iſt ein genügender Beweis, daß fie beide mit Um 
trifſt. Wie fehr übrigend eine ſolche Nothiwendigkeit mr & 
nung des Thukydides it, nicht aber in den: wirklich geb 
nen Reden urgirt wurde, fieht man recht deutlich Daraus, | 
die Lakedämonier wirklich Der Anficht waren, ihre Wil 
babe den Krieg angefangen (VII, 18.) und fortdauern. 1a 
(IV, 21.) . — Die Athener vertbeidigen ihr Umfichgte 
damit, daß fie um ihrer eigenen Sicherheit willen Andere I 
ten unterwerfen, dann aber nothgedrungen die einmal betre 
Bahn fortfegen müſſen (I, 73 fſ.). Auch in Perikles a 
Rede ift der. Grundgedanke Die Unvermeidlichkeit des Krk 
(avayan moksueiv: I, 144.) 2). Ebenfo verfichert Thukyd 
geradezu, daß nach dem Frieden des Nifias beide Theile ı 
aus planmäßiger Ueberlegung, fondern dvayxacdersag 
Krieg wiederbegonnen haben (V, 25.). Eine Nothwendi 
für Athen, entweder Alles zu verlieren, oder weiter und 
mer weiter fortzugehen, wird auch in. den melifchen Unterh⸗ 
lungen (V, 91 ff.) und fpäterhin Durch Alkibiades entſchi 


— — 





) Der Athener Iſokrates (De pace) hätt umgekehrt ſeine La 
leute für die Angreifer. 


2) Bgl. DI, 61. 63. 


$. 2. Nothwendigkeit. Gimwirfung der Götter. 40 


rannte: (VI, 18.) 2)... Bei jedem wichtgen Geeignife fin 
a fich Ähnliche Aeuferungen. 

Die übermenſchliche 2) Gewalt, die hie zu Grunde liegt, 
Kb vom Thukydides in der Regel durch zug oder zuyas 
heichnet. Sie kann die weiſeſten Berechnungen, wie die thö⸗ 
Den Hoffmmgen durchkreuzen (I, 120. 140.). Durch kluge 
werſicht wird ihr Spielraum eingeſchränkt (VI, 23.), por⸗ 
tzulich durch Mäßigung, welche mit ihren Entwürfen Halt 
act, fo lange fie von der Tyche noch begünſtigt werben 
V, 19. 62. 64.). Dahin mar e8 jet gefommen wit dem 
wodotiſchen Neide der Gottheit! — Daß Thukydides dieſe 
wihmenbigkeit den Göttern zugeſchrieben, erhellt aus II, 
k . Hier wird. dee unvermeidliche Berfall des atheniſchen 
aates geradezu als dasuo»ıov den Angriffen and zus node- 
ur entgegengefeht. — Was bleibt aber, fo koͤnnte man 
agen, was bleibt in Thukydides Gefchichte, mo dach Alles 
: menfchliche Triebfedern zerlegt ift, den Göttern irgend noch 
rw ein Spielraum? Die Antwort bat und Thukydides nicht 
Iwer gemacht. Mag bei ihm auch jede Handlung eines Hel⸗ 
mn als das wohl zu erwartende Product feines ganzen Cha⸗ 
kters erfcheinen, als durchgeſetzt wider fo und fo bejchaffene 
egner, als unterftüßt von fo und fo befchaffenen Anhängern, 
8 begünftigt durch fo und fo befchaffene materielle Verhält: | 
fies; fo Bleibt doch immer noch eine Frage übrig: Wer hat 
un jene Perfünlichkeiten fo und nicht anderö gefchaften? Wer 
it fie in dieſe Zeit, in diefes Land fo und nicht anders zu⸗ 
mmengeftelt? Wer hat, mit Einem Worte, jene. taujend- 
hen Umftände herbeigeführt, welche die Aeußerungen der 
mfchlichen Natur jelbit da, wo dieſe ewig fich gleich bleibt, 

verſchiedenen Zeiten fo verſchieden geitalten (III, 82.2 — _ 


1) Bel. VI, 11. 


2) Quæ ardemziens durdusus: VL, 78. 
- 13 * 


1% : Thukydides. Kap. 5. 


Diefe Fragen hat uns Thukydides nahe gerückt, er beani 
tet fie nur an jener Einen Stelle, wo von Athens Da 
bie Rebe ift, offen Heraus durch Nennung der Götter. 

Es iſt Die Aufgabe des Hiſtorikers, menfchliche Di 
welche der gemeine Blick nur als iſolirt und zufällig auff 
in ihren taufendfachen Verknüpfungen und Bedingungen I 
zuftellen. Auch der Naturforfcher firebt dahin, und fchon 
xagoras war -bemühet, möglichſt Vieles in der Welt auß 
nen Wirbelbewegungen herzuleiten, möglichit Weniges um 
telbar auf den Nous zu beziehen. Nur balte Niemand. 
folches Verfahren für irrefigiüs! Je zahlreicher in. einemH 
die Truppenmaſſen, je verfchiedenartiger die Warfengattun 
je Bunter und einflußreicher das Terrain, je verwickelter 
Berpflegungöwefen, je mächtiger eingreifend die Volkscha 
tere und Staateverhältniffe find: deſto größer des Feldhe 
Geiſt, der all dieſe Mittel zum Siege führt: . So muß 'a 
in der Welt jede erweiterte Kenntniß des natürlichen Zuf 
menhanged der Dinge, wenn man die übernatürliche Re 
rung nicht leugnen will, die Ehrfurcht vor derfelben fi 
machen 1). 

Thukydides Hat in dieſem Stücke keine Vorgänger 
Habt, wenige Nachfolger gefunden. Herodot läßt al 
tieferen Grund feiner Erzählung überall den Neib oder 
Rache ded dasuovsov hervorblieten. Alfo die freien Entſchl 
der unbekannten übermenfchlichen Welt, während in 7 
kydides Darftellung nur die Nothwendigkeit in der bekar 
ten menfchlihen Welt zue Sprache kommt. Für Thukydi 
Erklärungen iſt die Gottheit allemal. die letzte Inſtanz; 
Herodet faft immer die erſte. „Weil es dem Könige übe 
ben follte, fo unternahm er biefen Zug”: das iſt Herod 
gewöhnliche Erklärung 2). Nicht viel anders macht es wi 





— — 


) Bol, Schleiermader Chr. Glaubenslehre: Th. I, S. M 
2) 11, 161. IV, 79. V, 33. VI, 64. IX, 109. 


6. 2. Erklatungen ded: Thukydides. 200 


ganze Werk, tauſendfach In einander geflochten, wid ed If 
Wine Partir,  melibe ‚nicht au einem oder -meheten EDönnie ge⸗ 
rechnet werden. Schon bei’ den Reden haben wir tie kennen 
gelernt: politiihe Gehunmg im Innern, Unternehmuugsgeifſ 
nach Außen, Seemaͤcht und Bundesherrſchaft.(Wir werden 
tiefer unten daB ganze Werknach ihnen auiufien;: =: m 
aber Nichts. unecikict zu laſſen, Führt der Hiſtoriker wen die⸗ 
fer. Faden bis auf den: Urſprung der helleniſchen Geſchichte Zu⸗ 
rück. Er weiſet nad; daß beim. Aufauge bes: Striched fer 
der. von ihnen feine höchſte Stärke erreicht gaben, 17. in 

. "Die bewunderungswerthe Grimdlichkeit, mit wehcher Tas 
kydides Ercklärungen immer alle: Sehtew des vorliegenden Rico 
Häftäigfes, zugleich umfaſſen, iſt am :Deittlichften in der mityle⸗ 
ndiſchen Mebe zu / Dlympia nachzuweiſen (IE 9:1); ? Bier iſt 
auch VPBeſeuders im. dreizehnten Kapitel, die äußere Form fo 
ſtreng; wie fie. ſonſt nur in der Verrede getrofſen wirdi Hin⸗ 
ten jeber AnzelnenBehauptung folgt ſogleich die Erklärung, 
mit yagı, wrungian:.da md halichen Bartileln:;eingeleitets 
Bier: zus ‚Angabe: bed: geiſtigen Beweggrundes, in der Vorrede 
zur kritifchen Beweisführuug. Daß Thulydides übrigens ſeine 
Erkliruug den äußern Thatſachen gewöhnlich vora uſch ickt, 
iſt nicht. Klo chronologiſcher ſondern macht auch bie ganze 
Sache sven: Lofen: deutlicherl So werben z. B. vor der letzien 
Eiwakafierſchlacht in Nikias Rene: die Kriegsanſtalten geſchil 
dert: welche· die Athenet als Aufßrrſtes Rettungbmittel effonrien. 
hatten IIBIfſ)..Die Kritik dieſer Mittel haͤtte eini Au⸗ 
derervielleicht/ erſt be der Sthlacht ſelbſt gegeben —— 
umptaftifch bewaͤhet winduehu,in) Thukydides ‚aber giebt fie vor⸗ 
becs:.er: Togtr fie ie den Wand des ſyrakufiſchen Bchügeren (67), 
um zu gleicher Zeit auch die Stimmung der beiden Heere zu 
fhildern, die dumpfe Niedergefchlagenheit der Athener, vie 
ftolge Sicherheit der, Syrakuſier. 

Zum, ‚Belährie.. dieſer nlerſachung⸗ muß ich eine lehte 

Eigentchümlichbeit 8 Thukyydidesl wenigſtens noch anbdeuten. 


— 


19838 xdhulhdldetz. Kap. 5. 


tie Zufannnenftellung dee Individuen. Schon bie bloße 
nahme. des Tritagoniften iſt hier natürlich von der gel 
Wichtigkeit. Euripides Hat das äußerliche Eingreifen der. 
ter wieder eingeführt, ‚ohne. den Slauben daran. — 2: 
mag es erlauht fein, noch einige fotratifche Anfichten 
zufügen, "welche den Pragmatismus des Thukydides von 
nem andern, . einent weſentlich ‚philofophifchen Standpr 
aus unterſtützen können. Wie Thukydides Gefchichte zu ih 
Gegenftande faft ausfchließlich. den Menfchen nimmt, fo 
fih auch ‚Sokrates Philoſophie, wie Jedermann weiß, beir 
auafchlieglich der Erkenntniß des Mienfchen zugewandt... 
Sofrates erklärt: ſich mit ſtarken Worten gegen Die, m 
Mes, und gegen Die, welche Richts in der Gefdhichte k 
Gottes Rathſchlüfſe erklären wollen !). . Und ebenfo ma 
fich Inftig über Diejenigen, welche auf ungehörige Art ma 
liche Enticehlüffe von materiellen Urſachen herleiten. 2% . 
Thukydides mußte den Hauptgegenſtand feines We 
zum Maßſtabe nehmen, was für Züge er." zur. Schilder 
ſeiner Perſonen anwenden follte. Dieſer Gegenftand mar 
peloponneſiſche Krieg und das Herabſinken Athens durch 
ſelben. Hierzu wurde natürlich Feine allſeitige Schilda 
der Zeitgenofjen erfordert. Ob cin Staatsmann z. ©. 
alten. Chorpoefle oder dem neuen Dithyrambos gewogen v 
ob er Dem Protagoras anhing, oder dem Sokrates: — %e 
intereſſante und charakteriftiiche Fragen — konnte Hier 
nicht erörtert werden. Wenn es anging, fo mußte Thul 
des das Gewebe diefer Staatd= und Kriegögefchichte auch 
aus“ pofitifchen und militärifchen Faden ausführen. — 
bat er denn’ vier verjchiedene Faden, woran er die ? 
ſachen zufammenreiht. Dieſe laufen ohne Unterbrechung du 


J 1) Xenoph. Memor. l, 1, 8 244 
2) 6. Ritter, Th. II, ©. 66. 


6.2. Cukelerklaͤrungen. 201 


ben. Bei ihm ift der erklärte Begriff dem erflärenden allemal 
ſubordinirt; und die Schönheit feiner Erklärung beruhet mes 
fentlih auf der Schärfe diefer Abſtufung. Dahingegen find 
die Glieder der hiſtoriſchen Erklärung einander coordinirt: fie 
wollen die Wirklichkeit, nur enthüllt und angeordnet, wieder 
geben. Im der Wirklichkeit aber giebt es Feine abfolute Sub⸗ 
ordination: hier wird das Große ebenfo oft von dem Kleinen 
modificirt, wie daB; Kfeiyg ppn dam . Jede wahr= 
Haft gelungene heiſtsſiſche Erklärung drehet ſich 
im Cirkebaſ AT 3 Sn „inındD 


. » yrı: 
MINE TE 


— —— ——— — — — — 


et Bd ae unten un MSii 
er BUND rn ar ae st yim 
ya BEATS ann. EI EST hlpam 55 Sera ic 
KENT a es nd or 
REITER BEE) NT DE ef ag tr dm nf 
| | ACTA 
na tal m erninnl, ed un en A 
Z wesen Im m id 
an when Ih] Def yerlasssı,. 057 Schlawi 
a allanyaı wi abend esi3i:ı imma © 


tin] 235 


er sr . 3. 6, . Pa J.. 3. were vs “ gr 435 2 
KIERRTSE. UF, Bde U KRe Eat Pen 7 119€, FRE . ar. MI en2 
Pe \ * hd A Zn: ur Zu 2 ”,'r . r y.. 1” 1 PL D ap 72 ep. ” 
Tarl-ın BELT Aare rl TARIF W“ BREITET EN rt 
2 Maar, .. Vs Pa 3, non no, 7. ... 7 4 
ee u PRESSE —R* ee Pr — rm +... 1 %3 


. Der ze f €‘ ‚ ĩ . 222 Ya . * ... .. v ra ” fl. 7 . 
. 4 4 in JS". \ 22 1 2 “u. Le RR uhlkfl . 35a .. . id 


12 


HN να α Sl Tellens 


Daunen rn ae Zr BE 5 USE SEES 7 TIERE BE SI AT ur 21: α 
ee TRITT EL TE EI UT Tienst ET 
mein age. moin 13 85 Kon Asıı 


200 Thufgbived. Kap. 3. 


Seine Erflärumgen Ianfen fo .allmählig in einander, 1 
einander fo fehr mechjelfeitig, dag man jelten gerade: 
kann, welches das erklärende, welches das erklärte G 
Es findet hierbei eine Art von Kreislauf Statt. € 
z. 8. ¶, 2.) von der unfläten Lebensweiſe, von ben 
fen Auswanderungen der älteften: Hellenen gefprochen. 

kam vieß?. Weil ih Niemand an feinen Boden 
wollte. Woher daB wieder? Beil man fürchtete, je 
genblick koͤnnte ein. Stärkerer kommen, und Gemal 
chen. Hier ſcagt mar uunwillkürlich: Woher denn das 

und ebenfo. nahe Liegt Die Antwort: Weil eben Alle 
unftdt: waren. — Aun derſelben Stelle. bemerkt Thu 
die Unſicherheit jener Zeiten rühre großentheils daher, 
Städte damals Feine Mauern beſeſſen Hätten. Und 
Reihen tiefer: gerade, wegen der Unſicherheit aller. 
feien die Städte weder groß, noch feſt geweſen. — 

7 fg. ſind die ältern Städte, des Feſtlaudes wie ber 
weil fie den Seeräubern wicht gewachſen waren, t 
Lande angelegt. Die jüngern dagegen wurden. an t 
gebaut ‚: und hier Bei ihrer. günftigen age alsbald durd 
fahrt und Handel mächtig. Alſo Be Lage machte fi 
und doch, wären ſie ‚nicht Stark geweſen, fie Hätter 
Küſte ger wicht ausdauern können !). — Ich Habe. m 
Deifpigle auögefucht, die wegen ihrer Kürze beſonders 
find :. dieß iſt; aber der gemeinſame Charakter aller € 
. gen deßs Thukydides. — Man: erinnere ſich an De 
was ich. -pben ſchon von Dem Unterſchicde der: pbilofr 
und der hiſtoriſchen Erklärung beigebracht habe. ‚Dem 
f erben würde eine, ſolde Sieg ſchecht gemy 


— — 


1) Bgol. noch die Geſchichte von der korint hiſchen See⸗1 
delsmacht (I, 13.), von der athenifchen Bundesherrſchaft (I, 7. 
denn Nacyfolgern des Perikles (II; bad Auch VII, 67. und: \ 


Charabktetiſtik Der perlkichchen Zeit. 203 


Leider fließen: die Quellen zur Kmdedieſetß Zelttaumes nicht 
weniger als reichlich. Vom Sehen des Perikles Haben wir 
aus dieſer Zeit mir die kurge Ueberſicht im eiften Buche ded 
Thukydides,nnnd. die: genauete Geſchichte feiner letzten? Jahre 
Was den Phewwias Geteifit, ſo reden le Trümmer feiner Bau⸗ 
werte freilich kur vowi ihmy alt Bungennoder. Buchſtaben 
Im Stande mixen; Aber feine Bilder ſiad nndistine in: ſpäten 
Copient, "ober ſeit Lord Elgins Zeit in: audfeliuften, Halb 
verſtümmelten Deiginalen zugaͤnglich⸗ "Auch non Sophokleß 
iſt nicht. der Jehnte Theil feiner Schhpftingen erhalten mordeu. 
— Dark die Kinder und Enkel Meier Phriode if unmittelbat 
nur wenig When: denn das Berſtänbniß der großru Zeit 
ding alſebald verleren. Sorhat Plate: tnsbeſondere ben 
dert allen iSiaatsndnnern allein den: Ariſteldes7 Kllenfallsich 
den Alter Thak endes Hochgefchäner’Tdien. Theuriſtokles aber, 
den Kimon und Perikles mit dem wahren Stuatsinamieirfe 
verglichen 5": Soße die Köche mit Vent Arte 3. Much die ältere 
Weiſe der Kucdeczucht, jene Bruuvdlage der peritleiſchen Hert⸗ 
lichkeit, ſuchte er offen herunterzuſetzeu 33: -Dägenim klären 
manche lH AB: Perikles Zein den Reden. wur tl. 
in den Reden des Demoſthenes. 

Aber auf eine andere Weiſe iſt uns der herrlichſte Erſatz 
geworden. Zwei Männer, beidenaus der nerikleiſchen Zeit 
gebtittig /"' aber jünger, als Die Oergen derſelbenver "Eine 
aus. hohem, der Andere ‚ad Miföktken Sianve tetiten ven 
Geiſt der, athenifchen Groͤße noch ungelchwmäfert ia.iich ,, haben 
ihn durch die Stürme‘ ber Verdervmigegerettet , wi: Se ewigen 


an ar arm HER 1m: 
— WEERTEIEIBER TEN Dam gr werd Imst 


y Gorg. pn 508. "Rs, “ma.. ht, cueig Sn at IXe- 
noph. Symp. VI), Tondernyand bie ‚ninker, —— Sotrati⸗ 
ker, wie Zenophon und Simon (De virt. p 876 D. , ürkheitten , 
bierin welt etäfegle. 7 >. etunie 


eat. ds note 190 en WIUSE.D y 
2) Soph. p. 229. BUNT 





8 nn et 1 9F 
In : BL; en 
ar. a Ar ey . I 
s; ii: Ei ar a: 3 { 
Sn 393 5. or . , 14 
En Far N Bein in Ta Me, wei 
mn ni Pet ie Dart ta ν i; 


ran aaa 


 Sharakterifif der perifieifihen * in 
Allgemeinen. 
| 


— — — — — — 


Wi find nunmehr auf eine Höhe gelangt, von wo fi 
eine freiere Ausficht nach verſchiedenen Seiten Hin eröffnd. | 
Hier wird es möglich fein, die einzelnen Andeutungen, welche 
über dad Verhältnig des Thukydides zu feinen Zeitgenoſſen 
da und dort fehon gegeben find, in ein Ganzes zuſammenzu⸗ 
faſſen. 
Den Geiſt eines jeden Zeitalters kann die Nachwelt am 
beſten aus den Charakteren und Leiſtungen Derer beurtheilen, 
welche das Zeitalter ſelbſt für feine Erſten erkennt. Hier find 
es denn Perikles, Pheidiası) und Sophokles, welche 
das Verſtändniß ihrer Zeit aufſchließen. Ihre Vorgänge 
waren Themiftofled und Aeſchylos, ihre Nachfolger Alkibia⸗ 
des und Euripides. Denn Pheidias Hat in Athen wenigſtens 
feine großen Vorgänger gehabt; er hat Schüler und Gehülfen 

zurückgelaſſen, aber feine Nachfolger beginnen erſt ſpäter. — 


| 

1) Selbſt in ber fpätern, aber doch künſtleriſch gewiß noch guten 
Periode, worin ber größere Dippias entftanden ift, wirb immer Phei⸗ 
dias noch als der Bildhauer xar’ Boyn® angeführt. 


Charakteriſtit der Derittehhtget Zeit, 208 


währt, und ich. wende 8: hier zuitlichft auf die Reihenfolge 
der vorherrſchenden Stämme: an. Zuerſt ſind «8: "bie 
Belasger und 2eleger, welchte die ſpätetn Stammesunterfchiede 
noch ungeſondert in ſich tragen. Dann erheben ſich die äoli⸗ 
then Heldengeſchlechter, die zur: Zeit des troiſcheu Krieges 
beinahe ganz Hellas unterworfen halten. Mit der Heraklident 
wanderung tritt der doriſche Stamm in’ den. Vordrregrunki) 
deſſen Haupt, Lakedämon, durch Vertreibung der Tyan) 
zu. einen fait allgemeinen Hegemonie gelangt... . Aber kaum iſt 
dieſe Arbeit vollendet, fo. begiunt auch fchon das rafche Wach⸗ 
ſen von Athen, welches cin halbes Jahrhundert hindurch nift 
Lakedämwon gleich ſteht, Dad folgende jedoch nicht allbiu⸗ poli⸗ 
tiſch entſchieden den Berrang:- behauptet, fondern auchin 
Sprade., Literatur und Kunft' unter den entgegengeſchztrü 
Stämmen die höhere Mitte einuimmt. — Nach as. Sturzge 
von Athen geht in ſchönſter Ordnung Alles den umgekehrteu 
Gang: Zuerſt wiederum die Dorier bis zur leuktriſchen Nie 
derlage; weiterhin die äoliſchen Böotier,. Endlich ; nachdem 
die Fremdherrſchaft der Makedonier ihr. drückendes Ueberge⸗ 
wicht verloren, ſtrahlt das letzte Abendroth der: helleniſchen 
Freiheit von den: Arkadiern und etoliern and, welche bean 
Charakter der uralten. Beladger und Leleger am nächitenges 
blieben. — . ‚Den Mittelpunkt dieſes kleinen Kataloges, "I 
gleich den Höhepunkt der Hellenifchen Sefchichte überhaupt, bil⸗ 
det Athen: Athen in jenen drei. Perioden, die ich. flüchtig 
oben bezeichnet habe, deren .mittelfte und höchſte chen Di 
Staatsverwaltung des Perxikles ausfüllt. — So uriheilt 
auch Thukydides, die Athener ſeien im Perſerkriege als die 
Beſten erprobt (I, 73 fſ.), und in Perikles Zeit ihrem Geg⸗ 


‚3 


— — — — — — 


14). An: dieſe pflegt: daher⸗ Thokydibes ſo gern erinnern zu laſſen. 
Aus welcdyen Bründen Athen damals Hinter Svarta zurccbllev, erlau⸗ 
tert Herodot ſehr ſchön im. erſten Baker. .: . i 


204 Thulydides. Kap. 6. 


Kunſtwerken der Nachwelt aufbewahrt: Thukydides 1) m 
Ariſtophanes. Das Werk des Erſtern iſt und ganz erhal T: 
ten; von den Komödien des Letztern doch eine wohlzufammms F 
hängende Reihe ‚ho. elf ‚Eüftlihen Perlen, . und. mit. eine 
Meichthume guter Scholirn,wie fie bekanntlich faſt Zein alt }: 
Schriftiteller. ſonſt nach: aufmeifen: kann. Im Khukydides Lie * 
und daB: politifche und kriegeriſche Leben. jener. Zeit volſſtündig 
aufgeſchleſſen. Weiter, freilich nur · Weniges. Aber, ‚mad ie } 
fehlt, . das finden wir im Ariſtophanes, eine Gefchichte der T- 
Kunft, der Philoſophie und der ganzen Sitte „wie fie Ni }' 
mehr: zu wünſchen übrig. läßt. - In disfen beiten Pännem 
Hat, die altattiſche Kunft: ihre . Schärffte Eigenthümlichkeit eK 
reicht: gerade darum die ſchärfſte, weil fe gegen Das eruune |: 
ßende Verderben ſich ſchon yerthridigen mußte. Wer alſe die t 
fen. altattiſchen Geiſt ertennen will, der findet ijn⸗ hier am 
handgreiflichſten ). “ug - 
Schon Polybjos 3). Sat ringeſehen daß in den. Extnit, h 
ungen. Der Mienfchen ein gewiſſer ‚Kreislauf Statt findet, wel⸗ \ 
her allemal das Ende dent Aufange ähnlich macht. ‚Cam | | 





beſonders hat fich Dich Bes in ber e.heionfigen Segige be⸗ 
20a, 

A Wyttenbäch ſagt ſehr gut:, Mihi quidem Thucydides iu 
se —* Periclig ‚apjtetionem ‚cömpoguisse videtur, at, qyum seriptam i 
viri nylium exsieh,. gius. ‚eJoquentiae, iormam efligiemque per totum - 
historiae' opus) € expressam posteritati servaret (Praef. dd Select . 
ptindip. Kiel XIE). Vor. Aristides Vol. IE PFEIL Wi ; 
RD: Mütter treffend bemarkt, To. konnte Thukydides den geiflie 
gen Bewegungen in Athen feit ber Mitte des Krieges um fo leichter . 
fremd bleiben, weil er im Eril lebte (Literatur II, ©. 342.). 


.2) Daher auch das fpätere Alterthum im Ganzen den Menander 
dem Ariſtophanes fehr vorgeßogen hat.' Vol. die bbrtreffliche Aufammer 
ſtellung zu Anfans der ante’ hen Vita Aristopkiarfs: 


3) Alſo durchaus nicht Machiabeili zuerff, wie Geininus irgend 
wo behauptet. Auch bei Platon und Zacitus finde ich diefelbe Au⸗ 
ſicht. 


Charakteriſtik der periffeifigen Belt. 208 


währt, und ich. wende es hier: zunächit auf Die Reihenfolge 
ber vorherrihenden Stämme an. -Zuaft ſind es bie 
Belaöger und Leleger , welche bie fpätern Stammedunterſchiede 
noch ungefondert in ſich tragen. Damı erheben ſich Die äglis 
then 'Helbengejchlechter., die zue ‚Zeit des troiſchen Krieges 
seinabe ganz Hellas unterworfen halten. Mit der Herakliden⸗ 
wanberung tritt der doriſche Stamm in den Vordergrund, 
been Haupt, Lakedämon, durch Vertreibung der Tyrannen U) 
zu einer fait allgemeinen Segemonie gelangt, Aber kaum iſt 
dieſe Arbeit vollendet, fo beginnt auch ſchon das raſche Wachs 
ſen von Athen, welches ein halbes Jahrhundert hindurch mit 
Lakedämon gleich. ſteht, Das folgende jedoch nicht allelu: poli⸗ 
kifch entfchieden den Vorrang behauptet, fondern . auch.’ In 
Sprache , Literatur und: Kunſt unter den entgegengefehten 
Stämmen die höhere Mitte einuimmt. — Nach deu Sturze 
von Athen geht in ſchönſter Drbnung Alles den umgekehrteu 
Gang. Zuerſt wiederum die Dorier bis zur leuktriſchen Alles 
derlage; weiterhin die äoliſchen Böotier, Endlich, nachdem 
die Fremdherrſchaft der Makedonier ihr. drückendes Ueberge⸗ 
wicht verloren, ſtrahlt das letzte Abendroth der helleniſchen 
Freiheit von den Arkadiern und Aetoliern aus, welche den 
Charakter der uralten Pelasger und Leleger am nächſten ges 
Hlieben. — Den Mittelpunkt dieſes kleinen Kataloges, zu⸗ 
gleich den Höhepunkt der Hellenifchen Gefchichte überhaupt, bil⸗ 
det Athen: Athen in jenen drei Perioden, die ich. flüchtig 
eben bezeichnet Habe, deren mittelſte und Höchfte chen die 
Staatsverwaltung des Perikles ausfüllt. — So urtheilt 
auch Thukydides, die Athener ſeien im Perſerkriege als die 
Beſten erprobt (I, 73 fſ.), und in Perikles Zeit ihrem Geg⸗ 


— — — —— — — — — 


1) An dieſe pflegt daher Thukyhdides ſo gern erinnern zu laſſen. 
Aus welchen Gründen Athen damals hinter Sparta zurucklieb, erläus 
tert Derobot fehr fhön im erſten Buche. 


BB Me a. 


tie Zufannnenftellung der Zndividuen. Schon bie bloße 
nahme. ded Tritagoniften ift hier natürlich von der gri 
Wichtigkeit. Euripides bat das Außerliche Eingreifen der 
tee wieder eingeführt, ‚ohne. den. Glauben daran. —'? 
mag es erlaubt ſein, noch. einige fotratifche Anfichten 
zufügen, "welche den Pragmatismus bes Thukydides von 
nem andern, . einem weſentlich ‚phbilofophifchen Standpu 
aus unterſtützen können. Wie Thukydides Geſchichte zu ih 
Gegenſtande faſt ausſchließlich den Menſchen nimmt, ſo 
ſich auch Sokrates Philoſophie, wie Jedermann weiß, bei 
ausſchließlich der Erkenntniß des Menſchen zugewandt. 
Sofraͤtes erklaärt ſich mis: ſtarken Worten gegen Die, m 
Alles, und gegen Die, welche RNichts in der Geſchichte h 
Gottes Rathſchlüffe erklären wollen 1)yY. Und ehenſo mad 
fich luſtig über Diejenigen, welche auf Ungehörige Art ma 
liche Entſchluffe von materiellen Urſachen hexleiten 2). 
Thukydides mußte der Hauptgegenſtand ſeines W 
zum: Maßſtabe nehmen, was für Züge er.’ zur. Schilde 
ſeiner Berfonen anwenden follte. Dieſer Segenfland mar 
yeloponnefifche Krieg und das Herabſinken Athens durch 
felben. Hierzu wurde natürlich Feine allſeitige Schilder 
der Zeitgenofjen erforder. Ob ein Staatsmann z. 6 
alten Chorpoeſie oder dem neuen Dithyrambos gewogen x 
ob ex dein Protagoras anhing, oder dem Sokrates: — 
interefjante und charakteriſtiſche ragen — Tonnte hier | 
nicht erörtert werben. Wenn es anging, fo mußte Tünt 
des das Gewebe diefer Staatd= und Kriegögefchichte auch 
aus politiſchen und militäriſchen Faden ausführen — 
bat er denn vier verſchiedene Baden, woran er die 7 
ſachen zufammenveiht. Dieſe Taufen ohne Unterbrechung du 


— 0 — — 


, 1) „Xenoph. Memor..], 1, 8 144. 
2) 8. Ritter, Th. H, S. 66. ' 


5. 2. :Crflärungen des Thukydides. 19 


aze Werk, tauſendfach in einander geflochten, und ed iſt 
ne Partie, welche nicht zu einem oder mehrern koönnte ges 
hnet werden. Schon bei’ den Reden haben wie ſie kennen 
lernt: politiſche Geſinnung im Innern, Unternehmungsgeiſt 
Außen, Seemächt und Bundesherrſchaft. Wir werden 
fee unten daB ganze Werl nach ihnen analyfien. ——: Um 
er Nichts unerklärt zu laſſen, führt der Hiſtoriker jeden die⸗ 
eFaden bis auf. den Urſprung der helleniſchen Geſchichte zus 
ck. Er weiſet nach, daß beim Anfange des Krieges jes 
e von ihnen feine höchſte Stärke erreicht habe. 7 
: Die bewunderungswerihe Grumdlichkeit, mit weicher Thu⸗ 
aides Erklärungen immer alte Selten des vorliegenden Ber 
Mtatjies, zugleich umfaſſen, iſt am. deutlichften in der mityle⸗ 
Wien Rebe zu Olympia nachzuweiſen (III, 9 fj.). Hier iſt 
ch, PBeſouders im dreizehnten Kapitel, die. äußere Ferm fo 
eng, wie fie. ſonſt nur in der Vorrede getroſſen wird. Hin⸗ 
difeber. einzelnen Behauptung folgt ſogleichndie Erklärung, 
Kt yao., ‚vexungeor: da md Ähnlichen Partikeln eingeleitet: 
er zur Angabe des geiſtigen Beweggrundes, in der Vorrede 
x keitifchen Beweisführung. — Daß Thukydides übrigens feine 
ärnig den äußern Thatſachen gewöhnlich voranſchickt, 
: nicht bloß chronologiſcher, fondern macht auch Die ganze 
jache dem Lefen deutlicher: So werden z. B. vor der Ichten 
irakaſierſchlacht in Nikias Rede die Kriegsanſtalten - gefchils 
nt ;:melche die. Athener als Außerftes Nettungsmittel erſonnen 
ten (VII, 61 fſ.). Die Kritik dieſer Mittel Hätte ein: Anz 
wer: vielleicht erſt bei: der Schlacht felbft gegeben, mo fie als 
upraktiſch bewaͤhrt wurden. Thukydides aber giebt fie vor- 
5 .er legt ſie in dern Mund des ſyraknſiſchen Feldherrn (67.), 
m zu gleicher Zeit auch Die Stimmung der beiden Heere zu 
bildern, die dumpfe Niedergefchlagenheit der Athener, vie 
ze Sicherheit der Syrakufier. . 

Zum Beſchluſſe dieſer Unterfuchung muß ich eine letzte 
igenthümlichkeit des Thukydides wenigſtens noch andeuten. 


200 Thukydides. Kap. 5. 


Seine Erklärungen Ianfen fo .allmählig in einander, Beine 
einander fo fehr mechfelfeitig, daß man felten geradezu fa 

kann, welches das erklärende, welches dad erflärte Glied ii 
Es findet hierbei eine Art von Kreislauf Stat. Sor 
z. B. ¶, 2.) von der unſtäten Lebensweiſe, von ben aM 
fen Auswanderungen der älteſten Hellenen geſprochen. We 
kam dieß? : Weit ſich Niemand an feinen Boden fi 
wollte. Woher das wieder? Weil man fürchtete, jeden ? 
genblick koͤnnte ein. Stärkerer kommen, und Gewalt ir 
chen. Hier jcagt man uunwilllürlich: Woher denn das endli 
und ebenſo nahe Liegt die Antwort: Weil eben Alle damal 
unftdt: waren. — . Ar. derfelben Stelle. bemerkt Thukydite 
die Unficherheit jener Zeiten rühre großentheils daher, daß Wi 
Städte damals Feine Mauern beſeſſen Hätten. ‘ Und. werk 
Reihen tiefer: gerade, wegen ber LUnficherheit aller Heim 

feien Die Städte weder groß, noch fell geweſen. — Nad 
7 fg. find bie. ältern Stäbte, des Feſtlandes wie ber Aid 
weil fie den Seeräubern wicht gewachſen waren, tiefer I 
Lande angelegt. Die jüngern dagegen wurden am die NUM 
gebaut, und hier bei ihrer. günftigen Lage alsbald durch Schiie 
fahrt und Handel mächtig. Alſo Die Lage machte fie ſtakf 
und doch, wären fie ‚nicht flark geweſen, fie hätten an Dal 
Küſte gar wicht. andauern koͤnnen I). — Ich habe. nur ſſelch 
Beiſpiele ausgeſucht, die wegen ihrer Kuͤrze beſonders denlh 
ſind: dieß iſt aber der gemeinſame Charakter afler Erfläund 
gen deß Thukydides. — Man. erinnere ſich an Dasjexiz 
was ich. oben ſchon von dem Unterſchiede der; philoſophiſchet 
ud der hiſtoriſchen Erklärung beigebracht habe. ‚Dem Philo⸗ 
ſophen würde eine, ſolche Cirkelerklärnug ſchlecht genug anſte 














— — — u. 


1) gl. noch bie Geſchichte von der korint hiſchen See⸗ und Han: 
delsmacht (I, 13.), von der atbenifchen -Bundesherrichäft (I, 75.), vo 
den Nachfolgern des Perikles (IL; G5.)).. Auch VII, 67. un: VIEL, 


5. 2. Cirkelrflärungen. 201 


ben. Bei ihm iſt der erklärte Begriff dem erklärenden allemal 
. fubordinietz; und die Schönheit feiner Erklärung beruhet wes 
fentlich auf der Schärfe dieſer Abſtufung. Dahingegen find 
die Glieder der hiftorifchen Erklärung einander coordinirt: fie 
wollen die Wirklichkeit, nur enthüllt und angeorhnet, wieder⸗ 
geben. In der Wirklichkeit aber giebt es Keine abfolute Sub⸗ 
ordination: hier wird. dad Große ebenfo oft von dem Kleinen 
modificirt, wie das; Styeiyg ppn a . Jede wahr⸗ 
Haft gelungene Hiffoifihe Erklarung drehet ſich 
im Cirteba ieihng ae Nierinsndd 


a 3 203* 
Para 5 I FI —A 


— — — ———— — —4— — 


nt RI m ie 


a U na er at de 
en TEEN Er ET st na er Tuer IL 
Kaserne, Bash an einidi ene erd is 
ERBE Bd N gi. aut nd dm n? 

| UNE 


T 
AN 


... Nr er Fl nn Pe ee e. e * 7 nt . 
#4 ! BAG 337 HIT. EIIEUTL 1395 nr. —V 155 
 erineepas une 2. Fa . Bendire y PP DE 
Meniengl SSZ Wniin2 Tut wesfisiudd) rn zen uelpsd 
an sh ir ed onalsr ZU] Tem las, and Ilalam 


at dead est ns 


... * 2. ns . Fi . .. 32.3 — <br 1 . "... IgG > 
SEE TUR, — Ind, SITE TE End 
nn. 3 * Yun. ⸗ ⸗ .'r 3 3* .r - Kr } A, . 7* vun te tn 
4 ali.ee Sir a FE vera ziıll SINN ORERFH 
0. t5.., En Po Fe : re 7 A ..32 4 
4 & ı. ‚I she 1.“ Bir “ J — FL FR LI: $ V u Jill Gil 
⸗ 6 *5 „rt gt. n .. 1 R * Im ge v Ar * “ap. .. . .5 0 @ et x 
P} 4.®, . \ .. “on. .. | 10 d . hl . 1 Br EZ Een w.-3 
J 5. tern EL 7 ur Kr un... .. 554. 
„hrs 4 in . 2* ! , ⸗ —* ef Yan .. ler, lan 


Weit it. man bat nd va — 
— Ba | Fre SER IE: 1 640 BEL) ua SCHERE GBR ae FE 1 
oem pp zcp rend: 97 Bin Kon Bari 


ni\D PF 
at’ r (u Eu Her FG € 
Irhi.la 5 Ku EEE 7 Fe RT 
Sy. ! ' , a Fe V e 33 ĩẽ “ 7 
an“: LT 70) Al .. eine nn I 
10 te \ tee . ‘ . " ” « .,' 
a TEIL hau on. HMI DT tn 
zy Tygrit ‚33.:2 welie 7.1 . 1 Er . Pr j 
Do Pr Tr — Bu . . Er re . , 
dr sheet ann nn et malen a. 


I 


mi ini gen nd neun a Zur id rtkaden 


8 „Seihſte 3 Kaitel— —BW “ u “ B 


ISERT. in 31, 

Sharafteriit der perikleiſchen Zei im 
Allgemeinen, | 

/ 


38. find nunmehr auf eine Höhe gelangt, von wo fih 
eine freiere Ausficht nach verfchiedenen Seiten bin eröffnet, 
Hier wird ed möglich fein, die einzelnen Andeutungen, welche 
über das Verhältniß des Thukydides zu feinen Zeitgenofien 
da und dort fchon gegeben find, in ein Ganzes zuſammenzu⸗ 

faſſen. 
Den Geiſt eines jeden Zeitalters kann die Nachwelt am 
beſten aus den Charakteren und Leiſtungen Derer beurtheilen, 
welche das Zeitalter ſelbſt für ſeine Erſten erkennt. Hier ſind 
es denn Perikles, Pheidias 1) und Sophokles, welche 
das Verſtändniß ihrer Zeit aufſchließen. Ihre Vorgänger 
waren Themiſtokles und Aeſchylos, ihre Nachfolger Alkibia⸗ 
des und Euripides. Denn Pheidias hat in Athen wenigſtens 
keine großen Vorgänger gehabt; er hat Schüler und Gehülfen 
zurückgelaſſen, aber ſeine Nachfolger beginnen erſt ſpäter. — 


— — — [un 


ı) Selbſt in der ſpätern, aber doch künſtleriſch gewiß noch guten 
Periode, worin der größere Hippias entflanden iſt, wirb immer Phei⸗ 
dias noch als der Bildhauer nar” ttoxi⸗ angeführt. 


Charaltetiſtik ber periticiiten Zeit. 203 


Zeiber fließen bie: Quellen zur Abe‘ dieſes Zeittaumes- nichts 
weniger als reichlich. Mom’ Schen des Perikles Haben wir 
aus dieſer Zeit mir die: kurze Ueberſicht im erſten Buche des 
Thukydides,nund. die: genauode Seſchichte ſeiner leiten: Jahre. 
Was den Pheidias Betrifft, fo reden Vie Trümmer ſeiner Bau⸗ 
werke freilich ker vo ihm:lso Zungen. oder. Buchſtaben 
Im Stande wären; Aber feine Wilder find’ nadistine in: ſpäten 
Eopient, "ober ſeit EKord Elgins Zeit: in Aueifelhuften,- ‚Halb 
verſtüͤmmelten Deiginalen zugaͤnglich⸗NAuch von Sophakhes 
iſt nicht. der Jehnten Theil feiner Schopfungen erhalten mordeu. 
— Durth ie Kinder und Enkel Meier Prriode if unmittelbar 
nur wenig zu dernen; denn das Berſtändniß der: großen Zeit 
ding alſobald verloren. Shi hat Platon: insbeſondere: von 
der allen /Staatsndnrern alle "den: Auiſteſdes,Alleufalls Tuch 
den Altern case hochgeſchaütze zeven Themiſtokles imber; 
den Kimon und Perikles mit dem wahren Staatsmame: fo 
verglichen 5! Hude vie Köche mit Dal: Arzgte 9; Mich die ältere 
Weiſe der Kinderzucht, jene Brundlage ver perikleiſchen Hert⸗ 
lichkeit, ſuchter offen herunterzüſetzen 2)..Dagegen eehjläugen 
manche Bichtblicke Aus Perikles Zeitrga den Reden war led 
in den Reden des Demoſthenes. | 

Aber auf eine andere Weile ift und der berrlichfte Erſatz 
geworden. Zwei Männer, beide au? der perikleiſchen: Zeit 
gebürtig,“ aber jünger, als’ die Hertzen derſelben,der Eine 
aus hohem, der Andere ‚ad liledkrem Starke‘, ketigent den 
Geiſt der, aiheniſchen Groͤße noch ungeſchmaͤlert ta,Nch,. haben 
ihn durch die Stürme der Verdervniß geredet; , mibihe einigen 


STIER BEINE m. 
DIN ET N rer dat 


J Gorg. P. 508. "BIS. ed... like, ‚ayely Sehgte⸗ xe. 
noph. Symp. YIH.), fontepn auch bie ‚minker. feitflänhigen. Golyafie 
fer, wie Xenophon und Simon (De vi: —* 378 D. a», urtheiiten 
hierin weit richtigee Fir rt * 


1i3. .* nn ne‘ re BE nin. Mn gi 
2) Soph. p. 220. bu 


206 Thulydides. Kap. 6. . 


ner an allen Vorzügen überlegen geweſen (II, 42. 65.), Un⸗ 
mittelbar vor dem Kriege verfichern felbit die Feinde, nur bei 
ganze latedãmonijche Bund ſei dem einzigen Athen gewachſen 
(I, 122.). 

Vernehmen wir zuenft eine Schilderung dieſer peris 
kleiſchen Zeit aus dem Munde von Athens erbittertſun 
Gegnern: aus dem Munde der Korinthier, wie fie durh 
grelles Hervorheben von Athens bedrohlicher Stärke die Laks 
dämonier zum Kriege entzünden wollen (I, 70.). Die Alter 
ner, heißt e8 da, feien gleich. unternehmend im Entwurfe, 
gleich rafch in der Ausführung. - Ihre Blane pflegten übe 
ihre Kraft zu gehen,. ihr Eifer über ihren anfänglichen Ext. 
flug, ihre Hoffnungen über ihre Erfolge. . In der Fremde 
feien fie zu Haus: darum - ihre Siege doppelt gefährlich, ihr 
Niederlagen wenig zu benutzen. Wo fie Fremdes nicht ae 
bern können, da halten fie das Ihre für geſchmälert 1). Eis 
finden Genuß nicht im Befige des Erworbenen, fondern im 
Erwerbe ded Gewünſchten. Die Arbeit iſt ihnen nicht Di 
tel, Sondern Zweck. Sogar ihre Feſte werden dadurch ber 
gangen, was bie Umſtände fordern, auszuführen. Mit Eis 
nem Worte, fie find geboren, weder Andern Ruhe zu laflen, 
noch ſelbſt Ruhe zu haben ). Wie unzertrennlich dieſe Ans 
Bere Rührigkeit mit einem progreffiven Charakter der innen 
Staatöverwaltung zufammenhänge, wird I, 71. erörtert. — 
Bon einer andern Seite her betrachtet Perikles die Ver⸗ 
hältniffe, wenn er in feiner erſten Rede den Athenern Sieg 
verfündigt, wofern fie nicht durch eigene Schuld deſſelben ver 





y VBgl. IV, 54. 


2) Man erinnere fi) wohl, es find die Korinthier, die hier xes 
den! Wo durch thatkräftige Menſchen etwas Neues gegen die träge 
Mafle burchgefegt werben foll, da wirb bas Bedürfniß, welches jene bes 
wegt, biejer legtern immer unbegreiflich bleiben. 


Charakterifiie der Seriieiged Zeit. 205 
währt ,i..uind.ich. wende es hier zumlichft. anf: Die Reihenfolge 
der vorherrfheunden Stämme: an. Zuerſt find‘ es die 
Pelasger und Leleger, ‚inelche- die fpätebit Stammedunterſihiedt 
noch ungefondert in fi tragen. Dan erheben fich: MEiägi> 
fchen ' Helbengefchlechter:, die zur: ‚Zeit. des "teoifchenn Keieges 
beinahe ganz:.Hella8 unterworfen halten. - Mit der Heraklidem 
wanderung tritt der dorifche Stamm In: den. Bordergmmnl) 
deſſen Haupt, Lakedämon, durch Vertreibung der Tyan) 
zu einer fait allgemeinen .Segemonie. gelangt... Aber kaum iſt 
dieſe Arbeit vollendet, fo beginnt auch fchon das rafche Wach⸗ 
fen von Athen, welches cin halbes Jahrhundert hindurch mift 
Lakedämon gleich, ſteht, das folgende jedoch nicht alloit poli⸗ 
tiſch entſchieden den: Berrang:- behanptet, ſondern audyı'kt 
Sprache, Literatur und Kunſt unter. den entgegengeſchztrj 
Stämmen die höhere Mitte einuimmt. — Nach deur Sturze 
von Athen geht in ſchönſter Ordnung Alles den umgekehrini 
Gang. Zuerſt wiederum die Dorier bis zur leuktriſchen Miles 
derlage; weiterhin die Aolifchen Böotier. Endlich, nachdem 
die Fremdherrſchaft der Makedonier ihr. drückendes Ueberge⸗ 
wicht verloren, ſtrahlt das lebte ⸗Abendroth der: hellenifſchen 
Freiheit von dem: Arkadiern und Aetoliern:aus, . welche dan 
Charakter der uralten. Beladger und Leleger am nächtenges 
blieben. — Den Mittelpunkt dieſes kleinen Kataloges, "zb 
gleich den. Höhepunkt der helleniſchen Geſchichte überhaupt, bil⸗ 
det Athen: Athen in jenen drei Perioden, die ich..flünhtlg 
oben bezeichnet Habe, deren mittelfte und Höchfte eben bil 
Staatöverwaltng des Perikles ausfüllt. — So uriheilt 
auch Thukydides, die Athener ſeien im Perſerkriege als die 
Beſten erprobt (I, 73 fſ.), und in Perikles Zeit ihrem Geg⸗ 


1 
° 


1) An diefe pflege: bahenı Shukobibes .fo- gern. erinnern zw Laffen.‘ 
Aus weldyen Gründen Athen damats dinter Sparta zuructtien, eriau⸗ 
tert Herodot ſehr ſchön im erften: Buche. 


206  Mlniigblnel. Kap. . 


ner an allen Vorzügen überlegen geweſen (II, 42. 65.). - Uns 
mittelbar vor dem Kriege verſichern ſelbſt die Feinde, nur der 
gauze latedãmoniſche Vund ſei dem: einzigen Athen gewachfen 
. 122.).. 

Verachmen wir zuerſt eine Sqilderung dieſer peri⸗ 
tieif chen Zeit. aus den. Munde non Athens erbittertſten 
Gegnern: aus dent Munde der Korintbier, wie fie durch 
grelles Hervorheben von Athens bedrohlicher Stärke die Lake⸗ 
damonier zum Kriege entzünden wollen (I, 70.). Die Athe⸗ 
wer, heißt es da, ſeien gleich, unternehmend im Entwurfe, 
gleich vaſch in der Ausführung. Ihre Plane pflegten übe 
ihre Kraft zu gehen, ihr Eifer über ihren anfänglichen Ext 
ſchluß, ihre Hoffnungen über ihre Erfolge. . In der Fremde 
freien fie zu Haus: darum - ihre Siege doppelt gefährlich, ihre 
Niederlagen wenig zu benutzen. Wo fie Fremdes nicht ero⸗ 
Kern künnen, da halten fie.das Ihre für gejchmälert 1). Cie 
finden. Genuß nicht im Beſitze des Erworbenen, fondern im 
Erwerbe de Gewünſchten. Die Arbeit iſt ihnen nicht Mit⸗ 
tel, fondern Zweck. Sogar ihre Feſte werden dadurch bes 
gangen, was bie Umftände fordern, auszuführen. Mit Ei 
nem Worte, fie find geboren, weder Andern Ruhe zu laſſen, 
noch ſelbſt Ruhe zu haben 2). Wie unzertrennlich dieſe äu⸗ 
Gere Rührigkeit mit einem progreffiven Charakter der innen 
Staatöverwaltung zuſammenhänge, : wird I, 71. erörtert. — 
Bon einer andern ‚Seite her betrachtet Perikles die Ver 
Hältniffe, wenn er. in: feiner: erfter Rebe den Athenern Sieg 
verfündigt, mofern fie nicht durch eigene Schuld befjelben ver 





) Bgl. IV, 54. 


3) Man erinnere fi) wohl, es finb die Korinthier, die hier ces 
den! Wo durch thatkräftige Menſchen etwas: Neues gegen die träge 
Mafle burchgefegt werben ſoll, da wirb bas Bebürfniß, welches jene bes 
wegt, dieſer legtern immer unbegeeiflich.:bleiben. . . 


Charafterijtif der perikleiſchen Zeit. 207 


luſtig gingen (I, 141 fſ.). - Hier tritt wor Allem die Freiheit 
der Athener von den Sorgen des täglichen Lebens hervor, 
welche ihnen geftatte, ſich mit ganzer Seele auf Einen großen 
Zwed zu werfen. Dann ihre langjührige, allmählig erwor⸗ 
bene Uebung im Kampfe und in der Herrfchaft, ihre ftarke 
und die Gelegenheit ergreifende Eintracht, ihre Ungebunden⸗ 
heit in der Weife des Angriffs, Hauptfächlich aber ihr groß⸗ 
herziger Sinn, welcher die Laudhäuſer und Felder von Attika 
um größere Dinge willig dabingebe. 

Als nun der Krieg aber wirklich begonnen batte, in wel 
chem diefe Größe von Athen zufammenftürzen follte, da bes 
nutzt der Hiſtoriker die erſte würdige Gelegenheit zu einer breis 
tern Entfaltung feiner Anfichten: gleichſam als wollte er vor 
dem Abſchiede jene Zeit noch einmal in ihrer wollen Herrlich⸗ 
feit begrüßen. Dich gefchicht in der perikleiſchen Lei- 
chenrede (II, 35 — 46.). Nichts it wunderbarer , als 
das allmählige Anfchwellen dieſer Nede: wie fie kühl und Teife 
beginnt, immer wärmer und lauter, immer glühender und 
mächtiger wird, cine Zeitlang in höchſter Majeftät fich "gleich 
bleibt, um dann ebenfo allmählig zum Schluſſe Herabzufinken. 
Das ift die wahre Hiftorifche Beredtſamkeit, welche nicht bloß 
heranftürınt gegen den Lefer, ſondern ihn auch fühig macht, 
dem Sturme Widerftand zu leiſten. | 

Gleich zu Anfange bemerkt der Redner, er rede nicht um 
der Oefallenen willen; denn wer durch die That fich groß ges 
zeigt, der werde auch beffer durch die That, als durch Die 
Rede gefeiert. Darum geht er denn auch Bald auf den Ruhm 
des athenifchen Staates über (36.): er. gedenft der Ahnen, 
welche durch Stätigkeit 1) Ihrer Wohnſitze und durch männliche 
Tugend Die Freiheit bewahrt; er gedenft der Väter, welche 


1) Worauf die Athener bekanntlid) fo ungeheuern Werth Iegten. 
Außer den zahllofen Stellen der Redner, befonders der Epitaphien, vgl. 
Herod. VU, 161. Xen. Mem. 111, 5, 12. 


208 CThukydides. Kap. 6. 


zu der Freiheit Die Macht Hinzugefügt haben, Doch Bei aller 
Ehrfurcht vor den Thaten der Vergangenheit fpricht er feiner 
Gegenwart die Krone zu. — Hier iſt nun augenfcheinlich die 
Abſicht des Thukydides, in feine Schilderung der perikleiſchen 
Zeit vornehmlich diejenigen Züge aufzunehmen, in deren Vers 
änderung ſich nachmals der Verfall am entfchiedenften. offen 
barte. Diejenigen zugleich, die mit Lakedämon im fchärfften 
Gegenſatze ſtanden. So konnte ihm das weſentlich Atheniſche, 
das wefentlich Perikleiſche nicht entgehen. — Gerechte Freiheit; ver⸗ 
fländige Gleichheit, welche den Ruf beachtet und das Verdienſt 
anfenert 5; nnerzwungener Gehorſam gegen Obrigfeit und Ge 
feß, fern von Mißtrauen und Polizeichieane, beſeelten die 
Staatövertvaltung (37.). Reichthum, Kunftgenuß und ſiun⸗ 
liche Ergötzungen verichönerten die Muffe, Doch immer nur 
ald Erholungen von der Arbeit (38.) ). So wenig die Ar⸗ 
muth beſchimpfte, fo ſchmachvoll ſchien es dem Athener, fie 
nicht mit Eifer abzuwenden. Doch ſelbſt der Landmann, der 
Gewerbetreibende war mit Staatsfachen beſchäftigt. Wer am 
Staate kein Jutereſſe fand, der galt nicht für ruheliebend, 
fondern fir unnütz (40.). Die Deffentlichkeit des ganzen Le 
bend, verbunden mit dem großen Verkehre der Stadt, war 
die Urfache, daß man auch den Feinde nicht mit Liſt und 
Heimlichkeit 2), ſondern mit offener Tapferkeit entgegentrat ; 
eine? Tapferkeit, die mehr auf Charakter, als auf harter Erzie⸗ 
hung und Gefeßen beruhete. So- ausgebreitet und alljeitig 
isre Politit war, zu Land und zu Waller, fo war dad, 
bei aller Vorbereitung auf den Krieg, der Friede mehr für 
ſie, als blog eine Uebungsfchule (39.). Der Athener liebte die 


1) Man denke fpäter nur an die Gleichheit der xenophontifchen 
Republik, an das Ueberhandnehmen der Sykophantie, und was die Aug: 
artung ber öffentlichen Luftbarkeiten angeht, an Xenoph. De rep. 
Ath. 2, 9. 3,8. Demosth. Phil. I, p. 50. Plut. De glor. Aıh. 
8 Justin. VI, 9. Böockh Staatshaush. I, S. 224 ff. 

2) Ich erinnere an die Xenelafie und die Gekeimnißfrämerei, welche 
allen ariftolratifchen und bespotifchen Staaten eigenthümlich iſt. 


Charakteriftif Der peritleiſchen Zeit. 203 


deider fließen: bie Quellen zur Kunde dieſes Zeitraumes nichts 
veniger als reichlich. Vom Leben des Perikles Haben wir 
mE dieſer Zeit mir die: kurze Ueberſicht im erſten Buche des 
Thukydides, nnd die genauede Geſchichte feiner letzten? Jahre. 
Was den Pheidias betrifft, fo reden Die Trümmer ſeiner Baus 
werke freilich Faser now: ihm:, a8. Zungen. oder. Buchſtaben 
kn Stanbe würen: Aber feine Wilder ſind nadinie in fpäten 
Bopien:, . ober feit Lorb Elgins Zeit: In zweifelhaften, Halb 
derſtümmelten Driginalen zugaͤnglich⸗ Auch von Sophokles 
iſt nicht. der gehe Theil ſeiner Schbpfungen erhalten worden. 
— Durth die Kinder und Enkel dieſer Perriode iſt unmittelbar 
re wenig zieren: denn das Berſtändniß ber großen Zeit 
ding alſobald verloren. Se: hat Platon insbeſondere von 
den alien Staatsmaännern allein "den: Ariſteldes, allenfalls. auch 
den Alter Thakydides hochgeſchaützt zrven Themiſtokles aber, 
den Kimon und Perikles mit dem wahren Staatsmanmme fo 
xerglichen wien die Köche mit dent Arzte 1)yY. Auch die ältere 
Weiſe der Kinderzucht, jene Grundlage der perikleiſchen Herr⸗ 
ächkeit, ſucht er offen herunterzuſetzen 2). Dagegen erglänzen 
nanche Hichtblicke aus Perikles Zeit in den Reden, vor Allen 
n den Reden des Demoſthenes. 

Aber auf eine andere Weiſe iſt uns der herrlichſte Erſatz 
ſeworden. Zwei Männer, beide aus der perikleiſchen Zeit 
rbürtig, aber jünger, als bie Herven berfelben;, ter Eine 
8 hohem, der Andere aus niederem Starte,” träger den 
Beift der, athenifchen Grüße noch ungeſchmaͤlert iR Sich, haben 
hn durch die Stürme der Verderbniß gerettet, und in einigen 

— ee Po 

») Gorg. p 503. blis sqq.. — ie allein Sokrates (Xe- 
oph. Symp. VII )» fonbern, auch die minder ſelbſtändigen Sokrati⸗ 
r wie Zenophon und Simon (De v virt Pr ‚976 D. sa, urtbeilten . 
erin weit richtigre. | 


2) Soph.p. 229. 


' 12 3% Be 


204 Anckydides. Kap. 6. 


Kunftinerken der Nachwelt aufbewahrt: Thufydides!) ef 
Ariſtophaneß. Das Werl: ned Erſtern iſt und ganz erha⸗4 
ten; von den Komödien des Letztern doch eine wohlzuſammen⸗ 
hängende Reihe von elf köſtlichen Perlen, . und. mit. einak 
Meichthume guter Scholten,; ‚wie fie befanntlich faſt kein af 
Schriftiteler. ſonſt: noch: aufmeiſen kann. "Sm Ayutyeines Ti ı 
und das! politifche und kriegeriſche Leben. jener. Zeit vollſtänig 
aufgeſchleſſen. Welten freilich mm Wenige... Aber, was bs 
fehlt, das finden mic im Ariſtophanes, eine Gefchichte da 
Knuſt, der Philoſophie und der ganzen Sitte, wie ſie Ni 
mehr: zu. wünſchen übrig läßt. +r ° In bisfen beiden Mannera | 
Hat, die altattiſche Kunſt ihre ſchärffte Eigentgänslicgkelt es 
reicht: gerade darum die ſchaͤrfſte, weil fie gegen daß eis | 
Bende: Verderben fich. ſchon yerthribigen mußte. - Wer alſo De 
fen. altattiſchen Geift crtennen will der findet ihn ie om 
handareilihſin . ER 
Schon: Polybios 3). 9— einariegen, daß in den. Eatniis 
ungen. Der Menſchen ein gewiſſer „Kreislauf Statt findet, wel⸗ * 
cher allemal das Ende dem Aufange ähnlich, macht. Gamz | 
beſonders hat fich dich Bei in ber: beten Sefgigte 4 


| . 
7.13. 











Mae En Zee * ee 

‚Ne W@yttenbärh fagt:fehe. gut: .Mihi quidem Thucydides ie ' 
se * Periclig ‚Apiletionem ‚cömposuisse videtur, ut, qyum, geriptem : 
viri nplipm exsieh,, ‚gius. ‚gloguentiag, formam efligiemque per totum 
hisgoria®” opus‘ & expressum posteritati servaret (Praef. ad Select, : 
Plihdip. Kmtoli ge XIC)J. Sol. Aristides Vol. IF, PIE Be 
RD, Mütter treffend bemackt, To- kynnte Thukydides den: geile 
gen Bewegungen in Athen feit der Mitte des Krieges um fo leichter 
fremd bleiben, weil er im Eril lebte (Literatur II, ©. 342.). 


.2) Daher auch das Ipätere Altertyum im Ganzen den Menander 
dem Arijtophanes fehr vorgefögen hat. Vgl. die bbrtreffliche Auſammen⸗ 
ſtellung zu "Anfang der Rate’ ſchen Vita Aristopkiarfis: 


8) Alſo durchaus nicht 'Machiavelli zuerft, wie Gersinus irgend⸗ 
wo behauptet. Auch bei Platon und Tacitus finde ich dieſelbe Ans 
ſicht. “Ton tue 


Sichentes Kapitel, : 
Neligion des ZburpBidenn. — 


gz. 1. 
Vorbereltung auf Zhuchdides | | 
Des die Religion der Hellenen ihren Hauptzugen ua bir 
reits in der vorhomeriſchen Zeit firirt worden iſt/ ſche 
ich durch die Forſchungen der Neuern als bewieſen an. 

Von dieſer urſpruͤnglichen Religioſität finden wie in 
Homer's Geſängen einen ganz ähnlichen Abfall, wie 
ihn unſere Rittergedichte Im Vergleich mit dem aus—⸗ 
gebildeten Katholicismus des‘ frühern Miittelalters darſtel⸗ 
len. Die meiſten Göttergeſtalten wardt;: aus Naturmäch⸗ 
ten ibealifirte Ritter geworden; die Hierzu nicht paſſen wolle 
ten ,„ wie Dionyfos und Demeter, mußten als plebe⸗ 


% 
Er SE 


1) Die Schrift von Wigand: Ueber bad religiöfe Prfncip. des 
Thukydides, fowie die ziemlich übereinftimmenden Refultate in Kor⸗ 
tüms Anhange zur Geſchichte hellen. Staatsverfaſſungen, bieten faſt 
gar nichts Belehrendes. Dieſe Männer haben den religiöſen Cha⸗ 
takter bes Thukydides eigentlich nur aus feinen Gemeinplägen. erken⸗ 
nen wollen, alſo gerade aus dem Nichtcharakteriſtiſchen. Ihre 
Schilderung würde daher 3. B. auf Machiavelli und Joh. Müller faſt 
ebenſo gut paſſen. | 


14* 


206 Thukydides. Rap. 6. . 


nee an allen Vorzügen überlegen geweſen (II, 42. 65.), - Um 
mittelbar por dem Kriege verſichern ſelbſt die Feinde, nur bei: 
ganze Iatebömonifihe Bund ſei dem einzigen Athen gewachſa 
(1, 122.). " 

. Vernehmen wir zuent eine Sqilderung dieſer peruſp 
kleiſchen Zeit. aus dem Munde von Athens exbittertiuf 
Gegnern: aus dem Munde der Korinthier, wie fie duh 
grelles Herborheben von Athens bedrohlicher Stärke bie Lals 
dämonier zumt Kriege entzünden wollen (I, 70... Die Ale 
ner, beißt es da, feien gleich. unternehmend tm Entwur, 
gleich raſch in der Ausführung. : Ihre Plane pflegten übe 
Ähre Kraft zu gehen,. ihr Eifer über ihren anfänglichen Ex 
flug, ihre Hoffnungen über ihre Erfolge. . In der Kremie]- 
freien fie zu Haus: darum ihre Siege doppelt gefährlich, Ike 
Niederlagen wenig zu benuben. Wo fie Fremdes nicht ewT: 
bern können, da halten fie das Ihre für gefehmälert ). Ei 
finden Genuß nicht im Befike des Erworbenen, fondern in 
Erwerbe des Gewünſchten. Die Arbeit iſt ihnen nicht Mi⸗ 
tel, fondern Zweck. Sogar ihre Feſte werden dadurch ir 
gangen, was die Umſtände fordern, audzuführen. Mit Ei 
nem Worte, fie find geboren, weder Anbern Rube zu laflen, | 
noch ſelbſt hiuhe zu haben 2). Wie unzertrennlich dieſe in⸗ 
hßere Rührigkeit mit einem progreſſiven Charakter der innen 
Staatsverwaltung zuſammenhänge, wird I, 71. erörtert. — i 
Von einer andern Seite her betrachtet Perikles die Ws | 
Hältniffe, wenn er in feiner erſten Rede den Athenern Sieg | 
verfündigt, wofern fie nicht durch eigene Schuld beffelben vum | 

oo. | 









) Bet. IV, 54. 


2) Man erinnere fid) wohl, es find die Korinthier, die hier ve 
den! Wo durch thatkräftige Menſchen etwas Neues gegen bie träge 
Mafle durchgeiegt werben foll, ba wirb bas Bedürfniß, welches jene be 
wegt, diejer legtern immer unbegreiflich bleiben. 


Charafteriftit der perifleifchen Zeit. 207 


kflig gingen (I, 141 fſ.). Hier tritt wor Allem die Freiheit 
kr Athener von den Sorgen des täglichen Lebens hervor, 
welche ihnen geftatte, fich mit ganzer Seele auf Einen großen 
Zweck zu werfen. Dann ihre laugjährige, allmählig erwor⸗ 
bene Uebung im Kampfe und in der Herrſchaft, ihre ftarke 
umd- bie Gelegenheit ergreifende Eintracht, ihre Ungebunden⸗ 
Beit in der Weiſe des Angriffe, Hauptfächlic aber ihr groß⸗ 
herziger Sinn, welcher die Landhäuſer und Felder von Attila 
nm größere Dinge willig babingebe. 

Als nun der Krieg aber wirklich begonnen Hatte, in wel 
em dieſe Größe von Athen zuſammenſtürzen follte, da bes 
wet Der Hiſtoriker die erſte würdige Gelegenheit zu einer breis 
ern Entfaltung feiner Anfichten: gleichfam als wollte er vor 
dem Abſchiede jene Zeit noch einmal in ihrer vollen Herrlich⸗ 
'eit begrüßen. Dieß gefchicht in der perikleiſchen Lei⸗ 
benrede (I, 35 — 46.). Nichts ijt wunderbarer, als 
a8 allmählige Anfchwellen Diefer Rede: wie fie kühl und leiſe 
Yeginnt, dummer wärmer und lauter, immer glühender und 
nächtiger wird, eine Zeitlang in höchſter Majeftät ſich gleich 
lcibt, um dann ebenfo allmählig zum Schluſſe herabzuſiuken. 
Das iſt die wahre hiſtoriſche Beredtſamkeit, welche nicht bloß 
eranſtürmt gegen den Leſer, ſondern ihn auch fähig macht, 
en Sturme Widerftand zu leiſten. 

Gleich zu Anfange bemerkt der Redner, er rede nicht um 
ee Gefallenen willen; denn wer Durch die That fich groß ges 
tigt, Der werde auch beſſer durch Die That, als durch die 
tede gefeiert. Darum geht er denn auch Bald auf den Ruhm 
eö atheniſchen Staates ber (36.): er gedeuft der Ahnen, 
selche Dach Stätigkeit ) Ihrer Wohnfige und durch männliche 
ugend die Freiheit bewahrt; er gedeuft der Väter, welche 


— — 


1) Worauf die Athener bekanntlich fo ungeheuern Werth legten. 
ißer den zahlloſen Stellen der Redner, beſonders der Epitaphien, vyl. 
erod. VII, 16l. Xen. Mem. 111, 5, 12. 














208 Thukydides. Kap. 6. 


zu der Freiheit Die Macht Hinzugefügt Haben. Dech bei all 
Ehrfurcht vor den Thaten der Vergangenheit fpricht er fei 
Gegenwart die Krone zu. — Hier ift nun augenfcheinlich ag 
Abſicht des Thukydides, in feine Schilderung der perikleiſche 
Zeit vornehmlich Diejenigen Züge aufzunehmen, in deren Ver 
änderung ſich nachmals der Verfall am entfchiedenften nfrung 
barte, Diejenigen zugleich, die mit Lakedämon im fchärik 

Gegenfage fanden. So Eonnte ihm das wefentlich Arheniihg 
das wefentlich Perikleifche nicht entgehen. — Gerechte Freiheit; von 
ſtändige Gleichheit, welche den Ruf beachtet und das Verbief 
anfenert ; nuerzivungener Gehorfan gegen Obrigkeit und @ 
feß, fern von Mißtrauen und Polizeichicane, Bbejeckten \ 
Staatöverwaltung (37.). Reichthum, Kunſtgenuß und fin 
liche Ergötzungen verichönerten die Muſſe, Doch immer ug 
als Exholungen von der Arbeit (38.) 1). So wenig die Am 
muth beſchimpfte, fo ſchmachvoll fchien ed den Athener, ki 
wicht mit Eifer abzuwenden. Doc, felbft der Landmann, de 
Gewerbetreibende war mit Staatsfachen beſchäftigt. Wer a 
Staate Fein Jutereſſe fand, der galt nicht für ruhelicbend, 
fondern fir unnütz (40.). Die Deffentlichkeit des ganzen Les 
bend, verbunden mit dem großen Verkehre der Stadt, war 
die Urfache, daß man auch dem Feinde nicht mit Lift und 
Heimlichkeit 2), ſondern mit offener Tapferkeit entgegentrat; 
einer Tapferkeit, die mehr auf Charakter, als auf harter Exzies 
hung und Gefeßen beruhete. So- ausgebreitet umd alljeitig 
isre Bolitit war, zu Land und zu Waſſer, fo war Dad, 
bei aller Vorbereitung auf den Krieg, der Friede mehr für. 
jie, als bloß eine Uchungöfchule (39.). Der Athener licbte die 


) Man denke fpäter nur an die Gleichheit ber renophontiſchen 
Republik, an das Ueberhandnehmen der Sykophantie, und was bie Aus⸗ 
artung ber öffentlichen Luſtbarkeiten angeht, an Xenoph. De rep. 
Ath. 2, 9. 3,8. Demosth. Phil. I, p. 50. Plut. De glor. Am. 
8. Justin. VI, 9. Bockh Staatshaush. I, S. 224 ff. | 

2) ch erinnere an die Xenelafie und bie Gekeimnißträmerei, welche 
alten ariftofratifchen und despotifchen Etaaten eigenthümlich ift. 


Charakteriſtit ber periflefchen Belt. 209 


Banft , doch ohne Verſchiwendungei); die Wiffenfchaft, doch 
Be Weichlichkeit. Er wirkte für den Staat, ohne: fein 
haus zu vernachläffigenz. ex lernte won der Rede, ohne die 
et zu verabfäumen 2). Sein Heldenmuth ging aus Kennt⸗ 
Eäi:der Gefahren, feine Aufopferung: aus dem richtigen Ur⸗ 
jeile: iiber das hervor, was auf dem Spiele ſtand (40, 43.) 3). 
Nez ‚Athen Tonnte mit. Recht eine Schule von Hellas 
Weit werden ). — Und zum Beweiſe dafür beruft unfer 
Daner fich auf die lebendige Wirklichkeit: eine Wirklichkeit, 
Ka weder eines Homeros, noch eines. Logographen zu ihrer 
Befgerrlichung bedürfe, : fonbern allein ihrer eigenen, ewig 
meernden Denkmäler, im Guten wie im Böſen (41.). 
Bisie Herrlichkeit des Vaterlandes foll denn auch zur Liebe 
dzegen aufmuntern, zur männlichen Pflichterfüllung in dem 
Blauben, daß alle, Glückſeligkeit auf der Freiheit, alle Kreis 
aber. auf Der Tugend begründet iſt (43.). Endlich den 
dieſer Rede bildet die Ausfiht, zwar das Leben fei 
Ieginglich,,: her Ruhm des mohlgeführten Lebens aber unver- 
Buglich 3), :— - Die Hauptgedanken der Reicheneede kehren in 
er letzten Ermunterung wieder, bie Nikias vor Syrakus hielt 
Wil, 69.). Allerdings. ein: ſergceiteuder Ausentuc, um dar⸗ 
ai erimeri i zu werden? . .. 


J 
— — * Æ BE ! u LIEFEN J N 
ws Dan denke an bie Spätere Beiäiiste bes Zeiten). 
3) Bol. 42. 5%: EIN. . 
9%) Bol. hierzu Demofthenes Staatöreden an unzähligen. Stellen! 


4) “Eiiados "Elias, wie ed ber Dichter Thukydides in feinem Epis 
amme auf ben Euripibes nennt. Vgl. Isocrat. Paneg. 13. Aesch. 
le morte 3. 

5) 11, 33 fg. 64. — Fürwahr, folche Männer, wie bie perikfei= 
ven Athener, waren ber Befoldbungen, Klerudyien, Scyaufpiele, bie 
nen gegeben wurden, nicht unwerth ! Bol. Wachsmuth Hellen. Als 
th. I, 2, ©. 66 ff. Und die Schönen Worte in Heeren's Ideen: 
erke Bd. XV, ©. 329 fg. 

14 


240 Wukydlides. Kap. 6. 


WVon K. O. Müller. tft bekauntlich dee ge 
Verſuch gemacht worden, im Apollon und Herakles ein 
thiſche Perſonification Des doriſchen Stammcharakters n 
weiſen. Der Dorier, won ‚veligidfent Bedürfniſſe geh 
fuchte das Leben, das ihn: felbft durchdrang, nun auch 
fich Darzuftellen, dort In göttlicher Geſtalt, ‚hier in Hera 
Wie ſich denn freilich In dem: menfchlichen. Theile einer 
Religion: der idealifirte Charakter: des Volles und Zei 
wiederfinden Täßt; Auf dieſelbe Weiſe — ſchon der $ 
dünkt mich‘; weiſet dahin — könnte man in der Pallas? 
eine Repräfentantinn des. atheniſihen Geiſtes erblicken. 
nun zu Perikles Zeit das politiſche und literariſche Weſ 
Athener feine Bluthe trieb, ſo ward auch das Pallas 
um dieſelbe Zeit durch Pheidias vollendet,:rfür alle Fo 
ten. feſtgeſtellt. Wer irgend Die bekaunte albaniſche Büj 
ſehen hat, der wird, aus: dern ſtrengen Grazie, der u 
Klarheit, der völligen Zufriedenheit dieſes reinen, hohen 
litzes vinen hnlichen Eindrack empfunden haben., mie A 
Rede vis: Perikles oder ein ſophoklrifches Drama hear 
Demſelben Geiſte, welcher dieſe Poallas erſchuf, gel 
auch, ben Zeit von Olynwpiazu bilden, den allgem: 
und höchſten Gott der Hellenen. Sch denke mir- dieſes 
nach der Büſte von Otricoli. Es erinnert mich an die | 
gezeichnete Majeftät eines fophofleifchen Theſeus; und 
ohne ſinnreiche Anſpielung iſt Perikles von feinen: Serge 
der Olympier genannt worden. 


X 
Du | > Pr (7 . a 


F. 1. Oeligtäfe MReuciton. 247 


lich aber machte fi die religiöſe Menetion in ben Streifen gels 
tend,: welche zugleich mit dee politiſchen Reaction gegen die 
Volksherrſchaft beſchäftigt waren. Wie ſich dieſe Richtung bei 
den Sokratikern ausgebildet, darf ich im Allgemeinen als Bes 
kannt voraußfegen 2). Das: höchſte Ideal dieſer neuen Religkoſt⸗ 
tät iſt Sokrates, höher ſtehend, als der quãkerhafte Hermoge⸗ 
nes. Am fruheſten aber tritt diefe Werbludimg der Acchlichen 
und politiſchen Reaction in dem beruͤhmten Prezeſſe wegen der Ser 
menfrevel hervor. Wie ich tiefer imten 2) zeige, ſind die Hermerfte⸗ 
vel ſowohl, als die Miofterienverlegungen vollkommen im Sinne 
dieſer Reaction, welche den eutarteten Volksglauben anf ihre 
Weiſe erneuern wollte. Alſo keinesweges bloß Exceſſe über⸗ 
müthiger Trunkenheit! — Man würde nun freilich ES 
recht thun, wenn man die religiöſen Ausſchweifungen heneẽ 
Zeit, die Myſteritnider Kotytto F) und Aehnliches, geminkält 
dieſer Reattion wollte Schuld geben. Hat dech auch die Ai 
theriſche Refermatien /ihre Wiederiüufer, die Heutige Kirchen⸗ 
bewegung ihre Mucker. Saine das „ale Auftreten des son 


. . , DR 1 nd , 
sl. te Br a Fee 





1) Bor Allen bei Zenophon, dann auch bei Platon, Simon, bem 
Verfaffer des Axiochos. Auch bei Iſokrates finden fich zahlreiche Spu⸗ 
ren. Diefen Männern ift felbft im Aeußerlichften 3. B. der Schwur 
bes Lampon.eigen, bei der Band, beim Hunde u. -f. w., wie es Plas 
ton im. zwölften: Buche der Geſetze als ein frommes Inftitut des Rhaba⸗ 
manthys bezeichnet. Val. Schol. Arist. Avss 521. Die Zrreligiofl« 
tät einzelner Neactionäre, ;- B bes Kritiad . iſt hiermit ſehr wohl 
vereinbar. . .." Le 

.?) Kap. 16;8.6, “ Bu | 

3) Bekanntlich in Bupotre Bapten berſpottet. Eon früher hatte 
Kratinos feine ‚Shraterinnen' gegen ben Cultus der thrafifchen. Natur⸗ 
gottin Bendis gerichtet, der etwä um 444 im Peiräeus öffentlich reci⸗ 
pirt wurde; ſeine Idier gegen den Eultus der Kybele, für welchen 
Pheibias felbft, alſo veeinuthlich in Perikles Auftrage, ein Bild verfer⸗, 
tigt hatte (Pausan. 1,3,15.),, Ich meine übrigens, daß diefe Receps 
tionen nicht fowohl aus Pietismus erfolgt find, als weil Athens Welt: 
handel bergleihen Zoleranz erforderte. Später wurden fogar wieber 
Frauen vom Apoll gefchwängert, u. dal. m. (Plut. Lysand. 26.). 


212 Tpufpbived, Kap. 7. 


jiſche 1) Gottheiten in den Hintergrund treten. Zwiſche 
nem Nitter und einem Gotte war der Abſtand nur ge 
Diomedes fchlägt den Ares, Achill den Skamandros. 
das Leben der Götter, fing man an, die frivolſten Schn 
hinüberzutragen 2). 

Eine ganz ähnliche Bewegung, wie fie im fechzd 
Jahrhunderte das entartete Chriftenthum bei den abend 
Then Völkern reſtaurirte, fcheint auch in Griechenland 
fechfte Jahrhundert Belebt zu haben. Dieß iſt fi 
Hellenen das Zeitalter der großen Erfindungen. Un 
Buchdruckerkunſt entfpricht damals die Verbreitung und ! 
befferung der Schrift; unſern Entdeckungsreiſen die Bela 
ſchaft mit dem Driente und der weftlichen Hälfte des M 
meered. Wir fchen Die Myſterien, dieß religiöfefte Ele 
- der griechifchen Neligiony wieder lebendig, die Orakel, | 
über die Barbaren bin, wieder Herrichend werden. Die 
ige Sage, .die alten Sötterfprüche, um nor Menfchenfal 
ſicherer zu fein, merden aufgezeichnet. Mit Epimenides u. 
hebt eine. veliginfe Lyrit an, ſowie auch das Epos durd 
zahlveishen Gedichte der Orphiker ganz: religids und ask 
wird. , Die aufblühende Kunſt, mie dic aufblühende Wi 
ſchaft 3) nehmen einen veligiöfen Anfang. Wunderthäter 
Sittenprediger treten an die Spike der Staatäperwalt 
An Sitte, wie ſelbſt an Kleidung macht die ionifche W 


m _— —— 


1) Nah den Forſchungen von Welder im Nachtrage zur 
logie. 

2). Daher auch die mannidhfachen Kritiken 3. B. des fröm 
Yindar: Olymp. I, 62. IX, 35. 


3) Insbeſondere waren die Logographen bemillhet, in ben Ci 
und Sagen. der batbarifchen Völker die Hauptelemente des helleni! 
Glaubens wieberzufinden. Die hellenifchen Götter wurben hierdurd 
Weltgöttern, wenn auch bie Kritik, die fich damit vorbereitete, in 
rer weitern Entwidlung eine Bauptbeförderinn des Rationalismus 


$. 2. Thukyd. Unficht vom ver griedg. Weligionsgefchichte. 9 


.? . i a I u 


A. 2. . 
Zhutydibes Anſicht von der griechiſchen geliglonsteſchichte weampt 


Eine Beantwortung dieſer Frage ergiebt ſich aus den — * 
foden. des ——— 8— Lpiſoden He „ um en 


eisen 


Da iſt es denn gleich at —— daß in dem Haypts 
werke des Thukydides fo außerordentlich ſelten von Religionb⸗ 
inſtituten Die Rede ift, während. dieſe Epifoden doch, vornehm⸗ 
lich die zwei aus. der früheften-t). Zeit, ganz vorzugsweiſe has 
von handeln. Es liegt hierbei ‚eine fehr richtige Anficht des 
Thukydides zu Grunde: daß die Religion nämlich im höhern 
Alterthum einen wichtigern Platz eingenommen habe, als in 
feiner Gegenwart, — Die vierte Epiſode, welche die Süh— 
nung der Inſel Delos betrifft, Handelt ausfchlieglich von Res 
ligionsſachen (IH, 104.). Mean Hatte diefe Inſel von jeher 
für einen Talisman dee Seehertſchaft angeſehen, daher auch 
ſchon Peiſiſtvatos fie gereinigt, Polykrates fie beſchenkt hat⸗ 
te2). Wie mild und verſändig erſcheint hier Peiſiſtratos 
Reinigung: nicht auf grob ſinnliche Weiſe 3), - ſondern durch 
religiöfe Ceremonien; nicht übertrieben, ſondern nur ſhweit, 
als der Geſichtskreis des Hefligihiunes reichte. Nun. aber ‚Die 
Reinigung durch Kleon )! Wie roh und materiell: alle 
| I BE Pe DE 
1) ], 126. II, 15. 


3) Auf eine "für bas Soranienzetkalter ht ¶ ieeriſiiſqhe Art: 
indem er die nah gelegene Inſel Rhenea mittelſt einer Kette an Delos 
befeſtigte! 

3) Well, 8. i Zu Er EL Ze Ze 


4) Wie Diodor angiebt, zundchft um ber Peſt willen angeſteilt: 
XII, 68. Auch trug gu der harten Behandlung:bed Oeller gewiß der 


2200ZIhukybides. Kap. 7. 


Grüfte werden aufgeftört, und die Schläfer aus ihrer Ruhe 
ftatt geworfen. Wie deöpotifch ‘zugleich: jeder Sterbende, fü 
wird verordnet, jede: kreiſende Frau fol auf ‚die Nachbarinfel 
Rhenea transportirt werben. Um bie Reinigung zu vollenden, 
wurden fpäter ſogar (V, 1.) die ſämmtlichen Bewohner 
ber Inſel fortgejagt, bis das delphiſche Drakel und Kleom’s 
Tod fie wieder zurückführte (V, 32.). Hiermit ſtimmt es 
denn freilich ſonderbar überein, daß dieſelbe Verordnung die 
uralten Kampfſpiele bon Delos wieder einrichtete. Endlich 
den fhönften Hintergrund zur dem Allen bildet bie liebliche Schil⸗ 
derung "ber Feſte, die in Hometos Zeit diefe Infel erheitert 
hattet: So ſtehen hier In’ prügnanter Kürze die drei vors 
nehmſten Perioden ber helleniſchen Religienbgleſchichte neben 
einander. Denn die Zeilen ber Aufklärung hatten: ſtch um 
Dikos nicht viel gefiinmert "die Beftlichteiten iu waren damalt 


ringeſchlafen. J 


a BE vl, 


or  Ratureneigniffe unde Orakel. un: 


Ze habe Kinder gefehen, vie nach dent Monde griffen, 
und ihn ausblaſen wollten. Je ktindlicher ein Volk noch iſt, 
befto mehr glaubt es, alle Naturwunder ſeien nur um 
ſeinetwillen da; je weniger es bie: Naturkräfte natürlich benus 
ben kaͤnn, defto mehr ſucht es fie übernatürlich zu benutzen. 
Noch Serabot war Der’ Anficht gemefen, daß jedem Ereigniffe 
der Menfchenwelt ein entfprechendes Ereigniß der Außerlichen 
Natur voranzugehen pflege I). Den göttlichen Rathſchluß, 
welcher das fe hetbeiſuhet, meint er aus dem nlebtern im 





Verdacht bei, den man wegen ſpartaniſchex Geſinnungen gegen fie hegte: 
Di ad. xl, 23. on 
> 3.8. VI,2%. on 0.0 


$. 3. Noturerelgniffe,. 2 221 


Voraus zu erkennen. Bei Zenophon wiedernm dieſelbe Ans 
ficht, nur viel ſyſtematiſcher und Detaillirter ausgeführt. | 
Thukydides Hatte hierüber andere Begriffe; wie es bei dein 
Zeitgenoffen des Demokritod und Hippokrates, dem Schüs 
lex (?) de8 Anaragorad, auch wohl zu erklären iſt ). Von 
den nächiten Veranlafjungen der Naturphänomene weiß er gut 
Defcheid, Er Hat gelernt, daß Sonnenfinfterniffe in die Zeit 
des Neumonded zu fallen pflegen (II, 28.); auch von. ver 
Art, wie durch Erdbeben eine Ueberſchwemmung entitehen, 
könne, weiß er eine artige Erklärung zu geben (III, 89.). 
„Das Gewitter in Sicilien, fo große Furcht es den Neulin⸗ 
gen erregen mochte, fahen die Erfahrenern als eine gemeine 
Folge der Jahrszeit an’ 2), Auch geht e8 zur Genüge aus, - 
feiner fernern Darſtellung hervor, daß Thukydides die Anſi cht 
des Nikias nicht gebilligt hat, den eine Mondfinſterniß zum: 
vierwöchentlichen Aufſchube des nothwendigen Rückzuges be⸗ 
wog (VII, 30.). Wie ganz anders hatte in ähnlichem Falle 
auch Perikles gehandelt), — Dabei verſäumt es Thukydi⸗ 
des aber doch niemals, die irgend wichtigern Naturereigniſſe 
in ſeiner Geſchichte anzumerken. Am Schluſſe der Einleitung 
bringt er die große Zahl und vermichrte Heftigkeit ſolcher Er⸗ 


— — — — — —— 


ı) Man erinnere ſich an bie verſchiedene Weiſe, mit ber Anarago= 
tas und der Priefter Lampon das Wunder des einhörnigen Widder zu 
erklären ſuchten (Plut, Pericl. 6.). Sonten= und Möndfinfterniffe . 
batte Anaragoras zuerſt erläutert, obwohl feine Theorie nut In einem . 
engen Kreife durchgebrungen war (Plut. Nicids 23). DaB die Sonne 
ein glühender Klumpen fein follte, wurde ihm fortwährend als Atheis⸗ 
mus ausgelegt. Wie auffaͤllend, ſagt K. D. Müller, mußten dieſe 
Anſichten in einer Zeit erſcheinen, welche bie Natur von tauſend göttli⸗ 
chen Lebenskräften ſich durchdrungen au detzten gewohnt war, wovon 
nun Nichts mehr, als die Fähigkeit, in Beweguns geſetzt zu werden, 
bleiben’ ſollte! 


2) VI, 70: vgl. vii 79. 
°) Plut. Pericles 35. 


2923 Thukydided. Kap. 7. \ 


felmmgen mit der Dauer und Gewalt des Krieges in Zur 
fammenhang (I, 23.). Er meint namentlih, Die Some 
finſterniſſe felen während deſſelben häufiger gemein, ala che 
dem. Das ſtimmt denn wenig übereln mit feiner Erklärung 
nach: Anaxagoras: und es ſchiene demnach die populare Anſicht 
von Thukydides doch nicht ganz überwunden zu fein. Wie 
wenig ſie ihn übrigens darum beherrſcht habe, ſieht man am 
dentlichſten da, wo er von den ſchrecklichen Vorzeichen des ſy⸗ 
rakuſiſchen Zuges gar keine Notiz nimmt H. 

Auf eigentliche Drakel haben immer diejenigen Schrift⸗ 
ſteller das Meiſte gegeben, welche zwar ein ummittelbares, per⸗ 
ſonliches Eingreifen ber Gbtierwelt nicht mehr geſtatten, doch 
aber Alles noch durch göttliche Rathſchlüſſe erklären wollen. 
So vor Allen Herodot 2) und Sophokles. Bei ihnen ſind 
die Weiſſagungen recht eigentlich das Organ des göttlichen 
Weltregimentes. — Andererſeits aber Hatte fich mit Der Um⸗ 
manblumg der alten Religiofltät ein Schwarm von Hungrigen 
Wahrſagern eingeſtellt, wie ihn Ariſtophanes ſo oft vor unſer 
Auge bringt. Dieſe Menſchen, deren verderbliche Wirkſam⸗ 
keit bei dem ſyrakuſiſchen Feldzuge ganz beſonders hervor⸗ 
tritt ), waren es denn auch, die den Euripides zu feinen 


— — m — — — 


1) Plut. Alcibiades 18. Nicies 13. Diodor. u. A. 


| 2) Schon bem bloßen Umfange nach nehmen die Orakel bei Heros 
dot einen gewaltigen Raum ein. Erft in ber Atthidenzeit finden wir 
Aehnliches wieder; ja, Philochoros insbefondere in feinem Lehrbuche ber 
Mantik und Iſtros veranftalten förmliche Sammlungen von Orakel⸗ 
ſprüchen (Plut. De Pyth. orac.). Freilich mehr aus dem gelehrten 
Intereſſe der Alexandrinerzeit, als mit dem frommen Glauben, der un⸗ 
ter Peiſiſtratos ſolche Sammlungen erfordert hatte. Doch iſt ſelbſt für 
die verderbteren Zeiten des Alterthums die Anſicht der Stoiker charakte⸗ 
riſtiſch, daß, wenn es Götter gäbe, ſie für die Menſchen ſorgen, und 
wenn ſie für die Menſchen ſorgten, ihnen Willenszeihen und Omina 
zufenden müßten (Cicero De divin. I, 38. II, 49.). 


2) Thuc. VII, 1. Alkibiades hatte falfche Propheten aufge: 


5.3. Drakel. 2935 


zabllofen, meift wie vom Zaune gebroddenen, Schmähungen 
gegen Orakel und Seher anreizten. CEuripides geht hierin fo 
weit, daß er Im Jon ſogar den Drakelgott felber zum Anſtif⸗ 
ter einer zuchtlofen Intrigue herabwürdigt. Auch Ariſtopha⸗ 
ned verſucht an-Drafeln und deren Auslegung feinen Witz 
derbe genug !): et Doch ſonſt der begeiftert Lobredner der g# 
ten alten Sitte! - - 

Unter dieſen Gegenſiten nimmt Thutydides wieder⸗ eins: 
echt hiſtoriſche Mitte ein. Völlig unparteüſch erwähnt er es, 
wo nur Befragungen oder Befehle des Gottes zu Berichten 
waren. Auch die Wahrheit des allgemein verbreiteten Ge⸗ 
rüchtes , als Habe Pleiftoanar die Pythia zu Ihrem Spruche: 
beredet, Täßt-er völlig auf fih beruhen (V, 16.). — Dape: 
gen wird gemeldet, bei der Peſt fe: Alles von diefer Ay. 
Drakel und. Brogefflonen, gleicherweiſe unnütz geweſen (I, 
47.); anderswo auch der bethörende, der lähmende Einfluß 
erwähnt, den dad. Vertrauen auf ſolche Goͤtterſprüche äußern 
könne (V, 103.) 2), —. Muf der andern. Seite aber werden 
buchſtäblich eingetroffene Weiffagungen nicht verfchiwiegen CV, 
26. VI, 27.); ja-bie Heine,.: aber unläugbare Abſchweifung 
(IH, 96.), die vom Tode des Heflod erzählt, wird einem’ 
Defremden des Thukydides - über ein folches Eintreffen emte: 


ftellt, der ammonifche Zeus ben Sieg. verkündigt. | Der richtiger‘ bi. 
ende Meton wagte ſich doch mit der x Bahryeit niet yeraus ‚Pie 
Nicias 13). 


i 3: 8. Equitt. 82 9 © 00 nen un 


2) Wo Thukydides eräßlt, daß bie Reinigung von Biss burch 
ein Orakel geboten. fei, da. gebraucht evi die Partikel .d4.. Blsoms 
field und „Arnold (g III, 14.) ſchliaßen hierqus, .„Shulybi,. 
des habe das ganze Orakel für fingirt gehalten. Denn 7 werde in ber 
Kegel ironifch gebraucht: fo III, 10. VI, 54. Dieß ift doch etwas zu 
fühn. Thukydides führt ja oft Orakel an: ihre göttliche Natur r braucht 
er darum noch nicht geglaubt zu haben. .2 .:7 . 


274 | Thukydiheo. Kap. 7. 


fprungen fein. Thukydides erinnert daran ‚mie ſonderbar der 
Umftand, daß die Beloponnefier won der Peſt verſchont ge 
blieben, mit dem Schutzverſprechen, das ihnen Apollon gege 
ben Hatte, zuſammentraf (IL, 54), Doch läßt er gleich im 
Folgenden eine Andeutung fallen, als oh bie dünnere, mins 
der zuſammengedrängte Bevölkerung des Peloponneſes hierzu 
wohl beigetragen hätte, — Die eigentlichen Grundſätze abe, 
wonach. Thukydides Orakel beurtheilt, find folgende. 

A. Jede tiefbemegte Zeit legt dem Menſchen vorzugs⸗ 
weile den Wunſch an's Herz, in Die Zukunft zu blicken. Da 
entfteht. denn allemal eine Mienge won Weiſſagungen, welche 
von den Einzelnen, befonders den Alten (IL, 54.), je nad 
dem; die Hoffnung oder die Furcht bei ihnen vorhertſcht, ans 
genommen und erklärt werden. Alles Ungewöhnliche in ber 
Natur wird von den Wißbegierlgen zu demſclben Zwece aus⸗ 
gebenut). u 

Bi + So: wird denn auch gar Manches zum Orakel ge 
möcht, was Doch Nichts weiter iſt, als menſchliche Vorauss 
ſicht. Vorausgeſehene :Symptente eines Zuſtandes werden in 
myſteriöſe Urſachen deſſelben verwandelt (D,.17.). — Dem 
Kylon hatte das Orakel zur Begründung ſeiner Tyrannei das 
höchſte Feſt des Zeus empfohlen. Kylon machte nun am 
Tage der olympiſchen Spiele einen Verſuch, der bekanntlich 
mißglückte. Hier fügt Thukydides hinzu, in Athen beſtehe ein 
Feſt, Diaſia genannt, welches vom ganzen Volke außerhalb 
der Stadt gefeiert werde. Er will hiermit andeuten, daß 
wohl dieſes Feſt vom Orakel gemeint ſei. Hier märe unſtrei⸗ 
tig die Ueberrumpelung der Stadt, wie fie Kylon werfuchte, 
viel Teichtex möglich geweſen (I, 126.) | 

C. Daſſelbe menſchliche Herz, welches jene Weiſſagun⸗ 
gen hervorrief, findet fie nachher gläubigen Sinns auch einge⸗ 


1) U, s, 21: vgl. VI, 27. V, 26.. U 


Charafterijtit der perifleifchen Zeit. 207 


tig gingen (I, 141 fſ.). Hier tritt vor Allem die Freiheit 
e Athener von den Sorgen des täglichen Lebens berbor, 
che ihnen geftatte, fich mit ganzer Seele auf Einen großen 
wech zu werfen. Dann ihre langjährige, allmählig envor= 
ne Uebung im Kampfe und in der Herrſchaft, ihre ftarke 
id Die Gelegenheit ergreifende Eintracht, ihre Ungebunden⸗ 
it in der Weife des Angriffs, hauptſächlich aber ihr groß- 
tiger Sinn, welcher die Landhäufer und Felder von Attika 
n größere Dinge willig dabingebe. 

ALS nun der Krieg aber wirklich begonnen Hatte, in wel 
en diefe Größe von Athen zufanmmenftürzen follte, da bes 
itzt der Hiſtoriker die erſte würdige Gelegenheit zu einer breis 
m Entfaltung feiner Anfichten: gleichſam als wollte ex vor 
m Abſchiede jene Zeit noch einmal in ihrer wollen Herrlich⸗ 
it begrüßen, Dieß gefchicht in der perikleifhen Lei— 
enrede (I, 35 — 46.). Nichts it wunderbarer , als 
8 allmählige Anfchwellen Diefer Nede: wie fie kühl und leiſe 
ginnt, immer wärmer und lauter, immer glühender und 
ächtiger wird, cine Zeitlang in höchſter Majeſtät fich gleich 
eibt, um dann ebenfo allmählig zum Schluſſe herabzuſinken. 
as iſt die wahre hiſtoriſche Beredtſamkeit, welche nicht bloß 
ranſtürmt gegen den Leſer, ſondern ihn auch fähig macht, 
m Sturme Widerſtand zu leiſten. 

Gleich zu Anfange bemerkt der Redner, er rede nicht um 
e Gefallenen willen; denn wer Durch Die That ſich groß ge⸗ 
gt, der werde auch beffer durch Die That, als durch die 
de gefeiert. Darum geht er denn auch Bald auf den Ruhm 
3 athenifchen Staated über (36.): er gedenft der Ahnen, 
Ihe Durch Stätigkeit ) ihrer Wohnſitze und durch männliche 
igend Die Zreiheit bewahrt; er gedeuft der Väter, welche 


1) Morauf die Athener bekanntlich fo ungeheuern Werth legten. 
ser den zahllofen Stellen der Redner, befonders der Epıitaphien, val. 
:rod. VII, 161. Xen. Mem. 111, 5, 12. 


208 Thukydides. Kap. 6. - 


zu der Freiheit Die Macht Hinzugefügt Haben. Doch Bei 
Ehrfurcht vor den Thaten der Vergangenheit fpricht er f 
Gegenwart die Krone zu. — Hier ift nun augenſcheinlid 
Abficht des Thukydides, im feine Schilderung der periflei 
Zeit vornehmlich diejenigen Züge aufzunehmen, in deren | 
änderung ſich nachmals der Verfall am entſchiedenſten o 
barte. Diejenigen zugleich, die mit Lakedämon Im ſchär 
Gegenſatze ſtanden. So Eonnte ihm das weſentlich Athen 
das wefentlich Perikleiſche nicht entgehen. — Gerechte Freiheit; 
fländige Gleichheit, welche den Ruf beachtet und Das Bert 
anfenert ; nnerzwungener Gehorſam gegen Obrigkeit und 
feh, fern von Mißtrauen und Polizeichicane, beſeelter 
Staatövertwaltung (37.). Reichthum, Kunſtgenuß und 

liche Ergötzungen verſchönerten die Muſſe, doch immer 
als Erholungen von der Arbeit (38.) )). So wenig bie 
muth Gefchimpfte, fo ſchmachvoll fchien es dem Athener, 
sicht mit Eifer abzuwenden. Doch felbit der Landmann 
Gewerbetreibende war mit Staatsſachen beſchäftigt. We 
Staate kein Jutereſſe fand, der galt nicht für ruhelie! 
fondern fir unnütz (40.). Die Deffentlichkeit des ganzer 
bens, verbunden mit dem großen Verkehre der Stadt, 

die Urfache, daß man auch den Feinde nicht mit Lifl 
Heimlichkeit 2), ſondern mit offener Tapferkeit entgegen 
einer Tapferkeit, Die mehr auf Charakter, als auf harter € 
hung und Geſetzen beruhete. So- ausgebreitet und all 
ihre Bolitit war, zu Land und zu Waſſer, fo war 

bei aller Vorbereitung auf den Krieg, der Friede meh 
fie, als bloß eine Uchungöfchule (39.). Der Athener licht 


ı) Man denke fpäter nur an die Gleichheit der xenophon! 
Republil, an das Ueberhandnehmen der Sylophantie, und was bie 
artung der öffentlichen Luftbarkeiten angeht, an Xenoph. De 
Ath. 2,9.3,8. Demosth. Phil. I, p. 50. Plut. De gloı 
8. Justin. VI, 9. Bockh Staatshaush. I, S. 224 ff. 

2) Ich erinnere an die Xenelafie und die Gekeimnißfrämerei, 
allen ariftofratifchen und bespotifchen Etaaten eigenthümlich ift. 


Charafterifti ber perifleifchen Zelt. 209 


ut, doch ohne Verfigivenbung !); die Wiſſenſchaft, doch 
e Weichlichkeit. Er wirkte für ..den Staat, ohne: fein 
8 zu vernachläffigen; er lernte von ver Rebe, ohne die 
rt zu veräbfäumen 2). Sein Heldenmuth ging aus Kennts 
ber Gefahren, feine Aufopferung: aus dem richtigen Urs 
le über das hervor, mas auf dem Spiele ſtand (40. 43.) 3). 
tz, Athen Tonnte mit Recht eine Schule von Hellas 
Bart werden ). — Und zum Beweiſe dafür beruft unfer 
mer fich auf die lebendige Wirklichkeit : eine Wirklichkeit, 
ueber eined. Homeros, noch eined Logographen zu ihrer 
herrlichung bedürfe, ſondern allein ihrer eigenen, ewig 
ernden Denkmäler, im Guten wie im Böſen (41.). 
fe Herrlichkeit des Vaterlandes fol denn auch zur ‚Liebe 
Igen aufmuntern, zur männlichen Pflichterfüllung in dem 
mben, Daß alle. Glückſeligkeit auf der Freiheit, ‚alle Frei⸗ 
‚aber auf Der Tugend begründet ift (43.). udlich den 
Muß. wiefer Rede bildet die Ausfiht, zwar das Leben fei 
Bnglich,. ver Ruhm des mohlgeführten Lebens aber unver- 
ih). — Die Hauptgedanken der Leichenrede kehren in 
lezten Ermunterung wieder, die Nikias vor Syrakus hielt 
= 60.). Allerdings ein aaeeiteuder Augenblic um dar⸗ 
t. u werden! . 






mn. .. 


Dan bente ı an die fpätere Berge bes Zpeositanı 


Bel. 42. 
Bol. hierzu Demofthenes Staatsreden an In ungäbtigen Stellen! 


Eiiados "Elias, wie e8 der Dichter Thukydides in feinem Epis 
auf den Euripides nennt. Vgl. Isocrat. Paneg. 13, Aesch. 
e 3. 

II, 43 fo. 64. — Fürwahr, folhe Männer, wie die perikleis 
ner, waren ber Befoldungen, Klerudien, Schaufpiele, bie 
gegeben wurben, nicht unwerth ! Dal. Wachs muth Hellen. Als 

2, ©. 66 ff. Und bie fchönen Worte in Heeren's Ideen: 

Bas. XV, ©. 329 fg. 

14 


210 Wuhukydides. Kap. 6 


Von K. O. Müller. tt bekauntlich dee geil 
Verſuch gemacht worden, im Apollon und Herakles ein 
thiſche Perſonification des doriſchen Stammcharakters nı 
weiſen. Der Dorier, von religiöſem Bedürfniſſe getr 
fuchte das Leben, das ihn ſelbſt durchdraͤng, nun auch. 
ſich darzuſtellen, dort In güttlicher Geſtalt, hier in heroi 
Wie fig; denn freilich in dem menschlichen. Theile einer, 
Religion: Dr ideäliſirte Charakter: des Volkes und Zeit 
wieberfinden läßt: Auf Diefelte Welle — ſchon der 9 
dünkt mich:,"weifet dahin — koönnte man im der Pallas 9 
eine Repräfentantinn: des. atheniſthen Geiſtes erhlichen. : 
nun zu Perikles Zeit Das politiſche und literariſche Weſe 
Athener feine Blüthe trieb, ſo ward: auch das Pallasi 
um dieſelbe Zeit durch Pheidias vollendet,:für alle Fol 
ten. feſtgeſtellt. Wer irgend die bekaunte albanifche Büft 
ſehen hat, der wird, aus: Ami fingen Grazie, der ru 
Karheit,“ der völligen Zufriedenheit dieſes reinen; hohen 
litzes vinen ühnlichen Eindrack empfunden haben:, mie ihe 
Rede Dis. Perikles oder ein ſophokleifches Drama herven 
Demſelben Geiſte, welcher dieſt Pollas erſchuf, gelan 
auch, den Zeit: von Olynipia zu. bilden, den allgeme 
und höchſten Gott der Hellenen. Ich denke: mir dieſes 
nach der Büſte von Otricoli. Es erinnert mich an die ſ 
gezeichnete Majeſtät eines ſophokleiſchen Theſeus; und 
ohne ſinnreiche Anſpielung iſt Perikles von feinen: Serge 
der Olympier genannt worden. 


” Mi. 2 oo Ta r, 


no du 


In hi Jane win RT 
re. 5 giant 


275 3.2 > c 
Fein mp 


ey. MUSERI GR Erin! 
Zu in Wales, vie 
| 2 INT ARCH 


Da Ve a 


Agle⸗ Kapitel, * m, — aml 
Siftorifäe Unparteilichfeit des Thukydides. 


Bi. nme Ba en Ba 


182 
ı). F 


En } “9 kenn 

ati NT BT 3: Topimronmzer nt 
3 Denn. ganzen.. Thun nnd Freißen dei — Ari 
at eo; Nichts wie ich glaube, mad den Lalen ferner 
Uge, ja unverſtändlicher wäre, als ‚bie hiſtoriſche / Umarteilich⸗ 
keit. Dem Reiche. der: Naturwiſſenſchafteu uſt⸗ dieſer Begriff 
vᷣoſſtomen fremd. ¶In /den praktiſchen Dibeipliaen bei; Thech 
logen oder Staatsheamten pflegt ch etwas: himmelweit davon 
Verſchiedenes, nämlich Die. Gleichgültigkeit, unter dem Namen 
der Unparteilichkeit zu verſtecken. Lind ſelbſt die Unparteilich⸗ 
—eit des Richters beſteht dach Im Grunde nur darin, perſbnli⸗ 
de NRuckſichten abzuweiſen; den vorliegenden. Fall unter möge 
lichſter Verläugnung alles. Perſonlichkeit fo zu beantheilen, wie 
3. der Geſetzgeber ſelbſt gethan hätte. — Dieſe Unparteilichkeit 
iſt das eigentliche Adyton der hiſtoriſchen Kunſt; fſie iſt ok je 

der Zeit nur den größten Künftlern zugänglich geweſen. Wels 
her Gewinn daher, an der Hand bes vortrefflichſten helleni⸗ 
ſchen Geſchichtſchreiberß dieſe dunkle Gegend detaillirter aufzu⸗ 
nehmen. Wenn irgend eine Zeit, ſo iſt die unſere fähig, auch 
in dieſer Hinſicht dem Thukydides nachzuempfinden. Sie iſt 
kraftvoll, aufgeklärt und erfahrungsreich, wie jene; ſie iſt par⸗ 


212 Thukydides. Kap. 7. 


jiſche 1) Gottheiten in den Hintergrund treten. Zwiſche 
nem Ritter und einem Gotte war der Abftand nur ge 
Diomedes Schlägt den Ares, Achill den Skamandros. 
das Leben der Götter, fing man an, die frivolſten Schn 
hinüberzutragen 2). 

Eine ganz ähnliche Bewegung, wie fie im fechzef 
Jahrhunderte das entartete Chriftenthum bei den abendli 
fhen Völkern reſtaurirte, ſcheint auch in Griechenland 
fechfte Jahrhundert belebt zu Haben. Dieß ift fi 
Hellenen das Zeitalter der großen Erfindungen. Un 
Buchdruckerkunſt entfpricht damals die Verbreitung und ! 
befjerung der Schrift; unfern Entdeckungsreiſen die Bela 
ſchaft mit dem Oriente und der weftlichen Hälfte des M 
meeres. Wir fehen die Mipiterien, dieß religiöſeſte Ele 
- der griechifchen Neligiony wieder lebendig, die Orakel, | 
über die Barbaren hin, wieder herrſchend werden. Die 
lige Sage, die alten Gütteriprüche, um nor Menſchenſa 
ſicherer zu fein, werden aufgezeichnet. Mit Epimenides u. 
hebt eine. religioͤſe Sprit an, ſowie auch das Epos durd 
zahlreichen Gedichte der Orphiker ganz: religiös und ask 
wird. Die aufblübende Kunſt, mie die aufblühende Wi 
ſchaft 2) nehmen einen veligiöfen Anfang. Wunderthäter 
Sittenprediger treten an die Spike der Staatsverwalt 
Un Sitte,. wie ſelbſt an Kleidung macht die ioniſche W 


—— — — — — — 


1) Nach den Forſchungen von Welcker im Nachtrage zur 
logie. 

2). Daher auch die mannidhfachen Kritiken 3. B. des fröm 
Pindar: Olymp. 1, 62, IX, 35. 


3) Insbeſondere waren bie Logographen demhet, in ben Ci 
und Sagen. ber batbarifchen Völker die Hauptelemente bes hellenil 
Glaubens wieberzufinden. Die hellenifhen Götter wurben hierburd 
Weltgöttern, wenn aud bie Kritik, die fich damit vorbereitete, in 
rer weitern Entwidlung eine Dauptbeförderinn bes Nationalismus ' 


5. 1. Religion des fechften Jahrhunderts. 215 


feit einem kraftvollern, rauhern Dorismus Ppllatz; ja die 
Pphiker ſtreben faſt in mönchiſcher Entſagung nach Reinheit 
b Fleckenloſigkeit des außern Lebens iy. — Als der vor⸗ 
hmſte Vertreter dieſer Ideen ſchwingt ſich ber lakedamoniſche 
taat, eng verbündet mit dem delphiſchen Gotte, zur Haupt⸗ 
uht von Griechenland empor. Dieſe Zeit reicht bis In die 
keſerkriege herab; noch bie Perſerktiege werden gleicherweiſe 
ie religioſer, wie mit politiſcher Begeiſterung ausgefochten. 
e, die Religionsideen der ganzen Periode erlangen ihre 
Bft Ausbildung, ihren ſchönſten Ausdruck erſt am Schluſſe 
Heben: Pindar und Aeſchhlos, Sophokles und Herodot, 
heidias und Polykleitos 9), Hier iſt die Blüthezeit der grie⸗ 
Wien Religioſität, an Reinheit wielfach dem Monotheismus 
Me ftchenn. — Das Gefühl unbedingter Abhängigkeit von: 
Kit und die Hoffnung eines fellgen Lebens bei ihm iſt Der: 
Rh aller Religion. Jenes Gefühl Hat fih Im Chriſtenthume 
Upngerveife auf die innere Helligung, Bei den Hellenen vor« 
Amelie auf die äußere Machtfülle gerichtet. Wie die Tuthe- 
Be Zeit die Verdienſtloſigkeit des Menſchen gegenüber der 
Rüde Chriſti predigt, fo die pindarifche Zeit das Maß des 

chen gegenüber der göttlichen Unermeßlichkeit 3), In beis 
k biefelbe Degeifterung, diefelbe Demuth, welche Alles nur 
Ks Gott zu fein glaubt. Der Begriff ber Weltf chopfung 
Ken Griechen erſt in dieſer Zeit lebendig geworden. So 


— —— 


En Eobed’3 Aglaophamus ©. 24. 


%) Bat. Quintil. XII, 10, 9. Dio Chrysost. Olymp. orat. 
a. — Auch die chriftliche Reformation, bei den Evangelifchen, 
a bei den Katholiten, bat ihre Ichönften künſtleriſchen, namentlich 
& mufitalifchen Früchte in dem Jahrhundert zwifchen Milton und 
upftoct getragen, alfo unmittelbar vor dem Einteißen der Aufklärung. 


3) Doc hat auch Simonibes in feinem berühmten Fragmente aus 
Mört, daß kein Menfch völlig gut fein, höchftens im Einzelnen durch 
eGnade der Bötter aut Handeln könne: Plato Protag. p. 339 5q1. 


21% Thukydſdes. Kap. 7. 


haben auch Pindar und die Orphiker die Idee von einen 
gen Leben nach dem Tode, welche ſchon Heflod im fh 
Gegenfage .mit dem Schattenreiche des Homeros ange 
hatte, zue- fünften Entwicklung gebracht 7), 

Aber auch die Aufflärung war inzwiſchen herang 
Philoſophen, Logographen und Naturforſcher hatten glei 
ßig an der Zerflörung des alien Glaubens Theil genen 
Wie die Sophiſtik wirken mußte, Tiegt zu Tage. Not 
Gottesläugner, wie Diagorad und Hippon, ftanben in 
ben, Von Perikles wird ald eine Merkwürdigkeit er 
daß er auf dem Sterbelager den rauen nicht Fänger ı 
ftanden, und fih mit Amuleten Habe verjehen laſſen 2), 
den diplomatifchen Urkunden jener Zeit nimmt allerdings 
das delphiſche Drakel,. das. ofympifche Feſt die erfte 
ein, doch mehr aus Herkommen, denn aud wirklicher 
ſchätzung. Daß unter den. meiſten Staatömännern die 
gion; zur leeren. Kormfache geworden war, zeigen am 
lichften - Die Unterhandlungen von Delion 3), Wie 
gen felbit die Lakedämonier „mit dem heiligen Elis 
Am reinften wird übrigens. der religiüfe Zuftand diefer ; 
in den mittlern Stüden des Euripides abgefpiegelt. | 
eine willfürliche Miythenverbrehung, welch eine forglofe 
frafie, welch eine Inconſequenz, die oft in Einem Stu 
Götter felbft erfiheinen, und Doch die Argften Zweifel de 
tionaliamud und Pantheismus gegen ihre Eriftenz vorb 
läßt! Die freche Gottvergeffenheit feiner Helden wir‘ 
durch die Gemeinheit feiner Otter felbft übertroffen. — 
meiften von der alten Religiofität hatte noch der conſer 
Sinn der Lakedämonier zu beivahren veritanden. Sie 
wenn die Opfer ungünftig audfallen, noch die wichtigften 
ı) Pindar. Olymp. Il. Thren. fr. 4. 8. 

2) Plut. Pericl. 38, nach Theophraſt. 

3) Thucyd. IV, 97 sq. 





$. 1. Gemeine Unparteilicglet. $. 2. Bewunderung. 255 


8. 2, 
Bewunderung, Freude und Schmerz. 


Thukydides hatte große Männer und auferorbentlice De 
zebenheiten zu ſchildern. Was ihn aber bier vor den Gefah⸗ 
cen des admirari ſchützte, das war zunächſt die mühfame und 
künftliche Verarbeitung feined Stoffes, wobei der Rauſch ver 
erſten Bewunderung gar bald verfliegen mußte. Eodamn 
auch feine Abneigung wider jede beſchreibende Charatterifif. 
Denn bei Reden, wo der Held in Perſon erſcheint, mürbe 
felbit der, äußerte Enthufiasmus wenig Spielraum haben, 
Ueberdieß pflegt ein Mann, welcher durch Gebt und Erzie⸗ 
hung mit den Erſten auf gleicher Stufe ſteht, welcher die Ss 
fchäfte des Krieges und Staates fo gründlich kennt,“ und‘ fein 
ganzes Leben hindurch mit jo viel Menfchen verkehrt’ hat, Yan 
[ugendlicher Bewunderung der materiellen, wie der geiftigen 
Größe gleich entfernt zu fein. — Daher find die Sthilberun⸗ 
gen des Thukydides, beſonders die perfünlichen,. von ingerlletse 
ner Mäßigung: er vedet nur, ſo ſcheint es, von feines Glei⸗ 
hen). Ja, mitunter könnte man: glauben, dieſe Ruhe ſei 
nur erkünſtelt, fel blaß und nichtsſagend, wenn man micht 
wüßte, daß eben die Sparſamkeit ſolcher Fingerzeige auf: Buß 
Studium der Reden Hinleiten folk, - wo ſich "die Charakteriſtik 
in herrlicher, plaftifcher Fülle außbreitet: Auch in dieſer Bis 
ziehung trägt das letzte Buch die Spuren der Unfertigkeit. Da 
heißt es vom Alkibiades, er habe dem Staate zum éerſten 
Male in feinem: Leben Nutzen gebracht (VIII, 86:) 5 Gyperbo⸗ 
08 wird ohne Weiteres ein Elender genannt, der nicht: ots 
sen feiner Macht und feines -Nnfehend:: verbannt worden ſei, 
ondern wegen feiner Schlechtigkeit, und weil er ein: Schaub⸗ 


1) Set. II, 66. IV, 81. | a 








216 2 Xhulybibes. Kap. 7, 


Ausbruche des Krieges bedeutend genug ,. Daß fi Kleon, 
gegen Perikles zuerſt aufzukonmmnen, des Diopeithes 

nen konnte. Die Anklage wider Anaxagoras, die 
rect den Perikles ſelber traſf, ſtützte fich. auf. religiöſe Grum 
lagen 1). Auch am Staatöruder angelangt, ſetzte Kleon 

Richtung fort:? die Sühnung von Delos iſt ein. Beweis 
bon, freilich auch ein Beweis, daß ſelbſt ſein religiöſes Bn 
ken von der Albernheit und: Unmenſchlichkeit feiner. Demagt 
befleckt wurde 2). Aus Ariſtophanes Rittern erſehen wir, I 
ſich Klevn vorzugsweiſe anf ſeine, angebliche Drakelkenntniß ge 
ſtützt haben muß. — Ganz beſonders aber war Nikias dy 
Mann, wie ihn Xenophon nachmals ſich hätte wünſchen Figg 
nen. Berfünlicher Freund, des Diopeithes 2); täglich, genpferkg 
glänzende Feſte gefeiert, Nichts gethan ohne, Wahrjager !., 
Ein großer Krieg hat der freigeffterifchen Aufklärung ‚oftmalig 
Schaden gethan: fie pflegt Dem Tode, nicht gern ins Auge zu 
fegen. So: aud). der pelnponnefifge ‚Krieg zu Athen, obwohe 
eine zügellofe Demokratie zur Anerkennung unfichtbarer Mächte, 
im Ganzen wenig geneigt iſt. Auch bier begegnen wir dem 
Euripides wieder,. Der freilich von jeher dem Zeitgeifte mehr 
gehorcht, als geboten hatte... Seime letzten Stücke geben eine 
formliche Palinodie maucher frühern Zweifel 5). — Vornehm⸗ 


— —— — —— — 


Ariſtophanes in den Vögeln, ſondern auch in Phrynichos Kronos und 
in Ameipſias Konnos verſpottet: Schol. Aves 988. — Mehrere Se⸗ 
her, wie Lampon, im Prytaneion geſpeiſt; Schol. Pax 1083: 


1) Plut. Pericl. 31 sqq. 35, Nicias 23. Sotion b. Dioge- 
nes II, 12, 


2) Thucyd. III, 104. V, 1sqq. Nach Kleon's Tode warb 
fein Verfahren wieder abgeftellt, V, 32. . 


3) Schol. Aristoph. Equites 109. 
4) Plut. Nicias 3 sqq. & 


5) Als das eigentliche Ideal eines vornehmen und orthoboren Fänge 
lings damaliger Zeit muß man ben Hippolytos bes Euripides betrachten. 


$. 1. Religidſe Menctkon. 917 


aber machte fih die religiöſe Menetion in den Streifen gel- 
‚ welche zugleich mit ber politifchen Reaction gegen die 
koherrſchaft beſchäftigt waren. : Wie fich- dieſe Richtung Bei 
Sokratikern außgebildet, Darf ich im Allgemeinen als be⸗ 


at vorausſetzen 2). Das höchſte Ideal dieſer neuen Religioſt⸗ 
iſt Sokrates, Höher ſtehend, als der dquãkerhafte Hermoge⸗ 
Am früuheſten aber tritt dieſe Verblndung 'ber Aichlichen 
politiſchen Reaetion in dem beruͤhmten Prezeſſe wegen der Her⸗ 
ifrevel hervor. Wie ich tiefer unten 2) zeige, ſind die Hermenfte⸗ 
ſowohl, als: bie: Myſterienverletzungen vollkommen im Sinne 
ee Reaction, welche ‚den entarteten Volksglauben anf Ihre 
tie erneuern wollte. Alto keinesweges bloß Exceſſe über⸗ 
thiger Trunkenheit! — Man würde:nun freilich ſehr its _ 
t thun, wenn man die religiöſen Ausſchweifungen ſeuer 
t, die Myfterimier. Kotytto 2) und Aehnliches, geminkält 
er Reattion wollte Schuld geben. Hat doech auch die fi 
iſche Reformation: Ihre Wicherliufer ;< Die heutige Kirchen⸗ 
egung ihre Mucker. Selbft das erfte Auftreten des: Chri⸗— 


2 1m, 
.. tie.» 
—X ——— 


1) Bor Allen bei Zenophon, dann auch bei Platon, Simon, dem 
'affer des Ariochos. Auch bei Sfofrates finden fich zahlreiche Spus 
Diejen Männern ift felbft im Aeußerlichften 3. B. der Schwur 
Lampon eigen, bei der Band, beim Hunbe u. f. w., wie e8 Plas 
im zwölften Buche der Gefege als ein frommes Inftitut des Rhaba⸗ 
thys bezeichnet. Vgl. Schol. Arist. Aves 521. Die Streligiofis 
einzelner NReactionäre, 3. B. des kritias, iſt hiermit ſehr wohl 
nbar. . 8 DE 
2) Kap. 14, $..5.: 
3) Bekanntlich in Erpolis Bapten verſpettet. Schon früher hatte 
tinos feine Thrakerinnen gegen den Cultus der thrakiſchen Natur⸗ 
in Bendis gerichtet, der etwa um 444 im Peiräeus öffentlich reci⸗ 
: wurbes ſeine Idäer gegen den Gultus der Kybele, für welchen 
eidias felbft, atfo vermutblich in Perikles Auftrage, ein Bild verferz, 
t hatte (Pausan. 1,3,'5.). Ich meine übrigens, daß diefe Recep— 
men nicht ſowohl aus Pietismus erfolgt find, als weil Athens Welt: 
mdel dergleichen Zoleranz erforderte. Später wurden fogar wieder 
rauen vom Apoll gefchwängert, u. dgl. m. (Plut. Lysand. 26.). 


248 .&buthbtbes, Kay. 7 


ſtenthumes iſt von folchen Ausartungen nicht frei gebliche 
Abper zweierlei darf :doc Niemand verfennen, wenn er 
Religion der pindarifihen Zeit mit der ſokratiſchen zuſamr 
ſtellt. Diefe lebtere ft ein Product der Wiffenfchaft, 
den böhern Ständen guögegangen; fie hat im Volke u 
weniger die Herrſchaft erlangt, je mehr fie wow deſſen yı 
ſchen Feinden -ropräfentist ‚; :von Lakedämon aus unter 
wurde; ‚Und.inn-fie prakt iſch auftritt, wie erſcheint fie 
Ungefähr, wie Nikias den Arxiſteides, Agefiland dem & 
das, die Zehntauſend von Kunoya den Zehutaufend von! 
rathon gegenüber 2). Jene frühere. Zeit, im folgen Ge 
ihrer. Kraft, Hatte. von der Religion hauptſächlich eine heil 
Demuth ernten :mollen,. Die Sokrates dagegen, mehr 
die. Ageſilaos und Xenophen, wollen Nichts: auf eigene $ 
unternehmen, vor jedem Schritte ſich beieden Göttern N 
erholen. Religiös iſt Beides; aber” doch ein bedenkl 
Unterſchied. — Wenn ns Aehuliches u he 
fände? er 
Sin dieſen Verhaltniſſen lebte nun Asa 


Dr 77 


I 2gl. Tertull..Re-ieiun, 17. Hieronym..In Vig: 
Augustin. De civ. Dei VIII ult. Ep. 64.: ‚Canon. concil. i 
35. Der heibnifchen arugmife nicht einmal berenten. 


2) Ein Hauptſymptom Übrigens ber damaligen. retigiöfen. Re 
ift der ungeheuere Werth, den ein Mann, wie Lylandrs, auf den 
fens der Drafel legt; und mehr noch der Umftanb, daß er trotz 
Mühe keins derfelben beftehen Tann (Dio.d. XIV, 13. Plut. 
sandr. 25 sq.), Was ſehr merkwürdig ‚an die Werhältniffe der n 
Theologie erinnert, ift u. A. der Umfland, daß Sokrates feinen 8 
für das Dafein Gottes faft nur aus der menſchlichen Natur ent 
hat: Xenoph. Memor. It N WR 


u re ee FE . 


$. 2. Thulyd. Anficht vom ber griech. Religlonsgeſchichte. 219 


‚f 


u. 2. on 
xdutvdibee Anficht von der griechiſcchen Retigtönsgefäjchte überhaupt. 


Eine Beantwortung dieſer Frage ergiebt ſich aus den Epi⸗ 
ſoden des Thukydides. Dieſe Epiſoden nämlich, — um ein 
Neſultat des. zwölften Kapitels zu anticipiren — haben den 
Zweck, Hauptepochen der frühern Geſchichte von Athen zur 
Ecklãrung und Paralleliſirung der Gegenwart heranzuziehen. — 
Da iſt es dann gleich zuerſt auffallend, daß in dem Haupt⸗ 
werke des Thukydides fo außerordentlich. ſelten von Religions 
nſtituten Dig Nee ift, während. diefe Epiſoden doch, nornehms _ 
lich die zwei aus der früheſten 1), Zeit, ganz vorzugsweiſe da⸗ 
son handeln... Es legt hierbei . eine ſehr richtige Anficht des 
Ayukydides zu Grunde: daß bie Religion nämlich im höhern 
Alterthum einen wichtigern Platz eingenommen habe, als in 
feiner Gegenwart. — Die vierte Epiſode, welche die Süh- 
nung der Inſel Delos betrifft, Handelt ausfchlieglich von Res 
ligionsſachen (III, 104.). lan Hatte diefe Inſel von jeher 
fir einen Talisman der Seeherrfchäft angefehen, daher auch 
fhon Peiſiſtvatos fie gereinigt, Polykrates fie beſchenkt hat⸗ 
te2), Wie mild und verſtändig - erfcheint Hier SPeififtratos 
Reinigung : nicht auf grob -finnliche Weile 3), ſondern durch 
religiöfe Ceremonien; nicht übertrieben, fondern nur foweit, 
als der Geſichtskreis des Heiligthumes reichte. Nun. aber Die 
Reinigung durch) Kleon )! Wie roh und materiell: alle 


») 1, 126. II, 15. 


indem er bie nah gelegene Infel Rhenea nittelft einer Kette an Deios 
kefeftigte ! 


3) VBgl. I, 8. 


9 Wie Diodor angiebt, zunähft um der Peſt wien angeſteilt: 
All, 68. Auch trug zu der harten Behandlung det Delier gewiß der 


208 Thukydides. Kap. 6. 


zu der Freiheit die Macht Hinzugefügt Haben. Doch bei allg ; 
Ehrfurcht vor ten Thaten der Vergangenheit fpricht er feine; 
Gegenwart die Krone zu. — Hier ijt nun augenfcheinlich bie 
Abficht des Thukydides, im feine Schilderung der perikleiſchen 
Zeit vornehmlich diejenigen Züge aufzunehmen, in deren Ben, 
änderung ſich nachmals der Verfall am entfchiebeniten ofre 
barte. Diejenigen zugleich, die mit Lakedämon dm fchärik 
Gegenſatze ftanden. So konnte ihm Das weſentlich Atheniſche 
das wejentlich Perikleiſche nicht entgehen. — Gerechte Freiheit; ven 
ſtändige Gleichheit, welche den Ruf beachtet und das Verbin 
anfenert ; nnerzwungener Gehorſam gegen Obrigkeit und € 
fe, fern von Mißtrauen und Bolizeichicane, beſeelten di 
Staatöverwaltung (37... Reichthum, Kunſtgenuß und fir 

liche Ergögungen verſchönerten die Muſſe, doch immer ml. 
als Erholungen von der Arbeit (38.) 1). So wenig die 4 

much beſchimpfte, fo ſchmachvoll ſchien es dem Athener, 
nicht mit Eifer abzuwenden. Doch ſelbſt der Landmann, NE 
Gewerbetreibende war mit Staatsjachen befchäftigt. Wer. 
Staate kein Jutereſſe fand, der galt nicht fire ruhelicben 

fondern für unnütz (40.). Die Deffentlichkeit des ganzen SE 
bens, verbunden mit dem großen Verkehre der Stadt, 
die Urfahe, daß man auch dem Feinde nicht mit Lift n 
Heimlichkeit 2), ſondern mit offener Tapferkeit entgegentrak 
einer Tapferkeit, die mehr auf Charakter, als auf harter Err 
hung und Gefeßen beruhete. So- auögebreitet und alle 
ihre Politit war, zu Land und zu Waſſer, fo war d 
bei aller Vorbereitung auf den Krieg, der Friede mehr IE’ 
fie, als bloß eine Uebungoſchule (39.). Der Athener Lichte Wi 



























) Man denke fpäter nur an bie Gleichheit der xenophontiſc 
Republik, an das Ueberhandnehmen der Syfophantie, und was bie X 
artung der Öffentlichen Luftbarkeiten angeht, an Xenoph. De 
Ath. 2,9.3,8. Demosth. Phil. I, p. 50. Piut. De glor. 
8 Justin. VI, 9. Böockh Staatshaush. I, S. 224 ff. J. 

2) Ich erinnere an die Xenelafie und die Gebeimnißkrämerei, w i 
allen ariſtokraliſchen und despotiſchen Staaten eigenthümlich iſt. | 





— 


ET IE LE SEHR Sn ͤſ,reoa 
| Dertmmntın 0339 Kulbiaa 1:0 
a 5..5* n—7 tm 255 
yon. ine, BIBI RT SEHR 


. , 1: 0 Br DE : un 
" . 2" .} 3 ... 18 Dir —P CH [1 ‘ 
. md. Tr. TUT 


na DT NT Ir 
CET) BuB 113 53 y VERF 3 
Adler hayi itel en 9% “fen 1) 
Hiſtoriſche Unparteilichkeit des Thukydides. 





u uilfosiz pa — J A BE Be 
a2 and ilarumer nr 7 ornr simare nf 
* Denn. ou. hans amd Treiben — hiſtoriſchen —— 
ige, äge, ja un unerkkändlicher: wäre, als die —*8 — —*—* 
eit, Dem Reiche derNatürwiſſenſchuefteuuſt dieſer· Begriff 
ollkouenfremd. In ben praktiſchen Dibeiplinen bei; Thec⸗ 
ogen ‚oder Staatbheamten pflegt ſich etwas hinnnelweit davon 
Jerſchiedenes, nänilich Die Gleichgültigkeit, unter dem Namen 
er Unparteilichkeit zu verſtecken. Und ſelbſt die Unparteilich⸗ 
eit des Richters beſteht dach: im Grunde nur darin ;- perfünkte 
he Mückfichten. abzumelfen; ven vorliegenden Fall unter möge 
ichſter Verläugnung aſlex Perfönlichkeit fo zu beamtheilen,, wie 
8 der Geſetzgeber ſelpſt gethan hätte. — Diefe: Unparteilichkeit 
ſt das eigentliche Adyton der hiſtoriſchen Kunſt; ſie iſt Fr je 

ver, Zeit nur den größten Künftlern zugänglich geweſen. Wel⸗ 
her Gewinn daher, an der Hand des vortrefflichſten helleni⸗ 
chen Geſchichtſchreiberß dieſe dunkle Gegend detaillirter aufzu⸗ 
iehmen. Wenn irgend eine Zeit, fo iſt die unſere fähig, auch 
n diefer Hinficht dem Thukydides nachzuempfinden. Sie tft 
raftvoll, aufgeflärt und erfahrungsceich, wie jenes fle iſt par⸗ 


210 Thukydides Babe: 6... - 


Von K. O. Müller. tt bekanntlich der ge 
Verſuch gemacht worden, im Apollon und Herakles ein 
thiſche Perſonification des doriſchen Stammcharakters n 
weiſen. Der Dorier, von ‚veligidfent Bebürfniffe geh 
fuchte das Leben, das ihn. felbft durchdrang, nun auch 
ſich darzuſtellen, dort im göttlicher Geſtalt, hier in Hera 
Wie ſich denn freilich In dem menſchlichen Theile einer 
Religion: dr’ idealiſirte Charakter des Volkes und Zeii 
wiederfinden laͤßt. Auf dieſelbe Weiſe — ſchon der $ 
dünkt mich, weiſet dahin — könnte man in der Pallas? 
eine Repräfentantinn des atheniſchen Geiſtes erblicken. 
nun zu Perikles Zeit Das politiſche; und literariſche Weſ 
Athener feine Blüthe trieb, ſo ward auch das Pallas 
um dieſelbe Zeit durch Pheidias ‚wolfendet,::.fir:alle Fo 
ten. feſtgeſtellt. Wer irgend die bekaunte albaniſche Bi 
ſehen hat, der wird aus: der rſtrengen Grazie, dern 
Klarheit, der völligen Zufriedenheit dieſes reinen, höhen 
litzes vinen ähnlichen: Eindrack empfunden haben:; mie ti 
Rede des Perikles oder ein ſophokleifches Drama Hecker 
Demjelben. Geiſte, - welchen: dieſt Pallas erſchuf,gelat 
auch, „ben Zeub von Olynipia zu bilden, ben allgen 
und höchſten Gott der Hellenen. Sch denfe: mir dieſes 
nad) der Düfte von Dtricoli, Es erinnert mich an die | 
gezeichnete Majeftät eincs ſophokleiſchen Theſeus; und 
ohne ſinnreiche Anſpielung iſt Perikleß von feinen Se 
der Olympier gemannt 0 worden. 


ln — — 


Siebentes Kapitel. 
, Religion des Thufydides). 7 


"rt, 


* 
— — — —— —— — ⸗ 


3 8, 1. 


Vorbereitung auf Zyubybides. 
# die Religion der Hellenen ihren Hauptzügen nach bes 


m der vorhomerifchen Zeit firtet worden tft, ſehe 
4 die Forſchungen der Neuern als beiviefen au. 
5: Won dieſer urfprünglichen Religiofität finden wir in 
ner's Gefängen einen ganz ähnlichen Abfall , wie 
 unfere Nittergevihte im Vergleich mit dem aus—⸗ 
Katholicismus des frühern Mittelalters darſtel⸗ 
Die meiſten Göttergeſtalten maren.. aus Naturmäch⸗ 
ſDealiſirte Ritter geworden; die Hierzu nicht paſſen woll⸗ 
„wie Dionyſos und Demeter, mußten als plebe⸗ 
















ED Die Schrift von Wigand: Ueber das religiöſe Princip des 
ides, ſowie die ziemlich übereinftimmenden Refultate n Kor⸗ 
8 Anhange zur Gefchichte hellen. Staatöverfaffungen, bieten faft 
nichts Belehrendes. Diefe Männer haben den religiöfen Cha⸗ 
er bes Thukydides eigentlich nur aus feinen Gemeinplägen erfen- 
wollen, alſo gerade aus dem Nichtcharakteriſtiſchen. Ihre 
derung würde daher z. B. auf Machiavelli und Joh. Müller faft 
gut paflen. 
14 * 


212 Thukydldes. Kay. 7. 


jifche 1) Gottheiten in den Hintergrund treten. Zwiſche 
nem Ritter und einem Gotte war der Abfland nur ga 
Diomedes fchlägt den Ares, Achill den Skamandros. 
das Leben der Götter, fing man an, die frivolſten Schr 
binüberzutragen 2), 

Eine ganz ähnliche Bewegung, ‚ wie fie im ſechzeh 
Jahrhunderte das entartete Chriſtenthum bei den abenblä 
ſchen Völkern reſtaurirte, ſcheint auch in Griechenland 
ſechſte Jahrhundert belebt zu haben. Dieß iſt für 
Hellenen das Zeitalter der großen Erfindungen. Un 
Buchdruckerkunſt entfpricht damals die Verbreitung und ! 
befferung der Schrift; unſern Entdeckungsreiſen die Bela 
fehaft mit dem Oriente und der weſtlichen Hälfte des Mi 
meered. Wir fchen die Minfterien, dieß veligiöfefte El 
- der griechifchen Religiony wieder lebendig, Die Orakel, { 
über die Barbaren Hin, wieder Herifchend werben. Die 
ige Sage, : die alten Sütterfprüche, um vor Menſchenſat 
ficherer, zu fein, merden aufgezeichnet. : Mit Epimenides u. 
hebt eine. veligiüfe Sprit an, ſowie auch das Epos durch 
zahlreicher Gedichte der Orphiker ganz religiös und aske 
wird. , Die aufblübende Kunft, inte. die. aufblühenne Wi 
Schaft 3), nehmen. einen veligiöfen Anfang. Wunderthäter 
Sittenprediger treteß an die Spike. :der.. Staatänerwalt 
An Sitte, wie ſelbſt an Kleidung macht die ioniſche W 


| —— — 


"1 a un ' 

1) Nach den Forjchungen von Welder im Nachtrage zur 
logie. 

2). Daher auch die mannidhfadyen Kritiken ;. B. des fröm 
Pindar: Olymp. I, 62. IX, 35. 


3) Insbeſondere waren die Logographen bemithet, in ben 6ı 
und Sagen. der batbarifchen Völker die Hauptelemente bes helleni 
Glaubens wieberzufinden. Die hellenifchen Götter wurden hierdurc 
Weltgöttern, wenn duch bie Kritik, die fich damit vorbereitete, üı 
zer weitern Entwidlung eine Bauptbeförderinn des Nationalismus 


F. 41. Religion des fechften Jahrhunderts. 213 


Kit einem kraftvollern „ rauhern Dorismus Pllatz; ja die 
phiker ſtreben fait in monchiſcher Entſagung nach Reinheit 
id Fleckenloſigkeit des außern Lebens). — ME der vor⸗ 
ymſte Vertreter dieſer Ideen ſchwingt ſich der lakedãmoniſche 
taat, eng verkündet mit dem delphifchen Gotte, zur Haupt⸗ 
weht von Griechenland empor.“Dieſe Zeit reicht bis in die 
Kerferfriege herab; noch die’ Perferktiege werden gleicherweiſe 
Kt religiöfer, wie mit politifchee Begeifterung ausgefochten. 
Ki, die Religionsideen der ganzen Periode erlangen ihre 
hafte- Ausbildung ,: ihren ſchönſten Ausdruck erft am Schluffe 
Fefelben: Pindar und Aeſchylos, Sophekles und Herodot, 
meidias und Polykleitos 2). Hier iſt die Blüthezeit der grie⸗ 
Eſchen Religioſität, an Reinheit vbielfach dem Monotheismus 
he ſtehend. — Das Gefühl unbedingter Abhängigkeit von‘ 
Bett und die Hoffnung eines ſeligen Lebens bei ihm iſt der 
Em aller Religion. Jenes Gefühl Hat ſich Im Chriſtenthume 
Stzugsweiſe auf die innere Heiligung, bei den Hellenen worz 
ihöwelfe anf die äußere Machtfülle gerichtet. Wie die Tuthes 
Fife Zeit die Verbienftlofigkelt des Menſchen gegenüber ter 
Bande Chriſti predigt,. fo Die pindarifche Zeit das Maß des 
Nenfchen gegenüber der göttlichen Unermeßlichkeit 3). In beis 
Br dieſelbe Begeifterung, dieſelbe Denmth, welche Alles nur 
sch Gott zu fein glaubt. Der Begriff der Weltf Höpfung 
hen Gricchen erſt in dieſer Zeit lebendig geworden. So 


— — 





1) vobeck's Aglaophamus ©. 244. 


8) Bol. Quintil. XII, 10, 9. Dio Chrysost. Olymp. orat. 
‚1411. — Auch die chriftliche Reformation, bei den Eoangelifchen, 
ie bei ben Katholiken, bat ihre fchönften künſtleriſchen, namentlich 
ich mufifaliichen Früchte in dem Jahrhundert zwiſchen Milton und 
lepftock getragen, alſo unmittelbar vor dem Einreißen der Aufklärung. 

2) Doch hat auch Simonibes in feinem berühmten Sragmente aus» 
führt, daß kein Menfch völlig gut fein, böchftens im Einzelnen durch 
Gnade der Götter gut Handeln Eönne: Plato Protag. p. 339 5qq. 











254 Thukydides. Kap. 8. 


fleck der Stadt geweſen (73.). Antiphon feheint hier weit höhere Einf! 
ftellt zu werden, als früher Perikles (68.). Die Letzte Zeile vida par " 
Buches würde ſolche Ausbrüche der Leidenfchaft ohne Zul Su 
in Schilderungen verwandelt haben. em 


Auch den Herodot wird Niemand im Ganzen Em 
Übergroßen Enthuſiasmus beſchuldigen wollen. Nur äußexth 
allerdings einen etwas zu lebhaften Reſpect vor aller mat cib 
len Größe, wie vor den Bauwerken der Aegyptier (II, IR 
148.). Ju feiner Naivetät bereitet er Tange ſchon darauff vW, 
damit der Geift des Leſers nicht allzufehr in Erſtaunen gar] 
the (IL, 101. 147.). — Biel ftärker aber weichen die |, 
teen ab. Dem Zenophon ift «8 beinahe unmöglich, ®]. 
ſchichte zu fchreiben, ohne eine Perfon derfelben, bald da 
Sokrates, bald den Ageſilaos, geradezu als Ideal ausm 
len, Die leivenfchaftlihen Schmähungen eines Theoponh, 
eines. Timäos find bekannt. Die Verfaffer der Alerantet 
gefchichten werden großentheils ebenſo Teidenfchaftlich gelcht he ſ. 
ben, Durch die panegyrifchen Werke des Iſokrates und vide |. 
Sophiften war dieg allmählig vorbereitet worden, 

Daß den Thukydides Die Gefühle patriotifcher Freude 
nicht übermannen fullten, dafür forgte ſchon der Gegenſtand 
feines Werkes, Er Hatte den Sturz von Athen, das Sinken 
Dee ganzen hellenifchen Welt zu ſchildern 1), Defto mehr 
sielleicht konnte ein patriotiicher Schmerz feine Ruhe ftören? 
— Bei der erften Sammlung feine? Materiald iſt das auch 
ohne Zweifel der Ball geweſen; in der weitern Verarbeitung 
aber jenes erſte Gefühl bekämpft, zu einem echt hiſtoriſchen 
Schmerze verklärt worden. 

Zuerſt nämlich iſt an jeder Stelle, wo der Schmerz den 
Hiſtoriker zu überwältigen drohete, alſo namentlich beim Ende 


IE" 8» 


—f 


a. 2 15 


1) Vgl. I, 23. 


! 


$ 1. | Mationalismas in Perikles Zeit, 215 


prüstgefen CV, 54)... Sie Halten noch die Veiertage Heilig, 
iſt wo ie: militariſche Intereſſe dawider ſtreitet (V, 34.) ) ; 
kei :Shegeshoffuung. ftäßt ſich noch auf den Beiſtand des Apol⸗ 
Kain G 18%) 8) 5:1: und Braſibäs ſchreibt dantkbar, ſeine Siege 
Br‘ Gottern zu V, A16.). Aber auch: von. Ihnen bemerkt 
Dqutydides, daß ihre Schlachtgeſänge keinem religihſen Zwecke 
mqhr dienen, ſondern nur dis Ordnung auf dem Marſche feſt⸗ 

Token’ (V; 70): ‚Alben fe- von ben. — die Rei⸗ 














Wauf- Su und —— da waren —* Fer im 
Ectilcuug der Gotterſprůche liſtig geweſen 9. 

ee >). U gegen Bus Ende dek perikleiſchen galt vbluhen wie⸗ 
ui die Keime einer religidſen RKeaction empor. Einige 
Feleſter md; Wahrfager, Vampon vor Allen; Hierokles und 
Diepelthes, ſuchen das / alte Anſehen ihres Amtes wieder gel⸗ 
Bit machen: vielleicht· ohne deſſen wuͤrdigſte Vertreter zu 
ki. : -Ste-fielen daher, - wie es aber ſolchen Männern und 
antet ſpichen Umſtänden im mergeht, dem bittern Spotte 
ie ſcnhdie anheim "Dad war ihr Einfluß. fchon beim 

. In u 


— — — — — — 


» Schol. Thue. I, 70. 


| 2 Haupefäcitie) auch' auf ten Beiſtand der Tempelfchäge von’ Delz 
yi und Olympia (I, 121. » . Die Geiftiäteit ı war damals, wie heute; 
T confervativen Partei "verbunden. u 


3)" Bi. den ganz ähnlichen Fall mit den Korinthiern: V, 30. 
) 1, 131. Schol. Bu 


5) Lampon, wie überhaupt bie. GSororoncherenn, als Schein ers. 
ihnt (Nubes 360.), geradezu als Betrüger gebrandmarft (Aves 521.). 
chon Kratinos Drapetides waren hauptſächlich gegen Lampon gerichtet, 
i Gelegenheit der Gründung von Zhurii: vgl. Bergk Commentt. 
; antiqua comoed, Attica, p, 49 sqq. Ueber Hierokles vgl. Pax 
3 ff. Eupolis Ilodes fr. 10. Diopeithes wird nicht allein vom 


216 0. Ahutyoides. Kap. 7. 


Ansbruche des Krieges bedeutend genug, dag ſich Neon, 
gegen Perikles zuerſt aufzukonmen, des Diopeitheg 1 
nen konnte. Die: Anklage ‚wider Anaxagoras, die 
veet den: Perikles ſelber traſ, ſtützte fich;:.auf. religiöſe © 
lagen 1). Auch am Staatstuder angelangt, ſetzte Kleon 
Richtung forte. die Sühnung von Delos iſt ein Bewei 
bon, freilich auch ein Beweis, daß ſſelbſt ſein religiöſes 
ken von der Albernheit und. Unnenſchlichkeit ſeiner Dema 
befleckt wurde ). - Aus Ariſtophanes Rittexn erſehen mir 
ſich Klevn vorzugsmeiſe auf feine angebliche Orakelkenntni 
ſtützt haben uf... Ganz beſonders, aber, war. Niki, 
Mam,.: wie ihn Kenpphon ‚narhnald fir hätte wünfchen 
nen. Berfünlicher. Breund, des Diopeithes 3); täglich. gen 
glänzende Feſte gefeiert, Nichts gethan ohne. Wahrjage 
Ein großer. Krieg Hat der freigeiſteriſchen Aufklärung, oft 
Schaden gethau: fie ‚pflegt dem Tode, nicht gern in's Ay 
fehen. Socaud). der pelaponneſiſche Krieg zu Athen, ob 
eine zügelloſe Demokratie zur Anerkennung unfichtbarer M 
im Ganzen wenig geneigt iſt. Auch hier begegnen wir 
Euripides wieder, der freilich von jeher dem Zeitgeiſte 
gehorcht, als geboten hatte. Seine letzten Stücke geben 
förmliche Palinodie mancher frühern Zweifel 5). — Vorn 


— 


Ariſtophanes in ben Vögeln, ſondern auch in Phrynichos Krone 
in Ameipfias Konnos verfpottet:' Schöl. Aves 988. — Mehrer 
her, wie Lampon, im Prytaneion gefpeift : Schol. Pax 1083: 


ı) Plut. Pericl. 31 sqq. 35, Nicias 23. Sotion b. Di 
nes II, 12, 


2) Thucyd. III, 104. V, 1 sqq. Nach Kleon’3 Tode 
fein Verfahren wieder abgeftellt, V, 32. . 


5) Schol. Aristoph. Equites 1094. 
4) Plut. Nicias 3 sqq. q 


5) Als bas eigentliche Ideal eines vornehmen und orthodoxen 
lings damaliger Zeit muß man ben Hippolytos des Euripides betr 


5. 4. Neligtun nes Ariſtoghanes. gr 


san in. deu. Regel ichyphalliſch Fifnete;chın, lelcheeſten Moglich 
ar!) DienMaſſteien, cs eldie: Heihuitknarsdunhfiähtiiih 
erletzt hatte; werden hei Atiſtpphane, nicht mpestinen profanint 
{8 bei Blatsn,: Say: ea ntſchlüůpft dem Oichaoꝛ eine Mares 
ung, wie fie in Zeiten den ſntenden Religion wid ſelten 
zehört mixd, als) ſtic, Dans Gattendienſt Fi feinan Bertha 
oftfpielig: 2% ee Ra Wllen aber werden bach Kerie® 
u. Frieden/Nionyſode ne, Ken Fröſchen Aıızlı Drganiin der 
Vahrheit gemacht 3. Bin Yen wird der göttliche Sthuiz, Dex 
wunderbar darüber! malte, dankerfüllt geprieſen N von Dale 
18 und, ahrer Enkeiszchet: Ariſtophanes in tiefſter Gfrrfilcht:#); 
nd ber Frommigkeit eines Aeſchylos zollt ex die gebührende Hoch⸗ 
chtuuig )i Ba: De: Unglaube ſich auf die angeblichen · Fre⸗ 
aAthaten de Zend. berufen will, :fo7 wendet. Hy der: Dichter 
att ‚aller, Antwort mit: Abſchon hinweg 7)212Urberhaipt iſt er 
den Wollen., ide die Wafſen/ des Unglaubens ſich zu allen 
eiten ſehm: aähnlich ſehen „ı der. geniabfte Widerſachern jedes velie 
öſen Rationalismus geworden 8). — Aus dieſen Einzelhei⸗ 
n wird ſich der Leſer ein Bild des ariſtophaniſchen Glaubens 
twerfen koönnen 3 


4 er 
... Pa Js, 


N Kom Dionyfos giete u Bpilschero. Tegar für öthig zu. beoons 
rten, ex fei kein Poſſenreiſer und Schmaroter oeweſen (Harpoer. 
—XEXVV on. are 7 

2) Aves 611 sqq. | 1 —* 

3) Der Legtere freilich mit einer ſehr ſtarken Erinnerung an das 
ifche Theaterpublicum: vgl. Bergk Commentt. de comoedia Att. 
iqua, p. 152 sqaq. 

4) Equitt. 1170. Nubes 579 sqq. 

5) Vespae 1085. 

6) Ranae 881 sqq. 

7) Nubes 896. 
3) Daher auch Melanchthon, wie bekannt, eine Ausgabe ber Wols 

beforgt hat. , 

9) Auch eine dharakteriftifhe Idee von Antiphon, Thukydides 

15 * 


218 Chutkpdides. Rab. 7. 


ſtenthumeg {ft von ſolchen Ausartungen nicht frei geblichen 7° 
Aber zweierlei darf doch Niemand verfennen, wenn er die⸗ 
Religion der pindarifihen Zeit mit der ſokratiſchen zuſammen⸗ 
ſtellt. Diefe letztere if} ein Product. dee Wiſſenſchaft, von 
den höhern Ständen quögegangen; ſie hat im Volke um fa 
weniger die Herrſchaft erlangt, je mehr fie vou deſſen polits 
ſchen Feinden ropräfentist ‚; von Lakedämon aus unterſtütt 
wırde,; ‚Und. ion -fie prakt iſch auftritt, wie erſcheint fie ka? 
Ungefähr, wie Nikias dem Ariſteides, Ageſilaos dem Leoni⸗ 
dad;, Die Zehntauſend von .Kunara den Zehntauſend von Die 
vathon gegenüber 2). Jene frühere. Zeit, im folgen Gefühl 
ihrer Kraft, Hatte. von der Religion Hauptfächlich. eine heilſame 
Demuth ernten wollen. Die Sokrates Dagegen, mehr ned 
die. Ageſilaos und Zenophan, wollen Nichtö:.auf eigene Hand 
unternehmen, vor-fedem Schritte ſich bei: den Göttern Ratht 
erholen. Religiös iſt Beides; aber” doch ein bedenklichet 
Unterſchied. — "Deu fich Aehnliches auqh hert! 
fande? —5 * 


In dieſen Verhalmiſſen lebte nun aneda. 


4 - u . . . .. e # . ® 


) Bgl. Tertull.,Re-iieiun. 17. Hieronym. In. Vigilant 
Augustin. De civ. Dei VIII ult. Ep. 64.. ‚Canon. concil. Hlib, 
35. Der heibnifchen Zeugniſſe nicht einmal gedenten. 


» Ein "Sauptfornptom übrigens ber damaligen religiöfen. Kractise 
ift der ungeheuere Werth, den ein Mann, wie Lylandres, auf den Con⸗ 
fens der Orakel legt; und mehr noch der Umfland, daß ex trog aller 
Mühe keins bderfelben beftehen Tann (Dio.d. XIV, 13. Plut. Ly 
sandr. 25 sq.), Was fehr merkwürdig an ‚die Werhältniffe der neuern 
Theologie erinnert, ift u. U. der Umftand, daß ‚Sokrates feinen Beweli 
für das Dafein Gottes faft nur aus der menſchlichen Natur entlehu 
hat: Xenoph. Memor. 14 lo 


a ame 


ehr tan LE fen 
| Be ESS En puntfrüunnnttiu 
ei, To he Tun Bsp 
na u IRIEETE RT Str 

IR EEE EEE der Zu 
a Be EUTIN TOT 


ser, . UTC) PR FC AA] 
ijj US FR y EA Ad 5 


Zole⸗ Kapitel, ort % ur FR 
Hiſtoriſche Unparteilichkeit des Thukydides. 


me ai Be *. ul le” 

a nd dakezime:" nee 7 oe sinaer af 
x WR Des. ganzen: Thun⸗und Keen. wei Serien: if 
iabt es⸗ mohl Nichte .wie:ich glaube, was vers Ladewifanukk. 
ige, ja umderſtändlicher wäre, als hie hiſtoriſche Umherrt eilic⸗ 
eit. Dem Reiche ver Natürwiſſenſchaftenuiſt⸗ dieſer: Begriff 
olſkommen fremd. den prakliſchen Dibcipliaen bes) Thecy⸗ 
gen ‚oder Staatbheamten pflegt ſich etwas himmelweit davon 
zerſchiedenes, nänilich die Gleichgültigkeit, unter dem Namen 
ex Unparteilichkeit zu verſtecken. Lind ſelbſt die Unparteilich⸗ 
it: des Richtere beſteht dach im SGrunde mur darin, perfünfte 
e Rückſichten abzuweiſen; den vorliegenden Fall unter mog⸗ 
chſter Verläugnung allex Perſonlichkeit fo zu beartheilen, wie 
der Geſetzgeher ſelpſ gethan Hätte. — Dieſe IAnparteilichkeit 
das eigentliche Adyton der hiſtoriſchen Kunſt; fie: iſt ar je 
x. Zeit nur den größten Künftlern zugänglich geweſen. Wel⸗ 
er Gewinn daher, an der Hand: des vortrefflichſten helleni⸗ 
hen Geſchichtſchreibers dieſe dunkle Gegend detaillirter aufzu= 
ehmen. Wenn irgend eine Zeit, ſo iſt die unſere fähig, auch 
dieſer Hinſicht dem Thukydides nachzuempfinden. Sie iſt 
aftvoll, aufgeklärt und erfahrungsreich, wie jene; ſie iſt par⸗ 


22820 S5S5yuklhbides. Kap. 7. 


Grüfte werden aufgeſtört, und die Schläfer aus ihre 
ſtatt geworfen. Wie despotiſch zugleich: jeder Sterbi 
wich verordnet, jede kreiſende Frau ſoll auf die Nad 
Rhenea transportirt werden. Um die Reinigung zu ve 
wurden fpäter fogar (V, 1.) die ſämmtlichen B 
ber Inſel fortgefagt, bis dad delphifche Orakel und 
Tod fie wieder zurückführte (V : 32.). Hiermit fti 
denn freilich fonderbar überein, ) daß dieſelbe Berorbni 
uralten Kampfſpiele von Delos- wieder einrichtete. 

den ſchönſten Hintergrund zu dem Allen bildet Die lieblich 
derung der Feſte, die in Bomeros Zeit dieſe Inſel 

hatten· — So ftchen hier in prägnanter Kürze bie d 
nehmſten Perioden ber helleniſchen Religionsgeſchichte 
einander, Denn die Zeiten "Der Aufklärung hatien | 
Delos nicht viel gelünmiert: die Feſtlichkeiten waren 
Bel EEE 
.. er Er .. r u 

Raturereigniffe und Orakel. ' 


ghy habe Kinder geſehen, die nach dem Monde 
und ihn ausblaſen wollten. Je kindlicher ein Vote r 
defto mehr glaubt ed, alle Naturwunder fein r 
ſeinetwillen da; je weniger es die Naturkräfte natürlich 
ben kanm, deſto mehr fucht es ſie übernatürlich zu 6 
Noch Herodot war der Anſicht geweſen, daß jedem Eı 
der Menſchenwelt ein entſprechendes Ereigniß der äuß 
Natur voranzugehen pflege 1). Den göttlichen Ratl 
welcher das erſtere herbeiführt, meint er aus dem Ich: 





Verdacht bei, den man wegen fpartanifcher Gefinnungen gegen fi: 
Diod. XI, 73. 


) 3.8. VI, 27. ⸗ 


6. 1. Gemeine Unparteilichkeit. 231 


Freunde des Thukydides: alfo in beiden Fällen Dlänner, wel⸗ 
che den Kleon auf's bitterſte verabfcheuten. Ueberall glaubt 
Droyſen, daß Niemand fähig it, Im heftigen Widerſtreite der 
Parteien auch die Prineipien und Beitrebungen des Gegners, 
die er verdammen muß, zu würdigen. - Niemals habe Cicero 
den Cäſar begriffen; niemal® Sir Nobert Peel das Thun 
D'Connells richtig zu ſchätzen gewußt. — Ich befenne, ges 
zen einen ſolchen Angriff, der ‚ohne die geringfte Spur eines 
Beweiſes, Klo auf vage Möglichkeiten hin geführt werden 
nuß, Hätte den Thukydides ſchon fein großer Name und hi⸗ 
torifcher Rang ſchützen follen Was Droyfen von Cicero 
nd Sir Robert fagt, mil ih immerhin zugeben, obwohl . 
3 ihm bei dem Lebteren doch ſchwer fallen‘ dürfte, feine An⸗ 
abe zu beweifen: aber das iſt fa gerade der Unterfchieb zwi⸗ 
chen dem Hiſtoriker und dem praktiſchen Staatsmanne, daß 
‚er Eine die Gegner entſchloſſen bekämpfen, der Andere fie 
mbefangen beurtheilen muß. Bat vielleicht auch: Salluftius 
ach Droyſen's Anſicht den Cicero und Cäſar, hat auch Take 
us die Tyrannen und Tyrannenknechte der Imperatorenzeit 
icht unparteilich betrachten können? Ich füge Hinzu, daß 
hukydides gerade in Makedonien und Thrakien, mn er ſelbſt 
edient hatte, wo er begütert und angefehen war, mo er ben 
rößten Theil feines Erils verlebt Haben folk: daß er hier die 
enaueften Erkundigungen einziehen Tonnte. — Braſidas 
Ingegen erfcheint durchaus nur im edelſten Lichte, ſowohl an 
jenſchlichem Charakter, als an Iriegerifcher Tüchtigkeit. In 
er Geſchichte feines eigenen Verfahrens, das ihm fo Bittere 
rüchte gebracht, ‘ iſt der ganze Tom des Thukydides nicht im 
Jeringften intereffirter, al8 anderswo. Wenn er fpäter viel- 
icht einiges Gewicht darauf legt, daß vor Torone Braffdas 
gen Kleon dafjelbe Mißgeſchick Hatte, mie vor Amphipolis 
Hufydides gegen Braſidas, fo wird der geſchmackvolle Lefer 
erin nur eine edle, durchaus hiſtoriſche Rechtfertigung erbli⸗ 
en (V, 3.). 


222 Thukydides. Kap. 7. 
ſcheinungen mit der Dauer ımd Gewalt des Krieges in Zu⸗ 
fammenhang (I, 23.). Er meint nammtlih, Die Some. 
finfterniffe felen während deſſelben häufiger geweſen, ala che 
dem. Das ftimmt denn wenig überein mit feiner Erklärung 
nach Anaxagoras: und es ſchiene demnach die pppulare Anſicht 
von Thukydides doch nicht ganz überwunden zu fen. Wie 
wenig ſie ihn übrigens darum beherrſcht habe, ſieht man am 
dentlichſten da, wo er von den ſchrecklichen Vorzeichen des fir 
rakuſiſchen Zuges gar Feine Notiz nimmt H. 
Auf eigentlihe Orakel Haben immer biefenigen Scheifte 
fteller das Meifte gegeben, welche zwar ein ummittelbares, pers 
fünliches Eingreifen der Götterwwelt nicht mehr geftatten, doch 
aber Alles noch Durch göttliche Rathſchlüſſe erflären wollen. 
So vor Allen Herodot ?) und Sophokles. Bei ihnen find 
die Weiffagungen recht eigentlich Das Organ des göttlichen 
Weltregimented, — Andererfeit3 aber Hatte fich mit der Ums 
wandlung der alten Religiofttäit ein Schwarm von Hungrigen 
Wahrſagern eingeftelt, wie ihn Ariftophanes fo oft wor unfer 
Auge bringt. Dieſe Menfchen, deren verderbliche Wirkſam⸗ 
keit Bei dem furakufifchen Feldzuge ganz beſonders hervor⸗ 
tritt 3), waren es Denn auch, die den Euripides zu feinen 


—— — no — — — 


1) Plut. Alcibiades 18. Nicias 13. Diodor. u. A. 


2) Schon bem bloßen Umfange nach nehmen die Orakel bei Heros 
dot einen gewaltigen Raum ein. Erſt in der Atthidenzeit finden wir 
Aehnliches wieder; ja, Philochoros insbefondere in feinem Lehrbuche ber 
Mantit und Iſtros veranftalten förmlihde Sammlungen von Orakel⸗ 
ſprüchen (Plut. De Pyth. orac.). Freilich mehr aus dem gelehrten 
Intereſſe der Alerandrinerzeit, als mit dem frommen Glauben, ber un 
ter Peififtratos ſolche Sammlungen erfordert hatte... Doch ift felbft für 
bie verberbteren Zeiten bes Alterthums die Anficht der Stoiker charaltes 
riſtiſch, daß, wenn es Götter gäbe, fie für die Menfchen forgen, und 
wenn fie für die Menfchen forgten, ihnen Willenszeichen und Omina 
zufenden müßten (Cicero De divin. I, 38. II, 49.) 


2) Thuc. VIII, 1. Alkibiades hatte falfche Propheten aufge: 


$. 3. Orakel. 223 


aahliofen, meiſt mie vom Zaune gebrochenen, Schmähungen 
gegen Drakel und Seher anreizten. Euripides geht hierin fo 
weit, daß er im Son fogar den Orakelgott felber zum Anſtif⸗ 
ter. einer zuchtloſen Intrigue herabwürdigt. Auch Arxiſtopha⸗ 
nes verſucht an Orakeln und Deren Auslegung feinen Witz 
derbe genug 1): et doch fonft ber begeijterte Lobredner der gu⸗ 
ten alten Sitte! 

Unter diefen Gegenſätzen Nnimmt Thukydides wieder eine 
echt hiſtoriſche Mitte ein. Völlig unparteüſch erwähnt er es, 
wo nur Befragungen oder Befehle des Gottes zu berichten 
waren. Auch die Wahrheit des allgemein verbreiteten Ge⸗ 
rüchtes, als habe Pleiſtoanax die Pythia zu ihrem Spruche 
beredet, läßt er völlig auf ſich beruhen (V, 16.). — Dage⸗ 
gen wird gemeldet, bei der Peſt ſei Alles von dieſer Art, 
Drakel und Prozeſſionen, gleicherweiſe unnütz geweſen (II, 
47.); anderswo auch der bethörende, der lähmende Einfluß 
erwähnt, den das Vertrauen auf ſolche Götterfprüche äußern 
könne (V, 103.) 2). — Auf der andern Seite aber werden 
buchſtäblich eingetrofſene Weiſſagungen nicht verſchwiegen (V, 
26. VI, 27.); ja die Meine, aber unläugbare Abſchweifung 
(II, 96.), die vom Tode des Hefiod erzählt, wird einem 
Befremden des Thukydides über ein folches Eintreffen ent- 


flelt, der ammoniſche Zeus den Gieg verfündigt. Der richtiger blis 
ende Meton wagte ſich doch mit ber Wahrheit nicht heraus (Plut. 
Nicias 13 ). 


1).3: 3. Equitt. 202 sqq. 


2) Wo Thukydides erzählt, daß die Reinigung von Delos durch 
ein Orakel geboten fei, ba gebraudyt er die Partikel den. Blooms 
field und Arnold (5. III, 104.) fchließen hieraus, Thukydi— 
des habe das ganze Drakel für fingirt gehalten. Denn dr werde in der 
Regel ironisch gebraucht: fo III, 10. VI, 54. Dieß ift doch etwas zu 
tühn. Thukydides führt ja oft Orakel an: ihre göttliche Natur braudıt 
er darum noch nicht geglaubt zu haben. 


224 | Thukydides. Kap. 7. 


fprungen fein. Thnukydides erinnert daran, wie fonderkar 
Umftand, daß die Peloponneſier won der’ Peft verſchont 
blieben, mit dem Schutzverſprechen, das ihnen Apollon g 
ben hatte, zuſammentraf (II. 54.). Doch läßt er gleich 
Folgenden eine Andeutung fallen, als oh die dünnere, m 
der zuſammengedrängte Bevölkerung des Peloponneſes Hier 
wohl beigetragen hätte. — Die eigentlichen Grundſätze abe 
wonach Thukydides Drakel beurtheilt, ſind folgende. 

A. Sede tiefbewegte Zeit legt dem Menſchen vorzu 
weiſe den Wunſch an's Herz, in Die Zukunft zu blicken. Dat 
entfteht denn allemal eine Menge von Weiſſagungen, welhe 
von. den Einzelnen, beſonders den Alten (II, 54.), je nach⸗ 
dem: Die Hoffnung oder die Furcht bei ihnen vorherrſcht, ans 
genommen und erklärt werden, Alles Ungewühnliche in ker. 
Natur wird won den Wißbegierlgen zu demſelben Zwece ande 
gebentet 2). | 

: B. -©&o wid denn auch gar Manches zum Orakel * 
mächt,. was Doch Nichts weiter ift, als menfchliche Vorands;; 
ſicht. Vorausgeſehene Symptome eined Zuftanded merben in, 
nifteriöfe Urfachen defjelben verwandelt (II, 17.). Om, 
Kylon Hatte das Orakel zur Begründung ‚feiner Tyrannei had. , 
höchſte Zeit des Zeus empfohlen. Kylon machte nun am ı 
Tage der olympifhen Spiele einen Verſuch, der bekanntlich | 
mißglückte. Hier fügt Thukydides Hinzu, in Athen beſtehe en q 
Feſt, Diafia genannt, welches nom ganzen Volke außerhalb | 
der Stadt gefeiert werde. Er will Hiermit andeuten, daß 
wohl dieſes Feſt vom Orakel gemeint fei. Hier wäre unſtrei⸗ 
tig die Meberrumpelung der Stadt, wie fie Kylon verſuchte, 
viel leichter möglich geweſen (I, 126.). 

C. Daſſelbe menſchliche Herz, welches jene Weiſagun 
gen hervorrief, findet ſie nachher gläubigen Sinns auch einge⸗ 








1) IL, s, 21: vgl. VI, 27. V, 26. 


5. 2. Freude und Schmerz. 335 


des ſyrakuſiſchen Krieges, die Schilderung fait noch des 
vaillicter und auögenrbeiteter, als fonft. Hier verichmähet:e& 
der Hiſtoriker — er fonft Doch nur gewohnt, von Rathsver⸗ 
aunnlungen und Schlachten zu reden, — hier verfchmähet er 
8 nicht, die Empfindungen der Einzelnen auszumalen, wie 
Te von Hoffnung, Furcht oder Verzweiflung bewegt wurben. 
So vor Allem Hei den lehzten Ereigniſſen in Sieilien (VII, 
rl. 75.), wo die Darftellung auch iuſofern correſpondirt mit 
dem erſten glängenben. Auszuge von Athen her (VI, 30 fg). 
Bo das Unglück von Amprakia gefgilbert wfeb, das Härtefke, 
vie Thutydides meint, das eine Hellenifche Stadt in fo wenig 
Tagen betrofien habe, da verführt er ganz nach Art eines. 
Dramatiferg. Ex führt einen Herold von Amprakia ein, wel⸗ 
her das, Unglück noch nicht weiß. Diefen läßt er nun in 
ialogiſcher Eutwwicklung von Stufe zu Stufe der entfeglichen 
Bahrheit näher rücken, bis er zulegt ein Wehgeſchrei auge 
tößt, und eilig Heimtehet, ohne feines Auftrags weiter zu 
edenken (IH, 113),1). In der letzten Rebe des Nitias vor 
Syrafus wird die, Hoffnung noch, "einmal wieder aufgefriſchtu 
ve Neide der, Götter ſei endlich wohl genug gethan (VL, 
7) Hierdurch ‚wird dad nachfolgende Verhängniß offenbar 
och ſchneidender . — An ſoichen Stellen bewegt ſich auch 
ie Sprache des Thukydides, anſtatt in Allgemeinheiten oder 
Srclamationen zu verſchwimmen, ganz wie gewöhnlich im 
jeen ſcharfen, und, auögeführten Gegenſätzen. . Eine Sprache, 


1)°.Xuf ben Höhepunkten der Klage wenden auch die Tragiker meis 
ms den Wechfelgefang an: - ShöLL Beiträge zur Kenntniß der träge 
hen Poefle, I, ©. 395 .fg. « 


2) Auch Aeſchylos und Sophoftes bedienen fi an ſolchen Stellen 
nes ganz-.ähnfichen Gontraftest vgl. ‚Choeph: 772 sqq. 934 aqq. 
edipus R. 1079 sqq. Trach. 205 sq. 630 saq. Ajax 678 sad. 
ihölla.a. D. 1, ©. 372. 5 





236 Chukhdides. Kap. 7. 


er, man babe das Erdbeben in Sparta für eine Folge 
Aſylverlezung am Paufaniad gehalten (1, 128.).. Den f 
men Sinn des Nikias weiß er gebührend zu mürbigen ( 
86.) , fo richtig er deſſen Aberglauben auch beurtheilen mı 
Das alte Recht, mit deifen Verfall er den Verfall | 
Landes verbunden glaubt, nennt er Das göttliche Gefeh 
82.), und alg die fchlimmfte Folge der großen Peſt bein 
er die Abnahme der Gottesfurcht (IL, 52 fg.) Wie X 
dides als letzte Inſtanz über‘ den Ereigniffen der Get 
eine Vorfehung geglaubt habe, iſt in einem frühen 8 
bereits erörtert worden. | 
Aus Gründen, die fich tiefer unten von felbft vechtfe 
werden, lege ich hierbei vieles Gewicht auf die Religiofiti 
Ariitophanes. Nun iſt es befannt, daß Ariſtophan 
Sötter mit eigentlichen Witzen kaum mehr verſchont Hat, 
die Menſchen. Wenn auch gegen Zeus nur ziemlich b 
ne Späße vorkommen I); mern auch die Gefräßigkeit de 
rakles2) nur ein wiel gebrauchter Gegenftand der frühen 
mödie fein mochte : jo wird doch auf die menfchenähnlid 
gehrlichkeit der Götter 3), auf ihre unzüchtigen Liebfchaft 
vor allen auf den Kinäden Ganymedes geftichelt 5); um 
Gebet fogar mifchen fich komiſche Seitenhiebe 6). Sı 
Vögeln erfcheint die Götterwelt ganz, mie die menfd 
Herafle vertritt den leichtgläubigen Pöbel, Poſeidon die 
gen. Am fchlechteften Fommen Hermes und Dionyfos 
was freilich bei den Göttern des Weind und der Diebe, 


1) Pax 105. 

2) In den Fröfchen und Vögeln passim. 
3) Eccl. 780. 

) Aves 556 sqq. 

5) Pax 708. 

% Equitt. 554 sag. 


5. 4. Meligtun des Ariſtophanes. 32T 


in deu Megel. ichyphalliſch Bildete;:: m, Bikkeikeihntißglich 
2. Die: Moſtenenwelehe Nejcnlpamursiunbfichtiig 
t hatie, merden hei Atiſpphanes, nicht / weninen· profcmiri 
be Platya. Ja:s entſchlüpft dem Michler jeine Aeuße⸗ 
wie ſie An. Heiten den ſinkenden⸗ Religion uichauſelten 
wmird, als; ſei der Gottesdienſt fie ſeinen: Bertha 
I re Dem Allen: abet werden, Dach Herues 
Sieden,’ Dionyfod) sus Den Fröſchen Yııylı Organen: per 
eit. gemacht; ßin: Achen wird der. göttliche Schutz, der 
Bamenbreber darüßer: walte, danferfüllt gepiiefen Hn non Bale 
Ins md; ähree Enle redet Ariſtophanes in tieffter Ghrfürgt.5), 
Rad-ber Froͤmmigkeit eines Aeſchylos zollt ex die gebührrnde Socks 
Bing: 95:7, Beam: der Unglaube ſich auf die angeblichen rem 
dalihaten/ des Zeus. berufen; will, :fo” wendet: sich der: Dichter 
Istt ‚aller -hitinost nit: Abſchen hinweg 7).12 Ueberhaupt ft er 
K den: Wolken... "da die Waflen des Unglanbens ſich zu allen 
Beiten ſehr: ähnlich: ſehen,. der genialſte Widerſacher: jedes volle 
ſWſen Rationalismus geworden 8), — Aus dieſen Einzelhei⸗ 
m wird ſich der Leſer ein Bild des ariſtophaniſchen Glanbens 
utwerfen können ). 














y Rom Dionyfos hielt ed Philochoros ſogar für nöthig zu bevors 
orten, ex fei kein Poſſenteißer und Schmarotzer geweſen (Harpocr. 
‚ Kußaltio) | 
2) Aves 611 sqq. 1 
3) Der Lestere freilich mit einer fehr flarken Erinnerung an bas 
ttiſche Theaterpublicum: vgl. Bergk Commentt. de comoedia Att. 
atiqua, p. 152 sqq. 
4) Euquitt. 1170. Nubes 579 sqq. 
5) Vespae 1085. 
6%) Ranae 884 sqq. 
7) Nubes 896. 
5) Daher aud Melanchthon, wie bekannt, eine Ausgabe ber Wols 
beforgt hat. 
%) Auch eine charakteriftifche Idee von Antiphon, Zhufydides 
15 * 


zu Ruhe. Ber. 


2 TEEN ni denke ih, müßte: einigermaßen m 
bei Thirtgbived: pair. Thukydides, den wir noch künf 
einen nahen Geiſtesverwandten. des / Komikers erfennen ı 
— Ein Gefuhl⸗ von dee Unzulänglichkeit der beſtehender 
gion und von dein Voraltetſein ihrer Inſtitute; doch ab 
ſinnige: Verchrimg ber Beiten, wo / der alte Glaube noch 
haft gelebt Hatte. Abſcheun gegendie neumodige Weist 
Sophiſten, in denen iman die Verderber der Religidu, 
auch der Kunſt, ider Sitte; des ganzen‘ Staates erkannt 
doch aber wenig Verlangen nach einer beſſern Ueberze 
Ueberall zwar wiele Ehrfurcht vor den »reinern Geſtalt 
Gätterlehre ‚über. meiſt nur Verſtandesſache, zwar mit 
unbefriedigten ;: aber auch: mit. keinem lebhaften Bebürfn 
Religion. : Daher? mit dem irdiſchen Treiben völlig zuf 
nicht, wie Sophokles, gedrungen, es durch Hereinziehn 
höhern Welt zu enklüren. Kurz,“ eine Stimmung, 
auch in unſen wagen wur: als Ein: grober Maun 9 
hatt... — 


_ ." u J— 

Lehrer(?), mag hier Erwähnung finden. Er fordert die Beſtro 
nes unfreiwilligen Zodtfchlägere.. Entweder habe biefer nän 
Gpöpenun gefehlt, und dann verdiene er Strafes ober wegen 2 
ihm eine Hei anlis zugelommen, wo man.ben Göttern ihr 9 
nicht entziehen :bürfe (Tetr. II, 3,8: p 31 Bk.). Wan fieht, 2 
konnte religiöfen Gefühlen wohl nach empfinden, ohne fie doch 
ſelbſt zu haben. 


i) Ich denke namentlich an Niebuhr. 





vous 


BL 1 VE BA TE HS ar Bee 


So guniesnutte. nd 


n 
x va 
ı N 
Du | 


Agleo Kapitel, En 
giftorifige Unparteilichkeit des Thukydides. 


nf ne a Te LG ur 5. 
tal: Try meiner at 
hi Deus ganzen rm amd reißen der; Siflerififen Auf 
bt es/mohl Nichts wie ich glaube, mas deni Lalen ferner 
ge, ja unverſtändlicher wäre, als die hiſtoriſche Unharteilich⸗ 
t .Dem Reiche der Naturwiſſenſchafteu iſt diefer Begriff 
Yommen fremd, In den praftifchen Dibciplinen des Thee⸗ 
jen ‚oder Staatöhenniten pflegt ſich etwas himmelweit davon 
erſchiedenes, nämlich die Bleichgültigkeit, unter dem Namen 
t Unparteilichkeit zu verſtecken. Und felbft bie Unparteilich⸗ 
des Richters beſteht doch im „Grunde nur darin, perfünlt- 
Rückſichten abzuweiſen; den vorliegenden Fall unter möge 
ſter Verläugnung aller Perfönlichkeit fo zu beurtheilen, wie 
der Geſetzgeber ſelbſt gethan hätte. — Diele Unparteilichkeit 
das eigentliche Adyton der hiſtoriſchen Kunſt; fie tft zu je 
- Zeit nur den größten Künftkern zugänglich geweſen. Wel- 
e Gewinn daher, an der Hand de vortrefflichften helleni⸗ 
n Gefchichtfchreibers Diefe Dunkle Gegend detaillirter aufzu= 
men. Wenn irgend eine Zeit, fo ift die unfere fähig, auch 
diefer Hinficht dem Thukydides nachzuempfinden. Sie ift 
ftvoll, aufgeklärt und erfahrungsreich, wie jene; fle ift par 


250 Thukydides. Kap. 8. 


teizerriſſen, wie jene; und, wenn nicht Alles trügt, fo ifl 
Geſammtentwicklung der germanifchen Stämme heutiges 
ge8 auf diefelbe Stufe gelangt, wo wir die griechifchen 
Anfange des vierten Jahrhunderts erblicken. 

Ich werde nun die Unparteilichkeit des Thukydides in 
immer weitern Abfäben zu fchildern fuchen. Der erfte A 
liegt dem großen Haufen noch nahe; der zweite fchon fer 
Auf den dritten ift er unfähig fich heraufzuſchwingen; dent 
ten wird er mit Arash nnd: air achten. 


ngnen ahTREE Sera 


+ 


Gemeine Unparteilichkeit. 


Schon das Altertum pflegte die Unparteilichkeit zu | 
fen, womit unfer Hiftorifer namentlich den Veranlaffer und 
Arheber feines riks, Brafiinzinmd Kleon:, beurtheill 4 
Und in ber. That o1 wenn män ben Mleon dei‘. Dhukydives 
dem·miſtephaniſchen / vergleicht, ſo wird man: inne wer 
daß der erſtere wicht eben es Schwarze: gemalt: iſn. "Dr 
ſen? freilich will Bei den Aeußerungen des“ Thukydides 
Kleon's makedoniſchen Feldzug „einige Vorſicht gebraucht“: 
fen). Thnkydides habe nach ſeiner ſonſtigen großen: MW 
gung nirgends fo bitter und wegwerfend geſprochen.GS 
auch nirgends, erwidere ich, In. feinen- erften ſieben Bil: 
mie. einem zweiten Kleon zu thun gehabt: — - Zul! 
Quellen ;. meint Droyſen weiter, feier hier nicht gang rein 
floſſen. Augenzeuge feier damals nicht mehr geivefen ; 
gerade diejenigen Dinge, die Kleoñ In fo erbärmlicher © 
erſcheinen laſſen, find Einzelheiten imd Augenblickliche⸗ 
welche nur zu: Leicht entftell€ ‚Werden konnten. ' Seitie Gewẽ 
männer aber mußten entiveder Spattaner fein, oder athei 


1) Ariftophanes von Droyfen: Ch. 2, ©. 298 fg. 


N 


$ 3. Thukddides und die politiſchen Theorien, 241 


ppanicen können, — Bis endlich das Uebermaß demokrati⸗ 
ber Eroberungsluſt in einer rieſenhaften Unternehmung fein 
genes Grab findet: dem Widerftande der Natur und der Na⸗ 
onalkraft unterliegend. Inzwiſchen find denn auch Die Con⸗ 
evativen Flug geworden: fie haben der Revolution die Mits 
[ zum Siege abgelent, und der Barbarenkünig tft ihr Bun⸗ 
Sgenofie. Wie es dem Glücklichen zu gehen pflegt, fo find 
intracht, Entſchloſſenheit und Rückſichtsloſigkeit jetzt auf. ie 
e Seite. Die Begeiſterung einer politiſchen und religiöſen 
eaction verbindet ihre Reihen feſter, während die atheniſchen 
ch Zwietracht und Vexrath zerriſſen werben. . Theramenes 
ielt, die Rolle des Talleyrand. Lyſandros endlich vollbriugt, 
18: in unſern Tagen die Metternich und Wellington voll⸗ 
acht: haben. Im Athen: freilich, dem Heerde der Umwäl⸗ 
ugwird die Reactionsherrſchaft nach kurzer Friſt Durch eine 
ißig gehaltene, weiſe geleitete Revolution wieder umgeftürztz 
Ganzen aber Dauert. fie noch ein volles Menfchenalter, ja, 
"erlangt nun erſt Ihren" eigentlichen Mittelpunkt im Agefilaoß; 
..Seine Abkunft und. politifchen Stellung nach war Thu⸗ 
yided. Mriftofrat.!). . Sollte. dieß wohl auf fein Urtheil ges 
et haben? — Wäre Thukydides in ſeiner Geſchichte der 
mokratie feind geweſen, er hätte ſicherlich eine ſchöne Gele— 
heit zu Betrachtungen nicht vorbeigehen laſſen: als nämlich 
mitylenäiſche Demos feine Stadt an Athen. verrathen, und 
nıcch nicht allein feine Gegner, fondern auch ſich felbit in 

. Abgrund des Verderbens geftürzt Hatte (III, 27.). Wenn 
dagegen zu Heraklea die Mißgrifſe oligarchifcher Machthaber 
13 offen tadelt, fo erkennt man feine Unparteilichfeit eben 
in. fo ſchön, daß © gegen ſeine Partei ſtrenger iſt, als ge⸗ 
‚die andere (IH, 93.). Wenn er die oligarchiſchen Fre⸗ 
baten zu Megara jo kurz berührt (IV, 74.), und die des 


1) Vol. 8:8. Krüger Leben bes Thukydides S. 62 ff. Epi⸗ 
[her Rachtrag zum Leben bes Thukydides S. 20 fg. 
16 


⁊ 


236 Thukydides. Kap. 8. 


die bei furchtbaren Gegenftänden ruhig und Kalt erſcheint, mad 


die Erzählung um fo glaußwürbiger 1). — Uebrigens jAl 
dert Thukydides das Unglück der Amprakioten und der DM 
tier (VII, 29 fg.) ebenfo emphatifh, wie das der Athe 
Alſo auch Hierin unparteilich 2)! 4 


Um aber dem Pathos, welches die Macht in 
ftellung hervorgerufen, auch die Katharſis nicht fehlen ] 
Taffen, hat Thukydides ein zwiefaches Mittel „angewandt. I 
erft nämlich pflegt er allemal daran zu erinnern daß Died 
gen, welche nun im Unglück find, e8 zu {fter Zeit gegen # 
dere nicht beffer gemacht haben (VIL, 71 53 ja, daß ſie d 
jebt gefümmen find, ihrem Gegner das nämliche' Shi; 
bereiten 2). Der Hiftoriker will weder fich ſelbſt, noch den? 
fer vom Mitleiden übermannen laſſen. Sp, zäplt auch Zei 
phon nach der Schlacht im Hellespont mit gtauſamer Un] 
fartgenheit alle Städte auf, die früher von Athen waren y 
ſtört worden ). Auch jedes hiſtoriſche Kunſtwerk muß | 
mißlungen gelten, wenn ed einen moralifch. anphrenden E 
druck zurückläßt. Wer alſo den Sturz einkt Macht. zu fd 
dern hat, der muß entmeber die etwa nachfolgettve Wiedera 
richtung mit hereinziehen, oder muß darthum, wie ſehr ja 


— — 


1) .Eine feine Bemerkung bes Dio Ghryfoftomos: Orat. 18 


2) Daß Thukydides den Tod der Mykaleſſier (VII, 29.) für for 
Yicher anfteht, als die Sklaverei der Melier, darf Niemand wunde 
Aus der Sklaverei Tann man befreit werden, und der Iyfandrifche Fri 
hatte die Melier u. A. natürlich reflaurirt (Xenoph. Hell. II, 2, 
Plut. Lys. 14). Auch bie ‚meffenifchen Koloniften wurden ans. 
phallenia und Naupaktos verjagt, und diefe Städte ben urfprüngli 


"Bewohnern wiedergegeben: Diod. XIV, 34. Paus. X, 38, 10. 


2) ol. VII, 68. V, 90. und die Thebanerrede im britten Bu 
4%) Hell. II, 2, 3. 


$. 3. Thukydides und.biepolitifihen Theorien. WAS 


eich. war diefer Anfang einer philoſophiſchen Politik nach 
sögefallen!. ‚Nur einzelne Inſtituue zengen vum philoſophi⸗ 
ver Verarbeitung, nicht das Gauze Hei—1.1 Ein blinder An⸗ 
inger demokratiſcher Theorien wird und im Athenagoras ge⸗ 
ildert (VI, 38 ff.).Ansder loſen. und. fragmentariſchen 
eſchaffenheitu ſeiner Argumenteerkenntman deutlich, daß 
jukydides hier bie. allgemein siräiliraden, Grüne: jür. die 
olksherrſchaft wiedergeben, will,rnpiz jehegı Einizelne machſpre⸗ 
n konnte, ohne ſie anch võllig Pegriffen zu habenr. Inter⸗ 
int iſt es übrigens,daß die Tharnetiker Namals in; Dex: veinen 
lkoherrſchaft/ ebenſo geſchickt insı Gleichgewicht Arad beat Bes 
Iten: nachzuweiſen verfiandenwienhemzungejmder inen 
iſtitutionellen Verfaſſung (VBA: Boll Pat entſchie⸗ 
e Anhänger oligarchiſſher, Themien⸗ werden zu Sparta ‚von 
ibiades angeredet ¶ VLLBOMVIIInd eh Mes Eniſchieden⸗ 


welche ſich Hiiingert, als ware: Dat Breowerfliche der 


mokratie lange ſchon ausgemacht,iſt ser beſten Beweis, 
viel: in. riefen Kreiſen ee hexeit3 gekaͤmipft mworden 
nella ankial td 95 nr 
ges Fette mun Thukydibes ante‘ iefet” —— 
17 Bor allen‘ Diugeuꝰ da BALL ZI Leben 
ı det Wirfefänft- nein. gInt Keben, 
ehrt et mit gewaltigem Nachdelick; im hei Fein Mg: 
eit mehr; unparteiiſch zit bleitſenWo⸗ver: Parteienktaanpf 
Aeußern des ‚ganzen Staatenſhſtemes Free jedes 
nen Staates Toitief gefeeijeit''hat‘) vãr iiſt verꝰ Ndutrale 
& —* Perieien. Das‘ wehelrete ehe —— 
32 ff.), Baier ri Nnterheandlungen tv; 8 
Ss bie Comferengen von NR We ca, TE iz "a 


Gh .. 


a5 a Fan ar hand br 
nt tn RN simmir. N iut Singh 


“. HIER 
sn w 





... yalı u; 2» 14 nilitt —2 a! li: —X EN. ar yi. 
yAristasc PoliYil,,8,(Schneidnnuunpz; [ut or zart 
)- gl, Hürfpid. Snpal, ade et ri rn” 
16*_ 


x» 


E 







238 Thukydides. Kap. 8. 


tung der thukydideiſchen Wehmuth gar oft erinnert an einig 
Meiſterwerke der rafaeliſchen Zeit. Ale finnlichen Theile 
Körpers find da von Schmerz erfüllt: die Adern und 
wie im Krampfe gefchtwellt, der Bauch und die Schulten wi 
rũckgedrängt, Die Bruſt emporgetrieben, fogar der Mund i 
die Höhe gezerrt. Aber um Stimm und Auge leuchtet die fell 
Sreiheit des unjterblichen Geiſtes. I 
In einem einzigen Punkte, fo feheint es, könnte Tl 
dides Darftellung durch feinen Schmerz über den Gegenſtuſ 
derfelßen wirklich affieirt worden fein. Ich meine jenes di⸗ 
ſtere Licht, worin er die Menfchen betrachtet: wenn er z. 8. 
fon in Agamemnon's Zeit die Furcht wor dem Stärken ll 
das vornehmſte Cement der Bündniſſe anfieht (I, 9.); ede 
wenn er Dad Mißlingen großer Unternehmungen licher da 
Schuld Des Befiegten, als dem Verdienite des Siegerd ze 
ſchreibt ). Schon wiber die beſtehenden Geſetze, ſpricht a, | 
pflege der Menſch zu fündigen. Doch wenn er gar in me | 
wirrter Zeit fie überwältigt, da werde es recht offenbar, wi | 
er feiner Leidenſchaft nicht Meiſter ſei, und von der Gerech | 
tigkeit nicht gezügelt. Da werden bie allgemeinen Geſetze, af | 
denen Aller Heil beruhet, durch die Glücklichen ſchmachvoll pe | 











unſer Niebuhr fand unter den Trübſalen der napoleoniſchen Knecht⸗ 
ſchaft nicht allein in der Betrachtung ber großen niederländiſchen Bee | 
gangenheit Zroft, fondern ebenfo fehr in dem Studium der römilde ; 


Weltunterjodhung (Briefe Th. 2, S. 63 fg... VBgl. Livius Prael. 
und Hegel Aeſthetik, &h. I, ©. 65. | 


) 1,69. VI, 33. — So macht er bei dem Kriege vor Syrals ! 
befonders aufmerkfan auf die irrige Deutung der Mondfinfternig (VII, 
50.), die SInfubordination der Geefoldaten (VII, 72), die Zäufhung 
durch Hermofrates (73.), endlich den panifchen Schredten im Heere des 
Demofthenes (80.). Auch darauf noch, daß Nikias aus wohl begründeter 
Furcht vor der Rache des Pöbels (VII, 14. Aristoph. Equitt. 285. 
355.) den Rüdzug der Athener über die Gebühr verzögerte. 


63. Thukydides und die politiſchen Theorien. DAS 
fedämonifchen Heldemnuthes war 1). : Ye. der Leichenrede 


eifet Thukydides Die perikleifche Demokraͤtie, wo vor Gericht: 
iner benachtheiligt,.. von. der Staatsverwaltumg kein Wurdi⸗ 


e anögefchloffen, im gemeinen Leben Seiner von feinem Nach 


r beneidet wurde; wo Geſetz und Obrigkeit in Anſehn ſtan⸗ 
a, ohne daß die Freiheit der Einzelnen wäre beläſtigt wor⸗ 


12). — In dieſen Verfaſſungen lag ofſenbar der ſpätere 


egenfat von Dligarchen und Demokraten einſtweilen noch‘ 
entwidelt. Als er. aber im Verlaufe Ber Zeit. mehr und. 
hr das ganze öffentliche Intereſſe zu verfhlingen, den alten 
nat zu verderben anfing, da verbirgt es Thukydides nicht, 
B beide Parteien unter der Maske des allgemeinen Wohl 
r ihrer Herrichfucht fröhnten, daß die „Gleichheit der Rech— 

und die „weile Regierung der Edelſten“ nur eitele Namen: 
zen (III, 82.). Er verfihert, daß Unabhängigkeit mit 
wteiherrfchaft drückender ſei, ala auswärtige. Dienftbarkeit 


J, 86.); weiß auch vecht wohl, daß gerade bei der äußer⸗ 


ı Demokratie in Wahrheit nur Wenige herrſchen, und daß 
‚ Unterivorfenen von Dligarchie und Demokratie gleich fehr 
nißhandelt werden (VIII, 48.) 3). | 
Diefe Hiftorifche UnparteilichPeit ift zu jeder Zeit natürlich 
‚en geweſen. Sie ift der vornehmſte Grund, weßhalb die 
t Hiftortfchen Meifterwerfe von jeher ein viel geringeres Pu⸗ 
um gehabt haben, als die halbhiftorifchen, als die prafz 


1) IV, 126. vgl..IV, 86. 
2) II, 37. vgl. VII, 69. 


3) Das ungewöhnliche Lob, das Thukydides VEIT, 97. einer fo 
el vorübergehenden gemäßigten Mifchung von Oligarchie und Demo: 
tie zollt, in ber freilich die Befoldung ber Staatsämter, und mit ihr 
Theilnahme bes Pöbeld am Regimente wegfiel, ift, wie fo Manches 
achten Buche, aus ber mangelnden Vollendung beffelben zu erklären. 


mfo das hohe Lob ber chiifchen Dligarchen (VIII, 25.) Bei der 


240 Thukydides. Ray. 8. 


VBerfafjung artet dann allmählig aus, Es erfolgt eine Neu 
tion dagegen, zu welcher die Ueberreſte der alten Ariftckm 
und die neu erwachende Tyrannis einander die Hände Bietet 
Da wird es möglich, daß das ariftofratifche Lakedämon md 
allen Tyrannen im Bunde ſteht, während es doch früher, fl 
lange diefe Tyrannen Vorkämpfer des Demos geweſen, 
alle vertrieben hatte ). Nach wechſelnden Erfolgen zwiſch 
Reaction und ausgearteter Demokratie pflegt eine Militaͤrde 
potie den Schluß zu machen 2). — Thukydides frühere 4 
Ben fällt in die fchönfte Periode der athenifchen Demo 
der fpartanifchen Ariſtokratie. Cr bat die Ausartung 
Berfaffungen, ihren Kampf mit einander „und den Sieg 
oligarchiſchen Reaction erlebt. 
Alle Kämpfe in Griechenland, ſeit dem Antritte der pt: 
rikleiſchen Staatöverwaltung bis zum Frieden des er 
Bilden Ein großes Ganzes, auf da8 Genauefte verg 
dem Revolutionöfriege der neuern Zeit. Die ganze H 
welt in zwei große Parteien gefpalten, eine conſervative ww 
eine progreffive. Sparta allenthalben geftügt auf die Ucberre 
des Adels und Prieſterthumes, Athen dagegen, wenigſtens 
Anfange, auf die Sympathie der Unterworfenen. Die pe 
greſſive Partei, fo ſchnell fie auch durch Uebermuth und H= 
gier fich die Zuneigung der Völker entfremdet, ift doch — 
fangs überall im Vortheile. Sie weiß der Uneinigkeit ihe 
Gegner die coneentrixtefte Einheit, ihrer halben Kriegöſührn⸗ 
die rückfichtölofefte Energie entgegenzuſetzen. Sie Bringt a 
Kampfesmanier auf, wie fie die Gegner kaum geahnt haben 
Die Gleichheit der Demokratie ruft eine Maffe großer Tale: 
an's Licht, welcher die Gegner nur den einzigen Braficz 







1) Bol. befonderde Diodor. XIV, 10. 


2) Es bedarf wohl Faum der Erwähnung, daß viele Staatn, — 
‚ alle folgenden Stufen durchzumachen, auf einer berfelben ftehen I’ « 


$. 3, Thukydides und bie politiſchen Theorien. SAT. 


eichgültigkeit mit der Unparteilichleit des Thukydides zu ver⸗ 
chſeln! — Mit Phaleas von Chalkedon 1) hebt die 
ihe der Schriftfteller an, welche ‚offen oder verſteckt die Takes 
noniſche Ariftofratie zu ihren Ideale machten Alle So— 
ztiker, deren Werke uns erhalten find, gehören hierzu 9), 
H die Monarchie im Sinne des Orients und die neuerwa— 
nor Tyrannei fanden ihre Theoretiker, unter deren Werken 
aophon?s, Kyrupädig,; Iſokrates Schrift an den Nikokles 
d das Tyranngnmautfeſt deſſelben Nikokles hervorglänzen 3). 
e eigentlich hiſtorjſche. Auſicht läßt auch bei Xenophon nur 
ene Sonnenblicke fallen Auch die Wolfen des politischen 
ealismus. Kine, unbegreifliche Kluft: würde ben Ariſtoteles 
n Thukydides ſcheiden, wenn nicht die Soph iſte n dawä⸗ 
„ dieſe ſondyrbaren ſchlechten Mittelsperſonen zwiſchen ber 
trefflichſten Philoſophie und Der. vortrefflichſten Geſchicht⸗ 
eibung, Dieſe waren nämlich in ihren Lehrbüchern der. 
etorik veranlaßt, die Volfs⸗, die Senats⸗ und die Hof⸗ 
edtſamkeit abgeſondert zu, behandeln. Ihre Vorſchriften 
sten ſich daher ſehr natürlich auf eine Charakteriſtik der ver-. 
iedenen Staatöformen, und aus dieſem Geſichtspunkte ift 
B. yon der, Nhetorit an den Algrander> gar Fein fo gewal⸗ 
er Sprung ‚mehr zu der Politit des Ariſtoteles. 
Ich muß den seen ie zu. einer Fleinen. ' Diggefion einlas 


24 —E J 


1) Bei dem weichlichen Chalkedonier barf'es nicht befremden, daß 
das Hauptinftitut von Lakedämon, das Kriegsweſen, unbeachtet, ließ: 
ristot. Polit. II, 4. Schneid.). Ic) halte den Phalpas mögen. her 
Yung, die er bei Ariftoteles einnimmt, für jünger, als vippoda⸗ 
3, aber für älter, als Platon. 

2) Auch zu Florenz findet ſich etwas Aehnliches. "Sn den Betten der 
enden Demokratie fangen die florentiniſchen Politiker“ an, auf das 
azende Muſter der penetianiſchen Adelsherrſchaft ihr Auge, zu richten. 

3) Die Demokratie hat uns leider, einzelne Stellen Ber Redner abs 
echnet, kein ſolchee Weri hinterlaſfen. we 


213 ..Thukydides. Kap. 8. 


mokratiſchen zu Kerkyra fo weitläuftig (III, 70 fſ.), | 
ſchieht dieß nicht aus Parteilichkeit, ſondern aus dem 
chen. Grunde, ‚weil Thukydides Überhaupt von ſolchen i 
Zwiſtigkeiten mar. ein. Bild, keine Geſchichte zu geben. 
Das Bild aber fügte. fi) am beiten dem erſten Ereigniſſt 
fee Art bei. . Ein worteeffliches ‚Seitenftü Bietet übrigen 
Geſchichte der aihenifchen Dligacchen dar: zumal, wenn 
fich erinnert, daß chen die. lettte und laenigſe Fartunz 
ren Buche och fehlt - - | ee 
Muecſiphilos, der Lehrer: des hriſteties; Sal 
Staatswiffenfäaft. noch ganz in der guomtichen % 
des Solon gelthrt ). Die Sophiſten richteten: ihr Augen 
zwar hauptſachlich auf praktiſche, dehe rhetoriſche Uebunger 
aber die Theorie des Staates ſcheint doch ſchon von Ihre 
arbeitet zu fein. So macht Ariſtophanes in den Vögeln 
Bermmüftgründe lächerlich, wodurch man. die Volksſouvei 
tät damals zu beweiſen ſuchtt. Er thıst dieß in der. Hede 
Peiſthetäros, einem Meiſterwerkr pſeudohiſtoriſcher Soph 
das? noch heutzutagenallen liberalen: und antiliberalen Theo 
kern zu empfehlen wäre (471 ff}. Auch einen Idealſtaat 
es ſchon in Thukydides Zeiten. Hippodamos vom DI 
hatie die mathematiſche Regelmäßigkeit, die er beiſe 
Städtebau anwenden mußte, auf ſeine Staatsverfaſſmig, 
wwealijirte Demokratie, sr Übertragen‘ se Aber tobt 
ARBEITE PR . | . — 
Be rn Fe rd 


. y Plur. ‚Iinen, b., 


2). So wohl — Damon , „der. dem. Perikles | 
fand, wie ein Ringlehrei und Sulber dem Athleten“ (Plut. pi 
4). Die fehe intereffänfe Entwiclung der- griehifhen Staatswi 

Thaftslehre, die mit Prodilos beginnt, muß ich einem andern. 
vorbehalten. Ich bemerke vorläufig nur foviel, daß fie viel bedeut 
ift, namentlich in Zenophon und dem Verfaffer des Eryxias, als u 
Nationalöfonomen, - weiche D bie Quellen nicht getefen. Haben 3 
haupten pflegen. 


\ 


$. 3. Pſeudo⸗Xenophon vom Stine ver Athene. 8249 


licher, als der weiſeſte, aber ariſtokratiſch geſinnte (I, 6 
J.). Die demokratifche Vernachläffigung der Mufit, und 
gymmaſtik erfolgt nicht ans Abfiht, fondern aus Unvermba 
en. Wo es auf Koften der Reichen geht, da iſt das Bolt: 
um Tanzen und Singen gern erbötig (1,13.). Auch die Züs 
elloſigkeit der Sklaven !) und Beifaffen (I, 10 fg.), der harte 
Rruck der Bundesgenoſſen (I, 15 ff.) find natürliche, find 
nvermeidliche Eonfequenzen der Volksherrſchaft und der nas 
onalöfonomifchen Größe von Athen. — Beſonders chin 
Ard der Gerichtsbann, der alle größern Rechtshändel der 
Jumdeögenoffen nach Athen verwies, im feiner echt demokrati⸗ 
Hen Tendenz vor und zergliedert. Won den Gerichtögebühren 
bt das Volk; durch Parteilichkeit für den Demos der Bun⸗ 
esſtaaten Hält es den Adel derſelben nieder (I, 16.); durch 
en Zudrang dee Fremden werben die Hafenzölle, die Mieth⸗ 
reife, alle übrigen Erwerböquellen der Hauptitabt vermehrt; 
der Bundesgenoß ift nun gezwungen, nicht allein den Feld⸗ 
ern und Staatöbeamten, fordern auch dem gemeinften Bike 
er von Athen den Hof zu machen (1, 17 fg.) 2). Ebenſo 
eutlich teitt das wechfelfeitige Band hervor, welches Seemacht 
nd Bundesherrſchaft zufammenhält: nur der Verkehr mitt den 

Zundeögenoffen kann die Flotte vollzählig und in Uebung, 
ur die Flotte kann die Bundesgenoffen im Zaume halten. 
sebe ftärkere Vereinigung der unterworfenen Inſel- und Kü⸗ 
enbewohner wird durch fie verhindert; jeder handeltreibende 
Staat iſt um ihretwillen gezwungen, die Freundſchaft von 


1) Wie fie u. A. Pherekrates in feinem Luftfpiele Aovlodıdaonalos | 
efchildert hatte: vol. Bergk Commentatt. de reliquiis comoediae 
ıtt. antiquae, p.298sqq. Meineke Hist. crit. comic. graec. p. 82. 


2) Hätte der Verfaſſer heutzutage geſchrieben, ſo würde er wiſſen, 
aß jeder Staat in ſeiner demokratiſchen Periode das Streben hat, al⸗ 
es politiſche Leben in der Hauptſtadt zu concentriren. 


244 J Thukydides. Kap. 8. 


am letzten Orte wird die praktiſche Neutralität nicht allein 
weiſe genannt, ſondern auch unſittlich (VI, 80.). Wo der S 
in Gefahr iſt, da: muß der. alte. Grundſatz des Solon geil 

Aber nicht in der Geſchichtſchreibung ! . Seine Hifi 
ſche Natur macht: es dem Thukydides unmöglich, fih « 
Principien en Staatdideal herzuleiten. ‚Schon. feine Aufl 
vom Urfprunge des Stuate®.ift bier .entfcheidend, 
meisten nichthiftotifchen Theoretiker, die zwar abstrahiren m 
len, aber ‚einer: ſtrengen philoſophiſchen Form unfähigef 
pflegen auf. den ſogenannten Naturſtand des Volkes zuric 
gehen. Rh fie. Hiervon indefſen Nichts erfahren Können, 
eonftruiren. ſie ihn Bann natürlich ſo, wie fie ihr füri 
ſtaatsrechtlichen Reſultate gerade brauchen. Thukydides Auf 
ſich nur. ſelten über fo. dunkle Gegenſtände. Doch nimmt. 
an, daß die: Seezüge der älteſten Wikinger im Intereſſe el 
wohl der Dienfimannen, als der. Anführer erfolgt fein 
3.) Auch wo. ber Reichthum zur Herrſchaft geführt, ba 
ten die Stärkern, meint er, "allerdings die Schwächern uni 
worfen, aber die letztern zugleich es ſich aus Gewinnſucht gm 
gefallen laſſen (I, 8.). Man fieht wohl ein, dag die Ham 
frage; derethalben der Naturftand erfunken iſt, ob min 
das Volk um der Herrſcher willen, oder die Herrfcher um 
Volkes willen daſeien, durch diefe Anficht nicht fo ſehr ben 
wortet, ald: vielmehr Befeitigt wird, — Im meitern Valk 
aber hatte Thukydides unterſucht, welche Staatöform in 
Blüthezeitejedes einzelnen Staated gegolten habe. Di 
erklärt er dann für das ſchönſie Product, welches dem peoli 
ſchen Geiſte des jedesmaligen Volkes entſproſſen ſei: ein mef 
teres Urtheil iſt ihm unmöglich. Wer könnte z. B. in de 
vortrefflichen Gemälde des altdoriſchen Staates (I, 84.) om 
ſtillſchweigend mitenthaltene Belobung jener vielgeprieſen 
Ariſtokratie verkennen, welche mit dem Charakter von Latab 
men fo innig zufammending? Einer Ariftofratie, die nf 
Braſidas Urtheile wie die Wirkung, fo au die Urſache de 






















$. 3. Pſeudo enophon voni Staate der Athener. 2 


u erklären‘, ſie von Ihren Standpurkte Her zu loben oder zu 
adeln. Gleichwohl Hat feine politiſche, ſeine praktiſche Par⸗ 
eitüchtigkeit durch dieſe hiſtoriſche Unparteilichkeit nicht Km 
Aindeſten gelitten. Er trägt eine Erbitterung im Setzen, : mie, 
e der unterdrückten Partei erſt· nach langeni Kampfe: zu ent⸗ 
chen. pflegt: eine; Erbitterung⸗, wie fle das italieniſche Milo 
lalier ‚Burchetangsr..wie fie Deutichlaud: erſt in unſern Tagen 
1. leruen aufäugte“ Aber: welche Beilteölraft mußte der. beſick 
en,“ der mit:der ſtärkſten. praktiſchen Richtung. fo viel hiſteria 
he Unbefangenheit vereinigte! Ohne Zweifel and: zii: ſeinenn 
raktiſchen Vortheile/indemn nur: Derjenige die Stärken feines 
zegners vermeiden, die Schwächen benutzen kann, der helda 
terklärenverſteht. "Und ed iſt gerade jene Gluth des Haſa 
8, welche bei ſtarken Geiſtern dieſe Unbefangenheit des Ur⸗ 
ſeils möglich niacht. Run erſt find Illuſipnen aller Art ver⸗ 
hwunden. Es kommt nicht mehr an auf die Verwirklichung 
gendwelcher Ideale: man will. herrſchen, ober: Knecht ſein⸗ 
Zie unendlich verſchieden von dem blinden Haſſe der ältern 
ligarchie, der in Theognis Schriften ſich abſpiegelt! Sch 
veifle nicht, Daß auch mancher Führer der demokratiſchen 
ieite.-einen ‚ähnlichen . Grad. von politifcher, Intelligenz beſaß. 
etzt endlich Hört die Linbefangenheit, die ‚politische Tiefe des 
hukydides auf, ein Wunder zu ſein. Mär eifenit, vaß 
nliche Tugenden auch unter feinen Zeitgenoſſen verbreitet 
aren, nur in ihm ihre conſequentefte Ausbildung, ihren 
rtrefflichſten Ausdruck gefunden Haben, — Nichts kanm' hie | 
wifcher fein, als die griſtreiche Bolfftinbigkeit y womit uünſcri 
ine Schrift in den--Mannichfaltigften. Suftituten einen ‚Demon 
atiſchen Gedanken‘ erkenut. Sogar die Sprache der Athener 
l, 8.), die große Auzahl ihrer Feſtiage (II, 9.), bie Ver⸗ 
iedenheit ihrer Speiſen (II, 7.) werden Hierauf; besogeit,. 
t. den Ganzen des Staates organiſch guſammengefügt.⸗ Was 
: Methode der Erklärungen betrifft, die hiſtoriſchen Cirkel 
rin, die ſtrenge Nothwendigkeit, worin Jedes erfcheint: ſo 


246hukydides. Kap. 8. 


tiſchen und vor Allem die dichteriſchen 2%: Gleichwohl iſt 
kydides nicht ganz ohne Vorgänger. Sin der berühmter 
rallele, welche Herod ot zwiſchen den drei Staͤatsformer 
ſtellt (HII,:80 ff.), entſcheidet er ebenfalls nicht fo ſeh 
zuvorgemachten Principien, ſondern er ſchildert vielmeh 
Charakter und endlichen Verlauf einer jeden. Wie er 
Berfern der Monarchie den:Vorzug giebt, fo unter Ak 
der Volksherrſchaft ( V, 66. 78. 91.). — : Eigentliche ! 
folger hat Thukydides nur wenig gehabt. Freilich. die t 
tifche Wuth der Parteien ging alfohald. in. eine Blafirte ' 
ſtumpftheit über, welche vergebens den. Schein der Mäß 
anzunchmen ſuchte 2). Da konnte ein Lyfias 3), ein 
krates 95die Behauptung wagen, von Natur. fel-Nie 
weder Oligarch, noch Demokrat. Jedem ſcheine die 
Staatsform die beſite, welche feinem Vortheile am gemä 
ſei. Ja, am Abend. fees Lebens äußert Iſokrates gar 
die Verfaſſung komme wenig an, wenn bie Verwaltun 
intelligent und d rechtich wäre ) Aber man’ Hüte fich, 


legten Teile hätte Thukydides dieß ficherlich gemilbert. uebrigens 
er mit Recht, wie es auch Montesquieu thut, der Ariſtokratie 
höhern Grad von Mägigung zuſchreiben. 


1) Ein Kuͤchterner u unter Betrunkenen, ſagt Niebuhr, iſt 
ner abſcheulichen Lade (Briefe Th. 2, S. 415.). Auch Niebuhr 
immer, bei den Conſervativen für revolutionär, bei den Progreſſiv 
abſolutiſtiſch zu gelten. Jedem wahrhaft hiſtoriſchen M 
wird es ähnlich gehen. 

2) Man tadelte wohl die Sünden der frühern Demagogie 
würde es den Dreißigen nicht Übel genommen haben, wenn fie ı 
ren Beftrafung fich begnügt hätten (Lysias Deaff.tyr. 224: daf 
fo ſpricht, if ein Beweis, daß es wohl jeder Billigdenkende 
that): aber man erteng nad) wie vor biefelben Sünden. 

3) De aff: tyr. p. 221. 

) De pace 43. 

5) Panath. p. 52. 


6. 4. Thutkydides und bie Sophiſten. ‚255 


8. 4. | 
Thukvdides und die Gophiften. a 

Wir haben noch den Zufammenhang des Thukydides mit 
ven Sophiſten zu betrachten. In Thukydides Zeit machten 
dieſe Männer, Freilich ohne vielen Außen Zuſammenhang, fa 
mit gegenfeitiger , ,  erbitterter Defimpfung, dennoch durch in⸗ 
tert Uebereinſtimmunig eine Schule aus. Man Tanıi fie in 
Hefte, wie in mancher andern Beziehung, mit unferm f. g: fim- 
zen. Deutſchlande vergleichen. - Ihre Philoſophie war gewiſſer⸗ 
naßen bie heirſchende ). —"Diefe Hat’ dem felt ihrer Wi⸗ 
yerlegung dukch Sokrates His auf Die neuere Zeit herunter ſo 
tele Spott und Abfchen ertragen müffen, daß ihr Ehꝛentitel 
zadurch Zur "einem Schimpfnanien gemorben ift. Fu uitfern 
Engen hat man andererſeits ihre Verbienfte um Grammatik, 
Rhetorif, Aeſthetik und Philoſophie gewaltig überſchätzt, wo⸗ 
zegen vor Kurzem durch Heinrich Ritter ein mãnnliches, 
ief zu beherzigendes Wort geredet fit ?). 

Die Fundamental ſätze, welche bei aller ſophiſtiſchen 
Inconſequenz. doch wenigſtens dem Gorgias und Protagoras 
iebſt ihren Anhängern dürfen zugeſchrieben werben 3), find 
iolgende drei: Alles Sein iſt nur-em Werden. Jede Wahr- 
jeit iſt nur ſubjectiv gilltig. Altes Recht beruhet nur anf- grö⸗ 
jerer Stärke. Man erkennt, ſie betreffen die tiefſten Orände 


1) Platon ver Bert, die echtaanſ chten der Sophiſten würden 
‚on Tauſenden getheilt; Gegner derſelben höre man oͤffentlich faſt gar 
iicht: De Rep. II, p. 358. 


2) In der Vorrede zur zweiten Ausgabe feiner Geſchichte: Ih. 1, 
. XIV fi. 


3) An Bezug auf Prodikos vol. die vorkeefitihe Mehabilitation deſ⸗ 
elben von F. G. Welcker: Rhein. Muſeum Bd. 1 


248 Thukydides. Kap. 8. 


den. In der zweiten Beilage habe ich gegen Böckh u 
zu beweifen gejucht, daß die angeblich xenophontiſche Sc 
vom Staate der Athener in der frühern Zeit des 
ponneftfchen Krieges müffe gefchrieben fein. Ich habe gu 
dag fie in's Jahr 425 füllt, daß fie ein politifches Guta 
it, von einem Dligarchen zu Athen einem lakedämoni 
Stantömanne zugefendet. — Dieſe Schrift, obwohl An 
und Schluß fehlen, gehört zu den intereffanteften und | 
reichſten Weberreiten der ganzen hellenifchen Literatur, 
Verfaſſer ift Teivenfchaftlicher Dligarch : er fchreibt den | 
nehmen ‚Gerechtigkeit zu, Mäpigung, Liebe zum Guten, 
Volke Dagegen Unwiſſenheit, Zügelloſigkeit, Schlecht 
(1, 5.). Er .verfichert wiederholt und geradezu, die 
fiofratie fei Die gute, die Demokratie die fchlechte St 
verfaſſung. Aber er warnt feinen Freund, die atheniſche 
mofratie um ihrer Zehler willen nicht für ſchwach zu hi 
In diefer Abficht meifet er den innen Zufammenbang dı 
mofratifchen Inftitute nach, und er thut ed mit bewunder 
würdigen biftorifchen Taete. 

Alle Größe. von Athen iſt auf Reichthum und Se 
{haft gegründet. Da nun die letztere aber weit meh 
dem Volke, als auf den Vornehmen beruhet, fo ift e8 ı 
lich, daß jenes im Staate vorherrſcht; daß es alle Yuer 
Aemter, welche der Arme befleiden Tann, nun auch w 
bekleidet (I, 2 fg.). Selbit die ungerechte Belaftung (I. 
und Hintanfeßung der Vornehmen (T, 4.) darf Niem 
welcher die Schärfe und Erbitterung der Barteien erkann 
groß Wunder nehmen. Das Volt unterbrüdt feine E 
um nicht von ihnen unterbrückt zu werden (I, 8 fg.). 
ſcher und Beherrſchte haſſen einander mit Nothivendigt 
14). Daß mitunter auch Narren und Böſewichtere 
Volksverſammlung Reben halten, ift die natürliche Kol 
allgemeinen Gleichheit; und ſelbſt der ſchlechteſte Ratt 
wenn er nur demokratiſche Gefinnung atmet, iſt dem 


$. 4. Fluß der Dinge, Suhjektivität ber Wahrheit. Qus 


B. ‚arıd Wahrheit. iſt At fußjeetin gürighjy” | 


. Eine Wahrheit. Kar“, —R iſt zwar nicht wie der 
Si wollie, van Erfahruugburtheilen auguuchmen, d. 5. 
wor. Penjenigen, Behauptungen, welche ihre Cougruenz. mit ‚Der 
gemeinen Wirklichkeit verſicher. Hier würde man ſonſt: durch 
vündige Schlüffe zu, den Satze drs Goxgias geführt. werden, 
WB aiherall Nichts fei,... oder dach Nichtarrkennbar fer, der 
ah richt, Erkanntes. mitgetheilt, pperdenkönne. DOem ſchay⸗ 
a, u. kritiſchen Wehrheitsforſcher Zhntydides Bonnie es au 
erwenigſten cinfallen „eine Erfahrung prgyichmen, die ne 
en wahr, na fall eärg,, ſondern uyr geglaubt wurde 
‚in Abernetyyas ganz Anderes iſt eh 4penn. wir a--folhe 
bauptungen denken, dig keine Cougruenz gut, der gemeint 
Firklichkeit pʒädiciren z. ngmentlich, m ch. fh um die Fyage 
andelz, nicht; ward iſt „ſondern wog daſejn ſoll.Hiex 
udet alleine zer uvögamam ‚Statt, Ich 
jnnexe a Dadjenige zur, paß ich in dexr Einleituug meines 
cars Abey ben Mcıkh;, der hiſtniſchen Kat, geſagt Safe. 
ai Pernäyfiiggerie, Py ip, —— wollen, ‚DaB. uurfere 


nfptutianefen, 5 Berfoffungen Fir. Bias Zeite ku here Kreuzzüge, 


en; die Aſſiſen pon AMüruſglenn fürn: Tage. empfehlents⸗ 
arthn ſeien. DR Ra, anp;ed, für jedes oft, 
de⸗Deit einen, igfaen abeſten Staat, gehrn mühe. — MDer 
Kiorifer gung, deu: an achien ir Biken, und ‚WBisherabughe - 
eraher einzelnen Böfkgp,kent, Eau. Weine 
fü ſein rthe zu gewiamen nun AST, Danach: fer 
n — fur reine Saatlorm diender Plüthezeit nes. he⸗ 
EZ LAα rat eff sh eis tn unX 
— tn BE Th na ana eu nn wand 

21) Wieſes Sheets nit erh die Sophiſteh, üder⸗ jldweben 
iz: firr und widrr urn, „Anti on watliris Un ſeiars Tetralpe 
n. higſſt inte Me Aal ‚Hiewon, hintexlaflen Min a 


ie, AR Eden ifen, ‚oben, Feine bel vie für. den Siße 





y: re 


20. - AAcbukydihes. Kap. 8. 


Athen zu ſuchen 1). :Diergeringere Bedeutung der Landma 
(H,:1.),: jene Rückſichtsloſigkeit, womit in. Kriegszeiten d 
attiſche Landgebiet Dem Feinde Preis gegeben wird: fle erfl 
ren fich einfach dadurch, daß Hei dem Laudgebiete, nur die Vi 
nehmen interefjirt find CH, 14 ff). Auch die Verlegung 
der Verträge, die man. der. Demofyatie zur Laſt Iegt, wel 
kommen ſie anders, als daß .hier die Schande des Treubru— 
auf. den ganzen Demos fällt, jedenEinzelnen folglich uub 
rührt läßt(II, 17.)72. Ebenſo rein demokratiſch tritt die Ki 
mödie auf, die Journaliſtik des Alterthumes: ihre Zügellof 
keit Darf jich nur gegen: Vornehme richten, , allenfalls auch g 
gen Solche von den Kleinbürgern, die ſich über ihren Stan 
zu erheben fuchen (U,-18.)2). Schließlich wird ſogar di 
Gefchäftswerzögerung, , an der. man zu Athen laborirte, durd 
die Hoch getriebene Complichamg der Staatsmaſchine und d 
Geſchäftsüberhäufung des Demos gerechtfertigt (II, 2 fl.)- 
Abher der Refrain des Verfaſſers kehrt bei jedem di« 
Juſtitute wieder; an und für fih iſt es tadelnswerth, 
aber einmal der Demos heryfchen, fo kann ex deſſen nicht 
behren, fo it es ihm natürlich und nothiwendig 3). 
wollte man ohne den Umſturz ‚des Ganzen das Einzelne 
dern, man würde das Liebel nur noch fchlimmer ma > 
- AU, 7). Dem Bolfe felbft ift fein ganzes Verfahren — 
gar nicht übel zu nehmen; deſto mehr den Adligen, die 
ihrem eigenen Stande zum Verräther werden (1, 20.). - 
ir jeher, der Verfaſſer ift vollkommen fähig, fich in 
Seele feiner Gegner Hineinzudenken, daraus ihre Handlun— 


— —— — — — — 


) L, I9. IT pr. 


2) Man benke an die, furchtbare Despotie dev Mehrzahl, dEr 
Nordamerika, Südamerika und neuerdings auch Spanien Preßfreih 
genannt wird! 


2) 1,1,4. 8. 008, 1 sqq. 


5 4. Subfertivität ver Wahrheit, echt des Stärken. 257. 


Willens. Jede Partei will ihrem Charakter gemäß auftreten; 
e will den Staat, vielleicht nach ihrer aufrichtigften Ueberzeu⸗ 


ung, jedenfalls nach ihrem tiefften Bedürfniſſe geleitet wife: 


st. Nilkias ſucht perikleifche Grundſätze aufrecht zu erhalten. 
ber dieſe Grundſätze pafjen nicht mehr, teil die Dienfchen 
iders geworden find. Alkibiades Verfahren bereitet dem 


taate feinen Untergang: aber es iſt das einzige Verfahren, - 


is fih für die Zeit und ihre Kinder eignet, Thukydides 
ft iſt zu ſehr Hiftorifch, zu wenig praktiſch, als daß er im 
uche wenigſtens eiher von dieſen Parteien angehören könnte. 


arum fchildert ee den Verfall zwar als Verfall, doch als- 


wermeidlich, und ohne Erbitterung. Häufig läßt er durch⸗ 
ken, wie fehr gerade bie Oppofition bes Nikias Alkibiades 
ahſchläge zu verderblichen gemacht habe. 


c. Alles Recht beruhet auf der Stärke. 


Was endlich insbeſondere den Satz des Kallikles und 
wafymachos betrifft, welche das Recht des Stärkern als das 
zig natürliche predigten, und aus Mythologie, Natur und 
eſchichte zu vertheidigen ſuchten: fo iſt dieſer Satz in einer 
chen Form ofſenbar ſich ſelbſt widerſprechend, weil er, ſchär⸗ 

unterſucht, das Bewußtſein des Unrechtthuns in ſich 
ließt, welches man durch das Gefühl der eigenen Stärke 
n übertäuben möchte 1). Daher konnte man die Sophiften 
Disputiven auch fo leicht dahin bringen, daß fie eben das 
cht ſelbſt für Unrecht erklärten, under alle Gerechtigkeit über 
ipt hinwegläugneten 2). 


1) Schon Wieland bemerkt, daß die Sophiſten bei ihrem Strei⸗ 
über Recht und Unrecht den populären Begriff, den jeder Menſch 
‚ zwar nicht anwenden, aber doch voraueſeten (Ariflipp’s ‚Briefe: 

‚4. Werte Ih. 39. ©. 46.). 


3) Plat. De rep. I, p. 341 0. Arist. Nubes 1007 .sqq. 
17 


- 


252 Thukydides. Kap. 8, 


erinnert Alles auf dad lebhafteſte an die Eigenthümlichkeiten: 
des Thukydides. Auch die praktifchen Grundideen des Thuky⸗ 
dides werden falt ohne Ausnahme von unferm Pſeudo⸗ Kanes 
phon getheilt. Sogar die Sprache ded Letztern iſt der thukh⸗ 
dideifchen verwandt, nur Iofer, abgeriffener, minder gefalt, 1: 
als dieſe. Mit Einem Worte: der Verfaſſer jener kleinn 
Broſchüre gehört zu den nächſten Geiſtesverwandten des Thack 
kydides. Daß er mit dieſem identiſch geweſen, behaupie Wh: 
nicht: wollte ich es behaupten, man würde mich ſchwerlah 
direet widerlegen können 1). 
Am ſchwerſten war es für den Thukydides, ſeine Unpar⸗ 
teilichkeit da zu bewahren, wo eine neue Zeit mit ihren Si⸗ 
ten, ihren Anſichten und Beſtrebungen gegen die ältere i 
Kampf gerieth, welche der Hiſtoriker ala Die Blüthezeit feinet 
Vaterlandes verchren mußte. Jedenfalls würde ein minder 
großer Hiftoriker, wenn er Thukydides Anficht getheilt haͤtk, 
den Nikias mehr begünftigt haben 2). 





1) Ich Eenne nichts Lehrreicheres, als eine Vergleichung biefer few 
rigen, geiftvollen, echt praktiſchen Schrift mit den faden foppiftifcen 
Producten der ſpätern Dligarchenzeit ,„ einem Demodokos oder Si⸗ 
ſyphos. 


2) Droyſen läßt den Thukydides entſchieden parteiiſch fein gegen 
Alkibiades (Rhein. Muſeum IV, ©. 36.). Warum? Weil er nicht, 
nach Droyſen's Hypotheſe, den Alkibiades von der Theilnahme am My 
fterienfrevel geradezu freifpricht. Das fpätere Alterthum, z. B. Des 
mofthenes (Mid. p. 506), fteht doch entfchieden auf Thukydides 
©eite. Auch Cornelius Nepos meint, daß Allibiades dom Zhuly 
dides gerade fehr begünftigt worden (V. Alcib. XI, 1.). Aber ber 
Grund von Droyfen Liegt tiefer. Droyſen erlärt, nicht Perikles, for 
bern Alkibiades fei die Mittagshöhe der athenifchen Demokratie (a. & | 
D. ©. 62.). Da muß benn freilich Thukydides erft befeitigt werben. 


$. 4. Thukydides und die Sophiſten. 255 


g. 4. 


Thukydides und die Sophiſten. 


[2 


Fir haben noch den Zufanımenhang des Thukydides mit 
Ben Sophiſten zu betrachten. In Thukydides Zeit machten 
wiefe Männer, freilich ohne vielen Außen Zuſammenhang, ja 
mit gegenfeitiger, erbitterter Bekämpfung, dennoch durch in⸗ 
mete Uebereinſtimmmg eine Schule aus. - Man Tanıı fie in 
Diefer, wie in: mancher andern Beziehung, mit unferm f. g. jun⸗ 
gen Deutſchlande vergleichen. Ihre Philoſophie mar gewiſſer⸗ 
maßen die herrſchende 1). —  "Diefe Hat denm felt ihrer Wi⸗ 
Derlegung dirkch Sokrates bis anf die neuere Zeit herunter fo 

vielen Spott und Abſcheu ertragen müſſen, daß ihr Ehrentitel 
dadurch zu einem Schimpfnanien geworden iſt. Su unſern 
Tagen hat man andererſeits ihre Verdienſte um Granmatif, 
KRhetorik Aeſthetik und Philoſophie gewaltig überſchätzt, wo⸗ 
gegen vor Kurzem durch Heinrich Ritter ein männliches, 
tief zu beherzigendes Wort geredet iſt ). 

Die Fundamental ſätze, welche Bei aller fophiftifchen 
Inconſequenz doch menigftend dem Oorgiad und Protagoras 
nebft ihren Anhängern dürfe zugefchrichen werden 3), find 
Folgende drei: Alles Sein iſt mır ein Werden. Jede Wahr- 
beit ift nur ſubjectiv gültig. Altes Recht beruhet nur auf: grbs 
rer Stärke. Man erfennt, fie betreffen die tiefften Gründe 


1) Platon verſi chert, die Rechtsanſichten der Sophiſten würden 
von Tauſenden getheiltz Gegner derſelben höre man öffentlich faſt gar 
nicht: De Rep. II, p. 358. 


2) In der Vorrede zur zweiten Ausgabe feiner Geſchichte: Th. 1, 
S. XIV fi. 

3) Zn Bezug auf Prodikos vgl. die vortreffliche Rehabilitation deſ⸗ 
felben von 5. 8. Welder: Rhein. Mufeum Bd. 1. 









254 TThukydides. Kap. 8. 


alles Denkens, Die höchſten Aufgaben aller philoſophiſcheaß— 
Speculation. — Ich habe in meiner Juangurawdigenatn ) 
einerjeit3? den innigen Zuſammenhang dieſer drei Sätze, Mel 
von demſelben Gedankengauge, nur auf verichiedenen Gebie⸗ 

‚in, ‚hervorgebracht: fi find, andererſeits aber auch dep innern Bit 
derſpruch zu zeigen verſucht, der fie.in. dieſer Geſtalt alle dul 
rpernichtet. Ich habe mich ferner benüht, /inige. mißverſip⸗ | 
‚dene. Wahrheiten darin nachzuweiſen: Wehrheiti welche RT 
wownehmlich dem. Geſchichtſchreiber aufbräugen,, hie. Behaubling 
der Gefchichte vegeln müſſen. Endlich, war ..gö,.meln Zieh, T 
Wie, die Sophiſten dieſt Wahrheiten, mißverfchen ‚Konten, u 
erklären. — ‚Hier darf ich Fürzer_fein.. Ich Tee bie Soph⸗ 
ſten sinigermaßen. als bekannt, yoraud. Wen ı num. gezeigt 
wordau jſt was Thukydides auf ähnliche Fragen, gepatuori, 
fo’ wird, fein Verhältniß zu dex ſophiſtiſchen Antwoxt pop ſeb 
Ber. einleuchten. — Der Leſer wird pqun vorn herein erwar⸗ 
ten, daß ſich die Auf ht des Thulydides auch hier nicht in 
Begräfförsihen. und Lehrſätzen darlegen kaun 4. fpnbern in de 
Schilderung menſchucher Hi Be 


7 Er r. Fe 2 


1} :. ” 


I... 4. Alles Sein. AR: aur ein Werben. .- 


‚Der alte Saß von dein Keftänbigen- Shrite der Dinge ‚fe 
leicht g6 in feiner ſophiſtiſchen Geſtalt durch Altos Philebes 
zu, widerlegen war, ; iſt Doch, inſofern unwiderleglich, als ſich 
die menſchlichen Angelegenheiten allerdings in fortwaͤhrender 
Veränderung zeigen, Er iſt dem Hiſtoriker beſonders wichtig, 
weil es dieſem obliegt, gerade die Veranderungen der Dinge, 
Ihr Weiden, Wachſen, Blitchen und BE beſenders 
ins Auge zu faſſen. 


2 
ei .. “ 


⸗ nie .. " . . “ TRY, 2 I 12" 


ı = .. . . X ? 
— — — — — — 
N ® 


74. @uil, Roscher De historieae doetinne ↄpaa Sopbisias 
maiores vestigiis. Gott‘ 1838, . : — 





$. 4. Recht nes Stärken. | 261 


em ift gar wenig von Hiftgrifchen Entwicklungen der Vers 
genheit, von. prophetifchen Andeutungen ber Zukunft enie 
m. Lauter Gründe der Gerechtigkeit und des Edelmu⸗ 
„wie ſie Thukydides fonft nicht zu geben pflegt: aber: 
derſelben überwältigenden Macht der Empfindung, inie die 
'tifchen: Reden mit durchdringender Schärfe des Verſtandes. 
Worauf die Platäer fich Hauptfächlich ſtützen, das iſt had 
Gefühl des panhelfenifchen Vaterlandes «III, 54. 56 fi). | 
8 Gefühl Hatte im Perferkriege deu. herrlichſten Sieg er⸗ 
jen. Es war aber nachmals durch’ den Kampf zwifchen 
en und Sparta nicht Bloß in Schatten geitelt, ſondern 
e feinen Grund verloren, weil 3 während diefed Kampfes 
allgemeines Vaterland mehr geben konute. Dach Hatten . 
Platäer auch damals noch am längften daran feftgehakten 


. Sp mußten freilich die Gründe, welche man aus dee 


ferzeit entlchnt, - ihre Kraft für die Semüther verloren has 

Auch fiel es den Thebanern nicht ſchwer, ihre Gegner 
befehuldigen, daß fie damals nicht aus Vaterlandoliebe, 
yern aus Eigennutz gehandelt hätten (62. 64.). Denn 
- die Thaten der Menfchen won der Ichten Triebfeder nur 
n ganz befreit find, fo wird eine Zeit, welche die höhern 
veggrüunde vergangener Begebenheiten nicht mehr nachem⸗ 
den kann, fih bei der Erflärung allein an die niedern hal⸗ 
— Wem die Platäer verfichern, durch Bundeötreue und, 
aa an Athen gefeffelt zu fein (55.),-fo erwidert man 

‚ ihre Verpflichtung gegen Hellas fei größer (63.). St - 
That mar Athen auch die vornehmte Urſache, daß jenes 


’ 


or. — In ber Schlacht bei Platäa hatten die Platäer den erften 
8 der Tapferkeit erhalten (Plut. Arist. 20.). Sn Xlexander’s b. 
Zeit, wa ber Perferhaß von Neuem‘ auflebte, und bie Thebaner 
gezüchtigt wurden, kam auch der platäiſche Name wieder zu Ehren 
ut. Arist. 12.). 


256 Chukhydideß. Kapı 8. 


ſtimmten Volkes angemeſſene geweſen ſei. Denn die B 
zeit eines beſtimmten Volkes zu finden, iſt zwar ein 
ſchwierigſten Gegenſtände der Erfahrung‘, aber doch I 
ein Gegenſtand der Erfahrung, wo man: entiveder 
hat, oder Unrecht. — Alle andern Urtheile haben 
Boden. | 
Auf. Diefe. Art hat ed in Beagen), was geſchehen fo: 
auch Chulydides gemacht. Daher jene: Zweideutigkeit de 
theils, die ihm von Laien nicht ſelten vorgeworfer 
Mait erblickt dieß am deutlichſten in den Verhandlungen 
die Ruthlichkeit des ſieiliſchen Feldzuges. Nikias ſagt 
Alkibiades fagt ja; Giebt nun der‘ Hiſtoriker Einem vo 
den Recht? GEs Tan darauf an, öb inan dem vegſamen, 
tendürſtigen Muthe! der Athener, welcher ihre Größe err 
Hatte, von Imnen her nach Belieben eine: Gränze 
konnte: Nikias räth num, ſich aufı die Erhaltung des © 
benen zu beſchränken , nicht m Fremdes fi einzum ſchen 
Alles damit auf das Spiel zu ſetzen (VI, 9.). Ex fd 
die Gefahren, welche man im Rüden laſſe, die Gröſ 
Feindes, welchen mane zu den alten Gegnerit muthwilli— 
zufüge. Er fagt den: Audgang und die Wirkungen des 
pfes voraus. — Alklbiades hingegen hebt es hervor, v 
Väter durch daſſelbe Berfahren fo groß geworden, wie f 
mentlich durch hochherzige Unterſtützung ſelbſt der fernſten 
desgenoſſen zu ihrer Herrſchaft gelangt ſeien (VI, 17.). 
zeigt, daß esiän keines Volkes Gewalt ſtehe, feiner A 
nung ein JZiel zu ſetzenz daß jeder Stillſtand Hier zurüch 
Hatte Nikias verſucht, im Gegenſatz einer ſtürmiſchen J 
ſich auf die altperikleiſche Partei zu ſtützen, ſo verſichert 
biades mit Recht, eine ſolche Trennung ſei eben der ger 
Verfall (VI, 18.). — Man erkennt hieraus Die Anſid 
Thukydides. Weil in beiden Reden die Gründe wahr, 
derleglich, durchaus erſchöpfend ſind, ſo widerſprechen ſi 
ander nicht. Jede won ihnen iſt der Ausdruck eines 


$. 4. Recht des Starkern. | 263 


toriker freilich Keiner won beiden Barteien ausſchließlich Recht 
em. Welche von ihnen aber diejenige wäre, deren Grunds 
e nach feiner Anficht mit der Blüthenzeit feines Vaterlandes 
mmenbingen, das bat er ſchon dadurch gezeigt, Daß er 

Dlatäerrede voranſtellt. Ex hat es ferner gezeigt durch 
tiefe fittfiche Empfindung, die hier mit Centnergewicht auf 
m Worte ruhe. Der Lefer findet fih an die äußerste 
inze defjen gerückt, was fein Herz mur zu tragen vermag ). 
e e8 aber in Zeiten alfo tief dringender. Parteiung immer 
t, fo erkennen e8 auch die Platäer ſelbſt, daß Alles, was 
borbringen konnen, ihren Gegnern ſchon bekannt iR, fie 
verlich rühren wird (53.). — Auch anderswo nennt det Ä 
torifer das alte, heilige Recht, womit die Väter ihre 
träge beſiegelt, „das göttliche Geſetz“ (III, 82.), oder 
e gemeinfamen Vorfchriften, auf denen Aller Heil beruhet“ 
I, 84.). Zugleich aber ift er unparteiifch genug, die beir 
a Gegenfüge, die ſich aus dem Untergauge dieſes alten 
htes entwickelten, „ ganz. auf diefelbe Weiſe zu beurtheien 
I, 82 ff.). 

Ein ähnlicher Gegenſatz erſcheint in den Reden der Ker⸗ 
räer und Korinthier (I, 32 ff.). Hier wird das äl- 
: Völkerrecht mit dem jüngern in Kampf gebracht. Die 
einthier fuchen- Die Moralität ihrer Gegner zu verbächtigen 
). Sie ſprechen von Kolonialpietät (38.) 2), von einem 
venpunfie bei Hülfsgeſuchen (39.). Sie halten ſich an die 


1) Von dieſer Rede ſagt der feinfühlende Melanchthon, es gebe 
e ſchönere im ganzen Alterthume. gl. Dionys. De Fhucydide 
(Krüg. * ur 


3) Mit ber Pietãt einer Tochterſtadt gegen die Metropolis wird es 
als wohl nirgends mehr weit her gewefen fein. Daß nad) VIIE, 
. die abfallenden Lesbier gerade einen böotifchen Anführer haben wolls 
„ ift wohl nur ein affectirtes Eingehen auf die contrergvolutionären 
htungen jener Zeit. Ä 


S 


258 Thulydides. Kap. 8. 


Den letzten und eigentlichen Richter Über Gutes ı u! 
fe8 Hat ein Jeder Im fich felbit, in feinem eigenen © 
fen, „wo feine Gedanken fich unter einander anflag 
entfchuldigen.“ Glücklicherweiſe findet Hierin auch | 
meiften und allgemeinften Fragen eine Uebereinftimmun 
Menfchen Statt. Hurerei und Ehebruch, Vatermo 
Meiueid, jeder rückſichtsloſe Egoismus wird zu allen 
und überall verdammt werden, Der fittliche Abfcheu | 
kann fich mehren oder mindern: ein wirklich verfchiede 
theil jedoch Hat ſich hierüber Gottlob noch nie gebildet. 
es giebt nech andere Fragen, wo nicht bloß der böſt 


gegen das im Stillen Doch anerkannte Gute Tämpft, 


Gewiſſen gegen Gewiſſen. Glüdfelig die Zeiten, wo f 
Daifelbe recht, Daſſelbe unrecht heißt! Wo aber die 
tracht der Gewiſſen verſchwunden ift, wer fol da entfd 


‚Seit der Erſcheinung unferd Herrn auf Erden haben 


Seinem Leben einen objectiven Maßſtab des Guten u 
fen für Seine Kirche erlangt. Aber diefer Maßſtab reic 
überall Hin, wie fehr auch parteilfche Verblendunge 
haupten möchte. Man verfuche es einmal, aus ven 
und Lehren unfers Heren die Streitfrage der Guelf— 
Ghibellinen, der Confervativen und Liberalen zu entf 
Mit: gleidem Rechte haben e8 die Päpſte und die — 
kaner Ludwig's von Baiern, Herrn von Bonald's Aı 
und Lamenais gethan. Wer auch begriffen hat, daß 
hen Dingen Die menfchlihe Abficht wenig, die göttli 


tung Alles thut, der wird ſich wohl in Acht nehmer 


moralifhen Maßſtab an Dinge zu legen, vie ihm völ 
parat find. Wer feinem Gewiſſen folgt, der handel 
wer ihm nicht folgt, unrecht. 


—— — — — — 


Kai 0° avansios, To niv eiaygör anow xal0v Hyd, ' 
d’aioxeov. Ib. 891: Ovdi rag sivas ravv gms dia, 


$. 4. Hecht des Stärken. LEE 


3 ihn angreift). — Der Unthätige freilich tadelt dieß 
streben. Wer Nichts gewonnen hat, beneidet den Glückli⸗ 
en. Aber der Unternehmende ahmt ihn nah. Wer bie 
rrichaft erringt, der kann dem Haffe zwar niemald entges 
t5 aber weil er um des Höchiten willen Haß erduldet, je 
ter dag Rechte erforen (IL, 64.). 

Die Eroberungen der Athener find zugleich 
vermeidlich geweſen. Um ſich ſelbſt vor der lakedä⸗ 
miſchen Oberherrſchaft ſicher zu ſtellen, die fa gleichfalls nur 
f dem Rechte des Stärkern begründet war, hatten die Aihes 
: den Grundſtein ihrer Bundesmacht gelegt (VI, 82. I, 
.). Iſt aber die Herrſchaft einmal angetreten, fo wird fie 
: Ziwangägewalt, umd es ift gefährlich, ihr wieder zu eut⸗ 
jen (II, 63.). Die neuerwachende Feindſchaft von Lakedä⸗— 
m binderte die Athener, Ihre Bundesgenoſſen frei zu laſſen. 
e würden fi nur den Lakedämoniern alsdann —— 
ben: Jeder Abfall eines Bundesſtaates zwang Athen, das 
md feiner Herrfchaft fefter zu ziehen (I; 75.). Sogar Exs 
iterung der Serrfchaft wurde unvermeidlich (V, If 
er einmal übermächtig ift, deſſen Angriff warten Anderr 
ht-ab, fondern- fuchen: ihm zuvorzukommen. Und Niemand 
m im Voraus bejtimmen, wie weit er feine Macht ausdeh⸗ 
ı wolle. Wenn wir auf dieſem Punkte ftehen, fo find 
r gezwungen, die Einen zu befriegen, die. Andern nicht. frei- 
jeben. Denn fo wir nicht Andere beherrfchen, fo laufen 
e Gefahr, von ihnen beherrfcht zu werden (VI, 18.). — 
ich zeigt es die Entmicklungsgefchichte der athenifchen Hege⸗ 
nie im erſten Buche deutlich genug, wie unvermerkt ſich 


1) Dieß ift offenbar von Thukydides ſelbſt. Was hätte den ‚Ders 
krates wohl bewegen Können, die Invafion des gemeinfamen Feindes 
fehr in Schuß zu nehmen? In ber Wirklichkeit hat’ er ihn vermuth- 
‚ fo ſchwarz gemadht, wie irgend anging. 


260 Tpufypives. Kap. 8. 


Glauben gehandelt, ihr Recht laſſen. Aber ex foll m 
ſchen, welcherlei Rechtsanfichten ein Volt groß gemacht 
feiner Beten Zeit beherrfcht haben, Was von Diefen al 
abweicht, das fol er als Unreife oder als Verfall, doch 
Ha betrachten. Dabei wird fi in der Regel finden, 
die Rechtögefühle des ſinkenden Volkes für. den unparte 
Dritten auch minder fchön, minder großartig in ihrer ( 
quenz erfcheinen, ‚minder ehrenmerth in ihren Mitteln. 
kann die Eontrole Bilden, ob der Hiftoriker jene Blütt 
richtig erkannt Bat. 


Fragen wir nun den Thukydides! Zunächſt müſ a 
die Wechfelreden der Platäer und Thebaner unfere 
trachtung als Grundlage dienen. Wir empfangen hin 
anfchanlichite Bild von dem zerriffenen Rechtözuftande in 
maligen Hellad: wo der Krieg nicht bloß die auswä 
Verhältniſſe gewaltſam zertreunt, ſondern auch im Jnner 
Staaten die oligarchiſche und demokratiſche Partei losg 
hatte. Um die Spaltung der Gewiſſen noch zu erw 
war nun auch Das neue Philofophifche Recht gegen dai 
religiöfe in Kampf gerathen. Von dem Charakter des h 
fchen Volkes ließ fich erwarten, daß, wie alle Gedanken 
Empfindungen, fo auch diefer Ziwiefpalt hier in feiner 
ften, rückſichtsloſeſten Schärfe würde ausgefprochen merde 
Dazu wählt nun Thukydides mit großer Kunft eben d 
greifende Gelegenheit, wo die Platäer den Thebanern— 
über treten: alfo dasjenige Volk, welches fih im Meder 
mit am herrlichiten bewährt, demjenigen, welches das ge 
ſame Vaterland an die Barbaren verkauft hatte). In 


— — 


| Menſchen, der bie Menfchheit wieberfpiegelt (Vorſchule zur Ael 
Th. 1, ©. 39.). 


1) Auch Iſokrates in feiner Platäerrede hebt denſelben Ge 


$. 4. echt des Staͤrkern. 207 


mer Geichichte anzuwenden. Seine Redner brauchen ihn nur 
m Vormande, nur, wo es ber. BVortheil ihrer Sache und 
Leichtgläubigkeit ihres Publicums räthlich macht (I, 76.). 
ijenigen Redner, welche ex felbft am höchſten achtet, ein 
rikles, ein Diodotos, brauchen ihn gar nicht. Das Opes 
m mit ſtaatsrechtlichen Begriffen fcheint Thukydides nur. eis 
: niedern Stufe der politifchen Ausbildung zuzuſchreiben. Eis 
n Kleon 3. 3. (III, 44.), auch der lakedämoniſchen Bar. 
‚ welche an politifher Bildung zu Anfange des Krieges of⸗ 
bar noch zurückſtand. — Nichts würde jedoch frriger ſein, 
| wenn man deßhalb unfern Hiſtoriker de3_fogenannten Mas 
avellismus befchuldigen wollte 1). Ich ftelle dreiſt die Bes 
uptung auf, daß mit feltenen Ausnahmen alle großen _ 
aatsmänner tiefbewwegter Zeiten ſich aus flaatsrechtlichen Bes 
en wenig gemacht haben. Wer die eine Partei vegieren, 
erben bekämpfen will, der muß beiden nachempfinden kön⸗ 
Und e8 kann ihm. da nicht verborgen bleiben, daß al 
Reit zulegt auf das Gewiſſen der Einzelnen yecurritt, daß 
Gewiſſen aber nicht immer vereinbar ſind. Der Philoſoph 
ilich wird die Forderungen ſeines Gewiſſens, wenn. er ſie 
3 Syſtem gebracht, für Die einzig wahren halten: der Phi⸗ 
oph kann vielleicht nicht anders, der große Staatsmann nies 
18. Gemeine Parteimänner werben ihn deßhalb leicht für 
viffenlo 8 Halten 2) : aber iſt eine Handlungdweife, die aus 





1) Ich gebrauche dieſes Wort, weil es technifch geworben iſt; nicht 
ve die Manen bes großen Florentiners um Entfhuldigung zu bitten. 
nn es ift aufgefommen durch Leute, die den Machiavelli nicht geleſen, 
r doch nicht verſtanden haben. 


2) Und in dieſer Hinſicht pflegen oft die edelſten und geiftuollften 
inner, wenn fie nicht Hiftorifer oder Politiker find, die befangenften 
rteimenjhen zu fein. Man wird ſolche Männer durch Einführung in 
; geihichtliche Detail gar leicht dahin bringen, baß fie jeden großen 
aatsmann für einen Böfewicht erflären. Ein fo eretremes Nefulfat 
rde ſchon an ſich die Irrigkeit dev Grundlage vermuthen laſſen. 


22 Chutholdes. Rup. 8. - | 


gemeinfame Hellas nicht mehr eriitixte (64). — Wenn 

den Thebanern Gründe entgegenftellt aus den frühern Ya 
niſſen ihres Staates, fo kennen fie ſchon ebenfo gut, wi 

fere heutigen Parteimänner, die beliebte Ausflucht, nich 
Staat fei es damald geweſen, fondern nur diefe oder 

’ — Privatperfonen, melche die Gewalt ufurpivt hätten (62.). 
berhaupt aber, mern die Platäer die Gerechtigkeit ihrer € 
aus alten Zeiten zu beweiſen gedenken, fo, rückt man I 
vor, daß fie in noch Altern Zeiten mit Unrecht ihre Yrı 
erlangt. hätten (61.) 1). Die ift denn freilich Die fchn 
Seite aller Staatsrechtsbeweiſe! — Bad endlich den Te 
angeblich ungerechten Angriff der Thebaner Betrifft (56.), 

- behaupten diefe, von den Angefehenften der Stadt in ru 
cher Abfiht und zum wahren Helle derſelben eingelaba 
-- fein (65.). Nicht ohne Grund 2) wird den Platäern vı 
worfen, daß fie mit werrätherifcher Hinterlift in dieſem Pe 
kampfe verfahren feien (66.). Die Vertheidiger eines ä 
Rechtes verlieren in der Regel mit ihrer Macht auch an | 
after; und überhaupt pflegt in der Geſchichte das Sinke 
nes Volkes, oder Standes, oder Gefchlechted niemals 
eigene Schuld zu erfolgen ). — Auf diefe Art Eonnte 


1) Bol. IV,98. Auch dagegen erinnert wieder Iſokrates, 
es nad) dem alten Rechte ginge, fo hätten die Thebaner ewig ber 
chomentern unterworfen bleiben müffen (Orat. Plat.). Einen fehr 
lichen Streit zwifchen Elis und Laledämon erzählt Zenophon: 
III, 2, 31. 


2) Bol. II, 5. 


4). Ganz biefelben Anfichten und über benfelben Kal find i 
Kürze ſchon II, 71 ff. erörtert worden. Namentlich fieht man bier 
Thukydides den Angriff der Lakedämonier überhaupt keinesweges fü 
secht hält, fondern für Sache der Nothwendigkeit. 


$.. 4. Recht des Stätkern, 269 


ht man, es war dem Thukydides darım zu thun, daß feine 
deen über ähnliche Gefchicgten recht Mar und ausführlich bes 
mdelt würden. Daher der Umfang des Geſprächs, daher 
e eigenthümliche, in höchſter Anſchaulichkeit fortſchreitende 


orm deſſelben. Der harte und ſchneidende Ton, worin die 


thener hier auftreten; ihr gefliſſentliches Schweigen über das 
erdienſt der Perſerkriege (V, 89.), womit ſie doch ſonſt im⸗ 
er bei der Hand waren 1); endlich Die Verachtung der Dräs 
l, welche doch fonft in allen diplomatifchen Urkunden jener 
eit den erſten Pla einnehmen: alles diefes muß und außer 
mweifel feßen 2), daß die vorliegende Geftalt diefer Verhand⸗ 
ngen eine fingixte iſt. Deſto abfichtlicher charakterifirt es Die 
eſinnung derfelben., Hier wird nicht mehr behauptet, Daß 
> Athener, weil fie die Beiten find, die Herrichaft in Ans 
rich nehmen. Sie waren nicht mehr die Beiten. — Preis 
h, die Grundſätze, die hier geäußert werden, find noch Dice 
ben, wie in Perikles Zeit. Aber die entfegliche Grauſam⸗ 
t, womit das eroberte Melos behandelt wurde, hätte Perl- 
3 nimmermehr gebilligt. Zugleich eine ſehr ungolitiiche 


raufamkeit, da fie den Demos der Dicker, welcher den - 


thenern dach wohlgewollt (V, 85.) und beigeftanden hatte 


16.), mitbetraf 3). Perikles Hatte fogar abtrünnige Bun⸗ 


sgenoſſen durch) Milde wieder zum Gchorfam gebracht (I, 


1) Bl I, 73 ff. II, 71. DIT, 54 ff. 


3) Wer dagegen vielleicht erinnern wollte, daß in ber urkundlichen 


erhandlung IV, 99. ähnliche Grundſätze von Eroberungsrecht u. |. m. 
predigt würden, der bedenke body, daß es im legtern Falle ja nur auf 
ejcyönigung des in Frage ftehenden Tempelfrevels ankam. in Arios 
t, ein Brennus, oder römifche Generale, durch lange Kriege abge⸗ 
:mpft (Liv. XL,47), mochten fich geradezu auf das Recht des Stär⸗ 


en berufen: athenifche Diplomaten in Thukydides Zeit gewiß nicht. . 


ozu hätte man da bei den Sophiften Rhetorik ftubiert ? — 
3) Sa. III, 000 | 


\ 


264 oThukhdides. Kap. 8. 


Auslegung der Vertragsſsurkunden (40.); fie erinnern an 
Freundſchaftsdienſte der Vergangenheit (41.), Dagegen k 
den die Kerkyräer fih an die Gegenwart. Dur Pa 
rechtfertigen fie ihr früheres Verfahren, duch Politik bewe 
fie die Zuverläffigkeit ihrer jeßigen Gefinnung (32.). ' 
Moralitätsgründe der Korinthier halten fie für nichtigen L 
wand (33 fg.). Der Grundgedanke ihrer Rede ift die Um 
meidlichkeit für Athen,- die Sicherung der eigenen Freiheit, 
Vortheil des Vaterlandes. | 


Faſt alle Rechtsfragen, die in Thukydides Gefchichte 
Sprache kommen, drehen fih um die Herrſchaft Athı 
über feine Bundesgenofjen. Hat nun Thukyd 
dieſe Herrſchaft für rechtmäßig angefehen? 


"Den Eroberungstrieh Hält er für natürl 
Denn die Athener find nicht die erjten Eroberer geweſen, 
dern won jeher hat der Schwache dem Mächtigen dienen ı 
fen (I, 76.). Dieß können weder die Menſchen tadeln, ! 
die Götter, Denn von den Göttern glaubten, von den I 
fehen aber wüßten fie, daß Jeder in Folge natürlicher N 
wendigkeit Alles beherrſche, dem er überlegen fe. Dieß 
feß hätten fie weder gegeben, noch zuerſt befolgt; ſonder 
babe immer Beitanden und werde immer fortbeftehen, wei 
derfelben Lage Jeder daffelbe thun werde (V, 105.). — 
ganz ähnliche Weiſe fpricht ſich Hermokrates aus in feiner! 
an die verfammelten Sieelioten (IV, 61.). Den Atbe 
fei es leicht zu vergeben; wenn fie immer weiter um fich 
fen. Er tadle Keinen, der zu berrfchen ftrebe, wohl 
‚ Den, welcher zum Dienen noch bereitwilliger fi). 2 
es ift dem Mienfchen natürlich, Alles zu beherrichen, 

ihm nachgiebt; aber ebenfo natürlich, Alles zu bekim 


1) gl. I, 69. 


$. 4. Tragtlker. 97 


D, einig ein Räthſel bleiben !). — Auch geht Thukydides 
ht fo weit. Er leitet nicht, wie Die Sophiften thaten, aus. 
u Degriffe der Stärke den völlig disparaten Begriff des 
chtes ab; fondern er meint nur dieß: Wo zwei Parteien 
ander befümpfen, aus Ueberzeugung oder Nothivendigkeit 
ämpfen, da haben fie beide Recht; mit andern Worten, da 
in von Recht und Unrecht gar nicht Die Rebe fein. 


Sn die frühern Jahre des Sophokles füllt der Ueber⸗ 
1g des athenifchen Staates zur reinen Demokratie. Jeder 
aat pflegt auf dieſer Stufe durch Zerſtörung aller ftändi- 
en und corporativen Selbitändigfeit, wo Dem Staate ges. 
rüber nur eine zuſammenhangsloſe Maſſe von Jndividuen 
ig Bleibt, nach Außen und Innen feine höchſte Stärke zu 
angen. Sn der Gleichheit Aller vor dem Geſetze liegt die 
befchräntte Almacht des Geſetzes felbft begründet, Ein fol 
e BZujtand Tann philofophifchen Geiſtern wegen feiner ſy⸗ 
nähnlichen Einheit wohlgefallen: poetiſche Gemüther wird 
in der Regel abjtogen. Dieſen Widerwillen bat Sophokles 
feiner Antigone auögefprochen 2). Kreon vertritt hier das 
incip der Staatdallmacht, Antigone den Widerſtand des 
milienbunded, Beide Gegenfäße find erfchöpfend durchge⸗ 


— — — — — — — 


) Um fo mehr, als der Dichter feinen Zeus, deſſen Abgeordneten 
:mes, deſſen VBerhältnig zur Io u. A. m. ganz mit Zügen hinzeich⸗ 
‚ bie er aus der Tiyrannenzeit feines Vaterlandes entlehnt haben 
hte. 


2) Mit welchem Reſpecte Sopholles den frommen und eonſervatin⸗ 
nnten Nikias behandelte, iſt aus Plutard) befannt; Nicias 15. 
nn der Eoloneifche Dedipus, wie ich mit Suüvern annehme, in bie 
ten unmittelbar nach dem nikiſchen Frieden fält, fo Tann man im 
efeus beflelben eine vindeutung auf den Nikias erblicken. 


966 Cbhukhdides. Kap. 8. 


bier Alles, fait wie von felbit, machte. Einem erobern 
Staate —* ſein Plan in der Regel erſt klar, wenn die R 
kehr unmoͤglich iſt i). 

Und in der That, die Athener waren der Se 
fhaft am würdigftien. Sie hatten bei Marathon al 
gefiegt, bei Salamid die meilten Schiffe geliefert, den klüg 
Feldherrn geftellt und den aufopferndften Dienfteifer bewie 
Attika und- Athen hatten fie dahingegeben, um Hellas zu ı 
ten, Was konnte Lakedämon biergegen in die Wagfchale 
gen (I, 73 ff. VI, 83.)2 Daß die Athener in Berikled : 
ihre Väter noch übertrafen, beweift die Leichenrede. $ 
Bundesgenoſſen aber, die mit dem Barbarenkönige gegen 
Mutterland gefämpft, hatten e8 verdient, nur ben einen He 
mit dem andern zu vertaufchen (VI, 77. 82.). — Ein Vi 
das in Knechtſchaft geräth, it der Kuechtichaft noch Im 
merth geweſen 2). Auch in der Kolgezeit haben die Bundes 
offen von Athen ihre Freiheit niemals vecht behaupten fi 
nen. — Darum batten die Bundesgenofjen freiwillig At 
die Herrſchaft gegeben, freiwilig hatte Lakedämon ſie zugela 
Gl, 75.) 2). 

Man fieht, an) ſcheuet ſich , den i Nechtsbezüif 


— 
— — —— — — — 


1) Bon ber römifchen Weltherrſchaft wird jeder denkende Leſer 
Polybios daſſelbe glauben. Iſt es neuerdings anders mit den Eng 
dern in Südaften, den Ruflen in Nordaſien? 


2) Mer gewinnt, fagt Joh. Müller, bat fich ſelbſt zu fürd 
und wer verliert, Niemand anzuklagen, als fid) felbft. 


3) Die fünf Reden, aus denen ich biefe Grundfäge genommen 
be, ftimmen in biefer Hinficht vollfommen überein. Die eine davon 
60 ff.) gehört dem Perikles felber an; eine andere (I, 73 ff.) den 
fandten, welche Perikles Politik vor den Lakedämoniern vertheibi 
Mir irren daher gewiß nicht, wenn wir die hier geäußerten Grund 
faft unmittelbar als die leitenden Grundfäge des Hiſtorikers felbft 
ſehen. 


x geitig als Sisgerinn hervor: cheht —— auch ne 

keinesweges parteilich eingenommen if} Ya: Ä 
Dagegen halte man Den: Euripibesl,. "Seins Sie 
umeln. befanntlich, von Gegenreden, oftmals, geradezu an 
: Markt erinnernd, worin Steiner von heiden Recht Dos 
unt ). Dem. Dichter iſt es auch um Entſcheidung gar 
ſt zu thun: die geiſtige Gewandtheit, Dia jene Redner bes 
unden, iſt ihm Selbſtzweck. Eine Aefete Aufſaſſung, ‚Die 
wirklich unlsbaren Problemen, zu wirklich gleichberech⸗ 
en Gegenſätzen geführt hätte, finde ich ſolten. Das ers 
ert denn ganz an die Sophiften. .:: Und, wir können übers 
pt wohl ſagen, : wie ſich Sophokles echt - poctifche Ber 
Kung. der Gegmfähe zu der rhetoriſchendes Enripideq 
kt; fo die echt politiſche des Ahrudides. wi der ſtaats⸗ 
tigen. der rien Koh Bee De er 
lan EI an! or one . 
3 ne Pr R ln 

u wlan Bose 
y Bol. Bier ii in ben Arendlungen der. Berliner Xtabemie 209 
:, wo er fih im ‚Einzeinen ‚befonders auf V. 795, 828° ff., 10 
898 ff: zu ſtützen weiß." Die Einheit des’ Stuckes beruhet in bet 

ken einer jeden —— Leidenſchaft · . Ich — 


Sue des —— nu as fü brte. Man «spa Hr ein, ii 
die hertſchende Puttei alsbann nicht: um bet’ Anrigonewillen jun 
ren gegen Samos, würde, gemähtt ‚habe: nu: ſamijchen * 
e gudi, noch Thukvdjdes ei Fommanpg (Ehucy.d IAgue 
‚h. Anon.), und erft bie damaligen glänzenden Erfötge ICH 

z müffen ihn geftürgt haben. Man weiß aud aus Jon's Memoiren, 
Jerikies über die Feldherrntalente des Sophokles nicht allzu günflig 
e (Athen. XIII, p. 604.). 


ER el di. 
2) gl. Phoen. 509 ff. Ion. 454 fi." Herk. Yürens'i318 ff. mit 
ydides melifchen Unterhandlungen. A I hiſtet 4 


3) Als ſich Euttpides im höhern Abter ont: Dtrome? desreac⸗ 

ven Geiſtes ergreifen ließ kamen frei: ganz anderengdechtsibron 

ine Schriften: vgl. .Bacch: :890 ff... 5 a we mi Wlan on 
' 18 


268 Thukhydides. Kap. 8. 

















Großmuth, aus Vaterlandsliche, aus Menfchlichkeit entfpringty; 
deßhalb minder ehrenwerth, als wenn fie von dem Reſperi 
vor geſchriebenen oder ufualen Geſetzen berrührte ? 
gar im Völkerverkehr, wo es gar Feine Pofltionormen giebt!" 

Allwiſſend ift nur Einer. Doch auch der Hiſtoriker ka 
aus mancherlei Symptomen der Handlung auf das Gewi 
de3 Handelnden einen Schluß machen. Hier leitet —* u 
ficherften der -angeborne Einn der Menfchlicgkeit, jenes ul 
ſchätzbare Erbtheil einer ſchuldloſen Jugend, wenn es im nf 
fern Alter nicht etwa vergeudet worden. Denn es wird 
vergeudet! — „Und zu loben find Die“, ſpricht WE 
Hiſtoriker, „welche der natürlichen Neigung der Menſche 
Aber Andere zu herrſchen, ſich Hingeben, aber dabei g 
verfahren, als ihre Macht es ihnen geftatten würde” (I, 76% 
Wie ruhig und bei aller Feſtigkeit milde iſt Die Gefanbtenre 
zu Lakedämon! wie billig und einleuchtend die Bedingungil 
des Perikles (I, 144.)! auch wohl ernftlich gemeint, mad 
gleich Athener, wie Lakedämonier die Unmöglichkeit ihrer AR 
nahme vorausfahen. Gerade die Angreifer im peloponnefifd 
Kriege, die Kerkyrier und Athener, . bieten ein Austrägalved 
fahren an (I, 28. 145.). So unter Perikles. — MM 
anderer Geift wehet aus den melifchen Verhandlungen 
(V, 84 —114.), deren Vorſchlag ein Werk des Alkibiadch 
war 1). Diefer ganze Abfchnitt 2) fpielt im Thukydides eine 
große Rolle, fowohl dem Umfange nach, als den Gewicht 
der Gedanken: eine größere Rolle, ald die Geringfügigkeit de 
Ereigniſſes ſelbſt zu geftatten feheint. Dieß mar aber die Ichte 
gelungene Erweiterung der athenifchen Herrſchaft. Jedenfallt 


⁊ 
| Dr 






.— — 


1) Bol. die dem AnboFides zugefchriebene Rede gegen Alkibiads 
p. 152. (Bekker), die jedenfalls fchon von Demofthenes ale Tautere Se 
ſchichtsquelle fcheint benugt worden zu fein. 


2) Bgl. III, 91. 


$. 4: Sokrates. 273 


e weder zu berrfchen, noch beherrfcht zu werben: Da ver 
et ihm Sokrates, zwiſchen Herrſchaft und Dienftbarfeit 
inter Mienfchen Fein Drittes möglich. Wer nicht Andere 
rrſche, werde felbft gefnechtet 1). Auch die erinnert an 
kydides! 


1) Mem. II, 1, hin AL ref 


it sp Ringchisip 75 Gen 5% eicäne? 


nd ehrt mal BT ur? en lan 5P2 
Zaun 9 St tipp anlleiznd WRTIIER Wr 
tr MEIST IE Hai una elite) 151 2 

Dr un et Bad Aal mim mi 
Br ee Ver Ba Urs 11} IHN 1ytmelisin 17 


Marl. — EEG ET eilt 
il, ats i * 1 geriet mars 
mw a rt iiſta ren 

aaa! BuE BIETE) UL _ Bas STEG 5 Pr 


EINE TE TE AG 


1.3 
. oadyerysin 599% 


za erpraa,,z 2  wrlist PINS 
zuyinaıdan ww Adnppmmmunig James Gr 


ya nme gern? ee 

Ti Vad Muri db MENT — 
line mad no a) 5 Tr. 
II sin 9 UM G 


18* 


Heuntes Anpitel.. 
Thukydides und die gleichzeitigen Siftoriker 


Igq Habe ſchon fm Vorigen bei jebem wichtigen Chat 
zuge des Thukydides darzuftellen gefucht, mie er allmi 
von den Frühern vorbereitet, von den Spätern berlaffen ı 
den. Der Lefer wir jedoch münfchen, auch im Ganzen 
den gleichzeitigen Beftrebungen im Felde der Geſchichte 
überfichtliches Bild zu gewimmen. — Die griechifchen Sf 
fer nun, welche die zweite Hälfte des fünften Jahrhund 
ausfüllen, laſſen fih in drei verfchiedene Gruppen ſtel 
legte Fortſetzer der alten Logographie, eigentlich woifjenfd 
liche Hiftoriker, endlich Memoirenſchreiber. 


8. 1: 


Lepte Logographen ). 


Alle Tendenzen der frühern Logographie fehen 
nch einmal zufammengefaft durch Hellanikos 





— 


) Was die Logographen im Allgemeinen charafterifirt, mu 
als bekannt vorausfegen. Sch will hier nur die perf önlidhe & 
teriftil der legten von ihnen mittheilen. 

2) 496 v. Chr. — wenigftens 411. 


$. 4. Hellanikvo. 277 


zahlloſen Titel feiner Schriften laſſen ſich ohne Zwang 
ein einziges großes Werk zurückführen. Zu An— 
mochte die eigentliche Götterſage ſtehen; hierauf 
Heſchichte der einzelnen Länder folgen, von der Mythen⸗ 
in bis auf die Gegenwart. herab, uud die perfünlichen 
n des Hellanikos. Alle herkömmlichen Beſtandtheile der 
graphie, die Reiſebeſchreibungen, die Länder⸗ und Völ⸗ 
mälde, die Bründungsgeſchichten, die Genealogien und 
nereife, lagen hier neben einander. Ein chronologiſches 
d, aus den Heraprieſterinnen von Argos und den karnei⸗ 
Siegern geflochten, hielt das Ganze zuſammen). — 
wie, freilich? Die Zerſtörung von Troja ſoll im acht⸗ 
en Regierungsjahre des Agamemnon, im erſten Jahre 
Demophon erfolgt ſein; ſogar den Monat wußte der ges 
Mann anzugeben 2). In der Geſchichte des Areopags 
en die Prozeſſe des Yreg und Poſeidon, des Kephalos, 
Dädalos und Qreſtes in. chronologiſcher Folge nach Men⸗ 
Hera aufgeführt 3), Wie es hronofagifirenden Sagenſchrei⸗ 
gar häufig ergeht, ſo war auch Hellanikos gezwungen, 
. mehrere. Sardanapale anzunehmen )Y. — Seine Miy⸗ 


) Die Ass rodurvxic mochte zur Götterſage gehören. Die Nas 
Alla, zepi Agnadias, "Aconıs und .Bowriasa, Arts und 
uxa, clevaalımmeia und Gerradırd, regi Xior aticens, Kurzyiara, 
xx, Towıra erklären fich fo von felber. - Die Xbfchnitte über Aes 
ı, den Ammonszug, Lydien, Perfien, Skythien, Phönikien ftans 
rmuthlich zufammen, und gaben fo zu den Namen Pappapıra vo- 
zeoi Edvav, E9vow Ovonacias Anlaß, “Icrogtos, xtioes Tonnte das - 
Wert genannt werden. Die Ramen Karneoniten und Heraprieſte⸗ 
ı find aus den dhronologifchen Angaben entftanden. Nur den Zitel 
zıs weiß ich nicht recht zu rubriciren. 


) Euseb. Pr. Ev. X, 12. 
) Schol. Eurip. Orest. 1648. 
) Schol. Arist, Ayes 1022. 


272 : Thukydides. Kap. 8. 


“ führte jeder Vertreter für die Gründe des andern vollkom 
abgefchloffen. — Legitimität nad) den Staatögefegen hält K 
für Das Höchſte; nur mit Öleichgefinnten mag er zu t 
haben. Weil er fich eine entgegenftehende Ueberzeugu 
gar nicht denken Tann, fo werachtet er Soden, dem nicht $ 
terland und Recht auf feine Weife Das Theuerfte find. , 

denft nur an ſolche Gegner, die durch Tod zu ſchrecken, di 
Gewinn zu Inden find (206 fſ.). Als er die Uebertreh 
feined Verbotes hört, fallt ihm nur der Gedanke am politi 
Parteien ein (275 fſ.). So gänzlich fremd find ihm die ( 
fühle, welche Untigone befeelen! Wie befangen er ift, fi 
man daraus, dag er much Jsmene ſogleich für mitſchul 
hält (459.). Antigone dagegen erkennt in dem echte | 
Kreon unzweifelhaftes Unrecht. Sie fürchtet den Tod nl 
wohl aber die Strafe nach dem Tode (420 ff.). Sie iſt m 
kommen überzeugt, Daß Jedermann ihre Anficht theilen mi 
mr aud Feigheit fie nicht zu Außern wage (474 fi.). 2 
ſchön iſt ed, daß die laue Ismene tolerant fein kann, die 
geiſterte Antigone nicht (98.)! Auch Die Härte der Antig 
gegen ihre Schweiter, ihre Sleichgültigkeit ‘gegen das Leb 
ihr leidenſchaftlicher Tod, find vortrefflih im Charakter: 

verliert dadurch den Anfchein einer theatraliſchen Tugendl 
dinn. — Ihre prineipmäßige Rechtfertigung erzürnt den Krı 
weit tiefer, als die That felbft (452 fg.), Am fchärfiten a 
fprechen fich Die Heiden Gegenfäte ziwifchen Kreon und fein 
Sohne Hämon aus (595 ff). Kreon fordert Gehorfam, O 
nung, Selbitverkeugnung um des Ganzen willen; Hämon ! 
gegen wirft ihm Die unbewußte Selbitvergätterung des ftreng 
Nechtöfinnes vor, Die ihn des Menfchlichen entkleiden müf 
er zeigt die Thorheit, wenn ein Menfch wolle den Unbeug 
men fpielen. Auch der Chor feheint anzubeuten, die Art, ı 
Kreon Staat und Recht nehme, pafje nur für Zeus (568 N 
— Aus diefem Kampfe geht Antigone Außerlich überwund 


$. 1. Gellanikos. Pherckydes. M 


ang zu ſetzen (II; 161 fſ.)!! Dem Hellauikos ſcheint die 
am wichtigſten, wie der Empðörer Amaſis Durch das. Ge⸗ 
WE eines fchönen Kranzes in die Nähe des Koͤnigs gekom⸗ 
2). Auch die ſchönen Kopaisaale durften in feiner böoti⸗ 
Geſchichte nicht vergeffen werben 2). Ein ſolches Wert 
te freilich Durch Die äußerlihe Anfügung Hhilofophifcher 
inctionen nicht ſehr gebefert werden 3). 

Ungefähr um. diefelbe Zeit, wo Herodoi den Verſuch 
te, die Geſchichte non der Mythe loszureißen, wollte 
erekydes von Leros umgekehrt die Mythe allein behan⸗ 
9. Ein beträchtlicher Fortſchritt ohne Zweifel! In dieſem ee 
Gebiete nun will er erſchöpfend ſein. Daß er detaillirter gewe⸗ 
als die meiſten Andern, geht aus Plutarch und Athenäos herz 
). Daher aber auch die Kürze und Knappheit ſeiner Erzählung, 
entfernt von der Behaglichkeit eines Herodotos. Man ſieht, 
Maſſe des Stoffes drängt ihn 9). — Nur ein einziges 
tent feines Buches fcheint breiter entiyicelt zu fein. Phe⸗ 
es wimmelte nämlich, in noch höherm Grade beinabe, 
Herodot, von novelliftifchen und ſchwankartigen Epifodien. 
die liebliche Novelle von Kephalos und Profis (fr. 25.), 
Melampus und feinen Gefchlechte (p. 118 fg.. 124.) ; der 
vank von Siſyphos (41.), von. Kalchas ‚und Mopſos 


— — —— 


) Athen. p. 680 B. 
) Schol. Arist. Lysistr. 36. 


) Nach Arrian. Dissertt. Epictt. II, 19. Gellius N. A. I, 
itte Hellanilos alle Dinge in brei Kategorien getheilt, in gute, wo⸗ 
e Tugenden, in böfe, wozu bie Lafter gehörten, endlich in gleichz 
je, wie 3. B. Gefunbheit, Reichthum, Vergnügen u. f. w. 


) Etwa 485 v. Chr. = 400. | 
) Pherecydes ed. Sturz, p. 199 unb fr. 61. 
) Bol. Perfeus Medufenfahrt fr. 10, und Schol. Eurip. Al- 


274 Thukydldes. Rap. 8, 


Sch erinnere noch am einige Intereffante Gefpräche, 
denen und Kenopheit herichtet. Zuerft nämlich zwiſchen 
titles und ſeinein Mundel Alkibiades über die Bedeu 
des Wortes. Gef), ı Der große Staatsmann, in de 
hen theoretifchen Fragen wenig bewandert, muß fich hier 
feinem milchbãärtigen Neffen ziemlich hofmeiftern laſſen. 
kommen aber dahin überein, Geſetz fei eine Verordnung 
Staatsgewalt, die von . den Beherrfchten nicht aus Zwe 
fondern aus frelen Stärken, durch Ueberredung, angenom 
werde, -- SHE: biefer Bevingung feien. ſelbſt Tyrannei md | 
gärchie rechtmäßig, ‚iphne dieſelbe Sogar Die Demokratie 
rechtmäßig. — Das andere Geſpräch iſt zwiſchen Sokra 
und dem Soßhiſten Höppias2). Hippias will ein objı 
unzweifelhaftes Rechtsſyſtem erfunden Haben Da merben 
meint Sokrates, fortan weder die Richter. getheilter. An 
fein, noch Parteiungen und Kriege mehr ftattfinden ( 
Diefe Dinge alfo Hält Sokrates für ein Zeichen, daß 
Menſchen nicht daſſelbe für gerecht anſehen. Uebrigens, 
Üheilt er, könne man im Einzelnen alle Boch wohl entf 
den, ob Einer. gut oder Böfe gehandelt habe (10 ſg.). € 
10.u7 Deieıv adızeim ixavov: dınmsonvang Enidsyun (L 
Alſo auch fur ha iſt das Gewiſſen der Einzelnen die ei 
gilltige Norm 3). —Als Artitiypos einft Die Vortreff 
feit der fofratiſchen Grundſahe fi für praktiſche Männer a 
kennt, von ſichnfelbſt aber erklärt, er achte Die Aufopfer 
id —7 ves See füt gitele abe, er 


vr — hi l, . ' ⸗ 27 ⸗ R 3 . 


MIT 77. nn Ed 


u h ear B 


2) Ibid. IV, 7, 4 sqq. er. nvallbonr 


.?) Einen fehn, flachen: Berfach ,. die verſchiedenen Rechtsbegriffe 
verſchiedenen Zeiten und Völker mit. einander: zu vereinigen, macht 
Sokratiker Simon in der Schrift Dlegi:wopar. ' 


11 


$. 4. Traglker. 27 
‚ eig ein Räthſel bleiben 2). — Auch geht Thukydides 


: fo weit. Er leitet nicht, wie die Sophiften thaten, auß, 


Degriffe der Stärfe den vollig disparaten Begriff des 
ted ab; fondern er meint nur dieß: Wo zwei Parteien 
ider bekämpfen, aus Ueberzeugung oder Nothwendigkeit 
npfen, da haben fie beide Recht; mit andern Worten, da 
‚bon Recht und Unrecht gar nicht die Rebe fein. 


Sn die frühern Jahre des Sophokles fällt der Lieber 
; des athenifchen Staated zur reinen Demokratie. Jeder 
it pflegt auf dieſer Stufe durch Zerſtörung aller ftändi- 


und corporativen Selbftändigfeit, wo dem Staate ges. 


ber nur eine zufammenhangslofe Maſſe von Individuen 
y Bleibt, nach Außen und Innen feine höchfte Stärfe zu 


gen. In der Gleichheit Aller vor dem Geſetze liegt die 


ſchränkte Allmacht des Geſetzes felbft begründet. Ein fol- 
Zuftand kann philofophifchen Geiftern wegen feiner ſy⸗ 
ihnlichen Einheit wohlgefallen: poetiihe Gemüther wird 
ı der Regel abſtoßen. Dieſen Widerwillen bat Sophokles 


iner Antigone ausgeſprochen 2). Kreon vertritt bier das . 


ip der Staatdallmaht, Antigone den Widerfland de 
ilienbunded, Beide Gegenfäge find. erſchöpfend durchge⸗ 


— — — — 


) Um fo mehr, als der Dichter feinen Zeus, deſſen Abgeordneten 


ies, deſſen Verhältnig zur Io u. A. m. ganz mit Zügen hinzeich⸗ 


die er aus der Tyrannenzeit ſeines Vaterlandes entlehnt haben 
te. | J 


2) Mit welchem Reſpecte Sophokles ben frommen und econſervatin⸗ 
aten Nikias behandelte, iſt aus Plutarch bekannt; Nicias 15. 


n der koloneiſche Oedipus, wie ich mit Suüvern annehme, in die 


n unmittelbar nach dem nikiſchen Frieden fällt, To Tann man im 
‚us beffelben eine Hindeutung auf den Nikias erblicen. 


‘ 


Wenntes Kapitel‘, .. _ 
Thufydided und Die gleichzeitigen Siftorik: 


Igqh habe ſchon im Vorigen Hei jebem wichtigen Che 
zuge des Thukydides darzuſtellen geſucht, wie er allı 
von den Frühern vorbereitet, von den Spätern verlaſſer 
den. Der Leſer wird jedoch wünſchen, auch im Ganz 
den gleichzeitigen Beitrebungen im Felde der Gecſchich 
überfichtliches Bild zu gewinnen. — Die griechifchen $ 
fer nun, welche die zweite Hälfte des fünften Jahrhi 
ausfüllen, laſſen fih in drei verfchiedene Gruppen | 
letzte Fortfeler der alten Logographie, eigentlich wiſſen 
liche Hiftoriker, endlich Memoivenfchreiber. 


8. 1: 


Letzte Logographen °). 


Alle Tendenzen der frühern Logograpbie fehe 
noch einmal zuſammengefaßt durch Hellanitkı 





— 


) Was bie Logographen im Allgemeinen charakteriſirt, 
als bekannt vorausfegen. Ich will bier nur die perſönliche 
teriftil der legten von ihnen mittheilen. 

2) 496 v. Chr. — wenigſtens 411. 


+ v. 
os 


Se. 4. Wagiler. 273 


geiſtig als Siegerinn hervor: obwohl her Pit auch für 
einesweges parteilich eingenommen Ye 7 
Dagegen halte man deu: Eurip (des... Seine Sfü cke 
mein. bekanntlich von Gegenreden, oftmals gexadezu au 
Markt erinnernd, worin Steiner son: heiden Recht be⸗ 
nt?). Dem Dichter iſt es auch um Knutſcheidung! gar 
zu thun: die geiſtige Gewandtheit, die jene Redner bes 
iden, iſt ihm Selbſtzweck. Eine Aefete Aufſaſſung, ‚Die 
virklich unlöäbaren Problemen, zu wirklich ‚gleichbeuech- 
Gegenſätzen geführt hätte, finde ich Feten: Das cu 
t denn ganz an Die Sophiften. .;: Mund, wirx, fönnen ‚übers 
t wohl . fagen, :wie ſich Sophokles, echt  poctifche Ber 
img..der Geganſätze zu. der rhetoriſchenides Euripideq 
lt, ſo die echt: politiſche des. Thnkydides m der. ſtaats⸗ 
eu Der * Sophinen Ps . Fr la 8 { 
5 2 SR BE Pre —* 7 
3 EP I DEN yo 

Fu 22. Br ra: luns. a 
vgl. Bier ir in den. ohandfungen der. Berliner Atademie vg 
wo er fih im ‚Einzelnen ‚befonterd auf V. 796, 828‘ f., 816, 
398 ff: zu flügeh weiß: ’" Die Einheit des’ Sttickes beruhet in det 
blichkeit einer jeden rückſichtsloſen Leidenſchaft· —Ich ſagte 
Sophokles habe: jn dieſem Stüſke feine Bedenken Aigdegagjsgt ‚üben 
nalige politifche Entwicklung von Athen, die unmiftelboz nad 
turze des Thukydides Mitefio as führte.” Man wenb?" Afcht ein, vß 
⸗ herrſchende Pattei alsbann: nicht· um vet! Anrigone willen zum 
‚en gegen Samos, würde, gewählt habe: Inu: ſamiſchen, Knitgt 
zuch noch Thukodjdes eig; Fommanhg gE,hsc ya I,41%- ‚Vita 
. Anon.), und erft die damaligen glänzenden Erfö öfge bes Bes 
müffen ihn geftürzt haben. Man weiß aud aus Jon's Memoiren, 
rikles über die Feldherrntalente bes Sophofles nicht allzu günftig 

(Athen. XIII, p. 604.). 


gl. Phoen. 509 ff. Ion. 454 ff. Here. Yarens ef mit 
ides melifchen Unterhandlungen. und TE .DIt 


Als ſich Eutipides im höheren: Abrtel vun Dtrome? bes reac⸗ 

n: Geiſtes ergreifen ließ)‘ Aanien: foeilicht ganz anderen: Rechtslbeon 

? Schriften: vgl. ‚Bacch. :890 ff... 05 a wei Glan 
18 


278 Thukydides, Kap. 9. 


thenkritik iſt ein wunderliches Gemiſch von finniger Un 
genheit und nüchternen Rationalismus. : Bei dem Sch 
des Pelopidenhauſes erzählt ex die großartigen Flüche De 
lops I)‘, aber atıch. die Kinder des Pylades mit der € 
werden nicht vergeffen 2), - iin der Sage Kom Thefeus 
bald der Raub der Zeustächter umd die Kämpfe der Dioi 
vor 3), Bald’ aber wurde ‚berechnet, daß Theſeus für das 
der Helena doch eigentlich zu alt geweſen d: — Ich 
früher bemerkt, : das rein mythiſche Intereſſe tritt ſchon 
Hellanikos ſehr in den Hintergrund: am liebſten wendet 
Sage an, wo es fi: um die Erklärung noch vorhandene 
ſtitute, noch vorhandener Geſchlechter, Feſte, Namen 
Sprüchworter handelt. — Hellanikos iſt der univerſalſt 
gograph, viel univerſaler, als Herpdot. Er iſt der Erik 
von Moſes 5), von Rom erzählt 6), der die femittiche I 
ſage mittheilt von der großen, halbmännlichen Exob 
welche das Brieffchreiben, den Eunuchendienſt, die langen 
erfunden habe ).. Und doch, wie fand er an universal 
riſcher Serlengröße Hinter dem Herodot zurück, deſſen BI 
tor er war! Welche Ungenauigkeiten Ihm Thukydide 
97.) vorgeworfen, ift bekannt. In der ©efchichte won 9 
Entthronung, wie ift da Herodot bemüht, die politifche! 
ſache und feine eigene ethiſche Grundanficht organifch in 


1) Schol. D. £#, 105. 
2) Paus. VI, 16. 

3) Schal. Il. 7, 144. 
4, Pilut, Theseus 31. 


5) Cyrill. Adv. Julianum I, p. 15. Just. Mart: 
Graecos p. W. 


6) Dionys. A. R. p. 58. 


7) Göttinger Bibliothek für alte Literatur und Kunft, $ 
©. 18 fg. 


6. 4: Sokrates, 273 


: weder zu bereichen, noch beherrfcht zu werben: da ver⸗ 
ihm Sokrates, zwiſchen Herrſchaft und Dienſtbarkeit 
ntee Menfchen Fein Drittes möglich. Wer nicht Andere 
rſche, werde felbft gefnechtet 1). Auch dieß erinnert an 
ydides! 


Mem. II, 1, 8 link —R 


ar rpRinzchisin 74 Inn SSiicdfind % 


ätiet nm, BI mer? er dan 5 2 
9 ut Banbop llarizend WITZ. wa α 
i BE Hu BCriTa —— zent 


AI Be Tan Alt? J iat tkadıt Aral 1592 AlEp| 
ie 77 3255 1 ler Ing 5 in 1m7 
anna ag re heit 
wild, tritt 5) RR 909 ig shit ea! 


f 
I mis niit iri dit ft) rn 
at age ipapa sta nd mhter. sl 
PS ln rl gl 


ur 
A omdgnıpupu lat 


NUT BER TIL LIT, P7U CS T 7 Ca 114° M— 
innen ru ppm Inmus di 


Sri. on aa gro? el 
heran Pad ter eb MEERE una 
.misdlline mandi od nlga) 195 Tina 
IE snsitinan e IE 
18* 


Wenntes Kapitel. , 
Thukydides und die gleichzeitigen Biftorif 


Igq Habe ſchon fm Vorigen bei jebem tmichtigen Ch 
zuge des Thukydides Darzuftellen gefucht, wie er all 
von den Frühern vorbereitet, von den Spätern berlaffe 
den. Der Lefer wird jedoch wünfchen, auch im Ganz 
den gleichzeitigen Beitrebungen im Felde der ©efchid 
überfichtliches Bild zu gewinnen. — Die griechifchen $ 
fer nun, welche Die zweite Hälfte des fünften Jahrhi 
ausfüllen, laſſen fih in drei verfchiedene Gruppen | 
letzte Fortfeler der alten Logographie, eigentlich wiſſe 
liche Hiftoriker, endlich Memoivenfchreiber, 


8. 1: 


Letzte Logographen °). 


Alle Tendenzen Der frühen Logographie fehe 
noch einmal zufammengefaßt durch Hellanitkı 


) Was die Logographen im Allgemeinen charakterifirt, ı 
als bekannt vorausfegen. Ich will bier nur die perſönliche 
teriftit der legten von ihnen mittheilen. 

2) 496 v. Chr. — wenigftens 411. 

"st 


$. 1. “ Sellar nikoo. 277 


zahlloſen Titel ſeiner Schriften. laſſen ji. ohne Zwang 
ein einziges großes. Wert zuwückführen. Zu An—⸗ 
. mochte die eigentlihe Götterſage ftehen 5 hierauf 
Seichichte der. einzelnen Länder folgen, von der Mythen⸗ 
an bis auf Die Gegemwart, herab, uud die perfünlichen 
rn des Hellanifos. Alle herkömmlichen Beſtandtheile der 
graphie, die Reiſebeſchreibungen, die Länder⸗ und Völ⸗ 
mälde, die Bründungsgeſchichten, die Genealogien und 
mkreiſe, lagen hier neben einander, Ein chronologiſches 
d, aus den Heraprieſtexinuen von Argoh uud den karnei⸗ 
Siegern geflochten,. hielt das Ganze zufammen ). — 
wie, freilich? Die Zerftörung. von Troja fol im achts 
en Regierungsjahre des Agamemnon, im erfien Jahre 
Yemophon. erfolgt ſein; fogar den Monat wußte der ges 
Mann anzugeben 2). In der Gefchichte des Areopags 
n die Prozeſſe des Areg und Pofeidon, des Kephalos, 
SAdalod und Qreſtes in chronologiſcher Folge nach Men⸗ 
Stern aufgeführt 9, Wie es chronolagiſirenden Sagenſchrei⸗ 
gar häufig ergeht, ſo war auch Hellanikos gezwungen, 
mehrere Sardanapale anzunehmen ). — Seine My—⸗ 


Die MAbc aoAuroyia mochte zur Götterſage gehören. Die Nas 
fiolına, regi Aoxadias, "Acunıs und .Bowriaxa, Arêu unb 
‚x, levaalıumeia und Istralırd, nepi Xiov atioeog, Kurzyiara, 
xci, Towexa erklären fich fo von felber. Die Xbichnitte über Ae⸗ 
‚ den "Ammonszug, Lydien, Perfien, Stythien, Phönikien flans 
muthlich zufammen, und gaben fo zu den Namen Papßapıza v0- 
zepi Edwav, Edvow ovonacia Anlaß. “Ioropkas, xrioes Tonnte das - 
Berk genannt werden. Die Namen Karneoniken und Serapriefte- 
find aus den dhronalogifchen Angaben entftanden. Nur den Zitel 
ıs weiß ich nicht recht zu rubriciren. 


Euseb. Pr. Ev. X, 12. 
Schol. Eurip. Orest. 1618. 
Schol. Arist. Ayes 1022, 


2374 Thukydides. Ray. 8, 


Ich erinnere noch an einige intereffante Geſpräche, 
denen und Xenophen herichtet. Zuerſt nämlich zwiſchen 
rikles und ſeinein Mundel Alkibiades über die Beder 
des Wortes. Gef"), ı Der große Staatsmann, in de 
hen theoretiſchen Pagen-mwenig beiwandert, muß ſich hia 
feinem milchbärtigen Neffen ziemlich hofmeiftern laſſen. 
kommen aber- dahin überein, Geſetz ſei eine Verordnun 
Staatsgewalt, die von den Beherrfchten nicht aus Zu 
fondern aus freien Sticken, durch Ueberredung, angenn 
werde. Mit dieſer Besingung feien: ſelbſt Tyrannei umd 
garchie rechtmäßig, phnedieſelbe ſogar die Demokratie 
rechtmäßig. — Das andere Geſpräch iſt zwiſchen Sokr 
und dem Soßhiſten Hippias2).“‘ Hippias will ein of 
unzweifelhaftes Rechtsſyſtem erfunden haben. Da werde 
meint Sokrates, fortan weder die Richter getheilter A 
fein, noch Parteiungen und Kriege mehr ftattfinden 
Diefe Dinge alfo Halt Sofrated für ein Zeichen, daj 
Menfchen nicht daſſelbe für gerecht anſehen. Uebrigens, 
theilt ww, könne malt" im Einzelnen Valle doch wohl " 
den, ob Einer. gut oder Köfe gehandelt, habe (10 fa.). 
20.) Beleır adızeim inavov dimksonvung Enidsyua | 
Alſo auch fit ihn iſt das Gewiſſen der-Einzelnen die ı 
gültige Norm’ >). —— 8 Ariſtippos einſt Die Worte 
feit der fofratijchen Grundfäge für. praktiſche Männer 
terint , von ſich felbſt aber erklärt, er achte Die Aufopfi 
ib RENTE ves Seen, füt gitele. Zherhen, er 


Ii. l. . ı 1. ... . ... 3 Y BE 


a. ı 
7 .2*8 — — 
17 77 'T, * wild ar 5 der a 


„7 Mem. I, 2, 40 sqa.. 
2) Ibid. IV, 7, 4 sg —. EEE Fe 
3) Einen fehn. flachen: Verſuch, die verfchiedenen Rechtsbegrifl 


verjhiedenen ‚Reiten und Rölker mit, einander: zu Yereinigen, wo 
Sofratiter Simon in der Schrift Llegi:vupor. - “ 


5. 1. GHellanifos. Pherckydes. 319 


nıng. zu fehen (II; 161 fj.)! Dem Hellauikos ſcheint die 
am wichtigften, wie ber Empdrer Amaſis durch das. Ges 
re eines fchönen Kranzes iu die Nähe des Koͤnigs gekom⸗ 
2). Auch die schien Kopaisaale durften in feiner büntiz 
Geſchichte nicht vergeffen werden 2), Ein ſolches Wert 
te freilich durch die äußerliche Anfügung. philofophifcher 
inchionen nicht fehr gebeflert werben 3). 
Uugefähr um. diefelbe Zeit, wo Herobot den Verſuch 
ſte, die Geſchichte von der Mythe loszureißen, wollte 
erekydes von Leros umgekehrt die. Mythe allein Kehanz 
9. Ein beträchtlicher Fortſchritt ohne Zweifel! In dieſem en⸗ 
Gebiete num will ex erſchöpfend fein, Daß er detaillirter gewe⸗ 
als bie meiften Anden, geht aus Plutarch und Athenäos herz 
>). Daher aberauch die Kürze und Knappheit ſeiner Erzählung, 
entfernt von der Behaglichkeit eines Herodotos. Man ficht, 
Maffe des Stofjed drängt ihn 9), — Nur ein einziges 
ent feines Buches fcheint breiter entwickelt zu fein. Phe⸗ 
x3 wimmelte nämlich, in nod, höherm Grade beinahe, 
Herodot, von novelliftifchen und ſchwankartigen Epifodien, 
die liehliche Novelle von Kephalos und Prokris (fr. 25.), 
Melampus und feinen Oefchlechte (p: 118fg.. 124.) ; der 
vant von Siſyphos (41.), von. Kalchas und Mopſos 


— — — — — 


') Athen. p. 680 B. 
) Schol. Arist. Lysistr. 36. 


) Nach Arrian. Dissertt. Epictt. II, 19. Gellius N. A. I, 
ätte Hellanilos alle Dinge in drei Kategorien getheilt, in gute, wo⸗ 
e Tugenden, in böfe, wozu die Lafter gehörten, endlich in gleich⸗ 
3e, wie 3. B. Gefunbheit, Reichthum, Vergnügen u. f. w. 


) Etwa 485 v. Chr. = 400. | 
>) Pherecydes ed. Sturz, p. 199 unb fr. 61. 
) Bol. Perfeus Medufenfahrt fr. 10, und. Schol. Eurip. Al- 


Wenntes Kapitel‘, 
Thukydides und die gleichzeitigen Siftorit 


Igq habe ſchon im Vorigen bei jedem wichtigen Ch 
zuge des Thukydides darzuſtellen geſucht, wie er all 
von den Frühern vorbereitet, von den Spätern verlaſſe 
den. Der Leſer wird jedoch wünſchen, auch im Ganz 
den gleichzeitigen Beſtrebungen im Felde der Geſchid 
überſichtliches Bild zu gewinnen. — Die griechifchen : 
ker nun, welche die zweite Hälfte des fünften Jahrh 
ausfüllen, laſſen ſich in drei verſchiedene Gruppen 
letzte Fortſetzer der alten Logographie, eigentlich wiſſe 
liche Hiſtoriker, endlich Memoirenſchreiber. 


8. 1: 


Letzte Logographen ). 


Alle Tendenzen der frühern Logographie ſche 
nech einmal zuſammengefaßt durch Hellanik 





— 


) Was die Logographen im Allgemeinen charakteriſirt, 
als bekannt vorausſetzen. Ich will hier nur die perf önliche 
teriſtik der letzten von ihnen mittheilen. 

2) 496 v. Chr. — wenigſtens 411. 

“or 


. 1. Pherelydes >’ 


theniwelt behandelt, fo iſt es nicht zu verwundern, baß er 
ſchärfer kritiſitt, mehr in. ein Ganzes bringt, als fehıe 
rgänger. Und doch Hatten auch dieſe ſchon werfucht, die 
tterfage jedes Barbarenlandes mit der: helleniſchen zuſam⸗ 
tzuarbeiten. " Pherckydes findet 3. B., daß Bei Kadmos ſo⸗ 
hl, als bei Jaſon Orachenzähne. und gehärnifchte Männer 
aus erwähnt werden. Sofort argumentit a, Ares und 
jene hätten von den Zähnen des exlegten Drachen. die eine 
fte an Aietes gegeben, die andere an Kadmos (fr. 16.). 
nn Kadmos von. Hephäftos ein ähnliches: Hochzeitsgeſchenk 
it, wie Suropa “früher von Zeus, fo ſchließt Pherekydes 
eich, es ſei wohl:datfelbe gemwefen, das eigentlich. Europa 
immen, dann aber dem Kadmos überlaffen babe (p. 108.) 
er Anftößigkeiten in der Sage trifft, . wie der Leda ches 
herifche Erzeugung (?), da fpielt er nur von ferne darauf 
(‚Ziirrerar: fr. 8). BDen ciferfüchtigen Zorn der Hera 
t-er häufig zu umgehen. Nicht Hera fol die Schlangen 
die Wiege des Eleinen Herakles gefandt Haben’,. fondern 
phitryon (p. 101.). Nicht als Feindinn, ſondern als Bes 
tzerinn tritt fie dem jungen. Dionyſos gegenüber 2), — 
: fein aber: Pherefydes zu argumentiven verficht, davon 
t am deutlichiten Die Art und Weife, auf die er des Ajas 
diſche Abkunft beſtreitet. Ajas follte Kein Aeginete mehr 
sen, folte Athener fen. Darum mußte fein Bater Tela⸗ 

ı ein Sohn des Aktäos (Ufermann) und der. Glauke 
elle), die Glauke wieder eine Tochter des Kychreus fein 
ſchrea = Salamis) ‚ alio eine Autochthon von Sala⸗ 


?). 


— — — 


1) Hyein. Poet. astr. Il, 21: p. 306. Doch auch higrin keine 
equenz! (fr. 34 und p. 177. Sturz.). 


2) Bol. Schöll zum Herodbot VIII, 64. . 


· 


78 Thufgblbeß;-: Kap. 9. 


henkritik iſt ein wunderliches Gemiſch bon finni, 
enheit und nüchternen Rationalismus. Bei de 
es Pelopidenhauſes erzählt er die großartigen Fli 
ops )), aber atıch. die Kinder des Pylades mi 
verden nicht vergefien 2), - In Dee Sage vom ‘ 
ald der Raub ber Zeustöchter und die Kämpfe d 
or 3), Bald aber wurde ‚berechnet, daß Theſeus 
er Helena doch eigenilich zu alt geweien 9: — 
vüher bemerkt, das rein mythiſche Intereſſe trit 
Hellanikos fehr in den Hintergrund: am Tiebiten ı 
Sage an, wo es fih:um die Erklärung noch vor 
titute,, noch vorhandener Gefchlechter, Feſte, 

Sprüchwörter handelt. — Hellanikos iſt der un 
graph, viel univerſaler, als Herpdot. Er iſt d 
yon Moſes 5), von: Roms erzählt 9), der die ſem 
age mittheilt von der großen, - halbmännlichen 
welche das Brieffchreiben, den Eunuchendienft, die 
rfunden habe ).. Und doch, wie fand er an ı 
ticher Seelengröße Hinter Dem Herodot zurück, di 
or er war! Welche Ungenauigkeiten ihm Th 
)7.) vorgeworfen, iſt bekannt. Sin der Geſchicht 
Entthronung, wie iſt da Herodot bemüht, die po) 
ſache und feine eigene ethiſche Grundanficht orga 


1) Schol, Il. £, 105. 
2) Paus. VI, 16. 

3) Schol. Il. 7, 144. 
4) Pilut, Theseus 31. 


5) Cyrill. Adv. Julianum I, p. 15. Just. 
Graecos p. W. 


6) Dionys. A. R. p. 58. 


7) Göttinger Bibliothek für alte Literatur und & 
©. 18 fg. " R 


de Rragifer., ; 0.97% 


geiſtig als Siegerinn hervor: obwohl der Ph auch für 
rediweges parteilich eingenommen if Y%.:-; | - 
Dagegen halte man Deu - Euripideäl.. "Sein Stüde 
meln befanntli, von Gegenreden, .oftmaldı geradezu an 
Markt erinnernd, . worin Steiner von beiden Recht be—⸗ 
nt). Dem Dichter iſt es auch um Entſcheidung gar 
zu thun: die geiſtige Gewandtheit, die jene Meder bes 
nden, iſt ihm Selbſtzweck. Eine efete Aufſaſſung, ‚Die 
virklich unlöäbaren Problemen, zu wirklich gleichberech⸗ 
1 Gegenſätzen geflihrt hätte, finde ich falten: Das mr 
t.denm ganz an die Sophiften. .;: Und, wir fönnen übers 
t wohl. fagen, wie ſich Sophokke: echt -poctifche Ber 
lung der Gegenfätze zu der .rhetorifhen:ded Euripides 
ilt, ſo die echt politiſche Des. Free m der ſlaats⸗ 
(den dee Sorhiſen 2) PR Le er 


ET Re 





” 
3.9 


alt. ' sr vrlnn? ya 

) Bat. Bier in dem Yogandfungen der. Berliner. Kkodemie vo9 
wo er fih im ‚Einzeingn. beſonders a uf © V. 795, 828‘ ff., 816, 
898 ff: zu ſtüten weiße Die Einhett —X — beruhet in —* 
cblichkeit einer jeden räückſichtsloſen Leibenfhaftı —. . Ic ſagte 
Sophokles habe in dieſem Bitürfe: feine Bedenken ziigdergeisgt ‚üben 
malige politiſche Entwicklung von Athen, die unmittelbar nachher 
Sturze des Thukydides Mitefie a6 führte.” Man wende Arche ein, 1; 
e hertſchende Yattll‘ alsdenn . nidyt um et‘ Anrigone willen jun 
ren gegen Samos, würde, gewählt haben Inn ſamijchen 5 
guch noch Thnkodjdeß ein; Bommanpg KT che yay ud KH 
 Anon.), und erft die bamäligen glänzenden Erf öfge 7 
müffen ihn geftürzt haben. Man weiß audy aus Jon's Memoiren, 
rikles über die Keldherrntalente des Sophokles nicht allzu günftig 
(Athen. XIII, p. 604.). 


Bat. Phoen. 509 ff. Ion. 454 ff. ' "pferk, Yarkns "3 #. mit 
Jides melifchen Unterhandlungen. nat D YT.biet 


Als ſich Euripides im höheren Abtel sunheine Dtromec des reac⸗ 

n Geiſtes ergreifen. ließ)“ Aamen fretliche ganz andere: Rechtslbron 

e Schriften: vgl. ‚Bacch: 80 — wrhlenn 
48 












280 Thukydides. Kap. 9. 


(p.171.). Dieſer Zweig der Literatur pflegt ſich der aufblü 
Städte⸗ und Handelswelt auf dieſelbe Weiſe anzuſchließen, wie 
Epos und ſeine Abarten dem Ritterthume. Der Bürgers 
weder Zeit, noch Intereſſe mehr, die langen Heldeng 
ewig anzuhören. Der Hafen, der Markt, die Ba 
find die Träger diefer Novelliſtik. Im Alterthume 
Epheſos, Milet und Sybaris, in unſerm Mlittelalter die: 
Vienifchen, eatalanifchen und oberdeutſchen. Städte ihren 
nehmſten Sitz gebildet). Der Charakter dieſer Gattung: 
im höchſten Grade eonſtant: wir lefen Indifche Schmänke 
Arioft, epheſiſche bei Lafontaine, Herodot und Bo 
Petronius und Cervantes, Appulejus und Burkard Waldis, 
unendlich fie übrigens auch difſeriren, in dieſem Stücke 
fie einander ähnlich. Weshalb das neuere Drama diee 
vellen fo häufig benutzt hat, das antike fo felten,, einige 
tyrſpiele ausgenommen, kann Hier nicht erklärt werden 9 
Unſerm Pherckydes ſcheint es indeſſen wenig gelungen zu fg 
auf organiſche Art, wie es Herodot verſteht, dieſe Novellch 
feinem Werke einzuverleiben. Bei Herodot nämlich dienen fl 
entweder zur plaſtiſchen Charakterſchilderung eines Volkes, di 
ned Zeitraumes, oder fie wollen im Kleinen die ethiſche Grum— 
idee des ganzen Werkes abfpiegeln 2). Keine faft ohne ſolche 
Zwei, — Weil aber Pherekydes beinahe ausſchließlich di 


— — 


1) Von den neuern Hiſtorikern find beſonders bie älteſten Florent 
ner, Malespini, Giovanni Villani u. A., auch in dieſem Stücke mil 
den Logographen zu vergleichen. 


2) Zu den Hauptquellen über dieſen Zweig der alten Literatur ge 
hören die Liebesgeſchichten von Plutarch und Parthenios, ſowi 
Athen. XIV, p. 6188qq. Bol. K. O. Müller Literaturgeſch. Th.! 
©. 365 fg. Ganz beſonderes Verdienſt aber hat ſich Gervinus hier 
um erworben, im zweiten Bande ſeiner deutſchen Literaturgeſchichte. 


9) Letzteres namentlich in der frühern Hälfte feiner Geſchichte, wäl 
rend es in der jpätern die Gefpräche thun. 


6. 4: Sokrates, | 273 


weder zu Herrichen, noch beherrſcht zu werden: da vers 
ihm Sokrates, zwiſchen Herrfchaft und Dienftbarfeit 
ter Menfchen Fein Drittes möglich. Wer nicht Andere 
he, werde felbft gefnechtet ). Auch dieß erinnert an 
dides! 


Mem. II, 1, 9“ Nensk hi 


Kali nopinzchisip "ia ann Biiceind?t 


HIRO I TU} /AHS 73 CE Aue Fi Uhac) Bu PD Bu Ti FIR ê 1 Be LO FT BD 6) #92 
n 2 end AITEE wa — 
as SW 48. 197 na nlerdtag ι a 
u Po ni Bad dl ⏑  .md 
Me ai ne irin. a 152 
nn. Band BERG TE er sell 
Bel ft A a ST ehlzut al 
Bea! ir Brit Irland it) ik 
ar pa hin I weht lb 
sel il era Igel 


1,3 
oondynipugul 299% 


else M— 
jinnıdan md dnppmnamngeg Jones din 


isn. on am m gro? I 
oe ben vi db MN June > 
Aline wand og ng) 9 rs 

I asian I NER GC 


18* 


Weuntes Kapitel. 
Thufydides und die gleichzeitigen Siftorif 


Igqh Habe ſchon im Vorigen Hei jebem wichtigen Ch 
zuge des Thukydides Darzuftellen gefuht, mie er all 
von den Frühern vorbereitet, von den Spätern berlaffe 
den. Der Lefer wird jedoch wünfchen, auch im Ganyı 
den gleichzeitigen Beitrebungen im Felde der Gefchich 
überfichtliches Bild zu gewinnen, — Die griechifchen $ 
fer nun, welche die zmeite Hälfte des fünften Jahrhi 
ausfüllen, laſſen fih in drei verfchiedene Gruppen | 
letzte Fortfeer der alten Logographie, eigentlich wife 
liche Hiftoriker, endlich Memoirenfchreiber, 


8. 1. 


Letzte Logographen °). 


Alle Tendenzen der frühern Logographie fehe 
noch einmal zufammengefaft du Hellanifı 


) Was bie Logographen im Allgemeinen charakterifirt, ı 
als bekannt vorausfegen. Ich will bier nur die perſönliche 
teriftil der legten von ihnen mittheilen. 

2) 496 v. Chr. — wenigftens 411. 

"ei 


$. 4. : Hellanitpe. . 277 


zahlloſen Titel feiner Schriften. lafſen ſich ohne Zwang 
ein einziges großes. Werk zurückführen. Zu At 
mochte die eigentliche Götterſage ſtehen; hierauf 
eſchichte der einzelnen Länder folgen, von der Diythens 
ı bi8. auf die Gegenwart, herab, und ‚Die perfünlichen 
des Hellanikos. Alle herkömmlichen Beſtandtheile der 
raphie, die Reiſebeſchreibungen, die Länder= und Völ⸗ 
älde, . die Bründungsgeſchichten, die Genenlogien und 
Freife, Tagen hier neben einander. Ein chronologiſches 
‚ aus den Herapriefterinnen ‚von Argos und den karnei⸗ 
Siegen geflochten,. hielt das Ganze zuſammen !), — 
vie, freilich? Die Zerſtörung von Troja fol im acht 
ı Regieruugsjahre des Agamemnon, im erften Jahre 
emophon erfolgt fein; ſogar den Monat wußte der ges 
Mann anzugeben 2). In der Gefchichte des Areopags 

die Prozeſſe des Areq und Poſeidon, des Kephalos, 
idalos und Qreſtes in chronologiſcher Folge nach Men⸗ 
ern aufgeführt 3), Wie es chronolagiſirenden Sagenſchrei⸗ 
ar häufig ergeht, ſo war auch Hellanikos gezwungen, 
mehrere, Sardangpale anzunehmen ). — Seine My⸗ 





Die Ars zoAvrozia mochte zur Götterſage gehören. Die Nas 
ira, zepi Agradiag, Acunıs und .Bowriaxa, "Ass und 
%, levzalıomeia und Oetralırd, regi Xiou xtioeos, Kunyara, 
i, Towına erklären fich fo von felber. Die Abfchnitte über Xes 
den "Ammonszug, Lydien, Perfien, Skythien, Phönikien flans 
uthlich zufammen, und gaben fo zu den Namen Papßapıza vo- 
gb EIvüv, Edvow ovonaucios Anlaß. “Ioroplas, arioeıs Eonnte das - 
erk genannt werden. Die Namen Karneoniten und Heraprieſte⸗ 
nd aus den chronalogifchen Angaben entftanden. Nur den Titel 
weiß ich nicht recht zu rubriciren. 

Euseb. Pr. Ev. X, 12. 

Sschol. Eurip. Orest. 1648. 


5schol. Arist. Ayes 1022, 


\) 


. 282 Thukydides. Kap. 9. 


"Den nächſten Uebergang zu der wiſſenſchaftlichen SHifterk: 
Bilden der Sikeliote Antiochos und der Lydier Xauthos. 
 Antioh os!) genießt bei den Spätern, mie bei Die. 
uoflod und Strabon, keines geringen Anſehens. An Ems 
Beobachtung der Volksnaturen ſcheint er dem Herodot nik 
ferne zu fichen. Bon den Mythen, verſprach er, a me 
vara xal vapeorera nudzulefen; er redete jedoch won Italch 
Morges, Sikelos ganz wie von Hiftorifchen Berfonen ?). Auf k 
hatte ex wohl fchwerlich In Thukydides Art das frühere Ali 
thum durchforſcht, wie feine ignorante Vermuthung über da 
Urſpruug des Helotenweſens ahnen läßt ). Das Hauptum 
dienſt des Antiochos beruhet darin, einen Gegenſtaud für 
Geſchichte gewählt zu haben, der einerſeits zinifchen den Stil: 
und Univerſalhiſtorien der Frühern die. rechte Mitte hielt, u 
der zugleich ſeiner Natur nach den größten Theil der —* 
periode ausſchloß. 
Zu den ſonderbarſten Erſcheinungen rechne ich den Xaut4 
508, den Zeitgenofjen und Unterthan Artaxerxes I. 2) N 
Xanthos Indifcher Gefchichte ſehen wir die gefchmacklofeim 
Barbarismen des Drients mit den ſchönſten Anfängen mei 
echt mifjenfchaftlichen Kritif vereinigt... Bald wird won enek 
Könige Kambles erzählt, er habe unverfehend feine Frau übe 
Nacht weripeift, noch Bei Tagesanbruch ihre Hand in feines 
Munde geſunden, dann aber aus Gram fich felbft entleibt‘) 













1) Antioches muß nad) 423 noch gelebt haben, indem er feine Ge 
fchicdyte von Italien und Sicilien bis auf die Thronbeſteigung bed MW | 
reios Nothos fortfeste: Diodor. XII, 71. 


?) Dionys. A. R. p. 10. 27. 
3) Strabo VI, p.278. 


% Strabo I,p.85. Nach Dionys De Thuc. iud. 5. etwas ältet, 
als der peloponnefifche Krieg. 


5) Athen. X, 8. 


6. 1. Hellanitos, Phercekydes. 319 


ng. zu fehen (II; 161 fj.)! Dem Hellauikos ſcheint die 
m wichtigften, wie ber Empdrer. Amaſis durch das Ge 
eines ſchöͤnen Kranzes iu Die Nähe des Königs gefoms 
). Auch die ſchönen Kopaisanle durften in feiner böoti⸗ 
Geſchichte nicht vergeſſen werden 2). Ein ſolches Werk 
: freilich) durch Die äußerliche Anfügung: philoſophiſcher 
tionen nicht fehr gebefjert werden 3). 
Ingefähr um. diefelße Zeit, mo Herodoi den Verſuch 
e, die Geſchichte von der Mythe loszureißen, wollte 
'ekydes von Leros umgekehrt bie. Mythe allein behan⸗ 
). Ein beträchtlicher Fortſchritt ohne Zweifel! In dieſem en⸗ 
zebiete num will er erſchöpfend fein. Daß er detaillirter gewe⸗ 
[8 Die meiſten Andern, geht aus Plutarch und Athendos herz 
. Daher aber auch die Kürze und Knappheit ſeiner Erzählung, 
ıtfernt von der Behaglichkeit eines Herodotos. Man ficht, 
taffe des Stoffed drängt ihn), — Nur ein einziges 
nt feines Buches fcheint breiter entwicelt zu fein. Phe⸗ 
3 -winmelte nämlih, in noch höherm Grade beinabe, 
erodot, von novelliftifchen und ſchwankartigen Epifodien. 
e liebliche Novelle von Kephalos und Prokris (fr. 25.), 
Relampus und feinen Geſchlechte (p: 118fg.. 124.) ; Der 
me von Siſyphos (41.), von. Kalchas ‚und Mopſos 


— — —— — 


Athen. p. 680 B. 
Schol. Arist. Lysistr. 36. 


Rad) Arrian. Dissertt, Epictt. II, 19. Gellius N. A. I, 
e Hellanikos alle Dinge in drei Kategorien getheilt, in gute, wo⸗ 
Zugenden, in böfe, wozu bie Lafter gehörten, endlich in gleich⸗ 
‚wie 3. B. Gefundheit, Reichthum, Vergnügen u. f. w. 


Etwa 485 v. Chr. — 400. 
Pherecydes ed. Sturz, p. 199 und fr. 61. 
Bol. Perfeus Medufenfahrt fr. 10, und Schol. Eurip. Al- 


254 Tdbhulhydides. Kap. 9. 


für die feihere Geſchihe des Drients nicht genug I 
werden. 


8. 2. 
Herodoth). 

Herodot trägt den Geiſt der perſiſch en Zeit, N) 
er nur die letzten Perioden derfelben eigentlich erlebt hat, 
ähnliche Welfe in fih, wie Thukydides den der peri 
Then. Er ift mit Pindar und Aefchylos fo nahe ven: 
wie dieſer mit Ariftophanes. Sophokles ſteht in der 
zwiſchen beiden. 

Die gewöhnliche Behauptung , daß Herodot's Eoı 
tion einen epiſchen Charakter befige 2), iſt allerding 
ſehr zu modificiren. Der’ ganze Plan diefes Hiſtorikers 
ſich Bis in die kleinſten Epiſodien Hineln verfolgen läßt, 
nert auf das lebhafteſte an die Tragödie. "Bor Allen ı 
Tragödie des Sophokles. — Aber das iſt doch wahr, 
Thukydides gehalten, beſitzt Herodot noch viel Epiſches. 
konnte auch Aeſchylos noch ſagen, er eſſe die Broſamen 
vom Tiſche des Homeros fielen; Sophokles nicht mehr. 
unerbittlich feſt Halt Thukydides ſeinen Faden! Und He 
verſichert ſelbſt, ſeine Geſchichte gehe von vorn herein au 
ſchweifungen aus (IV, 30.). Bei Thukydides wird von 
weder Perſon Nichts weiter berichtet, als was zum Fort, 
des Werkes unentbehrlich iſt. Dei Herodot dagegen erl 
wir ein mehr oder weniger vollſtändiges Bild von alle: 
benöverhältnifien des Helden. Der Baum feiner Geld 


1) Dal. oben ©. 113—122. 


2) Am breiteften ausgeführt von Böttiger: De historia 
dotea ad carminis epici indolem propius accedente. Am w 
lichften vom Abbe Geinoz: Memoires de Pacadé mie des in 
tions, XXIII, 


- 


"She Pherckyres. 282 


thenwelt behandelt, fo iſt es nicht zu verwundern, daß er 
chärfer kritiſitt, mehr in. ein Ganzes bringt, als ſeine 
gänger. Und doch Hatten auch dieſe ſchon verſucht, die 
terſage jedes Barbarenlandes mit der helleniſchen zuſam⸗ 
uarbeiten. Pherekydes findet z. B., daß Bei Kadmos for 
, als bei Jaſon Drachenzähne und gehaͤrniſchte Männer 
us erwähnt werden. Sofort argumentirt er, Ares und 
ne hätten von den Zähnen des erlegten Drachen die eine 
te an Aietes gegeben, die andere an Kadmos (fe. 16.). 
n Kadmos von. Hephäftos ein ähnliches Hochzeitsgeſchenk 
t, wie Europa ‘früher von Zeus, ſo ſchließt Pherekydes 
ich, es ſei wohl:daffelbe gewefen, das eigentlich. Europa 
men, dann aber dem Kadmos überlaffen habe (p. 108.) 
er Anftößigkeiten in. der Sage trifft, . wie der Leda ches 
rifche Erzeugung (?), da fpielt ex nur von ferne darauf 
divirreras: fr. 8.). Den ceiferfüchtigen Zorn der Hera 
er Häufig zu umgehen. Nicht Hera fol die Schlangen 
e Wiege des Eleinen Herakles gefandt Haben,. fondern 
ſitrvon (p. 101.). Nicht ala Feindinn, ſondern als Bes 
rim tritt fie dem jungen. Dionyfod gegenüber 1). — 
fein aber Pherekydes zu argumentiren verficht, davon 
am deutlichten die Art und Weile, auf die er des Ajas 
[he Abfunft beſtreitet. Ajas follte Kein Aeginete mehr 
a, follte Athener fein. Darum mußte fein Bater Tela⸗ 
ein Sohn des Aktäos (Ufermann) und der. Slaufe 
e), die Glauke wieder eine Tochter des Kychreus fein 
rea — Salamis), aljo eine Autochthon von Gala= 


0 


— — 6 — — 


Hysin. Poet. astr. Il, 21: p. 395. Doch auch hierin keine 
ıenz! (fr. 34 und p. 177. Sturz.). “ | | 


Vgl. Schöll zum Herodot VIII, 64. . 


288 Thukydides. Kap. 9. 


Athenãos ; Thukydides dagegen,herb und feurig, wie 
falernifche Wein, bel. Cicero. Nirgends finden wir 
ſchone Regel herrlichet bethätigt, daß Triumphe mit Am 
Niederlagen mit Würde vrüſſen erzählt werden. Wer iſt 
muthiger, als der Geſchichiſchreiber des Perſerkrieges ? 
majeſtutſſcher, als der des pelopomnefifchen:?:i : 

vius auf· der einen Seite; ein Sallaftı: 





ch Infen fc au) Bei, Qerakor nach 5 ——— 
das, Wahſen und Vergehen menflicer, Berhältpiie,.. 
den influß ber Einzelnen, ‚auf, jolhe ‚Boraänge,, über 
Rest. deß Staͤrkern und Achnliches wicht, 1 DaB fü 
biefen, minder klar mb efequient augentbeiet, fing 
minder, innig mit, der ung „verbunden, , ‚oft, nur ‚ale 
theile, ‚nicht felten "a eiſpiele mit einer; ‚non 9 
werbung angefiigt. ug derodot iſt bem 53 
ſachend die Saale ber.: ‚Saubeinben a erkt art 
















beſtimmter u weicher, "Gerade fü. auch Haſcholo⸗ 
Vergleiche v mit. Sopofies > ‚Heil biefe ‚Mönner gleid 
Übermenfcjlihe Inſtanzen . appelfiven ihen fie auch 
* Anaß, ‚nach; ‚einer, ſcharfen Zejchmim "Char 

binzufteben. —— ‚Die, Stärfe des Herodot, üwie ſchon 
geſagi, äufert ſich haupiſachtich In ber. Säildering der V 
naturen und Gefchlechtöverfchicdenheiten 1). Er fteht hier 
der Naturgeſchichte näher, die ja auch nicht mit Indivi 
fordern m nur mit Gattungen‘ gr Yun haben will Er Ant 

TB 









nat vu. 
2) Denfelben Unterfchieb hat Leſſing im —8 auf Poeſ 


S. 4. Antiochos. Rauthos. 285 


> Hingeien wird bie -Stammberemdtfdhaft der Myſſer und 
er durch ihre Sprachverwanbtfchaft nachgeiviefen Y)..: Yay 
ommen Vergleichungen vor, dag ſich das Tyrcheniſche 
Lydiſchen etwa fo verhalte, wie das Doriſche zum Joni⸗ 
2). Alle Charakterzüge: des tief geſunkenen Lydiervolkes 
ten auch bei Kanthog durch: ſeine Weichlichkeit, .. feine 
erpracht, ſein knechtiſcher Sinn, Ber mit Mein lſchen Wahr. 
ı, kleinlichen Euiſiellungen den Swen 28, 
ı möchte3). . Dazu ein Progmatifcjes Umbeutept 
mie cz die Selenifigen Gcfätätfeißer Enum ft vn 
Zeiten angewandt, "Die Niobe z. B. rühmt si ihrer 
x gegen Leto. Zur Strafe, dafür komuit he Semapt 
er Jagd um; ihr Vater eutrenut gegen fle won blut 
verifcher Liebe, Da fie ihn abgewieſen, fo eimordel er 
Rinder Bei einem Seftmahle, Sie ſelbſi, von Gram ers 
ſtürzt ſich von einem Felfen ‚herab H. Wir haben einen 
iſirten Lydier por und, und das lydiſche Bolt ſtand 
18 im Greiſenalter SI. — Dieſes Pragmatiſtren in 
e der ſpätern Zeit iſt denn auch wohl die Haupiurſache, 
ilb Dionnfios von. allen Sogogeaphen den Xanthos am 
en achtet. Er kann in der That, Fee, wie Kicſiab 











Strab. XII, p. 857. 
Dion. A..R. I, 28. 


Dgl. beſonders hie Geſchichte vom Kroſes und Kyros bei Nis 
3 von Damask, die ic im Wefentlichen durchaus für Xanthiſch 
muß. 


Parth. Erot. 33, 


Auch andere Völker des antiken Orients haben ihren Hiſtoriker 
unden, nachdem ihe felbfländiges Leben vorüber war.:» Ich :erins 
ı Manethos uud Beroſos. Selbſt dem Kalifate ift es nicht viel 
gegangen. Br 


2883 Thukydides. Kap. 9. 


brechung geben wollen: fo Haben es Thukydides und Ser 
kles verftanden, Geſchichte und Trauerſpiel in eine Sphär 
rücken, wo fie der komiſchen Folie nicht mehr bedürfen i). 
Dafür iſt Herodot aber ein Volkobuch geworden, von Je 
geliebt, der die Muſen nicht haßte; den Thukydides haben 
lezeit nur Diejenigen bewundert, welche Vergangenheit 
Zukunft und die menſchliche Natur in beiden klar zu erker 
begehrten. Alſo keine zahlreiche Menſchenklaſſe! 

Thukydides umfaßt nur fein Vaterland, Heradot 
Welt, fo weit ſie ihm ofſen lag. Thukydides handelt 
von einigen Jahrzehenden, Herodot von ebenſo vielen J 
hunderten. Sch muß hier einem weit verbreiteten Irrth 
in den:WVeg treten. Man Hört fo oft, das frühere Alter 
Gabe keine Univerfalgefhiähten. :: Aber „mas iſt Uni 
falgefhihte? Doc immer etwas fehr, Relativest auch 
heutige Wiſſenſchaft kann u. A, das innere Afrika, das. Al 
Amerika auf Feine Weiſe darin aufnehmen, Kusmder Welt 
ger gar nicht einmal zu gedenken. . Univerſalhiſtoriſch nenne 
daher jedes Werk, welches Die ganze Summe der. vorban 
nen hiltorifchen Kenntniß zu verarbeiten ſucht. Faſt jede 
ſchichtsliteratur beginnt und ſchließt wit, Univerſalgeſchich 
Die höchſten Meiſterwerke pflegen da erſchaffen zu werden, 
fi) univerfale Vorſtudien und fpeciale Beſchränkung auf 
nen Gegenftand vereinigen. — Bei den Hellenen find 
Logographen viel umiverfaler, als Heredot, Herodot mi 
univerſaler, als Thukydides. Xenophou nimmt von Ne 
dieſe Richtung auf. Das erſte Buch: feiner Hellenifa ı 
Bald vorn Medien, Bald vun Karthago, aber Int Verlanfe 
ned Werkes wird er deſſen überdrüſſig. Die Iſokratiker 


— —— — — — 


1) Freilich hat auch Sophokles Satyrn gedichtet, in denen es 
Theil drolliger herging, als die Meiſten glauben. Aber jedenfalls, 
fie zur Folie zuſammenhängender Trilogien anzuwenden. 


8.2. Ser. 285 


de wie 28 im homeriſchen Epos: der Fall ift, wächſt gleich⸗ 
nach allen Seiten hin über: Auch im Epos nimmt bei 
Spätere das epiſodiſche Element ab. Und ſelbſt in Der 
- tt derſelbe Fortgang bemerklich. Simonides yon: Keos 
das Epiſodiſche, wogegen Pindar ſtreng am Thema hält. 
chaupt iſt die milde, mur in wittlerer Höheneinherſchrei⸗ 
Mauier des Simonides, die mehr. zu rühren, als hinzu⸗ 
t verficht, mit der. pindariſchen ganz ähnlich: gu; vergleia 
wie Herodot mit Thukydides. Der ſanfte, friedlich ethi⸗ 
e Vatchvtdes wüůrde alsdami ah Xcnophon euiſprechen. 
ſreuzer "hät" die! erſte,imrcht cchntgraphiſche Ghitfte DER 
yot beit Abcnteucin bes Ddyſſeus verglichen, ‚ine ‚Quelle, 
kricgertſche⸗ aan Beldenthaten "niit Aion, 166 chfait 
ein —— Leſer ans "Dein — — ein" Grfuͤhl bes 
her Benurweinug des preſthenꝰ Setberrkanpfeh" zwüůck⸗ 
en ; “arg” dem · Thukydides 'en ernſtes ; "beinahe wehmuͤthi⸗ 
tadfhen übir bie Srrgärtgfiiägteit der perikleiſchen Größe, 
die dorneẽhmſtet Eindrucke Het ber” tragtfehen‘,” dort: Ber 
m Leere 1°" Daride jagt —— ‚de Schöpfun⸗ 
eider Hiſtortker ſeien ſchbne, "aber" bie 'Shihät‘ tes S 
ei eine ftöhliche die des Andbern eine‘ furchtbarte 1). 
das Ethoß des Herbbot, Aka tithos des Sur 
> Cie‘ verſteiſht em: Erſth au ter‘ Spiegekft 
wuhig dahln hiehenden Surbuies 33wet Lehttre⸗ "tagt" 
von tebegeuſchen Thaten neſitringegeſcaig. I Ber Be 
mingewürdig be Seitfaflpe ‚Herobnt L; 1a sent 8. el 


ALUF “il. FE, J iii ur In 


—— m kHz BET —* —* * RE 

TER ITI EG ARS F α , 
Dicnys De 2 Thuaya. ‚B) an: pe) Sl sl. Mir 7 
Id. De vet. script. cens. p. 435. — Nah %. W. von 


gel's geiftvollem Ausdrude: Die Schilderung eigenthümlicher 
ysart und bie Rührung durch Keidenfchaften Bvorleſ über dramat. 
u. Lit. J, S. 159.). ae nr er € 
Bit. Desorstore 12: :,. io. er ll er iffnte € 

\ 


\) 


. 282 Thukydides. Kap. 9. 


"Den nächſten Uebergang zu der wiffenfchaftlichen Hifterk 
Bilden der Sikeliote Antiochos und der Lydier XRanthos. 
Antiochos i) genicht bei den Spätern, wie bei Di 
nyſios und Strabon, keines geringen Anſehens. An Ins 
Beobachtung der Volksnaturen ſcheint er dem Herodot nie 
ferne zu ſtehen. Bon den Miythen, verſprach er, za zum 
vara xal oogeotera audzulefenz; er redete jedoch von talk 
Morges, :Sikelod ganz wie von Biftorifchen Perfonen ?). 3 
hatte ex wohl fchwerlich in Thukydides Art das frühere Altıe 
thum ‚durchforfcht, wie feine ignorante Vermuthung über dat 
Urſpruug des Helotenweſens ahnen läßt 2). Das Haupt 
dienſt des Antiochos beruhet darin, einen Gegenſtaud für fg 
Sefchichte gewählt zu haben, der einerfeitd zwifchen den Stal 
und Univerfalbiftorien.der Frühern die. rechte Mlitte hielt, ı 
ber zugleich feiner Natur nach den größten Theil der Mythe 
periode ausſchloß. 3 
Zu den fonderbariten Erſcheinungen rechne ich den Fam 
t508, den Zeitgenofien und Unterthan Artarerres I. *). 
Xanthos lydiſcher Gefchichte ſehen wir die —— hen: 
Barbarismen des Orients mit den fehünften Anfängen ein 
echt wiſſenſchaftlichen Kritif vereinigt... Bald mird von eine 
Könige Kambles erzählt, er Habe unverfehens feine Frau übe 
Nacht werfpeift, noch Bei Tagesanbruch ihre Hand im feinen 
Munde gefunden, dann aber aus Gram fich felbft entleibt ) 

























1) Antiochos muß nad) 423 noch gelebt haben, indem er feine Ge 
fchihte von Italien und Sicilien bis auf die Thronbeſteigung des Di 
reios Nothos fortfegte: Diodor. XII, 71. i 


2?) Dionys. A. R. p. 10. 27. | 
3) Strabo VI, p.278. 


') Strabo I,p.85. Nach Dionys. De Thuc. iud. 5. etwas ältt | 
als der peloponneftifche Krieg. \ 


5) Athen. X, 8 


6. 2. Herodot. | 287 


anze Charakierzug hängt mieder ‚auf: dab Innigſte zuſam⸗ 
mit dem Reichthume bes Herodot an. vanurhiſtorijchen und 
aphiſchen Clementen 1). Ä .f 
Freilich fcheint:.ed. auch dem Serobat athwenbig von 
Dfen Dingen fo. wenig als möglich zu Bandeln (EI, 55.9 
er dieſen Vorſatz aber wohl duch ?::,,.umuilt hengt es 
men, daß er. ſo voll iſt von Bewundorung des menſchli⸗ 
Wechſels,“ während Thukydides dieſen: Wechſel. nur end 
rn, An das! feinſte pſycholvgiſche Detail hinein ſchildern 
2. Die Verwuiderung.pflegt abzunehmen, TE miedie 
niß zunimmt.In all dieſen Stücken/hat fich. Thnkydi⸗ 
on dem vielerler Ungemiffer, Das Herodot. xoch ent 
mußte, ifrei gemacht. Sein: Werk kaun wenigerisuges 
It werden. Xenophon schlägt. wieder die umgekehrte 
ng ent :Schhitdte abfichtliche Kicimt.verfchmäht.er fd 
, daß er: ganze Werke, die Kyrupädie, den Hieron, auf 
eten Grundlagenaufführt. Wie Herodot feine. Novellen 
ſo auch Kenephon: wieder Mobelletten., .:. durch die er die 
iche Strenge: der Hiſtorie bisweilen: zu, mildern ſucht 
‚äßrend insbeſondere Herodot in ſeinen Schwänken; Aet 
; m. feinen: Sachen threm Eruſtenine heiter Unter⸗ 


..19 nd Een: BE rn 


m e J i m. ... Ber un 5; if % 5 
vuͤrchgeflthet, Ste beiten Künfte iwelche vn Schäichte nin Ru: 
nſchaft phraliel laufen: Laokoon NE:WIEL :: — :vin.nnepz 


Auch Teſchylos zeigt ſich in · der Charakteriſtik ——68 
Perſer, der Erinnyen, der Okeaniden u. ſuwr, niel glũcklicher⸗ 
der Zeichnung von Individſalitäten. D 

Zendenz „bieten feine Schusflehenden, "po bie Sauptperfon des 
der Chor iſt. Hieraus“ erkläitt! ſich benn Feine große Stärke ik, 
hiſchen Schilderungen, freilich auch feine Ueberladung mit geo⸗ 
hen Namen: vgl. Arist. Ranae 955 cum Schol. 


Xenoph. Anap., vu, 4 7.umd. Äfket..; 1. 


Auch im ‚Intern: den Tragödie or: man die nur an, dis be⸗ 
Stelle in ben Ehoephonen 732 ff. —0 


284 Thukydides. Kap. 9. . 


für die feühere Geſchihte des Drients nich genug | 
werden. 


8.2. 
Heröbot!) 


Herodot trägt den Geift der perfifhen Zeit, o 
er nur die letzten Perioden derfelben eigentlich exlebt Hat, 
ähnliche Welfe in fih, wie Thukydides den der peri 
Then. Gr ift mit Pindar und Aeſchylos fo nahe ven 
wie Diefer mit Ariftophanes, Sophokles ſteht in der 
zwiſchen beiden. 

Die gewöhnliche Behauptung, daß Herodot's En 
tion einen epifchen Charakter befige 2), iſt allerbing 
ſehr zu modifieiren. Der’ gänze Plan diefes Hiſtorikers 
fi) bis in Die kleinſten Epiſodien Hineln verfolgen läßt, 
nert auf das lebhafteſte ai Die Tragddie. Vor Allen 
Tragödie des Sophokles. — Aber das fft doch wahr, 
Thukydides gehalten, beſitzt Herodot noch viel Epiſches. 
konnte auch Aefchylos noch fagen, er eſſe die Drofamen 
von Tifche des Homeros fielen; Sophokles nicht mehr. 
unerbittlich feft halt Thufydides feinen Faden! Und He 
verfichert felbft, feine Gefchichte gehe von vorn herein au 
fhweifungen aus (IV, 30.). Bei Thukydides wird bon 
weder Berfon Nichts weiter berichtet, als was zum ort 
des Werkes unentbehrlich it. Bei Herodot dagegen el 
wir ein mehr oder weniger vollftändiges Bild von alle 
bensverhältniſſen des Helden. Der Baum feiner Geld 


1) Bol. oben ©. 113—122. 


2) Am breiteften ausgeführt von Böttiger: De historia 
dotea ad carminis epici indolem propius accedente. Am w 
lihften vom Abbe Scinoz: Memoires de Vacademie des ir 
tions, XXIII, 


= 


. 2. Getodot. 089 


r Mitte! 


Immerhin mag die Herbeiſchaffung ſeines Stoffe vem 
3ot größere Muhe gekoſtet haben: am der, Verarbei— 
j diefes Stoffes hat Thukydides mehr gethan. Hexodot 
Alles ; mag: peiß, ſogar was er ſelbſt, für unglauhblich 
): Thukypines mur eine firenge Auswahl. _ . Auch hie 
mung des harodoteiſchen Werkes, ſo aeſuch ſie iſt, 
hoch, an künſſleriſchex Verflechtung, ‚an überlegter Durche 
keit mit Ron: hukydides nicht ‚be Jispen. ‚werden, ,. 6 
tzu -den-shönfgn Figenthuͤmuichteiten der. helleuſſchen Ah 
rgeſchichte daf ig, Echrjltſteller der. Bejjon, Zeit-fich June 
Ibſt wollen, den Zigel anlegen. Sie heftiger bie: Leidenr 

.:. Veto Künflicheg, uind ¶verwicheilch wyprde wie, San, 
einfachen. Empfundungen der ioniſchen Zyriker entſyricht 
ijache Foym des elegiſchen Diftichonds.. 2 Dog Iebendiggre 
der äoljſchen Dichten muß ſich ſchon Fünfikjepers: Baude 
æ alfüjfche und ſapphiſche Styophe/ gefallen laſſen, CGhe— 
doxiſche Eyrik,wis ſie den mächtjghen ‚Schonung. hats 
die ſchmwierigſten Mieten, Gerade pbenſo verhält, es 
3% dam Siftonifenn,.,., Bon. den. eriton LKogographen „am 
zie Form Immer. Kinſilicher, big fie, im, Thukydides eine 


ehren zur völligen Univerſalhiſtorie zurück, he 


Kung und Symmehde erlangt, vpon, der wir Naueran 


einen Begriff hahen. Der geiualtige Sturxm ei: thukyr 


en. Geißges ſhedurfte ſolchen Schranken j.- der: Popengr | 


t, die attifhe Biene Kenpphau. weniger· wunias do. 


iei dem Allen jedoch, wer verflanden hat, * nicht im 
1, ſondern im Zuſammenklange der verſchiedenen Töne 
hre Harmonit zu ſuchen iſt, Den wird den Rathſchluß 
klichen⸗ Weis heit preiſen deß dem⸗ sahne ein⸗ nn 


Baur, waiyern IE: os 





"1 Is! Bu 5% 
Bel. VIL, 152. II, 47. 123, 
19 


% 


288 Thulydides. Kap. 9. 


Athenãos ; Thukydides dagegen, herb und feurig, wie 
falernifche Wein, bel. Cicero. Nirgends finden wir 
ſchone Hegel: herrlicher. bethätigt, daß. Triumphe mit Am 
Niederlagen mit Würde vrüſſen erzählt werben. Wer iſt 
muthiger, als ber -Gefchicitfjreiber des Perſerkrieges? 
maeſtatiſcher, als der des pelopomnefifchin:?.:: Selbſt eh 
vius auf· der einen Seite, ein Sallaftı. id Tacitus auf 
andern · lnneu hiermit nich verglichen fern. | J 







bes Rh 
des Taffen ſich auch Bei, „Serohet nachweifen; er, das Br 
daß, ‚Baden, und Bergehem menföhicher,, Berhältni iſen 

d u der Eingzelnen af, jolhe ‚Bor; ange, ? ar 







nur ‚ale 


vn —* Ei; uub ‚are u in, 
de an 





‚Si j 
Binsuftchen. — Die Siirſe des "Gerabet wie ſchen 
geſagt, äußert ſich haupiſachtich in der Schwerung der V 
naturen und Geſchlechtsverſchiedenheiten i). Ex ſteht hier 
der Naturgeſchichte näher, die ja auch nicht mit Indivi 
fondern nur mit Gattungenzır thun haben will 2): Unt 


—98— 











Bar VI, 
2) Denfelben Unterfchieb hat Leſſing im! —8* auf Poeſ 


$. 2. Herodot. S. 3. Memotrenfchreiber. 291 


z. 3. 


Menwirenſchreiber. 


Die Geſchichte der Hellenen, von Reiſebeſchreibung und 
ographie ausgehend, legte im Verlaufe der Zeit immer 
es Gewicht auf die Berfönlichkeiten. Wir haben geſe⸗ 
daß fie das ſchönſte Gleichmaß zwiſchen Detail und 
zwiſchen Abficht und Nothwendigkeit, zwiſchen Indivi⸗ 
und Völkern bei Thukydides erreichte. Schwächere Zeit⸗ 
m gingen nicht über bie Perſonlichkeiten hinaus: einen 
Zuſammenhang zu begreifen, unfähig, blieben fie am 
ten, am Kleinlichen haften. Dich ijt der Anfang des 
chen helleniſchen Memoires, wie es jich unter den Hän⸗ 
ies Jon und Steſimbrotos geſtaltete. Die gleichzeitige 
ie mußte vielfache Anregung dazu gehen ; noch unmittel⸗ 
yatten die Reifenotizen der Logographen darauf geführt. 
one fcheint diefe Mentoirenliteratur an die Novellen des 
t erinnert zu haben. — Der Vollender diefer Gattung 
ophon: feine Memorabilien, fein Gaſtmahl, auch das 
er Aunabaſis, die in. den lebten Büchern faft ganz zur 
iographie des Xenophon wird, bie höchiten Meiſter⸗ 
erſelben im Alterthume. 
on von Chios 1), ein vielſeitig gebildeter Mann, Tra⸗ 
gleich, Lyriker, Philoſoph und Hiſtoriker, ſchricb außer 
ründungsgeſchichte von Chios zwei. eigentlich. memoiri⸗ 
te: "Zriönuias und "Trouvnuare. Jene ftatteten 
ab von dem Aufenthalte berühmter Ausläpter in Ching, 
Zein erſtes Drama: aſchien 82. er kart ui, vor x Ariſte- 
rieden. Seine BlUthezeit fällt alfo von 450 bis 422. Die 
e bat Anaſt. Köpte gefammelt: Berlin 1836, '' 
19 * 


238 Thukydides. Kap. 9. 


brechung geben wollen: fo haben es Thukydides und So 
kles verftanden, Geſchichte und Trauerſpicl in eine Sphär 
rücken, wo fie der komiſchen Folie nicht mehr bedürfen 1), 
Dafür iſt Herodot aber ein Volksbuch geworben, von X 
geliebt,. der die Diufen nicht haßte; den. Thukydides habe 
lezeit nur Diejenigen bewundert, welche Vergangenheit 
Zukunft und Die menſchliche Natur in beiden klar zu era 
begehrten. Alſo keine zahlreiche Menſchenklaſſel 
Thukydides : umfaßt nur fein Vaterland, Herodot 
Welt, fo weit fie ihm offen lag. Thukydides Handelt 
von einigen Jahrzehenden, Herodot von ebenſo vielen J 
hunderten. Ich muß bier einem weit verbreiteten Irrth 
tn den Weg treten, Man hört fo oft, das frühere Alteri 
habe keine Un iverſalgeſchichten. ı: ber maß iſt Uni 
ſalgeſchiche? Doch immer etwas ſehr Relativest auch 
heutige Wiſſenſchaft kann u. A. das innere Afrika, Das. Al 
Amerika auf keine Weiſe darin aufnehmen. Framder Welt 
per garnicht einmal zu gedenken. Univerſalhiſtoriſch nenne 
daher jedes Werk, welches die ganze Summe der. vorhan 
sen hiftorifchen Kenntniß zu verarbeiten ſucht. Faſt jede 
fchichtöliteratur beginnt und ſchließt wit, Uniyerſalgeſchich 
Die Höchften Meiſterwerke pflegen da erfchaffen zu werden, 
fih univerfale Vorftudien und fpeciale Beſchränkung auf 
nen Gegenſtand vereinigen. — Bei den Hellenen find 
Logographen viel umiverfaler, als Herodot, Herodot wi 
univerſaler, als Thukydides. Xenophou nimmt von Ne 
dieſe Richtung auf. Das erſte Buch: feiner Hellenifa .x 
bald von Medien, bald von Karthago, aber Int‘ Verlaufe 
nes Werkes wird er deſſen überdrüſſig. Die Iſokratiker 


— — — — — — 


1) Freilich hat auch Sophokles Satyrn gebichtet, in denen es 
Theil drolliger herging, als die Meiſten glauben. Aber jedenfalls, 
fie zur Folie zufammenhängender. Zrilogien ‚anzuwenden. :.. ° 


$. 3. Ion. Gtefimbratoe. 293 


aben 1); und es ift merkwürdig, in feinen Fragmenten 
Nichts Häufiger vor, als Trinkgefchirre, Trintmanieren, 
teſſen und Aehnliches 2). — Bei dem Allen iſt fein Stil 
chſten Grade leicht und ammıthig, felbft feine kleinen 
e ziemlich harmlos, Nur durfte man nicht allzufeft uf 
Bahrheitöliche bauen: er macht fih z. B. Nichts Dara 
en Sokrates nah Samos reifen zu laſſen 3! | 
tefimbrotos von Thafos 4) fcheint ſich mit Erklärung 
ichter fein Brot verdient zu Haben 5). Außer einer 
über die Myſterien 6) bat ex auch die Geſchichte des 
ites behandelt "I; aber fein vornehmſtes Wat, von 
h gar Häufig benutzt, iſt die Lebensbeſchreibung des 
okles, Thukydides und Perikles. In dieſem Werke 
: er als Anhänger der conſervativen Partei; jedenfalls 
Gegner des Perikles. Eine gemeine Klatſchhiſtorie 
3, die von der Läſterchronik des Perikles ®), von Ki⸗ 
Schweſter Elpinike 9), überhaupt von den Eleinen Süße 


— —— — 


ſt bekannt. Wenn Jon um 444 aus Athen nad) feiner Waters 
ückkehrt, To ſucht Köpke dieß dadurch zu erklären, daß in 
‚mals die Eimonifch=thufgdideifche Partei von ber perikleiſchen 
nd war beſiegt worden. 


Aelian. V. H. II, 41, 4. 

3.8. Athen. X, 426. 

Diog, I, 7. 

Rah Plut. Cimo 4. ein Zeitgenoffe des Kimon. 
Kenoph. Conviv. 3. 

5chol. Apoll. I, 1126. 1304. Etymel. v. ’Idcio«. 


Rach Fulgent, Plancus De antiquo sermone y. Sanda- 
» Vossius De hist. Graecis p. 44. Westerm. 


Plut. Pericl. 13. 36, Athen. XII, p. 689, 
Plnt Cimo 14, 


290 Thukydides. Kap. 9. 


rodot vorangehen, dem Heredot aber ein Thukydides nachf 
gen mußte. 


Noch ein Wörtchen ven der Geſinnung des Thuk 
dides gegen Herodot. Daß er ihm einzelne Irrthün 
vorgeworfen, ſich ſelbſt überhaupt an eigentlich hiſtoriſch 
Werthe höher geſchätzt, habe ich aus J, 20. 22. oben ſch 
zu beweiſen geſucht !). Die vornehmſten Nefultate des Ha 
dot werden jedoch von Thukydides vollkommen gebilligt, | 
Beftätigt e8, daß Im Perferkriege Athen die glänzendſte Re 
gefpielt, ja die Retterinn von Griechenland geweſen; el 
den Themiſtokles, ebenfo entſchieden, "sole Herodet es the 
vor Miltiades und Ariſteides hervortreten. Lauter Wahık 
ten, die nichts weniger ald unbeſtritten waren. Co oft 
rodot anf Ereigniffe nach der platütfchen Schlacht anfpie 
fcheint er Immer das Unheilbringende derſelben vorzugswe 
zu: beachten. - Sollte dieg wirklich eine fletige Lieberzengen 
fein, ſo wilde Thukydides davon allerdings fehr abweiche 
Judeſſen hat Schöll doch vor Kurzem eine große Verli 
des Herodot für den Perikles wahrſcheinlich gemacht: ſo fe 
daß ſelbſt die bekannte Sage von Herodot's ypanathendift 
Vorleſung nicht wenig dadurch unterſtützt wird 2), — Nichts im! 
Welt iſt ſchwerer, als feinen unmittelbaten Vorgänger, feh 
unmittelbaren Nachfolger richtig zu’'Beitetheilen. Doch I 
ſich mit den Worten des Thukydides and die’ größte Kork 
tung vor Herodot vereinbaren, Hekatäos iſt von Serodat ı 
gleich Härter beurtheilt worden. a 


1) Die Stelle IT, Al. wird dagegen wohl ſchwerlich auf den He 
dot zu beziehen ſeinz eher auf den Pherekydes, deſſen Werk äber Att 
am meiſten gab, und hier gewiß panegyriſch lautete. 


2) Schöll Sophofles. Sein Leben und Wirken. &. 118 ff. 


Behntes Kapitel. 
Thufydided und Ariſtophanes '), 


nn nn 


8. 1. 

Literarifche Stellung des Ariftophanes im Allgemeinen. 
Alterthumsfreunde liegt wohl die Trage nah, ob 
arallele zu finden fei zwifchen dem bekannten Entwick—⸗ 
chältnifje der drei großen Tragiker und dem minder ber 
der drei Fomifchen Meiſter. 

18 den Kratinos betrifft, fo iſt er wicht ohne Grund 
hylos der Komödie genannt worden. Ex iſt eö, wel— 
ft den Scherze des Luſtſpiels Die großartige Folie der 
a Dedeutfamkeit unterlegte; ihm muß daher vorzugs⸗ 
ned befannte Gejch des Morychides gegolten haben, 
im Jahre 440 v. Chr. die Verfpottung namhafter 
ı unterfagte. Ehe man ſich an die Deffentlichkeit völ⸗ 
zhnt Hat, wird ihre Benutzung immer lältig fallen, 
ı feheinen die geringeren unter den gleichzeitigen Luſt⸗ 
ern, vor Allen Krates, dem friedlichern, mechr pars 
und allgemein ethifivenden Geifte der altjicilifchen Kos 
euer geblieben zu fein. Dem Kratinod war es Bes 





ie mehr Thukydides und Ariftophanes Zeitgenoſſen, Geiftesvers 
find, je häufiger fie denfelben Stoff behandeln: deſto ſicherer 
aus ihren Verjchiedenheiten auf die Verfchiedenheiten der Hi⸗ 
Poefie überhaupt fehließen. Vgl. oben &. 30 ff, 


a 


292 Thukydides. Kap, 9. 


diefe wahrfcheinlich‘ won den Reifen des Verſaſſers felbit. 
werden denn Gajtmähler befchrieben, woran ein Soph 
ein Kimon Theil nahınen. Wir Hören von dei Liebii 
des Sophokles; von dem fpüttifchen Urtheile, das P 
über feine Feldherrnverdieuſte gefüllt; auch daß er in de 
litik eben nicht ſtärker geweſen, als jeder andere Athener. 
feiner dichteriſchen Herrlichkeit ſcheint nicht Die Rede zu 
Kimon wird gerühmt, nicht als Feldherr oder ala € 
mann, ſondern wegen feiner Höflichkeit "), feines Gef 
feiner fpaßhaften Erzählungen 2). Sein Körperbau mir 
Sorgfalt befchrieben I. — Auf den Perikles war de 
motrenfchreißer übel zu fprechen. Aber was macht .er ihn 
Vorwurfe? Daß er grob gewefen 9), daß ex feinen fan 
Feldzug einmal Über den des Agamemnon geſchätzt he 
Plutarch meint, ald Tragiker habe Jon gelernt, daß de 
dengröße immer ein Sätyrfpiel müſſe angehängt werden. 
her übrigens feine Abneigung gegen Perikles rühre, he 
der boshafte Athenäos verrathen: fie waren Neben 
bei einer ſchönen Korinthierim 6), und der dirigirende 
ſter vermuthlich der Begünſtigte ). Jon ſoll den Tru 


vn ne u nm 


1) Plut. Pericl. 5. 
2) Plut Cimo 9... : 
3) Ibid. 5 

4) Plut.:Pericl. 5: 

' 3) Ibid. 28. 

6) Athen. X, p: 436, 

.)) Idhh will indeffen nicht felbft in Jon's Fehler gerathen. Dies 
für Kimon, die Abneigung wiber Perikles, das Gedicht zum Lobe 
tas (fr. 50.), feine Bewunderung ber lakoniſchen Kürze (Sext. 
A.M. II, 24.): dieſes Alles läßt vermuthen, daß Ion zur ari 
ſchen Partei gehörte. Seine pythagoveifche Philoſophie ſtimmt gu 
überein (fr. 54). Daß Chios damals eine, arifofratifche Ve 


F. 1. Kratinos, Ariftophanes, Cupolis. 297 


"Taokenzddoyog , yromdsöxıng, 2VOINKÖAaELOTO- 
garifm»!), 

Ingercchtigfeit biefer Vowürfe wird und tiefer unten ein⸗ 
1, | 
upolis war an Alter von Ariftophanes wenig verfchie- 
Freilich ijt der Letztere mit ſeinem Erſtlingsgedichte, den 
übern, erſt Olymp. 88, 1. auf bie Bühne getreten 2), 
is hingegen ſchon Olymp: 87, 3.3). Aber Eupolis 
amals auch erſt ſiebzehn Sabre alt). Im Ganzen 
wir gewiß nicht irren, wenn wir den Eupolis als ein 
ed, gelitwolles, aber ſchwächeres Abbild des Ariſtopha⸗ 
zeichnen. Die praktifchen Tendenzen der beiden Komiler 
emlich verwandt: Beide haffen die revolutionären Par⸗ 
ter, Beide züchtigen den neuerwachenden Pietismus, 
verfolgen den Sokrates, Auch Eupolis hat den Phors 
efpeetirt, hat den Kleon megen feiner geftohlenen Siegs⸗ 
en verſpottet. An erfindungsteicher Genialität aber 
er feinem Nebenbuhler nicht gewachfen. upolis Dias 
vird eine directe Nachbildung von Ariftophanes Nittern 
t5), wogegen ihn feine ‚eigene Verfiherung ©), als 
e gerade an Ariftophanes Nittern geholfen, ſchwerlich 
igen Kann, Selbſt der Name Marikas feheint eine Eos 
’ ariftophanffchen Paphlagoniers zu fein. Und es fit 
x Beachten, daß Ariftophanes einen viel bedentendern 
ogen zum Gegenftande. feinge Komik nahm. Eupolis 


nn — — — 


Schol. Platon. p. 330: ed, Bekker. 
Aponym,. De comoedia. 

Meineke Qu. Sc. II, p. 6. 

F. Ranke Vita Aristophanis, p. CXCIII. 
Nubes 553 sqgq. | 


Schol. I. l. Obwohl Kratinos ihm hierin beiftimmte: Schol 
528. 


294 Thukydides. Kap. 9. 


Tichkeiten jener großen Männer 1) gut unterrichtet zu fein be 
hauptete, in der That aber und von wichtigen Dingen ge 
nicht viel zu fagen wußte 2). Ein fpäterer Schriftfteller, Then 
pompos, war freilich ebenſo reich an Skandalen: aber ma 
dbedenke Doch, in welche Zeit Theopompos fiel, in welche Sta 
ſimbrotos! 

Es iſt ſehr zu beklagen, daß wir von ben memoiriſ, 
Arbeiten des berühmten Protagoras fo wenig wiflen?). | 

1 
I, Plut. Themist. 24. 
2) Ibid. 2. 


3) Bgl. Plut. Cons. ad Apoll. 33. 


mn — — — —2— — 


— — chen. ie ee — 


. 1. Literarifche Stellung des Arifiophanes im Allg, 209 


als die des Eupolis. Hat auch die Vorſehung den 
n Theil der Ältern Komödie untergehen laſſen, fo ſcheint 
ch den beiten Theil erhalten zu Haben. 
Nan Hat neuerdings verfucht, den Ariſtophanes zu einem 
yegelianer zu ftempeln, eine Menge von Pſeudophiloſo⸗ 
n und Gefchichtöverdrehungen, - wie fie die, muögenrtete 
he Schule zur Welt bringt, unſerm großen Dichter uns 
yieben. Ein folches Unternehmen richtet fich ſelbſt. Mit 
h höherm Talente hat andererſeits der wortreffliche Lie 
v des attifchen Dramas, -%. ©, Droyfen, den Ari 
108 al8 einen geiftvollen Roue gefhildert, einen Mann 
Srundfähe, ohne Parteiftelung, ohne Vaterlandsliebe, 
zottesfurcht 2), aber fprudelnd von kecker Genialität und 
men fühlg, das Gemeinfte durch der Zauber feiner 
ng zu verflären. Droyſen bat fich nicht gefcheut, den 
hanes mit dem Juden H. Heine zu’ vergleichen 2)! — 
sollte verfennen, daß einige Wahrheit Hierbei zu 
: liegt? Eine tiefere Betrachtung, mem̃e ich gleichwohl, 
a Ariftophanes auffallen als einen der nächſten Geiſtes⸗ 
dten des Thukydides. 

ie Thukydides die Hiſtorie, von Schwank und Mythe 
auf ihr eigentliches Gebiet herüber zog: ſo rühmt ſich 
yaned, Die Komödie von ſpießbürgerlichen und ſagen⸗ 
Stoffen abgewwandt zu Haben 3). Wie Thukydides nur 


— — — 


Droyfen Ueberſetzung des Ariftophanes: Th. I, ©. 263. Th.2, 
Th. 3, ©. 12 ff. 


In feiner befannten Schrift über die Vogel des Ariſtophanes 
Prozeß der Hermokopiden. 


Pax 723 sqq. Noch Kratinos ſchrieb ein Stück, ’Odvooeis, 
eine zum Theil wörtliche, oft fogar herametrifche Parodie der 
en Kyklopeia war, Nach Eh. Bergk's gelungener Vermu⸗ 
derfelben Zeit, wo das Geſetz bed Morychides feinem böhern . 


236 Thufgpioed. Kap. 10. 


dürfniß, Die ganze Welt in den Kreis feiner Darſtellunge 
aufzunehmen, die Komödie eben dadurch zur wahrhaften Ur 
verfalität emporzuheben. - So hat er in feinen Eumeniden d 
nämlichen Zweck verfolgt, welcher der äfchyleifchen Oreſtie 
Grunde liegt: das Ichte Bollwerk der eonferbativen Staa 
verfaſſung, den beiligen Areopagod, wider die Angrifie : 
Revolutionspartei in. Schul zu nehmen. So haben feine | 
felze und feine Reichthümer den Verfall des Staates zum ( 
genftande, in ſcharfer Oppoſition mit der vermeintlichen Hi 
lichkeit der folonifchen Periode. Die Deliaden und der ⁊ 
phonios, die Thrakerinnen und die Idäer beleuchten das S 
Een ter alten Religioſität, welche durch einheimifchen A 
glauben und dur) Aufnahme barbarifcher Cerimonien glei 
ſehr verderbt werten war. In den Euniden wird die m 
niodige Muſik verſpottet, in den Panopten die neumod 
Philoſophie, in den Chironen die neumodige Erziehung, 
den Weichlingen der ganze Charakter der neumodigen Lehe 
weife 1). — Ein gewaltiger Vorgänger des Ariſtophane 
wenn er auch in der Pytine, am Abend feines Lebens, ! 
es den Greifen wohl zu achen pflegt, eben dieſen Ariſtopl 
nes, den Vollender deſſen, was er fel6ft begonnen, ala! 
Verderber der Komödie zu geißeln verſuchte. Ariſtophanes 
nerſeits iſt gerechter: einem brauſenden Strome vergleicht 
ihn, der unter dem Beifallsſturme des Volkes durch's Gef 
fich ergießt, feine Ufer unterwühlt, und Eichen, Plate 
und Reinde, aus der Wurzel gchoben, mit fich forteeigt ?) 

Diefer Aeſchylos Der Komödie Hätte nun gar zu gem 
Ariſtephanes ald einen komiſchen Euripides geſchild 
In der Pytine des Erſtern heißt Ariſtophanes geradezu: 

1) Ich ſtuütze mich in ber Inhaltsangabe dieſer Stücke hauptſäc 
auf die ebenſo gelehrten, als ſcharfſinnigen Unterſuchungen von Th 
dor Bergk: Commentationes de reliquiis comoediae Atticae : 
quse: 1838. 

2) Arist. Equitt. 526 sqq. 


$. 1. Kratinos, Ariftophanes, Cupolis. 297 


— Troltneöloyag , ; owduixeng, evgoınsöagıoro- 
“ garifm»!). 

Je Ungerechtigkeit dieſer Vorwürfe wird uns tiefer unten ein⸗ 
uchten. | 

Eupolis war an Alter von Ariſtophanes wenig verſchie⸗ 
ih. Freilich iſt der Letztere mit ſeinem Erſilingsgedichte, den 
lechbrüdern, erſt Olymp. 88, 1. auf bie Bühne getreten 2), 
apolis Hingegen ſchon Ofymy: 87, 3.2). Aber Eupolis 
Kit damals auch exit‘ ſiebzehn Zahre alt). Im Ganzer 
jeden wir gewiß nicht fixen, wenn wir den Eupolis als ein 
hnliches , geiſtvolles, aber ſchwächeres Abbild des Ariſtopha⸗ 
#8 bezeichnen. Die praktiſchen Tendenzen der beiden Komiker 
Rt ziemifich verwandt: Beide haffen die revolutionären Bars 
Biupter, Beide züchtigen den neuerwachenden Pietismus, 
Side verfolgen den Sokrates. Auch Eupolis hat den Phors 
nion vefpectirt, hat den Kleon wegen feiner geftohlenen Siegs⸗ 
orbeeren verfpottet. An erfindungsteichee Genialität aber 
heint er feinem Nebenbuhler nicht gemachfen. Eupolis Mas 
fag wird eine directe Nachbildung von Ariftophanes Ritter 
mannt 5), wogegen ihn feine ‚eigene Verfiherung $), als 
Ibe er gerade an Ariſtophanes Rittern geholfen, ſchwerlich 
ttheidigen Fan. Selbſt der Name Marikas fcheint eine Eos 
e des ariitophanifchen Paphlagoniers zu fein. Und es fjt 
ohl zu beachten, daß Ariftophanes einen viel bedeutendern 
'enagogen zum Gegenſtande feiner Komik nahm. Eupolis 


— — —— —— — — 


1) Schol. Platon. p. 330: ed. Bekker. 

?) Aponym. De comoedia. 

3) Meineke Qu. Sc. II, p. 6. 

4) F. Ranke Vita Aristophanis, p. CXCIII. 

5) Nubes 553 sqgq. | 

6%) Schol. I. 1, Obwohl Kratinos ihm hierin beiftimmte: Schol 
juitt. 528. | 


298 Thukydides. Kap. 10, 


ganze Phantafie war mehr an die Wirklichkeit gefefielt: 
rend Ariſtophaues z. B. in feinen Nittern dem Kleon jung 
felbiterfundenen Wurſthändler gegenüberſtellt, vielleicht wa 
kühnſte und geiſtvollſte Gebilde der komiſchen Dichtung übe 
haupt; fo feheint in Eupolis Marikas der Demagoge Gypm 
bolos nur von feinem wirklichen Gegner, den Nikias, WE, 
kämpft worden zu fein, der für die Komödie wohl uicht I F 
fonder8 geeignet war 1). Auch gu Feinheit, glaube ich, fü in J. 
er dent Ariſtophanes nach. Wenigſtens den Sokrates {da 
er mehr geradezu injurirt, als eigentlich perſiflirt zu BEN 
In einen feiner früheften Stücke, den Profpaltiern, w 
Eupolis die Prozeßwuth des athentfchen Volkes züchtigte, miß 
er noch gar Manches von der Rohheit der altmegariihen 
Schule beibehalten Haben, wie Arijtophanes ihm vorwirft) 
und er felbft nicht undentlich eingeftanden hatt). Zu gleiche F 
Zeit aber fehe ich aus den Fragmenten feiner Schmeichler, ba 

Eupolis ſchon weit mehr in's Allgemeine hinein ethiſirt habe 

muß, als Ariſtophaues; inſofern alſo der mienandrifchen Io 

mödie näher fieht. Dazu kommt noch, wie Platonios tes $ 
fihert, daß Eupolis auch der Parabafe, jenem Kerne da bh 
tern Luſtſpielb, viel weniger Raum- vergönnt hat, als il. 
Frühern 5). — Zwiſchen diefen Gegenfäten nun des Eupol, 
und des Kratinod feheint Ariftophanes in der fchönften Dit k 
zu ſtehen. Mit der Rauhheit, den Feuer des Kratincd weh 
er die Grazie des Eupolis zu verbinden. Seine Compoſitien 

it gelungener, als die des Kratinos, feine Polemik vente | 
















— [mn — —— — 


) Th. Bergk Commentatt. p. 355 sqyq» 


2) Schol. Nubes 97. 179. Bgl. das Fragment bei Olympie 
dor 3. Platon’s Phadon c. 14. 


3) Nubes 358: Schol. 
4) Bgl. Th. Bergk 1. 1. p. 359. 


>) Platonius De charact. com, 


5. 1. Literariſche Stellung des Ariſtophanes im Allg. 209 


als die des Eupolis. Hat auch die Vorfehung den 
ten Theil der ältern Komödie untergehen laſſen, jo jcheint 
och den beſten Theil erhalten zu Haben. | 
Man hat neuerdings verfucht, den Ariſtophanes zu einem 
zhegelianer zu ſtempeln, eine Menge von Pſeudophiloſo⸗ 
en und Geſchichtsverdrehungen, wie fie die, ausgeartete 
ſche Schule zur Welt bringt, unſerm großen Dichter un⸗ 
ſchieben. Ein folches Unternehmen richtet fich ſelbſt. Mit 
ich höherm Talente hat andererſeits der vortreffliche Ve 
ber des attifchen Dramas, J. ©. Droyfen, den Ari 
anes als einen geijtvollen Roue geſchildert, einen Mann 
Grundſätze, ohne Barteiftellung, ohne Vaterlandsliebe, 
Gottesfurcht 1), aber ſprudelnd von kecker Genialität und 
ommen fühig, das Gemeinſte dich den Zauber feiner 
tung zu verklären. Droyſen bat fich nicht gefcheut, . den 
ophanes mit dem Juden H. Heine zu vergleichen )1 — 
wollte verkennen, daß einige Wahrheit Hierbei zu 
tbe liegt? Eine tiefere Betrachtung, meitte ich gleichwohl, 
den Ariftophanes auffallen als einen der nächiten Geiſtes⸗ 
andten des Thukydides. 
Wie Thukydides die Hiſtorie, von Schwank und Mythe 
t, auf ihr eigentliches Gebiet herüber zog: ſo rühmt ſich 
Phanes, die Komödie von ſpießbürgerlichen und ſagen⸗ 
ı Stoffen abgewandt zu haben 3). Wie Thukydides mm 


— — — — 


Dro yſen Ueberſetzung des Ariſtophanes: Th. I, S. 263. Th.2, 
3. Th. 3, ©, 12 ff. 


) Zn feiner bekannten Sqhrift über die Vooer des Ariſtophanes 
en Prozeß der Hermokopiden. 


) Pax 723 sqq. Noch Kratinos ſchrieb ein Stück, Oducotic, 
anz eine zum Theil wörtliche, oft ſogar hexametriſche Parodie der 
iſchen Kyklopeia war. Nach Th. Bergk's gelungener Vermu⸗ 
in derſelben Zeit, wo das Geſetz bes Morychides feinem höhern 


292 Thukydides. Kap. 9, 


diefe wahrfcheinlich won den Reifen des Verſaſſers felbit. 
werden denn Gaſtmähler befchrieben, woran ein Soph 
ein Kimon Theil nahınen. Wir Hören von den Piebid 
des Sophokles; von dem fpüttifhen Urtheile, das Pi 
über feine Feldherrnverdienſte gefällt; auch dag er in der 
litik eben nicht ſtärker geweſen, als jeder andere Athener. 
feiner dichteriſchen Herrlichkeit ſcheint nicht Die Rede zu 
Kimon wird gerühmt, nicht ald Feldherr oder ala ©: 
mann, ſondern wegen feiner Höflichkeit"), feines Gefa 
feiner fpaßhaften Erzählungen 2). Sein Körperbau wir 
Sorgfalt beſchrieben ). — Auf den Perikles war der 
moirenſchreiber übel zu ſprechen. Aber was macht .er ihm 
Vorwurfe? Daß er grob gewefen 9, daß er feinen fam 
Beldzug einmal über den des Agamemnon geſchätzt ha 
Plutarch meint, ald Tragiker habe Jon gelernt, daß der 
dengröße immer ein Sätyrfpiel müſſe angehängt werden. 
her übrigens feine Abneigung gegen Perikles rühre, ha 
der boshafte Athenäos verrathen: fie waren Mebent 
bei einer ſchöͤnen Korinthierinn 6), und Der Dirigirende $ 
ſter vermuthlich der Begünſtigte ), Ion foll den Tem 


Be — — — — — 


) Plut. Pericl. 5. 
3) Plut. Cimo 9. 
3) Ibid. & 

4 Plut.'Pericl. 5; 

- 23) Ibid. 28. 

6) Atlren. X; p: 436, 

) Ich will indeſſen nicht ſelbſt in Jon's Fehler gerathen. Die V 
für Kimon, die Abneigung wider Perikles, das Gedicht zum Lobe 
tas (fr. 50.), feine Bewunderung ber lakonifchen Kürze (Sext. 
A. M. II, 24): diefes Alles läßt vermutben, daß Ion zur arifl 
ſchen Partei gehörte. Seine pythagoreifche Ppilofophie ftimmt gut 
überein (fr. 54). Daß Chios damals eine, ariſtokratiſche Ver 


$. 3. Ion. Steftmbrotos. 293 


Gt Haben !); und es iſt merkwürdig, in feinen Fragmenten 
mt Nichts Häufiger vor, als Trinkgefchirre, Trinkmanieren, 
relicatefjen und Aehnliches 2). — Bei dem Allen ift fein Stil 
a hbchſten Grade leicht und ammıthig, felbit feine kleinen 
ngrifſe ziemlich harmlos. Nur durfte man nicht allzufeſt auf 
ne Wahrheitöliche bauen: er macht fich 3. B. Nichts dara 
us, den Sokrates nah Samos reifen zu laſſen 3)! 
Stefimbrotos von Thafos N ſcheint fih mit Erklärung 
> Dichter fein Brot verdient zu haben 5). Außer einer 
Schrift über die Myſterien 6) Hat er auch Die Geſchichte des 
bolykrates bedandelt ) 5; aber fein vornehmfts Wat, von 
Mutarch gar Häufig benukt, ift die Lebensbefchreibung des 
hemiſtokles, Thukydides und Perikles. In diefem Werke 
Scheint er als Anhänger der conſervativen Partei; jedenfalls 
ver er Gegner des Perikles. ine gemeine Klatſchhiſtorie 
hrigens, die von der Läfterchronit des Perikles ®), von Ki- 
ton’8 Schweſter Elpinike %), überhaupt von den Kleinen Häßs 


te, ift befannt. Wenn Ron um 444 aus Athen nad; feiner Vaters 
adt zurückkehrt, To fuht Köpke dieß daburch zu erklären, daß in 
then damals bie kimoniſch-thukydideiſche Partei von der perikleifchen 
fcheidenb war befiegt worden. 


ı) Aelian. V. H. II, 41, 4. 

2) 3.8. Athen. X, 426. 

3) Diog, 1,7. 

4) Rah Plut. Cimo 4. ein Zeitgenoffe bes Kimon. 

5) Xenoph. Conviv. 3. 

6%) Schol. Apoll. I, 1126. 1304. Etymol. v. ’Iöaios. 


7) Nach Fulgent. Plancus De antiquo sermone y. Sanda- 
la: vgl. Vossius De hist. Graecis p. 44. Westerm. 


8) Plut. Pericl. 13. 36, Athen. XIH, p. 589, 
°») Plant Cimo 14, 


294 Thukydides. Kap. 9. 


Tichkeiten jener großen Männer 1) gut unterrichtet zu fein be 
hauptete, in der That aber und von wichtigen Dingen ge 
nicht viel zu fagen wußte 2). Ein fpäterer Schriftiteller, 
pompos, war freilich cbenfo reich an Skandalen: aber 
bedenke doch, im welche Zeit Theopompos fiel, im welche 
finkrotos ! 

Es iſt ſehr zu beklagen, daß wir won den memoiriſ 
Arbeiten des berühnten Brotagoras fo wenig wiflen >). 


une — — — — 


1, Plut, Themist. 24. 
2) Ibid. 2. 
3) Rat. Plut. Cons. ad Apoll. 33. 


. Bm a m — a [mul _ 


— —— — — — — — — 


Behntes Rapitel. 
Thukydides und Ariſtophanes '), 


8. 1. 

Literarifche Stellung bed Ariftophanes im Allgemeinen. 
edem Alterthumsfreunde Tiegt wohl die Trage nah, ob 
e Parallele zu finden fei zwifchen dem bekannten Entwick⸗ 
göverhältnijfe der drei großen Tragiker und dem minder bez 

nten der drei Fomifchen Meifter. | 
Was den Kratinos betrifft, fo ift er nicht ohne Grund 
Aeſchylos der Komödie genannt worden. Er ift cö, wel— 
zuerft dem Scherze des Luſtſpiels Die großartige Folie der 
tiſchen Bedentfamkeit unterlegte; ihm muß daher vorzugs⸗ 
je jened bekannte Gejch des Morychides gegolten haben, 
des im Jahre 440 v. Chr. die Verfpottung namhafter 
fonen unterfagte. Che man fi) an die Deffentlichkeit völ⸗ 
gewöhnt Hat, wird ihre Benutzung immer Tältig fallen, 
jegen fcheinen Die geringen unter den gleichzeitigen Luft 
dichtern, vor Allen Krates, dem friedlichern, mehr par= 
hen und allgemein ethifivenden Geifte der altfieilifchen Kor 
ie treuer geblieben zu fein, Dem Kratinos war es Bes 


1) Je mehr Thukydides und Ariftophanes Zeitgenoffen, Geiſtesver⸗ 
andte find, je häufiger fie denfelben Stoff behandeln: deſto ficherer 
man aus ihren Verfchiedenheiten auf die Verfchiedenheiten der Hi: 
: und Poefie überhaupt fchließen. gl. oben ©. 30 ff, 


S 













296 Thukydibes. Kap. 10. , 


dürfniß, Die ganze Welt in den Kreis ſeiner Darſtellunge 
aufzunehmen, die Komödie eben dadurch zur wahrhaften 
verfalität emporzuheben, - So hat er in feinen Eumeniden? 
nämlichen Zweck verfolgt, welcher der Afchyleifchen Oreſtie 
Grunde liegt: Das letzte Bollwerk der conſervativen Sta 
werfaffung, den heiligen Areopagos, wider die Angriffe WE 
Revolutionspartei in. Schulz zu nehmen. So haben feine ( 
felge uud feine Reichthümer den Verfall des Staates zum | 
genftande, in fcharfer Dppofition mit der vermeintlichen Ya 
lichkeit der Jolgnifchen Periode, Die Deliaden und der 3 
phonios, die Thrakerinnen und die Idäer beleuchten das & 
Een Der alten Neligiefität, welche Durch einheimischen A 
glauben und durch Aufnahme barbarifcher Cerimonien gie 
fehr vererbt worden war. In den Euniden wird bie 
modige Muſik verfgottet, in den Panopten die neume 
Philoſophie, in Ben Ehironen die neumodige Erziehung, N 
den Weichlingen der ganze Charakter der neumodigen Lech 
weiſe 1). — Ein gewwaltiger Vorgänger des Artitopkam 
wenn er auch in ber Pytine, am Abend feines Lebens, 
es den Greifen wohl zu gchen pflegt, eben diefen Ariſtop 
ned, den Vollender deſſen, was ex felbft begonnen, als J. 
Verderber der Komödie zu geißeln verſuchte. Ariſtophanes YJ 
nerſeits iſt gerechter: einem brauſenden Strome vergleicht J 
ihn, der unter dem Beifallsſturme des Volkes durch's GA 
ſich ergiegt, feine Ufer unterwiihlt, und Eichen, Plata 
und Feinde, aus der Wurzel gehoben, mit fich fortreißt 9). 
Diefer Aeſchylos der Komödie Hätte nun gar zu gem il 
Ariitephanes als cinen Tomifchen Curipides gejchilbe 
In der Bytine des Erſtern heist Ariftophanes geradezu: * 
ln LLLLL a 
1) Ich füge mich in der Inhaltsangabe diefer Stücke hauptfäcll 
auf die ebenjo gelehrten, als fcharffinnigen Unterfuchungen von Thet 
dor Bergk: Commentationes de reliquiis comoediae Atticge af 
quse: 1838. l 
2) Arist. Equitt, 526 sqq. 9 









$. 1. Kratinos, Ariftophanes, Eupolis. 297 


molentéloyoc, yvowdwxıng, EUVOLTLKÖAROLOTO- 
gayilmvw!). 

He Ungerechtigfeit biefer Vorwürfe wird uns tiefer unten ein⸗ 
uchten. 
Eupolis war an Alter von Ariſtophanes wenig verſchie⸗ 
y. Freilich iſt der Letere mit ſeinem Erftlingsgedichte, den 
kR hbrüdern, erſt Olymp. 88, 1. auf bie Bühne getreten ?), 
Wolis Hingegen ſchon Olymp. 87, 3.3). Aber Cupolis 
ie damals auch erſt ſiebzehn Ichre alt). Im Ganzen 
erden wir gewiß nicht irren, wenn wir den Eupolis als ein 
liches, geiſtvolles, aber ſchwächeres Abbild des Ariſtopha⸗ 
b Bezeichnen. Die praktiſchen Tendenzen der beiden Komiker 
‚ziemlich verwandt: Beide haſſen die revolutionären Bars 
tee, Beide züchtigen den neuerwachenden Pietismus, 
e verfolgen den Sokrates. Auch Eupolis hat den Phor⸗ 
u vefpectixt, hat den Kleon wegen feiner geftohlenen Siegs⸗ 
en verſpottet. An erfindungsreicher Oenialität aber 
int er feinem Nebenbuhler sicht gewachfen., upolis Mas 
wird eine Directe Nachbildung von Ariſtophanes Nittern 
t5), wogegen ihn feine ‚eigene Verfiherung 6), als 
e er gerade an Ariſtophanes Rittern geholfen, ſchwerlich 
eidigen kann. Selbſt der Name Marikas fcheint eine Co⸗ 
des ariſtophaniſchen Paphlagoniers zu ſein. Und es iſt 
hl zu beachten, daß Ariſtophanes einen viel bedeutendern 
agogen zum Gegenſtande ſeiner Komik nahm. Eupolis 
















I) Schol. Platon. p. 330: ed. Bekker. 

2?) Anonym. De comocedia. 
‚ 9) Meineke Qu. Sc. II, p. 6. 

4 F. Ranke Vita Aristophanis, p. CXCIII. 

5) Nubes 553 sqq. | 

% Schol. }. I, Obwohl Kratinos ihm hierin beiftimmte: Schol 
quitt. 529. 


2% Thukybdides. Kap. 10, 


ganze Phantafie war mehr an die Wirklichkeit gefeſſelt: 1 
rend Ariſtophanes 3. B. in feinen Nittern dem Kleon j 
felbfterfinidenen Wurſthändler gegenüberftellt , vieleicht 

kühnſte und geiftwollfte Gebilde der Fomifchen Dichtung ü 
haupt; fo fheint in Eupolis Marikas dee Demagoge Sy 
bolos nur von feinem wirklichen Geguer, dem Nikias, 

kämpft worden zu fein, der für die Komödie wohl nicht 
ſonders geeignet war !), Auch qn Feinheit, glaube ich, fi 
er dent Ariftophanes nah, Wenigſtens den Sokrates ſch 
er mehr geradezu injuriirt, als eigentlich perfiflirt zu haben 
In einem feiner früheften Stüde, den Profpaltiern, w 
Eupolis die Prozeßwuth des athenifchen Volkes züchtigte, ı 
er noch gar Manches von der Rohheit der altmegarif 
Schule beibehalten Haben, wie Ariſtophanes ihm vorwirft 
und er felbit nicht undentlich eingeftanden hatt). Zu gli 
Zeit aber fche ich aus den Fragmenten feiner Schmeichler, 

Eupolis ſchon weit mehr in's Allgemeine hinein ethifiet ba 
muß, als Ariſtophaues; infofern aljo der menandeifchen | 
mödie näher ficht. Dazu fommt noch, wie Platonios ! 
fihert, daß Eupolis auch der Parabafe, jenem Kerne des 
tern Luſtſpiels, viel weniger Raum vergönnt hat, als 
Frühern 5). — BZwifchen diefen Gegenfägen nun des Eup 
und des Kratinos feheint Ariftophaned in der ſchönſten D 
zu ſtehen. Mit der Rauhheit, dem euer des Kratinos ıı 
er die Grazie des Eupelis zu verbinden. Seine Compoſi 
ijt gelungener, als Die des Kratinos, feine Polemik wir 


u nn — — — 


ı) Th. Bergk Commenlatt. p. 355 809. 


2) Schol. Nubes 97. 179. Bol. das Fragment bei Olymp 
dor 3. Platon’s Phädon c. N. 


3) Nubes 358: Schol. 
4) Bal. Th. Bergk 1. 1. p. 359. 


5) Platonius De charact. com, 


F. 1. Literarifche Stellung bed Arifiophanes im Allg. 299 


er, als die des Eupolis. Hat auch die Vorſehung den 
roͤßten Theil der ältern Komödie untergehen laſſen, fo ſcheint 
e doch den beſten Theil erhalten zu Haben. | | 
Man Hat neuerdings verfucht, den Ariitophanes zu einem 
Vengbegelianer zu ftempeln, eine Menge von Pfeudophilofos 
hemen und Gefchichtöverbrehungen, - wie fie Die, auögeartete 
ſche Schule zur Welt bringt, unſerm großen Dichter uns 
chieben. in folches Unternehmen richtet fich felbit. Mit 
Bigleich höherm Talente Hat andererſeits der vortreffliche Ue⸗ 
eſetzer des attifchen Dramas, -3. ©. Droyfen, den Ari 
es als einen geiftwollen Roue gefchildert, einen Mann 
Grundſätze, ohne Barteiftellimg, ohne Vaterlandsliebe, 
Gottesfurcht 1), aber ſprudelnd von kecker Genialität und 
en fähig, das Gemeinſte durch den Zauber ſeiner 
bmg zu verklären. Droyſen bat ſich nicht geſcheut, den 
phanes mit dem Juden H. Heine zu vergleichen I — 
wollte verkennen, daß einige Wahrheit Hierbei zu 
de liegt? Eine tiefere Betrachtung, meiñe ich gleichwohl, 
den Ariſtophanes aufſaſſen als einen der nächſten Geiſtes⸗ 
andten des Thukydides. 
Wie Thukydides die Hiſtorie, von Schwank und Mythe 
t, auf ihr eigentliches Gebiet herüber zog: ſo rühmt ſich 
phanes, die Komödie von ſpießbürgerlichen und ſagen⸗ 
u Stoffen abgewandt zu haben 3). Wie Thukydides nur 

















j 
1) BDroyfen Ueberfegung bes Ariftophanes: Th. 1I, S. 263. Th.2, 
L 303. Th. 3, ©. 12 ff. 


iD Sn feiner bekannten Schrift Über die Vögel des Ariftophanes 
den Prozeß der Hermokopiden. 


3%) Pax 723 sqq. Noch Kratinos fehrieb ein Stüd, ’Odvoseis, 
N ganz eine zum Theil wörtliche, oft fogar hexametriſche Parodie der 
ifhen Kyklopeia war. Nach Th. Bergk's gelungener Vermu⸗ 
* in derſelben Zeit, wo das Geſetz des Morychides feinem höhern 









312 Ahufyoloed. Kap. 10. 


. Eben deßhalb aber bleibt es dem Ariſtophanes auch 
lich, ungetrübt durch Parteieifer, den reinſten und aufı 

fin Patriotis mus an den Tag zu legen. Am deutl 
wohl in den Fröſchen. Wie unvergleichlich weiß ex bie, 
tee Der wachſenden Bedrängniß deB Staates, die. Partien. 
Mäßigung und zur Eintracht zu ermahnen! ine: 
Ammneſtie foll erlaffen werden. Wenn man bie. Sklaven fie 
zu Bingen mache, die in einer einzigen Schlacht ſich m 
gehalten: wie könne man da um eined. einzigen Tehltriti uk 
len fo niele Bürger zu Atinien machen,. deren Bäter-ddk 
vielen Schlachten ſich groß gezeigt (686 fi.) I — In frädeh 
befieen Zeiten Hatte Ariſtophanes befländig dem Alkibiebei ge 
ponirt: ſchon die Zechbrüder Hatten biefen mitgenommen; # 
den Acharnern wird ex geradezu als geſchwätziger Wilix 
verhöhnt 1). Jetzt waren die Verhältniſſe andere geworden 
Seiner. frühern Verbindung mit Dligarchen und ELakedämen 
ern hatte. Alkibiades unwiderruflich entſagt; jetzt kam ed M 
Athen vornehmlich auf einen ſtarken Arm an, der das niche 
Verderben beſeitigen konnte. Als in den Fröſchen daher cñ 
Gutachten eingeholt wird über den Alkibiades, da Außer M 
Euripides freilich, der Vertreter alles Neumodigen, Gets 
fenen in der Poefle, noch fortwährend fehr erbittert übe W 
ehemaligen Frevelthaten deſſelben; Aefchylos Dagegen, dar oe 
nige Repräfentant alles Bewährten und Vortrefflichen in. 
Kunſt wie im Lehen, giebt feinen Ratbfchlag dahin ab:. 


Den Löweniprößling nähre man nicht in der Stadt. “ 
Ward er genährt‘ ſchon, — feiner Art dann füget Euch (1427) 


Kann ein Nichthiftoriker in edlerem Sinne über den Bares 
fichen ? 

Mir haben ſchon früher bemerft, daß jedes Urtheil ik 
den Werth eines Staates, einer Kunſtperiode u. ſ. w., b 


1) Auch im Zriphales nod), wie es fheint, Olymp. 90, 2 


5.2. Parteiſtellung des Melfophanes. 2301 


ſich überall mehr auf: die Gemeinheiten des Lebens einlaſ⸗ 
kann, ja einlaſſen muß, find fie. Hauptzweck. Zapudia 
rev 5 Ev ueom Aaud xarnyugie Aalyovr. Önwoolevarg,t). 

In jedem Staate und zu jeher. Zeit, we überhaupt poli- 
bed Lehen exiſtirt, wird fich eine progreſſive und eine gons 
bative Partei unterfcheiden Tajjen.: :. Jene, will die Blüthe 
’ Staates möglichſt schnell herbeiführen, dieſe den Verfall - 
ſelben möglichſt lange hinausſchieben. Selbſt dag Sinken 
egt die erſte Partei noch als Steigen, ſelbſt das Steigen 
letzte ſchon als Sinken zu betrachten. . Auf dem Höhe⸗ 
ukte der Volksentwicklung pflegen ſie beide ein heilſanies 
leichgewicht zu halten. — Da kann es nun befremden, daß 
e drei großen Komiker, fo. weit ſich ihre Parteirichtung deut⸗ 
> werfolgen laßt, entfchieben zur confervatinen Seite 
hören. Beim Ariſtophanes und. Eupolis. wird Die Erklärung 
cht: dieſe Männer ſehen den’ Staat, ı die Kunſt su ſ. w. 
Wahrheit verfallenz. kein Wunder alſo, daß ſie den Urſa⸗ 
1, den Symptomen des Verfalls entgegentreten. Beim 
atinos liegt allerdings ein Irrthum ‚zu Grunde 2). Alleiu, 
e ich jchon. früher: bemerkt, fo wird Die conſequente Ausbil⸗ 
ng des demokratiſchen Staates, ‚mit jeiner Einheit der Win> 
tonie, feiner. Sfeichheit aber mathematiſchen Rückſichtsloſig⸗ 
t, deiner Stärke aber büreaukratiſchen Verwicklung,“ fir 
etiſche Gemüther leicht etwas Abſtoßendes haben. NRecbenher 
es von einem Komiker wohl kaunm zu erwarten, Ddaß cry 
va Selbſterlebtes fo. fleckenlos hätte finden ſollen, Dem 
miler! wird von “en, was er m FE wie. und Une 


15. 2 NAR 


nn * 


1) 1. Bekkeri Anecdota :, Vol, II, Pr. 241, 


2) In Kratinds Illovrow, worin ein oldenes Beitalter phanta= 
ch ausgemalt wurde, kamen deutliche zen geben auf den freigebigen 
d conjervativen Kimon vor. Auch in-’deh J— wurde derſelbe 
mon bis in bie Wolken erhoben. 

















302 Thukydides. Kap. 10. 


ften die fehlerhafte, Die lächerliche Seite in's Auge fallen; nik 
alles Menſchliche Hat feine Lächerliche Seite. Die 
genbeit natürlich muß ihm deſto rofiger ſcheinen. | 
Auch Ariſtophanes ift entihieden confer 

tiv. Es giebt in bee That faft keinen einzigen bedeutende 
Führer der liberalen Seite, den er nicht angegrifk 
hätte. Schon feine Babylonier Haben es mit dem Eifel 
zu thun, jenem angefchenen Demagogen, der nach Peril 
und vor Klcon eine Zeit lang den Staat verwaltete 1). Da 
find. die Ritter bekanntlich mit der größten Heftigkeit und I 
feinften Boöbeit zugleich gegen Kleon gerichtet, .-eben -dama 
wo die Eroberung von Sphalteria ihn auf den Gipfel le 
Volksgunſt erhoben Hatte Mit welcher Verachtung ke: 
belt er den Kleonymos, den Hyperbolos 2)1 Selbſt in a: 
Fröſchen noch, alfo unmittelbar vor dem Ausgauge des ya 
ponueſiſchen Krieges, wird der Volksreduer Kleophon weg 

feiner Robheit, feiner. fchlecgten Sprache, - feiner thrakiſchag⸗ 
Abkunft verhöhnt 3): ja, dem Aeſchylos, der zur Oberwhg 
heinikehrt, um das verwirrte Athen wieder in Ordnung 34 
bringen, dem Aefchylos wird ein Strick mitgegeben, als pe 
ſendes Ehrengefchent für den Kleophon I — . Auch die kb 
terſten Berfolgungen konnten Ariitophanes Eifer nicht bi. 
fühlen. - Schon die Babylonier Hatten, wenn auch sicht da 
Verfaſſer felbft, doch den Didaskalos des: Stüdes, Kallitw 
tos, in Feine geringe Gefahr geſetzt. Ariſtophanes hatte We] 
Bundesgenoſſen der Athener, unter der Maske babylomiſche 
Sklaven, als Mühlknechte dargeſtellt, die ſich in. Extra 
Dienſte abarbeiteten. Nun war dieſes Stück gerade an dat 





J 


— — — — — — — — 


1) Bol. Equitt. 129 80q. Schol. 

2) Acharn. 840 saq. Thesmoph. 830 sqaq. 

3) Ranae 678 sqq. Bgl. ſchon Thesmopl. 505. 
4) Ranae 1541 Schol. 


6. 2. Parteiſtellung des Ariſtophanes. 305 


nyſien gegeben: morben, wo fh die Bundesgenoſſen zur 
eferimg des Tributes in Athen zu verſammeln pflegten. 
warf denn Kleon dem Kalliſtratos vor, daß er der Bund 
n fein Oberhaupt aufzuhetzen geſucht. Die Sache kam 
den Senat, und der Verfolgte entging dem Verderben 
mit genauer Noth ). Die Ritter konnten dem Ariſtopha⸗ 
weil fie zu ſehr mit Beifall aufgerionmen waren, wis 
elbar frei keine Verfolgung zuzichen. Deſto mehr aber 
elbar. Der Dichtet ſelbſt beklagt fich in den Wespen 
ber; umd es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß Kleon's wie⸗ 
olte Angriffe auf die bürgerliche Legitumität des Ariſtopha⸗ 
ſeiner Aufreizung in den Rittern ihr Daſein verdanken 2). 
Die ſicherſte Stütze gegen ſolche Gefahren ſcheint Ariſte⸗ 
red bei ben Führren der conſervativen Partei gefunden zu 
n. Schon on die Acharner zeigen‘ maucherlei Spuren 
bindung des Dichters mit dan Rittätfliande>):. 
Rittern wird derfelbe Stand förmlich als Chor: — 
die Didadkalie verſichert, der, Chor ſei pn Volkswegen 
UUt worden. VBermuthlich wagte Born. einzelner :Chorege, 
Zorn des gewaltigen Kleon auf ſich zu laden. - Die Nite 
yaft als ſolche mochte eine Aufführung dnuoolg durchſetzen: 
man auch. bon tier Beſchafſenheit dieſer Choregie näher 


® . .. [1 Er 
.2221 site 33. Ze Bar a SE Dad BE Er . Er srep,e 





J uf tn Fer Bu vum 
i . . Pa Bei ’ . PP Tau u .. 
) Acharn. 399 'sqq. 501 sag. 630 sqd.’"Schor. "wet. BICh 
Dionyften und enden: &. 68. Fi'Braiikle Vita’ Aristopliahle 
OXL sqq. —., Gonderbar, bag Drroyienys;hen:fonft:fs freifinnige 
len, in dieſer Anklage Nichts zu tabeln findet: Ariftophanes, meint 
ıbe allerdings den Unterthanen gegenüber die Politil der Regiernng 
verdächtigen dürfen (Ariftophanes Werke: Th. 2, ©. 291). Sollte 
iefer Marime wohl irgend welche Preßfreiheit dieß ngthwendige 
nt jeder gemäßigten Demokratie, vereinbar ſein? 


) Vespae1234sqq. Anonym, V. Aristoph.. Bol F-Ranke 
p. CCXLVIII. 


) Acharn. 5 qq. 300 sad. | fl 


30A Thukydides. Kap. 10. 


denken möge 1). Allein mer find Hefe Ritter? wirklich 
zweite Klaſſe des ſoloniſchen, längſt veralteten Steuercen 
wie die Hypotheſis am Schluſſe behauptet? Ach trete v 
kommen der glücklichen Erörterung von Droyſen bei 2), ı 
cher. in Ariſtophanes Rittern die ſtehende Reiterei des ath 
fchen, Staates ſucht. Dieſer Reiterdienſt war bekannilich | 
Art von Liturgie der vornehmſten uud vegülertſten Juge 
Wenn auch alljährlich eine neue Zuſgunmenſetzung des gar 
Corps erfolgte, ſo mußte ſich doch ein qriſtokratiſcher Stan) 
geiſt mm fo unxvermiidlicher einſchleichen, je geringer am 6 
die Auswahl, je häufiger und glänzender die Zuſaumenkü 
waren. Wir werden tiefer. unten die brdeutfame, Rolle ken 
Ionen, , welche Diefer Ritterſitand ſchou zu. Anfange des p 
ponneſiſchen Krieges ſpielt. Wie er. hauptfachlich am € 
des, Krieges die, Oligarchenherrſchaft verbereitet und getee 
bat, iſt allgeueinhinn bekanut. An dieſe Ritter aa fein 
eiflaphanet vorzugsweiſe gelehnt zu Haken 3)... 

Indeſſen find:es nicht ſowohl Die: —— die Pari 
ſabn denen Ariſtophanes Freund oder Feind iſt: mein, 
find ihre Grundſätze und Beſtrebungen.“iHicr ſieht er ſch 
trotz dent: Beſten Hiſtoriker. Sch will: die Hauptpunkte an 
rar: Unter. aller Volkern pflegt der andbau etwas ( 
ſervatives, Ariſtokratiſches zu beſitzen: stabilissimus est, 
der alte Cato ſpricht. Die einfache Regelmäßigkeit ſeinet 
ſchäfte beſchränkt, den Geſichtokreißg überhaupt; feine jr 
Abhängigkeit wa De. Hatıre gewöhnt auch, in, menschlichen $ 
gen an Suberbinationz ſeine Gebundenheit an die Scholl 
nn. — ut aiLEE | 
9 War Drogfen, Ariſtophänes Weite! Th. 2, &: 307 

I.U0D. Th. 2, 9. 979 ff. 


3) Vgl. die directe Empfehlung ber xudoi xay adol in den 5 
18 fi 


5. 2. Parteiſtellung des Ariſtophanes. 308 


Dt größere Verſammlungen ein Hinderniß i). Deſto bewegli⸗ 
Be und progreſſiver iſt dee Gewerbfleiß: nur: wo Städtewe⸗ 
Be, wo Induſtrie und Handel vorherrſchen, iſt ein dauernder 
des extremen Demokratie. möglich. Ganz dieſelben Staats⸗ 
, Solon, Themiſtokles, Perikles, welche ſiufenweiſe 
seine Demokratie: einführten, haben auch. ſtufenweiſe den 
verbfleiß begüͤnſtigt. Unſer Ariſtophanes fit: der begeiſterte 
an des Ackerbaues. Wie himeißend wird fein Redefluß 
Mn Acharnern und im Frieden, mo er: die Süßigkeiten 
B Banplebens ſchildert! Mit. der Rückkehr zum: Yderbau, 
Ei muß auch die alte Herrlichkeit des Staates. wieder⸗ 
. Dagegen wird den Yührern. ber. revolutionären: Bars 
: ht bloß ihre niedrige Herkunft, ihre Fremdenqualität, ſon⸗ 
hen ſehr auch Ihe Gewerbsbetrieb zum Vorwurfe ge⸗ 
Mei: dem Gufrates feine Mühle, dem Lufikles fein Vich⸗ 
jel, dem Kleon feine Lederfabrik, dem Hyperbolos feine 
Inyen. — Eine Haupttendenz alles. helleniſchen Liberalismus 
ef Befoldung der Staatsämter gerichtet, auf. Bezah⸗ 
Ki nsbeſondere bei‘ Berichten und. Volksverſammlungen. 
pe allen Zeiten, fo iſt auch Damals bie vollfonunen 
eführte Demokratie nur auf. dieſem Wege faectiſch zu ers 
Wigeidefen.2). . Berifled Hatte: den Anfang gemacht, Kleon 
Sieigerung des Soldes bewirkt. Ariſtophaues erklärt fi. 
ehem: Dagegent.. wie unzählige: Male. verſpottet er den 
einſold! mit welchem Feuer Iobpreift er: Die Zeiten des 
ides, wo ein Dinger. ſich geſchämt : hätte, für bie 
serwaltung Geld zu nehmen?) —Es iſt ferner im 
ſentliches Bedürfniß jeder ausgebildeten Demokratie, die 









—ñ— 
35 ij Bol. Arist. Polit, v1, 8 IV, 6. 


7) Auch bie englifchen und franzoſiſchen Radicalen haben ja von 
he auf parliamentarifche Diäten gedeungen, 
- 9) Eccl. 300 sqq. 
20 


306 Un Thukyrides. Ba: 


Maſſe des Bolkes felbir:in möglicher Ausdehmmg 
Verwaltung der Ger ichte Theil nehmen zu. laſſen. 
nenerer Zeit den Richtercollegien der eonſervativen Staa 
Geſchwornengerichte des Liberalismus gegenüberſtehen, 

lakedämioniſchen Juſtiz ⸗ damals die atheniſche. Aus d 
den, zumal ed: Lyſias, erſehen wir mit Schrecken, 

welchen :Seade der. Prozeßchitane, des Leichtinns und | 
mokratiſchen· Parteilichkeit die aiheniſche Jury etaviet ı 
Eine. örtliche Richterwuth Hatte. den großen Haufen 

nicht: allein: um der Beſoldung, ſondern vornehmlich au 
des: Kitzels willen, fi in ſouveräner Machtvollkomment 
die Richter über Leben und od, zu. fühlen. Ariſtophar 
ein eigenes Stück Hiergegen nerfaht , die Wespen, rind 
Herrlichiten Meiſterwerke, worin bie: tiejte Einſicht mit 
tzigſten Bitterkeit gepaart gehet 2). — Auf derfelben $ 
fiufei, -wo ‚die unbeſchränkte Dentokratie waltet ,.. pflegt 

In :Wälkern eine: ganzlicye. Bentralifieung des Staats, 
ranniſcheß Vorh errſchien der Hauptſtadt über 1 
tergeordneten Glieder ſtattzufinden. So war auch, Die B 
führung der Athener,namentlich feit der Staatsvern 
des Perikles, in eine. ſtrenge Gewaltsherrſchaft übergeg 
Ariſtophanes dagegen iſt ein: warmer Vertheidiger der B 
genoffen.:. Schon feine Babylanier Hatten ſich Denfelben 
nommen 3.nicht. ohne ‚Gefährhe, mie wir getehen haben. 
ein Hauptverbrechen wird dem Kleon ſeine Tyrannei gez 
Juſeln vorgerädt 9)... Unterſeinen! eigenen Verdienſte 
es der Dichter ganz beſonders hervor:, daB er zur Ger 
eν UHR DH U. 


ı) Man vergleiche z. B. die entſetzlichen Vectegrurdſäte, 
der Rede gegen Philokrates zu Tage rommen. 


2) Dal. beſonders Vespae 516 gg. 
%) Equitt. 235 sqq. 1405. 


Un 


82. Warteiftellung des Ariſtophanes 307 


5 gegen die: Wundebgentoſſen ermahnt habe H. . ME ber 
dolutionüͤren Gthßd une Athen Hänge auf- das: Innigſte jes 
furchtbare Propagamdalrteg zuſammten,den!es feit 
Fe NRegiermngsantrittengegen die ariſtokratiſchen Mächte 
Peloponneſes führte: Alleisigentlichen. Vollsredner, Ales 
Gyperbolos Kleomkos 2), ..fetbft in der Außerften Bias 
noch Kleophon, find: die hattnäckigen Verfechter des Krie⸗ 
:.wäßgeenb: vie chifervative Partei, bon Beni Gewaßigten 
wie Nikias und. Laches, bis zu Den Ultras, wie Thera⸗ 
S und Kritias, Feder. Zeit. flr Den Frieden wirken. Hat⸗ 
bach: Schon: Perikles und Kimon -auf Ähnliche Weiſe ein⸗ 
æ*centgegengeſtanden! Ariſtophaues gehoͤrt energiſch zur 
hensparieit Sin denAcharnern Sehen murd auf das Cin⸗ 
glichſte für den Frieden gepredigt; in der Eirent ſehen wir 
I Dichter „:. vieleicht. fogar: mit praktiſchem Erfolge, dem 
Ben: des Nibias unvacheiten 1. Su der Lyſiſtrata endlich, 
* ausgeluſſenſten ‚Keckheitz: abermals. den Frieden das 
dihema 2). Albon's: gewaltiger; Plan, ſeine Vaterſtadt 
** aan. Heſlas zu machen, wird: bei Ariſtaphanes 
8 .Lächeuliche. gegogen.2). Auch im Haſſengegen Lake⸗ 
Mn iſt ·Ariſtophanes ſehr gemäßigt. — Schon pom Ans⸗ 
ꝑ des Arieges. an wnes cin Lieblingsprojeet der äußer⸗ 
Fotenslutionäre geweſen, das ferne Sicilien anzugreifen; 
Ach Aiter. dark heftigſten Widerſtande der conſervativen 
= Auch hier fchon wir den Ariſtophanes in der Oppo⸗ 


BE: oo. ons LIBRI 





Rhye Ach Ba Tem iteh 
2) Pax passim. 
9 Nicht minder, wie eö ſcheint, in den Laſtſchiffen, den Landleuten 
DB 3nfeln.. * 
4 Eaquitt. 797 sqq. — In den Wolken ‚ wie Kante ſehr fein 
merkt (Vita p. CDXXXV'), wird’ das ganze Verberben bes Gtrep- 
Wilden Hauſes durch bie uhfreiwillige Muffe, wie fie: der Krieg mit 
i bringt, befchleunigt. 
20 * 


308 ¶Wyulydldes. . Rap. 10. 


fition. Seine Babylonier ſchon find voll bittern Spo 
gen dar Gorglad, defien neumodige Berebtfamteit | 
Kriegbluſtigen den erſten Ausſchlag gab 1). Be de 
großen Expedition ſchrieb er feinen Amphiaraos 2), mol 
ohne Anſpielung auf den Nikias, der ja auch wider 
Wiſſen den Oberbefehl hatte übernehmen müſſen; und 
ich kaum bezweifle, voller Ahnungen bir Zukunft. — 
nur gegen die helleniſchen Feinde iſt Ariſtophanes fo | 
ti, Wo von Berfien die Rede iſt, da fprühet er vı 
tionalhaß, da will er, ald einen Ableiter des innen $ 
alle Hellmen zum Kampfe gegen die Barbaren zufam 
fen 3). : Dieſer Perſerkrieg war aber fchon in Kimon 
eine PBarteifache der Conſervativen geweſen. Seit be 
ſchaft des Perikles waren dergleichen Ideen eingefchlafer 
erſt der völlige Sieg der oligarchiſchen Nenetion kon 
wieder aufwecken. — Soll ih noch anderer Sympts 
denten? Wie fo Häufig wirft er, in den Rittern Kefi 
feinen ochlokratiſchen Staatemänmern zugleich die überm 
Tyrannei nach unten zu und die niederträchtigfte Sc 
helei: gegen das fouveräne Volt der Athener vor 
Schuld freilich, die fie mit den Pöhelführern eines jeden 
teö theilen. Mit welcher Entfchiedenheit verhöhnt er Die 
beremancipation, die politiihe ſowohl, als bie 
liche! in der Lyſiſtrata zuerft, Bald auch in den Thesr 
riazufen, und als Greis noch in den Ekkleſiazuſen. Wi 
ſtoteles vortrefflih bemerkt, dieſe Smaneipation der $ 
teifft in der Regel mit den Ausartungen feiner drei € 
formen, mit der Oligarchle, der Pöbelherrſchaft oder ? 





— — 


1) Bel. F. Ranke Vita Aristoph. p. CCCXXXIX. 
2) WBgl. die Hypotheſis zu den Vögeln. 


®) gl. Acharn. 65 sqq. 105 sqq. Lysistr. 1132 sqgq. un 
zählige andere Stellen. 


$. 2. Barteiftellung des Ariſtophaned. 309 


bi zufonımen. 1), Wenn. bie Blüthezeit des Stäates vorüber 
: wenn Uebervölkerung die Shen verſpätet ımd-bie Sitten 


agräbt; wenn im allgemeinen Berfalle die Minner gleich⸗ 


‚m Weibern werden: da pflegt. bei einer jeden Nation 
B:Beib feine Heimifche Sphäre zu verlaffen, "dem. Manne 
guäften, das Band. der Familie gelockert zu werden. Ari⸗ 
aned Hat Hier ſchärfer geſehen, als Platon:iſelbſt. — 
Schilderung ſeiner eonſervativen Sinnesart mag endlich 
leſſen ‚werden durch den glorreihen Kampf, : ben er in 
Bolten. gegen die rätionaliftifche Auftlärung führt; 
fiel andern Stüden: gegen die Verderbniſſe der. Kun; 
Benffinieten Weiſen eines Phrynis ober. Kineſias bie, wer 
und fittlichen Licenzen eines Euripives 2). 
Wenn Ariftophanes.' ein gewöhnlicher Bortekmani —* 
k wäre, ober auch nur fo befangen, wie die Parteiführen, 
Parteiredner, um in. der Praris zu wirken,wenigſtens 
m müflen: er hätte gewiß mit derſelben Entſchiedenheit 
Wonſervativen gelobt, wie er die Gegner getadelt hat. Da 
BE 28 ſich denn zunächft, wiefern die praktiſche Wirk⸗ 
Leit in. feiner Abſicht gelegen. Freilich. rühmt er ſich, 
Verbeſſerer des Volkes zu fein, weil er deſſen Schmeichler 
gt ,: und zur Gerechtigkeit gegen bie Unterihauen ermahnt 
2). ı; freilich tadelt er Parteigenoſſen, wie Den: Archepto⸗ 
„die einem Kleon gegenüber nur Thränen, keinen BE 
Baud;, Haben.‘). Ueberhaupt fcheint es Ihm unziveifelhaft, 
en Poet ein Lehrer der. Erwachſenen jein müſſe: weß⸗ 











7 
.. 4 





k. unn 

4) Aristot. Polit. V, 9, 6. ®gl. Guil. Roscher Dehistoricae 

Deirinae apud sophistas maiores vestigiis (Gott. 1838.) p. 39 sqq. 
9%. Sogar bie harmlofe Kalenderreform bes Meton ift ihm zum: 

px: Nubes 607 sqq. Pax 406 sqq. 

. ?) Acharn, 603 sqq. 

> *% Eauitt. 322 sqq. 


310. Ahukydides. Kap. 40. 


halb er heniget iſt, auch von Orpheus und Muſäos 
Heſiod sihd-Homer.die praktiſchen Perdienſte nachzuwe 
Aber errmeiß'dodz; felbſt recht wohl, daß fo tief ger 
Kraukheiten, wid’ z. B. die Prozeßwuth des athenifche 
VB. duch den. Komiker nicht zu: heilen ſind 2). Au 
es der Schluß feiner‘ meiſten Stücke deutlich genug be 

dag. er anupuaktiſchen Eiufluß derſelben nicht: gedad 
Winde sicht das EGnde der Wespen bie vorangegaugen 
ral geradezu üben umiſtoßen 7 nicht in der Lyſiſtrata Di 
berherrſchaft geprieſen werden? nicht: in den Vögeln. bal 
vnithige Luftſchloß üſrer Menſchen, und Götter trinmphir 
Keiu⸗ großer Dichter, meine ich; verfolgt praktiſche Zwe 
ihrer ſelbſt willen: mit ſo ausſchließlichem Eifer. Ariſto 
hätte. ſich vnzufrieden gefühlt, wenn er in einem Uto 
(ebtj. on: fine Luſtſpiele wären möglich geweſen. 
.Mir entdecken pielmehr bein Ariſtophaneg .eine Tor 
Unparteilichhtrit, welche ganz. zu: vergleichen iſt ber 
bekachteten hiſtariſchen Unparteilichkeit Des. Thukydides. 
Hein Freilich iſt er feind; aber nicht ſo, daß er den 
deßwegenüherſchätzte. Man betrachte nur die Anfang 
der Riter. Daß er den Nikias überhaupt als komiſcht 
darſtellt, würde an! ſich noch Nichth beweiſen: ſelbft ihr 
linge kannn die Komödie: nur auf ihre Weiſe verher 
Der groͤßte Komiker der Neuern, Cervantes, hat in 
Don Quirote dad ganze Weſen des ſpaniſchen Volk 
der philippifchen Zeit insbeſondere komodirt, für. die « 
doch mit Wort und That begeiftert war. Wie erfcheit 
der ariitophanifche Nikias? Alles, felbft das Geringfte 
er thun folk, muß von dem kräftigen Demofthenes erſt 
regt werden. Nikias it befcheiden (15.), waſſertrinkend 


I) Ranae 1007. 1033 sqq. 1052 sqq. 
2) Vespp. 650 sqq. 


$. 2. Unparteillehfelt. vesNriſtophanes. 311 


Kissfäcchtig (30,406): aber den Gottern verhaßi (24.); 
viusfichrang freinder Plaue nilcht: ichel geeignet. IOn.) 9), 
jiefurchtſam (111. 357.), zuudernd 2) ſchuelln verzag 
Wi), ſchen vor dem Volle (32:75, gem ut der zwelten 
ble:zufeicben (120: ff. 256) ,. im Ungluck. leicht zum Opfers 
eutichlafet (80:3; —:1; Mani ficht:, Ariſtophanes: ſchruel⸗ 
Ki ht Auch: iſt der gauze "Gedanke: ſchon; du Rledti 
e durch den: Wurſthändler beſiegt werden -fosee, scaffo: nen 
imiſcheci/der ihm an- aller Att demagogiſcher Stchlochtigkes 
uoch überlegen iſt, nichts weniger, ats baſonibers ehrrnvoll 
ı bie’ Gouſervativen. In: ven Fiüöſchen, wo Den Demob⸗ 
rer Rleopbon der Stritkzugedacht / wird, horenewit zugleich 
b: den: Oligarchenführer Adeimantes fitt todeswindig :rrfkite 
(A313:f9.). Einige Hanpttkanen des Ariſtephareß, dit 
opheimntiſche: Beredtſamkeit die verderbliche Erziehungsineiſe, 
allgemelne Sittenloſigkeit Der: Zeitgewoſſen? ja Jüſſe weffen 
votnehmen, reactionärtn Pubel vullkonricen Wenſoſehr 
den genteinen, revolutionären: Zt. ih: den⸗Wolken Ddet 
es Strepſiades wohl irgend beſſer‚als fein: Shut: an: deu 
espen der junge Bdelyklern irgend Beſſer, als fein Vuter? 
nd. Die Mänger in: ben Ekkleſiazuſen ihrer tollen Ehthälften 
je vollkommen würdig?- - "Sor eifrig Ariſtophanes Ken: Nik 
nalismus ber Sophiſten! bekämpft, ebenſo eifrig, bekämpft ex 
euerwachenden Pietismus 2). Wie er endlichals Jung⸗ 

3 ſchon, in den Wolken gegen Sokrates .geftrittenHak;: fo 
e als Greis, in den Exlleſiazuſen gegen Platon. obwohl 
ſe Keiden doch recht die „Baupiphttofopfen. der, „‚poltifchen 
d ri huchen Reaction Waren. 

Da Pa 

1.8891 Avęs 365. _ rn it Eure J He 
. 9 Ibidem, 641, nr nn : 0“ 
3) Pax 1033 : sag. Aves Pe sun und viele andere en Auch 


gen die fremden Culte ſcheinen die voren und die kemnierinnen geeifert 
1 haben. ze N tet nn no A 


312 Zhufybloe. Kap. 10. 


. Eben deßhalb aber Bleibt es dem Ariftopfanch auch ncig 
Lich , ungetrübt durch Parteleifer, den reinften und a 
fin Batriotismus an den ag zu legen. Am d 
wohl in dar Froöſchen. Wie unvergleichlich weiß er. bier, 
ter der wachſenden Bedrängniß. des Staates, die. Parteien; 
Mäßigung und zur Eintracht zu ermahnen! Bine: 
Amneſtie fol erlaſſen werden. Wenn man die. Sklaven: 
zu Bingen mache, die in einer einzigen Schlacht ſich 
gehalten: wie könne man da um eines einzigen Kehltritkt 
len fo niele Bürger zu Atinien machen,. deren Väter da 
vielen Schlachten ſich groß gegeigt (686 fi.) — In 
beſſern Zeiten hatte Ariſtophanes befländig dem Alkibiabei: 
ponirt: ſchon die Zechbrüder Hatten Diefen mitgenommen; 
den Acharnern wird er geradezu als gefchwähiger. Will 
verhößnt 1). Jetzt waren die Verhältnifie anders gewerde 
Seiner. früheren Verbindung mit Dligarchen und Eakedäͤmen 
ern hatte. Alkibiades unwidexruflich entſagt; jetzt kam es # 
Athen vornehmlich auf einen ſtarken Arm an, der ha mühk 
Verderben befeitigen konnte. Als in den Fröſchen daher m 
Gutachten eingeholt wirb über den Altibiades , da äußert MM 
Euripides freilich, der Vertreter alles Neumodigen, Gefunk 
kenen in der Poeſie, noch fortwährend fehr erbittert über di 
ehemaligen Frevelthaten deſſelben; Aefchylos Dagegen, der in 
nige Repräfentant alles Bewährten und Vortrefflichen in dx 
Kunft wie im Lehen, giebt feinen Ratbfchlag dahin ab:. 


Den Löwenfprößling nähre man nicht in ber Stadt, | 
Ward er genährt ſchon, — feiner Art dann füget Euch (14275, 


Kann ein NichtHiftoriker in edlerem Sinne über den PBarter 
ſtehen? 

Wir haben ſchon früher bemerkt, daß jedes Urtheil üb 
den Werth eines Staates, einer Kunftperiode u. ſ. w. b 








1) Auch im Triphales noch, wie es ſcheint, Olymp. 90, 2 


5. 2. U. Anficht von der Blüthezeit Athens. 313 


jt ober. unbewußt, ein früheres Urtheil über bie BLüthes 
t· des Bolkes tn: Allgemeinen vorausſetzt. Wie bei This 
Ddes, je bildet auch bei Ariſtophanes die vergangene Herr⸗ 
leit von Athen. den gemeinſamen Hintergrund feiner Werke. 
ikydides, in richtiger hiſtoriſcher Erkenntniß, betrachtet: die 
atauerwvaltaug· des Perikles als die. Bluͤthezeit ſeines Va⸗ 
mdes:c Was! hingegen den Ariſtophanes betrifft, ſo nenut 
ven Perikles zwar Olympier 1), preiſet andy feine Uneigen⸗ 
igkeit 2) 3/ aber er ſpottet gleichwohl über ſeine großherzige 
buungbablage: eig zo drov, und klagt ihn an, daß er um 
ler. Huren willen den Krieg entzündet). Auch den So⸗ 
les ‚läßt er ‚gelten, doch ohne Begeiiterung für ihn y. 


et len 2m . ep 
or on en 2 ger 
>. "Achern. as eqq. ⸗ * U 
2 Bauie. 288 " .. A — * 3. ee 7 


3) Nubes 3. Acharn. 498 sqgq. 


4) Daß Ariſtophanes den Aeſchylos wirklich über Sophekles achelt 
e, geht aus ben Froͤſchen hervor, nicht allein aus der Babel bes 
icks im Allgemeinen, fondern aus ganz Elaren und unzweibdeutigen 
Serungen im Einzelnen (787 ff. 1515 ff.). Komme doch Niemand 
sit, daß Aeſchylos nur als der ſchärfſte Gegenfag zu Euripibes in 
Vordergrund geichoben feil Aeſchylos bietet zwar dem Sophokles 
en Ehrenfig an, aber nur aus Höflichkeit: denn V. 1518. erklärt 
ihn geradezu für den’ Zweiten. Auch macht Sophokles feibft, dem 
chylos gegenüber, keinerlei Anfprühe darauf; nur dem Euripides 
[ er nicht nachſtehen. — Wenn deſſen ungeachtet nicht bloß NRöts 
er, Sondern felbft ein Mann, wie Gervinus, jenes Wrtheil bes 
flophanes hinwegdeuteln will, fo weiß ich bas nur baraus zu erklä⸗ 
y daß ein fo fchiefes UrtHeil bei einem fo großen Dichter und Kriti⸗ 
quf ben exſten Blick allerbings befremben Tann. — Der Komiker 
pnichos, der feine. Mufen zugleich, wit, Ariftophanes Fröſchen gab, 
» wohl in berfelben Intention gab, bat ben Sopholles richtiger bes 
eilt. Er ftellte bem Guripides allerdings den Sophokles gegenüber, . 
ırpocr. p. 104.), und vermuthlich zum Wortheile des Lettern 
gum. Dedip, Colon.). Komiſch wirkſamer iſt aber der ſontraß 
Aeſchylos ohne Zweifel geweſen. 


sa... AIhukydides. Rap. 10... © 


3. Dagegen überfpringt' cx.die nächfigelegene Bergen 
Themiſtokles, Myrxonides,/ der :ältere Ahıdlydides- und. 
den’. „Ichwarzhintrigen? Pertreler der guten alten Zeit | 
tee: Am Staatsmännern feine Lieblinge. Ueberall fe 
zurück auf Den Ruhm Des, marathoniſchen Athen 
De: Knahen ſchon, in ernſter Muſik und ſtreuger Gt 
erzogen / Eerifch und, beſtheiden, aber geſund und. Fugen! 
emporblliheten 3. wo die. Märiner kraftvoll und vier 
wären ‚feine ſelbſtſüchtigen Marktſchwätzer und Gauma 
dern Speer und Lanze, Helm und Harniſch und Dem fi 
hen Schild des Ajas ſchnaubend 2); wo Pärynice 
Biene gleich, aus Hain und Wieſen die Frucht umftı 
Melodien pflückte, immerdar ſüßen Geſang ice 
wo Aeſchylos, von Demeter’3 Weihen genährt %), 

großartiger Stille 5), bald wie ein Löwe, ihnen 
rollenden Auges und mit Donnergebrül 6), . feine Tr 
ſchuf, reih an Vaterlandöliebe und erhabener Gefinnur 
welchen Ares felber daherbraufte ). — Auch hier 


i). Nubes.961 qq. Fu un | Rn en 
2) Ranae 1013 sqq.” a 

| 5 Aves 736 sqq. 
9 Ranae 886 sqq. 


s Ibid. 90 si nt 
e). lbid. 814 ‚sqq. | 
7) JIbid. 1021 sqq. — & erſcheint auch die adlden⸗ C 


baar bei Ariſtophanes als ein Symbol der guten alten Zeit, 
ſie doch im Gegentheil eine Tracht der noch frühern, verweichlid 
riode war: Thucyd. L,6 — Daß übrigens noch in Th 
Zeit gar Manche dawaren, welche den Perſerkrieg ſelbſt eriehi 
erſieht man aus II, 21. Die Gefallenen von Marathon hatte d 
officiell für unerreichbar erklärt (Ib. II, 34.) So fchntell‘ aud 
bei Platon (Lysis p. '205.),'’Daßjenige, was be rerätgonfän 
heilig gehalten, in Vergeſſenheit, ja Verachtung gerieth:- 


F. 2. A. Anſicht von der Blüthezeit Athens. 318 


In gentifer Kreislauf. Die Poeten, bis auf Aeſchylos her⸗ 
der, hatten von der älteſten Mythenzeit als von einer gol⸗ 
men getränmut. Bei den kleinen Komikeen ſcheint dieſe Ans 
ht immer fortgedauert zu haben 1). Kratinos hatte ˖dit Dei⸗ 
a des Solon 2), Herodot das marathoniſche Alter (7), Thuky⸗ 
des das perikleiſche für den Höhepunkt der helleniſchen Ge⸗ 
Hehte angeſehen. Der Komiker Eupolis, dem Ariftophaned 
ft näher fichehd, urtheilte hierin doch tätiger ‚ obwohl 
ne Zweifel fürs die Komödie minder: geeignet. In "feinen 
wen ,:: na über bie Werderhnih.:der ‚gleichzeitigen. Staates 
Anner Bericht: gehalten: wurde, ſaß auch Perikles mit'nntet 
Michterno an. zur. Seite Ariſteidez, Miltiades uud Soö⸗ 
RB); Ariſtophaues: nahm die Anſicht: des. Herodot wieder 
Ef. : Auch Sokrates ſchaͤhte den Themiſtokles Über den Maris 
68: jener Habe: das Volk mit Verdienſten bezaubert, dieſer 
3 Suenentiverr . — weüer geht Jeotraten But: 


kehpertoos —A 275 IF Ion 7 f: Be ur 5 


on boch bis uf Beriöfthenes peräb And (päter noch vorzugsweile ſtolz 
af die Tropäen udn Marathon (Demo sch’ Pro . cor. p. 29. Plüc. 
le glor. Ah" Bol. oben '&. 232 na 


9 In rates Thieren z. B. war kei üreontfäe Zuſtand düsge- 
Kite, wo bie Thiete noch mit menfchlicher Bernunft, menſchlicher Hebe 
egabt finds wo es weder Herren noch Knechte glebt, ſondern Alles von 
Abſt dem hungerigen Munde zuwächſtz3. wo das Fleiſcheſſen ſogar ip 
noͤlicher unſchuld für Sünde gilt. Ganz ähnlich Pherekrates in ſeiner 
herbannung des Gelbes, ‘wo nachher alsdann jene: alte’ Herrlichkeit‘ zu⸗ 
Ackkehrt. Auch: Zeleklibes in feinen Amppiltyonen. Athenaeus VI, 
. 268. 


3) Dieß erhellt namentlich aus den Kragmenten feiner Mono. Auch 
2 den Xeipwres wurde kein Anderer, als Solon, aus der Unterwelt 
eraufbefchworen, tum bie entarteten Beitgensffen zu beſchämen. 


3) Longin: xvr; 6. Stob. XLUN, p. 163: dgl. Valcke- 
aer Diatr. Eirip. P. 252. * 


4) Xenoph. Memor. II, 6, 13. 1m, 62 


v —24 













316 Thufyoives. Kap. 10: 


ihm fcheint die Dlüthenperiode von Athen in die Zeiten 
Kleiſthenes und Solon zu fallen). .Seine Schüler 
ſowie Die Philoſophen nach Sokrates, reden geradezu 
vom kroniſchen Alter 2). - 


8. 3. 
Poetifche Methode des Ariſtophanes. "u 
An geiſtvoller Auffaſſung menſchlicher Char 
tere fteht Ariſtophanes kaum hinter Thukydides zurüd, 
betrachte nur feine meiſterhafte Schilberung des Nikias 
Demoſthenes in den Rittern! Nikias erſcheint bier unter. 
dern als in unglücklichen Verhältniſſen Leicht zum Opfetet 
entſchloſſen (80.). Welch eine wunderbare Divination | Wi 
im ſyrakuſiſchen Kriege nur allzu ſehr beitätigt wurde. Un 
fo wunderbarer, als Nikias zu der Zeit, wo bie Mitter. gap 
ben wurden, immer noch feines Glückes wegen berikel 
war. 





Wenn aber auch Beide, Poet und Hiſtoriker, mit geh: 
her Schärfe beobachteten, fo mußte die Verſchiedenheit ik k 
Naturells und ihrer Lünftlerifchen Abficht doch ihre Darftels 
lung durchaus verfchieden machen. Nur bei den Nebenpeie 
nen wendet Ariftophanes jene Beinahe Hiftorifche Treue. m: 
offenbar, weil ex für fie am wenigſten poetifche® Intereſſe be 
ſaß. Seine Hauptperfonen dagegen find Weſen, mie fie mie 
mals gelebt haben, wie fie auch in der wirklichen Welt nit 
leben koͤnnen, für bie aber der Genius des Dichters eine & F 


1) In ber areopagitifchen und panathenäifchen Mebe. 


2) Meber die platonifchen Zeiten der Atlantis findet man bekannk 
lich im Kritias, Timäos und Politikos Auffchluß. Ueber ben Dikäor 
chos vgl. Porphyr. De abst. IV, 2. Hieronym. Tom. IX 
p. 230. 


$. 3. Portfge Weifobe.bes Ariſtehanes. 347 


e Welt geichaften bat, wo fie lebendig und umenibehrlich 
d. Dieß iſt jene poetiiche Einfeitigkeit und Verſchärfung 
: Sauptzüge, deren ich in den Prolegomenen gedacht Habe !). _ 
ee Poet kann fie wagen, weil Congruenz mit der Wirklich 

t ihm Fein Bedürfniß iſt. Ariſtophanes fcheut fih z. B 
rchaus nicht, auf das Haupt ſeiner Perſonen Alles zuſam⸗ 
auuhäufen, mad er Aehnliches oder ſcheinbar Aehnliches 
erhaupt nur aufbringen kann. So trägt er u. A. auf ſei⸗ 
w Kleon Alles über, mas ex irgend nur am Demagogen⸗ 
zıde bemerkt hat. Wenn er daher auf den Hyperbolos 
kunt, dem ex doch nicht weniger gram tft, fo bat er dafür 
me Farbe mehr. : Sie war beim Kleon verbraucht worben 2). 
Wie von einem Komiker leicht begreiflich tft, fo überſchätzt 
den pragmatifchen Einfluß der Individuen, um deſto beſſer 
gen fie eifern. zu können. Die Verderbniß des. Volles 
yeint ihm nur Mißleitung, und ex nerliindigt fogar mit ‚bes 
Denswerther Zuverſicht, wäre nur. Kleon erſt abgefeht, ſo 
ürde bald eine Zeit der Miltiades und. Arifteives wiederkeh⸗ 
ws). Späterhin jedoch, als die Erfahrung ihn von. dem 
fern Sie des Uebels belchrt hatte, da läßt er in ber Une 
rwelt den ſophiſtiſchen Euripineß freilich ‚zur Rettung des 


) Oben 6.3. U 

2) Bgl. Pax 664. — Mein verehrungswürdiger Freund, F. 
ante, macht mich auf die mancherlei factiſchen Widerſprüche aufmerk⸗ 
m, die u. A. in ben Wollen zu finden find. So z. B., daß Sokrates 
e Geld unterrichtet, ſogar ſtiehlt, und doch in (dmusiger Armuth 
bt. Solche factiſche Widerſprüche, wenn fie nur poetifch eine Conſo⸗ 
nz bilden, find. von großen Dichtern niemals verſchmähet worden. 
h erinnere an die Mordnacht im Macheth, die in ber erſten und zweis 
a Scene bes zweiten Aufzuges ald todtenftill, in der dritten fchon als 
rchtbar flürmifch gefchitdert wird, ganz wie es den jebesmaligen Zwe⸗ 
a bes Poeten dienlich if. Wal. auch Aesch. Eumenid. 244 sqq. 

t der Erklaͤrung meines Freundes Fr. Wieſeler. 


3) Equitt. 1322 qq. 1353 sqq. 


318 ukydides. Kap. 10, 


Landes nur eine Anderung der Beamten fordern, ben wei 
Aeſchylos aber verlangen: - 4 


Daß Feindes Rand fie achten ſollen fuͤr eigenes Land, 
Und eigenes Land für Feindes Land; in der Flotte nur 
Ihren Reichtum fehen, im Neichthume ihre Armut nur h | 

























Alfo eine vollkommene Nepriftinirung des ganzen Wolke 
rakters! — Dan Hat die fonderbarften Öypotbefen erkadiige 
um Ariſtophanes Verfahren gegen Sokrates zu’. rechtfertigt 
Wie konnte er nur, ſo fragt man, die eigenthinnlichiten Ah 
ker der. Sophiſten ihrem entfchiebeniten. Gegner zur Laft Ieg 
Weil er nicht bloß. die Sophiften verhöhnen wollte, fontapk: 
auch die Philojophen. Darum Hat. ex: Alles dort mit unfeiek 
licher Komik zuſammengeleſen, was der nichtphiloſophiſche Dank 
ſtand gegen den philoſophiſchen überhaupt vorbringen Tony, 
was er vorbringen wird, fo Lange: Die: Menfchen Menjqe 

Bleiben 2), Dei einem. Hifkoriker würde jede Vermiſchung ie 

Art unverzeihlich fein.” Don. den Hiſtoriker darf ich ford R 
daß er zwar einerfeit? dem Ariitophanes: fein Gelächter nad } 
empfinden, andererſeits aber auch dem Sokrates feine Spew }, 
Iation nachdenken, fie von Sophismen unterſcheiden könne. — 1: 
Weil nun der Komiker nirgendd die treue Wirklichkeit feine 

Schilderungen pofitiv behauptet, fo war es ihm ziemlich e 
nerlei, ob fein Sokrates mit den Sohne des Sophroniskel 























1) Ranae 1442 sqq. Auch fein gänzlich verändertes Urtheil ühn 
den tapfern Lamachos Tann als Beweis dienen, wie gern unfer Dichte 
zum MWiderrufe früherer Irrthümer zu bewegen war: Thesmöph. Bi 
sqg. Ranäe 1031 sqq. ' 














2) Alſo wefentlich derſchieden z. B. von Ericharmos, der zwar 
auch den Herakleitos und die Eleaten verſpottete, aber doc, wohl nu 
vom Standpunkte feiner eigenen Philofophie, der. pothagoreifchen , aus F' 
Vgl. Aristot. Metaph. II, p. 79. ‚Br.  Grysar De Doriess 
comoed. p. 115 sq. ' 














$. 3. Woeuſtche Mnthode vSes: Ariſtophanes· OL 


reinſtimmts. ti Hier wäre nur etwa. die Rechtsfratge Abrig⸗ 
eine ſolche komiſche Freiheit vielleicht: VBerlrumdung · Heften 
ne. Davon: ſeheu ich ganz ab; :bapiiitifiophaned;,’ Dee 
ge, Komddien nur gegen dienbedeutendſten Männer: fciytiek, 
m durch feiner Auswahl den Sokrates fie den erſten Philo⸗ 
ben ber. Beitzerllärte. "Wer: aber den ariſtophaniſchen It 
friner eniſchiedenen Sutmüthigkeit. Bennen - gelernt. N).,7, ua 
eigene Urtheil der Sokraliker gehtet dt Ir dem. wird ae 
twort nicht eben. fchiner fallen: ° 
2MOierariſtephemiſche —* iR. in. —8* ‚Ders 
Yinften Komödien außerordentlich: oonſtant und einfach. YLyes 
in ein: Wil; ‚eine. ſcharffinnige Vergleichung pflegt zu Grunde 
liegen. Ariftophanes bahnt Sich hiermit den Wegiiansiner 
meinen. Wirklichkeit in eine idealiſirte, d. h. völlig verkehrte 
elt, die et mun mit der: größten Conſequenz der wirklichen 
et. parallel aufzubcuen fucht. Seine reiche Phaniaſie ver⸗ 
dert dabei, Zdaß: der urſprüngliche Witz durch: die Minds 
jrung ſchalwird. — So lagı eb z.B. ſehr nahe,: We 
belhaften n ſchnelb· wechſelnden Philoſopheme jener Zeit mit 
0 Idemn: zur verglächen. DieſenWitz Hält. Ariſtopha⸗ 
B nt Ber nänpenften Strenge Tel. ru. ug,” daß * 
TE) ur hr 
1 Tllf ums BR Te in) 
' Ku 3 a Vor EN Tas re A Der BEE TR. 
1) "Gupotie ‚Teint: bem. —* in, kurzen Worten, und hoch. vlel 
terer gehöhnt zu. Haben, -ald Ariftephanes in den ganzen: Wolken « 
. Schol. Nubes 97. 179. - — Für die Gerechtigk⸗ it der ariſtoybani⸗ 


in. Wollen vgl⸗ hauptſachtih die ebenfo gelftvolten; als gründlichen Un- 
ſuchungenvon: g. cn Er Am ter Mile, PICDXXWLsqg;, befand 
& bie fhäng Stelle p- GDEXRNIU.  Himpbi: ante. sit Aecht ciach⸗ 
tft, baß — Anſicht über Sokrates immer dieſelbe geblieben: 
res 1280 sqq. 1553 sqq. Ranae 1482 800. 


3) Platon's Erwähnungen in ber Apolq e ſind in der That ſehr 
mäßigt; der kleine Stich im Sympoſion —— (p. 221. B) offenbar 
cht boſe gemeint. Vgl. Ed. Maul ler Geſch. der Thedrie ber Kunſte 
9.1, &. 218. er ad FE BE 777 . 


320 Spufgbtoet. Rap. 10. 


die meiſten Naturphänomene aus den Wolken zu 
weiß : auch feine Verheißungen, feine Drohungen an bie Ki 
ner Haben ſämmtlich mit den Wollen zu thun2). — 9— 
ganze Acharnerk omödie beruhet auf Einem Wige | 
herrlich wäre e8 doch, weil Die Athene mu einmal nit m 
Im, wenn ich allein fie meine Berfon mit den Lakedaͤrn 
ern: Frieden fchlöffel Die chimärifche Idee eines ſolchen 
zelfriedens wird nun mit der Inftigften Conſequenz durch 
Hauptverhältniſſe des wirklichen Lebens durchgeführt: in ih 
Gegenſatze mit der befichenden Politik, in ihrem heftigen € 
fliete mit den biedern Acharnern, in ihren fegendreichen A 
gen für den Friedensſtifter ſelbſt, während vingöuue | 
Drangſale des Krieges fortwüthen. | 
Am deutlichſten läßt ſich Dich Verfahren in — 
Srieden verfolgen. Irgend eine verunglüdte Belleropf 
teagödie, vermuthlich die des Euripides A); muß ben 2 
phanes veranlaßt haben, den Pegaſos des ——* 
einem. Roßkäfer zu vergleichen. Der ganze. Staat war dam 
in der Heftigften Spannung : fol der Krieg: fortgefeht, f 
der Friede gefchloffen werden? Da fällt dem Komiker Ari: 
iwie, wenn es möglich wäre, die Friedensgöttin felbit, Mg. 
mitſammt ihrem Gefolge irgendiwo verftedt fein muß, 
Himmel wieder herabzuholen? ine glüdliche Combinat 
bietet fofort den Roßkäfer als Werkzeug dar. Der ehrlih 
Trygäos ſteigt auf feinem Roßkäfer gen Himmel, den Zah 
perfönlich um Frieden zu Bitten, Die unſaubere Natır Mi 
Käfers giebt zu den fehnurrigften Ideen Veranlafjung. G 
bei Eröffnung der Bühne fehen wir die Sklaven de Teygle 
befchäftigt, dem Ungethüme unter Ach und Weh Mifttuhei 

























E 





1) Nubes 575 sqq. 1114 qq. 


2) Obwohl der euripibeifche Bellerophon ſchon in den Wespen be 
rührt wirb: Schol. Vespp. 789. gl. übrigens Schol. Pac, 147. 


$. 3. Woetiſche Methode des: Weiftophand. TEL 


neben. :: Wie Tryglos euwporſtiegt, "fo beſchwiet er all⸗ 
Warner, ihre: Abtritte zu verſchließen, und tpt: Theatet fu 
großten Anſtand zu besbachten, Damit: fein Kifer durch 
GSeruch nicht irre werde (96 ff. 164 fſ.).. Denn; ein 
w wortheil diefes Kaferrities beſteht eben darin, daß “wer 
ter nur für ſich, alſo nur einfache Rationen mitzunchmen 
witz wenn er ſelbſt fie. verdauet, Können: die Ereremente 
. alg Nahrung des Roſſes dienen (137 ff.). Lehrt :doch 
ne: Die:ſopiſche Kabel, daß der Miſikäfer allein wow allen 
Bern. Geflügel zu. den Göttern emporgedrungen (129.5: 
Ate Trygüod: ja. bei feinem Fluge in's Meer. fallen,n fo 
werben: Käfer immer noch: als naxiſches Aäferhont :Txdm 
Sog} :geisauchen, zumal der Peirüeus mit ſeiner Kaferbucht 
Kezgou Ayızv) in der Mühe iſt (142 ff.). Als Trygäos zu⸗ 
uſeinen Zweck im. Simmel erreicht hat, bleibt. fein Käfer, 
encer jetzt nicht mehr bedarf, aus dent paſſendſten Gruude 
lare er foll von nun an: den. Blitzwagen des Zeus. führen, 
y mit den annroſiſchen Ereromenten tes: ſüßen Garquedes 
lihrt werben ). 

Die Extreme ahren ſich. Weil Aniephan⸗ Moe 
ihren Füßen fo oft: in der pfatteften Gemeinhelt des Le⸗ 
Biwmberwatet, : fo. muß. fle -fich mit dem Haupte dafür zu 
€ deſto huftigern Ideal ität emporſchwingen. Ariſtopha⸗ 
wie die altattifche Komödie Überhaupt, hat hie. Idealiſi⸗ 
I, die Vermenſchlichung der materialen Welt zu einem vlel 
cn Stade. gebracht, als die Tragödie, wenigſtens unmittel⸗ 
3 degend gedurft hätte. Nie würde ein Tragiker die Kühnheit 
xa ſeinen Chor aus Wolken, aus Wespen, aus Bögeln, aus 
iſchen, aus Luſtſchiffen zuſemmenzuſetzen. — Doch 'will der 





— — 


1) 722 ff. Bol. auch die geiſtvoll durchgearbeiteten Späße von 
Mörfer dos Reiegsbänson 236 m unb von ben Reigen‘ der ſchönen 
via (874 .).. 

21 


Ba hulydides. Kap. 10. 


Am anffallendften wird der Ahſtich zwiſchen: beiden Maͤnnn 
da, wo ſie die Geſchichte der Hermokopiden berühren. 

welcher Zartheit umgeht hier Thukydides das ſchmutige 
tail dieſes Vorfalles 1), das Ariſtophanes unigekehrt fo n 
gefällig zu benutzen weiß YI Ich habe daher oben: das ld 
riechende Beiſpiel des Trygäos abſichtlich ausgewählt. 
ben. Ariſtophanes malen will, muß durchaus auch von Mai 
Barbe einige Pinſelſtriche hinzuſetzen. Man ifieht hie il 
deutlich, daß der Begrifi. des Poetiſchen keineswegeb an d 
Gegenſtänden ſelbſt, fondern. einzig nur. an der menſchlie 
Behandlungsweiſe derſelben haftet. Wer irgend Sim hut ſu 
komiſche Poeſie, der: wird eingeſtehen müſſen, daß Ariſterie 
sueß das: Unſauberſte im? Leben zu ebenſo herrlichen Effecten ie 
Aukt, wie wohl andere Dichter das Erhabenſte oder. Suͤßckt 
















1 ne. 





3, Phueyd. VI, 
5 Lysist. 1102 sqq. nn 


Viſtes Kapitel. | 
erade de ara. 


PR a D . - « " .. 2* ra u... t. Dr 
Fi: 224 ⸗ [ — u . " een u... " . " er 1 


nie: LEO nel Be EL Par 7— er 


En feiner Sprafe iſt Xhukyoider dem Seprhrele ſo 
Be verwandt, wie der groͤßte Hiſtoriker dem größten‘ Dichter 
E fein Yatın. Ein leider verloren gegangenes Büchlehr, wel⸗ 
8 Sophokles über feine eigene Entwicklungsgeſchichte abge⸗ 
Et, ſagte von ihm ſelber aus, ; ex habe drei verſchiedene Stil⸗ 
toben durchgenacht: zuerſt eine ſchwülſtige nach Aeſchytot 
eiſe, darauf eine herbe, kunſtliche, wm zuletzt huf vie heſte 
dzur Charakterſchilderung geeigneiſte Überzugehen'Y. "Die 
Eiigone, das früheſte feiner aufbewahrten Stuͤcke, auch durch 
Ißern Bilderreichthum, ſtrengere Naturwahrheit 3) als ein 
Jendliches Werk bezeichnet, erinnert noch gar lebhaft an die 
Site jener Perioden. Thukydides Schreibart möchte zwiſchen 
3 zweiten und  Tegten etwa in ber Mitte Beben. — Ein an⸗ 


i Ich habe dieſes Kapitel hierher geſetzt, weil ich Überhaupt 35 
einung bin, daß die Sprache eines Schriftftellers dann erſt Gegenflanb 
schtbarer Betrachtungen werben kann, wenn man zuvor bie beige 
rhältniffe feines Geiftes genau erforicht hat. nr 


2) Plut. Prof. virt. 7. 
3) Die namentlich in der Rede bes Boten hervortritt. 


>24 Thutvodwes. Kap. 10. 


5 Ende ber Menſchenwelt geruickt; vollkommen vorb 
m die Tomifchen Wunder der Vogelwelt einzutreten. : 
Sie Stimmung, :welche dem ganzen Stücke zu € 
Keje, iſt das Äbermtüthige Gefühl der atheniſchen Mad 
ihrer Freiheit zugleich ‚und ihrer Zügelloſigkeit. Zur 
iſt der Dichter ſelbſt davon ergriffen, teunfen. davon un 
Darauf s zur Hälfte ficht er außerhalb, nüchtern und ſp 
Die Athener damals mit Vögeln zu ‚vergleichen, mochte 
witzigen Kopfe ziemlich nahe legen. Ihre unſtäte, fü 
aber geiſtvolle Natur; ihre mercantile und militärifche 2 
lichkeit; ihre dem Gegner Teicht als Anarchie. erſche 
Staatsverfaffung; feit der großen Pet endlich ihr: Sp 
jedes alten. Bandes von. Zucht, Pietät und Gottes 
alles: Dieß fand im Reiche der Vögel feine vortrefflichf 
rallele. Nun gar. zu: jener Zeit, mo Alkibiades Ch 
nach: Innen wie nach Außen die letzten: Schranken der 5 
kratie hinweggeräumt, wo das „junge Athen“ vie a 
denſte Herrſchaft erlangt hatte; mo es mit Hochmüthigen 
wegſehen über die bisherigen Gegner recht eigentlich ar 
gen war, die Welt zu erobern. Hatte doch ſchon Ni 
feiner denkwürdigen Rede ‚vor Eröfſnung des ſyrakr 
Feldzuges den treffenden Ausdruck uerewpog,, in de 
ſchwebend, auf die damalige Lage des Staates angema 
Kein Wunder alip, daß Ariſtophanes mit feiner fchöpft 
Gentakität. diefelße Idee in's Komifche hinüberſpielte! 
Zwei Athener-find es, wie ſchon geſagt, Die in's 
Kan. emigriren,: um. bier, die Gründer eines neuen , 
glänzenhern Athens zu werden: Peiſthetäros, d. 5. ! 
freund, und Euelpives, d. 5. Hoffegut. Ihre Forde 
an's Leben find mit reizender Naivetät V. 130 ff. ausge 


1) Thucyd. VI, 10. Auch bei Diodor findet fi a 
grondivos und ähnliche Wörter öfters (XIII, 2.). 


F. q. AMiſtophanes Mögel. 8 


1 fegen in- Diefen; Panne; die mortteff lichſeen · Biepuiteinenien 
jecetheniſchen Demagegier : Peillbetärns. AR in. Rwageag 
Arſten Range, Euelpideq mon, gmeiten, mie dün, Alan den 
Demagogen zur Unterſtůtzung nad Durchfhrung Ihrer 
Mann jeher: unenthehrlich geweſen ſind.Raymmen Fie,ie 
y.1fo mung der Syuptwann. für: Alleqg Rath ſchafſen (10 

8; 1) 5 nur. auf ihn blicken ſie (8080 ff. 3A: ſſ.)3 ihm 
a fie⸗Vorwürfe (3 ff. 338.18), : Gleichwohl ſind Re an 

I ihm nicht ſelten Überlegen Gluff.)z ſie ſind die Katzen⸗ 
Bay. womit ihr Führer ſich felbft: Die, Kaſtanim quth dem 
‚holt. ;: Eöendefipsgen. verlangen fi im Bene wenig 

- —— Behandlung (55 fi. 8Z.f. 1294.:845.11.)5 
5 fie, bitten,  menn man ihnen. befehlen ‚will, ,. Die 
Ambige Neugier. dieſer Herren if P. 291 ff. geſchildert 
M * Die Art und Weiſe, mit der. fie durch Repetiren, 
Ges Ausführen, Poffen ‚oder Geſchrei den Vortrag ihres 
Baimaunes, ihres Parteiführers zu unterſtützen; wiffen ) 
„en. fie. auch mit, Kleinigkeiten. Immer bei guter Img et 
kein (667 fi), ſo fällt doch der Haupigewinn ent⸗ 
bet. großen Demagogen zu. — Wenn gleich Rathe⸗ 

" ‚nt geradezu, wie der felige Suvern meinte, den AL 
—— fol: das ſcheint mir doch jedenfalls gewiß, 
whanes ſelbſt und jeder von. feinen Zuſchauern be⸗ 
** an Alkibigdes iſt erinnert worden. Wie: kuhne 
afigkeit feiner. Projecte, Die völlige, Somfegneng;; womit 
| ke hericenden Richtungen der athenifchen Pyolitik zu extre⸗ 
m. ſucht: auf men Eönnen fie beſſer ‚bezngen .werheu;, 8 
Mikisiades ?, Peiſthetäros, wie Alkibiades, flichet hie Ge⸗ 
Er 3365 









1) 463 ff. Bol. befonders die meiflerhaft wirkfame Art des Bei⸗ 

Me, wo ber Slaqueur fofort Alles ftehen und liegen zu laffen fcheint, 

dem jeweilig ausgelprochenen vorſchlage feines Aofuheere ei nad 
zu Tönnen: 584. 596. 60 


— MMukydives: Wap. 10. 


fahten des atheniſchen Gerichtsweſens (AO fi. vgl. 10 
ui Alt icdes furchtet er, unverſehens einmal durch 1 
Laminiai· augeholt zu werden {145: ff. 1203.) 5 wie Al 
wanderter in ein fremdes Land, um die Bewohner! 
Bin) ſeiu achen ſce Aula nad, Bupen groß, fh ſa 
au ihrem ODberherrn zu miachen 1). Er wird dire? 
kias gegenübergeftellt (Z62.). Wenn er als Greis e 
fo Hi Has: eben nur ein poetiſcher Kunſigriff, um den 
win: allge ſehr in Feſſeln zu ſchlagen. 

 Diefe' Helden Menſchen alfo kommen zu den Wäge 
Higher unter Ihren Könige Wiedehopf, zwar mit heil 
Sprache 'befnkht , aber fonft doch in ziemlich unzuſam 
gender Staatsform gelebt haben. Indeſſen wird es gl 
Der Ankunft Mar, daß ivenigftens die vornehmſten 3} 
güge des atheniſchen ·Volkes auch bei den Vögeln ſich 
Finden. :@benfb leicht brauſen fle auf; ebenſo mißtrau 
fie gegen die beſtehende Obrigkeit; „Eebenſo vaſch gehen 
Anferfien: Gewaltihat über (322) 5: aber auch eben 
werben fle wieder befänftigt, ‚wen man fie richtig zu 
deln, ihrer Eitelkeit und Herrſchſucht zu ſchmeicheln 
werden fie‘ zus maßloſen Beiwundening, zum unbeding 
horſame gegen denſelben Mann fortgerijien, dem fie fı 
her noch. dent Tedgedrohet hatten (430 F.). — Mi 
'Geſchicklichkeit verſteht es Peiſthetäros, beim Eingang 
Mede: die Naſchhaftigkeit der Zuhbrer aufzuregen (M 
Much Solon's Geſetzen haben ſie ſchon lange geleb 
Sehol.)⸗. Fetzt aber bietet ihnen Peiſthetäros die gew 
Arxana der atheniſchen Größe dar. Vor allen Dinge 
fie ihre Nation concentriren, eine einzige große Haupt 
bauen (549 fj.): wie ja auch in Attifa mit der wa 


ı) Ein ®ann, wie Arıftophanes, ronnte dieſen letztern C 
nigermaßen ſchon vorausſehen. 


| 


$. 8. Miſtophanes Wogel. 537 


wieakifirung auch bie: Freiheit nach : Innen ab. Ha: Marht 
h Außta zugenonimen hattet); Sie follen. ihre Euadt fer 
| wit Mlaneen' umgehen, stiiq es Theiniſtokles. zu Athen / be⸗ 
Hey: ind nie es damals bie mentbehrliche Grundlage der 
zen· atheniſcheir Politik maxi nr MWie bie, Atheuer ige. auf 
ws Elemnentedes: Waſſers unbeſchränkte Herven iſtnd, benſo 
Ben ab die Vögel im Elemente der Buft merden.nnIthe 
Windungzwiſchen Sinne: und Erbe: köntzen ſie hemmen? 
k Bötterh bie. Dpferzufuhr und. den: Liebeyverkehwimit ſterb⸗ 
ven: Beikern, abjigneisen;icile Menfchen duxch VBernichtnug 
Be Saat; ihrer Heerden aushungen:(553::4;):' :; Aher. auch 
weinen: fie. beiden thun. Sie Lünen das Yeltuneiuige 
ne;/,alten :cäiberifchen. Juferten, fie. fünnen Pan Meuſchen 
Borgene Schãtze ober: glüdliche Conjuneturen anzeigen, Fürs 
u Ih gefund machen, mad: ſein Beben verlängern BI), 
erche wie auch hie Athene danials das Meer vom Piraten 
ahern, im- Wege des Handels ihre Verbündeten. nitiberel- 
wein, : und: durch das Verſprechen einer freien,glückſeligen 
erſaffung alle. Leichtgläubigen zu ködern ſuchen. Selbſt den 
Ditern können die Vögel ‚ihren weitreichenden Arm leihen, 
Kr Befeftigung ihrer Herſchaft vortrefſlich Beitengen (A604 
dp wie eö.gemiß.die athenifche. Diplomatie den Lakedämo⸗ 
sen ſowohl, als den Perſern oft genug vorgefplegätt: Hatte; 1 
+  Diefe Vorſchläge werben: natürlich gut gehigenk .: Se 
uckswolkenheim iſt deu Name das neuen Luftſchloſſetun MPallab 
thene: wird. die Schutzgzöttinn deſſelben. Sogar dieGebete 
ved Prieſters find auf's Genaueſte den atheniſchen nuͤchgebil⸗ 
(876: fi.) .. Bon hier nun ſchwingt ſich unſtrGedicht zur 
habenſten Uniperſalität emp: In großantigen: Mariſſen 
kb, und Das ganze Suwrterecht, die ganze Moral wDierganze 


ya 3 


1) Wie auch die Demokraten ſowohl jener Zeit, als ver fpätern 
e oft zu der Maßregel des awvossonos ſchrittten. -.i.. 


328 Thutydides. Kap. 10. 


StauBenklchte: ded; Luftreiches vorgelegt. Aus den ein 
Grünben. des Togenannten gefunden Menſchenwerſtandes 
dem Schnlbuche des: Aeſopos ſelbſt erweiſet Peiſthetãroß 
die Voͤgel von allen Dingen zuerſt geweſen, daß ſie dah 
ſprünglich auch die. Herrſchaft über Alles geführt Haben. 
änigliche ; .alle.göttliche Gewalt m von ihnen iſt fi 
girt, ihnen aſurpatoriſcher Weiſe entwendet. Sie kam 
Augenblick init Fug und Recht von ihnen zurückgeforder 
den.. Eine Menge von: Ueberreſten bezeugt ja noch hau 
nefprünglichen Zujtand : "der. Adler des Zeus, bie & 
Pallas, die Vogelbilder: auf den Sceptern der Könige. 
heute, wenn, der Hahn commandirt, fo beginnen. die Mı 
ihr .Tagavert; wenn der Weih erſcheint, fo fängt der 
ling an; wenn der Kuckuck ruft, fo eilen jelbft die femu 
guptier uud. Phöniken zue Ackerbeſtellung (466 fi. 70 
Alfo. eine. Vögelſouveränetät, volllommen entſprecher 
Bolköfouveränetät der damaligen. Atbne! — Su 
Göttern wirben die Vögel erboben,. durchaus auf dem 
Her Wege. Was irgend in der Mythologie. an Cie 
Flügel u. dgl. m. erinnern kann, wird zum Beweiſe 
mengehäuft; natürlich immer im Tone des erhabenſten? 
(571 fi. 684 ff.). Man erkennt auch Hier wieder die | 
derungöwürdige Conſequenz des ariftophanifchen Witzes: 
er die Menfchen nun einmal mit Vögeln vergleichen wi 
iſt er: vollſtändig bemühet, alle Gebräuche, alle Reden 
alle Ekelnamen u. |. w., die an die Vogelwelt erinnen 
nem Werke einzuverleiben !). 

- Während der Zufchauer fo — was ein Haupterforderni 
— * iſt — während er im Vogelreiche ſich 
wicderfindet, ſucht der Dichter zugleich auf die luſtigſte 
von der Welt eine Sehnſucht nach dieſem Eldorado a 





) Bgl. 1276 ff 


$..8. Miſtophanes Vogel. | 329 


J 
Alle läſtigen Pflichten, etwa von Kindestreue u. fe. me}, 
Drüũckende des StandeBunterfchiedes, oder der helleniſchen 
barbariſchen Abkunft: bei den Vögeln find fie unbelonnk 
iſt rin Gebrandmarkter würde Hier immer noch als bunter 
e gelten koͤnnen. Wie glücklich müßten ſich alle hungeri⸗ 
⸗over ſtuhlgaugsbedürftigen, oder. ehebruchsluſtigen Thea⸗ 
zunbe'preifen, . wenn fie, mit Flügeln bewehrt, ſchnell 
Ri verlaffen, und ihn nach beendigtem Geſchäfte ohne 
rung wiedereinnehmen koönnten 2), — Solche Einladun⸗ 
aerfehlen natürlich ihren Zweck nicht. ine Menge von 
aniſten ſtrömt aus dem menſchlichen Athen herbei, um uns 
Meiſthetäros Regierung in dem neuen Bogelathen ihre Hei⸗ 
MB ze gründen... Armſelige Poeten, lügenhafte Orakeldeu⸗ 
bprbantifche . Kataſterbeamten, tyranniſche Bundescommiſſa⸗ 
zndringliche Geſetzverkãufer, gottloſe Söhne, ſchwülſtige 
Beyeambendichten,:::fytophantifche Advocaten, all das Pad 
BR elsen Worte, an welchen Athen moralifch zu erſticken 
Bi, ;08ı denkt im Vogelreiche feine: Befchäftigung noch freien, 
b-einträglicher . fortfegen zu Können. .Mit dem feinften 
Be weiß Ariſtophanes dieſe Menschen verfchieben zu behan⸗ 
w Die Meiften werben einfach mit der Beitfche gezüchtigt; 
Rn, gewöͤhnlichen Werkzeuge. der. Eomifchen. Nemeſis. Der 
ge Boet wird mit Rod und Mantel. befchentt, als dem 
erſten Mittel, - feines läſtigen Geſanges los gu: werden. 
5 Bei. dem: gottloſen Sohne fühlt der Dichter felbft, daß 
e komiſche Strafe ungenügend ſein würde: dieſen weiſt er 
ee zurück, treibt ihn an: zur männlichen Buße für feine 
Endlich werden auch die Götter mürbe. Ein Mißver⸗ 
Igter unter den Göttern, Prometheus, erſcheint als Ueher⸗ 
fer beim Peiſthetäros. Ex meldet von Zwiſtigkeiten im 


y a52 ff.. Bol. die herrliche, Anrede an die fünf.Krititer: LION ff. 


412 


BWukyydides. Kap. 10. 


Am auffallenditen wird der Abſtich zwiſchen: beiden Männdı 
da, wo fie die Gefchichte der Hermokopiden berühren. M 
welcher Zartheit. umgeht hier Thulydides das ſchmutzige De 
tail dieſes Vorfalled ’), das Ariſtophanes unigefehrt fo woh 
gefällig zu benubßen weiß I Ich babe daher oben: dad uk 
riechende Beifpiel des Trygäos abfichtlich. ausgewählt. Da 
ben. Ariſtophanes malen will, muß durchaus auch vom dit 
Barbe einige Pinſelſtriche hinzuſetzen. Man. ifieht hie rch 
deutlich, daß ber Begriff. des Poetiſchen keinesweges an da 
Beganftänden ſelbſt, ſondern. einzig nme. an der menſchlia 
Behandlungsweiſe derſelben haftet. Wer irgend Sinm hat ſu 
Eomifche:®Poefie, der wird eingeſtehen müſſen, daß Acifepfe 
ueß das: Unſauberſte im7Lebe zu ebenſo herrlichen Efſecten ke 
ndt wie wohla andere wit d das 3 Baabenfie 0 ober 2 


v. Aaeya v1, Ds “ 


5 „Lysist. 1102 saq. nn 


Pf 
Kan BE 527” SE BE Er a 





J Elfe Kapitel... 
en Errase des ——— y. m 


rt — Timm hmm. Dirk) 


wii. N. Biel. Pau a a Fu dio du. 


Keiner Sprache iſt Thurhdides dem n Sephotes % 
He verwandtywie der groͤßte Hiſtoriker dem größten‘ Dichter 
= fein kann. Ein leider Verloren gegangenes Büchlein, wel⸗ 
8 Sophokles über ſeine eigene Entwicklungsgeſchichte abge⸗ 
Pt, ſagte von ihm ſelber aus, er habe drei verſchiedene She 
eioden durchgemacht: zuerſt eine ſchwülſtige nach Aeſchylbo 
Seife, darauf" eine herbe, künſtliche, um zuletzt iuf vie heſte 
Ed zur Charakterſchilderung geeigneiſte ülberzugehen). "te 
tigone, das früheſte feiner aufbewahrten Stucke, auch durch 
wßern Bilderreichthum, ſtrengere Naturwahrheit 3) als ein 
Sendliches Werk bezeichnet, erinnert noch gar lebhaft an die 
Seite jener Perioden. Thukydides Schreibart möchte zwiſchen 
x zweiten und > Tepten eiwa ‚in der Mitte Beben. — Ein Alte 


1) Ich habe biefes Kapitel hierher gefest „weil id Überhaupt pe 
Beinung bin, baß bie Sprache eines Schriftſtellers dann erſt Gegenftank 
uchtbarer Betrachtungen werben ann, wenn. man zuvor ‚bie Übrigen 
erhältniffe feines Geiftes genau erforſcht haat. .,-- und 


2) Plut. Prof. virt. 7. 
2) Die namentlich in der Rede bes Boten hervorteln. 


332 Thutydides. Kap. 10: : 


» 4. 
5 Siteifger ccheratier. Pr Xrifoppane, 


Er ‚habe uoch einen: weſentlichen. Unterſchied aAwiſchen 
tydides und Ariſtophanes himuzufügen. Thukydides: vg 
hoher Abkunft, ein NRachkomme des Ajas, Enkel des 
tiades, von thrakiſchem Königsblute abſtammend, vie 
Peiſiſtratos verwandt; Ariſtophanes Dagegen, wie bekann 
feine bürgerliche, ja feine. eheliche Legitimität erſt vor C 
vertheidigen müſſen. — 8 giebt einen: gewiſſen Tatt i 
Geſelligkeit, eine gewiſſe Freiheit im Handeln, eine g 
Erhebung im Urtheilen, welche niemals durch Geiſt und A 
niß allein, ſondern immer nur durch vornehme Geburt, 
nehme Erziehung gewonnen werden‘); . Wer die. fcharfen 
genfüge liebt, dem: vathe: ich, ' eine Kriegsdepeſche non 
Wellington oder eine Militäefchrift von Erzherzog Kar 
denen der meiſten neufrasgbfüiihen Feldhern vu dieſen 
ſichtspunkte zuſammenzuſtellen. 1. ..4. 

Dei unſerm Thukydides. leuchten es Kal ei, daß di 
und Welle, wie er. non den Geſchäſften redet, nur bei 
Manne ftattfinden Tomte, der nicht allein felbit an der S 
verwaltung Theil genommen, fondern auch von Jugen 
mit Staatömännern innig: verkchrt hatte 2). | 
. . Waß den Ariftophaned dagegen. betiifft ,. fo hat ed 
Srinde ‚ weßhalb von Anfang an bie auf die Beauma 
und Holberg Herunter ſaſt kein einziger vornehmer Mam 
wahrhaften Komitee geworben if. Und follten nicht au 
mancherlei pöbelhaften Späße, die vielen unehlen Schm 


1) Bol. Soethe’s Lehrjahre: III, 2. 

2) Ein Beweis von wahrhaft nobler Gefinnung ift es aud) 
Thukydides die Anekdoten verſchmähet, auch wo fie wigig und dh 
riftifch find. So z. 8. Plut. Nicias. 16. und öfter. Des Wii 
durfte er nicht, und das Charakteriftifche wußte er durch eblere 
zu erreichen. 


S. 4. Plebeilfcher. Charakter web: Ariſtophanes. BES 


ww; wenn ſer 5 WBiiden. Euripides wiederholt mit dem Hb« 
geſchäfto ſeiner Matter zu hohnen Sucht 5 follten die unendli⸗ 
u Boten: und Unfläterecien, die: Scherge: des Dichters über 
bi felbſt ni. feinen Kahlkopfu): follte: dieß Alles nicht ſchon 
fi:ielneworneßne Crziehung bed ‚großen. Mannes bezwei⸗ 
wrlaffen 7Um! die Demäagogen: zu. bekämpfen, : werdet. Arts 
manes: nicht ſelten wahrhaft, ertrem. demagogtſche 
Bit tel: an. ;ieböttreibungen ‚: Entſtellunigen, Verleumdungen 
wi gchäffigften. Art heiten ihm durch den Zweck geheiligt zu 
We Eo⸗freimuthig er iſt, ſoruſi er doch jehr bemifet, 
dt dem fonveränen Volke, das: einzelne Späße mohl ned 
men konnte/ nichs arnſtlich zu verderben ). Abgeſehen alſo 
Ban; vaß er ſo oft auf Zahlung“ des rüftäindigen Soldes 
Weib) ‚:strägt.:er fogar Projeete Bon,. die Tributſtädte und 
wiehn unter die Bürger fürmlich aufzutheilen ). Bei den 
maligen Umſtänden kein hübfcher Spaß! Er ſchämt fich 
kht, den gemeinen Pöbel gegen Lamachos und andere ver⸗ 
ente Feldherrn damit aufzuhetzen, daß ja von ihnen. niemals 
ner Feldherr oder Gefandter werde 5). Ueberall wirft ex es 
x Demokratie vor, daß fie dem Demos noch nicht genug 
t Sute fomme, an Brot und Spielen noch nicht genug ein⸗ 
age. Leider ein Kunftgriff, den die Confervativen faft nie- 
als verfchmähen, fo lange fie in der Oppofition find 6). — 





1) Beſonders diefe legtern: vgl. Pax 751. Equitt. 548. God. 
ermann. Opuscula: III, p.40. Bergk Commentt. p.203. Auch 
# Gupolis dem Xriftophanes vorgerüdt: Nubes 540 cum Schol. ' 


2) Equitt. 749 sqq. 

3) Ibid. 1363. 

4) Vespp. 707 sag. 

$) Acharn. 582 800. 

6) Man denke nur an bas heutige Verfahren ber englifchen Tories 
zenüber den Armengeſetzen; der franzöfiichen Legitimiften gegenüber der 
ablreform! 


Ba hulydides. Kap. 10, 


Am anfſallendſten wird der Abſtich zwiſchen: beiden Mänı 
da, wo ſie die Geſchichte der Hermokopiden berühren. 
welcher Zartheit umgeht hier Thukydides das ſchmuhzige 
tail dieſes Vorfalles), das Ariſtophanes umgekehrt fo wi 
gefällig zu benutzen weiß DI Ich Habe daher oben das ü 
riechende Beifpiel des Trygäos abfichtlich. ausgewählt. 3 
ben. Ariſtophanes malen will, muß durchaus auch von N 
Farbe einige Pinfelitriche Hinzufeken. . Dan. ifiebt hier ı 
deutlich, daß der Degrifi. des Poetiſchen keinesweges an 
Begasftänven ſelbſt, ſondern einzig une. an der menſchli 
Behandlungsweiſe derſelben haftet. Wer irgend Sinn bat 
tomiſche Poeſie, der wird eingeſtehen muſſen, daß Ariſto 
nes das: Unſanberſte im⸗ Leben zu ebenſo herrlichen Effecten 
mut, wie wohl andere Dichter das Erhabenſte oder. Süß 


Do RI. 


3 Thueyd. vn M 
3 Lysist, 1102 sd. 


wire! 


Elfe Kapitel. | 
 erriie des aburvdides . u 


u. # .— 
La 


n., oo Pa er a r Dr PR « - rn r..0o r, * 
i: ‘J,, eo.“ In: * J ., Bi — " . .: s.63 


» 1 „us . 0, “ . .. P} . . Da ® 
eo I. Ih: — " lila 4 Pi 


n feiner Sprache iſt Zhntyriden dem n Sopholes ſo 
e verwandt‘ wie der größte Hiſtoriker dem größten Dichter 
fein kann. Ein leider Verloren gegangenes Büchleln, wel⸗ 
Sophorles über feine eigene Entwicklungsgeſchichte abge⸗ 
ſagte von ihm ſelber aus, er habe drei verſchiedene Stil⸗ 
den durchgemacht: zuerft eine ſchwülſtige nach Aeſchylds 
fe, darauf eine herbe, kunſtliche, um zuletzt Auf die heſte 
zur Charakterſchilderung geeignetſte überzugehen ). Die 
gone, das früheſte feiner aufbewahrten Stucke, auch dich 
jern Bilderreichthum, ſtrengere Naturwahrheit 3) als ein 
ndliches Werk bezeichnet, erinnert noch gar lebhaft an die 
te jener Perioden. Thukydides Schreibart möchte zwiſchen 
zweiten und letten etwa in der Mitte ſchen. — Ein Ans 


1) Ich habe biefes Kapitel hierher gelegt, weil ich überhaupt ve 
ng bin, baß bie Sprache eines Schriftfiellers bann erſt Gegenftand 
tbarer Betrahtungen werben Tann, wenn man zuvor die Abrigen 
altniſſe feines Geiſtes genau erforſcht hat. 


y Plut. Prof. virt. 7. 
) Die namentlich in der Rede des Boten hervortritt. 


336 Thukydides. Kap. 11. 


derer Stilesvermandter des Thukydides iſt der Redner 4 
phon; und gewiß mit Recht urtheilt K. D. Müller, 
fih im Thukydides die gedankenſchwere Beredtſamkeit dei 
rikles mit dem alterthümlich ſtrengen Kunftftile des Ant 
vereinigt 1), 


8. 1. 


Altattifcher Garatier ter ber tzutztidtſchen Sprache. 

Der attiſche Dialekt, auf der Grndlage des altion 
beruhend, hat im Laufe. der Zeit immer Tal das Beſu 
ſich den übrigen Diailcklen angunaͤhern. Er iſt auf die 
endlich zur allgemeinen Bücherſprache geworden. Thuky 
Sophokles und Antiphon ſtehen dem Joniſchen noch um 
näher ld Demoſthenes ). 

‚Sie grammatifche, diichtigteit der Formen, der yılg 
Gehreiuch ber, Caſus u. dgl. m. eyſcheint bei. ihnen über 
als wenigſtens bei den Später; . daß. feine. Partikelweſen 
helleniſchen Sprache bei ihnen überhaupt, wohl am vollkom 
fin. Sie wählen. bie Tempora mehr nad ihrem urfprüngl 
Werihe,..ald nach ister herkömmlichen Aufeinanderfolge; 
Woͤrter. mehr nach der Grundhedeutung als nach der. D 
was ihnen oftmals natürlich den hin des Argon 


art . ger 
414 12 





9 Siehe bie ſehr gelungengn. Zgliöunge rifchen. x 
und Thukydides: Eiteraturgefhiäite Th. 2, 8:329 ff. 362° fi. _ 
Thukydides an Schreibart verwandt iſt auch :det: -Ipranı -Ktli 
Sein Stil war genau, gedankenreich und großartig, nicht in poei 
Weife, ſondern durch beftändige Auswahl bes angemeffenften B 
Seine Rede gedrängt, fein Atticidmus gemäßigt und Eraftvoll, i 
Erfindung bewunderungswürdig und frappant, boch aber milde und 
wie Zephyrshauch. Weniger thukpdideifch freilich iſt feine M 
Gemeinpläge afyndetifch anzureihen. (Philostr. V. Critiae 4.) 


2) So läßt namentlich Thukydides den Artikel gern weg, ı 
nicht demonftrative Bedeutung bat.. 


§. 1. Atattifcher ‚Charakter der thukydideiſchen Sprache. 537 


wo ihnen der vorhandene Sprachfchat kein vollkommen 
gende Wort darbeut, da ſchafſen ſie ein neues. Mehr 
9 Bufammenfeßung, wie es die frühere Sprache liebt, 
durch die Ableitungen der fpätern. Sie find freier, als 
Nachfolger: ſchon in der Wortſtellung, dann aber auch 
ver Conſtruction, fo dag fie z. B. kein Bedenken tragen, 
Berben abgeleitete Nomina wie die Verben felbft zu cons 
zen. Hieraus jened ſchnell Treffende dee Bezeichnung, jes 
zayos zijs onnaciag, das am Thukydides namentlich fchon 
Alten bemerkt Haben, . Wenn e3 der Zweck jeder Sprache 
wicht für fich ſelber aufzufallen, ſondern nur die am beſten 
drückende, die am: engften anſchließende Form zu fein, 
unter ;die Gedanken erfcheinen können, fo fliehen unfere 
Schriftftellee auf der Höchften Höhe griechiſcher Sprachbil⸗ 
g. Ein Hauptmoment: des Verfalles pflegt bei jeder Spra⸗ 
darin zu beſtehen, daß ihre Redensarten gleichfam abs 
Hiffen werben. Urſprünglich, als fie auffamen, war eine 
Ihe Anſtrengung des Geiſtes nothiwendig, um fie zu ges 
suchen; man dachte, man fühlte wirklich alles Das, was fie 
drücken. Die Starten Redensarten machten wirklich einen 
ken, die finmlichen Redensarten einen finnlichen Eindruck. 
mehr fie dann aber dem Geſchmacke alltäglich werben, zu 
b flärkeren Gewürzen muß man übergehen. Daher faſt 
Literatur im filbernen Zeitalter ſchwülſtig wird. Bei Thu⸗ 
des Hingegen, bei Sophokles und Antiphon ift jene Friſche 
Ausdrucks noch im Höchften Grade anzutreffen: wo der 
rifeftellen jedes Wort mit dem vollen Bewußtjein feines 
rthes gebraucht, und eben deßwegen in feiner ganzen Kraft 
den Lefer kann wirken laſſen. 

Auf ihren früheren Entwicklungsſtufen pflegt jede Sprache 
ws finnlihen Charakter an fich zu tragen, Wie finns 
iſt Die Homerifhe Sprache, wie abstract die Sprache des 
Inteles! Auch Thukydides fchreibt noch maleriſch. Won 
läßt fich gewiß nicht behaupten, mas den Ephorod und 

22 


358 Thukydides. Kap. 11. 


Theopompos vorgeworfen wurde, daß es ihnen an ter pi 
to» noayuarow fehle, und daß fie beim Schreiben nur a 
Schreiben felbit dächten ). Man fchlage nur gleich kai 
Kapitel feiner Vorrede nah. Hier würde Theopompos 
leicht gejagt haben: „Schon beim .Anfange des Kriegei 
ich mein Werk Begonnen, weil ich einfah, daß ex der 
würdigſte und bebeutendite fein wide, Man konnte dieß 
damals erwarten, and folgenden Gründen u. |. w.“ 
bendig aber und plaſtiſch verführt da Thukydides! Gr 
ſich felbit wor und Hin, wie er fit, und dad Werk ani 
will; mas er um fich ber gewahrt, was cr Daraus fü 
was er von. der Zulunft danach erwartet 2). — De 
Hiſtoriker freilich wird niemals entwickeln uud Debueiren w 
wo er ſchildern kann. 

Eine jugendlich Fräftige Sprache, wenn fie nur di 
fänge der Proſa bereits Hinter fich hat, pflegt an fcharfe 
zeihiumg der. Gegenfäbe ihr Gefallen zu finden. Di 
rifer Simonides, wie der Komiker Epicharmos, fie ir 
Nicht? Lieber an, als Antithefen und Wortfpiele. Für 
Aeſchylos ſind ſeine zahlreichen Oxymora charakteriſtiſch. 
her gehören auch die ſcharfen antithetiſchen Witze, derer 
Themiſtokles fo viel erzählt werben 2). — Sophoflei 
Thukydides haben denfelben Charakter. Beide Tichen ! 
ſpiele, ſcharfe Unterfcheidungen der finnverruandten W 
ohne doch in Tantologien zu gerathen, wie Aefchylos 4) 
Herodot, auch ohne fpikfindig zu werben, wie Euripide 
die Sophiften. Denn wie Ariftophaned von Aeſchylos 


 Duris bei Phot. Biblioth. Cod. 176. 


2) Das yoagıxov in den Schilderungen des Thukydides Lob: 
Plutarch: De gloria Ath. p. 367 B. Im Nikias nennt 
radntınorarov xal kvepylorarorv. 


9) Plut. Themist. passim. 
4%) gl. Aristoph. Ranae 1136 sqq. 


$. 1. Altattiſcher Charakter ber thukydldeiſchen Sprache. 359 


ei nicht ſchwülſtig, ſondern großen Gedanken kommen auch 
Be orte zu: jo kann e8 von ihnen heißen, ſcharfen Ges 
Ten kommen auch fcharfe Worte zı.- Die Lefer des So- 
kles Haben. nicht felten Anftoß daran genommen, daß fie 
Stellen voll des höchſten Pathos ſich durch ſolche Spiele 
Scharffinnes mußten unterbrechen laſſen. Doch unfer 
röllex ‚bemerkt ſehr fein, daß eben Hierdurch. bei allen Vers 
uugen des Stoffes der Leſer darüber erhaben bleibe, vie 
ere Ruhe, ‚die Freiheit feiner Seele. bewahren koͤnne 1). 
geringfügig ſonſt auch in Thukydides Zeit die Ausbildung 
Meriodenbaues iſt, fo bedeutend finden wir doch ſchon bei 
»: mb ‚bei Antiphon die Adverfativ⸗ und Disjunctivſätze 
bickelt. — Dieſelbe Richtung wurde jedoch von andern 
kgenoffen auch zum Extreme geführt. Die etymologiſchen 
retkiaubereien eines Kratylos oder Enthyphron 2), die fpiks 
dgen Synonymenſpiele eines Prodikos find aus Platon eben⸗ 
berüchtigt, wie der froftige Antithefenfchwall eines Gorgias. 
te fich Prodikos immer ſo' gemäßigt,, wie in feinem Hera⸗ 
3), er wäre nimmermehr von Platon darüber verfpottet 
Men,: Ja, ſogar die juriſtiſche Praxis follte ſich dieſem Er- 
te anterwerfen. Wit lernen durch Lyſias eine Rabuliſten⸗ 
tennen ‚ bie: auf eine ganz Ihnliche Buchſtabenklauberei der 
ehe drauig 4), 

on ſilbernen Zeitafter ber Literatur pflegt die Antithefe 
bei ehenſo belicbt zu werden „wie in der erſten Halfte des 


nr 


1) Briefmechfel zwifchen-Schiller und Goethe: Th. III, S. 19. 
3) Man denke an den ariſtophaniſchen Wis, Aoorrn von nroodn abs 
ten! el. Dionys. De Thucyd. iud. und Marcell. 36. 51. 


3 Daß der Herakles am Scheibewege, ben Renophon's Memorabis 
enthalten, auch in der Form arößtentheild von Prodikos Herrühre, 
Bpengel in feinen Artium scriptores ſehr hübſch erwieſen. 
*%) Sn ber Rebe gegen Theomneſtos. 

| 22 * 


332 Ahulydies. „Rap. 10. 
Ka 


dm. a 


Sibeifger ccheratter bet, Kriftopganeg, 


gIqh ‚habe och einen: meſentlichen. Unterſchied zwiſch 
kydides und Ariſtophanes hinzuzufügen.“ Thukydidesn 
hoher Abkunft, ein Nachkamme des Ajas, Enkel d 
tiades, non thrakiſchem Königsblute abſtammend, bielle 
Peiſiſtratos verwandt ;. Ariſtophanes dagegen, wie bekar 
feine bürgerliche, ja feine. eheliche Legitimität erſt vor 
vertheidigen müſſen. — 8 giebt einen gewiſſen Tar 
Geſelligkeit, eine gewiſſe Freiheit im Handeln, cine 
Erhebung im Urtheilen, welche niemals durch Geiſt und 
niß allein, ſondern immer nur duxch vornehme Gebur! 
nehme Erziehung gewonnen werden‘)... Ber die ſchar 
genſätze liebt, dem: rathe ich, : eine Kriegsdepeſche vr 
Wellington oder eine Militärſchrift von Erzherzog K— 
denen der meiſten neufranzoͤſiſchen Feldherrn aus dieſe 
ſichtapunkte zuſammenzuſtellen. . 

Dei unſerm Thukydides leuchtet es Sal, ca, daß 
und Weiſe, wie er von den Geſchäſten redet, nur be 
Manne ſtattfinden konnte, der nicht allein ſatſt an“ dert 
verwaltung Theil genommen, fondern auch von Jug 
mit Staatömännern innig: verkehrt hatte 2). 

Was den Ariftophaned dagegen. betrifft, To bat 
Grunde, weßhalb von Anfang an bis auf die Beaun 
nd Holberg herunter faft. Fein einziger vornehmer Mia: 
wahrhaften Komitee geworden if. Und follten nicht o 
mancherlei pöbelhaften Späße, die vielen unehlen Sch: 


1) Bol. Goethe’s Lehrjahre: III, 2. 

2) Ein Beweis von wahrhaft nobler Geſinnung iſt es au 
Thukydides die Anekdoten verſchmähet, auch wo fie witzig und ı 
riftifh find. So z. 3. Pluı. Nicias. 16. umd öfter. Des W 
durfte er nicht, und das Charakteriftifche wußte er durch edlere 
zu erreichen. 


F. 4, Pleheilfcher. Chamektet: bes Ariſtophanes. BB 


wen. Weir) 35: Biiiden: Gurkpides wiederholt mit dem Häs 
Waeichäfte:feinet Marter gu: hoͤhnen ſucht; follten die unendli⸗ 
«un Boten: und Unflätersien,: die: Schirge: des Dichters über 
tel einen Kahlkopfu): ſollter dieß Alles: nicht ſchon 
adſich seine wornehnte Erzlehung des großen. Mannes bezwei⸗ 
Ux laſſen 3; Uanı:die Demagogen zu bekänwpfen, wendet Ari⸗ 
we: nicht ſelten wahrhaft, ext rem Demag.ogifchr 
Wit rolſan.· Urbetrreibungen,: Entſtellungen, Berleimdungeg 
ng gchffigiten. Art ſcheinen ihm Dıizih;. den Zweck geheiligt / zu 
win.Eoafreimuthig er it, ſoruin er doch Fehr Bemiihet) 
et Dos Tonweränen Volke, das: einzelne ‚Späße mohl 'neB 
Baer bonnie/ nichs aruſtlich zu verderben 2). . Abgeſehen alſo 
on; vaß erfor oft: auf Zahlung des rückſtndigan Epldes 
aq )trägter fogar Profeetei Bon, : hie Tributſtädte und 
Befeln unter die Bürger fürmlih aufzutheilen ) Bei den 
manaligen Umſtänden Fein hübfcher Spaß! Er ſchämt fi 
ucht, den gemeinen Poͤbel gegen Lamachos und andere ver⸗ 
diente Feldherrn damit aufzuhetzen, daß ja von ihnen niemals 
Nner Feldherr oder Geſandter werde 5). Ueberail wirft er es 
ver Demokratie vor, daß fie dem Demos noch nicht genug 
u Gute komme, an Brot und Spielen noch nicht genug ein⸗ 
vage. Leider ein Kunſtgriff, den die Eonfervativen faft nie- 
als verſchmähen, fo lange fie in der O:ppofition find 9). — 


1) Befonders diefe legtern: vgl. Pax 751. Equitt. 548. God. 
lermann. Opuscula: 1II, p.40. Bergk Commentt. p.203. Xud) 
on Eupolis dem Xriftophanes vorgerüdt: Nubes 540 cum Schol. 


2) Euquitt. 749 sqq. 

3) Ibid. 1363. 

2) Vespp. 707 sqgq. 

$) Acharn. 582 sqgq. 

9 Man benke nur an das heutige Verfahren der englifchen Zories 


gegmüber den Armengeſetzen; ber franzöfifchen Legitimiften gegenüber der 
Wahlreform! 















Ba hulydides. Kap. 40. 


Am aufſallendſten wird der Ahflich. zwiſchen: beiden Mlännde 
da, wo ſie die Geſchichte der Hermokopiden berühren. M 
welcher Zartheit umgeht hier Thulydides das ſchmutzige Ds 
tail dieſes Vorfalles !), das Ariſtophanes: ungekehrt fo wol 
gefällig zu benutzen weiß DI Ich habe daher oben das üben 
riechende Beiſpiel des Trygäos abſichtlich ausgewählt. Me 
ben. Ariſtophanes malen will, muß durchaus auch vom Dil 
Barbe einige Pinfelſtriche hinzuſetzen. Man ſieht hier iM 
deutlich, daß der Degrifi. des Poetiichen keinesweges an de 
Gegenſtänden felbft,: fonvern. einzig nur. an der menſchliha 
Behandlungsweiſe ;nerfelben haftet. Wer irgend Sinn hat ſu 
komiſche Poeſie, der wird eingeſtehen müſſen, daß Ariſteyhe 
weß das: Unſauberſte im” Leben zu ebenſo herrlichen Effecten ie 
uutzt wie wohl andere Dichter das Erhabenſte oder. Suͤck 








"or 
vsvoe-—_ 


“N Pineya. v1, 2. 
u y "Lysist. 1102 sgq. 


Eiftes Kapitel. 
Evrache des Abutvdides ). 


Pu 24 8 7 “ Dur Dr Er Fee - 4 J en. a. ..8 on - „... tı - 4 . 
ri!’ > FERN 0. Pa Pa ? . N 


ln a REIT Oo ann Dehio. N Er ru 


fine Eheate ft Thurhrides dem Eophorles ſo 
che verwandt. wie der größte Hiſtoriker dem größten‘ Dichter 
tt fein kaun. Ein lefer verloren gegangenes Buchlein, wel⸗ 
“3 Sophoffes über feine eigene Entwicklungsgeſchichte abge⸗ 
Ft, ſagte von ihm ſelber aus er habe drei verſchiedene Stil- 
rioden durchgemacht: zuerſt eine ſchwülſtige nad Aefchylns 
deife, darauf’ eine herbe, kuͤnſtliche, um zuletzt 'Äuf\ßte heſte 
id zur Charakterſchilderung geeignetfte Überzugehen H Die 
ntigone, das früheſte feiner aufbemahrten Stücke, auch durch 
ößern Bilderreihthum, fixengere Naturwahrbeit 3) als ein 
gendliches Werk bezeichnet, erinnert noch gar lebhaft an die 
seite jener Perioden. Thukydides Schreibart möchte zwiſchen 
r zweiten und letten eiwa in der Mitte Neben, — Ein an⸗ 


1) Ich habe dieſes Kapitel hierher geleßt, weil ich Überhaupt ve 
teinung bin, daß die Sprache eines Schriftflellers dann erſt Gegenfland 
uchtbarer Betrachtungen werben fann, wenn man zuvor die übrigen 
erhältniffe feines Geiſtes genau erforſcht bat. — 


2) Plut. Prof. virt. 7. | | 
3) Die namentlich in der Rebe bes Boten hervortritt. 


336 Thulydldes. Kap. 11. 


derer Stilesverwandter des Thukydides iſt der Redner Anl 
phon; und gewiß mit Recht urtheilt K. ©. Müller, U 
FH im Thukydides die gedankenſchwere Beredtſamkeit des 4 
rities mit dem alterthümlich ſtrengen Kunſtſtile des Ani 
vereinigt 1), 


21. 


Altattifcher Poera tier der qeheliſelcen Sprache. i 

Der attiſche Dialeki, auf der Grundlage des altionigäl 
beruhend, hat im Saufe.der Zeit, immer myhe dad Bo 
ſich den Übrigen Dinlekten anjumäßern. Le ft auf biefe@ 
endlich zur allgemeinen Bücherfprache —* put 
Sophokles und Antiphon ftehen dem Joniſchen noch ar 
wäßer, als Demoſthenes ). 

Bes granmatiſche dichugreun der Gary en, der ei 
Vehrac v fus u. dgl. m. erfheint ihren über 
als wenigſteus bei den Spätern; .. daB. feine Partifelpefen y 
helleniſchen Sprache bei ihnen überhaupt, wohl am. voflfomme 
ſten. Sie wählen. bie Tempora mehr nad ihrem —— 
Werthe⸗ . ols nach ihrer Herömmlichen, Aufeinanderfolge;.:M 
Wörter, gehe nad) der Örundhebeutung [8 nad) der, Du 
was ihnen fit natürlich den Schein, des rg a 


“a... 

















begleihuphe en. . "gif 
und Tyutgbides:“ Eiferdturgefhiäjte Ih: 2, ©.328 ff. 36 
Thutkydides an Gchreibart. versandt iſt auch det Tyan "Keitiel 
Sein Stil war genau, gedankenreich und großartig, nicht in poetiſch 
Beife, fondeen durch beftändige Auswahl de angemeffenften Bart 
Beine Rebe gedrängt, fein Atticismus gemäßigt und kraftvoll, in & 
Erfindung bewunderungswürbig und frappant, doch aber milde und glat 
wie Zephyrshauch. Weniger thukydideiſch freilich iſt feine Marie 
Gemeinpläge aſyndetiſch anzureihen. (Philostr. V. Critiae 4) 


2) &o läßt namentlich Thukydides den Artikel gern weg, me 
nicht demonftrative Bebeutung hat.. 





§. 1. Aliatthcher CGharakter der thukydideiſchen Sprache. 337 


d wo fhnen der vorhandene Sprachſchatz kein vollkommen 
agendes Wort darbeut, da ſchafſen ſie ein neues. Mehr 
ch Zuſammenſetzung, wie es die frühere Sprache liebt, 
durch Die Ableitungen der ſpätern. Sie find freier, als 
e Nachfolger: jchon in der Wortſtellung, dann aber auch 
der Conſtruction, fo daß fie z. B. Fein Bedenken tragen, 
a Verben abgeleitete Nomina wie die Verben felbit zu cons 
ziren. Hieraus jenes ſchnell Treffende der Bezeichnnng, jes 
3 zayos rijg onnaoias, dad am Thukydides namentlich ſchou 
»Alten bemerkt Haben, . Wenn es der Zweck jeder Sprache 
nicht für fich felber aufzufallen, ſondern nur die am beften 
Borücdende, die am engften anſchließende Form zu fein; 
weunter ‚die Gedanken erfcheinen können, fo ftehen  unfere 
ei Schriftftellee auf der höchſten Höhe griechiſcher Sprachbil⸗ 
ug. Ein Hauptmoment. des Verfalles pflegt bei jeder Spra⸗ 
n.barin zu beftchen, dag ihre Nedensarten gleichſam abs 
Pablifien werben. Urſprünglich, als fie auffamen, war eine 
wiſſe Anſtrengung des Geiſtes nothwendig, um fie zu ges 
Buchen; man dachte, man fühlte wirklich alles Das, was fie 
rücken. Die Starken Redensarten machten wirklich einen 
wien, die firmlichen Redensarten einen finnlichen Eindruck. 
Br mehr fie dann aber dem Gefchmade alltäglich werben, zu 
Ro ſiärkeren Gewürzen muß man übergehen. Daher fall 
de Literatur im filbernen Zeitalter ſchwülſtig wird. Bei Thu⸗ 
dides hingegen, bei Sophokles und Antiphon iſt jene Friſche 
w Ausdrucks noch im hbchſten Grade anzutreffen: wo ber 
hriftſteller jenes Wort mit dem vollen Bewußtſein feines 
Zerthes gebraucht, und eben deßwegen in feiner ganzen Kraft . 
uf den Lefer kann wirken laſſen. | 

Auf ihren früheren Entwicklungsſtufen pflegt jede Sprache 
nen finnlichen Charakter an fich zu tragen. Wie fims 
ch iſt Die Homerifche Sprache, wie abstract die Sprache des 
riſtoteles! Auch Thukydides fchreibt noch maleriſch. Won 
m läßt ſich gewiß nicht behaupten, was den Ephoros und 

22 


55308 Thukydides. Kap. 11. 


Theopompes vorgeworfen wurde, daß es ihnen an der m 
0» noayuuzom fehle, und daf fie beim Schreiben mur a 
Schreiben felbit dächten ). Man fchlage nur gleich dai 
Kapitel feiner Vorrede nah. Hier würde Theopompos 
leicht gefagt Haben: „Schon Beim Anfange des Krieges 
ich mein Werk Begonnen, weil ich einfah, daß er der 
wirrdigite und bebeutendite fein würde, Man konnte dieß 
Damals erwarten, and folgenden Gründen u. |. w.“ W 
bendig aber und plaftiich verführt Da Thukydides! Cr 
fich felbit vor uns Hin, wie er fikt, ‚und dad Werk anfı 
will; mas er um fich ber gewahrt, was er daraus fi 
was er von der Zukunft danach erwartet 2). — De 
Hiftoriker freilich wird niemals entwickeln uud deduriren wi 
wo er jchiltern kann. 

Eine jugendlich Fräftige Sprache, wenn fie nmur die 
fänge der Proſa bereitö Hinter ſich hat, pflegt an fcharfer 
zeichiumg der. Gegenſätze ihr Gefallen zu finden. Der 
riker Simonideö, wie der Komiker Epicharmos, fie we 
Nichts Lieber an, als Antithefen und Wortſpiele. Für 
Aeſchylos ſind eine zahlreichen Oxymora charakteriſtiſch. 
her gehören auch die ſcharfen antithetiſchen Witze, deren 
Themiſtokles fo viel erzählt werden 2). — Soyphokles 
Thukydides haben denſelben Charakter. Beide Tichen 
friele, ſcharfe Iinterfcheidungen der finnverruandten MD 
ohne doch in Tautologien zu gerathen, wie Aejchylos 9) 
Herodot, auch ohne fpitfindig zu werben, wie Euripides 
die Sophiſten. Denn wie Arijtophaned won Aejchylos | 


) Duris bei Phot. Biblioth. Cod. 176. 


2) Das ypapınov in den Schilderungen des Thukydides Lobt 
Yılutardy: De gloria Ath. p. 367 B. Im Nikias nemt a 
nadntınoraroy xal tvepylorarorv. 


3) Plut. Themist. passim. 
*%) ®gl. Aristoph. Ranae 1136 sqq. 


$. 1. Altattiſcher Charakter ber thukydideiſchen Sprache. 359 


pol nicht ſchwülſtig, ſondern großen Gedanken kommen auch 
Ge Worte zu: jo kann e8 von ihnen heißen, fiharfen Ges 
en kommen auch fcharfe Worte zu. Die Lefer des So- 
DeleB Haben nicht felten Anftog daran genommen, daß fie 
AStellen voll des höchiten Pathos fich Durch folche Spiele 
H Scharfiinnes mußten unterbrechen laſſen. Doch unſer 
Billex. bemerkt: fche fein, daß eben hierdurch Bei allen Vers | 
Minngen dei. Stoffes der Lefer darüber erhaben Bleibe, die 
Bere Ruhe, die Freiheit feiner Seele. bewahren inne 1). 
w geringfügig fonft auch in Thukydides Zeit Die Ausbildung 
maeriodenbanesiit, fo bebeutend finden wir doch fehon bei 
we: und bei Antiphon die Adverfativ⸗ und Disjunetivfäße 
Wickelt. — : Diefelbe Richtung wurde jedoch von andern 
Agenoſſen auch zum Extreme geführt, Die etymologijchen 
wetfinubereien eines Kratylos ‚oder Enthyphron 2), die fpiks 
Vigen Synongmenfpiele eines Prodikos find aus Platon eben⸗ 
berüchtigt, wie der froftige Antithefenfchwall eines Gorgias. 
Ette ſich Prodikos immer fd’gemäßigt, wie in feinem Hera⸗ 
gs), er wäre nimmermehr von Platon darüber verſpottet 
Sihen.: a, ſogar die juriſtiſche Praxis follte ſich dieſem Er- 
Sie unterwerfen. ir lernen Durch Lyſias eine Rabuliſten⸗ 
te kennen; bie auf eine ganz hnliche Buchſtabenklauberei der 
fee draug N). 

Sm ſilbernen Zeitalter der Literatur pflegt die Antitheſe 
tider ebenſo beliebt zu werden „wie in der erſten Halfte des 


1) Briefwechſel zwiſchen Schiller und Goethe: Th. III, S. 19. 
2) Man denke an den ariſtophaniſchen Witz, Aoorrn von nopdn abs 
leiten! ®gl. Dionys. De Thucyd. iud. und Marcell. 36. 51. 


3) Daß der Herakles am Scheibewege, den Renophon's Memorabis 
m enthalten, auch in ber Form größtentheils von Prodikos herrühre, 
t Spengel in feinen Artium scriptores ſehr hübſch erwieſen. 

4) In der Rebe gegen Theomneſtos. 

22 * 


340 Thbukydides. Kap. 11. 


goldenen. Die ſpätere Sophiſtik 1) trachtet nach Gegenſ 
wie Die vorplatoniſchen Schriftſtelle; Seneca wie © 
ſtius, Boufflers wie Pascal, Rückert wie Leſſing. Nur 
lich mit einem großen Unterſchiede. Die Antitheſen der 
hern Periode find um des Gedankens willeun da; dieſer fü 
feiner feinſten Nuaneirung mit Licht und Schatten ausget 
werden, Jene fpätern dagegen wollen die Aufmerkjamke 
fich ſel bſt ziehen. Während dort der Inhalt am ſchu 
ausgeprägt erſcheint, wird ex bier zwar frappanter aber 
deutlicher gegeben. u 
Sn der Compofition des ganzen Werkes fan A 
ſymmetriſcher fein, als Thukudides. Auch feine Antithefe 
ruhen theilweife auf. dem Streben nach ſymmetriſcher & 
beit. Die. bei ihm wie bei den andern Schriftitellen 
Zeit fo beliebten Redefiguren des Iſokolon, Pariſon, Hi 
oteleuton u. ſ. w., das Abgeeixkelte der ganzen Darſie 
erinnert, wie K. D. Müller bemerkt, an die fteife © 
metrie und der Barallelismud der Bewegungen, welcher in 
ältern Werken der 'gricchifchen Sculptur Herrfcht 2). G 
wohl fchreibt Thukydides nicht eigentlich periodisch. Rela 
wodurch das Band der Beriode am feiteften geflochten ı 
hat er nur wenig. Auch er noch verbindet feine Sabg 
am Tiebften mit xal, de, ze und ähnlichen Partikeln. 
Participium fpielt eine große Rolle bei ihm 3). — Thu 
des und Sophokles Lieben den raſchen Uebergang, den uı 
bergefehenen, ſchneidenden Wechſel. Sie erhalten ihre 


— —æ — — 





1) Das auffallendſte Beiſpiel hiervon find die Reden, meld 
dem Gorgias untergefchoben hat. 


2) Literaturgefchichte Ih. 2, ©. 3353. 
3) Der Verfafler bed Buches De elocutione fagt vom Thuk 
er fliehe das Glatte und Ebene bed Stils; ja, er fcheine immerfe: 


zuftoßen, wie die Neifenden auf holprigem Wege. Plutarch nennt 
Stil einen bunten. 


- 


S. 1. Altattiſcher Charakter ber. thulvdideiſchen Spyrache. 3A 


arch in fortmährendei angefivengter Thätigkeit. Wer ſelbſt 

ſo großem Aufwande geiſtiger Kraft ſchreibt, der kann auch 
= Lefer einen ähnlichen zumuthen. Was ein atheniſches 
Blicum in dieſer Hinſicht ertragen mochte, ſieht man aus 
X vielen und ſchweren Tragödien, die es an Einem Tage 
BE Bloß zu Hören, fordern anch zu beurtheilen verſtand. — 
unn aber gelingt jenen Schriftitelern eben Hierdurch eine Ab⸗ 
Fang des Colorits von den Hauptpunften herab zu den Ne⸗ 
punkten, wie man fie bei Andern vergeblich fuchen wiirde, 
ſt alle Beifpiele der ſ. g. oratio variata, die man bei Thu⸗ 
HoeB bemerkt, oft getadelt hat, laſſen ei dergeftalt aus der 
Kärfe feines Serantend erklären , daß das Gegentheil eigent⸗ 
fehlerhaft fein würde Y. 


So reich übrigens diefe altattiſche Säle an Figrren des 
ernee erſcheint, te‘ ſparſam benutzt ſie doch die ſ. g. Bis 


K. O. Müller unterſcheidet bei Thukydides zwei verſchiedene 
ten von Satzconglomeraten, in denen bie Anziehungskraft eines Haupt⸗ 
vankens eine Menge von Nebengebanfen neben fich aufgefchichtet hat. 
Eder einen, die man die‘ äbfteigende nennen Tann, ſetzt Thukydides 
E:Sandlung ‚: bad Refultat, voran, und läßt unmittelbar in Gaufal= 
en ober Participien die nächſten Motive folgen, die er dann wieder 
zcd) ähnliche Sasformen begründet, und fo, gleichfam bie Rebe zerfa= 
ad, in den Zufanimenhang der Dinge eingreifen läßt. Die andere 
em, die auffteigende Periode, beginnt mit ben begründenben Umfläns 
u, entwidelt daraus allerlei Folgen ober barauf bezügliche Ueberles 
ingen, und fhließt mit dem Refultate, dem Entfchluffe oder der Hands 
ng ſelbſt. in Beifpiel der erften Art ift I, 25: Kogivdio, dt xara 
- dixuey — noyovro molsneiv; ber zweiten Art IV, 73: os yap Me- 
uens — Ipyorras. Beide Arten haben etwas Anftrengended, und vere 
ngen zweimal gelefen zu werben; man kann fie durch Auflöfungen, 
uhepunkte, wie fie Dionyfios (De Thucyd. p.872) vorſchlägt, überficht- 
«her, gefälliger machen; aber man wird doch geftehen müflen, daß in 
hukydides Form, wenn man ihre Schwierigleiten einmal überwunden, 
 Aufammenmirten aller Glieder zu einem Ergebniffe, die Einheit des 
—Añ— am ſchärfſten ausgeſprochen iſt. Eiteraturgeſchichte II, ©. 

6% ff.) 


342 Thukydides. Kup. 11. 


guren des Gedankens. Jede Aeußerung dee Leidenſchaft 
hier für unanſtändig; jeder redneriſche Kunftgriif ‚um den 
fer zu bewältigen, für gewiſſenlos 1). Alfo Feine Klimar, 
wen der Verfaſſer während des Schreibens ſelbſt noch fid 
bitte; Feine Ironie, um den Gegner lächerlich zu mad 
feine Apofiopefis oder Aporia, als wenn die Macht ber 

pfinbung die Zunge lähmte; Feine Epidiorthofis, als w 
man ja vecht ſerupulös nicht zu Biel fagen und dem Ge 
kein Unrecht thun; Feine Anaklaſis oder Anthypophora, um 
Worte des Gegners zu verbichen, oder ihm Folgerungen 
terzufchieben. Es ijt eine Ehrlichkeit im Bewußtſein ver ı 
nen Größe, eine Hohheit, welche den Lefer wohl mituute 
tie Götterbilder des Pheidias erinnern kann. Unter allen 
den des Thukydides iſt Die platäifche die bewegteſte; und ı 
dieje weriteigt ſich an ihrer leidenſchaftlichſten Stelle zu fe 
härtern Aeußerung, als dem Ausınfe: „Wie folltet ihr 
sicht fchreclich gehantelt Haben!” (III, 66.). Wie verihi 
ven Der deworys eines Demoſthenes! 


Mit der Veriode kehrt die Proſa, die fih von ter Pi 
nur allmählig losgewunden, in Hekatäos Werken noch la 
jambifche und trochaifche Wortfüge gebraucht Hatte, wi 
zum ſchönſten und eigenthümlichften Rhythmus zurück. €: 
bekannt, daß fie erſt der neuere Attieismus vecht ausgcebi 
bat, nach zwei verfhiedenen Richtungen bin, Die in Iſekr 
und Lyſias 2) ihre frärfite Ausprägung, in Platon und 
nophon ihre höchſte Schönheit erhalten haben, Niemand ı 
den Stil dieſer Männer ald einen Verfall des thukydideiſ 


en — — — 


1) Xxiuoro rag Mens — Tijs diavoias. Das Nächſtfolgende 
ben geiftreichen Beobachtungen des Cäcilius von Galakte bei PI 
Bibi, Cod. 259. Bgl. 8. D. Müller a. a. O. II, ©. 335 ff. 36 


3) al. Dionys. De Lysia p. 16% 


S. 1. Altatuſcher Chatalter der thukydideiſchen Sprache. 3A 


nchten Können, Aber 28 iſt doch unläugbar, daß in ihrem 
kisvenbau die Form auch für fi etwas gelten will, fich 
be Gedanken nicht ſo vollkommen anfchließt. Wenn der 
ee Die erite Hälfte kennt, fo weiß er die Ichte immer einis 
uaßen im Voraus. Darum ift hier mit der größern Leiche 
Beit ein geringerer Reichthum an Gedanken verbunden, Auch 
Faß nicht zu verfennen: je mehr bei einem Schriftſteller jede 
Beine Periode ein unzertrennliches, wohlabgeſchloſſenes Gan- 
Vbilſdet, deſto iſolirter werden meiſtens die Berioden gegen 
Winder. Wie fehr dagegen die Anafoluthen Des Thukydides 
Be innigere Verſchmelzung der größern Satzmaſſen befördern, 
ht man 3. B. aus VIII, 58.: Toognv dE Taig vavoi 
U vüy nagovonıs Tiooapeprnv nugsyeıv xara Ta Euyxeius- 
» Ayo av al vis ai Banıieng dm. Aaxeöaıno- 











ovg de xal Toüc Evumayovg, Eniv al BaoılEwg vie 
Biawrraı, vas £avıav vauc ı7v Bovkarıaı rosger, &p' 
eurois eivas. — Thukydides fteht in der Mitte zwiſchen der 
nzlich aſyndetiſchen Redeweiſe der Logographen 1) und dein voll⸗ 
anmenen Periodenbau ber ſpätern Redner. Er ſucht die Klar⸗ 
ait und Unabhängigkeit der Erſtern mit dem Zuſammenhange 
% Lehtern zu vereinigen. 


San; derſelbe Gegenſatz, welchen der thukydideiſche Stil 
it dem platoniſchen und xenophontiſchen bildet, pflegt ſich in 
ber Kunſt zwiſchen der erſten amd zweiten Hälfte ihres golde— 
m Zeitalterö zu wiederholen. Größe, Strenge und Rauhheit 
if der einen Seite; Glanz, Anmuth und Bolitur auf der 
idern. Dort etwas Herbes, bier etwas Süßes der reinen 
chönheit beigemiſcht. Dort wohl mitunter noch Roſt des 
lterthums, hier wohl mitunter fhon Anfänge der Weichlich— 


) Bon benen bie frühern, namentlich Hetatäos, ſogar das Ver- 
m finitum'gern weglaſſen. 


344 Thukydides. Kap. 11. 


keit )Y. Sch. möchte dieſe Perioden nach einem allbeka— 
Typus die davidiſche und ſalomoniſche neunen. Eine De 
ſchung des Pheidiad mit dem Praxiteles, Der eiceronifche 
der auguftifchen Literatur, des Lamprecht mit dem Gott 
des Dante mit dem Arioft, des Tutherifchen mit dem gef 
ſchen Kicchenliede, der giudichen mit der mozartfchen & 
wird zum tiefeen Eindringen in dieſen Gegenſatz bebülflic 
Insbeſondere wird ed Niemand gereum, der aus biefem 
fichtspunkte Die Sprache des Thukydides, Kenophon und 
ton mit der des Salluſtius 2), Cäfar und -Eicero und da 
ſerer Leſſing, Goethe und Schiller zuſammenhält. 


8. 2. 
Charakteriftifche Beiſpiele der Oratio variata. 


Ein ſchätzbares Material Hierzu liegt in dem großen X 
von Boppo angehäuft 3). Nur geht leider Boppo von 
ducchlaufenden Beftreben aus, feinen Hiſtoriker gegen ! 
würfe zu vechtfertigen. Er fucht daher jede Eigenthümli 
deſſelben ald nichteigenthümlich, als auch bei andern Au 


— 


1) So ſtellt auch Platon bie öfurns, rcixoe und oyodeurm 
qouxoacov, ompporıxöov und »0auov gegenüber. (Polit. p. 30@sq.) 
De legg. VII, p. 802: 76 7 neyakorgerig oüv xas To mroos Ti 
dgeiay bErov AgbEevurov Parzov eivon, 10 ÖE TOOS TO x00umv aa 0 
naldoy anoxiiwov Onkvyırioreoov us öv napadortoy Er Te Ta von 
löym. Selbſt in Bezug auf ben Zanz baffelbe durchgeführt: Ibid. p 
Bol. auh Ed. Müller Gefch. der Theorie der Kunft bei ben: 
Th. 1, ©. 76 ff. 


2) Salluſtius darf wohl nicht bloß als naher Geiftesverwa: 
fondern felbft als birecter Nachahmer des Thukydides betrachtet w 
Vgl. die intereffante Unterfuhung von Poppo: Thucydides 
p. 372 sqq. 


») Poppo De elocutione Thucydidis: Vol, I, Pars ], | 
— 308, 


$. 2.. Charakteriſtiſche Bell. 343 


Kfonmmend nachzumeiien. Cine folhe'Zzandenz ift freilich mit 
w: Sharakteriitit eines Gegenftandes: ſchwer vereinbar,  — -:-; 
=:Genus. I, 7:. Ilöreıs ralgeoın .. . Eutllovro . . . 
sbopias Te Ävexa ul Tg 700g ToUg noogolxovg Ex a0Tos 
wos. Hier it das Masenlinum Zxanror eben aus der. uns 
Winderten Schärfe des Gedankenwechſels Hervorgegangen: «zu 
mwcolxovg würde nicht moAsıs, fondern nolrras daB vollfoms 
Ber entfprechende Eorrelat fein. Um fo mehr, als im Zus 
Bamenhange ded Ganzen von dem allmähligen Stärkerwerden 
m geſellſchaftlichen Verbindung die Rede ift. Sehr oft ſup⸗ 


Art der Verfaffer aus ähnlichem Grunde varras für venc..—  - 


„ 1 werben die Athener und Lakedämonier genannt; Thuky⸗ 
Des fährt alsdann fort: "za zo allo “Ellnvıxov son 
»viorauevov noog Enarepovus. Br ſetzt dad unbeftimmte Neus 
mn, weil durch den Krieg das ganze helleniſche Leben in feine 
Bmerften Tiefen hinein zeripalten wurde. — Wenn es VE, 
B von den athenifch gefinnten Syrakufiern Heißt: 7» zu 
Big Zupaxovacıs Boviousvorv Tois Adnvaloıg ra noayucra 
Bouvas: fo zeigt bier dad Neutrum ganz vortrefflih an, wie 
Abeſtimmt und heimlich diefe Bewegung noch gährte ). 
Numernsd I, 120: As adızovusvoug &x uw &- 
uns noheusiv, ... xal unte ın ara, noleuon zuruyia Enale 
2000: ,' unte tw jouylw 775 eionvng noomEvov adınsiodar. 
Der Plural adızovusvoug bewirkt eine innigere Vereinigung 
reit dem Vorhergehenden. Der auffallende Uebergang in den 
Zingular entjteht um deßwillen, weil hier die Rede vom ſpe— 
Tellen alle zu moralifcher Allgemeinheit emporſteigt. — Schr 
Bft ſieht der. Pluralis nach Wortern, m wie öxaorop, auch nach 


) Auch auf andere Unterſchiede hat man zw achten. So braucht 
Thukydides das arkadifche Orchomenos als männlich (V, 61), das bdos 
Eülhe als weiblich (I, 113). Der Berg Athos ift natürlich Masculinum, 
Die Landfchaft Athos Femininum. (Haacke Symb, erit. ad V Thu- 
<yddis, p. 24. Poppo I, 1, 108.) 


346 yurydides. Kap. 11. 


Städtenamen, "wenn Die Bürger gemeint ſind, aber doch 
mals ohne ſinnige Ueberlegung. IH, 2: Adoßos an 
an Adnvalow, BovAnddrres... ., weil man der Su 
ſtreng genommen, doch Feinen Willen zufchreißen kann. 
109: Anuoodevng nera zo Evorparmyor 'Axapvarıy axE 
doszas, . ... BovAonevog . . . . Auxsdasmorioug 
Barsiv: jener Waffenftillftand wurde offenbar von Dem 
und den Akarnaniern geſchloſſen; Diefer feine Plan aber 
hörte. wohl nur dem athenifchen Feldherrn an? — 1,73 
es vom graueſten Alterthume: or axoa? uildor Aoyur u 
TVpEG,-7 Dyus ray axovoousvov. Die üyes kann hier, che 
weil fie nicht eriftirt, nur Eine fein, während Die axoal di 
Menge von Sagen betreffen. — Dagegen fagt Thuky 
niemals „wir“ von feiner eigenen Perſon H. 

Tempus. II, 68: diooucs xara xgarog "Aero, 
zodg "Aunpexiwrag „vöpanodıcas. Die Erſtürmung di 
Stadt kann fehr gut im biftorifchen Präſens geſchildert 
den; bei dem Verſetzen der Einwohner aber in die Sklaved 
würde eine ſolche Lebhaftigkeit erzwungen ſcheinen. Das I 
tere iſt eine zu vermittelte und entfernte Handlung. 

Modus Thukydides verbindet un mit dem yndicatit, 
wo das Gefürchtete für ziemlich gewiß gilt: LIT, 53. Ce 
Conjunctiv verbindet er mit Yinalpartifeln und vorausgegan⸗ 
genen Präteritum unbedenklih, wo es die Grundkebentung 
des Conjunctivs erfordert 2). — I, 3: Aoxei de nos, ovde 
zouvona zovro (d. h. “Eidag) Euunaod nw siyev, alld..: 
sivki, » . . NapEYEodal, . . . KOÄELTdds, . . .» ERVIRTCH. 
Den erſten Umftand weiß Thukydides gewiß, die folgenden be 
ruhen nur auf Vermuthungen. Daher dort der Indicativ, 
hier der Infinitiv, obwohl die Symmetrie des Satzes nicht 
wenig darunter leidet. — II, 80: Die Amprakioten verlor 











— — —— ——“ 


) Poppo a. a. O. I,1, p. 9. 
2) Bol. die Beiſpiele bei Poppo a. a. ©. L, L, p. 1a sqq. 


$. 2... Charakteriſtiſche Veiſpiele. SAT 


1von Lakedänmon Hülfe gegen Akarnanien, -Acyorrec 'örs. s..i 
Bio; .ür, "Axapvaniav oyarsss, wal zig Zaxundoy .... 


BET COVOe,. mal 6 nepin)oug ousers Eoosro 'Adıvalsıg 


los neo! Mslonovınoov’ .einida‘ di .elvas, .xal' Naina- 
ww. Aaßeiv.: Der Eroberung von Zafyuthas find fie im an⸗ 
mebenen ‚Kalle ganz ſicher; unter diefer Bedingung 
wi Dann auch der. zweite Bunkt eintreten, den dritten Hoffen 
gar. Wie bewunderungswürdig abgeſtuft! Einem ſpätern 
Ner wuͤrde das in ſo wenig Worten durchaus unmöglich 
u. 

„. Barticipium, Schr häufig braucht. Thukydides, ion 
wertlich der: genitivus absolutus ſtehen müßte, das Partici⸗ 
man im Nominativ...IV, 80: Ilpoxoivanıes &; diayıalovg, 
sänlich die Seloten) os u2v Zorspyeracarıo ..., ci dd (Aa 
duuörsos) nyadsopv auroug etc. — III, 34: 0 d2. Tas 
me zoonmAeaupevog &c Adyovg “Inniav os "Apnabaim 
Dyno, ... 6 ut» Einide ag MUSOY, 6 BE &xeıvon 
wlaxn adeoun eye. Durch dieß Verfahren hebt fich der 
We Satz, der ſonſt als Mittelſatz nur fchleppen würde, viel 
Wendiger hervor; zugleich wird Durch das LUnfertige des Dora 
Befaked Die Aufmerkſamkeit des Leſers Bis zum Schluß der 
anzen Periode feitgehalten. — So braucht Thukydides auch 
ücht felten den Nominativ der Participien, wo eigentlich der 
Denitiv oder Dativ fichen follte. IV, 23: Kal ra neol Ili- 
Dr Un auporepwv xara xoarog Znoleusiro, Adnvaros 
dv dvoiv Evavılaı ael ınv vij00V negınikovreg, IleAonov- 
20606 Ö8 &v zii yneigw orguronedsvousvos. IV, 108: Kai 
0 xl adsıa Egaivero 'avıoıg, Lipevonsvo nv ing A0n- 
"ao duvausug Eni TOOoUrov 60m Voregov Ösegayn, To 02 
Eleovy Bovinosı xolvovres aoapa 7 noovolg angaltı. 
Durch ein folches Abbrechen der Periode tritt Die materielle 
Zauptſache, Die fonft formell abhängig fein würde, auch ber 
Komm nach in den Vordergrund. — Audererſeits aber ſteht 
wuh, wo wir den Nominativ eines Participiums erivarteten, 


[2 


348 Thukydides. Kap. 11. 


der genitivus absolutus. . IH, 13: Bon&njoarınr 
Unuv, noodtiuorg nölw TE NOOGÄNWEOUE varıınov & 
car ucya. Die Hülfe der Lakedämonier ift Hier die Sebi N 
des Erwerbes. Diefe Bedingung aber, dieſe unerläßlih 
Eeibftthätigfeit, wird Durch den abfoluten Genitiv. * 
ſcher ausgedrückt. J, 114: Mera dt raüura Fßood * 
ano Adıvalus‘ xal Eg avıny ijöon deaßeßnnörog Mer 
zAcovg oroamıa Adnvaius,. nyyÜön euro Or Mira 
egEornxe. Der Uebergang des Perikles nach Eubda it 
nicht bloß chronologiſch früher, als der Abfall won Diege 
fondern offenbar auch Die Urſache des letztern 2). — VIE 
2A: Eipyon£vosg oUv adroig rag Dalacayc xal zund Äl 
noedovm&vosg Evegeionoav reveg x.1.4. Hier iſt der Dal 
eine Probe, mie prägnant Thukydides die Eafus- zu wähle 
verſteht. Gleichſam ringsum abgejchlofien. Ein Anderer ha 
vielleicht den Genitiv geſetzt, obwohl bier von einer achiech 
Thätigkeit der Eingeſperrten nur uneigentlich ‚die Rede Tab 
könnte. 

Nach dieſem Vorgange wird der Leſer die übrigen Uns 
gelmäßigfeiten der thukydideiſchen Sprache ſelbſt werarheiten; 
die finnige Veberlegung, die fait einer jeden zu Grunde liegt, 
ſelbſt entdecken können. 














8.3. 
Kürze des Thukydides. 
Die Kürze des Thukydides haben Viele gelost, Viele go 
tadelt 2). Gicero nennt ihn crebrum sententüis, compres- 


— — — — — 


1) In andern Stellen, ‚wie II, 83: ’Erudn niyvros dvrızapasii- 
ovras te». T. A., hat diefe Sonftruction jedoch nur den Zweck, um die 
Periode, weldye Tonfl durch die vielen Participien verwirrt fein wär, | 
deutlicher zu machen. 


2) Außer Dionysius passim und Lucian. De hist. consch- 


5. 3. Münze des Thukydides. 3 


me rerum:brevem, subobscurnm ?), Auch bei Sermoge- 
3 heißt er xoageoreoog. Thutydides läßt Häufiger und. här⸗ 
; alö Andere zu thun wagen, einzelne Wörter aud, die aus 
m Vorigen, oft fogar nur. aus dem Kolgenden 2) ſupplirt 
zen müſſen. Ganze Sätzchen, Mittelglieder von Perioden, 
3:zum Verſtändniß unentbehrlich ſind, fallen weg, und wer⸗ 
st sum durch Partikeln, wieröumg, yap, ei, d2, un, ange 
niet. Er wimmelt von f. g. Brevilequenzen: VI,.:34: 
Fyyskloluede int 16 masiov. ‚1, 140: "Erdeyesas yo rag 
werogcg. rar. noayuaros ouy noaon duadag rvonoau I, 
Lz Meran vobde Bpiodn Unmv rn Bandvrng 3), — Mom 
a ungemeine Fülle der Gedanken: sententiis magas, wie 
Eerro ſagt, quam verbis ahundans. Man betrachte: nurdas 
are ſeiner Platäerrede (IH,::59.) Jedes Wort beinahe giebt 
ein neues Motiv. „Wir beſchwören Euch zugleich, unsß 
Jataer, bie vaterlandsliebendſten der Hellenen, die wir flehend 
2 genahet find, nicht aus Euern Händen und Euerm Worte 
kivider, dem wir getraut haben, ten Thebanern auszuliefern, 
ufern. grimmigſten Feinden; ſondern umjere Netter zu werden, 
up nicht, da Ihr Das Horige ders befreien walk, — und & 
emniipten * 


— 


— 


enda vgl. Quinctilian. X, I. Cicero De orat. JI, 13, 22. 
rut. 7. und Hermog. Ilegi idewr IT fin, 
3) Bel auch Cicera Ort. 9, 30. 


2) So 5.8. in ber Peſtaeſchichte längere Zeit: das — ‚vöonna, 
is erft im Solgenden vorkommt. u 

2) Poppo a... D. p. 28154. 9204 . 1. 

*%, Es ift fchwer, fagt Windelmann, kurz zu fchreiben, auch 
cht eines Jeden Werk; denn man kann in einer völligern: Art zu ſchrei⸗ 
n nicht jo leight. beim Wort genommen, werben. Derjenige, ‚der an 
mand ſchrien: id), hatte nicht Zeit, dieſen Brief kürzer zu. machen er⸗ 
ante, was die kurze Schreibart e erhert. Gerke Bd. XL, ©. Aa) 
gt. Werke Sb. IX, S. 218 und 234, er. 


350 Thukydides. Kap. 11. 


Wie wenig Indeien Die Kürze des Thukydides aftectırt 
erkennt man am beutlichiten and der Mienge feiner Plee 
men. Ilalıy avalaudavsıy, &UHUG xura Tayoz, Tote Ön zu 












Tor KULOUV TOVTOV, EREITE ÜCTENOV, TNOONEUNE MIpOTE 
zay ar songs: und Aehnliches mehr 1), Thukydides hat 
gleichen Redensarten höchſt mahrjcheinfich noch aus der 
gangsſprache. Oft erweitern fie ſich zu fürmlichen Parall 
men. So 3. B. uezımıov ‚nal oVy Ajxıora" oc are 
nagaxaydivres 62 n. ſ. w. Frühere Philologen, wie z. & 
Bauer, haben diefe Eigenthümlichkeit des Thnkydides fir ein 
Nachahmung des Hebräiſchen gehalten. Cie rührt wohl de 
aus dem noch jugendlichen Charakter der thukydideiſchen Eprah 
periode her. 

Man hat eine große Achnlichkeit finden wollen zwiſche 
der thukydideiſchen Kürze und Der Kürze des Taeitub. 
Wenn nur die Analogienſucht der Menſchen nicht bei der ge 
eingften Achnlichkeit Die größte Verſchiedenheit zu überfehen 
liebte 2)! Die Kürze des Thukydides iſt immer unabſichtlich 
die des Taeitus immer abſichtlich. Cie läßt dorten die Forn 
beinahe ganz verſchwinden, fo daß Die Gedanken gleichſam im 
göttlicher Nacktheit einhergehen; Hier Dagegen hebt fie die em 
erit recht hervor. Sort verbirgt fie den Gedanfenreichthum, 
hier macht jie erſt aufmerkſam Darauf. Auch iſt Bei Thukydidts 


) So aud) in Nominibus: vgl. I, 138. III, 68. Beiſpiele Ins 
gerer Pleonasmen, f. g. verbositas, finden fi I, 1. 15. 138. II, I6 
III, 11. 15. 61. Befonders aud) in ben Bundesverträgen, wo ed ke 
diplomatifche Etil, der alle Zweibeutigkeiten ſcheut, erforbern modte. 
(PoppoJIl,1, p. 197 sqq). Auch Salluſt hat eine Menge folder 
Pleonasmen. 


2) Die Kürze des Salluftius fleht ber thukydideiſchen viel nähe. 
Dod) legt Salluftius fie am meiften in Kraftfentenzen dar, oft aud ia 
aſyndetiſcher Redeweiſe, was auf mehr Abfichtlichkeit deutet. Selbſt bie 
frühere römiſche Literatur ift immer etwas von ber rhetorifirenden Dos | 
tier der gleichzeitigen Griechen befleckt worden. | 

| 


$. 3. Kürze bes Thukydides und des Tacitus. IA 


uw die Sprache fo. kurz, bei Taeitus. zugleich ein großer Tue 
ww Schilderung. Tacitus ſchreibt am liebſten abgeriifen, Thu⸗ 
»dides allezeit mit der feinſten Anwendung der Partikeln T), 
wie. O. Müller 2). vortrefflich bemerkt Hat, bei Taeitus 
wien: wir zwiſchen den Zeilen Lefen, bei Thukydides nur Al⸗ 
BB, mas er ſagt, gehörig durchdenken. Ein Vorleſer würde 
mb Thukydides ſelbſt die Rede ohne Pathos, bei Taeitus ſelbſt 
Be Erzählung mit Pathos reeitiren mäffen.’- Kurzum, es iſt 
Bmielbe Unterfchieb, den ich früher ſchon zwiſchen den Antithe⸗ 
der erſten und ber zweiten: Stilperiode beſchrieben habe 3). 
2.8 wurde fchon frühen darauf hingewieſen, daß in zen 
Mder des Thukydides die Sprache nichts weniger, als mono⸗ 
niit. Aber auch in der bloßen Erzählung weiß ee ſich bein 
Degeunſtande anzupaſſen. - Wie: ein tiefer und mächtiger Strom, 
er in ruhiger Einfachheit, gleitet ſeine gewöhnliche Darſtel⸗ 
Meng Hin; io fie frühere Zeiten berührt, wird fie Mar und 
Westic; ‚höhere Bellen ſchlägt fie m der Schlacht; am wildes 
brauſt fie in den Unruhen von Kerkyra. — Dex tiefe 
Bruft, welcher diefe Gefchichte Kefeelt, die Größe des Gegen- 
Bandes, die Macht der Enipfindung: Alles trägt dazu bei, 









1) ‚JloAvdsonos korı nähllor 7 zavres or Arcmoi. (Schol. II, 41.) 


2) In feiner Vorlefung über den Zacitus, der ich überhaupt das 
Wefentlichfte meines bier gegebenen Vergleiches verbanke. , 


3) Bei der Kritik der thukydideiſchen Handfchriften macht die ei= 
zenthümliche Natur des Schriftftellers manche eigenthümliche Regeln 
nothwendig. So muß bei ihm ganz befonders unter verfchiedenen Lesar- 
ken die kürzere ber längern, die feltenere ber gewöhnlicdyern vorgezogen 
werben. Wenn daher einzelne Wörter, die unbefchadet des Inhaltes 
wegfallen Eönnten, Eritifch auch nur im Geringften verdädhtig find, fo 
mäffen fie als Interpolationen geftrichen werden. So audy, wenn bie 
Bandihriften verichiedene Wörter biefer Art Iefen, die nicht aus einans 
ber hervorgegangen fein können; wie Aaßuv'und euvgwv (VII, 31.), zö- 
Le und durauıs (I, 24). Wenn ein foldyes Wort bei verfchiedenen Hand⸗ 
Ichriften eine verfchiebene Stelle einnimmt, fo ift ebenfalls die Interpo= 
lation dringend zu vermuthen. (Bal.Poppo a. a.O. U,1, p. 136 sqq.) 


552 Thukydides. Kap. 11. 


Sie erhaben zu machen. Auch die Sprache thut das St 
Dieſe gedankenreiche Kürze, dieſe Anſpruchsloſigkeit der F 
dieſe Rauhheit der Satzverbindung, dieſe Alterthümlichke 
der Wahl der Worte,’ ja ſelbſt dieſe Dunkelheit und Cd 
rigkeit des Ganzen müſſen den Leer ernſt und feierlich 
men. Schon das Alterthum Hat Die eingeſchen. M 
man immerhin behaupten, daß Thukydides aus dem 
nicht ſelten in's Wunderliche, aus dem Erhabenen in's Sch 
ſtige falle, fon war man doch gern bereit, ‚fein peyalong 
ſein peyedog und feine asgworyg anzuerkennen). Dion 
fagts Wenn Vorſatz und Kraft in dieſem Laufe zujam 
kleiben, ſo wird ein vwollfonnnmer,. .güttlicher Sieg al 
Bleibt aber Die Kraft zurück bei der reißenden Schnelligke 
Rebe, wo der Athen auegeht ſo wird Die Sprache t 
am rchicrhaft (p. er 


F Dionys. De Thncyd. ind, p. 888. 896. Hermog. } 


nn Duwslfies Kapitel, 
C Einheit des tbukvdideiſchen Werkes, 


J 


B. haben in den erſten Kapiteln die Art und Weiſe be⸗ 
ihtet, wie Thukydides zur Kenntniß feines Materials ges 
ite. In den folgenden Kapiteln feinen Geiſt, und bie 
uptſächlichſten Veränderungen, welche das Material im Durch⸗ 
hen durch denſelben erfahren mußte. So bleibt uns denn 
3 drittes Moment noch das Aumſtert ſelbſt zu einer nähern 
mgliederung übrig. 


81. 
Abfaſſungszeit. 


Ob Thukydides zu Athen, zu Skapte Hyle, oder anders⸗ 
D fein Werk geſchrieben habe, kann weder mit Gewißheit, 
ich mit weitern Refultaten ermittelt werden. Das Alterthum 
hlt, es ſei im Exile geſchehen 1). Und allerdings, Thu⸗ 
dides ſelbſt verſichert daß er ‚glei beim Anfange des Krieges 


ij Marcell. 25. 47. Cicero De orat II, 13. Plin. u. KM 
MI, 31. Piut. De exsilio 14. 
23 


3354 Thukydides. Kap. 12. 


fein Bert begonnen habe. Aber wann vollendet 
wiß erſt nach dem Friedensſchluſſe. In mehrern Stel 
erften, zweiten und fünften Buches wird das Ende di 
ges deutlich erwähnt (I, 13. 18. II, 54. 65. V, 20 
ja I, 95 und II, 13 fogar die auf Lyſaudros Befehl 
Mauerzerſtörung. Auch I, 77 muß offenbar zur : 
lakedämoniſchen Oberherrſchaft gefchrieben fein. Der vor 
Beweis aber liegt in der eigenthümlichen Verflechtu 
Durchfichtigkeit des ganzen Werkes. An jeder ıı 
Stelle — wir haben es oben ſchon von den Neden gei 
findet fi) das Frühere ſowohl, wie das Spätere bis ; 
des Krieges vorgedeutet. Gar oft fehlen wir inı engften 
dad verjüngte Bild des ganzen Krieges 1). 
An der Vollendung feines Werkes ift Thukydide 
den Tod gehindert worden. Aus den Alterthume wer 
gaben erwähnt, als ob andy daB achte Buch nicht v 
Here. : Man:-fchrieb es wohl feiner Tochter zu, ı 
nem Herausgeber nnd Fortfekee XRenophon; auch dem 
pompsd'mitinter 2). Eine weibliche Hand fcheint Diefe 
indeſſen wicht zu verrathen. Vom renophontifchen Gei 
e8 gewiß fan; und Xenophon iſt fo Leicht in alla 
Schriften wicderzuerfennen, weil diefelben einfachen Ide 
Neligiöfes, Ethiſches, Strategifched und Oekonomiſches 
halben bei ihm durchklingen. Auch den Theopompos 
fein blumiger, bochtrabender Stil, feine zahlloſen Era 


15, Des anonyme Biograph des Thukydides ($. 8.) läßt de 
mipg; zum Schluffe bed ganzen Werkes abgefaßt fein. Aus dem 
Euviygaye vermuthet ed auch Sen. Lit. 3tg. 1822, ©. 423. — 
fi die Alten der ſolchen Ausdrüden nicht immer gern in bie 
Leſets hineingsbachsihätten: man "erinnere fi) nur an ihren 9 
Mas den Thukydides hätte bewegen Tönnen, die Einleitung am 
des Ganzen zu fchreiben, fehe ich eins am Schluffe der zw 
Drittel aber — und viel mehr ‚hat er nicht vollendet — wahrhaft 


2) Marcell, 43 5q. one. 


5. 1. Abfaſſungbzeit. Autheutie des achten Buches. 388 

Ddie Mythenzeit gar. bald nerratgen. — Alle Bernmthungen 
Bier Art ſcheinen ech: nach dem —*8 aufgekommen zu 
Br). Dre Verfafſer unſers Buches -nemt fi: ſelber Thu⸗ 
Mies (6. 60.). Nach Kratippos Bericht find’ gegen das 
Dive des thukydideiſchen Werkes Feine ‘Neben mehr "anges 
Wet 2). Und Kratippos war em .Zeitgenoffel Die Sands 
Beften, wie. Boppo erzählt, geben faft. ohne Ausnahme das 
Buch mit (II, 1, p.8.), und zahlreiche Stellen der Alten 
es ohne Bedenken ). — Auch ift die Anordnung dieſes 
ed, die Behandlung des Materiald, der Charakter Der 
che ) fogar, mit den frühen Büchern vollfommen übers 
end. Die wenigen Abweichungen, das Fehlen der 
Beben 5), die größere Leidenſchaftlichkeit des Urtheils, laſſen 
Bohne Schwierigkeit, mie ich oben gezeigt Habe, aus dem 
gel der leiten Selle erklären. — Man Hat wohl gemeint, 

! Weſentliche des achten Buches ſei zwar von Thukydidrs, 


h: 
J. 9 Krü ger gehen des Sputybibe, e. 7%. 
kr. 3 Dionys. De Thucyd. iudicium 16, (Kr) 


dr 3, Diodor. XIII, 42... Plut. De garral. p. 813. Har- 
* r. v. deipinor, Steph. 8. v. BoAsooös und Apupoücca. Pho- 
8 v. Ilaoovdi. Gregor. Corinth, p. 2. Thomas Mag: v. 
su u. ofter. 
“9 Allerhand unfcheinbare Thukydidismen bes‘ achten Buches, -bie 
m Rachahmer nicht leicht beachten würde, hat Krüger zufammenges 
wit Commentt, ad Dionys. Historiogr. p. 266 sqq. 


) Welches Krüger (Leben bes Thukydides ©. 78.) und Gäller 

d. p. 36 sqq.) auf eine nicht fehr befriedigende Art hinwegde⸗ 

iven wollen. Sch derweife auf mein viertes Kapitel. — Ebenſo 

kann ic) der Anfiht von Niebuhr (Kleine Schriften. I, ©. 469.) 

bb 3. Kante (Vita Aristophanis p. COCXVL.) beitreten, daß’ Thu- 

dides die Darftellung im achten Buche abfichtlich matter gehalten habe, 

R fie dem mattern Gange bes Krieges anzupaffen. Ich finde nicht, 

B die Greigniffe im legten Drittel des peloponnefifchen Krieges geringe 
iger find, als im erften. 









23 * 


N 


2 


aus defien Vorarbeiten und Kladden beſtehend; aber feine‘ 
ter vielleicht, oder ein anderer Heraudgeber babe es in 
heutige Form gebracht. Hier wurde immer ſehr befrer 
Bleiben, daß dieſelbe Hand nicht auch dem weitern Verlar 
Krieges auf. ähnliche Weiſe Hinzugefügt. Denn die X 
beiten des, Thukydides gingen ohne Zweifel bis zum 
des Kriegeß. Namentlich würde Fein Herausgeber au 
fo abgeriſſene Art geſchloſſen Haben, Und diefe Axt fand 
Kenopbon vor, wie der ebenſo abgerifjene Anfang feiner. 
niken beweiſt 1). 
8. 2. 
Gegenſtand des Werkes. 


Gegenſtand des Thukydides iſt der peloponneſ 
Krieg (I, 1): und zwar der ganze peloponmefifche Aria 
26). Alles Frühere dient nur als Einleitung 2). Nam 
weiß Thukydides mit entfchiedenee Genauigkeit die feindſ 
Vorbereitungen von dem fürmlichen Ausbruche des K 
ſelbſt abzufonbern (I, 125. 146. II, 1. 12.). — Dal 
er lebhaft bemüht, die zwei verfchiedenen Kriege vor un) 
dem Frieden des Nikias nur als Ein, freilich unterbroe 
Ganzes darzuftellen (V, 26.). Uns, deren Vorftellungen 
über, wenigſtens mittelbar, eben vom Thukydides Kerl 
ſcheint dieß natürlich, fih won felbit zu verſtehen. Unten 


1) Weber die Authentie bes achten Buches vgl. noch: Pop 
a8. II, 1, p. 7 sqq. Göller Thucyd. I, p. 35 sqq. ' 
ger in den Commentatt. hinter feiner Ausgabe von Dionyfios | 
riogr. und im Leben des Thukydides, S. 74 fr Gail Le Phik 
von 1818. 


2) Schon ber Scholiaft bemerft, Thukydides führe den ©i 


Kerkpräee über die Korinthier nicht weiter aus , mpsoßveigan laws 
avrtos (I, 29.). j 


$. 2. Gegenſtand des Thukydides. 357 


enen aber: mar ed lange Zeit üblich, den archidaunſchen 
Bey: von dem dekeleiſchen abzufondern 1). Wie lange wird 
4 '®. auch: bei und noch dauern, bis. Jedermann ſich ge⸗ 
Mit Hat, die ſammilichen Feldzüge vom Sinfalle der Bere 
Behr die Champagne an bis anf den zwriten pariſer Frie⸗ 
BB: für Ein großes Ganzes zu: halten? Hälte Khükydides 
Be Berk: vollenden koͤnnen, fo tie: es inidrei wohlgeglie⸗ 
MR un ziemlich gleich lange Theile zerfalſen: I) vder archi⸗ 
lmiſche Krieg (Buch II— V.pr.); 2) der Frieden des RE 
is, die Bümdnißirrungen und ‚der Zug nah. Sicdlen (Buch 
pe VIE) 5 3) der detaeiſche Krieg bis zur Einnafan. von 
Mn) u ij 117.3 
Wie nun Thukydides den Krieg allen rat den Gegen⸗ 
* ſeiner Arbeit angiebt, ſo iſt er auch im ganzen Buche 
nſe Giräünze treu geblieben. Weder von Pheidias, noch 
u Sonhokles, order von Sokrates, noch von Ariſtophanes 
Mic die geringſte Erwähnung; fo nah: es auch gelegen 
Bi, namentlich den Erſten beim Ausgange des Perikles ans 
inten. In der Peftgefihichte bleibt Hippokvates, umter ber 
Aiotiſchen Gefandtfchaft zu Athen Gorgias unberührt 3). 
ih von den Staatsmänhern nimmt .er nur Dadjenige auf, 
Bunt. deni Gange des Krieges in unmitielbarem Zuſam⸗ 
nhange ſteht. Sogar des Perikles letzte Schickſale werden 





Bol. Diod. xni, 9, Harpocr. PART — und Ariel, 
»erates De pace 14.: Panath. 19. Dembath. Pro cor. 8. 
ii.) Aleoktritos bei Kenoph. Hell. 11,4, 2; +, Auch den fs 
chen, Krieg pflegte man in den :leontinifhen und ſpraluſi ſchen zu 
iden. (Thuc. yI,6) _.. 

» Vel. 8. D. Mütter Geld, "be griech niteratur Be. II, ©. 
fe- 

y uͤeber die Sticteeiähnung des Hippokrates vgl. Po; ppo a. a. 
dir, 2, p. ri a4 —'' Neberhaupt vgl. Plus. De mal. Herod. 
355. ' 


oh, 211° » 


238 2.5 Tukydides. Kap. 12. 


mit Einer. Kürze behandelt, welche gewiß manchen i 
menden Leſer wehe thut (II, 65.). — Ueberall jebı 
mar fählen, dag der. Hiſtoriker auch von ſolchen Ding 
wwefſlich unterrichtet til. Ex Hat fich keinesweges ausgeſt 
Dieß verleiht feinem Buche natürlich einen eigenen, 
Del, Bei jenem Kunſtwerke muß man nicht bloß der 
werten, welcher Die. Kraft zuſammenhält, ſondern 
Kraft merken, welche ſich gegen den Zügel emporbäum 
vom braucht es der Hiſtoriker aber noch nicht fo zu 
wie Oerndot, der gar oft, wenn ex etwas zu verſchwe 
vrpig ſindet, doch wenigſtens bemerkt, Daß er es verſ 
Thukvdides bildet hier eine Mitte zwiſchen Den Logo 
und den Spätern -felt Ephoros, beſonders den Atthid 
kan, die in ihre Geſchichtsbücher eine förmliche Eney 
alles ihres Wiens niederlegten. Noch Herodot, wie 
ben, iſt wicht ganz frei Hiervon, und ſchon Xenophe 
wieder an, wenigitend alles Ethiſche und Praktiſche, 
gedacht Hat, einzuſchalten. Während dieß bei den ! 
mehr unabjihtlih gefchicht, it ed bei Theopompos ab 
um der. Einfachheit feiner Vorgänger zu opponiren. 
Aber ebenfo ſtrenge Hält es Thulydides mit einer 
tief greifenden Megel der Aeſthetik, daß ein Kunſtwe 
andern ragen aufregen foll, als die es ſelbſt auch bean 
Hierdurch allein kann es abgefchloffen, eine eigen 
Welt für fih werden. Unſer Verfaſſer iſt dabei ſelbſt 
zelften fo gewiſſenhaft (3. ®. VII, 75.), daß man va 
kann, die wenigen, noch nicht abgeſchloſſenen Barticı 
Buches würden in den letzten, noch rückſtändigen Jah 
Krieges gleichfalls erledigt worden ſein. Es finden fir 
lich ſehr viele Anſpielungen, die über das achte Buch 
reichen. Man kann daher im Weſenilichen wohl angel 
Thukydides Die Ichten Jahre des Krieges zu behandeln 
Diefed Werk. läßt den Lefer Fein Factum hinzuzudenken 
Cr kann alle ans ihm herausnehmen: was freilich 


$. 2... Gegenſtand des Thülhdides. 558 


eeten und Tünftlichen: Natur unſets · Schriſtſtellers eine wic 
zere Arbeit nothwendig macht, als das Suppllren Nianches 
en, an Sprüngen überreichen Werkes. 3: 231 sr 
Se Anmere Sefchichte von Athens Gegnern und abtrüum⸗ 
Bundbesgenoſſen tft. viel: kuͤrzernabgefertigt, ald die won 
mm ſelbſt 1)2 nur gerade ſo weit, uls zur Erklaͤrung ihrer 
wärtiger Politik utnumguglich Moth wer. Sowile: die 
mer. aus ben Spielanſind,. verläßt Thukyrider? die ſient 
Zuwiſtigkeiten (IV, 25... Oaher kaun man als Arie 
8 ukydideiſchen Werkes Folgendes bezeichnen 219 dä 
abſinken Athens van ſoinet perikleißcheu Hdhi 
eit⸗daſſelbe durch den peloponneſeſchen-Krieg 
mBbart nnd bewirkt wurde. — Die gtoßeStrege 
„womit Thukydides Diele Einheit ſeines Werkebfortwah⸗ 
im Auge vehaãlt, fo manchen Tabek ſie auch von Oionh⸗ 
bis auf unſere Zeiten Hat erfahren müſſen,“ IP doch kei⸗ 

Einzigen feiner ebenbürtigen eitgenoſſen fein] "Se 
+. einen Hauptbeſtandtheil jener herben Grazie, Wwelche He 
ſtwerke der perikleiſchen Zeit Aufangs fo fi ſchwer ae 
t aber au ſe unoergleichuich ſchon macht. an 


A 


.s NER 
Be aa 


83 


Epifaden. 


.. la 

Um fp aufſallender kann es erſcheinen, wenn deſſenun⸗ 
ſtet bier und da in die Geſchichte des Thukydides längere 
ſo den eingeflochten ſind, die ſcheinbar nicht das Mindeſte 
dem peloponneſiſchen Kriege zu ſchaffen haben. Solcher 
oden gicbt es fünf: die Geſchichte von der theſeiſchen Zu— 
nenziehung der attiſchen Demen (II, 15.), von der verun⸗ 


— — — —— — 


) So wird namentlich bie materielle Kriegsrüftung ber Athene 
3.) fehe viel detaillirter befchrieben, als die ber Lalebämonier. 


350 Thukydided. Kap. 11. 


Wie wenig indeſſen die Kürze des Thukydides afferti 
erkennt man am deutlichiten and ter Menge feiner Bi 
men. Ilalı» avalaußavsıy 5 sUOUG xara Tayos, rore On 
vov xaıo0v TODTOY, Ensıra'.borepov, TIEOTEUNET 00 
zur ar :toogs und Achnliches mehr !). Thukydides ha 
gleichen Redensarten höchſt mahrfcheinlich noch aus da 
gangsfprache, Oft erweitern fie ſich zu förmlichen Par— 
mein.“ So: z. B. uetorov ‚Kal: 0dg. Roco". OUk ax 
raganigdevzeg' din, fi... Frühere Philologen, wie 
Bauer, ‚haben diefe Eigenthimlichkeit des Thukydides fü 
Nachahmung des Hebräifchen-gehalten. Cie rührt weh) 
aus dem noch jugendlichen Charatter der thukodidelſchen € 
periode her. 

Man hat eine große Achnlichkeit finden wollen zn 
ver chutydideiſchen Kürze und der Kürze des Taei 
Wenn nur die Analogienſucht der Menſchen nicht bei d 
vingften : Achnlichkeit Die größte Verſchiedenheit zu übe 
liebte )1 Die Kürze des Thukydides iſt immer unabſic 
die des Taeitus immer abſichtlich. Sie läßt dorten die 
beinahe ganz verſchwinden, fo daß die Gedanken gleicht 
göttlicher Nacktheit einhergehen; hier dagegen hebt ſie die 
erſt recht hervor. Dort verbirgt ſie den Gedankenre icht 
hier macht fie erſt aufmerkſam darauf. Auch iſt bei Thuk 


— — —— — — — — 


) So auch in Nominihus: vgl. I, 138. III, 68. Beiſpie 
gerer Pleonasmen, f. g. verbositas, finden fi I, 1. 15. 138. ] 
III, 11. 15. 61. Beſonders auch in den Bunbeöverträgen, wo 
Biplomatifche Stil, der alle Zweideutigkeiten feheut, erfordern ı 
(PoppoI,1, p. 197 sqq). Auch Salluſt hat eine Denge 
Pleonasmen. 


2) DieKürze bes Salluftius fleht ber thutyoideiſchen viel 
Dod) legt Salluſtius fie am meiſten in Kraftſentenzen dar, oft a 
afyndetifcher Rebeweife, was auf mehr Abfichtlichkeit deutet. Sel 
frühere römifche Literatur iſt immer etwas von ber rhetorifivende 
nier ber gleichzeitigen Griechen befleckt worden. 


$. 3. Kürze des Thukydides und des Tacitus. 1 


ze die Sprache fo kurz, bei Taeitus zugleich ein großer Theil 
x Schilderung. Tacitus fchreibt am liebſten abgeriifen, Thu⸗ 
VDides .allezeit mit der feiniten Anwendung der Partikeln I), 
Sie K. O. Müller?) vortrefflich -benterkt Hat, bei Tacitus 
Bien. wir zwiſchen den ‚Zeilen leſen, bei Thukydides nur Als 
D, was er ſagt, gehörig durchdenken. Ein Vorleſer würde 
Thukydides ſelbſt die Rede ohne Pathos, bei Tacitus ſelbſt 
EiErzählung mit Pathos recitiren muſſen. Kurzum, es iſt 
wiribe Unterſchied, den ich früher ſchon zwiſchen den Antithe⸗ 
Biber erſten und ber zweiten Stilperiode beſchrieben habe 2). 
88 wurde ſchon früher darauf hingewieſen, daß it den 
Iden des Thukydides die Sprache nichts weniger, als mono⸗ 
i iſt. Aber: auch in der bloßen Erzählung weiß er ſich beim 
Bayenftande anzupaſſen. Wie ein tiefer und mächtiger Strom, 
Ber in ruhiger Einfachheit, gleitet ſeine gewöhnliche Darſtel⸗ 
bin; wo fie frühere Zeiten berührt, wird fie Mar und 
lich; höhere Wellen fchlägt fie in der Schlacht; am wilde: 
Brauft fie in den Unruhen von Kerkyra. — Der tiefe 
; welcher dieſe Gefchichte befeelt, Die Größe des Gegen- 
des, Die Macht der Empfindung: Alles trägt dazu bei, 


ö 1) JloAvdsonos gorı kallov 7 MavTEg or Arrixoi. (Schol. II, 41.) 


= 3) Sn feiner Vorlefung Über ben Zacitus, ber ich überhaupt das 
Befentlichfte meines hier gegebenen Wergleiches verdanke. , 


3) Bei ber Kritik der thukydideiſchen Handfchriften macht die ei⸗ 
ümlihe Natur des Schriftitellere manche eigenthümliche Regeln 
Mendig. So muß bei ihm ganz befonderd unter verfchiedenen Lesar⸗ 
} die kürzere der längern, die feltenere der gewöhnlichern vorgezogen 
Wenn daher einzelne Wörter, bie unbefchadet des Inhaltes 
Uen könnten, kritiſch auch nur im Geringften verdächtig find, fo 
en fie als Interpolationen geftricyen werden. So auch, wenn bie 
chriften verfchiedene Wörter diefer Art Iefen, die nicht aus einans 
Servorgegangen fein können; wie Außwr und eugury (VII, 31.), zzo- 
und durasıs (1,24). Wenn ein folches Wort bei verfchiedenen Hands 
Ken eine verfchiedene Stelle einnimmt, fo ift ebenfalls die Interpo⸗ 
a dringend zu vermuthen. (Vgl. Poppo a. a. O. II, I, p. 136 sqq.) 








2. Thukydides. Kap. 11. 


fie erhaben zu machen. Auch die Sprache thut das Il 
Dieſe gedankenreiche Kürze, dieſe Anſpruchsloſigkeit der F 
dieſe Rauhheit der Satzverbindung, dieſe Alterthümlichke 
der Wahl der Worte, ja ſelbſt dieſe Dunkelheit und Ca 
vigfeit des Ganzen müſſen den Lefer ernſt und feierlich 
men, Schon das Alterthum bat Dieß -eingefehen. 9 
man immerhin behaupten, -. daß Thukydides aus dem ( 
nicht. jelten in's Wunderliche,. aus dem Exrhabenen in's Si 
ſtige falle, fo war man doch gern bereit, fein peyalonu 
ſein peyedog und feine oemnsrys anzuerkennen 1). Dion 
fagts Wenn Vorſatz und Kraft in diefem Laufe zujam 
Kleiben, jo wird ein wollfoummer,. .göttlicher Sieg el 
Bleibt aber Die Kraft zurück bei der reißenden Schnelligte 
Rebe, wo der Athem ausgeht, fo wird die Sprache 
and fehlerhaft (p. 870.) : 


1) Dionys. De Thucyd. ind, p. 883. 896. Hermog. f 


D 
— — — — — — — 


zur 
—X 
<< 


Fu _ Ä 
ah, Bwölftes Kapitel. 

u. Einheit des thukydideiſchen Werkes. 

Be: 

B: haben in ben erſten Kapiteln die Art und Weite bes 
Htet, wie Thukydides zur Kenntniß feines Materials ges 
Date. In den falgenden Kapiteln feinen Geiſt, und bie 
mptfächlichiten Veränderungen, welche das Material im Durch⸗ 
pen durch denſelben erfahren mußte. So bleibt und denn 


B dritte Moment noch das Aunſtwerk ſelbſt zu einer nähern 
sgliederung übrig. 


8,1. 
- AAbfaſſungszeit. 
Ob Thukydides zu Athen, zu Skapte Hyle, oder anders⸗ 
» fein Werk geſchrieben Habe, kann weder mit Gewißheit, 
u mit weitern Refultaten ermittelt werden. Das Alterthum 
lt, es ſei im Erile geſchehen !). Und allerdings, Thu⸗ 
dides . verfichert, Daß ex gleich beim Anfange des Krieges 


ı) Marcell. 25. 47. Cicero De orat II, 13. Plin. N. H. 
KL, 31. Piut. De exsilio 14. 


23 


334 Thukydides. Kap. 12. 


ſein Werk begonnen habe. Aber wann vollendet? 
wiß erft nach dem Friedensſchluſſe. In mehren Stell 
eriten, zweiten und fünften Buches wird Das Ende dei 
ges deutlich erwähnt (I, 13. 18. II, 54. 65. V, 20. 
ja I, 95 und II, 13 fogar die auf Lyſandros Befehl ı 
Mauerzerſtörung. Auch I, 77 muß offenbar zur 3 
Takedämonifchen Oberherrfchaft gefchrieben fein. Der von 
Beweis aber liegt in der eigenthümlichen Verflechtim 
Durchſichtigkeit des ganzen Werke, An jeder w 
Stelle — wir haben es oben ſchon von dem Reden geie 
findet fi) Das Frühere ſowohl, wie das Spätere bis zı 
des Krieges vorgedeutet. Gar oft ſehen wir im engiten 
das verjüngte Bild des ganzen Krieges i). 

An der Vollendung ſeines Werkes iſt Thukydides 
den Tod gehindert worden. Aus dem Alterthume werd 
gaben erwãhnt, als ob and DaB achte Buch nicht vi 
herrührte. Man ſchrieb es wohl ſeiner Tochter zu, o 
nem Beranögeber nnd Fortſetzet Xenophon; auch dem 
pompos mitunter 2). Eine weibliche Hand ſcheint diefei 
indefjen wicht zu verrathen. Vom renophentifchen Geil 
e gewiß fen; und Xenophon ift fo Leicht in allen 
Schriften wiederzuerfennen, weil Diefelben einfachen Ide 
Religiöſes, Ethifches, Strategifches und Dekonomifches 
halben bei ihm durchklingen. Auch den Theopompos 
fein blumiger, bochtrabender Stil, eine zabllofen Era 


2). Des anonyme Biograph des Thukydides ($. 8.) läßt da 
mipn, zum Scälufe bed ganzen Werkes abgefaßt fein. Aus dem 
Euväyganye vermuthet es auch Sen. Lit. Ztg. 1822, ©. 4233. — 
fi die Alten bei ſolchen Ausdrüden nicht immer gern in bie! 
Leſets hineiagtdacht / hätten? man erinnere ſich nur an ihren % 
Mas den Thukydides hätte bewegen Tönnen, die Einleitung am 
des Ganzen zu fihreiben, fehe ich ein; am Schluffe der zwi 
Drittel aber — und viel mehr bat er nicht vollendet — waprhafti 


2) Marcell, 43 sq. un 


5 1. Abfaffungkzeit, Authentie des achten Buches. 368 


Edle Mythenzeit gar. bald verraihen. — Alle Vermnthungen 
wer Art fcheinen er: nach dem Dionyſios aufgekommen zu 
Br), Der Verfaffer unfers Buches neunt ſich felber Thu⸗ 
Mies (6. 60.). Mach Kratippos Bericht Find gegen⸗ deis 
wide des thukydideiſchen Werkes keine Neben mehr "anges 
Macht 2). Und Kratippos war em .Zeitgenoffel Die Sands 
Beiften, wie. Poppo erzählt, geben fait: ohne Ausnahme das 
Me Buch mit (II, 1, p. 8.), und zahlreiche Stellen der Alten 


Men e3 ohne Bebenken 2). — Auch iſt die Anordnung dieſes 


ches, die Behandlung des Material, der Charakter ver 
Drache 2) fogar, mit den frühen Büchern volllommen übers 
wfiumenn. Die wenigen Abweichungen, das Fehlen Der 
keden 5), die größere Leidenſchaftlichkeit des Urtheils, laſſen 
ohne Schwierigkeit, wie ich oben gezeigt Habe, aus dem 
angel ver. legten Belle erklären. — Mon hat wohl gemeint, 
DE Weſentliche des achten Buches fei zwar von Thukydidrs, 
3) Krüger Leben bes Thukydides. ©. 74. | 

u; ) Dionys. De Thucyd. indicium 16, (Kr.) - on 
& 9 PDiodor. XIU, 42. Plut. De garral. p. 613.. Har- 
"Ber. v. Aeipisuor. Steph. s. v. Bo4swoös und Agupovoca. Pho- 
us v. Haoovdl. Gregor. Corinth. p. 28. Thomas’ Mag. v. 
Wpd u. Bfter. . EEE 
0) Allerhand unfcheinbare Thukydidismen bes'adıten Buches, -bid 


u Nachahmer nicht Teicht beachten würde, hat Krüger zufammenges 
wät Commentt, ad Dionys. Historiogr. p. 266 sqgq. 


J9 Belches Krüger (Leben des Thukydides ©. 78.) und Gäller 
Miucyd. p. 36 sqq.) auf eine nicht ſehr befriedigende Art hinwegde⸗ 
iren wollen. Sc verweiſe auf mein viertes Kapitel. — Ebenſo 
Ei ich der Anfiht von Niebuhr (Kleine Schriften. I, &. 469.) 
‚8. Rante (Vita Aristophanis p. CCCOXVI.) beitreten, baß Thuͤ⸗ 
Wide die Darftellung im achten Buche abfichtlich matter gehalten habe, 
Bm fie dem mattern Gange bes Krieges anzupaffen. Ich finde nicht, 
Wi die Greigniffe im Testen Drittel des peloponnefifchen Krieges gering» 
Eiger find, als im erſten. 0 
23 * 


\ 


- 


ı 


358 2. LChukydides. ‚Kap. 12. 


wit nee. Kirze behandelt, welche gewiß manchem i 
menden Leſer mehe tut (IL, 65.). — Ueberall febı 
man fählen,: daß der. Hiltoriker auch von ſolchen Din; 
trefflich unterrichtet iſt. Er hat fich keinesweges audgefi 
Dieß verleigt feinem Buche natürlich einen eigenen, 
Reiz... Bel Jeden Kunſtwerke muß man nicht bloß dei 
merken, - mäshee:. die Kraft zufammenhält, ſondern 
Kraft, merken, welche ſich gegen den Zügel emporbäum 
vom braucht ſes der Hiſtoriker aber noch nicht fo zu 
wie’ Herndot, der gar oft, wenn er etwas zu verſchwe 
wöthlg. findet, doch menigftend bemerkt, Daß er es verſi 
Thukydides bildet hier eine Mitte zwiſchen den Logo— 
und den :Späteen :felt Ephoros, beſonderß den Atthid 
bern, die in ihte Geſchichtsbücher eine förmliche Ency 
alles ihres Wiſſens niederlegten. Noch: Herodot, wie 
benz, it nicht ganz frei Hiervon, und ſchon Kenophe 
wieher an, wenigſtens alles Ethiſche und Praktiſche, 
gedacht hat, einzuſchalten. Während dieß bei ven f 
mehr unabfichtlih geſchieht, iſt cd bei Theopompos abi 
um Ber; Einfachheit feiner Vorgänger zu opponiren. 

Abm ebenfo; firenge Halt es Thukydides mit einer 
tief greifenden-Megel der Aeſthetik, daß ein Kunfken 
andern ragen aufregen. fpll, als bie es ſelbſt auch bean 
Hierdurch allein kann e8 abgeſchloſſen, eine eigen 
Felt für fich werben. Unfer Verfaſſer ift dabei ſelbſt 
zelften fo gewiſſenhaft (3. B. VL, 75.), daß man ve 
kann, Die wenigen, : noch nicht abgefchloffenen Partie 
Buches würden in den letzten, noch rückſtändigen Sat 
Krieges gleichfalls erledigt worden fein, Es finden fi 
lich ſehr viele Anfpielungen, die über das achte Buch 
reichen. Man kann daher im Weſenilichen wohl angel 
Thukydides dic letzten Jahre des Krieges zu behandeln 
Dieſes Werk läßt den Leſer Fein Factum hinzuzudenker 
Er kann alle aus ihm herausnehmen: was freilich 


$. 2..." Gegenfland des Thulhdides. 85858 


weren at kunftlichen Natur unſers · Schriftitellers: eine wiel 
Böere. Arbeit ˖ nothwendig macht, als das Supplion niancheb 
ben ,‚:an Sprüngen überteichen Werkes. 5 13 znu5n 
& ‚Die. Annere Geſchichte von Athens Gegnern und abi 
Bundesgenoſſen iſt viel: Eiger: aßgefertigt, als die von 
Hen ſelbſt1) 2 nur gerade ſo ⸗· weit, als zur Erklärung ihrer 
Aattigen Politik unumgaͤnglich Roth war. Sowie die 
ener aus dem Spiels ſind, verläßt Thukybider? die: Ficitte 
Per Zwiſtigkeiten (IV, 25.). :Düber. kaun man als die Eri⸗ 
Dies. chukydideiſchen Werles Folgendes bezeichnen vi Tons 
erabſinken Athens von feiner perikleiſchen Hi, 
Weit-ibaffelbe durch den peloponneſtſchenKrieg 
fen bart und bewirkt würde. — Die große ⸗Strelige 
RE, womit Thukydides vieſe Einheit ſeines Werkebfortwaͤh⸗ 
dlim Auge behält, fo manchen Tadel ſie auch von⸗ Oiouh⸗ 
3 bis auf unſere Zeiten Hat erfahren müſſen, IF doch kei⸗ 
n Einzigen feiner ebenbürtigen Zeitgenoſſen frandiid "Sie 
vet einen Hauptbeſtandtheil jener! herben Grazie, welche die 
Riiwerke der perikleiſchen Zeit Aufangs fo ſchwer N 
m aber eu ſo unvergleichlich rain macht. 


„4 
4“. 


3.8. 


Epi toven. 


Um fo auffallender kann es erſcheinen, wenn deßfenum—- 
htet hier und da in die Geſchichte des Thukydides längere 
iſo den eingeflochten ſind, die ſcheinbar nicht das Mindeſte 
dem peloponneſiſchen Kriege zu ſchaffen haben. Solcher 
ſoden giebt es fünf: die Geſchichte won der theſeiſchen Zu— 

menzichung der attiſchen Demen (II, 15.), von der verun⸗ 


— — — —— — 


) So wird namentlich die materielle Kriegsrüſtung der Athener 
13.) ſehr viel detaillirter beſchrieben, als die der Lakedämonier. 


360 Thukydides. Kap. 12. 


glückten Tyrannei des Kylon (I, 126.), von ber Hm 
und Vertreibung der Peiſiſtratiden (VI, 54 — 59.) vom 
gange des Paufaniad und Themiſtokles (I, 128 — I 
Bon den delifchen Apollonsfeſten ift oben die Rede yawd 
Die Erwähnung der Thrakier in Danlia (II, 29.) 
Entſtehungsgeſchichte der Echinaden (AI, 102.) find allzu 
allzu beiläufig, um biecher gerechnet. zu werden. Sie m 
en ihre Aufnahme dort einem gerade curſirenden Dia 
ſchwaͤtze, das zu widerlegen war, Hier vielleicht dem Umſ 
dag die wunderbare Natur jener Inſelchen den Tyulybi 
feiner Reife beſonders frappirt Hatte. 

Schon die Alten?) waren, der Meinung , in — 
Abſchnitten Habe Thukydides feine eigentliche ſtrenge Natı 
gelegt, Habe ein freundlicheres, beinah herodoteiſches Ge 
‚ ongezogen. Namentlih von der Kylonsepiſode meine 
bier habe der Löwe auch einmal gelächelt >). Und der € 
über die Peiſiſtratiden mar ‚dem Aleranbriner Hermippi 
auffallend, dag er ihn nur aus einer Verwanbtfchaft bes 
kydides mit ihnen erklären Eonnte 2). Auch der Scholiaf 
tert Haß gegen die angeblichen Tyrannenmörder (I, 
Wenn ich diefe Verwandtfchaft nun freilich trotz Krüge 
ten lafje, jo würde es mir Doch wehe thun, müßte ich i 
Aufnahme jener Epifode zufchreiben ; ebenfo wehe, ala 
fie bloß dem Tritifchen Eifer des Thukydides ihre Ausfü 
keit verdankte. Das Lehtere nämlich ift Die vorherrſchen' 


) ©. 219 fi 


3) Den Uebergang zum Tode des Themiftolles nennt aı 
Scholiaſt eine zagexfanıs: Schol. I, 135. 

») Schol. I, 126. Ein Zechnograph verlangte fogar, bie 
follte als Mufter von ber Jugend auswendig gelernt werden. 
Theon. Progymn. Cap. 2 pr. p. 15. 22. 50. (Lugd.). Da 
Hierbei von yAuaımns und Adern: vgl. Creuzer Hiſtor. Kunft, € 

0% Marcell, 18. 


6. 3. GExiſoden des Thukhdldes. 361 


ber: Menern 2), — Glücklicher Weiſe lüßt ſich aber auch 
eine audere Erklärung aufſtellen. 

Die Veränderung der Dinge iſt das vornehmſie See 
Sefchichtfchreibers. Unmittelbar aber kann fie. nur felten 
mt .werbeni . Ye unmterbrochener man den: wachſenden 
mfland: betrachtet, deſto weniger deutlich wird das Wachs 
hervottreten. Das iſt bei Pflanzen fo; iſt bei den geb 
1 Wortfeäritten. der -Ainder foz auch Bei hiſtoriſchen Ver⸗ 
ten im Großen kann es nicht anders fein. Bine der 
eften. amd erfolgreichſten Kunftgriffe des Hiſtorikers beſteht 
darin, daß er denſelben Gegenſtand, wie ex imLaufe ber 
chunberie wor feinem Auge vorüberzieht, In gewiſſen, weit 
: einömden entlegenen Momenten zur nähern Betrachtung 
Ai. Die: paffende Wahl ſolcher Momente iſt Sache des 
ins. — Als folge Ruhepunkte find dem auch jene Epi⸗ 
rn anzuſehen. Es ſind Hauptepochen der athent= 
n Gefhichte, und In dieſer Eigenſchaft zur Vergleichung 
zur Wahrnehmung der inzwiſchen umgeftalteten Partien 
ugsweiſe ‚geeignet: Läge es mir ob, eine Geſchichte von 
m ·zu ſchreiben, ich würde die Perioden derfelben ſchwerlich 
xö beſtimmen. 

Mit der Zufammenlebung der Demen: nämlich 
e dee alte, loſere Zufantmenhäng des attiſchen Volkes 





)y Rach Bloomfield fol bie Peiſi ftratidenepifobe zeigen, wie 
-freiheitötiebende Männer über Tyronnen falſch urtheilen; fie fort 
eidenfchaftlicher Beurtheilung warnen. Poppo wil fie damit ers 
wiffen, Thukydides fei ein Verehrer der lakedämoniſchen Staats⸗ 
ſſung geweſen, und hätte vielleicht gewünſcht, daß die Peiſiſtratiden 
Gewalt, wie die ſpartaniſchen Könige, behauptet hätten (I, 1, 63 
Später nimmt er, bieß zurüd, und verweift nur auf Ariftophanes. 
rata 619. (III, 4, 191.). Den Uebergang von Paufanias auf The⸗ 
Bes Hält ex für ein bloßes Sichgehenlaffen bes Thukydides (I, I, 
Rad) Sdller rührt er von einer Berichtigung bed Hellanikos 
(Thucydides I, p. 50.) Woher weiß Göller bieß? ' 


362 Thufydides. Kap. 12. 


durch bloße Stammesverbindung auf; es entſtand eine atti 
Gemeinde, ein attifher Staat im fpatern Einne. (sr 
von jet am nicht länger möglich, daß Attila einen parte; 
riſſenen Städtebund, ' wie der böotifche war, Bilden kom 
Thefeus, könnte man fagen, war fir Athen, was Egbert | 
England, Harald Haarfagre für Norwegen, Gorm der 4 
für Däneuark. — Die Ufurpation des Kylon bilder- 
Athen ven Anbeginn jener Zeit der Tyrannen und. Gefchget 
welche von allen hellenifchen Staaten gemeinfam durchge 
wurde. Alle charakteriftifchen Züge jener Bewegungen fig 
fich mit bewunderungoöwürdiger Prägnanz in dieſer kleinen &f 
fode zufammengebräugt. - Der Ufurpator felbjt won edelem 
foylechte, in ritterlichen Künften wohl beivandert, mit 
barten Tyrannen verfchtwägert, damals noch im Bunde 
ten Orakel. Cr richtet fein Unternehmen gegen den. Ik 
punkt Der Stadt, wird aber geftürzt von den Landbeiuohum 
die immer dent Alten treuer anhängen, und der Anelatchig 
der Archonten, Doch wird und am Schluffe noch die Au 
gezeigt, Daß Der Demos durchdringen werde, mit Laleräm 
Hülfe durchdringen werdet), — Mit den Sturze iq 
Peiſiſtratiden eröffnet fich die Herrſchaft der freien Tom 
fratie, welche von dieſem Zeitpunfte an den Charakter m 
die Größe des athenifhen Staates ausmachen ſollte. $M 
knüpfen fich zugleich die erften politifchen Verwicklungen ji 
Then Athen und Sparta an. — Das Ende des Themiſtt 
kles aber foll das erſte Drittel der atheniſchen Blüthezeit 
gen die folgenden zwei charakterifiven. Co iſt I, 135 ſſ. X 
Schluß von den, was I, 73 begonnen, I, 89 ff. weiter fed 
geführt worden. Darum die köſtliche Schilderung des peak 


— — — — — — 


1) Recht auffallend wird die Abſicht der Kylonsepiſode, wenn m 
ihre charakteriſtiſche Vouftändigkeit mit derfelben Geſchichte bei Herd 
dot (V, 71.) vergleicht, der doch fonft weitläuftige Excurſe liebt. 


5. 3,5 Gpiſoden des Thukhoides. 563 


m. Diannes, welchem alle Naturanlage und Brauchbarkeit 
»perikleifchen Geiſtes zu eigen war, Doch ohne deſſen Yil- 
ng und liebenswürdige Schönhelt (T, 138.). Darum der 
Rutfame Gegenſatz zwiſchen Baufanias und Themiſtokles, 
win die verborgenſten Triebfedern enthüllt find, welche Athen 
eig an Lakedämons Stelle hervorhoben. Thenüſiokleq 
x der raſtloſe Säemann, deſſen Saat von Ariſteides ges 
Het, von Kimon befonnt wurde, um von Perikles in ihrer 
len Seife und Herrlichkeit geerntet. zu werben. Er ſelbſt 
le zu früh geerntet! Auch in dem gerichtlichen Verfahren 
en die beiden Helden macht Lakedämon mit ſeiner rechtli⸗ 
t, aber zaudernden Behutſamkeit einen charakteriſtiſchen (Bes 
fa zu der undankbaren Beweglichkeit der Athene. — Su 
m demokratiſchen Staate pflegt Die Juſtiz öffentlich und 
h zu fein, ‚aber. reich an Juſtizmorden !). Die: Epifohe 
den belifchen Saiten giebt auf ähnliche Weile, wie oben 
igt Wie, die Dauptepochen der helleniſchen Religiene⸗ 


vie | 

wide ein neuerer Schrififteler die drei eriten Epi⸗ 
höchſt wahrſcheinlich in die Vorrede (I, 1—23.) aufge⸗ 
amen haben. An ihrem jetzigen Orte hätte er wohl nur 
von Themiſtokles: gelaſſen. Was mag nun aber den Thu⸗ 
ſdes zu feiner Anordnung bernogen haben? Etwa dieſelhe 
geſchicklichkeit, wonach das Alerthum keine Noten licht, 
dern Alles, oft zur gewaltigen Störung des Leferd, in 
Zert aufnimmt? Gewiß nicht. Es iſt ein Grundſatz uns 
Hiſtorikers, jedes Faetum dahin zu ftellen, wo es mit 
lichen Ereigniſſen am fehärfiten contraftirt, hierdurch aber 


1) Hätten die Epiſoden nicht dieſen Zweck, ſo würbe der Uebergang 

Themiſtokles in der That ſehr auffallend ſeinz zumal da Thuky⸗ 
& den oſtenſibeln ‚Anlaß dieſer Verhandlungen, die Sühnung ber. beis 
Zempelfläce, für leeren Vorwand achtete: wie es in einem ähnlia 
ı Halle fogar ſchon Herodot thatı V, 70. , .. 


—3 


364 Thulydides. Kap. 12. 


in feiner eigenthlimlichen Natur am. deutlichften Begriffe 
Zugleich immer fucht er einen folcden Ort zu wählen, 

auf die vergangenen Ereigniſſe am beiten zurückweiſt, 
zufünftigen am beiten worbereitet ). — : Eine folche 
fügt fih an der Peiſiſtratidengeſchichte beſonder 
ih machen. Diefe Epifode wird erzählt bei Gelegent 
erften Unruhen, welche den fpätern Ausbruch der oligarı 
NReaetion vorbereiten. Hiermit wird uns alfo kurz vi 
Ende der atbenifchen Demokratie der Anfang derfelben v 
gen gerüdt 2). Auch ift es unverkennbar, dag die Mil 
Humanität, mit welcher die Peiſiſtratiden das aufbl 
Athen regiert, zu den revolutionären Gräueln der DI 
und Deniofratie im fintenden Staate einen grellen 6ı 
bildet. Endlich aber war’ es. damals, daß Alkibiade 
Flucht und Verrätherei gezwungen wurde. ' Hiermit b 
jene Tange Reihe von Unglücksfällen, die Wehen dan 
beugte. Manchen mochte damals, wenn er ‚an Alkil 
Sturze mitgearbeitet, die Folgezeit in bittere Reue nei 
Wie es zu gefchehen pflegt, fo ging man darin auch mo 
weit; man legte zu großes Gewicht auf Alkibiades Verf 
und deſſen Veranlaffung.. Bier tritt nun Thukydides auf 
Berichtigung der gemeinen Anficht ſetzt er aus einander, 
man die Veranlaffungen der Ereigniffe nicht überſchätzen! 


) Wie ganz anders nimmt fid) do& eine folde Durdfid 
teit aus, als u. %. bei Polybios, ber Überall geradezu recapi 
was er gelagt habe, und anzeigt, was er Tünftig noch jagen 
Eine gewiffe platte Veberfichtlichleit wird dadurch allerdin 
wirkt, doch mit großer Störung des Leferö, der fo niemals da 
langt, über dem Kunftwerfe den Künftler zu vergeffen. 


2) Noch directer wird VIII, 68 bei dem Umflurze der Dem 
ihres erflen Anfanges gedacht. Wie fehr ed Übrigens zu jener 3 
lich war, in dem Sturze der Peififtratiden ein Analogon zu dem! 
dee Demofratie zu fuchen, beweift Andofides De myst. p. 1 
Außerdem noch die bekannten Stellen ber kyſiſtrata. 


3.:: Gpiſoden des Thachdides. 368 


a wie jetzo die Frevelthat der Hermokopiden den Alkibic⸗ 
in's Elend trieb, ſo Hhatte damals eine unbedeutende Lie⸗ 
ſchichte den Tod des Hipparchos veranlaßt (VI, 3ä. 56; 
An dieſen Tod nun hatte dort der große Hauft den 

z der Tyrannei geknüpft (55x) ‚: wie er hier die: Niederla⸗ 
Athens an Alkibiades Verrath knüpfte. Der. eigentliche 
mm aber war dort am Leben geblieben (58 fg.), ſowie 
bie Flotten sind. Heere Der Athener zur Zeit noch In ihrer 
Stärke fortvauerten. Freilich Tonnte man beiden Ereig⸗ 

t ihre praktiſche Wichtigfeit darum nicht abſprechen. Hier 
ih gab Alkibiades Verrath den Unternehmungen ber Beinde 
| Leben;, dort bewog die Furcht vor dem Ende feines 
er den HBipplas zu · einer unertruglichen Verſchärfung feis 
Kegimentes (50.). Gleichwohl mußten zu Hippins Sturze 
fſentliche Meinung (Unapyovsa: aklsieıs) der Athener ſelbſt 
med.) , "die ariſtokratiſche Partei mb: die Lakedäͤmonier daß 
thim 459. Bin.)5-: foiwie det Untergaug "Athens hauptſch⸗ 

uch De Gefinnungen des Demos, die Umtriebe ‚der Oli⸗ 
en und die Geſchicklichkeit der. Lakedämonier erfolgte . — 
finden wir in dieſer kleinen Epiſode den Inhalt dr gan⸗ 
Werkes: abgeſpiegelt. Dem: won: den Vergleichspunkten, 
h fo eben einander eritgegengefekt, iſt kein einziger, vet 
dem Thukydides entlehnt wäre. Nur die Zufammenftels 
hat er dem Leſer anheim gegeben. — Die Kylons⸗, 
uiſtokles⸗ und Delobdepiſode wird von ſelbſt Jeder paſſend 
fügt newien.n Nber auch bie Geſchichte von Theſeus fiehi 
efſlich an Ihrem: Orte; Wir werden tiefer unten. sehen, 


) In Bezug auf den Werth der That von Harmobios und Arifto- 
‚ fowie auf bie: wahren.Beranlaffungen. nes Peiſiſtratidenſturzes ur⸗ 
Herodot genau ehenfa, wie. Thukhdides (VI, 122.) — Den 
rch verehrten: übrigens alle Anhänger: bey oligarchiſchen Reaction. 
er Sokratiker Simon in feinem Philoferdes p- 228 sq. Galhft 
Tod erzählten die zapsidregen, irheuzan quf ihre Art. 


356 . 0... Thukydides. Kap. 12, 


ans deſſen Vorarbeiten und Kladden beſtehend; aber feine‘ 
ter vielleicht, oder ein anderer. Herauögeber habe es in 
heutige Form gebracht. Hier wurde immer ſehr befren 
bleiben, daß dieſelbe Hand nicht auch den meitern Verlan 
Krieges auf. Ähnliche Weiſe Hinzugefügt. Denn die V 
beiten des, Thukydides gingen ohne Zweifel bis zum 
des Kriege. Namentlich würde kein Herausgeber auf 
fo abgeriſſene Art gefihlofien Haben, Und diefe Art fand 
Xenophon vor, wie der ebenfo abgerifine Anfang feiner ! 
niten beweiſt '). 
8g. 2. 
Gegenſtand des Werkes. 


Gegenſtand des Thukydides iſt dee peloponneſ 
Krieg (IL, 1): und zwar der ganze peloponnefifche Krieg 
26). Alles Frühere dient nur als Einleitung 2). Name 
weiß Thukydides mit entſchiedener Genauigkeit die feindf 
Vorbereitungen von dem fürmlichen Ausbruche des 8 
felßft abzufondern (I, 125. 146. II, 1. 12.). — Dat 
er lebhaft bemüht, die zwei verſchiedenen Kriege wor und 
dem Frieden des Nikias nur als Ein, freilich unterbro 
Ganzes darzuftellen (V, 26.). Uns, deren Vorftellungen 
über, wenigftend mittelbar, eben vom Thukydides herri 
Scheint dieß natürlich, fich won ſelbſt zu verſtehen. Unte 


1) Ueber die Authentie des achten Buches vol. noch: Pop 
a. O. II, 1, p. 7 sqq. Göller Thucyd. I, p. 35 590. 
ger in ben Commentatt. hinter feiner Ausgabe von Dionyſios 
riogr. und im Leben des Thukydides, &. 74 ff. Gail Le Phil 
von 1818. 


2) Schon der Scholiaft bemerkt, Thukpdides führe den S 


Kerkpräcee Über die Korinthier nicht weiter aus, gsoßurdgun icox 
«vous (I, 29.). 


$. 2. Gegenſtand bed Thukydides. 357 


enen aber: war ed lange Zeit üblich, den archidemiſchen 
Bag: von dem dekeleiſchen abzuſondern i)y. Wie lange wird 
üg E. ‚auch: bei und noch bauen, bis Jedermann ſich ge⸗ 
Weit Hat, die ſämmtlichen Feldzüge vom Sinfalfe der Preu⸗ 
Behr die Champagne an bis. auf ben zweiten pariſer Frie⸗ 
We für ‚Ein: großes Ganzes zu: halten? Händ Thukydides 
ie Werk · vollenden. Fünnen,. fo würde es in! drei wohlgeglie⸗ 
BR une. ziemlich gleich lange Theile zerfallen? A’ ver archi⸗ 
niſche Krieg (Buch il V.pr.); 2) ber Frieven des Me 
is, die Bimdnißirrungen und ver Zug nach Sicilien (Buch 
Fe VIE); :3) der deaeiſche Krieg bis zur Binnane: von 
won —2R8 
Wie inum. hufybibeß don Krieg allen ale ven PR 
ih feiner Arbeit angiebt, fo iſt er auch Im ganzen Buche 
Meß ränze treu geblieben. Weber von Pheidias, noch 
Sophokles, weder von Sokrates, noch von Ariſtophanes 
anwir bie geringſte Erwaͤhnung; fo nah es auch gelegen 
Be, namentlich den Erſten beim Ausgange des Perikles ans 
Witten.‘ In ber Peſtgeſchichte bleibt‘ Hippokrates, unter ber 
Bäistiichen. Sefanbifchaft zu Athen Gorgias unberührt 5), 
BB von den Staatsmännern nimmt er nur’ Dadfenige: auf, 
NE it. dem Gange des Krieges in unmitielbarem Zuſam⸗ 
mcange Rat Sog des Verles pe Sqehale werden 


u 

1) Bal. Diod. xni, 9, Harpocr. DRS —XR und Axxei. 
ſoerates De pace 14. Panath. 19. Demösth. ‘Pro cor. 8. 
Wekk.) Kleokritos bei Kenoph. Hell. II, A, 21; —. Auch den fis 
liſchen Krieg pflegte man, ‚in: den leontiniſchen und ſpraluſi ſchen zu 
jeiben.. (Thuc. YI,6) ., 
. 2) Val. 8. O. Matter Seid, der orlech niterolur io. II, ©. 
6 fe: u 


9 uͤeber die michterüthaung des Hippokrates vgl. Po; ppo a. a. 
“ir, 3, p. 354° . _ "Ueberhaupt vgl. Plut De mal. Herod. 


855. - BEER 


358 5 Tukydides. „Kap. 12. 


mit iner Rürze behandelt, welche gewiß manchen t 
menden Lejer.usche thut (IL, 65.). — Ueberall jedo 
man fühlen ,,: daß: der. Hiftoriker auch von folchen Ding 
teerflich unterrichtet iſt. Ex Hat fich keinesweges ausgeſt 
Dieß verleigt ſeinem Buche natürlich einen eigenen, 
Reiz. Bei jedem Kunſtwerke muß man nicht bloß den 
merken, weclcher die Kraft zufammenhält, ſondern a 
Kraft, merke, welche ſich gegen den Zügel emporbäumi 
vie braucht, ed. der Hiſtoriker aber noch nicht fo zu ı 
wie Herndot, der gar oft, wenn er etwas zu verſchwei 
uöthig ſindet, Doch wenigſtens bemerkt, Daß er es werk 
Thukydides bildet bier cine Mitte zwiſchen den Log; 
und den Spätern; ſeit Ephoros, beſonders den Atthide 
ben, die in ihte Geſchichtsbücher eine förmliche Encyl 
alles ihres Wiſſens niederlegten. Noch Herodot, wie 
ben, it nicht ganz frei hiervon, und ſchon Xenopho 
wieher an, wenigiiend alles Ethiſche und Praktifche, 
gedacht hat, einzuſchalten. Während dieß Hei ven 
mehr unabjichtlich geſchieht, iſt es bei Theopompos abf 
um der; Einfachheit feiner Vorgänger zu opponiren. 
Abm ebenfo: firenge hält es Thukydides mit einer 
tief greifenden-Megel der Aeſthetik, daß ein Kunſtwer 
andern. Tragen aufregen. fol, als die es ſelbſt auch beant 
Hierdurch allein Fann es abgeſchloſſen, eine eigen 
Felt für fih werden. Unſer Verfaſſer ift dabei felbft i 
zelſten fo gewiſſenhaft (. B. VII, 75.), daß man ver 
kann, die wenigen, noch nicht abgefchloffenen Partier 
Buches würden in den letzten, noch rückſtändigen Jah 
Krieges gleichfalls erledigt worden fein, Es finden fie 
lich ſehr wiele Anfpielungen, die über das achte Buch 
zeichen. Man' kann daher Im Wefentlihen wohl angeb 
Thukydides die letzten Jahre des Krieges zu behandeln 
Diefed Werk. läßt dem Lefer Fein Factum hinzuzudenken 
Gr kann alle aus ihm herausnehmen: was freilich 


$. 2..." Geginſtand des Thulydides. 5358 


weren und künſtlichen Natur) unſers Schriftſtellers eine vlel 
Bere Arbeit · nothwendig macht, als das Suppliren miändhes 
idern, an Sprüngen überreichen Werkesßs. 111 urazn 
Mie innere Geſchichte wor Athens Gegnern uns abfrünnis 
Bundesgenoſſen tft viel kürzer abgefertigt, alo dle won 
wien ſilbſt·y2. nur gerado ſo weit, ld zur. Erklärung chrer 
Bukttigen Politik unumgaͤnglich Roth war. GSowie die 
ener aus dem Spiele ſind, verläßt Thukydides pie: fichis 
Betr Zwiſtigkeiten (IV, 25.). Daher kaun man als Kette 
Wii des chufydideiſchen Werkes Folgendes bezeichnen ziTpN8 
»erabfinten Athens von seiner perikleiſchen Gage, 
Bmeit-idaffelbe durch den pelopouneſifchen Krieg 
Fienbart und bewirkt wunde. — Die große Streuge 
Bir, womit Thukydides vieſe Cinheld feines Werkeb dforhwäh⸗ 
—8 Auige behãlt, ſo manchen Tadel ſie auch von Oionh⸗ 
WB auf unſere Zeiten Hat erfahren müſſen, iſt doch kei⸗ 
em Einzigen feiner ebenbürtigen Zeitgenoſſen frenid. Sie 
Wer einen Hauptbeſtandtheil jener! herben Grazie, welche die 
unſtwerke der perikleiſchen Zeit Aufangs fo ſchwer zugãnslich 
um aber au » unvergleichlich ſchön macht. 


8. 3. .. 
| Grifaden. Re 

um ſo auffallender kann es erſcheinen, wenn deſſeunn⸗ 
tet Hier und da in die Geſchichte des Thukydides längere 
iſo den eingeflochten find, die ſcheinbar nicht das Mlindefte 
: dem peloponnefifchen Kriege zu fchaffen Haben, Solcher 
Hoden giebt es fünf: die Gefchichte von der theſeiſchen Zu— 
lmenziehung der attifchen Demen (IL, 15.), von der veruns 


— — —— — — 


1) So wird namentlich die materielle Kriegsrüſtung der Athener 
13.) ſehr viel detaillirter beſchrieben, als die ber Lakedämonier. 


360 Thukydides. Kap. 12. | 


glückten Tyhrannei des Kylon (1, 126.), don. der Hanf 
und Vertreibung der Beififirativen (VI, 54 — 59.) vom 
gange des Paufaniad und Xhemiftofled (T, 128 — 1 
Bon den delifchen Apollonsfeften ift oben die Rede geweſen 
Die Erwähnung der Thrakier in Daulia CHI, 20.), 
Entftehungägefchichte der Echinaden (II, 102.) find allzu 
allzu beiläufig, um hierher gerechnet. zu werben, Gie 
ten ihre Aufnahme dort einen gerade curſirenden 
ſchwaͤtze, das zu widerlegen war, Hier vielleicht dem 
dag die wunderbare Natur jener Inſelchen den Thokyrder 
ſeiner Reiſe beſonders frappirt hatte. 
Schon die Alten?) waren der Meinung in 
Abſchnitten Habe Thukydides feine eigentliche ſtrenge Ratır 
gelegt, babe ein freunblicheres, beinah herodoteiſches Ga 
‚ angezogen. Namentlih von der Kylondepifode meinten 
bier habe der Löwe auch einmal gelächelt ). Und der Gral 
über die Belfiftratiden war dem Alerandriner Hermippos | 
auffallend, daß cr ihn nur aus einer Verwandtſchaft bes Ti 
kydides mit ihnen erflären Eonnte ). Auch der Scholicft il 
tert Haß gegen die angeblichen Tyrannenmörder (I, 24 
Wenn ich dieſe Verwandtſchaft nun freilich trotz Krüger gi 
ten lafje, fo würde es mir Doch wehe thun, müßte ich ihr d 
Aufnahme jener Epifode zuſchreiben; ebenfo wehe, als wen 
fie Bloß dem kritiſchen Eifer des Thukydides ihre Ausführlid 
feit verdankte. Das Lebtere nämlich ift die vorherrſchende 4 













) 6. 219 fi. 


2) Den Uebergang zum Tode des Themiſtokles nennt aud d 
Scholiaft eine maptxfanıs: Schol. I, 135. 

%) Schol. I, 126. Ein Technograph verlangte fogar, bie Epift 
follte als Muſter von der Jugend auswendig gelernt werben. B 
Theon. Progymn. Cap. 2 pr. p. 15. 22. 50. (Lugd.). Man re 
hierbei von yAvarzs und Adorz: vgl. Creuzer Hiſtor. Kunft, &.289 

) Marcell, 18. 


5. 3. Griſeben bes Thatyhdibes. 361 


ht ber: Neuern ). — Glücklicher Welfe lußt ſich aber auch 
cch eine andere Erklärung aufſtellen. 

,:Die Veränderung der Dinge iſt das vornehmſte Gebiet 
8 Geſchichtſchreibers. Unmittelbar aber kann fie nur ſelten 
annt werden: Se ununterbrochener man den wachſenden 
Ugenſtand betrachtet, deito weniger deutlich wird das Wachs⸗ 
men hervortreten. Das iſt bei Pflanzen fo; iſt bei ben gei⸗ 
My Fortſchritten der Kinder ſo j auch bei hiftoriſchen Vers 
Maeiſſen im Großen Kann e8 nicht anders fein. Einer der 
Mikeiten. amd. erfolgreichiten Kunfigriffe des Hiſtorikers beſteht 
Bio darin, daß er denfelben Gegenſtand, mie er Im- Laufe der 
Uchunberie vor feinem Auge worüberzieht, In gewiſſen, weit 
Bnieinimber entlegenen Momenten zur nähern Betrachtung 
ui. Die: paffende Wahl folder Momente ift Sache des 
Diis. — Als ſolche Ruhepunkte find dem auch jene Epi⸗ 
Ben anzuſehen. Es ſind Hauptepochen der atheni⸗ 
Min Geſchichte, und in dieſer Eigenſchaft zur Vergleichung 
N) zur Wahrnehmung der inzwifchen umgeftalteten Partien 
Menzöweife ‚geeignet: Züge es mir ob, eine Geſchichte von 
Din. zu ſchreiben, ich würde die Berioden derſelben ſchwerlich 

Bierd beftiumen. 


Bu Mit de Zufammenziehung der Demen nämlich 
Drie dei alte, loſere Zuſammenhang des attifchen Volkes 


"1 Rah Bloomfield foll die Peififtratidenepifobe zeigen, wie 
ücht freiheitsliebende Männer Über Tyronnen falſch urtheilen; fie fol 
we leidenfchaftlicher Beurtheilung warnen. Poppo will fie damit ers 
Ist wiſſen, Thukydides fei ein Verehrer der lakedämoniſchen Staats⸗ 
æfaſſung geweſen, und hätte vielleicht gewünſcht, daß die Peiſiſtratiden 
ne Gewalt, wie die ſpartaniſchen Könige, behauptet hätten (I, I, 63 
I). Später nimmt er, dieß zurüd, und verweift nur auf Keiftophanes 
a 619. (III, 4, 191). Den Uebergang von Paufanias auf Thes 
Hält er für ein bloßes Sichgehenlaffen des Thukydides (TI, 1, 
I). Rah Göller rührt er von einer Berichtigung bes Hellanikos 
z. (Thucydides I, p. 50.) Woher weiß Göller bie? 


362 Thukydſdes. Kap. 12. 


Durch bloße Stammesverbindung auf; es entitand eine ati: 
Gemeinde, ein attifcher Staat im fpatern Sinne Es⸗ 
von jeßt an nicht länger möglich, daß Attila einen partei, 
riſſenen Stüdtebund, ' wie der böntifche war, bilden kom 
Theſeus, Fünnte man fagen, war fiir Athen, was Egber ſ 
England, Harald Haarfagre für Norwegen, Som ver $ 
für Dänemark. — Die Ufurpation de Kylon Kita, 
Athen nen Anbeginn jener Zeit der Tyrannen und. Gef 
welche von allen bellenifchen Staaten gemeinfam durchge 
wurde. Alle charakteriftiichen Züge jener Bewegungen fig: 
fi mit bevunderungswärdiger Prägnanz in diefer kleinen Gb 
fode zuſammengedrängt. Der Ufurpator ſelbſt won ‚ehelem d 
ſchlechte, in vitterlichen Künften wohl bewandert, mit beug 
barten Tyrannen verjchwägert, damals noch im Bunde ah 
den Orakel. Gr richtet fein Unternehmen gegen den I 
punkt der Stadt, wird aber geftürzt von den Landbewohrcch, 
die immer dent Alten treuer anhängen, und der Adelsbehech 
der Archonten, Doc wird und am Schlufje noch die uk 
gezeigt, daß der Demos durchdringen werde, mit Lalrämmff 
Hülfe durchdringen werded). — Mit ten Sturze dal 
Peiſiſtratiden eröffnet fich die Herrſchaft der freien Dan 
kratie, welche won dieſem Zeitpunkte an den Charaktın wi. 
die Größe des atheniſchen Staates ausmachen ſollte. da 
knüpfen ſich zugleich die exften politifchen Verwicklungen zb} 
[chen Athen und Sparta an. — Das Ende des Themife 
kles aber foll das erſte Drittel der atheniſchen Blüthezeit pp 
gen die folgenden zwei charakterifiven. Co ift I, 135 f. ML 
Schluß von den, was I, 73 begonnen, I, 89 ff. weiter fi 
geführt worden, Darum die köſtliche Schilverung ded prall 


1) Recht auffallend wird die Abficht der Kylonsepifode, wenn ma 
ihre charakteriftifche Vouftändigkeit mit derfelben Gefchichte bei Her 
dot (V, 71.) vergleicht, der doch fonft weitläuftige Excurſe Lieht. 


. 3.3 Gpiſoden des Thulhdides. 305 


: Mannes, melden alle Naturanlage und Brauchbarkeit 
perikleifchen Geiftes zu eigen war, Doch ohne deſſen Yils 
J und liebenswürdige Schönhelt (I, 138.). - Darum ber 
utſame Gegenſatz zwiſchen Baufanias und Themiſtokles, 
in die verborgenſten Triebfedern enthüllt ſind, welche Athen 
eich an Lakedämons Stelle hervorhoben. Thenüſioklet 
der raſtloſe Säemann, deſſen Saat von Ariſteides ge⸗ 
ſert, von Kimon beſonnt wurde, um von Perikles in ihrer 
en Reiſe und Herrlichkeit geerntet. zu werden. Er ſelbſt 
e.zu früh geerntet! Auch in dem gerichtlichen Verfahren 
nn die. beiden Helden macht Lakedämon mit feiner: reshtlls 
.„ aber zaudernden Behntſamkeit einen charakteriſtiſchen Ges 
ab zu der undankbaren Beweglichkeit dev Athener, — Sn 
m demokratiſchen Staate pflegt die Juſtiz öffentlich und 
J zu fein, aber veih an Suftizmorden 1). Die: Epifohe 
den deliſchen Feſten giebt auf ähnliche Weiſe, mis oben 
Ist: wurbe, bie Hauptepochen der helleniſchen Religiens⸗ 
Viernach würde ein neuerer Sqhrifiſteller die drei erſten Spk 
a höchſt wahrfeheinlich in die Vorrede (I, 1—23.) aufge 
men babdı... An. ihrem jetzigen Orte hätte ex wohl nur 
von Themiſtokles: gelaſſen. Was mag nun aber den Thu⸗ 
des zu ſeiner Anordnung bewogen haben? Etwa dieſelhe 
zeſchicklichkeit, wonach das Alerthum keine Noten liebt, 
dern Alles, oft zur gewaltigen Störung des Leſers, in 
Text aufnimmt? Gewiß nicht. Es iſt ein Grundſatz uns 
Hiſtorikers, jedes Faetum dahin zu ſtellen, wo es mit 
lichen Ereigniffen am ſchärſſten contraſtirt, hierdurch aber 


1) Hätten die Epiſoden nicht dieſen Zweck, ſo würde ber Uebergang 
Themiſtokles in der That fehr auffallend ſeinz zumal da. Thuky⸗ 
den oſtenſibeln Anlaß dieſer Verhandlungen, bie Sühnung der bei⸗ 
Tempelflüche, für leeren Vorwand achtete: wie es in einem aͤhnli⸗ 
Kalle ſogar ſchon Herodot that: V, 20. 


m 


364 Thukydides. Kap. 12. 


in feiner eigenthlmlichen Natur am deutlichften begriffen viel 
Zugleich immer fucht er einen ſolchen Ort zu wählen, mod 
anf die vergangenen Ereigniſſe am beten zurückweiſt, auf M 
zukünftigen am beiten vorbereitet ). — : Eine folde 
läßt fih an der Beififtratidengefchichte beſonders 
lich machen. Diefe Epifode wird erzählt bei Gelegenkeit ! 
erſten Unruhen, melche den fpätern Ausbruch der oligardi 
Seaction vorbereiten. Hiermit wird ums alfo kurz vor 
Ende der athenifchen Demokratie der Anfang derfelben vor 
gen gerüdt 2). Auch iſt es unverkennbar, daß die Milde 
Sumanität, mit welcher die Peiſiſtratiden das 
Athen regiert, zu den revolutionären Gräueln der DO 
und Dentofratie im fintenden Staate einen greilen € 
bildet, Endlich aber war es damals, . dag Alkibindet 
Flucht und Verrätherei gezwungen wurde. ..: Hiermit 
jene Tange Reihe von Unglüdsfällen, vie Athen damlam), 
beugte. Manchen mochte damals, wenn er ‚an Akad 
Sturze mitgearbeitet, die Folgezeit in bittere Rene verſchan 
Wie es zu gefchehen pflegt, fo ging man darin auch wohlak 
weit; man legte zu großes ‚Gewicht auf Alkibiades Verfafen 
und defien VBeranlaffung. Hier tritt nun Thukydides auf: Pe: 
Berichtigung der gemeinen Anficht ſetzt er aus einander, WR 
man die Veranlaffungen ber Exeigniffe nicht überſchähen dick 










) Wie ganz anders nimmt fid, doc eine ſolche Durdfiätig 
feit aus, als u. A. bei Polybios, ber Überall geradezu rvecapitulik, 
was er gefagt babe, und anzeigt, was er künftig noch fagen werk 
Eine gewiffe platte Veberfichtlichleit wird dadurch allerdings be 
wirkt, doch mit großer Störung bes Lefers, ber fo niemals dazu ge 
langt, über dem Kunftwerke den Künftler zu vergeffen. 


2) Noch directer wirb VIII, 68 bei dem Umfturze der Demokrati 
ihres erften Anfanges gedacht. Wie fehr es Übrigens zu jener Zeit ib 
lic war, in dem Sturze der Peififtratiden ein Analogon zu bem tm 
der Demokratie zu fuchen, beweiſt Andokides De myst. p. 114m, 
Außerdem nody die bekannten Stellen ber Lyfiftrate. 


' 


.$. 3.:: Gplfoben des Thachoides. 568 


Kan wie jetzo bie: Frevelthat der Hermokopiden den Alkitic⸗ 
d: 8 Elend trieb, ſo hatte damals eine unbedeutende Lies 
tgeſchichte den Tod des Hipparchos veranlaßt (VI, 34. 56. 
J. An dieſen Tod num hatte Dort der große Haufe de 
ba, der: Tyrannei geknüpft (55x) ,: wie er hier bie. Niederla⸗ 
nNAchens an -Alkibiades Verrath knüpfte. Der eigentliche 
Dem aber war dort am Leben geblieben (58 fg.), ſowie 
I die Flotten und Heere der Athener zur Zeit noch in ihrer 
Im Stärke fortvauerten. Freilich konnte man beiden Ereig⸗ 
Fen ihre praktiſche Wichtigkeit harum nicht abfprechen. Hier 
mich gab Altihiades Verrath den Unternehmungen der Seine 
jes Leben; dort bewog die Furcht vor dem Ende ſeines 
uders den Hippias zu einer uuertraͤglichrm Verſchärfung ſei⸗ 
Regimentes (50.). Gleichwohl mußten zu Hippias Sturze 
Bſſentliche Meinung ‚(inaoyovsa: cixicuoic) der Athener ſelbſi 
5 ae.) "bie ariſtokratiſche Partei und: die Lakeddmonier das 
de thin 159. Ro.)5. ſowie Der : Untergaug Athens hauptſäch⸗ 
durch die Geſinnungen des Demps, die Umtriebe ber Ol 
chen und die Geſchickiichteit ber Sakenlimanier erfolgte . — 
"finden: - wir-ttt dieſer kleinen Epiſode den Inhalt des gan⸗ 
Werkes abgeſpiegelt. Denn von den Vergleichsſpunkten, 
Ad. fo: eben einander entgegengefetzt, At kein einziger, der 
7 dem Thukydides entlehnt waͤre. Nur die Zuſammenſtel⸗ 
ig hat er dem Leſer anheim gegeben. — Die Kylons⸗, 
emiſtokles⸗ und Delodepiſode wird von ſelbſt Jeder paſſend 
tefügt nemen.n Sber auch die Geſchichte von Theſeus ſiehi 
ttrefſlich an ihrem Drte. Wir werden tiefer unten ſchen, 


1) In Bezug auf den Werth der That von Harmodios und Ariſto⸗ 
on, ſowie auf bie: wahren Beranlaffungen. des Peiſiſtratidenſturzes ur⸗ 
Ik Herodot genau .ehenfo, wie.Thufpbibes (VI, 128.) —, Den 
pard) verehrten: übrigens alle Anhänger, bey oligarchiſchen Reaction. 

ber Sokratiker Simon in feinem Philokerdes p. 223 sq.; Selhſt 
en Tod erzählten die zupsdreger. intpmaan auf: ibre Ach... .. - 


366 Br Thukhdides. Kap. 12. 


daß ein natürliches Streben der atheniſchen Politik dahin gi 
den Umfang des Staate8 immer mehr zu ermeitern, ſei 
Kern dagegen zuſammenzuziehen. Alfo namentlich auf 
Land von Attila immer weniger Gewicht zu Tegen. 
Streben hatte mit: der Zeit, wo die Epifode eingefchalte 
feinen Gipfel erreicht, durch deſſen Veberfchreitung 
der Umſturz erfolgte. Wie ſchön ift es num, Hier eben 
den allereriten Anfang diefee Richtung zurückzuweiſen ?) | 












8. 4. 
Leitende Ideen des Thukydides bei der Auswahl ſeines Gegenſlaute 


Es fragt ſich nun weiter, was dem Thukydides gerade i 
peloponneſiſchen Krieg zum Gegenſtande feiner Geſchichte ek: 
empfohlen: eine Wahl, die bekanntlich von Dionyfiod 
genug getadelt worden iſt. Der Antwort hierauf ift 
die ganze Vorrede Des Thukydides geinidmet, melde impR- 
Commentar bildet zu. dee Behauptung des erften Kapith 
diefer Krieg fei die größte Bewegung, die einen gu 
ten. Theil des Mienfchengefchlecht3 bis dahin erfchlittert habe 
Thukydides verfuhr bei dieſem Urtheile keinesweges fo, ve 
der große Haufe, der alles Gegenwärtige, fo lange es de 
Dauert, fir das Größte überhaupt anfieht (I, 21.). Sonden 
mit dem Berferkriege namentlich weiß er den peloponneifhe 
auf. eine- wohlertwogene Art zufammenzuftellen. Wenn a ;.b 
die Lage der Lakedämonier auf Sphakteria mit derjenigen vo 
gleicht, morin Leonidas gefallen fei, fo fügt ex gleich die & 


1) Mol. oben &. 306. Jene Hintanfesung bes Landgebietes m 
wefentlich demokratiſch, Theſeus aber galt in damaliger Zeit burdan 
für den Heros der Volkspartei, ähnlich, wie Servius bei ben Roͤmen, 
Eduard der Belenner bei den Engländern. Als ſolcher mußte er al 
ber Sage nach verbannt, gleichfam oſtrakiſirt fein. 


$. 4. Größe des peloponm. Krieges. 367 


ung Hinzu, „um Kleines mit Großem zu vergleichen” 
, 36.). Und doch handelte es fich Hier mr um 300 Spar⸗ 
m, dort aber um 420 (IV, 8.). . Hingegen: hüutet er 
wohl, eine ähnliche Klauſel da anzubringen, mo ber fick 
re Feldzug fchlechthin mit dem perſiſchen zuſammengehalten 

d (VI, 33.). 

Ich bin hier genoͤthigt, einer geiſtwollen Anſicht meineß 
rers, meines lieben, vortrefflichen Lehrers Gervinus at 
enzutreten. Dieſer nämlich glaubt, im Thukydides ein be⸗ 
ztes Gegenüberſtellen folgender zwei Gegenſätze wahrzunch⸗ 
rt, und will auf die angebliche Ziefe dieſer Gegenfähe bie 
zͤße unferd Hiſtorikers baſirt willen !). In Athen mid 
arta nämlich follen „jene beiden Hauptrichtungen des mo⸗ 
Shen Menſchen vortreten, nach welchen die eine Hälfte: der 
nſchheit in Fülle und Befriedigung der Bedürfniſſe, Die 
iere in: Enthaltung und Entbehrung Heil und Glückſeligkeit 
rt.” Der Kampf dieſer beiden Parteien, welcher damals 
et auögebrochen ſei, babe fich noch fpäter „bald zwiſchen 
nikern und Kyrenaikern, ober zwiſchen Epikureern und Stoi⸗ 
a, oder zwiſchen Chriſten mid Helden, in Staat, Religion 
> Philoſophie fortgeſetzt, bis er fich exit feit dee Reforma⸗ 
n unter allgemeinerer Kultur etwas. außzugleichen begann.“ 

Dieſen Gegenſatz fol Thukydides bereits In den erſten 
Ben ausgeſprochen haben. Warum .nicht fchon in der Vor⸗ 
e, welche doch Hauptfächlich dient, bie Größe des Krieges zu 
veifen? Wie tommt es, daß Hier. davon mit keinem Worte 
wähnung geſchieht) — Hätte Thukydides einen Plan bes 
zt, wie Gervinus meint, fo müßte die Kriegsgeſchichte zus 
Eitehen, die innern Ereiguiffe dagegen vortretn. Wir has 
| jedoch. ſchon gefehen, daß felbit von der Innern Gefchichte 
yens nur Weniges erzählt wird, nur, was flr Den Krieg 


1) Grundzüge der Hiftorit, ©. 73 fg. 


368 Thukydides. Kap. 12. 


unmittelbar von Intereſſe tft; daß aber von Sparta dad I 
nere beinah völlig unberührt Bleibt. — Was die Neben 
trifft, auf die fih Gervinus zu fügen fucht, fo wich er ham 
ſächlich Die erſte Eorinthifche Rebe in Sparta damit gend 
haben (1, 68 fi.). Hier findet ſich allerdings eine Parall 
ziwifchen Athen und Lafedämon, welche ungefähr mit Get 
Worten könnte bezeichnet werben. Aber man bedenke doch, bi 
find Vorwürfe der Korinthier! Sie werben beide 
nachher berichtigt: für Die Athener in der Leichenrede, für: 
Lakedämonier durch Archidamos. Da nimmt denn jme GE 
genfah eine ganz andere Farbe an. Bel aller Fülle ha 
die perikleifchen Athener durchaus auch das Maß; und bie 
geoovyn der Lakedämonier wird man durch Entbehrung ® 
überfeben können. — An allerwenigften auf bie Weiſe, 
Gervinus fortfährt: wo das Ehriftenthinn als eine Art W 
weiterung des Kynismus und der Stoa erfcheint. Sind Mi 
im Chriſtenthume felbft ganz ähnliche Gegenfäte aufgelek 
welche die Eatholifche Kirche insbeſondere : alltäglich darbie 
Auch gehören ja weder Kynismus, noch Stoa den Laked 
nieen an, fondern beide demſelben Athen, deſſen —*8* 
doch ſein ſollten. 

Aber, wie ſich denn von Gersinus nicht anders erwatn 
laßt, eine bedeutende Wahrheit Legt doch zu Grunde. Alt 
dings Hatte der Athener eine größere Yülle von Ber | 
Jede höhere Bildungöftufe, Törperlich und geiftig, beim Coſſr 
zelnen, wie beim Volke, hat mehr Bebürfniffe, ala bie wo E 
dere. Diefe Vermehrung der Bedürfniſſe iſt ebenfo gut de 
Urfache, als die Wirkung der Höhern Bildung. Das ii ek 
zu allen Zeiten fo gewefen, nichts für den peloponnefife 
Krieg Eharakteriftifches.. Bine Haupterſcheinung dieſes Kriegth 
von Thukydides vorzüglich Kervorgehoben, iſt das Streben M 
Lakedämonier, auf athenifche Art ihre Bedürfniſſe zu fleigen; 
der Athener, durch Uebertreibung ihrer Bedürfniſſe aus m 
Dildung in die Verbildung überzugehen. Gerade diefe Tr 






















$. 4. ‚Siröße. des peloponn.⸗Krieges. 39 


vwie :ich tiefer unten zeige; Eort · für. Wort ans dem 
es ehe, haben den: Krieg entire. Sn; Me 
Malen wir und eurfach: any die Worte Bei. Thubydi⸗ 
fo. hat er aus dreietlei Grunden ver peloponneſiſchen 
| ‚für. den gewichtigften vom: allen. angejehett 115%, 1 or 
WA. . Weil ;bei. feinem» Anhegiun beide, Yatıpklänrpfer in 
Br Bezichung, Raeusaeun:K aan, Auf der Hohe ſtan⸗ 
XL, 1): ‚Die Athener allein waren damals ftirker , alb 
Bei :Bie: ganaltigften. Bünduiſſe (I, 19.), namenilich ſtärker, 
früher ſelbſt die perſiſche Monarchie (I, 60.) ). So ver 
rt: auch: Archidamos, die Peloponneſter feien niemals mit 
⁊ größern Macht in's Feld gezogen. CL, .).Jedenfalls mar 
kriegeriſche Sinn und die Macht beider Parteien ſeit dem 
ferkriege noch durch die Kämpfe untereinander gewachfen 
18.). — Und das ganze übrige Hellas nahm theils ſo⸗ 
theils im Verlaufe des Krieges an deſſen Führung Theil 
1.): ... einer :tief begründeten Rothwendigkeit gehorchend. 
5: Die Barbaren wurden mitergriſſen (I, 1.). Perſer und 
Umiferi, Ahralier und Makedonier, Sikelier und Tyrrhener 
rden mit in den Strudel gezogen. Die ‚gene Oſthalfte des 
ttelmeeres extoͤnte von Kriegslärm. 
Br Weii dieſer Krieg läͤnger währte, ‚ala irgend ein 
heter/ namentlich länger, als der perſiſche (I, 23.). Wie 
Kißche: mit dem Wachſen ver Sichfte auch das Bedürfniß 
machfeir pflegt, ſieim: Kampfe · anzuwenden (Iy-2.) 2: fa 
Gte der Krieg, worin die höchſten Kräfte von Hellas ge= 
ucht wurden, auch der hartnädigite und größte fein. Die 
Hie der. Fall. fein, pbgleich: auch hier, mie es zu gehen - 
er ‚ner ee: ‚&ifer fich in dervolze ab tühlte 9 120: 44. 
8.).* 


F. Teil die ‚Krieg, den Seienen dag fr aie uͤu— 
Too, rettet ion N ats ie rs RT 
a es sl I 5. ‚3 "13 7 — 1, ' 


» m. —* * bie — vgl II sr ie UI ER FPACH IF TI Bu 
24 


370 ahutyelves. -; 


Heil brachte N.aeAeberhaupt aber weiit Thukydide 
Hin, daß Alles, and: in dieſem: Kriege beſonders nu 
fchien, :aidy :in ber: geckgen helletiſchen Geſchichte do 
wuͤrdigſte feiner Art geweſen.) So war z. E. die © 
von Sybota diegrößte, welche Hellenen gegen. Sell 
dahin geliefert hatten (I, 50.)3. "war: insbeſondere der 
ſche Feldzug ver koſtbarſte, der, von Hellenen ausgerü 
den. und, der verwegenite: in ſeinen ‚Hoffnungen CV 
die ſyrakuſiſche Niederlage aber der ‚größte bis dahin 

Glückswechſel (VII, 75.), -glängender für den Si 
elender für. den’ Beſiegten, als die fcůhere Geſchichte 
lenen bemals gekannt hate » 


— | 8, 5. 
Mordnung der Materie. 

Ich habe ſchon früher auf die vier Hauptfad 
gewieſen, in welche ſich das große: Gewebe des thukyd 
Werkes auftrennen läßt: der Verfall der politiſchen Ge 
das muthige Streben in die Ferne, das Uebergewicht 
und die Herrſchaft über die Bundeägenofien. —. Mi 
wahrſcheinlich, daß fie in Thukydides Seele,. bevor cı 
eigentlihe Abfaſſung feiner Geſchichte ging, abgefonder 
gen. Jedenfalls aber hat er fie. dann mit außerord 
Kunft zuſammengearbeitet. we 5 erfegte (on. ‚DARU 


si. 
— — 


) I, 233% vgl. III, 112 fo.- VII, 20 fa. — Darum wird 
eröffnet mit einer wie tragiſch Tlingenden, Weiffagung:, biefer 


werde den Hellenen Anfang großen Verderbens fein (IT, 12.). 
Aristoph. Pax 437 cum Schol. 


2) VII, 87:' vgt. 70. _“ Hätte Thukybides die Shlacht 
Arginuſen noch mit aufnehmen können, er hätte gewiß die Be 
nicht unterdrückt, daß hier die größte Seeſchlacht von Hellene 
Hellenen überhaupt geliefert worden. Val. Diodor. XIII, 96. 


6. 5. Anoronung der Materie. | 371 


Me weit den äußerlichen Thatfachen gleichſam wieder beklei⸗ 
m. mit denſelben Thatſachen, woraus ex fie früherhin ger 
Amen. hatte. Hiermit wurden die Baden von felbft in ein⸗ 
ww; geflochten; fie traten für's Auge zurück, was ben unbe 
Fenen Genuß Der Lectüre erhöhet, den Kritiker aber, fie 
x. aufzufinden, anreizt. | 
Be biefer Verflechtung fit Thukydides jedoch bemühet, 
es irgend angeht, Ruhepunkte und Durchſichten 
ten Leſer zu eröffnen: Dad Hauptmittel Hierzu, wie ſchon 
er gezeigt, find die. Reden, die überall, vornehmlich aber 
Wo jene Baden einander kreuzen, Vergangenheit und Zus 
ft organiſch mit einander zu verbinden fuchen, Was indeß 
t weniger dazu beiträgt, {ft der Umſtand, daß Thukydides 
‚einer jeden Reihe ähnlicher und alfo zufammenhängenber 
pebenheiten immer die erſte, Die wichtigſte und die lebte be 
hers hervorhebt 1). Hierdurch wird es möglich, jedes grö⸗ 
PEreigniß, bevor es eingeführt wird, erſt allmählig vorzu⸗ 
ſten. Hierdurch gelangen auch die einzelnen Gruppen ſei⸗ 
SGeſchichte, gleichſam Die Arte und Scenen des großen 
nerſpiels, zu einem beſondern Abſchluſſe, der häufig ſogar 
h ein refrainartiges Zurückweiſen verdeutlicht fit. Derglei⸗ 
Refrains ſind der ganzen ältern Kunſt eigenthümlich, vor 
a dem Aeſchylos 2). Schon bei Curipides verliert das 
liſtrophiſche an Bedeutung. Wo der platoniſche Protagoras 
t 3), ſowie in den Sragmenten des Demokritos finden wir 




















1) Das alle Zahr gleichmäßig Wiederkehrende, alfo Uncharakteriftis 
“ Tucht Thukydides nur einmal zu geben, So z. B. nur Eine Leis 
Feebe. gl. aud) II, 31. 

2) ®gl. Schneider De epiphthegmaticis versibus Aeschyli. 
. — Bei den Bauberliedern, Prophezeiungen u. f. w. blieben fie 
Ber üblich, weil diefe am längften nad) Alterthümlichkeit ftrebten. 
Theokrit's Pharmakeutria, Catull's Hochzeit ber Thetis, Birgil’s 
R Ekloge u. ſ. w. Vgl. K. DO. Müller's Eumeniden, ©. 91. 

2) Platon hat in ſeiner Darſtellung die wirklichen Reden und 
Tiften des Protagoras ohne Zweifel nachgebilbet. | 


2A” 


572 Thulydides. Kap, 12: . - 


zahlreiche Refrains. Bon demfelben Verfahren. bei XY 
haben wir einige Beifpiele ſchon in den Epifoden ker 
lernt ; auf andere werde ich gelegentlich aufmerkfam m 
Hierdurch kommen jene Faden, welche durch Die 
Verarbeitung den Auge waren entrückt worden, ſowe 
thig ift, wieder zum Vorſchein. Dieſe Spuren fck 
den Lefer am beſten in Stand, die eigentliche Dekon 
Werkes kennen zu lernen. — Wa endlich Die ſchoͤ 
- einigung dieſer .verfchiedenen Momente Hernorbrin 
das fortwährende Streben des Verfaflerd, wo «3 nun 
in den einzelnen Reden und Erzäflungen ein analo; 
des ganzen Krieges niederzulegen !). Damit werben 
zelnen Eeenen, fo lebendig und abgerundet fie auch f 
Zwecke des Ganzen doch fireng imtergeorbnet. — |! 
kennt aber and dieſer verwickelten und mühfamen $ 
tung, daß Thukydides von Nichts in der Welt fen 
al8 won einer falichen Gelehrſamkeit, melche. der | 
Form, und von einer falfchen Gentalität, welche der 
ſten Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren zu Für 
Wie es aber nicht felten bei großen Meiftern der 
fo verbirgt fih auch Beim Thukydides die üiberlegtefi 
unter ſcheinbarer Kunſtloſigkeit. Mit große 
Hält ex fih an die Chronologie feines Gegenftandes, 
nicht bloß Jahr für Jahr und nach Sommer un Wi 
folgt, fondern in der Negel auch Monat für Monat. 
die Ginleitung ijt mit chronologifcher Strenge abgel 
Diele Anordnung hat von jeher manchen Tadel erfahr 
Dionyfios Epijtel an den Pompejus bis auf Creuzer 
ter. Und in Der That, fie erfchwert dag Studi 


1) Bol. Er. Schlegel’s Gefhichte der griechifchen und ı 
Poeſie I, 1, S. 171., ber etwas Aehnliches bei Homer bemerft, 
für eine homeriſche Eigenthümlichkeit hält. Es ift jedoch m 
weniger allen großen Künftlern gemein. 


6.5, ‚1 ngebnung bes Materie. 375 


ydides außerordentlich. DOb ſich indeſſen Thukydides Le⸗ 
reünfät hat, welchen dieſe Mühe zu ſchwer erſcheint, 
Fbahinftchen ). Auch iR. die zerhackte Erzäßlung F er⸗ 

















I der. (efsten, vortreffliſh getignet, ‚den. verſchiedenen She. 
Irder Beiden Kriegshälften barzuftellen 3). pr. „Soviel if} 
euch der chrouologiſchen Orbrung wird. ein engerer 
Bu an Die Wirklichkeit erzielt. Nun bin ich zwar weil 
en, nach, dem Grade, wie ein hiſtoriſches Werk den Ges 
Aceindruck der zu. Bruude liegenden Wirklichkeit wicder 
fi: haamer:. auch ſeinen Kunſwerth· beſtimmen zu wollen. 
| alßdann würde ich. ‚fir, dad höchſte, mis ‚bekannte Ser 
Kamen: Caͤſar's gallifchen Krieg erflären müſſen: ein Such, 
Ban ic. doch glaube nachweiſen zu fünnen, daß ca nur von 
aan, eines Andern, vielleicht wenig Berufenen aus Chs 
Dahresherichten an den Senat iſt zuſamnmengeſtellt wor⸗ 
1, Aber ſoviel bleibt. doch ausgemacht, die Congruenz mit | 
Wirllichkeit un nicht. ‚bloß, für. sin Saupterforberuifi, 
| die unerlißuhe Bedingung des Oiſtorikers gelten⸗ 


iR, ‚Die Anfprüngliche, Seftatt beifelben wichergiebr, deſio 
jr wird er Lob verdienen. 

Ein Autor von fo jtrenger Einheit fi natürlich ſchwer 
tzuſetzen, am ſchwerſten von einem andern großen His 
fer. Aus demfelben Grunde, weßhalb große Dichter nur 


1) Höchft felten wirb der Synchronismus verlegt, um ben Bufams 
bang ber Materie nicht zu flören: II, 34, 

2) ®2gl Dionys. De Muc. 8. 

3) Ein Beilpiel von Thukydides feiner Ueberlegung finde ich u. A. 
na, daß er Nikias Depefche nicht bei dem Zeitpunkte mittheilt, wo 
zefchrieben, fondern wo fie gelefen wird, alfo praktiſch wirkfam aufs 
t (VII, Ioff.). Nicht wahr, ein fchönes Zeugniß, wie lebendig er die 
chichte auffaßte! 


574 Wukhdides. Kap. 12. 


ſelten vollkommene Veberfeher find. - Von Kratippos 
plementen fehlt jebe nähere Nachricht, - Iſokrates munter 
Theopompos wegen feines ſtürmiſchen Charakters auf, 
kydides Geſchichte fortzuſetzen; Ephoros, der gelehrt 
hige Mann, ſollte die frühere Geſchichte bearbeiten. € 
ſollten alle drei Bücher nach Iſokrates Idee zufanımen 
griechifche Univerfalgefihichte Bilden. — Auch Xenoph 
Helleniken wollen den Thukydides ergänzen ‚mit —— 
feines Vorgängers, doch nicht ohne Seclengröße. 
niftifche Sinn des Xenophon konnte ſich nicht Bari ’ 
dag Die Schickſale won" Athen Hauptſache im peloponneſ 
Kriege fein follten. Ihm ſchien die Uebermacht von Le 
mon deſſen wichtigſtes Reſultat zu ſein. Man wvergleich 
Reden VI; 5, 38 ff. und VII, 1, pr., ſowie den S 
des ſlebenten Bude, Hier wird ein großartiger Rückbli 
die Kämpfe von Athen und Sparta geworfen, auf ihre 
mittel, — natürliche Beſchafſenheit, Ausbildung der Dia 
und Stüt won oben her — auf ihre iythiſche Geſchichte, 
wechſelſeitige Bedürftigkeit. Thukydides hatte begonnen, 
Athen und Sparta einander noch ziemlich gleichftanden; d 
phon fchloß, als fie nach buntem Wemſel der Bei 
wieder gleich geworden waren. 





* ati Üöpte des —E DR! oe j" 
"Be Si aſte et ven Safer it ie Abßen Abb⸗ 
hzen haher Hub näßer“ Affen Slele ent Die © 
Boll fuhrt “Here Dice „Seiten, voh 
Frpie —— 18}. 
Eyiſoden von tg Are * St 
Ang (88-117), ABO e Welle 
=, Mist die erden Kr gan 
gen Keſch Tore” Steak Föfgen Age 
den 89) und Worbeteltungen zum Slteze ſelbſt (is 
127. 139—146.). — Daß der dritte Abfchnitt zwiſchen 
x erften und zweiten. eingeſchoben worden, tabelt fon Dio⸗ 
NloB.'’ Doch’ wird der Leſer Acht stern auf echt dramatir 





















e Weiſe gleich mitten, in die Sache geführt Auch Me 
ma ie Charather ned, Zhfybideg, . Die, ihuftlungäge 
chie der ati Segen (88-147.) —9*— d Gier 





ee Due TEE Be m e 








Sch gehe bei⸗ dein · erſten Bucht feherbelniliet- zu Werke, um 
Eeſer zur eigenen Analyſe der folgenden beſſer anzuleiten. 


558 2. Thukydides. Kap. 12. 


wit tier. Stinze:behanbelt, welche gewiß manchen | 
menden Peler.uscehe tut (EL, 65.). — Ueberall jebı 
man fählen,: daß der. Hiſtoriker auch von folchen Din, 
trefflich unterrichter iſt. Er hat fich keinesweges ausgeſ 
Dieß verleiht feinen Buche natürlich einen eigenen, 
Reiz... Bet ren Kunſtwerke muß man nicht bloß da 
merken, woeccher die Kraft zufammenhält, ſondern 
Kraft merken, welche ſich gegen den Zügel emporbäum 
vie braucht, es der Hiſtoriker aber noch nicht fo zu 
wie Herndot, “der gar oft, wenn er etwas zu verſchwe 
uechig ſindet, Doch menigſtens bemerkt, daß er es verj 
Thukydides bildet hier eine Mitte zwiſchen den Loge 
und den Spätern; ſelt Ephoros, beſonderß den -Atthit 
kan, die in ihre Geſchichtsbücher eine förmliche Ene 
alles Ihres MWiffens niederlegten. Noch. Herodot, wie 
Benz ut; wicht gang. frei hiervon, und ſchon Kennphı 
wieher an, wenigſtens alles Eihifche und. Praktiſche, 
gedacht. hat, einzuſchalten. Während dieß Hei den 
mehr unabſichtlich geſchieht, iſt es bei Theopompos af 
um Ber; Einfachheit feiner Vorgänger zu opponiren. 

.: Aban- ebenſo ſtrenge hält es Thukydides mit eina 
tief greifenden Negel der Aeſthetik, daß ein Kunfhv 
andern. Fragen aufregen ſoll, als bie es ſelhſt auch bear 
Hierdurch allein kann es abgeſchloſſen, eine eiger 
Welt für ſich werden. Unſer Verfaſſer iſt dabei ſelbſt 
zelſten ſo gewiſſenhaft (4. B. VII, 75.), daß man ve 
kann, die wenigen, noch nicht abgeſchloſſenen Partie 
Buches würden in ben letzten, noch rückſtändigen Ja 
Krieges gleichfalls erledigt worden ſein. Es finden fi 
lich ſehr viele Anfplelungen, die über das achte Bud 
veichen. Man kann daher im Weſentlichen wohl angel 
Thukydides Die letzten Jahre des Krieges zu behandelr 
Dieſes Werk läßt dem Leſer kein Factum hinzuzudenker 
Er kann alle ans ihm herausnehmen: was freilich 


$. 2... Gegenſtand des Thulydides. 550 


Seren und künſtlichen Natur unſers Schriftitellers: .eimehwieg 
Bere Arbeit nothwendig macht, als dis. Supplicen uianches 
ern, an Sprüngen überreichen Werkes. 5 Cut span 
iDie innere Geſchichte von Athens - Gegnern Us abtrüum⸗ 
Bundesgenoſſen iſt viel kuͤrzer abgefertigt, als: die won 
a ſilbſt ) 2. nur gerado ſo⸗weit, als zur: Erklärung ührer 
mottigen Politik unumgäͤnglich ! Moth wer. 1. @&mse:: die 
ner aus dem Spiele ſind, verläßt Thukydides bier: Fichte 
ir Zwiſtigkeiten (IV, 25.). Daher kaun man als eilt 
Ed ukydideiſchen Werkes Folgendes bezeichnen siTpg 
wabfinten Athens von ſoinet perikleißchew Hg) 
weit daſſelbe durch den— peloponnefifhienßrieg 
enbart und bewirkt wuvrde. — : Die-Htoße-Steeiige 
we; womit Thukydides vieſe Einheit feines Werkes Afortwaͤh⸗ 
Wir Auge behält, fo manchen: Tabet-Fie auch von Mionh⸗ 
B Bi3 auf unſere Zeiten hat erfahren müſſen, iſt doch kei⸗ 
U Einzigen feiner ebenbürtigen Zeitgenoſſen freind "Sie 
Set. einen Hauptbeſtandtheil jener: herben Grazie, wWelhe de 
ſtwerke der perikleiſchen Zeit Aufangs fo ſchwer zugcitglich 

wi ober “u » unvergleichlich rain macht. a 
‘8 3 


Grifoden 


i. on. ! OR. 

: Um ſo auffulleuder kann es erſcheinen, wenn dſaein 
tet hier und da in die Geſchichte des Thukydides längere 
Hifoden eingeflochten find, die ſcheinbar nicht das Mindeſte 
t dem peloponnefifchen Kriege zu fchaffen haben. Solcher 
Hoden giebt e8 fünf: die Gefhichte von der theſeiſchen Zus. 
Imenziehung dev attifchen Demen (UI, 15.), von ber verun⸗ 


P 14 VE 


nn a — — 


) So wird namentlich die materielle Kriegsrüſtung der Xthener 
13.) fehe viel detaillirter befchrieben, als die der Lakedämonier. 


568 Thukydides. Kap. 12. 


unmittelbar von Intereſſe tft; daß aber von Sparta da 
nere beinah völlig unberührt Bleibt. — Was die Ne 
trifft, auf Die ſich Gervinus zu fügen fucht, fo wird er 
ſächlich die erite Torinthifche Rede in Sparta damit g 
haben (I, 68 fi.). Bier findet fich allerbings eine Po 
zwifchen Athen und Lakedämon, welche ungefähr mit Ga 
Worten könnte bezeichnet werben. Aber man bedenke doch, 
find Vorwürfe der Korintbier! Sie werben beib 
nachher berichtigt: fie Die Athener in der Leichenrede, f 
Lakedämonier durch Archidamos. Da nimmt denn fene 
genfaß eine ganz andere Farbe an. Bei aller Fülle 
die perikletfchen Athener durchaus auch das Maß; und di 
gooousn der Lakedämonier wird man durch Entbehrung 
überfeßen Können, — Am allerwenigſten auf die Weife 
Gervinus fortfährt: wo das Ehriftenthum als eine Aı 
weiterung des Kynismus und der Stoa erfcheint., "Sind 
im Chriſtenthume felbft ganz ähnliche Gegenfäße aufgel 
welche die Fatholifche Kirche insbeſondere alltäglich dar 
Auch gehören ja weder Kynismus, noch Stoa den Lake 
nieen an, fondern beide demſelben Athen, deſſen Antipod 
doch ſein ſollten. 

Aber, wie ſich denn von Gervinus nicht anders ern 
läßt, eine bedeutende Wahrheit liegt doch zu Grunde. 
dings Hatte der Athener eine größere Fülle von Bebürfi 
Jede höhere Bildungöftufe, Törperlih und geiftig, beim 
zelnen, mie beim Volke, hat mehr Bebinfniffe, ala diı 
dere. Diefe Vermehrung der Bedürfniffe iſt ebenfo gı 
Urfache, als die Wirkung der höhern Bildung. Das iſt 
zu allen Zeiten fo geinefen, nichts für den peloponne 
Krieg Eharakteriftifches.. Eine Haupterfcheinung dieſes Ki 
von Thukydides vorzüglich hervorgehoben, ift das Strebe 
Lakedämonier, auf athenifche Art ihre Bedürfniſſe zu flei 
‚ der Athener, durch Uebertreibung ihrer Bedürfniſſe au 
Dildung in die Verbildung überzugehen. Gerade viele 


$. 4.. Aroße des peldyonn. Krieges. ‚369 


zen, wie ich tiefer unten zeige, Wort für Wert ans dem 
wiögbihes zeige, haben ven: Krieg xntſchie dencu or: r! 


Halten wir uns eifach: an die Worte dies. Ahubydi⸗ | 


Wr. fo hat er aus dreieklei Gründen, der pelnponneflicgen 
Weg: für. ben gewichtigften von: allen. anigefehens : 155, : 
WA; Weil bei feinem Anbeginn beide. Hanptlänpfer in 
e Beziehung, zagwoueun. za naon, auf der Hoͤhe ſtan⸗ 
XL, 1.). Die Athener allein waren damals ſtürker, alb 
jer die gewaltigſten Ründniſſe (I, 19.), namenilich ſtärker, 
früßer ſelbſt die: perſiſche Monqrchie (1, '60;) 7). So ver 
rt ach. Archidamos, Die Peloponneſiex feien niemals mit 
je größern Macht in’3 Feld gezogen (IE, 11.).. Jedenfalls war 
Prlegerifche Sinn und die Macht beider Parteien feit dem 
fekriege noch durch die Kämpfe untereinander gewachſen 
18.). — Und das ganze übrige Hellas nahm theils fo= 
teils im Verlaufe des Krieges an deſſen Führung Theil 
Pu): . einer tief begründeten Rothwendigkeit gehorchend. 










| X Barbaren wurden mitergrifſen (I, 4.. Perſer und 


ken, Thrakier und Makedonier, Sikelier und Tyrrhener 
x mit‘ iu. ben Strudel gezogen. Die gene Oſthalfte des 
Ri 8 ertönte.von Kriegslärm. 
an Bat dieſer Krieg länger währte, r irgend ein 
ter. , namentlich länger, als ver perſiſche (I, 23.). Wie 
cd Wachſen der Scchfte auch das Bedürfniß 
pflegt, : fie. tm: Kampfe anzuwenden (I, 2.): fa 
Be der Krieg, morin die höchſten Kräfte von Hellas ges 
uht wurden, auch der hartnädigite und größte fein. Dieß 









R. der erfte Gifer ng in: der golze abkühlte ¶, 120: 140, 
t 2 1 4) oo 
Weil dieſer Krieg den Shine das fi mie ü n⸗ 


„F tz Tirana W Js wo... .. 21 N 1 etz ;irü Tl INT 


. 
nf. Di PTR 1. ; BE in te, 


2) m. —5 af sie Agent ALL 1; — — Po er Hi 
24 


° 


e der. Fall. fein,. obgleich: auch hier, mie 8 zu gehen - 


‘370 ar Rise, Kay. 122. 


Heil brachte N.iaAUeberhaupt aber weiſt Thufgbibei 
Hin, daß Alles, was in dieſem: Kriege beſonders nz 
fihieri,.: ach: in der: gadızen helleniſchen Geſchichte da 
würbigfte feiner Art gavefen.) ..&s war z. €. die ©ı 
von Sybota die größte, welche Hellenen gegen Selle 
dahin geliefert: hatten (I, 50.)3. "war. inäbefondere der 
{che Feldzug der koſtbarſte, der, von Hellenen ausgerüf 
den „: und. der verwegenite: Inısfeinen Hoffnungen (VI 
die ſyrakuſiſche Niederlage aber der größte bis dabin ı 
Glückswechſel (VIL,;Y75.), -glängender für den Sie 
elender für. ben Beſiegten,, alb die fruhere Geſchichte 
lenen ſemat gekannt haue 


| 8, 5. 
Aberdaung der Materie. 


Ich habe Kom früher auf die vie Ha uptfade 
gewieſen, in welche ſich das große. Gewebe des thukyd 
Werkes auftrennen läßt: der Verfall der politischen Sei 
das muthige Streben in Die Verne, das Tiebergemwicht ; 
und die Herrfchaft über Die Bundeägenofien. —. Mir 
wahrſcheinlich, daß fie in. Thukydides Seele,. Bevor er 
eigentliche Abfaſſung feiner Geſchichte ging, abgefondern 
gen. Jedenfalls aber Hat er fie dann mit außerord 
Kunft zuſammengearbeitet. Dieß erfolgte ſchon dadurc 


25 ... . “ . 0 \ I. ee 
1) 122%: dgl. III, 112 fo. VII 39 fa. —- Barum wir 
eröffnet mit einer wie tragifh klingenden, Weiffagung : , biefer 
werde den Hellenen Anfang großen Verderbens fein (I, 12.). 
Aristoph. Fax 437 cum Schol. 


2) VII, 87:' vgl. 70. _. Hätte Thukydides die Sqclacht 
Arginuſen noch mit aufnehmen können, er hätte gewiß die Ber 
nicht unterdrückt, daß bier bie größte Seeſchlacht von Hellener 
‚Hellenen überhaupt geliefert worden, Vgl. Diodor. XII, %. 


$. 5. Anordnung der Materie. 371 


»mit den Außerlichen Thatſachen gleichſam wieder beklei⸗ 
ar mit denſelben Thatſachen, woraus er fie früherhin ger 
m hatte. Hiermit wurden die Faden von ſelbſt in ein⸗ 
bw; geflochten ; fie traten für's Auge zurück, was ben unbe, 
Bnen Genuß her Lectüre erhöhet, den Kritiker aber, fie 
er aufzufinden , anreizt. | 
Bel. diefer Verflechtung ift Thukydides jedoch bemühet, 
es irgend angeht, Ruhepunkte und Durchſichten 
Leſer zu eröffnen; Das Hauptmittel Hierzu, wie ſchon 
gezeigt, ſind die Reden, die überall, vornehmlich aber 
wo jene Faden einander kreuzen, Vergangenheit und Zu⸗ 
ſt organiſch mit einander zu verbinden ſuchen. Was indeß 
t.weniger dazu beiträgt, iſt der Umftand, daß Thukydides 
‚einer jeden Reihe ähnlicher und alfo zufammenhängender 
enbeiten immer die erſte, die wichtigfte und die lebte be⸗ 
hervorhebt 1). Hierdurch wird e8 möglich, jedes grö⸗ 
NAEreigniß, bevor es eingeführt wird, exit allınählig vorzu⸗ 
© Hierdurch gelangen auch. die einzelnen Gruppen ſei⸗ 
Seſchichte, gleichfam die Acte und Scenen des großen 
piels, zu einem beſondern Abfchluffe, der Häufig ſogar 
ein zefrainartiged . Zurückweiſen werdeutlicht iſt. Derglei⸗ 
Mi Refraind find der ganzen Altern Kunft eigenthümlich, vor 
k. dem Aeſchylos 2). . Schon bei Euripides verliert das 
phifche an Bedeutung. Wo der platonifche Protagoras 
3), ſowie in den Fragmenten des Demokritos finden wir 


















Das alle Jahr gleichmäßig Wiederkehrende, alſo Uncharakteriſti⸗ 
ſucht Thukydides nur einmal zu geben. So z. B. nur Eine Leis 
. gl. auch II, 31. 
* Bol. Schneider De epiphthegmaticis versibus Aeschyli. 
Bei ben Zauberliedern, Prophezeiungen u. |. w. blieben fie 
Ber üblich, weil diefe am längften nad) Alterthümlichkeit ftrebten. 
Theokrit's Pharmakeutria, Catull's Hochzeit der Thetis, Virgil's 
® Ekloge u. ſ. w. Vgl. K. O. Müller's Eumeniden, ©. 91. 
23) Platon hat in feiner Darſtellung die wirklichen Reden und 
diften bes Protagoras ohne Zweifel nachgebildet. 


24* 



















572 Thulkydides. Rap, 12. 


zahlreiche Refrains. Bon demfelben Verfahren bei Thukit 
Haben wir einige Belfpiele ſchon in den Epifoden kennen 
lernt; auf andere werde ich gelegentlich auſmerkſam made 
Hierdurch kommen jene Faden, welche durch die mil 
Verarbeitung dem Auge waren entrückt worden, ſoweit c 
thig iſt, wieder zum Vorfchein. Diefe Spuren fchenf 
den Lefer am beiten in Stand, die eigentliche Dekonomie 
Werkes kennen zu lernen. — Was endlich Die fchönfle 
- einigung dieſer verſchiedenen Momente hervorbringt,/ 
das fortwährende Streben des Verfaſſers, wo es ur am 
in den einzelnen Reden und Erzählungen ein analoge 
des ganzen Krieges niederzulegen !). Damit merben die 
zelnen Scenen, fo lebendig und abgerundet fie auch find,‘ 
Zwecke ded Ganzen Doch ſtreng untergeordnet. Dias 
kennt aber and dieſer vertoicelten und mühfamen Ver 
tung, daß Thukydides von Nichts in der Welt ferner 
als von einer falfchen Gelehrſamkeit, melche. der ſtren 
Form, und von einer falfchen Genialität, welche der r 
ften Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren zu konnen. 

Die es aber nicht felten bei großen Meiftern der Pal 
fo verbirgt fih auch beim Thukydides die. überlegtefte 
unter fcheinbarer Kunſtloſigkeit. Mit große Ü 
Halt er fi au die Chronologie feines Gegenftandes, 
nicht bloß Jahr für Jahr und nah Sommer und Winter 
folgt, fondern in der Negel auch Monat für Monat. © 
die Einleitung iſt mit chronologifcher Strenge abgefaft. 
Diefe Anordnung hat von jeher manchen Tadel erfahren, | 
Dionyſios Epiſtel an den Pompejus big auf Crenzer hau 
ter. Und in der That, fie erſchwert dad Studium 





1 


1) Bol. Er. Schlegel’s Gefchichte der griechifchen und rim 
Poeſie I, 1, S. 171., ber etwas Achnliches bei Homer bemerkt, & 
für eine homeriſche Eigenthümlichkeit hält, Es iſt jeboch mehr 
weniger allen großen Künftlern gemein. 


_—u [were 
. 


6.5. Angchnung der Materie. 375 


Mydides außerordentlich. . Ob ſich indeſſen Thukydides Le⸗ 
ewünſcht hat, welchen dieſe Mühe zu ſchwer erſcheint, 
Pair 2), Auch jſt die zerhackte Erzählung der er⸗ 
cher 2) um. Gegeufnge: mit den. großen, geſchloſſenen 
Wien der: legten vortrefflich geeignet, ‚den. yerſchiedenen Cha⸗ 
a beiden Kriegshälften darzuftellen 2). —-- „Soviel iſt 
gi mättehit. der chrouologiſchen Ordnuung wird ein engerer 
Maoß an Die Wirklichkeit erzielt. Nun bin ich zwar meit 
Br nach. dem Grabe , wie ein hiſtoriſches Werk den Ge 
einen der zu. Gruude liegenden Wirklichkeit wieder: 
hr: mmer auch ſeinen Kunffwerth. beſtimmen zu wollen, 
—RXX würde ieh.:fr, das höchſte, mir hekannte Ge⸗ 
Caͤſar's galliſchen Krieg erklaͤren müſſen: ein Bud, 
ci: Doch glaube nachweifen zu können, daß es nur von 
er eines Andern, vielleicht wenig Beruferen aus Cäs 
hresherichten an ben. Senat iſt zuſaumengeſtelit wor⸗ 
Aber ſoviel ‚bleibt. doch. ausgemacht, hie Congruenz mit | 
Alſchkeit muß nicht bloß. für. ein Haupterforberniß, 
* die. unerlägliche. Bedingung des Oiſtorikers gektiu, 
* * Aprumlice Gpflalt deſſelben wicdergiebi, deſio 
wird er Lob verdienen. 
. Ein Autor von fo ſtrenger Einheit ii natürlich ſchwer 
tzuſetzen, am ſchwerſten von einem andern großen His 
er. Aus demfelben Grunde, weßſhalb große Dichter nur 










| I» Hoͤchſt ſelten wird der Synchronismus verlegt, um ben Zuſam⸗ 
hang der Materie nicht zu ſtören: II, 34. 


) Bot Dionys, De Thuc. 8. 


| 3) Ein Beifpiel von Thukydides feiner Ueberlegung finde ih u, A. 
‚ daß er Nikias Depefche nicht bei dem Zeitpunkte mittheilt, wo 
chrieben , fondern wo fie gelefen wird, alfo praktiſch wirkfam aufs 

(VII, 10ff.). Nicht wahr, ein fchönes Zeugniß, wie lebendig er die 
ichte auffaßte! 


SE x Zutpbloed.. Kap. 12. 


ans deſſen Vorarbeiten und Kladden beſtehend; aber feine 

ter vielleicht, oder ein anderer Herausgeber habe eds in fi 
heutige Form gebracht. Hier würde immer ſehr befranbih € 
Bleiben, daß dieſelbe Hank nicht auch Den weitern Verlauf dd 
Krieges auf. ähnliche Weiſe Hinzugefügt. Denn die Twin 
beiten des Thukydides gingen ohne Zweifel bis zum CM 
des Kriege. Namentlich würde kein Herausgeber auf ii 
fo abgerifiene Art gefchloffen haben. Und diefe Art fand ar 
Renophon vor, wie der ebenfo abgeriſſene Anfang feiner Odin i 
nilen n beweiſt * 










8. 2. 
Gegenftand bes Wertes. 


Segenftand des Thukydides iſt der pelop onneſiſhe 
Krieg (J. 1): und zwar der ganze peloponneſiſche Krieg (V, 
26). Alles Frühere dient nur als Einleitung 2). Namenillqh 
weiß Thukydides mit entichiedener Genauigkeit Die feindfeligen 
Vorbereitungen von dem fürmlichen Ausbruche des Krieges 
ſelbſt abzufondern (I, 125. 146. II, 1. 12.). — Dabei # 
ee lebhaft bemüht, die zwei verſchiedenen Kriege vor und nah 
dem Frieden des Nikias nur als Ein, freilich unterbenchene 
Ganzes darzuftellen (V, 26.). Und, deren Vorftellungen Kies 
über, wenigſtens mittelbar, eben vom Thukydides herrühren, 
fcheint dieß natürlich, fich won felbft zu verfiehen. Unter den 


N Ueber die Authentie des achten Buches vgl. noch: Poppo a. 
a. O. II, 1, p. 7 sqq. Göller Thucyd. I, p. 35 sqq. ‘Kris 
ger In ben Commentatt. hinter feiner Ausgabe von Dionyfios Histo- 
riögr. und im Leben bes Thukydides, ®. 74 ff. Gail Le Philologue 
von 1818. 


3) Schon ber Scholiaft bemerkt, Thukydides führe ben Sieg ber 
Reriprier über hie Korinthier wicht weiter aus, ngeoßveige leuc ou 
avroũ (I, 29.). 





Des 


) 3 gehe bei dein · erſten Bucht fehe:belnilliet zu Werte, u 
Eeſer zur eigenen Analpſe der folgenden beſſer anzuleiten. 


358 3. Thnkydides. Kap. 12. 


wit Umer.Stinze:behanbelt, welche gewiß manchem 
menden Pefer:usche thut (EL, 65.). — Ueberall jedoch wihhr 
man fühlen ,: daß der. Hiſtoriker auch von ſolchen Dingen vo ſur 
trefflich unterwichtes iſt. Er Hat fich keinesweges ausgeſchrieben. 
Dieß verleigt feinem Buche natürlich einen eigenen, hohe 
Heiz, .. Bel Jedem Kunſtwerke muß man nicht bloß den Züglk: 
merken, : welccher die Kraft zuſammenhält, ſondern auch We 
Kraft, merken, welche ſich gegen den Zügel emporbäumt. De 
vie Braucht,’ es der Hiſtoriker aber noch nicht fo zu made, 
wie’ Serndot; der gar oft, wenn er etwas zu verſchweigen fh 
vuehig ſindet, Doch imenigfiend bemerkt, daß er es verſchweize. 
Thukydides bildet Hier eine Mitte zwiſchen Den Logographa 
und den Späternſelt Ephoros, beſonders den -Atihihenfchb 
been, die in ihte Geſchichtsbücher eine förmliche Eneyklopide 
alles ihres Wiſſens niederlegten. Noch: Herodot, wie wir für 
Benz it wicht ganz. frei Hiervon, und ſchon Kenophan. füngt 
wieher an, wenigſtens alles Ethiſche und SPraftifche, ‚mad a 
gedacht. hat, einzuſchalten. Während dieß Bei den. Frühen 
mehr mnabfichtlich geſchieht, iſt es bei Theopompos abficti, 
um Ber; Einfachheit feiner Vorgänger zu opponiren. 

, Aben ebenfo: ſtrenge halt .ch Thukydides mit einer ambem 
tief greifenden Megel der Aeſthetik, daß ein SKunftiwerk Feine 
andern Tragen aufregen. ſoll, als die es ſelhſt auch Beantwortet. 
Hierdurch allein kann e8 abgeſchloſſen, eine eigene Kleine 
Welt für fich werden. Unſer Verfaſſer ift Dabei ſelbſt im Ein 
zelften fo gewiſſenhaft (z. B. VII, 75.), dag man vwermuthen 
kann, die wenigen, noch nicht abgeſchloſſenen Partien feines 
Buches würden in den legten, noch rückſtändigen Jahren bei 
Krieges gleichfalls erledigt worden ſein. Es finden fich nm: 
lich ſehr viele Anfpielungen, die über daB achte Buch hinaus: 
reichen. Man’ Tann daher im Wefentlichen wohl angeben, wi 
Thukydides die legten Ssahre des Krieges zu behandeln bachte, 
Dieſes Werk laͤßt dem Lefer kein Factum hinzuzudenken übrig, 
Er kann alle aus ihm herausnehmen: was freilich bel ta 








EB Vomibe] 577. 


(2,7: MB daher: pliter Merall das eigene Intereſſe 
Schwächem⸗nden "Reiche: und ı Mächtigen die: Herrſchaft 
Bi dar ein Attika der: weiſe Theſens ;umuele 
* durch: Die Grindua Feine Hauptſtadt die ſpätere ai 
Dh und Größe beſonders vorbereilete CHE, 415.). 
liaihe Helläs gelantzte erſt ſpät, erſt nach dein troiſchen — * 
Einer Couſolidirung ſeiner Volkerſitze (12.). — . Mun. mar 
Den wiederum die. ale Stadt ‚hie mit ben: Waffen zugleich 
hie wauhe.Sittoider: Älteften Zeiten. ablegte :. nfreilich nur; 
ſpäter von Mekem iu einer vahıhernisteaft: zurückzukehren. 
Ratebämonier:"zeichnetan: fi "gletihgeliig: Vurch achtettſche 
Nufadyheit anß.::: Hirei alfo: der eufte) Gegenfab:Diefer Beiden 
ächte: Feinheit auf der einen, Stunde auf der’; andern 
Bte':(6.). ° Wahrend ͤberall der Wohiſtand zunahm; ging 
Wwlte Herrſchaft der · Könige in die neue’ der Tyramene über 
E zu ſelbſt in Athen, wo ·der erſte Verſuch allerdimg& miß⸗ 
Bee (15; 1263: fräter Head: dad Reglinent des Priftſtratos 
E An:volled Menſcheualtet zu Staude kam. Dieſe: Tyran⸗ 
Pwar ir Milbe imd Geſeizlichken,“ ſowie an cher. Fhrde⸗ 
wg: ves athrrüſchen Staates voͤllk ſinmen würdig, eine Vor⸗ 
bagerinn ber perilleiſchen Verwaltungg genannt’ zit: werben 
"SCH. ) H. Nur Lakedlimon blieb feiner alten Verfaſſung 
Bag, wie es auch in der Banart einer Stadt: ganz den Cha⸗ 
Ber ver: älteſten Anſiedelungen foſtgehalten hatte (10.) 
seldft von Tyrannen unberührt, war les derſelbe conferuws 
de Geiſt im Junern, der es befähigte, durch Vertreibung 
D fremden Thrannen ſeine Macht auch nnd Außen vn gel⸗ 
ab zu machen 18. Vi, 50.. 
Bor dem troiſchen Kriege konnte von bebentenden uud 
ärtigen Unternehmungen wohl kaum die Rede fein 


en | — 
H Daher auch Pindar und Eupolis ben Peiſiſtratos, wie ben Hie⸗ 
n, nicht Tyrann, ſondern König. nennen: Schol. Arist Ach. 61. 


378 Thukydides. Kap.. 13. 


(3), weil Raubzüge kb Wauderungen alle, kriegeriſche 
tigkeit. in Anſpruch nahmen (6. 8.). Erſt nachdem ſich 
Art von Principat unter dan helleniſchen Stanuncshäuptern 
bilbet Hatte (9:), war her troiſche Feldzug denkbar: für: 
Zeit ein ‚großartiges. Unternehmen, doch aus Mangel 
Hülfsmitteln an ſich nur unbedgutend (10; 11.). In den 
genden. Jahrhunderten wird aller Unternehuungdgeiit wi 
in Heinen Gränzkricgen zerfplittert (15.) 3: ganz: beſonders, 
die Tyrannen, um. ihrer eigenen Sicherheit willen, auf Ei 
riſche Großthaten Verzicht keiften. müffen (17.). Deſto w 
tiger. war das Gepicht /der⸗Perſerkriege, wır zwar ber ð 
nad. Lafelämon.. das Gmmonbe. führie, in der aan 
Athen⸗ entſchied (8). 

Von dieſer Kraftentwicklung nach Junen und Kufen 
die Seemacht ſowohl eine Urſache, als eine Wirkung ( 
Ans: der allgemein. verbrojteten und ritterlich Ketriebenen € 
wiyberah (8.), woran die harbariſchen ; Inſtlhezwohner nicht 
ringeren Theil nahmen (8), erhob fich zuerft: Die Seemacht 
Mines, die jenem Unweſen größtentheils ein Ende m 
&) )j.., Späterhin beſaß ;Miykene die Herrſchaft des Me 
995. ſo unvollkommen auch aus Mangel an Vermögen 
Schiffe damals nad. ſein mochten (10. 11.). Nach ver g 
Lichen Ausrottung des Seeraubes ging. die Uebermacht zur 
von ‚einem großen: Handelsſtaate auf den andern. über: 
den Korinthiern 2).auf die Jonicx (43.)3.. von Diefen auf 
ſikeliotiſchen Thrannen und die Einwohner non Kerkyra (1 
immernoch mit Geringfügigkeit der äußern Hilfsmittel, 
wohl man ſchon damals die Inſelun als eine Leichte Bautı 
erſten Seemacht betrachten konnte (15 fg.). — Scho 


— ⸗ 





1) Herodot's Forſchungen hatten hierüber zu einem ganz a 
Refultate geführt: I, 171. Bgl. indeſſen auh Aristot. Polit. 


2) In Korinth Tamen die erften Dreivuber auf: I, 13. 


$ 1. Vorrede. $. % Einleitung. 379. 


108. Zeit wad derſelbe Fall geweſen. . Schon Minod hatte 
e Einkünfte hauptfächlich aus den: Inſeln ‚gezogen (4.); 
ſeit ber Anlage der erſten Kolonien, : welche Athene und 
—— nach entgegengejehten: Richtungen Hin vornah⸗ 
war dieſe Bedeutung der Marine eg unendlich geftei⸗ 
worden: (42.). | 
An eigeiitliche Bünd niffehat yon: jeboch im Anfange 
wenig zu. denkru, daß ſelbſt der: gemeinſchaftliche Rame des 
zen Volkes niiq ſpät erſt aufkam.“Nur die Sprache 
bete ſchon ein Nationalkand (3.). Die erſte Ahnung. eines 
iter verbreiteten: Parteinehmens brachte Der berühmte Städte⸗ 
ig auf Eabie (45.): - Nach dem Perſerkriege jedoch, wenn 
3 eine kurze Friſt noch der Geſammtbund der Hellenen fort⸗ 
zerte, wurde das ganze Volk in die Bündniſſe der Athener 
D: Eakedämonier getheilt (18.). Die: Letztern waren Anfüh⸗ 
von gleichberechtigten und gleichconſtituirten Bundesgenoſ⸗ 
30die Erſtern dagegen Herrſcher vom’ zinspflichtigen Unter⸗ 
nie 1),. Stärke mar der ee Bund, aber dauerhaf⸗ 
er aledãuoniſche. | . 


8. 2. 
Eiäleitun g. 

In dem zweiten Abſchnitte wird der Seyenfah von Athen 
ib Sparta In höchſter Schärfe feſtgehalten. Auch viel aus⸗ 
hrlicher noch, als in der Vorrede. Sehr ſchön läßt Thuky⸗ 
Bed: feine Abſatze bis zum Kriege ſelbſt immer ſtufenweiſe an⸗ 
wellen. Der Hauptbeſtandtheil dleſes Gemälbes iſt nach 
ukydideiſcher Art durch die Vergleichung des Themiſtokles 
it dem Pauſanias rahmenartig eingeſchloſſen (89 ff. 126ff.). 
n der Mitte bildet wieder das fiebenundneunzigſte Kapitel ei⸗ 


19: vol, 1, 75 ff. 


572 Thulydides. Kap. 12. . 


zahlreiche Refrains. Bon demfelben Verfahren. bei Thu 
Haben wir einige Beifpiele ſchon in den Epiſoden kenn 
lernt; auf andere werde ich gelegentlich aufmerkfam mac 
Hierdurch kommen jene Faden, welche durch Die m 
Verarbeitung dem Auge waren entrüct werben, ſoweit 
thig ift, mieder zum Vorſchein. - Diefe Spuren feher 
den Lefer am beften in Stand, die eigentliche Dekoncn 
Werkes kennen zu lernen. — Wa endlich Die fchönf 
- einigung dieſer .verfchiedenen Momente hervorbring 
das fortwährende Streben des Verfaſſers, wo es nur 
ir den einzelnen Reden und Erzählungen ein analoge 
des ganzen Krieges nieverzulegen !).. Damit merben 
zelnen Seenen, fo lebendig und abgerundet fie auch fin 
Zwecke des Ganzen doch ſtreng untergeordnet. M 
kennt aber aus dieſer verwickelten und mühfamen V 
tung, Daß Thukydides von Nichts in der Welt ferne 
als won einer falichen Gelehrſamkeit, welche. der fh 
Form, und von einer falfchen Genialität, welche der.‘ 
ften Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren. zu Finn 
Wie e8 aber nicht felten bei großen Meiftern der $ 
fo verbirgt fih auch beim Thukydides die liberlegtefte 
unter ſcheinbarer Kunftlofigfeit. . Mit große 
Hält er fih an die Chronologie feines Gegenftandes, 
nicht bloß Jahr für Jahr und nach Sommer und Win 
folgt, fondern in der Negel auch Monat für Monat. 
die Einleitung ijt mit chronologiſcher Strenge abgefa 
Diefe Anordnung. hat von jeher manchen Tadel erfahren 
Dionyfios Epiftel an den Pompejus bis auf Crenzer | 
ter. Und in der That, fie erſchwert das Studiu— 


) Bel. Er. Schlegel’s Gefchichte der griecdhifchen und rlı 
Poeſie I, 1, ©. 171., ber etwas Aehnliches bei Homer bemerft, & 
für eine homerifche Eigenthümlichkeit hält. Cs iſt jedoch meh 
weniger allen großen Künftlern gemein. 


. 5, Auerdnung ber Materie. 375 


kydides außerordentlich. ¶Ob ſich indeſſen Thukydides Le⸗ 
gewůnſcht hat, welchen dieſe Mühe zu ſchwer erſcheint, 
dahinſtehen 1). Auch jſt die zerhackte Erzählung. der ers 
Bücher 2) im Gegeuſatze mit den. großen, geſchloſſenen 
ſen der: letzten vortrefflich getignet, den verſchiedenen Cha⸗ 
x, der. beiden Kriegshälften darzuſtellen 9. pr; „Soviel iſt 

re. mittelſt der chronologiſchen Ordnung wird: ein engerer 
u. an Dis Wirklichkeit erzielt. Nun bin ich zwar weit 
ne, nach dem Grade, wie ein hiſtoriſches Bat den Ges 
uteindruck der zu. Gruude liegenden Wirklichkeit wieder⸗ 
ir. mer auch ſeinen Kunſpwerth beſtimmen zu wollen, 
n alßdann würde ieh. für tag höchſte, mir bekannte Ge⸗ 
tomext? Caͤſar's galliſchen Krieg erklären müſſen: ein Such, 
u ich. doch glaube ‚nachpeifen zu. Eönnen r daß es nur bon 
hand rines Anderu, vielleicht wenig Berufenen aus Cs 

Zahresherichten an ben, Senat iſt zuſammengeſtelit wor⸗ 

Aber: ſoviel Hleibt doch ausgemacht, hie Congruenz mit | 
—* muß nicht ‚bloß, für. ein Haupterforberuif,, 
FR: Se die unerläßiche. Bedingung deß Hiſtorikers gelten, 


SEE ‚Be wefprüngliche, Geftalt deſſelben wiedetgiebt⸗ dein 
wird er Lob verdienen. u 

Sin Autor von fo ſtrenger Einheit fr natürlich ſchwer 
zu ſetzen, am ſchwerſten von einem andern großen Hi⸗ 
x. Aus demſelben Grunde, weßhalb große Dichter nur 





Höchſt felten wirb der Synchronismus verlegt, um den Zuſam⸗ 
ng der Materie nicht zu 11, 34. 


Bgl Dionys., De . 8. 


‚ Ein Beifpiel von Thufydides feiner Weberlegung finde ih u, A. 
‚ daß er Nikias Depeche nicht bei dem Zeitpunkte mittheilt, wo 
chrieben, fondern wo fie gelefen wird, alfo praktiſch wirkſam aufs 
VII, IOff.). Nicht wahr, ein fchönes Zeugniß, wie lebendig er die 
chte auffaßte! 


374 Whukydides. Kap. 12. 


ſelten vollkommene Liecberfeher find. - Won Kratippos 
plementen fehlt jede nähere Nachricht. - Iſokrates munter 
Theopompnd wegen feines ſtürmiſchen Charakters auf, 
kydides Gefchichte fortzuſetzen; Ephoros, der gelehrt 
hige Mann, follte Die frühere Gefchiääte Bearbeiten.  ( 
fellten alle drei Bücher‘ nach Iſokrates Idee zuſammei 
griechifche Univerſalgeſchichte Bilden. — Auch x enoph 
Helleniken wollen den Thukydides ergänzen ‚ mit —— 
ſeines Vorgängers, doch nicht ohne Seelengröße. 
niſtiſche Sinn des Xenophon konnte ſich nicht Bari r 
daß die Schiefale won’ Athen Hauptſache im peloponne 
Kriege fein follten. “ Ihm ſchien die Uebermacht von Le 
mon deſſen wichtigſtes Reſultat zu ſein. Man vergleich 
Reden VI; 5, 38 ff. und VII, 1, pr., ſowie den © 
des ſlebenten Buches. Hier wird ein großartiger Rückbli⸗ 
die Kämpfe von Athen und Sparta geworfen, auf ihret 
mittel, — natürliche Beſchafſenheit, Ansbildung der Der 
und Glück von oben her — auf Ihre mythiſche Geſchichte, 
wechſelſeitige Bedürftigkeit. Thukydides hatte begamac 
Athen und Sparta einander noch ziemlich gleichftanden; 3 
phon ſchloß, als fie nach buntem Weqhſel der Ber 
wieder gleich geworden waren. 


‚A 


y 
% 
ki 
+ 
"- 
+ 
> 
* 
An 


NE) Sei Par) * 
"Si N tt den Sife in 














en don & fi StenAtgos. "Die 
King (88-117,), Fig a — tie nee 

feßt bie Ging“ beifetgen" Bapatbis Alf den pelo⸗ 
en SS forget "este tie? Wbräintefs 
Ken 8 Wengen Hm Krlege ſalbſt (LS 
127. 139—146.). — Daß der dritte Abfchnitt zwiſchen 
n erſten und zweiten. eingeſchoben worden, tabelt fon Dies 
»RloB."” Doch’ witd der Sefer Kick stein sit echt dramatiz 
ve Weife gleich mitten in bie S die 






= abe 


9 Zhh gehe bei:bein serften Bade Hehe bilniliet- zu Werke, um 
m Eefer zur eigenen Analpſe der folgenden beffer anzuleiten. 


376 Thulydides. Kap. 13. 


riker gern in Form einer fpartanifchen Rebe gegeben, u 
würde fie am rechten Drte ſtehen. Für eine Rede indel 
das Ganze zu ſehr entwidelnd, zu wenig fchildernd : es 
als Rede unendlich vielen Raum gekoftet Haben; 


z. 1. 


Vorredeh. 


Um feiner Sprache ‚eine für. jicht befkepenbe Abruudu 
verleigen, Sat fie Thifybides durch Erörterung ſeines d 
ſchriftſtelleriſclen Meriahrens Ahptgı gu varn einteſchleſſt 
1. 20 fi.); fie zugleich auch nach dem durchlaufenden C 
Een von der Größe des Krieges angeorbnet 2). 

Was Hier num zunächſt dad innere Wachſen der 
nö Staa nögtri TR up tal Die: Angen de 
ar Sitterund Sei ung b baren nur wenig ı 
EN Sänberbgfiges, die 
Vaterlanbsheks, uftopmneu. fiep —5 — alla A 












%ctyan gandy, „und, au * — "machten 5 
in, den, Ara und andſchaften das 
Klühen, geofigr ⸗ In Aut 
gegen blieb yon Al odieſe ölferung + innerlig 
maßen geſichert, fe. 2 —* SER. —X 











mit — 





er u e gem Biete qu 
ſche Arca diogi⸗ as Sefegmähige, Se ie ‘zu tleffen werfteht, 
den Erfir ai tfichften werben, wennſer aus ben Meittelaltet di 
ern Völker eine politifhe, militärifhe und ökonomifche Parallel 
ben zu zeichnen fucht. 

) Auch Hierin Ainme Denobos mit "dor. Ze 
(V, 58.) or sahen B 





et Bones). : 877. 


te (2,):" All8' Daher: ſpüter Merall das eigene ‚Sinterefle 
Schwächtmndar "Reichen: und Mächtigen die: Herrſchaft 
Le: (8); da ar rin Attila der: weiſe Theſens ya mals 
vurch: ee ſeinen Hauptſtadt die fpätere Ein⸗ 
ht und: Größe befonders.:horbereitete (II, 45.).. DW 
Ige Bellas gelairhts’enft fpkt,.eaft nad; bein teoifchen Rrlöge 
siner Sonſolidirung ſeiner Völkerſitze (12). —  Mun. war 
ſen wiegericht big. erſte Stadt „. die ankt den Waffen zugleich 
bh: ie wauhe.Sittei'ver: älteſten Zeiten ablegte :. freilich nur, 
ı.fpäter: von Neuem zu enecceuhenuisteaft: zurückziikehren. 
e ;Ratbebämorder:yeichneten: fi gletthzeiuige burch· athketifähe 
Madygelt aub.!Hirr alfo: Dee: efte) Gegenfat:Diefer'belben 
ichte: Feinheit auf der einen, Stunde auf der andern 
Fte:16.7. : Während überall der Wohiftand :ztmahtır ging 
olte Herrſchaft' der Könige indie: neue’ der Tyranmen über 
D wzrſelbſt An Aber, wo der erſte Verſuch allerding& miß⸗ 
eite C, 126.),ſpater Jeboch das Reglinent des Brifiträtos 

An volles Menſcheualtet zu! Stande kam. VDileſe:Thran⸗ 
ar ir Milbe wird Gefeizlichkein,“ ſowie an weiſer; Flerde⸗ 
ug: de: athrruſchen Staates nommen! würdig, eine Vor⸗ 
re “ber perilleiſchen Verwaltung genannt zue wetden 

I, Baff.) 1. Nur Lakeduͤmon blieb feiner alten Verfaſſung 
, wie es auch in der Bauart ſeiner Stade: ganz den Cha⸗ 
er der; Alteſtrn Anſiedelungenfeſigehalten hatte (I0.) 
elb ſt von Tyrannen unberührt, war ſes derfelbe conferuns 
e Geiſt im Innern, der es befähigte, durch Vertreibung 
fremden Thrannen feine Macht au. mad Augen: gu: gel⸗ 
d zu machen ( 18. Vi, 50.). | Ä 

: Bor dem troifchen Striege fonnke von bebentenden aus- 
irtigen Unternehmungen wohl kaum die Rede fein 


. 6* 
H Daher auch Pindar und Eupolis ben Peiſiſtratos, wie ben Kies 
‚nicht Zyrann, ſondern König. uenuen: Schol. Arist Ach. 61. 


378 Thukydides. Kap.. 13. 


(3.), ‚weit. Ranbzüge und Wauberungen alle kriegeriſche 
tigkeit. in Anſpruch nahmen (5. 8.). Erſt nachdem fir 
Art von Principat: unter den helleniſchen Stammeshaäupten 
bilbet hatte (9.), war Der troiſche Feldzug denkbar: für 
Beit ein ‚großartiges Unternehmen, doch aus Mangt 
Hülfsmitteln an fih nur unbedeutend (10: 11.). In de 
genden. Jahrhunderten wirh’’aller Unternehmungdgeiit ı 
in Heinen Gränzkriggen zerfplittert (15.) 5: ganz: befonders 
die Tyrannen, um. ihrer eigenen Sicherheit willen, auf I 
riſche Großthaten Verzicht: Leiſten müſſen (17.). Oeſto 
tiger. war das Gepicht /der⸗Perſerkriege, wır zwar ber | 
nad. Rafelämon. nad Gommendo. führte in. der at 
Authen entſchied (183. 

Von dieſer Kraftentwicklung nach Junen und Auße 
die Seæm acht ſowohl eine Urſache, als eine, Wirkung 
Ans: der allgemein. verbrojteten ‚nnd ritterlich betriebenen 
wviuberen (3.), woran die harbariſchen; Inſtlheꝛwohner nid 
ringeren Theil nahmen (8), erhob ſich zuerſt Die Seemad 
Minns,,. die jenem Unweſen größtentheils ein Ente ı 
&) )... Späterhin beſaß Mykene die Herrſchaft des 9 
(9.) 3. ſo unvollkommen auch aus Mangel an Vermöge 
Schiffe damals nad) ſein mochten (10. 11.). Nach der 
Lichen Ansrottung des Seeraubes ging die Uebermacht zu 
von ‚einem großen: Haudelsſtaate auf .den andern. über: 
den- Korinthieen 2). auf Die Jonier .(AB.)5:..von. Diefen au 
ſikeliotiſchen Tyrannen und die Einwohner non Kerkura ( 
immernoch mit Geringfügigkeit. der äußern Hilfsmittel, 
wohl man ſchon damals die Juſeln als eine Leichte Bau 
eriten Seemacht betrachten Tomte (15 fg.). — Sch 


— 





— — — 


1) Herodot's Forſchungen hatten hierüber zu einem ganz 
Refultate geführt: 4, 171. Vgl. indeſſen auh Aristot. Polit. 


3) In Korinth Famen die erften Dreiruder auf: I, 13. 


6. 1. Vorrede. F. 2. Einleitung. 379 


nos Zelt. war derfelbe Fall geweſen. Schon Minod Hatte 
e Einkünfte hauptſächlich aus den: Inſeln gezogen (4.); 
ſeit ber Atilage der erſten Kolonien., : welche Athener und 
loponneſier nach entgegengefeten: Richtungen bin vornah⸗ 
s, woar dieſe Bedeutung ber Marin⸗ og unendlich geſtei⸗ 
t worden (12). 

An eigentliche Bünd nifge: hat PER jcdoch im Anfange 
wenig zu denktn, daß ſelbſt der: gemeinſchaftliche Rame des 
tzen Volket cniiq ſpät erſt auflam.“ Nur. die: Sprache 
bete ſchon ein Nationalkand (3.7. Die erſte Ahnnung.eined 
ĩter verbreiteten. Parteinehmens brachte der berühmte Sitäbtes 
Sg auf Enbde (18.). - Nach dem Berferkriege jedoch, wenn: 
u eine Furze Friſt noch der Gefammtbund der Hellenen fort 
werte, wurde dad ganze Volk in die Bündniffe der Athener 
n :Sutehfinonier geteilt (18.). Die Letztern warn Anfüh⸗ 

von gleichberechtigten und gleichconſtituirten Bundesgenoſ⸗ 
°5° die Erſtern Dagegen Herrſcher von’ zinspflichtigen Unter⸗ 
wien 1), Stärker mar der aetheuiſche Bund, aber dauerhaf⸗ 

„tet Iateoännniihe, | | 


8. 2. 
Giäleitun g. 

In dem zweiten Abſchnitte wird der Sagenſat von Athen 
Id Sparta in höchſter Schärfe feſtgehalten. Auch viel aus⸗ 
hrlicher noch, als in der Vorrede. Sehr ſchoön läßt Thuky⸗ 
bes feine Abſttze bis zum Kriege ſelbſt immer ſtufenweiſe an⸗ 
wellen. Der Hauptbeſtandtheil dieſes Gemäldes iſt nach 
ukydideiſcher Art durch die Vergleichung des Themiſtokles 
it dem Pauſanias rahmenartig eingeſchloſſen (89 ff. 126 ff. ). 
n der Mitte bildet wieder das fiebenundneunzigſte Kapitel eis 


—— — -. —— — — — — 


2). 39: vgl. 1, 75 ff. 


568 Thukydides. Rap. 12. 


unmittelbar von Sntereffe tft; daß aber von Sparta dai 
nere beinah völlig unberührt Bleibt. — Was die Rede 
teifft, auf Die ſich Gervinus zu ftüßen fucht, fo wird er f 
ſächlich die. erſte korinthiſche Rede In Sparta damit ge 
haben (I, 68 fi.). Bier findet fich allerdings eine Baı 
zwifchen Athen und Lakedämon, melche ungefähr mit Ger 
Worten Fünnte bezeichnet werben. Aber man bedenke doch, 
find Vorwürfe der Korintbier! Ste werben beibe 
nachher berichtigt: fin die Athener in der Leichenzebe, fi 
Lakedämonier durch Archidamos. Da nimmt denn jener 
genſatz eine ganz andere Farbe an. Bel aller Yülle f 
die perikleifchen Athener durchaus auch das Maß; und die 
gooousn ber Lakedämonier wird man durch Entbebrung 
überfeßen können. — Am allerwenigſten auf die Weiſe, 
Gervinus fortfährt: wo das Chriſtenthum als eine Ar 
meiterung des Kynismus und ber Stoa erfcheint. Sind 
im Chriſtenthume felbft ganz ähnliche Gegenſätze aufgen 
welche die Tatholifche Kirche insbeſondere - alltäglich darl 
Auch gehören ja weder Kynismus, noch Stoa den Lake 
niern an, fondern beide demſelben Athen, deſſen Antipod 
doch ſein ſollten. 

Aber, wie ſich denn von Gervinus nicht anders ern 
läßt, eine bedeutende Wahrheit liegt doch zu Grunde. | 
dings hatte der Athener eine größere Yülle von Bedürfn 
Sede höhere Bildungöftufe, Törperlich und geiftig, beim 
zelnen, wie beim Volke, hat mehr Bebürfniffe, als dir 
dere. Diefe Vermehrung der Bedürfniſſe iſt ebenfo gr 
Urfache, als die Wirkung der Höhern Bildung. Das: ill 
zu allen Zeiten fo geweſen, nichts für den peloponnef 
Krieg Charakteriſtiſches. Bine Haupterfcheinung dieſes Kri 
von Thukydides vorzüglich hervorgehoben, iſt das GStrebe 
Lakedämonier, auf atheniſche Art ihre Bedürfniſſe zu ſteit 
der Athener, durch Uebertreibung ihrer Bedürfniſſe aui 
Bildung in die Verbildung überzugehen. Gerade dieſe 


F. 4. .Sröße. des peldyonn. ‚Krieges. ‚309 


wen, wie ich tiefer unten zeige, XBiort-Für. Wort ans dem 
hiikdides zeige, haben Den: Krieg enttdhiedene.ii: 7: .:: 


ni Dalten wir und eütfach any die orte ed, Chu tube | 


B,:. fo hat er aus dreietlei Gründen, der peloponneflichen 
Weg: füx. den gewichtigften von: allen. augeſehen : 15.  : ©: 
Wi: Weil ‚bei feinem: Anbeginn beide Hanptlänmpfer in 
Beziehung, zaowoseun. ei nacn, auf.der: Höhe ſtan⸗ 
XL: 1). Die Athener. allän waren damals ſtürker,: alb 
bie: gewaltigſten Bündniſſe (I, 19.), namentlich ſtärker, 
früher ſelbſt Die: perſiſche Dlonguchie (1,:68;) 1). So ver⸗ 
auch. Archidamos, die Peloponneſier ſeien niemals mit 
er größern Macht in's Feld gezogen CH, .). Jedenfalls mar 
kriegeriſche Sinn und die Macht beider Parteien ſeit dem 
erkriege noch duch die Kämpfe untereinander gewachfen 
18.). — Und das ganze übrige Hellas nahm theils fo= 
„ teils im Verlaufe: des Krieges an deſſen Führung Theil 
|1:)2.. einer tief begründeten Rothwendigkeit gehorchend. 

















en, Thrakier und Makedonier, Sikelier und Tyrrhener 
mit in. dei Strudel gezogen. Die ganze Oſthälfte des 
Htelmeered ertönte .non Kriegolärm. 
Br Weil dieſer Krieg. länger: währte, Pr irgend ein 
rnamenilich änuger, als der perſiſche (I, 23.). Wie 
uch. dem Wachſen der Kräfte auch das Bedürfniß 
wochfen pflegt, ſie tm: Kampfe anzuwenden (I, 2.): fa 
der Krieg, worin die höchſten Kräfte von Hellas ge⸗ 
t wurden, auch der hartnädigfte und größte fein, Dieß 


„der ee Eifer fich in. der golge abkühlte (h 120: 440. 
8). 

; 6. Beil dieſer Aria ben deicutn das f gti ie 
1. to in Eh GEBR BI me RT 

— — id 4.. on tn io year ie. sl 


») m: Blzug anf bie Agent FOR m Ba: et NR 
24 


5: die: Barbaren wurden; mitergriffer (I, 1.). Perſer und 


° 


der. Sol, fein, obgleich: auch hier, mie es zu gehen - 


370 “ur i7Ihukholbed. Kay. 12. 


Heil ante). Meberhanpt aber weiſt Thukydides 
Hin, dag Alles, wad in dieſem: Kriege beſonders ned 
ſchien, :aıck in Der: gakzen helleniſchen Geſchichte das 
würbigfte feiner Art gavefen.) ..&s war z. E. bie Ser 
von Sybota die igrößte, welche Hellenen gegen Hellen 
dahin geliefert: Batten (I, 50.)3. war indbefondere der fi 
ſche Yeldzug:ber koſtbarſte, der, von Hellenen ausgerüſt 
den „: und. der verwegenite: inisjeinen ‚Hoffnungen (VL 
die ſyrakuſiſche Niederlage aber der ‚größte bis dahin A 
Glückswechſel (VII, 75.), glänzender für den Sieg 
elender für. den’ Beſiegten,, als die fruhere Geſchichte d 
lenen ſemals oclannt hatte 3 | 


s | 8, 5. 
Abuorduung der Materie. 


Ich Gabe Kon früher auf die vier Ha untfade 
gewieſen, in welche ſich das große: Gewebe des thukydil 
Werkes auftrennen läßt: der Verfall der politifchen Gel 
das muthige Streben in Die Kerne, das Liebergemicht il 
und die Herrfchaft über Die Bundeägenoften. — Mir 
mwahrfcheinlih, Daß fie in. Thukydides Seele,. bevor er. 
eigentliche Abfaſſung feiner Geſchichte ging, abgefondert 
gen. Jedenfalls aber hat er fie. dam mit außerorde 
Kunft zuſammengearbeitet. Dieß erfolgte ſchon dadurch 


den . 
„os . ’ vw. . 


1) L, 2: vgl. III, 112 fg. VII, 29 fa. —- Darum wich 
eröffnet mit einer wie tragifh Tlingenden, Weiſſagung: dieſer 
werde den Hellenen Anfang großen Verderbens fein m, 12.). 
Aristoph. Pax 437 cum Schol. 


2) VII, 87:' vgl. 70. _ Hätte Thukydides die Sqhlacht 
Arginuſen noch mit aufnehmen können, er hätte gewiß die Ber 
nicht unterdrückt, daß bier bie größte Seeſchlacht von Hellenen 
Hellenen überhaupt geliefert worden. „Vgl. Diodor. XIII, 98. 


F. 5. Anordnung der Materie. 371 


Me weit den äußerlichen Thatfachen gleichſam wieder beklei⸗ 
„ mit denfelben Thatſachen, woraus er fie früherhin ger 
men. hatte. Hiermit wurden bie Faden von felbit in ein⸗ 
— ſie traten für's Auge zurück, was den unbe⸗ 
men Genuß der Lectüre erhöhet, den Kritiker aber, ſie 

x. aufzufinden, anreizt. | 
Bi dieſer Verflechtung ift Thutydides jedoch bemühet, 
3 irgend angeht, Ruhepunkte und Durchſichten 

Men Leſer zu eröffnen. Das Hauptmittel Hierzu, wie ſchon 
ber: gezeigt, ſind die Reden, die überall, vornehmlich aber 
Fwo jene Baden einander kreuzen, Vergangenheit und Zus 
Br organisch mit einander zu verbinden fuchen. Was indeß 
t weniger dazu beiträgt, iſt der Umfland, daß Thukydides 
B:einer jeden Reihe ähnlicher und alfo zufammenhängender 
benheiten immer die erite, die wichtigſte und Die letzte be= 
8 hervorhebt 1). Hierdurch wird e8 möglich, jedes grö⸗ 
Wreigniß, bevor es eingeführt wird, erſt allmählig vorzu⸗ 
Hierdurch gelangen auch die einzelnen Gruppen ſei⸗ 
Beichichte, gleichfam Die Acte und Scenen des großen 
erſpiels, zu einem beſondern Abfchluffe, der Häufig fogar 
ein sefrainartiged Zurüchveifen verdeutlicht iſt. Derglei⸗ 
ERefraind find der ganzen Altern Kunft eigenthümlich, vor 
dem Aeſchylos 2). Schon bei Euripides verliert das 
Krophiſche an Bedeutung. Bo der platonifche Protagoras 
ı ſowie in den Fragmenten des Demokritos finden wir 








1): Das alle Jahr gleichmäßig Wiederkehrende, alſo Uncharakteriſti⸗ 
p. ſucht Thukydides nur einmal zu geben. So z. B. nur Eine Leis 
pe. Bol. auch II, 31. 

2) gl. Schneider De epiphthegmaticis versibus Aeschyli. 
— Bei den Zauberliedern, Prophezeiungen u. f. w. blieben fie 
* üblich, weil diefe am längften nach Alterthümlichkeit ftrebten. 
krit's Pharmakeutria, Catull's Hochzeit der Thetis, Virgil's 

ut Ektloge u. ſ. w. Vol. K. DO. Müũüller's Eumeniden, ©. 91. 
Ei) Platon hat in ſeiner Darſtellung die wirklichen Reben und 
’ iften bes Protagoras ohne Zweifel nachgebilbet. 


24* 
| 
} 


f 
























572 Thulydides. Kap, 12. 


zahlreiche Refrains. Bon demfelben Verfahren Bei Thukee 
haben wir einige Beiſpiele ſchon in den Epiſoden kennen 
lernt; auf andere werde ich gelegentlich auſmerkſam machen 
lewinch kommen jene Faden, welche durch Die müß 
Verarbeitung den Auge waren entrückt werben, ſoweit d 
thig ift, wieder zum Vorſchein. Dieſe Spuren ſetzen 
den Lefer am beiten in Stand, die eigentliche Dekonomie 
Werkes kennen zu lernen. — Was endlich die ſchoͤnſt 
- einigung dieſer verſchiedenen Momente hervorbringt, 
das fortwährende Stechen des Verfaſſers, wo es nur am 
in den einzelnen Reden und Erzählungen ein analoges 
de3 ganzen Krieged nieberzulegen ). Damit merben bie 
zelnen Scenen, fo lebendig und abgerundet fie auch gan, | 
Zwecke des Ganzen doch ſtreng untergeordnet. — Wi 
fennt aber aus dieſer vwerwidelten und mühfamen Vreg 
tung, daß Thukydides von Nichts in ber Welt ferner 
ald von einer falfchen Gelehrfamteit, welche. ber firan 
Form, und von einer falfchen Genialität, welche Der. wei 
fin Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren zu Fünnen. 
Wie es aber nicht felten bei großen Meiftern der Fall 
fo verbirgt fih auch beim Thukydides die überlegtefte & 
unter fcheinbarer Kunftlofigfeit. . Mit großer 3 
Hält ex fih an die Chronologie ſeines Gegenſtandes, vie 
nicht bloß Jahr für Sahr und nach Sommer und Winter 
folgt, fondern in der Negel auh Monat für Mionat. € 
die Einleitung ijt mit chronologifcher Strenge abgefaßt. 
Diefe Anordnung bat von jeher manchen Tadel erfahren, | 
Dionyſios Epiftel an den Pompejus bis auf Greuzer ha 
ter. Und in der That, fie erfchwert das Studium 


u 


| 
) Bol. Er. Schlegel’s Geſchichte der griechiſchen und eh 
Poeſie I, 1, ©. 171., der etwas Aehnliches bei Homer bemerkt, & 
für eine homeriſche Eigenthümlichkeit hält. Es ift jedoch mehr 
weniger allen großen Künftlern gemein. 








te veg geetegeg fest weht 
a8 cite tier ven Leſet MB Kan I 
näher And täßer Alten Sitte entgegen ‚Ste Vorede 
n en bon bet ’fehiheften bis 

1-83). Sierzi" gehbien 
ii Sihpotches Die Ein 
Ming (8117,), Acht ) Sheet anrel · 
8," VPedt die Euhoiefing bei "Favar%is All den pele⸗ 
Srmeffähen: Ser tt,” STH Fäfgen "eHbtich "bie Werde 
He 8 Wege pm guͤche ſabſt Or 











— a er 





127. 139—146.). — Daß der dritte Abſchnitt zwiſchen 
n exften und zweiten, eingeſchoben worden, tabelt fon Dies 
lo? Ooch! witd der Le Asch "gteiii: ai ei bramatir 


e Baie ‚glei m mitten in bie Sache geflnzt, Auch ne 
mg bntaffee, Be, Fhüfnbieg. Se, Wiheftur 





Schgehe bei· hein setften Bucht Tele" mittinter zu SWerke; um 
en Leſer zur eigenen Analyſe der folgenden beſſer anzuleiten. 


37% Chukydides. Kap. 12. 


felten vollkommene Ucberfeer find. Von Kratippt 
plementen fehlt jede nähere Nachricht. Iſokrates mun 
Theopompos wegen feines ftürmifchen Charakters a 
kydides Gefchichte fortzuſetzen; Ephoros, der gel 
hige Dann, follte Die frühere Geſchichte Bearbeiten. 
ſollten alle drei Bücher nach Iſokrates Idee zufem 
griechifche Univerfalgefihichte Bilden. — Auch Xeno 
Helleniten wollen ben Thukydides ergänzen, mit e 
feines Vorgängers, Boch nicht ohne Seelengröße. 
niftifche Sinn des Xenophon Tonnte ſich nicht Bar 
daß Die Schickſale von’ Athen Hauptſache im pelopo 
Kriege fein follten. Ihm ſchien Die Uebermacht var 
mon deſſen wichtigſtes Reſultat zu ſein. Man ver 
Reden VI; 5, 38 ff. und VII, 1, pr., ſowie de 
des ſlebenten Buches. Hier wird ein großartiger Rü— 
die Kämpfe von Athen und Sparta geworfen, auf il 
mittel, — natürliche Beſchafſenheit, Ausbildung ber 
und Stät won oben her — auf ihre myithiſche Geſch 
wechſelſeitige Bedürftigkeit. Thukydides hatte begon 
Athen und Sparta einander noch ziemlich gleichſtande 
phon ſchloß, als ſie nach buntem Wechſel der V 
wieder gleich geworden waren. | 





te des — Pr Kopf 
Be Si ae tt Yin fer 





}. jet fer Bi „a 
Feige" it ei In 6 HN Siegil" geibren 
Modert don og Li! fr n degoR;” DOM: Ein⸗ 
G8117 he & bie Senf Hortesentfone anrel⸗ 
fegt die Shttüng berfeken“ daren den velo⸗ 
Gen Sc ſon in “Fofgen Abt "He Wear 
87 un Wengen Hm Kuͤcze fäbſi (IB 
139—146.). — Daß der dritte Abſchnitt zwiſchen 
ten und zweiten, eingeſchoben werben, tabelt fon Dio⸗ 
"Doch witd der Hefte dich — * auf echt dramatir 
‚eife, gleich mitten in die a ae d 








DaB ER BR) 


Sch alte bei-dein :erften Bucht Tee: beiniliet- zu Werke, um 
© zur eigenen Analpſe der folgenden beſſer anzuleiten. 


376 Thulydides. Kap. 13. 


riker gern in Form einer ſpartaniſchen Rede gegeben, 
würde fie am rechten Orte ſtehen. Für eine Rebe ii 
das Ganze zu ſehr entwickelnd, zu wenig fchildernb: ı 
als Rede unendlich vielen Raum gekoſtet Haben, 


8.1. 


Borredbeh. 


Um fine Sppuche eine für. Ficn heftehende Menu 
verleihen, hat fie Thrikydides Dur. Ehörterumg fein 
ſchriftſtelleriſchen erfahren: Hipigr 2a varu, ugeid 
1. %0 fi.) ; fie zugleich auch nach dem durchlaufende 
ten von der Größe bes Krieges angeordnet 2). 

Was Hier num zunächit das innere Wachſen 
Sg, Staaten aubetrifft,, To,fürden wir die äftejter 
ag A — von den, bare nur wel 
Tin en. CB te, Unftäi 
ee: Sauftommen, tie 
bu, une, Veckehts überhau 
Art au Lande und „au, an era 
in, den, fruhtbarfien, und eftgeleg 
Klühen, großr Städte von ägtich, 
gegen ‚blieb, ‚yon Alterg her dieſelbe 
aus ar I A ‚fie 













BR ur, Raul 
ten None; mach 
d ſchafun 
7). Du ! 
Üferung: inn 
in Mende ‚ar & 









e das — ige'au"Helfin ver 
dein Leför am Wenthichfben werden,” wenn'car aue dan Mittelatt 
ern Völker eine politifhe, militärifhe und öfonomifhe Par 
ben zu zeichnen fucht. 

>) Auch „hierin fimme Dewokod wit ıdem. Thukydit 
(V, 58.). EEE Er Er 7? Po een 





51 Bormebei):. . 577. 


> 262): AR daher: ſpüter UAberall das gend: Intereſſe 
Bwähenihar Meichen; und Machtigen Die: Hexrſchaft 
BL are in Attika den: weiſe Tostegs ,ruels 
wirch: die ¶Gruudung ſeinen Hauptſtade die fpätere Ein⸗ 
I und Größe beſpuders vorbereilete (II, 45.). DR, 
Hellas gelantte erſt ſpat, erſt nach dein troiſchen Kriege 
wc Souſolidirung ſeiner Völkerſitze (12.). — NMun war 
wilederum Die. exſte Stadt, die nit den Waffen zugleich 
⸗ rauhe Sitteider: Alteſten Zeiten: ablcgte :. freilich num, 
von Neũuem izu eier rauhern Kraft zurückzickehven. 
amonier Jeichneten- fit" gfntihgelitg:ırcch” · achtetiſche 
et aus.: Hier alfo: dee. eyſte⸗ Gegenſttzdieſet belben 
hte: Feinheit auf der einen, Stumge auf der andern 
Wir.y; Wahrend Aͤberall der Wohlfland znaltır ;“ ging 
Hetrſchaft der ‚Könige in die neue der Tyramen über 
jr ſelbſt An Athen, wo der erſte Verſuch allerdingð miß⸗ 
* 126.),ſpater jeboch dad Regiment des Beifiträtos 
volles Menſcheualtet zu Y@tatide kam. Dleſe:Myran⸗ 
* a Milbe wid Geſezlichken,“ ſowie an weiſer; the 
Bde: athrniſchen Staates voͤllk ommen würdig, eint Vor⸗ 
pe. "ber perilleiſchen Werweltung. genannt: zit: wetden 
SLR.) . Nur Labkedlimon blieb feiner alten Verfaffung 
wie: ed auch in der Bauart Teiner Stadt: ganz. den Cha⸗ 
er der: älteſtrn Anfievelungen fofgehalten hatte (I0.). 
(Bit von Tyrannen unberührt, wanted: derſelbe conſerwa⸗ 
Geiſt im Simmern): ber es befähigte, durch Vertreibung 
fremden Tyrannen ſeine Macht auch mad Außen. wi ‚geb 
qu machen. (18. VI, 58,).. 
Bor dem troifchen Kriege Fonnie von berentenden us⸗ 
rtigen Unternehmungen wohl kaum die Rede ſein 








2 F — “ t " 
n Daher auch Plndar und Eupolis ben Peififtratos, wie den Kies 
nicht Tyrann, ſondern König. nennen; Schol. Arist Ach. 61. 


378 Thukydided. Kap. 13. 


(3.), weit Raubzuůge und Wauderungen alle kriegeriſche 
tigkeit in Anſpruch nahmen (5. 8.). Erſt nachdem fid 
Art von Brineipat: unter den helleniſchen Stammeshäupter 
bildet batte (9:), war der troiſche Feldzug denkbar: für 
Zeit ein ‚großartiges Unternehmen, doch aus Mlange 
Hüulfsmitteln an fi nur unbedgutend (10: 11.). In de 
genden. Jahrhunderten wird aller Unternefmungdgeift 1 
in. kleinen Gränzkricgen zerfglittert (15.) 5: ganz: beſonders 
die Tyrannen, um ihrer ‚eigenen Sicherheit willen, auf 1 
riſche Großthaten Verzicht Leiſten müffen (17.). Deſto 
tiger. war dad Gewicht /der Perſerkriege, wo zwar der 
nach Lakedämon. bad Conunando. führte, in. der Ahat 
Athen⸗ entſchied ((8). 

Von dieſer Kraftentwicklung nach Junen. und Außer 
die Seemacht ſowohl eine Urſache, als eine Wirkung 
Ang: der allgemein. yerbrojteten und ritterlich betriebenen 
wiuberel (3.), woran die harbariſchen; Inſtelbewohner nid 
ringeren Theil nahmen (8), erhob fich zuerſt die Seemach 
Minos, die jenem Unweſen größtentheils ein Ende u 
(4.) ).. Späterhin beſaß Mykene die Herrſchaft des 2) 
(9.)3. ſo unvollkommen auch aus Mangel an Vermöge 
Schiffe damals nad) fein mochten (10. 11.). Nach der 
Lichen Anörottung des Seeraubes ging die Uebermacht zu 
von ‚einen großen. Handelsſiaate auf den andern. über: 
den- Korinthiern 2).auf die Sonier.(43.)5:..von Diefen au 
ſikeliotiſchen Tyrannen und die Einwohner non Kerkura ( 
immex:noch mit Geringfügigfeit. der äußern Hülfomittel, 
wohl man fehon damals die Inſeln ala eine leichte Deu 
eriten Seemacht betrachten konnte (15 fg.). — Sch— 


‘’. 


— ⸗ 





— — 


1) Herodot's Forſchungen hatten hierüber zu einem ganz 
Reſultate geführt: 1, 171. Bol. indeſſen auch Aristot. Polit. 


2) Zn Korinth kamen bie erften Dreiruber auf: I, 13. 


$. 1. Vorrede. 6. 2. Einleitung. 379 


nos. Zelt: war derſelbe Fall geweſen. Schon Minod Hatte 
e Einkünfte hauptſächlich aus den. Inſeln gezogen (4.); 
ſeit der Anlage dee erſten Kolonien,: welche Athener und 
vVponneſier nach entgegengeſetzten· Richtungen Hin vornah⸗ 
u, war Diele Bedeutung der Marine “ng unendlich geſtei⸗ 
t worden (12.). 

An eigentliche Bünd niſfe: hat man jchoch im Anfange 
wenig zu denktu, daß ſelbſt der: gemeinſchaftliche Rame des 
ser Volkes eniic ſpät erſt auflam.“ Nur. die Sprache 
bete ſchon ein Nationalband (3.). Die erſte Ahnung eines 
ter verbreiteien Parteinehmens brachte der berühmte Städte⸗ 
ig auf Enbda (15.). Nach dem Perſerkriege jedoch, wenn 
H eine kurze Friſt noch der Geſammtbund der Hellenen fort 
zerte, wurde das ganze Volk in die Bündniſſe der Athener 
ne Quick (18.).: Die Letztern waren Aufüh⸗ 

von gleichberechtigten und gleidheonftituirten Bundesgenoſ⸗ 

die Erſtern dagegen Herrſcher von’ zinspflichtigen Unter⸗ 
niet 1), Stätker mar der atheniſche Bund, aber dauerhaf⸗ 

rer Wetalnoniiäe, | | . 


8. Fe 
Ei nleifun g. 

In dem zeiten Albſchnitte wird der Gehenſeß von Athen 
v Sparta in höchſter Schärfe feſtgehalten. Auch viel aus⸗ 
hrlicher nach, als in der Vorrede. Schr fchin läßt Thuky⸗ 
des ſeine Abſatze bis zum Kriege ſelbſt Immer ſtufenweiſe an⸗ 
jwellen. Der Hauptbeſtandtheil dieſes Gemäldes iſt nach 
ukydideiſcher Art durch die Vergleichung des Themiſtokles 
it dem Pauſanias rahmenartig eingeſchloſſen (89 ff. 126 ff. ). 
n der Mitte bildet wieder das ſiebenundneunzigſte Kapitel ei⸗ 


— — — —— — — 


1)- 19: vgl. 3, 75 ff. 


572 Thulydides. Kap. 12. 


zahlreiche Refrains. Bon demfelben Verfahren. bei Xt 
haben wir einige Beifpiele ſchon in den Epiſoden ker 
lernt; auf andere werbe ich gelegentlich aufmerkfam m 
Hlerdind kommen jene Faden, welche durch vie 
Verarbeitung den Auge waren entrüdt werben, ſowe 
thig ift, wieder zum Vorſchein. Diefe Spuren fet 
ben Lefer am Keften in Stand, bie eigentliche Dekon 
Werkes kennen zu lernen. — Was enblich Die ſchoͤ 
- einigung dieſer .verfchiedenen Momente hervorbrir 
das fortwährende Streben des Verfaſſers, wo es nu 
in den einzelnen Reden und Erzählungen ein analo; 
des ganzen Krieges nieberzulegen 1). Damit merber 
zelnen Eeenen, fo lebendig und abgerundet fie auch | 
Zwecke des Ganzen doch ſtreng untergeordnet. — 
kennt aber and dieſer verwickelten und mühſamen 
tung, daß Thukydides von Nichts in der Welt fer 
als won einer falfchen Gelehrſamkeit, welche der 
Form, und von einer falfchen Genialität, welche de 
fien Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren zu Eiı 
Wie es aber nicht felten bei großen Meiſtern der 
fo verbirgt fih auch beim Thukydides Die überlegte 
unter fheinbarer Kunſtloſigkeit. Mit groß: 
Halt er fih au die Chronologie feines Gegenftandes, 
nicht Bloß Jahr für Jahr und nach Sommer und W 
folgt, fondern in der Regel auch Monat für Monat. 
die Einleitung ijt mit chronologifcher Strenge abge 
Diefe Anordnung. bat von jeher manchen Tadel erfaht 
Dionyfios Epijtel an den Pompejus big auf Grenze 
ter. Und in Der That, fie erfchwert dad Studi 


1) Bol. Sr. Schlegel’s Geſchichte der griechifchen und 
Poeſie I, 1, S. 171., der etwas Aehnliches bei Homer bemerft, 
für eine homeriſche Eigenthümlichkeit hält. Es ift icdeqh n 
weniger allen großen Künftlern gemein. 


$. 5. Auordnung des Materie. 975 


eydides außerordentlich. .. Ob fich indeſſen Thukydides Le- 
J zewünſcht bat, welchen dieſe Mühe zu ſchwer exrfcheint, 
A dahinſtehen 1). Auch jſt die zerhackte Erzählung der er⸗ 
Bucher 2) im. Gegenfake mit den großen, geſchloſſenen 
en der letzten vortreffliſch pegignet, ‚den verſchiedenen Cha⸗ 
Jer der beiden Kriegshälften darzuſtellen 3). — „Soviel iſt 
g.;anittelft der chronologiſchen Ordnung wird et engerer 
uß am die Wirklichkeit erzielt. Nun bin ich zwar weit 
‚nach, dem Grade, wie ein hiſtoriſches Werk den Ges 
eindruck der zu. Gruude liegenden Wirklichkeit wicder⸗ 
|. ‚Immer. auch ſeinen Kunſtwerth beſtimmen zu wollen, 
—— würde ich ‚für, das höchſte, mir bekannte 66 
erk Caͤſar's gallifchen Krieg erklären müſſen: ein Buch, 
ich doch alaube nachweiſen zu Türmen, daß es nur von 
dand eines Andern, vielleicht wenig Berufenen aus Cä— 
AZahresherichten an den Seat iſt zufanumengeftellt wor⸗ 
a. Aber ſoviel bleibt doch ‚ausgemacht, die Congruenz mit 
Wirklichkeit muß nicht bloß. für ein Haupterforderniß, 
Fix die unerläßliche Bedingung des Oiſtorikers gelten. 
ceuer dieſer, nach ber ſtarkſten geiſtigen Verdauung ſeines 
Wii „die urſprüugliche Geſtalt deſſelben wiedergiebt, deſto 
he wird er Lob verdienen. 
Ein Autor von fo jtrenger Einheit iſi natürlich ſchwer 
tzuſſetzen, am ſchwerſten von einem andern großen His 
fer. Aus demfelben Grunde, weßhalb große Dichter nur 















2) Höchlt Telten wirb der Synchronismus verlegt, um ben Zuſam⸗ 
Bang ber Materie nicht zu flören: LI, 34. 


23) Bgl Dionys, De Mc. 8. 


3) Ein Beifpiel von Thukydides feiner Weberlegung finde ih u. X: 
nn, daß er Nilias Depefche nicht bei bem Zeitpunkte mittheilt, wo 
gefchrieben, fondern wo fie gelefen wird, alfo praktiſch wirkfam aufs 
E(V31,10f.). Nicht wahr, ein Tchönes Zeugniß, wie lebendig er die 
chichte auffaßte! 


374 Whukhdides. Kap. 12. 


felten vollkommene Lcherfeer find. - Von Kratippos 
plementen fehlt jede nähere Nachricht, Iſokrates munter 
Theopompos wegen feines ſtürmiſchen Charakters auf, 
kydides Gefchichte fortzuſetzen; Ephoros, der gelehrt 
hige Mann, follte die frühere Gefchichte Bearbeiten, | 
follten alle drei Bücher nach Iſokrates Idee zuſamme 
griechiſche Univerſalgeſchichte Bilden. -— Auch & enop! 
Helleniten wollen den Thukydides ergänzen, mit Berk 
feines Vorgängers, doch nicht ohne Seelengröße. 
niftifche Sinn des Xenophon Tonnte ſich nicht darin 
daß Die Schickſale von Athen Hauptfache im pelopomn 
Kriege fein follten. Ihm ſchien die Uebermacht von -A 
mon deſſen wichtigſtes Reſultat zu ſein. Man verglei 
Reden VI; 5, 38 ff. und VII, 1, pr., ſowie den | 
des ſlebenten Buches. Hier wird en großartiger Rückb 
die Kämpfe von Athen und Sparta geworfen, auf ihre 
mittel, — natürliche Befhaffengeit, Ausbildung der M 
und Stüt von oben her — auf ihre mythiſche Geſchich 
wechſelſeitige Bedürftigkeit. Thukydides hatte begonnei 
Athen und Sparta einander noch ziemlich gleichſtanden; 
phon ſchloß, als ſie nach buntem Wesſel der Dei 
wieder gleich geworden waren. 


2 te des Sees ao ri erſt mit dem De 
he: Duüs erſie eat den Leſer in bier atüßen 46: 
me Yin EN Affen, Biete entgegen. Die Vorrede 












23). Hierzu gehdren 
n Hu Selen Die-Einz 
u 9 Mode anrei⸗ 
et die Eee Have ven pelo⸗ 
Öfen SKcieg fort.” Siechif Folgen ig Veranlaſ⸗ 
hi 487.) und VWorbaeltimgen zum Kiuͤcge felbſt (118 
. 139—146.). — Daß der dritte Abſchnitt zwiſchen 
erſten und zweiten eingeſchoben worden, tadelt ſchon Dio⸗ 
Doch witd der Leſer An —* — auf echt dramatie 
Bee, ‚glei mitten in bie Sache geführt, Auch it es 
Yu Sharafker, N m 
der aigeniigen Drama u) site der -Siftos 

rn. Nun ee Bu 2 


ı 


Rn Ich gehe bei ·dein verften Bucht ehe detaillirt zu Werke, um 
derfer zur eigenen Analyfe.der folgenden beffer anzuleiten. 











376 Thulvdides. Kap. 13. 


riker gen in Form einer fpartanifchen Rebe gegeben, w 
würde fie am rechten Drte fichen. Für eine Rede indef 
das Ganze zu ſehr entwickelnd, zu wenig ſchildernd: e& 
als Rede unendlich vielen Raum gekoftet Haben; 


z. 1. 


Vorrede)y. 


———— Aria 
verleihen, Hat fie Thukydides duch Grörterimg feineß e 
fegeifteeeifen Merfapırnd: Ania don va. elgefilef 
1. 20 fi.) ; fie zugleich auch nach dem durchlaufenden 0 
Een von der Größe des Krieges angeordnet 2). 

Was Hier nun zunächſt das innere Wachſen be 


Sie run ag ty, ſo finden wir Die äfteften H 
au Eitie zund ung bon, ben, baren, nur er 
ſhieden >. dr Unftätigkeit, alles. Sänderbefi es, di 
Batselandäfieke, ——— nficherheit alles 4 
thumg, und, Perlehrs überh nt F durch Rautzig 
Bro % Ra nude; machten, 
I andfehaften dad 
Kr Ju Al 
) Fr ferung: inncriit 
9 Hi at varie —J 














‚Kamen, Arch 





er be iühehungemdebige, Pr 3 n Biete hu 
ſche Kichäötogte Sas "Sefegmähige, "Eefenttigerzu'Hkeffen verfteht 
dem Leſer am entlichfien werden, töeni'’eg'aus-bein Mittelalter d 
ern Völker eine politifhe, militärifhe und dkonomiſche Parallel 
ben zu zeichnen fucht. 


) Auch diern ſtimmt Seatoro⸗ weit ber. Thukydibes 
(V, 58.). Ren cu?) Vo en 


8 Bormebei:. 3577. 


ie (2.).Als Daher: ſpuüter Uberall das eigene Intereſſe 
Schwaächeen⸗dear MReichen: und Mächtigen die: Herrſchaft 
rließ (8) ;> da nie: vs in Attika der:weiſe Theſeuswel⸗ 
durch: die Grundung ſeinen Hauptſtadt die ſpätere Ein⸗ 
ht. und "Größe beſonders vorberellete (II, 45.). Duh 
Ige Oellatßz gelantztenerſt ſpit erſt nach heim teoifchen Kriege 
riner Sonſolidirung feier Völkerſitze (12.). —MNun war 
en wiesen Die. exſte Stadt⸗:die mit den: Waffen zugleich 
bie: rauhe Sitteider: älteſten Zeiten. ablegte :. freilich nun, 
ſpäter von Neuem zum einer rauhern Kraft zurückzickehren. 
ꝛ Eabedämoruer "zeichneten. ſichgleſchzeliige Vurch athletiſche 
ffachheit aus.Hier/ alſo⸗ ber. erſte⸗ Gegenſautz dieſer Beiden 
ichte: Feinheit auf der einen, Strengoauf der andern 
Re! (6.). Während überall der Wohlfland zunahnr ging 
Rote Herrſchaft der Könige in die neue der Tyrannen über 
5) 3: ſelbſt in Athen wo der erſte Verſuch allerding& miß⸗ 
ee CL, 126.).ſpater jeboch dad Regiment des Briffiträitos 
"Aa: volles Menſcheualtet zu !Stande kam. Dileſe: Tyran⸗ 
mar n Milde imd Geſeizlichkenr,“ ſowie an welſer; Fhrde⸗ 
ug: be: atheniſchen Staates voͤllkoimmmen würdig, eine Vor⸗ 
agerinn: ber perikleiſchen Verwaltung genannt’ zit: wetden 
3,544.) 2). Nur Lakedlmont blieb feiner alten Verſaſſung 
Ba, wie es auch in der Bauart feiner Stadt: ganz den Cha⸗ 
er Der: Altıflen Wnfievelumgen. - fölgehalten Hatte. (10); 
eldft von Tyrannen unberührt, war es derſelbe conſerna⸗ 
© Geiſt im FJurnern,der es befähigte, durch Vertreibung 
3 fremden Ryrannen: feine. Macht auch ad Außen hin gel⸗ 
Du machen (18: Vi, 50.). 
Bor dem troifchen Striege Tonnie : or : bebentenden aus: 
ärtigen Unteruchmungen wohl kaum die Rede fein 


» Daher auch Pindar und Eupolis ben Peififtratos, wie ven Kies 
a, nicht Tyrann, fondern König. nennen: Schoel, Arist Ach. 6l. 


378 Thukydides. Kap. 13. 


(3.), weil Ranbzüge und Waudernungen alle kriegeriſche 
tigkeit in Anſpruch nahmen (5. 8.). Erſt nachdem ſich 
Art von Principat: unter den helleniſchen Stammeshänpter 
bildet hatte (9:), mar der troiſche Feldzug denkbar: für 
Zeit ein großartiges Unternehmen, doch aus Mange 
Hüulfsmitteln an ſich nur unbedeutend (10. 11.). Sm de 
genden. Jahrhunderten wird aller Unternehmungsgeiſt v 
in kleinen Gränzkricgen zerſplittert (15.) 5: ganz: beſonders 
die Tyrannen, um. ihrer eigenen Sicherheit willen, auf! 
riſche Großthaten Verzicht: Leiſten müffen (17.). Deſto 
tiger. war das Gewiähtner-Perferkriege, . wır mar ber | 
nad. Zafeämon:. bad Cemmando führte, ‚tn. der Ahet 
Athen entichien (Ad... .: 

Von dieſer Kraftentiwisfung nach Inen. und Kufe 
die Sermadrt fomohl eine; Urſache, als eine Wirkung 
An: der allgemein, verbroiteten und ritterlich Betriebenen 
vuheral (S.), woran die harbariſchen Inſelbewohner nid 
ringeren ‚heil nahmen (8), erhob ſich zuerſt Die Seemach 
Minos,.. die jenem Unweſen größtentheils ein Ende n 
(4.) ).., Späterhin befaß Mykene die Herrſchaft des 9) 
(9.) 3. ſo unvollkommen auch aus Mangel an Vermöge 
Schiffe damals noch fein mochten (10, 11.). Nach der 
lichen Anusrottung des Seeraubes ging die Lieberinacht zu 
von ‚einen großen: Hanudelsſtaate auf Den andern. über: 
den Korinthiern 2). auf Die Jonier.(43.)5;..von. diefen au 
ſikeliotiſchen Tyrannen und die Einwohner non Kerkura ( 
immer'noch mit Geringfügigfeit. der äußern Hülfomittel, 
wohl man fchon damals die Inſeln als eine leichte Deu 
eriten Seemacht betrachten konnte (15 fg.). — Sch: 


— 





| — — 


1) Herodot's Forſchungen hatten hierüber zu einem ganz 
Refultate geführt: 1, 171. Bgl..indeffen auch Aristot. Polit. 


2) In Korinth Tamen bie erften Dreivuber auf: I, 13. 


$. 1. Vorrede. $. 2. Einleitung. 379 


nos Zelt was Derfelbe Hall geweſen. Schon Minod hatte 
e Einkünfte Hauptfählih aus den. Inſeln gezogen (4.); 
» feit der Anlage der exften Kolonien, : welche Athener und 
opunnefier: nach entgegengefehten: Richtungen Hin vornah⸗ 
. ‚war dieſe Bedeutung der Diarine “ng unendlich geſtei⸗ 

worden (12.). 

An eigentliche Bünd niſfehat man jedoch im Anfange 
wenig zu denken ,. daß ſelbſt der: gemeinſchaftliche Name des 
mer: Volkes Henlid fpät erſt auflanı. " Nur. die Sprache 
vete ſchon ein Nationalkand (3.). Die erfte Ahnung eines 
ter. verbreiteien Parteinehmens brachte der berühmte Städte⸗ 
g auf Enbda (15.); - Nach den Berferkriege jedoch ,. wenn 
h eine kurze Friſt noch der Geſammtbund der Hellenen fort 
uerte, wurde das ganze Volk in die Bündniſſe der Athener 
d: Oakedämonier getheilt (18.). Die Letztern waren Arifüh- 

von gleichberechtigten und gleichconſtituirten Bundesgenoſ⸗ 

bie Erſtern dagegen Herrſcher von zinspflichtigen Unter⸗ 
ai 1), Stärker war der een. Bund, aber dauerhaf⸗ 
der ialchicioniſche. 


er 
Einleitung 

In dem zweiten Abſchnitte wird Der Gegenfak von Athen 
d Sparta in höchſter Schärfe feſtgehalten. Auch viel außs 
brlicher noch, als in der Vorrede. Sehr ſchoͤn läßt Thuky⸗ 
bes feine Abſatze bis zum Kriege ſelbſt immer ſtufenweiſe au⸗ 
wellen. Der Hauptbeſtandtheil dieſes Gemäldes iſt nach 
ukydideiſcher Art durch die Vergleichung des Themwiſtokles 
it dem Pauſanias rahmenartig eingeſchloſſen (89 ff. 126 ff.)- 
t ber Mitte bildet wieder bad ſiebenundneunzigſte Stapitel ei⸗ 


1): 19: vgl. I, 75 ff. 


579 Thulydides. Kap, 12. 


zahlreiche Refrains. Von demſelben Verfahren bei T 
haben wir einige Beiſpiele ſchon in den Epiſoden ke 
lernt; auf andere werde ich gelegentlich auſmerkſamen 
Hierdurch kommen jene Faden, welche durch die 
Verarbeitung den Auge waren entrückt werden, form: 
thig iſt, wieder zum Vorſchein. Diefe Spuren fei 
den Lefer am beiten in Stand, bie eigentliche Dekan 
Werkes Tennen zu lernen. — Was endlich Die fchi 
- einigung dieſer verſchiedenen Momente hervorbri— 
das fortwährende Streben des Verfaſſers, wo es nu 
in den einzelnen Reden und Erzählungen ein analo 
des ganzen Krieged niederzulegen )Y. Damit merbe 
zelnen Scenen, fo lebendig und abgerundet fie auch 
Zwede des Ganzen doch ſtreng untergeordnet. — 
kennt aber aus dieſer verwickelten und mühfamen 
tung, Daß Thukydides von Nichts in der Welt fer 
al8 von einer falfchen Gelehrſamkeit, melche. der 
Form, und von einer falfchen Genialität, welche di 
fien Ueberlegung im Einzelnen glaubt entbehren zu fi 
Wie e8 aber nicht felten bei großen Meiſtern der 
fo verbirgt fih auch beim Thukydides die überlegte 
unter ſcheinbarer Kunſtloſigkeit. Mit grof 
Hält er fih an die Chronologie feined Gegenſtandes 
nicht bloß Jahr für Jahr und nach Sommer und Ü 
folgt, fondern in der Negel auch Monat für Monat. 
die Ginleitung ijt mit chronologifcher Strenge abg 
Diefe Anordnung. hat von jeher manchen Tadel erfah 
Dionyfiod Epiſtel an den Pompejus big auf Crenze 
ter. Und in der That, fie erfchwert dad Stut 


1) Bol. Er. Schlegel’s Geſchichte der griechifchen und 
Poeſie I, 1, ©. 171., ber etwas Aehnliches bei Homer bemerf 
für eine homeriſche Eigenthümlichkeit hält. Es ift jedoch 
weniger allen großen Künftlern gemein. 


$. 3. :Anorbnung bes Materie. 075 


ſakydides außerordentlich. Ob fich indeſſen Thukydides Le⸗ 
gewünſcht hat, welchen dieſe Mühe zu ſchwer erſcheint, 
g. dahinſtehen 2). ; Auch jſt die zerhackte Erzählung der er⸗ 
Bücher 3) im Gegenſatze mit den großen, geſchloſſenen 
ſſen der letzten vortrefflich geeignet, den verſchiedenen Cha⸗ 
der beiden Kriegshälften darzuſtellen 2). —. „Soviel iſt 
Ar: mittelſt der chronologiſchen Ordnung wird ein engerer 
on die Wirklichkeit erzielt. Nun bin ich zwar weit 
Beni, nach, dem Grade, wie ein hiſtoriſches Werk den Ges 
teindruck der zu Gruude liegenden Wirklichkeit wieder⸗ 
fr. er auch feigen Kunſtwerth beſtimmen zu wollen, 
| ** würde ich für das höchſte, mir bekannte Ge⸗ 
ahmerk Caſar's galliſchen Krieg erklären müſſen: ein Buch, 
fe ich doch glaube nachweiſen zu können, daß es nur von 
"rad, eines Andern, vielleicht wenig Berufenen aus Cäs 
Dahrebherichten an ben. Senat iſt zuſanmengeſtelit wor⸗ 
u. Aber ſoviel Plelbt doch ausgemacht, die Congruenz mit 
Bieflichteit muß nicht ‚bloß. für ein Haupterforderniß, 
1 7— die unerläßliche Bedingung des Hiſtorikers gelten. 
Merızes dieſer, nach der ſtqaͤrkſten geiſtigen Verdauung ſeines 
fſes,die uiſprüugliche Gſtalt deſſelben wiedergiebt, deſto 
e wird er Lob verdiegen. 
Ein Autor von ſo ſtrenger Einheit iſi natürlich ſchwer 
tzuſetzen, am ſchwerſten von einem andern großen His 
7. Aus demfelben Grunde, weſſhalb große Dichter nur 

















2) Höchſt felten wird der Synchronismus verlegt, um ben Zuſam⸗ 
Bang ber Materie nicht zu ftören: II, 34. 


%) gl Dionys. De Fuc. 8. 


» Ein Beifpiel von Thukydides feiner Meberlegung finde ich u, A 
u, daß er Nikias Depeſche nicht bei dem Zeitpunkte mittheilt, wo 
wichrieben, fondern wo fie gelefen wird, alfo praktiſch wirkfam aufs 
-(V14,10ff.). Nicht wahr, ein fchönes Zeugniß, wie lebendig er die 
hichte auffaßte! 


57% WThukydides. Kap. 12. 


. felten vollkommene Ueberſetzer find. - Von Kratippos 
plementen fehlt jede nähere Nachricht. Iſokrates munter 
Theopompos wegen feines ſtürmiſchen Charakters auf, 
kydides Gefchichte fortzuſetzen; Ephoros, Der gelehrte 
hige Mann, follte die frühere Geſchichte bearbeiten. € 
follten alle drei Bücher nach Iſokrates Idee zuſammen 
griechiſche Univerſalgeſchichte bilden. — Auch X enopfı 
Helleniken wollen den Thukydides ergänzen, mit Vecken 
feines Vorgängers, doch nicht ohne Sedlengröße, Der 
niftifche Sinn des Xenophon konnte ſich nicht darin fi 
dag die Schickſale von Athen Hauptſache im peloponneß 
Kriege fein ſollten. Ihm ſchien Die’ Uebermacht von La 
mon deſſen wichtigſtes Refultat zu fein. Mari: wergleid 
Reden VI; 5, 38 ff. und VE, 1, pr., ſowie den S 
des ſiebenten Buches. Hier wird ein großartiger Rückblie 
die Kämpfe von Athen und Sparta geworfen, auf ihre d 
mittel, — natürliche Beſchaſſenheit, Ausbildung der Mer 
und Glück von oben her — auf Ihre imythiſche Geſchichte, 
wechſelſeitige Bedürftigkeit. Thukydides hatte begun 
Athen und Sparta einander noch ziemlich gleichſtanden; 3 

phon ſchloß, als fie nach buntem Bee der Ber 
wieder gleich geworden waren. 





—* mit dem mir 
Pe Daß erſte ehe den Sefer in vvrt gt atuge 
ei naher vd aher Kiffen giele intgegen.“ Ole Vorrede 
Anhfahrt va ſaden nork er Feiften bis 
Proie yerie Ze Ho — 
Eviſoden dan Weftug 
Bing (88-117,), or 
fest die Gnäekttin berfelgenl" abe AUF den velo⸗ 
einefifägen SEE Tore SÄRRAHE "Fofgen ebtich "Die Veramlaf⸗ 
then 487.) und Worselättingen fm Krcege ſelbſt (t18 
127. 139—146.). — Daß der dritte Abſchnitt zwiſchen 
Li erften und zweiten, eingeſchoben worden, tabelt ſchon Dio⸗ 
ſios "Doch wid der Leer cheu Steh ai echt dramatie 
e Weiſe gleich BE die Sache geſu hrt Auch fe 


























Ey 
Ihh gehe bei dein -etſten Buche fehe:bitailtet- zu Werke, um 
ı Eefer zur eigenen Analpſe der folgenden beſſer anzuleiten. 


376 Thulydides. Kap. 13. 


riker gem in Form einer ſpartaniſchen Rede gegeken, m 
würde fie am vechten Orte ſtehen. Kür eine Rebe inte 
dad Ganze zu ſehr entwidelnd, zu wenig ſchildernd: «8 ı 
als Rede unendlich vielen Raum geloftet Haben. 


z. 1. 


Borredeh. 


Um feiner Spyache ejne für ji befkchenipe Akrında 
verleigen, Bat fie Thrlfydides durch‘ Crörterimg feines e 
ſchriftſtelleriſclen Verfahrens Hipigı von vorn. Angeihleni 
1.0 f1.); fie zugleich auch nach dem durchlaufenden C 
ten von der Größe des Krieges angeorbnet 2). 

Was hier nun zunächſt dad innere Wachſen ver 
Siena Prag fo, finden wir Die äfteften &ı 

it, —X ung bon den, Ba Iren nur wenig 
fhirden, + ie, Unftätigteit ‚ale Länderbefiges, di 
Baterlandsfieke, Sau fEommen Heh; ; die. hficherheit alles ( 
thume und, Berkefis iberhaunt Ice Durch, Naubzügı 
Art zi Lande und zu Waſſet ei Munde, machten | 
i efenshibapfien und beſtge Saudfhaften dad 
r 7).In All 
fſelbe ülkerung: innerlic 
u sen, geſuch ‚auf 


















) „Der bewinberungemürh 
ſche Keäjäblogte Das Gefegmäßige, e zu Hoffen verficht, 
dem kLeſer am 'Sentficiflen werben, tdenitiegde‘ Fr Mittelalter de 
ern Völker eine politiſche, militärifhe und ökonomifche Parallele 
ben zu zeichnen fucht. 

>) Auch Hierin Pinms Denotos it ıbem: Shulybibes i 
(V, 58.). a ze I Po er w 


Stegen ſelbſt Kehfnmitenft, mit vem 
Dis Aether den Sefer I wie —V—— 
enden nt näßer didfen. „Ziele entgegen. Die Borrede 





-127. —— — Daß ber dritte ein zwiſchen 
eiten und zweiten, eingefepoben worden, tabelt ſchon Dio⸗ 

hast" "Doch witd der Hefte Ach "steil auf eat drämatie 

be Beife, gleich misten in bie 

m; ig} Eparakier „nei Zihydh 

Y 







1 ZA’gihe beiden -erſten Bade Teherbilnikiet: zu Werke, um 
en Eefer zur eigenen Analyfe-ber folgenden beſſer anzuleiten. ' 


379 Thukydides. Kap. 13. 


(3), weil Raubzůge und Wauderungen alle, kriegeriſche 
tigkeit. in Anſpruch nahmen (5. 8.). Erſt nachdem ſich 
Art von Principat: unter dar helleniſchen Stammeshäupterr 
bildet Hatte (9:), war her troiſche Feldzug denkbar: für. 
Zeit ein großartiges Unternehmen, doch aus Mangel 
Hulfsmitteln an ſich nur unbedeutend (10. 11.) Sn den 
genden. Jahrhunderten wirh’’aller Unternehmungsgeiſt m 
in Keinen Gränzkricgen zerſplittert (15.) 3; ganz: befonhas, 
die Tyrannen,: um ihrer eigenem Sicherheit willen, auf kr 
riſche Großthaten Verzicht: Zeiften. müffen (17.). Oeſto u 
tiger. war das Gewicht /net Perſerkriege, wo zwar der ð 
nad). Lakehämon. das Commnando führte / in. ber hat 
aha. entſchied (Ad... 2: © 

Von dieſer Kraftentwicklung nach men. und Außen 
die Seemact ſowohl eine Urſache, als: eine Wirkung ( 
Ana: der allgemein. verbrejteten und ritterlich Betriebenen | 
wurberet (8.), woran die harbariſchen; Inſelhezwohner nich! 
ringeren Theil nahmen (8), erhob fich zuerſt die Scemadt 
Minos, die jenem Unweſen größtentheild ein Ende m 
(4.) ).., Späterhin beſaß ‚Miykene die Herefchaft des M 
(9.) 3. ſo unvollkommen auch aus Mangel an Vermögen 
Schiffe damals nad) ſein mochten (10. 11.). Nach der 
lichen Ausrottung des Seeraubes ging die Uebermacht zur 
von einen großen: Handelsſtaate auf den andern. über: 
den Korinthisen 2). auf die Jonier (43.);.. von Diefen auf 
ſikeliotiſchen Thrannen und die Einwohner non Kerkyra (1 
imnierx noch mit Geringfitgigkeit. der äußern Hülfomittel, 
wohl man ſchon damals die Inſeln als cine Leichte Bautı 
erſten Seemacht betrachten konnte (15 fg.). — Sehe 


nn — — 


1) Herodot's Forſchungen hatten hierüber zu einem ganz ar 
Nefultate geführt: 1, 171. Bol. .indeffen auh Aristot. Polit 1 


2) In Korinth Tamen die erften Dreivuder auf: I, 13. 


6. 1. Vorrede. 6. 2. Ginleitung. 379 


nos Zeit war derſelbe Hall geweſen. Schon Minos Hatte 
re Einkünfte hauptſächlich aus den. Inſeln gezogen (4.) 3 
5 ſeit ber Anlage der exften Kolonien, : welche Athener und 
loponneſier nach entgegengefehten: Richtungen hin vornah⸗ 
rt, woar dieſe Bedeutung ber Marine noch unendlich geſtei⸗ 
t worden (42.). 

An eigentliche Bünd if ferhat man jcdoch im Anfange 
wenig: zu Denken, daß ſelbſt der: gemeinſchaftliche Rame des 
nzen Volkes vlemlid fpät erſt auflan. ” Nur. die Sprache 
ete ſchon ein Nationalband (3.). Die erſte Ahnung eines 
Eter. verbreiteten. Parteinehmens brachte der berühmte Städte⸗ 
55 auf Enke (15.); Nach dem Perſerkriege jedoch, wenn: 
ch eine kurze Frift noch der Geſammtbund der Hellenen fort- 
irerte, wurde dad ganze Volk in die Bündniſſe der Athener 
d: LEakedämonier getheilt (18.).- Die Letztern waren Anfüh⸗ 

: von gleichberechtigten und gleicheonftituirten Bundesgenoſ⸗ 
3 die Erſtern dagegen Herrſcher von’ zinäpflichtigen Unter 
ae 1). Stärfer mar der er Bund, aber dauerhaf⸗ 

der ° Iatehäinanifäe, 


8. 2. 
Giüleitun g. 

In dem zweiten Äbſchnitte wird der Gegenſatz von Athen 
rd Spatta in höchſter Schärfe feſtgehalten. Auch viel aus⸗ 
Ka noch, als in der Vorrede. Schr ſchoͤn läßt Thuky⸗ 

des feine Abſatze bis zum Kriege ſelbſt inmmer ſtufenweiſe an⸗ 
zwellen. Der Haupibeſtandtheil dieſes Gemäldes iſt nach 
ukydideiſcher Art durch die Vergleichung des Themiſtokles 
it dem Pauſanias rahmenartig eingeſchloſſen (89 ff. 126ff.). 
a der Mitte bildet wieder das ſiebenundneunzigſte Kapitel ei⸗ 


19: vgl. 3, 75 ff. 


380 Thukydides. Kap. 18. 


nen weſentlichen Abſchnitt. Vorher die Erwerbung, ı 
die Fortbildung der atheniſchen Hegemonie 1). 

Die beiden Principalmächte werden non Thuk 
gleicherweiſe aus einem: dreifachen Geſichtspunkke geſchi 
zuerſt im Tone des Vorwurfs durch Die Korinthier, da 
ruhiger Lobrede durch ihre eigenen Vertreter, endlich ü 
ſchichtlicher Erzählung durch den Hiſtoriker ſelbſt 2). 
Zuerſt Athen; Man gehe hier aus, von dem Cha 
des Themiſtokles, der, wie fchon nben geſagt, zu.ben fe 
Gemälden von. Perikles und Alkibiades einen: wertrefi 


Gegenſatz bildet (£, 138.) . Daran fchliegen ſich zunäch 
Berbienfte der Athener im Perferkriege 3) (I, 73 fg.) 9: 


1 I. . ... “a « .” - 
f} . . .. . . .. } rl ” 271 


1) Auch bier zeigen ſich wieder bie wehe martisen ef 
und 96, 97.und 118. 


2) Da bie nachfofgende Darftellung bes Thutdhdides einen Zeil 
betrifft „ der zu den dunkelften Theilen des beglaubigten Xiterthum 
hört, To werde ich, um dem Lefer ein lebendigeres Verſtändniß zu 
nen, einige weitergehende politifche Anmerkungen hinzufügen. | 
ift unfer Quellenftudium hier eigentlich nur auf zwei Stubengeli 
und zwar einer fehr viel fpätern Zeit, befchränkt, Diodor und Plul 
denen ein wirkliches Eindringen in politifche Vorgänge unmöglid 
Kein Wunder alfo, daß unfere Grammatiker ebenfalls nicht 
daraus zu machen wiſſen!“ 


2) Mol. das ganz übereinſtimmende Urtheil bei. Hero bot: 
139. — Fielen doch auch alle Entſcheidungskämpfe theils auf. dem 
niſchen Gebiete vor, theils auf dem, ber berbünbeten Platäer! 


4% Bor allen Dingen thut ed bier Roth, dae Flue tuiren 
in Athen herrſchenden Parteien überſichtlich zuſammenzuft 
Kleiſthenes hatte ſich begnügt, die ſoloniſche Verfaſſung wiederherz 
len: nür ſuchte er durch den umſturz der altariſtokratiſchen Stam 
theilung und Localverwaltung, welche Solon inconſequenter Weiſe 
fortbeſtehen laſſen, ſowie durch Einführung des Oſtrakismos jeder 
derkehr eines Oligarchen- oder Tyrannenregimentes vorzubeugen. 
Marathon hatten ſich die Führer der gemäßigten Conſervativen, 9 
tiades und Arifteides, am meiften hervorgethan. Ihre Partei ! 
daher nad) der Schlacht den Staat verwaltet haben (Arisı Pol. 


4 


$. 2. Geſchichte der athen. Deinagogie. Oſtrakismos. 384 


unge Rede der atheniſchen Geſandten bietet wieder eine höchſt 
lehrende Vergleichung dar: nämlich mit Themiſtokles Wor⸗ 





» Der unglüdtiche Seezug bed Miltiades erſchuͤtterte dieſes Neberges 
H. Themiſtokles und mit ihm bie bemokratifche Partei wußten 

großartigften Neuerungen im Binanzs und Seeweſen, nachmals auch 
B--@eelrieg wider bas ariftofratifche Aegina burchzufegen. Ariſteides, 
Echee noch vor Kurzem die wichtigfien Kinanzgefchäfte (Plur Arist. 
‚amd faſt die ganze Rechtspflege (Ib. 7.) beforgt hatte, unterlag dem 
Eratismos. 


Der günftige Lefer wird an biefer Stelle eine Eleine Excurſion zu 
Eichulbigen wiffen. Ueber das Inftitut des’ Oftrafismos nämlich 
& die craffeften Irrthümer eingewurzelt. Um bie moralifivenden Ges 
rinpläge der Frühern, von ber Undankbarkeit der Athener u. ſ. w., 
Klig zu übergeben, ſo erklärt fchon Ariftoteles (Polit. III, 9), der 
Zrafismos fei in Demolratien eingeführt, damit nicht durch übermüch⸗ 
ve Zubividuen die allgemeine Gleichheit gefährdet werde. Aus einem 
mlichen Grunde alfo, meßhalb in ber Gage die Argonaufen den Hera⸗ 
xg nicht mitnehmen wollten. Beſſer freilich, meint Ariftoteles (V, 
F, wenn man einem foldyen Uebermächtigwerden bei Zeiten vorgebeugt 
te. — Wen nun bie glänzende Auctorität des Ariftoteles, der Übri«- 
us dieß ganze Inſtitut auch nur aus Büchern kennt, nicht blendet, 
er frage ich zuerft: Wie ift es überall nur möglich, daß ein Uebermäch⸗ 
zer feiner Macht wegen aus dem Lande gejagt wird? Wenn er in 
sahrheit übermächtig ift, wird er fi ich verjagen laflen? Ich weile fers 
x auf den Beitpuntt Hin ber biftorifch bekannten Dftralifirungen. 
kann wirb Xrifteides verbannt? Nicht nach ber Schlacht bei Maras 
on, wo er, mit Eriegerifchen Lorbeeren geſchmückt, bie gewid)tigften 
eiedensgämter bekleidete; nicht nach dem platäifchen Siege, wo er mit 
tögedehntefter Machtvolllommenheit über die Infeln und Küftenftäbte 
Got: ſondern nur damals, wo ihm Themiſtokles in Belaufchung des 
sitgeiftes ben Vorſprung abgewonnen, ihn entbehrlich gemacht hatte. 
Bäre nachher Themiſtokles feiner Macht wegen verbannt worden, es 
itte im Jahre 478 gefihehen müffen, wo er der erfte Mann von Gries 
enlond wars; nicht 472, wo ihn die confervativen Häupter entfchieden 
erdunkelt hatten. Ganz baffelbe gilt von Kimon, von Thukydides u. A. 
Bir haben ben Oſtrakismos ganz nach Art unferer conftis 
sstionellen Miniſterwechſel aufzufaffen. Der ‚, äußere 
dergang babei, wie er beſonders Schol. Arist. Equitt. 865. und 
<hol. Vespp. 982. beicyrieben wird, ſtimmt volllommen zu dieſer Ans 


382 Thukyddeß. Kap. 13. 


ten I, 91. In Beiden derſelbe Charakter, tur Hier im Kei 
dort in herrlichſter Entfaltung. Hieran knüpfen ſich endlich 
























ſicht. Bon Zeit zu Zeit wird eine Volksverſammlung eigens in di 
Anficht gehalten. Derjenige Staatsmann, der eine bebeutende M 
tät, wenigftens 6000 Stimmen, gegen fi) hatte, mußte für eim 
flimmte Friſt das Land meiden. Dieſer letztere Zuſatz ift ben mr 
Staaten unbefannt; bei der Kleinheit ber alten Republiten aber, 
die Staatsmänner weit unmittelbarer mit dem Wolke verkehrten, we 
im ganzen Jahre Volksverſammlungen gab, war er burdhaus noth 
big, um ber jeweilig am Ruder flehenden Partei nicht ihre ganze 
mit Eriftenzlämpfen auszufüllen. Unfere Minifter gewinnen ſchon bw 
die Vertagungen des Parlamentes immer eine foldhe Muffezeit. — 
war .es in Athen, in Argos, in Megara, in Milet, in Syraknd; 
vermuthlid) in allen Demokratien. Hierdurch läßt fi) benn and ® 
Erlöſchen des ganzen Inflitutes auf das Einfachſte erklären. Nele 
Lich ift Hyperbolos Exil die legte Anwendung des Oftrakismos. 
dem fich nämlich das ganze Hellas in zwei große Lager gefpalten 
ein confervatives , latebämonifches, und ein revolutionäres, athenifl 
wo ber Verbannte, wehn er in Feindesland Überging, ber herrfd 
Partei feiner Heimath unendlich viel mehr ſchaden konnte, als uk 
den Augen feiner Mitbürger: ſeitdem waren die Vortheile bes Oftrel 
mos illuforifch geworden. Alkibiades Flucht, alfo das nächſte ber 
tende Exil nach dem Hyperbolos, mußte dieß Jedermann begreiflich m 
chen. Ich kehre indeß zu meinem Thema zurück. 


8 
4 


Sm großen Perſerkriege wiederum das ſchönſte Zuſammenwirken be 
der Parteien. Was Themiſtokles hier gethan, iſt allgemein bekanak 
aber auch Arifteides erfcheint ale Gelandter zu Lakedämon, — welt 
Poſten zu jener Zeit! — und als Felbherr bei Platin. Kimon war MAR: 
Erfte, welcher ben genialen Vertheidigungsplan des Themiſtokles bar 
fegen half (Plut. Cimo 5). Nach Ariftoteles Berichte gab ber Ant 
pag das Geld her, um die Flotte vor Salamis zu befolden (Id. T 
mist. 10.). Was würde entftanden fein, wenn bie athenifchen Genfer 
vativen dem Beiſpiele der böotifchen Ariftolratie gefolgt wären! wied 
die Ultras ihrer Partei fchon bei Marathon (Herod. VI, 109. 1% 
120 sqq ) und wieder bei Platäa verfucht hatten (Plut. Arist. 13). 
Ein Volk, das fo zu Eämpfen weiß, wie das athenifche im Perferkrirk, 
wird fich nicht fehr bevormunden laffen. Wie Plutarch naiv, aber ſch 
richtig bemerkt, ber atherifche Demos hatte fich der Herrfchaft wär 
gezeigt, und hatte Waffen in der Hand (Arist. 22.). Go wurden am 


$. 2.  Gefchichte der. athen. Demahogie. Oſtrakismos. 383 


Khilderungen‘ des atheniſchen Geiſtes ſelbſt, während feiner 
tũthezeit, wie ich fü. im Anszuge © oben witgetheit habe. — 


3. R 





* 2 


legten Schranken der Volksherrſchaft hinweggenommen: Jedermann 
ftelt zur Archontenwürde und ſomit zum Areopagos freien Zutritt. 
ı biefelbe Zeit muß das Bohnenloos eingeführt ſein; es hätte früher 
Ftiſch Leinen Sinn. gehabt. Daß ſich Herobot VI, 109. geirrt has 
1. müſſe, ſcheint mir unzweifelhaft: find doch auch ſpäterhin militä⸗ 
2 wichtige Aemter immer durch bandewahi befegt worden. 


TNach Beendigung :ber Kriegsgefahe mochten Ariſteides und Themi⸗ 
kles gleich viele Macht beſitzen. Die Emaneipation von Sparta leite⸗ 
f Beibe (Thuc. I, 91. Plut: Arist. 16), den Mauer⸗ und Hafens 
2. Themiſtokles, den Verkehr mit ben Bundesgenoſſen Arifteides. . Es 
wubarauf an, wer fih in jenen demokratiſchen Reformen ber Leitung 
mächtigen würde. Hier liefen nun bie Häupter ber .confervativen Par⸗ 
bdem Themiſtokles den Rang ab; nicht lange darauf erfolgt die Ver⸗ 
anung, endlich der Hochverrathsproceß des Letztern, hauptſächlich von 
mıon und Alkmäon durchgeſetzt (Plut. Arist. 25. Themist. 23. sqq.). 
tzaon tritt an bie Spige der Staatsverwaltung, unter warmer Bes 
nftigung von Seiten Lakedämons (Plut. Cimo 16.). Damals ein 
Bes Glück für Athen! . Ich will den Themiſtokles nicht geradezu ty⸗ 
Käifcher Projecte anfchuldigens aber er würbe allzufrüh mit Sparta 
rochen, allzufrüh bie Bundesgenoſſen ‚gemißhandelt ‚haben. Man 
ae nur an’ feinen Vorſchlag, bie Flotte ber Alliirten in Brand zu 
Ben) Xuc war bie weife Rechtlichkeit bes Arifteibes, die leutfelige 
keralität des Kimon gewiß beffer geeignet, Athens Bunbesherrichuft 
Sefeſtigen, als bie übermüthige Habgier, welche Themiſtokles bei al 
mer Größe mit den meiften plebejiſchen Emporkfömmlingen gemein bat 
‚Aut. Them. 5. 18. 21... — Seit 471 beginnt ber glänzende Ober⸗ 
Ehl des Kimon; und ‚den. Gipfel feiner Macht bezeichnet die Zurück⸗ 
Bzung ber Gebeine des Theſeus: für den athenifchen Demos von ders 
Sn Bedeutung, wie bie Rapoleonsafche für den franzöfifchen. 


— "gglitten in biefem Siegeslaufe des Kimon wird gleihwohl feit dem 
Hre 464 die conſervative Partei, im. übrigen Griechenlande furchtbar 
Hüttert. Faſt um biefelbe Beit erfolgt die demokratiſche Revolution 
x. ganz Bicilien und das Erdbeben nebft dem Helotenaufftande zu La⸗ 

on. Dieß konnte natürlich auch auf Athen nicht ohne Einfluß 
üben. Während Kimon’s Abwefenheit werden die befannten, aud) 
ch Aeſchylos bekannten Vorſchläge des Ephialtes gegen den Areopa⸗ 


581 Fe Thukydioes.. Kap, 13, 


AB den Grundcharaͤkter der auswärtigen Politik find 
ſchon damals ein ungebändigtes Streben in Die Ferne 
bunden mit einer entfprechenden Zufammenziehung der 
lichen Baſis des Staates, Sn zuerit ſchon dag Steha 
der Athener auf dem Sriegefchauplage, während bie 





— — 


4 2* — 


gos durchgeſetzt; und als Kit on ſie nachmals wieder rüdgängig 
chen fucht, muß die ganze Wuth ber Komödie über ihn herfallen (Plı 
15.). Er felbft hatte ſchon früher den Anklagen bes Perikles 
Mühe entgehen können (Ib.. 2&.)a ... Nach heftigen Debatten eg 
tled Vorkämpfer Ephialtes.:(Ib. 16.) . gelingt. e& dem .Kimon 
. noch, eine Hülfsarmee hen Lalebämoniern zuzuführen. . Aber 
ſcheint ein demokratiſch gefinäter Feldherr an feine Stelle get 
fein, und den Lalebämoniern wirblich Veranlaſſung zu. bem 2 
gegeben zu haben, ‚wetcher nun als. Vorwand bed Kriebensbruch 
mußte (Ib. 17... Kimon wich ‚verbannt, .:: Seine gemäßigten 2 
zeigen bei Zanagra, wie fie aud in ber Dppofition den Tod fi 
terland zu flerben wiffen (Ib. 17. Pericl. 10.). .. Die Ultras 
confpiriren mit Lakedämon (FThuc..L 107... Doch ſchon bie t 
{he Niederlage zwingt ben Perikles, feinen Rebenbuhler vom 
rückzurufen. In diefe Zeit möchte ich. den. Morb des Epbialtes ı 
den XAriftoteles der ariftotratifchen Partei, Ibomtenens lieber bi 
kles Schuld giebt (Plut. Pericl. 10.).. Perikles wird unmillic 
zens dazu gefchwiegen haben, Bis zu Kimon’s Tode währte ba 
gewicht der confervativen Partei fort: wie es der Friede mit 
der Krieg mit Perfien anbeuten. — Als er aber nachmals durc 
kydides den Staatsmann erfegt worden war, gewann bie gaı 
teiftelung einen andern Charakter. Thukydides war nicht meh 
riſch, wie es auch bie.. folgenden Dligarchenhäupter nicht mehr 
dafür 309 er feine Anhänger 'bichter zufammen, fonderte fie von 
Thärfer ab. Der Streit: ſcheint mehr im Innern des Staates 
nad) Principien geführt zu fein. Run erft fommen bie fpätern 
namen auf. Auch Perikles mußte deßhalb viel demofratifcher 
Waren früher Thon die Befoldungen,, die Scaufpielgelder u. f 
thig geweſen, um ber kimoniſchen Liberalität die Wage zu hal 
wurden jeso die Spenden aller Art, bie Kolonifationen u. f. ı 
Höchfte getrieben (Plut. Pericl. 11.). Der Sturz des Thukybil 
endete nun bie ſchrankenloſe Demoktatie, die freilich noch funfzeh 
lang mit geringen Unterbrechungen am Anfang und ain Ende vi 
les beinahe unbefchränkt regiert werben follte '  "" 


$. 2: Ginkitung, Athen. 588 


Kee: aus doriſch⸗ conſervativer Sinnedart wieder abzogen 
7.). Hiermit zugleich die ſchlau errungene Befeſtigung 
Stadt (90 ff.), welche in Verbindung mit den ſtackrn 
Neus Athen erſt völlig zu einer Seemacht, faft mit infula⸗ 
er Sage, erheben konnte. Schon Themiſtokles war der 
mung, welche Perikles fein Leben lang feſthielt, man ſollte 
Eandmacht entſagen, und, auf den Peiräeus geſtützt,ul⸗ 
mit der Flotte den Feind bekämpfen 1). Berelts vor dem 
Ber Perſerkriege hatte er als Archon den Peiraͤeus zu befe⸗ 
Br angefangen. Denn auch er hatte eingeſehen, daß Mee⸗ 
eerſchaft und Bundesherrſchaft Eins waren (93.).: Wie 
yhukydides dieſer themiftofleifchen Anficht Beipflichtet ,;- er⸗ 
it man and einer fpätern Yeußerung des Hiſtorikers felbft, 
er das Ende des Krieged nicht in die Einnahme der Stadt, 
ern in die Defegung des Hafend und der langen Mauern 
rat (V, 26.). Diefe Richtung der atheniſchen Politik 


— — 


V Wie ſehr die atheniſche Seem acht Hand in Hand mit ber athe⸗ 
en Demokratie ging, bemerkt und erklärt zugleich der Pſeudo⸗ 
„phon De rep. Athen. 1, 2. 11. 19. 2, 13 sqq. Nach Stefims 
28 opponirte ſich dephalb der confervative Miltiades allen maritimen 
mungen. tan warf dem Themiftokles vor, er habe ben Athenern 
Ib und Speer genommen, Ruder und Ruderkiſſen dafür wiebergeges 
(Plut. Them. 4). Man rief den alten Charakter von Attila zu 
e, wie er in dem mpthifchen Wettlampfe zwifchen Athene und Po⸗ 
n ausgeſprochen fei (Ib. 19.). Aber während alle Andern die mas 
snifche Schlacht für das Ende des Krieges: hielten, hielt Themiſto⸗ 
fie nur für den Anfang (Ib. 3.). Als fpäter die oligarchifche Re⸗ 
n ber Dreißig am Ruder war, drehete man bie Rebnerbühne, die 
w aufs Meer gefehen, nach der Landfeite um (Ib. 19.). Schon 
thenes hatte eine Menge von Sklaven und Fremden in das Bürgers 
: aufgenommen (Aristot. Pol. IU, 1.); Themiſtokles die Metö⸗ 
und Handwerker um der Marine willen ſteuerfrei gemacht (Diod. 
43.). Die dreißig Oligarchen äußerten die Abſicht, dieſe zu Skla⸗ 
zu machen; jene waren factiſch proſcribirt (vgl. De rep. aib. I, 
aq. Plato De legg. IV, 706. Auch Arist Pol. VII, 5, 3. 
2, 12. V, 3, 5. VI, 4, 3.). 
Ä 25 


596 hukydides. Kap. 13. 


wird alsdaun urit; der Beendigung jener laugen Maue 
kommen durchgeführt (107.) 1). — Bon Zeit zu Ze 
wuß̃te ſawohl die eigentliche confervative Partei, als 
mokraten· welche die Kraft ihres Vaterlandes zu ho 
ten, das Intereſſe der Bürger wieder auf den Lanbhı 
zulenken. Ihnen hat man die Einfälle in Böoti— 
ſchreiben, die nach wechſelndem Erfolge endlich bei 
auf. lange Jahre vereitelt wurden (107 fg. 113.) 2). - 
vend es alſo die Athener ihrem kühnen Unternehmu 
verdankten, daß fie allmählig zur erſten Macht von ( 
land herammuchjen (I, 122.), jo war es Doch aud 
Unternehmungsgeiſt, der ihre Unfälle hervorbrachte. | 





) Wie die Seemacht und commercielle Größe von Ather 
tiſch war, fo hingen au bie langen Mauern mit ber 3 
zufammen. Nun erft war die Hauptftabt von ben Sntereffen 
Eratifchen Landbefiger völlig unabhängig, vor den Angriffen 
kratiſchen Nachbarn völlig ſicher (De rep. Ath. 2, 14 sqq.). 
hefte Verbindung der athenifdyen Dligarchen mit Sparta ha 
flörung diefer Mauern zum Zwecke (Thuc. I, 107... und t 
fie von Kimon begonnen worden (Plut. Cimo 13.)! Sonde 
gend, daß man ben Megareern früher zu diefem Inſtitute ver 
den Athenern felbft (Thuc. I, 103... Die Abfperrung des ı 

durch Perikles hat denfelben Zweck (Plut. Pericl. 19.). 


2) Sobald im Perferkriege ber Kampf zu Lande gef 
tritt fofort Arifleides an die Spitze. Noch bei Salamis hat 
zu Schiffe, fondern auf der Infel Pfyttalia gefochten (Her 
%.). Nach diefer Seefchlacht ift er die Hauptperſon, bei „Pi 
nifcher Oberfeldherr (Plut. Arist. 10.). Simon war gleich 
neral und Admiral. — Der böotifche Feldzug wurde befann 
den Willen des Perikles unternommen (Plut. Pericl. 18.). 
war ed die Abficht diefes Zuges, die gefährlich erſtarkende? 
Theben, das feit dem Perferkriege darniederlag, nun aber v 
aus begünftigt wurde, im Keime zu erdrüden (Diod. XI, 8 
Schienen feine Refultate im Anfang überaus glänzend (Ib. 8 
ſcharf mußte das Auge bed Perikles fein, um hiervon nicht gı 
werden! — al, übrigens De rep. Ath. 2, 1. 


$. 2. Cinleitung. Athen. Lakedaͤmon. 397 


sänöfehenden und chimärifchen Plane, die Züge nach Thraͤ⸗ 
D (100.), nach Aegypten (104. 109 fg.), nach Theſſalien 
12.) , werden ohne Erfolg, meiſt fogar mit Niederlaͤgen ver 
fu). le ln tn 
Wir gehen zu Lakedämon übe. - Schon die kbrinchi— 
m: Mtede ſetzt eö in Parallele mit Athen, und die Wotte des 
hidamos entiprechen durchaus denen der athenifchen Geſand⸗ 
2 Bon dem Perferkriege an bis auf das Ende des pelo⸗ 
aneflichen ſteht Lakedämon Hinter Athen zurück. Keineswe⸗ 
B-sedoch eine Folge politiſcher Abgelebtheit! Beide Bar 
Ye, verſichert Thukydides, Hätten zu Anfang des Krieged 
Toller Kraft geftanden 2). Diefe Dorier blieben ſtehen 
Krend die Athener fortfchritten: nicht jeder Staat: fann: fe 
8 bleiben, wer es aber kann, der pflegt fpäter zu-alteri. 
ſich Athen daher politifch: überlebt hatte, mußten vie Dos 
B von felbft wieder die Oberhand gewinnen, — Daher dl 
Berpürfe der Korinthier, als ob die Lakedämonier unempfind⸗ 
», forglos (I, 122.), wo es zu handeln gälte, träge Zauz 
ꝛer feien (69 fg.), und bei gefährlichen Umſtänden ihrer 
se zum Alten mit eigenem Schaden nachhingen 2). Wer 
u ihren Bundeögenoffen noch unverfehrt geblieben, der fe 
mehr durch die Fehler von Athen, als durch die Hülfe der 





3) Diefe weiten Züge nach Aegypten und an diePerferküfte miß⸗ 
Eigte Periktes (Plut. Pericl. 20.). Athen konnte dergleichen nur un⸗ 
ehmen, fo lange es feiner Bundesgenoffen volllommen ſicher war. 
Be fehr verfannten dieß aber Perikles Nachfolger! Der Zug. nad) Yes 
inten ſcheint der vorlegte Verſuch des Kimon zu ſein, den neuerungs⸗ 
itigen und antilakoniſchen Geiſt der Athener gegen Perſien abzuleiten. 
de Mißlingen dieſes Zuges 458 zieht 457 ſchon Kimon's Verbannung 


ah fi. 
2) 5,1. 18: vgl. I, 71. II, 11. 


3) 71: ogl. IV, 55. W— 


SS ne Xhutyeibeh. Kap. 18. 


Sobenämnnie.(69.). . Seit dem Perferkriege Hätten fie} 
zugelerut. —:: Diefe. Bonvitrfe !) ſiud zu einer wahr 
rakteriſtik genacht in Archidamos Rede (I, 84.). Bad 
ſem Verfahren fel der lakedämoniſche Staat Dech imm 
und vuhmvoll geweſen. Die omppocusn laſſe fie Im: 
nicht Äbermithig,. im Unglück nicht verzagt werden, fe‘ 
durch Lobſprůche, noch durch Kabel dahinreißen. Di 
„oowos mache fie kriegeriſch und wohlberathen: kriegeriſch 
die. Müßigung mit der Scham, mit der Scham aber di 
pierkeit zuſammenhänge; wohlberathen, weil fie allın | 
erzogen feien, als daß fie die Geſetze hofmeiſtern und va 
fannten. - In Worten freeifich feier fie ſchwach, aber fl 
Thaten, und mit ihrer Behutſamkeit ſtehe Die Sichech 
Bunde. — Auch verſichert Thukydides, Lakedämon ſe 
Oberbefehle des Perſerkrieges zurückgereten aus Furch 
einreißender Verderbniß, wie fie den Pauſanias er 
hatte 2). D. h. wohl namentlich aus Furcht vor einrei 


1) Daß fie nichts weniger, als ganz unbegründet find, bem 
Stiftung von Zhurii. Hierzu wurden Lakedämon und Athen eing 
die Lalebämonier aber Ichnten es ab (Diod. XII, 10. Eusta 
Dionys. Perieg. 373. Vgl. Bergk Commentt. de a 
comoedia Attica p. 52 sqq.). Diefe Kolonifation hat Überhaup 
ed fcheint, ein großes Verföhnungswerk bilden follen. Perikl 
Thukydides ber Aeltere, Protagoras und Lampon haben gleichmäßig 
Theil genommen. 


2) 1,95: 091.75. — Die lakedämoniſche Ariſtokratie ha 
frühzeitiger und weifer, als in irgend einem andern Staate, zur Aul 
demokratiſcher Elemente herbeigelaffen: wie bas Alterthum fchon rüh 
fand in Sparta eine glückliche Miſchung ariftokratifcher Beſtan 
mit demokratiſchen und monarhifchen Statt. Wie der Monard) 
hohe Anfehen, bie Lebenslänglichkeit und Erblichkeit der Krone 
fpricht, fo dee Demokratie die fchöne Gleichheit der herrfchenden Bi 
gemeinde, und die große Macht der Volksverſammlung, die aus 
Bürgern Über breißig Jahre beftand, und außer ben Beamtent 
über Krieg, Frieden und Gefeggebung wenigftens mit Sa oder Re 


$. 2. GEinleltung. Lakebamon. 968 


— Die + amtabeaifigen Berfoflungen pfugen u 
— —** .. UL wi... * 
ni 2 at I... Br ir: M' allatgaii: ! 2 


ben Kälte. im vieler Meẽßigunz willen Haben f ch BR: ariokfatis 
emente ungefchmätert erhalten können: die Lebensdlänglichkeibe Hi) 
lt os: Genates, das Borherrſchen bes Grundbeſiges, der zugleich 
Be: Verbot ber Zheilungen und Veräußerungen compact in jey 
lie erhalten. wurde, bie Stärke der Gorporationen, indem. nut 
talieder eines Gyffltiong am activen Hürgerredite Theit hatten 
eiiralgewelt in der Hätid eines ſtändigen Ridhteteollegiums,' UN 
Min vor jeder fehriftlichen Gefeßgebung , endlich die ftrenge Abflufung 
nbe, das Anciennetätöprincip und bie im Befehlen und Gehors 
di’ ſtarke Hierarchlẽ des ſpartaniſchen Gtaatövienftes: Man iſt 
—522 Bir Ephoven als demokratiſche Beamts anzuſchen: gewiß ſehr 
Auuahtı Bier bie Geſchichte vom Venedig kennt, wich keinen. Aus 
— ſie als ein Analogon der venetianifchen Dieci zu ber 











alfo recht eigentlich als den Schlußſtellr der latedãmoniſchen 
e. — Alle bemokratiſchen Bewegukßgen7 ſowie deren Vorboreü⸗ 
D Aie Tyrannid, hat Sparta glücklich abgewehrt. Der- Parſerkrieg/ 
* große Nationalanſtrengung, mußte dem demokratiſchen Gejſte 
erlich fein. Dazu bie Gefahr von Pauſanias Berbindung mit Per: 
"und Heloten (Artist. Pol. WII, 14.)8 Su einer ſotchen Bade 
Ste: die latedaͤmoniſche Regierung: nadı Anfen Kin: witmäglic) große 
fe entiwideln, Jede Fortſetzung bes Perſerkrieges würde zur ‚Sees 
ind· Geldwirthſchaft geführt haben, deren innigen Zuſammenhang 
Demokratie wir bereits kennen. Als die Athener eben zut Der 
8* gekommen waren, ſcheint das Volk von Lakedämon mit großem 
veftüm einen Krieg zur Wiedererlangung derſelben gefordert zu haben. 
a bezog das Orakel, Sparta folle fich vor dem hinkenden Regimente 
t nehmen, auf bie Einfeitigteit der bloßen Landmacht. Aber die 
lerung unterdrückte dieſe Tendenzen (Diod. XI, 530.). Sie konnte 
um ſo leichter, als die damaligen conſervativen Machthaber von 
en - gewiß Alles aufboten, ‚um der Form nad Sparta gefällig zu 
Kr: Bie man fih eben.go weit wieder erholt. hatte, um an thäts 
w Einmiſchung in Athens Kämpfe mit den Bundesgenoſſen zu benten, 
Kbas Erbbeben den Periöken⸗ und Helotenaufftand hervor, der das 
m,@alebämon in bie hoͤchſte Lebensgefahr brachte. Nicht einmal das 
Degelegene und engbefreundete Mykene Tonnte damals gegen Argns 
wegeidigt. werben (Diod. XI, 65.)! Innerhalb: derfelben zehn Jahre 
mon verbannt, bie ſikeliotiſchen Zyrannen geftürzt, Böotien von My⸗ 
idas erobert, ſelbſt im Peloponnes die Demokraten boffnungsvoll : 
ze hätte da wohl die Infandrifche Beit vorauögefegen!: : . 






0 Thukydides. Kap. 13. 


Tywvanneti hindurch im demokratiſche überzugehen. Pau 
aber Hatte große Anlage zum Tyrannen (I, 95.). Wa 
fich einerfeitd auf die Perfer zu ftügen fuchte 1), ſo vel 
er andererjeit3 den Heloten das Bürgerrecht (I, 132.). 
inpig die conſervative Politit der Lafedämonier im 3 
mit ihrer auöwärtigen Staatöverwaltung zufammenbänge; 
ben auch die Korinthier auseinander (70 fg.). — Uek— 
ift in Archidamos Rede und in denen der Korinthier ein! 
fer Gegenſatz zwiſchen dem alten und bem jungen Dei 
unverkennbur. 


Aus der alfo beſchriebenen Natur der beiden Sauyn 
ergab ſich ihr Verhältniß zu den Bundesgenoſſen fül 
Nothwendigkeit. Dieſen Inſel- und Küſtenbewohnern, 
ſchon ſo oft ihren Bezwingern mit den Lohne des @ 
auch die Mittel zu deſſen Behauptung dargeboten, fdie 
Herrſchaft des Pauſanias nicht länger erträglich. Sie 
ten ſich an das’ ſtammverbrüderte Athen ?), den fie ja 
zugömeife ihre. Befreiung von dem Barbarenjoche verdanktt 
— Jedem Bundesgliede ftand eine .befondere Stimme zu. 
mählig aber ging die Anführung, weiſe geleitet, zur wi 
Sereiigaft über, Dieß geſchah zumächit durch Die Scha 


1 Das hatten nicht allein die Peififtratiden gethan, ſonder 
Sylofon alle Zyrannen des den Perfern unterworfenen Griechenlan 


2) Als Paufanias ein edles byzantinifches Mädchen zum D 
feiner Enft genöthigt und dann aus Berfehen erfchlagen hatte, bra 
Byzanz eine Meuterei gegen ihn aus. Nun drangen Arifteides 
Kimon in Sparta felbft auf feine Abfesung (Plut. Cimo 6). 
unterwarf fich den Athenern um fo williger, als gerade -jegt ihre $ 
durch Kimon zu Sieg und Beute geführt, die Kataftrirung der Bu 
eontribution aber (Plut. Arist. 24.) durch den redlichen und einfi 
vollen Finanzmann Ariſteides geleitet wurde. 


3) 95 fg. VI,.82 ff. I, 75 fg. III, 10. 


6. 2. Einleitung... Bunbeögenofien. 381 


Eumg in Delos (96.). Kerner durch eine Reihe won: Un⸗ 
wehrrungen, welche der Bund audführen mußte, deren Vox⸗ 
We jedoch den Athenern allein zufielen (98 fg.) Am mei⸗ 
Sandeß dadurch, daß feit dem Vorgange von Naros (900.) 
WMundesgenoſſen einzeln abfielen, dann aber mit. Gewalt 
eine fchärfere Abhängigkeit zurückgebracht wurben... Die 


Inſeln wurden .am längfiten gefchont, um ſich ihren 
gegen die ſchwächern bedienen ziı können, und bieifok 
Maxsoch fortbeftchenbe Bundesgleichheit mußte das Ganze! bei 
eigen. Statt gegen die Perfer zu: fechten 1) , ſtrebte Athen 
Wi Bergrößerung feiner Bundesmacht, und der vielkoöpfige 
Bin. Der Bundesgenoſſen vermochte: Ddeut Einen Willen: der 
>ener feinen Widerjtand zu leiften. Wie die Exftern ſelbſt 
rend diefer Entwicklungen geſtimmt waren, ift in der mi- 
näiſchen Geſandteurede dargeſtellt (111, 9 fſ.). Was ‚aber 
ganze Verfahren weſentlich erleichterte, war die freiwillige 
wuafinung. der Stleinern, die mit Gelb -ihre Gontingente 
u 1) Kimon war ber Lebte, der gegen Perf ien Krieg führte: aber 
we Waffen drangen weiter, als irgend ein Vorgänger fie. getragen 
Me. Unter Perikles und feinen Nachfolgern feuerte die conſervative 
umöbie vergebens zur Nachahmung an. Dreierlei Gründe mußten jede 
wetfegung des Perierkzieges ben demokratiſchen Staatsmännern zuwider 
sihen : 1) weil er.gegen bie Unterbrüdung ber Bundesgenoſſen und ges 
u die Betämpfung von Sparta eine gefährliche Diverfion wärbe -gebils 
. Haben. 2) Weil er, ernſtlich betrieben, mehr zu Lande, als zut 
kp hätte geführt werden müflen. 3) Weil er die Erinnerung an das 
mehellenifche Vaterland, an bie gleiche Berechtigung aller Bunbesglies 
=, an den alterthlimlichen Borrang von Sparta. flets würde erneuert 
Den. — Der legte Verſuch, welchen Lalebämon zur Aufrechthaltung 
Mer Ideen anſtellte, war die Forderung, ben Themiſtokles, als Mit⸗ 
mildigen des Pauſanias, vor ein panhelleniſches Gericht in Sparta zu 
Men (Diod. XI, 55.). Erſt nad) dem völligen Siege der oligarchi⸗ 
en Reaction Eonnte der Perferkrieg. in großartiger Weile wieber:- aufs 
Eaommen werben. Xenophon’& Kyrupäbie iſt in der Hoffnung geſchrie⸗ 
un, daß Agefilaos thun würde, was Alerander that. | 


392 Thukydlbes. Kap. 13. 


abfduften 2).099.).%). — Mit dem Aufſtande der Tha 
ginnt Lakedämens Einmiſchung in Die atbenifchen 8 
känpfen: (101.): für dieß Dial freilich durch das € 
und den meſſeniſchen ‚Krieg noch erfolglos. Hier u 
Uar,: was fpäter fo bedeutend einwirken follte, daß 
mon an feinem eigenen Heerde am. verwundbarſten wa 
gleich auch, daß es in Belagerungen wenig Geſchid 
Ju: dieſem Kriege wird das alte Bundniß der beiden 
bihler auch der Form nach zerrifſfen (102.) 5 mit da 
ſtühung ven Miegara,:duch bie Athener beginnt du 
Feindſchaft der Korinthiev, ſowie andererſeits in der 
fehen: Koloniſirung 2): von Nanpaktos den Lakedämoni⸗ 


9) Wie allmählig und von felbft ſich dieß Alles machte, { 
am beſten daraus, baß die athenifchen Feldherrnein folches A 
ber. Eontingente Anfangs: gar nicht bulden wollten. Er 
ftellte ihnen vor, wie vortheilhaft es den Athenern fein müſſe 
Cimo 11.). Nachmals fandte Perikles alle Jahr 60 Trieren ı 
mit feine Bürger den Seebienft lernen, die Bundesgenoffen iı 
halten, und acht Monate lang Sold ziehen könnten (Plut. Pe 


2) Den Vorichlag zur Verlegung des Schatzes von D 
Athen Ließ man befanntlich durd, die Samier thun, ungefähr | 
ben Zeit, wo der Areopag feine politifhe Macht einbüßte. Ku 
muß.auch die Vermenbung bed Schages für das athenifche Bau 
gonnen habenı.nicht oßne heftige Debatten. Kimon hatte ſich n 
hen Buumpflangungen begnügt (Plut. Cimo 13.) Die coı 
D:ppofitiog erklärte ed für tyranniih, wenn Athen, einem put 
Weihe gleich, : basjenige Gelb zu feiner Verſchönerung verwen! 
ganz Hellas zu feiner Vertheidigung wider bie Barbaren zuf« 
bracht. Perikles dagegen meinte, Athen habe bie Vertheid 
Bauſch und Bogen auf ſich genommen. Wenn nun Alles fid 
Beughäufer gefüllt feiern, fo dürfe es den Ueberfchuß immer als 
genthum betrachten. In ber That mußten Handel und Inbı 
Athener ungemein baburd) gewinnen: Plut. Pericl. 12. %g 
eifen Geſch. Griechenlands, Ah. 1, ©. 246. 


2) Man beachte wohl! Durch Berftörung des Seeräubern 
Skyros (Thuc. 1, 98. Plut. Cimo 7.) hatte Athen feine eige 


$. 2. Einleitung. Erſter peloponn. Krieg. 395 


Bi, :0ft wieder anfbrechende Wunde geſchlagen wird (203.), 
We kommt es denn auch zum. eigentlichen: Kriege, Anfang 
BB nur gegen die: Bundesgenofſen von Sparta -(105 fg.), 
ral aher auch zegen Sparta ſelbſt (107 F.)-T) wobei ſchon 
BR nDdurch den erſten Raubzug um die Küſten des Palau 
Bim8: (108.) 3), dinch die Landungen auf dem feindlichen 
Mirto (111.) und die eigenthümlichen Einfälle: in. Böotien 
WEB) der nachmalige ſtehende: Charakter des Krieges 
Defahrt wird. Ebinſor machen ſich auch fchen: jetzt die ums 
Denchuien Folgen bemetklich, welche fire die Athener aus 
Ber: ſvoppelt feindlichen Stellung gegen Lakedämon und:igd 
Aiden Großherrn 2) hewargehen müſſen (100.). — ah 
vor jeber Sefahr fider geffeite.” "og iwürbe Korinth, das vor⸗ 
Emporium der votiſchen Staateit, von beiden’ Selten her ein⸗ 
sagt: weſtlich durch bie Beſetzung von Naupaktos, öſtlich durch die 
eoberung von Aegina.! Hieraus erklärt ſich, was die Athener nach⸗ 
aus in Alarnanien zu ſuchen hatten. kt 


* "Was den Kimon zum Frieden mit Sparta, hinneigte, “ 
at begreiflih. War er doch in Volksreden felbft gewohnt, das Mus 
% von Sparta anzupreifen (Plut. Cimo 15.). Aber auch Perikies 
Ehte den Krieg, fo lange wie möglich, aufzuſchieben. Er wollte erft 
Fig: Ianen zu und gegen die Bundesgenoffen ficher werden. Als daher 
nun 'mandherlei Zwiſtigkeiten entflanden waren, bemühete ex fich, -eine 
erfammlung aller Hellenen in Athen zu Stande zu bringen; bier ſoll⸗ 
m. bie gemeinfamen Intereffen der Nationalheiligthümer, des Barbas 
mfrieges „ ber Meeresfiherheit von Neuem belebt werben. ‚Das Pros 
et. fheiterte an den Lakedämoniern (Plut. Pericl. 17... Nach Theo⸗ 
wwoft’s Bericht hätte Perikles auch fpäter noch. längere Zeit hindurch 
Un Talente jährlich nach Sparta geihidt, um die Gphoren zum Aufs 
aube bed Krieged zu vermögen (1b. 23.). 


Bei diefen Raubzügen pflegte Tolmides nur bie Küfte zu vers 
ren; Perikles zuerft drang vorfichtig, aber tief in’s Land ein (Plut. 
ericl. 19.). 


8) Doch Fonnte fidy Lakedämon noch Tange zu keinem Bünbniffe ent⸗ 
ließen, wozu es von Perfien fchon während des ägyptiſchen Krieges 


594 | Thukydides. Kap. 13. 


das Vorberrichen der kimoniſchen Partei bewirkt alsbald < 

Wafſenſtillſtand mit Sparta und eine nachdrücklichere Füße 
des Perſerkrieges. Uber fchon kurz darauf wird Durch Ei 

ſchung in die delphiſchen Streitigkeiten von Neuem de $ 
mit Lakedämon eröffnet (112.). In dieſem zmeiten pelt 

nefifchen Kriege !) iſt vornehmlich der erſte Verwüſtungẽzug 
Lakedämonier nach Attila zu bemerken, dem noch fidte 

viel ähnliche nachfolgten ?) ; deßgleichen Die Demokratiſt 
von Samos, durch welches Mittel ſich Athen won jetzt anf 
ner. Bundeögenojien zu fichern wußte (115.). De g 

Kampf wird hierdurch aus einen bloßen Exroberungätrige- 
Prineipienkrieg, wie jchon frühere Vorgänge hatten erwen 
laſſen (106. 111—113.) 3). 


% 


ie in diefer ganzen Periode die Demokratie überuige 


fo ift auch die See macht das politifch Entjcheidende, * 


Hatte ſchon Kerred anerkannt *), als ex nach der ſalaminiſhe 


dringenb aufgefordert wurde (Diod. XI, 74.). Auch während bei} 
mifchen Krieges unterflügt ber perfifche Satrap auf's Eifrigfte bie fen 
fhen. Dligarchen (Plut. Pericl. 25 sqq. Thuc. I, 116.). 
1) Ich fpreche von brei peloponnefifchen Kriegen, wie man von ai 
perfifchen,, drei fchlefifchen Kriegen zu ſprechen gewohnt ift. | 
2) 114: vgl. 11,21.— Man fieht, Thukydides hebt immer basjem 


hervor, was er als Anfang einer im großen peloponnefifchen Arie 


charakteriſtiſchen Richtung auffagt. 


3) Doc hatten die Athener ſchon in den früheften Kriegen mE 
Chalkis und Xegina, als fie felbft demokratifirt waren, fich ben Anfı 
zu geben verſucht, als ob fie nur den Adel jener Staaten befämpfte 
(Herod. V, 77. VI,91.). 3u Anfang bes großen peloponnefijchen Krieg: 
fheinen die Bundesgenoffen von Athen ſämmtlich demokratifche Berfik 
fung gehabt zu haben, nur die unabhängigern, Chios, Rhodos und Mr 
tolene ausgenommen. Indeſſen binderte diefe ganze Yarteiftellung nihl, 
daß in den epibamnifchen Händeln ber Abel von Epidamnog durch Kt 
Athener, der-Demos durch die Peloponnefier gehalten wurbe. 


) Das hiftorifche Auge des Hekatäos hatte fchon zwanzig Jahe 
früher daflelbe eingefehen: Herod. V, 36. 124 sqq. 


$. 2. Einleit. Zweiter pelop. Krieg Seemacht. ZA 


Hhlacht, obwohl fein Landheer unbeſiegt war, die. DOauptſache 
I verloxen glaubte (I, 73.). Den. Themiſtokles hatte die 
hwendigkeit, ¶gegen Perſien zur See gerüftet zu fein ,wie 
w;telbit auf Die Seemacht geführt, (I A3.). Weil es neh 
wis Wiethotruppen gab, ſo pflegten Die Landzüge nux den 
Bwiner. hindurch zu dauern (141.). Weil die Belagerungs 
u noch in ihrer Kindheit war, ſokonnte ein. Landheer sel 
g:größern Schaden anrichten, als die Verwüſtung ber Fel⸗ 
’ (82.). Den eigentlichen, Hülföquellen der Athener, ihren 
epflichtigen Bundesgenoſſen ‚ ihrer Handelsgröße war zu 
Ikbe gar nicht beizukommen; wogegen die Athener, als Her 
Kar Ser, auch daB innerfte Binnenland durch ihre Han⸗ 
Aſperre beläſtigen konnten (120.)... Erſt durch: Braſidas 
Bye: wurde. die Landmacht wieder bedeutender; ſeit Ageſilaos 
x vollkommen wieder Hauptſache. Während. die. Seeſchlacht 
pont Athen unterjocht hatte, konnte Die ebenſo eut⸗ 
ebene Niederlage der Lakedämonier bei Knidos nicht einmal 
we Hegemonie. umftürzgen. — Noch im Sabre 458 war bie 
Binifche Secherrſchaft nichts weniger, als unbeftritten gewe⸗ 
% Erſt die. Schlacht ‚bei. Aegina entfchied ihr Uebergewicht 
.).: .. Unmittelbar darauf erfolgte: die Eroberung: von Ae⸗ 
ma. und die Zeritörmg der lakedämoniſchen Schlfſowerfte 
08.) Beim Anfange des peloponnejifchen Krieges gab es 
ne zwei felbftändige Seemächte außer Athen: Korinth und 
erfyra (25. 33. 36.). Die legtere trat nun auch auf Sei⸗— 
der Athener 1). 
2 Von dem ſamiſchen Kampfe bis auf den Ausbruch der 
mein dinde war Athen wider ſeine Gewohnheit in 


mech in der Seeſchlacht zwiſchen Korinth und Kerkgra, verſi⸗ 
irt Thukydides, ſei das Seeweſen ziemlich roh erſchienen: mat habe 
* See, gleichwie auf dem Lande gefochten (T, 49.). Dieß iſt vas letzte 
ement in der kurzen Geſchichte der nautiſchen Kunft, wett fi durch 
eVorrede hinzieht. 


306 .Thukyhdides. Kap. 13. 


Ruho. Die war der. Zeitraum‘, wo Perilidg, S’ldyan rei 
npasöbe "Övsarsbeinog ,: in ulgeltörter : Alleinhreiſchaſt 
Staat verwaltete. -:. Hier die Akme bed „athenifehen e | 
Ale: Bande'waren’gelöft, welche feine. Kraft noch 4 
haften. Wenn aber der Meiſter hinwegging, der dieß gef 
fo muren auch die Damme verſchwunden, wache dal 
Daten Vewerbriß hatten wehrent kbanen * 


7 a = [ij N) a 1, FR 


..ıy .. FE a u Pad gs 
- end 
Bocbereitungen zum Kriege. 


. 2 ben fünf Reden, welche den Ausbruch des Sign 
ittäißer vorbereiten, liegt der Gang deſſelben im Wein 
ſchon augedeutet. Uebrigens zerfällt dieſer ganze Abſchnitt Inh 
Höchst einfach angeorduete Gruppen, Zuerſt die kerkyr 
Handel. (20 — 55.), womit ſich die makedoniſchen coorbiu 
(G8.66.); hierauf die Verhandlungen zu Sparta: (67-87, 
endlich; die. letzten Vorbereitungen zum Kriege, melde dı 
die Themiſtoklesepiſode in der Mitte getheilt, durch die beide 
Schinpreden vor und hinten begrängt werben (118-146, 
Das einfache Band, weiches. dieſe Gruppen zuſammenhli 
tritt zu Anfang und zu Ende je Unterebtheilung beſouden 
Ba herwor 2), 


——— — — — — — 


⸗ — 
i 


1) Man achte ſchließlich noch auf eine Feinheit des Thukydl 
Kimon hat die langen Mauern begründet (Put. Cimo 13), d 
Eroberung von Skyros den Handel ficher geftellt (Ab. 7.), bie 
fung der Bunbdescontingente eingeführt (Ib. 11.), bie abgefallenen She 
fier unterworfen (Ib. 14.): lauter Thaten, deren charakteriftifche Wide 
tigkeit Thukydides hervorhebt, ohne jedoch den Namen ihres Bollbriw 
gers zu nennen. Nur wo es gegen die Perfer geht, ober für bie kalo 
dämonier, lefen wir Kimon’s Namen. — Eine Einleitung bedurfte leu 
ner vollſtändigen Nomenclatur. Und wie fein werden die eigentlichs 
Tendenzen des Kimon ſchon durch dieſe Auslaſſung hervorgehoben! 


2) 55. 56. 66. 67. 87. 118. 146. 


6. 3... Vorbereitungen am Kriege. 3 


ar Ber. 'nllan Seiten wird das hohe Gewicht: und Die Uns 
lichkeit: des beyprſtehenden Krieges anerkannt 1). Seit 
Belt Hhaben bie Athener ſich auf. den Krieg gerüſtet (68,), 
loponneſier ihu heebeigemfinicht (33. 20,). Jene ſehen 
‚Laß. die. kleinſte Nachgiebigkeit den Verfall des ganzen 
Begrüude (140.) 5: dieſe, daB es ſich hier um. einen 
nd gegen völlige Unterdrücking handelt 2), Heide 
mepfen nicht um Vergroͤßerung, fondern darum, daß die er⸗ 
Die Macht ihren Nachkommen nicht geſchmälert werde (71, 
5). Dieſes rein erhaltende Streben trat freilich auf 
Ban Seiten gar. bald in den Hintergrund: bei den Athenern 
; Perikles Tode, beiden Laledimoniern wenig ſpäter (II, 










* Kerkyräer 2) verſchern von ſich ſelbſt, daß ſie ge⸗ 
en ſeien, mit Aufgebung ihrer lange bewahrten Neutra⸗ 
Di an die Feinde ihrer Mutierſadt, die Feinde ihrer 

a Ei 


2 neber die Urſachen des peloponneſiſchen Krieges führt 
Marchos (Pericli 81 sq.) drei verſchiedene Angaben an: zuerſt das 
Mpeit des Thukydides; ſodann ein zweites, daß Perikles nur aus Ehr⸗ 
Ey und Hartnäckigkeit den Frieden gebrochen hättes endlich die aus 
Eobor bekannte Erklärung des Ephoros. Hiernach wäre Perikles zum 
lege geichritten auf den Rath des Alkibiabes, um einiger gefährlichen 
»ozeffe über Anaragoras, Pheidias und feine ganze Flnanzverwaltung 
R zu werben. Daß Ephoros die Sadye nidyt eben großartig nahm, iſt 
ifelhaft: doch wage ich nicht genau zu beflinnmen, was hier von 
or herrühren könnte. Jedenfalls muß er die Klatichereien der Kos 
als Quelle benugt haben. Den Ramen bes Alkibiabes finden wir 
m̃ dei Gelegenheit des megariſchen Dirnenraubes wieder (Aristoph. 
eh, 529 Schol.). 


3) 71. 122. 124: vol. VI, 77. 


"3 Während der Anweſenheit der Zerfyräifchen und Zorinthifchen 
Mandten in Athen find Euripides Herakliden aufgeführt worden. Dieß 
tuck enthält eine fehr burchgearbeitete mythiſche Allegorie der damali⸗ 
B Frage: die Heralliben find bie Kerkyräer, ihre Verfolger die Ko⸗ 
sthier. Bol. unten die dritte Beilage. 


3508 Thukydives. Kap. 13. 


Stannneßbtüder anzuſchließen 1). Ihre ganze Rede 
fih an den kuͤhnen Unternehmungsſinn dee Athener; fe 
die Eriveme deſſelben, welche ſchon damals den verla 
Blick nach Sicilien und Stalien hinüberwarfen (36.) 
Dagegen warnen die Korinthier, es ſei bedenklid 
auf die erſte Lockung in gefahrdrohende Erweiterungen 
laſſen (42.). Ganz dieſelbe Treuloſigkeit, welche 
jetzt von ſeinem Mutterlande abwendig mache, müſſe 
auch die auf Bundestreue gebaute Macht der Athener 
zen (40.). 

Welche Feldzugsplane mochten die Parteien num 
fen? welche Hoffnungen des Sieges faſſen? 

Was Hier die geiftige Verfchicvenheit der beiden 
kämpfer an Die Hand gab, ift in den Wechfelreden zu | 
dargeftellt ; wir haben e8 früher ſchon befprechen müſſen 
mehr materielle Schilderung geben Archidamos, die Kor 
(I, 120 fi.) und Perifles (1, 140 fſ.) 2). Ganz di 
Hauptzüge find zu jeder Zeit wicdergefehrt, wo Staat 
einander in Conflict gerietben , von denen der Eine die 
Stufe feine Machtentwicklung bereits erftiegen hatte, d 


1) 32: vgl. 37. 


) So ſchlecht fi Kerkyra im Perferkriege auch benommeı 
fo war es doch von jeher ein Lieblingsproject der athenifchen D: 
tie gewejen, ein freies Bündniß mit dieſer Infel aufzurichten. 
wünfchte in biefer fernen Gegend eine fichere Station. Dazu dü 
lität zwifchen Korinth und Kerfyra. So hatte Themiftokies bie 
gung der Kerkyräer verhindert (Schol. Thuc. I, 136.)3 nadın 
einem Schiebögerichte zwifchen Mutter- und ZTochterftadt für die 
entſchieden (Plut. Themist. 24.). Der frühere Seekrieg, deſſer 
nelius Nepos erwähnt, könnte noch in die Verwaltung des ' 
des und Arifteides fallen (Ib. 2.) 


3) Das finanzielle und militärifche Detail in ber kndirect 
des Perikles: IL, 13. 


=> 


F. 3. Kriegsmittel ver beiden Parteien. 309 


w fie noch erftelgen follte 1). — Die: Beloponnejter 
wers Ackerbauſtaaten, die Atbener mit ihren Bundesgenoſ⸗ 
wBandeld- und Induſtrieſtaaten (141.) 2). Die Ueberle⸗ 
rheit, an Gelbe ſowohl, als an Kriegematerial, war durch⸗ 
3 auf Seiten der Athener (80. 141.). Die Bevölkerung 
er Gegner war im Ganzen freilich zahlreicher (81. 121.), 
Bu die athenifche viel concenteixter (80... Die große De 
glichkeit und Reifeluft der Athener, gegenüber der Tas 
Manonifchen Häuslichkeit (I, 70.), iſt jeder höhern 
fe ! der Volkswirthſchaft eigen 3), Wie es in je 
ur. Staate die Periode der ſpätern Demokratie oder der 
Fiboligarchie mit fich zu bringen pflegt, fo war Athen durch 
tegeſetzte Uebung feiner ganzen Straft bewußt geworden, im⸗ 





"2 Dieb bat man in dem ganzen non Thukydides gefchilderten Ger 
nfage des athenifchen und Takebämonifchen Charakters viel zu fehr 
Inefehens viel zu einfeitig geglaubt, daß hier nur ber allgemeine Ges 
ap des doriſchen und ioniſchen Stammes vorläge. Faſt jedes 
Eieb unfers Gegenfages kommt in ber Geſchichte jedes 
wites voor. Aber freilich, wer dieſes merken will, muß auch die neuere Ges 
Echte Tennen. Der fonft fo vortrefflihe R.F.Hermann 3.8. würde als⸗ 
zen gewiß nidyt verſucht haben, das hellenifche Staatsprincip im Allgemeinen 
w den Schriftftelleen einer einzigen Epoche zu abstrahiren (Staates 
Berthümer $. 51.). Die ariftotelifhe Staatsidee entfpricht dem dra⸗ 
watifchen und dem homerifcyen Staate gerade fo gut, wie Herrn von 
Dtted’8 Vernunftrecht den Zeiten des Gonftanzer Concil's und bes Her⸗ 
ws Goffredo. 


= Bgl. De rep. Athen. 2, passim, und Thuc. Il, 13. Auch 
ww höchft merkwürdige Kragment des Komikers Hermippos: Athen. 
pP: 27. 


3) Sie hängt natürlich als Urfache und Wirkung mit dem Zuftande 
w GSommunicationsmittel zufammen, welchen Perikles bedeutend verbefs 
wt Baben muß. Pilut. Pericl. 17. Unter ihm eine eigene Wegbaus 
Hörde errichtet, während früher der Senat bieß mitbeforgt hat 
Bergk Comment. p. 15.). 


400 | Thukydides. ‚Kap, 10. 


mer bertit, auf jede einzelne Unternchnmug Die hboehſte 
ſtrengung aller Bürger zu wenden (70.). Hier beſtan 
Freiheit des Einzelnen mr in der Theilnahme an der © 
verwaltung. Der Lakedämonier hingegen mar wenig ge 
hnmer Alles an den Staat zu engen. Miit feiner * 
zwar ließ Die angeborene Tapferkeit ihn germ diesen, abı 
Steuern war er nicht gewohnt, Lichte auch keinen Staatl 
(80. 141.)). Sn einer einzelnen. Laudſchlacht waͤre 
Athener daher nhne, Frage die Schwächen geweſtu; 
ganzen Krieg aber konnten fie beſſer führen: zumal: 
Seekrieg, der mehr duch Gold, ald durch Eifen wall 
führt fein (83. 141.). . Die Lakedämonier waren zu A 
die Athener zur Ser überlegen; aber. Sie athemifche Ud 
genheit war anf ihrem Elemente größer (142. I, 62. 
Ach die Bündniſſe der beiden Staaten waren von m 
chenden Charakter. Bei der unbedingten Unterordnun— 
athenifchen Bundesgenoſſen wurde der Krieg nach dem al 
gen Ermeſſen und zum alleinigen Vortheile des Hauptei 
führt 2) 5 der lakedämoniſche Bund hingegen mußte die b 
dern Intereſſen jedes einzelnen Gliedes berückfichtigen. 

Krieg, glaubte Jeder, werde auch ohne ihn feinen Fort 
haben (141). ber die Lakedamonier waren im Inner! 
res Staates an Eintracht und Gehorfam gewöhnt; bei 
Athenern ließ fih Willkür und Barteienfampf erwarten, 
bald Fein Perikles mehr das Ruder führte. Die lakedän 
chen Bundesgenoſſen waren freiwillig, durch Verwandtiſch 
bande zufammengehalten. Wenn es gelang, durch F 
oder Hofjnung ihr ntereffe zu fleigern, fo Tonnte man 





1) Alſo auch hier fchon das allgemeine Gefeß, daß auf ben ni 
Wirthſchaftsſtufen Naturalbienfte, auf den höhern Geldabgaben am 
teften ertragen werden. Das Schatzweſen ift für jene Zeiten ganz, 
a8 Öffentliche Greditwefen für unfere Tage. Die großen Tempel ı 
ie vornehmften Bankierhäufer. 


2) gl. De rep. Athen. passim, und Thuc. I, 143. 


$. 3. Krlegämittel und. Kriegäplane. 40% 


usten Anſtrengungen gewiß fein (121... Umgekehrt aber,: - 
EU ıbie..atheniichen Bundeögenofien mit. wenig Ausnahrien 
FE ans Zwang gehorchten, fo mußte. die erfie Gelegenheit 
12Abfall Herbeiflühren. Treue Vaterlandspertheidiger find. 
Bönueruiber, als wohlbezahlte Miethsſoldaten (121.) 2), 
= Hiernach mußten ſich die Kriegsplane geſtalten. 
Der Entwurf des Perikies war auf die eigenthümlichen 
petßeite f die eigenthümlichen Gefahren der athenifchen Macht 
gnet. Das attifche Landgebiet, das ja doch nicht ges. 
2 werden könne (142 fg.), ſollten ſie nur als einen Luſt⸗ 
zyn, eine entbehrliche Verſchönerung ihres Reichthumes ber. 
gen. (A, 62.) Hatten. ed doch fon die Väter fo ge 
Et, als fie auf Themiſtokles Rath die Schiffe beſtiegen, 
B ihr Land dem Barbarenkönige Preis gaben, (144,). Ein, 
dl: Lande würde wenig Nutzen bringen; .eine Niederlage 
fe in Gefahr ftürgen. Athen müffe ſuchen, einer Inſ d 
wich zu werben. Die Verheerungen ber ‚Sakebämonier 
Kde : man durch "a an der peloponneſchen ai herz 


}..; oo. « W .. . W— 714 


— — — — 


1, Ich kann es mir nicht verfagen, aus den nächſten Quellen noch 
ige andere Unterfchiebe ber beiden Hauptlämpfer beizubringen, bie 
walteriftifch zugleich und heutigen Tages leicht zu verflehen find. Won 
» öffentlichen, raſchen, aber unfihern NRechtöpflege ber Athener,. und 
» geheimen, fchwerfälligen, aber fichern der Latedämonier ift ſchon 
Iher und nach Thukydides felbft die Rede geweſen (S. 382). Die 
spublica Atheniensium fügt nocd eine Erklärung von brei andern 
arakterzügen hinzu. Die Genfurfreiheit der Komödie: ‚nur barf fie 
bt gegen bas fouveräne Bolt gemißbraucht werden (2, 18). Die 
He Menge. von öffentlichen Anftalten und Keften., zur Bequemlichkeit 
db Grgögung des Yublicums (2, 9.). Große Volks feſte find an ſich 
on demokratiſch, am allermeiften, wenn fie auf Koften des Etaate& 
en. Sodann die unendliche, faft büreaufratifche Complicirung ber 
aatsmafchine , die allenthalben nothwenbig ifl, wo ber Staat bas 
13€ Leben verfchlingen, feine böchfte Energie entfalten will (3, pass) 
n bem Allen mäüffen die Lakedämonier das Gegentheil beſeſſen haben. 

26 


402 Thukhdides. Kap. 13. 


unter mehr als vergelten 1). Denn der Feind Habe fein a 
deres Land, die Athener aber ihre zinöpflichtigen Juſeln 
142.). Dieſe zu erhalten, müſſe alles Gewicht auf die E 
macht gelegt werben. - Die Höchite Gefahr fei work 
wenn der Feind jemals mit einer Flotte vor der Statt: 
feinen follte (II, 24). ine einzige Niederlage zu © 
meinen auch die Korinthier, koͤnne Athen zu Grunde r 
(1, 121.). Was Perikles am dringendſten widerräch, iſt 
neue Eroberung (I, 144. II, 65.) 2), — Wie unenme 
diefe Politik den Lakedämoͤniern war, ſehen wir aus Mi 
damos Rede (11, 11.). Nichts deſto meniger konnte eine fe 
Art der Kriegsführung dem großen Haufen begreiflicen 
nicht einleuchten. Die weiſeſte Mäßigung mußte biefem d 
Schwäche erſcheinen; und wo die naheliegenden Boriit 
fiegtlich verloren gingen, da war es natürlich, daß berg 
uteine Mann die größern, aber fernher winkenden überfefl 
forinte (11, 15. 21 ff. 59.). Wer köonnte ihm dieß am 
wohl verargen, wenn noch in unfern Tagen, wo dod Tu 
kydides laͤngſt gefchrieben 3), der Erfolg Tängft gerichtet hal 
ein vortrefilicher Hiſtoriker in Perikles Plane die Zaghaftigla 
des Alters zu erkennen glaubt )?_ Durch Verlaffen del 












nn 


1) Daher fid) die Athener auch ganz vorzugsweife um bie Bunkb 
genoflenfchaft ber Kerkyräer, Kephallenier, Akarnanier und Zakynthie 
bewarben (ll, 7.). 


2) Weil das allmählige Verlaſſen diefer Rathſchläge im Krieg 
felbft einen Hauptfaden der thukydideiſchen Gefchichte bildet, fo fin 
der Hiftoriter für gut, biefe Rathfchläge nicht bloß in Perikles Kt, 
fondern auch zweimal in bdirecter Erzählung auszufprechen (11, 8 
65.). ' 


9) ol. II, 6. 
“ 4) Deeren’s Alte Geſchichte, ©. 246. (IM. Aufl.). 


6. 3. Kriegsplane der beiden Parteien. 403 


rrikleiſchen Kriegsplanes iſt Athen zu Grunde 
Bang en !), 

1.Bei den Zakedämoniern kam , um ben Sing zu 
Binnen, Hauptfächlich auf drei Punkte an: Sie mußten 
Bien feiner Hülfsquellen berauben; Fe mußten durch Gelb 
WUchbung zur Seemacht werben 81); fie. mußten ihren 
Wat. un ihren Bund auf ähnliche Weiſe concentriren, wie 
hder atheniſche u Ihre Fähigkeit zu bereichen wächſt in 
Bifelben Maße, wie ihre Begierde nach der. Serrfchaft, 
Barum find zu Anfange des Krieges die Korinthier das bes 
Kgende Element: zwar ein ariftofratifcher Staat, aber durch 
Beiiche und mercantile Natur ben. Athenern am ähnlichſten. 
in der Folge werden die Syrakuſier Spartad Lehrmeiſter, 
Wie mit atheniſcher Rührigkeit und Demokratie (VI, 34; 
25:55.) lakedämoniſche Strenge und Suborbination verbuns 
—* Haben, — Schon die atheniſche Gefandifchaft prophezeit, 
atedämon werde den Krieg zu früh beginnen, und erſt nach 
Üttenen Unfällen an Unterhandlung denken (I, 78.). Archi⸗ 
mod iſt derſelben Anſicht (82. 85.), und Thukydides nennt 
jn einen verſtändigen und gemäßigten Mann (79.). Er ſagt 
ſit Beſtimmtheit den ſchlechten Erfolg des. }. g. archidamiſchen 
xieges voraus: Attika ſei entlegen, ſelbſt die Verwüſtung 
on Attika werde Nichts helfen (81.), den Feind wohl gar 
pe hartnäckiger machen (82.). Darum werde der Krieg auf 
h Kinder forterben (81.) 2). Vor Allem fe eiſorderlich, 


9) Darum vergleicht auch Plaͤtarchos den um das Wurren des 
rſichtigen Volkes unbekümmerten Perikles mit einem Steuermanne, 
& im Sturme keine Rückſicht nimmt auf das Jammern der ſeekranken 
aſſagtere (Pericl. 33). u 


7 Wie Binkeifen fehr richtig bemerkt, fo konnten bie erften 
eiegslahre Schon deßhalb Leine Entfcheidung bringen, weil die beiden 
zupttämpfer ganz verfchiedene Waffen führten, Hopliten und Trieren, 
it denen fie einander kaum erreichen konnten (Geſchichte Griechenlands 
1, ©. 271.) 

26 a 


404 CThukydides. Kap. 13. 


zur Verſtürkung der See⸗ und Geldmacht unter Hellenen 
Barbaren neue Bundesgenoſſen anzuwerben (82.). — 
Korinchier freilich Hoffen ſehr auf geiſtlichen Beiſtand (12 
insbeſendere auf Darlehen der olympiſchen und delphij 
Tempelſchätze (121. 143.) 1). Aber fie meinen zugleich, fi 
die Lage. dee: erſten Streitpunkte Jei bemerkenswerth. X 
Potidäa⸗ weiſe auf die: thrakifchen Tributſtädte Hin, Ka 
auf das Meer, :.ald. die eigentlichen Schaupläße des bem 
henden Kampfes (68.). ... Ihre nautifche Unerfahrenheit, 
merken: fie richtig, muͤſſe ſchon durch den Krieg felbft zur 
fahrung werben (121.). . Der Abfall der athenifchen Dam 
genoffen. :ındı: der Bau von Feſtungen in Attika felbit w 
furchtbare Hulfsmittel ‚bieten (122). . Auch nach Perikles 
theile war eine Seemacht des Keindes, oder eine Verſchan 
deſſelben in Attika, jedes fire ſich allein noch sicht gefaͤh 
(442.) 2 deſto gefährlicher ihr Zuſammenwirken! — 9 
warnt Archidamos,Keiner moͤge ſich durch eine doriſche 
achtung der Jonier zu migeiſchen Hoffnungen verleiten 
ſen) G4.) ). .. 





I, Eine ſelbſtändig und: als Macht daſtehende Kirche iſt im 
mit ber Ariſtokratie verbündet. Schon bei ber Gründung von 2 
hatte ſich ber beiphifche Gott den Athenern nicht allzu günſtig erwi 
Diod. XII, 35. 

2) Dieß 'ift nämlich der währe Sinn von 84 extr., welches 
denſelben alerdings eine Sentenz von: großer Schönheit enthalten, 
ganz außer Zufammenhang ftehen würde. — Ueber jene Berad 
vgl. I, 124. V, 9. VI, 77. 79. VII, 5. VIII, 25. 

3). Sowohl Perikles, als bie Eorinthifchen Gefandten Laffen bie 
wartung durdhllingen, daß ber. Krieg.auf beiden Seiten nicht mit 
anfänglichen Eifer (II, 8.). werde fortgeführt werden... Beide hebeı 
ZIrüglichleit des Glüces hervor und ben ungewiffen Ausgang felbf 
weifeften Rathichläffe (120. 140.). Auch. erllären bie Korinthier, 
Bang des Krieges fet nicht im Voraus zu beſtimmen; fondern gar $ 
ches entwickle ſich nad) zufälligen Umftänden (122.). Hierdurch 
Thukydides den Leſer warnen, nicht Alles, was in dieſen Reden 
für wirklich damals ſchon beabfichtigt und geäußert zu halten. 


$. 3. Kriegsplane ver Beinen Parteien. A05 


= &inen tiefen Eindrud wird es hier auf jeden wohlgeſinn⸗ 
bi Lefer machen, wenn ex in Perikles letzter Rede gleichem 
WB Teſtament des großen Staatsmannes vorfindet. Hier 
die Vaterlandsliebe gepriefen, welche das eigene Wohl 
fe dem allgemeinen unterordnet, aber eben dadurch am 
| rettet; wird der Staatömann gepriefen, der für ein 
iS Volk geeignet fei (II, 60.). Hier wird bie 

e der Herrſchaft, die auf dem Spiele ſtehe, der Ruhm 
B Väter, den man behaupten müffe (62.), endlich das 
der Knechtſchaft, welches den Feigen erwarte (63.), je 
Mäßigter, deito eindringlicder zu Gemüthe geführt, Am 
hluſſe noch der Hiftoriiche Troft für die Zukunft gegeben, 

unfterblicde Schönheit uns früher fchon erhoben hat (64.). 
— — 











f des Krieges von lakedämoniſcher Seite würde ihn ſonſt man⸗ 
Macher Lügen ftrafen. Die wirklichen Erwartungen, welde die Pelo⸗ 
nwefier hegten, find 120 auögefprohen. Wie befcheiden lauten fie, 
In wir an Lyſandros Erfolge denken! W 


r, 


Vierzehntes Kapitel. 


Exfter Sauptfaden — Umwandlung der politii 
Gefinnung. 


— — 


8. 1. 


Ende bes Perikles. 


Wie es aber die Natur aller menſchlichen Dinge mi 
führt, daß jeder Stillſtand den Rückſchritt zu beginnen y 
fo konnte auch Athen auf feiner perifleifchen Höhe nicht 
bleiben. Während Perikles noch lebte, mard das g 
Maß, nach Sinnen wie nach Augen, im Ganzen feilgeh 
Als aber der Mann Hinmweggegangen war, „der feinen 
dern an richtigem Urtheile und eindringlicher Mittheilun 
felben, an Vaterlandsliebe und Uneigennützigkeit nachgefl 
hatte” 1); und nun Keiner mehr da war, der das Bol 


1) 11, 60. Jedes Wort hier ift ein Wegweifer durch bier 
gende Geſchichte. Perikles allein befaß jene vier Eigenfchaften 
men. Nikias hatte Urtheil, Vaterlandsliebe und Wireigennügigteii 
keine Mittheilung Kleon weiter Nichts, ale Mittheilung. Al 
endlich Urtheil und Mittheilung im höchſten Grade, aber wede 
gennützigkeit, noch Baterlandsliebe. — Bol. die ſchöne Entwidlu 
Plutarch, welcher die beinahe königliche Gewalt des Perikle 
feiner Beredtfamkeit und Necdytlichkeit noch ber großen Complicir 


F. 4. Ende des Perikles. 4AD7 


tzefochten, wie er, hätte regieren: innen: - da: wurde die 
seeichaft unter dem mwetteifernden Kampfe felbitfächtiger Staats⸗ 
an den Demos verrathen. Der große Haufe, der 
jec geleitet morben war, leitete jetzt ſelber, natürlich mit 

ndigen Fehlgriſſen. Wo früher das allgeineitie Intereſſe 
waltet hatte, da regierte don num an der Egoismus’ der 
eelnen 1). 

Was hier fchon von ſelbſt mit dem nachwachſenden Ge⸗ 
te hätte kommen müſſen, das wurde noch in entſetzlicher 
e beſchleunigt durch die Peſt, welche den Kern der alten 
gerſchaft Hinmegrafite; welche auch bei den Uebriggebliebe⸗ 
die alte Gottesfurcht und Sittenſtrenge nicht wenig er⸗ 


Witterte 2), Diefe Peſt zu Athen ift Übrigens nicht bloß für 


— — — — — 











Etaatsmaſchine zuſchreibt, die eben deßhalb kein Anderer habe 

> tönnen (Pericl. 15.). Ueber feine Beredtſamkeit füge ich bie 

ggleichliche Stelle aus Eupolis Aynos hinzu (Diod. XII, 40. 

. Arist. Ach. 535.): 
one Ilegıniig HVÄvuzsog 

i "Horoaztev s ‚Speorea, ovsexrxa 179 "Ellada. 
*. Kodtıoros oſüroc dyiver’ avdgurew Alyem, 
n Onsr: napildoı, wog oi ayadoi dporeis, 
hi "Enxaidexa nodar Axeı Akyay tous ÖnTogas ' 
. Tayus Alysm uiv, nrpös dt yavıov zw Tayeı 
Dudu x; dnenadıoey ini Toig zeilsow. 


Ovrug dunleı, za uovog Tor bmTogwv 
To xirtpov dynarilıze Tois aupompivor. 
4) II, 654 Redende Beilpiele find IV, 28. 47. 

2) IL, 62 ff. III, 87: vgl. VI, 26. Die Stärke ber alten Bür- 
wichaft vorher: II, 31. Die Zahl der an der Peſt Geflorbenen giebt 
Kodor. XI, 58. — Eine fehr anziehende Meinung hat Riebuhr 
ggeſprochen: daß nämlich große Peften auf unerklärbare Weife mit 
Bitifcher Ausartung zufammenhängens er erinnert namentlich an bie 
kuche unter M. Aurelius (Briefe Ih. II, S. 167.). Der Krankheits⸗ 
mins ganzer Beiträume dürfte überhaupt mit dem politifcyen Zeitgeifte 
sunichfady verwandt fein. Ich gebenfe der Brouflaiß’fchen Entzün⸗ 
mgötheorie, welche der franzöfiichen Revolution entfpricht 5’ der heuti⸗ 


r 
„"ı 


408 Thukydives. Kap. 14. 


ven Berfall des politiſchen Geiſtes von Bedeutung, ſu 
auch als / Wirkung der übertriebenen VolfSconcentration. 


Die erſten "Spuren des Verfalles Hatte Perikles 
noch zu erle eben. Die Unbequemlichkeiten der Blockade, 


Perikleb stein keinen Bebeutenbern Ausfall art 


gen Wofferheittunbe, welche ebenfo ‚wie in K. Auguſtus 3eit, mi 
durch Ueberreljung fhlaff gewordenen Zeit zufammentrifft. N. hl 


» Das Xnftärmen der kampfluſtigen Athener gegen Derikteis 
foftem, wobei Kleon zuerft auftaucht, bat u. X. Bermippos’ 
nen Mören ausgefpeochen, worin er ben flürmifchen Muth der I 
ausmalt (Athen. XI, 487. XV, 668). Er wirft dem Perikle 
mit Worten freilih fei er ein Held; fobalb es aber zum St 
komme, trete er zurüd (Plut. Pericl. 33... — Sn die Gchred 
riode diefer Peft muß nach vielen Andeutungen ber ſophokleiſche 4 
Debipus gefegt werden. Hierauf würde fchon die malerifche, ti 
dem Leben gegriffene Schilderung der Seuche felbft führen, weld 
Dintergrund des ganzen Stüdes bildet. Dann aber betet ber Ch 
Abwehr des Ares (183.), obgleich bag Theben der Zragöbie ni 
Kriege begriffen war. Diefer Ares wird fchildlos genannt: wi 
Athen damals, ohne eigentlich das Schwert zu ziehen, alle Dri 
des Krieges erdulden mußte. Die athenifche Peft war ja Halb ur 
direct eine Kolge bes Krieges; wenigftens hatte ber Blockadezuſta 
Furchtbarkeit gefteigert. Selbſt die Anrufung der Götter, ber 
ſchen Athene, der auf dem Markte thronenden Artemis, danı 
des peftheilenden Apollon mußte nah Schöll’s treffender Bem 
(Sophokles Leben, S. 178.) die Zufchauer mehr an Athen, als a 
ben erinnern. Wenn ber Zeuspriefter feine Aufforderung an £ 
mit den Worten fchließt: Mauern und Schiffe find Nichts, wenn 
Menſchen darin beraubt find (56.), fo denkt Jeder unwillkürlich 
Athen jener Zeit und an die Kriegsführung des Perikles. Wi 
‚ Konnte Sophokles, der meiner frühern Bemerkung zufolge wohl 
lich unbedingter Anhänger bes Perikles war, wie leicht Eonnte ı 
ald die Haupturſache des gegenwärtigen Unglücks Perikles al 
Starrſinn betrahten! Cine Menge Orakelſprüche Tiefen zu Anfa 
Krieges um, bie Perikles gewiß mit Verachtung ignorirtes ber I 
und Heilgott felber hatte den Peloponnefiern feine Hülfe zugeſagt 
bem Haupte bes Perikles, wie der Keind noch kürzlich erſt in 


- 


§. 1.. Ende bes: MPerikles. 08 


der Pet, welche "eine natürliche Kolge des 
sehen‘; endlich der: Umſtand, daß Die Seezüge des 
ken: Zahres nur mit geringem Erfolge unternommen wur⸗ 
1,:56. 58.) 1): alles dieß mußte die Popularität des 
GStaatsmannes erfehüttern.. Man .verurtheilte ihn zu 
je Geldbuße (II, 65.3; ja, man fchickte ſogar, feinem 
Plane ‚zuwider, eine Friedensgeſandtſchaft nach Lake⸗ 
(U, 59.) 2). Wie Thukydides ſelbſt andbeutet, fo war 
sicht allein der Demos, welcher fich zu ſolchen Schritten 
eigen ließ, fondern auch die duvaroi: Lebtere aus Zorn 
den Verluſt ihrer Landgüter, namentlich aber aus 
Belgung wider den Krieg im Allgemeinen (II, 65.). Alſo 
4 Verbindung der äußerſten Ariſtokratie mit dem Pöbel, 
File te gemäßigte Partei vom Ruder zu drängen: eine Ver 
ug, wie auch unſcre Tage ſie ſo häufig geſchen haben 3)! 





















hg gebracht, Laftete die alte Schuld des Alkmäonidenfluches. GE iſt 
I unwahrſcheinlich, daß die Verleumdung jener Zeit dem Perikles 
Shipodifche Frevelthaten vorgeworfen, die Ermorbung feines Freun⸗ 
s@phialtes (Idom. bei Plut. Per. 10.) und bie Blutichande mit 
Ber Scwiegertochter (Plut. Per. 13. 16. Cim. 4. 16. Ath. p. 
BE. Bol. Schöll a. a. O. ©. 181). Alles dieſes mochte dem So⸗ 
Kes auf dem Herzen liegen. Die furdhtbare Sittenlofigkeit, welche 
Be der Peſt zum Vorſchein kam, mochte Veranlaſſung fein, die ers 
Itternde Wirkung der göttlichen Strafgerichte, wenn auch vielleicht 
F Koften ber tragifchen Katharfe, darzuftellen. 


» Plut. Pericl. 35. 
' 2) Diodor. XII, 45. 


E, 3) Diefes Bufammenwirken ber ertremen Gegenfäge wird aud aus 
Notizen deutlih. Unter den Männern, weldhe während ber 
gegen das Stillefiten bes Perikles lärmten, that ſich befonders 
feon hervor, der auf dieſe Weife zur Demagogie emporfleigen wollte 
lat, Pericl. 33). Auch ber fpätere Antrag, den Perikles zu entfes 
und an Gelde zu firafen, ift von Kleon geftellt worden (Ib. 35.). 
Dat fi) Kleon, wie ihm Ariftophanes vorrüdt (Equitt. 438.), wirklich 


440 . Xhwlypives. Kap. 14. 


— Die Tegte Rede des Perikles ſucht ſich gegen folk 
griffe zu vertheidigen. Sie vermittelt folglich die große 
die font zwiſchen den Athenern der Leichenrebe und 
des Kleon liegen würde. Statt der alleinigen Baterlan 


fangen ſchon damals die Privatinterefien an hervorzutret 
60.). Das Volk, wankend und kleinmüthig, blieb fä 


mals Hinter feinem früher erworbenen Ruhme zurüd 
Männern, wie Nitiad, wird auf das Eindringlichſte wo 


von den Potibäern beftechen laſſen, fo ift auch das vermuthlid « 
pofition gegen den Perikles gefchehen. Richt lange vorher, — ı 
gewöhnlichen Angabe kurz vor dem Ausbruche bed peloponnefifche 
ges, — waren von ber entgegengefegten Seite aus ganz ähnli 
griffe verfucht worben. Diopeithes, einer ber Hauptrepräfentai 
damaligen Pietiömus, hatte den Anaragorad wegen Unglauber 
klagt (Plut. Pericl. 32.). Nach einer andern Angabe (Sotio 
Diog.) wäre aud) hier Kleon der Denunciant gewefen. Ein Ba 
jedenfalls, bas ebenfo, wie bie gleichzeitigen Verfolgungen des 9 
und der Afpafia , indirect gegen Perikles felber gerichtet war. | 
nanzverwaltung des Perikles endlich wurde durch Drakontibes ı 
richt gezogen (Pluc. 1. 1.) : denfelben Mann, ber fpäter ben 
gemacht hat auf Einfegimg der dreißig Tyrannen, ber felbft mi 
diefen figurirt, und den berüchtigten Vorſchlag gethan Hat, alle 
werfer in die Sklaverei zu verfegen (Lysias adv. Eratosıh 
sqq. Schol. Arist, Vespp 157. Petit. Legg. Au. V, 
Die Komiker und, auf diefe geftügt, die fpätern Pragmatiker, bi 
al nach Eleinlichen Erklärungsgründen für ‚mächtige Ereignifle fı 
haben es aufaebradyt, diefe Angriffe gegen Perikles als die Urfac 
zuftellen, welche ihn zum Kriege bewogen. Sc) drehe die Sadı 
um: es waren die legten, erfolglofen Verſuche der Friedenspartei 
Gegner vom Staatsruder zu entfernen. — Uehrigens verfteht 
von felbft, fo wie Kleon zur Herrſchaft gelangt war, Eonnte von 
frühern oligarchifchen Verbindungen Feine Rede mehr fein. Da 
fontides namentlich muß er zu ber Beit, wo die Wespen gegeben 
den, mit Prozeflen geängftigt haben (Vespp. 157.). Noch allge 
bekannt ift fein Kampf mit den Rittern. Die Scholien zu Equit 
äußern fich etwas dunkel darüber: Kleon fei den Rittern verhafl 
fen, weil ex fie Schlecht behandelt habe, örı 77 ek auruw. 


F. 1. Ende des Perikles. 5. 2. Kleon. 411 


ihre Unthätigkeit, bei allem Scheine der Rechtlichkeit, 
-unfehlbar müſſe zu Grunde richten (63.). 




















8, 2. 
Kleon. 


nächften Ruhepunkt, aus welchem ber Verfall des 
Jeiſchen Geiſtes zu betrachten tft, gewähren bie Wechfelre- 
Ye Kleon und Diodotos 1). Schon zur Zeit der Untere 
Hung von Mitylene, alfo im Sommer 427, mar unter 
Demagogen, die um Perikles Gewalt wetteiferten, Kleon 
EWeitem der einflußreichfte (III, 36.) 2), Was fih aus 


— Bgl. Er. Paſſow Zur Geſchichte der Demagogie in Griechen⸗ 
sin Wachler’s Philomathie III, ©. 269 ff 


n Le unbeſchraͤnkter in der That die Alleinherrſchaft des Perikles 
Ken war, deſto ſchwerer mußte es nach feinem Tode fein, als Nach⸗ 
entſchieden anerkannt zu werden. Unter den Nebenbuhlern um 
z Ehre nennt Ariſtophanes beſonders drei: zuerſt den Eukrates, eis 
Hebehändler und Mehlfabrikanten; darauf den Viehhändler Lyſikles, 
lic) den Lederfabrikanten Kleon (Equitt. 129 sqq.). Da fie von Aris 
janes ausdrücklich in chronologifcher Ordnung aufgeführt werben 
Beles aber fchon im Herbfte 428 umgelommen ift (Thucyd. III, 
J, fo muß die Gewalt des Eukrates in das erſte Jahr nach Perikies 
he fallen. Im Sommer 427, wie wir aus Thukydides wiffen (ILL, 
2), war Kleon fchon entichieden der Mächtigfte. Wenn man aus dem 
rakter des Diodotos auf ben feines Vaters (2) Eufrates (Thuc. Ill, 
h fließen darf, To ift ber Lestere im Ganzen noch von perikleifcher 
Bfigung befeelt geweſen. Wielleicht könnte unfer Eufrates auch der 
Kannte Bruder des Nikias fein, der zur Zeit des Iyfandrifchen Fries 
—3— von den Oligarchen ermordet wurde (Lysias adv. Pol. 5. Bgl. 
Wistoph. Lysist. 103.). Die Fragmente von Ariftophanes Babylo⸗ 
Ben machen es wahrfcheinlih, daß Eukrates dem Kleon erlegen iftz - 
Ne auch die Ritter müſſen dazu mitgewirkt haben (Id. Equitt. 254.). 
eo aud) damals noch das früher bemerkte Zufammenhalten der ertres 
Mm Parteien gegen die gemäßigte Mitte! eine Idee, - welche bekanntlich 
R Kitten des Ariftophanes zu Grunde liegt. Aber felbit Lyſikles 


212 Thukydides. Kap. 44. 


dieſen Streitreden zur Schilderung des Kleon ſelber und’f 
Demos entnehmen laſſe, habe ich früher ſchon zu 
ſucht. Bei Perikles herrſchte eine marmorne, 
Ruhe, hier eine hitzige, von ihrem Gegenſtande 
weglichkeit. Dort wurde das Volk gezügelt und geſtraſt 
als oberſter Schiedsrichter ehrfurchtsvoll angerufen. 
Grundſatz der äußerſten Demokratie war durchgedrungen, 
sicht einmal die Ariſtokratie der Klugen ertragen wollte: A 
ſchienen die Ereigniſſe ſelbſt zu reden, Gier tritt forheßf 
Er 






ſcheint nody einigermaßen in Perikles Sinne gehandelt zu haben, 
feine Bermählung mit der Afpafia vermutben läßt. — Dean u 
ſchon von felbft erwarten können, daß das Unterliegen in einer fo' 
tigen Zrage, wie die mitylenäifche, dem Anfehen des Kleon übef 
verberblich fein mußte. Directe Beugniffe beflätigen dieg. kan 
dem Kleon vor, daß er fi von den Mitylenäern babe beftechen | 
(Arist. Equitt. 832 sqq.): durchaus Feine fo unfinnige Verleum 
wie Droyfen meint (Ariflophanes II,290.). Seine Graufamteit 
alsdann bezweckt, die Mitwiffer feiner Schulb für immer flumm zu 
hen. In ber ganzen zunächſt folgenden Zeit fehen wir alle wit 
Poſten entweder von notorifcy gemäßigten Männern bekleidet, ode 
Zeinden bes Kleon, oder gar von Solchen, bie fpäter unter ben Di 
gen eine Rolle fpielen. Schon 426 Eonnte Kleon feine Anklage ı 
Kalliftratos, den Didaskalen ber ariftophanifchen Babylonier, 

wirklich durdjfegen (Acharn. 377 sqq.). In den Acharnern (% 
425.) wird darüber triumphirt, daß Kleon kurz vorher durch bie 8 
zu einer Gelbbuße von fünf Talenten genöthigt worben (5. 300 # 
Dropyfen fragt mißbilligend: Wie war das möglich? da body die 
terſchaft an fich mit dem Gerichtswefen Nichts zu thun hatte (II, ! 
Allein man braucht die Sache nicht fo buchftäblich zu nehmen: vid 
durch einen Gerichtseranos , wozu bie angefehenften Ritter verht 
waren. Während Ariftophanes fpäter in den Rittern ben Kleon nlı 
zu nennen wagt, wird beffen Name in den Acharnern ganz ungel 
durchgezogen. Wir werben tiefer unten fehen, wie der pyliſche Fe 
Kleon's geſunkenes Anfehen wieder zum höchſten Gipfel erhebt, w 
fih an den Rittern zu rächen ſucht, wie er abermals fintt, und e 
buch den Tod allen Schwankungen des Glüdes entnommen wird. 


2%. Kleon. 45 


ichkeit. dee beiden Nebenbuhler in. den Vordergrund. 
: par das Sanze wie aus. Einem Guſſe, und ohne Daß 
por dem andern weſentlich hervorträte; hier dagegen 
es yon Gemeinplatzen, deren jeder auf den Vorrang 
e:macht!),. Dort endlich war nur ein und ein ‚abe 
harmoniſchex Wille, bier dagegen ein Zwieſpalt, 
dom Thukydides heide Gegenſätze ungefähr von glei⸗ 
Sewichte ſchienen (N.A9.).). Dabei iſt jedoch nicht zu 
„daß bei Diodotos allerdings. nach ein Ueberreſt pe⸗ 
ihexr Feinheit und Würde ‚gefunden wird, freilich nicht 
I.nebunken mit verilleiſcher Sicherhein und venſchoemali. 







his | Den un 8, 3. 

vn Bu u Rebolution in gKertora. 

ae weitere Audficht über . bie griechiſchen Staatsverhalt⸗ 
wird ung auf ber beitten Entwicklungsſtufe eröffnet, bei 


” jeit der blutigen. Unruhen zu Kerkyra, die noch in 
| Zahr des Krieges. fallen 3). Die ee Zwienracht des De⸗ 














Du h . Io a: . nitee.d . 322 
Au; Drama fpricht fi) zu derſelben Zeit -biefelbe geiflige Ver⸗ 
jrung nes. Auch Euripihes, ‚bevor er. felbft ein Urtheil wagt, horcht 
e aͤngſtlich nach dem Vorurtheile bed Publicums (Arist. Ranae 
Auch in feinen Stüden drängt jeder Einzelne ſich eitel hervor, 
Weiner verſteht zu ſchweigen, wie es Aefchylos Helben oft mit fo 
Mfelber. Wirkung zu thun Tiebten (Ibid.: :946. sqq.). —* 


"it Bezug auf meine obige Benierfung über bie Aufeihander⸗ 

nee Reden (S. 165 fg.) mache ich aufmerkſam barauf, : daB hier 
de des Diodotos, welche ihren Zweck vollkommen ‚erreicht, gleiche 
niet ſteht. Aber eineötheils achtet Thukydides ſelbſt bad praktis 
vicht | der beiden Reden für gleich; anderntheile aber und haupts 
hai erhielt in diefem alle zwar bie Beredtſamkeit des Diodotos mit 

den: Sieg; fie war jedoch im Ganzen durchaus: die ſinkende, Kleon 
feine Manieren die fleigende Sonne. 


3) Buerft vorbereitet I, 55. 


A1lA Thukydides. Kap. 14. 


mod und der Dligacchen, die fchon In Platäa dem Erif 
die Thore gedfinet, die Mitylene der Rache eines Klemm 
liefert Hatte: fie war in Kerkyra jetzt zum ungeftörten 
bruche gelommen, Nach einer charakteriftiichen Dark 
diefed Ausbruches -felbft (III, 70—81.) fpricht nun V 
ded einige allgemeinere Worte von der jetzt begonnenei 
wandlung der hellenifchen Parteikäĩmpfe überhaupt. Syewe 
tracht war vor Alters und in glüdlihern Zeiten auch 
einer mildern Form aufgetreten; - Seht aber, wo ber: 
ein Lehrer der Gewaltihat geweſen, wo jedwede Partel: 
Lakedämon oder- Athen aus Hülfe erwarten Tonnte, | 
rückſichtslos überall in Helle Flammen aus. Se fpäte e 
Stadt Hiervon ergriffen wurde, deſto fchlimmer war in 
Negel die Wuth felber. Die alten Namen der Dinge wu 
umgetauſcht; parteilofes Zuſehen war ferner unmöglich; 
der Leidenſchaftliche konnte gelten; wider die allgemeine SA 
tigkeit meinte auch jeder Einzelne fehlechter Mittel zu bedirh 
die alten, natürlichen Bande wurden um der neuen, 
hen willen aufgelbſet. Nicht mehr waren die Yreundfik 
auf das göttliche Gefe begründet, fondern auf die gemd 
fame Uebertretung deijelben; und die Rache fchien ſüßer, 
die Freiheit von Beleidigungen. Unter ſchönen Nam, 
bürgerliche Gleichheit und Regiment der Edelſten, 
ſteckte Jeder feine eigene Herrfchfucht, wohl gar noch fü 
mere und gemeinere Lajter (III, 81.). Das Vertrauen m 
zum Epott, und beim allgemeinen Argwohn, da alle 
in den Wind geredet wurden, da geichah ed, daß die Sy 
mit ihrer Klugheit zu kurz kamen, die Ungebildeten aber, 
fie ohne viel Ueberlegung gleich zur That fchritten, indge 
den Sieg dapontrugen (83.) '). Die Reichen waren von 
bermuthe mehr, als von Mäßigung befeelt, und fie zeig 
dieß in der Art und Weiſe ihrer Strafen. Die Armen, « 






















I) Eine Erſcheinung, die fi, wie bie meiften hier angeführten, i 
allen tiefgehenben Revolutionen von demofratifcher Art wiederholt hat. 


8.3. Revolution in Kerkhra. $.4. Nitias. A153 


en, dem Blende zu entgehen; ſahen ſcheel auf den 

- Anderer. Wer endlich; felbit- in uneigennütziger 

Icht zur Gleichheit Aller. mitwirkle, der pflegte and Leiden⸗ 
und Verblendung zu mwüthen::—- Gar manche Züge 
Gemäldes fanden wir ſchon oben in Kleon's Rede vor 
Bitet. Die vaernehmſten Triebfedern der Revolution find 
Ba in Diodotos Rede bloßgelegt (III, 45.), Der eigent⸗ 
‚Ausbruch der. Krankheit :aber erfolgte zu Athen exit: fpäs 
:.und wird und auf ber, letzten Entmiclungsftufe ausführs 
beſchäftigen. Denn für Thukydides Gefchichte: find jene 
Parretümpfe eben nur Vorbereitungen zu ee Si 







! 3. 4. u 
p Kit in 8. ’ 7 
Nikias war ſchon bei Lebzeiten des Perilleb von ft 


tung geweſen, daß er: nicht bloß in Gemeinfchaft mit 

am, ſondern auch allein zu wiederholten Malen das Feld⸗ 

t bekleidet hatte 1). Nach Perikles Tode erſcheint er 

Ei:bald als der Parteifährer der: gemaͤßigten Conſerva⸗ 

Bu, 

) Wie nun im Jahre 427 Kleon’s zrauſamer Vorſchlag 
die beſiegten Mitylenäer geſcheitert mar, ſehen wir dieſe 
igte Partei das Ruder des States ergreifen. In dem⸗ 

un Sommer noch befehligt Niklas die Expedition nach Ms 

.(IH, 51.). Nikoſtratos, den wir als Feldherrn zu Raus 

08 finden (III, 75.), von wo aus er ben kerkyräiſchen 

emofraten Hülfe Bringt, wird und fpäter wiederholt als 

Bitfelogere genannt bald des Nikias (IV, 53. 119.), Bald 

B gleichfalls gemäßigten Laches (V,61.). Eurymedon, wel 

in kurz darauf die größere Flotte nach Kerkyra anvertraut 
e (III, 80. vgl. 91.), nachmals fogar der Feldzug ge 

rn Syrafus (IH, 115. IV, 2.), ift nah Kleon's Wieder 












1) Plut. Nicias 2. 


216 a re; Kap. 14. 


Kuffommen: mit: einer Geldſtraft Belege; worden (IV, 
Laches, der An denfelden: Sommer noch gegen: Stwah 
ſendet wird (IH, 86), zahlt notoriſch zu den Gegner 
Kleon und zu den Freunden des Spartanerfriedens (EV, 
V, 19. 24). Sm Jahte 426 treten als Feldherrn aufı 
kias,: Eurymedon, der reiche Hipponikos, dem fein X 
ge. schon. eine conſervative Stellung: anweiſet. 
mofthenes ‚:. der aus. den Ritternalsß Kleon's Feind 5 
iſt III, 9475 endlich: Ariftoseleß ‚.‚fpäterhin;, wie. ich v 
the, riner von den dreißig Xyrasiten (IH, 105.) ). 9 
dere. uns Sophofles,. die:i nächſtfolgenden Jahre ba 
rymedon nad Sicilien begleiten, find beide nachher vı 
Partei des Kleon verbannt worden: Sophokles wahrſch 
derſelbe, welchen wir ſpäter unter den dreißig Tyranne 
den;. Pythodaros, welchen Diogenes ala. Schüler des 
ſophen Zenon neben Ariſtotelzs erwähnt 2), der. belannt 
Haw.in der Zeit. der Drejßiger. 

ESglches war die Lage der Verhältniife, als Demofl 
kühne Geſchicklichkeit den Athenern bei Polos ein ganz 
Held der glänzendften Ausfichten eröffnete. Freilich nu 
bffneter — bad. war eben dad Unglück der gemäßigten 
tei.. ‚Denn: fofort wurde. die Kriegsluſt des Volkes au 
Aeußerſte wieder angefacht; die lakedämoniſche Friedensge 
figaft ,. welchen Nikias und feine Anhänger ficherlich allen 
ſchub thaten, wurde, auf. Kleon’3. Betrieb. ſchnöde zu 
wjefen (IV, 21,) 53). Al die Breigniffe darauf im Pel 


3, 


2) Boal. Xenoph. Hell. I, 2, 17 sqq. Plato Par 
127 D. | | 


2) Diog. Laert. IX, 54. Plat. Parm. p. 126. 


3) Als die Laledämonier während ber Belagerung von Sph 
um Srieden baten, Tam es, wie Philohoros erzählt, zu 


$. 4. Niklas, 417 


doch nicht fo glüdlich von Statten gingen, wie man ge- 
ft Hatte, und Kleon deutlich genug von Verrath fprach, 
be ex bekanntlich jelber nach Pylos gefhict (IV, 27 fſ.). 

Bartei der äußerten Demokratie wirkte hierbei niit Den 
Bäßigten zufammen: jene natürlich wollte ihrem Lieblinge 
‚Eommando zuwenden; diefe, den Nikias an der Spike, 
Be. indgeheim, daß er fich felbit Hier unmiederbringlich. zu 
Br de: richten follte. Nichts charakterifit den Nikias fchärfer, 
i Diefer negative, indolente und nicht ſehr patriotiſche Plan, 
Be Gegners [08 zu werben (IV, 28.) Als aber Kleon 
pe die allgemeine Erwartung fein großprahlerifches Verfpres 
x vollkommen erfüllt Hatte: mas Wunders nun, wenn 
7 populare Macht jet ihren höchften Gipfel erreichte‘? 
“ Triumph des Nikias gegen die Korinthier konnte hiermit 
has. verglichen werden '). Ebenfo wenig die Eroberung. von 
Hera, die ja nur der zweite Schritt auf dem won Kleon, 
hien es, gebahnten Wege war (IV, 53.fj.). . Wie Die 
Feldherren nach ihrer Rückkunft beftraft warb, habe 
jr früher erwühnt (IV, 65.1 2). 























j 


en in der Volksverſammlung (orcoiioou⸗ zir dexingiar) ‚ bis die 
partei fi iegte. Nach der Einnahme der Inſel ſchickten die Spatta⸗ 
n bermais um Frieden, indem ſie ſich erboten, die von ihnen genom⸗ 
Schiffe der Athener auszuliefeen Auch hier war £8 Kleon, ber 
erwerfung ihrer Anträge durchfeste Schol. Aristo ph. Pax 666.. 
B, Ariflophanes zufolge hätten. bie Lakedämonier Togar, dreimai verge⸗ 
um ‚Brieden nachgeſucht Ubid. 660 sqq.). 


sm .IV, 42 ff. vgl. 40. 

r: 

ı- 9 Kieon’s Erfolge auf Sphakteria ſtellten den: aias nicht — 

Iirect. in Schatten, ſondern man tadelte ihn auch direct wegen der 

gmeintlichen Beigheit, womit ex freiwillig ben Obexbefebl aufgeopfert, 

BU.die Belegenheit zu den. fchänften Lorbeeren feinem;:Zobfeinhe zuge⸗ 

benbt babe : Beine Anhänger .felbft mochten ihm jetzt vorwerfen, daß 
es eigentlich ſei, welcher ben. Kleon gehoben .(Plur Nicias &% 

Belohnung feiner Kriegstgaten erhielt Kleon bean Morfig. im Theater 

27 


418 Thukydides. Kap. 14. 
- Die glänzenden Erfolge inzwifhen, welche Braſida 





und in der Volköverfammlung (Aristoph. Equitt. 702.) € 
ward er jest zum Schagmeifter des Volkes ernannt, und führte ai 
cher das ‘große Staatsfiegel (Ibid. 946 sqq.) Diefes Amt wir 
fonntlid immer auf vier Zahre vergeben, am großen Panatheaia 
mithin zum Wintersanfange jedes dritten Olympiabenjahres. Key 
es folglidy im Herbfte 426 angetreten. Auch in den Rittern (46 
Schol.) heißt er erft Eürzlich in feine Würde eingefegt. Wir fehen 
Aus übrigens, beiläufig gefagt, daß Kleon zur erften Bermögens 
gehören mußte; denn nur Solche Eonnten zum Echagmeifter ga 
werden. — Was nun feine politifhe Wirkfamkeit in diejer ı 
Sphäre anbetrifft, To mag es Verleumdung fein, daß er feine Ge 
fhaftsreife nad) Argos, wo er den Staat gewinnen follte, neb 
alich benukt: hätte, für fich felbfl mit den Lalebämoniern ein Löfegel 
Gefangenen zu unterhandeln (Ibid. 465 sqg.). Dagegen iſt es nic 
wahrſcheinlich, ‚daß die gewöhnlich dem Kleon zugeſchriebene Er 
de8 Gerichtsſoldes von einem Obolen auf drei in dieſer Zeit vorge 
nien iſt (vgl. Bockh Staatshaushalt I, &.250 ff. Und andererfeits G.E 
mann:Praeß' ad Nubes p. L sqq.). Wäre. nicht damals etwe 
Art wirktic erfolgt, fo würde Ariftophanes in feinen Rittern (79 
ſchwerlich darauf gekommen fein, dem Volke in Kleon's Namen dv 
fpiegeln, daß es Eünftighin für fünf Obolen, und zwar in Ark 
mitten im Binnenlande, richten werde! In berfelben Zeit muß J 
der Nitterfchaft, feinen alten Feinden, grimmig zugeſetzt haben. 

er fie wegen Dienftverfäumniß angeklagt, ift ficher (Theopomp 
Schol. Equit. 226); ja, wenn wir ben Ausdruck ragatınzöarg 
den Ariſtophanes "gegen ihn ſchleudert (Ibid. 256.), buchftäblich neh 
fo mag er wohl gar an Auflöfung, Reorganiſirung, wie man es a 
des ganzen Corps gebacht haben. Seiner Feldherrnverfolgung hab 
im Texte erwähnt. Namentlich fällt der bekannte Prozeß gegen &ı 
in diefe Zeit (Aristoph Vespp. 832 sqq.): Laches wurbe angel 
in Sicilien Unterfchleife gemacht zu haben. Im Jahre 424 mußte der berü 
Feldherr als Fußſoldat in Böotien dienen Plato Conv. 36). Zmeige 
chen Prozefie iſt er jedoch ohne Zweifel freigefprochen, wie er denn 
darauf wieder an den größten politifchen Verhandlungen Theil nimm 
Ich habe ſchon früher gezeigt, daß ſich aus Ariftophanes Rittern fi 
aus dem Verfchweigen von Kleon’3 Namen, aus der Furcht aller 9 
Benmacher u. f. w. am bdeutlichften erkennen läßt, wie fehr die 9 
des Demagogen gegen die Beiten ber Acharnerkomddie geftiegen war. 
Prügel, welche Kleon bem Ariftophanes zu. Wege bradyte (Vespp. 


$. 4. Nikias. 419 


dakien erreicht Hatte, werbunden mit der Niederlage der 
hener in Böotien, mußten auch in Athen die confervatiwe 
Koenöpartei wieder emporbringen. Es kam 423 im Früh⸗ 
‚zu einem einjährigen Waflenftillftande, der von atheni⸗ 
Seite durch Nikias, Nikoftratos und Autokles unterzeich- 
‚wurde. Laches Hatte den Antrag geſtellt (IV, 118fg.) i). 
tion die erſte Schwierigkeit, welche fih der Ausführung 
Vertrages durch den Abfall: der Skionäer entgegenfekte, 
fe Kleon wieder heben (IV, 122.). Nikias, wie gewöhn⸗ 
fah fih gezwungen, die Plane feiner Gegner in's Wert 
ten : ihm mit Nikofteatos wird die Unterwerfung der Ab- 
lenen aufgetragen (IV, 129.). Nach Ablauf der Waffen- 
wie bekannt, zog Kleon perfünlich gegen Braſidas zu 
Aber das Glück von Sphafteria begleitete ihn nicht 

Dei Ampbipolis ward er befiegt und ſelbſt erfchlagen. 

ftellte natürlich den Nikias und die Friedenspartei ent- 
Ben in den Vordergrund. Der nächite Winter wurde mit 
ſrchandlungen zugebracht, und im Frühjahre 421 ein funfs 
Friger Frieden abgefchloffen. Als Unterzeichner won Seiten 
08 werben außer Nikias, Laches, Demofthened und La⸗ 
08 noch befonders genannt: der fromme Priejter Lampon, 
| ydemos, der im großen fyrakufifchen Kriege Nikias Un⸗ 
Höhere war 2); der von Kleon verbannte Pythodoros ; 
Pon, der Vater des Theramenes; der vornehme Schlem- 
und Schuldenmacher Theagenes 3), wenn es nicht gar 
1 veränderter Lesart der fpätere Dreißiger Theogenes fit; 
Asfrates, wahrſcheinlich der Vater des fpätern Dreißigers 


h⸗ find vermuthlich die Kolge feiner Holkaden, eines Friedensſtückes, 
bald nach den Rittern gegeben wurde. 


1) Wal. V, 88 
VII, 16. 69. 


y 3) Vgl. Aristoph. Aves 822. 1125 sqq. Pax 929. 
27 * 


420 Thukydides. Kap. 14. 


Ariſtoteles 1); Leon, einer von den Siegern der Argi 
ſchlacht, aljo bis an’8 Ende zur gemäßigten Mitte geh! 
endlich Ariftofrates, der in der Revolution der Vieh 
mit Theramenes zufammenhält (V, 19. 24.) 2). Wir 
bier alfo beinah alle Schattirungen der confervativen ' 
zuſammen 3). 

„Nikias wollte, fo lange ex noch glüdlich und am 
war, fein Glück in Sicherheit bringen; wollte für die ( 
wart felbft von Mühfalen frei fein, und feine Mitbing 


1)" Thucyd. III, 108. 


2) VIII, 89. Ic, ziehe die Lesart Ariflotrates der andern 
koites vor. 


3) Nach Plutarch's Berichte (Nicias 9.) wurde das Fı 
werk des Nikias vornehmlich von ben Reichen, den Alten und ba 
leuten unterftügt, d. h. alfo den confervativen Beftanbtheilen bı 
tes. Der Waffenftilftand Hatte die Sehnſucht nach dem wirkliche 
den boppelt aufgeregt. Dan trug fih mit Sprüdmörtern umhe 
im Kriege die Trompete, im Frieden der Hahnenfchrei aus dem 
wede. Man fang: „Still ftehe mein Speer, und es webe ihr $ 
Spinne darum.’ Alle. Ehre des Friedens fiel auf den Rikias. 
led, fo bieß es überall, habe den Krieg um Kleiner Urfachen will 
gefangen, Nikias ihn beendigt teog ber größten Hinderniſſe. — 
Ariftophanes Frieden ſtellt die attifchen Landleute als die von 
Hülfe des Nikias dar (511.).  Andererfeits waren bie Volksredner 
nnmos (446 ) und Hyperbolos (625. 905.), Towie alle Diejenige 
noch Feldherren zu werden gedachten, die Waffenfabrikanten u. 
(447 ff), der arme Feldherr Lamachos (473.), felbft die Sklave 
im- Kriege fo leicht defertiren konnten, hauptſächlich gegen den Fr 
ſchluß. Nur ald Inconfequenz müflen wir es betrachten, wenn aı 
oligarhifche Peifandros 1395.) und ber pietiftifche Hierokles (10 
Geaner des Friedens find. Selbft der Dichter Eupolis hat in 
erften Autolykos wenigſtens XAriftophanes Friebensermahnungen v 
tet: Schol.Plat p.331. Aus den Wespen 1115 läßt fich übrigen 
muthen, daß man, um auch den Pöbel friedlich zu flimmen, unt 
Vorwande der Kriegskoften beantragt hat, bie Gerichtsgelder 
ſchränken. Gute Behandlung ber fphakterifchen Gefangenen bahn 
Nikias in Sparta feinen Weg: Plut. Nicias 9. 


6. 4. Nikias. 421 


frei machen, für die Zukunft aber den Ruhm hinterlaſſen, 
unter feiner Verwaltung Fein Unfall den Staat betroffen 
Et Etwas egoiftifch, wie man ſieht! „Dieß glaubte er 
hen zu konnen Durch Vermeidung der Gefahr, und indem 
an Zufall möglicht Wenig anvertraute” (V, 16.) Es 
Saum möglich , die Grundanfichten eines confervativen 
Btsmannes, welcher dad Sinken des Vaterlandes vor Aus 
Bat, allgemeingültiger und präciſer auszubrüden, — Dies 
—** gemäß trachtete er wenig nach Ehrenſtellen (VI, 
2: .); er war ein forgfamer Haudvater, und pflegte die 
Anung auözufprechen, daß ein Solcher in der Regel auch 
meiſte Vaterlandsliebe hege (VI, 9.). Bon feiner ſtren⸗ 
& aber ſuperſtitioſen Rechtſchafſenheit und Gottesfurcht (VII, 
5 iſt oben die Rede geweſen 1). Auch abgeſehen von allen 
schen Verwicklungen, mußte ein folcher Mann perfünlich 
Bad von Lakedämon fein, weil er dem Charakter des lake⸗ 
aniſchen Staates fo nahe verwandt war 2). 


i N Bel. oben S. 216 ff. 


13) Was den Nikias populär machte, war zum Theil eben feine 
iche Scheu vor dem Volke (Plur. Nicias 2.). Er war freigebig, 
die Suten aus Bumanität, gegen die Böfen aus Furchtſamkeit 
0) Aus Furcht geſchah es auch, daß er ſich, wo nicht Amtsge⸗ 
e ihn herausführten, immer zu Haufe hielt, Feine Saftmähler bes 
u. fe w. Dieß gefiel nun bem Volke, baß er ſich fo ganz beffen 
e zu wibmen ſchien (5.). Als einer feiner Sklaven mit Beifall 
kchos fpielte, gab ihm Nikias auf der Stelle die Freiheit, weil 
ziemlich fei, daß ein nad) dem Urtheile des Volkes Bakchos 
Körper in Sklaverei bleibe (3.). Dieß kann zugleid) feine Re⸗ 
it und feine Popularität ſchildern Bis zum ſyrakuſiſchen Feld: 
hatte er an keiner mißlungenen Unternehmung Zheil gehabt: weder 
böctifchen, noch der ätoliſchen u. ſ. w. (6.), 






A223 Thukydides. Kap. 14. 


8. 5. 


Alkibiades. 


Wenige Staatsmänner des Alterthums Haben ſo 
Räthſelhaftes, wie Alkibiades. Daß er nach der erſten! 
in Athen und weiterhin in ganz Griechenland geſtrebt Hal 
gewiß; an Tyrannei mag er nicht felten gedacht haben, 
gleichwohl fein Ziel ganz feit im Auge zu halten. E 
zugleich, was den Weg dahin betrifft, immer geſchwault 
ex fich auf Demagogifche, oder oligarhifche Grundlagen | 
ſollte. Seinem Herzen nach, wie Thukydides ausdrücklich 
fichert, gehörte er Keiner von beiden Parteien an; er be 
tete beide nur als Werkzeuge feines Chrgeizes (VII, 
Daher die Widerfprüche in feiner Handlungsweiſe, . die 
bis Heute verhindert haben, daß fich ein unbezweifeltes U 
über ihn feſtſetzen konnte. Nichts Hat ihm ſelbſt und f 
Vaterlande mehr geſchadet, als feine eigene LUnfchlüffigfe 

Thukydides erwähnt des Alkibiades zuerft im - 
420 2). Sein hoher Stand würde ihn fehr natürlich de 
fervativen Seite zugeführt haben 2). Um fich bei den Lata 
niern beliebt zu machen, und die vordem feiner Familie 
bende Proxenie mit Lakedämon wieberherzuftellen (VI, 


1) Wenn idy auch die Erzählungen, wie Altibiabes auf ber 
kles gewirkt, als apokryphiſch ganz bei Seite laſſez fo muß er dod 
in zarter Jugend auf feine Alterögenoffen bedeutenden Einfluß 
haben (Plut. Alcib. 2.). Dieß geht auch aus den Zechbrüde 
Ariftophanes hervor. Nachmals gewann er während der Belageru 
Potidäa den Preis der Tapferkeit, wenn auch hauptſächlich durd 
nerion; bei Delion wurbe er Lebensretter bes Sokrates (IL 
Plut. De genio Socr. 11. Plato Conv. 36. Isocr. Debig 


2) Obwohl in früherer Zeit feine Familie ald demosfreund 
rühmt gewefen war: Isocr. De bigis 10. Thucyd VI, 89. 
die ehemaligen gemäßigten Demokraten hätten jest wohl fämmtl 
Ariſtokraten gegolten. 


$. 5. Alkibiades. A225 


Re er den Gefangenen von Sphakteria . allerhand Artigkeiten 
eſen. - Aber auf diefem Wege. den Nikias und Baches gu 
unten, mar ſchwer; zumal fein jugendliches Alter ihn im 
seta wenig empfehlen konnte. Da befann er ſich. Wir 
pt ih unter den Heftisften Gegnern des Friedens; ja, bei 
B’eriten Streitigkeiten, welche die Ausführung der Verträge 
Jelaßt, Sucht er auf jedwede Art das euer wieder anzus 
Sp durch aufreizende Volköreden !), durch heimliche 
efpondenz mit den Argeiern (V, 43.); endlich jogar durch 
Belfitige, um nicht zu fagen meineidige, Täufchung der la⸗ 
monifchen Abgefandten (V, 45.). Nikias Anfehen, diefen 
Beu gegenüber, wird weſentlich geſchmälert, als ex ſelbſt, 
Friedensſtifter, in Sparta Nichts ausrichten kaun; und 
5 jeht an erfcheint Alkibiades als der Hauptlenker der auss 
Agen Verhältniſſe (46 ff.). Nicht allein bei den Unter⸗ 
ungen, ſondern auch bei allen kriegerifchen Expeditionen 
er der Anführer, Erſt im Jahre 418 gelingt e8 den Häup⸗ 
der nikiſchen Partei wieder, am den Staatsgefchäften im 
ſoponneſe Theil zu nehmen. Das den Argeiern zugeführte 
Mader wird won Laches und Nikoſtratos befehligt; Alkibia= 
‚geht nur als Sefandter mit. Da er aber in die ganze 
Reiguie mit den Dundesgenoffen von Lakedämon, fowie it 
$ Berfonalverhältnijfe von Argos ohne Zweifel beſſer einges 
et, auch beim Gelingen der ganzen Unternehmung weit 
intereffirt war, fo ziwveifle ich faum, daß er auch das 
das Meiſte vermocht (61.). Die Schlacht bei Manti- 
„ welche den Jahre Iang gehegten Plan der Athener plög- 
und für immer abfchnitt, mußte den Nikias, der ſtets da⸗ 
B geweſen war, bedeutend wieder heben. Im Winter 
— — 
) Er warf u. A. dem Nikias vor, er habe als Feldherr die Lake⸗ 
ier auf Sphalteria nicht einfangen wollen, nachher fie freigelaflen 
ıp w. (Plut. Alcib. 14). Daß Niemand die Mittel des Alkibiades 
‚biefer Angelegenheit billigte, verfichert Plutarch ausdrücklich: Ib. 15. 










' 


424 Thukydides. Kap. 14. 


417 fingen wir ihn als Feldherrn an der makedoniſch 
(V, 83.). Bei den Verhandlungen wegen des ſiciliſch 
nes ſtehen Nikias und Altibiades offenbar auf derſelber 
ſtufe !). | 

Sn den Reden, welche: deßhalb gehalten werben 
die Berfünlichkeit der beiden Feldherren eine Hauptrolle 
Kapitel find damit angefüllt. Dieß tft, merkwürdig aber E 
genug, der gemeinſame Charakter beinah aller Reden des‘ 
des feit Perikles Tode, Nach dem eigenen Urtheile des 


1) Bei dem Zuge nady Melos, der in das Jahr 416 fü 
fowohl Nikias (Schol. Arist. Aves 363), als Alkibiades | 
Adv Alcib. p. 152 Plut. Alcib. 16.) eine bedeutende 
fpielt haben, obwohl Feiner von beiden unmittelbar das ( 
führte. Als es zwiſchen diefen Nebenbuhlern durch ben Oſtraki 
offenen Kampfe Tommen follte, achtete jeder die Kraft bes 2 
fo bedeutend, daß fie Beide im Momente der Entfcheidung zuı 
und fich lieber zur Vertreibung des Hyperbolos vereinigten (I 
cias 11. Alcib. 13.). Plutarch räfonnirt dabei fehr naiv: 
kias damals den Alkibiades befiegt, fo wäre es zum forakufi 
gar nicht gekommen; hätte er ihm unterlegen, fo würde er 
den Zod durch die Syraßufier vermieden haben (Nicias 11.) 
Theophraſt dieſelbe Gefchichte ftatt von Nikias und Alkibiades 
und Altibiabes erzählt, To wird ihm nicht allein von ber Me 
andern Gewährsmänner widerſprochen, fondern es ift aud 
Grade unwahrfcheinlidh, daß Phäax, ein bloßer Schwätzer nad 
der fonft fo wenig erwähnt wird, jemals auf dem Wege bei 
mod an eine Verdrängung bes Alkibiades hätte denken könr 
Anficht, weldye der pfeudo=andokideifhen Rede gegen Alt 
Grunde liegt, als ob Andokides der Nebenbuhler des Alkibiat 
wäre, bedarf keiner befondern Wiberlegung. Uebrigens ift ı 
los erft nad Kleon’s Tode zu einiger Bedeutung gelangt: 8 
stoph. Nubes 626. Pax 692. Es ift befannt, daß nur 
magogen moralifh in fo geringem Anfehen ftanden. Seiı 

wurde behauptet, goß er betrüglicher Weife flatt des Erze 
aus (Schol. Aristoph. Nubes 1055. Vol Nubes 551 sqı 
874. 1060 sqq: Equitt. 1300 sqq. 1360. Thesmoph. 847 s 
ceyd. VIII, 73.). Daher auch die fonderbare Anficht aufkom 
der Oſtrakismos fei bewegen mit feiner Verbannung zum ! 
geübt, weil ſich das Volk gefhämt hätte, einen ‚Dyperbolt 
zu haben (Plut. Nicias 11. Alcib. 13.) 


5. 5. Alkibiades. 425 


Ei Alkibiades vornehmlich deßhalb zum Kriege, weil 
Dagegen mar; dann auch, weil ex felbit, mit großem 

Me und ebenjo großem Vortheile feines Vermögens, Sici⸗ 
di und Afrika zu erobern hofſte. Durch fein prunkvolles 
iftreten nämlich, insbeſondere durch feine olympifchen Sies 
Fl), war fein Vermögen zerrlittet worden (VI, 15.). Dem 
as natürlich mußte ein ſolcher Mann eben feines Aufwan⸗ 

und feiner jugendlichen Prahlereien halber doppelt zumiber 
h (12.): wenn auch Alkibiades ſelbſt mit einigem Grunde 
führen konnte, daß feine vielen und eiuflußreichen Verbin 
ngen nach Außen weſentlich auf dieſem Glanze beruheten, 
B folglich auch der Staat nicht geringen Vortheil davon 
be (16.) 2). Doch ift das Hauptargument, welches er ges 





) Wohl nicht ohne ‚Seund treffen wir benfelben Lichas, ber in 
ompia, gewiß auf Alkidiabes Betrieb, To entfeglich behandelt worden 
e (Thuc. V, 50.), den aber ſchon fein bloßes Auftreten im Wagens 
mpfe als reihen Mann bezeichnel, nachmals bei den biplomatifchen 
ebhandlungen zu Argos wieber als Gegner des Alkibiades an (Ibid. 

76.). 


3) Die vielen Wagenfiege des Alkibiades erinnern einigermaßen an 

alte Zyrannenzeit Nichts charakterifirt ihn mehr, als ber Umſtand, 
b er zu Olympia mit dem Eigenthume bed Staates feinen Feftzug 
Bidymüct, dann aber diefes zurüdhält, um den Öffentlichen Feſtzug minder 
imzeud ausfallen zu laffen. Das vollftändige Regifter von Alkibiades Fre⸗ 
Shaten, häuslichen fowohl als öffentlichen, von feiner Übermüthigen 
zachtung der Gefege, von der Enechtifchen Ehrfurcht, welche die Bun⸗ 
genoffen ihm erwiefen u. f. w., enthält die befannte Rebe bes Pſeudo⸗ 
dokides. Plutarch flimmt mit dem Inhalte derfelben völlig übereinz 
r flellt er bie Thatfachen offenbar in ein für Alkibiades viel zu gün⸗ 
yes Licht: vgl. Andoc. p. 124. mit Plut. Alcib. 16., und An- 
‚ec. p. 127 sq. mit Pluc. Alcib. 12. Die Befchuldigungen wider 
kibiades Lebendwandel find großentheild einer Schrift bes Antiphon 
fehnt: Athen. XII, p. 535. Plut. Alcib. 3. Daß er eine Klage 
ven ihn felbft, bie ſchon angebradyt und niebergefchrieben war, eigens 
tig ausgelöfht habe, erzählt Athen. IV, c. 18 Auch in ber 
„de war Alkibiades Epoche machend: Athen. XII, p. 5634. Pol- 


426 Thukvdides. Kap. 14. 


gen Nikias Angriffe gebraucht, . nichts weiter, als übern 
ges Hohnfprechen (16.); und Nikias ſelbſt Deutet auf dem 
giſche, um nicht zu fagen tyrannifche, Mittel bin, met 
ee auf die Volksverſammlung zu wirken verftand (13.). 
Brigens läßt Thukydides feinem kriegeriſchen Talent vol S; 
rechtigkeit widerfahren (15.) 1). | 
Die Myfterienverlegung und der Prozeß! 
Hermofopiden find fhon durch die Natur der Sache Me 
in tiefed Dunkel gehüllt, welches durch die Unterfuchungl 
hörden eines demokratiſchen Staates begreifliher 
nicht völlig gehoben werden konnte. Selbſt Thukydides 
fteht, in diefem Punkte nicht überall klar zu fehen (VI, é 
Wir werden den muthmaßlichen Grund tiefer unten fe 
lernen. Nur die Außerfte, die ignorantefte Anmaßung Fi: 
es demnach über fih nehmen, Hier Gewißheit und voll % 
klärung zu geben: zumal unfere Hauptquelle außer Thurn: 
die Vertheidigungärede eines Mitangeklagten ift, ver über 
lange Jahre nach dem Greigniffe redete, und alfo doppelt Inh 














lux X, 7. Das Urtheil der Sokratiker über ihn, den man gewöhnlid 
neben SKritiad dem Sokrates zum ſchwerſten Vormurfe machte, ſubde 
ſich Xenoph. Memorab. I, 2, 12 sqq. Plato De rep. VI, p. M 
Von den Rednern für ihn Isocrat. De bigis 2 sqq.; gegm iR 
Lysias Adv. Alcib. Endli Demosth. Midian. p. 562 (R.) 


1) Ueber fein Zalent vgl. die Schöne Darftelung von Gornelins 
Repos, die mit den Worten ſchließt: ut, si ipse fingere vellet, ne 
que plura bona comminisci neque maiora posset consequi, quas 
vel fortuna vel natura tribuerat. Was Zimäod und Tcheopompei 
vorzüglich an ihm bewundern, das iſt die ungemeine Vielfeitigkeit feine 
GSeiftes und Körpers, womit er es in Athen den Athenern, in Böstie 
den Böotiern, in Lakedämon den Lakedämoniern, in Thrakien den Thre 
tieren, in Perfien den Perfern, Jedem in feiner Lebensweife zuvor 
tbun wußte (Ibid. Alcib. 11. Plut. De adulat. p. 52 C. Aldi 
23. Vortrefflich ftellt ihn felbft das Wappen feines Schildes dar: e 
Blige fchleudernder Liebesgott (Plut. Alcib. 16.). 


$. 5. Alkiblades. Hermolopidenprozeß. 427 


K Gelegenheit beſaß, Die Wahrheit zu entflellen. Das 
‚ was ich zu thun verfpreche, iſt Die Widerlegung der 
Mer gewöhnlichen Anficht, welche gänzlich unhaltbar fcheint, 
b die Anbahnung eines neuen Weges, der vielleicht zum 
Me führen koͤnnte. 

Die gewöhnliche Anficht, welche ſchon Iſokrates in feiner 
ne vom Zweigeſpann aufgeftellt und noch Droyſen Türzlich 
ktheidigt hat ı), betrachtet all dieſe Vorgänge als ein Ränke⸗ 
BI Der oligarchifchen Partei, mit dem Zwecke, den Alkibia⸗ 
9, der ihrem Plane Hauptfächlich im Lichte geftanden, aus 
° Stadt zu Schaffen 2). Auf die Auctorität eines Iſokrates 
EB wohl Niemand viel Gewicht legen. Behauptet ex doch 
Derſelben Rede, Alkibiades habe vor der Abfahrt nach Sy⸗ 
Ars feine Gegner widerlegt (3.): während es boch gerade 
i Unglück war, daß er fie nicht vorher zu widerlegen 
wurchte 3). Den Sfokrates, welcher alle oligarchifchen Ten⸗ 
eaen des Alkibiades hinwegläugnet, wiegt die entgegenfte- 
ride Einfeitigkeit des Lyſias auf, der felbft in der lyſandri⸗ 
en Schlacht Alkibiades zum Mitfchuldigen des Adeimantos 
chen will). — Meine Gegengründe find folgende. 

A. Die Namen der Angeklagten, die wir beim Anz 
ides finden, gehören, ſoweit fie näher bekannt find, faſt 
hne Ausnahme oligarchiſchen Kreifen an. Unter denen, 
delche gleich Anfangs durch Andromachod angezeigt wurden, 
Mlindet fich neben Alkibiades felber noch Panaitios, den mir 
Us einen Hauptanführer des ariftophanifchen Ritterchores ken⸗ 


1) Zn der mehrerwähnten Abhandlung Über Ariftophanes Vögel 
mb den Prozeß der Hermokopiden. 


3) Shambeau (De Alcibiade p. 39.) will fogar ben Nikias 
olcher Umtriehe verbächtigen ! 


2) Thucyd, VI, 29. 
4) Lysias Adv. Alcib. p. 150. (Tauchn.). 


‘ 


A428 Ä Thulkydides. Kap. 14. 


nen 1); Meletos, nicht der Ankläger des Sokrates, ſi 
ein Anderer, der unter den Dreißigen, namentlich beim 
zeſſe des Leon, eine bedeutende Rolle fpielt 2); und Bol 
to8: vielleicht derſelbe, deſſen Sohn Lykios nachmals I 
nophon als Befehlshaber der Neiterei dient 2). Die A 
aber, die in der Anabafis angefehene Boften bekleiden, 
gewiß ſämmtlich mißvergnügte Smigranten )y. De I 
ſtratos, für welchen die bekannte Rede des Lyſias geſch 
iſt, gehörte ſelbſt zu den Vierhunderten. — Unter 
Myſterienfrevlern des Teukros erſcheint vor Allen Antip 
Kephiſodoros, fpäter vielleicht ebenfalls Unterfeldherr dei 
nophon in der Anabaſis 5); Phädros, wohl ver bei 
Freund des Sokrates; Diognetos, wahrfcheinlich der V 
des Nikias 6); endlich Andokides ſelbſt. Die Agariſte 
vornehmlich den Alkibiades und den Adeimantos an, d 
Name genug fagt; Lydos den Akumenos, den wir bei Pl 
finden als Freund des Sokrates und Phädros 7). De‘ 
lippos, der zugleich als Verwandter der Angeklagten auf 
koͤnnte der berühmte ſchönredende Syfophant fein, On 
Sohn 8), der in den Wespen ein Opfer der demokrati 
Nichter heißt 9). Stephanos der aus dem Menon bekannte ® 
des ältern Thukydides. Unter denen, welche Teukros des Her 


I) Aristoph. Equitt. 243. 

2) Andoc. De myst. 94. Forchhammer Die Athener u 
trates ©. 81 fo. 

3) Xenoph. Anab. III, 3, 12. 

*4) ol. Xenoph. Anab. III, 1, 4sqq. Pausan. V, 
Forchhammer a. a. O. ©. 37 ff. 

5) Ibid. IV, 2. 

6%) Lysias Adv. Poliarch. 

7) Plato Phaedr. p. 227. — Akumenos Vater des Euı 
08, der im platonifhen Sympofton auftritt. 

8) Aristoph. Aves 1692 sqq. 

°) Id. Vespp. 421. 


6. 5. Alkibiades. Germofopkenprozeß. 429 


vels befchuldigt, könnte Alkifthenes der. Vater des Feldherrn 
emoſthenes fein 1); Euphiletos der Bater oder Sohn des Charda⸗ 
', melcher letztere nach Kleon's Sturz mit Baches -zufammen in 
eilien eommandirte 2). - Den Eiyrimachos Kennen wir als 
e bon den Perfonen des platonifchen Gaſtmahls. So iſt 
eodoros vielleicht der Vater des Prokles, welcher gleichfalls 
Zeit von Kleon’d-geringerr Macht ein: Feldherrnamt bes 
Dete 3), oder auch vielleicht der bekannte Sophiſt im Theätetos 
Lyeuktos könnte der Sohn des großen Themiſtokles ſein ). Me⸗ 
kratos erſcheint in dee Anarchie als Hauptdenunciant 6). Von 
Okleides wird eine Menge Verwandter des Andokides ange⸗ 
gt: ex ſelbſt, fein Vater, fein Schwiegervater, fein Vetter 
arınides 6) ; weiterhin noch Taureas, Niſäos, Kallias Al 
ms Sohn, Euphemos, Phrynichos der Timer, Nikias 
“uder Eukrates, endlich Kritias. Unter den beiden Senater 
eden, die zugleich mit diefen verhaftet werden ſollten, iſt 
epfion fonft nicht bekannt; Mantitheos tritt noch fpäter 
B: Sreund. des Alkibiades und Gefandter an den Großheren 
Fr. Andokides ſelbſt Hat als Hermenſtürmer u. A. den 
rates denuncirt, der in den Wespen mit Phrynichos uud 
atiphon zufammen in eine Hetärie gejegt wird 9). — Man 
St, mie ſind in der vornehmſten Gefellfehaft, Die damals 
cht gefunden werden konnte. Daher auch die vielen Namen 
If ippos, als Charippod, Alerippos u. |. w., was bekannt⸗ 


») Thucyd. III, 91. IV, 66. 

3) Thucyd III, 86. 

3) Ibid. IH, 91. 

) Plut. Themist. 32. 

9) Lysias Adv. Agorat. 55 sqq. u 0 

6) Ariftoteles Sohn, nicht der berühmte Sohn bes Glaukon. Ob 
fer Ariſtoteles der befannte Dreißiger war, ſteht dahin. 

7) Xenoph. Hell. I, 1, 10. 1, 3, 9. Lysias Pro Mantith. 

8) Aristoph. Vespp. 1301 sqq. 


A30 Thukydides. Kap. 14. 


lich meiſt arijtofratifche Namen waren, nicht befremden k 
fen '). 

B. Um diejelbe Zeit, wie Altibiades zu Athen, g 
viethen auch feine Gajtfreunde zu Argos in den VBerbadt, 4 
was gegen die Volksherrſchaft im Schilde zu führen (VI, 614 
Als Alkibiades geflohen war, wandte er ſich zuerſt nach Oi 
(VI, 88.); offenbar, weil feine frühern Verbindungen I 
bei den eleifchen Staatsmännern noch am erften eine gün 
Aufnahme verfprachen 2). . Kurz darauf ward er nach Spa 
förmlich eingeladen, unter Zufiherung eined freien Geleites! 
Wer wird glauben, Daß die Lakedämonier einem Feinde 
atheniſchen Dligarchie, alfo einen Feinde ihrer innigften u 
Kündeten, alſo entgegengelommen wären? — Als a fi 
mit dem Verfprechen, Athen perfiiche Hükfe zu verſchaſſen, 
feiner Rückkehr arbeitet, .da find es die Vornehmen, mit! 
chen er Unterhandlungen anfnüpft, und feine ausdrückliche? 
dingung iſt die Einführung eines oligarchifchen Regine 
(VID, 47 ff.). Der Antrag auf Alkibiades Zurüdt 
iſt durch Kritias gejtellt worden, alfo einen Dligarchen $ 
ganz unzweidentigem Rufe 2). Es iſt freilich wahr, A 
bat die oligarchifche Bartei, deren augenblickliche Hoffnungi 
figkeit er bald einjah, kurz darauf wieder, und nun fire imm 

















1) Id. Nubes 60 sqqg. Sehr merkwürdig ift es, daß eine im 
liche Anzahl fonft unbekannter Inculpaten bei Suidas als Dihter WR 
ältern Komödie oder Tragödie vorlommen: fo Acchippos , Zeiten 
Diogenes, Kephijodoros, Philonides , Polyeuktos. 


2) Plutarch redet von Argos: nad) ber frühern Notiz dei A. 
Eydides in hohem Grabe unwahrſcheinlich (Alcib. 23... Einer anal 
Angabe zufolge wäre er von Eli zunächſt nach Theben geganget: 
Corn. Nepos Alcib: 4. 

3) Thucyd. VI, 88. Alſo nicht, wie Plutarch erzählt, nad 
dem er felbft den Laledämoniern feine Dienfte angeboten hätte (1bid. 23. 


+) Plut. Alcib. 33. 


$. 5. Alkibiades. Hermokopidenprozeß. A531 


aſſen. Wetterwendiſch ift feine Politik überall. Indeſſen, 
lkte feine. Flucht von den Oligarchen veranſtaltet worden, fo 
br eine Verbindung zwiſchen ihnen gar nicht mehr möglich 
Pefen. Dligarchiſche Parteien find nicht im Stande, wie 
| che; alle Schuld auf den einen oder andern Mathges 
wälzen,. Ueberbieß erklärt Alkibiades felbft zu wieder⸗ 
Malen, daß ihn die demokratiſchen Parteihäupter ver- 
«haben: ſowohl in Sparta (VL, 89.), was man vielleicht 
{Xäufchung ausgeben könnte, als auch den Athenern gegen 
ke, die doch jedenfalls genau davon untetrichtet waren 
IH, 47). 

C. Hiermit fimmen denn auch directe Keufenungen des 
nkydides überein. Schon VI, 15. wird gefagt, daß bie 
a0: fein hoffährtiges Leben. als ‚eine Vorſtufe der Tyrannei 
achtet, und eben deßhalb ihn geſtürzt Haben, Will man 
- aber auch nur auf fein ſpäteres Schickſal deuten, fo heißt 
VI, 28, feine Gegner felen Solche geweſen, - denen er bei 

Leitung des Volkes: im Wege geflanden (Beßaiug- od ön- 
"zeosoraraı), Das wäre doch nur fehr gezwungen von 
garchen zu verftchen. Und VII, 53. werden fogar die 
Kuer: Des Alkibiades geradezu unter den Anhängern : der 
Lko herrſchaft aufgeführt. 

Unter den Verfolgern erwähnen die Quellen beſonders 
onymos und Androkles: Kleonymos hatte den Vorſchlag 
zan, tauſend Drachmen für den Angeber auszuſetzen 1); 
drokles hatte die erſte Denunciation unterſtützt und ſie her⸗ 
hvorzugsweiſe gegen Alkibiades gewendet 2). Beide: find 
weifelhaft demokratiſche Parteihäupter: Kleonymos aus dem 
ſtophanes als Liebling des Volkes und Hauptſchreier gegen 

Frieden bekannt, Androkles nachmals, um die Herrſchaft 







1) Andocid. De myst. p. 93. 
2) Plut. Alcib. 19. Thucyd. VIII, 65. 


A539 ahukvdides. Kap. 14. 


der Vierhundert einzuführen,. von den ODligarchen em 
(VIII, 65.). — Deſto mehr künnte es befremden, da 
auch den Charikles und Peiſandros hier antrefien. Ball 
Hören zur Unterfuchungdbehörde ; von ihnen gebt die 9 
aus, der Frevel Fünne nicht auf Wenige beichräntt fein, 
dern müſſe eine allgemeine Verſchwoͤrung gegen die 7 
Herefchaft im Hintergrunde Haben 1). Peiſandros Bring 
Die Anzeige des Diokleides den Senat zu dem Entkh 
freie Bürger, ſogar Senatömitglieder auf die Folter zu 
den 2). Und während Kleonymos taufend Drachmen fü 
Angeber beftimmt Hatte, ſchlägt Peiſandros vor, die P 
auf zehntaufend zu erhöhen 3). Nun iſt bekannt, daß € 
rd während der Anarchie nächſt Kritiad die angefehenfe! 
fpielt. . Peiſandros erfcheint als das Hauptwerkzeug, m 
Herrſchaft der Vierhundert durchzuſetzen. Nach deren € 
flüchtet ex zu den Lakedämoniern (VIII, 98.). Maut 
freilich annehmen, daß beide Männer ihr politifches Glan 
bekenntniß gewechfelt hätten; der Renegat ift dann imme 
Eifrigfte. Allein, während die Unbeftändigkeit eines The 
nes fo weit berüchtigt geworden ift, hören wir von Cha 
und Peiſandros durchaus Nichtd dergleichen. Auch jcheint 
fandro8 gerade zur Zeit des Hermokopidenprozeſſes mit 
Sokratikern in näherer Verbindung geftanden zu habe 
Da drängt. fi mir denn eine andere Vermuthung auf. | 
dem fich die Beiden Dligarchen des Prozeffes wirkfam | 
nommen haben, wird zwar ungehener viel Lärm gemacht 
ganze Bürgerfchaft zu den Waffen gerufen und auf den H 


) Andocid. 1.1. p. 96. 

2) Ibid. p. 98. 

3) Ibid. p. 93. 

*) gl. beſonders Xenoph. Memor. I, 2, 31. Ari 
Pol. V, 5. 

5) Aristoph. Aves 1551 sqq. 


$. 5. Allibiades. Hermokopldenprozeß. 433 


Bien. der Stadt confignirt, der Senat und :die Prytanen 
tanent erklärt, auch Verhaftungen vorgenommen, Fol⸗ 
Fangebrohet:1): — allein daB ganze Ungewitter Veitet ſich 
5 Undolides Anzeige auf die Häupter weniger Berfonen 
von denen ein Theil doch fehon geflohen und jebenfalls 
Sicherheit war. Vorher Hatte man eine Menge hingerich⸗ 
St es da wohl ganz unwahrſcheinlich, daß Peiſandros 
Gharikles, fo lange ſie ſelbſt noch für sövouoraros zu 
p galten 2), fih an die Spite der Unterfuchung gedrängt 
a, um fie für die Ihrigen möglichft unfchädlich zu ma⸗ 
7 daß fie eben durch fcheinbare Leidenfchaft das Vertrauen 
Bolkes zu gewinnen fuchten? Was insbefondere das Hin- 
teigern des Angeberlohnes durch Peiſandros betrifft, fo 
Bas in der That ganz. das Auſehen eines Kumftgriffes, for 
Eiries plumpen Kunftgriffed, der nur bei einer aufgeregten 
age wirken konnte. Alkibiades war zu bedeutend, um anf 
€ Weiſe gerettet zu werden, Auch mochten die Dligars 
haupter Bedenken tragen, für einen fo unzuberläffigen und 
Müchtigen Freund ernftlich Gefahr zu Laufen 3). * 
Ebenſo dunkel und räthſelhaft, wie die eilnahme den 


Po 


2») Andocid. De myst. p. 98 sqq- gl. Thucyd. vI,'60. 
tt Alcib. 230 sqq. HI! 
9 -Andocid. p. %. 


3) Wenn Andokides behauptet, daß durch feine Denunciation Nie- 
b bas Leben verloren, fo ift das ſchon aus Plutardy (Alcib. 21.), 
gewiffer aus Thukydides (VI, 60.) leicht zu widerlegen. So 
auch, dem Thutydides und Plutardy zufolge, Andokides ſich felbft 
unter ben Hermenſtürmern angeklagt, Weßhalb der Redner die 
r entftellen mochte, fieht Ieder ein. Wären aber viele Hinrichtun⸗ 
zuf feine Anzeige erfolgt, und nicht bei Weitem die meiſten vorher: 
itten ihm bie Richter eine ſolche Lüge ſchwerlich durchgehen laſſen. 
bebente nur, baß er reich, vornehm, mit Kritiad verwandt war, 
2 vor einem athenifchen Vollögerichte fand, und den Lyfiad zum 
er hatte. 


28 


434 Thukydides. Kay. 14. 


Dligachen an der Berfolgung ihrer eigenen Partei !), 
Bedeutung der verfolgten Frevel ſelbſt. Sollte die M 
entweihung, die Sermenverftümmelung wirklich bloße 
bruch eines trunkenen Muthwillens fein? Wenn ich di 
ven und Beiſaſſen, die offenbar der Klage nur als U 
dienten, ausnehme 2), fo können felbft die Kläger da 
gemeint haben. Witterten fie doch gleich Verfchmärung 
der den Demos. Der Miyfterienfrevel muß häufig wi 
worden. fein, wie fihon aus den verfchiedentlichen A 
über :den Ort der Handlung, mehr noch aus dem 9 
hervorgehet, deſſen fich Andokides bedient (ZTocoürra, 
naoUnog, ovunageivor x. r. 4.) 3), Bin bloße 
märe durch ſolche Wiederholungen langweilig geworden, 
gleich bedenke man wohl, daß Altibiades Damals Fein 
mehr. war; Daß felbft Antiphon unter den Thätern g 
wird, an deſſen Reife und Ernfthaftigfeit wohl Niemant 
feln kann. Auch die Hermenverftümmelung iſt wiederho 
fucht worden; einmal, wegen der Gefahr, Hinaudgek 
dann, bei der erften günftigen Gelegenheit, wirklich 
führt ). Mas fcheint denn wieder, Bei der großen 
des Unternehmens, keinen Spaß zu verrathen. — Ich 
fon früher bemerkt, daß mit der politifchen Reaction 
Zeit eine kirchliche auf das Engſte verbunden gehet 5). 
Miofterien find das Allerheiligfte, gleichfam die Samı 
des griechiſchen Cultus; die veinften und zugleich ethifch 


) So kann ich z. 3. keinen Grund angeben, weßhalb be 
bes Kimon, Theſſalos, den man doch eher auf der oligarchiſchen 
zu finden erwartete, die Eisangelie gegen Alkibiades eingebrad 
Piut. Alcib. 22. 


2) Plut. Alcib. 19. 

%) Andoc. 1. I. p. 88 sqq. 

9) 1bid. p. 103. Thuc. VI, 28. 
5) Wal. oben S. 215 ff. 


$. 5. Alkibinnes. Hermoloploenprozeß. A555 
Deitandtheile der Religion hatten fich hier, . wasß man 
über ihre nähere Beſchafſenheit denken mag, aus der 
kzeit erhalten... Da bebarf es denn wohl keiner beſondern 
Eisung, weßhalb eine Religiouspartei, die dem Sokrates 
e ſtand, und die zugleich aus den abelftolgeften Reihen zu: 
Bmengefeht war, eben die Myſterien abgefondert vom gry⸗ 
Saufen zu feiern wünſchte I). Was dieſelben Männer 
den priapiichen Straßengott Hermes zu einnern hatten, 
ſohnehin ald plebefifche Gottheit anerkannt war, leuchtet 
falls ein. Ob nicht bei einigen Theilnchmern auch: der 
zanke mitgewirkt hat, durch dad. Omen der Hermenſtürme⸗ 
von dem ſyrakuſiſchen Feldzuge abzuſchrecken, ſteht dahin. 
erzu würde Alkibiades natürlich nie eingewilligt haben. Je⸗ 
RS geht aus dieſer ganzen Erzählung eine mißtrauiſche 
äbarkleit der atheniſchen Demokratie hervor, welche m nur ein 
wpton großer Schwäche fein konnte ). F 
Alkibiades floh nach Sparta: nicht der: Gafie,. 1 A fein 
terland durch Parteiränke nerloren Hatte. Aber Ariſteides 
Aimon hatten in derfelben Lage für Athen gekämpft s: der 
hzeitige Thukydides wenigſtens Dagegen Nichts unterneh⸗ 
a wollen. Was that indeſſen Alkibiades? „Sch. bin num: fo 
ge ein Freund des Vaterlandes, als ich mit Sicherheit dar⸗ 


ur. 1 4 


4) Ob Diagoras mit in biefe Kategorie gehört, If bei der Dücf: 
eit dee Rachrichten wohl nicht mehr auszumachen. : "Der Preis‘ auf 
en Kopf wurde bewegen ausgeſetzt, weil er die, welche in die My⸗ 
ien eintreten wollten, abhielt: za nuorygsa mürdlsler, räcı dunyeizo 
ezosöy aura: Schol, Arist. Aves 1073. nach Melanthos De my- 
jis und Krateros. 


2) Wie entfeglich! Derfelbe Diokleides, ber in feiner falſchen Des 

eiation ausgeſagt hatte, ex habe ſich von den Schuldigen eine grös 

Summe, als die Prämie des Staates betrug, : verfprechen laffen, 

denunciire nun, ‚weil ihm dieſes Verfprechen nicht gehalten fei: 

be Menſch ward von Staatswegen befränzt als Netter des Water: 

es, und im Prytaneion geſpeiſt: Andocid. De myst. C. 42. 45. 
28 * 


436 hukydtdes. Kap. 14. 


in leben kann. Nicht der ift ein wahrer 
dem Daterlande unrechtmäßig "vertrieben, | 
fondern, der aus Sehnſucht es wiederzu 
bietet (VE, RR) Y. — Wir haben 
Alkibiades zwiſchen DOfigarchie und Demag 
ſprochen. Was ihn anfünglich von den X 
war u. A. der Umſtand, daß er bier allyı 
folg ‚seiner Arbeit Hätte warten müſſen. 
genblicke wollte ex der Erſte fein ?). Biel 
nothwendig damit verbundene Unterordnun 
der Verzicht auf die alte Herrſchergröße 
hochfahrenden Sinne zu Hein dünkte. U 
ganzes Aufteeten für einen Volksmann vie 
Batte:da Nebenbuhler, Die ihm an rückſich 
der Mitte Überlegen waren. Auch fit es 
Demagogen nicht mohlgetban, ſich auf 
von Haus zu entfernen. Die Oligarche 
die Verbliegung innerer Ruhe, das Bol 
auöwärtiger Siege wohl am Ende die 
Aber fein Schwanken verdarb Alles 3), 
mung ſchien zu fein, Bielerlei und mit gi 
gen anzufangen; wenn es aber Halb voller 
eigenen und feined Vaterlandes Verderben 
Sch zmeifle nicht, daß er auch in Spa 
Selbitvertrauen gehabt Hat, was er Heute 
wieder gut machen zu koönnen. 


1) Später fand man dieß ganz in der Drbı 
des Alkibiades führten namentlich an, Thraſybr 
gemacht. Welche politifhe Blaſirtheit! Vgl. 
Lysias Aunorat. p. 148. (Tchn.). 


2) Plut. Alcib. 2. 
>) Diod. XIII, 69. 


$. 5. Allibiades. $. 6. Revolutivn ber Vierhundert. 57 


8 6. . j J 


| Nevolution ber Biechundert ),, un 


"es dunkel auch die Gründe ſiud, die währen. des Or 
Enpibenprozefied einen. Theil der ariſtokratiſchen Partei zu 
eyes Anſehen brachten: fo viel. ift: gewiß, daß dieſes An 
ae, much nachher eine Zeitlang noch fortgedauert hat. Dan 

ſpricht der gänzlich unangefochtene Oberbefehl des Nikiasıs 
Ar Der Umſtand, daß zu feinen Mitfeldherren Eurymedon 
»MDemoſthenes erwählt werden 2), daß überhaupt die Feld⸗ 
wen des Jahres 414. großentheils entfchteven ariſtokratiſche 
men führen. So der berühmte. Charikles (VII, 20. 26.) 
Saispodias (VI, 105.), der fpäter als Gefandter der Vier⸗ 
wert nach, Lakedämon auftritt (VIII, 86.); fo Pythodo⸗ 
CVI, 105.), den wir. von früher her als Gegner des 
mon Sennen 2). — Der: furchtbare Schiffbruch, welchen. bie 
wptratiichen : Sroberungsplane in. Sieilien erlitten, mußte 
Hihrlich „Die. ganze Partei eine Zeit lang in Mißeredit brin⸗ 
Bi; Bir finden daher unmittelbar darauf, daß eine Ver 
Pe von bejahrien Männern als engerer Rath gewählt wird, 

fe g. Proßulen (VII, 1.)9); und wenn Thukydides 





1) Es ift höchſt charakteriftiih, daB man zu jener Zeit die faft 
ehematifch Elingenden Namen ber Vierhundert, der Dreißig, der Eifer, 
Zehner zc. fo gern anwendet. Auch in neuern Revolutionszeiten — man 
ike an das heutige Frankreich — finden wir Xehnliches: natürlich nur 
» wo bie Formen ſehr raſch wechleln, und feine. recht entfchieben bes 
unt werben kann. 

2) Bel. oben S. 416. 

3) Bol. oben ©. 416. — Bielleicht iſt ber Diitrephes, der VII, 
.„ nach Thrakien gefchickt wird, ein und biefelbe_Perfon mit dem 
garchiſchen Zeldheren Diotrephes, der VIII, 64. gleichfalls nad) Thra⸗ 
n geht, und weldhen Krüger für einen Sohn des Nikoftratos hält 
ionys. Historiogr. p. 318.). 

*) Einer davon erfcheint bekanntlich in Ariftophanes Lyftftrata. 


ABB 2 :: .. :. Xhulybies. Kap. 14. 


überhaupt fagt, das Volk fei im erften Schreien zu 
guten Anordnungen geneigt geweſen, fo iſt dad, {m 
befprochenen Geifte des achten Buches )r wohl bon ri 
tiſchen Anordnungen zu verſtehen. 
Mie Feldherren, die wir zu Anfang des achten 9 
in Tätigkeit finden, find ebenfall3 großentheils von arl 
tiſcher, „ober merlgftend von. ganäßigter. Gefluming. 
Mes. (VIII, 13.) iſt in fpäserer Zeit einer. don den 3 
nern geweſen, die auf die Dreißig folgten; ulſo ei 
Theramenesß nen derſelben Farbe a). Phrynichos (25 
bekannte Dligarch; Skironides wahrſcheinlich beſonde 
ihm befteundet (VIII, 54.). Onomakles (25.) nachma 
tee den Dreißigen 5). Euktemon (30.) mar: unter de 
motopiden angeklagt ). Ariſtokrates (9.): erſcheint VII 
als Parteigenoſſe des Theramenes, ſpäter als Miffeldhe 
Alkibiades und als Steger in der Arginuſenſchlacht 5), € 
bichides (10. 10.) iſt ein Mann der gemäßigten Partkt, 
cher gegen das Ende des Ktrieges zwiſchen den Dligärche 
Demagogen in der Mitte ſteht. Endlich Leon und 
den, die als gemäßipte Demokraten genugſam bekam 
(19..23.). 

Die Oligarchenherrſchaft ) if entſchieden 
Alkibiades zuerſt angeregt, und im Heere zu Samos vr 
tet worden. Thukydides nennt insbeſondere die Trier 


1) Bgl. oben S. 245. 

2) Lysias Adv. Eratosth. 55. 

2) Xenoph. Hell. II, 3, 22 Wenn es nicht derfelbe i 
nach Vita Thuc. anon. $.2. mit Antiphon zufammen hingerichtet 

9 Andocid. De myst. p. 18. (Reiske). 

5) Xenoph. Hell. I, 4, 9. I, 5 sqgq. 

6 Bel. H. Büttner Geſch der politifchen Hetärien i 


(1840). With. Viſcher Die oligarchifche Partei und die Hetc 
Athen (1836). 


F. 6. Revolution ver Vierhundert. 459 


melchen ber Entſchluß zur Ummälzung am früheſten reif 
we CVIII, MA7.). Ganz matürlich, bei Männern, auf des 
Schulter hauptſuchlich Die Laſt des Krieges ruhete, und 
we gleicher Zeit Waffen in der. Hand Hatten; .: Dem gras 
Marıfen des Heeres wurde: die ganze Sache, durch Ausſicht 
MWechtfchen Sold einigermaßen erleichtert (483. ..: Während 
Bolk in Athen durch den Rob oder Mißevedit feiner: bis⸗ 
nen Führer, eine Folge der ſyrakuſiſchen Niederlage, vbl⸗ 
mtl war, zugleich in Angſt wegen der Zukunft, und 
Fonds: irre geleitet durch Die Oligarchen, die ſich In: alle Mens 
Angedruͤugt hatten 1): treten Die oligarchiſchen Setärien, ‚die 
We zur Unterftäkung ihrer: Mitglieder bei Wahlen 
Mupzeſſen exiſtirt 2), jet auf Peiſandros Rath zum Sturze 
Dewoktatle zuſammen (54.). Dieſe vereinigte Macht war 
So bedeutender, als die talenwollſten Manner des damali⸗ 
Wiens an der Spike ſtanden. Antiphon halte den Plan 
wirfen:. ein Mann, „der keinem feiner Zeitgenoſſen In 
yen- an männlicher Tugend nachſtand, ebenſo ausgezeichnet 
ich feine. Plane, wie: Durch die Mittheilung: derſelben;“ da⸗ 
ſelt langer Zeit entichiebener Gegner der Volkspartei. Pets 
dres und Phrynichos waren nach Außen Hin Die vornehm⸗ 
E-DBefürverer des Planes. Auch‘ Theramenes wirkte Im 
Kang.ınit (68.). — Bei der. Zlotte war der Verrath zus 
P-angefpormen; Hierauf wurden bie Bundesgenoſſen von 
ben tm oligachhifchen Sinne revolutionixt :(64 fg.), und 
k nach feiner oligarchiſchen Rundreiſe, allenthalben verftärkt, 
b Peifandros in Athen ſelbſt die Volksherrſchaft fürmlich 
fe Die Klubs hatten inzwifchen durch Ermordung einiger 
emagogen und durch Bearbeiten der öffentlichen Meinung 





1) gl. u. &. VII, 66. 


2) Bgl. Hesych. s. v. Aradaorns. Hüllmann Gtaatsrecht 
Alterth. ©. 144 ff. Idem De Atheniensium £uswuooiass dns di- 
gs mas doyası RK. 5. Hermann Staatdalterth. $. 70. 164. 
“ 


448 Tyhukydides. Kap. 14. 


den Schlag vorbereitet (65.).: Einſchüchterung, war bad 
nchmſte Diittel der Verfhwornenz; wer irgend mihalı 
wurde auf eine paffende Weile aus dem Wege geräumt; 
mand wagte ed, den Mörbern nachzuforfchen ; ihre & 
galt für weit größer, als fie wirflih war, da die kol 
Ausdehnung der Stabt jeden Ueberblick der demoktai 
Partei erſchwerte. Eine Menge Abfälle von der Iih 
Seite ꝓr oligarchiſchen bewirkte, dag Keiner dem Anden: 
trauete (65 fg. 69 fg.). Dieß ift immer das Hauptuitk 
weien, durch welches eine numeriſch Kleine Partei, di 
einig und. feit auftritt, die Mehrzahl tyrannifiven kann.“ 
es giebt wenig. Menfchen,, die fich in hoffnungsloſe Geſal 
flürgen wagten; der Muth der Meiſten beruhet mefentlid 
der Sicherheit, von ihren Nebenmännern nicht: verlajle 
werden, Vertrauten auf die Verbindung fekbit.ift-die € 
jeder Verbindung. — Die Hauptpuntte der neuen Verfe| 
waren folgende: daß die Volfinerfammlung nur aus fün 
fend Bürgern, und zwar den. wohlhabendſten, befichen; 
Niemand, außer im Kriege, Sold empfangen; daß der 
nat, die f. g. Vierhundert !),. nicht von Unten ber um 
reet, fondern von Oben ber und indireet ?) gemählt mi 
ſollte. Welch eine Veränderung gegen das bisher üblicye! 
nenlond! Das Volt erwählte fünf Männer, viele hun 
und von den hundert gefellte Jeder fich felbft drei Ande 
(65. 67.). De geringer die Anzahl der zu Wählenden 
defto mehr muß fih die Wahl auf diejenigen concent 


) Offenbar eine Reftauration der Zeiten vor Kleiſthenes. 


2) Man pflegt die indirecten Wahlen als ein Gegenmittel ı 
Demokratie zu betrachten. Das ift an und für ſich nun freilich 
wahr; Soviel aber gewiß, daß jede indirecte Wahl durch die beſte 
und organifirte Gewalt, fei es nun ber Regierung felbf: 
irgend einer action, leichter influirt wird. Hier trafen R 
rung und Faction zufammen. 


$. 6. Mevolutlon ber: Vlerhundert. AAl 


ge ohnchin ſchon am Föchften fichen. Zu jenen fünf 
Brnäglern: konnte man alfo wohl Mır.die Häupter der. zur 
E tzerade: herrſchenden Partei mehmens: se... Somit: mar: dd 
Iment: der Vierhundert, wen audy gewaltſam, doch .nicht 
nixteben : ſie nahmen vur wenig Hinrichtungen, menig Ein⸗ 
weungen uitd Verbannungen vpr (70. 86.). Auch würde 
Rihwser halten, ihren Friedensaͤnträgen an hie Lalcbämonier 
BET Anfangs ’einen verrätheriſchen : Charakter. nachzuweiſen]. 
w erfünftelt übrigens und nur auf Leberrafchung . berwiyertb 
a Stellung im Ganzen mat,’ ſehen wir. deutlich amd:sber 
Ben. Rebe: VIII, 76. Dhne Zweifel würde Thukydides, 
Böser noch die letzte Welle: anlegen koöͤnnen, eine groͤßere 
we hiexaus gemacht haben, Denn alle Fäden feines Wer⸗ 
Sreffen hier zufammen: die Ausſichten der beiben Parteien 
ESamern, ahre verſchiedenartige Stellung zur alten Größe 
a Mihen, der: Gewinn des Feindes aus dieſem Zwieſpalte, 
Wi: das Verhälinig: zum Perſerkonige und. zur Seemacht. 
> Die bemiofratiiche Partei hatte inzwiſchen den Alkibia⸗ 
Bm Oberanführer gewählt (81 fg.), und dieſer, durch 
Fichrung gewitzigt, ven Weg der Mäßigung und. Vaters 
Mostiche eingefchlagen,. :den er won jetzt an nicht. mehr. ver⸗ 
Ran ſollte. Er war e8, der ben ſchon beabſichtigten Zug 
h dem Peiräeus. hintertrieb, der. die Perſon der oligarchi⸗ 
kai Abgerrdneten ſchützte, der eine Verſöhnung aller innern 
Mäfigkeiten, wenn nur erſt Die Kriegögefahr beſtauden wäre, -In 
Mcht ſtellte (82. 86.). Ein wirklicher Bürgerkrieg würde 

dieſem Augenblicke Alles rettungslos den Laledämoniern 
lfert haben (96.). 

Unter den Oligarchen andererſeits hatte die unſprimgliche 
8* nicht lange Beſtand. Theramenes und Ariſtokrates, 
annere Schwäche der Faction bemerkend, erklärten laut, 









1) 48. 56. 63. 70 fg. 86. 


142 Thulydides. Rap. 14. 


man folle die Fünftaufend. wirklich zuſammenrufen. B 
hatte: man fle nur im ‚Allgemeinen verheigen, un den A 
Dligarchie zu vermeiden; man hatte aber nicht einmal bie‘ 
fonen beſtimmt, welche. zu diefer Zahl gehören ſollten (92 
Jene abtrünnigen Regierungsmitglieder handelten Hierbei nl 
ſehr aus Rechtsgründen, als wegen" ber Giferfucht auf 
Collegen, . welche die mellten ,: aus einer bemofeil 
Verfaſſung hervorgegangenen Oligarchien zu Grunde ri 
Jeder will nicht mehr dem Andern gleichſtehen, fonbem ı 
Weiteres der. Exfte fein (89.) 1). . Seht glaubten bie W 
welchen die Umkehr verichloffen war, ein Pärunichos, 1 
phon, Peifandros u. A., keinerlei Rüdfichten mehr nd 
zu bürfen. Das Heer in Samos war verloren für fie; 
eigene Partei fing an auseinanderzufallen: fo fchickten fie! 
Geſandte nach Lakedämon, um auf jede, irgend eich 
Weiſe Frieden zu fchliegen. Die Befeſtigung ber Hafen 
delle von Eetionea follte. ihnen ſchlimmſtenfalls eine Zuf 
gewähren (90.). Sp lange es möglich war, Hätten bie! 
garchen der alten Größe von Athen gern fortgenofjen, oda 
Stadt menigfiend unabhängig erhalten; che fie aber de 
neuerten Demokratie ald Opfer fielen, wollten fie liebe 
auswärtigen Feind in bie Thore laſſen (91.). Und doc | 
man die neue Verfaffung dem Volke eben damit anndı 
zu machen gefucht, daß fie die äußere Gefahr beſeitigen wi 
Wie ſchön fticht Hiergegen das Benehmen dee Volkäpartı 
(75 fg.) — Als Die Gefahr des Verrathes an eine la 
monifche Flotte ganz nahe fehien, brach Theramenes 108: 
Nitter waren gegen ihn, aber die Schwerbeimaftneten,, \ 
der Mittelftand, die |. g. Yünftaufend, für ihn (92,). € 
weilen gelang es den Mlachihabern noch, durch Verſpre 
gen den Aufruhr zu beichwichtigen (93.); allein der V— 


1) VBgl. die übereinflimmende Bemerkung von Xriftoteles: Polit 


6. 6. Mevolution der Vierhundert. 443 


Eubba, da man ſtündlich einen Angriff der Peloponneſier 
den. Peiräeus erwartete, führte die Abfegung der Vierhun⸗ 
„herbei (95 fſ.). Es ward eine gemäßigte Miſchung von 
marchie und Demokratie errichtet : alle Gewalt der Volks⸗ 
zitmkung follte den Fünftauſend gebühren, zu denen jeder 
werbewaffnete Zutritt erhielt; kein Amt ſollte bezahlt wer⸗ 
F Alkibiades und feine Anhänger enpfingen ihre bürger- 
2. Meihte wieder. Thukydides uxtheilt, in der erſten Zeit 
we: sseuen Berfaffung ſei der eigene Staat ganz befonders 
verwaltet worden (97.). Uebrigens verfteht es fi 
febbſt, dergleichen ſchnelle und vorübergehende Ummälzun 
find überall nur in einer tiefgeſunkenen Zeit möglich. Wie 
ri: Symptom. von geringer politifcher Lebenskraft find, fo 
en. fie andererfeitö nicht wenig dazu bei, die noch vorhan⸗ 
s ‚Die berfelben völlg zu untengeaben 1), 





y Diefe gemäßigte Berfaffung Tcheint benn auch in den nächſten Jah⸗ 

worüber freilich Xenophon’d Helleniken als Hauptquelle dienen, 
Jebauert zu haben. Daß fie formell vor der Anarchie aufgehoben 
pr, Lefen wir nirgends. Unter ben Felbherren ber Jahre 411 ff. tres 
Aıeidbiadbes, der Übergegangene Ollgarch Theramenes, die Demos 
en Thraſybulos und Thraſyllos hervor. Unter den Abgeorbneten bes 
Blabes, vor welchen Pharnabazos den mit Athen gefchloffenen Vers 
‚ befchwört, findet fi) Diotimos (Xenoph. Hell. I, 3, 12.), bes 
ut nachmals ald warmer Unterflüger des Thraſybulos gegen bie Dreis 
'(Lysias adv. Phil. 15 sq.)., Ron ben Gefandten, welche mit 
zuabaz0s Bewilligung an den Großheren gefchidt werben follen, ken⸗ 
wie namentlich den Mantitheos, einen Freund des Alkibiades, auch 
hdieſem in den Hermokopidenprozeß verwidelt (vgl. Diod. XIII, 
5 . ferner Theagenes, wie ich vermuthe, der fpätere Dreißiger 
»soph. Hell. I, 3, 13.). — Durch Alkibiabes Siege wirb biefe 
binirte Partei immer ftärker und flärker, bis zue Rückkehr bes 
herrn ſelbſt. Aus den mißtrauifchen Borkehrungen jedoch, welche 
ber Laudung von feinen perfönlichen Anhängern getroffen werben, 
man beutlidy ein, wie wenig Wurzeln der ganze damalige Zuftanb 
, gefchlagen hatte (Ibid. I, 4, 18 sqq.). Gleichwohl ift es vollloms 
: glaubwürdig, wenn Diobor dieſe Rüdlehr ungemein glänzend aus⸗ 


AAA Thukydides. Kay. 14. 





malt, faſt wie die eines Königs: indem die Angefehenern ihn 
beften Schirm gegen jede Pöbelherrichaft anfahen, dee Demos zu 
Zeit ala den Vertreter ber äußerſten Demokratie, alle beide aber 
einzigen Rettungsanker ber atheniichen Größe (Diod. XIII, 


Mootẽ ie, drdalpe: dd, Parken d’ Uyew. 

Damals fol ihn das gemeine Volk zur Berjagung der Demagogei 
Sturze der Verfaffung und zur Tyrannei ermuntert haben. Di 
rung aber, hierdurch inAngſt gefegt, ſchickte ihn zur Flotte zurüd (Pl 
eib. 34 5q.),— Für die ganze Stellung des Alkibiades ift es fehr charakt 
daß er zu Unterfeldberren den Konon und Ihrafpbulos, weiter] 
Adeimantos und Ariftofrates erhielt (Xenoph. Hell. I, 4,1 
Die erftern Zwei notorifche Anhänger der Volksherrſchaft; Adel 
ertzemer Oligarch, Ariſtokrates früher mit Theramenes zuole 
den Bierhundert abgefallen (Thucyd. VIII, 89.), endlih m 
arginufifhen Feldherren hingerichtet (Xenoph. Hell. I, 7, 2). 
ſieht, Alkibiades will die Parteien verföhnt halten. Dabei iſt 
gleich den alten Grundfägen der athenifchen Politik durchaus anyı 
daß die bemokratifchen Anführer der Flotte, die ariſtokratiſch 
Landheere vorgefegt werden. — Allein gleich der erfte Verluſt, 
die Athener unter Alkibiades Führung zu erleiden hatten, ftür 
wieber: das Zreffen bei Rotion. Gerade bas unbefchräntte Ber 
welches der Demos in fein Zalent feste, ließ jedes Mißlingen« 
fer Abſicht erklären (Plut. Alcib. 35.). Es wurden Stimme 
die ihn Iyrannifcher Abfichten, welche er mit Hülfe der Lakede 
und Perfer durchzufegen hoffte, anfchuldigten (Diod. XIII, 73.) 
ter feinen Gegnern wird namentlidy Thraſybulos genannt, der i 
Unwürbigkeit feiner Günftlinge,, fein Schloß in Thrakien u. %. ı 
Vorwurf madte (Plut. 1. 1. 36). Soviel ift nicht zu leugnen 
ber Steuermann Antiochos, bie nächfte Veranlaffung bes Unfallei 
Alters ber ein unbedingter Anhänger, ja Schmaroger, des All 
gewefen war (Ibid. 10.). 


An feine Stelle wurden zehn neue Felbherren gefegt (Xe 
Hell. I, 5, 16... _ Doch war bie ganze Veränderung bes Com! 
eine rein perfönliche: denn bie gerechte Mitte ift auch unter biefe 
vorherrſchend. Konon, deflen großer Reichtum aus Lyſias (I 
nis Aristoph.) erhellt, Leon, Diomedbon, Thraſyllos find ung alt 
Bigte Demokraten, XAriftofrates als gemäßigter Oligarch fchon 
befannt; Perikles vermuthlich ber Sohn des großen Perikles, 
Memorabilien im Geſpräche mit Sokrates ſchildern. Sokrat 
gute Hoffnungen auf die Amtsführung der Zehn (Xenoph. Mei 
II, 5 pr). Man war fo eifrig bedacht, die Verföhnung der | 


6. 6. Letzte Parteikaͤmpfe. 448 


alten , daß ſelbſt der minder bedeutende Auftrag, nad der Argi⸗ 
ſich lacht die Leichen zu fammeln und den Konon zu retten, bem 
jauchen Theramenes und dem Demokraten Thraſybulos gemeinfhafts 
æctheilt wird (Hell. I, 6, 36.). — Man hat es von jeher räthfels 
. gefunden, daß die Mehrzahl der zehn: Feldherren, unmittelbar nad 
ir glänzenden Siege, mit Abfegung, bald darauf mit Hinrichtung 
Haft wurden. Das Räthfel löͤſt fi, wenn wir ihre Parteiftellung 
Auge faſſen. Wir begegnen hier, am Schluffe bes Krieges, dems 
BSuſammenhalten der extremen Parteien gegen die gemäßigte Mitte, 
ſchon kurz vor und nach dem Anfange des Kampfes gefunden 
IB: foot. oben S. 409 fg.). An die Stelle ber Zehn — Konon allein 
Fefin Amte geblieben — werden Abeimantos und Philokles gefeht: 
jſtos der mutbmagliche Verräther im Hellespont, Philokles 
B: Teidenfchaftlicher Demagog, von welchem nachmals der berüchtigte 
g ausgegangen ift, jedem gefangenen Peloponnefier den Daumen 
* en Hand abzuhauen. Als Kläger tritt zunächſt der Demagog 
Besemos auf (vgl. Aristoph. Ranae 419. 588. Lysias adv. 
Mi.), balb-aud, Theramenes. Der Senat beweifet ſich während ber 
Fr Berhandlung als entichiebener Feind der Angeklagten; und ber 
Mat war damals, fchon vor ber wirklichen Einfegung ber Dreißig, uns 
Aeelhaft oligarchiſch gefinnt. Namentlih hatten bie berüchtigten 
gjachhen Chremon und Satyros damals gewaltigen Einfluß im Ges 
:QXKenoph. Hell. II, 3, 54. Lysias adv. Nicom. 14. Adv. 
“rat. 20.). Als Organ bes Senates dient Kallirenos, welcher ſpä⸗ 
Bin zu ben Lakedämoniern floh, um endlich mit Thraſybulos wieder 
Magutehren (Xenoph. Hell. I, 7, 39 sq. Diod. XII, 103.). In 
2Bolksverſammlung felbft laͤrmt auch der Pöbel gegen die Feldherren. 
b vornehmfter Bertheibiger ift Euryptolemos, ein Verwandter und 
Esser Anhänger des Alkibiadee (Xenoph. 1.1 I, 4, 19. 7, 12.)3 
Beect, wenigftens durch ehrenwerthe Weigerung, an ber Ungeſetz⸗ 
Teit heil zu nehmen, auch Sokrates (Ibid. I, 7, 18.) — 
zb nad) dem Tode der Keldherren kam die Athener Reue an. Bie 
wfen die hauptfächlichften Schuldigen in's Gefängnißz woraus biefe 
ze unter dem Gewirr ber Unruhen, welche bem Iyfandrifchen Frieden 
Naufgingen, flüchteten. 


> Die atheniſchen Feldherren im Hellespont hat man mitunter 
nutlich des Verrathes geziehen, etwa mit Ausnahme des Konon. 
ia Hat insbefondere bie fchroffe Art, mit welcher Zybeus und Menan⸗ 
W ben guten Rath bes Alkibiades verfhmäheten, als verrätheriich bes 

Allein diefe Männer urtheilten mit Recht, wenn fie irgend 
e: Einmiſchung des Alkibiades zuließen, würde jeder Erfolg auf deffen 






AA6 Thufybived. Kap. 14. 


Rechnung, jebes Miflingen dagegen auf bie ihrige Fommen. De 
Rand, daß Lyſandros nad) der Schlacht nur den Abeimantos verſcha 
fpricht wohl genügend bafür, daß biefer ber einzige Werräther m 
Die furchthare Niederlage mußte natürlich ber Volkspartei in Ak 
Zodesftoß verſezen. Wänner, wie Kleigenes, der kleine Barbie, 
Ihon zu Alkibiades Vertreibung mitgewirkt hatte (Aristopk.| 
708 sqq.), und Kleophon, Eonnten keine Rettung bringen. Da} 
fonnene Schreien bes Leätern und feine tyrannifche Gewaltſamkeit 
schines De fals. leg. 76. Xenoph. Hell. II, 2, 15... Ly 
adv. Agorat. 8.) mußte unter diefen Umftänden fogar ben gröftes, 
den thun. — Der erftle Schritt ber Dligarchen „ bie Grnenam 
fünf Sphoren als Kührer ber Volksverſammlung, brachte bie & 
der höchſten Staatögewalt in ihre Hände. .. Kritias und Grat 
waren barunter. Dieß war zugleich der Anfang jener confequenten 
bildung lakedämoniſcher Inſtitute, welche die ganze Staatöverm 
der Dreißiger durchdringt. Als den zweiten Schritt können wirt 
babilitirung der Atimen anfehens wozu gewiß um bes allgemeinen 
dens willen aud) mancher rebliche Waterlanböfreund feine Zuftim 
gegeben hat, die aber zur Zeit nur ben Dligarchen förderlich fein ı 
Da konnten benn Verrath und Hunger leicht das Uebrige thun. 
Dreißig entiprechen nachmals der lakedämoniſchen Geruſie, ſelbſt i 
Anzahl der Mitglieder. Kritiad und Charikles, könnte man | 
fpielen bie Role der Könige. Die Dreitaufend find den Spar! 
analogz das Übrige Volk follte zu Periöken erniedrigt werben. 

bas Nähere hiervon liegt jenfeit der Gränze meines Buches. B 
vorzügliche Eleine Schrift von Scheibe Die oligarch. Umwälzu 
Athen und das Archontat des Eukleides. 1841. — Ich füge nur 
hinzu, ber frühere Aufenthalt des Kritias in Theſſalien, um bie | 
ſten aufwiegeln zu helfen, ber ihm fo vielfach zum Vorwurfe ga 
worden, ift wahrfcheinlich dadurch zu erklären, baß er bier einer 
kommenden Tyrannei förderlich zu werden dachte. Hier alfo dai 
Symptom ber Vereinigung von Dligarchie und Zyrannei, welhe 
nun an 3. B. ber lakedämoniſchen Politit immer eigen bleibt. 


Es ift übrigens merkwürdig, wie fehr der Verlauf der erfle 
sarhhifchen Reaction dem ber zweiten, unter ben Dreißigern, pa 
gebt. Hier, wie dort, wird der Anfang des Verrathes bei ber | 
. gefponnen. Gerade wie Peifandros, jo bewirkt auch Lyfandroß, 
vor Athen ſelbſt rüdt, den Abfall und die Umgeflaltung der athen 
Bunbesftädtes mittlerweile bereiten bie Oligarchen zu Athen Allet 
und Lyſandros Erfcheinen giebt endlih den Ausſchlag. Die Beft 
geht in beiden Zällen von ben echten Athenern außerhalb 3 


$. 6. Letzte Parteikaͤmpfe. . 7. Lakedaͤmon. 447 


8. 7. 


Lakedämon. 


Daß die Lakedämonier eine gewiſſe alterthümliche Religio⸗ 
E Tänger bewahrt haben, als die Athener, iſt ſchon oben 
Aert worden 1). So erfahren mir auch, daß fie In einem 
echten Kriege um der Gerechtigkeit willen zu flegen hoffen 
EL, 18.); Daß fie, ungeachtet des allgemeinen Mißtrauens, 
E08 mit Eiden zu überzeugen denken (IV, 86.). Auch 
Eile ich nicht, die Lakedämonier haben in ihren wirklichen 
chandlungen, ebenfo wie beim Thukydides, die Worte 
SH, Pietät u. f. m. weit mehr im Munde geführt, als 
Achener. Und dergleichen iſt niemals ganz ohne Grund, 
E Verfchwiegenheit, welche fie in Staatöfachen beobachten 
5 74.), tft jeder ariſtokratiſchen Regierung gemein; fie hat, 
* der demokratifchen Deffentlichleit verglichen, ihre Stärken 
5 Ihre Schwächen. Allein, was einen unzweifelhaften Vor⸗ 
‚ bildet, das iſt die Ehrfurcht der Lakedämonier vor dem 
fee (V, 60.). — Aber die athenifchen Geſandten ſchon 
en voraus, dag die Lakedämonier, wenn fie in's Ausland 
men, ihren eigenen Geſetzen nicht minder Hohn fprechen 
den, als den andern Hellenifchen (I, 77.). Selbft in 
afdad Zeit war die Ernennung des erſten auswärtigen 
uithalters eine geſetzwidrige (IV, 132.). Wir Hören fpä- 
„ daß ſich mit Ausnahme des Hermokrates alle Feldherren 
: peloponnefifchen Flotte von Tiſſaphernes beftechen laſſen, 
t eine Soldverringerung ihrer Mannfchaft zuzugeben (VII, 
» 50.). ine andere Entwicklung des lakedämoniſchen Staa⸗ 


Die oligarchiſche Behörde Tucht fich beibe Male dur einen Res 

8 an ihre, wenigſtens etwas mehr demokratiſche Grundlage zu retten: 

€ die Dreitaufend,, bier die Künftaufend. Beide Male folgt auf den 

eteienkampf eine gemäßigte Mifchung von Demokratie und Dligardhie. 
ı) Oben ©. 214 fo. 


448 Muhkydides. Kap. 14. 


tes, welche inöbefondere den oligarchiſchen Charakter dei 
verfchärfte, wird tiefer unten erörtert werben 1) 2). 


1) Kapitel XV, $. 2. 

2) Ich babe ſchon früher bemerkt, daß fidh gleich » vom Anfon 
peloponnefifhen Krieges an eine altdoeif he und eine jung 
fe Partei unterfheiden lafſen. Thukydides felbft Hat uns 
nidyt viel davon berichten Zönnen, weil bas bebeutenbfte Hero: 
berfeiben erſt in die legten Kriegsjahre fällt. Braſidas vereinigt 
Richtungen. Vom Altibiades hat bie junge Partei außerorbentli 
gelernt. Am fchärfften aber wird ber Gontraft zwiſchen Kallik: 
das und Lyſandros. Lyſandros Wahliprudy Iautet: Wo der 
nicht hinkommt, da fchleicht der Fuchs hin (Plut. Lysand. 9.). 
die Kinder mit WVürfeln betrogen werben, fo die Männer mit 
(Ibid. 3.). Kallikratidas hingegen, wenn er den Feind angreifen 
und ihn übermächtig findet, Hält die Flucht doch für fchmählid, 
meint, fein Zob werbe bem Baterlande keinen großen Schaden 
(Xenoph. Hell.I, 6, 32.). — Wir haben eine ähnliche Bielfeitigki 
Lyſandros zu bewundern, wie an Alkibiades. So ging er mit ke 
Barte einher und alterthümlich frifirt (Plut 1.), von Jugend au 
firengfte Beobachter aller herkömmlichen Inſtitute, nur übertrieh 
müthig gegen Vorgefegte (Ibid. 2.). Dieß mußte ihn zu Lakedämon en 
len. Andererſeits verftand er fich bei dem jungen Kyros fo belie 
machen, daß diefer, als er zu feinem Vater in's Innere des R 
binaufreifte, dem Lyfandros inzwifchen feine Satrapie fcheint übert 
zu haben (Ibid. 9. Xenoph. II, 1, 15.). Kallitrativas hatte 
Zalent, noch Luft, den Höfling zu fpielen: er verwünſchte dieſen 
zen Krieg, der die Lakedämonier zu Hülfsbittern der Barbaren ı 
ftatt zu deren Beflegern (Xenoph. I, 6, 6 sqq. Plut. 6.) — 
fandros Charakter hat manche ehrenwerthe Seiten: fo fehr er den 
bereicherte, fo unbeſtechlich war er felbft, und ertrug feine Armut 
Würde (Plut. 2. 31... Als ihm Kyros eine Gnade anbot, forde 
für ſich Nichts, nur eine Zulage für feine Soldaten (Xenoph. 
6: Plut. 4). Dieß fticht allerdings gegen die Habgier z. B. dei 
lippos fehr ab (Ib. 16). Allein wo fein Ehrgeiz in Frage kam 
glaubte Lyſandros fi an Nichts gebunden. Um feinem Nachfolger 
likratidas zu fchaden, ftellte er das von den perfifchen Subfibien 
vorräthige Geld ohne Weiteres dem Kyros zurüd. Auch feine: 
guen, um bie Bundeögenofien dem Kallifratibas abwendig zu m 
gränzen nahezu an Aufrufe. Wie einfach und edel, wie gefeslic 
vaterlandsliebend erfcheint hiergegen bag Benehmen des Kallikr 


$: 7: Lakedaͤmon. 449 


ph. 1,6. Plut. 6.) — :Wenn man bie frühere Verfaſſung 
edämonier im -vollften Sinne bes Wortes eing- Xriftofratie nens 
mn, To gehört Lyſandros unter Diejenigen, welche zu ihrer Ums 
ag in eine Dligarchie am meiften beigetragen :haben. Er war- 
:allidifcher Abkunft, aber arm (Plut. 2.): ſolche Männer find 
hteſten zu Ummwälzungen geneigt. Wir werben.tiefer unten fehen, 
13 im Sinne dieſer Partei der .nikifche Frieden zu einer wefentlir 
eſchränkung der Königsmacht benugt wurde. Lyſandros war fo 
n ähnlichen Ideen ergriffen, daß er fpäter fogar damit: umging, 
lichkeit des Thrones umzuſtoßen (Ibid. 24.). Seine Günftlinge 
weber die Adligſten, noch die Neichften, fondern.bie Häupter der 
Yifchen Klubs. Er hat die Mehrzahl diefer Klubs gegründet: 
1. XI, 70.); in ihrer Leitung war er Meifter, nahm aber auch 
en Mordthaten veichlichen Antheil (Plut. 5. 13.). Seine Graus 
ift befannt: wie er z. B. nach ber Schlacht im Hellespont drei⸗ 
»gefangene Athener- niederhauen ließ (Ibid. 13. Xenoph. Il, 
Als. in Milet die Parteien Kreundfchaft fchließen wollten, lobte 
zwar Öffentlich‘ insgeheim aber tadelte er die Oligarchen, und 
rte durch Verrath die Rache am Demos (Plut. 8). Nach dem 
von Athen foll er den Vorſchlag gethan haben, alle Bewohner der 
in die Sklaverei zu verfegen (Ibid. 15.). Kallitratidas hatte auf 
ähnlichen Vorfchlag, den man gegen die befiegten Methymnäer ges 
, die fchöne Antwort gegeben, fo lange er den Oberbefehl hätte, 
kein Hellene zum Sklaven erniedrigt werden (Xenoph. I, 6, 14.). 
Rn, wie fie unter den Dreißigen zu Athen üblich waren, dürfen 
n Eyfandeos Zeit durch das ganze reactionirte Griechenland vors 
en. — Auch auf die kirchliche Reaction wußte er vortrefflich ein= 
n, wie u. %. feine prachtvollen Weihgefchente nad) Delphi zeigen 
.. 18.). Als er zu Sparta in Ungnade gefallen war, machte er 
sotivreife nad) dem ammonifchen Tempel (1bid. 20... Wie wenig 
ı jedoch mit diefer Frömmigkeit Ernſt fein Eonnte, fieht man deut- 
nug aus den Beftechungsverfuhen, womit er Delphi, Dodona 
mmonium anging (Ibid. 25 sq.). — Was die Infandrifche Par- 
ı meiften charakterifirt, ift die Einführung eines Schages in Lake⸗ 
Die Unterfchleife des Gylippos waren die Veranlaffung, daß 
n gewaltiger confervativer Sturm gegen Lyſandros erhob, in wel⸗ 
er nur fo eben die Erlaubniß durchfesen Tonnte, daß der Staat 
Metallgeld befigen dürfte (Ibid. 16 sq.). Bald nachher wurde ein 
d bes Feldherrn, bei dem man privatim das verbotene Gelb fand, 
ichtet (Ibid. 19.). Mit feinen finanziellen Neuerungen fleht es in 
ımenhang , daß Lyfandros hauptfächlich und am liebften als Flot⸗ 
wer auftritt. — Beiläufig noch Zolgendes. Das fpartanifhe Ei- 


430 Thukydides. Rap. 14. 


fengetd iſt urfpränglich nichts weniger, als eine pofitive Inftitı 
Geſetzgebers. Alle Völker beinahe, wenn fie dem Stadium be 
und Romabeniebens, alfo des Pelze und Viehgeldes entwach 
fangen mit Eiſen und Kupfer an. Ye höher nun die Wirthſcha 
je größere Zahlungen alfo nöthig werden, zu deſto koſtbarern 
muß man übergeben. Roch heutzutage hat das höchſtcultivi 
in Suropa, England, größtentheild Golbcirceulation, Rußl 
Schweden, was Metaligeld anbetrifft, größtentheils Kupfercir 
So lange Sparta auf einer niedern Wirthichaftsftufe beharrte, ı 
Gifengelb durchaus natärlicdys jest aber nit mehr. Man wird 
Bebeutung der Infandrifchen Maßregel richtiger würbigen können 
ſandros war Überhaupt ein tüchtiger Staatswirth, wie man 3 
erneuerte Banbelsblüthe von Ephefos auf ihn zurädbatirte (Pl: 
Theopomp iſt ein warmer Lobrebner bed Lyſandros, feiner Ar 
keit, feiner Dienftfertigkeit gegen Sebermann , feiner Mäßig 
Enthaltfamteit (Theopomp. Hell. fr. 21 sq. Eyss. ' 
— Die Ichönfte Vereinigung ber alt» und jungborifchen Partei 
wie nachmals im Agefilaos. 





— Sunfzehntes Kapitel. 


Weiter Sauptfaden — Umwandlung der auswär— 
tigen Politik. 


UBTURE 


Der eigentliche Kern diefer ganzen Gefchichte tft die Ausfüh- 
mg des berühmten Gegenfaes in I, 69 fg. Was die Athe- 
= groß gemacht, das follte in feiner Viebertreibung ihr Ver⸗ 
weben werden. Und andererfeits, das Verlaſſen der altdori⸗ 
pen Grundſätze mußte anfänglih den Lakedämoniern ihren 
eg verichaffen, hernach aber im weitern Kortfchreiten fie 
eichfalls zu Grunde richten. Während der athenifche Muth 
Perikles Zeit aud der Herrfchaft über ihre Empfindungen 
u Entfchlüffe hervorging (II, 39 fſ.), ſtützte er fich fpäter 
nur auf die Unfälle der Gegner (VI, 11.). Wit Haben 
Rt zu betrachten, mie die Athener gleich vom Anfange des 
leges an überall im Nachtheile find, wo fie dem Rathe des 
Berifled unfolgfam werden; bis ihre größte unperikleifche Un- 
mehmung ihre Macht unmiederbringlich in's Verderben flürzt. 


8. 1. 
Archidamiſcher Krieg. 
Zuerft begegnet und hier die Niederlage der Athener 
oe Spartolos, wo fie auf ähnliche Art von den Bottiäern 
29 * 


A352 Thukydides. Kap. 15. 


und Chalkideern befiegt werden, mie nachmals von den 
lien (II, 79.). Weiterhin wird im Winter des vierten 
res Lyſikles von den Kariern zu Grunde gerichtet (III, 
Ein ganz analoges Vorſpiel des ſyrakuſiſchen Zuges iſt 
der Zug des Demofihened gegen Die Aetolier: nur hi 
Kleinen, was dort im Großen geſchah, und daß hier das 
geftüct von den chimärifchen Planen eines Einzelnen (III, 
dort eined ganzen Volkes, oder wenigſtens einer Partei 
ging. Auch das ift beiden Kriegen gemein, daß die U 
den eriten Stoß durch das Ausbleiben der erwarteten Du 
truppen empfingen. 

Minder Hochfliegend und darum näher an's Ziel ti 
waren die Beweggründe, welche die Beſetzung von Bi 
(IV, 3 ff.) und von Kythera (IV, 53 fg.) vera 
Die frühere Kolonifation von Naupaktos war ein Vorfpu 
von. Pylos Hatte einen worteefflichen Hafen, daher die 
bindung mit Athen leicht zu erhalten war. Bon hie 
konnte den Lafedämoniern dauernd und mit geringer ! 
derfelbe Schaden zugefügt werden, den man fonft mr 
kurze Zeit und mit koſtſpieligen Rüftungen durh Rau 
um die Küften des Peloponnes bewirkt hatte, Legte mar 
lich eine meſſeniſche Beſatzung hinein, fo Fonnte man 
bloß der äußerſten Vertheidigung gewiß fein, fonde 
drohete Sparta auch von den Heloten eine ähnliche © 
als wenn die Engländer heutzutage Negerforts an der 
küſte der Vereinigten Staaten anlegen wollten. Dah 
große Eifer, womit Braſidas vor Allen fich der Sad 
nahm. Seit der Befekung von Kythera war Lakonieı 
auf der andern Seite eingefhlofien, um fo gefährlicher 
man von bier aus die afrifanifche Kornzufuhr abfd 
konnte. Verrath der einheimifchen Periöfen Hatte den 
nern ihr Unternehmen erleichtert (IV, 54). — Set 
die perifleifche Kriegämanier, fo zu jagen, aufs Aeußer 
fteigert, alle eigenthümlichen Vortheile der Athener auf: 


$. 1. Archidamiſcher Krieg. ABS 


Fe benutzt. Daher ſich Thukydides Hier gedrungen fühlt, 

Schilderung der lakedämoniſchen und atheniſchen Kriegs⸗ 
B-.turz, aber faſt mit denſelben Worten, wie im erſten 
pe, zu wiederholen (55.) 1). — Allein es fit eine eigene 
je mit Diefen Triumphen. Schon Thukydides warnt ,. kein 
großes Gewicht darauf zu legen (IV, 18.). Das ift kein 
h, was den Feind zum Siege zwingt; und jene beiden 
anehmungen haben nach Thukydides ausdrücklichem Zeugs 
die Lakedämonier unmittelbar zur Aenderung ihrer :alten 

gemanier veranlaßt :IV, 79 fg.). Weil die Noth fo 
WE wor, Hatten fie auf der Stelle ſchon beweglicher werden 
— 55.) 2); Bald nachher kam es zum Feldzuge bes 















‚ um die Helotengefahr abzuleiten, und die Athener 

rem eigenen Gebiete zu befchäftigen. Darum iſt es auch 
Zief ergreifend, wenn eben bier, auf.der Akme der atheni⸗ 
Die Kriegsgröße, die lakedämoniſchen Gefandten fo eindring- 
Ü an die Unbeſtändigkeit des Glückes erinnern, und vor 
Wh Sinaustreiben über das menfchliche Mia abrathen (IV; 


N 


=) Schon Herobdot macht aufmerkfam darauf, wie höchft gefähr- 
,. ia wie gänzlich lähmend eine Feſtſetzung des Feindes in Kythera 
® ein Krieg von borther für die Lakebämonier wirken müſſe. Das 
“te fchon der weife Chilon eingefehen,, und K. Demaratos dem Xerres 
erathen (VII, 235.). Aber auch fpäter noch fällten die Staatsmänner 
Jelbe Urtbeil: Xenoph.Hell.IV,2,lısqq. Erft nady funfzehnjähri= 
1 Beſitze verloren die Athener Pylos wieder: Diodor. XI, 6A. 


; 3) Die Belegung von Kythera vermochte bie Spartaner, in ber 
mptftadt felbft immer eine Wache zu halten: Schol, Bizet. in Ari- 
oph. Eccles. 427. 


9 Mitten im Siegeötaumel von Pylos fehrieb Eupolis fein 
woouw yiros, worin Kleon ſcharf mitgenommen wurde. Den Chor 
deten Kyklopen, und es mochte die Zruntenheit des Volles, wie in 
ifophanes Vögeln, in ein erträumtes golbenes Alter hinaufgeleitet 
den. Bol. Bergk Reliquiae comoed. Att. p. 361 sqq. Kurz 


ABA Thukydides. Rap. 15. 


ie die Athener im Uebermuthe des Glückes im 
abfichtigt, fo machen fie auch damals wieder einen De 
mit Hülfe einheimifcher Partelungen Bd ntien zu m 
Die blutige Niederlage von Delion vereitelt dieſen Ve 
Es ift bewunderungswürdig, wie ſchön in den beiden dd 
Reden auf die früheren Schlachten von Koronea und k 
phyti zurückgewieſen, alle Kolgen des gegenwärtigen Ka 
vorausgefagt werden (IV, 93 ff.) '). 

Die erften Jahre hindurch Hatten die Lakedämt 
in feuchtlofen Plünderungszügen das attifche Gebiet v 
ftet (wgl. V, 14.): eine Kriegsmanier, deren althergei 
Volksthumlichkeit aus Archidamos Rede deutlich hervorl— 
(11, 11.). Wir kennen Die Gründe ſchon, weßhalb bie 
ner an ihrem eigenen Heerde am ſchwerſten verwundba 
mußten. Die Lakedämonier hatten ihre unzufriedenen | 
thanen im der Nähe, die Athener in der Ferne. Den 
nern ſchadete felbft die dauernde Beſetzung von Dekele 
dadurch fo ſehr, daß fie mit dem Abfalle der Kolonien z 
mentraf (VII, 27.). — Die erfte Regung nun eines ı 
derten Strebens der lakedämoniſchen Kriegsmänner finde 
ihrem, freilich erfolglofen Angriffe auf Zakynthos (IH, 
Dann in dem gleichfalls Halb oder ganz mißglüdten 
nach den akarnaniſchen Städten Aftafos (IL, 33.) und 


darauf wurden mit Ariftophanes Rittern als drittes Preisſtück A 
menes ’Oiopvguoi gegeben, in weldhen F. Ranke (Vita Aı 
p. CCCLXXXIII.) eine Anfpielung auf das Wehltagen ber fp 
ſchen Gefangenen fucht. 


1) Sehr merkwürdig ift es in PYagondas Rede, wenn er 
binweifet,, wie die Athener ihren Gegnern bisher dadurch überle 
ren, baß fie von Anfang an jedes Unternehmen mit dem Auf 
Nachdrucke verfolgten. Best machten endlich einmal auch bie 
Ernſt. Nur büte man fih, die Veränderung allein auf ihre 
zu fuchen! ° 


$. 1. Archidamiſcher Krieg. A585 


(HH, 80 fi.). Die früheſten Unternchmumngen der Art ſind 
Weſten gerichtet, zumal gegen abtrünnig gewordene 
Ve. Ehen dahin gehört die won Korinth betriebene 
ung ber Amprakioten (IL, 80.). Offenbar noch ein 
alter Pietätsideen. Diefe Züge haben. mefentlich noch 
| „Refenfiven Zweck: durch Wegnahme ihrer weitlichen Stüg- 
:wollen fie die Athener an der Umkreuzung des PBele- 
e8 hindern. Auch Bald nachher fcheint in dem kühnen 
d kaum nereitelten Handſtreiche des Braſidas auf den Pei⸗ 
ein ganz anderer Geiſt zu malten, als in den früheren 
nach Attika (HI, 93. III, 51.). Es kam aber.ver 
‚darauf an, dag die Arcana der athenifchen Größe1) 

Sende bekannt wurden. Nur glaube Steiner, daß bier 
BB: von einem Slügerwerben des Einen Theiles die Rebe 
A Es giebt viele Stellen in der Geſchichte, wo eine grbße 
Becht Durch fo einfache, ſcheinbar fo nahe Legende Mittel ges 
Ing} wird, Daß man fragen könnte, warum denn vorher Ries 
geb darauf gekommen if. Nur der Laie wird .alfo fragen 
w. Derified. Zeit hat es Fein Lakedämonier ernſtlich gewagt, 
u chrakiſchen Tributländer anzugreifen. Wenn es Einer ges 
agt hätte, es würde ihm ficherlich Nichts geholfen Haben. 
n Demfelben Maße, wie die Lakedämonier fähiger wurden 
x Benutzung günftiger Umftände, haben ſich die Umftänbe 
Bft. auch günftiger geftaltet. 

Wie langfam übrigens die Fortſchritte der Lakedämonier 
ff dieſem Wege fein mußten, erkennt man recht Deutlich bei 
ns Aufftande von Mitylene. Schon vor dem Kriege hate 
sv die Leöbier um eine Uinierftügung zu ihrem Plane nachge⸗ 
cht; arten fie aber nicht erhalten, weil Sparta Hier das 
tgegengefete Verfahren anwandte, wie Athen bei Kerkyra 








ı) Ich babe biefen Ausdrud ben befannten arcanis imperii bes 
zcitus nachgebildet. 


* 


458 Thukydides. Kap. 15. 


8. 2. 
Trieben bes Nikias. Innere Reform des lakedämoniſchen Bi 


Deſſenungeachtet war nach dem Tode des Klem 
nur im Kriege Hoffen konnte, feine ſchlechte Verwaltun 
zuſetzen, und des Braſidas, der feine ruhmvolle Sieg 
hatte verfolgen wollen (V, 16.), immer noch ein | 
möglich. Die Athener wurden inne, von welcherlei © 
fie umeingt waren; fie fingen an zu fühlen, daß fie den 
ihres Glückes Hinter ſich Hatten (V, 14.). Die gab hı 
nen, wie wir gefehen haben, der Partei des Nikias di 
band. Man konnte fi immerhin auf Das Beifpiel dus 
kles berufen, der ja au, ſowie Euboa abgefallen wma 
Sparta Frieden gefchloffen hatte, - In Lakedämon v 
umgefehrt zunächſt der Eigamuk eines Könige, meld 
Trieben berbeiführte. Alle Diejenigen unterflügten ihn, 
Verwandie auf Sphakteria gefangen waren (V, 16 fg.). 
aber lernten die Lakedämonier erſt jetzt die wahre Be 
des Krieges einſehen; lernten einſehen, daß. fie im June 
res eigenen Landes und Bündniſſes fich erſt nnangreifl 
machen hätten, ehe fie nach Außen Hin fich mit Erfolg 
chen könnten (V, 14.). Wer daher auch Alles zugiebt 
Nikias den Athenern über die Vortheile des Friedens e 
(V, 46.), — obwohl auf Nikias die Warnung des P 
Il, 63. zu geben fcheint — der muß doch eingeſtehen, 
der Krieg mit Sparta ununterbrochen fortgebauert, 
Hätte nimmermehr den forafufifchen in dieſer Ausdehnun 
zugefügt !). 


) An den großen Dionyfien bes Alkäos (März 421) ift A 
phanes Zrieden aufgeführt. Seit dem Ende des Jahres 423 
die Unterhandlungen begonnen: am 4. April 421 wurbe ber 
felbft hefchworen. Das ariftophanifche Stück ift im Sinne der & 
partei gefchrieben, um das Volk nach den Segnungen beffelben ı 


$. 6. Letzte Parteikaäͤmpfe. $.:7. Lakedaͤmon. AA7 


8. 7. 


Lakedämon. 


Daß die Lakedämonier eine gewiſſe alterthümliche Religio⸗ 
E länger bewahrt haben, als die Athener, iſt ſchon oben 
dert worden 1). So erfahren wir auch, daß ſie in einem 
Behten Kriege um der Gerechtigkeit willen zu flegen hoffen 
WI, 18.); daß fle, ungeachtet des allgemeinen Mißtrauens, 
Wo8 mit Einen zu überzeugen denken (IV, 86.). Auch 
Me ich nicht, Die Lakedämonier Haben in ihren wirklichen 
Maandlungen, ebenſo wie beim Thukydides, die Worte 

„Pietät u. f. w. weit mehr im Munde geführt, ale 

iger, Und dergleichen tft niemald ganz ohne Grund. 

e — welche ſie in Staatsſachen beobachten 
3 74.), iſt jeder ariſtokratiſchen Regierung gemein; fie hat, 
E der demokratiſchen Deffentlichkeit verglichen, ihre Stärken 
5 ihre Schwächen. Allein, mas einen unzweifelhaften Vor⸗ 
s bildet, das iſt die Ehrfurcht der Lakedämonier vor dem 
fee (V, 60.). — ber die atheniſchen Gefandten ſchon 
an voraus, daß die Lakedämonier, wenn fie in's Ausland 
mer, ihren eigenen Geſetzen nicht minder Hohn fprechen 
den, als den andern bellenifihen (I, 77.). Selbft in 
kefidas Zeit war die Ernennung des erfien auswärtigen 
dätthalterd eine geſetzwidrige (IV, 132.). Wir Hören fpä- 
» daß fih mit Ausnahme des Hermokrates alle Feldherren 
peloponneſiſchen Flotte von Tiſſaphernes beitechen Taffen, 
| eine Solvverringerung ihrer Mannfchaft zuzugeben (VIIL, 
» 50.). Eine andere Entwicklung des lakedämoniſchen Staa⸗ 





L Die oligarchiſche Behörde Tucht ſich beide Male durch einen Re⸗ 

D an ihre, wenigftens etwas mehr demokratiſche Grundlage zu retten: 

E bie Dreitauſend, bier die Fünftauſend. Beide Male folgt auf den 

Bteientampf eine gemäßigte Mifchung von Demokratie und Dligardhie. 
) Oben ©. 214 fo. 


A60 Thukydides. Kap. 13. 


der. ganzen Politik. in Händen zu haben. Damals v 
Alkibiades, zu andern Zeiten Octavianus, Conflan 
Gr., Alberoni u. A. in energifcheres Auftreten 4 
wäre ſchon durch das Gleichgewicht verhindert worden, 
Alkibiades und Nikias ſtanden; ebenfo durch die Unfchlii 
womit Altibiades ſelbſt zwiſchen den äußerften Parteien hin u 
ſchwankte. Die Art und Weife übrigens, wie Alkibiade 
Außen zu wirken fuchte, reihet fich zunächſt an die fi 
Berfuche gegen Pylos an. Hatte man damals die | 
der Lakedämonier empören wollen, fo dachte man jeh 
Bundesgenoſſen zum Abfall zu bringen, und in Arge 
gleich dem dorifchen Stamme ein andered Haupt aufm 
Aber Lakedämon war weder verhaftt, noch verachtet 
um von feinen Bundesgenoſſen wirklich ſchon verlafjen zu 
den. Auch mochte die athenifche Oberherrſchaft menig 2 
des mehr für dieſe haben. Im Allgemeinen war and 
große Gewicht, das Alkibiades Hierbei auf Die Lant 
legte, wenig im Geiſte der perikleifchen Politik. Die © 
bei Mantinea wies dieſe Mißgriffe ebenfo energifch zurüd 
früher die bei Delion 1). 


— — — — en — 


1) Die Kriegsunternehmungen des Alkibiades ſind in mat 
Hinficht viel großartiger, als die perikleiſchen (Plut. Peric 
An die Aufwiegelung des ganzen Tpartanifchen Bundes, ober gar 
Eroberung des gewaltigen Siciliens hatte Perilles niemals denk 
gen. So bewundert au) Plutarchos die Größe des Planes 
durch Alkibiades den ganzen Peloponnes in Bewegung geſetzt; er | 
dert die Schlacht bei Mantinea, deren Verluft ben Athenern weni 
den, deren Gewinn dagegen fie allmächtig machen konnte (Alc. 
gl. Isocr. De bigis 6.). Aber auch die Feldzüge der alera 
ſchen Zeit find fcheinbar viel großartiger, als die der Eimonifchen 
baffelbe könnte man von den fullanifchen und cäfarifchen urtheile 
Gegenfage zu denen der Scipionenz von ben napoleonifchen im 
fage zu denen des großen Friederih. Die Siege der erflern A 
viel enticheidender 3 ganze Reiche werben bier durch eine Schk 


$. 2. Reformen zu Lakedaͤmon. 464 


Si Bielmehr find gerade in jene Verwirrung der Bünd⸗ 
einige Haupturſachen des endlichen Sieges von Lakedä⸗ 
ſenachzuweiſen. Es waren vornehmlich drei Uebelſtände, 
Be: Die äußere Machtentwicklung des lakedämoniſchen Staa⸗ 
Biöher zurückgehalten Hatten. Schon Thukydides hat fie 
MWiudig zufammengeftellt, obgleich fie den Neuen hier ver⸗ 
Jen geblieben (V,.14.). 
Zuerſt nämlich die geringe Suborbination, ja die 
Meichartigkeit, die im ganzen Bundesweſen der Lake⸗ 
onier herrſchte. Die Verfaſſungen der einzelnen Staa⸗ 
earen weſentlich verſchieden. Elis mit feinem Rathe ver 
chundert (V, 47.) hat in der That den Lakedämoniern 
Bnäber ein beinahe demokratiſches Ausſehen. Mantinea ift 
ven demofratifch (V, 29.). Auch im achäiſchen Paträ 
n Die Demokraten geherrſcht Haben, weil ihnen Alkibia⸗ 
mals durch Grrichtung langer Diauern eine fichere Vers 













Bang mit Athen verſchaffte (V, 52.) 2), Noch nor Kurs 
. war es zwiſchen einzelnen lakedämoniſchen Bundesgliedern 
BB Kriege gekommen (IV, 134.). — Nun haben wir ſchon 
her bemerkt, daß die Leberlegenheit der Athener ganz vor⸗ 
wöweife auf der Gleichartigkeit und Concentrirung ihrer Bun⸗ 
Ekraft beruhete. So lange der Krieg dauerte, mußte Sparta 


Bet: 


Banen, dort höchftens einzelne Provinzen. Allein man täufche fich 
I Es ift eben Eein größerer Heldenmuth, fondern nur eine veräns 
e Kriegsmanier. Napoleon 3. B. hat auch fein eigenes Reich in 
Monaten erobern fehen, zum andern Male fogar in wenig Wos 
Ber immer Alles daran fegt, der Tann freilich Alles gewinnen, 

ie auch Alles verlieren. In ben blühendern Zeiten des Volles, wo 
„Helden nicht für ihre Perfon, fondern für das Vaterland Krieg führe 
⸗ darf nicht Alles auf Ein Spiel gewagt werden. 


«N Als bei dieſer Gelegenheit einige Paträer die Beſorgniß aus⸗ 
‚ Athen werbe fie verfchlingen, antwortete Alkibiades: Ja, viels 
almäplig,, und von den Füßen herz Sparta aber auf einmal, und 

* Kopfe her (Pbut. Alcib. 15.). 





460 Thukydides. Kap. 13. . 


der; ganzen Politit: in:Händen zu Haben. Damals ı 
Alkibiades, zu andern Zeiten Detavianus, Conſtar 
Gr., Alteroni u... Ein energiſcheres Auftreten 
wäre ſchon durch das Gleichgewicht verhindert worden, 
Alkibiades und Nikias ſtanden; ebenjo durch die Unfchlifl 
womit Altibiades felbft zwifchen Den äußerften Parteien hin u 
ſchwankte. Die Art und Weife übrigens, wie Alkibiabe 
Außen zu wirken fuchte, reihet fich zunächſt an Die fi 
VBerfuche gegen Pylos an. Hatte man damals die I 
der Lakedämonier empören wollen, fo dachte man jeh 
Bundesgenoſſen zum Abfall zu Kringen, und in Arge 
gleich dem dorifchen Stamme ein anderes Haupt auf 
Aber Lakedämon war weder verhaftt, noch veracjte | 
um von feinen Bundeögenofien wirklich ſchon verlafien z 
den. Auch inochte die athenifche Oberherrſchaft wenig ! 
des mehr für diefe haben. Im Allgemeinen war and 
große Gewicht, das Alkibiades hierbei auf die Land 
legte, wenig im Geiſte der perikleifchen Politik. Die © 
bei Mantinea wies diefe Mißgriffe ebenfo energifch zuric 
früher die bei Delion 1). 


1) Die Kriegsunternehmungen des Alkibiades find in mal 
Binfiht viel großartiger, als die perikleifchen (Plut. Peric 
An die Aufwiegelung des ganzen fpartanifchen Bundes, oder gar 
Eroberung des gewaltigen Siciliend hatte Perikles niemals denl 
gen. So bewundert auh Plutarchos die Größe des Planes 
buch Alkibiades den ganzen Peloponnes in Bewegung geſetzt; er 
dert bie Schlacht bei Mantinea, deren Verluft den Athenern wen 
ben, deren Gewinn dagegen fie allmäcdhtig machen konnte (Al 
Bgl. Isocr. De bigis 6.). Aber auch die Feldzüge ber aleı 
ſchen Zeit find fcheinbar viel großartiger, als die der Eimonifchen 
bafjelbe könnte man von ben ſullaniſchen und cÄäfarifchen urtheile 
Gegenfage zu denen der Scipionen; von den napoleonifchen im 
fage zu denen des großen Friederih. Die Siege der erftern 4 
viel enticheidender 53 ganze Reiche werden bier durch eine Sch! 


$. 2. Meformen zu Lakedaͤmon. ABl 


MVielmehr find gerade in jener Verwirrung der Bünde 
Bfe einige Haupturfachen des endlichen Sieges von Lakedä⸗ 
mwenachzumelfen. Es waren vornehmlich drei Uebelſtände, 
Ishe: die Äußere Machtentwicklung des lakedämoniſchen Staa⸗ 
zhtöher zurlicigehalten Hatten. Schon Thukydides hat fie 
Mandig zufammengeftellt, obgleich fie den Neuern Hier ver⸗ 
meen geblieben (V, 14.). 
wi.A. Zuerſt nämlich die geringe Subordination, ja bie 
Meichartigkeit, die im ganzen Bundesweſen der Lake⸗ 
meonter herrſchte. Die Verfaffungen der einzelnen Stans 
riwaren weſentlich verfchieden. Elis mit feinem Nathe der 
nhehundert (V, 47.) hat in der That den Lakedämoniern 
mpnÄber ein beinahe demokratiſches Ausſehen. Mantinea tft 
qieden demokratiſch (V, 29.). Auch im achälfchen Paträ 
Biken die Demokraten geherrfcht haben, weil ihnen Alkibia⸗ 
damals durch Errichtung langer Mauern eine fichere Vers 
ung mit Athen verſchaffte (V, 52.) 1). Noch vor Kurs 
w.war e8 zwiſchen einzelnen lakedämoniſchen Bundesgliedern 
u Kriege gekommen (IV, 134.). — Nun haben wir ſchon 
uber bemerkt, daß die Vieberlegenheit der Athener ganz vor⸗ 
zömeife auf der Sleichartigkeit und Concentrirung ihrer Bun⸗ 
Sfraft beruhete. So lange der Krieg dauerte, mußte Sparta 


nen, bort höchſtens einzelne Provinzen. Allein man täufche fich 
I Es ift eben kein größerer Heldenmuth, fondern nur eine veräns 
Kriegsmanier. Napoleon 3. B. hat auch fein eigenes Reich in 
Monaten erobern fehen, zum andern Male fogar in wenig Wos 
Ber immer Alles daran fest, der kann freilich Alles gewinnen, 
‚auch Alles verlieren. In den blühendern Zeiten bed Volles, wo 
nicht für ihre Perfon, fondern für bas Vaterland Krieg fühs 

„ darf nit Alles auf Ein Spiel gewagt werben. 


,») Als bei diefer Gelegenheit einige Paträer die Beforgniß aus: 
- ‚ Athen werde fie verfchlingen, antwortete Altibiades: Ja, viel 

allmählig, und von den Füßen her; Sparta aber auf einmal, und 
ls Kopfe her (Pbut. Alcib. 15.). 


264 Thulkydides. Kap. 15.. 


der Ephoren Bringt (V,63.) 1y. Während fo dje DI 
nach Oben Hin ftärker wird, war fie ſchon früher dw 
wordung von zweitauſend der tapferften Heloten nad 
zu ficherer geworden (IV, 80.) — Wir fehen auf di 
daß die Lakedämonier ihre Friedensmuſſe vortrefflich z 
pen verſtanden. Auch in rein militärifcher Hinſicht. S 
man zu Anfange ſchon die verdienten Seloten des % 
mit der Freiheit beſchenkt, die auf Sphakteria gef 
Spartiaten Dagegen zu Atimen erniebrigt (V, 34.). 


In der athentfchen Politik finden wir ähnliche Bi 
gen, feitbem Nikias durch die Schlacht bei Mantine 
Alkibiades wieder gehoben war. Wie Lakedämon jept 
Ioponnefe vollfommen Herr wird 2), fo wollen es die: 
auf dem Meere werden. Daher die Unterfochung von 
108, alfo des letzten unabhängigen Inſelſtaates. 
Grundfäße, welche hier den athenifchen Abgefandten 
Mund gelegt werden, find diefelben, wodurch jedes her 
Neich feine Herrfchaft errungen hat. Sie tragen auı 
nothwendig in fih, daß fie überall fiegen müflen, 
Stärferer ihnen im Wege ſteht. Diefem werden fi 
freilich ebenfo nothiwendig und vollkommen unterliegen. 
eine Verbindung der alten Ideen von Gecherrfchaft ı 
neuen Seen von Landherrfchaft, Beides zum Kolofie 
fteigert durch die Verwegenheit des Alkibiades, Haben | 
Zug nach Syrakus aufzufaſſen. 


) Man erinnere fih nur an die Zeiten ber ausgebildeten 
nifchen Xriftofratie, wo ja auch der Landfeldherr immer vor 
Proveditoren begleitet wurde. ' 


2) Doch finden wir Mantineer felbft nody vor Syrakus in 
ſchen Heere: VI, 29. 43. 61. 67 fo. 


$. 3. Krieg in Sicllien. 268 


Be . j ; 8 3, . a Bee Haze Zu 
ot... ' Ka EEE er EI Bere 


ko.:.. - Krieß in Sicilien.. .: wu 


HN. 


E Den flellifchen Faden ſehen wir con An: ver Rede der 
m Athen vorbereitet (I, 36.). »Auch I, 4. 
verſichert, daß die Athener ſchon beider Aufnahme 
in ihr Bündniß an die Ueberfahrt nach Italien: an 
gedacht haben )). Wenn Perikles ſo eindringlich ab⸗ 
Br won allen. Erweiterungen des atheniſchen Machtgebirtes, 
„das vorzugsweiſe ſchon auf dieſe ſyrakuſtſchen Plane an⸗ 
je: (I, 144. II, 65.). . Gleich zu Aufange des Krieges 
Syrakus init allen Übrigen doriſchen Sikeliotenals 
enoſſinn von Sparta, Doch ohne weiter thätige Hülfe 
(VE, 10.) Im fünften SKrlegsjahre. :eröffnewNotg 
er. ihre Feindſeligkeiten: ſchon damals mit: des: Abficde,; 
| für ſich zu erobern; mochten fie auch zunächkt nur 
Abſchneidung der Conimunication zwifchen deſer daſ 
Lakedämion im Sinne haben an 86. 9 rn 











u) ; Der ficiliſche Feldzag. eine alte Lieblingsidee der Ytkrmens 
d. xl, 54. Plut. Alcib. 17. Natürlich nur ‚der ertrem demo⸗ 







ingte. In Ariftophanes Babylontern war Thon heftig gegen Gor⸗ 
polemifiet, deſſen Beredtſamkeit den Krieg unmittelbar entzlindet 
(Ranke V. Aristoph. p. CCOXXXVIII 599.).Thukydideg 
m indeſſen die praktiſche Wirkſamkeit des Gorgias ziemlich gering ans 
Wagen, weil er mit einem Worte feiner gebenft. 


3) GSicilien verhält ſich zu Athen in wirthfchaftlicher und politifcher 
Be vielfach, wie Nordamerika heutiges Zages zu England. Es if 
mnentlich einer der größten Rohproducenten jener Zeit. geweſen: Korn 
Ip Pferde ein Paar Hauptproducte von Sicilien (Thuc. VI, 20); 
denn auch der ficilifche Käfe felbft bei den Komikern eine große Rolle 
Kt Auch die bukolifchen Gedichte, worin Bicilien immer ausgezeich⸗ 
Ewar, weiſen auf die Eigenthumlichkelt eines Hirtenlandes hin. Wenn 
rigens der Peloponnes nah Thucyd. III, 86. bedeutender Zufutr 


30 


A606 Thukydides. Kap. 15. 


Der ganze fleilifche Krieg ſcheidet fi in Drei Haup 
fen, welche den drei Perioden des Krieges im Mutter 
parallel gehen. Die erfle, von Thukydides felbit der ler 
niſche Krieg genannt (VI, 6.), ‚reiht vom Sonmer 
fünften bis zu dem des achten Jahres. Hier kam umta 
Sikelioten ein allgemeiner Frieden zu Stande, mobi 
Arhener zum Rückzuge veranlaßt wurden (IV, 65.) 3 
Charakter nach entjpeicht fie den früheren Streitigkeiten gel 
Athen und Sparta und dem erſten Drittel des großen | 
ponneſiſchen Krieges felbft, dem f. g. archibamtichen Ai 
Kleine Unternehmungen auf die unmefentlichen Bunte 
Ganzen, Plünderungszüge, geringfügige Anftvengungen | 
auf. Seiten der Athener, mangelnde Eintracht und Entf 
ſenheit auf Seiten ihrer Gegner bilden die Sauptmomente 
fer Vergleichung 1). — Wie femer in Hellas die Zeit 
dem nilifchen Frieden vornehmlich dazu benußt wurde, bie 
entfchloffenen entjchloffen und die Ungerüſteten für große O 
gerüftet zu machen, fo auch in Sicilien die Zeit nah 
Frieden von Gelaz welchen die Athener nur einmal 
vergebens zu unterbrechen fuchten (V, 4 fg... Aus de | 
nen Rede ded Hermokrated zu Gela geht als Hauptreſi 
hervor, daß Syrakus dermalen noch in ungefchmwächter 9 
ftand (IV, 59.); daß die Zwietracht der Sikelioten A 
den Weg bahnen mußte, daß die wahren Plane der Af 
auf Unterjochung der ganzen Inſel zielten (60 fg.), daß 
die Vereinigung Siciliens, melche durch Mäßigung umd r 


von Lebensmitteln bedurfte, fo ift das ein ficheres Beichen, daß 
gewerbliche Kultur doch nicht fo ganz geringfügig fein Eonnte. 


1) Allibiades war immer gegen die Kleine Kriegführung ie 1 
lien geweſen (Plut. Alcib. 17.). Auch der Eryrias ſpricht bie X 
aus, die vielen kleinen Grpebitionen nad) Sicilien Eönnten KRichts 

fen: es müſſe einmal etwas Ordentliches gefchehen: p. 392 B. 


$. 3. Krieg in Sicilien. 467 


Witiges Nachgeben möglich war, fie leicht vereiteln Tonnte 
RE). — Wenn die Athener hiermit unzufrieden waren, 
WR Das fehr begreiflich (IV, 65.); Thukydides felber giebt 
den Srund an. Ihr übermäßiges Glück habe fie aufge 
* „ Ihnen Jegliches ‚erreichbar ſcheinen laſſen. Darum iſt 
h fo ſchoöͤn, daß ſich Hermokrates Rede unmittelbar am 
phe der Athener von Pylos und Kythera anſchließt: 
am die Mittagshöhe der atheniſchen Ueberlegenheit über Lakedä⸗ 
6. AS Die Athener nachmals ihre großen Unternehmungen 
Ba den Peloponnes vereitelt fehen, wendet ſich ihre Tha⸗ 
ſt auf den eigentlichen ſyrakuſiſchen Feldzug. 
-MDie Vermefjenheit des athenifchen Volkes war auf den 
en Grad geftiegen. Die Dieiiten, wie Thukydides fagt, 
pe völlig unbekannt mit der Größe der Inſel und mit der 
Be ihrer Bevölkerung; fie wußten nicht, daß fie einen 
% begannen. welcher nicht viel geringer war, als der ganze 
nefiihe (VI, 1. 6.). Nicht bloß Sicilien dachten fie 
Iimterwerfen, fondern Italien ſelbſt und das ferne Afrika 
‚15. @.) Die Karthager waren fehon lange In Furcht 
en (34.) 2). Umſonſt finden wir Nikias bemü— 

















) Ganz ähnlich, wie in Sicilien, hatten fi aud bie Chalkideer, 
saen Athen fiher zu fein, mehr concentrirt, und ihre ganze Stärke 
Otynthos geworfen (Thuc. I, 58.). Ebenſo die Mitylenäer (Id. 
I, Tpäterhin auch die Rhodier. Man lernte den Athenern das 
iß ihrer Macht ab. — Uebrigens wurbe die Bereinigung der 
oten zu Bela gewiß nicht wenig durch dad Gerücht befchleunigt, 
. Hyperbolos auf Ausfendung von hundert Zrieren nach. Karthago 
pen? antragen wolle (Aristoph. Equites 1299 .sqq.). . 


° Karthagiſche Projecte ſchon in Ariftophanes Rittern enmähnt: 






ff. Ariflophanes war heftig dagegen. Auch Iſokrates in ſei⸗ 
edensrede ſpricht davon, freilich mitten unter Aeußerungen, die 

Hiftorifche Unwiffenheit auf's Deutlichfte beurfunden. Man wollte 
ran bie Güulen bes Herakles erobern (Plut. Nicias 12). Die 
aben faßen in ben Ringfchulen und die Greife in den Werkftätten und 


30 * 


A6B Thukydides. Kap. 15. 


het, von dem Tolofjalen Plane abzurathen. Seine af 
Märt uns über die unſichere Natur des mit den Pelopon 
beftehenden Friedens auf; wenn er fie auch mit Unre 
Nänten des Alkibiades zuſchreibt. Bei dem erſten V 
werden felbft die Lakedämonier, weil der Friede ihnen ı 
fig umd nichts meniger als unbeftritten ift, über Athen | 
len. Um fo mehr, ald ihnen die oligarchifchen Parte 
der Athener ſelbſt ein gefährliches, gefährliches Hül 
Darbieten (VI, 11.). Eine Menge ihrer Bundesgenoſſ 
überhaupt noch nicht einmal Frieden gefchloffen. Nikl 
richtet und, wie noch gar nicht alle abtrünnigen Unten 
von then wieder beziwungen waren (10.); wie ma 
der die Pet !), noch die Kriegslaſten völlig verfchment 
(12.). Auch fpäter ‚wiederholt Thukydides, der ſyrak 
Zug, den Perikles nimmermehr gemagt hätte, fei mit | 
cheren Kräften, als die perikleifche Zeit befeffen Habe, 
nommen worden (VII, 28.). Dieß war der verwegenſt 
zug, wenn man die Hoffnungen, die er aufregte, mi 


Marktplägen, um Karten von Sicilien auf den Sand zu zeichnen 
1.1. Alcib. 17.). Selbſt die Sonfervativen wagten ed nicht, den 
zu unterftügen, damit es nicht fcheinen follte, als fürchteten fie d 
Eoften der Zrierarchie (Thuc. VI,24. Plut.Nicies 12.). Nur Se 
und der Aftrolog Meton warnten vor dem Zuge (Id. Alcib. 17... - 
bat uns Rom bewiefen, baß eine einzige Stabt die Welt beha 
kann, aber zugleich bewiefen, daß fie ale Stadt es nicht kann; 
mit jeder Verdopplung des. Staatögebietes auch der Staat felber fid 
doppeln mußte: erſt durch Aufnahme der Plebejer, dann ber Lal 
dann der italilchen Bundesgenoflen, zulegt des ganzen Orbis terr: 
Daß aber Athen auf diefelbe Art fich etwa die Bundesgenoffen hätt: 
verleiben follen, wie nad Mitford’s unmwahrfcheinlicher Annahm 
rikles beabfichtigt hätte (History of Greece XTI, 5: nad Plut 
riel. 17): dazu war in Hellas die Abfchleifung der Nationalitäten 
Lange nicht weit genug gediehen. 


1) Obwohl Nikias bier doch wohl etwas Abertrieben bat: 
Thucyd. VI, 26. 


$. 3. Krieg in Sicilien. 469 


sitteln vergleicht, Die ihn zu Gebote ſtanden (VI, 31.). 
mw Zeitgenofien, wie Athenagorad Rede zeigt, kam vie 
‚Sache Anfangs geradezu unglaublich vor (36... . 
MDeſſenungeachtet dürfen wir das Unternehmen nicht bloß 
se Thorheit Halten. Abgeſehen von feinen perfünlichen 
en, Hat Alkibiades vollkommen Recht, wenn ex 
Krieg für eine nothwendige Folge des bisherigen Natio- 
wenkterd und ber bisherigen Politik von Athen erklärt. 
Fllnternehmen eröffnete jo viel günftige Ausfichten, daß 
w nicht Athen hätte fein müſſen, um Verzicht darauf zu 
#. Gin bisher fo raftlofer Staat, yplößlich in Ruhe ver 
%, Hätte fich innerlich verzehren Eönnen (VI, 18.) 1). 
Hermokrates fowohl, wie Euphemos erkennen es an, 
hen nur feine gewohnte Politit in Bezug auf Sieilien 
ge (76. 84.). Es fehlte wenig, fo hätte Athen den 
I davongetragen, den Sieg mit all feinen unberechenbaren 
3). Selbit Thukydides ift der Anficht, der ſyrakuſiſche 
I fei weniger im Plane verfehlt gewefen, als in der Aus- 
fung, 100 der ränkevolle Eigennuß der Einzelnen die all- 
neine Sache verderbt habe (II, 65.)2). Wir begegnen 
einem der tiefſten Entwicklungsgeſetze überhaupt: daß Die 
Kräfte, die ein Volk auf den Gipfel feiner Größe ge- 
„es in ihrem weiten Fortwirken auch wieder herabſtür⸗ 
ein Geſetz, das ſchon von Herodot als Hauptfaden ſeiner 
te angewandt, von Ariſtoteles aber zuerſt in kurzen 


ausgeſprochen iſt N. 















2) ©. oben ©. 256 fo. 


2) Daß gleihwohl an Feine dauernde Unterwerfung Siciliens zu 
Ken war, lehrt die Rede des Nikias: VI, 11. Bgl. VI, 86. 


| 3) Bgl. VI, 91. 103 fg. VII, 2. 
4) Aristot. Polit. V, 7, 16. 


A70 Wukydides. Kap. 15. 


Was Thukydides über die innern Verhältn 
von Sicilien fhon aus der Art feiner urſprünglichen 
Lonifirung hervorgehen läßt, Haben wir früher betracht 
Zu wiederholten Malen erklärt x, von allen borifche € 
ten fei der fyrakuftfche Athen am ähnlichſten geweſen. 
deßhalb fei Athen Hauptfächlich Durch Syrakus geflürzt m 
(VII, 21. 35. VIII, 96.)2). Die Reden des Hermel 
und Athenagoras liefern eine weitere Ausführung da. 
waren die Volksredner in Syrakus nicht weniger voll I 
fucht auf einander (VI, 38.), nicht weniger bemüket, 
Gegner ftatt der Widerlegung berunterzumachen (39.), 
der Belchrumg einzufchüchtern (36.). Es ift ungemein d 
teriftifch, daß Athenagorad feine ariftofratifchen Gegner 
bloß für das, mas fie thun, fondern auch für das, m 
wünfchen, züchtigen wil. Man müſſe fi, meint e, 
Voraus gegen feine Feinde fehüken (38... Und doch Ü 
ganze Rede nur gehalten, um Vorkehrungen gegen den 
nischen Angriff, wie Hermokrates fie empfohlen Hatte, zu 
terteeiben! Auch das Bolt von Syrakus war im © 
nicht weniger zügellod, als dad athenifche (VII, 73.); 
von Dligarchen und Tyrannen doppelt ſtark gefährdet 
38.). Selbſt die auswärtige Politik beider Staaten war 
ähnliche. Noch war allerdings dieUnabhängigkeit der Mei 
Sikelioten wenig bedrohet; zugleich aber und eben darım 
feine zuſammenhängende Oppofition gegen Syrakus vor 
den (VI, 20.). Deſto gewiſſer konnte man für die Zul 
den Syrakufiern die Herrfchaft ihrer Inſel vorausfagen 3). 


) Oben ©. 19. 


2) Bgl. VII, 26. 28 fg. 45. Auch bei Xenophon erfcheinen 
Syrakuſier in Aſien als die disciplinirteften und bei ben Bundesgen 
von Athen beliebteften Peloponnefier: Xenoph. Hell. I, 1. 


3) VI, 11: vgl. IV, 64. 


$. 3. Krieg in Sicilien. 271 


gr früher Die Staaten unterjocht, welche ihm Ihre. Rettung 
‚en Perſern verdankten, fo kam Syrakus zur Beherr⸗ 
3 von Sicilien, nachdem es die Athener daraus vertrie⸗ 
Matte Daß den kleineren Sikelioten nur Eine Wahl 
; won Athen oder von Syrafus unterjocht zu werben, iſt 
Dermokrates Rede zu Kamarinä mit fchneibender Schärfe 
zeſprochen (VI, 78. 80. 85 fg.). Auch Euphemos fagt, 
Eher Furcht vor Athen werde zugleich die heilfame Mäßi⸗ 
g der Parteien wegfallen (89.). Dieſe Richtung der 
Bfiichen Politit war aber längft vorbereitet; und da bie 
Daämonier nur duch Annahme athenifcher Grundſätze Athen 
gen konnten, fo war ed für fie von dem größten Gewich⸗ 
E das fie in Syrakus eine Lehrmeifterinn derfelben antrafen. 
geoßer Kunft Hat Thukydides die Reden des Hermokrates 
JAthenagoras, welche den Innern Zuftand von Syrakus 
firen, unmittelbar zwiſchen bie beiden Hauptgemälde 
We Innern Athens geftellt, die in den Reden des Nikias 
Alkibiades und in dem Prozeife der Hermofopiden enthal⸗ 
find. 
&. Ungleich tiefer noch eindringend und allgemeiner zugleich 
die Schilderung der ſiciliſchen Staaten in Altibiades Rede 
n Athen (VI, 17.). Die Bewohner dort find zwar in große 
E: dicht zufammengebrängt, aber von gemifchter Abftam- 
; immer noch leichtſinnig in der Aufnahme feifcher Ein⸗ 
Iwderer, daher zu Parteizwiften doppelt aufgelegt. Eben 
Einwanderer innen, fie das Land noch immer nicht als 
* Vaterland anſehen. Jeder wünſcht hier nur reich 
werden; mißlingt ihm das, fo hat er Nichts mehr, was 
m an diefe Stätte feffeln könnte 1). Darum auch Alles vol- 
es Zwietracht, und voller Schein ftatt des Weſens. Weder 


















1) Bgl. die ganz übereinftimmende Bemerkung in Plut. Ti- 
n0l. 38. | 


A478 Xhufgbived. Kap. 15. 


die Staaten, noch. die Einzelnen in den Waffen gehörig 
und getüſtet. Den Veteranen ‚von Athen konnte Syrakı 
unerfahrene Landwehr entgegenftellen (VI, 68.). Eine 
davon die bei großer Eitelkeit Doch :nach Außen bin kr 
Neutralität der Sikelioten, welche den Athenern bauptf 
Muth eingeflößt Hatte (34.). - Zu dem allen nod d 
ftändige Gefahr, daß ein auswärtiger Feind an den be 
fen Eingebornen Verbündete . finden möchte (17. 
Thukydides war allerdings Fein Mann, fich durch das ı 
Empormwuchern der materiellen. Kraft im „großen Gi 
Iande” verblenden zu laffen 2)! Dieſe materielle Kraf 
denn allerdings fehr bedeutend, nicht bloß an Menſch 
und Pferden, ſondern auh an Geh, Schiffen md & 
mitteln, Auch ließ im Innern der fifeliotifchen Städl 
große politifche Ungebundenheit des Volkes nicht erwarten, 
Athen hier eben viele Anhänger finden würde 3). 
Meber den eigentlich militäriſchen Charakter des K 
giebt die. zweite Rede des Nikias, weiterhin die Wehe 


—— — —— un 


1) Wie die Sikelier für Athen waren, fo die allerälteſten Ei 
ner, die Silanier, für Syrakus: VI, 62. Vgl. au VII, 1. 


"9 Ueber den materiellen Flor von Bicilien vgl. die be 
Schilderung von Agrigent nady dem Zimäos bei Diod. XII 
sqq. Diefes Aufblühen feibit ift bekanntlich die natürliche Folge 
dag in allen Kolonialflaaten die Kapitalien und Arbeitskräfte eine 
ultivirten Mutterlandes mit der unerfchöpften Kraft eines jun 
chen und im Weberfluffe vorhandenen Bodens verbunden werben. 


3) VI, 20. VII, 55. VBgl. aber VII, 49. 73.— Es beda 
feiner ausdrücklichen Erinnerung, mit welcher Genialität Th 
feinem Gemälde von Sicilien die Hauptzüge einverleibt hat, wı 
len Aderbaufolonien, des Altertbums wie der neuern Zeit, gemi 
Ic habe ihn nur getreu ercerpirtz gleichwohl ift beinah jedes I 
das er von Sicilien erwähnt, mit geringen Veränderungen ı 
Amerila anzuwenden. Und die Zukunft,wird meine Parallele ı 
mer mehr beftätigen. 


F. 3. Krieg in Sicilien. 473 


Hermokrates und Athenagoras den erforderlichen Aufſchluß. 
Mas erſpart durch feine Rede dem Thukydides die ausführ⸗ 
he Beſchreibung der mitgenommenen Kriegsmittel (VI, 21 
J. Daß die Verſprechungen der Egeſtäer nur windige Prah⸗ 
eien find; wird hier vorausgeſagt (22.) 1). Als das vor⸗ 
ihunſte Hinderniß der Athener lernen wir die weite Entlegen⸗ 
it des Kriegsſchauplatzes kennen, von wo im Winter kaum 
i:bier Monaten ein. Bote nach Athen gelangt (21... We 
We große Seezüge, meint Hermofrateö, der Hellenen wie 
E Barbaren, . die in meite Ferne hinaus unternommen find, 
ben. Grfolg gehabt. Sie künnen niemals fo ſtark fein, daß 
Fan’ Zahl. den Angegriffenen überlegen wären. Gerade 
enun fie ſtark find, vereinigt die Furcht Alles gegen fie; 
b. die Erhaltung der Streitkräfte muß natürlich mit ihrer 
De immer ſchwieriger werben (33. 37.). . Alles dieſes 
rde verſtärkt durch die Ueberlegenheit der forakufifchen Rei⸗ 
t (20. 37.)... Schon Nikias fagt voraus, daß es von ge 
gem Ruben fein würde, falls Die erfte Expedition vereitelt 
ze, eine zweite nachzuſenden; und die erſte fei Halb verei- 
‚5 wenn nicht unmittelbar nach der Landung ein feiter Halt- 
akt gewonnen würde (21.). An die Gewinnung eines fols 
nr Buntes aber, wie Athenagorad urtheilt, war gar nicht 
denken (37.). Als das Hauptmittel zum Siege bezeichnet 
emokrates die Verbindung der Syrafufier mit den gleichbe= 
Iheten Mächten, im Beloponnes fowohl, als in Afrifa 
4). An allerficherften würde man gehen, wenn man ents 
Neben die Dfienfive ergeiffe. Denn unerwartete Hinderniife 
orher würden den Schwindelgeift der Athener dämpfen, 
8 einzige Motiv ded Krieges alfo hinwegnehmen. Hermo⸗ 
ates entwickelt hierzu einen vortrefflihen Blan, der eine un- 


1) Weber Alkibiades, noch Lamachos hatten dieß erwartet (Thu- 
rd. VI, 46.). 


A70 Tukydides. Kap. 15. 


Was Thukydides über die Innern Verhältn 
von Sicilien ſchon aus der Art feiner urſprünglichen 
loniſirung hervorgehen läßt, Haben mir früher betrat 
Zu wiederholten Malen erklärt ©, von allen dorifchen € 
ten fei der ſyrakuſiſche Athen am ähnlichften gemein. 
deßhalb fei Athen Hauptfächlich durch Syrakus geftürzt m 
(VII, 21. 55. VIII, 96.)2). Die Reden des Hermel 
und Athenagoras liefern eine weitere Ausführung dazu. 
waren die Volksredner in Syrakus nicht weniger voll | 
fucht auf einander (VI, 38.), nicht weniger bemühet, 
Gegner ftatt der Widerlegung berunterzumachen (39.), 
der Belchrumg einzufchüchtern (36.). Es iſt ungemein d 
teriſtiſch, daß Athenagoras feine ariftofratifchen Gegner 
Bloß für das, mas fie tfun, ſondern auch für dad, m 
wünſchen, züchtigen mil. Man müſſe fih, meint er 
Voraus gegen feine Feinde fchüken (38... Und doch i 
ganze Rede nur gehalten, um Vorkehrungen gegen den 
niſchen Angriff, wie Hermokrates fie empfohlen hatte, zu 
tertreiben! Auch das Voll von Syrakus war im € 
nicht weniger zügellod, als dad athenifche (VII, 73.); 
von Dligarchen und Tyrannen doppelt ſtark gefährdet 
38.). Selbft die auswärtige Politif beider Staaten war 
ähnliche. Noch war allerdings diellnabhängigkeit der Hai 
Sitelioten wenig bedrohet; zugleich aber und eben darım 
keine zufanmenhängende Oppofition gegen Syrakus vor 
den (VI, 20.). Defto gewiſſer konnte man für die Zu 
den Syrakufiern die Herrfchaft ihrer Inſel vorausfagen >). 


ı) Shen ©. 192. 


2) Bgl. VIII, 26. 28 fo. 45. Auch bei Zenophon erfcheine: 
Syrakuſier in Afien als die disciplinirteften und bei den Bundesgen 
von Athen beliebteften Peloponnefier: Xenoph. Hell. I, 1. 


32) VI, 11: vgl. IV, 64. 


6. 3. Krieg in Sicilien. 275 


t des Alkibiades eine heilſame Miſchung hervorzubrin⸗ 
imachos war ein tapferer Haudegen, aus Ariſtophanes 
üge bekannt; ſonſt wegen ſeiner Dürftigkeit ohne be⸗ 
n Einfluß 1). Ex war nothwendig, um bei dauern⸗ 
nungsdifſerenz zwiſchen den beiden Andern den Aus⸗ 
ı geben. — Die Kriegöplane der drei Feldherren wer⸗ 
VI, A7ff. vorgelegt. Nikias Hatte den feinigen ſchon 
e eriten Rede (VI, 11.) angedeutet. Er will den 
Vorwand ded Zuges, Unterſtützung der Egeſtäer ge 
inus, wirklich durchgeſetzt, die Feinde Athens durch 
je Demonſtration geſchreckt, und, wenn es angeht, den ei⸗ 
: andern Heinen Vortheil behauptet wiſſen. Lamachos 
rn augenblicklichen Angriffe, der in der erſten, unver 
Beſtürzung den Feind in ihre Hände Tiefern werde, 
es, wie gemöhnlich, ſchwankt in der Mitte zwiſchen 
Srtremen. Er will mit ben einzelnen Sikelioten un⸗ 
In, — die Intrigue war ja überhaupt fein Lieblings⸗ 
d bier glänzte er allein, während er bei Kriegsthaten 
ern hätte theilen müſſen, — und danıı allmählig auf 
losgehen. Diefe Anficht mußte die Oberhand gewin⸗ 
on weil fie die mittlere war. Nikias Vorſchlag Hätte 
zen Sieg aufgegeben, daher konnte Lamachos ihm 
beitreten; andererſeits wollte Alkibiades doch auch vor⸗ 
nd zaudernd zu Werke gehen: alſo wird ihm Nikias 
zu beftig opponirt haben, 

; Alkibiades nun abgerufen war, der Einzige, der den 
ebten und ganz auf feine perfünlichen Talente berechne⸗ 
n durchführen Konnte: da wollte das Unglüd Athens, 
ias noch immer feine urfprünglicden Entwürfe damit 
nden fuchte. Er geht zu Schiffe nach Egeſta: das ft 


— — —— 


daher auch nach Alkibiades Entfernung Ritias de facto ber 
eldberr war: Plut. Nicias 15. 


AR 9. CThufydides. Kap. 15. 


die: Staaten, noch. bie Einzelnen in den Waſſen gehörig 4 
und getüftet. Den Veteranen von Athen Fonnte Syrakıt 
unerfahrene Landwehr entgegenftellen (VI, 68.). Eine di 
davon die bei großer Eitelkeit Doch nach Außen bin fraft 
Neutralität der Sikelioten,. welche den Athenern Hauptiäd 
Muth. eingefköft Hatte (34.). Zu dem allen noch di: 
ftändige Gefahr, daß ein auswärtiger Feind an. den Bash 
ſchen Eingebornen Berbimdete . finden möchte (17.) 
Thukydides war allerdings Fein Mann, fich durch das iq 
Empormwuchern der materiellen. Kraft im . „großen Grid 
Lande“. verblenden zu laffen 2)! Dieſe materielle Kraft ı 
denn allerdings ſehr bedeutend, nicht bloß an Mienihen 
und Pferden, fondern auch an Geld, Schiffen und Ye 
mitteln, Auch ließ im Innern der fileliotifchen Städte: 
geoße politiſche Ungebundenheit des Volkes nicht enwarten, | 
Athen hier eben viele Anhänger finden würde 3).. 
‚Meber den eigentlich militäriſchen Charakter des Kt 
giebt die: zweite Rede des Nikias, weiterhin die Wechſelt 





3) Wie die Stkelier für Athen waren, fo die allerälteften Ein 
ner, die Sikanier, für Syrakus: VI, 62. al. auch VII, 1. 


"2 Ueber den materiellen Flor von BSicilien vgl. die beri 
Schilderung von Agrigent nach dem Zimäos bei Diod. XII 
sqq. Dieſes Aufblühen feibft ift bekanntlich die natürliche Zolge d 
daß in allen Kolonialftaaten die Kapitalien und Arbeitskräfte eines 
tultivirten Mutterlandes mit der unerfchöpften Kraft eines jung! 
dyen und im Weberfluffe vorhandenen Bodens verbunden werben. 


32) VI, 20. VII, 55. al. aber VII, 49. 73.— Es bebar 
feiner ausdrücklichen Crinnerung, mit welcher Genialität Thul 
feinem Gemälde von Sicilien die Hauptzüge einverleibt hat, wel 
len Aderbaufolonien, des Alterthums wie der neuern Zeit, gemei 
Ich habe ihn nur getreu ercerpirtz gleichwohl ift beinah jedes M 
das er von Sicilien erwähnt, mit geringen Veränderungen aı 
Amerila anzuwenden. Und die Zufunft,wird meine Parallele nc 
mer mehr beftätigen. 


"Ds: 


⸗ 


F. 3. Krieg in Sicilien. A477 


elreden zu Sparta begonnen hatte. Die äußere Mög⸗ 
it, und Die innere Berechtigung der atheniſchen Herrſchaft 
ilegen (VI, 76 fg. 82 fg.); den Beweis zu. führen, daß 
Athener, gleich. den meiften Befreiern von Außen ber, 
ern nicht die Freiheit, fondern nur eine neue Knechtſchaft 
zen wollen; endlich zu zeigen, daß und wie jetzt für Athens 
Be die letzte Stunde hexannahe !) : dieß find die Zwecke, 
he Thukydides von zwei verſchicdenen Seiten de in die⸗ 
Neben ausführt: _ | 


Die große, dringende Gefahr ‚in 1 welchen Syrakus jegt 
ebte, wird durch Alkibiades Nede zu Sparta geſchildert (VI, 
+ Zu gleicher Zeit aber wird den Lakedämoniern bier 
der Weg gezeigt, wie fie vetten fünnen ; Eröffnung nnd 
drüdliche Betreibung des Krieges im Mutterlande ; Unter 
ung der Syrakuſier duch Hü ifstruppen P vornchumeich aber 
h einen Feldherrn, der fie. zu Eintracht und Gehorſam 
ez endlich Eile und Entſchloſſenheit in ber Ausrichtung 
Planes (91 fg.). Wie Manches hiervon dem unmittel⸗ 
n Einfluſſe des. Alkibiades zuzuſchreiben iſt, erkennt man 
ms, daß er die Ephoren erſt mühfam überreden mußte, 
t durch Geſandte, ſondern durch Kriegsmänner den Syra⸗ 
rn beizuſtehen (88.). Waren dach auch vor Kurzem erſt 
gerechten Erwartungen der Melier fo Bitter getäuſcht wor⸗ 
(V, 106 f.). Alkibiades Verrätherei ‚hatte ſchon früher 
nnen: ſchon auf feiner Verhaftungsreiſe hatte er die An⸗ 
ge der Athener gegen Meſſene vereitelt (VI, 74.). Sparta 


) Dieß Letzte findet ſich u. A. darin ausgeſprochen, daß Hermo⸗ 
3 auch ohne Hülfe von Kamarinä zu ſiegen hofft, Euphemos aber 
dieſelbe nur Niederlagen erwartet (80. 85 fg.) 3 fowie der Athener 
bei feinen wahren Abfichten in 86. fein Verderben felbft prophe⸗ 


ATA Thukyrides. Kap. 15. 


gemähnliche Kenntniß des Seckrieges Überhaupt und ber gr 
griechiſchen Küſten insbeſondere verräth (37.) 1). Wenn fi 
Hermokrates die gewiſſe Hofinung des Sieges ausſpricht (5 
fo erſcheint bei Athenagoras auch die Zuverſicht, daß 
Kampf viel raſcher in Sicilien, als im Peloponnes mug 
entichieden werden (37.) 2). — Wie merfwürbig aber, WW 
gerade Nikias, der beftändige Gegner dieſes Zuges, dund.M 
ungeheuern Mittel, bie ex dazu forderte, fein Mißlingen am; 
recht werberblich machte! * 
Thukydides ſagt ausdrücklich, der ſiciliſche Krieg ji ie 
Plane inmer noch weniger verfehlt geweſen, als in dar 
führung (II, 65.).. Schon Hermokrates erwartet, af ie 
unwillige Unentjchloffenheit des Nikias den Syrakuflen mi 
wenig zu Hülfe kommen werde (34.) 3). In der That im: 
es befremden, wenn der gemäßigtefte, ja verzagtefle Aha 
jegt die verwegeniten Plane ausführen follte (VI, 8.) «DR 
Statt einem Einzigen das Commando anzuvertrauen, with 
ed au Drei vertheilt, am Nikias, Alkibiades und Lamadıl 
Daß die beiden Erſtern zuſammen gewählt wurben, lag ia 
in dem Gleichgewichte ihrer Parteien begründet. Auch mod 
man hoffen, durch die Vorficht des Nikias und die genkk 












1) Bgl. VII, 21. 


2) In VI, 34. Eur; ber Grund angegeben, weßhalb Athen biöke 
gegen Sparta glücklich gewelen war, ebenfo aber gegen Syrakus verlie 
ven mußte. Bier ift die ftrengfle Parallele möglih. Vgl. VIL, 55. - 
Von der Rede, welche Rikias vor feiner erften Schlacht hält (VI, 6.) 
ift ſchon früher gefprochen worden. Vgl. ©. 161. Ich füge noch hing, 
daß diefe Betrachtungen dem Hiftoriker wichtig genug fcheinen, um fl 
VI, 69. beinahe mit benfelben Worten zu wiederholen. 


3) Bei der Abfahrt von Athen betrug fi Nikias wahrhaft fin 
difh: er fah vom Schiffe zurüd, wiederholte fortwährend, Alles ge 
fchehe gegen feinen Rath, und entmuthigte fo auch die Uebrigen (Plut. 
Nicias 14.). 


$. 3. Krieg in Sicilien. 479 


Mauern, die Waffen und die Gunſt der Lage den Aub⸗ 
leg geben, fondern das Meifte auf die Zeit und den ver⸗ 
herten Sinn der Dienfchen ankommt. Noch deutlicher muß 
S werden, fobald wir die Ankunft der zweiten Expedition 
Syrakus (VIL, 42.) mit der Ankunft der eriten zufammens 
ie. Beide waren an Zahl und Ausrüftung ziemlich gleich ; 
doch, wie unendlich verfchieden an Erfolg, und felbit an 
mblicklichem Eindruck auf die Feinde! Wer über das 
hältniß der politifchen Naturgefeße zur Willtür der Einzel- 
fchreiben wollte, der müßte an ſolchen Gefchichten vor⸗ 
weife zu lernen fuchen. — Demoſthenes nahm fofort den 
t Plan des Lamachos wieder auf (42.), um Im alle des 
Ungens den des Nikias durchzuführen. Allein auch dazu 
ite fih die Zaghaftigkeit und nachher der Aberglaube des 
as nicht entfchließen (48. 50.) 1). Den Syrakufiern mit 
ſteigenden Zuverficht war es bald nicht genug, den Feind 
vertreiben, fondern fie begehrten die völlige Vernichtung 
sen (56. 73.) 2). Wie e3 gefchehen Tonnte, daß eine fo 
je Kriegsmacht in fo geringer Zeit vernichtet wurde, fucht 
Eydides damit zu erklären, daß gerade die überfpannte 


2) Die legte Seeſchlacht, die Rikias allein lieferte, war gegen 
un Willen durch die Unterfelbherren herbeigeführt, die vor Ankunft 
Demofthenes etwas Großes zu thun dachten (Plut. Nicias 20.). 
Rikias nachher den Rückzug verzögerte, mochte Demofthenes , deſſen 
e Rath fo ſehr verunglüdt war, ihm nicht allzu lebhaft widerfpres 
(Ib. 24.). Nach der vorlesten Seefchlacht und Eurymedon's Tode 
mgten die Athener zu Lande abgeführt zu werben. Aber dem Ni⸗ 
ſchien es unpaflend, fo viel gute Schiffe zurüdzulaffen. Daher er 
das legte Seetreffen nachlieferte (Ib. 24.). Der legte Flußüber⸗ 
bes Nikias bat mic, immer an die Berefina erinnert. 


) Hatten doc auch die Athener förmlich den Beſchluß gefaßt, im 

des Sieges alle Syrakufier und Selinuntier als SHaven zu vers 

n, bie Übrigen ficilifchen Städte tributär zu machen: Diod. 
2. 

’ 


ABA Thukydides. Kap. 16. 


fhwächern Sermacht, die auf den großen Flottenkan 
zihtn muß, am meilten nützen; indem ihr der Gy 
meiften Handelsfchifie zum PBlündern darbietet. So na 
zwifchen Frankreich und England im Revolutionskri 
Bon der Größe der atbenifchen Seemacht redet Perik 
62: daß es Feinen König und Fein Volk gebe, wek 
Schifffahrt der Athener ein Hindernig könnte in der 
stellen 1). 

Das erfte Zufammentreffen der beiden Flotten wi 
I, 83 fi. geſchildert. Bier fehlugen unter Anführu 
Phormion?) 20 attifche Schiffe 47 peloponnefifche 
Flucht; ohne daß fie andere Hülfe gehabt hätten, ala il 
wanbtheit, ihren ruhigen Dieniteifer und ihre Kennt 
Meeresnatur. Je unbegreiflicher den Lakedämoniern die 
derlage erfcheinen mußte (85.), deſto weniger glaub 
kurz darauf unter Anführung des Brafidas fürdten ; 
fen ; zumal fie jet dem unverftärkten Feinde 77 Segel 
genftellen Tonnten (86.). In den Reden der beiden M 
(87. 89.) pocht der Lakedämonier auf die überlegene 
und bie angeborene Tapferkeit der Seinigen, mogegen ih 
erfahrenheit fih mit jedem Kampfe verringern müſſe; 
darauf, daß die lakedämoniſche Flotte immer ein Landh 
Rückhalt beſitze. Das anfängliche Miglingen erklärt 
mangelhafter Rüftung ; daraus, daß fie nicht ſowohl z 


1) Wenn wir bie peloponnefifche Seemaht im Laufe bes 
der athenifchen gleichlommen, zulegt fogar überlegen werben fel 
glaube doc, Niemand, daß es fidy hier bloß um militärifche 8 
handele. Wenn irgend etwas, fo ift die Seemacht ein Probuct | 
wideltften Vorausfegungen; wo fie zunimmt, da müflen Gewerbfl 
Handel, Stäbtewefen und unternehmungẽgeiſt der Bürger vorh 
nommen haben. 


2) Den Ariftophanes aud mit zu den Schwarzhintrigen 
Lysistr. 805. 


$. 3. Krieg in Siellien. A479 


Blauen, die Waffen und die Gunft der Lage den Aus- 
Weg geben, ſondern das Meifte auf die Zeit und den ver⸗ 
Herten Sinn der Menſchen ankommt. Noch deutlicher muß 
wi werden, fobald mir die Ankunft der zweiten Erpebition 
Eyrakus (VII, 42.) mit der Ankunft der erften zuſammen⸗ 
Bien. Beide waren an Zahl und Ausrüftung ziemlich gleich; 
w doch, wie unendlich verſchieden an Erfolg, und felbit an 

licklichem Eindruck auf die Feinde! Wer über das 
Weältnig der politifchen Naturgefeke zur Willkür der Einzel: 
a fehreiben wollte, der müßte an folchen Gefchichten vor⸗ 
hweife zu Lernen fuchen. — Demoſthenes nahm fofort den 
Ben Plan des Lamachos wieder auf (42.), um im Kalle des 
Mölingens den des Nikias durchzuführen. Allein auch dazu 
Uinte fich die Zaghaftigkeit und nachher der Aberglaube des 
Was nicht entfchliegen (48. 50.) 1). Den Syrakufiern mit 
Bir fteigenden Zuverficht war es bald nicht genug, den Feind 
"yerteeiben, ſondern fie begehrten Die völlige Vernichtung 
Kelten (56. 73.) 2). Wie e8 gefchehen Tonnte, daß eine fo 
oße Kriegsmacht in fo geringer Zeit vernichtet wurde, fucht 
jukydides damit zu erflären, daß gerade die überfpannte 





) Die legte Seeſchlacht, die Nikias allein lieferte, war gegen 
wen Willen durch die Unterfeldherven herbeigeführt, die vor Ankunft 
ÜDemofthenes etwas Großes zu thun dachten (Plut. Nicias 20.). 
Y xitias nachher den Rückzug verzögerte, mochte Demofthenes , deffen 
Jer Rath fo fehe verunglückt war, ihm nicht allzu lebhaft widerfpres 
we (Ib. 24.). Rach der vorlesten Seefchlacht und Eurymebon’s Tode 
Klangten die Athener zu Lande abgeführt zu werben. Aber bem Ni⸗ 
BB ſchien es unpaflend, fo viel gute Schiffe zurüdzulaffen. Daher er 
das legte Seetreffen nadylieferte (Ib. 24.). Der letzte Flußüber⸗ 
ng des Nikias bat mic, immer an die Bereſina erinnert. 


Batten doch audy die Athener förmlich den Beſchluß gefaßt, im 
I des Sieges alle Syrakuſier und Selinuntier als Sklaven zu vers 
fen, die übrigen ſiciliſchen Städte tributär zu machen: Diod. 
IL, 2 


ABO Thukydides. Kap. 15. 


Verwegenheit der Athener beim erſten Mißlingen dem e 
gengefetten Ertreme meichen mußte (21. 66.). Alfo du 
Eigenthümlichkeit des athenifchen Charakters, welche dene 
Anfangs fo Hoch erhoben, nachmals in dieſe verhänguij 
Gefahr verwickelt hatte: fie wirkte noch in dieſer Gefahr 
tee, und: befchleunigte und ſteigerte das endliche Verde 
„Dieſes waren die Ereiguniſſe in Sieilien” (VII, 83.) 1). 
8. A, 
Dekeleifcher Krieg. 

Während der Fortdauer des fyrakufifchen Krieges b 
Thukydides Die Kämpfe im, Mutterlande nur dazu, um 
allmählig auch dort entitehenden Bruch Der beiden Hauptu 
einzuleiten 2). Doch iſt Die Befeßung von Dekelea 
an vom größten Gewichte. Alfibiades verfichert 

drücklich, daß die Athener ſelbſt ſich vor dieſer Maßregel 
beſonders gefürchtet haben. Die früheren temporären Ei 
in Attifa wurden hierdurch permanent gemacht, alſo um 
gefährlicher. Das ganze Landgebiet, mit feinen Aeckern 
Silbergruben, war für Athen jet verloren (VI, 81.91.). 
Beſatzung von Dekelea Eonnte ſich mit Böntien, dem gi 
Norden und felbjt mit Euböa fehr bequem in Verbindun 
ben. Dazu Fam, daß mehr ald zwanzigtaufend atha 
Sklaven zum Feinde überliefen (VII, 27.) ; daß auch die 
fuhr aus Euböda, flatt auf dem Landwege, jet viel umf 
licher zur See erfolgen mußte (28.). Wür eine fo dicht 
drängte Bevölkerung, wie zu Athen, Fein geringes U 


1) Daß Thukydides mit ben erſten fieben Büchern einen Hat 
ſchnitt habe machen wollen, beweifet Ferd. Ranke auch dur 
Wiederkehr des Gebantens von I, I. in VII, 87: Vita Aristop 
CCCXVI. 


2) Bel. VI, 105. 


$. 4. Dekeleifcher Krieg. a8 


a Stadt mar jet von der Landfeite faft ſchon im Belage- 
Muſtande (VII, 28.). Und es ift leicht einzufehen, wie 
ſetwaige Verbindungen des Feindes mit den Oligarchen 

Dirmern durch dieſe Nähe gefördert werden mußten i). 

Die Kriegsführung der Athener nach der Niederlage vor 

ws iſt beinah ausſchließlich defenſiv. Sie verlaffen 

Jumnũtzen Angrifföpunfte, und richten ihr Augenmerk vor⸗ 
weile auf Die Sicherung der Bundeögenofjen (VIII, 4.). 






















nichos, den Thukydides gerade in dieſem Stüde einen 
indigen Dann nennt, will auf jede Art eine Entſchei⸗ 
Basfchlacht vermieden wiſſen. Wenn Die jebige Klotte ein 
BE erleive, fo babe der Staat Feine zweite mehr 
3). Eine Anficht, welche durch die Schlacht im Hellespont 
allzu ſehr beftätigt werben follte. 

L Ein Charakter, wie der lakedämoniſche, ift weder 
‚ noch plöglich zu Neuerungen zu bewegen, Auch jebt 
5 fehen wir fie durch das erſte Mißlingen im Seekriege 
hlos werben; und es bebarf aller Beredtſamkeit des Alti- 
jes, um fie zur Fortſetzung anzutreiben (VIII, 11 fg.) 2). 
Ber wird noch kurz vor dem Ende des ganzen Werkes der 
bekannte Gegenſatz der athenifchen und lakedämoniſchen 


führung auf's Neue hervorgehoben (96.) 3). 


D) Bol. Scheibe Die oligardhifche Ummälzung zu Athen und das 
des Eukleides (1841.). ©. 5. 


9 el. VII, 32. 78. 


8 Den Krieg in Afien und zur See behalte ich bem nächſten Ka⸗ 
vor, weil bier die Bundeöverhältniffe den Hauptplag einnehmen. 
Eins kann ich nicht umhin fchon bier anzumerken. Che felbft die 
lacht im Hellesponte noch geliefert war, konnte ber Aus⸗ 

des Krieges „ Niemanden zweifelhaft fein. „Die lakedämoni⸗ 
Slotte von dem einzigen, Träftigen Willen des Lyſandros nad) fefter 
geleitet, daher auch -mit energifcher Einheit handelnd, ſchlau 
bis zum geeigneten Augenblicke; bie Athener dagegen ohne Eins 
des Willens und Befehls, zur rechten Zeit ber Rafchheit erman⸗ 


31 


ABO Thukydides. Kap. 15. 


Verwegenheit der Athener beim erſten Mißlingen dem ı 
gengefehten Extreme weichen mußte (21. 66.). Alſo di 
Eigenthümlichkeit des athenifchen Charakters, melche dent 
Anfangs fo. Hoch erhoben, nachmals in dieſe verhängnli 
Gefahr verwickelt Batte: fie wirkte noch in dieſer Gefahr 
tee, und: .befchleunigte und fleigerte das emdliche Verd 
„Dieſes waren die Ereigniſſe in Sieilien“ (VIE, 83.) '), 


8, 4. 
Dekeleifcher Krieg. 


Während der Fortdauer des fyrakufifchen Krieges b 
Thukydides Die Kämpfe. im Mutterlande nur Dazu, wm 
allmählig auch dort entitehenden Bruch der beiden Hauptn 
einzuleiten 2). Doch ift die Befeßung von Dekelea 
unmittelbar vom größten Gewichte. Alkibiades verfichert 
drücklich, daß die Athener felbft fih vor Diefer Maßregel 
beſonders gefürchtet haben. Die früheren temporären Gi 
in Attila wurden hierdurch permanent gemacht, alfo un 
gefährlicher. Das ganze Landgebiet, mit feinen Aedern 
Silbergruben, war für Athen jekt verloren (VI, 81.91.). 
Defakung von Dekelea Eonnte fi mit Böotien, dem gi 
Norden und felbft mit Euböa fehr bequem in Verbindun 
ben. Dazu Fam, daß mehr als zwanzigtanfend athe 
Sklaven zum Feinde überliefen (VII, 27.) ; daß auch die 
fuhr aus Eubda, ftatt auf dem Landwege, jebt wiel umf 
Ficher zur See erfolgen mußte (28.). Wür eine fo did 
drängte Bevölkerung, mie zu Athen, Fein geringes 1 


1) Daß Thukydides mit ben erſten fieben Büchern einen Ha! 
Schnitt habe machen wollen, beweifet Ferd. Ranke auch bu 
Wiederkehr des Gedankens von I; 1. in VII, 87: Vita Aristop 
CCOXVI. 


2) Bgl. VI, 105. 


5. 4. Dekeleifcher Krieg. A481 


Stadt war jebt von der Landfeite faft fehon im Belage- 
ande (VII, 28.). Und es tft leicht einzufeben, wie 
etwaige Verbindungen des Feindes mit den Oligarchen 
\ durch dieſe Nähe gefördert werden mußten 1). 
z Die Kriegsführung der Athener nach ber Niederlage vor 
8 iſt beinah auöfchlieglih Defenfiv. Sie verlaffen 
ummühen Angrifföpunfte, und richten ihr Augenmerk vor⸗ 
Böweife auf die Sicherung der Bundesgenofien (VII, 4.). 
08, den Thukydides gerade in dieſem Stüde einen 
Kenia Mann nennt, will auf jede Art eine Entichels 
abſchlacht vermieden wiſſen. Wenn die jebige Flotte ein 
erleive, fo habe der Staat Feine zweite mehr 
). Eine Anficht, welche durch die Schlacht im Hellespont 
allzu fehr beſtätigt werden follte. 
Sin Charakter, mie der lakedämoniſche, ift weber 
„ noch plößlich zu Neuerungen zu bewegen. Auch jebt 
fehen wir fie duch dad erſte Mißlingen im Seefriege 
werden; und e8 bebarf aller Beredtſamkeit des Alki⸗ 
‚ um fie zur Fortſetzung anzutreiben (VIII, 11 fg.) 2). 
wird noch kurz vor dem Ende des ganzen Werkes der 
te Gegenſatz der atheniſchen und lakedämoniſchen 


führung auf Neue hervorgehoben (96.) >). 


















[nz 
nn) 
u 


HD Bel. Scheibe Die oligarchiſche umwälzung zu Athen und das 
des Eulleides (1841.). ©. 5 


9) Bol. VIII, 32. 78. 


2 Den Krieg in Afien und zur See behalte ich dem nächſten Kas 
vor, weit hier bie Bunbesverhältniffe den Hauptplat einnehmen. 
e Eins kann ich nicht umhin ſchon Hier anzumerken. he felbft bie 
lacht im BHellesponte noch geliefert war, konnte ber Aus⸗ 
des Krieges „ Riemanben zweifelhaft fein. „Die lakedämoni⸗ 
von dem einzigen, Träftigen Willen bes Lyſandros nach fefter 
geleitet, daher auch ‚mit energifcher Einheit handelnd, ſchlau 
bis zum geeigneten Augenblide ; bie Athener dagegen ohne Ein⸗ 
m oe Willens und Befehls, zur rechten Zeit ber Raſchheit erman- 
31 









489% Thukydtdes. Kap. 15. 





geinb, zer kugehörigen Übereitt, madhläffig mit Abficht, oder 
fhöpfung von der Uebereilung „ ficher und forglos aus Verken 
Abſicht des Feindes bei feiner klugen Zögerung — dazu gleichgält 
guten Rath aus @iferfucht und zu großem Selbſtvertrauen —: lauter A 
ten und Genoſſen, ober wenigftens Beichen ber hinſinkenden Demokt 
Lakedämonier mit guten Schiffen und reichlich mit perfifhem € 
anderen Bubfidien, die Athener mit Nichts ald Waffen und Schi 
geftattetz jene im Rüden durch Kleinaften gedeckt und im Bel 
bequemen Hafens und einer reichen Stadt, diefe an einem flad 
welches ohne Hafen und Stabt war, unb genöthigt, erſt na 
funfzepn Stadien weit zu geben, um ſich Lebensmittel zu ver 
jene dem Commando unbedingt zu folgen gewohnt, dieſe ohn 
Mäannszuht. Dieb war die Lage der Parteien, die vor Aego 
ſich feindlich aegenäbeeitanden” (Scheibe a. a. O. ©. 19.). 


Es iſt merkpurdig, daß bie drei vornehmſten Niederlagen t 
ner, zu Syrakus (VII, 40.), zu Eretria (VIII, 95.) und in 
pont, faft auf die nämliche Weiſe veranlapt find: indem bie 
beim Eſſen zerfireut-, durch den Feind überfallen werben. 


Sechzehntes Kapitel. 


und vierter Sauptfaden — Seemacht umd 
Bundesbherrſchaft. 





u | 


8. 1. 


Seemadt'’) nn 


ah dem Ausbruche des peloponnefiichen Krieges fuchten Die 
dämonier, was ihnen an wirklicher Kraft abgiug, durch 
Jprahleriſche Beſtellungen zu erfegen; denn anders kann es 
en genannt werden, wenn fie eine Flotte von fünfhundert ' 
Kiffen unter ihre Bundeögenofjen vepartiven mollen 2), wäh⸗ 
PD im Perſerkriege die geſammte Macht der Hellenen ‚nur 
zhundert Segel betragen hatte (I, 74.). Sie vergaßen, 
fe e3 Landmächte fo oft thun, daß die Schiffe immer noch 
ter zu haben find, als die Mannfchaften. — Späterhin 
a wir von Kaperbriefen, welche der lakedämoniſche Stadt 
ſcheilt (V, 115.). Dergleichen Mittel merden immer der 


I) Bol. Hierzu die vortrefflichen Unterfuchungen von Böckh in ber 
haushaltung Ih. 1, ©. 288 ff. Auch ganz neuerlich in den Urs 
zur Geichichte des athenifchen Seewefend. K. G. Krueger 
ysii Historiogr. p. 286 sqaq. 


2) II, 7: vgl. IV, 17 med. 












31 * 
















ABA Thukydides. Kap. 16. 


fhwächern Seemacht, die auf den großen Flottenkampf 
zihten muß, am meilten nützen; indem ihr der Gegner 
meiſten Handelsfchiffe zum Plündern darbietet. So 
zwifchen Frankreich und England im Revolutionskriegte. 
Bon der Größe der atheniſchen Seemacht redet Perikles 
62: daß es Keinen König und Fein Volt gebe, welche; 
Schifffahrt der Athener ein Hinderniß koͤnnte in den 
Stellen 1). 

Das erſte Zufammentrefien der beiden Flotten wich 
I, 85 fi. geſchildert. Hier fchlugen unter Anführung 
Phormion?) 20 attifche Schiffe 47 peloponnefifche in. 
Flucht; ohne daß fie andere Hülfe gehabt hätten, ala ihre 
wandtheit, ihren ruhigen Dienfteifer und ihre Keuntuiß 
Meerednatur. Se unbegreiflicher den Lakedämoniern diefe 
derlage erfcheinen mußte (85.), deſto meniger glaubten 
kurz darauf unter Anführung des Brafidas fürchten zu 
fen; zumal fie jet dem unverftärkten Feinde 77 Segel 
genftellen Tonnten (86.). In den Reden der beiden 
(87. 89.) pocht der Lakedämonier auf die überlegene 
und die angeborene Tapferkeit der Seinigen, wogegen ihre IM 
erfahrenHeit fih mit jedem Kampfe verringern müſſe; 
darauf, daß die lakedämoniſche Flotte immer ein Landheer 
Rückhalt befite. Das anfängliche Mißlingen erklärt er 
mangelhafter Rüftung ; Daraus, daß fie nicht ſowohl zu 


1) Wenn wir bie peloponnefiiche Seemacht im Laufe bes 
der athenifchen gleichlommen, zulegt fogar Überlegen werben fehen, 
glaube doch Niemand, daß es fich hier bloß um militärifche Bo 
handele. Wenn irgend etwas, fo ift die Seemacht ein Product ber m 
wideltften Vorausſezungen; wo fie zunimmt, ba müſſen Gewerbfleif 
Handel, Städteweſen und Unternehmungsgeift dee Bürger vorher 
nommen haben. 


2) Den Ariftophanes auch mit zu den Schwarzhintrigen 
Lysistr. 805. 


$. 1. Seemacht. 485 


lacht, als zu einer Landſchlacht ausgeſegelt waren ; ende 
auch aus der Ungunft des Schickſals. Der Athener ans 
Nſeits vertraut vor Allen auf die frühere Gewohnheit des 
Biyen, welche den eigenen Muth hebe, den Feind in Angft 
‚. jedenfalls aber ein Ausweichen ihnen. felbft moralifch uns 
mache. Wie fchön diefe Reden die Natur und den 
des ganzen Krieges abfpiegeln, Habe ich früher ſchon 
tet. Was den Ausgang betrifit, fo gewährte. dieß 
en auf keiner Seite Entfcheidung : die Athener zwar kämpf⸗ 
größerm Ruhme, die Lafevämonier aber waren Doch 

feoh., Feine Niederlage erlitten zu haben 1). 
re höchſte Stärke erreichte die Seemacht von Athen 
ommer des vierten Jahres, wo fie bis auf 250 Segel 
„ vie Staatökaffe freilich durch ſolche Anftrengungen 
‘wenig erfchöpft wurde (III, 17.). Auf ähnliche Weife 
Thukydides an, zu welcher Zeit Die athenifche Landmacht 
Gipfel erreicht (IL, 31.), und bei welcher Gelegenheit 
verſeits die Lakedämonier das fchönfte Heer in's Feld ges 
haben (V, 60.) Ron jener athenifchen Landmacht 
freilich der Kern der Schwerbewafineten bald hinwegge⸗ 

(il, 8.). 

»Den früheſten Vorteil errang die lakedämoniſche Flotte 
* des fünften Jahres (427.), zwar ebenfalls nur 
6 bedeutende Ueberzahl und mit großer Furcht vor einer 
uchlommenden, gleich ſtarken Abtheilung der Athener (III, 
Bf). Sie Hatten auch fofort nach dem Mißlingen der les⸗ 
en Unternehmung eine Verſtärkung ihrer Flotte befchloffen 
1, 69.). Die höchſte Ueberlegenheit der Athener zeigte fich 
eachtet erſt fpäter, bei dem Kampfe um Pylos (3. 
), wo die Athener fi auf dem Lande, und zwar auf 
dlichem Lande, gegen einen Seeangrifſ der Lakedämonier 
















2) Wet. IV, 26. 


A Thufppived. Kap. 16. 


folglos bließen (V.J,:203. VIL,:57.). Auch fahen die 
ner im Ganzen den adryſiſchen Sitalkes ?), Die Lakeda 
den Perdikkas von Makedonien für ihren Verbiindeten 
ren inconfequente und. launige Politik ihre Hulfe all 
nicht wiel werih machte... Die fchöne Mede, worin B 
für alle Zeiten. die ſich gleichbleibende Natur des Ba 
krieges fchildert, ijt ohne Zweifel aus den eigenen ſtrate 
Erfahrungen. des Thukydides herporgegangen 2). Durch 


— — — ——— — 


1), Sitalkes, und mehr noch fein Sohn, ſcheint ben Athem 
von ‚feiner Freunbihaft vorgeredet au haben. Auch verſprachen fi 
Maſſen von Hülfstruppen um Solb. In Ariſtophanes Xd 
(Januar 425) kommt ein Geſandter vor, Theoros, ber an ben € 
geichikt war, ‚und bem Volke :vielen Wind vormachte. Diefe G 
haft -teifft in die Archontate. bed Diotimos und Stratokles (428- 
F. Ranke Vita Aristoph. CCCLI sgq- Theoros erſcheint 
Wespen als Volksſchmeichler (43 fg. 599.), daher ihn der Chor z 
kämpfung der Oligarchen auffordert (448.)5 als Parafit und Freu 
Aleon, doch aber als Achſelträger (1237 ff.). Im dem Wollen 9 
Meiveidiger (399.). — Nach Schöli' s glücklicher Vermuthung 
des Soͤphokles S. 162 ff.) wäre die Trilogie, womit Philokles de 
nig Oedipus überwand, die Pandionis geweſen. Dieſer finftere ‘ 
der als Aeſchyleer, d. h. wohl conſervativ Gefinnter, dem pelop 
ſchen Kriege abgeneigt ſein mußte, konnte leicht darauf verfallen 
Bunde mit Teres eine mythiſch traurige Prognoſe zu ſtellen. Vgl 
S. 127. 


2) Unter Barbarenkrieg verſtehe ich hie Nomadenkrieg. 
kriegeriſch überhaupt das Nomadenleben zu ſein pflegt (vgl. Gi 
Hist. of the Roman empire: Ch. 26.), und ſo ſtark fie be 
in. ber Defenfive find, fo tft ihr Angriff doch nur für jugendlih 
und für altersſchwache Kulturvölker gefährlih. Die Stärke der 
den befteht im flürmijchen Anlaufe; läßt ſich der Feind dadurdy je 
gen, fo ift er die fihere Beute ihrer Gefchoffe und ihrer Schne 
Gegen wohlbisciplinirte, fchwerbewaffnete Infanterie= ober Car 
maffen vermögen fie wenig: Werheerung bes platten Landes, 4 
bung der Zufuhr, Aufhebung kleiner Corps — mehr haben die { 
gegen Braſidas, die Numidier gegen Rom, die Kofaden gege: 
drich d Gr. und Napoleon niemals ausrichten können. Defto a 
cher find fie für foldye Gegner, deren Fußvolk nicht die Seelenft 


&l Seemacht. 487 


heniſchen Segeln 25 korinthiſchen Stand zu halten. Ein 
licher Wechfel, wenn man fich die obenerwähnten 
dſätze des Phormion in's Gedächtnig ruft )! Dad 
ten noch im Jahre 411 Die Peloponneſier ihre 112 Schiffe 
un atheniſchen nicht gewachſen (VIIL, 79 fg.) ). Auch 
‚um dieſe Zeit die Öffentliche Meinung den Korinthiexn 
i Sieg iu, wenn fie uur keine völlige Niederlage. erlitten, 
‚den Athenern eing Niederlage, wenn fie nur keinen Röllj— 
Sieg errungen Hatten (VII, 34.). — Nach dem fidfin 
Unfalle, welcher den Athenern ihre Seeübermacht und 
zugleich ihre politiſche Größe überhaupt gekoſtet hatte 
„G66.), mußten fie dennoch durch weiſe Einſchränkung 
,„ 1.) und Eluge Vorficht im Welde (VIII, 26.) wenig⸗ 
" ein Gleichgewicht mit den Peloponneſiern wiederherzuſtel⸗ 
m. Mehr freilich auch nicht: indem beinah jedem Vortheile, 
ſie davontrugen, ein ähnlicher Nachtheil entweder voran⸗ 
Bi oder nachfolgte 3). Hier ſollte ſich der Ausſpruch des 
zerikles bewähren, wenn auch in umgekehrtem Sinne, als 
ihn gemeint hatte, daß der Reichthum an Hülfsmitteln 
herer den Krieg beendige, als einzelne gewaltfame Anfteen- 
Bigen (I, 141.). Auch anderswo hatte ex ja gefagt, durch 
eld und Klugheit müſſe der Sieg errungen werben 9) 5). 













1) Man fieht alſo, diefe Veränderungen find erfolgt vor der ſyra⸗ 
Üfcyen Niederlage und vor ber Verbindung Lakedämons mit bem 
DOoßherrn. 

2) Körmliche Verachtung ber attiſchen Marine erſcheint bei den Pe⸗ 
onneſtern nur VIII, 8. 


3) VIII, 10. 20. 94. 103. 


4) 11, 13: vgl VI, 34. — In der Arginuſenſchlacht waren die 
Loponnefier befiere Segler, und deßhalb zum eigentlichen Mandvriren 
iger, als die Athener. So fehr hatten ſich die Verhältniſſe umge⸗ 
xt: Xenoph. Hell. 1, 6, 31. 


5) Zwei Momente, die zue Gutſcheidung des peloponnefifchen Kries 


"19% Thukydides. Kap. 16. 


Friede gegönnt wurde (V, 94ff.).'). Ich Brauche wohl f 
zu erinnern, wie fait nothwendig diefe Grundſäütze an. 
entgegenfiehenben Natur der beiden Staaten hervorzin 
Athen, das immer weiter fixebte, mit rlickfichtölofer Geige 
ſamkeit weiter ſtrebte; Sparta, das mir erhalten iwollte, at 
Alles zögernd von der Zeit erwartete. Athen, das diem 
kräftigen Staaten von Hellad zu unterfochen dachte; ps 
das erſt nach der Zerrüttuung von Athen die fchon gem 
Sellenenwelt beherrſchen ſollte. Uebrigens Leuchtet es ein, n 
Athens Verfahren nur fo lange nützen konnte, als feine Di 
zugleich im Steigen war. Denn die Mehrzahl der Diener 
ft unentſchloſſen. Als aber das Sinken begann, da Til 
jene Politit nur die Zahl und den Ingrimm ihrer * u 
vermehren helfen. 

Die erſte Veränderung im Innern des atheniſchen * 
niſſes beſtand nun darin, daß einige abtrünnige oder zei 
bafte Alliirte lieber geradezu verfagt, ihre Städte aber wii 
athenifchen Koleniften beſetzt wurden. So erging es Both 
däa (HI, 70.); fo auch dem altberühmten doriſchen Aegi⸗ 
na 2). inigeemaßen mochte auch der Grund mitwirken, den 
zuſammengepreßten Athenervolke durch Kolonifation einige Er f 
leichterung zu verfchaffen 3). 

Der erſte fürmliche Abfall gefhah von Mitylene: 1 
einer Zeit, wo Athen freilich von der Peft geplagt, und ji 
vielfacher Theilung feiner Seemacht gezwungen mar, wo Lo 
kedämon jedoch den zweckmäßigen Schauplag feiner Angift 














I) Die graufame Ermordung ber neutralen Seeleute, welche von 
den Lakedämoniern berichtet wird, geſchah nur zu Anfang des Kriege, 
und mag aus der allgemeinen Robheit ihres damaligen Kaperweſens fr 
juleiten fein (II, 67.). 


2, II, 27: vgl. I, 67. 
3) Plut. Pericl. 34. 


$. 2. Bundesgenoſſen. 489 


nen langen Widerfland würde Ielften können (VIL,28. VIII, 
124.). Eine ähnliche Erwartung bildet die Grundlage von 
henagoras Rede im fechften Buche: fie iſt daraus zu erfläs ' 
weil Athen nach der bloßen Zahl der Hülfsmittel feinen 
pen natürlich nachſtand, Die Wirkungen der Einheit aber 
Concentration im Voraus meiſtens nicht Hoch genug ans 
en werden !). 
:Die wirklichen Bundeögenoffen beider Parteien werden 
1:9. aufgeführt. Ein ähnlicher Katalog findet fih fpäter 
9 einmal (VII, 57 fj.), unmittelbar vor der Kataſtrophe, 
d nach mefentlicher Erweiterung des Kriegsſchauplatzes. Die 
Fhündeten Athens Hielten nicht fowohl des Rechtes megen 
x aus Verwanbtfchaft zufammen, fondern theils aus Zu⸗ 
» tbeild aus Eigennuß oder aus Zwang: Bunt gemifcht 
I jedem Stamme 2), aus jeder Landfchaft, während Die 
ner, mit Ausnahme der Böotier und etlicher Miethsſolda⸗ 
„ alle aus dorifchem Samen entfproffen waren. — . Von 
& atbenifchen Bunde war der peloponneflfche geographiſch 
wah umzingelt (Il, 7.) 2). Uebrigens waren die Bündniffe 
»t auf Hellas eingefchränft. So wußten die Athener von 
Hülfe der fieilifchen Barbaren mehrfach Nutzen zu ziehen. 
e Tnüpften Unterhandlungen an mit dem fernen Karthago 
> Etrurien (VI, 88.), die bei dem leßtern nicht ganz er⸗ 







1) Daher auch 3. B. im Anfange bed neuern Revolutionskrieges 
älfsmittel Frankreichs viel zu niedrig tarirt wurben. Ebenfo die von 
um; I. gegenüber Karl V. 


2), Daß ed ben Athenern gar nicht mehr auf den Stammesunter- 
Ed der Zonier, Dorier u. f. w. ankam, zeigt Hermokrates: 
» 61. 


—2) Man beachte wohl bie fchöne Symmetrie, womit die Aufzähs 
ig dee ſämmtlichen Bundeögenoflen fireng von Oſten nach Weften forts 
Beitet (II, 9.). Eine Symmetrie, welche bei Dichtern und Bilbnern 
Thukydides Zeit bereitd abnahm, 


AOA Ahuthdides. Kap. 16. 


feine. Zwangsmittel gegründet (III, 37.). Auch wochte fg: 
wie fo. oft gefchieht, die äußere Härte ein Deckmantel Vak 
nern Furcht und Schwäche. fin — Daher iſt es vor 
großen Gewichte, wenn in den: Wechſelreden ve Kleım 
Diodotos der Eine beweifet, dag die Bundesgenoſſen Al 
erbittertſte Yeinde und nur durch rücdfichtälofe Gewalt zu | 
fein find (III, 37. 39 fg.); der Andere aber zeigt, uf 
Gewalt hier zu gar Nichts Helfen Tann (45.), eher nic 
die Milde, Die forgfältige Aufficht (46.) 1). und die Begik 
gung des Demos gegen Die Höherfiehenvden (47.) 2). 
Während aljo die fernen Zinspflichtigen für Di 
noch wieder bezwungen wurden, fand der einzige treue 
deögenofje der Athener in ihrer Nähe, fand das oft ereil 
Platäa einen elenden Untergang, meil bier. der Feind zu Tui 
auftreten Eonnte (IH, 68... — Sm meitern Verlaufe 
Geſchichte wird von den Bundeögenofien zunächſt wenig W 
nommen. Mit großer Genauigkeit aber fchildert der Hifer 
in Jonien die geringfügigftn Ereigniffe, weil fie den kin 
gen Abfall vorbereiten 3). 
Weiterhin ziehen Brafidas Thaten an der nat 
fehen und thrafifchen Küfte unfere Aufmerkſamkeit auf fd) R 
Sie finden ſich vorbereitet durch die Kleine, aber Geiſt dh: 
mende Nede des Teutiaplod (III, 30,), vie zugleich vu ik 















— — — — — 


1) Schon Perikles hatte ämſig dafür geſorgt, daß nicht einmd | 
Seeräuber den Bundeögenoffen nahe Eommen follten (II, 32.). Lehalih 
kurz nach ſeinem Tode (II, 69.). 


2) Die Vertreibung der Delier, welche gleich nach dem nikiſen J 
Frieden von Delphi aus rückgängig gemacht wird, ſchreibe ich vornei® 
lic, aud) dem Beftreben zu, die Zonier und Übrigen Bundesgenoſſen b 
nes altgemohnten Mittelpunftes zu berauben. 


3) III, 32. IV, 52. 75. 
9) Zrüheres Auftreten des Brafidas: II, 25. Dann dem Php 


$. 2. Bundesherrfchaft. Braſidas. 295 


deres Hervorheben von Alkidas Zaghaftigkeit den mächtigen 
ſchritt von Hier zu Braſidas vecht in's Licht ſtellt. Nach 
ber wurde Das Auge des Helden wohl dadurch gelenkt, 
"Ach Hier die abgefallenen Bundesgenoſſen Athens ſchon 

ſelbſt in ziemliher Unabhängigkeit erhalten Tonnten (II, 
1 Hier fchlug num Brafidas durch feine Eluge Ehrlichkeit 
Acthenern nicht bloß augenblicklich die tiefſten Wunden, 
yern untergrub ihre Bundesherrſchaft much für die Zukunft: 
Ach, mie fie Baufaniad durch ein entgegengeſetztes Betras 
vorbem befbrdert hatte 1). Daher wird die erfte Hälfte 
Krieges, die To ſchoön mit der Gefchichte des Paufanias 
jeleitet war, mit dem Braſidas vortrefflich abgefchloffen. — 
der Rede vor den Akanthiern (IV, 85 fi.) tritt Brafidas 
udezu ald Befreier der Hellenen auf. Die bisherige Poli- 
won Lakedämon wird als falfch anerkannt; anerkannt auch, 
: "jene Bundeögenofjen die natürlichen Kreunde der Lakedü⸗ 
rrier find (85. Die weiſe Mäßigung des Braſidas, der 
ner Partei Mißhandlung ihrer Gegner geftattete, wird in 
ar ſehr deutlichen Gegenſatz geftellt zu der ausgearteten Po⸗ 
8: feiner fpäteren Nachfolger (85.) 2). Uber bei aller Milde 
Teich Die Höchfte Entfehloffenheit geäußert (87.). Alles dieß 
* augenfheinlichem Rückblicke auf das Achnliche in der. Ge- 
ichte der athenifchen Hegemonie. Befondere Aufmerkſamkeit 
S auch dem Abfalle von Skione gewidmet, das wenigſtens 
ra praktiſchen Erfolge nach als die erſte abtrünnige Inſel⸗ 
Dt gelten konnte (IV, 120. 122.). Die lebte Nede des 
afidas (V, 9.) und das folgende Apophthegma dienen wohl 


>m gegenüber. Wieder in dem Handſtreiche auf den Peiräeus. Dann 
» 76. 79. Sein glänzendes Betragen vor Pylos: IV, 11 fg. Nicht 
re Wahrheit hat Platon den Brafidas mit Achill verglichen. 


1) Bol. befonders IV, 81. 108. 
2) Bgl. IV, 114. 


A096 Thukydides. Kap. 16. 


nur dazu, die Erfahrung und Heldentugend des großen 
nes noch einmal zufammenzufaffen: eines Mannes, de 
kydides als ein herrliches Gegenbild aller gleichzeitigen 
ſchen Staatömänner fcheint betrachtet zu haben. — De 
Erfolg diefer Unternehmungen Tonnte den Lakedämoni 
jet noch nicht zu Theil werden. Kurzfichtige Famil 
um die auf Sphakteria gefangenen Junker, ja fogar € 
einiger Staatömänner auf den Braſidas ließen Die grof 
fänge nur zu einem Beinen Ende benußen (TV, 108. \ 
Selbſt mit feinem Leben erkaufte Braſidas unmittelba 
Nichts, als einen zweidentigen Frieden. Aber die ©ı 
er geſtreuet, ſollte nach einem Jahrzehent die rei 
Früchte tragen (1V, 81. VI, 10.). 

Su den Verwirrungen des nikiſchen Frieden 
e8 mehrmals den Anfchein, als wenn Durch den Lebe 
niger Staaten Die ganze biöherige Lage der Bündniſ 
umgeändeet werben. Aber es blieb bei dem Schein 
denn ein fchnelles und inconfequentes Wechfeln der B 
nur in der Kindheit und im Greifenalter der Politik 
fein kann. Am allerwenigften da, mo auögebilbete 9 
im Innern auch die auswärtigen Verhältniffe firirt Hal 

Während des Krieges felbit muß fich Die Lage de 
nifhen Bundeögenofjen auch in finanzieller Hinficht be 
verfhlimmert Haben. Sn der angeblich andofideifche 
gegen Alkibiades wird diefem vorgeiworfen, er babe de 
but bei Gelegenheit einer neuen Abfchäkung durchgän 
dad Doppelte erhöhet; d. h. im Vergleich zu dem altı 
ſus des Arifteides 1). Ganz fo gefährlich wird die Sa 
wohl nicht fein. Perikles ſchätzt zu Anfang des Krie 
Tribut auf 600 Talente, während ex unter Arifteives ı 
betragen Hatte 2, Nun ift ex fpäter in feiner Höchft 


) Andocid. adv. Alcib. C. 11. 
23) Thucyd. II, 13. 


$. 2. Bunbeäherefaft. -Ixlbnt:; Abfall. 497 


Prnicht Über. 1300 ‚Talente: geſtiegen ). Einige Erhlhung 
Khuuß: ſchon vor dem nikiſchen Frieden erfolge: fein: weil 
ev: Friedendaete felbſt für die autonomen Bumdenfläbte, aug⸗ 
iche die Fortzahlumg der ariſtideiſchen Steurr bedungen 
3)... Eine andere, Echohung iſt nachher beliebte, während, 
konßen ſyraluſiſchen Krjeges, womit, zugleich der ‚hirasta 
kinzeinen Hafenzoll von fünf Prorent verwandelt mpg 
98V Solglich,:harf Allibiadez, der; nicht wohl vor 
inader Schätzungacommiſſton ſitzen Fopunte en. 2: Here 
ngader Ahgohe nicht, zugeſchriehen erben... Erhöhet 
meg er ſie immerhin. Was die Powanriu⸗g in einen 
I betcifft, fo iſt: aß. ein allgemeines Gefetz der. Staatwirtha 
in Daß ;auf den Ahern Kulturſtufen Indixeste Kaya her nam 
eoier, werden, gis dixecte 2). Eine —— dieſes 
ehe. wirde mich Gier; zu: meit führen. - Elta 
Ro dex ſiciliſches Riederlage hatten * Die — | 
1 faſt überall, zum An fſtam dee gerüſtet, der nun, während 
mligerchiſchen Vepolutjon in Helle Flammen augbrach. Dieſe 
Apsing hat Ark. oftmais wie derholt, daßß währen”: bedenl⸗ 
x Upmihen im Mutkerlande die „mündig gewordenen Im 
ben, ſich loßreiffen. +. Schen im. Winter deß Jahreß, AlR 
gen · hon Bubda ,. Lebbos Chios und dem ioniſchen Fe 
Be, Upm Helleagpnte,aud den beiden Perſiſchen Stasthpts 
nu: Alflapherned. una, Pharnabazos, Einladungen, an Die La⸗ 
Imonier, den Abfall ann -Althen zun unterſtützen £NIIR,.,D 
eo Sommer 42 beſchloſſen. dieſe,exſt Chied,: dann 
E08, dann! den Deren, Quibefreien: — — wur⸗ 


A a 








than ig pe iayahrt as ANZ 





ı) Plut. Arist. 24. Aeschines De fals. leg. 5l. Ando- 
I. De pace. 9. Nach Xenoph. Anab, VII, 1,27. fogar nur 1000. 
2) Thucyd. V, 18. IR “ . J 1* 
3) Noch vor Kurzem wie in England 3. 8. y,, in Holland Y;, 
Preußen , in DOefterreich Y;' des: ganzen Staatsbedarfes burch in⸗ 
cte Steuern aufgebracht. 
32 


A498 Thutyblves. Kap. 16. 


den fie vermuthlich dadurch Kefimm, daß Ehio® von 
athenifchen Bundesgenoſſen nicht Bloß am wichtigſten 
fondern auch noch am unabhängigſten war ; auf Lesbos 
ſtens die Metbunmäer gleichfalls. Auch Haben wir 
ſchon gefehen, daß in Chios Damals eine ariſtokratiſche 
faffung exiſtirte. Samos 5. B. wire aus dieſem Grunl 
wertiger geeignet gewefen, den Lakedämoniern als Stil 
zu dienen. Es war vielmehr von Anfang an das Haupti 
der athenifchen Flotte (16.), namentlich ſeit dem Auf 
des Demos (21.), weicher die Inſel den. Athenern nm 
mehr fiherte !). Eubda wurde won den Belopannefle 
lezt etſtrebt, weil hier die Athener, fo ganz in der NS 
frärtiten ‚schienen. Wenn jet ein athenifcher Bundesſia 
folleri will, fo finden wir in der Regel, daß er Feſtung 
anlegt. Die Athener Im Zeitrauine ihrer wachferden He 
nie hatten ſolche Beftumgsiverke niedergeriffen, um ihre 
bebgenoſſen wehrlos zu machen. Und doch war der 
Bund unſprünglich zum. Schutze tgegen · die Perſer be 
geweſen! Die Inſelſtädte erbauen ſich nach der Er 
gern einen Zufluchtsort auf dem Feſtlande. — Die 
tigſten Momente in der Geſchichte des Abfalls find: der 
ſtand von Chios (14.), Milet (17.), Knidos (35. 
Rhodes (44.), Byzanz (80.), Euboa (95 fg.) Der 
einer Seeſtadt war damald noch: wichtiger, als Heut 
denn weil die Schifffahrt mit ſeltenen Ausnahmen Küfte 
fahrt war, fo konnte man von einen feilen Hafen au 
leichter Sperruugen eintreten laſſen (35.J: - 

In dem Oberbefehl der peloponnefifhen Seemad 


1) Wir fehen baher bei der Revolution der Bierhundert, di 
mos dem bemokratiichen Athen länger treu bleibt, als Athen ſelbfl 
noch Lyſandros Tann die Samier erſt nach der Einnahme von 
unterwerfen. 


F. 2. Abfall ver Bundetgenoſſen. A 


auf einander Chalkideus (6.), Aſtyochos (20.), Minda- 
GGB.), Krateſippidas, Lyſandros, Kallikratidos und aber⸗ 
3 Lyſandros. Dem Chalkideus kann man nur unei⸗ 
Nich das allgemeine Commando zuſchreiben; die drei letzten 
Br in die Zeit der xenophontiſchen Helleniken. Indeſſen 
Wach erſt ſehr ſpät eine gewiſſe Eoncentration bei ihnen ein⸗ 
Bien. Wie uneins zu Anfang die ganze Flotte war, wie . 
g die Bundesgenoſſen der Lakedämonier, noch auch die 
vfeldherren dem Aſtyochos recht gehorchen wollten, {chen 
en deutlichſten VIII, 32. Zwiſchen dem Sarmoften Pe⸗ 
88 und dem Admiral Eonnte fih eine fürmliche Eiferſucht 
(40.). Dazu kam der häufige Wechfel des Oben 
Zange Zeit hielten die Lakedämonier eine eigene Klotte 
Bonien und Tiſſaphernes, eine andere für den Hellespont 
arnabazos (39.). Dieſe Zerfplittrung, welche bie 
Meperationen ungemein hemmte, mußte natürlich feit der 
kaung des Kyros zum Vicekönig von ganz Vorberafien 
an. Die erfle große Vereinigung der peloponnefifchen 
träfte finden wir 79, Bon jebt an werben auch die 
Meexeigniſſe überfichtlicher und enticheidender. Doch leſen 
" gnch 84 einige auffallende Deifpiele von der Zivietracht 
Rec Ungehorfam der Verbündeten. Freilich, Hätten fie 
sand gehorfam fein können, fie wären nimmermehr zu 
Er der Perfer und Athener Herabgefunten 1). = 















3) Seitdem Alkiviades wieder atheniih geworben war, bis zum 
: des ganzen Krieges drehet ſich der Kampf größtentheild um ben 
ont und Bosporos. Kinigermaßen wird dieß mit dem Abfalle 
Bubba zufammenhängen. Die Kornlammer in ber Nähe war für 
"nerloren; das platte Land wurde von Dekelea aus verwüftet : ließ 
nun noch den Pontos fperren, fo mußte Hungersnoth auebres 
* daher Alkibiades Siege in dieſer Gegend wieder Bahn ge: 
‚, Hagt ber König Agis, der zu Dekelea befehligte, die 
uhren im Peiräcus würden fo ſtark, daß feine Verheerungen 

gelfen Eönnten (Xenoph. Hell. I,1, 35.). 

v 32 * 


OD Thukydides. Kap. 16. 


- Mit dem Perfertönige Hatten bisher nur cm 
Werbannte, suie Themiitofles (I, 137.), oder verzweifelt ! 
garchen, wie die ſamiſchen !), in Verbindung geftanven. 8 
zu. Anfauge Des Krieges hegten beine Parteien die Abſicht, 
Großherrn zu einem Bündniſſe einzuladen (IL, 7.). | 
fee indeß die üffentliche Meinung doch eigentlich damals ı 
ſolchen Idee zuwider war, ſehen wir aus den Entfhulk 
gen 33. Archidamos (I, 82.). Etliche zwanzig Jahre fi 
hatte Perſien felbit. mit nielem Gelde die Lakedämonier zu 
nem Kinfalle in Attika nicht bewegen können (I, 10.) 
Sur Sommer des Jahres 430 aber finden wir zuerſt lat 
moniſche Sefandte nach Perſien unterweges; nachdem fie. 
ber Schon mit. dem. Sohne des Pharnabazos unterhandelt 
ten. .. Sie wollen befonderd. um eine. Geldhülfe nachſu— 
Beim Sitalkes jedoch werden. fie aufgehoben, an vie At 
ausgeliefert, . und..bier. zur Repreſſalie Hingerichtet (II, € 
Eine nene Annäherung an den Satrapen Pifſuthnes wird 
ferne gezeigt,. aber durch Die Unentfchloffenheit der Lakevi 
uier vereitelt (II, 31.). Im Winter .425 langt die 
Antwort des Großherrn an, welche denn freilich nur 
deutlichere Willenserklärung der auch da noch. zaudernden 
tedämonier fordert. Auch fie fällt den Athenern in die Si 
(EV,:50.). Ein fürnliches Bündniß kommt erſt nach da 
rafufifchen Niederlage zu Stande 2). | 


1) Thucyd. I, 115. Schol. Aristoph. Vespp. 292. 

2) Aus dem Gebete in Ariftophanes Zhesmophoriazufen | 
ff.) erfennt man, daß noch damals an ben athenifchen Zeften — | 
dergleichen Volksgebete find hier offenbar nachgebildet — immer ein] 
vorkam gegen die Meder und Mederfreunde. Noch während bes a 
thifchen Krieges war officiell der Haß gegen die Barbaren fo groß, 
zu den Myſterien Eeiner zugelaflen wurde. Iſokrates fehreibt die Fu 
an den troifchen Gefängen und Homer’s Ruhm zum heil bemfe 
Haſſe zu (Isocr. Paneg. p. 91. Tehn.). Iſokrates ſelbſt ift der: 
fiht, der gerechtefte Krieg fei der von Menfchen gegen wilde Thi 
dann aber der von Hellenen gegen Barbaren (Panath. 66.). “ — 

3) Die Verſuche, welche inzwifchen von Athen aus zur Antnüpfl 


$. 2. Bere. :-: 50% 


Sp gewaltfam die Staaten des Drientd in ihrer’ Kraft 
werfahren pflegen, fo liſtig und ränkevoll in ihrer Schwäche: 
sn Heutzutage Beine Politit an Intriguen reicher: iſt, als 
: o8manifche oder chinefifche, fo damals die der perfifchen 
Ben. Pforte (Mireı), Die Verwicklungen maren bier um 
grebßer, als auch die beiden Satrapen, Tiſſaphernes und 

wnabaz08 , gegen einander inteiguirten. Im :Anfange 

He Tiſſaphernes, die Lakedämonier nur als eine Art von . 
hichstruppen gebrauchen zu können, Der erſte Bundesver 
a fpricht dem Großherrn ausdrücklich alles Land zu, wel⸗ 
I er ſelbſt oder -feine Vorfahren befefien Haben, . Die Lafe- 
jener machen ſich verbindlih, jeden Abfall von Perfien 
"eine Feindſeligkeit gegen ſich felbft zu betrachten (18.). 
8 ward dem frühern Vertrage noch die Elaufel Hinzu- 
‚ daß die Lakedämonier aus Feiner Stadt, worauf der 
Anfprüche machte, Abgaben ziehen follten (37.). Dies 
erträgen wurde nun freilich won Seiten der lakedämoni⸗ 
Behörde die Natification verweigert, weil man ja dar- 
ein Recht des Großherrn auf alles griechifche Land bie 
and. Böotien folgern Eünnte (43, vgl. 58.). Allein 


. 














8 Bündniffes gemacht wurden, läßt Shulydides unerwähnt. Aus 

einfachen Grunde, weil fie zu gar Eeinem Ziele führten; auch nicht 
en Tonnten, fo lange Athen die reichen Küftenpläge in Vorderaſien 
srichte.e Daß gleichwohl Unterhandlungen flattgefunden haben, ift 
weifelhaft. Im den Acharnern wird eine Gefandtfchaft nad) Perſien 
pottet: alfo im Januar 425. Sie hatte an Diäten täglich zwei 
ren gekoſtet, und brachte nun, außer fchönen Gelbveriprecdhungen, 
mw großherrlichen Gommiffarius mit, den Pſeudo-Artabas, des Kös 
B Auge. Dazu eine Menge Eoloffaler Xuffchneidereien, über die Weite 
Meiſe, über die Goldberge von Ekbatana, Über die großen Gaſtmäh⸗ 
ps wozu ganze Rinder im Ofen gebraten würden u. f. w. (vgl. jedoch 
hrod. I, 133.). Etwas Factifches muß diefem Scherze zu Grunde 
em. — Zur Beit der Ritterkomödie, wo ein vornehmer Perfer, der 
b Sparta gefandt war, in Athen eingebracht wurde, fcheinen die 
harchen mit ihm unterhandelt zu haben: Aristoph. Equitt. 478. 


y 


503 Thukydides. Kap. 16. 


Tiſſaphernes fand ſich num veranlaßt, einen andern Ze ı 
zuſchlagen. Gerade wie neuerdings der Drient nur buch 
Uneinigkeit und das Gleichgewicht der Abendländer fein & 
friften kann, fo auch damals ſchon. Tiſſaphernes entwarf 
Plan, die Hellenen fi unter einander aufreiben zu laf 
Alkibianes war der Dann, der ihm diefen Plan, wenn ı 
nicht eingeredet, doch menigftens klar gemacht und Beil 
hatte. Es gehört zu den erfolgreichiten Ideen des genl 
Mannes, daß er auf ſolche Art dem perfifchen Hofe die P 
tik vorzeichnete, welche diefer bis an’8 Ende verfolgt hat(46.). 
Was nun die abtrünnigen Bundeögenoffen angeht, 
wird fchon in der erftien Rede der Athener geradezu, ind 
auch von Brafidas prophezeist, Daß ihnen die lakedämon 
Herrſchaft noch ſchwerer fallen würde, als die atheniſche 
Es leuchtet von ſelbſt ein, daß ſich die kleineren Staaten 
zwei rivaliſirenden Großmächten beſſer ſtehen, als bei e 
überwiegenden (VI, 89.). Auch den Perſern verkündigt? 
biades die Gefahren der agefilaifchen Zeit voraus (VII, 4 
So haben von jeher alle Lieblingöplane ſinkender Zeiten, 
ftatt der Freiheit und Glückſeligkeit, die fie verhießen, 
gefteigerte Knechtſchaft und Drangfal zur Folge gehabt. 


1) Auch Jaſon von Pherä hatte nachmals die Politik, keine 
niſche Macht allzu groß werben zu laſſen (Xenoph.Hell. VI,4,A 
Die ganze durch Alkibiades angeregte Politik des perfifchen Hofe 
nur eine kurze Unterbrechung erfahren, durch den jüngern Kyros, 
offenbar mit Hülfe der Lakedämonier feine Anfprüche auf den ? 
durchzufegen gebachte. Alkibiades wollte diefe Anfchläge dem Artaı 
binterbringen, und verlangte zu diefem Ende von Pharnabazos Keil 
tel. Pharnabazos aber eignet fich das Verdienft zu, ſchickt nad) 
Könige, und läßt, um unentdedt zu bleiben, den Alkibiades töten. 
nach Ephoros Berihte (Diod. XIV, 11). 

2) Bel. VIII. 48. und bie geiftuolle Darftellung in Isocr: 
De pace. 


nn — —— man — 


et) ur 
wid \ XR DR a nn y u .. 4 . . 21 ae i ..". ft; 


Ze 9— nur PP Pur . ae? un. Jljeen ni. 
u TI ıtr Ira SIE. v ———— in. Niitcp I. I'., 


nz nei pe Beilige J 


—— von Abaͤrvdides n. 35-46. mit 
na übrigen Leichenreden und Wanegpeiten. des 
Alterthums. 


“ ı 93? 


HHNW . 3 " 


stter ‚nen. Leichenreden des Alterthums, melche mit der peri⸗ 
Ichen bei Thukydides verglichen werden Tünnen, zeichnen fich 
I. Die.. des Lyſigs, Die: des Blaton im Menexenos uud 
des Demoſthenes für. die Gefallenen von Chäronea. Ver⸗ 
edene Stellen ifokratifcher Reben müſſen zugleich in Betracht 
ogen werden. Auf die Echtheit nder Unechtheit biefer Schrif⸗ 
kommt es mir jeht nicht an )). — Wie Dahlmann 
ſend bemerkt, ſo mußte in jenen alten Leichenreden dem 
veränen Volke ebenſo ſehr geſchmeichelt werden, wie heut⸗ 
age den Fürſtenhäuſern. Ja, wohl mehr noch. Das Volk, 
einen Theil von ſich felbit. begrub, wollte ſelbſt gelobt 
t, während bei und der Nachfolger immer ſchon leichter zu⸗ 
den geſtellt werden kann. Sogar das Unglück des Volkes 


y Dahlmann (orſchungen auf dem Gebiete der Geſchichte Sp. 1, 
27.) hält ſowohl den Lyſias, als den Demoſthenes für echt; und 
b ich befenne, daß mich die bisher vorgebrachten Gegengründe auf 
e Weife überzeugt haben. 


506 Grite Beilage. 


mußte möglichft vertufcht werden, weil das Unglück, 
Zeichen göttlicher Mißgunſt, Schande brachte. Dieß 
einzige Gelegenheit, wo der Redner Frauen unter fe 
hörern zählte. Alles Lob mußte dem Volke ſelbſt 
die Themiftofles, Kimon, Perikles durften ebenfo n 
nannt werden, wie heutzutage Die großen Minifter uı 
herren eine8 durch fie glänzend geivordenen Königs. - 
brigend finden ſich in der thukydideiſchen Leichenrede 
Spuren, daß der Werfaſſer Den gtwähnlichen Hey 
Epitaphien gemißbilligt Hat. So ſchon bie Zeitve, 
welche der gewöhnlichen Auf chlung aller Kriegẽthate 
worfen wird (X.); die Wohlfeilheit der Gemelnplä 
über den Werth der Vaterlandsvertheidigung ſtehend war 
De Epitaphios de Lyſias fpielt be 
im korinthiſchen Kriege. Während Thukydides 1 
thenzeit nur kurz abfertigt, nach feiner gewöhnlichen : 
kritckk nur das ganz Sichere, die hiſtoriſchen Zuſtünde, 
zu Grunde liegen, hevaushebt, nimmit fie bei Lyſias 
den am meiſten Platz weg. Die Beflegung der %ı 
Die Beflattung der Sieben nor Theben, die Vertheidi 
Heralliden gegen Euryſiheus, dieſe Hauptlichtpunkte 
niſchen Sagengeſchichte, werden mit glänzenden Karba 
koloſſaler Größe hervorgehoben. Dabei verfährt unſe 
ganz, wie ein pragmatiſirender Geſchichtſchreiber. € 
er z. B. die große Macht ber Amazonen daraus, be 
erſt eiſerne Rüftungen und Reiterei beſeſſen Hätten. 
öffentlichen Leichenreden Mnäpft ſich überhaupt der My 
matismus der ſpäteren Geſchichtſchreiber ganz natürlich 
nehmen mußte der Redner die Urzeit jedenfalls; kein 
daß er ſie, um ſie dem Ohre ſeiner Zuhörer genehn 
chen, ganz fo behandelte, als wenn fie geſtern erſt 
wäre 1). Und alle pragmatifche Mythenverfälſchun— 


— * 


1) Ganz parallel hiermit laufen die fingirten Gerichtsret 


Luilas. Epitaphios. 8037. 


rauf, daß man. jich in die Sinnesweiſe der Vorzeit niit 
r hineindenken kann. — Hierauf. gebt Lyſias, dem ers 
mlichen Stile gemäß, zu dem Lobe der atheniſchen Au- 
thonie über, und daß Athen zuerit: das Recht des Stär⸗ 
mit dem gefehlichen Zuftande demokratifcher Freiheit ver 
Gt Habe. Weil dieß eine biftorifche Wahrheit iſt, ſe hat 
Thukydides ſie aufgenommen. 

Alsbald ſolgen die Perſerkriege. Es iſt ein Hauptunter⸗ 
d des Lyſias gegen Thukydides, daß es Ihm auf geſchicht⸗ 
Treue durchaus nicht ankommt. Sp meint er, Dareios 
tdeßhalb von allen Hellenen Athen zuerſt bekriegt, weil 
Kon damals unzweifelhaft die Hauptſtadt geweſen. Den 
athoniſchen Sieg feiert er mit glänzenden Antithefen. Die 
vener hätten gedacht, zu fterben fei Allen gemein, ruhmvoll 
Rerben Wenigen vorbehalten. Sie Hätten ihre eigenen Ges 
e mehr gefcheut, als das Schwert des Feindes. Daher 
m auch Das übrige Hellas Den Einfall der. Barbaren erſt 
Bach mit ihrer Niederlage vernommen hätte Bon Xerxxes 
werzählt, er jei auf dem Meere marfchirt, und Durch Das 
22 geſegelt. Lauter Dinge, denen man eine gewiſſe Schoͤn⸗ 
it nicht abfprechen kann; freilich Keine, die mit den einfachen 
orten des Herodot zu vergleichen wäre, — Die lebhafte 
Nnalung ber Gefühle, welche die Athener bei Salami für 
ſelbſt, ihre Stadt, ihre Weiber und Kinder empfunden, 
echt lyſianiſch; Thukydides verſchmähet dergleichen, da es 
nesweges für den Gegenſtand der Schilderung charakteriſtiſch 
vielmehr vom Leſer gar leicht ſupplirt werden kann. Auch 
eint es nicht eben nobel zu fein, wenn der Redner ausruft: 


Gophiften jener Zeit ben alten Heroen in den Mund legten. So— 
Antifthenes Ajad und Odyffeus , des Alkidamas Obyffeus gegen Pas 
vedes u. X. m. Auch fie erforderten ein möglichft lebendiges „Verge⸗ 
wärtigen” ber mythifchen Zeit. Hatte doch Euripides ſchon feine 
dsleute gewöhnt , die Heroen wie ihres Gleichen zu betrachten. :5-' + 


508 Erſte Beilage, 


Weicher Gott hätte Damals die Athener nicht bemitleibet, 
cher Menſch nicht Thränen darlıber vergoffen ! 
Zuwiſchen dem Berferfriege und. dem Ende des 
neſiſchen Hält Lyſias nur ein einziges Factum für erwäh 
werth: als die Männer von Athen Aegypten und Aegina be 
kriegen, und nun der inzwiſchen gewagte Angriff der wi“ 
thier durch Die Greiſe und Knaben unter Myronides Anſchſ 
rung zurückgeſchlagen wird. Allerdings ein ergiebiges Jay 
um redneriſche Blumen zu pflüden! Hierauf folgt die 
hauptung, die athenifche Hegemonie Habe nur den Zweit iR" 
folgt, in Griechenland ſelbſt jeden einzelnen Staat mabkiir 
umd frei, das Ganze aber den Barbaren furchtbar zu erhal P 
In ſolchen Epitaphien ſchien der fonft fo leidenſchaftliche R% 
nee alles einheimiſche Parteiweſen zu vergeſſen; daher die mie 
Beurtheilung der Schlacht von Aegospotami. Hiergegen MR 
es wieder echt vhetorifch Tügenhaft, wenn die neu auflerimene 
Perſermacht ziemlich unzweideutig den Lakedämoniern Schub 
gegeben wird. Ganz im Sinne der früher befprochenen, yfas 
dogeijtreichen Geſchichtsmanier I) werden Hegemonie von Alhen 
und Beflegung der Perſer identifieirt; obwohl doch gerade in 
der perikleifchen Zeit die Berfer am wenigſten zu Teiden hat 
ten, in der agefiftifchen am meiften 2). — Sm foharfen In 
terfchiede von Thukydides kommt die Gegenwart bei Lyfias 
ganz kurz weg; freilich mar fie bei ihm auch Das wenigſt Er 
frenliche. Die reſtanrirte Demokratie wird gepriefen ; die Mi 
Bigung, welche in der Amneſtie hervorleuchte. Daneben er 
halten auch die Böotier ihr Lob, als damalige und jetzige 
Bundesgenoſſen von Athen. Die Gefallenen ſelbſt werben 








— — — — m nn 


1) Bol. oben ©. 185 fo. 


2) Daß durch Leichenreden die Gefchichte Überhaupt ganz vorzugs 
weife verfälfche worden ift, Lehren Cicero Brutus 16. und Livius 
VIII, 40. 


Lyſtas Epitaphios. 509 


x kurz beſprochen, wobei er das großnrüthige Benehmen 
B: Staates gegen Korinth erhebt. - Dann: beklagt er Rie Hin⸗ 
Wiebenen, und fchlieft mit glänzenden Smeinplägen üben 
in ruhmvollen Tod. ne hl 


4 


KThukydides beginmi feine Rede mid einer er Sieciigen. an 
to lectoris, : um die Wahrheit feiner Schilderung, zu „per; 
3 Lyſias mit einer chetoriihen,; ea.habe ihan.an Heit 
St Er stellt fih von Anfang an als petteifernd. day, auf 
früheren Leichenrednern. Dennoch- jſt das Ganze, Henkbnz 
ades asıch..al& Lobrede viel geſchickter mugeopfuek.,ig: Pg8, 
eiſen der Vergangenheit hei. Lyſjas, hat mit dem .Pupme ‚Dax 
fallenen wenig zu. fchaffenz,” wohl, hen. bag; der, Gegampant 
Thukydides, weil ja die Gefallenen dieſer Hegenwarj⸗ ſolbiĩ 
jehören.. Dadurch verliert ;pie Rede auch Das Iıufanktiches 
ttenartige; fie. wird eine. Schilderung) ::ein. Syrien. SEN, 
es übertzeibt nicht: ex läßt den Gefallenen ihre wenſchlichen 
hwächen (II, 42.).Intereſſant für: den Charakter. hide 
mer iſt es,: daß Thukydides, obwohl Hiſtyriker, praktiſche 
mahnungen einwebt (40.); Vyſias, abnohl Ma Ak 
tzlich umnterlͤßt, vwenigſtens nicht: geradezue Mus ph 
fallenen iR: bei Lyſias ſo, daß e8 zu jeder Geit spe, 
zde;... Bei: Thukydides (42, fg.) Paßt es DUCHAndsann u 
perilleiſche Blüthe, ‚und würde 3. B. fan. gegen Demaz 
med. Zeitgenpſſen einen ſchrofſen Gegenſatzbilden. Role 
rede an wis Hinterbliebenen iſt bei- SyBad:.zman afftehollen 
d. umuhiger, auch viel allgemeiner umd vageyij. Aha 
ukydides freundlicher, was dem ernften Manne unvergleich- 
ı anfteht, dabei ruhig und mit den feinften Beobachtungen 
menfchlichen Weſens durchflcchten,, die für iedes Geſchlecht, 


»3 Alter beſonders berechnet find. —— ννννισ mnd 
or X 


Daß der Menexenos von Platon herrührt, wird 
ch einige Anführungen in Ariſtoteles Rhetorik außer: Imci⸗ 


80H .Thukydides. Kap. 16. 


Mit den Perſerkönige Hatten bisher nur cin 
Verbannte, snie Themiftofles (I, 137.), oder verzweifelte 
garchen, mie Die ſamiſchen 1), in Verbindung geſtanden. ( 
zu. Anfauge des Krieges hegten beide Parteien die Abſicht, 
Großherrn zu einem Bündniſſe einzuladen (IL, 7.). 
fee indeß die Affentliche Meinung doch eigentlich damals 
folchen Idee zumider war, fehen wir aus den Entichuli 
gen Des, Archidamos (I, 82.). . Etliche zwanzig Sabre fi 
heute Perſien ſelbſt. mit vielem Gelde Die Lakedämonier p 
wen Einfalle in Attika nicht bewegen können (I, 100.) 
Ir Sommer des Jahres 430 aber finden wir zuerſt lal 
moniſche Geſandte nach Perfien unterweges; nachdem fie 
ber. ſchon mit dem Sohne des Pharnabazos unterhandelt 
sen. .. Sie wollen beſonders um eine Geldhülfe nachſu— 
Beim Sitalkes jedoch werden ſie aufgehoben, an die Ad 
ausgeliefert, .. und hier zur Reppreſſalie bingerichtet (II, 6 
Eine une Annäherung an den Satrapen Pifſuthnes wird 
ferne gezeigt, aber durch Die Unentichloffenheit der Lakerı 
nier vereitelt (III, 31.) Im Winter 425 langt die 
Antivort des Großherrn an, welche. denn freilich nur 
deutlichere. Willenserklärung der auch da noch. zaudernden 
kedämonier fordert. Auch fie fällt den. Athenern in die Si 
(1V,:50.). Ein fürnliches Bündniß kommt erſt nach da 
rafufifchen Niederlage zu Stande 3). : 


) Thucyd. I, 115. Schol. Aristoph. Vespp. 292. 

2) Aus dem Gebete in Arifiophanes Zhesmophoriazufen 
ff.) erfennt man, daß noch damals an den athenifchen Feften — | 
dergleichen Volksgebete find hier offenbar nachgebildet — immer em} 
vorfani gegen die Meder und Mederfreunde. Noch während des ı 
thifchen Krieges war officiell der Haß gegen die Barbaren fo groß, 
zu ben Mpyfterien keiner zugelaffen wurde. Iſokrates fchreibt die Fr 
an ben troifchen Gefängen und Homer’d Ruhm zum Theil def 
Haſſe zu (Isocr. Paneg. p. 91. Tchn.). Iſokrates ſelbſt ift der 
fiht, der gerechtefte Krieg fei der von Menfchen gegen wilde Th 
dann aber der von Hellenen gegen Barbaren (Panath. 66.) 

3) Die Verfuche, welche inzwifchen von Athen aus zur Aitnip 


$. 2. Perfer. 508 


Sp gewaltfam die Staaten des Drients in ihrer Steak 
werfahren pflegen, fo liftig und ränkevoll in ihrer Schwäche; 
An Heutzutage Beine Politit an Intriguen reicher: iſt, ats 

osmaniſche oder chinefifche, fo Damals die der perſtſchen 
Ken Pforte (TTiraı). Die VBerwiclungen waren bier. um 
größer, als auch die beiden Satrapen, Tiſſaphernes und 
Fernabazos, gegen einander inteiguicten. Im Anfunge 
qte Tiſſaphernes, die Lakedämonier nur als eine Art von . 
Kelhstruppen gebrauchen zu können. Dex erſte Bundesver⸗ 
rg fpricht dem Großheren ausdrücklich alles Land zu, wel⸗ 
5 ec ſelbſt oder-feine Vorfahren befeffen haben. - Die Lake- 
Wionier machen fich verbindlich, jeden Abfall von Verfien 
Ü eine Feindſeligkeit gegen ſich felbft zu Betrachten (18.). 
B, es ward dem frühern Vertrage noch die Clauſel hinzu⸗ 
Migt, daß die Lakedämonier aus Keiner Stadt, worauf der 
Brig Anfprüche machte, Abgaben ziehen follten (37.). Die: 
! Verträgen wurde nun freilich von Seiten der lakedämoni⸗ 
en Behörde die Ratification verweigert, weil man ja dar- 
z ein Recht des Großherrn auf alles griechifche Land bie 
ika und Böotien folgern könnte (43. vgl. 58.). Allein 


8 Bünbniffes gemacht wurden, läßt Thukydides unerwähnt. Aus 
ı einfachen Grunde, weil fie zu gar feinem Ziele führten; auch nicht 
xen konnten, fo lange Athen die reichen Küftenpläge in Vorderaſien 
errihte. Daß gleichwohl Unterhandlungen flattgefunden haben, ift 
weifelhaft.e In den Acharnern wird eine Gefandtichaft nad) Perfien 
Tpottet: alfo im Zanuar 425. Cie hatte an Diäten täglich zwei 
achmen gekoftet, und brachte nun, außer fchönen Geldveriprechungen) 
en großherrlichen Commiſſarius mit, den Pſeudo-Artabas, bes Kö⸗ 
IB Auge. Dazu eine Menge Eoloffaler Auffchneibereien, Über die Weite 
Reiſe, über die Goldberge von Efbatana , Über die großen Gaſtmäh⸗ 
wozu ganze Rinder im Dfen gebraten würden u. f. w. (vgl. jedod) 
erod. J, 133.). Etwas Ractifches muß diefem Scherze zu. Grunde 
den. — Zur Beit der Ritterlomödie, wo ein vornehmer Perfer, der 
ch Sparta gefandt war, in Athen eingebracht wurde, fcheinen die 
igarchen mit ihm unterhandelt zu haben: Aristoph. Equitt, 478. 


Y 


5083 Thukydides. Kap. 16. 


Tiſſaphernes fand fih mım veranlagt, einen andern Weg 
zuſchlagen. Gerade wie neuerdings der Drient nur durh 
Uneinigkeit und daB Gleichgewicht der Abenbländer fein dı 
friſten kann, fo auch damals ſchon. Tiſſaphernes entwarf 
Blan, die Hellmen fi unter einander aufreiben zu laj 
Alkibiades war der Dann, der ihn diefen Plan, wen ı 
nicht eingeredet, doch wenigſtens klar gemacht und befe 
hatte. Es gehört zu den erfolgreichiten Ideen des gen 
Mannes, daß er auf ſolche Art dem perfifchen Hofe die P 
tik worzeichnete, welche dieſer bis an’8 Ende verfolgt Hat (46.). 
Was nun die abtrnnigen Bundesgenofjen angeht, 
wird ſchon in der erften Rede der Athener geradezu, ind 
auch von Braſidas prophezeist, dag ihnen die lakedämon 
Herrſchaft noch ſchwerer fallen würde, als die atheniſcht 
Es leuchtet von ſelbſt ein, daß ſich die kleineren Staaten 
zwei rivaliſirenden Großmächten beſſer ſtehen, als bee 
überwiegenden (VI, 89.). Auch den Perſern verkündigt ? 
biaded die Gefahren der agefilaifegen Zeit voraus (VII, 4 
So haben von jeher alle Lieblingsplane finkender Zeiten, 
ftatt der Freiheit und Glückſeligkeit, die fie verhießen, 
gefteigerte Knechtſchaft und Drangfal zur Folge gehabt. 


1) Auch Zafon von Pherä hatte nachmals die Politik, keine 
nifhe Macht allzu groß werden zu laffen (Xenoph.Hell. VI,4,% 
Die ganze durch Alkibiades angeregte Politik des perfilchen Hofe 
nur eine kurze Unterbrechung erfahren, durch den jüngern Kyros, 
offenbar mit Hülfe der Laledämonier feine Anſprüche auf den i 
durchzufegen gedachte. Alkibiades wollte diefe Anfchläge dem Arta 
binterbringen, und verlangte zu diefem Ende von Pharnabazos Kei 
tel. Pharnabazos aber eignet fich das Verdienft zu, ſchickt nad 
Könige, und läßt, um unentdedt zu bleiben, den Alkibiades töbten 
nach Ephoros Berichte (Diod. XIV, 11). 

2) Bol. VIII, 48. und die geiftvolle Darftellung in Isocı 
De pace. 

& 


— — — — — — 


Beilagen 


—— — — — — 


1 Pad BA ee FIue 7, 7) BE Be El SE.BNSBO Rt: 
ei ist Wu a re ra ort. 
ie Er? PT BEE TEE) EEE Are STE Se er. Dre 
j i.3 sr > I 
2 1 ea 
ä 


N Ber hal! fie Yeiliag. 
in | bon Thaͤrvdides IL, 35— 46! mit 
Ahrigen Leichenreden und Banegyeiten des 

| Alterthums. 
* IT er 


eu ö— — 


—* den Eeichenreden des tertgung, welche mit der peri⸗ 
Eichen bei Thukydides verglichen werden Können, zeichnen ſich 
S die des Lyſias, die des Platon im Menexenos und 
des Demoſthenes für. die Gefallenen von Chäronea. Ver⸗ 
&edene Stellen iſokratiſcher Reden müſſen zugleich in Betracht 
gogen: werden. : Auf die Echtheit oder Unechtheit diefer Schrife 
R kommt es mir jeht nicht an ). — Wie Dahlmann 
send bemerkt, fo mußte in jenen: alten: Leichenreden dem 
aweränen Volke ebenfo ſehr geſchmeichelt werben, . wie heute 
Lage den Fürſtenhäuſern. Ja, mohl mehr noch. Das Volk, 
u einen Theil von ſich ſelbſt begrub, wollte ſelbſt ‚gelobt 
in, während bei uns der Nachfolger immer ſchon leichter zu⸗ 
ieden geſtellt werden kann. Sogar das Unglück des Volkes 


1) Dahlmann (Forfchungen auf dem Gebiete der Geſchichte Th. 1, 
3. 27.) hält ſowohl den Lyſias, als den Demofthenes für et; und 
uch ich befenne, daß mich die bisher vorgebrachten Gegengrände auf 
ine Weife überzeugt haben. 










508 Erſte Beilage. 


Welcher Gott hätte Damals die Athener nicht bemitleidet, 
her Menſch nicht Thränen darliber vergofien ! 
Zwiſchen dem Perſerkriege und dem Ende des 
ueſiſchen Hält Eyſias nur ein einziges Factum für erw 
werth: als die Männer von Athen Aegypten und Aegina bo 
kriegen, und num der inzwiſchen gewagte Angriff der ra i 
thier durch die Greiſe und Knaben unter Myronides 
rung zurückgeſchlagen wird. Allerdings ein. ergiebiges HAT 
um redneriſche Blumen zu pflücken! Hierauf folgt die WE 
hauptung, die atheniſche Hegemonie habe nur den Zweck vo) t 
folgt, in Griechenland ſelbſt jeden einzelnen Staat unabhüng 
und frei, das Ganze aber den Barbaren furchtbar zu erhalin Jr 
In folgen Epitaphien fchien der fonft fo Teidenfchaftliche Ab FT 
ner alles einheimifche Parteiweſen zu vergeſſen; daher die nik J 
Benrtheilung der Schlacht von Aegospotami. Hiergegen RI 
e8 wieder echt vhetorifch lügenhaft, wenn die neu auflonimen 
Perſermacht ziemlich unzweideutig den Lakedämoniern Schi 
gegeben wird. Ganz Im Sinne der früher beſprochenen, Has 
dogeiſtreichen Geſchichtsmanier 1) werden Hegemonie von Alta 
und Beflegung der Perſer identificirt; obwohl doch gerade in 
der perikleiſchen Zeit die Perſer am wenigſten zu leiden hat | 
ten, in der agefiftifchen am meiften 2. — Sm feharfen Ir 
terfchiede von Thukydides kommt die Gegenwart bei :Lufin 
ganz kurz weg; freilih war fie bei ihm auch Das wenigſt Er 
freuliche. Die reſtaurirte Demokratie wird gepriefen ; die Mi 
figung, welche in der Amneſtie hervorleuchte. Daneben 
halten auch die Böntier ihr Lob, als damalige und jekige 
Bundesgenoſſen von Athen. Die Gefallenen felbft werden 


— — — — — — 


1) Bol. oben ©. 185 fg. 


2) Daß durch Leichenreden die Gefchichte überhaupt ganz vorzugs⸗ 
weife verfälfcht worden iſt, lehren Cicero Brutus 16. und Livius 
VIIE, 4. 


Lyſtas Epitaphios. 509 


u. kurz beſprochen, wobei er das großnrüthige Benehmen 
diStaates gegen Korinth. erhebt. Dann: Beklagt er Bier Hin⸗ 
Wlieherien, und ſchließt mit tglänzenden Gonieinplägen: üben 
Rn ruhmbollen Tat. Er er, setz, J— 11% dl 
Er TIEY 
1 KChutybides beginnt feine Rede mi einer. ex Sieden ‚map 
bo. lectoris, um: die Wahrheit. feiner ESchilderung, BU DA 
Wen ;: Lyſias mit-einer.chetoriichen,; eänhabe ihyan Heit 
it Er ſtellt ſich von; Anfang an als aAFxetteifernd dar mik 
früheren Leichenednern. DOennoech iſt dae Ganze, Hein öng 
ides auch als Lobrede ‚niel: geſchickterf nrgeopfurhrig 98, 
fen der Vergangenheit hei. Lyfins ‚kat mir dam. Ruhms „Ag; 
jolfenen wenig zu fchaffenz;” wohl, hen. haider. Gegaupatt 
Thukydides, weil ja die Gefallenen. tiefer Gegeawarja ſealbũ 
jehören.. ¶ Oadurch verliert / die Rede auch das Analdatſche⸗ 
tenartige?. fie: wird eine. Schilderggn gin⸗ Pulp hu, 
ed übertreibt nicht: ex läßt. den Gefallenen ihrq menſchlichen 
wächen (II, 42.) - Interefiaut ‚Tür: den Eharaktar· heiten 
inner iſt es, daß Thukydides, Obrahl Hiſyriker y yrakhiſcha 
nahmıngen: einmebt «48.) 3 Put: mich en A 
tzlich unterlaͤßt, wenigſtens nicht: gemanıs: | MORE RTE HR 
falleneniſt ei Lyſias ſo, daß ner 
rde3.. het Mhukydides CAR. fg.) -pRBb: 0 durchansvurmau 
Pperikleiſche; Blilthe, ‚und würde 3. B. ſchnngegen Memag 
mes „Zeitgeuufien einen ſchrofſen Gegonſatzu⸗bilden. pls 
rede an die Hinterbliebenen iſt bei Lyßlab⸗gau, affechvollen 
unruhiger, auch viel allgemeiner umd vageyiz: ahae 
ukydides freundlicher, was dem ernſten Manne unvergleich⸗ 
anſteht, dabei ruhig und mit den feinſten Beobachtũngen 
 menfchlichen: Weſens durchflochten, die far jedes Geſchlecht, 
es Alter beſonders berechnet ſind. rien But riaS. und 


EST Ee 8 u ze 
Daß. der Menexenos von Platon herrihn, wird 
ch einige Anführungen in Ariſtoteles Rhetorik außer ut 


Da Zur Bu} 














510 VUrcſte Beilage. 


fel geſtellt). Die wirkliche Abſaſſumgszeit kann wohl nf" 
bedeutend fpäter fallen, als die fingirte. Um des Publick« 
willen mußten die neueſien Ereigniſſe behandelt werden, die natiel' 
lich am meiſten Intereſſe hatten. Alfo gegen DI. 98, 2: 
dem Frieden des Antalkidas zufammentreffend. Ron eine 
zu Grunde liegenden Studium des Thukydides find ziel 
unzweideutige Spuren vorhanden 2). _ Platon Hat mähe 
diefer ganzen Periode in Heftiger Polemik gegen die Schule 
ner gelebt, die ihrer Manier den Namen einer Kunft wind 
ven wollten. in gebiegener Kenner der alten Philoſophi 
Herr Profeffor Krifche in Göttingen, vergleicht den Die 
xenos in dieſer Beziehung mit dem Phädros. Gerade wie Mi 
Phadros der Liebeörede des Lyſias eine andere, von befehl: 
Standpunkte aus entgegengehalten wird, um zu zeigen, WAR! 
der Redner die Komm behandeln mühe, auch vom Saba 
gahzlahgefehen: fo will der Menerenos eine ähnliche ſtritik WE 
Eeichemeden liefern. Alfo es beifer machen, aber nur w 

Standpunkte der gewöhnlichen Epitaphien aus. Den ii 
denfi’her Philoſoph durchaus nicht zu vertreten. Das 2b Fr 
der atheniſchen Staatöverfafjung, die in Wahrheit eine Arikes 
Pati fein foll, ift entichieden unplatonifh. Damit dieß abe 
auch Niemanden verborgen bleibe, ift der einleitende Dialeg 
ſo anachröniſtiſch, ja burlesk gehalten, wie faft in keinem an | 
dein Werke Platon’. Sokrates tritt darin auf, und dad 
Stück fpielt Doch lange nach feinem Tode. Gewiß noch lin 
ger nach dem Tode der Aſpaſia, welcher Die Rede felbft zuge | 
feßrieben wird. Dazu fortwährend die bitterfte Ironie gegen | 





























3) Im erfien Buche wird eine Stelle des Menerenos ſchlechthin 
dem Sokrates beigelegt, im dritten Buche aber geradezu dem Sokrates 
iv u Änmrapip. 

. 2) Menex. p. 236. B. Auch der anfängliche Gegenfag von Rede 
und That. erinnert durchaus an den Eingang des thukydideiſchen Epita⸗ 
phios. 


Platon’ Menerenos. 51 1 


Nedner überhaupt, und die Leichenreden insbefondere. 
ai hachſt anzehende und geiſtwolle kleine Schrätl. . ...: 

„Wie ganze diede iſt durchaus ſyſtematiſch gejchrieben, wit 
wor. ſichtlichen Streben nach logiſchen Zuſammienhange. 
ch zu: Anfang des Prodmiond wird das Geſetz erklärt, 
WB. die Feier :angeorbnet: hat 1); zugleich auch. Die. Dwecke 
Wiebe nollflännig neben einander geſiellt: Lob der. Gefalle⸗ 
Bi Troſtimg des Alters, Ermunterung der Sugentu:. : Siere 
Koh das. Hauptthema. in drei Theile geſondert: : tie Ab⸗ 
Wi: Der. Geprieſenen, : ihre Erziehung, ihre. Thaten ſelbſt. 
kibich denn zunächſt ihrer, Autochthonie gepackt, wie Die 
ker ‚Sein: zuſammengelaufenesVolk ſind, vielmehr now ner 
tter ſelbſt, die. fie geboren, auch groß geſäugt. Daſſelbe 
%:bat ja num: auch: die gefallenen Helden in. feinen. mütten⸗ 
rSchooß:zurkeigenonmen. Dieſes Land ift.non jcher DER 
Kern apı theuerſten: geweſen: um ben Beſitz von Attila ha⸗ 
Gotter gekämpft! Hier in Attika ih: die Wiege des menſcha 
en Geſchlechtes zu fuchen. MB. Beweis dafürn kaun Den 
Sand dienen, daße die Natur an den Enſtehungsort ‚eine 
Beier Nahrung deſſelben veriegt. Hat ::. Jahr 
ter anpfängt hady.der Geburttauch. Wilch für: das Neuge⸗ 
Bei. : Num iſt Attila. notorifch Die Seimath des Harnnd;: deu 
kt: Speife fir Menſchen. Folglich, u. ſ. m. Götter: feibk 
hen den exfteh Underricht der Athener verfchen, :wig. bie: Dig 
es bezeugen. lin Zebildet, Find’ die Vorfahren na Skaale 
wgegangenz.:zu einer Ariſtokratit; denn ariſiokratiſch. ft der 
niſche Staat von jeher geweſen. Bei der Beſchzungaller 
batöämtete third: allein Auf. Weisheit nt Tugent geſehen⸗ 
e nathrliche: Folge der: gleichen Akjtammung dis VBolfess::tt 
Auf ‚folgen Grundlagen konnte ein: ſchoönes ; pin thatru 
ed Beben .erkmut warden, ;:. Van’ der: Mythengeſchichte vll 


1) Wie es bei ſolchen Gelegenheiten herkönimlich war: Thü F J 
35. W 9. te) ,” 5 


ros Eſte Beilage, ° 


Weicher Gott hätte damals die Athener nicht ben 
cher Meiiſch nicht: Thränen darüber vergoffen ! 
Zwiſchen dem Perferkriege und. dem: Ende 
neſſchen Hals Lyſias nur ein einziges Factum für 
werther als, die Männer von Athen Aegypten un 
kriegen, und ‚min der inzwiſchen gewagte Angri 
thier durch Die Greife und Knaben unter Myro 
rung: zurückgeſchlagen wird. Allerdings ein. erg 
um: redneriſche Blumen zu pflüden! Hierauf { 
hauptung, „bie atheniſche Hegemonie babe nur de 
folgt, in Griechenland ſelbſt jeden einzelnen Staa 
und frei, dab Ganze aber den Barbaren furchtbar 
In ſolchen Epitaphien fchien der fonft fo leidenfd 
ner alles einheimische Barteimefen zu vergefien; di 
Benrtheilung ‚der Schlacht von Aegospotami. 
es’ wieder echt chetorifch lügenhaft, wenn die ncu 
Perſermacht ziemlich unzweideutig den Lakedämo 
gegeben wird. Ganz im Sinne der früher beſpre 
dogeiſtreichen Gefchichtömanier I) werden Hegemon 
und Beflegung "der Perſer identificirt; obwohl d 
der perikleiſchen Zeit die Berfer am wenigſten zu 
ten, in der agefifhifchen am meiften 2). — Sm 
terfchiede von Thukydides kommt die Gegenwar 
ganz kurz weg; freilich war fie bei ihm auch Das 
freuliche. Die reſtaurirte Demokratie wird geprie! 
figung, welche in der Anmeflie hervorleuchte. 
halten auch die Böotier ihr Lob, als damalig 
Bundeögenoffen von Athen. Die Gefallenen 


1) Bol. oben ©. 185 fo. 


.2) . Daß durch Leichenreden die Gefchichte überhaupt 
weife verfälfcht worden ift, lehren Cicero Brutus 16. 
VIII, 40. 


Lyſtas Epitaphios. 500 


kurz befprochen, wobei er das großmüthige Benehmen 
Staates gegen Korinth erhebt. Dann beklagt er die Hin⸗ 
liebenen, und ſchließt mit glünzenden Sememplüten üben 
nn ruhmvollen Tod. 


KThukydides beginnt ſeine Rede mit einer Sitorifggen Bu 
© lectoris, um die Wahrheit feiner Schilderung zu per⸗ 
gen; Lyſias mit einer rhetoriſchen, ed..habe ihm an Zeit 
B Er ſtellt fih von Anfang an als wetteifernd dar, mit 
früheren Leichennednern. Dennoch. it das Ganze bei. ,tbnz 
Eheß auch als Lobrede viel geſchickter uuıgeorinet..: Das 
fen der Vergangenheit bei Lyſias hat mit dem Ruhme der 
jallenen wenig zu ſchaffen; wohl aher dag der Gegnuhart 
Thukydides, weil ja die Gefallenen dieſer Gegenwari⸗ ſelbft 
hören. Dadurch vexliert: die Rede auch dasAnekdotiſche⸗ 
tenartige; fie. wird eine Schilderung, ein ESyſtem. Fuufyr. 
es übertzeibt nicht: ex läßt den Gefallenen ihre menſchlichen 
wãchen (II, 42.). Intereſſant für den Charakter heine 
Inner iſt ed, daß Thukydides, obwohl Hiſtoriker, yraktiſche 
mahnungen einwebt (43.); Lyſias, obwohl Reduger MR 
lich: umterläßt, wenigſtens nicht. gerabpzu,: . Das Lohlien 
ſallenen iſt vei Lyſias ſo, daß es zu jeder Beiti.majlen, 
we; Bei: Thulydides (42 fg.) paßt ed durchqus nur. auj⸗ 
peitieiſc⸗ Blüthe, und würde z. B, ſchon gegen Dem⸗⸗ 
mes Zeitgenoſſen einen ſchrofſen Gegenſatz. ‚Bilden: „Pie 
rede an die Hinterbliebenen iſt bei Lyſias zwar affeetyoller 
anruhiger, auch viel allgemeiner und vager; abau;Apk 
akydides freundlicher, was dem ernſten Manne unvergleich⸗ 
anſteht, dabei ruhig und mit den feinſten Beobachtungen 
menſchlichen Weſens durchflochten, die für ies Geſchlecht, 
8 Alter beſonders berechnet ſind. BE 


Daß der Menerenos von Platon herrührt, wird 
h einige Anführungen in Ariſtoteles Rhetorik außer Zwei⸗ 


300 Thukydides. Kap. 16. 


- Mit dem Perſerkönige Hatten bisher nur einzd 
Berbannte, wie Themiftofles (I, 137.), oder verzweifelte Q 
garchen, wie Die ſamiſchen 1), in Verbindung geftanden. G 
zu. Ainfange des Krieges hegten beide Parteien die Abficht, 
Großherrn zu einem Bündniſſe einzuladen (I, 7.) % 
fehr indeß die nffentliche Meinung doch eigentlich damals d 
ſolchen Idee zumider war, fehen wir aus den Entfchulki 
gen des Archidamos (I, 82.). Etliche zwanzig Sabre 
hatte Perfien ſelbſt mit nielem Gelde die Lakedämonier zu 
wem Einfalle in Attifa nicht bewegen können (I, 1001 
In Sommer des Jahres 430 aber finden wir zuerſt la 
monifche Sefandte nach Perfien unteriweged ; nachdem fie h 
ber ſchon mit dem Sohne des Pharnabazod unterhanbelt 
ver. Sie wollen beſonders um eine Geldhülfe nacfud 
Beim Sitalkes jedoch werden fie aufgehoben, an die At 
ausgeliefert, . und..bier. zur Repreſſalie hingerichtet (II, 67 
Eine neue Annäherung an den Satrapen Pifſuthnes wich ı 
ferne gezeigt,. aber durch Die Unentfchloffenheit der Lakedan 
uier vereitelt (II, 31.) Im Winter 425 langt die ı 
Antwort des Großherrn an, melde. denn freilich nur 
deutlichere Willenserklärung der auch da noch. zaudernden 3 
kedämonier fordert. Auch fie fallt den Athenern in die Hä 
(IV, 50.). Ein fürmliches Bündniß kommt erſt nach de] 
rakuſiſchen Niederlage zu Stande 3). \ 













) Thucyd. I, 115. Schol. Aristoph. Vespp. 292. 

2) Aus dem Gebete in Ariftophanes Zhesmophoriazufen | 
ff.) erkennt man, daß noch damals an ben athenifchen Keften — 
dergleichen Volksgebete find hier offenbar nachgebildet — immer ein 
vorfam gegen die Meder und Meberfreundee Noch während bei 
thifchen Krieges war officiell der Haß gegen die Barbaren fo groß, 
zu den Myfterien Keiner zugelaffen wurde. Iſokrates ſchreibt die 9 
an den froifchen Gefängen und Homer’s Ruhm zum Theil & 
Haſſe zu (Isocr. Paneg. p. 91. Tehn.). Iſokrates ſelbſt ift ber. 
fiht, der gerechtefte Krieg fei der von Menfchen gegen wilde . 
dann aber der von Hellenen gegen Barbaren (Panath. 66.) ' 

3) Die VBerfuche, welche inzwifchen von Athen aus zur Ant * 









Beilagen 


em — — — — — 


Beilagen 


RE e) ri, 


Ela, le Nash, ET pr 

art en F AERO. Zei menge hoti, 
yeri: nnp Hi FE rn Er 

HI- 7 DR Be IE re Are TE nn. un 

3. EEE IL ln 

ra J | Be 


BAHR ine Bali. · 
eid * bon Ihaͤrvdides uk, 35— 46! mit 
n * Leichenreden und Vaneaveilen des 
Alterthiums. | 
ititi. az B- u Ze ron. 

> Fe a ö— — 





% .. 
.. 5.71 


Ist, .. 
‚den. ELeichenreden des Alterthums, welche mit ber peri⸗ 
iſchen bei: Thukydides verglichen werben koͤnnen, zeichnen ſich 
323. Sie des Lyſigs, die: des Platon im Menexenos und 
des Demoſthenes für die Gefallenen von Chäronea. Ver⸗ 
iedene Stellen iſokratiſcher Reden müſſen zugleich in Betracht 
ger: werden. Auf die Echtheit oder Unechtheit dieſer Schrif⸗ 
kommt e3. mir jebt nicht an ). — Wie Dahlmann 
end bemerkt, fo mußte in jenen: alten: Leichenreden dem 
weränen Volke ebenfo fehr. gefchmeichelt werben, wie heut⸗ 
age den Fürſtenhäuſern. Ja, wohl mehr noch. Das Volk, 
3 ;eimen. Theil von fich. ſelbſt begrub, wollte ſelbſt gelobt 
r, während bei uns der. Nachfolger immer ſchon leichter zu⸗ 
den geftellt werden kann. Sogar. das Unglück des Volkes 


») Dahlmann (Forfchungen auf dem Gebiete der Geſchichte IH. 1, 
27.) hält fowohl den Lyſias, als den Demofthenes für echt; und 
h ich befenne, daß mich bie bisher vorgebracdhten Gegengründe auf 
ve Weiſe überzeugt haben. 











508 Erfte Beilage, 


Weicher Gott Hätte damals die Athener nicht bemitleivet, w 
cher Menſch nicht Thränen darüber vergoſſen! 

Zwiſchen dem Perſerkriege und. dem Ende des pelo 
nchſchen Halt Lyſias nur ein einziges Factum für erwähnunzt 
werth: als die Männer von Athen Aegypten und Aegina bo 
kriegen, und mm der inzwiſchen gewagte Angriff der Aw 
thier durch die Greife und Knaben unter Diyronides Auf 
zung zurückgeſchlagen wird. Allerdings ein. ergiebiges FF" 
um redneriſche Blumen zu pflücken! Hierauf folgt die Du 


folgt, in Griechenland ſelbſt jeden einzelnen Staat mabtisdif 
und frei, das Ganze aber den Barbaren furchtbar zu helm F 
In ſolchen Epitaphien fehlen der fonft fo leidenſchaftliche R& T 
ner alles einheimifche Parteiweſen zu vergeffen ; daher die milk f' 
Beurtheilung der Schlacht von Aegospotami.  SHiergegn 1 
es wieder echt vhetorifch Tügenhaft, wenn die neu auflonimenk 
Perfermacht ziemlich unzweideutig den Lakedämoniern Schuh F 
gegeben wird, Ganz im Sinne der früher befprochenen, yle | 
dogeiſtreichen Geſchichtsmanier 1) werden Hegemonie von Attın | 
und Beflegung der Perfer identificirt; obwohl doch gerade in 
der perifletfchen Zeit die Berfer am menigften zu leiden hat 
ten, in der agefiftifchen am meiften 2). — Sm fcharfen Un 
terjchiede von Thukydides kommt Die Gegenwart bei Sfr 
ganz kurz weg; freilich mar fie bei ihm auch das wenigft Er 
freuliche. Die reſtaurirte Demokratie wird gepriefen ; die Mi 
Bigung, welche: in der Amneſtie hervorleuchte. Daneben er⸗ 
halten auch die Böotier ihr Lob, als damalige und jebige 
Bundeögenofien von Athen. Die Gefallenen ſelbſt werden 


— — —— ——— — 


1) VBgl. oben ©. 185 fo. 


2) Daß durch Leichenreden die Gefchichte überhaupt ganz vorzugs⸗ 
weife verfälfcht worden ift, Lehren Cicero Brutus 16. und Livius 
VIII, 40. 


Lyfias Evitaphios. 807 


Barauf, daß man: ſich in die Sinnesweiſe der Vorzeit aidht 
ge Hineindenten kann. — Hierauf geht Syfiad, dem her⸗ 
amlichen Stile gemäß, zu den Lobe der ‚athenifchen Au- 
zthonie über, und daß Athen zuerſt das Hecht des Stäxs 
m mit dem gefelichen Zuſtande demokratifcher Freiheit ver 
rſcht Habe. Weil dieß eine Hiftorifche Wahrheit iſt, ſe hat 
3 Thukydides fie aufgenommen. 
Alsbald folgen die Perſerkriege. Es iſt ein Sanptunter- 
Rd des Lyſias gegen Thukydides, daß es ihm auf gefchicht- 
De Treue durchaus nicht ankommt. So meint er, Dareios 
Be deßhalb von allen Hellenen Athen zuerſt bekriegt, weil 
ſchon Damals unzweifelhaft die Hauptftadt gemein. Den 
mathoniſchen Sieg feiert ex mit glänzenden Antitheſen. Die 
—— Hätten gedacht, zu ſterben ſei Allen gemein, ruhmvoll 
ſerben Wenigen vorbehalten. Sie hätten ihre eigenen Ges 
we. mehr gefchent, als das Schwert des Feindes. Daher 
wen auch das übrige Hellas den Einfall der Barbaren erſt 
gleich mit Ihrer Niederlage vernommen hätte Bon Kerreß 
Ep erzählt, er fei auf dem Meere marfchiet, und durch das 
and gefegelt. Sauter Dinge, denen man eine gewiſſe Schoͤn⸗ 
wit nicht abfprechen kann; freilich eine, die mit den einfachen 
Berten des Herodot zu vergleichen wäre, — Die lebhafte 
kabmalung der Gefühle, welche die Athener bei Salamis für 
4 ſelbſt, ihre Stadt, ihre Weiber und Kinder empfunden, 
& echt lyſianiſch; Thukydides verſchmähet bergleichen, da e8 
einesweges für den Gegenſtand der Schilderung charakteriſtiſch 
R, vielmehr vom Leſer gar leicht ſupplirt werden kann. Auch 
cheint es nicht eben nobel zu fein, wenn der Redner ausruft: 


ie Sophiften jener Zeit den alten Heroen in den Mund legten. So— 
es Antifthenes Ajas und Odyſſeus, des Alkidamas Obyffeus gegen Pas 
amedes u. A. m. Auch fie erforderten ein möglichft lebendiges „Verge⸗ 
enwärtigen‘ der mythiſchen Zeit. Hatte doch Euripides ſchon feine 
andsleute gewöhnt, die Heroen wie ihres Gleichen zu betrachten. : -: + 

















510 Erſte Beilage. 


fel geſtellt). Die wirkliche Abfaſſungszeit kann wohl nid 
bedeutend fpäter fallen, al8 die fingirte. Um des Publ 
willen mußten die neueiten Sreignifje behandelt werden, die natig 
lich am meiften Intereſſe hatten. Alfo gegen DL. 98, 2: 
dem Frieden des Antalkidas zuſammentrefſend. Von ei 
zu Grunde liegenden Studium des Thukydides find zlanlk 
unzweideutige Spuren vorhanden 2). Platon hat währe 
dieſer ganzen Periode in heftiger Polemik gegen die Schul 
ner gelebt, die ihrer Manier den Namen einer Kunft vindic 
ven wollten. in gediegener Kenner der altern Philoſop 
Here Profeſſor Krijche in Göttingen, vergleicht den Die 
xeno® in dieſer Beziehung mit dem Phädros. Gerade wie 
Phadros ter Liebebrede des Lyſias eine andere, von demſelle 
Staudpunkte aus entgegengehalten wird, um zu zeigen, will 
der Redner die Form behandeln müſſe, auch vom Sf 
ganz“abgeſehen: fo will der Menerenes eine Ähnliche Kritik 
Eeichenreden liefen. Alfo es beifer machen, aber nur m 
Standpunkte der gewöhnlichen Epitaphien aus. Den Jubel 
denkt der Philoſeph durchaus nicht zu vertreten. Das Ef 
der atheniſchen Staatöverfaffung, die in Wahrheit eine Ark ık 
kratie fein ſoll, iſt entichieden unplatonifh. Damit dieß abe" 
auch Niemanten verbergen Bleibe, ift der einleitende Dialeg' 
fo anachroniſtiſch, ja burlesk gehalten, wie faft in keinem ar 
deren Werke Platon's. Sokrates tritt darin auf, und def 
Stück fpielt Doch Immge nach feinem Tode. Gewiß noch lin" 
ger nach dem Tode der Afpafia, welcher die Rede felbit zuge | 
fißrieben wird. Dazu fortwährend die Bitterfte Ironie gegm 


5 Im erften Buche wird eine Etelle des Menexenos ſchlechthin 
dem Sofrates beigelegt, im dritten Buche aber geradezu dem Sokrates 
iv to inıtapig. 

. 2) Menex. p. 236. B. Auch ber anfängliche Gegenfag von Rat 
und That erinnert durchaus an den Eingang bed thukydideiſchen Epita⸗ 
phios. | 


6. 2. Abfall ver Bundeggenoſſen. 49% 


auf einander Chalkideus (6.), Aftyochos (20.), Minda⸗ 
(85;), Krateſippidas, Lyſandros, Kallikratidos und aber 
JLyſandros. . Dem Ghalkiveus Tann man nur unei⸗ 
Kb das allgemeine Kommando zufchreiben; Die drei lebten 
r in die Zeit der renophontifchen Helleniten. Indeſſen 
och erſt ſehr fpät eine gewiſſe Eoneentration bei ihnen eih- 
im. Wie uneind zu Anfang die ganze Ylotte war, wie 
e die Bundesgenoffen der Lafedämonier, noch auch die 
rfeldberren dem Aſtyochos recht gehorchen wollten, fehen 
um beutlichften VIII, 32. Zwiſchen den Harmoften Bes 
88 und dem Admiral konnte ſich eine fürmliche Eiferfucht 
Ifden (40.). Dazu kam der häufige Wechfel des Ober 
8. Lange Zeit hielten die Lakedämonier eine eigene Klotte 
donien und: Ziffapheened, eine andere für den Hellespont 
Pharnabazos (39.). Dieſe Zerfplitterung, welche die 
Boperationen ungemein hemmte, mußte natürlich feit der 
inung des Kyros zum Vicekönig von ganz Vorberafien 
en. Die erite geoße Vereinigung der ‚pelopormefifchen 
ckräfte finden wie 79. Bon jest an werden auch die 
gereigniſſe überfichtlichee und entſcheidender. Doch leſen 
noch 84 einige aufſallende Deifpiele von der Ziwietracht 
bein Ungehorfam der Verbündeten. Freilich, hätten fie 
and gehorfam fein können, fie wären nimmermehr zu 
tern der Perfer und Athener Herabgefunten 1). 


\ Seitdem Alkibiades wieder athenifch geworden war, bis zum 
des ganzen Krieges drehet ſich der Kampf größtentheild um. den 
pont und Bosporos. Einigermaßen wird bie mit dem Abfale 
ubsa zufammenhängen. Die Kornlammer in ber Nähe war für 
‘verloren; das platte Land wurde von Dekelea aus verwüftet : ließ 
ich nun noch den Pontos fperren, fo mußte Hungersnoth ausbres 
. Sowie daher Alkibiades Siege in diefer Gegend wieder Bahn ge- 
‚gaben, klagt der König Agis, ber zu Dekelea befehligte, die 
ufuchren im Peirädus würben fo ſtark, daß feine Verheerungen 
‚helfen könnten (Xenoph. Hell. I,1, 36.). 
ET . 32 * 


512 Erſte Beilage: ..'. 


der NRedner lieber ſtillſchweigen. Der Kampf gegen:& 
pos, die Amazonen, bie Bbotier, den Euryſtheus ke 
den Poeten ſo wiel ſchoͤne Bearbeitungen gefunden, % 
Preſa, bei der Kürze der iht zugemeſſenen Zeit, Ha 
wegfallen müßte... Deko ausführlicher wird er in der 
lich hiſtoriſchen Periode, die mit dem Perferkriegea 
Hier ſehen inte die: „geiſtreichtMefchichtsbehandlung de 
hereu Redner vnllkommen ausgebildet. Elegante ,:iberik 
Gruppirung bed. Stoffes: wienz. B. im Perſerreiche die 
fen bed: Kyros, des Kambyfes andı des Dareios ſcharf ge 
werden, und bei demletztenwieder ſeinz Landzüge von 
StezugenAus ſchmuckung! der: Begebenheiten: anit:glän 
Aneldoten: ſo zu Buͤrdaß die Perſer bei. der Bekriegun 
Set fürn: den -Hänten gefaßt: unbe: ſon von Mi 
Beer :chie lange Reihe gebildet haben‘, um ihre : Gegner. 
fangen: Die: Sieget von: Marathon ‚Fin: qucht PBloß die 
Khan Bätet des athenifchen: Wolles,: FJondern. aueh die 
ſeineriFreiheit; ja⸗ der Freihelt von ganz Europa. Sie 
die Kühmer;::: warew bie: Lehrer. von.: Sriechenlaus ,: da 
Perſer überwindlich ſeien, und daß Reichthum wie Men 
zahl; der Tapferkeit wrichen müfſe. Hiernach bringt. der 
ner noch eine ſcharfſinnige Diſtinetion: zum: Vorſchein: be 
rathon ſei die Furcht: votnder perſiſchen· Eundmacht zer 
bel Artemiſion ‚und. Salami: nor der perſiſchen Seemacht. 
diedritter Epoche. des Perſerkrieges wird einerſeits die So 
von Platäa, andererſeits: die. Seczüge ber: Athener bezei 
bis zum Eurhmedon, bis uach Kypros und Aegypien; 

Dusch: feiennudem Großherrn feine helleniſchen Bundesge 
ſämmtlich wieder entfremdet, .ex, felbft. aber in den Sta 
Defenſive gedrängt worden.: m. Sanz auf ähnliche Art t 
jetzu andy Die. pelopouneſiſchen⸗Kriege abgehandelt. Die 
fälle der Athener in Böotien erſcheinen als Verſuche zu 
freinng der Böotier ſelbſt; wie auch Die öffentliche Mi 
ſeit der Demokratiſirung von Theben wohl entſchieden urt 


Beilagen 


Be u - 


Beilagen 


.o- 


Neln |, PK ν 
— 200 np MR Te 12 u RS 
17 "7: if H ! 

Ti lt 9: y 

Fei Erbe " 

Bi eig D 















ap pe Beilage... 
leid u von IThaͤrvdides IL, 35—46! mit 


| übrigen Leichenreden und Panegpeiten des 
WM Alterthums. 


1 Tr sn I nn 
FR oo: 
æ* den. Leichenreden des Alierthuuis, welche mit der peri⸗ 
hen bei: Thukydides verglichen werben koͤnnen, zeichnen ſich 
adie des Lyſias, Die des Platon im Menexenos und 
Me Demofihenes für. die Gefallenen von Chäronea. Ver⸗ 
jene Stellen ifofratifcher Reden müſſen zugleich in Betracht 
been werden. : Auf die Echtheit ander ‚Unechtheit diefer Schrife 
Banmt ed. mir jeßt nicht an 1)J. Wie Dahlmann 

ad bemerkt, fo mußte in jenen: alten: Zeichenreden dem 

iränen Volke ebenfo fehr gefchmeichelt werben, . mie heut⸗ 
pe den Fürſtenhäuſern. Ja, wohl mehr noch, Das Volk, 
hainen Theil von fich felbit. begrub, wollte jelbit gelobt 
y während bei und der Nachfolger immer ſchon leichter zu⸗ 
m geftellt werden kann. Sogar. das Unglück Des Volkes 


9 Dahlmann (FKorichungen auf dem Gebiete der Geſchichte Ih. 1, 

9.) hält ſowohl den Lyſtas, als den Demofthenes für et; und 
ich befenne, daß mich die bisher vorgebrachten Gegengründe auf 
Beiſe überzeugt haben. 


506 \ Grfte Beilage. 


mußte möglichit wertufcht werden, weil das Unglüd, 
Zeichen göttlicher Mißgunft, Schande brachte. Dieß 
einzige Öelegenheit, wo der Redner Frauen unter ſei 
hören zählte. Alles Lob mußte dan Volke felbft ı 
die Themiftofles, Kimon, Perikles durften ebenfo w 
nannt werden, wie heutzutage Die großen Miniſter un 
herren eined Durch fic glänzend geivordenen Könige. — 
brigens finden fich in ber thukydideiſchen Leichenrebe | 
Spuren, daß der Verfaſſer den gemähnlichen Her 
Epitaphien gemißbilligt hat. So ſchon bie Zeitverg 
welche der gewoͤhnlichen Aufzchlung aller Kriegẽthaten 
worfen mird-(36.)5 die Wohlfeilheit der Gemelnpiät 
über den Werth der Vaterlandsvertheidigung ftehend ware 
Der Epitaphios de Lyſias fpielt bei 

im korinthiſchen Kriege. Während Thukydides di 
thenzeit nur kurz abfertigt, nach feiner gewöhnlichen I 
Weit nur das ganz Sichere, die hiſtoriſchen Zufläinde, 
za Grunde liegen, heraushebt, nimmt fie bei Luflad ı 
den am meiſten Bla weg. Die Beflegung der An 
De Bellattung der Sieben vor Theben, die Vertheidig 
Herafliden gegen Euryſtheus, dieſe Hauptlichtpuntte d 
nifchen Sagengefchichte, werden mit glänzenden Karben 
koloſſaler Größe hervorgehoben. Dabei nerfährt unfe 
ganz, wie ein pragmatifitender Gefchichtfchreiber. © 
er 3. B. die große Macht der Amazonen daraus, dal 
erſt eiferne Rüftungen und Reiterei befeften Hätten, 
dffentlichen Leichenreden knüpft fi überhaupt der Myt 
matismus der fpäteren Gefchichtfehreiber ganz natürlich a 
nehmen mußte: der Redner bie Urzeit jedenfalls; Tein ! 
daß er fie, um fie dem Ohre feiner Zuhörer genehw 
chen, ganz fo behandelte, als wenn fie geftern exit v 
wäre 1). Und alle pragmatifche Mythenverfälſchung 


D Ganz parallel hiermit laufen die fingirten Gerichtsred 


Lyſias Eyitaphios. 807 


rauf, daß man: fih in die Sinnesweiſe der Vorzeit aidät 
ve Hineindenten kann. — Hierauf geht Lyſias, Tem her⸗ 
unlichen Stile gemäß, zu dem Lobe der athenifchen Au⸗ 
ſthonie über, und daß Athen zuerſt Das Recht des Stär⸗ 
u mit den geſetzlichen Zuſtande demokratiſcher Freiheit ver 
ſcht Habe. Weil dieß eine Hiftorifche Wahrheit iſt, ſe hat 
5 Thukydides fie aufgenommen. 

Alsbald folgen die Perſerktiege. Es iſt ein Hauptunter⸗ 
ed des Lyſias gegen Thukydides, daß es ihm auf geſchicht⸗ 
De Treue durchaus nicht ankommt. So meint ex, Dareios 
Be deßhalb von allen Hellenen Athen zuerſt bekriegt, weil 

fon. damals unzweifelhaft die Hauptitadt gewefen. Den 
wrathontichen Sieg feiert er mit glänzenden Antithefn. Die 
hener Hätten gedacht, zu fterben fei Allen gemein, ruhmvoll 

Berben Wenigen vorbehalten. Sie hätten ihre eigenen Ges 
ge mehr geſcheut, als das Schwert des Feindes. Daher 
un auch das übrige Hellas den Einfall der Barbaren erſt 
gleich mit ihrer Niederlage vernommen hätte Bon Zerreß 
Kb erzählt, er fei auf dem Meere marfchirt, und durch das 
and gejegelt. Lauter Dinge, denen man eine gewiſſe Schoͤn⸗ 
ut nicht abfprechen kann; freilich eine, die mit den einfachen 
dorten des Herodot zu vergleichen wäre, — Die lebhafte 
nsmalung der Gefühle, welche die Athener bei Salamis für 
4 ſelbſt, ihre Stadt, ihre Weiber und Kinder empfunden, 
k echt lyſianiſch; Thukydides verſchmähet dergleichen, da es 
inesweges für den Gegenſtand der Schilderung charakteriſtiſch 
t, vielmehr vom Leſer gar leicht ſupplirt werden kann. Auch 
heint es nicht eben nobel zu ſein, wenn der Redner ausruft: 


e Sophiſten jener Zeit den alten Heroen in den Mund legten. So— 
8 Antifthenes Ajas und Odyffeus , des Alkidamas Obyffeus gegen Pas 
mebes u. A. m. Auch fie erforberten ein möglichft lebendiges ‚Berge: 
nmwärtigen” der mythiſchen Zeit. Hatte doch Euripides fchon feine 
ındsleute gewöhnt, die Heroen wie ihres Gleichen zu betrachten. -: -: + 


310  Exfte Beilage. 


fel geftellt '). Die wirkliche Abſaſſungszeit kann wohl n 
bedeutend fpäter fallen, als die fingirte. Um des PBußlke 
wilfen mußten die neueſten Sreignifje behandelt werden, die nat 
lich am meiften Intereſſe hatten. Alfo gegen DL. 98, 2: 
dem Frieden des Antalkidas zufammentrefiend. Bon em 
zu Grunde liegenden Studium des Thukydides find ziemil 
unzweideutige Spuren vorhanden 2). _ Platon Kat wäh 
diefer ganzen Periode in heftiger Polemik gegen die 
ner gelebt, die ihrer Mlanier den Namen einer Kunft vindic 
ren wollten. Bin gediegener Senne der alten Philoſophi 
Hert Profeffor Krifche in Göttingen, vergleicht den Me 
xenos in diefer Beziehung mit dem Phaͤdros. Gerade wie Hi 
Phadros ver Liebedrede des Lyſias eine andere, won beufelhde 
Standpunkte aus entgegengehalten wird, um zu zeigen, WR! 
der Rednet die Form behandeln müſſe, auch vom Saba 
gühztabgefehen: fo ill der Menexenos eine Ähnliche Kritik Wi 
Selchenreden liefern. Ufo e8 beffer machen, aber nur vol: 
Siandpunkte der gewöhnlichen Epitaphien aus. Den Juhifk 
denkt der Philoſoph durchaus nicht zu vertreten. Das ii 
der athenifchen Staatsverfaſſung, die in Wahrheit eine Ake:f 
kratie ſein Toll, iſt entichieden unplatonifh. Damit dieg ae‘ 
auch Nienanden verborgen bleibe, iſt der einleitende Dialeg 
fd: auachrsniſtiſch, ja burlesk gehalten, wie faft in keinem am } 
dein Werte Platon's. Sokrates tritt darin auf, und da 
Städ fpielt doch lauge nach feinem Tode. Gewiß noch le 
der nach dem Tode der Aſpafia, welcher die Rebe felbft mge 
fißrieben wird. Dazu fortwährend die bitterfte Ironie gegen 


\ 
















My Im erflen Buche wird eine Etelle des Menerenos fchlehthin 
dem Sofrates beigelegt, im dritten Buche aber geradezu dem Sokrates 
dv zo inrapip. 

-%) Menex. p. 236. B. Auch ber anfängliche Gegenfas von Rede 
und That erinnert durchaus an den Eingang bes thukydideiſchen Epita⸗ 
phios. 


Lyſtas Epitaphios. 509 


x Turz beſprochen, wobei er das großnzithige Benehmen 
B: Staates gegen Korinth erhebt. - Dann. beklagt er Die Hin⸗ 
Sliebenen, und fchließt mit glänzenden Veme mplüden über 
ven ruhmoollen Tod. ed 


; hukvdides beginnt ſeine Rede mit einer hidtoriſhen an 
* en um die Wahrheit feiner Schilderung, zu „pers 

3 Lyſias mit einer vhetoriicgen, : ed..habe ihm ‚an Heit 
Fan. Er stellt fig won Anfang-an als Apetteifernd. Day, auf 
ug früheren Leicherrednern. Dennoch it das Ganze, beinthnz 
Dides auch als Lobrede viel geſchickter nugeoppuet,:c Dg8, 
reiſen der Vergangenheit bei. Lyſias, bat: mit dem NRuhms der 
etallenen. wenig zu. ſchafftnz "wohl. aber bag: der, Geganatt 
5 Thukydides, weil ja: die Gefallenen Diefer Gegeumazisjelhkt 
agehören. Dadurch verliert ;die. Rede auch das Anakdatiſche⸗ 
eitenartige ;. fie. wird eine ‚Schilderung, ein Eyſtem. Fhucu 
des übertzeibt nicht: ex läßt. den Gefallenen ihre wenſchlichen 
krachen (IE, W.). Intereſſant fir. den Chayaktar, Me⸗ 
inner iſt ed;;.daB. Thukydides, obwohl Hiſtoriker, praktiſche 
rinahmmgen einwebt (48.); Lyſias, obwohl, MDR A 
Atzlich unterlaͤßt, wenigſtens nicht: geradezu, , Ond Bpbiäg 
nafallenen if :Sei: Lyſias fo, daB :e- zw; jeder ‚Beh. Palin, 
ürde; bei: Thukydides (42. fg.) paßt es durchqus ann muß 
es perikleiſche Blüthe, ‚und würhe 3. B. ſchon: gegen Demaz 
henes Zeitgenbſſen einen ſchrofſen Gegenſatz bilden Hie 
weebe an die Hinterbliebenen iſt bei Lyfias zwar. affecchvollen 
1d umuhiger, auch viel allgemeiner. und vager;., aharrhet 
hukydides freundlicher, was dem ernſten Manne unvergleich⸗ 
H anſteht, dabei ruhig und mit den feinſten Beobachtungen 
8. menfchlichen Weſens durchflcchten, die fir ve Geſchlecht, 
des Alter beſonders berechnet ſind. rs nnd 


Dag der Menexenos von Blaton hereuhm, wird 
ach einige Anführungen in Ariſtoteles Rhetorik außer Zwei⸗ 


312 Eerſte Beilage: ... 


der ⸗Nedner lieber ſtillſchweigen. :Der. Kampf. gegin: E 
pos, die Amazonen, die Boͤotier, den Euryſcheus hat 
den Poeten ſo⸗vwiel fchöne Bearbeitungen gefunden, % 
Preſa, bei der Kürze der ihr zugemeſſenen Zrit, hie 
wegfallen müßte. Deſto ausführlicher wird er im der 
lich hiſtoriſchen Periode, die mit dem. Perferkriege « 
Hier ſehen wir die. „geiftreichet: Eefchichtsbohandlimg d 
heren Redner villkommen ausgebildet. Elegante,:überſi 
Gruppirung des Stoffes: inte: B. im: Perſerreiche vi 
fon des: Kyros, des Kambyſes und des Dareios scharf. gi 
werden, und bei dem letzten nieder feine: Landzüge von 
Steigen... Auefchüuärkung:: dev: Begebenheiten, mit:glän 
Anekdoten: In: Baͤrdaß bie Perfer ;ber:dexr: Bekriegun 
Gretriu ſichicin: den Händen gefaßt: unbe. fo..non M 
Mier ehie lange Reihe gebilbet haben, um: ühre : Gegner 
fangen." Die: Sieget ontr Marathon ‚Fink: äsicht bloß di 
Hehe Bätet des atheniſchen Wulids ‚,: ſondern. Auch Die. 
feinen Bpeeiheit; ja-der. Freihelt von ganz Europa. Sie 
die Hühner: weren die Lehrer. dcr. Sriechenlaub;;: da 
Perſer überwindlichſeien, und: daR Reichthum wie ‚Die 
zahl. der Tapferkeit wrichen müſſe. Hiernach bringt. der 
ner noch eine ſcharfſinnige Diſtinction zum: Vorſchein: be 
rethan. feiidie Furcht voruder /perſiſchen· Kundmacht zer 
bei-Artemifion und Salamis: vor der perſiſchen Seemacht. 
dierdötte. Epoche des Perſerkrieges wird einerſeits die ©ı 
von Platäa, anderexſeits: die. Seczüge: der Athener bezt 
bisa zum Eurymedon,“ bis vach Kypros und Aegypten; 
durch feienudem Großherrn feine helleniſchen Bundesge 
ſämmtlich wieder entfremdet, ‚ex: ſelbſt aber in den Star 
Defentive: gedrängt worden. Ganz auf rähnliche Art ı 
jeht: and die prlepouneſiſchen⸗ Kriege abgehnndelt. Die 
fälle der Athener in Böotien erſcheinen als Verſuche zu 
freiung der Böotier ſelbſt; wie auch die öffentliche Me 
ſeit der Deinofratifi irung von Theben wohl entfchieden rt 


Platon’8 Menexenos. 811 


Nedner überhaupt, und die Leichenreden insbeſondere. 
ai höchſt angehende und geiſtvolle Heine Schriſt 

Be ganze Rede iſt durchaus ſyſtematiſch geſchrichen, mit 
on: ſichtlichen Streben nach logiſchem Zuſamnmienhange. 
üch zu Anfang des Proömions wirt: das Geſetz erklärt, 
ed. die Feier augeordnet Hat 1); zugleich auch die. Zwecke 
Mede vollfländig neben einander gefiellt: Lob der. Gefalle⸗ 
SRrhflung.des Alters, Ermmmterung. der Jugentc. Hier⸗ 
Dird dad. Hauptthema in drei Theile gefondert: . Die Ab⸗ 
Fe: der Geprieſenen, ihre Etziehung, ihre Thaten ſelbſt 
Awird denn zunächſt ihrer, Autochthonie gedacht, wie Die 
Ener Bein: zuſammengelaufenesVolk find, vielmehr von der 
witer: ſelbſt, die ſie geboren, auch groß geſäugt. Daſſelbe 
ur hat ja num auch Die: gefallenen Helden in feinen mitten 
en. Schuof -zurkeigenommen. Dieſeg Land if von jcher den 
tern am theuerſten: geweſen: um den Beſitz von Attika ha⸗ 
Gotter gekümpft. Hier in Attika iſt Die Wiege des menſch⸗ 
um. Gefchlechtes zu ſachen. ME. Beweis dafür: kannder 
ufland dienen, duß die Natur au den Entftehungänrt eines 
eh: Seſchopfes auch die Nahrung befjelben: verlegt. Hat ::. ehr 
kitter empfängt hady.der Geburt auch. Milch für das Neuge⸗ 
Eike... Nunm iſt Attika notoriſch die Heimath des Kornd, den 
ben: Speiſe Für Menſchen. Folglich, u. ſ. m. Götter: jelbſe 
best den exiten Linterricht der Athener verſehen, wie die: My⸗ 
de bezeugen. Alſp zebildet, ſiad die Vorfahren zune Staats 
wgegangenz.:zu einer Ariſtokratie; denn ariſtokratiſch Fi der 
eniſche Staat von jeher geweſen. Bei der Beſetzungaller 
hatsänter wird allein auf Weieheit und — — 


Auf ſolchen Sirumblagen konnte ein ſhones, yon‘ — 
hes Zeben erbuut werden. ‚Bon hen Aytengaſcha:⸗ vom 


„ Bie es bei ſolchen Gelegenheiten beetömmtich war: : Thücyd, 
35. 


312 Exſte Veilage 


der Reimer: lieber ſtillſchweigen. Der Kampf gegen: € 
903, die Amazonen, die Bootier, den Guryſtheus hai 
der Poeten formiel fchöne Bearbeitungen gefunden, % 
Preſa, bei der Kürze: der -ihtrzugemeflenen Zeit, hier 
wegfallen. müßte. Deſto auöführlicher wird er in der e 
lich hiſtoriſchen Periode, ;die mit dem Porſerkriege au 
Hier ſchen inte die „geiſtreichtc.Meſchichtsbohaudlimg de 
hereu Redner vllkommen ausgebildet. Clegante⸗überſich 
Gruppirung des Stoffes. Anieıy B. im Perſetxeiche die 
fon des: Kyros, des Kambyſes: und: des Dareios ſcharf get 
werden, und bei dem letzten nnieder ſeine Landzüge ivon.f 
StezugeneAusſchmũckung der Begebenheiten mit:gkim 
Anekdoten: ſo z2. Baͤrdaß Die Perſer ;bei.:dexi Belriegung 
Gretuin cyan: den Händen gefaßtin unbe foumose Die 
Meerenne lange Reihe gebildet haben, -um:ähre: Gegner ei 
fange: Die: Sieget ontr: Marathon find: qucht bloß die 
Khax Väter des atheniichen: Mulkes ,ı; ſondern. sah Die X 
feinecıPpeißeit; ja⸗der⸗ Freihelt vongaag Burepası! Sie w 
Die Rühren: wearen bie: Lehrer von. Griechenlaud,? daß 
Perſer übenpindlich ſeien, und daß Reichthum wie Menſ 
zahl der Tapferkeit wbichen müſſe. Hiernach bringt der.‘ 
ner noch eine ſcharfſinnige Diſtinetion: zum: Vorſchein: hai 
reihen fer die Furcht: votnder /perſiſchen· Landmacht zerſt 
beb Artemiſion und Salamisvor der perſiſchen Seemacht. 

diendrittei Epoche des Perſerkrieges wird einerſeits Die Sch 
von Platäa,anderexſeits: die. Seczüge ber: Athener bezeid 
biasaym Eurymedon,“ bis vach Kypros and Aegypten; 
durch feien dem Großherrn feine helleniſchen Bundesgen 
ſämmtlich wieder entfremdet, ex ſelbſt aber in den Stan 
Defenfive:igedrängt worden. Ganz auf ähnliche Art w 
jetzu auch Die: pelopouneſiſchen⸗ Kriege abgehundelt. Die 
fälle der Athener in Böotien erſcheinen als Verſuche zu 
freiung der Böotier ſelbſt; wie auch die öffentliche Mei 
feit der Demokratiſirung von Theben wohl entfchieden urtl 


Platon's Menexenos. 313 


wird die Großmuth gerühmt, womit die Athener der Ge⸗ 
genen von Sphakteria geſchont hätten; ihr Grundſatz laute, 
Hellenen bis zum Siege, die Barbaren bis zum Tode zu 
Impfen. Der ſieiliſche Krieg und das Weitere bis zum 
mdriſchen Frieden wird als ein eigener, dritter pelo⸗ 
meſiſcher betrachtet, damit Athen dem einen verlorenen 
E.geiwormene entgegenfeßen koöͤnnte. Auch diefen Krieg fol 
In Befreiungsabfihten, für die Leontiner, unternommen 
en, Nicht durch Feindesmacht, fondern durch innere Zivi- 
Peit ift Athen den Beloponnefiern erlegen, . Von der Ne 
sation durch Thrafybulos urtheilt der Redner, wenn ein⸗ 
Es Bürgerkrieg fein folle, fo könne jeder Staat um einen 
Ben Bürgerkrieg beten, Die Gefallenen dieſes Krieges feien 
Ft durch Haß, fondern durch Verhängnig zum Kampfe ge 
Men Was weiterhin über den korinthiſchen Krieg gefagt 
MR, ift durch und durch verfälfcht, zu Gunſten der Athener, 
Beentlich wird jede mwahrhafte Verbindung Athens mit den- 
wubaren. geläugnet, was der Nebner wiederum durch die 
ochthonie feines Volkes erklären will 1). 
+: Einen neuen ortfchritt in vieler Hinficht finden wir beim 
Fotrated. Und zwar find es beſonders der Panegyrikos 
der Areopagititos, die hier in Frage kommen. 
a: Der Panegyrikos ift während des olynthifchen Krie⸗ 
n geſchrieben ‚, nach der verrätheriſchen Beſetzung der Kadmea 
wc die Lakedämonier. Ex beginnt, wie faft alle Reden des 
okrates „mit einer langen, literariſch⸗polemiſchen Einlei⸗ 
BB; mit einem glänzenden Zobe der Redekunſt, welche das 
nen, das Neue alt mache; fo daß es auffallend ſei, wie 





J 7) Wo Platon aus eigener Seele die Geſchichte behandelt, wie 

ich in der Republik und den Gefegen, da ift zwar auch bie reale 
kahrheit mitunter verlegt, allein die Behandlung doch eine ganz ans 
be, als im Menexenos. Won philofophifcher Speculation enthält bie 
m mir fogenannte geiftreiche Geſchichtsmethode der Rhetoren kaum 
ne Spur. 


| 33 


314 Erſte Beilage. 


man den Athleten, die doch tief unter dem Redner ſtehen, 
ehrenvolle Preiſe Habe ertheilen köͤnnen. Auch gegen Se 
wird geeifert, welche Prunkreden in Iſokrates Manier u 
höher ſchätzen, als bloß praktiſche Gerichtsreden, und von I; 
„den weiter Nichts, als plane Nüchternheit fordern: vers 
lich ein Stih anf Lyſias und deſſen Schule (vgl. Isocr. A: 
nath. 1.). Dabei charakterifirt es den Sokrates vortrefif 
dag er die feinen Ausbildner der Redekunft Höher ſtellt, . 
die Erfinder. — Die Rede felbft will zue Verführung 
Sparta und Athen, zur Anerkennung Athens wenigftend 
Seeherrſcherinn, zur gemeinfamen Befämpfung der Darbang 
aufmuntern d. Die Hegemonie, dieſen unfeligen Zantap 
folle man fahren laſſen. Athen habe das fchon gethan, ih 
wenn irgend ein Staat auf die Obergewalt Anſpruch mare 
könne, fo fei e8 doch eben Athen. Dieſes Thema wird = 
ausgeführt: die Welt fol einfehen, daß Lakedämon gar Tape, 
Recht darauf habe. Iſokrates ift wiel gründlicher und ſſug 
matifcher, als Lyſias. Ex füngt, mie gewöhnlich, ab 
an, mit der Autochthonie von Athen 2), mit der Schu 
des Korns und der Myſterien durch Demeter; aber Ale weh, 
terftügt mit Vernunftgründen und Hiftorifchen Beweiſen. Of 
3. B. der Kornbau von Athen gelehrt fei, erhellt au m 
Erftlingsfrücgten, die ſchon von vielen Hellenen alljähkd 
nach Athen gefchickt werben, und dem Befehle des Dutd 





en end 


1) Lauter Dinge, welche ber Redner fein ganzes Leben hindurd iM 
Auge gehabt hatte: vgl. den Anfang bes Panathenailos, der in mande! 
Hinfiht als eine flark vermehrte Ausgabe des Panegyrikos gelten kan. 
Schade nur, daß die panathenäifche Rede, mit ihrer DOppofition zb 
fchen Sparta und Athen, Eurz vor ber Schladht von Chäronea etwa 
zu fpät fommt, und die fichtbare Altersſchwäche des jährigen Berfik 
ſers einen wehmüthigen Eindrud hinterläßt. 


2) In einer fpätern Rede fest Iſokrates mit der Autochthonie i 
Verbindung, daß Athen von pelopibilchen und labdakidiſchen Gräueltie 
ten verjchont geblieben: Panath. 46 sqq. 


Iſokrates Paneghrikos. 313 


h won allen gefchieft werden follten. Die Belegung der 
rbaren 1), Die Kolonifirung der Inſeln, welche Iſokrates 
Die Mythenzeit verlegt, iſt ihm ein vorbildliches Analogon 

fpätern athenifchen Hegemonie Wenn Athen der Zu- 
Htdort der verfolgten Seroen war, mo fie zu Recht zu ſte⸗ 
ſich erboten, fo ſchließt Iſokrates daraus, daß hier zuerft 
cht und Geſetz gegolten Habe, Wie mußte dergleichen die 
Yterwuth der Athener im nachperifleifchen Zeitalter ki⸗ 
ur2)! Hiermit ſteht es in leicht erklärlichem Zufammenhange, 
3 Athen auch den Verkehr und Handel erfunden Hat. " Die 
Echte Controverſe übrigen? , ob dergleichen Erfindungen 
wrichlichen oder göttlichen Urſprungs feien, läßt Iſokrates 
entfhiden! | 

Mit vieler Intelligenz und ebenfo vieler Beredtſamkeit 
weh nun der Kulturwerth großer Volksverſammlungen geſchil⸗ 
=t: nur ift ed charakteriſtiſch, daß Sokrates Hauptjächlich 
ar ihnen rühmt, die Einen könnten ihre Geſchicklichkeit da 
Enzen laſſen, die Anden fih an dieſem Spiele ergötzen. 
Eßhalb geht er auch fofort zu den Schaufpielen über und zu 
wi vielen Fremden, die um ihretwillen nach Athen ftrömen. 
ker werde nicht allein in Stärke und Schnelligkeit, fordern 
wi in Verſtand und Bildung geiwetteifert. Athen fei beitän- 
&, was Olympia ꝛc. mährend der großen Spiele fei. 
ab mehr noch, der Sit aller Beredtſamkeit und aller Kul⸗ 
©. Schüler zu Athen werden die Lehrer der übrigen Welt; 
then hat bewirkt, daß, Hellene zu fein, weniger die Ab- 
immung als die Bildung und Humanität bezeichnet 3). 


2») Die Gefchichte von Kabmos, Pelops, Danaos betrachtet Iſo⸗ 
tes ald Beweis, daß die Barbaren damals, bis auf den troifchen 
jeg, den Hellenen überlegen waren: Panath. 29 sqaq. 

3) Dffenbar eine weitere, wenn auch Tarrifirte Ausbildung ber 
ukydideiſchen Mythenbehandlung. gl. Isocr. Helena 16. 

3) Ob dem Redner hierbei wohl Thucyd. II, 41.: maidevas aijs 
l2cdos vorgeichwebt hat? 


33 * 


518 Erſte Beilage, 


am Megiment hätten; daß ein Theil der Bürger im 9 
lande felbit des natürlichen Bürgerrechtd entbehrte. Un 
find die, welche den Athenern ihre Hegemonie zum Ve 
machen? Dich benukt der Redner, um eine grelle, aba 
eben untrene Darſtellung der Dreißigherrſchaft und der | 
mondfchen Reaction überhaupt einzuflechten,. — Am € 
nimmt er feinen frühen, über alle Parteikämpfe erh 
Standpunkt wieder ein. Welche Thorheit, ruft er aus 
vertilgen und gegenfeitig, um Kleinen Gewinn, mähre 
Darbar ſich die Hände reibt; und wenn wir vereint I 
ten, fo wäre es und leicht, die ganze unermeßliche Da 
Perferreiches davonzutragen, Diefe Aufforderung wird 
flütt durch eine Darlegung der Heillofen Schwäche, d 
Großherr in allen Kriegen der leiten Vergangenheit be 
habe. Es wird die unkriegerifche Weichlichkeit feines 7 
der Uebermuth und Knechtsſinn der Großen, ihre abgi 
Verehrung vor dem Könige, ihre Treulofigkeit gegen Frı 
ihre Feigheit gegen Feinde, endlich die glänzende Geleg 
des Augenblids, um die Ermahnungen des Redners ji 
flärfen, in ein Helles Licht geſetzt. 

Sm Areopagitilos (8 ff.) !) entwirft und der 
ner ein Gemälde der alten Herrlichkeit von Athen, zur 
ahmung und Wiederheritellung für feine Zeitgenofien. 
etwas näherer Betrachtung erkennt man fogleich, daß ih 
Leichenrede des Thukydides zum Mufter gedient hat 2). 


) Diefe Rede ift gelchrieben während ber blühenden Ma 
Theben, nachdem bie Laledämonier Athens Hülfe gegen ihre Fei 
gefprochen hatten (Cap. 28.). 


2) Photios (Bibl. Cod. 260.) behauptet zwar, bie vie 
bereinflimmungen zwifchen Sokrates Panegyrikos und Thukydid 
chenrede jeien nur zufällig; allein das Verhältniß des Areopagitif 
Thukydides hat er nicht bemerkt. Auch möchte fchon jenes Läug 
für fprehen, daß andere alte Gelehrte allerdings eine Rad) 
fanden. 


Sokrates Paneghrikos. | 517 


uuı Vergnligen verweilt er bei der Schifverung der maratho- 
chen Zeitz hier fließt der Strom feiner Perioden am fchön- 
8, aber es find faſt nur redneriſche Autofchedtasmata, glän⸗ 
De Antithefen, die jeher Zeit= und Ortsfarbe gänzlich er⸗ 
reigeln. Häufig fogar mit entfchiedenen Irrthümern gemifcht. 
L Ber Gefchichte des Perferkrieges machen fich zwei Eigen- 
kuulichkeiten bemerkbar: zuerſt nämlich, daß Iſokrates, ans 
em gelehrten Streben nad) Vollſtändigkeit, es nicht ver- 
znähet, die egregie dieta feiner Vorgänger unverändert 
Füberzunehmen, Hier 3. E. das ſchöne Wort des Lyſias 
er die Hellespontäbrüde und den Athoskanal. Sodann, 
88 den Inhalt betrifft, ein ſtarkes Hervorheben der Eintracht 
Eichen Athen und Lakedämon, welcher Hauptfächlich der 
keg zugefchrieben wird. — Die nun folgende Schilderung 
e athenifchen Hegemonie ift natürlich an Entſtellungen der 
Bahrheit reich; und im fofern Hat es großes Intereſſe, fie 
t der Athenerrede im erſten Buche des Thukydides zu ver⸗ 
eichen ). So wird Athen z. B. gegen den Vorwurf der 
rauſamkeit wider Stione und Melos damit wertheibigt, 
zen abgefallene Unterthanen müſſe Jeder Hart verfahren. Es 
zb geradezu behauptet, Athen habe die Inſeln als Bundes⸗ 
anfien behandelt, nicht als Linterthanen. Man fieht, Iſo⸗ 
tes weiß die Athener nur duch Lügen rein zu wafchen. 
ergleichen fand aber damals ebenfo und aus denfelben Grün⸗ 
a bei der liberalen Partei Glauben, wie Heutzutage manche 
wpoleoniaden in Deutfchland. Hatten die Athener doch allen 
‚en Unterthanen dafür den Himmel der Demokratie eröffnet! 
iefe Demokratie wird glänzend herauögepußt: es fei unnas 
rlich, daß die Vielen den Wenigen gehorchten; Daß die au 
ermögen Aermeren, aber perfünlich Gleichen Feinen Anteil 





3) In der Rede vom Frieden, wo es freili darauf anfam, die 
enen Mitbürger des Sfokrates zur Mäßigung zu flimmen, finden wir 
e ganz andere, viel ungünftigere Darftellung der athenifchen Politik. 













520 Erſte Beilage. 


dieß zu thun, für Glückſeligkeit hielten: ſondern indem 
Staat folche Dienfchen verabjcheute und züchtigte, machte 
alle’ Bürger weifer und beſſer“ ). Thukydi des fährt 
„Bei Privatrechtähändeln genießen Alle nach den ©ejeken 
gleiche Recht; in Bezug aber auf die Staatsämter wird 
nach dem guten Rufe, welchen er in irgend etwas 
hat; nicht nach einer Nangabitufung, fondern nad) | 
Tüchtigkeit ausgezeichnet. Und auch Fein Armer, der 
Staate Nuben bringen kann, wird Durch die Unfchein 
feiner äußern Lage davon abgehalten.” Iſokrates 
tert Dich zu folgender Diatribe: „Was aber damals für 
Hauptfächlichite Mittel zu einer glücklichen Staatsverfaſſ 
galt, war, daß man won den zwei verfchiedenen Arten 
Gleichheit, entweder Allen daſſelbe zu ertheilen, oder 
dad Geziemende, die befjere auszuwählen verftand. See 
Gleichheit, wo die Guten und die Schlechten gleichftchen, m 
warf man, als ungereht; man zog aber die andere vet 
welche Jeden nach Verdienft ehrt und ſtraft; und mit ihr mm 
waltete man den Staat, indem man die Aemter nicht un 
Alle verloofte, fondern die Beſten und Gefchickteften zu jem 
Geſchäft voranwählte. So, hofſte man alsdann, wire 
auch die andern Staatsbeamten werden. Dieſe Methode hich 
man felbjt fiir demofratifcher, als die durch's Loos. Dem 
beim Loofe entfcheidet der Zufall, und häufig Kommen fl 
Anhänger der Oligarchie an das Staatsruder; wählt ma 
aber die Paßlichſten, fo ftcht e8 dem Volke immer frei, di 
eifrigſten Freunde der beſtehenden Verfaſſung zu wählen.” 

Ein Plagiator iſt natürlich immer bemühet, durch Dr 


— — 





— 


1) Im Panathenailos (51.) erklärt Sokrates diefe alte Demokra 
für eine wahre Ariftofratie, während feine Beitgenoffen aus forgle 
Unwiffenheit Ariftofratie für gleichbedeutend mit Timokratie hielt 
Die Inkurgifche Verfaffung fol der athenifchen nachgebildet fein, in 
fondere die Gerufie dem Areopage: Ibid. 63. 


Iſokrates Areopagitikos. 519 


Okrates fucht feinen Vorgänger zu übertreffen; es ift daher 
Semein Ichrreih, dem Grunde feiner Abweichungen nachzu⸗ 
Ichen ). Die Anordnung des Stofſes bei Thukydides iſt 
w einfach: er ſpricht zuerſt von der Staatsverfaſſung der 
hener, dann von ihrem Kriegsweſen, endlich von der har⸗ 
weriichen Vielſeitigkeit ihres Lebend überhaupt, immer mit 
imderer Rückſicht auf Staat und Krieg. Auch Sokrates 
innt natürlich) mit der Demokratie (8.). Selbit eine 
Lechte Demokratie fcheint ihm beſſer, als Oligarchie. Er 
we freilich an die Volksherrſchaft ebenfo gebunden, wie heut⸗ 
Enge etwa ein Guizot an die conftitutionelle Verfaffung: exe 
ufte nicht den leifeften Zweifel an ihrer Vortrefflichkeit Aus 
en (29.). Dabei iſt es höchſt charakteriftifch für den Diege 
men und fophiftifchen Sinn des Iſokrates, daß er auch Bei 
m Lakedämoniern eigentlich eine Demokratie zu finden meint 
4) — Das achte Kapitel entfpriht 'Thucyd. II, 37. 
ww den Thatfachen aber, welche ſchon Thukydides erwähnt, 
md theils die näheren Detaild angegeben, theild die Folgen 
wickelt, Die der Hiftoriker dem Lefer überließ. Thukydi⸗ 
es 3.8. fagt: „Unfere Verfaffung trägt den Namen Volks⸗ 
zeihhaft, weil fie zum Beſten nicht der Minderzahl, fondern 
x Mehrzahl eingerichtet if.” Iſokrates: „Die Athener 
wichteten damals ihre Staatöverfaffung nicht fo, daß fie zwar 
u Namen nach Die gemeinnützigſte und mildeſte geweſen 
re, in der That aber ſich den Betheiligten ganz anders ge⸗ 
igt Hätte; auch erzogen fie die Bürger nicht auf die Art, 
iß fie Steaflofigkeit für Volksherrſchaft, Geſetzwidrigkeit fir 
reiheit, Nedefecchheit für Sleichheit, und die Macht, alles 


— — — — — 


3) Ich erinnere an den Uebermuth des Theopompos, welcher gera⸗ 
me ſagt, die früheren Hiſtoriker ſeien ungleich ſchlechter, als feine Zeit⸗ 
noſſen, felbft als die vom zweiten Range. Namentlidy in Bezug auf 
» Ktedbenz denn diefe Kunft habe feitbem die größten Kortfchritte ges 
icht (Theopomp. Fragm. 26. Eysson. Wich.). 


533 Erfte Beilage. 


tracht der Armen und Reichen fagt, find ofſenbar Lauter? 
tofchediagmata, zum Theil, um volkswirthſchaftliche Fi 
anzubringen. Die Armen follen ſich ebenfo fehr für den & 
fit der Reichen intereffirt Haben, wie für ihren eigenen; 
den’ Reichen foll es perfünlich unangenehm geweſen fein, 
geringften Bürger in Armuth zu ſehen. Etwas laienhe 
klingt e8, wenn die ehemals niedrigere Landrente einem grüße 
Wohlwollen der Gutsbeſitzer zugefchrieben wird (12.). Am eige 
thümlichften und beften zeigt fich Ifofrates in. Dem, was 


über die Erziehung der Jugend ſagt. Dieß war fein Yale 


aber den Triegerifchen und politifchen Geift des Thufgk 

vermiſſen wir auch bier. Seine ganze Schilderung fteht n 

in einem andern Gegenſatze mit Thukydides: mährend der Ki 
tere die perikleifchen Zeiten ausmalt, hat Iſokrates in der? 

riode des Solon und wiederum des Kleiſthenes die Blüthe 
feines Volkes entdeckt ). Ebenſo ift ed ungemein * 4 
ſtiſch, daß Iſokrates alle Reform von einer ſtrengern Auf 


des Areopags erwartet; dieſe Aufſicht hält er für den * 71 
grand des frühen Glückes Wenn ber Staat üben! wf 


Laufe der politifchen Entwicklung den übrigen Vereinen ve 
Bürger, der Yamilie, Corporation, Gemeinde, Provinz, im 
mer mehr Terrain abgewinnt, fie immer völliger beheridt: 
fo pflegt man inöbefondere, wo Die Sitte ausartet, von cine 
Immer grögern Thätigkeit der Polizei und Gefeßgebung Hilft 


zu fordern. In corruptissima republica plurimae leges ?)' 


ı) Im Panath. 59. heißt es fogar, die gute alte Verfaffung habe 


nicht weniger als taufend Jahre bis auf Peififtratos fortgedauert. 


2) Den Unterfchied zwifchen Lyſias und Iſokrates, was ihr 


Derföntichkeit betrifft, Tann ich hier freilich nicht ausführen. Nur: 
Eins möchte ich erinnern, weil eö unbekannter if. Nichts charakteriit J 
die beiden Redner mehr, ald ihre Büften, die im Museum Capitolinua J 


ſtehen. Lyſias hat einen kurzen, dicken Hals; Haar und Bart ſtach, 
hart und kurz gekräuſelt; eine Habichtsnaſe; alle Einſchnitte des Pro— 
fils, unter dem Munde, der Naſe und Stirn, tief und hart; das Aug 


Sokrates Areopagitikos. 921 


derung der Worte, Umstellung Im Einzelnen, tweitere Aus⸗ 
Brung u. ſ. w. feine Gedankenarmuth zu verſtecken. — Was 
® abgedankte Offizier Thukydides Kap. 39. von Kriegswe⸗ 
3 Beibringt, hält der gelehrte Profeſſor Sfokrates für nicht der 
Fühe werth. Thucyd. 40. über die Verbindung des Oef— 
sıtlichen und Häuölichen erweitert ex zu einer Charakteriſtik 
x ehemaligen Aeinterverwaltung (9... So wie ihn aber 
tzukydides im Stiche laßt, fo verſchwindet gleich der hiſtori⸗ 
Se Boden unter feinen Füßen. Er räfonnirt in's Blaue 
mein, Indem ex bloß das Thema, damals fei es beſſer ge= 
eſen, variirt. Oder gar Fehler macht: 3. B. daß fich da= 
als, weil man die Aemter ohne Eigennutz verfehen uud fie 
sehr als eine Laft, denn als einen Vortheil betrachtet, Kei⸗ 
pr recht dazu hätte hergeben wollen (vgl. Idem Panath. 58.). 
an der ſyſtematiſchen Vollſtändigkeit willen fügt Iſokrates 
em Kapitel von der Verfafjung noch die Lehre von der Vers 
gitvortlichkeit der Beamten Hinzu, ſtark idealifirt natürlich 
3.) — Dom Staate geht er alsdann zu dem fonftigen Les 
wen der Athener über, exit zu ihrem Werhältniffe mit den 
Böttern, dann zu ihrem Verhältniſſe unter einander, endlich 
3 ihrer Erziehungsweiſe. Die Religion Hatte Thukydides 
an; unerwähnt gelaſſen. Höchſtens gebenft ex beiläufig der 
Ipfer und Kampffpiele (38.); indeß nur in fofern, als fie 
un Bürgern zur Erholung dienen. Iſokrates lebt in einer 
Kammern Zeit. Das elfte Kapitel handelt ausfchlieglich von 
Religionsfachen: daß die alten Athener, nicht etwa, wenn es 
hnen einfiel, dreihundert Rinder zugleich geopfert, und ein 
inderes Mal das Opfer ganz verfäumt hätten, fondern daß 
ie fromm und regelmäßig ihrer Pflicht eingedent waren. Ue⸗ 
rigens geht bei dieſer Gelegenheit das vhetorifche Roß dem 
Iſokrates wenigſtens infofern duch, als er anführt, wie für 
a8 Alterthum charakteriſtiſch, daß damals Land beſtellt, und 
dorn darauf gewachfen wäre. — Was er min weiter, als 
jommentar der letzten Hälfte von Thucyd. 38, über die Ein 















524 Erſte Beilage. 


tochthonie begegnen wir dem platoniſchen Beweiſe aus ı 
Einheimiſchſein Der Früchte In Attika. Selbſt das % 
mit der Mutter und Amme iſt aus dem Menexenos $ 
übergenommen (p. 1390.). Dem Iſokrates entlehnt Den 
fihenes feine Vergleichung der Perferkriege mit dem troiſch 
(p. 1392.). — Die ganze Vorzeit ift hier auf den au 
Raum einer Einleitung zufammengebrängt; ſtreng nad ci 
rischen Regeln. Der Berfaffer betrachtet die Mythenperiode ni 
eben als ungewiſſer; er fagt nur, Die fpäteren Ereigniſſe fer 
als näher liegend von den Boeten noch nicht fo verherrlicht work 
(p. 1391.) Alfo wieder ganz, wie Platon. Für den Anlaf de 
ift es ſehr pafjend, wenn er hervorhebt, daß die Athener audi 
mythiſcher Zeit immer nur Defenſivkriege geführt Haben. —V 
er auf die Gefallenen felbit übergeht, da fpricht er allerdin 
mit hinreißender Schönheit; fo 3. B. wer im Kampf fie, 
der werde nicht beſiegt. Auch mit Wehmuth über die Lg 
des Vaterlandes, indem die Einen die Gefahr werfen, 
die Andern falſch wären (p. 1394.). Aber Ale i 
doch viel allgemeiner, als bei Thukydides, könnte ebenſo pıt 
Bei jeder andern Niederlage von den Gefallenen ausgeſagt 
werden. Denn der Umftand, dag die Schlacht von Chären 
eine Niederlage war, färbt die Nede allerdingd ganz eig 
thümlich. Eine ſtark rhetoriſche Zumuthung an den Kim 
fheint e3 gewefen zu fein, dag PHilippos mit Athen Friede 
gefchlofjen habe, weil er eingefehen, daß die Entſcheidunz 
von Chäronea nur dem Glü zu verdanken, ud eine zweir 
Brobe für ihn felbft zu fürchten fei (p. 1395.). Durch dm 
Tod der Helden, meint Demofthenes, fei der Staat geworden, 
wie die Welt, wenn ihr das Licht genommen wäre. Du 
erinnert einigermaßen an den wahren Epitaphios des Perifle, 
— In Dligachien werde der Bürger nur durch Furcht un 
Gehorſam, in Demokratien aber durdy Ehrgefühl in dm 
Kampf getrieben (p. 1396.). Um feinen Gegenftand etw 


— 
— 


Demoſthenes Epitaphios. 325 


m au behandeln, Kringt der Redner vie mythiſche Partie 
En nur kurz an; am Ende aber fagt er, jeder Sefallene 
Pau durch die Specialmythen feines Stammes begeiftert: 
ie Grechthiden durch dad Opfer des Erechtheus u. ſ. w. 
K 1397 8qq.). Ber Schluß wiederum iſt ganz flerentyp: 
 Sefallenen werden felig gepriefen, vie Hinterbliebenen ges 
Wet ; zuletzt ſoll Jeder nach Haufe gehen. Ä 

’ 


Zweite Beilage. 


Ueber Zeitalter, Verfaſſer und Gelegenheit . 
angeblich zenopbontifchen Schrift vom St 
der Athener '). 

Aug. Fuchs Quaestiones de libris Xenopho 
de republica Lacedaemoniorum et de republica Ath 
ensium. Lips. 1838. 107 Seiten in 8. 

Die vorliegende Schrift ift freilich weder ganz neu, noch 
Umfang oder Inhalt gerade vorzugsweiſe bedeutend. 
ich ihre Anzeige gleichwohl übernommen Habe, fo mar d 
Wichtigkeit des Gegenstandes, die mich beſtimmte. Es 
delt fich Hier zumächft um die angeblich zenophontifä 
Schrift vom Staate der Athener, eine der anzie 
ften und geiftwollften Reliquien des ganzen Alterthums ; 
Schrift zugleih, deren Zweck und Verfaffer in tiefes Duntl 
gehüllt, von den wunderbarften Kritiken Hin und ber gegogl 
find, und die chen deßhalb für das Gefammtgebiet der phile 
Ingifchen Wiffenfchaft ihre befruchtende Kraft noch gar mel 
Hat äußern können. Unfere Philologen haben das Buch nid 
recht anzufaffen gewußt. Vielleicht gelingt es mir, jen 
Dunkel mittelft neuer Gründe aufzuklären; wielleicht au 
was mir noch mehr am Herzen liegt, zu der eigentlichen 2 
nußung diefer merkwürdigen Schrift den Weg zu zeigen. 


1) Diefer Aufſatz ift in NE 42 ff. der Göttingifchen gelehrten I 
zeigen von 1841 als Recenſion erfchienen. 


Demoſthenes Epitaphios. 525 


2 zu behandeln, Bringt der Redner die mythifche Partie 
en nur kurz anz am Ende aber fagt er, jeder Gefallene 
auch Durch die Specialmythen feines Stammes begeiftert: 
Me Erechthiden durch das Opfer des Erechtheus u. f. w. 
„ 1397 sqq.). Der Schluß wiederum iſt ganz ſtereotyp: 

E Gefallenen werden felig gepriefen, die Ginterblicbenen ge⸗ 
bftet ; zuletzt ſoll Jeder nach Haufe gehen. 


528 Zweite Beilage. 


ftelfen enthalten ganz im Allgemeinen nur Verachtung da 
naufifhen VBolliverfammlung, Grimm über die Unterdrüt 
der Optimaten, über den Ungehorfam ded Demos gegen 
Obrigkeit, über die Progepfucht und Beftechlichkeit der Rit 
kurz, lauter Dinge, die freilich einen Dligarcchen, und. 
der nachperikleifchen Zeit, verrathen, woraus man aber 
ſo gut auf Platon oder Andokides ſchließen Tünnte, 
wollte felbft im Iſokrates völlig ebenfo viele Analogien 
den. Gerade Zenophon tft fo leicht wieder zu erkemen: 
einfache Ideenkreis, in dem er fich immer beivegt, feine h 
eigenthümlichen Anfichten über Kindererziehung, Voller 
ſchaft, Kriegskunſt treten allenthalben fo unverhüllt w 
auf. Und von dergleichen Seen keine Spur in unferm Bi 
Daß bier Übrigens die Metöken eine andere Rolle. fpielen, 
in der Schrift nepl nooow, will ich nicht urgiren. Iſt 
diefe Finanzwiſſenſchaft des Xenophon ſelbſt nicht ganz zw 
108. . Defto bedeutender ift eine andere Verſchiedenheit: 
Urtheil nämlich, welches in der Republik über die Friedli 
der Landbefiter gefällt wird (II, 14.), ſteht in Directem 
derfpruche mit einer Grundanſicht des Kenophon, der 2 
bau und Kriegätugend immer zufammen glaubt. Bag. ı 
Oeconem. VI, 6 ff. 

Daß die Republik nicht von Zenophon Herrüf 
könne, dafür nur Einen, bisher noch nirgends urgi 
aber, wie ich Hoffe, unmiderleglichen Beweisgrund. Im 
fange des zweiten Kapitelö redet der Verfaffer von der Ki 
macht der Athene. Ihre Landtruppen freilich feien 
ſchwach, aber das fchade nichts, fei ihre Seemacht dod 
fo viel ſtärker. Und eine Seemacht habe mancherlei Bor 
Unter andern kann die Flotte, fo weit von der Heime 
irgend will, den Keind angreifen; „einem Landheere ab 
es unmöglich, viele Tagereifen von Haus zu marfchiren. | 
die Märſche find langſam, und Lebensmittel auf lange 
mitzunehmen, ift bei einem Landzuge nicht möglich, Um 


Pfeubo = Xenophon vom Staate der Athener. 529 


Bande zieht, muß duch Freundes Land ziehen, oder vor⸗ 
us Kämpfen und fliegen“ u. ſ. w. (II, 15. vgl. Thucyd. 1, 
w IV, 78.). Und das hätte Xenophon gefchrieben? derfelbe 
Sun, der mit Kyros bis nach Kunaxa vorgedrungen war; 
wi feine Zehntaufend vom Herzen Afiens her durch die unbe 
mestteiten Länder, die feindfeligften und treulofeften Barba⸗ 
Muedlker glücklich nach Haufe geführt; der den Agefilaos auf 
Üben kühnen Eilmärfchen vom Hellespont bis nach Koronea 
leitet Hatte? Nimmermehr. Sch gehe noch weiter. Das 
Ben überhaupt nicht gefchrieben fein vor dem makedonifchen 
Möge des Braſidas. Seit dem Perſerkriege, das ift unläug- 
ww, geht die Enticheidung aller politifchen Händel auf dem 
exe vor fih. Aller Kampf drehet fih um die Inſeln und 
Miken des ägeifchen Meeres. Sparta bleibt zurück, weil e8 
wien Zeitgeifte nicht huldigen kann. Da fpielt der Landkrieg 
un. allerdirigs eine untergeordnete Rolle. Die verunglückte 
Bepedition der Lakedämonier gegen Naupaktos, die in's Jahr 
BE fällt, mag unferm Verfaſſer zunächft vor der Seele ftehen 
wl. Thuc. III, 100 fj.). Noch der peloponnefifche Krieg 
Urd durch eine Seefchlacht entjchieden. Aber unmittelbar nach⸗ 
we wendet fich das Verhältniß. Von dem Frieden des Ly- 
midros an bis tief in die makedoniſche Zeit herein beruhen 
We großen Erfolge auf der Landmacht. Dem Enidifchen See 
Bge folgt der Frieden des Antalkidas: nicht bei Naros, fons 
wen bei Leuktra wird die Landmacht Lakedämons gebrochen. 
Bud ſchon durch Brafidas Unternehmung, ich wiederhole es, 
Biren jene Worte unſers Pfeuto-Kenophon zu Schanden geworden. 
Sch gehe zur Bekämpfung der Böckh'ſchen Gründe über: ein 
Itterfangen, wozu der vortreffliche Mann ja ſelbſt ermuntert hat. 
= A. Unfere Schrift fpricht von der Seeherrſchaft der 
lchener, als etwas noch Vorhandenem, völlig Unbeſtrittenem. 
Dex letztere Umſtand aber wurde ſchon duch die Niederlage in 
Bleilien aufgehoben; die ganze Seeherrſchaft endlich Durch Ly⸗ 
edres Eiege umgeftürzt. Die Abfaſſung folglih muß früher 
34 


530 Zweite Beilnge. 


fein, als 413, jedenfalls früher, ala 405. — Se 
größtentheils ſchon J. ©. Schneider argumentirt 

auh Manfo Sparta Th. 2. ©. 496.) Hiergegen a 
Böckh, Die Seeherrfchaft der Athener fei Durch den knid 
nachmald den narlifchen Sieg von Neuem befeftigt m 
Nun Handelt aber die Republit von der athenifchen Buı 
herrſchaft, mit Einfchluß fogar des Gerichtsba 
über die Bundesgenoffen (I, 16 fſ.). Da meint dem i 
vielleicht fei auch der Gerichtsbann damals wieder eing 
worden. Allein ich zweifle fehr an dieſem wielleicht; ; 
ſehr, daß die kümmerliche Nachblüthe der athenifchen Bı 
herefchaft jemals wieder zu dem Aeußerſten — denn d 
der Gerichtsbann — habe führen fünnen. Zwiſchen der 
fhen Schlacht und dem Frieden des Antalkidas gewiß 

das beweiſt die Friedensrede des Andokides (p. 138. B 
Hiernach Hatten die Athener Lemnod, Imbros und € 
damals ſchon wieder gewonnen; von der Cherfonnes hin, 
von den Apoikien, den Eyxrnuare und zoca (Grundbefli 
Leipkapitalien im Audlande) fagt Andokides, fie Fünnte 
nur mit Hülfe des Großherrn und der übrigen Bundes 
fen erlangen, die aber wollten es nicht. Iſokrates ſchrei 
gar die Scecherrfchaft nach der Schlacht bei Knidos nid 
Athenern, fondern dem Grofheren zu ; der Großherr habe K 
erobert (Paneg. p. 80. Tauchn. Die platäifche Rede 
17, ſpricht nicht dagegen). Auch von den Chiern era 
an, daß fie Durch ihren Zutritt jeder von beiden Pe 
beliebig hätten das Uebergewicht verfchaffen können (P. 
p- 85.). Da wird an Gerichtäbann fchwerlich zu denken 
Vielleicht aber im Laufe des narischen Krieges? Ya 
zeugt der Panathenaikos des Iſokrates. Der gooos, 
xgiosıs erwähnt diefe Rede nur in der eigentlichen Hegen 
zeit, wo auch die Melier und Skionder vorkommen (c. 
Bei dem apologetifchen Zwecke der Rede Hätte aber Se 
viel Teichter in der frühern Zeit etwas den Athenern Nad 


Pſeudo⸗Xenophon vom Staate der Athener. 551 


m verſchweigen können, als in der füngiten, allgemein noch 
erlichen. Andere Mebelthaten werden aus der lebten Be 
Be genug angeführt (38.). Auch ift es nicht ohne Bedeu⸗ 
RW, daß die Bundestribute in der Republik immer noch 
os heißen, nicht ewrafsis, wie ed die Milde der fpätern 
Ielomatie verlangte (Areop. 1. Harpoer. p. 279.). Die 
chereinführung der Kleruchien ift zwar aus Diodor bekannt 
—* in Timarch. 23.). Aber Kleruchien find Teich 
tragen, als Gerichtobann. Wie, wenn zu jenen das 
BE nur die conflöchtten Güter einzelner Verbrecher mären 
Mancht worden)? — Es ift Sammerfchade, daß ſich die 
von Sokrates Äginetifcher Rede nicht genau beſtimmen 
Die ſe Rebe fit unzweifelhaft, und zwar in einem be 
Binden Prozeſſe, nicht zu Athen gehalten. Es wird die 
Beberung von Paros darin ermähnt (9), möglicherweiſe dies 
BR, die in Platon's Menexenos vorfommt (Vol. IV.p. 197. 
Imchn.). Alfo jedenfalls nach der knidiſchen Seeſchlacht, viel⸗ 
Bit ſogar nach der naxiſchen. Sch bemerke noch, daß unſer 
ido⸗ Xenophon das Aufkommen einer andern Seemacht ges 
Mer ſcheint für unmöglich zu halten (II, 11 fſ.). Ein ſtar⸗ 
BBaneis für die frühere Hegemonie! 
Er: B. Die Republik fagt ferner (II, 18.): „Im der Kos 
Ndie geben die Athener nicht zu, daß der Demos verfpottet 
Nde; die d2 xersvovow, & zig zıva Bovisrau" x. 1. 1. In 
— ** Rittern, wie bekannt, erſcheiut der Demos als 
Mon auf der Bühne. Schneider hatte Hieraus geſchloſſen, 
unfer Buch vor DI. 88, 4, müſſe gefchrieben fein. Ich 
hinzu, daß der Berfaffer, ſelbſt ein Athener, feiner 
Beyen antivemokratifchen Richtung nach, die Ritter durchaus 
iR Vergnügen feben mußte, um fo weniger folglich igneriren 
.—  Hiergegen erinnert nun Boch, Daß ſchon die 
arner, ja die Babylonier des Ariftophanes (Ach. 502:- 
— — 


i .4) Die Stelle Isocr. De pace 11. kann für und gegen Böckh 
tet werben. Wer find die dort erwähnten ouvedgo: ! 


34 * 


553 J Zweite Beilage. 


eum schol.) den Staat komodirt hätten. Allein 
Staate ſpricht ja die Republik gar nicht, ſondern vom 
mod. Man wird ſich die politiſche Freiheit der alten K 
die:.am lebendigſten vergegenwärtigen, wenn man fi 
heutigen Sournaliftit vergleiht. Da iſt es deu 
was himmelweit Verſchiedenes, den ganzen Staat 
greifen, und den Souverän felbit, unverhüllt, in e 
Berfon auf's Theater zu bringen. Die Erfcheinung dei 
mos in den Nittern mußte unerhörtes Aufſehen m 
Kannte der Verfaffer die Ritter, fo durfte er nimmer 
fo fchreiben, ohne als Lügner offenbar zu werden. — 
das wenige Vofitive, das und von der Gefchichte der atti 
Xheatercenfur aufbewahrt worden, ſtimmt vortrefflich mit | 
Zeitangabe überein. Im Jahre 440 wurde unter Mord 
die Berfpottung beſtimmter Perfonen abgefchafft: zwei J 
fpäter jedoch von Neuem geftattet (Schol. Ach. 67.). 
erfolgte das Geſetz des reichen Kalliad, zov “pyorza um 
veoug xoumdery (Schol. Nub. 31.) Während des fin 
ſiſchen Feldzuges wird ein Verbot erwähnt, um zum 
oüg Enedvuuv» (Schol. Av. 1298: von Droyſen bein 
U auf die Verbannung des Alkibiades Bezogen). En 
das berühmte Geſetz des Antimachos. Alſo zwiſchen 438 
424 völlige Freiheit der Perſonalangriſſe, wie fie unfere 
publit vorausfeßt. Und in diefe Zeit gerade verlege ih 
Abfaffung. — Ein beftimmted Verbot, den Demos zii 
höhnen, finde ich zwar nirgends erwähnt. Aber auch die! 
publik fpricht nicht davon: oöx Eur, heißt e8 blog. 9 
in der Türkei giebt es ſchwerlich ein pofitives Geſetz, wei 
die Verfpottung des Padiſchah unterfagte, 

C. Die Höchft eigenthümliche Schilderung, welche m 
Republik von der militärifhen Lage der Athenert 
wirft, kann durchaus nur auf die Zeiten vor der Mitte 
reloponnefifchen Krieges paſſen. Die Athener, Kern 
See, überall mit ihrer Flotte die Küften der Feinde Beam 


Pſeudo⸗ Zenophon vom Staate ver Athener. 535 


We. Am ſchlimmſten da, wo fie ein feftes Kap, oder eine nah vor⸗ 
jhende Inſei als Haltpunkt benutzen fünnen (Plato De legg. IV, 
B06.). Sie ſelbſt Hingegen in ihrer Hauptſtadt unangreifbar. Das 
nidgebiet freilich mit feinen ariftokratifchen Intereſſen bleibt den 
waſionen feindlicher Heere bloßgeſtellt; aber ihre Hahe Küns 
pe fie. Leicht auf Inſeln ‚Hinüberflüchten (vergl. Thucyd. H, 
5). Bollendet würde dieſe Kriegämanier fein, wenn Attifg 
BR eine Inſel wäre (IL, 1 fi. 11 fſ.). Schon. Delbrück 
we.ed aufgefallen,. daß die bier: gefchilderten. Zuftäude mit 
Be Anfange des peloponnefifchen Krieges vollkommen überein⸗ 
Beamten (Xenophon ©. 144.). Die erſte Beriklea: des Thu⸗ 
Biss läuft ‚beinahe wörtlich parallel. Böckh kann auch 
Wi. weiter dagegen einwenden, als die Möglichkeit einer 
hen Rückerinnerung. Allein unfer Verfaſſer zeigt ſich durch⸗ 
M.ald einen genial praktifchen Kopf; ein folches Zurückträu⸗ 
in die Vergangenheit ift bei ihm geradezu undenfbar, - , 
> D. Ein Baar Negativbemweife werden zu demſelhen 
efultate führen. Sn II, 12 fg. wird die Gefahr erörtert; 
che dem. athenifchen Staate von Seiten der Atimen drohe, 
Ätte der Verfaſſer nach der Anarchie geſchrieben, er würde 
herlich erwähnt Haben, dag mährend der Belagerung, auf 
atrokleides Vorſchlag alle Ehrlofen wieder ehrlich wurden 
Andoc. de myst. p. 105. Bekker. Xenoph. Hell. II,2, 
I — An einer andern Stelle heißt es, wenn. man ;die 
Bein wolle in den Rath aufnehmen, fo werde gar bald bie 
zolksherrſchaft geftürzt werden (I, 6 fſ.). Die Revolution 
m 411 bot hier dad pafjendite Beifpiel dar. ihre Nichters 
ähnung fcheint daher auf. eine frühere Abfaſſung Des Buches 
nzudeuten. — Endlich würde e8 der Verfaſſer bei feinen 
immigen Demagogenhaffe ſchwerlich unbenugt laſſen, daß 
e Volksredner gleich nach Kleon's Tode größtentheild Aus⸗ 
der waren. Diefer Umftand. muß ihm alfo der. Zeit nach 
tzugänglich geweſen fein. 
E. Es ſind ſchließlich noch einige Cinwendungen zu be⸗ 


534 Zweite Beilage. 


ſeitigen. Daß in Athen die Stlaven fo auffallen ı 
behandelt werden mußten, erflärt der Verfaſſer ald eine | 
tung der Demokratie Weil der gemeine Bürger uf 
dem Selaven nahe fteht, fo kann er Mißhandlungen deſe 
nicht gern fehen (I, 10 fſ.). Wie, fragt nun Böckh, f 
ein gleichzeitiger Schriftjtellee den wahren Grund dieſes ( 
tzes ſchon wergeiien haben? Der Schallaft nämlich zu 
Wollen V. 7. erzählt uns, weil die Sklaven damals jo | 
fig zu den Lakedämoniern defertivt wären, habe man verbal 
fie mit Schlägen zu mißhandeln. — Hier fcheint der gı 
Gelehrte durch feine Gelehrſamkeit felbft irre geführt zu f 
ben. Jenes Verbot mag wirklich erlajjen ſeyn: die Nm 
führt den tiefer liegenden Grund au. Jeder Staat nänl 
wenn er feine wirtbfchaftlih und politifc hoc 
Entwicklungsſtufen erreicht Hat, fucht den Sklavenſiand 
emaneipiren, Bei den neueren Völkern iſt dieß Beſtreben 1 
lich Durchgedrungen. Bel den Athenern hat es wenigſtns 
Lage der Sklaven weſeuntlich gemildert; in Lakedämon 
Kriegsdienſte der Heloten eingeführt und ihre Freilaſſu 
häufiger gemacht, wenn auch Paufaniad Verſuch, auf die 
Inten geftügt, eine Tyrannei zu gründen, ſchmählich mißli 
mußte. Selbft in Rom nimmt die Zahl und Bebeunhm 
Sreigelaffenen mit dem Steigen der Demokratie fortwäl 
zu; e8 werben Rangſtufen der Sklaverei erfchaffen,, die ar 
ſchon eine bedeutende Erleichterung vorausſetzen; werben 9 
lien geftattet 2c. (vgl. Demosth. Phil. 3, p. All. 
stot. Polit. V, 11. und VI, 4.). Auch fanden die 
nischen Sklaven ſchon lange vor dem peloponnefifchen $ 
einen Zufluchtsort in Megara (Thueyd. I, 139.). 
Es ift ferner die Klage des Iſokrates bekannt, dal 
den Kriegsfchiffen feiner Zeit Bürger dad Ruder, F 
linge die Waffen führten: in früherer Zeit fei der umg 
Fall geweſen De pace 16.). Doch waren fchon im pel 
neftfchen Kriege die Ruderer der Paralos ohne Aus 


Pſeudo⸗ Zenophon vom Staate ver Athener. 555 


(Thucyd. VIII,73.). Nun fol aber unfere Republik, 
der Meinung von Wuchs, die Bürger ſelbſt ala 
[Hilden (I, 19 fſ.). Bei näherer Befichtigung 
en fagt Die Stelle weiter nichts, ald daß die Athener und 
Dre oixdras auf ihren vielen Seereifen den Seedienft ler⸗ 
ww Durch die Erfahrung werden fie alsdann gute Steuer 
inner; oi de moAloi &Aavvew eudeng olol ze x. z. 4. Hier 
28 Doch wirklich nicht gezwungen, wenn man das Lebtere 
wiptfächlich auf die vixerus, das Erſtere auf die Athener felbft 
teht. — Ich füge noch Hinzu, daß bei unferem Autor (III, 
' Die Trieracchen im Voraus ernannt werden. Dieß ift aber 
e Einrichtung der Altern Periode, unter Themiſtokles (P o- 
men. Str. I, 30, 5) und Beritleö (Thucyd. Il, 24.), 
Eche wenigftend.zur Zeit von Demofthenes erfter Philippika 
Ht mehr eriftitte. 
Gleich Im Anfange heißt es won den Athenern: eilorzo 
. nv Önnospariav. Wuchs deutet dich fo, als wen den 
henern zwifchen mehreren Verfaffungsformen die Wahl vor 
gen hätte, und erinnert darauf an die Reftauration durch 
zraſybulos. Sch kann Herrn F. noch weitere Hülfsmittel 
Kieten- Gr hätte z. B. Dion. de Lysia anführen können, 
Bach Lyſias feine Rede zur Aufrechthaltung der Alten Ber 
fung für einen Hochgejtellten Mann ausarbeitete, als Phor⸗ 
iſios, auch Einer von den Peiräenömännen, im Auftrage 
e Lakedämonier vorfchlug, nur den Zandbefigern Antheil 
3 Negimente zu geben. Allein liegt das in eirovro? Da 
ante man doch cher aigsiodaı = fih nehmen überfeken, 
d Damit auf das den Ariſtokraten Ubgedrungene der atheni- 
en Demokratie beziehen. — Fuchs iſt genöthigt, weil 
8 Buch doch einmal von Zenophon foll verfaßt fein, es in 
: Zeiten nach der Schlacht bei Naxos zu verfegen. Gr em⸗ 
chlt Hier das Jahr 371. Weßwegen? Weil es II, 17. 
St, demokratifche Staaten fein von Natur geneigter, den 
erträgen und Bündniſſen untren zu werden. Kenophon foll 














3R6 Dritte Bellage. 


au der Spitze, ſuchen ein anderweitiges Aſyl zur Gefeftigen, | 
den Fall, daß fie auch Hier keine Aufnahme fänden. 
nit den Enkelinnen fit won fern. Alle Hoffen als lee: 
tung anf die Söhne des Theſeus, welche in Attila die Ag 
rung führen. — Aber auch Hier verfolgt fie der Abg 
ihres unerbittlichen Feindes. Kopreus tritt auf, um-fen 
Gewalt vom Altave des Zend heimzuführen. Nach der ge 
euripideifcher Helden entſpinnt fich auf der Stelle zwiſchen 

und Jolaos ein Wortgefecht, das eben in Thätlichkeiten ı 
zuarten beoht, als der Chor, ans athenifchen Bürgern ba 
hend, darüber zukommt. Alle Gewalttbat muß jeht a 
ren, 'eine geregelte Debatte tritt an die Stelle. Nammil 
als der Landesherr Demophon erfcheintz denn am bieen 
pellirt der Herold, da er die Bürger nicht gewinnen 1 
Das Hauptargument des Koprens geht Immer dahin, die Ih, 
rakliden feten die Unterthanen des Euryſtheus, er alſo vl 
in feinem Rechte. Die Athener gehe der ganze Handel # 
am (VB. 110,). Wenn fie wirklich, wie fie vorgäben, na 
bleiben wollten, jo müßten fie ihn ruhig das Geine una 
lafien. | 

ß Äog under’ Wia Tan” Ewmv are Eu. (V. 176) A 

Wäre ja eine Schuld dakei, fo fiele fie ihm zu (256.). Bau, 

die Athener jetzt den aufrühreriſchen Herakliden Schub gewchh 

ven, fo wird gar bald jeder Mifjethäter ihr Gebiet aufuha, 

(260.). Nebeuher weiſet er auf die große Macht des Cut 
ſtheus Hin, mit der fich Keiner ungeſtraft werfeinden Fam; 
und gegen welche die armſelige Hülfe der Herakliden waiz 

fügen werde (58 fi. 156 fi.). Die haben auch die aueh, 
griechifchen Staaten vollkommen eingefehen, und deßhalb Ma 
Flüchtling nicht Bei fich geduldet (145 ff.). — Joelaes Wi 
gegen läugnet vor Allem, daß die Seinen noch Argeier FR: ſ 
Argos Habe fie verfagt, alſo jett kein Recht mehr af RK 
(186 ff.), und es ſei durchaus Kein Gefeß, daß, wer Arad 
meide, darum fofort auch ganz Hella meiden müſſe. Fl 


Pſeudo⸗ Zenophon vom Staate der Athener. 837 


ıbleiten zu wollen, würde bevenklich fein. Bei dem un⸗ 
5 Lünftlichen und berechnenden Thukydides aber thue ich 
ne Bedenken. Hiernach würde die Republik fpäter fein 
30. — Sie ift aber auch fpäter ald 427. Denn & 
ıen darin Erpeditinnen der Athener. vor nach Lydien, Ky⸗ 
Aegypten, Bontos, Italien, dem Peloponnes und Sis 
en Al, 9). De afte ſieiliſche. Zug aber fällt in's 
427. 
In IH, 5. wird unter den Geſchäften der Volksverſamm— 
auch die alle vier Jahre wiederkehrende Umlegung 
pooo. erwähnt. Nun ſcheint aber bis auf den Ausbruch 
yeloponnefifchen Krieges das alte SKatafter des Arifteides 
änderlich feſt gehalten zu fein. Die Erhöhung von 460 
00 Talente (Plut. Arist. 24. Thucyd. Il, 13.) weiß 
) vortrefflich daraus zu erklären , daß neue Bundeie 
ten hinzugetreten, . alte Bundeögenoffen gegen ein Ablij⸗ 
jgeld ihrer Dienftpflicht entbunden fein. Bor dem’ nikir 
Frieden aber muß eine neue Umlegung erfolgt fein,. denn 
x Friedensacte felbft werden die Tribute auf dem alten 
e garantirt, Nach dem Frieden, der in diefem Stücke 
niemals vecht vollzogen tft, erheben die Athener über 
Talente jährlich (Audoc. de pace p.137. Arsch. de 
p- 337.). Man jchreibt dieſe Ummandlung inögemein 
Alkibiades zu (vgl. z. B. Andoc. adv. Aleib. p.149.). 
Rhodos und Samothrake ſcheint ihm Antiphon opponirt 
aben (Böckh a. a. O. S. 444.). Gleichwohl iſt es 
ſcheinlich, daß der 415 ſtatt aller Bundestribute einge⸗ 
e Hafenzoll bis zum Ausgange des Krieges unveränderlich 
edauert GBöckh 1. S. 430 fſ.). Es künnen alſo in ver 
en Hegemoniezeit der Athener ſolche Kataſtrirungen nur 
hen Pexikles Tode und den Jahre 415 vorgenommen 
Plutarch verſichert ausdrücklich, daß die Demagogen 
Perikles den Tribut ganz allmählig auf ſeine ſpätere 
geſteigert haben (Arist. 24.). 














558 Zweite Beilage. 


Zwiſchen 427 alfo und 425 ift die Abfafin 
unferer Schrift zu ſetzen. Eine noch fchärfere Bella 
mung werde ich tiefer unten verfuchen. - Vorläufig ein ek 
über den Anhalt und Werth des Buches. Unſere Phildk 
gen haben hierüber die drolligiten Irrthümer aufgebracht, sk 
fo oft, wo politifche Dinge in Frage kommen. Ri 
einmal darüber find fie einig, ob das Ganze im Emil ne 
ironiſch, für oder gegen die athenifche Verfaſſung geſchif 
ben iſt ı). | 

Ueber den unmittelbaren. Zmwec des Buches ala 
sh mir zum Schluffe noch eine Vermuthung aufzuftelln. A 
Verfaſſer ift augenscheinlich ein Athene. Er fpricht zu milk: 
derholten Malen vom athenifchen Volke in der erften Pa: 
des Plurals (I, 12.) Daß er in der Verbannmg geldyie 
möchte ich aus den Wörtchen aurods, welches er von All 
gebraucht, noch keinesweges fchließen. Jedenfalls ift das dmg 
ein Sendfchreiben an einen auswärtigen Freund, der übt WR 
Verfaſſung des atheniichen Staates aufgeklärt werden fih ik 
Aus 1, 11. vermuthe ich einen lakedämoniſchen Diploma 
Eine Publication in Athen würde den Verfaſſer ſchlecht be 
kommen fein. — Sch mache nun folgende Combination. & f 
viel ift gewiß, ziwifchen 427 und 425, wie wir fahen, RW 
Schrift erfchlenen. Im Frühlinge des Jahres 425 war M 
Beſetzung von Pylos erfolgt. Etwa im Junius ſuchte dw 
lakedämoniſche Geſandtſchaft zu Athen ſelbſt vergeblih m 
Frieden nad. Unmittelbar darauf die treulofe Verhöhnum 
des Waffenftillftandes. Zum Theil alfo Begebenheiten, wie 
ich oben gezeigt babe, auf die unſer Schriftchen anzufpiem 
ſcheint. An den Lenäen deſſelben Jahres find die Ritter da 
Ariſtophanes gegeben. Zwiſchen diefe Zeitpunkte würde die 
Abfaſſung des Sendſchreibens zu ſetzen ſein. Sn feiner Ver 
zweiflung über die Noth der in Sphakteria Klofirten Spatir 





1) Hierauf folgt in der Necenfion, was ich oben S. 248 fi. in 
Buche mitgetheilt habe. 


Pſeudo⸗ Zenophon vom Staate der Athener. 559 


über die treulofe Wegführung der peloponnefifchen Flotte 
yte der lakedämoniſche Staatsmann feinen Gaftfreund ges 
t Haben, ob denn gar nicht auf eine oligarchifche Revolu⸗ 
in Athen felbft zu hoffen fe. Die Verfaſſung fei doch 
chlecht, die Atimen doch natürlich zum Aufruhre geneigt 
+ 1, ſin.). Wie fehr man zu Sparta in den politifchen 
ein die theoretifche Schlechtigkeit ber athenifchen Verfafjung 
eine ausgemachte Sache hielt, Ternen wir aus Thucyd. 

839. Diefe eiteln Hoffnungen fucht daB Sendfchreißen 
zu enttäufchen. Daß die Spartaner fehon vor dem ſyra⸗ 
chen Feldzuge mit den Oligarchen in Verbindung ftanden, 
eiit Thucyd. VI, 11. Die Gefandichaft nach Athen war 
geeignetes Mittel, frühere Sympathien (Thucyd. I, 107.) 
dee anzufachen. Unſere Schrift ift offenbar ohne Anfang 
ohne Schluß. Vielleicht fchämte man fich fpäter dieſer 
werrätherifchen Correſpondenz, ohne gleichwohl die vor⸗ 
liche Mitte des Schreibens opfern zu wollen. Daß die 
errefte gerade unter Xenophon's Werke geriethen, iſt Leicht 
Das Buch von der lakedämoniſchen Staatsver⸗ 
fung dem Zenophon zu vindiciren, ift Hm. F. viel beſ⸗ 
gelungen. Ich hatte niemals an der Echtheit gezweifelt. 
e kommen die eigenthümlichten Ideen des Kenophon wieder 
ı VBorfehein: über Mädchenerziehung (Oecon. VII. X.), 
e Knabenliebe (Conv. VIII), militäriſche Wettübungen 
r. Discipl. Tl, 1, 22. VII, 1, 18. et pass. Ages. II, 
‚ Nutzen der Jagd (Ven. XII. C. D. 1, 2, 10. VIII, 
34.), ſelbſt Sleinigkeiten, wie der Anzug der Kämpfenden 
p. C. IH, 2, 7. C. D. IV, 4, 3. VI, 4,4) 


3530 Deitte Beilage. - 


Enripides den Kerkyrãern gewogen iſt. Hier, wie gewoͤhn 
erſcheint er als trenes Abbild der oͤffentlichen Meinung. M 
das nnetmeßliche Gewicht dieſer Frage iſt ihm keinedwegte 
borgen. Wenn er auch einſieht, daß der Krieg Tann gu 
meiden ftehtz wenn er den Ares auch als den Feind ie] 
gernden fchifdert (WB. 722.): fo verwahrt er Doch immej 
gleich ſorgfältig feine Friedensliebe, und verhehlt ſich nid 
Unbeſtändigkelt des Glückes (869.) 1). Es verſicht 
von ſelbſt, daß die fremden Geſandten damals für das — 
niſche Publietum im höchſten Grade intereſſant waren. E 
pides ſchmähet ſie bald (293.), bald wieder urgirt mil 
Unverletzlichkeit (271 ff.). Wir müſſen und die ge 
Stadt der Athener damals in der lebhafteſten Aufregung W 
ftellen, um fo mehr, als eine ungewöhnlich lange Ruhezeit u 
anögegangen war. Wünſche flir Kerkyras Aufnahme hegten m 
die Mieiften, aber Manche fürchteten die Folgen derfelben. 8 
her auch in dee erſten Vollöverfammlung die Stimmen ze 
geweſen waren (Thuacyd. 1, 44). Wenn men die DM 
eröffnet wurde, md ein Chor von Schutzflehenden auftrat 
wem hätten da nicht die kerkyräiſchen Geſandten einfal 
müſſen, die in Ber Volksverſammlung beweglich genug ı 
zur Theilnahme ſtimmend geredet hatten? Hierauf iſt die e 
Antwort ded Jolaos zu beziehen ‚auf Die Frage, wern 
woher er ſei: 
Ou vnowWıyv, ů Eevor, Toißw Plov. (B. 85.) 

Denn Die Inſelbewohner lagen Jedermann im Sinne, | 
Gefandten werfuchten zuerjt natürlich, die Bürger einzeln 
gewinnen. Da ınochten Die Korinthier denn gar wenig Sr 
pathien finden. Kopreus Hort deßhalb auch fchnell auf, ı 
dem Chore zu verhandeln; er will an die höchſte Inſtanz 
ber gehen: 


1) Bol. die ängftliche Sorge der Athener, wenigftens die gi 
des Friedens möglichft Tange zu wahren: Thucyd. IJ, 49. 53. 


Anſpielungen der: Tragoͤdie. 341 


mndrr laſſen, die kaum von deu Kritiken des jungen Deutſch⸗ 
rd übertroffen wird, obgleich. fie hoch Über diefe hinwegzu⸗ 
hen meinen 1). | Be Ä 

Wenn das Lefen einer Tragödie an gewiſſe politifche Er⸗ 
Agmiſſe während der Lehzeit des Verfaſſers erinnert, fo darf, 
“euch meiner Anfiht, nur unter zwei Umfländen, auf die Abs 
Efſungszeit des Stückes daraus gefchloffen werben. 

A. Denn der Berlauf des Stüdes im Ganzen einem 
Bekannten politifchen Ereigniſſe fo: fehr entfpriht, daß man 
tlich ſieht, der Verfaſſer hat ein mythiſches Analogon des 
tern geben wollen. Am wahrfcheinlichiten wird dieſer Schluß, 
Wet der Boet, eben der Analogie halber, feinem Stoffe 
gend Gewalt anthut. Jedenfalls aber muß das politifche 
Wecignig von der Art fein, daß es eine bedeutende Mehrzahl 
WE Volkes wirklich intereffirt; und dem Dichter muß bei ſei⸗ 
Wr Behandlungsweife ein vernünftiger Zweck nachgewieſen 
erden, der Ermahnung, Warnung, Grmuthigung, Trö⸗ 
S ung u. ſ. w. 2). 

4. 









1) Nicht viel anders iſt es einer zweiten herrlichen Entdeckung ber 
geuern Zeit gegangen, der Welder’fchen über die Trilogie bes Ae⸗ 
ſchylos. 
Ss" 2) So verſett Herr Zirndorfer z B. den Ion nicht ohne 
viuc in die Zeiten der ſiciliſchen Expedition, wo der kriegeriſchen Par⸗ 
F ei Alles daran lag, die ſchutzflehenden Sikelioten als Jonier und 
.. Mtammverwandte von Athen darzuftellen. Die Friedensmänner mochten 
=. hiergegen auf die Autochthonie ihres Volkes und auf die befannte 
Mi nft des Son berufen. Es konnte alfo viel Intereffe haben, den 
ng WBiderfpruch zu befeitigen (De chronologia fabularum Euripidearum, 
— pp 78 794. Bol. God. Hermann ad Ionem p. XXXII) Run 
— Win ich freilich der Meinung, daß hier die erfte ficilifche Unternehmung 
YS. 427.) wahrfcheinlicher ift, als bie zweite: bei der zweiten waren ja 
3 Ye Hülfsfiehenden gar Feine Zonier, fondern Egeftäer. Auch läßt fidy 
denen, daß gerade Gorgias in feiner Geſandtſchaftsrede auf die mythi⸗ 
_ on Stammesverhältniffe großes Gewicht gelegt hat. Hiermit flimmen 
D ngleich die Anfpielungen im Einzelnen zufammen, welche Musgrave (zu 
8. 216) und Böckh (Graecae tragoed. principes p. 192.) aufgefuns 












552 Dritte Beilage, 


vordem erobert Habe (WB. 741.). Die Verachtung des Rufe 
tfums an derfelben Stelle (745.) ſcheint auf das vilgen 
Korinth zu gehen. Mit großer, wahrhaft glänzender@riig = 
lichkeit läßt der Poet den Jolaos auöfprechen, daß die Geile 

kliden Durch ihre Aufnahme den Athenern zu ewiger Danliwierli 
keit verpflichtet find (V. 308 fi.). 


Zoripag ael xal giioug vonikere. 
Kal unnor’ eig ynv E1dg0v aipsodas dopv 3. 1. z. 


ie empörend alſo würde es ſein, wenn die Peloponne J 
jetzt Krieg anfangen wollten, weil dieſelbe Wohlthat, if 












Kerkyräern zu Theil geworden! Zur Beruhigung endlich WE 
athentfchen Publicums dienen die Flüche des Euryſtheus, er 
mit er die Herakliden bei einem Kriege wider Attika unfehtke | 
zu verderben gelobt (1035 fſ.). 

Es bleibt fchlieglih noch Die Frage übrig, ob die tu 
gödie während der Anweſenheit der beiden Geſandtſchaften, J 
oder nach ihrem Abgange, alfo nach Entfcheidung der Haupt 
fache gegeben ift, Sch glaube das Erſtere. Die Aufführung 
muß entweder auf die Lenäen, oder die großen Dionyfien fal 
Ien, alfo in den Winter oder Frühlingsanfang. Die Anweſenheit det 
Geſandtſchaften aber ift wahrfcheinlich auch in den Winter, ge 
gen das Ende defjelben zu feßen, wo man ohnedieß Feine 
Beindfeligkeiten vornehmen Fonnte. Vgl. Thucyd. J,3l. 
Nicht lange nach der Entfcheidung (od od Üozegov) ging 
das athenifche Geſchwader nad) Kerkyra ab, alfo jedenfalls zu 
einer Zeit, wo die Schifffahrt ſchon wieder offen mar (Ibid. 
45.). Dazu kommt eine Menge von Aufpielungen, die teit 
oben auf die Anweſenheit der Gefandten bezogen haben. Ich 
vermuthe alfo, denn mehr ald Vermuthungen kann es hier 
über nicht geben, daß die Aufführung zwiſchen der erjten und 
zweiten Volksverſammlung ftattfand, welche in der kerkyräi⸗ 
ſchen Angelegenheit gehalten wurden. Wie fi von felbit ver 


Euripides Herafliven. 5453 


Dieß fcheint u. A. Boͤckh bei feiner Zeitbeſtimmung der 
rakliden vergefien zu haben. Das Stück enthält mehrere 
eöfälle gegen Argos: fo heißt es V. 285: 


DIeipov’ To c0v yap "deoyog ov Öedun Eyo. 


Igl. 354. 759,). Diefe Ausfälle, meint er, deuten auf ei⸗ 
Mn Krieg der Athener gegen Argos, alfo auf Ol 90, 3: wo 
x argeiſche Staat unter einer kurz dauernden Herrfchaft der 
Mgarchen mit Lakedämon verbündet, mit Athen aber in of- 
mer Feindſchaft Iebte 1). — Allein die Stellen, auf welche 
Iückh ſich beruft, werden durch den Zufammenhang des Trau⸗ 
fiel faft nothmendig herbeigeführt. Wenn Euripides Geg- 
er aufammenbringt, fo muß er fie zanken und einander ſchmä⸗ 
m laſſen. Wollte er alfo den Gegenftand der Heraflidenfage 
berbaupt behandeln, fo maren jene Invectiven gegen Argos 
wermeidlich. Oder man könnte vielleicht aus den Lobreden 


8 Elend der Verbannung angeftellt werben, find. im böchflen Grabe 
tig und unpaflend, wenn fie nicht auf einen beftimmten Verbannten, 
e im Eril Zeind feines Baterlandes geworden war, und den man nun 
rechtfertigt haben will, bezogen werden. Ich denfe natürlich an Alki⸗ 
ides, alfo an das 3. 41l. Kine Menge Anfpielungen auf Sehertrug, 
f die eigenthümlicyen Berhältniffe einer belagerten Stadt u. ſ. w. 
terftügen diefe Vermuthung. — Der Vollftändigkeit halber füge ich 
ch hinzu, daß wir von ſechs andern Stüden directe äußere Beugniffe 
ben. Bon der Alkeftis wiffen wir aus einer neugefundenen Didas⸗ 
te, daß fie OL 85, 2 aufgeführt worden ift(Dindorf Edit. Oxon. 
34.). Die Medea ift Ol. 87, 1 gegeben (Argum. Medeae), der Dips 
(ptos Ol. 87, 4 (Argum. Hippolyti), die Zroaden OL. 91, 1 (Ae- 
an. V. H. II, 8. Schol. Aristoph. Aves 842.), die Helena DI. 
‚4 (Aristoph, Thesmoph. 850. Schol. Aristoph. Thesm, 
12. Ranae 53.), endlich der DOreftes DL. 92, 4. (Schol. 371. 772.). 
ızu kommt noch die befannte Sontroverfe Über die aulifche Iphigenie 
b die Balchen (Schol. Aristoph Ranae). Bon ben übrigen Zraus 
pielen des Euripibes Täßt fich nady meiner Ueberzeugung aus innern 
finden für jest nichts Gewiffes ermitteln. 


1) Boeckh Graecae tragoediae principes p. 19% sqq. 


554 - Dritte Beilage. . 










Ziradorféer Kon. ähnlihen Argumegten Bebraudy macht, einen 
ten Proteſt einzulegen. Die Anzahl der metriſchen Nachläſßgkeiten 
ein ungef ähres Kennzeichen allerdings; allein man darf un 
ſchließen, wenn in einem Stücke vielleicht 40 oder SO Auflöfungen ı 
vorkommen, als in tinem andern / daß es darum nun auch ſogleich 
ter. ſein müſſe, Der Dippolytos iſt erweislich ſpäter, als die 
oder gar als die, Alkeſtis, und bat dod) weniger Colutionen. Die tan 
riſche Sphigehie, die 250 zählt, und defhalb von Zirndorfer in das Jah 
414 gefent wird, muß -doch fihon im Jahre 425 bekannt gewefen kik 
da in den Acharnera Anfpielungen. barauf vorkommen (Aristopk 
Acharn. 47. Schol.). Noch viel übeler ſi ieht cs mit einer andern Cu 
dedtung aus. Birndorfer bemerkt nämlich, daß die älteften Stüct vb 
Euripibes’ einen traurigen, bie jüngſten einen froͤhlichen, mehr [har 
fpielartigen Ausgang haben. Zunächſt wird diefe Kegel freilich nur af 
vier Dramen geftüst, die Medea und den Hippolytos, die Helena ud 
den Oreſtes. Gewiß eine fehr kleine Zahl von fichern Beifpielen! © 
verbindet dieß mit der Annahme, daß in Aeſchylos Tragödien nur tw 
rige Ausgänge üblich find, und glaubt eine allgemeingültige Erklärm 
dieſes Verhältniſſes in der finkenden moraliſchen Kraft der Athene # 
finden, die eine erfchütternde Kataftrophe immer weniger geduldet ak. 
Hiernach theilt er die euripideifchen Stüde drei verfchiedenen Perim 
zu: in die erfte gehören die mit traurigem, in die Ie&te die mit fröill, 
chem Ausgange. Kine Mittelperiode bilden folche Stüde, die fin 
reihte Einheit befigen, und deren eine Handlung traurig, die an 
fröhlich iſt. Hierdurch hat der Poet fein Publicum allmählig vorber* 
ten wollen. Bei der Zeitbeflimmung jedes einzelnen Dramas legt Bin 
dorfer auf diefen innern Grund das vorzüglichfte Gewicht. Er Hin 
auch recht hübfch. Schade nur, daß die ganze DObfervation gar nihl 
Stid) hält! Davon fehe ich einjtweilen ab, wie außerordentlich fubjectio Kt 
ganze Begriff ‚‚trauriger und fröhlicyer Ausgang‘ iſt. Bor einer ir 
gend geläuterten Aefthetil wird er vermuthlich ganz verfchwinden. AM 
es ift entſchieden falfch, daß eine finkende Gefchmadsbildung heftig 
und traurige Gemüthöbewegungen verfchmähet. Im Gegentheil, I 
mehr der Menfch fi) am Zragifchen verwöhnt hat, defto mehr wird e, 
um feine abgeftumpften Sinne zu Atzeln, zu immer ftärkerer Würze, ju 
Abfcheulichkeiten und Gräßlichkeiten übergehen. Sch erinnere nur au 
die neufranzöfiihe Didytung. Ebenfo wenig Tann ich zugeben, dab IF 
ſchylos nur traurige Ausgänge hat. Sit auch in den Hiketiden, of 
gar in den Eumeniden der Ausgang traurig? Sc) begreife fogar kaum, 
wie in einer äfchyleifchen Zrilogie das Schlußſtück eigentlich trauris 
fein Eönntee Wenn fic) alfo bei vier chronologiſch feftftehenden Zar 


Euripides · Herakliven. 555 


» bes Guripides bie Sache auch wirktih fo verhält, fo müßte bas 
ein reiner Zufall betrachtet werden. In der That, bei der großen 
»L von Zrauerfpielen, die jeber Verfaſſer zu fchreiben hatte, und bei 
verhältnißmäßig Beinen Menge tragifcher Stoffe, wäre der Dich 
auch ein Thor geweien, ſich muthwillig die Auswahl fo gewaltig zu 
hrãnken. 


r Dig 
N. .r 

„fa "as 

Dr.) 

a 


8 — E 


a 2 .. oo " “, [u \ u. - ” 22 
⸗ em ge 


348 - Dritte Beilage. 


an der Spitze, fuchen ein anderweitiges Aſyl zu befeſtigen, 
den Fall, daß fie auch Hier keine Aufnahme fänden. Ah 
mit der Enkelinnen fit von fen. Alle Hoffen als Ich‘ 
tung anf die Söhne des Theſeus, welche in Attika die R 
rung führen. — Aber auch Hier verfolgt fie der Abzch 
ihres unerbittlichen Feindes. Kopreus tritt auf, um ſi 
Gewalt vom Altare des Zend heimzuführen. Nach der! 
euripideiſcher Helden entſpinnt ſich auf der Stelle zwiſchen 
und Jolaos ein Wortgefecht, das eben in Thällichkeiten 
zuarten droht, als der Chor, aus atheniſchen Bürgern 
hend, darüber zukommt. Alle Gewaltthat muß jetzt a 
ren, eine geregelte Debatte tritt an die Stelle. Name 
als der Landesherr Demophon erfcheintz denn an die 
pellirt Der Herold, da er die Bürger nicht gewinuen 
Das Hanptargument des Kopreus geht Immer dahin, di 
rakliden felen die Unterthanen des Euryſtheus, er alſo 
in feinem Rechte. Die Athener gehe der ganze Handel 9 
an: (V. 110.). Wenn fie wirklich, wie fie worgäben, m 
bleiben wollten, fo müßten fie ihn ruhig das Seine kind 
laſſen. | 

Adosſs under’ wa ran Em ayeıv Eu. (V. 176 
Wire ja eine Schuld dabei, fo fiele fie ihm zu (256.). 2 
die Athener jet den aufrühreriſchen Herakliden Schub gr 
ren, ſo wird gar bald jeder Miſſethäter ihr Gebiet auflı 
(260.). Nebenher meifet er auf die große Macht des € 
tens hin, mit der ſich Keiner ungeſtraft verfeinden fi 
und gegen welche die armſelige Hilfe der Herakliden ı 
[hüten werde (58 fi. 156 fſ.). Dieß haben auch die m 
griechifchen Staaten vollkommen eingefchen, und dephalt 
Flüchtling nicht Bei fih geduldet (145 ff.). — Jolaes 
gegen läugnet vor Allen, dag die Seinen noch Argele | 
Argos habe fie verjagt, alſo jetzt Fein Recht mehr au 
(186 ff.), und es fei durchaus Fein Geſetz, daß, wer? 
meide, darum fofort auch ganz Hellas meiden müſſe. 


xXenophon's Gmandgakeneg Thukydides. 397. 


einlich, Ba: Die: Familie des Thukyeldes aan. pn zundia eintx 
chen Arbeit beauftragen: konnte Hieraus wirde ſich zugleich 
e Umftond- ertläcen, daß Thukydides Werk-srit, längere Zelt 
ch dem Tode des Verfaſſers bekaunt ganordeu iſt )Y. xcq 
xhon..anır natürlich, feiner. laugmierigen Feldzüge:halber, 
ut wohl vor der Schlacht bei Korxonen zudergleichen Unterz 
hmungen Zeit gehabt haben ). 7.Allſe vermuthlich erſt zu 
Eilfuö;,; wo: ‚denn freilich die ſtille Frirdlichkeit ſeiner klejnen 
erefiyaft 3) und die Nähe, des olyumpifchen: Feſtes, Das alle 
er Sabre ganz Hellas zufanimenführte, die. Ausarbeitung, sie 
x bellenifchen Gefchichte nicht werdig. hegünſtigen mußten. - Up 
igens Haben wir vorhin gefehem,. daß Iſokrates jedenfalls, 
ahrſcheinlich auch Platon im Jahre 387, den Thukydides 
mutzt haben. Hieraus würde ſch die Zeit der Herausgabe 
über beſtimmen laſſen. DE 
. Niebuhr Hat: vermuthet, : def; ve; erfien. zwei Bücher 
v Helleniten zum Thukydides in einem ganz ‚befondern Ver⸗ 
Utniſſe ſtehen )). — Soviel: iſt gewiß, dieſe ‚zwei erſten 
ücher müſſen zu einer ganz andern,pieb frithern Zeit ges 
wieben fein, als die Lebten fünf. Am Ende des zweiten 
uches wird die Amneftie erwähnt, weldye unter Thrafybulos 
Kerleitung der oligarhifchen Partei: bemilligt worden. Der 
chriftſteller fügt hinzu: „Und och jet verwalten fie den 
tant gemeinfam, und der Demos bleibt. feinem Eide treu. * 
a glaubt denn Niebuhr:mit Acht, daß eine Solche Aeuße⸗ 
ng um DI. 106,’ wo jene alten Streitigkeiten längſt vergeſ⸗ 
a waren, kaum einen Sing mehr haben Fonnte. Ich füge 
u , fe wäre. damals / nach tauſend chicaüſen Aullagen 5) 


u BR 
War Aue UT 





1) Aavdavorıa: Diog: ı.l 
2) Bl. Krüger a. a. O. 8.81. 
2), Vgl. Paus an. V, 6. 
4) ‚Rhein. Muſeum: Abtheilung £ Philologie L. siteine Schrif⸗ 
1 ©. 464 fi. .. *1 
) Wovon uns Lyſi as eine Menge Beifpiele tiefere. uch 


318 Drlite Weilage; 


Eirtigfees- iñ heldenmũthigen Neſignatibnen überall, feine & 
hat. Baͤkð ertönt auch die Kunde von dem Anmarſche 
feinblichen HOeeres, und daß Oyllos an der Spike der Ü 
Herafliden fi ſich mit den Athenern vereinigt habe. Ders 
Solaoh; fühlt fich hiervon fo begeiftert, daß er mühſen 
Waffen 'ankegt-, und, fo ſchwer ihn auch Die Laſt der | 
drückt, ſich zuin: Kampfe hinausführen läßt. Und die € 
find ihm gnädig: Herakles und Hebe ſelbſt in der Geſtalt 
zwei Sternen kommen dem btetter ihres Hauſes zu | 
Euryſthens wird als Gefangener eingebracht. Seht, ı 
Altmene;'tbircfe fie nicht meht zweifeln an der Gottheit 
Sohnes 3Zens habe ſein Verfprechen erfüllt. — Dem 
fühgenen hatten die Athener "eigentlich das Leben gefchenft 
lein Alkniene will ihre "Rachfucht an ihm befricdigen. 
wird hmm Tode geführt, nachdem er vorher ein Drakel 
kündigt hat, buß er den Athenern ein freundlicher, ven: 
ktiven⸗ em felndfeligee Dämen fein werde. Seinem € 
wird eine -Ahnlide Gewalt beiwohnen, wie dem des De 
in der ſophokleiſchen Tragödie. . Sollten jemals die He 
den, ihrer gegeuwärtigen Rettung vergeſſend, wider Atha 
Felde ziehen, ſo werde ſeine Macht ihnen verderblich wer 
Der Punkt alſo, um welchen ſich Das ganze Stück 
het, iſt die Aufnahme won Schutzflehenden, der Krieg d 
ihre Verfolger, endlich der glänzende Sieg und dauernde ? 
theil,, welchen Athen davonträgt. Sch vergleiche hier 
die Bundedgenofjeifhaft der Kerkyräer, de 
Entſtehung im erjten Buche des Thukydides 
zählt wird; 
ie die Herakliden von ihrem Landsmanne y ja Bl 
verwandten (U. 990 fi.) verfolgt werden, fo die Kerky 
von Dar Korinthiern, deren Pflanzvolk fie Doch waren. | 
die Heralliden,. um Schuß zu fuchen, ganz Griechen! 
durchſchweift hatten, überall jedoch, auf Autrich non E 
ſtheus Botſchaftern, abgeiwiefen waren: fo hatten au 


Niebuhr's Hypotheſe. 5359 


se. So ehr. ich bis hierher der Nicbuhr'ſchen Obſervation 
heipflichten muß, fo entſchirden trete ich: doch einer allgemei⸗ 
wu Behauptung deſſelben entgegen. Die zwei erſten Vücher 
Bimlich ſollen eine ‚ganz. andere Gejinuung athmen, als die 
Bhien. Sie follen unparteilich ſein, fire Athen patriotiſch, 
FR die Demokraten gerecht: lauter Eigenfchaften, die Nichuhr 
Arıben ſpäteren Echriften. des Kenophori- nach feiner Verbau⸗ 
ug nur allzu ſehr wermißt, deren Mangel ihn zu der härte⸗ 
den Berurtheilung des großen Atheners Hingerifien hat. Ich 
SE den. Kenophon gegen die Vorwürfe Niebuhr's au dieſer 
Belle nicht: in Schub nchmen. So viel aber ſcheint mir ge 
5, daß fie. die zwei erſten Bücher der bellenifchen Geſchichte 
u demfelben Grade treffen müßten. Die Rede des Thraſy— 
wos zwar iſt vortrefflich im Tone gehalten; allein, daß 
Zenophon gar nicht aus feinem eigenen Weſen hätte heraus⸗ 
ſehen können, wird ſelbſt Niebuhr nicht behaupten wollen, 
Dagegen wird zu wiederholten Malen hervorgehoben, wie 
ehr die Athener doch ihr trauriges Geſchick verdient hätten 
U, 2,.3. 10.). Die begeiſterte Darſtellung des ehrenwerihen 
Lallikratidas, wogegen Lyſandros fo ſchwarz erſcheint, iſt ganz 
m Sime eines Bewunderers von Ageſilaos. Die Gräuel⸗ 
haten, welche Klearchos nach Diodor's Bericht in Byzanz 
rübt haben foll, werden: I, 3, 15 ff. mit keinem Worte er⸗ 
vähnt. Aus I, 3, 19, läßt fich vermutben, daß der Verfafe 
er vorzugöweife aus peloponnefiichen Quellen gefchöpft hat. 
Selbſt das bekannte Pylos nennt er lieber mit feinem lakedä⸗ 
nonifchen !) Namen Koryphafion (I, 2, 18.). — Dazu noch 
ine große Menge einzelner Kenophontismen. Wie Kenophon 
iberall das Betragen feiner Helden ald ein praktiſches Muſter 
am Vermeiden oder Nachahmen darzuftellen licht, fo auch 
ie Handlungsweife des Hermokrates, feine Würde im Eril, 
ein charakteriftiiches Beſtreben, die Soldaten nicht allein zu 








ı) Thucyd. IV, 3. Paus. Messen. 


5330 Deitte Beilage. - 


Enripided den Kerfuriern gewogen Hi: Hier, wie gewoͤhr 
erſcheint er alb trenes Abbild der Bffentlichen Meinung. 
das unetmeßliche Grwicht dieſer Frage iſt Ihm keineswegt 
borgen. Wenn er auch einficht, daß der Krieg Tamm pi 
meiden ſteht; wenn er den Area auch als den Feind ir 
gernden fchifdert (WB. 722.): fo verwahrt er doch imme 
gleich ſorgfältig feine Friedensliebe, und verhehlt fi nid 
Unbeftändigfelt des Glückes (869.) 1). Es verſichi 
von ſelbſt, daß die fremden Geſandten damals für das 
niſche Publicum im Höchiten Grade intereffant waren. 
pides ſchmähet ſie bald (293.), Bald wieder urgirt er 
Unverletzlichkeit (271 fſ.). Wir müffen und die; 
Stadt der Athener damals In Der Iebhafteften Aufregung 
ſtellen, um fo mehr, als eine ungewöhnlich lange Ruhezeit 
ausgegangen war. Wünſche fr Kerkyras Aufnahme hegten 
die Meiſten, aber Manche fürchteten die Folgen derſelben. 
her auch in der erſten Volksverſammlung die Stimmen g 
geweſen waren (Thucyd. I, 44). Wenn mn bie Bi 
eröffnet wurde, und ein Chor von Schutzflehenden auftrat 
wen hätten da nicht die kerkyräiſchen Geſandten cin 
müſſen, die in der Volksverſammlnug beweglich genug 
zur Theilnahme ſtimmend geredet hatten? Hierauf iſt die 
Antwort des Jolaos zu beziehen, auf die Frage, wer 
woher er ſei: 

Ob vnowenv, & Eevor, Teißw ßtov. (V. 8.) 
Denn Die Inſelbewohner Tagen Jedermann im Sinne, 
Gefandten verſuchten zuerft natürlich, die Bürger einzeln 
gewinnen. Da mochten Die Korinthier denn gar wenig St 
pathien finden. Kopreus Hort deßhalb auch fehnell auf, 
dem Chore zu verhandeln; er will an die höchſte Inſtanz 
ber gehen: 


\ 
‘ 





1) Bol. die ängftliche Sorge der Athener, wenigftens bie $' 
des Friedens möglichft Iange zu wahren: Thucyd. I, 49. 53. 


Euripides Heralliden. 51 


hr 


TToög zivö’ aya is aga Touds run, Aöyou .. 

-„. Mealisor' iv ein‘ alla d' .Euipyzu, narmV. (B. 117 ſz. 
u. Könige hingegen ſucht ex mit dem Unwillen der Bürger 
Zſt zu machen, wenn er den Staat in einen gefährlichen 
eg verwickle (166 fſ.). Soviel konnte Perikles Leicht 
causſehen, daß Beim erſten Opfer, welches ſeine Politit den 
1zelnen anflegte, eine große Anzahl gegen ihn ſchreien 
wde. Hierauf bezicht fich V. 416 fi. 

In dein biöherigen Kanıyfe zwiſchen Korinthiern und Ker— 
ern hatten die letztern eine unerhörte Rohheit und Graue 
akeit an den Tag gelegt. Sie hatten ſich mit Barbareu 
ven Hellenen verkündet (Thuc. I, 26.) 1), und die Ges 
genen der Seeſchlacht, mit Ausnahme der Korinthier, Falls 
* ermordet (30.). In Athen billigte man dieß gewiß 

t; auch Euripides nicht. Deßhalb ſtellt er es in keinem 
rigen Lichte dar, wenn die Großmutter der Herakliden, 

alte Alkmene, den Euryſtheus tödten läßt. Der Vote 

Demophon, ſowie der Chor, ſuchen ihr abzurathen: 

Os ?tcoro Golov Tovde 004 xuraxtaväiv. 

. -Ooy övw av ye tür” Dooı Ev nayn. 

. K1 ff.). — Die Erzählung von der jugendlichen 
pferkeit des greifen Jolaos erklärt fih nun aus der Ge⸗— 
chte vortrefflih. Wenn die Athener damals für den bevor— 
Jenden Kampf ihre Kräfte überfchlugen, fo konnte Mancher 
Leicht unruhig werden, indem er an das hoheAlter der mei— 
u Friegderfahrenen Staatsmänner, eines Perikles, Phor- 
on u, A. dachte Dergleichen Sorgen will Enripides be— 
wichtigen. Am dentlichſten zeigt fih dieß an der Stelle, 
Jolaos feine Nechte ausſtreckt, mit welcher er Sparta 


- 


N Das verfchmäheten auch die Korintbier niht: Thucyd. 1, 

Bol. auch ihr Benehmen in ber Seefchlacht nachher: Ibid. 50. 

vr rohe und gewaltıhätige Charakter von Kerkyra hat fidy fpäter in 
: Revolution dieſer Infel deutlich genug verrathen. 


552 Dritte Beilage, 


vordem erobert Habe (B. 741.). Die Verachtung des Re 
thums an derfelben Stelle (745.) fcheint auf das rel 
Korinth zu gehen. Mit großer, wahrhaft glängender Gef 
lichkeit läßt der Poet den Jolaos aufbrechen, daß bie He 
kliden durch ihre Aufnahme den Athenern zu ewiger Da 


keit verpflichtet find (WB. 308 f.). 


Zourngag ael xal gikoug vonilere. | 
Kai unnor eig yıv E1dg0v aipeodaı dügv x. 1. |, 


Wie empörend alfo würde e8 fein, wenn die Pelopome 
jet Krieg anfangen wollten, weil dieſelbe Wohlthat, 4 " 
welche ihre Väter Rettung gefunden hatten, nun and da 
Kerkyräern zu Theil geworben! Zur Beruhigung endlih Wr 
athentfchen Publicums dienen die Flüche des Euryſtheus, mt 

mit er die Herakliden bel einem Kriege wider Attila isch 
zu verderben gelobt (1035 fi.). 

Es bleibt ſchließlich noch die Frage übrig, ob de iu 
gödie während der Anweſenheit der Beiden Gefandtfhafte, 
oder nach ihrem Abgange, alfo nach Entfcheidung der Sms Fi 
fache gegeben ift. Sch glaube das Erſtere. Die Auffühug pr 
muß entweder auf die Lenäen, oder die großen Dionyſien ſib fF 
Ien, alſo in den Winter oder Frühlingsanfang. Die Anefenhitte F 
Geſandtſchaften aber ift wahrfcheinlich auch in den Winter, gef 
gen das Ende deſſelben zu feßen, wo man ohnedieß fir P 
Feindfeligkeiten vornehmen Konnte. Vgl. Thucyd. LLf: 
Nicht lange nach der Entfcheidung (od oAd üorego) ME: 
das athenifche Geſchwader nach Kerkyra ab, alfo jedenfald m IT 
einer Zeit, wo die Schifffahrt ſchon wieder offen war (Ibid. | 
45.). Dazu kommt eine Menge von Aufpielungen, die it]! 
oben auf die Anweſenheit der Gefandten bezogen haben. Al 
vermuthe alfo, denn mehr als Vermuthungen kann es hir 
über wicht geben, daß die Aufführung zwifchen der erſten m | 
zweiten Volköverfammlung flattfand, welche in der kerkyrü⸗ 
ſchen Angelegenheit gehalten wurden, Wie fih von ſelbſt vr 


Euripides Hevrakliden. 553 


t , fo mußte das Stück wefentlich, zur Durchfeßung der pe= 
eiſchen Rathſchläge beitragen. 

SE: Diefer Anficht ſtimmen denn auchdie Übrigen Indie 
E, woraus man das Alter eines Stückes" eruiren faniı, vor⸗ 
Tg, aufanımen. . Sottfeiep. Hermann bat die ſchtzue Enthe⸗ 
tag gemacht, daß in den ſpäteren Tragödien „ber, Versbau 
er nachläffiger wird, daß insbeſondere immer mehr Anflð⸗ 
igen yon langen Siten und Anapãſte in den Trimetern 
D Setrametern vorkoninien a. Diefe Licenzen find bei Sor 
okles· im Allgemeinen ſeltener, als bei: Guripides , bei Ae⸗ 
Hhlos wiederum feltener, als bei Sophokles. Was die fechs 
ripideiſchen Stücke betrifft, . deren Zeitalter feſtſteht, ſo hat 
irndorfer in der Alkeſtis 35, in der. Medea 72, im Hippo⸗ 
tos 49, in den Troaden 203, in der Helena 390, im Dre⸗ 
569 Auflöfüngen gezählt 2). In den Seraftiden kommen 

r 54. vor. und fünf Anapäfte im Anfange: ein ziemlich uns 
—* Beweis, daß dieſe Tragödie zu den früheſten ge⸗ 
mt. — Auch läßt ſich im Ganzen nicht verkennen, die Jünz 
ven Stüe werden der Anlage nach, immer fehlerhafter; Eins 
it der Handlung, Idealität der Perfanen werden immer 
ehr vermißt. Erſt am fpüten Abend feines Lebens, wo der 
ichter fo vielfach einen Keffern Weg wieder einfchlägt, erſt 

den Bakchen und der auliſchen Iphigenie, vafit er ſich auch, 

ermit wieder. auf. . Da läßt ſich denn ebenfalld nicht läug- 
n, daß die Herafliden noch eine völlige Einheit der Händ- 
ng beſitzen, und daß Feine einzige Perfon darin, felbft den 
uryſtheus und Kopreus nicht ausgenommen, auch nur von 
ne zu jener fpießbürgerlichen Gemeinheit herabſinkt, die wir 
der Elektra oder im DOreftes finden 3), | 


1) God. Hermann. Elementa doctrinae metricae p. 71. 8. 
> 119. 123. | 

2) Zirndorfer L. p. 4. 

2) Ich kann hier zum Schluſſe nicht umhin, gegen bie: Art, wie 


... .. 
” nn an — —— ——— — re Sa | — 


Zirnd orfer Kon ähnlichen Argumenten Gebrauch macht, einen lebhaß ih 
ten Proteſt einzulegen. Die Anzahl der metriſchen Nachläãſßgkeiten i 
ein ungefäh res Kennzeichen allerdings; allein man’ darf unmögld 
fließen, wenn in ‘einem Stüde vielleicht 40 oder 50° Auflöfungen mie 
vorkommen ‚: als in. seinem andern). duß es darum nun auch ſogleich ib 
ter jein müſſe, Der Dippolytos iſt erweislich ſpäter, als die Diem, 
oder ‚gar als die, Alkeſtis, und. hat doch weniger Eolutionen. Die tur 
riſche Sphigehie, die 280 zählt, und defhalb von Zirndorfer in das dahr 
414 gefest wird, muß doch fhon im Jahre 425 bekannt geweien kin, 
da in den Acharnera‘ Anfpielungen. darauf vorkommen (Aristopk 
Acharn. 17. Schol.), Noch viel übeler fieht es mit einer andern Enk 
deckung aus. Zirndorfer bemerkt nämlid), daß die älteften Stück Mi 
Euripides' einen traurigen, bie jüngſten einen fröhtidyen, mehr fh 
fpielartigen Ausgang haben. Zunächſt wird diefe Kegel freilich nur af 
vier Dramen geftügt, die Mebea- und ben Hippolytos , die Helcna mM 
den Oreſtes. Gewiß eine fehr kleine Zahl von füchern Beifpielen! & 
verbindet dieß mit der Annahme, daß in Aeſchylos Tragödien nur trar 
rige Ausgänge Üblidy find, und glaubt eine allgemeingültige Erkärum 
dieſes Verhältniſſes in der finkenden moralifdyen Kraft der Athener # 
finden, bie eine erſchütternde Kataflrophe immer weniger gebuldet hak. 
Hiernach theilt er die euripideifchen Stücke drei verfchiedenen Periett 
zu: in die erfte gehören die mit traurigem, in die Icste die mit frähli 
chem Ausgange. ine Mittelperiode bilden folche Stüde, die fein 
reihte Einheit befigen, und deren eine Handlung traurig, die and 
fröhlich iſt. Hierdurch hat der Poet fein Publicum allmählig vorberer 
ten wollen. Bei der Beitbeflimmung jedes einzelnen Dramas legt Zirn 
dorfer auf diefen innern Grund das vorzüglichfte Gewicht. Er Hinu 
auch recht hübſch. Schade nur, daß die ganze DObfervation gar nidt 
Stid) Hält! Davon fehe ich einſtweilen ab, wie außerordentlich jubjectiv de 
ganze Begriff ‚‚trauriger und fröhlicyer Ausgang” iſt. Bor einer ir 
gend geläuterten Aeſthetik wird er vermuthlich ganz verfchwinden. Abt 
es ift entichieden falfch, daß eine finkende Geſchmacksbildung heftig 
und traurige Gemüthsbewegungen verfchmähe.e Im Gegentpeil, je 
mehr der Menich ſich am Zragifchen verwöhnt hat, defto mehr wird er 
um feine abgeftumpften Sinne zu Are ‚zu immer flärkerer Würze, ji 
Abfcheulichkeiten und Gräßlicykeiten übergehen. Sch erinnere nur un 
die neufranzöfiihde Dichtung. Ebenfo wenig kann ic) zugeben, daß Ar 
ſchylos nur traurige Ausgänge hat. Iſt auch in den Hiketiden, oder 
gar in den Eumeniden der Ausgang traurig? Sc, begreife fogar kaum, 
wie in einer äÄfchyleifchen Zrilogie das Schlußſtück eigentlich trauri 
fein Eönntee Wenn fich alfo bei vier chronologiſch feftftehenden Tragö⸗ 






Euripides ˖ Herakliden. 3 


en bes Euripides die Sache auch wirklich fo verhält, fo. müßte das 
8 ein reiner Zufall betrachtet werden. In ber That, bei ber großen 
ah von Zrauerfpielen, bie jeder Verfaſſer zu fchreiben hatte, und bei 
x verhältnißmäßig Leinen Menge tragifcher Stoffe, wäre ber Dichs 
m audy ein Thor geweſen, fich muthwillig die Muswahl fo gewaltig zu 
Schränten. 


nt Te Hgetio fi» Ze a SEPP IERFEE 
tet. tt. N a a ter, Pau SE U 4 a WER 


(db SMGHDO — 
2 net a Tin ei an. Depnne 
| BEL BE Pa nee ae Ze a Fa Se 2179 Hei ai, 


vyrn te urn,’ Hirte: 19, 519 ‚na 
EA Eye TE | Bears 


47 Bil. 3 9.. un 9 " n ’ 201 —* et Y ’ ⁊ . ĩ. Fu 27 LA ! yu 79 N 


EN ENTER ih ehi u. ti 


Vierte Deilage. 


Literariſche Schiekfale des thufydideifchen Wald 
im Alterthume. 






Wir haben geſehen, daß Thukydides mitten in der Ander 
beitung feines Werkes durch einen gewaltſamen Tod unterhre J 
hen wurde !). Da fragt es fich denn zunächſt: Wer hat 
diefes Werk in feiner vorliegenden G©ejtalt da: 
ausgegeben? — Nach der Angabe des Diogenes fıl 
Kenophon es gethban Haben, Diogenes knüpft biam 
da8 Lob, mährend Xenophon fihb das Werk Hätte zw | 
eignen Türmen, habe er es vielmehr felbft aus der Dunkelheit 
an's Licht gezogen 2). Die ganze Notiz wird übrigens durch 
den abgerijfenen Anfang der renophontifchen Helleniken offer 
bar beitätigt, die fih auf Dad Engite an die Schlußtnorte dei 
Thukydides anreihen. Auch macht ed der Geburtsort, der 
Etand, die confervative PBarteiftellung und das früh begew 
nene Geſchichtsſtudium des Kenophon in hohem Grade wahr 


1) Oben ©. 101. 


2) Diog. II, 59. Wie Krüger (Leben des Thukydides ©. 9.) 
richtig bemerkt, ein wunderliches Lob. Man würde ja das Plagiat auf 
der Stelle erfannt haben. 


Xenophon's Hmaudgaberned Thukydides. 57, 


reinlich , Bag die: Familie des Thukyredebeaben ihaumllr einex 
Echen Arbeit beauftvagen: konnten: Hieraus muͤrde ſich zugleich 
x Umſtand erklären, daß Thukydides Werkeegſt langere Hait 
sch dem Tode des Verfaſſers bekaunt genorden HA): Ag 
»phon kann natürlich, ſeiner laugmierigen Feldzige ‚halber, 
cht wohl: vor ver Schlacht bei Korauck gu dgagleichen. Unter⸗ 
hmungen. Zeit gehabt haben 27. +.Aflfe,.nermuthlich.. exit. zu 
Eilins;y too: denn frelich die ſtille Frirdſichkeit feiner, Heinen 
rerſchaft 3) ‚und die Nähe: des -olympifcpen; Beiled,.. das alle 
er Sabre ganz Hellas. zufantwenführte,; die. Ausarbeitung sie 
re helleniſchen Geſchichte nicht werdig. hegünſtigen mußten. - Ue⸗ 
tigens haben wir vorhin gefehen, daß Iſokrates jedenfalls, 
abrfcheinlich auch Blaton im Jahre 387, den Thukydides 
mutzt haben, Hieraus. würde 1 die Seit der Herausgabe 
iher beitimmen: laſſen. . a „ 
Niebuhr hat vermuthet, — Ye: ern. wei Bücher 
r Helleniken zam Thukydides in einem.gang ‚Befondern Ver⸗ 
iltniſſe ſtehen ). — Soviel: iſt gewiß, dieſe ‚zwei erſten 
ücher müſſen zu einer ganz andern,‚vpieb frithern Zeit ‚ges 
yeichen fein, als die Ietten fünf. Am Ende de8 zweiten 
uches wird die Amneftie erwähnt, welche unter Thrafybulos 
Berleitung der oligarchiſchen Partei- bewilligt worben. Der 
‚ehriftfteller fügt hinzu: „Und noch jetzt verwalten ſie den 
taat gemeinfam, und ber Demos. bleibt, feinem Eide treu.“ 
a glaubt denn. Niebuhr:mit Recht, daß eine ſolche Aeuße⸗ 
ing um Ol. 106, wo jene alten Streitigkeiten längſt vergefs 
a waren, kaum einen Sinn mehr haben kounte. Ich füge 
nzu, ſie wäre zamals, nach tauſend Sinnen Aullagen 5) 


ha 
I re tr. 4 





1) YAavbavore: Dice. 1. 

2) Bpl. Krüger a a. O. S. 81. 

2) ‚@gl. Pausan. V, 6. 

4). Rhein. Mufeum:. Nitellne Boiioie L aleine Sei 
a S. 464 5 u 

5) Wovon uns Lyfi as eine Menge Beiſpiele üeferi. —W 


niid Wiederherſtellimg der zügeliojeiten Volksherrſchaft, 
Lich falſch geweſen. Die fünf letzten Bücher hingegen 
um DT. 106. geſchrieben ſein, wie aus der Geſchichte von den 
ſchen Tyrannen erhellt. — Auch in anderen Beziehungen liegt cm 
große Kinft zwiſchen dieſen beiden Hauptmaſſen der Hellenila. J 
den erſten Büchern haben wir noch wirklich eine Geſchichte ver 
Griechenland: Athen und Sparta werben gleichmäßig beide p 
fichtigt , ſelbſt Die ſiciliſchen Begebenheiten, wenigſtens in da 
Kürze, angemerkt; ‚ganz, wie es eine Fortſetzung der thuha⸗ 
deiſchen Hiſtorie an die Hand geben mußte. Dahingegen fat 
die fünf letzten Bücher durchaus mir eine Ageſilais zu nennen 
Agefilaod Lehen. iſt der Mittelpunkt der ganzen Erzählung; P 
Athen, ſelbſt Theben ſtehen völlig im Hintergrunde. — ER 
wohl möglich, daß die Familie des Thukydides, wenn ſe 
dem Xenophon Die Heransgabe feines großen Vorgängers af 
trug, ihm auch deſſen übrige Vorarbeiten und Papiere ann 
tranet hat. Inſofern koönnten alsdann Die Aladden des The 
kydides der renophentifchen Darftellung in den zwei erſer 
Büchern zu Grunde liegen !). 









1) Dieß fiheint auch durch die Ueberfchrift angedeutet: zu werben, 
die Xenophon's Helleniten in der Aldinifhen Ausgabe führen: Paralı 
pomena Thucy didis. Niebuhr will da8 allein auf die zwei erften Bi 
cher bezogen wiflen. Wie fich von ſelbſt verfieht, ein etwas fchlüpfrige 
Boden! Noch unbebeutender ift ein anderer Grund, den Riebuhr au 
den Zahlenverhältniffen der beiden Werke herleitet. Die beiden ara 
Büd)er der Helleniten hätten das neunte und zehnte, oder das neunte 
Bud) des Thukydides bilden follen. Bei der erftern Zahl follen wir ar 
die zehn Stämme von Attika denken, bei der letztern an die neun Ns 
fen des Herodot. Dann machten die lesten Bücher ein eigenes Berl 
aus in fünf Abtheilungen. Sieben Bücher, wie fie jest die ‚Hellenite 
enthalten, fei eine ganz unbegründete, zufällige Zahl. — Hatte dr 
große Hiſtoriker nicht bedacht, daß unfere acht thukydideiſchen Vücher 
ſelbſt im ſpäteſten Alterthume noch keinesweges die einzig übliche Ein 
theilung bes Thukydides bilden? Hatte er vergeſſen, daß die Anabaſi 
unzweifelhaft ſieben Bücher zählt, welche direct von Renophon abgetheilt 
fcheinen ? 


Niebuhr's Hypotheſe. 3309 


So fehr. ich bis Hiechee der Niebuhr'ſchen Obſervation 
pflichten nniß, fo entichieden trete ich: doch einer allgemei- 
wa Behauptung deſſelben entgegen. - Die zwei erſten Vücher 
lich füllen eine ‚ganz. andere Geſinnung athmen, als. bie 
am. Sie follen unparteifich ſein, fir Athen patriotiſch, 
die Demokrat gerecht: lauter Eigenſchaften, die Nichuhr 
den fpäteren Schriften des Kenophori nach feiner Verbau⸗ 
ag: nur allzn ſehr vermißt, deren Mangel ihn zu der härte⸗ 
ur Verurtheilung des großen Atheners bingerifien hat. Sch 
H:den Xenophon gegen die Vorwürfe Nichuhr’3 an dieſer 
telle nicht in Schub nehmen. So viel aber fcheint mir ge⸗ 
IB, daß fie. die zwei eriten Bücher der hellenifchen Geſchichte 
demſelben Grade treffen müßten. Die Rede des Thraſy⸗ 
los zwar iſt vortrefflih im Tone gehalten; allein, daß 
nophon gar’ nicht aus feinem eigenen Weſen hätte heraus⸗ 
ben können, wird ſelbſt Niebuhr nicht behaupten wollen, 
agegen wird zu wiederholten Malen hervorgehoben, wie 
jr die Athener doch ihr tramiges Geſchick verdient hätten 
I, 2, .3. 10.). Die begeliterte Darftellung des ehrenwerthen 
allikratidas, wogegen Lyſandros fo ſchwarz erfcheint, ift ganz 
ı Sinne eines Bewunderers von Ageſilaos. Die Gränele 
aten, welche Klearchos nah Diodor’d Bericht in Byzanz 
rübt Haben foll, werden I, 3, 15 ff. mit feinem Worte er⸗ 
ühnt. Aus I, 3, 19, läßt-fich vermutben, daß der Berfafe 
e vorzugöweife aus peloponnefiichen Quellen gefchöpft ‚hat. 
elbſt das bekannte Pylos nennt er lieber: mit feinem lakedä⸗ 
onifchen !) Namen Koryphafion (I, 2, 18.). — Dazu noch 
ne große Menge einzelner Kenophontismen. Wie Xenophon 
yerall das Betragen feiner Helden ald ein praktiſches Muſter 
am Vermeiden oder Nachahmen darzuftellen liebt, fo auch 
e Handlungsweife des Hermofrates, feine Würde im Eril, 
in charakteriftiiches Veftreben, die Soldaten nicht allein zu 


— — — — — 


)) Thucyd. IV, 3. Paus. Messen. 


0 Vierte Beihge;. - 


befehligen, ſendern and) zu überzeugen nud zu Bilden, 
kydides würde auf: dergleichen Dinge weuiger geachtet Bi 
wie er dem ja auch beim. ſyrakuſiſchen Feldzuge Nichts d 
orwähnt. Euryptolemes Nede fire die Arginufenfeldhan 
meit mehr beweiſend und rührend., - zoeit minder politiid 
partelfchildern® „ als. fie Thnkydides. gegeben hatte. . 
behandelt auch die erſte Rede des Thraſybulos fait auöfl 
lich allgemein rhetoriſche, religiöſe und taktiiche Gegmt 
(I, 4,:13 fr). Die Geſchichte mit dem Wahrtager (I 
48.) Hätte Thukydides ſchwerlich der Aufnahme gewin 
Auchdie Daritellung des tücifchen Tiſſaphernes und de 
lern, . titwwrlihen Pharnabazos ſtimmt ‘mit den zweife 
Schriften. des RXenophon durchaus: überein 1). 

In Demofihened Zeit, ſo berichtet Zoſimos?) 
‚mit der Bibliothek zu Athen auch das Werk des Thuf 
verbrannt ſein; Demofthened aber, .der ed auswendig v 
es nachmals wiederhergeſtellt haben. Ohne Zweifel cin 
dichtung der ſpäteren Grammatiker, vielleicht, wie 
vermuthet, aus einer Hyperbel entſtanden, indem irgen 
mand, um die vertraute Bekanntſchaft des Redners mi 
Geſchichtſchreiber auszudrücken, behaupten konnte, we 
letztere verbrannt wäre, ſo würde der erſtere ihn au 
Kopfe reſtituirt haben 2). Bekannt iſt eine andere Aı 
wonach Demoſthenes achtmal den Thukydides abgeſch 
hätte 9). 

Der Titel des thukydideiſchen Werkes rührt mohl f 


1) So ift auch das Strategem des Eteonikos in feiner didal 
Vorbildlichkeit (II, 1 pr:) und die kleine taktiſche Notiz IE, 4, 27 
tommen dem Xenophon angemeffen. 


2) Zosimus V. Demosth. in Reiske's Rebnern IV, p 
Bol. Arsenius in Fabricius Bibl. Gr. II, p. 826. Harl. 


3) Krüger. a. O. S. 8. 


% Lucian. adv. indoct. 4. 


Heutige Einthellung des Thukydides. | 561 


vom Verfaſſer felbft Her. Deßhalb die große Verfchichen- 
E der Handfchriften in diefem Stücke. Die, beiten Codices 
kan das einfache vurreugN; , andere ieropias, nder iozogıav 
ren ). J 


Auch. die Eintheilung in Bücher iſt auf keinen Ball 
JIrünglich. Der Zeitgenoſſe Kratippos citirt das achte Buch 
8 den Worten za Teisvrama ing iorogias 2). Dionyfiod . 
® Diodoros hingegen brauchen fchon unfere Abtheilung 3). 
uch Marcellin, ſowohl der erſte, als der dritte Schriftſteller 
ſes Namens, betrachtet ſie als die herrſchende (22. 43. 54. 
I. Defgleichen der anonyme Biograph (9.). Diefe Einz 
eilung iſt wahrſcheinlich yon den Alcrandrinern gemacht wor⸗ 
n, mie ihr ſpäteres Vorwiegen vermuthen läßt. Von Mar 
lin ©) erfahren wir. den-Namen Asklepios, welcher fle nach— 
als kritiſch gebilligt Hake. Wenn es Vergnügen macht, eine 
tenge von Wahrfcheinlichkeiten und Möglichkeiten über diefen 
Flepios zu leſen, den perweiſe ih auf Krüger a. a. O. 
. 83 fg. — EFinige alte Gelehrte eitixen neun Bücher des 
hukydides, Die aber auch nur den jetzigen Umfang unſers 
jerkes ausmachen 5). . Spuren einer Eintheilung in dreizehn 
ücher kommen in, den. Scholien vor 6). Hierbei zerfiel unfer 
*) Bol. Poppo Il, 1, p. 165. 

2) Dionys. De Thuc, p. 817. 


3) Diodor. XII, 37. XIII, 412. Dionys. I. 1. Cap. 16. 26. 
. 36. (Krüg.). 


) Marcell. 57.: H nisom x 7 xoer7 xengaitqxe zo niypi 
iv dura demojodas 179 mgaynarsiav, us xas Ertinpivev 6 “AorAnrtıos. 


s) Diodor. XII, 37. XII, 42. 


6) Schol. II, 78. III fin. IV, 78. 114. 135. %sel. Mar- 
ell. 57. 
36 


362 Dierte Vellage, 











erftes Buch in zwei Bücher; das wierte fig mit II, 79, 
das fechfte IV, 1., das fiebente IV, 78. Diodoros ei 
diefer Eintheilung nicht; fle wird alfo wahrſcheinlich 
entftanden fein. In Bezug auf unfere heutigen acht Di 
haben fich die Scholiaften den Kopf zerbrochen, wie es w 
zugehe, daß Thukydides, deffen Name doch mit einem 6 
ähm, 7 Bücher (8) geſchrieben, Herodot aber, der mit 
nem 7 anfüngt, 9 Bücher (9). Sie erklären die I 
würdigkeit dadirch, daß von © bis o acht Buchftaben ge; 
werden, von Z/ Bis o dagegen neun, — Die Kapiteltgeil 
rührt erft von den neueren Editoren her ?). 


Daß die Scholien von Mehreren herrühren, ben 
fon ihre Unvollitändigkeit in den einzelnen Handſchrificu) 
Unter den Berfafjern werden aufgefliget Antyllos (IH, & 
IV, 19.28.), Asklepiades oder Asklepios (I, 56.) und Pb 
Bammon (I, 53.). Den Phöbammon fett Fabricius unter K. 
Arkadios; Antyllos und Asklepios müſſen jedenfalls vor Mas 
cellin gelebt Haben. Citirt werben in den Scholien Heros 
no8 (II, 19. 99. VII, 44.), der bekannte Gecſchichtſchu⸗ 
ber 2); Chöroboskos (VIII, 44.), der zum Dionyjiod Thy 
Noten verfagt hat in Bekker's Anekdotis; ferner Oros (Il 
19. V,1.) und Tzetzes (I, 113. 123. II, 102. IN, 61) 
An fonjtigen Quellen hören wir dur) Suidas von Sera 
Unouvsne zum Thukydides, Sabinus Commentar, der um 
K. Hadrian verfaßt wide, Numenius Werk zuv Gouxrdidor 


— — — — — 


) PoppoJ,1, p. 74 sq. 
2) Bgl. Duker in praefat. und Poppo II, I, p. 66 sqg. 


9) Herodian ift ein Nachahmer des Thukydides: vgl. Herodian. 
VI, 3, 2 und Thuc. 1, 1. Ebenſo den Anfang des Erftern mit der 
thukydideiſchen Vorrede. 


Scholien. 363 


a Anuoodevovs yosıwv ovvayayı) aus derfelben Zeit. . Eva⸗ 
as Schriften negi zuv naga Oovxvdidn Imrovasvow Kard 
=) und Govxvdidov Teyn Önrogeny in fünf Büchern. 
Eudiud Didymus Teo? av juaprnudtav nag& Tv uvalo- 
er Govxvdidn. Julius Veſtinus endlich fehrieb eine. Zxioyı, 
uarov aus Thukydides, Iſäos, Sokrates und Thras 
wuachod, — Sun einzelnen Scholien merden beſtimmte 
zeignijje citirt: jo III, 38. auf die Apoftelgefchichte 

‚21 geblidt; I, 132. einer That Conſtautin's d. 
E. gedacht 1); III, 37 Gregor von Nazianz gelobt; 
7, 83 Beliſar erwähnt 2). — Was den Werth der 
cholien betrifft, jo find fie allerdings reich an Gemein⸗ 
Aben, arm an eigentlich factifcher Belehrung. Mit—⸗ 
rter enthalten fie Widerfprüche. Uber für die unmittelbare 
regefe des zumeilen fo ſchwierigen Textes find fie äußerſt 
tzbar. Einer unferer trefſlichſten praktifchen Schulmänner, 
erd. Ranke, ift der Meinung, daß fie fir den Schüler 

feiner Vorbereitung das beite Hülfsmittel bilden. Ich 
um fchlieglich noch einen Wunſch nicht unterbrüden, den 
wiß jeder Alterthumsforſcher theilen wird: daß doch vecht 
fd eine gelchrte-und fleigige Hand die Realnotizen aus allen 
choliaſten der alten Literatur ſammeln, und in Ierikalifcher 
vonung herausgeben möge. Das bloß Paraphraſtiſche müßte 
wtürlich zurückbleiben. Wer jet über alte ©efchichte fehreiben 
EU, fieht fich zu feiner eigenen Beruhigung gezwungen, alle 
scholiaften durchzuſehen. Dft bringt er mit vieler Mühe 
ar den Troft nad) Haufe, daß für feinen Zwec Nichts darin 
r fuchen iſt. Nichts wäre wünſchenswerther, als wen ir⸗ 


— — 





1) gl. Spanhem. ad Callimach. Hymn. in Del. p. 391. 


2) Den Sprachgebraud; der Scholien und X. dgl. hat 5. Ste⸗ 
banus in einer eigenen Proparafteue erklärt. Sie findet ſich bei 
oppo im eriten Theile des dritten Bandes. 

36 * 






564 Vierte Beilage. 


gend. eine Akademie Durch Preisaufgaben dieſem unläugbam 
Bedürfuiß entgegenkäme. 

Ueber die Nachahmer des Thukydides, die Handſchrijien, 
die Ausgaben und andere Hülfsmittel findet mar bei Poppo 
reichliche Belehrung. Ich Habe in diefem Stücke eigene jur 
fhungen weder anftellen können, noch wollen. Dixi. 


Negifter)) 


A. 
zuch des Thukydides S. 124. 
162fg. 233. 354. 358. 
atos ©. 311. 428. 444ff. 
©. 99. 393. 395 492. 
iſche Bildwerke ©. 60. 
tami Schlacht ©. 395. 445 
31. 
n ©. 72. 387. 
©. 305. 
8 ©. 69. 170 197. 202. 
227. 235. 270. 284. 286. 
312 ff. 318. 338. 371. 383. 


3.53 

5. 102 fg. 542. 

ı ©. 72. 205. 452. 
ınon ©. 239. 

ı 6. 18. 173. 

8 ©. 218.241. 395.450. 558. 
5. 187 fo. 

rien ©. 72 454. 457. 
3. 138. 

08 ©. 428. 

riner ©. 6l. 


Sc) Habe nur diejenigen Wörter bier aufgenommen, 


Alkäos ©. 71. 

Alfibiades ©. 146. 156. 159. 202. 
223. 233. 252. 256. 268. 274. 
312. 324 fo. 364 fg. 382. 397. 
422 fi. 438 ff. 441 ff. 448. 460 
ff. 466 ff. 496 fa. 499. 502. 575. 

Alkifthenes ©. 429. 

Amphipolis &. 97 fo. 419. 

Amprafia ©. 235. 455. 


Avayıy &. 19. 


Anatreon ©. 69. 

Anaragoras ©. 94. 131. 196. 216. 
221. 225. 410. 575. | 
Andolides ©. 124. 185. 424. 426 ff. 

Androkles ©. 431 fg. 

Anfpielungen der Dramatiker ©. 
300. 340 ff. 

Antiocyos der Hiſtoriker S. 111. 
113. 139. 282. 

Antiochos der Seemann ©. 444. 

Antiphon ©. 94. 146. 227. 231, 
‚255. 336 ff. 428. 439. 

Antiftrophen S. 371. 

Antithefen ©. 338. 

Aphthonios ©. 85 fg. 574. 


die mit 


iechifchen und vömifchen Alterthume in directem Zuſammenhange 


\ 


566 


Apollodor &. 140. 

xratos ©. 71. 

Archäologie des Thukydides S. 376. 

Archaismus &. 336. 

Archedemos S. 445. 

"Agın ©. 182. 

Arhidamifcher Krieg S. 357. 403. 
451 ff. 

Archidemos S. 150. 156. 403. 

Archilochos S. 53. 

Areopag ©. 296. 332 ff. 518 ff. 

Arginuſen ©. 443. 487 fg. 

Argos ©. 430. 462 ff. 

Arifteides ©. 380 ff. 336. 390. 

Ariftippos ©. 274. 

Ariftogeiton ©. 91. 

Ariftokrates ©. 420. 433 ff. 444. 

"Agsoroxparia S. 245. 

Ariftofratie &. 239 ff. 
511. 520. 

Ariftophanes S. 69 120. 131. 156. 
171. 204. 223. 226 ff. 242. 270. 
284.296fg. 357.412. 418.458.500. 

Ariftoteles der Oligarch ©.416.419. 

Ariftoteles der Philofoph S. 14. 
22. 27. 63. 66. 69. 73. 147. 
247. 337. 381. 469. 

Arkadien ©. 72. 205. 461 ff. 

Arrian ©. 62. 

Artikel ©. 336. 

Asklepios ©. 561. 

Alpafia ©. 410. 510. 

Athen ©. 72. 110. 135. 158. 205. 
240. 248 ff. 324 ff. 367 ff. 376 
ff: 399 ff. 

Athenagoras ©. 243. 470 ff. 489. 

Athleten ©. 50. 129. 

Atimen ©. 533. 

Atthiden S. 123. 140. 358. 

Atticismus ©. 336 ff. 

Augufteifches Alter ©. 62. 

Autochthonie der Athener ©. 135. 

"207. 376. 507. 511. 514. 

Axiochos ©. 217. 


338 fg. 


Regiſter. 


B. 
Bakchylides S. 71. 285. 
Barbaren S. 72. 124. 133. 
Batrachomyomachie S. 53. 
Beſoldung S. 305. 418. 420. 
Bevölkerung S. 399. 
Bohnenloos S. 383. 
Bosporos S. 499. 
Bottiäer S. 451. 


Braſidas S. 97 fg. 230. 395. 


448. 455 ff. 484. 490. 491 
Breviloquenz S. 349. 
Bücherverfehr der Griechen ©. 
Bunbescontingente ©. 392. 
Bundesgenoffen der Athener ©. 

264 ff. 302. 306. 379. % 

400. 488 ff. 530 fg. 
Bundesgenoffen der Lakedäm 

©. 461 ff. 

Byzantinifche Hiftoriker ©. 1 
C. 

Cäcilius von Galakte ©. 9. 

Cäſar ©. 56. 344. 373. 460. 

Gafus ©. 336. 

Eentralifirung des Staates ©. 

306. 326 fg. 

Chalkideer ©. 452. 467. 
Charikles ©. 432 fg. 437. 
Charmides ©. 429. 
Chardades ©. 429. 

Chios ©. 183. 493. 497. 
Chremon ©. 445. 
Chronologie ©. 141 ff. 186. 
Cicero ©. 56. 231. 314. 


Cikade ©. 314. 
Cornelius Nepos ©. 128. 


Eurtius ©. 63. 


D. 
Dädalos ©. 59. 
Acunoriov ©. 195 fg. 
Damon ©. 212. 
Dared ©. 64. 


Regifter. 


S. 357. 480 ff. 


ſcher Krieg 
Schlacht S. 454. 

S. 219. 49. 

S. 213 ff. 404. 

ogen S 248. 302. 308. 321 
33. 533. 

©. 91 fg. 

‚Eos ©. 252. 

:atie ©. 239 ff. 248 ff. 301. 


itos ©. 221. 371. 

henes der Feldherr ©. 310. 
419. 429. 437. 452. 478 ff. 
yenes der Redner S. 69. 
336. 523 ff. 560. 

en ©. 112 fg. 163. 

18 ©. 214. 435. 

bes S. 437. 

©. 64. 

8 &. 128. 18}. 194. 380. 
8 ©. 156. 267. Alk. 491. 
0 ©. 428. 

8. ©. 4135. 

on ©. 438. 

08 ©. 40. 62 
375. 

hes ©. 215. 410. 
85. 443. 

S. 205. » 
des ©. 410. 
er.S 100. 385. 446. 
©. 109. 


85. 366. 


E. 
en S 360. 
5. 473. 475. 
. 98 
S. 131. 
©. 97. 
. 430. 468. 
©. 33 
8 ©. 383 fo. 
ı zu Athen ©. 446. 
ı zu Sparta ©. 359. 


567 


Ephoros ©. 136. 140. 142%, 181. 
358. 374. 397. 523. 

Epidyarmos ©. 131. 300. 318. 338. 

Epigenes ©. 575. 

Epifoden ©. 219, 359 ff. 

Enoroiy ©. 113. 

Eratofthenes ©. 416. 

Eryxias ©. 212. 

Eryximachos ©. 428 fe. 

’H9os S 285. 

Etrurien ©. 490. 

Euböa S 497 ff. 

Evxoouov ©. 388, 

Eufrates ©. 302. 305, 411. 429. 

Euftemon ©. 438. 

Euphemos ©. 471. 477. 

Euphiletos S. 429, 

Eupolis ©. 147. 217. 297 fg. 301. 
315. 319. 407. 420. 453. 

Euripides S. 35. 31. 33. 132 fg. 
148. 170. 172. 198. 202. 214. 
216. 223. 273. 297. 309. 312. 
317. 333. 338. 371. 397. 413. 
507. 516. 540 ff. 

Eurymedon ©. 415. 437. 

Eurpptolemos ©. 445. 

Euthydemos ©. 419. 

Euthyphron ©. 339. 


F. 
Fechterbilder S. 77. 147. 
Pevyıw ©. 101. 
dnloßapßapos ©. 133. 
Florus ©. 63. 
Frieden ©. 307. 320. 356. 393. 
416 fg. 419 ff. 423. 458 ff. 496. 
Fünftaufend ©. 442 ff. 


G. 


Gela Frieden von S. 466. 
Geld in Sparta ©. 449 fo. 
Genvs und Demos ©. 91 fg. 
Genus ©. 345. 


568 
Ger heameien zu Athen ©. 249. 806. 
—* S. 305. 399. 


Iyayın kunnaca ©, 162 fo. 
Goldenes Alter ©. 133. 313 fo. 


Gorgias S. 253 ff. 308. 339. 357. 
465. 


Goͤtter S. 195. 225 ff. 
Grammatiker der Kaiferzeit S. 12, 
Toagıxov S. 338, 

Gylippos ©. 449. 478 ff. 


| H. 

Hagnon S. 419. 

Halimus S. 85. 

Handel ©. 399. 450. 

Handſchriften S. 168. 351. 

Harmodios ©. 91. 

Hekatäos ©. 119. 131. 133. 290. 
342 fo. 394, 

Heulanikos ©. 85. 113. 118. 137 
fg. 140. 142. 276 ff. 

Hellespont ©. 497 ff. 

Heloten 330. 383. 452 ff. 464. 

Heraklea ©. 241. 456, 

Herakleitos ©. 131. 

Hermippos ©. 91. 409. 

Dermofopiden ©. 217. 334. 364 ff. 
426 ff- 

Dermotrates ©. 264. 466 ff. 559. 

Herodot ©. 23. 40. 57. 71. 85. 
91. 92 ff. 103. 107. 111. 213 ff. 
123. 131. 142. 143. 166. 171 
fa. 184. 189 fg. 192. 196. 213. 
220. 222. 234. 246. 278 ff. 284 
ff- 315. 339. 353. 365. 376. 378. 
330. 469. 

Hefiodos ©. 54. 214. 223. 310. 

Hetärien ©. 439 ff. 449. 

Hierokles S 216. 420, 

Dippias der Sophiſt ©, 274. 

Hippodamos S 212. 

Dippofles ©. 438. . 

Dippofrates ©. 66. 221. 357. 


Regiſter. 


Hippon S. 214. 

Hipponax S. 53. 

Hipponikos S. 416. 

Homer ©. 8. 21. 23. 48. 69. 

. fg. 136 ff. 148. 211. 214. 
310. 337. 372. 

Hopliten ©. 488. 

Horaz ©. 39. 

Hyperbolos ©. 233. 297. 
305 fg. 382. 420. 424. 467 


J. 
Jaſon von Pherä ©. 491. 
Sndirecte Wahlen ©. 440. 
Inſchriften S. 88. 122. 129. 
Son S. 291 fg. 
Sonien ©. 72. 497. 
Sphikrates ©. 71. 
Iſokolon ©. 340. 
Iſokrates S. 71. 123. 133. 
194. 217. 234. 246. 260 fi. 
315. 342. 374. 427. 500. { 


’Ioorowia ©. 245. 


’Ioyxvov ©. 82. 
Judäa S. 72. 


K. 
Kallikles S 257. 
Kallikratidas S. 448 fg. 
Kallinos S 56. 
Kallixenos S. 445. 
Ka)oi xayadoi ©. 218 ff. 3 
Kamarinä ©. 243. 471 ff. 
Kanonos ©, 99. 
Kaper ©. 483. 
Karthago ©. 72. 467. 4%. 
Kadapcıs ©. 236. 
Kephifoboros ©. 428 ff. 
Kerkyra ©. 263. 263. 397 fg 
413 ff. 456. 548 ff. 
Kimon ©.90. 232. 292. 301 
fg. 392 ff. 336. 390. 392. 
Kinefias S- 309. 
Kleigenes ©. 446. 


Regiſter. 569 


ones ©. 380. 385. 575. 
©. 98. 147. 156 ff. 169. 
219. 230 fo. 267. 297. 

fa. 305 fg. 310. 317. 408 

15 fi. 494. 

mos ©. 302. 306. 420. 

fg. 

on ©. 302. 306. 311. 446. 
Schlacht ©. 39. 

2» ©. 72. 470 ff. 

ie ältere ©. 127. 131. 250. 

ff. 401. 531. 

ie neuere ©. 33.73. 148. 298. 
©. 441 ff. 486. 

h&. 263. 395. 398.403 518ff. 

a Schlacht ©. 386. 

yafion ©. 559. 

o ©. 217. 
©. 131. 295. 300. 315. 

08 ©. 215. 217. 295 fg. 
301. 315. 

pos ©. 106. 149. 374. 

08 ©. 339. 

3 ©. 133. 217. 307. 336. 

fg. 446. 

©. 283. 

er ©. 49. 129. 
©. 221 362. 

S. 499. 

a S. 417. 452. 478. 


®, 
©. 307. 416. 418 ff. 423. 
dias ©. 437. 
mon ©. 72. 110. 124. 205. 
fg. 232. 240. 267. 307. 


ff. 376 ff. 387 ff. 399 ff.. 


ff. 462 ff. 481. 499. 
„08 ©. 419 fo. 474 ff. 
n ©. 215. 221. 419. 
u ©. 304. 399. 

ieg ©. 386. 528 ff. 
Mauern ©. 386. 

n ©. 77. 141. 


Leichenredben ©. 151 fg. 207 fg. 
368. 505 ff. 

Leleger ©. 205. 

Leon ©. 420. 438.. 

Leontiniſcher Krieg. ©. 466. 

Lepreon ©. 462. 

Lesbos S. 263. 497. 

Lichas ©. 425. 

Livius ©. 40. 51. 174. 

Logographen ©. 50 fg. 56. 123. 
129 ff. 141. 188. 212. 214. 276 
ff. 291. 343. 358. 

Aoyoı ©. 119. 

Lucanus ©. 33. 

Lukianos ©. 92 fg. 180. 

Lykios ©. 428. 

Lyriſche Metra ©. 289. 

Lyſandros S. 218. 236. 241. 
448 fo. 

Lkyſias S. 160. 246. 306. 339. 
312. 427. 433. 506 ff. 

Lyſikles S. 305. 411. 452. 

Lyſippos ©. 60. 77. 147. 

Enfiftratos ©. 429. 


mM. 
Makedonien ©. 72. 49. 


Maxpurtaror ini oxonoum. ©.133. 
Mantinea ©. 161. 423. 461. 
Mantitheos ©. 429. 443. 
Marathon ©. 380 fo. 
Marathonkämpfer S. 314. 
Marcelin S. 81 ff. 574. 
Margites ©. 53. 

Miyalongenis ©. 352. 

Miysdos ©. 352. 

Meletos S 423. | 

Melos S. 236. 268 fg. 424. 464. 
Memoiren 54 ff. 291 fi 
Meneftratos S. 429. 

Mioor ©. 82. 

Meflenien S. 236. 

Metiopog ©. 324. i 

Meton ©. 143. 223. 309. 468. 


Sams 


570 


Mileſiſche Märchen S. 279 fg. 

Miltiades S. 89. 232. 30. 3, 

Miunoıs ©. 7. 338. 

Minos S. 378. 

Mitylene ©. 455 ff 467. 492 ff. 

Myzua ©. 105. 

Mnefiphilos ©. 242. 

Modus &. 346. 

Morychides S. 29. 

Muſäos ©. 48. 

Mufen Anrufung derſelben ©. 8. 

Myronides ©. 508. 

Myfterien S. 212. 426 ff. 434 fg. 
500. 611. 


N. 


Naupaktos S. 236. 393. 457. 

Neutrale S. 491. 

Nikias S. 156. 163. 216. 235. 
252. 256. 298. 307. 310. 316. 
410. 415 ff. 423 ff. 437. 458 ff. 
467 ff. 

Nikoſtratos S. 415. 419, 423, 

Nomadenkrieg ©. 494. 

Novellen S. 279 fg. 287. 

Numerus ©. 315 fo. 


O. 

Odyſſee, ihre Einheit, ©. 23 
Denobios ©. 101. 
Dien ©. 48. 
Oligarchie S. 239 ff. 248 ff. 382, 

430 fg. 437 ff. 
Oloros ©. 83 fo. 
Onomakles ©. 438. 
Orakel S. 212. 222 fg. 449. 
Oratio obliqua ©. 148 fo. 
Oratio variata ©. 344 ff. 
Opyar S. 92 fg. 
Orpheus ©. 48. 
Orphiker ©. 53. 212. 
Oftrafismos ©. 99. 380 ff. 424. 
Drymora ©. 338. 


Regiſter. 


®. 

Pagondas S. 454. 

Pallas S. 210. 

Pamphila S. 85. 

Pamphos S. 48. 

Panätios S. 427. 

Parallelismen S. 350. 

Pariſon S. 340. 

Parrhaſier S. 462. 

Parrhaſios S. 159. 

Particip S. 347. 

Partikeln S. 336. 

THa80os ©. 236. 285. 

Daträ ©. 461. 

Yaufaniad S. 363. 379. 38 4 

Peiräeus S. 385. 

Peifandros S.420. 432 fg. 4391. 

Peififtratiien S 91 fg. 15% 
219. 362 ff. 372. 

Pelasger ©. 205. 

Deloponnefiihe Kriege ©. 38 f. 

Deltaften ©. 488, 

Perikles ©. 146. 150 fi. ME 
214. 216 fg. 221. 232 237. %1 
fi. 274. 2%. 292. 305. 307 fe. 
313. 334. 392. 396 ff. 399. 401 
ff. 451. ası. 

Merikles der Züngere ©. 441. 

Periode ©. 340 fg. 

Perferkriege ©. 213. 261. 209. 
308. 366 ff. 331 ff. 391 fg. 507. 
512. 

Perſien S. 72. 500. 513 ff. 

Heft in Athen ©. 95. 110. 18. 
223 fa. 407. 468. 

Phäax S. 424. 

Phädros ©. 428. 

Phaleas ©. 247. 

Pheidias S. 60. 77. 147. M. 
210. 213. 217. 342 314. 357. 
410. 

Pherefrates ©. 249. 315. 

Pherekydes von Leros ©. 279 fi. 

Philippos ©. 428. 





Regiſter. 


okles der Dichter S. 490. 

okles der Feldherr S. 445. 

mion ©. 297. 484 fg. 

ı ©. 496 fg. 530. 537. 

ios ©. 85. 

nicho8 der Feldherr ©. 429. 

3 ff. 481. 
nicho8 der Komiler ©. 313. 
nis ©. 309. 

smus ©. 215 ff. 311. 

ır ©. 7. 8. 68 fg. 71. 130. 

2. 196. 213. 218. 284 fe. 

ia ©. 260 ff. 494. 

ın ©. 7. 16. 25. 69. 78. 95. 

3. 186. 203 fg. 217. 311. 

6. 319. 342. 509 ff. 

ıasmen ©. 350. 

u8 ©. 40. 63. 

ıch ©. 45.62.85. 111. 128.380. 

bios ©. 41. 141. 179. 187. 

3. 204. 364.. 

euktos ©. 429. 

rates S. 219. 

Elet ©. 77. 213. 

ftratod ©. 428. 

ejius ©. 71. 

rätbüften der Alten S. 107 fg. 

2 fo. 

donios ©. 141. 

‚aa S. 492. 

iteles ©. 77. 314. 

ulen ©. 437. 

itos ©. 242. 339. 

ocia ©. 9. 

les ©. 429, 

mion bes Thukydides ©. 354. 
6 ff. 376 ff. 

agandakrieg ©. 307. 394. 
as ©. 187. 

agoras ©. 225.253. 291. 371. 
8 ©. 417. 452 fo. 478. 485 
536. 538. 

agoras ©. 56. 

odoros ©. 416. 419, 437. 


571 


N. 
Kätionalismus S. 214. 309. 
Nedefiguren S. 340 ff. 
Redensarten S. 337. 

Reifen ©. 72 fg. 111. 
Rhodos ©. 467. 
Ritter ©. 303 fg. 418. 442. 


©. 
Salluftius ©. 63. 344. 350. 
Samos ©. 394. 498. 
Satyros ©. 445. 
Gatyripiele S. 280. 287. 
Schatz ©. 392. 400. 449. 
Zynnara ns Atkewg 
Zynnara ns dıavoias |e. 310 fi 
Scholien ©. 831.562 fe » 
Scipivo ©. 71. 460. 
Seeherrſchaft S. 249. 327. 378. 
385. 394 ff. 483-ff. 529 ff. 
Seeraub S. 200. 378. 
Sruvoens ©. 352, 
Senat ©. 445. 
Sicilien ©. 192. 307. 383. 465 ff. 
470 ff. 
Siebentes Bud) des Thul. S. 168. 
Sikanier 
Sitte ©. 172. 
Sikyon ©. 462. 486. 
Silbernes Alter der Eiteratur ©. 
337 ff. 
Eilius Stalicus ©. 33. 
Simon ©. 186. 203. 217. 271. 
365. 
Simonides von Amorgos ©. 53. 
Simonides von Keos ©. 70 fe. 
123. 213. 285. 338. 


Siſyphos S. 252. 


Sitalkes S. 490. 
Skionä S. 270. 
Skironides S. 438. 
Sklaven ©. 531. 

Skopas ©. 77. 

Styros ©. 392, 


872 


Skythen S 183. 

Sokrates S. 69. 140, 148. 198. 
217 fg. 225. 232. 271 fg. 297. 
311. 315. 318 fa. 357. 446. 
468. 

Söldner S. 488. 

Solon S 56. 305. 

Sophiſten S. 93. 133. 147 fg. 
214. 234, 242. 217. 253ff. 311. 
338. 

Sophofles S. 25. 31. 71. 77. 118. 
139. 148. 170. 197. 202. 213. 
222. 225. 235. 271 fo. 234 
286, 292. 300. 313. 333 ff. 357. 
408. 

Sophokles der Oligarch ©. 416. 

Zuggosun ©. 383. 

Sphalteria f. Pylos. 

Spiele ©. 73. 

Stephanos S 428. 

Stefihoros S. 71. 131. 

Stefimbretos ©. 293 fg. 

Steuern ©. 400. 

Strabon ©. 62. 

Strombichides ©. 438. 

Sueton ©. 63. 

Suidas S 81. 93. 

Zvvorsonos ©. 327. 467. 

Zwratss ©. 531. 

Syrafus ©. 403. 465 ff. 

Sprakufifche Flotte S. 486. 


T. 
Tayos tijs onnasias ©. 337. 
Tacitus ©. 40. 63. 166. 204. 

239. 350 fg. 

Zanagra Schlacht ©. 394. 
Tapatınnöorgaros ©. 418. 
Teleklides ©. 315. 
Zempus ©. 336. 346. 





1) Ich habe in das Regifter natürlich nur bie Etellen aufgenem: 


Regiſter. 


Zeres | 6. 127. 400. 

Tereus 

Thales S. 53. 

Thaſos S. 97. 100. 

Theagenes S. 419. 443. 

Theben S. 205. 260 ff. 382. 36. 
454. 493. 512. 

Themiſtokles S. 202%. 305. 38. 
362 fg. 379. 331 ff. 385. 3%. 
398. 401. 

Theodoros ©. 429. 

Theognis ©. 54. 56. 71. IH. 
251. 

Zheopompos ©. 133. 139 fg. 10. 
234. 294. 338. 354. 358. 374. 
519. 523. 

Theoros S. 49. 

Theramenes S. 146. 241. |. 
419. 439 ff. 443 ff. 

Theſeus S. 135. 361. 365. 383. 

Tcheffalien ©. 72. 387. 457. 891. 

Oovpwnavreıs ©. 216. 

Thrakien ©. 99 fg. 
337. 457. 490. 

Zhrafybulos) 

Thrafpllos S. 443 ff. 

Thraſymachos S. 257. 

Thukydides Meileſias Sohn S. W. 
99. 273. 384. 

Thukydides Oloros Sohn ©. 21 
fo. 57. 69. 71. 712. 

Thukydides der Dichter ©. 209. 

Thurii ©. 387. 401. 

Zimäos ©. 104. 234. 

Zimotrates ©. 419. 

Zolmides ©. 393. 

Tragiter ©. 32. 68. 73. 171.235. 

Trierarchen ©. 531 fo. 

Zrogus Pompejus ©. 116. 

Zroifdher Krieg ©. 239. 377 fi. 


127. 1% 


’ 


men, weldye in den Prolegomenen von Thukydides handeln, 


J 


eu. 


Regifter. 


©. 195. 

ınnen ©. 239 fg. 
7 fe. 

täos ©. 56. 71. 


362 fg. 


u. 
erfalgefchichten des Alterthums 
. 298, 
ınden ©. 112. 
rung des Staates ©. 214.507 ff. 


V. 
hundert ©. 437 ff. 
Esfefte ©. 73. 401. 515. 
Esfouveränetät ©. 242. 328. 
17 fo. 


W. 
hnſinn der Alten ©. 7. 16. 


nderungen ber Stämme S. 200. 


76 ff. 
3bau ©. 399. 


975 


MWeiberemancipation &. 309. 
Weihgeſchenke S. 50. 

Weifen die fieben ©. 56. 
Wortbildung ©. 337. » 
Wortipiele ©. 338. 
Wortftellung ©. 337. 


X. 


Xanthos Lydos ©. 142. 282 fg. 
Zenophon ©. 140. 142. 148. 173. 
177 fg. 189 fg. 197. 203. 217 
fg. 221. 234. 236. 212. 217 ff. 
285. 287 ff. 291. 342. 354. 358; 
374. 428. 523. 526 ff. 556 ff- 
Zoana ©. 59. 


V. 


Yynrıv ©. 822. ..n 
Zu 3. 1 
Zakynthos S. 451. 41 


Zufäße und Beridhtigungen. 


* 

Zu S. S. Z. 3. v. u. Ganz beſonders aber die herrliche Aus 
führung in Platon’s Theätet p. 149 sqq. 

Zu &. 75. extr. Die hellenifche Nationaldkonomie hat fi vor: 
zugsweife ber ethifchen Seite zugewandt, wie die neuere ber materialen 
Seite. Beides freilich Einfeitigkeiten, aber die erflere nicht die ſchlech 
tefte. Bol. Gött. gelehrte Anzeigen 1842, ©. 1179. 


Zu ©. 84. Der fleißigen Abhandlung von Heinrich Wuttle 
De Thucydide scriptore belli Peloponnesiaci (Vratisl. 1838.) Part. 
I, p. 17 qq. verdante ich die Bemerkung, daß ber erfte Marcellin weit 
mehr Auctvritäten citirt, alſo den Anfchein einer größern Belefenkeit 
befist, als bie fpätern Abfchnitte. 


3u ©. 86. extr. Unterfuht man bie Stelle des Aphthonios 
genauer, ws eis ardgas apixero, fo findet man fogar, daß fie gegen 
Krüger zeugt. Cs ift ja bekannt, daß die Alten das männliche Alter 
fpäter anfangen laffen, als bie Neuern. Bol. Wuttke a. a O. p.il. 
Richt minder ift es W. gelungen, die Uebereinftiimmung aller übrigen 
Berichte mit der Angabe der Pamphila zu erweifen: fo daß allerdings 
der Hauptgrund von Krüger darin beruhen möchte, die herodoteiſche 
Borlefung vor Thukydides zu retten. 


3u & 99. Das Thukydides fehr bald nad) feinem Unfale 
vor Amphipolis geflüchtet fein müffe, vermuthe ich aus IV, 118. Die 
ganze Waffenftilftandsurtunde nämlich, die hier mitgetheilt wird, ob 
gleich fie in attifcher Sprache gefchrieben ift, fcheint aus der lakedämo⸗ 
fchen Redaction entnommen zu fein. Ei ds zı vniw eire nallıov site die 
xaÖTEgov TOoVTWv ÖoXei sivaı , tovres zig Aaxedainova Ördaonıte. Golde 
Stellen zeugen offenbar dafür. Alſo ſchon damals, wenn meine Angabe 
gegründet ift, hätte ſich Thukydides Leichter aus Laledämon, als aus 
Athen die Materialien feiner Geſchichte verſchaffen können. 


Zufige und Berichtigungen. 575 


Zu &. 198. 3. 1. v. u. Schon Anaragoras hatte das Wort 
Schickſal für ein leeres erklärt. 


Zu ©. 215. 3. 11. v. 0. Die heudjlerifche Religiofität der 
Korinthier erhelt aus V, 305 die der Eleer aus V, 49 ff. recht deut⸗ 
wi. Dagegen ift es wieder hübſch, daß die Lakedämonier bei ihrem 
Einfalle in Attila aus Pietät die f. g. attifche Zetrapolis verfchonen, 
vo bie Heralliden ehedem gelagert hatten (Diod. XII, 45... Nach 
Dem peloponnefifchen Kriege ift bekanntlich Lyſandros der erfte hellenifche 
Staatsmann, dem bei Lebzeiten göttliche Verehrung erwielen worden; 
ein bedeutendes Moment im Verfalle der griedhifchen Religiofität (Plut, 
Lys. 18. Athen. XV, p. 696. Hesych. v. Avsavögıc). 


S. 2328. 3. 11. v. u, lies verklären flatt erflären. 
S. 3267. 3. 2. v. u. lied ertremes flatt eretremes. 


Zu S. 260. 3.14. v. 0. Der Starke thut und der Schwache 
duldet das Aeußerfte. 


Zu ©. 342. 3. 14. v. u. Vgl. auch VI, 31.2 wo die unges 
beuere Pracht und Koftfpieligkeit des ſyrakuſiſchen Zuges in einer langen 
Periode gefchildert wird, und nun bie ganze Aufzählung mit den Wor⸗ 
ten fchließt: „Wenn man berechnet, co. . fo würde man finden, daß 
damals zufammen vine Menge 'von Talenten aus der Stadt gefchleppt 
worden find.“ 


Zu &. 430. 3. 6. v. n. Iſokrates erzählt dagegen, Alkibia⸗ 
des fei Anfangs nach Argos geflohen. Bier aber hätten ihn die Athener 
verjagt, und fo nad) Sparta zu gehen gezwungen. Isocr. De bigis3. 


Zu ©. 443. 3. 5. 0.0. Die blutige Reaction"gegen die Theil⸗ 
nehmer an ber Herrihaft der Vierhundert, mit ihren Hinrichtungen, 
Sonfiscationen und Verbannungen, weldye Epigened, Kleifthenes u. A. 
Leiteten und felbft Tchon reich dabei wurden, ſcheint nur kurze Zeit ge⸗ 
dauert zu haben (Lysias De aff. tyrann. p. 226. Tchn.). 


Zu ©. 465. 3. 8. v. 0. So wurde Kerkyra bei Gelegenheit 
des großen ſyrakuſiſchen Zuges ja auch wirklich als Sammelplag ges 
braudt: VI, 30. 


Gedrudt bei Eruſt Auguf Huth, 


| 


EEE 





MIMMIININLUNG 


ified time. 


n prompt: